Niedersächsisches Ministerium für Inneres und Sport - Verfassungsschutz - Verfassungsschutzbericht 2015 Impressum Herausgeber: Niedersächsisches Ministerium für Inneres und Sport Presseund Öffentlichkeitsarbeit Lavesallee 6 30169 Hannover Telefon: 0511 120-6255 Telefax: 0511 120-6555 E-Mail: pressestelle@mi.niedersachsen.de Internet: www.mi.niedersachsen.de Redaktion: Niedersächsisches Ministerium für Inneres und Sport Abteilung Verfassungsschutz Büttnerstraße 28 30165 Hannover Telefon: 0511 6709-217 Telefax: 0511 6709-394 E-Mail: oeffentlichkeitsarbeit@verfassungsschutz.niedersachsen.de Internet: www.verfassungsschutz.niedersachsen.de Layout und Gestaltung: ermisch | Büro für Gestaltung, Hannover Verfassungsschutzbericht 2015 Vorworte Liebe Bürgerinnen und Bürger, Menschenrechte, Meinungsfreiheit, Religionsfreiheit - all diese Errungenschaften unseres demokratischen Rechtsstaats sind nicht selbstverständlich, sondern sie wurden von den Müttern und Vätern unseres Grundgesetzes hart erarbeitet. Es gilt deshalb, unsere Freiheit immer wieder aufs Neue zu verteidigen, gerade in Neben der Aufklärung und der konseeiner Zeit, in der Europa und Deutschland quenten Verfolgung von terroristischen wiederholt von terroristischen Aktivitäten Aktivitäten muss deshalb auch die Prävenerschüttert worden sind. Die entsetzlichen tionsarbeit immer weiter ausgebaut werAnschläge haben uns erneut vor Augen geden. Wenn wir junge Menschen in Zukunft führt, welche Bedrohungen und Gefahren noch besser vor den salafistischen Demavon radikalisierten Islamisten ausgehen. gogen schützen wollen, dann gehört es auch dazu, Salafisten eine Möglichkeit des Diese Gefahren müssen möglichst frühAusstiegs aufzuzeigen. zeitig erkannt werden, zumal es oft junge Menschen sind, die von dieser Ideologie Die Bekämpfung des Islamismus behält vor erreicht werden. Im Extremfall sind sie sodiesem Hintergrund auch zukünftig einen gar bereit, in Kriegsgebiete wie Syrien oder hohen Stellenwert. Entscheidend ist es aber den Irak auszureisen, um sich dort islamisgenauso, einen Pauschalverdacht gegen tischen Organisationen anzuschließen und den Islam oder die Muslime zu vermeiden. für ihre Ideologie in den Kampf zu ziehen. Genau auf solche Pauschalurteile zielen Die zurückliegenden Ereignisse und Entheute Rechtsextreme mit ihrer fremdenwicklungen haben deutlich gezeigt, wie feindlichen Propaganda ab. Sie instruviel Wissen und Akribie notwendig sind, mentalisieren die grauenhaften Taten aus um diesen grauenhaften Szenarien vorzudem islamistischen Spektrum, um ganze beugen. Wichtige Aufgaben des VerfasBevölkerungsgruppen zu verurteilen. Ihre sungsschutzes sind es dabei, die EntstePropaganda richtet sich vor allem gegen hung von Extremismus klar zu analysieren Flüchtlinge und gegen Muslime. Diese Form und dazu beizutragen, dass junge Mender Fremdenfeindlichkeit findet letztlich schen sich gar nicht erst radikalisieren. auch Ausdruck in der deutlich gestiegenen 2 Vorworte Zahl an Übergriffen auf Flüchtlingseinrichtungen und Asylbewerberheime in ganz Deutschland. Unser Augenmerk liegt genauso auch auf den Auseinandersetzungen, die zwischen Rechtsund Linksextremisten stattfinden. Hier hat sich im letzten Jahr gerade in Göttingen ein neuer Schwerpunkt herausgebildet. Die gegenseitigen Provokationen und Attacken haben sich inzwischen zu einem aggressiven und gewalttätigen Verhalten entwickelt. Die Sicherheitsbehörden werden deshalb weiterhin mit aller Konsequenz gegen gewaltbereite Aktionen von Extremisten jeglicher Couleur vorgehen und diese möglichst vorab verhindern. All diese Entwicklungen machen deutlich, von welcher Bedeutung die Aufgabe ist, die dem Verfassungsschutz in der derzeitigen sicherheitspolitischen Situation zukommt. Der Inlandsnachrichtendienst ist und bleibt deshalb eine entscheidende Säule unserer Sicherheitsarchitektur. Mein großer Dank gilt den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Verfassungsschutzes für die engagierte Arbeit, die sie tagtäglich für die Sicherheit in unserem Land leisten. Boris Pistorius Niedersächsischer Minister für Inneres und Sport 3 Vorworte Sehr geehrte Damen und Herren, das Niedersächsische Ministerium für Inneres und Sport kommt mit dem jährlich veröffentlichten Verfassungsschutzbericht seinem gesetzlichen Auftrag nach, neben den politischen Entscheidungsträgern auch die Öffentlichkeit über extremistische Aktivitäten und die Arbeit der Verfassungsschutzbehörde zu informieren. Gerade in der heutigen Zeit, kommt dem wir die extremistischen Entwicklungen Verfassungsschutz als Frühwarnsystem, analysieren und erkennen, schaffen wir um auf Entwicklungen gegen unsere freidie Möglichkeit geeignete Gegenmaßheitliche demokratische Grundordnung nahmen zu entwickeln. Als Diskussionshinzuweisen, eine wichtige Aufgabe zu. und Austauschplattformen veranstaltet der Niedersächsische Verfassungsschutz Aufgabe des Verfassungsschutzes ist es, in Symposien mit anerkannten Expertinnen allen extremistischen Phänomenbereichen und Experten. In der Veranstaltungsreihe (Islamismus, Rechtsund Linksextremis"Aktuell und Kontrovers" stehen nicht die mus) kontinuierlich Informationen über eigenen Positionen des Niedersächsischen ideologische Entwicklungen, Aktionen, Verfassungsschutzes im Vordergrund, vielPropaganda und Werbemethoden zu sammehr bietet "Aktuell und Kontrovers" ein meln. Der vorliegende VerfassungsschutzForum, um Akteure der Wissenschaft, der bericht für das Jahr 2015 zeigt einmal Zivilgesellschaft und der Politik miteinanmehr, vor welchen Herausforderungen der der ins Gespräch zu bringen. Staat, aber auch die gesamte Gesellschaft Alle Extremismusphänomene unterliegen in allen Extremismusbereichen derzeit einem ständigen Wandel. Diese Verändesteht. Aus diesem Grund ist es umso wichrungen im Extremismus zu erkennen und tiger, dass wir unsere Erkenntnisse über dabei die gesellschaftliche und politische Entwicklungen in die Öffentlichkeit tragen Entwicklung zu berücksichtigen, kommt und darüber diskutieren! Das ist ein wicheine besondere Bedeutung zu. Wichtigstiger Baustein in einer gesellschaftlichen tes Ziel bleibt es, frühzeitig GefahrenAuseinandersetzung mit Extremismusphäprognosen zu erstellen und adäquate nomenen. Wir suchen in der AuseinanderPräventionsmaßnahmen zu entwickeln. setzung mit dem Extremismus den Diskurs Gerade im islamistischen Extremismus mit den Expertinnen und Experten, der stellen wir fest, dass Rekrutierende immer Zivilgesellschaft und der Wissenschaft und häufiger junge Menschen für die Umsetwerden ihn auch fortsetzen. Nur wenn zung Ihrer abscheulichen Ziele ansprechen! 4 Vorworte Der Ausund Fortbildung der MitarbeiteRechtsextremismus rinnen und Mitarbeiter kommt auch weiterhin eine wichtige Aufgabe zu, da sie solche Das rechtsextremistische PersonenpotenZusammenhänge und Entwicklungen erzial in Niedersachsen ist im Jahr 2015 erkennen müssen. Dabei handelt es sich um neut insgesamt leicht zurückgegangen. einen Fortbildungsprozess, der kontinuierDer Bereich der neonazistischen Szene als lich weiterentwickelt und den neuen Gegeauch die Mitgliederzahlen der NPD sind benheiten angepasst werden muss. leicht gesunken. Es ist zu beobachten, dass Der rasante Bedeutungszuwachs des Infeste Organisationsstrukturen wie in Katernets, mit all seinen neu entstandenen meradschaften oder Parteien zunehmend Kommunikationsmöglichkeiten spielt auch an Bedeutung verlieren. An ihre Stelle trefür Extremisten eine immer wichtigere Rolten aktionsund kampagnenorientierte Zule! Sie nutzen das Massenmedium für ihre sammenschlüsse, die für junge Menschen Propaganda, Rekrutierung und Kommueine größere Attraktivität bieten. nikation! Aus diesem Grund ist die Internetauswertung für die Arbeit des VerfasDie NPD ist in Niedersachsen organisatosungsschutzes immens wichtig und eine risch kaum noch präsent und übernimmt fortlaufende Schulung der Mitarbeiterinauch keine steuernde Funktion bei rechtsnen und Mitarbeiter sowie eine adäquate extremistischen Aktivitäten mehr. Über Ausstattung der Arbeitsplätze für diese wesentlich weniger Mitglieder verfügen Aufgabenerfüllung unerlässlich. die beiden anderen vom Niedersächsischen Verfassungsschutz beobachteten Es wird von uns - zu Recht - erwartet, rechtsextremistischen Parteien Die Rechte dass wir einerseits den Extremismus wirkund Der III. Weg. Im Falle eines NPD-Versam bekämpfen, dass wir aber auch eine botes stünden hier jedoch AuffangstrukAntwort auf die Frage haben, wie der turen zur Verfügung. Verfassungsschutz unter diesen schwierigen Bedingungen mit extremistischen Der erkennbare Strukturwandel im Bereich Phänomenen umgeht und wie er zu einem der rechtsextremistischen Szene ist auch zuwirksamen Präventionskonzept beiträgt. rückzuführen auf die veränderte Form der Der Niedersächsische Verfassungsschutz Vernetzung und Kommunikation der jünhat daher bereits Anfang 2014 den Fachgeren Generation. Dem Internet, insbesonbereich Prävention eingerichtet und widdere Sozialen Netzwerken, kommt bei der met diesem Themenfeld im vorliegenden politischen Orientierung junger Menschen Bericht ein eigenes Kapitel. eine zentrale Rolle zu. Über das Internet lassen sich so wechselnde Personengruppen mobilisieren, deren Mitwirken an keine Organisationsform gebunden, sondern oft nur temporär und damit unverbindlicher ist. 5 Vorworte Für diese Entwicklung im RechtsextremisLinksextremismus mus steht beispielhaft die Identitäre Bewegung Deutschland (IBD), die sich aus der Das Personenpotenzial im Bereich des auVernetzung im virtuellen Bereich gegrüntonomen und gewaltbereiten Linksextredet hat und seit 2014 vom Niedersächsimismus ist im Jahr 2015 in Niedersachsen schen Verfassungsschutz beobachtet wird. von 685 auf 625 weiter gesunken. Zentrale Die ideologischen Elemente ihrer überwieautonome Handlungsfelder sind weiterhin gend islamfeindlichen Propaganda orientieder "Antifaschismus" und - vor dem Hinren sich an der Neuen Rechten. Mit ihrem tergrund der Flüchtlingssituation - auch Kampf für die "ethnokulturelle Identität" der "Antirassismus". Im autonomen Verund die angeblich bedrohte Freiheit der Naständnis richten sich diese zwar formell tionen durch "Masseneinwanderung" ist gegen den Rechtsextremismus, zielen dasie anschlussfähiger an rechtspopulistische rüber hinaus aber auch auf die ÜberwinProtestbewegungen als die neonazistische dung der freiheitlichen demokratischen Volksgemeinschaftsideologie. Grundordnung. Rechtsextremistische Agitation gegen Die in den letzten Jahren entstandenen Einwanderung und eine angebliche Isla"postautonomen" Gruppierungen waren misierung Deutschlands trifft - nicht nur auch 2015 weiter bemüht, ihre bundesim Internet - auf Ressentiments, Formen weite Bündnispolitik und Vernetzungsbegruppenbezogener Menschenfeindlichstrebungen auszubauen. Diese postautokeit bis hin zu einer ausgeprägten fremnomen Bündnisse orientieren sich zwar denfeindlichen Stimmung in Teilen der an marxistisch-leninistischen Weltbildern, Bevölkerung. In Ansätzen vermischen sich verzichten aber auf konkrete ideologische hier rechtsextremistische mit rechtspopuFestlegungen, um sich auch mit nicht-extlistischen Strömungen, da oft die gleichen remistischen Kreisen vernetzen und orgaFeindbilder bedient werden. nisieren zu können. Diesen Entwicklungen in der Präventionsarbeit Rechnung zu tragen, bleibt eine der Salafismus / Islamismus zukünftigen Herausforderungen. In der Auseinandersetzung mit den Stilmitteln rechtsSowohl bundesweit als auch in Niederextremistischer Propaganda muss das Ausachsen ist die Zahl der Salafisten weiter genmerk daher verstärkt darauf liegen, die stark gestiegen. Ende 2015 zählte der Niesuggestive Wirkung von Bildern und Musik dersächsische Verfassungsschutz 520 Perund von gezielter Desinformation zu enttarsonen, die der salafistischen Szene zuzunen und fremdenfeindlichen Parolen demorechnen sind. Im Blickpunkt stehen dabei kratisches Handeln entgegenzusetzen. zum einen die Personen, die in Richtung 6 Vorworte Syrien oder Irak ausreisen, um dort auf Der Niedersächsische Verfassungsschutz Seiten des sogenannten Islamischen Staahat 2014 die Beobachtung der Islamischen tes oder anderer terroristischer OrganisaGemeinschaft Milli Görüs (IGMG) eintionen zu kämpfen oder diese zu untergestellt und beobachtet stattdessen nur stützen und zum anderen die ausgereisten noch die der Milli Görüs-Bewegung zuIslamisten, die wieder nach Deutschland zuordnenden Vereinigungen Erbakan-Stifbzw. Niedersachsen zurückkehren. tung, Saadet Partisi ("Partei der Glückseligkeit") und Ismail Aga Cemaati (Ismail Haben die Sicherheitsbehörden in den Aga Gemeinde). Aus diesem Grund ist das letzten Jahren vor den Gefahren von radigesamte Mitglieder-/anhängerpotenzial kalisierten Einzeltätern gewarnt, so zeigen islamistischer Gruppen in Niedersachsen die verheerenden Anschläge von Paris und von 3.430 auf 1.055 zurückgegangen. Brüssel, dass der islamistische Terrorismus mit der Rückkehr zu Großanschlägen einen erneuten Strategiewechsel vorgenomWirtschaftsschutz / men hat. Spionageabwehr Auch in Niedersachsen haben Ereignisse Deutschland ist eine technologieund im Zusammenhang mit jihadistischem Saexportorientierte Nation. Das dafür notlafismus für Aufsehen gesorgt. So musste wendige Wissen findet großes Interesse der Karnevalsumzug in Braunschweig aufauch bei ausländischen Nachrichtenbzw. grund konkreter Gefährdungserkenntnisse Geheimdiensten. Aus dem Bereich Spionaebenso abgesagt werden wie das Fußballgeabwehr wurde beim Niedersächsischen länderspiel in Hannover. Zuletzt griff im Verfassungsschutz der Arbeitsbereich Februar 2016 eine 15jährige Schülerin eiWirtschaftsschutz geschaffen, der als nen Polizisten im Hauptbahnhof von HanPartner der Wirtschaft versucht, die benover mit einem Messer an und verletzte treuten Unternehmen mit sicherheitsreleihn schwer. vanten Informationen zu versorgen für die Der Niedersächsische Verfassungsschutz Gefahren der Spionage sensibilisiert. beobachtet mit Sorge die Radikalisierungsverläufe besonders bei Jugendlichen und die zunehmenden Rekrutierungserfolge der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) bei jungen Frauen. Maren Brandenburger Niedersächsische Verfassungsschutzpräsidentin 7 Themenübersicht Themenübersicht 01 Der Verfassungsschutz in Niedersachsen 02 Rechtsextremismus 03 Linksextremismus 04 Islamismus 05 Extremismus mit Auslandsbezug 06 Prävention 07 Scientology-Organisation (SO) 08 Spionageabwehr / Proliferation Elektronische / Angriffe 09 Geheimschutz 10 Wirtschaftsschutz 11 Politisch motivierte Kriminalität (PMK) 12 Anhang 8 Inhaltsverzeichnis Inhaltverzeichnis 1. Der Verfassungsschutz in Niedersachsen 1.1 Verfassungsschutz und Demokratie ........................................ 16 1.2 Gesetzliche Grundlagen ......................................................... 18 1.3 Hauptaufgaben des Verfassungsschutzes ............................... 19 1.4 Organisation ......................................................................... 19 1.5 Reformprozess ...................................................................... 20 1.6 Informationsgewinnung ........................................................ 24 1.7 Keine polizeilichen Befugnisse ............................................... 25 1.8 Kontrolle ............................................................................... 26 1.9 Verfassungsschutz als Nachrichtendienst ................................ 26 1.10 Beschäftigte .......................................................................... 27 1.11 Haushalt ............................................................................... 27 1.12 Mitwirkungsaufgaben des Verfassungsschutzes ..................... 27 1.13 Gemeinsames Informationsund Analysezentrum Polizei und Verfassungsschutz Niedersachsen (GIAZ - Niedersachsen) .......................................................... 29 1.14 Informationsverarbeitung ....................................................... 30 1.15 Auskunftsersuchen von Bürgerinnen und Bürgern ................... 32 1.16 Presseund Öffentlichkeitsarbeit ........................................... 32 1.17 Kontaktdaten ....................................................................... 33 1.18 Anmerkungen zum Inhalt des Verfassungsschutzberichtes ......34 9 Inhaltsverzeichnis 2. Rechtsextremismus 2.1 Mitglieder-Potenzial ............................................................... 38 2.3 Aktuelle Entwicklungen im Rechtsextremismus ....................... 42 2.4 Subkulturell geprägte Rechtsextremisten ................................ 47 2.5 Rechtsextremistische Musikszene ........................................... 51 2.6 Neonazistische Szene ............................................................. 63 2.7 Identitäre Bewegung Deutschland (IBD).................................. 75 2.8 Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) .................. 81 2.9 Die Rechte ............................................................................. 93 2.10 Rechtsextremistischer Geschichtsrevisionismus ..................... 103 2.11 Europäische Aktion (EA) ...................................................... 105 2.12 Freistaat Preußen / Stimme des Reiches (SdR) ........................ 114 2.13 Verein Gedächtnisstätte e. V. ............................................... 120 2.14 Intellektualisierungsbemühungen im Rechtsextremismus ......... 123 2.15 Gesellschaft für Freie Publizistik e. V. (GFP) ........................... 124 2.16 Immobiliengeschäfte mit rechtsextremistischem Hintergrund......................................................................... 126 2.17 Kontaktdaten ...................................................................... 127 3. Linksextremismus 3.1 Mitglieder-Potenzial ............................................................. 130 3.2 Einführung .......................................................................... 131 3.3 Aktuelle Entwicklungen im Linksextremismus ....................... 132 3.4 Autonome, Postautonome und sonstige gewaltbereite Linksextremisten.................................................................. 134 3.5 Anarchisten ......................................................................... 147 3.6 Offen extremistische Zusammenschlüsse in der Partei DIE LINKE. ....................................................... 150 10 Inhaltsverzeichnis 4. Islamismus 4.1 Mitglieder-Potenzial ............................................................. 159 4.2 Islamismus ........................................................................... 159 4.3 Salafismus ........................................................................... 162 4.4 Internationaler islamistischer Terrorismus .............................. 173 4.5 Islamistischer Terrorismus in Deutschland ............................. 185 4.6 Islamistischer Terrorismus im Zusammenhang mit Niedersachsen ............................................................... 189 4.7 Muslimbruderschaft ............................................................ 194 4.8 Tablighi Jama'at (TJ, Gemeinschaft der Missionierung und Verkündung) ......... 197 4.9 Hizb Allah (Partei Gottes) ..................................................... 199 5. Extremismus mit Auslandsbezug 5.1 Mitglieder-Potenzial ............................................................. 204 5.2 Einführung .......................................................................... 204 5.3 Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) ............................................ 207 6. Prävention 6.1 Prävention ........................................................................... 224 6.2 Vortragsund Informations veranstaltungen .......................... 225 6.3 Ausstellung "Gemeinsam gegen Rechtsextremismus" ........... 226 6.4 Informationsmaterialien ....................................................... 227 6.5 Symposien ........................................................................... 227 6.6 Podiumsdiskussionen ........................................................... 229 6.7 Landesprogramm gegen Rechtsextremismus......................... 229 6.8 Aktion Neustart ................................................................... 230 6.9 Kontaktdaten ...................................................................... 233 11 Inhaltsverzeichnis 7. Scientology Organisation (SO) ............................. 236 8. Spionageabwehr / Proliferation / Elektronische Angriffe 8.1 Spionageaufkommen in Niedersachsen ................................ 240 8.2 Proliferation ........................................................................ 241 8.3 Elektronische Angriffe mit vermutetem nachrichtendienstlichem Hintergrund ................................... 243 8.4 Hilfe für Betroffene .............................................................. 245 9 Geheimschutz ............................................................. 248 10. Wirtschaftsschutz 10.1 Einleitung ............................................................................ 252 10.2 Zahlen und Fakten ............................................................... 253 10.3 19. Sicherheitstagung für geheimschutzbetreute Unternehmen ...................................................................... 255 10.4 14. Wirtschaftsschutztagung des Niedersächsischen Verfassungsschutzes ............................................................ 256 10.5 Messen ............................................................................... 256 10.6 Forschungsprojekt INSA ....................................................... 257 10.7 Kontaktdaten ...................................................................... 257 12 Inhaltsverzeichnis 11. Politisch motivierte Kriminalität (PMK) 11.1 Politisch motivierte Kriminalität (PMK) mit extremis tischem Hintergrund - rechts ............................ 260 11.2 Politisch motivierte Kriminalität (PMK) mit extremis tischem Hintergrund - links ............................... 266 11.3 Politisch motivierte Kriminalität (PMK) mit extremistischem Hintergrund - Ausländer ...................... 271 12. Anhang 12.1 Definition der Arbeitsbegriffe .............................................. 278 12.2 Gesetz über den Verfassungsschutz im Lande Niedersachsen ........................................................... 285 12.3 Übersicht Verbote neonazistischer Vereinigungen ................. 317 12.4 Übersicht über Verbotsmaßnahmen des BMI gegen extremistische Bestrebungen mit Bezug zum Ausland im Zeitraum Januar 1990 bis Dezember 2015 ............................ 321 12.5 Abkürzungsverzeichnis ........................................................ 323 12.6 Personenund Stichwortverzeichnis ..................................... 330 12.7 Ortsverzeichnis (Niedersachsen) ........................................... 337 12.8 Verzeichnisanhang zum Verfassungsschutzbericht 2015 ........ 339 13 01 Der Verfassungsschutz in Niedersachsen Der Verfassungsschutz in Niedersachsen 1.1 Verfassungsschutz und Demokratie Im Grundgesetz (GG) der Bundesrepublik Deutschland wurde nach den Erfahrungen mit der Zerstörung der Weimarer Republik das Prinzip der wehrhaften Demokratie verankert. Das bedeutet, dass der demokratische Staat in der Lage sein soll, sich gegen seine Feinde zu wehren. Elemente der wehrhaften Demokratie sind z. B. die Unabänderlichkeit elementarer Verfassungsgrundsätze (Artikel 79 Abs. 3 GG) und die Möglichkeit, Parteien und sonstige Vereinigungen (Artikel 9 Abs. 2 und Artikel 21 Abs. 2 GG) zu verbieten. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinen Urteilen zum Verbot der Sozialistischen Reichspartei (SRP) von 1952 (BVerfGE 2,1) und zum Verbot der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) von 1956 (BVerfGE 6, 300) die Wesensmerkmale der freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes bestimmt. Dazu gehören (s. auch SS 4 Abs. 3 Niedersächsisches Verfassungsschutzgesetz - NVerfSchG): f das Recht des Volkes, die Staatsgewalt in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung auszuüben und die Volksvertretung in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl zu wählen, f die Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung und die Bindung der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an Gesetz und Recht, f das Recht auf Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition, f die Ablösbarkeit der Regierung und ihre Verantwortlichkeit gegenüber der Volksvertretung, f die Unabhängigkeit der Gerichte, f der Ausschluss jeder Gewaltund Willkürherrschaft und f die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte. Die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder bezeichnen seit 1974 einheitlich politische Bestrebungen als extremistisch, die sich gegen diese Wesensmerkmale oder gegen den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes 16 Der Verfassungsschutz in Niedersachsen richten. Ihre Beobachtung dient dem Schutz der Verfassung. Da die Verfassungsschutzbehörden ihre Aufgaben im Vorfeld konkreter Gesetzesverstöße durchführen und frühzeitig verfassungsfeindliche Bestrebungen erkennen sollen, werden sie als ein "Frühwarnsystem" des demokratischen Rechtsstaates bezeichnet. Zwischen den Extremismusphänomenen Rechtsund Linksextremismus und dem Islamismus gibt es fundamentale Unterschiede. Der Islamismus setzt im Gegensatz zu tragenden Prinzipien der europäischen Aufklärung auf religiös-orthodoxe Ordnungsmodelle und zielt damit auf eine gegen den "Westen" gerichtete kulturelle Identität. Rechtsund Linksextremismus unterscheiden sich ideengeschichtlich in ihrer Einstellung zum menschenrechtlichen Gleichheitsgebot. Während Linksextremisten aufgrund der ökonomischen Kräfteverhältnisse ausschließen, dass die Gleichheit der Menschen in einer parlamentarischen Demokratie realisiert werden kann, negieren Rechtsextremisten das in Artikel 3 GG postulierte Gleichheitsprinzip grundsätzlich. Linksextremisten hingegen verabsolutieren das Gleichheitspostulat und schränken damit die universelle Gültigkeit der Freiheitsund Individualrechte ein. Trotz dieser Unterschiede lassen sich phänomenübergreifende Gemeinsamkeiten feststellen, wie sie für den modernen politischen Extremismus typisch sind: f Extremisten verfügen über ein geschlossenes Weltbild, das weder reflektiert noch fortentwickelt wird. In ihrem quasireligiösen Politikverständnis glauben sie, unfehlbar im Besitz der absoluten Wahrheit zu sein. f Aus diesem Absolutheitsanspruch heraus entwickeln sie ein Freund-Feind-Raster, das die Welt holzschnittartig in Gut und Böse einteilt und keine Differenzierung zulässt, um die als "Feinde" Gebrandmarkten kompromisslos zu bekämpfen. f Nicht der Einzelne, sondern die Gemeinschaft steht im Mittelpunkt. Individuelle Freiheitsrechte werden den Interessen des Kollektivs untergeordnet. f Extremisten haben ein Bild vom Menschen, wonach nicht alle Menschen über die gleiche Würde verfügen (Artikel 1 GG). Es gilt das Primat der Ideologie, die mit Politik gleichgesetzt wird. Aus diesem Verständnis von Politik als einer alle Lebensbereiche 17 Der Verfassungsschutz in Niedersachsen regelnden Weltanschauung lehnen Extremisten den demokratischen Pluralismus ab. Zu demokratischen Prinzipien wie Meinungs-, Presseund Parteienvielfalt haben sie lediglich ein taktisches Verhältnis. Ihr gemeinsames Ziel ist die Überwindung der bestehenden, von Individualrechten geprägten Ordnung. Dahinter steht zumeist das Streben nach Sicherheit und nach Überschaubarkeit der Welt, in der der Mensch nicht länger vereinzelt ist. Extremismus ist auch eine zum Teil mit messianischem Eifer vertretene Reaktion auf die Komplexität moderner westlicher Gesellschaften. In diesem Weltbild wird die Gegenwart als desolat empfunden oder diffamiert, um die extremistische Alternative unter Leitung eines "Führers", einer "Partei" oder eines "religiösen Wächterrates" als einzigen Ausweg erscheinen zu lassen. Wer sich aus Sicht der Extremisten dagegen stellt, hat keinen Anspruch auf Toleranz, sondern muss bekämpft werden - nach Auffassung gewaltbereiter Extremisten notfalls auch mit Gewalt. 1.2 Gesetzliche Grundlagen Die Aufgaben und Befugnisse des Niedersächsischen Verfassungsschutzes sind gesetzlich festgelegt. Neben bundesgesetzlichen Vorschriften, welche im Wesentlichen die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes und die Befugnisse des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) regeln, bestehen in allen Bundesländern eigene Verfassungsschutzgesetze. In Niedersachsen regelt das im Anhang abgedruckte Gesetz über den Verfassungsschutz im Land Niedersachsen in der Fassung vom 06.05.2009 (Niedersächsisches Verfassungsschutzgesetz - NVerfSchG), zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 03.06.2015, die Aufgaben und Befugnisse der niedersächsischen Verfassungsschutzbehörde1. 1 Im Oktober 2014 brachte die Landesregierung die Novellierung des Niedersächsischen Verfassungsschutzgesetzes in den Niedersächsischen Landtag ein. Das Gesetz wurde am 15.09.2016 verabschiedet und ist zum 01.11.2016 in Kraft getreten. 18 Der Verfassungsschutz in Niedersachsen 1.3 Hauptaufgaben des Verfassungsschutzes Hauptaufgabe des Verfassungsschutzes ist nach SS 3 NVerfSchG die Sammlung und Auswertung von Informationen, insbesondere von sachund personenbezogenen Auskünften, Nachrichten und Unterlagen über f Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziel haben, f sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten in der Bundesrepublik Deutschland für eine fremde Macht, f Bestrebungen in der Bundesrepublik Deutschland, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, f Bestrebungen, die gegen den Gedanken der Völkerverständigung (Artikel 9 Abs. 2 GG) oder gegen das friedliche Zusammenleben der Völker (Artikel 26 Abs. 1 GG) gerichtet sind. Zu den Kernaufgaben gehört auch die Information und Aufklärung der Öffentlichkeit über extremistische Bestrebungen. 1.4 Organisation Im Niedersächsischen Verfassungsschutzgesetz ist auch geregelt, dass die Verfassungsschutzbehörde in Niedersachsen das Niedersächsische Ministerium für Inneres und Sport ist (SS 2 Abs. 1 NVerfSchG). Das Ministerium unterhält eine gesonderte Abteilung (Verfassungsschutzabteilung), welche allein die der Verfassungsschutzbehörde nach dem Verfassungsschutzgesetz und anderen Rechtsvorschriften obliegenden Aufgaben wahrnimmt. Diese Abteilung wird durch eine Verfassungsschutzpräsidentin oder einen Verfassungsschutzpräsidenten geleitet. 19 Der Verfassungsschutz in Niedersachsen 1.5 Reformprozess Im Rahmen der Aufarbeitung der Straftaten des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) sahen sich alle Sicherheitsbehörden massiver Kritik ausgesetzt. Die Arbeitsweise, Strukturen und die Zusammenarbeit der Verfassungsschutzbehörden mussten grundlegend reformiert werden. Niedersachsen zählt zu den Ländern, die sich im Reformprozess inzwischen explizit durch Überprüfung, Neujustierung und Neuregelung der Arbeit hervorheben. Niedersachsens Minister für Inneres und Sport, Boris Pistorius, setzte schon im September 2013 eine aus externen Expertinnen und Experten bestehende Arbeitsgruppe zur Reform des Niedersächsischen Verfassungsschutzes (AG Reform) ein. Die Arbeitsgruppe prüfte Arbeitsweisen und Arbeitsinhalte der Niedersächsischen Verfassungsschutzbehörde umfassend und kritisch und arbeitete Handlungsempfehlungen aus. Dabei wurden die im Reformprozess des Verfassungsschutzverbundes gewonnenen Rückschlüsse berücksichtigt. Allen im Landtag vertretenen Parteien wurde die Möglichkeit eingeräumt, Vorschläge zur Reform des Verfassungsschutzes in die Arbeit der Expertengruppe einzubringen. Der Abschlussbericht der Arbeitsgruppe zur Reform des Niedersächsischen Verfassungsschutzes wurde im Juni 2014 veröffentlicht. Parallel wurden ab September 2013 durch eine unabhängige Task Force sämtliche personenbezogenen Speicherungen des Niedersächsischen Verfassungsschutzes unter Gesichtspunkten der Rechtmäßigkeit und Erforderlichkeit einer intensiven Prüfung unterzogen. Im Mai 2014 legte sie ihre Prüfungsergebnisse zur bisherigen Speicherpraxis und den daraus folgenden Handlungsempfehlungen vor. Sämtliche Handlungsempfehlungen, die die Task Force und die AG Reform sowohl für gesetzliche Änderungen als auch für die Reformierung interner Arbeitsabläufe abgegeben haben, wurden in der Behörde ausführlich geprüft, entsprechende Umsetzungsstrategien bereits in vielen Bereichen entwickelt. Die neue Leitlinie für die Arbeit des Niedersächsischen Verfassungsschutzes ist geprägt durch die Forderungen nach mehr Transparenz und Kontrolle einerseits und die Konzentration auf 20 Der Verfassungsschutz in Niedersachsen die Kernthemen des Verfassungsschutzes andererseits. Den Kernpunkt der Niedersächsischen Reform bilden die Themengebiete: f Zusammenarbeit des Verfassungsschutzes mit anderen Sicherheitsbehörden, f Einsatz von Vertrauenspersonen, f Speicherverhalten unter Verhältnismäßigkeitsaspekten, f Personelle Ausstattung und Organisation und f Verstärkung der Präventionsund Öffentlichkeitsarbeit des Verfassungsschutzes. Im Oktober 2014 brachte die Landesregierung die Novellierung des Niedersächsischen Verfassungsschutzgesetzes in den Niedersächsischen Landtag ein. Sie befindet sich noch in der parlamentarischen Beratung. Der Gesetzesentwurf enthält u. a. folgende Vorschläge: f Die Regelungen zum Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel sollen übersichtlicher strukturiert werden, um diesem sensiblen Bereich auch gegenüber den Bürgerinnen und Bürgern mehr Transparenz zu geben. f Eine neue Regelung zu den "Beobachtungsobjekten" soll Entscheidungsabläufe des Verfassungsschutzes bis hin zu der Entscheidung, dass ein Personenzusammenschluss planmäßig und systematisch beobachtet wird, transparent machen. f Regelungen zur Auswahl von Vertrauenspersonen als auch zu den Grenzen ihres Einsatzes und zur Zusammenarbeit mit Vertrauenspersonen sind im Gesetzesentwurf klar formuliert. Auf Bund-Länder-Ebene erarbeitete verbindliche Mindeststandards für den Einsatz von Vertrauenspersonen sind in den Neuregelungen berücksichtigt. Darüber hinaus wird mit dem Entwurf vorgeschlagen, den dauerhaften Einsatz von Vertrauenspersonen in Niedersachsen künftig nur bei Beobachtungs - objekten von erheblicher Bedeutung zu erlauben. Zur Stärkung der parlamentarischen Kontrolle sollen in diesen Entscheidungsprozess politische Gremien eingebunden werden. f Die parlamentarischen Kontrollmöglichkeiten sollen ausgeweitet werden. 21 Der Verfassungsschutz in Niedersachsen f Die Dokumentationspflichten des Verfassungsschutzes gerade im Bereich der nachrichtendienstlichen Mittel und der Bestimmung von Beobachtungsobjekten sollen ausgeweitet werden. Dadurch sollen sowohl interne als auch externe Kontrollmöglichkeiten gestärkt werden. f In den Vorschriften zur Übermittlung von personenbezogenen Daten an die Sicherheitsbehörden wurde das in der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 24.04.2013 (1 BvR 1215/07) zum Antiterrordateigesetz formulierte informationelle Trennungsprinzip2 gesetzgeberisch umgesetzt. Neben den gesetzlichen Neuregelungen gibt es für den Niedersächsischen Verfassungsschutz eine Vielzahl weiterer Reformansätze, deren organisatorische und inhaltliche Umsetzungen unmittelbar durch die zuständigen Arbeitsbereiche der Verfassungsschutzbehörde vorgenommen werden. f Die interne Organisation und Aufgabenverteilung wurde evaluiert und optimiert. Durch Umorganisation und Personalverschiebung ist den notwendigen Prioritätensetzungen entsprochen worden. f Die Bereiche Personalauswahl, Personalentwicklung, Ausund Fortbildung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter werden neu konzipiert und in einem verbindlichen Personalentwicklungskonzept festgeschrieben. So werden bei der Personalauswahl Indikatoren wie einschlägige Zusatzqualifikationen, eine gesteigerte Fortbildungsbereitschaft, fachwissenschaftliche Qualifikation und interkulturelle Kompetenz hoher Stellenwert beigemessen. Eine Erhöhung des Anteils der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Migrationshintergrund, der bisher bei rund fünf Prozent liegt, ist ein weiteres Ziel bei der Personalauswahl. f Zentrale Bedeutung hat im Rahmen des Personalentwicklungskonzeptes das Thema Ausund Fortbildung. Neue Beschäftigte erhalten auf der Basis eines gemeinsam von Bund und 2 Leitsatz der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts: "Regelungen, die den Austausch von Daten der Polizeibehörden und Nachrichtendienste ermöglichen, unterliegen hinsichtlich des Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung gesteigerten verfassungsrechtlichen Anforderungen. Aus den Grundrechten folgt ein informationelles Trennungsprinzip, das diesen Austausch nur ausnahmsweise zulässt." 22 Der Verfassungsschutz in Niedersachsen Ländern erarbeiteten Konzeptes eine insgesamt einjährige Zusatzausbildung, die im Wechsel an der Akademie für Verfassungsschutz und in der eigenen Verfassungsschutzbehörde durchgeführt wird. f Psychologische Fachkompetenz und Supervision sowie die Schulung interkultureller Kompetenzen werden als wichtige neue Bausteine für die Fortbildung gesehen. Besuche in der Liberalen Jüdischen Gemeinde Hannover, in der Merkez Camii-Moschee der Türkisch Islamischen Union der Anstalt für Religion e. V. (DITIB) in Hannover, der Alevitischen Gemeinde und in den Gedenkstätten Bergen-Belsen und HannoverAhlem waren der Beginn einer neuen Exkursionsund Gesprächsreihe. f Schon im September 2013 wurde im Rahmen der Reform eine auf Dauer angelegte Innenrevision eingerichtet. Die Prüfungen umfassen die Rechtmäßigkeit, Zweckmäßigkeit, Wirtschaftlichkeit und Sicherheit diverser Aufgabenfelder. Neben wiederkehrenden Regelprüfungen und anlassbezogenen Sonderprüfungen nimmt sich die Innenrevision auch des internen Beschwerdemanagements an. f Als weiteres internes Instrument der Selbstkontrolle wird der behördliche Datenschutz gestärkt. Er unterstützt die Behördenleitung bei der Sicherstellung des datenschutzrechtlichen Auftrages und wirkt auf die Einhaltung der datenschutzrechtlichen Vorschriften hin. Der behördliche Datenschutzbeauftragte agiert dabei weisungsfrei und kann sich unmittelbar an die Behördenleitung wenden. Zu seinen Aufgaben zählen die Prüfung der Einhaltung des Gebots der Datenvermeidung und Datensparsamkeit, die Überwachung der ordnungsgemäßen Anwendung der Datenverarbeitungsprogramme, mit deren Hilfe personenbezogene Daten verarbeitet werden, sowie die Prüfung, ob die technischen und organisatorischen Maßnahmen nach dem jeweiligen Stand der Technik getroffen sind, um eine den Vorschriften des Niedersächsischen Verfassungsschutzgesetzes (NVerfSchG) und des Niedersächsischen Datenschutzgesetzes (NDSG) entsprechende Datenverarbeitung zu gewährleisten. 23 Der Verfassungsschutz in Niedersachsen f Auf Basis einer Vielzahl institutionalisierter Zusammenarbeitsformen gestaltet sich die Zusammenarbeit mit der Polizei positiv. Gemeinsame Zentren des Bundes und der Länder, wie das schon 2004 in Berlin eingerichtete "Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum" (GTAZ) oder das seit November 2012 in Köln und Meckenheim agierende "Gemeinsame Extremismusund Terrorismusabwehrzentrum" (GETZ) haben als Informations-, Kommunikationsund Analyseplattformen inzwischen einen wichtigen Stellenwert. f Zum Zweck der intensiveren Internetnutzung und -auswertung wurde ein Beauftragter für Informationstechnologie und digitale Medien eingesetzt, der u. a. die Internetauswertung in allen Extremismusphänomenen optimieren wird. Auf Bund-Länder-Ebene verstärkte Niedersachsen die Zusammenarbeit mit dem bereits 2007 gegründeten "Gemeinsamen Internetzentrum" (GIZ) in Berlin. Niedersachsen ist in Arbeitsgruppen vertreten, deren gemeinsames Ziel die Optimierung der Internetnutzung im Verfassungsschutzverbund ist. f Die Präventionsarbeit des Niedersächsischen Verfassungsschutzes ist im Rahmen der Reformprozesse 2014 organisatorisch und inhaltlich neu konzipiert worden. Gleichzeitig wird die Zusammenarbeit mit anderen Behörden und Einrichtungen, mit wissenschaftlichen Einrichtungen sowie mit zivilgesellschaftlichen Akteuren als Partner in der Mitte der Gesellschaft intensiviert. Das neue Aufgabenprofil sieht eine stärkere Einbindung in Präventionsaktivitäten vor, um die Verfassungsschutzbehörden als "Partner und Dienstleister in der Mitte der Gesellschaft" zu verankern. 1.6 Informationsgewinnung Der Verfassungsschutz gewinnt die zur Erfüllung seiner Aufgaben relevanten Informationen überwiegend aus offen zugänglichen Quellen, die grundsätzlich jedem Bürger auch zur Verfügung stehen, wie z. B. aus dem Internet, aus Zeitungen, Zeitschriften, Flugblättern, Programmen und Broschüren. Darüber hinaus können - im Rahmen gesetzlich festgelegter Befugnisse und unter 24 Der Verfassungsschutz in Niedersachsen Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit - nachrichtendienstliche Mittel zur Informationsbeschaffung eingesetzt werden. Nach SS 6 NVerfSchG darf der Verfassungsschutz zur Beschaffung der erforderlichen Informationen die hier abschließend aufgeführten nachrichtendienstlichen Mittel einsetzen, soweit dies für die Erkenntnisgewinnung unverzichtbar ist. Dazu gehören z. B. der Einsatz von verdeckt arbeitenden Vertrauenspersonen (VP), Observationen, verdeckte Bildund Tonaufzeichnungen und sonstige verdeckte Ermittlungen und Befragungen. Die näheren Voraussetzungen für den Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel sind in den SSSS 6 bis 6 d NVerfSchG geregelt. Von den nachrichtendienstlichen Mitteln wurden im Berichtszeitraum im Wesentlichen VP, verdeckte Bildaufzeichnungen, verdeckte Ermittlungen und Befragungen sowie zeitlich befristete Observationen eingesetzt. Eingriffe in das Brief-, Postund Fernmeldegeheimnis sind wegen der besonderen Bedeutung des Eingriffs in das Grundrecht des Artikels 10 GG (Brief-, Postund Fernmeldegeheimnis) nur unter besonders hohen Voraussetzungen und unter Beachtung strenger Verfahrensvorschriften möglich, die im Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses (Artikel 10-Gesetz - G 10) geregelt sind. So muss die Maßnahme durch den Niedersächsischen Minister für Inneres und Sport oder seine Vertreterin oder seinen Vertreter angeordnet werden und bedarf vor ihrer Durchführung einer Zustimmung der G 10-Kommission des Niedersächsischen Landtages. Die Anzahl der G 10-Maßnahmen lag im Berichtszeitraum im einstelligen Bereich. 1.7 Keine polizeilichen Befugnisse Der Verfassungsschutzbehörde stehen bei der Erfüllung ihrer Aufgaben keine polizeilichen Befugnisse zu, d. h. sie darf insbesondere niemanden festnehmen, keine Durchsuchungen durchführen und keine Gegenstände beschlagnahmen (SS 5 Abs. 4 NVerfSchG). 25 Der Verfassungsschutz in Niedersachsen 1.8 Kontrolle Die Tätigkeit des niedersächsischen Verfassungsschutzes unterliegt einer vielfältigen Kontrolle. Dazu gehören Kontrollen durch den internen behördlichen Datenschutzbeauftragten und externe Kontrollen durch die Niedersächsische Datenschutzbeauftragte. Das Niedersächsische Ministerium für Inneres und Sport ist nach SS 25 NVerfSchG verpflichtet, den Ausschuss für Angelegenheiten des Verfassungsschutzes (AfAV) des Niedersächsischen Landtages umfassend über seine Tätigkeit als Verfassungsschutzbehörde zu unterrichten. Die parlamentarische Kontrolle erfolgt unbeschadet der Rechte des gesamten Landtages und seiner sonstigen Ausschüsse. Bei Eingriffen in das Brief-, Postund Fernmeldegeheimnis entscheidet die sogenannte G 10-Kommission (vgl. SS 3 des Niedersächsischen Gesetzes zur Ausführung des Artikel 10-Gesetzes). Auch über deren Entscheidungen ist der AfAV zu unterrichten. Schließlich sind Einzelmaßnahmen der Verfassungsschutzbehörde gerichtlich nachprüfbar. 1.9 Verfassungsschutz als Nachrichtendienst Die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder verstehen sich als Nachrichtendienste (ND). Sie sind gesetzlich auf die Beschaffung und Auswertung von Informationen beschränkt. Im Gegensatz zu Geheimdiensten unterliegen sie der Kontrolle durch unabhängige Instanzen und unterrichten die Öffentlichkeit über wesentliche Ergebnisse ihrer Arbeit. Als Geheimdienste hingegen werden staatliche Organisationen fremder Mächte verstanden, die nicht nur politisch, wirtschaftlich, wissenschaftlich oder militärisch bedeutsame Nachrichten beschaffen und für ihre Auftraggeber auswerten, sondern auch aktive Handlungen zur Störung oder Beeinflussung "politischer Gegner" im Inund Ausland vornehmen. Dabei streben sie ein Höchstmaß an Geheimhaltung an. 26 Der Verfassungsschutz in Niedersachsen 1.10 Beschäftigte Der vom Landtag verabschiedete Haushaltsplan bestimmt durch die Ausbringung von Stellen, durch die Festlegung von Rahmenbedingungen für die Personal-Gesamtkosten (Personalkostenbudgetierung) sowie durch das Beschäftigungsvolumen, in welchem Umfang der Verfassungsschutz Personal beschäftigen darf. Zu Beginn des Haushaltsjahres 2015 waren dort Stellen für 226 Beamtinnen und Beamte (2014: 228) ausgebracht. Darüber hinaus ermöglicht das Personalkostenbudget für das Haushaltsjahr 2015 die Finanzierung von zurzeit weiteren 60 Tarifbeschäftigten (2015: 60). Eckpunkt für den tatsächlichen Gesamtpersonalbestand des Verfassungsschutzes (in Vollzeitund Teilzeitbeschäftigung) ist das im Haushaltsplan festgelegte Beschäftigungsvolumen. Es betrug zu Beginn des Haushaltsjahres 2015 insgesamt 269,22 Vollzeiteinheiten (2014: 273,97). 1.11 Haushalt Im Haushalt der niedersächsischen Verfassungsschutzbehörde waren im Haushaltsjahr 2015 für Personalausgaben 13.805.000 Euro (2014: 13.976.000 Euro) und für Sachausgaben 4.717.000 Euro (2014: 3.920.000 Euro) veranschlagt. Damit ergab sich ein Ausgabevolumen von 18.522.000 Euro. 1.12 Mitwirkungsaufgaben des Verfassungsschutzes Zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und der Sicherheit des Bundes und der Länder nimmt der Verfassungsschutz neben seinem Beobachtungsund Aufklärungsauftrag auch gesetzlich geregelte Mitwirkungspflichten gegenüber anderen Behörden wahr (SS 1 Satz 2 Nr. 3 NVerfSchG). Im Rahmen dieser Mitwirkung wird geprüft, ob den Verfassungsschutzbehörden zu bestimmten, von den anfragenden Behörden 27 Der Verfassungsschutz in Niedersachsen näher bezeichneten Personen Erkenntnisse vorliegen, die bei den Entscheidungen der anfragenden Behörden eine sicherheitsbezogene Relevanz aufweisen. Im Jahr 2015 wurden mehr als 45.000 (2014: 43.144) solcher Mitwirkungsanfragen überprüft. Die anfragestärksten Prüfungsbereiche werden statistisch erfasst. Hier sind insbesondere zu nennen: f Beteiligungen bei Aufenthaltstiteln (22.526 Anfragen), f Beteiligungen bei Einbürgerungen (9.791), f Zuverlässigkeitsüberprüfungen nach dem Atomgesetz (5.637), f Zuverlässigkeitsüberprüfungen nach dem Luftsicherheitsgesetz (6.141), f Zuverlässigkeitsüberprüfungen nach dem Sprengstoffgesetz (769) und f Zuverlässigkeitsprüfungen für Dolmetscher des Landeskriminalamtes Niedersachsen (LKA NI) (393). Entwicklung der Gesamtzahl der Mitwirkungsaufgaben 50.000 45.000 40.000 35.000 30.000 25.000 20.000 15.000 32.665 33.485 34.574 36.544 38.225 40.729 43.144 45.257 10.000 5.000 0 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 28 Der Verfassungsschutz in Niedersachsen Zu den Mitwirkungsaufgaben des Verfassungsschutzes zählen des Weiteren Einzelanfragen nach dem Waffengesetz, Häftlingshilfegesetz, Ordensgesetz, Hafensicherheitsgesetz, Bundesvertriebenengesetz, der Bewachungsverordnung und der Überfallund Einbruchmelderichtlinie. Die Gesamtzahl der Anfragen lag im Jahr 2015 ca. 5 Prozent über dem Vorjahreswert. Ein Anstieg der Überprüfungszahlen ergibt sich seit 2015 auch durch die freiwillige Selbstverpflichtung von Unternehmen, Bewachungspersonal nur dann in Flüchtlingsunterkünften einzusetzen, wenn es sich einer Überprüfung unterzogen hat. Insgesamt gingen im Bereich der Überprüfungen von Bewachungspersonal 190 Anfragen ein (2014: 10). Die Überprüfungen der Personen durch den Verfassungsschutz werden seit dem Jahr 2011 zunehmend mit Hilfe eines automatisierten Verfahrens abgewickelt. Dieses findet bereits Anwendung in den Bereichen Aufenthaltsrecht, Luftsicherheitsrecht, Atomrecht und Dolmetscherüberprüfungen. 1.13 Gemeinsames Informationsund Analysezentrum Polizei und Verfassungsschutz Niedersachsen (GIAZ - Niedersachsen) Das seit dem 10.01.2005 eingerichtete "Gemeinsame Informationsund Analysezentrum Polizei und Verfassungsschutz Niedersachsen" (GIAZ - Niedersachsen) stellt einen Baustein innerhalb der Sicherheitsarchitektur des Landes Niedersachsen dar, mit dem die Zusammenarbeit in den wichtigsten Bereichen der Extremismusund Terrorismusbekämpfung optimiert wurde. Der schnelle Austausch ist entscheidende Voraussetzung für die effektive Beobachtung und Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus. Zu den Aufgaben des GIAZ - Niedersachsen gehören die Zusammenführung, Analyse und Bewertung von polizeilichen und nachrichtendienstlichen Informationen aus den Themenfeldern: 29 Der Verfassungsschutz in Niedersachsen f Internationaler Terrorismus und Extremismus, soweit er den internationalen Terrorismus unterstützt, insbesondere islamistischer Extremismus, f Rechtsextremismus und f Linksextremismus. Niedersachsen hat frühzeitig erkannt, dass für eine umfassende und vollständige Analyse die themenbezogenen Informationen von Polizei und Verfassungsschutz zusammengefasst werden müssen. Angelehnt an die gemeinsamen Zentren auf Bundesebene wird auch in Niedersachsen weiterhin, unter Beachtung des Trennungsgebotes und der einschlägigen Datenübermittlungsvorschriften, ein Informationsaustausch zwischen Polizei und Verfassungsschutz gewährleistet. 1.14 Informationsverarbeitung Der Niedersächsische Verfassungsschutz ist - wie die anderen Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder auch - gesetzlich befugt, die zur Aufgabenerfüllung erforderlichen personenbezogenen Daten zu erheben und in Akten und Dateien zu speichern. Das NVerfSchG und detaillierte Dienstvorschriften schreiben bestimmte Speicherungsvoraussetzungen sowie Regelungen zur Sperrung und Löschung der Daten vor. Deren Beachtung unterliegt insbesondere der Kontrolle durch den Landesbeauftragten für den Datenschutz (LfD) und dem in der Verfassungsschutzbehörde bestellten behördlichen Datenschutzbeauftragten. Aufgrund der in Artikel 73 Nr. 10 GG und im Bundesverfassungsschutzgesetz (BVerfSchG) normierten Verpflichtung zur Zusammenarbeit und gegenseitigen Unterrichtung unterhalten die Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern gemäß SS 6 BVerfSchG3 eine beim BfV eingerichtete gemeinsame Datenbank, das Nachrichtendienstliche Informationssystem (NADIS). Alle teilnehmenden Behörden dürfen dort nach Maßgabe der jeweiligen eigenen rechtlichen Befugnisse personenbezogene Daten 3 Ausführungen zu Regelungen des BVerfSchG beziehen sich auf die bis zum 20.11.2015 geltende Fassung des Gesetzes. 30 Der Verfassungsschutz in Niedersachsen speichern sowie auf den gesamten NADIS-Datenbestand zugreifen und Daten abrufen. NADIS ist ein Aktenfundstellensystem, in dem nur der Name der gespeicherten Person, die zu ihrer Identifizierung erforderlichen Merkmale wie z. B. Wohnanschrift, Staatsangehörigkeit, Kraftfahrzeug sowie die speichernde Behörde und deren nach einem einheitlichen Aktenplan vergebenen Aktenzeichen enthalten sind. Nicht gespeichert ist der Inhalt der jeweiligen Information, die Anlass zur Vergabe des Aktenzeichens gewesen ist. Benötigt eine Verfassungsschutzbehörde zur eigenen Aufgabenerfüllung die Informationen einer anderen Verfassungsschutzbehörde über eine gespeicherte Person, so fragt sie in der Regel auf elektronischem Wege bei ihr an. Der Informationsübermittlung ist eine Relevanzprüfung durch die speichernde Stelle vorgeschaltet. Bedeutsam ist, dass sich die im NADIS gespeicherten personenbezogenen Daten nur teilweise auf Personen beziehen, die verfassungsfeindliche, sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Aktivitäten (vgl. SS 3 Abs. 1 NVerfSchG) entfaltet haben. Im NADIS werden auch Angaben zu Personen erfasst, bei denen eine Sicherheitsüberprüfung mit dem Ergebnis einer Ermächtigung zum Umgang mit Verschlusssachen durchgeführt wurde oder die als Zielpersonen terroristischer oder geheimdienstlicher Aktivitäten gelten. Vom Niedersächsischen Verfassungsschutz waren am 31.12.2015 folgende personenbezogene NADIS-Speicherungen veranlasst (Vorjahreszahlen in Klammern): f im Zusammenhang mit Sicherheitsüberprüfungen und Mitwirkungsaufgaben 69.460 (63.093), f im Zusammenhang mit originären Aufgaben des Verfassungsschutzes im Bereich Extremismus, Terrorismus, Spionageabwehr 5.595 4 (8.473). 4 Aufgrund von laufenden parlamentarischen Überprüfungen zum Speicherverhalten des Niedersächsischen Verfassungsschutzes sind weitere 4.780 Datensätze mit dem Ziel der Löschung gesperrt. 31 Der Verfassungsschutz in Niedersachsen 1.15 Auskunftsersuchen von Bürgerinnen und Bürgern Im Jahr 2015 wurden 195 Auskunftsersuchen (2014: 295) gemäß SS 13 NVerfSchG beantwortet. In 152 Fällen hatte der Verfassungsschutz keine Erkenntnisse gespeichert. Sieben Anfragenden wurde der der Erfassung zugrunde liegende Sachverhalt uneingeschränkt mitgeteilt. In 33 Fällen wurde den Auskunftsersuchenden der ihrer Erfassung zugrunde liegende Sachverhalt eingeschränkt mitgeteilt und im Übrigen gemäß SS 13 Abs. 3 NVerfSchG an den LfD verwiesen. In drei Fällen konnten die vorliegenden Erkenntnisse nicht mitgeteilt werden. Auch in diesen Fällen wurde an den LfD verwiesen. 1.16 Presseund Öffentlichkeitsarbeit Unsere freiheitliche Verfassung zu schützen, bedeutet nicht nur, extremistische Aktivitäten zu beobachten, sondern auch die Öffentlichkeit darüber zu informieren, so dass extremistische Ideologien von den Bürgerinnen und Bürgern als verfassungsfeindlich erkannt werden können. Diese Information ist eine gesetzliche Aufgabe: Gemäß SS 3 Abs. 4 NVerfSchG klärt die Verfassungsschutzbehörde die Öffentlichkeit auf der Grundlage ihrer Auswertungsergebnisse durch zusammenfassende Berichte und andere Maßnahmen über verfassungsfeindliche Bestrebungen und sicherheitsgefährdende bzw. geheimdienstliche Tätigkeiten auf. Zu den zusammenfassenden Berichten zählt insbesondere der jährliche Niedersächsische Verfassungsschutzbericht. Mit seinen Analysen und Bewertungen hilft der Verfassungsschutz zu verhindern, dass extremistische Aussagen bei der Bevölkerung auf fruchtbaren Boden treffen. Die Aufklärung über Extremismus soll die Bürgerinnen und Bürger in die Lage versetzen, sich selbst für die Demokratie einzusetzen. Die Aufgaben der Öffentlichkeitsarbeit sowie der Prävention werden in den Organisationsbereichen Presseund Öffentlichkeitsarbeit sowie dem 2014 neu eingerichteten fachübergreifend 32 Der Verfassungsschutz in Niedersachsen arbeitenden Bereich der Prävention (siehe dazu Kapitel 6 dieses Berichts) des Niedersächsischen Verfassungsschutzes koordiniert. Dort werden der Öffentlichkeit u. a. Informationen über f Rechtsextremismus, f Linksextremismus, f Extremismus mit Auslandsbezug, insbesondere Islamismus und f Präventionsmaßnahmen angeboten. Beide Bereiche arbeiten eng zusammen. Der Bereich der Presseund Öffentlichkeitsarbeit ist auch Ansprechpartner für die Presse und Bürgerinnen und Bürger in allen Fragen zum Extremismus. Die Bürgerund Presseanfragen an die Verfassungsschutzbehörde spiegeln thematisch alle Arbeitsfelder des Verfassungsschutzes wider. Dabei wird häufig eine Einschätzung erbeten, ob beschriebene Phänomene als extremistisch zu werten sind. 1.17 Kontaktdaten Für Fragen steht der Bereich der Presseund Öffentlichkeits arbeit beim Verfassungsschutz unter folgenden Kontaktdaten zur Verfügung: Telefon: 0511/6709-217 Telefax: 0511/6709-394 E-Mail: oeffentlichkeitsarbeit@verfassungsschutz.niedersachsen.de Der Niedersächsische Verfassungsschutz informiert zudem umfassend unter der Internetadresse www.verfassungsschutz. nieder sachsen.de über Aufgaben und Befugnisse des Verfassungsschutzes und aktuelle Entwicklungen des politischen Extremismus sowie der Spionageabwehr mit der Schwerpunktsetzung auf Niedersachsen. Insbesondere in der Rubrik "Aktuelle Meldungen" und "Termine" werden zeitnah Berichte und Analysen veröffentlicht und Veranstaltungen des Niedersächsischen Verfassungsschutzes angekündigt. Auch auf der Internetseite des Ministeriums für Inneres und Sport www.mi.niedersachsen.de (Service \ Publikationen) sind die Verfassungsschutzberichte der letzten Jahre sowie die Broschüren des Verfassungsschutzes veröffentlicht. 33 Der Verfassungsschutz in Niedersachsen 1.18 Anmerkungen zum Inhalt des Verfassungsschutzberichtes Umfang der Berichterstattung Im folgenden Bericht wird ausschließlich über solche Bestrebungen berichtet, bei denen die vorliegenden tatsächlichen Anhaltspunkte eine Bewertung als extremistisch rechtfertigen. Über Bestrebungen, bei denen aufgrund der vorliegenden tatsächlichen Anhaltspunkte vorerst der Verdacht besteht, extremistisch zu sein, wird nicht berichtet. Hinweis zur Rechtschreibung Im Bericht wird die deutsche Rechtschreibung entsprechend der aktuell gültigen Auflage des Dudens verwendet. Sofern in Zitaten davon abgewichen wird, liegt es daran, dass die Originalschreibweise der dem Zitat zugrunde liegenden Quelle übernommen wurde. Daneben können in Zitaten auch Namen anders geschrieben sein, als im übrigen Bericht. Ein gesonderter Hinweis auf die Abweichung erfolgt jedoch nicht. 34 Der Verfassungsschutz in Niedersachsen 35 02 Rechtsextremismus Rechtsextremismus 2.1 Mitglieder-Potenzial5 Rechtsextremismus-Potenzial Bundesrepublik Deutschland 2014 2015 Subkulturell geprägte Rechtsextremisten 6 7.200 8.200 Neonazistische Szene7 5.600 5.800 Identitäre Bewegung Deutschland (IBD) 300 300 Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) 5.200 5.200 Die Rechte 500 650 Bürgerbewegung pro NRW 950 500 Der III. Weg 200 300 Sonstige Organisationen 2.200 2.900 Summe 22.150 23.850 Nach Abzug von Mehrfachmitgliedschaften 8 21.000 22.600 Davon gewaltbereite Rechtsextremisten9 9.600 11.800 5 Die Zahlenangaben sind zum Teil geschätzt und gerundet. 6 Berücksichtigt werden wie bisher rechtsextremistische Skinheads und Straftäter. Die meisten Szenezugehörigen sind nicht in Gruppen organisiert. In die Statistik sind nicht nur tatsächlich als Täter/ Tatverdächtige festgestellte Personen einbezogen, sondern auch solche Rechtsextremisten, bei denen lediglich Anhaltspunkte für Gewaltbereitschaft gegeben sind. 7 Nach Abzug von Mehrfachmitgliedschaften innerhalb der Neonazi-Szene. Bei der Anzahl der Gruppen werden nur diejenigen neonazistischen Gruppierungen und diejenigen Kameradschaften erfasst, die ein gewisses Maß an Organisierung aufweisen. 8 Die Mehrfachmitgliedschaften im Bereich der Parteien und sonstigen rechtsextremistischen Organisationen wurden vom gesamten Personenpotenzial abgezogen. 9 Aufgrund des Wandels innerhalb der rechtsextremistischen Szene wird die Zahl der gewaltbereiten Rechtsextremisten seit 2010 gesondert ausgewiesen. 38 Rechtsextremismus Rechtsextremismus-Potenzial Niedersachsen10 2014 2015 Subkulturell geprägte Rechtsextremisten 630 600 Neonazistische Szene11 320 280 Identitäre Bewegung Deutschland (IBD) 50 50 Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) 410 370 Die Rechte 50 50 Sonstige Organisationen 100 105 Summe 1.560 1.455 Nach Abzug von Mehrfachmitgliedschaften 1.435 1.325 Davon gewaltbereite Rechtsextremisten12 825 930 2.2 Einführung Eine in sich geschlossene rechtsextremistische Ideologie gibt es nicht. Vielmehr werden mit dem Begriff Rechtsextremismus Ideologieelemente erfasst, die in unterschiedlicher Intensität und mit unterschiedlicher Stoßrichtung der weltanschaulichen Überzeugung von einer Ungleichwertigkeit der Menschen Ausdruck verleihen. Zu nennen sind im Einzelnen: f Aggressive menschenverachtende Fremdenfeindlichkeit, f Antisemitismus, f Rassismus, f Unterscheidung von "lebenswertem" und "lebensunwertem" Leben, 10 Die für den Bund eingefügten Fußnoten 6 bis 9 gelten entsprechend auch für Niedersachsen. 11 Seit 2010 wird der gewaltbereite Anteil der Neonazis komplett mitgezählt. 12 In der Gesamtzahl sind auch gewaltbereite Neonazis und NPD-Mitglieder enthalten. 39 Rechtsextremismus f Überhöhung des eigenen Volkes bei gleichzeitiger Abwertung anderer Nationen und Völker (Nationalismus), f Vorstellung einer rassisch verstandenen homogenen Volksgemeinschaft (Volksgemeinschaftsdenken), f Individualrechte verneinendes, dem Führerprinzip verpflichtetes Kollektivdenken (völkischer Kollektivismus), f Behauptung "natürlicher" Hierarchien (Biologismus), f Betonung des Rechts des Stärkeren (Sozialdarwinismus), f Ablehnung demokratischer Regelungsformen bei Konflikten, f Übertragung militärischer Prinzipien auf die zivile Gesellschaft (Militarismus), f Geschichtsrevisionismus (Relativierung der Verbrechen des Nationalsozialismus), f Ethnopluralismus (Forderung nach strikter räumlicher und kultureller Trennung verschiedener Ethnien). Fremdenfeindlichkeit Die Ideologieelemente Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Antisemitismus sind die zentralen Begriffe des Rechtsextremismus. Mit "fremdenfeindlich" wird die Ablehnung all dessen bezeichnet, was als fremd bewertet und aus der Gesellschaft ausgegrenzt wird. Die Merkmale variieren: Ausländer, Juden, Muslime und Obdachlose können ebenso Opfer fremdenfeindlicher Ablehnung und Aggression werden wie Menschen mit Behinderungen und Homosexuelle. Fremdenfeindliche Positionen sind bei jeder rechtsextremistischen Organisation nachweisbar; sie bilden das Grundelement rechtsextremistischen Denkens. Rassismus Die in Deutschland gebräuchliche Verwendung des Begriffes Rassismus nimmt Bezug auf die Rassenideologie des Nationalsozialismus, die die "Selektion" und Vernichtung von Millionen Menschen biologisch begründete. Rassisten leiten aus den genetischen Merkmalen der Menschen eine naturgegebene soziale Rangordnung ab. Sie unterscheiden zwischen "wertvollen und minderwertigen menschlichen Rassen". 40 Rechtsextremismus Antisemitismus Der Antisemitismus tritt im Rechtsextremismus in verschiedenen Varianten in Erscheinung. Antisemitische Positionen werden sowohl religiös als auch kulturell und rassistisch begründet. Häufig korrespondieren sie mit verschwörungstheoretischen Ansätzen. Vor dem historischen Hintergrund der systematischen Judenvernichtung durch den Nationalsozialismus (Holocaust13) sind antisemitische Einstellungsmuster ein Gradmesser für die Verfestigung eines rechtsextremistischen Weltbildes. Sie zeugen von ideologischer Nähe zum historischen Nationalsozialismus und treten häufig in Verbindung mit revisionistischen Positionen auf. Antisemitische Positionen sind ein Kennzeichen fast aller rechtsextremistischen Organisationen. Neonazismus Der Begriff Neonazismus, eine Abkürzung für Neooder neuer Nationalsozialismus, der häufig fälschlicherweise als Synonym für Rechtsextremismus verwendet wird, steht für Bestrebungen, die sich weltanschaulich auf den historischen Nationalsozialismus beziehen. Hierzu zählen in erster Linie die neonazistischen Kameradschaften und Organisationen wie die Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige e. V. (HNG). Innerhalb der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) ist der neonazistische Flügel ständig stärker geworden, seitdem sich die Partei gegenüber Freien Nationalisten geöffnet hat. Ausdruck dieser Entwicklung sind die Eintritte zahlreicher führender Protagonisten der Neonaziszene, die zudem Führungsämter in der NPD übernommen haben. 13 Der Begriff bedeutet Massenvernichtung (vom griech. holocaustos = "völlig verbrannt"). 41 Rechtsextremismus Faschismus Die ebenfalls als Synonym für rechtsextremistische Bestrebungen verwendeten Begriffe faschistisch oder neofaschistisch sind in zweifacher Hinsicht ungeeignet. Zum einen handelt es sich um Kampfbegriffe aus den Zeiten des Kalten Krieges, mit denen die Bundesrepublik Deutschland von der DDR in die Tradition des Nationalsozialismus gerückt worden war. Zum anderen verbindet sich mit diesen Begriffen die Vorstellung vom italienischen Faschismus Mussolinis, der als antidemokratische Bewegung ohne Rassismus vom deutschen Nationalsozialismus erheblich abwich. 2.3 Aktuelle Entwicklungen im Rechtsextremismus Die öffentliche Wahrnehmung des Rechtsextremismus war 2015 von fremdenfeindlich motivierten Übergriffen auf Asylbewerber und Flüchtlingsunterkünfte bestimmt. Sowohl auf Bundesebene als auch in Niedersachsen registrierte die Polizei einen deutlichen Anstieg einschlägiger Straftaten. Hervorzuheben ist ein Brandanschlag auf eine Asylbewerberunterkunft am 28.08.2015 in Salzhemmendorf (Landkreis Hameln-Pyrmont). Drei Tatverdächtigte warfen einen Brandsatz in eine von einer Frau aus Simbabwe und ihren drei Kindern bewohnte Unterkunft. Nur durch glückliche Umstände wurde niemand verletzt. Die Täter - zwei Männer und eine Frau - gestanden die Tat und gaben an, unter Alkoholeinfluss und aufgeputscht von rechtsextremistischer Musik gehandelt zu haben. Im Gegensatz zum Anstieg rechtsextremistisch motivierter Straftaten verzeichneten die Verfassungsschutzbehörden auf Bundesebene nur einen geringen Zuwachs, in Niedersachsen sogar einen leichten Rückgang des von ihnen registrierten rechtsextremistischen Personenpotenzials. Zwei eng aufeinander bezogene Erklärungsansätze sind zum Verständnis dieser Diskrepanz zwischen Straftatenaufkommen und der Entwicklung des rechtsextremistischen Personenpotenzials heranzuziehen. Zunächst muss zwischen ideologisch begründetem Handeln - Verfassungsschutzbehörden verwenden hierfür den Terminus 42 Rechtsextremismus zweckund zielgerichtete politische Bestrebungen - und der Einstellungsebene unterschieden werden. Fremdenfeindliche Vorurteile und Ressentiments bilden zwar den Resonanzboden für rechtsextremistische Propaganda und Agitation, sind ungeachtet ihres menschenfeindlichen Charakters nach dieser Definition aber noch kein Rechtsextremismus. Fremdenfeindliche Einstellungen - oder, um es mit der Begrifflichkeit des Sozialwissenschaftlers Wilhelm Heitmeyer zu sagen, gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit - sind wesentlich weiter verbreitet als in sich geschlossene rechtsextremistische Weltbilder. Aus gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit heraus können sich jedoch manifeste Formen des Rechtsextremismus entwickeln, insbesondere dann, wenn in Teilen der Bevölkerung eine ausgeprägt fremdenfeindliche Stimmung mit der Bereitschaft zur Gewaltanwendung verbunden ist. Die Frage, warum rechtsextremistische Organisationen, die seit Jahren gegen Einwanderung und eine angebliche Islamisierung Deutschlands agitieren, von der für sie günstigen Konstellation nicht, wie zu erwarten gewesen wäre, haben profitieren können, leitet zur zweiten Erklärungsebene über: Rechtsextremistische Personenzusammenschlüsse tradierter Art verlieren an Zuspruch, weil ein stetiges Engagement in starren Organisationsformen immer weniger attraktiv ist. Die Entwicklung des Rechtsextremismus folgt damit einem gesamtgesellschaftlichen Trend, zu dem wesentlich die gewachsene Bedeutung des Internets für die politische Orientierung gerade junger Menschen beiträgt. Das Jahr 2015 könnte deshalb eine Übergangsphase hin zu neuen sich verfestigenden Formen des Rechtsextremismus darstellen. Im Zusammenhang mit der Agitation gegen Einwanderung und eine angebliche Islamisierung Deutschlands sind flexible, nicht auf Dauer angelegte Aktionsformen entstanden. Die Zusammensetzung der über die Sozialen Netzwerke mobilisierten Personengruppen wechselt. Für die Beteiligten hat das Engagement keinen an eine Organisation gebundenen Charakter mehr, es wird unverbindlicher, hat häufig nur temporäre Bedeutung. In Ansätzen ist eine Vermischung zwischen rechtsextremistischen und rechtspopulistischen Strömungen zu beobachten, z. B. bei einzelnen Kundgebungen der Pegida-Bewegung, bei den Aktionen der Hooligans gegen Salafisten (HoGeSa) oder in Internet-Foren wie 43 Rechtsextremismus PI-News (Politically Incorrect). Solche Kundgebungen und Internet-Präsenzen sind Organisationsformen von gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit. Ressentiments erschöpfen sich nicht länger in Stammtischparolen, sondern können wirkmächtig gebündelt werden. Rechtsextremisten beteiligen sich an diesen Aktionen, vermögen sie in der Regel aber nicht zu steuern, sondern befinden sich zumeist in der Rolle des Trittbrettfahrers. Mit den von den Verfassungsschutzbehörden verwendeten Kategorien lässt sich die dargestellte Entwicklung nur unzureichend erfassen und beschreiben. Trennschärfe ist nicht nur dadurch verloren gegangen, dass sich Rechtsextremisten unter von Ressentiments geleitete Protestgruppen mischen, sondern auch durch die Stoßrichtung der Aktionen gegen die gleichen Feindbildgruppen: Muslime und Asylbewerber bzw. Migranten. Im Gegensatz zu rechtsextremistischen Akteuren stellen Rechtspopulisten nicht die Systemfrage, aber sie unterminieren tendenziell mit ihren Forderungen gleichwohl die im Grundgesetz (GG) konkretisierten Menschenrechte, insbesondere den Gleichheitsgrundsatz des Artikels 3 GG. Es ist nicht auszuschließen, dass sich der rechtsextremistische und der rechtspopulistische Protest weiter annähern. In der Vergangenheit hat die seinerzeit von den Verfassungsschutzbehörden beobachtete Partei Die Republikaner in einer ebenfalls von steigenden Asylbewerberzahlen gekennzeichneten politischen Situation rechtspopulistische und rechtsextremistische Elemente in sich vereinigt. Richtet man den Blick von den gesamtgesellschaftlichen Entwicklungstendenzen auf die rechtsextremistischen Zusammenschlüsse in Niedersachsen, wird der mit den geschilderten Rahmenbedingungen korrespondierende Strukturwandel des Rechtsextremismus erkennbar. Rechtsextremistische Parteien haben in Niedersachsen in den letzten Jahren stark an Bedeutung verloren. Diese Feststellung gilt insbesondere für die NPD, deren Mitgliederzahl sich ein weiteres Mal um zehn Prozent auf nur noch 370 Mitglieder verringerte. Eine rechtsextremistische Aktivitäten steuernde Funktion übt die überalterte und in weiten Teilen Niedersachsens organisatorisch kaum mehr präsente Partei nicht aus. Die Hochburgen der bei 5.200 Mitgliedern stagnierenden NPD liegen unverändert im Osten Deutschlands, vor allem in Sachsen 44 Rechtsextremismus und Mecklenburg-Vorpommern, wo sie innerhalb des rechtsextremistischen Lagers und auch gesellschaftlich erheblichen Einfluss ausübt. Wesentlich weniger Mitglieder (50 in Niedersachsen, 650 im Bund) zählt die zweite in Niedersachsen beobachtete rechtsextremistische Partei, Die Rechte, die in erster Linie als Sammelbecken für Neonazis fungiert. Die Beteiligung an Wahlen und parteiinterne Meinungsbildungsprozesse stehen nur insoweit im Vordergrund, als dem Parteiengesetz pro forma Rechnung getragen wird. Im Falle eines NPD-Verbots stünden mit den mittlerweile zehn Landesverbänden der Partei Die Rechte Auffangstrukturen zur Verfügung. Unüberbrückbare ideologische Differenzen wären nicht zu überwinden. Die gleiche Feststellung lässt sich für die in Niedersachsen nur mit Einzelmitgliedern präsente Partei Der III. Weg treffen. Bei diversen Veranstaltungen haben Vertreter aller drei rechtsextremistischen Parteien zusammengewirkt. Auf dieser Basis würde sich nach einem NPD-Verbot das rechtsextremistische Parteienspektrum vermutlich neu formieren. Zu diesem Spektrum hinzugerechnet werden kann auch die ausgeprägt rassistische und antisemitische Europäische Aktion, obwohl es sich bei dieser Organisation nicht um eine Partei handelt. Die Europäische Aktion versteht sich als ein organisationsund länderübergreifender ideologischer Taktgeber. Die Äußerungen führender Mitglieder zeugen von erheblicher verbaler Militanz. Entsprechende Auftritte sind z. B. von Dr. Rigolf HENNIG dokumentiert. Das NPD-Mitglied aus Verden ist Gebietsleiter Deutschland der Europäischen Aktion. Im neonazistischen Spektrum des Rechtsextremismus setzte sich in Niedersachsen der bereits im letzten Jahr beschriebene Strukturwandel fort. Kameradschaften, wie sie in Reaktion auf die Verbote rechtsextremistischer Organisationen in den 1990er Jahren entstanden sind, gibt es kaum noch. An ihre Stelle sind lose Netzwerke von Personen getreten, die nicht mehr in der gleichen Weise ideologisch geschult und gefestigt sind wie die Angehörigen der früheren Kameradschaften. Mit dieser Entwicklung einhergehend erodiert die Abgrenzung zur subkulturellen Szene. Es bildet sich eine Mischszene heraus mit einer ideologisch diffusen Orientierung an rassistischen, antisemitischen und den National45 Rechtsextremismus sozialismus verherrlichenden Versatzstücken. Tendenziell nimmt die Bereitschaft, Gewalt anzuwenden, zu, wenn die ideologische Disziplin sinkt. Das konkrete Handeln der neonazistischen Szene ist schwerer einzuschätzen. Insofern markiert die beschriebene Entwicklung einen mit Sorge zu beobachtenden Trend, auch wenn das Personenpotenzial in Niedersachsen sowohl im neonazistischen als auch im subkulturellen Bereich des Rechtsextremismus leicht gesunken ist. Gerade in diesen Bereichen allerdings ist die Bezifferung des Personenpotenzials wegen der Heterogenität der Szene und der oben dargelegten Kategorisierungsprobleme besonders schwierig. Zur ideologischen Festigung gehörten früher Veranstaltungen und Aktionen mit historischem Bezug zum Nationalsozialismus: Rudolf-Hess-Gedenkveranstaltungen, sogenannte Trauermärsche zum Gedenken an die Bombardierung deutscher Städte oder Kundgebungen an Kriegsgräberstätten zu Ehren gefallener deutscher Soldaten. Solche weltanschaulichen Pflichtveranstaltungen haben ihre Bedeutung weitgehend verloren. Dies zeigt sich auch an der nur noch geringen Beteiligung am "Trauermarsch" in Bad Nenndorf. Offensichtlich stehen historische Bezugspunkte für die ideologische Orientierung nicht mehr im Vordergrund. Ein Beleg hierfür ist auch die nachlassende Produktion von Veröffentlichungen im Bereich des professionellen Geschichtsrevisionismus. Gleichwohl gehören geschichtsrevisionistische Thesen bis hin zur Holocaust-Leugnung zum ideologischen Grundbestand des Rechtsextremismus. Beispielhaft für neuere Entwicklungen im Rechtsextremismus steht die Identitäre Bewegung Deutschland (IBD), deren Gründung die Vernetzung im virtuellen Bereich vorausging. Ideologisch knüpft die IBD an die Theoreme der Neuen Rechten an, indem sie einen ethnopluralistischen Ansatz mit kulturalistisch begründeter Islamfeindlichkeit verbrämt. Dieses Ideologieangebot ist leichter vermittelbar und damit anschlussfähiger für rechtspopulistische bürgerliche Protestbewegungen als die Volksgemeinschaftspropaganda der neonazistischen Szene. Dementsprechend konzentriert sich die IBD darauf, ideologischen Einfluss auf die Protestbewegungen zu gewinnen. 46 Rechtsextremismus Die beschriebene Entwicklung hat Konsequenzen für die Präventionsarbeit gegen Rechtsextremismus. Statische Konzepte der Wissensvermittlung über rechtsextremistische Erscheinungsformen werden der Dynamik des Wandlungsprozesses nicht mehr gerecht. Das veränderte Informationsverhalten von Jugendlichen, das Rückwirkungen auf Sozialisationsprozesse hat, muss in den Mittelpunkt von Präventionsmaßnahmen gerückt werden. Rechtsextremistische Internetpropaganda zu dekonstruieren, um der Macht der Bilder, der Suggestion und der gezielten Desinformation entgegenzuwirken, wird eine der wesentlichen Aufgaben sein müssen. Die niedersächsische Verfassungsschutzbehörde greift diese Aspekte mit ihrer Ausstellung "Gemeinsam gegen Rechtsextremismus" auf, indem sie aktuelle rechtsextremistische Internetangebote in den Mittelpunkt stellt und hierüber diskutieren lässt. 2.4 Subkulturell geprägte Rechtsextremisten Gründung / 1980er Jahre Bestehen seit Struktur / Heterogenität der organisatorisch nicht gefestigten subRepräsentanz kulturellen rechtsextremistischen Szene; eine Ausnahme bilden die Hammerskins mit einem festen hierarchischen Aufbau; viele Szeneangehörige im jugendlichen Alter Mitglieder / Bund: 8.200 Anhänger / Land: 600 Unterstützer 2015 47 Rechtsextremismus Kurzportrait / Ziele Die fremdenfeindliche Grundeinstellung von subkulturell geprägten Rechtsextremisten kommt unreflektiert, häufig spontan und gewaltsam zum Ausdruck. Sie wird ausgelebt und nicht ideologisch im Sinne eines politischen Ansatzes überhöht. Von zentraler Bedeutung ist dabei die aufputschende Wirkung der rechtsextremistischen Musik. Sie vermittelt Feindbilder, aber keinen politischen Ansatz. Die Bereitschaft subkulturell geprägter Rechtsextremisten zur Teilnahme an Demonstrationen resultiert aus der Erlebnisorientierung der Szene. Eine Demonstration verspricht für sie zu einem spannenden Ereignis zu werden. Ihre Teilnahme ist aber nur bedingt willkommen. Einerseits füllen sie zwar die Reihen auf, andererseits befürchten ideologisch geschulte Neonazis eine Herabwürdigung ihres Demonstrationsanliegens durch die undisziplinierten gewaltaffinen Angehörigen der subkulturellen Szene. Letztere bilden sich häufig in Cliquenform auf örtlicher Ebene heraus. Solche Cliquen sind vielerorts in Niedersachsen vorhanden. Beginnt in diesen Cliquen unter dem Einfluss einzelner Personen ein Ideologisierungsprozess, so reduziert sich die Gruppe in der Regel auf einen harten Kern, der dem Bereich des Neonazismus zuzurechnen ist. Für die Kontaktaufnahme mit Gleichgesinnten spielen mittlerweile das Internet und hierbei vorrangig Soziale Netzwerke die entscheidende Rolle. Gedruckte Fanzines14, die noch vor einem Jahrzehnt das wichtigste szeneinterne Kommunikationsmedium für die subkulturelle bzw. die rechtsextremistische Musikszene darstellten, werden kaum noch verbreitet. Grund der Beobachtung / Verfassungsfeindlichkeit Die Beobachtungswürdigkeit ergibt sich aus der fremdenfeindlichen Grundeinstellung und aus der Gewaltanwendung oder der Bereitschaft zur Gewalt, die für subkulturell geprägte Rechtsextremisten ein Ausdruck von Männlichkeit darstellt. Hierbei kommt insbesondere ein rassistisches und antisemitisches Weltbild zum 14 Der Begriff Fanzine ist der englischen Sprache entlehnt und setzt sich aus den Worten "Fan" und "Magazine" zusammen. 48 Rechtsextremismus Ausdruck, das den demokratischen Rechtsstaat negiert. Vor allem rechtsextremistische Skinheads weiden sich daran, Angst und Schrecken zu verbreiten. Gewalt wird insbesondere unter Alkoholeinwirkung zuweilen hemmungslos, brutal und meistens spontan ausgelebt. Auch die Opfer werden kurzfristig ausgewählt. Die Bildung von Organisationsstrukturen ist nicht gewollt. Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum Zu den subkulturell geprägten Rechtsextremisten zählen sogenannte Bruderschaften. Auch in Niedersachsen existieren Strukturen bundesweit agierender rechtsextremistischer Bruderschaften wie Brigade 8 (Region Hannover), Nordic 12 (Bremer Umland) oder Blood Brother Nation (Oldenburg und Vechta). Besonderen Stellenwert bei diesen überwiegend subkulturell geprägten Gruppierungen, die wiederum strukturelle und stilistische Anleihen von Motorradclubs aufweisen, hat ein in Niedersachsen auch untereinander gepflegtes Zusammengehörigkeitsgefühl. Da neben beteiligen sich Angehörige dieser Bruderschaften wiederkehrend an rechtsextremistischen Demonstrationen, positionieren sich öffentlich mit fremdenund islamfeindlichen Aussagen zur Asylund Flüchtlingspolitik oder werben für eine Vereinigung sämtlicher "nationaler Kräfte". 49 Rechtsextremismus Exemplarisch für bestehende Verbindungen untereinander sowie zur rechtsextremistischen Hooliganszene ist ein gemeinsames, wenn auch wenig professionelles Videoprojekt aus dem März 2015, das u. a. von Brigade 8 Hannover, Nordic 12 und Gemeinsam Stark Hannover zum Thema sogenannter Ausländergewalt im Internet verbreitet wurde, hier jedoch kaum Beachtung fand. Weitere Beispiele sind die gemeinsamen Teilnahmen sowohl an einer Jahresfeier von Nordic 12 im Mai als auch an der Demonstration "Tag der deutschen Patrioten" (TddP) im September sowie an einem Treffen im November unter Beteiligung von Angehörigen der rechtsextremistischen Hooliganszene, darunter die Gruppierung Berserker Division Wolfsburg. Bewertung, Tendenzen, Ausblick Mitte der 1980er Jahre bildete sich in Deutschland eine rechtsextremistische Subkultur heraus, als Teile der Skinhead-Bewegung unter rechtsextremistischen Einfluss gerieten. Die subkulturelle Szene hat sich im Verlauf der folgenden dreißig Jahre stark verändert. Der von seinem Erscheinungsbild her typische Skinhead mit Bomberjacke, Kampfstiefel und kahl geschorenem Kopf, der über längere Zeit die Wahrnehmung des Rechtsextremismus bestimmte, ist aus dem Straßenbild fast vollständig verschwunden. Überdauert haben hingegen die Vorliebe für bestimmte Symbole und die rechtsextremistische Musik, mit der die Szene ihrem Selbstverständnis in Abgrenzung zu anderen Subkulturen Ausdruck verleiht. Die Übergänge zwischen den einzelnen Bereichen des Rechtsextremismus sind fließend. Weil die Subkultur kein stringentes politisches Engagement verlangt, sondern in erster Linie ein Angebot zur Freizeitgestaltung darstellt, ist die Zugangsschwelle zu diesem Bereich des Rechtsextremismus für jüngere Personen mit einer fremdenfeindlichen Grundeinstellung am niedrigsten. Entsprechend viele Jugendliche unter 18 Jahren sind der subkulturellen Szene zuzurechnen. Sie setzen zwar keine eigenständigen politischen Akzente, werden durch ihre Teilnahme an rechtsextremistischen Demonstrationen aber zu einem Faktor in der Auseinandersetzung mit linksextremistischen Gegendemonstranten. 50 Rechtsextremismus 2.5 Rechtsextremistische Musikszene Gründung / 1980er Jahre Bestehen seit Veröffentlichungen Publikationen: CD-Veröffentlichungen, Fanzines Web-Angebote: Online-Versände, Bekanntmachung von Konzertterminen über Foren, Veröffentlichungen von Videos Kurzportrait / Ziele Rechtsextremistische Musik ist ein wesentlicher Faktor für die Ausprägung eines Gemeinschaftsgefühls bei den Szeneangehörigen. Rechtsextremistische Parteien nutzen rechtsextremistische Bands und Liedermacher, um ihre Veranstaltungen für ein jüngeres Publikum attraktiver zu gestalten. Darüber hinaus dient die Musik dem Zweck, rechtsextremistische Ideologie - auch an Außenstehende - zu vermitteln. Die Liedinhalte formulieren in plakativer, häufig hetzerischer Form die rassistische, fremdenfeindliche und antisemitische Einstellung der Szeneangehörigen. Die Bandbreite rechtsextremistischer Musik erstreckt sich von Black Metal über Schlager bis zur Balladenmusik. Den größten Zuspruch erfährt unverändert die Stilrichtung Rock against Communism (RAC). Finanzierung Verkauf von rechtsextremistischen Tonträgern sowie Handel mit Devotionalien, darunter Kleidung, die mit rechtsextremistischen Aussagen bedruckt ist. Handel und Verkauf dienen teilweise gewöhnlicher Geschäftemacherei. Auch Einnahmen aus Musikveranstaltungen dienen mitunter der Finanzierung von Aktivitäten. 51 Rechtsextremismus Grund der Beobachtung / Verfassungsfeindlichkeit Von eingängigen oder aufputschenden Melodien getragen können Liedtexte eine suggestive Wirkung entwickeln. Die Liedtexte vermitteln rechtsextremistische Feindbilder, rufen zu Gewalt auf und schüren Fremdenfeindlichkeit und Rassismus. Sie transportieren damit die rechtsextremistische Ideologie. Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum Rechtsextremistische Musik hat für die subkulturelle Szene einen hohen werbestrategischen Stellenwert. Gleiches gilt für die neonazistische Szene und für rechtsextremistische Parteien wie NPD und Die Rechte. "Rechtsrock hat die Botschaft, aufzuwiegeln und Wut zu schaffen"15, so formuliert es ein ehemaliges Mitglied einer rechtsextremistischen Band in einem Interview mit der Nachrichtensendung hessenschau. Welche Bedeutung die Musik ins besondere für den Einstieg in die rechtsextremistische Szene hat, erklärt ein Angehöriger des im Oktober 2015 verbotenen neonazistischen Vereins Sturm 18 mit den folgenden Worten: "Für unsere Bewegung ist es aus verschiedenen Gründen unverzichtbar, eine eigene Musikszene zu erhalten und weiter aufzubauen. ... Es ist der angenehmste Weg Wissen zu vermitteln, zum Nachdenken anzuregen und für den Widerstand zu begeistern. Viele finden erst über die Musik zu uns. Aber ... nur weil man ... auf jedes Konzert rennt, ist man noch lange nicht im Widerstand aktiv! Denn die Musik wird dann ja nur konsumiert, jedoch ihr Sinn und Zweck nicht gelebt." Die Anzahl der Zugriffe auf rechtsextremistische Musikvideos im Internet weist darauf hin, dass die Verbreitung der Musik weit über das registrierte rechtsextremistische Personenpotenzial hinausreicht. Besonders angesprochen fühlen sich Jugendliche, die ihre soziale Situation in den Liedtexten widergespiegelt finden und die nach Integration in eine Gruppe Gleichgesinnter streben. Die Konfrontation mit rechtsextremistischer Musik kann den Beginn einer Entwicklung markieren, in deren Verlauf sich Jugendliche zunehmend mit der rechtsextremistischen Szene identifizieren. Die Auseinandersetzung mit der rechtsextremistischen Musik 15 Internetseite der hessenschau, abgerufen am 09.11.2015. 52 Rechtsextremismus ist deshalb seit mehreren Jahren ein Schwerpunkt der präventiven Verfassungsschutzarbeit. Ein zentrales Thema der rechtsextremistischen Musikszene ist die Flüchtlingsund Einwanderungspolitik. In ihren Liedtexten beklagen Bands und Musiker, dass dadurch die von Rechtsextremisten angestrebte Homogenität und die Identität des deutschen Volkes vernichtet werden. Ein Beispiel hierfür ist das Lied "Heimatland", das die nordrhein-westfälische Band "Sleipnir" auf dem Tonträger "Heimatland" 2015 veröffentlichte: "Ein Land wird schleichend islamisiert, Salafisten leise akzeptiert. Und Bürger aus ganzen Stadtteilen verbannt. Weil du jede ihrer Lügen frisst, dein Rückgrat mehr und mehr zerbricht, denn wer es wagt zu rebellieren, muss ein Nazi sein. Bleibt die Frage wo ich hier eigentlich bin." Ein weiteres Beispiel ist das Lied "In der Nacht ...", das die Band "Thrima" aus Mecklenburg-Vorpommern auf dem im Jahr 2015 veröffentlichten und durch die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) indizierten Sampler "7. Tag der Deutschen Zukunft" veröffentlichte. Laut Indizierungsbegründung der BPjM schürt das Lied die Angst vor in Deutschland lebenden Ausländern, die als Gewalttäter, Totschläger und Vergewaltiger verunglimpft werden: "Geschlagene Kinder in der Schule, geschändete Mädchen in der Nacht. Wie oft waren getötete Menschen durch Migrantenhand von der Masse ignoriert. In der Öffentlichkeit verschwiegen, von der Politik toleriert und ... propagiert." 53 Rechtsextremismus Neben politischen Themen werden auch rechtsextremistische Aktionsformen propagiert. So versucht die ebenfalls aus Nordrhein-Westfalen stammende Band "Oidoxie" mit dem Lied "Raus auf die Straße" von ihrem 2015 veröffentlichten Tonträger "Mein Blut", politisch Unzufriedene für die rechtsextremistische Szene zu gewinnen: "Du sitzt allein zu Hause und denkst über vieles nach. Du bist unzufrieden wie es ist und lebst von Tag zu Tag. ... Frei, sozial und national im Kampf für Volk und Land. Wenn Du genauso fühlst dann reich uns jetzt die Hand." Die Produzenten solcher Musik lassen Tonträger vor ihrem Erscheinen durch Rechtsanwälte auf mögliche Rechtsverstöße überprüfen, um Indizierungsmaßnahmen, strafrechtliche Verfahren und damit einhergehende Geschäftsverluste zu vermeiden. Strafrechtlich relevante CDs - ihr Anteil beträgt weniger als zehn Prozent - werden bis auf wenige Ausnahmen im Ausland produziert. Immer häufiger werden neue Tonträger kurz nach ihrer Veröffentlichung in Download-Portalen oder in Sozialen Netzwerken im Internet hochgeladen und gratis zur Verfügung gestellt. Diese Entwicklung bedeutet zwar einerseits einen größeren Verbreitungsgrad rechtsextremistischer Musik auch über die Szene hinaus, andererseits führt das kostenfreie Herunterladen aus dem Internet zu finanziellen Einbußen der betroffenen Bands und Musiker, die wiederum befürchten, weniger CDs zu verkaufen und die Produktionskosten nicht mehr decken zu können. Die Hamburger Band "Abtrimo" appellierte daher im Rahmen eines Interviews von Oktober 2015, das u. a. im Internet in diversen Sozialen Netzwerken veröffentlicht wurde, doch lieber Original-CDs zu kaufen, ansonst gäbe "es irgendwann keine Mucke mehr". Die Anzahl rechtsextremistischer Musikgruppen hat sich bundesweit in den letzten Jahren mit rund 180 kaum verändert. Dabei handelt es sich nicht um einen permanent gleich bleibenden Kreis von Musikgruppen. Viele Bands bestehen nur für kurze Zeit. Mitunter finden sich Mitglieder rechtsextremistischer Bands unter neuem Namen einmalig für Musikprojekte zusammen. 54 Rechtsextremismus Bundesweit fanden 63 Musikveranstaltungen (2014: 55) statt. Der regionale Schwerpunkt rechtsextremistischer Konzerte lag in Sachsen und Thüringen. Entgegen der in den letzten Jahren rückläufigen Veranstaltungszahlen gab es im Jahr 2015 wieder eine leichte Zunahme rechtsextremistischer Musikveranstaltungen. Dennoch ist in der Gesamtschau ein deutlicher Rückgang gegenüber den 1990er und frühen 2000er Jahren zu verzeichnen. Diese Entwicklung begründet sich u. a. mit der Verunsicherung der rechtsextremistischen Szene durch zahlreiche Exekutivmaßnahmen der Sicherheitsbehörden. Ursache für den aktuell feststellbaren leichten Anstieg ist die verstärkte Nutzung von Lokalitäten mit Szenebezug. Entweder ist in diesen Fällen der Vermieter einer solchen Lokalität selbst Szeneangehöriger, oder man duldet Veranstaltungen mit rechtsextremistischem Charakter, um eigene monetäre Interessen zu bedienen. Eine Verschleierung des wahren Veranstaltungscharakters und der Abschluss von Mietoder Pachtverträgen ist in diesen Fällen nicht erforderlich, was die Verhinderung der Veranstaltungen durch die staatlichen Behörden erschwert. Die in Deutschland zumeist konspirativ organisierten rechtsextremistischen Musikveranstaltungen werden durchschnittlich von 100 bis 150 Personen besucht. Die Ankündigungen für diese Konzerte erreichen in der Regel nur Szeneangehörige, so dass eine Werbewirkung für Interessierte ohne Szenebezug nahezu ausgeschlossen ist. Daneben gibt es nach wie vor Konzerte, wenn auch in geringerer Anzahl, die ein größeres Szenepublikum ansprechen sollen. In der Regel verpflichten die Veranstalter für diese Konzerte mehrere Bands, die in der Szene populär sind. Wegen des erhöhten Organisationsaufwandes und des finanziellen Risikos sind sie in diesen Fällen bereit, die Veranstaltung bei den Ordnungsbehörden anzumelden und die staatlichen Auflagen einzuhalten. Diese Konzerte finden überwiegend in Lokalitäten statt, die im Besitz von Angehörigen der rechtsextremistischen Szene sind oder von diesen betrieben werden. Um den Maßnahmen der deutschen Ordnungsund Sicherheitsbehörden auszuweichen, sind einige Veranstalter dazu übergegangen, rechtsextremistische Konzerte in das grenznahe Ausland 55 Rechtsextremismus zu verlagern. Konzerte fanden u. a. in Belgien, Frankreich und den Niederlanden statt, auch wenn für Deutschland als Veranstaltungsort geworben wurde. Zugleich waren Angehörige der deutschen rechtsextremistischen Szene wiederholt an der Durchführung von rechtsextremistischen Konzerten beteiligt, die im Ausland geplant und veranstaltet wurden. So spielten die Bands "Blitzkrieg" und "Sachsonia" (beide Sachsen) am 31.10.2015 vor etwa 1.200 Konzertteilnehmern in der Slowakei, darunter auch Besucher aus Deutschland. Eine der im Jahr 2015 bundesweit größten Musikveranstaltungen fand am 23.05.2015 in Hildburghausen (Thüringen) statt, in deren Verlauf mehrere politische Redner auftraten. Unter dem Motto "Rock für Meinungsfreiheit" spielten vor rund 1.500 Personen aus dem gesamten Bundesgebiet die Bands "Sleipnir" (Nordrhein-Westfalen), "Überzeugungstäter" (Sachsen), "Faust" (Brandenburg/ Hessen), "Ahnenblut" (Mecklenburg-Vorpommern) und "Killuminati" (ein Projekt von Musikern aus Thüringen, Sachsen und Baden-Württemberg). Rechtsextremistische Musik in Niedersachsen Im Jahr 2015 waren drei niedersächsische Musikgruppen aktiv. Hinzu kommen die in Niedersachsen ansässigen Liedermacher Patrick KRUSE, der unter dem Namen "Jugendgedanken" auftritt, und Karin MUNDT, die unter dem Namen "Wut aus Liebe" in der rechtsextremistischen Musikszene aktiv ist sowie der im Berichtsjahr erstmals in Erscheinung getretene "Gassenraudi". "Stahlgewitter / Gigi & Die Braunen Stadtmusikanten" Im Frühjahr 2015 veröffentlichte der Meppener Sänger Daniel GIESE mit seinem Projekt "Gigi & Die Braunen Stadtmusikanten" einen neuen Tonträger.16 Im Gegensatz zu den in den Jahren 2013 und 2014 erschienenen Tonträgern befinden sich auf der 2015 veröffentlichten CD "Was von Meinungsfreiheit bleibt" keine neuen Stücke der Band. Die Neuveröffentlichung enthält Lieder von den älteren Tonträgern "Braun ist Trumpf" (2008) und "Adolf Hitler 16 Bereits in den beiden Vorjahren waren neue Tonträger seiner Bands "Stahlgewitter" und "Gigi & Die Braunen Stadtmusikanten" erschienen. 56 Rechtsextremismus lebt!" (2010)17, die von der BPjM nicht für die Indizierungen der CDs herangezogen wurden. Mit dem Titel des neuen Tonträgers unterstellt GIESE, die vorrangig mit Jugendschutz begründeten Indizierungsbeschlüsse der BPjM seien ein Instrument des Staates, um die Meinungsfreiheit einzuschränken. Die auf dem Tonträger erneut veröffentlichten Lieder zeigen dennoch die rechtsextremistische Einstellung der Bandmitglieder. In dem Lied "Tolerant und Geisteskrank" äußert sich GIESE über die zum Gedenken der Opfer des Nationalsozialismus in vielen Städten gesetzten Stolpersteine verklausuliert, dennoch eindeutig fremdenfeindlich und antisemitisch: "Für ein paar große Scheine bestellt eine Gemeinde ein paar Durchgeknallte, die verlegen Stolpersteine. So kann man sich schön biegen und auf die Schnauze fliegen, doch stolpern können sie nicht, da sie ja schon am Boden liegen. Immer toleranter, immer geisteskranker. Heute tolerant und morgen fremd im eigenen Land." Der Tonträger "Was von Meinungsfreiheit bleibt" wurde am 07.01.2016 durch die BPjM indiziert. Die Indizierungsentscheidung wird mit der Verherrlichung des Nationalsozialismus im Booklet des Tonträgers begründet. Die musikalischen Beiträge waren hingegen nicht entscheidungserheblich. Die musikalischen Projekte von GIESE finden seit vielen Jahren große Beachtung in der rechtsextremistischen Szene. "Noten Sturm" Das im Jahr 2015 entstandene Musikprojekt "Noten Sturm" aus dem Raum Einbeck spielte am 06.05.2015 bei einem Konzert in der Stadt. Der Sänger des Projekts trat am 12.09.2015 bei einem Liederabend in Einbeck als Balladensänger auf. 17 Der Tonträger wurde im November 2010 durch das Amtsgericht Osnabrück mit einem allgemeinen Beschlagnahmebeschluss belegt. 57 Rechtsextremismus "Terroritorium" Die aus der Region Hannover stammende Band "Terroritorium" spielte im November 2015 bei einem anlässlich eines Geburtstages durchgeführten Skinheadkonzert in Sotterhausen (Sachsen-Anhalt). Darüber hinaus intonierte der Sänger der Band rechtsextremistische Balladen bei einer Sonnenwendfeier der rechtsextremistischen Szene am 20.06.2015 in Eschede (Landkreis Celle) sowie bei einem Liederabend am 25.07.2015 im Landkreis Hildesheim. Liedermacher "Gassenraudi" Neben zwei Auftritten bei Geburtstagsfeiern von Angehörigen der rechtsextremistischen Szene trat der aus dem Bereich Braunschweig stammende Liedermacher "Gassenraudi" bei dem bereits erwähnten Balladenabend am 12.09.2015 in Einbeck auf. Daneben veröffentlichte er eine Demo-CD, auf der er teilweise auch mit weiteren Musikern zu hören ist. Liedermacher Patrick KRUSE / "Jugendgedanken" Der Liedermacher Patrick KRUSE aus Hannover hat seinen Aktionsschwerpunkt im Berichtszeitraum nach Sachsen verlagert. Unter dem Namen "Jugendgedanken" trat KRUSE dort am 06.02.2015 im Rahmen der sogenannten Aktionswoche anlässlich des Jahrestages der Bombardierung Dresdens am 13.02.2015 im Vorfeld der szeneeigenen Veranstaltung in Pirna auf. Liedermacherin Karin MUNDT / "Wut aus Liebe" Die aus Bayern stammende Liedermacherin Karin MUNDT verlagerte im zweiten Halbjahr 2015 ihren Wohnsitz von Brandenburg in den Raum Goslar. Seitdem trat sie unter dem Namen "Wut aus Liebe" bei Balladenabenden am 25.07.2015 im Landkreis Hildesheim und am 12.09.2015 in Einbeck sowie am 18.09.2015 bei einer Veranstaltung der rechtsextremistischen Szene in Burgwindheim (Bayern) auf. 58 Rechtsextremismus "Kategorie C" Die Bremer Band "Kategorie C" ist insbesondere wegen ihrer Gewalt verherrlichenden Texte in der rechtsextremistischen Skinheadund Neonaziszene beliebt und erfüllt zudem die Funktion eines Bindegliedes zwischen Hooligans und Rechtsextremisten. Dies belegen die Auftritte der Band im Rahmen der HoGeSaDemonstrationen am 26.10.2014 und am 25.10.2015 in Köln. Mit der Wiederaufnahme des personenidentischen rechtsextremistischen Musikprojektes "Nahkampf" bestätigte die Hooligan-Band ihre politische Ausrichtung. Die Aktivitäten und Aussagen der Gruppe weisen offen rechtsextremistische Inhalte auf. Rechtsextremistische Konzerte und Liederabende in Niedersachsen Die Strategie zur Durchführung rechtsextremistischer Konzerte hat sich gegenüber den Vorjahren nicht geändert. Konzerte finden wie bisher vornehmlich in kleineren Orten statt. Raumanmietungen erfolgen häufig unter dem Vorwand, eine von Musikdarbietungen umrahmte Geburtstagsfeier durchführen zu wollen. Einige Veranstalter sind als Reaktion auf Exekutivmaßnahmen der Polizei dazu übergegangen, mit Ausweichstätten zu planen. Im Eventualfall werden Besucher dann per SMS oder Instant Messaging Diensten über einen Zwischentreffpunkt zur Ausweichstätte umdirigiert. Mit solch umfangreichen Vorplanungen versuchen die Veranstalter, ihr Geschäftsrisiko zu reduzieren. In Niedersachen ist 2015 wie bereits in den Vorjahren nur ein Konzert durchgeführt worden. Es fand am 06.06.2015 mit Einverständnis des Vermieters in einer Gewerbehalle in Einbeck statt. Vor etwa 70 Teilnehmern spielten die Bands "Noten Sturm" und "Heiliger Krieg" (Sachsen) sowie die Liedermacher "Wecki" (Brandenburg) und "Odur" (Sachsen-Anhalt). Eine für den 21.03.2015 im Bereich Emsland / Grafschaft Bentheim geplante Konzertveranstaltung der rechtsextremistischen Bremer Band "Kategorie C" wurde von den Sicherheitsbehörden verhindert. Die Anzahl der Liederund Balladenabende ist im Vergleich zum Vorjahr von acht auf zehn Veranstaltungen geringfügig gestiegen. Veranstaltungen dieser Art bedürfen eines geringeren or59 Rechtsextremismus ganisatorischen Aufwandes als Skinheadkonzerte, erreichen jedoch nur einen kleinen Personenkreis. Sie werden deshalb häufig ohne öffentliche Wahrnehmung durchgeführt. Liederund Balladenabende unterscheiden sich sowohl in ihrem musikalischen Charakter als auch in ihrer Funktion deutlich von Skinheadkonzerten. Die Sänger verzichten auf eine Verstärkeranlage und begleiten sich lediglich auf einer akustischen Gitarre. Bedeutsamer als die Musik ist der ideologische Gehalt der vorgetragenen Texte. Liederabende fanden am 07.02.2015 in Vechelde (Landkreis Peine), am 02.04.2015 und am 20.09.2015 in Zahrensen (Landkreis Heidekreis), am 25.04.2015 in Wendeburg (Landkreis Peine), am 04.07.2015 in Salzgitter, am 25.07.2015 im Landkreis Hildesheim, am 12.09.2015 in Einbeck (Landkreis Northeim), am 18.09.2015 in Stuhr (Landkreis Diepholz), am 24.10.2015 im Landkreis Northeim und am 26.10.2015 in Uelzen statt. Rechtsextremistische Vertriebe Die Nachfrage der rechtsextremistischen Szene nach Tonträgern, Druckerzeugnissen und Bekleidung sowie weiteren szenetypischen Artikeln wird durch rechtsextremistische Vertriebe bedient, die insbesondere über das Internet ein permanent aktualisiertes Angebot bereithalten. Die unverändert hohe Anzahl an Vertrieben zeigt, dass sich der subkulturelle Bereich als fester Bestandteil des Rechtsextremismus etabliert hat. Wichtige deutsche Vertriebe sind Front Records, PC Records und OPOS Records (alle Sachsen) sowie Rebel Records (Brandenburg). Die Betreiber sind oftmals zugleich Mitglieder rechtsextremistischer Bands oder treten als Veranstalter rechtsextremistischer Konzerte in Erscheinung, bei denen sie ihr Warenangebot offerieren. Strafrechtlich relevante oder indizierte Produktionen befinden sich im Angebot ausländischer Vertriebe, die die Nachfrage in Deutschland über das Internet bedienen. Zu nennen sind Werewolf Records, ISD Records, Micetrap Distribution und NSM 88. Das Angebot umfasst beispielsweise Tonträger der Bands Landser (Berlin) und Race War (Baden-Württemberg), deren Mitglieder in Deutschland wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung am 22.12.2003 bzw. am 22.11.2006 verurteilt worden sind. 60 Rechtsextremismus Niedersächsische Vertriebe In Niedersachsen sind zehn Vertriebe ansässig: Adler-Versand (Diekholzen), Der Versand (Bovenden), For the Queens (Elbe, Landkreis Wolfenbüttel)18, Hatecore Lüneburg (Lüneburg), MaxH8 (Cremlingen), Nordstern-Versand (Verden)19, der Onlineshop Streetwear Tostedt (Tostedt)/ Streetwear & Rock against Cowardice (Buchholz i.d.N.)20, Wewelsburg Records (Leer) und Das Zeughaus (Lingen/ Ems). Alle genannten Vertriebe spielen in der Szene eine eher untergeordnete Rolle, weil sie Produktionen weniger namhafter Musikbands vertreiben und damit auch einen geringeren Umsatz verzeichnen. Der Vertrieb Der Anschlag (Verden)21 konzentriert sich auf die Verbreitung von Druckerzeugnissen über das Internet. Hatecore Lüneburg (Lüneburg) Wewelsburg Records Streetwear Tostedt (Tostedt) (Leer) / Streetwear & Rock against Cowardice (Tostedt/Buchholz) Gigi / Stahlgewitter Nordstern-Versand und Der Anschlag (Meppen) (Verden) Gassenraudi Das Zeughaus (Braunschweig) (Lingen) Patrick Kruse und Terroritorium MaxH8 (Hannover) (Cremlingen) Vertriebe Adler-Versand Karin Mundt (Diekholzen) (Goslar) Skinheadbands, Liedermacher For the Queens Noten Sturm (Elbe) ( ) Stadt (Einbeck) Der Versand (Bovenden) 18 Der Onlineversand ist seit Oktober 2015 nicht mehr aufrufbar. 19 Laut Impressum hat der Versand seinen Sitz im Oktober 2015 nach Baden-Württemberg verlegt. 20 Der Onlineversand änderte im Juli 2015 seinen Namen und Sitz. 21 Der Onlinevertrieb ist seit November 2015 nicht mehr aufrufbar. 61 Rechtsextremismus Bewertung, Tendenzen, Ausblick Rechtsextremistische Musik stellt nach wie vor ein wichtiges Medium für die Rekrutierung neuer Anhänger sowie für die Radikalisierung innerhalb der rechtsextremistischen Szene dar. Mit den Liedtexten werden zumeist rassistische, antisemitische und antidemokratische Ideologien proklamiert. Rechtsextremistische Musikveranstaltungen fördern das Gemeinschaftsgefühl von Szeneangehörigen insbesondere gegenüber der als feindlich empfundenen Umwelt. In der Vergangenheit wurde in den Liedtexten vorrangig die NS-Zeit glorifiziert. Heute ist bei neuen Produktionen oftmals ein Bezug zur aktuellen gesellschaftlichen und politischen Entwicklung festzustellen. Die Anzahl der durchgeführten Skinheadkonzerte ist seit mehreren Jahren stark rückläufig. Dagegen steigt die Anzahl der Liederund Balladenabende stetig, zumal sich diese einfacher planen lassen. Sie finden in kleinen Räumlichkeiten statt und der Teilnehmerkreis besteht zumeist aus Angehörigen der regionalen Szene. Dadurch entfalten Balladenabende kaum Werbewirkung, führen selten zur Rekrutierung neuer Szenemitglieder und dienen primär dem Zusammenhalt der Szene. Die rechtsextremistische Musikszene in Niedersachsen ist weitgehend inaktiv. Die Anzahl der aktiven Bands hat sich abermals verringert, niedersächsische Versände haben bundesweit keinen großen Stellenwert. Um den gestiegenen Ansprüchen der Hörerschaft zu genügen, sind kostspielige Produktionen in professionellen Tonstudios sowie aufwändig gestaltete Booklets erforderlich. Videound Downloadportale lassen hingegen die Verkaufszahlen von Tonträgern und damit die Einnahmen der Bands zurückgehen. 62 Rechtsextremismus 2.6 Neonazistische Szene Sitz / Verbreitung Niedersachsenweit; Schwerpunkte in den Regionen Buchholz/ Tostedt, Hannover/ Hildesheim, Oldenburg/ Wilhelmshaven, Ostfriesland/ Emsland, Südniedersachsen Gründung / 1970er Jahre Bestehen seit Struktur / Örtlich und regional unterschiedlich ausgeprägte Strukturen in Repräsentanz Form von Aktionsgruppen, informellen Netzwerken, Kameradschaften oder Kreisverbänden der Partei Die Rechte; hinzu kommen überwiegend virtuelle Präsenzen Mitglieder / Bund: 5.800 Anhänger / Land: 280 Unterstützer 2015 Veröffentlichungen Web-Angebote: Internetseiten, Blogs, Profile in Sozialen Netzwerken und Kurznachrichtendiensten; Aufkleber, Flugblätter Kurzportrait / Ziele Kennzeichnend für die neonazistische Szene in Niedersachsen ist die landesweit feststellbare Verzahnung mit subkulturell geprägten Rechtsextremisten sowie mit der in Parteien organisierten rechtsextremistischen Szene. Der allgemeinen Entwicklung folgend, die durch ein Abrücken von starren Organisationsstrukturen gekennzeichnet ist, sind Neonazis in den verschiedenen Landesteilen Niedersachsens zumeist in überregionale rechtsextremistische Netzwerke eingebunden. Die Bandbreite der Aktivitäten reicht von der Durchführung öffentlichkeitswirksamer Propaganda-, Gedenkoder Störaktionen über die Veranstaltung von Balladenabenden und Zeitzeugenvorträgen bis zur Teilnahme an Demonstrationen oder szeneinternen Großveranstaltungen im gesamten Bundesgebiet. Im Mittelpunkt der Agitation steht die Thematisierung einer drohenden und zum "Volkstod" führenden "Überfremdung", die durch die anhaltende Flüchtlingssituation nochmals verstärkt wurde. Finanzierung Beiträge der Anhänger, teilweise Vermarktung und Verkauf rechtsextremistischer Devotionalien wie T-Shirts o. Ä. 63 Rechtsextremismus Grund der Beobachtung / Verfassungsfeindlichkeit In ideologischer Hinsicht eint die neonazistische Szene das unterschiedlich ausgeprägte Bekenntnis zum historischen Nationalsozialismus. Ziel ist die Überwindung des bestehenden demokratischen Systems. An dessen Stelle soll ein am Führerprinzip ausgerichteter Staatsaufbau treten, dessen Grundlage eine rassistisch verstandene Volksgemeinschaft bildet. Die neonazistische Szene sieht sich als eine politisch-soziale Bewegung, die auf stetigen Aktivismus setzt und nicht auf parlamentarische Erfolge. Bestimmend für diese langfristig angelegte Strategie ist eine national-revolutionäre antiparlamentarische Ausrichtung. Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum Die neonazistische Szene in Niedersachsen ist weiterhin geprägt von einer Heterogenität, die gleichermaßen personell und strukturell wie auch aktionistisch zum Ausdruck kommt. Einerseits bestehen Gruppierungen, die durchaus um politische Wahrnehmung mittels öffentlichkeitswirksamer Aktionen wie Flugblattverteilungen, Kundgebungen oder Demonstrationsteilnahmen bemüht sind, deren Anhängerzahlen sich allerdings im niedrigen einstelligen Bereich bewegen. Anderseits existieren landesweit in Einzelfällen auch Szenen, die zwar über teilweise deutlich höhere Anhängerzahlen verfügen, deren Aktivitäten jedoch nahezu ausschließlich Binnenwirkung entfalten. Zur Verbesserung personeller und organisatorischer Möglichkeiten dienen überregionale Netzwerke. Allerdings ist deren Bedeutung recht gering. Denn das dahinterstehende reale Personenpotenzial fällt im Vergleich zur Größe des jeweiligen Einzugsbereichs oftmals deutlich ab. Personelle und strukturelle Zwänge sind die Ursache für die landes weit feststellbaren mehr oder minder intensiven und teilweise wechselnden Kooperationen mit der NPD und deren Jugendorganisation Junge Nationaldemokraten (JN), ebenso wie mit den rechtsextremistischen Parteien Die Rechte und Der III. Weg. 64 Rechtsextremismus Nordwestliches Niedersachsen Neonaziszene Ostfriesland (Leuchtfeuer Ostfriesland) Beispielhaft für weitreichende überregionale Netzwerke ist die Neonaziszene Ostfriesland, die räumlich mittlerweile auch das Emsland und die Region Wilhelmshaven umfasst. Ihren öffentlich wahrnehmbaren Mittelpunkt hat diese Szene durch das Face book-Profil der Gruppierung Leuchtfeuer Ostfriesland. Über die Facebook-Seite wurde u. a. im Februar eine Übersicht von Asylbewerberheimen und Flüchtlingsunterkünften verbreitet, die ursprünglich von der Partei Der III. Weg initiiert worden war. Bundes weit hatte diese Darstellung für öffentliche Aufmerksamkeit gesorgt, weil befürchtet wurde, es könne sich um eine Sammlung potenzieller Anschlagsziele handeln. Auf der Facebook-Seite von Leuchtfeuer Ostfriesland finden sich wiederholt antidemokratische, völkische und ideengeschichtliche Veröffentlichungen sowie die mehrfache Würdigung von Ereignissen und Personen, die für die neonazistische Szene bedeutsam sind. Hierzu zählen einerseits Jahrestage wie der 1. Mai, der 8. Mai (Tag der Befreiung) und der Muttertag, andererseits Persönlichkeiten des NS-Regimes wie Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß, Horst Wessel oder der SA-Mitbegründer und langjährige 65 Rechtsextremismus NSDAP-Funktionär Ulrich Graf 22. Wiederkehrend finden sich dort ebenfalls fremdenund asylfeindliche Kommentierungen zu lokalen und bundesweiten Ereignissen im Zusammenhang mit der Flüchtlingsthematik. Angehörige der Neonaziszene Ostfriesland, die im Vergleich zum Einzugsbereich einen relativ überschaubaren Personenkreis darstellen, beteiligen sich an szeneinternen Feiern und Balladenabenden oder an gemeinsamen Konzertbesuchen und pflegen so ihre Kontakte. Öffentliche Auftritte im Rahmen rechtsextremistischer Demonstrationen waren im Berichtsjahr hingegen nur von Einzelpersonen zu verzeichnen. Freies Oldenburg / Aktionsgruppe Weser/Ems Verbindungen zu Leuchtfeuer Ostfriesland bestehen bei der Gruppierung Freies Oldenburg. Deren Angehörige sind teilweise Mitglieder im örtlichen NPD-Unterbezirk Oldenburg, was die seit Jahren bestehende Kooperation erklärt. Im Mittelpunkt der Agitation steht die fremdenfeindlich und rassistisch kommentierte Ablehnung der Asylund Flüchtlingspolitik. Beleg hierfür sind zahlreiche Internetbeiträge in Sozialen Netzwerken sowie dokumentierte Transparentaktionen im Oldenburger Stadtgebiet mit 22 Mitbegründer der SA, ständiger Begleiter von Adolf Hitler, beim Marsch auf die Feldherrenhalle beim Versuch Hitler zu schützen verwundet, später NSDAP-Politiker im Rang eines SS-Brigadeführers. 66 Rechtsextremismus Botschaften wie "Asylflut stoppen - Sozialschmarotzer raus!", "Refugees not welcome", "Islamisierung stoppen" oder "NSzone". Die Kooperation im Bereich Oldenburg wurde durch die im Oktober gegründete Aktionsgruppe Weser/Ems mit Schwerpunkt Wilhelmshaven, Wittmund und Friesland ausgeweitet. Ziel dieser Gruppierung, die Bezüge zur rechtsextremistischen Hooliganszene aufweist, ist es, die Vernetzung mit anderen Gruppen im gesamten nordwestlichen Niedersachsen voranzutreiben. Seither traten Angehörige der genannten Strukturen in wechselnder Zusammensetzung bei diversen Veranstaltungen der rechts extremistischen Szene in Erscheinung. Hierzu zählten u. a. im Oktober ein "spontanes" Treffen aus Anlass der geplanten Unterbringung von Asylbewerbern in Oldenburg sowie die Störung des Besuchs des SPD-Bundesvorsitzenden Sigmar Gabriel in Zetel (Landkreis Friesland) und die Unterstützung von Kundgebungen des NPD-Landesverbandes Niedersachsen gegen die Einrichtung eines geplanten Drehkreuzes zur Verteilung ankommender Flüchtlinge in einer ehemaligen Kaserne in Bad Fallingbostel (Heidekreis). An einer sich ebenfalls gegen die Unterbringung von Asylbewerbern und Flüchtlingen richtende Kundgebung unter dem Motto "Gegen Asylmissbrauch und Masseneinwanderung" am 07.11.2015 in Wilhelmshaven beteiligten sich etwa 30 Angehörige der Neonaziszene, der NPD und der Partei Die Rechte. Ein gemeinsam durchgeführtes "Heldengedenken" der Aktionsgruppe Weser/Ems, der Gruppierung Freies Oldenburg und dem NPD-Unterbezirk Ostfriesland, das im November aus Anlass des Volkstrauertages stattfand, belegt die weiterhin bestehenden Verbindungen und Kooperationsbemühungen im Bereich Ostfriesland. 67 Rechtsextremismus Nordöstliches Niedersachsen Neonaziszene Tostedt Ein im Landesvergleich relativ hohes Mitgliederpotenzial weist unverändert die Neonaziszene Tostedt auf. Der weite Einzugsbereich, der bis in die Regionen Buchholz, Heidekreis, Rotenburg und Schneverdingen reicht, umfasst relativ viele neonazistische Gruppierungen und Einzelpersonen. In keinem Verhältnis dazu steht jedoch der Anteil der öffentlichkeitswirksamen Aktivitäten. Zwar existiert eine Art offizielles Internetprofil in den Sozialen Netzwerken, über das fremdenfeindliche, nationalistische, antidemokratische oder positive Bezugnahmen auf den Nationalsozialismus verbreitet werden. Allerdings konzentriert sich die regionale Szene überwiegend auf identitätsstiftende und den Zusammenhalt fördernde Veranstaltungen ohne Außenwirkung, zu denen beispielsweise Zeitzeugenvorträge, Balladenabende oder Konzerte zählen. Aktionsgruppe Nordheide Zentrales Thema der Aktionsgruppe Nordheide ist die von Überfremdungsangst getragene Agitation gegen die Asylund Zuwanderungspolitik. Zu diesem Zweck werden im Internet gleich mehrere Kommunikationswege beschritten, vor allem als Internetblog, Facebook-Profil und Twitter-Account. Allerdings reduziert sich deren Aktivität mittlerweile auf diese Internetpräsenz, die maßgeblich von einer Einzelperson mit bundesweiten Kontakten betrieben wird. Diese Person fungiert seit Juli offiziell als Inhaber des etablierten Szeneversandhandels Streetwear Tostedt. 68 Rechtsextremismus Landeshauptstadt und Region Hannover Neonaziszene Hannover Seit dem Verbot der Gruppierung Besseres Hannover23 im September 2012 ist es regionalen Szeneangehörigen bis heute nicht gelungen, vergleichbare Strukturen in der Landeshauptstadt oder in der Region Hannover aufzubauen. Stattdessen ließ sich eine enge Anbindung an den Parteikreisverband Die Rechte Hildesheim feststellen, der zu Jahresbeginn vielfältige Aktivitäten entfaltet hatte. Die Rechtsextremisten aus Hannover, zu denen auch Angehörige der gewaltbereiten Szene rechtsextremistischer Hooligans gehörten, firmierten seit September teilweise als Aktionsgruppe Hannover und beteiligten sich regelmäßig an den Veranstaltungen von Pegida Hannover (Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes) und Hagida (Hannover gegen die Islamisierung des Abendlandes). Auf diese Weise versuchen auch Angehörige der neonazistischen Szene, die in Teilen der Bevölkerung bestehenden Ressentiments gegenüber Asylbewerbern und Flüchtlingen zu schüren. 23 Am 18.12.2015 verhängte das Landgericht Hannover gegen zwei 30und 32-jährige ehemalige Führungsmitglieder von Besseres Hannover wegen Volksverhetzung Bewährungsstrafen von jeweils sieben Monaten. Die Gruppierung hatte u. a. Videos um die Figur des sogenannten "Abschiebär" verbreitet. 69 Rechtsextremismus Östliches Niedersachsen Das Aktionsbündnis 38 (AB 38), ein Zusammenschluss von Neonazis, subkulturell geprägten Rechtsextremisten und Mitgliedern von Die Rechte Braunschweiger Land, trat 2015 nicht mehr in Erscheinung. Ursachen für den Zerfall des AB 38 sind vor allem Wegzug und Ausstieg ehemals führender Aktivisten. Personelle Differenzen infolge einer sogenannten Schatzmeisteraffäre führten zur faktischen Auflösung des Kreisverbandes Braunschweiger Land der Partei Die Rechte24. Aktionen der Aktionsgruppe/Bürgerinitiative für Zivilcourage Wolfsburg waren nicht festzustellen. Zugleich konzentrierten sich die Aktivitäten im Bereich Hildesheim mit instabilen Strukturen um die Aktionsgruppe/Freie Kräfte Gifhorn. Eine weitere Rolle für den Zerfall des AB 38 dürfte die Gründung eines Stützpunktes der NPD-Jugendorganisation Junge Nationaldemokraten (JN) in Braunschweig gespielt haben. Die Kontakte und Verbindungen zwischen den Akteuren der unterschiedlichen Spektren führen weiterhin in Einzelfällen zu einer gemeinsamen Beteiligung an Veranstaltungen wie Balladenabenden, Zeitzeugenvorträgen oder Versammlungen aus Anlass des "Heldengedenkens". Gleichwohl ist die strukturelle, inhaltliche und personelle Bedeutung der Neonaziszene im östlichen Niedersachsen sowohl regional als auch landesweit zurückgegangen. Südliches Niedersachsen Neonaziszene Südniedersachsen Auch Angehörige der Neonaziszene Südniedersachsen verfolgen das Ziel, die Flüchtlingsthematik für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. Beispiele hierfür sind u. a. die Teilnahme an Kundgebungen der Gruppierung Freundeskreis Thüringen/ Niedersachsen in Duderstadt oder die von Northeimer Neonazis zu Jahresbeginn 2016 angemeldeten wöchentlichen Kundgebungen unter dem scheinbar unverfänglichen Motto "Northeim wehrt sich - Ein Licht für Deutschland". Die Veranstaltungen in Northeim sind Teil einer von Neonazis initiierten Reihe von Kundgebungen in verschiedenen Orten Südniedersachsens und im westthüringischen 24 Siehe Kapitel 2.9, Die Rechte. 70 Rechtsextremismus Eichsfeld. Sie unterstreichen die in diesen Regionen seit mehreren Jahren bestehenden Verflechtungen der neonazistischen Szene. Der Einzugsbereich dieser länderübergreifenden Szene umfasst auch Neonazis aus Nordhessen und wurde in der Vergangenheit durch die bei Veranstaltungen gelegentlich verwendete Bezeichnung Kameradschaft Dreiländereck deutlich. Zentraler Versammlungsort der Szene ist das Anwesen des seit 2004 in Fretterode (Thüringen) wohnhaften Neonazis und NPD-Funktionärs Thorsten HEISE, das regelmäßig als Anlaufstelle für Treffen und Veranstaltungen der rechtsextremistischen Szene dient. Darüber hinaus besteht eine enge Verzahnung sowohl mit der Partei Die Rechte als auch mit subkulturell geprägten Rechtsextremisten. Beispiele hierfür sind gemeinschaftlich veranstaltete Liederabende mit Teilnehmerzahlen zwischen 50 und 100 Personen im Juni, Juli und September 2015 im südlichen Niedersachsen. Zudem waren Angehörige der Neonaziszene Südniedersachsen erneut maßgeblich in die Organisation und Durchführung des sogenannten Trauermarsches in Bad Nenndorf eingebunden. Neonaziszenen Schaumburg und Weserbergland Neonazis aus den Regionen Schaumburg und Hameln (Weserbergland) sind eng verzahnt mit bestehenden neonazistischen Strukturen im benachbarten Nordrhein-Westfalen. Während der Besuch szeneinterner (Musik-)Veranstaltungen im Vordergrund stand, u. a. in einer mittlerweile geschlossenen Versammlungsstätte im Landkreis Lippe (Nordrhein-Westfalen), beteiligten sich einzelne Personen auch an politischen Aktivitäten des nordrhein-westfälischen Stützpunktes Hermannsland der Partei Der III. Weg. Hierzu zählten beispielsweise Propagandaaktionen in Hameln aus Anlass des Jahrestages der Bombardierung der Stadt im März 1945 sowie Kulturausflüge und Flugblattverteilungen oder eine Informationsveranstaltung zur Mobilisierung für die Demonstration in Bad Nenndorf. Öffentliche Aufmerksamkeit erregte die Verteilung von Flugblättern der Partei Der III. Weg unmittelbar nach dem Brandanschlag auf eine von Asylbewerbern bewohnte ehemalige Grundschule in Salzhemmendorf (Landkreis Hameln-Pyrmont). Mit den Flugblättern unter dem Motto "Asylmissbrauch in Deutschland 71 Rechtsextremismus endlich stoppen!" wollte man sich gegen die vermeintlich anlaufende "Propagandamaschinerie der Volksvernichter aus Politik und Medien" richten. In Niedersachsen nahezu ausschließlich nur noch im Internet präsent ist dagegen die Aktionsgruppe Weserbergland, deren Protagonisten teilweise nach Nordrhein-Westfalen verzogen sind und die sich dort im Umfeld der Partei Die Rechte bewegen. Demonstrationen und Kampagnen der rechtsextremistischen Szene Demonstrationen sind für die neonazistische Szene das wichtigste Mittel, um ihr ideologisches Anliegen in die Öffentlichkeit zu tragen und sich zugleich als Bewegung zu präsentieren. Demonstrationen können als Indikator für die thematische Schwerpunktsetzung und die Mobilisierungsfähigkeit der rechtsextremistischen Szene angesehen werden. Grundsätzlich lässt sich feststellen, dass die Bereitschaft zur Demonstrationsteilnahme in den letzten Jahren nachgelassen hat. Dies zeigte sich insbesondere an den erneut lediglich rund 200 Teilnehmern, die sich im August zum Gedenkmarsch in Bad Nenndorf (Landkreis Schaumburg) einfanden. Dieser sogenannte Trauermarsch war vormals eine der bedeutenden rechtsextremistischen Demonstrationen im Bundesgebiet. Hintergrund sind historisch belegte Übergriffe im ehemaligen alliierten Internierungslager. Durch deren Gleichsetzung mit Verbrechen des Nationalsozialismus versucht die neonazistische Szene, den Nationalsozialismus als solchen zu relativieren. Traditionell teilnehmerstarke Demonstrationen wie die sogenannten Trauermärsche aus Anlass der Bombardierungen von Magdeburg und Dresden verloren durch stark rückläufige Teilnehmerzahlen ebenfalls erheblich an Relevanz. Zu den größeren Demonstrationen mit nennenswerter Beteiligung niedersächsischer Neonazis zählten hingegen eine von der Partei Die Rechte veranstaltete Kundgebung mit Live-Musik unter dem Motto "Wir sind das Volk" im März 2015 in Dortmund, die Demonstrationen zum sogenannten "Arbeiterkampftag" am 1. Mai in Essen (Anmelder Die Rechte), Saalfeld (Anmelder Der III. Weg) und Erfurt (Anmelder NPD) sowie die Abschlussdemonstration der 72 Rechtsextremismus neonazistischen Kampagne "Tag der deutschen Zukunft" im Juni in Neuruppin (Brandenburg). In Niedersachsen beteiligten sich Neonazis an den von der Partei Die Rechte angemeldeten Demonstrationen "Gegen die Überfremdung des Deutschen Volkes!" mit rund 100 Teilnehmern im März 2015 in Hildesheim und "Perspektiven statt Masseneinwanderung" mit etwa 85 Teilnehmern im August 2015 in Goslar. Auch diverse Kundgebungen der Parteien Die Rechte und NPD zu den Themen "Asyl/ Zuwanderung", "Gedenken Bombardierung von Dresden", "Anti-Repression" und "Tierschutz" mit jeweils zwischen zehn und 35 Teilnehmern wurden von ihnen besucht. Bewertung, Tendenzen, Ausblick Mit der Abnahme des Personenpotenzials ging auch das Aktionsniveau der neonazistischen Szene in Niedersachsen im Berichtszeitraum weiter zurück. Zahlreiche Gruppierungen stellten ihre Aktivitäten ein, verzichteten auf politisch geprägte Aktionen, reduzierten diese auf ein öffentlich nicht wahrnehmbares Maß oder sind lediglich noch virtuell präsent. Die Gründe sind vielschichtig: Zu den banalsten Ursachen zählt der Umzug der Protagonisten in andere Bundesländer, wie beispielsweise bei der Aktionsgruppe Weserbergland geschehen. Andere personelle Zusammenhänge finden sich mittlerweile in Parteistrukturen wieder, wie bei den mittlerweile zur Partei Die Rechte oder zu den Jungen Nationaldemokraten (JN) gewechselten ehemaligen Angehörigen des Aktionsbündnisses 38 zu beobachten war. Die anhaltende Verunsicherung durch Repressionsmaßnahmen wie Ermittlungsverfahren oder Vereinsverbote, die Priorisierung des Privatlebens nach Aufbau familiärer und beruflicher 73 Rechtsextremismus Existenzen oder aber die zunehmende Desillusionierung aufgrund ausgebliebener Entwicklungen sind zudem ausschlaggebend dafür, dass sich teilweise langjährige Angehörige der neonazistischen Szene aus dieser zurückziehen. Dass dies nicht zwangsläufig gleichbedeutend mit einer Veränderung der politischen Überzeugungen ist, verdeutlichen Beispiele von Angehörigen der rechtsextremistischen Szene früherer Jahre oder gar Jahrzehnte, die nach jahrelanger Inaktivität vor dem Hintergrund der aktuellen Zuwanderungsdebatte insbesondere bei Veranstaltungen von Pegida, Hooligans gegen Salafisten (HoGeSa) oder Gemeinsam Stark Deutschland wieder in Erscheinung getreten sind. Gegenwärtig ist in Niedersachsen eine personelle und aktionistische Stagnation auf niedrigem Niveau festzustellen, da Attraktivität und Anschlussfähigkeit einer vergangenheitsbezogenen Thematisierung des historischen Nationalsozialismus nachgelassen haben und diese gegenwärtig lediglich szeneinterne Binnenwirkung entfalten. Die Vorstellung einer rassistisch verstandenen homogenen Volksgemeinschaft hingegen dürfte von der Neonaziszene weiterhin als idealtypisch zeitlos moderner Gegenentwurf zur liberalen und multikulturellen Gesellschaft angesehen und propagiert werden. Die daraus resultierenden fremdenfeindlichen und rassistischen Überzeugungen werden Anhänger der neonazistischen Szene weiterhin versuchen, verschärfend in den gesellschaftlichen Diskurs zur Flüchtlingsund Einwanderungsthematik einfließen zu lassen. Diesbezüglich besteht auch die abstrakte Gefahr einer Radikalisierung von Anhängern der neonazistischen Szene, die in Gewalttaten gegen Asylsuchende und Flüchtlingsunterkünfte sowie gegen Helferinnen und Helfer und gegen Politikerinnen und Politiker münden kann. 74 Rechtsextremismus 2.7 Identitäre Bewegung Deutschland (IBD) Gründung / Oktober 2012; als eingetragener Verein mit Sitz in Paderborn Bestehen seit (Nordrhein-Westfalen) seit August 2014: Identitäre Bewegung Deutschland e. V. Struktur / Bundesweit diverse Regionalund Ortsgruppen; Schwerpunkte in Repräsentanz Niedersachsen sind die Region Hannover und der Raum Lüneburg Mitglieder / Bund: 300 Anhänger / Land: 50 Unterstützer 2015 Veröffentlichungen Eigene Internetseite (Allgemeines) sowie gemeinsam mit österreichischen Aktivisten betriebene Internetseite (ideologische Positionen; Buch-, Filmund Musikrezensionen). Die einzelnen Regionalund Ortsgruppen sind mit eigenen Profilseiten auch in den gängigen Sozialen Netzwerken zu finden. Kurzportrait / Ziele Die Identitäre Bewegung Deutschland (IBD) ist eine aktivistische Gemeinschaft im europäischen Rechtsextremismus, deren Vertreter auch in Niedersachsen lokale Untergruppen gebildet haben. Die IBD ist in einer netzwerkähnlichen Struktur organisiert und basiert auf Personenzusammenschlüssen vor allem jüngerer Menschen zwischen 16 und 30 Jahren. Ideologisch wird die IBD dem Umfeld der Neuen Rechten zugeordnet und gehört zu einem intellektuell geprägten Spektrum im organisierten Rechtsextremismus, das sich auf die antidemokratischen Theoretiker der "Konservativen Revolution" beruft. Belege hierfür sind ihre programmatischen Positionierungen und ihr ideologisches Konzept der "ethnokulturellen Identität", aber auch diverse europaweite Kontakte zu Personen und Organisationen der Neuen Rechten. Im Gegensatz zu den Denkzirkeln der Neuen Rechten führt die IBD jedoch auch konkrete Aktionen durch und verbreitet diese anschließend medial aufbereitet im Internet. Finanzierung Die IBD finanziert sich aus Mitgliedsbeiträgen und Spenden. Die eigene Vermarktung erfolgt über eine Internetseite. 75 Rechtsextremismus Grund der Beobachtung / Verfassungsfeindlichkeit Die IBD versteht sich als Ableger der Identitären Bewegung Österreich und der französischen Jugendorganisation Generation identitaire (GI). Insbesondere die GI diente der IBD in ihrer Gründungsphase als Vorbild für eigene Aktivitäten. So findet sich auf der Internetseite der IBD ein Video der GI von Anfang Oktober 2012, das unter der Überschrift "Identitäre Generation - Die Kriegserklärung" verlinkt ist. 25 Bei der GI handelt es um die Jugendorganisation des Bloc identitaire, der die Nachfolgeorganisation der aufgrund rassistischer und gewalttätiger Aktivitäten im Jahr 2002 verbotenen Gruppierung Unite radicale darstellt und von den französischen Behörden als rechtsextremistisch eingestuft wird. Erkennungszeichen der IBD ist das Lambda, der elfte Buchstabe des griechischen Alphabets, in einem Kreis. Das Symbol war im antiken Griechenland das Erkennungsmerkmal der Spartaner, die unter anderem im 5. Jahrhundert v. Chr. gegen die Invasion der Perser kämpften. In Anlehnung an den US-amerikanischen Kinofilm "300" wird der Bezug zu den Soldaten des spartanischen Heeres hergestellt, die auf ihren Schilden das Lambda trugen. Die Mitglieder der Identitären Bewegung sehen sich in der Tradition der Spartaner und tragen dies mit der Verwendung des Lambda öffentlich zur Schau. Die IBD betrachtet sich als Bestandteil einer europaweiten Bewegung. Ihr Ziel ist es, die europäische Jugend im Kampf für die ihrer Meinung nach bedrohte Freiheit und kulturelle Identität zu vereinen. Ihre vornehmliche Aufgabe sieht die IBD folglich in der Verteidigung und Bewahrung von "Heimat, Freiheit, Tradition". An erster Stelle stehe hierbei der Erhalt der "ethnokulturellen Identität", die durch einen befürchteten "demographischen Kollaps" sowie durch angebliche "Massenzuwanderung" und "Islamisierung" bedroht sei. Das Konzept der "ethnokulturellen Identität" bezeichnet dabei einen völkischen Nationalismus bzw. Regionalismus im europäischen Kontext. In Anlehnung an den Franzosen Alain de Benoist, der einer der maßgeblichen Vordenker der Neuen Rechten in Europa ist, wird darunter eine ethnische, religiöse und kulturelle Prägung von Gemeinschaften und ganzen Völkern verstanden, durch die allein sich die Identität des Einzelnen definiere. 25 Internetseite der Identitären Bewegung, Stand: Dezember 2015. 76 Rechtsextremismus Die IBD richtet sich deshalb vehement gegen Multikulturalismus und propagiert einen europäischen Ethnopluralismus, der erstens die vermeintlich zu verteidigenden kulturellen und zugleich angeblich naturgegebenen Unterschiede zwischen ethnischen Gruppen im Sinne eines kulturellen Rassismus begründet und der zweitens dementsprechend die strikte räumliche und kulturelle Trennung unterschiedlicher Ethnien fordert. Die Positionen der IBD sind vor allem von einer zum antimuslimischen Rassismus tendierenden Islamfeindlichkeit geprägt. Die IBD behauptet eine Unvereinbarkeit und Feindschaft der Muslime mit der einheimischen Bevölkerung und schreibt ihnen unabänderliche Wesensmerkmale (frauenfeindlich, unehrlich, machtbesessen, usw.) pauschal zu. Ethnische Zugehörigkeiten werden auf diese Weise kulturalisiert und religiös überhöht, auch um an bestehende fremdenund islamfeindliche Ressentiments in der Bevölkerung anknüpfen zu können. Seit die IBD im September 2014 ihre Kampagnenfelder auf das Thema Asylsuchende ausgeweitet hat, ist eine weitere Radikalisierung festzustellen. Nach Meinung der Identitären sind die Asylsuchenden in ihrer großen Mehrzahl "aggressive Kolonisatoren, die die indigene Bevölkerung immer weiter verdrängen und nicht integrierbar sind". Im Zuge der Asylpolitik der Bundesregierung hat die IBD sich im Jahr 2015 weiter auf dieses Themenfeld fokussiert. Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum Anfang Mai 2015 startete die IBD unter dem Titel "Der große Austausch" eine neue Großkampagne. Diese wurde maßgeblich von der Identitären Bewegung Österreich (IBÖ) entwickelt, mit der die IBD rege Kontakte pflegt. Kern der Kampagne ist die Behauptung, dass "die gegenwärtig praktizierte Einwanderungspolitik lediglich der Auflösung regionaler und nationaler Identitäten und damit mehreren Interessengruppen dient"26 . Maßgeblich seien dies die aktuell in der Bundesrepublik Deutschland in der Verantwortung stehenden politischen Parteien, die als Vertreter "linksorientierter und marxistischer Ideologien" genuin ideologisch Gegner von kultureller Gemeinschaft und Ethnizität seien. 26 Veröffentlicht auf der Internetseite der Identitären Generation. 77 Rechtsextremismus Als weiteren Verursacher sehen die Identitären die ökonomischen Interessen multinationaler Großkonzerne, die durch verstärkte Einwanderung zu billigeren Arbeitskräften kämen. Die Aufgabe der Identitären sei es dabei, die Bevölkerung durch einen "Infokrieg" aufzuklären und die angebliche "Desinformationsund Schweigemauer" von Politik und Medien zu durchbrechen. Zu diesem Zweck wollen die Identitären "alle patriotischen Kräfte gegen die wahren Verantwortlichen (Politik und Wirtschaft) lenken"27. Hierzu schreibt ein Vertreter der IBÖ: "Der Begriff des 'grossen Austausch' ist allein in der Lage, das Phänomen zu beschreiben, das uns heute bedroht. Er allein zeigt uns, dass heute gegen Masseneinwanderung und Islamisierung weder 'Integration' noch 'Multikulti' Lösungsmöglichkeiten bieten, sondern dass wir einen sofortigen Einwanderungsstopp und eine Trendwende brauchen". Demonstration am 06.06.2015 in Wien Am 06.06.2015 fand in Wien eine Demonstration der IBÖ unter dem Motto "Der große Austausch" statt. An der Veranstaltung beteiligten sich etwa 350 Personen. Hierunter sollen sich nach eigenen Angaben auch 83 Angehörige der IBD befunden haben. Bei der Demonstration wurden mehrere Teilnehmer aus Niedersachsen festgestellt. Aktionen am 28.06.2015 in Hamburg und Berlin Am 28.06.2015 besetzten Aktivisten der IBD nahezu zeitgleich die Landesgeschäftsstelle der SPD in Hamburg (Kurt-Schuhmacher-Haus) und die Bundeszentrale der Partei in Berlin (Willy-Brandt-Haus). Die Aktivisten erklommen die dortigen 27 Ebenda. 78 Rechtsextremismus Balkone und befestigten Transparente mit den Aufschriften "Grenzen retten Leben. Pro Border Pro Nation. Stoppt den großen Austausch #Der Austausch" sowie "Festung Europa macht die Grenzen dicht!" Zusätzlich schwenkten sie mehrere Fahnen mit dem Lambda-Symbol der Identitären Bewegung. Die Aktion in Hamburg wurde von der Polizei abgebrochen. Bei den Besetzern handelte es sich u. a. um Mitglieder der IBD aus Hannover, Hildesheim und Lüneburg. In Berlin beendeten die Teilnehmer die Aktion vor dem Eintreffen der Polizei. In einer durch die IBD veröffentlichten Erklärung zu den Aktionen wird die SPD als Mitverursacher für "den großen Austausch" genannt und somit dafür verantwortlich gemacht, dass angeblich "Deutsche in nur wenigen Jahrzehnten zur Minderheit im eigenen Land" würden. Die IBD versteht sich dementsprechend als Widerstandsbewegung gegen eine vermeintliche "Überfremdung" und für eine ethnisch homogene Gesellschaft: "Doch wir wehren uns als patriotische Jugend gegen diesen Austausch und fordern unser Recht auf Heimat, Grenzen und eine Zukunft in unserem eigenen Land als Deutsche ein. Wir sind die Jugend ohne Migrationshintergrund..." Bewertung, Tendenzen, Ausblick Ende des Jahres 2014 und in den ersten Monaten 2015 waren im Umfeld der IBD und ihrer regionalen Untergruppen wenige Aktivitäten zu verzeichnen. Teilweise warfen ihr andere rechtsextremistische Gruppierungen vor, in der Bedeutungslosigkeit zu verschwinden. Mit dem Beginn der neuen Kampagne "Der große Austausch" und der Teilnahme deutscher Aktivisten an der 79 Rechtsextremismus Demonstration in Wien startete die IBD einen neuen Versuch, mediale Aufmerksamkeit zu erreichen, aber auch Schub in die eigene Bewegung zu bringen. Dass die Aktionen in Hamburg und Berlin zum selben Themenkomplex parallel durchgeführt wurden, scheint daher kein Zufall, sondern Teil einer neuen Strategie zu sein. Dies legen auch entsprechende Aussagen von Aktivisten im Internet nahe. Durch die mediale Aufarbeitung der Aktionen versucht die IBD, ihre Attraktivität zu steigern und dadurch neue Mitglieder zu gewinnen. In der Eigenwahrnehmung werden die durchgeführten Aktionen als Erfolg gewertet, obwohl sie in den Medien negativ kommentiert wurden. Mit weiteren, vergleichbaren Aktionen ist daher auch künftig in Deutschland zu rechnen. Mit dem Kampagnenthema "Der große Austausch" (und auch mit tatkräftiger Unterstützung aus Österreich) beweist die IBD ihre Aktionsfähigkeit und verbindet diese mit einer ideologisch-programmatischen Gesamtstrategie zur "ethnokulturellen Identität". Sie bemüht sich um die Anschlussfähigkeit an breitere gesellschaftliche Kreise und versucht, die Lücke zwischen HoGeSa und Pegida zu füllen. Teil dieses Konzeptes ist eine im Internet veröffentlichte Artikelserie zum Thema "Identität". Die IBD ist bemüht, sich nach außen als eine gemäßigte islamkritische, lediglich um das Wohlergehen des deutschen Volkes und dessen Fortbestand besorgte Bewegung zu inszenieren. In den Publikationen der IBD zeigen sich jedoch unverkennbar islamund fremdenfeindliche Positionen bis hin zu völkisch-nationalistischen Haltungen. Ideologisch verfolgt die IBD damit weiterhin einen Ethnopluralismus, der Menschen aufgrund kultureller Zugehörigkeiten klassifiziert und bewertet. Der Einzelne wird nicht als Individuum, sondern als Teil eines Kollektivs wahrgenommen, dem bestimmte unabänderliche Merkmale und Eigenschaften zugeschrieben werden. Im Sinne eines volksgemeinschaftlichen Denkens wird hierbei die Identität eines Menschen aufgrund seiner ethnischen Herkunft definiert. Die Identität eines Volkes bzw. einer Nation ist demnach vor allem durch die jeweiligen kulturellen Eigenheiten und Errungenschaften geprägt. Den ideologischen Bezugsrahmen bieten rechtskonservative Theoretiker der Weimarer Republik wie Oswald Spengler, Carl Schmidt und 80 Rechtsextremismus Ernst Jünger, die zu den antiliberalen und antiegalitären Denkzirkeln der "Konservativen Revolution" gezählt werden. So steht im Mittelpunkt der identitären Ideologie ein kollektivistisches Begriffverständnis von "Freiheit, Heimat, Tradition", das primär auf Ausgrenzung, Abwertung und Ungleichheit setzt und sich kategorisch gegen die Prinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung richtet. 2.8 Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) Sitz / Verbreitung Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) Sitz des Bundesverbandes: Berlin; Sitz des Landesverbandes: Oldenburg Junge Nationaldemokraten (JN) Sitz des Bundesverbandes: Alt Krenzlin (MecklenburgVorpommern); Sitz des Landesverbandes: nicht bekannt Gründung / 1964; 1969 der Jugendorganisation Bestehen seit Struktur / Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) Repräsentanz Bundesvorsitzender: Frank FRANZ; Landesvorsitzender: Ulrich EIGENFELD; wenige handlungs fähige Unterbezirke in Niedersachsen Junge Nationaldemokraten (JN) Bundesvorsitzender: Sebastian RICHTER; Landesvorsitzender: nicht bekannt; außer in Braunschweig keine handlungsfähigen Stützpunkte in Niedersachsen Mitglieder / Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) Anhänger / Bund: 5.200 Unterstützer 2015 Land: 370 Junge Nationaldemokraten (JN) Bund: 350 Land: 15 81 Rechtsextremismus Veröffentlichungen Bund: Deutsche Stimme (DS) (monatlich); Web-Angebote auf Bundeswie Landesebene sowie in Sozialen Netzwerken Kurzportrait / Ziele Die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) ist eine rechtsextremistische Partei, die die Demokratie in Deutschland beseitigen will und stattdessen offen und aggressiv fremdenfeindliche, rassistische und antisemitische Positionen propagiert. Ihre von völkisch-rassistischen Vorstellungen geleitete Programmatik weist eine ideologische und sprachliche Nähe zur Ideologie der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) auf. Finanzierung Staatliche Parteienfinanzierung, Mitgliedsbeiträge und Spenden Grund der Beobachtung / Verfassungsfeindlichkeit Die NPD lehnt die freiheitliche Demokratie ab und will diese beseitigen. Dies betrifft auch einzelne wesentliche Prinzipien und Grundwerte unserer Verfassung. So negiert die Partei die im Grundgesetz vertretene Idee, dass jeder Mensch als Individuum und ohne Vorbedingungen eine Würde besitzt. Die NPD spricht Menschen nur eine Würde als Teil eines nationalen Kollektivs zu. In dem 2010 verabschiedeten Parteiprogramm "Arbeit - Familie - Vaterland" proklamiert sie die Volksgemeinschaft: "Die Würde des Menschen als soziales Wesen verwirklicht sich vor allem in der Volksgemeinschaft. Erst die Volksgemeinschaft garantiert die persönliche Freiheit." In konsequenter Umsetzung dieser völkisch-nationalen Grundordnung will die NPD alles "Fremde" aus der "Solidargemeinschaft aller Deutschen" entfernen. Aus den Verlautbarungen ihrer Funktionsträger ist zu schließen, dass die NPD die bestehende politische und gesellschaftliche Ordnung durch eine ethnisch homogene Volksgemeinschaft ersetzen will. Die Ständige Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder (IMK) entschied sich am 05.12.2012 für einen erneuten Verbotsantrag, der am 03.12.2013 beim Bundesverfassungsgericht eingereicht wurde. Grundlage hierfür waren die durch die Verfassungsschutzbehörden gesammelten Materialien über 82 Rechtsextremismus die NPD, die fortlaufend ergänzt werden. Im Hinblick auf das gescheiterte Verbotsverfahren im Jahre 2003 wurden dafür alle V-Personen in den Führungsebenen der Partei zurückgezogen. Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum Der im November 2014 als Bundesvorsitzender gewählte Frank FRANZ zog in der November-Ausgabe der Deutschen Stimme eine positive Jahresbilanz. 28 Der vom ehemaligen Bundesvorsitzenden Udo VOIGT geforderte "politische Spagat zwischen den auseinanderstrebenden Fronten", ist seinen Ausführungen zufolge gelungen, da auf den "Führungskräftekonferenzen alle auf einen Nenner" gebracht worden seien. Neben nunmehr wieder steigenden Mitgliederzahlen gäbe es auch mehr Abonnenten der Deutschen Stimme. Dies führte er u. a. auf die verbesserte Außendarstellung der Partei zurück. Insbesondere das im März 2015 gestartete Internetprojekt DS-TV würde die Position der NPD "in nationalen, konservativen und sonstigen nonkonformistischen Kreisen" verbessern. 28 Frank FRANZ, in: Deutsche Stimme, Nr. 11/2015, Seite 3. 83 Rechtsextremismus "Neun-Punkte-Plan gegen die Asylflut" Die modernisierte Außendarstellung der Partei kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass es sich bei der NPD um eine fremdenfeindliche und rassistische Partei handelt. Den im Jahr 2009 entwickelten "Fünf-Punkte-Plan" zur "Rückführung aller Ausländer" hat die Partei 2015 in einen "Neun-Punkte-Plan gegen die Asylflut" angepasst. Mit der inhaltlichen Ausweitung und einem gemäßigten Sprachgebrauch hofft die Partei, an in Teilen der Bevölkerung bestehende fremdenfeindliche Ressentiments anschließen zu können. Welche ideologische Grundausrichtung die NPD verfolgt, dokumentiert ein auf ihren Internetseiten eingestellter Leitfaden, wonach "Angehörige anderer Rassen körperlich, geistig und seelisch immer Fremdkörper" blieben. Auch der Bundesvorsitzende FRANZ ist trotz seines bemüht moderaten Erscheinungsbilds weltanschaulich gefestigt. Ausländern in Deutschland gesteht er nur in Ausnahmesituationen ein Bleiberecht zu. Zum Unwillen des Parteivorsitzenden wurde das Parteiausschlussverfahren29 gegen seinen intern größten Kritiker, den Hamburger Landesvorsitzenden Thomas WULFF, am 06.03.2015 eingestellt. WULFF, der den Bundesvorsitzenden als "Firlefanz" diffamiert hatte, erklärte auf seiner Facebook-Seite, dass das Verfahren gegen ihn von einer "unsäglichen Clique von Parteifunktionären angeschoben worden" sei, die sich "seit Erringung von gut bezahlten Mandaten in unserer Partei, wie ein Krebsgeschwür ausgebreitet hat". WULFF, der sich in Anlehnung an einen früheren SS-General, gern selbst als "Steiner-Wulff" bezeichnet, sieht die Bundesrepublik als ein von den alliierten Siegermächten errichtetes System: "Seit 1945 wird unsere Nation besetzt gehalten und unser Volk in allen Lebensbereichen fremdbestimmt. ... Nur wenn unser Volk erwacht und die Nachkriegsordnung mit all ihrem Sklavengeist, den Holocaust-Keulen, Umerziehungsgelehrten und Schuldkomplexen in Frage stellt, wird der Weg frei zu einer Zukunft in Frieden und FREIHEIT."30 29 WULFF hatte sich in seiner Rede am 02.03.2014 auf dem NPD-Landesparteitag in Hamburg selbst als Nationalsozialist bezeichnet. 30 Thomas WULFF: Pegida/Pegada - Volksprotest!, veröffentlicht auf der Internetseite der NPD-Hamburg, vom 27.01.2015. 84 Rechtsextremismus Aktivitäten der NPD Zur Durchsetzung ihrer Ziele verfolgt die NPD unverändert die 1996 entwickelte "Drei-Säulen-Strategie" ("Kampf um die Straße, Kampf um die Köpfe, Kampf um die Parlamente"). Bei den Bürgerschaftswahlen am 15.02.2015 in Hamburg fuhr die NPD jedoch mit 0,3 Prozent (2011: 0,9 Prozent) und am 10.05.2015 in Bremen mit 0,2 Prozent (2011: 1,6 Prozent) herbe Verluste ein. Damit verfehlte die Partei ihr Hauptziel eines Stimmengewinns von 1 Prozent, um die staatliche Parteienfinanzierung in Anspruch nehmen zu können. Die marginalen Ergebnisse unterstreichen den Bedeutungsverlust der Partei in den westlichen Bundesländern. Der "Kampf um die Köpfe" umfasst neben der Schulung der Mitglieder auch den Kampf um die Deutung der politischen Begriffe (kulturelle Hegemonie). Hierbei versucht die NPD an vorhandene Ressentiments in Teilen der Bevölkerung anzuschließen. Hatte die NPD bei ihren Wahlerfolgen noch von den Protestbewegungen gegen die Sozialreformen profitiert, verschob sich in den folgenden Jahren der thematische Schwerpunkt in Richtung "Asylmißbrauch und Überfremdung". Mit der zunehmenden Anzahl der Pegida-Veranstaltungen im Jahr 2014 sah die NPD eine Möglichkeit, von dieser Bewegung strategisch zu profitieren. So bezeichnete der NPD-Bundesvorstand u. a. die Pegida-Demonstration am 15.12.2014 in Dresden als "neue Massenbewegung", deren Anhänger nicht nur gegen die Islamisierung des Abendlandes, sondern auch gegen die "arrogante Ignoranz der etablierten politischen Klasse" aufbegehren würden. Die NPD-Landesverbände Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen sahen eine Deckungsgleichheit der Forderungen und eine Bewegung "im Geiste der NPD". Die Partei erhoffte sich einen "Hauch der Stimmung des Herbstes 1989" und dass unter der Losung "Wir sind das Volk" die Stimmungslage im Land entscheidend geändert werden könnte. Im März 2015 startete die Partei auf ihren Internetseiten und in der Deutschen Stimme die Kampagne "Asylbetrug macht uns arm", in der sie sich als "Blockadebrecher der antideutschen Politik der Einheitsparteien" gerierte und ein Bedrohungsszenario zeichnete, an dessen Ende die deutsche Bevölkerung gegen das 85 Rechtsextremismus System aufbegehren würde. So kommentierte der Thüringer Landesverband Ausschreitungen in einer Erstaufnahmeeinrichtung in Suhl, dass "den Deutschen einmal mehr vor Augen geführt wurde, dass der Bürgerkrieg auf dem Boden der BRD angekommen" sei. In der Stader Kreistagssitzung am 07.12.2015 spitzte das NPD-Kreistagsmitglied Adolf DAMMANN demagogisch zu: "Angesichts der Überflutung unseres Landes mit fremden Invasoren aus aller Welt bin ich davon überzeugt, daß spätestens mit der Wiederherstellung Deutschlands Souveränität sich höchste Gerichte mit dem Abgrund des derzeitigen Hochund Landesverrats beschäftigen werden." In Tröglitz (Sachsen-Anhalt) gelang es NPD-Mitgliedern durch aktive Teilnahme und Unterstützung des örtlichen Protests, wie von dem ehemaligen Geschäftsführer der NPD Holger SZYMANSKI31 empfohlen, "Berührungsängste der Bevölkerung gegenüber der NPD abzubauen". Die von einem NPD-Mitglied organisierten sogenannten Lichterspaziergänge führten zum Rücktritt des Bürgermeisters, der sich persönlich bedroht sah. In Heidenau (Sachsen) versuchten zahlreiche Anhänger im Anschluss an eine NPD-Demonstration am 21.08.2015 die Durchfahr t zur A sylbewerberunterkunft zu verhindern. Aus der 600 Personen zählenden Demonstration heraus wurden die eingesetzten Polizeibeamten mit Steinen, Pyrotechnik und Flaschen beworfen. 31 Holger SZYMANSKI, in: Deutsche Stimme, Nr. 2/2015 Seite 11. Der sächsische NPD-Landesvorsitzende und Bundesgeschäftsführer der Partei Holger SZYMANSKI ist am 02.07.2015 aus persönlichen Gründen von seinen Ämtern zurückgetreten. 86 Rechtsextremismus Eine erhoffte Vereinahmung der Pegida-Bewegung scheiterte nicht nur am schwachen Organisationsgrad der Partei, sondern auch daran, dass die Teilnahme von NPD-Mitgliedern zu einer negativen Berichterstattung führte und die Organisatoren in Sachsen sich von der Partei distanzierten. Auch inhaltlich offenbarten sich nicht überbrückbare Differenzen. So ist die von der Pegida-Bewegung erhobene Forderung einer Integrationspflicht für Ausländer und das Verständnis einer "christlich-jüdisch geprägten Abendlandkultur" mit dem Volksgemeinschaftsgedanken der NPD nicht vereinbar. In Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen gelang es der NPD und den freien Kameradschaften das Bild der örtlichen Protestbewegungen zu bestimmen. So wurden die Veranstaltungen von NPD-Mitgliedern angemeldet, führende NPD-Funktionäre hielten die Reden. Im Rahmen des "Kampf um die Straße" führt die NPD jährlich dezentrale Demonstrationen zum 1. Mai durch. Zu der Kundgebung in Neubrandenburg (Mecklenburg-Vorpommern) unter dem Motto "Gute Arbeit hat einen Wert - Gerechtigkeit erkämpfen" erschienen rund 350 Anhänger. Auf der Kundgebung forderte der JN-Bundesvorsitzende Sebastian RICHTER einen "Nationalen Sozialismus". Einer Demonstration des NPD-Landesverbandes Thüringen zum Thema "Soziale Gerechtigkeit für alle Deutschen - Die etablierte Politik macht uns arm" in Erfurt folgten rund 200 NPD-Mitglieder. Weitere NPD-Demonstrationen fanden in Worms (Rheinland-Pfalz) mit rund 140 Teilnehmern, in Mönchengladbach (Nordrhein-Westfalen) mit rund 150 Teilnehmern und in Berlin mit rund 50 Teilnehmern statt. Darüber hinaus organisierte die NPD eine Vielzahl von Demonstrationen zur Flüchtlingsthematik. Die NPD-Demonstration unter dem Motto "Asylflut stoppen - Nein zur Zeltstadt auf der Bremer Straße" am 27.07.2015 in Dresden begleiteten gewaltsame Auseinandersetzungen mit Gegendemonstranten. Aus dem aus rund 200 Personen bestehenden Aufzug wurden Flaschen und Feuerwerkskörper geworfen. Mit der bewusst am 08.05.2015, dem Jahrestag der Kapitulation des nationalsozialistischen Regimes, gestarteten Kampagne "Frieden, Freiheit, Souveränität" offenbart die Partei ihr 87 Rechtsextremismus revisionistisches Geschichtsverständnis. Der Bundesvorsitzende FRANZ kommentierte dies in der Juni-Ausgabe der Deutschen Stimme als "Befreienden Dreiklang": "Der 8. Mai ist zweifellos als Tag des endgültigen Zusammenbruchs des Dritten Reiches zu bezeichnen, an dem auch der historische Nationalismus als staatliche Verkörperung sein Ende fand. Als Tag der Befreiung kann er aber nicht herhalten." Am 21. und 22.11.2015 führte die NPD ihren 36. ordentlichen Bundesparteitag unter dem Motto "Das Boot ist voll - Asylbetrüger abschieben!" mit rund 150 Delegierten in Weinheim (Baden-Württemberg) durch. Wahlen oder personelle Debatten standen in diesem Jahr nicht an, so dass der Parteitag ohne besondere Vorkommnisse verlief. Lediglich zwei Positionen im Vorstand wurden neu besetzt. Auch wurde über eine Neufassung der Parteisatzung beraten. Die Delegierten beschlossen zudem zwei Leitanträge: "Die Masseneinwanderung über das Asylrecht muß beendet werden!" und "Asylflut stoppen - islamistischen Terror verhindern". Beide Leitanträge sind verhältnismäßig moderat gefasst und spiegeln den Versuch der NPD wider, sich einen bürgerlichen Anstich zu geben, um so in der gesellschaftlichen Debatte um Asyl und Flüchtlinge neue Wählerschichten anzusprechen. Bei den Landtagswahlen am 13.03.2016 in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt erlitt die NPD deutliche Stimmenverluste. In Sachsen-Anhalt kam die Partei mit 1,9 Prozent (2011: 4,6 Prozent) aber noch in den Genuss der staatlichen Parteienfinanzierung. In Baden-Württemberg (0,4 Prozent) und 88 Rechtsextremismus Rheinland-Pfalz (0,5 Prozent) verlor die NPD gegenüber den Wahlen 2011 über die Hälfte ihrer Stimmen. Das schlechte Abschneiden der NPD dürfte darauf zurückzuführen sein, dass es der Alternative für Deutschland (AfD) mit einem vor allem gegen die Flüchtlingsund Asylpolitik der Bundesregierung gerichteten Wahlkampf gelungen ist, das Potenzial an Protestwählern weitgehend für sich zu gewinnen. Der nicht flächendeckende Antritt der AfD bei den hessischen Kommunalwahlen am 06.03.2016 hatte demgegenüber die NPD noch begünstigt, die insgesamt 23 Mandate erringen konnte (2011: 11 Mandate). Bundesweit verfügt die Partei damit über 360 kommunale Mandate, davon rund 270 in den östlichen Bundesländern. Bei der mündlichen Verhandlung vor dem zweiten Senat des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe vom 01. bis 03.03.2016 setzten sich die Richter mit der rassistischen, auf einem biologischen Volksbegriff gründenden Programmatik der NPD auseinander. Zudem galt es die Frage zu klären, ob die Partei anhand ihrer Größe tatsächlich in der Lage ist, die staatliche Ordnung der Bundesrepublik Deutschland zu beeinträchtigen oder zu beseitigen, wie es Art. 21 Abs. 2 des Grundgesetzes erfordert. Für ein Verbot bedarf es einer Zweidrittelmehrheit der acht Bundesverfassungsrichter. Das Urteil des Gerichts wird für Herbst 2016 erwartet. Aktivitäten der NPD in Niedersachsen Der niedersächsische Landesverband der NPD initiierte am 24.10.2015 und am 14.11.2015 zwei Kundgebungen unter dem Motto "Asylflut stoppen" in Bad Fallingbostel, an denen sich 35 bzw. 20 Personen beteiligten. Weitere Veranstaltungen fanden am 28.02.2015 in Peine, am 18.04.2015 in Seesen und 27.06.2015 in Rotenburg an der Wümme statt. Die Unterbezirke Oberweser und Osnabrück führten vereinzelt Flugblattaktionen zur Flüchtlingsthematik durch. Auf dem niedersächsischen Landesparteitag am 10.05.2015 in Petersdorf (Landkreis Cloppenburg) wählten die rund 50 Delegierten den Oldenburger Ulrich EIGENFELD erneut zum Landesvorsitzenden. Ingo HELGE (UB Heide-Wendland) wurde zum Stellvertreter bestimmt. Zu Beisitzern wurden Manfred DAMMANN, 89 Rechtsextremismus Andreas HAACK (UB Stade), Carin HOLLACK, Christina KRIEGER (UB Hannover), Markus PELZ, Nadine ZÖLLNER (UB Oberweser), Friedrich PREUß (UB Braunschweig) und Matthias RIES (UB Osnabrück) gewählt. Wie in den Vorjahren verzeichnete die niedersächsische NPD einen Mitgliederrückgang. Am Jahresende gehörten der Partei nur noch 370 Mitglieder an. Der Landesverband unterhält nach wie vor elf Unterbezirke und einen Kreisverband, wobei die Unterorganisationen Emsland-Bentheim, Göttingen, Goslar, Hannover und Ostfriesland-Friesland scheinbar nur noch auf dem Papier existieren. Zu den Aktivitäten der NPD-Niedersachsen gehören neben parteiinternen Schulungen in Oldenburg auch regelmäßige Mitgliederversammlungen, auf denen in unregelmäßigen Abständen rechtsextremistische Redner auftreten, wie z. B. Reinhold OBERLERCHER im Oktober 2015 beim Unterbezirk Stade.32 Das Anwesen des NPD-Mitgliedes Joachim NAHTZ in Eschede (Landkreis Celle) dient der niedersächsischen NPD, wie bereits in den vergangenen Jahren, zur Durchführung von Brauchtumsfeiern, bspw. dem Erntedankfest am 26.09.2015 und den Sonnenwendfeiern am 20.06.2015 und 20.12.2015. An diesen Veranstaltungen, die von den Düütsche Deerns und örtlichen Freien Kräfte unterstützt wurden, nahmen jeweils bis zu 100 Personen teil. 32 Der Hamburger Reinhold OBERLERCHER ist Mitbegründer des rechtsextremistischen Deutschen Kolleg und gehört der sogenannten Reichsbürgerbewegung an. 90 Rechtsextremismus Junge Nationaldemokraten (JN) Unter der Führung des Neonazis Sebastian RICHTER ist das Selbstverständnis der JN als Kaderorganisation gestärkt worden: Durch den "organisatorischen Dreiklang Bildung - Gemeinschaft - Aktivismus" sollen die Lebenswege der eigenen Mitglieder positiv gestaltet werden, was die Einwirkung auf alle Lebensbereiche - Familie, Beruf, Gesundheit - mittels einer ganzheitlichen Weltanschauung einschließe: "Will heißen, dass wir nach innen bedingungslos ein Leitbild verfolgen, welches sich an Geschichte, Genetik und Schicksal unseres Volkes ausrichtet."33 Ein eher elitäres Selbstverständnis der JN fordert der stellvertretende JN-Bundesvorsitzende Pierre DORNBRACH in der August-Ausgabe der Deutschen Stimme. Im Beitrag "Szene oder Volksbewegung"34 stellt er fest, dass sich "nicht nur Idealisten in den Reihen der 'nationalen Opposition'" befänden. Seiner Meinung nach seien "Bilder von Glatzköpfen, die mehr Tinte im Gesicht haben, als jemals von ihnen zu Papier gebracht wurde, ... keine Seltenheit mehr auf Veranstaltungen, die im Namen Deutschlands (!?) abgehalten werden." Bei den JN in Niedersachsen ist derzeit nur noch der Stützpunkt Braunschweig mit etwa 15 Personen existent. Zu den Aktivitäten der JN gehörten neben der Durchführung von Informationstischen auch die Teilnahme an Demonstrationen, u. a. an solchen der Partei Die Rechte oder an den Bragida-Kundgebungen (Braunschweig gegen die Islamisierung des Abendlandes) in Braunschweig. Bei den Infoständen am 13.02.2015 und am 05.12.2015 kam es zu körperlichen Auseinandersetzungen mit der örtlichen Antifa. Am 1. Mai-Feiertag starteten die JN ihre Kampagne "Antikapitalismus von 'Rechts'". Der Aufruf richtete sich an diejenigen, die "für einen fortschrittlichen Nationalismus auf Grundlage eines lebensrichtigen Menschenbildes" eintreten wollten. Anlässlich der Kampagne führte die JN eine Schulungsveranstaltung durch, ein Sommerfest und Wanderungen sollten den Zusammenhalt der Gruppe stärken. 33 Sebastian RICHTER, in: Deutsche Stimme, Nr. 2/2015 Seite 14, Nr. 3/2015, Seite 3. 34 Pierre DORNBACH, in: Deutsche Stimme, Nr. 8/2015, Seite 13. 91 Rechtsextremismus Eine größere Gruppe von Rechtsextremisten störte die Mai-Kundgebung des Deutschen Gewerkschaftsbundes in Weimar (Thüringen). Unter den 27 in Gewahrsam genommenen Personen waren auch Mitglieder und Funktionäre der JN. Am 09. und 10.10.2015 führte die JN unter dem Motto "Reconquista Europa" auf dem Verlagsgelände der Deutschen Stimme in Riesa (Sachsen) eine sogenannte Europakonferenz mit neun rechtsextremistischen Organisationen aus sechs europäischen Ländern durch. Am Abend des zweiten Veranstaltungstages traten die rechtsextremistischen Musikgruppen "Heiliges Reich" und "Kraftschlag" auf. Unter den rund 200 Teilnehmern waren auch Mitglieder des JN-Stützpunktes Braunschweig. Bewertung, Tendenzen, Ausblick Auch wenn es den Anschein hat, dass sich die NPD unter der Führung von FRANZ stabilisiert hat, kann daraus kein positiver Trend abgelesen werden. Einen Wegweiser stellen die Landtagswahlen in 2016 dar.35 Sollte die NPD bei den Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern am 04.09.2016 nicht wieder in den Landtag einziehen, hätte dass nicht nur finanzielle Konsequenzen. Die Partei dürfte dann weiter an Bedeutung verlieren. Der niedersächsische Landesverband wird aufgrund seiner vielfach inaktiven Unterbezirke und der geringen Kampagnenfähigkeit dem Bedeutungsrückgang nur schwer etwas entgegen stellen können. Es ist davon auszugehen, dass sie bei den im September 2016 anstehenden Kommunalwahlen Mandatsverluste hinnehmen muss. 35 Zu den Ergebnissen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt siehe die Ausführungen im Abschnitt "Aktivitäten der NPD". 92 Rechtsextremismus 2.9 Die Rechte Sitz / Verbreitung Sitz des Bundesverbandes: Parchim (Mecklenburg-Vorpommern); Sitz des Landesverbandes: Amt Neuhaus (Landkreis Lüneburg) Gründung / 2012 (Bundesverband); Bestehen seit 2013 (Landesverband) Struktur / Bundesvorsitzender: Christian WORCH; Repräsentanz Landesvorsitzender: Holger NIEMANN; zehn Landesverbände im Bundesgebiet; fünf Kreisverbände in Niedersachsen (Braunschweiger Land, Emsland, HannoverHildesheim, Heidekreis, Verden) sowie temporäre, überwiegend virtuelle Stützpunkte in Goslar und Helmstedt Mitglieder / Bund: 650 Anhänger / Land: 50 Unterstützer 2015 Veröffentlichungen Flugblätter (Verteilaktionen im Raum Verden und in der Region Hildesheim); Web-Angebote: Die vorrangige Außendarstellung erfolgt für den Bundesverband über das Facebook-Profil "Die Rechte" und die parteieigene Internetseite www.die-rechte. com; der Landesverband Niedersachsen informiert ebenfalls auf Facebook über Parteiaktivitäten und gibt Stellungnahmen zu bundesund landespolitischen Themen ab; die niedersächsischen Kreisverbände betreiben eigene Facebook-Profile. 93 Rechtsextremismus Kurzportrait / Ziele Die Partei Die Rechte wurde im Mai 2012 in Hamburg von Mitgliedern der ehemaligen Deutschen Volksunion (DVU) und dem langjährigen Neonazi Christian WORCH gegründet. Den Posten des Bundesvorsitzenden übernahm WORCH selbst. Als stellvertretende Vorsitzende wurde die ehemalige Landesvorsitzende der DVU Schleswig-Holstein, Ingeborg LOBOCKI, gewählt. Im September 2012 folgte die Gründung des mitgliederstärksten Landesverbandes Nordrhein-Westfalen durch ehemalige Mitglieder der im August 2012 verbotenen neonazistischen Kameradschaften Aachen, Dortmund und Hamm. Die ehemaligen Kameradschaftsführer übernahmen im Landesvorstand und in den Kreisverbänden die Führungsfunktionen und setzen seitdem unter dem Schutz des Parteienprivilegs ihre bisherigen Aktivitäten fort. Zudem traten der Partei vereinzelt NPDMitglieder bei. Auch in Niedersachsen kommen der Großteil der Führungsebene und ein relevanter Teil der Mitglieder aus der neonazistischen Szene. Die Nutzung des Parteienprivilegs, vor allem die Anmeldung und Durchführung öffentlichkeitswirksamer Aktivitäten zur Verbreitung neonazistischer Propaganda, erfolgt in Niedersachsen uneinheitlich. Während die Mehrzahl der Kreisverbände kaum öffentlich in Erscheinung tritt, zeichnet der Kreisverband Hannover-Hildesheim für eine Vielzahl von Demonstrationen, Kundgebungen und Aktionen verantwortlich. Den Schwerpunkt dieser Aktivitäten bildet die fremdenfeindliche Agitation gegen die Asylund Flüchtlingspolitik. Hinzu kommt die Kritik an vermeintlich staatlicher Repression zum Nachteil der Partei und ihrer Anhänger. Finanzierung Mitgliedsbeiträge, Spenden, Einnahmen aus Veranstaltungen 94 Rechtsextremismus Grund der Beobachtung / Verfassungsfeindlichkeit Der Einfluss führender Neonazis im Bundesvorstand sowie im Landes verband Nordrhein-Westfalen, von dem Die Rechte dominiert wird, veränderte den Charakter der Partei, die bei ihrer Gründung das nach eigenem Bekunden "sprachlich wie inhaltlich modernisierte und ergänzte" frühere Programm der ehemaligen DVU zur Grundlage genommen hatte.36 Die Rechte steht seitdem hinsichtlich ihrer Ideologie, ihrer Aktivitäten und der führenden Personen in der Kontinuität der verbotenen neonazistischen Kameradschaften. Ihre Agitation ist von Demokratieund Fremdenfeindlichkeit und der Verherrlichung des Nationalsozialismus bestimmt. Im Parteiprogramm fordert Die Rechte zur "Wahrung der Identität der Deutschen" auf. Sie propagiert das "Zurückdrängen der Amerikanisierung" und anderer "übermäßiger fremder Einflüsse". Der Partei "geht es darum Deutschland als Land der Deutschen und als souveränen Nationalstaat zu erhalten. Sowohl ein multikulturelles Deutschland, als auch ein europäischer Staat ... sind reine ideologische Wunschvorstellungen, die in der Realität zu Chaos, allgemeiner Verarmung und der Vernichtung der europäischen Kulturen führen würden". Im Wahlprogramm "25 Forderungen zur Dortmunder Kommunalwahl 2014", mit dem Die Rechte symbolisch an das 25 Punkte-Programm der NSDAP anknüpft, bekennt sie sich unter Punkt 19 eindeutig zur Volksgemeinschaft: "Eine Gesellschaft, welche die Schwächsten alleine lässt, ist zum Scheitern verurteilt - jeder Volksgenosse, der unverschuldet in Not gerät, muss sich auf Hilfe verlassen können. Die Rechte will eine starke Volksgemeinschaft, in der keiner allein gelassen wird." Im Kapitel "Kriminalität und Überfremdung" werden Migranten pauschal als kriminell bezeichnet, um sie auf diese Weise aus der Gesellschaft ausgrenzen zu können. In der Flüchtlingsdebatte wird ein "sofortiger Einwanderungsstopp" von "Asyltouristen" und "Sozialschmarotzern aus EU-Staaten" gefordert. 36 Bei der Gründung der Partei hatte der Bundesvorsitzende WORCH Die Rechte als "weniger radikal als die NPD", aber "radikaler als die REPs und die PRO-Bewegung" beschrieben (Internetseite von Christian WORCH). 95 Rechtsextremismus Die antisemitische Haltung verdeutlicht ein verschwörungstheoretischer und dezidiert antikapitalistischer Beitrag auf der Facebook-Seite des Kreisverbandes Die Rechte Hildesheim. Das Zitat leitet hin auf die nicht explizit ausgesprochene Endung "Jude"; es schlägt somit den Bogen zum (Finanz-)Kapitalismus, hinter dem im Sinne rechtsextremistischer Verschwörungstheorien "die Juden" stünden: "Ob Berlin, Hildesheim oder Buxtehude - schuld an allem ist der ... Kapitalismus!" Exemplarisch für die Glorifizierung des Nationalsozialismus und die Relativierung der NS-Verbrechen ist eine Mahnwache unter dem Motto "Vergesst niemals Dresden 1945" samt der hierbei mitgeführten Transparente mit der Aufschrift "1. Mai - seit '33 arbeitsfrei" und der Bezeichnung der Waffen-SS als "erste europäische Befreiungsarmee". Einen Beleg für die aggressiv-kämpferische Vorgehensweise, mit der die Partei ihre Ziele erreichen will, liefert ein Beitrag zum Jahrestag des Kriegsendes auf dem Facebook-Profil von Die Rechte Goslar: "Ausbeutung, Unterdrückung und fehlende Souveränität begleiten unser Volk seit dem 8. Mai 1945. Es ist schon längst nicht mehr Fünf vor Zwölf, sondern 5:45 Uhr und wir wissen alle, was da passiert! Holen wir uns gemeinsam unsere Freiheit zurück. ... Nationale Revolution jetzt!!!"37 37 Es wird hier Bezug genommen auf Adolf Hitlers Rede am 1. September 1939 vor dem Deutschen Reichstag aus Anlass des deutschen Überfalls auf Polen. In ihr begründete Hitler den Angriff auf Polen, mit dem der Zweite Weltkrieg in Europa begann. Aus der Rede stammt auch das bekannte Zitat "seit 5:45 Uhr wird jetzt zurück geschossen". 96 Rechtsextremismus Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum Die meisten öffentlichkeitswirksamen Aktionen der Partei Die Rechte gingen vom Landesverband Nordrhein-Westfalen und dessen Kreisverbänden aus. Insbesondere vor dem Hintergrund der Flüchtlingsthematik sind auch bei anderen Landesverbänden zunehmende Aktivitäten zu verzeichnen. In Nordrhein-Westfalen übernahm Die Rechte unter dem Schutz des Parteienprivilegs die zuvor von den verbotenen Kameradschaften veranstalteten Aktionen. An einer Kundgebung mit musikalischen Live-Auftritten unter dem Motto "Wir sind das Volk - Gegen Sozialabbau und Überfremdung" beteiligten sich am 28.03.2015 in Dortmund rund 1.000 Personen, darunter neben Parteimitgliedern und Neonazis auch Angehörige rechtsextremistischer Fußballfangruppen. Unter dem Motto "Heraus zum 1. Mai" versammelten sich zum Feiertag in Essen etwa 360 Rechtsextremisten, die überwiegend aus der neonazistischen Szene stammten. Auch zur Demonstration "Wir sind das Volk - Masseneinwanderung und Asylmissbrauch stoppen!" am 03.10.2015 in Hamm reisten rund 300 Neonazis an. In Sachsen-Anhalt beteiligten sich an der Demonstration "Perspektiven schaffen statt Massenzuwanderung zu akzeptieren" am 31.10.2015 in Halberstadt etwa 440 Rechtsextremisten. An gleicher Stelle hatten bereits am 11.04.2015 und am 30.05.2015 Kundgebungen stattgefunden, in deren Rahmen der damalige Vorsitzende von Die Rechte Hildesheim, Johannes WELGE, als Redner auftrat. An allen genannten Demonstrationen nahmen niedersächsische Neonazis und Angehörige verschiedener Kreisverbände der Partei Die Rechte teil. Die Rechte Hildesheim als neuer Schwerpunkt der Partei In Niedersachsen gingen die Aktivitäten nahezu ausschließlich vom Kreisverband Die Rechte Hildesheim aus. Ursache hierfür war die Verlagerung des Wohnsitzes früherer Führungspersonen des vormals aktivsten Kreisverbandes Die Rechte Braunschweiger Land in den Landkreis Hildesheim. Außerdem konnten Angehörige der neonazistischen Szene aus Hannover und Hildesheim für die Partei und deren Aktivitäten gewonnen werden. Andere Kreisverbände verzeichneten dagegen kaum oder keine 97 Rechtsextremismus öffentlichen Aktivitäten und beschränkten sich im Internet auf sporadische Veröffentlichungen in den entsprechenden Sozialen Netzwerken. Kundgebungen und Demonstrationen Anlässlich der Vorführung des Films "Die Arier"38 in Hildesheim führte Die Rechte Hildesheim am 29.01.2015 eine Kundgebung "Gegen Linke und antideutsche Hetze" durch, an der 26 Angehörige des Kreisverbandes und der neonazistischen Szene teilnahmen. 35 Angehörige der Partei aus Niedersachsen und SachsenAnhalt sowie der Jungen Nationaldemokraten (JN) Braunschweig und der Neonaziszene (u. a. aus Hannover und dem Nordharz) versammelten sich am 13.02.2015 zu einer Mahnwache in Hildesheim unter dem Motto "Vergesst niemals Dresden 1945" zum Jahrestag der Bombardierung. In ähnlicher Größenordnung beteiligten sich am 28.02.2015 Angehörige der Partei Die Rechte und der neonazistischen Szene aus Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt, Sachsen und Schleswig-Holstein an der Kundgebung "Freiheit für Dieter Riefling" in Hildesheim. Anlass war der kurz zuvor erfolgte Haftantritt des in der Region wohnhaften und bundesweit bekannten Neonazis Dieter RIEFLING am 28.02.2015 in Hildesheim.39 Am 21.03.2015 fand ebenfalls in Hildesheim eine vom niedersächsischen Landesverband angemeldete Demonstration "Gegen die Überfremdung des Deutschen Volkes!" statt. Als Veranstaltungsort war provokativ ein Stadtteil mit einem hohen Anteil an Einwohnern mit Migrationshintergrund gewählt worden. Redner der von rund 100 Rechtsextremisten aus Bayern, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt und Sachsen besuchten Versammlung waren u. a. die späteren Landesvorsitzenden der Partei Die Rechte in Sachsen, Alexander KURTH, und Bayern, Philipp HASSELBACH, sowie der damalige Vorsitzende des Kreisverbandes Hannover-Hildesheim, Johannes WELGE. 40 38 Hierbei handelt es sich um einen Dokumentarfilm der afrodeutschen Moderatorin und Filmemacherin Mo Asumang aus dem Jahr 2014, der sich mit der internationalen Neonazi-Szene beschäftigt. 39 RIEFLING war vom Landgericht Gera wegen Körperverletzung und Volksverhetzung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt worden. 40 Die Gründung des Landesverbandes Bayern erfolgte am 24.05.2015 in Kolitzheim-Stammheim (Landkreis Schweinfurt), die des Landesverbandes Sachsen am 01.08.2015 in Bautzen. 98 Rechtsextremismus Eine weitere Demonstration wurde vom niedersächsischen Landesverband für den 29.08.2015 in Goslar angemeldet. Zum Thema "Perspektiven statt Massenzuwanderung" sprachen vor etwa 85 Rechtsextremisten, die überwiegend aus anderen Bundesländern angereist waren, u. a. der niedersächsische Landesvorsitzende Holger NIEMANN sowie ein Vertreter der revisionistischen Organisation Europäische Aktion (EA) 41 aus Sachsen-Anhalt. Amtsenthebung der Schatzmeisterin im Landesvorstand und faktische Auflösung des Kreisverbandes Die Rechte Braunschweiger Land Niedersächsische Relevanz entfaltete eine Bundesvorstandssitzung der Partei Die Rechte am 11.04.2015, bei der gegen die bisherige Schatzmeisterin im Landesvorstand Niedersachsen die Amtsenthebung sowie ein Parteiausschlussverfahren und ein Strafantrag wegen Veruntreuung von Parteigeldern beschlossen wurden. In Kombination mit dem umzugsbedingten Wechsel bisheriger Führungspersonen in den Kreisverband Die Rechte Hildesheim und dem öffentlichkeitswirksamen Ausstieg des bisherigen Kreisvorsitzenden im Mai 2015 aus der rechtsextremistischen Szene bedeutete dies faktisch die Auflösung des Kreisverbandes Die Rechte Braunschweiger Land. Kooperation zwischen Die Rechte Hildesheim und JN Braunschweig Einige Angehörige von Die Rechte Braunschweiger Land waren zwischenzeitlich dem ähnlich aktionistisch ausgerichteten JN-Stützpunkt Braunschweig beigetreten. Dies erklärt die regelmäßige Kooperation zwischen Die Rechte und JN in Niedersachsen bei gemeinsamen Veranstaltungen ebenso wie das entsprechend kaum vorhandene Konkurrenzverhältnis. Am 08.05.2015 führten Die Rechte Hildesheim und JN Braunschweig gemeinsam in Hildesheim eine Mahnwache aus Anlass des Jahrestages des Kriegsendes durch. Wegen der dort geäußerten Glorifizierung der Waffen-SS als "erste deutsche Befreiungsarmee" wurde gegen den damaligen Hildesheimer Kreisvorsitzenden Johannes WELGE ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Volksverhetzung eingeleitet. Das Amtsgericht 41 Weitere Ausführungen zur Europäischen Aktion siehe Kapitel 2.11. 99 Rechtsextremismus Hildesheim verurteilte WELGE Anfang April 2016 zu einer Geldstrafe, weil dieser, indem er die nationalsozialistische Gewaltund Willkürherrschaft billigte, den öffentlichen Frieden in einer "die Würde der Opfer verletzenden Weise" gestört habe. Angehörige des Kreisverbandes Die Rechte Hildesheim und der JN Braunschweig organisierten bzw. besuchten weitere Veranstaltungen wie die im Juni und Dezember 2015 in Eschede (Landkreis Celle) von NPD/JN, Düütsche Deerns und Neonaziszene veranstalteten Sonnenwendfeiern, eine Spontankundgebung in Hildesheim am 09.09.2015 sowie Gedenkaktionen aus Anlass des Todestages des verurteilten Kriegsverbrechers Erich PRIEBKE. Sie nahmen zudem an Veranstaltungen anlässlich des zum Heldengedenktag verklärten Volkstrauertages und einer sogenannte Anti-Kapitalismus-Schulung teil. Als Mitte Mai 2015 in den Sozialen Netzwerken im Internet diverse Berichte über vermeintliche Misshandlungen von Tieren durch Asylbewerber aus einer regionalen Unterkunft veröffentlicht wurden, versuchte Die Rechte Hildesheim diese Gerüchte zur fremdenfeindlichen Stimmungsmache zu nutzen. Sie mobilisierte für den 28.05.2015 in Groß Lafferde (Landkreis Peine) etwa 30 Rechtsextremisten der Partei Die Rechte, der JN und der Neonaziszene, um "Für Tierschutz, Sicherheit und Ordnung" zu demonstrieren. 100 Rechtsextremismus Am 16.06.2015 und 05.07.2015 versammelten sich jeweils bis zu 20 Angehörige von Die Rechte Hildesheim und JN Braunschweig vor dem Polizeigebäude in Hildesheim zu Mahnwachen "Gegen staatliche Repression und Polizeiwillkür". Vorausgegangen waren Ermittlungsverfahren und Durchsuchungsmaßnahmen wegen des Verdachts auf illegalen Waffenbesitz gegen örtliche Szeneangehörige, darunter der damalige Kreisvorsitzende Johannes WELGE. Enge Vernetzung mit Neonazis und subkulturell geprägten Rechtsextremisten Weiterhin besteht eine enge Vernetzung von Mitgliedern der Partei Die Rechte sowohl mit Angehörigen der Neonaziszene als auch mit subkulturell geprägten Rechtsextremisten. Deutlich wird dies etwa durch die gemeinsame Beteiligung an Musikveranstaltungen oder politischen Aktivitäten. Beispiele hierfür sind Liederabende am 25.07.2015 und 12.09.2015 mit rund 50 bzw. 100 Besuchern in Südniedersachsen. Die angekündigte Verwendung der erzielten Einnahmen, u. a. für die politische Arbeit, gibt zudem Aufschluss über eine Form der Finanzierung der Parteistrukturen. Agitation gegen Flüchtlingsunterkünfte In ihren Aktionen greift die Partei Die Rechte die Situation des Zuzugs von Flüchtlingen auf. Neben Flugblattverteilungen war eine Zunahme themenbezogener Beiträge in den Profilen Sozialer Netzwerke im Internet durch die Kreisverbände Hannover-Hildesheim und Verden zu verzeichnen. Die Rechte Hildesheim agitierte im Umfeld örtlicher Unterkünfte für Asylbewerber und Flüchtlinge mit Aufkleberaktionen, "Spaziergängen für Sicherheit und Ordnung" und zeigte Transparente mit den Parolen "Refugees not welcome", "Grenzen schließen" oder "Deutsche wehrt euch". 101 Rechtsextremismus Ebenfalls gegen die Unterbringung von Flüchtlingen vor Ort richtete sich eine Protestaktion am 13.10.2015 in Amt Neuhaus OT Sumte (Landkreis Lüneburg). Angehörige des Landesverbandes Niedersachsen aus Amt Neuhaus, darunter der Landesvorsitzende Holger NIEMANN, versuchten gemeinsam mit dem ebenfalls in der Region wohnhaften Landesvorsitzenden der NPD Hamburg Thomas WULFF, die bundesweit und auch im Ausland in den Medien thematisierte Unterbringung von bis zu 1.000 Asylbewerbern und Flüchtlingen in einer Gemeinde mit etwa 100 Einwohnern für ihre fremdenund asylfeindliche Propaganda zu nutzen. Zu diesem Zweck postierten sich die Rechtsextremisten mit einem Transparent ("Asylterror stoppen") am Eingang zu einer öffentlichen Informationsveranstaltung. Die vor dem Hintergrund übereinstimmender ideologischer und politischer Vorstellungen in der Flüchtlingsthematik fehlende Konkurrenz zwischen den Parteien Die Rechte und NPD - gleiches gilt im übrigen auch für die Partei Der III. Weg - wird an der Beteiligung des niedersächsischen Landesvorsitzenden an den von der NPD Mecklenburg-Vorpommern getragenen Demonstrationen der Gruppierung MVgida (Mecklenburg-Vorpommern gegen die Islamisierung des Abendlandes) deutlich. Bewertung, Tendenzen, Ausblick Der Landesverband Niedersachsen der Partei Die Rechte setzt sich überwiegend aus Angehörigen der neonazistischen Szene zusammen, die nun unter gezielter Nutzung des Parteienstatus ihre bisher außerparteilich durchgeführten Aktivitäten fortführen, ohne ein Vereinsverbot fürchten zu müssen. Trotz einer formal landesweiten Präsenz entfaltet die Partei lediglich im Bereich des Kreisverbandes Hannover-Hildesheim nennenswerte öffentlichkeitswirksame Aktivitäten. Neben der in diesen Zusammenhängen feststellbaren engen Verzahnung sowohl mit Neonazis als auch subkulturell geprägten Rechtsextremisten wird darüber hinaus auch ein nicht vorhandenes Konkurrenzverhalten gegenüber anderen rechtsextremistischen Parteien, insbesondere im Hinblick auf den JN-Stützpunkt Braunschweig deutlich. Diese Betrachtung lässt erahnen, dass im Falle eines Verbotes der NPD ein Wechsel von ehemaligen 102 Rechtsextremismus NPD-Mitgliedern zur Partei Die Rechte nicht mit unüberbrückbaren Hindernissen verbunden wäre. Im Vergleich zur grundsätzlichen Entwicklung rückläufiger Mitgliederzahlen im Bereich des organisierten Rechtsextremismus in Niedersachsen (NPD, Neonaziszene) verzeichnet der Landesverband der Partei Die Rechte konstante bis leicht steigende Mitgliederzahlen. Diese können in Anbetracht der Entwicklungen im Zusammenhang mit der Flüchtlingsthematik jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass es der Partei nicht gelungen ist, sich als relevanter politischer Akteur und mögliche Wahlalternative zu positionieren. Insofern ist die Partei Die Rechte - im Bund ebenso wie in Niedersachsen - zwar ein zu erwähnender Akteur im Bereich des Rechtsextremismus, eine nennenswerte Entwicklung zu einem gesamtgesellschaftlich bedeutsamen Faktor ist zum jetzigen Zeitpunkt jedoch nicht erkennbar. 2.10 Rechtsextremistischer Geschichtsrevisionismus Der Begriff rechtsextremistischer Geschichtsrevisionismus bezeichnet die Leugnung oder Relativierung der nationalsozialistischen Verbrechen und der deutschen Schuld am Ausbruch des Zweiten Weltkrieges. Revisionistische Positionen sind in unterschiedlicher Ausprägung bei nahezu allen rechtsextremistischen Organisationen nachweisbar. Sie sind ideologisches Bindeglied zwischen den verschiedenen Strömungen des Rechtsextremismus und zugleich ein wichtiges Element der historischen Identitätsstiftung. Deutlich wird dies z. B. bei den rechtsextremistischen Demonstrationen aus Anlass der Jahrestage der Bombardierung deutscher Städte wie in Dresden oder Magdeburg und beim sogenannten Trauermarsch in Bad Nenndorf. Alle diese Veranstaltungen haben einen organisationsübergreifenden Charakter. Der Revisionismus will den historischen Nationalsozialismus zumindest tendenziell rehabilitieren und die verfassungsmäßige Ordnung der Bundesrepublik Deutschland delegitimieren. Revisionisten im engeren Sinne sind bestrebt, die Erkenntnisse der seriösen Geschichtswissenschaft von einem vermeintlich 103 Rechtsextremismus wissenschaftlichen Standpunkt aus zu widerlegen. Dieser um eine wissenschaftliche Diktion bemühte Geschichtsrevisionismus, der rechtsextremistischen Organisationen die Argumentationsbasis liefert, ist eine internationale Erscheinung. Die ideologische Klammer ihrer Zusammenarbeit bildet eine eng mit revisionistischen Positionen verbundene antisemitische Grundeinstellung. Das Internet ist die wichtigste Agitationsplattform der Revisionisten. Hier pflegen sie ihre weltweiten Kontakte und steuern ihre Aktivitäten. In der Regel nutzen sie ausländische Internetprovider, um einer möglichen Strafverfolgung in Deutschland zu entgehen. Daneben werden revisionistische Schriften in Druckform durch hierauf spezialisierte Verlage verbreitet. Bewertung, Tendenzen, Ausblick Revisionistische Positionen bilden das historische Fundament rechtsextremistischen Gedankenguts. Als verbindendes Ideologie element sind sie in unterschiedlicher Ausprägung bei nahezu allen rechtsextremistischen Organisationen nachweisbar und finden sich in rechtsextremistischen Aktivitäten im Internet ebenso wie in der rechtsextremistischen Musikszene, den organisationsunabhängigen Verlagen, Vertriebsdiensten und Publikationen wieder. Rechtsextremistische Musik und Konzerte sowie die Produkte der Verlagsund Vertriebsdienste, aber auch aktionsorientierte Veranstaltungen, die teilweise über das Internet beworben werden, können als Einstieg in die rechtsextremistische Ideologie dienen und gerade junge Menschen ansprechen. Dagegen haben Demonstrationen und Kundgebungen mit revisionistischer Zielsetzung, wie z. B. "Heldengedenken", "Trauermärsche" oder Gedenkveranstaltungen, weiterhin an Bedeutung verloren. Die Teilnehmerzahlen sind seit Jahren rückläufig. Ursächlich hierfür können zum einen massive Gegenproteste, zum anderen aber auch behördliche Auflagen sein. In der Aufgabenerfüllung der Verfassungsschutzbehörde wird der Revisionismus auch künftig Beachtung finden. 104 Rechtsextremismus 2.11 Europäische Aktion (EA) Sitz / Verbreitung Sitz der Gesamtorganisation: Schweiz; Sitz der Landesleitung Deutschland: Verden Gründung / 2010 Bestehen seit Struktur / Leiter der Gesamtorganisation: ein junger, namentlich Repräsentanz nicht offen genannter Aktivist; Landesleiter Deutschland: Dr. Rigolf HENNIG; eine organisationsübergreifende, europaweit agierende Organisation ohne Vereinsoder Parteistatus; Schwerpunkte sind Deutschland, Österreich, die Schweiz und Liechtenstein; nach dem "Führerprinzip" organisiert; oberste Steuerungsebene ist die sogenannte "Tagsatzung", die sich aus den Landesleitungen, deren Stellvertretern und den Fachabteilungsleitern zusammensetzt; in Deutschland bestehen neben der Landesleitung noch diverse Gebietsleitungen und lokale Stützpunkte. Mitglieder / Bund: 100 Anhänger / Land: 20 Unterstützer 2015 Veröffentlichungen Publikation: Mitteilungsblatt Europa ruft (unregelmäßig); Web-Angebot: www.europäische-aktion.org Kurzportrait / Ziele Die Gründung der revisionistischen Europäischen Aktion (EA) erfolgte Anfang 2010 zunächst unter der Bezeichnung Bund Freies Europa (BFE) um den ehemaligen Vorsitzenden des 2008 verbotenen Vereins zur Rehabilitierung der wegen Bestreitens des Holocaust Verfolgten (VRBHV), Bernhard SCHAUB. Unter dem Titel "Die Europäische Aktion - Aufbau und Ziele der europäischen Freiheitsbewegung" formulierte SCHAUB die Grundpositionen als "7 Ziele", darunter die "Repatriierung außereuropäischer Einwanderer". Diese Zielformulierungen sollen laut EA "den geistigen Nährboden für den bereits stattfindenden Kampf um (die) biologischkulturgeschichtliche Existenz" bilden. 42 42 Vgl. Internetseite der EA vom 03.06.2015: "Grundsätzliches zum europäischen Freiheitskampf". 105 Rechtsextremismus Die EA versteht sich als "fundamentale Gegenbewegung zum herrschenden System" und als "Lebensund Kampfgemeinschaft" für "die Freiheit und Selbständigkeit Europas und seiner Völker". Ihr Ziel ist ein vollständiger Systemwechsel und die Wiederherstellung eines "freien und souveränen deutschen Reiches" auf der Grundlage einer ethnisch homogenen Volksgemeinschaft. In typischer revisionistischer Manier wird gegen angebliche Denkund Redeverbote agiert, die ihren "gemeinsamen Mittelpunkt in den Gaskammern von Auschwitz" hätten. 43 Daneben steht die fremdenfeindliche Forderung nach Rückführung außereuropäischer Einwanderer. Mit einer solchen grundsätzlich für alle rechtsextremistischen Organisationen anschlussfähigen Zielsetzung unterstreicht die EA ihr Selbstverständnis von einer organisationsübergreifenden Sammlungsbewegung innerhalb des Rechtsextremismus. Finanzierung Spenden und Beiträge der Aktiven Grund der Beobachtung / Verfassungsfeindlichkeit Ideologisch ist die EA neonazistisch, rassistisch und antisemitisch ausgerichtet. Sie ist organisationsübergreifend tätig und sieht sich als Bewegung für die Freiheit und Selbständigkeit Europas und seiner Völker. Die EA strebt einen vollständigen Systemwechsel an und propagiert eine "Europäische Eidgenossenschaft", die im "Kern das Deutsche Reich bildet", in dem dann "wieder die Volksgemeinschaft als Gewähr des sozialen Gedeihens" gilt. Als Volk bezeichnet die EA "eine geistig gesunde, raumund blutsgebundene Gemeinschaft. 44 Die EA richtet sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung und die im Grundgesetz konkretisierten Grundund Menschenrechte, die kaum bzw. nur noch eingeschränkt Anwendung finden sollen. Die EA agiert gegen den Gedanken der Völkerverständigung und gegen das friedliche Zusammenleben der 43 Vgl. "Die Europäische Aktion. Aufbau und Ziele der europäischen Freiheitsbewegung", Eschenz: Ghibellinum-Verlag 2011, Seite 12. 44 Vgl. Internetseite der EA vom 17.12.2015: "Konsumveranstaltung". 106 Rechtsextremismus Völker. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts umfasst dies auch die Wesensverwandtschaft zum Nationalsozialismus. Bezüge der EA zum historischen Nationalsozialismus werden durch revisionistische Agitationsfelder und regelmäßig durch die Veröffentlichungen des Landesleiters Deutschland, Dr. Rigolf HENNIG, belegt. Entsprechend der nationalsozialistischen Rassenlehre diffamiert die EA wiederholt Menschen jüdischen Glaubens und lehnt die Existenz des Staates Israel ab. Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum Die Sprecher der EA haben auch im Jahr 2015 auf zahlreichen rechtsextremistischen Veranstaltungen im gesamten Bundesgebiet für ihre Organisation geworben. Im Internetbeitrag "Heimat" wird über die Rekrutierungsversuche von EA-Aktivisten berichtet. Demnach haben "unermüdlich Vertreter der EA in Form von Redebeiträgen auf der Straße, in der Weltnetzund Zeitschriftenpublizistik oder im alltäglichen Gespräch mit den Mitmenschen über die katastrophalen Folgen der irrsinnigen und kranken Massen einwanderung nach Europa - mit Schwerpunkt Deutschland gesprochen."45 Vortrag "Der Südtiroler Freiheitskampf" am 14.03.2015 in der Schweiz Auf Einladung der EA Liechtenstein referierte Dr. Rigolf HENNIG vor Aktivisten aus Deutschland, Liechtenstein, Österreich, der Schweiz und Südtirol am 14.03.2015 in St. Gallen (Schweiz) zum Thema "Der Südtiroler Freiheitskampf". HENNIG schilderte dabei seine persönlichen Erfahrungen und Erlebnisse in den 1960er Jahren, rühmte sich der Beteiligung an Anschlägen gegen italienische Sicherheitskräfte und zog Parallelen zur heutigen Situation in Europa. Auf der eigenen Internetseite publizierte die EA hierzu die Veranstaltungsberichte. Die Südtiroler Gruppierung "Etschlichter - Widerstandsbewegung in Südtirol" veröffentlichte am 20.04.2015 die Audioaufzeichnung eines Vortrages, der den "gesamtdeutschen Charakter" sowie den Begriff des "politischen Soldaten" aufzeige. Er 45 Vgl. Internetseite der EA vom 23.12.2015: "Heimat". 107 Rechtsextremismus sei "nicht nur aus historisch-politischen Gründen, sondern auch aufgrund der Tatsache, dass der Freiheitskampf der sechziger Jahre noch einen klaren Bodenund Blutsbezug aufwies" von Interesse. Die Flüchtlingsthematik als verbindendes Element Die Flüchtlingsthematik wurde 2015 zum programmatischen Schwerpunkt der EA. Aus Sicht der EA stellt die Zuwanderung "eine feindselige Invasion rassisch-kulturell fremder Menschen in unseren Lebensraum" dar und bedeutet neben "der finanziellen auch eine kulturell-identitäre Belastung für Europa", da die "Zahl dieser ungebetenen Eindringlinge ... kontinuierlich steigt". 46 In antisemitischer und verschwörungstheoretischer Diktion wird von einer "Umvolkung" durch den "weltmachtpolitischen Zionismus" gesprochen, von der "Endphase der Umsetzung eines dämonischen Plans zur ganzheitlichen Vernichtung der europäischen Völker". 47 Die "massenhafte Ansiedlung von afro-orientalischen Abkömmlingen" diene allein der "Multiethnisierung", versucht die EA, ihre rassistische Weltsicht zu erklären. In ihren Veröffentlichungen spricht sie hier von einer "wurzellosen, rassisch durchmischten Primitivgesellschaft". Diese wiederum sei "gefügiger als eine geistig gesunde, raumund blutsgebundene Gemeinschaft, die wir allgemeinhin als Volk bezeichnen."48 Das "Endziel" müsse es daher sein, so HENNIG in einem anderen Beitrag, alle "raumfremden Zivilokkupanten ... zu repatriieren". In drastischen Worten prophezeit er den Untergang Europas, wenn nicht endlich gehandelt werde: "Wir haben keine Wahl: sorgen wir nicht für klare Verhältnisse, dann gehen die Völker Europas in wenigen Jahren zugrunde."49 Im Jahr 2015 baute die EA ihre Öffentlichkeitsund Netzwerkarbeit mit der Aktion "Volksaufklärung" weiter aus. Auf der eigenen Homepage finden sich seitdem diverse Beiträge, die 46 Vgl. Internetseite der EA vom 27.10.2015: "Flüchtlingskrise?". 47 Vgl. Internetseite der EA vom 10.12.2015: "Europa im Visier der Eine-Welt-Strategen". 48 Vgl. Internetseite der EA vom 17.12.2015: "Konsumveranstaltung". 49 Vgl. Internetseite der EA vom 02.09.2015: "Zur Asylantenflut". 108 Rechtsextremismus Untergangsund Überfremdungsszenarien als "eine feindselige Invasion"50 thematisieren. Unter dem Titel "Land unter - Die tödliche Zuwanderungsflut" wurde durch HENNIG am 02.12.2015 ein Aktionsplan veröffentlicht, der den bürgerlichen Ungehorsam, den passiven/aktiven Widerstand mit der Teilnahme an Massendemonstrationen und Mahnwachen, aber auch den öffentlichen und persönlichen Druck auf Politik, Medien und gesellschaftlich relevante Gruppen vorsieht. Erzwungen werden soll der Rücktritt der "Versager". An die Zuwanderer soll eine "höfliche, aber bestimmte Abweisung" erfolgen, denn "sie müssen wissen, dass sie unwillkommen sind ..., dass die Zuwanderer sich von selbst zurückziehen." Der Beitrag suggeriert, es stünde durch die massenhafte Zuwanderung ein Bürgerkrieg unmittelbar bevor. Darum gelte es, vorbereitende Maßnahmen für den Notfall zu treffen, z. B. die Bildung von Bürgerwehren, die Bevorratung mit Lebensmitteln, aber auch die Beschaffung von Waffen. Nach dem Zusammenbruch der Bundesrepublik Deutschland gehe es darum, "den Nationalstaat der Deutschen, das Deutsche Reich mit seiner Verfassung und seinen Gesetzen wieder handlungsfähig zu machen ... mit dem Ziel eines 'Europa der Vaterländer'". Für HENNIG wäre dann der "Zionismus" besiegt; und "die Repatriierung aller außereuropäischen Zuwanderer in kürzestmöglicher Frist in einem geordneten Verfahren" könnte erfolgen.51 "Neujahrsbrief... zum Kampfjahr 2016" Nach einer Auszeit meldete sich im Jahr 2015 der Gründer und Stichwortgeber der EA, Bernhard SCHAUB, mit ausländerfeindlichen, antisemitischen und verschwörungstheoretischen Beiträgen zurück. In seinem Artikel "Flüchtlinge?" führt er zu den vermeintlichen Hintergründen aus, dass "Europas Überschwemmung durch Immigranten und Asylanten jeder Art und Farbe" nun möglich sei, weil "man ... die weißen, insbesondere die Deutschen, mit einem Schuldkomplex ausgerüstet (habe), der 50 Vgl. Internetseite der EA vom 27.10.2015: "Flüchtlingskrise?". 51 Vgl. Internetseite der EA vom 02.12.2015: "Land unter - Die tödliche Zuwanderungsflut". 109 Rechtsextremismus ihnen schlichtweg verbietet, Farbige als Feinde zu sehen."52 Der Beitrag findet seine Fortsetzung im "Neujahrsbrief ... zum Kampfjahr 2016", das SCHAUB als "Schicksalsjahr" bezeichnet. Denn "die Agonie des identitären Europa", die mit den "Niederlangen Deutschlands in den Weltkriegen" begonnen habe, trete nun aufgrund der "hemmungslosen Überflutung Deutschlands durch raumfremde Einwanderer" ins "kritische Stadium":53 "Wenn jetzt nichts geschieht, werden unsere Kinder als verschüchterte Minderheit in einem gemischtrassigen, islamisch dominierten Europa leben, das dann auf Drittweltniveau steht und endgültig gelenkt wird von transatlantischen Klubs und jüdischen Bankund Medienzaren, eine kontrollierte, manipulierte und genveränderte Menschenmasse." 54 Als "vollständiges, konsequentes und kompromissloses Befreiungsprogramm" stellt SCHAUB die "7 Ziele" der EA auf dem Weg zur "Machtübernahme" heraus. Die EA als "politische Partisanenbewegung" bereite sich verpflichtend auf die "unweigerlich eintretenden kriegerischen oder bürgerkriegsähnlichen Zustände" vor, mit "Vorratshaltung, Kampfsport, Wehrsport usw."55 "Europafest 2015 - Vom Wort zur Tat" Unter dem Motto "Notwendigkeit eines gesamteuropäischen Freiheitskampfes - Vorwärts in ein freies Europa" veranstaltete die EA am 05.09.2015 nach einjähriger Pause ihr viertes "Europafest" im thüringischen Kirchheim. Es nahmen etwa 100 Personen teil, darunter Mitglieder und Sympathisanten der EA aus Großbritannien, Liechtenstein, Österreich und der Schweiz. Vertreter aus Deutschland kamen von den Parteien Die Rechte, Der III. Weg und von der NPD sowie von den Vereinen Gefangenenhilfe e. V. und Gedächtnisstätte e. V. (mit dem Vorsitzenden Wolfram SCHIEDEWITZ aus Niedersachsen). 52 Vgl. Internetseite der EA vom 16.10.2015: "Flüchtlinge?". 53 Vgl. Internetseite der EA vom 01.01.2016: "Neujahrsbrief von Bernhard Schaub zum Kampfjahr 2016". 54 Ebd. 55 Vgl. Internetseite der EA vom 01.01.2016: "Neujahrsbrief von Bernhard Schaub zum Kampfjahr 2016". 110 Rechtsextremismus Zentrales Thema der einzelnen Redebeiträge war der Kampf gegen die Zuwanderung. Zum Abschluss der Veranstaltung wurde ein "geschlossener Wille" bekundet: "Die Einstellung aller Grabenkämpfe und die Einigung der Kräfte über Länder, Parteien und Organisationen hinweg, mit dem Ziel, unser Überleben zu sichern." Demonstrationen und Unterstützung islamfeindlicher Gruppierungen Die Flüchtlingsthematik begünstigt eine Zusammenarbeit der EA mit anderen rechtsextremistischen Organisationen und erweist sich als verbindendes Element. Funktionäre und Aktivisten der EA begleiteten aktiv Demonstrationen, Aufmärsche und Kundgebungen in Thüringen und Sachsen. Am 23.03.2015 traten beispielsweise anlässlich einer Demonstration von Thügida (Thüringen gegen die Islamisierung des Abendlandes) in Erfurt sowohl der EA-Gebietsleiter in Thüringen, Axel SCHLIMPER, als auch der Landesleiter Deutschland, Dr. Rigolf HENNIG, als Redner auf. HENNIG verbarg dabei weder seine rassistische Weltsicht noch seine Verachtung für demokratische Politikerinnen und Politiker: "Früher wurden beim drohenden Ansturm raumfremder Menschenmassen die Streitkräfte mobilisiert und die Grenzen dicht gemacht. Jetzt gibt es Verbrecher, die diesen Vorgang fördern und es finden sich Hirngeschädigte, die eine 'Empfangskultur' pflegen." 56 HENNIG forderte weiter "nicht nur die nachhaltige Abwehr jedweder Zuwanderung, sondern auch die sofortige Abschiebung aller nichtgeladenen Fremden." Verbindungen zu anderen rechtsextremistischen Gruppierungen Die EA verfügt über eine Vielzahl nationaler und internationaler Kontakte in die rechtsextremistische Szene. Bereits im Jahr 2012 wurde eine Kooperation mit der NPD vereinbart. Ferner bestehen Kontakte zu den rechtsextremistischen Organisationen Die Russlanddeutschen Konservativen und Verein Gedächtnisstätte e. V. sowie zu Meinolf SCHÖNBORN, dem Herausgeber der rechtsex56 Vgl. Internetseite der EA vom 03.05.2015: "THÜGIDA". 111 Rechtsextremismus tremistischen Publikation Recht und Wahrheit (RuW). Unter dem Titel "Wir sind im Krieg" ist ein gemeinsames Flugblatt der EA mit dem rechtsextremistischen Thule-Seminar veröffentlicht worden: "Offene Grenzen töten! Dichte Grenzen retten!" Am 18.07.2015 sprach HENNIG beim Sommerfest des "Freundeskreises Udo Voigt" auf dem Anwesen des rechtsextremistischen Vereins Gedächtnisstätte e. V. in Guthmannshausen (Thüringen) über die Vernichtung der Völker durch Zuwanderung und "Rassenmischung" auf Betreiben des "politischen Zionismus". Als "Rettungsplan" plädierte er für die "7 Ziele" der EA samt "europäischer Eidgenossenschaft". Ablehnend zu Pegida und zur Partei Alternative für Deutschland (AfD) äußerte sich der frühere EA-Leiter SCHAUB: "[Da sie keine] echte Europa-Idee haben und auch keine wirklich durchgreifenden Maßnahmen ... anstreben, sondern die jüdisch-christlichen Wurzeln verteidigen wollen und ihre Treue gegenüber der verlogenen freiheitlich-demokratischen Grundordnung der westlichen Wertegemeinschaft ... beteuern, ist ihren Führern gegenüber konsequentes Misstrauen angebracht."57 Bewertung, Tendenzen, Ausblick Die sogenannten 7 Ziele der EA stehen im Widerspruch zu den Wesensmerkmalen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Sie beeinträchtigen bzw. verletzen eine Vielzahl von Grundwerten und Menschenrechten und liefern somit den programmatischen Beleg für die rechtsextremistische Ausrichtung der Organisation. Eine Nähe zur NS-Ideologie ist unverkennbar. Die Flüchtlingsthematik ist als wichtiges und verbindendes Element zu sehen, die eine Zusammenarbeit der EA mit anderen rechtsextremistischen Organisationen weiter fördert. Dies ist insbesondere im Hinblick auf das von der EA formulierte Ziel einer "Repatriierung außereuropäischer Einwanderer" zu sehen, also der Rückführung aller in Deutschland und Europa lebenden Ausländer als Ausdruck eines volksgemeinschaftlichen Denkens im Sinne ethnisch-kultureller Homogenität. Die Agitation der EA gegen die aktuelle Flüchtlingspolitik der Bundesrepublik steht im 57 Vgl. Internetseite der EA vom 01.01.2016: "Neujahrsbrief von Bernhard Schaub zum Kampfjahr 2016". 112 Rechtsextremismus Widerspruch zur deutschen Rechtsund Werteordnung und dem Grundrecht auf Asyl nach Artikel 16a Abs. 2 des Grundgesetzes. Rechtsextremisten unterschiedlicher Ausrichtung arbeiten unter dem organisatorischen und ideologischen Dach der EA zusammen. Die EA zeigte im Jahr 2015 verstärkt öffentliche Präsenz durch die Teilnahme an Demonstrationen, Kundgebungen, Mahnwachen und eine Vielzahl von Veröffentlichungen auf der EA-Internetseite sowie - bis zu seinem Verbot - im rechtsextremen Internetportal Altermedia Deutschland.58 Im "Kampf um die Wahrung der Existenz" Deutschlands und Europas versucht die EA Zukunftsängste zu schüren, indem sie den Zusammenbruch des Systems heraufbeschwört. Vor dem Hintergrund der aktuellen Diskussion zur Flüchtlingspolitik erscheint ein weiterer Zulauf zur EA nicht ausgeschlossen. Die glorifizierenden Veröffentlichungen HENNIGs zum bewaffneten Partisanenkampf in Südtirol können zu einer Radikalisierung gerade junger Anhänger beitragen. Darüber hinaus besteht die Gefahr, dass auch Politikerinnen und Politiker, Journalistinnen und Journalisten sowie Ehrenamtliche, die sich für Flüchtlinge engagieren, Angriffen ausgesetzt sein könnten. Die EA als internationale Sammlungsbewegung wird ihre Vernetzung in alle Bereiche des Rechtsextremismus weiter ausbauen. Ein Umsturz des von der EA verhassten politischen Systems mit der dann folgenden Errichtung einer "Europäischen Eidgenossenschaft", deren Kern das "Deutsche Reich" bilden solle, erscheint jedoch als Utopie. 58 Das Internetportal Altermedia Deutschland wurde am 27.01.2016 durch den Bundesminister des Innern verboten. 113 Rechtsextremismus 2.12 Freistaat Preußen / Stimme des Reiches (SdR) Sitz / Verbreitung Sitz der Organisation: Verden Gründung / 1995 Bestehen seit Struktur / "kommissarischer Staatspräsident": Dr. Rigolf HENNIG; Repräsentanz "Landtagspräsident": Heinrich MOCK; SdR-Schriftleitung: Reinhold LEIDENFROST Mitglieder / Bund: nicht bekannt Anhänger / Land: Einzelpersonen Unterstützer 2015 Veröffentlichungen Publikation: Stimme des Reiches (SdR) (Auflage: ca. 1.500 Stück) Kurzportrait / Ziele Die Organisation Freistaat Preußen wurde 1995 gegründet. Ihre ideologische Ausrichtung ist geschichtsund gebietsrevisionistisch. Führende Funktionäre sind Dr. Rigolf HENNIG ("kommissarischer Staatspräsident") und Heinrich MOCK ("Landtagspräsident"). Der Freistaat Preußen tritt derzeit nach außen lediglich durch die Herausgabe der im Eigendruck hergestellten Publikation Stimme des Reiches (SdR) in Erscheinung, deren Beiträge offen antisemitische mit revisionistischen und ausländerfeindlichen Positionen verbinden. Autoren sind größtenteils Protagonisten der 2008 verbotenen Vereine Collegium Humanum (CH) und des Vereins zur Rehabilitierung der wegen Bestreitens des Holocaust Verfolgten (VRBHV). Zu den Stammautoren zählen neben HENNIG auch Ursula HAVERBECK-WETZEL und Arnold HÖFS. Die SdR ist als Nachfolgepublikation der 2008 ebenfalls verbotenen CH-Publikation Stimme des Gewissens zu sehen, die nach dem Verbot zunächst unter dem Titel Das Reich herausgegeben wurde. Die Namenswahl stellt die Nähe zum Dritten Reich heraus. Finanzierung Verkauf der Publikation SdR und Spenden für die "Rechtskampfhilfe"59 114 Rechtsextremismus Grund der Beobachtung / Verfassungsfeindlichkeit Die Publikation SdR beinhaltet überwiegend antisemitische, revisionistische und insbesondere NS-Verbrechen verharmlosende Inhalte, aber auch rassistische und fremdenfeindliche Positionen. Die Schrift richtet sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung, will den historischen Nationalsozialismus rehabilitieren und die verfassungsmäßige Ordnung der Bundesrepublik Deutschland delegitimieren. Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum Regelmäßig stellt Ursula HAVERBECK-WETZEL in der SdR sowohl die Opferzahlen des Holocaust als auch die Existenz von Auschwitz als NS-Vernichtungslager infrage und propagiert zugleich die Abschaffung des SS 130 StGB (Volksverhetzung). Die Vorschrift sieht sie als "Haupthindernis für eine wahrheitsgemäße deutsche Geschichtsbetrachtung" und fordert deren Abschaffung: "... damit endlich eine zukunftsbezogene Politik durchgeführt werden kann, welche niemals auf Lügen zu errichten ist. Auch können wir erst dann die Kameraden aus den Gefängnissen befreien und historische Forschungen vorurteilsfrei durchführen und veröffentlichen. Davon hängt, nicht nur für Deutschland, sondern insgesamt für Europa sehr viel ab, für ein Europa der Vaterländer." 60 59 Ziel der sogenannten Rechtskampfhilfe ist es, "den undemokratischen SS 130 StGB, vor allem in Abs. 3 und 4 zu Fall zu bringen." Diese Hilfe basiert auf den Zielen des verbotenen VRBHV und umfasst die Forderung nach straffreier Meinungsäußerung im Zusammenhang mit der Holocaustleugnung (Volksverhetzung). 60 SdR, Nr. 3/2015, "Das ganze Deutschland soll es sein" von Ursula HAVERBECK-WETZEL. 115 Rechtsextremismus Holocaustleugnung in der SdR Der ehemalige CHund VRBHV-Schatzmeister Arnold HÖFS leugnete die Massentötung von Juden im Konzentrationslager Auschwitz in seinem SdR-Beitrag "Politische Verfahren - 3. Strafverfahren gegen Greise"61. In dem Artikel relativiert er den Holocaust, stellt die Zahl der ermordeten Juden in Frage und bezweifelt den Einsatz des Giftgases Zyklon B. Nach seinen Recherchen hätten angeblich alliierte Bomber die Produktionsanlagen für Zyklon B bereits im März 1944 zerstört, wodurch die Produktion und somit der Einsatz des Gases danach nicht weiter möglich gewesen sei. Prozess und Verurteilung von Ursula HAVERBECK-WETZEL wegen Holocaustleugnung Im Zusammenhang mit dem sogenannten Auschwitz-Prozess in der Zeit vom 21.04. bis 15.07.2015 gegen den früheren SS-Mann Oskar Gröning in Lüneburg organisierte HAVERBECK-WETZEL die Unterstützung des Angeklagten durch die rechtsextremistische Szene. Zum Prozessauftakt folgten ihrem Aufruf eine Vielzahl von bekannten Rechtsextremisten, darunter auch HÖFS. Gegenüber Pressevertretern gaben HAVERBECK-WETZEL und HÖFS volksverhetzende Erklärungen ab. Auf dem Internetportal Altermedia Deutschland bezeichnete HAVERBECK-WETZEL in ihrem Beitrag "Die Schande von Lüneburg" den Prozesstag "als eine billige Schmierenkomödie zur Selbstdarstellung der wenigen Holocaustüberlebenden und der zahlreichen Familienangehörigen dieser Gruppe von Juden." Gegenüber einem ARD-Filmteam leugnete sie den Holocaust 61 Arnold HÖFS (Springe, Region Hannover) war viele Jahre Schatzmeister der neonazistisch, rassistisch und antisemitisch ausgerichteten Europäischen Aktion (EA). In gleicher Funktion war er bereits Schatzmeister der 2008 verbotenen Vereine Collegium Humanum (CH) "Bauernhilfe" und "Verein zu Rehabilitierung der wegen Bestreitens des Holocaust Verfolgten" (VRBHV). Unter dem Pseudonym Herbert HOFF gibt HÖFS die revisionistische Schriftenreihe "Faktenspiegel" heraus. HÖFS war neben dem EA-Leiter Bernhard SCHAUB Teilnehmer der sogenannten Holocaust-Konferenz 2006 in Teheran (Iran). Gegen HÖFS wurden bereits mehrere Ermittlungsverfahren wegen Volksverhetzung geführt. Am 01.07.2014 wurde er wegen Volksverhetzung vor dem Amtsgericht Springe zu einer zehnmonatigen Freiheitsstrafe ohne Bewährung verurteilt. Unter seinem Pseudonym Herbert HOFF veröffentlichte er im Jahr 2011 die Broschüre "Faktenspiegel VII - Dokumentation zum Thema Holocaust". HÖFS verharmloste darin den Holocaust und stellte die Zahl der ermordeten Juden infrage. Im Mai 2015 wurde das Urteil durch das Landgericht Hannover bestätigt. Die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) indizierte den "Faktenspiegel VII" im Juni 2014. Seit Januar 2016 befindet sich HÖFS in der Justizvollzugsanstalt Hannover im geschlossenen Strafvollzug. 116 Rechtsextremismus und sagte, dass es keine Gaskammern im Konzentrationslager Auschwitz gegeben habe. Vielmehr sei Auschwitz nur ein Arbeitslager gewesen. HAVERBECK-WETZEL wurde daraufhin aufgrund der im ARD-Interview getätigten Äußerungen vom Amtsgericht Hamburg zu einer zehnmonatigen Haftstrafe verurteilt. Rassistische Argumentation gegen Asyl und Flüchtlinge, antisemitische Verschwörungstheorien und antidemokratische Forderungen in der SdR Die Flüchtlingsthematik wird in der SdR regelmäßig propagandistisch aufgegriffen und für die Verbreitung rechtsextremistischen Gedankenguts instrumentalisiert. So wähnt HENNIG in einem antisemitisch, rassistisch und völkisch ausgerichteten Beitrag mit dem Titel "Wider der Ahnungslosigkeit - zur Masseneinwanderung"62 hinter dem Flüchtlingszustrom eine jüdische Verschwörung und fordert die Rückführung der Zuwanderer: "Deutschland braucht keine Zuwanderung, da ohnehin übervölkert und wer hier von 'Einwanderungsland spricht, muß verrückt sein. Früher wurden bei drohender Landnahme die Streitkräfte mobilisiert und die Grenzen verteidigt. Heute werden die Zivilokkupanten förmlich eingeladen und auf Kosten des deutschen Volkes versorgt." In ähnlicher Rhetorik hetzt HENNIG in seinem SdR-Beitrag "Die Asylantenflut". Flüchtlinge seien "keine Landsleute in Not ..., die da anbranden wie in der Kriegsund Nachkriegszeit, sondern Zivilokkupanten, denen ein bequemes Leben in Deutschlands sozialem Netz lieber ist als harte Arbeit zuhause, die vielfach bei sich zuhause unfähig sind, ein funktionierendes Staatsund Sozialwesen aufzubauen und die selbstverständlich neben ihrer Unfähigkeit auch völlige Unangepasstheit, daneben Krankheiten und Kriminalität mitbringen".63 62 SdR, Nr. 2/2015, "Wider die Ahnungslosigkeit - zur Masseneinwanderung". 63 SdR, Sondernummer 5/2015 "Die Asylantenflut" 117 Rechtsextremismus Sie würden nicht "nach Deutschland kommen ... um uns zu bereichern, sondern um bei uns zu schmarotzen - und das auf Dauer". HENNIG bezeichnet es als "verfassungsmäßige Pflicht" der deutschen Regierung, "jedwede Zuwanderung Raumfremder zu unterbinden". Doch nach all den 64 "erschütternden Fehlleistungen ... sollten Gegenmaßnahmen ohne Verzug ergriffen werden ... Wir haben keine Wahl: sorgen wir nicht für klare Verhältnisse, dann gehen die Völker Europas in wenigen Jahren zugrunde." 64 Indizierung und Ermittlungsverfahren wegen Volkshetzung Die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) indizierte mehrere Ausgaben der SdR aus den Jahren 2014 und 2015 und sprach eine Vorausindizierung für die Zeit vom 27.11.2015 bis zum 26.11.2016 aus.65 In den Jahren 2014/2015 war die Publikation zudem Gegenstand eines staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens wegen Volksverhetzung. Den Herausgebern sowie den Autorinnen und Autoren wird vorgeworfen, den Holocaust geleugnet oder zumindest verharmlost zu haben. Die Beschlagnahme der SdR-Ausgaben wurde angeordnet. Verbindungen zu anderen rechtsextremistischen Gruppierungen Die SdR gilt als revisionistisches Sprachrohr vornehmlich früherer Protagonisten der 2008 verbotenen Vereine Collegium Humanum (CH) und des Vereins zur Rehabilitierung der wegen Bestreitens des Holocaust Verfolgten (VRBHV). Trotz staatlicher Maßnahmen gibt die Publikation weiterhin sowohl nationalen als auch internationalen Revisionisten eine Plattform zur Verbreitung ihrer volksverhetzenden Positionen. 64 SdR, Sondernummer 5/2015, "Die Asylantenflut". 65 SdR, Nr. 6/2015, "Unsere Hoffnung". 118 Rechtsextremismus Bewertung, Tendenzen, Ausblick In der SdR wird als Publikation der rechtsextremistischen Organisation Freistaat Preußen eine Vielzahl von Beiträgen veröffentlicht, die den Nationalsozialismus verherrlichen und Antisemitismus propagieren. Der in Konzentrationsund Vernichtungslagern sowie an anderen Orten begangene Massenmord an Juden und anderen Personengruppen wird geleugnet und verharmlost. Die SdR gibt u. a. verurteilten Holocaustleugnern eine Plattform, um ihre volksverhetzenden Ansichten zu publizieren. Die Schrift trägt maßgeblich dazu bei, rechtsextremistisches und antisemitisches Gedankengut in der Gesellschaft zu verbreiten und Hass gegenüber Juden zu schüren. Insbesondere besteht die Gefahr, Jugendliche für die nationalsozialistische Ideologie zu vereinnahmen und damit sozialethisch zu desorientieren. Gefragt nach den Teilnehmern ihrer Vortragsveranstaltungen führte Ursula HAVERBECK-WETZEL hierzu im ARD-Interview vom April 2015 aus: "Es kommen ganz unterschiedliche, alte und junge, gemischt, aber eben auch sehr viele Junge. Die Jungen wollen aber am liebsten hören, was wir am Anfang unseres Gesprächs behandelten, mein Leben im Dritten Reich. Das interessiert sie am meisten".66 In der SdR werden regelmäßig Beiträge veröffentlicht, die die Flüchtlingsthematik zum Anlass nehmen, rechtsextremistisches Gedankengut zu verbreiten und Hass gegenüber Asylsuchenden zu schüren. Ein "Versagen der Politik" wird propagiert, das nach Meinung der Autoren "Selbsthilfe" und "Gegenwehr" erzeugen könne. Gerade junge Menschen könnten dies als Aufforderung zu gewalttätigen Aktionen gegen Asylsuchende oder Flüchtlingsunterkünfte verstehen. 66 Vgl. SdR, Nr. 4+5/2015, "Das Panorama-Interview mit Ursula Haverbeck", Seite 14-25. 119 Rechtsextremismus 2.13 Verein Gedächtnisstätte e. V. Sitz / Verbreitung Sitz der Gesamtorganisation: Seevetal (Landkreis Harburg); Kulturund Tagungsstätte: Guthmannshausen (Thüringen) Gründung / 1992 Bestehen seit Struktur / Vereinsvorsitzender: Wolfram SCHIEDEWITZ Repräsentanz Mitglieder / Bund: 50 Anhänger / Land: 20 Unterstützer 2015 Veröffentlichungen Publikation: Veranstaltungsprogramm Kurzportrait / Ziele Der Verein Gedächtnisstätte e. V. wurde 1992 in Vlotho (Nordrhein-Westfalen) gegründet. Erste Vorsitzende war die Holocaustleugnerin Ursula HAVERBECK-WETZEL. Seit 2003 leitet Wolfram SCHIEDEWITZ aus Niedersachsen den Verein. Zielsetzung des Vereins ist die Errichtung einer "würdigen Gedächtnisstätte für die 12.000.000 deutsche(n) Opfer durch Bomben des Weltkrieges II, Verschleppung, Vertreibung und in Gefangenenlagern". Im August 2014 wurde eine solche Gedächtnisstätte auf dem Gelände des ehemaligen Rittergutes in Guthmannshausen (Thüringen) eingeweiht. Anwesend waren etwa 200 Rechtsextremisten, auch aus dem Ausland, u. a. HAVERBECK-WETZEL, der Deutschlandleiter der Europäischen Aktion (EA), Dr. Rigolf HENNIG. In seiner Rede kritisierte der Vorsitzende SCHIEDEWITZ eine angebliche Einseitigkeit deutscher Geschichtsbetrachtung. Bereits seit 2011 nutzt der Verein für seine Veranstaltungen das Kulturund Tagungszentrum Guthmannshausen. Regelmäßig finden dort Vortragsveranstaltungen zu kulturellen und aktuellen Themen mit Zeitzeugen und Historikern statt, darunter auch bekennende Revisionisten und Holocaustleugner sowie Vertreter rechtsextremistischer und anderer im rechtsextremistischen Spektrum agierender Organisationen und Medien. In geschichtsrevisionistischer Manier werden deutsche Kriegs verbrechen relativiert und die Kriegsschuld des NS-Regimes geleugnet. 120 Rechtsextremismus Finanzierung Mitgliedsbeiträge (Fördermitgliedschaft), Spenden, Nachlässe in geldwerter Form, Patenschaften für Gedenksteine Grund der Beobachtung / Verfassungsfeindlichkeit Die rechtsextremistische Ausrichtung des Vereins Gedächtnisstätte e. V. lässt sich aus der Beteiligung von Rechtsextremisten und der Zusammenarbeit mit Rechtsextremisten schließen. Durch die Relativierung der Opfer des NS-Regimes versucht der Verein, eine Revision der Geschichte zu betreiben. Darüber hinaus bietet er Rechtsextremisten eine Plattform für ihre Positionen. Die Flüchtlingsthematik ist als wichtiges und verbindendes Element im gesamten Rechtsextremismus zu sehen. In den Vorträgen des Vereins Gedächtnisstätte e. V. wird die Migration und Integration von Flüchtlingen aufgegriffen und als "Umvolkung" oder "Völkermord" bezeichnet. Die Art und Weise, wie gegen die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung agiert wird, steht dabei im Widerspruch zur deutschen Rechtsund Werteordnung und zum Grundrecht auf Asyl nach Artikel 16 a Abs. 2 des Grundgesetzes. Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum Der Verein Gedächtnisstätte e. V. organisierte im Jahr 2015 ein Sommerfest sowie monatliche Vortragsveranstaltungen. Daneben stellte er anderen rechtsextremistischen Organisationen seine Räumlichkeiten für Veranstaltungen zur Verfügung. Neues Projekt: "Ausstellung über die Vertreibung der Deutschen" Nachdem die Gedächtnisstätte im August 2014 offiziell eingeweiht wurde, kündigte der Vereinsvorsitzende SCHIEDEWITZ als nächstes Projekt eine "Ausstellung über die Vertreibung der Deutschen aus den Ostgebieten unseres Vaterlandes - ein völkerrechtswidriges Verbrechen, das nicht verjährt" an. Hierzu sollen das Nebengebäude der Gedächtnisstätte hergerichtet und entsprechende Exponate zusammengestellt werden. 121 Rechtsextremismus Agitation gegen "Überfremdung" und "Politikversagen" Hinsichtlich der Flüchtlingsthematik unterstützt der Verein Gedächtnisstätte e. V. "die beginnende Bürgerbewegung" um Pegida und andere Gruppierungen. Das Engagement stehe "im Andenken der vielen Millionen Toten, die für diese Ziele der jetzt Herrschenden nicht gestorben sind". Der Vereinsvorsitzende rief dazu auf, selbst aktiv zu werden, und appellierte: "Gehen Sie mit uns, damit wir unseren Kindern sagen können, wir haben alles in unserer Macht stehende getan, um das Unheil einer fremdbestimmten Zukunft abzuwenden." 67 SCHIEDEWITZ sieht sich im Kampf gegen eine angebliche Meinungsdiktatur und ruft zum Widerstand auf. Es gehe "um die wahrheitsgemäße Auseinandersetzung mit unserer Geschichte und den daraus abzuleitenden Erkenntnissen für die Gestaltung unserer unmittelbaren und fernen Zukunft".68 Antisemitische Verschwörungstheorien verbindet er mit der Flüchtlingsthematik und spricht hierbei von einer angeblichen gesteuerten und bereits seit langem geplanten "Überflutung unseres Landes mit Immigranten". Ziel sei die "Umvolkung Deutschlands und Europas", und dagegen gebe es nur ein Mittel: "Hier ist Widerstand von Nöten."69 Verbindungen zu anderen rechtsextremistischen Organisationen Der Verein Gedächtnisstätte e. V. verfügt über diverse Kontakte zu rechtsextremistischen Organisationen, u. a. zur Schlesischen Jugend e. V. (SJ), zum Freundschaftsund Hilfswerk Ost e. V. (FHwO) und zur Jungen Landsmannschaft Ostdeutschland (JLO), aber auch zur NPD, zu neonazistischen Freien Kräften und zur Europäischen Aktion (EA).70 Diese Kontakte zeigen die Bemühungen des Vereins, ein organisationsübergreifendes Netzwerk aufzubauen. SCHIEDEWITZ selbst sieht das Kulturund Tagungszentrum Guthmannshausen als "Mittelpunkt, welches an nationaler und internationaler Bedeutung gewinnt".71 67 Vgl. 1. Halbjahresprogramm 2015, Einleitung des 1. Vorsitzenden. 68 Vgl. 2. Halbjahresprogramm 2015, Einleitung des 1. Vorsitzenden. 69 Vgl. Flugblatt "Gedächtnisstätte Zukunft braucht Herkunft, Vorwort 1. Vorsitzender, 08.09.2015. 70 Vgl. Kapitel 2.11. 71 Vgl. 1. Halbjahresprogramm 2016 mit Weihnachtsgrüßen des 1. Vorsitzenden. 122 Rechtsextremismus Bewertung, Tendenzen, Ausblick Unter dem Deckmantel des Gedenkens an die deutschen Opfer des Zweiten Weltkrieges agitiert der 1992 gegründete rechtsextremistische Verein Gedächtnisstätte e. V. gegen den demokratischen Verfassungsstaat und versucht, geschichtsrevisionistisches Gedankengut in demokratische Bevölkerungskreise zu transportieren. Hierzu organisiert er regelmäßig im Kulturund Tagungszentrum in Guthmannshausen Vortragsveranstaltungen mit Zeitzeugen und Historikern, aber auch mit jungen Aktivisten rechtsextremistischer Gruppierungen. Die vielfältigen Verbindungen des Vereins zu rechtsextremistischen Gruppierungen und Parteien sowie in die rechtsextremistische Skinheadund Kameradschaftsszene belegen dessen Netzwerkstruktur. Zeugnis dafür war die beträchtliche Teilnahme von Vertretern rechtsextremistischer Organisationen an den Einweihungsfeierlichkeiten im August 2014, ebenso wie am Sommerfest des "Freundeskreises Udo Voigt" (NPD) im Juli 2015 auf dem Vereinsgelände. 2.14 Intellektualisierungsbemühungen im Rechtsextremismus Seit Beginn der 1980er Jahre bemüht sich ein kleiner Kreis rechtsextremistischer Intellektueller, Einfluss auf gesellschaftliche Diskurse zu nehmen. Das Ziel ist die kulturelle Vorherrschaft. Ihr soll langfristig ein Systemwechsel folgen. Diese Variante des Rechtsextremismus, die abseits der Agitation der meisten Gruppierungen des organisierten Rechtsextremismus in verschiedenen rechtsextremistischen Zirkeln, Publikationen und Verlagen zu finden ist, wird oft mit dem Begriff Neue Rechte umschrieben.72 Hinter dem von der Neuen Rechten verfochtenen Konzept des Ethnopluralismus verbirgt sich eine fremdenfeindliche Grundtendenz. Der Ethnopluralismus stellt die kulturellen Unterschiede der Menschen in den Vordergrund und propagiert die kulturelle, 72 Die mit dem Begriff Neue Rechte bezeichnete ideologische Strömung beruft sich auf die "Konservative Revolution", eine intellektuelle Strömung antidemokratischen Denkens in der Weimarer Republik. Der Begriff wird aber nicht einheitlich verwendet. Manche Autoren erfassen mit diesem Begriff den um Theoriebildung bemühten Teil des Rechtsextremismus in seiner Gesamtheit. 123 Rechtsextremismus möglichst aber auch räumliche Trennung ethnischer Gruppen. Ausgehend von einer homogenen Ethnie lehnen Vertreter der Neuen Rechten Einwanderung als "volksgemeinschaftsschädlich" ab. Die von einem elitären Bewusstsein getragenen Theorie zirkel der Neuen Rechten zielen nicht auf eine breitere Rezeption ihrer Denkansätze. Ihre philosophisch überhöhten Ausführungen dürften allerdings die Aufnahmefähigkeit und -bereitschaft der meisten organisierten Rechtsextremisten überfordern. Die Schriften der Neuen Rechten richten sich infolgedessen an einen anderen Adressatenkreis, an Personen mit gesellschaftlichem und wirtschaftlichem Einfluss. Sie zu beeinflussen, wäre ein Schritt auf dem Wege zur angestrebten kulturellen Hegemonie. 2.15 Gesellschaft für Freie Publizistik e. V. (GFP) Sitz / Verbreitung Sitz des Vereins: Wahlsburg (Hessen) Gründung / 1960 (Gründung und Eintragung als Verein) Bestehen seit Struktur / Vorsitzender: Martin PFEIFFER; auf Landesebene existieren Repräsentanz Arbeitskreise, u. a. der Arbeitskreis Südniedersachsen, Nordhessen und Westfalen, in dem auch vereinzelt Personen aus Niedersachsen mitarbeiten Mitglieder / Bund: ca. 400 Anhänger / Land: 15 Unterstützer 2015 Veröffentlichungen Publikationen: Mitteilungsblatt Das Freie Forum (vierteljährlich), GFP-Kongress-Report (jährlich) Kurzportrait / Ziele Die Gesellschaft für Freie Publizistik e. V. (GFP) ist die größte rechtsextremistische Kulturvereinigung. Ihr gehören vor allem Verleger, Buchhändler, Redakteure und Schriftsteller an. Als Zusammenschluss rechtsextremistischer Intellektueller versucht die GFP, Einfluss auf die Gesellschaft zu nehmen. Ziel ist die kulturelle Vorherrschaft, der langfristig ein Systemwechsel folgen soll. 124 Rechtsextremismus Finanzierung Mitgliedsbeiträge, Spenden und Versteigerungen von "Kunstwerken" Grund der Beobachtung / Verfassungsfeindlichkeit Seit Beginn der 1980er Jahre bemüht sich ein kleiner Kreis rechtsextremistischer Intellektueller, zu denen auch Mitglieder der GFP zählen, Einfluss auf gesellschaftliche Diskurse zu nehmen. Ihr Ziel ist die kulturelle Vorherrschaft, der langfristig ein Systemwechsel folgen soll. Diese Variante des Rechtsextremismus, die in verschiedenen rechtsextremistischen Denkzirkeln, Publikationen und Verlagen zu finden ist, wird oft mit dem Begriff Neue Rechte umschrieben. Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum Jahreskongress der GFP vom 29. bis 31. Mai 2015 in Kirchheim (Thüringen) Der Jahreskongress der GFP zum Thema "Hilfssheriff der USA - Deutschlands Rolle in der Welt" fand vom 29. bis 31.05.2015 in Kirchheim statt. Vor etwa 120 Teilnehmern nahmen mehrere Redner Stellung zu dem Verhältnis zwischen der Bundesrepublik und den Vereinigten Staaten von Amerika. Mit dem Vorwurf der sogenannten Nibelungentreue (Kongress-Report 2015, S. 7) der deutschen Regierung zu den USA wurde die Veranstaltung von PFEIFFER und dem als Redner eingeladenen ehemaligen EU-Abgeordneten Harald NEUBAUER eingeleitet. Ihre Forderung lautete, "Deutschland sollte nicht länger Vasall eines Imperiums sein" (ebd., S. 39). Bewertung, Tendenzen, Ausblick Die GFP ist seit geraumer Zeit die einzige sich theoretisch betätigende Organisation, der ein gewisser Einfluss auf den rechtsextremistischen Theoriediskurs zugesprochen werden kann. Jedoch finden diese Intellektualisierungsbemühungen kaum Beachtung in der rechtsextremistischen Szene. Die Theoretiker der Neuen Rechten haben derzeit nur geringen Einfluss auf die Akteure und Organisationen des "alten" Rechtsextremismus. Ihre Zielgruppe sind vorrangig elitäre, theoriegeleitete Denkzirkel und weniger aktionsorientierte neonazistische Kameradschaften. 125 Rechtsextremismus 2.16 Immobiliengeschäfte mit rechtsextremistischem Hintergrund Im Jahr 2004 hat das Niedersächsische Ministerium für Inneres und Sport eine Beauftragte/einen Beauftragten für Immobiliengeschäfte mit rechtsextremistischem Hintergrund bestellt. Die Tätigkeit der beauftragten Person ist seit 2007 eingebunden in das Beratungskonzept des Niedersächsischen Verfassungsschutzes zur "Förderung von Handlungsmöglichkeiten gegen Rechtsextremismus in den Kommunen". Seit einer Reihe von Jahren versuchen Rechtsextremisten Immobilien zu erwerben, die dafür geeignet sind, in ihnen Schulungen und Veranstaltungen durchzuführen, und die als örtliche Treffpunkte oder Anlaufstellen dienen können. Nicht immer steht hinter dem Interesse an einer Immobilie jedoch auch eine reale Kaufabsicht. Häufig nutzen Rechtsextremisten das Bekanntwerden ihrer angeblichen Kaufabsicht, um sich in den Medien zu profilieren und um finanzielle Vorteile zu erzielen. Denn oftmals führt der öffentliche Protest gegen einen Immobilienkauf durch Rechtsextremisten dazu, dass Kommunen sich gezwungen sehen, ihr Vorkaufsrecht auszuüben oder das Objekt freihändig zu erwerben - nicht selten zu einem unangemessenen, hohen Preis. Bei solchen politisch motivierten Scheingeschäften kann es vorkommen, dass der Verkäufer an die Rechtsextremisten für ihre "Bemühungen" eine Provision zahlt. Es ist davon auszugehen, dass Rechtextremisten weiterhin - zur Verbreiterung ihrer Basis und damit zur Festigung ihrer Strukturen - Interesse am Erwerb von Immobilien haben. Insbesondere Leerstand-Immobilien in strukturschwachen ländlichen Räumen dürften als günstig zu erwerbende Objekte die Aufmerksamkeit von rechtsextremistischen Vereinigungen aber auch Einzelpersonen erwecken. 126 Rechtsextremismus Reale Kaufabsichten und Scheingeschäfte sind allerdings im Einzelfall schwer zu unterscheiden. Auch die rechtlichen Möglichkeiten der Kommunen und staatlichen Stellen variieren von Fall zu Fall. Wesentliche Aufgaben der beauftragten Person sind daher die Weitergabe vorhandener Erfahrungswerte, die rechtliche Beratung der betroffenen Kommunen, die Koordinierung der beteiligten Behörden und die Vermittlung von Kontakten zu sachverständigen Stellen. 2.17 Kontaktdaten Tel.: 0511-6709-282 E-Mail: immobilien@verfassungsschutz.niedersachsen.de 127 03 Linksextremismus Linksextremismus 3.1 Mitglieder-Potenzial73 Linksextremismus-Potenzial Bundesrepublik Deutschland 2014 2015 Marxisten-Leninisten und andere revolutionäre Marxisten 21.100 20.300 Autonome und sonstige gewaltbereite Linksextremisten74 6.900 7.100 Summe 28.000 27.400 Nach Abzug von Mehrfachmitgliedschaften 27.200 26.700 Davon gewaltorientierte Linksextremisten 7.600 7.70075 Linksextremismus-Potenzial Niedersachsen76 2014 2015 Marxisten-Leninisten und andere revolutionäre Marxisten 435 435 Autonome und sonstige gewaltbereite Linksextremisten 685 625 Summe 1.120 1.060 73 Die Zahlenangaben sind zum Teil geschätzt und gerundet. 74 In die Statistik sind nicht nur tatsächlich als Täter/ Tatverdächtige festgestellte Personen einbezogen, sondern auch solche Linksextremisten, bei denen lediglich Anhaltspunkte für Gewaltbereitschaft gegeben sind. Erfasst sind nur Gruppen, die feste Strukturen aufweisen und über einen längeren Zeitraum aktiv waren. Das Mobilisierungspotenzial der "Szene" umfasst zusätzlich mehrere tausend Personen. 75 Bis 2013 hat das Bundesamt für Verfassungsschutz bei der Darstellung des Personenpotenzials ausschließlich die Anzahl der gewaltbereiten Linksextremisten ausgewiesen. Ab 2014 gibt es nunmehr die Anzahl gewaltorientierter Linksextremisten an, in der die Zahl der gewaltbereiten Linksextremisten als Teilmenge enthalten ist. 76 Die für den Bund eingefügte Fußnote gilt entsprechend auch für Niedersachsen. Auf den Abzug von Mehrfachmitgliedschaften in Höhe von ca. 2 Prozent wie beim Bund ist verzichtet worden. 130 Linksextremismus 3.2 Einführung Für die Ideologie des deutschen Linksextremismus sind die beiden ideengeschichtlichen Grundströmungen des 19. Jahrhunderts, Marxismus und Anarchismus, fundamental. Linksextremisten greifen die in der amerikanischen Menschenrechtserklärung von 1776 und in der Französischen Revolution proklamierten Werte Freiheit und Gleichheit in radikaler Zuspitzung auf und wollen den demokratischen Rechtsstaat auch auf revolutionärem Wege überwinden, um ihn durch eine klassenlose bzw. herrschaftsfreie Gesellschaft zu ersetzen. Kommunistische Gruppierungen wollen das bestehende politische System überwinden und streben über die Errichtung einer Diktatur des Proletariats unter Führung einer "proletarischen Avantgarde" eine klassenlose Gesellschaft an. MarxistischLeninistische Organisationen wie die Deutsche Kommunistische Partei (DKP), die Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD), aber auch die extremistischen Teile der Partei DIE LINKE. halten daher an der Idee einer Revolution der Arbeiterklasse fest. Demgegenüber propagieren anarchistische Gruppierungen die Überwindung des bestehenden politischen Systems auf dem Wege massenhaften zivilen Ungehorsams77 und vorbildhafter Selbstorganisation. Linksextremistische Organisationen stimmen in der Notwendigkeit einer revolutionären Veränderung der bestehenden Verhältnisse überein, die das internationale Zusammenwirken aller revolutionären Kräfte erfordert (Internationalismus). Kommunismus und Anarchismus unterscheiden sich in der Bewertung der Freiheitsrechte. Überdeckt der übersteigerte Gleichheitsbegriff kommunistisch ausgerichteter Organisationen die individuellen Freiheitsrechte, lehnen anarchistische Gruppierungen staatliche Organisation und damit Machtstrukturen (Hierarchien) generell ab. Beide Richtungen orientieren sich an der Utopie einer klassenbzw. herrschaftsfreien Ordnung, d. h. der vollkommenen Befreiung des Menschen von allen gesellschaftlichen, politischen, ökonomischen und kulturellen Zwängen. Anarchisten, die in ih77 Ziviler Ungehorsam ist insbesondere bei den "gewaltfreien" Anarchisten der Verstoß gegen ein Gesetz aus Gewissensgründen; dabei wird bewusst in Kauf genommen, dafür bestraft zu werden. 131 Linksextremismus rem konkreten politischen Handeln diesen utopischen Entwurf vorzuleben versuchen, verneinen auf Zwang beruhende Zwischenstadien zur Realisierung dieser klassenlosen Gesellschaft wie die von Kommunisten angestrebte Diktatur des Proletariats. Das westliche Gesellschaftsmodell, d. h. die Marktwirtschaft sowie der demokratische Rechtsstaat und die ihn repräsentierenden Mächte, allen voran die USA und ihre Verbündeten, stehen für den Gegenentwurf zum ideologischen Weltbild der Linksextremisten und sind so eines ihrer zentralen Feindbilder. Die wechselweise als kapitalistisch oder neoliberal bezeichnete westliche Wirtschaftsordnung wird grundsätzlich als Ausbeutung des Menschen durch den Menschen abgelehnt. Linksextremisten wollen dem ihrer Meinung nach "entfesselten Kapitalismus" Einhalt gebieten und fordern, wie z. B. die Interventionistische Linke (IL) auf ihrer Internetseite, "Make capitalism history!". Ihre Kritik konzentriert sich vor allem auf die Großkonzerne, die NATO und ihre Führungsmacht, die USA. Die Verantwortung für internationale Konflikte und Krisen verorten sie im Westen.78 3.3 Aktuelle Entwicklungen im Linksextremismus Die Entwicklung des Linksextremismus wurde auch im Jahr 2015 weitgehend von der autonomen Szene bestimmt. Als Reaktion auf die bereits seit den 1990er Jahren zunehmende interne Kritik an der Theorieferne, der Unorganisiertheit und der Selbstbezogenheit der autonomen Bewegung, versuchen seit geraumer Zeit Teile von ihnen der Ideologie-, Organisationsund Bündnisfrage mehr Raum zu geben. Vor diesem Hintergrund sind in den letzten Jahren bundesweit verschiedene linksextremistische Bündnisse entstanden. Im undogmatischen Bereich hat sich mit den sogenannten Postautonomen ein Phänomen innerhalb der linksextremistischen Szene entwickelt, das die autonome Szene nachhaltig verändern könnte.79 78 Siehe Kapitel 3.4, Abschnitt "Kampf gegen Faschismus". 79 Für eine Erläuterung der Begriffe "dogmatisch" und "undogmatisch" siehe Kapitel 3.4, Abschnitt "Ereignisse und Entwicklungen". 132 Linksextremismus Postautonome Gruppierungen zeichnen sich durch eine breit gefächerte Bündnispolitik und den Willen aus, sich zu organisieren und zu vernetzen. Ideologisch orientieren sie sich an marxistisch-leninistischen Weltbildern, verzichten aber bewusst auf eine exakte ideologische Festlegung. Diese ideologische Unverbindlichkeit macht es ihnen möglich, sich auf der Basis von Minimalkonsensen bis weit in orthodoxe, aber auch nichtextremistische Kreise zu vernetzen. Sie wollen in einem langfristigen Prozess die herrschenden Verhältnisse überwinden und eine kommunistische Gesellschaft errichten. Für Niedersachsen sind diesbezüglich vor allem zwei bundesweite Zusammenschlüsse relevant. Hierbei handelt es sich um die Interventionistische Linke (IL) sowie um das Bündnis "... ums Ganze! Kommunistisches Bündnis" (uG). Autonome und Postautonome greifen gesamtgesellschaftlich relevante Themen auf, die die Menschen bis weit in die Mitte der Gesellschaft bewegen und zum zivilgesellschaftlichen Engagement herausfordern. Im Gegensatz zum bürgerlichen Protest, der frei ist von systemüberwindenden Forderungen, basiert der linksextremistische auf ideologischen Grundannahmen, für die eine prinzipielle Gegnerschaft zum politischen System der Bundes republik und seiner Wirtschaftsordnung kennzeichnend ist. Linksextremisten dienen ihre Themenfelder daher als Plattform für ihr eigentliches Ziel, den Kampf gegen den demokratischen Rechtsstaat. Erst wenn dieser überwunden ist, lassen sich ihrer Auffassung nach alle anderen gesellschaftlichen Probleme lösen. Im Jahr 2015 spiegelte sich diese Vorgehensweise insbesondere vor dem Hintergrund der Flüchtlingsproblematik und der Zunahme von Übergriffen auf Flüchtlingsunterkünfte bei den Themen "Antifaschismus" und "Antirassismus" wider, auch innerhalb der niedersächsischen linksextremistischen Szene. Während der Kampf gegen den Militarismus vom autonomen bzw. postautonomen Spektrum zurzeit eher nachrangig geführt wird, bleibt der Kampf gegen staatliche Repression wie in den Jahren zuvor von höchster Aktualität. Die Ereignisse des Jahres 2015, wie beispielsweise die gewaltsamen Ausschreitungen am 18.03.2015 am Rande der Neueröffnung des Gebäudes der Europäischen Zentralbank (EZB) in Frankfurt am Main, an denen sich auch niedersächsische 133 Linksextremismus Linksextremisten beteiligten, haben gezeigt, dass die Hemmschwelle von Linksextremisten zur Anwendung von Gewalt auch gegen Menschen weiterhin niedrig ist. Im Bereich des parteigebundenen Linksextremismus setzte sich die zunehmende politische Bedeutungslosigkeit der orthodox marxistisch-leninistisch ausgerichteten Parteien Deutsche Kommunistische Partei (DKP) und Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) weiter fort. Diese Bedeutungslosigkeit wird beispielsweise an kontinuierlich schwachen Wahlergebnissen von deutlich unter einem Prozent 80 sowie einer massiven Überalterung der Parteimitglieder deutlich. Vor diesem Hintergrund muss konstatiert werden, dass sowohl die DKP als auch die MLPD in der niedersächsischen Öffentlichkeit kaum wahrnehmbar sind und sie für die Beurteilung des linksextremistischen Gesamtpotenzials nur eine untergeordnete Rolle spielen. 3.4 Autonome, Postautonome und sonstige gewaltbereite Linksextremisten Sitz/Verbreitung Autonome / Postautonome Landesweite Präsenz mit Schwerpunkten in Braunschweig, Göttingen, Hannover, Oldenburg und Osnabrück Mitglieder / Bund: 6.300 Anhänger / Niedersachsen: 505 Autonome und 90 Postautonome Sympathisanten 80 DKP: Europawahl 2014: 0,1 Prozent; Landtagswahl 2013: nicht angetreten; Bundestagswahl 2013: nicht flächendeckend angetreten. MLPD: Europawahl 2014: 0,1 Prozent; Landtagswahl 2013: nicht angetreten; Bundestagswahl 2013: 0,1 Prozent. 134 Linksextremismus Publikationen göttinger Drucksache, Göttingen (wöchentlich) Alhambra, Oldenburg (alle zwei Monate) autonomes Blättchen, Hannover (unregelmäßig) Finanzierung Finanzierung von Aktionen und Kampagnen durch Spenden sowie Solidaritätsveranstaltungen, keine Mitgliedsbeiträge Kurzportrait / Ziele Das Ziel autonomer Gruppierungen ist es, den Staat und seine Institutionen auch gewaltsam abzuschaffen und durch eine "herrschaftsfreie Gesellschaft" zu ersetzen. Die autonome Bewegung kennt dabei keine mit kommunistischen Organisationen vergleichbare einheitliche Ideologie. Ihr Weltbild setzt sich vielmehr aus kommunistischen und anarchistischen Elementen zusammen. Die verschiedenen Gruppen der autonomen Bewegung finden sich über Aktionsund Themenfelder zusammen, die sich zu einem erheblichen Teil an aktuellen politischen Ereignissen und Problemfeldern orientieren. Diese Vorgehensweise soll dazu beitragen, den autonomen Widerstand öffentlich besser zu vermitteln, um so gesamtgesellschaftlich anschlussfähiger zu werden. Gegenwärtig sind vor allem die Themenfelder "Antifaschismus", "Antirassismus" und "Antirepression" für das autonome Spektrum in Niedersachsen von Bedeutung. Die autonome Szene sieht sich seit mehreren Jahren mit der Problematik konfrontiert, dass sie aufgrund interner Streitigkeiten und einer fehlenden Vernetzung oftmals nur sehr zersplittert agieren kann. Um diesem Umstand etwas entgegenzusetzen, haben sich bundesweit sogenannte postautonome Zusammenhänge etabliert, die mit langfristigen Bündnisstrukturen versuchen, die Autonomen aus der auch von ihnen selbst beklagten Krise zu holen. Für Niedersachsen sind dabei vor allem die Interventionistische Linke (IL) und das Bündnis ... ums Ganze! (uG) relevant. 135 Linksextremismus Grund der Beobachtung / Verfassungsfeindlichkeit Gemeinsames Ziel aller autonomen Gruppierungen ist es, den Staat und seine Institutionen gewaltsam abzuschaffen und durch eine "herrschaftsfreie Gesellschaft" zu ersetzen. Hiermit richten sie sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung und sind demnach verfassungsfeindlich (SS 3 Abs. 1 NVerfSchG). Ereignisse und Entwicklungen Autonome Gruppierungen sind nicht wie kommunistische Organisationen von einer einheitlichen Ideologie geprägt. Sie verknüpfen vielmehr Elemente kommunistischer und anarchistischer Weltbilder miteinander. Autonome im klassischen Sinne ver stehen sich zwar auch als undogmatische Linke 81 und streben wie die Vertreter der orthodoxen bzw. dogmatischen K-Gruppen 82 die sozialistische Revolution an, beantworten die "Organisationsfrage" aber anders. Sie lehnen eine staatliche Ordnung und jegliche Form von Hierarchien ab und sprechen sich für die Selbstorganisation des Zusammenlebens aus. Dem linksextremistischen Verständnis nach üben die "kapitalistischen Produktionsverhältnisse" Gewalt gegen ihre Bürger aus. Sie stellen eine auf gesellschaftlichen Strukturen wie Werten, Normen, Institutionen und Machtverhältnissen basierende "strukturelle Gewalt" gegenüber den Bürgern dar und hindern diese daran, sich ihren Anlagen und Möglichkeiten entsprechend frei zu entfalten. Aus dieser so empfundenen "Gewalt des Systems" leiten Autonome und sonstige gewaltbereite Linksextremisten ein vermeintliches Naturrecht auf gewaltsamen Widerstand ab. Linksextremistische Gewalt versteht sich demzufolge als "Gegengewalt", als reaktives und dadurch legitimes Mittel, um die 81 Als undogmatische Linke bezeichnet man linksradikale bis linksextremistische Gruppen, die sich in der Nachfolge der Außerparlamentarischen Opposition (APO) sahen. Diese häufig auch als "Spontis" bezeichneten Gruppen hielten die "Spontaneität der Massen" für das revolutionäre Element der Geschichte. Im Gegensatz zu Marxisten-Leninisten, die glaubten, für die Revolution sei eine Avantgarde-Partei vonnöten, die die Führung in eine bessere Zukunft übernehmen müsse, waren die Spontis eher "antiautoritär" ausgerichtet. Nicht Theorieschulungen und Parteiaufbau standen für sie im Vordergrund ihrer Aktivitäten, sondern "spontane", nichtsdestoweniger abgesprochene Aktionen in der Öffentlichkeit. 82 Der Begriff "K-Gruppen" ist eine Sammelbezeichnung für politische Gruppierungen wie den Kommunistischen Bund Westdeutschlands (KBW) oder die MLPD, die sich seit dem Ende der 1960er Jahre am Marxismus-Leninismus maoistischer Prägung orientieren und sich die Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zum Ziel gesetzt haben. 136 Linksextremismus herrschende Gewalt aufzubrechen und Veränderungen herbeizuführen. Aus diesem Grunde spielt die Anwendung von Gewalt weiterhin eine zentrale Rolle in der autonomen Szene, wie nicht zuletzt am 18.03.2015, dem Tag der Eröffnung des Neubaus der Europäischen Zentralbank (EZB) in Frankfurt am Main, beobachtet werden konnte. In Niedersachsen mobilisierten die beiden überregionalen Bündnisse IL und uG mit zahlreichen Vorbereitungsveranstaltungen zu diesen Protesten. In der Nacht vor dem 18.03.2015 reisten Protestteilnehmer mit Bussen und einem Sonderzug nach Frankfurt am Main. Der Sonderzug, der von Berlin über Hannover und Göttingen fuhr, war mit 900, hauptsächlich dem autonomen Spektrum zuzurechnenden Personen besetzt, etwa 250 davon aus Niedersachsen. Bei den Protesten, die über den ganzen Tag verteilt anhielten, waren insbesondere in den frühen Morgenstunden massive Ausschreitungen mit zahlreichen Sachbeschädigungen und teilweise lebensbedrohlichen Angriffen auf eingesetzte Polizeibeamte zu verzeichnen. Kampf gegen Faschismus Zentrales Anliegen der Autonomen ist der Kampf gegen Faschismus bzw. der "Antifaschismus", da dieser der Öffentlichkeit aus ihrer Sicht am besten zu vermitteln ist. So sind auch die gewalttätig verlaufenden Proteste von Frankfurt am Main in das Themenfeld "Antifaschismus" einzuordnen. Unter Rückgriff auf die von dem damaligen Vorsitzenden der Kommunistischen 137 Linksextremismus Internationale (Komintern), Georgi Dimitroff, im August 1935 auf dem VII. Weltkongress der Komintern in Moskau aufgestellten These, wonach der Faschismus "die offene terroristische Diktatur der reaktionärsten, am meisten chauvinistischen, am meisten imperialistischen Elemente des Finanzkapitals"83 sei, ist der Faschismus dem linksextremistischen Verständnis nach dem Kapitalismus immanent. Faschismus kann deshalb nur dann erfolgreich bekämpft werden, wenn zugleich auch seine Ursache, der Kapitalismus, beseitigt wird. Konsequenter Antifaschismus zielt daher für Linksextremisten immer zwangsläufig auch auf die kapitalistische Wirtschaftsund Gesellschaftsordnung, die es zu überwinden gilt. Der Neubau der EZB steht hierbei als Symbol für den Kapitalismus, wodurch Angriffe nach linksextremistischer Interpretation gerechtfertigt sind. Ein niedersächsisches Beispiel für den von Autonomen geführten Kampf gegen Faschismus stellen die z. T. von Linksextremisten initiierten Protestaktionen gegen den sogenannten "Trauermarsch" von Rechtsextremisten am 01.08.2015 in Bad Nenndorf (Landkreis Schaumburg) dar. Ziel der linksextremistisch beeinflussten Initiative "Kein Naziaufmarsch in Bad Nenndorf" war es, den Aufmarsch von Rechtsextremisten durch Massenblockaden zu verhindern. Es fanden mehrere Blockadeaktionen im Bad Nenndorfer Bahnhof sowie an einem Bahnübergang unter maßgeblicher Beteiligung von Autonomen statt. Rund 50 vermummte Personen bewarfen die Einsatzkräfte mit Feuerwerkskörpern und anderen Gegenständen. Nachdem bekannt wurde, dass der Bundesparteitag der Alternative für Deutschland (AfD) nicht in Kassel sondern am 28.11.2015 in Hannover stattfinden würde, begannen Gruppierungen des autonomen Spektrums, allen voran die zum Bündnis uG gehörende Gruppierung Fast Forward Hannover, zu einer Gegendemonstration in der niedersächsischen Landeshauptstadt zu mobilisieren. An den Protesten beteiligten sich sowohl Personen des demokratischen als auch des linksextremistischen Spektrums. Bis zum 83 Georgi Dimitroff, Die Offensive des Faschismus und die Aufgaben der Kommunistischen Internationale im Kampf für die Einheit der Arbeiterklasse gegen den Faschismus, in: ders., Gegen Faschismus und Krieg. Ausgewählte Reden und Schriften, Leipzig 1982, Seiten 49-136, hier Seite 52. 138 Linksextremismus Eintreffen des Demonstrationszuges am Tagungsort der AfD umfasste die Versammlung etwa 1.200 Personen, darunter circa 300 Autonome. Die Demonstration wurde von einem szenetypischen "schwarzen Block" angeführt, entsprechende Transparente und Lautsprecherdurchsagen - u. a. der bundesweite Slogan der antideutschen 84 Szene aus dem Sommer 2015 "Deutschland du mieses Stück Scheiße" - dominierten zeitweise das Geschehen. Antiimperialisten und Antideutsche Die sogenannten Antideutschen bildeten sich mit Beginn der 1990er Jahre als eine neue Strömung innerhalb des autonomen Spektrums heraus. Ideologisch wenden sie sich gegen einen vermeintlichen deutschen Nationalismus. Vor dem Hintergrund der deutschen Wiedervereinigung befürchteten ihre Aktivisten ein Erstarken des Nationalismus innerhalb der vereinigten Bundesrepublik und eine Rückkehr zum Nationalsozialismus. Im Zuge der Golfkriege von 1990 und 2003 solidarisierten sie sich bedingungslos mit dem Staat Israel und seiner Schutzmacht, den USA - eine für Autonome ungewöhnliche Haltung, da sie prinzipiell staatliche Strukturen, Institutionen und Repräsentanten ebenso ablehnen wie jegliche Form von Militär. Aus diesem Grunde kam es zum Bruch zwischen den Antideutschen, die eine Minderheitenposition innerhalb des autonomen Spektrums darstellten und darstellen, und den die autonome Szene dominierenden sogenannten Antiimperialisten mit ihrer ausgeprägten antiwestlichen, insbesondere antiamerikanischen und antiisraelischen Haltung. Dieser ideologische Bruch vollzieht sich dabei sowohl im autonomen als auch im postautonomen Spektrum. So ist beispiels weise die IL mit ihren niedersächsischen Ablegern in Hannover und Göttingen als antiimperialistisch zu charakterisieren, währenddessen das Bündnis uG eindeutig antideutsch geprägt ist. 85 Nicht selten führen diese Diskrepanzen zur Lähmung der autonomen Szene in der Antifaschismus-Arbeit, da beide Seiten nur bedingt miteinander kooperieren wollen. 84 Strömung, die sich gegen einen vermeintlichen deutschen Nationalismus richtet. 85 Die beiden Göttinger Gruppen Antifaschistische Linke International (A.L.I.) und Basisdemokratische Linke Göttingen (BLG) sind Teil der IL, während die Redical [M] die Göttinger Ortsgruppe des Bündnisses ...ums Ganze! bildet. In Hannover ist die Gruppierung Fast Forward Hannover im Bündnis ...ums Ganze! organisiert, darüber hinaus gibt es eine IL-Ortsgruppe Hannover. 139 Linksextremismus Kampf gegen Rassismus Weniger offen zutage treten die ideologischen Differenzen zwischen Antiimperialisten und Antideutschen im Aktionsfeld "Antirassismus", das im Zuge der sogenannten Flüchtlingskrise im Jahre 2015 innerhalb der autonomen Szene an Bedeutung gewonnen hat. Linksextremisten überspitzen ihre Kritik an bestehenden Asylund Flüchtlingsgesetzen und am Handeln von Ausländerbehörden, Polizei und Gerichten zum Vorwurf eines "systemimmanenten" Rassismus. Staatliche Repräsentanten und Akteure werden damit auf eine Stufe mit Rechtsextremisten gestellt und somit Forderungen nach der Abschaffung des politischen Systems legitimiert. So solidarisieren sich auch Teile des niedersächsischen linksextremistischen Spektrums mit den betroffenen Flüchtlingen und mobilisieren zu Resonanzkundgebungen. Darüber hinaus konzentrierten sich Autonome im Jahre 2015 in ihrem Kampf gegen Rassismus auch auf die im Grundsatz islamund fremdenfeindlich geprägte Bewegung Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes (Pegida). In kürzester Zeit entwickelte Pegida nach ihrer Gründung 2014 in Dresden Ableger in zahlreichen bundesdeutschen Städten, darunter auch in Hannover und Braunschweig. Ab Januar 2015 formierte sich in diesen beiden Städten ein spektrenübergreifender Widerstand gegen die niedersächsischen Pegida-Ableger Hannoveraner gegen die Islamisierung des Abendlandes (Hagida) und Braunschweig gegen die Islamisierung des Abendlandes (Bragida), an dem sich auch linksextremistische Personen beteiligten. Zu Protestaktionen gegen eine Demonstration der Bewegung Hagida unter dem Motto "Gemeinsam Rassismus bekämpfen" am 12.01.2015 riefen auch Linksextremisten auf. Unter die von zivilgesellschaftlichen Gruppierungen organisierte Kundgebung am Opernplatz in Hannover mit etwa 2.500 Personen mischten sich etwa 300 bis 400 Demonstranten aus dem linksextremistischen Spektrum, die vor allem die Polizei angriffen. 140 Linksextremismus Kampf gegen Repression Im Fokus linksextremistischer Auseinandersetzungen stand ebenfalls die Polizei auch bei einer Spontandemonstration am 18.05.2015. An diesem Tag wurde öffentlich, dass die Staatsanwaltschaft gegen einen Beamten der Bundespolizei der Wache des hannoverschen Hauptbahnhofes wegen Körperverletzung im Amt ermittelt. Dem Polizisten wurde vorgeworfen, Flüchtlinge misshandelt zu haben. Daraufhin versammelten sich noch am selben Nachmittag etwa 280 Angehörige des linksextremistischen bzw. linksextremistisch beeinflussten Spektrums zu einem spontanen Aufzug. Die Teilnehmer skandierten dabei Parolen wie "Bullenschwein wir kriegen dich, Übergriffe rächen sich". Vor dem Dienstgebäude der Bundespolizei wurden zudem Beamte von vermummten Personen getreten und bespuckt. Derartige Aktionen sehen Linksextremisten als notwendigen Teil ihres Kampfes gegen die (vermeintliche) staatliche Repression. Spricht man gewöhnlich von "Repression", wenn es um Unterdrückung und Menschenrechtsverletzungen in Diktaturen und autoritären Systemen geht, so übertragen Linksextremisten diesen Begriff auf die innenpolitische Situation in Deutschland. Sie verstehen unter Repression die Unterdrückung der individuellen, sozialen und politischen Entfaltung des Einzelnen durch gesellschaftliche Strukturen oder autoritäre Verhältnisse in Deutschland, insbesondere durch Handlungen staatlicher Exekutivorgane wie im oben geschilderten Fall der Polizei. 141 Linksextremismus Die Rote Hilfe Die bedeutendste Gruppierung, die sich in erster Linie der "Antirepressionsarbeit" widmet, ist der von Linksextremisten getragene Rote Hilfe e. V. (RH). Die RH wurde 1975 gegründet und ist in Göttingen ansässig. Über den Bundesverband hinaus existieren in Niedersachsen an den Standorten Braunschweig, Göttingen, Hannover und Osnabrück selbstständige Ortsgruppen. Ihre Hauptaufgabe sieht die RH im Kampf gegen "staatliche Repression", indem sie Rechtshilfe gewährt und Szeneangehörigen Anwälte vermittelt. Außerdem stellt sie zu besonderen Veranstaltungen, beispielsweise bei Demonstrationen, sogenannte Ermittlungsausschüsse bereit. Deren Aufgabe besteht darin, sich um Festgenommene zu kümmern und Rechtsanwälte zu vermitteln. Die RH begleitet strafprozessuale Maßnahmen u. a. mit Solidaritätsveranstaltungen und Kampagnen, um auf diese Weise die vermeintliche Repression staatlicher Behörden gegen politische Aktivisten zu "entlarven". Die RH sieht sich dabei als "Selbsthilfeorganisation für die gesamte Linke". Hierbei zeigt sich, dass die RH bewusst darauf verzichtet, sich von extremistischen Zusammenschlüssen zu distanzieren. Vielmehr ist ihrer Internetseite unter der Rubrik "Über uns" zu entnehmen: "Wir wollen nicht nur materielle, sondern auch politische Unterstützung leisten .... Deshalb suchen wir mit denen, die wir unterstützen, die politische Auseinandersetzung, nehmen eventuell auch zu ihrer Aktion Stellung. Aber wir machen vom Grad der Übereinstimmung nicht unsere Unterstützung abhängig." (veröffentlicht auf der Internetseite der Roten Hilfe, 08.01.2016) Da das Aktionsfeld "Antirepression" weiterhin einen hohen Stellenwert innerhalb des linksextremistischen Spektrums, insbesondere in der autonomen Szene, einnimmt, kann die RH seit mehreren Jahren einen kontinuierlichen Anstieg ihrer Mitgliederzahlen verbuchen. Gegenwärtig sind bundesweit rund 7.000 Personen in der RH organisiert, etwa 600 davon in Niedersachsen. 142 Linksextremismus Die Postautonomen Die autonome Szene leidet schon seit Jahren sowohl bundesweit als auch in Niedersachsen unter internen Streitigkeiten, Zersplitterung und unter einer hohen Fluktuation. So existieren autonome Gruppierungen zumeist nur für einen kurzen Zeitraum. Teile der autonomen Szene reflektieren diese Missstände schon seit längerem und versuchen, für konkrete Projekte Gruppenstrukturen und Netzwerke aufzubauen. Diese sich als postautonom bezeichnenden Gruppierungen haben ihre Wurzeln zwar im klassischen autonomen Spektrum, können aber unter wesentlichen Gesichtspunkten nicht mehr als dessen Bestandteil angesehen werden. Mit ihrer Selbstbezeichnung als "Postautonome" bringen sie zum Ausdruck, dass sie sich selbst zwar nach wie vor als Autonome verstehen, gleichwohl aber einige grundlegende Merkmale der Autonomen in Frage stellen und sich als deren Weiterentwicklung verstehen. Ihre Politik ist langfristig angelegt und verfolgt eine Strategie der kleinen Schritte. Dabei ist ein wichtiger Aspekt die weitgefächerte Bündnispolitik, mit der eine breite Öffnung hin zu bislang unpolitischen Bevölkerungsschichten verbunden ist. Die Postautonomen beabsichtigen, über die gezielte Zuspitzung aktueller politischer (Krisen-)Themen möglichst viele Personen zu erreichen und mittelfristig zu radikalisieren. So waren sie an zentraler Stelle an der Organisation der oben beschriebenen Proteste gegen die Eröffnung des Neubaus der EZB in Frankfurt am Main ebenso beteiligt wie an den Demonstrationen gegen den G7-Gipfel 86 der führenden Wirtschaftsnationen vom 07. bis 08.06.2015 im bayerischen Elmau. Maßgeblicher Impulsgeber für die bundesweite Vernetzung des Protestes gegen den G7-Gipfel war das Bündnis Stop G7 Elmau, in dem neben nichtextremistischen Strukturen auch Gruppen des gewaltorientierten linksextremistischen Spektrums vertreten waren. Das Aktionsbündnis distanzierte sich im Vorfeld der Proteste jedoch nicht von "militanten" Aufrufen linksextremistischer Gruppierungen, stattdessen erklärte man sich "solidarisch mit allen Kräften, die sich mit ihren 86 Auf den jährlichen G7-Treffen sind die Staatsund Regierungschefs aus Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien, Japan, Kanada und den Vereinigten Staaten vertreten. 143 Linksextremismus Aktionen gegen den Gipfel richten". Innerhalb des Bündnisses Stop G7 Elmau nahm u. a. die postautonome IL eine exponierte Position ein. Die positive Würdigung der Proteste durch das Bündnis Stop G7 Elmau entspricht nicht den tatsächlichen Gegebenheiten. Sowohl mit Blick auf die Teilnehmerzahlen als auch auf die selbst gesteckten Ziele, wie die Blockade des Gipfelgeländes, blieben die Proteste weit hinter den Erwartungen der linksextremistischen Szene zurück. Interventionistische Linke (IL) Die IL entstand 1999 als eine "strategische Verabredung" undogmatischer Linksextremisten verschiedener Strömungen. In sogenannten Beratungstreffen fanden sich Gruppierungen und Einzelpersonen zusammen, um Überlegungen anzustellen, wie die Handlungsfähigkeit und Wahrnehmbarkeit der "radikalen Linken" in der Bundesrepublik Deutschland erhöht werden könne. Ab 2004 wurden diese Treffen gezielt für linksextremistische Gruppen aus dem postautonomen Spektrum geöffnet. Es entstand ein bundesweit agierendes Netzwerk aus linksextremistischen Gruppierungen und Einzelaktivisten, dem aber auch im geringen Maße nichtextremistische Personen angehörten. Um eine Anschlussfähigkeit an das demokratische Spektrum herzustellen, bemüht sich die IL um ein gemäßigteres äußeres Erscheinungsbild, als es sonst in der autonomen Szene üblich ist. So sind ihre Protagonisten beispielsweise bei Demonstrationen bereit, auf szenetypische Kleidung und die Anwendung von Gewalt zu verzichten. Dabei handelt es sich jedoch um ein rein taktisches Verhalten, das eine latent vorhandene Militanz nicht ausschließt. Daher nimmt die IL eine Scharnierfunktion zwischen dem gewaltorientierten linksextremistischen Spektrum, den dogmatischen Linksextremisten und dem demokratischen Protest ein. Dieser Umstand ermöglicht es der IL, Mobilisierungserfolge zu erzielen und unterstreicht gleichermaßen die wachsende Bedeutung des Netzwerkes für die gesamte linksextremistische Szene. Ihre verfassungsfeindliche Ausrichtung dokumentiert die IL in ihrem Faltblatt zur "Zweiten offenen Arbeitskonferenz" im April 2008 in Marburg, deren Ergebnisse unverändert ihre Aktionen bestimmen: 144 Linksextremismus "Eine radikale Linke wird im Dazwischengehen deshalb immer auch sag-, sichtund streitbar machen, dass rebellische Wünsche und emanzipatorische Kämpfe konsequent nur in einer Politik des offensiven Bruchs mit den bestehenden Herrschaftsverhältnissen ausgefochten werden können." (veröffentlicht auf der Internetseite der IL, 02.12.2014) Gegenwärtig bestehen in 26 deutschen Städten sowie in Graz und Wien (Österreich) Ortsgruppen der antiimperialistisch ausgerichteten IL, zwei davon in Niedersachsen (Hannover und Göttingen). Die IL folgt dabei eigentlich dem Prinzip, wonach pro Stadt nur eine einheitliche Ortsgruppe bestehen soll. In Göttingen ist diese Ausrichtung jedoch bislang nicht angenommen worden. Dort sind die beiden Gruppierungen Antifaschistische Linke International (A.L.I.) und Basisdemokratische Linke weiterhin eigenständige Mitglieder der IL. Bündnis ...ums Ganze! Kommunistisches Bündnis (uG) Ein weiteres postautonomes Bündnis mit niedersächsischer Beteiligung stellt das Bündnis uG dar. In ideologischer Abgrenzung zur IL ist das Bündnis uG dem antideutschen Lager zuzurechnen. Folgt man der Selbstdarstellung des Bündnisses, so wurde es 2006 gegründet, um "linksradikale Gesellschaftskritik überregional zu organisieren und handlungsfähig zu machen." Nach eigener Aussage geht es dem Bündnis uG dabei nicht nur um eine "Kritik, für die es weder Institutionen noch Parlamente noch feste Verfahren" gebe, sondern auch um die "Kritik gesellschaftlicher Herrschaft als ganzer". Das postautonome Bündnis strebt nach einer herrschaftsfreien kommunistischen Gesellschaft. Wie diese Gesellschaftsform konkret aussehen soll, bleibt jedoch, wie so oft im undogmatischen Linksextremismus, äußerst diffus. 145 Linksextremismus Derzeit ist das Bündnis uG ein Zusammenschluss von zwölf Gruppen, von denen die Gruppierungen Fast Forward Hannover sowie die Redical [M] aus Göttingen in Niedersachsen ansässig sind. Bewertung, Tendenzen, Ausblick Die kriegerischen Konflikte im Nahen und Mittleren Osten sowie in Nordafrika haben in den letzten Jahren neben dem Kampf gegen den Faschismus das Themenfeld "Antirassismus" in den Mittelpunkt der Aktivitäten der autonomen Szene gerückt. Vor dem Hintergrund weiter hoher Zuwanderungszahlen und rechtsextremistisch motivierter Übergriffe auf Flüchtlinge, ist auch 2016 davon auszugehen, dass die Auseinandersetzung mit "Faschismus" und "Rassismus" dominierende Themen der autonomen Szene sein werden. Sollten die Anschläge auf Flüchtlingsheime zunehmen und die Übergriffe auf Flüchtlinge sich ausweiten, ist eine weitere Radikalisierung des (post-)autonomen Milieus nicht auszuschließen. Mit einer Zunahme der von Linksextremisten ausgehenden Gewalttaten, vor allem gegenüber Polizisten und Rechtsextremisten bzw. denjenigen, die Autonome für Rechtsextremisten halten, ist daher zu rechnen. Auch wenn die Auseinandersetzungen um die Flüchtlingsfrage den linksextremistischen Themenfeldern "Antifaschismus" und "Antirassismus" in der letzten Zeit wieder Auftrieb gegeben haben, ist nicht zu übersehen, dass sich die autonome Szene bereits seit geraumer Zeit in einer Identitätskrise befindet. Die Fusion bzw. Auflösung verschiedener autonomer Gruppierungen ist dafür ein Beispiel. Es ist daher nicht auszuschließen, dass dieser Trend sich bundesweit fortsetzt und auch Niedersachsen erreicht. Vor allem der Misserfolg, den linksextremistische Bündnisse wie die IL im Zusammenhang mit den Protesten gegen den G7-Gipfel in Elmau hinnehmen mussten, kann die Bemühungen der Postautonomen zur Reorganisierung der linksextremistischen Szene konterkarieren und zur weiteren Auflösung und Zersplitterung vor allem des autonomen Milieus führen. 146 Linksextremismus 3.5 Anarchisten Sitz / Verbreitung Anarchisten Mit Ausnahme der Freien Arbeiterinnenund Arbeiter-Union (FAU) existieren in Niedersachsen gegenwärtig keine gefestigten anarchistischen Strukturen. Die FAU unterhält in Hameln, Hannover und Celle einzelne Ortsgruppen, zudem existiert eine Jugendgruppe in Göttingen. Mitglieder / Bund: 800 Anhänger / Niedersachsen: 30 Sympathisanten Publikationen "Gai Dao" (Publikation der Föderation deutschsprachiger Anarchisten; erscheint monatlich) "Direkte Aktion" (Publikation der FAU; erscheint zweimonatlich) Finanzierung Finanzierung von Aktionen und Kampagnen durch Spenden sowie Solidaritätsveranstaltungen, bei der FAU auch Mitgliedsbeiträge Kurzportrait / Ziele Neben dem Kommunismus ist der moderne Anarchismus der zweite grundlegende Ideologiestrang des Linksextremismus. Beide Strömungen setzen sich dafür ein, die bestehende Ordnung zu überwinden. Anarchisten streben diesbezüglich die unmittelbare Errichtung einer herrschaftsfreien Gesellschaftsordnung an, in der der Mensch von allen politischen, ökonomischen und kulturellen Zwängen befreit leben kann. Im Anarchismus nimmt die individuelle Freiheit den höchsten Stellenwert ein. Vor diesem Hintergrund negieren Anarchisten sämtliche Hierarchieund Herrschaftsformen. Zudem sprechen sie nicht nur dem Staat und seinen Institutionen, sondern ebenso der (sozialen) Marktwirtschaft jegliche Existenzberechtigung ab. Als kleinste Einheit des anarchistischen Zusammenlebens gilt die sogenannte Kommune, im ökonomischen Bereich wird die Gründung föderal strukturierter Genossenschaften und Syndikate angestrebt. 147 Linksextremismus Der Anarchismus ist aber keineswegs als geschlossener Theorieblock zu verstehen. Vielmehr verbergen sich hinter dem Begriff verschiedene Strömungen mit z. T. sehr unterschiedlichen Konzepten. Unter den niedersächsischen Anarchisten ist der eher praxisorientierte Anarchosyndikalismus am stärksten vertreten. 87 So orientiert sich z. B. die FAU an anarchosyndikalistischen Konzepten. Grund der Beobachtung / Verfassungsfeindlichkeit Gemeinsames Ziel aller anarchistischen Gruppierungen ist es, den Staat und seine Institutionen abzuschaffen und durch eine "herrschaftsfreie Gesellschaft" zu ersetzen. Hiermit richten auch sie sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung und sind demnach verfassungsfeindlich (SS 3 Abs. 1 NVerfSchG). Ereignisse und Entwicklungen im Berichtszeitraum Zu einer der größten anarchosyndikalistischen Gruppierungen in Deutschland zählt die 1977 gegründete Freie Arbeiterinnenund Arbeiter-Union (FAU). Sie versteht sich als eine nach basisdemokratischen Prinzipien aufgebaute Gewerkschaft und war im "weltweiten Kampf der Anarchosyndikalisten" bis 2014 das deutsche Mitglied der Internationalen ArbeiterInnen Assoziation (IAA), einem international agierenden Zusammenschluss von anarchosyndikalistischen Gewerkschaften. Nach ihrem Ausscheiden aus der IAA verabschiedete die FAU auf ihrem Jahreskongress 2015 einen neuen Grundlagentext, der die Prinzipien und Grundlagen der FAU regelt. In den beiden Kapiteln "Grundsätze und Ziele" sowie "Kritik der bestehenden Verhältnisse" hält die FAU darin an ihren bekannten Argumentationsmustern fest: 87 Unter Anarchosyndikalismus versteht man eine gewerkschaftliche Organisierung, die auf anarchistischen Prinzipien beruht. Ziel ist es, das bestehende Staatssystem revolutionär zu überwinden und durch ein klassenund staatenloses System zu ersetzen. Für weitere Informationen siehe: Armin Pfahl-Traughber, Linksextremismus in Deutschland. Eine kritische Bestandsaufnahme, Wiesbaden 2014, Seite 55ff. 148 Linksextremismus "Wir streben die Überwindung des Kapitalismus an. ... Wir beziehen uns (dabei) auf die Ideen des Anarchosyndikalismus. ... Kapitalismus ist kein Naturgesetz, sondern lediglich ein von Menschen geschaffenes Verhältnis, das durch kollektives Handeln der Arbeitenden aufgehoben werden kann." (veröffentlicht auf der Internetseite der FAU, 11.01.2015) Der von der FAU somit angestrebte Systemwechsel soll dabei von basisdemokratisch strukturierten Lokalund Betriebsgruppen organisiert werden, die unter Rückgriff auf direkte und z. T. auch militante Aktionsformen, wie z. B. Fabrikbesetzungen, Streiks und Sabotageaktionen, vor Ort agieren sollen. Mit ihrem Engagement für Gewerkschaftsbelange und ihren Solidarisierungsbekundungen mit streikenden Arbeiterinnen und Arbeitern versucht die FAU anschlussfähig zu werden und neue Mitglieder für ihre über diese Themen hinausgehenden systemablehnenden Ziele zu gewinnen. Weiterhin besteht in Göttingen die der FAU nahe stehende Anarcho-syndikalistische Jugendorganisation Göttingen/Südniedersachsen (ASJ). Diese versteht sich selbst als "... eine lokalistische und anarcho-syndikalistische Gruppe und Teil eines Netzwerkes aus anarcho-syndikalistischen und/oder daran orientierten libertären Jugendgruppen." (veröffentlicht auf der Internetseite der ASJ Göttingen/Südniedersachsen, 18.01.2016) Die ASJ organisiert in Göttingen regelmäßig öffentliche Abende und beteiligt sich an szenetypischen Demonstrationen und Kundgebungen, so auch im Jahr 2015. Neben der ASJ Göttingen/ Südniedersachen agieren im Bundesgebiet noch mindestens vier weitere Jugendorganisationen. Bewertung, Tendenzen, Ausblick Anarchistische Organisationen sind generell von nachrangiger Bedeutung. Allein aufgrund ihrer theoretischen Zersplitterung dürfte sich daran auch künftig kaum etwas ändern. Für das Jahr 2016 ist davon auszugehen, dass der Anarchosyndikalismus weiterhin der am stärksten wahrnehmbare Teil des anarchistischen Spektrums in Deutschland und Niedersachsen bleiben wird. Diesbezüglich gilt es vor allem zu beobachten, ob das Ausscheiden der FAU aus der IAA zu Veränderungen in der politischen Betätigung dieser anarchosyndikalistischen Gruppierung führen wird. 149 Linksextremismus 3.6 Offen extremistische Zusammenschlüsse in der Partei DIE LINKE. Kommunistische Sozialistische Linke Antikapitalistische Plattform (KPF) (SL) Linke (AKL) Sitz Berlin Berlin Berlin Gründung 1995 2006 2006 Mitglieder 88 Bund: ca. 1.200 Bund: ca. 800 Bund: ca. 550 Veröffentlichungen Mitteilungen der "realistisch und ausschließliche VerKommunistischen radikal" öffentlichung auf Plattform (1-2 x jährlich der Internetseite (monatlich) erscheinendes Debattenheft) Kurzportrait / Ziele In Niedersachsen agieren drei offen extremistische Zusammenschlüsse. Hierbei handelt es sich um die Kommunistische Plattform (KPF), die Sozialistische Linke (SL) sowie die Antikapitalistische Linke (AKL). Die KPF ist der mitgliederstärkste offen extremistische Zusammenschluss innerhalb der Partei DIE LINKE. Sie versteht sich laut ihrer Satzung als ein "bundesweiter Zusammenschluss von Kommunistinnen und Kommunisten in der Partei", der nach wie vor an marxistisch-leninistischen Zielen und Traditionen festhält. Die von trotzkistischen Gruppierungen getragene SL charakterisiert sich demgegenüber in ihrem Debattenheft "realistisch und radikal" selbst als "gewerkschaftlich orientierte Strömung der Partei DIE LINKE.", deren Ziel es sei, den Widerspruch zwischen Kapital und Arbeit im öffentlichen Diskurs darzulegen, um so die Lebensverhältnisse der Mehrheit zu verbessern 88 Die hier angegebenen Mitgliederzahlen beziehen sich allesamt auf die Bundes ebene, entsprechende Mitgliederzahlen für die niedersächsische Landesebene liegen hier nicht vor. 150 Linksextremismus und die Macht des Kapitals zu brechen 89. Wie einem Antrag an die SL-Bundesversammlung im Januar 2015 zu entnehmen ist, orientiert sich die SL dabei ideologisch u. a. an den Traditionen des Marxismus, um so "die Widersprüche der bürgerlichen Gesellschaft aufzuspüren und ihre Gefahren und Potenziale zu entdecken".90 Auf ihrer Internetseite bezeichnet sich die AKL als "politische Strömung in der Partei DIE LINKE.", welche "als Brückenglied zwischen der Partei und den außerparlamentarischen Bewegungen" steht und "sich für die weitere Stärkung des antikapitalistischen Profils der Partei" einsetzt. In ihrem aktuellen Grundsatzaufruf wird die Ersetzung der gegenwärtigen deutschen Gesellschaftsordnung durch den Sozialismus von der AKL verlangt und als Hauptziel des innerparteilichen Zusammenschlusses festgeschrieben. Grund der Beobachtung / Verfassungsfeindlichkeit Die Voraussetzungen nach SS 3 Abs. 1 NVerfSchG für eine Beobachtung der Gesamtpartei DIE LINKE. bestehen seit dem Jahr 2013 in Niedersachsen nicht mehr. Es liegen jedoch für die drei hier aufgeführten innerparteilichen Zusammenschlüsse der Partei DIE LINKE. Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung vor, da diese sich zum Ziel gesetzt haben, das gegenwärtige politische System der Bundesrepublik zu überwinden. Ereignisse und Entwicklungen Die Partei DIE LINKE. hat ihre Wurzeln in der 1989 aus der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) hervorgegangenen Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS), die sich im Juli 2005 in Linkspartei.PDS umbenannte und am 16.06.2007 mit der Partei Arbeit & soziale Gerechtigkeit - Die Wahlalternative (WASG) zur Partei DIE LINKE. fusionierte. 89 Vgl. realistisch und radikal, Nr. 3, 1. Quartal 2014, Seite 4. 90 Veröffentlicht auf der Internetseite der SL, 05.01.2016. 151 Linksextremismus Kommunistische Plattform (KPF) Deutlich wird das oben angesprochene marxistisch-leninistische Profil der KPF unter anderem im stetigen Rückgriff auf Argumentationsmuster des orthodoxen Marxismus. So wird z. B. im Bericht des Bundessprecherrats vom 29.11.2015 festgestellt, dass vom US-Imperialismus die mit Abstand größte Gefährdung für die Existenz unseres Planeten ausgehe. Der Bundessprecher stellt in derselben Rede die Sichtweise der KPF dar: "Die EU - und ihre Vorläufer, Montanunion, EWG und EG - sind ganz bestimmt nicht gegründet worden, damit alle europäischen Völker solidarisch miteinander leben und Kriege für alle Zeiten ausgeschlossen werden. Vielmehr ging es darum, durch die Beendigung der europäischen Kleinstaaterei günstigere Verwertungsbedingungen für das Kapital zu schaffen, das europäische Kapital konkurrenzfähiger zu machen und - wirklich nicht zuletzt - darum, eine machtvolle Gegnerschaft zum gewesenen europäischen Sozialismus zu entwickeln, mit dem Ziel, ihn letztlich zu beseitigen." (Mitteilungen der KPF, Heft 12/2015, Seite 3) Vor dem Hintergrund der überaus positiven Beurteilung des ehemals "real existierenden Sozialismus" durch die KPF überrascht es nicht, dass sie sich seit jeher selbst die Pflicht auferlegt hat, dass die Auseinandersetzung um die Geschichte eines ihrer Hauptbetätigungsfelder bleibe. Zur Verdeutlichung des revisionistischen Geschichtsverständnisses der KPF, welches auch als ein Beleg ihrer extremistischen Grundausrichtung zu bewerten ist, sei hier exemplarisch auf die Ausführungen der Bundessprecherin vom Mai 2015 verwiesen: "Wenige Wochen vor dem 25. Jahrestag des Beitritts der DDR zur Bundesrepublik sollten wir intensiv daran erinnern, dass der Grundsatz 'Von deutschem Boden darf nie wieder Krieg ausgehen' mit dem Wiedererstehen eines einheitlichen kapitalistischen Deutschlands über Bord geworfen wurde. ... Sprechen wir umso deutlicher aus, was diese DDR für uns in erster Linie war: Ein Staat, der zum Frieden erzog und dessen Armee niemals an einem Krieg beteiligt war, ein Staat, in dem der Antifaschismus Staatsräson war und das Gemeinwohl vor allem durch das Fehlen von Existenzängsten und Bildungs schranken geprägt war." (Mitteilungen der KPF, Heft 5/2015, Seite 22) 152 Linksextremismus Derartige Positionierungen lassen den Schluss zu, dass sich die KPF ideologisch gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik richtet und sie stattdessen für die (Wieder-)Errichtung eines kommunistischen Systems in Anlehnung an die DDR eintritt. Sozialistische Linke (SL) Mit bundesweit ca. 800 Mitgliedern gehört die SL ebenfalls zu den größten Zusammenschlüssen innerhalb der Partei DIE LINKE. In der SL arbeiten trotzkistische Gruppierungen, allen voran das trotzkistische Netzwerk marx21. Dem Netzwerk gehören bundesweit ca. 400 Personen an. Sie stellen damit knapp die Hälfte der Mitglieder der SL. Aufgrund seiner personellen Stärke verfügt das Netzwerk marx21 über einen beachtlichen Einfluss auf die Gesamtpositionierung der SL. Um die eigenen Positionen zu artikulieren, nutzt marx21 neben entristischen Strategien91 vor allem seine gleichnamige Zeitschrift "marx21", die fünfmal jährlich erscheint. Darin formuliert sie auch die Vorgehensweise, wie sie ihr Ziel einer antikapitalistischen Gesellschaftsordnung erreichen möchte: "Eine solche Gesellschaft lässt sich nicht durch Parlamentsbeschlüsse herbeiführen, da die Kapitalistenklasse und der Staatsapparat weitgehend unabhängig von demokratischer Kontrolle agieren. Um diese Klassenherrschaft herauszufordern, sind die Kämpfe der Arbeiterbewegung entscheidend." (marx21, Heft 2/2015, Seite 62) Die Ursprünge von marx21 gehen auf die Sozialistische Arbeitergruppe (SAG) zurück, die 1969/70 entstand. Ziel der SAG war es, eine revolutionäre marxistische Partei zur Bekämpfung des Kapitalismus aufzubauen, um so einen neuen Staat auf der Basis von Arbeiterräten zu errichten. Die SAG beteiligte sich aktiv an der Antifa-Bewegung und kooperierte dabei auch mit autonomen Gruppen. 1993 erfolgte die Umbenennung in Linksruck. Mit der 91 Entrismus ist eine vornehmlich von Trotzkisten angewandte Taktik, die darauf abzielt, andere politische Akteure von innen heraus zu unterlaufen. Auf diesem Wege soll die eigene Ideologie innerhalb der unterwanderten Gruppierung verbreitet werden, um so langfristig die Deutungshoheit auf der Führungsebene übernehmen zu können. 153 Linksextremismus Entstehung der WASG und ihrer späteren Fusion mit der PDS zur Partei DIE LINKE. versuchte Linksruck in diesen Parteien zu wirken. Dabei bediente sich die Organisation der für trotzkistische Gruppierungen typischen Taktik des Entrismus. Am 01.09.2007 löste sich Linksruck offiziell auf, existiert seitdem aber in der neu organisierten Gruppe marx21 und wirkt weiter innerhalb der Partei DIE LINKE. Die Mitglieder beider Organisationen stimmen größtenteils überein. Marx21 zählt dabei zu den aktivsten trotzkistischen Organisationen in Deutschland. Antikapitalistische Linke (AKL) Nachdem sich die AKL 2006 als loses Netzwerk gründete, beschloss sie im Jahr 2012 als innerparteilicher Zusammenschluss intensiver zu agieren. Das Hauptziel der AKL ist, wie bereits aufgezeigt wurde, die Transformation des politischen Systems der BRD in eine antikapitalistisch sozialistische Gesellschaftsform. Diese Maßgabe formuliert die AKL kontinuierlich unter Bezugnahme auf aktuelle politische Entwicklungen. In diesem Zusammenhang sei hier auf eine Positionierung der AKL vom September 2015 zu einem möglichen Austreten Griechenlands aus der Eurozone, dem sogenannten "Grexit", verwiesen: "Die AKL unterstützt einen möglichen Grexit aber nicht als Allheilmittel, sondern als Teil eines sozialistischen Programms, welches die politische Souveränität wieder in die Hände des griechischen Volkes legt und verbunden mit Maßnahmen ist, die darauf abzielen, den Kapitalismus zu überwinden." (veröffentlicht auf der Internetseite der AKL, 05.01.2016) Gezielt sucht die AKL den Schulterschluss mit anderen extremistischen Gruppierungen wie den gewaltbereiten Autonomen. So fordert sie in einer am 20.02.2013 auf ihrer Internetseite veröffentlichten Erklärung dazu auf, sich nicht in "friedliche und angeblich gewaltbereite Autonome und bürgerliche Antifaschisten spalten" zu lassen. Auch die niedersächsische AKL positioniert sich offen extremistisch, z. B. in Form von eigenen Vorschlägen zu den Wahlprogrammen der Partei DIE LINKE. oder durch spezielle Debattenbeiträge auf ihrer Internetseite. Bezeichnend ist der Änderungsantrag der 154 Linksextremismus AKL-Gruppe Niedersachsen zum Landesparteitag der Partei DIE LINKE., in dem die niedersächsische AKL im Januar 2015 unumwunden zugibt, die Partei nicht nur als politische Opposition, sondern ganz konkret als Systemopposition positionieren zu wollen: "DIE LINKE als sozialistische Partei steht für eine grundlegende Alternative zum kapitalistischen Profitsystem. ... Für eine Bankrottverwaltung unter dem Diktat der knappen Landesund Kommunalkassen und auf der Grundlage der Schuldenbremse werden wir keine Mitverantwortung übernehmen. Dies würde auch DIE LINKE als Systemopposition gegen den Einheitsbrei der prokapitalistischen Parteien unglaubwürdig machen ...." (veröffentlicht auf der Internetseite der niedersächsischen AKL, 05.01.2016) Bewertung, Tendenzen, Ausblick KPF, SL und AKL streben nach wie vor, wenn auch in unterschiedlicher Ausführung und Intensität, die Überwindung der bestehenden politischen Ordnung der Bundesrepublik an. Um dieses Ziel zu erreichen, versuchen sie zu ihren Gunsten Einfluss auf das politische Profil der Partei DIE LINKE. zu nehmen. Sie nehmen beispielsweise mit eigenen Delegierten an Parteitagen teil und bringen sich mit eigenen Anträgen ein, um so die Deutungshoheit bei bestimmten Themen, wie den Umgang mit der SEDDiktatur, zu erlangen. In Anbetracht dessen ist damit zu rechnen, dass die drei extremistischen Zusammenschlüsse im Jahr 2016 u. a. versuchen werden, auf den Kommunalwahlkampf der Partei DIE LINKE. in Niedersachsen Einfluss zu nehmen. 155 04 Islamismus Islamismus 4.1 Mitglieder-Potenzial Islamismus-Potenzial Bundesrepublik Deutschland 2014 2015 Salafistische Bestrebungen 7.000 8.350 Muslimbruderschaft (MB) 1.300 1.340 Tablighi Jama'at (TJ) 700 650 Hizb Allah 950 950 Milli Görüs-Bewegung 31.000 92 Sonstige islamistisch-extremistische Gruppen93 2.940 2.830 Summe 43.890 94 Islamismus-Potenzial Niedersachsen 2014 2015 Salafistische Bestrebungen 400 520 Muslimbruderschaft (MB) 80 100 Tablighi Jama'at (TJ) 80 70 Hizb Allah 130 150 Milli Görüs-Bewegung95 2.600 100 Sonstige islamistisch-extremistische Gruppen 140 115 Summe 3.430 1.055 92 Zum Mitglieder- / Anhängerpotenzial liegen keine gesicherten Zahlen vor. 93 Nicht alle Mitglieder islamistisch-extremistischer Organisationen verfolgen oder unterstützen extremistische Zielsetzungen. 94 Die Gesamtzahl der Mitglieder / Anhänger kann aufgrund der fehlenden Angabe bei Fußnote 92 nicht angegeben werden. 95 Der Rückgang erklärt sich aus dem Umstand, dass der Niedersächsische Verfassungsschutz die Beobachtung der IGMG im Jahr 2014 eingestellt hat. Die weiteren Unterorganisationen der Milli Görüs-Bewegung stehen hingegen ebenso unter der Beobachtung der niedersächsischen wie der anderen Verfassungsschutzbehörden. Siehe hierzu Abschnitt "Die Milli Görüs-Bewegung". 158 Islamismus 4.2 Islamismus Der Islamismus ist eine politische Ideologie, deren Anhänger sich auf religiöse Normen des Islams berufen und diese politisch ausdeuten. Auch wenn der Begriff des Islamismus auf den Islam hindeutet, ist diese politische Ideologie deutlich von der durch das Grundgesetz geschützten Religion des Islams zu trennen. Islamisten sehen in der Religion des Islams nicht nur eine Religion, sondern auch ein rechtliches Rahmenprogramm für die Gestaltung aller Lebensbereiche: Von der Staatsorganisation über die Beziehungen zwischen den Menschen bis ins Privatleben des Einzelnen. Islamismus beginnt dort, wo religiöse islamische Normen als für alle verbindliche Handlungsanweisungen gedeutet und - bisweilen unter Zuhilfenahme von Gewalt - durchgesetzt werden sollen. Islamistischen Organisationen und Bewegungen ist bei aller Unterschiedlichkeit gemeinsam, dass sie Gesellschaften anstreben, die durch die islamische Rechtsordnung der Scharia organisiert sind. Der Interpretationsspielraum dafür, was die Scharia genau beinhaltet, ist groß. Islamisten verstehen die Scharia als von Gott verordnete Rechtsordnung für Staat und Gesellschaft. Sie richten sich in ihrer politisierten Interpretation der Scharia oft auch gegen die Mehrheit der Muslime, die in diesen islamischen Regeln ausschließlich einen Leitfaden für ihre individuelle religiöse Praxis sehen. Islamisten beanspruchen für sich oftmals, wie etwa im Falle der Scharia oder auch des Jihads 96, die inhaltliche Deutungshoheit über religiöse Begriffe und Konzepte, die allen Muslimen zu eigen sind, und politisieren diese. In seinem Absolutheitsanspruch widerspricht der Islamismus in erheblichen Teilen der verfassungsmäßigen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland. Insbesondere werden durch die islamistische Ideologie die demokratischen Grundsätze der Trennung von Staat und Religion, der Volkssouveränität, der religiösen und sexuellen Selbstbestimmung, der Gleichstellung der Geschlech96 Die wörtliche Übersetzung des Begriffs "Jihad" ist "Anstrengung" oder "Bemühung". Es gibt zwei Formen des Jihad: die geistig-spirituelle Bemühung des Gläubigen um das richtige religiöse und moralische Verhalten gegenüber Gott und den Mitmenschen ("großer Jihad") sowie der kämpferische Einsatz zur Verteidigung oder Ausdehnung des islamischen Herrschaftsgebiets ("kleiner Jihad"). Von militanten Gruppen wird der Jihad häufig als religiöse Legitimation für Terroranschläge verwendet. 159 Islamismus ter sowie das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit verletzt. So werden z. B. Frauen von Islamisten nach deren Schariaverständnis im Hinblick auf das Erbund Familienrecht benachteiligt. Die Herabwürdigung einer Frau wird beispielsweise dadurch deutlich, dass die Zeugenaussage eines Mannes in einigen Bereichen so schwer wiegt wie die zweier Frauen. Juden und Christen, die die Herrschaft des islamischen Staates akzeptieren, dürfen ihre Religion ausüben, müssen aber Sondersteuern zahlen. Ebenso drängen Islamisten auf die unbedingte Rechtmäßigkeit der sogenannten Hadd-Strafen, die für Vergehen wie "Diebstahl" oder "Unzucht" Körperstrafen vorsehen, die von der Amputation der rechten Hand bis hin zur Todesstrafe reichen. Der Islamismus kann unterschiedlich ausgestaltet sein. Das islamistische Spektrum setzt sich zusammen aus Organisationen, die bestrebt sind, innerhalb des vom Staat vorgegebenen rechtlichen Rahmens ihre Ziele durchzusetzen und z. B. Gewalt ablehnen. Ebenso umfasst es islamistische Organisationen, die Gewalt als ein Mittel unter vielen befürworten und diese unter Umständen in akuten Konflikten, zumeist in dem Herkunftsland ihrer Akteure, anwenden. Die HAMAS97 und die Hizb Allah98 sind Beispiele dafür. Darüber hinaus zählen zum islamistischen Spektrum auch terroristische Organisationen, die vorwiegend zum Mittel der Gewalt greifen und staatliche Strukturen offen bekämpfen. Dazu zählen jihadistische Organisationen wie al-Qaida99 oder der sogenannte Islamische Staat (IS). Entsprechend zu diesen drei Ausformungen des Islamismus stellt sich der Salafismus100 dar. Die meisten Anhänger dieser islamistischen Bestrebung, sogenannte politische Salafisten, lehnen zumindest verbal Gewalt als Mittel ab. Die sogenannten jihadistischen Salafisten hingegen, im Vergleich zu den politischen Salafisten eine Minderheit, propagieren als primäres Mittel Gewalt, um ihre politischen Ziele zu erreichen. 97 Siehe Kapitel 4.7. 98 Siehe Kapitel 4.9. 99 Siehe Kapitel 4.4. 100 Siehe Kapitel 4.3. 160 Islamismus Die Milli Görüs-Bewegung Dem Bereich des Islamismus zuzuordnen ist auch die MillA(r) Görüs-Bewegung. Sie umfasst als Sammelbeobachtungsobjekt neben der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG) die Erbakan-Stiftung, die Saadet Partisi (SP, Partei der Glückseligkeit), die Zeitung Milli Gazete und die Organisation Ismail Aga Cemaati (IAC). Der niedersächsische Verfassungsschutz hat 2014 die Beobachtung der IGMG als solches eingestellt, beobachtet aber im Rahmen des Sammelbeobachtungsobjektes Milli Görüs-Bewegung die anderen o. g. Organisationen. Die IGMG ist keine homogene Organisation. Es lassen sich durchaus Unterschiede in der politischen Ausrichtung einzelner IGMG-Landesverbände finden. Die Beendigung der Beobachtung der IGMG durch den Niedersächsischen Verfassungsschutz geht auf den Bedeutungsverlust der extremistischen Milli Görüs-Ideologie im Landesverband Niedersachsen zurück. Da diese Entwicklung nicht in allen Landesverbänden in diesem Ausmaß stattgefunden hat, steht die IGMG durch Verfassungsschutzbehörden des Bundes und anderer Bundesländer weiterhin unter Beobachtung. Die mitgliederstärkste Untergruppierung der Milli Görüs-Bewegung, die IGMG, ist letztmals im Jahresbericht des Niedersächsischen Verfassungsschutzes für das Jahr 2014 mit ihren Mitgliedern aufgeführt. Aus dieser Tatsache heraus erklärt sich der starke Rückgang des islamistischen Gesamt-Mitglieder-/Anhänger-Potenzials für das Jahr 2015 im Vergleich zum Vorjahr. Die Saadet Partisi gilt als Hauptvertreterin der von Necmettin ERBAKAN entwickelten Milli Görüs-Ideologie in der Türkei. Unter Milli Görüs (nationale Sicht) verstand ERBAKAN die Verschmelzung nationalistischer und islamistischer Positionen bei gleichzeitiger Verherrlichung des Osmanischen Reiches. Die SP verfügt mittlerweile über einen Regionalverband (türk. Bölge) in Hannover. Die mit der SP personell und ideologisch verbundene Erbakan-Stiftung hat das Ziel, eine Wiederbelebung der Ideen ERBAKANs herbeizuführen. Sie will die Milli Görüs-Bewegung wieder enger hierauf verpflichten und die Bewegung insgesamt stärken. Die 1973 gegründete türkischsprachige Zeitung Milli Gazete rundet dieses Vorgehen publizistisch ab. 161 Islamismus Die Ismail Aga Cemaati (IAC) entstammt der Bruderschaft der Naqshbandiya, die ihre Mitglieder penibel dazu anhält, einem schariakonformen Islam zu folgen und die den türkischen Islam mitgeprägt hat. Die Naqshbandiya gehört mit ihren verschiedenen Zweigen bis heute zu den bedeutendsten Gemeinschaften sunnitisch-orthodoxer Ausrichtung, deren Mitglieder weltweit anzutreffen sind. Ihren Namen erhält die IAC durch die aus dem 18. Jahrhundert stammende Ismail Aga-Moschee im stark religiös geprägten Istanbuler Altstadtviertel Fatih. Spirituelles Oberhaupt ist Scheich Mahmud USTAOSMANOGLU, der von 1954 bis 1996 das Amt des Imams der Ismail Aga-Moschee innehatte. Die IAC gilt allgemein als einer der radikaleren Zweige der Naqshbandiya. Im Zentrum der Ideologie der IAC steht die weltweite Einführung eines Gesellschaftssystems, das sich an den Vorgaben der Scharia als der von Gott gesetzten verbindlichen Ordnung für das menschliche Miteinander orientiert. Eine Gesellschaftsordnung, die auf von Menschen geschaffenen - und damit nichtgöttlichen - Regeln und Gesetzen beruht, wird als unislamisch angesehen. Jeglicher Dialog zwischen den Religionen wird abgelehnt. Darüber hinaus forderte USTAOSMANOGLU seine Anhänger immer wieder dazu auf, die SP, den aktuellen politischen Arm der Milli Görüs-Bewegung, zu wählen. 4.3 Salafismus Mitglieder / Bund: 8.350 Anhänger salafistiNiedersachsen: 520 scher Gruppen Der Salafismus ist eine besonders radikale und die derzeit dynamischste islamistische Bewegung in Deutschland, aber auch auf internationaler Ebene. Salafisten weltweit glorifizieren einen idealisierten Ur-Islam des 7./8. Jahrhunderts und orientieren sich, um diesem möglichst nahe zu kommen, an der Lebensweise der ersten Muslime in der islamischen Frühzeit. Sie versuchen ihre religiöse Praxis und 162 Islamismus Lebensführung ausschließlich an den von ihnen wörtlich verstandenen Prinzipien des Korans und dem Vorbild des Propheten Muhammad und der frühen Muslime, den rechtschaffenen Altvorderen (arab. al-salaf al-salih, daher der Begriff Salafismus), auszurichten. Exemplarisch für die Auffassung aller Salafisten heißt es in einer im Jahr 2012 verteilten Broschüre, die der Deutschsprachige Islamkreis e. V. (DIK) in Hannover herausgegeben hat: "Und in der Tat wird man zu der Schlussfolgerung gelangen, dass man den Qur'an und die Sunna des Propheten nur im Lichte der Methodologie der Salaf as-Salih verstehen darf ... Daraus folgt zugleich, dass wir Muslime bei jedem Ausspruch des Propheten und bei jedem Vers im Koran fragen müssen, wie diese z. B. von den Gefährten verstanden und umgesetzt wurden." (Deutschsprachiger Islamkreis e. V. [Hrsg.], Was jeder Muslim wissen sollte, ohne Jahr, Seite 27) Alle Entwicklungen im Islam, die erst nach dieser islamischen Frühzeit eingesetzt haben, wie etwa liberalere Formen des Islams und die Vorstellung von der Gleichberechtigung der Geschlechter sowie demokratische Strukturen, werden von Salafisten abgelehnt. Die Scharia, die von Salafisten als von Gott gegebene verbindliche Rechtsordnung verstanden wird, ist nach salafistischer Ideologie jeder weltlichen Gesetzgebung übergeordnet. So sei einzig Gott der legitime Gesetzgeber und nicht das Volk. Die Beteiligung am demokratischen Prozess bezeichnen Salafisten daher als Polytheismus (arab. Schirk), werde doch der Mensch in der Demokratie über Gott erhöht. In der Konsequenz lehnen Salafisten die Geltung staatlicher Gesetze ab. In der Broschüre des DIK heißt es entsprechend: "Da das Wort Ibadah [Dienst an Gott] totale Gehorsamkeit bedeutet und Allah als der ultimative Gesetzgeber angesehen wird, ist die Ausführung eines säkularen Rechtssystems, welches nicht auf göttlichem Gesetz (Scharia) basiert, ein Akt des Unglaubens bezüglich des göttlichen Gesetzes und ein Akt des Glaubens an die Richtigkeit solcher Systeme. Ein solcher Glaube gründet eine Form des Gottesdienstes an etwas anderem als an Allah (Schirk)." (Ebd., Seiten 8-9) 163 Islamismus Salafisten streben danach, Staat, Gesellschaft und das Privat leben jedes Individuums so umzugestalten, dass sie den vermeintlich von Gott geforderten Normen entsprechen. Konsequenterweise propagieren sie auch das nach ihrer Auslegung im Koran normierte ungleiche Verhältnis zwischen den Geschlechtern, u. a. ein Strafrecht, das auch Körperstrafen vorsieht und die Begrenzung der Religionsfreiheit. Die von Salafisten propagierte Staatsund Gesellschaftsordnung steht im deutlichen Widerspruch zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Insbesondere werden die demokratischen Grundsätze der Trennung von Staat und Religion, der Volkssouveränität, der religiösen und sexuellen Selbstbestimmung, der Gleichberechtigung der Geschlechter sowie das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit verletzt. Salafismus in Deutschland Der Salafismus lässt sich in eine politische, der die überwiegende Mehrheit der Salafisten in Deutschland zuzurechnen sind, und eine jihadistisch-terroristische Ausprägung aufschlüsseln. Alle Salafisten streben die gleichen Ziele an, doch unterscheiden sich politische und jihadistische Salafisten in der Wahl ihrer Mittel, um diese Ziele zu erreichen. Vertreter des politischen Salafismus stützen sich auf intensive Propagandatätigkeit, die sie als Dawa-Arbeit bezeichnen, um für ihre Vision einer gottgewollten Staatsund Gesellschaftsform zu werben und gesellschaftlichen Einfluss zu gewinnen. Jihadistische Salafisten setzen darüber hinaus und vor allem auf das Mittel der Gewalt, um ihre Ziele zu erreichen. Der Salafismus stellt die am schnellsten wachsende extremistische Bewegung in Deutschland und Europa dar. Dies liegt auch darin begründet, dass er ein Angebot macht, welches insbesondere, aber nicht nur, junge Menschen anspricht. Diese Weltanschauung schafft ein komplettes Gegenmodell zum selbstbestimmten, daher aber auch risikobehafteten westlichen Lebensentwurf. Da die salafistische Ideologie von ihren Anhängern fordert, den Kontakt mit der "ungläubigen" Welt auf ein Minimum zu reduzieren, ist die Folge die Einbettung des Einzelnen in ein Netzwerk von Gleichgesinnten, die über ähnliche Ansichten verfügen, aber auch ähnliche Erfahrungen gemacht haben. Dies erleben viele 164 Islamismus von der modernen Welt Verunsicherte als ein stabilisierendes Element in ihrem Leben. Die Übergänge zwischen beiden Salafismusformen sind fließend. Dies zeigte sich deutlich, als im Rahmen des nordrhein-westfälischen Landtagswahlkampfes im Mai 2012 Mitglieder der rechtsextremen Partei pro NRW Muhammad-Karikaturen zeigten. Salafistische Gegendemonstranten griffen in Solingen und Bonn Mitglieder von pro NRW und Polizisten an. Diese Form der Straßengewalt ist für den Salafismus in Deutschland eine neue Aktionsform, an der nicht nur jihadistische Salafisten beteiligt waren. Der Salafismus hat als dynamische heterogene Bewegung keine feste Struktur. Vielmehr sind seine Anhänger als Einzelpersonen oder über Kleingruppen in losen Netzwerken organisiert. Knotenpunkte dieser Netzwerke sind Prediger und einige Moscheegemeinden. Salafisten verbreiten ihre Ideologie professionell. Ihre Vertreter setzen sich öffentlichkeitswirksam in Szene. Da salafistische Prediger in Deutschland vorwiegend die deutsche Sprache nutzen und sich insbesondere am Sprachgebrauch Jugendlicher orientieren, üben sie eine beträchtliche Anziehungskraft vorwiegend auf junge Menschen, darunter auch Konvertiten, aus. Salafistische Prediger verbreiten ihre Ideologie in hohem Maße über das Internet. Ihre Onlineangebote, Audios, Videos und Schriftstücke dominieren die deutschsprachigen Informationsangebote im Internet über den Islam. Personen, die sich über die Religion des Islams informieren möchten, besuchen daher häufig von Salafisten betriebene Internetseiten, ohne dies zu erkennen. Durch diese hohe Medienpräsenz erreicht salafistische Propaganda weite Kreise der Gesellschaft in Deutschland. Eine wesentliche Rolle in der Verbreitung salafistischer Ideologie spielen in Deutschland auch Islamseminare und Vorträge von salafistischen Predigern. Während der Seminare tritt eine Reihe von Predigern auf, die sich vor allem an junge Menschen, die noch keine Anhänger des Salafismus sind, aber auch an Salafisten, richten. Auf Veranstaltungen dieser Art, die häufig mehrere Tage andauern, wird durch gemeinsame Aktivitäten ein Gemeinschaftsgefühl geschaffen. Attraktiv ist die auf diese Weise vermittelte Ideologie deshalb, weil sie Halt suchenden Menschen feste 165 Islamismus Regeln für ihre Lebensführung vorgibt. Zudem vermitteln solche Gemeinschaftsveranstaltungen und die salafistische Ideologie das Gefühl, einer von Gott bevorzugten Elite anzugehören. Eine weitere Aktionsform mittels derer salafistische Propaganda in Deutschland verbreitet wird, sind bundesweit organisierte Islam-Informationsstände. Auf diese Weise verteilen Salafisten Broschüren, Flugblätter, salafistische Grundlagenwerke, aber auch Koranausgaben. Ein Beispiel für diese Aktionsform ist die Koranverteilaktion "LIES! Im Namen Deines Herrn, der Dich erschaffen hat". Diese 2012 gestartete Dawa-Aktion wurde auch 2015 fortgesetzt. So wurden bundesweit, auch in Niedersachsen, an Infoständen in Fußgängerzonen und belebten Innenstadtbereichen kostenlose Ausgaben des Korans an Passanten verteilt. Verantwortlich für das Projekt und die Bereitstellung der Koranexemplare ist das salafistische Predigernetzwerk Die Wahre Religion (DWR) um den Kölner Salafistenprediger Ibrahim ABOU NAGIE. Er tritt regelmäßig im Zusammenhang mit salafistisch ausgerichteten Islamseminaren auf. Auf seiner Internetseite wirbt ABOU NAGIE dafür, mit den Passanten an den Infoständen über die "einzig wahre Religion" zu diskutieren. Es ist daher zu befürchten, dass sich die Verteilaktion nicht auf die bloße Weitergabe des Korans beschränkt, sondern dass Salafisten über die Aktionen mit jungen Menschen in Kontakt treten und salafistisches Gedankengut verbreiten. Die Aktion ist als ein weiterer Bestandteil der bundesweiten offensiven Missionierungsund Rekrutierungsarbeit der Salafisten zu werten. Dies lässt sich auch im Hinblick auf die Syrienproblematik feststellen; mehrere Salafisten, die im Zusammenhang mit der Koranverteilaktion auffällig wurden, reisten nach Syrien aus. Weitere deutschlandweit agierende salafistische Missionierungsnetzwerke dieser Art sind Siegel der Propheten und Jesus im Islam. Salafismus in Niedersachsen Bei den Salafisten in Niedersachsen handelt es sich, wie auch im internationalen und bundesdeutschen Kontext, um keine homogene Gruppe, sondern um ein mannigfaltiges Beziehungsgeflecht 166 Islamismus von Personen, die im Zusammenhang von Moscheen und Islamseminaren aktiv sind. Ebenso sind die Aktivitäten von Kleingruppen und Einzelpersonen charakteristisch für die salafistische Szene. Mittlerweile lassen sich salafistische Tendenzen in Niedersachsen flächendeckend, nicht nur in Großstädten, nachweisen. Dennoch bleiben die größeren Städte weiterhin Schwerpunkte der salafistischen Aktivitäten. Ebenso wie international und deutschlandweit ist der Salafismus in Niedersachsen die zurzeit dynamischste islamistische Bewegung. Im Vergleich zu 2014 war im Jahr 2015 eine Steigerung der Anhängerzahlen von 400 auf 520 zu verzeichnen. Es ist nach bisheriger Einschätzung für das Jahr 2016 mit einem weiteren quantitativen Anwachsen zu rechnen. Der stetige Anstieg des salafistischen Personenpotenzials in Niedersachsen spiegelt die internationale und deutschlandweite Gesamtentwicklung wider. Insbesondere junge Menschen in der Phase der Sinnsuche werden von der salafistischen Ideologie angesprochen, die das Gefühl vermittelt anerkannt und fester Bestandteil einer weltweiten Gemeinschaft mit starkem Zusammenhalt zu sein. Befördert wird das durch professionelle Missionierungsaktivitäten, Internetpropaganda, Islamseminare, charismatische Prediger und salafistische Moscheen und Netzwerke. Des Weiteren hat die Etablierung eines Kalifats durch die Terrororganisation Islamischer Staat (IS) in Syrien und dem Irak zu einer nicht unerheblichen Strahlkraft und zum Teil zur Radikalisierung in der salafistischen Szene geführt, da erstmals die Utopie eines islamistischen Gottesstaates in greifbare Nähe gerückt ist. Die Sicherheitsbehörden haben in den letzten Jahren einen Schwerpunkt auf die Beobachtung und Aufklärung des Salafismus gelegt, wodurch sich auch die steigenden Anhängerzahlen im Salafismus erklären lassen. In Niedersachsen gibt es eine Reihe von Standorten, insbesondere in den größeren Städten, von denen aus Salafisten ihre Aktivitäten entfalten. Die Prediger, die dort auftreten, sind in das nationale und internationale salafistische Netzwerk eingebunden. Die niedersächsische salafistische Szene ist überwiegend dem politischen Spektrum zuzurechnen. Als einer der zentralen salafistischen Anlaufpunkte in Niedersachsen gilt die Moschee der Deutschsprachigen Muslimischen 167 Islamismus Gemeinschaft e.V. (DMG) in Braunschweig. Auch im Hinblick auf die Zahl der Muslime, auf die in der DMG etwa über Freitagspredigten Einfluss ausgeübt wird, ist sie als bedeutsam einzuschätzen. Regelmäßig versammeln sich einige hundert Gläubige zu diesen Veranstaltungen. Der Braunschweiger Muhamed CIFTCI tritt regelmäßig als Prediger in dieser Moschee auf. Er ist bundesweit und international als Prediger und Islamlehrer aktiv. Über CIFTCI ist eine direkte Anbindung an salafistische Kreise im Ausland gegeben. Dies betrifft den Balkanraum, die Türkei und Teile der Arabischen Halbinsel. Seit im Jahr 2012 auf behördliche Veranlassung hin die von CIFTCI betriebene sogenannte Islamschule geschlossen wurde, stellt er vermutlich über seine nicht öffentlich zugängliche islamische Videothek ("Islamothek") gegen Gebühr Materialien zur Verfügung, die auch von der Islamschule angeboten wurden. Am 30.01.2015 predigte CIFTCI über das Problem der Prophetenbeleidigung und erwähnte in diesem Zusammenhang auch den Angriff auf die Redaktion von Charlie Hebdo am 07.01.2015, bei dem zwölf Personen getötet worden waren. Islamistische Kreise warfen der Zeitschrift immer wieder vor, den Propheten Muhammad beleidigt zu haben. Nach Ansicht von CIFTCI ist es das Ziel solcher Anschläge wie der in Paris, Muslime unter Verdacht zu stellen und als Übeltäter zu brandmarken. Dass es sich bei der Ermordung von Redakteuren der Zeitschrift Charlie Hebdo um einen Terrorakt handelt, gab CIFTCI nicht zu erkennen. Vielmehr habe der Westen in den letzten zehn Jahren Millionen Muslime getötet, und das heiße dann Demokratie. Der Islam müsse richtig verstanden werden, denn er sei keine Religion des alles Akzeptierens. "Jeder versucht den Islam zu beschreiben, wie er möchte. Sie zwingen uns zu sagen, der Islam ist die Religion des Friedens. Und das stimmt nicht. Der Islam ist nicht nur die Religion des Friedens, sondern der Islam ist auch die Religion des Krieges." 168 Islamismus Unmittelbar nachdem CIFTCI implizierte, dass der Prophet Muhammad, würde er heute leben, einen Beleidiger seiner Person töten lassen würde, kam er auf Frankreich zu sprechen und stellte die rhetorische Frage: "Ein Land wie Frankreich, das seit 200 Jahren, vergiss das nicht, seit 200 Jahren sie machen Kolonialisierung und beklauen die muslimischen Eigentümer und vernichten sie in jeder Art und Weise mit Waffen, mit Ideologien, mit Verwerflichkeiten. Was haben sie anderes erwartet?" Im weiteren Verlauf seiner Predigt erläuterte CIFTCI, dass Abtrünnige vom Islam hinzurichten seien. Pierre VOGEL, einer der bekanntesten deutschsprachigen Prediger im Bereich des politischen Salafismus, besuchte zum Jahreswechsel 2015/2016 die Moschee der DMG, um dort einen Vortrag sowie eine Freitagspredigt zu halten. Ein weiterer Schwerpunkt des Salafismus in Niedersachsen ist Hannover. In der Moschee des Vereins Deutschsprachiger Islamkreis e. V. (DIK Hannover) treten oft salafistische Prediger wie Hassan DABBAGH und Ahmad ARMIH (ABU BARAA) auf. Der DIK Hannover betätigt sich darüber hinaus als Herausgeber einer Broschüre mit dem Titel "Was jeder Muslim wissen sollte". Die Schrift, die ohne Jahresangabe veröffentlicht wurde, wirbt dezidiert für die salafistische Ideologie. Hannover war 2015 der Schwerpunkt der im öffentlichen Raum betriebenen salafistischen Missionierungsarbeit in Niedersachsen. Dies zeigte sich daran, dass sich die in diesem Bundesland durchgeführten LIES!-Infostände auf die Landeshauptstadt beschränkten. Es wurden etwa 30 Aktionen dieser Art durchgeführt. Im September widerrief die Landeshauptstadt Hannover die Erlaubnis für das Aufstellen derartiger Informationsstände und begründete die Maßnahme mit dem mehrfachen Verstoß gegen erteilte Auflagen. So wurden bei einer Kontrolle am 22.08.2015 Verstöße gegen das Waffengesetz festgestellt. Bei einem Mitwirkenden wurde ein Elektroschockgerät, getarnt als Taschenlampe, vorgefunden. Eine weitere Person war mit einem Teleskopschlagstock bewaffnet. Vereinzelt fanden nach diesem Verbot Koranverteilaktionen in Form einer sogenannten StreetDawa statt, die keiner Genehmigung bedarf. 169 Islamismus In Hildesheim ist der Deutschsprachige Islamkreis Hildesheim e. V. (DIK Hildesheim) als Standort salafistischer Aktivitäten bekannt. Zum Zeitpunkt der Moscheegründung im Jahr 2012 hatte sich der Verein entschieden für die salafistische Ideologie ausgesprochen. So wies er auf seiner Internetseite darauf hin, dass er sich den Ahlu-Sunna wa-l Jama'a, einer geläufigen Selbstbezeichnung von Salafisten, zuordne und sich auf das Islamverständnis der ersten Generationen der Muslime berufe. Im DIK Hildesheim werden Islamseminare und Vorträge mit überregionalen salafistischen Predigern angeboten. So sind die in der salafistischen Szene bekannten Personen aus Nordrhein-Westfalen, Abdelilal BELATOUANI, Sven LAU und Efstathios TSIUOUNIS, am 31.12.2012 vor Ort als Teilnehmer bzw. als Vortragende auf der Silvesterveranstaltung des Vereins in Erscheinung getreten. Vom 15. bis 17.03.2013 fand im DIK Hildesheim ein Islamseminar mit dem salafistischen Prediger Ahmad ABDULAZIZ ABDULLAH (ABU WALAA) statt. Weitere Vorträge und Islamseminare bestritt ABU WALAA zum Ramadan 2012, Silvester 2013/2014, vom 18. bis 20.04.2014, zum Ramadan 2014 und 2015 sowie vom 24. bis 27.12.2015 im DIK Hildesheim. Einen weiteren Hinweis auf in der Hildesheimer Moschee herrschende salafistische Vorstellungen gaben die Vorträge von Muhamed CIFTCI in der Zeit vom 20. bis 22.12.2013 und dem Berliner Prediger Ahmad ARMIH (ABU BARAA) am 25.01.2014. Derartige Seminare dienen dazu, den Teilnehmenden zu vermitteln, dass die salafistische Interpretation des Islams die einzig Wahre sei. Somit üben diese Seminare einen nicht unerheblichen Einfluss auf die Teilnehmer im Hinblick auf eine mögliche Radikalisierung aus und können einen Beitrag zum Entstehen einer Ausreiseabsicht nach Syrien und in den Irak leisten. Dies ist u. a. darin begründet, dass sich unter den Teilnehmenden auch Personen befinden, die beispielsweise der Ideologie und den Zielsetzungen des IS nahe stehen. Auch zu Personen, die Ausreisen nach Syrien und in den Irak in Erwägung ziehen bzw. schon vollzogen haben oder dafür werben können Kontakte geknüpft werden. Ein niedersächsischer Schwerpunkt mit etwa einem Drittel der Ausreisefälle liegt im Raum Hildesheim/Göttingen. 170 Islamismus Der DIK Hildesheim pflegt Verbindungen zum salafistischen Verein "Helfen in Not e. V." in Neuss. Dieser steht als Organisator hinter einer Vielzahl von Benefizgalen für Syrien, bei denen bekannte Prediger aus der salafistischen Szene auftreten. Bei den sogenannten Hilfskonvois werden durch Spenden finanzierte Hilfsgüter nach Syrien gebracht. Ob diese ausschließlich der Not leidenden Zivilbevölkerung zu Gute kommen oder ob auch jihadistische Gruppierungen damit unterstützt werden, ist im Einzelfall schwer festzustellen. Ein Großteil der niedersächsischen zehn Hilfskonvoiteilnehmer steht in Bezug zu Hildesheim. Darüber hinaus gibt es in Niedersachsen Moscheegemeinden, in denen einzelne Salafisten verkehren oder die vereinzelt Veranstaltungen mit bekannten salafistischen Predigern durchführen. Eine nachhaltige salafistische Beeinflussung großer Teile der Moscheebesucherinnen und -besucher in diesen Gemeinden ist nicht belegbar, bezogen auf einzelne Besucher jedoch nicht auszuschließen. Verbunden mit dem Anstieg der Flüchtlingszahlen während des Jahres 2015, haben sich die Sicherheitsbehörden auch darauf konzentriert zu ermitteln, inwieweit salafistische Gruppierungen sich im Zusammenhang mit ihrer Missionsarbeit dieser Zielgruppe gewidmet haben. Es sind mehrere Fälle in Niedersachsen bekannt geworden, in denen Islamisten und insbesondere Salafisten auch in niedersächsischen Aufnahmeeinrichtungen begonnen haben, untergebrachte Flüchtlinge für eigene Belange und Ziele zu werben und Neumitglieder zu rekrutieren. Durch die Bereitstellung von Mitfahrgelegenheiten zum Freitagsgebet, die Verteilung von Flyern oder eine direkte Ansprache auf Arabisch, bei der die Flüchtlinge zum Besuch der jeweiligen Moschee aufgefordert werden, nutzen Islamisten es taktisch aus, dass sich die Flüchtlinge in einer besonderen Situation befinden. Sie stellen ihre ideologischen Absichten zunächst in den Hintergrund und ein humanitäres Anliegen in den Vordergrund. Angesichts der hohen Zahl der im Jahr 2015 aufgenommenen Flüchtlinge erscheint es durchaus möglich, dass sich unter Flüchtlingen auch Mitglieder militanter Gruppen oder Einzelpersonen extremistischer Gesinnung befinden können. Bislang liegen keine belastbaren Erkenntnisse vor, dass jihadistische Gruppierungen 171 Islamismus die Flüchtlingsströme zielgerichtet zur Infiltration des Bundesgebietes durch Einzeltäter oder Gruppen genutzt haben. Die niedersächsischen Sicherheitsbehörden erhielten im Jahr 2015 mit fortschreitender Zeit zunehmend Hinweise auf einzelne Flüchtlinge oder Asylbewerber, die zu militanten Gruppierungen bzw. Terrororganisationen in den Krisenregionen in Verbindung gestanden, für diese gekämpft haben oder als Anhänger bzw. Sympathisanten des jihadistischen Spektrums gelten sollen. Mit Stand Januar 2016 lagen den niedersächsischen Sicherheitsbehörden entsprechende Hinweise zu in Niedersachsen aufhältigen Personen im niedrigen zweistelligen Bereich vor. Bei diesen Hinweisen handelte es sich häufig um Denunziationsversuche, beispielsweise aus dem familiären Umfeld oder von anderen Flüchtlingen oder Asylbewerbern. In der Mehrzahl der Fälle waren die Personen/-gruppen weder zweifelsfrei identifiziert, ihre Aufenthaltsorte lokalisiert, noch konnte die Glaubwürdigkeit der Hinweisgeber abschließend verifiziert werden. Häufig versprachen sich die meist syrischen Hinweisgeber eine Verbesserung ihres eigenen Status innerhalb des Asylverfahrens, wenn sie den deutschen Behörden entsprechende Hinweise geben. Zu einzelnen Personen lagen aber wertige Hinweise vor, dass sie vor ihrer Einreise nach Deutschland für Terrororganisationen wie dem IS oder Jabhat al-Nusra (JaN) aktiv waren. Um Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Aufnahmeeinrichtungen und Flüchtlingsunterkünfte für diese Aspekte zu sensibilisieren, wird vom Niedersächsischen Verfassungsschutz eine Handreichung mit dem Titel "Salafismus kompakt. Handreichung für die Arbeit in Flüchtlingseinrichtungen Niedersachsens." angeboten. Weiterhin führten das Landeskriminalamt Niedersachsen (LKA NI) und der Niedersächsische Verfassungsschutz für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von kommunalen Ausländerbehörden, der Landesaufnahmeeinrichtungen und der Einbürgerungsbehörden Informationsveranstaltungen durch. Es sind weitere Veranstaltungen und Schulungen unter Beteiligung der Landesaufnahmebehörden, des Niedersächsischen Verfassungsschutzes, des LKA NI sowie der örtlichen Polizeibehörden geplant. Seitens des Verfassungsschutzes und der Präventionsstelle politisch motivierte Kriminalität (PPMK) im LKA 172 Islamismus NI sollen die an diesen Veranstaltungen Teilnehmenden u. a. über die Themen "Radikalisierung und Präventionsansätze im islamistischen Bereich" informiert sowie durch die Aushändigung von Informationsbroschüren nachhaltig sensibilisiert werden. Die erste Veranstaltung hat am 22.10.2015 in Braunschweig stattgefunden. In den Erstaufnahmeeinrichtungen des Landes Niedersachsen wurden darüber hinaus Schulungen in interkultureller Kompetenz durchgeführt. Zusammen mit dem LKA NI wird derzeit ein allgemeines Gewaltpräventionskonzept erarbeitet. Für den Bereich des Sicherheitsdienstes wird im Wege einer Selbstverpflichtungserklärung vertraglich festgehalten, dass die dort Beschäftigten ebenfalls regelmäßig Schulungen in interkultureller Kompetenz erhalten. 4.4 Internationaler islamistischer Terrorismus Der internationale islamistische Terrorismus stellt eine große Heraus forderung für die internationale Staatengemeinschaft dar und ist, wie nicht zuletzt die Anschläge von Paris im Januar und November 2015 unterstrichen haben, nach wie vor eine Gefahr für die innere Sicherheit Europas und Deutschlands. Die Aktivisten des islamistischen Terrorismus sind überwiegend von der jihad-salafistischen Ideologie geleitet. Sie propagieren, dass die islamische Welt durch einen anhaltenden Angriff des Westens, angeführt von den USA, bedroht sei. Um die von ihnen angestrebten Lebensumstände der "urislamischen Gemeinschaft" des 7. Jahrhunderts auf der Arabischen Halbinsel herstellen zu können, müsse zunächst die vermeintliche Hegemonie des Westens in der muslimischen Welt beendet werden. Entwicklung al-Qaidas seit 2001 Die Struktur islamistisch-terroristischer Organisationen, allen voran die al-Qaidas, hat sich im letzten Jahrzehnt grundlegend verändert. Die Anschläge vom 11.09.2001 in New York und Washington waren nur möglich, weil al-Qaida damals eine hierarchisch geordnete Organisation gewesen ist. Sie war mit den dafür 173 Islamismus notwendigen finanziellen Ressourcen ausgestattet und konnte ihre Angriffe von sicheren Basen aus über einen längeren Zeitraum planen und umsetzen. Diese hierarchische Organisation der (Kern-)al-Qaida existiert, nicht zuletzt aufgrund des Verfolgungsdrucks durch die USA und ihrer Verbündeten, in dieser Form nicht mehr. Seither hat eine Regionalisierung al-Qaidas stattgefunden. Es bildeten sich regional verankerte terroristische Organisationen, die sich mitunter durch ihre Benennung an das große Vorbild anlehnen, z. B. al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel (AQAH), al-Qaida im islamischen Maghreb (AQM), al-Qaida im Irak (Vorgängerorganisation des sogenannten Islamischen Staates (IS)), al-Shabab, Jabhat al-Nusra (JaN). Diese Organisationen berufen sich - neben einer jeweils eigenen, auch regionalen Agenda - auf die al-Qaida-Ideologie eines globalen militanten Jihad. Nach dem Tod Usama BIN LADINs im Mai 2011 verfolgen Kern-alQaida und ihre Regionalorganisationen weiterhin ihre Hauptziele: Das Zurückdrängen des westlichen Einflusses auf muslimische Länder sowie den Sturz vermeintlich unislamischer Regierungen im Nahen und Mittleren Osten sowie Nordafrika. Dabei nutzen die terroristischen Organisationen die Destabilisierung einiger Staaten im Nahen Osten im Zuge des Arabischen Frühlings (z. B. Syrien und Libyen), um aus dem Untergrund herauszutreten und quasi staatliche Strukturen unter ihrer Kontrolle zu bilden. Mittler weile stehen größere Gebiete in Syrien und im Irak unter der Kontrolle von Organisationen, die aus der ursprünglichen al-Qaida hervorgegangen sind. Mit der Etablierung gleichsam staatlicher Einheiten durch verschiedene jihadistische Organisationen trat der internationale Jihadismus etwa seit 2012/2013 in eine neue Phase ein. Mit der Regionalisierung al-Qaidas hat sich auch ihre Propaganda verändert. Bereits in den 1990er Jahren hatte al-Qaida begonnen, das Internet zur Verbreitung ihrer Botschaften zu nutzen. Jedoch erfolgte die Propaganda bis Ende des letzten Jahrzehnts vorwiegend auf Arabisch und in weiteren nahöstlichen Sprachen, so dass etwa Muslime im Westen nur eingeschränkt erreicht werden konnten. Mit der Regionalisierung der Organisation und der gleichzeitigen Fortentwicklung des Internets veränderte sich dies. 174 Islamismus Verschiedene jihadistische Organisationen sind dazu übergegangen, zunächst in englischer, dann aber auch in weiteren westlichen Sprachen, für den militanten Jihad zu werben. Besonderes Augenmerk liegt dabei auf der Mobilisierung westlicher Muslime, die einzeln oder in Kleingruppen individuell im Westen tätig werden sollen. Dieses Ziel verfolgt die Regionalgruppierung AQAH mit der Herausgabe der englischsprachigen Internetzeitschrift Inspire bereits seit dem Jahr 2010. Wurden 2010 bis 2014 jeweils zwischen zwei und vier Ausgaben dieser Zeitschrift pro Jahr veröffentlicht, so war es im Jahr 2015 mit der 14. Ausgabe im September lediglich eine. Mit dem Titelthema "Assassination Operations" (Mordoperationen) widmet sich diese Ausgabe, neben den Anschlägen von Paris im Januar, hauptsächlich der Planung und Durchführung von "lone wolf"101-Aktionen im Westen. Es wird zu einer akribischen und klandestinen Vorbereitung geraten; wie in jeder Ausgabe findet sich in der Rubrik "open source jihad" eine Anleitung zur Waffenbeschaffung und zum Waffeneinsatz. Im al-Qaida-Kontext wurden 2015 zwei weitere englischsprachige Onlinemagazine publiziert. Im Juni erschien die zweite Ausgabe von Resurgence, einer Publikation, die sich insbesondere auf Südasien und auf die Aktivitäten von al-Qaida auf dem Indischen Subkontinent fokussiert. Anstelle der in Inspire aufgeführten konkreten Vorschläge für den Jihad propagiert Resurgence abstraktere Anschlagsideen. So wird etwa ausführlich die Abhängigkeit des Westens von Ölvorkommen in der islamischen Welt dargestellt mit anschließenden Tipps für Angriffe auf die Versorgungswege mit mutmaßlich weitreichenden Folgen für die westliche Welt. Im Juli und Oktober erschien mit al-Risalah ein weiteres Online-Magazin in englischer Sprache, als dessen Herausgeber lediglich die Mujahidin in Sham102 ohne einen konkreten Organisationsbezug genannt werden. Al-Risalah versucht die Leserschaft von der vermeintlich religiösen Verpflichtung zum militärisch verstandenen Jihad zu überzeugen und propagiert die Auswanderung nach Syrien. Dieses sowie verschiedene weitere in101 Siehe Abschnitt "Individueller Jihad". 102 Syrien. 175 Islamismus haltliche Aspekte, insbesondere die Ablehnung des IS bei gleichzeitiger Glorifizierung jihadistischer Positionen, lassen eine Nähe dieser Veröffentlichung zur JaN vermuten. Terrororganisation Islamischer Staat (IS) Seit 2003 ist unter wechselnden Namen eine Regionalsektion von al-Qaida auch im Irak aktiv. 2010 wurde Abu Bakr AL-BAGHDADI Emir dieser Organisation, die sich zu diesem Zeitpunkt Islamischer Staat im Irak (ISI) nannte. Seit 2011 existierte mit der zur al-Qaida zählenden Unterstützungsfront für das syrische Volk, in der arabischen Kurzform Jabhat al-Nusra (JaN), eine eigene al-Qaida-Vertretung für Syrien. Trotzdem erklärte im April 2013 AL-BAGHDADI die Nusra-Front mit dem ISI für vereinigt, was die JaN strikt ablehnte. Der ISI nannte sich trotzdem in Islamischer Staat im Irak und Großsyrien (ISIG) um. Der Konflikt eskalierte derart, dass seit Ende 2013 beide Organisationen ungeachtet ihres gemeinsamen Ursprungs immer wieder militärisch gegeneinander vorgehen. Zudem existieren auch ideologische Unterschiede zwischen dem ehemaligen irakischen und dem derzeitigen syrischen Zweig der al-Qaida. Im Irak besteht die Mehrheit der Bevölkerung aus schiitischen Muslimen; der IS als sunnitische Organisation kämpfte seit seiner Gründung im Jahre 2003 von Anfang an gegen die Flagge des IS Dominanz der Schiiten im irakischen Staatsapparat. Diese antischiitische Frontstellung wurde vom IS religiös überhöht und die Schiiten wurden prinzipiell als zu tötende Ungläubige angesehen. Die Mutterorganisation al-Qaida hingegen ging aus Zusammenhängen hervor, die nicht so deutlich wie im Irak vom sunnitisch-schiitischen Gegensatz geprägt waren. Daher betrachteten al-Qaida-Führungskader wie Usama BIN LADIN und Ayman AZ-ZAWAHIRI die "schiitische Frage" als sekundär, etwa im Vergleich zur Konfrontation mit Juden und "Kreuzzüglern". Aufgrund der seit 2013 zunehmend realistisch erscheinenden Vorstellung, die Staatsordnung des Kalifats könnte nun wiedererrichtet werden, breitete sich in Teilen der salafistischen Szene eine geradezu euphorische Stimmung aus. Dies ließ u. a. tausende von europäischen Freiwilligen nach Syrien und in den Irak strömen, um sich dort dem Kampf um einen islamischen Staat anzuschließen. Die Zahlen steigerten sich insbesondere, nachdem ISIG 176 Islamismus sich nach bedeutenden militärischen Erfolgen in IS umbenannte und am 29.06.2014 das Kalifat ausrief. Mit dessen Ausrufung beansprucht AL-BAGHDADI, nunmehr als Kalif IBRAHIM auftretend, die Oberhoheit über alle Muslime weltweit. Tatsächlich wird dieser Machtanspruch, zumindest im Herrschaftsbereich des IS, mit aller Gewalt durchgesetzt. Im Jahr 2015 setzte sich diese Tendenz zum "Staatsbildungsjihadismus" fort. Kernraum der Entwicklung blieb weiterhin das Bürgerkriegsgebiet in Syrien und im Irak. Dem IS stehen die Ressourcen eines staatsähnlichen Gebildes zur Verfügung. Die Möglichkeiten zur Waffenproduktion und sogar -entwicklung sowie zur Indoktrination einer nach Millionen zählenden Bevölkerung stellen ein erhebliches Gefahrenpotenzial dar. Der Versuch, Staatlichkeit herzustellen, also effektiv Kontrolle über Territorium und Bevölkerung auszuüben, wird in Syrien auch von anderen jihadistischen Gruppierungen wie der JaN unternommen. Im Falle der JaN kontrolliert ebenfalls eine Terrororganisation das Leben mehrerer hunderttausend Menschen. Neben der Ausrufung des Kalifats war es besonders der militärische Erfolg des IS, der auf Teile der globalen jihadistischen Szene geradezu euphorisierend wirkte. Dem ISIG gelang es bereits 2013 größere Städte im Irak unter seine Kontrolle zu bringen. 2014 wurde dieses Herrschaftsgebiet sowohl in Syrien als auch im Irak erheblich erweitert. Mit dem Jahr 2015 scheint die territoriale Expansion des IS in Syrien und im Irak jedoch zum Stillstand gekommen zu sein, einige Gebiete gingen im Laufe des Jahres sogar wieder verloren. Höhepunkt der territorialen Expansion des IS stellte die Eroberung der Dreimillionenstadt Mosul Anfang Juni 2014 dar. Mosul beherbergte bereits seit dem ersten Jahrhundert eine große Zahl christlicher Einwohner. Die Christen dieser Stadt wurden vom IS vor die Wahl gestellt, die Stadt zu verlassen, eine demütigende Zwangsabgabe zu entrichten, zum Islam zu konvertieren oder hingerichtet zu werden. Seit Sommer 2014 gilt Mosul als "christenfrei". Noch brutaler verfuhr der IS mit Angehörigen von Religionsgruppen, deren Existenz er nicht anerkennt. Der kurdischstämmigen Religionsgemeinschaft der Jesiden wird vorgeworfen, sie seien 177 Islamismus "Muschrikun", d. h. "Beigeseller". Der Vorwurf von Seiten des IS an Gläubige, die als "Muschrikun" bezeichnet werden, lautet, dass sie Gott einen oder mehrere Götzen "beigesellen" würden. Nach salafistischer Ansicht handelt es sich dabei um Polytheismus, ein todeswürdiges Verbrechen. Nach Interpretation von aus dem ersten Jahrtausend christlicher Zeitrechnung stammenden Vorschriften des islamischen Rechts zum Umgang mit Nichtmuslimen, die gegen Muslime Krieg führen, sieht sich der IS berechtigt, Jesiden zu töten oder zu versklaven. Zeugenaussagen Überlebender und die Entdeckung von Massengräbern in Gebieten, die von der Terrorherrschaft des IS befreit werden konnten, belegen, dass dies in einem erheblichen Ausmaß geschah. Publizistisch hat der IS im Jahr 2015 seine Aktivitäten stark ausgebaut. Nachdem erst im Juli 2014 die erste Ausgabe des offiziellen IS-Magazins Dabiq erschien, konnten bis Januar 2016 bereits 13 verschiedene Hefte in englischer Sprache herausgebracht werden; allein 2015 erschienen sechs Ausgaben dieser Publikationen. Zwar wird mittlerweile in Dabiq auch zum individuellen Jihad103 aufgerufen, im Vordergrund steht jedoch der Versuch der Legitimierung des sogenannten Kalifats. Die Bemühungen, diese offizielle Publikation des IS auch in deutscher Sprache zur Verfügung zu stellen, scheinen aber ins Stocken geraten zu sein. 2015 wurde lediglich die zweite Ausgabe, im englischen Original bereits im Juli 2014 erschienen, ins Deutsche übersetzt. Neben der "Legitimationsschrift" Dabiq erscheinen zumindest im Umfeld des IS Internetzeitschriften in englischer Sprache, die das bieten, was auch Inspire mit seinem "open source jihad" verspricht: praktische Tipps und Anleitungen für terroristische Aktionen nicht zuletzt im Westen. 2015 erschienen mehrere Publikationen in der "black flag"-Buchreihe in englischer Sprache, die in diese Kategorie eingeordnet werden können. "Hijrah to the Islamic State" versucht denjenigen, die in den "Islamischen Staat" übersiedeln wollen, praktische Hilfestellung zu geben. Thematisch fortgeführt wurde dieser "Reiseführer ins Kalifat" durch die Veröffentlichung "How to survive in The West", in dem es konkret um individuelle Terroraktivitäten in westlichen 103 Siehe Abschnitt "Individueller Jihad". 178 Islamismus Demokratien geht. Begründung findet dieser Ratgeber für den bewaffneten Kampf bereits im Vorwort: "Ein wahrer Krieg beginnt im Herzen Europas. Viele Muslime investieren viel in die Anstrengung, der Welt zu zeigen, welch friedvolle Bürger sie sind und stecken viel Geld in Da'wa-Kampagnen, die zeigen sollen, wie kompatibel wir mit der Gesellschaft sind. Doch dies alles ist zum Scheitern verurteilt. Die Führer des Unglaubens lügen ständig in den Medien und sagen, dass wir Muslime alle Terroristen sind, während wir dies verneinen und friedliche Bürger werden wollen. Aber sie haben uns eingekesselt und zwingen uns radikal zu werden. Und dies wird der Grund ihres Untergangs und der Grund für die muslimische Eroberung Roms104 sein." In "How to survive in The West" werden Vorgehensweisen angesprochen, die dazu dienen sollen, die extremistische Einstellung zu verschleiern, Geld für den bewaffneten Kampf zu erlangen sowie sich Waffen zu beschaffen oder selbst zu bauen. Fortgesetzt wird dieser Ratgeber, der sich explizit an eine Einzelperson bzw. an eine kleine Personengruppe wendet und somit der "lone wolf"-Taktik entspricht, durch das eBook "Muslim Gangs. The future of muslims in the west." Die Autoren gehen von einer dramatischen Veränderung zu Ungunsten der Muslime in Europa aus: "Du wirst sehen, dass in den kommenden Jahren ein massiver politischer Schwenk nach Rechtsaußen stattfindet. Die ist begründet in der Verarmung, der Sparpolitik, der Behauptung, Migranten würden uns die Jobs klauen, und der wachsenden Macht des Islamischen Staates in der muslimischen Welt. Die Rechtsaußenparteien sind eine Möglichkeit, dass die Leute ihren Zorn kompensieren und dies wird Tag für Tag klarer bei Betrachtung der Medien." Aufgrund dieser pessimistischen Gesellschaftsanalyse scheint es den Autoren nicht mehr angebracht zu sein, auf isolierte Einzeltäter zu hoffen. "Wir haben bereits in dem Ebook 'How to survive in the west' besprochen, wie man ein 'einsamer Wolf' wird. In diesem Ebook -'Muslim Gangs'gehen wir darüber hinaus und transformieren uns in eine Gang der Stärke." 104 Rom steht hier für Europa. 179 Islamismus Solche "Gangs" müssten gleichermaßen die Propagandawie auch die militärische Front im Auge behalten. Diese Gruppierungen müssten sich bewaffnen und auch die Möglichkeiten des bereits vorhandenen kriminellen Untergrunds, der vielerorts aus nicht praktizierenden Muslimen bestehe, nutzen. Unabhängige muslimische Gemeinschaften müssten gebildet und Feinde notfalls angegriffen werden. "Aber was ist, wenn die Neo-Nazis angreifen? Wir haben bereits in einem früheren Kapitel diskutiert, dass die Brüder, die den Märtyrertod suchen, ihre Autos zu Festungen ausbauen sollten und diese in die feindliche Menge steuern sollten. Verletzt sie auf diese Art, so dass sie sich in Zukunft zweimal überlegen, uns anzugreifen." Im Internet finden sich mittlerweile verstärkt propagandistische Angebote von IS-Sympathisanten, die sich speziell an Frauen richten. Zum Teil gestalten ausgereiste oder sich in Deutschland aufhaltende Frauen diese Darstellungen selbst. Auch enthält beispielsweise das im Februar veröffentlichte eBook "Hijrah to the Islamic State" einen Abschnitt für ausreisewillige Frauen. Individueller Jihad Nach dem 11.09.2001 schien die Strategie islamistischer Terroristen zu sein, Anschläge mit einer möglichst hohen Opferzahl durchzuführen. Tatsächlich kamen bei den Anschlägen von Madrid 2004 (191 Tote) und London 2005 (56 Tote) viele Menschen ums Leben. Darüber hinaus gelang es, zumindest in der westlichen Welt, solche Großanschläge weitgehend zu verhindern. Dies lag vor allem an den komplexen Vorbereitungen, die für solche Aktionen notwendig sind. Relativ viele Personen sind beteiligt und mitunter findet eine verdächtige Kommunikation über elektronische Medien statt. Nachdem verschiedene groß dimensionierte Planungen teilweise schon im Anfangsstadium von den Sicherheitsbehörden aufgedeckt wurden, riefen Organisationen wie al-Qaida oder mittlerweile auch der IS dazu auf, als Einzeltäter oder Kleingruppe tätig zu werden. Bereits seit den 1980er Jahren propagierten amerikanische Rechtsextremisten wie Louis Beam und Tom Metzger Konzepte wie "leaderless resistance" und das "lone wolf"-Vorgehen. Nach diesen 180 Islamismus Strategien sollen Einzeltäter bzw. Kleingruppen Anschläge verüben, die keinen besonders großen Planungsaufwand erfordern, um das Risiko, dass die Sicherheitsbehörden schon im Vorfeld der Aktionen davon Kenntnis erlangen, zu minimieren. Al-Qaida hat sich wiederholt positiv über das terroristische Vorgehen von Einzeltätern bzw. Kleingruppen geäußert. Bereits im Jahr 2012 wird in der neunten Ausgabe des Onlinemagazins Inspire der Jihadtheoretiker Abu Mus'ab AL-SURI zitiert, der den individuellen Jihad in den westlichen Ländern als eine der wichtigsten Strategien ansieht: "Das Fundament der operativen Aktivität ist, dass der Mujahid den individuellen Jihad in dem Land praktiziert, in dem er lebt, so dass er den Aufwand einer Reise in das Gebiet, wo der Jihad direkt praktiziert wird, nicht auf sich nehmen muss." (Inspire, Ausgabe Nr. 9, 2012) Die wichtigsten Ziele des Mujahids seien dabei u. a. politische und administrative Schlüsselfiguren, wirtschaftliche und infrastrukturelle Einrichtungen, "zionistische" Medien und ihr Personal. Ein solches Ziel seien auch Orte, an denen eine größere Anzahl von Juden anzutreffen sind sowie Zivilisten im Allgemeinen, wobei AL-SURI darauf hinweist, Frauen und Kinder zu schonen, wenn diese sich nicht in der Gesellschaft von Männern befinden. In einem weiteren Artikel wird eine Möglichkeit konkretisiert, diesen individuellen Jihad zu praktizieren: "Das Niederbrennen von Wäldern, Farmen, Plantagen und Weiden in den Ländern der ungläubigen Feinde ist ein legitimer Akt." (Ebd.) Nach anfänglicher Zurückhaltung bis in das Jahr 2014 hinein, betonte im Laufe des Jahres 2015 auch der IS mehrfach die Notwendigkeit des individuellen Terrorismus gegen westliche Gesellschaften. Am 26.01.2015 wurde eine Audiobotschaft des IS-Sprechers Abu Muhammad AL-ADNANI mit dem Titel "Sprich: Sterbt an Eurem Grimm!" in jihadistischen Internetforen veröffentlicht. AL-ADNANI betont: 181 Islamismus "Ebenfalls erneuern wir unseren Aufruf an die Muwahhidin105 in Europa und dem ungläubigen Westen und an allen anderen Orten, nehmt die Kreuzzügler in ihren eigenen Ländern und wo immer sie zu finden sind, ins Ziel. Wir werden bei Allah Klage gegen jeden Muslim einreichen, der die Möglichkeit besitzt auch nur einen einzigen Blutstropfen von einem Kreuzzügler zu vergießen, dies aber nicht tut. Ob mit einem Sprengkörper, einer Kugel, einem Messer, einem Auto, einem Stein oder selbst mit einem Schuh oder der Faust." Als besonders aktiv hinsichtlich der Formulierung von Drohungen gegenüber Deutschland und Österreich erwies sich 2015 der österreichische Staatsbürger und ehemalige Emir der in Deutschland seit 2012 verbotenen Organisation Millatu Ibrahim, Mohamed MAHMOUD. MAHMOUD, der sich dem IS angeschlossen hat, verbreitete etwa im Juni folgende Aufforderungen in deutscher Sprache über Twitter: "Nimm ein Messer und schlachte einen kafir106 auf der Straße in Deutschland oder Österreich und unterstütze die khilafa107." "Steh auf rase mit dein Auto in eine Kuffar108 Menge, steche auf sie ein, werfe von Brücken große Steine Du brauchst kein Sprengstoff." "Mein Bruder Fahre in einer vollen Einkaufsstraße mit voller Geschwindigkeit und überfahre soviel von den Kuffar wie du kannst." Dass diese seit Jahren andauernden Aufrufe, allein oder in einer Kleingruppe Anschläge im Westen zu verüben, durchaus erfolgreich sind, zeigt sich an einer Reihe von terroristischen Anschlägen allein aus dem Jahr 2015: f Am 14. und 15.02.2015 wurden bei Angriffen auf ein Kulturzentrum und eine Synagoge in Kopenhagen insgesamt drei Menschen getötet. f Bei einem Angriff am 03.05.2015 auf eine Ausstellung von 105 Bekenner des Monotheismus. 106 Ungläubiger. 107 Kalifat. 108 Ungläubige (Plural). 182 Islamismus islamkritischen Karikaturen wurden in Garland (Texas) die zwei Angreifer erschossen. f Am 26.06.2015 enthauptete ein bislang unauffälliger Jihadist einen Arbeitskollegen und versuchte im Anschluss eine chemische Fabrik nahe Lyon zu sprengen. f Am selben Tag greift ein einzelner Jihadist europäische Touristen an einem Badestrand in Tunesien an und tötet 38 Europäer, darunter 30 Briten und zwei Deutsche. f Bei Angriffen auf amerikanische Militäreinrichtungen in Chattanooga (USA) tötet ein Jihadist am 16.07.2015 fünf Soldaten. f Im Thalys-Zug 9364 von Amsterdam nach Paris ereignete sich am Abend des 21.08.2015 im belgisch-französischen Grenzgebiet ein Anschlag, als der in Brüssel zugestiegene Attentäter das Feuer auf andere Fahrgäste eröffnete. Nachdem er mehrere Menschen verletzt hatte, wurde er überwältigt. f Bei einem Terroranschlag in San Bernardino (Kalifornien) am 02.12.2015 wurden von einem islamistischen Ehepaar 14 Menschen getötet und 21 weitere verletzt. Der Anschlag ereignete sich in einer gemeinnützigen Einrichtung für Menschen mit Entwicklungsbeeinträchtigungen, in der zu dieser Zeit eine Weihnachtsfeier stattfand. f Am 08.01.2016 griff ein in Deutschland registrierter Asylbewerber mit einem Beil eine Polizeiwache in Paris an. Der Angreifer wurde dabei erschossen. f Am 09.01.2016 schoss ein Sympathisant des IS unvermittelt auf einen Polizisten in Philadelphia (USA). Der Polizist erwiderte das Feuer. Beide wurden verletzt. f Am 11.01.2016 griff ein fünfzehnjähriger Schüler einen jüdischen Lehrer in Marseille mit einer Machete an, der dabei leicht verletzt wurde. Der Schüler berief sich auf den IS. Die Attentate von Paris 2015 wurde von allen europäischen Ländern Frankreich am schwersten vom islamistischen Terrorismus getroffen. Bei einer Reihe von Anschlägen, die von drei Tätern verübt wurden, wurden vom 07. bis 09.01.2015 in Paris insgesamt 17 Menschen ermordet. Aufsehen erregte, dass gezielt Objekte angegriffen wurden, die Symbolkraft besaßen. Insbesondere der Überfall auf die Redaktion des 183 Islamismus Satiremagazins Charlie Hebdo, die angeblich den Propheten Muhammad durch den Abdruck von Karikaturen beleidigt hatte, wurde nicht nur als Mordtat, sondern auch als Angriff auf demokratische Werte wie die Meinungsfreiheit interpretiert. Auch der Überfall auf einen Supermarkt für koschere Lebensmittel, der als gezielter antisemitischer Angriff zu werten ist und bei dem vier Menschen jüdischen Glaubens ermordet wurden, löste weltweites Entsetzen aus. Zielgerichtet war auch die Ermordung einer Polizistin. Die drei Attentäter kamen im Zuge von Polizeizugriffen ums Leben. Gegenüber dieser Zielrichtung, Angehörige von Sicherheitsdiensten, der jüdischen Gemeinde und angebliche Beleidiger des Propheten zu treffen, offenbarte sich in den Terrorattacken vom 13.11.2015 in Paris eine völlig andere Absicht. Hier wurde die Botschaft vermittelt, dass jedes Mitglied der Gesellschaft prinzipiell zum Opfer werden kann. Diese Angriffsserie richtete sich gegen Zuschauer eines Fußballspiels im Stade de France, gegen Besucher eines Rockkonzerts sowie gegen Gäste zahlreicher Bars, Cafes und Restaurants. Es handelte sich um mehrere Schusswaffenattentate, ein Massaker mit Geiselnahme sowie sechs Explosionen, die von Selbstmordattentätern mit Sprengstoffwesten ausgelöst wurden. Bei diesen koordinierten Attentaten an verschiedenen Orten wurden 130 Menschen getötet Leben und über 350 verletzt. Außerdem starben sieben der Attentäter in unmittelbarem Zusammenhang mit ihren Angriffen. Zu den Anschlägen bekannte sich der IS. Diese Anschlagsserie entspricht eher den Großanschlägen von Madrid 2004 oder London 2005 als dem in den letzten Jahren vorherrschenden "lone wolf"-Schema. Da der IS derzeit über einen vergleichsweise sicheren Planungsund Vorbereitungsraum in Syrien, im Irak und in Libyen verfügt, können weitere Großanschläge in Westeuropa, die vom "lone wolf"-Muster abweichen, nicht ausgeschlossen werden. Der französische Innenminister Cazeneuve äußerte sich am 24.01.2016 gegenüber einem Fernsehsender dahingehend, dass im Jahr 2015 in Frankreich elf Anschläge "von der Art wie die vom 13. November" verhindert worden seien. "Einer davon drohte ein Konzert in einem Veranstaltungssaal anzugreifen, andere drohten mit massiven tödlichen Anschlägen gegen Franzosen auf Straßen und in Städten", so Innenminister Cazeneuve. 184 Islamismus 4.5 Islamistischer Terrorismus in Deutschland Nicht erst der Anschlag am Frankfurter Flughafen im Jahr 2011 mit zwei ermordeten amerikanischen Soldaten zeigt, dass der islamistische Terrorismus auch für Deutschland eine sehr ernst zu nehmende Gefahr darstellt. Schon deutlich früher forderte er das Leben deutscher Staatsbürger, wie am 11.09.2001 in New York oder bei dem Anschlag auf Besucher einer Synagoge in Tunesien 2002, bei dem 14 Deutsche ermordet wurden. Bei einem Anschlag am 12.01.2016 in Istanbul kamen zehn deutsche Urlauber ums Leben. 2015 wurde die von den Sicherheitsbehörden grundsätzlich als abstrakt bezeichnete Gefahr mit der Absage mehrerer Großveranstaltungen konkret.109 Dies betraf etwa ein für den 01.05.2015 geplantes internationales Radrennen im Raum Frankfurt am Main. In der Wohnung eines Ehepaares waren zuvor u. a. eine funktionsfähige Rohrbombe, Waffen und Munition gefunden worden. Der Ehemann ist mittlerweile vor der Staatsschutzkammer des Frankfurter Landgerichts angeklagt, eine schwere staatsgefährdende Straftat vorbereitet zu haben. Am 19.01.2015 untersagte die Polizeidirektion Dresden alle für diesen Tag angemeldeten öffentlichen Versammlungen unter freiem Himmel aufgrund von Terrorgefahr. Dies betraf sowohl die Veranstaltung der rechtspopulistischen Pegida als auch die entsprechende Gegendemonstration. Ebenfalls aufgrund eines befürchteten Anschlages wurden am 31.12.2015 zwei Bahnhöfe in München temporär gesperrt. Die islamistisch-terroristische Szene in Deutschland spiegelt mittlerweile die Heterogenität der globalen jihadistischen Bewegung wider. Sie umfasst einerseits Gruppierungen, die Beziehungen zu islamistisch-terroristischen Organisationen im Ausland haben und andererseits Kleingruppen und selbstmotivierte Einzeltäter, die an keine terroristische Organisation angebunden sind. Gerade die unabhängigen Gruppen und Einzelpersonen agieren zwar in der Regel im Sinne der von internationalen Organisationen wie al-Qaida oder dem IS vorgegebenen Leitlinien, was sich nicht 109 Siehe auch die Ausführungen im Kapitel 4.6 mit niedersächsischen Veranstaltungen. 185 Islamismus zuletzt auf deren massive Internetpropaganda für einen individuellen militanten Jihad im Westen zurückführen lässt. Jedoch sind sie nicht im Auftrag solcher Organisationen aktiv, sondern führen ihre Aktivitäten selbständig und eigeninitiativ durch. Für die Sicherheitsbehörden stellen insbesondere Einzelpersonen, die selbständig einen Anschlag in Deutschland planen und deren Radikalisierung maßgeblich verdeckt über das Internet erfolgt, eine Herausforderung dar. Ihre Anschlagsplanungen sind im Vorfeld nur schwer zu erkennen. Exemplarisch für ein derartiges eigenständig durchgeführtes Attentat ist der Fall Arid UKA.110 Ein Gefahrenpunkt, der erst in den letzten Jahren hinzugekommen ist, erwächst aus der Spaltung der jihadistischen Bewegung. Der inner-jihadistische Zwist zwischen JaN und IS findet auch in Deutschland Widerhall; innerhalb der hiesigen Szene werden sowohl pro-ISals auch pro-JaN-Positionen vertreten. Beide Organisationen könnten sich veranlasst sehen, durch Terroranschläge in der westlichen Welt ihre Vormachtstellung zu dokumentieren. Auch versuchten sowohl al-Qaida als auch der IS die Anschläge von Paris im Januar 2015 für sich zu vereinnahmen. Durch den Bürgerkrieg in Syrien und im Irak verstärkt sich eine Entwicklung, die im Prinzip bereits im letzten Jahrzehnt mit der Ausreise deutscher Jihadisten nach Afghanistan begonnen hat, nämlich die der zunehmenden Verflechtung der unterschiedlichen Jihadschauplätze, zu denen nach Auffassung vieler Salafisten nunmehr auch Europa und Deutschland gehören. Dies bringen verschiedene ehemals in der deutschen jihadistischen Szene aktive Anhänger des IS in Botschaften zum Ausdruck, die sie aus dem Kriegsgebiet an Gesinnungsgenossen in den deutschsprachigen Ländern senden. Dass der Jihad in Syrien und der in Mitteleuropa den gleichen Stellenwert besitzen, macht etwa Mohamed MAHMOUD in einem im August veröffentlichten Video klar. In diesem Video, in dem er zusammen mit einem anderen aus Deutschland ausgereisten Jihadisten zwei gefangene Männer erschießt, sagt er: 110 Der 21-Jährige Kosovo -Albaner Arid UK A erschoss am 02.03.2011 auf dem Frankfurter Flughafen zwei amerikanische Soldaten und verletzte zwei weitere schwer. Der Attentäter wurde festgenommen und zu lebenslanger Haft verurteilt. 186 Islamismus "Meine Geschwister, entweder ihr schließt euch hier den Mujahidin an, oder führt den Jihad in Deutschland und Österreich durch. Du brauchst nicht viel dafür: Nimm ein großes Messer, geh auf die Straße und schlachte jeden Kafir, der dir gegenüber kommt. Sie sind Hunde und ihr fürchtet sie?" Auch der ehemals gemeinsam mit MAHMOUD in der seit 2012 in Deutschland verbotenen Gruppierung Millatu Ibrahim aktive Denis CUSPERT erwähnt in einem seiner Naschids, der im April als professionell gestaltetes Musikvideo über Twitter verbreitet wurde, die Jihadschauplätze in Europa und Nahost quasi in einem Atemzug: "An euch Feinde Allahs, wo bleiben eure Truppen, wir können euch kaum erwarten, vernichte sie Allah. ... Euer Ende nähert sich, verkrüppelte Soldaten kehren in eure Heimat. ... Augen gehen verloren, Körper ohne Beine, wir wollen euer Blut. Es schmeckt so wunderbar. ... Das Feuer ist entzündet. Wir werden euch verbrennen, erschlagen und ersticken. ... In Frankreich folgten Taten, die deutschen Schläfer warten." Ausreisen nach Syrien und in den Irak Die Bundesrepublik Deutschland ist über sogenannte Jihad-Freiwillige von den in Syrien und im Irak geführten Auseinandersetzungen direkt betroffen. Es liegen mit Stand Ende des Jahres 2015 Erkenntnisse zu ca. 780 deutschen Islamisten bzw. Islamisten aus Deutschland vor, die in Richtung Syrien und Irak gereist sind, um dort auf Seiten des IS und anderer terroristischer Gruppierungen an Kampfhandlungen teilzunehmen oder diese in sonstiger Weise zu unterstützen. Insgesamt zeichnet sich eine verringerte Ausreisedynamik ab. Die militärischen Erfolge des IS seit 2013 sowie die Ausrufung des Kalifats im Juni 2014 hatten zu einer Euphorisierung der weltweiten jihadistischen Szene geführt. Der Abbruch der territorialen Expansion im Jahr 2015 könnte ein Grund für die nachlassende Ausreisedynamik darstellen. Etwa ein Fünftel der gereisten Personen ist weiblich. Der überwiegende Teil der insgesamt gereisten Personen ist jünger als 30 Jahre. Nicht in allen Fällen liegen Erkenntnisse vor, dass sich diese Personen tatsächlich in Syrien oder dem Irak aufhalten oder aufgehalten haben. Etwa ein Drittel dieser gereisten Personen befindet sich momentan wieder in Deutschland. Zu der Mehrzahl 187 Islamismus dieser Rückkehrer liegen keine belastbaren Informationen vor, dass sie sich aktiv an Kampfhandlungen in Syrien oder dem Irak beteiligt haben. Als Ergebnis der kontinuierlichen Ausund Bewertung der Erkenntnislage zu zurückgekehrten Personen liegen den Sicherheitsbehörden aktuell zu über 70 Personen Erkenntnisse vor, wonach sie sich aktiv an Kämpfen in Syrien oder im Irak beteiligt oder hierfür eine Ausbildung absolviert haben. Ferner liegen zu ca. 130 Personen Hinweise vor, dass diese in Syrien oder im Irak ums Leben gekommen sind. Zudem wurden weitere Ausreiseplanungen bekannt. Die deutschen Sicherheitsbehörden sind bestrebt, möglichst viele dieser Ausreiseplanungen frühzeitig wahrzunehmen, um deren Verwirklichung zu unterbinden. Die im Vergleich zu Afghanistan oder Somalia relativ leichte Erreichbarkeit Syriens bewirkt bereits an sich höhere Ausreisezahlen von Jihadwilligen. Die aus den Jihadgebieten zurückgekehrten Personen stellen ein mögliches Sicherheitsproblem dar. Es ist zwar davon auszugehen, dass die Mehrheit der Rückkehrer nicht gewalttätig in Deutschland aktiv werden will, sei es, weil sie traumatisiert sind oder eine Abkehr von der jihadistischen Ideologie vollzogen haben. Ein bestimmter Prozentsatz dieses Personenkreises kehrt allerdings entschlossen und mit militärischen Fähigkeiten ausgestattet nach Deutschland zurück. Der Politologe Peter Neumann111 schätzt, dass "einer von neun Rückkehrern terroristisch aktiv wird." Wie bereits am Anschlag vom 24.05.2014 auf das Jüdische Museum von Belgien in Brüssel abzulesen war, geht tatsächlich von einigen Rückkehrern aus dem Kriegsgebiet eine erhöhte Gefahr aus. Mittlerweile wurden einige Prozesse gegen Jihad-Rückkehrer geführt. So wurden zwei Wolfsburger Unterstützer des IS wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung durch das Oberlandesgericht Celle im Dezember zu vier Jahren und drei Monaten bzw. zu drei Jahren Haft verurteilt. Das erstgenannte Urteil ist noch nicht rechtskräftig, da Staatsanwaltschaft und Verteidigung Rechtsmittel eingelegt haben. Beide Verurteilten waren im Jahr 2014 nach Syrien aufgebrochen, aber schon nach etwa drei Monaten desillusioniert zurück nach Niedersachsen geflohen. 111 Direktor des "International Centre for the Study of Radicalisation" am Londoner King's College. 188 Islamismus Sie haben nach Überzeugung des Gerichts inzwischen mit dem IS gebrochen und in ihren Geständnissen viele Einblicke in die Terrororganisation gegeben. 4.6 Islamistischer Terrorismus im Zusammenhang mit Niedersachsen Nach wie vor steht die Bundesrepublik Deutschland im Fokus islamistischer Terroristen, sodass eine ernstzunehmende Bedrohungslage auch für Niedersachsen vorliegt. Die aktuelle Propaganda wie auch die in den letzten Jahren verhinderten Anschläge machen dies deutlich. Vor dem Hintergrund dieser ernstzunehmenden Bedrohungslage führten Hinweise auf jihadistische Aktivitäten zu Absagen zweier Großveranstaltungen in Niedersachsen. Am Abend des 14.02.2015 hatte ein seit Jahren zuverlässiger Informant den Verfassungsschutz Niedersachsen über ein mitgehörtes Gespräch unbekannter Personen unterrichtet. Aus dem Inhalt des Gesprächs schloss der Informant auf die Gefahr eines islamistisch motivierten Anschlags auf den Braunschweiger Karnevalsumzug (Schoduvel) im Bereich des Altstadtmarktes. Dem Gespräch sei - so der Informant - nicht zu entnehmen gewesen, wie und mit welchen Mitteln ein Anschlag umgesetzt werden sollte. Aus den Hinweisen des Informanten ergab sich für die Polizeidirektion Braunschweig eine konkrete Gefahrenlage, die letztendlich zur Absage des für den 15.02.2015 geplanten Karnevalsumzugs führte. Das Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts eines geplanten terroristischen Anschlags wurde vom Landeskriminalamt Niedersachsen unter der Sachleitung der Staatsanwaltschaft Hannover/Zentralstelle zur Bekämpfung des politisch und religiös motivierten Terrorismus geführt. Nach Ausschöpfung aller zur Verfügung stehenden strafprozessualen Maßnahmen und trotz des hohen Ermittlungsaufwands konnten die Angaben des Informanten nicht erhärtet und auch die von ihm benannten Gesprächsteilnehmer nicht identifiziert werden. 189 Islamismus Nach den Anschlägen von Paris am 13.11.2015 sollte das Fußballländerspiel Deutschland - Niederlande am 17.11.2015 in Hannover ein Symbol der Einigkeit gegen die terroristische Bedrohung sein. Das Spiel musste aufgrund konkreter Gefährdungserkenntnisse kurzfristig abgesagt werden. Den Behörden des Bundes und des Landes Niedersachsen lagen konkrete Hinweise zu einem islamistischen Anschlag im bzw. im Umfeld des Stadions in Hannover vor. Auch hier erbrachten die mittlerweile von der Generalbundesanwaltschaft geführten Ermittlungen keine Erkenntnisse zu verantwortlichen Personen. Bis Ende des Jahres 2015 sind den niedersächsischen Sicherheitsbehörden (Polizei und Verfassungsschutz) ca. 70 Islamisten aus Niedersachsen bekannt geworden, die in Richtung Syrien bzw. Irak ausgereist sind. Unter den Ausgereisten befinden sich etwa zehn Personen, die an Hilfskonvois in Richtung Syrien teilgenommen haben. Die Feststellung, ob die Zielrichtung eines Konvois die humanitäre Hilfe oder aber eine jihadistische Unterstützung beinhaltet, ist im Einzelfall nur schwer möglich. Die weiteren Personen sind ausgereist, um sich tatsächlich oder mutmaßlich an Kampfhandlungen terroristischer Organisationen zu beteiligen oder sich auf andere Weise dem Widerstand gegen das Assad-Regime anzuschließen. Nicht in allen Fällen liegen Erkenntnisse vor, dass sich diese Personen tatsächlich in Syrien aufhalten oder aufgehalten haben. Aufgrund der dynamischen Lageentwicklung in Syrien und im Irak unterliegen die Gesamtzahlen der Ausreisefälle tagesaktuellen Veränderungen mit weiterhin steigender Tendenz. Insbesondere (mutmaßliche) Rückkehrer aus dem Kriegsgebiet stehen im Fokus der niedersächsischen Sicherheitsbehörden. Etwa 25 der ausgereisten Islamisten aus Niedersachsen sind zwischenzeitlich zurückgekehrt. Unter den Rückkehrern befinden sich auch die etwa zehn Konvoi-Teilnehmer. Zu etwa 25 Personen aus Niedersachsen liegen Anhaltspunkte vor, dass sie an Kampfhandlungen teilgenommen oder sich in Ausbildungslagern aufgehalten haben, darunter auch zwei mittlerweile Verurteilte aus Wolfsburg und 14 nach unseren Informationen aus Niedersachsen stammende Ausgereiste, die mutmaßlich in Syrien oder dem Irak verstorben sind. Weitere Personen sind aus unterschiedlichen Gründen nicht bis nach Syrien gelangt. 190 Islamismus Die räumlichen Ausreiseschwerpunkte korrespondieren mit den salafistischen Zentren in Niedersachen. Auf einen Ausreiseschwerpunkt des Jahres 2014 in Niedersachsen, den Raum Wolfsburg, haben die Sicherheitsbehörden bereits zeitnah hingewiesen. Dort sind etwa 30 bis 40 Personen mit jihadistischen Bezügen im Zusammenhang mit dem Kampfgeschehen in Syrien oder dem Irak bekannt, die beispielsweise der Ideologie und Zielsetzung des IS nahe stehen, die Ausreisen nach Syrien oder in den Irak in Erwägung ziehen oder vollzogen haben, die dafür werben oder auf sonstige Weise logistisch unterstützen. 2015 entwickelte sich die Region Hildesheim/Göttingen mit etwa einem Drittel der Ausreisefälle in Niedersachsen zu einem weiteren Schwerpunkt der jihadistischen Szene in Niedersachsen. Ein Großteil der o. g. etwa zehn Hilfskonvoiteilnehmer, bei denen durch Spenden finanzierte Hilfsgüter nach Syrien verbracht werden, steht in Bezug zu Hildesheim. Eine Auswertung der circa 70 bis Ende des Jahres 2015 ausgereisten Personen aus Niedersachsen liefert die im Folgenden aufgeführten Erkenntnisse112. Herkunftsregion in Niedersachsen 40% 36% 35% 35% 30% 25% 20% 15% 9% 7% 7% 6% 10% 5% 0% Wolfsburg/ Göttingen/ Großraum Großraum Großraum Osnabrück Braunschweig Hildesheim Hamburg Hannover Oldenburg 112 Stand: 29.12.2015 191 Islamismus Geschlechterverteilung 78% 80% 70% 60% 50% 40% 30% 22% 20% 10% 0% männlich weiblich Von den aus Niedersachsen Ausgereisten sind etwa drei Viertel männlich. Diese Verteilung ist nicht überraschend und deckt sich mit den Erkenntnissen anderer Sicherheitsbehörden. Jihadistische Organisationen werden grundsätzlich von Männern dominiert und nach wie vor ist der bewaffnete Kampf - mit wenigen Ausnahmen - Männern vorbehalten. Der Wirkungskreis von Frauen beschränkt sich dagegen in der Regel auf die Erziehung der Kinder und den häuslichen Bereich. Dies wird auch durch die Tatsache bestätigt, dass die meisten aus Niedersachsen ausgereisten Frauen entweder gemeinsam mit ihrem Ehemann ausgereist sind oder die Absicht haben, in den Jihadgebieten zu heiraten. Alter 38% 40% 35% 30% 30% 25% 20% 16% 16% 15% 10% 5% 0% 15-20 Jahre 21-25 Jahre 26-30 Jahre über 30 Jahre 192 Islamismus Die überwiegende Mehrheit der Ausgereisten aus Niedersachsen ist zwischen 20 und 30 Jahre alt. Bei den restlichen Ausgereisten erstreckt sich das Altersspektrum von 15 bis 44 Jahre. Darunter befinden sich vier Minderjährige. Dass sich überwiegend junge Menschen für eine Teilnahme am bewaffneten Jihad motivieren lassen, ist einerseits auf deren bessere physische Konstitution im Vergleich zu älteren Menschen zurückzuführen. Andererseits zeigt dies auch, dass vor allem junge Menschen in der Phase der Sinnsuche offen für die Lehren der Prediger des gewaltsamen Jihads sind, die einen stetig steigenden Bekanntheitsgrad und "Kultstatus" in der salafistischen Szene inne haben. Staatsangehörigkeit 45% 41% 40% 35% 29% 30% 30% 25% 20% 15% 10% 5% 0% deutsch doppelte StA ausländische StA Die Mehrheit der ausgereisten Personen ist in Deutschland geboren und demzufolge besitzen auch mehr als zwei Drittel von ihnen die deutsche Staatsangehörigkeit. Unter den Ausgereisten mit ausländischer Staatsangehörigkeit dominieren Tunesier und Türken. Aber es befinden sich auch Personen südosteuropäischer und nahöstlicher Nationalitäten unter ihnen. Festzustellen ist, dass sich der Anteil von Personen ohne Migrationshintergrund nur im niedrigen einstelligen Prozentbereich bewegt. Dies zeigt, dass die Rekruteure des Jihad vor allem in der migrantischen Community erfolgreich sind, was auch dadurch belegt wird, dass die meisten Ausgereisten Geburtsmuslime sind. Nur jeder fünfte Ausgereiste aus Niedersachsen ist erst im Laufe seines Lebens zum Islam konvertiert. 193 Islamismus 4.7 Muslimbruderschaft Mitglieder / Bund: 1.340 Anhänger salafistiNiedersachsen: 100 scher Gruppen Publikationen Risalat ul-lkhwan (Rundschreiben der Bruderschaft) Kurzportrait / Ziele Die auch als "ideologische Mutterorganisation des politischen Islam" bezeichnete Muslimbruderschaft (MB) versucht mit ihrer Strategie der kulturellen Durchdringung der islamischen Staaten, die gesellschaftlichen Voraussetzungen zur Etablierung islamistischer Staatsmodelle zu schaffen. Der MB zugerechnete Gruppen haben sich in der Vergangenheit auch an gewaltsamen Erhebungen gegen die jeweiligen Machthaber in Syrien 1982 und in Algerien während der 1990er Jahre beteiligt. Grund der Beobachtung / Verfassungsfeindlichkeit Den in das internationale Netzwerk eingebundenen deutschen Zweigen der MB ist der gleiche Auftrag gestellt wie den nahöstlichen Zweigen der Bruderschaft: Die Durchdringung von Staat und Gesellschaft durch die Ideologie des Islamismus mit der Scharia113 in ihrer orthodoxen Lesart als allein gültiger Ordnung. Damit verfolgt die MB Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland im Sinne des SS 3 Abs. 1 Nr. 1 NVerfSchG. Ursprung und Entwicklungen Die sunnitische MB ging 1928 in Ägypten aus einer kleinen Gruppe von Männern um Hasan al-Banna hervor, die sich als "Brüder im Dienste des Islam" verstanden. Die Bewegung gewann schnell an Einfluss und Mitgliedern und ist bis heute die größte islamistische Bewegung im Nahen und Mittleren Osten. Ihre überragende Bedeutung verdankt sie dem Umstand, dass sie in allen islamischen Staaten Ableger aufbauen konnte und auch andere islamistische 113 Zur Scharia siehe Kapitel 4.3. 194 Islamismus Gruppen beeinflusste. Nach eigenen Angaben ist die MB heute in über 70 Ländern präsent. Auf ihrer fünften Generalkonferenz 1939 in Kairo legte die MB ihre bis heute gültige Doktrin fest. Darin tritt ein entschieden islamistischer Wesenszug zu Tage. Indem sich die Muslimbrüder auf das Wirken und die Tradition des Propheten und seiner Gefährten berufen, grenzen sie sich von allen "Verunreinigungen" des Islams ab, die die islamische Welt seit dem 7. Jahrhundert heimgesucht hätten. Trotz ihrer internationalen Ausrichtung zeigt die Bruderschaft noch heute eine deutliche arabische Prägung. Ihre wichtigste Basis ist weiterhin Ägypten, wo sie bis zum Sturz des ägyptischen Präsidenten Hosni Mubarak 2011 verboten war. Im Zuge des Arabischen Frühlings wurde der Muslimbruder Mohammed Mursi am 30.06.2012 zum Präsidenten Ägyptens gewählt. Nach nur einjähriger Präsidentschaft setzte ihn die Armeeführung am 03.07.2013 ab. Damit reagierte sie u. a. auf anhaltende Proteste von Teilen der Bevölkerung gegen Mursis islamistische Klientelpolitik. Anhänger der MB protestierten massiv gegen die Absetzung Mursis und wurden vom Militär niedergeschlagen. Am 23.09.2013 verbot die ägyptische Regierung die MB und stufte sie am 25.12.2013 als Terrororganisation ein. Zahlreiche Mitglieder der MB wurden seither verhaftet. Es ist möglich, dass sich aufgrund der staatlichen Repression - ähnlich wie bereits im Ägypten der 1950er und 1960er Jahre - Teile der ägyptischen MB im Untergrund radikalisieren. Die MB ist eine hierarchisch strukturierte Organisation. Als ihr Oberhaupt fungiert der Murschid Amm, der "Allgemeine Führer", dem sich das einzelne Mitglied durch ein Gelöbnis zur Gefolgschaft verpflichtet. Für den Gründer al-Banna trug die Bruderschaft deutlich politische Züge. Darüber hinaus sei sie durch den als allumfassend angesehenen Charakter des Islams eine "der körperlichen Ertüchtigung dienende Gruppe", ein "kultureller und wissenschaftlicher Verband", eine "soziale Idee" und sogar ein "Wirtschaftsunternehmen". Der Wahlspruch der Bruderschaft verdeutlicht den universalen Anspruch: "Gott ist unser Ziel, der Prophet unser Führer, der Koran unsere Verfassung und der Kampf unser Weg. Der Tod um Gottes Willen ist unsere höchste Gnade. Gott ist groß." (nach Franz Kogelmann: "Die Islamisten Ägyptens in der Regierungszeit von Anwar as-Sadat [1970-1981]"; Berlin 1994, Seite 29) 195 Islamismus Vor dem Hintergrund des "Arabischen Frühlings" kam der MB eine zunehmende Bedeutung im politischen und gesellschaftlichen Leben verschiedener arabischer Länder zu. So gingen aus den Parlamentswahlen in Ägypten zum Jahreswechsel 2011/2012 und bei der Wahl zur Verfassungsgebenden Versammlung Tunesiens im Oktober 2011 Parteien, die in der Tradition der Muslimbrüder stehen, als stärkste Gruppierungen hervor. Die Muslimbruderschaft in Deutschland und in Niedersachsen Vorrangiges Ziel der MB ist es, die in Deutschland lebenden Muslime von der "wahren", d. h. von ihrer Interpretation des Islams zu überzeugen. Verschiedene sogenannte islamische Zentren dienen diesem Ziel als organisatorische Stützpunkte. Gewalttätige Aktivitäten der MB in Deutschland wurden bisher nicht festgestellt. Die wichtigste Organisation in Deutschland, die das Gedankengut der MB vermittelt, ist die Islamische Gemeinschaft in Deutschland e. V. (IGD). Neben ihrem Hauptsitz in Köln betreibt die IGD mehrere sogenannte Islamische Zentren, u. a. in Braunschweig. Die HAMAS ("Islamische Widerstandbewegung") ist der palästinensische Zweig der Muslimbruderschaft. Seit 2006 kontrolliert die HAMAS den Gazastreifen und hat dort ein auf rigiden Moralvorstellungen basierendes Regime eingeführt, das auch hart gegen gewaltfrei agierende Oppositionelle vorgeht. Die HAMAS ist über eine Unterorganisation in Deutschland vertreten. Es handelt sich hierbei um den im Mai 1981 im Islamischen Zentrum München gegründeten Islamischen Bund Palästina. In Niedersachsen sind nur einzelne Mitglieder und Funktionäre dieser Vereinigung ansässig. Darüber hinaus ist hier ein Verein angemeldet, von dem einige Mitglieder der tunesischen En-Nahda zuzurechnen sind. Die MB verfolgt auch in Niedersachsen ihren Ansatz der kulturellen und ideologischen Durchdringung. Dementsprechend übt die MB ihren Einfluss auf Moscheen in Niedersachsen in Braunschweig, Göttingen, Hannover und Osnabrück aus. Durch ihr Lehrangebot, wie z. B. in Moscheen angebotene Korankurse, verbreitet die MB ihre Ideologie. Hingegen sind öffentliche Aussagen von der Bruderschaft nahe stehenden Predigern mit antiwestlicher und/oder antijüdischer Tendenz vor dem Hintergrund verstärkter staatlicher Überwachungsmaßnahmen nicht mehr in früherer Schärfe wahrnehmbar. 196 Islamismus 4.8 Tablighi Jama'at (TJ, Gemeinschaft der Missionierung und Verkündung) Sitz / Verbreitung Weltzentrum in Lahore, Pakistan; europäisches Zentrum in Dewsbury (Großbritannien); in Deutschland keine offizielle Niederlassung Gründung / 1926 in Britisch-Indien Bestehen seit Mitglieder / Bund: 650 Anhänger Niedersachsen: 70 Kurzportrait/ Ziele Die Tablighi Jama'at (TJ, "Gemeinschaft der Missionierung und Verkündung") wurde im letzten Jahrhundert als Missionsbewegung gegründet. Sie vertritt ein äußerst rigides Islamverständnis, das die Ausgrenzung der Frau und die Abgrenzung gegenüber Nichtmuslimen beinhaltet. Die Anhänger dieser internationalen islamischen Massenbewegung sind bestrebt, die überlieferte Lebensweise des Propheten Muhammad in Kleidung und täglichen Verrichtungen möglichst genau nachzuempfinden. Koran und Sunna werden strenggläubig und wortgenau befolgt und sollen als Richtschnur für jedes gesellschaftliche Miteinander gelten. Grund der Beobachtung / Verfassungsfeindlichkeit Durch die Propagierung der Scharia114 als Grundlage ihres Gesellschaftsmodells verfolgt die TJ Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des SS 3 Abs. 1 Nr. 1 NVerfSchG. Ursprung und Entwicklungen Angesichts der Dominanz der europäischen Kolonialmächte propagierten sogenannte islamische Reformbewegungen wie die 114 Zur Scharia siehe Kapitel 4.3. 197 Islamismus TJ, die im indo-pakistanischen Raum ihren Ursprung hatten, die Säuberung des Islams von vermeintlichen geistigen und kulturellen Verunreinigungen.115 Heute zählt die TJ nach Zahl und Verbreitung ihrer Anhänger weltweit zu den bedeutendsten islamischen Bewegungen. Ihre Anhänger fühlen sich nicht einer festen Gruppierung zugehörig, sondern sehen sich als Muslime mit missionarischem Auftrag. Obwohl sich die TJ selbst als unpolitisch und gewaltlos darstellt, wird dies aus Sicht der Sicherheitsbehörden anders bewertet. Das strikte Koranverständnis führt zu einer Befürwortung der Scharia, des aus Koran und Sunna hergeleiteten islamischen Rechts, und damit in letzter Konsequenz zum Versuch einer Islamisierung der Gesellschaft. Das Bemühen um eine im Sinne der TJ vorbildliche Glaubenspraxis schließt eine weitgehend wortgetreue und rigide Interpretation des Korans und seiner Rechtsvorschriften ein, so dass damit der Erfüllung religiöser Vorschriften grundsätzlich Vorrang gegenüber einer an staatlichen Gesetzen orientierten Lebensführung eingeräumt wird. Aktivitäten von TJ-Anhängern in Deutschland und Niedersachsen Die Anhänger der TJ reisen in der Regel in Gruppen, in sogenannten Jama'ats, um einerseits den Glauben zu verbreiten und andererseits die Frömmigkeit der Prediger selbst zu stärken. Zielgruppe sind in erster Linie Muslime mit einer vermeintlich unzureichenden Beachtung der Glaubensriten, erst in zweiter Linie Nichtmuslime. Zu den Pflichten eines Mitglieds gehört die freiwillige und unbezahlte missionarische Tätigkeit, die 40 Tage im Jahr betragen soll. Der Schwerpunkt der Aktivitäten der TJ liegt auf dem indischen Subkontinent. In den letzten Jahrzehnten hat diese islamische Massenbewegung ihre Aktivitäten jedoch auf Nordafrika und auf die muslimische Diaspora in Europa, Nordamerika und Australien ausgeweitet. 115 Die Muslime Indiens sahen sich einer zweifachen Bedrohung ausgesetzt. Einerseits hatten sie die politische Macht an die christlichen Briten verloren, andererseits überwog in Indien zahlenmäßig die hinduistische Bevölkerungsgruppe. Während aufklärerische muslimische Kreise die Meinung vertraten, dass vor diesem Hintergrund nur mit westlichen Erkenntnissen, nicht gegen sie, der Aufbruch der Muslime Indiens in die Moderne gelingen könne, lehnten konservativ ausgerichtete sunnitische Rechtsgelehrte sowohl hinduistische als auch westliche Einflüsse ab und forderten deren Eliminierung. 198 Islamismus Niedersächsische Anhänger der TJ sind an das globale Netzwerk der TJ angeschlossen. Von Niedersachsen ausgehende Missionsreisen werden aus der Masjid El Ummah-Moschee im Pakistanzentrum in Hannover nach entsprechender Vorgabe koordiniert. Die niedersächsischen TJ-Anhänger beteiligen sich insbesondere an regelmäßig stattfindenden bundesund europaweiten Treffen, auf denen u. a. organisatorische Entscheidungen der Bewegung getroffen werden. Grundlegende Entscheidungen werden jedoch von den Führungszentren der TJ in Pakistan und Indien bestimmt. Nicht aus Niedersachsen stammende TJ-Anhänger sind aufgrund der durchzuführenden missionarischen Reisen auch regelmäßig in niedersächsischen Moscheen festzustellen, die nicht originär der TJ zuzurechnen sind. Die Bewegung ist bestrebt, ihre missionarischen Aktivitäten ständig zu intensivieren und ihre Anhängerzahl weltweit zu erhöhen. In Niedersachsen stagnieren die Mitgliederzahlen indes. 4.9 Hizb Allah (Partei Gottes) Sitz / Verbreitung Beirut Generalsekretär Hassan NASRALLAH Mitglieder / Bund: 950 Anhänger Niedersachsen: 150 Publikation Al-Ahd (Die Verpflichtung) 199 Islamismus Grund der Beobachtung / Verfassungsfeindlichkeit Die libanesisch-schiitische Organisation Hizb Allah (Partei Gottes) bekämpft mit terroristischen Mitteln den Staat Israel, richtet ihre Propaganda aber auch gegen westliche Institutionen. Mit diesem Bestreben gefährdet die Hizb Allah auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland und wird daher nach SS 3 Abs. 1 Nr. 3 NVerfSchG beobachtet. Im Juli 2013 setzte die Europäische Union den militärischen Arm der Hizb Allah (al-muqawama alislamiya - Islamischer Widerstand) auf die Liste der terroristischen Organisationen. Die Hizb Allah in Deutschland und in Niedersachsen Ungeachtet einer verbreiteten Sympathie unter den hier lebenden schiitischen Libanesen für die politischen und ideologischen Ziele der Hizb Allah tritt diese Organisation in der deutschen Öffentlichkeit kaum mit Aktivitäten in Erscheinung. Veranstaltungen, für die bundesweit geworben werden, haben in der Regel nur geringen Zulauf. Dennoch darf das Mobilisierungspotenzial der Hizb Allah in Deutschland nicht unterschätzt werden. In Niedersachsen sind Anhänger und Sympathisanten der Hizb Allah in mehreren Vereinen organisiert, die die Pflege und Verbreitung der libanesischen Kultur und die Ausübung ihrer Religion als Zweck und Ziel in der Satzung angegeben haben, so u. a. in Hannover, Osnabrück, Uelzen und in Südniedersachsen. Aktivitäten sind auch im niedersächsischen Umland Bremens zu beobachten. Die Vereine finanzieren sich hauptsächlich durch Mitgliedsbeiträge und Spendensammlungen. Die Anbindung an die Hizb Allah erfolgt über Funktionäre, die aus dem Libanon immer wieder zu herausragenden Anlässen anreisen, wie z. B. dem Jahrestag des Abzugs der israelischen Armee aus dem Südlibanon oder zu hohen muslimischen Feiertagen. 200 Islamismus Verbot des Vereins Waisenkinderprojekt Libanon e. V. (WKP) Der Verein Farben für Waisenkinder (FfW), der bis zum Jahr 2014 unter der Bezeichnung Waisenkinderprojekt Libanon e. V. aktiv war, ist ein bundesweit tätiger Spendensammelverein mit Sitz in Essen (NRW). Bis 2013 hatte der Verein seinen Hauptsitz in Göttingen. Seit Jahren unterstützt er mit seinen gesammelten Spendengeldern die "Shahid Stiftung" (Märtyrer Stiftung), die zum sozialen Netzwerk der Hizb Allah gehört. Mit Verfügung vom 02.04.2014 hat der Bundesminister des Innern den Verein nach Vereinsrecht verboten. Zur Begründung wurde angeführt: "Indem das Waisenkinderprojekt durch das Sammeln und Bereitstellen von Spendengeldern für die 'Shahid Stiftung' zur Sicherung des Lebensunterhalts der Hinterbliebenen von gefallenen Hizb Allah-Kämpfern beiträgt, unterstützt und fördert es den Kampf der Hizb Allah gegen Israel und verstößt damit gegen den Gedanken der Völkerverständigung. Die Gewissheit, dass die Hinterbliebenen finanziell unterstützt werden, erhöht die Bereitschaft junger Libanesen, sich am Kampf der Hizb Allah gegen Israel aktiv zu beteiligen. Zudem trägt die finanzielle Unterstützung zur Glorifizierung derjenigen bei, die im Kampf gefallen sind und dies wiederum wirkt motivierend auf die Hizb Allah-Kämpfer bzw. auf diejenigen, die sich am Kampf gegen Israel beteiligen wollen." Die Verbotsverfügung wurde mit der Anordnung des sofortigen Vollzugs versehen. Auch in Niedersachsen waren mehrere Objekte betroffen. Gegen das Verbot hat der Verein am 06.05.2014 Klage erhoben. Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) hat mit seinem Beschluss vom 08.07.2014 die aufschiebende Wirkung der Klage des FfW gegen das Vereinsverbot wieder hergestellt, d. h. der Verein durfte zunächst weiter tätig sein. Am 16.11.2015 hat das BVerwG das Verbot bestätigt und die Klage des Vereins als unbegründet abgewiesen. Damit ist das Vereinsverbot rechtskräftig. 201 05 Extremismus mit Auslandsbezug Extremismus mit Auslandsbezug 5.1 Mitglieder-Potenzial Mitglieder-/Anhänger-Potenzial extremistischer Organisationen 2014 2015 mit Auslandsbezug Bundesrepublik Deutschland Extrem nationalistische Gruppen 10.000 10.500 PKK 14.000 14.000 Sonstige linksextremistische Gruppen 5.330 4.550 Summe 29.330 29.050 Mitglieder-/Anhänger-Potenzial extremistischer Organisationen 2014 2015 mit Auslandsbezug Niedersachsen Extrem nationalistische Gruppen 600 600 PKK 1.600 1.600 Sonstige linksextremistische Gruppen 300 300 Summe 2.500 2.500 5.2 Einführung Der Extremismus mit Auslandsbezug in Niedersachsen wird durch die Aktivitäten der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) dominiert. Aufgrund des rigorosen Vorgehens der türkischen Regierung gegen die PKK insbesondere seit der Parlamentswahl im Juni 2015 muss der Friedensprozess als gescheitert angesehen werden. Die Hoffnung der PKK auf Streichung von der EU-Terrorliste und eine Aufhebung des Betätigungsverbots in Deutschland aufgrund ihres Einsatzes für die Anti-IS-Koalition in Syrien und im Irak ist durch die Eskalation in der Türkei derzeit verflogen. Die Entwicklungen in der Türkei emotionalisieren vor allem die PKK-Jugend, die den Protest auch in die deutsche Öffentlichkeit trägt. Für das Jahr 2016 ist eine weitere Eskalation, auch in Deutschland, zu erwarten, wenn die türkische Regierung ihr rigoroses Vorgehen gegen die PKK fortsetzen sollte. 204 Extremismus mit Auslandsbezug In Niedersachsen existieren weitere Erscheinungsformen des Ex tremismus, die einen starken Bezug zum Ausland aufweisen. Diese Erscheinungsformen des politischen Extremismus werden unter der Bezeichnung "Extremismus mit Auslandsbezug" zusammengefasst. Im Unterschied zum Islamismus liegt die Zielsetzung dieser Gruppen überwiegend in der Durchsetzung linksextremistischer oder ethnisch-nationalistischer Vorstellungen, wobei die Situation im jeweiligen Herkunftsland die Intensität des Auftretens in Deutschland entscheidend mitbestimmt. Die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder verstehen unter Extremismus mit Auslandsbezug daher nichtislamistische, aber extremistische Aktivitäten von Personen, wenn f in Deutschland entsprechende politische Auseinandersetzungen mit Gewalt ausgetragen werden und dadurch die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gefährdet wird, f diese sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung wenden, f vom Bundesgebiet ausgehende Gewaltaktionen in anderen Staaten durchgeführt oder vorbereitet und dadurch auswärtige Belange der Bundesrepublik gefährdet werden oder f Bestrebungen verfolgt werden, die gegen den Gedanken der Völkerverständigung oder das friedliche Zusammenleben der Völker gerichtet sind. Die Aktivitäten dieser Organisationen werden im Wesentlichen von aktuellen Ereignissen und Entwicklungen in den jeweiligen Herkunftsländern bestimmt. Diese Organisationen betrachten Deutschland als sicheren Rückzugsraum, in dem rekrutiert, mobilisiert und propagiert werden kann und von dem aus gewaltsame Aktionen im eigentlichen Bezugsland vorbereitet werden können. Die Propaganda für die jeweilige politische Vorstellung und Mobilisierungsaktionen etwa für Demonstrationen gehen dabei Hand in Hand und werden zunehmend über das Internet durchgeführt. Soziale Netzwerke wie z. B. Facebook oder Messenger-Apps wie WhatsApp dienen darüber hinaus der Gewinnung neuer Sympathisanten und Mitglieder. Häufig sind solche Aktivitäten verbunden mit Aufrufen zur Gewalt oder der Beschaffung finanzieller und sonstiger Mittel. Dies zeigt sich deutlich an der mitgliederstärksten extremistischen 205 Extremismus mit Auslandsbezug Gruppierung mit Auslandsbezug, der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK). Es haben sich jedoch noch weitere extremistische Organisationen u.a. mit Türkeibezug in Deutschland etabliert, die im Folgenden kurz beschrieben werden. Eine Beobachtung durch die Verfassungsschutzbehörde erfolgt in allen Fällen. So ist die ehemalige Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in Deutschland e. V. (Almanya Demokratik Ülkücü Türk Dernekleri Federasyonu, ADÜTDF), die sich 1996 in "Deutsche Türkische Föderation" (Almanya Türk Federasyonu, ATF) umbenannte, ein Sammelbecken extrem nationalistischer Personen mit türkischem Migrationshintergrund. Ihre Mitglieder, die mitunter auch als "Graue Wölfe" (türkisch: Bozkurtlar) bezeichnet werden, orientieren sich politisch an der türkischen Partei der Nationalistischen Bewegung (Milliyetci Hareket Partisi, MHP). Die MHP vertritt einen extremen Nationalismus, verbunden mit der Vorstellung einer ethnisch homogenen Türkei. Die MHP und somit auch die ATF/ADÜTDF beziehen sich in ihren politischen Positionen weiterhin auf den 1997 verstorbenen Alparslan Türkes, der die Vereinigung aller Turkvölker vom Balkan bis nach Zentralasien propagierte. Junge Aktivisten dieser sogenannten Idealisten (türkisch: Ülkücü)-Bewegung engagieren sich weniger in Vereinen, sondern nutzen primär das Internet zur Verbreitung ihrer nationalistischen Vorstellungen. Aktive Vereine der ATF/ ADÜTDF sind in Hannover, Braunschweig und Salzgitter bekannt. Ebenfalls einen Türkeibezug weist die 1994 gegründete Terrororganisation Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front (Devrimci Halk Kurtulus Partisi-Cephesi, DHKP-C) auf. Die DHKP-C befürwortet die proletarische Revolution und die Umwandlung des türkischen Staates in eine marxistisch-leninistische Diktatur. Bei Attentaten, die nach Angaben türkischer Stellen seit Bestehen von der DHKP-C begangen wurden, kamen über 200 Menschen ums Leben. Im März 2015 nahmen zwei Mitglieder der Gruppe im zentralen Justizgebäude Istanbuls einen Staatsanwalt als Geisel. Bei der Stürmung des Gebäudes durch die Polizei kamen dieser sowie die Geiselnehmer ums Leben. Im April 2015 griff ein Mitglied der DHKP-C ein Polizeirevier an und wurde kurz darauf von der Polizei erschossen. 206 Extremismus mit Auslandsbezug Ebenfalls existent sind die türkische Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei (Marksist Leninist Komünist Partisi, MLKP) sowie die Kommunistische Partei der Türkei/Marxisten-Leninisten" (Türkiye Komünist Partisi/Marksist Leninist, TKP/ML). Beide Organisationen bekennen sich zum revolutionären Marxismus-Leninismus und fordern die Zerschlagung des türkischen Staatswesens. Mitglieder der MLKP sind im syrischen Bürgerkrieg im Kampf gegen den Islamischen Staat aktiv, mehrere MLKP-Mitglieder kamen dabei bisher ums Leben. Die Befreiungstiger von Tamil Eelam (Liberation Tigers of Tamil Eelam, LTTE) verfolgen das Ziel, ein von ihnen kontrolliertes Staatsgebilde ("Tamil Eelam") im Nordosten Sri Lankas zu errichten. Dabei gingen sie bis zu ihrer militärischen Niederlage 2009 terroristisch gegen srilankische und indische Ziele vor. Sie gehörten auch zu den terroristischen Gruppierungen, die Selbstmordanschläge verübten. Seit ihrer militärischen Niederlage wird versucht, zumindest im Ausland die Organisation politisch am Leben zu erhalten. Die seit 2006 vorgenommene EU-Listung der LTTE als Terrororganisation ist nach einem Urteil des Gerichts der Europäischen Union, das bei Rechtsgültigkeit auf die Streichung der LTTE von der Terrorliste hinausliefe, gegenwärtig in Frage gestellt. Der Rat der Europäischen Union hat gegen diese Entscheidung Rechtsmittel eingelegt. 5.3 Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) Weitere Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistans (KADEK) / Bezeichnungen Volkskongress Kurdistans (KONGRA GEL) / Gemeinschaft der Kommunen in Kurdistan (KKK) / Vereinigte Gemeinschaften Kurdistans (KCK) Sitz / Verbreitung Nord-Irak Gründung / 1978 in der Türkei Bestehen seit Leitung Abdullah ÖCALAN 207 Extremismus mit Auslandsbezug Mitglieder / Bund: 14.000 Anhänger Niedersachsen: 1.600 Publikationen Yeni Özgür Politika (Neue Freiheit Politik), werktäglich Serxwebun (Unabhängigkeit), monatlich Sterka Ciwan (Stern der Jugend) vormals Ciwanen Azad (Freie Jugend), monatl. Sender u. a. STERK TV Kurzportrait /Ziele Die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) wurde 1978 von Abdullah ÖCALAN in der Türkei gegründet. Sie benannte sich 2002 in Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistans (KADEK) und 2003 in Volkskongress Kurdistans (KONGRA GEL) um. Ab 2005 trat die PKK unter der Bezeichnung Gemeinschaften der Kommunen in Kurdistan (KKK) und seit 2007 unter Vereinigte Gemeinschaften Kurdistans (KCK) auf. Trotz zahlreicher Umbenennungen der PKK ist allen vorgenannten Organisationen gemein, dass der inhaftierte ÖCALAN als ihr Führer gilt. Ursprünglich durch marxistisch-leninistische Programmatik geprägt, vertritt die PKK heute eine kurdisch-nationalistische Ideologie. Die PKK verfolgte zunächst das Ziel, einen politisch autonomen Kurdenstaat auf türkischem, teilweise auch auf iranischem, irakischem, syrischem und armenischem Gebiet zu gründen. Aktuelles Ziel der PKK ist eine politische und kulturelle Autonomie der Kurden in ihren Siedlungsgebieten bei Aufrechterhaltung nationaler Grenzen. Am 15.02.1999 wurde ÖCALAN in Nairobi (Kenia) verhaftet und anschließend in der Türkei wegen Hochverrats zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. Aus dem Gefängnis heraus beeinflusst er die PKK immer noch maßgeblich. Die PKK kämpft in der Türkei seit 1984 mit ihrem militärischen Arm, den Volksverteidigungseinheiten (HPG), für einen unabhängigen Kurdenstaat. Zunächst richtete sich der bewaffnete Kampf dieser PKK-Guerilla gegen türkische Gendarmerieund Militäreinheiten. In den Folgejahren bekämpfte sie aber auch Teile der kurdischen Bevölkerung in der Türkei und u. a. auch in Deutschland, wenn diese sich der Programmatik der PKK und ihrem Alleinvertretungsanspruch widersetzten. 208 Extremismus mit Auslandsbezug Finanzierung Die Beschaffung von Geld ist nach wie vor eine der Hauptaktivitäten der PKK in Deutschland. Der Propagandaapparat, wie z. B. die Fernsehsender oder die Publikationen, muss ebenso finanziert werden wie die politischen Kampagnen, die Unterorganisationen und die Guerilla-Armee. Hierzu dient vor allem die jährlich stattfindende Spendenkampagne. Überdies werden Einkünfte auch durch Mitgliedsbeiträge, den Verkauf von Zeitschriften und den Erlös aus dem Verkauf von Eintrittskarten zu Großveranstaltungen erzielt. Im Jahr 2015 lag der Ertrag allein in Deutschland - wie in den letzten Jahren - bei mehreren Millionen Euro. Die Spendenbereitschaft der mit der PKK sympathisierenden kurdischen Bevölkerung dürfte im Jahr 2015 aufgrund der aktuellen Situation in der Türkei, in Syrien und im Nordirak noch einmal deutlich gewachsen sein. Grund der Beobachtung / Verfassungsfeindlichkeit In der Türkei verfolgt die PKK ihre Ziele bis heute mit Waffengewalt. Dies zeigen die bis in das Jahr 2015 andauernden Auseinandersetzungen zwischen türkischen Sicherheitskräften und der PKK-Guerilla sowie terroristische Anschläge in der Türkei.116 Damit gefährdet die Organisation die auswärtigen Belange der Bundesrepublik Deutschland, so dass eine Beobachtung nach SS 3 Abs. 1 Nr. 3 NVerfSchG erforderlich ist. Auch in Deutschland versuchte die PKK mit gewalttätigen Aktionen den Kampf in der Türkei zu unterstützen und ist nach wie vor bereit, militante Aktionen ihrer Anhänger zumindest zu billigen. Damit ist die Organisation eine Bedrohung für die innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland (SS 3 Abs. 1 Nr. 1 NVerfSchG). Aus diesen Gründen untersagte 1993 das Bundesministerium des Innern der PKK, sich im Bundesgebiet zu betätigen. Das Betätigungsverbot umfasst auch die Organisationen KADEK, KONGRA GEL, KKK und KCK. Mittlerweile setzt die PKK im Rahmen einer Doppelstrategie zwar weiterhin in der Türkei auf Waffengewalt, Deutschland jedoch dient nunmehr als Rückzugsraum, in dem rekrutiert und aus dem heraus Propaganda betrieben wird. 116 Siehe Abschnitt "Aktivitäten im Zusammenhang mit der Situation in Syrien und im Nordirak". 209 Extremismus mit Auslandsbezug Nach einem Beschluss des Rates der Europäischen Union vom 02.05.2002 wurde die PKK in die Liste terroristischer Organisationen ("EU-Terrorliste") aufgenommen. Organisatorische Strukturen Koordination der kurdisch-demokratischen Gesellschaft in Europa (Civata Demokratik Kurdistan) Im Zuge der 2013 eingeleiteten Neustrukturierung der PKK in Europa hatte sich der Dachverband PKK-naher Vereine "Konföderation der kurdischen Vereine in Europa" (KON-KURD) in "Kurdischer Demokratischer Gesellschaftskongress in Europa" (Avrupa Demokratik Kürt Toplum Kongresi, KCD-E) oder "Kongress der kurdisch-demokratischen Gesellschaft in Europa" umbenannt.117 Die KCD-E bildet nunmehr die PKK-Europaführung, in die auch die "Koordination der kurdisch-demokratischen Gesellschaft in Europa" (Civata Demokratik Kurdistan, CDK) als politischer Arm der PKK integriert ist. Die CDK unterliegt ebenfalls dem vereinsrechtlichen Betätigungsverbot. Die Organisation unterhält ein verzweigtes Netz verdeckt handelnder Funktionäre, die Anordnungen und Vorgaben der Organisationsspitze an die nachgeordneten Hierarchieebenen (Deutschland ist in vier Bereiche eingeteilt, die ihrerseits aus insgesamt 30 Gebieten bestehen) zur Umsetzung weitergeben. An der Spitze dieser hierarchischen Strukturen stehen Funktionäre, die in der Regel von der Europaleitung der Organisation für einen begrenzten Zeitraum eingesetzt werden. Demokratisches Kurdisches Gesellschaftszentrum Deutschlands Deutschlandweit gehören ca. 45 kurdische Ortsvereine dem der PKK nahestehendem Demokratischen Kurdischen Gesellschaftszentrum Deutschland (Navenda Civaka Demokratik a Kurden li Elmanyaye, NAV-DEM) an. NAV-DEM ist eingebettet in die in Belgien ansässige europäische Dachorganisation KCD-E. 117 Siehe Niedersächsischer Verfassungsschutzbericht 2014, Seite 186. 210 Extremismus mit Auslandsbezug NAV-DEM initiiert regelmäßig über seine Ortsvereine öffentlichkeitswirksame Aktionen, die sich jeweils auf aktuelle Geschehnisse (z. B. Exekutivmaßnahmen gegen PKK-nahe Einrichtungen, mutmaßliche Leichenschändungen des türkischen Militärs an getöteten PKK-Guerillakämpfern) oder bestimmte Jahrestage, etwa den Gründungstag der PKK, beziehen. NAV-DEM ist nicht vom PKK-Betätigungsverbot betroffen. Die zugehörigen Ortsvereine agieren aber häufig als Anmelder von Veranstaltungen mit Bezug zur politisch-ideologischen Zielsetzung der PKK. In Niedersachsen existieren NAV-DEM-Vereine in Hannover, Hildesheim, Lohne, Osnabrück, Peine und Salzgitter. NAV-DEM organisierte mit Hilfe der Ortsvereine auch 2015 zahlreiche Veranstaltungen. Hervorzuheben ist das 23. Internationale Kurdistan-Festival, das jährlich Besucher aus ganz Europa anzieht. In diesem Jahr fand es unter dem Doppel-Motto "Freiheit für ÖCALAN - Status für Kurdistan" und "No Pasaran - Wir sagen NEIN zum Krieg" am 05.09.2015 in Düsseldorf statt. Unter den ca. 21.000 Besuchern (2014: 30.000 Besucher) befanden sich auch zahlreiche Personen aus Niedersachsen. Dem Festival ging der obligatorische mehrtägige "Marsch der Jugendlichen" voraus, an dem sich etwa 80 Angehörige der Jugenddachorganisation Ciwanen Azad ("Bewegung der freien Jugend Kurdistans") beteiligten. Der Marsch startete am 01.09.2015 in Wuppertal und endete im Rahmen des Festivals mit einem militärisch anmutenden Einmarsch der Teilnehmer. Im Verlauf des Marsches war es am 02.09.2015 in Remscheid zu einer gewalttätigen Auseinandersetzung mit einer etwa gleich großen Gruppe rechtsextremistischer Türken gekommen, die mit mehreren Fahrzeugen angereist waren. Eine Polizeibeamtin wurde durch Steinwürfe leicht am Kopf verletzt. Jugendorganisation Die PKK-Jugendorganisation Komalen Ciwan (KC) ist auch im Jahr 2015 unter anderem im Rahmen von gewalttätigen Aktionen und Rekrutierungen für die PKK in Erscheinung getreten. Der KC ist das "18. Mazlum-Dogan Jugend-, Kulturund Sportfestival" zuzurechnen, das am 18.07.2015 wie im Vorjahr nahe Paris stattfand. 211 Extremismus mit Auslandsbezug An dem von der Ciwanen Azad unter dem Motto "Xwedi Derkeve - Stehe dazu!" organisierten Festival nahmen nach eigenen Angaben hunderte Jugendliche, davon ein nicht geringer Teil aus Deutschland, teil. Zur Eröffnung des Festivals wurden die Jugendlichen aufgefordert, "zu ihrer Führung, ihrer Heimat, ihren Gefallenen, ihrem eigenen Kampf, ihrer Kultur und ihrer Geschichte" zu stehen.118 Die Propagandaveranstaltung soll an den gleichnamigen Funktionär der PKK erinnern, der sich 1982 in türkischer Haft das Leben nahm und seitdem als Märtyrer verehrt wird. Zur Veranstaltung gehörten neben sportlichen Wettkämpfen und einem kulturellen Rahmenprogramm auch politische Redebeiträge. Die Ausrichtung sportlicher Wettkämpfe hat in der PKK Tradition. Mit derartigen Veranstaltungen versucht die PKK in erster Linie, ihre jugendlichen Anhänger stärker an sich zu binden und weitere Jugendliche für die Organisation zu interessieren. Sonstige Massenorganisationen Weitere PKK-nahe Massenorganisationen verfolgen das Ziel, den Einfluss der PKK in möglichst allen Segmenten der kurdischstämmigen Gemeinschaft zu verankern. Nicht zuletzt richtet sich das Augenmerk auf Gruppen, die als gesellschaftliche Multiplikatoren wirken bzw. in Zukunft wirken könnten. Entsprechend fungieren die Union der kurdischen Lehrer (YMK), der Verband der Studierenden aus Kurdistan (YXK), die Union der Journalisten Kurdistans (YRK) sowie die Union der Juristen Kurdistans (YHK). In diesem Zusammenhang ist auch die Etablierung der Islamischen Gemeinde Kurdistans (CIK) als Versuch der Einflussnahme auf kurdischstämmige Muslime zu werten. Diese Organisationen sind auch in Niedersachsen aktiv. 118 Yeni Özgür Politika vom 20.07.2015, Seite 12. 212 Extremismus mit Auslandsbezug Aktivitäten im Zusammenhang mit der Situation in Syrien und im Nordirak Beherrschendes Thema innerhalb der PKK-Anhängerschaft ist seit 2014 die Lage der kurdischen Bevölkerung in Syrien und im Nordirak. Die PKK versucht diese Bevölkerungsgruppe zusammen mit ihrem syrischen Ableger, der PYD (Partiya YekitA(r)ya Demokrat, "Partei der Demokratischen Union") sowie deren bewaffnetem Arm, der YPG (Yekineyen Parastina Gel, "Volksverteidigungseinheiten"), für sich zu vereinnahmen. Tatsächlich kontrolliert die YPG verschiedene mehrheitlich kurdisch besiedelte Gebiete in Nordsyrien sowie Teile vorwiegend kurdisch bewohnter Viertel in Aleppo. Diese Gebiete werden als eigenständige kurdische Verwaltungseinheiten verwaltet, auf die weder der syrische Staat noch islamistische Oppositionskräfte Einfluss nehmen können. Darüber hinaus wurde die YPG auch im Irak aktiv, als sie dort zur Verteidigung zehntausender vor dem sogenannten Islamischen Staat (IS) fliehender Jesiden militärisch angriff. Insgesamt gelten die der PKK nahe stehenden kurdischen Kämpfer als eine effektive, den IS und andere jihadistische Gruppen bekämpfende Kraft. Nachdem kurzfristig die Parlamentswahlen in der Türkei am 07.06.2015 und der Einzug der linken und prokurdischen Demokratischen Partei der Völker (HDP) in das Parlament das beherrschende Thema waren, bestimmte der im Nachgang zum Attentat in Suruc am 20.07.2015 aufgekündigte Friedensprozess zwischen der regierenden AKP und der PKK das weitere Geschehen. Bei dem Attentat wurden mehr als 30 Personen getötet, die meisten von ihnen waren linksgerichtete Aktivisten, die sich auf einen Hilfseinsatz in den syrischen Kurdengebieten vorbereiteten. Obwohl alle Hinweise auf eine Urheberschaft des IS deuteten, machte die PKK die türkische Regierung für dieses Attentat zumindest mitverantwortlich. Durch die angebliche Unterstützung der Türkei für den IS habe die Regierung in Ankara den Boden für diese Tat bereitet. Im Gefolge des Attentats von Suruc verübte die PKK zahlreiche Anschläge auf türkische Soldaten und Polizisten, während die türkische Luftwaffe PKK-Stellungen im Nordirak angriff. Am 08.09.2015 drang das türkische Militär erstmals mit Bodentruppen in den Nordirak ein, um zwei Rebellengruppen der PKK im bergigen Gebiet zu verfolgen. Ein türkischer Regierungsvertreter 213 Extremismus mit Auslandsbezug erklärte in diesem Zusammenhang, dass es sich um eine befristete Maßnahme gehandelt habe, mit der beabsichtigt worden sei, die Flucht der Terroristen zu verhindern. Nach einem Anschlag der PKK in der Provinz Hakkari mit 16 Toten äußerte der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoglu, er wolle die Region "von Terroristen säubern". Präsident Erdogan forderte die PKK auf, ihre Waffen bedingungslos niederzulegen: "In diesem Moment ist die einzige Lösung für die terroristische PKK, ihre Waffen zu strecken, es kann über nichts anderes geredet werden". Nach Ansicht von Erdogan seien die Strukturen der PKK bereits schwer angeschlagen, die Bemühungen zur vollständigen Zerschlagung der Organisation würden fortgesetzt. "Keine Kräfte, Banden, Organisation oder Täuschungsmanöver können die Macht des Staates aufhalten, sobald sie in Bewegung ist", sagte Erdogan. Seitdem kommt es in der Türkei fast täglich zu Konflikten zwischen innertürkischen Gruppierungen aus dem linken und dem nationalistischen Lager. Korrespondierend mit den Ereignissen in der Türkei reagierte in Europa und insbesondere in Deutschland die türkisch-/kurdischstämmige Bevölkerung. Bereits mit dem Anschlag in Suruc rief das NAV-DEM alle Kurden und türkischen Demokraten in Deutschland dazu auf, angesichts dieses Terroraktes nicht zu schweigen und sofort auf die Straße zu gehen. In etwa 30 Städten im Bundesgebiet fanden überwiegend friedlich verlaufene Demonstrationen statt. Bei einer Veranstaltung in Berlin mit ca. 1.100 Teilnehmern mussten beginnende Gewalttätigkeiten von der Polizei unterbunden werden. Es wurden insgesamt 13 Ermittlungsverfahren wegen Landfriedensbruch eingeleitet. Am 25.07.2015 veröffentlichte die "Apoistische JugendinitiativeEuropa" (PKK-Jugendorganisation) einen Aufruf, u. a. auf der Homepage von YXK, in dem kurdische Jugendliche dazu aufgerufen werden, auf die Straße zu gehen und militante Aktionen zu verwirklichen. Unter Bezugnahme auf die aktuellen Geschehnisse wurde u. a. ausgeführt: 214 Extremismus mit Auslandsbezug "Wir rufen alle in Europa lebenden kurdischen Jugendlichen, die sich 'Kurden oder Kurdinnen' würdeoder ehrenvoll nennen, zum aktiven Widerstand gegen die AKP und IS auf. Die Apoistische kurdische Jugend muss von nun an auf die Straßen, und dem Mörder Pakt die Luft verengen und ihnen das Leben zur Hölle machen. ... Solange bis sich die Schergen der AKP oder des IS nur mit Angst auf die Straße trauen und ihre Vernichtungspolitik aufgeben, sollte kein einziger kurdischer Jugendlicher ruhig daheim sitzen und seine Zeit verschwenden. ... Wir in Europa Lebenden müssen als Genossen und Militante/Aktivisten Reber119 APOs die hier lebenden Schurken zur Rechenschaft ziehen." Die KC riefen derweil zum Volksaufstand ("Serhildan") in Europa auf und erklärten, dass jedem Angriff der Türkei begegnet werden müsse: "Für jeden ermordeten Jugendlichen müssen sich mehrere tausend Jugendliche massenhaft zu den Guerillas in die Berge begeben. Für alle verhafteten Jugendlichen müssen im Gegenzug gegen die Exekutive der AKP, die Polizisten und Soldaten, die härtesten Maßnahmen ergriffen werden." PKK-Aktivitäten in Niedersachsen In Niedersachsen stieg, wie im gesamten Bundesgebiet, die Aktionsund Mobilisierungsbereitschaft unter den sich hier vor Ort befindlichen PKK-Anhängern und Sympathisanten an. Es fanden u. a. in Hannover, Göttingen, Hildesheim und Oldenburg diverse Versammlungen PKK-naher Gruppierungen mit bis zu 450 Teilnehmern statt, die in der Regel einen friedlichen Verlauf nahmen. Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang die erneute kurzfristige Besetzung des Flughafens Hannover-Langenhagen am 27.07.2015, an der u. a. Anhänger der Ciwanen Azad HannoverNiedersachsen teilnahmen. Ungeachtet des erhöhten Mobilisierungsaufkommens geschahen vereinzelte gewaltbezogene Affekttaten gegenüber türkischen Einrichtungen und salafistischen sowie türkisch-nationalistischen Anhängern, die von PKK-nahen, aber auch von kurdischstämmigen oder linksorientierten Personen, denen kein eindeutiger PKK-Bezug nachgewiesen werden konnte, ausgingen. 119 Reber heißt hier "Anführer". 215 Extremismus mit Auslandsbezug In Oldenburg etwa beschimpften drei unbekannte Täter eine als Salafist ausgemachte Person mit den Worten: "Wir sind Kurden (PKK), du bleibst nicht hier, glaub uns, du musst sofort unsere Siedlung verlassen oder wir bringen dich um" und schlugen anschließend auf ihn ein. Am 30.07.2015 kam es zu einer Sachbeschädigung des Türkischen Generalkonsulates in Hannover, indem drei unbekannte Täter das Objekt mit mit Farbe gefüllten Flaschen bewarfen. Ein Bekenntnis zu dieser Tat wurde auf der Internetseite "indymedia.org" veröffentlicht und endete mit den Worten "Biji Berxwedana PKK" (freie Übersetzung: "Hoch lebe der Widerstand der PKK"). In Hannover wurden zudem zwei LIES!-Stände angegriffen, an denen Salafisten kostenlose Koranexemplare verteilten. Während des ersten Zwischenfalls sprachen ca. 100 kurdische Personen im Anschluss an eine Versammlung verbale Drohungen gegenüber den Betreibern des LIES!-Standes aus und versuchten, diesen zu "stürmen". Hierbei wurde eine den Stand betreuende Person leicht verletzt. Bei einem weiteren Angriff gab eine männliche (kurdischstämmige) Person mit einem Schreckschussrevolver auf die LIES!-Stand betreibenden Personen zwei Schüsse ab, bei denen jedoch niemand verletzt wurde. Der Beschuldigte konnte kurze Zeit später durch die Polizei festgenommen werden. Die hier exemplarisch aufgeführten Sachverhalte verdeutlichen die aufgeheizte Stimmung innerhalb der Anhängerschaft der PKK in Niedersachsen, aber auch unter kurdischstämmigen oder linksorientierten Personen, die keinen direkten PKK-Bezug aufweisen. Ein Eintrag des YXK vom 09.09.2015 bei Facebook, in dem u. a. zu einer Demonstration in Hannover aufgerufen wird, unterstreicht diese Einschätzung: "Organisiert Proteste vor türkischen Konsulaten, faschistischen Vereinen, macht Aktionen des zivilen Ungehorsams, veröffentlicht Namen von Faschisten und ihren Vereinen. Verteidigt die Ideen der HDP und baut sie selbst mit auf!". Am 10.09.2015 warfen bislang unbekannte Täter in der Hannoveraner Innenstadt faustgroße Steine, von denen einer mit einem Zettel und der Aufschrift "Rache" (in türkischer Sprache) versehen war, gegen die Scheiben eines türkischen Kaffees. Fernerhin 216 Extremismus mit Auslandsbezug wurde am 12.09. bzw. 13.09.2015 auf der Außenwand eines türkischen Kulturzentrums in Hannover von unbekannten Tätern der Schriftzug "PKK" angebracht. Eine weitere Eskalationsstufe stellen die gewalttätigen Auseinandersetzungen am 12.09.2015 in Hannover zwischen Anhängern der PKK und Personen aus dem türkisch-nationalistischen Spektrum dar, bei denen ein Kurde durch einen Messerstich in den Hals lebensgefährlich verletzt worden ist. Auch gegen die vor Ort eingesetzten Polizeibeamten wurden Angriffe durch PKK-nahe Personen verübt. Ein 50-jähriger Deutsch-Türke konnte als Tatverdächtiger für den Messerangriff ermittelt werden. Das Opfer ist inzwischen außer Lebensgefahr; der Tatverdächtige wurde vorerst wieder entlassen. Ausgangspunkt war eine von nationalistischen Türken angezeigte, friedlich verlaufene Versammlung mit ca. 650 Teilnehmern unter dem Motto "Gegen die PKK und die aktuellen Ereignisse im Süd-Osten der Türkei", die den oben beschriebenen Ausschreitungen vorangegangen war. In Anbetracht dieser Ereignisse wurde von kurdischer Seite für den 13.09.2015 in Hannover eine Versammlung in Form eines Aufzuges mit ca. 1.700, teils PKK-nahen Teilnehmern unter dem Motto "Aktuelle Ereignisse/ Verletzung eines Kurden" durchgeführt, die ohne besondere Vorkommnisse verlief. In der Zeit vom 14.09. bis 18.09.2015 fand am Steintor in Hannover eine friedlich verlaufene Mahnwache des Kurdistan Volkshauses Hannover e. V. mit dem Motto: "Kein Fußbreit dem AKP/ IS Faschismus" statt. Unter demselben Motto versammelten sich am 19.09.2015 ca. 400 Personen auf dem Opernplatz in Hannover und begaben sich anschließend friedlich in Richtung Steintor. Zur Teilnahme an dieser Versammlung hatten u. a. die PKK-nahen Gruppierungen Ciwanen Azad Hannover-Niedersachsen und die "Ortsgruppe" YXK Hannover aufgerufen. Neben den Demonstrationsveranstaltungen in Hannover kam es bundesweit wie z. B. in Berlin und Essen ebenfalls zu Protestveranstaltungen, die teilweise von gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen kurdischstämmigen und türkisch-nationalistischen Demonstranten begleitet wurden. 217 Extremismus mit Auslandsbezug Darüber hinaus fanden am 19.09.2015 in Lohne ein Informationsstand und in Oldenburg eine Demonstration mit etwa 350 Teilnehmern, davon ca. 20 Personen der linksautonomen Szene, statt. Beide Veranstaltungen verliefen friedlich. In mehreren deutschen Städten (Stuttgart, 2x Köln, Wuppertal) fanden am 19./20.09.2015 sowohl prokurdische als auch protürkische Veranstaltungen (in der Spitze mit bis zu 1.200 Teilnehmern) statt. Eingesetzte Polizeibeamte konnten schwere gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen rivalisierenden Kurden und Türken verhindern. Wenngleich in Deutschland friedliche Veranstaltungen im Vordergrund stehen, nutzt die PKK ihre hiesige Organisation zu Propagandaund Rekrutierungsaktivitäten für ihre Guerillaeinheiten in den Krisengebieten. In Niedersachsen liegen Erkenntnisse vor, dass eine Personenzahl im niedrigen zweistelligen Bereich in das Kampfgebiet ausgereist ist. Konkrete Erkenntnisse über eine Beteiligung an Kriegshandlungen liegen aber nicht vor. In einigen wenigen Fällen liegen Informationen über die Rückkehr von Personen vor. Friedensprozess zwischen der PKK und dem türkischen Staat aufgekündigt Im Nachgang zu dem oben erwähnten Attentat in Suruc am 20.07.2015 und gegenseitigen Schuldzuweisungen zwischen der regierenden AKP und der PKK ist der bisherige Friedensprozess zwischen beiden Parteien aufgekündigt worden. Seitdem hat sich der Konflikt zwischen der türkischen Regierung und der PKK deutlich zugespitzt. Zwar verkündete die PKK in der Zeitung "Yeni Özgür Politika" vom 12.10.2015 eine einseitige Waffenruhe bis zur Vollendung der Parlamentswahlen am 01.11.2015, in der sie lediglich von ihrem legitimen Recht auf Selbstverteidigung Gebrauch machen und von Aktionen absehen werde, die dem Verlauf der Wahlen schaden könnten. Angesichts fortdauernder Aktionen der türkischen Regierung gab die PKK in einer am 06.11.2015 in der gleichen Zeitung veröffentlichen Erklärung das Ende des Gewaltverzichts bekannt. Aufgrund der verschärften Fortsetzung des Krieges gegen die Kurden könne die einseitig erklärte Phase der Aktionslosigkeit nicht fortgesetzt werden. Diese Phase sei wegen der Kriegspolitik und der Angriffe beendet. In 218 Extremismus mit Auslandsbezug der von der KCK verfassten Erklärung heißt es weiter, dass eine neue Waffenruhe nur stattfinden könne, wenn beim türkischen Staat die Entschlossenheit zu einer Lösung der Kurdenfrage zu erkennen sei und wenn auf eine Lösung ausgerichtete Gespräche eingeleitet würden. Strafverfahren gegen Funktionäre der PKK Im Jahr 2015 befanden sich so viele (hochrangige) Funktionäre der PKK in Strafbzw. Untersuchungshaft wie seit vielen Jahren nicht mehr. Am 06.03.2015 verurteilte das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf den ehemaligen Leiter des Wirtschaftsund Finanzbüros (Ekonomi ve Maliye Bürosu, EMB) wegen Mitgliedschaft in der ausländischen terroristischen Vereinigung PKK (SS 129b Strafgesetzbuch (StGB)) zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren. Zudem soll er sich als ehemaliger Leiter des Bereiches "Mitte" in Deutschland betätigt haben. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, da der Beschuldigte Revision eingelegt hat. Ebenfalls wegen Mitgliedschaft in der ausländischen terroristischen Vereinigung PKK wurde am 18.07.2015 aufgrund eines Haftbefehls des Bundesgerichtshof (BGH) ein hochrangiger Funktionär verhaftet. Die Person wird verdächtigt, von Juni 2013 bis Juni 2014 den Bereich "Mitte" geleitet zu haben. Er habe die nachgeordneten Gebietsleiter angeführt, deren Arbeit kontrolliert und dafür gesorgt, dass Anweisungen der PKK-Europaführung umgesetzt wurden. Auch aufgrund eines Haftbefehls des BGH wurde am 26.08.2015 ein weiterer hochrangiger Führungskader der PKK verhaftet. Auch diese Festnahme erfolgte im Rahmen eines im Oktober 2013 eingeleiteten Ermittlungsverfahrens des Generalbundesanwalts (GBA) wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in der ausländischen terroristischen Vereinigung PKK. Die Person ist dringend verdächtigt, als hauptamtlicher Führungskader der PKK koordinierende Funktionen zwischen der Europaführung der PKK und den PKK-Kadern in Deutschland ausgeübt zu haben. Am 28.08.2015 verurteilte das OLG Hamburg einen hochrangigen Funktionär wegen Mitgliedschaft in der ausländischen terroristischen Vereinigung PKK zu einer Haftstrafe von drei 219 Extremismus mit Auslandsbezug Jahren. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass er zwischen Januar 2013 und Juli 2013 hochrangiger Kader der PKK im Bereich "Mitte" sowie im Anschluss daran bis zu seiner Verhaftung am 29.08.2014 im Bereich "Nord" gewesen war. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Die Polizei nahm am 21.10.2015 den mutmaßlichen Gebietsleiter Sachsen wegen Mitgliedschaft in der ausländischen terroristischen Vereinigung PKK fest und durchsuchte in Dresden sechs sowie in Hannover ein weiteres Objekt. Der Beschuldigte steht im Verdacht bis Juli 2015 PKK-Gebietsleiter in Hannover gewesen zu sein, bevor er nach Sachsen wechselte. Auf Anordnung des OLG Celle wurde am 11.11.2015 in Bremen ein Führungsfunktionär wegen Mitgliedschaft in der ausländischen terroristischen Vereinigung PKK festgenommen. Vorgeworfen wird ihm, als mutmaßliches Mitglied der PKK von Juni 2013 bis Juli 2015 für das PKK-Gebiet Oldenburg und seit Anfang August 2015 für den Bereich Hamburg, Stade und Lüneburg verantwortlich gewesen zu sein. Bewertung / Tendenzen / Ausblick Die zum Teil unfriedlichen Protestaktionen insbesondere im Zusammenhang mit der Terrororganisation IS zeigen, wie unmittelbar der Konflikt in Syrien und dem Nordirak von den Kurden auch in Deutschland wahrgenommen und bewertet wird. Das künftige Demonstrationsgeschehen dürfte daher ganz wesentlich von der weiteren Entwicklung in den dortigen Regionen abhängen. Bei einer weiteren Lageverschärfung in den kurdischen Siedlungsgebieten Syriens und des Irak ist mit einer gesteigerten Emotionalisierung der hiesigen PKK-Anhänger - insbesondere kurdischer Jugendlicher - zu rechnen. Grundsätzlich verfolgt die PKK weiterhin eine Doppelstrategie. Außerhalb der kurdischen Siedlungsgebiete versucht sie, mit weitgehend gewaltfreien Protestaktionen auf die Lage der Kurden aufmerksam zu machen, wobei sie auch gewalttätige Aktionen in Kauf nimmt. In der Türkei hingegen soll mit der Fortsetzung des bewaffneten Kampfes Druck auf den Staatsapparat ausgeübt werden. 220 Extremismus mit Auslandsbezug Aktuell ist die Tätigkeit der PKK in Europa auf die politische, materielle und personelle Unterstützung des Kampfes in der Heimat (Türkei, Syrien und Nordirak) ausgerichtet. Die Beschaffung finanzieller Mittel für die Ausrüstung und Bewaffnung des militärischen Arms, für die Unterhaltung des Parteiapparates und seiner medialen Plattformen sowie die Parteiaktivitäten bilden daher in Europa und insbesondere in Deutschland auf allen Organisationsebenen einen Schwerpunkt. Die aktuellen Rekrutierungsaufrufe bestätigen, dass die PKK insbesondere für die bewaffneten Auseinandersetzungen mit dem IS in Syrien und Irak Kämpfer benötigt. Solange die Kämpfe zwischen dem IS und der PKK andauern, ist davon auszugehen, dass die Rekrutierungsaktivitäten der PKK aufrechterhalten bleiben. Im Hinblick auf die aktuelle Situation in der Türkei und die damit einhergehende Emotionalisierung ist in Deutschland und auch in Niedersachsen mit vermehrten Solidaritätsveranstaltungen zu rechnen. Sollten die gegenseitigen Angriffe zwischen der Türkei und der PKK fortgesetzt werden, werden nicht nur die Demonstrationen der PKK-Anhänger anhalten, sondern auch "militante" Aktionen gegen türkische Einrichtungen wahrscheinlicher. Insbesondere jugendliche PKK-Anhänger sind zunehmend bereit, auch gewaltsame Aktionsformen einzubeziehen. Diese können sich neben türkischen Einrichtungen auch auf Personen des türkisch-nationalen bzw. des salafistischen Spektrums sowie gegen Einsatzkräfte der Polizei richten. Auch mit medienwirksamen Besetzungen zum Beispiel auf Flughäfen, Bahnhöfen, Rundfunkanstalten sowie türkischer Geschäfte oder Räumlichkeiten von türkisch-nationalen Inhabern oder Vereinen ist zu rechnen. 221 06 Prävention Prävention 6.1 Prävention Seit einigen Jahren bildet sich der Trend heraus, dass sich die unterschiedlichen extremistischen Szenen verändern hinsichtlich der Art, wie sich ihre Anhänger organisieren und miteinander kommunizieren. Es zeigt sich, dass in den drei vom Verfassungsschutz beobachteten Extremismusphänomenen - Rechtsextremismus, Islamismus/Salafismus, Linksextremismus - gleichermaßen zunehmend jugendkulturelle Einflüsse sichtbar werden, der Organisationsgrad bei gleichzeitiger Fokussierung auf aktionsorientierte Angebote sinkt und die Bedeutung des Internets bzw. der Sozialen Netzwerke maßgeblich steigt. Extremistische Bestrebungen sind gegenwärtig hochgradig dynamisch, Aktionsfelder und -formen wechseln schnell. Um zeitgemäß auf die aktuellen Trends im Extremismus reagieren zu können, hat der Niedersächsische Verfassungsschutz Anfang 2014 den Fachbereich Prävention eingerichtet. Prävention ist eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung, die ausschließlich im Zusammenwirken von Staat und Zivilgesellschaft bewältigt werden kann. Der Niedersächsische Verfassungsschutz ist Kooperationspartner innerhalb eines Netzwerkes von unterschiedlichen Präventionsakteuren mit dem Anspruch, adressatengerechte Präventionsangebote für verschiedene Zielgruppen bereitstellen zu können. In seiner Präventionsarbeit fokussiert der Niedersächsische Verfassungsschutz insbesondere auf die Aufklärung der Öffentlichkeit über Extremismusphänomene, Radikalisierungsprozesse und aktuelle, die innere Sicherheit betreffende Entwicklungen in der Gesellschaft. Denn informierte Bürgerinnen und Bürger sind das Fundament einer gesamtgesellschaftlichen Extremismusprävention. Der Niedersächsische Verfassungsschutz hält hierzu folgende Präventionsangebote bereit: f Bereitstellung von Referentinnen und Referenten für Fachvorträge, f Veröffentlichung von Informationen des Verfassungsschutzes im Rahmen eigener Veranstaltungen und Publikationen, f speziell für bestimmte Adressatenkreise konzipierte Informationsreihen (u. a. Wanderausstellung, 224 Prävention Lehrkräftefortbildungen, Beratung von Funktionsträgerinnen und -trägern in Städten und Kommunen), f Betreuung von Personen, die sich von extremistischen Ideologien, Szenen und Lebenswirklichkeiten abwenden möchten (Aussteigerprogramm Aktion Neustart120). Besondere Bedeutung misst der Niedersächsische Verfassungsschutz der Schulung von Berufsgruppen der Jugendund Bildungsarbeit zu. Der Niedersächsische Verfassungsschutz bietet daher in Kooperation mit Schulen und anderen Bildungseinrichtungen Unterstützung in der Extremismusprävention an, um diejenigen, die täglich mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen arbeiten, Kenntnisse über extremistische Ideologien zu vermitteln und sie damit in die Lage zu versetzen, frühzeitig Radikalisierungsprozesse erkennen und notwendige Präventionsmaßnahmen ergreifen zu können. Insbesondere der Schule kommt als Institution, die jeder junge Mensch für einen bestimmten Zeitraum durchläuft, eine besondere Rolle in der Primärprävention zu. 6.2 Vortragsund Informationsveranstaltungen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Verfassungsschutzes können zu allen Themen des Extremismus als Referenten eingeladen werden, z. B. von Kommunen, Vereinen, Parteien, zivilgesellschaftlichen Organisationen, Behörden, Schulen und anderen Bildungseinrichtungen. Ebenso werden Projekttage, Seminare und Workshops fachlich begleitet. Die Expertise der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Niedersächsischen Verfassungsschutzes wurde 2015 stark nachgefragt. Die Anfragen sind seit 2014 stetig angestiegen. In 168 (2014: 62) Fachvorträgen zu den verschiedenen Extremismusformen informierte der Niedersächsische Verfassungsschutz auf Anfrage rund 6.000 Bürgerinnen und Bürger über aktuelle Erscheinungsformen im Rechtsextremismus, Islamismus sowie Linksextremismus. Der Schwerpunkt lag auf den Themenbereichen Rechtsextremismus 120 Siehe hierzu Kapitel 6.8. 225 Prävention (49 Vorträge mit rund 1.375 Teilnehmenden) und Islamismus, hier insbesondere dem Salafismus. Hierzu wurden in 67 Veranstaltungen über 2.500 Teilnehmende sensibilisiert. Neben den angefragten Veranstaltungen wurden ferner im Rahmen der Wanderausstellung "Gemeinsam gegen Rechtsextremismus" begleitend vier Lehrerfortbildungen zum Thema Rechtsextremismus und vier zum Thema Islamismus/Salafismus durchgeführt. Insgesamt konnten 152 Lehrerinnen und Lehrer über Hintergründe und Entwicklungen in den Extremismusformen Rechtsextremismus und Islamismus/Salafismus sensibilisiert werden. 6.3 Ausstellung "Gemeinsam gegen Rechtsextremismus" Ein wesentliches Element der Präventionsarbeit des Niedersächsischen Verfassungsschutzes ist die Wanderausstellung "Gemeinsam gegen Rechtsextremismus". Die Ausstellung gibt insbesondere Einblicke in die rechtsextremistische Jugendszene. Der Niedersächsische Verfassungsschutz ist davon überzeugt, dass Lernen und Verstehen über das Ansprechen aller Sinne geschieht. Deshalb werden die Informationen über den Rechtsextremismus innerhalb der Ausstellung auch anhand einschlägiger Musik (hören), Internetpropaganda (sehen & hören) und Szenebekleidung (tasten & sehen) vermittelt. Im Jahr 2015 war die Ausstellung in Hannoversch Münden, Braunschweig, Soltau, in der Gedenkstätte Hannover-Ahlem und Osnabrück zu Gast. Fachkundige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Niedersächsischen Verfassungsschutzes führten 182 Schulklassen und andere Gruppen durch die Wanderausstellung und vermittelten die aktuellen Entwicklungen im Rechtsextremismus und erreichten damit annähernd 4.300 Schülerinnen und Schüler. Die Ausstellung war jeweils von einem umfänglichen Begleitprogramm flankiert, das von den Kooperationspartnern vor Ort organisiert wurde. Die bereits oben erwähnten vier Lehrkräftefortbildungen zum Rechtsextremismus wurden gemeinsam mit Partnern aus der Zivilgesellschaft durchgeführt. 226 Prävention Die Wanderausstellung, die zuvor unter dem Titel "Unsere Demokratie schützen - Verfassungsschutz gegen Extremismus" präsentiert wurde, konnte seit ihrem Bestehen im Jahre 2005 in mittlerweile 74 Orten Niedersachsens und angrenzenden Bundesländern in über 1.340 Führungen etwa 48.000 Schülerinnen und Schüler und andere Gruppen erreichen. 6.4 Informationsmaterialien Der Niedersächsische Verfassungsschutz erstellt Informationsmaterialien (Faltblätter & Broschüren) zu aktuellen Entwicklungen im Extremismus und veröffentlicht den jährlichen Verfassungsschutzbericht, der einen detaillierten Überblick über die extremistischen Entwicklungen in Niedersachsen gibt. Mittels der Faltblattreihe "Der Niedersächsische Verfassungsschutz informiert" wird die Öffentlichkeit fortlaufend über aktuelle Themen des Extremismus informiert. Bislang sind die Titel "Islamismus", "Jihadistischer Salafismus", und "Rechtsextremismus" erhältlich. Darüber hinaus veröffentlicht der Niedersächsische Verfassungsschutz Broschüren, in denen vertiefte Informationen zu Extremismusphänomenen vermittelt werden. Derzeit liegen die Broschüren "Salafismus: Erscheinungsformen und aktuelle Entwicklungen" sowie "Salafismus kompakt: Handreichung für die Arbeit in Flüchtlingseinrichtungen Niedersachsens" vor. Die Publikationen können über die Presseund Öffentlichkeitsarbeit des Niedersächsischen Verfassungsschutzes angefordert werden und stehen auf der Internetseite des Niedersächsischen Verfassungsschutzes als Download zur Verfügung. 6.5 Symposien Bereits seit 2006 werden vom Niedersächsischen Verfassungsschutz öffentliche "Extremismus-Symposien" zu aktuellen Themen veranstaltet, in deren Rahmen anerkannte Experten aus unterschiedlichen Blickwinkeln Themen des Extremismus 227 Prävention diskutieren. Die Inhalte werden jeweils zusammengefasst auf der Internetseite des Niedersächsischen Verfassungsschutzes veröffentlicht. Am 29.04.2015 fand unter dem Titel "Salafismus & Islamfeindlichkeit: - Aktuelle Zusammenhänge zwischen zwei Extremismusformen" das zehnte Symposium des Niedersächsischen Verfassungsschutzes im Alten Rathaus in Hannover statt. Auf dieser Veranstaltung diskutierten ca. 250 Gäste mit Expertinnen und Experten über aktuelle Zusammenhänge zwischen Salafismus und Islamfeindlichkeit. Berichte über Salafisten - nicht zuletzt durch die Ausreisen junger Muslime aus Deutschland nach Syrien und in den Irak - beherrschen zunehmend den öffentlichen Diskurs über den Islam. Gleichermaßen dominieren Salafisten in Deutschland durch ihre Medienaffinität das Informationsangebot über den Islam. Sie politisieren zentrale Schriften, Begriffe und Konzepte, auf die sich alle Muslime beziehen, und verbreiten ein einseitiges Islambild. Das nutzen islamfeindliche Rechtsextremisten und -populisten, um die Religion des Islam und die politische Ideologie des Islamismus gleichzusetzen und gegen alle Muslime Stimmung zu machen. Erstmalig wurden nicht nur Vorträge gehalten, sondern auch Workshops zu den Themen Islamfeindlichkeit, Salafismus im Internet, Umgang mit Syrienrückkehrern und zum Begriff des Islamimus angeboten. 2016 wird die Reihe der "Extremismus-Symposien" fortgesetzt. 6.6 Podiumsdiskussionen 2014 startete der Niedersächsische Verfassungsschutz unter dem Titel "Aktuell und Kontrovers - Verfassungsschutz im Diskurs mit Wissenschaft und Zivilgesellschaft" eine neue Veranstaltungsreihe. Bei dieser Veranstaltungsreihe stehen nicht die eigenen Positionen des Niedersächsischen Verfassungsschutzes im Vordergrund; vielmehr bietet sie ein Forum, um Akteure der Wissenschaft, der Zivilgesellschaft und der Politik miteinander ins Gespräch zu bringen. Gesellschaftliche Diskurse zu wichtigen Themen sollen initiiert werden. 228 Prävention Nachdem 2014 Veranstaltungen dieser Reihe zu den Themen "Was ist Linksextremismus heute?" und "Wie gehen wir mit dem Salafismus in der Praxis um?" stattgefunden hatten, folgte am 01.07.2015 die dritte Podiumsdiskussion zum Thema "Wie weit darf Engagement gegen Rechtsextremismus gehen?". Die Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus gehört zu den zentralen Anliegen staatlicher und zivilgesellschaftlicher Einrichtungen. Dabei ging es darum, Rechtsextremismus bzw. Faschismus aus einer demokratischen Einstellung heraus zu bekämpfen. Wo liegen die Grenzen in der Auseinandersetzung mit dem Rechts extremismus? Inwiefern passt der Protest vieler jugendlich geprägter Strömungen des Linksextremismus gegen den Rechtsextremismus im Jahr 2015 noch zu den bekannten links extremistischen Theorien und Vorstellungen? Wann schlägt kritisches Verhalten gegen Staat und Gesellschaft in Linksextremismus um? Über 90 Gäste diskutierten mit Experten aus Wissenschaft und Praxis über das Thema. 6.7 Landesprogramm gegen Rechtsextremismus Im Koalitionsvertrag zwischen der SPD und Bündnis 90/Die Grünen ist unter der Überschrift "Kompromisslos gegen Rechtsextremismus" vereinbart worden, dass das Vorgehen gegen Rechtsextremismus unter Verantwortung des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport in einem Landesprogramm gebündelt und ausgebaut wird. Schwerpunkte dieses Landesprogramms sollen die Stärkung der Zivilgesellschaft sowie der Ausbau der politischen Bildung und der Beratung und Unterstützung von Opfern rechtsextremer Gewalt sein. Zur Umsetzung der Koalitionsvereinbarung wurde ein Interministerieller Arbeitskreis (IMAK) unter Beteiligung der maßgeblichen Ressorts MJ, MK, MS, MWK und der Staatskanzlei eingerichtet. Die Federführung des IMAK liegt bei der Verfassungsschutzabteilung des Ministeriums für Inneres und Sport. Die Sitzungen des IMAK wurden von Wissenschaftlern des proVal-Instituts für sozialwissenschaftliche Forschung, Beratung und Evaluation (proVal) moderiert. 229 Prävention Das Programm für eine zeitgemäße Rechtsextremismusprävention umfasst verschiedene Aufgabenfelder und setzt die Vernetzung der zuständigen Ressorts mit Akteuren der Zivilgesellschaft voraus, um effektiv handeln und Synergieeffekte optimal nutzen zu können. Die entwickelten Ziele beinhalten dabei sowohl präventive als auch repressive und unterstützende Aspekte. Vor allem sieht das Landesprogramm eine Stärkung der Zivilgesellschaft im Kampf gegen Rechtsextremismus und eine stärkere Unterstützung für Opfer rechtsextremer Diskriminierungen und Gewalt vor. Der Aufbau und die Umsetzung des Landesprogramms erfordern die Einrichtung einer zentralen Koordinierungsstelle, die beim Landespräventionsrat im Niedersächsischen Justizministerium angesiedelt und durch eine ressortübergreifende Arbeitsgruppe gesteuert werden soll. Für die kontinuierliche Einbindung zivilgesellschaftlicher Akteure ist die Einrichtung eines Praxisbeirats vorgesehen, der sowohl beratende als auch impulsgebende Funktionen haben soll. In einem gemeinsamen Entschließungsantrag der Regierungsund Oppositionsparteien hat sich der Niedersächsische Landtag im Februar 2016 für ein Landesprogramm gegen Rechtsextremismus - Für Demokratie und Menschenrechte ausgesprochen. 6.8 Aktion Neustart Das Aussteigerprogramm Aktion Neustart unterstützt Rechtsextremisten bei ihrem Ausstieg und berät Eltern, Lehrer, Arbeitgeber und Freunde, die befürchten, dass jemand in die rechtsextremistische Szene geraten ist. Außerdem spricht Aktion Neustart proaktiv Rechtsextremisten an und versucht, Impulse für einen Ausstieg zu setzen. Das Aussteigerprogramm unterstützt alle Ausstiegswilligen, vom jungen Szeneeinsteiger über Mitläufer und Aktivisten bis hin zu langjährigen Führungskadern der rechtsextremistischen Szene. Aktion Neustart hilft dem Aussteiger, seine rechtsextremistischen Einstellungsmuster abzulegen und sich sicher aus dem Umfeld der rechtsextremistischen Szene zu lösen. Hilfe beim Aufbau einer neuen sozialen und beruflichen Existenz wird auch nach dem 230 Prävention Ausstieg angeboten. Die Unterstützung ist dabei stets kostenlos, freiwillig und absolut vertraulich. Das Angebot des Aussteigerprogramms umfasst: f vertrauliche Beratung am Telefon, f vorurteilsfreie Gespräche über Probleme, Ängste und Wünsche, f persönliche Beratung und Begleitung im Ausstiegsprozess, f Erstellung eines individuellen Ausstiegsplans, f Unterstützung bei der Arbeits-, Ausbildungsoder Wohnungssuche und im Umgang mit Behörden, f Hilfe in Bedrohungssituationen, f Unterstützung bei der Bearbeitung von Alkohol-, Drogenund finanziellen Problemen, f Hilfe bei der Entfernung von rechtsextremistischen Tätowierungen, f Unterstützung bei Gesprächen mit Eltern, Lehrern und Arbeitgebern. Das Team der Aktion Neustart ist interdisziplinär zusammengesetzt. Die Mitarbeiter verfügen über langjährige Erfahrung im Umgang mit Rechtsextremismus und arbeiten auf Grundlage pädagogischer Fachkenntnisse und Methoden. Die umfangreichen Verfassungsschutzerkenntnisse über die rechtsextremistische Szene ermöglichen es Aktion Neustart, fundierte Gefahrenprognosen zu erstellen und dadurch mögliche Bedrohungslagen für eine Aussteigerin oder einen Aussteiger frühzeitig zu erkennen. Durch das Zusammenspiel sicherheitsbehördlicher und pädagogischer Fähigkeiten sowie langjähriger Erfahrungen in der Ausstiegsarbeit, wird ein Aussteiger nicht nur bei der Distanzierung von rechtsextremistischen Einstellungsmustern unterstützt, sondern es wird auch dafür gesorgt, dass seine persönliche Sicherheit beim Ausstieg aus der rechtsextremistischen Szene gewahrt wird. Im Ausstiegsprozess sollen die persönlichen Einstiegsmotive und die entwickelten rechtsextremistischen Einstellungsmuster erkannt, besprochen und aufgelöst werden. Neben der gemeinsamen Bearbeitung der individuellen Problemlagen wird eine persönliche Gefährdungsanalyse erarbeitet. Ziel dieser Ausstiegsarbeit ist die Hinwendung des Aussteigers zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung und den Grundund Menschenrechten. 231 Prävention Bei Bedarf kooperiert Aktion Neustart nach Absprache mit anderen staatlichen und zivilgesellschaftlichen Institutionen, wie zum Beispiel dem Zentrum Demokratische Bildung Wolfsburg. Die Ausstiegsarbeit zeigt regelmäßig, dass die rechtsextremistische Szene gerade für junge Menschen vermeintlich einfache Lösungen für komplexe Fragen bietet. Orientierungslosigkeit, Sinnsuche, Identitätsprobleme, persönliche Defizite und Ängste können damit nur oberflächlich und meist nur begrenzte Zeit kompensiert werden. Der Wunsch nach Anerkennung und Erlebnisorientierung sind fundamentale Motive für eine Hinwendung zur rechtsextremistischen Szene. Das Internet, vor allem Soziale Netzwerke, bietet heutzutage die Möglichkeit, erste Kontakte zu Rechtsextremisten herzustellen und rechtsextremistisches Gedankengut unreflektiert zu übernehmen. Neben dem Austausch rechtsextremistischer Meinungen können zudem problemlos rechtsextremistische Schriften, Filme und Musik heruntergeladen werden. Die Erfahrungen in der Ausstiegsarbeit zeigen immer wieder einen Exklusivitätsanspruch der rechtsextremistischen Szene, der externe Freundschaften kaum noch zulässt und eine gesellschaftliche Isolierung verlangt. Gerade das Internet stellt im Ausstiegsprozess eine große Herausforderung dar und erschwert einen Neuanfang. Bis Ende 2015 konnte in 33 Fällen ein erfolgreicher Ausstieg aus der Szene erreicht werden. Zudem wurden 27 Beratungsgespräche mit Eltern, Lehrern und Arbeitgebern geführt. 65 Rechtsextremisten wurden proaktiv angesprochen. Die proaktive Ansprache in Sozialen Netzwerken stellt dabei eine Erweiterung der Ansprachemöglichkeiten dar. Zum einen wird auf das Angebot des Aussteigerprogramms Aktion Neustart aufmerksam gemacht, zum anderen erreicht diese virtuelle Präsenz und die gezielte Ansprache in Sozialen Netzwerken die Zielgruppe von Aktion Neustart und setzt Impulse, einen Ausstiegswillen zu entwickeln. Im Jahr 2015 wurden vermehrt Anfragen auch aus dem salafistischen Spektrum verzeichnet. Hier zeigt sich ein zunehmender Handlungsbedarf in der Ausstiegsarbeit für Menschen, die aus der islamistischen Szene aussteigen wollen. 2016 wird Aktion Neustart daher auf den Bereich des Islamismus ausgeweitet. 232 Prävention Kontakt: Mobil 0172/4444300 Mail: aktion.neustart@verfassungsschutz.niedersachsen.de Aktion Neustart ist auch auf Facebook. 6.9 Kontaktdaten Für Wünsche zu Vortragsund Informationsveranstaltungen steht der Bereich der Prävention beim Verfassungsschutz unter folgenden Kontaktdaten zur Verfügung: Telefon: 0511/6709-215 Telefax: 0511/6709-394 E-Mail: praevention@verfassungsschutz.niedersachsen.de Informationen zur Wanderausstellung "Gemeinsam gegen Rechtsextremismus", wie aktuelle Ausstellungsorte, Termine für Führungen, Voraussetzungen für die Präsentation etc., erhalten Sie ebenfalls unter der o. a. Telefonnummer oder E-Mail-Adresse. Siehe hierzu auch Kapitel 1.17. 233 07 ScientologyOrganisation (SO) Scientology-Organisation (SO) 7. Scientology Organisation (SO) In Niedersachsen entfaltet die Scientology-Organisation (SO) durch die "Scientology Gemeinde Hannover" keine nennenswerten Aktivitäten und ist im Gesamtgefüge der Organisation als bedeutungslos einzustufen. Die Mitgliederzahlen von ca. 300 Personen sowie die Aktivitäten von SO sind in Niedersachsen seit Jahren stagnierend bzw. rückläufig. Auf eine umfangreichere Darstellung im Verfassungsschutzbericht wird daher bei gleich bleibender Bewertung verzichtet. Aufgrund der verfassungsfeindlichen Ziele der Gesamtorganisation bleibt die SO aber auch in Niedersachsen Beobachtungsobjekt. 236 Scientology-Organisation (SO) 237 08 Spionageabwehr / Proliferation / Elektronische Angriffe Spionageabwehr / Proliferation / Elektronische Angriffe 8.1 Spionageaufkommen in Niedersachsen Der Arbeitsbereich Spionageabwehr im Niedersächsischen Verfassungsschutz hat den gesetzlichen Auftrag, alle Informationen über sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Aktivitäten zu sammeln und Spionage sowie Proliferation121 zu verhindern. Dabei geht es insbesondere darum, den Schutz der in Niedersachsen lebenden Bürgerinnen und Bürger zu gewährleisten und den Wirtschaftsstandort Niedersachsen vor Spionage zu bewahren. Niedersachsen ist insbesondere als erfolgreicher Wirtschaftsstandort mögliches Ziel von Spionageaktivitäten fremder Geheimbzw. Nachrichtendienste122. Nachrichtendienste westlicher Staaten wurden durch die Spionageabwehr bislang nicht systematisch bearbeitet. Lediglich wenn konkrete Anhaltspunkte auf ein unabgesprochenes nachrichtendienstliches Vorgehen hindeuteten, wurde diesen nachgegangen. Als Konsequenz aus den Veröffentlichungen von Edward Snowden, wonach die National Security Agency (NSA) nachrichtendienstliche Aktivitäten auch in der Bundesrepublik entfaltete, kam es zu einer Abkehr von der Konzentration auf die klassischen nachrichtendienstlichen Gegner. Es soll allen fremden Staaten erschwert werden, illegale nachrichtendienstliche Aktivitäten in Deutschland durchzuführen. Hauptträger der Spionageaktivitäten in der Bundesrepublik Deutschland sind nach wie vor die Russische Föderation, die Volksrepublik China, aber auch der Iran. Die Schwerpunkte ihrer Beschaffungsaktivitäten orientieren sich an den politischen Vorgaben und wirtschaftlichen Prioritäten. Insgesamt sind fremde Geheimbzw. Nachrichtendienste in unterschiedlicher Personalstärke u. a. an den jeweiligen amtlichen Vertretungen (z. B. Botschaften, Generalkonsulate = Legalresidenturen) in Deutschland präsent und unterhalten dort Stützpunkte. Geheimund Nachrichtendienstmitarbeiter können 121 Proliferation ist die Weiterverbreitung von ABC-Waffen und Trägersystemen; siehe auch Kapitel 8.2. 122 Im Gegensatz zu Geheimdiensten unterliegen Nachrichtendienste einer rechtsstaatlichen Kontrolle und haben keine polizeilichen Befugnisse. 240 Spionageabwehr / Proliferation / Elektronische Angriffe dort als Diplomaten getarnt tätig werden und Informationen beschaffen oder sie leisten Unterstützung bei geheimdienstlichen Operationen ihrer Zentralen. Eine Vielzahl von Informationen, die für fremde Geheimbzw. Nachrichtendienste interessant erscheinen und früher nur mit klassischen Spionagetätigkeiten zu erheben waren, sind heutzutage mit relativ geringem technischen Aufwand und fast ohne Risiko auf elektronischem Wege zu erlangen. Zum Teil muss aufgrund bestimmter Parameter auch von einer geheimbzw. nachrichtendienstlichen oder staatlichen Beteiligung ausgegangen werden. Im Umkehrschluss bedeutet dies jedoch nicht, dass die klassischen Spionageaktivitäten völlig ausgedient haben. Auch im Jahr 2015 bearbeitete die Niedersächsische Spionageabwehr entsprechende Verdachtsfälle. Nachgewiesen werden konnte die klassische Spionage aber nicht. Dennoch ist aufgrund der Erfahrungen der Vergangenheit und des Spionageaufkommens im Bundesgebiet davon auszugehen dass es auch in Niedersachsen ein Dunkelfeld von nicht bekannt gewordenen Spionagefällen gegeben hat und weiterhin geben wird. Nicht nur Regimegegner, staatliche Stellen und Wirtschaftsunternehmen können im Inund Ausland Ziel geheimdienstlicher Aktivitäten werden, sondern auch niedersächsische Bürgerinnen und Bürger mit tatsächlichem oder vermutetem Zugang zu entsprechenden Informationen. 8.2 Proliferation Wesentliches Merkmal der Proliferation - also der Weiterverbreitung von ABC-Waffen und Trägersystemen - ist, dass sie nicht von Einzelpersonen, sondern von sogenannten proliferationsrelevanten Staaten wie Iran, Nordkorea, Pakistan und Syrien unter Einbeziehung ihrer Geheimdienste betrieben wird. Da einsatzfähige ABC-Waffenund Trägersysteme nicht komplett auf dem Weltmarkt zu beschaffen sind, richtet sich das Interesse dieser Staaten grundsätzlich auf den Erwerb von Produkten, die den Fortbestand und die Weiterentwicklung der bereits 241 Spionageabwehr / Proliferation / Elektronische Angriffe vorhandenen Waffenbestände gewährleisten. Im Mittelpunkt stehen dabei solche Ausfuhrprodukte, die als sogenannte Dual-use-Güter sowohl im zivilen als auch im militärischen Bereich Anwendung finden können. Ziel ist, durch den Erwerb solcher Güter, eine militärische Nutzung durch die Beschaffung für einen vermeintlich zivilen Einsatzzweck zu verschleiern. Durch den Einsatz von Tarnfirmen bzw. -organisationen sowie durch falsche Angaben über die Ware selbst, ihren tatsächlichen Bestimmungsort und -zweck ist es oftmals sehr schwierig, geheimdienstlich gesteuerte Beschaffungsaktivitäten zu erkennen. Der Export dieser Dual-use-Güter unterliegt strengen Ausfuhrbeschränkungen, um eine Nutzung für militärische Zwecke zu unterbinden. Grundsätzlich gilt, dass die Umgehung von Exportbestimmungen eine Ordnungswidrigkeit bzw. einen Straftatbestand nach dem Außenwirtschaftsgesetz, der Außenwirtschaftsverordnung und ggf. dem Kriegswaffenkontrollgesetz darstellt. Die Bundes republik Deutschland versucht, der Proliferation durch eine restriktive Exportkontrolle entgegen zu wirken. Großes Interesse besteht an der Beschaffung von Gütern und Informationen aus niedersächsischen Hochtechnologieunternehmen. Die proliferationsrelevanten Staaten bemühen sich zudem um den Erwerb von Wissen, um mit diesem betriebene Programme zur Herstellung von eigenen Massenvernichtungswaffen nutzen zu können. Der Niedersächsische Verfassungsschutz hat den Kontakt zu niedersächsischen Firmen und wissenschaftlichen Forschungseinrichtungen weiter ausgebaut. Die konsequenten Sachverhaltsaufklärungen und Sensibilisierungsgespräche leisten einen wesentlichen Beitrag zur Proliferationsbekämpfung. 242 Spionageabwehr / Proliferation / Elektronische Angriffe 8.3 Elektronische Angriffe mit vermutetem nachrichtendienstlichem Hintergrund Die Abhängigkeit der Gesellschaft von Informationsund Kommunikationstechnologien steigt weiter rapide. Die dadurch entstehende Verwundbarkeit moderner Gesellschaften muss als eine der größten sicherheitspolitischen Herausforderungen verstanden werden, denn der mögliche Schaden für Staaten, ihre Bevölkerung und ihre Volkswirtschaften im Falle der Beeinträchtigung von Informationsinfrastrukturen ist immens. Staat, Kritische Infrastrukturen123, Wirtschaft, Wissenschaft und Bevölkerung sind auf das verlässliche Funktionieren dieser Technologien, insbesondere des Internets, angewiesen. Elektronische Angriffe werden zahlreicher, komplexer und professioneller. Meistens kann bei Angriffen weder auf die Identität noch auf die Motivation des Angreifers geschlossen werden; kriminelle, terroristische, militärische und/oder nachrichtendienstliche Hintergründe sind denkbar. Die Abwehrund Rückverfolgungsmöglichkeiten gegenüber technologisch hoch entwickelten Schadprogrammen, die für solche Angriffe häufig genutzt werden, sind sehr begrenzt. Fremde Staaten nutzen die Möglichkeit, durch gezielte elektronische Angriffe Informationen zu erlangen und das erworbene Wissen zu ihrem Vorteil zu nutzen. In den letzten Jahren sind bundesweit - so auch in Niedersachsen - elektronische Angriffe hauptsächlich auf Unternehmen und Zulieferer aus verschiedenen Technologiebereichen offenbar geworden. Neben den im Jahr 2015 fortgesetzten Angriffen auf Großunternehmen sind in Niedersachsen auch diverse kleine und mittelständische Unternehmen betroffen, in denen die IT-Sicherheit bis dahin nur einen nachrangigen Stellenwert hatte. 123 Kritische Infrastrukturen sind Organisationen und Einrichtungen von hoher Bedeutung für das staatliche Gemeinwesen, bei deren Ausfall oder Beeinträchtigung nachhaltig wirkende Versorgungsengpässe, erhebliche Störungen der öffentlichen Sicherheit oder andere dramatische Folgen eintreten würden (siehe Internetseite des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik, www.bsi.bund.de). 243 Spionageabwehr / Proliferation / Elektronische Angriffe Die höchste Gefahr für Unternehmen und Behörden stellen derzeit "Advanced Persistant Threads" (APT124) dar. Diese zielgerichteten elektronischen Angriffe durch fortgeschrittene, gut organisierte und professionell ausgestattete Angreifer verlaufen typischerweise in mehreren Phasen und sind sehr komplex in der Vorbereitung und Durchführung. Ziel eines solchen Angriffes ist es, möglichst lange unentdeckt in fremden IT-Systemen zu verbleiben, um sensible Daten auszuleiten oder anderweitig Schäden anzurichten. Die Bearbeitung solcher elektronischen Angriffe stellt die Sicherheitsbehörden aufgrund der Anonymität des Angriffs und der oftmals nicht erkennbaren Ziele der Angreifer vor Probleme, da unterschiedliche Tätergruppen mit unterschiedlichen Zielsetzungen die gleichen Angriffswerkzeuge benutzen. Der Niedersächsische Verfassungsschutz steht niedersächsischen Wirtschaftsunternehmen als Ansprechpartner zur Verfügung. Durch Sensibilisierung sollen die Unternehmen in die Lage versetzt werden, derartige Angriffe frühzeitig zu erkennen. Bei elektronischen Angriffen mit vermutetem nachrichtendienstlichem Hintergrund wird Beratung angeboten. Fälle von "Cybercrime", bei denen ein solcher Verdacht ausgeschlossen werden konnte und die damit in die 124 Bei Advanced Persistant Threads handelt es sich um zielgerichtete Cyber-Angriffe auf spezifisch ausgewählte Institutionen und Einrichtungen, bei denen sich ein Angreifer persistent Zugriff auf ein Opfersystem verschafft und in der Folge auf weitere Systeme ausweitet. Die Angriffe zeichnen sich durch einen sehr hohen Ressourceneinsatz und erhebliche technische Fähigkeiten aufseiten der Angreifer aus und sind in der Regel schwierig zu detektieren (siehe Internetseite des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik, www.bsi.bund.de). 244 Spionageabwehr / Proliferation / Elektronische Angriffe Bearbeitungszuständigkeit der Polizei fallen, werden in Absprache und nur mit dem Einverständnis des Betroffenen an die Strafverfolgungsbehörden abgegeben. Der Verfassungsschutz arbeitet im Rahmen der Cyber-Sicherheitsstrategie für Niedersachsen mit dem Computer Emergency Response Team der niedersächsischen Landesverwaltung (N-CERT) zusammen und ist darüber hinaus auf Bundesebene mit dem Nationalen Cyber-Abwehrzentrum (NCAZ) und anderen Bundesbehörden vernetzt. 8.4 Hilfe für Betroffene Personen, die Opfer eines Anwerbungsversuchs fremder Geheimdienste oder eines elektronischen Angriffs mit vermutetem nachrichtendienstlichen Hintergrund geworden sind, wird geraten, sich an das Niedersächsische Ministerium für Inneres und Sport Verfassungsschutzabteilung Postfach 44 20 30044 Hannover Tel. 0511/6709-0 zu wenden. 245 09 Geheimschutz Geheimschutz 9. Geheimschutz Durch die vermehrten elektronischen Angriffe (siehe Kapitel 8.3) sind auch formal als geheimhaltungsbedürftig eingestufte Informationen in Behördennetzen gefährdet. Gerade die Veröffentlichungen von u. a. geheimen Informationen durch die Organisation WikiLeaks zeigen, wie wichtig ein hohes Niveau in der Datensicherheit durch Zugangsbegrenzung und Überprüfung der Berechtigten ist. Informationen und Vorgänge, deren Bekanntwerden den Bestand oder lebenswichtige Interessen, die Sicherheit oder die Interessen des Bundes oder eines Landes gefährden können, müssen geheim gehalten und als Verschlusssache (VS) vor unbefugter Kenntnisnahme geschützt werden. Je nach Schutzbedürftigkeit erfolgt eine Einstufung der VS in unterschiedliche Geheimhaltungsgrade (VS-NUR FÜR DEN DIENSTGEBRAUCH, VS-VERTRAULICH, GEHEIM oder STRENG GEHEIM), wobei der Schutz durch vorbeugende und wirkungsvolle Maßnahmen des personellen und materiellen Geheimschutzes erzielt wird. VS ab dem Geheimhaltungsgrad VS-VERTRAULICH dürfen nur Personen zugänglich sein, die sich einer Sicherheitsüberprüfung unterzogen haben. Dieses zentrale Element des personellen Geheimschutzes ist in Niedersachsen im Niedersächsischen Sicherheitsüberprüfungsgesetz (Nds. SÜG) geregelt. Die in diesem Gesetz vorgeschriebenen Überprüfungsverfahren stellen sicher, dass nur Personen, deren Zuverlässigkeit festgestellt worden ist, eine sicherheitsempfindliche Tätigkeit ausüben. Dazu gehören bestimmte Tätigkeiten innerhalb von lebensoder verteidigungswichtigen Einrichtungen. In diesem Zusammenhang wurde die Verordnung zur Durchführung des Niedersächsischen Sicherheitsüberprüfungsgesetzes (DVO Nds. SÜG, Nds. GVBl. 2015, S. 37) modifiziert. Aufgrund einer Vielzahl organisatorischer und technischer Entwicklungen wurden damit die lebenswichtigen Einrichtungen im Sinne des SS 1 Abs. 4 des Nds. SÜG neu bestimmt. Zuständig für die Einleitung einer Sicherheitsüberprüfung ist die jeweilige Beschäftigungsdienststelle; die Verfassungsschutzbehörde wirkt bei der Durchführung der Überprüfung mit. Bei den Sicherheitsüberprüfungen, die der Niedersächsische Verfassungsschutz sowohl für die eigenen Geheimnisträger als auch für alle in Behörden und sonstigen Institutionen im Geheimschutzverfahren 248 Geheimschutz befindlichen Personen des personellen vorbeugenden Geheimund Sabotageschutzes durchführt, handelt es sich um eine weitere Mitwirkungsaufgabe i. S. d. SS 3 Abs. 3 Nr. 1 u. 2 NVerfSchG.125 Der Überprüfung der Zuverlässigkeit des in den vorgenannten Bereichen eingesetzten Personals kommt durch die anhaltenden Bemühungen fremder Geheimdienste, aber auch durch die steigende Verbreitung personenbezogener Daten verbunden mit persönlicher Sorglosigkeit, eine steigende Bedeutung zu. Die aktuellen Ereignisse um Veröffentlichungen geschützter Informationen im Internet zeigt die Brisanz des Themas. Der materielle Geheimschutz umfasst technische und organisatorische Maßnahmen gegen die unbefugte Kenntnisnahme von VS in schriftlicher oder elektronischer Form. In der Verschlusssachenanweisung (VSA) des Landes sowie ergänzenden Richtlinien ist geregelt, wie als VS eingestuftes Schriftgut sicher bearbeitet, verwahrt und verwaltet wird. Die Verfassungsschutzbehörde wirkt gemäß SS 60 Abs. 1 VSA bei der Durchführung der VSA und der sie ergänzenden Richtlinien mit und berät die Dienststellen des Landes. Beratungsschwerpunkte sind die Einrichtung und der Betrieb von besonders gesicherten Aktensicherungsräumen oder Stahlschränken (VS-Verwahrgelasse), in denen VS unter Beachtung baulicher, mechanischer, elektronischer und organisatorischer Sicherheitsvorkehrungen aufbewahrt werden können. Dabei ist festzustellen, dass die Anzahl der VS verwaltenden Dienststellen weiterhin rückläufig ist, da das Aufkommen an VS zunehmend geringer wird und Altbestände konsequent vernichtet werden. Einen weiteren Beratungsschwerpunkt bildet der personelle Geheimschutz. Neben individuellen Beratungsgesprächen mit Geheimschutzbeauftragten oder VS-Verwaltern an deren Arbeitsplätzen werden Schulungen für Geheimschutzbeauftragte niedersächsischer Behörden durchgeführt, in denen Grundlagen des personellen und materiellen Geheimschutzes vermittelt werden. Geheimschutz findet nicht nur in Behörden statt, sondern auch in Unternehmen, die im Auftrag des Staates mit VS umgehen und demzufolge die Regelungen des personellen und materiellen Geheimschutzes beachten müssen. Geheimschutzbetreute Unternehmen sind z. B. Kernkraftwerke oder Betriebe der Rüstungsindustrie. 125 Zu weiteren Mitwirkungsaufgaben siehe auch Kapitel 1.12. 249 10 Wirtschaftsschutz Wirtschaftsschutz 10.1 Einleitung Deutschland ist als technologieund exportorientierte Nation abhängig von auf Forschung und Erfahrung beruhendem Wissen (Know-how) und Innovation als wertvollste Ressourcen der Volkswirtschaft. Dieses Wissen und diese Informationen sind für fremde Nachrichtendienste (Wirtschaftsspionage) und konkurrierende Unternehmen (Konkurrenzausspähung), die gezielt und professionell Ausspähung betreiben, von höchstem Interesse Von Wirtschaftsund Industriespionage betroffen sind innovative und technologieorientierte Branchen, besonders Bereiche der Informationsund Kommunikationstechnik, der Luftund Raumfahrt, der Automobilindustrie, der Werkstoffund Produktionstechnik, der Biotechnik und Medizin, der Nanotechnologie sowie Energieund Umwelttechnik. Von Interesse sind Produktinnovationen und Marktstrategien. Niedersächsische Unternehmen verzeichnen mit ihren Spitzentechnologien große Erfolge, z. B. im Bereich der Automobilund Schifffahrtsbranche, der Laserund Sensortechnik, der Windenergieanlagen und Landmaschinen sowie der Hörgeräteakustik und können damit Ziel fremder Nachrichtendienste und von Konkurrenzfirmen sein. Vor diesem Hintergrund wurde beim Niedersächsischen Verfassungsschutz aus der Spionageabwehr heraus der Arbeitsbereich Wirtschaftsschutz geschaffen. Dieser Arbeitsbereich des Niedersächsischen Verfassungsschutzes hat sich inzwischen zu einem Partner für die Wirtschaft entwickelt. Das Beratungsangebot zu den Themen Wirtschaftsund Industriespionage, Cybersicherheit126 , Know-how-Schutz, Sicherheit in der Informationsund Kommunikationstechnologie, Geheimschutz in der Wirtschaft, Sicherheit auf Geschäftsreisen im Ausland, 126 Cybersicherheit erweitert das Aktionsfeld der klassischen IT-Sicherheit auf den gesamten Cyber-Raum. Dieser umfasst sämtliche mit dem Internet und vergleichbaren Netzen verbundene Informationstechnik und schließt darauf basierende Kommunikation, Anwendungen, Prozesse und verarbeitete Information mit ein. Damit wird praktisch die gesamte moderne Informationsund Kommunikationstechnik zu einem Teil des Cyber-Raumes (siehe Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik, www.bsi.bund.de). 252 Wirtschaftsschutz Innentäterproblematik und Social Engineering127 wird stark nachgefragt. Seit dem Jahr 2000 hat der Arbeitsbereich Wirtschaftsschutz des Niedersächsischen Verfassungsschutzes fast 10.000 Unternehmen mit sicherheitsrelevanten Informationen erreicht. 10.2 Zahlen und Fakten Im Jahr 2015 war der Niedersächsische Verfassungsschutz Ansprechpartner für 891 Unternehmen. Beratungen Zum Kerngeschäft des Arbeitsbereiches Wirtschaftsschutz zählen die Beratungen von Unternehmen, d. h. individuelle Sensibilisierungsund Informationsgespräche vor Ort. Insgesamt fanden 77 bilaterale Kontakte mit Firmen statt. Für die Unternehmen ist hilfreich, dass der Verfassungsschutz nicht dem Legalitätsprinzip unterliegt, also Sachverhalte mit strafrechtlich relevantem Hintergrund nicht zwingend der Staatsanwaltschaft bzw. der Polizei melden muss. Dieser Umstand führte zu einer Vielzahl von Hinweisen auf sicherheitsrelevante Vorfälle mit möglichen Know-how-Verlusten, weil die betroffenen Firmen Imageschäden befürchten mussten. Denn ein Strafprozess könnte dazu führen, dass ein Sicherheitsvorfall öffentlich wird. Häufig war die Informationstechnologie von Unternehmen betroffen, denn in mehreren Fällen waren Firmennetzwerke von Schadsoftware befallen. Eine nachrichtendienstliche Steuerung war in diesen Fällen nicht auszuschließen. Zunehmend wurden Unternehmen Opfer von Know-how-Abfluss durch ehemalige Mitarbeiter, wie zum Beispiel bei einem Netzwerkangriff auf eine Firma aus der medizintechnischen Branche. Ein kurz zuvor ausgeschiedener leitender Mitarbeiter verschaffte sich mit Hilfe des damaligen IT-Dienstleisters Zugriff auf sensible Unternehmensdaten und kopierte sie schließlich. Diese Informationen sollten dazu benutzt werden, um sich im gleichen 127 Social Engineering bezeichnet eine Methodik zur Verhaltensmanipulation. Social Engineers spionieren das persönliche Umfeld ihres Opfers aus, täuschen Identitäten vor oder nutzen Verhaltensweisen wie Autoritätshörigkeit aus, um geheime Informationen oder unbezahlte Dienstleistungen zu erlangen. 253 Wirtschaftsschutz Betätigungsfeld selbstständig zu machen. In einer anderen Fallsituation, einem sogenannten Fake-Boss-Angriff, hatten Angreifer per E-Mail mit einem Unternehmen Kontakt aufgenommen und dabei vorgetäuscht, die E-Mail sei vom Vorstand des Unternehmens. Nach einem kurzen Schriftwechsel, bei dem auch ein gefälschtes Zertifikat der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) im Spiel war, wurde ein Mitarbeiter dazu verleitet, knapp 500.000 Euro auf ein chinesisches Bankkonto zu überweisen. Der Betrug fiel am Folgetag auf. In Zusammenarbeit zwischen Polizei und Industrieund Handelskammer (IHK) Hannover konnte der Geldbetrag zurückgebucht werden. In den beiden vorgenannten Fallkonstellationen konnte nach eingehender Prüfung kein Verdacht einer nachrichtendienstlichen Tätigkeit begründet werden. Vorträge Im Jahr 2015 hielten die Mitarbeiter des Arbeitsbereiches 89 Vorträge bei Tagungsveranstaltungen. Neben Industrieund Handelskammern, Universitäten und kommunalen Wirtschaftsförderungen werden die Vorträge des Wirtschaftsschutzes vermehrt von Unternehmen für ihre Mitarbeiter und für Führungskräfte nachgefragt, um für eine Sensibilisierung zu sorgen. Netzwerk Ein bedeutsamer Aspekt der Arbeit des Niedersächsischen Verfassungsschutzes im Bereich des Wirtschaftsschutzes ist die Netzwerkarbeit. Ein wichtiger Partner hierbei ist die niedersächsische Polizei, die oft Hinweisgeber für mögliche Wirtschaftsspionagefälle ist. Deshalb werden Studierende an der Polizeiakademie Niedersachsen, aber auch Polizeidienststellen sensibilisiert. Das Landeskriminalamt Niedersachsen informiert den Verfassungsschutz über Einbruchsdiebstähle bei Unternehmen, bei denen Know-how abhanden gekommen und möglicherweise ein nachrichtendienstlicher Hintergrund gegeben ist. Darüber hinaus arbeitet der Verfassungsschutz häufig mit der dortigen Zentralen Ansprechstelle Cybercrime (ZAC) zusammen. Durch die zunehmende Bedeutung von Industrie 4.0, der Verzahnung von Produktion mit modernster Informationsund 254 Wirtschaftsschutz Kommunikationstechnik und damit verbunden der Cybersicherheit haben sich Netzwerke gebildet, die für Unternehmen Hilfestellungen und Lösungen bieten. Der Wirtschaftsschutz wirkt dabei im Arbeitskreis "Cybersecurity" von Hannover IT e. V., im IT-Gesprächskreis der Industrieund Handelskammer Hannover, beim Projekt Digitalisierung der Wirtschaft Nord (DIWI Nord) und bei der interdisziplinären Expertengruppe "Indy4" mit. Der Niedersächsische Verfassungsschutz führte im Rahmen seiner Netzwerkarbeit im Jahr 2015 nachfolgend beschriebene Veranstaltungen durch. 10.3 19. Sicherheitstagung für geheimschutzbetreute Unternehmen Vom 30.06. bis 01.07.2015 fand in Göttingen die jährliche Tagung des Niedersächsischen Verfassungsschutzes für Sicherheitsbevollmächtigte der geheimschutzbetreuten Unternehmen statt. Die etwa 60 Vertreterinnen und Vertreter von Wirtschaftsunternehmen sowie einigen Bundesund Landesbehörden wurden von einer Islamwissenschaftlerin des Niedersächsischen Verfassungsschutzes und einem Sicherheitsberater Nahost über aktuelle Entwicklungen des Salafismus und dessen Gefährdung für die Wirtschaft informiert. Ein Angehöriger des Bundesministeriums der Verteidigung berichtete über Hacktivism und das Darknet sowie deren mögliche Auswirkungen auf Industrie und Politik. Ein weiterer Vortrag thematisierte professionelle Analysefähigkeiten und die damit verbundenen Möglichkeiten, Gefährdungspotenziale in den eigenen Reihen zu erkennen. Am zweiten Tagungstag schilderte der Fachbereich Wirtschaftsschutz des Niedersächsischen Verfassungsschutzes aktuelle Sicherheitsvorfälle. Ein Vertreter der Leibniz Universität Hannover referierte über die geschichtliche Entwicklung der Bekämpfung von Wirtschaftsspionage. Er stellte Gesetzesinitiativen seit den 1920er Jahren dar und verglich diese mit der amerikanischen Gesetzgebung. 255 Wirtschaftsschutz 10.4 14. Wirtschaftsschutztagung des Niedersächsischen Verfassungsschutzes Die jährliche Wirtschaftsschutztagung fand am 01.10.2015 in Laatzen bei Hannover statt. Wie bereits im Vorjahr wurde die Tagung in Kooperation mit dem Niedersächsischen Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Verkehr veranstaltet. Begrüßt wurden insgesamt 180 Teilnehmende aus der niedersächsischen Wirtschaft, 20 Vertreter aus Bundesund Landesbehörden sowie Angehörige des niederländischen Partnerdienstes. Die Tagung wurde mit je einer Keynote von Wirtschaftsminister Olaf Lies und der Niedersächsischen Verfassungsschutzpräsidentin Maren Brandenburger eröffnet. Dr. Jan-Oliver Wagner von der Greenbone GmbH aus Osnabrück referierte anschließend über das SchwachstellenManagement als integraler Bestandteil der IT-Sicherheit. Danach informierte die Rechtsanwältin Anna Cardillo über Neuigkeiten im Zusammenhang mit dem IT-Sicherheitsgesetz sowie damit verbundene Haftungsrisiken für Geschäftsführer. Inhalt des Vortrags von Ralf Kopp war das Erkennen und Steuern personeller Risiken mit Business Profiling. Abschließend stellte Mark Semmler die neue Schadensrichtlinie VdS 3473 vor und erläuterte, wie auch mit wenig Aufwand ein gewisser Grad an Informationssicherheit erreichbar ist. Neben den Fachvorträgen dient die Wirtschaftsschutztagung des Niedersächsischen Verfassungsschutzes auch als Kommunikationsund Informationsforum für niedersächsische Unternehmen. 10.5 Messen Vom 16. bis 20.03.2015 beteiligte sich der Niedersächsische Verfassungsschutz während der Computer-Messe CeBIT an einem Gemeinschaftsstand des Landes Niedersachsen und präsentierte sein Informationsangebot mit dem Schwerpunkt Cybersicherheit. 256 Wirtschaftsschutz 10.6 Forschungsprojekt INSA Um einen wirksamen Schutz für Produktionsanlagen bei kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) aufbauen zu können, hat das Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie das Forschungsprojekt INSA gefördert: Integrierte Softwaregestützte Sicherheitsanalyse von Automatisierungsanlagen. An dem Projekt beteiligt waren die Hochschule Hannover und die Helmut Schmidt-Universität/Universität der Bundeswehr Hamburg, die M&M Software GmbH, die ConSecur GmbH, die PHOENIX CONTACT Electronics GmbH sowie der Niedersächsische Ver fassungsschutz. Es wurde ein Prototyp entwickelt, der in die Erprobungsphase gehen kann. Bei dem Prototypen handelt es sich um eine Software, mit deren Hilfe die IT-Sicherheit von Produktionsanlagen mit einem erheblich geringeren Aufwand als bisher überprüft werden kann. Dadurch ist diese Software besonders für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) interessant, für die eine IT-Sicherheitsanalyse eine häufig sehr aufwändige, manuelle Arbeit bedeutet. Die IT-Sicherheit ist heute wichtiger als je zuvor, denn die Wertschöpfungsketten der Unternehmen werden immer weiter digitalisiert. Bislang müssen Unternehmen ihre vorhandenen Produktionsund Datenverarbeitungsanlagen - ihre Assets - systematisch erfassen und katalogisieren, deren Gefährdung mit Hilfe eines Kriterienkatalogs beurteilen und anschließend Schutzmaßnahmen implementieren. Besonders die Bedrohungsanalyse und die Bewertung der IT-Sicherheit setzt Expertenwissen voraus, über das gerade KMU oft nur eingeschränkt verfügen. Mit dem Softwarewerkzeug INSA kann der beschriebene Vorgang vereinfacht und der erforderliche Aufwand reduziert werden. Das Projekt INSA wurde zum 30.11.2015 abgeschlossen. 10.7 Kontaktdaten Für Fragen steht der Arbeitsbereich Wirtschaftsschutz beim Verfasungsschutz unter folgenden Kontaktdaten zur Verfügung Tel. 0511-6709-247 oder -248, Fax 0511-6709-393 E-Mail: wirtschaftsschutz@verfassungsschutz.niedersachsen.de Internet: www.verfassungsschutz.niedersachsen.de 257 11 Politisch motivierte Kriminalität (PMK) Politisch motivierte Kriminalität (PMK) 11.1 Politisch motivierte Kriminalität128 (PMK) mit extremistischem Hintergrund - rechts Die Politisch motivierte Kriminalität wird seit dem Jahr 2001 durch die Polizei auf Grundlage des durch einen Beschluss der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder eingeführten "Kriminalpolizeilichen Meldedienst in Fällen Politisch motivierter Kriminalität (KPMD-PMK)" erfasst, um eine bundeseinheitliche und differenzierte Auswertung und Lage darstellung zu ermöglichen. Meldepflichtig sind alle politisch motivierten Straftaten (Fälle) gemäß den Richtlinien des KPMD-PMK. Dazu zählen "echte Staatsschutzdelikte" (SSSS 80-83, 84-86a, 87-91, 94-100a, 102-104a, 105-108e, 109-109h, 129a, 129b, 234a, 241a StGB) sowie Delikte der allgemeinen Kriminalität, die gemäß Definitionssystem der PMK zuzuordnen sind ("unechte Staatsschutzdelikte"). Den letztgenannten werden Fälle zugeordnet, wenn in Würdigung der Umstände der Tat und/oder der Einstellung des Täters Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie nach verständiger Betrachtung politisch motiviert waren, ohne dass die Tat bereits die Außerkraftsetzung oder Abschaffung eines Elementes der freiheitlichen demokratischen Grundordnung (Extremismus) zum Ziel haben muss. Darüber hinaus werden zudem die Tatbestände der "echten Staatsschutzdelikte" erfasst, selbst wenn im Einzelfall keine politische Motivation festgestellt werden kann. Die extremistische Kriminalität, welche in den Berichten der Verfassungsschutzbehörden dargestellt wird, bildet einen Teilbereich der politisch motivierten Kriminalität ab und umfasst Straftaten, bei denen tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie 128 Der PMK werden Straftaten zugeordnet, wenn in Würdigung der Umstände der Tat und/oder der Einstellung des Täters Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie den demokratischen Willensbildungsprozess beeinflussen sollen, sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung richten, durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden oder sich gegen eine Person, insbesondere aufgrund ihrer politischen Einstellung, Nationalität, Volkszugehörigkeit, Rasse, Hautfarbe, Religion, Weltanschauung oder Herkunft richten und die Tathandlung damit im Kausalzusammenhang steht. 260 Politisch motivierte Kriminalität (PMK) gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind. Ebenfalls hinzugerechnet werden Straftaten, die durch Anwendung von Gewalt oder durch darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden oder sich gegen die Völkerverständigung richten. Im Rahmen des KPMD-PMK erfolgt unverzüglich bei Aufnahme der Ermittlungen durch die örtlichen zuständigen Dienststellen des polizeilichen Staatsschutzes eine erste eigene Bewertung, ob eine Straftat einen extremistischen Hintergrund hat und welchem Phänomenbereich sie zuzuordnen ist. Hierbei orientiert sich die Bewertung am Extremismusbegriff der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder (vgl. SS 3 Abs. 1 NVerfSchG) sowie dazu vorhandener Rechtsprechung. Diese erste Einschätzung übermitteln die Staatsschutzdienststellen als "Kriminaltaktische Anfrage in Fällen Politisch motivierter Kriminalität (KTA-PMK)" unverzüglich dem Landeskriminalamt Niedersachsen. Soweit eine Straftat als "extremistisch" bewertet wird oder ein diesbezüglicher "Zweifelsfall" erkannt wird, ergeht die KTA-PMK auch an die Verfassungsschutzbehörde. Sofern sich im Verlauf des Verfahrens neue Erkenntnisse ergeben, nach denen die erste Einstufung zu revidieren ist sowie bei Abschluss der Ermittlungen und bei Abgabe an die Staatsanwaltschaft erhält die Verfassungsschutzbehörde weitere KTA-PMK-Meldungen zum jeweiligen Sachverhalt. Durch die Verfassungsschutzbehörde, der die endgültige Entscheidung über die Einstufung als extremistische Tat obliegt, erfolgt ein Abgleich der KTA-PMK mit den dort vorliegenden Erkenntnissen. Kommt diese zu einer gegenteiligen Bewertung, teilt sie dies der zuständigen Polizeidienststelle mit, die daraufhin in den polizeilichen Auskunftssystemen eine Änderung der Einstufung der entsprechenden Taten veranlasst. Die auf diese Weise zwischen Polizei und Verfassungsschutz abgestimmten, bei der Polizei gespeicherten Bewertungen zur PMK spiegeln damit den jeweils aktuell gegebenen Ermittlungsstand, auch in Bezug auf die Melde-/Bewertungskriterien wieder. Für die Darstellung der PMK-Jahreslage in Bund und Ländern wird - von der Auswertung der tagesaktuellen Datensätze abweichend - einheitlich der zum 31. Januar des Folgejahres 261 Politisch motivierte Kriminalität (PMK) gegebene Datenbestand herangezogen. Diese Fallzahlen sind in Niedersachsen zugleich auch die Grundlage für die statistische Zulieferung der Fälle extremistisch motivierter Kriminalität von der Polizei an den Verfassungsschutz zur Erstellung des Verfassungsschutzberichtes. Insofern sind die statistischen Daten, die die Grundlage für das Zahlenmaterial in den Verfassungsschutzberichten darstellen, zwischen Polizei und Verfassungsschutzbehörde abgestimmt. Die Gesamtzahl der erfassten Straftaten im Phänomenbereich PMK-rechts betrug im Jahr 2015 in Niedersachsen 1.786 Delikte, im Jahr 2014 waren es 1.198. Dies entspricht einer Steigerung von 49,08 Prozent. Als Delikte mit rechtsextremistisch motiviertem Hintergrund wurden im Jahre 2015 in Niedersachsen 1.659 Delikte erfasst. Gegenüber dem Vorjahr, in dem 1.140 extremistische Straftaten verübt wurden, ist eine Zunahme um 45,5 Prozent zu konstatieren. Die extremistischen Propagandadelikte dieses Phänomenbereichs bilden dabei mit 963 Taten weiterhin den Schwerpunkt, gegenüber dem Jahr 2014 (807 Fälle) ist eine Zunahme um 156 Fälle zu verzeichnen. Das entspricht einem Zuwachs von 19,3 Prozent. Eine Steigerung um 36 Fälle (47,22 Prozent) auf insgesamt 89 Fälle ist bei den Gewaltdelikten zu verzeichnen (2014: 53). Von den 89 Gewaltdelikten entfallen 71 Taten auf Körperverletzungsdelikte. Der Anstieg von Gewaltdelikten erklärt sich durch die regelmäßigen Versammlungen der Pegida-Bewegung in Hannover und Braunschweig. Die hierbei begangenen Gewaltdelikte sind häufig Folge von Rechts-/Links-Konfrontationen, die von den Teilnehmern der Gegenveranstaltungen ausgehen. Im Rahmen dieser Versammlungen kam es im Jahr 2015 zu 23 Gewaltdelikten im Bereich PMK-rechts. Im Bereich der sonstigen extremistischen Straftaten ist analog ein Anstieg von 1.087 Taten (2014) auf 1.570 Taten (2015) festzustellen. Dies entspricht einem Plus von 44,43 Prozent. Die Übergriffe auf Flüchtlingsunterkünfte haben im letzten Jahr bundesweit deutlich zugenommen. Dieser Anstieg der Straftaten steht in einem unmittelbaren Zusammenhang mit dem Anstieg der Einrichtung von Flüchtlingsunterkünften. Darüber hinaus 262 Politisch motivierte Kriminalität (PMK) erfährt dieses Thema in Gesellschaft, Medien und Politik eine starke Wahrnehmung. In Niedersachsen konnten im Berichtszeitraum 110 Übergriffe im Zusammenhang mit Asylunterkünften festgestellt werden. Von den 110 gemeldeten Fällen aus 2015 wurden 90 Delikte der PMKrechts zugeordnet, davon wurden 75 Taten als extremistisch bewertet. Hiervon sind zehn Taten extremistische Gewaltdelikte (ein versuchtes Tötungsdelikt, vier Körperverletzungsdelikte und fünf Brandstiftungen) sowie u. a. 28 Straftaten gem. SS 86a StGB (Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen) und 21 Straftaten gemäß SSSS 303, 304 StGB (Sachbeschädigungen) erfasst. Im Jahr 2015 wurden in Niedersachsen mehrere Branddelikte im Zusammenhang mit Flüchtlingsunterkünften verübt. So kam es in Salzhemmendorf (Landkreis Hameln-Pyrmont) im August zu einer schweren Brandstiftung, bei der ein Brandsatz durch eine Fensterscheibe in eine Wohnunterkunft geworfen wurde, in der sich zum Tatzeitpunkt vier Bewohner in einem Nebenraum aufgehalten haben. Die drei Tatverdächtigen (zwei Männer und eine Frau) konnten ermittelt werden und wurden wegen versuchten Mordes und versuchter schwerer Brandstiftung in Untersuchungshaft genommen. Am 17.03.2016 wurden die Täter zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt, gegen die die Verteidigung Rechtsmittel eingelegt hat. Hinweise auf rechtsextremistische Strukturen im Umfeld der Beschuldigten haben sich nicht ergeben; von einer Einzeltat ist auszugehen. Im November 2015 kam es in Barnstorf (Landkreis Diepholz) in einer Flüchtlingsunterkunft zu einem Brand. In einem als Abstellraum genutzten Anbau wurde ein brennendes Kleidungsstück festgestellt. Es entstand weder Personennoch Sachschaden. Die Ermittlungen führten zu Zweifeln am geschilderten Tatverlauf der Bewohner. Ein fremdenfeindlicher Hintergrund kann allerdings auch weiterhin nicht ausgeschlossen werden. In Bad Bevensen kam es im Dezember 2015 in einem unbewohnten Gewerbeobjekt, welches als Notunterkunft für Flüchtlinge vorgesehen war, zu einem Brand mit Gebäudeschaden. Im Gebäude wurden darüber hinaus Wasserhähne geöffnet und 263 Politisch motivierte Kriminalität (PMK) Abflüsse verstopft. Aufgrund der Gesamtumstände muss bei dem Motiv der Brandstiftung und der beabsichtigten Flutung des Gebäudebodens von einem fremdenfeindlichen Hintergrund ausgegangen werden. Nach bisherigem Erkenntnisstand handelt es sich bei den Angriffen auf Flüchtlingsunterkünfte meist um lokal organisierte Agitationen, die keinen Rückschluss auf landesweit gesteuerte Strategien zulassen. Die Intensität und Quantität entsprechender Aktionen stehen in starker Abhängigkeit zu den organisatorischen Möglichkeiten der jeweiligen lokal handelnden Personen. Konkrete Hinweise auf organisationsgesteuerte Gewaltstraftaten in Form von angeordneter oder gezielt gelenkter Delinquenz durch rechtsextremistische Parteien oder entsprechende Strukturen gegen Asylbewerber, Unterkünfte oder gemäß szeneinterner Wahrnehmung "Verantwortlicher" liegen bislang nicht vor. Die Motive dürften hierbei im persönlichen bzw. individuellen Bereich und nicht in der Umsetzung von konstituierten Organisationszielen oder organisationsinternen Auftragslagen liegen. Es bestehen bisher keine Anzeichen auf rechtsterroristische Strukturen in Niedersachsen. Übersicht der Gewalttaten und sonstigen Straftaten mit extremistischem Hintergrund aus dem Bereich "Politisch motivierte Kriminalität - rechts" in Niedersachsen129 Gewalttaten: 2014 2015 Tötungsdelikte 0 0 Versuchte Tötungsdelikte 0 1 Körperverletzungen 48 71 Brandstiftungen 1 7 129 Die Zahlen basieren auf Angaben des Landeskriminalamtes Niedersachsen (LKA NI). Die Darstellung der niedersächsischen Fallzahlen in Übersichten des Bundes kann davon abweichen, da das LKA NI eine sogenannte "lebende Statistik" führt. Um die ständige Aktualität der Statistik sicherzustellen, werden dabei ggf. Nacherfassungen/Aktualisierungen auch für Vorjahre vorgenommen, so dass der Zahlenbestand Veränderungen unterliegen kann. 264 Politisch motivierte Kriminalität (PMK) Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion 0 0 Landfriedensbrüche 1 3 Gefährl. Eingriffe in Bahn-, Luft-, Schiffsund Straßenverkehr 0 1 Freiheitsberaubung 0 0 Raub 0 0 Erpressung 0 0 Widerstandsdelikte 3 6 Insgesamt 53 89 Sonstige Straftaten: 2014 2015 Sachbeschädigungen 48 93 Nötigungen/Bedrohungen 13 24 Propagandadelikte 807 963 Störung der Totenruhe 2 1 Andere Straftaten (davon Volksverhetzung) 217 (151) 489 (357) Insgesamt 1.087 1.570 Straftaten insgesamt 1.140 1.659 265 Politisch motivierte Kriminalität (PMK) 11.2 Politisch motivierte Kriminalität130 (PMK) mit extremistischem Hintergrund - links Seit dem Jahr 2001 wird die Politisch motivierte Kriminalität nach dem von der Innenministerkonferenz beschlossenen "Kriminalpolizeilichen Meldedienst in Fällen Politisch motivierter Kriminalität (KPMD-PMK)" bundeseinheitlich erfasst. Weitergehende grundsätzliche Aussagen zur PMK finden Sie in Kapitel 11.1. Im Phänomenbereich PMK-links wurden im Jahr 2015 in Niedersachsen 786 Straftaten insgesamt registriert (2014: 667). Dies entspricht einer Steigerung der Straftaten von 17,84 Prozent. Die aktuelle Flüchtlingssituation bietet für die Phänomenbereiche der Politisch motivierten Kriminalität (PMK) zahlreiche Anknüpfungspunkte für Agitationen und Straftaten. Mit dem verstärkten Aufgreifen einer zunehmenden Zentralisierung des Themas "Asylpolitik" in der linken Szene ist ein Anstieg linksmotivierter Straftaten gegen die nach Meinung linksautonomer Kreise "Verantwortlichen der deutschen/europäischen Flüchtlingspolitik" zu beobachten. Insbesondere in den Themenfeldern "Antifaschismus" und "Links-Rechts-Konfrontation" ist ein Anstieg militanter Aktionsformen wie Körperverletzungen und Sachbeschädigungen festzustellen. Im Rahmen einer selbst zugestandenen Definitionshoheit wird die Partei AfD durch das linke bzw. linksextremistische Spektrum in den Bereich des Rechtspopulismus gerückt. Damit zählt die Partei zum direkten politischen Gegner und gilt als legitimes Ziel entsprechender Agitationen. Hier sind verstärkt Aktionen gegen Veranstaltungen der AfD als auch gegen einzelne Parteimitglieder festzustellen. Die extremistische Kriminalität, welche in den Berichten der Verfassungsschutzbehörden dargestellt wird, bildet einen Teilbereich der politisch motivierten Kriminalität ab und umfasst Straftaten, bei denen tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie 130 Siehe Fußnote 128. 266 Politisch motivierte Kriminalität (PMK) gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind. Ebenfalls hinzugerechnet werden Straftaten, die durch Anwendung von Gewalt oder durch darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden oder sich gegen die Völkerverständigung richten. Von insgesamt 786 Straftaten des Gesamtstraftatenaufkommens der PMK-links (2015) wurden 307 Fälle als extremistisch eingestuft. Im Jahr 2014 lag der Anteil bei 333 Fällen. Dies entspricht einer Verringerung der extremistischen Straftaten von 7,81 Prozent. Bei 108 der linksextremistischen Straftaten handelt es sich um Fälle von Gewaltkriminalität. Dabei überwiegen mit 66 Fällen die Körperverletzungen. Diese richteten sich gegen den politischen Gegner, gegen Polizeibeamte oder wurden dem Themenfeld "Antifaschismus" zugeordnet. Die in diesem Zusammenhang von Pegida-Ablegern regelmäßig montags durchgeführten Versammlungen in Hannover und Braunschweig führten in der linken Szene zu entsprechenden Reaktionen und Aktionen gegen Teilnehmer der Versammlungen. Davon ereigneten sich 56 extremistische Gewaltdelikte im Zusammenhang mit Pegida-Versammlungen. Mit 113 Fällen machen Sachbeschädigungen den weitaus größten Anteil der extremistischen Straftaten aus. 201 der linksextremistischen Straftaten ließen sich dem Themenfeld "Antifaschismus" zuordnen und in 107 Fällen wurde das Themenfeld "Konfrontation gegen rechts" benannt. Als herausragendes Ereignis sind die Ausschreitungen am Atommülllager in Gorleben im Mai 2015 zu bezeichnen. Im Rahmen der "Kulturellen Landpartie" kam es hier zu Straftaten von erheblicher Bedeutung, wie schwerem Landfriedensbruch, Brandstiftung und versuchtem Totschlag. Während der "Kulturellen Landpartie" kam es aus der Veranstaltung heraus von einer gut organisierten, überwiegend der örtlichen/überörtlichen gewalttätigen linken Szene zugehörenden Störergruppe zu Sachbeschädigungen sowie zu Angriffen auf Einsatzkräfte und Polizeifahrzeuge. Unter anderem wurden Einsatzkräfte massiv und gezielt mit Pyrotechnikbatterien beschossen. An einem Pförtnergebäude wurde mit Strohsäcken und Brandbeschleuniger ein Feuer gelegt, wodurch das Gebäude beschädigt wurde. 267 Politisch motivierte Kriminalität (PMK) Zwei Beamte wurden verletzt, elf Ermittlungsverfahren wegen Landfriedensbruch und ein Verfahren wegen versuchten Totschlags gegen Unbekannt wurden eingeleitet. 2015 wurden im Bereich der PMK-links fünf extremistische Branddelikte (Vorjahr 5) begangen. Eine Tat richtete sich gegen betriebliche Anlagen der Deutschen Bahn AG in Weyhe bei Bremen. Ziel war ein Bahntransport von Uranerz, den die DB AG regelmäßig vom Hamburger Hafen durchführt. Die Thematisierung von Uranerz-Transporten durch die DB AG geht von Atomkraftgegnern in Hamburg aus, die dort seit mehreren Jahren (Blockade-)Aktionen durchführen. Am 17.10.2015 wurde in diesem Zusammenhang ein Selbstbezichtigungsschreiben einer bisher nicht bekannten Gruppierung "Operation yellow cake" veröffentlicht. Seitdem mit dem letzten Castor-Transport nach Gorleben im Jahre 2011 keine weiteren Transporte dieser Art durchgeführt wurden, verlagerten sich Atomkraftgegner thematisch auf andere Transporte radioaktiver Stoffe, wie aktuell auf die Beförderung von Uranerz durch die DB AG. In Burgwedel bei Hannover wurde ein Brandanschlag auf einen Jagdhochsitz verübt. Unbekannte Täter setzten auf bisher nicht bekannte Weise einen Jagdhochsitz in Brand, wodurch auch der umliegende Wald Feuer fing. In Einbeck wurde ein Brandanschlag auf ein Fahrzeug einer Person der rechten Szene verübt. Unbekannte Täter setzten vermutlich mittels Grillanzünder einen Pkw in Brand, wodurch am Fahrzeug Totalschaden entstand. An das Wohngebäude des Geschädigten schmierten die Täter linke Parolen und Zahlenkürzel sowie eine Hammer und Sichel-Darstellung als Symbol des Kommunismus. Der Fahrzeugnutzer ist der rechten Szene zuzurechnen. In Lüneburg wurde ein Brandanschlag auf einen hochwertigen Pkw verübt. Unbekannte Täter setzten diesen auch hier vermutlich mittels Grillanzünder in Brand. Das Angriffsziel lässt auf eine Tat zur Thematik "Umstrukturierung" schließen, welches zu dieser Zeit von der örtlichen linken Szene behandelt wurde. 268 Politisch motivierte Kriminalität (PMK) In Northeim wurde ein Brandanschlag auf ein Fahrzeug einer Person der rechten Szene verübt. Auf den Straßenbelag brachten die Täter eine Hammer und Sichel-Darstellung als Symbol des Kommunismus auf. Linksterroristische Bestrebungen sind in Niedersachsen nicht erkennbar. Die beiden Raubüberfälle auf Geldtransporter (2015 und 2016) unter mutmaßlicher Tatbeteiligung von drei früheren Angehörigen der linksterroristischen Gruppierung "Rote Armee Fraktion" (RAF) werden durch die sachbearbeitende Dienststelle nicht als politisch motiviert bewertet. In seiner Begründung verweist der Generalbundesanwalt auf die fehlenden zureichenden Anhaltspunkte für die Annahme einer linksmotivierten terroristischen Straftat, etwa im Sinne einer "Beschaffungstat" zur Fortführung linksterroristischer Aktionen im Sinne der RAF. Darüber hinaus lässt sich aufgrund des eingetretenen Zeitablaufs kein objektiver Tatzusammenhang zwischen den Raubüberfällen auf die Geldtransporter und früheren linksterroristischen Aktivitäten der Beschuldigten herstellen. Insgesamt fehlen somit objektive Gründe für die Annahme einer terroristischen Tatmotivation und somit die Grundlage für eine originäre Zuständigkeit der Generalbundesanwaltschaft. 269 Politisch motivierte Kriminalität (PMK) Übersicht der Gewalttaten und sonstigen Straftaten mit extremistischem Hintergrund aus dem Bereich "Politisch motivierte Kriminalität - links" in Niedersachsen131 Gewalttaten: 2014 2015 Tötungsdelikte 0 0 Versuchte Tötungsdelikte 1 1 Körperverletzungen 61 66 Brandstiftungen 5 5 Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion 0 0 Landfriedensbrüche 22 16 Gefährl. Eingriffe in Bahn-, Luft-, Schiffsoder Straßenverkehr 1 4 Freiheitsberaubung 1 0 Raub 1 1 Erpressung 0 0 Widerstandsdelikte 4 15 Sonstige Delikte 0 0 Insgesamt 96 108 Sonstige Straftaten: 2014 2015 Sachbeschädigungen 187 113 Nötigungen/Bedrohungen 3 13 Andere Straftaten 47 73 Insgesamt 237 199 Straftaten insgesamt 333 307 131 Die Zahlen basieren auf Angaben des Landeskriminalamtes Niedersachsen (LKA NI). Die Darstellung der niedersächsischen Fallzahlen in Übersichten des Bundes kann davon abweichen, da das LKA NI eine sogenannte "lebende Statistik" führt. Um die ständige Aktualität der Statistik sicherzustellen, werden dabei ggf. Nacherfassungen/Aktualisierungen auch für Vorjahre vorgenommen, so dass der Zahlenbestand Veränderungen unterliegen kann. 270 Politisch motivierte Kriminalität (PMK) 11.3 Politisch motivierte Kriminalität132 (PMK) mit extremistischem Hintergrund - Ausländer Seit dem Jahr 2001 wird die Politisch motivierte Kriminalität nach dem von der Innenministerkonferenz beschlossenen "Kriminalpolizeilichen Meldedienst in Fällen Politisch motivierter Kriminalität (KPMD-PMK)" bundeseinheitlich erfasst. Weitergehende grundsätzliche Aussagen zur PMK finden Sie in Kapitel 11.1. Die Gesamtzahl der erfassten Straftaten im Phänomenbereich PMK-Ausländer133 betrug im Jahr 2015 in Niedersachsen 207 Delikte, im Jahr 2014 waren noch 607 Delikte zu verzeichnen. Dies entspricht einem Rückgang von 65,90 Prozent. Mit extremistischem Hintergrund wurden insgesamt 174 Straftaten für das Jahr 2015 (2014: 586) erfasst. Dies bedeutet einen Rückgang dieser Delikte um 412 Fälle. Mit einem Anteil von ca. 29,9 Prozent (52 Straftaten) treten in diesem Phänomenbereich, wie auch in den Jahren zuvor, die Verstöße nach SS 20 Vereinsgesetz besonders hervor. Abgesehen davon, dass die hohe Fallzahl aus 2014 zum überwiegenden Teil einer Durchsuchungsaktion der PD Hannover Anfang des Jahres 2014 im PKK-Umfeld geschuldet war (es wurden allein wegen dieser Durchsuchungsaktion 493 Verfahren wegen Verstoßes gegen das VereinsG eingeleitet), stehen die Straftaten 2015 hauptsächlich im Zusammenhang mit dem Kennzeichenverbot. Überwiegend handelt es sich hier um Kennzeichenverbote aus dem Bereich der PKK, zu einem großen Teil wurden aber auch Verfahren aufgrund des Verwendens von Kennzeichen des Islamischen Staates (IS) eingeleitet. Für das Jahr 2015 wurden insgesamt 17 Terrorismusdelikte festgestellt. Diese werden in 13 Fällen dem Islamismus und in 4 Fällen der PKK zugeordnet und sind im Detail mit folgenden Hintergründen eingeleitet worden: 132 Siehe Fußnote 128. 133 Gemäß polizeilichem Definitionssystem zur PMK können in der Politisch motivierten Ausländerkriminalität auch durch deutsche Staatsangehörige begangene Straftaten erfasst werden. 271 Politisch motivierte Kriminalität (PMK) Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland gemäß SSSS 129 a/b StGB mit Islamismus-Zusammenhang Im Jahr 2015 wurden drei (2014: neun) polizeilich relevante Hilfskonvois nach Syrien festgestellt, an denen Personen aus Niedersachsen beteiligt waren. Sie wurden vom Verein "Helfen in Not e. V." (NRW) organisiert und durchgeführt. Die niedersächsische Beteiligung (Teilnehmer, Fahrzeuge etc.) wurde insbesondere vom Verein "Deutschsprachiger Islamkreis Hildesheim e. V." (DIK Hildesheim) arrangiert. Daraus resultierte ein Verfahren wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung. In einem weiteren Verfahren gemäß SS 129 a StGB wurde vermutet, dass der Beschuldigte schon vor der medialen Berichterstattung von den Anschlägen in Paris gewusst haben sollte. Dieser Verdacht konnte jedoch widerlegt werden. Dennoch ist eine Sympathie des Beschuldigten zum IS unverkennbar, die Ermittlungen dauern noch an. Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland gemäß SSSS 129 a/b StGB mit PKK-Zusammenhang Der Generalbundesanwalt hat das LKA Niedersachsen mit der Wahrnehmung der kriminalpolizeilichen Aufgaben in einem Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland gemäß SSSS 129 a/b StGB beauftragt. Bei dem Beschuldigten handelt es sich um einen PKK-Gebietsverantwortlichen. Aufgrund der bisherigen Ermittlungen konnte bestätigt werden, dass sich der Beschuldigte als Gebietsleiter mitgliedschaftlich für die PKK betätigt. Ein weiteres Verfahren, welches den Aufenthalt einer Person in einem Ausbildungslager der PKK betrifft, wurde nach Abschluss der Ermittlungen an die zuständige Staatsanwaltschaft in Hannover abgegeben. 272 Politisch motivierte Kriminalität (PMK) Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat gemäß SSSS 89 a/b StGB mit Islamismus-Zusammenhang Aufgrund von Ausreisen im Zusammenhang mit der Unterstützung des bzw. der Teilnahme am bewaffneten Jihad in Syrien und Nordirak wurden sechs Verfahren eingeleitet. In drei Verfahren werden die logistische Unterstützung, bzw. das Anwerben von Personen für den Jihad geprüft. Hiervon laufen in zwei Verfahren die Ermittlungen noch, das dritte wurde durch die zuständige Staatsanwaltschaft eingestellt. Im Dezember 2015 wurden zwei Syrien-Rückkehrer wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung vom Celler Oberlandesgericht zu Haftstrafen von vier Jahren und drei Monaten bzw. drei Jahren verurteilt. Der für den 15.02.2015 geplante Karnevalsumzug in Braunschweig wurde nach Hinweisen des niedersächsischen Verfassungsschutzes auf eine konkrete Gefährdung durch einen islamistischen Anschlag abgesagt. Am 17.02.2015 übernahm das LKA Niedersachsen die Ermittlungen wegen des Verdachts der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat gemäß SSSS 89 a/b StGB. Bis Mitte Mai 2015 ließ sich der Anfangsverdacht nicht erhärten. Das Verfahren wurde durch die zuständige Staatsanwaltschaft eingestellt. Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat gemäß SSSS 89 a/b StGB mit PKK-Zusammenhang Im Jahr 2015 wurden zwei Verfahren wegen Ausreisen in das syrisch-kurdische Kampfgebiet, bzw. wegen des Kampfes gegen den IS durch die PI Celle und PI Wolfsburg geführt. Das Verfahren der PI Wolfsburg wurde nach SS 170 Abs. 2 StPO eingestellt, das andere Verfahren liegt zur rechtlichen Beurteilung bei der zuständigen Staatsanwaltschaft in Lüneburg. Im Berichtszeitraum ereigneten sich 40 Gewaltdelikte mit extremistischem Hintergrund (2014: 8). Diese gliedern sich in 30 Körperverletzungsdelikte, fünf Landfriedensbrüche, zwei Erpressungen, einen Widerstand, einen Raub sowie einen versuchten Totschlag. 273 Politisch motivierte Kriminalität (PMK) Der hohe Anstieg der Gewaltdelikte resultiert größtenteils ausgewaltsamen Auseinandersetzungen im Zuge von Demonstrationsgeschehen. Im Zusammenhang mit den Parlamentswahlen in der Türkei wurden niedersachsenweit Veranstaltungen sowohl mit türkisch-nationalem Hintergrund, als auch mit kurdisch-yezidischen Bezügen und den entsprechenden Gegendemonstrationen durchgeführt, nach denen es teilweise zu Zusammenstößen rivalisierender Gruppen gekommen ist. Am 12.09.2015 kam es im Zuge einer Anti-PKK Demonstration zu einem versuchten Tötungsdelikt. Der 50-jährige Beschuldigte mit türkischem Migrationshintergrund durchstach hierbei mit einem Messer die Halsschlagader des 26-jährigen kurdischen Opfers, das nach einer Notoperation überlebte. Am 17.11.2015 erhielten die Sicherheitsbehörden einen nachrichtendienstlichen Hinweis, wonach eine Gruppe von mehreren Personen während des Fußball-Länderspiels Deutschland - Niederlande einen Sprengstoffanschlag auf die HDI-Arena in Hannover plane. In der Gesamtschau der vorliegenden Hinweise und Erkenntnisse musste von einer erhöhten Glaubwürdigkeit des Hinweises ausgegangen werden. Um die mutmaßliche gegenwärtige Gefahr für Leib und Leben einer großen Anzahl von Menschen abzuwenden, wurde das Fußball-Länderspiel abgesagt. Die Ermittlungen wurden vom Bundeskriminalamt übernommen und dauern weiterhin an. 274 Politisch motivierte Kriminalität (PMK) Übersicht der Gewalttaten und sonstigen Straftaten mit extremistischem Hintergrund aus dem Bereich "Politisch motivierte Ausländerkriminalität" in Niedersachsen134 Gewalttaten: 2014 2015 Tötungsdelikte 0 0 Versuchte Tötungsdelikte 2 1 Körperverletzungen 5 30 Brandstiftungen 0 0 Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion 0 0 Landfriedensbrüche 1 5 Gefährl. Eingriffe in Bahn-, Luft-, Schiffsoder Straßenverkehr 0 0 Freiheitsberaubung 0 0 Raub 0 1 Erpressung 0 2 Widerstandsdelikte 0 1 Insgesamt 8 40 Sonstige Straftaten: 2014 2015 Sachbeschädigungen 5 11 Nötigungen/Bedrohungen 3 15 Andere Straftaten (davon SS 20 VereinsG135) 570 (535) 108 (52) Insgesamt 578 134 Straftaten insgesamt 586 174 134 Die Zahlen basieren auf Angaben des Landeskriminalamtes Niedersachsen (LKA NI). Die Darstellung der niedersächsischen Fallzahlen in Übersichten des Bundes kann davon abweichen, da das LKA NI eine sogenannte "lebende Statistik" führt. Um die ständige Aktualität der Statistik sicherzustellen, werden dabei ggf. Nacherfassungen/ Aktualisierungen auch für Vorjahre vorgenommen, so dass der Zahlenbestand Veränderungen unterliegen kann. 135 Zuwiderhandlungen gegen (Vereins-) Verbote. 275 12 Anhang Anhang 12.1 Definition der Arbeitsbegriffe Extremismus Die Verfassungsschutzbehörden unterscheiden zwischen "Extremismus" und "Radikalismus", obwohl beide Begriffe oft synonym gebraucht werden. Bei "Radikalismus" handelt es sich zwar auch um eine überspitzte, zum Extremen neigende Denkund Handlungsweise, die gesellschaftliche Probleme und Konflikte bereits "von der Wurzel (lat. radix) her" anpacken will. Im Unterschied zum "Extremismus" sollen jedoch weder der demokratische Verfassungsstaat noch die damit verbundenen Grundprinzipien unserer Verfassungsordnung beseitigt werden. So sind z. B. Kapitalismuskritiker, die grundsätzliche Zweifel an der Struktur unserer Wirtschaftsund Gesellschaftsordnung äußern und sie von Grund auf verändern wollen, noch keine Extremisten. Radikale politische Auffassungen haben in unserer pluralistischen Gesellschaftsordnung ihren legitimen Platz. Auch wer seine radikalen Zielvorstellungen realisieren will, muss nicht befürchten, dass er vom Verfassungsschutz beobachtet wird, jedenfalls nicht, solange er die Grundprinzipien unserer Verfassungsordnung anerkennt. Als extremistisch werden dagegen die Aktivitäten bezeichnet, die darauf abzielen, die Grundwerte der freiheitlichen Demokratie zu beseitigen. Extremismus mit Auslandsbezug Extremistische Ausländerorganisationen verfolgen in Deutschland Ziele, die häufig durch aktuelle Ereignisse und politische Entwicklungen in ihren Heimatländern bestimmt sind. Entsprechend ihrer politischen Ausrichtung handelt es sich dabei zum Beispiel um linksextremistische Organisationen, soweit sie in ihren Heimatländern ein sozialistisches bzw. kommunistisches Herrschaftssystem anstreben oder um nationalistische Organisationen, die ein überhöhtes Selbstverständnis von der eigenen Nation haben und die Rechte anderer Völker missachten. Daneben gibt es separatistische Organisationen, die eine Loslösung ihres Herkunftsgebietes aus einem bereits bestehenden Staatsgebilde und die Schaffung eines eigenen Staates verfolgen. Die größte von den Verfassungsschutzbehörden beobachtete 278 Anhang ausländerextremistische Organisation in Deutschland ist nach wie vor die unter der Bezeichnung PKK bekannte Arbeiterpartei Kurdistans. Derartige Organisationen unterliegen der Beobachtung durch die Verfassungsschutzbehörden, wenn: f sie sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland richten, indem sie hier z. B. versuchen, eine ihren Grundsätzen entsprechende Parallelgesellschaft zu errichten, f sie ihre politischen Auseinandersetzungen mit Gewalt auf deutschem Boden austragen und dadurch die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gefährden, f sie vom Bundesgebiet aus Gewaltaktionen in anderen Staaten durchführen oder unterstützen und dadurch auswärtige Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zu diesen Staaten gefährden, f sich ihre Aktivitäten gegen den Gedanken der Völkerverständigung, insbesondere das friedliche Zusammenleben der Völker, richten. Islamismus Der Begriff des Islamismus bezeichnet eine religiös motivierte Form des politischen Extremismus. Islamisten sehen in den Schriften und Geboten des Islams nicht nur Regeln für die Ausübung der Religion, sondern auch Handlungsanweisungen für eine islamistische Staatsund Gesellschaftsordnung. Ein Grundgedanke dieser islamistischen Ideologie ist die Behauptung, alle Staatsgewalt könne ausschließlich von Gott (Allah) ausgehen. Damit richten sich islamistische Bestrebungen gegen die Wertvorstellungen des Grundgesetzes, insbesondere gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung. Islamisten halten die Etablierung einer islamischen Gesellschaftsordnung für unabdingbar. Dieser Ordnung sollen letztlich sowohl Muslime als auch Nicht-Muslime unterworfen werden. Islamistische Organisationen - mit Ausnahme islamistisch-terroristischer Organisationen - lassen sich grob in zwei Kategorien einteilen: f Organisationen, die in ihren Herkunftsländern die konsequente Umgestaltung der bestehenden Staatsund Gesellschaftsordnungen nach ihrem Verständnis der islamischen 279 Anhang Rechtsordnung (Scharia) anstreben. In Deutschland liegt ihr Schwerpunkt auf propagandistischen Aktivitäten sowie der Sammlung von Spendengeldern, um die Mutterorganisationen in den Herkunftsländern zu unterstützen. f Andere islamistische Gruppierungen in Deutschland verfolgen eine umfassendere, auch politisch motivierte Strategie. Auch sie streben eine Änderung der Staatsund Gesellschaftsordnung in ihren Herkunftsländern zugunsten eines islamischen Staatswesens an. Sie bemühen sich jedoch im Rahmen einer legalistischen Strategie, ihren Anhängern in Deutschland größere Freiräume für ein Scharia konformes Leben zu schaffen. Linksextremismus Mit dem Arbeitsbegriff werden die linksextremistischen verfassungsfeindlichen Bestrebungen von deutschen Personenzusammenschlüssen bezeichnet, die sich auf der Grundlage einer marxistisch-leninistischen, revolutionär-marxistischen oder anarchistischen Ideologie in Deutschland gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung und ihre tragenden Grundsätze richten. Für Linksextremisten vielfach kennzeichnend ist ein grundsätzliches Bekenntnis zur "revolutionären Gewalt", obgleich sie tagespolitisch auf "legale" Kampfformen setzen. Rechtsextremismus Als rechtsextremistisch werden von den Verfassungsschutzbehörden alle verfassungsfeindlichen oder extremistischen Bestrebungen bezeichnet, die auf der ideologischen Grundlage einer nationalistischen oder rassistischen Weltanschauung in Deutschland von deutschen Personenzusammenschlüssen ausgehen und sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung richten. Rechtsextremistischem Denken liegt vielfach die Vorstellung menschlicher Ungleichwertigkeit (Ideologie der Ungleichheit) zugrunde. Rechtsbzw. Linksextremismus Bis 1974 wurden die Begriffe Extremismus sowie "Radikalismus" bzw. "Rechtsoder Linksradikalismus" von den Verfassungsschutzbehörden nebeneinander als Synonyme zur Kenn280 Anhang zeichnung verfassungsfeindlicher Bestrebungen verwendet. Der Radikalismusbegriff wird seitdem von den Verfassungsschutzbehörden nicht mehr für verfassungsfeindliche Bestrebungen benutzt, da er in der politischen Tradition der Aufklärung positiv besetzt ist und im Rechtssinne nur der Extremismusbegriff "der Tatsache Rechnung (trägt), dass politische Aktivitäten oder Organisationen nicht schon deshalb verfassungsfeindlich sind, weil sie eine ... 'radikale', das heißt eine bis an die Wurzel einer Fragestellung gehende Zielsetzung haben. Sie sind 'extremistisch' und damit verfassungsfeindlich im Rechtssinne nur dann, wenn sie sich gegen den ... Grundbestand unserer freiheitlichen rechtsstaatlichen Verfassung richten." (Verfassungsschutzbericht des Bundesinnenministeriums 1974, S. 4). Wenn die Verfassungsschutzbehörden überhaupt noch den Terminus "rechtsbzw. linksradikal" verwenden, werden damit in Abgrenzung zu dem verfassungsfeindlichen Rechtsbzw. Linksextremismus politische Aktivitäten und Zielsetzungen bezeichnet, die sich (noch) nicht gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung mit dem Ziel einer revolutionären Systemüberwindung richten. Salafismus Der Ausdruck Salafismus (arab. Salafiyya) bezeichnet jene islamistischen Strömungen, die sich ganz auf das Vorbild der Altvorderen (arab. salaf, "Vorfahre") ausrichten. Nur die Quellen aus der Frühzeit des Islams, Koran und Sunna, sind für Salafisten von Bedeutung. Alle islamischen Lehrsätze, die die Gelehrten in den Jahrhunderten nach dem Tod Muhammads entwickelt haben, lehnen sie als unislamisch ab. Der wesentliche Unterschied des Salafismus zu den übrigen islamistischen Positionen liegt darin begründet, dass die Salafisten ausschließlich Handlungen und Anschauungen des Propheten und seiner muslimischen Zeitgenossen, so wie es die islamische Tradition überliefert, als vorbildhaft für alle Zeiten ansehen. Es ist ihr Ansinnen, die sozialen und gesellschaftlichen Verhältnisse, die im 7. Jahrhundert auf der Arabischen Halbinsel galten, auf die gesamte moderne Menschheit zu übertragen. Das schließt z. B. auch die Verheiratung neunjähriger Mädchen und die Sklaverei ein. 281 Anhang Durch einige Salafisten wird auch der Begriff des Jihad betont militant interpretiert. Sie sehen im Jihad primär eine Notwendigkeit zur aktiven Verteidigung des Islams und der Staaten mit überwiegend muslimischer Bevölkerung. Hierbei wird davon ausgegangen, dass die Bedrohung der islamischen Welt von den Staaten der sogenannten westlichen Welt ausgeht. Diese sogenannten jihadistischen Salafisten konstruieren daher eine persönliche Verantwortung eines jeden Muslims, den Jihad im Sinne eines bewaffneten Kampfes gegen die vermeintlichen Gegner des Islams zu praktizieren. Das schließt auch die Durchführung von Terroranschlägen ein. Spionage Als Spionage wird die Tätigkeit für den Nachrichtendienst einer fremden Macht bezeichnet, die auf die Mitteilung oder Lieferung von Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen gerichtet ist. Die Beschaffung von Informationen, vor allem aus den Bereichen Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Militär, erfolgt zumeist unter Anwendung geheimer Mittel und Methoden. Soweit Spionage gegen die Bundesrepublik Deutschland gerichtet ist, kommt eine Strafbarkeit gemäß SSSS 93 ff. StGB in Betracht. Terrorismus Terrorismus ist nach der Definition der Verfassungsschutzbehörden der nachhaltig geführte Kampf für politische Ziele, die mit Hilfe von Anschlägen auf Leib, Leben und Eigentum anderer Menschen durchgesetzt werden sollen, insbesondere durch schwere Straftaten, wie sie in SS 129a Abs. 1 StGB genannt sind, oder durch andere Straftaten, die zur Vorbereitung solcher Straftaten dienen. Verfassungsfeindliche / extremistische Bestrebungen Verfassungsfeindlich (= extremistisch) sind politische Aktivitäten, die gegen die verfassungsmäßige Ordnung gerichtet sind und darauf abzielen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beseitigen. Verfassungswidrig ist umgangssprachlich häufig synonym mit "verfassungsfeindlich" zu finden. Über die Frage der Verfassungs282 Anhang widrigkeit einer Partei entscheidet das Bundesverfassungsgericht (Art. 21 Abs. 2 GG; SSSS 13 Nr. 2, 43 ff. BVerfGG). Parteien sind verfassungswidrig, wenn sie nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgerichtet sind, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden. Es genügt nicht, wenn die Partei die freiheitliche demokratische Ordnung nicht anerkennt, sie ablehnt oder ihr andere Prinzipien entgegenhält. Es muss vielmehr eine aktiv-kämpferische, aggressive Haltung gegenüber der bestehenden verfassungsmäßigen Ordnung hinzukommen. Die Organisation muss also planvoll das Funktionieren dieser Ordnung beeinträchtigen und im weiteren Verlauf diese Ordnung selbst beseitigen wollen. Verbot verfassungsfeindlicher Organisationen / Verfassungswidrigkeit Ein Verbot eines Vereins ist nach Art. 9 Abs. 2 GG möglich, wenn der Zweck der Tätigkeit des Vereins den Strafgesetzen zuwiderläuft oder sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richtet. Erst wenn dies durch Verfügung der Verbotsbehörde festgestellt ist, wird nach SS 3 Abs. 1 Vereinsgesetz der Verein als verboten (Art. 9 Abs. 2 GG) behandelt. Ein Vereinsverbot wird durch den Landesbzw. Bundesinnenminister erlassen. Nach Art. 21 Abs. 2 GG sind Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, verfassungswidrig. Über die Frage der Verfassungswidrigkeit entscheidet das Bundesverfassungsgericht (Art. 21 Abs. 2 GG; SSSS 13 Nr. 2, 43 ff. BVerfGG) Die Hürden für ein Parteiverbot sind hoch. In der Bundesrepublik wurden bisher zwei Parteien verboten: 1952 die "Sozialistische Reichspartei" (SRP) und 1956 die "Kommunistische Partei Deutschlands" (KPD). Zuletzt wurde 2003 ein von Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat angestrengtes Verfahren zum Verbot der NPD eingestellt. Laut Bundesverfassungsgericht konnte zum Zeitpunkt der 283 Anhang Einleitung des Verbotsverfahrens aufgrund der Beobachtung durch V-Leute der Verfassungsschutzbehörden, die als Mitglieder in Landesund Bundesvorständen der NPD fungieren, unmittelbar vor und während des Verbotsverfahrens nicht mehr von der Staatsfreiheit der NPD-Führung ausgegangen werden. Am 22.03.2012 wurde bei einer Sondersitzung der Innenministerkonferenz (IMK) Einigung dahingehend erzielt, eine Arbeitsgruppe der Innenministerien zur Materialsammlung in Vorbereitung eines möglichen neuen NPD-Verbotsverfahrens einzurichten. Gleichzeitig erging ein Beschluss, der die Verfassungsschutzbehörden verpflichtete, ggf. bei der NPD vorhandene Quellen auf Vorstandsebene bis zum 02.04.2012 abzuschalten. Auf der Grundlage der durch die Verfassungsschutzbehörden gesammelten Materialien entschieden sich die Innenminister der Länder am 05.12.2012 für einen erneuten Verbotsantrag. Am 14.12.2012 fasste daraufhin der Bundesrat den Beschluss, das Parteiverbotsverfahren anzustrengen. Nach Abschluss der Materialsammlung reichte der Bundesrat am 03.12.2013 den Antrag auf Verbot der NPD beim Bundesverfassungsgericht ein. Solange verfassungsfeindliche Parteien und sonstige Organisationen nicht verboten sind, dürfen sie sich im Rahmen der für alle geltenden Gesetze frei betätigen. Wirtschaftsspionage / Wirtschaftsschutz Unter Wirtschaftsspionage ist die staatlich gelenkte oder gestützte, von fremden Nachrichtendiensten ausgehende Ausforschung von Wirtschaftsunternehmen und Betrieben zu verstehen. Davon abzugrenzen ist die Konkurrenzausspähung, nämlich die Ausforschung, die konkurrierende Unternehmen gegeneinander betreiben. Wirtschaftsschutz ist der präventive Teil der Spionageabwehr und soll dazu dienen, Schäden durch Wirtschaftsspionage und Konkurrenzausspähung in der Wirtschaft zu reduzieren und der Wirtschaft als kompetenter Ansprechpartner für Sicherheitsfragen und -vorfälle zur Verfügung zu stehen. 284 Anhang 12.2 Gesetz über den Verfassungsschutz im Lande Niedersachsen über den Verfassungsschutz im Lande Niedersachsen (Niedersächsisches Verfassungsschutzgesetz - NVerfSchG -) in der Fassung vom 6. Mai 2009 (Nds. GVBl. S. 154) zuletzt geändert durch Art. 1 des Gesetzes vom 03.06.2015 (Nds. GVBl. Nr. 8/2015, S. 99)136 Inhaltsübersicht Erster Abschnitt Allgemeine Vorschriften SS1 Zweck und Auftrag des Verfassungsschutzes SS2 Zuständigkeit SS3 Aufgaben SS3a - aufgehoben - SS4 Begriffsbestimmungen Zweiter Abschnitt Befugnisse, nachrichtendienstliche Mittel, Datenverarbeitung SS5 Allgemeine Befugnisse SS5a Besondere Auskunftspflichten SS5b Verfahrensvorschriften für Besondere Auskunftspflichten SS5c Auskunftspflichten SS6 Informationsbeschaffung mit nachrichtendienstlichen Mitteln SS6a Einsatz technischer Mittel in Wohnungen SS6b Verfahrensvorschriften für den Einsatz technischer Mittel in Wohnungen SS6c Verfahrensvorschriften für das heimliche Mithören und 136 Siehe hierzu auch Fußnote 1 in Kapitel 1.2. 285 Anhang Aufzeichnen des nicht öffentlich gesprochenen Wortes unter Einsatz technischer Mittel SS6d Einsatz technischer Mittel nach SS 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 12 SS7 -- aufgehoben -- SS8 Speicherung, Veränderung und Nutzung personenbezogener Daten SS9 Speicherung, Veränderung und Nutzung personenbezogener Daten von Minderjährigen SS 10 Berichtigung, Löschung und Sperrung von personenbezogenen Daten in Dateien SS 11 Berichtigung, Löschung und Sperrung von personenbezogenen Daten in Akten SS 12 Dateibeschreibungen Dritter Abschnitt Auskunft SS 13 Auskunft an Betroffene Vierter Abschnitt Informationsübermittlung SS 14 Grenzen der Übermittlung personenbezogener Daten SS 15 Übermittlung von Informationen an die Verfassungsschutzbehörde SS 16 Registereinsicht SS 17 Übermittlung personenbezogener Daten durch die Verfassungsschutzbehörde SS 18 Übermittlung von Informationen durch die Verfassungsschutzbehörde an Strafverfolgungsund Sicherheitsbehörden in Angelegenheiten des Staatsund Verfassungsschutzes SS 19 Übermittlung personenbezogener Daten an die Öffentlichkeit SS 20 Übermittlungsverbote, Minderjährigenschutz SS 21 Pflichten der empfangenden Stelle SS 22 Nachberichtspflicht 286 Anhang Fünfter Abschnitt Parlamentarische Kontrolle SS 23 Ausschuss für Angelegenheiten des Verfassungsschutzes SS 24 Zusammensetzung SS 25 Kontrollrechte des Ausschusses SS 26 Verfahrensweise SS 27 Hilfe vonseiten der oder des Landesbeauftragten für den Datenschutz Sechster Abschnitt Schlussvorschriften SS 28 Geltung des Niedersächsischen Datenschutzgesetzes SS 29 Änderung des Niedersächsischen Gesetzes zur Ausführung des Gesetzes zu Artikel 10 Grundgesetz SS 30 Änderung des Niedersächsischen Beamtengesetzes SS 31 Änderung des Personalvertretungsgesetzes für das Land Niedersachsen SS 32 Inkrafttreten 287 Anhang Erster Abschnitt SS2 Allgemeine Vorschriften Zuständigkeit SS1 (1) 1Verfassungsschutzbehörde ist das für Inneres zuständige Ministerium (FachmiZweck und Auftrag des nisterium). 2Das Fachministerium unterhält Verfassungsschutzes eine gesonderte Abteilung (Verfassungsschutzabteilung), die allein die der Verfas- 1 Der Verfassungsschutz dient dem Schutz sungsschutzbehörde nach diesem Gesetz der freiheitlichen demokratischen Grundund anderen Rechtsvorschriften obliegenordnung, des Bestandes und der Sicherden Aufgaben wahrnimmt. heit des Bundes und der Länder. (2) 1Verfassungsschutzbehörden anderer 2 Er erfüllt diesen Auftrag durch Länder dürfen im Land Niedersachsen nur im Einvernehmen mit der Verfas1. die Sammlung und Auswertung von sungsschutzbehörde tätig werden. 2Ihre Informationen über Bestrebungen Befugnisse bestimmen sich dabei nach und Tätigkeiten nach SS 3 Abs. 1 Satz 1, den Vorschriften dieses Gesetzes. 3 Das 2. die Unterrichtung der LandesregieBundesamt für Verfassungsschutz darf im rung und die Aufklärung der ÖffentLand Niedersachsen nur im Benehmen mit lichkeit über diese Bestrebungen und der Verfassungsschutzbehörde tätig werTätigkeiten, den (SS 5 Abs. 2 des Bundesverfassungs3. die Wahrnehmung der in diesem schutzgesetzes). Gesetz geregelten sonstigen (3) Die Verfassungsschutzbehörde darf anMitwirkungs aufgaben sowie dere Verfassungsschutzbehörden nicht um 4. den in diesem Gesetz oder in anderen Maßnahmen ersuchen, zu denen sie selbst Rechtsvorschriften vorgesehenen nicht befugt ist. Informationsaustausch mit anderen Stellen. SS3 Aufgaben (1) 1Aufgabe der Verfassungsschutzbehörde ist die Sammlung und Auswertung von Informationen, insbesondere von sachund personenbezogenen Auskünften, Nachrichten und Unterlagen, über 288 Anhang 1. Bestrebungen, die gegen die freiheitbedarf der Zustimmung der Fachministerin liche demokratische Grundordnung, oder des Fachministers oder der Vertreteden Bestand oder die Sicherheit des rin oder des Vertreters. Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beein(2) 1Die Verfassungsschutzbehörde unterträchtigung der Amtsführung der richtet die zuständigen Stellen über Art Verfassungsorgane des Bundes oder und Ausmaß von Bestrebungen und Tätigeines Landes oder ihrer Mitglieder keiten nach Absatz 1. 2Die Unterrichtung zum Ziele haben, soll die zuständigen Stellen in die Lage 2. sicherheitsgefährdende oder geheimversetzen, die erforderlichen Abwehrmaßdienstliche Tätigkeiten in der Bundesnahmen zu treffen. republik Deutschland für eine fremde Macht, (3) Die Verfassungsschutzbehörde wirkt mit 3. Bestrebungen in der Bundesrepublik 1. bei der Sicherheitsüberprüfung von Deutschland, die durch Anwendung Personen nach Maßgabe des Niedervon Gewalt oder darauf gerichtete sächsischen SicherheitsüberprüfungsVorbereitungshandlungen auswärtige gesetzes, Belange der Bundesrepublik Deutsch2. bei der Sicherheitsüberprüfung von land gefährden, Personen, die an sicherheitsemp4. Bestrebungen, die gegen den findlichen Stellen von lebensoder Gedanken der Völkerverständigung verteidigungswichtigen Einrichtungen (Artikel 9 Abs. 2 des Grundgesetzes) beschäftigt sind oder werden sollen, oder gegen das friedliche Zusammen3. bei technischen Sicherheitsmaßnahleben der Völker (Artikel 26 Abs. 1 men zum Schutz von im öffentlichen des Grundgesetzes) gerichtet sind. Interesse geheimhaltungsbedürftigen Tatsachen, Gegenständen oder Er- 2 Die Leiterin oder der Leiter der Verfaskenntnissen gegen die Kenntnisnahme sungsschutzabteilung oder die Vertreterin durch Unbefugte, oder der Vertreter bestimmt die Objekte, 4. bei der Überprüfung von Personen in die zur Erfüllung der Aufgaben nach Satz 1 sonstigen gesetzlich vorgesehenen Nrn. 1, 3 und 4 planmäßig zu beobachten Fällen, und aufzuklären sind (Beobachtungsob5. bei einer im öffentlichen Interesse jekte). 3SS 5 Abs. 1 Satz 2 gilt entsprechend. liegenden Überprüfung von Personen 4 Die Bestimmung eines Beobachtungsobmit deren Einverständnis. jektes ist regelmäßig zu überprüfen. 5Sie ist aufzuheben, wenn die Voraussetzung (4) 1Die Verfassungsschutzbehörde klärt des SS 5 Abs. 1 Satz 2 entfallen ist. Die 6 die Öffentlichkeit auf der Grundlage ihrer Bestimmung eines Beobachtungsobjektes Auswertungsergebnisse durch zusammen289 Anhang fassende Berichte und andere Maßnahmen SS4 über Bestrebungen und Tätigkeiten nach Absatz 1 Satz 1 auf. 2Über tatsächliche Begriffsbestimmungen Anhaltspunkte für das Vorliegen solcher Bestrebungen und Tätigkeiten darf auf(1) 1Bestrebungen im Sinne des SS 3 Abs. geklärt werden, wenn die Anhaltspunkte 1 Satz 1 Nrn. 1, 3 und 4 sind politisch beunter Berücksichtigung der Interessen der stimmte, zielund zweckgerichtete Veroder des Betroffenen hinreichend gehaltensweisen in einem oder für einen wichtig sind. 3Zur Aufklärung gehört ein Personenzusammenschluss. 2 Für einen jährlicher Verfassungsschutzbericht, in Personenzusammenschluss handelt, wer dem auch die Summe der Haushaltsmittel ihn in seinen Bestrebungen nachdrücklich sowie die Gesamtzahl der in der Verfasunterstützt. 3 Verhaltensweisen von Einsungsschutzabteilung Tätigen nach Stellen zelpersonen, die nicht in einem oder für und Beschäftigungsvolumen darzustellen einen Personenzusammenschluss handeln, sind. 4 Ferner sind in dem Bericht allgemein sind Bestrebungen im Sinne des SS 3 Abs. die Einholung von Auskünften nach SS 5 a, 1 Satz 1 Nr. 1, 3 oder 4, wenn sie auf Andie Anwendung nachrichtendienstlicher wendung von Gewalt gerichtet oder aufMittel, die Auskunftsersuchen nach SS 13 grund ihrer Wirkungsweise geeignet sind, und die Strukturdaten der von der Verfasein Schutzgut dieses Gesetzes erheblich zu sungsschutzbehörde in Dateien im Sinne beschädigen. des SS 6 Satz 1 des Bundesverfassungsschutzgesetzes gespeicherten Personen(2) Im Sinne des SS 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 sind datensätze darzustellen. 1. Bestrebungen gegen den Bestand des Bundes oder eines Landes: solche, die darauf gerichtet sind, die SS3a Freiheit des Bundes oder eines Landes von fremder Herrschaft aufzuheben, -- aufgehoben -- ihre staatliche Einheit zu beseitigen oder ein zu ihnen gehörendes Gebiet abzutrennen; 2. Bestrebungen gegen die Sicherheit des Bundes oder eines Landes: solche, die darauf gerichtet sind, den Bund, Länder oder deren Einrichtungen in ihrer Funktionsfähigkeit erheblich zu beeinträchtigen; 3. Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung: 290 Anhang solche, die darauf gerichtet sind, Einrichtungen anderer Staaten richtet oder einen der in Absatz 3 genannten richten soll. Verfassungsgrundsätze zu beseitigen oder außer Geltung zu setzen. (5) Gewalt im Sinne dieses Gesetzes ist die Anwendung körperlichen Zwanges gegen (3) Zur freiheitlichen demokratischen Personen und die gewalttätige Einwirkung Grundordnung im Sinne des SS 3 Abs. 1 auf Sachen. Satz 1 Nr. 1 zählen: 1. das Recht des Volkes, die Staatsge(6) Sammlung von personenbezogenen walt in Wahlen und Abstimmungen Daten ist das Erheben im Sinne des Niederund durch besondere Organe der Gesächsischen Datenschutzgesetzes. setzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung auszuüben und die Volksvertretung in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und Zweiter Abschnitt geheimer Wahl zu wählen, Befugnisse, nachrichtendienstliche Mittel, 2. die Bindung der Gesetzgebung an die Datenverarbeitung verfassungsmäßige Ordnung und die Bindung der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an Gesetz SS5 und Recht, 3. das Recht auf Bildung und Ausübung Allgemeine Befugnisse einer parlamentarischen Opposition, 4. die Ablösbarkeit der Regierung und (1) 1Die Verfassungsschutzbehörde darf ihre Verantwortlichkeit gegenüber der die zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderVolksvertretung, lichen Informationen einschließlich perso5. die Unabhängigkeit der Gerichte, nenbezogener Daten erheben und weiter 6. der Ausschluss jeder Gewaltund verarbeiten, soweit dieses Gesetz oder anWillkürherrschaft und dere Rechtsvorschriften nicht besondere 7. die im Grundgesetz konkretisierten Regelungen treffen. 2Voraussetzung für die Menschenrechte. Sammlung von Informationen im Sinne des SS 3 Abs. 1 Satz 1 ist das Vorliegen tatsäch(4) Eine Gefährdung auswärtiger Belange licher Anhaltspunkte, die, insgesamt beim Sinne des SS 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 liegt trachtet und unter Einbeziehung nachrichnur dann vor, wenn die Gewalt innerhalb tendienstlicher Erfahrungen, den Verdacht der Bundesrepublik Deutschland angeeiner der in SS 3 Abs. 1 Satz 1 genannten Bewendet oder vorbereitet wird und sie strebungen oder Tätigkeiten rechtfertigen. sich gegen die politische Ordnung oder 291 Anhang (2) 1Werden personenbezogene Daten bei SS5a Betroffenen mit deren Kenntnis erhoben, so ist der Erhebungszweck anzugeben, es Besondere Auskunftspflichten sei denn, dass die Erhebung für Zwecke des Verfassungsschutzes nicht bekannt (1) 1Luftfahrtunternehmen sind verpflichwerden darf. Die Betroffenen sind auf die 2 tet, der Verfassungsschutzbehörde auf Freiwilligkeit ihrer Angaben hinzuweisen. Anordnung unentgeltlich Auskünfte zu Namen und Anschriften von Kundinnen (3) Ist zum Zwecke der Sammlung von und Kunden sowie zur Inanspruchnahme Informationen die Weitergabe personenund den Umständen von Transportleistunbezogener Daten unerlässlich, so dürfen gen, insbesondere zum Zeitpunkt von Abschutzwürdige Interessen der betroffenen fertigung und Abflug und zum BuchungsPerson nur im unvermeidbaren Umfang weg, zu erteilen. 2 Auskünfte dürfen nur beeinträchtigt werden. im Einzelfall und unter der Voraussetzung eingeholt werden, dass sie zur Erfüllung (4) Polizeiliche Befugnisse oder Weisungs- 1 der Aufgaben nach SS 3 Abs. 1 Satz 1 erbefugnisse stehen der Verfassungsschutzforderlich sind und dass tatsächliche Anbehörde zur Erfüllung ihrer Aufgaben haltspunkte für eine schwerwiegende Genicht zu. 2Sie darf die Polizei nicht um fahr für ein in SS 3 Abs. 1 Satz 1 genanntes Maßnahmen ersuchen, zu denen sie selbst Schutzgut vorliegen. nicht befugt ist, auch nicht im Wege der Amtshilfe. (2) 1Kreditinstitute, Finanzdienstleistungsinstitute und Finanzunternehmen sind ver(5) Die Verfassungsschutzbehörde ist an 1 pflichtet, der Verfassungsschutzbehörde die allgemeinen Rechtsvorschriften geauf Anordnung unentgeltlich Auskünfte bunden. 2Bei der Sammlung und Verarbeizu Konten und Geldanlagen, insbesondere tung von Informationen hat sie von mehzu Kontoständen, Zahlungseinund -ausreren geeigneten Maßnahmen diejenige gängen und sonstigen Geldbewegungen, zu wählen, die Betroffene voraussichtlich sowie zu Kontoinhaberinnen, Kontoinhaam wenigsten beeinträchtigt. 3 Eine Maßbern, sonstigen Berechtigten und weitenahme darf keinen Nachteil herbeiführen, ren am Zahlungsverkehr Beteiligten zu erder erkennbar außer Verhältnis zu dem beteilen. 2 Absatz 1 Satz 2 gilt entsprechend. absichtigten Erfolg steht. (3) 1Diejenigen, die geschäftsmäßig Telemedien anbieten oder daran mitwirken, sind auch verpflichtet, der Verfassungsschutzbehörde auf Anordnung unentgeltlich Auskünfte zu 292 Anhang 1. der Begründung, inhaltlichen Ausgeschwerwiegende Gefahr nachdrücklich staltung, Änderung oder Beendigung fördern oder bei denen aufgrund beeines Vertragsverhältnisses über stimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass Telemedien, sie die Leistung für solche Personen in An2. Merkmalen zur Identifikation der spruch nehmen. Nutzerin oder des Nutzers von Telemedien, (6) Auskünfte nach Absatz 4 dürfen nur 3. Angaben über Beginn und Ende über Personen eingeholt werden, bei denen sowie über den Umfang der jeweiligen 1. tatsächliche Anhaltspunkte für den Nutzung und Verdacht bestehen, dass sie eine 4. Angaben über die von der NutzeStraftat nach SS 3 Abs. 1 des Artikel rin oder dem Nutzer in Anspruch 10-Gesetzes planen, begehen oder genommenen Telemedien zu erteilen. begangen haben, 2 Absatz 1 Satz 2 gilt entsprechend. 2. aufgrund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass sie über ihren Teil(4) Diejenigen, die geschäftsmäßig Tele- 1 nehmeranschluss für Personen nach kommunikationsdienste erbringen oder Nummer 1 bestimmte oder von ihnen daran mitwirken, sind verpflichtet, der herrührende Mitteilungen entgegenVerfassungsschutzbehörde auf Anordnung nehmen oder weitergeben, oder Auskünfte zu Verkehrsdaten nach SS 96 Abs. 3. aufgrund bestimmter Tatsachen 1 Nrn. 1 bis 4 des Telekommunikationsgeanzunehmen ist, dass Personen nach setzes (TKG) und sonstigen zum Aufbau Nummer 1 deren Teilnehmeranschluss und zur Aufrechterhaltung der Telekomnutzen. munikation notwendigen Verkehrsdaten zu erteilen. 2Auskünfte dürfen nur im Einzelfall zur Erfüllung der Aufgaben nach SS 3 Abs. SS5b 1 Satz 1 und unter den Voraussetzungen des SS 3 Abs. 1 des Artikel 10-Gesetzes einVerfahrensvorschriften für geholt werden. 3Die VerfassungsschutzbeBesondere Auskunftspflichten hörde hat für die Erteilung von Auskünften nach Satz 1 eine Entschädigung entspre(1) 1Anordnungen nach SS 5 a Abs. 1 bis 4 chend SS 23 des Justizvergütungsund -entwerden von der Leiterin oder dem Leiter schädigungsgesetzes zu gewähren. der Verfassungsschutzabteilung oder der Vertreterin oder dem Vertreter schriftlich (5) Auskünfte nach den Absätzen 1 bis beantragt. 2Die Anordnungen trifft die 3 dürfen nur über Personen eingeholt Fachministerin oder der Fachminister oder werden, bei denen tatsächliche Andie Vertreterin oder der Vertreter. 3Die Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie die ordnung der Erteilung einer Auskunft über 293 Anhang künftig anfallende Daten ist auf höchstens Fall des Absatzes 2 Satz 2 versagt, so ist drei Monate zu befristen. 4 Die VerlängeSatz 3 entsprechend anzuwenden. rung dieser Anordnung um jeweils nicht mehr als drei Monate ist auf Antrag zu(4) Für die aufgrund von Anordnungen lässig. 5Auskunftsersuchen nach SS 5 a und nach SS 5 a Abs. 1 bis 4 erhobenen persodie übermittelten Daten dürfen weder den nenbezogenen Daten gelten die SSSS 4 und Betroffenen noch Dritten vom Auskunfts12 Abs. 1 und 3 des Artikel 10-Gesetzes geber mitgeteilt werden. sowie SS 4 Abs. 5 und 6 Nds. AG G 10 entsprechend. (2) 1Anordnungen nach SS 5 a Abs. 1 bis 4 sowie deren Verlängerungen bedürfen der (5) 1Das Fachministerium unterrichtet im Zustimmung der nach SS 2 Abs. 1 des NieAbstand von höchstens sechs Monaten dersächsischen Gesetzes zur Ausführung den Ausschuss für Angelegenheiten des des Artikel 10-Gesetzes (Nds. AG G 10) beVerfassungsschutzes über die Durchstehenden Kommission (G 10-Kommission). führung des SS 5 a Abs. 1 bis 4; dabei ist 2 Bei Gefahr im Verzuge kann die Fachmiinsbesondere ein Überblick über Anlass, nisterin oder der Fachminister oder die Umfang, Dauer, Ergebnis und Kosten der Vertreterin oder der Vertreter anordnen, im Berichtszeitraum durchgeführten Maßdass die Anordnung vor der Zustimmung nahmen zu geben. 2 Der Ausschuss erder G 10-Kommission vollzogen wird. In 3 stattet dem Landtag jährlich einen Bericht diesem Fall ist die nachträgliche Zustimüber die Durchführung sowie Art, Umfang mung unverzüglich einzuholen. und Anordnungsgründe der Maßnahmen nach SS 5 a Abs. 1 bis 4. (3) Die G 10-Kommission prüft im Rahmen 1 der Erteilung der Zustimmung nach Absatz (6) Das Fachministerium unterrichtet das 2 Satz 1 sowie aufgrund von Beschwerden Parlamentarische Kontrollgremium des die Zulässigkeit und Notwendigkeit der Bundes jährlich über die nach SS 5 a Abs. Einholung von Auskünften nach SS 5 a Abs. 1 bis 4 durchgeführten Maßnahmen; da- 1 bis 4. 2 SS 4 Abs. 2 Nds. AG G 10 ist entbei ist ein Überblick über Anlass, Umfang, sprechend anzuwenden. 3Anordnungen Dauer, Ergebnis und Kosten der im Beüber Auskünfte, die die G 10-Kommission richtszeitraum durchgeführten Maßnahfür unzulässig oder nicht notwendig ermen zu geben. klärt, hat die Fachministerin oder der Fachminister oder die Vertreterin oder der Ver(7) Das Grundrecht des Brief-, Postund treter unverzüglich aufzuheben; die bereits Fernmeldegeheimnisses (Artikel 10 des erhobenen Daten dürfen nicht verwendet Grundgesetzes) wird nach Maßgabe der werden und sind unverzüglich zu löschen. Absätze 1 bis 4 sowie des SS 5 a Abs. 3 bis 4 Wird die nachträgliche Zustimmung im 6 eingeschränkt. 294 Anhang SS5c entsprechend SS 23 des Justizvergütungsund -entschädigungsgesetzes zu gewähren. Auskunftspflichten (5) Das Grundrecht des Fernmeldegeheim(1) 1Diejenigen, die geschäftsmäßig Telenisses (Artikel 10 des Grundgesetzes) wird kommunikationsdienste erbringen oder nach Maßgabe des Absatzes 3 eingedaran mitwirken, sind verpflichtet, der schränkt. Verfassungsschutzbehörde auf Anordnung Auskünfte zu den nach den SSSS 95 und 111 TKG erhobenen Daten unverzügSS6 lich und vollständig zu erteilen. 2Auskünfte dürfen nur im Einzelfall und unter der VorInformationsbeschaffung aussetzung eingeholt werden, dass sie zur mit nachrichtendienstlichen Erfüllung der Aufgaben nach SS 3 Abs. 1 Mitteln Satz 1 erforderlich sind. (1) 1Die Verfassungsschutzbehörde darf (2) Zu Daten, mittels derer der Zugriff auf 1 zur heimlichen Informationsbeschaffung, Endgeräte oder auf Speichereinrichtuninsbesondere zur heimlichen Erhebung gen, die in diesen Endgeräten oder hierpersonenbezogener Daten, nur folgende von räumlich getrennt eingesetzt werden, nachrichtendienstliche Mittel anwenden: geschützt wird, darf eine Auskunft nach 1. Inanspruchnahme von VertrauensAbsatz 1 nur unter den Voraussetzungen leuten, sonstigen geheimen Informandes SS 3 Abs. 1 des Artikel 10-Gesetzes tinnen und Informanten und Gewähreingeholt werden. SS 5 a Abs. 6 und SS 5 b 2 spersonen, vorbehaltlich Satz 2; Abs. 1 bis 4 gelten entsprechend. 2. Einsatz von verdeckt ermittelnden Beamtinnen und Beamten; (3) 1Anhand einer zu einem bestimmten 3. Observationen, auch mit besonderen Zeitpunkt zugewiesenen Internetprotofür Observationszwecke bestimmten koll-Adresse dürfen die in eine Auskunft technischen Mitteln; nach Absatz 1 aufzunehmenden Daten 4. Bildaufzeichnungen; nur unter den Voraussetzungen des SS 3 5. verdeckte Ermittlungen und BeAbs. 1 des Artikel 10-Gesetzes bestimmt fragungen; werden. 2SS 5 a Abs. 6 und SS 5 b Abs. 1 bis 6. heimliches Mithören ohne Inanspruch- 4 gelten entsprechend. nahme technischer Mittel; 7. heimliches Mithören und Aufzeichnen (4) Die Verfassungsschutzbehörde hat des nicht öffentlich gesprochenen für die Erteilung von Auskünften nach Wortes unter Einsatz technischer den Absätzen 1 bis 3 eine Entschädigung Mittel; 295 Anhang 8. Beobachtung des Funkverkehrs auf für eine der in Nummer 1 genannten nicht für den allgemeinen Empfang Personen bestimmte oder von ihr bestimmten Kanälen; herrührende Mitteilungen entgegen9. Verwendung fingierter biografischer, nehmen oder weitergeben, beruflicher oder gewerblicher Anga3. ihr Einsatz gegen andere als die in den ben (Legenden) mit Ausnahme solcher Nummern 1 und 2 genannten Personen beruflicher Angaben, die sich auf die in unumgänglich ist, um Erkenntnisse Satz 2 genannten Personen beziehen; über sicherheitsgefährdende oder 10. Beschaffung, Herstellung und geheimdienstliche Tätigkeiten für Verwendung von Tarnpapieren und eine fremde Macht oder über BestreTarnkennzeichen; bungen zu gewinnen, die sich unter 11. Überwachung des Brief-, Postund Anwendung von Gewalt oder durch Fernmeldeverkehrs nach Maßgabe des darauf gerichtete VorbereitungshandArtikel 10-Gesetzes; lungen gegen die in SS 3 Abs. 1 Satz 1 12. technische Mittel, mit denen zur Nrn. 1 und 3 genannten Schutzgüter Ermittlung der Geräteund der wenden, Kartennummern aktiv geschaltete 4. durch sie die zur Erforschung von Mobilfunkendeinrichtungen zur Bestrebungen oder Tätigkeiten nach Datenabsendung an eine Stelle außerSS 3 Abs. 1 Satz 1 erforderlichen Quelhalb des Telekommunikationsnetzes len in den in Nummer 1 genannten Perveranlasst werden. sonenzusammenschlüssen gewonnen oder überprüft werden können oder 2 Die nachrichtendienstlichen Mittel dürfen 5. dies zum Schutz der in der Verfasauch angewendet werden, wenn Dritte sungsschutzabteilung Tätigen, der unvermeidbar betroffen werden. Einrichtungen und Gegenstände der Verfassungsschutzabteilung und der (2) Die Mittel nach Absatz 1 dürfen nur anQuellen der Verfassungsschutzbegewendet werden, wenn hörde vor Bestrebungen gegen die 1. sich ihr Einsatz gegen PersonenzuSicherheit des Bundes oder eines Lansammenschlüsse, in ihnen oder für sie des oder vor sicherheitsgefährdenden tätige Personen oder gegen Einzelperoder geheimdienstlichen Tätigkeiten sonen richtet, bei denen tatsächliche für eine fremde Macht erforderlich ist. Anhaltspunkte für den Verdacht von Bestrebungen oder Tätigkeiten nach (3) 1Bei der Anwendung der Mittel nach SS 3 Abs. 1 Satz 1 vorliegen, Absatz 1 dürfen keine Straftaten began2. sich ihr Einsatz gegen Personen richgen werden. 2 Es dürfen nur folgende tet, von denen aufgrund bestimmter Straftatbestände verwirklicht werden: Tatsachen anzunehmen ist, dass sie 1. SS 84 Abs. 2, SS 85 Abs. 2, SS 86 Abs. 1, 296 Anhang SSSS 86 a, 98, 99, 129 a, 129 b Abs. 1 (5) 1Die Anwendung der Mittel nach AbSatz 1, soweit er auf SS 129 a verweist, satz 1 Satz 1 Nrn. 1, 2 und 4 bedarf der SSSS 267, 271 und 273 des StrafgesetzAnordnung durch die Leiterin oder den buchs, Leiter der Verfassungsschutzabteilung 2. SS 20 Abs. 2 Nrn. 2 und 4 bis 6 des oder die Vertreterin oder den Vertreter. Niedersächsischen Versammlungsge- 2 Dies gilt auch für Mittel nach Absatz 1 setzes sowie Satz 1 Nr. 3, wenn diese innerhalb einer 3. SS 20 des Vereinsgesetzes. Woche insgesamt länger als 24 Stunden oder über einen Zeitraum von einer Wo- 3 Dabei darf weder auf die Gründung einer che hinaus durchgeführt werden sollen strafbaren Vereinigung hingewirkt noch (längerfristige Observation) oder besoneine steuernde Einflussnahme auf sie ausgedere für Observationszwecke bestimmte übt werden. 4Erlaubt sind nur solche Handtechnische Mittel eingesetzt werden. lungen, die unter besonderer Beachtung des Übermaßverbots unumgänglich sind. (6) 1Die mit Mitteln nach Absatz 1 erhobenen personenbezogenen Daten dürfen nur (4) 1Eine Informationsbeschaffung mit den für den Zweck gespeichert, verändert und Mitteln nach Absatz 1 ist unzulässig, wenn genutzt werden, zu dem sie erhoben wordie Erforschung des Sachverhalts auf anden sind. 2Eine Speicherung, Veränderung, dere, die Betroffenen weniger beeinträchÜbermittlung oder Nutzung zu anderen tigende Weise möglich ist; dies ist in der Zwecken ist nur zulässig, wenn das zur Regel anzunehmen, wenn die Information Erhebung verwendete Mittel auch für den aus allgemein zugänglichen Quellen oder anderen Zweck hätte angewendet werden durch ein Ersuchen nach SS 15 Abs. 3 gedürfen und die Daten im Fall der Überwonnen werden kann. 2Die Anwendung mittlung zur Erfüllung der Aufgaben des eines Mittels nach Absatz 1 darf nicht erEmpfängers erforderlich sind. 3 Sind mit kennbar außer Verhältnis zur Bedeutung den Daten nach Satz 1 sonstige Daten der des aufzuklärenden Sachverhalts stehen, betroffenen Personen oder von Dritten so insbesondere nicht außer Verhältnis zu der verbunden, dass eine Trennung nicht oder Gefahr, die von der jeweiligen Bestrebung nur mit unverhältnismäßigem Aufwand oder Tätigkeit nach SS 3 Abs. 1 Satz 1 ausmöglich ist, so dürfen sie gemeinsam mit geht oder ausgehen kann. Die Maßnah- 3 den Daten nach Satz 1 gespeichert und me ist unverzüglich zu beenden, wenn ihr übermittelt werden; sie sind zu sperren. Zweck erreicht ist oder sich Anhaltspunkte dafür ergeben, dass er nicht oder nicht auf (7) 1Werden den in Absatz 1 Satz 1 Nrn. 1 diese Weise erreicht werden kann. und 2 genannten Personen Daten aus dem Kernbereich privater Lebensgestaltung bekannt, so dürfen diese nicht gespeichert, 297 Anhang verändert oder genutzt werden; sie sind 4 In der Unterrichtung ist auf die Rechtsunverzüglich zu löschen. Die Tatsache, 2 grundlage der Maßnahme und das Ausdass Daten aus dem Kernbereich privater kunftsrecht nach SS 13 hinzuweisen. 5Die Lebensgestaltung erhoben wurden, und die Zurückstellung der Unterrichtung über Löschung der Daten sind zu dokumentieren. eine Maßnahme ist spätestens nach Ablauf von zwei Jahren unter Angabe des Grun(8) 1Personenbezogene Daten, die durch des der oder dem Landesbeauftragten für Maßnahmen nach Absatz 1 erhoben wurden Datenschutz mitzuteilen. 6Einer Unterden, sind entsprechend zu kennzeichnen. richtung bedarf es endgültig nicht, wenn 2 Sie dürfen an eine andere Stelle nur über1. die Voraussetzung der Zurückstellung mittelt werden, wenn diese die Kennzeichauch fünf Jahre nach Beendigung der nung aufrechterhält. Maßnahme noch nicht entfallen ist, 2. sie mit an Sicherheit grenzender (9) 1Die Verfassungsschutzbehörde hat die Wahrscheinlichkeit auch in Zukunft Betroffenen über eine Maßnahme nach nicht entfallen wird, Absatz 1 Satz 1 Nrn. 1, 2, 4 und 7 nach 3. die Voraussetzungen für eine ihrer Beendigung zu unterrichten. 2Das gilt Löschung vorliegen und auch für eine Maßnahme nach Absatz 1 4. die oder der Landesbeauftragte für Satz 1 Nr. 3, wenn es sich um eine längerden Datenschutz zustimmt. fristige Observation handelt oder besondere für Observationszwecke bestimmte (10) 1Die Maßnahmen nach Absatz 1 Satz technische Mittel eingesetzt werden. Die3 1 Nrn. 1 bis 4 dürfen sich nicht gegen Unterrichtung wird zurückgestellt, solange Personen richten, die in Strafverfahren aus 1. eine Gefährdung des Zwecks der beruflichen Gründen zur Verweigerung Maßnahme nicht ausgeschlossen des Zeugnisses berechtigt sind (SSSS 53 und werden kann, 53 a der Strafprozessordnung - StPO), 2. durch das bekannt werden der soweit Sachverhalte betroffen sind, auf die Maßnahme Leib, Leben, Freiheit oder sich ihr Zeugnisverweigerungsrecht beähnlich schutzwürdige Belange einer zieht. 2Die Verfassungsschutzbehörde darf Person gefährdet werden, solche Personen nicht von sich aus nach 3. ihr überwiegende schutzwürdige Absatz 1 Satz 1 Nr. 1 in Anspruch nehmen. Belange einer anderen betroffenen Person entgegenstehen oder (11) 1Tarnpapiere und Tarnkennzeichen 4. durch das bekannt werden der Maßdürfen auch zu dem in Absatz 2 Nr. 5 nahme die weitere Verwendung der in genannten Zweck hergestellt und verwenAbsatz 1 Satz 1 Nrn. 1 und 2 genanndet werden. 2Die Behörden des Landes, der ten Personen gefährdet wird. Gemeinden und der Landkreise sind verpflichtet, der Verfassungsschutz behörde 298 Anhang technische Hilfe für Tarnungsmaßnahmen 3. Bildung terroristischer Vereinigungen (Absatz 1 Satz 1 Nr. 10) zu leisten. nach SS 129 a, ausgenommen die Fälle des 129 a Abs. 3, jeweils auch in (12) Die näheren Voraussetzungen für die 1 Verbindung mit SS 129 b, des StrafgeAnwendung der Mittel nach Absatz 1 und setzbuchs, die Zuständigkeit für ihre Anordnung sind 4. Straftaten gegen das Leben nach den in Dienstvorschriften des Fachministeriums SSSS 211 und 212 des Strafgesetzbuchs, umfassend zu regeln. Vor Erlass solcher 2 5. Völkermord nach SS 6 des VölkerstrafDienstvorschriften ist der Ausschuss für gesetzbuchs, Angelegenheiten des Verfassungsschutzes 6. Straftaten gegen die persönliche Freirechtzeitig zu unterrichten. heit nach den SSSS 234, 234 a Abs. 1, SSSS 239 a und 239 b des Strafgesetzbuchs, SS6a 7. Gemeingefährliche Straftaten nach den SSSS 306 a, 306 b, 307 Abs. 1 und Einsatz technischer Mittel 2, SS 308 in Wohnungen Abs. 1, SS 309 Abs. 1, SS 310 Abs. 1 Nr. 1, SS 313 Abs. 1, SS 314 Abs. 1, SS 315 (1) 1Der Einsatz technischer Mittel zur InAbs. 3, formationsbeschaffung aus Wohnungen SS 316 b Abs. 3 und SS 316 c des Strafist nur zulässig zur Abwehr der Gefahr, gesetzbuchs sowie dass jemand eine besonders schwerwie8. Straftaten nach SS 19 Abs. 2 Nr. 2 und gende Straftat begehen wird, die im EinSS 20 Abs. 1, jeweils auch in Verbinzelfall geeignet ist, eines der in SS 3 Abs. 1 dung mit SS 21, des Gesetzes über die Satz 1 genannten Schutzgüter zu gefährKontrolle von Kriegswaffen. den. 2Besonders schwerwiegende Straftaten sind 3 Die Maßnahme ist nur zulässig, wenn die 1. Straftaten des Friedensverrats und des Erforschung des Sachverhalts auf andere Hochverrats nach den SSSS 80, 81 und Weise aussichtslos oder wesentlich er82 des Strafgesetzbuchs, schwert wäre. 2. Straftaten des Landesverrats und der Gefährdung der äußeren Sicherheit (2) 1Die Maßnahme darf sich nur gegen nach den SSSS 94, 95 Abs. 3 und SS 96 die verdächtige Person richten und nur Abs. 1, jeweils auch in Verbindung mit in der Wohnung der verdächtigen Person SS 97 b, sowie nach den SSSS 97 a, 98 durchgeführt werden. 2In der Wohnung eiAbs. 1 Satz 2, SS 99 Abs. 2 und den ner anderen Person ist die Maßnahme nur SSSS 100, 100 a Abs. 4 des Strafgesetzzulässig, wenn Tatsachen die Annahme buchs, rechtfertigen, dass die verdächtige Person 299 Anhang sich dort aufhält und die Maßnahme in der (5) Der Einsatz technischer Mittel zur InWohnung der verdächtigen Person nicht formationsbeschaffung aus Wohnungen möglich oder allein zur Erforschung des ist auch zulässig, soweit dieser Einsatz zur Sachverhalts nicht ausreichend ist. Die 3 Abwehr einer Gefahr für Leben, GesundMaßnahme darf nicht in einer Wohnung heit oder Freiheit der bei einem Einsatz in durchgeführt werden, die von einer nach Wohnungen tätigen Personen unerlässlich SS 53 oder SS 53 a StPO zur Verweigerung ist. des Zeugnisses berechtigten Person zur Ausübung ihres Berufs genutzt wird. SS6b (3) 1Die Maßnahme darf nur angeordnet werden, soweit aufgrund tatsächlicher Verfahrensvorschriften Anhaltspunkte, insbesondere zu der Art für den Einsatz technischer der zu überwachenden Räumlichkeiten Mittel in Wohnungen und zum Verhältnis der zu überwachenden Personen zueinander, anzunehmen (1) 1Maßnahmen nach SS 6 a Abs. 1 Satz ist, dass durch die Überwachung Vorgän- 1 bedürfen der richterlichen Anordnung. ge, die dem Kernbereich privater Lebens- 2 Zuständig ist das Amtsgericht, in dessen gestaltung zuzurechnen sind, nicht erfasst Bezirk die Verfassungsschutzbehörde ihwerden. 2Gespräche in Betriebsoder Geren Sitz hat. 3Die Anordnung ist auf höchsschäftsräumen sind in der Regel nicht dem tens einen Monat zu befristen. 4Sie ergeht Kernbereich privater Lebensgestaltung zuschriftlich. 5Sie muss die Person, gegen die zurechnen. sich die Maßnahme richtet, Art und Umfang der zu erhebenden Daten sowie die (4) 1Die Maßnahme ist unverzüglich zu unbetroffenen Wohnungen bezeichnen und terbrechen, wenn sich Anhaltspunkte daist zu begründen. 6 Das gerichtliche Verfür ergeben, dass der Kernbereich privater fahren richtet sich nach den Vorschriften Lebensgestaltung von der Datenerhebung des Niedersächsischen Gesetzes über die erfasst wird. 2Werden durch die Maßnahfreiwillige Gerichtsbarkeit. 7Gegen eine me Daten aus dem Kernbereich privater Entscheidung, durch welche der Antrag Lebensgestaltung erfasst, so dürfen diese der Verfassungsschutzbehörde abgelehnt nicht gespeichert, verändert oder genutzt wird, steht dieser die Beschwerde zu. 8 Die werden; entsprechende Aufzeichnungen Anordnung kann um jeweils höchstens sind unverzüglich zu löschen. 3 Die Tateinen weiteren Monat verlängert wersache, dass Daten aus dem Kernbereich den. 9 Ist die Dauer der Anordnung einer privater Lebensgestaltung erhoben wurMaßnahme auf insgesamt sechs Monate den, und die Löschung der Daten sind zu verlängert worden, so entscheidet über dokumentieren. weitere Verlängerungen das Landgericht; 300 Anhang über eine Beschwerde entscheidet das zulässt oder das Landgericht die AnordOberlandesgericht. nung im Beschwerdeverfahren erlassen hat. (2) Bei Gefahr im Verzuge kann die Leite- 1 rin oder der Leiter der Verfassungsschutz(5) 1Maßnahmen nach SS 6 a Abs. 5 bedürabteilung oder die Vertreterin oder der fen der Anordnung durch die Leiterin oder Vertreter die Maßnahme anordnen. 2 Abden Leiter der Verfassungsschutzabteilung satz 1 Sätze 3 bis 5 gilt entsprechend; in oder durch die Vertreterin oder den Verder Begründung ist auch darzulegen, dass treter. 2 Absatz 1 Sätze 4 und 5 sowie AbGefahr im Verzuge vorliegt. Eine richter- 3 satz 3 gelten entsprechend. liche Bestätigung der Anordnung ist unverzüglich zu beantragen. 4 Die Anordnung (6) 1Daten, die aufgrund einer Anordnung nach Satz 1 tritt spätestens mit Ablauf nach SS 6 a Abs. 5 erhoben worden sind, des dritten Tages nach ihrem Erlass außer dürfen zu anderen als den dort genannKraft, wenn sie bis dahin nicht bestätigt ten Zwecken unter den Voraussetzungen wird; die bereits erhobenen Daten dürfen des SS 6 Abs. 6 Satz 2 gespeichert, vernicht gespeichert, verändert, übermittelt ändert, übermittelt und genutzt werden, oder genutzt werden und sind unverzügwenn zuvor die Rechtmäßigkeit der Maßlich zu löschen. nahme richterlich festgestellt ist; Absatz 1 Sätze 2, 6 und 7 gilt entsprechend. 2Wird (3) Der Vollzug der Anordnung erfolgt 1 die Rechtmäßigkeit der Maßnahme nicht unter Aufsicht einer oder eines in der Verrichterlich festgestellt, so dürfen die befassungsschutzabteilung Tätigen, die oder reits erhobenen Daten nicht gespeichert, der die Befähigung zum Richteramt hat. verändert und genutzt werden; sie sind 2 Liegen die Voraussetzungen der Anordunverzüglich zu löschen. 3SS 4 Abs. 1 des nung nicht mehr vor, so ist die Maßnahme Artikel 10-Gesetzes gilt entsprechend. unverzüglich zu beenden. (7) Von einer Maßnahme nach SS 6 a Abs. (4) 1Gegen die Anordnung der Maßnahme 1 Satz 1 oder Abs. 5 ist der Ausschuss für steht der betroffenen Person nur die soAngelegenheiten des Verfassungsschutzes fortige Beschwerde zu. 2Die Frist beginnt in der nächsten nach der Anordnung stattmit Zugang der Unterrichtung nach SS 6 findenden Sitzung zu unterrichten. Abs. 9. 3 In der Unterrichtung ist auf die Möglichkeit nachträglichen Rechtsschut(8) 1Nach Beendigung einer Maßnahme zes und die dafür vorgesehene Frist hinzunach SS 6 a Abs. 1 Satz 1 oder Abs. 5 teilt weisen. Die sofortige weitere Beschwerde 4 das Fachministerium abweichend von ist nur statthaft, wenn das Landgericht SS 6 Abs. 9 Satz 5 dem Ausschuss für Ansie wegen der grundsätzlichen Bedeutung gelegenheiten des Verfassungsschutzes 301 Anhang innerhalb von sechs Monaten die Unterprivater Lebensgestaltung erhoben wurrichtung der Betroffenen oder die Gründen, und die Löschung der Daten sind zu de für eine Zurückstellung nach SS 6 Abs. dokumentieren. 9 Satz 3 mit. Dem Ausschuss sind jeweils 2 nach einem Jahr eine weitere Zurückstel(3) Für personenbezogene Daten, die lung der Unterrichtung und deren Gründurch Maßnahmen nach Absatz 1 erhoben de mitzuteilen. 3 Soll die Unterrichtung wurden, gelten die SSSS 4 und 12 Abs. 1 und endgültig unterbleiben, so bedarf es ab- 3 des Artikel 10-Gesetzes sowie SS 4 Abs. weichend von SS 6 Abs. 9 Satz 6 Nr. 4 der 5 und 6 Nds. AG G 10 entsprechend; SS 6 Zustimmung des Ausschusses. Abs. 6, 8 und 9 findet keine Anwendung. (9) Das Grundrecht der Unverletzlichkeit (4) Das Fachministerium unterrichtet den der Wohnung (Artikel 13 des GrundgesetAusschuss für Angelegenheiten des Verzes) wird nach Maßgabe der Absätze 1 bis fassungsschutzes im Abstand von höchs- 6 sowie des SS 6 a eingeschränkt. tens sechs Monaten über Maßnahmen nach Absatz 1. SS6c SS6d Verfahrensvorschriften für das heimliche Mithören Einsatz technischer Mittel und Aufzeichnen des nicht nach SS 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 12 öffentlich gesprochenen Wortes unter Einsatz (1) 1Technische Mittel nach SS 6 Abs. 1 Satz technischer Mittel 1 Nr. 12 darf die Verfassungsschutzbehörde zur Erfüllung ihrer Aufgaben nach SS 3 (1) Für die Anordnung des Einsatzes eines Abs. 1 Satz 1 einsetzen, wenn tatsächliche nachrichtendienstlichen Mittels nach SS 6 Anhaltspunkte für eine schwerwiegende Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 außerhalb einer WohGefahr für ein in SS 3 Abs. 1 Satz 1 genung gilt SS 5 b Abs. 1 bis 3 entsprechend. nanntes Schutzgut vorliegen. 2Die Maßnahme ist nur zulässig, wenn die Erfor(2) Werden durch eine Maßnahme nach 1 schung des Sachverhalts auf andere Weise Absatz 1 Daten aus dem Kernbereich priaussichtslos oder wesentlich erschwert vater Lebensgestaltung erfasst, so dürfen wäre. 3Die Maßnahme darf sich nur gegen diese nicht gespeichert, verändert oder Personen richten, bei denen tatsächliche genutzt werden; entsprechende AufzeichAnhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie nungen sind unverzüglich zu löschen. 2Die die schwerwiegende Gefahr nachdrückTatsache, dass Daten aus dem Kernbereich lich fördern. 4 Gegen sonstige Personen 302 Anhang darf das Mittel eingesetzt werden, wenn beteiligt ist, und dies für die Beobachaufgrund bestimmter Tatsachen anzunehtung der Bestrebung oder Tätigkeit men ist, dass diese für Personen nach Satz erforderlich ist, 3 bestimmte oder von ihr herrührende 2. dies für die Erforschung und BewerMitteilungen entgegennehmen oder weitung gewalttätiger Bestrebungen tergeben oder dass ihre Mobilfunkendnach SS 3 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1, 3 und 4 einrichtungen von Personen nach Satz 3 oder von Tätigkeiten nach SS 3 Abs. 1 benutzt werden. 5SS 5 b Abs. 1 bis 3 gilt Satz 1 Nr. 2 erforderlich ist oder entsprechend. 3. dies zur Schaffung nachrichtendienst(2) 1Für personenbezogene Daten, die licher Zugänge zu Bestrebungen oder durch Maßnahmen nach Absatz 1 erhoben Tätigkeiten nach SS 3 Abs. 1 Satz 1 wurden, gelten die SSSS 4 und 12 Abs. 1 und erforderlich ist. 3 des Artikel 10-Gesetzes sowie SS 4 Abs. 2 In Akten dürfen über Satz 1 Nr. 2 hinaus 5 und 6 Nds. AG G 10 entsprechend; SS 6 personenbezogene Daten auch gespeiAbs. 6, 8 und 9 findet keine Anwendung. chert, verändert und genutzt werden, 2 SS 5 b Abs. 5 gilt entsprechend. wenn dies sonst zur Erforschung und Bewertung von Bestrebungen nach SS 3 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1, 3 und 4 erforderlich ist. SS7 (2) Personenbezogene Daten dürfen nur -- aufgehoben -- dann in Dateien gespeichert werden, wenn sie aus Akten ersichtlich sind. (3) Die Speicherung von personenbezoSS8 genen Daten aus der engeren Persönlichkeitssphäre in Dateien ist unzulässig. Speicherung, Veränderung und Nutzung (4) Die Verfassungsschutzbehörde hat die personenbezogener Daten Speicherungsdauer auf das für ihre Aufgabenerfüllung erforderliche Maß zu be(1) 1Die Verfassungsschutzbehörde darf schränken. zur Erfüllung ihrer Aufgaben nach SS 3 Abs. 1 Satz 1 personenbezogene Daten speichern, verändern und nutzen, wenn 1. tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht bestehen, dass die betroffene Person an Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 3 Abs. 1 Satz 1 303 Anhang SS9 Abs. 1 Satz 1 hinzugekommen sind. 2Die nach Absatz 1 über Personen nach VollSpeicherung, endung des 16. und vor Vollendung des Veränderung und Nutzung 18. Lebensjahres gespeicherten Daten sind personenbezogener Daten zwei Jahre nach der Speicherung auf die von Minderjährigen Erforderlichkeit einer weiteren Speicherung zu überprüfen. 3Sie sind spätestens (1) Die Verfassungsschutzbehörde darf 1 nach fünf Jahren zu löschen, es sei denn, unter den Voraussetzungen des SS 8 Daten dass nach Eintritt der Volljährigkeit weitere über das Verhalten Minderjähriger aus der Informationen über Bestrebungen oder Zeit vor Vollendung des 14. Lebensjahres Tätigkeiten nach SS 3 Abs. 1 Satz 1 hinzuin Akten, die zu ihrer Person geführt wergekommen sind. den, nur speichern, verändern oder nutzen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die betroffene Person SS 10 eine der in SS 3 Abs. 1 des Artikel 10-Gesetzes genannten Straftaten plant, begeht Berichtigung, Löschung oder begangen hat. 2In Dateien dürfen und Sperrung von personenDaten über das Verhalten Minderjähriger bezogenen Daten in Dateien nur gespeichert, verändert oder genutzt werden, wenn (1) Die Verfassungsschutzbehörde hat die 1. die oder der Minderjährige zu dem in Dateien gespeicherten personenbeZeitpunkt, auf den sich die Daten zogenen Daten zu berichtigen, wenn sie beziehen, das 14. Lebensjahr bereits unrichtig sind; sie hat sie zu ergänzen, vollendet hatte und wenn sie unvollständig sind und dadurch 2. tatsächliche Anhaltspunkte für den schutzwürdige Interessen der betroffenen Verdacht einer Tätigkeit nach SS 3 Abs. Person beeinträchtigt sein können. 1 Satz 1 Nr. 2 oder einer Bestrebung nach SS 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 3 oder 4 (2) 1Die Verfassungsschutzbehörde hat die bestehen, die durch Anwendung von in Dateien gespeicherten personenbezoGewalt oder darauf gerichtete Vorbegenen Daten zu löschen, wenn reitungshandlungen verfolgt wird. 1. ihre Speicherung unzulässig war oder 2. ihre Kenntnis für die Aufgabenerfül(2) 1Die nach Absatz 1 über Personen vor lung nicht mehr erforderlich ist. Vollendung des 16. Lebensjahres gespeicherten Daten sind zwei Jahre nach der 2 Die Löschung unterbleibt, wenn Grund Speicherung zu löschen, es sei denn, dass zu der Annahme besteht, dass durch sie weitere Informationen im Sinne des SS 3 schutzwürdige Interessen von Betroffenen 304 Anhang beeinträchtigt würden. 3In diesem Fall sind SS 11 Berichtigung, Löschung die Daten zu sperren. 4Sie dürfen nur noch und Sperrung von personenmit Einwilligung der Betroffenen weiterbezogenen Daten in Akten verarbeitet werden. (1) Stellt die Verfassungsschutzbehörde (3) 1Die Verfassungsschutzbehörde prüft fest, dass in Akten gespeicherte personenbei der Einzelfallbearbeitung und nach bezogene Daten unrichtig sind, oder wird festgesetzten Fristen, spätestens nach ihre Richtigkeit von Betroffenen bestritten, fünf Jahren, ob gespeicherte personenbeso ist dies in der Akte zu vermerken. zogene Daten zu berichtigen oder zu ergänzen, zu löschen oder zu sperren sind. (2) 1Für Akten, die zu einer bestimmten 2 Gespeicherte personenbezogene Daten Person geführt werden, gilt SS 10 Abs. 2 über Bestrebungen nach SS 3 Abs. 1 Satz und 3 entsprechend. 2Im Übrigen hat die 1 Nr. 1 sind spätestens zehn Jahre, über Verfassungsschutzbehörde personenbezoBestrebungen nach Nr. 3 oder 4 spätesgene Daten zu sperren, wenn sie bei der tens 15 Jahre nach dem Zeitpunkt der letzEinzelfallbearbeitung feststellt, dass ohne ten Speicherung einer Information über die Sperrung schutzwürdige Interessen Bestrebungen und Tätigkeiten nach SS 3 von Betroffenen beeinträchtigt würden, Abs. 1 Satz 1 zu löschen. und die Daten für die künftige Aufgabenerfüllung nicht mehr erforderlich sind. (4) 1In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nr. 2 3 Gesperrte Daten sind mit einem entspreund des Absatzes 3 Satz 2 tritt an die Stelle chenden Vermerk zu versehen; sie dürder Löschung der personenbezogenen Dafen nicht mehr weiterverarbeitet werden. ten durch die Verfassungsschutzbehörde 4 Eine Aufhebung der Sperrung ist möglich, die Abgabe an das Landesarchiv. Die Nut- 2 wenn ihre Voraussetzungen nachträglich zung archivierter Daten durch die Verfasentfallen. sungsschutzbehörde ist ausgeschlossen, solange diese nicht allgemein zugänglich sind. (3) 1Sind Akten der Verfassungsschutzbehörde für ihre Aufgabenerfüllung nicht (5) Personenbezogene Daten, die ausmehr erforderlich, so tritt an die Stelle ihrer schließlich zu Zwecken der DatenschutzVernichtung die Abgabe an das Landeskontrolle, der Datensicherung oder zur archiv. 2Für Akten, die zu einer bestimmSicherstellung eines ordnungsgemäßen ten Person geführt werden, oder andere Betriebes einer Datenverarbeitungsanlage Akten, die personenbezogene Daten entgespeichert werden, dürfen nur für diese halten, gilt SS 10 Abs. 4 Satz 2 entspreZwecke oder zur Verfolgung von Strafchend. taten nach dem Niedersächsischen Datenschutzgesetz weiterverarbeitet werden. 305 Anhang SS 12 ist die Notwendigkeit der Weiterführung oder Änderung der Dateien zu überprüfen. Dateibeschreibungen (4) In der Dateibeschreibung über perso(1) 1Für jede Datei bei der Verfassungsnenbezogene Textdateien ist die Zugriffsschutzbehörde sind in einer Dateibeschreiberechtigung auf Personen zu beschränbung festzulegen: ken, die unmittelbar mit Arbeiten in dem 1. die Bezeichnung der Datei, Gebiet betraut sind, dem die Textdateien 2. der Zweck der Datei, zugeordnet sind; Auszüge aus Textdateien 3. Inhalt, Umfang, Voraussetzungen und dürfen nicht ohne die dazugehörenden erRechtsgrundlage der Speicherung, läuternden Unterlagen übermittelt werden. Übermittlung und Nutzung (betroffener Personenkreis, Arten der Daten), 4. Überprüfungsfristen, SpeicherungsDritter Abschnitt dauer, Auskunft 5. die nach dem Niedersächsischen Datenschutzgesetz erforderlichen technischen und organisatorischen SS 13 Maßnahmen, 6. bei automatisierten Verfahren die Auskunft an Betroffene Betriebsart des Verfahrens, die Art der Geräte, die Stellen, bei denen sie (1) 1Die Verfassungsschutzbehörde erteilt aufgestellt sind, sowie das Verfahren Betroffenen auf Antrag unentgeltlich Auszur Übermittlung, Sperrung, Löschung kunft über die zu ihrer Person gespeicherund Auskunftserteilung. ten Daten. 2Die Auskunftsverpflichtung erstreckt sich nicht auf die Herkunft der 2 Satz 1 gilt nicht für Dateien, die aus ausDaten und die Empfänger von Übermittschließlich verarbeitungstechnischen Grünlungen. 3Über Daten aus Akten, die nicht den vorübergehend vorgehalten werden. zur Person der Betroffenen geführt werden, wird Auskunft nur erteilt, soweit die (2) Vor dem Erlass einer Dateibeschreibung Daten, namentlich aufgrund von Angaben ist die oder der Landesbeauftragte für den der Betroffenen, mit angemessenem AufDatenschutz anzuhören. wand auffindbar sind. 4 Die Verfassungsschutzbehörde bestimmt Verfahren und (3) 1Die Speicherung personenbezogener Form der Auskunftserteilung nach pflichtDaten ist auf das erforderliche Maß zu begemäßem Ermessen. schränken. 2In angemessenen Abständen 306 Anhang (2) 1Die Auskunftserteilung kann nur abgebeauftragte oder den Landesbeauftraglehnt werden, soweit ten für den Datenschutz wenden kann. 1. die Auskunft die öffentliche Sicherheit 5 Der oder dem Landesbeauftragten ist auf gefährden oder sonst dem Wohl des Verlangen Auskunft zu erteilen. 6Stellt die Bundes oder eines Landes Nachteile Fachministerin oder der Fachminister oder bereiten würde, die Vertreterin oder der Vertreter, fest, 2. die Daten oder die Tatsache ihrer dass durch die Erteilung der Auskunft nach Speicherung nach einer RechtsvorSatz 5 die Sicherheit des Bundes oder eischrift oder wegen der berechtigten nes Landes gefährdet würde, so darf die Interessen von Dritten geheim gehalAuskunft nur der oder dem Landesbeauften werden müssen oder tragten persönlich erteilt werden. 7Mittei3. durch die Auskunftserteilung Informalungen der oder des Landesbeauftragten tionsquellen gefährdet würden oder an die antragstellende Person dürfen keidie Ausforschung des Erkenntnisstanne Rückschlüsse auf den Erkenntnisstand des oder der Arbeitsweise der Verfasder Verfassungsschutzbehörde zulassen, sungsschutzbehörde zu befürchten ist. sofern diese nicht einer weitergehenden Mitteilung zustimmt. 2 Die Entscheidung trifft die Leiterin oder der Leiter der Verfassungsschutzabteilung unter Abwägung der in Satz 1 Nrn. 1 bis Vierter Abschnitt 3 genannten Interessen mit dem Interesse Informationsübermittlung der antragstellenden Person an der Auskunftserteilung. 3Die Leiterin oder der Leiter der Verfassungsschutzabteilung kann SS 14 eine Mitarbeiterin oder einen Mitarbeiter damit beauftragen, ebenfalls EntscheidunGrenzen der Übermittlung gen nach Satz 1 zu treffen. personenbezogener Daten (3) 1Die Ablehnung einer Auskunft beWird nach den Bestimmungen dieses Abdarf keiner Begründung, soweit durch schnitts um die Übermittlung personendie Begründung der Zweck der Ablehbezogener Daten ersucht, so dürfen nur nung gefährdet würde. Die Gründe der 2 solche Daten übermittelt werden, die bei Ablehnung sind aktenkundig zu machen. der ersuchten Behörde oder Stelle bereits 3 Wird der antragstellenden Person keine bekannt sind oder von ihr aus allgemein Begründung für die Ablehnung der Auszugänglichen Quellen entnommen werden kunft gegeben, so ist ihr die Rechtsgrundkönnen. lage dafür zu nennen. 4 Ferner ist sie darauf hinzuweisen, dass sie sich an die Landes307 Anhang SS 15 (3) 1Die Verfassungsschutzbehörde darf zur Erfüllung ihrer Aufgaben die in Absatz Übermittlung von 1 genannten Stellen um Übermittlung der Informationen an die zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderVerfassungsschutzbehörde lichen Informationen einschließlich personenbezogener Daten ersuchen, wenn (1) Die Behörden des Landes, insbesondere diese nicht aus allgemein zugänglichen die Staatsanwaltschaften und, vorbehaltQuellen oder nur mit übermäßigem Auflich der staatsanwaltschaftlichen Sachleiwand oder nur durch eine die betroffene tungsbefugnis, die Polizeibehörden, soPerson stärker belastende Maßnahme erwie die der ausschließlichen Aufsicht des hoben werden können. 2Die Ersuchen sind Landes unterstehenden Körperschaften, aktenkundig zu machen. Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts unterrichten von sich aus die Ver(4) 1Die Übermittlung personenbezogener fassungsschutzbehörde über die ihnen beDaten, die aufgrund einer Maßnahme nach kannt gewordenen Tatsachen, die sicherSS 100 a StPO bekannt geworden sind, ist heitsgefährdende oder geheimdienstliche nach den Absätzen 1 bis 3 nur zulässig, Tätigkeiten für eine fremde Macht oder wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür Bestrebungen in der Bundesrepublik bestehen, dass jemand eine der in SS 3 des Deutschland erkennen lassen, die sich unArtikel 10-Gesetzes genannten Straftaten ter Anwendung von Gewalt oder durch plant, begeht oder begangen hat. 2 Auf die darauf gerichtete Vorbereitungshandlunder Verfassungsschutzbehörde nach Satz gen gegen die in SS 3 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1, 1 übermittelten personenbezogenen Da- 3 und 4 genannten Schutzgüter wenden. ten findet SS 4 Abs. 1 und 2 Satz 1 sowie Abs. 4 bis 6 des Artikel 10-Gesetzes ent(2) Die Staatsanwaltschaften und, vorsprechende Anwendung. behaltlich der staatsanwaltschaftlichen Sachleitungsbefugnis, die Polizeibehörden (5) 1Die Übermittlung personenbezogener sowie die Ausländerbehörden übermitteln Daten, die aufgrund anderer strafprozesdarüber hinaus von sich aus der Verfassualer Zwangsmaßnahmen (SSSS 94 bis 100, sungsschutzbehörde auch alle anderen 100 c bis 111 p, 163 e und 163 f StPO) ihnen bekannt gewordenen Informationen bekannt geworden sind, ist nur zuläseinschließlich personenbezogener Daten sig, wenn tatsächliche Anhaltspunküber Bestrebungen nach SS 3 Abs. 1 Satz 1, te für gewalttätige Bestrebungen nach wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür SS 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 3 oder 4 oder von bestehen, dass die Übermittlung für die Tätigkeiten nach SS 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 Erfüllung der Aufgaben der Verfassungsbestehen. 2Die nach Satz 1 übermittelten schutzbehörde erforderlich ist. personenbezogenen Daten dürfen nur 308 Anhang zur Erforschung solcher Bestrebungen (4) 1Die durch Einsichtnahme in Register oder Tätigkeiten genutzt werden. gewonnenen Informationen dürfen nur zu den in Absatz 1 genannten Zwecken verwendet werden. 2Gespeicherte InforSS 16 mationen sind zu löschen und Unterlagen zu vernichten, sobald sie für diese Zwecke Registereinsicht nicht mehr erforderlich sind. (1) Die Verfassungsschutzbehörde darf zur (5) 1Über jede Einsichtnahme ist ein geGewinnung von Informationen über gesonderter Nachweis zu führen, aus dem walttätige Bestrebungen nach SS 3 Abs. 1 ihr Zweck, das eingesehene Register und Satz 1 Nr. 1, 3 oder 4 oder über Tätigkeiten die registerführende Stelle sowie die Nanach SS 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 die von öffentmen der Betroffenen hervorgehen, delichen Stellen geführten Register, insbesonren Daten für eine weitere Verarbeitung dere Grundbücher, Personenstandsbücher, erforderlich sind. 2Diese Nachweise sind Melderegister, Personalausweisregister, gesondert aufzubewahren, gegen unbePassregister, Führerscheinkartei, Waffenrechtigten Zugriff zu sichern und am Ende scheinkartei, einsehen. des Kalenderjahres, das dem Jahr der Anfertigung folgt, zu vernichten. (2) Die Einsichtnahme ist nur zulässig, 1 wenn 1. eine Übermittlung der Daten durch SS 17 die registerführende Stelle den Zweck der Maßnahme gefährden würde oder Übermittlung personen2. die betroffene Person durch eine bezogener Daten durch die anderweitige Informationsgewinnung Verfassungsschutzbehörde unverhältnismäßig beeinträchtigt würde. (1) 1Die Verfassungsschutzbehörde darf 2 Die Einsichtnahme ist unzulässig, wenn personenbezogene Daten an inländische ihr eine gesetzliche GeheimhaltungsvorBehörden übermitteln, wenn dies zur Erschrift oder eine Pflicht zur Wahrung von füllung ihrer Aufgaben erforderlich ist Berufsgeheimnissen entgegensteht. oder der Empfänger die Daten zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grund(3) Die Einsichtnahme ordnet die Leiterin ordnung oder sonst für Zwecke der öffentoder der Leiter der Verfassungsschutzablichen Sicherheit oder der Strafverfolgung teilung oder die Vertreterin oder der Verbenötigt. 2Die Übermittlung ist aktenkuntreter an. dig zu machen. 3Die empfangende Behörde darf die übermittelten Daten, soweit 309 Anhang gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, nur Belange der Bundesrepublik Deutschland zu dem Zweck weiterverarbeiten, zu dem oder überwiegende schutzwürdige Intesie ihr übermittelt wurden. ressen der Betroffenen, insbesondere deren Schutz vor einer rechtsstaatswidrigen (2) 1Die Verfassungsschutzbehörde darf Verfolgung, entgegenstehen. 4 Die Überpersonenbezogene Daten an Dienststellen mittlung der von einer Ausländerbehörde der alliierten Streitkräfte übermitteln, soempfangenen personenbezogenen Daten weit dies im Rahmen der Zusammenarbeit unterbleibt, es sei denn, die Übermittlung nach Artikel 3 des Zusatzabkommens vom ist völkerrechtlich geboten. 5 Die Über3. August 1959 zu dem Abkommen zwimittlung ist aktenkundig zu machen. 6 Die schen den Parteien des Nordatlantikverempfangende Stelle darf die übermittelten trages vom 19. Juni 1951 über die RechtsDaten nur für den Zweck weiterverarbeistellung ihrer Truppen hinsichtlich der in ten, zu dem sie ihr übermittelt wurden. der Bundesrepublik Deutschland stati- 7 Sie ist auf die Verarbeitungsbeschränonierten ausländischen Truppen (BGBl. kung und darauf hinzuweisen, dass sich 1961 II S. 1183, 1218) erforderlich ist. 2Die die Verfassungsschutzbehörde vorbehält, Übermittlung ist aktenkundig zu machen. Auskunft über die Verarbeitung der Daten zu verlangen. (3) 1Die Verfassungsschutzbehörde darf personenbezogene Daten im Einverneh(4) 1Personenbezogene Daten dürfen an men mit dem Bundesamt für Verfassungseinzelne Personen oder an andere als die schutz an ausländische öffentliche Stellen in den Absätzen 1 bis 3 genannten Stelsowie an überund zwischenstaatliche len nicht übermittelt werden, es sei denn, Stellen übermitteln, soweit die Übermittdass dies zum Schutz vor Bestrebungen lung in einem Gesetz, einem Rechtsakt der oder Tätigkeiten nach SS 3 Abs. 1 Satz 1 Europäischen Gemeinschaften oder einer oder zur Gewährleistung der Sicherheit internationalen Vereinbarung geregelt ist. von lebensoder verteidigungswichti- 2 Eine Übermittlung darf auch erfolgen, gen Einrichtungen (SS 1 Abs. 4 und 5 des wenn sie Niedersächsischen Sicherheitsüberprü1. zum Schutz von Leib oder Leben fungsgesetzes) erforderlich ist und die erforderlich ist oder Fachministerin oder der Fachminister oder 2. zur Erfüllung eigener Aufgaben, insdie Vertreterin oder der Vertreter der besondere in Fällen grenzüberschreiÜbermittlung zugestimmt hat. 2Die Vertender Tätigkeiten der Verfassungsfassungsschutzbehörde führt über jede schutzbehörde, unumgänglich ist Übermittlung personenbezogener Daten und im Empfängerland gleichwertige Danach Satz 1 einen gesonderten Nachweis, tenschutzregelungen gelten. 3 Die Überaus dem der Zweck der Übermittlung, ihre mittlung unterbleibt, wenn ihr auswärtige Veranlassung, die Aktenfundstelle und der 310 Anhang Empfänger hervorgehen. 3 Die Nachweise SS 18 sind gesondert aufzubewahren, gegen unberechtigten Zugriff zu sichern und am Übermittlung von Ende des Kalenderjahres, das dem Jahr ihInformationen durch die rer Anfertigung folgt, zu vernichten. 4 Der Verfassungsschutzbehörde Empfänger darf die übermittelten Daten an Strafverfolgungsund nur für den Zweck weiterverarbeiten, zu Sicherheitsbehörden in dem sie ihm übermittelt wurden. 5Er ist Angelegenheiten des Staatsauf die Verarbeitungsbeschränkung und und Verfassungsschutzes darauf hinzuweisen, dass sich die Verfassungsschutzbehörde vorbehält, Auskunft (1) Die Verfassungsschutzbehörde überüber die Verarbeitung der Daten zu verlanmittelt den Staatsanwaltschaften und, gen. 6 Die Übermittlung der personenbevorbehaltlich der staatsanwaltschaftlizogenen Daten ist der betroffenen Person chen Sachleitungsbefugnis, den Polizeidurch die Verfassungsschutzbehörde mitbehörden von sich aus die ihr bekannt zuteilen, sobald eine Gefährdung der Aufgewordenen Informationen einschließlich gabenerfüllung durch die Mitteilung nicht personenbezogener Daten, wenn tatsächmehr zu besorgen ist. 7Die Zustimmung liche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass nach Satz 1 und das Führen eines Nachdie Übermittlung zur Verhinderung oder weises nach Satz 2 sind nicht erforderlich, Verfolgung von folgenden Straftaten erwenn personenbezogene Daten durch die forderlich ist: Verfassungsschutzbehörde zum Zweck die in SS 74 a Abs. 1 und SS 120 Abs. 1 des von Datenerhebungen an andere Stellen Gerichtsverfassungsgesetzes genannten übermittelt werden. Straftaten, Straftaten, bei denen aufgrund ihrer Zielrichtung, des Motivs des Täters oder dessen Verbindung zu einer Organisation anzunehmen ist, dass sie sich gegen die in SS 3 Abs. 1 Satz 1 genannten Schutzgüter wenden. (2) Die Polizeibehörden dürfen zur Verhinderung von Straftaten nach Absatz 1 die Verfassungsschutzbehörde um Übermittlung der erforderlichen Informationen einschließlich personenbezogener Daten ersuchen. 311 Anhang SS 19 Erhebung das schutzwürdige Interesse der betroffenen Person das Interesse Übermittlung personender Allgemeinheit an der Übermittbezogener Daten an die lung überwiegt, Öffentlichkeit 4. überwiegende Sicherheitsinteressen dies erfordern oder Bei der Aufklärung der Öffentlichkeit ein5. besondere Regelungen in Rechtsvorschließlich der Medien über Bestrebungen schriften, in Standesrichtlinien oder und Tätigkeiten nach SS 3 Abs. 1 Satz 1 dürVerpflichtungen zur Wahrung besonfen personenbezogene Daten nur bekannt derer Amtsgeheimnisse der Übermittgegeben werden, wenn die Bekanntgabe lung entgegenstehen. für das Verständnis der Darstellung, insbesondere von Organisationen oder unorga(2) Personenbezogene Daten Minderjähnisierten Gruppierungen, erforderlich ist riger dürfen nach den Vorschriften dieses und das Interesse der Allgemeinheit das Gesetzes übermittelt werden, solange die schutzwürdige Interesse der betroffenen Voraussetzungen der Speicherung nach Person überwiegt. SS 9 erfüllt sind. (3) 1Personenbezogene Daten MinderjähSS 20 riger über ihr Verhalten vor Vollendung des 14. Lebensjahres dürfen nach den Übermittlungsverbote, Vorschriften dieses Gesetzes nicht an ausMinderjährigenschutz ländische oder an überoder zwischenstaatliche Stellen übermittelt werden. (1) Die Übermittlung von Informationen 2 Dasselbe gilt für Informationen über Pernach den Vorschriften dieses Abschnitts sonenzusammenschlüsse, deren Mitglieunterbleibt, wenn der überwiegend Minderjährige sind, die 1. die Informationen zu löschen sind, das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet 2. für die übermittelnde Stelle erkennbar haben. ist, dass die Informationen für die empfangende Stelle nicht erforderlich sind, 3. für die übermittelnde Stelle erkennbar ist, dass unter Berücksichtigung der Art der Informationen, insbesondere ihres Bezuges zu der engeren Persönlichkeitssphäre der betroffenen Person, und der Umstände ihrer 312 Anhang SS 21 Fünfter Abschnitt Parlamentarische Kontrolle Pflichten der empfangenden Stelle SS 23 1 Die empfangende Stelle prüft, ob die ihr nach den Vorschriften dieses Gesetzes Ausschuss für übermittelten personenbezogenen Daten Angelegenheiten des für die Erfüllung ihrer Aufgaben erforderVerfassungsschutzes lich sind. 2Ergibt die Prüfung, dass dies nicht der Fall ist, so hat sie die entspreDie parlamentarische Kontrolle auf dem chenden Unterlagen zu vernichten und Gebiet des Verfassungsschutzes übt ungespeicherte Daten zu löschen. 3 Die Verbeschadet der Rechte des Landtages und nichtung und die Löschung können unterseiner sonstigen Ausschüsse ein besondebleiben, wenn die Trennung von anderen rer, vom Landtag gebildeter Ausschuss für Informationen, die zur Erfüllung der AufAngelegenheiten des Verfassungsschutzes gaben erforderlich sind, nicht oder nur mit aus. unvertretbarem Aufwand möglich ist; in diesem Fall sind die Daten zu sperren. SS 24 SS 22 Zusammensetzung Nachberichtspflicht (1) 1Der Ausschuss für Angelegenheiten des Verfassungsschutzes soll aus mindes- 1 Erweisen sich personenbezogene Daten tens sieben Abgeordneten des Landtages nach ihrer Übermittlung als unvollständig bestehen. 2Mitglieder der Landesregierung oder unrichtig, so sind sie gegenüber der können dem Ausschuss nicht angehören. empfangenden Stelle unverzüglich zu er(2) 1Jede Fraktion erhält mindestens einen gänzen oder zu berichtigen, es sei denn, Sitz. 2Die Verteilung aller Sitze bestimmt dass der Mangel für die Beurteilung des sich nach der Geschäftsordnung des Sachverhalts offensichtlich ohne BedeuNiedersächsischen Landtages. tung ist. 2Werden personenbezogene Daten nach ihrer Übermittlung gesperrt, so ist dies der empfangenden Stelle unter Angabe der Gründe, die zu der Sperrung geführt haben, unverzüglich mitzuteilen. 313 Anhang SS 25 SS 26 Kontrollrechte des Verfahrensweise Ausschusses (1) 1Für die Verhandlungen des Ausschus(1) Das Fachministerium ist verpflichtet, ses für Angelegenheiten des Verfassungsden Ausschuss für Angelegenheiten des schutzes gelten die Vorschriften der GeVerfassungsschutzes umfassend über seischäftsordnung des Niedersächsischen ne Tätigkeit als Verfassungsschutzbehörde Landtages. 2 Jedoch bedarf ein Beschluss, im Allgemeinen sowie über Vorgänge von durch welchen die Vertraulichkeit von Akbesonderer Bedeutung zu unterrichten. ten oder sonstigen Unterlagen oder von Verhandlungen des Ausschusses aufgeho(2) Der Ausschuss hat das Recht, Ausben wird, einer Mehrheit von zwei Dritteln kunftspersonen anzuhören, wenn mindesder Stimmen seiner Mitglieder. 3 Ist zu eitens ein Fünftel der Ausschussmitglieder nem solchen Beschluss das Einvernehmen dies verlangt. der Landesregierung erforderlich und weigert diese sich, es zu erteilen, so hat sie die (3) Das Fachministerium kann das AnGründe dafür vor dem Ausschuss darzulehörungsverlangen nach Absatz 2 in entgen. 4 Dient die Vertraulichkeit dem Schutz sprechender Anwendung des Artikels 24 von Informationen, deren Geheimhaltung Abs. 3 der Niedersächsischen Verfassung in die Verantwortung einer Behörde des ablehnen; die Gründe sind dem Ausschuss Bundes oder eines anderen Landes fällt, so darzulegen. bedarf die Aufhebung der Vertraulichkeit des Einvernehmens dieser Behörde. (4) 1Die in der Verfassungsschutzabteilung Tätigen dürfen in dienstlichen Angele(2) 1Der Ausschuss gibt sich für die Wahrgenheiten Eingaben an den Ausschuss für nehmung der Aufgaben nach SS 2 Abs. 1 Angelegenheiten des Verfassungsschutzes Nds. AG G 10 eine besondere Geschäftsrichten. 2Solche Eingaben und die Verordnung. 2 Zu deren Geheimschutzregehandlungen des Ausschusses über sie sind lungen ist die Landesregierung zu hören. vertraulich im Sinne der Geschäftsordnung 3 Die Geschäftsordnung bedarf der Bestädes Niedersächsischen Landtages. tigung durch den Landtag. (3) Der Ausschuss berichtet dem Landtag in der Mitte und am Ende jeder Wahlperiode über seine Tätigkeit. 314 Anhang (4) Der Ausschuss übt seine Tätigkeit auch Sechster Abschnitt über das Ende einer Wahlperiode des Schlussvorschriften Landtages so lange aus, bis der nachfolgende Landtag den Ausschuss nach SS 24 neu gebildet hat. SS 28 Geltung des NiedersächsiSS 27 schen Datenschutzgesetzes Hilfe vonseiten der oder Bei der Erfüllung der Aufgaben nach SS 3 des Landesbeauftragten durch die Verfassungsschutzbehörde finfür den Datenschutz den die Vorschriften des SS 4 Abs. 1 sowie der SSSS 9 bis 17 a des Niedersächsischen (1) 1Der Ausschuss für Angelegenheiten Datenschutzgesetzes keine Anwendung. des Verfassungsschutzes hat auf Antrag von mindestens einem Viertel seiner Mitglieder die Landesbeauftragte oder den SS 29 Landesbeauftragten für den Datenschutz zu beauftragen, die Rechtmäßigkeit einzelÄnderung des Niederner Maßnahmen der Verfassungsschutzsächsischen Gesetzes zur behörde zu überprüfen. 2Die Befugnisse Ausführung des Gesetzes zu der oder des Landesbeauftragten richten Artikel 10 Grundgesetz137 sich nach den Bestimmungen des Niedersächsischen Datenschutzgesetzes. (2) Wird die oder der LandesbeauftragSS 30 te für den Datenschutz nach SS 13 Abs. 3 tätig, so kann sie oder er den Ausschuss Änderung des von sich aus unterrichten, wenn sich BeanNiedersächsischen standungen ergeben, eine Mitteilung an Beamtengesetzes138 die betroffene Person aber aus Geheimhaltungsgründen unterbleiben muss. 137 Diese Vorschrift des Gesetzes in der ursprünglichen Fassung vom 3. November 1992 (Nds. GVBl. S. 283) wird hier nicht abgedruckt. 138 Wie Fußnote 137. 315 Anhang SS 31 Änderung des Personalvertretungsgesetzes für das Land Niedersachsen139 SS 32 Inkrafttreten140 (1) Dieses Gesetz tritt 14 Tage nach seiner Verkündung in Kraft. (2) Gleichzeitig tritt das Niedersächsische Verfassungsschutzgesetz vom 12. Juli 1976 (Nds. GVBl. S. 181), geändert durch Gesetz vom 24. März 1980 (Nds. GVBl. S. 67), außer Kraft. 139 Wie Fußnote 137. 140 Diese Vorschrift betrifft das Inkrafttreten des Gesetzes in der ursprünglichen Fassung vom 3. November 1992 (Nds. GVBl. S. 283). Der Zeitpunkt des Inkrafttretens der späteren Änderungen ergibt sich aus den in den Bekanntmachungen vom 30. März 2004 (Nds. GVBl. S. 117) und vom 19. November 2007 (Nds. GVBl. S. 641) sowie den in der vorangestellten Bekanntmachung näher bezeichneten Gesetzen. 316 Anhang 12.3 Übersicht Verbote neonazistischer Vereinigungen Verbotsverfüg. Vereinigung Verbotsbehörde 26.11.1992 Nationalistische Front (NF) Bundesministerium des Innern 08.12.1992 Deutsche Alternative (DA) Bundesministerium des Innern 18.12.1992 Deutscher Kameradschaftsbund Niedersächsisches (DKB) Innenministerium 21.12.1992 Nationale Offensive (NO) Bundesministerium des Innern 07.06.1993 Nationaler Block (NB) Bayerisches Staatsministerium des Innern 08.07.1993 Heimattreue Vereinigung Innenministerium des Deutschlands (HVD) Landes Baden-Württemberg 25.08.1993 Freundeskreis Freiheit für Innenministerium des Deutschland (FFD) Landes Nordrhein-Westfalen 10.11.1994 Wiking Jugend e.V. (WJ) Bundesministerium des Innern (auf Initiative des Niedersächsischen Innenministeriums) 24.02.1995 Freiheitliche Deutsche ArbeiterBundesministerium des Innern partei (FAP) (auf Initiative des Niedersächsischen Innenministeriums) 24.02.1995 Nationale Liste (NL) Behörde für Inneres Hamburg 05.05.1995 Direkte Aktion/MitteldeutschInnenministerium des land (JF) Landes Brandenburg 22.07.1996 Skinheads Allgäu Bayerisches Staatsministerium des Innern 317 Anhang Verbotsverfüg. Vereinigung Verbotsbehörde 14.08.1997 Kameradschaft Oberhavel Innenministerium des Landes Brandenburg 09.02.1998 Heide-Heim e.V. und Heideheim Niedersächsisches e.V. Innenministerium 10.08.2000 Hamburger Sturm Behörde für Inneres Hamburg 12.09.2000 Blood & Honour -Division Bundesministerium Deutschland mit Jugenddes Innern organisation White Youth 02.04.2001 Skinheads Sächsische Schweiz Sächsisches Staatsministerium (SSS) mit Skinheads Sächsische des Innern Schweiz - Aufbauorganisationen und Nationaler Widerstand Pirna 07.03.2003 Bündnis nationaler Sozialisten Innenministerium des für Lübeck Landes Schleswig-Holstein 07.03.2003 Bündnis nationaler Sozialisten Innenministerium des für Lübeck Landes Schleswig-Holstein 19.12.2003 Fränkische Aktionsfront Bayerisches Staatsministerium des Innern 07.03.2005 Kameradschaft Tor "MädelInnensenator des Landes Berlin gruppe" der Kameradschaft Tor 07.03.2005 Berliner Alternative Süd-Ost Innensenator des Landes Berlin (BASO) 06.04.2005 Kameradschaft Hauptvolk mit Innenministerium des Landes Untergruppierung "Sturm 27" Brandenburg 04.07.2005 Alternative Nationale StrausInnenministerium des Landes berger DArt Brandenburg Piercing und Tattoo Offensive (ANSDAPO) 318 Anhang Verbotsverfüg. Vereinigung Verbotsbehörde 26.06.2006 Schutzbund Deutschland Innenministerium des Landes Brandenburg 23.04.2007 Kameradschaft Sturm 34 Sächsisches Staatsministerium des Innern 01.04.2008 Blue White Street Elite (BWSE) Innenministerium des rechtsextremistisch beeinflusste Landes Sachsen-Anhalt Hooligan-Vereinigung 07.05.2008 Collegium Humanum Bundesministerium des Innern 07.05.2008 Verein zur Rehabilitierung der Bundesministerium wegen Bestreitens des Hodes Innern locaust Verfolgten (VRBHV) 31.03.2009 Heimattreue Deutsche Jugend Bundesministerium e.V. (HDJ) des Innern 28.05.2009 Mecklenburgische Innenministerium des Landes Aktionsfront Mecklenburg-Vorpommern 05.11.2009 Frontbann 24 Innensenator des Landes Berlin 11.04.2011 Freie Kräfte TeltowInnenministerium des Landes Fläming (FKTF) Brandenburg 30.08.2011 Hilfsorganisation für nationale Bundesministerium des Innern politische Gefangene und ihre Angehörigen e. V. (HNG) 10.05.2012 Kameradschaft Walter SpangenInnenministerium des Landes berg Nordrhein-Westfalen 19.06.2012 Widerstandsbewegung in SüdInnenministerium des Landes brandenburg Brandenburg 23.08.2012 Kameradschaft Aachener Land Innenministerium des Landes Nordrhein-Westfalen 319 Anhang Verbotsverfüg. Vereinigung Verbotsbehörde 23.08.2012 Kameradschaft Hamm Innenministerium des Landes Nordrhein-Westfalen 23.08.2012 Nationaler Widerstand DortInnenministerium des Landes mund Nordrhein-Westfalen 25.09.2012 Besseres Hannover Niedersächsisches Innenministerium 12.02.2013 Nationale Sozialisten Döbeln mit Sächsisches Staatsministerium Division Döbeln, Initiative für des Innern Döbeln und Freies Döbeln sowie der Band INKUBATION 28.03.2014 Nationale Sozialisten Chemnitz Sächsisches Staatsministerium (NSC) mit Interessengemeindes Innern schaft Chemnitzer Stadtgeschichten und Aktionsgemeinschaft "Raus in die Zukunft" 02.07.2014 Freies Netz Süd Bayerisches Staatsministerium des Innern, für Bau und Verkehr 10.12.2014 Autonome Nationalisten Innenministerium Göppingen Baden-Württemberg 27.10.2015 Sturm 18 e. V. Hessisches Ministerium des Innern 320 Anhang 12.4 Übersicht über Verbotsmaßnahmen des BMI gegen extremistische Bestrebungen mit Bezug zum Ausland im Zeitraum Januar 1990 bis Dezember 2015 Organisation VerbotsPhänomenverfügung bereich Arbeiterpartei Kurdistans (PKK)/Nationale 22.11.1993 AE Befreiungsfront Kurdistans (ERNK) und Teilorganisationen, Förderation der patriotischen Arbeiterund Kulturvereinigungen aus Kurdistan in der Bundesrepublik Deutschland e. V. (FEYKA-Kurdistan), Kurdistan-Komitee e. V. Kurdistan Informationsbüro (KIB) 20.02.1995 AE alias Kurdistan Informationsbüro in Deutschland Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front 06.08.1998 AE (DHKP-C) Türkische Volksbefreiungspartei/-Front 06.08.1998 AE (THKP/-C) Kalifatsstaat 08.12.2001 ISiT und 35 Teilorganisationen 14.12.2001 13.05.2002 16.09.2002 al-Aqsa e. V. 31.07.2002 ISiT Hizb ut-Tahrir (HuT) 10.01.2003 ISiT Yeni Akit GmbH, 22.02.2005 ISiT Verlegerin der Europa-Ausgabe der türkischsprachigen Tageszeitung Anadoluda Vakit 321 Anhang Organisation VerbotsPhänomenverfügung bereich Bremer Hilfswerk e. V. 18.01.2005 ISiT Selbstauflösung mit Wirkung vom 29.06.2005 18.01.2005; Löschung im Vereinsregister am 29.06.2005 YATIM-Kinderhilfe e. V.140 30.08.2005 ISiT Mesopotamia Broadcast A/S, Roj TV A/S 13.06.2008 AE VIKO Fernseh Produktion GmbH 13.06.2008 al-Manar TV 29.10.2008 ISiT Internationale Humanitäre Hilfsorganisation 23.06.2010 ISiT e. V. (IHH) Millatu Ibrahim 29.05.2012 ISiT Dawa FM einschließlich der 25.02.2013 ISiT Teilorganisation Internationaler Jugendverein - Dar al Schabab e. V. an-Nussrah 25.02.2013 ISiT DawaTeam 25.02.2013 ISiT Islamische Audios Waisenkinderprojekt Libanon e. V. 02.04.2014 ISiT Islamischer Staat 12.09.2014 ISiT Tauhid Germany 26.03.2015 ISiT Zeitschrift "Yürüyüs" 06.05.2015 AE AE = Ausländerextremismus ISiT = Islamismus/islamistischer Terrorismus 141 Das BMI hatte am 3. Dezember 2004 ein vereinsrechtliches Ermittlungsverfahren mit dem Ziel eines Verbots gegen das "Bremer Hilfswerk e. V." eingeleitet. Der Verein ist dem Verbot durch Selbstauflösung zuvorgekommen. 322 Anhang 12.5 Abkürzungsverzeichnis A AB 38 Aktionsbündnis 38 AG Aktionsgruppe AKL Antikapitalistische Linke A.L.I. Antifaschistische Linke International AN Autonome Nationalisten AQAH Al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel AQM Al-Qaida im islamischen Maghreb ASJ Anarcho-syndikalistische Jugendorganisation B BFE Bund Freies Europa BfV Bundesamt für Verfassungsschutz BMI Bundesministerium des Innern BPjM Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien Bragida Braunschweig gegen die Islamisierung des Abendlandes BVerfG Bundesverfassungsgericht BVerfGE Entscheidungssammlung des BverfG BVerfSchG Bundesverfassungsschutzgesetz C CDK Koordination der kurdisch-demokratischen Gesellschaft in Europa (Civata Demokratik Kurdistan) CH Collegium Humanum - Akademie für Umwelt und Lebensschutz e. V. CIK Islamische Gemeinde Kurdistans 323 Anhang D DA Direkte Aktion DIK Deutschsprachiger Islamkreis e. V. DKP Deutsche Kommunistische Partei DMG Deutschsprachige Muslimische Gemeinschaft DRP Deutsche Reichspartei DVU Deutsche Volksunion DWR Die Wahre Religion E EA Europäische Aktion F FAP Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei FAU/IAA Freie Arbeiterinnenund Arbeiter-Union / Internationale ArbeiterInnen Assoziation FSB Russischer Inlandsnachrichtendienst ("Federalnaja Slushba Besopasnosti") G GFP Gesellschaft für Freie Publizistik e. V. GG Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland GI Generation identitaire GIAZ Gemeinsames Informationsund Analysezentrum Polizei und Verfassungsschutz Niedersachsen GRU Russischer militärischer Nachrichtendienst ("Glawnoje Raswediwatelnoje Uprawlenije") G 10 Artikel 10-Gesetz 324 Anhang H Hagida Hannover gegen die Islamisierung des Abendlandes HAMAS Islamische Widerstandsbewegung (Harakat al-Muqawama al-Islamiya) HDJ Heimattreue Deutsche Jugend e. V. HNG Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige HNK/WWT Hamburger Nationalkollektiv / Weisse Wölfe Terrorcrew HoGeSa Hooligans gegen Salafisten HPG Volksverteidigungseinheiten I IAC Ismail Aga Cemaati IBD Identitäre Bewegung Deutschland IBU Islamische Bewegung Usbekistan IGMG Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e. V. IL Interventionistische Linke ISIG Islamischer Staat Irak und Großsyrien J JaN Jabhat al-Nusra (Unterstützungsfront für das syrische Volk) JLO Junge Landsmannschaft Ostdeutschland JN Junge Nationaldemokraten 325 Anhang K KADEK Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistans KCD Kurdischer Demokratischer Gesellschaftskongress in Europa KCK Vereinigte Gemeinschaften Kurdistans KKK Gemeinschaft der Kommunen in Kurdistan KON-KURD Konföderation der kurdischen Vereine in Europa KONGRA GEL Volkskongress Kurdistans KPD Kommunistische Partei Deutschlands KPF Kommunistische Plattform der Partei DIE LINKE. KPMD-PMK Kriminalpolizeilicher Meldedienst in Fällen Politisch motivierter Kriminalität L LfD Landesbeauftragter für den Datenschutz LTTE Befreiungstiger von Tamil Eelam ("Liberation Tigers of Tamil Eelam") M MB Muslimbruderschaft MEK Volksmodjahedin Iran-Organisation mg militante gruppe MLPD Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands MSB Marxistischer Studentenbund Spartakus 326 Anhang N NADIS Nachrichtendienstliches Informationssystem NAV-DEM Demokratisches Kurdisches Gesellschaftszentrum Deutschland (Navenda Civaka Demokratik a Kurden li Elmanyaye bzw. Almanya Demokratik Kürt Toplum Merkesi) NCAZ Nationales Cyber-Abwehrzentrum N-CERT Niedersächsisches Computer Emergency Response Team NATO North Atlantic Treaty Organization (Nordatlantikvertrag) NPD Nationaldemokratische Partei Deutschlands NSBM National Socialist Black Metal NVerfSchG Niedersächsisches Verfassungsschutzgesetz NWRI Nationaler Widerstandsrat Iran O OLG Oberlandesgericht OVG Oberverwaltungsgericht P PDS Partei des Demokratischen Sozialismus Pegida Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes PKK Arbeiterpartei Kurdistans PMK Politisch motivierte Kriminalität PYD Partiya Yekitija Demokrat (Partei der demokratischen Einheit) R RAC Rock Against Communism RAK Rote Aktion Kornstraße RH Rote Hilfe e. V. 327 Anhang S SAG Sozialistische Arbeitergruppe SdR Stimme des Reiches SJ Schlesische Jugend e. V. SL Sozialistische Linke SO Scientology-Organisation SRP Sozialistische Reichspartei StGB Strafgesetzbuch T TGTE Transnational Government of Tamil Eelam TJ Tablighi Jama'at V VEVAK Ziviler Inund Auslandsgeheimdienst des Iran VRBHV Verein zur Rehabilitierung der wegen Bestreitens des Holocaust Verfolgten VS Verschlusssache VSA Verschlusssachenanweisung W WASG Partei Arbeit & Soziale Gerechtigkeit - Die Wahlalternative 328 Anhang Y YHK Union der Juristen Kurdistans YMK Union der kurdischen Lehrer YNK Union der Schriftsteller Kurdistans YÖP Yeni Özgür Politica YPG Volksverteidigungseinheiten der Partei der demokratischen Einheit (PYD) YRK Union der Journalisten Kurdistans YXK Verband der Studierenden aus Kurdistan e. V. Z ZFU Zentralstelle für Fernunterricht 329 Anhang 12.6 Personenund Stichwortverzeichnis A Anarcho-syndikalistische Jugend organisation (ASJ) | 149 ABDULAZIZ ABDULLAH, Ahmad | 170 Antideutsche | 139 ABOU NAGIE, Ibrahim | 166 Antifaschismus | 133, 135, 137, 138, ABU BAKR AL-BAGHDADI | 176, 177 139, 146, 152, 266, 267 ABU WALAA, Ahmad | 170, 174 Antifaschistische Linke International Adler-Versand | 61 (A.L.I.) | 139, 145 Ahlu-Sunna wa-l Jama'a | 170 Antiimperialisten | 139, 140 Aktionsbündnis 38 (AB 38) | 70 Antikapitalistische Linke (AKL) | Aktionsgruppe | 66, 67, 68, 69, 70, 72, 150, 151, 154, 155 73 Antirassismus | 133, 135, 140, 146 Aktionsgruppe Gifhorn | 70 Antirepression | 135, 142 Aktionsgruppe Hannover | 69 Antisemitismus (Begriff) | 39, 40, 41, 119 Aktionsgruppe Nordheide | 68 Arabischer Frühling | 174, 185, 197 Aktionsgruppe Weserbergland | 72, 73 Arbeit & soziale Gerechtigkeit - Aktionsgruppe Weser/Ems | 66, 67 Die Wahlalternative (WASG) Aktionsgruppe Wolfsburg | 70 Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) | Alhambra | 135 204-221, 271-274, 279 Almanya Demokratik Ülcücü Türk ARMIH, Ahmad | s. BARAA, ABU Demekleri Federasyonu (ADÜTDF) | 206 Artikel 10-Gesetz | 25 al-Banna, Hasan | 194, 195 Autonome | 30, 133, 134, 136, 139, al-Nusra-Front, s. Jabhat al-Nusra 140, 143, 146, 154 al-Qaida | 160, 173, 174, 175, 176, 180, AZ-ZAWAHIRI, Ayman | 176 181, 185, 186 al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel (AQAH) | 174, 175 B al-Qaida im islamischen Maghreb (AQM) | 174 BARAA, ABU | 169, 170 al-Risalah | 175 Basisdemokratische Linke Göttingen (BLG) al-Shabab | 174 | 139 AL-SURI, Abu Mus'ab | 181 Befreiungstiger von Tamil Eelam Altermedia | 113, 116 (Liberation Tigers of Tamil Eelam, LTTE) Anarchismus | 131, 147, 148 | 207 Anarchosyndikalismus | 148, 149 Berserker Division Wolfsburg | 50 Besseres Hannover | 69 330 Anhang BIN LADIN, Usama | 174, 176 Deutsches Kolleg | 90 Blitzkrieg | 56 Deutsche Stimme | 82, 86, 91 Blood Brother Nation | 49 Deutschsprachige Muslimische Brigade 8 | 49, 50 Gemeinschaft (DMG) | 168, 169 Bruderschaft | 162, 194, 195, 196 Deutschsprachiger Islamkreis e. V. (DIK) | Bundesprüfstelle für jugendgefährdende 163, 169 Medien (BPjM) | 53, 57, 116, 118 Deutschsprachiger Islamkreis Hildesheim Bund Freies Europa (BFE) | 105 e. V. | 170, 171, 272 Bündnis ...ums Ganze! | 133, 135, 139, DIE LINKE. | 131, 150, 151, 153, 154, 155 145 Die Rechte | 38, 39, 45, 52, 63, 64, 67, Bürgerinitiative für Zivilcourage 69, 70, 71, 72, 73, 91, 93, 94, 95, 96, 97, Wolfsburg | s. Aktionsgruppe Wolfsburg 98, 99, 100, 101, 102, 103, 110, 278 Die Wahre Religion (DWR) | 166 Direkte Aktion (Publikation) | 147 C Dschihad/Dschihadismus, s. Jihad Dual-use-Güter | 242 CIFTCI, Muhamed | 168, 169 Düütsche Deerns | 90, 100 Civata Demokratik Kurdistan | 210 Collegium Humanum (CH) | 114, 116, 118 E EIGENFELD, Ulrich | 81, 89 D En-Nahda | 196 Erbakan-Stiftung | 161 Dabbagh, Hassan | 169 Ethnopluralismus | 40, 77, 80, 123 Dabiq | 178, 179 Europäische Aktion (EA) | 45, 99, 105, Das Freie Forum | 124 106 Das Zeughaus | 61 EU-Terrorliste | 204, 210 Dawa | 164, 166 Demokratisches Kurdisches Gesellschaftszentrum Deutschland (NAV-DEM) | 210, F 211, 214 Der Anschlag | 61 Faktenspiegel | 116 Der III. Weg | 38, 45, 64, 65, 71, 72, Fanzine | 48 102, 110 Fast Forward Hannover | 138, 139, 146 Der Versand | 61 Föderation der Türkisch-Demokratischen Deutsche Kommunistische Partei (DKP) | Idealistenvereine in Deutschland e.V. 131, 134 (Almanya Demokratik Ülkücü Türk 331 Anhang Demekleri Federasyonu, ADÜTDF) | 206 H For the Queens (Versand) | 61 Freie Arbeiterinnenund Arbeiter-Union HAMAS | s. Islamische Widerstands(FAU) | 147, 148, 149 bewegung Freie Kräfte Gifhorn | 70 Hatecore Lüneburg (Versand) | 61 Freies Oldenburg | 66 HAVERBECK-WETZEL, Ursula | 114, 115, Freiheitsund Demokratiekongress 116, 119, 121 Kurdistans (KADEK), s. Arbeiterpartei Heimattreue Deutsche Jugend (HDJ) | Kurdistans (PKK) | 207, 208, 209 319 Freistaat Preußen | 114, 199 Helfen in Not e. V. | 171, 272 Fremdenfeindlichkeit (Begriff) | 9, 40, HELGE, Ingo | 89 52, 95 HENNIG, Rigolf Dr. | 45, 105, 107, 108, Freundeskreis Thüringen/Niedersachsen 109, 111, 112, 113, 114, 117, 119, 120 | 70 Heß, Rudolf | 65 Freundschaftsund Hilfswerk Ost e. V. | 122 Hilfsorganisation f. nationale politische Front Records | 60 Gefangene und deren Angehörige (HNG) | 41 Hizb Allah | 158, 160, 199, 200, G 201 HOFF, Herbert | 116 G 10, s. Artikel 10-Gesetz | 25 HÖFS, Arnold | 116 Gai Dao (Publikation) | 147 HOLLACK, Carin | 90 Gassenraudi | 56, 58, 61 Holocaust (Leugnung/Relativierung) | 41, Geheimschutz | 248, 249, 252 46 Gemeinsam Stark Deutschland | 74 Gemeinsam Stark Hannover | 50 Gemeinschaft der Kommunen in I Kurdistan (KKK) | s. Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) Identitäre Bewegung Deutschland (IBD) | Generation identitaire (GI) | 76 38, 39, 46, 75, 76, 77, 78, 79, 80 Geschichtsrevisionismus | 40, 46, 103, Inspire | 175, 175, 178, 181 104 Internationale ArbeiterInnen Assoziation Gesellschaft für Freie Publizistik e. V. (IAA) | 148, 149 (GFP) | 124, 125 Interventionistische Linke (IL) | 132, 133, GIESE, Daniel | 56, 57 144, 135 "Gigi / Stahlgewitter" | 56, 57, 61 ISD Records | 60 göttinger Drucksache | 135 Islamische Gemeinde Kurdistans (CIK) | Graue Wölfe (Bozkurtlar) | 206 212 332 Anhang Islamische Gemeinschaft Deutschland (KPD) | 17, 283 (IGD) | 196 Kommunistische Plattform (KPF) | 150, Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e. V. 152, 153, 155 (IGMG) | 158, 161, 162 Konvertiten | 165 Islamischer Staat Irak und Großsyrien Koordination der kurdisch-demokrati(ISIG) | 176, 177 schen Gesellschaft in Europa (CDK) | 210 Islamischer Staat (IS) | 167, 176 KRIEGER, Christina | 90 Islamisches Zentrum München | 196 KRUSE, Patrick | 56, 58, 61 Islamische Widerstandsbewegung Kurdischer Demokratischer GesellschaftsHAMAS | 160, 196 kongress in Europa (KCD-E) | 210 Islamismus (Begriff) | 159, 279, 280 Kurdistan-Festival | 211 Islamistische Radikalisierung | 167, 170, 186 Islamistischer Terrorismus | 185, 189 L Islamothek | 168 Islamschule Braunschweig | 168 Landser | 60 Ismail Aga Cemaati (IAC) | 161, 162 LAU, Sven | 170 Leuchtfeuer Ostfriesland | 65, 66 Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE) | J 207 LIES! | 166, 169, 216 Jabhat al-Nusra (JaN) | 172, 174, 176, Linksextremismus (Begriff) | 130, 131, 177, 186 280, 281 Jihad/Jihadismus | 180, 181, 182, 183 Linkspartei.PDS, siehe DIE LINKE. Jihad-Salafismus | 164 LOBOCKI, Ingeborg | 94 Jugendgedanken | s. KRUSE, Patrick "lone wolf" | 175, 179, 180, 184 Junge Landsmannschaft Ostdeutschland (JLO) | 122 Junge Nationaldemokraten (JN) | 64, 70, M 73, 81, 87, 91, 92, 98, 99, 100, 101, 102 MAHMOUD, Mohamed | 182, 186, 187 marx21 | 153, 154 K Marxismus | 131, 136, 151, 152, 207 Marxistisch-Leninistische KommunistiKategorie C | 59, 61 sche Partei der Türkei - Marksist Leninist Kommunistische Partei der Türkei/ Komünist Partisi (MLKP) | 206 Marxisten-Leninisten (TKP/ML) | 207 Marxistisch-Leninistische Partei Kommunistische Partei Deutschlands Deutschlands (MLPD) | 131, 134 333 Anhang MaxH8 | 61 ÖCALAN, Abdullah | 208, 211, 257 Mazlum-Dogan-Festival | 211 Özgür Politika, siehe Yeni Özgür Politika | Micetrap Distribution | 60 208, 212, 218 MillA(r) Gazete | 161 Mitteilungen der Kommunistischen Plattform (Publikation) | 150 P MUNDT, Karin | 58, 61 Muslimbruderschaft (MB) | 158, 194, Pakistanzentrum Hannover | 199 196 Partei der demokratischen Einheit (Partiya Yekitija Demokrat - PYD) | 213 Partei des Demokratischen Sozialismus N (PDS), siehe DIE LINKE. | 151, 154 PC Records | 60 Nationaldemokratische Partei PDS, siehe DIE LINKE. | 151, 154 Deutschlands (NPD) | 38, 81, 82 PFEIFFER, Martin | 124, 125 Nationales Cyber-Abwehrzentrum (NCAZ) PKK, siehe Arbeiterpartei Kurdistans | | 245 204, 206, 207, 208, 209, 210, 211, 212, Nationalismus | 40, 76, 88, 91, 139, 206 213, 214, 215, 216, 217, 218, 219, 220, Neonazismus (Begriff) | 41, 48 221, 271, 272, 273, 274, 279 Neonaziszene | 41, 59, 65, 66, 67, 68, Politisch motivierte Kriminalität | 260, 69, 70, 71, 74, 98, 100, 101, 103 264, 266, 270, 271 Neonaziszene Emsland | 63, 65 Postautonome | 33, 134, 143 Neonaziszene Hannover | 69 Proliferation | 240, 241, 242 Neonaziszene Ostfriesland | 65, 66 pro NRW | 38, 165 Neonaziszene Schaumburg | 71 Neonaziszene Südniedersachsen | 70, 71 Neonaziszene Tostedt | 68 Neonaziszene Weserbergland | 71 Neue Rechte | 123, 125 Niedersächsisches Computer Emergency Response Team (N-CERT) | 245 Nordic | 49, 50 Nordstern-Versand | 61 Noten-Sturm | 57, 59, 61 O 334 Anhang R Sozialistische Arbeitergruppe (SAG) | 153 Sozialistische Einheitspartei Deutschlands Race War | 60 (SED) | 151, 155 Radikalisierung | 62, 74, 77, 113, 146, Sozialistische Linke (SL) | 150, 153, 154 167, 170, 173, 186 Sozialistische Reichspartei (SRP) | 16, 283 Rassismus (Begriff) | 40 Stahlgewitter | 56, 57, 61 Rechtsextremismus (Begriff) | 39, 40 Sterka Ciwan | 208 Redical M | 139, 146 STERK TV | 208, Resurgence | 175 Stimme des Reiches (SdR) | 114 Revisionismus, s. Geschichtsrevisionismus Streetwear Tostedt | 61, 68 | 103, 104 Sunna | 163, 170, 197, 198, 281 Revolutionäre VolksbefreiungsparteiFront (DHKP-C) - Devrimci Halk Kurtulus Partisi-Cephesi | 206 T RICHTER, Sebastian | 81, 87, 91 RIEFLING, Dieter | 98 Tablighi Jama'at (TJ) | 158 Rock against Communism (RAC) | 51 Tag der deutschen Zukunft | 53, 73 Rote Hilfe e. V. (RH) | 142 Terrorismus | 29, 30, 31, 173, 181, 183, 185, 189, 282 Terroritorium | 58, 61 S Thule-Seminar | 112 Saadet Partisi - Partei der Glückseligkeit (SP) | 161 Salafismus | 160, 162, 163, 164, 165, 166, 167, 169, 172, 224, 226, 227, 228, 229, 255, 281 Scharia | 159, 162, 163, 194, 197, 198, 280 SCHAUB, Bernhard | 105, 109, 110, 112, 116 SCHIEDEWITZ, Wolfram | 110, 120, 121, 122 Schlesische Jugend e. V. (SJ) | 122 Scientology-Organisation | 236 Skinheadkonzerte | 60, 62 Skinheads | 38, 49 Sleipnir | 53, 56 335 Anhang U W UKA, Arid | 186 Waisenkinderprojekt Libanon e. V., Verein Union der Journalisten Kurdistans (YRK) (WKP), siehe Verein Waisenkinderprojekt | 212 Libanon e. V. | 201 Union der Juristen Kurdistans (YHK) | Wewelsburg Records | 61 212 Wirtschaftsschutz | 252-257, 284 Union der kurdischen Lehrer (YMK) | 212 Wirtschaftsspionage | 252, 254, 255, 284 WORCH, Christian | 93, 94, 95 V Verband der Studierenden aus Kurdistan (YXK) | 212, 214, 216, 217 Verbote islamistischer Vereinigungen | 321, 322 Verein Gedächtnisstätte e. V. | 111, 120, 121, 122, 123 Vereinigte Gemeinschaften Kurdistans (KCK) | 207, 208, 209, 219 Verein Waisenkinderprojekt Libanon e. V. (WKP) | 201 Verein zur Rehabilitierung der wegen Bestreitens des Holocaust Verfolgten (VRBHV) | 105, 114, 115, 116, 118 VOGEL, Pierre | 169 VOIGT, Udo | 83, 112, 123 Volksgemeinschaft | 40, 64, 74, 80, 82, 95, 106, 112 Volkskongress Kurdistans (KONGRA GEL) | 207, 208, 209 Volksverteidigungseinheiten der Partei der demokratischen Einheit (YPG) | 213 Volksverteidigungseinheiten der PKK (HPG) | 208 336 Anhang 12.7 Ortsverzeichnis (Niedersachsen) Bad Nenndorf | 46, 71, 72, 103, 138 Leer | 61 Bentheim | 59, 90 Lingen | 61 Bovenden | 61 Lohne | 211, 218 Braunschweig | 58, 61, 70, 81, 90, 91, Lüneburg | 61, 75, 79, 93, 102, 116, 92, 98, 99, 100, 101, 102, 134, 140, 142, 220, 268, 273 168, 173, 189, 191, 196, 206, 226, 262, Meppen | 61 267, 273 Northeim | 60, 70, 269 Buchholz i.d.N. | 61 Oldenburg | 49, 63, 66, 67, 81, 90, 134, Celle | 90, 100, 147, 188, 220, 273 135, 191, 215, 216, 218, 220 Cloppenburg | 89 Osnabrück | 57, 89, 90, 134, 142, 191, Cremlingen | 61 196, 200, 211, 226, 256 Diekholzen | 61 Ostfriesland | 63, 65, 66, 67, 90 Elbe | 61 Peine | 60, 89, 100, 211 Emsland | 59, 63, 65, 90, 93 Rotenburg | 68, 89 Eschede | 58, 90, 100 Salzgitter | 60, 206, 211 Gifhorn | 70 Schaumburg | 71, 72, 138 Goslar | 58, 61, 73, 90, 93, 96, 99 Schneverdingen | 68 Göttingen | 90, 134, 135, 137, 139, 142, Seevetal | 120 145, 146, 147, 149, 170, 191, 196, 201, Soltau | 226 215, 255 Stade | 90, 184, 220 Hannover | 23, 49, 50, 58, 61, 63, 69, Tostedt | 61, 63, 68 75, 79, 90, 93, 94, 97, 98, 101, 102, 116, Uelzen | 60, 200 134, 135, 137, 138, 139, 140, 142, 145, Vechelde | 60 146, 147, 161, 163, 169, 189, 190, 191, Vechta | 49 196, 199, 200, 206, 211, 215, 216, 217, Verden | 45, 61, 93, 101, 105, 114 220, 226, 228, 236, 245, 254, 255, 257, Wendeburg | 60 262, 267, 268, 271, 272, 274 Wendland | 89 Heide | 89, 318 Wilhelmshaven | 63, 65, 67 Heidekreis | 60, 67, 68, 93 Wolfenbüttel | 61 Helmstedt | 93 Wolfsburg | 50, 70, 190, 191, 232, 273 Hildesheim | 58, 60, 63, 69, 70, 73, 79, 93, 94, 96, 97, 98, 99, 100, 101, 102, 170, 171, 191, 211, 215, 272 Laatzen | 256 337 Anhang 12.8 Verzeichnisanhang zum Verfassungsschutzbericht 2015 In diesem Verzeichnisanhang sind die im vorliegenden Verfassungsschutzbericht genannten Gruppierungen aufgeführt, bei denen die vorliegenden tatsächlichen Anhaltspunkte in ihrer Gesamtschau zu der Bewertung geführt haben, dass die Gruppierung verfassungsfeindliche Ziele verfolgt, es sich mithin um eine extremistische Gruppierung handelt. Gruppierungen Seitenzahl Adler-Versand (Versand) | 61 Aktionsbündnis 38 | 70 Aktionsgruppe Gifhorn | 70 Aktionsgruppe Hannover | 69 Aktionsgruppe Nordheide | 68 Aktionsgruppe Weserbergland | 72, 73 Aktionsgruppe Weser/Ems | 66, 67 Aktionsgruppe Wolfsburg | 70 al-Qaida | 160, 173, 174, 175, 176, 180, 181, 185, 186 al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel (AQAH) | 174, 175 al-Qaida im islamischen Maghreb (AQM) | 174 al-Shabab | 174 Anarcho-syndikalistische Jugendorganisation Göttingen / | 149 Südniedersachsen (ASJ) Antifaschistische Linke International (A.L.I.) | 139, 145 338 Anhang Antikapitalistische Linke (AKL) | 150, 151, 154, 155 Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) | 204-221, 271-274, 279 Basisdemokratische Linke Göttingen (BLG) | 139 Befreiungstiger von Tamil Eelam | 207 (Liberation Tigers of Tamil Eelam, LTTE) Berserker Division Wolfsburg | 50 Besseres Hannover | 69 Blitzkrieg (Musikband) | 56 Brigade 8 | 49, 50 Bund Freies Europa (BFE) | 105 Bündnis ...ums Ganze! | 133, 135, 139, 145 Bürgerbewegung pro NRW | 38 Bürgerinitiative für Zivilcourage Wolfsburg | s. Aktionsgruppe (auch Aktionsgruppe Wolfsburg) Wolfsburg Civata Demokratik Kurdistan (CDK) | 210 Ciwanen Azad | 208, 211, 212, 215, 217 Das Zeughaus (Versand) | 61 Demokratisches Kurdisches Gesellschaftszentrum | 210, 211, 214 Deutschland (NAV-DEM) Der Anschlag (Versand) | 61 Der Versand (Versand) | 61 Deutsche Kommunistische Partei (DKP) | 131, 134 Deutsche Stimme | 82, 86, 91 Deutschsprachige Muslimische Gemeinschaft (DMG) | 168, 169 Braunschweig Deutschsprachiger Islamkreis e. V. (DIK Hannover) | 163, 169 Deutschsprachiger Islamkreis Hildesheim e. V. | 170, 171, 272 339 Anhang Die Rechte | 38, 39, 45, 52, 63, 64, 67, 69, 70, 71, 72, 73, 91, 93, 94, 95, 96, 97, 98, 99, 100, 101, 102, 103, 110, 278 Die Wahre Religion (DWR) | 166 Düütsche Deerns | 90, 100 En-Nahda | 196 Erbakan-Stiftung | 161 Europäische Aktion (EA) | 45, 99, 105, 106 Fast Forward Hannover | 138, 139, 146 Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenverei- | 206 ne in Deutschland e.V. (Almanya Demokratik Ülkücü Türk Demekleri Federasyonu, ADÜTDF) For the Queens (Versand) | 61 Freie Arbeiterinnenund Arbeiter Union (FAU) | 147, 148, 149 Freie Kräfte Niedersachsen-Ost | 70 Freie Kräfte Ostfriesland | 65, 66 Freies Oldenburg | 66 Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistans (KADEK) | s. Arbeiterpartei Kurdistans Freistaat Preußen | 114, 199 Freundschaftsund Hilfswerk Ost e. V. | 122 Front Records (Versand) | 60 Gemeinschaft der Kommunen in Kurdistan (KKK) | s. Arbeiterpartei Kurdistans Gesellschaft für freie Publizistik e. V. (GFP) | 124, 125 HAMAS | s. Islamische Widerstandsbewegung 340 Anhang Hatecore Lüneburg (Versand) | 61 Heimattreue Deutsche Jugend (HDJ) | 319 Helfen in Not e. V. | 171, 272 Hizb Allah | 158, 160, 199, 200, 201 Interventionistische Linke (IL) | 132, 133, 144, 135 Islamische Gemeinde Kurdistans (CIK) | 212 Islamische Gemeinschaft in Deutschland e. V. (IGD) | 196 Islamischer Staat Irak und Großsyrien | 176, 177 (ISIG, auch ISIS genannt) Islamischer Staat (IS) | 167, 176 Islamische Widerstandsbewegung (HAMAS) | 160, 196 Ismail Aga Cemaati | 161, 162 Jabhat al-Nusra (auch al-Nusra-Front) (JaN) | 172, 174, 176, 177, 186 Jugendgedanken (Musiker) | 56, 58 Junge Landsmannschaft Ostdeutschland (JLO) | 122 Junge Nationaldemokraten (JN) | 64, 70, 73, 81, 87, 91, 92, 98, 99, 100, 101, 102 Kommunistische Partei der Türkei/Marxisten-Leninisten | 207 (TKP/ML) Kommunistische Plattform (KPF) der Partei DIE LINKE. | 150, 152, 153, 155 Kurdischer Demokratischer Gesellschaftskongress in | 210 Europa (KCD-E) Landser (Musikband) | 60 Leuchtfeuer Ostfriesland | 65, 66 Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE) | 207 marx21 | 153, 154 341 Anhang Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei der | 206 Türkei (MLKP) Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) | 131, 134 Milli Görüs-Bewegung | 158, 161, 162 Muslimbruderschaft (MB) | 158, 194, 196 Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) | 38, 81, 82 Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD), | 89, 90, 91, 92 Landesverband Niedersachsen Neonaziszene Hannover | 69 Neonaziszene Schaumburg | 71 Neonaziszene Südniedersachsen | 70, 71 Neonaziszene Tostedt | 68 Neonaziszene Weserbergland | 71 Nordstern-Versand | 61 Pakistanzentrum Hannover | 199 Partei der demokratischen Einheit | 213 (Partiya Yekitiya Demokrat, PYD) Partei der Nationalistischen Bewegung | 206 (Milliyetci Hareket Partisi, MHP) PC Records (Versand) | 60 Pro NRW | s. Bürgerbewegung pro NRW Race War (Musikband) | 60 Redical M | 139, 146 Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front (DHKP-C) | 206 Rote Hilfe e. V. (RH) | 142 Saadet Partisi (SP) | 161 342 Anhang Schlesische Jugend e. V. (SJ) | 122 Scientology-Organisation | 236 Sozialistische Linke (SL) der Partei DIE LINKE. | 150, 153, 154 Stahlgewitter (Musikband) | 56, 57, 61 Streetwear Tostedt (Versand) | 61, 68 Tablighi Jama'at | 158 Terroritorium (Musikband) | 58, 61 Thule-Seminar | 112 Union der Journalisten Kurdistans (YRK) | 212 Union der Juristen Kurdistans (YHK) | 212 Union der kurdischen Lehrer (YMK) | 212 Verband der Studierenden aus Kurdistan (YXK) | 212, 214, 216, 217 Verein Gedächtnisstätte e. V. | 111, 120, 121, 122, 123 Vereinigte Gemeinschaften Kurdistans (KCK) | s. Arbeiterpartei Kurdistans Verein zur Rehabilitierung der wegen Bestreitens des | 105, 114, 115, 116, 118 Holocaust Verfolgten (VRBHV) Volkskongress Kurdistan (KONGRA GEL) | s. Arbeiterpartei Kurdistans Volksverteidigungseinheiten der PKK (HPG) | 208 Volksverteidigungseinheiten der Partei der | 213 demokratischen Einheit (YPG) Wewelsburg Records (Versand) | 61 343 Anhang Verteilerhinweis Diese Druckschrift wird von der Landesregierung Niedersachsen im Rahmen ihrer gesetzlichen Verpflichtung zur Unterrichtung der Öffentlichkeit herausgegeben. Sie darf weder von Parteien noch von Wahlwerbern oder Wahlhelfern während eines Wahlkampfes zum Zwecke der Wahlwerbung verwendet werden. Dies gilt für alle Wahlen. Missbräuchlich ist insbesondere die Verteilung auf Wahlveranstaltungen, an Informationsständen der Parteien sowie das Einlegen, Aufdrucken oder Aufkleben parteipolitischer Informationen oder Werbemittel. Untersagt ist auch die Weitergabe an Dritte zum Zwecke der Wahlwerbung. 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