Niedersächsisches Ministerium für Inneres und Sport - Verfassungsschutz - Verfassungsschutzbericht 2017 Impressum Herausgeber: Niedersächsisches Ministerium für Inneres und Sport Presseund Öffentlichkeitsarbeit Lavesallee 6 30169 Hannover Telefon: 0511 120-6255 Telefax: 0511 120-6555 E-Mail: pressestelle@mi.niedersachsen.de Internet: www.mi.niedersachsen.de Redaktion: Niedersächsisches Ministerium für Inneres und Sport Abteilung Verfassungsschutz Büttnerstraße 28 30165 Hannover Telefon: 0511 6709-217 Telefax: 0511 6709-394 E-Mail: oeffentlichkeitsarbeit@verfassungsschutz.niedersachsen.de Internet: www.verfassungsschutz.niedersachsen.de Layout und Gestaltung: ermisch | Büro für Gestaltung, Hannover Verfassungsschutzbericht 2017 Vorworte Liebe Bürgerinnen und Bürger, die Arbeit des Niedersächsischen Verfassungsschutzes ist und bleibt von großer Bedeutung, um ein möglichst hohes Sicherheitsniveau für die Menschen in unserem Land gewährleisten zu können. Das belegen auch die Zahlen des Verfassungsschutzberichts für das Jahr 2017. Die Bedrohung ist unverändert Chatgruppen können sich Gleichgesinnte hoch, wobei sich Ausprägung und Art der leicht austauschen und in ihrem Weltbild geBedrohungen stetig entwickeln. Wir stellen genseitig bestätigen und anstacheln. Fremphänomenübergreifend fest, dass es in allen denfeindliche Ressentiments erschöpfen sich Extremismus-Bereichen zu unterschiedlichen auf diese Weise nicht länger in Stammtischpastrukturellen Veränderungen kommt. rolen und werden auch nicht nur an StammNehmen wir den Bereich des Rechtsextremistischen geäußert, sondern lassen sich schnell mus: Die Entwicklungen in den vergangenen online verbreiten und potenzieren sich. Jahren haben deutlich gemacht, dass fremAuch im Bereich des Linksextremismus ist denfeindliche Einstellungen auch in Deutschein erhöhter Vernetzungsgrad festzumaland weit verbreitet sind. Ein großer Teil der chen. Es steigt nicht nur die Zahl der AutoMenschen mit fremdenfeindlichen und rasnomen und sonstiger gewaltbereiter Linkssistischen Ansichten verfügt dabei aber nicht extremisten, wir stellen ebenso fest, dass immer auch über ein in sich geschlossenes die Hemmschwelle zur Gewaltanwendung rechtsextremistisches Weltbild. Sie sind vielnach wie vor sehr niedrig ist. Dies haben die mehr getrieben von einer grundlegenden AbAusschreitungen anlässlich des G20-Gipfels lehnung gegenüber allem, was vermeintlich in Hamburg aber auch die Rechts-Links-Kon"fremd" und "anders" ist. Hieraus können frontationen im Raum Göttingen verdeutsich allerdings rechtsextremistische Strukturen licht. Gerade der G20-Gipfel hat gezeigt, entwickeln, insbesondere dann, wenn in Teiwie wichtig die "Neuen Medien" auch für len der Bevölkerung diese fremdenfeindliche die autonome Szene mittlerweile sind. Erst Stimmung mit einer Bereitschaft zur Gewaltmit ihrer Hilfe konnte die Vorgehensweise anwendung verbunden wird. Die Entwicklung der Autonomen zeitgleich kommuniziert der vergangenen Jahre kann deshalb als eine und die gewaltsamen Proteste koordiniert Art Übergangsphase hin zu neuen Formen des werden. Sie lieferten die emotionalen Bilder Rechtsextremismus beschrieben werden. des Protestes und sorgten dafür, dass diese Es ist dabei eine zunehmende Vermischung oft in Sekundenschnelle verbreitet wurden. von rechtsextremistischen und rechtspopulisOhne die veränderten Kommunikationstischen Strömungen zu beobachten. Auf entmöglichkeiten wäre die europaweite Mosprechenden Internetseiten und in eigenen bilisierung, Koordinierung und Realisierung 2 Vorworte der Gipfelproteste nicht möglich gewesen. tenzstelle Islamismusprävention NiedersachGleiches gilt für den nachträglichen Kampf sen (KIP NI) erstmalig eine zentrale Stelle zur um die Deutungshoheit der Geschehnisse in Koordination der Maßnahmen und Akteure Hamburg. der Prävention des Islamismus in NiedersachIm Hinblick auf den islamistischen Terrorismus sen geschaffen, die sehr gute Arbeit leistet. besteht weiterhin eine abstrakt hohe Gefahr Auch durch die Anstrengungen im Bereich von Anschlägen, die uns vor zwei große Herder Prävention wird deutlich, dass die Ausausforderungen stellt: Zum einen müssen wir einandersetzung mit Extremismus und Rauns bestmöglich vor der direkten Bedrohung dikalisierung eine gesamtgesellschaftliche durch den Extremismus schützen und konseHerausforderung ist. Das gilt unabhängig quent dagegen vorgehen. Auf der anderen davon, ob es um rechten, linken oder religiös Seite stehen wir vor der nicht minder schwierimotivierten Extremismus geht. Die Angriffe gen Aufgabe, die Balance zwischen Sicherheit auf unsere gemeinsamen Grundwerte, auf und Freiheit zu wahren. Wir müssen die Sidie Normen und Regeln unserer freiheitlichen cherheit der Bevölkerung gewährleisten, ohne Demokratie sind so vielfältig und so hasserdabei unverhältnismäßig in die Bürgerrechte füllt, wie ich mir das noch vor wenigen Jahren einzugreifen und gegen die Prinzipien zu vernicht hätte vorstellen können. Das zeigt sich stoßen, die das Fundament unserer freiheitbesonders in den Sozialen Medien und malichen demokratischen Gesellschaft bilden. nifestiert sich in einer zunehmenden VerroDie Zahl der Islamisten und Salafisten bunhung der Sprache. Es wird beleidigt, gedroht desweit und in Niedersachsen ist in den verund gehetzt. Dies sind Warnsignale für eine gangenen Jahren gestiegen. Daher bekämpwachsende Radikalisierung, die zu extremistifen wir mit allen rechtsstaatlichen Mitteln schem Handeln führen kann. und mit Nachdruck islamistisches GedanUnser Verfassungsschutz und unsere Sicherkengut und seine Verbreitung. Wir haben heitsbehörden beobachten diese Entwickim Jahr 2016 mit dem DIK Hildesheim eine lungen sehr genau und gehen konsequent extremistische Moschee verboten. Allein dagegen vor. Als Zivilgesellschaft sind wir durch das Verbot einer Moscheegemeinde gleichermaßen jeden Tag gefordert, uns Radiverschwindet natürlich nicht die islamistische kalisierungstendenzen entgegenzustellen und Einstellung der ehemaligen Besucher. Daher für unsere freiheitliche demokratische Grundist es notwendig, Islamisten mitten in unserer ordnung und unsere Werte einzustehen. freiheitlichen Gesellschaft zu zeigen, dass wir sie genau im Blick haben und es nicht zulassen werden, dass sich ihr Gedankengut und ihre Strukturen bei uns verfestigen. Dafür ist es notwendig, zusätzliche präventive Boris Pistorius Maßnahmen für Familien, für Schulen und VerNiedersächsischer Minister eine umzusetzen. Wir haben mit der Kompefür Inneres und Sport 3 Vorworte Sehr geehrte Damen und Herren, so wie sich die Gesellschaft stetig weiterentwickelt, sind auch strukturelle Veränderungen in allen Extremismus-Phänomen festzustellen. Beim Rechtsextremismus wachsen die Anforderungen an Verfassungsschutzbehörkontinuierlichen Weiterentwicklung techniden, weil die Grenzen zwischen Populismus scher und digitaler Fähigkeiten unterstützt und Rechtsextremismus schwinden. Und die die Zentrale Stelle für Informationstechnik Ausschreitungen anlässlich des G20 in Hamim Sicherheitsbereich (ZITiS). Außerdem ist burg haben gezeigt, dass die Hemmschwelle eine Präventionsstrategie notwendig, die zur Gewaltanwendung bei Linksextremisten alle Institutionen und Expertisen zusamnach wie vor sehr niedrig ist. Die Herausformenbringt, die zu einem positiven Ergebnis derungen des Islamismus wandeln sich, weil beitragen können. wir derzeit nur noch vereinzelte Reisen nach Syrien oder in den Irak verzeichnen. Dafür Die Mitgliedszahlen der Nationaldemokrahaben wir es mit Salafisten zu tun, die aus tischen Partei Deutschlands (NPD) zeigen den Krisengebieten nach Deutschland zuweiter abwärts. Die Entscheidung des Bunrückkehren. Die Propaganda verlagert sich desverfassungsgerichts vom 17.01.2017, die zunehmend ins Internet, die Kommunikation NPD aufgrund ihrer derzeitigen relativen wird über Soziale Netzwerke abgewickelt. Bedeutungslosigkeit nicht zu verbieten, hat Internetplattformen wirken als Echokamdaran nichts geändert. Allerdings dürfte mern. Sie verstärken demokratieablehnende der Bedeutungsverlust der rechtsextremistiEinstellungsmuster durch permanente geschen Parteien den Schulterschluss mit der genseitigtige Bestätigung. in Niedersachsen 280 Personen zählenden neonazistischen Szene weiter beschleuniDiese Entwicklung stellt Sicherheitsbehörgen. Die geringe Präsenz in der Fläche wird den vor wachsende Herausforderungen. häufig durch Kooperationsmodelle über Um dem Extremismus wirksam begegnen größere räumliche Entfernungen hinweg zu können, bedarf es einer umfassenden kompensiert. Analyse der Entwicklungen in den jeweiligen Phänomenbereichen. Deshalb wird Der Bereich der subkulturell geprägten bei der Personalauswahl im NiedersächsiRechtsextremisten ist mit 600 Angehörigen schen Verfassungsschutz der Fokus auch auf konstant. Insbesondere die subkulturelle Fremdsprachen, IT-Kompetenz und wissenMusikszene ist weiterhin ein zentrales Eleschaftlichen Sachverstand gelegt. Bei der ment des Rechtsextremismus. Bundesweit 4 Vorworte fanden im Jahr 2017 68 MusikveranstaltunRessentiments und die gezielte Abwertung gen statt. In Niedersachsen hat es nur ein von sozialen Minderheiten verfestigen sich einziges Konzert neben acht Liederabenden Feindbilder. gegeben. Dabei ist rechtsextremistische Musik ein wesentlicher Faktor für die AusDie Szene der Reichsbürger und Selbstverprägung eines Gemeinschaftsgefühls. Auwalter wird in Niedersachsen seit Anfang ßerdem verfügt sie über einen hohen wer2017 in ihrer Gesamtheit vom Verfassungsbestrategischen Stellenwert. schutz beobachtet. Wir rechnen ihr 1.400 Personen zu. Reichsbürger und SelbstverDie Identitäre Bewegung Deutschland (IBD) walter erkennen das Handeln staatlicher Homit 500 Mitgliedern hat sich im vergangeheitsträger nicht an und setzen sich gegen nen Jahr mit ihren Kampagnen "Defend staatliche Eingriffe zum Teil gewalttätig zur Europe" und "Kein Opfer ist vergessen" erWehr. Allerdings ist nur ein Bruchteil davon, neut medienwirksam inszeniert. Im Mittelnämlich 60 Personen, in Niedersachsen dem punkt ihrer fremdenwie islamfeindlichen Rechtsextremismus zuzuordnen. Aktionen standen neben Flüchtlingen und Asylbewerbern die etablierten Parteien bzw. Im Bereich der Autonomen und sonstigen Politiker sowie zivile Hilfsorganisationen, die gewaltbereiten Linksextremisten hat sich für Migration und islamistische Terrorandas Personenpotenzial in Niedersachsen auf schläge verantwortlich gemacht werden. 640 Personen erhöht. Am Beispiel der IBD lässt sich verdeutlichen, Zentrale Themen des linksextremistischen welche Auswirkungen das veränderte InSpektrums sind weiter Antifaschismus und formationsund Kommunikationsverhalten Antirassismus sowie das Themenfeld Antiauf die Entwicklung des Rechtsextremisrepression. Mit den Themen Antifaschismus mus hat. Zu beobachten ist, dass sich unund Antirassismus wenden sich Autonome terschiedliche ideologische Strömungen bei gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindaktionistischen Kampagnen miteinander lichkeit und (vermeintliche) staatliche Unvermischen. Eine Trennlinie zwischen Extterdrückung. Mit den Agitationen zielen sie remismus und Populismus zu ziehen, fällt jedoch über den engeren Themenbereich hizunehmend schwer. Internetplattformen naus auf die Überwindung der freiheitlichen verstärken demokratieablehnende, fremdemokratischen Grundordnung. Rechtsextdenfeindliche Einstellungsmuster durch den remismus wird von den Autonomen als ein permanenten Dialog unter Gleichgesinnten, systemimmanentes Merkmal der deutschen ohne dass eine Korrektur durch eine demoGesellschaftsordnung betrachtet, weshalb kratische Öffentlichkeit erfolgen kann, weil die Bundesrepublik für sie als Feindbild diese Foren nicht auf Diskurs angelegt sind. steht. Durch diese stereotype Wiederholung von 5 Vorworte Die gewaltsamen Ausschreitungen im ZuInsbesondere Rückkehrer aus dem Kriegsgesammenhang mit dem G20-Gipfel von Hambiet stehen im Fokus der niedersächsischen burg haben gezeigt, dass die Hemmschwelle Sicherheitsbehörden. zur Gewaltanwendung bei Linksextremisten nach wie vor sehr niedrig ist. Opfer autoWas kann der Niedersächsische Verfassungsnomer Gewalt sind vorwiegend Rechtsextschutz dazu beitragen, um diesen Extremisremisten oder Personen, die die Szene für musphänomenen frühzeitig zu begegnen? Rechtsextremisten hält und Polizeibeamte. Seit der Erweiterung des AussteigerproIn den letzten vier Jahren hat sich die salafisgramms "Aktion Neustart" um den Bereich tische Szene mehr als verdoppelt. In NiederIslamismus im November 2016 bearbeitet sachsen zählen wir derzeit 880 Salafisten, das interdisziplinäre und geschlechterpariim Jahr 2011 waren es noch 275. tätisch besetzte Team bereits 36 Fälle. Ausstiegsbetreuung bedeutet eine langfristige Neben einer stärker wahrnehmbaren AusBegleitung. Dies sehen wir anhand der langbreitung der salafistischen Tendenzen in jährigen Erfahrungen mit "Aktion Neustart der Fläche von Niedersachsen zeichnet sich - Rechtsextremismus", das bereits seit 2010 eine Fragmentierung der Szene und ein zubesteht. Bis Ende 2017 wurden dort 177 Fälle nehmendes konspiratives Verhalten ab. Die bearbeitet, davon waren 39 Ausstiegsfälle von Salafisten als Dawa titulierten Propaerfolgreich. Der Erfolg des Aussteigerprogandaaktivitäten verlagern sich immer mehr gramms lässt sich aber nicht allein in Zahlen in das Internet. Ein Beispiel ist das Projekt messen. Denn jeder Aussteiger setzt ein SigEindruck TV des Braunschweiger Predigers nal nach außen, aber auch nach innen in die Muhamed Ciftci. Auf verschiedenen Social frühere eigene Szene. Für andere Salafisten Media-Portalen wie Youtube, Facebook und und Rechtsextremisten kann der Ausstieg eiTwitter werden Videobeiträge eingestellt sones "Bruders" bzw. eines "Kameraden" zu wie Livestreams gesendet. einem ersten Bruch mit dem eigenen ideologischen Weltbild führen. Somit kann jeder Seit Sommer 2014 sind insgesamt 86 IslaAussteiger auch als Multiplikator für andere misten festgestellt worden, die aus NiederExtremisten wirken. sachsen in Richtung Syrien/Irak ausgereist sind, mutmaßlich um sich an KampfhandlunBezogen auf die Einbindung der sozialen gen terroristischer Organisationen zu beteiliNetzwerke in die Ausstiegsarbeit hat das gen. Nicht in allen Fällen liegen Erkenntnisse staatliche Aussteigerprogramm "Aktion vor, dass sich diese Personen tatsächlich in Neustart" eine bundesweite Vorreiterrolle. Syrien aufhalten oder aufgehalten haben. Nicht zuletzt durch das Angebot einer OnDerzeit werden nur noch vereinzelt Ausreilineberatung. sesachverhalte bekannt. 6 Vorworte Gemeinsam mit dem Landeskriminalamt kümmert sich der Niedersächsische Verfassungsschutz in der Kompetenzstelle Islamismusprävention Niedersachsen (KIP NI) um eine ganzheitliche Islamismusprävention in Niedersachsen. KIP NI versammelt alle Kompetenzen der einzelnen Ressorts zum Themenbereich Islamismusprävention. In sogenannten Fallkonferenzen werden alle relevanten Akteure für den konkreten Einzelfall zusammen geholt, z. B. Polizei, kommunale Präventionsträger, Vertreter von Schulen oder Jugendämtern und Akteure aus der Justiz. Ein wichtiger Pfeiler in der strategischen Ausrichtung der KIP NI stellt die Einbindung der kommunalen Ebene in die Islamismusprävention für Niedersachsen dar. In einem Flächenland wie Niedersachsen werden Ansprechpartner in den Regionen benötigt, um vor Ort ein niederschwelliges Angebot für Hilfestellungen zu gewährleisten. Deutlich wird hierbei: Islamismusprävention ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Maren Brandenburger Niedersächsische Verfassungsschutzpräsidentin 7 Themenübersicht Themenübersicht 01 Der Verfassungsschutz in Niedersachsen 02 Rechtsextremismus 03 Linksextremismus 04 Islamismus 05 Extremismus mit Auslandsbezug 06 Prävention 07 Scientology-Organisation (SO) 08 Spionageabwehr / Proliferation / Elektronische Angriffe 09 Geheimschutz 10 Wirtschaftsschutz 11 Politisch motivierte Kriminalität (PMK) 12 Anhang 8 Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis 1. Der Verfassungsschutz in Niedersachsen 1.1 Verfassungsschutz und Demokratie ............................................16 1.2 Gesetzliche Grundlagen .............................................................18 1.3 Hauptaufgaben des Verfassungsschutzes ....................................19 1.4 Organisation ............................................................................. 20 1.5 Informationsgewinnung ............................................................ 20 1.6 Kontrolle ................................................................................... 21 1.7 Verfassungsschutz als Nachrichtendienst .................................... 22 1.8 Beschäftigte .............................................................................. 22 1.9 Haushalt ................................................................................... 23 1.10 Mitwirkungsaufgaben des Verfassungsschutzes ......................... 23 1.11 Gemeinsames Informationsund Analysezentrum Polizei und Verfassungsschutz Niedersachsen (GIAZ - Niedersachsen) ... 25 1.12 Informationsverarbeitung .......................................................... 26 1.13 Auskunftsersuchen von Bürgerinnen und Bürgern ...................... 28 1.14 Presseund Öffentlichkeitsarbeit ............................................... 29 1.15 Kontaktdaten ............................................................................ 30 1.16 Anmerkungen zum Inhalt des Verfassungsschutzberichtes .......... 30 2. Rechtsextremismus 2.1 Mitglieder-Potenzial .................................................................. 34 2.2 Einführung ................................................................................ 37 2.3 Aktuelle Entwicklungen im Rechtsextremismus .......................... 39 2.4 Subkulturell geprägte Rechts extremisten / Rechtsextremis tische Musikszene ............................................... 44 2.5 Neonazistische Szene ................................................................ 59 2.6 Identitäre Bewegung Deutschland (IBD) ..................................... 74 2.7 Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) ...................... 84 2.8 Die Rechte ................................................................................ 94 9 Inhaltsverzeichnis 2.9 Europäische Aktion (EA) ...........................................................102 2.10 Freistaat Preußen / Stimme des Reiches (SdR) ............................ 113 2.11 Verein Gedächtnisstätte e. V. ....................................................122 2.12 Reichsbürger & Selbstverwalter ................................................128 3. Linksextremismus 3.1 Mitglieder-Potenzial .................................................................138 3.2 Einführung ...............................................................................139 3.3 Aktuelle Entwicklungen im Linksextremismus ............................140 3.4 Autonome, sonstige gewaltbereite Linksextremisten sowie Anarchisten ....................................................................143 4. Islamismus 4.1 Mitglieder-Potenzial .................................................................166 4.2 Einführung ...............................................................................167 4.3 Salafismus ................................................................................169 4.4 Internationaler islamistischer Terrorismus ..................................191 4.5 Islamistischer Terrorismus in Deutschland ................................. 205 4.6 Islamistischer Terrorismus im Zusammenhang mit Niedersachsen ......................................................................... 214 4.7 Muslimbruderschaft ................................................................ 219 4.8 Tablighi Jama'at (TJ, Gemeinschaft der Missionierung und Verkündung) ................................................................... 223 4.9 Hizb Allah (Partei Gottes) ........................................................ 225 5. Extremismus mit Auslandsbezug 5.1 Mitglieder-Potenzial ................................................................ 230 5.2 Einführung .............................................................................. 230 5.3 Aktuelle Entwicklungen im Extremismus mit Auslandsbezug ..... 231 5.4 Arbeiterpartei Kurdistans (PKK)................................................ 234 10 Inhaltsverzeichnis 6. Prävention 6.1 Prävention .............................................................................. 250 6.2 Vortragsund Informations veranstaltungen ............................. 251 6.3 Ausstellung "Gemeinsam gegen Rechtsextremismus"............... 252 6.4 Informationsmaterialien ........................................................... 253 6.5 Symposien .............................................................................. 254 6.6 Podiumsdiskussionen ............................................................... 255 6.7 Kompetenzstelle Islamismusprävention Niedersachsen (KIP NI) .. 256 6.7.1 Struktur und Aufgaben ............................................................ 256 6.7.2 Arbeitsgruppen ....................................................................... 257 6.7.3 Jahresveranstaltung ................................................................. 258 6.7.4 KIP NI-Website ........................................................................ 259 6.8 Aktion Neustart ...................................................................... 259 6.9 Fortbildungen des Niedersächsischen Verfassungsschutzes ...... 261 6.10 Kontaktdaten .......................................................................... 262 7. Scientology Organisation (SO) ................................. 266 8. Spionageabwehr / Proliferation / Elektronische Angriffe 8.1 Spionageaufkommen in Niedersachsen .................................... 270 8.2 Proliferation ............................................................................ 272 8.3 Elektronische Angriffe mit vermutetem nachrichtendienstlichem Hintergrund ....................................... 274 8.4 Hilfe für Betroffene ................................................................. 276 9. Geheimschutz 9.1 Geheimschutz ......................................................................... 280 9.2 Entwicklungen im Bereich der Sicherheitsüberprüfungen ......... 281 9.3 Neues Sicherheitsüberprüfungsgesetz des Bundes in Kraft getreten ..................................................................... 283 9.4 Beratung von Landesbehörden in Fragen des Geheimschutzes .. 284 11 Inhaltsverzeichnis 10. Wirtschaftsschutz 10.1 Einleitung ............................................................................... 288 10.2 Zahlen und Fakten................................................................... 289 10.3 "Best practice meeting - security2share" ................................. 291 10.4 21. Sicherheitstagung für geheimschutzbetreute Unternehmen .......................................................................... 292 10.5 16. Wirtschaftsschutztagung des Niedersächsischen Verfassungsschutzes................................................................ 293 10.6 Messen ................................................................................... 294 10.7 Kontaktdaten .......................................................................... 294 11. Politisch motivierte Kriminalität (PMK) 11.1 Politisch motivierte Kriminalität (PMK) - Vorbemerkung ........... 298 11.2 Politisch motivierte Kriminalität (PMK) mit extremistischem Hintergrund - rechts .............................................................. 300 11.3 Politisch motivierte Kriminalität (PMK) mit extremistischem Hintergrund - links ................................................................. 303 11.4 Politisch motivierte Kriminalität (PMK) mit extremistischem Hintergrund - ausländische Ideologie und religiöse Ideologie .. 306 12. Anhang 12.1 Definition der Arbeitsbegriffe .................................................. 312 12.2 Niedersächsisches Verfassungsschutzgesetz ............................. 320 12.3 Verbote neonazistischer Vereinigungen .................................... 355 12.4 Verbote linksextremistischer Vereinigungen ............................. 358 12.5 Übersicht über Verbotsmaßnahmen des BMI gegen extremistische Bestrebungen mit Bezug zum Ausland im Zeitraum Januar 1990 bis Dezember 2017 ................................ 359 12.6 Abkürzungsverzeichnis ............................................................ 361 12.7 Personenund Stichwortverzeichnis ......................................... 367 12.8 Ortsverzeichnis (Niedersachsen) .............................................. 374 12.9 Verzeichnisanhang zum Verfassungsschutzbericht 2017 ........... 375 12 Inhaltsverzeichnis 13 01 Der Verfassungsschutz in Niedersachsen Der Verfassungsschutz in Niedersachsen 1.1 Verfassungsschutz und Demokratie Im Grundgesetz (GG) der Bundesrepublik Deutschland wurde nach den Erfahrungen mit der Zerstörung der Weimarer Republik das Prinzip der wehrhaften Demokratie verankert. Elemente sind insbesondere die Unabänderlichkeit elementarer Verfassungsgrundsätze (Artikel 79 Abs. 3 GG) und die Möglichkeit, Parteien unter engen Voraussetzungen von der staatlichen Finanzierung ausschließen (Artikel 21 Abs. 3 GG) oder in Gänze verbieten zu können (Artikel 21 Abs. 2 GG). Das Bundesverfassungsgericht hat in seinen Urteilen zum Verbot der Sozialistischen Reichspartei (SRP) von 1952 (BVerfGE 2,1) und zum Verbot der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) von 1956 (BVerfGE 6, 300) die Wesensmerkmale der freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes bestimmt, die in SS 4 Abs. 3 des Niedersächsischen Verfassungsschutzgesetzes (NVerfSchG) aufgezählt sind: f das Recht des Volkes, die Staatsgewalt in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung auszuüben und die Volksvertretung in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl zu wählen, f die Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung und die Bindung der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an Gesetz und Recht, f das Recht auf Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition, f die Ablösbarkeit der Regierung und ihre Verantwortlichkeit gegenüber der Volksvertretung, f die Unabhängigkeit der Gerichte, f der Ausschluss jeder Gewaltund Willkürherrschaft und f die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte. Die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder bezeichnen seit 1974 einheitlich politische Bestrebungen als extremistisch, die sich gegen diese Wesensmerkmale oder gegen den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes richten. Ihre Beobachtung dient dem Schutz der Verfassung. 16 Der Verfassungsschutz in Niedersachsen Da die Verfassungsschutzbehörden im Vorfeld konkreter Gesetzesverstöße tätig werden und frühzeitig verfassungsfeindliche Bestrebungen erkennen sollen, werden sie als ein "Frühwarnsystem" des demokratischen Rechtsstaates bezeichnet. Zwischen den Extremismusphänomenen Rechtsund Linksextremismus und dem Islamismus gibt es fundamentale Unterschiede. Der Islamismus setzt im Gegensatz zu tragenden Prinzipien der europäischen Aufklärung auf religiös-orthodoxe Ordnungsmodelle und zielt damit auf eine gegen den "Westen" gerichtete kulturelle Identität. Rechtsund Linksextremismus unterscheiden sich ideengeschichtlich in ihrer Einstellung zum menschenrechtlichen Gleichheitsgebot. Während Linksextremisten aufgrund der ökonomischen Kräfteverhältnisse ausschließen, dass die Gleichheit der Menschen in einer parlamentarischen Demokratie realisiert werden kann, leugnen Rechtsextremisten das in Artikel 3 GG verankerte Gleichheitsprinzip. Linksextremisten hingegen verabsolutieren das Gleichheitspostulat und schränken damit die universelle Gültigkeit der Freiheitsund Individualrechte ein. Trotz dieser Unterschiede lassen sich Gemeinsamkeiten feststellen, wie sie für den modernen politischen Extremismus typisch sind: f Extremisten verfügen über ein geschlossenes Weltbild, das weder reflektiert noch fortentwickelt wird. In ihrem quasi-religiösen Politikverständnis glauben sie, unfehlbar im Besitz der absoluten Wahrheit zu sein. f Aus diesem Absolutheitsanspruch heraus entwickeln sie ein Freund-Feind-Raster, das die Welt holzschnittartig in Gut und Böse einteilt und keine Differenzierung zulässt, um die als "Feinde" Gebrandmarkten kompromisslos zu bekämpfen. f Nicht der Einzelne, sondern die Gemeinschaft steht im Mittelpunkt. Individuelle Freiheitsrechte werden den Interessen des Kollektivs untergeordnet. f Extremisten haben ein Bild vom Menschen, wonach nicht alle f Menschen über die gleiche Würde verfügen (Artikel 1 GG). Es gilt das Primat der Ideologie, die mit Politik gleichgesetzt wird. Aus diesem Verständnis von Politik als einer alle Lebensbereiche regelnden Weltanschauung lehnen Extremisten den demokratischen Pluralismus ab. Zu demokratischen Prinzipien wie Meinungs-, Presseund Parteienvielfalt haben sie lediglich ein taktisches Verhältnis. Ihr gemeinsames Ziel ist die Überwindung der bestehenden, 17 Der Verfassungsschutz in Niedersachsen von Individualrechten geprägten Ordnung. Dahinter steht zumeist das Streben nach Sicherheit und nach Überschaubarkeit der Welt, in der der Mensch nicht länger vereinzelt ist. Extremismus ist auch eine zum Teil mit messianischem Eifer vertretene Reaktion auf die Komplexität moderner westlicher Gesellschaften. In diesem Weltbild wird die Gegenwart als desolat empfunden oder diffamiert, um die extremistische Alternative unter Leitung eines "Führers", einer "Partei" oder eines "religiösen Wächterrates" als einzigen Ausweg erscheinen zu lassen. Wer sich aus Sicht der Extremisten dagegen stellt, hat keinen Anspruch auf Toleranz, sondern muss bekämpft werden - nach Auffassung gewaltbereiter Extremisten notfalls auch mit Gewalt. 1.2 Gesetzliche Grundlagen Verfassungsschutz ist Ländersache. Als Folge der föderalen Struktur der Bundesrepublik bestehen bundesweit sechzehn sich teilweise in Aufbau und Befugnissen unterscheidende Verfassungsschutzgesetze. Dem Bund wiederum obliegt die ausschließliche Gesetzgebung über die Zusammenarbeit von Bund und Ländern (vergl. Art. 73 Abs. 1 Nr. 10b) GG). Diese ist im "Gesetz über die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes und über das Bundesamt für Verfassungsschutz - Bundesverfassungsschutzgesetz" geregelt. Weitere Befugnisse für den Verfassungsschutz folgen aus dem "Gesetz zur Beschränkung des BriefPostund Fernmeldegeheimnisses - Artikel 10-Gesetz - G10", welches die Telekommunikationsund Briefüberwachungsbefugnisse der Verfassungsschutzbehörden bundeseinheitlich regelt. Die Aufgaben und Befugnisse des Niedersächsischen Verfassungsschutzes ergeben sich aus dem Niedersächsischen Verfassungsschutzgesetz (NVerfSchG). Das NVerfSchG gliedert sich in fünf Teile. Der erste Teil bestimmt Zuständigkeiten und Aufgaben, der zweite das Beobachtungsobjekt. Der Begriff des Beobachtungsobjektes gehört zu den zentralen Begriffen der bundesdeutschen Verfassungsschutzbehörden. Der dritte Teil, welcher sich wiederum in vier Kapitel gliedert, regelt die eigentliche Datenverarbeitung. Neben 18 Der Verfassungsschutz in Niedersachsen Regelungen zum Minderjährigenund Kernbereichsschutz finden sich dort Regelungen über die Eingriffsbefugnisse (siehe Kapitel 1.5), die Auskunftsersuchen sowie über die Zusammenarbeit mit der Polizei und anderen Behörden. Die aktuelle Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes zur Datenübermittlung zwischen Polizei und Verfassungsschutz ist bei der Novellierung 2016 berücksichtigt worden. Der Austausch von Daten zwischen Verfassungsschutz und Polizei muss demnach grundsätzlich einem herausragenden öffentlichen Interesse dienen, wobei das herausragende öffentliche Interesse durch einen Straftatenkatalog definiert wird (SS 31 NVerfSchG). Insbesondere bei terroristischen Straftaten ist ein solches regelmäßig anzunehmen und die Datenübermittlung zwischen den Sicherheitsbehörden zur Erfüllung ihrer Aufgaben weitgehend uneingeschränkt möglich. Der vierte Teil des NVerfSchG regelt die parlamentarische Kontrolle, der fünfte enthält die sogenannten Schlussvorschriften. 1.3 Hauptaufgaben des Verfassungsschutzes Hauptaufgabe des Verfassungsschutzes ist nach SS 3 NVerfSchG die Sammlung und Auswertung von Informationen, insbesondere von sachund personenbezogenen Auskünften, Nachrichten und Unterlagen über f Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziel haben, f sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten in der Bundesrepublik Deutschland für eine fremde Macht, f Bestrebungen in der Bundesrepublik Deutschland, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, 19 Der Verfassungsschutz in Niedersachsen f Bestrebungen, die gegen den Gedanken der Völkerverständigung (Artikel 9 Abs. 2 GG) oder gegen das friedliche Zusammenleben der Völker (Artikel 26 Abs. 1 GG) gerichtet sind. Zu den Kernaufgaben gehört auch die Information und Aufklärung der Öffentlichkeit über extremistische Bestrebungen. 1.4 Organisation Verfassungsschutzbehörde ist das Niedersächsische Ministerium für Inneres und Sport (SS 2 Abs. 1 NVerfSchG). Das Ministerium unterhält hierzu eine gesonderte Abteilung (Verfassungsschutzabteilung), die ausschließlich die der Verfassungsschutzbehörde obliegenden Aufgaben wahrnimmt. Diese Abteilung wird durch eine Verfassungsschutzpräsidentin oder einen Verfassungsschutzpräsidenten geleitet. 1.5 Informationsgewinnung Der Verfassungsschutz gewinnt die zur Erfüllung seiner Aufgaben relevanten Informationen überwiegend aus offen zugänglichen Quellen, die grundsätzlich auch jedem Bürger zur Verfügung stehen, wie z. B. aus dem Internet, aus Zeitungen, Zeitschriften, Flugblättern, Programmen und Broschüren. Darüber hinaus können - im Rahmen gesetzlich festgelegter Befugnisse und unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit - nachrichtendienstliche Mittel zur Informationsbeschaffung eingesetzt werden. Nach SS 12 NVerfSchG darf der Verfassungsschutz zur Beschaffung der erforderlichen Informationen die im Gesetz abschließend aufgeführten nachrichtendienstlichen Mittel einsetzen, soweit dies für die Erkenntnisgewinnung unverzichtbar ist. Dazu gehören z. B. der Einsatz von verdeckt arbeitenden Vertrauenspersonen (VP), Observationen, verdeckte Bildund Tonaufzeichnungen und sonstige verdeckte Ermittlungen und Befragungen. Die näheren Voraussetzungen für den Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel sind in den SSSS 14 bis 19 und 21 NVerfSchG geregelt. Der Verfassungsschutzbehörde stehen bei der Erfüllung ihrer Aufgaben ausdrücklich keine polizeilichen Befug20 Der Verfassungsschutz in Niedersachsen nisse zu, d. h. sie darf insbesondere niemanden festnehmen, keine Durchsuchungen durchführen und keine Gegenstände beschlagnahmen (SS 5 Satz 1 NVerfSchG). Von den nachrichtendienstlichen Mitteln wurden im Berichtszeitraum im Wesentlichen VP, verdeckte Bildaufzeichnungen, verdeckte Ermittlungen, Befragungen und Observationen eingesetzt. Eingriffe in das Brief-, Postund Fernmeldegeheimnis sind wegen der besonderen Schwere des Eingriffs in das Grundrecht des Artikels 10 GG (Brief-, Postund Fernmeldegeheimnis) nur unter besonders hohen Voraussetzungen und unter Beachtung strenger Verfahrensvorschriften möglich, die im Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses (Artikel 10-Gesetz - G 10) geregelt sind. Die Anzahl der G 10-Maßnahmen lag im Berichtszeitraum im einstelligen Bereich. 1.6 Kontrolle Die Tätigkeit des Niedersächsischen Verfassungsschutzes unterliegt einer vielfältigen Kontrolle. Dazu gehören Kontrollen durch den internen behördlichen Datenschutzbeauftragten und externe Kontrollen durch die Niedersächsische Datenschutzbeauftragte. Einzelmaßnahmen wie Personenspeicherungen sind gerichtlich nachprüfbar. Das Niedersächsische Ministerium für Inneres und Sport ist nach SS 34 NVerfSchG verpflichtet, den Ausschuss für Angelegenheiten des Verfassungsschutzes (AfAV) des Niedersächsischen Landtages umfassend über seine Tätigkeit als Verfassungsschutzbehörde zu unterrichten. Die parlamentarische Kontrolle erfolgt unbeschadet der Rechte des gesamten Landtages und seiner sonstigen Ausschüsse. Bei Eingriffen in das Brief-, Postund Fernmeldegeheimnis entscheidet die sogenannte G 10-Kommission (SS 3 des Niedersächsischen Gesetzes zur Ausführung des Artikel 10-Gesetzes). Im Rahmen der Novellierung des NVerfSchG 2016 wurden weitere Zuständigkeiten der Kommission geschaffen. Sie entscheidet als weisungsunabhängige Stelle auch über die Notwendigkeit und Zulässigkeit sämtlicher durch den Niedersächsischen Verfassungsschutz durchgeführten eingriffsintensiven nachrichtendienstlichen Mittel, z. B. längerfris21 Der Verfassungsschutz in Niedersachsen tige Observationen oder verdeckt angefertigte Bildaufzeichnungen außerhalb von Wohnungen (SS 14 Abs. 1 i.V.m. SS 21 Abs. 3 NVerfSchG). Diese Kontrollfunktion ist dem Richtervorbehalt des Niedersächsischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (Nds. SOG) bzw. der Strafprozessordnung (StPO) vergleichbar. 1.7 Verfassungsschutz als Nachrichtendienst Die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder verstehen sich als Nachrichtendienste (ND). Sie sind gesetzlich auf die Beschaffung und Auswertung von Informationen beschränkt. Im Gegensatz zu Geheimdiensten unterliegen sie der Kontrolle durch unabhängige Instanzen und unterrichten die Öffentlichkeit über wesentliche Ergebnisse ihrer Arbeit. Als Geheimdienste hingegen werden staatliche Organisationen fremder Mächte verstanden, die nicht nur politisch, wirtschaftlich, wissenschaftlich oder militärisch bedeutsame Nachrichten beschaffen und für ihre Auftraggeber auswerten, sondern auch aktive Handlungen zur Störung oder Beeinflussung "politischer Gegner" im Inund Ausland vornehmen. Dabei streben sie ein Höchstmaß an Geheimhaltung an. 1.8 Beschäftigte Der vom Landtag verabschiedete Haushaltsplan bestimmt durch die Ausbringung von Stellen, durch die Festlegung von Rahmenbedingungen für die Personal-Gesamtkosten (Personalkostenbudgetierung) sowie durch das Beschäftigungsvolumen, in welchem Umfang der Verfassungsschutz Personal beschäftigen darf. Zu Beginn des Haushaltsjahres 2017 waren dort Stellen für 236 Beamtinnen und Beamte (2016: 227) ausgebracht. Darüber hinaus ermöglicht das Personalkostenbudget für das Haushaltsjahr 2017 die Finanzierung von zurzeit weiteren 62 Tarifbeschäftigten (2016: 59). Eckpunkt für den tatsächlichen Gesamtpersonalbestand des Verfassungsschutzes (in Vollzeitund Teilzeitbeschäftigung) ist das im 22 Der Verfassungsschutz in Niedersachsen Haushaltsplan festgelegte Beschäftigungsvolumen. Es betrug zu Beginn des Haushaltsjahres 2017 insgesamt 280,68 Vollzeiteinheiten (2016: 268,24). Entwicklung der Beschäftigten Stellen VZE 300 280 260 240 220 262 267 283 284 284 288 286 286 298 246,77 252,97 268,97 269,97 268,37 273,97 269,22 268,24 280,68 200 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 1.9 Haushalt Im Haushalt der niedersächsischen Verfassungsschutzbehörde waren im Haushaltsjahr 2017 für Personalausgaben 14.966.000 Euro (2016: 14.216.000 Euro) und für Sachausgaben 4.588.000 Euro (2016: 4.223.000 Euro) veranschlagt. Damit ergab sich ein Ausgabevolumen von 19.554.000 Euro. 1.10 Mitwirkungsaufgaben des Verfassungsschutzes Zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und der Sicherheit des Bundes und der Länder nimmt der Verfassungsschutz neben seinem Beobachtungsund Aufklärungsauftrag auch gesetzlich geregelte Mitwirkungspflichten gegenüber anderen Behörden wahr (SS 3 Abs. 4 NVerfSchG). 23 Der Verfassungsschutz in Niedersachsen Im Rahmen dieser Mitwirkung wird geprüft, ob den Verfassungsschutzbehörden zu bestimmten, von den anfragenden Behörden näher bezeichneten Personen Erkenntnisse vorliegen, die bei den Entscheidungen der anfragenden Behörden eine sicherheitsbezogene Relevanz aufweisen. Im Jahr 2017 wurden 82.429 solcher Mitwirkungsanfragen überprüft. Die anfragestärksten Prüfungsbereiche werden statistisch erfasst. Hier sind insbesondere zu nennen: f Beteiligungen bei Aufenthaltstiteln (46.725 Anfragen), f Beteiligungen bei Einbürgerungen (10.657), f Beteiligungen bei VISA-Anfragen (10.031) f Beteiligungen im Rahmen des Asylkonsultationsverfahrens (426) f Zuverlässigkeitsüberprüfungen nach dem Atomgesetz (5.445), f Zuverlässigkeitsüberprüfungen nach dem Luftsicherheitsgesetz (4.651), f Zuverlässigkeitsüberprüfungen nach dem Sprengstoffgesetz (866), f Zuverlässigkeitsüberprüfungen für Dolmetscher des LKA (3.181) und f Zuverlässigkeitsüberprüfungen für Bewachungspersonal (144). Erstmalig im Jahr 2017 werden in dieser Statistik die Beteiligungen des Verfassungsschutzes bei VISA-Anfragen von Ausländern aus sicherheitskritischen Staaten sowie im Rahmen des Asylkonsultationsverfahrens bei Asylverfahren und unberechtigt eingereisten Personen erfasst. Zu den Mitwirkungsaufgaben des Verfassungsschutzes zählen des Weiteren Einzelanfragen nach dem Waffengesetz, Häftlingshilfegesetz, Ordensgesetz, Hafensicherheitsgesetz, Bundesvertriebenengesetz, der Bewachungsverordnung und der Überfallund Einbruchmelderichtlinie. Die Gesamtzahl der Anfragen lag im Jahr 2017 ca. 34,8 Prozent über dem Vorjahreswert. Der signifikanteste Anstieg ist im Jahr 2017 mit 46.725 Beteiligungen im Bereich der Aufenthaltstitel zu verzeichnen (2015: 22.526 und 2016: 36.393). Es ist davon auszugehen, dass dies mit der hohen Anzahl der in 2015 eingereisten Flüchtlinge zusammenhängt. 24 Der Verfassungsschutz in Niedersachsen Die Überprüfungen der Personen durch den Verfassungsschutz werden seit dem Jahr 2011 zunehmend mit Hilfe eines automatisierten Verfahrens abgewickelt. Dieses findet bereits Anwendung in den Bereichen Aufenthaltsrecht, Luftsicherheitsrecht, Atomrecht und Dolmetscherüberprüfungen. Entwicklung der Gesamtzahl der Mitwirkungsaufgaben 90.000 80.000 70.000 60.000 50.000 40.000 30.000 >33.000 >32.000 >33.000 >34.000 >36.000 >38.000 >40.000 >43.000 >45.000 >60.000 >82.000 20.000 10.000 0 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 1.11 Gemeinsames Informationsund Analysezentrum Polizei und Verfassungsschutz Niedersachsen (GIAZ - Niedersachsen) Das seit dem 10.01.2005 eingerichtete "Gemeinsame Informationsund Analysezentrum Polizei und Verfassungsschutz Niedersachsen" (GIAZ - Niedersachsen) stellt einen Baustein innerhalb der Sicherheitsarchitektur des Landes Niedersachsen dar, mit dem die Zusammenarbeit in den wichtigsten Bereichen der Extremismusund Terrorismusbekämpfung optimiert wurde. Der schnelle Austausch ist entscheidende Voraussetzung für die effektive Beobachtung und Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus. Zu den Aufgaben des GIAZ - Niedersachsen gehören die Zusammenführung und Bewertung von polizeilichen und nachrichtendienstlichen Informatio25 Der Verfassungsschutz in Niedersachsen nen aus den Themenfeldern: f Internationaler Terrorismus und Extremismus, soweit er den internationalen Terrorismus unterstützt, insbesondere islamistischer Extremismus, f Rechtsextremismus und f Linksextremismus. Angelehnt an die Arbeit der gemeinsamen Zentren auf Bundesebene wird auch in Niedersachsen, unter Beachtung des Trennungsgebotes und der einschlägigen Datenübermittlungsvorschriften, ein Informationsaustausch zwischen Polizei und Verfassungsschutz gewährleistet. 1.12 Informationsverarbeitung Der Niedersächsische Verfassungsschutz ist - wie die anderen Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder auch - gesetzlich befugt, die zur Aufgabenerfüllung erforderlichen personenbezogenen Daten zu erheben und in Akten und Dateien zu speichern. Das NVerfSchG und Dienstvorschriften regeln detailliert die Datenverarbeitungsbefugnisse. Deren Beachtung unterliegt der Kontrolle durch die Landesbeauftragte für den Datenschutz (LfD) und dem in der Verfassungsschutzbehörde bestellten behördlichen Datenschutzbeauftragten. Aufgrund der in SS 6 Bundesverfassungsschutzgesetz (BVerfSchG) normierten Verpflichtung zur Zusammenarbeit und gegenseitigen Unterrichtung unterhalten die Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern eine beim Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) eingerichtete gemeinsame Datenbank, das Nachrichtendienstliche Informationssystem (NADIS). Alle teilnehmenden Behörden dürfen dort nach Maßgabe der jeweiligen eigenen rechtlichen Befugnisse personenbezogene Daten speichern sowie auf den gesamten NADIS-Datenbestand zugreifen und Daten abrufen. NADIS ist ein Aktenfundstellensystem, in dem nur der Name der gespeicherten Person, die zu ihrer Identifizierung erforderlichen Merkmale wie z. B. Wohnanschrift, Staatsangehörigkeit, Kraftfahrzeug sowie die speichernde Behörde und deren nach einem einheitlichen Aktenplan vergebenen Aktenzeichen enthalten sind. Nicht gespei26 Der Verfassungsschutz in Niedersachsen chert ist der Inhalt der jeweiligen Information, die Anlass zur Vergabe des Aktenzeichens gewesen ist. Benötigt eine Verfassungsschutzbehörde zur eigenen Aufgabenerfüllung die Informationen einer anderen Verfassungsschutzbehörde über eine gespeicherte Person, so fragt sie in der Regel auf elektronischem Wege bei ihr an. Der Informationsübermittlung ist eine Relevanzprüfung durch die speichernde Stelle vorgeschaltet. Die im NADIS gespeicherten personenbezogenen Daten beziehen sich nur teilweise auf Personen, die verfassungsfeindliche, sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Aktivitäten (SS 3 Abs. 1 NVerfSchG) entfaltet haben. Im NADIS werden auch Angaben zu Personen erfasst, bei denen eine Sicherheitsüberprüfung mit dem Ergebnis einer Ermächtigung zum Umgang mit Verschlusssachen durchgeführt wurde oder die als Zielpersonen terroristischer oder geheimdienstlicher Aktivitäten gelten. Vom Niedersächsischen Verfassungsschutz waren am 31.12.2017 folgende personenbezogene NADIS-Speicherungen veranlasst (Vorjahreszahlen in Klammern): f im Zusammenhang mit Sicherheitsüberprüfungen und Mitwirkungsaufgaben 71.530 (73.226), f im Zusammenhang mit originären Aufgaben des Verfassungsschutzes im Bereich Extremismus, Terrorismus, Spionageabwehr 4.561 (5.792). Entwicklung der Gesamtzahl der NADIS-Speicherungen 80.000 70.000 60.000 50.000 40.000 36.617 41.583 30.000 51.495 65.656 63.093 69.460 73.226 71.530 20.000 10.000 10.964 10.867 11.750 9.082 8.473 5.595 5.792 4.561 0 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 SÜ und Mitwirkung Phänomenbezogen 27 Der Verfassungsschutz in Niedersachsen 1.13 Auskunftsersuchen von Bürgerinnen und Bürgern Jeder durch eine Datenverarbeitung Betroffene hat das Recht, einen unentgeltlichen Antrag auf Auskunft über die zu seiner Person gespeicherten Daten zu stellen (SS 30 NVerfSchG). Im Jahr 2017 wurden 319 Auskunftsersuchen (2016: 133) beantwortet. In 280 Fällen hatte der Verfassungsschutz keine Erkenntnisse gespeichert. Zehn Anfragenden wurde der der Erfassung zugrunde liegende Sachverhalt uneingeschränkt mitgeteilt. In 28 Fällen wurde den Auskunftsersuchenden der ihrer Erfassung zugrunde liegende Sachverhalt eingeschränkt mitgeteilt und im Übrigen gemäß SS 30 Abs. 3 NVerfSchG an die Landesbeauftragte für den Datenschutz (LfD) verwiesen. In einem Fall konnten die vorliegenden Erkenntnisse nicht mitgeteilt werden. Auch in diesem Fall wurde an die LfD verwiesen. Eine nur eingeschränkte Auskunft bzw. die Ablehnung einer Auskunftserteilung erfolgt aufgrund der Ablehnungsgründe aus SS 30 Abs. 2 S. 1 Nrn. 1 bis 4 NVerfSchG (SS 13 Abs. 2 S. 1 Nrn. 1 bis 3 NVerfSchG alte Fassung). Dies ist beispielsweise der Fall, wenn die Offenlegung von Informationen Rückschlüsse auf die Identität von Vertrauenspersonen zur Folge haben würde. Auch Erkenntnisse, die der niedersächsischen Verfassungsschutzbehörde von einer anderen Verfassungsschutzbehörde übermittelt werden, dürfen nur mitgeteilt werden, wenn die übermittelnde Behörde zustimmt (SS 30 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 NVerfSchG i.V.m. SS 6 Abs. 1 S. 2 BVerfSchG). Jede einzelne Erkenntnis zur Person der Antragstellerin bzw. des Antragstellers wird einer Prüfung unterzogen, so dass in einigen Fällen auch eine eingeschränkte Auskunft erteilt wird, da Ablehnungsgründe gegen die Mitteilung einzelner Erkenntnisse sprechen können. 28 Der Verfassungsschutz in Niedersachsen 1.14 Presseund Öffentlichkeitsarbeit Die freiheitliche Verfassung zu schützen, bedeutet nicht nur, extremistische Aktivitäten zu beobachten, sondern auch die Öffentlichkeit darüber zu informieren, so dass extremistische Ideologien von den Bürgerinnen und Bürgern als verfassungsfeindlich erkannt werden können. Diese Information ist eine gesetzlich vorgeschriebene Aufgabe: Gemäß SS 3 Abs. 3 NVerfSchG klärt die Verfassungsschutzbehörde die Öffentlichkeit auf der Grundlage ihrer Auswertungsergebnisse durch zusammenfassende Berichte und andere Maßnahmen über verfassungsfeindliche Bestrebungen und sicherheitsgefährdende bzw. geheimdienstliche Tätigkeiten auf. Zu den zusammenfassenden Berichten zählt insbesondere der jährliche Niedersächsische Verfassungsschutzbericht (SS 33 Abs. 2 NVerfSchG). Mit seinen Analysen und Bewertungen hilft der Verfassungsschutz zu verhindern, dass extremistische Aussagen bei der Bevölkerung auf fruchtbaren Boden treffen. Die Aufklärung über Extremismus soll die Bürgerinnen und Bürger in die Lage versetzen, sich selbst für die Demokratie einzusetzen. Die Aufgaben der Öffentlichkeitsarbeit sowie der Prävention werden in den Organisationsbereichen Presseund Öffentlichkeitsarbeit sowie dem fachübergreifend arbeitenden Bereich der Prävention (siehe Kapitel 6 dieses Berichts) des Niedersächsischen Verfassungsschutzes koordiniert. Dort werden der Öffentlichkeit u. a. Informationen über f Rechtsextremismus, f Linksextremismus, f Extremismus mit Auslandsbezug, insbesondere Islamismus und Präventionsmaßnahmen angeboten. Beide Bereiche arbeiten eng zusammen. Der Bereich der Presseund Öffentlichkeitsarbeit ist auch Ansprechpartner für die Presse und Bürgerinnen und Bürger in allen Fragen zum Extremismus. Die Bürgerund Presseanfragen an die Verfassungsschutzbehörde spiegeln thematisch alle Arbeitsfelder des Verfassungsschutzes wider. Dabei wird häufig eine Einschätzung erbeten, ob beschriebene Phänomene als extremistisch zu werten sind. 29 Der Verfassungsschutz in Niedersachsen 1.15 Kontaktdaten Für Fragen steht der Bereich der Presseund Öffentlichkeitsarbeit beim Verfassungsschutz unter folgenden Kontaktdaten zur Verfügung: Telefon: 0511/6709-217 Telefax: 0511/6709-394 E-Mail: oeffentlichkeitsarbeit@verfassungsschutz.niedersachsen.de Der Niedersächsische Verfassungsschutz informiert zudem umfassend unter der Internetadresse www.verfassungsschutz.niedersachsen.de über Aufgaben und Befugnisse des Verfassungsschutzes und aktuelle Entwicklungen des politischen Extremismus sowie der Spionageabwehr mit der Schwerpunktsetzung auf Niedersachsen. Insbesondere in der Rubrik "Aktuelle Meldungen" und "Termine" werden zeitnah Berichte und Analysen veröffentlicht und Veranstaltungen des Niedersächsischen Verfassungsschutzes angekündigt. Auch auf der Internetseite des Ministeriums für Inneres und Sport www.mi.niedersachsen.de (Service / Publikationen) sind die Verfassungsschutzberichte der letzten Jahre sowie die Broschüren des Verfassungsschutzes veröffentlicht. 1.16 Anmerkungen zum Inhalt des Verfassungsschutzberichtes Umfang der Berichterstattung Im folgenden Bericht wird ausschließlich über solche Bestrebungen berichtet, bei denen die vorliegenden tatsächlichen Anhaltspunkte eine Bewertung als extremistisch rechtfertigen. Über Bestrebungen, bei denen aufgrund der vorliegenden tatsächlichen Anhaltspunkte vorerst der Verdacht besteht, extremistisch zu sein, wird nicht berichtet. 30 Der Verfassungsschutz in Niedersachsen Hinweis zur Rechtschreibung Im Bericht wird die deutsche Rechtschreibung entsprechend der aktuell gültigen Auflage des Dudens verwendet. Sofern in Zitaten davon abgewichen wird, liegt es daran, dass die Originalschreibweise der dem Zitat zugrunde liegenden Quelle übernommen wurde. Daneben können in Zitaten auch Namen anders geschrieben sein, als im übrigen Bericht. Ein gesonderter Hinweis auf die Abweichung erfolgt jedoch nicht. 31 02 Rechtsextremismus Rechtsextremismus 2.1 Mitglieder-Potenzial1 Rechtsextremismus Potenzial Bundesrepublik Deutschland 2016 2017 Subkulturell geprägte Rechtsextremisten2 8.500 9.200 Neonazistische Szene3 5.800 6.000 Identitäre Bewegung Deutschland (IBD) 300 500 Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) 5.000 4.500 Die Rechte 700 650 Bürgerbewegung pro NRW 500 400 Der III. Weg 350 500 Sonstige Organisationen 3.200 3.500 Summe 24.350 25.250 Nach Abzug von Mehrfachmitgliedschaften 4 23.100 24.000 Davon gewaltbereite Rechtsextremisten5 12.100 12.700 1 Die Zahlenangaben sind zum Teil geschätzt und gerundet. 2 Berücksichtigt werden wie bisher rechtsextremistische Skinheads und Straftäter. Die meisten Szeneangehörigen sind nicht in Gruppen organisiert. In die Statistik sind nicht nur tatsächlich als Täter/ Tatverdächtige festgestellte Personen einbezogen, sondern auch solche Rechtsextremisten, bei denen lediglich Anhaltspunkte für Gewaltbereitschaft gegeben sind. 3 Nach Abzug von Mehrfachmitgliedschaften innerhalb der Neonazi-Szene. Bei der Anzahl der Gruppen werden nur diejenigen neonazistischen Gruppierungen und diejenigen Kameradschaften erfasst, die ein gewisses Maß an Organisierung aufweisen. 4 Die Mehrfachmitgliedschaften im Bereich der Parteien und sonstigen rechtsextremistischen Organisationen wurden vom gesamten Personenpotenzial abgezogen. 5 Aufgrund des Wandels innerhalb der rechtsextremistischen Szene wird die Zahl der gewaltbereiten Rechtsextremisten seit 2010 gesondert ausgewiesen. 34 Rechtsextremismus Rechtsextremismus Potenzial Niedersachsen 6 2016 2017 Subkulturell geprägte Rechtsextremisten 600 600 Neonazistische Szene7 280 280 Identitäre Bewegung Deutschland (IBD) 50 50 Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) 350 300 Die Rechte 40 40 Sonstige Organisationen 100 55 Summe 1.420 1.325 Nach Abzug von Mehrfachmitgliedschaften 1.325 1.250 Davon gewaltbereite Rechtsextremisten 8 900 900 Den strukturellen Veränderungen im organisierten Rechtsextremismus haben die Verfassungsschutzbehörden in Bund und Ländern mit einem neuen Kategoriensystem Rechnung getragen. Insbesondere die Grenzen zwischen der subkulturellen und der neonazistischen Szene lösen sich in den letzten Jahren mehr und mehr auf. Der Neonazismus ist zunehmend strukturloser geworden und vermischt sich zusehends mit dem subkulturellen Bereich. Ideologische und organisatorische Unterschiede sind immer schwerer auszumachen. Seit dem Jahr 2017 erfolgt deshalb (zusätzlich) die Kategorisierung nach Parteien, nach parteiunabhängigen bzw. parteiungebundenen Strukturen und als weitgehend unstrukturiertes rechtsextremistisches Personenpotenzial. 6 Die für den Bund eingefügten Fußnoten 2 bis 5 gelten entsprechend auch für Niedersachsen. 7 Seit 2010 wird der gewaltbereite Anteil der Neonazis komplett mitgezählt. 8 In der Gesamtzahl sind auch gewaltbereite Neonazis und NPD-Mitglieder enthalten. 35 Rechtsextremismus Rechtsextremismus Potenzial Bundesrepublik Deutschland 2016 2017 In Parteien 6.550 6.050 - Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) 5.000 4.500 - Die Rechte 700 650 - Bürgerbewegung pro NRW 500 400 - Der III. Weg 350 500 In parteiunabhängigen bzw. parteiungebundenen Strukturen k. A. 6.300 Weitgehend unstrukturiertes rechtsextremistisches Personenpotenzial k. A. 12.900 Summe 24.350 25.250 Nach Abzug von Mehrfachmitgliedschaften9 23.100 24.000 Davon gewaltbereite Rechtsextremisten10 12.100 12.700 Rechtsextremismus Potenzial Niedersachsen11 2016 2017 In Parteien 395 350 - Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) 350 300 - Die Rechte 40 40 - Der III. Weg 5 10 In parteiunabhängigen bzw. parteiungebundenen Strukturen k. A. 375 Weitgehend unstrukturiertes rechtsextremistisches Personenpotenzial k. A. 600 Summe 1.420 1.325 Nach Abzug von Mehrfachmitgliedschaften 1.325 1.250 Davon gewaltbereite Rechtsextremisten12 900 900 9 Die Mehrfachmitgliedschaften im Bereich der Parteien und der parteiunabhängigen bzw. parteiungebundenen Strukturen wurden vom gesamten Personenpotenzial abgezogen. 10 Aufgrund des Wandels innerhalb der rechtsextremistischen Szene wird die Zahl der gewaltbereiten Rechtsextremisten seit 2010 gesondert ausgewiesen. 11 Die für den Bund eingefügten Fußnoten 9 bis 10 gelten entsprechend auch für Niedersachsen. 12 In der Gesamtzahl sind auch gewaltbereite Neonazis und NPD-Mitglieder enthalten. 36 Rechtsextremismus 2.2 Einführung Eine in sich geschlossene rechtsextremistische Ideologie gibt es nicht. Vielmehr werden mit dem Begriff Rechtsextremismus Ideologieelemente erfasst, die in unterschiedlicher Intensität und mit unterschiedlicher Stoßrichtung der weltanschaulichen Überzeugung von einer Ungleichwertigkeit der Menschen Ausdruck verleihen. Zu nennen sind im Einzelnen: f Aggressive menschenverachtende Fremdenfeindlichkeit, f Antisemitismus, f Rassismus, f Unterscheidung von "lebenswertem" und "lebensunwertem" Leben, f Überhöhung des eigenen Volkes bei gleichzeitiger Abwertung anderer Nationen und Völker (Nationalismus), f Vorstellung einer rassisch verstandenen homogenen Volksgemeinschaft (Volksgemeinschaftsdenken), f Individualrechte verneinendes, dem Führerprinzip verpflichtetes Kollektivdenken (völkischer Kollektivismus), f Behauptung "natürlicher" Hierarchien (Biologismus), f Betonung des Rechts des Stärkeren (Sozialdarwinismus), f Ablehnung demokratischer Regelungsformen bei Konflikten, f Übertragung militärischer Prinzipien auf die zivile Gesellschaft (Militarismus), f Geschichtsrevisionismus (Relativierung der Verbrechen des Nationalsozialismus), f Ethnopluralismus (Forderung nach strikter räumlicher und kultureller Trennung verschiedener Ethnien). Fremdenfeindlichkeit Die Ideologieelemente Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Antisemitismus sind die zentralen Begriffe des Rechtsextremismus. Mit "fremdenfeindlich" wird die Ablehnung all dessen bezeichnet, was als fremd bewertet und aus der Gesellschaft ausgegrenzt wird. Die Merkmale variieren: Ausländer, Juden, Muslime und Obdachlose können ebenso Opfer fremdenfeindlicher Ablehnung und Aggression werden wie Menschen mit Behinderungen und Homosexuelle. Fremdenfeindliche Positionen sind bei jeder rechtsextremistischen 37 Rechtsextremismus Organisation nachweisbar; sie bilden das Grundelement rechtsextremistischen Denkens. Rassismus Die in Deutschland gebräuchliche Verwendung des Begriffes Rassismus nimmt Bezug auf die Rassenideologie des Nationalsozialismus, die die "Selektion" und Vernichtung von Millionen Menschen biologisch begründete. Rassisten leiten aus den genetischen Merkmalen der Menschen eine naturgegebene soziale Rangordnung ab. Sie unterscheiden zwischen "wertvollen und minderwertigen menschlichen Rassen". Antisemitismus Der Antisemitismus tritt im Rechtsextremismus in verschiedenen Varianten in Erscheinung. Antisemitische Positionen werden sowohl religiös als auch kulturell und rassistisch begründet. Häufig korrespondieren sie mit verschwörungstheoretischen Ansätzen. Vor dem historischen Hintergrund der systematischen Judenvernichtung durch den Nationalsozialismus (Holocaust13) sind antisemitische Einstellungsmuster ein Gradmesser für die Verfestigung eines rechtsextremistischen Weltbildes. Sie zeugen von ideologischer Nähe zum historischen Nationalsozialismus und treten häufig in Verbindung mit revisionistischen Positionen auf. Antisemitische Positionen sind ein Kennzeichen fast aller rechtsextremistischen Organisationen. Neonazismus Der Begriff Neonazismus, eine Abkürzung für Neooder neuer Nationalsozialismus, der häufig fälschlicherweise als Synonym für Rechtsextremismus verwendet wird, steht für Bestrebungen, die sich weltanschaulich auf den historischen Nationalsozialismus beziehen. Hierzu zählen in erster Linie die neonazistischen Kameradschaften und Organisationen wie die Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige e. V. (HNG). Innerhalb der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) ist der neonazistische Flügel ständig stärker geworden, seitdem sich die Partei gegenüber Freien Nationalisten geöffnet hat. Ausdruck dieser Ent13 Der Begriff bedeutet Massenvernichtung (vom griech. holocaustos = "völlig verbrannt"). 38 Rechtsextremismus wicklung sind die Eintritte zahlreicher führender Protagonisten der Neonaziszene, die zudem Führungsämter in der NPD übernommen haben. Faschismus Die ebenfalls als Synonym für rechtsextremistische Bestrebungen verwendeten Begriffe faschistisch oder neofaschistisch sind in zweifacher Hinsicht ungeeignet. Zum einen handelt es sich um Kampfbegriffe aus den Zeiten des Kalten Krieges, mit denen die Bundesrepublik Deutschland von der DDR in die Tradition des Nationalsozialismus gerückt worden war. Zum anderen verbindet sich mit diesen Begriffen die Vorstellung vom italienischen Faschismus Mussolinis, der als antidemokratische Bewegung ohne Rassismus vom deutschen Nationalsozialismus erheblich abwich. Geschichtsrevisionismus Der Begriff Geschichtsrevisionismus bezeichnet die Leugnung oder Relativierung der nationalsozialistischen Verbrechen und der deutschen Schuld am Ausbruch des Zweiten Weltkrieges. Revisionistische Positionen sind in unterschiedlicher Ausprägung bei nahezu allen rechtsextremistischen Organisationen nachweisbar. Sie sind ideologisches Bindeglied zwischen den verschiedenen Strömungen des Rechtsextremismus und zugleich ein wichtiges Element der historischen Identitätsstiftung. Der Revisionismus will den historischen Nationalsozialismus zumindest tendenziell rehabilitieren und die verfassungsmäßige Ordnung der Bundesrepublik Deutschland delegitimieren. 2.3 Aktuelle Entwicklungen im Rechtsextremismus Das mit dem Begriff Rechtsextremismus erfasste Geflecht ideologisch verwandter Zusammenschlüsse und Bestrebungen ist im Verlaufe des letzten Jahrzehnts zunehmend heterogener geworden. Vor dem Hintergrund veränderter gesellschaftlicher und politischer Rahmenbedingungen - Eurokrise, steigende Einwanderung, islamistischer Terror, neue Informationsund Kommunikationstechno39 Rechtsextremismus logien - hat eine beschleunigte Ausdifferenzierung stattgefunden. Das Erstarken rechtspopulistischer Strömungen und die wachsende Bedeutung einer an die Theoretiker der Konservativen Revolution angelehnten ideologischen Ausrichtung sind die augenfälligsten Merkmale eines im Wandel begriffenen Erscheinungsbildes. Tradierte Organisationsmodelle wie die neonazistischen Kameradschaften und die ideologische Orientierung am historischen Nationalsozialismus haben demgegenüber ihren dominanten Stellenwert verloren. Im Bereich des rechtsextremistischen Parteienwesens setzte sich die in den letzten Jahren beschriebene Entwicklung fort. Größte Partei ist nach wie vor die NPD, auch wenn ihre Mitgliederzahl im Berichtsjahr erneut gesunken ist. Der für die NPD positive Ausgang des Verfahrens vor dem Bundesverfassungsgericht, an dessen Ende nicht das von der Parteiführung befürchtete Verbot stand, bewirkte keinen gegenteiligen Trend. Der Einzug in Landesparlamente erscheint nach dem Verlust der Landtagsmandate in Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen auf absehbare Zeit unrealistisch. Umso aufmerksamer wird zu verfolgen sein, inwieweit der neonazistische Flügel unter Führung des stellvertretenden Parteivorsitzenden Thorsten Heise in der Lage ist, den Einfluss der NPD im rechtsextremistischen Lager durch eine Annäherung an die Parteien Die Rechte und Der III. Weg voranzutreiben. Eine solche Kooperation unter Einschluss von Angehörigen neonazistischer Kameradschaften ist derzeit bei diversen Veranstaltungen zu beobachten. In bewusster Abgrenzung zu den von der NPD als Konkurrenz betrachteten erstarkten rechtspopulistischen Strömungen könnte es hierbei zu einer Radikalisierung kommen. Die Schwerpunkte der beschriebenen Entwicklung im rechtsextremistischen Parteienbereich liegen außerhalb Niedersachsens. Vom niedersächsischen Landesverband der NPD gehen derzeit keine Impulse mit bundesweiter Wirkung aus. Ebenso gering ist der Einfluss des Landesverbandes der Partei Die Rechte zu veranschlagen, dessen Mitgliederstand nicht über die bereits im Vorjahr registrierten 40 Personen hinausgewachsen ist. Der betont fremdenfeindlich agierenden Partei Der III. Weg gehören in Niedersachsen nur Einzelpersonen an. Sie hat ihren Schwerpunkt im Osten und Süden der Republik. Der Bedeutungsverlust der rechtsextremistischen Parteien dürfte dazu beitragen, den Schulterschluss mit der neonazistischen Szene 40 Rechtsextremismus zu forcieren. In Niedersachsen handelt es sich um ein Bündnis der Schwäche und nicht der Stärke, denn die neonazistische Szene stagniert seit einigen Jahren sowohl in personeller als auch in aktionistischer Hinsicht. Häufig wird die geringe Präsenz in der Fläche durch Kooperationsmodelle über größere räumliche Entfernungen hinweg kompensiert. Zu den Regionen, in denen kontinuierliche Aktivitäten noch am ehesten, wenn auch auf zum Teil nur geringem Niveau, zu verzeichnen sind, gehören das südöstliche Niedersachsen (Kollektiv Nordharz), das Emsland und Osnabrück, das niedersächsische Umland Hamburgs, das nördliche und östliche Heidegebiet. Diese Bestandsaufnahme verdeutlicht, dass das neonazistische Kameradschaftsmodell, das noch bis vor zehn Jahren die vorherrschende Organisationsform des Rechtsextremismus war, auf jüngere Szeneangehörige kaum noch Anziehungskraft ausübt. Hiermit einhergehend sind auch neonazistische Demonstrationen mit Bezug auf den historischen Nationalsozialismus, wie z. B. der Trauermarsch in Bad Nenndorf, der seit dem Jahr 2016 nicht mehr stattfindet, weitgehend bedeutungslos geworden. Die subkulturelle Musikszene ist weiterhin ein zentrales Element des Rechtsextremismus, wie die unverändert hohe Anzahl von Bands und CD-Produktionen dokumentiert. Zwei auch von niedersächsischen Rechtsextremisten besuchte, generalstabsmäßig geplante Großkonzerte in Themar (Thüringen) mit 6.000 und im Jahr zuvor in der Schweiz mit 5.000 Besucherinnen und Besuchern sind Ausdruck eines starken Szenezusammenhalts. Die Attraktivität der beiden Großveranstaltungen resultierte zu einem wesentlichen Teil aus den Auftritten der kultisch verehrten niedersächsischen Band Stahlgewitter. Solche Konzerte sind Kontaktbörse und lukrativer Geschäftszweig zugleich. Sie eröffnen die Möglichkeit, Absprachen zu treffen und Szeneaktivitäten zu refinanzieren. Ob von Konzerten Impulse für die politische Arbeit ausgehen und ob über sie in nennenswertem Umfang Nachwuchs für die Szene rekrutiert werden kann, darf indes bezweifelt werden. Niedersachsen ist keine Schwerpunktregion rechtsextremistischer Musikveranstaltungen. Im Jahr 2017 registrierten die Sicherheitsbehörden lediglich ein Konzert und acht Liederabende. Es handelt sich um szeneinterne Veranstaltungen, die der Kameradschaftspflege und der Vermittlung ideologischer Botschaften dienen. Besorgter 41 Rechtsextremismus machen muss, dass die zum Teil hetzerische Feindbildvermittlung durch rechtsextremistische Musiktitel via Internet seit Jahren einen über die Szeneangehörigen weit hinausreichenden Personenkreis erreicht. Die Auseinandersetzung mit rechtsextremistischen Musikproduktionen bildet deshalb unverändert einen der Schwerpunkte der Präventionsarbeit des Niedersächsischen Verfassungsschutzes. Während die Aktivitäten in den rechtsextremistischen Beobachtungsfeldern Parteien, neonazistische Kameradschaften und Subkultur stagnieren oder zurückgehen, entwickeln schon seit Längerem nur randständige neurechte Strömungen politische Wirkmächtigkeit. Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang die Identitäre Bewegung Deutschland (IBD), die sich mit medienwirksamen Aktionen inszeniert und damit an Aktionsformen anknüpft, wie sie bereits von neonazistischen Zusammenschlüssen wie Besseres Hannover oder Spreelichter praktiziert wurden. Sozialstrukturell unterscheidet sich die Anhängerschaft deutlich von der Neonaziszene. In ideologischer Hinsicht erweist sie sich mit ihrem ethnopluralistischen Ansatz und ihrer auf kulturellen Merkmalen basierenden, auf Muslime zielenden Ausgrenzungspolitik (kulturalistischer Rassismus) sowohl im rechtsextremistischen Bereich als auch in nichtextremistischen bürgerlichen Kreisen als anschlussfähig. Die IBD darf nicht isoliert betrachtet werden. Mit ihren Thesen und Aktionen gehört sie zu einem Geflecht aus muslimfeindlichen Organisationen und Internetplattformen, das um Einflussnahme auf den öffentlichen Meinungsbildungsprozess bemüht ist, mit dem Ziel die kulturelle Hegemonie, also die Deutungshoheit über politische Begriffe, zu erringen. Die Aktivitäten richten sich nicht gegen das Institutionengefüge der Bundesrepublik Deutschland, sondern gegen das normative Fundament der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, insbesondere gegen den Gleichheitsgrundsatz und das Recht auf freie Religionsausübung. Das Ziel ist eine ethnisch homogene Gesellschaft, wobei die Zuordnung zu einer Ethnie in einer kulturalistischen Interpretation über die Zugehörigkeit zu einer Religion erfolgt. In der Praxis ist dem ethnopluralistischen Ansatz deshalb die Abwertung von Muslimen immanent. Am Beispiel der IBD lässt sich verdeutlichen, welche Auswirkungen das veränderte Informationsund Kommunikationsverhalten auf die Entwicklung des Rechtsextremismus hat. Zu beobachten ist immer 42 Rechtsextremismus häufiger, dass sich unterschiedliche ideologische Strömungen bei situationsbezogenen aktionistischen Kampagnen miteinander vermischen. Eine Trennlinie zwischen Extremismus und Populismus zu ziehen, fällt deshalb zunehmend schwer. Bestimmte Internetplattformen wirken als Echokammern. Sie verstärken bestehende Einstellungsmuster durch den permanenten Dialog unter Gleichgesinnten, ohne dass eine Korrektur durch eine demokratische Öffentlichkeit erfolgen kann, weil diese Foren nicht auf Diskurs angelegt sind und stattdessen verschwörungstheoretische Sichtweisen pflegen. Durch die stereotype Wiederholung von Ressentiments und die gezielte Abwertung von sozialen Minderheiten verfestigen sich Feindbilder. Es besteht die Gefahr, dass von solchen Echokammern Impulse für rechtsextremistische Straftaten ausgehen, zumindest aber bilden sie eine Legitimationsbasis zur Rechtfertigung militanter Handlungsweisen. Verschwörungstheoretisches Denken und die Abschottung vor einem demokratischen Diskurs sind auch kennzeichnend für die Szene der Reichsbürger und Selbstverwalter, die nur zu einem kleinen Teil dem Rechtsextremismus zugerechnet werden kann. Die Reichsbürger sprechen der Bundesrepublik Deutschland die rechtliche Legitimation ab. Sie betrachten sich stattdessen als Bürger eines deutschen Reiches, das nach ihrer Auffassung weiter existiert, wobei der historische Bezugspunkt - hierin unterscheiden sich einzelne Strömungen - variieren kann. Die Spannbreite reicht vom Wilhelminischen Kaiserreich bis zum Deutschen Reich der Nationalsozialisten in den Grenzen des Jahres 1938. Reichsbürger erkennen das Handeln staatlicher Hoheitsträger nicht an und setzen sich gegen staatliche Eingriffe zum Teil gewalttätig zur Wehr. Aus der für die Reichsbürger charakteristischen Vorstellung von einem ihnen zustehenden Selbstverteidigungsrecht erklärt sich eine ausgeprägte Waffenaffinität in Teilen der Szene. Über die fundamentale Ablehnung der Bundesrepublik Deutschland hinausgehende ideologische oder politische Forderungen, etwa in Bezug auf den Aufbau einer alternativen Staatsund Gesellschaftsordnung, verfolgen die meisten Reichsbürger indes nicht einmal ansatzweise. Motivleitend für viele von ihnen dürfte vielmehr der Versuch sein, sich staatlichen Ordnungsmaßnahmen mit pseudorechtlichen Argumenten zu entziehen. Zugang zu entsprechenden Argumenta43 Rechtsextremismus tionshilfen und Formularen erhalten sie über einschlägige Internetpräsenzen, ohne deren Wirken das starke Anwachsen der Reichsbürgerszene nicht möglich gewesen wäre. Hiervon zu unterscheiden sind die von Rechtsextremisten propagierten Positionen zur Delegitimierung der Entstehung der Bundesrepublik Deutschland, die das Grundgesetz als ein gegen den Volkswillen gerichtetes Produkt alliierter Siegerwillkür betrachten und in Admiral Dönitz das legitime Staatsoberhaupt der Nachkriegszeit sehen. Solche in einen übergeordneten Begründungszusammenhang eingebettete revisionistische Positionen gehören zum ideologischen Kernbestand des Rechtsextremismus seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland, sie sind aber nicht das vorherrschende Element der heutigen Reichsbürgerszene. Die Auseinandersetzung mit der Reichsbürgerszene und ihren Ursachen erfordert deshalb eine differenzierte Betrachtung, die eine pauschale Zuordnung zum Rechtsextremismus vermeidet. Wegen der Militanz der Reichsbürgerszene hat das Niedersächsische Ministerium für Inneres und Sport am 15.11.2016 einen Erlass herausgegeben, der den Waffenbehörden in Niedersachsen gegenüber klarstellt, dass sogenannte Reichsbürger als waffenrechtlich unzuverlässig angesehen werden und daher waffenrechtliche Erlaubnisse nicht zu erteilen sind. 2.4 Subkulturell geprägte Rechtsextremisten / Rechtsextremistische Musikszene Gründung / 1980er Jahre Bestehen seit Struktur / Heterogenität der organisatorisch nicht gefestigten subkultuRepräsentanz rellen rechtsextremistischen Szene; eine Ausnahme bilden die Hammerskins mit einem festen hierarchischen Aufbau; viele Szeneangehörige im jugendlichen Alter 44 Rechtsextremismus Mitglieder / Bund: 9.200 Land: 600 Anhänger / Unterstützer Veröffentlichungen Publikationen: CD-Veröffentlichungen, Fanzines; Web-Angebote: Online-Versände, Bekanntmachung von Konzertterminen über Foren, Veröffentlichungen von Videos Kurzportrait / Ziele Der subkulturelle Bereich im Rechtsextremismus ist hauptsächlich von szenetypischer Musik und einem damit verbundenen - nicht selten gewaltorientierten - Lebensstil geprägt. Dabei zeigt die Entwicklung der letzten Jahre, dass die subkulturelle Szene zunehmend an eigenständiger Bedeutung verloren hat. Sichtbar wird dieser Wandel vor allem in dem fast vollständigen Verschwinden von rechtsextremistischen Skinheads aus dem öffentlichen Straßenbild, welche in den 1980er und 1990er Jahren die gewaltbereite rechtsextremistische Szene maßgeblich geprägt hatten. Zu beobachten sind stattdessen informelle, eher strukturlose Gruppen oder Personenzusammenschlüsse, die kaum regelmässige Aktivitäten entfalten, die keinen festen Mitgliederstamm haben und die nur sporadisch auf sich aufmerksam machen. Die Grenzen zwischen den einzelnen Bereichen des Rechtsextremismus sind daher zusehends fließend und verschwommen, so dass eine Unterscheidung nach trennscharfen Kriterien immer schwieriger wird. Rechtsextremistische Einstellungsmuster sind von größerer Bedeutung als die organisatorische Anbindung an eine bestimmte Gruppierung. In der von Männern dominierten Szene spielen Frauen eine untergeordnete Rolle, auch wenn diese nicht zu vernachlässigen ist und in ihrer Bedeutung für die subkulturelle Szene nicht unterschätzt werden darf. Die fremdenfeindliche Grundeinstellung von subkulturell geprägten Rechtsextremisten kommt dabei unreflektiert, häufig spontan und gewaltsam zum Ausdruck. Sie wird ausgelebt und nicht ideologisch im Sinne eines politischen Ansatzes überhöht. Eine wichtige Rolle spielt hier die rechtsextremistische Musik mit ihrer aufputschenden Wirkung. Sie vermittelt Feindbilder, aber keinen politischen Ansatz. Rechtsextremistische Musik ist zugleich ein wesentlicher Faktor für die Ausprägung eines Gemeinschaftsgefühls bei den Szeneangehörigen. 45 Rechtsextremismus Rechtsextremistische Parteien nutzen rechtsextremistische Bands und Liedermacher, um ihre Veranstaltungen für ein jüngeres Publikum attraktiver zu gestalten. In Niedersachsen allerdings ist aufgrund der geringen Attraktivität und der politischen wie organisatorischen Schwäche der rechtsextremistischen Parteien eine derartige Feststellung nicht zu treffen. Allgemein hat die Musik jedoch den Zweck, rechtsextremistische Ideologie - auch an Außenstehende - zu vermitteln. Die Liedinhalte formulieren in plakativer, häufig hetzerischer Form die rassistische, fremdenfeindliche und antisemitische Einstellung der Szeneangehörigen. Die Bandbreite rechtsextremistischer Musik erstreckt sich von Black Metal über Schlager bis zu Balladenmusik. Den größten Zuspruch erfährt unverändert die Stilrichtung Rock against Communism (RAC). Finanzierung Verkauf von rechtsextremistischen Tonträgern sowie Handel mit Devotionalien, darunter Kleidung, die mit rechtsextremistischen Aussagen bedruckt ist. Handel und Verkauf dienen teilweise gewöhnlicher Geschäftemacherei. Einnahmen aus Musikveranstaltungen dienen mitunter der Finanzierung von Aktivitäten. Grund der Beobachtung / Verfassungsfeindlichkeit Die Beobachtungswürdigkeit ergibt sich aus der fremdenfeindlichen Grundeinstellung und aus der Gewaltanwendung oder der Bereitschaft zur Gewalt, die für subkulturell geprägte Rechtsextremisten ein Ausdruck von Männlichkeit und Dominanz darstellt. Gewalt wird insbesondere unter Alkoholeinwirkung zuweilen hemmungslos, brutal und meistens spontan ausgelebt. Auch die Liedtexte rechtsextremistischer Musik fördern gewaltorientierte Aktivitäten; sie transportieren Gewaltphantasien, Aufrufe zu Gewalt oder vermitteln Feindbilder. Von eingängigen oder aufputschenden Melodien getragen können die Liedtexte eine suggestive Wirkung entwickeln. Hiermit richten sich subkulturell geprägte Rechtsextremisten gegen die im Grundgesetz verbrieften Freiheits-, Gleichheitsund Menschenrechte (Art. 1 - 4 GG) sowie gegen den demokratischen Rechtsstaat (Art. 20 GG). Damit sind sie verfassungsfeindlich; ihre Beobachtung richtet sich nach SS 3 Abs. 1 Nr. 1 NVerfSchG. 46 Rechtsextremismus Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum Rechtsextremistische Musikszene Rechtsextremistische Musik ist für die subkulturelle Szene von einem hohen werbestrategischen Stellenwert. Gleiches gilt für die neonazistische Szene und für rechtsextremistische Parteien wie NPD, Die Rechte und Der III. Weg. Musik hat insbesondere für den Einstieg in die rechtsextremistische Szene eine wichtige Funktion. Welches Selbstverständnis in diesem Bereich herrscht, zeigt die Reaktion auf einen kritischen Beitrag auf der Internetseite der Partei Der III. Weg. Dieser hatte sich mit dem Publikum bei einer der größten rechtsextremistischen Musikveranstaltungen am 15.07.2017 in der thüringischen Kleinstadt Themar mit rund 6.000 Teilnehmern auseinandergesetzt. In der Reaktion wird die rechtsextremistische Musikszene wie folgt beschrieben: "Wir als nationalrevolutionäre Bewegung, die den Rechtsrock nicht als Szene oder Subkultur begreifen, sondern wie Ian Stuart Donaldson schon, als politische Waffe einordnen, müssen Nationalisten und auch Bands eine Alternative bieten, so daß es wieder heißen kann: 'Von der Bewegung für die Bewegung'." Die Anzahl der Zugriffe auf rechtsextremistische Musikvideos im Internet weist darauf hin, dass die Verbreitung der Musik weit über das registrierte rechtsextremistische Personenpotenzial hinausreicht. Besonders angesprochen fühlen sich Jugendliche, die ihre soziale Situation in den Liedtexten widergespiegelt finden und die nach Integration in eine Gruppe Gleichgesinnter streben. Die Konfrontation mit rechtsextremistischer Musik kann den Beginn einer Entwicklung markieren, in deren Verlauf sich Jugendliche zunehmend mit der rechtsextremistischen Szene identifizieren. Die Auseinandersetzung mit der rechtsextremistischen Musik ist deshalb seit mehreren Jahren ein Schwerpunkt der präventiven Verfassungsschutzarbeit.14 Zentrales Thema der rechtsextremistischen Musikszene war die Asylund Einwanderungspolitik. Wie bereits im Vorjahr diente sie als Beleg für das angebliche Versagen der Staatsorgane und für 14 Siehe Kapitel 6. 47 Rechtsextremismus das vermeintliche Scheitern des demokratischen Rechtstaates. Die rechtsextremistische Band "Valhöll" (Herkunft unbekannt) greift in ihrem Lied "Muselmassen" von dem 2016 veröffentlichten und im Mai 2017 durch die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) indizierten Tonträger "Krieg" die Thematik auf: "Muselmanen-Massen fluten in das Land, fremdartige Massen, Herkunft unbekannt. Alle sind sie Syrer, doch der Pass schlich sich fort, alles ging verloren, an den Schlepper-Clan vor Ort." In ihrem Lied "Alter Geist in jungen Herzen" prangert die Band "Sturmrebellen" (Nordrhein-Westfalen) in szenetypischer Argumentationsweise den angeblich drohenden Untergang des deutschen Volkes an: "Die Zukunft steht auf Messers Schneide, auf Messers Schneide, erkennt ihr nicht das Ziel der Reise, das Ziel der Reise. Man will uns einfach ausradieren, einfach ausradieren, um etwas Neues zu kreieren, etwas Neues zu kreieren. Der Feind wird nie zu uns gehören, darum will er das Volk zerstören, nur wurzelloser Menschenbrei akzeptiert seine Tyrannei." Wie bei der Mehrzahl der aktuellen Veröffentlichungen wird im Refrain des Liedes gegen die Einwanderungspolitik der Bundesregierung gehetzt: "Ihr Plan ist, uns hier auszumerzen, doch alter Geist in jungen Herzen leistet erbittert Widerstand, für unser Volk, für unser Land." Die Produzenten solcher Musik lassen Tonträger vor ihrem Erscheinen durch Rechtsanwälte auf mögliche Rechtsverstöße überprüfen, um Indizierungsmaßnahmen, strafrechtliche Verfahren und damit einhergehende Geschäftsverluste zu vermeiden. Strafrechtlich relevante CDs - ihr Anteil beträgt weniger als zehn Prozent - werden bis auf wenige Ausnahmen im Ausland produziert. 48 Rechtsextremismus Nach wie vor erscheinen Tonträger, die nur szeneintern und nicht über offen zugängliche Szenevertriebe verkauft werden. Da eine Strafverfolgung hier fast nicht möglich ist, äußern die Bandmitglieder in den Texten offen ihr fremdenfeindliches, antisemitisches und rassistisches Gedankengut. Häufig wird offen zur Gewalt gegen die von der Szene als Feinde betrachteten Personen aufgerufen bzw. werden sie bedroht. Derartige Tonträger werden von der BPjM regelmäßig geprüft und gegebenenfalls als jugendgefährdend und möglicherweise strafrechtlich relevant bewertet und indiziert. Immer häufiger werden neue Tonträger kurz nach ihrer Veröffentlichung in Download-Portalen oder in sozialen Netzwerken im Internet hochgeladen und gratis zur Verfügung gestellt. Diese Entwicklung bedeutet zwar einerseits die Möglichkeit, einen größeren Verbreitungsgrad rechtsextremistischer Musik über die Szene hinaus zu erreichen, andererseits führt das kostenfreie Herunterladen aus dem Internet zu finanziellen Einbußen der betroffenen Bands und Musiker, die wiederum befürchten, weniger CDs zu verkaufen und die Produktionskosten nicht mehr decken zu können. Die rechtsextremistische Band "Act of Violence" (Baden-Württemberg) äußert sich auf ihrer Facebook-Seite hierzu folgendermaßen: "Nachdem unser neues Album mittlerweile zehnfach (!) öfters heruntergeladen als gekauft wurde, eine kleine Bitte an die Downloader: Euch gefällt unsere neue CD? Ihr hört die Musik gerne und wollt auch in Zukunft hochwertig produzierte Musik von uns hören? Dann unterstützt uns bitte mit dem Kauf der Scheibe! Nur durch euren Beitrag können wir es uns leisten, hochwertige Produkte mit sauberem Klang zu finanzieren." (Facebook-Seite der Band "Act of Violence", 13.11.2017) Die Anzahl rechtsextremistischer Musikgruppen hat sich bundesweit in den letzten Jahren mit rund 180 kaum verändert. Dabei handelt es sich nicht um einen permanent gleich bleibenden Kreis von Musikgruppen. Viele Bands bestehen nur für kurze Zeit. Mitunter finden sich Mitglieder rechtsextremistischer Bands unter neuem Namen einmalig für Musikprojekte zusammen. 49 Rechtsextremismus Bundesweit fanden wie im Vorjahr 68 Musikveranstaltungen statt. Der regionale Schwerpunkt rechtsextremistischer Konzerte lag in Sachsen und Thüringen. Im Gegensatz zu den Vorjahren stagniert damit im Jahr 2017 die Zahl rechtsextremistischer Musikveranstaltungen. Im Vergleich gegenüber den 1990er und frühen 2000er Jahren ist dennoch ein deutlicher Rückgang zu verzeichnen. Diese Entwicklung begründet sich u. a. mit der Verunsicherung der rechtsextremistischen Szene durch zahlreiche Exekutivmaßnahmen der Sicherheitsbehörden. Ursache für den derzeit festzustellenden leichten Anstieg ist die verstärkte Nutzung von Lokalitäten mit Szenebezug. Entweder ist in diesen Fällen der Vermieter einer solchen Lokalität selbst Szeneangehöriger, oder er duldet Veranstaltungen mit rechtsextremistischem Charakter, um eigene monetäre Interessen zu bedienen. Eine Verschleierung des wahren Veranstaltungscharakters und der Abschluss von Mietoder Pachtverträgen sind in diesen Fällen nicht erforderlich, was die Verhinderung der Veranstaltungen durch die staatlichen Behörden erschwert. Die in Deutschland zumeist konspirativ organisierten rechtsextremistischen Musikveranstaltungen werden durchschnittlich von 100 bis 150 Personen besucht. Die Ankündigungen für diese Konzerte erreichen in der Regel nur Szeneangehörige, so dass eine Werbewirkung für Interessierte ohne Szenebezug nahezu ausgeschlossen ist. Eine deutliche Veränderung zu den Vorjahren zeigt sich in der Durchführung rechtsextremistischer Großveranstaltungen mit Musikdarbietungen namhafter Szenebands als zentraler Bestandteil, die von Redebeiträgen einschlägiger Redner flankiert werden. Diese Veranstaltungen sind als politische Kundgebungen angemeldet und lassen sich daher nur schwer verbieten. Wegen des erhöhten Organisationsaufwandes und des finanziellen Risikos sind die Organisatoren in diesen Fällen bereit, die Veranstaltung bei den Ordnungsbehörden anzumelden und die staatlichen Auflagen einzuhalten. Eine dieser politischen Kundgebungen fand unter dem Motto "Rock gegen Überfremdung II - Identität und Kultur bewahren" am 15.07.2017 50 Rechtsextremismus in Themar (Thüringen) statt und zog 6.000 Personen aus dem gesamten Bundesgebiet und dem benachbarten Ausland an. Die Veranstaltung übertraf damit die bis dahin größte rechtsextremistische Konzertveranstaltung auf europäischem Boden, an der im Vorjahr in der Schweiz 5.000 Personen teilgenommen hatten. Hauptverantwortlich für die hohe Teilnehmerzahl dürfte in beiden Fällen der Auftritt der Band "Stahlgewitter" (Meppen) gewesen sein, welche in der Szene geradezu kultisch verehrt wird. Neben "Stahlgewitter" traten noch sieben weitere populäre rechtsextremistische Bands auf, darunter "Sleipnir" (Nordrhein-Westfalen) und "Die Lunikoff Verschwörung" (Berlin). Rechtsextremistische Musik in Niedersachsen Im Jahr 2017 waren vier niedersächsische Musikgruppen aktiv. Hinzu kommt der in Niedersachsen ansässige Liedermacher "Gassenraudi". "Stahlgewitter / Gigi & Die Braunen Stadtmusikanten" Im Gegensatz zu den Vorjahren, in denen Daniel "Gigi" Giese mit seiner Band "Stahlgewitter" ausschließlich im benachbarten europäischen Ausland auftrat, war die Band in diesem Jahr Hauptgruppe bei der o. g. Veranstaltung am 15.07.2017 in Themar (Thüringen). Wegen der Vielzahl indizierter Tonträger, die der Band "Stahlgewitter" zugerechnet werden, sind in früheren Jahren angekündigte Konzerte auf deutschem Boden unter Beteiligung der Band maßgeblich für eine Verbotsbegründung für die Gesamtveranstaltung gewesen. Dieses führte letzten Endes zu einem Verzicht Gieses, mit "Stahlgewitter" in Deutschland aufzutreten. Durch die Anmeldung der Veranstaltung als politische Kundgebung sowie durch die im Vorfeld den Genehmigungsbehörden vorgelegte Liederliste, die keine indizierten Stücke enthielt, konnte ein Auftritt von "Stahlgewitter" realisiert werden. Entsprechend groß war der Zulauf zu der Daniel Giese ("Stahlgewitter"), ganz rechts 51 Rechtsextremismus von 6.000 Personen besuchten Veranstaltung. Die Reaktionen der Veranstaltungsbesucher fielen überaus positiv aus. Hierin zeigt sich der hohe Stellenwert der Band, den diese auch über die Landesgrenzen hinaus in der rechtsextremistischen Szene genießt. Weitere Auftritte von Giese gab es bereits am 15.04.2017 bei einer politischen Kundgebung in Kloster Veßra (Thüringen) und im Rahmen einer Jahresfeier einer rechtsextremistischen Gruppierung am 18.11.2017 in Kirchheim (Thüringen). Beide Veranstaltungen fanden in Lokalitäten mit Szenebezug statt. Im November 2017 veröffentlichte der Meppener Sänger Giese einen neuen Tonträger. Mit seinem Projekt "In Tyrannos" brachte er den Tonträger "Schlimmer als die Pest" heraus.15 Im Gegensatz zu der bekannten Methodik, sich in seinen Texten mit Themen zu befassen, die insbesondere Ereignisse in Deutschland im rechtsextremistischen Sinne (um)deuten, fokussiert sich Giese auf diesem Tonträger überwiegend auf die Darstellung diverser "Abwehrkämpfe" gegen Invasionsversuche in verschiedenen Epochen der europäischen Geschichte. Beispielsweise geht es in dem Lied "Defendieret Wien" um Prinz Eugen von Savoyen und den Angriff der Türken auf Wien im Jahre 1683. Giese formuliert darin eine Textpassage, die sich problemlos in die heutige rechtsextremistische Weltsicht übertragen ließe: "Ein Schreckensruf hallt durch die Nacht: Die Türken stehen vor Wien. Konstantinopels Schicksal hat sich eingebrannt. Wenn diese Mauern brechen, wird Europa überrannt." Ergänzt wird die Darstellung im Booklet zu der CD mit der Bildunterschrift "Er wusste, wie man mit dem Islam in Europa umzugehen hat." Zwei ältere Produktionen Gieses, die unter dem Namen eines weiteren Projektes "Gigi & die Braunen Stadtmusikanten" veröffentlicht 15 Bereits in den Vorjahren waren neue Tonträger seiner Bands "Stahlgewitter" und "Gigi & Die Braunen Stadtmusikanten" erschienen. 52 Rechtsextremismus wurden, sind in diesem Jahr durch die BPjM indiziert worden. Die im Vorjahr veröffentlichte CD "Willkommen liebe Mörder" wurde am 31.01.2017 und eine ältere Veröffentlichung aus dem Jahr 2014 mit dem Titel "Rattenfänger" am 30.10.2017 in die Liste jugendgefährdender Tonträger aufgenommen. Die musikalischen Projekte von Daniel Giese finden seit vielen Jahren große Beachtung in der rechtsextremistischen Szene. Dies betrifft sowohl die durchaus versierten musikalischen Darbietungen als auch die rechtsextremistischen Texte, die sich zuweilen an der Grenze der Strafbarkeit bewegen. Die Band "Ungeliebte Jungs" (Thüringen/ Bayern), die am 15.04.2017 ebenfalls in Kloster Veßra (Thüringen) aufgetreten war, veröffentlichte im Anschluss an die Veranstaltung eine Danksagung auf ihrer Facebook-Seite, die diese Einschätzung unterstreicht: "... Mit Stahlgewitter zu spielen war uns eine große Ehre ..." "Emssturm" Das im Jahr 2016 entstandene Musikprojekt "Emssturm" aus dem Emsland spielte am 30.09.2017 im Rahmen einer Feier in Veendam (Niederlande). Weitere geplante Auftritte am 02.09.2017 und 11.11.2017 wurden im Vorfeld durch die Sicherheitsbehörden verhindert. "Nordfront" Die Band "Nordfront" aus Hannover veröffentlichte im Juni 2017 eine Neuauflage ihres im Jahr 2002 erschienenen Tonträgers "Argonnerwald". "Terroritorium" Die Band "Terroritorium" aus der Region Hannover, sollte bei einem Konzert mit weiteren Bands und Liedermachern am 21.01.2017 in Dannenbüttel (Landkreis Gifhorn) auftreten, welches durch die Sicherheitsbehörden verhindert werden konnte. 53 Rechtsextremismus Liedermacher "Gassenraudi" Der aus dem Bereich Braunschweig stammende Liedermacher "Gassenraudi" trat im Anschluss an eine Sonnenwendfeier am 24.06.2017 in Eschede (Landkreis Celle) bei einem Balladenabend sowie am 11.11.2017 im Rahmen einer Solidaritätsveranstaltung in Schönhausen (Sachsen-Anhalt) auf. Der geplante Auftritt am 21.01.2017 in Dannenbüttel (Landkreis Gifhorn) wurde im Vorfeld durch Sicherheitsbehörden verhindert. Des Weiteren veröffentlichte er den in Eigenregie erstellten Tonträger "Immota fides", dessen vier Lieder sich inhaltlich mit seiner Heimatstadt Braunschweig befassen. Rechtsextremistische Konzerte und Liederabende in Niedersachsen Die Strategie zur Durchführung rechtsextremistischer Konzerte hat sich gegenüber den Vorjahren nicht geändert. Konzerte finden wie bisher vornehmlich in kleineren Orten statt. Raumanmietungen erfolgen häufig unter dem Vorwand, eine von Musikdarbietungen umrahmte Geburtstagsfeier durchführen zu wollen. Einige Veranstalter sind als Reaktion auf Exekutivmaßnahmen der Polizei dazu übergegangen, mit Ausweichstätten zu planen. Im Eventualfall werden Besucher dann per SMS oder Instant Messaging Diensten über einen Zwischentreffpunkt zur Ausweichstätte umdirigiert. Mit solch umfangreichen Vorplanungen versuchen die Veranstalter, ihr Geschäftsrisiko zu reduzieren. In Niedersachen fand im Jahr 2017 lediglich ein Konzert statt (2016: 2). Am 18.11.2017 wurde in Hude (Landkreis Oldenburg) ein Skinheadkonzert mit rund 50 Teilnehmenden durchgeführt. Es spielten die Bands "Smart Violence" (Nordrhein-Westfalen), "Kriegsberichter" (Sachsen-Anhalt) und "MPU" (Bayern). Die Veranstaltung war von den Sicherheitsbehörden im Vorfeld aufgeklärt worden, jedoch hielt der Vermieter des Objektes an dem Vertrag zur Durchführung einer Geburtstagsfeier fest. Eine Möglichkeit zur Unterbindung der Veranstaltung war dadurch nicht gegeben. Das Publikum setzte sich aus den regionalen Szeneangehörigen zusammen. Obwohl für das Konzert innerhalb der rechtsextremistischen Szene überregional geworben wurde, fiel die Teilnehmerzahl gering aus. 54 Rechtsextremismus Zwei geplante rechtsextremistische Musikveranstaltungen für den 21.01.2017 in Dannenbüttel (Landkreis Gifhorn) und für den 23.09.2017 in Katlenburg-Lindau (Landkreis Northeim) wurden von den Sicherheitsbehörden verhindert. Die Anzahl der Liederund Balladenabende ist im Vergleich zum Vorjahr von drei auf acht Veranstaltungen gestiegen. Veranstaltungen dieser Art bedürfen eines geringeren organisatorischen Aufwandes als Skinheadkonzerte, erreichen jedoch nur einen kleinen Personenkreis. Sie werden deshalb häufig ohne öffentliche Wahrnehmung durchgeführt. Liederund Balladenabende unterscheiden sich sowohl in ihrem musikalischen Charakter als auch in ihrer Funktion deutlich von Skinheadkonzerten. Die Sänger verzichten auf eine Verstärkeranlage und begleiten sich lediglich auf einer akustischen Gitarre. Bedeutsamer als die Musik ist der ideologische Gehalt der vorgetragenen Texte. Stattgefunden haben Liederabende am 04.02.2017 und 09.04.2017 in Bad Harzburg (Landkreis Goslar), am 18.02.2017 und 23.09.2017 in Fürstenau (Landkreis Osnabrück), am 24.05.2017 in Salzbergen (Landkreis Emsland), am 24.06.2017 in Eschede (Landkreis Celle), am 07.10.2017 im Raum Friesland und am 11.11.2017 im Raum Ostfriesland. Rechtsextremistische Vertriebe Die Nachfrage der rechtsextremistischen Szene nach Tonträgern, Druckerzeugnissen und Bekleidung sowie weiteren szenetypischen Artikeln wird durch rechtsextremistische Vertriebe bedient, die insbesondere über das Internet ein permanent aktualisiertes Angebot bereithalten. Die unverändert hohe Anzahl an Vertrieben zeigt, dass sich der subkulturelle Bereich als fester Bestandteil des Rechtsextremismus etabliert hat. Wichtige deutsche Vertriebe sind Front Records, PC Records und OPOS Records (alle Sachsen) sowie Rebel Records (Brandenburg). Die Betreiber sind oftmals zugleich Mitglieder rechtsextremistischer Bands oder treten als Veranstalter rechtsextremistischer Konzerte in Erscheinung, bei denen sie ihr Warenangebot offerieren. Strafrechtlich relevante oder indizierte Produktionen befinden sich im Angebot ausländischer Vertriebe, die die Nachfrage in Deutschland über das Internet bedienen. Zu nennen sind ISD Records und NSM 88. Das Angebot umfasst beispielsweise Tonträ55 Rechtsextremismus ger der Bands "Landser" (Berlin) und "Race War" (Baden-Württemberg), deren Mitglieder in Deutschland wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung am 22.12.2003 bzw. am 22.11.2006 verurteilt worden sind. Niedersächsische Vertriebe In Niedersachsen sind sechs Vertriebe ansässig: Adler-Versand/Antishop2013 (Diekholzen), Der Versand (Bovenden), Hatecore Lüneburg (Lüneburg), MaxH8 (Cremlingen) und Wewelsburg Records (Leer). Alle genannten Vertriebe spielen in der Szene eine eher untergeordnete Rolle, weil sie Produktionen weniger namhafter Musikbands vertreiben und damit auch einen geringeren Umsatz verzeichnen. Eine Ausnahme bildet der Versand Das Zeughaus (Lingen/Ems). Neben den veröffentlichten Tonträgern der Musikprojekte von Daniel Giese ("Stahlgewitter" und "In Tyrannos") werden Devotionalien der Bands angeboten, die ausschließlich in diesem Onlineversand erhältlich sind. Nachdem der Versand bei dem Skinheadkonzert am 15.10.2016 in der Schweiz mit einem großen Verkaufsstand vertreten war, präsentierte Das Zeughaus auch bei der o. g. Großveranstaltung am 15.07.2017 in Themar (Thüringen) seine Produkte und dürfte dadurch seinen Bekanntheitsgrad innerhalb der rechtsextremistischen Szene gesteigert haben. Auch der sich stetig ausweitende Anteil von Tonträgern, die durch Das Zeughaus produziert werden, unterstreicht die erhöhte Reputation. 56 Rechtsextremismus Wewelsburg Records (Leer) Emssturm Hatecore Lüneburg (Emsland) (Lüneburg) Gigi / Stahlgewitter (Meppen) Gassenraudi Das Zeughaus (Braunschweig) (Lingen) MaxH8 Nordfront und Terroritorium (Cremlingen) (Hannover) Adler-Versand / Antishop 2013 Vertriebe (Diekholzen) Skinheadbands, Liedermacher ( ) Stadt Der Versand (Bovenden) Bewertung, Tendenzen, Ausblick Die subkulturelle Szene verlangt kein stringentes politisches Engagement, sondern stellt in erster Linie ein Angebot zur Freizeitgestaltung dar. Zu diesem Bereich des Rechtsextremismus liegt die Zugangsschwelle für jüngere Personen mit einer fremdenfeindlichen Grundeinstellung am niedrigsten. Rechtsextremistische Musik ist dabei nach wie vor ein wichtiges Medium für die Rekrutierung neuer Anhänger sowie für die Radikalisierung innerhalb der rechtsextremistischen Szene. Mit den Liedtexten werden zumeist rassistische, antisemitische und antidemokratische Ideologien proklamiert. Rechtsextremistische Musikveranstaltungen fördern das Gemeinschaftsgefühl von Szeneangehörigen insbesondere gegenüber der als feindlich empfundenen Umwelt. In der Vergangenheit wurde in den Liedtexten vorrangig die NS-Zeit glorifiziert. Heute ist bei neuen Produktionen oftmals ein Bezug zur aktuellen gesellschaftlichen und politischen Entwicklung festzustellen. 57 Rechtsextremismus Die bundesweite Anzahl der Skinheadkonzerte stagniert seit mehreren Jahren auf niedrigem Niveau. Die durchschnittliche Besucherzahl bei solchen Konzerten bewegt sich im unteren dreistelligen Bereich. Eine Ausnahme hiervon stellen die mehrmals durchgeführten Großveranstaltungen dar, die - als politische Kundgebung angemeldet - Zuschauerzahlen von bis zu 6.000 Personen mobilisieren konnten. Behördliche Auflagen werden von den Anmeldern berücksichtigt und somit eine Verhinderung derartiger Veranstaltungen erschwert. Auch für das Jahr 2018 sind mehrere solcher politischer Kundgebungen zu erwarten, die als Deckmantel rechtsextremistischer Konzerte dienen. Die Anzahl der Liederund Balladenabende steigt dagegen weiterhin an, zumal sich diese einfacher planen lassen. Sie finden in kleinen Räumlichkeiten statt und der Teilnehmerkreis besteht zumeist aus Angehörigen der regionalen Szene. Dadurch entfalten Balladenabende kaum Werbewirkung, führen selten zur Rekrutierung neuer Szenemitglieder und dienen primär dem Zusammenhalt der Szene. Die rechtsextremistische Musikszene in Niedersachsen ist weitgehend inaktiv. Die Anzahl der aktiven Bands hat sich nicht verändert. Niedersächsische Versände haben bundesweit keinen großen Stellenwert. Eine Ausnahme ist der Versand Das Zeughaus in Lingen/ Ems. Um den gestiegenen Ansprüchen der Hörerschaft zu genügen, sind kostspielige Produktionen in professionellen Tonstudios sowie aufwändig gestaltete Booklets erforderlich. Videound Download-Portale lassen hingegen die Verkaufszahlen von Tonträgern und damit die Einnahmen der Bands zurückgehen. 58 Rechtsextremismus 2.5 Neonazistische Szene Sitz / Verbreitung Niedersachsenweit; Schwerpunkte in den Regionen Buchholz / Tostedt, Hannover / Hildesheim, Oldenburg / Wilhelmshaven, Ostfriesland / Emsland, Südniedersachsen / Harz Gründung / 1970er Jahre Bestehen seit Struktur / Örtlich und regional unterschiedlich ausgeprägte Strukturen Repräsentanz in Form von Aktionsgruppen, informellen Netzwerken, Kameradschaften oder Kreisverbänden der Partei Die Rechte; hinzu kommen überwiegend virtuelle Präsenzen Mitglieder / Bund: 6.000 Land: 280 Anhänger / Unterstützer Veröffentlichungen Web-Angebote: Internetseiten, Blogs, Profile in sozialen Netzwerken und Kurznachrichtendiensten; Broschüren, Aufkleber, Flugblätter Kurzportrait / Ziele Kennzeichnend für die neonazistische Szene in Niedersachsen ist die Verzahnung mit subkulturell geprägten Rechtsextremisten sowie mit der in Parteien organisierten rechtsextremistischen Szene. Der allgemeinen Entwicklung folgend, die durch ein Abrücken von starren Organisationsstrukturen gekennzeichnet ist, sind Neonazis in den verschiedenen Landesteilen Niedersachsens zumeist in überregionale rechtsextremistische Netzwerke eingebunden. Die Bandbreite der Aktivitäten reicht von der Durchführung öffentlichkeitswirksamer Propaganda-, Gedenkoder Störaktionen über die Veranstaltung von Balladenabenden und Zeitzeugenvorträgen bis zur Teilnahme an Demonstrationen oder szeneinternen Großveranstaltungen im gesamten Bundesgebiet. Im Mittelpunkt der Agitation steht die Thematisierung einer drohenden und vermeintlich zum "Volkstod" führenden "Überfremdung", die durch die anhaltende Flüchtlingssituation nochmals verstärkt worden sei. 59 Rechtsextremismus Finanzierung Beiträge der Anhänger, teilweise Vermarktung und Verkauf rechtsextremistischer Devotionalien wie T-Shirts o. Ä. Grund der Beobachtung / Verfassungsfeindlichkeit In ideologischer Hinsicht eint die neonazistische Szene das unterschiedlich ausgeprägte Bekenntnis zum historischen Nationalsozialismus. Ziel ist die Überwindung des bestehenden demokratischen Systems. An dessen Stelle soll ein am Führerprinzip ausgerichteter Staatsaufbau treten, dessen Grundlage eine rassistisch verstandene Volksgemeinschaft bildet. Hiermit richtet sich die neonazistische Szene gegen die im Grundgesetz verbrieften Freiheits-, Gleichheitsund Menschenrechte (Art. 1 - 4 GG) und ist damit verfassungsfeindlich (SS 3 Abs. 1 Nr. 1 NVerfSchG). Die neonazistische Szene sieht sich als eine politisch-soziale Bewegung, die auf stetigen Aktivismus setzt und nicht auf parlamentarische Erfolge. Bestimmend für diese langfristig angelegte Strategie ist eine national-revolutionäre antiparlamentarische Ausrichtung. Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum Die neonazistische Szene in Niedersachsen ist weiterhin geprägt von einer Heterogenität, die gleichermaßen personell und strukturell wie auch aktionistisch zum Ausdruck kommt. Einerseits bestehen Gruppierungen, die durchaus um politische Wahrnehmung mittels öffentlichkeitswirksamer Aktionen wie Flugblattverteilungen, Kundgebungen oder Demonstrationsteilnahmen bemüht sind, während sich ihre Anhängerzahlen im niedrigen einstelligen Bereich bewegen. Anderseits existieren auch Szenen, die zwar über teilweise deutlich höhere Anhängerzahlen verfügen, deren Aktivitäten jedoch nahezu ausschließlich Binnenwirkung entfalten. Zur Verbesserung personeller und organisatorischer Möglichkeiten dienen überregionale Netzwerke. Allerdings ist deren Bedeutung recht gering. Denn das dahinterstehende reale Personenpotenzial fällt im Vergleich zur Größe des jeweiligen Einzugsbereichs oftmals deutlich ab. Personelle und strukturelle Zwänge sind die Ursache für Kooperationen mit der NPD und deren Jugendorganisation Junge Nationalde60 Rechtsextremismus mokraten (JN), ebenso wie mit den rechtsextremistischen Parteien Die Rechte und Der III. Weg. Darüber hinaus sind die Übergänge zur subkulturell geprägten rechtsextremistischen Szene sowie zur islamfeindlichen Hooliganszene teilweise fließend. Nordwestliches Niedersachsen Neonaziszene Ostfriesland (Leuchtfeuer Ostfriesland) In regelmäßigen Abständen veröffentlicht die Gruppierung Leuchtfeuer Ostfriesland in sozialen Medien diverse Beiträge, in denen sich antidemokratische, völkische und ideengeschichtliche Elemente wiederfinden. Neben Personen und Ereignissen mit Bezug zum historischen Nationalsozialismus werden darin auch die NS-Ideologie und das 25-Punkte-Programm der NSDAP glorifiziert, Kapitalismus, Globalisierung oder die "Ehe für alle" abgelehnt. "Das Wesen und die Vergangenheit des deutschen Volkes wurden zum diabolischen Prozess erklärt, welcher ohnegleichen in der Welt sei. Werte wie Treue, Tapferkeit, Ordnungssinn, Pünktlichkeit ... sie alle hatten ins Verderben geführt. Nur eine massive Demokratisierung und nihilistische Entvolkung, welche unter der Kampfparole 'Entnazifizierung' vorangetrieben wurde, konnte den verbrecherischen Geist der Deutschen besiegen. Doch was bleibt, wenn jeglicher Wert zum Unwert, jegliche Sitte zur Unsitte erklärt wird? Nur ein blinder, geschichtsloser und vereinzelter Mensch - Biomasse, die zwar Freiheit sagt, doch Liberalismus meint. ... Doch wenn wir aufhören, die seelisch-moralischen Tabus des demokratischen Neusprechs zu erhalten, dann werden auch die rechtlichen Dogmen dieser humanistischen Völkermordindustrie fallen." (Facebook-Seite von Leuchtfeuer Ostfriesland, 08.05.2017) Darüber hinaus beteiligen sich die Szeneangehörigen an rechtsextremistischen Demonstrationen, Konzerten, szeneinternen Feiern und Liederabenden. 61 Rechtsextremismus Freies Oldenburg Die Aktivitäten der Gruppierung Freies Oldenburg haben ihren Schwerpunkt in der Agitation gegen die Asylund Flüchtlingspolitik. Verbreitungswege sind vor allem soziale Netzwerke im Internet, aber auch Plakataktionen und Flugblattverteilungen. In zahlreichen Internetbeiträgen werden Asylbewerber und Flüchtlinge wie auch Migranten zumeist in fremdenfeindlicher und rassistischer Diktion für einen vermeintlich feststellbaren Anstieg der Kriminalität verantwortlich gemacht. Neben einer engen Kooperation mit örtlichen und regionalen NPD-Strukturen werden aber auch die Aktivitäten der Identitären Bewegung16 wie auch von Rechtspopulisten überwiegend positiv kommentiert. In dem für Anhänger der neonazistischen Szene eher untypischen Aufruf zur Bundestagswahl findet sich folgende Passage: "... Zum ersten Mal seit Jahrzehnten bestehen beste Chancen auf den Einzug einer radikalen, nationalen Oppositionspartei in den Bundestag. ... natürlich sind wir auch nicht mit allem einverstanden was die AFD sagt, aber Wahlboykott oder die Wahl einer bedeutungslosen Splitterpartei stärkt nur die Herrschenden!" (Facebook-Seite von Freies Oldenburg, 11.09.2017) Neonaziszene Emsland und Osnabrück Die politische Aktivitäten der Neonaziszene in den Regionen Emsland und Osnabrück waren seit der faktischen Auflösung des Kreisverbandes Emsland der Partei Die Rechte im Jahr 2015 nahezu zum Erliegen gekommen. Die Szeneangehörigen traten in den vergangenen Jahren überwiegend als Teilnehmer überregionaler Musikveranstaltungen in Erscheinung. Mittlerweile ist jedoch wieder von bestehenden Strukturen auszugehen. Hierfür sprechen neuerliche Aktivitäten der Szene im Landkreis Osnabrück. So fand im September ein Vortragsabend mit dem ehemaligen Pfleger des Hitler-Stellvertreters Rudolf Heß statt, an dem etwa 60 Personen teilnahmen. Weitere Vortragsveranstaltungen, u. a. mit der mehrfach verurteilten Holocaustleugnerin Ursula Haverbeck-Wetzel, sind in Planung. Solche Veranstaltungen werden in der Regel von Auftritten namhafter rechtsextremistischer Liedermacher begleitet. 16 Siehe Kapitel 2.6. 62 Rechtsextremismus Abgesehen von diesen Aktivitäten zählen ehemalige Angehörige der neonazistischen Szene aus Osnabrück und dem Emsland zu den Gründungsmitgliedern des Vereins Volkshilfe e. V., der sich seit dem Jahr 2014 mit Spendenaktionen und sonstigen Unterstützungsleistungen und Hilfsangeboten ausschließlich an Deutsche im völkischen Sinne richtet. Einen Großteil seiner Aktivitäten entfaltet der Verein jedoch im benachbarten Nordrhein-Westfalen. Nordöstliches Niedersachsen Sektion Nordland / Widerstand Ostheide In der Gruppierung Sektion Nordland haben sich Rechtsextremisten aus Hamburg und dem niedersächsischen Umland zusammengeschlossen, die zum Teil bereits seit Jahren der neonazistischen Szene angehören. Entstanden ist die Gruppierung im Jahr 2016 u. a. aus Strukturen der rechtsextremistischen Hooliganszene um das Netzwerk Gemeinsam Stark Deutschland (GSD). Zu ihren Aktivitäten zählen die öffentlichkeitswirksame Teilnahme an Demonstrationen Aktion gegen G20-Gipfel über der Autobahn A7 sowie der Besuch rechtsextremistischer Konzertveranstaltungen, wie z. B. am 15.07.2017 in Themar (Thüringen). Hinzu kommen Protestaktionen gegen den Hamburger G20-Gipfel im Juli ebenso wie Flugblattverteilungen und "Heldengedenken" zum Volkstrauertag im November. Sektion Nordland unterhält daneben Verbindungen zu Gruppierungen und einzelnen Szeneangehörigen in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern. Darüber hinaus lassen sich personelle Überschneidungen und teilweise gemeinsame Aktivitäten mit der Gruppierung Widerstand Ostheide aus dem Bereich Lüneburg feststellen, die im Internet offensiv um Mitglieder und Unterstützer wirbt: "Wir sind eine jung organisierte, politische Gruppe, die den Kampf gegen das politisch menschenunwürdige System aufnimmt. Wir agieren im Großraum Lüneburg, Kreis Ostheide und darüber hinaus. Wer politisch unserer Überzeugung ist und nicht nur zuschauen will, wie unser deutsches Vaterland zugrunde geht, und aktiv etwas tun will, ist bei uns herzlich willkommen. Wir sind Aktivisten und wollen etwas bewirken." (Facebook-Gruppe Widerstand Ostheide, 27.01.2017) 63 Rechtsextremismus Neonaziszene Tostedt Die Neonaziszene Tostedt verfügt weiterhin über ein im Landesvergleich relativ großes und stabiles Personenpotenzial in den Landkreisen Buchholz, Rotenburg/ Wümme und Heidekreis. Im Gegensatz zur szeneinternen Bedeutung der Gruppierung stand lange Zeit der weitgehende Verzicht auf öffentlichkeitswirksame Aktivitäten. Die regionale Szene konzentriert sich nach wie vor überwiegend auf identitätsstiftende und den Zusammenhalt fördernde Veranstaltungen ohne Außenwirkung, zu denen neben Zeitzeugenvorträgen und Konzerten auch Vortragsund Balladenabende zählen. An einem von der regionalen Szene im Juni veranstalteten Sommerfest, in dessen Rahmen auch Liedermacher der rechtsextremistischen Szene auftraten, beteiligten sich etwa 50 Szeneangehörige aus mehreren Bundesländern. Landeshauptstadt und Region Hannover Neonaziszene Hannover Seit dem Verbot der Gruppierung Besseres Hannover im September 2012 ist es regionalen Szeneangehörigen bis heute nicht gelungen, vergleichbare Strukturen in der Landeshauptstadt oder in der Region Hannover wieder aufzubauen. Ansätze für einen strukturellen Personenzusammenschluss weist allenfalls noch die Aktionsgruppe Hannover auf. Diese Kleinstgruppierung ist auf rechtsextremistischen Demonstrationen ebenso präsent wie in diversen sozialen Netzwerken. Die Aktivitäten erfolgen dabei zumeist gemeinsam mit Angehörigen der aus der rechtsextremistischen Hooliganszene stammenden Gruppierung Gemeinsam Stark Hannover sowie mit Szeneangehö64 Rechtsextremismus rigen aus den Bereichen Hildesheim, Nienburg und Salzgitter. Zu den Aktivitäten zählen unregelmäßige Teilnahmen an den montäglichen Kundgebungen des örtlichen Pegida-Ablegers Bürgerprotest Hannover oder ein gemeinsames "Heldengedenken" im Landkreis Wolfenbüttel aus Anlass des Volkstrauertages. Die überwiegend virtuell aktive Kleinstgruppe Nationaler Widerstand Hannover veröffentlicht hauptsächlich negative Berichte über Flüchtlinge, deren Unterbringung und über vermeintliche Gewalttaten von Asylbewerbern. Östliches Niedersachsen Seit dem Zerfall der Gruppierung Aktionsbündnis 38 im Jahr 2014 werden die rechtsextremistischen Aktivitäten im östlichen Niedersachsen weitgehend von den Jungen Nationaldemokraten (JN) im Bereich Braunschweig geprägt. Die örtlichen Vertreter der NPD-Jugendorganisation sind eng mit der niedersächsischen Neonaziszene vernetzt. Beispiele sind zahlreiche gemeinsame Veranstaltungen, die Unterstützung durch Angehörige der Neonaziszene bei Infotischen oder Kundgebungen der JN und die Sonnenwendfeier im Juni in Eschede (Landkreis Celle) mit rund 120 Teilnehmenden oder ein "Heldengedenken" von etwa 40 Rechtsextremisten im November im Landkreis Gifhorn. Gleiches gilt für die Teilnahme von Neonazis an überregionalen Stammtischen der JN sowie an deren Vortragsund Infoveranstaltungen, aber auch an einem von der NPD-Parteijugend organisierten Selbstverteidigungsbzw. Kampfsportseminar im November.17 Kollektiv Nordharz Unter der Bezeichnung Kollektiv Nordharz wurde zu Beginn des Jahres 2017 die neonazistische Szene im Harz neu strukturiert. Angehörige der Gruppierung waren bereits zuvor durch regelmäßige Demonstrationsteilnahmen in Erscheinung getreten, bei denen sie sich im Stil der Autonomen Nationalisten an der Bildung sogenannter Schwarzer Blöcke beteiligten. Diese Aktionen sowie die antikapitalistischen und globalisierungsfeindlichen Parolen auf dem mitgeführten Transparent führten zwischenzeitlich zu einer Orientierung am bun17 Siehe Kapitel 2.7, "Aktivitäten der NPD in Niedersachsen". 65 Rechtsextremismus desweiten Netzwerk Antikapitalistisches Kollektiv (AKK). Nach einer Demonstration zum 1. Mai in Halle (Sachsen-Anhalt) war diese Orientierung zunehmend einer völkischen Ausrichtung gewichen. Durch die regelmäßige Präsenz bei rechtsextremistischen Demonstrationen, Festivals und Konzerten wie auch bei sonstigen szeneinternen Veranstaltungen im Bundesgebiet steigerte das Kollektiv Nordharz seinen Bekanntheitsgrad. Die Organisation von zwei Liederabenden im Februar und April in einem der Gruppe zur Verfügung stehenden Objekt in Bad Harzburg trug ebenfalls zu dieser Entwicklung bei. Die Gruppierung entwickelte sich so zu einem Schwerpunkt der neonazistischen Szene in Niedersachsen. Seit Juni 2017 konzentrieren sich ihre Aktivitäten auf die Vorbereitung und Mobilisierung für den nächsten "Tag der deutschen Zukunft" (TddZ) am 02.06.2018 in Goslar. Im Rahmen der Abschlussdemonstration des TddZ in Karlsruhe war die Gruppierung als kommender Veranstalter präsentiert worden. Im August fand infolge dessen eine Auftaktkundgebung mit 44 Rechtsextremisten in Goslar statt. Zu Werbezwecken für den 10. TddZ sind Angehörige des Kollektiv Nordharz regelmäßig mit entsprechenden Transparenten oder Infoständen bei Demonstrationen, Liederabenden oder szenerelevanten Großveranstaltungen in weiten Teilen der Bundesrepublik vertreten. Im Januar 2018 verkündete die Gruppierung Kollektiv Nordharz ihre Auflösung, um gleichzeitig den neuen Kreisverband Süd-Ost Niedersachsen der Partei Die Rechte zu gründen. Unabhängig von diesem Schritt werden die Vorbereitungen und Mobilisierungsaktivitäten für den TddZ weiter verfolgt. 66 Rechtsextremismus Nationaler Widerstand Niedersachsen/Ost (NWNO) Die seit dem Jahr 2016 im Raum Salzgitter bestehende Gruppierung tritt gelegentlich öffentlich in Erscheinung. Ein Nachweis ihrer Aktivitäten ist die Teilnahme an einer Demonstration zum Gedenken an die "Rheinwiesenlager" in Remagen (Rheinland-Pfalz) im November. Einzelne Angehörige der Gruppierung engagierten sich darüber hinaus im Bundestagswahlkampf der Partei Alternative für Deutschland (AfD). Helden sterben nie Ideologisch weitaus gefestigter sind die u. a. aus dem östlichen Niedersachsen stammenden Initiatoren der Gruppierung Helden sterben nie. Diese sind durch ihre teilweise langjährige Zugehörigkeit zur neonazistischen Szene eng mit anderen Szeneangehörigen aus dem Bundesgebiet vernetzt. Auf einem von ihnen verteilten Flugblatt (Flyer) heißt es: "Wir haben es uns zur Aufgabe gesetzt, so viele Veteranen/Zeitzeugen wie möglich zu uns zu holen und ihre Erlebnisse und Erinnerungen erzählen zu lassen. Diese dürfen einfach nicht verloren gehen und im Sand der Zeit versiegen. Die wenigen, die die Wahrheit noch kennen und vor allem miterlebt haben, müssen unbedingt zu Wort kommen und so viele Menschen wie möglich erreichen. Wir sind bemüht, alle Vorträge aufzuzeichnen, damit auch die Nachwelt noch die Möglichkeit hat diese wichtigen und wertvollen Vorträge zu sehen." Die regelmäßig organisierten Zeitzeugenvorträge mit zum Teil über 100 Zuhörern glorifizieren einerseits das deutsche Soldatentum, relativieren anderseits die Verbrechen der Wehrmacht sowie den Nationalsozialismus und dienen letztlich der ideologischen Untermauerung und der Förderung des Zusammenhalts der neonazistischen Szene. 67 Rechtsextremismus Südliches Niedersachsen Neonaziszene Südniedersachsen / Freundeskreis Thügida bzw. Volksbewegung Niedersachsen Im Jahr 2017 setzte die Gruppierung Freundeskreis Thügida ihre Aktivitäten im südöstlichen Niedersachsen fort, insbesondere während der ersten Jahreshälfte im Bereich Göttingen. Ausdruck dieser Aktivitäten waren zahlreiche Kundgebungen, Mahnwachen und Flugblattverteilungen sowie deren dauerhafte mediale Dokumentation in den sozialen Netzwerken, die nicht zuletzt der Vorbereitung einer eigenen Demonstration unter dem Motto "Gemeinsam für Deutschland" dienten. Die gerichtliche Begrenzung dieser Versammlung auf eine Standkundgebung, welche ursprünglich für die Stadt Göttingen angemeldet worden war, führte dann am 01.04.2017 zu Spontanaufmärschen in Northeim und Friedland (Landkreis Göttingen). Rechtsextremisten aus verschiedenen Regionen Niedersachsens und aus anderen Bundesländern waren angereist, auch wenn die Teilnehmerzahl mit insgesamt rund 100 deutlich hinter den selbstgesteckten Erwartungen blieb. Schließlich war die im Vorfeld vom Freundeskreis Thügida propagierte Vorstellung einer organisationsübergreifenden (Volks-)Bewegung, die neben rechtsextremistischen Parteien auch die AfD miteinschließen sollte, auf ein geteiltes Echo gestoßen. Bundesweit einflussreiche Neonazis distanzierten sich von dieser Idee. In der Folgezeit war eine zahlenmäßige Marginalisierung des Personenpotenzials zu beobachten, mit der zugleich Aktivitäten des Freundeskreises ausblieben. Ein Grund hierfür waren mehrere Ermittlungsverfahren, darunter der Vorwurf der Bildung einer bewaffneten Gruppe gemäß SS 127 StGB gegen sechs Angehörige des Freundeskreises, sowie der damit einhergehende Verfolgungsdruck. Auch die im Mai erfolgte Umbenennung in Volksbewegung Niedersachsen, die eine wachsende Bedeutung suggerieren sollte, änderte nichts an der Situation. Ungeachtet der im Zerfall befindlichen Strukturen dieser sogenannten Volksbewegung Niedersachsen bestehen die gewachsenen Verbindungen im Dreiländereck Hessen, Niedersachsen und Thüringen fort. Zentrale Anlaufstelle für Rechtsextremisten aus dieser Region ist weiterhin das Anwesen des Neonazis und NPD-Funktionärs Thorsten Heise im thüringischen Eichsfeld. Wie weit die Kontakte 68 Rechtsextremismus gehen, zeigt die Verwendung eines Transparents bei Demonstrationen, das noch aus Zeiten der von Heise gegründeten Kameradschaft Northeim stammt, welches aber nach wie vor von Neonazis aus Südniedersachsen und den angrenzenden Bundesländern mitgeführt wird, so auch im August beim zentralen Heß-Gedenkmarsch in Berlin bzw. in Falkensee (Brandenburg). Aktionsgruppe Nienburg Die Aktionsgruppe Nienburg macht seit einigen Jahren unter wechselnden Bezeichnungen wie Nationale Sozialisten Nienburg oder Nationaler Widerstand Nienburg auf sich aufmerksam. Im Mittelpunkt steht dabei die Teilnahme von Einzelpersonen oder Kleingruppen an Demonstrationen im Bundesgebiet. Die Behinderung der eigenen Demonstration im Jahr 2016 und die Übergriffe auf Angehörige der Gruppierung durch Personen aus dem linksextremistischen Spektrum führten im Januar zu einer durch den Landesverband der Partei Die Rechte angemeldeten Demonstration "Gegen linke Gewalt" in Nienburg. Neben Angehörigen der niedersächsischen Neonaziszene, u. a. aus Hannover und Südniedersachsen sowie Vertretern der Gruppierung Kollektiv Nordharz, befanden sich unter den etwa 40 Teilnehmenden auch Mitglieder des Bundesvorstandes und mehrerer Landesvorstände der Partei Die Rechte. Neonaziszenen Schaumburg und Weserbergland Neonazis aus den Regionen Schaumburg und Hameln (Weserbergland) unterhalten enge Kontakte zu neonazistischen Strukturen in der benachbarten Region Ostwestfalen (Nordrhein-Westfalen). Im Vordergrund stand dabei der Besuch szeneinterner Veranstaltungen. Einzelne Personen beteiligten sich auch an politischen Aktivitäten des nordrhein-westfälischen Stützpunktes Hermannsland der Partei Der III. Weg. Die Partei Der III. Weg weist nach wie vor keine Strukturen in Niedersachsen auf. Ungeachtet dessen zählte die Partei im Juni zu den Mitausrichtern der Sonnenwendfeier in Eschede (Landkreis Celle). Vereinzelt erfolgten im Jahr 2017 Flugblattund Propagandaaktionen in den Regionen Hannover, Osnabrück und Peine sowie im Januar 2018 in Hildesheim, die sich jeweils auf einzelne örtliche Aktivisten der Partei zurückführen lassen. Dieser Personenkreis war 69 Rechtsextremismus auch in Störaktionen gegen Wahlkampfveranstaltungen der CDU im August in Steinhude (Region Hannover) sowie im September in Bünde (Nordrhein-Westfalen) involviert. Darüber hinaus beteiligten sich Szeneangehörige an Demonstrationen und Kulturausflügen sowie am "Heldengedenken" zum Volkstrauertag und am Bundesparteitag der Partei Der III. Weg, der jedes Jahr um einen "Tag der Gemeinschaft" erweitert wird. Demonstrationen und Kampagnen der rechtsextremistischen Szene Demonstrationen sind für die neonazistische Szene das wichtigste Mittel, um ihr ideologisches Anliegen in die Öffentlichkeit zu tragen und um sich gleichzeitig als Bewegung zu präsentieren. Demonstrationen können als Indikator für die thematische Schwerpunktsetzung und die Mobilisierungsfähigkeit der rechtsextremistischen Szene angesehen werden. Grundsätzlich ist festzustellen, dass die Bereitschaft zur Demonstrationsteilnahme in den letzten Jahren nachgelassen hat. Dies zeigte sich insbesondere an der wiederholten Absage des Gedenkmarsches in Bad Nenndorf, der seit dem Jahr 2016 nicht mehr stattfindet. Traditionell teilnehmerstarke Demonstrationen wie die sogenannten Trauermärsche aus Anlass der Bombardierungen von Magdeburg und Dresden verloren durch stark rückläufige Teilnehmerzahlen ebenfalls erheblich an Relevanz. Zu den größeren Demonstrationen im Jahr 2017 mit nennenswerter Beteiligung niedersächsischer Neonazis zählte die von der Partei Die Rechte und Vertretern der Neonaziszene veranstaltete Kundgebung zum 1. Mai in Halle (Sachsen-Anhalt) mit circa 670 Teilnehmenden, die infolge von Blockaden auf der Aufmarschstrecke nach Köthen (Sachsen-Anhalt) und Apolda (Thüringen) auswichen, wo es zu Auseinandersetzungen mit der Polizei kam. Im Juni fand die ebenfalls von der Partei Die Rechte in Karlsruhe organisierte Abschlussdemonstration der neonazistischen Kampagne "Tag der deutschen Zu70 Rechtsextremismus kunft" (TddZ) mit rund 300 Teilnehmenden statt. Dort wurde verkündet, dass die 10. Auflage dieser zentralen Veranstaltungsreihe der neonazistischen Szene am 02.06.2018 in Goslar stattfinden soll. Wegen seines identitätsstiftenden Charakters war auch der aus Anlass des 30. Todestages von Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß im August durchgeführte Aufmarsch in Berlin-Spandau mit etwa 750 Teilnehmenden von zentraler Bedeutung für die neonazistische Szene. Weitere 250 Rechtsextremisten, die sich noch auf der Anreise befanden, darunter der überwiegende Teil der niedersächsischen Teilnehmer, führten aufgrund von Blockaden auf der Bahnstrecke eine Spontanversammlung in Falkensee (Brandenburg) durch. Neben diesen Demonstrationen sind szeneinterne Traditionsund Großveranstaltungen mit Festivaloder Eventcharakter auch für Angehörige der neonazistischen Szene von erheblicher Bedeutung. Dies zeigt sich in Niedersachsen seit Jahren an der Sonnenwendfeier in Eschede (Landkreis Celle), die im Juni von verschiedenen Akteuren des rechtsextremistischen Spektrums gemeinsam ausgerichtet wurde. U. a. waren aus der Neonaziszene die Frauengruppierung Düütsche Deerns und der Freundeskreis Gefangenenhilfe, aus dem Bereich der Parteien die NPD/JN, Die Rechte und neuerdings auch Der III. Weg daran beteiligt. An der diesjährigen Jubiläumsveranstaltung unter dem Motto "25 Jahre - Widerstand im Heide(n)land" nahmen rund 120 Rechtsextremisten teil.18 Darüber hinaus zählten Angehörige der niedersächsischen Neonaziszene zu den Besuchern diverser Events, die bundesweit mediale Beachtung fanden. Hierzu gehörten mehrere Festivals in der thüringischen Kleinstadt Themar, die als politische Kundgebungen angemeldet waren, deren jeweiliger Charakter aber vor allem durch die Auftritte namhafter rechtsextremistischer Bands geprägt wurde und weniger durch politische Reden. Die größte dieser Veranstaltungen fand im Juli unter dem Motto "Rock gegen Überfremdung" mit rund 6.000 Besuchern statt.19 Bei dem im Oktober in Kirchhundem (Nordrhein-Westfalen) bereits zum fünften Mal ausgetragenen "Kampf der Nibelungen" standen dagegen 18 Siehe Kapitel 2.7, "Aktivitäten der NPD in Niedersachsen" und Kapitel 2.8, "Enge Vernetzung mit Neonazis und subkulturell geprägten Rechtsextremisten". 19 Siehe Kapitel 2.4, "Rechtsextremistische Musikszene". 71 Rechtsextremismus die zunehmende Bedeutung und die professionelle Verbindung von Kampfsport und Rechtsextremismus im Blickpunkt: "Die Zeiten haben sich geändert, es geht nicht mehr um Musik und Suff, sondern die deutsche Jugend steht auf. Sie geht in Fitnessstudios und Kampfsportschulen um sich auf das kommende gefasst zu machen. Denn die Zeiten werden nicht leichter, sondern härter und schlimmer." (Facebook-Seite der Veranstalter, 18.10.2017) Auch bei dem für April 2018 in Sachsen angekündigten mehrtägigen Festival "Schild & Schwert - Reconquista Europa", das neben Politikforen, Verkaufsund Infoständen auch eine Tattoo-Convention sowie Konzerte bekannter rechtsextremistischer Bands umfasst, ist eine kleinere Ausgabe vom "Kampf der Nibelungen" geplant. Mit der Veranstaltung soll der Versuch unternommen werden, Politik, Ideologie und rechtsextremistischen Lifestyle miteinander zu verbinden. Trotz der Vorbehalte von verschiedener Seite verfolgen die Verantwortlichen der Kampfveranstaltung langfristig das Ziel, die rechtsextremistische Szene im Sinne der gemeinsamen Sache zusammenzuführen: "Wir haben zugesagt obwohl wir es als Ganzes kritisch betrachten. Besucher die zu einem Konzert wollen, mit unserer Idee zu vereinbaren, fällt nicht immer leicht. Aber wir glauben eine Volksgemeinschaft kann nur funktionieren, wenn wir alle zusammen stehen. Und dies wird Europa in Zukunft benötigen." (Facebook-Seite "Kampf der Nibelungen", 24.11.2017) Bewertung, Tendenzen, Ausblick Die bereits seit einigen Jahren anhaltende personelle und aktionistische Stagnation der neonazistischen Szene dauerte im Jahr 2017 fort. Ausschlaggebend sind Attraktivitätsverlust und mangelnde Anschlussfähigkeit infolge einer unzeitgemäßen und vergangenheitsbezogenen ideologischen Verengung auf den historischen Nationalsozialismus. Gruppierungen stellten ihre Aktivitäten ein, verzichteten auf politisch geprägte Aktionen, reduzierten diese auf ein öffentlich nicht wahrnehmbares Maß oder sind lediglich noch virtuell präsent. Die Entstehung neuer Gruppierungen war hingegen nur in wenigen Einzelfällen zu beobachten. 72 Rechtsextremismus Durch das Fehlen einer Koordinierung oder Steuerung der politischen Aktivitäten vollzieht sich die Entwicklung der neonazistischen Szene in Niedersachsen uneinheitlich. Dies spiegelt sich einerseits in der reinen Größe der Gruppierungen und zumeist losen Netzwerke wider, andererseits in der von den verbliebenen lokalen oder regionalen Strukturen unterschiedlich praktizierten Zusammenarbeit untereinander. Kooperationen über teilweise große räumliche Entfernungen sind ebenso feststellbar wie verschiedene Konstellationen mit Personen und Strukturen anderer Spektren. So sind in einigen Fällen auch Verbindungen zu den Parteien Die Rechte, Der III. Weg sowie zur NPD oder zu deren Jugendorganisation Junge Nationaldemokraten (JN) zu beobachten, die jedoch häufig auf persönlichen Kennverhältnissen beruhen. Daneben bestehen Kontakte zu überwiegend subkulturell geprägten Bruderschaften wie Nordic 12 (Bremer Umland), Brigade 8 (Hannover) und Blood Brother Nation (Oldenburg und Vechta) oder zur rechtsextremistisch beeinflussten Hooliganszene. Nur durch diese Kooperationen scheint es der neonazistischen Szene derzeit möglich, das grundsätzlich schwindende Mobilisierungspotenzial oberflächlich zu kompensieren. Ungeachtet dessen dürfte von der Neonaziszene weiterhin die Vorstellung von einer rassistisch verstandenen homogenen Volksgemeinschaft als idealtypischer, zeitlos moderner Gegenentwurf zur liberalen und multikulturellen Gesellschaft gesehen und propagiert werden. Anhänger der neonazistischen Szene werden deshalb auch zukünftig versuchen, die daraus resultierenden fremdenfeindlichen und rassistischen Überzeugungen verschärft in den gesellschaftlichen Diskurs zur Flüchtlingsund Einwanderungsthematik einfließen zu lassen. Es besteht hierdurch die abstrakte Gefahr einer weiteren Radikalisierung, die in Gewalttaten gegen Asylsuchende und Flüchtlingsunterkünfte, aber auch gegen Helferinnen und Helfer sowie gegen Politikerinnen und Politiker münden kann. 73 Rechtsextremismus 2.6 Identitäre Bewegung Deutschland (IBD) Gründung / Oktober 2012; als eingetragener Verein mit Sitz in Paderborn Bestehen seit (Nordrhein-Westfalen) seit August 2014: Identitäre Bewegung Deutschland e. V. Struktur / Bundesweit diverse Regionalund Ortsgruppen; Schwerpunkte Repräsentanz in Niedersachsen sind der Raum Hannover-Hildesheim-Braunschweig sowie der Raum Lüneburg Mitglieder / Anhänger Bund: 500 Land: 50 / Unterstützer Veröffentlichungen Eigene Internetseite (Allgemeines) mit Verlinkungen zu Internetpräsentationen herausragender Kampagnen ("Defend Europe", "Kein Opfer ist vergessen"). Die einzelnen Regionalund Ortsgruppen sind mit eigenen Profilseiten auch in den gängigen Sozialen Netzwerken zu finden. Kurzportrait / Ziele Die Identitäre Bewegung Deutschland (IBD) ist eine aktivistische Gemeinschaft im europäischen Rechtsextremismus, deren Vertreter auch in Niedersachsen lokale Untergruppen gebildet haben. Die IBD ist in einer netzwerkähnlichen Struktur organisiert und basiert auf Personenzusammenschlüssen vor allem jüngerer Menschen zwischen 18 und 30 Jahren. Ideologisch wird die IBD dem Umfeld der Neuen Rechten20 zugeordnet und gehört zu einem intellektuell geprägten Spektrum im organisierten Rechtsextremismus, das sich auf die antidemokratischen Theoretiker der "Konservativen Revolution" beruft. Belege hierfür sind ihre programmatischen Positionierungen und ihr ideologisches Konzept der "ethnokulturellen Identität", aber auch diverse europaweite Kontakte zu Personen und Organisationen der Neuen Rechten. Im Gegensatz zu den Denkzirkeln der Neuen Rechten führt die IBD jedoch auch konkrete Aktionen durch und verbreitet diese anschließend medial aufbereitet im Internet. 20 Die mit dem Begriff Neue Rechte bezeichnete ideologische Strömung beruft sich auf die "Konservative Revolution", eine intellektuelle Strömung antidemokratischen Denkens in der Weimarer Republik. Der Begriff wird aber nicht einheitlich verwendet. Manche Autoren erfassen mit diesem Begriff den um Theoriebildung bemühten Teil des Rechtsextremismus in seiner Gesamtheit. 74 Rechtsextremismus Finanzierung Die IBD finanziert sich aus Mitgliedsbeiträgen, Spenden und dem Verkauf von Artikeln im Internetshop der Organisation. Die eigene Vermarktung erfolgt über eine Internetseite. Grund der Beobachtung / Verfassungsfeindlichkeit Die IBD versteht sich als Ableger der Identitären Bewegung Österreich und der französischen Jugendorganisation Generation Identitaire (GI). Insbesondere die GI diente der IBD in ihrer Gründungsphase als Vorbild für eigene Aktivitäten. Bei der GI handelt es sich um die Jugendorganisation des Bloc identitaire, der die Nachfolgeorganisation der aufgrund rassistischer und gewalttätiger Aktivitäten im Jahr 2002 verbotenen Gruppierung Unite radicale darstellt und von den französischen Behörden als rechtsextremistisch eingestuft wird. Erkennungszeichen der Identitären Bewegung ist das Lambda, der elfte Buchstabe des griechischen Alphabets, in einem Kreis. Das Symbol war im antiken Griechenland das Erkennungsmerkmal der Spartaner, die u. a. im 5. Jahrhundert v. Chr. gegen die Invasion der Perser kämpften. In Anlehnung an den US-amerikanischen Kinofilm "300" wird der Bezug zu den Soldaten des spartanischen Heeres hergestellt, die auf ihren Schilden das Lambda trugen. Die Mitglieder der Identitären Bewegung sehen sich in der Tradition der Spartaner und tragen dies mit der Verwendung des Lambda öffentlich zur Schau. Die IBD betrachtet sich als Bestandteil einer europaweiten Bewegung. Ihr Ziel ist es, die europäische Jugend im Kampf für die ihrer Meinung nach bedrohte Freiheit und kulturelle Identität zu vereinen. Ihre vornehmliche Aufgabe sieht die IBD folglich in der Verteidigung und Bewahrung von "Heimat, Freiheit, Tradition". An erster Stelle stehe hierbei der Erhalt der "ethnokulturellen Identität", die durch einen befürchteten "demographischen Kollaps" sowie durch angebliche "Massenzuwanderung" und "Islamisierung" bedroht sei. Das Konzept der "ethnokulturellen Identität" bezeichnet dabei einen völkischen Nationalismus bzw. Regionalismus im europäischen Kontext. In Anlehnung an den Franzosen Alain de Benoist, der einer der maßgeblichen Vordenker der Neuen Rechten in Europa ist, wird darunter eine ethnische, religiöse und kulturelle Prägung von Gemeinschaften und ganzen Völkern verstanden, durch die allein sich die Identität des Einzelnen definiere. 75 Rechtsextremismus Die IBD richtet sich deshalb vehement gegen Multikulturalismus und propagiert einen europäischen Ethnopluralismus, der erstens die vermeintlich zu verteidigenden kulturellen und zugleich angeblich naturgegebenen Unterschiede zwischen ethnischen Gruppen im Sinne eines kulturellen Rassismus begründet und der zweitens dementsprechend die strikte räumliche und kulturelle Trennung unterschiedlicher Ethnien fordert. Die Positionen der IBD sind vor allem von einer zum antimuslimischen Rassismus tendierenden Islamfeindlichkeit geprägt. Die IBD behauptet eine Unvereinbarkeit und Feindschaft der Muslime mit der einheimischen Bevölkerung und schreibt ihnen unabänderliche Wesensmerkmale (frauenfeindlich, unehrlich, machtbesessen usw.) pauschal zu. Ethnische Zugehörigkeiten werden auf diese Weise kulturalisiert und religiös überhöht, auch um an bestehende fremdenund islamfeindliche Ressentiments in der Bevölkerung anknüpfen zu können. Hiermit richtet Sie sich die IBD gegen die im Grundgesetz verbrieften Freiheits-, Gleichheitsund Menschenrechte (Art. 1 - 4 GG) und ist damit verfassungsfeindlich (SS 3 Abs. 1 Nr. 1 NVerfSchG). Seit die IBD im September 2014 ihre Kampagnenfelder auf das Thema Asylsuchende ausgeweitet hat, ist eine weitere Radikalisierung festzustellen. Nach Meinung der Identitären sind die Asylsuchenden in ihrer großen Mehrzahl "aggressive Kolonisatoren, die die indigene Bevölkerung immer weiter verdrängen und nicht integrierbar sind". Im Zuge der Asylpolitik der Bundesregierung fokussierte sich die IBD unter Initiierung der Kampagne "Großer Austausch" fortan auf dieses Themenfeld. Im Jahr 2016 wurde die Kampagne mit der Forderung nach "Remigration" weitergeführt und wiederholt mit dem Hinweis auf eine angeblich gestiegene Bedrohungslage durch "Kriminelle und Terroristen" im Zuge der vermeintlichen "Islamisierung" Deutschlands und Europas verbunden: "Ihr habt gesagt, unter den Einreisenden sind keine Terroristen und Kriminellen. Nun müssen wir die Schande von Köln und das Blut von Ansbach, Würzburg und Berlin beklagen. ... Dafür gibt es nur eine Lösung, Grenzen dicht und #Remigration. Wir haben die Mittel dazu." (Facebook-Seite der IBD, 13.01.2017) 76 Rechtsextremismus Auch im Jahr 2017 wollte sich die IBD der "unkontrollierten, massenhaften Zuwanderung aus muslimischen Kulturkreisen, ... der unsere freiheitliche Lebensweise ein Dorn im Auge ist, ..." entgegenstellen und fokussiert sich noch stärker auf dieses Kernthema der Organisation. 21 Vermehrt werden auch die Folgen terroristischer Anschläge innerhalb Europas genutzt, um Asylsuchende (insbesondere Muslime) pauschal zu kriminalisieren. Dies verdeutlicht auch die Kampagne des Jahres 2017 mit dem Titel "Kein Opfer ist vergessen": "Die Zahl der Toten, die Multikulti und Masseneinwanderung inzwischen gefordert haben, ist vor allem in den letzten Jahren enorm angestiegen. ... Es sind von der Regierung zugelassene oder sogar geförderte Verbrechen gegen das eigene Staatsvolk." (Internetseite der Kampagne "Kein Opfer ist vergessen") Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum Volkstanzwochenenden als Form von überregionalen Treffen An Wochenenden im Januar (07. bis 08.01.2017) und April (07. bis 09.04.2017) organisierte die IBD in Niedersachsen und "Mitteldeutschland" Volkstanzwochenenden, an denen bis zu 30 Mitglieder teilnahmen, um dort gemeinsam traditionelle deutsche Tänze einzustudieren. Auf der Facebook-Seite der Identitären Bewegung Niedersachsen heißt es, die Tänze sollen die "Wesensart" eines Volkes ausdrücken und das Bewusstsein für eine "traditionelle deutsche Kultur" stärken. Die Verbindung zu den eigenen "kulturellen Wurzeln" diene gleichzeitig der "Stärkung der Gemeinschaft". Es wurden weitere Veranstaltungen dieser Art angekündigt. Fremdenfeindliche Aktion auf der Mönckebergstraße in Hamburg Am 06.05.2017 stellten Aktivisten der IBD auf der Mönckebergstraße in Hamburg ein Anschlagsszenario anhand von etwa 20 niedergelegten, lebensgroßen Stoffpuppen, die mit Kunstblut sowie Namen von Terroropfern versehen waren, nach. Diese "standen sinnbildlich für diejenigen Europäer, die in jüngster Zeit Opfer einer kriminellen Einwanderungspolitik, einer naiven Willkommenskultur und der Fortsetzung der MultikultiIdeologie wurden." (Facebook-Seite der IB Niedersachsen vom 06.05.2017) 21 Facebook-Seite der IBD vom 04.09.2017. 77 Rechtsextremismus Am Rande der ähnlich eines Tatortes mit Flatterband abgesperrten Fläche, zeigten Mitglieder der IBD, u. a. auch aus Niedersachsen, ein Transparent mit der Aufschrift "#Remigration www.identitäre-bewegung.de". Die Aktion wurde medial aufbereitet und über die sozialen Netzwerke geteilt. 22 Medienwirksame neue Kampagne "Defend Europe" der Identitären Bewegung Am 12.05.2017 starteten Ländervertreter der Identitären Bewegung aus Österreich, Deutschland, Italien und Frankreich die Mission "Defend Europe" im Mittelmeer, indem sie versuchten, ein Schiff der Hilfsorganisation SOS Mediterranee im Hafen von Catania (Italien) mittels eines Schlauchbootes an der Weiterfahrt zu hindern. Die Kampagne "zur Rettung und Verteidigung Europas" hatte sich zum Ziel gesetzt, mit einem eigenen Schiff "die skandalösen Aktivitäten der NGOs für die ganze Welt sichtbar zu machen"23 und "illegale Migranten davon abzubringen, auch nur einen Fuß auf unseren Kontinent zu setzen."24 Hierfür wollten die Aktivisten von einem eigenen Boot aus mit der libyschen Küstenwache zusammenarbeiten und diese auf im Mittelmeer treibende Flüchtlingsboote aufmerksam machen, um die Bootsinsassen wieder nach Nordafrika zurückzubringen und die Boote zu zerstören. Parallel zu den Aktivitäten im Mittelmeer wurde eine eigene Internetseite für "Defend Europe" eingerichtet, die in Form eines sogenannten Crowdfundings die Möglichkeit zur finanziellen Unterstützung bot. Innerhalb kurzer Zeit generierte die Identitäre Bewegung auf diese Weise eine fünfstellige Summe, so dass im Juli 2017 das eigens gecharterte Boot in See stechen konnte. 25 Bis Anfang September 2017 wurden Spendengelder in Höhe von mehr als 230.000 US-Dollar für die Fortführung der Aktion gesammelt. "Defend Europe" erfuhr europaweit eine erhebliche Medienpräsenz und wurde seitens der Identitären Bewegung als großer Erfolg gewertet: "Libyen verweigert ab jetzt den Pro-Immigrations NGOs Zugang zu 22 Facebook-Seite der IB Niedersachsen vom 06.05.2017. 23 Facebook-Seite der Kampagne "Defend Europe" vom 04.08.2017. 24 Facebook-Seite der Kampagne "Defend Europe" vom 04.10.2017. 25 Facebook-Seite der IBD vom 07.07.2017. 78 Rechtsextremismus seinen Hoheitsgewässern. Ein weiterer Sieg für die Defend Europe Mission ..."26 [sic!]; "das Mittelmeer ist nicht mehr der Spielplatz von Schmugglern und NGOs."27 Protestaktion vor dem Bundesjustizministerium in Berlin Am 19.05.2017 fanden sich etwa 50 Aktivisten vor dem Bundesjustizministerium in Berlin ein, unter ihnen auch Personen aus Niedersachsen, um gegen das durch Bundesjustizminister Maas initiierte "Netzwerkdurchsetzungsgesetz" zu protestieren. Einige Teilnehmer waren mit Uniformen des früheren Ministeriums für Staatssicherheit bekleidet. Nach Auffassung der IBD resultiere aus dem Gesetz eine Einschränkung der Meinungsfreiheit, gegen die vehement protestiert werden müsse. Vor dem Zugang des Gebäudes wurden Transparente mit der Aufschrift "Zensur - Ministerium" und "Alles schon vergessen? Gegen Zensur und Meinungsverbote" gezeigt. Die IBD verleiht mit der Aktion ihrer Befürchtung Ausdruck, dass ihre in den sozialen Medien offen gezeigte Fremdenfeindlichkeit der "Zensurbestrebung" unterliegen könnte, und sieht sich infolge dessen der "Willkür eines linken Denunziantentums ausgesetzt". 28 Bei der Abfahrt eines von der Identitären Bewegung gemieteten Kleintransporters wurde von dem Fahrer ein vor Ort eingesetzter Polizist angefahren und leicht verletzt. Demonstration der Identitären Bewegung in Berlin Unter dem Motto "Zukunft Europa - bewegen und verändern" mobilisierte die Identitäre Bewegung auf den bekannten Facebook-Seiten der Organisation für ihre Demonstration am 17.06.2017 in Berlin mit folgenden Worten: "Wir sind die Jugend, die eine Zukunft für Europa will. ... Wir kämpfen für ein Europa ohne Terror und islamische Expansionsbestrebungen. ... Wir sind angetreten für die patriotische Veränderung. Die Zukunft wird identitär sein und wir erkämpfen das ehrliche Recht für die Jugend Europas." (Facebook-Seite der IB Niedersachsen, 26.04.2017) 26 Facebook-Seite der Kampagne "Defend Europe" vom 10.08.2017. 27 Facebook-Seite der Kampagne "Defend Europe" vom 15.08.2017. 28 Facebook-Seite der IBD vom 19.05.2017. 79 Rechtsextremismus Am Demonstrationstag versammelten sich insgesamt rund 700 Personen am Startpunkt des Demonstrationszuges in Höhe des Bahnhofes Gesundbrunnen in Berlin-Wedding. Zu der Veranstaltung reisten Aktivisten der Identitären Bewegung aus dem gesamten Bundesgebiet, auch aus Niedersachsen, sowie aus dem europäischen Ausland an. Zudem befanden sich unter den Teilnehmenden Angehörige anderer rechtsextremistischer Gruppierungen. Die Veranstaltung 2017 in Berlin stellte die Fortführung von Demonstrationen der Identitären Bewegung aus dem vergangenen Jahr dar, zu denen ebenfalls eine europaweite Anreise von Aktivisten verzeichnet werden konnte. Islamfeindliche Transparentund Flugblattaktion zum Schützenfest in Hannover Während des Schützenausmarsches am 02.07.2017 zeigten mit einer vermeintlichen Burka bekleidete Mitglieder der Identitären Bewegung Niedersachsen von einem Parkhausdach in der hannoverschen Innenstadt ein Transparent mit der Aufschrift "Heute Tracht - Morgen Burka". Weiterhin warfen die Aktivisten Papierschnipsel mit der Aufschrift "Identitäre Bewegung Niedersachsen" auf den vorbeiziehenden Umzug hinab. Der Protest sollte nach eigenen Angaben die Beeinflussung und "Machtausübung" des Islams auf den deutschen Alltag bewusst machen. Fremdenfeindliche Transparentaktion am Braunschweiger Schloss Am 09.09.2017 gelangten Aktivisten der Identitären Bewegung Niedersachsen auf das Dach des Schlosses in Braunschweig, wo sie großflächige Transparente mit dem Lambda-Symbol und der Aufschrift "Defend Europe - Grenzen schützen - Leben retten" an der Balustrade aufhängten sowie Leuchtfeuer entzündeten. Mit der Aktion sollte auf die Problematik der illegalen Migration und den damit einhergehenden "schleichenden Verlust der inneren Sicherheit und staatlichen Ordnung" hingewiesen werden. 29 29 Facebook-Seite der IB Niedersachsen vom 11.09.2017. 80 Rechtsextremismus Neue bundesweite Kampagne "Kein Opfer ist vergessen" Am 04.11.2017 fand in der Berliner Innenstadt der Auftakt zur neuen Kampagne "Kein Opfer ist vergessen" statt. Gegen Mittag gelangten Aktivisten der IBD, die hierfür auch aus Niedersachsen und anderen Bundesländern angereist waren, mit Bauhelmen und Warnwesten bekleidet auf das Dach eines leerstehenden Gebäudes (ehem. Haus der Statistik) in der Nähe des Alexanderplatzes. Zeitgleich verschafften sich Aktivisten Zugang zum zweiten Obergeschoss des Europa-Centers nahe dem Breitscheidplatz. An beiden Örtlichkeiten wurde ein großflächiges Transparent mit der Aufschrift "Damit die Erinnerung nicht stirbt - Opfer von Multikulti" entrollt, das zudem Portraitaufnahmen und Personalien von Opfern des islamistischen Terroranschlages am 19.12.2016 auf dem Breitscheidplatz zeigte. Zu lesen war dort außerdem ein Hinweis auf die Internetseite der neuen Kampagne Kein-Opfer-ist-vergessen. Videos und Bildmaterial zu beiden Aktionen wurden nicht nur in den sozialen Netzwerken hochgeladen und geteilt, sondern fanden sich sowohl auf der genannten Internetseite als auch auf der Hauptseite der IBD, wo sich auch ein entsprechendes Statement fand: "Wir geben den Opfern von Multikulti, Masseneinwanderung und Islamisierung mit der Kampagne 'Kein Opfer ist vergessen' ein Gesicht und ihre Stimme zurück!" (Internetseite der IBD vom 08.11.2017) Die Aktionen in der Nähe vom Breitscheidplatz sowie am Alexanderplatz, einem vermeintlichen "Hot-Spot der Migrantenkriminalität und traurigen Symbol staatlicher Kapitulation", seien als Auftakt für die kommende Kampagne zu verstehen.30 30 Internetseite der IBD vom 08.11.2017. 81 Rechtsextremismus Aktionen im Zusammenhang mit der Kampagne "Kein Opfer ist vergessen" In der darauffolgenden Zeit führte die IBD bundesweit Aktionen im Zusammenhang mit der Kampagne durch und verbreitete diese medial. Besonders spektakulär war die Installation von fünf großformatigen Betonquadern ("Anti-Terror-Sperren") am Jahrestag des Terroranschlages vom Breitscheidplatz unmittelbar unterhalb des Brandenburger Tores in Berlin. Bei den Quadern, die u. a. mit einem Kreuz und der Aufschrift "den Opfern des islamistischen Terrors" versehen waren, handelte es sich laut der IBD um das "erste europäische Denkmal für die Opfer von Multikulti und islamistischen Terrorismus". 31 Um den Anblick einer "Gedenkstätte" zu vervollkommnen, wurden zudem gerahmte Portraitaufnahmen von Opfern aufgestellt, Grablichter platziert sowie Blumen niedergelegt. Auch in Niedersachsen unterstützten Aktivisten die Kampagne. An der Zufahrt zum Weihnachtsmarkt in Braunschweig wurden an den offiziellen Betonquadern mehrere Grablichter platziert sowie Plakate mit der Aufschrift "Ermordet Verhöhnt Vergessen - Sie starben infolge von Masseneinwanderung und offenen Grenzen" angebracht. Entsprechend aufbereitet wurde die Aktion in Text und Bild auf der Facebook-Seite der Identitären Bewegung Niedersachsen dokumentiert.32 In Lüneburg platzierten Aktivisten an zwei Brücken Gedenktafeln mit der Überschrift "Multikulti tötet" samt Grablichtern, die laut eigener Aussage an Maria L. erinnern sollten, eine im Jahr 2016 durch einen afghanischen Flüchtling in Freiburg ermordete Studentin.33 Vernetzung durch regionale Stammtische und Schulungsabende der Identitären Bewegung in Niedersachsen Im Verlauf des Jahres 2017 bewarb die Identitäre Bewegung Niedersachsen auf ihrer Facebook-Seite regelmäßig Stammtische in 31 Facebook-Seite der IBD vom 19.12.2017. 32 Facebook-Seite der IB Niedersachsen vom 18.12.2017. 33 Facebook-Seite der IB Niedersachsen vom 09.12.2017. 82 Rechtsextremismus Braunschweig, Hannover und Hildesheim, um sowohl neue Interessenten auf lokaler Ebene anzusprechen als auch um die Vernetzung der bereits vorhandenen Mitglieder voranzutreiben. Darüber hinaus wurde am 14.11.2017 der erste Schulungsabend der Identitären Bewegung Niedersachsen mit der Schwerpunktsetzung "Umgang mit der Polizei und dem Staatsschutz" sowie "Aktionen - Aber richtig!" veranstaltet. Die Fortführung dieser Treffen soll laut eigenen Angaben dem Erfahrungsaustausch der Aktivisten im "Kampf gegen den Großen Austausch" dienen.34 Bewertung, Tendenzen, Ausblick Unter dem Motto "Defend Europe" initiierte die Identitäre Bewegung in diesem Jahr eine weitere großangelegte Kampagne, die den internationalen Charakter der Organisation unterstreichen konnte. "Defend Europe" verdeutlicht die Professionalisierung der Identitären Bewegung in ihren Aktionsformen und zeigt ein methodisches Vorgehen in der Nutzung sozialer Medien zur Mobilisierung einer breiten Anhängerschaft. Bemerkenswert ist die hohe Motivation, die bei Sympathisanten und Mitgliedern geweckt werden konnte, um das Crowdfunding-Projekt zu unterstützen, was nicht zuletzt auf eine beträchtliche Finanzkraft der Organisation hinweist, die im Hintergrund wirkt. Ihre Fähigkeit zur Realisierung dieses Projektes hat eine starke Signalwirkung und zeigt Ihr Vernetzungspotenzial sowie die gefestigten Strukturen zur Umsetzung des aktionsorientierten Handelns im europäischen Kontext. Durch das Hineintragen emotional aufgeladener Themen in den öffentlichen Raum erreicht die Identitäre Bewegung eine Anschlussfähigkeit für breitere gesellschaftliche Kreise. Die Kampagne steht inhaltlich für eine Fortführung der ideologisch-programmatischen Forderung nach dem Erhalt der "ethnokulturellen Identität" und zeigt in der begleitenden Darstellung im Internet unverkennbar fremdenfeindliche Positionen bis hin zu völkisch-nationalistischen Haltungen. 34 Facebook-Seite der IB Niedersachsen vom 15.11.2017. 83 Rechtsextremismus Ideologisch verfolgt die Identitäre Bewegung damit weiterhin einen Ethnopluralismus, der Menschen aufgrund kultureller Zugehörigkeiten klassifiziert und bewertet. Der Einzelne wird nicht als Individuum, sondern als Teil eines Kollektivs wahrgenommen, dem bestimmte unabänderliche Merkmale und Eigenschaften zugeschrieben werden. Im Sinne eines volksgemeinschaftlichen Denkens wird hierbei die Identität eines Menschen aufgrund seiner ethnischen Herkunft definiert. Die Identität eines Volkes bzw. einer Nation ist demnach vor allem durch die jeweiligen kulturellen Eigenheiten und Errungenschaften geprägt. Den ideologischen Bezugsrahmen bieten rechtskonservative Theoretiker der Weimarer Republik wie Ernst Jünger, Carl Schmitt und Oswald Spengler, die zu den antiliberalen und antiegalitären Denkzirkeln der "Konservativen Revolution" gezählt werden. So steht im Mittelpunkt der identitären Ideologie ein kollektivistisches Begriffsverständnis von "Freiheit, Heimat, Tradition", das primär auf Ausgrenzung, Abwertung und Ungleichheit setzt und sich kategorisch gegen die Prinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung richtet. 2.7 Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) Sitz / Verbreitung Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) Sitz des Bundesverbandes: Berlin; Sitz des Landesverbandes: Oldenburg Junge Nationaldemokraten (JN)35 Sitz des Bundesverbandes: Alt Krenzlin (MecklenburgVorpommern); Sitz des Landesverbandes: nicht bekannt Gründung / 1964; 1969 der Jugendorganisation Bestehen seit 35 Die JN haben sich auf ihrem Bundeskongress am 13.01.2018 in Junge Nationalisten umbenannt. 84 Rechtsextremismus Struktur / Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) Repräsentanz Bundesvorsitzender: Frank Franz; Landesvorsitzender: Ulrich Eigenfeld; wenige handlungsfähige Unterbezirke in Niedersachsen Junge Nationaldemokraten (JN) Bundesvorsitzender: Sebastian Richter; Landesvorsitzender: Manfred Dammann; außer in Braunschweig keine handlungsfähigen Stützpunkte in Niedersachsen Mitglieder / Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) Anhänger / Bund: 4.500 Land: 300 Unterstützer Junge Nationaldemokraten (JN) Bund: 280 Land: 10 Veröffentlichungen Bund: Deutsche Stimme (DS) (monatlich); Web-Angebote auf Bundesund Landesebene sowie in sozialen Netzwerken Kurzportrait / Ziele Die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) ist eine rechtsextremistische Partei, die die Demokratie in Deutschland beseitigen will und stattdessen offen und aggressiv fremdenfeindliche, rassistische und antisemitische Positionen propagiert. Ihre von völkisch-rassistischen Vorstellungen geleitete Programmatik weist eine ideologische und sprachliche Nähe zur Ideologie der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) auf. Finanzierung Staatliche Parteienfinanzierung, Mitgliedsbeiträge und Spenden Grund der Beobachtung / Verfassungsfeindlichkeit Die NPD lehnt die freiheitliche Demokratie ab und will diese beseitigen. Dies betrifft auch einzelne wesentliche Prinzipien und Grundwerte unserer Verfassung. So negiert die Partei die im Grundgesetz vertretene Idee, dass jeder Mensch als Individuum und ohne Vorbedingungen eine Würde besitzt. Die NPD spricht Menschen nur eine Würde als Teil eines nationalen Kollektivs zu. In dem 2010 verabschiedeten Parteiprogramm "Arbeit - Familie - Vaterland" proklamiert sie die Volksgemeinschaft: "Die Würde des Menschen als 85 Rechtsextremismus soziales Wesen verwirklicht sich vor allem in der Volksgemeinschaft. Erst die Volksgemeinschaft garantiert die persönliche Freiheit." In konsequenter Umsetzung dieser völkisch-nationalen Grundordnung will die NPD alles "Fremde" aus der "Solidargemeinschaft aller Deutschen" entfernen. Hiermit richtet sich die NPD insbesondere gegen die im Grundgesetz verbrieften Menschenrechte (Art. 1 GG) und gegen das Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz (Art. 3 GG). Damit ist die Partei verfassungsfeindlich und erfüllt die Voraussetzungen für eine Beobachtung nach (SS 3 Abs. 1 Nr. 1 NVerfSchG). Die NPD ist verfassungsfeindlich Der von den Innenministern und -senatoren der Bundesländer am 03.12.2013 beim Bundesverfassungsgericht eingereichte Antrag auf Verbot der NPD und ihrer Unterorganisationen wurde am 17.01.2017 vom Zweiten Senat des Gerichts zurückgewiesen (BVerfGE 2 BvB 1/13). Grundlage für den Verbotsantrag waren die durch die Verfassungsschutzbehörden gesammelten Materialien über die NPD, die fortlaufend ergänzt wurden. Im Hinblick auf das gescheiterte Verbotsverfahren im Jahr 2003 wurden dafür alle V-Personen in den Führungsebenen der Partei zurückgezogen. Mit dem einstimmig gefassten Urteil wird der NPD höchstrichterlich bescheinigt, verfassungsfeindliche Ziele zu verfolgen. Ihr Ziel sei es, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beseitigen, so Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle. Allerdings reiche eine verfassungsfeindliche Gesinnung allein für ein Verbot der NPD nicht aus. Die Partei müsse auch das Potenzial haben, ihre Ziele erfolgreich umzusetzen, wie es in der Urteilsbegründung weiter heißt. Ein solches Potenzial wird vom Bundesverfassungsgericht nicht gesehen: 86 Rechtsextremismus "Die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) vertritt ein auf die Beseitigung der bestehenden freiheitlichen demokratischen Grundordnung gerichtetes politisches Konzept. Sie will die bestehende Verfassungsordnung durch einen an der ethnisch definierten 'Volksgemeinschaft' ausgerichteten Nationalstaat ersetzen. Ihr politisches Konzept missachtet die Menschenwürde und ist mit dem Demokratieprinzip unvereinbar. Die NPD arbeitet auch planvoll und mit hinreichender Intensität auf die Erreichung ihrer gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichteten Ziele hin. Allerdings fehlt es (derzeit) an konkreten Anhaltspunkten von Gewicht, die es möglich erscheinen lassen, dass dieses Handeln zum Erfolg führt, weshalb der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichtes den zulässigen Antrag des Bundesrates auf Feststellung der Verfassungswidrigkeit und Auflösung der NPD und ihrer Unterorganisationen (Art. 21 Abs. 2 GG) mit heute verkündetem Urteil einstimmig als unbegründet zurückgewiesen hat." (Bundesverfassungsgericht, "Kein Verbot der NPD wegen fehlender Anhaltspunkte für eine erfolgreiche Durchsetzung ihrer verfassungsfeindlichen Ziele", Pressemitteilung Nr. 4/2017, 17.01.2017) Auch nach dem Verbotsverfahren änderte sich die politische Ausrichtung der Partei nicht. Die NPD bekannte offen, lieber "verfassungsfeindlich als volksfeindlich" zu sein. Die weitere Entwicklung der NPD bleibt daher genau zu beobachten. Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum Auf dem Bundesparteitag am 11./12.03.2017 in Saarbrücken unter dem Motto "Ja zum deutschen Volk" erfolgte ein weiterer Schritt der Radikalisierung der NPD. Bei der Wahl um den Parteivorsitz verlor der Neonazi Thorsten Heise (Thüringen) zwar die Kampfabstimmung gegen den bisherigen Amtsinhaber Frank Franz, wurde dafür aber als stellvertretender Parteivorsitzender gewählt. Die Wahl von Markus Walter (Rheinland-Pfalz), Alexander Neidlein (Baden Württemberg), Daniel Lachmann (Hessen) und Sascha Roßmüller (Bayern) als Beisitzer unterstreichen diesen Trend. Die bisherigen Stellvertreter Stefan Köster (Mecklenburg-Vorpommern) und Ronny Zasowk (Brandenburg) wurden in ihren Ämtern bestätigt. Aktivitäten der NPD Zur Durchsetzung ihrer Ziele verfolgt die NPD unverändert die 1996 entwickelte "Drei-Säulen-Strategie" ("Kampf um die Straße, Kampf um die Köpfe, Kampf um die Parlamente"). Der "Kampf um die Köpfe" umfasst neben der Schulung von Mitgliedern auch den Kampf 87 Rechtsextremismus um die Deutung politischer Begriffe (kulturelle Hegemonie). Hierbei versucht die NPD, an vorhandene Ressentiments in Teilen der Bevölkerung anzuschließen. Hatte die NPD bei Wahlerfolgen in der Vergangenheit noch von den Protestbewegungen gegen die Sozialreformen profitiert, verschob sich in der Folgezeit der thematische Schwerpunkt in Richtung "Asylmissbrauch" und "Überfremdung". Anfang des Jahres veröffentlichte der Deutsche-Stimme-Verlag den "Taschenkalender des nationalen Widerstandes". Neben einer Kalenderrubrik mit historischen Ereignissen beinhaltet der Kalender auch Aufsätze zu Politik, Geschichte und Weltgeschehen im bekannten völkisch-nationalistischen Duktus. Im Juli veröffentlichte die NPD-nahe Stiftung Bildungswerk für Heimat und nationale Identität das Theoriemagazin "Gegenlicht", das in mehreren Beiträgen die typischen rechtsextremistischen Themen wie Identität und Zuwanderung behandelt. NPD scheitert bei Landtagswahlen Mit Blick auf den "Kampf um die Parlamente" setzte sich der Negativtrend der letzten Jahre fort. Bei der Landtagswahl am 26.03.2017 im Saarland kam die NPD trotz großen Materialeinsatzes lediglich auf 0,7 Prozent (3.744) der Zweitstimmen und verfehlte so das Ziel, in den Genuss der staatlichen Parteienfinanzierung zu kommen. Die Landtagswahl in Schleswig-Holstein fand dann aufgrund mangelnder Erfolgsaussichten gleich ohne die NPD statt. In Nordrhein-Westfalen erreichte die Partei bei der Landtagswahl am 14.05.2017 auch nur 0,3 Prozent (28.723) der Zweitstimmen. Wahlkampfauftakt der NPD zur Bundestagswahl Da die NPD seit 2016 in keinem Landtag mehr vertreten ist, musste sie für ihren Antritt bei der Bundestagswahl die erforderlichen Unterstützungsunterschriften einholen. Am 17.07.2017 gab die Partei bekannt, dass sie die erforderlichen 30.000 Unterstützungsunterschriften eingesammelt habe. Den Wahlkampfauftakt bildete eine Veranstaltung am 22.07.2017 in Riesa (Sachsen) mit rund 450 Parteimitgliedern unter dem Motto "Heimat verteidigen", auf der zugleich das Wahlkampfkonzept vorgestellt wurde. Redner waren der Parteivorsitzende Frank Franz und der Europaabgeordnete Udo Voigt sowie der stellvertretende Landesvorsitzende aus Bayern, 88 Rechtsextremismus Sascha Roßmüller, und der ehemalige Fraktionsvorsitzende in Mecklenburg-Vorpommern, Udo Pastörs. In seiner Rede sprach Franz mit Blick auf die Bundestagswahl von einem "Schicksalsjahr", in dem es um das Überleben des deutschen Volkes gehe. Gegen das deutsche Volk sei längst ein Dritter Weltkrieg im Gange. Das größte Problem sei dabei nicht einmal, dass "Millionen Neger" nach Deutschland kämen, sondern dass die "Verbrecherparteien und Volksverräter in Berlin" diese "drohende Vernichtung des deutschen Volkes" geschehen ließen. Pastörs betonte in seiner Rede das "Recht auf Selbsterhalt der deutschen Nation gegen Überfremdung". Die Deutschen hätten demnach das Recht, für ihre kulturell-ethnische Eigenart "bis aufs Messer" einzustehen. Im selben Tenor sah es Voigt als erklärtes Ziel der USA, die "weißen Völker Europas" zu zerstören. Nach Roßmüller solle die Veranstaltung mit ihrem Wahlkampfcharakter denn auch als "Generalmobilmachung für eine Reconquista" verstanden werden. Er selbst sei "wild entschlossen", sich "keine multikulturelle Endlösung in seinem Heimatland auferlegen zu lassen". Im Wahlkampf setzte die NPD auf Anti-Asyl-Agitation sowie auf die Themen "Überfremdung" und "volksfeindliche Politik" der etablierten Parteien. In Niedersachsen fanden mehrere Kleinkundgebungen und Infotische hauptsächlich im Bereich des Unterbezirks Braunschweig statt. NPD bei der Bundestagswahl außerhalb der staatlichen Parteienfinanzierung Das Ergebnis bei der Bundestagswahl am 24.09.2017 von nur 176.020 Zweitstimmen war für die Partei ein weiterer herber Rückschlag. Im Vergleich zur Bundestagswahl 2013 verlor sie rund 70 Prozent ihrer Wähler und verfehlte mit nur 0,4 Prozent (2013: 1,3 Prozent) der Zweitstimmen ihren Anspruch auf die staatliche Parteienfinanzierung. Den höchsten Wählerzuspruch erhielt die NPD in Thüringen mit 1,2 Prozent, gefolgt von Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern mit einem Zweitstimmenanteil von jeweils 1,1 Prozent. In den westdeutschen Bundesländern erreichte sie lediglich einen Stimmenanteil zwischen 0,2 Prozent (Hamburg, Nordrhein-Westfalen, Schleswig-Holstein) und 0,5 Prozent (Saarland). In Niedersachsen erhielt die Partei 12.057 Stimmen und erzielte damit 89 Rechtsextremismus einen Stimmenanteil von 0,3 Prozent (2013: 0,8 Prozent). In den 30 niedersächsischen Wahlkreisen erhielt sie im Durchschnitt 400 Stimmen. Im Wahlkreis Hannover Stadt fielen lediglich 197 Stimmen auf die Partei. Ihr bestes Ergebnis mit 673 Stimmen konnte sie im Wahlkreis Helmstedt verbuchen. Der stellvertretende Parteivorsitzende Thorsten Heise sprach in einem bei Facebook veröffentlichten Videostatement von einer bitteren Niederlage der NPD und plädierte dafür, zukünftig weniger tagespolitisch zu agieren und sich stattdessen als eine konsequente Weltanschauungspartei zu verstehen und aufzustellen. Das Parteipräsidium führte das schlechte Ergebnis bei der Bundestagswahl auf das gute Abschneiden der Partei Alternative für Deutschland (AfD) zurück. In einem Ausblick auf die zukünftige strategische Linie skizzierte die NPD-Führung in der Ausgabe 21 der "Nachrichten aus der Parteizentrale" die beiden für sie "wahlrelevanten Konfliktlinien: die gesellschaftlich-kulturelle und die soziale bzw. sozioökonomische". Hier werden die beiden Hauptkonkurrenten in der AfD und in der Partei DIE LINKE. gesehen. Auf der gesellschaftlich-kulturellen Konfliktlinie stehe die NPD mit ihrer Zuwanderungskritik, Familienpolitik und dem Festhalten an einem starken Rechtsstaat eher rechts, ebenso wie die AfD. Auf der sozialen Konfliktlinie stehe man mit den Forderungen nach mehr sozialem Wohnungsbau, existenzsichernden Renten, einer solidarischen Gesundheitsversicherung für alle Deutschen eher der Linkspartei näher. In einem politischen Koordinatensystem ließe sich die NPD daher als einzige Partei in "diesem nationalen und sozialen Quadranten" verorten. Falls die NPD aber noch mal einen politischen Auftrag haben wolle, müsse sie sich "radikal als soziale und nationale außerparlamentarische Opposition präsentieren". Von zentraler Bedeutung seien dabei die Repräsentanten der Partei vor Ort, die als politischer Faktor wirken und glaubwürdig ein politisches Angebot bereithalten. Hinsichtlich einer solchen Neuorientierung passt es auch, dass die JN auf ihrem Bundeskongress am 13.01.2018 in Riesa (Sachsen) neben einer neuen Führung und neuen Statuten auch eine Namensänderung in Junge Nationalisten beschlossen haben. Neuer Bundesvorsitzender ist Christian Häger aus Nordrhein-Westfalen; seine beiden Stellvertreter sind Paul Rzehaczek aus Sachsen und Dominik Stürmer aus Baden-Württemberg. 90 Rechtsextremismus Aktivitäten der NPD in Niedersachsen Der Landesverband unterhält nach wie vor elf Unterbezirke, von denen die meisten lediglich auf dem Papier existieren. Zum Jahresende 2017 hatte die Partei nur noch 300 Mitglieder. Am 28.05.2017 führte die NPD Niedersachsen ihren 52. ordentlichen Parteitag durch. An der Veranstaltung in Bösel (Landkreis Cloppenburg) beteiligten sich insgesamt 36 Mitglieder. Der langjährige Vorsitzende Ulrich Eigenfeld hatte sich nicht mehr zur Verfügung gestellt. Die Delegierten wählten daraufhin Manfred Dammann zum neuen Vorsitzenden sowie Andreas Haack (UB Stade) und Christina Krieger (UB Hannover) zu seinen beiden Stellvertretern. Beisitzer wurden Martin Ahlborn (UB Göttingen), Gianluca Bruno (UB Göttingen), Ulrich Eigenfeld (UB Oldenburg), Markus Grimm (UB Stade), Matthias Ries (UB Osnabrück) und Torsten Schoenrock (UB Ostfriesland/Friesland). Gastredner war der neu gewählte stellvertretende Bundesvorsitzende Thorsten Heise (Thüringen). In seinem Vortrag warb er eindringlich dafür, die erforderlichen Unterstützungsunterschriften für die Bundestagswahl zu sammeln. Auf dem Landesparteitag 2015 hatte der langjährige Vorsitzende Ulrich Eigenfeld aus Oldenburg angekündigt, nicht noch einmal für dieses Amt kandidieren zu wollen. Mit der Wahl von Manfred Dammann, dem Unterbezirksvorsitzenden aus Stade und bisherigen Organisationsleiter des Landesverbandes, votierten die Delegierten für ein langjähriges NPD-Mitglied und einen zugleich aktionsorientierten Neonazi. Der 57-jährige Dammann ist auch Betreiber der neonazistischen Internetseite "nordland.tv". Mit dem Aufstieg Kriegers und Haacks zu stellvertretenden Landesvorsitzenden und der Wahl der neuen Beisitzer Ahlborn, Grimm, Bruno und Schoenrock ist der Landesverband neonazistischer geprägt und innerhalb der Bundespartei dem völkisch-nationalistischen Flügel um Der neue Landesverband; Dammann 2. v. r. Heise zuzurechnen. Angesichts der vorgezogenen Landtagswahl in Niedersachsen hatte sich die NPD erst gar nicht um einen Wahlantritt bemüht, da es ihr aussichtslos erschien, die erforderlichen Unterstützungsunterschriften (rechtzeitig) sammeln zu können. 91 Rechtsextremismus Zu den Aktivitäten der NPD Niedersachsen gehört u. a. die Durchführung von Brauchtumsfeiern auf dem Anwesen des NPD-Mitglieds Joachim Nahtz in Eschede (Landkreis Celle), darunter auch die Sonnenwendfeier am 24.06.2017. Organisatoren waren der NPD Unterbezirk Heide-Wendland und die Jungen Nationaldemokraten (JN) sowie die Parteien Die Rechte und Der III. Weg, die Frauengruppierung Düütsche Deerns und der Freundeskreis Gefangenhilfe.36 Zu der Jubiläumsveranstaltung unter dem Motto "25 Jahre - Widerstand im Heide(n)land" kamen rund 120 Rechtsextremisten. Auf dem Gelände in Eschede fand am 23.09.2017 ebenfalls das jährliche Erntedankfest der NPD statt. Die Veranstaltung zählte etwa 70 Besucher und diente vor allem der Kontaktpflege. Die JN haben ihren Schwerpunkt im östlichen Niedersachsen, insbesondere im Bereich Braunschweig. Ihre Vertreter sind eng mit der niedersächsischen Neonaziszene vernetzt. An Vortragsund Infoveranstaltungen sowie an Kundgebungen und überregionalen Stammtischen der JN nehmen regelmäßig Neonazis teil. Beispiel hierfür ist ein von der NPD-Jugend organisiertes Selbstverteidigungsbzw. Kampfsportseminar mit rund 30 Personen am 18.11.2017 in einer Sporthalle in Cremlingen (Landkreis Wolfenbüttel). Als Übungsleiter fungierte Denis Nikitin aus Moskau (Russland), der u. a. unter dem Label White Rex neben Sportbekleidung auch T-Shirts und weitere Produkte mit neonazistischen Symbolen vertreibt und der als Organisator der rechtsextremistischen Veranstaltung "Kampf der Nibelungen" in Erscheinung getreten ist.37 Unter den Aktivitäten der JN Niedersachsen im Jahr 2017 waren wiederholt Störund Propagandaaktionen, u. a. im Juli gegen den G20-Gipfel in Hamburg 38 und gegen den Christopher Street Day 36 Siehe Kapitel 2.5, "Demonstrationen und Kampagnen der rechtsextremistischen Szene". 37 Siehe Kapitel 2.5, "Demonstrationen und Kampagnen der rechtsextremistischen Szene". 38 Internetseite der JN vom 08.07.2017: "Nein zu G20 - Nationalismus ist die einzige Alternative". 92 Rechtsextremismus (CSD) in Braunschweig 39 sowie im August gegen den Besuch von Bundesaußenminister Sigmar Gabriel in Salzgitter samt einem Transparent mit der Aufschrift "Volksverräter!"40. An einem sogenannten Gemeinschaftstag der JN Braunschweig im September nahm als Referent auch der Neonazi und nordrhein-westfälische Landesvorsitzende der Partei Die Rechte, Sascha Krolzig, teil. Im Rahmen einer gemeinsamen Rechtsschulung informierte Krolzig ferner über die neue, von ihm herausgegebene Zeitschrift "N.S. Heute - Weltanschauung.Bewegung.Leben", die auch seitens der JN-Niedersachsen beworben wird. 41 Bewertung, Tendenzen, Ausblick Die NPD scheint sich unter der Führung von Frank Franz stabilisiert zu haben. Allerdings lässt sich daraus kein positiver Trend erkennen, wie die Wahlergebnisse bei den Kommunalund Landtagswahlen zeigen. Auch aus dem gescheiterten NPD-Verbotsverfahren wird die Partei aller Voraussicht nach keinen Nutzen ziehen können, gilt sie doch nun höchstrichterlich bestätigt als verfassungsfeindliche, aber auch relativ unbedeutende Partei. So ist zu erwarten, dass die Propaganda der NPD künftig weitaus radikaler ausfallen wird, um in der Öffentlichkeit und insbesondere bei potenziellen Wählern wieder wahrgenommen zu werden. Der parteiinterne Streit um die öffentliche Darstellung der NPD dürfte damit weiter befeuert werden. Für den niedersächsischen Landesverband gilt wie bisher die Einschätzung, dass aufgrund der vielfach inaktiven Unterbezirke und der geringen Kampagnenfähigkeit auch in Zukunft der Bedeutungsverlust der NPD voranschreiten wird. 39 Internetseite der JN vom 29.07.2017: "Natürliche Geschlechterrollen statt Genderexperimente". 40 Internetseite der JN vom 05.08.2017: "Kommt Stinkefinger Sigmar - kommen wir auch!". 41 Internetseite der JN vom 27.09.2017: "Der Jugend das Recht! - Rechtsschulung und Gemeinschaftstag der JN Braunschweig". 93 Rechtsextremismus 2.8 Die Rechte Sitz / Verbreitung Sitz des Bundesverbandes: Parchim (Mecklenburg-Vorpommern) bis 31.10.2017; Dortmund (Nordrhein-Westfalen) seit 01.11.2017; Sitz des Landesverbandes: Amt Neuhaus (Landkreis Lüneburg) Gründung / 2012 (Bundesverband); 2013 (Landesverband) Bestehen seit Struktur / Bundesvorsitzender: Christian Worch (bis 31.10.2017); Christoph Repräsentanz Drewer (kommissarisch seit 01.11.2017); Landesvorsitzender: Holger Niemann; elf Landesverbände im Bundesgebiet; fünf Kreisverbände in Niedersachsen (Heidekreis, Emsland, Hildesheim, Verden, Süd-Ost Niedersachsen) Mitglieder / Bund: 650 Land: 40 Anhänger / Unterstützer Veröffentlichungen Flugblätter (Verteilaktionen im Raum Verden und in der Region Hildesheim); Web-Angebote: Die vorrangige Außendarstellung erfolgt für den Bundesverband über das Facebook-Profil und die eigene Internetseite; der Landesverband Niedersachsen informiert ebenfalls auf der eigenen Internetseite über Parteiaktivitäten und gibt Stellungnahmen zu bundesund landespolitischen Themen ab. Kurzportrait / Ziele Die Partei Die Rechte wurde im Mai 2012 in Hamburg von Mitgliedern der ehemaligen Deutschen Volksunion (DVU) und dem langjährigen Neonazi Christian Worch gegründet. Den Posten des Bundesvorsitzenden übernahm Worch selbst. Als stellvertretende Vorsitzende wurde die ehemalige Landesvorsitzende der DVU Schleswig-Holstein, Ingeborg Lobocki, gewählt. Im September 2012 folgte die Gründung des mitgliederstärksten Landesverbandes Nordrhein-Westfalen durch ehemalige Mitglieder der im August 2012 verbotenen neonazistischen Kameradschaften Aachen, Dortmund und Hamm. Die ehemaligen Kameradschaftsführer übernahmen im Landesvorstand und in den Kreisverbänden die Führungsfunktionen und setzen seitdem unter dem Schutz des Parteienprivilegs ihre bisherigen Aktivitäten fort. Zudem traten der Partei vereinzelt NPD-Mitglieder bei. 94 Rechtsextremismus Auch in Niedersachsen kommen der Großteil der Führungsebene und ein relevanter Teil der Mitglieder aus der neonazistischen Szene. Die Nutzung des Parteienprivilegs, vor allem die Anmeldung und Durchführung öffentlichkeitswirksamer Aktivitäten zur Verbreitung neonazistischer Propaganda, erfolgt in Niedersachsen uneinheitlich. Während die Mehrzahl der Kreisverbände kaum öffentlich in Erscheinung tritt, fällt lediglich noch der Kreisverband Verden mit gelegentlichen Demonstrationen, Kundgebungen und sonstigen Aktionen auf. Den Schwerpunkt dieser Aktivitäten bildet die fremdenfeindliche Agitation gegen die Asylund Flüchtlingspolitik. Hinzu kommt die Kritik an vermeintlich staatlicher Repression zum Nachteil der Partei und ihrer Anhänger. Finanzierung Mitgliedsbeiträge, Spenden, Einnahmen aus Veranstaltungen Grund der Beobachtung / Verfassungsfeindlichkeit Der Einfluss führender Neonazis im Bundesvorstand sowie im Landesverband Nordrhein-Westfalen, von dem Die Rechte dominiert wird, veränderte den Charakter der Partei, die bei ihrer Gründung das nach eigenem Bekunden "sprachlich wie inhaltlich modernisierte und ergänzte" frühere Programm der ehemaligen DVU zur Grundlage genommen hatte. 42 Die Rechte steht seitdem hinsichtlich ihrer Ideologie, ihrer Aktivitäten und der führenden Personen in der Kontinuität der verbotenen neonazistischen Kameradschaften. Ihre Agitation ist von Demokratieund Fremdenfeindlichkeit und der Verherrlichung des Nationalsozialismus bestimmt. Im Parteiprogramm fordert Die Rechte zur "Wahrung der Deutschen Identität" auf. Demnach gelte es, "übermäßige fremde Einflüsse" wie "die Amerikanisierung" zurückzudrängen und einen europäischen Verbund zu schaffen, "in dem jedes Volk nach seiner eigenen, natürlich gewachsenen Ordnung leben kann". Die Partei folgert, dass "alle Anstrengungen für die Bewahrung des deutschen Charakters unseres Vaterlands" sinnlos würden, "wenn es Politikern 42 Bei der Gründung der Partei hatte der Bundesvorsitzende Worch Die Rechte als "weniger radikal als die NPD", aber "radikaler als die REPs und die PRO-Bewegung" beschrieben (Internetseite von Christian Worch). 95 Rechtsextremismus im Bund mit der Meinungsindustrie gelänge, Deutschland in einem Vielvölkerstaat beziehungsweise einer 'Europäischen Union' aufzulösen." Hiermit richtet sich Die Rechte insbesondere gegen die im Grundgesetz verbrieften Menschenrechte (Art. 1 GG) sowie gegen das Recht auf Gleichheit vor dem Gesetz (Art. 3 GG). Damit ist die Partei verfassungsfeindlich und erfüllt die Voraussetzungen für eine Beobachtung nach (SS 3 Abs. 1 Nr. 1 NVerfSchG). Im Wahlprogramm "25 Forderungen zur Dortmunder Kommunalwahl 2014", mit dem Die Rechte symbolisch an das 25 Punkte-Programm der NSDAP anknüpft, bekennt sie sich unter Punkt 19 eindeutig zur Volksgemeinschaft: "Eine Gesellschaft, welche die Schwächsten alleine lässt, ist zum Scheitern verurteilt - jeder Volksgenosse, der unverschuldet in Not gerät, muss sich auf Hilfe verlassen können. Die Rechte will eine starke Volksgemeinschaft, in der keiner allein gelassen wird." Im Kapitel "Kriminalität und Überfremdung" werden Migranten pauschal als kriminell bezeichnet, um sie auf diese Weise aus der Gesellschaft ausgrenzen zu können. In der Flüchtlingsdebatte wird ein "sofortiger Einwanderungsstopp" von "Asyltouristen" und "Sozialschmarotzern aus EU-Staaten" gefordert. Exemplarisch für die Glorifizierung des Nationalsozialismus und die Relativierung der NS-Verbrechen ist eine Mahnwache unter dem Motto "Vergesst niemals Dresden 1945" samt der hierbei mitgeführten Transparente mit der Aufschrift "1. Mai - seit '33 arbeitsfrei" und der Bezeichnung der Waffen-SS als "erste europäische Befreiungsarmee". Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum Die meisten öffentlichkeitswirksamen Aktionen der Partei Die Rechte gingen vom Landesverband Nordrhein-Westfalen und dessen Kreisverbänden sowie vom Landesverband Baden-Württemberg aus. Insbesondere vor dem Hintergrund der Flüchtlingsthematik sind auch bei anderen Landesverbänden zunehmende Aktivitäten zu verzeichnen. In Nordrhein-Westfalen übernahm Die Rechte unter dem Schutz des Parteienprivilegs die zuvor von den verbotenen Kameradschaften veranstalteten Aktionen. 96 Rechtsextremismus Am 19.08.2017 fand in Berlin-Spandau eine Demonstration der neonazistischen Szene anlässlich des 30. Todestages von Rudolf Heß unter dem Motto "Mord verjährt nicht! Gebt die Akten frei - Recht statt Rache" statt. Unter den etwa 800 Teilnehmern waren auch Mitglieder der Partei Die Rechte. Den etwa 1.500 Gegendemonstranten gelang es, die geplante Aufzugsstrecke so zu blockieren, dass die eigentliche Demonstration nicht mehr stattfinden konnte und vorzeitig beendet werden musste. Im Anschluss wurde eine Spontandemonstration in Falkensee (Brandenburg) durchgeführt. Bei der Bundestagswahl am 24.09.2017 war die Partei Die Rechte lediglich mit einer Landesliste und sechs Direktkandidaten in Baden-Württemberg angetreten. Mit insgesamt 1.166 Erststimmen und 2.070 Zweitstimmen (0,0 Prozent) blieb die Partei unterhalb der Wahrnehmungsschwelle. Am 04.11.2017 organisierte der Kreisverband Dortmund der Partei Die Rechte im Raum Dortmund einen Kongress unter dem Motto "Gemeinsam für Europa" mit etwa 150 Teilnehmern u. a. aus Bulgarien, Frankreich, Italien, Niederlande, Polen, Russland, Spanien und den skandinavischen Ländern. Bei dieser Vortragsveranstaltung standen die Vorstellung der jeweiligen ausländischen Gruppierung und der gegenseitige Austausch im Vordergrund. Der Kongress war zudem Auftakt für die Anti-EU-Kampagne "Europa erwache: Unser Europa ist nicht eure Union!", die sich gegen die vermeintliche Gleichschaltung und Zentralisierungsbestrebungen der Europäischen Union richtet. Die Kampagne soll mit einer Abschlussdemonstration am 14.04.2018 in Dortmund enden. Als Redner sind hierfür neben dem nordrhein-westfälischen Landesvorsitzenden der Partei Die Rechte, Sascha Krolzig, auch der Europaabgeordnete und ehemalige NPD-Vorsitzende Udo Voigt sowie der freie Nationalist Sven Skoda angekündigt. Zukünftig soll der Kongress jedes Jahr in einem anderen europäischen Land stattfinden. Im Jahr 2018 sei der Kongress für Bulgarien geplant. Außerdem wurde im Rahmen der Veranstaltung für den nächsten "Tag der deutschen Zukunft" (TddZ) am 02.06.2018 in Goslar geworben. 97 Rechtsextremismus Niedersächsischer Landesvorsitzender erneut in den Bundesvorstand gewählt Am 28.10.2017 führte die Partei Die Rechte ihren turnusmäßigen Bundesparteitag in Schwerte (Nordrhein-Westfalen) durch. Neben den obligatorischen Vorstandswahlen ging es auch um die weitere politische Ausrichtung der Partei sowie um innerparteiliche Strukturen und Abläufe. Mit Blick auf die Europawahl im Jahr 2019 wurde die Entscheidung hinsichtlich einer Teilnahme vertagt. Diese strategische Frage soll zunächst im neu gewählten Bundesvorstand erörtert werden. Der bisherige Vorsitzende Christian Worch aus Mecklenburg-Vorpommern wurde auf dem Parteitag mit 78,4 Prozent der Stimmen als Vorsitzender bestätigt. Die Wahl seiner Stellvertreter fiel auf Christoph Drewer (Dortmund) und Kevin Koch (Wuppertal). Als Beisitzer wurden aus Niedersachsen der Landesvorsitzende Holger Niemann mit 75,6 Prozent sowie der Vorsitzende des Kreisverbandes Verden, Markus Walter, mit 74,2 Prozent erneut in den erweiterten Bundesvorstand gewählt. Rücktritt des Parteivorsitzenden Christian Worch Die vom Landesverband Thüringen auf dem Bundesparteitag eingebrachte Resolution, nach der sich die Partei zur Volksgemeinschaft aller Deutschen bekennen solle, wurde gegen den Willen des Parteivorsitzenden mehrheitlich angenommen. Dies hatte zur Folge, dass Worch den Parteitag vorzeitig verließ und die konstituierende Sitzung des neu gewählten Bundesvorstands, die im Anschluss an den Parteitag abgehalten wurde, ohne ihn stattfand. Einen Tag später kündigte Worch seinen Rücktritt zum 31.10.2017 an. Im Nachgang des Parteitages sprach der Bundesvorstand sein Bedauern über Worchs Rücktritt aus und gab bekannt, dass Christoph Drewer bis zum nächsten Parteitag im Frühjahr 2018 zum kommissarischen Bundesvorsitzenden ernannt wurde. Drewer ist vorbestraft und war bis zu ihrem Verbot im Jahr 2012 Angehöriger der neonazistischen Kameradschaft "Nationaler Widerstand Dortmund". 98 Rechtsextremismus Inhaltlich hat sich der neue Bundesvorstand zum Ziel gesetzt, die Partei aus der derzeitigen Stagnation herauszuführen. Mit einem ebenso unbürokratischen wie unkomplizierten Führungsstil will der Vorstand erste Signale für eine Aufbruchsstimmung setzen. Es gelte, die Partei insgesamt neu aufzustellen und angesichts der Europaund der Landtagswahl in Thüringen im Jahr 2019 sowie mit Blick auf die Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen im Jahr 2020 neu auszurichten. Helfen sollen dabei ein eigener Materialdienst, moderne Propagandamaterialien, eine stärkere Präsenz in den sozialen Netzwerken, eine bundesweite Mitgliederkampagne und der Ausbau von Strukturen sowie ein neues Parteiprogramm für das Frühjahr 2018. Aktivitäten der niedersächsischen Parteigliederungen In Niedersachsen gingen vereinzelte Aktivitäten der Partei Die Rechte fast ausschließlich vom Kreisverband Verden aus. Andere Kreisverbände verzeichneten hingegen kaum oder keine öffentlichen Aktivitäten und beschränkten sich im Internet auf sporadische Veröffentlichungen in den entsprechenden sozialen Netzwerken. In der Gesamtschau dienten die durchgeführten Aktionen vor allem der Stärkung des inneren Zusammenhalts. Am 28.01.2017 veranstaltete der Landesverband der Partei Die Rechte gemeinsam mit dem Kreisverband Verden eine Demonstration in Nienburg, an der sich etwa 40 Rechtsextremisten beteiligten. Darunter befanden sich auch Personen aus neonazistischen Gruppierungen wie Kollektiv Nordharz und Aktionsgruppe Nienburg. 43 Einen Monat später organisierte der Kreisverband Verden am 25.02.2017 in der Innenstadt von Achim (Landkreis Verden) eine Mahnwache unter dem Motto "Asylflut stoppen". Dabei verteilten Mitglieder der Partei entsprechende Flugblätter, um ein "Zeichen gegen die unkontrollierte Masseneinwanderung" zu setzen. Eine nennenswerte Außenwirkung konnte jedoch nicht erzielt werden. 43 Siehe Kapitel 2.5, "Kollektiv Nordharz" und "AG Nienburg". 99 Rechtsextremismus Im Rahmen des Bundestagswahlkampfes gab es eine Störaktion durch Angehörige des Kreisverbandes bei einer SPD-Wahlkampfveranstaltung am 18.08.2017 in Verden. An der vorgezogenen Landtagswahl in Niedersachsen am 15.10.2017 konnte die Partei trotz aufgestellter Landesliste nicht antreten, weil ihr die gesetzlich vorgeschriebene Mindestanzahl an Unterstützerunterschriften fehlte. Auf dem Weihnachtsmarkt in Goslar wurde am 16.12.2017 von Parteimitgliedern eine Verteilaktion durchgeführt und dabei auch für den "Tag der deutschen Zukunft" (TddZ) am 02.06.2018 in Goslar geworben. Mit Beginn des Jahres 2018 erfolgte dann am 06.01.2018 in Bad Harzburg die Gründung des Kreisverbandes Süd-Ost Niedersachsen aus den ehemaligen Mitgliedern der sich kurz zuvor aufgelösten neonazistischen Gruppierung Kollektiv Nordharz, die den nächsten TddZ organisiert. Der neugegründete (Groß-)Kreisverband umfasst die Städte bzw. Landkreise Braunschweig, Gifhorn, Göttingen, Goslar, Helmstedt, Holzminden, Northeim, Osterode am Harz, Peine, Salzgitter, Wolfenbüttel und Wolfsburg. 44 Enge Vernetzung mit Neonazis und subkulturell geprägten Rechtsextremisten Weiterhin besteht eine enge Vernetzung von Mitgliedern der Partei Die Rechte sowohl mit Angehörigen der Neonaziszene als auch mit subkulturell geprägten Rechtsextremisten. Deutlich wird dies etwa durch die gemeinsame Beteiligung an Musikveranstaltungen oder politischen Aktivitäten. Beispiele hierfür sind die Teilnahme an der Demonstration zum 1. Mai in Halle (Sachsen-Anhalt) durch Angehörige des Kreisverbandes Verden sowie die Ausrichtung der Sonnenwendfeier am 23.06.2017 in Eschede (Landkreis Celle) gemeinsam mit neonazistischen Gruppierungen wie Düütsche Deerns und Freundeskreis Gefangenenhilfe sowie mit den Parteien NPD/JN und Der III. Weg. 45 44 Siehe Kapitel 2.5, "Kollektiv Nordharz". 45 Siehe Kapitel 2.5, "Demonstrationen und Kampagnen der rechtsextremistischen Szene" und Kapitel 2.7, "Aktivitäten der NPD in Niedersachsen". 100 Rechtsextremismus Bewertung, Tendenzen, Ausblick Der Landesverband Niedersachsen der Partei Die Rechte setzt sich überwiegend aus Angehörigen der neonazistischen Szene zusammen, die nun unter gezielter Nutzung des Parteienstatus ihre bisher außerparteilich durchgeführten Aktivitäten fortführen, ohne ein Vereinsverbot fürchten zu müssen. Trotz einer formal landesweiten Präsenz entfaltet die Partei Die Rechte lediglich im Bereich des Kreisverbandes Verden nennenswerte öffentlichkeitswirksame Aktivitäten. Nach leicht sinkenden Mitgliederzahlen im vergangenen Jahr konnte dieser Trend gestoppt und auf dem Niveau des Vorjahres gehalten werden. Die auch weiterhin bestehenden Kontakte in die Neonaziszene und zum JN-Stützpunkt Braunschweig scheinen hier wieder mehr zum Tragen zu kommen und manchen Angehörigen des ehemals äußerst aktiven Hildesheimer Kreisverbandes zur Neuorientierung veranlasst zu haben. Der Partei Die Rechte ist es in Niedersachsen bislang nicht gelungen, sich als relevanter politischer Akteur und mögliche Wahlalternative zu positionieren. Zwar ist die Partei im Bund wie auch in Niedersachsen ein bedeutsamer Akteur im organisierten Rechtsextremismus, aber eine nennenswerte Entwicklung zu einem gesamtgesellschaftlichen Faktor ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht zu erkennen. Mit der personellen und inhaltlichen Neuaufstellung des Bundesverbandes scheint aber eine Zeitenwende hinsichtlich der strategischen Ausrichtung der Partei eingeläutet zu sein. Ob der einstige Parteigründer Christian Worch seiner Partei treu bleibt, ist fraglich und bleibt daher abzuwarten. Seit dem überraschenden Wechsel an der Parteispitze sind jedenfalls Signale für eine Aufbruchsstimmung klar erkennbar. Die künftigen Schwerpunkte der Partei werden sicherlich darin bestehen, vorhandene Strukturen zu festigen sowie andernorts arbeitsund damit kampagnenfähige Strukturen aufzubauen. In personeller Hinsicht hat die jüngere Generation der westdeutschen Neonaziszene die Führung der Partei komplett übernommen. Dem Bundesvorstand gehört nicht ein Mitglied aus den ostdeutschen Verbänden an. Die Zusammensetzung des neuen Bundesvorstandes 101 Rechtsextremismus deutet auf eine insgesamt aktionsorientiertere und radikalere Ausrichtung für die Zukunft hin. Das neue politische Machtzentrum hat sich nach Dortmund verlagert, in das Gebiet des mitgliederstärksten Landesverbandes Nordrhein-Westfalen. Bemerkenswert ist, dass mit Stefan Wijkamp nun auch ein niederländischer Neonazi im Bundesvorstand vertreten ist, der für den Bundesvorstand die Funktion des "Auslandsbeauftragten" wahrnimmt. Mit dem Bekenntnis zur Volksgemeinschaft, das die Mitglieder auf dem Bundesparteitag beschlossen haben, wird der neonazistische Charakter der Partei unterstrichen. Hieran zeigt sich auch, dass die Partei an ideologische Elemente des historischen Nationalsozialismus anknüpft und sich damit unverhohlen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung stellt. Die inhaltliche Ausrichtung des neuen Parteiprogramms, wenn es wie angekündigt im Frühjahr 2018 verabschiedet werden sollte, dürfte damit vorgezeichnet sein. Es bleibt jedoch abzuwarten, wie sich die Partei Die Rechte insgesamt neu aufstellen wird. Die jüngsten Entwicklungen jedenfalls deuten auf eine Radikalisierung der Partei hin. 2.9 Europäische Aktion (EA) Sitz / Verbreitung Sitz der Gesamtorganisation: Liechtenstein; Sitz der Landesleitung Deutschland: Verden Gründung / Seit 2010; Auflösung der Organisationsstruktur im Juni 2017 Bestehen seit Struktur / Leiter der Gesamtorganisation: ein junger, namentlich nicht Repräsentanz offen genannter Aktivist; Landesleiter Deutschland: Dr. Rigolf Hennig; eine organisationsübergreifende, europaweit agierende Organisation ohne Vereinsoder Parteistatus; Schwerpunkte sind Deutschland, Liechtenstein, Österreich und die Schweiz; nach dem "Führerprinzip" organisiert; oberste Steuerungsebene ist die sogenannte "Tagsatzung", die sich aus den Landesleitungen, deren Stellvertretern und den Fachabteilungsleitern zusammensetzt; in Deutschland bestehen neben der Landesleitung noch diverse Gebietsleitungen und lokale Stützpunkte. 102 Rechtsextremismus Am 10.06.2017 wurde in einem Interview mit Führungspersonen der EA auf der Facebook-Seite der NPD Thüringen die "Auflösung der Europäischen Aktion in ihrer operativen Form" bekannt gegeben. Die Ziele der EA sollen zukünftig von "Einzelpersonen in selbstverantwortlichem Handeln" weitergeführt werden. Die Internetseite der EA soll erhalten bleiben und als Kommunikationsplattform dienen. 46 Mitglieder / Bund: 100 Land: 20 Anhänger / Unterstützer Veröffentlichungen Publikation: Mitteilungsblatt Europa ruft (unregelmäßig, Auflage mehr als 6.000 Stück); angekündigt wurde nach der Strukturauflösung die Schrift "Europäische Freiheit"; eigene Internetund Facebook-Seite Kurzportrait / Ziele Die Gründung der revisionistischen Europäischen Aktion (EA) erfolgte Anfang 2010 zunächst unter der Bezeichnung Bund Freies Europa (BFE) um den ehemaligen Vorsitzenden des 2008 verbotenen Vereins zur Rehabilitierung der wegen Bestreitens des Holocaust Verfolgten (VRBHV), Bernhard Schaub. Unter dem Titel "Die Europäische Aktion - Aufbau und Ziele der europäischen Freiheitsbewegung" formulierte Schaub die Grundpositionen als "7 Ziele", darunter die "Repartriierung außereuropäischer Einwanderer". Diese Zielformulierungen sollen laut EA "den geistigen Nährboden für den bereits stattfindenden Kampf um (die) biologisch-kulturgeschichtliche Existenz" bilden.47 Die EA versteht sich als "fundamentale Gegenbewegung zum herrschenden System" und als "Lebensund Kampfgemeinschaft" für "die Freiheit und Selbständigkeit Europas und seiner Völker". Ihr Ziel ist ein vollständiger Systemwechsel und die Wiederherstellung eines "freien und souveränen deutschen Reiches" auf der Grundlage einer ethnisch homogenen Volksgemeinschaft. In typischer revisionistischer Manier wird gegen angebliche Denkund Redeverbote agiert, die ihren "gemeinsamen Mittelpunkt in den Gaskammern von Auschwitz" hätten. 48 46 Internetseite der EA vom 26.09.2017: "Mitteilung in eigener Sache". 47 Internetseite der EA vom 03.06.2015: "Grundsätzliches zum europäischen Freiheitskampf". 48 Bernhard Schaub, "Die Europäische Aktion. Aufbau und Ziele der europäischen Freiheitsbewegung", Eschenz: Ghibellinum-Verlag 2011, Seite 12. 103 Rechtsextremismus Daneben steht die fremdenfeindliche Forderung nach Rückführung außereuropäischer Einwanderer. Mit einer solchen grundsätzlich für alle rechtsextremistischen Organisationen anschlussfähigen Zielsetzung unterstreicht die EA ihr Selbstverständnis von einer organisationsübergreifenden Sammlungsbewegung innerhalb des Rechtsextremismus. Finanzierung Spenden und Beiträge der Aktiven Grund der Beobachtung / Verfassungsfeindlichkeit Ideologisch ist die EA neonazistisch, rassistisch und antisemitisch ausgerichtet. Sie ist organisationsübergreifend tätig und sieht sich als Bewegung für die Freiheit und Selbständigkeit Europas und seiner Völker. Die EA strebt einen vollständigen Systemwechsel an und propagiert eine "Europäische Eidgenossenschaft", die im "Kern das Deutsche Reich bildet", in dem dann "wieder die Volksgemeinschaft als Gewähr des sozialen Gedeihens" gilt. Als Volk bezeichnet die EA "eine geistig gesunde, raumund blutsgebundene Gemeinschaft"49. Die EA richtet sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung und die im Grundgesetz konkretisierten Grundund Menschenrechte, die kaum bzw. nur noch eingeschränkt Anwendung finden sollen. Die EA agiert gegen den Gedanken der Völkerverständigung und gegen das friedliche Zusammenleben der Völker. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts umfasst dies auch die Wesensverwandtschaft zum Nationalsozialismus. Bezüge der EA zum historischen Nationalsozialismus werden durch revisionistische Agitationsfelder und regelmäßig durch die Veröffentlichungen des Landesleiters Deutschland, Hennig, belegt. Entsprechend der nationalsozialistischen Rassenlehre diffamiert die EA wiederholt Menschen jüdischen Glaubens und lehnt die Existenz des Staates Israel ab. Damit ist die EA verfassungsfeindlich; ihre Beobachtung richtet sich nach SS 3 Abs. 1 Nr. 1 und 4 NVerfSchG. 49 Internetseite der EA vom 17.12.2015: "Konsumveranstaltung". 104 Rechtsextremismus Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum In einem Interview am 10.06.2017 auf der Facebook-Seite der NPD Thüringen mit dem stellvertretenden Parteivorsitzenden Thorsten Heise verkündeten Dr. Rigolf Hennig und Axel Schlimper, der Gebietsleiter für Thüringen, die "Auflösung der Europäische Aktion in ihrer operativen Form". Der Entschluss sei nach einem Treffen von "aktiven Mitstreitern" getroffen worden, wie in einer letzten "Mitteilung in eigener Sache" vom 26.09.2017 auf der Internetseite der EA zu lesen ist.50 Dieser Mitteilung wurde die "offizielle Auflösungserklärung" vom 10.06.2017 beigefügt, in der sich Hennig davon überzeugt zeigt, dass die Europäische Aktion als Gegenentwurf zur Europäischen Union in den Schriften von Bernhard Schaub und anderen fortleben und von Einzelpersonen in selbstverantwortlichem Handeln weitergetragen wird. Zu diesem Zweck solle auch die Internetseite der EA erhalten bleiben und als Kommunikationsplattform dienen. "Unsere 7 Ziele bilden das geistige Rüstzeug, um Deutschland und Europa aus der lebensbedrohlichen Winterstarre zu befreien und die Völker dieses Kontinents in einen neuen Frühling zu führen. ... Künftig gilt es, eigenverantwortlich und pflichtbewusst im Geiste dieser 7 Ziele weiterzuarbeiten, jeder seinen Fähigkeiten und Kapazitäten entsprechend. Von ihrer Bedeutung und Aussagekraft haben die 7 Ziele nichts eingebüsst. ... Darum jetzt erst recht: Rückeroberung oder Untergang! Sein oder Nichtsein! Europa auf!" (Internetseite der EA, "Mitteilung in eigener Sache", 26.09.2017) Polizeiliche Durchsuchungsmaßnamen in Thüringen und Niedersachsen Am 23.06.2017 wurden polizeiliche Durchsuchungsmaßnahmen im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens wegen des Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung (SS 129 StGB) in zwölf Objekten in Thüringen und einem Objekt in Göttingen durchgeführt. Die Maßnahme wurde von Spezialeinheiten des Bundes (GSG 9) und der Länder unterstützt. Zum Kreis der Betroffenen zählten Schlimper und weitere Personen aus seinem Umfeld. Die Staatsanwaltschaft wirft den Beschuldigten vor, in Südthüringen paramilitärische Zeltlager (sogenannte Waldbiwaks51) organisiert oder daran teilgenommen zu haben. Zweck der Durchsuchungen war es, Beweismittel zu 50 Internetseite der EA vom 26.09.2017: "Mitteilung in eigener Sache". 51 Verfassungsschutzbericht Niedersachsen 2016, Seite 108. 105 Rechtsextremismus erlangen. Sichergestellt wurden diverse Schuss-, Hiebund Stichwaffen, Armbrüste, Mobiltelefone, Computertechnik sowie Propagandamaterial. Auch Schusswaffen, für die eine waffenbehördliche Genehmigung vorlag, wurden eingezogen. Im Nachgang zu den Exekutivmaßnahmen wurde in einer "Eilmeldung in eigener Sache" vom 23.06.2017 auf der Internetund der Facebook-Seite um Solidarität gebeten.52 Die EA distanzierte sich darin von dem Vorwurf der Gewaltbereitschaft und der Planung eines Terroranschlags. In keinem der beschlagnahmten Schriftstücke und Redebeiträge sei jemals zu Gewalt aufgerufen worden. Im Gegenteil habe die EA stets argumentiert, dass man Gewalt als Instrument des politischen Kampfes aus Überzeugung ablehne. Ausgenommen hiervon sei das "Recht eines jeden Menschen auf Selbstverteidigung". Auch hätten keine paramilitärischen Aktivitäten im Thüringer Wald stattgefunden, sondern "eine friedliche, gemeinschaftsbezogene und naturverbundene Freizeitbeschäftigung jenseits dieser dekadenten und vor Fäulnis stinkenden BRD-Zombie-Gesellschaft." Die Aufenthalte in der Natur seien dazu genutzt worden, eine praxisnahe Vorbereitung auf ein mögliches Krisenund Katastrophenszenario einzuüben. Die EA habe offen über ihre Aktionen berichtet und verweist hierzu auf den Beitrag "Feldübung im Thüringer Wald" vom 30.12.2016. Neben dem Einrücken in unzugängliches Gebiet mit Geländewagen und Zeltmaterial habe eine Rundfahrt durch das Thüringer Schiefergebirge auf dem Programm gestanden. Dabei sei es um die Vervollständigung der Ortskenntnisse durch Nutzung von Nebenstraßen sowie um Fahrten mit unbeleuchtetem Konvoi nach Einbruch der Dunkelheit und um die Übernachtung bei zweistelligen Minusgraden gegangen. Der Beitrag endete mit einem Appell: "Was auch immer kommen mag - Wir halten stand!" 52 Internetseite der EA vom 23.06.2017: "Eilmeldung in eigener Sache". 106 Rechtsextremismus Wiederherstellung der Handlungsfähigkeit des Deutschen Reiches durch Systemüberwindung In den Veröffentlichungen auf der Internetseite der EA propagiert Hennig regelmäßig "Die Neuordnung Europas" und die Wiederherstellung der Handlungsfähigkeit des Deutschen Reiches mit einer "... gewachsenen Volksgemeinschaft, die Reich und Arm, Klug und Beschränkt, Begabt und Behindert zum wechselseitigen Segen ausgleicht, und auf der Grundlagen der Führung durch die Besten (Führergrundsatz, Meritokratie) - der Auslese durch Leistung und der Fürsorge für die Schwächeren." (Internetseite der EA, "Die Neuordnung Europas", 05.02.2017) In dem Beitrag "Revolte oder Untergang" fordern wiederum vermeintlich junge Aktivisten einen "fundamentalen Paradigmenwechsel" zur Überwindung der Bundesrepublik Deutschland, die nach ihrer Meinung "das dunkelste Kapitel der Geschichte unseres Landes" darstelle: "Wir, die heutige Jugend, stehen vor der wegweisenden Entscheidung: Gemeinsam gegen diese Völkermordpolitik der Demokraten zu revoltieren oder aber als gutgläubige Systemlinge dem Untergang anheimzufallen." (Internetseite der EA, "Revolte oder Untergang", 29.03.2017) Forderung nach Bildung einer Lebenskampfund Schicksalsgemeinschaft In ethnopluralistischer Diktion stellt sich die EA gegen die von ihr sogenannte "Multiethnisierungs-Politik der Demokraten", die "diametral den Lebensgesetzen menschlichen Werdens und Vergehens entgegengesetzt" sei.53 In verschiedenen Veröffentlichungen findet sich die Forderung nach einer sogenannten Reconquista, einer "Rückeroberung des Lebensraumes", weil "zu keinem Zeitpunkt der ethnisch-kulturelle Fortbestand seiner Völker derart massiv gefährdet (war), wie heute". Eine solche Rückeroberung sei jedoch nur möglich, würden sich die Völker des Kontinents zu einer volksgemeinschaftlichen "Lebenskampfund Schicksalsgemeinschaft" zusammenschließen und so "eine zentrale Rolle im Überlebenskampf der sich im Untergang befindlichen Völker Europas" einnehmen.54 53 Internetseite der EA vom 24.03.2017: "Naturschutz?". 54 Internetseite der EA vom 15.04.2017: "Einigung oder Untergang". 107 Rechtsextremismus Antisemtische Verschwörungstheorien fordern einen "kapitalistischen Endzeitmodus" Unter Verwendung völkisch-rassistischer Agitationsmuster lehnt die EA einen "Alle-Menschen-sind-gleich-Egalitarismus" ab, weil diese "Rassenund Kulturvermischung ... eine Rassenund Kulturvernichtung" sei, die den Menschen zu einem "entwurzelten und identitätslosen Individuum innerhalb der hybriden Welteinheitszivilisation" machen würde.55 Hier schließen antisemitische Verschwörungstheorien an, in denen unterstellt wird, die Juden wollten andere Völker beherrschen und ausbeuten. Dies entspräche "ganz einer kapitalistischen Verwertungslogik", die darauf ausgerichtet sei, "die Menschen aus ihrem geschichtlichen und geistig-kulturellen Kontext herauszulösen und Traditionen zu entbinden, um letztlich als atomisierte Arbeitssklaven ihren Dienst für das staatenlose Großkapital zu verrichten."56 Die Europäische Aktion sieht die Welt im "Würgegriff des Kapitals". Dahinter stehe ein "parasitäres Finanzkartell der angloamerikanisch-jüdisch dominierten Finanzmafia und ihrer korrupten Erfüllungsgehilfen der Politik". Diese seien verantwortlich für "Kriege, Chaos, Hungersnöte, Massenverelendung und kollektives Völkersterben".57 Ein vermeintlicher "Wendepunkt zu einer Neuen Ordnung" wird darin gesehen, dem "Judaismus ... das Handwerk zu legen, (denn) ... dies ist die Quelle zur Befreiung der Menschheit aus ihrem knechtischen Dasein."58 EA fordert ein Ende der Befreiungsrhetorik und Schuldpsychose Mit dem Ziel der Verharmlosung von NS-Verbrechen und der Rehabilitierung der Verantwortlichen des NS-Regimes plädiert die EA für die Abschaffung des SS 130 StGB (Volksverhetzung). Dementsprechend sieht sich die Europäische Aktion im "Kampf um die geschichtliche Wahrheit", denn die bisherige Geschichtsschreibung sei ein Konstrukt der Umerziehung und diene der Unterdrückung einer vermeintlich anderen historischen Wahrheit rund um die Gescheh55 Internetseite der EA vom 18.05.2017: "Der Niedergang als Notwendigkeit zum Aufstieg". 56 Internetseite der EA vom 03.05.2017: "Chauvinismus? Nein Danke!". 57 Internetseite der EA vom 08.03.2017: "Die Welt im Würgegriff des Kapitals". 58 Internetseite der EA vom 23.08.2017: "Kapitalistischer Endzeitmodus". 108 Rechtsextremismus nisse des Zweiten Weltkrieges. So zeigt man sich davon überzeugt, dass das deutsche Volk erst die "aufoktroyierte Kollektivschuld" ablegen müsse, bevor es wieder "seelisch gesunden und aus sich selber schöpfen" könne.59 Der sogenannte Tag der Befreiung am 08.05.1945 symbolisiere nach Ansicht der EA "... in Tat und Wahrheit erst den Auftakt zum multidimensionalen Vernichtungskrieg gegen das deutsche Volk, dem wir bis in die Gegenwart schutzlos ausgeliefert sind, sowohl physisch als auch geistig." (Internetseite der EA, "Befreiungsrhetorik und Schuldpsychose", 08.05.2017) Die Demokratisierung Deutschlands und die Entstehung einer Erinnerungskultur in der Bundesrepublik werden als "psychologische Kriegsführung" und "Fortsetzung der Kriegsanstrengungen durch die Alliierten" gesehen: "Die schärfste ihrer geistigen Waffen ist jedoch der ins deutsche Bewusstsein implementierte Schuldkomplex an zwei Weltkriegen und dem Holocaust. Gerade letzterer ist das wichtigste Element der Sieger, um den Seelenmord an uns Deutschen zu praktizieren. Und der Seelenmord wiederum bildet die Grundlage, um den Völkermord mittels massenhafter Ansiedlung durch fremde Ethnien widerstandslos durchführen zu können. Denn ein Volk ohne Seele verliert den Lebenswillen und erkennt nicht die Notwendigkeit zum Fortbestand seiner genetischen und kulturellen Substanz." (Internetseite der EA, "Befreiungsrhetorik und Schuldpsychose", 08.05.2017) Die Flüchtlingsthematik als verbindendes Element Die Flüchtlingsthematik ist ein programmatischer Schwerpunkt in den Veröffentlichungen der Europäischen Aktion. Aus ihrer Sicht wird Europa mit "artund wesensfremden Invasoren überflutet und seine indigenen Völker an den Rand ihrer Existenz gedrängt."60 Hieran anknüpfend erfolgt die ethnopluralistisch orientierte Forderung nach einem Kampf um den Erhalt der ethnisch-kulturellen Eigenart gegen die "todbringenden Zivilokkupation". In antisemitischer Diktion wird hinter "der irrsinnigen und kranken Massenmigration" eine bestimmte politische Agenda "im Auftrag fremder Mächte ... 59 Internetseite der EA vom 08.05.2017: "Befreiungsrhetorik und Schuldpsychose". 60 Europa ruft, Nr. 1, 2017, Seite 1: "Der Niedergang als Notwendigkeit zum Aufstieg". 109 Rechtsextremismus zur Auflösung des deutschen Volkskörpers" vermutet. 61 Wie beim sogenannten Hooton-Plan 62 sei es das Ziel jener "fremden Mächte", die Deutschen durch einen "multidimensionalen Vernichtungskrieg" auszulöschen: "Wir Deutsche sollen kurzerhand von der Bildfläche verschwinden, indem unsere genetische Substanz durch die massenhafte Ansiedlung fremder Völkerscharen bei gleichzeitigem Geburtenschwund des autochthonen Volkes bis zur Unkenntlichkeit zerstört wird." (Internetseite der EA, "Klartext", 01.09.2017) Bei den Flüchtlingsbewegungen der letzten Jahre handele es sich nach Ansicht der EA um eine "planmäßig verlaufende Masseneinwanderung nach Deutschland und Europa", die als Folge dessen "den Tatbestand des Völkermordes" erfülle. Dementsprechend seien Flüchtlinge und Asylbewerber auch keine notleidenden Menschen, wie die "volksfeindliche BRD-Regierung" weismachen wolle. Vielmehr würden sich diese "ungebetenen Gäste aus Afrika und dem vorderen sowie mittleren Orient ... wie Eroberer aufführen, frevelhafte Forderungen stellen und unsere Frauen als sexuelle Beuteobjekte betrachten." (Internetseite der EA, "Mut zur Tat", 23.05.2017) In hetzerischer Art und Weise wird den geflüchteten Menschen unterstellt, es vor allem auf die angeblich so üppigen Sozialleistungen in Deutschland abgesehen zu haben: "Im Klartext: Jeder dahergelaufene Zivilokkupant, der bescheinigen kann, Angehöriger einer vermeintlich verfolgten Minderheit zu sein, erhält in der wahnwitzigen Wir-schaffen-das-Republik das Recht auf Asyl und somit Sozialleistungen, von denen jeder Bio-Deutsche nur träumen kann." (Internetseite der EA, "Identität und Recht statt Kalifat und Asylmissbrauch", 29.04.2017) 61 Internetseite der EA vom 01.09.2017: "Klartext". 62 Siehe Kapitel 2.10 (Freistaat Preußen / Stimme des Reiches. 110 Rechtsextremismus Verbindungen zu anderen rechtsextremistischen Gruppierungen Die EA verfügt über eine Vielzahl nationaler und internationaler Kontakte in die rechtsextremistische Szene. Bereits im Jahr 2012 wurde eine Kooperation mit der NPD vereinbart. Ferner bestehen Kontakte zu den rechtsextremistischen Organisationen Die Russlanddeutschen Konservativen und Verein Gedächtnisstätte e. V. sowie zu Meinolf Schönborn, dem Herausgeber der rechtsextremistischen Publikation Recht und Wahrheit (RuW). Unter dem Titel "Wir sind im Krieg" ist ein gemeinsames Flugblatt der EA mit dem rechtsextremistischen Thule-Seminar veröffentlicht worden: "Offene Grenzen töten! Dichte Grenzen retten!" Die Flüchtlingsthematik begünstigt eine Zusammenarbeit der EA mit anderen rechtsextremistischen Organisationen und erweist sich als verbindendes Element. Ihre Funktionäre und Aktivisten beteiligen sich aktiv an deren Demonstrationen und Aufmärschen sowie an Kundgebungen islamfeindlicher Gruppierungen. Ein weiteres verbindendes Element ist die Rehabilitierung der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg. Beispiel hierfür ist die gemeinsame Teilnahme von Angehörigen der EA und der Partei Der III. Weg am "Tag der Ehre" ("Day of Honour") in Budapest (Ungarn) am 11.02.2017, in dessen Verlauf ein Kranz mit dem Schleifenaufdruck "Wir vergessen euch nie - Ewig lebt der Toten Tatenruhm" abgelegt wurde.63 Ehemalige Funktionäre werben nach der Strukturauflösung weiterhin für die EA In der vom Freistaat Preußen herausgegebenen Publikation Stimme des Reiches (SdR), für die ebenfalls der ehemalige EA-Deutschlandleiter Hennig verantwortlich zeichnet, wirbt dieser im bekannten antisemitischen und rassistischen Duktus auch weiterhin für die vom Holocaustleugner Bernhard Schaub formulierten "7 Ziele" der Europäischen Aktion.64 Der ehemalige EA-Gebietsleiter für Thüringen, Axel Schlimper, trat als Redner bei zwei rechtsextremistischen Konzertveranstaltungen mit jeweils mehreren tausend Teilnehmern in der thüringischen Kleinstadt Themar am 15.07.2017 und am 63 Internetseite der EA vom 28.02.2017: "Ehre, wem Ehre gebührt!". 64 Stimme des Reiches, Nr. 5, 2017, Seite 2: "Was nun?"; siehe auch Kapitel 2.10, "Strafverfahren gegen Verantwortliche der Stimme des Reiches". 111 Rechtsextremismus 29.07.2017 auf.65 Zu beiden Veranstaltungen wurden Informationsbzw. Verkaufsstände der EA angemeldet, und trotz der verkündeten Auflösung der Organisationsstrukturen war das Banner der Europäischen Aktion auf dem Gelände sichtbar wahrzunehmen. Darüber hinaus veröffentlichte Schlimper in der rechtsextremistischen Publikation "N.S. HEUTE - Weltanschauung.Bewegung.Leben", die von Vertretern der Partei Die Rechte herausgegeben wird, einen Beitrag unter dem Titel "Solidarität mit der Europäischen Aktion - Die Waffen der Europäischen Aktion", der sich mit der Strukturauflösung vom 10.06.2017 und mit den Exekutivmaßnahmen gegen Verantwortliche der EA vom 23.06.2017 zum Vorwurf der Bildung einer terroristischen Vereinigung auseinandersetzt.66 Schlimper betont darin, dass die EA eine Idee sei, die "in der aktuellen Phase von der Eigeninitiative der Aktivisten und nicht von Anweisungen aus der Leitungsebene" lebe. Eindringlich wirbt er nochmals für die Ziele der EA und verbindet dies mit der Hoffnung auf deren zukünftige Umsetzung in einer "lebendigen Gemeinschaft". Bewertung, Tendenzen, Ausblick Die EA konnte ihrem Anspruch, Sammlungsbewegung in der rechtsextremistischen Szene zu sein, nie vollständig gerecht werden. Offene Präsenz erreichte sie vornehmlich über Facebook und die eigene Internetseite. Weitaus weniger Aufmerksamkeit erreichte sie durch die öffentlichen Auftritte ihrer Führungskräfte. In ihrer letzten Mitteilung vom 26.09.2017 wurde darauf hingewiesen, dass die Internetseite nicht mehr aktualisiert werde, es sei alles gesagt und müsse nicht wiederholt werden. Neben einer Resignation über den mangelnden Zuspruch dürfte auch der staatliche Ermittlungsdruck im Inund Ausland ausschlaggebend für die Verkündung der Auflösung der Organisationsstrukturen am 10.06.2017 gewesen sein. Die Strukturauflösung sowie die Entlassung der weisungsgebenden Funktionsträger aus ihrer Verantwortung, die der ehemalige Deutschlandleiter Hennig an jenem Tag unterrichtet habe, könnte als strategische Maßnahme gegen ein von 65 Deutscher Bundestag, 29.09.2017, Drucksache 18/13661; siehe auch Kapitel 2.4, "Rechtsextremistische Musikszene". 66 Axel Schlimper, "Solidarität mit der Europäischen Aktion - Die Waffen der Europäischen Aktion", in: N.S. Heute - Weltanschauung.Bewegung.Leben, Nr. 5, 2017, Seite 19ff. 112 Rechtsextremismus der EA befürchtetes Verbotsverfahren und gegen weitere mögliche Exekutivmaßnahmen gedeutet werden. Die menschenverachtenden neonazistischen, rassistischen und antisemitischen Ideen und Ziele der EA werden durch das Fortbestehen ihrer Internetseite auch zukünftig verbreitet und im Internet, in Vorträgen und Schriften von Einzelpersonen weitergetragen. Eine Abkehr von der rechtsextremistischen Ideologie ist nicht erkennbar. Die Veröffentlichungen Hennigs zur Krisenvorsorge und zum bewaffneten Partisanenkampf in Südtirol auf der Internetseite der EA können auch weiterhin zu einer Radikalisierung gerade junger Anhänger beitragen. Eine absehbare strukturelle Neuformierung der EA erscheint zurzeit eher unwahrscheinlich. Für die Zukunft kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass kleine, konspirativ ausgerichtete und operativ agierende Einheiten bzw. Zellen weiterhin eine Krisenvorsorge betreiben und sich auf einen "Tag X" vorbereiten, an dem der in rechtsextremistischen Kreisen prognostizierte Krisenoder Katastrophenfall als Folge von angeblich massenhafter Zuwanderung und vermeintlicher Islamisierung eintritt, der eine Wehrhaftigkeit und Selbstverteidigung erfordere. Die weitere Entwicklung bleibt daher abzuwarten. 2.10 Freistaat Preußen / Stimme des Reiches (SdR) Sitz / Verbreitung Sitz der Organisation: Verden Gründung / 1995 Bestehen seit Struktur / "kommissarischer Staatspräsident": Dr. Rigolf Hennig; "LandtagsRepräsentanz präsident": Heinrich Mock; SdR-Schriftleitung: Dr. Rigolf Hennig Mitglieder / Bund: nicht bekannt Land: Einzelpersonen Anhänger / Unterstützer 113 Rechtsextremismus Veröffentlichungen Publikation: Stimme des Reiches (SdR) (Auflage: ca. 1.500 Stück) Kurzportrait / Ziele Die Organisation Freistaat Preußen wurde 1995 gegründet. Ihre ideologische Ausrichtung ist geschichtsund gebietsrevisionistisch. Führende Funktionäre sind Dr. Rigolf Hennig ("kommissarischer Staatspräsident") und Heinrich Mock ("Landtagspräsident"). Der Freistaat Preußen tritt derzeit nach außen lediglich durch die Herausgabe der im Eigendruck hergestellten Publikation Stimme des Reiches (SdR) in Erscheinung, deren Beiträge offen antisemitische mit revisionistischen und ausländerfeindlichen Positionen verbinden. Autoren sind größtenteils Protagonisten der 2008 verbotenen Vereine Collegium Humanum (CH) und des Vereins zur Rehabilitierung der wegen Bestreitens des Holocaust Verfolgten (VRBHV). Zu den Stammautoren zählen neben Hennig auch Ursula Haverbeck-Wetzel und Arnold Höfs. Die SdR ist als Nachfolgepublikation der 2008 ebenfalls verbotenen CH-Publikation Stimme des Gewissens zu sehen, die nach dem Verbot zunächst unter dem Titel Das Reich herausgegeben wurde. Die Namenswahl stellt die Nähe zum Dritten Reich heraus. Während der Indizierung der SdR in 2016 wurde als Ersatzpublikation ein "Persönlicher Brief von Ursula Haverbeck" herausgegeben. Seit Ende 2016 erscheint die SdR wieder in unregelmäßigen Abständen. Finanzierung Verkauf der Publikation SdR und Spenden für die "Rechtskampfhilfe"67, Inhaber Unkostenkonto: Dr. Rigolf Hennig Grund der Beobachtung / Verfassungsfeindlichkeit Die Publikation Stimme des Reiches (SdR) beinhaltet überwiegend antisemitische, revisionistische und insbesondere NS-Verbrechen verharmlosende Inhalte, aber auch rassistische und fremdenfeindliche Positionen. Die Schrift richtet sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung, will den historischen Nationalsozialismus rehabilitieren und die verfassungsmäßige Ordnung der Bundesrepub67 Ziel der sogenannten Rechtskampfhilfe ist es, "den undemokratischen SS 130 StGB, vor allem in Abs. 3 und 4 zu Fall zu bringen." Diese Hilfe basiert auf den Zielen des verbotenen VRBHV und umfasst die Forderung nach straffreier Meinungsäußerung im Zusammenhang mit der Holocaustleugnung (Volksverhetzung). 114 Rechtsextremismus lik Deutschland delegitimieren. Damit ist die SdR verfassungsfeindlich und erfüllt die Voraussetzungen für eine Beobachtung nach SS 3 Abs. 1 Nr. 1 und 4 NVerfSchG. Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum Indizierung und Ermittlungsverfahren wegen Volksverhetzung Die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) hatte im Jahr 2016 mehrere Ausgaben der Stimme des Reiches indiziert. Als Ersatzpublikation wurde ein sogenannter Persönlicher Brief von Ursula Haverbeck-Wetzel in mehreren Ausgaben herausgegeben. Am 11.04.2017 wurde hierzu von der BPjM ebenfalls eine Indizierung ausgesprochen. In der Begründung heißt es, die in der Publikation geäußerten Meinungen stünden im krassen Widerspruch zu den im Einklang mit dem Grundgesetz stehenden und in der Gesellschaft vorherrschenden Erziehungszielen. Durchgängig werde Antisemitismus verbreitet und der Holocaust geleugnet. In einem "Offenen Brief an die Bundesprüfstelle" wendet sich Haverbeck-Wetzel gegen diese "diametral entgegengesetzt zu den Rechtsgrundlagen der BRD" stehende Entscheidung, die sie als Verstoß gegen Artikel 5 des Grundgesetzes (Freiheit der Meinung, Kunst und Wissenschaft) wertet, und darum eine Abschaffung der Prüfstelle fordert.68 Haverbeck-Wetzel will damit der Bundesrepublik Deutschland und der sie vertretenden Institutionen die Rechtsstaatlichkeit absprechen. Ihrer Auffassung nach diene der SS 130 StGB (Volksverhetzung) allein der Unterdrückung einer vermeintlich anderen historischen Wahrheit rund um die Geschehnisse des Zweiten Weltkrieges. Mit der konsequenten Leugnung des industriellen Massenmordes verfolgt sie das Ziel einer Rehabilitierung des nationalsozialistischen Regimes. 68 Stimme des Reiches, Nr. 3/4, 2017, Seite 4: "Offener Brief an die Bundesprüfstelle". 115 Rechtsextremismus Strafverfahren gegen Verantwortliche der Stimme des Reiches In den Jahren 2014 und 2015 war die Publikation SdR Gegenstand eines staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens wegen Volksverhetzung gemäß SS 130 StGB. Der Vorwurf lautete auf Leugnung oder zumindest Verharmlosung des Holocausts und hatte im Rahmen der Ermittlungen die Beschlagnahme der SdR-Ausgaben sowie in den Jahren 2016 und 2017 mehrere Strafverfahren gegen Verantwortliche der Zeitschrift zur Folge. Am 21.11.2016 wurde Haverbeck-Wetzel vom Schöffengericht des Amtsgerichts Verden nach SS 130 StGB zu zwei Jahren und sechs Monaten Haft ohne Bewährung verurteilt, weil sie in mehreren SdR-Beiträgen der Jahrgänge 2014 und 2015 die massenhafte Ermordung von Juden in den nationalsozialistischen Vernichtungslagern geleugnet hatte. Bereits im Gerichtssaal kündigte sie eine Berufung an. Im Berufungsverfahren vor dem Landgericht Verden im August 2017 wurde die Haftstrafe ohne Bewährung auf zwei Jahre reduziert. In ihren Einlassungen leugnete Haverbeck-Wetzel, die sich selbst als "Überzeugungstäterin" bezeichnete, erneut den Holocaust und verband dies mit der Forderung nach Abschaffung des SS 130 StGB, da dieser mit Artikel 5 des Grundgesetzes unvereinbar sei.69 Das Oberlandesgericht Celle verwarf am 12.02.2018 die von Haverbeck-Wetzel angestrebte Revision gegen die Entscheidung des Landgerichts Verden, so dass die Verurteilung zu einer Haftstrafe von zwei Jahren nunmehr rechtskräftig ist. Im April 2017 wurde das Strafverfahren wegen Volksverhetzung gegen Hennig vor dem Amtsgericht Verden fortgeführt, nachdem die erste Sitzung am 28.11.2016 nach einem Disput ausgesetzt wurde. Bereits zu Verhandlungsbeginn bestritt Hennig die Legitimität der verfassungsmäßigen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland, indem er betonte, dass er das Gericht nicht anerkenne und es für nicht zuständig halte. Das Gericht verurteilte Hennig wegen Volksverhetzung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten ohne Bewährung und sah es als erwiesen an, dass er maßgeblich an der Herstellung und Verbreitung der SdR in den Jahren 2014 und 2015 mitgewirkt hat. In mehreren Beiträgen hatte Hennig die massenhafte Ermordung von Juden in den nationalsozialistischen 69 Stimme des Reiches, Nr. 5, 2017, Seite 5ff.: "Einlassungen der 'Überzeugungstäterin'". 116 Rechtsextremismus Vernichtungslagern geleugnet sowie Flüchtlinge diffamiert. Für die Versandabwicklung zur Verfügung wurden zudem sein Konto und seine Adresse zur Verfügung gestellt. Das Urteil war bis Ende 2017 noch nicht rechtskräftig. Im SdR-Beitrag "Justizverbrechen" kommentiert Hennig in Reichsbürger-Diktion seine Verurteilung. Wiederholt spricht er darin der Bundesrepublik Deutschland ihre Rechtsstaatlichkeit ab und bezeichnet sie als "ein Dauervölkerrechtsdelikt auf Reichsboden". Auch würde er sich nur einem "Gericht im Sinne der deutschen Rechtsordnung" beugen. Weiterhin stellt sich Hennig gegen die Strafbarkeit der Holocaustleugnung nach SS 130 StGB und macht das Recht auf freie Meinungsäußerung gemäß Artikel 5 des Grundgesetzes geltend. Seine Verurteilung hält er für ein "Justizverbrechen".70 Antisemitismus, Holocaustleugnung und Fremdenfeindlichkeit in der Stimme des Reiches In aggressiver Rhetorik vertritt Hennig regelmäßig seine fremdenfeindlichen und rassistischen Ansichten. Mit dem Ziel der Verächtlichmachung bezeichnet er Flüchtlinge als eingeschleuste "Raumfremde" und die Flüchtlingsbewegung menschenverachtend als "Menschenlawine", "Sturmflut" oder "Flüchtlingsschwemme" und suggeriert damit eine existenzbedrohende Gefahr für das deutsche Volk. Seiner antisemitischen Verschwörungstheorie zufolge handele es sich hierbei weder um "... Zufall noch Schicksal, sondern um die Umsetzung eines teuflischen Langzeitplanes ... zur vorsätzlichen Vernichtung der Völker durch die gezielte Einschleusung Raumfremder zum Zwecke der Vermischung und/oder Verdrängung". (Stimme des Reiches, Nr. 2, 2017, Seite 3f., "Im Namen des Teufels") 70 Stimme des Reiches, Nr. 2, 2017, Seite 22: "Justizverbrechen". 117 Rechtsextremismus Zur Untermauerung seiner Thesen bezieht sich Hennig auf den sogenannten Hooton-Plan71, wonach "die Zukunftsrasse Europas eine eurasisch-negroide Mischrasse sein soll (geführt von einer jüdischen Adelsschicht)."72 In einem anderen Beitrag für die Stimme des Reiches verbindet Hennig seine antisemitische Verschwörungstheorie mit rassistischer Hetze und gibt Anweisungen für weiteres Handeln.73 Angebliche Belege für seine Thesen sieht er in den "Protokollen der Weisen von Zion" und im "Hootonplan von 1943". Um die Angst vor Überfremdung zu schüren, zeigt er suggestive Szenarien auf, in denen Flüchtlinge eingesetzt würden, um die deutsche Bevölkerung mittels einer "weiteren Menschenlawine ... aus Afrika über Libyen und Marokko" sowie durch einen "Familiennachzug aus dem Morgenland" zu vernichten, der "abenteuerliche Zuwachsraten an Orientalen" befürchten lasse. Hierin sieht er die Fortführung des Zweiten Weltkrieges mit anderen Mitteln, wonach das deutsche Volk wie im Sinne des Hooton-Plans durch Vermischung und Verdrängung ausgerottet werden solle: "Das ist Völkermord an unserem eigenen Volk."74 Als Verantwortliche nennt Hennig ominöse "Kräfte im Hintergrund", die für ihn "im Zionismus festzumachen sind". Diese Kräfte - von Hennig als 'Jene' bezeichnet - würden die Weltherrschaft anstreben und damit Völker und Staaten beherrschen, um "die Verfügungsgewalt über alle Länder und Rohstoffe der Erde" zu erreichen. Zur "Umkehr der feindlichen Ziele" propagiert er als letzten Ausweg die "Wiederherstellung der Handlungsfähigkeit des Deutschen Reiches als unserem Nationalstaat" und verbindet dies mit den vom 71 Der Hooton-Plan bezieht sich auf einen im Jahr 1943 veröffentlichten Zeitungsartikel des US-amerikanischen Paläoanthropologen und Hochschullehrers Earnest Albert Hooton. In einem Propagandaartikel für die Tageszeitung PM New York Daily vom 04.01.1943 forderte Hooton, den "deutschen Nationalismus" und dessen "aggressive Ideologie" dadurch zu zerstören, indem man in Deutschland eine nicht-deutsche Bevölkerung ansiedelt. Anschließend müssten die "biologisch begründeten und angeborenen, räuberischen Neigungen der Deutschen" durch Kreuzungen mit Vertretern anderer Völker "weggezüchtet" werden. Die Deutschen sollten damit nach und nach durch eine höhere Geburtenrate verdrängt werden und leichter zu kontrollieren sein. Heutzutage wird der Hooton-Plan in rechtsextremistischen Kreisen als historische Tatsache und als Beleg für eine weltweite Verschwörung wiedergegeben. Ihre Vertreter sehen in der Flüchtlingsbewegung den Beweis für die Umsetzung des Plans, indem vor allem männliche Nicht-Europäer für "Mischrassen" sorgen sollen. 72 Stimme des Reiches, Nr. 2, 2017, Seite 3: "Im Namen des Teufels". 73 Stimme des Reiches, Nr. 5, 2017, Seite 2ff.: "Was nun?". 74 Stimme des Reiches, Nr. 5, 2017, Seite 2: "Was nun?". 118 Rechtsextremismus Holocaustleugner Bernhard Schaub formulierten "7 Zielen" der Europäischen Aktion75, u. a. die Abschiebung aller "Raumfremden" in ihre Heimatländer. Zum Schluss seines Artikels gibt Hennig einige Handlungshinweise, darunter eine Wehrhaftigkeit in Form von "sittlicher, geistiger und stofflicher Aufrüstung" sowie "Körperertüchtigung ... in Vorbereitung auf kommende Umstürze" mit "Bevorratung und Bewaffnung", aber auch Forderungen nach einer nationalen Vernetzung und der Bildung von Bürgerwehren. Neben einem passiven Widerstand rät er zum aktiven Widerstand mit der "Besetzung politischer Schaltstellen" sowie mit "Grenzund Transitblockaden gegen Eindringlinge" nach dem Vorbild der Identitären Bewegung76 . Im Zentrum steht für ihn die "Schuldumkehr, also der Wahrheit die Ehre geben, nach welcher 'Jene' die Täter sind und wir die Opfer"77. Schuldumkehr mit dem Ziel der Wiederherstellung des Deutschen Reiches Mit den Kosten der Integration einschließlich eines Familiennachzugs von Flüchtlingen setzt sich Hennig im Beitrag "Alarm: Kommunen in Not"78 auseinander. Migranten werden darin böswillig verächtlich gemacht, indem sie als eine Gefahr für das deutsche Volk dargestellt und im Kollektiv als Ausbeuter und Nutznießer des Systems verunglimpft werden. Diese "Springflut" werde "alles, was bisher angestrandet ist, in den Schatten stellen". Hennig fordert deshalb einen kommunalen Widerstand gegen die angebliche "Zumutung der Flüchtlings-Versorgung" und sieht sich hierbei durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur "Erhaltung der Identität des deutschen Volkes" bestätigt, um eine Umkehr der Opferrolle zu betreiben: "Nun, da der Zusammenbruch droht, droht auch der Aufstand der geschundenen Opfer, der betrogenen Deutschen."79 In gleicher Tonart führt Hennig in einem anderen Beitrag aus, es sei 75 Siehe Kapitel 2.9, "Ehemalige Funktionäre werben nach der Strukturauflösung weiterhin für die EA". 76 Siehe Kapitel 2.6. 77 Stimme des Reiches, Nr. 5, 2017, Seite 3: "Was nun?". 78 Stimme des Reiches, Nr. 5, 2017, Seite 13: "Alarm: Kommunen in Not". 79 Stimme des Reiches, Nr. 5, 2017, Seite 13: "Alarm: Kommunen in Not". 119 Rechtsextremismus "inzwischen doch unübersehbar, wer Schuld an den bestehenden Zuständen trägt und wer Opfer ist". 80 "Das Opfer sind die Völker, voran das deutsche, weil diese der Weltherrschaftsanmaßung der Zionisten im Wege stehen. 'Jene' zetteln seit Generationen Kriege, Umstürze und Völkervernichtung an. Wenn die Schuldumkehr, also das Wissen um Täter und Opfer, ins allgemeine Bewußtsein dringt, dann findet auch das deutsche Volk zurück zu Selbstachtung, Mut und Zuversicht und wird handeln. Hier geht es um die Wiederherstellung des Völkerrechts, also des deutschen Nationalstaates "Deutsches Reich" als Rückgrat eines "Europa der Vaterländer". (Stimme des Reiches, Nr. 5, 2017, Seite 22) Antisemitische Diffamierung des verstorbenen Altkanzlers Helmut Kohl verbunden mit dem Aufruf zur Wiederherstellung des Deutschen Reiches In verleumderischer Art und Weise äußert sich Hennig zum Tod von Altkanzler Helmut Kohl und verbindet dies mit antisemitischen Verschwörungstheorien. Hennig verunglimpft Kohl als "Trittbrettfahrer" und suggeriert in seinem gleichlautenden Beitrag eine jüdische Einflussnahme auf den Altkanzler des "Besatzungskonstrukts 'BRD'", 81 womit er deutlich zum Ausdruck bringt, dass er die Bundesrepublik Deutschland als Staat und deren Repräsentanten nicht anerkennt. Daneben wird der Anschein erweckt, Kohl sei für den nach Hennigs Auffassung "nachhaltig zugefügten Schaden" mit dem KarlsPreis geehrt worden, "der fast ausnahmslos an Politikverbrecher vergeben wurde". Weiterhin unterstellt er eine fortwährende jüdische Einflussnahme durch die "immer noch herrschenden Besatzungsmächte bzw. 'Jener'", die er für zionistische "Kräfte im Hintergrund"82 hält. Hennig schließt den Beitrag mit einem Aufruf zur Wiederherstellung des Deutschen Reiches: "Es ist hoch an der Zeit, die Selbstherrschaft unseres Nationalstaates des Deutschen Reiches, wiederherzustellen, bevor der Schaden unumkehrbar wird."83 80 Stimme des Reiches, Nr. 5, 2017, Seite 22: "Zur Lage nach den Wahlen". 81 Stimme des Reiches, Nr. 3/4, 2017, Seite 17: "Der Trittbrettfahrer". 82 Stimme des Reiches, Nr. 5, 2017, Seite 2: "Was nun?". 83 Stimme des Reiches, Nr. 3/4, 2017, Seite 17: "Der Trittbrettfahrer". 120 Rechtsextremismus Bewertung, Tendenzen, Ausblick In der Publikation SdR, die von der vor allem geschichtsund gebietsrevisionistisch ausgerichteten Organisation Freistaat Preußen herausgegeben wird, finden sich vorrangig Beiträge, die den Nationalsozialismus verherrlichen und antisemitische Verschwörungstheorien propagieren. Der in Konzentrationsund Vernichtungslagern sowie an anderen Orten begangene Massenmord an Juden und anderen Personengruppen wird geleugnet und verharmlost. Die Publikation gibt verurteilten Holocaustleugnern eine Plattform, um ihre volksverhetzenden Ansichten zu publizieren. In der SdR werden Beiträge veröffentlicht, die vor allem die Flüchtlingsthematik zum Anlass nehmen, um rechtsextremistisches und antisemitisches Gedankengut in der Gesellschaft zu verbreiten und um Hass gegenüber Juden und Asylsuchenden zu schüren. Gegen das angebliche Versagen der Politik werden von den Autoren Selbsthilfe und Gegenwehr propagiert. Gerade junge Menschen mit fremdenfeindlichen Einstellungen könnten dies als Aufforderung zu gewalttätigen Aktionen gegen Asylsuchende oder Flüchtlingsunterkünfte verstehen. Nicht zuletzt der von Hennig geäußerte Appell zur Bewaffnung und Vorbereitung auf angeblich bevorstehende Umstürze wie auch sein Ruf nach passivem und aktivem Widerstand lassen aufhorchen. Die Gerichtsverfahren gegen die Hauptverantwortlichen der SdR wurden von den Angeklagten wie Schauprozesse inszeniert, um ihrer Forderung nach Abschaffung des SS 130 StGB und Wertung der Holocaustleugnung als freie Meinungsäußerung im Sinne von Artikel 5 des Grundgesetzes mehr Gewicht zu verleihen. Unbeeindruckt von den Strafverfahren und Verurteilungen wegen Volksverhetzung findet weiterhin eine Herstellung und Verbreitung der Publikation statt. Die Berichterstattung in der Stimme des Reiches über die Prozesse vor dem Amtsund Landgericht in Verden wurden dazu genutzt, die holocaustleugnenden Einlassungen der Beklagten vor Gericht zu wiederholen und die Rechtmäßigkeit des Staates und seiner Institutionen in Frage zu stellen. 121 Rechtsextremismus 2.11 Verein Gedächtnisstätte e. V. Sitz / Verbreitung Sitz der Gesamtorganisation: Seevetal (Landkreis Harburg); Kulturund Tagungsstätte: Guthmannshausen (Thüringen) Gründung / Seit 1992 Bestehen seit Struktur / Vereinsvorsitzender: Wolfram Schiedewitz Repräsentanz Mitglieder / Bund: 50 Land: 15 Anhänger / Unterstützer Veröffentlichungen Publikation: Veranstaltungsprogramm Broschüre "Gedächtnisstätte" zum 25-jährigen Jubiläum Homepage im Internet Kurzportrait / Ziele Der Verein Gedächtnisstätte e. V. wurde 1992 in Vlotho (Nordrhein-Westfalen) gegründet. Erste Vorsitzende war die Holocaustleugnerin Ursula Haverbeck-Wetzel. Seit 2003 leitet Wolfram Schiedewitz aus Niedersachsen den Verein. Mit der Einweihung der "Gedächtnisstätte für die 12.000.000 deutsche(n) Opfer durch Bomben des Weltkrieges II, Verschleppung, Vertreibung und in Gefangenenlagern" im Jahr 2014 wurde das Vereinsziel erreicht. Unter dem Leitspruch: "Zukunft braucht Herkunft" betreibt der Verein eine revisionistische, antisemitische und fremdenfeindliche Geschichtsbetrachtung und -verbreitung. Bereits seit 2011 nutzt der Verein für seine Veranstaltungen das Kulturund Tagungszentrum Guthmannshausen (Thüringen). Regelmäßig finden dort Vortragsveranstaltungen zu kulturellen und aktuellen Themen mit Zeitzeugen und Historikern statt, darunter auch bekennende Revisionisten und Holocaustleugner sowie Vertreter rechtsextremistischer und anderer im rechtsextremistischen Spektrum agierender Organisationen und Medien. In geschichtsrevisionistischer Manier werden deutsche Kriegsverbrechen relativiert und die Kriegsschuld des NS-Regimes geleugnet. 122 Rechtsextremismus Im August 2014 wurde auf dem Gelände des ehemaligen Rittergutes in Guthmannshausen eine Gedächtnisstätte eingeweiht. Anwesend waren etwa 200 Rechtsextremisten aus dem Inund Ausland, darunter Haverbeck-Wetzel und der Deutschlandleiter der Europäischen Aktion (EA), Dr. Rigolf Hennig. In seiner Rede kritisierte der Vorsitzende Schiedewitz eine angebliche Einseitigkeit deutscher Geschichtsbetrachtung. Im August 2017, anlässlich der Feierlichkeiten zum 25-jährigen Jubiläum, sprach der Vereinsvorsitzende in der Jubiläumsbroschüre nachträglich eine offene Drohung aus: "Wer einzelne Besucher unserer Einweihungsfeier in die Nähe der Radikalität stellt, wird für seine unbegründete Boshaftigkeit eines Tages zur Verantwortung gezogen werden."84 Der Verein präsentiert sich seit Anfang 2017 mit einem überarbeiteten Internetauftritt. Dort stellt er seine Ziele vor und bittet um Spenden. Zudem ist ein Veranstaltungskalender eingestellt. Finanzierung Mitgliedsbeiträge (Fördermitgliedschaft), Spenden, Nachlässe in geldwerter Form, Patenschaften für Gedenksteine Grund der Beobachtung / Verfassungsfeindlichkeit Die rechtsextremistische Ausrichtung des Vereins Gedächtnisstätte e. V. lässt sich aus der Beteiligung von Rechtsextremisten und der Zusammenarbeit mit Rechtsextremisten schließen. Durch die Relativierung der Opfer des NS-Regimes versucht der Verein, eine Revision der Geschichte zu betreiben. Darüber hinaus bietet er Rechtsextremisten eine Plattform für ihre Positionen. Die Flüchtlingsthematik ist als wichtiges und verbindendes Element im gesamten Rechtsextremismus zu sehen. In den Vorträgen und Veröffentlichungen des Vereins Gedächtnisstätte e. V. wird die Migration und Integration von Flüchtlingen aufgegriffen und als "Umvolkung" oder "Völkermord" bezeichnet. Die Art und Weise, wie gegen die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung agiert wird, steht dabei im Widerspruch zur deutschen Rechtsund Werteordnung und zum Grundrecht auf Asyl nach Art. 16a Abs. 2 GG. Hiermit richtet sich der Verein Gedächtnisstätte e. V. gegen die freiheit84 Jubiläumsbroschüre vom 05.08.2017, Seite 54. 123 Rechtsextremismus liche demokratische Grundordnung und gegen den Gedanken der Völkerverständigung. Damit ist der Verein verfassungsfeindlich und erfüllt die Voraussetzungen für eine Beobachtung nach SS 3 Abs. 1 Nr. 1 und 4 NVerfSchG. Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum Der Verein Gedächtnisstätte e. V. organisierte im Jahr 2017 monatliche Vortragsveranstaltungen, in denen er eine "Brücke zwischen Vergangenheit und Gegenwart" bauen wollte, um unter dem Deckmantel des Gedenkens an die deutschen Opfer des Zweiten Weltkrieges sein rechtsextremistisches Gedankengut zu verbreiten. In den zwei Halbjahresprogrammen positionierte sich der Vereinsvorsitzende offen rechtsextremistisch und präsentierte mehrheitlich Referenten, die dem rechtsextremistischen Spektrum zugeordnet werden. Einen Schwerpunkt bildeten in diesem Jahr die Argumentationsmuster der sogenannten Reichsbürger und Selbstverwalter; entsprechende Vorträge wurden im Mai und Dezember gehalten: "Rechtliche Grundlagen unser Staatlichkeit", "Staatsangehörigkeitsausweis - Sind wir Deutschen staatenlos?", "Souveränität des Menschen". Im August fand das 3. Sommerfest mit den Jubiläumsfeierlichkeiten zum 25-jährigen Bestehen des Vereins statt. Teilgenommen haben etwa 100 Personen, darunter Gründungsmitglieder sowie langjährige und engagierte Freunde und Begleiter des Vereins. Das Veranstaltungsprogramm bot Vorträge sowie eine ganztätige Betreuung für Kinder. Zu den Referenten gehörten neben dem Vereinsvorsitzenden Wolfram Schiedewitz und dem Vorstandsmitglied Dr. Paul Latussek auch die Holocaustleugner Bernhard Schaub (Gründer der Europäischen Aktion) und Ursula Haverbeck-Wetzel. Anlässlich des Jubiläums wurde eine Broschüre erstellt, die den Weg des Vereins von der Entstehung bis zur Umsetzung aufzeigt. Haverbeck-Wetzel bedankte sich darin ausdrücklich beim Verein Gedächtnisstätte e. V., der "sich nie von (ihr) distanziert hat, was heute ungewöhnlich und sehr dankenswert ist."85 Darüber hinaus stellte der Verein auch im Jahr 2017 anderen rechtsextremistischen Organisationen seine Räumlichkeiten für Veranstaltungen zur Verfügung. 85 Jubiläumsbroschüre vom 05.08.2017, Seite 16. 124 Rechtsextremismus Forderung nach "wahrhaftiger Aufarbeitung" der Geschichte Im Rahmen seiner revisionistischen Geschichtsbetrachtung sieht sich der Verein im Kampf gegen die Herrschenden in Deutschland bei der Verwirklichung des Vereinsziels. Dabei stehen die geschichtlichen Zusammenhänge in einem engen Kontext mit der aktuellen Politik. Die revisionistische Forderung zur "wahrhaftigen Aufarbeitung" der Geschichte knüpft hier an, denn "zu viele Glaubenssätze der Gegenwart müßten als Lüge bzw. als Verkürzung der wahren geschichtlichen Abläufe charakterisiert werden."86 Daneben steht die Ablehnung einer "Bürde der Schuld"87, zu der Schiedewitz forderte, "die Lage von uns Deutschen als 'Besiegte von 1945' (zu) ändern."88 Weiter heißt es an gleicher Stelle: "Schuld ist keine politische Kategorie, sie kann durch keine Instanz über Völker oder Nationen verhängt werden. Es gibt also keine Möglichkeit, ein Volk als Ganzes für schuldig oder unschuldig zu erklären. Die junge Generation hat genug von der ewigen Knechterei mit dem Schuldkomplex, die nur dazu da ist, uns ständig am Gängelband der Mächtigen zu führen und deren Politik zu bezahlen." (Jubiläumsbroschüre vom 05.08.2017, Seite 55) Antisemitische Verschwörungstheorien suggerieren eine "Überfremdung" durch den "Hooton-Plan" Programmatisches Ziel des Vereins ist es, die Trauer um die Toten des Zweiten Weltkrieges mit der "Aufklärung über die wahren Ursachen und Zielsetzungen in unserem Land" zu verbinden. In den Rundschreiben des Vereins, aber auch in der aktuellen Jubiläumsbroschüre finden sich antisemitische Verschwörungstheorien, die die "Aufarbeitung der Vergangenheit auf der Grundlage der Wahrheit, auch der geschichtlichen Wahrheit" und die Abschaffung des SS 130 StGB fordern: "Treiben wir den Teufel aus, befreien wir uns aus der jahrzehntelangen Knechtschaft! Lüge und Verleumdung haben trotz Verboten und Paragraphen keinen dauerhaften Bestand." (Jubiläumsbroschüre vom 05.08.2017, Seite 61) 86 Jubiläumsbroschüre vom 05.08.2017, Seite 7. 87 Jubiläumsbroschüre vom 05.08.2017, Seite 7. 88 Jubiläumsbroschüre vom 05.08.2017, Seite 55. 125 Rechtsextremismus Schiedewitz verweist diesbezüglich auf Strömungen im Inund Ausland, "... die die derzeitige Überfremdung unseres Kontinents nicht widerspruchslos hinnehmen wollen. Der Hooton-Plan89 von 1943 in seinem finalen Erscheinungsbild muß gestoppt werden. Dann werden auch die kriegerischen Auseinandersetzungen des letzten Jahrhunderts, die genau hier ihre Ursachen haben, völlig neu bewertet werden." (Jubiläumsbroschüre vom 05.08.2017, Seite 62) Aufnahme von Flüchtlingen als gesteuertes Vernichtungsprogramm durch eine jüdische Weltverschwörung Die Asylund Flüchtlingsthematik ist für Schiedewitz zur "Schicksalsfrage" geworden. In diesem Zusammenhang spricht er von einem "jüdischen Umvolkungsprogramm", das "den schlimmsten Angriff auf den Bestand unserer Nation seit dem Zweiten Weltkrieg" darstellt. Die Wähler der "etablierten Parteien" hätten nicht begriffen, dass sie damit die "Umvolkung" und den "Untergang" wählen. Ihnen würden "wesentliche Bausteine zum Verständnis des gegenwärtigen Weltgeschehens" fehlen, das "auf sehr langfristig angelegten Plänen" aufgebaut sei.90 Als vermeintliche Urheber dieser Pläne will Schiedewitz eine angebliche jüdische Hochfinanz entlarven: "Das Jahrhundert des Kapitalismus, das Jahrhundert der Lüge und der Ausbeutung neigt sich unweigerlich seinem Ende zu. Trotzdem bedarf es weiterer Anstrengungen in der Aufklärung, um die Hintergründe der jetzigen Entwicklung in Deutschland und Europa aufzuzeigen. Es ist ja kein Zufall, daß Menschenmassen unser Land wie bei einer Invasion besetzen. Man hat aus den letzten Kriegen gelernt. Ein zerstörtes Land kann man wieder aufbauen, ein zerstörtes Volk nicht! Multikulti ist ein Vernichtungsprogramm der Neuen Weltordnung (NWO)." (Jubiläumsbroschüre vom 05.08.2017, Seite 59f.) In fremdenfeindlicher Diktion fordert Schiedewitz die Einwanderer dazu auf, das Land wieder zu verlassen, da diese nach "geltendem Recht illegal eingewandert" seien.91 Und die Integration von Flüchtlingen und Asylbewerbern führe schließlich zur "Völkervernichtung", so Schiedewitz weiter: "Ein deutscher Paß ergibt noch kein deutsches Herz!"92 89 Siehe Fußnote 71. 90 Programm im 2. Halbjahr 2017. 91 Jubiläumsbroschüre vom 05.08.2017, Seite 60. 126 92 Jubiläumsbroschüre vom 05.08.2017, Seite 60. Rechtsextremismus Verbindungen zu anderen rechtsextremistischen Organisationen Der Verein Gedächtnisstätte e. V. verfügt über diverse Kontakte zu rechtsextremistischen Organisationen, u. a. zur Schlesischen Jugend e. V. (SJ), zum Freundschaftsund Hilfswerk Ost e. V. (FHwO), Bund für Gotterkenntnis (Ludendorff) e. V." und zur Jungen Landsmannschaft Ostdeutschland (JLO), aber auch zur NPD und zu neonazistischen Freien Kräften, zur Europäischen Aktion (EA) und zum Thule-Seminar sowie zu russischen Vertretern einer völkisch-esoterischen Weltanschauung, um nach eigenem Bekunden den "deutsch-russischen Bruderbund" zu fördern. Diese Kontakte verdeutlichen die Bemühungen des Vereins, ein organisationsübergreifendes nationales und internationales Netzwerk aufzubauen. Bewertung, Tendenzen, Ausblick Unter dem Deckmantel des Gedenkens an die deutschen Opfer des Zweiten Weltkrieges agitiert der 1992 gegründete rechtsextremistische Verein Gedächtnisstätte e. V. gegen den demokratischen Verfassungsstaat und versucht, geschichtsrevisionistisches Gedankengut in demokratische Bevölkerungskreise zu transportieren. Hierzu organisiert er regelmäßig im Kulturund Tagungszentrum in Guthmannshausen Vortragsveranstaltungen mit Zeitzeugen und Historikern, aber auch mit jungen Aktivisten rechtsextremistischer Gruppierungen. Schiedewitz sieht die Gedächtnisstätte als "historisch zu nennenden Ort, der den Willen patriotisch gesinnter Bürger dieses Landes symbolisiert, unsere Geschichte und die dafür gebrachten Opfer an Leib und Leben, Hab und Gut im historisch unangreifbaren Lichte darzustellen."93 Schiedewitz bietet die Gedächtnisstätte allen an, die Schwierigkeiten haben, aufgrund ihrer Gesinnung, Parteizugehörigkeit oder entsprechender Organisation einen geeigneten Treffpunkt zu finden. Das Rittergut in Guthmannshausen stellt somit ein rechtsextremistisches Veranstaltungsund Schulungszentrum dar, dessen Vernetzung durch die vielfältigen Verbindungen des Vereins zu rechtsextremistischen Gruppierungen und Parteien sowie in die rechtsextremistische Skinheadund Kameradschaftsszene belegt 93 Sommerrundschreiben 2016 vom 02.07.2016. 127 Rechtsextremismus wird. Beispiel hierfür ist u. a. die beachtliche Teilnehmerzahl von Vertretern rechtsextremistischer Organisationen bei den Einweihungsfeierlichkeiten im August 2014. 2.12 Reichsbürger & Selbstverwalter Sitz / Verbreitung Niedersachsenweit Gründung / 1985 (Gründung der ersten Reichsbürgergruppierung KommissaBestehen seit rische Reichsregierung KRR in Berlin) Struktur / Örtlich und regional unterschiedlich ausgeprägte Strukturen Repräsentanz in Form von lokal agierenden, autark handelnden Einzelpersonen und Gruppierungen; hinzu kommen überwiegend virtuelle Präsenzen Mitglieder / Bund: 16.500 davon etwa 900 Rechtsextremisten Anhänger / Land: 1.400 davon etwa 60 Rechtsextremisten Unterstützer Veröffentlichungen Web-Angebote: Internetseiten, Blogs, Profile in sozialen Netzwerken; Broschüren, Aufkleber, Flugblätter, Formularschreiben Kurzportrait / Ziele Reichsbürger und Selbstverwalter sind Gruppierungen oder Einzelpersonen, die aus unterschiedlichen Motiven und mit unterschiedlichen Begründungen, u. a. unter Berufung auf das historische Deutsche Reich, verschwörungstheoretische Argumentationsmuster oder ein selbst definiertes Naturrecht die Existenz der Bundesrepublik Deutschland und deren Rechtssystem ablehnen, den demokratisch gewählten Repräsentanten die Legitimation absprechen oder sich gar in Gänze als außerhalb der Rechtsordnung stehend definieren und deshalb bereit sind, Verstöße gegen die Rechtsordnung zu begehen. Finanzierung Beiträge der Anhänger und Mitglieder, teilweise Vermarktung und Verkauf von Reichsbürgerutensilien wie Autokennzeichen, Ausweise, Dokumente o. Ä. 128 Rechtsextremismus Grund der Beobachtung / Verfassungsfeindlichkeit Als Reichsbürger werden Einzelpersonen oder pseudoformell organisierte Gruppierungen bezeichnet, die der Bundesrepublik Deutschland ihre Rechtmäßigkeit absprechen und damit ihre Rechtsvorschriften ablehnen. Reichsbürger treten für die Fortexistenz des Deutschen Reiches und die Rückkehr zu vorherigen territorialen Grenzen ein (je nach Gruppierung zum Beispiel aus den Jahren 1871, 1914 oder 1937). An die Stelle des Bundesrepublik Deutschland soll eine eigene Reichsregierung treten, deren Vertreter selbstbestimmt die Regierungsgeschäfte führen. Bei Selbstverwaltern handelt es sich um eine heterogene Gruppe von zumeist Einzelpersonen, die im Gegensatz zu Reichsbürgern nicht vom Weiterbestehen des Deutschen Reiches überzeugt sind, sondern behaupten, sie könnten sich durch eine Erklärung ihrerseits oder durch den Zurückzug auf ein selbstdefiniertes Naturrecht aus der Bundesrepublik Deutschland ausscheiden oder dass diese gar nicht existent sei. Dementsprechend sehen sich Selbstverwalter auch nicht mehr den Gesetzen der Bundesrepublik unterworfen. Einige Selbstverwalter gehen so weit, eigene Staatsgebilde auszurufen und ihr Haus oder Grundstück als souveränes Staatsgebiet zu proklamieren. In Abgrenzung zur Gruppierung Exilregierung Deutsches Reich, die in Niedersachsen bereits seit dem Jahr 2005 als verfassungsfeindliche Bestrebung beobachtet wird, vertreten nicht alle Reichsbürger und Selbstverwalter per se rechtsextremistische Ansichten und können so nur zum Teil dem Phänomenbereich Rechtsextremismus zugeordnet werden. Trotzdem sind für Reichsbürger und Selbstverwalter hinreichend tatsächliche Anhaltspunkte für extremistische Bestrebungen vorhanden. Diese sind vor allem in der grundsätzlichen Ablehnung der Bundesrepublik Deutschland, ihrer Gesetze und Normen und ihrer Institutionen zu sehen. Bei einigen Gruppierungen sowie bei einzelnen Selbstverwaltern kommen neben der Verbreitung kruder Verschwörungstheorien auch Ideologieelemente des Rechtsextremismus wie Antisemitismus oder Fremdenfeindlichkeit zum Tragen, die in ihren jeweiligen Ausprägungen ebenfalls hinreichend tatsächliche Anhaltspunkte für extremistische Bestrebungen 129 Rechtsextremismus begründen. Hiermit richten sich Reichsbürger und Selbstverwalter gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, insbesondere gegen den demokratischen Rechtsstaat (Art. 20 GG) sowie in Teilen gegen die im Grundgesetz verbrieften Freiheits-, Gleichheitsund Menschenrechte (Art. 1 - 4 GG). Sie sind damit verfassungsfeindlich und erfüllen die Voraussetzungen für eine Beobachtung nach SS 3 Abs. 1 Nr. 1 NVerfSchG. Aktivitäten von Reichsbürgern und Selbstverwaltern Neben der fundamentalen Ablehnung des Rechtsstaates zeichnen sich Reichsbürger und Selbstverwalter durch ein besonderes Maß an Renitenz gegenüber staatlichen Institutionen und staatlichen Maßnahmen aus. Angefangen mit dem massenhaften Versand von Schriftstücken per E-Mail, Fax oder auf dem Postweg (sogenanntem paper-terrorism) versuchen Reichsbürger, auf Behörden und deren Mitarbeiter einzuwirken, um staatliche Maßnahmen zu verhindern oder zumindest zu erschweren. Hiermit beschäftigen sie zunehmend Behördenmitarbeiter und stören Verwaltungsabläufe und -verfahren. Um weitere Unterstützer für die eigene Sache zu gewinnen und somit den Kampf gegen die staatlichen Institutionen auszudehnen, verbreiten Reichsbürger ihre Ideologie aktiv über das Internet. Neben den genannten Aktivitäten zeichnen sich einige Reichsbürger auch durch die Verwendung von Phantasiedokumenten aus. Es wird versucht, eigene, teils selbst produzierte "Reichsführerscheine" oder "Reichspersonenausweise" im offiziellen Rechtsverkehr zu verwenden. Der Verkauf solcher fiktiven Dokumente stellt zudem für einzelne Personen aus der Reichsbürgerszene eine lukrative Einnahmequelle dar. Gewaltpotenzial und Verhältnis zu Waffen Als eine weitere Eskalationsstufe nach der reinen schriftlichen und mündlichen Verweigerung kann bei Reichsbürgern der fließende Übergang zu Beleidigungen und Bedrohungen gegenüber staatlichen Stellen festgestellt werden. Darüber hinaus ist es in mehreren Fällen zu Gewaltandrohungen und zur Ausübung tatsächlicher körperlicher Gewalt durch Reichsbürger gekommen. Exemplarisch 130 Rechtsextremismus seien hier die Schusswechsel von Reichsbürgern mit der Polizei in Bayern und Sachsen-Anhalt genannt, bei denen am 19.10.2016 im bayerischen Georgensmünd (Landkreis Roth) ein Polizeibeamter durch einen Reichsbürger erschossen wurde. Auch in Niedersachsen ist es bereits vorgekommen, dass sich Reichsbürger mit körperlicher Gewalt, zum Teil auch unter Einsatz von Waffen gegen staatliche Maßnahmen zur Wehr setzen. Beispielhaft hierfür ist ein Vorfall aus der Samtgemeinde Sögel (Landkreis Emsland) am 17.11.2016, bei dem ein Reichsbürger sechs Polizeibeamte durch den Einsatz von Pfefferspray leicht verletzte. In der Reichsbürgerszene kann eine allgemeine Affinität zu Waffen festgestellt werden. Durch die Bereitschaft von Reichsbürgern und Selbstverwaltern, ihren eigenen Staatsvorstellungen teilweise auch mittels Gewalt Nachdruck zu verleihen bzw. sich bestehendem Recht und Gesetz zu widersetzen, stellt der Waffenbesitz aus den oben beschriebenen Gründen eine potenzielle Gefahr für den demokratischen Rechtsstaat und dessen Repräsentanten dar. Um das vorhandene Gefahrenpotenzial zu minimieren, werden bei Angehörigen der Reichsbürgerszene bestehende waffenrechtliche Erlaubnisse überprüft und, wenn möglich, entzogen. Eine waffenrechtliche Erlaubnis setzt voraus, dass der Erlaubnisinhaber die erforderliche waffenrechtliche Zuverlässigkeit besitzt. Diese Zuverlässigkeit ist jedoch im Fall einer Zugehörigkeit zur Reichsbürgerszene und der darin immanenten Ablehnung des geltenden Rechts zu verneinen. In Niedersachsen wurden aus diesem Grund bereits mehreren Personen die waffenrechtlichen Erlaubnisse entzogen. In einzelnen Fällen erfolgte die Rückgabe der Erlaubnis auch freiwillig. Die Überprüfung weiterer Personen mit einer entsprechenden Genehmigung, die zugleich Bezüge zur Reichsbürgerideologie aufweisen, dauert an. 131 Rechtsextremismus Reichsbürgergruppierungen in Niedersachsen Exilregierung Deutsches Reich Die am 04.05.2004 in Hannover gegründete Exilregierung Deutsches Reich existiert bis heute und vertritt unter der Leitung von "Reichskanzler" Norbert Rudolf Schittke die Ansicht, dass es "nur einen deutschen Staat, das Deutsche Reich in den Grenzen vom 31.12.1937"94 geben könne und das Deutsche Reich fortbestehe. Der Bundesrepublik Deutschland wird die staatliche Souveränität und Legitimation abgesprochen; sie sei lediglich ein "provisorisches (besatzungsrechtliches!) Selbstverwaltungskonstrukt". Nach Meinung der Mitglieder der Exilregierung Deutsches Reich handelt es sich bei der Bundesrepublik Deutschland um ein Firmenkonstrukt. Der einzelne Mensch sei nur Personal dieser "BRD GmbH". Ein Beleg hierfür sei die Ausgabe des "Personal-Ausweises", wie bereits der Name zeige. Auf der Internetseite der Exilregierung Deutsches Reich finden sich neben diversen reichsbürgertypischen Argumentationen auch Hinweise auf eine fremdenfeindliche und antisemitische Haltung der Organisation. In seiner "Neujahransprache 2017" äußerte der selbsternannte "Reichskanzler" Schittke zum wiederholten Mal gebietsrevisionistische Vorstellungen: "Es gilt die Wiederherstellung der Handlungsfähigkeit eines souveränen Deutschen Reiches, unserer Heimat von der Maas bis an die Memel, von der Etsch bis an den Belt zu erreichen." (Norbert Schittke, "Neujahrsansprache 2017", Internetseite der Exilregierung Deutsches Reich) Die Exilregierung Deutsches Reich tritt kaum öffentlich in Erscheinung. Ihre Mitglieder treffen sich, wenn überhaupt, in einem überschaubaren Teilnehmerkreis zu gelegentlichen Ausfahrten, "Heldengedenken" und Kranzniederlegungen. Das Wirken der Exilregierung Deutsches Reich scheint auf den Internetauftritt und auf das persönliche Werben einzelner Mitglieder für die Organisation beschränkt zu sein. Über die Internetseite wird Interessierten ein umfassendes Informationsmaterial angeboten. Außerdem werden verschiedene 94 Internetseite der Exilregierung Deutsches Reich ("Die Entstehung der 'Bundesrepublik Deutschland', 'BRD'"). 132 Rechtsextremismus "Reichsdokumente" auf der Internetseite der eigens dafür eingerichteten "Reichsmeldestelle" zum Kauf angeboten.95 Dass die Aktivitäten der Exilregierung Deutsches Reich weitestgehend zum Erliegen gekommen sind, könnte auch mit der Aufspaltung der Organisation im Jahr 2012 zusammenhängen. Nach internen Streitigkeiten entstand mit der Gruppierung Die Exil-Regierung Deutsches Reich eine eigenständige konkurrierende Organisation mit Anschrift in Berlin. Weitere Gruppierungen in Niedersachsen Neben der Exilregierung Deutsches Reich existieren diverse Kleinoder Kleinstgruppen in der Reichsbürgerszene, die auch Anhänger in Niedersachsen haben. Exemplarisch hierfür stehen der Freistaat Preußen, das Amt für Menschenrecht, das Aktionsbündnis gelber Schein, die Justiz-Opfer-Hilfe sowie die Verfassungsgebende Versammlung und die Religionsgemeinschaft heilsamer Weg. Bei den niedersächsischen Anhängern dieser Gruppierungen handelt es sich jedoch nur um Einzelpersonen oder einzelne Familien, die mutmaßlich über das Internet mit der jeweiligen Organisation in Kontakt gekommen sind. Am weitesten in Niedersachsen verbreitet sind die Argumentationen der Verfassungsgebenden Versammlung und der Religionsgemeinschaft heilsamer Weg. Ein größerer lokaler Personenzusammenschluss ist derzeit nicht zu erkennen. Bewertung, Tendenzen, Ausblick Insbesondere in den letzten beiden Jahren wurde auch in Niedersachsen eine deutliche Zunahme an Aktivitäten festgestellt, die der äußerst heterogenen Reichsbürgerszene zuzuordnen sind. Allerdings handelt es sich hierbei größtenteils um Personen, die bereits seit längerem dem Reichsbürgerspektrum angehören. Ein tatsächlich größerer Zulauf ist aktuell nicht auszumachen. Seit Anfang des Jahres 2017 wird in Niedersachsen die Szene der Reichsbürger und Selbstverwalter in ihrer Gesamtheit beobachtet. Wird ein weitgefasster Maßstab angelegt, liegt die Gesamtanzahl 95 Internetseite der "Reichsmeldestelle" des "Presseund Informationsamtes" der Exilregierung Deutsches Reich ("Beantragung Reichsdokumente"). 133 Rechtsextremismus der in Niedersachsen auffällig gewordenen Reichsbürger und Selbstverwalter bei etwa 1.400 Personen. Inwieweit jeweils eine extremistische Haltung im Sinne einer politischen Bestrebung vorliegt, wird in einer Einzelfallanalyse bewertet. Bislang ist in Niedersachsen von wenigen hundert Reichsbürgern und Selbstverwaltern im engeren Sinne auszugehen. Hierbei handelt es sich um Personen, die im erheblichen Maße im Zusammenhang mit einer Reichsbürgerideologie aufgefallen sind, u. a. durch die anhaltende Versendung von Schriftstücken an diverse Empfänger oder durch die Begehung von Straftaten wie Beleidigung, Belästigung, Bedrohung, Betrug, Urkundenfälschung oder durch Widerstandshandlungen und Gewaltdelikte. Etwa ein Viertel der durch den Niedersächsischen Verfassungsschutz als Extremisten erfassten Reichsbürger und Selbstverwalter hat rechtsextremistische Vorerkenntnisse. Diese hohe Zahl erklärt sich u. a. damit, dass die Exilregierung Deutsches Reich bereits seit dem Jahr 2005 als rechtsextremistische Vereinigung in Niedersachsen unter Beobachtung steht. Gemessen an dem Gesamtpotenzial von 1.400 Personen liegt der Anteil an Rechtsextremisten bei etwa vier bis fünf Prozent. Die in Niedersachsen wohnhaften Reichsbürger und Selbstverwalter stellen keine einheitliche homogene Bewegung dar. Sie setzen sich vielmehr aus autark handelnden Einzelpersonen sowie aus kleinen Gruppierungen zusammen, die sich in ihrem Wesen zum Teil deutlich unterscheiden. Das Spektrum erschließt sich über esoterisch geprägte Gruppierungen, über völkisch-traditionalistisch geprägte Gruppen bis hin zu rechtsextremistisch ausgerichteten Zusammenschlüssen. Eine strategische Vernetzung der verschiedenen Gruppen oder Einzelpersonen ist bisher ebenso wenig zu erkennen wie eine gezielte Steuerung. Die Szene der Reichsbürger und Selbstverwalter lebt in einer Parallelwelt zumeist internetbezogener Verschwörungstheorien, die sich in der Folge verfestigt und gegenüber der Außenwelt verschließt. 134 Rechtsextremismus Durch die weitere Verbreitung der Reichsbürgerideologie sowie durch das teilweise ausgeprägte Sendungsbewusstsein und die nachgewiesene Zunahme an Aktivitäten von Reichsbürgern und Selbstverwaltern ist die Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland erheblichen Beeinträchtigungen ausgesetzt. Allerdings lassen sich verallgemeinerbare Äußerungen über etwaige gewalttätige Ausrichtungen in Bezug auf dieses Personenpotenzial nicht pauschal treffen. Gleichwohl besteht jederzeit die Möglichkeit, dass einzelne Personen vor allem im Umgang mit Behördenmitarbeitern oder als Reaktion auf staatliche Maßnahmen zu Gewalt greifen, um ihre Anliegen durchzusetzen. Hierbei handelt es sich in Niedersachsen bisher ausschließlich um Verhaltensweisen in Reaktion auf staatliche Maßnahmen. Hinweise auf gezielte kriminelle oder gar terroristische Handlungen von einzelnen Reichsbürgern oder Selbstverwaltern liegen derzeit nicht vor. Gleiches gilt für den gezielten Aufbau von (verdeckt operierenden) Gruppen zum koordinierten Angriff auf staatliche Einrichtungen oder Mitarbeiter. Durch den Niedersächsischen Verfassungsschutz wurden im Jahr 2017 mehrere Präventionsund Informationsangebote zum Thema Reichsbürger und Selbstverwalter angeboten. Neben Vorträgen zum Thema wurde ein Faltblatt erstellt und mehrere Mitarbeiterschulungen in Zusammenarbeit mit dem Niedersächsischen Justizministerium durchgeführt. 135 03 Linksextremismus Linksextremismus 3.1 Mitglieder-Potenzial96 Linksextremismus-Potenzial Bundesrepublik Deutschland 2016 2017 Marxisten-Leninisten und andere revolutionäre Marxisten 21.800 22.600 Autonome und sonstige gewaltbereite Linksextremisten97 7.600 7.800 sowie Anarchisten98 Summe 29.400 30.400 Nach Abzug von Mehrfachmitgliedschaften 28.500 29.500 Davon gewaltorientierte Linksextremisten99 8.500 9.000 Linksextremismus-Potenzial Niedersachsen100 2016 2017 Marxisten-Leninisten und andere revolutionäre Marxisten 435 435 Autonome und sonstige gewaltbereite Linksextremisten sowie 625 640 Anarchisten101 Summe 1.060 1.075 96 Die Zahlenangaben sind zum Teil geschätzt und gerundet. 97 In die Statistik sind nicht nur tatsächlich als Täter/ Tatverdächtige festgestellte Personen einbezogen, sondern auch solche Linksextremisten, bei denen lediglich Anhaltspunkte für Gewaltbereitschaft gegeben sind. Erfasst sind nur Gruppen, die feste Strukturen aufweisen und über einen längeren Zeitraum aktiv waren. Das Mobilisierungspotenzial der "Szene" umfasst zusätzlich mehrere tausend Personen. 98 Das Mitgliederpotenzial umfasste auch bisher schon die Anarchisten, ohne diese ausdrücklich zu nennen. 99 Bis 2013 hat das Bundesamt für Verfassungsschutz bei der Darstellung des Personenpotenzials ausschließlich die Anzahl der gewaltbereiten Linksextremisten ausgewiesen. Ab 2014 gibt es nunmehr die Anzahl gewaltorientierter Linksextremisten an, in der die Zahl der gewaltbereiten Linksextremisten als Teilmenge enthalten ist. 100 Die für den Bund eingefügte Fußnote gilt entsprechend auch für Niedersachsen. Auf den Abzug von Mehrfachmitgliedschaften in Höhe von ca. zwei Prozent wie beim Bund ist verzichtet worden. 101 Das Mitgliederpotenzial umfasste auch bisher schon die Anarchisten, ohne diese ausdrücklich zu nennen. 138 Linksextremismus 3.2 Einführung Für die Ideologie des deutschen Linksextremismus sind die beiden ideengeschichtlichen Grundströmungen des 19. Jahrhunderts, Marxismus und Anarchismus, von fundamentaler Bedeutung. Linksextremisten greifen die in der amerikanischen Menschenrechtserklärung von 1776 und in der Französischen Revolution von 1789 proklamierten Werte Freiheit und Gleichheit in radikaler Zuspitzung auf und wollen den demokratischen Rechtsstaat auch auf revolutionärem Wege überwinden, um ihn durch eine klassenlose bzw. herrschaftsfreie Gesellschaft zu ersetzen. Kommunistische Gruppierungen wollen das bestehende politische System überwinden und streben über die Errichtung einer Diktatur des Proletariats unter Führung einer "proletarischen Avantgarde" eine klassenlose Gesellschaft an. Marxistisch-Leninistische Organisationen wie die Deutsche Kommunistische Partei (DKP), die Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD), aber auch die extremistischen Teile der Partei DIE LINKE. halten daher an der Idee einer Revolution der Arbeiterklasse fest. Demgegenüber propagieren anarchistische Gruppierungen die Überwindung des bestehenden politischen Systems auf dem Wege massenhaften zivilen Ungehorsams102 und "vorbildhafter" Selbstorganisation. Linksextremistische Organisationen stimmen in der Notwendigkeit einer revolutionären Veränderung der bestehenden Verhältnisse überein, die das internationale Zusammenwirken aller revolutionären Kräfte erfordert (Internationalismus). Kommunismus und Anarchismus unterscheiden sich in der Bewertung der Freiheitsrechte. Überdeckt der übersteigerte Gleichheitsbegriff kommunistisch ausgerichteter Organisationen die individuellen Freiheitsrechte, lehnen anarchistische Gruppierungen staatliche Organisation und damit Machtstrukturen (Hierarchien) generell ab. Beide orientieren sich an der Utopie einer klassenbzw. herrschaftsfreien Ordnung, d. h. an dem Ideal von der vollkommenen Befreiung des Menschen von allen gesellschaftlichen, politischen, ökonomischen und kulturellen Zwängen. Anarchisten, die in ihrem konkreten politischen Handeln diesen utopischen Ent102 Ziviler Ungehorsam ist insbesondere bei den "gewaltfreien" Anarchisten der Verstoß gegen ein Gesetz aus Gewissensgründen; dabei wird bewusst in Kauf genommen, dafür bestraft zu werden. 139 Linksextremismus wurf vorzuleben versuchen, verneinen auf Zwang beruhende Zwischenstadien zur Realisierung dieser klassenlosen Gesellschaft wie die von Kommunisten angestrebte Diktatur des Proletariats. Das westliche Gesellschaftsmodell, d. h. die soziale Marktwirtschaft sowie der demokratische Rechtsstaat und die ihn repräsentierenden Mächte, allen voran die USA und ihre Verbündeten, stehen für den Gegenentwurf zum ideologischen Weltbild der Linksextremisten und sind so eines ihrer zentralen Feindbilder. Die wechselweise als kapitalistisch oder neoliberal bezeichnete westliche Wirtschaftsordnung wird grundsätzlich als Ausbeutung des Menschen durch den Menschen abgelehnt. Linksextremisten wollen dem ihrer Meinung nach "entfesselten Kapitalismus" Einhalt gebieten und fordern, wie z. B. die Interventionistische Linke (IL) auf ihrer Internetseite, "Make capitalism history!". Ihre Kritik konzentriert sich vor allem auf die Großkonzerne, die NATO und ihre Führungsmacht, die USA. Die Verantwortung für internationale Konflikte und Krisen verorten sie im Westen.103 3.3 Aktuelle Entwicklungen im Linksextremismus Die Entwicklung des Linksextremismus wurde im Berichtsjahr 2017 erneut von der autonomen Szene bestimmt. Als Reaktion auf die bereits seit den 1990er Jahren zunehmende interne Kritik an der Theorieferne, der Unorganisiertheit und der Selbstbezogenheit der autonomen Bewegung, versuchen auch im Berichtszeitraum weiterhin Teile von ihnen der Ideologie-, Organisationsund Bündnisfrage mehr Raum zu geben. Vor diesem Hintergrund sind in den letzten Jahren bundesweit verschiedene sich als postautonom verstehende Bündnisse entstanden. Postautonome Gruppierungen zeichnen sich durch eine breit gefächerte Bündnispolitik und den Willen aus, sich zu organisieren und zu vernetzen. Ideologisch orientieren sie sich an marxistisch-leninistischen Weltbildern. Sie verzichten aber bewusst auf eine exakte 103 Siehe Kapitel 3.4, Abschnitt "Kampf gegen Faschismus". 140 Linksextremismus ideologische Festlegung und somit auf eine dogmatische104 Interpretation der marxistischen und anarchistischen Klassiker. Diese ideologische Unverbindlichkeit macht es ihnen möglich, sich auf der Basis von Minimalkonsensen bis weit in orthodoxe, aber auch nichtextremistische Kreise zu vernetzen. So wollen sie in einem langfristigen Prozess die herrschenden Verhältnisse überwinden und eine kommunistische Gesellschaft errichten. Für Niedersachsen sind vor allem zwei bundesweite Zusammenschlüsse relevant: die Interventionistische Linke (IL) und das Bündnis "... ums Ganze! Kommunistisches Bündnis" (uG). Autonome und Postautonome greifen gesamtgesellschaftlich relevante Themen auf, die die Menschen bis weit in die Mitte der Gesellschaft bewegen und zum zivilgesellschaftlichen Engagement herausfordern. Im Gegensatz zum demokratischen Protest, der frei ist von systemüberwindenden Forderungen, basiert der linksextremistische auf ideologischen Grundannahmen, für die eine prinzipielle Gegnerschaft zum politischen System der Bundesrepublik und seiner Wirtschaftsordnung kennzeichnend ist. Linksextremisten dienen Themen wie "Antifaschismus", "Antirepression" oder "Antirassismus" daher vor allem als Plattform für ihr eigentliches Ziel, den Kampf gegen den demokratischen Rechtsstaat. Auch niedersächsische Linksextremisten sind in diesen Themenfeldern aktiv, wobei der "Kampf gegen den Faschismus" für sie im Vordergrund steht. Erst wenn dieser überwunden ist, lassen sich ihrer Auffassung nach alle anderen gesellschaftlichen Probleme lösen. Insbesondere vor dem Hintergrund anhaltender Auseinandersetzungen zwischen Linksextremisten und Rechtsextremisten, spiegelte sich diese Vorgehensweise im Jahr 2017 auch innerhalb der niedersächsischen linksextremistischen Szene wider. Zu den herausragenden Ereignissen im zurückliegenden Jahr, an denen sich auch niedersächsische Linksextremisten beteiligten, zählen die Proteste gegen das 12. Gipfeltreffen der 19 wichtigsten Industrieund Schwellenländer und der Europäischen Union (EU), kurz G20 genannt, vom 07. bis zum 08.07.2017 in Hamburg und gegen 104 Für eine Erläuterung der Begriffe "dogmatisch" und "undogmatisch" siehe Kapitel 3.4, Abschnitt "Ereignisse und Entwicklungen". 141 Linksextremismus den 8. Bundesparteitag der Partei Alternative für Deutschland (AfD) vom 02. bis zum 03.12.2017 in Hannover. Diese Begebenheiten, aber auch die Übergriffe in Göttingen und im Umland auf Rechtsextremisten bzw. diejenigen, die Linksextremisten dafür halten, zeigen zudem, dass die Hemmschwelle von Linksextremisten zur Anwendung von Gewalt auch gegen Menschen weiterhin niedrig ist. Von Bedeutung auch für niedersächsische Autonome war zudem das Verbot des Vereins, der die Internetplattform "linksunten.indymedia" betrieben hat. Wurde mit dieser Maßnahme doch erstmals ein linksextremistischer Verein auf Bundesebene seit Inkrafttreten des Vereinsgesetzes im Jahre 1964 verboten. Im Bereich des parteigebundenen Linksextremismus setzte sich die zunehmende politische Bedeutungslosigkeit der orthodox marxistisch-leninistisch ausgerichteten Parteien Deutsche Kommunistische Partei (DKP) und Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) weiter fort. Das verdeutlichen vor allem die Wahlen zum Deutschen Bundestag vom 24.09.2017. Dabei erhielt die DKP bundesweit 7.517 Erststimmen (0,0 Prozent) und 11.558 Zweitstimmen (0,0 Prozent). In Niedersachsen konnte sie 1.331 Erstimmen (0,0 Prozent) und 1.100 Zweitstimmen (0,0 Prozent) gewinnen. Nicht viel anders sah es bei der MLPD aus. Sie erreichte bundesweit 35.760 Erststimmen (0,1 Prozent) und 29.785 Zweitstimmen (0,1 Prozent). In Niedersachen kam sie auf 1.522 Erststimmen (0,0 Prozent) und auf 1.616 Zweitstimmen (0,0 Prozent). Im Gegensatz zu den Bundestagswahlen traten DKP und MLPD nicht zu den Landtagswahlen in Niedersachsen am 15.10.2017 an. Neben diesen kontinuierlich schwachen Wahlergebnissen von deutlich unter einem Prozent105 leiden beide Parteien unter einer massiven Überalterung ihrer Mitglieder. Zudem stagnieren die Mitgliederzahlen beider Parteien seit Jahren auf niedrigem Niveau. Vor diesem Hintergrund muss konstatiert werden, dass sowohl die DKP als auch die MLPD in der niedersächsischen Öffentlichkeit kaum wahrnehmbar sind und sie für die Beurteilung des linksextremistischen Gesamtpotenzials auch künftig nur eine untergeordnete Rolle spielen werden. 105 DKP - Europawahl 2014: 0,1 Prozent; Landtagswahl 2013: nicht angetreten; Bundestagswahl 2013: nicht flächendeckend angetreten. MLPD - Europawahl 2014: 0,1 Prozent; Landtagswahl 2013: nicht angetreten; Bundestagswahl 2013: 0,1 Prozent. 142 Linksextremismus Die drei offen extremistischen Zusammenschlüsse in der Partei DIE LINKE., die Kommunistische Plattform (KPF), die Sozialistische Linke (SL) und die Antikapitalistische Linke (AKL), streben nach wie vor, wenn auch in unterschiedlicher Ausführung und Intensität, die Überwindung der bestehenden politischen Ordnung der Bundesrepublik an und wollen diese durch ein sozialistisches bzw. kommunistisches System ersetzen. Um dieses Ziel zu erreichen, versuchen sie Einfluss auf das politische Profil der Partei DIE LINKE. und deren inhaltlicher Ausrichtung zu nehmen. So nehmen ihre Mitglieder beispielsweise mit eigenen Delegierten an Parteitagen der Partei DIE LINKE. teil und bringen sich dort mit eigenen Anträgen ein. Diese Vorgehensweise dient ihnen dazu, die Deutungshoheit bei bestimmten Themen, wie beispielsweise den Umgang mit der SED-Diktatur, zu erlangen. Aus diesem Grunde muss davon ausgegangen werden, dass die drei extremistischen Zusammenschlüsse der Partei DIE LINKE. auch 2018 versuchen werden, Einfluss auf ihre Partei in Niedersachsen zu nehmen. 3.4 Autonome, sonstige gewaltbereite Linksextremisten sowie Anarchisten Sitz / Verbreitung Autonome / Postautonome Landesweite Präsenz mit Schwerpunkten in Braunschweig, Göttingen, Hannover, Lüneburg, Oldenburg und Osnabrück Mitglieder / Bund: 7.800 Niedersachsen: 640 Anhänger / Sympathisanten Publikationen Alhambra, Oldenburg (unregelmäßig) autonomes Blättchen, Hannover (unregelmäßig) "Gai Dao" (Publikation der Föderation deutschsprachiger Anarchisten; monatlich) "Direkte Aktion" (Onlinepublikation der Freie Arbeiterinnenund Arbeiter-Union (FAU); unregelmäßig) 143 Linksextremismus Finanzierung Finanzierung von Aktionen und Kampagnen durch Spenden sowie Solidaritätsveranstaltungen, keine Mitgliedsbeiträge außer bei der FAU Kurzportrait / Ziele Das Ziel autonomer Gruppierungen ist es, den Staat und seine Institutionen auch gewaltsam abzuschaffen und durch eine "herrschaftsfreie Gesellschaft" zu ersetzen. Die autonome Bewegung kennt dabei keine mit kommunistischen Organisationen vergleichbare einheitliche Ideologie. Ihr Weltbild setzt sich vielmehr aus kommunistischen und anarchistischen Elementen zusammen. Die verschiedenen Gruppen der autonomen Bewegung finden sich über Aktionsund Themenfelder zusammen, die sich zu einem erheblichen Teil an aktuellen politischen Ereignissen und Problemfeldern orientieren. Diese Vorgehensweise soll dazu beitragen, den autonomen Widerstand öffentlich besser zu vermitteln, um so gesamtgesellschaftlich anschlussfähiger zu werden. Gegenwärtig sind vor allem die Themenfelder "Antifaschismus", "Antirepression" und "Antirassismus" für das autonome Spektrum in Niedersachsen von Bedeutung. Die autonome Szene sieht sich seit mehreren Jahren mit der Problematik konfrontiert, dass sie aufgrund interner Streitigkeiten und einer oftmals brüchigen Vernetzung nur unzureichend agieren kann. Um diesem Umstand etwas entgegenzusetzen, haben sich bundesweit sogenannte postautonome Zusammenhänge etabliert, die mit langfristigen Bündnisstrukturen versuchen, die Autonomen aus der auch von ihnen selbst beklagten Krise zu holen. Für Niedersachsen sind dabei vor allem die Interventionistische Linke (IL) und das Bündnis "... ums Ganze! Kommunistisches Bündnis" (uG) relevant. Die Postautonomen Schon seit Jahren leidet die autonome Szene sowohl bundesweit als auch in Niedersachsen unter internen Streitigkeiten und einer hohen Fluktuation. So existieren autonome Gruppierungen zumeist nur für kürzere Zeiträume, ihre Akteure wirken oft nur kurzfristig mit. Teile der autonomen Szene reflektieren diese Missstände schon seit längerem und versuchen daher, für konkrete Projekte Gruppenstrukturen und Netzwerke aufzubauen. Diese oftmals als postautonom bezeichneten Gruppierungen verstehen sich nach wie vor als Auto144 Linksextremismus nome, auch wenn sie sich in einigen Punkten von diesen unterscheiden. Ihre Politik ist langfristiger angelegt und verfolgt eine Strategie der kleinen Schritte. Dabei ist ein wichtiger Aspekt eine weitgefächerte Bündnispolitik, mit der eine breite Öffnung hin ins demokratische Spektrum und zu bislang unpolitischen Bevölkerungsschichten verbunden ist. Postautonome greifen deshalb aktuelle politische (Krisen-)Themen auf, die bis in die Mitte der Gesellschaft anschlussfähig sind und versuchen, über deren gezielte Zuspitzung möglichst viele Personen zu erreichen und mittelfristig zu radikalisieren. So waren sie im Jahr 2017 an zentraler Stelle an den Protesten gegen den G20-Gipfel der führenden Wirtschaftsnationen vom 07. bis zum 08.07.2017 in Hamburg ebenso beteiligt, wie an den Protesten gegen den AfD-Bundesparteitag in Hannover vom 02. bis zum 03.12.2017. Interventionistische Linke (IL) Die IL entstand 1999 als eine "strategische Verabredung" undogmatischer Linksextremisten verschiedener Strömungen. In sogenannten Beratungstreffen fanden sich Gruppierungen und Einzelpersonen zusammen, um Überlegungen anzustellen, wie die Handlungsfähigkeit und Wahrnehmbarkeit der "radikalen Linken" in der Bundesrepublik Deutschland erhöht werden könne. Ab 2004 wurden diese Treffen gezielt für linksextremistische Gruppen aus dem postautonomen Spektrum geöffnet. Es entstand ein bundesweit agierendes Netzwerk aus linksextremistischen Gruppierungen und Einzelaktivisten, dem in geringem Maße auch nichtextremistische Personen angehörten. Um eine Anschlussfähigkeit an das demokratische Spektrum herzustellen, bemüht sich die IL um ein gemäßigteres äußeres Erscheinungsbild, als es sonst in der autonomen Szene üblich ist. So sind ihre Protagonisten beispielsweise bei Demonstrationen bereit, auf szenetypische Kleidung und die Anwendung von Gewalt zu verzichten. Dabei handelt es sich jedoch um ein rein taktisches Verhalten, hinter dem sich eine latent vorhandene Militanz verbirgt, wie die IL in ihrem Zwischenstandspapier deutlich macht: "Unsere Mittel und Aktionsformen, defensive wie offensive, bestimmen wir also strategisch und taktisch in den jeweiligen Situationen. ... Es geht uns darum, die kollektive Fähigkeit herzustellen, die Wahl der Mittel nach unseren Zielen selbst zu bestimmen." (Internetseite der IL, 19.01.2018) 145 Linksextremismus Aus diesem Grunde kann die IL eine Scharnierfunktion zwischen dem gewaltorientierten linksextremistischen Spektrum, den dogmatischen Linksextremisten und dem demokratischen Protest einnehmen. Das ermöglicht ihr, Mobilisierungserfolge zu erzielen und unterstreicht zugleich die wachsende Bedeutung des Netzwerkes für die gesamte linksextremistische Szene. Ihre verfassungsfeindliche Ausrichtung bringt die IL u. a. in ihrem Selbstverständnis zum Ausdruck: "Wir wollen eine radikale Linke, die aktiv nicht nur gegen die Zumutungen und Grausamkeiten, sondern gegen den Kapitalismus insgesamt kämpft, die dabei immer wieder neue Allianzen sucht, die Brüche vertieft und Chancen ergreift, die lieber Fehler macht und aus ihnen lernt, anstatt sich im Zynismus der reinen Kritik zu verlieren. Wir wollen eine radikale Linke, die auf den revolutionären Bruch mit dem nationalen und globalen Kapitalismus, mit der Macht des bürgerlichen Staates und allen Formen von Unterdrückung, Entrechtung, Diskriminierung orientiert ist. Kurz: Wir wollen eine neue, gesellschaftliche radikale Linke, die um politische Hegemonie ringt und Gegenmacht organisiert. (Internetseite der IL, 19.01.2018) Gegenwärtig bestehen in 30 deutschen Städten sowie in Graz und Wien (Österreich) Ortsgruppen der antiimperialistisch ausgerichteten IL, zwei davon in Niedersachsen (Göttingen und Hannover). Die IL folgt eigentlich dem Prinzip, wonach pro Stadt nur eine Ortsgruppe bestehen soll. In Göttingen ist diese Ausrichtung jedoch bislang nicht angenommen worden. Dort sind die beiden Gruppierungen Antifaschistische Linke International (A.L.I.) und Basisdemokratische Linke (BL) weiterhin eigenständige Mitglieder der IL. Bündnis ...ums Ganze! Kommunistisches Bündnis (uG) Ein weiteres postautonomes Bündnis mit niedersächsischer Beteiligung stellt das Bündnis uG dar. In ideologischer Abgrenzung zur IL ist das Bündnis uG dem antideutschen Lager zuzurechnen. Folgt man der Selbstdarstellung des Bündnisses, so wurde es 2006 gegründet, um "linksradikale Gesellschaftskritik überregional zu organisieren und handlungsfähig zu machen." Nach eigener Aussage geht es dem Bündnis uG dabei nicht nur um eine "Kritik, für die es weder Institutionen noch Parlamente 146 Linksextremismus noch feste Verfahren" gebe, sondern auch um die "Kritik gesellschaftlicher Herrschaft als ganzer". Das postautonome Bündnis strebt nach einer herrschaftsfreien kommunistischen Gesellschaft. Wie diese Gesellschaftsform konkret aussehen soll, bleibt jedoch, wie so oft im Linksextremismus, äußerst diffus. Gegenwärtig ist das Bündnis uG in elf deutschen Städten sowie in Wien (Österreich) organisiert, von denen die Gruppierungen Fast Forward Hannover sowie die Redical [M] aus Göttingen in Niedersachsen ansässig sind. Antiimperialisten und Antideutsche Die sogenannten Antideutschen bildeten sich mit Beginn der 1990er Jahre vor dem Hintergrund zunehmender rechtsextremistischer Übergriffe auf Migranten als eine neue Strömung innerhalb des autonomen Spektrums heraus. Ideologisch wenden sie sich gegen einen vermeintlichen deutschen Nationalismus. Mit der deutschen Wiedervereinigung befürchteten ihre Aktivisten ein Erstarken des Nationalismus innerhalb der vereinigten Bundesrepublik und eine Rückkehr zum Nationalsozialismus. Im Zuge der Golfkriege von 1990 und 2003 solidarisierten sie sich bedingungslos mit dem Staat Israel und seiner Schutzmacht, den USA. Eine für Autonome ungewöhnliche politische Haltung, da sie prinzipiell staatliche Strukturen, Institutionen und Repräsentanten ebenso ablehnen wie das westliche Wirtschaftsund Gesellschaftsmodell und jegliche Form von Militär. Aus diesem Grund kam es zum Bruch zwischen den Antideutschen, die eine Minderheitenposition innerhalb des autonomen Spektrums vertraten und vertreten, und den die autonome Szene dominierenden sogenannten Antiimperialisten mit ihrer ausgeprägten antiwestlichen, insbesondere antiamerikanischen und antiisraelischen Haltung. Dieser ideologische Bruch vollzieht sich nicht nur im autonomen, sondern auch im postautonomen Spektrum. So ist beispielsweise die IL mit ihren niedersächsischen Ablegern in Hannover und Göttingen als antiimperialistisch zu charakterisieren, während das Bündnis uG eindeutig antideutsch geprägt ist.106 Nicht selten führen diese Diskrepanzen zur Lähmung 106 Die beiden Göttinger Gruppen Antifaschistische Linke International (A.L.I.) und Basisdemokratische Linke Göttingen (BLG) sind Teil der antiimperialistisch ausgerichteten IL, während die Redical [M] die Göttinger Ortsgruppe des antideutsch ausgerichteten Bündnisses uG bildet. In Hannover ist die Gruppierung Fast Forward Hannover im Bündnis uG organisiert, darüber hinaus gibt es eine IL-Ortsgruppe Hannover. 147 Linksextremismus der politischen Arbeit innerhalb der autonomen Szene, da beide Seiten nur bedingt dazu bereit sind, miteinander zu kooperieren. Grund der Beobachtung / Verfassungsfeindlichkeit Gemeinsames Ziel aller autonomen Gruppierungen ist es, den Staat und seine Institutionen gewaltsam abzuschaffen und durch eine "herrschaftsfreie Gesellschaft" zu ersetzen. Hiermit richten sie sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung und sind demnach verfassungsfeindlich (SS 3 Abs. 1 NVerfSchG). Ereignisse und Entwicklungen Autonome Gruppierungen sind nicht wie kommunistische Organisationen von einer einheitlichen Ideologie geprägt. Sie verknüpfen vielmehr Elemente kommunistischer und anarchistischer Weltbilder miteinander. Autonome im klassischen Sinne verstehen sich zwar auch als undogmatische Linke107 und streben wie die Vertreter der orthodoxen bzw. dogmatischen K-Gruppen108 die sozialistische Revolution an, beantworten die "Organisationsfrage" aber anders. Sie lehnen eine staatliche Ordnung und jegliche Form von Hierarchien ab und sprechen sich für die Selbstorganisation des Zusammenlebens aus. Dem linksextremistischen Verständnis nach üben die "kapitalistischen Produktionsverhältnisse" Gewalt gegen ihre Bürger aus: Sie stellen eine auf gesellschaftlichen Strukturen, Werten, Normen, Institutionen und Machtverhältnissen basierende "strukturelle Gewalt" gegenüber den Bürgern dar und hindern diese daran, sich ihren Anlagen und Möglichkeiten entsprechend frei zu entfalten. Aus dieser so empfundenen "Gewalt des Systems" leiten Autonome 107 Als undogmatische Linke bezeichnet man linksradikale bis linksextremistische Gruppen, die sich in der Nachfolge der Außerparlamentarischen Opposition (APO) sahen. Diese häufig auch als "Spontis" bezeichneten Gruppen hielten die "Spontaneität der Massen" für das revolutionäre Element der Geschichte. Im Gegensatz zu Marxisten-Leninisten, die glauben, für die Revolution sei eine Avantgarde-Partei vonnöten, die die Führung in eine bessere Zukunft übernehmen müsse, waren die Spontis eher "antiautoritär" ausgerichtet. Nicht Theorieschulungen und Parteiaufbau standen für sie im Vordergrund ihrer Aktivitäten, sondern "spontane", nichtsdestoweniger abgesprochene Aktionen in der Öffentlichkeit. 108 Der Begriff "K-Gruppen" ist eine Sammelbezeichnung für politische Gruppierungen wie den Kommunistischen Bund Westdeutschlands (KBW) oder die MLPD, die sich seit dem Ende der 1960er Jahre am Marxismus-Leninismus maoistischer Prägung orientieren und sich die Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zum Ziel gesetzt haben. 148 Linksextremismus und sonstige gewaltbereite Linksextremisten ein vermeintliches Naturrecht auf gewaltsamen Widerstand ab. Linksextremistische Gewalt versteht sich demzufolge als "Gegengewalt", als reaktives und dadurch legitimes Mittel, um die herrschende Gewalt aufzubrechen und Veränderungen herbeizuführen. Aus diesem Grund spielt die Anwendung von Gewalt weiterhin eine zentrale Rolle in der autonomen Szene, wie sich im Jahr 2017 nicht zuletzt an den gewalttätigen Protesten gegen den G20-Gipfel gezeigt hat. Aktivitäten im Zusammenhang mit dem Gipfeltreffen der G20-Staaten in Hamburg Das herausragende Ereignis auch für niedersächsische Linksextremisten stellte im Jahre 2017 zweifelsfrei das vom 07. bis zum 08.07.2017 in Hamburg stattgefundene 12. Gipfeltreffen der G20-Staaten dar. Gegen den G20-Gipfel formierten sich bereits unmittelbar nach Bekanntwerden des Gipfelortes verschiedene, auch linksextremistische Protestbündnisse. Eine führende Rolle nahm dabei das "No G20-Bündnis" ein, dem neben demokratischen Gruppierungen auch sich als postautonom verstehende Organisationen wie die IL und das Bündnis uG angehörten. Mit einer Strategie der kleinen Schritte verfolgte vor allem die IL eine breit gefächerte Bündnispolitik, die bis in nichtextremistische Kreise reichte. Mit Hilfe des "No G20-Bündnis" versuchte sie die Gesamtgestaltung der Gipfelproteste zu dominieren. Neben dem "No G20-Bündnis" rief ein Hamburger Protestbündnis unter der Bezeichnung "G20 entern - Kapitalismus versenken!" und das Hamburger Autonome Zentrum "Rote Flora" zu eigenen, voneinander unabhängigen autonomen Protesten gegen das Gipfeltreffen auf. Beide agierten bewusst unabhängig vom "No G20-Bündnis". Als "klassische" Autonome, d. h. als organisationsund hierarchiefeindliche und eher ideologieferne Linksextremisten lehnten sie einen Aktionskonsens und Gewaltverzicht ab, da sie sich nicht den Freiraum für Straßenmilitanz durch die bündnisstrategischen Erwägungen der IL einschränken lassen wollten. Das Autonome Zentrum "Rote Flora" repräsentiert weitgehend das autonome Spektrum Hamburgs. Es befindet sich in einem seit November 1989 besetzten Restgebäude des ehemaligen Flora-Theaters im Hamburger Schanzenviertel. Autonome Zentren wie die "Rote Flora" dienen 149 Linksextremismus der autonomen Szene dabei als logistische Basis und Rückzugsraum für ihre Aktionen. Hinter dem Bündnis "G20 entern!" verbergen sich verschiedene antiimperialistisch ausgerichtete linksextremistische Gruppierungen wie z. B. der Rote Aufbau Hamburg (RAH). Aufgrund der guten Kontakte deutscher Linksextremisten ins europäische Ausland nahmen auch Linksextremisten u. a. aus den Benelux-Staaten, Griechenland, Italien, Skandinavien und Spanien an den Gipfelprotesten teil. Auch in Niedersachsen wurde zu den Protesten gegen den G20-Gipfel mobilisiert. Verlief die Mobilisierung zunächst eher schleppend, nahm sie ab April 2017 mit zahlreichen Infound Mobilisierungsveranstaltungen u. a. in Göttingen, Hannover, Oldenburg und Osnabrück an Fahrt auf. Der G20-Gipfel von Hamburg hat die von den Sicherheitsbehörden zuvor aufgestellten Prognosen über das Auftreten gewaltbereiter Linksextremisten bestätigt. Die Gewaltintensität stellte aber eine neue Dimension linksextremistischer Gewalt dar. Hilfreich war dabei für die autonome Szene der Austragungsort des Gipfels. In der Hansestadt befand sie sich in einem ihr vertrauten Umfeld. Als urbane Szene verfügte sie dort nicht nur über die für sie notwendige Infrastruktur, um sich vollständig entfalten zu können, sondern auch über den erforderlichen Agitationsund Rückzugsraum, ohne den sie kaum handlungsfähig ist. Zudem konnte sie sich seit mehr als einem Jahr generalstabsmäßig auf dieses Gipfeltreffen vorbereiten. Diese für sie "idealen" Bedingungen ermöglichten es ihr, militante und klandestine Aktionen in einem ganz anderen quantitativen und qualitativen Ausmaß langfristiger zu planen und durchzuführen als zuvor. Als Vorbilder für die gewaltsamen Proteste von Hamburg dienten vor allem die gewalttätigen Ausschreitungen vom Dezember 2013 in Hamburg, als das Gerücht verbreitet wurde, die Räumung der "Roten Flora" stünde unmittelbar bevor, und die Krawalle während der EZB-Eröffnung vom März 2015. Auch diesmal spielten die postautonomen Bündnisse bei Planung und Choreografie der Proteste wieder eine zentrale Rolle. Vor allem die IL hatte auf eine Spektren übergreifende Mobilisierung gesetzt und sowohl extremistische als auch demokratische Organisationen gezielt in die Mobilisierung in150 Linksextremismus tegriert. Das gesamte autonome Spektrum, d. h. Postautonome und die "klassischen" Autonomen, prägten die Vorbereitungen der Proteste. Sie blockierten an den Gipfeltagen die Zufahrtswege zu den Gipfelorten und banden so die Polizeikräfte. Dadurch schufen sie den Raum für autonome Gewalttaten in anderen Teilen von Hamburg. Ob die gewalttätigen Proteste gleichwohl eine Niederlage für die postautonomen Bündnisse IL und uG in der Auseinandersetzung mit den "klassischen" Autonomen bedeuten, bedarf noch der weiteren Klärung. Zwar wertete die IL die durchgeführten Aktionen als Erfolg. Dennoch kann sie nicht leugnen, dass die inhaltliche Kritik an dem Gipfeltreffen durch die exzessive autonome Gewalt in der öffentlichen und veröffentlichten Wahrnehmung nahezu vollständig überdeckt wurde. Das gilt ebenso für die weitgehend friedlich verlaufenen Proteste unter postautonomer Regie wie die Hafenund Innenstadtblockade. Vor allem militante Kleingruppen lehnten jeglichen Aktionskonsens ab und zogen wahllos marodierend durch Hamburg. Die autonome Gewalt von Hamburg dürfte daher eher nicht im Sinne der auf die Vermittelbarkeit ihrer Taten bedachten postautonomen Gruppierungen gewesen sein. Vor allem die IL muss nun damit rechnen, dass das bürgerliche Verständnis für "linke" Themen dadurch beschädigt werden könnte. Ihr Ansatz, durch den taktischen Verzicht auf autonomen Habitus und Gewalt den Brückenschlag ins demokratische Spektrum zu schaffen, könnte dadurch vorübergehend einen Rückschlag erlitten haben. Für den Moment scheint der "klassische" Autonome in der innerautonomen Auseinandersetzung einen Erfolg verbucht zu haben. Er - und nicht die IL oder das uG - bestimmte die Gewaltintensität und dominierte dadurch die öffentlichen und veröffentlichten Bilder. Kampf gegen Faschismus Zentrales Anliegen der Autonomen ist der Kampf gegen Faschismus bzw. der "Antifaschismus", da dieser der Öffentlichkeit aus ihrer Sicht am besten zu vermitteln ist. Unter Rückgriff auf die von dem damaligen Vorsitzenden der Kommunistischen 151 Linksextremismus Internationale (Komintern), Georgi Dimitroff, im August 1935 auf dem VII. Weltkongress der Komintern in Moskau aufgestellte These, wonach der Faschismus "die offene terroristische Diktatur der reaktionärsten, am meisten chauvinistischen, am meisten imperialistischen Elemente des Finanzkapitals"109 sei, ist der Faschismus dem linksextremistischen Verständnis nach dem Kapitalismus immanent. Faschismus kann deshalb nur dann erfolgreich bekämpft werden, wenn zugleich auch seine Ursache, der Kapitalismus, beseitigt wird. Konsequenter "Antifaschismus" zielt daher für Linksextremisten zwangsläufig nicht nur auf die kapitalistische Wirtschaftsordnung, sondern auch auf den demokratischen Rechtsstaat, den es zu überwinden gilt. Wie bereits in den Jahren zuvor, so konzentrierte sich auch 2017 die autonome Szene in ihrer "Antifaschismus-Arbeit" stark auf die direkte Auseinandersetzung mit der AfD. Neben kontinuierlichen Aktionen im Rahmen des Bundestagsund des niedersächsischen Landtagswahlkampfes fanden 2017 bundesweit mehrere Großproteste gegen die Partei statt, zu denen die autonome Szene jeweils überregional mobilisierte. In diesem Zusammenhang sind aus niedersächsischer Perspektive vor allem die Proteste gegen den Bundesparteitag der AfD Anfang Dezember 2017 zu nennen. Ereignisse im Zusammenhang mit dem 8. Bundesparteitag der Partei Alternative für Deutschland (AfD) in Hannover Vom 02. bis zum 03.12.2017 fand im Hannover Congress Centrum (HCC) der 8. Bundesparteitag der Alternative für Deutschland (AfD) statt. Bereits unmittelbar nach dem erstmaligen Einzug der AfD in den Deutschen Bundestag nach den Wahlen am 24.09.2017 formierte sich in der linksextremistischen Szene Widerstand gegen diesen AfD-Bundesparteitag. Die Federführung bei der Organisierung der Proteste übernahm dabei das linksextremistisch beeinflusste Bündnis "Unsere Alternative heißt Solidarität", in dem auch die postautonome Organisation IL federführend mitwirkte. Auf seiner Homepage rief dieses Bündnis für die Morgenstunden des 02.12.2017 u. a. zu Blockaden des Parteitages auf. In einem dort 109 Georgi Dimitroff, Die Offensive des Faschismus und die Aufgaben der Kommunistischen Internationale im Kampf für die Einheit der Arbeiterklasse gegen den Faschismus, in: ders., Gegen Faschismus und Krieg. Ausgewählte Reden und Schriften, Leipzig 1982, Seiten 49-136, hier Seite 52. 152 Linksextremismus veröffentlichten Aktionskonsens heißt es zwar, "von uns wird dabei keine Eskalation ausgehen". Allerdings benennt das Bündnis in diesem Aktionskonsens das konkrete Ziel der Proteste: "An diesem Tag werden wir uns die Zufahrtswege zum Hannover Congress Centrum nehmen, sie für die AfD unpassierbar machen und sie am Erreichen des Tagungsortes hindern. ... Gitter, Zäune oder Polizeiabsperrungen, die uns aufhalten sollen, werden wir überwinden." (Internetseite des Bündnis "Unsere Alternative heißt Solidarität", 28.12.2017) Parallel zu den Blockaden des Bündnisses "Unsere Alternative heißt Solidarität" mobilisierte die zu dem postautonomen Bündnis uG gehörende antideutsch-geprägte und bundesweit agierende Kampagne "Nationalismus ist keine Alternative" (NIKA) zu einer eigenständigen Protestaktion am frühen Morgen des 02.12.2017. Vor allem ihr separat veröffentlichter Aufruf, "das Verhindern des Parteitages der AfD mit allen notwendigen Mitteln" zum erklärten Ziel des eigenen Handelns zu erheben, unterstreicht ihren noch stärker auf Militanz ausgerichteten Charakter. Eine NIKA-Vertreterin erklärte dazu am 21.11.2017 gegenüber der Tageszeitung "taz": "Wir werden da reingehen und den Parteitag abbrechen. Das heißt, wir tun zumindest unser Möglichstes, um spürbar in den Ablauf einzugreifen." (taz - die tageszeitung vom 21.11.2017) Die Blockadeaktionen begannen am 01.12.2017, wie zuvor angekündigt, zwischen 06.00 und 07.00 Uhr an den festgelegten Treffpunkten in unmittelbarer Nähe zum HCC. In der Spitze beteiligten sich daran ca. 1.000 Personen. Es gab mehrere Versuche, Polizeiabsperrungen zu durchbrechen bzw. Polizeiketten zu überrennen. Polizeibeamte wurden mit Flaschen und Steinen beworfen, ein Wasserwerfer musste zur Räumung einer der Sitzblockaden eingesetzt werden. Neben den Auseinandersetzungen mit der Polizei erfolgten auch Angriffe auf anreisende Parteitagsdelegierte. Eine Gruppe von 153 Linksextremismus sieben Personen, die allesamt bereits wegen linksmotivierter Straftaten in Erscheinung getreten waren, bedrängte einen AfD-Parteifunktionär und verletzte ihn. Eine Person versuchte, dem AfD-Delegierten zudem die Tasche zu rauben. Das Bündnis "Unsere Alternative heißt Solidarität" organisierte eine Demonstration vom HCC in die Innenstadt Hannovers, an der sich ca. 6.500 Personen beteiligten. Der Aufzug bewegte sich dabei Richtung Georgsplatz, wo die Kundgebung des DGB stattfand. Auf der ansonsten friedlich verlaufenen Demonstration bildeten ca. 600 Personen einen sogenannten "Schwarzen Block", der die Versammlung kurzzeitig zum Stehen brachte. Eine am 01.12.2017 unter dem Motto "Kein Rechtsruck in Europa!" durchgeführte Vorabenddemonstration, die auch von linksextremistischen Gruppierungen beworben wurde, verlief mit 1.000 Teilnehmenden weitgehend störungsfrei. Die große Anzahl Demonstrierender, insbesondere die ca. 1.000 Blockadeaktivisten in den frühen Morgenstunden des 02.12.2017 verdeutlicht, dass die autonome Szene in Niedersachsen in der Lage ist, eine breite und überregionale Mobilisierung innerhalb der autonomen und postautonomen Szene zu realisieren. Da sowohl das Bündnis "Unsere Alternative heißt Solidarität" als auch die NIKA-Kampagne bundesweit für ihre Proteste geworben haben, reisten Teilnehmer aus allen Teilen Deutschlands an. Zugleich zeigen die Proteste, wie mobilisierungsfähig die postautonomen Bündnisse sind, da sowohl die IL als auch das uG federführend in den Protestbündnissen mitwirkten. Obwohl die autonome Szene eine hohe Mobilisierung erreichen konnte, verfehlte sie ihre im Vorfeld formulierten Ziele weitgehend, da der AfD-Parteitag ohne spürbare Verzögerung begonnen und durchgeführt werden konnte. Die Straftaten gegen Polizisten und anreisende Parteitagsteilnehmer zeigen dennoch, mit welcher Entschlossenheit Linksextremisten die direkte Auseinandersetzung mit der AfD gesucht haben und aller Voraussicht nach auch weiter suchen werden. 154 Linksextremismus Aktivitäten in Göttingen und Umland Neben der AfD stand 2017 erneut, wenn auch in abgeschwächter Form, Göttingen im Mittelpunkt der Auseinandersetzungen zwischen Rechtsund Linksextremisten. So ging in der Nacht zum 15.03.2017 der Wagen des Vorsitzenden der Göttinger Jungen Alternativen (JA) in Flammen auf. Weiterhin im Fokus von Linksextremisten befand sich die rechtsextremistische "Volksbewegung Niedersachsen"110 (bis Mai "Freundeskreis Thügida"). Im Verlauf einer auch von Linksextremisten mitorganisierten Veranstaltung am 18.03.2017 erstürmten 25 Personen einen Bäckerladen in der Göttinger Innenstadt, in dem sich sechs Mitglieder des Freundeskreises befanden und bewarfen die die Bäckerei schützenden Polizeibeamten mit schweren Tischen und anderen Gegenständen. Am 01.04.2017 griffen nach einer Kundgebung des Freundeskreises auf dem Göttinger Bahnhofsvorplatz 30 autonome Gegendemonstranten zwei Teilnehmer der rechtsextremistischen Kundgebung auf der Bahnfahrt von Göttingen nach Nordheim an und verletzten sie schwer. Insgesamt wurden in Zusammenhang mit dieser Demonstration rund 70 Ermittlungsverfahren eingeleitet, u. a. wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz, Beleidigung und Landfriedensbruch. Kampf gegen Repression Gewöhnlich wird der Begriff "Repression" dafür verwendet, Unterdrückung und Menschenrechtsverletzungen in Diktaturen und autoritären Systemen zu benennen. Linksextremisten übertragen den Begriff auf die innenpolitische Situation in Deutschland. Konkret verstehen sie hierunter die Unterdrückung der individuellen, sozialen und politischen Entfaltung des Einzelnen durch gesellschaftliche Strukturen oder autoritäre Verhältnisse in Deutschland, insbesondere durch Handlungen staatlicher Exekutivorgane, wie z. B. der Polizei. Ziel der linksextremistischen "Antirepressions-Arbeit" ist es, sich selbst als Opfer permanenter Überwachung, Verfolgung und Reglementierung durch den Staat zu stilisieren, um auf diese Weise den demokratischen Rechtsstaat zu delegitimieren. 110 Siehe Kapitel 2.5, Abschnitt "Südliches Niedersachsen". 155 Linksextremismus Im Jahr 2017 zeigte sich dieses beispielsweise anhand der Reaktionen auf das Verbot der linksextremistischen Internetplattform "linksunten.indymedia", auf welcher regelmäßig öffentlich zur Begehung von Gewaltstraftaten gegen Polizeibeamte und politische Gegner sowie zu Sabotageaktionen gegen staatliche und private Infrastruktureinrichtungen aufgerufen wurde. Nachdem der Bundesinnenminister am 25.08.2017 die maßgeblich von gewaltorientierten Linksextremisten genutzte Plattform verboten hat, gab es deutschlandweit Spontanaktionen sowie Solidaritätsbekundungen mit den Betreibern der Internetseite. Auch niedersächsische Linksextremisten veröffentlichten entsprechende Stellungnahmen, in denen das Verbot als staatliche Repressionsmaßnahme gegen politische Aktivisten gedeutet wird. So teilte beispielsweise die dem postautonomen Bündnis uG angehörende Göttinger Gruppierung "Redical [M]" auf ihrem Facebook-Account einen Beitrag, in dem das Verbot "als kleinliche Racheaktion für die G20-Proteste in Hamburg" gedeutet wird. Auch sämtliche polizeilichen Maßnahmen im Nachgang der schweren Ausschreitungen während der Proteste gegen den G20-Gipfel wurden von der linksextremistischen Szene gleichermaßen als Akte staatlicher Repression eingestuft. Dieses galt vor allem für die von der Sonderkommission (Soko) "Schwarzer Block" des LKA Hamburg am 05.12.2017 im Kontext der G20-Ermittlungen durchgeführten bundesweiten Durchsuchungsmaßnahmen bei 24 Objekten in acht Bundesländern, darunter insgesamt fünf in Niedersachsen und davon zwei in Göttingen. So mobilisierte u. a. die autonome Szene für den 09.12.2017 in Göttingen zu einer Demonstration unter dem Motto "Gegen die politische Verfolgung linker Gruppen" durch die Göttinger Innenstadt. An ihr nahmen ca. 600 Personen teil, darunter rund 300 Autonome. Angeführt wurde der Aufzug von einem "Schwarzen Block" mit bis zu 150 vermummten Personen. Im Verlauf der Demonstration wurde vielfach Pyrotechnik auch 156 Linksextremismus gegen Polizeibeamte abgebrannt. Hieran wird deutlich, dass die autonome Szene nicht nur in ihrem Hauptaktionsfeld dem "Antifaschismus" sondern auch in anderen Bereichen Gewalt als vermeintlich legitimes Mittel im Kampf gegen das politische System einsetzt. In Göttingen nahm u. a. die A.L.I. die Datensammlung der Göttinger Polizei zu zahlreichen linksmotivierten Personen zum Anlass, um im November 2017 mit einer Aktionsreihe gegen die (vermeintliche) politische Verfolgung von "Linken" zu protestieren. Diese Aktionsreihe endete am 25.11.2017 mit einer Demonstration gegen Überwachung und Kriminalisierung mit 200 Teilnehmenden. Die Rote Hilfe Die bedeutendste Gruppierung, die sich in erster Linie der "Antirepressions-Arbeit" widmet, ist der von Linksextremisten getragene Verein Rote Hilfe e. V. (RH). Die RH wurde 1975 gegründet und ist in Göttingen ansässig. Über den Bundesverband hinaus existieren in Niedersachsen in Braunschweig, Göttingen, Hannover und Osnabrück selbstständige Ortsgruppen. Ihre Hauptaufgabe sieht die RH im Kampf gegen "staatliche Repression", indem sie Rechtshilfe gewährt und Szeneangehörigen Anwälte vermittelt. Außerdem stellt sie zu besonderen Veranstaltungen, beispielsweise bei Demonstrationen, sogenannte Ermittlungsausschüsse bereit. Deren Aufgabe besteht darin, sich um Festgenommene zu kümmern und Rechtsanwälte zu vermitteln. Die RH begleitet zudem strafprozessuale Maßnahmen u. a. mit Solidaritätsveranstaltungen und Kampagnen, um auf diese Weise die vermeintliche Repression staatlicher Behörden gegen politische Aktivisten zu "entlarven". Im Zusammenhang mit den Ermittlungen wegen der gewalttätigen Ausschreitungen beim G20-Gipfel initiierte die RH eine eigene Spendenkampagne zur Unterstützung der Tatverdächtigen. Unter dem Motto "United We Stand! - Unsere Solidarität gegen ihre Repression!" sammelt die RH seit August 2017 Gelder für die anstehenden Gerichtsprozesse, die nach Aussage der RH als "politische Machtdemonstration des Apparats" zu werten seien. 157 Linksextremismus Die RH sieht sich als "Selbsthilfeorganisation für die gesamte Linke". Bewusst verzichtet sie darauf, sich von extremistischen Zusammenschlüssen zu distanzieren. Aus diesem Grund charakterisiert auch die RH das Verbot der linksextremistischen Internetplattform "linksunten.indymedia" als politisch motivierte Repressionsmaßnahme. In einer Pressemitteilung des Bundesvorstandes vom 25.08.2017 heißt es diesbezüglich: "Das Verbot der Medienplattform ist ein Angriff auf die gesamte linke, antikapitalistische Gegenöffentlichkeit. Diese zu verbieten ist ein Akt der Zensur und bedeutet eine eklatante Beschneidung der Meinungsund Pressefreiheit." (Internetseite der Roten Hilfe, 17.01.2018) Da das Aktionsfeld "Antirepression" weiterhin einen hohen Stellenwert innerhalb des linksextremistischen Spektrums, insbesondere in der autonomen Szene, einnimmt, kann die RH seit mehreren Jahren einen bundesweit kontinuierlichen Anstieg ihrer Mitgliederzahlen verbuchen. So sind gegenwärtig bundesweit mehr als 8.000 Personen in der RH organisiert, mindestens 600 davon in Niedersachsen. Kampf gegen Rassismus Das Aktionsfeld "Antirassismus" hatte im Zuge der sogenannten Flüchtlingskrise auch innerhalb der autonomen Szene in den zurückliegenden Jahren an Bedeutung gewonnen. Nachdem die Flüchtlingszahlen in den Jahren 2016 und 2017 jedoch zurückgegangen sind, ist auch der Stellenwert des Themas "Antirassismus" innerhalb der autonomen Szene wieder gesunken. Nichtsdestotrotz überspitzen Linksextremisten weiterhin ihre Kritik an bestehenden Asylund Flüchtlingsgesetzen und am Handeln von Ausländerbehörden, Polizei und Gerichten zum Vorwurf eines "systemimmanenten" Rassismus. Staatliche Repräsentanten und Akteure werden damit auf eine Stufe mit Rechtsextremisten gestellt und somit Forderungen nach der Abschaffung des politischen Systems legitimiert. So solidarisieren sich auch Teile des niedersächsischen linksextremistischen Spektrums mit den betroffenen Flüchtlingen. Auch im Jahre 2017 kam es diesbezüglich zu mehreren Resonanzkundgebungen, wie z. B. am 29.04.2017 in Osnabrück und am 10.06.2017 in Göttingen. Zugleich beteiligten sich in Osnabrück auch Autonome an den Versuchen, Abschiebungen von abgelehnten Asylbewerbern zu verhindern. 158 Linksextremismus Insgesamt betrachtet, wird der "Kampf gegen Rassismus" von Seiten der autonomen Szene den oben beschriebenen Aktionsfeldern "Antifaschismus" und "Antirepression" derzeit jedoch nachgeordnet. Anarchisten Neben dem Kommunismus ist der moderne Anarchismus der zweite grundlegende Ideologiestrang des Linksextremismus. Beide Strömungen setzen sich dafür ein, die bestehende Ordnung zu überwinden. Anarchisten streben diesbezüglich die unmittelbare Errichtung einer herrschaftsfreien Gesellschaftsordnung an, in der der Mensch von allen politischen, ökonomischen und kulturellen Zwängen befreit leben kann. Im Anarchismus nimmt die individuelle Freiheit den höchsten Stellenwert ein. Vor diesem Hintergrund negieren Anarchisten sämtliche Hierarchieund Herrschaftsformen. Zudem sprechen sie nicht nur dem Staat und seinen Institutionen, sondern ebenso der (sozialen) Marktwirtschaft jegliche Existenzberechtigung ab. Als kleinste Einheit des anarchistischen Zusammenlebens gilt die sogenannte Kommune, im ökonomischen Bereich wird die Gründung föderal strukturierter Genossenschaften und Syndikate angestrebt. Der Anarchismus ist aber keineswegs als geschlossener Theorieblock zu verstehen. Vielmehr verbergen sich hinter dem Begriff verschiedene Strömungen mit z. T. sehr unterschiedlichen Konzepten. Unter den niedersächsischen Anarchisten ist der eher praxis-orientierte Anarchosyndikalismus111 am stärksten vertreten. Bundesweit umfasst das anarchistische Spektrum etwa 800 Personen, davon 30 in Niedersachsen. Zu einer der größten anarchosyndikalistischen Gruppierungen in Deutschland zählt die 1977 gegründete Freie Arbeiterinnenund Arbeiter-Union (FAU), die sich als eine nach basisdemokratischen Prinzipien aufgebaute Gewerkschaft versteht. Sie stellt die einzige gefestigte anarchistische Struktur in Niedersachsen dar. Zu ihrem 40-jährigen Bestehen hielt die FAU im Juni 2017 in Hannover einen Kongress ab, auf dem die Organisation eigenen Aussagen zufolge ihre Weichen für die Zukunft stellte. Als Fazit hält die FAU hierzu fest: 111 Unter Anarchosyndikalismus versteht man eine gewerkschaftliche Organisierung, die auf anarchistischen Prinzipien beruht. Ziel ist es, das bestehende Staatssystem revolutionär zu überwinden und durch ein klassenund staatenloses System zu ersetzen. Für weitere Informationen siehe: Armin Pfahl-Traughber, Linksextremismus in Deutschland. Eine kritische Bestandsaufnahme, Wiesbaden 2014, Seite 55ff. 159 Linksextremismus "40 Jahre nach ihrer Gründung ist die FAU ihrem Anspruch, eine handlungsfähige, kämpferische Gewerkschaft zu sein und zugleich Ideale der Selbstorganisation und Herrschaftsfreiheit zu leben und in die Gesellschaft zu transportieren, wieder ein Stück näher gekommen." (Internetseite der FAU, 17.01.2018) Neben einer Ortsgruppe in Hannover gibt es seit September 2017 auch eine FAU-Ortsgruppe und eine FAU-Jugendgruppe in Göttingen. Zudem ist die FAU seit 2017 international wieder stärker vernetzt. Nachdem sie nach langjähriger Mitgliedschaft im Dezember 2016 aus der Internationalen ArbeiterInnen Assoziation (IAA) ausgeschlossen wurde, beteiligte sich die Gewerkschaft 2017 an mehreren Konferenzen zur Gründung eines neuen internationalen Zusammenschlusses anarchosyndikalistischer Organisationen. In einer Pressemitteilung vom 22.05.2017 hält die FAU zum aktuellen Stand des Vernetzungsprozesses fest: "Der Umstand, dass viele der Grundprinzipien des Syndikalismus bereits jetzt über nationale Grenzen hinweg praktiziert werden, verheißt Gutes für die im Entstehen begriffene Internationale." (Internetseite der FAU, 17.01.2018) Die hier angesprochenen "Grundprinzipien des Syndikalismus" konkretisiert die FAU u. a. in einem Grundlagentext, welcher ebenfalls auf der Homepage der Organisation aufrufbar ist. In den beiden Kapiteln "Grundsätze und Ziele" sowie "Kritik der bestehenden Verhältnisse" hält die FAU für ihre Arbeit fest: "Wir streben die Überwindung des Kapitalismus an. ... Wir beziehen uns [dabei] auf die Ideen des Anarchosyndikalismus. ... Kapitalismus ist kein Naturgesetz, sondern lediglich ein von Menschen geschaffenes Verhältnis, das durch kollektives Handeln der Arbeitenden aufgehoben werden kann." (Internetseite der FAU, 17.01.2018) Der von der FAU angestrebte Systemwechsel soll dabei von basisdemokratisch strukturierten Lokalund Betriebsgruppen organisiert werden, die unter Rückgriff auf direkte und z. T. auch militante Aktionsformen, wie z. B. Fabrikbesetzungen, Streiks und Sabotageaktionen, vor Ort agieren sollen. Mit ihrem Engagement für Ge160 Linksextremismus werkschaftsbelange und ihren Solidarisierungsbekundungen mit streikenden Arbeiterinnen und Arbeitern versucht die FAU anschlussfähig zu werden und neue Mitglieder für ihre über diese Themen hinausgehenden systemablehnenden Ziele zu gewinnen. Weiterhin besteht in Göttingen die der FAU nahe stehende "Anarcho-syndikalische Jugendorganisation" (ASJ). Diese versteht sich selbst als "praxisorientierte Gruppe aus Göttingen, die eine herrschaftsfreie, staatenlose und auf Selbstverwaltung basierte Gesellschaft anstrebt." (ASJ Göttingen, ohne Datum) Die ASJ organisiert in Göttingen regelmäßig öffentliche Abende und beteiligt sich an szenetypischen Demonstrationen und Kundgebungen, so auch im Jahr 2017. Neben der ASJ Göttingen agieren im Bundesgebiet noch mindestens drei weitere Jugendorganisationen. Bewertung, Tendenzen, Ausblick Die weltweiten kriegerischen Konflikte, die andauernde Flüchtlingskrise und der dadurch mitbedingte Aufschwung rechtspopulistischer Parteien und Bewegungen in Deutschland und Europa haben in den letzten Jahren neben dem Kampf gegen den Faschismus das Themenfeld "Antirassismus" und "Antirepression" in den Mittelpunkt der Aktivitäten der autonomen Szene auch in Niedersachsen gerückt. Vor dem Hintergrund des Einzuges der Partei Alternative für Deutschland (AfD) in den Deutschen Bundestag im September 2017 und in den Niedersächsischen Landtag im Oktober 2017 dürften diese Wahlergebnisse Autonome darin bestärken, langfristig entschlossen gegen den aus ihrer Perspektive faschistoiden demokratischen Rechtsstaat vorzugehen. Aus diesem Grunde ist auch künftig mit verstärkten Auseinandersetzungen vor allem zwischen Linksextremisten und der AfD zu rechnen. Dabei muss mit Sachbeschädigungen und gezielten Körperverletzungen gerechnet werden. Ferner dürfte der rechtsextremistische "Tag der deutschen Zukunft" (TddZ) in Goslar112 zu einer verstärkten Mobilisierung der linksextremistischen Szene nicht nur in Niedersachsen, sondern auch bundesweit führen. 112 Siehe Kapitel 2.5, Abschnitt "Demonstrationen und Kampagnen der rechtsextremistischen Szene". 161 Linksextremismus Da auch 2018 weitere rechtsextremistisch motivierten Übergriffe auf Flüchtlinge und ihre Unterkünfte nicht ausgeschlossen werden können, werden die Auseinandersetzung mit "Faschismus" und "Rassismus" weiterhin die dominierenden Themen der autonomen Szene darstellen. Eine weitere Radikalisierung des (post-)autonomen Milieus ist daher wahrscheinlich. Mit einer Zunahme der von Linksextremisten ausgehenden Gewalttaten, vor allem gegenüber Polizisten und Rechtsextremisten bzw. denjenigen, die Autonome für Rechtsextremisten halten, muss gerechnet werden. Im Vergleich zu den autonomen bzw. postautonomen Gruppierungen sind anarchistische Organisationen generell von nachrangiger Bedeutung. Allein aufgrund ihrer theoretischen Zersplitterung dürfte sich daran auch künftig kaum etwas ändern. Auch für das Jahr 2018 ist davon auszugehen, dass der Anarchosyndikalismus weiterhin der am stärksten wahrnehmbare Teil des anarchistischen Spektrums in Deutschland und Niedersachsen bleiben wird. Abzuwarten ist zudem, wie sich die internationale Vernetzung der FAU weiterhin entwickeln wird. 162 Linksextremismus 163 04 Islamismus Islamismus 4.1 Mitglieder-Potenzial Islamismus-Potenzial Bundesrepublik Deutschland 2016 2017 Salafistische Bestrebungen 9.700 10.800 Muslimbruderschaft (MB) 1.360 1.360 Tablighi Jama'at (TJ) 650 650 Hizb Allah 950 950 Milli Görüs-Bewegung 10.000 8.000 Sonstige islamistisch-extremistische Gruppen 1.740 2.040 Summe 24.400 23.800 Islamismus-Potenzial Niedersachsen 2016 2017 Salafistische Bestrebungen 680 850 Muslimbruderschaft (MB) 120 170 Tablighi Jama'at (TJ) 70 70 Hizb Allah 150 150 Milli Görüs-Bewegung113 50 50 Sonstige islamistisch-extremistische Gruppen 115 135 Summe 1.185 1.425 113 Der Niedersächsische Verfassungsschutz hat die Beobachtung der IGMG an sich 2014 eingestellt. Im Rahmen des Sammelbeobachtungsobjekts "Milli Görüs-Bewegung" werden neben noch extremistischen Teilen der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG) im Verfassungsschutzverbund noch die Erbakan-Stiftung, die Saadet Partisi (SP, Partei der Glückseligkeit), die Zeitung Milli Gazete und die Organisation Ismail Aga Cemaati (IAC) beobachtet. Eine gesonderte Ausweisung in einem eigenen Berichtsteil erfolgt in diesem Jahr nicht mehr. 166 Islamismus 4.2 Einführung Der Islamismus ist eine politische Ideologie, deren Anhänger sich auf religiöse Normen des Islams berufen und diese politisch ausdeuten. Auch wenn der Begriff des Islamismus auf den Islam hindeutet, ist diese politische Ideologie deutlich von der durch das Grundgesetz geschützten Religion des Islams zu trennen. Islamisten sehen in der Religion des Islams nicht nur eine Religion, sondern auch ein rechtliches Rahmenprogramm für die Gestaltung aller Lebensbereiche: Von der Staatsorganisation über die Beziehungen zwischen den Menschen bis ins Privatleben des Einzelnen. Islamismus beginnt dort, wo religiöse islamische Normen als für alle verbindliche Handlungsanweisungen gedeutet und - bisweilen unter Zuhilfenahme von Gewalt - durchgesetzt werden sollen. Islamistischen Organisationen und Bewegungen ist bei aller Unterschiedlichkeit gemeinsam, dass sie Gesellschaften anstreben, die durch die islamische Rechtsordnung der Scharia organisiert sind. Der Interpretationsspielraum dafür, was die Scharia genau beinhaltet, ist groß. Islamisten verstehen die Scharia als von Gott verordnete Rechtsordnung für Staat und Gesellschaft. Sie richten sich in ihrer politisierten Interpretation der Scharia oft auch gegen die Mehrheit der Muslime, die in diesen islamischen Regeln ausschließlich einen Leitfaden für ihre individuelle religiöse Praxis sehen. Islamisten beanspruchen für sich oftmals, wie etwa im Falle der Scharia oder auch des Jihads114, die inhaltliche Deutungshoheit über religiöse Begriffe und Konzepte, die allen Muslimen zu eigen sind, und politisieren diese. In seinem Absolutheitsanspruch widerspricht der Islamismus in erheblichen Teilen der verfassungsmäßigen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland. Insbesondere werden durch die islamistische Ideologie die demokratischen Grundsätze der Trennung von Staat und Religion, der Volkssouveränität, der religiösen und sexuellen Selbstbestimmung, der Gleichstellung der Geschlechter sowie das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit verletzt. So werden z. B. Frauen von Islamisten nach deren Schariaverständnis im Hinblick auf 114 Die wörtliche Übersetzung des arabischen Begriffs "Jihad" ist "Anstrengung" oder "Bemühung". Es gibt zwei Formen des Jihad: die geistig-spirituelle Bemühung des Gläubigen um das richtige religiöse und moralische Verhalten gegenüber Gott und den Mitmenschen ("großer Jihad") sowie der kämpferische Einsatz zur Verteidigung oder Ausdehnung des islamischen Herrschaftsgebiets ("kleiner Jihad"). Von militanten Gruppen wird der Jihad häufig als religiöse Legitimation für Terroranschläge verwendet. 167 Islamismus das Erbund Familienrecht benachteiligt. Die Herabwürdigung einer Frau wird beispielsweise dadurch deutlich, dass die Zeugenaussage eines Mannes in einigen Bereichen so schwer wiegt wie die zweier Frauen. Juden und Christen, die die Herrschaft des islamischen Staates akzeptieren, dürfen ihre Religion ausüben, müssen aber Sondersteuern zahlen. Ebenso drängen Islamisten auf die unbedingte Rechtmäßigkeit der sogenannten Hadd-Strafen, die für Vergehen wie Diebstahl oder "Unzucht" Körperstrafen vorsehen, die von der Amputation der rechten Hand bis hin zur Todesstrafe reichen. Der Islamismus kann unterschiedlich ausgestaltet sein. Das islamistische Spektrum setzt sich u. a. zusammen aus Organisationen, die bestrebt sind, innerhalb des vom Staat vorgegebenen rechtlichen Rahmens ihre Ziele durchzusetzen und z. B. Gewalt ablehnen. Ebenso umfasst es islamistische Organisationen, die Gewalt als ein Mittel unter vielen befürworten und diese unter Umständen in akuten Konflikten, zumeist in dem Herkunftsland ihrer Akteure, anwenden. Die HAMAS115 und die Hizb Allah116 sind Beispiele dafür. Darüber hinaus zählen zum islamistischen Spektrum auch terroristische Organisationen, die vorwiegend zum Mittel der Gewalt greifen und staatliche Strukturen offen bekämpfen. Beispiele hierfür sind jihadistische Organisationen wie al-Qaida oder der sogenannte Islamische Staat (IS). Entsprechend zu diesen drei Ausformungen des Islamismus stellt sich der Salafismus dar. Die meisten Anhänger dieser islamistischen Bestrebung, sogenannte politische Salafisten, lehnen zumindest verbal Gewalt als Mittel ab. Die sogenannten jihadistischen Salafisten hingegen, im Vergleich zu den politischen Salafisten eine Minderheit, propagieren als primäres Mittel Gewalt, um ihre politischen Ziele zu erreichen. 115 Siehe Kapitel 4.7 116 Siehe Kapitel 4.9 168 Islamismus 4.3 Salafismus Mitglieder / Anhänger salafistischer Bund: 10.800 Niedersachsen: 850 Gruppen Der Salafismus ist eine besonders radikale und die derzeit dynamischste islamistische Bewegung in Deutschland, aber auch auf internationaler Ebene. Salafisten weltweit glorifizieren einen idealisierten Ur-Islam des 7./8. Jahrhunderts und orientieren sich, um diesem möglichst nahe zu kommen, an der Lebensweise der ersten Muslime in der islamischen Frühzeit. Sie versuchen ihre religiöse Praxis und Lebensführung ausschließlich an den von ihnen wörtlich verstandenen Prinzipien des Korans und dem Vorbild des Propheten Muhammad und der frühen Muslime, den rechtschaffenen Altvorderen (arab. al-salaf al-salih, daher der Begriff Salafismus), auszurichten. Exemplarisch heißt es in einem auf einer salafistischen Website abrufbaren Text mit dem Titel "Was ist ein Salafi?" "Wir können klar erkennen, dass die ersten drei Generationen dieser Ummah117 die besten der Menschen sind. Sollten sie dann nicht diejenigen sein, denen wir folgen? Wenn Du über etwas Bescheid wissen willst, sei es über Mathematik, Physik oder Medizin, dann würdest Du zu Leuten gehen, die davon mehr verstehen als Du selbst. Wenn Du aber nicht zu ihnen gehen könntest, so würdest Du zu den Büchern der Individuen gehen, selbst wenn diese viele Jahre zuvor geschrieben wurden. Und zwar darum, weil Du weißt, dass diejenigen, die die Bücher schrieben, ein besseres Verständnis über das Thema hatten, als Du es hast. Genauso ist es im Islam: Um ihn und seine Praktiken zu verstehen, sollten wir nicht zu denen gehen, die ihn am besten verstanden? Jedoch muss hier eine Unterscheidung gemacht werden. In vielen Aspekten der Wissenschaft und Technologie nimmt das Wissen mit der Zeit zu, d. h. ein viele hundert Jahre altes Buch wäre zu primitiv, um heute in einer medizinischen Hochschule gelehrt zu werden. Heute, im Islam, ist jedoch das Gegenteil der Fall. Je weiter man zu der Zeit des Propheten - Allahs Heil und Segen auf ihm - zurückgeht, desto besser und reiner waren das Verständnis und die Implementierung der Religion." (Salafistische Internetseite, 29.01.2018) 117 Der arabische Begriff "Ummah" bedeutet übersetzt Gemeinschaft der Muslime. 169 Islamismus Alle Entwicklungen im Islam, die erst nach dieser islamischen Frühzeit eingesetzt haben, wie etwa liberalere Formen des Islams und die Vorstellung von der Gleichberechtigung der Geschlechter sowie demokratische Strukturen, werden von Salafisten abgelehnt. Die Scharia, die von Salafisten als von Gott gegebene verbindliche Rechtsordnung verstanden wird, ist nach salafistischer Ideologie jeder weltlichen Gesetzgebung übergeordnet. So sei einzig Gott der legitime Gesetzgeber und nicht das Volk. Die Beteiligung am demokratischen Prozess bezeichnen Salafisten daher als Polytheismus (arab. Schirk), werde doch der Mensch in der Demokratie über Gott erhöht. In der Konsequenz lehnen Salafisten die Geltung staatlicher Gesetze ab. In einer im Jahr 2012 verteilten Broschüre des Deutschsprachigen Islamkreises e. V. (DIK) in Hannover heißt es entsprechend: "Da das Wort Ibadah [Dienst an Gott] totale Gehorsamkeit bedeutet und Allah als der ultimative Gesetzgeber angesehen wird, ist die Ausführung eines säkularen Rechtssystems, welches nicht auf göttlichem Gesetz (Scharia) basiert, ein Akt des Unglaubens bezüglich des göttlichen Gesetzes und ein Akt des Glaubens an die Richtigkeit solcher Systeme. Ein solcher Glaube gründet eine Form des Gottesdienstes an etwas anderem als an Allah (Schirk)." (Deutschsprachiger Islamkreis e. V. [Hrsg.], Was jeder Muslim wissen sollte, ohne Jahr, Seiten 8-9) Salafisten streben danach, Staat, Gesellschaft und das Privatleben jedes Individuums so umzugestalten, dass sie den vermeintlich von Gott geforderten Normen entsprechen. Konsequenterweise propagieren sie auch das nach ihrer Auslegung im Koran normierte ungleiche Verhältnis zwischen den Geschlechtern, u. a. ein Strafrecht, das auch Körperstrafen vorsieht und die Begrenzung der Religionsfreiheit. Die von Salafisten propagierte Staatsund Gesellschaftsordnung steht im deutlichen Widerspruch zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Insbesondere werden die demokratischen Grundsätze der Trennung von Staat und Religion, der Volkssouveränität, der religiösen und sexuellen Selbstbestimmung, der Gleichberechtigung der Geschlechter sowie das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit verletzt. Damit ist der Salafismus eine verfassungsfeindliche Bestrebung und erfüllt die Voraussetzung für eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz (SS 3 Abs. 1 Nr. 1 und 3 NVerfSchG). 170 Islamismus Salafismus in Deutschland Quantitative Entwicklung des Salafismus im Bund 12.000 10.000 8.000 6.000 10.800 4.000 4.500 5.500 7.000 8.350 9.700 3.800 2.000 0 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 Der Salafismus lässt sich in eine politische, der die überwiegende Mehrheit der Salafisten in Deutschland zuzurechnen sind, und eine jihadistisch-terroristische Ausprägung aufschlüsseln. Alle Salafisten streben die gleichen Ziele an, doch unterscheiden sich politische und jihadistische Salafisten in der Wahl ihrer Mittel, um diese Ziele zu erreichen. Vertreter des politischen Salafismus stützen sich auf intensive Propagandatätigkeit, die sie als Dawa118 -Arbeit bezeichnen, um für ihre Vision einer gottgewollten Staatsund Gesellschaftsform zu werben und gesellschaftlichen Einfluss zu gewinnen. Jihadistische Salafisten setzen darüber hinaus und vor allem auf das Mittel der Gewalt, um ihre Ziele zu erreichen. Der Salafismus stellt die am schnellsten wachsende islamistische Bewegung in Deutschland und Europa dar. Dies liegt auch darin begründet, dass er ein Angebot macht, welches insbesondere, aber nicht nur, junge Menschen anspricht. Diese Weltanschauung schafft ein komplettes Gegenmodell zum selbstbestimmten, daher aber auch risikobehafteten westlichen Lebensentwurf. Da die salafistische Ideologie von ihren Anhängern fordert, den Kontakt mit der "ungläubigen" Welt auf ein Minimum zu reduzieren, ist die Folge die Einbettung des Einzelnen in ein Netzwerk von Gleichgesinnten, die über ähnliche Ansichten verfügen, aber auch ähnliche Erfahrungen gemacht haben. Dies erleben viele von der modernen Welt Verunsicherte als ein stabilisierendes Element in ihrem Leben. Gleichzeitig vermittelt diese theologisch be118 Der arabische Begriff "Dawa" bedeutet übersetzt Einladung und kann mit Missionierung umschrieben werden. 171 Islamismus gründete Abschottung von der Mehrheitsgesellschaft das Gefühl, als Salafist einer von Gott bevorzugten Elite anzugehören. Salafistische Prediger Der Salafismus hat als dynamische heterogene Bewegung keine feste Struktur. Vielmehr sind seine Anhänger als Einzelpersonen oder über Kleingruppen u. a. in Netzwerken organisiert. Knotenpunkte dieser Netzwerke sind vor allem salafistische Prediger. Sie sind es, die die salafistische Ideologie ausformulieren und über ihre Auslegungen der islamischen Schriften konkrete Vorgaben zur "richtigen" Lebensführung machen. Die salafistischen Prediger sind über ihre Seminarangebote, Vortragsreisen und Onlineangebote überregional präsent und sammeln damit eine feste Anhängerschaft hinter sich. Salafisten verbreiten ihre Ideologie professionell. Ihre Vertreter setzen sich öffentlichkeitswirksam in Szene. Da salafistische Prediger in Deutschland vorwiegend die deutsche Sprache nutzen und sich insbesondere am Sprachgebrauch Jugendlicher orientieren, üben sie eine beträchtliche Anziehungskraft vorwiegend auf junge Menschen, darunter auch Konvertiten, aus. Eine große Bedeutung für salafistische Prediger hat das Internet. Ihre Onlineangebote, Audios, Videos und Schriftstücke dominieren die deutschsprachigen Informationsangebote im Internet über den Islam. Personen, die sich über die Religion des Islams informieren möchten, besuchen daher häufig von Salafisten betriebene Internetseiten, ohne dies unbedingt zu erkennen. Durch diese hohe Medienpräsenz erreicht salafistische Propaganda weite Kreise der Gesellschaft in Deutschland. Eindruck TV als neuestes Dawa-Projekt von Muhamed Ciftci Aufgrund der hohen Bedeutung moderner Medien für die Rekrutierung neuer Anhänger sind Salafisten ständig bestrebt, weitere Angebote zu entwickeln, um möglichst viele Menschen anzusprechen. Dazu gehören auch die Bestrebungen des Braunschweiger Predigers Muhamed Ciftci, der im November 2016 über Facebook bekannt gab, dass er die Gründung des "ersten islamischen deutschsprachigen TV-Senders" plane. Dieser sollte von der Türkei aus betrieben und in Deutschland über Satellit ab März 2017 empfangbar sein. Gegenüber der Braunschweiger Zeitung hat Ciftci im April 2017 aber 172 Islamismus eingeräumt, dass ihm dafür die finanziellen Mittel fehlen würden. Im Rahmen dieses Gesprächs kündigte er gleichzeitig an seine Internetaktivitäten auszubauen, wobei er langfristig das Ziel verfolge, 24 Stunden live im Internet zu senden. Als Umsetzung dieser Ideen kann das zum 01.10.2017 gestartete Projekt Eindruck TV angesehen werden. Dabei werden auf verschiedenen Social Media-Portalen wie Youtube, Facebook und Twitter Videobeiträge eingestellt. Darüber hinaus verfügt Eindruck TV über eine eigene Homepage, auf der auch ein Livestream vorgesehen ist. Der Livestream wurde bislang sowohl auf dem Facebook-Account als auch der Homepage von Eindruck TV nur für die Einstellung von Videos mit Koranrezitationen, die mit Untertiteln in deutscher Sprache versehen waren, genutzt. Als Eröffnungsbeitrag interviewte Ciftci den bekannten indischen Islam-Prediger Dr. Zakir Naik. Der Schwerpunkt von Eindruck TV sind Vortragsreihen von Predigern, wie z. B. von Ciftci selbst zum Thema "Mit Allah" oder vom salafistischen Prediger Marcel Krass zum Thema "Ist das Leben nur ein Spiel?". Die einzelnen Teile der Vortragsreihen werden dabei nacheinander eingestellt; meistens ein Vortrag in der Woche. Darüber hinaus werden auf Eindruck TV auch Kurzfilme gezeigt. Das Angebot von Eindruck TV richtet sich an ein deutschsprachiges Publikum, da alle Vorträge und Filme in Deutsch gehalten bzw. untertitelt werden. Dabei wird insbesondere der Facebook-Account von Eindruck TV stark frequentiert. Aufgrund der Angaben im Abspann der Videos ist davon auszugehen, dass die Produktion in der Türkei stattfindet. Die bislang auf Eindruck TV eingestellten Videos behandeln allgemeine Glaubensthemen und sprechen damit gezielt Menschen an, die auf der Suche nach dem Sinn im Leben sind. Diese Vorgehensweise entspricht dem Konzept der Dawa, das in der salafistischen Ideologie einen hohen Stellenwert hat. Bis jetzt konnten keine extremistischen Inhalte auf Eindruck TV festgestellt werden. Allerdings sind die bisherigen Vortragenden, wie z. B. Ciftci und Krass, der salafistischen Szene zuzurechnen, sodass von einer salafistischen Ausrichtung von Eindruck TV auszugehen ist. 173 Islamismus Literaturverteilaktionen und Islam-Informationsstände Eine weitere wichtige Aktionsform mittels derer salafistische Propaganda in Deutschland verbreitet wird, sind sogenannte Islam-Informationsstände. Auf diese Weise verteilen Salafisten Broschüren, Flugblätter, salafistische Grundlagenwerke, aber auch Koranausgaben. Durch eine zunächst scheinbar unverfängliche Kontaktaufnahme mit interessierten Außenstehenden werden vor allem junge Menschen in der Identitätsfindungsphase gezielt an die salafistische Ideologie herangeführt und anschließend in die Szene eingebunden. Zudem haben die Islam-Informationsstände eine wichtige Funktion für Salafisten, um Präsenz im öffentlichen Raum zu zeigen. Ein Beispiel für diese Aktionsform war die Koranverteilaktion "LIES! Im Namen Deines Herrn, der Dich erschaffen hat". Diese 2012 gestartete Dawa-Aktion wurde durch das am 25.10.2016 vom Bundesminister des Innern verfügte und am 15.11.2016 durchgesetzte Vereinsverbot gegen die Vereinigung Die Wahre Religion (DWR) beendet. Nachdem zwei Vorstandsmitglieder ihre gegen das Vereinsverbot erhobenen Klagen zurückgenommen haben, ist die Verbotsverfügung gegen DWR zum 19.12.2017 rechtskräftig geworden. Der Verbotsverfügung zufolge richtet sich DWR gegen die verfassungsmäßige Ordnung sowie gegen den Gedanken der Völkerverständigung. Der Initiator dieses Koranverteilprojekts, der Kölner Salafistenprediger Ibrahim Abou Nagie, trat regelmäßig im Zusammenhang mit salafistisch ausgerichteten Islamseminaren auf. Der von DWR vorgegebene Vereinszweck ist die Missionierung für den Islam durch die inzwischen internationale Verteilung von kostenlosen Koranübersetzungen an "LIES!"-Infoständen und "Street-Dawa-Aktionen" für Nicht-Muslime, sowie Seminare und Predigten. Das Verbot umfasst die Verwendung aller Kennzeichen der Vereinigung DWR einschließlich aller aufgeführten Teilorganisationen sowie alle Schriften, Tonoder Bildträger, Abbildungen oder Darstellungen, die verbreitet werden oder zur Verbreitung bestimmt sind. Des Weiteren wurden alle bis zum 12.10.2016 bekannten Internetauftritte einschließlich deren Bereitstellung und Verbreitung untersagt und das Vereinsvermögen eingezogen. In der Verbotsverfügung des Bundesministeriums des Innern heißt es: 174 Islamismus "'LIES!'-Stände stellen seit Jahren einen Sammelpunkt für Jihadisten mit Syrienbzw. Irakbezug dar. Bisher sind mindestens 140 Aktivisten oder Unterstützer im weiteren Verlauf nach Syrien bzw. in den Irak ausgereist, um sich terroristischen Organisationen wie dem IS anzuschließen. Teilweise wurden sie an der Waffe ausgebildet, haben an Kampfhandlungen teilgenommen oder sind ums Leben gekommen bzw. untergetaucht oder werden vermisst." Im Zuge der Vollstreckung des Verbots wurden am 15.11.2016 in zehn Bundesländern rund 190 Durchsuchungen, davon sechs in Niedersachsen, durchgeführt. Diese Durchsuchungen dienten der Sicherstellung und Beschlagnahme von Vereinsvermögen (SS 10 VereinsG) sowie der weiteren Aufklärung der Vereinsstrukturen (SS 4 Abs. 4 VereinsG). Alle von den Durchsuchungsmaßnahmen betroffenen Personen waren zuvor als Organisatoren, Standbetreuer und/oder Mehrfachteilnehmer in die örtliche (Führungs-)struktur der "LIES!"-Initiativen eingebunden. Weiterhin wurde 15 Personen aus Niedersachsen die Verbotsverfügung und das Merkblatt über die Rechtsfolgen bei Verstößen gegen das Vereinsverbot ausgehändigt. In Deutschland fand "LIES!" innerhalb salafistischer Kreise großen Zuspruch. Nicht zuletzt wurde das Internet durch DWR als Betreiberin mehrerer eigener Internetseiten und Accounts, beispielsweise auf Facebook oder Youtube, in erheblichem Umfang genutzt. Die Aktion war somit als ein wichtiger Bestandteil der bundesweiten offensiven Missionierungsund Rekrutierungsarbeit der Salafisten zu werten. Nach dem Verbot der "LIES!"-Koranverteilaktionen ist es der salafistischen Szene bislang nicht gelungen, weitere überregionale Literaturverteilaktionen in der Größenordnung von "LIES!" zu etablieren. Im Herbst 2016 initiierte ein ehemaliger Unterstützer des "LIES"-Projektes ein eigenes Projekt namens "We love Muhammad". Über eine App wird Interessierten Zugriff auf diverse Hörbücher über den Islam und Vorträge des salafistischen Predigers Pierre Vogel angeboten. Ergänzt wird diese digitale Vorgehensweise durch das Bereitstellen kostenloser Biografien des Propheten Muhammad und entsprechender Merchandisingartikel für Verteilaktionen in Innenstädten. Die "We love Muhammad"-Kampagne führt aktuell mobile Verteilaktionen u. a. in Hamburg, Hessen, Nordrhein-Westfalen und in der Schweiz durch. In Niedersachsen wurden bislang keine eigenständigen Aktivitäten dieses Projekts verzeichnet. Allerdings wurden die Prophetenbiografien von "We love Muhammad" auch 175 Islamismus Bismillah an den Islam-Informationsständen der Deutschsprachigen Muslimischen Gemeinschaft Braunschweig (DMG) verteilt. Die DMG Braunschweig führt ihre Islam-Infostände aktuell regelmäßig in Zeit: 09:30 Uhr bis 14:00 Uhr (Team 1) 14:00 Uhr bis 18:00 Uhr (Team 2) Braunschweig, Gifhorn, Salzgitter und Wolfsburg Termine: In scha Allah durch. Dies sind momentan die einzigen LiteraturSamstag, 20.05.2017, BS Straße Sack (Nähe City-Point/Primark) verteilaktionen in Niedersachsen. Nichtsdestotrotz vor der Buchhandlung "Graff" Samstag, 03.06.2017, BS ist aufgrund der großen Bedeutung der Dawa-AkStraße Sack (Nähe City-Point/Primark) vor der Buchhandlung "Graff" tionen für die salafistische Ideologie davon ausSamstag, 10.06.2017, Wolfsburg Porschestraße Mitte zugehen, dass es perspektivisch zumindest lokal (Höhe City Galerie, Hausnr. 45) Samstag, 17.06.2017, BS weitere salafistische Literaturverteilaktionen geStraße Sack (Nähe City-Point/Primark) vor der Buchhandlung "Graff" ben wird. Samstag, 01.07.2017, BS Straße Sack (Nähe City-Point/Primark) vor der Buchhandlung "Graff" Samstag, 01.07.2017, Wolfsburg Porschestraße Mitte (Höhe City Galerie, Hausnr. 45) Salafistische Gefangenenhilfe Durch die zunehmende Radikalisierung der salafistischen Szene in den letzten Jahren ist auch die Zahl der Strafverfahren mit einem islamistischen Hintergrund angestiegen. Insbesondere gegen Rückkehrer aus den Kriegsgebieten in Syrien und im Irak sowie gegen Personen, die Anschlagspläne im Inland vorbereitet oder unterstützt haben, wurden Gerichtsverfahren durchgeführt und Urteile gesprochen. Auf die daraus resultierende Zunahme von Häftlingen aus dem salafistischen Spektrum reagiert die Szene durch organisierte Unterstützungsleistungen für diese Gefangenen und ihr Umfeld. Einer der Hauptakteure der salafistischen Gefangenenhilfe ist der ehemalige Linksextremist Bernhard Falk. Nach seiner Konvertierung zum Islam ist er unter dem Namen "Muntasir Bi-llah"119 in der salafistischen Szene aktiv. Dabei hat er die linksextremistische Rhetorik beibehalten und in den islamistischen Kontext übertragen. Seiner Meinung nach sind inhaftierte Islamisten politische Gefangene, da die Bundesrepublik Deutschland einen Kampf gegen den Islam betreibe. Durch die persönliche und finanzielle Unterstützung salafistischer Häftlinge versucht Falk, diese in ihrer extremistischen Gesinnung zu stärken und eine Resozialisierung zu verhindern. Ein weiteres Aktionsfeld ist der Besuch von Gerichtsprozessen, um die Angeklagten zu stärken und öffentlich Präsenz zu zeigen. So war 119 Der arabische Name "Muntasir Bi-llah" bedeutet übersetzt siegreich durch Gott. 176 Islamismus Falk auch bei den Gerichtsverfahren gegen die Messerstecherin vom Hauptbahnhof Hannover, Safia S., und den ehemaligen Prediger des DIK Hildesheim, Abu Walaa, vor dem Oberlandesgericht Celle als Prozessbeobachter anwesend. Ein weiterer Akteur in der salafistischen Gefangenenhilfe ist die Organisation "Al-Asraa - Die Gefangenen" aus Nordrhein-Westfalen, die Inhaftierte und deren Umfeld durch Besuche und finanzielle Zuwendungen unterstützt. Über verschiedene Internetauftritte betreibt Al-Asraa dabei eine intensive Öffentlichkeitsarbeit, um über staatliche Maßnahmen gegen die salafistische Szene zu berichten und damit um Unterstützung zu werben. So werden auf den Onlinerepräsentanzen Berichte und Bilder über die Haftsituation salafistischer Gefangener veröffentlicht. Auch über die polizeilichen Maßnahmen bezüglich des Vereinsverbots des DIK Hildesheim und die Festnahme von Abu Walaa hat Al-Asraa auf seinen Internetauftritten berichtet. Rolle der Moscheen Auch wenn das Internet eine wichtige Rolle in der Vernetzung und Anwerbung für die salafistische Szene spielt, bleiben die realweltlichen Kontakte doch entscheidend zur Verfestigung der persönlichen Beziehungen. Einer Studie zu den nach Syrien und in den Irak ausgereisten Personen zufolge, gewinnt besonders der Kontakt in (einschlägige) Moscheen im weiteren Verlauf der Radikalisierung an Bedeutung. Deshalb spielen entsprechend ausgerichtete Moscheegemeinden nach wie vor eine wichtige Rolle als lokale Anlaufpunkte und Trefforte für die salafistische Szene. Salafistische Moscheen bieten ein umfangreiches Angebot an Lehrveranstaltungen für verschiedene Zielgruppen an und sorgen so für eine ideologische Festigung und Einbindung in die Strukturen des Salafismus. Unter anderem veranstalten salafistische Moscheen regelmäßig Islamseminare und Vorträge mit salafistischen Predigern. Während der Seminare treten einer oder mehrere Prediger auf, die sich vor allem an junge Menschen, die noch keine Anhänger des Salafismus sind, aber auch an Salafisten, richten. Auf Veranstaltungen dieser Art, die häufig mehrere Tage andauern, wird durch gemeinsame Aktivitäten ein Gemeinschaftsgefühl geschaffen. 177 Islamismus Salafistische Moscheen unterscheiden sich in ihrer Ausprägung. Bei salafistisch dominierten Moscheen, können die Führungspersonen und große Teile der Besucher dem Salafismus zugerechnet werden. In diesen Moscheen wird die salafistische Ideologie zielgerichtet gefestigt und weiterverbreitet. In den salafistisch frequentierten Moscheen gibt es dagegen einzelne salafistische Strömungen innerhalb der Moschee, ohne dass die Mehrzahl der Besucher oder der Vorstand im Gesamten Salafisten sind. Teilweise gibt es in solchen Moscheen salafistische Personengruppen oder es werden salafistische Prediger eingeladen, die eine weitere salafistische Beeinflussung der Moscheebesucher befördern können. Salafismus in Niedersachsen Quantitative Entwicklung des Salafismus in Niedersachsen 900 800 700 600 500 400 300 200 100 275 300 330 400 520 680 850 0 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 Bei den Salafisten in Niedersachsen handelt es sich, wie auch im internationalen und bundesdeutschen Kontext, um keine homogene Gruppe, sondern um ein mannigfaltiges Beziehungsgeflecht von Personen, die im Zusammenhang von Moscheen und Islamseminaren aktiv sind. Die Aktivitäten von Kleingruppen und Einzelpersonen sind charakteristisch für die salafistische Szene. Der Salafismus ist international, deutschlandweit und auch in Niedersachsen die zurzeit am schnellsten wachsende islamistische Bewegung. Im Vergleich zu 2016 sind die Anhängerzahlen für das Jahr 2017 um 25% von 680 auf 850 gestiegen. Damit verzeichnet die 178 Islamismus salafistische Szene bereits im sechsten Jahr in Folge ein deutliches Wachstum und hat sich in dieser Zeit mehr als verdreifacht. Der stetige Anstieg des salafistischen Personenpotenzials in Niedersachsen spiegelt die internationale und deutschlandweite Gesamtentwicklung wider, wonach die salafistische Ideologie insbesondere für junge Menschen in der Phase der Sinnsuche attraktiv ist. Zudem haben die kriegerischen Auseinandersetzungen in Syrien und im Irak bis hin zur zwischenzeitlichen Etablierung eines Kalifats durch die Terrororganisation Islamischer Staat (IS) im Jahr 2014 zu einer nicht unerheblichen Strahlkraft und zum Teil zur Radikalisierung in der salafistischen Szene geführt. Mittlerweile lassen sich salafistische Tendenzen in Niedersachsen flächendeckend, nicht nur in Großstädten, nachweisen. Dennoch bleiben die größeren Städte mit ihren salafistisch dominierten Moscheen weiterhin Schwerpunkte der salafistischen Aktivitäten. Die Prediger, die dort auftreten, sind in das nationale und internationale salafistische Netzwerk eingebunden. Die niedersächsische salafistische Szene ist überwiegend dem politischen Spektrum zuzurechnen. DMG Braunschweig Bereits die oben erwähnten Dawa-Projekte, wie Eindruck TV120 und die regelmäßigen Islam-Informationsstände haben gezeigt, dass Braunschweig einer der salafistischen Schwerpunkte in Niedersachsen ist. Als zentraler Anlaufpunkt für die salafistische Szene gilt dort die Moschee der Deutschsprachigen Muslimischen Gemeinschaft e. V. (DMG), wo sich im Durchschnitt regelmäßig etwa 160 Gläubige zu den Freitagspredigten versammeln. Der Braunschweiger Muhamed Ciftci tritt regelmäßig als Prediger in dieser Moschee auf. Er ist bundesweit und international als Prediger und Islamlehrer aktiv. Über Ciftci ist eine direkte Anbindung an salafistische Kreise im Ausland gegeben. Dies betrifft den Balkanraum, die Türkei und Teile der Arabischen Halbinsel. Zu den Aktivitäten von Ciftci gehörte auch die Islamschule, die maßgeblich zur Vernetzung der deutschen salafistischen Szene beitrug. Über 200 Personen, von denen viele nach wie vor in der salafistischen Szene aktiv sind, haben hier eine umfang120 Siehe Seite 172. 179 Islamismus reiche deutschsprachige Ausbildung in Islamstudien erhalten, bei der eine salafistische Weltanschauung vermittelt wurde. Nachdem die Islamschule im Jahr 2012 auf behördliche Veranlassung hin geschlossen wurde, betrieb Ciftci zwischenzeitlich eine nicht öffentlich zugängliche islamische Videothek unter dem Namen Islamothek. Sein neuestes Projekt ist die im Herbst 2017 gestartete Medienplattform Eindruck TV. Die Anbindung der DMG an überregionale salafistische Strukturen zeigt sich u. a. daran, dass regelmäßig salafistische Prediger auf Veranstaltungen der DMG auftreten. So ist auch Ahmad Armih alias Ahmad Abul Baraa im Jahr 2017 mehrmals in der DMG oder auf von der DMG organisierten Seminaren aufgetreten. Armih wirkt an der Sahaba-Moschee in Berlin, die als eines der salafistischen Zentren in der deutschen Hauptstadt eingeschätzt wird. Aufsehen erregte er in der Vergangenheit u. a. durch seine Rechtfertigung der weiblichen Beschneidung, die er als "Normalisierung des Verhältnisses der Frau zur Intimität" bezeichnete. Auch bei einem Auftritt im Oktober 2016 in Braunschweig vertrat Armih ein extremes Rollenverständnis. Als ihm die Frage gestellt wurde, ob ein Mann seine Frau von deren Eltern fernhalten dürfe, antwortete er, dass dies unter Umständen erlaubt sei. Fürchtete der Ehemann, dass die Eltern Zwietracht zwischen den Ehepartnern säen würden, dann sei dies erlaubt. Aber der Mann solle wenigstens gestatten, dass die Frau im Beisein des Mannes mit ihren Eltern telefonieren kann. Armih stellte in seinem Vortrag in Braunschweig die westlich-demokratische Gesellschaft als verdorben dar. Sie tue nichts, um auf Abwege geratene Muslime zu retten, im Gegenteil, sie fürchte sogar deren moralischen Lebenswandel. In einem Vortrag deutete er zumindest an, dass Gewalt zur Schaffung einer moralisch überlegenen Gesellschaft gerechtfertigt sein könnte. "Eine Frage, wenn wir auf dieses Land gucken oder auf die anderen Länder, versuchen sie uns nicht nur deswegen zu bekämpfen, weil wir im Islam verboten bekommen haben, worauf ihre gesamten Werte aufbauen. Sie hassen uns, weil der Islam das verbietet, worauf ihr gesamtes Leben gründet. Zum Beispiel Zina121, ... Alkohol trinken, ... Zinsen. ... Und weil unsere Religion uns das verbietet, so hassen sie uns wie die Pest, liebe Geschwister. Sie wür121 Der arabische Begriff "Zina" bedeutet übersetzt Unzucht. Diese kann nach islamischem Recht mitunter mit dem Tode bestraft werden. 180 Islamismus den lieber den Tod sehen als uns. Im Grund genommen geht es nur um ihre Gelüste. Wir kommen aber nicht zu ihnen, um ihnen zu sagen, dass wir sie hassen, in dem Sinne, dass wir ihnen nur Schlechtes antun wollen. Nein, wir wollen das Gute für sie, indem sie den Islam annehmen und sich befreien von dem Höllenfeuer. Sie aber denken, dass du sie mit Gewalt in das Paradies hineintreiben möchtest. Und wenn es auch so wäre, könnte man einem das übel nehmen? Nein. Die Zina ist ein fester Bestandteil ihres Lebens. Das gehört zu ihrem Leben. ... Was sind ihre Werte? Sie haben keine Werte. Ihre Werte sind: Tu was du willst, aber sei kein Muslim. ... Ich frage euch, von den Leuten, die hier sitzen, wer von euch wurde damals kritisiert, als er Alkohol getrunken hat? Wer? Wer von euch wurde kritisiert, als er Drogen genommen hat? ... Kam jemand vom Verfassungsschmutz zu euch und sagte, wir sehen dich auf einem üblen Weg? Niemand. Aber als du angefangen hast, dich zu reinigen, als du angefangen hast den Islam zu praktizieren, deinen Bart wachsen zu lassen, den Koran zu lesen, als du nicht mehr bereit warst mit fremden Frauen zusammen zu sitzen, so kam genau diese Behörde und sagte: 'Wir machen uns Sorgen um dich.' ... Natürlich wird man dich Salafist nennen, natürlich wird man dich Hassprediger nennen, natürlich wird man dich einen Extremisten nennen, denn im Vergleich zu den anderen bist du extrem gut, während sie extrem schlecht sind." (Ahmad Armih, Youtube, August 2016) Am 15.10.2017 ging Armih im fünften Teil seiner Vortragsreihe "Praktizierungsfehler der Geschwister", zunächst auf die Frage des Todes und des Jenseits ein. Dabei pries er die Vorzüge des Todes gegenüber denen des Lebens: "Wirst du Angst haben vor dem Tod? Wer möchte dann nicht sofort sterben? Sofort. Ohne mit der Wimper zu zucken, wenn du glaubst, dass du danach das Paradies bekommst. ... Weil wenn du weißt, du gehörst zu den Paradiesbewohnern, dieser Tod ist leicht für dich. Dieser Tod ist keine große Hürde für dich, dieser Tod ist sogar für Dich eine Erlösung. ... Dann wünscht euch den Tod, wenn Ihr wahrhaftig seid." (Ahmad Armih, Youtube, 15.10.2017) Dass die Juden sich nicht auf den Tod freuten, "aufgrund der Sünden, die sie mit ihren Händen vorausgeschickt haben" kommentiert Armih mit folgenden Worten: "Sollen wir denselben Zustand haben wie diese Leute? Dass wir uns nicht freuen auf den Tod? Sollen wir denselben Zustand haben wie diese Leute, die Allah nicht liebt?" (Ahmad Armih, Youtube, 15.10.2017) 181 Islamismus Auf ihrem Youtube-Kanal hat die DMG außerdem ein Video eingestellt, auf dem Haitham Al-Haddad im März 2017 als Gastprediger bei einem Islamseminar auftritt. Bei Haitham Al-Haddad handelt es sich um einen in Großbritannien lebenden Prediger, der u. a. regionaler Vertreter des Islamischen Scharia-Rats für London ist. Darüber hinaus ist Al-Haddad auch international als Prediger bei salafistischen Veranstaltungen aktiv. In der Vergangenheit ist er wiederholt durch antisemitische, homophobe und frauenverachtende Äußerungen aufgefallen. Das Thema seines Vortrags auf dem Seminar der DMG lautete "Die Einigkeit - The Unity". In seinen Ausführungen wertet er mehrfach Menschen ab, die seiner Meinung nach nicht dem "richtigen" muslimischen Glauben angehören. So bestehe seiner Meinung nach Einheit darüber, dass Schiiten nicht zum Islam gehören und die Glaubensrichtung der Sufis eine Sekte sei. Das Ziel der von ihm propagierten Einigkeit ist also primär, andere muslimische Strömungen zum "richtigen" Islam zu führen. Wie viele Salafisten überhöht auch Al-Haddad Diskriminierungserfahrungen von Muslimen in westlichen Gesellschaften und konstruiert das Szenario eines Krieges zwischen "wahren" Muslimen und Nichtmuslimen indem er davon spricht, "wenn man sich in Deutschland nicht einig werde, dann wird man getötet werden, wie die Muslime in Tschetschenien oder Bosnien." DIK Hannover Ein weiterer Schwerpunkt des Salafismus in Niedersachsen ist Hannover. Zu den Freitagsgebeten versammeln sich hier jede Woche im Durchschnitt 300 Personen. Ebenso wurde die Moschee mitunter von Einzelpersonen, die im terroristischen Kontext auffielen, besucht. Zu diesen gehörten u. a. die Geschwister Saleh und Safia S., die beide im Februar 2016 islamistisch motivierte Anschläge in Hannover verübten. Saleh S. warf am 05.02.2016 zwei Molotow-Cocktails vom Dach eines Einkaufszentrums in Hannover, um nach eigener Aussage so viele Menschen wie möglich zu töten. Anschließend versuchte er in Richtung Syrien auszureisen, wurde aber von den türkischen Behörden festgenommen. Das Oberlandesgericht Celle verurteilte den 18-jährigen Saleh S. am 08.06.2017 wegen versuchten Mordes in sieben Fällen zu einer Haftstrafe von acht Jahren. Die damals Fünfzehnjährige Safia S. stach am 26.02.2016 bei einer 182 Islamismus Personenkontrolle im Hauptbahnhof Hannover einem Beamten der Bundespolizei in den Hals und verletzte ihn schwer. Bereits zuvor hatte sie versucht, sich über die Türkei nach Syrien abzusetzen und sich dort dem IS anzuschließen. Das OLG Celle verurteilte Safia S. am 26.01.2017 zu sechs Jahren Haft (Jugendstrafe) wegen versuchten Mordes und der Unterstützung einer terroristischen Vereinigung. Das Gericht war der Ansicht, dass sie mit der Tat den IS unterstützen wollte. Der Bundesgerichtshof in Karlsruhe hat am 19.04.2018 die Revision zurückgewiesen. Das Urteil des OLG Celle ist damit rechtskräftig. Die Geschwister Saleh und Safia S. haben bereits seit früher Kindheit den DIK Hannover besucht. Dabei traf Safia S. auch mehrmals mit dem salafistischen Prediger Pierre Vogel zusammen, wovon später Videos ins Internet gestellt wurden. Grundsätzlich wird die Moschee des DIK Hannover dem politischen Spektrum des Salafismus zugeordnet. Das zeigen auch die regelmäßigen Auftritte entsprechend eingeschätzter inund ausländischer salafistischer Prediger in den letzten Jahren. Hierzu gehörten bislang z. B. Hassan Dabbagh und Abul Baraa. Im Frühjahr 2017 hielt Haitham Al-Haddad auch einen Vortrag im DIK Hannover zum Thema "Weisheit & Strategisches Denken". Auch wenn sich die Ausführungen von Al-Haddad primär auf die persönliche Glaubensausübung bezogen, so macht der Vortrag doch deutlich, dass seine Zielsetzung die Errichtung eines Gesellschaftsmodells nach den islamistischen Prinzipien ist. Dazu solle eine islamische Partei gegründet werden, die zunächst aber nicht als solche auftreten solle. Wenn diese Partei dann einen möglichst großen Einfluss erlangt habe, dann könne die Gesellschaft entsprechend umgestaltet werden. Hierzu gehört für Al-Haddad auch der "Befehl Allahs zur Einführung der Scharia". In enger Verbindung mit dem DIK Hannover steht der Verein Schlüssel zum Paradies e. V. in Hannover. Auf dessen Internetseite wurde u. a. die Messerattacke von Safia S. thematisiert. Man kritisierte, dass Vogel mit der Tat in Verbindung gebracht worden sei und bezeichnete dies als unrechtmäßig. Die Tat selbst verurteilte der Verein. Weiterhin wird auf der Internetseite des Vereins auf Veran183 Islamismus staltungen salafistischer Prediger in und außerhalb von Hannover hingewiesen. Auch warb Schlüssel zum Paradies e. V. um Spenden für die salafistische, als Hilfsorganisation auftretende Vereinigung Ansaar International. Im Oktober 2016 wurde in Hannover Winterkleidung für Syrien gesammelt. DIK Hildesheim Am 14.03.2017 hat das Niedersächsische Ministerium für Inneres und Sport den Verein "Deutschsprachiger Islamkreis Hildesheim e. V." (DIK Hildesheim) verboten. Da keine Klage gegen das Verbot erhoben wurde, wurde der Verein zum 19.04.2017 endgültig aufgelöst. Dem Verbot vorausgegangen war ein vereinsrechtliches Ermittlungsverfahren, das bereits 2015 eingeleitet wurde. Im Rahmen dieses Verfahrens fand am 27.07.2016 eine Durchsuchung der Räumlichkeiten des DIK in Hildesheim und der Wohnungen von acht Vereinsfunktionären und Hintermännern statt. Dabei wurde umfangreiches Beweismaterial sichergestellt. Mit der Auswertung dieser Beweismittel hat sich der Verdacht gegen den Verein bestätigt, dass Personen auf konspirative Art und Weise zielgerichtet radikalisiert und für eine Ausreise in die Kriegsgebiete in Syrien und im Irak zum Anschluss an den IS rekrutiert wurden. Der DIK Hildesheim war als Standort salafistischer Aktivitäten bekannt und galt als Anziehungspunkt im bundesweiten salafistischen und pro-jihadistischen Spektrum. Die Freitagspredigten zogen regelmäßig zwischen 200 und 400 Besucher an. Bereits zum Zeitpunkt der Moscheegründung 2012 hatte sich der Verein dezidiert für die salafistische Ideologie ausgesprochen. So wies er auf seiner Internetseite darauf hin, dass er sich den Ahlu-Sunna wa-l Jama'a, einer geläufigen Selbstbezeichnung von Salafisten, zuordne und sich auf das Islamverständnis der ersten Generationen der Muslime berufe. Im DIK Hildesheim wurden regelmäßig Islamseminare und Vorträge mit überregionalen salafistischen Predigern angeboten. Derartige Seminare können einen nicht unerheblichen Einfluss auf die Radikalisierung und auf mögliche Ausreiseabsichten in Jihadgebiete haben. So traten in der Vergangenheit zahlreiche salafistische Prediger dort auf, u. a. die in der salafistischen Szene bekannten Personen aus 184 Islamismus Nordrhein-Westfalen, Abdelilal Belatouani, Sven Lau und Efstathios Tsiuounis, aber ebenso der Braunschweiger Ciftci und der Berliner Abul Baraa. Als das DIK Hildesheim prägendste Kraft gilt der dem jihadistisch-salafistischen Spektrum angehörende Prediger Ahmad Abdulaziz Abdullah alias Abu Walaa. In diesem Zusammenhang ist auffällig, dass sich ein niedersächsischer Schwerpunkt mit mehr als einem Drittel der Ausreisefälle in das Jihadgebiet Syrien/Irak im Raum Hildesheim/Göttingen befindet. Es liegt nahe, dass sich die ausgereisten Personen im DIK Hildesheim radikalisiert haben. Des Weiteren bestanden Verbindungen des DIK Hildesheim zum salafistischen Verein Helfen in Not e. V. aus Neuss. Dieser steht als Organisator hinter einer Vielzahl von Benefizgalen für Syrien, bei denen überregional bekannte Prediger aus der salafistischen Szene auftreten. Ein Großteil der niedersächsischen Teilnehmer von Hilfskonvois, bei denen durch Spenden finanzierte Hilfsgüter mit Kraftfahrzeugen nach Syrien verbracht wurden, steht in Bezug zum DIK Hildesheim. Am 26.09.2017 hat vor dem Oberlandesgericht Celle das Hauptverfahren gegen Abu Walaa und vier weitere mutmaßliche Unterstützer des IS begonnen. Abu Walaa wird die Mitgliedschaft in der ausländischen terroristischen Vereinigung "Islamischer Staat", Terrorismusfinanzierung sowie die Beihilfe zur Vorbereitung einer staatsgefährdenden Straftat vorgeworfen. Mit einem Urteilsspruch ist erst im Laufe des Jahres 2018 zu rechnen. Die Beschuldigten wurden am 08.11.2016 in Niedersachsen und in Nordrhein-Westfalen, im Rahmen von Ermittlungen gegen ein in Deutschland ansässiges Rekrutierungsund Radikalisierungsnetzwerk des IS, festgenommen. Abu Walaa griff vor seiner Verhaftung in Videobotschaften salafistische Prediger, wie Vogel, die ihm zu moderat erschienen, heftig an. Vogel kommentierte die Verhaftung Abu Walaas auf seiner Facebookseite mit den Worten: "Möge Allah uns vor dem Übel des 'Abu Walaa' und seinen Lügen bewahren." Auch nach dem Verbot des DIK Hildesheim gibt es ein salafistisches Personenpotenzial vor Ort. Teilweise sind gewisse Wanderungsbewegungen von Personen aus dem ehemaligen DIK-Umkreis, die 185 Islamismus jetzt andere Objekte in Niedersachsen aufsuchen, festzustellen. Die Sicherheitsbehörden beobachten deshalb intensiv die weiteren Entwicklungen. Grundsätzlich hat das Verbot zumindest zu einer vorübergehenden Schwächung des Aktionspotenzials geführt, da der jihadistisch-salafistischen Szene in Niedersachsen ein örtlicher Anlaufpunkt fehlt. Die drei genannten Moscheevereine gehören bzw. gehörten in Niedersachsen zu den salafistischen Brennpunkten und werden seit Jahren durch den Verfassungsschutz beobachtet. Zwischen diesen Vereinen gibt es personelle und organisatorische Verbindungen und Vernetzungen. Hierzu gehören insbesondere überregional aktive salafistische Prediger. Zum Teil besuchen Personen auch mehrere Moscheen wechselseitig. Neben diesen salafistischen Schwerpunkten haben sich weitere Moscheen, in denen die salafistische Ideologie verbreitet wird, etabliert. Darüber hinaus gibt es in Niedersachsen Moscheegemeinden, in denen einzelne Salafisten verkehren oder die vereinzelt Veranstaltungen mit bekannten salafistischen Predigern durchführen. Eine nachhaltige salafistische Beeinflussung großer Teile der Moscheebesucherinnen und -besucher in diesen Gemeinden ist nicht belegbar, bezogen auf einzelne Besucher jedoch nicht auszuschließen. Frauen im Salafismus Grundsätzlich ist das salafistische Spektrum von Männern dominiert, doch zuletzt sind vermehrt auch salafistisch radikalisierte Frauen in den Fokus geraten. Auf den ersten Blick scheint der Salafismus keine Attraktivität für Frauen zu entfalten, wird doch gerade ihnen ein äußerst enges Regelwerk auferlegt und ihre Rolle auf das häusliche Umfeld beschränkt. Tatsächlich kann die salafistische Ideologie auch eine Anziehungskraft insbesondere auf junge Frauen haben, da sie ihnen Antworten für die Herausforderungen ihrer aktuellen Lebenssituation gibt. Dabei gibt es nicht den einen Erklärungsansatz, sondern unterschiedliche Faktoren, die Frauen entsprechend ihres jeweiligen persönlichen Kontextes ansprechen können. So bietet der Salafismus durch klar definierte Geschlechterrollen Orientierung bei der Persönlichkeitsentwicklung. Durch die Aufgabe, dem Mann zu dienen und Kinder zu gebären wird der Rollenkonflikt 186 Islamismus gelöst und man muss sich nicht zwischen Karriere und Familie entscheiden. Bei der Vielzahl an Entscheidungsmöglichkeiten, die jungen Menschen offenstehen, kann dies eine Befreiung darstellen, da der Salafismus diese Entscheidungen abnimmt und Frauen eine klar vorgezeichnete Rolle, als emotionale Stütze und Hüterin des Wohles der Gesellschaft, zuweist. Auch ist der Salafismus heute für Jugendliche oft eine naheliegende Möglichkeit gegen die bestehenden Verhältnisse - seien es die Eltern, die Schule oder die Gesellschaft - zu rebellieren. Tabubrüche früherer Generationen werden in der heutigen Gesellschaft, in der nahezu alles erlaubt ist, nicht mehr als solche wahrgenommen. Demgegenüber stellt die extreme Ausübung von Religion mit allen Geboten und Verboten, die gerade durch die salafistischen Kleidungsvorschriften bei Frauen im öffentlichen Raum sichtbar wird, die deutlichste Provokation dar und garantiert Jugendlichen die volle Aufmerksamkeit ihres Umfelds. Vor allem Mädchen, die aus traditionellen Familien kommen, werden dort im Vergleich zu ihren Brüdern stark reglementiert. In dieser Situation kann der Salafismus sogar eine Befreiung für die jungen Frauen darstellen, denn dort sind beide Geschlechter den gleichen Verboten, wie z. B. Alkohol trinken oder Fremdgehen, unterworfen. Auch können sich junge Frauen oft erstmals selbständig bewegen, wenn sie zu Moscheeveranstaltungen gehen, da sie hierzu nicht auf die Erlaubnis der Familie angewiesen sind. Dazu kommt, dass sie durch die Aneignung religiösen Wissens erstmals mit ihren Vätern, bzw. Brüdern auf Augenhöhe diskutieren und sich damit auch von ihnen emanzipieren können. Im Vergleich zum traditionellen Rollenverständnis kommt der Frau in der salafistischen Ideologie eine zentrale Bedeutung bei der Verbreitung der salafistischen Ideologie zu. Nach salafistischer Ansicht geht ihre Rolle also über die der treuen Ehefrau und der guten Erzieherin möglichst vieler Kinder hinaus. Sie kann sich ihre eigenen (Frauen-) Netzwerke aufbauen und dort aktiv zur Ausbreitung des Salafismus beitragen. Mit dem Auftreten des Internets hat sich der Wirkungskreis der Frau dabei deutlich vergrößert. Für sie ist es nun möglich von zu Hause aus über das Internet Kontakte zu knüpfen, 187 Islamismus sich über salafistische Inhalte zu informieren, andere Frauen in salafistische Moscheen einzuladen und als Propagandistin aufzutreten. Ein Beispiel hierfür ist die mittlerweile geschlossene salafistisch ausgerichtete Islamschule in Braunschweig, bei der auch Frauen den vermeintlich wahren Islam studieren konnten. Auch im jihadistischen Kontext sind Frauen im Internet aktiv. So berichteten einige ausgereiste Salafistinnen in eigenen Blogs aus dem Herrschaftsgebiet der Terrororganisation Islamischer Staat. Sie beschreiben in verführerischer Sprache die Vorzüge des Lebens in den IS-Gebieten und suggerieren ihren Leserinnen, dass sie dort ein besseres Leben erwarte. Diese Lebensberichte haben immer das eine Ziel, andere Frauen für eine Ausreise nach Syrien und in den Irak zu rekrutieren. So hat die Terrororganisation sogar einen eigenen Leitfaden verfasst, der konkrete Tipps zur Verschleierung und Durchführung der Ausreise in Richtung des IS gibt. Dies senkt die Hürden für ausreisewillige Frauen erheblich. Zudem wird durch den Kontakt zu anderen Frauen in Syrien und im Irak eine persönliche Bindung erzeugt, die entscheidend für die Durchführung einer Ausreise sein kann. Der IS hat in seinen Publikationen das Wirkungsgebiet von Frauen zunächst klar auf den Haushalt und die Familie eingegrenzt. Einzelne Ausnahmen davon stellten weibliche Polizeieinheiten, bspw. bei der Sittenpolizei, oder die Rekrutierung von Frauen als Selbstmordattentäterinnen dar. Entsprechend der Auslegung der traditionellen islamischen Rechtsgelehrten hat auch der IS die Teilnahme von Frauen am bewaffneten Jihad abgelehnt. Möglicherweise aufgrund der hohen Verluste hat sich diese Einstellung aber gewandelt. Zuletzt veröffentlichte der IS Propagandavideos, in denen auch bewaffnete Frauen im Kampf zu sehen sind. Nachdem der IS mittlerweile fast alle ehemals beherrschten Gebiete verloren hat, könnte der Einsatz von weiblichen Brigaden eine letzte Zurschaustellung eigener Handlungsfähigkeit und Stärke darstellen. Bei den weiblichen Ausgereisten aus Niedersachsen ist schwerpunktmäßig nicht davon auszugehen, dass deren primäre Motivation die Teilnahme am Kampf war, denn die knapp 20 Frauen aus Niedersachsen sind mehrheitlich entweder gemeinsam mit ihrem Ehemann ausgereist oder hatten die Absicht in den Jihadgebieten zu heiraten. 188 Islamismus Radikalisierung von Kindern und Jugendlichen Beginnend mit dem Messerattentat der damals fünfzehnjährigen Safia S. im Februar 2016 in Hannover gab es in den letzten Jahren mehrere (versuchte) Anschläge von Minderjährigen in Deutschland. Dazu zählen der Sprengstoffanschlag von zwei Jugendlichen im April 2016 auf das Gebetshaus der Sikh-Gemeinde in Essen, der Axt-Angriff eines Siebzehnjährigen im Juli 2016 in einer Regionalbahn bei Würzburg sowie der Anschlagsversuch auf den Ludwigshafener Weihnachtsmarkt im Dezember 2016, geplant von einem Zwölfjährigen. Mit dem starken Wachstum der salafistischen Szene in den letzten Jahren einher geht damit auch eine zunehmende Radikalisierung und Gewaltbereitschaft minderjähriger Salafisten, für die vor allem zwei Faktoren ausschlaggebend sind. Durch die beständig anwachsende salafistische Szene in Deutschland wächst ebenso die salafistische Lehrinfrastruktur. Islamunterricht salafistischer Prägung in Moscheen oder durch engagierte Einzelpersonen steht immer häufiger auch für Kinder und Jugendliche zur Verfügung. Die in Niedersachsen durch den Verfassungsschutz als islamistisch eingeschätzten Moscheen bieten fast durchgehend Unterrichtsangebote für Kinder und Jugendliche an. Je nach Geschlecht und Alter können die Kinder und Jugendlichen dabei spezifische Unterrichtsangebote wahrnehmen. Der überwiegende Teil der Personen, die Kinderunterrichte leiten, ist dem Niedersächsischen Verfassungsschutz aufgrund ihrer extremistischen Einstellung bekannt. Deshalb ist davon auszugehen, dass extremistisches Gedankengut auch in die Unterrichtsveranstaltungen für Kinder und Jugendliche mit einfließt und diese als Plattform dafür dienen können, Kindern eine islamistische Ideologie zu vermitteln. Als weiterer Faktor für eine Radikalisierung Minderjähriger ist der Einfluss salafistischer Erziehung in den Familien, in denen mindestens ein Elternteil Salafist ist, nicht zu unterschätzen. Ein Großteil der salafistischen Szene befindet sich im jungen Erwachsenenalter und ist damit in der Lebensphase der Familiengründung oder steht kurz davor. Als Eltern stehen Salafisten in der Verpflichtung ihre Kinder entsprechend der salafistischen Ideologie zu erziehen. In ihren Predigten betonen vor allem salafistische Prediger regelmäßig, wie wichtig der Stellenwert einer Kindererziehung nach den Grundsätzen des Glaubens ist. Dementsprechend sind auch bei Ra189 Islamismus dikalisierungsberatungsstellen zuletzt zunehmend Fälle von Kindern bekanntgeworden, die sich innerhalb salafistischer Familien radikalisiert haben. In solchen Familien werden Kinder schon von klein auf zur Ablehnung der "ungläubigen" Mehrheitsgesellschaft erzogen. Die besondere Bedeutung des familiären Kontextes als Subjektgruppe für eine salafistische Radikalisierung wird auch an den aus Niedersachsen ausgereisten Personen deutlich. Bei fünf der sechs Personen, die zum Zeitpunkt ihrer Ausreise minderjährig waren, sind noch weitere Familienmitglieder ausgereist. Insbesondere wenn die Eltern eine jihadistische Ideologie vertreten besteht die Gefahr, dass ihre Kinder schon früh mit gewaltverherrlichenden Inhalten in Kontakt kommen und selber entsprechende Ambitionen zum Kampf gegen Ungläubige entwickeln. Entsprechende Einzelfälle, in denen sich Kinder pro-jihadistisch geäußert haben, sind bereits bekannt geworden. Der bisherige Höhepunkt einer gezielten Indoktrination von Kindern konnte in den vom IS eroberten Gebieten in Syrien und im Irak festgestellt werden. Die jihadistische Ideologie war im dortigen System so dominant, dass selbst die Lehrpläne in den Schulen davon bestimmt wurden. Während Fächer wie Kunst, Literatur und Musik abgeschafft wurden, stellten die Lehrinhalte in anderen Fächern häufig einen Bezug zu Kampfhandlungen her. Schon Erstklässlern wurde die Addition in ihrem Mathematik-Lehrbuch anhand verschiedener Waffen vermittelt. Dies führte hin bis zu Propagandavideos des IS, in denen Kinder als Kämpfer auftraten und teilweise sogar selbst Exekutionen vornahmen. Dem Verfassungsschutzverbund liegen derzeit Informationen vor, dass mindestens ca. 290 minderjährige Kinder und Jugendliche aus Deutschland in Richtung Syrien/ Irak zumeist mit ihren Eltern ausgereist oder dort geboren sind. Die allermeisten Kinder und Jugendlichen sind im Babyund Kleinkindalter und bei ihren Eltern aufhältig. Bislang liegen keine konkreten Informationen vor, dass sich einzelne dieser minderjährigen Kinder und Jugendlichen an Kampfhandlungen in Syrien und im Irak beteiligt haben. Anzumerken ist, dass eine präzise und abschließende Zahl nicht genannt werden kann. In Niedersachsen lassen sich dieselben Tendenzen feststellen. Nach derzeitigem Stand liegt die Zahl der Kinder von Syrienreisenden im mittleren zweistelligen Bereich, wobei auch hier von einem Dunkelfeld auszugehen ist. Mehrheitlich sind diese Kinder zwischen 0 und 7 Jahre alt. 190 Islamismus Der Umgang mit salafistisch radikalisierten Kindern und Jugendlichen ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, die sowohl zivilgesellschaftliche Akteure, als auch staatliche Stellen betrifft. Die Kompetenzstelle Islamismusprävention Niedersachsen (KIP NI)122 hat deshalb Mitte Juni 2017 eine Arbeitsgruppe zum Themenbereich radikalisierte Familien eingesetzt. Unter der Federführung des Niedersächsischen Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung wurde dabei ein praxisorientiertes Handlungskonzept erarbeitet, das zielführende Maßnahmen und Instrumente für Präventionsund Interventionsmöglichkeiten bei radikalisierten Familien in den entsprechenden Handlungsfeldern aufzeigt. Auszug aus Rumiyah, Ausgabe 5 4.4 Internationaler islamistischer Terrorismus Der internationale islamistische Terrorismus stellt eine große Herausforderung für die internationale Staatengemeinschaft dar und ist nach wie vor eine Gefahr für die innere Sicherheit Europas und Deutschlands. Diese Gefahr realisierte sich 2017 mehrfach durch Anschläge und Anschlagsversuche. Die Aktivisten des islamistischen Terrorismus sind überwiegend von der jihadistisch-salafistischen Ideologie geleitet. Sie propagieren, dass die islamische Welt durch einen anhaltenden Angriff des Westens, angeführt von den USA, bedroht sei. Um die von ihnen angestrebten Lebensumstände der "urislamischen Gemeinschaft" des 7. Jahrhunderts auf der Arabischen Halbinsel herstellen zu können, müsse zunächst die vermeintliche Hegemonie des Westens in der muslimischen Welt beendet werden. Entwicklung al-Qaidas seit 2001 Die Struktur islamistisch-terroristischer Organisationen, allen voran die al-Qaidas, hat sich im letzten Jahrzehnt grundlegend verändert. Die Anschläge vom 11.09.2001 in New York und Washington wa122 Siehe Kapitel 6.7. 191 Islamismus ren nur möglich, weil al-Qaida damals eine hierarchisch geordnete Organisation gewesen ist. Sie war mit den dafür notwendigen finanziellen Ressourcen ausgestattet und konnte ihre Angriffe von sicheren Basen aus über einen längeren Zeitraum planen und umsetzen. Diese hierarchische Organisation der (Kern-)al-Qaida existiert, nicht zuletzt aufgrund des Verfolgungsdrucks durch die USA und ihrer Verbündeten, in dieser Form nicht mehr. Seither hat eine Regionalisierung al-Qaidas stattgefunden. Es bildeten sich regional verankerte terroristische Organisationen, die sich mitunter durch ihre Benennung an das große Vorbild anlehnen, z. B. al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel (AQAH), al-Qaida im islamischen Maghreb (AQM), al-Qaida im Irak (Vorgängerorganisation des sogenannten Islamischen Staates (IS)), al-Shabab oder die ehemalige Jabhat al-Nusra (JaN). Diese Organisationen berufen sich - neben einer jeweils eigenen, auch regionalen Agenda - auf die al-Qaida-Ideologie eines globalen militanten Jihad. Nach dem Tod Usama Bin Ladins im Mai 2011 verfolgten Kern-alQaida und ihre Regionalorganisationen weiterhin ihre Hauptziele: Das Zurückdrängen des westlichen Einflusses auf muslimische Länder sowie den Sturz vermeintlich unislamischer Regierungen im Nahen und Mittleren Osten sowie Nordafrika. Dabei nutzten die terroristischen Organisationen die Destabilisierung einiger Staaten im Nahen Osten im Zuge des Arabischen Frühlings (z. B. Syrien und Libyen), um aus dem Untergrund herauszutreten und quasi staatliche Strukturen unter ihrer Kontrolle zu bilden. Seit 2011 existierte mit der zur al-Qaida zählenden Unterstützungsfront für das syrische Volk, in der arabischen Kurzform Jabhat al-Nusra (JaN), eine eigene al-Qaida-Vertretung für Syrien. Am 28.07.2016 erklärte die JaN ihre Trennung von al-Qaida und ihre Umbenennung in Jabhat Fatah al-Sham (JFS, Front für die Eroberung der Levante). Beobachter hielten damals dieses Vorgehen für rein taktisch motiviert und bezweifelten die Ernsthaftigkeit der Distanzierung von al-Qaida. Am 27.01.2017 gründeten verschiedene jihadistische, aber dem Islamischen Staat (IS) feindlich gegenüber eingestellte Kampfverbände die Hai'at Tahrir al-Sham (HTS, Organisation zur Befreiung der Levante) als organisatorischen Dachverband. Die HTS wurde von An192 Islamismus fang an durch die JFS dominiert. Im Laufe des Jahres 2017 kam es zu immer stärkeren Spannungen zwischen Ayman al-Zawahiri, dem Emir des weltweiten al-Qaida-Netzwerks, und damit dem Nachfolger Usama Bin Ladins, und seinem nominellen Untergebenen, Abu Muhammad al-Jaulani, dem Führer der Jabhat Fatah al-Sham. Nachdem al-Jaulani einige Imame festsetzen ließ, die als Gefolgsleute al-Zawahiris angesehen wurden, beschuldigte al-Zawahiri al-Jaulani am 28.11.2017 in einer Audioansprache, den gegenüber al-Qaida geleisteten Treueeid gebrochen zu haben. Dabei sprach sich al-Zawahiri gegen die 2016 formell erfolgte Loslösung der JaN von der al-Qaida aus und kritisierte, dass die Gründung eines "neuen Gebildes" - womit die HTS gemeint war - nur "Zwietracht" unter den Mujahidin gestiftet habe, da es sich bei dem Jihad in Syrien um einen Kampf der gesamten Umma und nicht nur der Syrer handle. Damit kritisierte al-Zawahiri den "nationalsyrischen" Kurs der HTS und al-Jaulanis, der zuvorderst auf die Etablierung eines islamistischen Systems in Syrien abzielt und den globalen Ansatz al-Qaidas mit ihrem Kampf gegen "Juden und Kreuzzügler" hintanstellt. Einer der zentralen Unterschiede zwischen dem IS und der HTS ist, dass der IS seine Kämpfer zu einem großen Teil aus dem Ausland rekrutiert, während die HTS überwiegend Syrer in ihren Reihen hat. Dadurch ist die HTS viel stärker in der syrischen Bevölkerung verwurzelt, was einer der Gründe für ihre militärischen und politischen Erfolge ist. Insbesondere in dem Gebiet um Idlib in Nordwest-Syrien ist die HTS eine der dominierenden Kräfte und übt damit die Herrschaft über hunderttausende von Syrern aus. Ende des Jahres 2017 hat die HTS damit den IS als bedeutendste jihadistisch ausgerichtete Gruppierung in Syrien abgelöst, da dieser nur noch wenige dünn besiedelte Gebiete unter seiner Kontrolle hat. Mit der Regionalisierung al-Qaidas hat sich auch ihre Propaganda verändert. Bereits in den 1990er Jahren hatte al-Qaida begonnen, das Internet zur Verbreitung ihrer Botschaften zu nutzen. Jedoch erfolgte die Propaganda bis Ende des letzten Jahrzehnts vorwiegend auf Arabisch und in weiteren nahöstlichen Sprachen, so dass etwa Muslime im Westen nur eingeschränkt erreicht werden konnten. Mit der Regionalisierung der Organisation und der gleichzeitigen Fortentwicklung des Internets veränderte sich dies. 193 Islamismus Verschiedene jihadistische Organisationen sind dazu übergegangen, zunächst in englischer, dann aber auch in weiteren westlichen Sprachen, für den militanten Jihad zu werben. Besonderes Augenmerk liegt dabei auf der Mobilisierung westlicher Muslime, die einzeln oder in Kleingruppen individuell im Westen tätig werden sollen. Dieses Ziel verfolgt die Regionalgruppierung AQAH mit der Herausgabe der englischsprachigen Internetzeitschrift Inspire bereits seit dem Jahr 2010. Dabei wird bislang, mit insgesamt sinkender Tendenz, mindestens eine Ausgabe pro Jahr herausgebracht. Waren es in den Jahren 2010 bis 2014 jeweils zwischen zwei und vier Ausgaben dieser Zeitschrift pro Jahr, so war es im Jahr 2015 mit der 14. Ausgabe im September lediglich eine. Im Jahr 2016 erschienen dagegen wieder zwei Exemplare, im Jahr 2017 wiederum nur eine. Themenschwerpunkt der am 13.08.2017 veröffentlichten 17. Ausgabe von Inspire sind Anschläge auf öffentliche Verkehrsmittel, insbesondere Züge. Dadurch soll den westlichen Staaten wirtschaftlicher Schaden zugefügt und ein Gefühl der Unsicherheit in diesen Ländern hervorgerufen werden. Zunächst erfolgt eine ideologische Begründung solcher Anschläge. Anschließend werden verschiedene Transportmittel als legitime Ziele genannt und bereits gelungene Anschläge auf Transportsysteme als beispielhaft hervorgehoben. Der Autor des Artikels schlägt vor, dass jihadistische Gruppen die Anschläge ausführen sollen, da die Mittel eines "Lone Mujahid" begrenzt seien. Die islamrechtliche Rechtfertigung zur Tötung von Zivilisten wird in einer Abhandlung mit dem Titel "Targeting Civilians" unter der Rubrik "Rulings on Lone Jihad" geliefert. In dem zweiunddreißig Seiten langen Hauptartikel mit dem Titel "Trains Derail Operations" wird zunächst die Bedeutung von modernen Transportmitteln für die großen Industrienationen hervorgehoben. Im weiteren Verlauf werden dann verschiedene Angriffsformen auf Züge gedanklich durchgespielt: f Angriffe auf einen Waggon von innen oder außen, f die Sabotage der Schiene, um den Zug zum Entgleisen zu bringen und f Angriffe auf belebte Bahnhöfe, um "große Unterbrechungen" im Schienenverkehr zu erzeugen. Dabei konzentriert sich der Artikel vornehmlich auf den Zugverkehr in den USA. 194 Islamismus Terrororganisation Islamischer Staat (IS) Seit dem Jahr 2003 war unter wechselnden Namen eine Regionalsektion von al-Qaida auch im Irak aktiv. Im Jahr 2010 wurde Abu Bakr al-Baghdadi Emir dieser Organisation, die sich zu diesem Zeitpunkt Islamischer Staat im Irak (ISI) nannte. Nachdem im April 2013 al-Baghdadi die Nusra-Front mit dem ISI für vereinigt erklärte, was die JaN selbst strikt ablehnte, nannte sich der ISI in Islamischer Staat im Irak und Großsyrien (ISIG) um. Der Konflikt eskalierte derart, dass seit Ende des Jahres 2013 beide Organisationen ungeachtet ihres gemeinsamen Ursprungs immer wieder militärisch gegeneinander vorgehen. Zudem existieren auch ideologische Unterschiede zwischen dem ehemaligen irakischen (IS) und dem derzeitigen syrischen Zweig (JFS) der al-Qaida. Im Irak besteht die Mehrheit der Bevölkerung aus schiitischen Muslimen; der IS als sunnitische Organisation kämpfte seit seiner Gründung im Jahr 2003 von Anfang an gegen die Dominanz der Schiiten im irakischen Staatsapparat. Diese antischiitische Frontstellung wurde vom IS religiös überhöht und die Schiiten wurden prinzipiell als zu tötende Ungläubige angesehen. Die Mutterorganisation al-Qaida hingegen ging aus Zusammenhängen hervor, die nicht so deutlich wie im Irak vom sunnitisch-schiitischen Gegensatz geprägt waren. Daher betrachteten al-Qaida-Führungskader wie Usama Bin Ladin und Ayman al-Zawahiri die "schiitische Frage" als sekundär, etwa im Vergleich zur Konfrontation mit Juden und "Kreuzzüglern". Aufgrund der seit dem Jahr 2013 zunehmend realistisch erscheinenden Vorstellung, die Staatsordnung des Kalifats könnte nun wiedererrichtet werden, breitete sich in Teilen der internationalen salafistischen Szene eine geradezu euphorische Stimmung aus. Dies ließ u. a. tausende von europäischen Freiwilligen nach Syrien und in den Irak strömen, um sich dort dem Kampf um einen islamischen Staat anzuschließen. Die Zahlen steigerten sich insbesondere, als ISIG sich nach bedeutenden militärischen Erfolgen in IS umbenannte und am 29.06.2014 das Kalifat ausrief. Mit dessen Ausrufung beansprucht al-Baghdadi, nunmehr als Kalif Ibrahim auftretend, die Oberhoheit über alle Muslime weltweit. Tatsächlich wurde dieser Machtanspruch, zumindest im Herrschaftsbereich des IS, mit aller Gewalt durchgesetzt. Flagge des IS; in Deutschland verboten 195 Islamismus Mittlerweile ist ein deutlicher militärischer Niedergang des IS zu verzeichnen. Die sich bis ins Jahr 2015 abzeichnende Tendenz zur Etablierung einer gewissen Form von Staatlichkeit ist durch die militärische Unterstützung, die verschiedene Staaten dem irakischen, aber auch dem syrischen Militär haben zukommen lassen, gestoppt und umgekehrt worden. Nach arabischen Presseberichten hat der selbsternannte Kalif des IS al-Baghdadi Ende Februar 2017 in einer Ansprache vor Anhängern militärische Niederlagen eingeräumt und die Kämpfer aufgefordert, sich in unzugänglichen Bergregionen zu verschanzen. Im Laufe des Jahres 2017 verlor der IS noch den Großteil des bislang von ihm kontrollierten Territoriums, so dass der irakische Ministerpräsident Haider al-Abadi den IS im Irak für besiegt erklärte. Ende des Jahres 2017 übte der IS nur noch in einzelnen kleineren und dünn besiedelten Regionen im Osten Syriens und im Nordwesten Iraks die Herrschaft aus. Der Rückzug an der militärischen Front spiegelte sich im Jahr 2017 nicht unbedingt im Bereich der publizistischen Aktivitäten des IS wider. Zwar erschienen im Jahr 2017 keine weiteren Ausgaben des bisherigen englischsprachigen IS-Leitmediums Dabiq. Aber dafür publiziert das al-Hayat Media Center des IS seit September 2016 die neue Internet-Publikation Rumiyah. Bis September 2017 veröffentlichte der IS 13 Ausgaben dieses Jihadmagazins in diversen Sprachen, u. a. in Deutsch, Englisch, Französisch, Russisch, Türkisch und Indonesisch. Der Titel der Zeitschrift, Rumiyah, arabisch für Rom, bezieht sich auf eine Prophetenüberlieferung, wonach nach Konstantinopel (heute Istanbul) Rom durch die Heere des Islams erobert werden würde. Die Ausführungen im Magazin richten sich jedoch nicht ausschließlich gegen den "kreuzzüglerischen" Westen, vielmehr wird betont, dass es daneben eine Vielzahl von weiteren zu bekämpfenden Feinden, z. B. Hindus, Buddhisten und vom Islam Abgefallene, gebe. Auszug aus Rumiyah, Inhaltlich bringt Rumiyah Artikel zu allgemeinen theologischen FraAusgabe 11 gen, zu muslimischen Verhaltensweisen, aber auch glorifizierende Geschichten vermeintlicher Märtyrer. Bereits die Themenauswahl verweist jedoch auf das spezifische Interesse des IS. Häufig geht es um das Töten von Nichtmuslimen bzw. vermeintlichen Abweichlern, immer verbunden mit einer ausgiebigen religiösen Rechtfertigung 196 Islamismus der Tötungen durch Berufung auf religiöse Quellen und Autoritäten. Bereits in der im September 2016 erschienenen ersten deutschsprachigen Ausgabe von Rumiyah wurde die Frage beleuchtet, wie "Das Urteil über die Tötung von Mönchen und Priestern" schariarechtlich - in der Auslegung des IS - aussieht. Im Jahr 2017 setzte sich diese "Reihe" fort. Anfang Januar erschien mit der fünften Ausgabe der Artikel "Das Blut des Kafirs ist Halal123 für dich, so vergieße es." Hier geht es allgemeiner als im September 2016 um die Kuffar (Sing. Kafir), die Ungläubigen, d. h. alle Nichtsunniten. Wie mit diesen zu verfahren ist, wird schnell klargestellt: "So ist die Pflicht klar und errichtet, die Ungerechten, die Muschrikin124 , zu bekämpfen. Aber Allah befahl uns nicht nur das "Bekämpfen" der Kuffar, als würde man sagen, Er will uns nur Frontlinienoperationen ausführen lassen. Vielmehr befahl Er auch, dass sie erschlagen werden, wo auch immer sie sich befinden, auf oder außerhalb des Schlachtfeldes. ... Die Muslime, die gegenwärtig im Dar al-Kufr125 leben, müssen daran erinnert werden, dass das Blut der Kuffar Halal ist und die Tötung von ihnen eine Anbetungsform von Allah ist, dem Herrn, König und Gott der Menschheit. Dies schließt den Geschäftsmann, der im Taxi zur Arbeit fährt, die jungen Erwachsenen, die sich im Park sportlich betätigen und den alten Mann, der in der Schlange steht, um sich ein Sandwich zu kaufen, ein. Durchaus sogar das Blut des Kafir-Straßenhändlers, der Blumen an die Passanten verkauft, ist Halal zu vergießen und das Einflößen des Terrors in die Herzen aller Kuffar ist die Pflicht eines Muslims. Es gibt keine Schar' i126 -Voraussetzung, Soldaten und Polizisten noch Richter und Politiker ins Visier zu nehmen, aber alle Kuffar, die sich nicht unter dem Abkommen der Dhimma127 befinden, sind Freiwild. Wie kann der Kafir jemals von Sicherheit und Schutz träumen, während die Muslime überall auf der Welt leiden und während das Urteil Allahs spöttisch mit den menschengemachten Ungeheuern der Demokratie ersetzt wird?" 123 Der arabische Begriff "Halal" bedeutet übersetzt Erlaubt. "Halal ist eine der fünf Kategorien menschlicher Handlungen in der islamischen Rechtswissenschaft. In diesem Kontext bedeutet "Halal", dass nach Ansicht des IS das Vergießen des Blutes sogenannter Muschrikun erlaubt ist. 124 Der arabische Begriff "Muschrikin" bedeutet übersetzt Polytheisten. 125 Der arabische Begriff "Dar al-Kufr" bedeutet übersetzt Gebiet des Unglaubens. 126 Schariagesetzliche. Zur Scharia siehe Kapitel 4.2. 127 Nach klassisch-islamischem Recht dürfen Juden und Christen als "Dhimmis","Schutzbefohlene", unter islamischer Herrschaft leben. Sie müssen eine Sondersteuer zahlen und haben im Vergleich zu Muslimen weniger Rechte. 197 Islamismus Am 08.03.2017 erschien im Internet die siebte Ausgabe von Rumiyah, u. a. in den Sprachen Deutsch, Englisch, Französisch, Russisch, Paschtu, Kurdisch und Türkisch. Lediglich die deutsche Variante brachte jedoch den Artikel "Tötet die Imame des Kufrs in Deutschland und Österreich". Wieder wird versucht, die Tötung einer bestimmten Gruppe von Menschen, die von der Islaminterpretation des IS abweicht, islamrechtlich zu rechtfertigen. Ausdrücklich wird zur Ermordung bekannter salafistischer Prediger, wie Pierre Vogel oder Hassan Dabbagh sowie des Vorsitzenden des "Zentralrats der Muslime in Deutschland e. V." (ZMD) Aiman Mazyek aufgerufen. Weiterhin wird die Ermordung von drei namentlich genannten Vertretern der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGÖ) gefordert. Zur Begründung heißt es, diese Personen seien "Agenten der Kreuzzügler und Unterstützer der Tawaghit"128. Sie hielten Muslime von Tauhid129 und Jihad ab und verbreiteten Lügen über den IS. Deshalb sei ihr Schicksal beschlossen: "Tötet sie und ihresgleichen allesamt, indem ihr sie schlachtet, sie in die Luft sprengt, mit dem Auto überfährt oder auf eine andere Weise eliminiert, auf dass die Murtaddprediger130 von ihrem Übel gestoppt werden. Tötet sie, denn wahrlich ihre Tötung ist wichtiger als die Tötung der Kreuzzügler selbst! Unterstützt die Mudschahidin des Islamischen Staates wo auch immer ihr seid und schneidet die Köpfe ab, die die Kreuzzügler gegen sie unterstützen!" Fortgesetzt wird diese Reihe der islamrechtlichen Rechtfertigung von Morden in der am 13.07.2017 erschienenen elften Ausgabe von Rumiyah mit dem Artikel "Kollaterales Gemetzel". Hier dreht es sich um die Frage nach der Rechtmäßigkeit der Tötung von nichtmuslimischen Frauen und Kindern. Es wird betont, dass nicht nur die Tötung von aktiv gegen Muslime agierenden Frauen und Kindern, sondern ebenso Anschläge auf Menschenmengen islamrechtlich erlaubt seien, in denen sich mutmaßlich Frauen und Kinder aufhalten, da diese in der Anschlagssituation nicht von den Männern zu unterscheiden und zu separieren seien. 128 Plural des arabischen Begriffs "Taghut", der im koranischen Sinne mit Götze übersetzt werden kann. Im salafistischen Kontext bezeichnet Taghut ungerechte und unislamische politische Systeme. 129 Der arabische Begriff "Tauhid" bedeutet übersetzt Monotheismus. 130 Der arabische Begriff "Murtadd" bedeutet übersetzt Apostat. 198 Islamismus Individueller Jihad Nach dem 11.09.2001 schien die Strategie islamistischer Terroristen zu sein, Anschläge mit einer möglichst hohen Opferzahl durchzuführen. Tatsächlich kamen bei den Anschlägen von Madrid 2004 (191 Tote) und London 2005 (56 Tote) viele Menschen ums Leben. Seitdem gelang es, zumindest in der westlichen Welt, solche Großanschläge weitgehend zu verhindern. Dies lag vor allem an den komplexen Vorbereitungen, die für solche Aktionen notwendig sind. Relativ viele Personen sind beteiligt und mitunter findet eine verdächtige Kommunikation über elektronische Medien statt. Nachdem verschiedene groß dimensionierte Planungen teilweise schon im Anfangsstadium von den Sicherheitsbehörden aufgedeckt wurden, riefen Organisationen wie al-Qaida oder mittlerweile auch der IS dazu auf, als Einzeltäter oder Kleingruppe tätig zu werden. Dadurch wird der Planungsaufwand reduziert und so das Risiko minimiert, dass die Sicherheitsbehörden schon im Vorfeld der Aktionen davon Kenntnis erlangen. Al-Qaida hat sich wiederholt positiv über das terroristische Vorgehen von Einzeltätern bzw. Kleingruppen geäußert. Bereits im Jahr 2012 wird in der neunten Ausgabe des Onlinemagazins Inspire der Jihadtheoretiker Abu Mus'ab al-Suri zitiert, der den individuellen Jihad in den westlichen Ländern als eine der wichtigsten Strategien ansieht: "Das Fundament der operativen Aktivität ist, dass der Mujahid den individuellen Jihad in dem Land praktiziert, in dem er lebt, so dass er den Aufwand einer Reise in das Gebiet, wo der Jihad direkt praktiziert wird, nicht auf sich nehmen muss." (Inspire, Ausgabe Nr. 9, 2012) Die wichtigsten Ziele des Mujahids seien dabei u. a. politische und administrative Schlüsselfiguren, wirtschaftliche und infrastrukturelle Einrichtungen, "zionistische" Medien und ihr Personal. Ein solches Ziel seien auch Orte, an denen eine größere Anzahl von Juden anzutreffen sind sowie Zivilisten im Allgemeinen, wobei al-Suri darauf hinwirkt, Frauen und Kinder zu schonen, wenn diese sich nicht in der Gesellschaft von Männern befinden. 199 Islamismus Aufrufe zu Anschlägen im Westen durch den IS Der Schwerpunkt der IS-Propaganda lag grundsätzlich immer auf der Situation in Syrien und im Irak und dem Aufruf zur Ausreise in die Gebiete des IS. Mit dem militärischen Niedergang des IS ist die Werbung für Ausreisen in das "Kalifat" jedoch weniger geworden. Gleichzeitig wird aber nach wie vor zu Anschlägen im Westen aufgerufen, deren Anteil damit verhältnismäßig zugenommen hat. Die militärische Zurückdrängung des IS in Syrien und im Irak führt also nicht zu einer Entspannung der terroristischen Gefährdungslage, vielmehr rücken die westlichen Länder vermehrt in den Fokus der IS-Propaganda. Die veränderte Ausrichtung des IS wird auch an der Ramadan-Botschaft des damaligen IS-Sprechers Abu Muhammad Al-Adnani aus dem Mai 2016 deutlich. Darin führt er aus, dass das Kalifat nicht zwingend an ein Territorium gebunden sei und betont gleichzeitig, dass selbst kleine Anschläge im Westen eine große Bedeutung für den IS hätten. Auch im Jahr 2017 gab es deshalb wieder zahlreiche Aufrufe, in irgendeiner Form terroristisch aktiv zu werden. So veröffentlichte der IS am 04.07.2017 ein Hinrichtungsvideo, in dem Jungen in ihrer jeweiligen Muttersprache Drohungen gegen westliche Staaten sowie Russland aussprechen. Ein persischsprachiger Junge droht: "Ihr habt diese Menschen getötet, weil sie Muslime sind und an Gott glauben. Ihr habt eurem Hass gegenüber dem Islam auf diese Weise Ausdruck verliehen. Wir wissen sehr gut, dass ihr an eurem Leben hängt und ihr müsst wissen, dass wir bereit sind, unsere Seelen für Gott zu opfern. Wir werden, so Gott will, eure Länder zerstören, eure Sicherheit erschüttern und euer Blut vergießen." Ein Türkisch sprechender Junge ergänzt: "Ihr in den USA, Europa, Russland, Deutschland, Frankreich und der Türkei und alle anderen, die beim Krieg gegen den IS geholfen haben: Das, was ihr bisher erlebt habt, ist nur ein kleiner Teil von dem, was noch kommt." Unterstrichen wird diese Botschaft durch einen Ausschnitt aus dem Bekennervideo des Anis Amri, der am 19.12.2016 zwölf Menschen 200 Islamismus im Zusammenhang mit dem Anschlag auf einen Berliner Weihnachtsmarkt ermordete. In diesem Ausschnitt droht Amri, "den Kreuzzüglern die Kehle durchzuschneiden und Rache für die Gläubigen zu nehmen". Anschließend werden die Kinder bei der Enthauptung von vier angeblichen Spionen gezeigt. Auch in einem Drohvideo, das wenige Tage nach dem Terroranschlag in Barcelona am 17.08.2017 vom IS veröffentlicht wurde, droht ein Jihadist den Europäern: "Wenn euch die Hijra131 in den IS nicht möglich ist, kämpft, wo ihr nur könnt, der Jihad kennt keine Grenzen!" Die blutigste Umsetzung dieser Aufrufe zum Terror im letzten Jahr fand am 22.05.2017 in Manchester statt. Nach Ende des Konzerts der Sängerin Ariana Grande, das insbesondere von Kindern und Jugendlichen besucht wurde, zündete der Attentäter, ein in Großbritannien aufgewachsener Sohn libyscher Einwanderer, einen Sprengsatz und tötete dabei 23 Personen, einschließlich sich selbst. Über 500 Personen wurden verletzt. Das jüngste bei dem Anschlag getötete Kind war acht Jahre alt. Nach dem Sturz des libyschen Staatschefs Gaddafi 2011 reiste der Attentäter Salman Abedi mehrfach nach Libyen. Dort kam es sehr wahrscheinlich zu Kontakten mit örtlichen IS-Funktionären. Einen Tag nach dem Anschlag bekannte sich der IS zu diesem. Anschläge mit Kraftfahrzeugen Zu der perfiden Vorgehensweise jihadistischer Terrororganisationen, wie dem IS, gehört es, dass diese in ihren Propagandapublikationen detaillierte Anleitungen für besonders leicht durchzuführende Anschlagsszenarien mit möglichst hoher Opferzahl veröffentlichen. So werden in der am 05.05.2017 im Internet publizierten neunten Ausgabe von Rumiyah konkrete Hinweise auf die Verübung von Anschlägen mit Kraftfahrzeugen gegeben. Am besten hierfür geeignet sei ein "doppelrädriger Lastwagen", der ein "leicht angehobenes Fahrgestell und Stoßstangen" sowie eine "gute Beschleunigung" 131 Der arabische Begriff "Hijra" bedeutet übersetzt Auswanderung. 201 Islamismus aufweisen sollte. Derjenige, der auf diese Weise einen Anschlag durchführen wolle, könne einen entsprechenden Lkw kaufen, mieten oder ihn sich "mit Gewalt oder Täuschung" von einem "Kafir" beschaffen. "Ideale Ziele" seien "1. Große Veranstaltungen im Freien, Kongresse, Feiern und Paraden 2. Überfüllte Fußgängerzonen (Hauptstraßen) 3. Märkte im Freien 4. Kundgebungen im Freien". Wie auch im Jahr 2016 kam es in Europa im Jahr 2017 zu einer Vielzahl von versuchten und durchgeführten islamistischen Terroranschlägen. Welch zerstörerische Wirkung die jihadistische Propaganda hat, zeigte sich daran, dass zahlreiche dieser Anschläge mit Kraftfahrzeugen durchgeführt wurden: f Am 22.03.2017 fuhr ein 52-Jähriger mit einem gemieteten Wagen in eine Menschenmenge auf der Westminster-Brücke in London. Anschließend griff er einen Passanten mit einem Messer an und erstach ihn, bevor er selbst von Polizisten erschossen wurde. Der Attentäter töte fünf Menschen und verletzte über 30. Zu dem Anschlag, der von einem Konvertiten ausgeführt wurde, bekannte sich der IS. f Am 07.04.2017 stahl ein Attentäter einen Lastkraftwagen und fuhr mit diesem gezielt in eine Fußgängerzone der schwedischen Hauptstadt Stockholm. Dabei wurden fünf Menschen getötet und vierzehn weitere zum Teil schwer verletzt. Der aus Usbekistan stammende Täter war im Vorfeld der Tat bereits den schwedischen Sicherheitsbehörden im Zusammenhang mit Finanzierungsaktionen des IS aufgefallen. f Den Geschehnissen vom 22.03.2017 ähnelte das, was am 03.06.2017 in London passierte. Drei islamistische Terroristen töteten mit einem Lieferwagen drei Fußgänger auf der London Bridge. Anschließend ermordeten sie auf einem nahegelegenen Markt fünf Menschen und verletzten insgesamt 48, indem sie mit langen Messern auf sie einstachen. Die Täter wurden von der Polizei erschossen. Zu den Mordaktionen bekannte sich die Terrororganisation Islamischer Staat. f Auch in Barcelona wurde nach einem ähnlichen Modus Operandi verfahren. Am 17.08.2017 fuhr ein Attentäter mit einem Lieferwagen durch eine Menschenmenge auf dem Boulevard La 202 Islamismus Rambla im Zentrum von Barcelona. Dabei tötete er 14 Menschen und verletzte über 100. Auf der Flucht erstach der Attentäter eine weitere Person. Der Attentäter wurde im Rahmen polizeilicher Fahndungsmaßnahmen erschossen. In der Nacht zum 18.08.2017 erschossen spanische Polizisten fünf Terroristen, die zuvor in der rund 120 km von Barcelona entfernten Kleinstadt Cambrils eine Frau absichtlich überfahren hatten und offenbar planten, auf der dortigen Straßenpromenade möglichst viele Menschen zu erstechen. Nach Erkenntnissen der Polizei wurden die Attentate von Barcelona und Cambrils durch dieselbe Terrorzelle verübt. Ein gefasstes Mitglied dieser Zelle gestand, dass ursprünglich Sprengstoffanschläge u. a. auf die Kathedrale Sagrada Familia geplant waren. Nach einer unbeabsichtigten Explosion des Sprengstoffs am 16.08.2017, bei der mindestens zwei Mitglieder der Terrorzelle ums Leben kamen, entschied man sich zu den Anschlägen von Barcelona und Cambrils. Messerattacken im lone wolf-Stil Bei den oben geschilderten Anschlägen von London, Barcelona und Cambrils kamen neben Kraftfahrzeugen auch Stichund Hiebwaffen zum Einsatz bzw. sollten zum Einsatz kommen. Die Zahl der tatsächlichen Angriffe mittels dieser Waffen auf Vertreter des Staates, aber auch auf Zivilisten in westlichen Ländern war im Jahr 2017 erheblich. Dies geht auf eine kontinuierliche Indoktrination durch Medien des IS, aber auch al-Qaidas, zurück, die über das Internet erfolgte. So wurde am 26.01.2015 eine Audiobotschaft des damaligen IS-Sprechers Abu Muhammad Al-Adnani veröffentlicht, in der er betonte: "Ebenfalls erneuern wir unseren Aufruf an die Muwahhidin132 in Europa und dem ungläubigen Westen und an allen anderen Orten, nehmt die Kreuzzügler in ihren eigenen Ländern und wo immer sie zu finden sind, ins Ziel. Wir werden bei Allah Klage gegen jeden Muslim einreichen, der die Möglichkeit besitzt auch nur einen einzigen Blutstropfen von einem Kreuzzügler zu vergießen, dies aber nicht tut. Ob mit einem Sprengkörper, einer Kugel, einem Messer, einem Auto, einem Stein oder selbst mit einem Schuh oder der Faust." 132 Der arabische Begriff "Muwahhidin" bedeutet übersetzt Bekenner des Monotheismus. 203 Islamismus Etwa ein halbes Jahr später forderte Mohammed Mahmoud, der österreichische IS-Funktionär und deutschsprachige Propagandist dieser Terrortruppe, über Twitter: "Nimm ein Messer und schlachte einen kafir133 auf der Straße in Deutschland oder Österreich und unterstütze die khilafa134." Auch al-Qaida betont die einfache Umsetzung von Messerattacken. In der im Mai 2016 erschienenen 15. Ausgabe des englischsprachigen Jihadmagazins Inspire preist der Autor des Artikels "Oh, Messer-Revolution, mach dich auf nach Amerika" junge palästinensische Muslime, die "ihren Jihad" mit Messern in Israel gegen "die Zioinisten" führen würden. Diesen Beispielen sollten in den USA und in Europa lebende Muslime folgen und die dortigen Juden angreifen. Für den IS kommen jedoch nicht nur Juden, sondern alle Ungläubige als legitimes Ziel in Betracht. In der im Oktober 2016 erschienenen englischsprachigen zweiten Ausgabe des Magazins Rumiyah behandelt der Artikel "Just Terror Tactics" unter dem Schlagwort "Choosing the right weapon" ausführlich das Für und Wider von Messerattacken und gibt Ratschläge hinsichtlich der Auswahl der richtigen Stichwaffe. Die Hürden für diese Art eines Terroranschlags sind äußerst gering und entsprechend häufig wurden im Jahr 2017 Angriffe mit Messern durchgeführt: f am 03.02.2017 greift ein Einzeltäter französische Soldaten am Louvre mit einer Machete an; f am 19.05.2017 werden in Mailand zwei Polizeibeamte durch den Messerangriff eines Islamisten verletzt; f am 21.06.2017 greift ein Islamist auf dem Flughafen von Flint im US-Bundesstaat Michigan einen Polizisten mit einem Messer an; f am 14.07.2017 greift ein Islamist mit einem Messer ausländische Touristen am Strand von Hurghada an und tötet drei, davon zwei deutsche Frauen; 133 Der arabische Begriff "Kafir" bedeutet übersetzt Ungläubiger. 134 Der arabische Begriff "Khilafa" bedeutet übersetzt Kalifat. 204 Islamismus f am 28.07.2017 sticht ein Mann auf mehrere Kunden eines Supermarkts in Hamburg ein. Dabei wird ein Mann getötet, sieben weitere Menschen zum Teil schwer verletzt; f am 30.09.2017 greift ein Islamist in Edmonton/Kanada einen Polizisten mit einem Messer an und verletzt mehrere Fußgänger während seiner Flucht mit einem Fahrzeug; f am 17.12.2017 werden in Libreville, Hauptstadt des afrikanischen Staates Gabun, zwei dänische Reporter des Magazins National Geographic durch Messerstiche verletzt. Der Täter sagte später aus, die Messerattacke erfolgte als Vergeltung für "US-Angriffe auf Muslime". 4.5 Islamistischer Terrorismus in Deutschland Das durch den Islamischen Staat ausgerufene Kalifat entfaltet zwar als Reiseziel keine große Wirkung mehr, trotz allem bleibt dessen Ideologie nach wie vor virulent. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass der IS seine Anhänger vermehrt dazu aufruft, nicht mehr in seine Herrschaftsgebiete auszureisen, sondern stattdessen Anschläge in den jeweiligen Heimatländern durchzuführen. Die Bedrohung durch die große Zahl der Personen mit Syrien-/Irakbezug wird somit ergänzt durch eine quantitativ nur schwer eingrenzbare Zahl an, sich im Inland, radikalisierten Personen. Deren terroristische Agenda sieht nicht mehr eine Ausreise in die Jihadgebiete, sondern die Durchführung von Anschlägen im Inland vor. Gemeinsam ist den beiden Personengruppen der Salafismus als ideologische Grundlage und der daraus abgeleitete Aktionsrahmen des Jihadismus. Dazu ist es angesichts der hohen Zahl aufgenommener Flüchtlinge weiterhin möglich, dass sich unter diesen Personen mit einer salafistischen Gesinnung, aber auch solche aus dem Bereich der Allgemeinkriminalität oder Mitglieder militanter Gruppen befinden könnten. Aktuell liegen Hinweise im mittleren zweistelligen Bereich zu in Niedersachsen aufhältigen Flüchtlingen vor, welche die jihadistische Ideologie vertreten sollen. Nicht immer bestätigen sich diese Hin205 Islamismus weise, zu einzelnen Personen liegen aber wertige Informationen vor, dass sie vor ihrer Einreise nach Deutschland für Terrororganisationen wie dem IS oder Jabhat al-Nusra aktiv waren. Zudem nutzt der IS nach wie vor gezielt die Möglichkeit, diese als Flüchtlinge nach Europa einzuschleusen oder vor Ort Flüchtlinge zur Durchführung von Anschlägen zu rekrutieren. Die Bundesrepublik Deutschland steht somit weiterhin im Fokus islamistischer Terroristen, sodass eine ernstzunehmende Bedrohungslage auch für Niedersachsen vorliegt. Die Anschläge der letzten Jahre in Brüssel, London, Manchester und Paris, aber auch die Absage des Länderspiels in Hannover und das Messerattentat im Hauptbahnhof Hannover haben deutlich gemacht, dass jederzeit mit einem islamistisch motivierten Terroranschlag zu rechnen ist. Auch lassen die derzeitigen Entwicklungen vorerst keine Anzeichen dafür erkennen, dass sich die Bedrohungslage in näherer Zukunft entspannen wird. Islamistisch-terroristische Szene in Deutschland Die islamistisch-terroristische Szene in Deutschland spiegelt die Heterogenität der globalen jihadistischen Bewegung wider. Sie umfasst einerseits Gruppierungen, die Beziehungen zu islamistisch-terroristischen Organisationen im Ausland haben und andererseits Kleingruppen und selbstmotivierte Einzeltäter, die an keine terroristische Organisation angebunden sind. Gerade die unabhängigen Gruppen und Einzelpersonen agieren in der Regel im Sinne der von internationalen Organisationen wie al-Qaida oder dem IS vorgegebenen Leitlinien, was sich nicht zuletzt auf deren massive Internetpropaganda für einen individuellen militanten Jihad im Westen zurückführen lässt. Jedoch müssen sie nicht unbedingt im Auftrag solcher Organisationen aktiv sein, sondern sie führen ihre Aktivitäten selbständig und eigeninitiativ durch. Einzelpersonen, ob nun vollkommen autonom handelnd oder aus dem Ausland gesteuert, stellen für die Sicherheitsbehörden eine Herausforderung dar. Ihre Anschlagsplanungen sind im Vorfeld nur schwer zu erkennen. Die seit Jahren bestehende Drohkulisse islamistischer Terrororganisationen gegenüber der Bundesrepublik Deutschland und das Vorliegen entsprechender Gefährdungshinweise lässt sich auch quantitativ festmachen. 206 Islamismus Zum Ende des Jahres 2017 liegt das durch die deutschen Sicherheitsbehörden identifizierte islamistisch-terroristische Personenpotenzial bei 1.880 Personen mit weiter steigender Tendenz. Weiterhin gab die Bundesanwaltschaft im Dezember 2017 bekannt, dass sie in diesem Jahr mit rund 1.200 Verfahren fast fünf Mal so viele Terrorverfahren wie im Jahr 2016 (etwa 250) eingeleitet habe. Von diesen Verfahren seien ungefähr 1.000 solche mit einem islamistischen Hintergrund (2016: etwa 200). Angesichts dieser hohen Zahl gab die Bundesanwaltschaft ein Drittel der Fälle an die Strafverfolgungsbehörden der Länder ab. Eine der prominentesten verurteilten Personen im Jahr 2017 war der bundesweit bekannte salafistische Prediger Sven Lau. Der aus Mönchengladbach stammende Lau engagierte sich u. a. in dem ehemaligen Predigernetzwerk um den aufgelösten Verein "Einladung zum Paradies" (EZP) und galt auch als Initiator der "Scharia-Polizei"135, die 2014 zur Wahrung der religiösen Pflichten in Wuppertal patrouillierte. Zuletzt war Sven Lau zunehmend in der salafistischen Syrien-Hilfe aktiv und reiste dazu auch mehrmals nach Syrien. Das Oberlandesgericht Düsseldorf sah es als erwiesen an, dass er maßgebliche Beiträge zur Rekrutierung zweier Männer für die Teilnahme am bewaffneten Kampf in Syrien geleistet habe. Außerdem soll er die IS-nahe Terrororganisation "Jaish al-Muhajirin wa-l-Ansar" (JAMWA, Armee der Auswanderer und Propheten) finanziell und materiell unterstützt haben. Am 26.07.2017 wurde Sven Lau wegen der Unterstützung einer ausländischen terroristischen Vereinigung in vier Fällen gemäß SS 129a Abs. 1 und 5 und SS 129b Abs. 1 StGB zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren und sechs Monaten verurteilt. Sven Lau und Pierre Vogel auf einer Kundgebung Deutschland im Fokus der IS-Propaganda Der sogenannte Islamische Staat stellte auch 2017 klar, dass Deutschland weiterhin als Angriffsziel betrachtet wird. So droht der IS in der Anfang Januar 2017 veröffentlichten deutschsprachigen fünften Ausgabe seines Onlinemagazins Rumiyah in dem Artikel "Grenzenloser Terror": 135 Zur Scharia siehe Kapitel 4.2. 207 Islamismus "Zweifellos steht Deutschland ganz oben auf der Liste der Kreuzfahrer-Nationen, die sich am von den USA-geführten Kreuzzug gegen den Islamischen Staat und die muslimische Ummah beteiligen. Deutschlands Beherbergung amerikanischer Militärstützpunkte, die Entsendung deutscher Kampfflugzeuge, sowie die zahlreichen Waffenlieferungen und die Ausbildung der abtrünnigen Peschmerga im Irak machen Deutschland zu einem ganz besonders angriffswürdigen Kreuzzüglerstaat, denn es ist nun eine Pflicht für jeden Muslim die Anführer des Kufrs ins Visier zu nehmen und sie Zerstörung und Tod kosten zu lassen, genauso wie sie den Muslimen im Irak, asch-Scham136 und anderen Regionen der Welt Zerstörung und Tod zufügen." Am Ende des Beitrags werden "alle Muslime" zu weiteren Anschlägen aufgerufen: "Nehmt euch ein Messer und schlachtet die Kuffar137 egal wo sie sind und nehmt euch einen LKW und rast in versammelte Menschenmengen, um so viele wie möglich von ihnen zu töten und zu verkrüppeln." In der Mitte Juli 2017 erschienenen elften Ausgabe von Rumiyah wird auf die verheerende Wirkung von Brandanschlägen eingegangen und es werden Herstellungshinweise für sogenannte Molotowcocktails gegeben. Als geeignete Anschlagsziele empfiehlt der Autor u. a. Wohnblöcke, Schulen, Universitäten oder Tankstellen. In diesem Zusammenhang wird ein Bild der Frauenkirche in Dresden gezeigt und mit folgendem Kommentar versehen: "Die Frauenkirche in Dresden - Ein beliebter Versammlungsort der Kreuzzügler, der darauf wartet, niedergebrannt zu werden". Insbesondere im Jahr 2016 konkretisierten sich die Propagandaaufrufe in mehreren islamistischen Terroranschlägen in Deutschland, die in den meisten Fällen einen Bezug zum IS hatten. Dazu zählt das Messerattentat auf einen Bundespolizisten am 26.02.2016 im Hauptbahnhof Hannover, der Bombenanschlag auf ein Gebetshaus der Religionsgemeinschaft der Sikhs in Essen am 16.04.2016, die am 18.07.2016 ausgeführte Beilattacke in einem Regionalzug bei Würzburg und der Sprengstoffanschlag von Ansbach am 24.07.2016. 136 Der arabische Begriff "asch-Scham" bedeutet übersetzt Syrien. 137 Der arabische Begriff "Kuffar" bedeutet übersetzt Ungläubige. 208 Islamismus Der bislang blutigste Anschlag aus einer islamistischen Motivation heraus in Deutschland wurde am 19.12.2016 in Berlin verübt. Der sich seit dem Jahr 2011 in Italien und seit dem Jahr 2015 in Deutschland aufhaltende Tunesier Anis Amri brachte sich im Laufe des Nachmittags des 19.12.2016 in den Besitz eines schweren LKWs einer polnischen Spedition. Wahrscheinlich tötete er bereits zu diesem Zeitpunkt den Fahrer. Gegen 20 Uhr steuerte Amri den Sattelzug in die Einfahrt des Weihnachtsmarktes und fuhr von dort etwa 80 Meter über den Markt durch die Besuchermenge. Dabei starben elf Besucher des Weihnachtsmarktes, über 50 wurden verletzt, einige davon schwer. Nach der Tat gelang es Amri zunächst zu entkommen. Mit öffentlichen Verkehrsmitteln reiste er über die Niederlande und Frankreich nach Italien. Am 23.12.2016 wurde Amri bei einer Routinekontrolle in Norditalien durch italienische Polizisten erschossen, nachdem er auf diese das Feuer eröffnet hatte. Der IS bekannte sich durch seine Medienstelle "A'maq News Agency" (AMAQ) am 20.12.2016 zu der Tat. In einer schriftlichen Erklärung auf Arabisch und Deutsch wird der Anschlag als Erfolg gepriesen. Der Attentäter von Berlin sei ein Soldat des IS gewesen und dem Aufruf gefolgt, "Angehörige der Koalitionsstaaten" anzugreifen. Im Vergleich zum Jahr 2016 nahm die Zahl islamistischer Terroranschläge und insbesondere die Zahl der Opfer deutlich ab. Der einzige in Deutschland ausgeführte mutmaßliche islamistische Terroranschlag im Jahr 2017 fand am 28.07.2017 in Hamburg statt. Ein 26-jähriger palästinensischer Flüchtling stach auf einen Kunden mit einem Messer ein und verletzte diesen tödlich. Im Folgenden verletzte er noch weitere sechs Menschen zum Teil schwer, bevor er auf der Flucht von Passanten überwältigt und bis zum Eintreffen der Polizei festgehalten werden konnte. In den polizeilichen Vernehmungen gab der Täter an, dass er - ohne Mitglied des IS zu sein - seine Tat in einen Kontext mit islamistischen Anschlägen stelle und als persönlichen Beitrag zum weltweiten Jihad verstehe. Er habe möglichst viele Deutsche christlichen Glaubens töten wollen, um Vergeltung für das Unrecht zu üben, das aus seiner Sicht den Muslimen überall zugefügt werde. Der Attentäter hatte Kontakte in die salafistische Szene, stand aber anscheinend in keiner direkten Beziehung zu einer Terrororganisation. 209 Islamismus Die Bundesanwaltschaft geht zu Prozessbeginn im Januar 2018 von einem Einzeltäter aus, der sich selbst radikalisierte. Vereitelte islamistisch-terroristisch motivierte Anschlagsvorhaben in Deutschland Trotz der im Vergleich zum Jahr 2016 deutlich niedrigeren Zahl durchgeführter islamistisch motivierter Terroranschläge bleibt die durch den islamistischen Terrorismus verursachte angespannte Bedrohungslage nach wie vor bestehen. Erkennbar ist dies an der erfolgreichen bundesweiten Aufklärungsarbeit der Sicherheitsbehörden. So wurden in diesem Jahr in einer Vielzahl von Fällen Anschlagsplanungen tatgeneigter Islamisten frühzeitig aufgedeckt oder sich bereits in einem konkreten Vorbereitungsstadium befindliche Anschlagsvorhaben vereitelt. Dafür können an dieser Stelle folgende Beispiele angeführt werden: f Am 09.02.2017 gab es in Göttingen einen Polizeieinsatz gegen zwei Gefährder der örtlichen islamistischen Szene, einen 27-jährigen algerischen Staatsangehörigen, sowie einen 22-jährigen nigerianischen Staatsangehörigen. Beide Personen entstammen dem Umfeld der in Göttingen ansässigen Szene des "Kalifatstaat". Das Ziel der Organisation "Kalifatstaat" ist es ein Kalifat, also einen islamischen Staat mit Geltung der Scharia, unter der Führung von Metin Kaplan zu errichten. Der "Kalifatstaat" wurde zwar im Jahr 2001 verboten, nach wie vor gibt es aber Nachfolgeaktivitäten, bei denen insbesondere unter den jüngeren Anhängern eine zunehmende Tendenz zum jihadistischen Salafismus festzustellen ist. Dies war auch bei den beiden festgenommenen Gefährdern zu beobachten, die zunehmend auch Sympathien für die jihadistisch-salafistische Ideologie und für die Terrororganisation "Islamischer Staat" aufwiesen. Im Rahmen der Polizeimaßnahmen wurden die beiden Personen anlässlich der vorliegenden Erkenntnisse im Zusammenhang mit Vorbereitungshandlungen eines islamistisch-terroristischen Anschlags zunächst in Langzeitgewahrsam genommen. Der Einschätzung der Sicherheitsbehörden zufolge waren die Pläne für eine solche Tat so weit fortgeschritten, dass ein Anschlag jederzeit hätte ausgeführt werden können (Nähere Ausführungen erfolgen im folgenden Kapitel im Abschnitt "Festnahmen und Abschiebungen von zwei Islamisten aus Göttingen".). 210 Islamismus f Am 11.02.2017 wurde in Lippstadt (Nordrhein-Westfalen) ein den Sicherheitsbehörden bereits bekannter 21-Jähriger mit deutscher und russischer Staatsangehörigkeit vorläufig festgenommen, nachdem bei der Durchsuchung seines Zimmers unter anderem geeignete Mittel für die Herstellung des Sprengstoffs festgestellt worden waren. Darüber hinaus fand sich auch ein auf Arabisch verfasster Treueeid auf den IS-Kalifen Abu Bakr al-Baghdadi. Außerdem hatte der Beschuldigte sich Tage zuvor in einem Waffengeschäft eine offiziell als Sportgerät deklarierte Hochleistungsarmbrust gekauft, die auch als tödliche Waffe Verwendung finden kann. Gegen den Tatverdächtigen hat die Staatsanwaltschaft Dortmund ein Ermittlungsverfahren gemäß SSSS 89a und 89c StGB eingeleitet. f Ein weiterer mutmaßlicher Anschlag konnte von den Sicherheitsbehörden in Northeim verhindert werden. Am 21.02.2017 wurde ein 26-jähriger deutscher Staatsangehöriger aufgrund des Verdachtes, eine schwere staatsgefährdende Gewalttat gem. SS 89a StGB vorzubereiten, festgenommen. Bei der Durchsuchung seiner Wohnung wurden u. a. chemische Stoffe gefunden, die zum Bau einer Bombe geeignet erschienen (Nähere Ausführungen erfolgen im folgenden Kapitel im Abschnitt "Verurteilung eines Islamisten aus Northeim".). f Spezialkräfte der Bundespolizei und des Bundeskriminalamtes nahmen am 31.10.2017 einen 19-jährigen syrischen Staatsangehörigen in seiner Wohnung in Schwerin (Mecklenburg-Vorpommern) fest. Der Festnahme unmittelbar vorausgegangen waren Ermittlungen und operative Maßnahmen der Sicherheitsbehörden. Diese hatten unter anderem ergeben, dass der Verdächtige über das Internet verschiedene Gerätschaften und Chemikalien bestellt und erhalten hatte. In den Wohnräumen des Syrers wurden bei seiner Festnahme unter anderem die bestellten Gerätschaften und Chemikalien aufgefunden. Einige Bauteile der aufgefundenen Funkgeräte waren bereits baulich verändert und die Chemikalien schienen zum Teil angebrochen worden zu sein. Dies deutet auf erste Versuche zum Bau einer funktionstüchtigen Bombe mit offenbar hochexplosivem Sprengstoff hin. Dem Tatverdächtigen wird von der Generalbundesanwaltschaft die Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat (SS 89a StGB) vorgeworfen. 211 Islamismus Auswirkungen des Syrienkonflikts auf Deutschland - Ausreisen aus Deutschland Die Auseinandersetzungen in Syrien und Irak betreffen auch die Bundesrepublik Deutschland direkt. Mit Stand vom November 2017 liegen Erkenntnisse zu mehr als 960 deutschen Islamisten bzw. Islamisten aus Deutschland vor, die in Richtung Syrien/Irak gereist sind, um dort auf Seiten des Islamischen Staates und anderer terroristischer Gruppierungen an Kampfhandlungen teilzunehmen oder diese in sonstiger Weise zu unterstützen. Derzeit werden nur noch vereinzelt Ausreisesachverhalte bekannt. Etwa ein Fünftel der gereisten Personen ist weiblich. Der überwiegende Teil der insgesamt gereisten Personen ist jünger als 30 Jahre. Nicht in allen Fällen liegen Erkenntnisse vor, dass sich diese Personen tatsächlich in Syrien/im Irak aufhalten oder aufgehalten haben. Teilweise werden die Ausreisen erst mit zeitlicher Verzögerung bekannt. Etwa ein Drittel dieser gereisten Personen befindet sich momentan wieder in Deutschland. Zu der Mehrzahl dieser Rückkehrer liegen keine belastbaren Informationen vor, dass sie sich aktiv an Kampfhandlungen in Syrien/im Irak beteiligt haben. Im Zusammenhang mit fortschreitenden Gebietsverlusten des IS sind pressewirksame Einzelsachverhalte von im Kriegsgebiet festgenommenen Personen aus Deutschland bekannt. Eine verstärkte Rückreisetendenz zeichnet sich bislang jedoch noch nicht ab. Als Ergebnis der kontinuierlichen Ausund Bewertung der Erkenntnislage zu zurückgekehrten Personen liegen den Sicherheitsbehörden aktuell zu über 80 Personen Erkenntnisse vor, wonach sie sich aktiv an Kämpfen in Syrien oder im Irak beteiligt oder hierfür eine Ausbildung absolviert haben. Ferner liegen zu ca. 150 Personen Hinweise vor, dass diese in Syrien oder im Irak ums Leben gekommen sind. Zudem wurden weitere Ausreiseplanungen bekannt. Die deutschen Sicherheitsbehörden sind bestrebt, möglichst viele dieser Ausreiseplanungen frühzeitig wahrzunehmen, um deren Verwirklichung zu unterbinden. Die Anzahl der behördlich verhängten Ausreiseverbotsverfügungen bewegt sich im niedrigen dreistelligen Bereich. 212 Islamismus Rückkehrer aus Syrien und dem Irak Die militärische Offensive gegen den Islamischen Staat hat dazu geführt, dass der IS zum Ende des Jahres 2017 in Syrien und im Irak quasi alle zusammenhängenden Gebiete verloren hat. Nach dem zwischenzeitlichen Versuch staatliche Strukturen zu errichten, folgt nun eine Rückkehr des IS zur dezentral und mobil agierenden Terrororganisation. Für die noch in den IS-Gebieten verbliebenen Anhänger bedeutet dies den Verlust zahlreicher Privilegien und deutlich schlechtere Lebensbedingungen. Zudem ist die Gefahr einer Verhaftung durch eine der den IS bekämpfenden Armeen stark gestiegen, weshalb nach jetzigem Stand nicht mehr mit Ausreisen zum IS im größeren Stil zu rechnen ist. Vielmehr ist davon auszugehen, dass ein Großteil der aktuell noch in Syrien und im Irak befindlichen Personen eine Rückkehr nach Deutschland erwägt. Bei den potenziellen Rückkehrern handelt es sich dabei nicht um eine homogene Personengruppe. Einerseits muss zwischen ihrer Rolle in den Kriegsgebieten unterschieden werden. So gibt es Personen, die aktiv für den IS oder eine andere Terrororganisation gekämpft haben, aber auch Frauen, die vor Ort ein Leben als Hausfrau geführt haben oder Kinder, die von ihren Eltern mitgenommen, bzw. in Syrien und im Irak geboren wurden. Andererseits haben die Personen mit einer Rückkehrmotivation unterschiedliche Erfahrungen in den Kriegsgebieten gemacht und müssen entsprechend differenziert betrachtet werden. Teilweise sind Personen aufgrund idealistischer und naiver Beweggründe zum IS ausgereist, weil sie der Propaganda einer scheinbar besseren Welt Glauben schenkten. Die Realität einer unbarmherzigen militärischen Hierarchie oder der (Zwangs-)Verheiratung von Frauen hat einige der ausgereisten Personen aber so weit desillusioniert, dass diese froh sind über die Möglichkeit, dem IS den Rücken zu kehren. Eine Rückkehr in die salafistische Szene kommt für diesen Personenkreis nicht mehr in Frage. Andere Rückkehrer haben durch das Miterleben brutaler Gewalt oder den Verlust von Freunden Traumatisierungen erlitten, weshalb sie unbedingt psychologische Betreuung benötigen. Die Gruppe der Rückkehrer von der die größte Gefahr ausgeht, sind die Personen, die nach wie vor der Ideologie des IS anhängen. Ihr Aufenthalt in den IS-Gebieten hat sie ideologisch gefestigt und die Gewalterfahrungen haben sie verrohen lassen. Diese Personen kehren entweder aufgrund des massi213 Islamismus ven Verfolgungsdrucks gegen den IS zurück nach Deutschland oder sie werden vom IS zielgerichtet in ihre Heimat zurückgesendet. Hier können sie entweder eine wichtige Rolle als Propagandisten in der salafistischen Szene einnehmen oder ihre erworbenen Fähigkeiten im Umgang mit Waffen tatsächlich für die Durchführung von Anschlägen einsetzen. Grundsätzlich kann aufgrund der massiven Gewalt und Indoktrinierung in den Kriegsgebieten in Syrien und im Irak von einem hohen Gefährdungspotenzial durch Rückkehrer ausgegangen werden. Deshalb stehen diese Personen in besonderem Maße im Fokus der deutschen Sicherheitsbehörden. 4.6 Islamistischer Terrorismus im Zusammenhang mit Niedersachsen Ausreisen aus Niedersachsen Nach wie vor hat der Konflikt in Syrien und im Irak eine zentrale Bedeutung für die jihadistisch-salafistische Szene in Niedersachen, auch wenn im letzten Jahr nur noch vereinzelte Ausreisen zu verzeichnen waren. Im Vergleich zum Februar 2017 hat sich die Zahl der bekannt gewordenen Ausreisen aus Niedersachsen in Richtung Syrien/Irak um neun auf nunmehr 86 erhöht (Stand März 2018). Unter den Ausgereisten befinden sich mehr als zehn Personen, die an Hilfskonvois in Richtung Syrien teilgenommen haben. Die Feststellung, ob die Zielrichtung eines Konvois die humanitäre Hilfe oder aber eine jihadistische Unterstützung beinhaltet, ist im Einzelfall nur schwer möglich. Die weiteren Personen sind ausgereist, um sich tatsächlich oder mutmaßlich an Kampfhandlungen terroristischer Organisationen zu beteiligen oder auf andere Weise dem Widerstand gegen das Assad-Regime anzuschließen. Nicht in allen Fällen liegen Erkenntnisse vor, dass sich diese Personen tatsächlich in Syrien aufhalten oder aufgehalten haben. Zu Personen im niedrigen einstelligen Bereich liegen Erkenntnisse vor, dass sie an Kampfhandlungen teilgenommen oder sich in Ausbildungslagern aufgehalten haben. Weitere Personen sind aus unterschiedlichen Gründen nicht bis nach Syrien gelangt. 214 Islamismus Von den aus Niedersachsen stammenden Ausgereisten sind vermutlich ca. 20 in Syrien oder dem Irak zu Tode gekommen. In keinem Fall liegt für Niedersachsen jedoch eine behördliche Bestätigung eines Todes vor. Über 30 der ausgereisten Islamisten aus Niedersachsen sind zwischenzeitlich zurückgekehrt. Unter den Rückkehrern befinden sich auch die mehr als zehn Konvoi-Teilnehmer. Auswertung der ausgereisten Personen Vier von fünf der aus Niedersachsen ausgereisten Personen sind männlich. Diese Verteilung ist nicht überraschend, da jihadistische Organisationen grundsätzlich von Männern dominiert werden und der bewaffnete Kampf nach wie vor - mit wenigen Ausnahmen - Männern vorbehalten ist. Der Wirkungskreis von Frauen beschränkt sich in der Regel auf die Erziehung der Kinder und den häuslichen Bereich. Dies wird auch durch die Tatsache bestätigt, dass die meisten aus Niedersachsen ausgereisten Frauen entweder gemeinsam mit ihrem Ehemann ausgereist sind oder die Absicht hatten, in den Jihadgebieten zu heiraten. Die überwiegende Mehrheit der Ausgereisten aus Niedersachsen ist zwischen 22 und 29 Jahre alt. Etwa die Hälfte der Personen gehört dieser Altersgruppe an. Bei den restlichen niedersächsischen Ausgereisten erstreckt sich das Altersspektrum von 15 bis 44 Jahre. Dass sich vor allem junge Menschen für eine Teilnahme am bewaffneten Jihad motivieren lassen ist einerseits auf deren bessere physische Konstitution im Vergleich zu älteren Menschen zurückzuführen. Andererseits zeigt dies auch, dass vor allem junge Menschen in der Phase der Sinnsuche offen für die Rekrutierungsbemühungen der Prediger des gewaltsamen Jihad sind. Die meisten der ausgereisten Personen sind in Deutschland geboren und demzufolge besitzen etwa zwei Drittel von ihnen (auch) die deutsche Staatsangehörigkeit. Unter den Ausgereisten mit ausländischer Staatsangehörigkeit stellen türkische, nordafrikanische und nahöstliche Nationalitäten die größten Gruppen dar. Es befinden sich darüber hinaus beispielsweise aber auch Personen mit Staatsangehörigkeiten aus Ländern West-, Südostund Osteuropas unter ihnen. Insgesamt bewegt sich der Anteil der Personen ohne Migrationshintergrund nur im einstelligen Prozentbereich. Dies zeigt, dass 215 Islamismus die Rekruteure des Jihad vor allem in den migrantischen Communities erfolgreich sind, was auch dadurch belegt wird, dass die große Mehrzahl der Ausgereisten Geburtsmuslime sind. Bezüglich der Herkunftsregionen der Ausgereisten zeigt sich, dass diese hauptsächlich aus zwei Schwerpunktregionen stammen. Dies sind die Räume Göttingen/Hildesheim und Wolfsburg/Braunschweig, die über zwei Drittel der aus Niedersachsen ausgereisten Personen stellen. Darüber hinaus verzeichnen auch die Großräume Hannover und Osnabrück, sowie die an Bremen und Hamburg grenzenden Gebiete Ausreisen von Personen in Richtung Syrien und Irak. Die ausgereisten Personen stammen also überwiegend aus Städten oder Ballungsräumen mit Anschluss an die naheliegenden Metropolen, in denen sich salafistische Zentren befinden, die zur Radikalisierung der Personen beitragen. Terroristische Bedrohungslage Wie bereits im vorangehenden Kapitel beschrieben, steht die Bundesrepublik Deutschland weiterhin im Fokus islamistischer Terroristen, sodass eine ernstzunehmende Bedrohungslage auch für Niedersachsen vorliegt. Zwar hatte Niedersachsen im Jahr 2017 keinen terroristischen Anschlag aus islamistischer Motivation zu verzeichnen. Die nachfolgenden Fälle zeigen aber, dass die Sicherheitsbehörden nach wie vor mit hohem Aufwand bestrebt sind, weitere Anschläge zu verhindern. Dementsprechend kam es auch zu mehreren Festnahmen und Gerichtsverfahren.138 Festnahmen und Abschiebungen von zwei Islamisten aus Göttingen Im Zusammenhang mit den beiden am 09.02.2017 in Göttingen festgenommenen zwei Gefährdern der örtlichen islamistischen Szene (siehe vorhergehendes Kapitel, Abschnitt "Vereitelte islamistisch-terroristisch motivierte Anschlagsvorhaben in Deutschland"), erfolgten Durchsuchungen von insgesamt elf Objekten in Göttingen und einem Objekt in Kassel. Dabei wurden (teilweise funktionstüchtige) Waffen, Munition sowie eine "IS"-Flagge aufgefunden. Zur Einleitung eines Strafverfahrens gem. SS 89a bzw. 89b StGB kam es im Anschluss an die polizeilichen Maßnahmen aber nicht, da die 138 Zu den Entwicklungen um das Vereinsverbot des DIK Hildesheim und des Gerichtsprozesses gegen den dort tätigen Prediger Abu Walaa, siehe Kapitel 4.3. 216 Islamismus Generalstaatsanwaltschaft Celle keinen ausreichenden Anfangsverdacht sah. Nach Auffassung der Staatsanwaltschaft habe es sich bei den festgestellten Tätigkeiten und Handlungen der o. g. Personen nicht um "Vorbereitungshandlungen" eines Anschlages, sondern (lediglich) um "Frühüberlegungen" gehandelt. Trotzdem wurden beide Gefährder nach Beendigung des Langzeitgewahrsams in Abschiebehaft genommen. Rechtsstaatliche Grundlage für diese Maßnahme ist die im Jahr 2005 eingeführte Regelung des SS 58a Aufenthaltsgesetz, nach dem Ausländer auf Grund einer auf Tatsachen gestützten Prognose zur Abwehr einer besonderen Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr ohne vorhergehende Ausweisung abgeschoben werden können. Niedersachsen war das erste Bundesland, das eine Abschiebung auf dieser rechtlichen Grundlage angewandt hat. Das Bundesverwaltungsgericht bestätigte die Abschiebungen mit seinem Urteil vom 22.08.2017. Verurteilung eines Islamisten aus Northeim Ebenfalls im vorhergehenden Kapitel, Abschnitt "Vereitelte islamistisch-terroristisch motivierte Anschlagsvorhaben in Deutschland" wurde die Verhinderung eines weiteren mutmaßlichen Anschlags durch die Verhaftung eines 26-jährigen deutschen Staatsangehörigen am 21.02.2017 in Northeim erwähnt. Der Festgenommene räumte Planungen ein, Polizisten oder Soldaten in eine Falle locken und diese mit einem selbst gebauten Sprengsatz töten zu wollen. Hierzu hatte er sich bereits Gegenstände und Chemikalien verschafft, welche zur Herstellung eines Sprengsatzes benötigt werden. So hatte sich der Northeimer u. a. eine Fernbedienung für Mobiltelefone bestellt, die, unter Berücksichtigung eines im Dezember 2016 durch den IS veröffentlichten Videos "Greif sie an", auch als Fernzünder für einen Sprengsatz genutzt werden kann. In dem genannten Video wird die Herstellung von Sprengstoff mit einfachen Mitteln in einer Küche demonstriert und erläutert. Obwohl der Hauptangeklagte den Treueschwur auf den Anführer des IS abgelegt hatte, konnte im Gerichtsverfahren nicht nachgewiesen werden, dass die Terrororganisation den Angeklagten finanziell oder organisatorisch unterstützte. Somit konnten dem Northeimer im Prozess keine direkten Verbindungen zum "IS" nach217 Islamismus gewiesen werden. Dieser legte allerdings ein Geständnis ab und erklärte, dass ihn das staatliche ungerechte Vorgehen gegen ihn und andere Muslime motiviert hätte, in Anschlagsplanungen einzusteigen. Der Northeimer wurde zu drei Jahren und drei Monaten Haft verurteilt. Zwei der Mitangeklagten wurden ebenfalls verurteilt: eine Person zu einer einjährigen Haftstrafe wegen Beihilfe, die für drei Jahre zur Bewährung ausgesetzt wurde. Die zweite Person wurde zu 100 Stunden gemeinnütziger Arbeit verurteilt, eine dritte Person wurde freigesprochen (Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 18.12.2017, Aktenzeichen 9 KLs 41 Js 49/17 (41/17)). Ungewöhnlich ist im Fall des verurteilten Northeimers, dass dieser dem Niedersächsischen Verfassungsschutz zunächst als Rechtsextremist bekannt war. Später fiel er durch islamistische Äußerungen auf. Ein solcher Werdegang vom Rechtsextremismus zum Islamismus ist nicht sehr häufig, da "andersgläubige Fremde" und "Ungläubige Deutsche" jeweils die Feinbilder der entsprechenden extremistischen Weltanschauung darstellen. Jedoch macht dieser Fall deutlich, dass sowohl der Rechtsextremismus, als auch der Islamismus - und hier insbesondere der Salafismus - auf denselben Diskursmustern, nämlich einer Ideologie der Ungleichheit, die zur Stärkung der eigenen Gemeinschaft andere abwertet, beruhen. Dies äußert sich in einem dichotomen Weltbild, in dem einerseits in "wahre Muslime vs. Ungläubige" und andererseits in "deutsches Volk vs. Fremde" unterschieden wird. Außerdem spielt das Opfergefühl in beiden Extremismen eine große Rolle, wie das Beschwören einer Verfolgung der muslimischen Gemeinschaft (umma) durch den Westen sowie einer Bedrohung des christlichen Abendlandes durch Fremde, bzw. Muslime zeigt. Neben diesen gemeinsamen Diskursmustern stellt insbesondere der Hass auf die Juden ein verbindendes Element zwischen Rechtsextremismus und Islamismus dar. In beiden Ideologien werden Juden als nicht gleichwertig angesehen und, je nach Ausprägung, sogar zu ihrer Tötung aufgerufen. Verschwörungstheorien, insbesondere einer jüdischen Weltverschwörung, werden deshalb sowohl von Islamisten, als auch von Rechtsextremisten rezipiert und verbreitet. 218 Islamismus 4.7 Muslimbruderschaft Mitglieder / Bund: 1.360 Niedersachsen: 170 Anhänger: Publikationen: Risalat ul-Ikhwan (Rundschreiben der Bruderschaft) Kurzportrait / Ziele: Die auch als "ideologische Mutterorganisation des politischen Islam" bezeichnete Muslimbruderschaft (MB) versucht mit ihrer Strategie der kulturellen Durchdringung der islamischen Staaten, die gesellschaftlichen Voraussetzungen zur Etablierung islamistischer Staatsmodelle zu schaffen. Die MB ist nach eigenen Angaben in über 70 Ländern präsent, in Deutschland u. a. durch die Islamische Gemeinschaft in Deutschland e. V. (IGD). Der MB zugerechnete Gruppen haben sich in der Vergangenheit auch an gewaltsamen Erhebungen gegen die jeweiligen Machthaber in Syrien 1982 und in Algerien während der 1990er Jahre beteiligt. Grund der Beobachtung / Verfassungsfeindlichkeit Den in das internationale Netzwerk eingebundenen deutschen Zweigen der MB ist der gleiche Auftrag gestellt wie den nahöstlichen Zweigen der Bruderschaft: Die Durchdringung von Staat und Gesellschaft durch die Ideologie des Islamismus mit der Scharia139 als allein gültiger Ordnung. Damit verfolgt die MB Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland im Sinne des SS 3 Abs. 1 Nr. 1 NVerfSchG. Ursprung und Entwicklungen Die sunnitische MB ging 1928 in Ägypten aus einer kleinen Gruppe von Männern um Hasan al-Banna hervor, die sich als "Brüder im Dienste des Islam" verstanden. Für den Gründer al-Banna trug die Bruderschaft deutlich politische Züge. Darüber hinaus sei sie durch den als allumfassend angesehenen Charakter des Islams eine "der körperlichen Ertüchtigung dienende Gruppe", ein "kultureller und wissenschaftlicher Verband", eine "soziale Idee" und sogar ein 139 Zur Scharia siehe Kapitel 4.2 219 Islamismus "Wirtschaftsunternehmen". Der Wahlspruch der Bruderschaft verdeutlicht den universalen Anspruch: "Gott ist unser Ziel, der Prophet unser Führer, der Koran unsere Verfassung und der Kampf unser Weg. Der Tod um Gottes Willen ist unsere höchste Gnade. Gott ist groß." (nach Franz Kogelmann: "Die Islamisten Ägyptens in der Regierungszeit von Anwar as-Sadat [1970-1981]"; Berlin 1994, Seite 29) Die Bewegung gewann schnell an Einfluss und Mitgliedern und ist bis heute die größte islamistische Bewegung im Nahen und Mittleren Osten. Ihre überragende Bedeutung verdankt sie dem Umstand, dass sie in allen islamischen Staaten Ableger aufbauen konnte und auch andere islamistische Gruppen beeinflusste. Nach eigenen Angaben ist die MB heute in über 70 Ländern präsent. Auf ihrer fünften Generalkonferenz 1939 in Kairo legte die MB ihre bis heute gültige Doktrin fest. Darin tritt ein entschieden islamistischer Wesenszug zu Tage. Indem sich die Muslimbrüder auf das Wirken und die Tradition des Propheten und seiner Gefährten berufen, grenzen sie sich von allen "Verunreinigungen" des Islams ab, die die islamische Welt seit dem 7. Jahrhundert heimgesucht hätten. Trotz ihrer internationalen Ausrichtung zeigt die Bruderschaft noch heute eine deutliche arabische Prägung. Ihre wichtigste Basis ist weiterhin Ägypten, wo sie bis zum Sturz des ägyptischen Präsidenten Hosni Mubarak 2011 verboten war. Im Zuge des Arabischen Frühlings wurde der Muslimbruder Mohammed Mursi am 30.06.2012 zum Präsidenten Ägyptens gewählt. Nach nur einjähriger Präsidentschaft setzte ihn die Armeeführung am 03.07.2013 ab. Damit reagierte sie u. a. auf anhaltende Proteste von Teilen der Bevölkerung gegen Mursis islamistische Klientelpolitik. Anhänger der MB protestierten massiv gegen die Absetzung Mursis und wurden vom Militär niedergeschlagen. Am 23.09.2013 verbot die ägyptische Regierung die MB und stufte sie am 25.12.2013 als Terrororganisation ein. Zahlreiche Mitglieder der MB wurden seither verhaftet. Es ist möglich, dass sich aufgrund der staatlichen Repression - ähnlich wie bereits im Ägypten der 1950er und 1960er Jahre - Teile der ägyptischen MB im Untergrund radikalisieren. Die MB ist eine hierarchisch strukturierte Organisation. Als ihr Oberhaupt fungiert der Murschid Amm, der "Allgemeine Führer", dem sich das einzelne Mitglied durch ein Gelöbnis zur Gefolgschaft ver220 Islamismus pflichtet. Der derzeitige Murschid Amm, Muhammad Badie, wurde nach dem Sturz Mursis inhaftiert und zum Tode verurteilt, aber bislang nicht hingerichtet. Die Muslimbruderschaft in Deutschland und in Niedersachsen Vorrangiges Ziel der MB ist es, die in Deutschland lebenden Muslime von der "wahren", d. h. von ihrer Interpretation des Islams zu überzeugen. Verschiedene sogenannte islamische Zentren dienen diesem Ziel als organisatorische Stützpunkte. Gewalttätige Aktivitäten der MB in Deutschland wurden bisher nicht festgestellt. Die wichtigste Organisation in Deutschland, die das Gedankengut der MB vermittelt, ist die Islamische Gemeinschaft in Deutschland e. V. (IGD). Neben ihrem Hauptsitz in Köln betreibt die IGD mehrere sogenannte Islamische Zentren. Ein islamisches Zentrum stellt der Verein "Deutschsprachiger Muslimkreis Braunschweig e. V." in Braunschweig dar. Die IGD plant, sich in "Deutsche Muslimische Gemeinschaft" umzubenennen. Nach eigenen Angaben soll damit eine stärkere Verbundenheit zu Deutschland gezeigt werden. Die MB verfolgt auch in Niedersachsen ihren Ansatz der kulturellen und ideologischen Durchdringung. Dementsprechend übt die MB ihren Einfluss auf Moscheen in Niedersachsen in Braunschweig, Göttingen, Hannover und Osnabrück aus. Durch ihr Lehrangebot, wie z. B. in Moscheen angebotene Korankurse, verbreitet die MB ihre Ideologie. Hingegen sind öffentliche Aussagen von der Bruderschaft nahe stehenden Predigern mit antiwestlicher und/oder antijüdischer Tendenz vor dem Hintergrund verstärkter staatlicher Überwachungsmaßnahmen nicht mehr in früherer Schärfe wahrnehmbar. Die IGD führte auch im Jahr 2017 eine Reihe von überregionalen Veranstaltungen durch: Vom 06. bis zum 08.10.2017 fand der vierte bundesweite Koranwettbewerb in Bonn statt, an dem bis zu 400 Personen teilgenommen haben. Im Rahmen des Wettbewerbs wurde die Gründung des "Deutschen Bundes für den Edlen Koran" bekanntgegeben. Die Veranstaltung wurde durch den arabischen Fernsehsender "Al-Jazeera" live übertragen. Vom 24.12.2017 bis zum 01.01.2018 fand das vierte Korancamp der IGD in der Bildungsstätte in Arnsberg statt. Die Veranstaltung richtete 221 Islamismus sich an Jugendliche und Erwachsene im Alter von 16 bis 35 Jahren. Es sollen auch zertifizierte Koranlehrer daran teilgenommen haben. Auch die Ableger der MB aus anderen islamischen Staaten sind teilweise in Deutschland und Niedersachsen aktiv. So sind einige Mitglieder der tunesischen En-Nahda in Niedersachsen wohnhaft. Bei der HAMAS ("Islamische Widerstandsbewegung") handelt es sich um den palästinensischen Zweig der Muslimbruderschaft. Seit 2006 kontrolliert die HAMAS den Gazastreifen und hat dort ein Regime eingeführt, das die Rechte von Frauen und Minderheiten beschneidet und auch hart gegen gewaltfrei agierende Oppositionelle vorgeht. Die HAMAS ist über eine Unterorganisation in Deutschland vertreten. Es handelt sich hierbei um den im Mai 1981 im Islamischen Zentrum München gegründeten Islamischen Bund Palästina. In Niedersachsen sind nur einzelne Mitglieder und Funktionäre dieser Vereinigung ansässig. Die grundsätzliche Zielsetzung der HAMAS ist die Errichtung eines islamistischen Staates auf dem ganzen Gebiet Palästinas und damit die Vernichtung des Staates Israel. In ihrer Charta führt die HAMAS aus, dass es eine Pflicht für alle Muslime ist, den Jihad als bewaffneten Kampf gegen Israel zu betreiben und bedient dabei auch antisemitische Verschwörungstheorien. Immer wieder kommt es auch in Deutschland zu israelund judenfeindlichen Äußerungen unter Bezugnahme auf die islamistische Ideologie. Nach der Ankündigung des US-Präsidenten Trump, Jerusalem als Hauptstadt Israels anzuerkennen, organisierte die "Palästinensische Gemeinde Hannover e. V." am 16.12.2017 eine Mahnwache vor dem Hauptbahnhof in Hannover. Auf dieser Veranstaltung herrschte eine aggressive Stimmung gegen den Staat Israel, unter anderem skandierten die Teilnehmer: "Wir werden nach Al-Quds140 gehen, um millionenfach den Märtyrertod zu erlangen." 140 Der arabische Begriff "Al-Quds" bedeutet übersetzt Jerusalem. 222 Islamismus 4.8 Tablighi Jama'at (TJ, Gemeinschaft der Missionierung und Verkündung) Sitz / Verbreitung Weltzentrum in Lahore, Pakistan; europäisches Zentrum in Dewsbury (Großbritannien); in Deutschland keine offizielle Niederlassung Gründung / 1926 in Britisch-Indien Bestehen seit Mitglieder / Anhänger: Bund: 650 Niedersachsen: 70 Kurzportrait / Ziele: Die Tablighi Jama'at (TJ, "Gemeinschaft der Missionierung und Verkündung") wurde im letzten Jahrhundert als Missionsbewegung gegründet. Langfristiges Ziel ist die Errichtung eines islamistischen Regimes. Sie vertritt ein äußerst rigides Islamverständnis, das die Ausgrenzung der Frau und die Abgrenzung gegenüber Nichtmuslimen beinhaltet. Die Anhänger dieser internationalen islamischen Massenbewegung sind bestrebt, die überlieferte Lebensweise des Propheten Muhammad in Kleidung und täglichen Verrichtungen möglichst genau nachzuempfinden. Koran und Sunna werden strenggläubig und wortgenau befolgt und sollen als Richtschnur für jedes gesellschaftliche Miteinander gelten. In Deutschland befindliche Moscheen der TJ sind an deren globales Netzwerk angeschlossen und stehen im Austausch mit dem europäischen Zentrum in Dewsbury und dem Weltzentrum in Lahore. Grund der Beobachtung / Verfassungsfeindlichkeit Die Ablehnung säkularer Prinzipien und die Abgrenzung gegenüber Nichtmuslimen können die Bildung abgeschotteter Parallelgesellschaften zur Folge haben und individuelle Radikalisierungsprozesse begünstigen. Das Islamverständnis der TJ beinhaltet die Ausgrenzung von Frauen und die Abgrenzung von Nichtmuslimen. Koran und Sunna werden wortgenau befolgt und dienen als Richtschnur für das gesellschaftliche Miteinander. Durch die Propagierung der 223 Islamismus Scharia141 als Grundlage ihres Gesellschaftsmodells verfolgt die TJ Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des SS 3 Abs. 1 Nr. 1 NVerfSchG. Ursprung und Entwicklungen Angesichts der Dominanz der europäischen Kolonialmächte propagierten sogenannte islamische Reformbewegungen wie die TJ, die im indo-pakistanischen Raum ihren Ursprung hatten, die Säuberung des Islams von vermeintlichen geistigen und kulturellen Verunreinigungen.142 Heute zählt die TJ nach Zahl und Verbreitung ihrer Anhänger weltweit zu den bedeutendsten islamischen Bewegungen. Ihre Anhänger fühlen sich nicht einer festen Gruppierung zugehörig, sondern sehen sich als Muslime mit missionarischem Auftrag. Obwohl sich die TJ selbst als unpolitisch und gewaltlos darstellt, wird dies aus Sicht der Sicherheitsbehörden anders bewertet. Das strikte Koranverständnis führt zu einer Befürwortung der Scharia, des aus Koran und Sunna hergeleiteten islamischen Rechts, und damit in letzter Konsequenz zum Versuch einer Islamisierung der Gesellschaft. Das Bemühen um eine im Sinne der TJ vorbildliche Glaubenspraxis schließt eine weitgehend wortgetreue und rigide Interpretation des Korans und seiner Rechtsvorschriften ein, so dass damit der Erfüllung religiöser Vorschriften grundsätzlich Vorrang gegenüber einer an staatlichen Gesetzen orientierten Lebensführung eingeräumt wird. Aktivitäten von TJ-Anhängern in Deutschland und Niedersachsen Die Anhänger der TJ reisen in der Regel in Gruppen, in sogenannten Jama'ats, um einerseits den Glauben zu verbreiten und andererseits die Frömmigkeit der Prediger selbst zu stärken. Zielgruppe sind in erster Linie Muslime mit einer vermeintlich unzureichenden Beachtung der Glaubensriten, erst in zweiter Linie Nichtmuslime. Zu den Pflichten eines Mitglieds gehört die freiwillige und unbezahlte missionarische Tätigkeit, die 40 Tage im Jahr betragen soll. 141 Zur Scharia siehe Kapitel 4.2. 142 Die Muslime Indiens sahen sich einer zweifachen Bedrohung ausgesetzt. Einerseits hatten sie die politische Macht an die christlichen Briten verloren, andererseits überwog in Indien zahlenmäßig die hinduistische Bevölkerungsgruppe. Während aufklärerische muslimische Kreise die Meinung vertraten, dass vor diesem Hintergrund nur mit westlichen Erkenntnissen, nicht gegen sie, der Aufbruch der Muslime Indiens in die Moderne gelingen könne, lehnten konservativ ausgerichtete sunnitische Rechtsgelehrte sowohl hinduistische als auch westliche Einflüsse ab und forderten deren Eliminierung. 224 Islamismus Der Schwerpunkt der Aktivitäten der TJ liegt auf dem indischen Subkontinent. In den letzten Jahrzehnten hat diese islamische Massenbewegung ihre Aktivitäten jedoch auf Nordafrika und auf die muslimische Diaspora in Europa, Nordamerika und Australien ausgeweitet. Niedersächsische Anhänger der TJ sind an das globale Netzwerk der TJ angeschlossen. Von Niedersachsen ausgehende Missionsreisen werden aus der Masjid El Ummah-Moschee im Pakistanzentrum in Hannover nach entsprechender Vorgabe koordiniert. Die niedersächsischen TJ-Anhänger beteiligen sich insbesondere an regelmäßig stattfindenden bundesund europaweiten Treffen, auf denen u. a. organisatorische Entscheidungen der Bewegung getroffen werden. Grundlegende Entscheidungen werden jedoch von den Führungszentren der TJ in Pakistan und Indien bestimmt. Nicht aus Niedersachsen stammende TJ-Anhänger sind aufgrund der durchzuführenden missionarischen Reisen auch regelmäßig in niedersächsischen Moscheen festzustellen, die nicht originär der TJ zuzurechnen sind. Die Bewegung ist bestrebt, ihre missionarischen Aktivitäten ständig zu intensivieren und ihre Anhängerzahl weltweit zu erhöhen. In Niedersachsen stagnieren die Mitgliederzahlen indes. 4.9 Hizb Allah (Partei Gottes) Sitz / Verbreitung Beirut Generalsekretär Hassan Nasrallah Mitglieder/Anhänger: Bund: 950 Niedersachsen: 150 Publikation Al-Ahd (Die Verpflichtung) Kurzportrait /Ziele: Für die schiitische Gemeinschaft fordert die mit Hilfe der Islamischen Republik Iran gegründete Hizb Allah die Anwendung der islamischen Rechtsordnung der Scharia.143 Außerdem bestreitet die Hizb Allah das Existenzrecht des Staates Israel und bekämpft ihn mit terroristischen Mitteln. In Deutschland pflegen die Anhänger der Hizb Allah den organisatorischen und ideologischen Zusammenhalt u. a. in örtlichen Moscheevereinen, die sich in erster Linie durch Spendengelder finanzieren. 143 Zur Scharia siehe Kapitel 4.2. 225 Islamismus Grund der Beobachtung / Verfassungsfeindlichkeit Die libanesisch-schiitische Organisation Hizb Allah (Partei Gottes) bekämpft mit terroristischen Mitteln den Staat Israel, richtet ihre Propaganda aber auch gegen westliche Institutionen. Mit diesem Bestreben richtet sich die Hizb Allah gegen den Gedanken der Völkerverständigung und das friedliche Zusammenleben der Völker (Artikel 9 Abs. 2 und 26 Abs. 1 GG) und wird daher nach SS 3 Abs. 1 Nr. 4 NVerfSchG beobachtet. Im Juli 2013 setzte die Europäische Union den militärischen Arm der Hizb Allah (al-muqawama al-islamiya - Islamischer Widerstand) auf die Liste der terroristischen Organisationen. Weiterhin verfolgt die Hizb Allah durch die Propagierung der Scharia als Grundlage ihres Gesellschaftsmodells Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des SS 3 Abs. 1 Nr. 1 NVerfSchG. Ursprung und Entwicklung Die "Partei" Hizb Allah wurde 1982 unter maßgeblicher Steuerung der Islamischen Republik Iran als Vertretung des radikalsten Teils der libanesischen Schiitengemeinde gegründet. Vorbild für die Hizb Allah ist der revolutionäre Iran; die Lehren des iranischen Revolutionsführers Khomeini gelten als richtungsweisend. Der Libanon-Krieg im Sommer 2006 führte zu einer bis heute andauernden Popularität der Hizb Allah innerhalb der schiitischen Bevölkerung des Libanons. 2009 stellte der Generalsekretär der Hizb Allah, Hassan Nasrallah, ein neues politisches Strategiepapier vor, auf dessen Grundlage die Hizb Allah sich von einer Widerstandsgruppe hin zu einer politisch eigenständig agierenden Partei in der libanesischen Politik wandeln sollte und in dem weder die Rede von der Errichtung eines "Islamischen Staates" (nach dem Vorbild des Irans), noch von der weltweiten Verbreitung der Revolutionstheorie, ist. Dennoch fühlt sich die Hizb Allah auch weiterhin den Konzepten des Ayatollah Khomeini verpflichtet. Dies bezieht sich insbesondere auf die Vorstellung des Konzepts der "wilayat al-faqih", das einen konstitutionellen Gottesstaat mit herrschendem Klerus im Libanon beinhaltet. Ihren politischen Einfluss stützt die schiitische Organisation wie andere islamistische Organisationen aber auch auf die soziale und karitative Betreuung ihrer Anhängerschaft. Dieses umfassende Betreuungssystem hatte die Hizb Allah mit finanzieller Unterstützung Irans aufbauen kön226 Islamismus nen. Im Emblem der Hizb Allah kommt die politische Ausrichtung zum Ausdruck. Es zeigt in arabischer Schrift den Namen der Organisation. Eine aus dem Schriftzug erwachsende Faust hält eine Kalaschnikow, über der das Koranzitat "Die auf Gottes Seite stehen, werden Sieger sein" steht. Dies kann aber auch politisch als "Die Hizb Allah wird Sieger sein" gelesen werden. Die Unterzeile unter diesem Signet verweist auf die politische Zielrichtung: "Islamische Revolution im Libanon!" Die Hizb Allah in Deutschland und in Niedersachsen Ungeachtet einer verbreiteten Sympathie unter den hier lebenden schiitischen Libanesen für die politischen und ideologischen Ziele der Hizb Allah tritt diese Organisation in der deutschen Öffentlichkeit kaum mit Aktivitäten in Erscheinung. Veranstaltungen, für die bundesweit geworben werden, haben in der Regel nur geringen Zulauf. Dennoch darf das Mobilisierungspotenzial der Hizb Allah in Deutschland nicht unterschätzt werden. In Niedersachsen sind Anhänger und Sympathisanten der Hizb Allah in mehreren Vereinen organisiert, die die Pflege und Verbreitung der libanesischen Kultur und die Ausübung ihrer Religion als Zweck und Ziel in der Satzung angegeben haben, so u. a. in Hannover, Osnabrück, Uelzen und in Südniedersachsen. Aktivitäten sind auch im niedersächsischen Umland Bremens zu beobachten. Die Vereine finanzieren sich hauptsächlich durch Mitgliedsbeiträge und Spendensammlungen. Die Anbindung an die Hizb Allah erfolgt über Funktionäre, die aus dem Libanon immer wieder zu herausragenden Anlässen anreisen, wie z. B. dem Jahrestag des Abzugs der israelischen Armee aus dem Südlibanon oder zu hohen muslimischen Feiertagen. Von zentraler Bedeutung für die schiitisch geprägte Islamistenszene in Deutschland ist der sogennante Al-Quds144 -Tag. Dieser gilt in der Islamischen Republik Iran als gesetzlicher Feiertag und soll den Wunsch nach der "Befreiung Palästinas" zum Ausdruck bringen. In Deutschland finden seit den 1980er Jahren Veranstaltungen zum Quds-Tag statt. Diesen deutlich gegen Israel gerichteten Aktivitäten wurde mitunter ein antisemitischer Akzent unterstellt. 2017 fand diese Demonstration am 23. Juni unter Teilnahme von circa 750 Personen statt. Den Protestierenden wurde untersagt, Symbole der Hizb Allah mitzuführen. Über 20 Personen sind aus Hannover und Delmenhorst angereist. 144 Der arabische Begriff "Al-Quds" bedeutet übersetzt Jerusalem. 227 05 Extremismus mit Auslandsbezug Extremismus mit Auslandsbezug 5.1 Mitglieder-Potenzial Mitglieder-/Anhänger-Potenzial extremistischer Organisationen 2016 2017 mit Auslandsbezug Bundesrepublik Deutschland Extrem nationalistische Gruppen 11.500 11.500 PKK 14.000 14.500 Sonstige linksextremistische Gruppen 4.550 4.550 Summe 30.050 30.550 Mitglieder-/Anhänger-Potenzial extremistischer Organisationen 2016 2017 mit Auslandsbezug Niedersachsen Extrem nationalistische Gruppen 600 700 PKK 1.600 1.600 Sonstige linksextremistische Gruppen 230 200 Summe 2.430 2.500 5.2 Einführung Unter der Bezeichnung "Extremismus mit Auslandsbezug" werden in Niedersachsen alle weiteren Erscheinungsformen des Extremismus zusammengefasst, die einen starken Bezug zum Ausland aufweisen, ohne im Zusammenhang mit islamistischen Ideologien zu stehen. Der Extremismus mit Auslandsbezug ist geprägt von einer Vielzahl von Gruppierungen unterschiedlicher Organisationsstruktur und Größe. Im Unterschied zum Islamismus liegt die Zielsetzung dieser Gruppen überwiegend in der Durchsetzung linksextremistischer, separatistischer oder nationalistischer bzw. rassistischer Vorstellungen, die regelmäßig auf radikale Veränderungen der politischen Verhältnisse in den Heimatregionen abzielen. Die Situation im Herkunftsland ist dabei richtungsweisend für die Intensität des Auftretens und auch das Militanzniveau in Deutschland. Türkische und kurdische Gruppierungen bilden in Niedersachsen den Schwerpunkt der Beobachtung. 230 Extremismus mit Auslandsbezug Die in Deutschland agierenden Gruppierungen werden i. d. R. durch politisch-strategische Vorgaben aus dem Heimatland gesteuert. Deutschland wird dabei in erster Linie als sicherer Rückzugsraum betrachtet, in dem Geld gesammelt, rekrutiert, mobilisiert und propagiert werden kann und von dem aus gewaltsame Aktionen im eigentlichen Bezugsland vorbereitet werden können. Vereinzelt ist auch mit gewalttätigen Aktionen in Deutschland zu rechnen. Die Propaganda für die jeweilige politische Vorstellung und Mobilisierungsaktionen etwa für Demonstrationen gehen dabei Hand in Hand und werden zunehmend über das Internet verbreitet. Soziale Netzwerke und Messenger-Apps dienen darüber hinaus der Gewinnung neuer Sympathisanten und Mitglieder. Auch Konflikte zwischen den rivalisierenden Gruppierungen treten in Deutschland auf. Diese treten sowohl durch Propaganda als auch durch Gewaltanwendung zu Tage. Nach den Verfassungsschutzgesetzen des Bundes und der Länder fallen unter Extremismus mit Auslandsbezug daher nichtislamistische, aber extremistische Aktivitäten von Personen, wenn f in Deutschland entsprechende politische Auseinandersetzungen mit Gewalt ausgetragen werden und dadurch die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gefährdet wird, f diese sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung wenden, f vom Bundesgebiet ausgehende Gewaltaktionen in anderen Staaten durchgeführt oder vorbereitet und dadurch auswärtige Belange der Bundesrepublik gefährdet werden oder f Bestrebungen verfolgt werden, die gegen den Gedanken der Völkerverständigung oder das friedliche Zusammenleben der Völker gerichtet sind. 5.3 Aktuelle Entwicklungen im Extremismus mit Auslandsbezug Der Extremismus mit Auslandsbezug in Niedersachsen wurde auch im Jahr 2017 durch die Aktivitäten der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) dominiert. Die Hoffnung der PKK auf Streichung von der EU-Terror231 Extremismus mit Auslandsbezug liste und eine Aufhebung des Betätigungsverbots in Deutschland aufgrund ihres Einsatzes für die Anti-IS-Koalition in Syrien und im Irak ist mit der Eskalation in der Türkei derzeit geschwunden. Große Empörung und damit auch Mobilisierung lösten einerseits die Verbotsverfügung des Bundesinnenministeriums für weitere Symbole der PKK und ihrer Partnerorganisationen und andererseits die aufkeimende Sorge um den Gesundheitszustand Abdullah Öcalans aus. Dahingegen hielten sich die Reaktionen auf das Referendum in der Türkei am 16.04.2017, in dem über die Änderung der türkischen Verfassung zur Einführung eines Präsidialsystems abgestimmt wurde, im Rahmen. Bei dem Referendum stimmten insgesamt 51,4 Prozent der Wähler mit "Ja" und 48,6 Prozent mit "Nein". Dieses Ergebnis vertiefte zwar die Spannungen zwischen nationalen (rechtsextremistischen) Türken und der PKK, die im Vorfeld der Abstimmung dazu aufgerufen hatte, mit "Nein" ("Hayir") zu stimmen. Von Seiten der PKK folgten aber keine gewalttätigen Reaktionen. Vielmehr wurde am Wochenende 22./23.04.2017 mit friedlich verlaufenden Kundgebungen, unter anderem auch in Hannover, gegen das Ergebnis des Referendums protestiert. Generell hat die Beendigung der Friedensbemühungen zwischen der türkischen Regierung und der PKK im Jahr 2015 in Deutschland trotz wachsender Spannungen bis 2017 zu keinen erheblichen Eskalationen zwischen nationalistisch/rechtsextremistischen Türken und damit Anhängern der "Ülkücü"-Bewegung145 und PKK-Anhängern geführt. Lediglich in Einzelfällen kam es bis 2017 bei Veranstaltungen auf Grund von Provokationen zu Körperverletzungen. Aktuell sind die nationalistisch/rechtsextremistischen Türken eher auf das seit dem Putschversuch am 15.07.2016 staatlich vorgegebene Feindbild "Gülen"-Bewegung fixiert. Inwieweit sich Spannungen mit PKK-Anhängern verstärken können, hängt in erster Linie von den Entwicklungen in der Türkei ab. Die Politik des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan emotionalisiert vor allem die PKK-Jugend, die den Protest auch in die deutsche Öffentlichkeit trägt. Für das Jahr 2018 ist eine weitere Eskalation, auch in Deutschland, zu erwarten, wenn die türkische Regierung ihr rigoroses Vorgehen gegen die PKK fortsetzen sollte. 145 Zur Ülkücü-Bewegung siehe die Ausführungen im nächsten Absatz. 232 Extremismus mit Auslandsbezug Es haben sich darüber hinaus weitere extremistische Organisationen u. a. mit Türkeibezug in Deutschland etabliert, die der Beobachtung durch die Verfassungsschutzbehörde unterliegen. So tritt die türkisch nationalistische Ülkücü (Idealisten-) Bewegung mit einer nach westeuropäischem Rechtsverständnis rassistischen Ideologie als absoluter Gegenpol zu den von Ülkücü als separatistisch empfundenen ethnischen Minderheiten in der Türkei auch in Deutschland in Erscheinung. Der größte Ülkücü-Dachverband in Deutschland ist die "Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in Deutschland e.V" (ADÜTDF, "Almanya Demokratik Ülkücü Türk Dernekleri Federasyonu"), die als Auslandsvertretung der extrem nationalistischen türkischen MHP ("Partei der Nationalistischen Bewegung") zu sehen ist. Auch wenn sich die ADÜTDF in der Außendarstellung um ein gesetzeskonformes Verhalten bemüht und Integrationswillen vorgibt, ist sie Träger und Verbreiter der Ideologie türkischer Überlegenheit. Das von ihr vertretene Weltbild verstößt gegen das im Grundgesetz formulierte Prinzip der Menschenwürde sowie den grundgesetzlich garantierten Gleichheitsgrundsatz. Aktive Vereine der ATF / ADÜTDF sind in Braunschweig, Hannover und Salzgitter bekannt. Die Ideologie der organisierten "Ülkücü"-Bewegung ist auch in den nicht organisierten Bereichen der türkischstämmigen Bevölkerung präsent, zunehmend bei jugendlichen Anhängern über die sozialen Medien. In dem Empfinden einer ständigen Bedrohung der Türkei wird allen möglichen Gruppen, vor allem auch den Juden, die Zusammenarbeit mit den Feinden der Türkei vorgeworfen. Nationalistische/rechtsextremistische Türken haben des Weiteren als Folge des Putschversuchs in der Türkei am 15.07.2016 stärker das staatlich vorgegebene Feindbild "Gülen-Bewegung" angenommen. Die linksextremistische Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front (Devrimci Halk Kurtulus Tartisi Cephesi, DHKP-C) kämpft für die proletarische Revolution und die Umwandlung des türkischen Staates in eine marxistisch-leninistische Diktatur. Bei Attentaten, die nach Angaben türkischer Stellen seit Gründung der DHKP-C (1994) begangen wurden, kamen über 200 Menschen ums Leben. 233 Extremismus mit Auslandsbezug Ebenfalls aktiv sind die türkische Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei (Marksist Leninist Komünist Partisi, MLKP) sowie die Kommunistische Partei der Türkei/Marxisten-Leninisten" (Türkiye Komünist Partisi/Marksist Leninist, TKP/ML). Beide Organisationen bekennen sich zum revolutionären Marxismus-Leninismus und fordern die Zerschlagung des türkischen Staatswesens. Mitglieder der MLKP sind im syrischen Bürgerkrieg im Kampf gegen den sogenannLogo der MLKP ten Islamischen Staat im Einsatz, mehrere MLKP-Mitglieder kamen dabei ums Leben. In Hannover hielten Vertreter der Türkischen Arbeiterund Bauernbefreiungsarmee (Tikko), des bewaffneten Armes der TKP/ML, am 21.05.2017 eine Gedenkveranstaltung für im Kampf gefallene Mitglieder ab. 5.4 Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) Weitere Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistans (KADEK) / VolksBezeichnungen kongress Kurdistans (KONGRA GEL) / Gemeinschaft der Kommunen in Kurdistan (KKK) / Vereinigte Gemeinschaften Kurdistans (KCK) Sitz / Verbreitung Nord-Irak, Türkei, Syrien Gründung / 1978 in der Türkei Bestehen seit Leitung Abdullah Öcalan Mitglieder / Bund: 14.500 Niedersachsen: 1.600 Anhänger Publikationen Yeni Özgür Politika (Neue Freiheit Politik) (werktäglich) Serxwebun (Unabhängigkeit) (monatlich) Sterka Ciwan (Stern der Jugend) vormals Ciwanen Azad (Freie Jugend) (monatlich) Sender u. a. Med Nuce TV 234 Extremismus mit Auslandsbezug Kurzportrait / Ziele Die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) wurde 1978 von Abdullah Öcalan in der Türkei gegründet. Ursprünglich durch marxistisch-leninistische Programmatik geprägt, vertritt die PKK heute eine kurdisch-nationalistische Ideologie. Sie propagiert die Etablierung einer nichtstaatlichen und länderübergreifenden, demokratischen Selbstverwaltung der Kurden unter Beachtung existierender Grenzen auf türkischem, Logo der PKK in Europa, teilweise auch auf iranischem, irakischem, syrischem und armeniin Deutschland verboten schem Gebiet. Das Ausrufen der "Demokratischen Autonomie" in den drei syrisch-kurdischen Kantonen Afrin, Cizre und Kobane im Jahr 2014 unter Federführung ihrer syrischen Schwesterorganisation "Partei der Demokratischen Union" (PYD) ist für die PKK ein eminent wichtiger Schritt auf dem Weg zu dem von ihr angestrebten, nationale Grenzen überschreitenden "Kurdistan". Das Bundesministerium des Innern (BMI) erließ mit Verfügung vom 22.11.1993 ein vereinsrechtliches Betätigungsverbot für die PKK einschließlich deren Teilorganisation Nationale Befreiungsfront Kurdistans (ERNK) im Geltungsbereich des Vereinsgesetzes. Das Verbot ist bestandskräftig. Das Betätigungsverbot umfasst auch die Organisationen KADEK, KONGRA GEL, KKK und KCK. Nach einem Beschluss des Rates der Europäischen Union vom 02.05.2002 wurde die PKK in die Liste terroristischer Organisationen ("EU-Terrorliste") aufgenommen. Seit Verkündung des "Friedenskurses" im Jahr 1999 vollzog die PKK zahlreiche Umstrukturierungen. Auf unterschiedliche Weise wollte sie damit ihre politische Neuausrichtung nach außen dokumentieren und sich vom Makel einer Terrororganisation befreien. Entsprechend benannte sie sich im Jahr 2002 in Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistans (KADEK) und im Jahr 2003 in Volkskongress Kurdistans (KONGRA GEL) um. Ab dem Jahr 2005 trat die PKK unter der Bezeichnung Gemeinschaften der Kommunen in Kurdistan (KKK) und seit dem Jahr 2007 unter Vereinigte Gemeinschaften Kurdistans (KCK) auf. Die neuen Namen finden zwar Verwendung, sind in der Anhängerschaft aber eher wenig populär. Trotz der zahlreichen Umbenennungen der PKK gilt Abdullah Öcalan als wichtigste Führungsperson der Organisation. Am 15.02.1999 wurde Öcalan in Nairobi (Kenia) verhaftet und 235 Extremismus mit Auslandsbezug anschließend in der Türkei wegen Hochverrats zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. Aus dem Gefängnis heraus beeinflusst er die PKK immer noch maßgeblich aufgrund des um ihn betriebenen unangefochtenen Personenkults. Die PKK kämpft in der Türkei seit dem Jahr 1984 mit ihrem militärischen Arm, den Volksverteidigungseinheiten (HPG). Zunächst richtete sich der bewaffnete Kampf dieser PKK-Guerilla gegen türkische Gendarmerieund Militäreinheiten. In den Folgejahren bekämpfte die PKK aber auch Teile der kurdischen Bevölkerung in der Türkei und u. a. auch in Deutschland, wenn diese sich ihrer Programmatik und ihrem Alleinvertretungsanspruch widersetzten. Finanzierung Die Beschaffung von Geld ist nach wie vor eine der Hauptaktivitäten der PKK in Deutschland. Der Propagandaapparat, wie z. B. die Fernsehsender oder die Publikationen, muss ebenso finanziert werden wie die politischen Kampagnen, die Unterorganisationen und die Guerilla-Armee. Hierzu dient vor allem die jährlich stattfindende Spendenkampagne. Überdies werden Einkünfte auch durch Mitgliedsbeiträge, den Verkauf von Zeitschriften und den Erlös aus dem Verkauf von Eintrittskarten zu Großveranstaltungen erzielt. Im Jahr 2017 lag der Ertrag allein in Deutschland - wie in den letzten Jahren - bei mehreren Millionen Euro. Die Spendenbereitschaft der mit der PKK sympathisierenden kurdischen Bevölkerung in Deutschland ist auch in diesem Jahr aufgrund der aktuellen Situation in der Türkei, in Syrien und im Nordirak noch einmal gewachsen. Grund der Beobachtung / Verfassungsfeindlichkeit In der Türkei verfolgt die PKK ihre Ziele seit 1984 bis heute mit Waffengewalt. Dies zeigen die bis in das Jahr 2017 andauernden Auseinandersetzungen zwischen türkischen Sicherheitskräften und der PKK-Guerilla sowie terroristische Anschläge in der Türkei. Auch Deutschland war Anfang der 1990er Jahre zum Schauplatz erheblicher Gewalttaten der PKK geworden. Überfälle und Brandanschläge auf türkische diplomatische Vertretungen, türkische Banken und Reisebüros sowie Geschäfte, Gaststätten und Vereinslokale erfolg236 Extremismus mit Auslandsbezug ten häufig und zum Teil sogar bundesweit im Rahmen konzertierter Aktionen. Propaganda, Rekrutierungen und Finanzierung über Spendeneintreibung sind hierfür entscheidende Vorbereitungshandlungen, die in ganz Europa und damit auch in Deutschland kontinuierlich bis heute vorangetrieben werden. Das Bundesministerium des Innern (BMI) erließ mit Verfügung vom 22.11.1993 ein vereinsrechtliches Betätigungsverbot für die PKK einschließlich deren Teilorganisation Nationale Befreiungsfront Kurdistans (ERNK) im Geltungsbereich des Vereinsgesetzes. Das Verbot ist bestandskräftig. Das Betätigungsverbot umfasst auch die Organisationen KADEK, KONGRA GEL, KKK und KCK. Mittlerweile setzt die PKK im Rahmen einer Doppelstrategie zwar weiterhin in der Türkei auf Waffengewalt, Deutschland jedoch dient nunmehr überwiegend als Rückzugsraum, in dem Geldmittel gesammelt werden, rekrutiert wird und aus dem heraus Propaganda betrieben wird. Trotz allem zeigt sich die Organisation nach wie vor grundsätzlich bereit, militante Aktionen ihrer Anhänger in Deutschland zumindest zu billigen. Zu nennen sind hier z. B. Auseinandersetzungen mit nationalistischen türkischen Gruppen oder Propagandaaktionen, die aufgrund großer Emotionalisierung in Widerstandshandlungen gegen die Polizei ausufern. Damit gefährdet die Organisation weiterhin die innere Sicherheit und auch auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland (SS 3 Abs. 1 Nr. 1 und 3 NVerfSchG). Nach einem Beschluss des Rates der Europäischen Union vom 02.05.2002 wurde die PKK in die Liste terroristischer Organisationen ("EU-Terrorliste") aufgenommen. Organisatorische Strukturen Koordination der kurdisch-demokratischen Gesellschaft in Europa (Civata Demokratik Kurdistan) Der Kongress der kurdisch-demokratischen Gesellschaft Kurdistans in Europa (KCDK-E) bildet die PKK-Europaführung, in die auch die Koordination der kurdisch-demokratischen Gesellschaft in Europa (Civata Demokratik Kurdistan, CDK) als politischer Arm der PKK 237 Extremismus mit Auslandsbezug integriert ist. Die CDK unterliegt ebenfalls dem vereinsrechtlichen Betätigungsverbot. Die Organisation unterhält ein verzweigtes Netz verdeckt handelnder Funktionäre, die Anordnungen und Vorgaben der Organisationsspitze an die nachgeordneten Hierarchieebenen zur Umsetzung weitergeben. An der Spitze dieser hierarchischen Strukturen stehen Funktionäre, die in der Regel von der Europaleitung der Organisation für einen begrenzten Zeitraum eingesetzt werden. Demokratisches Kurdisches Gesellschaftszentrum Deutschlands Für die Umsetzung von Vorgaben der Führungsspitze und den Informationsfluss zur Basis bedient sich die Organisation überwiegend der örtlichen Vereine in Deutschland, die den PKK-Anhängern als Treffpunkte und Anlaufstellen dienen. Deutschlandweit gehören ca. 45 kurdische Ortsvereine dem der PKK nahestehende Demokratischen Kurdischen Gesellschaftszentrum Deutschland (Navenda Civaka Demokratik a Kurden li Elmanyaye, NAV-DEM) an. NAV-DEM als deutscher Dachverband ist eingebettet in die in Belgien ansässige europäische Dachorganisation KCDK-E. NAV-DEM initiiert regelmäßig über seine Ortsvereine öffentlichkeitswirksame Aktionen, die sich jeweils auf aktuelle Geschehnisse oder bestimmte Jahrestage, etwa den Gründungstag der PKK, beziehen. NAV-DEM ist nicht vom PKK-Betätigungsverbot betroffen. In Niedersachsen existieren NAV-DEM-Vereine z. B. in Hannover, Hildesheim, Lohne, Osnabrück, Peine, Salzgitter und Stade. NAV-DEM organisierte mit Hilfe der Ortsvereine auch 2017 zahlreiche Veranstaltungen. Hervorzuheben ist das 25. Internationale Kurdistan-Festival, das jährlich Besucherinnen und Besucher aus ganz Europa anzieht. In diesem Jahr fand es unter dem Motto "Dialog statt Verbot" am 16.09.2017 erneut auf dem Gelände der Deutzer Werft in Köln statt. Unter den ca. 14.000 Besucherinnen und Besuchern (2016: 28.000) befanden sich zahlreiche Personen aus Niedersachsen. Die in diesem Jahr geringe Teilnehmerzahl mag dem Umstand geschuldet sein, dass die Stadt Köln - bestätigt durch Beschluss des Verwaltungsgerichts Köln - den durch die Anmelderin gestellten Antrag auf Sondernutzung (Betreiben von Essensund Getränkeständen) während der Versammlung abgelehnt hatte. 238 Extremismus mit Auslandsbezug Jugendorganisation Dem Kurdistan-Festival ging der obligatorische mehrtägige "Marsch der Jugend" voraus, an dem sich etwa 120 Angehörige der Jugenddachorganisation Ciwanen Azad ("Bewegung der freien Jugend Kurdistans", CA) beteiligten. Der Marsch startete am 11.09.2017 in Dortmund und endete im Rahmen des Festivals. Die beteiligten Jugendlichen ließen in einer Erklärung verlauten, dass "die freie Führung und das freie Kurdistan für sie von grundlegender Bedeutung Logo der Ciwanen Azad, in Deutschland verboten seien, und dass sie bei ihrem Kampf dem Beispiel von Märtyrern folgen würden."146 CA wurde auf einer europaweiten Jugendversammlung im April 2013 in Troisdorf (NRW) als europäischer Dachverband der PKK-Jugendorganisation gegründet. Der Dachverband soll als legaler Verband fungieren und steht dabei neben der viel älteren Jugendorganisation Komalen Ciwan (KC). Beide Organisationen umfassen denselben Personenkreis. Der CA sollen ausschließlich positive Schlagzeilen zugeschrieben werden, KC tritt in Aktion, wenn Negatives öffentlich wird. KC ist auch im Jahr 2017 u. a. im Rahmen von gewalttätigen Aktionen und Rekrutierungen für die PKK in Erscheinung getreten. Der KC ist das "Mazlum-Dogan Jugend-, Kulturund Sportfestival" zuzurechnen, das in diesem Jahr am 15.07.2017 unter dem Motto "Befreit den Führer Apo"147 nahe Lüttich (Belgien) stattfand. Teilnehmer aus Logo der Komalen Ciwan, in Deutschland verboten Niedersachsen waren mit Reisebussen angereist. Insgesamt soll sich die Teilnehmerzahl im unteren vierstelligen Bereich bewegt haben. Die Propagandaveranstaltung erinnert an den gleichnamigen Funktionär der PKK, der sich 1982 in türkischer Haft das Leben nahm und seitdem als Märtyrer verehrt wird. Zur alljährlichen Veranstaltung gehören neben sportlichen Wettkämpfen und einem kulturellen Rahmenprogramm auch politische Redebeiträge. Die Ausrichtung sportlicher Wettkämpfe hat in der PKK Tradition. Mit derartigen Veranstaltungen versucht die PKK in erster Linie, ihre jugendlichen Anhänger stärker an sich zu binden und weitere Jugendliche für die Organisation zu interessieren. 146 Yeni Özgür Politika (YÖP) vom 18.09.2017, "Kurdischer Frühling am Ufer des Rheins", Seiten 1 und 6. 147 "Apo" (kurdisch für "Onkel") ist ein gängiger Spitzname für "Abdullah" und wird von PKK-Anhängern häufig als Synonym für den PKK-Führer Abdullah Öcalan verwendet. 239 Extremismus mit Auslandsbezug Sonstige Massenorganisationen Weitere PKK-nahe Massenorganisationen verfolgen das Ziel, den Einfluss der PKK in möglichst allen Segmenten der kurdisch stämmigen Gemeinschaft zu verankern. Nicht zuletzt richtet sich das Augenmerk auf Gruppen, die als gesellschaftliche Multiplikatoren wirken bzw. in Zukunft wirken könnten. Entsprechend fungieren die Union der kurdischen Lehrer (YMK), der Verband der Studierenden e. V. (YXK), die Union der Journalisten Kurdistans (YRK) sowie die Union der Juristen Kurdistans (YHK). In diesem Zusammenhang ist auch die Etablierung der Islamischen Gemeinde Kurdistans (CIK) als Versuch der Einflussnahme auf kurdisch stämmige Muslime zu werten. Diese Organisationen sind auch in Niedersachsen aktiv. Verwendungsverbot weiterer Symbole der PKK Mit Erlass vom 02.03.2017 weitete das Bundesministerium des Inneren (BMI) das 1993 verhängte Betätigungsverbot aus. Dabei sind die im Rahmen der erfolgten Umbenennungen verwendeten Organisationsbezeichnungen und die hieraus folgenden neuen Kennzeichen der PKK auch unter Berücksichtigung des Urteils des Bundesgerichtshofes (BGH) vom 28.10.2010 (Az.: 3 StR 179/10)148 neu bewertet worden. Vom neuen Erlass betroffen sind die zahlreichen Unterund Teilorganisationen im Einflussbereich der PKK, unbeschadet ihrer scheinbaren organisatorischen Selbständigkeit. Denn diese handeln - bestätigt durch die o. a. Rechtsprechung des BGH - tatsächlich ausschließlich abhängig von den Vorgaben der Gesamtorganisation. Darüber hinaus hat die strafgerichtliche Rechtsprechung für einige dieser Organisation eine Zuordnung als Teilorganisation der PKK ausdrücklich vorgenommen, so für die HPG und die "Freiheitsfalken Kurdistans" (TAK) sowie für die PKK-Jugendorganisation KC. Verboten sind nun u. a. auch die Kennzeichen und Symbole der PYD sowie der Volksund Frauenverteidigungseinheiten (YPG/ YPJ)149, der KC bzw. den CA oder dem YXK. Propaganda mit dem Abbild des PKK-Führers Öcalan fällt nun unter das geltende Betätigungsverbot. Es wurde festgestellt, dass die PKK inzwischen zunehmend auch auf Symbole ausweicht, die für sich genommen zunächst keinen Bezug zu ihr aufweisen. Aufgrund eines erheblichen Emotionalisierungseffektes, insbesondere bei 148 Verfassungsschutzbericht des Landes Niedersachsen 2011, Ziffer 2.14.3, Seite 87. 240 149 Militärische Einheiten der PYD. Extremismus mit Auslandsbezug Versammlungen, sind sie aber in besonderer Weise dazu geeignet, den Zusammenhalt der in Deutschland verbotenen PKK zu fördern und diesen Zusammenhalt nach außen hin unübersehbar zu demonstrieren. Nach Bekanntwerden des erweiterten Kennzeichenverbots zeigten sich die betroffenen Organisationen empört. Ihren Höhepunkt fanden die Proteste am 27.11.2017 durch den Zusammenschluss von 52 Vereinen und Organisationen - insbesondere aus dem ausländerund linksextremistischen Spektrum -, die in Berlin die neue Kampagne "Edi bes e!" (Es reicht!) ins Leben riefen. Die gemeinsame Kampagne richtet sich vor allem gegen die angeblich faschistische Politik des deutschen Staates. "Wir akzeptieren keine Verbote und Angriffe auf unseren Demonstrationen, unsere Kundgebungen und auf das Recht auf Meinungsfreiheit. Das sind unsere grundlegenden demokratischen Rechte in Deutschland. Für Verbote gegen menschliche Bedürfnisse wie Essen und Trinken sowie kulturelle Bedürfnisse wie Bücher und Musik, sowie unsere Möglichkeiten uns politisch Auszudrücken wie durch Transparente, Slogans, Fahnen, Fotos usw. werden wir Widerstand leisten." (Internetseite Roja Ciwan, "Die neue Kampagne gegen Faschismus: 'Edi bes e!'", 12.12.2017 Der Co-Vorsitzende des NAV-DEM betonte, dass gegen das Verbot bis zum Schluss gekämpft werde.150 Auf der Internetseite Roja Ciwan wurde am 02.12.2017 unter der Überschrift "#EsReichtDeutschland im Deutschlandtrend" ein Beitrag veröffentlicht, durch den unter dem Hashtag "#EsReichtDeutschland in sozialen Medien" auf die vermeintlich antikurdische Politik der Bundesrepublik Deutschland aufmerksam gemacht wird. Weiter heißt es: "Wir dürfen nicht akzeptieren, dass die deutsche Bundesregierung auf Wunsch des Diktators Erdogan und des türkischen Staates die Versammlungsund Meinungsfreiheit von kurdischen, demokratischen und revolutionären Organisationen in Deutschland angreift und verbietet!" (Internetseite Roja Ciwan, "#EsReichtDeutschland im Deutschlandtrend", 02.12.2017) Im Rahmen der Kampagne ist eine Vielzahl von Veranstaltungen bis März 2018 geplant. 150 YÖP vom 28.11.2017, "Es reicht!", Seiten 1 und 6. 241 Extremismus mit Auslandsbezug PKK-Aktivitäten in Niedersachsen als Reaktion auf die Berichte über die Verschlechterung des Gesundheitszustandes Öcalans Die "Edi bes e!"Kampagne war ab Ende des Jahres eng verknüpft mit einer neuen Aktionswelle zum Thema Freiheit für Öcalan. Nachdem am 15.10.2017 in türkischen Medien Berichte über eine dramatische Verschlechterung des Gesundheitszustands des auf der Gefängnisinsel Imrali inhaftierten Abdullah Öcalan bis hin zu Meldungen über seinen angeblichen Tod verbreitet worden waren, nahm das Demonstrationsgeschehen weltweit drastisch zu. Die Informationen konnten nicht verifiziert werden, da die bereits am 13.10.2017 in türkischen Onlinemedien erschienenen Ursprungsmeldungen zwischenzeitlich gelöscht wurden. Der für die Gefängnisinsel Imrali zuständige Staatsanwalt dementierte laut Pressemeldungen die Nachricht über den verschlechterten Gesundheitszustand und den Tod von Abdullah Öcalan und kündigte rechtliche Schritte gegen die Verbreiter der Falschmeldung an. In Deutschland wurden noch am Abend des 15.10.2017 bundesweit mindestens 23 weitgehend friedlich verlaufende Spontanversammlungen von PKK-Anhängern durchgeführt. In Niedersachsen fanden sich in Aurich 30 Personen, in Hannover 50 und in Oldenburg 70 Teilnehmende zusammen. Im Rahmen dieser Aktionen wurden weitere Demonstrationen für den nächsten Tag angekündigt. Die KC veröffentlichte auf ihren Internetseiten einen Aufruf, wonach die Jugend aufgefordert wird, aktiv zu werden. Dort heißt es: "In Bezug zu Reber151 APO reagiert die Jugend sehr sensibel. Für uns ist selbst die Krümmung eines seiner Haare ein Grund den direkten Kampf zu beginnen. Seit Jahren hält das faschistische AKP Regime unseren Repräsentanten fest. Seit dem 05.04.2015 erhalten wir keine Informationen über seine Lage.152 Nun werden diverse Nachrichten über seinen Gesundheitszustand und sein Leben in den unseriösen Medien verbreitet. Wir als eine apoistische Jugendbewegung sind nicht in der Lage diesen Zustand einfach hinzunehmen und still zu bleiben. Und wenn es um Reber APO geht kann uns keiner in unserem Vorhaben aufhalten. Um seine Lage zu beleuchten müssen sofort Gespräche mit ihm stattfinden. Deshalb muss die revolutionäre Jugend überall aktiv werden und dringend Aktionen starten. Bis Reber APO befreit wird müssen überall die Schreie unseres Widerstandes schallen. Jeder Ort muss zum Ort des Aufstandes werden." (Internetseite Roja Ciwan, Komalen Ciwan, ruft die Jugend zu Aktionen auf, veröffentlicht 15.10.2017) 151 Anführer, Führer. 152 Mit seinen Rechtsanwälten konnte Öcalan zuletzt am 27.07.2011 sprechen. In ihrer Ausgabe vom 06.12.2017 berichtete die YÖP, dass seit dem 27.07.2011 bislang insgesamt 710 242 Besuchsanträge der Rechtsanwälte abgelehnt wurden. Extremismus mit Auslandsbezug NAV-DEM Hannover e. V. veranstaltete am 16.10.2017 gegenüber dem Türkischen Generalkonsulat in Hannover eine Demonstration mit circa 130 Personen, bei der ein Ordner eine verbotene Fahne mit PKK-Bezug zeigte. In Oldenburg versammelten sich etwa 200 Teilnehmende, um für die Freiheit Kurdistans und gegen die Inhaftierung Öcalans zu protestieren. Eine weitere Versammlung fand in Hildesheim ebenfalls mit 200 Personen statt, bei der die Polizei eine Vielzahl von verbotenen Fahnen und Öcalan-Bildnissen beschlagnahmte. Versammlungsteilnehmer skandierten "BRD Bullenstaat, wir haben euch zum Kotzen satt". Als am Rande des Aufzugs aus einem Wohnhaus heraus eine türkische Fahne geschwenkt wurde, versuchten Demonstrierende die Zugangstür zum Haus zu öffnen. Dabei wurden zahlreiche Öcalan-Fahnen und -Bildnisse gezeigt und die Parolen "Massenmörder Erdogan" sowie "Freiheit für Öcalan" skandiert. Wegen der Verstöße gegen das Versammlungsrecht erklärte die Versammlungsleitung die Veranstaltung vorzeitig für beendet. Die prokurdische Nachrichtenagentur Ajansa Nuceyane Firate (ANF, Firat News Agency) veröffentlichte am 18.10.2017 einen Artikel der Apoistischen Jugendinitiative. Diese schreibt, sie habe eine unbefristete Rachekampagne gestartet und sei jederzeit zur Rache bereit. Wörtlich heißt es weiter: "Alle faschistischen türkischen Zentren in Europa, alle Einrichtungen, die der Erdogan-MHP-Diktatur angehören, sind unsere Ziele. Bis wir Nachricht von unserem Führer haben wird niemand unsere Aktionen und uns selbst stoppen können." (Firat News Agency, 18.10.2017) Am 18.10.2017 fand eine weitere Eilversammlung in der Innenstadt von Hannover zum Thema "Eroberung der syrischen Stadt Rakka durch die Demokratischen Kräfte / Zerschlagung des IS / Freiheit für Öcalan / kritischer Gesundheitszustand und die Isolationshaft von Öcalan" mit etwa 130 Teilnehmenden statt. Es wurden verbotene Fahnen und Bildnisse von der Polizei beschlagnahmt und Ermittlungsverfahren wegen Verstößen gegen das Vereinsgesetz eingeleitet. 243 Extremismus mit Auslandsbezug In Aurich protestierten am 19.10.2017 etwa 80 Teilnehmende, am 20.10.2017 etwa 180 Personen in Braunschweig und 170 Personen in Celle. Bei erneuten Protesten in Oldenburg am 21.10.2017 skandierten Teilnehmende der etwa 200 Personen starken Versammlung mehrmals die verbotene Parole "Biji Serok Apo"153 und zeigten verbotene Symbole. Bei einer vom Medya Kulturzentrum 2 e. V. organisierten Veranstaltung demonstrierten ca. 100 Personen am 25.10.2017 in Vechta. Bei einer von NAV-DEM Hannover e. V. angemeldeten Demonstration mit 90 Teilnehmenden stellte die Polizei am 27.10.2017 das Einhandmesser eines Versammlungsteilnehmers sicher und leitete ein Strafverfahren ein. Der Kurdische Treffpunkt e. V. führte in Hildesheim eine Mahnwache zum Thema "Freiheit für Öcalan" mit ca. 20 Personen durch, bei der Flyer zu diesem Anliegen verteilt wurden. Bei einem Aufzug marschierten circa 90 Teilnehmende von Walsrode nach Bad Fallingbostel. Bei der am selben Tag erfolgten Kundgebung in Stade wurde das Zeigen von verbotenen Fahnen und Bildnissen von der Polizei unterbunden. Daraufhin wurde die Versammlung vorzeitig beendet und im abschließenden Redebeitrag die deutsche Polizei als faschistisch bezeichnet. Der Versammlungsleiter, der zugleich Vorsitzender des Anfang 2017 neu gegründeten Vereins in Stade ist, skandierte die verbotene Parole "Biji Serok Apo", was aus der Menge wiederholt wurde. Höhepunkt der niedersächsischen Aktivitäten im November war die Versammlung "Freiheit für Abdullah Öcalan - Gegen die Totalisolation und für die Freilassung" mit 120 Teilnehmenden der Kurdischen Frauenvereinigung Rohani e. V. am 09.11.2017. Die Veranstaltung in Hannover war als stationäre Versammlung angekündigt, bei der ein Bus mit mehreren Abbildern Öcalans vor Ort sein sollte. Mit diesem Bus hatten PKK-Anhänger vom 09.10. bis zum 12.11.2017 eine europaweite Bustour zum Thema "Die Zeit ist reif! Freiheit für Öcalan!" durchgeführt. Ziel dieser Bustour war es, eine breite Öffentlichkeit sowie politische Institutionen der bereisten Länder auf die Situation Öcalans und seine Ideen aufmerksam zu machen. Bereits kurz 153 Es lebe der Führer Apo. 244 Extremismus mit Auslandsbezug nach der Abfahrt kontrollierte die Polizei in Burgdorf den Bus und veranlasste das Abkleben der Konterfeis. Bei der Durchsuchung des Busses wurden u. a. Hämmer, mehrere Schlagstöcke aus Holz sowie zwei Messer aufgefunden. Am Zielort in Hannover gab es kurz nach Ankunft des Busses massive Verstöße gegen das Betätigungsverbot. Die Polizei musste sich gegen gewalttätige Reaktionen der Demonstrationsteilnehmenden zur Wehr setzen, zudem wurden die Beamten von Versammlungsteilnehmenden bespuckt. In Wilhelmshaven demonstrierten am 18.11.2017 etwa 150 Personen unter dem Motto "Information über den Zustand von Abdullah Öcalan und aller anderen Oppositionellen". Kurz nach Beginn der Veranstaltung wurde ein Fahrzeug aus Hamburg von der Polizei kontrolliert, aus dem ein Gegendemonstrant provokativ eine türkische Flagge zeigte. Die Teilnehmenden des Aufzuges hielten sich überwiegend an die erteilten Auflagen. Vereinzelt wurden jedoch verbotene Parolen skandiert. Die weiteren Veranstaltungen in Niedersachsen verliefen überwiegend friedlich. Strafverfahren gegen Funktionäre der PKK Wegen Mitgliedschaft in der ausländischen terroristischen Vereinigung wurde am 18.07.2017 aufgrund eines Haftbefehls des Oberlandesgerichtes (OLG) Celle ein hochrangiger Funktionär verhaftet. Die Person wird verdächtigt, von März 2014 bis Ende Juni 2015 als PKK-Gebietsleiter Salzgitter tätig gewesen zu sein. Bewertung / Tendenzen / Ausblick Aktuell ist die Tätigkeit der PKK in Europa auf die logistische, finanzielle und propagandistische Unterstützung des Kampfes in der Heimat (Türkei, Syrien und Nordirak) ausgerichtet. Die Beschaffung finanzieller Mittel für die Ausrüstung und Bewaffnung des militärischen Arms, für die Unterhaltung des Parteiapparates und seiner medialen Plattformen sowie die Parteiaktivitäten bilden daher in Europa und insbesondere in Deutschland auf allen Organisationsebenen einen Schwerpunkt. 245 Extremismus mit Auslandsbezug Das Aktionsaufkommen zeigt den hohen Emotionalisierungsgrad, den ein bloßes Gerücht über den Gesundheitszustand Öcalans bei der PKK-Anhängerschaft insgesamt auslöst und das "Durchhaltevermögen" der Organisation samt ihrer Anhänger. Insbesondere die Übergriffe von PKK-Anhängern gegenüber den eingesetzten Polizeibeamten bei der Durchsetzung des Verwendungsverbotes von bestimmten Symbolen der PKK zeigen, dass die Organisation derzeit kompromisslos und renitent auf das verfügte Kennzeichenverbot, insbesondere bezogen auf Abbilder von Öcalan, reagiert. Die PKK scheint aktuell keine Konflikte, insbesondere mit der Polizei, zu scheuen und nimmt mögliche negative Konsequenzen für die Organisation wie einen etwaigen Reputationsverlust in Kauf. Mit der Kampagne gegen das Kennzeichenverbot dürfte auch ein Anstieg der öffentlichkeitswirksamen Aktionen der PKK einhergehen. Damit steigt sowohl das Risiko gewalttätiger Auseinandersetzungen mit nationalistischen bzw. rechtsextremistischen Türken - insbesondere nach wechselseitigen Provokationen - als auch das Risiko gewalttätiger Angriffe von PKK-Anhängern - insbesondere emotionalisierter jugendlicher PKK-Anhänger - auf Polizeibeamte im Rahmen von Demonstrationen. 246 Extremismus mit Auslandsbezug 247 06 Prävention Prävention 6.1 Prävention Seit einigen Jahren bildet sich der Trend heraus, dass sich die unterschiedlichen extremistischen Szenen verändern hinsichtlich der Art, wie sich ihre Anhänger organisieren und miteinander kommunizieren. Es zeigt sich, dass in den vom Verfassungsschutz beobachteten Extremismusphänomenen - Rechtsextremismus, Islamismus/Salafismus, Linksextremismus - zunehmend jugendkulturelle Einflüsse sichtbar werden, der Organisationsgrad bei gleichzeitiger Fokussierung auf aktionsorientierte Angebote sinkt und die Bedeutung des Internets bzw. der Sozialen Netzwerke maßgeblich steigt. Extremistische Bestrebungen sind gegenwärtig hochgradig dynamisch, Aktionsfelder und -formen wechseln schnell. Um zeitgemäß auf die aktuellen Trends im Extremismus reagieren zu können, hat der Niedersächsische Verfassungsschutz Anfang 2014 den Fachbereich Prävention eingerichtet. Prävention ist eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung, die ausschließlich im Zusammenwirken von Staat und Zivilgesellschaft bewältigt werden kann. Der Niedersächsische Verfassungsschutz ist Kooperationspartner innerhalb eines Netzwerkes von unterschiedlichen Präventionsakteuren mit dem Anspruch, adressatengerechte Präventionsangebote für verschiedene Zielgruppen bereitstellen zu können. In seiner Präventionsarbeit fokussiert der Niedersächsische Verfassungsschutz insbesondere auf die Informationsvermittlung an die Öffentlichkeit über Extremismusphänomene, Radikalisierungsprozesse und aktuelle, die innere Sicherheit betreffende Entwicklungen in der Gesellschaft. Denn informierte Bürgerinnen und Bürger sind das Fundament einer gesamtgesellschaftlichen Extremismusprävention. Der Niedersächsische Verfassungsschutz hält hierzu folgende Präventionsangebote bereit: f Bereitstellung von Referentinnen und Referenten für Fachvorträge, f Veröffentlichung von Informationen des Verfassungsschutzes im Rahmen eigener Veranstaltungen und Publikationen, f speziell für bestimmte Adressatenkreise konzipierte Informationsreihen (u. a. Wanderausstellung, Lehrkräftefortbildungen, Beratung von Funktionsträgerinnen und -trägern in Städten und Kommunen), f Betreuung von Personen, die sich von extremistischen Ideologien, Szenen und Lebenswirklichkeiten abwenden möchten (Aussteigerprogramm Aktion Neustart154). 250 154 Siehe Kapitel 6.8. Prävention Besondere Bedeutung misst der Niedersächsische Verfassungsschutz der Schulung von Berufsgruppen der Jugendund Bildungsarbeit zu. Er bietet daher in Kooperation mit Schulen und anderen Bildungseinrichtungen Unterstützung in der Extremismusprävention an, um denen, die täglich mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen arbeiten, Kenntnisse über extremistische Ideologien zu vermitteln. Sie sollen damit in die Lage versetzt werden, frühzeitig Radikalisierungsprozesse erkennen und notwendige Präventionsmaßnahmen ergreifen zu können. Insbesondere der Schule kommt als Institution, die jeder junge Mensch für einen bestimmten Zeitraum durchläuft, eine besondere Rolle in der Primärprävention zu. Der Niedersächsische Verfassungsschutz setzt sich für eine ressortübergreifende, vernetzte und moderne Extremismusprävention in Niedersachsen ein. Deshalb hat er federführend an der Erarbeitung des Landesprogramms gegen Rechtsextremismus mitgearbeitet und ist gemeinsam mit dem Landeskriminalamt Niedersachsen (LKA NI) geschäftsführend in der Kompetenzstelle Islamismusprävention Niedersachsen (KIP NI) tätig. 6.2 Vortragsund Informationsveranstaltungen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Verfassungsschutzes können zu allen Themen des Extremismus als Referenten eingeladen werden, z. B. von Kommunen, Vereinen, Parteien, zivilgesellschaftlichen Organisationen, Behörden, Schulen und anderen Bildungseinrichtungen. Ebenso werden Projekttage, Seminare und Workshops fachlich begleitet. Die Expertise der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Niedersächsischen Verfassungsschutzes wurde im Jahr 2017 stark nachgefragt. Die Anfragen sind seit 2014 stetig angestiegen. In 265 (2016: 243, 2015: 168, 2014: 62) Fachvorträgen zu den verschiedenen Extremismusformen informierte der Niedersächsische Verfassungsschutz auf Anfrage rund 9.100 Bürgerinnen und Bürger über aktuelle Erscheinungsformen im Rechtsextremismus, Islamismus sowie Linksextremismus. Der Schwerpunkt lag auf den Themenbereichen Rechtsextremismus (99 Vorträge mit rund 3.300 Teilnehmenden) 251 Prävention und Islamismus, hier insbesondere dem Salafismus. Hierzu wurden in 90 Veranstaltungen über 3.500 Teilnehmende sensibilisiert. Über das Thema Linksextremismus haben sich etwa 350 Personen in elf Vortragsveranstaltungen informieren lassen. Im Jahr 2017 wurden im Bereich Rechtsextremismus vermehrt die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Justizbehörden zum Thema Reichsbürger geschult. 6.3 Ausstellung "Gemeinsam gegen Rechtsextremismus" Ein wesentliches Element der Präventionsarbeit des Niedersächsischen Verfassungsschutzes ist die Wanderausstellung "Gemeinsam gegen Rechtsextremismus". Die Ausstellung gibt insbesondere Einblicke in die rechtsextremistische Jugendszene. Der Niedersächsische Verfassungsschutz ist davon überzeugt, dass Lernen und Verstehen über das Ansprechen aller Sinne geschieht. Deshalb werden die Informationen über den Rechtsextremismus innerhalb der Ausstellung u. a. anhand einschlägiger Musik (hören), Internetpropaganda (sehen & hören) und Szenebekleidung (tasten & sehen) vermittelt. Im Jahr 2017 war die Ausstellung in Cloppenburg, Hannover, Lamstedt, Osterode am Harz und Wolfsburg zu Gast. In 119 Führungen informierten fachkundige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Niedersächsischen Verfassungsschutzes annähernd 2.500 Personen (vor allem Schulklassen) über die aktuellen Entwicklungen im Rechtsextremismus. 252 Prävention Die Ausstellung wurde jeweils von einem Begleitprogramm flankiert, das von den Kooperationspartnern vor Ort organisiert wurde. Teil des Begleitprogramms waren beispielsweise zwei Lehrkräftefortbildungen zum Rechtsextremismus, die gemeinsam von Verfassungsschutz und Partnern aus der Zivilgesellschaft durchgeführt wurden. Bereits seit dem Jahr 2005 stellt der Niedersächsische Verfassungsschutz die Wanderausstellung zur Informationsvermittlung über den Rechtsextremismus zur Verfügung. Im Jahr 2013 wurde sie grundlegend überarbeitet und neu konzipiert. Seit 2005 war die Wanderausstellung in 84 Orten Niedersachsens und angrenzenden Bundesländern zu Gast. In über 1.800 Führungen konnten bisher etwa 50.000 Schülerinnen und Schüler erreicht werden. 6.4 Informationsmaterialien Der Niedersächsische Verfassungsschutz erstellt Informationsmaterialien (Faltblätter & Broschüren) zu aktuellen Entwicklungen im Extremismus und veröffentlicht den jährlichen Verfassungsschutzbericht, der einen detaillierten Überblick über die extremistischen Entwicklungen in Niedersachsen gibt. Mittels der Faltblattreihe "Der Niedersächsische Verfassungsschutz informiert" werden der Öffentlichkeit fortlaufend Informationen über aktuelle Themen des Extremismus und der Spionage vermittelt. Bislang sind die Titel 253 Prävention f "Islamismus", f "Jihadistischer Salafismus", f "Rechtsextremismus", f "Reichsbürger und Selbstverwalter", f "Autonome Gewalt", f "Linksextremismus" sowie "Spionage - (k)ein Thema ?!" erhältlich. Darüber hinaus veröffentlicht der Niedersächsische Verfassungsschutz Broschüren, in denen er vertieft über Extremismusphänomene informiert. Derzeit sind die Broschüren f "Salafismus: Erscheinungsformen und aktuelle Entwicklungen", f "Salafismus kompakt: Handreichung für die Arbeit in Flüchtlingseinrichtungen Niedersachsens", f "Identitäre Bewegung Deutschland (IBD): Ideologie und Aktionsfelder" sowie f "Vom Autonomen zum Postautonomen: Autonome in Bewegung" vorhanden. Die Publikationen können über die Presseund Öffentlichkeitsarbeit des Niedersächsischen Verfassungsschutzes angefordert werden und stehen auf der Internetseite des Niedersächsischen Verfassungsschutzes zum Download zur Verfügung. 6.5 Symposien Bereits seit 2006 werden vom Niedersächsischen Verfassungsschutz öffentliche "Extremismus-Symposien" zu aktuellen Themen veranstaltet, in deren Rahmen anerkannte Expertinnen und Experten aus unterschiedlichen Blickwinkeln Themen des Extremismus diskutieren. Die Inhalte werden jeweils zusammengefasst auf der Internetseite des Niedersächsischen Verfassungsschutzes veröffentlicht. Am 07.08.2017 fand das 13. Symposium des Niedersächsischen Verfassungsschutzes statt. Zum Thema "Heimat und Identität - was bedeutet das heute in Europa?" begrüßte der Niedersächsische Minister für Inneres und Sport, Boris Pistorius, 131 Gäste im Alten Rathaus Hannover. Den Auftakt machte der deutsche Schriftsteller türkischer Herkunft Feridun Zaimoglu. Er ließ in seiner vorgetragenen Kurzgeschichte 254 Prävention "Hodscha Hamlets Heimatsuche", die auf der Homepage des Niedersächsischen Verfassungsschutzes eingestellt ist, seine eigenen Erfahrungen von Zerrissenheit zwischen dem Nicht-Mehr-Dort und NochNicht-Hier-Sein in einer Migrationsgesellschaft einfließen. Nachdem der Vormittag mit einem fachlichen Impuls zum Thema Heimat und Identität im Rechtsextremismus endete, gab es nachmittags die Gelegenheit, zwei von vier Workshops zu besuchen und sich somit intensiver mit bestimmten Perspektiven auseinanderzusetzen. Die Workshops befassten sich mit den Themen: f Ideologie und Sprache der Neuen Rechten f Was bedeuten die Begriffe "Heimat" und "Identität" für die autonome Szene? f Das Kalifat: Utopie einer muslimischen Gemeinschaft in der Moderne? f Kriegserfahrung und Heimatverlust: Sprachlosigkeit oder Dialog? Deutsch-Polnische Lernprozesse Die Referentinnen und Referenten des Niedersächsischen Verfassungsschutzes wurden in den Workshops von Experten der Universität Göttingen, des Instituts für Beratung, Begleitung und Bildung e. V. sowie des Georg-Eckert-Instituts Braunschweig unterstützt. Im Jahr 2018 wird der Niedersächsische Verfassungsschutz die Veranstaltungsreihe "Extremismus-Symposien" fortführen. 6.6 Podiumsdiskussionen 2014 startete der Niedersächsische Verfassungsschutz unter dem Titel "Aktuell und Kontrovers - Verfassungsschutz im Diskurs mit Wissenschaft und Zivilgesellschaft" eine neue Veranstaltungsreihe. Bei dieser Veranstaltungsreihe stehen nicht die eigenen Positionen des Niedersächsischen Verfassungsschutzes im Vordergrund; vielmehr bietet sie ein Forum, um Akteure der Wissenschaft, der Zivilgesellschaft und der Politik miteinander ins Gespräch zu bringen. Gesellschaftliche Diskurse zu wichtigen Themen sollen initiiert werden. Nachdem 2014, 2015 und 2016 Veranstaltungen dieser Reihe zu den Themen "Was ist Linksextremismus heute?", "Wie gehen wir mit dem Salafismus in der Praxis um?", "Wie weit darf Engagement gegen Rechtsextremismus gehen?" und "Wie gehen wir mit der salafistischen Radikalisierung von Jugendlichen und jungen Erwachse255 Prävention nen um?" stattgefunden hatten, folgte 2017 eine weitere Podiumsdiskussion. Am 27.03.2017 wurden im Leibnizhaus Hannover Online-Propaganda und Online-Aktivitäten extremistischer Gruppierungen beleuchtet. Unter dem Titel "Wie manipulierbar sind Staat, Politik und Gesellschaft? Das Internet als Inszenierungsort von Extremismus" kamen Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen aus Psychologie und Medienwissenschaft sowie Social Media-Vertreter zur Diskussion untereinander und zum regen Austausch mit den Gästen zusammen. Verfassungsschutzpräsidentin Maren Brandenburger rahmte das Programm mit der Begrüßung und Verabschiedung der mehr als 120 Teilnehmenden ein. Im Jahr 2018 wird diese Veranstaltungsreihe fortgesetzt. 6.7 Kompetenzstelle Islamismusprävention Niedersachsen (KIP NI) 6.7.1 Struktur und Aufgaben Im Juli 2016 hat die Niedersächsische Landesregierung die Einrichtung der "Kompetenzstelle Islamismusprävention Niedersachsen" (KIP NI) beschlossen. In Niedersachsen hat sich in den vergangenen Jahren eine Reihe von Akteuren im Bereich der Islamismusprävention etabliert. Eine lebendige und vielfältige Präventionslandschaft ist notwendig, da Prävention auf unterschiedlichen Ebenen ansetzen muss. Diese Vielfalt sowie die sicherheitspolitische Lage (z. B. Radikalisierungen im Kontext des Krieges in Syrien und im Irak und Rückkehrer aus den Kriegsgebieten) machen eine strukturierte und abgestimmte Vorgehensweise notwendig. KIP NI hat daher zur Aufgabe, die Aktivitäten und bereits vorhandenen Netzwerke der unterschiedlichen Akteure im Bereich der Islamismusprävention zu bündeln, zu institutionalisieren und zu intensivieren. KIP NI ist damit die zentrale Stelle in Niedersachsen, an der die vielfältigen Ansätze der Islamismusprävention zusammenlaufen, abgestimmt und strukturiert werden. 256 Prävention Die Kompetenzstelle ist eine ressortübergreifende Einrichtung, in der der Sachverstand f des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport, f des Landeskriminalamtes Niedersachsen (LKA NI), f des Niedersächsischen Ministeriums für Soziales, Gesundheit und Gleichstellung (MS) mit der zivilgesellschaftlichen Beratungsstelle zur Prävention neo-salafistischer Radikalisierung - beRATen e.V, f des Niedersächsischen Justizministeriums (MJ) und des Landespräventionsrates Niedersachsen (LPR NI) sowie f des Niedersächsischen Kultusministeriums (MK) zusammengeführt werden. Die Geschäftsführung der Kompetenzstelle wird gemeinsam und gleichberechtigt durch den Niedersächsischen Verfassungsschutz und das LKA NI wahrgenommen. Das Aufgabenspektrum von KIP NI umfasst die Koordinierung der strategischen Islamismusprävention (z. B. Präventionsstrategien und Konzepte für Niedersachsen, Informationsvermittlung) sowie die Koordinierung der auf Brennpunkte und den Einzelfall bezogenen operativen Islamismusprävention bzw. der Deradikalisierung. Die Arbeit der KIP NI wird durch einen Fachbeirat, bestehend aus Mitgliedern aus Zivilgesellschaft und Wissenschaft, beratend begleitet. Der Fachbeirat konstituierte sich am 17.11.2017 unter Beisein des Niedersächsischen Ministers für Inneres und Sport, Boris Pistorius. 6.7.2 Arbeitsgruppen Innerhalb der KIP NI haben sich 2017 vier interministerielle Arbeitsgruppen (AG) zu verschiedenen Themenfeldern gebildet. Die AG "Prävention und Intervention bei Familien mit Radikalisierungstendenzen" unter Federführung des MS erarbeitet ein praxisorientiertes Handlungskonzept für das Themenfeld Familie. In Wolfsburg tagte 2017 unter Leitung des Niedersächsischen Verfassungsschutzes in regelmäßigen Abständen die AG "Kommunikationsmodell Wolfsburg". Mit Vertreterinnen und Vertretern der Stadt Wolfsburg, der Dialogstelle Wolfsburg und weiteren lokalen Akteuren wird die Islamismusprävention in Wolfsburg durch den Aufbau eines lokalen Netzwerkes weiter institutionalisiert. In der AG "Abgestimmtes Vorgehen bezüglich der Beratung von 257 Prävention Kommunen" steht das abgestimmte Vorgehen der KIP NI mit kommunalen Akteuren im Vordergrund. Ressortübergreifend und geführt vom LKA NI wird hierbei über die Aufstellung und Vernetzung einzelner Regionen Niedersachsens in Fragen der Islamismusprävention beraten. Das Themenfeld "Rückkehrer und Rückkehrerinnen aus Syrien/dem Irak" wird in einer gleichnamigen AG behandelt, die Ende 2017 eingerichtet wurde. Ziel ist es, ein Konzept mit Handlungsempfehlungen zu entwickeln. Die Federführung liegt beim Niedersächsischen Verfassungsschutz. 6.7.3 Jahresveranstaltung Am 17.11.2017 fand die erste Jahresveranstaltung der KIP NI mit dem Titel "Islamismusprävention gemeinsam gestalten" im Alten Rathaus in Hannover statt. Nach Grußworten der Vizepräsidentin des Niedersächsischen Verfassungsschutzes, Martina Schaffer, und des Präsidenten des LKA NI, Uwe Kolmey, referierte Professorin Dr. Susanne Schröter, Leiterin des "Frankfurter Forschungszentrums Globaler Islam", über die Attraktivität des Salafismus für Jugendliche und mögliche Gegenstrategien in der Präventionsarbeit. In der von Angelika Henkel vom NDR Fernsehen moderierten Podiumsdiskussion tauschten sich Mitglieder der an KIP NI beteiligten Ressorts und Institutionen über die Wege einer gemeinsamen Islamismusprävention für Niedersachsen anhand konkreter Fallbeispiele aus. Mit circa 270 Gästen stieß die Veranstaltung auf große Resonanz. Die Veranstaltungsreihe wird 2018 fortgeführt. 258 Prävention 6.7.4 KIP NI-Website Seit August 2017 steht Nutzern, die sich für das Phänomen des Islamismus/Salafismus und für die Islamismusprävention in Niedersachsen interessieren, die Website der KIP NI zur Verfügung. Dort erhalten Sie Informationen zum Phänomenbereich, zur Arbeit von KIP NI, zu Veranstaltungen und zu Hilfsangeboten. Zudem können über die Website Informationsmaterialien abgerufen und kostenlos bestellt werden. Weitere Informationen zur Kompetenzstelle Islamismusprävention Niedersachsen erhalten Sie wie folgt: Kontakt: Internet: www.KIPNI.niedersachsen.de E-Mail: info@KIPNI.niedersachsen.de 6.8 Aktion Neustart Das Aussteigerprogramm Aktion Neustart unterstützt ausstiegswillige Rechtsextremisten und seit November 2016 ausstiegswillige Islamisten, die sich von ihrer jeweiligen extremistischen Szene und Ideologie distanzieren wollen. Eigeninitiativ spricht Aktion Neustart proaktiv Rechtsextremisten und Islamisten an, die noch keinen Ausstiegswillen entwickelt haben, um auf diese Weise bei ihnen Ausstiegsimpulse zu setzen. Wichtiger Teil der Ausstiegsarbeit ist zudem die Beratung des sozialen Umfeldes des Extremisten, bspw. der Eltern, Lehrer, Arbeitgeber und Freunde. Das Aussteigerprogramm unterstützt alle Ausstiegswilligen, vom jungen Szeneeinsteiger über Mitläufer und Aktivisten bis hin zu langjährigen Führungskadern der extremistischen Szenen. Die Unterstützung durch Aktion Neustart ist stets kostenlos, freiwillig und streng vertraulich. Das Angebot des Aussteigerprogramms umfasst: f vertrauliche Beratung am Telefon, f vorurteilsfreie Gespräche über Probleme, Ängste und Wünsche, 259 Prävention f persönliche Beratung und Begleitung im Ausstiegsprozess, f Erstellung eines individuellen Ausstiegsplans, f Unterstützung bei der Arbeits-, Ausbildungsoder Wohnungssuche und im Umgang mit Behörden, f Hilfe in Bedrohungssituationen, f Unterstützung bei der Bearbeitung von Alkohol-, Drogenund finanziellen Problemen, f Hilfe bei der Entfernung von extremistischen Tätowierungen, f Unterstützung bei Gesprächen mit Eltern, Lehrern und Arbeitgebern. Das Team von Aktion Neustart ist interdisziplinär und geschlechterparitätisch zusammengesetzt. Die Mitarbeiter verfügen über langjährige Erfahrung im Umgang mit Rechtsextremismus und Islamismus und arbeiten auf Grundlage pädagogischer Fachkenntnisse und Methoden. Die umfangreichen Verfassungsschutzerkenntnisse über die rechtsextremistische und über die islamistische Szene ermöglichen es Aktion Neustart, mögliche Bedrohungslagen für einen Aussteiger frühzeitig zu erkennen und fundierte Gefahrenprognosen zu erstellen. Im Ausstiegsprozess sollen die persönlichen Einstiegsmotive und die extremistischen Einstellungsmuster erkannt, besprochen und aufgelöst werden. Ziel der Ausstiegsarbeit ist die Hinwendung des Aussteigers zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung und den Grundund Menschenrechten. Das Zusammenspiel sicherheitsbehördlicher und pädagogischer Fähigkeiten kombiniert mit langjähriger Erfahrung in der Ausstiegsarbeit ermöglicht es also, im Ausstiegsprozess nicht nur eine nachhaltige Loslösung von extremistischer Ideologie und Szene zu erreichen, sondern gleichzeitig auch Schutz und Sicherheit für den Aussteiger zu gewährleisten. Darüber hinaus ist auch die Reintegration des Aussteigers in die Gesellschaft, der Aufbau einer neuen sozialen und beruflichen Existenz, essenzieller Bestandteil der Ausstiegsarbeit von Aktion Neustart. In der Ausstiegsarbeit bestätigt sich regelmäßig, dass die rechtsextremistische wie auch die islamistische Szene gerade für junge Menschen vermeintlich einfache Lösungen für komplexe Fragen bereit zu halten scheinen. Der Wunsch nach Anerkennung und eine Erlebnisorientierung sind fundamentale Motive für die Hinwendung zur rechtsextremistischen bzw. islamistischen Szene. Allerdings können 260 Prävention durch die Zugehörigkeit zu einer extremistischen Szene Orientierungslosigkeit, Identitätsprobleme, persönliche Defizite, Frustrationen und Ängste nur für eine sehr begrenzte Zeit kompensiert werden. Die Erfahrungen in der Ausstiegsarbeit zeigen immer wieder einen Exklusivitätsanspruch der extremistischen Szenen, der externe Freundschaften kaum noch zulässt und eine gesellschaftliche Isolierung verlangt. Bereits seit Jahren spielt das Internet, vor allem Soziale Netzwerke in der Ausstiegsarbeit eine maßgebliche Rolle. Zunächst bieten Soziale Netzwerke Menschen die Möglichkeit, erste Kontakte zu Rechtsextremisten bzw. zu Islamisten herzustellen, extremistisches Gedankengut unreflektiert zu übernehmen und sich so zu radikalisieren. Neben dem Austausch extremistischer Meinungen können problemlos extremistische Schriften, Filme und Musik heruntergeladen werden. Für Aktion Neustart bieten Soziale Netzwerke wiederum die Möglichkeit, sich dort bewegende Extremisten proaktiv anzusprechen, auf die Möglichkeit eines Ausstieges hinzuweisen, das Unterstützungsangebot für den Ausstieg zu bewerben und so Impulse für eine Loslösung vom Extremismus zu setzen. Kontakt: Mobil: 0172/4444300 (Aussteigerprogramm Rechtsextremismus) Mobil: 0162/2010816 (Aussteigerprogramm Islamismus) E-Mail: aktion.neustart@verfassungsschutz.niedersachsen.de Aktion Neustart gibt es auch auf Facebook. 6.9 Fortbildungen des Niedersächsischen Verfassungsschutzes Am 28.03.2017 besuchten im Rahmen einer vom Fachbereich Prävention organisierten Fortbildung 14 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die Mahnund Gedenkstätte Ahlem auf dem Gelände der ehemaligen Israelitischen Gartenbauschule Ahlem. Diese erinnert an die Juden aus der Region Hannover, die zwischen 1941 und 1944 vom Schulgelände aus deportiert wurden und an die Häftlinge des 261 Prävention PolizeiErsatzgefängnisses, das die Gestapo dort 1943 eingerichtet hatte. Die Führung durch die Dauerausstellung und Sonderausstellung "Deportation Ahlem" hinterließ bei den Teilnehmenden tiefe Eindrücke. Die Auseinandersetzung mit dem historischen Nationalsozialismus bestärkte die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Niedersächsischen Verfassungsschutzes darin, wie wichtig Präventionsarbeit ist. Im Vorfeld zu dem Symposium des Niedersächsischen Verfassungsschutzes zum Thema "Heimat und Identität" (07.08.2017) besuchten am 28.06.2017 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Verfassungsschutzes das Museum Friedland. Das Museum zeigt Migrationsgeschichten von mehr als vier Millionen Menschen, die seit 1945 in die Bundesrepublik Deutschland kamen. Die Ausstellung ist so konzipiert, dass sich den Besuchern die Frage stellt: Was bringt Menschen dazu, ihre Heimat zu verlassen? Wie kommen sie nach Deutschland? Und wie werden sie hier aufgenommen? 6.10 Kontaktdaten Für Wünsche zu Vortragsund Informationsveranstaltungen steht der Bereich der Prävention beim Verfassungsschutz unter folgenden Kontaktdaten zur Verfügung: Telefon: 0511/6709-215 Telefax: 0511/6709-394 E-Mail: praevention@verfassungsschutz.niedersachsen.de Informationen zur Wanderausstellung "Gemeinsam gegen Rechtsextremismus", wie aktuelle Ausstellungsorte, Termine für Führungen, Voraussetzungen für die Präsentation etc., erhalten Sie ebenfalls unter der o. a. Telefonnummer oder E-Mail-Adresse. Siehe hierzu auch Kapitel 1.15. 262 Prävention 263 07 ScientologyOrganisation (SO) Scientology-Organisation (SO) 7. Scientology Organisation (SO) In Niedersachsen entfaltet die Scientology-Organisation (SO) durch die "Scientology Gemeinde Hannover" keine nennenswerten Aktivitäten und ist im Gesamtgefüge der Organisation als bedeutungslos einzustufen. Die Mitgliederzahl von ca. 300 Personen sowie die Aktivitäten von SO sind in Niedersachsen seit Jahren stagnierend bzw. rückläufig. Auf eine umfangreichere Darstellung im Verfassungsschutzbericht wird daher bei gleich bleibender Bewertung verzichtet. Aufgrund der verfassungsfeindlichen Ziele der Gesamtorganisation bleibt die SO aber auch in Niedersachsen Beobachtungsobjekt. 266 267 08 Spionageabwehr / Proliferation / Elektronische Angriffe Spionageabwehr / Proliferation / Elektronische Angriffe 8.1 Spionageaufkommen in Niedersachsen Der Arbeitsbereich Spionageabwehr im Niedersächsischen Verfassungsschutz hat den gesetzlichen Auftrag, alle Informationen über sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Aktivitäten zu sammeln und Spionage sowie Proliferation155 zu verhindern. Dabei geht es insbesondere darum, den Schutz der in Niedersachsen lebenden Bürgerinnen und Bürger zu gewährleisten. Da Niedersachsen insbesondere als erfolgreicher Wirtschaftsstandort mögliches Ziel von Spionageaktivitäten fremder Geheimbzw. Nachrichtendienste156 ist, gilt es ihn vor derartigen Aktivitäten zu bewahren. Hauptträger der Spionageaktivitäten in der Bundesrepublik Deutschland sind nach wie vor die Russische Föderation, die Volksrepublik China, aber auch der Iran. Die Schwerpunkte ihrer Aktivitäten orientieren sich an den politischen Vorgaben und wirtschaftlichen Prioritäten. Aufgrund desolater Sicherheitslagen in ihren Heimatländern und damit verbundener existenzieller Bedrohung sucht eine hohe Zahl von Menschen Zuflucht und Schutz in Europa. Auch Deutschland ist Zielland von Flüchtlingsbewegungen, die ihren Ursprung vor allem in Afghanistan, im Irak sowie in Syrien haben. Mit der sich damit ver155 Proliferation ist die Weiterverbreitung von ABC-Waffen und Trägersystemen; siehe auch Kapitel 8.2. 156 Im Gegensatz zu Geheimdiensten unterliegen Nachrichtendienste einer rechtsstaatlichen Kontrolle und haben keine polizeilichen Befugnisse. 270 Spionageabwehr / Proliferation / Elektronische Angriffe größernden Exilgemeinde könnten Ausforschungen oppositioneller Aktivitäten zur neuen Zielvorgabe für fremde Nachrichtendienste in Deutschland werden. Im Jahr 2017 wurden die in diesem Zusammenhang im Vorjahr begonnen Sensibilisierungsvorträge bei den Niedersächsischen Ausländerbehörden abgeschlossen. Beim Verfassungsschutz gingen daraufhin etwa 50 Hinweise aus den Ausländerstellen ein. Konkrete Spionagetätigkeiten konnten allerdings bislang nicht festgestellt werden. Fremde Geheimbzw. Nachrichtendienste sind in unterschiedlicher Personalstärke u. a. an den jeweiligen amtlichen Vertretungen (z. B. Botschaften, Generalkonsulate = Legalresidenturen) in Deutschland präsent und unterhalten dort Stützpunkte. Geheimund Nachrichtendienstmitarbeiter können dort als Diplomaten getarnt tätig werden und Informationen beschaffen oder sie leisten Unterstützung bei geheimdienstlichen Operationen ihrer Zentralen. Eine Vielzahl von Informationen, die für fremde Geheimbzw. Nachrichtendienste interessant erscheinen und früher nur mit klassischen Spionagetätigkeiten zu erheben waren, sind heutzutage mit relativ geringem technischen Aufwand und fast ohne Risiko auf virtuellem Wege zu erlangen. Zum Teil ist aufgrund bestimmter Parameter auch von einer geheimbzw. nachrichtendienstlichen oder staatlichen Beteiligung auszugehen. Im Umkehrschluss bedeutet dies jedoch nicht, dass die klassischen Spionageaktivitäten völlig ausgedient haben. Auch im Jahr 2017 bearbeitete der Arbeitsbereich Spionageabwehr im Niedersächsischen Verfassungsschutz entsprechende Verdachtsfälle. So wurden Kontaktversuche eines ausländischen Nachrichtendienstes zu einem niedersächsischen Gesprächspartner aus der Wirtschaft bekannt. Daraufhin wurden Sensibilisierungsgespräche mit dem Gesprächspartner des erkannten Nachrichtendienstoffiziers geführt. In einem weiteren Fall geht es um den Putschversuch durch Teile des türkischen Militärs am 15. und 16.07.2016. Hierfür machte die türkische Regierung die nach dem Prediger Fetullah Gülen benannte "Gülen-Bewegung" verantwortlich. In der Folge wurden türkische Listen mutmaßlicher Gülen-Anhänger in Deutschland bekannt, auf denen auch niedersächsische Bürger verzeichnet waren. Da davon ausgegangen werden kann, dass der türkische Nachrichtendienst "Milli Istihbarat Teskilati" (MIT) auch in Niedersachsen ins271 Spionageabwehr / Proliferation / Elektronische Angriffe besondere Oppositionelle der vom türkischen Staat als "Fetullahistische Terrororganisation" (FETÖ) bezeichneten "Gülen-Bewegung" ausspäht, wurden die auf den Listen verzeichneten niedersächsischen Bürgerinnen und Bürger entsprechend sensibilisiert. Am 10.10.2017 verurteilte das Hanseatische Oberlandesgericht (Hamburg)157 einen 32-jährigen türkischen Staatsangehörigen wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit für die Türkei. Er soll von Januar bis November 2016 die kurdische Szene in Deutschland, insbesondere im Bereich Bremen, für den MIT ausgeforscht haben. Ein Vorfall im Sommer belegt das russische Interesse, Erkenntnisse über deutsche Sicherheitsbehörden zu gewinnen. Nach einem Landgang in St. Petersburg (Russland) wurden niedersächsische Polizeibeamte im Rahmen einer privaten Ostseekreuzfahrt bei der Ausreise aus Russland von Sicherheitskräften zum privaten sowie dienstlichen Umfeld befragt. In letzter Zeit stellt der Verfassungsschutz zudem Versuche chinesischer Nachrichtendienste fest, Kontakte zu Personen zu knüpfen, die an Schaltstellen der Politik, z. B. in der Landesverwaltung oder in Parteien, arbeiten. Als Medium dienen dabei soziale Netzwerke. In mehreren Fällen erfolgte der Versuch, einen Kontakt mittels sogenannter Fakeaccounts zu knüpfen. Als Profilbild waren junge Asiatinnen und Asiaten mit einem europäisch klingenden Vornamen und einem chinesischen Familiennamen abgebildet, die für eine vorgebliche chinesische Consultingfirma Geschäftskontakte knüpfen wollten. Bei solchen Anbahnungsversuchen wird geraten, die Kontaktanfragen zu ignorieren und den Verfassungsschutz zu informieren. 8.2 Proliferation Wesentliches Merkmal der Proliferation - also der Weiterverbreitung von ABC-Waffen und Trägersystemen - ist, dass sie nicht von Einzelpersonen, sondern von sogenannten proliferationsrelevanten Staaten Iran, Nordkorea, Pakistan und Syrien unter Einbeziehung ihrer Geheimdienste betrieben wird. 157 Az.: 4. Strafsenat 4 St 2/17. 272 Spionageabwehr / Proliferation / Elektronische Angriffe Da einsatzfähige ABC-Waffenund Trägersysteme nicht komplett auf dem Weltmarkt zu beschaffen sind, richtet sich das Interesse dieser Staaten grundsätzlich auf den Erwerb von Produkten, die den Fortbestand und die Weiterentwicklung der bereits vorhandenen Waffenbestände gewährleisten. Im Mittelpunkt stehen dabei solche Ausfuhrprodukte, die als sogenannte Dual-use-Güter sowohl im zivilen als auch im militärischen Bereich Anwendung finden können. Ziel ist, durch den Erwerb solcher Güter, eine militärische Nutzung durch die Beschaffung für einen vermeintlich zivilen Einsatzzweck zu verschleiern. Durch den Einsatz von Tarnfirmen bzw. -organisationen sowie durch falsche Angaben über die Ware selbst, ihren tatsächlichen Bestimmungsort und -zweck ist es oftmals sehr schwierig, geheimdienstlich gesteuerte Beschaffungsaktivitäten zu erkennen. Der Export dieser Dual-use-Güter unterliegt strengen Ausfuhrbeschränkungen, um eine Nutzung für militärische Zwecke zu unterbinden. Grundsätzlich gilt, dass die Umgehung von Exportbestimmungen eine Ordnungswidrigkeit bzw. einen Straftatbestand nach dem Außenwirtschaftsgesetz, der Außenwirtschaftsverordnung und ggf. dem Kriegswaffenkontrollgesetz darstellt. Die Bundesrepublik Deutschland versucht, der Proliferation durch eine restriktive Exportkontrolle entgegen zu wirken. Großes Interesse besteht an der Beschaffung von Gütern und Informationen aus niedersächsischen Hochtechnologieunternehmen. Die proliferationsrelevanten Staaten bemühen sich zudem um den Erwerb von Wissen, um dieses für den Betrieb von Programmen zur Herstellung von eigenen Massenvernichtungswaffen nutzen zu können. Der Niedersächsische Verfassungsschutz hat den Kontakt zu niedersächsischen Firmen und wissenschaftlichen Forschungseinrichtungen weiter ausgebaut. Die konsequenten Aufklärung und Sensibilisierungsgespräche leisten einen wesentlichen Beitrag zur Proliferationsbekämpfung. 273 Spionageabwehr / Proliferation / Elektronische Angriffe 8.3 Elektronische Angriffe mit vermutetem nachrichtendienstlichem Hintergrund Die Abhängigkeit der Gesellschaft von Informationsund Kommunikationstechnologien steigt. Die dadurch verursachte Verwundbarkeit moderner Gesellschaften ist eine der größten sicherheitspolitischen Herausforderungen, denn der mögliche Schaden für Staaten, ihre Bevölkerung und ihre Volkswirtschaften im Falle der Beeinträchtigung von Informationsinfrastrukturen ist immens. Staat, Kritische Infrastrukturen158 , Wirtschaft, Wissenschaft und Bevölkerung sind auf das verlässliche Funktionieren dieser Technologien, insbesondere des Internets, angewiesen. Elektronische Angriffe werden zahlreicher, komplexer und professioneller. Meist kann bei Angriffen weder auf die Identität noch auf die Motivation des Angreifers geschlossen werden; kriminelle, terroristische, militärische und/oder nachrichtendienstliche Hintergründe sind denkbar. Die Möglichkeiten, die für solche Angriffe häufig genutzten hoch entwickelten Schadprogramme abzuwehren und zurückzuverfolgen, sind sehr begrenzt. Fremde Staaten bedienen sich gezielter elektronischer Angriffe, um Informationen zu erlangen und das erworbene Wissen zu ihrem Vorteil zu nutzen. Zuletzt hat es bundesweit - auch in Niedersachsen - elektronische Angriffe mit Verschlüsselungstrojanern gegeben. Neben den im Jahr 2017 fortgesetzten Angriffen auf Großunternehmen sind in Niedersachsen auch diverse kleinere und mittelständische Unternehmen betroffen. Das verdeutlicht, welch hohen Stellenwert die IT-Sicherheit hat. 158 Kritische Infrastrukturen sind Organisationen und Einrichtungen von hoher Bedeutung für das staatliche Gemeinwesen, bei deren Ausfall oder Beeinträchtigung nachhaltig wirkende Versorgungsengpässe, erhebliche Störungen der öffentlichen Sicherheit oder andere dramatische Folgen eintreten würden (siehe Internetseite des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik, www.bsi.bund.de). 274 Spionageabwehr / Proliferation / Elektronische Angriffe Die höchste Gefahr für Unternehmen und Behörden stellen aktuell "Advanced Persistant Threads"159 dar. Diese zielgerichteten elektronischen Angriffe durch fortgeschrittene, gut organisierte und professionell ausgestattete Angreifer verlaufen typischerweise in mehreren Phasen und sind sehr komplex in der Vorbereitung und Durchführung. Ziel eines solchen Angriffes ist es, sich möglichst lange unentdeckt in fremden IT-Systemen zu bewegen um sensible Daten auszuleiten oder anderweitig Schäden anzurichten. Die Bearbeitung solcher elektronischer Angriffe stellt die Sicherheitsbehörden aufgrund der Anonymität des Angriffs und der nicht erkennbaren Motivation der Angreifer vor Probleme. Der Niedersächsische Verfassungsschutz steht niedersächsischen Wirtschaftsunternehmen als Ansprechpartner zur Verfügung. Bei elektronischen Angriffen mit vermutetem nachrichtendienstlichem Hintergrund wird Beratung angeboten. Fälle von "Cybercrime", bei denen ein solcher Verdacht ausgeschlossen werden konnte, werden in Absprache und nur mit dem Einverständnis des Betroffenen an die Strafverfolgungsbehörden abgegeben. Der Verfassungsschutz arbeitet im Rahmen der Cyber-Sicherheitsstrategie für Niedersachsen mit dem Computer Emergency Response Team der niedersächsischen Landesverwaltung (N-CERT) zusammen und ist darüber hinaus auf Bundesebene mit dem Nationalen Cyber-Abwehrzentrum (NCAZ) und anderen Behörden vernetzt sowie Multiplikator der Allianz für Cybersicherheit. 159 Bei Advanced Persistant Threads handelt es sich um zielgerichtete Cyber-Angriffe auf spezifisch ausgewählte Institutionen und Einrichtungen, bei denen sich ein Angreifer persistent (=andauernd) Zugriff auf ein Opfersystem verschafft und in der Folge auf weitere Systeme ausweitet. Die Angriffe zeichnen sich durch einen sehr hohen Ressourceneinsatz und erhebliche technische Fähigkeiten aufseiten der Angreifer aus und sind in der Regel schwierig festzustellen (siehe Internetseite des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik, www.bsi.bund.de). 275 Spionageabwehr / Proliferation / Elektronische Angriffe 8.4 Hilfe für Betroffene Personen, die Opfer eines Anwerbungsversuchs fremder Geheimdienste oder eines elektronischen Angriffs mit vermutetem nachrichtendienstlichem Hintergrund geworden sind, wird geraten, sich an das Niedersächsisches Ministerium für Inneres und Sport Verfassungsschutzabteilung Postfach 44 20 30044 Hannover Telefon 0511/6709-0 zu wenden. Weitere Informationen können Sie auch dem Flyer "Spionage - (k)ein Thema?!" entnehmen, den Sie sowohl auf unserer Internetseite herunterladen können als auch über die vorstehenden Kontaktdaten bestellen können. 276 Spionageabwehr / Proliferation / Elektronische Angriffe 277 09 Geheimschutz Geheimschutz 9.1 Geheimschutz Durch die elektronischen Angriffe (siehe Kapitel 8.3) sind auch geheimhaltungsbedürftige Informationen in Behördennetzen gefährdet. Aus diesem Grund ist ein hohes Niveau an Datensicherheit durch Zugangsbegrenzung und Überprüfung der Berechtigten unerlässlich. Informationen und Vorgänge, deren Bekanntwerden den Bestand oder lebenswichtige Interessen, die Sicherheit oder die Interessen des Bundes oder eines Landes gefährden können, müssen geheim gehalten und als Verschlusssache (VS) vor unbefugter Kenntnisnahme geschützt werden. Je nach Schutzbedürftigkeit erfolgt eine Einstufung der VS in unterschiedliche Geheimhaltungsgrade (VS-NUR FÜR DEN DIENSTGEBRAUCH, VS-VERTRAULICH, GEHEIM oder STRENG GEHEIM), wobei der Schutz durch vorbeugende Maßnahmen des personellen und materiellen Geheimschutzes erzielt wird. VS ab dem Geheimhaltungsgrad VS-VERTRAULICH dürfen nur Personen zugänglich sein, die sich einer Sicherheitsüberprüfung unterzogen haben. Dieses zentrale Element des personellen Geheimschutzes ist in Niedersachsen im Niedersächsischen Sicherheitsüberprüfungsgesetz (Nds. SÜG) geregelt. Die in diesem Gesetz vorgeschriebenen Überprüfungsverfahren stellen sicher, dass nur Personen, deren Zuverlässigkeit festgestellt worden ist, eine sicherheitsempfindliche Tätigkeit ausüben. Dazu gehören auch bestimmte Tätigkeiten innerhalb von lebensoder verteidigungswichtigen Einrichtungen. 280 Geheimschutz Zuständig für die Einleitung einer Sicherheitsüberprüfung ist die jeweilige Beschäftigungsdienststelle; die Verfassungsschutzbehörde wirkt bei der Durchführung der Überprüfung mit. Der Niedersächsische Verfassungsschutz führt sowohl für die eigenen Geheimnisträger als auch für alle in Behörden und sonstigen Institutionen im Geheimschutzverfahren befindlichen Personen des personellen vorbeugenden Geheimund Sabotageschutzes die Sicherheitsüberprüfungen durch. Bei letzteren beiden handelt es sich um eine weitere Mitwirkungsaufgabe i. S. d. SS 3 Abs. 4 Nr. 1 NVerfSchG. Darüber hinaus schreiben Spezialgesetze Zuverlässigkeitsüberprüfungen vor, mit denen Personen, deren Zuverlässigkeit aufgrund festgestellter Sicherheitsrisiken zweifelhaft ist, von einer Tätigkeit in sicherheitsempfindlichen Stellen, wie etwa Atomkraftwerken, ferngehalten werden sollen. Auch bei derartigen Zuverlässigkeitsüberprüfungen kommt der Verfassungsschutzbehörde eine Mitwirkungspflicht zu.160 9.2 Entwicklungen im Bereich der Sicherheitsüberprüfungen Die Zahl der Sicherheitsüberprüfungen der höchsten Stufe (Ü3) hat sich insbesondere durch die Beendigung des 23. Parlamentarischen Untersuchungsausschusses "Tätigkeit der Sicherheitsbehörden gegen die islamistische Bedrohung in Niedersachsen" im Jahr 2017 wieder normalisiert. Dennoch erreicht die Gesamtzahl an Sicherheitsüberprüfungen auch im Jahr 2017 ein hohes Niveau. Dies lässt sich insbesondere auf einen konstanten Anstieg der einfachen Sicherheitsüberprüfungen im Bereich des Sabotageschutzes zurückführen. Aufgrund der fortschreitenden Technisierung in der Landesverwaltung, werden vor allem die Zugänge zu Servern und sensiblen IT-Bereichen besonders gesichert. Sowohl interne als auch externe Mitarbeiter, die Zugang zu solchen sensiblen Bereichen erhalten sollen, müssen sich daher einer entsprechenden Sicherheitsüberprüfung (Ü1-Sabotageschutz) unterziehen. 160 Zu den Mitwirkungsaufgaben siehe Kapitel 1.10. 281 Geheimschutz Entwicklung der Sicherheitsüberprüfungen 1.200 1.091 1.047 1.000 913 817 800 518 535 417 600 404 103 400 126 126 100 357 200 266 337 346 47 33 113 40 0 2014 2015 2016 2017 SÜ-Sabotage161 Einfache SÜ (Ü1)162 Erweiterte SÜ (Ü2)163 Erweiterte SÜ (Ü3)164 Es kommt bei Sicherheitsüberprüfungen immer häufiger vor, dass die zu überprüfenden oder in die Sicherheitsüberprüfung einbezogenen Personen, wie (Ehe)partner und -partnerinnen, weniger als fünf (bei Ü1) bzw. zehn (bei Ü2 oder Ü3) Jahre in Deutschland gelebt haben. Damit liegt grundsätzlich ein Verfahrenshindernis vor, mit der Folge, dass eine Sicherheitsüberprüfung nicht durchführbar ist. Das kann erhebliche Auswirkungen auf die Besetzung von Stellen haben, da eine sicherheitsempfindliche Tätigkeit erst und nur übertragen werden kann, wenn die Mitteilung über das abschließende Ergebnis der Sicherheitsüberprüfung vorliegt und dieses Ergebnis die Wahrnehmung der sicherheitsempfindlichen Tätigkeit zulässt. Fehlt ein solches Ergebnis - z. B. weil Sicherheitsermittlungen im Ausland nicht möglich sind - dann verfügt eine Bewerberin oder ein Bewerber nicht über die sicherheitsrechtliche und somit dienstliche Eignung, um auf einem Dienstposten mit einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit verwendet zu werden (vgl. BVerwG, Beschluss vom 21.07.2011 - 1 WB 12.11 -). 161 Es handelt sich um Überprüfungen nach SS 7 Abs. 1 Nr. 3 Nds. SÜG für Tätigkeiten an einer sicherheitsempfindlichen Stelle innerhalb einer lebensoder verteidigungswichtigen Einrichtung. 162 Es handelt sich um Überprüfungen nach SS 7 Abs. 1 Nr. 1 Nds. SÜG (Zugang zu VS-VERTRAULICH). 163 Es handelt sich um Überprüfungen nach SS 7 Abs. 2 Nds. SÜG (Zugang zu GEHEIM). 164 Es handelt sich um Überprüfungen nach SS 7 Abs. 3 Nds. SÜG (Zugang zu STRENG GEHEIM). 282 Geheimschutz Das Verwaltungsgericht Köln (Az. 15 L 1564/15) hat in diesem Zusammenhang enge Grenzen für die Sicherheitsüberprüfung im Ausland anerkannt. In dem der Entscheidung zugrundeliegenden Fall wurde eine von einer zu überprüfenden Person angestrengte einstweilige Anordnung gegen die sicherheitsüberprüfende Behörde verweigert. Der Sicherheitsbeauftragte der Behörde konnte den einbezogenen Ehepartner dieser Person nicht überprüfen, weil dieser dauerhaft in Frankreich lebte. Das Gericht machte deutlich, dass es aus zentralen Erwägungen heraus regelmäßig nicht möglich sei, im Ausland Sicherheitsermittlungen durchzuführen. Eine entsprechende Verpflichtung ergebe sich aus dem Gesetz jedenfalls nicht. Maßgeblich bei diesen zentralen Erwägungen war, dass eine Anfrage eines deutschen Nachrichtendienstes ausländische Nachrichtendienste erst auf bestimmte Personen aufmerksam machen würde, die dann ihrerseits in den Fokus der Aufklärungsarbeit dieser Dienste rücken würden, selbst, wenn es sich - wie im vorliegenden Fall - um ein befreundetes Land handele. 9.3 Neues Sicherheitsüberprüfungsgesetz des Bundes in Kraft getreten Am 21.06.2017 ist das überarbeitete Sicherheitsüberprüfungsgesetz des Bundes in Kraft getreten. Das Gesetz enthält zahlreiche Änderungen, wie etwa die erstmalige Aufnahme von Regelungen zum materiellen Geheimschutz sowie die einheitliche Verpflichtung zur Wiederholungsüberprüfung im Abstand von zehn Jahren für alle Stufen der Sicherheitsüberprüfung. Erstmalig ist im Gesetz die Befugnis geregelt, Erkenntnisse aus Internetseiten und sozialen Netzwerken bei der Sicherheitsüberprüfung zu berücksichtigen, indem offen zugängliche Inhalte eingesehen werden dürfen. Niedersachsen hat über eine Bundesratsinitiative erreicht, dass die Befugnis zur Internetrecherche - in gestufter Form - für alle von einer Sicherheitsüberprüfung Betroffenen nun zulässig ist. Der ursprüngliche Gesetzesentwurf der Bundesregierung hatte die Befugnis lediglich für Personal von Nachrichtendiensten und solchem mit einer ver283 Geheimschutz gleichbaren sicherheitsempfindlichen Tätigkeit vorgesehen. Für das zu überarbeitende Nds. SÜG stellen die Regelungen des Bundes einen Maßstab dar, an dem es sich zu orientieren gilt. Niedersachsen steht zudem im engen Austausch mit den anderen Bundesländern, um für geplante Anpassungen der Sicherheitsüberprüfungsgesetze einen gemeinsamen Rahmen zu entwickeln. Im Ergebnis soll gewährleistet sein, dass die Sicherheitsüberprüfungen weiterhin gegenseitig anerkennungsfähig sind. 9.4 Beratung von Landesbehörden in Fragen des Geheimschutzes Der personelle Geheimschutz stellt einen Beratungsschwerpunkt der Verfassungsschutzbehörde dar, z. B. in Form von individuellen Beratungsgesprächen mit Geheimschutzbeauftragten oder VS-Verwaltern anderer Behörden. 284 Geheimschutz Der materielle Geheimschutz umfasst technische und organisatorische Maßnahmen gegen die unbefugte Kenntnisnahme von VS in schriftlicher oder elektronischer Form. In der Verschlusssachenanweisung (VSA) des Landes Niedersachsen sowie ergänzenden Richtlinien ist geregelt, wie als VS eingestuftes Schriftgut sicher bearbeitet, verwahrt und verwaltet wird. Die Verfassungsschutzbehörde wirkt gemäß SS 60 Abs. 1 VSA bei der Durchführung der VSA und der sie ergänzenden Richtlinien mit und berät die Dienststellen des Landes. Beratungsschwerpunkte sind die Einrichtung und der Betrieb von besonders gesicherten Aktensicherungsräumen oder Stahlschränken (VS-Verwahrgelasse), in denen VS unter Beachtung baulicher, mechanischer, elektronischer und organisatorischer Sicherheitsvorkehrungen aufbewahrt werden können. Es ist festzustellen, dass die Anzahl der VS verwaltenden Dienststellen weiterhin rückläufig ist, da das Aufkommen an VS zunehmend geringer wird und Altbestände konsequent vernichtet werden. Daher bezog sich ein Teil der Beratungsfunktion der Verfassungsschutzbehörde auf die ordnungsgemäße Vernichtung von Verschlusssachen verschiedener Geheimhaltungsgrade in Papierform oder als elektronischer Datenträger nach Standards des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnologie (BSI). Geheimschutz findet nicht nur in Behörden statt, sondern auch in Unternehmen, die im Auftrag des Staates mit VS umgehen und demzufolge die Regelungen des personellen und materiellen Geheimschutzes beachten müssen. Geheimschutzbetreute Unternehmen sind z. B. Kernkraftwerke oder Betriebe der Rüstungsindustrie. 285 10 Wirtschaftsschutz Wirtschaftsschutz 10.1 Einleitung Deutschland ist als technologieund exportorientierte Nation abhängig von auf Forschung und Erfahrung beruhendem Wissen (Know-how) und Innovation als wertvollste Ressourcen der Volkswirtschaft. Dieses Wissen und diese Informationen sind für fremde Nachrichtendienste (Wirtschaftsspionage) und konkurrierende Unternehmen (Konkurrenzausspähung), die gezielt und professionell Ausspähung betreiben, von höchstem Interesse. Von Wirtschaftsund Industriespionage betroffen sind innovative und technologieorientierte Branchen, besonders Bereiche der Informationsund Kommunikationstechnik, der Luftund Raumfahrt, der Automobilindustrie, der Werkstoffund Produktionstechnik, der Biotechnik und Medizin, der Nanotechnologie sowie Energieund Umwelttechnik. Von Interesse sind Produktinnovationen und Marktstrategien. Niedersächsische Unternehmen verzeichnen mit ihren Spitzentechnologien große Erfolge, z. B. im Bereich der Automobilund Schifffahrtsbranche, der Laserund Sensortechnik, der Windenergieanlagen und Landmaschinen sowie der Hörgeräteakustik und können damit Ziel fremder Nachrichtendienste und von Konkurrenzfirmen sein. Vor diesem Hintergrund wurde im Jahr 2000 beim Niedersächsischen Verfassungsschutz aus der Spionageabwehr heraus der Arbeitsbereich Wirtschaftsschutz geschaffen. Dieser Arbeitsbereich des Niedersächsischen Verfassungsschutzes ist ein Partner für die Wirtschaft. Das Beratungsangebot zu den Themen Wirtschaftsund Industriespionage, Cybersicherheit165, Know-how-Schutz, Sicherheit in der Informationsund Kommunikationstechnologie, Geheimschutz in der Wirtschaft, Sicherheit auf Geschäftsreisen im Ausland, Innentäterproblematik und Social Engineering166 wird stark nachgefragt. Seit seinem Bestehen hat der Arbeitsbereich Wirtschaftsschutz des Niedersächsischen Verfassungsschutzes zahlreiche Un165 Cybersicherheit erweitert das Aktionsfeld der klassischen IT-Sicherheit auf den gesamten Cyber-Raum. Dieser umfasst sämtliche mit dem Internet und vergleichbaren Netzen verbundene Informationstechnik und schließt darauf basierende Kommunikation, Anwendungen, Prozesse und verarbeitete Information mit ein. Damit wird praktisch die gesamte moderne Informationsund Kommunikationstechnik zu einem Teil des Cyber-Raumes (siehe Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik). 166 Social Engineering bezeichnet eine Methodik zur Verhaltensmanipulation. Social Engineers spionieren das persönliche Umfeld ihres Opfers aus, täuschen Identitäten vor oder nutzen Verhaltensweisen wie Autoritätshörigkeit aus, um geheime Informationen oder unbezahlte Dienstleistungen zu erlangen. 288 Wirtschaftsschutz ternehmen bei Vortragsveranstaltungen mit sicherheitsrelevanten Informationen erreicht. Der Arbeitsbereich wirkt zudem an Sicherheitsüberprüfungen im Rahmen des Geheimschutzes in der Wirtschaft mit.167 Es wurden 159 Sicherheitsüberprüfungen durchgeführt. Diese Zahlen haben sich gegenüber dem Vorjahr verdoppelt. Eine Vielzahl von Überprüfungen machen Erkenntnisanfragen zu den Betroffenen notwendig, die im Ergebnis immer öfter zur Versagung der sicherheitsempfindlichen Tätigkeit führen. 10.2 Zahlen und Fakten Im Jahr 2017 stieg die Zahl der vom Niedersächsischen Verfassungsschutz im Geheimund Wirtschaftsschutz ständig betreuten Unternehmen erheblich von 948 auf 1015. Beratungen Zum Kerngeschäft des Arbeitsbereiches Wirtschaftsschutz zählen die Beratungen von Unternehmen, d. h. individuelle Sensibilisierungsund Informationsgespräche vor Ort. Insgesamt gab es 80 (Vorjahr 74) Kontakte mit Firmen. Für die Unternehmen ist hilfreich, dass der Verfassungsschutz nicht dem Legalitätsprinzip unterliegt, also Sachverhalte mit strafrechtlich relevantem Hintergrund nicht zwingend der Staatsanwaltschaft bzw. der Polizei melden muss. Dieser Umstand führte zu einer Vielzahl von Hinweisen auf sicherheitsrelevante Vorfälle mit möglichen Know-how-Verlusten, weil im Falle eines Strafprozesses ein Sicherheitsvorfall öffentlich werden könnte und die betroffenen Firmen Imageschäden befürchten müssten. Häufig war die Informationstechnologie von Unternehmen betroffen, denn in mehreren Fällen waren Firmennetzwerke von Schadsoftware befallen. Eine nachrichtendienstliche Steuerung war nicht auszuschließen. In starkem Maße werden Unternehmen Opfer von Verschlüsselungstrojanern, wie verschiedene Meldungen an den Verfassungsschutz zei167 Siehe Kapitel 9 "Geheimschutz". 289 Wirtschaftsschutz gen. Nach wie vor ist das entscheidende Einfallstor in den Unternehmen die E-Mail, deren Inhalt meistens eine Verlinkung aufweist. Dort ist dann die Schadsoftware, ein Verschlüsselungstrojaner hinterlegt. Eine weitere Betrugsart, die häufig bei Unternehmen auftritt, ist der sogenannte Fake-Boss-Angriff oder auch CEO-Fraud. Angreifer nehmen in der Regel per E-Mail mit einem zeichnungsbefugten Firmenangehörigen Kontakt auf und täuschen vor, die E-Mail sei vom Vorstand des Unternehmens. Unter der Vorgabe, es handele sich zum Beispiel um einen geheimzuhaltenden Firmenaufkauf, wird die Mitarbeiterin oder der Mitarbeiter aufgefordert, eine Überweisung häufig in sechsstelliger Höhe in Euro vorzunehmen. In vielen Fällen sind Unternehmen erhebliche Schäden entstanden, weil wegen mangelnder Sensibilität und fehlendem Vieraugenprinzip überwiesen wurde. In den Fällen, die dem Arbeitsbereich Wirtschaftsschutz zu den beiden vorgenannten Varianten mitgeteilt wurden, konnte nach eingehender Prüfung kein Verdacht einer nachrichtendienstlichen Tätigkeit begründet werden. Über den Newsletter des Arbeitsbereiches Wirtschaftsschutz an seine betreuten Unternehmen in Niedersachsen wurden zahlreiche Warnungen vor im Informationsverbund der Verfassungsschutzbehörden im Verlauf des Jahres 2017 bekannt gewordenen elektronischen Angriffen herausgegeben. Bemerkenswert waren Hinweise, dass vermehrt soziale Netzwerke (Xing, Facebook o. a.) genutzt werden, um für elektronische Angriffe Informationsbeschaffung im Rahmen von Social Engineering zu betreiben. Vorträge Im Jahr 2017 hielten die Mitarbeiter des Arbeitsbereiches Wirtschaftsschutz 150 (Vorjahr 119) Vorträge bei unterschiedlichen Veranstaltungen. Neben Industrieund Handelskammern, Universitäten und kommunalen Wirtschaftsförderungen werden die Vorträge des Niedersächsischen Verfassungsschutzes stark von Unternehmen für ihre Mitarbeiter und Führungskräfte nachgefragt, um für eine Sensibilisierung zu sorgen. 290 Wirtschaftsschutz Netzwerk Ein bedeutsamer Aspekt der Arbeit des Niedersächsischen Verfassungsschutzes im Bereich des Wirtschaftsschutzes ist die Netzwerkarbeit, die im Berichtszeitraum 129 Kontakte ausmachte. Ein wichtiger Partner, auch für den Informationsaustausch, ist die niedersächsische Polizei, die oft Hinweisgeber für mögliche Wirtschaftsspionagefälle ist. Häufig arbeitet der Verfassungsschutz mit dem Landeskriminalamt Niedersachsen und dort mit der Zentralen Ansprechstelle Cybercrime (ZAC) zusammen. Durch die zunehmende Bedeutung von Industrie 4.0, der Verzahnung von Produktion mit modernster Informationsund Kommunikationstechnik und damit verbunden der Cybersicherheit haben sich Netzwerke gebildet, die für Unternehmen Hilfestellungen und Lösungen bieten. Der Arbeitsbereich Wirtschaftsschutz wirkt dabei im Arbeitskreis "Cybersecurity" von Hannover IT e. V., im IT-Gesprächskreis der Industrieund Handelskammer Hannover und bei der interdisziplinären Expertengruppe "Indy4" mit. Der Niedersächsische Verfassungsschutz führte im Rahmen seiner Netzwerkarbeit im Jahr 2017 folgende Veranstaltungen durch: 10.3 "Best practice meeting - security2share" Im Rahmen eines Business-Frühstücks wurde am 07.03. und 08.05.2017 die Reihe der "Best practice meetings - security2share" zum Thema "Notfallplan" fortgeführt. Die Teilnehmerzahl pro Veranstaltung ist auf 25 begrenzt und so waren beide Termine mit Unternehmensvertreterinnen und Unternehmensvertretern unterschiedlicher Branchen schnell ausgebucht. Impulsreferate, die den Umfang des Themenfeldes "Notfallplan" verdeutlichten, andererseits aber auch praktische Erfahrungen mit einfließen ließen, bildeten den Auftakt der Veranstaltungen. Im Anschluss diskutierten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer miteinander und tauschten Erfahrungen aus. Soweit geeignete Notfallpläne vorhanden waren, wurden sie in den seltensten Fällen in den Unternehmen einmal getestet. Viele Anregungen wurden von den 291 Wirtschaftsschutz teilnehmenden Unternehmen dankbar aufgegriffen. Dieses Veranstaltungsformat wird mit anderen Themenstellungen zur Unternehmenssicherheit fortgeführt werden. 10.4 21. Sicherheitstagung für geheimschutzbetreute Unternehmen Vom 17. bis 18.05.2017 fand in Varel die diesjährige Tagung des Niedersächsischen Verfassungsschutzes für Sicherheitsbevollmächtigte der geheimschutzbetreuten Unternehmen statt. Es nahmen knapp 70 Vertreterinnen und Vertreter von Wirtschaftsunternehmen sowie einiger Bundesund Landesbehörden daran teil. Den Schwerpunkt der Tagung bildete in diesem Jahr u. a. die Darstellung verschiedener Tätigkeitsbereiche des Niedersächsischen Verfassungsschutzes. So wurde das Thema "Reichsbürger - Verfassungsfeinde oder Querulanten" beleuchtet und zum wiederholten Mal die Folgen des Krieges in Syrien für die Innere Sicherheit aus Sicht des Verfassungsschutzes aufgezeigt. Die Darstellung einiger aktueller Sicherheitsvorfälle und Informationen aus dem Bereich des Wirtschaftsschutzes gehören stets als feste Bestandteile zum Programm. Das Phänomen der Outlaw-Motorcycle-Gangs, die Zerschlagung der Botnetz168 -Infrastruktur "Avalanche" und ausländische Kapitalbeteiligungen bei geheimschutzbetreuten Unternehmen waren weitere behandelte Themen. Diverse Vorträge zur IT-Sicherheit rundeten die Veranstaltung ab. 168 Mit Bot (von englisch: robot, Roboter) ist ein Schadprogramm gemeint, das ferngesteuert auf einem PC arbeitet. Von Botnetzen spricht man dann, wenn sehr viele PCs per Fernsteuerung zusammengeschlossen und zu bestimmten Aktionen missbraucht werden (siehe Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik). 292 Wirtschaftsschutz 10.5 16. Wirtschaftsschutztagung des Niedersächsischen Verfassungsschutzes Am 06.11.2017 fand die diesjährige Wirtschaftsschutztagung in Langenhagen statt. Der Teilnehmerkreis erstreckte sich bei dieser gemeinsam mit dem Niedersächsischen Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr durchgeführten Veranstaltung auf über 300 Vertreterinnen und Vertreter größtenteils niedersächsischer Unternehmen. Es waren auch Teilnehmerinnen und Teilnehmer anderer Sicherheitsbehörden sowie Angehörige des niederländischen Partnerdienstes anwesend. Keynotes der Verfassungsschutzpräsidentin Maren Brandenburger und des Abteilungsleiters im Niedersächsischen Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr Ralf Borchers eröffneten die Tagung. Beide Vorträge stellten besonders heraus, dass neue Möglichkeiten auch neue Risiken bedeuteten, die es zu vermeiden gelte. Zudem sei es wichtig, sich gegenseitig zu unterstützen, zusammenzuarbeiten und auszutauschen. Das Tagungsprogramm präsentierte Möglichkeiten der zunehmenden Digitalisierung besonders für mittelständische Unternehmen. Mit seinem Sicherheitspaket stellte Hannover IT e. V. vor, welche konkreten Hilfestellungen Unternehmen im Schadensfall an die Hand gegeben werden können. Eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft berichtete über Cybercrime aus ihrer Sicht und ein Firmenvertreter stellte die praktische Umsetzung der Digitalisierung in seinem Unternehmen dar. Darüber hinaus gab es Einblicke in die Umsetzung eines Informationssicherheitsmanagementsystems (ISMS) innerhalb eines Weltkonzerns. Schließlich wurde die Komplexität elektronischer Angriffe skizziert sowie effektive Schutzmaßnahmen dagegen aufgezeigt. Die Wirtschaftsschutztagung dient nicht nur als Kommunikationsund Informationsforum für Wirtschaftsunternehmen. Viele Teilnehmer schätzen auch die Möglichkeit, sich untereinander zu vernetzen und Kontakt zu Vertretern des Verfassungsschutzes zu erhalten. 293 Wirtschaftsschutz 10.6 Messen CeBIT Der Niedersächsische Verfassungsschutz beteiligte sich vom 20. bis zum 24.03.2017 an dem Gemeinschaftsstand des Landes Niedersachsen auf der CeBIT in Hannover. Insgesamt 18 Aussteller präsentierten unter dem Motto "Innovationsland Niedersachsen" Lösungen unter anderem für die Internetsicherheit. Der Niedersächsische Verfassungsschutz stellte sein Beratungsangebot zu den Themen Wirtschaftsund Industriespionage, Knowhow-Schutz sowie der Cybersicherheit unter Einbeziehung von Industrie 4.0 vor. Besonderes Augenmerk lag auf dem Problem der Informationssicherheit. Ein Schwerpunkt des Informationsbedarfes lag bei den elektronischen Angriffen auf Netzwerke von Behörden und Wirtschaftsunternehmen. Den Besucherinnen und Besuchern wurde anhand von Fallbeispielen veranschaulicht, wie öffentliche und nicht-öffentliche Bereiche von diesem Phänomen betroffen sein können. 10.7 Kontaktdaten Für Fragen steht der Arbeitsbereich Wirtschaftsschutz beim Verfassungsschutz unter folgenden Kontaktdaten zur Verfügung Telefon: 0511/6709-247 oder -248 Telefax: 0511/6709-393 E-Mail: wirtschaftsschutz@verfassungsschutz.niedersachsen.de Internet: www.verfassungsschutz.niedersachsen.de 294 Wirtschaftsschutz 295 11 Politisch motivierte Kriminalität (PMK) Politisch motivierte Kriminalität (PMK) 11.1 Politisch motivierte Kriminalität169 (PMK) - Vorbemerkung Die Politisch motivierte Kriminalität wird seit dem Jahr 2001 durch die Polizei auf Grundlage des durch einen Beschluss der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder eingeführten "Kriminalpolizeilichen Meldedienst in Fällen Politisch motivierter Kriminalität (KPMD-PMK)" erfasst, um eine bundeseinheitliche und differenzierte Auswertung und Lagedarstellung zu ermöglichen. Meldepflichtig sind alle politisch motivierten Straftaten (Fälle) gemäß den Richtlinien des KPMD-PMK. Dazu zählen "echte Staatsschutzdelikte" (SSSS 80a-83, 84-86a, 87-91, 94-100a, 102-, 104a, 105-108e, 109-109h, 129a, 129b, 234a oder 241a StGB sowie des VStGB) sowie Delikte der allgemeinen Kriminalität, die gemäß Definitionssystem der PMK zuzuordnen sind ("unechte Staatsschutzdelikte"). Den Letztgenannten werden Fälle zugeordnet, wenn in Würdigung der Umstände der Tat und/oder der Einstellung des Täters Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie nach verständiger Betrachtung politisch motiviert waren, ohne dass die Tat bereits die Außerkraftsetzung oder Abschaffung eines Elementes der freiheitlichen demokratischen Grundordnung (Extremismus) zum Ziel haben muss. Darüber hinaus werden zudem die Tatbestände der "echten Staatsschutzdelikte" erfasst, selbst wenn im Einzelfall keine politische Motivation festgestellt werden kann. Die extremistische Kriminalität, welche in den Berichten der Verfassungsschutzbehörden dargestellt wird, bildet einen Teilbereich der Politisch motivierten Kriminalität ab und umfasst Straftaten, bei denen tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind. Ebenfalls hinzugerechnet werden Straftaten, die durch Anwendung von Gewalt oder durch darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden oder sich gegen die Völkerverständigung richten. 169 Der PMK werden Straftaten zugeordnet, wenn in Würdigung der Umstände der Tat und/ oder der Einstellung des Täters Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie den demokratischen Willensbildungsprozess beeinflussen sollen, sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung richten, durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden oder sich gegen eine Person, insbesondere aufgrund ihrer politischen Einstellung, Nationalität, Volkszugehörigkeit, Rasse, Hautfarbe, Religion, Weltanschauung oder Herkunft richten und die Tathandlung damit im Kausalzusammenhang steht. 298 Politisch motivierte Kriminalität (PMK) Im Rahmen des KPMD-PMK erfolgt unverzüglich bei Aufnahme der Ermittlungen durch die örtlichen zuständigen Dienststellen des polizeilichen Staatsschutzes eine erste eigene Bewertung, ob eine Straftat einen extremistischen Hintergrund hat und welchem Phänomenbereich sie zuzuordnen ist. Hierbei orientiert sich die Bewertung am Extremismusbegriff der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder (vgl. SS 3 Absatz 1 NVerfSchG) sowie dazu vorhandener Rechtsprechung. Diese erste Einschätzung übermitteln die Staatsschutzdienststellen als "Kriminaltaktische Anfrage in Fällen Politisch motivierter Kriminalität (KTA-PMK)" unverzüglich dem Landeskriminalamt Niedersachsen. Soweit eine Straftat als "extremistisch" bewertet wird, oder ein diesbezüglicher "Zweifelsfall" erkannt wird, ergeht die KTA-PMK auch an die Verfassungsschutzbehörde. Sofern sich im Verlauf des Verfahrens neue Erkenntnisse ergeben, nach denen die erste Einstufung zu revidieren ist sowie bei Abschluss der Ermittlungen und bei Abgabe an die Staatsanwaltschaft erhält die Verfassungsschutzbehörde weitere KTA-PMK-Meldungen zum jeweiligen Sachverhalt. Durch die Verfassungsschutzbehörde, der die endgültige Entscheidung über die Einstufung als extremistische Tat obliegt, erfolgt ein Abgleich der KTA-PMK mit den dort vorliegenden Erkenntnissen. Kommt diese zu einer gegenteiligen Bewertung, teilt sie dies der zuständigen Polizeidienststelle mit, die daraufhin in den polizeilichen Auskunftssystemen eine Änderung der Einstufung der entsprechenden Taten veranlasst. Die auf diese Weise zwischen Polizei und Verfassungsschutz abgestimmten, bei der Polizei gespeicherten Bewertungen zur PMK spiegeln damit den jeweils aktuell gegebenen Ermittlungsstand, auch in Bezug auf die Melde-/Bewertungskriterien wider. Für die Darstellung der PMK-Jahreslage in Bund und Ländern wird - von der Auswertung der tagesaktuellen Datensätze abweichend - einheitlich der zum 31. Januar des Folgejahres gegebene Datenbestand herangezogen. Diese Fallzahlen sind in Niedersachsen zugleich auch die Grundlage für die statistische Zulieferung der Fälle extremistisch motivierter Kriminalität von der Polizei an den Verfassungsschutz zur Erstellung des Verfassungsschutzberichtes. Insofern sind die statistischen Daten, die die Grundlage für das Zahlenmaterial in den Verfassungsschutzberichten darstellen, zwischen Polizei und Verfassungsschutzbehörde abgestimmt. 299 Politisch motivierte Kriminalität (PMK) Zum 01.01.2017 wurde der bisherige Phänomenbereich "Politisch motivierte Ausländerkriminalität" in die neuen Phänomenbereiche "ausländische Ideologie" und "religiöse Ideologie" aufgeteilt. Im Bereich "religiöse Ideologie" wurden bisher lediglich Delikte aus dem Bereich "Islamismus" erfasst. Zurzeit ist ein direkter Vergleich der Vorjahreszahlen ("Politisch motivierte Ausländerkriminalität") mit der Summe der Fallzahlen der beiden neuen Phänomenbereiche noch möglich. 11.2 Politisch motivierte Kriminalität170 (PMK) mit extremistischem Hintergrund - rechts Die Gesamtzahl der erfassten Straftaten im Phänomenbereich PMK -rechtsbetrug für das Jahr 2017 1.343 (2016: 1.827 Fälle) Delikte, von denen im Berichtsjahr 1.245 einen rechtsextremistisch motivierten Hintergrund hatten. Gegenüber dem Vorjahr, in dem 1.658 rechtsextremistische Straftaten verübt wurden, bedeutet dies einen Rückgang um 24,91 Prozent. Die extremistischen Propagandadelikte dieses Phänomenbereichs bildeten dabei mit 811 Taten weiterhin den Schwerpunkt, wobei die Anzahl der Fälle gegenüber dem Jahr 2016 (993 Fälle) ebenfalls rückläufig war. Die Anzahl der extremistischen Gewaltdelikte sank mit 43 Fällen im Vergleich zum Vorjahr um 59 Fälle bzw. -57,84 Prozent. Von den 43 Gewaltdelikten entfielen 32 Taten auf Körperverletzungsdelikte. Bei den Gewaltdelikten war ein starker Rückgang zu verzeichnen. Dieser Rückgang erklärt sich durch die im Laufe des Berichtsjahres abgenommene Anzahl durchgeführter rechtsextremistischer Versammlungen. Die begangenen Gewaltdelikte wurden häufig im Rahmen von Rechts-/Links-Konfrontationen verzeichnet, die überwiegend von den Teilnehmern der Gegenveranstaltungen ausgingen. Sie waren somit eine Reaktion und Wechselwirkung mit Links. Im Bereich der sonstigen extremistischen Straftaten dieses Phäno170 Siehe Fußnote 169. 300 Politisch motivierte Kriminalität (PMK) menbereiches war analog ein Rückgang von 1.556 Taten (2016) auf 1.202 Taten (2017) festzustellen. Dies entspricht einem Minus von 32,75 Prozent. Der Trend, dass rechtsextreme Gruppierungen mit hierarchischen Strukturen an Bedeutung verloren haben, setzte sich auch im Berichtszeitraum weiter fort. Überwiegend traten lose Gruppierungen mit einem kleinen, wenige Personen umfassenden Kern, bzw. in Form sogenannter "Aktionsgruppen" in Erscheinung. Die Ausnahmen von der eingangs aufgestellten These bildeten die "Volksbewegung Niedersachsen" und das "Kollektiv Nordharz". Die Mitglieder kommen hauptsächlich aus dem Bereich Göttingen, Duderstadt, Northeim und dem östlichen Niedersachsen. Durch die "Volksbewegung Niedersachsen" und das "Kollektiv Nordharz" wurden im Berichtsjahr stationäre oder sich fortbewegende Versammlungen durchgeführt, in Folge derer es auch vereinzelt zu Auseinandersetzungen mit dem politischen Gegner kam. Die Anzahl der Volksverhetzungen ging auf 204 Fälle zurück (2016: 304 Fälle). In Niedersachsen konnten im Phänomenbereich "PMK-rechts" für den Berichtszeitraum 19 Angriffe im Zusammenhang mit Asylunterkünften festgestellt werden (2016: 70 Fälle), wovon bei 16 Delikten (2016: 65 Fälle) von einem rechtsextremistisch motivierten Hintergrund auszugehen war. Den Großteil der rechtsextremistisch motivierten Taten gegen Asylunterkünfte machten sieben Sachbeschädigungen (2016: 18 Fälle) und sechs Fälle der Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen (2016: 22 Fälle) aus. Im Berichtsjahr kam es in Niedersachsen zu keiner einfachen (2016: fünf Fälle) und einer schweren Brandstiftung (2016: zwei Fälle) im Zusammenhang mit Flüchtlingsunterkünften. Der Zenit der verübten Taten befand sich Ende des Jahres 2015. Anschließend war ein Rückgang festzustellen, der sich im Jahr 2017 fortsetzte. Nach bisherigem Erkenntnisstand handelte es sich bei den Angriffen auf Flüchtlingsunterkünfte meist um lokal organisierte Agitationen, die keinen Rückschluss auf landesweit gesteuerte Strategien zulassen. Die Intensität und Quantität entsprechender Aktionen standen in starker Abhängigkeit zu den organisatorischen Möglichkeiten der jeweiligen örtlich handelnden Personen. 301 Politisch motivierte Kriminalität (PMK) Konkrete Hinweise auf organisationsgesteuerte Gewaltstraftaten in Form von angeordneter oder gezielt gelenkter Delinquenz durch rechtsextremistische Parteien oder entsprechende Strukturen gegen Asylbewerber und deren Unterkünfte liegen bislang nicht vor. Die Motive dürften hierbei im persönlichen bzw. individuellen Bereich und nicht in der Umsetzung von konstituierten Organisationszielen oder organisationsinternen Auftragslagen gelegen haben. Für das Jahr 2017 wurde ein Terrorismusdelikt (SS 129a StGB) erfasst. Die Ermittlungen in diesem Fall dauern noch an. Dennoch bestehen in Niedersachsen bisher keine Anzeichen für rechtsterroristische Strukturen. Übersicht der Gewalttaten und sonstigen Straftaten mit extremistischem Hintergrund aus dem Bereich "Politisch motivierte Kriminalität - rechts" in Niedersachsen171 Gewalttaten: 2016 2017 Terrorismusdelikte ( SS 129a StGB) 0 1 Tötungsdelikte 0 0 Versuchte Tötungsdelikte 0 1 Körperverletzungen 78 32 Brandstiftungen 15 4 Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion 3 0 Landfriedensbrüche 0 0 Gefährl. Eingriffe in Bahn-, Luft-, Schiffsund Straßenverkehr 1 0 Freiheitsberaubung 0 0 Raub 0 0 Erpressung 1 1 Widerstandsdelikte 4 4 Insgesamt 102 43 171 Die Zahlen basieren auf Angaben des Landeskriminalamtes Niedersachsen (LKA NI). Die Darstellung der niedersächsischen Fallzahlen in Übersichten des Bundes kann davon abweichen, da das LKA NI eine so genannte "lebende Statistik" führt. Um die ständige Aktualität der Statistik sicherzustellen, werden dabei ggf. Nacherfassungen/Aktualisierungen auch für Vorjahre vorgenommen, so dass der Zahlenbestand Veränderungen unterliegen 302 kann. Politisch motivierte Kriminalität (PMK) Sonstige Straftaten: Sachbeschädigungen 86 61 Nötigungen/Bedrohungen 22 25 Propagandadelikte 993 811 Störung der Totenruhe 0 0 Andere Straftaten (davon Volksverhetzung) 455 (304) 305 (204) Insgesamt 1.556 1.202 Straftaten insgesamt 1.658 1.245 11.3 Politisch motivierte Kriminalität172 (PMK) mit extremistischem Hintergrund - links Im Phänomenbereich PMK -linkswurden im Jahr 2017 in Niedersachsen 580 Straftaten insgesamt registriert (2016: 1.195). Straftatenauslösende Ereignisse waren insbesondere das Versammlungsgeschehen und die Links-/Rechts-Konfrontation in Göttingen, der Bundesparteitag der Partei "Alternative für Deutschland" (AfD) in Hannover, die Teilnahme rechtsextremistischer sowie rechtspopulistischer Parteien an den Bundestagswahlen sowie an den Landtagswahlen in Niedersachsen und das G20-Gipfeltreffen in Hamburg. Von den 580 Straftaten des Gesamtstraftatenaufkommens der PMK -linkswurden 249 Fälle als extremistisch eingestuft. Im Vorjahr lag der Anteil bei 603 Fällen (Rückgang um 58,7 Prozent). Damit gingen die extremistisch eingestuften Fälle stärker zurück als die PMK-Delikte, die sich um 51,46 Prozent verringerten. In der Extremismusbewertung gab es einen anteiligen Rückgang von 50,46 auf 42,93 Prozent. Bei 51 der linksextremistischen Straftaten handelte es sich um Fälle von Gewaltkriminalität. Dabei überwogen mit 32 Nennungen die Körperverletzungen. Diese richteten sich meist gegen Polizeibeamte und gegen politische Gegner aus dem rechtsextremistischen bzw. 172 Siehe Fußnote 169. 303 Politisch motivierte Kriminalität (PMK) rechtspopulistischen Spektrum. Körperverletzungen gegen Polizeibeamte ereigneten sich fast ausschließlich im Rahmen von Versammlungsgeschehen unter anderem bei linksextremistischen Aktionen gegen Versammlungen der "Volksbewegung Niedersachsen" (bis zur offiziellen Auflösung am 08.05.2017 "Freundeskreis Thüringen/ Niedersachsen") im Raum Göttingen und gegen den Bundesparteitag der Partei "Alternative für Deutschland" (AfD) in Hannover. Körperverletzungen gegen politische Gegner aus dem rechtsextremistischen Spektrum waren überwiegend anlässlich linksextremistischer Gegenaktionen aus Anlass von Versammlungen des rechtsextremistischen bzw. rechtspopulistischen Spektrums zu verzeichnen. Ebenso erfolgten sie bei zufälligen oder gesuchten Begegnungen auf der Straße. Mit 130 Erfassungen machten Sachbeschädigungen den weitaus größten Anteil der sonstigen extremistischen Straftaten aus. Bei den Sachbeschädigungen handelte es sich überwiegend um Farbschmierereien mit antifaschistischen Inhalten. 185 linksextremistische Straftaten wurden dem Themenfeld "Antifaschismus" zugeordnet und in 128 Fällen das Themenfeld "Konfrontation gegen rechts" benannt. Die Gründe hierfür waren insbesondere die Teilnahme rechtsextremistischer sowie rechtspopulistischer Parteien an den Bundestagsund Landtagswahlen in Niedersachsen, die der Links-/Rechts-Konfrontation im Raum Göttingen und die Durchführung des Bundesparteitages der Partei "Alternative für Deutschland" (AfD) in Hannover. 2017 wurden im Bereich der PMK -linkssechs extremistische Branddelikte (Vorjahr zwölf) begangen. Der Rückgang ist in erster Linie auf die rückläufige Tendenz in der Links-/Rechts-Konfrontation im Raum Göttingen zurückzuführen. Dort erfolgte nur noch eine Brandstiftung im Rahmen der 2015 begonnenen Tatserie von Brandanschlägen gegen Kraftfahrzeuge von Personen der rechtsextremistischen Szene. Zwei Brandanschläge standen im Zusammenhang mit dem G20-Gipfel in Hamburg, wobei ein Tatort in unmittelbarer Nähe zu Hamburg lag und eine Tat Teil einer bundesweiten Tatserie war. 304 Politisch motivierte Kriminalität (PMK) Übersicht der Gewalttaten und sonstigen Straftaten mit extremistischem Hintergrund aus dem Bereich "Politisch motivierte Kriminalität - links" in Niedersachsen173 Gewalttaten: 2016 2017 Tötungsdelikte 0 0 Versuchte Tötungsdelikte 0 0 Körperverletzungen 78 32 Brandstiftungen 12 6 Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion 0 0 Landfriedensbrüche 16 3 Gefährl. Eingriffe in Bahn-, Luft-, Schiffsoder Straßenverkehr 6 0 Freiheitsberaubung 0 0 Raub 2 1 Erpressung 0 0 Widerstandsdelikte 11 9 Sonstige Delikte 0 0 Insgesamt 125 51 Sonstige Straftaten: Sachbeschädigungen 274 130 Nötigungen/Bedrohungen 8 7 Diebstahl 149 5 Andere Straftaten 47 56 Insgesamt 478 198 Straftaten insgesamt 603 249 173 Die Zahlen basieren auf Angaben des Landeskriminalamtes Niedersachsen (LKA NI). Die Darstellung der niedersächsischen Fallzahlen in Übersichten des Bundes kann davon abweichen, da das LKA NI eine so genannte "lebende Statistik" führt. Um die ständige Aktualität der Statistik sicherzustellen, werden dabei ggf. Nacherfassungen/Aktualisierungen auch für Vorjahre vorgenommen, so dass der Zahlenbestand Veränderungen unterliegen kann. 305 Politisch motivierte Kriminalität (PMK) 11.4 Politisch motivierte Kriminalität174 (PMK) mit extremistischem Hintergrund - ausländische Ideologie und religiöse Ideologie Die Gesamtzahl der erfassten Straftaten betrug 265 Fälle für 2017 gegenüber 587 Delikten im Jahr 2016 (Rückgang um 56,86 Prozent). Als extremistisch motivierte Taten wurden insgesamt 218 Straftaten für das Jahr 2017 (2016: 529 Fälle) erfasst. Dies bedeutete einen Rückgang um 311 Delikte (58,79 Prozent). Von der Gesamtzahl entfielen 181 Delikte auf den Phänomenbereich "ausländische Ideologie" und 37 Fälle auf den Bereich "religiöse Ideologie". Im Phänomenbereich "ausländische Ideologie" traten mit einem Anteil von ca. 73,48 Prozent (133 Straftaten), wie auch in den Jahren zuvor, die Verstöße nach SS 20 Vereinsgesetz besonders hervor. Diese sind von 368 Fällen (2016) auf 133 Fälle in 2017 gefallen. Der Rückgang ist zu einem wesentlichen Anteil darauf zurückzuführen, dass die europaweite "Newroz Feier 2017" (kurdisches Neujahrsfest "Newroz") im Berichtsjahr nicht in Niedersachsen stattgefunden hat. Anlässlich dieser Veranstaltung war im Jahr 2016 in Hannover ein massives Straftatenaufkommen zu verzeichnen. Für das Jahr 2017 wurden insgesamt 20 Terrorismusdelikte festgestellt, davon entfielen 15 Verfahren auf den Phänomenbereich "religiöse Ideologie" und fünf Verfahren auf den Bereich "ausländische Ideologie". In Niedersachsen wurden von den 20 Ermittlungsverfahren gem. SSSS 89a, b oder c bzw. 129 a und b StGB 18 als extremistisch eingestuft. Diese verteilten sich wie folgt: Acht Verfahren gem. SS 129b StGB, davon sieben Verfahren aus dem Phänomenbereich "religiöse Ideologie" und eines mit PKK-Bezug. Zehn Verfahren wurden gemäß SSSS 89a, b, c StGB geführt, davon sechs Verfahren aus dem Phänomenbereich "religiöse Ideologie" und vier aus dem Bereich "ausländische Ideologie". Im Februar 2017 wurde eine Person im Bereich Northeim festgenommen, die bereits über diverse Bauteile und chemische Substanzen zur Herstellung einer Sprengvorrichtung verfügte. Nach Abschluss 174 Siehe Fußnote 169. 306 Politisch motivierte Kriminalität (PMK) der polizeilichen Ermittlungen wurde der Angeklagte im Dezember durch das Landgericht Braunschweig wegen der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat sowie des vorsätzlichen unerlaubten Umgangs mit explosionsgefährlichen Stoffen zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und drei Monaten verurteilt Im Berichtszeitraum ereigneten sich 13 Gewaltdelikte mit extremistischem Hintergrund (2016: 22). Diese gliedern sich wie folgt auf: f "ausländische Ideologie": acht Körperverletzungen, eine Erpressung, f "religiöse Ideologie": drei Körperverletzungen, eine Brandstiftung. Übersicht der Gewalttaten und sonstigen Straftaten mit extremistischem Hintergrund aus dem Bereich "Politisch motivierte Ausländerkriminalität" in Niedersachsen175 Gewalttaten: 2016 2017 ausreligiöse ländische Ideologie Ideologie Terrorismusdelikte 35 5 13 (SSSS 89a,b,c, 129a,b StGB sowie Katalogtaten) Tötungsdelikte 0 0 0 Versuchte Tötungsdelikte 2 0 0 Körperverletzungen 18 8 3 Brandstiftungen 1 0 1 Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion 0 0 0 Landfriedensbrüche 0 0 0 Gefährl. Eingriffe in Bahn-, Luft-, Schiffs- 0 0 0 oder Straßenverkehr 175 Die Zahlen basieren auf Angaben des Landeskriminalamtes Niedersachsen (LKA NI). Die Darstellung der niedersächsischen Fallzahlen in Übersichten des Bundes kann davon abweichen, da das LKA NI eine so genannte "lebende Statistik" führt. Um die ständige Aktualität der Statistik sicherzustellen, werden dabei ggf. Nacherfassungen/Aktualisierungen auch für Vorjahre vorgenommen, so dass der Zahlenbestand Veränderungen unterliegen kann. 307 Politisch motivierte Kriminalität (PMK) Freiheitsberaubung 1 0 0 Raub 0 0 0 Erpressung 0 1 0 Widerstandsdelikte 0 0 0 Gewalttaten / Terrorismusdelikte insgesamt 57 14 17 Sonstige Straftaten: Sachbeschädigungen 55 18 2 Nötigungen/Bedrohungen 7 4 2 Andere Straftaten (davon SS 20 VereinsG176) 410 (378) 145 (133) 16 (4) Insgesamt 472 167 20 Straftaten insgesamt 529 181 37 176 Zuwiderhandlungen gegen (Vereins-) Verbote. 308 Politisch motivierte Kriminalität (PMK) 309 12 Anhang Anhang 12.1 Definition der Arbeitsbegriffe Extremismus Die Verfassungsschutzbehörden unterscheiden zwischen "Extremismus" und "Radikalismus", obwohl beide Begriffe oft synonym gebraucht werden. Bei "Radikalismus" handelt es sich um eine überspitzte, zum Extremen neigende Denkund Handlungsweise, die gesellschaftliche Probleme und Konflikte bereits "von der Wurzel (lat. radix) her" anpacken will. Im Unterschied zum "Extremismus" sollen jedoch weder der demokratische Verfassungsstaat noch die damit verbundenen Grundprinzipien unserer Verfassungsordnung beseitigt werden. So sind z. B. Kapitalismuskritiker, die grundsätzliche Zweifel an der Struktur unserer Wirtschaftsund Gesellschaftsordnung äußern und sie von Grund auf verändern wollen, noch keine Extremisten. Radikale politische Auffassungen haben in unserer pluralistischen Gesellschaftsordnung ihren legitimen Platz. Auch wer seine radikalen Zielvorstellungen realisieren will, muss nicht befürchten, dass er vom Verfassungsschutz beobachtet wird, jedenfalls nicht, solange er die Grundprinzipien unserer Verfassungsordnung anerkennt. Als extremistisch werden dagegen die Aktivitäten bezeichnet, die darauf abzielen, die Grundwerte der freiheitlichen Demokratie zu beseitigen. Extremismus mit Auslandsbezug Extremistische Ausländerorganisationen verfolgen in Deutschland Ziele, die häufig durch aktuelle Ereignisse und politische Entwicklungen in ihren Heimatländern bestimmt sind. Entsprechend ihrer politischen Ausrichtung handelt es sich dabei zum Beispiel um linksextremistische Organisationen, soweit sie in ihren Heimatländern ein sozialistisches bzw. kommunistisches Herrschaftssystem anstreben oder um nationalistische Organisationen, die ein überhöhtes Selbstverständnis von der eigenen Nation haben und die Rechte anderer Völker missachten. Daneben gibt es separatistische Organisationen, die eine Loslösung ihres Herkunftsgebietes aus einem bereits bestehenden Staatsgebilde und die Schaffung eines eigenen Staates verfolgen. Die größte von den Verfassungsschutzbehörden beobachtet ausländerextremistische Organisation in Deutschland ist nach wie vor die unter der Bezeichnung PKK be312 Anhang kannte Arbeiterpartei Kurdistans. Derartige Organisationen unterliegen der Beobachtung durch die Verfassungsschutzbehörden, wenn: f sie sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland richten, indem sie hier z. B. versuchen, eine ihren Grundsätzen entsprechende Parallelgesellschaft zu errichten, f sie ihre politischen Auseinandersetzungen mit Gewalt auf deutschem Boden austragen und dadurch die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gefährden, f sie vom Bundesgebiet aus Gewaltaktionen in anderen Staaten durchführen oder unterstützen und dadurch auswärtige Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zu diesen Staaten gefährden, f sich ihre Aktivitäten gegen den Gedanken der Völkerverständigung, insbesondere das friedliche Zusammenleben der Völker, richten. Islamismus Der Begriff des Islamismus bezeichnet eine religiös motivierte Form des politischen Extremismus. Islamisten sehen in den Schriften und Geboten des Islams nicht nur Regeln für die Ausübung der Religion, sondern auch Handlungsanweisungen für eine islamistische Staatsund Gesellschaftsordnung. Ein Grundgedanke dieser islamistischen Ideologie ist die Behauptung, alle Staatsgewalt könne ausschließlich von Gott (Allah) ausgehen. Damit richten sich islamistische Bestrebungen gegen die Wertvorstellungen des Grundgesetzes, insbesondere gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung. Islamisten halten die Etablierung einer islamischen Gesellschaftsordnung für unabdingbar. Dieser Ordnung sollen letztlich sowohl Muslime als auch Nicht-Muslime unterworfen werden. Islamistische Organisationen - mit Ausnahme islamistisch-terroristischer Organisationen - lassen sich grob in zwei Kategorien einteilen: f Organisationen, die in ihren Herkunftsländern die konsequente Umgestaltung der bestehenden Staatsund Gesellschaftsordnungen nach ihrem Verständnis der islamischen Rechtsordnung (Scharia) anstreben. In Deutschland liegt ihr Schwerpunkt auf propagandistischen Aktivitäten sowie der Sammlung von Spendengeldern, um die Mutterorganisationen in den Herkunftsländern zu unterstützen. 313 Anhang f Andere islamistische Gruppierungen in Deutschland verfolgen eine umfassendere, auch politisch motivierte Strategie. Auch sie streben eine Änderung der Staatsund Gesellschaftsordnung in ihren Herkunftsländern zugunsten eines islamischen Staatswesens an. Sie bemühen sich jedoch im Rahmen einer legalistischen Strategie, ihren Anhängern in Deutschland größere Freiräume für ein Scharia konformes Leben zu schaffen. Linksextremismus Mit dem Arbeitsbegriff werden die linksextremistischen verfassungsfeindlichen Bestrebungen von deutschen Personenzusammenschlüssen bezeichnet, die sich auf der Grundlage einer marxistisch-leninistischen, revolutionär-marxistischen oder anarchistischen Ideologie in Deutschland gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung und ihre tragenden Grundsätze richten. Für Linksextremisten vielfach kennzeichnend ist ein grundsätzliches Bekenntnis zur "revolutionären Gewalt", obgleich sie tagespolitisch auf "legale" Kampfformen setzen. Rechtsextremismus Als rechtsextremistisch werden von den Verfassungsschutzbehörden alle verfassungsfeindlichen oder extremistischen Bestrebungen bezeichnet, die auf der ideologischen Grundlage einer nationalistischen oder rassistischen Weltanschauung in Deutschland von deutschen Personenzusammenschlüssen ausgehen und sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung richten. Rechtsextremistischem Denken liegt vielfach die Vorstellung menschlicher Ungleichwertigkeit (Ideologie der Ungleichheit) zugrunde. Rechtsbzw. Linksextremismus Bis 1974 wurden die Begriffe "Extremismus" sowie "Radikalismus" bzw. "Rechtsoder Linksradikalismus" von den Verfassungsschutzbehörden nebeneinander als Synonyme zur Kennzeichnung verfassungsfeindlicher Bestrebungen verwendet. Der Radikalismusbegriff wird seitdem von den Verfassungsschutzbehörden nicht mehr für verfassungsfeindliche Bestrebungen benutzt, da er in der politischen Tradition der Aufklärung positiv besetzt ist und im Rechtssinne nur der Extremismusbegriff "der Tatsache Rechnung (trägt), dass politische Aktivitäten oder Organisationen nicht schon deshalb 314 Anhang verfassungsfeindlich sind, weil sie eine ... 'radikale', das heißt eine bis an die Wurzel einer Fragestellung gehende Zielsetzung haben. Sie sind 'extremistisch' und damit verfassungsfeindlich im Rechtssinne nur dann, wenn sie sich gegen den ... Grundbestand unserer freiheitlichen rechtsstaatlichen Verfassung richten." (Verfassungsschutzbericht des Bundesinnenministeriums 1974, S. 4). Wenn die Verfassungsschutzbehörden überhaupt noch den Terminus "rechtsbzw. linksradikal" verwenden, werden damit in Abgrenzung zu dem verfassungsfeindlichen Rechtsbzw. Linksextremismus politische Aktivitäten und Zielsetzungen bezeichnet, die sich (noch) nicht gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung mit dem Ziel einer revolutionären Systemüberwindung richten. Salafismus Der Ausdruck Salafismus (arab. Salafiyya) bezeichnet jene islamistischen Strömungen, die sich ganz auf das Vorbild der Altvorderen (arab. salaf, "Vorfahre") ausrichten. Nur die Quellen aus der Frühzeit des Islams, Koran und Sunna, sind für Salafisten von Bedeutung. Alle islamischen Lehrsätze, die die Gelehrten in den Jahrhunderten nach dem Tod Muhammads entwickelt haben, lehnen sie als unislamisch ab. Der wesentliche Unterschied des Salafismus zu den übrigen islamistischen Positionen liegt darin begründet, dass die Salafisten ausschließlich Handlungen und Anschauungen des Propheten und seiner muslimischen Zeitgenossen, so wie es die islamische Tradition überliefert, als vorbildhaft für alle Zeiten ansehen. Es ist ihr Ansinnen, die sozialen und gesellschaftlichen Verhältnisse, die im 7. Jahrhundert auf der Arabischen Halbinsel galten, auf die gesamte moderne Menschheit zu übertragen. Das schließt z. B. auch die Verheiratung neunjähriger Mädchen und die Sklaverei ein. Durch einige Salafisten wird auch der Begriff des Jihad betont militant interpretiert. Sie sehen im Jihad primär eine Notwendigkeit zur aktiven Verteidigung des Islams und der Staaten mit überwiegend muslimischer Bevölkerung. Hierbei wird davon ausgegangen, dass die Bedrohung der islamischen Welt von den Staaten der sogenannten westlichen Welt ausgeht. Diese sogenannten jihadistischen Salafisten konstruieren daher eine persönliche Verantwortung eines jeden Muslims, den Jihad im Sinne eines bewaffneten Kampfes gegen die vermeintlichen Gegner des Islams zu praktizieren. Das schließt auch die Durchführung von Terroranschlägen ein. 315 Anhang Spionage Als Spionage wird die Tätigkeit für den Nachrichtendienst einer fremden Macht bezeichnet, die auf die Mitteilung oder Lieferung von Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen gerichtet ist. Die Beschaffung von Informationen, vor allem aus den Bereichen Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Militär, erfolgt zumeist unter Anwendung geheimer Mittel und Methoden. Soweit Spionage gegen die Bundesrepublik Deutschland gerichtet ist, kommt eine Strafbarkeit gemäß SSSS 93 ff. StGB in Betracht. Straftatbestände des StGB mit Verfassungsschutzbezug (Auszug) SS 86 a Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen SS 88 Verfassungsfeindliche Spionage SS 89a Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat SS 89b Aufnahme von Beziehungen zur Begehung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat SS 89 c Terrorismusfinanzierung SS 129a Bildung terroristischer Vereinigungen SS 129b Kriminelle und terroristische Vereinigungen im Ausland; Einziehung SS 130 Volksverhetzung Terrorismus Terrorismus ist nach der Definition der Verfassungsschutzbehörden der nachhaltig geführte Kampf für politische Ziele, die mit Hilfe von Anschlägen auf Leib, Leben und Eigentum anderer Menschen durchgesetzt werden sollen, insbesondere durch schwere Straftaten, wie sie in SS 129a Abs. 1 StGB genannt sind, oder durch andere Straftaten, die zur Vorbereitung solcher Straftaten dienen. Verfassungsfeindliche / extremistische Bestrebungen Verfassungsfeindlich (= extremistisch) sind politische Aktivitäten, die gegen die verfassungsmäßige Ordnung gerichtet sind und darauf abzielen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beseitigen. Verfassungswidrig ist umgangssprachlich häufig synonym mit "verfassungsfeindlich" zu finden. Über die Frage der Verfassungswid316 Anhang rigkeit einer Partei entscheidet das Bundesverfassungsgericht (Art. 21 Abs. 2 GG; SSSS 13 Nr. 2, 43 ff. BVerfGG). Parteien sind verfassungswidrig, wenn sie nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgerichtet sind, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden. Es genügt nicht, wenn die Partei die freiheitliche demokratische Ordnung nicht anerkennt, sie ablehnt oder ihr andere Prinzipien entgegenhält. Es muss vielmehr eine aktiv-kämpferische, aggressive Haltung gegenüber der bestehenden verfassungsmäßigen Ordnung hinzukommen. Die Organisation muss also planvoll das Funktionieren dieser Ordnung beeinträchtigen und im weiteren Verlauf diese Ordnung selbst beseitigen wollen. Verbot verfassungsfeindlicher Organisationen / Verfassungswidrigkeit Ein Verbot eines Vereins ist nach Art. 9 Abs. 2 GG möglich, wenn der Zweck der Tätigkeit des Vereins den Strafgesetzen zuwiderläuft oder sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richtet. Erst wenn dies durch Verfügung der Verbotsbehörde festgestellt ist, wird nach SS 3 Abs. 1 Vereinsgesetz der Verein als verboten (Art. 9 Abs. 2 GG) behandelt. Ein Vereinsverbot wird durch den Landesbzw. Bundesinnenminister erlassen. Nach Art. 21 Abs. 2 GG sind Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, verfassungswidrig. Über die Frage der Verfassungswidrigkeit entscheidet das Bundesverfassungsgericht (Art. 21 Abs. 2 GG; SSSS 13 Nr. 2, 43 ff. BVerfGG). Die Hürden für ein Parteiverbot sind hoch. In der Bundesrepublik wurden bisher zwei Parteien verboten: 1952 die "Sozialistische Reichspartei" (SRP) und 1956 die "Kommunistische Partei Deutschlands" (KPD). Im Jahr 2003 wurde ein von Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat angestrengtes Verfahren zum Verbot der NPD eingestellt. Laut Bundesverfassungsgericht konnte zum Zeitpunkt der Einleitung des Verbotsverfahrens aufgrund der Beobachtung durch V-Personen 317 Anhang der Verfassungsschutzbehörden, die als Mitglieder in Landesund Bundesvorständen der NPD fungierten, unmittelbar vor und während des Verbotsverfahrens nicht mehr von der Staatsfreiheit der NPD-Führung ausgegangen werden. Am 22.03.2012 wurde bei einer Sondersitzung der Innenministerkonferenz (IMK) Einigung dahingehend erzielt, eine Arbeitsgruppe der Innenministerien zur Materialsammlung in Vorbereitung eines möglichen neuen NPD-Verbotsverfahrens einzurichten. Gleichzeitig erging ein Beschluss, der die Verfassungsschutzbehörden verpflichtete, ggf. bei der NPD vorhandene Quellen auf Vorstandsebene bis zum 02.04.2012 abzuschalten. Auf der Grundlage der durch die Verfassungsschutzbehörden gesammelten Materialien entschieden sich die Innenminister der Länder am 05.12.2012 für einen erneuten Verbotsantrag. Am 14.12.2012 fasste daraufhin der Bundesrat den Beschluss, das Parteiverbotsverfahren anzustrengen. Der von den Innenministern und -senatoren der Bundesländer am 03.12.2013 beim Bundesverfassungsgericht eingereichte Antrag auf Verbot der NPD und ihrer Unterorganisationen wurde am 17.01.2017 vom Zweiten Senat des Gerichts zurückgewiesen (BVerfGE 2 BvB 1/13). Grundlage für den Verbotsantrag waren die durch die Verfassungsschutzbehörden gesammelten Materialien über die NPD, die fortlaufend ergänzt wurden. Im Hinblick auf das gescheiterte Verbotsverfahren im Jahr 2003 wurden dafür alle V-Personen in den Führungsebenen der Partei zurückgezogen. Mit dem einstimmig gefassten Urteil wird der NPD jedoch höchstrichterlich bescheinigt, verfassungsfeindliche Ziele zu verfolgen. Ihr Ziel sei es, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beseitigen, so Gerichtspräsident Andreas Voßkuhle. Allerdings reiche eine verfassungsfeindliche Gesinnung allein für ein Verbot der NPD nicht aus. Die Partei müsse auch das Potenzial haben, ihre Ziele erfolgreich umzusetzen, wie es in der Urteilsbegründung weiter heißt. Das Bundesverfassungsgericht setzt mit dem Urteil einen neuen Maßstab, der von der bisherigen Rechtsprechung zum Parteiverbot abweicht, vor allem zum KPD-Verbot im Jahr 1956. "Anders als im KPD-Urteil kommt nach Auffassung des Senats ein Parteiverbot nur in Betracht, wenn eine Partei über hinreichende Wirkungsmöglichkeiten verfügt, die ein Erreichen der von ihr verfolgten verfassungsfeindlichen Ziele nicht völlig aussichtslos erscheinen lassen, 318 Anhang und wenn sie von diesen Wirkungsmöglichkeiten auch Gebrauch macht", so Voßkuhle. Dies sei bei der NPD aber nicht der Fall177. Solange verfassungsfeindliche Parteien und sonstige Organisationen nicht verboten sind, dürfen sie sich im Rahmen der für alle geltenden Gesetze frei betätigen. Wirtschaftsspionage / Wirtschaftsschutz Unter Wirtschaftsspionage ist die staatlich gelenkte oder gestützte, von fremden Nachrichtendiensten ausgehende Ausforschung von Wirtschaftsunternehmen und Betrieben zu verstehen. Davon abzugrenzen ist die Konkurrenzausspähung, nämlich die Ausforschung, die konkurrierende Unternehmen gegeneinander betreiben. Wirtschaftsschutz ist der präventive Teil der Spionageabwehr und soll dazu dienen, Schäden durch Wirtschaftsspionage und Konkurrenzausspähung in der Wirtschaft zu reduzieren und der Wirtschaft als kompetenter Ansprechpartner für Sicherheitsfragen und -vorfälle zur Verfügung zu stehen. 177 Weitere Ausführungen zum NPD-Verbot siehe Kapitel 2.7. 319 Anhang 12.2 Niedersächsisches Verfassungsschutzgesetz Niedersächsisches Verfassungsschutzgesetz (NVerfSchG) vom 15. September 2016 verkündet als Artikel 1 des Gesetzes zur Neuausrichtung des Verfassungsschutzes im Land Niedersachsen vom 15. September 2016 (Nds. GVBl. S. 194) Inhaltsübersicht Erster Teil Allgemeine Vorschriften SS1 Zweck des Verfassungsschutzes SS2 Zuständigkeit SS3 Aufgaben SS4 Begriffsbestimmungen SS5 Trennungsgebot Zweiter Teil Bestimmung zum Beobachtungsobjekt SS6 Beobachtungsobjekt SS7 Verdachtsobjekt SS8 Verdachtsgewinnung Dritter Teil Befugnisse zur Datenverarbeitung Erstes Kapitel Allgemeine Vorschriften 320 Anhang SS9 Grundsatz der Verhältnismäßigkeit SS 10 Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung SS 11 Überwachung des Brief-, Postund Fernmeldeverkehrs Zweites Kapitel Erhebung und sonstige Kenntnisnahme SS 12 Allgemeine Befugnis zur Datenerhebung SS 13 Erhebung personenbezogener Daten von Minderjährigen SS 14 Nachrichtendienstliche Mittel SS 15 Allgemeine Voraussetzungen für den Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel SS 16 Besondere Voraussetzungen für die Inanspruchnahme von Personen SS 17 Besondere Voraussetzungen für Observationen sowie Bildübertragungen und Bildaufzeichnungen SS 18 Besondere Voraussetzungen für den Einsatz verdeckter Ermittlerinnen und Ermittler SS 19 Besondere Voraussetzungen für den Einsatz bestimmter technischer Mittel SS 20 Besondere Auskunftsverlangen SS 21 Verfahrensvorschriften SS 22 Mitteilung an Betroffene SS 23 Ersuchen und automatisierte Abrufverfahren SS 24 Registereinsicht SS 25 Verpflichtung zur Datenübermittlung an die Verfassungsschutzbehörde Drittes Kapitel Speicherung, Veränderung, Nutzung, Löschung SS 26 Speicherung, Verän-derung und Nutzung personenbezogener Daten, Zweckbindung SS 27 Speicherung, Veränderung und Nutzung personenbezogener Daten zu anderen Zwecken SS 28 Berichtigung, Löschung und Sperrung von personenbezogenen Daten SS 29 Verfahrensbeschreibungen 321 Anhang Viertes Kapitel Auskunft SS 30 Auskunft an Betroffene Fünftes Kapitel Übermittlung SS 31 Übermittlung personenbezogener Daten an Staatsanwaltschaften und Polizeibehörden SS 32 Übermittlung an sonstige Behörden und Stellen SS 33 Aufklärung der Öffentlichkeit, Verfassungsschutzbericht Vierter Teil Parlamentarische Kontrolle SS 34 Ausschuss für Angelegenheiten des Verfassungsschutzes SS 35 Zusammensetzung und Verfahrensweise des Ausschusses SS 36 Unterrichtungspflichten des Fachministeriums SS 37 Aufhebung der Verschwiegenheitspflicht SS 38 Beauftragung einer oder eines Sachverständigen SS 39 Beteiligung der oder des Landesbeauftragten für den Datenschutz SS 40 Berichterstattung des Ausschusses gegenüber dem Landtag Fünfter Teil Schlussvorschriften SS 41 Einschränkung von Grundrechten SS 42 Übergangsvorschrift 322 Anhang Erster Teil SS3 Allgemeine Vorschriften Aufgaben SS1 (1) Aufgabe der Verfassungsschutzbehörde Zweck des Verfassungsschutzes ist die Sammlung und Auswertung von Informationen, insbesondere von sachund Der Verfassungsschutz dient dem Schutz der personenbezogenen Auskünften, Nachrichfreiheitlichen demokratischen Grundordten und Unterlagen, über nung, des Bestandes und der Sicherheit des 1. Bestrebungen, die gegen die freiheitliBundes und der Länder. che demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes SS2 oder eines Landes gerichtet sind oder Zuständigkeit eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane (1) 1Verfassungsschutzbehörde ist das für des Bundes oder eines Landes oder Inneres zuständige Ministerium (Fachminisihrer Mitglieder zum Ziel haben, terium). 2Das Fachministerium unterhält eine 2. sicherheitsgefährdende oder geheimAbteilung, die gesondert von der für die dienstliche Tätigkeiten in der BundesrepuPolizei zuständigen Abteilung ausschließlich blik Deutschland für eine fremde Macht, die der Verfassungsschutzbehörde nach die3. Bestrebungen in der Bundesrepublik sem Gesetz und anderen Rechtsvorschriften Deutschland, die durch Anwendung von obliegenden Aufgaben wahrnimmt (VerfasGewalt oder darauf gerichtete Vorbereisungsschutzabteilung). tungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland (2) 1 Verfassungsschutzbehörden anderer gefährden, Länder dürfen im Land Niedersachsen nur im 4. Bestrebungen, die gegen den Gedanken Einvernehmen mit der Verfassungsschutzbeder Völkerverständigung (Artikel 9 Abs. 2 hörde tätig werden. Ihre Befugnisse bestim- 2 des Grundgesetzes) oder gegen das men sich dabei nach den Vorschriften dieses friedliche Zusammenleben der Völker Gesetzes. (Artikel 26 Abs. 1 des Grundgesetzes) gerichtet sind. (3) Die Verfassungsschutzbehörde darf andere Verfassungsschutzbehörden nicht um (2) 1Die Verfassungsschutzbehörde unterMaßnahmen ersuchen, zu denen sie selbst richtet den Landtag und die Landesregienicht befugt ist. rung über Art und Ausmaß von Bestrebungen und Tätigkeiten nach Absatz 1. 2Die Unterrichtung soll diese Organe in die Lage versetzen, die erforderlichen Maßnahmen zu treffen. 323 Anhang (3) 1Die Verfassungsschutzbehörde klärt Nr. 1, 3 oder 4, wenn sie auf Anwendung die Öffentlichkeit auf der Grundlage ihrer von Gewalt gerichtet oder aufgrund ihrer Auswertungsergebnisse durch zusammenWirkungsweise geeignet sind, ein Schutzgut fassende Berichte und andere Maßnahmen dieses Gesetzes erheblich zu beschädigen. über Bestrebungen und Tätigkeiten nach Absatz 1 auf. 2Sie tritt solchen Bestrebungen (2) Im Sinne des SS 3 Abs. 1 Nr. 1 sind und Tätigkeiten auch durch Angebote zur 1. Bestrebungen gegen den Bestand des Information und zum Ausstieg entgegen. Bundes oder eines Landes: solche, die darauf gerichtet sind, die Freiheit des (4) Die Verfassungsschutzbehörde wirkt mit Bundes oder eines Landes von fremder 1. bei der Sicherheitsüberprüfung von PerHerrschaft aufzuheben, ihre staatliche sonen nach Maßgabe des NiedersächsiEinheit zu beseitigen oder ein zu ihnen schen Sicherheitsüberprüfungsgesetzes, gehörendes Gebiet abzutrennen; 2. bei technischen Sicherheitsmaßnah2. Bestrebungen gegen die Sicherheit des men zum Schutz von im öffentlichen Bundes oder eines Landes: solche, die Interesse geheimhaltungsbedürftigen darauf gerichtet sind, den Bund, Länder Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntoder deren Einrichtungen in ihrer Funktinissen gegen die Kenntnisnahme durch onsfähigkeit erheblich zu beeinträchtigen; Unbefugte, 3. Bestrebungen gegen die freiheitliche 3. bei der Überprüfung von Personen in demokratische Grundordnung: solche, sonstigen gesetzlich vorgesehenen Fällen, die darauf gerichtet sind, einen der in 4. bei einer im öffentlichen Interesse lieAbsatz 3 genannten Verfassungsgrundgenden Überprüfung von Personen mit sätze zu beseitigen oder außer Geltung deren Einverständnis. zu setzen. SS4 (3) Zur freiheitlichen demokratischen GrundBegriffsbestimmungen ordnung im Sinne des SS 3 Abs. 1 Nr. 1 zählen: 1. das Recht des Volkes, die Staatsgewalt in (1) 1Bestrebungen im Sinne des SS 3 Abs. 1 Nrn. Wahlen und Abstimmungen und durch 1, 3 und 4 sind politisch bestimmte, zielund besondere Organe der Gesetzgebung, zweckgerichtete Verhaltensweisen in einem der vollziehenden Gewalt und der Rechtoder für einen Personenzusammenschluss. sprechung auszuüben und die Volksver- 2 Für einen Personenzusammenschluss hantretung in allgemeiner, unmittelbarer, delt, wer ihn in seinen Bestrebungen nachfreier, gleicher und geheimer Wahl zu drücklich unterstützt. 3Verhaltensweisen von wählen, Einzelpersonen, die nicht in einem oder für 2. die Bindung der Gesetzgebung an die einen Personenzusammenschluss handeln, verfassungsmäßige Ordnung und die sind Bestrebungen im Sinne des SS 3 Abs. 1 Bindung der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an Gesetz und Recht, 324 Anhang 3. das Recht auf Bildung und Ausübung Zweiter Teil einer parlamentarischen Opposition, Bestimmung zum Beobachtungsobjekt 4. die Ablösbarkeit der Regierung und ihre Verantwortlichkeit gegenüber SS6 der Volksvertretung, Beobachtungsobjekt 5. die Unabhängigkeit der Gerichte, 6. der Ausschluss jeder Gewaltund (1) 1Beobachtungsobjekt ist ein PersonenzuWillkürherrschaft und sammenschluss oder eine Einzelperson nach 7. die im Grundgesetz konkretisierten SS 4 Abs. 1, der oder die zur Erfüllung der Menschenrechte. Aufgabe nach SS 3 Abs. 1 Nrn. 1, 3 und 4 planmäßig beobachtet und aufgeklärt wird. (4) Eine Gefährdung auswärtiger Belange im 2 Voraussetzung für die Bestimmung zum BeSinne des SS 3 Abs. 1 Nr. 3 liegt nur dann obachtungsobjekt sind Tatsachen, die, insvor, wenn die Gewalt innerhalb der Bungesamt betrachtet und unter Einbeziehung desrepublik Deutschland angewendet oder nachrichtendienstlicher Erfahrungen aus vorbereitet wird und sie sich gegen die polivergleichbaren Fällen, das Vorliegen einer tische Ordnung oder Einrichtungen anderer Bestrebung nach SS 3 Abs. 1 Nr. 1, 3 oder 4 Staaten richtet oder richten soll. belegen. (5) Gewalt im Sinne dieses Gesetzes ist die (2) 1Das Beobachtungsobjekt wird von der erhebliche, aggressive und unmittelbar geFachministerin oder dem Fachminister begen Personen oder fremde Sachen gerichtete stimmt, im Vertretungsfall von der StaatsseAnwendung physischer Kraft. kretärin oder dem Staatssekretär oder deren oder dessen Vertreterin oder Vertreter. 2Die SS5 Gründe sind zu dokumentieren. 3Die BestimTrennungsgebot mung ist auf höchstens vier Jahre zu befristen. 4 Die Verlängerung der Bestimmung 1 Polizeiliche Befugnisse oder Weisungsbeum jeweils höchstens vier Jahre ist zulässig, fugnisse stehen der Verfassungsschutzbewenn die Voraussetzung des Absatzes 1 hörde zur Erfüllung ihrer Aufgaben nicht zu. Satz 2 weiterhin erfüllt ist; die Sätze 1 und 2 2 Sie darf die Polizei nicht um Maßnahmen gelten entsprechend. 5Wird die Bestimmung ersuchen, zu denen sie selbst nicht befugt nicht verlängert, so ist die Beobachtung und ist, auch nicht im Wege der Amtshilfe. Aufklärung unverzüglich zu beenden; die zu dem Beobachtungsobjekt gespeicherten personenbezogenen Daten sind nach Maßgabe des SS 28 zu löschen. 325 Anhang (3) 1Spätestens zwei Jahre nach der Bestimsind tatsächliche Anhaltspunkte, die, insmung zum Beobachtungsobjekt oder einer gesamt betrachtet und unter Einbeziehung Verlängerung ist von der Verfassungsschutznachrichtendienstlicher Erfahrungen aus behörde zu prüfen, ob die Voraussetzung vergleichbaren Fällen, den Verdacht einer des Absatzes 1 Satz 2 weiterhin erfüllt ist. Bestrebung nach SS 3 Abs. 1 Nr. 1, 3 oder 4 2 Ist das der Fall, so sind die Gründe zu dokurechtfertigen. mentieren. 3Andernfalls ist die Bestimmung zum Beobachtungsobjekt von der Fachmi(2) 1Die Gründe für die Bestimmung zum nisterin oder dem Fachminister aufzuheben, Verdachtsobjekt und der Zeitpunkt des im Vertretungsfall von der Staatssekretärin Beginns der Verdachtsphase sind zu dokuoder dem Staatssekretär oder deren oder mentieren. 2Die Verdachtsphase ist auf zwei dessen Vertreterin oder Vertreter; Absatz 2 Jahre begrenzt. 3 Die Verdachtsphase kann Satz 5 gilt entsprechend. einmalig um höchstens zwei Jahre verlängert werden, wenn die Voraussetzung des (4) Endet die Bestimmung zum BeobachAbsatzes 1 Satz 2 weiterhin erfüllt ist; die tungsobjekt, so soll die VerfassungsschutzGründe sind zu dokumentieren. 4 Endet die behörde den ihr bekannten in dem PersoVerdachtsphase, ohne dass das Verdachtsnenzusammenschluss verantwortlich tätigen objekt zum Beobachtungsobjekt bestimmt Personen oder der Einzelperson die Beendiwird, so ist die Beobachtung und Aufklägung der Beobachtung mitteilen. rung unverzüglich zu beenden; die zu dem Verdachtsobjekt gespeicherten personenbe(5) Zur planmäßigen Beobachtung und Aufzogenen Daten sind nach Maßgabe des SS 28 klärung nach Absatz 1 Satz 1 gehört auch zu löschen. 5SS 6 Abs. 5 gilt entsprechend. die Berücksichtigung derjenigen Informationen einschließlich personenbezogener DaSS8 ten, die gegen die Bestimmung zum BeobVerdachtsgewinnung achtungsobjekt sprechen. (1) 1 In einer Verdachtsgewinnungsphase SS7 wird geprüft, ob die Voraussetzung des SS 7 Verdachtsobjekt Abs. 1 Satz 2 erfüllt ist. 2Voraussetzung für den Beginn der Verdachtsgewinnungsphase (1) In einer Verdachtsphase wird durch plan- 1 sind tatsächliche Anhaltspunkte, die, insmäßige Beobachtung und Aufklärung eines gesamt betrachtet und unter Einbeziehung Personenzusammenschlusses oder einer nachrichtendienstlicher Erfahrungen aus Einzelperson (Verdachtsobjekt) geprüft, ob vergleichbaren Fällen, den Anfangsverdacht das Verdachtsobjekt die Voraussetzung des einer Bestrebung nach SS 3 Abs. 1 Nr. 1, 3 SS 6 Abs. 1 Satz 2 erfüllt. 2Voraussetzung oder 4 begründen. für die Bestimmung zum Verdachtsobjekt 326 Anhang (2) 1Die Gründe für den Beginn der VerSS 10 dachtsgewinnungsphase und der Zeitpunkt Schutz des Kernbereichs ihres Beginns sind zu dokumentieren. 2Die privater Lebensgestaltung Verdachtsgewinnungsphase ist auf ein Jahr begrenzt. 3Endet die Verdachtsgewinnungs(1) Eine Datenerhebung darf nicht angephase, ohne dass ein Verdachtsobjekt oder ordnet werden, wenn tatsächliche Anhaltsein Beobachtungsobjekt bestimmt wird, so punkte dafür vorliegen, dass dadurch nicht ist die Prüfung unverzüglich zu beenden; nur zufällig Daten erhoben werden, die dem die in der Verdachtsgewinnungsphase geKernbereich privater Lebensgestaltung zuspeicherten personenbezogenen Daten sind zurechnen sind. nach Maßgabe des SS 28 zu löschen. 4SS 6 Abs. 5 gilt entsprechend. (2) 1Wenn sich während einer bereits laufenden Datenerhebung tatsächliche Anhaltspunkte dafür ergeben, dass Daten aus Dritter Teil dem Kernbereich privater Lebensgestaltung Befugnisse zur Datenverarbeitung erhoben werden, ist die Datenerhebung unverzüglich und so lange wie erforderlich zu Erstes Kapitel unterbrechen, soweit dies informationstechAllgemeine Vorschriften nisch möglich ist und dadurch die Datenerhebung den Betroffenen nicht bekannt wird. SS9 2 Bereits erhobene Daten aus dem KernGrundsatz der bereich privater Lebensgestaltung dürfen Verhältnismäßigkeit nicht gespeichert, verändert, genutzt oder übermittelt werden; sie sind unverzüglich 1 Die Verfassungsschutzbehörde ist an die allunter Aufsicht einer oder eines besonders gemeinen Rechtsvorschriften gebunden. 2Bei bestellten, mit der Auswertung nicht befassder Verarbeitung von personenbezogenen ten Beschäftigten, die oder der die BefähiDaten hat sie von mehreren geeigneten Maßgung zum Richteramt hat, zu löschen. 3 Die nahmen diejenige zu wählen, die Betroffene Tatsache, dass Daten aus dem Kernbereich voraussichtlich am wenigsten beeinträchtigt. privater Lebensgestaltung erhoben wurden, 3 Eine Maßnahme darf keinen Nachteil herund deren Löschung sind zu dokumentieren. beiführen, der erkennbar außer Verhältnis zu 4 Die in der Dokumentation enthaltenen Dadem beabsichtigten Erfolg steht. ten dürfen ausschließlich zur Datenschutzkontrolle verwendet werden. 5Sie sind zu löschen, wenn seit einer Mitteilung nach SS 22 Abs. 1 ein Jahr vergangen ist oder es einer Mitteilung gemäß SS 22 Abs. 3 endgültig nicht bedarf, frühestens jedoch zwei Jahre nach der Dokumentation. 327 Anhang (3) Ergeben sich erst bei der Speicherung, Zweites Kapitel Veränderung oder Nutzung von Daten tatErhebung und sonstige Kenntnisnahme sächliche Anhaltspunkte dafür, dass Daten dem Kernbereich privater Lebensgestaltung SS 12 zuzurechnen sind, so gilt Absatz 2 Sätze 2 Allgemeine Befugnis zur bis 5 entsprechend. Datenerhebung (4) Daten aus dem durch das Berufsgeheim(1) 1Die Verfassungsschutzbehörde darf die nis geschützten Vertrauensverhältnis nach zu einer planmäßigen Beobachtung und den SSSS 53 und 53a der Strafprozessordnung Aufklärung nach SS 6 Abs. 1 Satz 1 oder (StPO) sind dem Kernbereich privater LeSS 7 Abs. 1 Satz 1 oder zu einer Prüfung nach bensgestaltung zuzurechnen. SS 8 Abs. 1 Satz 1 erforderlichen personenbezogenen Daten erheben, soweit in den (5) Bestehen Zweifel, ob Daten dem KernbeVorschriften dieses Kapitels nicht anderes reich privater Lebensgestaltung zuzurechnen geregelt ist. 2In der Verdachtsgewinnungssind, so sind diese der Leiterin oder dem Leiphase darf die Verfassungsschutzbehörde ter der Verfassungsschutzabteilung zur Entpersonenbezogene Daten nur aus allgemein scheidung über die Zurechnung vorzulegen. zugänglichen Quellen erheben. 3Voraussetzung für die Erhebung von personenbezoSS 11 genen Daten zur Erfüllung der Aufgabe nach Überwachung des Brief-, SS 3 Abs. 1 Nr. 2 ist das Vorliegen tatsächliPostund Fernmeldeverkehrs cher Anhaltspunkte, die, insgesamt betrachtet und unter Einbeziehung nachrichtenFür die Überwachung des Brief-, Postund dienstlicher Erfahrungen aus vergleichbaren Fernmeldeverkehrs einschließlich der VerarFällen, den Verdacht einer Tätigkeit nach beitung der durch eine solche Maßnahme SS 3 Abs. 1 Nr. 2 rechtfertigen. erlangten personenbezogenen Daten gelten die Vorschriften des Artikel 10-Gesetzes. (2) 1Werden personenbezogene Daten bei Betroffenen mit deren Kenntnis erhoben, so ist der Erhebungszweck anzugeben. 2Werden personenbezogene Daten bei Dritten außerhalb des öffentlichen Bereichs erhoben, so ist der Erhebungszweck auf deren Verlangen anzugeben. 3Die Betroffenen und die Dritten sind auf die Freiwilligkeit ihrer Angaben hinzuweisen. 328 Anhang (3) Ist zum Zweck der Erhebung die Über(3) Die Erhebung von Daten über eine minmittlung personenbezogener Daten unerderjährige Person, die das 16. Lebensjahr lässlich, so dürfen schutzwürdige Interessen vollendet hat, ist nur zulässig, wenn tatsächder Betroffenen nur im unvermeidbaren Umliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sie fang beeinträchtigt werden. 1. in einem oder für ein Beobachtungsoder Verdachtsobjekt tätig ist, das auf SS 13 die Anwendung oder Vorbereitung Erhebung personenbezogener von Gewalt gerichtet ist, und sie diese Daten von Minderjährigen Ausrichtung fördert, 2. in herausgehobener Funktion in einem (1) Die Erhebung von personenbezogenen Beobachtungsoder Verdachtsobjekt Daten über eine minderjährige Person, die tätig ist oder das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet hat, 3. eine Tätigkeit nach SS 3 Abs. 1 Nr. 2 ist unzulässig. ausübt. (2) Die Erhebung von Daten über eine min(4) 1Die Datenerhebung darf kein Verhalten derjährige Person, die das 14. Lebensjahr, einer Person aus der Zeit vor Vollendung aber noch nicht das 16. Lebensjahr vollendet ihres 14. Lebensjahres erfassen. 2Das Verhat, ist nur zulässig, wenn halten einer Person aus der Zeit zwischen 1. tatsächliche Anhaltspunkte für den VerVollendung ihres 14. und 16. Lebensjahres dacht bestehen, dass sie eine Straftat darf die Datenerhebung nur erfassen, wenn nach SS 3 Abs. 1 des Artikel 10-Gesetzes zum Zeitpunkt dieses Verhaltens die Vorausplant, begeht oder begangen hat, setzungen des Absatzes 2 vorlagen. 3 Das 2. nach den Umständen des Einzelfalls Verhalten einer Person aus der Zeit zwischen nicht ausgeschlossen werden kann, dass Vollendung ihres 16. und 18. Lebensjahres die Erhebung zur Abwehr einer Gefahr darf die Datenerhebung nur erfassen, wenn für Leib oder Leben erforderlich ist, zum Zeitpunkt dieses Verhaltens die Vorausoder setzungen des Absatzes 3 vorlagen. 3. tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sie eine Tätigkeit nach SS 3 (5) Die Absätze 1 bis 4 gelten nicht, soweit Abs. 1 Nr. 2 ausübt. minderjährige Personen von der Datenerhebung unvermeidbar als Dritte betroffen werden. 329 Anhang SS 14 b) Personen, die in Einzelfällen Hinweise Nachrichtendienstliche Mittel geben und deren Zusammenarbeit mit der Verfassungsschutzbehörde Dritten (1) Die Verfassungsschutzbehörde darf zur 1 nicht bekannt ist (sonstige geheime Erhebung personenbezogener Daten nur Informantinnen und Informanten), folgende nachrichtendienstliche Mittel einc) Personen mit einer bereits bestehenden setzen: Verbindung zu einem Nachrichtendienst 1. verdeckte Ermittlungen bei Betroffenen einer fremden Macht, die zum Zweck und Dritten unter den Voraussetzungen der Spionageabwehr überworben wordes SS 15; den sind (überworbene Agentinnen und 2. verdecktes Mithören ohne InanspruchAgenten), sowie nahme technischer Mittel unter den d) Personen, die der VerfassungsschutzVoraussetzungen des SS 15; behörde logistische oder sonstige Hilfe 3. Teilnahme an einer Kommunikationsleisten, ohne Vertrauenspersonen, beziehung im Internet unter einer sonstige geheime Informantinnen oder Legende (Absatz 2 Satz 1 Nr. 1) und Informanten oder überworbene Agenunter Ausnutzung eines schutzwürditinnen oder Agenten zu sein (Gewährgen Vertrauens der oder des Betroffespersonen), unter den Voraussetzungen nen oder Dritten, um ansonsten nicht der SSSS 15 und 16; zugängliche Daten zu erhalten, unter 7. Observation, die innerhalb einer Woche den Voraussetzungen des SS 15; insgesamt länger als 24 Stunden oder 4. planmäßig angelegte verdeckte Persoüber einen Zeitraum von einer Woche nenbeobachtung (Observation), auch hinaus durchgeführt wird (längerfristige unter Einsatz besonderer für ObservaObservation) oder bei der besondere für tionszwecke bestimmter technischer Observationszwecke bestimmte techniMittel, soweit dieser Einsatz allein der sche Mittel zu einem anderen als dem in Bestimmung des jeweiligen AufenthaltsNummer 4 genannten Zweck eingesetzt ortes der beobachteten Person dient, werden, unter den Voraussetzungen der unter den Voraussetzungen des SS 15; SSSS 15 und 17; 5. einzelne verdeckt angefertigte fotogra8. verdeckt angefertigte Bildübertragunfische Bildaufzeichnungen außerhalb gen und Bildaufzeichnungen außerhalb von Wohnungen unter den Voraussetvon Wohnungen, die nicht unter Numzungen des SS 15; mer 5 fallen, unter den Voraussetzun6. Inanspruchnahme von gen der SSSS 15 und 17; a) Personen, deren planmäßig ange9. Einsatz von hauptamtlichen Beschäftiglegte Zusammenarbeit mit der Verten der Verfassungsschutzbehörde, die fassungsschutzbehörde Dritten nicht planmäßig angelegt und langfristig unter bekannt ist (Vertrauenspersonen), einer Legende (Absatz 2 Satz 1 Nr. 1) per330 Anhang sonenbezogene Daten erheben (verdeckAusnahme solcher beruflichen Angaben te Ermittlerinnen und Ermittler), unter den verwenden, die sich auf BerufsgeheimVoraussetzungen der SSSS 15 und 18; nisträgerinnen oder Berufsgeheimnisträ10. verdecktes Mithören und Aufzeichnen ger nach SS 53 StPO oder Berufshelferindes nicht öffentlich gesprochenen nen oder Berufshelfer nach SS 53a StPO Wortes unter Einsatz technischer Mittel beziehen, und außerhalb von Wohnungen unter den 2. Tarnpapiere und Tarnkennzeichen beVoraussetzungen der SSSS 15 und 19; schaffen, herstellen und verwenden. 11. technische Mittel, mit denen zur Ermitt- 2 Tarnpapiere und Tarnkennzeichen dürfen lung der Geräteund der Kartennumauch zum Schutz der Beschäftigten, Einmern aktiv geschaltete Mobilfunkendrichtungen und Gegenstände der Verfaseinrichtungen zur Datenabsendung an sungsschutzbehörde sowie zum Schutz der eine Stelle außerhalb des Telekommuniin Absatz 1 Satz 1 Nr. 6 genannten Persokationsnetzes veranlasst werden, unter nen beschafft, hergestellt und verwendet den Voraussetzungen der SSSS 15 und 19; werden. 3Die Behörden des Landes und der 12. Beobachtung des Funkverkehrs auf Kommunen sind verpflichtet, der Verfasnicht für den allgemeinen Empfang sungsschutzbehörde technische Hilfe bei der bestimmten Kanälen unter den VorausBeschaffung und Herstellung von Tarnpapiesetzungen der SSSS 15 und 19; ren und Tarnkennzeichen zu leisten. 13. Überwachung des Brief-, Postund Fernmeldeverkehrs nach Maßgabe des SS 11. SS 15 2 Die durch den Einsatz besonderer für ObAllgemeine Voraussetzungen servationszwecke bestimmter technischer für den Einsatz nachrichtenMittel nach Satz 1 Nr. 4 erhobenen Daten dienstlicher Mittel dürfen nicht zu einem Bewegungsbild verbunden werden. 3 Die in Satz 1 Nrn. 5 und (1) 1Der Einsatz eines nachrichtendienstli- 8 genannten Mittel dürfen nicht gegen chen Mittels ist unzulässig, wenn die ErforVersammlungen im Sinne des Niedersächsischung des Sachverhalts auf andere, die Beschen Versammlungsgesetzes (NVersG) eintroffenen weniger beeinträchtigende Weise gesetzt werden. 4 Der Einsatz unbemannter möglich ist; dies ist in der Regel anzunehFluggeräte ist unzulässig. men, wenn die Information aus allgemein zugänglichen Quellen erhoben oder durch (2) 1Soweit es für den Einsatz eines nachein Ersuchen nach SS 23 beschafft werden richtendienstlichen Mittels nach Absatz 1 kann. 2Der Einsatz eines nachrichtendiensterforderlich ist, darf die Verfassungslichen Mittels darf nicht erkennbar außer schutzbehörde Verhältnis zur Bedeutung des aufzuklären1. fingierte biografische, berufliche oder den Sachverhalts stehen, insbesondere nicht gewerbliche Angaben (Legende) mit außer Verhältnis zu der Gefahr, die von dem 331 Anhang jeweiligen Beobachtungsoder Verdachts- 1 Nr. 2 erforderlichen Vertrauensperobjekt oder der Tätigkeit nach SS 3 Abs. 1 sonen, sonstigen geheimen InformanNr. 2 ausgeht oder ausgehen kann. 3Der Eintinnen und Informanten, überworbesatz eines nachrichtendienstlichen Mittels ist nen Agentinnen und Agenten sowie unverzüglich zu beenden, wenn sein Zweck Gewährspersonen gewonnen oder erreicht ist oder sich Anhaltspunkte dafür überprüft werden können oder ergeben, dass er nicht oder nicht auf diese 5. dies zum Schutz der Beschäftigten, Weise erreicht werden kann. Einrichtungen und Gegenstände der Verfassungsschutzbehörde sowie zum (2) 1Ein nachrichtendienstliches Mittel darf Schutz der Vertrauenspersonen, sonstinur eingesetzt werden, wenn gen geheimen Informantinnen und In1. sich der Einsatz gegen ein Beobachformanten, überworbenen Agentinnen tungsoder Verdachtsobjekt oder und Agenten sowie Gewährspersonen gegen eine Person richtet, bei der erforderlich ist. tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorlie- 2 Ein nachrichtendienstliches Mittel darf auch gen, dass sie in diesem oder für dieses eingesetzt werden, wenn Dritte unvermeidtätig ist, bar betroffen werden. 2. sich der Einsatz gegen eine Person richtet, bei der tatsächliche Anhaltspunkte (3) Bei dem Einsatz eines nachrichtendienstfür die Ausübung einer Tätigkeit nach lichen Mittels dürfen die Beschäftigten der SS 3 Abs. 1 Nr. 2 vorliegen, Verfassungsschutzbehörde keine Straftaten 3. sich der Einsatz gegen eine Person begehen. richtet, von der aufgrund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass sie mit (4) Die Zielsetzung und die Aktivitäten von einer der in den Nummern 1 und 2 geBeobachtungsund Verdachtsobjekten dürnannten Personen in Verbindung steht fen von der Verfassungsschutzbehörde weund dass deshalb der Einsatz des Mittels der unmittelbar noch mittelbar steuernd beunumgänglich ist, um Erkenntnisse über einflusst werden. ein Beobachtungsoder Verdachtsobjekt, das auf die Anwendung oder Vorbereitung von Gewalt gerichtet ist oder aus anderen Gründen erhebliche Bedeutung hat, oder über eine Tätigkeit nach SS 3 Abs. 1 Nr. 2 zu gewinnen, 4. dadurch die zur planmäßigen Beobachtung und Aufklärung eines Beobachtungsoder Verdachtsobjekts oder zur Erfüllung der Aufgabe nach SS 3 Abs. 332 Anhang SS 16 (2) 1Eine Vertrauensperson darf dauerhaft Besondere Voraussetzungen nur in einem Beobachtungsoder Verdachtsfür die Inanspruchnahme von objekt in Anspruch genommen werden, Personen das auf die Anwendung oder Vorbereitung von Gewalt gerichtet ist oder aus anderen (1) 1Vertrauenspersonen, sonstige geheime Gründen erhebliche Bedeutung hat. 2Wenn Informantinnen und Informanten, überdie erhebliche Bedeutung eines Verdachtsworbene Agentinnen und Agenten sowie objekts noch nicht festgestellt werden kann Gewährspersonen dürfen nur in Anspruch und zu dessen Beobachtung und Aufklärung genommen werden, wenn andere nachrichtendienstliche Mittel nicht 1. sie volljährig sind, denselben Erfolg versprechen, darf abwei2. keine tatsächlichen Anhaltspunkte dafür chend von Satz 1 eine Vertrauensperson vorliegen, dass sie rechtswidrig einen vorübergehend in diesem Verdachtsobjekt Straftatbestand von besonderer Bedeuin Anspruch genommen werden. 3Die vorütung (Absatz 6) verwirklicht haben, bergehende Inanspruchnahme ist spätestens 3. die Geldoder Sachzuwendungen für mit dem Ende der Verdachtsphase (SS 7 Abs. die Inanspruchnahme einer Vertrauens- 2 Sätze 2 bis 4) zu beenden. person nicht auf Dauer deren wesentliche Lebensgrundlage sind, (3) 1Bei Vertrauenspersonen sowie über4. sie nicht ein Angebot zum Ausstieg worbenen Agentinnen und Agenten soll der annehmen und nicht die Absicht dazu Zeitraum zwischen dem ersten Herantreten haben und an die Person und dem Beginn der planmä5. sie nicht ßig angelegten Zusammenarbeit (Werbung) a) Mandatsträgerin oder Mandatsträein Jahr nicht überschreiten. 2Die Werbung ger des Europäischen Parlaments, einer Vertrauensperson darf erst beginnen, des Bundestages oder eines Landeswenn die G 10-Kommission die Zustimparlaments oder mung nach SS 21 Abs. 5 Satz 5 erteilt hat. b) Mitarbeiterin oder Mitarbeiter einer 3 Vertrauenspersonen sowie überworbene solchen Mandatsträgerin oder eines Agentinnen und Agenten sollen höchstens solchen Mandatsträgers oder einer fünf Jahre von derselben oder demselben Fraktion oder Gruppe eines solchen Beschäftigten der VerfassungsschutzbeParlaments sind. hörde geführt werden. 4 Ihre Werbung und 2 Die Verfassungsschutzbehörde darf BerufsInanspruchnahme sind fortlaufend zu dokugeheimnisträgerinnen und Berufsgeheimnismentieren. 5Die Sätze 3 und 4 gelten für die träger (SS 53 StPO) sowie Berufshelferinnen Betreuung sonstiger geheimer Informantinund Berufshelfer (SS 53a StPO) nicht von sich nen und Informanten entsprechend. aus in Anspruch nehmen. 333 Anhang (4) 1Eine in Absatz 1 genannte Person darf a) den SSSS 243, 244, 260, 261, 263 bis nur folgende Straftatbestände verwirklichen: 264a, 265b, 266, 283, 283a, 291 und 1. SS 84 Abs. 2, SS 85 Abs. 2, SS 86 Abs. 1, 324 bis 330 StGB, SSSS 86a, 98, 99, 129, 129a sowie 129b b) SS 52 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Buchst. c und d Abs. 1 Satz 1 des Strafgesetzbuchs des Waffengesetzes, (StGB), soweit er auf SS 129a StGB verc) SS 29 Abs. 3 Satz 2 Nr. 1 und SS 29a Abs. weist, 1 Nr. 2 des Betäubungsmittelgesetzes 2. SS 20 Abs. 2 Satz 1 Nrn. 2 und 4 bis 6 sowie NVersG und d) den SSSS 96 und 97 des Aufenthaltsge3. SS 20 des Vereinsgesetzes. setzes. 2 Dabei darf weder auf die Gründung einer strafbaren Vereinigung hingewirkt noch eine SS 17 steuernde Einflussnahme auf sie ausgeübt Besondere Voraussetzungen werden. 3Erlaubt sind nur solche Handlunfür Observationen sowie Bildgen, die unter Berücksichtigung der Verhältübertragungen und Bildaufnismäßigkeit im Einzelfall unumgänglich sind. zeichnungen (5) 1Liegen die Voraussetzungen für die InDie Verfassungsschutzbehörde darf die anspruchnahme einer in Absatz 1 genannnachrichtendienstlichen Mittel der Observaten Person nicht mehr vor, so ist die Inantion nach SS 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 sowie der spruchnahme unverzüglich zu beenden. Bildübertragungen und Bildaufzeichnungen 2 Wird die Inanspruchnahme beendet, weil nach SS 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 8 nur einsetzen, sich tatsächliche Anhaltspunkte ergeben um Erkenntnisse über ein Beobachtungshaben, dass die Person rechtswidrig einen oder Verdachtsobjekt, das auf die AnwenStraftatbestand von besonderer Bedeutung dung oder Vorbereitung von Gewalt gerich(Absatz 6) verwirklicht hat, so sind die Straftet ist oder aus anderen Gründen erhebliche verfolgungsbehörden zu unterrichten, wenn Bedeutung hat, oder über eine Tätigkeit nicht der Schutz von Leib und Leben der in nach SS 3 Abs. 1 Nr. 2 zu gewinnen. Anspruch genommenen Person ein Unterlassen erfordert. SS 18 Besondere Voraussetzungen (6) Straftaten von besonderer Bedeutung im für den Einsatz verdeckter Sinne dieser Vorschrift sind Ermittlerinnen und Ermittler 1. Verbrechen, 2. die in SS 138 StGB genannten Vergehen, (1) Eine verdeckte Ermittlerin oder ein verdeck3. Vergehen nach SS 129 StGB sowie ter Ermittler darf nur unter den Voraussetzun4. gewerbsoder bandenmäßig begangene gen des SS 1 Abs. 1 Nr. 1 und des SS 3 Abs. 1 Vergehen nach des Artikel 10-Gesetzes eingesetzt werden. 334 Anhang (2) 1Der Einsatz einer verdeckten Ermittlerin SS 20 oder eines verdeckten Ermittlers ist fortlauBesondere Auskunftsverlangen fend zu dokumentieren. 2SS 16 Abs. 4 gilt für verdeckte Ermittlerinnen und Ermittler ent(1) 1Die Verfassungsschutzbehörde kann ansprechend. ordnen, dass ein Diensteanbieter nach SS 2 Satz 1 Nr. 1 des Telemediengesetzes (TMG) SS 19 Besondere Vorausihr Auskunft erteilt setzungen für den Einsatz 1. zu Bestandsdaten (SS 14 TMG) oder bestimmter technischer Mittel 2. zu Nutzungsdaten (SS 15 Abs. 1 TMG). 2 Die Erteilung einer Auskunft nach Satz 1 darf (1) Die Verfassungsschutzbehörde darf ein nur im Einzelfall und unter der Voraussetzung technisches Mittel nach SS 14 Abs. 1 Satz 1 angeordnet werden, dass sie zu einer planmäNrn. 10 bis 12 nur unter den Voraussetzunßigen Beobachtung und Aufklärung nach SS 6 gen des SS 1 Abs. 1 Nr. 1 und des SS 3 Abs. 1 Abs. 1 Satz 1 oder SS 7 Abs. 1 Satz 1 oder zur des Artikel 10-Gesetzes einsetzen. Erfüllung der Aufgabe nach SS 3 Abs. 1 Nr. 2 erforderlich ist und dass tatsächliche Anhalts(2) Der Einsatz eines technischen Mittels punkte für eine schwerwiegende Gefahr für nach SS 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 11 darf sich nur ein in SS 3 Abs. 1 genanntes Schutzgut vorgegen eine Person richten, bei der liegen. 3Zur Erfüllung der Aufgabe nach SS 3 1. tatsächliche Anhaltspunkte für den VerAbs. 1 Nr. 1 darf die Erteilung einer Auskunft dacht bestehen, dass sie eine Straftat zu Nutzungsdaten nur angeordnet werden, nach SS 3 Abs. 1 des Artikel 10-Gesetzes wenn das Beobachtungsoder Verdachtsobplant, begeht oder begangen hat, oder jekt auf die Anwendung oder Vorbereitung 2. aufgrund bestimmter Tatsachen von Gewalt gerichtet ist oder aus anderen anzunehmen ist, dass sie über ihren Gründen erhebliche Bedeutung hat. 4Die ErTeilnehmeranschluss für eine Person teilung einer Auskunft zu Nutzungsdaten darf nach Nummer 1 bestimmte oder von nur zu einer Person angeordnet werden, ihr herrührende Mitteilungen entge1. bei der tatsächliche Anhaltspunkte gennimmt oder weitergibt oder dass dafür vorliegen, dass sie die schwerwieeine Person nach Nummer 1 ihren gende Gefahr nachdrücklich fördert, Teilnehmeranschluss nutzt, und dass oder deshalb der Einsatz unumgänglich ist, 2. bei der aufgrund bestimmter Tatsachen um Erkenntnisse über ein Beobachanzunehmen ist, dass sie Telemedien für tungsoder Verdachtsobjekt oder über eine Person nach Nummer 1 nutzt und eine Tätigkeit nach SS 3 Abs. 1 Nr. 2 zu dass deshalb die Anordnung unumgewinnen. gänglich ist, um Erkenntnisse über ein Beobachtungsoder Verdachtsobjekt oder über eine Tätigkeit nach SS 3 Abs. 1 Nr. 2 zu gewinnen. 335 Anhang (2) 1Die Verfassungsschutzbehörde kann 2. aufgrund bestimmter Tatsachen anordnen, dass ein Diensteanbieter nach anzunehmen ist, dass sie über ihren SS 3 Nr. 6 des Telekommunikationsgesetzes Teilnehmeranschluss für eine Person (TKG) ihr Auskunft erteilt nach Nummer 1 bestimmte oder von 1. zu den nach den SSSS 95 und 111 TKG ihr herrührende Mitteilungen entgeerhobenen Bestandsdaten (einfache gennimmt oder weitergibt oder dass Bestandsdaten), eine Person nach Nummer 1 ihren 2. zu Bestandsdaten nach Nummer 1, Teil-nehmeranschluss nutzt und dass mittels derer der Zugriff auf Endgedeshalb die Anordnung unumgänglich räte oder auf Speichereinrichtungen, ist, um Erkenntnisse über ein Beobachdie in diesen Endgeräten oder hiervon tungsoder Verdachtsobjekt oder über räumlich getrennt eingesetzt werden, eine Tätigkeit nach SS 3 Abs. 1 Nr. 2 zu geschützt wird oder die anhand einer gewinnen. zu einem bestimmten Zeitpunkt zugewiesenen Internetprotokoll-Adresse (3) 1Die Verfassungsschutzbehörde kann anbestimmt werden (besondere Bestandsordnen, dass daten), oder 1. Luftfahrtunternehmen sowie Betreiber 3. zu Verkehrsdaten nach SS 96 Abs. 1 Nrn. von Computerreservierungssystemen 1 bis 4 TKG und sonstigen zum Aufbau und Globalen Distributionssystemen für und zur Aufrechterhaltung der TelekomFlüge Auskunft zu Namen und Anschrifmunikation notwendigen Verkehrsdaten. ten von Kundinnen und Kunden sowie 2 Die Erteilung einer Auskunft nach Satz 1 zur Inanspruchnahme und den Umständarf nur angeordnet werden, wenn sie im den von Transportleistungen, insbesonEinzelfall zu einer planmäßigen Beobachdere zum Zeitpunkt von Abfertigung tung und Aufklärung nach SS 6 Abs. 1 Satz 1 und Abflug und zum Buchungsweg, oder SS 7 Abs. 1 Satz 1 oder zur Erfüllung der sowie Aufgabe nach SS 3 Abs. 1 Nr. 2 erforderlich 2. Kreditinstitute, Finanzdienstleistungsinsist. 3Die Erteilung einer Auskunft zu besontitute und Finanzunternehmen Auskunft deren Bestandsdaten und zu Verkehrsdaten zu Konten und Geldanlagen, insbedarf nur unter den Voraussetzungen des SS 1 sondere zu Kontoständen, ZahlungsAbs. 1 Nr. 1 und des SS 3 Abs. 1 des Artikel einund -ausgängen und sonstigen 10-Gesetzes und nur zu einer Person angeGeldbewegungen, sowie zu Kontoinordnet werden, bei der haberinnen, Kontoinhabern, sonstigen 1. tatsächliche Anhaltspunkte für den VerBerechtigten und weiteren am Zahdacht bestehen, dass sie eine Straftat lungsverkehr Beteiligten, erteilen. nach SS 3 Abs. 1 des Artikel 10-Gesetzes 2 Die Erteilung einer Auskunft nach Satz plant, begeht oder begangen hat, 1 darf nur im Einzelfall und unter der Voraussetzung angeordnet werden, dass sie 336 Anhang zu einer planmäßigen Beobachtung und (6) 1Den Verpflichteten ist es verboten, alAufklärung nach SS 6 Abs. 1 Satz 1 oder SS 7 lein aufgrund einer Anordnung nach den Abs. 1 Satz 1 oder zur Erfüllung der Aufgabe Absätzen 1 bis 3 einseitige Handlungen vornach SS 3 Abs. 1 Nr. 2 erforderlich ist und zunehmen, die für die Betroffene oder den dass tatsächliche Anhaltspunkte für eine Betroffenen nachteilig sind und die über schwerwiegende Gefahr für ein in SS 3 Abs. die Erteilung der Auskunft hinausgehen, 1 genanntes Schutzgut vorliegen; Absatz 1 insbesondere bestehende Verträge oder Satz 3 gilt entsprechend. Die Erteilung einer 3 Geschäftsverbindungen zu beenden, ihren Auskunft nach Satz 1 darf nur zu einer PerUmfang zu beschränken oder ein Entgelt zu son angeordnet werden, bei der erheben oder zu erhöhen. 2Die Anordnung 1. tatsächliche Anhaltspunkte dafür ist mit dem ausdrücklichen Hinweis auf dievorliegen, dass sie die schwerwiegende ses Verbot und darauf zu verbinden, dass Gefahr nachdrücklich fördert, oder das Auskunftsersuchen nicht die Aussage 2. aufgrund bestimmter Tatsachen anbeinhaltet, dass sich die betroffene Person zunehmen ist, dass sie eine in Satz 1 rechtswidrig verhalten hat oder ein darauf genannte Dienstleistung für eine Person gerichteter Verdacht besteht. nach Nummer 1 in Anspruch nimmt und dass deshalb die Anordnung unumSS 21 gänglich ist, um Erkenntnisse über ein Verfahrensvorschriften Beobachtungsoder Verdachtsobjekt oder über eine Tätigkeit nach SS 3 Abs. 1 (1) 1Der Einsatz nachrichtendienstlicher MitNr. 2 zu gewinnen. tel nach SS 14 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 7 bis 12 wird von der Fachministerin oder dem Fach(4) Auskünfte nach den Absätzen 1 und 3 1 minister angeordnet, im Vertretungsfall von sind unentgeltlich zu erteilen. 2Die Verfasder Staatssekretärin oder dem Staatssekresungsschutzbehörde hat für die Erteilung tär oder deren oder dessen Vertreterin oder von Auskünften nach Absatz 2 eine EntVertreter. 2Dasselbe gilt für die Erteilung von schädigung entsprechend SS 23 des JustizAuskünften zu Nutzungsdaten nach SS 20 vergütungsund -entschädigungsgesetzes Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, besonderen Bestandszu gewähren. daten nach SS 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, Verkehrsdaten nach SS 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 (5) Anordnungen nach den Absätzen 1 bis 3 und Daten nach SS 20 Abs. 3 Satz 1. 3 Der und die übermittelten Daten dürfen den BeEinsatz nachrichtendienstlicher Mittel nach troffenen oder Dritten von den VerpflichteSS 14 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 4 bis 6 wird von der ten nicht mitgeteilt werden. Leiterin oder dem Leiter der Verfassungsschutzabteilung oder der Vertreterin oder dem Vertreter angeordnet. 4 Dasselbe gilt für die Erteilung von Auskünften zu Bestands337 Anhang daten nach SS 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und zu Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 sowie Daten nach SS 20 einfachen Bestandsdaten nach SS 20 Abs. 2 Abs. 3 Satz 1. 3 Die G 10-Kommission prüft Satz 1 Nr. 1. 5Die Gründe für die Anordnunim Rahmen der Erteilung der Zustimmung gen nach den Sätzen 1 bis 4 sind zu dokudie Zulässigkeit und Notwendigkeit des Einmentieren. satzes des nachrichtendienstlichen Mittels oder des besonderen Auskunftsverlangens. (2) Anordnungen nach Absatz 1 sind zu be- 4 Stimmt die G 10-Kommission einer Anordfristen auf höchstens nung oder Verlängerung nicht zu, so hat 1. drei Jahre in den Fällen des SS 14 Abs. 1 die Fachministerin oder der Fachminister, im Satz 1 Nr. 6, ein Jahr in den Fällen der Vertretungsfall die Staatssekretärin oder der vorübergehenden Inanspruchnahme Staatssekretär oder deren oder dessen Vereiner Vertrauensperson (SS 16 Abs. 2 treterin oder Vertreter, die Anordnung oder Satz 2), Verlängerung unverzüglich aufzuheben. 2. drei Monate in den Fällen des SS 14 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 7 bis 12, (4) 1Bei Gefahr im Verzug kann in den Fällen 3. drei Monate bei der Erteilung von des Absatzes 3 die Fachministerin oder der Auskünften zu künftig anfallenden Fachminister, im Vertretungsfall die StaatsNutzungsdaten nach SS 20 Abs. 1 Satz 1 sekretärin oder der Staatssekretär oder deNr. 2, Verkehrsdaten nach SS 20 Abs. 2 ren oder dessen Vertreterin oder Vertreter, Satz 1 Nr. 3 und Daten nach SS 20 Abs. anordnen, dass der Einsatz des nachrich- 3 Satz 1. tendienstlichen Mittels vor der Zustimmung 2 Verlängerungen um jeweils höchstens den der G 10-Kommission begonnen oder die in Satz 1 genannten Zeitraum sind zulässig, Auskunft vor der Zustimmung erteilt wird. wenn die Voraussetzungen der Anordnung 2 In diesem Fall ist die Zustimmung unverweiterhin erfüllt sind; Absatz 1 gilt entsprezüglich nachträglich einzuholen. 3Stimmt die chend. 3Satz 2 gilt nicht für die vorüberge- G 10-Kommission nicht nachträglich zu, so hende Inanspruchnahme einer Vertrauensgilt Absatz 3 Satz 4 entsprechend; der Einperson (SS 16 Abs. 2 Satz 2). satz des nachrichtendienstlichen Mittels ist unverzüglich zu beenden. 4 Bereits erhobene (3) Anordnungen und Verlängerungen des 1 Daten dürfen nicht gespeichert, verändert, Einsatzes nachrichtendienstlicher Mittel genutzt oder übermittelt werden; sie sind nach SS 14 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 7 bis 12 bedürunverzüglich zu löschen. fen der Zustimmung der G 10-Kommission. 2 Dasselbe gilt für Anordnungen und Ver(5) 1Die Beobachtungsund Verdachtsoblängerungen der Erteilung von Auskünften jekte, in denen die Inanspruchnahme von zu Nutzungsdaten nach SS 20 Abs. 1 Satz 1 Vertrauenspersonen nach Absatz 1 Satz 3 Nr. 2, besonderen Bestandsdaten nach SS 20 angeordnet werden darf, werden zuvor von Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, Verkehrsdaten nach SS 20 der Fachministerin oder dem Fachminister 338 Anhang bestimmt, im Vertretungsfall von der StaatsObservationszwecke bestimmte technische sekretärin oder dem Staatssekretär oder deMittel eingesetzt wurden. 3Die Verfassungsren oder dessen Vertreterin oder Vertreter. schutzbehörde hat auch die besonderen 2 Die Gründe sind zu dokumentieren. Die 3 Auskunftsverlangen nach Erteilung der AusBestimmung ist auf höchstens vier Jahre zu kunft den Betroffenen mitzuteilen; dies gilt befristen. 4 Die Verlängerung der Bestimnicht für Auskunftsverlangen zu einfachen mung um jeweils höchstens vier Jahre ist Bestandsdaten nach SS 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1. zulässig, wenn die Vorausset-zung des SS 16 4 In der Mitteilung ist auf die RechtsgrundAbs. 2 weiterhin erfüllt ist. Die Bestimmung 5 lage für den Einsatz des nachrichtendienstund die Verlängerung bedürfen der Zustimlichen Mittels oder für das besondere Ausmung der G 10-Kommission. 6Absatz 3 Satz 3 kunftsverlangen und auf das Auskunftsrecht gilt entsprechend. Stimmt die G 10-Kom- 7 nach SS 30 hinzuweisen. 5Die Sätze 1 bis 4 mission einer Verlängerung nicht zu, so ist gelten nicht, wenn für die Mitteilung in undie Inanspruchnahme von Vertrauenspersoverhältnismäßiger Weise weitere Daten der nen in dem betroffenen Beobachtungsobbetroffenen Person erhoben werden müssten. jekt unverzüglich zu beenden. (2) 1Die Mitteilung wird zurückgestellt, solange (6) Die Wahrnehmung der Aufgaben der 1 1. eine Gefährdung des Zwecks des Einsat- G 10-Kommission nach den Absätzen 3 bis zes des nachrichtendienstlichen Mittels 5 obliegt der G 10-Kommission nach SS 3 des oder des besonderen AuskunftsverNiedersächsischen Gesetzes zur Ausführung langens nicht ausgeschlossen werden des Artikel 10-Gesetzes (Nds. AG G 10). kann, 2 SS 3 Abs. 1 Sätze 5 bis 7 und Abs. 2 bis 4 2. durch das Bekanntwerden des EinsatNds. AG G 10 gilt entsprechend. zes des nachrichtendienstlichen Mittels oder des besonderen Auskunftsverlan(7) Die weiteren Einzelheiten des Einsatgens Leib, Leben, Freiheit oder ähnlich zes nachrichtendienstlicher Mittel sind in schutzwürdige Belange einer Person Dienstvorschriften umfassend zu regeln. gefährdet werden, 3. ihr überwiegende schutzwürdige BeSS 22 lange einer anderen betroffenen Person Mitteilung an Betroffene entgegenstehen oder 4. durch das Bekanntwerden des Einsatzes (1) 1Die Verfassungsschutzbehörde hat den des nachrichtendienstlichen Mittels der Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel nach weitere Einsatz der in SS 14 Abs. 1 Satz 1 SS 14 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 6 bis 12 nach seiner Nrn. 6 und 9 genannten Personen geBeendigung den Betroffenen mitzuteilen. fährdet wird und deshalb die Interessen 2 Dasselbe gilt für Observationen nach SS 14 der betroffenen Person zurücktreten Abs. 1 Satz 1 Nr. 4, soweit besondere für müssen. 339 Anhang 2 Wird die Mitteilung nicht innerhalb eines 3. die Voraussetzungen für eine Löschung Jahres nach der Beendigung des Einsatzes der Daten vorliegen und des nachrichtendienstlichen Mittels oder der 4. die G 10-Kommission zustimmt. Erteilung der Auskunft vorgenommen, so be- 2 Bei nachrichtendienstlichen Mitteln nach darf die Zurückstellung der Zustimmung der SS 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 und bei besonderen G 10-Kommission. 3Stimmt die G 10-KommisAuskunftsverlangen zu Bestandsdaten nach sion der Zurückstellung zu, so hat sie diese zu SS 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bedarf es abweibefristen. Auch jede weitere Zurückstellung 4 chend von Satz 1 Nr. 4 der Zustimmung der bedarf der Zustimmung der G 10-Kommisoder des Landesbeauftragten für den Datension; Satz 3 gilt entsprechend. 5Stimmt die schutz. G 10-Kommission der Zurückstellung oder der weiteren Zurückstellung nicht zu oder SS 23 entfällt zwischenzeitlich der Grund für die Ersuchen und automatisierte Zurückstellung, so ist die Mitteilung unverAbrufverfahren züglich von der Verfassungsschutzbehörde vorzunehmen. 6Die Sätze 2 bis 5 gelten nicht (1) 1Die Verfassungsschutzbehörde darf zur für die Mitteilung des Einsatzes nachrichtenplanmäßigen Beobachtung und Aufklärung dienstlicher Mittel nach SS 14 Abs. 1 Satz 1 Nr. eines Beobachtungsoder Verdachtsobjekts 4 und für die Mitteilung von besonderen Aussowie zur Erfüllung der Aufgabe nach SS 3 kunftsverlangen zu Bestandsdaten nach SS 20 Abs. 1 Nr. 2 die Behörden des Landes, insAbs. 1 Satz 1 Nr. 1. 7Wird in diesen Fällen die besondere die Staatsanwaltschaften und die Mitteilung nicht innerhalb von zwei Jahren Polizeibehörden, sowie die der ausschließnach der Erteilung der Auskunft vorgenomlichen Aufsicht des Landes unterstehenden men, so ist die Zurückstellung unter Angabe Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des Grundes der oder dem Landesbeauftragdes öffentlichen Rechts um Übermittlung ten für den Datenschutz mitzuteilen. personenbezogener Daten ersuchen, wenn diese nicht aus allgemein zugänglichen (3) Einer Mitteilung bedarf es endgültig 1 Quellen oder nur mit übermäßigem Aufnicht, wenn wand oder nur durch eine die betroffene 1. die Voraussetzung der Zurückstellung Person stärker belastende Maßnahme erauch fünf Jahre nach Beendigung des hoben werden können. 2Die Gründe für das Einsatzes des nachrichtendienstlichen Ersuchen sind zu dokumentieren. Mittels oder nach Erteilung der Auskunft noch nicht entfallen ist, (2) 1Die Verfassungsschutzbehörde darf an2. die Voraussetzungen der Zurückstellung stelle eines Ersuchens nach Absatz 1 oder mit an Sicherheit grenzender WahrSS 18 Abs. 3 Satz 2 des Bundesverfassungsscheinlichkeit auch in Zukunft nicht schutzgesetzes (BVerfSchG) automatisierte entfallen werden, Abrufverfahren nutzen, soweit die Nutzung 340 Anhang eines automatisierten Abrufverfahrens durch Verfassungsschutzbehörde mit einem verdie Verfassungsschutzbehörden ausdrückgleichbaren nachrichtendienstlichen Mittel lich gesetzlich geregelt ist. 2Die Einrichtung oder besonderen Auskunftsverlangen häteines automatisierten Abrufverfahrens wird ten erhoben werden dürfen. von der Leiterin oder dem Leiter der Verfassungsschutzabteilung oder der Vertreterin (5) 1Um die Übermittlung personenbezogeoder dem Vertreter angeordnet. 3Soweit die ner Daten, die aufgrund einer strafprozesgesetzlichen Regelungen nach Satz 1 die absualen Zwangsmaßnahme oder einer dieser rufende Stelle nicht zur Dokumentation der vergleichbaren Maßnahme nach dem NieAbrufe verpflichten, sind die Gründe für den dersächsischen Gesetz über die Sicherheit Abruf im automatisierten Abrufverfahren zu und Ordnung erhoben worden sind, zu der dokumentieren. die Verfassungsschutzbehörde nach diesem Gesetz nicht befugt ist, darf nur ersucht (3) 1Die ersuchte Behörde, Körperschaft, Anwerden, wenn dies zur planmäßigen Bestalt oder Stiftung ist verpflichtet, die Daten obachtung und Aufklärung eines Beobachzu übermitteln. Sie darf nur solche Daten 2 tungsoder Verdachtsobjekts, das auf die übermitteln, die bei ihr bereits bekannt sind Anwendung oder Vorbereitung von Gewalt oder von ihr aus allgemein zugänglichen gerichtet ist, oder zur Erfüllung der Aufgabe Quellen entnommen werden können. 3 Ernach SS 3 Abs. 1 Nr. 2 erforderlich ist. 2Satz 1 weisen sich personenbezogene Daten nach gilt nicht für Ersuchen um Übermittlung von ihrer Übermittlung als unvollständig oder personenbezogenen Daten, die aufgrund eiunrichtig, so sind sie gegenüber der empner Identitätsfeststellung nach SS 163b StPO, fangenden Verfassungsschutzbehörde unauch in Verbindung mit SS 111 Abs. 3 StPO, verzüglich zu ergänzen oder zu berichtigen, oder nach SS 13 Nds. SOG erhoben worden es sei denn, dass der Mangel für die Beursind. 3 Ein Ersuchen um die Übermittlung teilung des Sachverhalts offensichtlich ohne personenbezogener Daten, die aufgrund Bedeutung ist. einer Wohnraumüberwachung nach SS 100c StPO oder nach SS 35a Nds. SOG erlangt (4) Um Übermittlung personenbezogener worden sind, ist unzulässig. Daten, die von einer Staatsanwaltschaft oder einer Polizeibehörde aufgrund einer (6) Die aufgrund eines Ersuchens nach den strafpro-zessualen Zwangsmaßnahme oder Absätzen 4 und 5 übermittelten Daten sind durch den Einsatz besonderer Mittel und von der übermittelnden Staatsanwaltschaft Methoden der Datenerhebung (SS 30 Abs. 2 oder Polizeibehörde unter Angabe des zur Satz 2 Nr. 2 des Niedersächsischen GesetErhebung eingesetzten Mittels zu kennzes über die Sicherheit und Ordnung - Nds. zeichnen. SOG -) erhoben worden sind, darf nur ersucht werden, wenn die Daten auch von der 341 Anhang SS 24 SS 25 Registereinsicht Verpflichtung zur Datenübermittlung an die Verfassungs(1) Die Verfassungsschutzbehörde darf zur schutzbehörde planmäßigen Beobachtung und Aufklärung eines Beobachtungsoder Verdachtsob(1) Die Behörden des Landes sowie die der jekts, das auf die Anwendung oder Vorbeausschließlichen Aufsicht des Landes unterreitung von Gewalt gerichtet ist, sowie zur stehenden Körperschaften, Anstalten und Erfüllung der Aufgabe nach SS 3 Abs. 1 Nr. Stiftungen des öffentlichen Rechts übermit- 2 die von öffentlichen Stellen geführten teln von sich aus der VerfassungsschutzbeRegister, insbesondere Grundbücher, Persohörde die ihnen bekannt gewordenen Infornenstandsbücher, Melderegister, Personalmationen einschließlich personenbezogener ausweisregister, Passregister, FührerscheinDaten, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dakartei, Waffenscheinkartei, einsehen. für bestehen, dass dies zur planmäßigen Beobachtung und Aufklärung eines Beobach(2) Die Einsichtnahme ist nur zulässig, wenn 1 tungsoder Verdachtsobjekts, das auf die 1. ein Ersuchen nach SS 23 Abs. 1 oder ein Anwendung oder Vorbereitung von Gewalt Abruf im automatisierten Abrufverfahgerichtet ist, oder zur Erfüllung der Aufgabe ren nach SS 23 Abs. 2 den Zweck der nach SS 3 Abs. 1 Nr. 2 erforderlich ist. Maßnahme gefährden würde und 2. die betroffene Person durch eine ander(2) 1Die Staatsanwaltschaften und Polizeibeweitige Datenerhebung unverhältnismähörden des Landes übermitteln von sich aus ßig beeinträchtigt würde. der Verfassungsschutzbehörde die ihnen 2 Die Einsichtnahme ist unzulässig, wenn ihr bekannt gewordenen Informationen eineine gesetzliche Geheimhaltungsvorschrift schließlich personenbezogener Daten, wenn oder eine Pflicht zur Wahrung von Berufsgetatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, heimnissen entgegensteht. dass dies zur planmäßigen Beobachtung und Aufklärung eines Beobachtungsoder (3) Die Einsichtnahme wird von der Leiterin Verdachtsobjekts oder zur Erfüllung der oder dem Leiter der VerfassungsschutzabteiAufgabe nach SS 3 Abs. 1 Nr. 2 erforderlich lung oder der Vertreterin oder dem Vertreter ist. 2Personenbezogene Daten, die aufgrund angeordnet. einer strafprozessualen Zwangsmaßnahme oder einer vergleichbaren Maßnahme nach (4) 1Jede Einsichtnahme ist zu dokumentiedem Niedersächsischen Gesetz über die ren. 2Die in der Dokumentation enthaltenen Sicherheit und Ordnung erhoben worden Daten dürfen ausschließlich zur Datenschutzsind, dürfen nur übermittelt werden, wenn kontrolle verwendet werden. 3Sie sind zwei tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, Jahre nach der Dokumentation zu löschen. dass dies zur planmäßigen Beobachtung und 342 Anhang Aufklärung eines Beobachtungsoder Ver1. tatsächliche Anhaltspunkte dafür dachtsobjekts, das auf die Anwendung oder vorliegen, dass die betroffene Person in Vorbereitung von Gewalt gerichtet ist, oder dem oder für das Beobachtungsoder zur Erfüllung der Aufgabe nach SS 3 Abs. 1 Verdachtsobjekt tätig ist, Nr. 2 erforderlich ist. 3Die Übermittlung per2. tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorsonenbezogener Daten, die aufgrund einer liegen, dass die betroffene Person eine Wohnraumüberwachung nach SS 100c StPO Tätigkeit nach SS 3 Abs. 1 Nr. 2 ausübt, oder nach SS 35a Nds. SOG erlangt worden 3. aufgrund bestimmter Tatsachen anzusind, ist unzulässig. 4Satz 2 gilt nicht für die nehmen ist, dass die betroffene Person Übermittlung von personenbezogenen Daten, mit einer der in den Nummern 1 und die aufgrund einer Identitätsfeststellung nach 2 genannten Personen in Verbindung SS 163b StPO, auch in Verbindung mit SS 111 steht und dass deshalb die Speicherung, Abs. 3 StPO, oder nach SS 13 Nds. SOG erhoVeränderung oder Nutzung zur planben worden sind. 5Die nach Satz 2 übermitmäßigen Beobachtung und Auf-klärung telten Daten sind unter Angabe des zur Erheeines Beobachtungsoder Verdachtsbung eingesetzten Mittels zu kennzeichnen. objekts, das auf die Anwendung oder Vorbereitung von Gewalt gerichtet ist, (3) Die Übermittlung von personenbezogenen oder zur Erfüllung der Aufgabe nach Daten über eine Person, die das 14. Lebensjahr SS 3 Abs. 1 Nr. 2 unumgänglich ist, oder noch nicht vollendet hat, ist unzulässig. 4. dies zur Gewinnung oder Überprüfung von Vertrauenspersonen, sonstigen (4) SS 23 Abs. 3 Satz 3 gilt entsprechend. geheimen Informantinnen oder Informanten, überworbenen Agentinnen oder Agenten oder Gewährspersonen Drittes Kapitel erforderlich ist. Speicherung, Veränderung, 2 Die in Satz 1 Nrn. 1 bis 4 genannten VorNutzung, Löschung aussetzungen gelten nicht in der Verdachtsgewinnungsphase. 3Sind mit personenbezoSS 26 genen Daten, die nach Satz 1 gespeichert, Speicherung, Veränderung und verändert und genutzt werden dürfen, weiNutzung personenbezogener tere Daten von betroffenen Personen oder Daten, Zweckbindung von Dritten so verbunden, dass sie nicht oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand (1) 1Die Verfassungsschutzbehörde darf die getrennt werden können, so dürfen sie gezur Erfüllung ihrer Aufgaben rechtmäßig meinsam mit den Daten nach Satz 1 gespeierhobenen personenbezogenen Daten speichert werden; sie sind zu sperren. chern, verändern und nutzen, wenn dies zu dem Zweck erforderlich ist, zu dem sie erhoben worden sind, und 343 Anhang (2) 1Die mit nachrichtendienstlichen Mitteln Erfüllung dieses Zwecks erforderlich sind oder durch ein besonderes Auskunftsverlanund im Fall eines zur Erhebung eingesetzten gen erhobenen personenbezogenen Daten nachrichtendienstlichen Mittels oder besonsind unter Angabe des eingesetzten Mittels deren Auskunftsverlangens dieses auch für zu kennzeichnen. 2Bei den nach SS 23 Abs. 6 den anderen Zweck hätte eingesetzt werden gekennzeichneten Daten ist die Kennzeichdürfen. 2Die nach SS 26 Abs. 3 gespeicherten nung beizubehalten. Daten dürfen nur unter den dort genannten Voraussetzungen für einen anderen Zweck (3) 1Die Verfassungsschutzbehörde darf die gespeichert, verändert und genutzt werden. personenbezogenen Daten, von denen sie durch Übermittlung nach SS 25 rechtmäßig SS 28 Kenntnis erlangt hat, nur speichern, veränBerichtigung, Löschung dern und nutzen, wenn dies zu einem Zweck und Sperrung von personenerforderlich ist, zu dem sie die übermittelnbezogenen Daten de Behörde gemäß SS 23 um Übermittlung dieser Daten hätte ersuchen dürfen, und (1) 1Die Verfassungsschutzbehörde hat perwenn die in Absatz 1 Satz 1 Nrn. 1 bis 4 gesonenbezogene Daten zu berichtigen, wenn nannten Voraussetzungen erfüllt sind. 2Die sie unrichtig sind. 2Sie hat sie zu ergänzen, Zweckbestimmung ist bei der Speicherung wenn sie unvollständig sind und dadurch festzulegen. Absatz 1 Satz 3 gilt entspre- 3 schutzwürdige Interessen der betroffenen chend. 4 Bei den nach SS 25 Abs. 2 Satz 5 Person beeinträchtigt sein können. 3Wird die gekennzeichneten Daten ist die KennzeichRichtigkeit von Daten von der betroffenen nung beizubehalten. Person bestritten und lässt sich weder die Richtigkeit noch die Unrichtigkeit feststel(4) Die Speicherung von personenbezogelen, so ist dies zu vermerken; die betroffene nen Daten über eine minderjährige Person Person kann sich an die Landesbeauftragte ist nur unter den Voraussetzungen des SS 13 oder den Landesbeauftragten für den DaAbs. 4 zulässig. tenschutz wenden. SS 27 (2) 1Die Verfassungsschutzbehörde hat perSpeicherung, Veränderung und sonenbezogene Daten zu löschen, wenn Nutzung personenbezogener 1. ihre Speicherung unzulässig ist oder Daten zu anderen Zwecken 2. ihre Kenntnis für die Aufgabenerfüllung nicht mehr erforderlich ist. 1 Eine Speicherung, Veränderung oder Nut- 2 Die Löschung unterbleibt, wenn Grund zung der nach SS 26 gespeicherten Daten zu der Annahme besteht, dass durch sie für einen anderen in SS 12 Abs. 1 genannschutzwürdige Interessen der betroffenen ten Zweck ist zulässig, wenn die Daten zur Person beeinträchtigt würden; die ent344 Anhang sprechenden Daten sind zu sperren. 3 Ein (5) 1Die Löschung von personenbezogenen schutzwürdiges Interesse liegt insbesondere Daten ist zu dokumentieren, wenn sie mit dann vor, wenn die betroffene Person einen nachrichtendienstlichen Mitteln oder beAntrag auf Auskunft nach SS 30 gestellt hat sonderen Auskunftsverlangen erhoben wuroder aufgrund einer Mitteilung nach SS 6 Abs. 4 den, die der Mitteilungspflicht nach SS 22 oder SS 22 Abs. 1 die Stellung eines solchen Abs. 1 Sätze 1 bis 3 unterliegen. 2Die in der Antrags zu erwarten ist. 4Gesperrte Daten Dokumentation enthaltenen Daten dürfen sind mit einem Vermerk über die Sperrung ausschließlich zur Datenschutzkontrolle verzu versehen; in Verfahren zur automatisierten wendet werden. 3Sie sind zu löschen, wenn Verarbeitung ist die Sperrung durch zusätzliseit einer Mitteilung nach SS 22 Abs. 1 ein che technische Maßnahmen zu gewährleisten. Jahr vergangen ist oder es einer Mitteilung 5 Gesperrte Daten dürfen nur noch mit Eingemäß SS 22 Abs. 3 endgültig nicht bedarf, willigung der betroffenen Person verändert, frühestens jedoch zwei Jahre nach der Dogenutzt und übermittelt werden. 6SS 17 Abs. kumentation. 2 Sätze 2 bis 4 des Niedersächsischen Datenschutzgesetzes (NDSG) bleibt unberührt. (6) Die Löschung personenbezogener Daten, die mit nachrichtendienstlichen Mitteln (3) 1Die Verfassungsschutzbehörde prüft bei nach SS 14 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 9 bis 12 oder der Einzelfallbearbeitung, spätestens nach mit besonderen Auskunftsverlangen zu Nutjeweils drei Jahren, ob personenbezogene zungsdaten nach SS 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Daten zu berichtigen oder zu ergänzen, zu besonderen Bestandsdaten nach SS 20 Abs. 2 löschen oder zu sperren sind. 2Bei personenSatz 1 Nr. 2, Verkehrsdaten nach SS 20 Abs. bezogenen Daten, die mit nachrichtendienst- 2 Satz 1 Nr. 3 oder Daten nach SS 20 Abs. 3 lichen Mitteln nach SS 14 Abs. 1 Satz 1 Nrn. Satz 1 erhoben wurden, ist unter Aufsicht 9 bis 12 oder mit besonderen Auskunftsvereiner oder eines besonders bestellten, mit langen zu Nutzungsdaten nach SS 20 Abs. 1 der Auswertung nicht befassten BeschäftigSatz 1 Nr. 2, besonderen Bestandsdaten nach ten, die oder der die Befähigung zum RichSS 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, Verkehrsdaten nach teramt hat, vorzunehmen. SS 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 oder Daten nach SS 20 Abs. 3 Satz 1 erhoben wurden, beträgt SS 29 die Prüfungsfrist nach Satz 1 sechs Monate. Verfahrensbeschreibungen (4) Die Verfassungsschutzbehörde prüft bei Vor dem Erlass und vor der Änderung einer der Einzelfallbearbeitung, spätestens nach Verfahrensbeschreibung nach SS 8 NDSG ist jeweils sechs Monaten, ob personenbezodie oder der Landesbeauftragte für den Dagene Daten über eine minderjährige Person tenschutz anzuhören. zu berichtigen oder zu ergänzen, zu löschen oder zu sperren sind. 345 Anhang Viertes Kapitel deshalb die Interessen der antragstelAuskunft lenden Person ausnahmsweise zurücktreten müssen. SS 30 2 Die Entscheidung trifft die Leiterin oder Auskunft an Betroffene der Leiter der Verfassungsschutzabteilung. 3 Die Leiterin oder der Leiter der Verfas(1) 1Die Verfassungsschutzbehörde erteilt sungsschutzabteilung kann eine besonders Betroffenen auf Antrag unentgeltlich Ausbestellte Beschäftigte oder einen besonders kunft über die zu ihrer Person gespeicherten bestellten Beschäftigten, die oder der mit Daten, den Zweck und die Rechtsgrundlage der Auswertung nicht befasst war und die der Speicherung sowie die Herkunft der DaBefähigung zum Richteramt hat, damit beten und die Empfänger von Übermittlungen. auftragen, ebenfalls Entscheidungen nach 2 Über Daten aus Akten, die nicht zur Person Satz 1 zu treffen. der Betroffenen geführt werden, wird Auskunft nur erteilt, soweit die Daten, nament(3) 1Die Ablehnung einer Auskunft bedarf lich aufgrund von Angaben der Betroffenen, keiner Begründung, soweit durch die Bemit angemessenem Aufwand auffindbar gründung der Zweck der Ablehnung gefährsind. 3 Die Verfassungsschutzbehörde bedet würde. 2Die Gründe der Ablehnung sind stimmt Verfahren und Form der Auskunftszu dokumentieren. 3Wird der antragstellenerteilung nach pflichtgemäßem Ermessen. den Person keine Begründung für die Ablehnung der Auskunft gegeben, so ist ihr die (2) 1Die Auskunftserteilung ist abzulehnen, Rechtsgrundlage dafür zu nennen. 4 Ferner soweit ist sie darauf hinzuweisen, dass sie sich an 1. die Auskunft die öffentliche Sicherheit die Landesbeauftragte oder den Landesgefährden oder sonst dem Wohl des beauftragten für den Datenschutz wenden Bundes oder eines Landes Nachteile kann. 5Der oder dem Landesbeauftragten ist bereiten würde, auf Verlangen die von der antragstellenden 2. die Daten oder die Tatsache ihrer Person begehrte Auskunft zu erteilen. 6MitSpeicherung nach einer Rechtsvorschrift teilungen der oder des Landesbeauftragten geheim gehalten werden müssen, an die antragstellende Person dürfen keine 3. die Interessen eines Dritten an der GeRückschlüsse auf den Erkenntnisstand der heimhaltung die Interessen der antragVerfassungsschutzbehörde zulassen, sofern stellenden Person überwiegen oder diese nicht einer weitergehenden Mitteilung 4. durch die Auskunftserteilung Informatizustimmt. onsquellen gefährdet würden oder die Ausforschung des Erkenntnisstandes oder der Arbeitsweise der Verfassungsschutzbehörde zu befürchten ist und 346 Anhang Fünftes Kapitel 3 Die Übermittlung nach den Sätzen 1 und Übermittlung 2 ist nur zulässig, wenn das zur Datenerhebung verwendete Mittel auch für den SS 31 anderen Zweck hätte angewendet werden Übermittlung personendürfen. 4Personenbezogene Daten, die nicht bezogener Daten an Staatsdurch den Einsatz nachrichtendienstlicher anwaltschaften und PolizeiMittel oder durch besondere Auskunftsverbehörden langen erhoben worden sind, darf die Verfassungsschutzbehörde auch zu sonstigen (1) 1Die Verfassungsschutzbehörde übermitZwecken der Strafverfolgung oder der Getelt von sich aus personenbezogene Daten an fahrenabwehr an die Staatsanwaltschaften die Staatsanwaltschaften und Polizeibehörund Polizeibehörden des Landes übermitden des Landes, wenn tatsächliche Anhaltsteln. 5Sind mit personenbezogenen Daten, punkte dafür vorliegen, dass dies zur Verfoldie nach den Sätzen 1 bis 4 übermittelt wergung besonders schwerer Straftaten gemäß den dürfen, weitere Daten der betroffenen SS 100c Abs. 2 StPO oder von Straftaten gePerson oder von Dritten so verbunden, dass mäß den SSSS 87, 88 und 89 StGB unumgängeine Trennung nicht oder nur mit unverhältlich ist. 2Den Polizeibehörden des Landes nismäßigem Aufwand möglich ist, so dürfen übermittelt die Verfassungsschutzbehörde auch diese Daten übermittelt werden; sie von sich aus personenbezogene Daten auch sind zu sperren. 6 Die Übermittlung ist un1. zur Abwehr einer im Einzelfall bestehenzulässig, wenn dadurch Informationsquelden Gefahr für den Bestand oder die len oder die Arbeitsweise der VerfassungsSicherheit des Bundes oder des Landes, schutzbehörde gefährdet würden und diese für Leib, Leben oder Freiheit einer Sicherheitsinteressen das Interesse an der Person, für lebensoder verteidigungsStrafverfolgung oder an der Gefahrenabwichtige Einrichtungen (SS 1 Abs. 4 und wehr überwiegen. 5 des Niedersächsischen Sicher-heitsüberprüfungsgesetzes - Nds. SÜG -) (2) 1Sind die zu übermittelnden Daten geoder für Kulturdenkmale (SS 1 des kennzeichnet (SS 26 Abs. 2 und 3 Satz 4), Niedersächsischen Denkmalschutzgesetso ist die Kennzeichnung bei der Übermittzes), deren Erhaltung im herausragenlung aufrechtzuerhalten. 2Die Fachministerin den öffentlichen Interesse liegt, oder oder der Fachminister, im Vertretungsfall die 2. wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür Staatssekretärin oder der Staatssekretär oder vorliegen, dass dies zur Verhütung deren oder dessen Vertreterin oder Vertrebesonders schwerwiegender Straftaten ter, kann anordnen, dass bei der Übermittgemäß SS 2 Nr. 10 Nds. SOG oder von lung auf die nach Satz 1 erforderliche KennStraftaten gemäß den SSSS 87, 88, 89 zeichnung der Daten verzichtet wird, wenn und 89a StGB unumgänglich ist. dies unerlässlich ist, um die Geheimhaltung 347 Anhang der Datenerhebung nicht zu gefährden, und (4) 1Die empfangende Staatsanwaltschaft die G 10-Kommission zugestimmt hat. Bei 3 oder Polizeibehörde darf die übermittelten Gefahr im Verzug kann die Anordnung beDaten, soweit gesetzlich nichts anderes bereits vor der Zustimmung getroffen werden. stimmt ist, nur zu dem Zweck verarbeiten, 4 In diesem Fall ist die Zustimmung unverzu dem sie ihr übermittelt wurden. 2Sind die züglich nachträglich einzuholen. Stimmt 5 übermittelten Daten nach Absatz 2 Satz 1 die G 10-Kommission nicht nachträglich gekennzeichnet, so hat sie die Kennzeichzu, so ist die Kennzeichnung unverzüglich nung aufrechtzuerhalten. 3 Wurden persodurch die empfangende Staatsanwaltschaft nenbezogene Daten übermittelt, die unter oder Polizeibehörde nachzuholen; darauf Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel nach ist sie von der Verfassungsschutzbehörde SS 14 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 9 bis 12 oder mit hinzuweisen. Die Übermittlung ist zu do- 6 besonderen Auskunftsverlangen zu Nutkumentieren. 7Über die Übermittlung von zungsdaten nach SS 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, personenbezogen Daten, die unter Einsatz besonderen Bestandsdaten nach SS 20 Abs. 2 nachrichtendienstlicher Mittel nach SS 14 Satz 1 Nr. 2, Verkehrsdaten nach SS 20 Abs. Abs. 1 Satz 1 Nrn. 9 bis 12 oder mit beson- 2 Satz 1 Nr. 3 oder Daten nach SS 20 Abs. deren Auskunftsverlangen zu Nutzungsda- 3 Satz 1 erhoben worden sind, so prüft die ten nach SS 20 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, besondeempfangende Staatsanwaltschaft oder Poliren Bestandsdaten nach SS 20 Abs. 2 Satz 1 zeibehörde unverzüglich und danach in AbNr. 2, Verkehrsdaten nach SS 20 Abs. 2 Satz 1 ständen von höchstens sechs Monaten, ob Nr. 3 oder Daten nach SS 20 Abs. 3 Satz 1 erdie übermittelten Daten für den Zweck erhoben wurden, entscheidet eine besonders forderlich sind, zu dem sie übermittelt wurbestellte Beschäftigte oder ein besonders den. 4Soweit die in Satz 3 genannten Daten bestellter Beschäftigter, die oder der mit der für diesen Zweck oder für eine rechtmäßige Auswertung nicht befasst war und die Befäzweckändernde Nutzung oder Übermittlung higung zum Richteramt hat. nicht erforderlich sind, sind sie unverzüglich unter Aufsicht einer oder eines besonders (3) Erweisen sich personenbezogene Daten 1 bestellten Beschäftigten, die oder der die nach ihrer Übermittlung als unvollständig Befähigung zum Richteramt hat, zu löschen. oder unrichtig, so sind sie gegenüber der 5 Die Löschung ist zu dokumentieren. 6 Die empfangenden Staatsanwaltschaft oder PoVerfassungsschutzbehörde ist unverzüglich lizeibehörde unverzüglich zu ergänzen oder über die Löschung zu unterrichten. zu berichtigen, es sei denn, dass der Mangel für die Beurteilung des Sachverhalts offen(5) 1Die Polizeibehörden des Landes dürfen sichtlich ohne Bedeutung ist. 2 Absatz 2 gilt die Verfassungsschutzbehörde um Überentsprechend. mittlung personenbezogener Daten ersuchen, wenn diese zur Abwehr einer Gefahr für die öffentliche Sicherheit erforderlich 348 Anhang sind. 2Um Übermittlung personenbezogener darf die Verfassungsschutzbehörde nach Daten, die von der VerfassungsschutzbehörSatz 1 Nr. 2 nur übermitteln, wenn die empde durch den Einsatz nachrichtendienstlicher fangende Behörde die Daten zur Abwehr Mittel oder durch besondere Auskunftsvereiner im Einzelfall bestehenden Gefahr für langen erhoben worden sind, darf nur erden Bestand oder die Sicherheit des Bunsucht werden, wenn die Voraussetzungen des oder des Landes, für Leib, Leben oder des Absatzes 1 Satz 2 vorliegen. 3 Die VerFreiheit einer Person, für lebensoder verfassungsschutzbehörde ist verpflichtet, die teidigungswichtige Einrichtungen (SS 1 Abs. Daten zu übermitteln; Absatz 1 Sätze 5 und 4 und 5 Nds. SÜG) oder für Kulturdenkmale 6 sowie die Absätze 2 bis 4 gelten entspre(SS 1 des Niedersächsischen Denkmalschutzchend. 4Sie darf nur solche Daten übermitgesetzes), deren Erhaltung im herausragenteln, die bei ihr bereits bekannt sind oder den öffentlichen Interesse liegt, benötigt. von ihr aus allgemein zugänglichen Quellen 4 SS 31 Abs. 1 Sätze 5 und 6 sowie Abs. 2, entnommen werden können. 3 und 6 gilt entsprechend. 5 Für die Übermittlung an Behörden des Landes gilt auch (6) In der Verdachtsgewinnungsphase (SS 8) SS 31 Abs. 4 entsprechend. 6An Behörden des ist die Übermittlung personenbezogener Bundes und anderer Länder darf nur überDaten nicht zulässig. mittelt werden, wenn für die empfangende Behörde den Vorschriften dieses Gesetzes SS 32 vergleichbare Datenschutzregelungen gelten. Übermittlung an sonstige Behörden und Stellen (2) 1Die Verfassungsschutzbehörde darf personenbezogene Daten an Dienststellen der (1) An sonstige inländische Behörden darf 1 alliierten Streitkräfte übermitteln, soweit die Verfassungsschutzbehörde personenbedies im Rahmen der Zusammenarbeit nach zogene Daten übermitteln, wenn dies Artikel 3 des Zusatzabkommens zu dem Ab1. zur Erfüllung ihrer Aufgaben nach SS 3 kommen zwischen den Parteien des NordatAbs. 2 bis 4 erforderlich ist oder lantikvertrages über die Rechtsstellung ihrer 2. die empfangende Behörde die Daten zu Truppen hinsichtlich der in der BundesreZwecken der Gefahrenabwehr benötigt. publik Deutschland stationierten ausländi- 2 An Finanzämter darf die Verfassungsschen Truppen vom 3. August 1959 (BGBl. schutzbehörde personenbezogene Daten 1961 II S. 1183, 1218) erforderlich ist. 2Die auch übermitteln, wenn dies zu den in Übermittlung ist zu dokumentieren und der SS 51 Abs. 3 der Abgabenordnung genannten oder dem Landesbeauftragten für den DaZwecken erforderlich ist. 3Personenbezogetenschutz mitzuteilen. ne Daten, die durch den Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel oder durch besondere Auskunftsverlangen erhoben worden sind, 349 Anhang (3) 1Die Verfassungsschutzbehörde darf perkretärin oder der Staatssekretär oder deren sonenbezogene Daten im Einvernehmen mit oder dessen Vertreterin oder Vertreter, der dem Bundesamt für Verfassungsschutz an Übermittlung zugestimmt hat. 2 Jede Überausländische öffentliche Stellen sowie an mittlung ist zu dokumentieren. 3 Die in der überund zwischenstaatliche Stellen überDokumentation enthaltenen Daten dürfen mitteln, soweit die Übermittlung in einem ausschließlich zur Datenschutzkontrolle verGesetz, einem Rechtsakt der Europäischen wendet werden. 4Sie sind zu löschen, wenn Gemeinschaften oder einer internationaseit der Mitteilung gemäß Satz 7 ein Jahr len Vereinbarung geregelt ist. 2Eine Übervergangen ist, frühestens jedoch zwei Jahre mittlung darf auch erfolgen, wenn sie zum nach der Dokumentation. 5Der Empfänger Schutz von Leib oder Leben einer Person darf die übermittelten Daten, soweit gesetzerforderlich ist und für die empfangende lich nichts anderes bestimmt ist, nur zu dem Stelle gleichwertige DatenschutzregelunZweck verarbeiten, zu dem sie ihm übermitgen gelten. 3 Die Übermittlung unterbleibt, telt wurden. 6Er ist auf die Verarbeitungsbewenn ihr auswärtige Belange der Bundesschränkung und darauf hinzuweisen, dass republik Deutschland oder überwiegende sich die Verfassungsschutzbehörde vorbeschutzwürdige Interessen der Betroffehält, Auskunft über die Verarbeitung der nen, insbesondere deren Schutz vor einer Daten zu verlangen. 7Die Übermittlung der rechtsstaatswidrigen Verfolgung, entgepersonenbezogenen Daten ist der betroffegenstehen. Die Übermittlung der von einer 4 nen Person durch die VerfassungsschutzbeAusländerbehörde empfangenen personenhörde mitzuteilen, sobald eine Gefährdung bezogenen Daten unterbleibt, es sei denn, der Aufgabenerfüllung durch die Mitteilung die Übermittlung ist völkerrechtlich gebonicht mehr zu besorgen ist. ten. Übermittlungen nach den Sätzen 1 und 5 2 sind zu dokumentieren und der oder dem SS 33 Landesbeauftragten für den Datenschutz Aufklärung der Öffentlichkeit, mitzuteilen. Verfassungsschutzbericht (4) 1Personenbezogene Daten dürfen an Per(1) 1Die Verfassungsschutzbehörde kann die sonen oder Stellen außerhalb des öffentliÖffentlichkeit über Beobachtungsobjekte chen Bereichs nicht übermittelt werden, es und über Tätigkeiten nach SS 3 Abs. 1 Nr. 2 sei denn, dass dies zum Schutz vor Bestreaufklären. 2Sie kann auch über Verdachtsbungen oder Tätigkeiten nach SS 3 Abs. 1 objekte aufklären, wenn die den Verdacht oder zur Gewährleistung der Sicherheit von rechtfertigenden tatsächlichen Anhaltslebensoder verteidigungswichtigen Einpunkte unter Berücksichtigung der Interesrichtungen (SS 1 Abs. 4 und 5 Nds. SÜG) ersen der Betroffenen hinreichend gewichtig forderlich ist und die Fachministerin oder der sind. Fachminister, im Vertretungsfall die Staatsse350 Anhang (2) 1Die Verfassungsschutzbehörde ist versonstigen Ausschüsse ein besonderer, vom pflichtet, zur Aufklärung der Öffentlichkeit Landtag unverzüglich nach Beginn der Wahleinen jährlichen Verfassungsschutzbericht periode einzusetzender Ausschuss für Angevorzulegen, in dem auch die Summe der legenheiten des Verfassungsschutzes aus. Haushaltsmittel sowie die Gesamtzahl der in der Verfassungsschutzabteilung BeschäfSS 35 tigten nach Stellen und BeschäftigungsvoluZusammensetzung und Vermen darzustellen sind. 2Ferner sind in dem fahrensweise des Ausschusses Bericht allgemein die Anwendung nachrichtendienstlicher Mittel nach SS 14, die beson(1) 1Der Ausschuss für Angelegenheiten des deren Auskunftsverlangen nach SS 20, die Verfassungsschutzes soll aus mindestens Auskunftsersuchen nach SS 30 und die Struksieben Abgeordneten des Landtages besteturdaten der von der Verfassungsschutzbehen. 2Mitglieder der Landesregierung könhörde in Dateien im Sinne des SS 6 Satz 1 nen dem Ausschuss nicht angehören. 3Jede BVerfSchG gespeicherten PersonendatenFraktion erhält mindestens einen Sitz. 4 Das sätze darzustellen. Nähere regelt die Geschäftsordnung des Niedersächsischen Landtages. (3) Bei der Aufklärung der Öffentlichkeit dürfen personenbezogene Daten nur be(2) Für die Verhandlungen des Ausschusses kannt gegeben werden, wenn die Bekanntgelten die Vorschriften der Geschäftsordgabe für das Verständnis der Darstellung, nung des Niedersächsischen Landtages, soinsbesondere von Organisationen oder unweit in diesem Gesetz nichts Abweichendes organisierten Gruppierungen, erforderlich bestimmt ist. ist und das Interesse der Allgemeinheit das schutzwürdige Interesse der betroffenen SS 36 Person überwiegt. Unterrichtungspflichten des Fachministeriums Vierter Teil (1) 1Das Fachministerium ist verpflichtet, Parlamentarische Kontrolle den Ausschuss für Angelegenheiten des Verfassungsschutzes umfassend über seiSS 34 ne Tätigkeit als Verfassungsschutzbehörde Ausschuss für Angelegenheiten im Allgemeinen sowie über Vorgänge von des Verfassungsschutzes besonderer Bedeutung zu unterrichten. 2Es unterrichtet insbesondere über Die parlamentarische Kontrolle auf dem Ge1. die Bestimmung eines Beobachtungsobbiet des Verfassungsschutzes übt unbeschajekts und die Verlängerung der Bestimdet der Rechte des Landtages und seiner mung (SS 6 Abs. 2), 351 Anhang 2. die Beendigung der Beobachtung und (4) Das Fachministerium unterrichtet das ParAufklärung eines Beobachtungsobjekts lamentarische Kontrollgremium des Bundes (SS 6 Abs. 2 und 3), jährlich über besondere Auskunftsverlangen 3. die beabsichtigte Bestimmung eines Bezu Nutzungsdaten nach SS 20 Abs. 1 Satz 1 obachtungsoder Verdachtsobjekts, in Nr. 2, Verkehrsdaten nach SS 20 Abs. 2 Satz dem die Inanspruchnahme von Vertrau- 1 Nr. 3 und Daten nach SS 20 Abs. 3 Satz 1; enspersonen angeordnet werden darf, dabei ist ein Überblick über Anlass, Umfang, sowie die beabsichtigte Verlängerung Dauer, Ergebnis und Kosten der im Berichtsder Bestimmung (SS 21 Abs. 5), zeitraum durchgeführten Maßnahmen zu 4. den beabsichtigten Erlass oder die geben. beabsichtigte Änderung einer Dienstvorschrift für den Einsatz nachrichtenSS 37 dienstlicher Mittel (SS 21 Abs. 7) und Aufhebung der 5. den beabsichtigten Erlass oder die beVerschwiegenheitspflicht absichtigte Änderung einer Verfahrensbeschreibung nach SS 8 NDSG (SS 29). (1) 1 Die Beschäftigten der Verfassungsschutzbehörde dürfen sich in dienstlichen (2) Das Fachministerium unterrichtet den Angelegenheiten ohne Einhaltung des Ausschuss für Angelegenheiten des VerfasDienstweges unmittelbar an den Ausschuss sungsschutzes in Abständen von längstens für Angelegenheiten des Verfassungsschutsechs Monaten über den Einsatz nachrichzes oder an einzelne Mitglieder des Austendienstlicher Mittel, die der Mitteilungsschusses wenden. 2Einzelne Mitglieder des pflicht nach SS 22 Abs. 1 Sätze 1 und 2 unAusschusses dürfen die nach Satz 1 erhalteterliegen. nen Mitteilungen sowie die ihnen dazu vorgelegten Unterlagen ausschließlich an den (3) 1Das Fachministerium unterrichtet im Ausschuss weitergeben. 3Sie dürfen dabei Abstand von höchstens sechs Monaten den von der Bekanntgabe des Namens der oder Ausschuss für Angelegenheiten des Verfasdes Beschäftigten absehen. sungsschutzes über die besonderen Auskunftsverlangen nach SS 20; dabei ist insbe(2) 1Die Verhandlungen des Ausschusses sondere ein Überblick über Anlass, Umfang, über Mitteilungen nach Absatz 1 und die Dauer, Ergebnis und Kosten der im Berichtsdazu vorgelegten Unterlagen sind vertrauzeitraum durchgeführten Maßnahmen zu lich im Sinne der Geschäftsordnung des Niegeben. 2Satz 1 gilt nicht für Auskunftsverdersächsischen Landtages. 2Der Ausschuss langen zu einfachen Bestandsdaten nach kann die Vertraulichkeit nach Maßgabe der SS 20 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1. Geschäftsordnung des Niedersächsischen Landtages einschränken oder aufheben. 352 Anhang SS 38 Landesbeauftragten richten sich nach den Beauftragung einer oder Bestimmungen des Niedersächsischen Daeines Sachverständigen tenschutzgesetzes. 3Die oder der Landesbeauftragte hat dem Ausschuss über das Er- 1 Der Ausschuss für Angelegenheiten des gebnis der Prüfung zu berichten. Verfassungsschutzes kann mit der Mehrheit von zwei Dritteln seiner Mitglieder eine (2) Die oder der Landesbeauftragte für den Sachverständige oder einen SachverstänDatenschutz kontrolliert im Abstand von digen beauftragen, zur Wahrnehmung der höchstens zwei Jahren die Einhaltung der Kontrollaufgaben des Ausschusses im Eingesetzlichen Vorschriften über die Verarbeizelfall Untersuchungen durchzuführen. 2Die tung von personenbezogenen Daten, die mit Landesregierung ist vor der Beauftragung nachrichtendienstlichen Mitteln oder besonder oder des Sachverständigen anzuhören. deren Auskunftsverlangen erhoben wurden, 3 Die oder der Sachverständige kann nach die der Mitteilungspflicht nach SS 22 Abs. 1 Maßgabe ihres oder seines Auftrages die Sätze 1 bis 3 unterliegen. dem Ausschuss nach Artikel 24 Abs. 2 der Niedersächsischen Verfassung vorgelegten (3) Stellt die oder der Landesbeauftragte Akten einsehen. 4 Die Einsicht in vertrauliche für den Datenschutz einen Verstoß der VerUnterlagen setzt voraus, dass sie oder er fassungsschutzbehörde gegen eine Datenzuvor von der Landtagsverwaltung förmlich schutzbestimmung fest, so kann sie oder zur Geheimhaltung verpflichtet worden ist. er den Ausschuss für Angelegenheiten des 5 Die oder der Sachverständige hat dem AusVerfassungsschutzes darüber unterrichten; schuss über das Ergebnis der UntersuchunSS 23 NDSG bleibt unberührt. gen zu berichten. SS 40 SS 39 Berichterstattung des Beteiligung der oder des Ausschusses gegenüber Landesbeauftragten für den dem Landtag Datenschutz (1) 1Der Ausschuss für Angelegenheiten des (1) 1Der Ausschuss für Angelegenheiten des Verfassungsschutzes legt dem Landtag einVerfassungsschutzes hat auf Antrag von mal jährlich einen Bericht über seine Tätigmindestens einem Fünftel seiner Mitglieder keit vor. 2 Ausschussmitglieder, die den Bedie Landesbeauftragte oder den Landesbericht für unzutreffend halten, können ihre auftragten für den Datenschutz zu beaufAuffassung in einem Zusatz zu diesem Betragen, die Rechtmäßigkeit einzelner Maßricht darstellen. nahmen der Verfassungsschutzbehörde zu überprüfen. 2Die Befugnisse der oder des 353 Anhang (2) Der Ausschuss legt dem Landtag einmal jährlich einen Bericht über die Durchführung der nachrichtendienstlichen Mittel und besonderen Auskunftsverlangen vor, die der Mitteilungspflicht nach SS 22 Abs. 1 Sätze 1 bis 3 unterliegen. Fünfter Teil Schlussvorschriften SS 41 Einschränkung von Grundrechten Aufgrund dieses Gesetzes können das Grundrecht der Versammlungsfreiheit (Artikel 8 Abs. 1 des Grundgesetzes) und das Grundrecht auf Wahrung des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses (Artikel 10 des Grundgesetzes) eingeschränkt werden. SS 42 Übergangsvorschrift Auf Vertrauenspersonen, die am 31. Oktober 2016 bereits in Anspruch genommen werden, finden SS 16 Abs. 2 und SS 21 Abs. 5 erst am 1. Mai 2017 Anwendung. 354 Anhang 12.3 Verbote neonazistischer Vereinigungen Verbotsverfüg. Vereinigung Verbotsbehörde 26.11.1992 Nationalistische Front (NF) Bundesministerium des Innern 08.12. 1992 Deutsche Alternative (DA) Bundesministerium des Innern 18.12.1992 Deutscher Kameradschaftsbund Niedersächsisches (DKB) Innenministerium 21.12.1992 Nationale Offensive (NO) Bundesministerium des Innern 07.06.1993 Nationaler Block (NB) Bayerisches Staatsministerium des Innern 08.07.1993 Heimattreue Vereinigung Innenministerium des Landes Deutschlands (HVD) Baden-Württemberg 25.08.1993 Freundeskreis Freiheit für Innenministerium des Landes Deutschland (FFD) Nordrhein-Westfalen 10.11.1994 Wiking Jugend e. V. (WJ) Bundesministerium des Innern (auf Initiative des Niedersächsischen Innenministeriums) 24.02.1995 Freiheitliche Deutsche Bundesministerium des Innern Arbeiterpartei (FAP) (auf Initiative des Niedersächsischen Innenministeriums) 24.02.1995 Nationale Liste (NL) Behörde für Inneres Hamburg 05.05.1995 Direkte Aktion/MitteldeutschInnenministerium des land (JF) Landes Brandenburg 22.07.1996 Skinheads Allgäu Bayerisches Staatsministerium des Innern 14.08.1997 Kameradschaft Oberhavel Innenministerium des Landes Brandenburg 09.02.1998 Heide-Heim e. V. und Niedersächsisches Heideheim e. V. Innenministerium 10.08.2000 Hamburger Sturm Behörde für Inneres Hamburg 355 Anhang 12.09.2000 Blood & Honour-Division Bundesministerium des Innern Deutschland mit Jugendorganisation White Youth 02.04.2001 Skinheads Sächsische Schweiz Sächsisches Staatsministerium (SSS) mit Skin-heads Sächsische des Innern Schweiz - Aufbauorganisationen und Nationaler Widerstand Pirna 07.03.2003 Bündnis nationaler Sozialisten Innenministerium des Landes für Lübeck Schleswig-Holstein 19.12.2003 Fränkische Aktionsfront Bayerisches Staatsministerium des Innern 07.03.2005 Kameradschaft Tor Innensenator des Landes Berlin "Mädelgruppe" der Kameradschaft Tor 07.03.2005 Berliner Alternative Süd-Ost Innensenator des Landes Berlin (BASO) 06.04.2005 Kameradschaft Hauptvolk mit Innenministerium des Untergruppierung "Sturm 27" Landes Brandenburg 04.07.2005 Alternative Nationale StrausberInnenministerium des ger DArt Piercing und Tattoo Landes Brandenburg Offensive (ANSDAPO) 26.06.2006 Schutzbund Deutschland Innenministerium des Landes Brandenburg 23.04.2007 Kameradschaft Sturm 34 Sächsisches Staatsministerium des Innern 01.04.2008 Blue White Street Elite (BWSE) Innenministerium des rechtsextremistisch beeinflusste Landes Brandenburg Hooligan-Vereinigung 07.05.2008 Collegium Humanum (CH) Bundesministerium des Innern 356 Anhang 07.05.2008 Verein zur Rehabilitierung der Bundesministerium des Innern wegen Bestreitens des Holocaust Verfolgten (VRBHV) 31.03.2009 Heimattreue Deutsche Jugend Bundesministerium des Innern e. V. (HDJ) 28.05.2009 Mecklenburgische Aktionsfront Innenministerium des Landes Mecklenburg-Vorpommern 05.11.2009 Frontbann 24 Innensenator des Landes Berlin 11.04.2011 Freie Kräfte Teltow-Fläming Innenministerium des (FKTF) Landes Brandenburg 30.08.2011 Hilfsorganisation für nationale Bundesministerium des Innern politische Gefangene und ihre Angehörigen e. V. (HNG) 19.06.2012 Widerstandsbewegung in Innenministerium des Südbrandenburg Landes Brandenburg 10.05.2012 Kameradschaft Walter Innenministerium des Landes Spangenberg Nordrhein-Westfalen 23.08.2012 Kameradschaft Aachener Land Innenministerium des Landes Nordrhein-Westfalen 23.08.2012 Kameradschaft Hamm Innenministerium des Landes Nordrhein-Westfalen 23.08.2012 Nationaler Widerstand Innenministerium des Landes Dortmund Nordrhein-Westfalen 25.09.2012 Besseres Hannover Niedersächsisches Innenministerium 12.02.2013 Nationale Sozialisten Döbeln mit Sächsisches Staatsministerium Division Döbeln, Initiative für des Innern Döbeln und Freies Döbeln sowie der Band INKUBATION 357 Anhang 28.03.2014 Nationale Sozialisten Chemnitz Sächsisches Staatsministerium (NSC) mit Interessengemeindes Innern schaft Chemnitzer Stadtgeschichten und Aktionsgemeinschaft "Raus in die Zukunft" 02.07.2014 Freies Netz Süd Bayerisches Staatsministerium des Innern 10.12.2014 Autonome Nationalisten Innenministerium Göppingen Baden-Württemberg 27.10.2015 Sturm 18 e. V. Hessisches Ministerium des Innern 27.01.2016 Altermedia Deutschland Bundesministerium des Innern 16.03.2016 Weisse Wölfe Terrorcrew Bundesministerium des Innern 12.4 Verbote linksextremistischer Vereinigungen Verbotsverfüg. Vereinigung Verbotsbehörde 25.08.2017 linksunten.indymedia Bundesministerium des Innern 358 Anhang 12.5 Übersicht über Verbotsmaßnahmen des BMI gegen extremistische Bestrebungen mit Bezug zum Ausland im Zeitraum Januar 1990 bis Dezember 2017 Organisation Verbotsverfügung Phänomenbereich Arbeiterpartei Kurdistans (PKK)/Nationale Befreiungsfront Kurdistans (ERNK) und Teilorganisationen, Förderation der patriotischen 22.11.1993 AE Arbeiterund Kulturvereinigungen aus Kurdistan in der Bundesrepublik Deutschland e. V. (FEYKA-Kurdistan), Kurdistan-Komitee e. V. Kurdistan Informationsbüro (KIB) alias Kurdis20.02.1995 AE tan Informationsbüro in Deutschland Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front 06.08.1998 AE (DHKP-C) Türkische Volksbefreiungspartei/-Front 06.08.1998 AE (THKP/-C) Kalifatstaat und 35 Teilorganisationen 08.12.2001 14.12.2001 ISiT 13.05.2002 16.09.2002 al-Aqsa e. V. 31.07.2002 ISiT Hizb ut-Tahrir (HuT) 10.01.2003 ISiT Yeni Akit GmbH, Verlegerin der EuropaAusgabe der türkisch-sprachigen Tages22.02.2005 ISiT zeitung Anadoluda Vakit Bremer Hilfswerk e. V. 18.01.2005 Selbstauflösung mit Wirkung vom ISiT 18.01.2005; Löschung im Vereinsregister 29.06.2005 am 29.06.2005 359 Anhang YATIM-Kinderhilfe e. V.178 30.08.2005 ISiT Mesopotamia Broadcast A/S, Roj TV A/S 13.06.2008 AE VIKO Fernseh Produktion GmbH 13.06.2008 al-Manar TV 29.10.2008 ISiT Internationale Humanitäre Hilfsorganisation 23.06.2010 ISiT e. V. (IHH) Millatu Ibrahim 29.05.2012 ISiT Dawa FM einschließlich der Teilorganisation Internationaler Jugendverein - Dar al Schabab 25.02.2013 ISiT e. V. an-Nussrah 25.02.2013 ISiT DawaTeam Islamische Audios 25.02.2013 ISiT Waisenkinderprojekt Libanon e. V. 02.04.2014 ISiT Islamischer Staat 12.09.2014 ISiT Tauhid Germany 26.03.2015 ISiT Zeitschrift "Yürüyüs" 06.05.2015 AE Die Wahre Religion (DWR) alias "LIES! 25.10.2016 ISiT Stiftung" / "Stiftung LIES" AE = Ausländerextremismus ISiT = Islamismus/islamistischer Terrorismus 178 Das BMI hatte am 03.12.2004 ein vereinsrechtliches Ermittlungsverfahren mit dem Ziel eines Verbots gegen das "Bremer Hilfswerk e. V." eingeleitet. Der Verein ist dem Verbot durch Selbstauflösung zuvorgekommen. 360 Anhang 12.6 Abkürzungsverzeichnis A ADÜTDF Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine (Almanya Demokratic Ülkücü Türk Dernekleri Federasyonu) AG Aktionsgruppe AKK Antikapitalistisches Kollektiv AKL Antikapitalistische Linke A.L.I. Antifaschistische Linke International AMAQ A'maq News Agency AQAH Al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel AQM Al-Qaida im islamischen Maghreb ASJ Anarcho-syndikalistische Jugendorganisation ATF Deutsche Türkische Föderation (Almanya Türk Federasyonu) B BFE Bund Freies Europa BfV Bundesamt für Verfassungsschutz BL Basisdemokratische Linke Göttingen BMI Bundesministerium des Innern BPjM Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien BVerfGE Entscheidungssammlung des BVerfG BVerfSchG Bundesverfassungsschutzgesetz C CA Ciwanen Azad CDK Koordination der kurdisch-demokratischen Gesellschaft in Europa (Civata Demokratik Kurdistan) CH Collegium Humanum - Akademie für Umwelt und Lebensschutz e. V. CIK Islamische Gemeinde Kurdistans 361 Anhang D DIK Deutschsprachiger Islamkreis e. V. Hannover und Hildesheim DKP Deutsche Kommunistische Partei DHKP-C Revolutionäre Volkspartei-Front (Devrimci Halk Kurtulus Partisi Cephesi) DMG Deutschsprachige Muslimische Gemeinschaft e. V. Braunschweig DVU Deutsche Volksunion DWR Die Wahre Religion E EA Europäische Aktion ERNK Nationale Befreiungsfront Kurdistans F FAP Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei FAU/IAA Freie Arbeiterinnenund Arbeiter-Union / Internationale ArbeiterInnen Assoziation fdGO freiheitliche demokratische Grundordnung FHwO Freundschaftsund Hilfswerk Ost e. V. G GG Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland GI Generation identitaire GIAZ Gemeinsames Informationsund Analysezentrum Polizei und Verfassungsschutz Niedersachsen G 10 Artikel 10-Gesetz H HAMAS Islamische Widerstandsbewegung (Harakat al-Muqawama al-Islamiya) HDJ Heimattreue Deutsche Jugend e. V. 362 Anhang HNG Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige HPG Volksverteidigungseinheiten HTS Hai'at Tahrir al-Sham (Organisation zur Befreiung der Levante) I IAA Internationale ArbeiterInnen Assoziation IAC Ismail Aga Cemaati IBD Identitäre Bewegung Deutschland IGD Islamische Gemeindschaft in Deutschland e. V. IGMG Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e. V. IL Interventionistische Linke IS Islamischer Staat J JaN Jabhat al-Nusra (Unterstützungsfront für das syrische Volk) JFS Jabhat Fatah al-Sham (Front für die Eroberung der Levante) JLO Junge Landsmannschaft Ostdeutschland JN Junge Nationaldemokraten (seit 13.01.2018 Junge Nationalisten) K KADEK Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistans KC Komalen Ciwan KCD-E Kurdischer Demokratischer Gesellschaftskongress in Europa KCDK-E Kongress der kurdisch-demokratischen Gesellschaft Kurdistans in Europa KCK Vereinigte Gemeinschaften Kurdistans KKK Gemeinschaft der Kommunen in Kurdistan KONGRA GEL Volkskongress Kurdistans KPD Kommunistische Partei Deutschlands KPF Kommunistische Plattform der Partei DIE LINKE. KPMD-PMK Kriminalpolizeilicher Meldedienst in Fällen Politisch motivierter Kriminalität 363 Anhang L LfD Landesbeauftragte für den Datenschutz M MB Muslimbruderschaft MIT Milli Istihbarat Teskilati, Türkischer ziviler Nachrichtendienst MLKP (türkische) Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei (Marksist Leninist Komünist Partisi) MLPD Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands N N-CERT Niedersächsisches Computer Emergency Response Team NADIS Nachrichtendienstliches Informationssystem NATO North Atlantic Treaty Organization (Nordatlantikvertrag) NAV-DEM Demokratisches Kurdisches Gesellschaftszentrum Deutschland (Navenda Civaka Demokratik a Kurden li Elmanyaye bzw. Almanya Demokratik Kürt Toplum Merkesi) NCAZ Nationales Cyber-Abwehrzentrum NIKA Nationalismus ist keine Alternative NPD Nationaldemokratische Partei Deutschlands NVerfSchG Niedersächsisches Verfassungsschutzgesetz NWNO Nationaler Widerstand Niedersachsen/Ost O OLG Oberlandesgericht P Pegida Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes PKK Arbeiterpartei Kurdistans 364 Anhang PMK Politisch motivierte Kriminalität PYD Partiya Yekitija Demokrat (Partei der demokratischen Einheit) R RAC Rock Against Communism RH Rote Hilfe e. V. RuW Recht und Wahrheit (Publikation) S SdR Stimme des Reiches SJ Schlesische Jugend e. V. SL Sozialistische Linke SO Scientology-Organisation SRP Sozialistische Reichspartei StGB Strafgesetzbuch T TAK Freiheitsfalken Kurdistans TddZ Tag der deutschen Zukunft TJ Tablighi Jama'at TKP/ML Kommunistische Partei der Türkei/Marxisten-Leninisten (Türkiye Komünist Partisi/Marksist Leninist) Tikko Türkische Arbeiterund Bauernbefreiungsarmee U uG Bündnis ...ums Ganze! Kommunistisches Bündnis 365 Anhang V VRBHV Verein zur Rehabilitierung der wegen Bestreitens des Holocaust Verfolgten VS Verschlusssache VSA Verschlusssachenanweisung Y YHK Union der Juristen Kurdistans YMK Union der kurdischen Lehrer YNK Union der Schriftsteller Kurdistans YÖP Yeni Özgür Politika YPG Volkseinheiten der PYD YPJ Frauenverteidigungseinheiten der PYD YRK Union der Journalisten Kurdistans YXK Verband der Studierenden aus Kurdistan e. V. 366 Anhang 12.7 Personenund Stichwortverzeichnis A Ansaar International | 184 Antideutsche | 147 A'maq News Agency (AMAQ) | 209 Antifaschismus | 141, 144, 151f, 157, 159, Abdulaziz Abdullah, Ahmad | s. Abu Walaa 304 Abou Nagie, Ibrahim | 174 Antifaschistische Linke International (A.L.I.) Abu Walaa | 177, 185, 216 | 146f, 157 Act of Violence (Musikband) | 49 Antiimperialisten | 147f Adler-Versand/Antishop2013 | 56f Antikapitalistische Linke (AKL) | 143 Ahlborn, Martin | 91 Antikapitalistisches Kollektiv (AKK) | 66 Aktionsbündnis gelber Schein | 133 Antirassismus | 141, 144, 161 Aktionsbündnis 38 | 65 Antirepression | 141, 144, 155, 157ff, 161 Aktionsgruppe | 59, 301 Antisemitismus (Begriff) | 37f Aktionsgruppe Hannover | 64 Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) | 230-246, Aktionsgruppe Nienburg | 69, 99 306, 312, 359 Al-Baghdadi, Abu Bakr | 195f, 201 Armih, Ahmad | 180f Almanya Demokratik Ülcücü Türk Demekleri Artikel 10-Gesetz | 18, 21 Federasyonu (ADÜTDF) | 233 Autonome | 138, 141-144, 147-162 al-Banna, Hasan | 219 al-Zawahiri, Ayman | 193, 195 al-Hayat Media Center | 196 al-Nusra-Front | s. Jabhat Fatah al-Sham al-Qaida | 168, 192f, 195, 199, 204, 206 B al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel (AQAH) | 192, 194 Baraa, Ahmed Abul | 180, 183, 185 al-Qaida im Irak | 192 Basisdemokratische Linke Göttingen (BL) al-Qaida im islamischen Maghreb (AQM) | 146f | 192 Besseres Hannover | 42, 64, 357 al-Shabab | 192 Bildungswerk für Heimat und nationale al-Suri, Abu Mus'ab | 199 Identität | 88 Alhambra (Publikation) | 143 Bin Ladin, Usama | 192f, 195 Altermedia | 358 Blood Brother Nation | 73 Amt für Menschenrecht | 133 Brigade 8 | 73 Anarchismus | 139, 159 Bruno, Gianluca | 91 Anarchisten | 138f, 143, 159ff Bündnis ...ums Ganze! (uG) | 141, 144, Anarchosyndikalismus | 159ff 146f, 149, 151, 153f, 156 Anarcho-syndikalistische Jugendorganisation Bürgerbewegung pro NRW | 34, 36 (ASJ) | 161 367 Anhang Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine | 18, 26, 138 in Deutschland e.V. Bundesministerium des Innern (BMI) | 235, Deutschsprachige Muslimische Gemein237, 240, 359f schaft (DMG) | 176, 179f, 182 Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Deutschsprachiger Islamkreis e.V. (DIK) Medien (BPjM) | 48f, 53, 115 Hannover | 170, 172f Bund Freies Europa (BFE) | 103 Deutschsprachiger Islamkreis Hildesheim e.V. (DIK) | 177, 184ff, 216 Deutschsprachiger Muslimkreis Braun- C schweig e.V. | 221 Devrimci Halk Kurtulus Partisi Cephesi Ciftci, Muhamed | 172f, 179f, 185 (DHKP-C) | 233, 359 Civata Demokratik Kurdistan (CDK) | 237f Die Exil-Regierung Deutsches Reich | 133 Ciwanen Azad | 234, 239f DIE LINKE. | 90, 139, 143 Collegium Humanum - Akademie für Die Rechte | 34ff, 40, 47, 59, 61f, 66, 69ff, Umwelt und Lebensschutz e. V. (CH) | 114, 73, 92-102, 112 356 Die Russlanddeutschen Konservativen | 111 Die Wahre Religion (DWR) | 174, 360 D Direkte Aktion (Publikation) | 143 Drei-Säulen-Strategie | 87f Dabbagh, Hassan | 183, 198 Dschihad/Dschihadismus | siehe Jihad Dabiq (Publikation) | 196 Dual-use-Güter | 273 Dammann, Manfred | 85, 91 Düütsche Deerns | 71, 92, 100 Das Zeughaus (Versand) | 56ff Dawa | 171-174, 176, 179 Demokratisches Kurdisches Gesellschafts- E zentrum Deutschland (NAV-DEM) | 238, 241, 243f Eigenfeld, Ulrich | 85, 91 Der III. Weg | 34, 36, 40, 47, 61, 69ff, 73, Emssturm (Musikband) | 53, 57 92, 100, 111 En-Nahda | 222 Der Versand | 56f Erbakan-Stiftung | 166 Deutsche Kommunistische Partei (DKP) Ethnopluralismus | 37, 42, 76, 84, 107, | 139, 142 109 Deutsche Stimme (Publikation) | 85, 88 Europäische Aktion (EA) | 102-113 Deutsche Türkische Föderation (Almanya EU-Terrorliste | 235, 237 Türk Federasyonu, ATF) | s. Föderation der Exilregierung Deutsches Reich | 129, 132ff 368 Anhang F "Gigi / Stahlgewitter" (Musikband) | 51ff, 57 Fast Forward Hannover | 147 Grimm, Markus | 91 Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in Deutschland e.V. (Almanya Demokratik Ülkücü Türk Demekleri H Federasyonu, ADÜTDF) | 233 Franz, Frank | 85, 87ff, 93 Haack, Andreas | 91 Freie Arbeiterinnenund Arbeiter-Union Hai'at Tahrir al-Sham (HTS) | 192 (FAU) | 143f, 159-162 HAMAS | siehe Islamische WiderstandsFreiheitsfalken Kurdistans (TAK) | 240 bewegung Freiheitsund Demokratiekongress KurdisHatecore Lüneburg (Versand) | 56f tans (KADEK) | siehe Arbeiterpartei KurdisHaverbeck-Wetzel, Ursula | 62, 114ff, tans (PKK) 122ff Freistaat Preußen | 110f, 113-121, 133 Helden sterben nie | 67 Fremdenfeindlichkeit (Begriff) | 37f Helfen in Not e. V. | 185 Freundeskreis Gefangenenhilfe | 71, 100 Heise, Thorsten | 40, 68f, 87, 90f, 105 Freundeskreis Thügida | s. Volksbewegung Hennig, Rigolf Dr. | 102, 104f, 107, Niedersachsen 111-114, 116-120, 123 Freundschaftsund Hilfswerk Ost e. V. Hilfsorganisation f. nationale politische (FhwO) | 127 Gefangene und deren Angehörige (HNG) Front Records (Versand) | 55 | 38, 357 Hizb Allah | 225ff Höfs, Arnold | 114 G Holocaust (Leugnung/Relativierung) | 38, 62, 103, 111, 114-117, 119, 121-124 G 10 | siehe Artikel 10-Gesetz Hooton-Plan | 110, 118, 125f Gai Dao (Publikation) | 143 Gassenraudi (Musikband) | 51, 54, 57 Gegenlicht (Publikation) | 88 I Geheimschutz | 280-285, 288f, 292 Gemeinsam Stark Deutschland (GSD) | 63f Identitäre Bewegung Deutschland (IBD) Gemeinschaft der Kommunen in Kurdistan | 34f, 42, 74-84 (KKK) | siehe Arbeiterpartei Kurdistans Inspire (Publikation) | 194, 199, 204 (PKK) Internationale ArbeiterInnen Assoziation Generation identitaire (GI) | 75 (IAA) | 160 Geschichtsrevisionismus | 39 Interventionistische Linke (IL) | 140f, 144ff Giese, Daniel | 51ff, 57 ISD Records (Versand) | 55 369 Anhang Islamfeindlichkeit | 61, 76, 80, 111 K Islamische Gemeinde Kurdistans (CIK) | 240 Kameradschaft Northeim | 69 Islamische Gemeinschaft Deutschland (IGD) Kampf um die Köpfe | 87 | 219, 221 Kampf um die Parlamente | 87f Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e. V. Kampf um die die Straße | 87 (IGMG) | 166 Kollektiv Nordharz | 41, 65f, 69, 99f, 301 Islamische Widerstandsbewegung (HAMAS) Komalen Ciwan (KC) | 239, 242 | 168, 222 Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) Islamischer Staat (IS) | 168, 179, 183ff, | 16, 317 188, 190, 192f, 195-198, 199-214, 216f, Kommunistische Partei der Türkei/Marxis360 ten-Leninisten (TKP/ML) | 234 Islamisches Zentrum München | 222 Kommunistische Plattform (KPF) | 143 Islamismus (Begriff) | 167f, 313f Kongress der kurdisch-demokratischen Islamistische Radikalisierung | 176f, 179, Gesellschaft Kurdistans in Europa (KCDK-E) 184f, 189f, 216, 251, 255f | 237f Islamistischer Terrorismus | 191-218 Konvertiten | 172 Islamothek | 180 Koordination der kurdisch-demokratischen Islamschule Braunschweig | 179f, 188 Gesellschaft in Europa (CDK) | 237f Ismail Aga Cemaati (IAC) | 166 Krass, Marcel | 173 Krieger, Christina | 91 Kriegsberichter (Musikband) | 34 J Kurdistan-Festival | 238f Kurdische Frauenvereinigung Rohani e. V. Jabhat al-Nusra (JaN) | s. Jabhat Fatah | 244 al-Sham Kurdischer Treffpunkt e. V. | 244 Jabhat Fatah al-Sham (JFS) | 192, 195, 206 Jihad/Jihadismus | 167, 199, 315 Jihadistischer Salafismus | 185f, 191, 210 L Junge Landsmannschaft Ostdeutschland (JLO) | 127 Landser (Musikband) | 56 Junge Nationaldemokraten (JN) | 61, 65, Lau, Sven | 18, 207 71, 73, 84f, 90, 92f, 100f Leuchtfeuer Ostfriesland | 61 Junge Nationalisten (JN) | s. Junge NationalLIES! Im Namen Deines Herrn, der Dich demokraten erschaffen hat | 174f, 360 Justiz-Opfer-Hilfe | 133 Linksextremismus (Begriff) | 139, 314f Lobocki, Ingeborg | 94 "lone wolf" | 203 370 Anhang M Neonaziszene | 39, 42, 61-73 Neonaziszene Emsland | 62f Marxismus | 139 Neonaziszene Hannover | 64f Marxistisch-Leninistische Partei DeutschNeonaziszene Osnabrück | 62f lands (MLPD) | 139, 142, 148 Neonaziszene Ostfriesland | 61 Marxistisch-Leninistische Kommunistische Neonaziszene Schaumburg | 69f Partei der Türkei - Marksist Leninist KomüNeonaziszene Südniedersachsen | 68f nist Partisi (MLKP) | 234 Neonaziszene Tostedt | 64 MaxH8 (Versand) | 56f Neonaziszene Weserbergland | 69f Mazlum-Dogan-Festival | 239 Netzwerk Antikapitalistisches Kollektiv Med Nuce TV | 234 (AKK) | s. Antikapitalistisches Kollektiv MillA(r) Gazete | 166 Neue Rechte | 74 Milli Görüs-Bewegung | 166 Niedersächsisches Computer Emergency MIT (Milli Istihbarat Teskilati, Türkischer Response Team (N-CERT) | 275 ziviler Nachrichtendienst) | 271f Niemann, Holger | 94, 98 Muslimbruderschaft (MB) | 166, 219-222 Nordic 12 | 73 Nordfront (Musikband) | 53, 57 nordland.tv | 91 N NSM 88 (Versand) | 55 N.S. Heute - Weltanschauung.Bewegung. Nationaldemokratische Partei Deutschlands Leben (Publikation) | 93, 112 (NPD) | 34ff, 38ff, 47, 60, 62, 65, 68, 71, 73, 84-93, 94f, 97, 100, 103, 105, 111, 127, 317ff O Nationaler Sozialisten Nienburg | s. Aktionsgruppe Nienburg Öcalan, Abdullah | 232, 234f, 239f, Nationaler Widerstand Niedersachsen/Ost 242-246 (NWNO) | 67 Özgür Politika | siehe Yeni Özgür Politika Nationaler Widerstand Nienburg | s. AktionsOPOS Records (Versand) | 55 gruppe Nienburg Nationales Cyber-Abwehrzentrum (NCAZ) | 275 P Nationalismus | 37, 75, 92, 118, 147 Nationalismus ist keine Alternativ (NIKA) | Pakistanzentrum Hannover | 225 153f Partei des Demokratischen Sozialismus NAV-DEM Hannover e.V. | 243f (PDS) | siehe DIE LINKE. Neonazismus (Begriff) | 35, 38 Partei der demokratischen Einheit (Partiya Neonazistische Kameradschaften | 38, Yekitija Demokrat - PYD) | 235, 240 40ff, 59, 94f, 98 371 Anhang Pastörs, Udo | 89 S PC Records (Versand) | 55 PKK | siehe Arbeiterpartei Kurdistans Saadet Partisi - Partei der Glückseligkeit Politischer Salafismus | 168, 171, 179, 183 (SP) | 166 Politisch motivierte Kriminalität | 298-308 Salafismus | 168-191, 205, 210, 218, 250, Postautonome | 140f, 143-154 252, 254f, 258f, 315 pro NRW, Bürgerbewegung | s. BürgerScharia | 167, 170, 182f, 197, 207, 210, bewegung pro NRW 219, 224ff, 313f Proliferation | 270, 272f Schaub, Bernhard | 103, 105, 111, 119, 124 Schiedewitz, Wolfram | 122-127 Schlesische Jugend e. V. (SJ) | 127 R Schlüssel zum Paradies e. V. | 183f Schoenrock, Torsten | 91 Race War (Musikband) | 56 Schönborn, Meinolf | 111 Radikalisierung | 40, 57, 73, 76, 87, 102, Scientology-Organisation | 266 113, 162, 176f, 179, 184f, 189f, 216, 223, Sektion Nordland | 63 250f, 255ff Selbstverwalter | 43, 128-135 Rassismus (Begriff) | 38 Skinheadkonzerte | 41, 50f, 54f, 58 Rebel Records (Versand) | 55 Skinheads | 34, 45 Recht und Wahrheit (Publikation) | 111 Smart Violence (Musikband) | 54 Rechtsextremismus (Begriff) | 37, 314f Sozialistische Einheitspartei Deutschlands Redical M | 147, 156 (SED) | s. DIE LINKE. Reichsbürger | 43f, 117, 124, 128-135, Sozialistische Linke (SL) | 143 252, 254 Sozialistische Reichspartei (SRP) | 16, 317 Religionsgemeinschaft heilsamer Weg Stahlgewitter (Musikband) | 41, 51ff, 56f | 133 Sterka Ciwan | 234 Revisionismus | s. Geschichtsrevisionismus Stimme des Reiches (SdR) | 111, 113-121 Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front Sturmrebellen (Musikband) | 48 (DHKP-C) - Devrimci Halk Kurtulus PartisiCephesi | 233, 359 Richter, Sebastian | 85 T Ries, Matthias | 91 Rock against Communism (RAC) | 46 Tablighi Jama'at (TJ) | 166, 223-225 Rote Hilfe e. V. (RH) | 157f Tag der deutschen Zukunft (TddZ) | 66, Rumiyah (Publikation) | 191, 196ff, 201, 70f, 97, 100, 161 204, 207f Terrorismus | 25f, 191-218, 316 Terroritorium (Musikband) | 53, 57 Thule-Seminar | 111, 127 372 Anhang Türkische Arbeiterund BauernbefreiungsVolkshilfe e. V. | 63 armee (Tikko) | 234 Volkskongress Kurdistans (KONGRA GEL) Türkiye Komünist Partisi/Marksist Leninist | siehe Arbeiterpartei Kurdistans (TKP/ML) | 234 Volksbewegung Niedersachsen | 68, 155, 301, 304 Volksverteidigungseinheiten der PKK (HPG) U | 236, 240 ÜLKÜCÜ-Bewegung | 232f Unsere Alternative heißt Solidarität (Bündnis) W | 152ff Union der Journalisten Kurdistans (YRK) We love Muhammad | 175f | 240 Wewelsburg Records (Versand) | 56f Union der Juristen Kurdistans (YHK) | 240 Widerstand Ostheide | 63 Union der kurdischen Lehrer (YMK) | 240 Wirtschaftsschutz | 288-294, 319 Wirtschaftsspionage | 288, 291, 319 Worch, Christian | 94f, 98, 101 V Valhöll (Musikband) | 48 Y Verband der Studierenden aus Kurdistan (YXK) | 240 Yeni Özgür Politika (YÖP) (Neue Freie Politik) Verbote neonazistischer Vereinigungen | 234, 239 | 355-358 Verbote islamistischer Vereinigungen | 359f Verbote linksextremistischer Vereinigungen | 358 Verein Gedächtnisstätte e. V. | 111, 122-128 Verein zur Rehabilitierung der wegen Bestreitens des Holocaust Verfolgten (VRBHV) | 103, 114, 357 Vereinigte Gemeinschaften Kurdistans (KCK) | siehe Arbeiterpartei Kurdistans Verfassungsgebende Versammlung | 133 Vogel, Pierre | 175, 183, 198, 207 Voigt, Udo | 88f, 97 Volksgemeinschaft | 37, 60, 72f, 84ff, 96, 98, 102ff, 107 373 Anhang 12.8 Ortsverzeichnis (Niedersachsen) Amt Neuhaus | 94 177, 184f, 216, 238, 243f Bad Fallingbostel | 244 Holzminden | 100 Bad Harzburg | 55, 66, 100 Hude | 54, 70 Bad Nenndorf | 41, 70 Katlenburg-Lindau | 55 Bösel | 91 Leer | 56f Bovenden | 56f Lingen/Ems | 56ff Braunschweig | 54, 57, 65, 74, 80, 82f, Lohne | 238 85, 89, 92f, 100f, 143, 157, 172, 176, 179f, Lüneburg | 56f, 63, 74, 82, 94, 143 185, 188, 216, 218, 221, 233, 244, 255, 307 Meppen | 51f, 57 Buchholz i.d.N. | 59, 64 Nienburg | 65, 69, 99 Burgdorf | 245 Northeim | 55, 68f, 100, 211, 217f, 301, 306 Celle | 54f, 65, 69, 71, 92, 100, 116, 177, 244 Oldenburg | 54, 59, 62, 73, 84, 91, 143, Cremlingen | 56f, 92 150, 242ff Dannenbüttel | 53ff Osnabrück | 41, 55, 62f, 69, 91, 143, 150, Delmenhorst | 227 157f, 216, 221, 227, 238 Diekholzen | 56f Osterode am Harz | 100, 252 Emsland | 41, 53, 55, 57, 59, 62f, 94, 131 Ostfriesland | 55, 59, 61, 91 Eschede | 54f, 65, 69, 71, 92, 100 Peine | 69, 100, 238 Friedland | 68 Rotenburg (Wümme) | 64 Fürstenau | 55 Salzbergen | 55 Gifhorn | 53ff, 65, 100, 176 Salzgitter | 65, 67, 93, 100, 176, 233, 238, Goslar | 55, 66, 71, 97, 100, 161 245 Göttingen | 68, 91, 100, 105, 142f, 146f, Schaumburg | 69 150, 155-158, 160f, 185, 210, 216, 221, Seevetal | 122 255, 301, 303f Stade | 91, 238, 244 Hannover | 42, 53, 57, 59, 64f, 69f, 73f, Steinhude | 70 80, 83, 90f, 132, 142, 145ff, 150, 152ff, Südniedersachsen (Region) | 59, 68f, 227 157, 159f, 170, 177, 182ff, 189, 206, 208, Tostedt | 59, 64 216, 221f, 225, 227, 232ff, 238, 242-245, Uelzen | 227 252, 254, 256, 258, 261, 266, 294, 303f, Vechta | 73, 244 306, 357, 362 Verden | 94f, 98-102, 113, 116, 121 Harburg | 122 Walsrode | 244 Heidekreis | 64, 94 Wendland | 92 Helmstedt | 90, 100 Wilhelmshaven | 59, 245 Hildesheim | 59, 65, 69, 74, 83, 94, 101, Wolfenbüttel | 65, 92, 100 Wolfsburg | 100, 176, 216, 252, 257 374 Anhang 12.9 Verzeichnisanhang zum Verfassungsschutzbericht 2017 In diesem Verzeichnisanhang sind die im vorliegenden Verfassungsschutzbericht genannten Gruppierungen aufgeführt, bei denen die vorliegenden tatsächlichen Anhaltspunkte in ihrer Gesamtschau zu der Bewertung geführt haben, dass die Gruppierung verfassungsfeindliche Ziele verfolgt, es sich mithin um eine extremistische Gruppierung handelt. Gruppierungen Seitenzahl A'maq News Agency (AMAQ) 209 Adler-Versand (Versand) 56f Aktionsgruppe Nienburg 69, 99 al-Hayat Media Center 196 al-Qaida 168, 192f, 195, 199, 204, 206 al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel (AQAH) 192, 194 al-Qaida im Irak 192 al-Qaida im islamischen Maghreb (AQM) 192 al-Shabab 192 Anarcho-syndikalistische Jugendorganisation Göttingen / 161 Südniedersachsen (ASJ) Ansaar International 184 Antifaschistische Linke International (A.L.I.) 146f, 157 Antikapitalistische Linke (AKL) der Partei DIE LINKE. 143 Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) 230-246, 306, 312, 359 Basisdemokratische Linke Göttingen (BL) 146f Besseres Hannover 42, 64, 357 375 Anhang Gruppierungen Seitenzahl Bildungswerk für Heimat und nationale Identität 88 Bündnis ...ums Ganze! / ...ums Ganze! Kommunistisches 141, 144, 146f, 149, 151, Bündnis (uG) 153f, 156 Bürgerbewegung pro NRW 34, 36 Bund Freies Europa (BFE) 103 Civata Demokratik Kurdistan (CDK) 237f Ciwanen Azad 234, 239f Das Zeughaus (Versand) 56ff Demokratisches Kurdisches Gesellschaftszentrum 238, 241, 243f Deutschland (NAV-DEM) Der Versand (Versand) 56f Deutsche Kommunistische Partei (DKP) 139, 142 Deutsche Stimme 85, 88 Deutsche Türkische Föderation s. Föderation der Türkisch(Almanya Türk Federasyonu, ATF) Demokratischen Idealistenvereine in Deutschland e.V. Deutschsprachige Muslimische Gemeinschaft (DMG) 176, 179f, 182 Braunschweig Deutschsprachiger Islamkreis e.V. (DIK Hannover) 170, 172f Deutschsprachiger Islamkreis Hildesheim e. V. 177, 184ff, 216 (DIK Hildesheim) Deutschsprachiger Muslimkreis Braunschweig e.V. 221 Devrimci Halk Kurtulus Partisi Cephesi (DHKP-C) 233, 359 Die Rechte 34ff, 40, 47, 59, 61f, 66, 69ff, 73, 92-102, 112 Die Wahre Religion (DWR) 174, 360 Düütsche Deerns 71, 92, 100 376 Anhang Gruppierungen Seitenzahl En-Nahda 222 Erbakan-Stiftung 166 Europäische Aktion (EA) 102-113 Exilregierung Deutsches Reich 129, 132ff Fast Forward Hannover 147 Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine 233 in Deutschland e.V. (Almanya Demokratik Ülkücü Türk Demekleri Federasyonu, ADÜTDF) Freie Arbeiterinnenund Arbeiter-Union (FAU) 143f, 159-162 Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistans (KADEK) s. Arbeiterpartei Kurdistans Freistaat Preußen 110f, 113-121, 133 Freundeskreis Thügida s. Volksbewegung Niedersachsen Freundschaftsund Hilfswerk Ost e. V. 127 Front Records (Versand) 55 Gemeinschaft der Kommunen in Kurdistan (KKK) s. Arbeiterpartei Kurdistans Hai'at Tahrir al-Sham (HTS, Organisation zur Befreiung 192 der Levante) HAMAS s. Islamische Widerstandsbewegung Hatecore Lüneburg (Versand) 56f Heimattreue Deutsche Jugend (HDJ) 357 Helfen in Not e. V. 185 Hilfsorganisation f. nationale politische Gefangene und 38, 357 deren Angehörige (HNG) Hizb Allah 225ff Identitäre Bewegung Deutschland (IBD) 34f, 42, 74-84 377 Anhang Gruppierungen Seitenzahl Interventionistische Linke (IL) 140f, 144ff Islamische Gemeinde Kurdistans (CIK) 240 Islamische Gemeinschaft in Deutschland e. V. (IGD) 219, 221 Islamische Widerstandsbewegung (HAMAS) 168, 222 Islamischer Staat (IS) 168, 179, 183ff, 188, 190, 192f, 195-198, 199-214, 216f, 360 Ismail Aga Cemaati 166 Jabhat al-Nusra (auch al-Nusra-Front) (JaN) s. Jabhat Fatah al-Sham Jabhat Fatah al-Sham (JFS) 192, 195, 206 Junge Landsmannschaft Ostdeutschland (JLO) 127 Junge Nationaldemokraten (JN) 61, 65, 71, 73, 84f, 90, 92f, 100f Kameradschaft Northeim 69 Kollektiv Nordharz 41, 65f, 69, 99f, 301 Komalen Ciwan (KC) 239, 242 Kommunistische Partei der Türkei/Marxisten-Leninisten 234 (TKP/ML) Kommunistische Plattform (KPF) der Partei DIE LINKE. 143 Kongress der kurdisch-demokratischen Gesellschaft 237f Kurdistans in Europa (KCDK-E) Koordination der kurdisch-demokratischen Gesellschaft 237f in Europa (Civata Demokratik Kurdistan, CDK) Kurdischer Treffpunkt e.V. 244 Landser (Musikband) 56 Leuchtfeuer Ostfriesland 61 LIES! Im Namen Deines Herrn, der Dich erschaffen hat 174f, 360 378 Anhang Gruppierungen Seitenzahl Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) 139, 142, 148 Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei der 234 Türkei (MLKP) MaxH8 (Versand) 56f MillA(r) Gazete 166 Milli Görüs-Bewegung 166 Muslimbruderschaft (MB) 166, 219-222 Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) 34ff, 38ff, 47, 60, 62, 65, 68, 71, 73, 84-93, 94f, 97, 100, 103, 105, 111, 127, 317ff Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD), 91ff Landesverband Niedersachsen Nationale Sozialisten Nienburg s. Aktionsgruppe Nienburg Nationaler Widerstand Niedersachsen/Ost (NWNO) 67 Nationaler Widerstand Nienburg s. Aktionsgruppe Nienburg Pakistanzentrum Hannover 225 Partei der demokratischen Einheit (Partiya Yekitiya 235, 240 Demokrat, PYD) PC Records (Versand) 55 PKK s. Arbeiterpartei Kurdistans pro NRW s. Bürgerbewegung pro NRW Race War (Musikband) 56 Redical [M] 147, 156 Reichsbürger und Selbstverwalter 43f, 117, 124, 128-135, 252, 254 Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front (DHKP-C) 233, 359 Rote Hilfe e. V. (RH) 157f 379 Anhang Gruppierungen Seitenzahl Saadet Partisi (SP) 166 Schlesische Jugend e. V. (SJ) 127 Schlüssel zum Paradies e. V. 183f Scientology-Organisation 266 Sektion Nordland 63 Sozialistische Linke (SL) der Partei DIE LINKE. 143 Stahlgewitter (Musikband) 41, 51ff, 56f Tablighi Jama'at 166, 223-225 Terroritorium (Musikband) 53, 57 Thule-Seminar 111, 127 Türkische Arbeiterund Bauernbefreiungsarmee (Tikko) 234 Türkiye Komünist Partisi/Marksist Leninist (TKP/ML) 234 ÜLKÜCÜ-Bewegung 232f Union der Journalisten Kurdistans (YRK) 240 Union der Juristen Kurdistans (YHK) 240 Union der kurdischen Lehrer (YMK) 240 Verband der Studierenden aus Kurdistan (YXK) 240 Verein Gedächtnisstätte e. V. 111, 122-128 Verein zur Rehabilitierung der wegen Bestreitens des 103, 114, 357 Holocaust Verfolgten (VRBHV) Vereinigte Gemeinschaften Kurdistans (KCK) s. Arbeiterpartei Kurdistans Volksbewegung Niedersachsen 68, 155, 301, 304 Volkshilfe e. V. 63 Volkskongress Kurdistan (KONGRA GEL) s. Arbeiterpartei Kurdistans 380 Anhang Gruppierungen Seitenzahl Volksverteidigungseinheiten der Arbeiterpartei 236, 240 Kurdistans (HPG) We love Muhammad 175f Wewelsburg Records (Versand) 56f Widerstand Ostheide 63 381 Anhang Verteilerhinweis Diese Druckschrift wird von der Landesregierung Niedersachsen im Rahmen ihrer gesetzlichen Verpflichtung zur Unterrichtung der Öffentlichkeit herausgegeben. Sie darf weder von Parteien noch von Wahlwerbern oder Wahlhelfern während eines Wahlkampfes zum Zwecke der Wahlwerbung verwendet werden. Dies gilt für alle Wahlen. Missbräuchlich ist insbesondere die Verteilung auf Wahlveranstaltungen, an Informationsständen der Parteien sowie das Einlegen, Aufdrucken oder Aufkleben parteipolitischer Informationen oder Werbemittel. Untersagt ist auch die Weitergabe an Dritte zum Zwecke der Wahlwerbung. Auch ohne zeitlichen Bezug zu einer Wahl darf die vorliegende Druckschrift nicht so verwendet werden, dass dies als Parteinahme des Herausgebers zugunsten einzelner politischer Gruppen verstanden werden könnte. Diese Beschränkungen gelten unabhängig vom Vertriebsweg, also unabhängig davon, auf welchem Wege und in welcher Anzahl diese Informationsschrift dem Empfänger zugegangen ist. Den Parteien ist es gestattet, die Druckschrift zur Unterrichtung ihrer eigenen Mitglieder zu verwenden. 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