Niedersächsisches Ministerium für Inneres und Sport Verfassungsschutzbericht 2013 - Vorabfassung - Niedersachsen Impressum Herausgeber: Niedersächsisches Ministerium für Inneres und Sport Presseund Öffentlichkeitsarbeit Lavesallee 6 30169 Hannover Telefon: 0511 / 120-6255 Fax: 0511 / 120-6555 E-Mail: pressestelle@mi.niedersachsen.de Internet: www.mi.niedersachsen.de Redaktion: Niedersächsisches Ministerium für Inneres und Sport Abteilung Verfassungsschutz Büttnerstraße 28 30165 Hannover Telefon: 0511 / 6709-217 Fax: 0511 / 6709-394 E-Mail: oeffentlichkeitsarbeit@verfassungsschutz.niedersachsen.de Internet: www.verfassungsschutz.niedersachsen.de 2 1. Der Verfassungsschutz in Niedersachsen 2. Rechtsextremismus 3. Linksextremismus 4. Islamismus und sonstiger Extremismus mit Auslandsbezug 5. Scientology-Organisation (SO) 6. Spionageabwehr 7. Geheimund Wirtschaftsschutz 8. Anhang 3 1. DER VERFASSUNGSSCHUTZ IN NIEDERSACHSEN 1.1 Verfassungsschutz und Demokratie 8 1.2 Gesetzliche Grundlagen 9 1.3 Hauptaufgaben des Verfassungsschutzes 10 1.4 Organisation 10 1.5 Reformprozess 11 1.5.1 Reformprozess im Verfassungsschutzverbund 11 1.5.2 Arbeitsgruppe zur Reform des Niedersächsischen Verfassungsschutzes 12 1.6 Informationsgewinnung 12 1.7 Keine polizeilichen Befugnisse 13 1.8 Kontrolle 13 1.9 Verfassungsschutz als Nachrichtendienst 13 1.10 Beschäftigte 14 1.11 Haushalt 14 1.12 Mitwirkungsaufgaben des Verfassungsschutzes 14 1.13 Gemeinsames Informationsund Analysezentrum Polizei und Verfassungsschutz Niedersachsen (GIAZ - Niedersachsen) 15 1.14 Informationsverarbeitung 16 1.15 Auskunftsersuchen von Bürgerinnen und Bürgern 17 1.16 Presseund Öffentlichkeitsarbeit und Prävention 17 1.16.1 Presseund Bürgerkontakt 18 1.16.2 Vortragsund Informationsveranstaltungen 18 1.16.3 Ausstellung "Gemeinsam gegen Rechtsextremismus" 19 1.16.4 Beratung von Kommunen 19 1.16.5 Symposien 19 1.16.6 Programm "Sport und Feuerwehr mit Courage gegen Rechtsextremismus" 20 1.16.7 Informationsmaterialien 20 1.16.8 Kontaktdaten 20 1.17 Aktion Neustart 21 1.18 Anmerkungen zum Inhalt des Verfassungsschutzberichtes 22 1.18.1 Umfang der Berichterstattung 22 1.18.2 Hinweis zur Rechtschreibung 22 2. RECHTSEXTREMISMUS 2.1 Mitglieder-Potenzial 23 2.2 Politisch motivierte Kriminalität (PMK) mit extremistischem Hintergrund - rechts 25 2.3 Einführung 29 2.4 Überblick über die aktuellen Entwicklungen im Rechtsextremismus 30 2.5 Subkulturell geprägte Rechtsextremisten 34 2.5.1 Rechtsextremistische Musikszene 36 2.5.2 Niedersächsische Vertriebe 39 2.5.3 Rechtsextremistische Musik in Niedersachsen 39 2.5.4 Rechtsextremistische Konzerte in Niedersachsen 41 2.6 Neonazistische Szene 42 4 2.6.1 Neonazistische Kameradschaften 42 2.6.2 Autonome Nationalisten 42 2.6.3 Informelle Gruppen und Netzwerke 44 2.6.4 Ideologie der neonazistischen Szene 44 2.6.5 Verhältnis zur NPD 45 2.6.6 Neonazistische Personenzusammenschlüsse in Niedersachsen 45 2.6.7 Demonstrationen und Kampagnen der rechtsextremistischen Szene 52 2.6.7.1 Trauermärsche in Magdeburg und Dresden 53 2.6.7.2 Kampagnenthema Kirchweyhe 53 2.6.7.3 Kampagnendemonstration der norddeutschen Neonaziszene: "Tag der deutschen Zukunft" (TddZ) 54 2.6.7.4 Demonstrationen der Neonaziszene in Bad Nenndorf 54 2.6.7.5 Volkstrauertag als "Heldengedenken" 55 2.6.7.6 Kampagne zur Freilassung von Erich Priebke 55 2.7 Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) 56 2.7.1 Geschichte und Entwicklung 56 2.7.2 Organisation, Mitgliederentwicklung und Finanzen 57 2.7.3 Programmatik 58 2.7.4 Innerparteiliche Entwicklung und Strategie 60 2.7.5 Niedersächsischer Landesverband der NPD 63 2.8 Junge Nationaldemokraten (JN) 65 2.8.1 Geschichte und Entwicklung 66 2.8.2 Entwicklung in Niedersachsen 67 2.9 Die Rechte 68 2.9.1 Organisation und Entwicklung 68 2.9.2 Ideologie und Programmatik 69 2.9.3 Aktivitäten 69 2.9.4 Entwicklung in Niedersachsen 70 2.10 Rechtsextremistischer Geschichtsrevisionismus 71 2.10.1 Revisionistische Aktivitäten in Niedersachsen 71 2.10.2 Europäische Aktion (EA) 72 2.10.3 Verein Gedächtnisstätte e. V. 73 2.10.4 Bewertung 74 2.11 Intellektualisierungsbemühungen im Rechtsextremismus 74 2.11.1 Gesellschaft für Freie Publizistik e. V. (GFP) 75 2.11.2 Bewertung 76 2.12 Immobiliengeschäfte mit rechtsextremistischem Hintergrund 76 3. LINKSEXTREMISMUS 3.1 Mitglieder-Potenzial 79 3.2 Politisch motivierte Kriminalität (PMK) mit extremistischem Hintergrund - links 80 3.3 Einführung 82 3.4 Überblick 82 3.4.1 Ideologie 82 5 3.4.2 Entwicklungen im Linksextremismus 83 3.5 Autonome und sonstige gewaltbereite Linksextremisten 85 3.5.1 Ursprünge, Ziele und Vorgehensweisen 85 3.5.2 Aktionsfelder 88 3.5.2.1 Aktionsfeld "Antifaschismus" 88 3.5.2.2 Aktionsfeld "Antirassismus" 91 3.5.2.3 Aktionsfeld "Antrepression" 94 2.5.2.4 Aktionsfeld "Antimilitarismus" 96 3.6 Gruppierung AVANTI - Projekt undogmatische Linke 98 3.6.1 Selbstverständnis 98 3.6.2 AVANTI Hannover 98 3.6.3 Teil der "Interventionistischen Linken" 99 3.6.4 Aktuelle Aktivitäten 99 3.7 Anarchismus 100 3.8 Offen extremistische Zusammenschlüsse in der Partei DIE LINKE. 102 3.8.1 Kommunistische Plattform (KPF) 103 3.8.2 Sozialistische Linke (SL) 103 3.8.3 Antikapitalistische Linke (AKL) 105 4. ISLAMISMUS UND SONSTIGER EXTREMISMUS MIT AUSLANDSBEZUG 4.1 Mitglieder-/Anhänger-Potenzial 106 4.2 Politisch motivierte Kriminalität (PMK) mit extremistischem Hintergrund - Ausländer - 107 4.3 Allgemeines zum Extremismus mit Auslandsbezug 109 4.4 Islamismus 109 4.5 Internationaler islamistischer Terrorismus 111 4.6 Islamistischer Terrorismus in Deutschland 114 4.7 Salafismus 117 4.7.1 Salafismus in Deutschland 118 4.7.2 Salafismus in Niedersachsen 120 4.8. Muslimbruderschaft (MB) 125 4.8.1 Ursprung und Entwicklung 125 4.8.2 Die Muslimbruderschaft in Deutschland und in Niedersachsen 126 4.9 Tablighi Jama'at (TJ, Gemeinschaft der Missionierung und Verkündung) 127 4.9.1 Ursprung und Entwicklung 127 4.9.2 Aktivitäten von TJ-Anhängern in Deutschland und in Niedersachsen 128 4.10 Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e. V. (IGMG) 129 4.11. Hizb Allah (Partei Gottes) 131 4.11.1 Ursprung und Entwicklung 131 4.11.2 Die Hizb Allah in Deutschland und in Niedersachsen 131 4.12 Sonstige extremistische Organisationen mit Auslandsbezug 132 4.13 Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) / Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistans (KADEK) / Volkskongress Kurdistans (KONGRA GEL) / Gemeinschaft der Kommunen in Kurdistan (KKK) / Vereinigte Gemeinschaften Kurdistans (KCK) 133 6 4.13.1 Organisatorische Strukturen 134 4.13.2 Finanzierung 135 4.13.3 Friedensprozess zwischen der PKK und dem türkischen Staat 136 4.13.4 Ermordung von drei PKK-Aktivistinnen in Paris 136 4.13.5 Weitere Aktivitäten in Niedersachsen 137 4.13.6 ROJ TV meldet Konkurs an 137 4.13.7 Situation in Syrien 138 4.13.8 Ausblick 138 4.14 Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE, Befreiungstiger von Tamil Eelam) 139 4.14.1 Ursprung und Entwicklung 139 4.14.2 Aktivitäten in Deutschland 140 5. SCIENTOLOGY - ORGANISATION (SO) 5.1 Geschichte der SO 142 5.2 Zielsetzung und verfassungsfeindliche Bestrebungen 142 5.3 Scientology in Deutschland und Niedersachsen 143 6. SPIONAGEABWEHR 6.1 Einführung 144 6.2 Geheimdienste der Russischen Föderation (RF) 145 6.2.1 Vorsicht bei Reisen 147 6.3 Chinesische Geheimdienste 147 6.4 Geheimdienste der Islamischen Republik Iran 148 6.5 Proliferation 149 6.6 Elektronische Angriffe mit vermutetem nachrichtendienstlichen Hintergrund 150 6.7 Hilfe für Betroffene 152 7. GEHEIMUND WIRTSCHAFTSSCHUTZ 7.1 Geheimschutz 153 7.2 Wirtschaftsschutz 154 7.2.1 Einleitung 154 7.2.2 Zahlen und Fakten 155 7.2.3 17. Sicherheitstagung für geheimschutzbetreute Unternehmen 156 7.2.4 12. Wirtschaftsschutztagung des Niedersächsischen Verfassungsschutzes 156 7.2.5 CeBIT 2013 157 7.2.6 AirIT Security Day 2013 157 7.2.7 Kontaktdaten des Fachbereichs Wirtschaftsschutz 157 8. ANHANG 8.1 Definition der Arbeitsbegriffe 158 8.2 Niedersächsisches Verfassungsschutzgesetz (NVerfSchG) 163 8.3 Übersicht Verbote neonazistischer Vereinigungen 187 8.4 Abkürzungsverzeichnis 190 7 1. Der Verfassungsschutz in Niedersachsen 1.1 Verfassungsschutz und Demokratie Im Grundgesetz (GG) der Bundesrepublik Deutschland wurde nach den Erfahrungen mit der Zerstörung der Weimarer Republik das Prinzip der wehrhaften Demokratie verankert. Das bedeutet, dass der demokratische Staat in der Lage sein soll, sich gegen seine Feinde zu wehren. Elemente der wehrhaften Demokratie sind z. B. die Unabänderlichkeit elementarer Verfassungsgrundsätze (Artikel 79 Abs. 3 GG) und die Möglichkeit, Parteien und sonstige Vereinigungen (Artikel 9 Abs. 2 und Artikel 21 Abs. 2 GG) zu verbieten. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinen Urteilen zum Verbot der Sozialistischen Reichspartei (SRP) von 1952 (BVerfGE 2,1) und zum Verbot der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) von 1956 (BVerfGE 6, 300) die Wesensmerkmale der freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes bestimmt. Dazu gehören (s. auch SS 4 Abs. 3 Niedersächsisches Verfassungsschutzgesetz - NVerfSchG): das Recht des Volkes, die Staatsgewalt in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung auszuüben und die Volksvertretung in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl zu wählen, die Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung und die Bindung der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an Gesetz und Recht, das Recht auf Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition, die Ablösbarkeit der Regierung und ihre Verantwortlichkeit gegenüber der Volksvertretung, die Unabhängigkeit der Gerichte, der Ausschluss jeder Gewaltund Willkürherrschaft und die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte. Die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder bezeichnen seit 1974 einheitlich politische Bestrebungen als extremistisch, die sich gegen diese Wesensmerkmale oder gegen den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes richten. Ihre Beobachtung dient dem Schutz der Verfassung. Da die Verfassungsschutzbehörden ihre Aufgaben im Vorfeld konkreter Gesetzesverstöße durchführen und frühzeitig verfassungsfeindliche Bestrebungen erkennen sollen, werden sie als ein "Frühwarnsystem" des demokratischen Rechtsstaates bezeichnet. Zwischen den Extremismusphänomenen Rechtsund Linksextremismus und dem Islamismus gibt es fundamentale Unterschiede. Der Islamismus setzt im Gegensatz zu tragenden Prinzipien der europäischen Aufklärung auf religiös-orthodoxe Ordnungsmodelle und zielt damit auf eine gegen den "Westen" gerichtete kulturelle Identität. Rechtsund Linksextremismus unterscheiden sich ideengeschichtlich in ihrer Einstellung 8 zum menschenrechtlichen Gleichheitsgebot. Während Linksextremisten aufgrund der ökonomischen Kräfteverhältnisse ausschließen, dass die Gleichheit der Menschen in einer parlamentarischen Demokratie realisiert werden kann, negieren Rechtsextremisten das in Artikel 3 GG postulierte Gleichheitsprinzip grundsätzlich. Linksextremisten hingegen verabsolutieren das Gleichheitspostulat und schränken damit die universelle Gültigkeit der Freiheitsund Individualrechte ein. Trotz dieser Unterschiede lassen sich phänomenübergreifende Gemeinsamkeiten feststellen, wie sie für den modernen politischen Extremismus typisch sind: Extremisten verfügen über ein geschlossenes Weltbild, das weder reflektiert noch fortentwickelt wird. In ihrem quasi-religiösen Politikverständnis glauben sie, unfehlbar im Besitz der absoluten Wahrheit zu sein. Aus diesem Absolutheitsanspruch heraus entwickeln sie ein Freund-Feind-Raster, das die Welt holzschnittartig in Gut und Böse einteilt und keine Differenzierung zulässt, um die als "Feinde" Gebrandmarkten kompromisslos zu bekämpfen. Nicht der Einzelne, sondern die Gemeinschaft steht im Mittelpunkt. Individuelle Freiheitsrechte werden den Interessen des Kollektivs untergeordnet. Extremisten haben ein Bild vom Menschen, wonach nicht alle Menschen über die gleiche Würde verfügen (Artikel 1 GG). Es gilt das Primat der Ideologie, die mit Politik gleichgesetzt wird. Aus diesem Verständnis von Politik als einer alle Lebensbereiche regelnden Weltanschauung lehnen Extremisten den demokratischen Pluralismus ab. Zu demokratischen Prinzipien wie Meinungs-, Presseund Parteienvielfalt haben sie lediglich ein taktisches Verhältnis. Ihr gemeinsames Ziel ist die Überwindung der bestehenden, von Individualrechten geprägten Ordnung. Dahinter steht zumeist das Streben nach Sicherheit und nach Überschaubarkeit der Welt, in der der Mensch nicht länger vereinzelt ist. Extremismus ist auch eine zum Teil mit messianischem Eifer vertretene Reaktion auf die Komplexität moderner westlicher Gesellschaften. In diesem Weltbild wird die Gegenwart als desolat empfunden oder diffamiert, um die extremistische Alternative unter Leitung eines "Führers", einer "Partei" oder eines "religiösen Wächterrates" als einzigen Ausweg erscheinen zu lassen. Wer sich aus Sicht der Extremisten dagegen stellt, hat keinen Anspruch auf Toleranz, sondern muss bekämpft werden - nach Auffassung gewaltbereiter Extremisten notfalls auch mit Gewalt. 1.2 Gesetzliche Grundlagen Die Aufgaben und Befugnisse des Niedersächsischen Verfassungsschutzes sind gesetzlich festgelegt. Neben bundesgesetzlichen Vorschriften, welche im Wesentlichen die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes und die Befugnisse des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) regeln, bestehen in allen Bundesländern eigene Verfassungsschutzgesetze. In Niedersachsen regelt das im Anhang abgedruckte Gesetz über den Verfassungsschutz im Land Niedersachsen in der Fassung vom 06.05.2009 (Niedersächsisches Verfassungsschutzgesetz - NVerfSchG), zuletzt geän- 9 dert durch Art. 2 des Gesetzes vom 19.06.2013, die Aufgaben und Befugnisse der niedersächsischen Verfassungsschutzbehörde. 1.3 Hauptaufgaben des Verfassungsschutzes Hauptaufgabe des Verfassungsschutzes ist nach SS 3 NVerfSchG die Sammlung und Auswertung von Informationen, insbesondere von sachund personenbezogenen Auskünften, Nachrichten und Unterlagen über Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziel haben, sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten in der Bundesrepublik Deutschland für eine fremde Macht, Bestrebungen in der Bundesrepublik Deutschland, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, Bestrebungen, die gegen den Gedanken der Völkerverständigung (Artikel 9 Abs. 2 GG) oder gegen das friedliche Zusammenleben der Völker (Artikel 26 Abs. 1 GG) gerichtet sind. Zu den Kernaufgaben gehört auch die Information und Aufklärung der Öffentlichkeit über extremistische Bestrebungen. 1.4 Organisation Im Niedersächsischen Verfassungsschutzgesetz ist auch geregelt, dass die Verfassungsschutzbehörde in Niedersachsen das Niedersächsische Ministerium für Inneres und Sport ist (SS 2 Abs. 1 NVerfSchG). Das Ministerium unterhält eine gesonderte Abteilung (Verfassungsschutzabteilung), welche allein die der Verfassungsschutzbehörde nach dem Verfassungsschutzgesetz und anderen Rechtsvorschriften obliegenden Aufgaben wahrnimmt. Diese Abteilung wird durch eine Verfassungsschutzpräsidentin oder einen Verfassungsschutzpräsidenten geleitet. 10 1.5 Reformprozess 1.5.1 Reformprozess im Verfassungsschutzverbund Das Versagen der Sicherheitsbehörden auf Bundesund Länderebene bei den Ermittlungen gegen die rechtsextremistische Terrorzelle Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) hat das Vertrauen in den Rechtsstaat empfindlich gestört. Vor dem Hintergrund beschlossen die Innenminister und -senatoren der Länder auf ihrer Konferenz im Dezember 2012 die Neuausrichtung des Verfassungsschutzes im Verbund. Im Laufe des Jahres 2013 wurden auf Gremienebene unter Berücksichtigung der Empfehlungen der Bund-Länder-Expertenkommission Rechtsterrorismus und des 2. Parlamentarischen Untersuchungsausschusses für den Verfassungsschutzverbund Handlungsempfehlungen erarbeitet und durch die Innenminister und -senatoren der Länder auf ihrer Konferenz im Dezember 2013 zur Umsetzung an die Länder und den Bund freigegeben. Ein wichtiger Bestandteil der Empfehlungen ist die Intensivierung der Zusammenarbeit im Verfassungsschutzverbund durch eine umfassende gegenseitige Informationspflicht und die Stärkung der Zentralstellenfunktion des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV). Ferner werden Verfahren festgeschrieben, wie die Erkenntnisse der Polizei und des Verfassungsschutzes frühzeitig zusammengeführt werden können. Weiterhin werden Vorschläge unterbreitet, die zu einer Verstärkung der Präventionsund Öffentlichkeitsarbeit des Verfassungsschutzes durch erweiterte Formen des Informationsund Beratungsangebotes ("Verfassungsschutz als Informationsdienstleister"), zu einer engeren Kooperation mit wissenschaftlichen Einrichtungen und zu einer engeren Vernetzung sowohl mit anderen Behörden und Einrichtungen als auch mit zivilgesellschaftlichen Akteuren ("Verfassungsschutz als Partner in der Mitte der Gesellschaft") führen sollen. Im Themenfeld Personal ist das Konzept einer modularen Zusatzausbildung für die neuen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit abgeschlossener Berufsausbildung erarbeitet worden. Ebenso werden Eckpunkte für die Durchführung von Hospitationen und Personaltauschmaßnahmen bestimmt, die in dem spezifischen Aufgabenbereich der Verfassungsschutzbehörden zur erforderlichen Standardisierung der Ausbildung und zur fortlaufenden Qualifizierung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beitragen. Auch der Einsatz von Vertrauenspersonen (VP) wird zur Optimierung und Vereinheitlichung standardisiert. Verbindliche Festlegung von gemeinsamen Regelungen und Ausschlusskriterien für die Werbung und den Einsatz von VP im Verfassungsschutz werden in Gesetzen und / oder in Dienstvorschriften der Länder und des Bundes aufgenommen. Eine zentrale VP-Datei wird beim BfV eingerichtet, um künftig einen besseren Überblick über die Zugangslage bei dem jeweiligen Beobachtungsobjekt und eine Dokumentation über den Einsatz von VP im Verfassungsschutzverbund zu erhalten. Des Weiteren liegen konkrete Vorschläge für eine verstärkte Koordination der Internetaufklärung und Ausgestaltung der Internetnutzung durch die Verfassungsschutzbehörden vor. 11 Darin enthalten sind Maßnahmen wie die Einrichtung einer zentralen Indexdatenbank und einer gemeinsamen Mediendatei. Der Kernpunkt ist die Einrichtung eines Kompetenzzentrums für operative Sicherheit im Internet beim BfV. 1.5.2 Arbeitsgruppe zur Reform des Niedersächsischen Verfassungsschutzes Um die aus der Aufarbeitung des NSU-Komplexes gewonnenen Rückschlüsse auch für eine Neuausrichtung und die notwendigen Reform des Niedersächsischen Verfassungsschutzes zu nutzen, setzte Innenminister Pistorius am 04.09.2013 eine aus externen Expertinnen und Experten bestehende Arbeitsgruppe zur Reform des Niedersächsischen Verfassungsschutzes ein. Auf der Basis einer eingehenden Analyse der Ausgangssituation widmete sich die Arbeitsgruppe folgenden Kernthemen: Zusammenarbeit des Verfassungsschutzes mit anderen Sicherheitsbehörden, Einsatz von VP, Personelle Ausstattung und Organisation und Anpassungsbedarf rechtlicher Grundlagen und Rahmenbedingungen. Bei der Erarbeitung der konkreten Handlungsempfehlungen wurde allen im Landtag vertretenen Parteien die Möglichkeit gegeben, ihre Vorschläge zur Reform des Niedersächsischen Verfassungsschutzes einzubringen. Der Abschlussbericht mit Empfehlungen wurde dem Innenminister am 24.04.2014 vorgelegt und veröffentlicht. Nach sorgfältiger Analyse der Handlungsempfehlungen wird ein daraufhin vom Innenministerium erstellter Gesetzentwurf zur Novellierung des Niedersächsischen Verfassungsschutzgesetzes eingebracht. Eine Diskussion in den Ausschüssen sowie im Plenum des Niedersächsischen Landtages wird sich daran anschließen. 1.6 Informationsgewinnung Der niedersächsische Verfassungsschutz gewinnt die zur Erfüllung seiner Aufgaben relevanten Informationen überwiegend aus offen zugänglichen Quellen, die grundsätzlich jedem Bürger auch zur Verfügung stehen, wie z. B. aus dem Internet, aus Zeitungen, Zeitschriften, Flugblättern, Programmen und Broschüren. Darüber hinaus können - im Rahmen gesetzlich festgelegter Befugnisse und unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit - nachrichtendienstliche Mittel zur Informationsbeschaffung eingesetzt werden. Nach SS 6 NVerfSchG darf der Verfassungsschutz zur Beschaffung der erforderlichen Informationen die hier abschließend aufgeführten nachrichtendienstlichen Mittel einsetzen, soweit dies für die Erkenntnisgewinnung unverzichtbar ist. Dazu gehören z. B. der Einsatz von verdeckt arbeitenden Vertrauenspersonen (VP), Observationen, verdeckte Bildund Tonaufzeichnungen und sonstige verdeckte Ermittlungen und Befragungen. Die näheren Voraussetzungen für den Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel sind in den SSSS 6 bis 6 d NVerfSchG geregelt. 12 Von den nachrichtendienstlichen Mitteln wurden im Berichtszeitraum im Wesentlichen VP, verdeckte Bildaufzeichnungen, verdeckte Ermittlungen und Befragungen sowie zeitlich befristete Observationen eingesetzt. Eingriffe in das Brief-, Postund Fernmeldegeheimnis sind wegen der besonderen Bedeutung des Eingriffs in das Grundrecht des Artikels 10 GG (Brief-, Postund Fernmeldegeheimnis) nur unter besonders hohen Voraussetzungen und unter Beachtung strenger Verfahrensvorschriften möglich, die im Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses (Artikel 10-Gesetz - G 10) geregelt sind. So muss die Maßnahme durch den Niedersächsischen Innenminister oder seine Vertreterin oder seinen Vertreter angeordnet werden und bedarf vor ihrer Durchführung einer Zustimmung der G 10-Kommission des Niedersächsischen Landtages. Die Anzahl der G 10-Maßnahmen lag im Berichtszeitraum im einstelligen Bereich. 1.7 Keine polizeilichen Befugnisse Der Verfassungsschutzbehörde stehen bei der Erfüllung ihrer Aufgaben keine polizeilichen Befugnisse zu, d. h. sie darf insbesondere niemanden festnehmen, keine Durchsuchungen durchführen und keine Gegenstände beschlagnahmen (SS 5 Abs. 4 NVerfSchG). 1.8 Kontrolle Die Tätigkeit der niedersächsischen Verfassungsschutzbehörde unterliegt einer vielfältigen Kontrolle. Dazu gehören innerbehördliche Maßnahmen, wie z. B. Kontrollen durch den internen behördlichen Datenschutzbeauftragten und externe Kontrollen durch den Niedersächsischen Datenschutzbeauftragten, dem ebenfalls umfangreiche Kontrollbefugnisse obliegen. Die parlamentarische Kontrolle, durch den Ausschuss für Angelegenheiten des Verfassungsschutzes ausgeübt, erfolgt unbeschadet der Rechte des gesamten Landtages und seiner sonstigen Ausschüsse nach SS 23 NVerfSchG. Das Niedersächsische Ministerium für Inneres und Sport ist nach SS 25 NVerfSchG verpflichtet, diesen Ausschuss umfassend über seine Tätigkeit als Verfassungsschutzbehörde im Allgemeinen sowie über Vorgänge von besonderer Bedeutung zu unterrichten. Bei Eingriffen in das Brief-, Postund Fernmeldegeheimnis entscheidet die G 10-Kommission des Landtages. Schließlich sind wie bei allen anderen Behörden auch, Einzelmaßnahmen des Verfassungsschutzes gerichtlich nachprüfbar. 1.9 Verfassungsschutz als Nachrichtendienst Die Verfassungsschutzbehörden verstehen sich als Nachrichtendienste (ND). Sie sind ge13 setzlich auf die Beschaffung und Auswertung von Informationen beschränkt. Im Gegensatz zu Geheimdiensten unterliegen sie der Kontrolle durch unabhängige Instanzen und unterrichten die Öffentlichkeit über wesentliche Ergebnisse ihrer Arbeit. Als Geheimdienste hingegen werden staatliche Organisationen fremder Mächte verstanden, die nicht nur politisch, wirtschaftlich, wissenschaftlich oder militärisch bedeutsame Nachrichten beschaffen und für ihre Auftraggeber auswerten, sondern auch aktive Handlungen zur Störung oder Beeinflussung "politischer Gegner" im Inund Ausland vornehmen. Dabei streben sie ein Höchstmaß an Geheimhaltung an. 1.10 Beschäftigte Der vom Landtag verabschiedete Haushaltsplan bestimmt durch die Ausbringung von Stellen, durch die Festlegung von Rahmenbedingungen für die Personal-Gesamtkosten (Personalkostenbudgetierung) sowie durch das Beschäftigungsvolumen, in welchem Umfang der Verfassungsschutz Personal beschäftigen darf. Zu Beginn des Haushaltsjahres 2013 waren dort Stellen für 225 Beamtinnen und Beamte (2012: 225) ausgebracht. Darüber hinaus ermöglicht das Personalkostenbudget für das Haushaltsjahr 2013 die Finanzierung von zurzeit weiteren 59 Tarifbeschäftigten (2012: 59). Eckpunkt für den tatsächlichen Gesamtpersonalbestand des Verfassungsschutzes (in Vollzeitund Teilzeitbeschäftigung) ist das im Haushaltsplan festgelegte Beschäftigungsvolumen. Es betrug zu Beginn des Haushaltsjahres 2013 wie auch im Haushaltsjahr 2012 insgesamt 269,97 Vollzeiteinheiten. 1.11 Haushalt Im Haushalt der niedersächsischen Verfassungsschutzbehörde waren im Haushaltsjahr 2013 für Personalausgaben 13.486.000 Euro (2012: 13.422.000 Euro) und für Sachausgaben 4.117.000 Euro (2012: 4.117.000 Euro) veranschlagt. Damit ergab sich ein Ausgabevolumen von 17.603.000 Euro. 1.12 Mitwirkungsaufgaben des Verfassungsschutzes Zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und der Sicherheit des Bundes und der Länder nimmt der Verfassungsschutz neben seinem Beobachtungsund Aufklärungsauftrag auch gesetzlich geregelte Mitwirkungspflichten gegenüber anderen Behörden wahr (SS 1 Satz 2 Nr. 3 NVerfSchG). Im Rahmen dieser Mitwirkung wird geprüft, ob den Verfassungsschutzbehörden zu bestimmten, von den anfragenden Behörden näher bezeichneten Personen Erkenntnisse vorliegen, die bei den Entscheidungen der anfragenden Behörden eine sicherheitsbezogene Relevanz aufweisen. Im Jahr 2013 wurden mehr als 40.700 (2012: 38.225) solcher Mitwirkungsanfragen über14 prüft. Die anfragestärksten Prüfungsbereiche werden statistisch erfasst. Hier sind insbesondere zu nennen: Beteiligungen bei Aufenthaltstiteln (17.018 Anfragen), Beteiligungen bei Einbürgerungen (9.970), Zuverlässigkeitsüberprüfungen nach dem Atomgesetz (9.109), Zuverlässigkeitsüberprüfungen nach dem Luftsicherheitsgesetz (3.142), Zuverlässigkeitsüberprüfungen nach dem Sprengstoffgesetz (916) und Zuverlässigkeitsprüfungen für Dolmetscher des LKA (562). Zu den Mitwirkungsaufgaben des Verfassungsschutzes zählen des Weiteren Einzelanfragen nach dem Waffengesetz, Häftlingshilfegesetz, Ordensgesetz, Hafensicherheitsgesetz, Bundesvertriebenengesetz, der Bewachungsverordnung und der Überfallund Einbruchmelderichtlinie. Die Gesamtzahl der Anfragen lag im Jahr 2013 ca. 7 Prozent über dem Vorjahreswert. Die Überprüfungen der Personen durch den Verfassungsschutz werden seit dem Jahr 2011 zunehmend mit Hilfe eines automatisierten Verfahrens abgewickelt. Dieses findet bereits Anwendung in den Bereichen Aufenthaltsrecht, Luftsicherheitsrecht, Atomrecht und Dolmetscherüberprüfungen. Die automatisierten Anfragen wurden im Jahr 2013 bei den Zuverlässigkeitsüberprüfungen im Bereich des Atomgesetzes eingeführt. Insgesamt wurden im Jahr 2013 bereits mehr als die Hälfte aller Anfragen auf diese Weise bearbeitet. Die Nutzung des Verfahrens in allen Bereichen wird angestrebt. 1.13 Gemeinsames Informationsund Analysezentrum Polizei und Verfassungsschutz Niedersachsen (GIAZ - Niedersachsen) Das seit dem 10.01.2005 eingerichtete "Gemeinsame Informationsund Analysezentrum Polizei und Verfassungsschutz Niedersachsen" (GIAZ - Niedersachsen) stellt einen Baustein innerhalb der Sicherheitsarchitektur des Landes Niedersachsen dar, mit dem die Zusammenarbeit in den wichtigsten Bereichen der Extremismusund Terrorismusbekämpfung optimiert wurde. Der schnelle Austausch ist entscheidende Voraussetzungen für die effektive Beobachtung und Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus. Zu den Aufgaben des GIAZ - Niedersachsen gehören die Zusammenführung, Analyse und Bewertung von polizeilichen und nachrichtendienstlichen Informationen aus den Themenfeldern Internationaler Terrorismus und Extremismus, soweit er den internationalen Terrorismus unterstützt, insbesondere islamistischer Extremismus, Rechtsextremismus und 15 Linksextremismus. Niedersachsen hat frühzeitig erkannt, dass für eine umfassende und vollständige Analyse die themenbezogenen Informationen von Polizei und Verfassungsschutz zusammengefasst werden müssen. Mit diesem wichtigen Instrument der Terrorund Extremismusbekämpfung wird auch weiterhin, unter Beachtung des Trennungsgebotes und der einschlägigen Datenübermittlungsvorschriften, ein Informationsaustausch zwischen Polizei und Verfassungsschutz gewährleistet. 1.14 Informationsverarbeitung Der Verfassungsschutz Niedersachsen ist - wie die anderen Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder auch - gesetzlich befugt, die zur Aufgabenerfüllung erforderlichen personenbezogenen Daten zu erheben und in Akten und Dateien zu speichern. Das NVerfSchG und detaillierte Dienstvorschriften schreiben bestimmte Speicherungsvoraussetzungen sowie Regelungen zur Sperrung und Löschung der Daten vor. Deren Beachtung unterliegt insbesondere der Kontrolle durch den Landesbeauftragten für den Datenschutz (LfD) und den im Verfassungsschutz bestellten behördlichen Datenschutzbeauftragten. Aufgrund der in Artikel 73 Nr. 10 GG und im Bundesverfassungsschutzgesetz (BVerfSchG) normierten Verpflichtung zur Zusammenarbeit und gegenseitigen Unterrichtung unterhalten alle Verfassungsschutzbehörden gemäß SS 6 BVerfSchG eine gemeinsame beim Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) eingerichtete Datenbank, das Nachrichtendienstliche Informationssystem (NADIS). Alle teilnehmenden Behörden dürfen dort nach Maßgabe der jeweiligen eigenen rechtlichen Befugnisse personenbezogene Daten speichern sowie auf den gesamten NADIS-Datenbestand zugreifen und Daten abrufen. Die gemeinsame Datenbank von Bund und Ländern, NADIS, ist ein Aktenfundstellensystem, in dem nur der Name der gespeicherten Person, die zu ihrer Identifizierung erforderlichen Merkmale wie z. B. Wohnanschrift, Staatsangehörigkeit, Kraftfahrzeug sowie die speichernde Behörde und deren nach einem einheitlichen Aktenplan vergebenen Aktenzeichen enthalten sind. Nicht gespeichert ist der Inhalt der jeweiligen Information, die Anlass zur Vergabe des Aktenzeichens gewesen ist. Benötigt eine Verfassungsschutzbehörde zur eigenen Aufgabenerfüllung die Informationen einer anderen Verfassungsschutzbehörde über eine gespeicherte Person, so fragt sie in der Regel auf elektronischem Wege bei ihr an. Der Informationsübermittlung ist eine Relevanzprüfung durch die speichernde Stelle vorgeschaltet. Bedeutsam ist, dass sich die im NADIS gespeicherten personenbezogenen Daten nur teilweise auf Personen beziehen, die verfassungsfeindliche, sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Aktivitäten (vgl. SS 3 Abs. 1 NVerfSchG) entfaltet haben. Im NADIS werden auch Angaben zu Personen erfasst, bei denen eine Sicherheitsüberprüfung mit dem Ergebnis einer Ermächtigung zum Umgang mit Verschlusssachen durchgeführt wurde oder die als Zielpersonen terroristischer oder geheimdienstlicher Aktivitäten gelten. Vom Niedersächsischen Verfassungsschutz waren am 31.12.2013 folgende personenbezo16 gene NADIS-Speicherungen veranlasst (Vorjahreszahlen in Klammern): im Zusammenhang mit Sicherheitsüberprüfungen und Mitwirkungsaufgaben 65.656 (51.495), im Zusammenhang mit originären Aufgaben des Verfassungsschutzes im Bereich Extremismus, Terrorismus, Spionageabwehr 9.082 (11.750)1. 1.15 Auskunftsersuchen von Bürgerinnen und Bürgern Im Jahr 2013 wurden 218 Auskunftsersuchen (2012: 275) gemäß SS 13 NVerfSchG beantwortet. In 195 Fällen hatte der Verfassungsschutz keine Erkenntnisse gespeichert. Drei Anfragenden wurde der der Erfassung zugrunde liegende Sachverhalt uneingeschränkt mitgeteilt. In 19 Fällen wurde den Auskunftssuchenden der ihrer Erfassung zugrunde liegende Sachverhalt eingeschränkt mitgeteilt und im Übrigen gemäß SS 13 Abs. 3 NVerfSchG an den LfD verwiesen. In einem Fall konnten die vorliegenden Erkenntnisse nicht mitgeteilt werden. Auch in diesem Fall wurde an den LfD verwiesen. 1.16 Presseund Öffentlichkeitsarbeit und Prävention Unsere freiheitliche Verfassung zu schützen bedeutet nicht nur, extremistische Aktivitäten zu beobachten, sondern auch die Öffentlichkeit darüber zu informieren, so dass extremistische Ideologien von den Bürgerinnen und Bürgern als verfassungsfeindlich erkannt werden können. Diese Information ist eine gesetzliche Aufgabe: Gemäß SS 3 Abs. 4 NVerfSchG klärt die Verfassungsschutzbehörde die Öffentlichkeit auf der Grundlage ihrer Auswertungsergebnisse durch zusammenfassende Berichte und andere Maßnahmen über verfassungsfeindliche Bestrebungen und sicherheitsgefährdende bzw. geheimdienstliche Tätigkeiten auf. Zu den zusammenfassenden Berichten zählt insbesondere der jährliche Niedersächsische Verfassungsschutzbericht. Mit seinen Analysen und Bewertungen hilft der Verfassungsschutz zu verhindern, dass extremistische Aussagen bei der Bevölkerung auf fruchtbaren Boden treffen. Die Aufklärung über Extremismus soll die Bürgerinnen und Bürger in die Lage versetzen, sich selbst für die Demokratie einzusetzen. Künftig werden die Aufgaben, die in den Bereich der politischen Bildung fallen, nicht mehr vom Verfassungsschutz wahrgenommen. Der Verfassungsschutz entwickelt keine eigenen Konzepte zur politischen Bildung, sondern stellt sein Fachwissen anderen zur Verfügung. Die Kernaufgaben der Presseund Öffentlichkeitsarbeit sowie der Prävention werden in den Organisationsbereichen Presseund Öffentlichkeitsarbeit sowie dem neu eingerichteten fachübergreifend arbeitenden Bereich der Prävention des Niedersächsischen Verfassungsschutzes koordiniert. Dort werden der Öffentlichkeit u. a. Informationen über 1 Bis einschließlich 2012 wurden die Zahlenwerte der Speicherungen für Extremismus, Terrorismus und Spionageabwehr aus dem Nachrichtendienstlichen Informationssystem (NADIS) ermittelt. Diese enthalten Mehrfachzählungen. Ab 2013 werden ausschließlich die Speicherungen aus der niedersächsischen Amtsdatei zu Grunde gelegt (ohne Mehrfachzählungen). 17 Rechtsextremismus, Linksextremismus, Extremismus mit Auslandsbezug, insbesondere Islamismus und Präventionsmaßnahmen angeboten. Der Niedersächsische Verfassungsschutz wird sich im Rahmen seiner Öffentlichkeitsarbeit auf die Vermittlung von Informationen über die Gefahren des Extremismus konzentrieren und insoweit mit dieser Aufklärungsarbeit einen wichtigen Baustein der Bekämpfung des Extremismus im Sinne der Prävention liefern. Mit seinen fundierten fachlichen Expertisen stellt sich der Verfassungsschutz Niedersachsen anderen Akteuren als Kooperationspartner zur Verfügung. Die gesammelten Informationen des Verfassungsschutzes werden ausgewertet, analysiert und dokumentiert. Sie stehen dem Bereich Presseund Öffentlichkeitsarbeit als Grundlage für die Aufklärungsarbeit zur Verfügung. Diese Aufgaben können nur in der engen Kooperation mit anderen staatlichen Einrichtungen, aber auch gesellschaftlichen Organisationen und Partnern durchgeführt werden. Es geht darum, Kompetenzen zusammenzuführen. Der Verfassungsschutz ist eingebunden in das Beratungsnetzwerk des Niedersächsischen Landespräventionsrates (LPR). Der LPR koordiniert Experten aus unterschiedlichen Bereichen zum Thema Rechtsextremismus und kann "Mobile Interventionsteams" (MIT) zusammenstellen, an denen auch der Verfassungsschutz beteiligt ist. Auch mit der Arbeitsstelle Rechtsextremismus und Gewalt (ARUG) in Braunschweig, dem Demokratiezentrum Wolfsburg, dem Landessportbund und dem Landesfeuerwehrverband Niedersachsen sowie kirchlichen Einrichtungen besteht eine enge Zusammenarbeit. 1.16.1 Presseund Bürgerkontakt Der Bereich Presseund Öffentlichkeitsarbeit ist Ansprechpartner für die Presse in allen Fragen zum Extremismus. Die Bürgerund Presseanfragen an die Verfassungsschutzbehörde spiegeln thematisch alle Arbeitsfelder des Verfassungsschutzes wider. Dabei wird häufig eine Einschätzung erbeten, ob beschriebene Phänomene als extremistisch zu werten sind. 1.16.2 Vortragsund Informationsveranstaltungen Im Bereich der Presseund Öffentlichkeitsarbeit sowie im Arbeitsbereich Prävention sind erfahrene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Auseinandersetzung mit Extremismus tätig. Sie können zu allen Themen des Extremismus als Referenten eingeladen werden, z. B. von Schulen und anderen Bildungseinrichtungen, Kommunen, Vereinen, Parteien. Ebenso können Projekttage, Seminare und Workshops fachlich begleitet werden. Auch 2013 wurde dieses Angebot genutzt. Vor allem Vorträge und Informationen zum Rechtsextremismus wurden nachgefragt, zunehmend aber auch zu den Themen Islamismus und Linksextremismus. 2013 wurden in über 50 Vortragsveranstaltungen rund 5.000 Personen erreicht. 18 Mehrfach besuchten auch Gruppen das Dienstgebäude des Verfassungsschutzes, um sich über die Arbeit der Behörde zu informieren. 1.16.3 Ausstellung "Gemeinsam gegen Rechtsextremismus" Ein wesentliches Element der Präventionsarbeit des Verfassungsschutzes ist die im Jahr 2013 grundlegend überarbeitete und neu konzipierte Wanderausstellung "Gemeinsam gegen Rechtsextremismus", die am 07.11.2013 in Hannover eröffnet wurde. Die Ausstellung stellt die Inhalte in einem neuen Rahmen dar und vermittelt grundlegende Informationen über rechtsextremistische Erscheinungsformen und Werbemethoden. Sie gibt insbesondere Einblicke in die rechtsextremistische Jugendszene. Im Mittelpunkt der Ausstellung stehen multimediale Beispiele rechtsextremistischer Musik und der Internetaktivitäten und -propaganda von Rechtsextremisten. Für Schulklassen und andere Gruppen werden fachkundige Führungen von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Niedersächsischen Verfassungsschutzes angeboten. Die Wanderausstellung, die zuvor unter dem Titel "Unsere Demokratie schützen - Verfassungsschutz gegen Extremismus" präsentiert wurde, konnte seit ihrem Beginn im Jahr 2005 in mittlerweile 64 Orten Niedersachsens und angrenzenden Bundesländern in über 1.000 Führungen etwa 40.000 Schülerinnen und Schüler und andere Gruppen erreichen. 1.16.4 Beratung von Kommunen In Kommunen entsteht oft die Frage, wie man vor allem rechtsextremistischen Aktivitäten vor Ort begegnen kann. Hier bietet die im Jahr 2004 bestellte beauftragte Person für Immobiliengeschäfte mit rechtsextremistischem Hintergrund eine auf die jeweilige lokale Situation angepasste Information und Beratung an. In Informationsgesprächen werden Möglichkeiten der Prävention und des Umgangs mit Rechtsextremisten aufgezeigt (s. Kapitel 2.12 Immobiliengeschäfte mit rechtsextremistischem Hintergrund). 1.16.5 Symposien Bereits seit 2006 werden vom Niedersächsischen Verfassungsschutz öffentliche Symposien zum Thema Extremismus veranstaltet, an denen anerkannte Experten teilnehmen und aus unterschiedlichen Blickwinkeln Fragen diskutieren. Die Inhalte werden jeweils in einem Tagungsband zusammengefasst. In Form einer regelmäßigen Reihe erreichen diese Tagungen seit 2009 unter dem Namen "Extremismus-Symposium" eine große Öffentlichkeit. Das 1. Extremismus-Symposium unter dem Titel "Linksextremismus - Die unterschätzte Gefahr?" wurde im Mai 2009 in Hannover durchgeführt. In weiteren sechs Veranstaltungen wurde darüber hinaus u. a. zu den Themen Rechtsextremismus, Islamismus, Salafismus, Spionage/Cyberangriffe und Politische Gewalt im Internet-Zeitalter informiert. Am 12.06.2013 fand bereits das 7. Symposium unter dem Titel "Rechtsextremismus im Wandel" statt. 19 1.16.6 Programm "Sport und Feuerwehr mit Courage gegen Rechtsextremismus" Im Rahmen der im Jahr 2012 erstellten "Gesamtkonzeption des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport gegen Rechtsextremismus" wurden vom Niedersächsischen Verfassungsschutz gemeinsam mit dem Niedersächsischen Landessportbund (LSB) und dem Landesfeuerwehrverband Niedersachsen (LFV) Kooperationsvereinbarungen für die Jahre 2012 und 2013 getroffen, um das Engagement gegen Rechtsextremismus in den Sportvereinen und Freiwilligen Feuerwehren zu unterstützen und weiter zu entwickeln. Das Programm sieht u. a. vor, Multiplikatoren zu qualifizieren, die vor Ort über die Gefahren des Rechtsextremismus aufklären und in den Vereinen und Verbänden entsprechende Projekte initiieren können. Dem LSB und dem LFV steht jeweils ein Expertengremium aus ehrenamtlichen örtlichen Akteuren, Vertretern der Verbände und des Verfassungsschutzes beratend zur Seite. Zur Umsetzung des Programms hat die niedersächsische Landesregierung in den Jahren 2012 und 2013 jährlich 100.000 Euro für den LSB und den LFV zur Verfügung gestellt. 1.16.7 Informationsmaterialien Über die Öffentlichkeitsarbeit des Niedersächsischen Verfassungsschutzes können Broschüren und andere Informationsmaterialien zum Extremismus bestellt werden, wie z. B. jährlicher Verfassungsschutzbericht, der einen detaillierten Überblick über extremistische Entwicklungen in Niedersachsen gibt, Tagungsdokumentationen der Extremismussymposien zu den Themen Rechtsund Linksextremismus sowie zum Islamismus und Faltblätter zu einzelnen Angeboten. 1.16.8 Kontaktdaten Für Wünsche zu Vortragsund Informationsveranstaltungen sowie inhaltliche Fragen zum Thema Extremismus steht der Bereich der Presseund Öffentlichkeitsarbeit beim Verfassungsschutz unter folgenden Kontaktdaten zur Verfügung: Telefon: 0511/6709-217 Telefax: 0511/6709-394 E-Mail: oeffentlichkeitsarbeit@verfassungsschutz.niedersachsen.de Informationen zur Wanderausstellung "Gemeinsam gegen Rechtsextremismus", wie aktuelle Ausstellungsorte, Termine für Führungen, Voraussetzungen für die Präsentation etc., erhalten Sie ebenfalls unter der o. a. Telefonnummer oder E-Mail-Adresse. Der Niedersächsische Verfassungsschutz informiert zudem umfassend unter der Adresse www.verfassungsschutz.niedersachsen.de über Aufgaben und Befugnisse des Verfassungsschutzes und aktuelle Entwicklungen des 20 politischen Extremismus sowie der Spionageabwehr mit der Schwerpunktsetzung auf Niedersachsen. Insbesondere in der Rubrik "Aktuelle Meldungen" und "Termine" werden zeitnah Berichte und Analysen veröffentlicht und Veranstaltungen des Niedersächsischen Verfassungsschutzes angekündigt. Auch auf den Internet-Seiten des Ministeriums für Inneres und Sport www.mi.niedersachsen.de (Service \ Publikationen) sind die Verfassungsschutzberichte der letzten Jahre sowie die Broschüren des Verfassungsschutzes veröffentlicht. 1.17 Aktion Neustart Im November 2010 rief der Niedersächsische Verfassungsschutz das Aussteigerprogramm "Aktion Neustart" ins Leben. Ziel des Aussteigerprogramms ist es, ausstiegswillige Rechtsextremisten bei einem sicheren und nachhaltigen Ausstieg zu unterstützen. Außerdem berät "Aktion Neustart" Hilfesuchende aus dem sozialen Umfeld von Rechtsextremisten, beispielsweise Eltern, Lehrer, Arbeitgeber. Darüber hinaus spricht "Aktion Neustart" eigeninitiativ proaktiv Rechtsextremisten an, um sie für die Möglichkeit des Szene-Ausstiegs zu sensibilisieren. Das Aussteigerprogramm richtet sich an Sympathisanten, Mitläufer und Aktivisten, an junge Szeneeinsteiger, aber auch an langjährige Mitglieder der rechtsextremistischen Szene. Im Ausstiegsprozess sollen Einstiegsmotive und rechtsextremistische Einstellungsmuster geklärt und aufgelöst werden. Neben der gemeinsamen Bearbeitung der individuellen Problemlagen wird eine persönliche Gefährdungsanalyse erarbeitet. Hierfür kooperiert "Aktion Neustart" situativ mit staatlichen und zivilgesellschaftlichen Institutionen. Mit der Betreuungsarbeit soll erreicht werden, dass sich die Aussteiger anschließend wieder zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung und zu den Grundund Menschenrechten bekennen. In der Arbeit mit Szene-Aussteigern wurde deutlich, dass die rechtsextremistische Szene den Menschen vermeintlich einfache Lösungsschemata bietet, mit denen sie eigene Defizite oberflächlich kompensieren. Die Anerkennung in der Gruppe, die Steigerung des Selbstwertgefühls und die Erlebnisorientierung sind fundamentale Motive für einen Einstieg in die rechtsextremistische Szene. Mit der Übernahme einer "Szene-Identität" rücken persönliche Probleme in den Hintergrund. Zudem sind das Internet und insbesondere soziale Netzwerke heutzutage ein leichter Weg, ohne wirksame soziale Kontrolle erste Kontakte zu knüpfen und rechtsextremistisches Gedankengut unreflektiert zu übernehmen. Mit Stand Ende 2013 konnte in 20 Fällen ein erfolgreicher Ausstieg aus der rechtsextremistischen Szene erreicht werden. Zudem wurden 31 Beratungsgespräche mit Eltern, Lehrern und Arbeitgebern geführt sowie 20 Rechtsextremisten proaktiv angesprochen. Ausstiegswillige und Hilfesuchende können rund um die Uhr vertraulich Kontakt zu "Aktion Neustart" aufnehmen: 21 Telefon: 0172/4444300 E-Mail: aktion.neustart@verfassungsschutz.niedersachsen.de 1.18 Anmerkungen zum Inhalt des Verfassungsschutzberichtes 1.18.1 Umfang der Berichterstattung Im folgenden Bericht wird ausschließlich über solche Bestrebungen berichtet, bei denen die vorliegenden tatsächlichen Anhaltspunkte eine Bewertung als extremistisch rechtfertigen. Über Bestrebungen, bei denen aufgrund der vorliegenden tatsächlichen Anhaltspunkte vorerst der Verdacht besteht, extremistisch zu sein, wird nicht berichtet. 1.18.2 Hinweis zur Rechtschreibung Im Bericht wird die deutsche Rechtschreibung entsprechend der aktuell gültigen Auflage des Dudens verwendet. Sofern in Zitaten davon abgewichen wird, liegt es daran, dass die Originalschreibweise der dem Zitat zugrunde liegenden Quelle übernommen wurde. Daneben können in Zitaten auch Namen anders geschrieben sein, als im übrigen Bericht. Ein gesonderter Hinweis auf die Abweichung erfolgt jedoch nicht. 22 2. Rechtsextremismus 2.1 Mitglieder-Potenzial2 Rechtsextremismus-Potenzial Bundesrepublik Deutschland 2012 2013 Subkulturell geprägte Rechtsextremisten3 7.500 7.400 Neonazis4 6.000 5.800 Parteien5: 7.150 7.000 NPD 6.000 5.500 Die Rechte 150 500 Bürgerbewegung pro NRW e. V. (pro NRW)6 1.000 1.000 Sonstige Organisationen 2.500 2.500 Summe 23.150 22.700 Nach Abzug von Mehrfachmitgliedschaften7 22.150 21.700 davon gewaltbereite Rechtsextremisten8 9.600 9.600 2 Die Zahlenangaben sind zum Teil geschätzt und gerundet. 3 Berücksichtigt werden wie bisher rechtsextremistische Skinheads und Straftäter. Die meisten Szenezugehörigen sind nicht in Gruppen organisiert. In die Statistik sind nicht nur tatsächlich als Täter/Tatverdächtige festgestellte Personen einbezogen, sondern auch solche Rechtsextremisten, bei denen lediglich Anhaltspunkte für Gewaltbereitschaft gegeben sind. 4 Nach Abzug von Mehrfachmitgliedschaften innerhalb der Neonazi-Szene. Bei der Anzahl der Gruppen werden nur diejenigen neonazistischen Gruppierungen und diejenigen Kameradschaften erfasst, die ein gewisses Maß an Organisierung aufweisen. 5 Die Partei Deutsche Volksunion (DVU) hat sich Mitte 2012 endgültig aufgelöst. 6 Die Partei Bürgerbewegung pro NRW wird erstmals für das Jahr 2012 als erwiesene rechtsextremistische Bestrebung geführt. 7 Die Mehrfachmitgliedschaften im Bereich der Parteien und sonstigen rechtsextremistischen Organisationen wurden vom gesamten Personenpotenzial abgezogen. 8 Aufgrund des Wandels innerhalb der rechtsextremistischen Szene wird die Zahl der gewaltbereiten Rechtsextremisten seit 2010 gesondert ausgewiesen. 23 Rechtsextremismus-Potenzial Niedersachsen9 2012 2013 Subkulturell geprägte und sonstige gewaltbereite Rechtsextremisten 635 600 Neonazis10 420 345 Parteien: 470 485 NPD 470 450 Die Rechte11 35 Sonstige Organisationen 90 105 Summe 1.615 1.535 Nach Abzug von Mehrfachmitgliedschaften 1.585 1.455 davon gewaltbereite Rechtsextremisten12 920 920 9 Die für den Bund eingefügten Fußnoten 3 bis 8 gelten entsprechend auch für Niedersachsen. 10 Seit 2010 wird der gewaltbereite Anteil der Neonazis komplett mitgezählt. 11 Der niedersächsische Landesverband der Partei Die Rechte wurde im Februar 2013 gegründet. 12 In der Gesamtzahl sind auch gewaltbereite Neonazis und NPD-Mitglieder enthalten. 24 2.2 Politisch motivierte Kriminalität13 (PMK) mit extremistischem Hintergrund - rechts Die Politisch motivierte Kriminalität wird seit dem Jahr 2001 durch die Polizei auf Grundlage des durch einen Beschluss der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder eingeführten "Kriminalpolizeilichen Meldedienst in Fällen Politisch motivierter Kriminalität (KPMD-PMK)" erfasst, um eine bundeseinheitliche und differenzierte Auswertung und Lagedarstellung zu ermöglichen. Meldepflichtig sind alle politisch motivierten Straftaten (Fälle) gemäß den Richtlinien des KPMD-PMK. Dazu zählen "echte Staatsschutzdelikte" (SSSS 80-83, 84-86a, 87-91, 94-100a, 102104a, 105-108e, 109-109h, 129a, 129b, 234a, 241a StGB) sowie Delikte der allgemeinen Kriminalität, die gemäß Definitionssystem der PMK zuzuordnen sind ("unechte Staatsschutzdelikte"). Den letztgenannten werden Fälle zugeordnet, wenn in Würdigung der Umstände der Tat und/oder der Einstellung des Täters Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie nach verständiger Betrachtung politisch motiviert waren, ohne dass die Tat bereits die Außerkraftsetzung oder Abschaffung eines Elementes der freiheitlichen demokratischen Grundordnung (Extremismus) zum Ziel haben muss. Darüber hinaus werden zudem die Tatbestände der "echten Staatsschutzdelikte" erfasst, selbst wenn im Einzelfall keine politische Motivation festgestellt werden kann. Die extremistische Kriminalität, welche in den Berichten der Verfassungsschutzbehörden dargestellt wird, bildet einen Teilbereich der Politisch motivierten Kriminalität ab und umfasst Straftaten, bei denen tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind. Ebenfalls hinzugerechnet werden Straftaten, die durch Anwendung von Gewalt oder durch darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden oder sich gegen die Völkerverständigung richten. Im Rahmen des KPMD-PMK erfolgt unverzüglich bei Aufnahme der Ermittlungen durch die örtlichen zuständigen Dienststellen des zuständigen polizeilichen Staatsschutzes eine erste eigene Bewertung, ob eine Straftat einen extremistischen Hintergrund hat und welchem Phänomenbereich sie zuzuordnen ist. Hierbei orientiert sich die Bewertung am Extremismusbegriff der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder (vgl. SS 3 Absatz 1 NVerfSchG) sowie dazu vorhandener Rechtsprechung. Diese erste Einschätzung übermitteln die Staatsschutzdienststellen als "Kriminaltaktische Anfrage in Fällen Politisch motivierter Kriminalität (KTA-PMK)" unverzüglich dem Landeskriminalamt Niedersachsen. Soweit eine Straftat als "extremistisch" bewertet wird oder ein diesbezüglicher "Zweifelsfall" erkannt wird, ergeht die KTA-PMK auch an die Verfassungsschutzbehörde. Sofern sich im Verlauf des Verfahrens neue Erkenntnisse ergeben, nach denen die erste Einstufung zu revidieren ist sowie bei Abschluss der Ermittlungen und bei Abgabe an die Staatsanwaltschaft erhält die Verfassungsschutzbehörde weitere KTA-PMK-Meldungen zum jeweiligen Sachverhalt. 13 Der PMK werden Straftaten zugeordnet, wenn in Würdigung der Umstände der Tat und/oder der Einstellung des Täters Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie den demokratischen Willensbildungsprozess beeinflussen sollen, sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung richten, durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden oder sich gegen eine Person, insbesondere aufgrund ihrer politischen Einstellung, Nationalität, Volkszugehörigkeit, Rasse, Hautfarbe, Religion, Weltanschauung oder Herkunft richten und die Tathandlung damit im Kausalzusammenhang steht. 25 Durch die Verfassungsschutzbehörde, der die endgültige Entscheidung über die Einstufung als extremistische Tat obliegt, erfolgt ein Abgleich der KTA-PMK mit den dort vorliegenden Erkenntnissen. Kommt diese zu einer gegenteiligen Bewertung, teilt sie dies der zuständigen Polizeidienststelle mit, die daraufhin in den polizeilichen Auskunftssystemen eine Änderung der Einstufung der entsprechenden Taten veranlasst. Die auf diese Weise zwischen Polizei und Verfassungsschutz abgestimmten, bei der Polizei gespeicherten Bewertungen zur PMK spiegeln damit den jeweils aktuell gegebenen Ermittlungsstand, auch in Bezug auf die Melde-/Bewertungskriterien wider. Für die Darstellung der PMK-Jahreslage in Bund und Ländern wird - von der Auswertung der tagesaktuellen Datensätze abweichend - einheitlich der zum 31. Januar des Folgejahres gegebene Datenbestand herangezogen. Diese Fallzahlen sind in Niedersachsen zugleich auch die Grundlage für die statistische Zulieferung der Fälle extremistisch motivierter Kriminalität von der Polizei an den Verfassungsschutz zur Erstellung des Verfassungsschutzberichtes. Insofern sind die statistischen Daten, die die Grundlage für das Zahlenmaterial in den Verfassungsschutzberichten darstellen, zwischen Polizei und Verfassungsschutzbehörde abgestimmt. Die Gesamtzahl der erfassten Straftaten mit einem rechtsextremistisch motivierten Hintergrund betrug im Jahre 2013 in Niedersachsen 1.323 Delikte. Gegenüber dem Vorjahr, in dem 1.505 Straftaten verübt wurden, ist ein Rückgang um 12,1 Prozent zu konstatieren. Die Propagandadelikte dieses Phänomenbereichs bilden dabei mit 862 Taten weiterhin den Schwerpunkt, wenn auch gegenüber dem Jahr 2012 (971 Fälle) ein Rückgang um 109 Fälle zu verzeichnen ist. Dies entspricht einem Minus von 11,2 Prozent. Die Anzahl der Gewaltdelikte ist mit 73 Fällen im Vergleich zum Vorjahr um 33 Fälle signifikant um 31,1 Prozent gesunken (2012: 106). Von den 73 Gewaltdelikten entfallen 65 Taten auf Körperverletzungsdelikte. Der Rückgang von Gewaltdelikten erklärt sich in erster Linie aufgrund des konsequenten Einschreitens der Polizei bei rechtsextremen Gewalttaten, insbesondere im Bereich örtlich begrenzter Rechts/Links-Konflikte. Ein allgemeiner Trend zu einem Rückgang von rechten Gewaltdelikten ist in Niedersachsen erkennbar. Im Bereich der sonstigen rechtsextremistischen Straftaten ist ebenfalls ein Rückgang von 1.399 Taten (2012) auf 1.250 Taten (2013) festzustellen. Dies entspricht einem Minus von 10,7 Prozent. Als regionaler Brennpunkt ist für den Berichtszeitraum der Bereich Bückeburg zu benennen. Die involvierten Personen sind überwiegend im jugendlichen und heranwachsenden Alter. Neben unterschiedlicher, politischer Auffassungen geht es vorrangig um eine Vormachtstellung im öffentlichen Raum. Dabei wird vor körperlichen Auseinandersetzungen mit den politisch Andersdenkenden nicht zurückgeschreckt. Aufgrund verschiedener polizeilicher Maßnahmen war im vierten Quartal ein Rückgang der Konfrontationen zu verzeichnen. Aktuell haben sich für Niedersachsen zwei weitere Brennpunkte in den Bereichen Braunschweig und Harburg herauskristallisiert, in denen es in jüngster Vergangenheit vermehrt zu gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen der rechtsextremistischen und linksextremistischen Szene gekommen ist. Bei diesen Übergriffen handelt es sich hauptsächlich um einfa26 che sowie gefährliche Körperverletzungen und Sachbeschädigungen. Diese erfolgten im Rahmen von Demonstrationen und Veranstaltungen, aber auch als spontane Übergriffe ohne erkennbaren Auslöser. Das Verbot der rechtsextremen Gruppierung "Besseres Hannover" 2012 ist seit dem 06.01.2014 rechtskräftig. Es bestehen bisher keine Anzeichen auf rechtsterroristische Strukturen in Niedersachsen. 27 Übersicht der Gewalttaten und sonstigen Straftaten mit extremistischem Hintergrund aus dem Bereich "Politisch motivierte Kriminalität - rechts" in Niedersachsen 14 Gewalttaten: 2012 2013 Tötungsdelikte 0 0 Versuchte Tötungsdelikte15 0 1 Körperverletzungen 92 65 Brandstiftungen 4 1 Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion 0 1 Landfriedensbrüche 2 0 Gefährl. Eingriffe in Bahn-, Luft-, Schiffsund Straßenverkehr 1 0 Freiheitsberaubung 0 0 Raub 0 0 Erpressung 2 0 Widerstandsdelikte 5 5 Insgesamt 106 73 Sonstige Straftaten: Sachbeschädigungen 150 112 Nötigungen/Bedrohungen 17 9 Propagandadelikte 971 862 Störung der Totenruhe 2 1 Andere Straftaten (davon Volksverhetzung) 259 266 (171) (177) Insgesamt 1.399 1.250 14 Die Zahlen basieren auf Angaben des Landeskriminalamtes Niedersachsen (LKA NI). Die Darstellung der niedersächsischen Fallzahlen in Übersichten des Bundes kann davon abweichen, da das LKA NI eine so genannte "lebende Statistik" führt. Um die ständige Aktualität der Statistik sicherzustellen, werden dabei ggf. Nacherfassungen/Aktualisierungen auch für Vorjahre vorgenommen, so dass der Zahlenbestand Veränderungen unterliegen kann. 15 Lt. Urteil des zuständigen Amtsgerichts wurde der zunächst wegen des Verdachts eines versuchten Tötungsdelikts ermittelte Sachverhalt vom Gericht als versuchte gefährliche Körperverletzung zum Nachteil von vermeintlichen Angehörigen der linken Szene bewertet. Der Verfassungsschutz bewertet den Sachverhalt im Nachhinein als nicht extremistisch. Für die Darstellung in der Tabelle ist allerdings der Datenbestand zum 31.01.2014 maßgebend. Nach Bekanntwerden dieses Urteils wird in Niedersachsen eine Korrektur im Bericht des nächsten Jahres erfolgen. 28 Straftaten insgesamt 1.505 1.323 2.3 Einführung Eine in sich geschlossene rechtsextremistische Ideologie gibt es nicht. Vielmehr werden mit dem Begriff Rechtsextremismus Ideologieelemente erfasst, die in unterschiedlicher Intensität und mit unterschiedlicher Stoßrichtung der weltanschaulichen Überzeugung von einer Ungleichwertigkeit der Menschen Ausdruck verleihen. Zu nennen sind im Einzelnen: Aggressive menschenverachtende Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus, Rassismus, Unterscheidung von "lebenswertem" und "lebensunwertem" Leben, Überhöhung des eigenen Volkes bei gleichzeitiger Abwertung anderer Nationen und Völker (Nationalismus), Vorstellung einer rassisch verstandenen homogenen Volksgemeinschaft (Volksgemeinschaftsdenken), Individualrechte verneinendes, dem Führerprinzip verpflichtetes Kollektivdenken (völkischer Kollektivismus), Behauptung "natürlicher" Hierarchien (Biologismus), Betonung des Rechts des Stärkeren (Sozialdarwinismus), Ablehnung demokratischer Regelungsformen bei Konflikten, Übertragung militärischer Prinzipien auf die zivile Gesellschaft (Militarismus), Geschichtsrevisionismus (Relativierung der Verbrechen des Nationalsozialismus), Ethnopluralismus (Forderung nach strikter räumlicher und kultureller Trennung verschiedener Ethnien). Die Ideologieelemente Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Antisemitismus sind die zentralen Begriffe des Rechtsextremismus. Mit "fremdenfeindlich" wird die Ablehnung all dessen bezeichnet, was als fremd bewertet und aus der Gesellschaft ausgegrenzt wird. Die Merkmale variieren: Ausländer, Juden, Muslime und Obdachlose können ebenso Opfer fremdenfeindlicher Ablehnung und Aggression werden wie Menschen mit Behinderungen und Homosexuelle. Fremdenfeindliche Positionen sind bei jeder rechtsextremistischen Organisation nachweisbar; sie bilden das Grundelement rechtsextremistischen Denkens. Die in Deutschland gebräuchliche Verwendung des Begriffes Rassismus nimmt Bezug auf die Rassenideologie des Nationalsozialismus, die die "Selektion" und Vernichtung von Millionen Menschen biologisch begründete. Rassisten leiten aus den genetischen Merkmalen der Menschen eine naturgegebene soziale Rangordnung ab. Sie unterscheiden zwischen "wertvollen und minderwertigen menschlichen Rassen". Der Antisemitismus tritt im Rechtsextremismus in verschiedenen Varianten in Erscheinung. Antisemitische Positionen werden sowohl religiös als auch kulturell und rassistisch begründet. Häufig korrespondieren sie mit verschwörungstheoretischen Ansätzen. Vor dem historischen Hintergrund der systematischen Judenvernichtung durch den Nationalsozia29 lismus (Holocaust16) sind antisemitische Einstellungsmuster ein Gradmesser für die Verfestigung eines rechtsextremistischen Weltbildes. Sie zeugen von ideologischer Nähe zum historischen Nationalsozialismus und treten häufig in Verbindung mit revisionistischen Positionen auf. Antisemitische Positionen sind ein Kennzeichen fast aller rechtsextremistischen Organisationen. Der Begriff Neonazismus, eine Abkürzung für Neooder neuer Nationalsozialismus, der häufig fälschlicherweise als Synonym für Rechtsextremismus verwendet wird, steht für Bestrebungen, die sich weltanschaulich auf den historischen Nationalsozialismus beziehen. Hierzu zählen in erster Linie die neonazistischen Kameradschaften und Organisationen wie die Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige e. V. (HNG). Innerhalb der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) ist der neonazistische Flügel ständig stärker geworden, seitdem sich die Partei gegenüber Freien Nationalisten geöffnet hat. Ausdruck dieser Entwicklung sind die Eintritte zahlreicher führender Protagonisten der Neonaziszene, die zudem Führungsämter in der NPD übernommen haben. Die ebenfalls als Synonym für rechtsextremistische Bestrebungen verwendeten Begriffe faschistisch oder neofaschistisch sind in zweifacher Hinsicht ungeeignet. Zum einen handelt es sich um Kampfbegriffe aus den Zeiten des Kalten Krieges, mit denen die Bundesrepublik Deutschland von der DDR in die Tradition des Nationalsozialismus gerückt worden war. Zum anderen verbindet sich mit diesen Begriffen die Vorstellung vom italienischen Faschismus Mussolinis, der als antidemokratische Bewegung ohne Rassismus vom deutschen Nationalsozialismus erheblich abwich. 2.4 Überblick über die aktuellen Entwicklungen im Rechtsextremismus In diesem Kapitel wird die Entwicklung im Rechtsextremismus zusammengefasst dargestellt. Detaillierte Berichte finden sich in den jeweils folgenden Kapiteln. Die Erläuterung der Begrifflichkeiten erfolgt ebenfalls in den jeweiligen Kapiteln. Das von den Verfassungsschutzbehörden registrierte rechtsextremistische Personenpotenzial ist in den letzten zehn Jahren kontinuierlich gesunken. Dieser Trend setzte sich 2013 fort. Auf Bundesebene werden dem Rechtsextremismus 21.700 (2012: 22.150) und in Niedersachsen 1.455 (2012: 1.585) Personen zugerechnet. So erfreulich diese Entwicklung auf den ersten Blick erscheint, muss einschränkend hinzugefügt werden, dass rein quantitative Angaben nur eine bedingte Aussagekraft haben. Sie spiegeln die gesellschaftliche und politische Dimension des Rechtsextremismus nicht wider. Als Indikator für die wachsende Bedeutung des Internets sowie für Veränderungen und Trends zur Radikalisierung und Professionalisierung taugen sie ebenso wenig wie für die Einschätzung der Theorieund Ideologiebildung oder zur Erfassung des Graubereichs zwischen Rechtsextremismus und Rechtspopulismus, dem im Zuge islamfeindlicher Diskurse seit einigen Jahren wachsende Bedeutung zukommt. Erschwerend kommt hinzu, dass die öffentliche Wahrnehmung des Rechtsextremismus und die nach rechtlichen Kriterien erfolgende Erfassung durch den Verfassungs16 Der Begriff bedeutet Massenvernichtung (vom griech. holocaustos = "völlig verbrannt"). 30 schutz nicht deckungsgleich sind. Fremdenfeindliche Einstellungen, die für den politischen Diskurs über den Rechtsextremismus einen hohen Stellenwert haben, werden nicht erfasst. Die Einleitung des NPD-Verbotsverfahrens bildete einen Schwerpunkt der öffentlichen Debatte über den Rechtsextremismus. Die Antragsschrift führt den Nachweis, dass die NPD ihre rassistischen, antisemitischen und fremdenfeindlichen Ziele in der ideologischen Tradition des historischen Nationalsozialismus in aggressiv-kämpferischer Form verfolgt. Die NPD hat ungeachtet dessen weiterhin zentrale Bedeutung für den Rechtsextremismus in Deutschland, auch wenn die Mitgliederzahl erneut - von 6.000 auf 5.500 Personen - gesunken und der Bundesvorsitzende Holger APFEL von seinem Amt zurückgetreten ist. Von einer existentiellen Bedrohung der NPD, wie sie in den Medien von einigen Kommentaren vermutet wird, kann indes nicht gesprochen werden. Die NPD verfügt in allen Regionen Deutschlands über gewachsene Organisationsstrukturen, die sie jederzeit reaktivieren kann. Die Aktionseinheit mit Teilen der neonazistischen Szene besteht trotz des angestrebten Verbotsverfahrens fort. Bei Veranstaltungen wie dem von der norddeutschen Neonazi-Szene am 01.06.2013 in Wolfsburg durchgeführten "Tag der deutschen Zukunft" (TddZ) wird sie öffentlich zelebriert. Die kommissarische Übernahme des Parteivorsitzes durch den Vorsitzenden der NPDFraktion im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern, Udo PASTÖRS, deutet nicht auf eine Mäßigung der ideologischen Positionen. PASTÖRS, ein Befürworter der Zusammenarbeit mit neonazistischen Kameradschaften, ist wiederholt mit demagogischen, fremdenfeindlichen Parolen öffentlich in Erscheinung getreten. Der niedersächsische Landesverband, dessen Mitgliederzahl sich von 470 auf 450 verringert hat, spielt für die Gesamtentwicklung der Partei eine nur untergeordnete Rolle. Von ihm gehen keine programmatischen Impulse aus. Nennenswerte Aktivitäten sind lediglich in den Unterbezirken Gifhorn-Wolfsburg, Oldenburg und Stade zu registrieren. Mit der Partei Die Rechte existiert seit Mai 2012 eine weitere neonazistisch ausgerichtete Partei. Gründer ist der aus Hamburg stammende, jetzt in Mecklenburg-Vorpommern ansässige Neonazi Christian WORCH. Die Rechte hat ihre Strukturen im Laufe des Jahres 2013 allmählich ausgebaut. Inzwischen verfügt sie über acht Landesverbände mit insgesamt ca. 500 Mitgliedern. Die Entwicklung in den einzelnen Landesverbänden ist uneinheitlich. Den organisatorischen Schwerpunkt bildet der Landesverband Nordrhein-Westfalen, der von ehemaligen Angehörigen verbotener Kameradschaften beherrscht wird. Der niedersächsische Landesverband zählt 35 Mitglieder. Der Kreisverband Braunschweiger Land wurde von Angehörigen des neonazistischen Aktionsbündnisses 3817 gebildet. Derzeit deutet sich nicht an, dass Die Rechte sich zu einer ernsthaften Konkurrenz für die NPD entwickelt. Einiges spricht vielmehr für eine neue organisatorische Entwicklung im neonazistischen Bereich mit der Partei Die Rechte als Dachorganisation für die Mitglieder verbotener oder von etwaigen Exekutivmaßnahmen bedrohter Kameradschaften. 17 Die Bezeichnung geht auf den Postleitzahlbezirk 38 zurück. 31 Als weiteres neues Beobachtungsobjekt auf Bundesebene im Parteienbereich ist pro NRW anzuführen. Die islamfeindlich ausgerichtete Partei bewegt sich an der Schnittstelle zwischen Rechtsextremismus und Rechtspopulismus. Das Personenpotenzial im neonazistischen Bereich hat sich das erste Mal seit vielen Jahren rückläufig entwickelt. Für Deutschland insgesamt werden diesem Bereich 5.800 (2012: 6.000) und in Niedersachsen 345 (2012: 420) Personen zugerechnet. Der Rückgang erklärt sich wesentlich aus der Verunsicherung in der Szene nach den diversen Verboten neonazistischer Kameradschaften im Jahr 2012, darunter das inzwischen letztinstanzlich bestätigte Verbot von Besseres Hannover. Stark differierende Entwicklungen in den einzelnen Bundesländern verdeutlichen auch in diesem Bereich die regionalspezifische Ausprägung des Rechtsextremismus. Sie erschwert zugleich generalisierende Bewertungen des Rechtsextremismus für Deutschland. Seit einigen Jahren ist ein Wandel von starren Organisationsformen zu informellen und aktionsorientierten Erscheinungsformen festzustellen. Die Entwicklung folgt damit einem gesamtgesellschaftlichen Trend hin zum temporären organisationsunabhängigen politischen Engagement. Als aktivster neonazistischer Zusammenschluss in Niedersachsen trat 2013 das Aktionsbündnis 38 im Bereich Braunschweig / Gifhorn / Wolfsburg hervor. Die Neonazi-Szene ist mittlerweile von ritualisierten Formen der Betätigung, z. B. Kameradschaftsabenden, weitgehend abgerückt und nimmt ihrem ideologischen Selbstverständnis folgend immer stärker die Form einer auf das Ziel der Volksgemeinschaft verpflichteten Bewegung an. Der bundesweit agierende Neonazi Dieter RIEFLING verlieh diesem Selbstverständnis während des TddZ in Wolfsburg Ausdruck, als er "jeden deutschen Volksgenossen" aufrief, sich über "Parteigrenzen und Gruppenegoismen" hinweg für die "Zukunft unseres deutschen Volkes" einzusetzen. Zwischen den Veränderungen im Neonazi-Spektrum und den Veränderungen im subkulturellen Bereich des Rechtsextremismus besteht ein enger Zusammenhang. Je mehr Elemente der subkulturellen Szene der Neonazismus aufnahm, desto stärker verlor die subkulturelle Szene an eigenständiger Bedeutung, am deutlichsten ablesbar am fast vollständigen Verschwinden von Skinheads aus dem Straßenbild. Die Grenzen zwischen beiden Bereichen sind zusehends verschwommen. Eine Unterscheidung nach trennscharfen Kriterien wird immer schwieriger. Das Kategoriensystem zur Erfassung des rechtsextremistischen Personenpotenzials wird dieser Entwicklung angepasst werden. Bundesweit werden der rechtsextremistischen Subkultur derzeit 7.400 (2012: 7.500) und in Niedersachsen 600 (2012: 635) Rechtsextremisten zugerechnet. Nach wie vor ist die rechtsextremistische Musik das wichtigste Signum der Subkultur. Die Bedeutung von Konzerten als Werbemittel für die Szene allerdings nimmt zusehends ab. Stattdessen hat sich die Anzahl von Liederabenden - musikalische Veranstaltungen im kleinen Rahmen ohne elektronische Verstärkung - stetig vergrößert. Liederabende weisen nicht nur musikalisch einen anderen Charakter als Konzerte auf, weil ihnen eine größere Rolle für die ideologische Aufrüstung der Szene zugesprochen werden kann. 32 Islamfeindlichkeit als eine neue Form der Fremdenfeindlichkeit und zugleich als ein politisches Aktionsfeld im Rechtsextremismus hat in den vergangenen Jahren nachweislich an Bedeutung gewonnen. Seit Ende 2011 konnten etwa auf einschlägigen Internetseiten islamkritische bzw. islamund muslimfeindliche Reaktionen in Form von Leserkommentaren festgestellt werden. Dies trat gesteigert nach bestimmten Ereignissen auf, wie nach den Ausschreitungen durch Salafisten am Rande von Demonstrationen der Partei pro NRW in Solingen und Bonn im Mai 2012, dem versuchten Bombenanschlag radikaler Islamisten auf dem Bonner Hauptbahnhof im Dezember 2012 und den gewaltsamen Todesfällen von zwei jungen Männern durch Täter mit muslimischem Migrationshintergrund in Berlin im Oktober 2012 bzw. im niedersächsischen Kirchweyhe (Landkreis Diepholz) im März 2013. Insbesondere auf einschlägigen Internetpräsenzen wird regelmäßig - teilweise in reißerischpopulistischer Manier - über politische Themen wie Ausländerkriminalität, Salafismus und Islamisierung geschrieben. Die darauf folgenden Leserkommentare beinhalten nicht selten verunglimpfende Äußerungen. Ein deutlich islamkritischer Gesamttenor ist unverkennbar, zugleich lassen einzelne explizite Äußerungen einen fremdenbzw. islamfeindlichen Hintergrund erkennen. Bürgerliche Ressentiments mischen sich mit extremistischen Haltungen, so dass eine Gesamtbewertung durch die Verfassungsschutzbehörden von Fall zu Fall erfolgen muss. Der Islam und die in Deutschland lebenden Muslime stehen zunehmend im Mittelpunkt rechtsextremistischer und rechtspopulistischer Kampagnen. Islamfeindlichkeit ist als eine organisationsübergreifende Thematik und Strategie zu begreifen, die lange Zeit in der Berichterstattung vernachlässigt wurde. Ausgeblendet wurde dabei auch, dass Rechtsextremisten mit islamfeindlichen Parolen wie in kaum einem anderen Themenfeld an weit verbreitete Ressentiments in der Bevölkerung anknüpfen können, wie die Wahlergebnisse rechtspopulistischer Parteien in verschiedenen europäischen Staaten dokumentieren. Die Angst vor einer angeblichen Islamisierung der Gesellschaft dient hier als "Türöffner-Thema", um Einfluss auf den öffentlichen Diskurs zu nehmen und auch um Mitglieder, Anhänger und Unterstützer zu gewinnen. Hervorzuheben ist dabei, dass islamfeindliche Einstellungen keineswegs auf tatsächlichen Charaktereigenschaften, Bestrebungen oder Handlungen einer Minderheit von Muslimen beruhen, sondern dass es sich um konstruierte Feindbilder handelt, die mit der Realität wenig zu tun haben. Die islamfeindliche Agitation stützt sich auf drei Eckpfeiler: Erstens will sie an bestehende Überfremdungsängste anknüpfen; zweitens pauschalisiert sie und setzt den Islam und die Muslime mit Gewalt und Islamismus gleich; drittens ermöglichen islamfeindliche Kampagnen rechtsextremistischen Gruppierungen, ihren rassistischen Charakter zu verbergen. Islamfeindliche Agitationsmuster bestimmen nicht nur zu einem wesentlichen Teil die Agitation rechtsextremistischer Zusammenschlüsse, sondern sie sind auch zu einem wesentlichen Teil das programmatische Merkmal rechtspopulistischer Organisationen. Während sich im Rechtsextremismus islamfeindliche Argumentationsmuster mit antisemitischen, antiamerikanischen und homophoben Positionen verbinden, geben sich Rechtspopulisten zum Teil durchaus prosemitisch, proamerikanisch oder homophil. Gemeinsam ist der islamfeindlichen Propaganda jedoch, dass sie pauschalisiert und entindividualisiert, indem sie Muslimen ab33 wertende Gruppeneigenschaften zuschreibt. Zwischen Muslimen und Islamisten wird bewusst nicht unterschieden. Jeder Muslim gilt als potenzieller Islamist. Neben der Islamfeindlichkeit ist die Propaganda gegen den europäischen Einigungsprozess eine weitere Parallele im politischen Kampagnenfeld von Rechtsextremismus und Rechtspopulismus. Rechtsextremisten verbinden hiermit einen völkischen Ansatz. Sie geben vor, die Identität der Völker erhalten zu wollen. Für sie ist das Volk Bezugspunkt ihres Denkens und nicht das Individuum. 2.5 Subkulturell geprägte Rechtsextremisten Mitte der 1980er Jahre bildete sich in Deutschland eine rechtsextremistische Subkultur heraus, als Teile der Skinhead-Bewegung unter rechtsextremistischen Einfluss gerieten. Die subkulturelle Szene hat sich im Verlauf der folgenden dreißig Jahre stark verändert. Der von seinem Erscheinungsbild her typische Skinhead mit Bomberjacke, Kampfstiefel und kahl geschorenem Kopf, der über längere Zeit die Wahrnehmung des Rechtsextremismus bestimmte, ist aus dem Straßenbild fast vollständig verschwunden. Überdauert hingegen haben die Vorliebe für bestimmte Symbole und die rechtsextremistische Musik, mit der die Szene ihrem Selbstverständnis in Abgrenzung zu anderen Subkulturen Ausdruck verleiht. Die Übergänge zwischen den einzelnen Bereichen des Rechtsextremismus sind fließend geworden. Ein Beispiel hierfür ist das im Raum Braunschweig/Gifhorn aktive neonazistische Aktionsbündnis 38, das sich neben politischen Aktivitäten auch im rechtsextremistischen Konzertwesen betätigt. Das im Kapitel neonazistische Kameradschaften beschriebene Phänomen der Autonomen Nationalisten, das Anmutungen einer Subkultur aufweist, ist ebenfalls Ausdruck dafür, dass die Grenzen zwischen den einzelnen Bereichen verwischen. Neben dieser Tendenz zur Annäherung und Überlappung der verschiedenen Bereiche lassen sich aber nach wie vor Merkmale anführen, die für eine Differenzierung sprechen. Aussagekräftige Parameter sind die Altersstruktur und der Ideologisierungsgrad. Weil die Subkultur kein stringentes politisches Engagement verlangt, sondern in erster Linie ein Angebot zur Freizeitgestaltung darstellt, ist die Zugangsschwelle zu diesem Bereich des Rechtsextremismus für jüngere Personengruppen mit einer fremdenfeindlichen Grundeinstellung am niedrigsten. Entsprechend viele Jugendliche unter 18 Jahren sind der subkulturellen Szene zuzurechnen. Sie setzen zwar keine eigenständigen politischen Akzente, werden durch ihre Teilnahme an rechtsextremistischen Demonstrationen aber zu einem Faktor in der Auseinandersetzung mit linksextremistischen Gegendemonstranten. Die fremdenfeindliche Grundeinstellung von subkulturell geprägten Rechtsextremisten kommt unreflektiert, häufig spontan und gewaltsam zum Ausdruck. Sie wird ausgelebt und nicht ideologisch im Sinne eines politischen Ansatzes überhöht. Von zentraler Bedeutung ist dabei die aufputschende Wirkung der gesondert dargestellten rechtsextremistischen Musik. Sie vermittelt Feindbilder, aber keinen politischen Ansatz. Die Bereitschaft subkulturell geprägter Rechtsextremisten zur Teilnahme an Demonstrationen resultiert aus der Erlebnisorientierung der Szene. Eine Demonstration verspricht für sie zu einem spannenden Ereignis zu werden. Ihre Teilnahme ist aber nur bedingt willkommen. Einerseits füllen sie zwar die Reihen auf, andererseits befürchten ideologisch geschulte Neo34 nazis eine Herabwürdigung ihres Demonstrationsanliegens durch die undisziplinierten gewaltaffinen Angehörigen der subkulturellen Szene. Letztere bilden sich häufig in Cliquenform auf örtlicher Ebene heraus. Solche Cliquen sind überall in Niedersachsen verbreitet. Beginnt in diesen Cliquen unter dem Einfluss einzelner Personen ein Ideologisierungsprozess, so reduziert sich die Gruppe in der Regel auf einen harten Kern, der dem Bereich des Neonazismus zuzurechnen ist. Für die Kontaktaufnahme mit Gleichgesinnten spielt mittlerweile das Internet, und hierbei vorrangig soziale Netzwerke, die entscheidende Rolle. Gedruckte Fanzines18, die noch vor einem Jahrzehnt das wichtigste szeneinterne Kommunikationsmedium für die subkulturelle bzw. die rechtsextremistische Musikszene darstellten, werden kaum noch verbreitet. Von der beschriebenen ideologisch ungefestigten Szene zu unterscheiden sind Organisationen mit elitärem Charakter wie die Blood & Honour-Bewegung (B&H) und die Hammerskins, die ihren Ursprung in der Skinhead-Bewegung der 1980er Jahre haben. Die B&H-Division Deutschland wurde am 14.09.2000 verboten. Divisionen der in Großbritannien entstandenen rassistischen Organisation existieren aber weiterhin in fast allen an Deutschland grenzenden Staaten. Die dort durchgeführten Konzerte werden auch von deutschen Rechtsextremisten besucht. Die 1986 in den USA gegründete, ebenfalls rassistische Hammerskin-Organisation verfolgt das Ziel, alle weißen rechtsextremistischen Skinheads in einer so genannten HammerskinNation (HSN) zu vereinigen. Die elitäre Organisation, die eine Mitgliedschaft an ein strenges Aufnahmeritual bindet, verfügt über Strukturen auch in Deutschland, jedoch nicht in Niedersachsen. Hier werden lediglich Einzelpersonen der Gruppierung zugerechnet. Organisatorischer Schwerpunkt der binnenzentrierten Hammerskins ist Süddeutschland. Die subkulturell geprägten Rechtsextremisten zahlenmäßig zu erfassen, fällt wegen der Heterogenität der organisatorisch nicht gefestigten Szene und wegen des jugendlichen Alters vieler Szeneangehöriger schwer. Auf Bundesund auf Niedersachsenebene entwickelte sich das Personenpotenzial in den letzten Jahren rückläufig. In Niedersachsen werden der Subkultur noch 600 Personen (2012: 635) zugerechnet. In dieses Personenpotenzial eingeflossen sind Angehörige der rechtsextremistischen Musikszene und örtliche Szeneangehörige, soweit sie von den Sicherheitsbehörden erfasst werden können. Die Wirkung der rechtsextremistischen Subkultur jedoch reicht, insbesondere durch das Internet, weit über diesen Personenkreis hinaus. Beispielhaft für subkulturell geprägte rechtsextremistische Personenzusammenschlüsse in Niedersachsen ist die Brigade 8 Crew, die seit Mitte 2012 speziell durch ihre Internetaktivitäten in den sozialen Netzwerken Facebook und Vk.com 19 in Erscheinung tritt. Die Mitglieder stilisieren sich zwar in Anlehnung an die Rockerszene, betonen aber kein "Motorcycle Club" (MC) zu sein. Ähnlich wie die Szene der "Outlaws Motorcycle Clubs" (OMC) unterscheidet die Brigade 8 Crew zwischen "Vollmitgliedern" und "Unterstützern" und verwendet Funktionsoder Rangbezeichnungen wie "President" (engl.) und "Krieger". Die Gebietsaufteilung erfolgt - auch dies eine Adaption - nach dem so genannten Chapterbzw. Charter-Prinzip. Hinzu kommt ein überzogener Hang zu rechtsextremistischer Symbolik und Zahlencodes, mit dem die eigene Bedeutung überhöht wird. 18 Der Begriff Fanzine ist der englischen Sprache entlehnt und setzt sich aus den Worten "Fan" und "Magazine" zusammen. 19 Hierbei handelt es sich um ein russisches soziales Netzwerk, dass deutsche Strafgesetze nicht beachtet. 35 Führende Mitglieder der Gruppierung aus Bremen, Niedersachsen, Sachsen und SchleswigHolstein sind zum Teil seit mehreren Jahren der rechtsextremistischen Musikszene zuzurechnen. Ihre Aktivitäten konzentrieren sich daher auf die Teilnahme an rechtsextremistischen Konzertveranstaltungen und anderen szeneinternen Veranstaltungen. Ein auf dem Sampler "Legion Germania - Tag der Rache" veröffentlichtes Lied mit dem Titel "Brigade 8" verleiht dem rassistischen Selbstverständnis der Gruppierung Ausdruck: "Eine neue Bruderschaft ist bereits in aller Munde, das Gerücht einer neuen weißen Macht dreht bereits die Runde. Eine Truppe ohne leere Worte und zu allem bereit. Auf in die letzte Schlacht - fight, fight, fight, fight! ... Heil! - Heil! - Heil! - der Brigade 8! Trotz dieser martialischen Positionierung hat die Brigade 8 Crew bislang keinen nennenswerten Einfluss innerhalb der rechtsextremistischen Szene erlangen können. Auch waren entgegen den Absichtserklärungen abgesehen von Demonstrationsteilnahmen keine politischen Aktivitäten zu verzeichnen. Die geplante Durchführung einer so genannten Open House Party am 22.06.2013 in Harpstedt (Landkreis Oldenburg) wurde von den Sicherheitsbehörden verhindert. 2.5.1 Rechtsextremistische Musikszene Rechtsextremistische Musik ist ein wesentlicher Faktor für die Ausprägung eines Gemeinschaftsgefühls bei den Szeneangehörigen. Darüber hinaus dient sie dem Zweck, rechtsextremistische Ideologie - auch an Außenstehende - zu vermitteln. Die Liedinhalte formulieren in plakativer, häufig hetzerischer Form die rassistische, fremdenfeindliche und antisemitische Einstellung der Szeneangehörigen. Von eingängigen oder aufputschenden Melodien getragen, können die Liedtexte eine suggestive Wirkung entwickeln. Wegen dieser Wirkung hat die rechtsextremistische Musik für die neonazistische Kameradschaftsszene und die NPD einen hohen werbestrategischen Stellenwert. So versucht die NPD Parteiveranstaltungen durch die Einbindung von rechtsextremistischer Musik für ein jüngeres Publikum attraktiver zu gestalten. In Wahlkämpfen dienen ihr so genannte Schulhof-CDs, die vorwiegend Lieder rechtsextremistischer Musikbands beinhalten, als Werbemittel für die Zielgruppe der Jungund Erstwähler. Zu beobachten war dies auch im niedersächsischen Landtagswahlkampf. Die von den Jungen Nationaldemokraten (JN), der Jugendorganisation der NPD, in geringer Stückzahl verteilte "Schulhof-CD Niedersachsen" wurde kurz nach der Wahl von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) am 07.03.2013 in den Teil A der Liste der jugendgefährdenden Medien eingetragen. Damit ist eine Verteilung an Minderjährige nicht mehr zulässig. Unabhängig von solchen Verteilaktionen, die mediale Aufmerksamkeit auf sich ziehen, findet die rechtsextremistische Musik über szenekundige Schüler Eingang in einzelne Klassen, ohne dass dies in gleichem Maße Beachtung findet. Die Anzahl der Zugriffe auf rechtsextremistische Musik-Videos im Internet weist aus, dass die Verbreitung der Musik weit über das registrierte rechtsextremistische Personenpotenzial hinausreicht. Besonders angesprochen fühlen sich Jugendliche, die ihre soziale Situation in den Liedtexten widergespiegelt finden und nach Integration in eine Gruppe Gleichgesinnter streben. Die Konfrontation mit rechtsextremistischer Musik kann den Beginn einer Entwicklung markieren, in deren Verlauf sich Jugendliche zunehmend mit der rechtsextremistischen 36 Szene identifizieren. Die Auseinandersetzung mit der rechtsextremistischen Musik ist deshalb seit mehreren Jahren ein Schwerpunkt der präventiven Verfassungsschutzarbeit. Die Bandbreite rechtsextremistischer Musik umfasst inzwischen die verschiedensten Stilrichtungen. Sie erstreckt sich von Black Metal (NSBM)20 über den Schlager bis zur Balladenmusik. Den größten Zuspruch erfährt unverändert die traditionelle rechtsextremistische Musikstilrichtung des Rock against Communism (RAC). Bei jüngeren Szeneangehörigen wie den Autonomen Nationalisten ist ein Trend hin zum Hatecore, einem schnellen und aggressiven Musikstil, erkennbar. Die Liedtexte sind subtiler geworden. Offen fremdenfeindliche, antisemitische oder den Nationalsozialismus verherrlichende Aussagen werden weitgehend vermieden. Im Gegensatz dazu eröffnet der sich seit einiger Zeit abzeichnende Trend, aktuelle politische Themenfelder wie Anti-Globalisierung oder Umweltschutz aufzugreifen, die Möglichkeit, rechtsextremistische Inhalte in verklausulierter, nicht sofort erkennbarer Form zu transportieren. Nach wie vor überwiegen jedoch Veröffentlichungen mit typischen rechtsextremistischen Themen. Exemplarisch hierfür ist das auf dem von der BPjM indizierten Tonträger "7 auf einen Streich" veröffentlichte Lied "Sturm über Europa" der auch in Niedersachsen aktiven Band "Abtrimo" aus Hamburg, das in hetzerischer Form in die Einwanderungsdebatte eingreift: "Du siehst den Zerfall in allen Ländern, der Mob aus dem Orient wird sie verändern. Mullahs in allen Ecken und die Kultur ist am verrecken. Ich frage euch soll's das sein? Zerschlagen wir sie vereint ja vereint zerschlagen wir sie vereint!" Die Liedtexte beziehen sich aber nicht nur auf politische Aussagen, sondern propagieren auch die rechtsextremistischen Aktionsformen. Ein Beispiel hierfür ist das Lied "Wer, wenn nicht wir", das die Dresdner Band "Priorität 18" auf dem Tonträger "Waldbrüder" veröffentlichte: "Komm zu uns und reih dich ein, gemeinsam werden wir Sieger sein. Reich uns jetzt deine Hand, kämpfe mit im Widerstand. Plakate kleben, Demonstration, Deutschlands Freiheit ist unser Lohn. Argumente fürchten sie bei unserer Wortergreifungsstrategie. Frei, sozial und national." Die demokratische und aufklärerische Werte verachtende Grundeinstellung lässt sich bereits an den Bezeichnungen der Bands ablesen. Bandnamen wie "Blitzkrieg", "Sturmtrupp", "Bataillon 500", "Kommando Ost" oder "Reichswehr" weisen einen deutlichen Bezug zum Nationalsozialismus auf. Andere Bands leiten ihren Namen aus der germanisch-heidnischen Mythologie her, z. B. "Einherjer", "Sleipnir", "Projekt Aaskereia", "Sigil", "Valhalla Patriots" oder "Legion of Thor". 20 National Socialist Black Metal. 37 Die Produzenten lassen Tonträger vor ihrem Erscheinen durch Rechtsanwälte auf mögliche Rechtsverstöße überprüfen, um einerseits strafrechtliche Verfahren zu vermeiden. Andererseits sollen so die drohenden Geschäftsverluste durch Indizierungen, die einen Verkauf an Jugendliche unter 18 Jahren untersagen, oder Beschlagnahmeund Einziehungsbeschlüsse, die ein generelles Veräußerungsverbot nach sich ziehen, vermieden werden. Strafrechtlich relevante CDs - ihr Anteil beträgt weniger als zehn Prozent - werden bis auf wenige Ausnahmen im Ausland produziert. Die Anzahl rechtsextremistischer Musikgruppen hat sich bundesweit in den letzten Jahren mit ca. 178 kaum verändert. Dabei handelt es sich nicht um einen permanent gleichbleibenden Kreis von Musikgruppen. Viele Bands bestehen nur für kurze Zeit. Mitunter finden sich Mitglieder rechtsextremistischer Bands unter neuen Namen einmalig für Musikprojekte zusammen. Bundesweit fanden 78 Musikveranstaltungen (2012: 82) statt. Der regionale Schwerpunkt rechtsextremistischer Konzerte lag in Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen. Die unverändert geringe Anzahl rechtsextremistischer Musikveranstaltungen ist u. a. auf den Wegfall bisher regelmäßig genutzter Veranstaltungslokalitäten und die Verunsicherung der rechtsextremistischen Szene durch zahlreiche Exekutivmaßnahmen der Sicherheitsbehörden zurückzuführen. Die in Deutschland zumeist konspirativ organisierten rechtsextremistischen Musikveranstaltungen werden durchschnittlich von 100 bis 150 Personen besucht. Die Ankündigungen für diese Konzerte erreichen in der Regel nur Szeneangehörige, so dass eine Werbewirkung für Interessierte ohne Szenebezug nahezu ausgeschlossen ist. Daneben gibt es nach wie vor Konzerte, wenn auch in geringerer Anzahl, die ein größeres Szenepublikum ansprechen sollen. In der Regel verpflichten die Veranstalter für diese Konzerte mehrere in der Szene populäre Bands. Wegen des erhöhten Organisationsaufwandes und des finanziellen Risikos sind sie in diesen Fällen bereit, die Veranstaltung bei den Ordnungsbehörden anzumelden und die staatlichen Auflagen einzuhalten. Wie bereits in den beiden Vorjahren fand eines der bundesweit größten rechtsextremistischen Konzerte in Nienhagen (Sachsen-Anhalt) statt. Am 25.05.2013 spielten vor rund 1.200 Personen aus dem gesamten Bundesgebiet und den angrenzenden Nachbarstaaten die Bands "Endstufe" (Bremen), "Abtrimo" (Hamburg), "Kommando Skin" (BadenWürttemberg), "Short Cropped" (Belgien), "The Wrongdoers" (Finnland) und "Brassic" (USA). Die Veranstaltung wurde auf einer eigenen Internetseite mit der Bezeichnung "European Skinhead Party" beworben. Die Nachfrage der rechtsextremistischen Szene nach Tonträgern, Druckerzeugnissen und Bekleidung sowie weiteren szenetypischen Artikeln wird durch rechtsextremistische Vertriebe bedient, die insbesondere über das Internet ein permanent aktualisiertes Angebot bereithalten. Die unverändert hohe Anzahl an Vertrieben zeigt, dass sich der subkulturelle Bereich als fester Bestandteil des Rechtsextremismus etabliert hat. Wichtige deutsche Vertriebe sind Front Records, PC Records (beide Sachsen), der WB Versand (Thüringen) und der Wikinger Versand (Bayern). Strafrechtlich relevante oder indizierte Produktionen befinden sich im Angebot ausländischer Vertriebe, die die Nachfrage in Deutschland über das Internet bedienen. Zu nennen sind Werewolves Records, ISD Records, Micetrap Distribution und NSM 88. Das Angebot umfasst beispielsweise Tonträger der Bands "Landser" (Berlin) und "Race War" (Baden-Württemberg), deren Mitglieder in Deutschland wegen Bildung einer kriminel38 len Vereinigung am 22.12.2003 bzw. am 22.11.2006 verurteilt worden sind. 2.5.2 Niedersächsische Vertriebe In Niedersachsen sind elf Vertriebe ansässig: Adler-Versand (Diekholzen), Der Versand (Bovenden), Hatecore Lüneburg (Lüneburg), Max H8 (Cremlingen), Streetwear Tostedt mit Onlineshop (Tostedt)21, Skinhead Service (Elbe, LK Wolfenbüttel), der Onlineshop der Burschenschaft Thormania22 und Das Zeughaus (Lingen/Ems). Bis zum Jahresende 2013 existierte der Online-Versandhandel Old Honour New Hatred Records (Salzgitter), dessen Internetpräsenz seit Beginn des Jahres 2014 nicht mehr erreichbar ist. Alle genannten Vertriebe spielen in der Szene eine eher untergeordnete Rolle, weil sie Produktionen weniger namhafter Musikbands vertreiben und damit auch einen geringeren Umsatz verzeichnen. Die Vertriebe Nordstern-Versand und Der Anschlag (beide Verden) konzentrieren sich auf die Verbreitung von Druckerzeugnissen über das Internet. 2.5.3 Rechtsextremistische Musik in Niedersachsen Im Jahr 2013 waren - wie schon im Vorjahr - vier niedersächsische Musikgruppen aktiv. Hinzu kommen die in Niedersachsen ansässigen Liedermacher Kai MÜLLER, der auch unter dem Namen "Lokis Horden" auftritt, und Patrick KRUSE, der unter dem Namen "Jugendgedanken" in der rechtsextremistischen Musikszene aktiv ist. Die niedersächsischen Bands "Gigi/Stahlgewitter" (Meppen) und "Nordfront" (Hannover) finden in ganz Deutschland große Beachtung in der rechtsextremistischen Szene. "Gigi/Stahlgewitter" Zum Ende des Jahres 2013 veröffentlichte die Band "Stahlgewitter" nach sieben Jahren Inaktivität zeitgleich zwei neue Tonträger. Das Booklet der CD "Stählerne Romantik" enthält einen Nachruf auf den im Oktober 2013 verstorbenen Kriegsverbrecher und ehemaligen SSAngehörigen Erich Priebke. Der zweite Tonträger "Das Hohelied der Herkunft" verherrlicht in dem Lied "Deine Asche - Dein Grab" den so genannten Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß und kritisiert die Einebnung seines Grabes:23 "Wie Verbrecher kamen sie im Morgengrauen, dein Grab geschändet und den Stein zerhauen. Die Stelle eingeebnet und verwaist, so groß die Furcht vor Deinem Geist. Sie dachten wenn keiner mehr Dein Grabmal kennt, auch keiner mehr Deinen Namen nennt." Rezensionen der neuen Tonträger in rechtsextremistischen Foren belegen das Ansehen der Band "Stahlgewitter" um den Meppener Sänger Daniel "Gigi" GIESE innerhalb der rechtsextremistischen Szene. Über das Selbstverständnis der Band gibt ein Interview mit dem Gitarris21 Das Ladengeschäft wurde Anfang 2013 geschlossen. 22 Die Burschenschaft Thormania löste sich im März 2013 auf. Der Onlineshop ist seitdem nicht mehr verfügbar. 23 Das Grab von Rudolf Heß wurde im Jahr 2011 nach Ablauf des Pachtvertrages mit Zustimmung seiner Erben eingeebnet. Es war bis zum Verbot im Jahr 2005 Anlaufpunkt für den jährlichen "Rudolf-Heß-Gedenkmarsch" in Wunsiedel (Bayern), eine der zentralen Veranstaltungen der rechtsextremistischen Szene. 39 ten Aufschluss, das im Januar 2013 auf dem Facebook-Profil "JN Niedersachsen",24 der so genannten Schulhofzeitung der JN, erschien: "Wenn einem etwas unter den Nägeln brennt, muss man es irgendwie raus lassen. Musik ist ein ganz probates Mittel, diese Energie kreativ zu kanalisieren und bei dieser Gelegenheit dem Einen oder Anderen Denkanstöße zu geben." Das Landgericht (LG) Osnabrück verurteilte GIESE am 06.06.2013 in einem Berufungsverfahren wegen Volksverhetzung zu einer inzwischen rechtskräftigen Geldstrafe in Höhe von 1.000 Euro. Die Verurteilung gründet sich auf Textinhalte des Liedes "Geschwür am After" von der 2010 veröffentlichten CD "Adolf Hitler lebt!", die von der BPjM im selben Jahr indiziert und in die Liste B der jugendgefährdenden Medien als strafrechtlich relevant aufgenommen wurde. Die Strafkammer des LG sah es als erwiesen an, dass darin der Holocaust geleugnet wird. In dem der Berufung zugrunde liegenden Verfahren im Jahr 2012 war GIESE wegen Volksverhetzung zu einer auf Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe verurteilt worden. Man hatte ihm u. a. vorgeworfen, mit dem ebenfalls auf der o. g. CD veröffentlichten Lied "DönerKiller" die Mordserie der Gruppierung Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) verherrlicht zu haben. Das Urteil des LG Osnabrück sieht den Liedtext aufgrund seiner Mehrdeutigkeit jedoch nicht als strafbar an. "Nordfront" Mit dem Tonträger "Der letzte Streich" veröffentlichte die Band eine Neuauflage der im Jahr 2012 erschienenen CD "Tätervolk Geschichte", welche von der BPjM indiziert wurde. Bei der Neuauflage verzichtete "Nordfront" auf den für die Indizierung maßgeblichen Titel "Herzen wie Erz". In dem Liedtext sah die BPjM ein "deutliches Bekenntnis zur nationalsozialistischen Rassenlehre, die auf der biologischen Überlegenheit der arischen Rasse gegenüber anderen Ethnien beruht." "Alte Schule" Die Band aus Schneverdingen trat im Januar 2013 auf einem Skinheadkonzert in Koberg (Schleswig-Holstein) auf. "Terroritorium" Die aus der Region Hannover stammende Band war im März 2013 an einem Skinheadkonzert in Schönebeck (Sachsen-Anhalt) beteiligt. "Liedermacher Patrick KRUSE/Jugendgedanken" Der ebenfalls aus Hannover stammende Liedermacher Patrick KRUSE - ehemaliger Aktivist der verbotenen neonazistischen Gruppierung Besseres Hannover - trat 2013 bundesweit mehrfach und vorrangig bei Veranstaltungen der JN auf. Unter dem Namen "Jugendgedanken" veröffentlichte KRUSE Anfang des Jahres den Tonträger "Porno im Radio", dessen Texte 24 Ausdruck vom 20.01.2014. 40 sich mit Kritik am Staat und Überfremdung thematisch an den früheren Agitationsfeldern von Besseres Hannover orientieren. "Liedermacher Kai MÜLLER/Lokis Horden" Der Liedermacher Kai MÜLLER (Bad Lauterberg) verzeichnete 2013 drei Auftritte, darunter auf einer von 120 Rechtsextremisten besuchten Veranstaltung der Freien Kräfte am 21.09.2013 in Brandenburg. "Kategorie C" Die Bremer Band "Kategorie C" ist insbesondere wegen ihrer Gewalt verherrlichenden Texte in der rechtsextremistischen Skinheadund Neonazi-Szene beliebt. "Kategorie C" erfüllt die Funktion eines Bindegliedes zwischen der Hooligan-Szene und der rechtsextremistischen Szene. Zwar vermitteln die auf Tonträgern veröffentlichten Texte keine offenkundig rechtsextremistischen Inhalte, jedoch tragen Konzertauftritte der Band zur Mobilisierung und zum Zusammenhalt der rechtsextremistischen und der Hooligan-Szene bei. Die Organisation der Konzerte von "Kategorie C" wird oftmals von bekannten Rechtsextremisten übernommen. Zwei im Internetportal YouTube veröffentlichte Konzertausschnitte zeigen die Band und Konzertbesucher beim Intonieren der Textzeile "Hoch auf dem gelben Wagen, sitz ich beim Führer vorn" und "Eine U-Bahn bauen wir von St. Pauli bis nach Auschwitz". Sie dokumentieren die rechtsextremistische Grundeinstellung von Band und Publikum. 2.5.4 Rechtsextremistische Konzerte in Niedersachsen Die Strategie zur Durchführung rechtsextremistischer Konzerte hat sich gegenüber den Vorjahren nicht geändert. Konzerte finden wie bisher vornehmlich in kleineren Orten statt. Raumanmietungen erfolgen häufig unter der Angabe, eine von Musikdarbietungen umrahmte Geburtstagsfeier durchführen zu wollen. Einige Veranstalter sind in Reaktion auf Exekutivmaßnahmen der Polizei dazu übergegangen, mit Ausweichstätten zu planen. Im Eventualfall werden Besucher dann per SMS über einen Zwischentreffpunkt zur Ausweichstätte umdirigiert. Mit solchen umfangreichen Vorplanungen versuchen die Veranstalter, ihr Geschäftsrisiko zu reduzieren. In Niedersachen ist 2013 wie bereits im Vorjahr nur ein Konzert durchgeführt worden. Es fand am 20.07.2013 mit Einverständnis des Eigentümers auf einem gewerblich genutzten Privatgrundstück in Lachendorf bei Celle statt. Die Überprüfung des Veranstaltungsortes durch die zuständigen Ordnungsbehörden erbrachte keine Versagungsgründe. Vor lediglich 50 Teilnehmern spielte eine namentlich nicht bekannte Zwei-Mann-Band. Ursprünglich sollte die Veranstaltung in Sachsen-Anhalt durchgeführt werden. Zwei weitere in Niedersachsen geplante rechtsextremistische Konzerte konnten durch das rechtzeitige Handeln der Sicherheitsbehörden im Vorfeld verhindert werden. Die Anzahl der Liederund Balladenabende blieb im Vergleich zum Vorjahr mit fünf Veranstaltungen unverändert. Veranstaltungen dieser Art bedürfen eines geringeren organisatorischen Aufwandes als Skinheadkonzerte, erreichen jedoch nur einen kleinen Personenkreis. Sie werden deshalb häufig ohne öffentliche Wahrnehmung durchgeführt. Liederund Balladenabende unterscheiden sich sowohl in ihrem musikalischen Charakter als auch in ihrer 41 Funktion deutlich von Skinheadkonzerten. Die Sänger verzichten auf eine Verstärkeranlage und begleiten sich lediglich auf einer akustischen Gitarre. Bedeutsamer als die Musik ist der ideologische Gehalt der vorgetragenen Texte. Liederabende fanden am 27.04.2013 in Meppen, am 18.05.2013 in Gillersheim (Landkreis Northeim), am 10.08.2013 in Wilhelmshaven, am 17.08.2013 in Uslar und am 30.11.2013 in Einbeck statt. 2.6 Neonazistische Szene Das neonazistische Personenpotenzial ist bundesweit erstmals seit 2002 rückläufig, bewegt sich mit 5.800 Personen (2012: 6.000) aber weiterhin auf einem hohen Niveau. Deutlicher als im Bundestrend sank das neonazistische Personenpotenzial in Niedersachsen auf 345 Personen (2012: 420). Die neonazistische Szene ist inzwischen äußerst heterogen. Sowohl das äußere Erscheinungsbild als auch die Organisationsformen und -strukturen sowie die ideologische Ausrichtung unterlagen in den letzten Jahren einem ständigen Wandel. Elemente der rechtsextremistischen Subkultur haben Einzug in die neonazistische Szene gefunden, so dass die Abgrenzung zwischen diesen beiden Bereichen des Rechtsextremismus zunehmend schwerfällt. 2.6.1 Neonazistische Kameradschaften Als Reaktion auf die Verbote verschiedener Vereinigungen in der ersten Hälfte der 1990er Jahre entwickelten hiervon betroffene Neonaziführer mit den neonazistischen Kameradschaften erstmals eine Organisationsform ohne greifbare verbotsfähige formale Strukturen und Mitgliedschaften.25 Konzipiert waren die Kameradschaften als Träger neonazistischer Aktionen auf örtlicher Ebene. Neben gruppenzentrierten Aktivitäten wie Kameradschaftsabenden mit Stammtischcharakter oder internen Vortragsund Schulungsveranstaltungen zählen hierzu auch öffentlichkeitswirksame Propagandaaktionen, Flugblattverteilungen oder Infostände. Überregional wirken die Kameradschaften insbesondere durch die Teilnahme an Demonstrationen der rechtsextremistischen Szene zusammen. Die landesund teilweise bundesweite Mobilisierung erfolgt über die Einbindung in überregionale Netzwerke. Diese auf persönlichen Kontakten beruhenden informellen Kommunikationsstrukturen gehen auf die ehemalig zur überregionalen Vernetzung eingerichteten Aktionsbüros zurück. Deren Bedeutung nahm im Zuge der Verbreitung moderner Kommunikationsmittel zwar kontinuierlich ab, dennoch kommt es auch gegenwärtig noch zu regionalen und länderübergreifenden Koordinierungstreffen. 2.6.2 Autonome Nationalisten Mit den Autonomen Nationalisten (AN), die erstmals 2002 in Berlin als Anti-Antifa-Projekt in Erscheinung traten26, bildete sich ein neues Phänomen im Bereich des Neonazismus heraus. 25 Der Begriff Kameradschaft wird von Polizei und Verfassungsschutz unterschiedlich definiert. Während die Kameradschaften in der polizeilichen Arbeit im Hinblick auf die von ihnen bzw. ihren Angehörigen ausgehenden Gefährdungspotenziale bewertet werden, stehen bei der Bewertung durch den Verfassungsschutz Anhaltspunkte für politische Bestrebungen im Vordergrund. Insofern bilden die in den Statistiken der Polizei genannten Kameradschaften den militanten Anteil und damit eine Teilmenge der vom Verfassungsschutz unter ideologischen Aspekten registrierten Kameradschaften. 26 Der Begriff Autonome Nationalisten taucht innerhalb der rechtsextremistischen Szene vereinzelt bereits seit Mitte der 42 Für die aktionsorientierten AN steht die Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner im Mittelpunkt. Symbolik, Rhetorik und Aktionsformen lehnen sich an linksextremistische Vorbilder an. Ein Beispiel hierfür ist die Bildung eines als NS-Block bezeichneten rechtsextremistischen Schwarzen Blocks bei Demonstrationen. Die strategische und stilistische Orientierung am politischen Gegner und das revolutionärelitäre Selbstverständnis der AN führten zunächst zu szeneinternen Kontroversen. Der NPD, aber auch Teilen der traditionellen Neonaziszene, muteten die AN zu individualistisch und "liberal" an. Im Unterschied zu den Anhängern des herkömmlichen Kameradschaftsmodells definieren die häufig in so genannten Aktionsgruppen auftretenden AN ihre jeweilige Zugehörigkeit nicht durch "Mitgliedschaft", sondern durch "Mitmachen": "... wir sind für den politischen Gegner nicht so einfach 'greifbar' und trotzdem durch unseren Autonomen Aktivismus (welcher viele Formen hat) ständig präsent! ... Bei uns ist nicht 'die Gruppe' national und sozialistisch, sondern auch jeder einzelne innerhalb der Gruppe! Dabei liegt jedem die Idee des DIY[do it yourself] Aktivismus zugrunde. ... Daraus folgt ein Konzept des politischen Partisanen, welcher sich anonym in der Gesellschaft bewegt - und somit die Ideen seiner politischen Arbeit unter die Menschen trägt." (Interneterklärung von AN Wolfenbüttel/Salzgitter zum Thema "Autonomer Aktivismus", Ausdruck vom 23.11.2012) Ungeachtet des hiermit propagierten "führerlosen Widerstandes" existieren innerhalb der AN Hierarchien mit regional dominierenden Führungsaktivisten. Das Aufkommen der AN hatte verschiedene Ursachen. Teile der neonazistischen Szene, insbesondere die strikten Verfechter eines parteifreien Nationalismus, betrachteten die NPDEintritte führender Neonazis im Jahr 2004 mit kritischer Distanz. Sie befürchteten eine Vereinnahmung durch eine "zu gemäßigte" NPD. Parallel wurde in der Szene eine kontroverse Diskussion über den grundsätzlichen Umgang mit staatlicher Repression geführt. Radikale Vertreter der rechtsextremistischen Szene sind nicht mehr bereit, als schikanös betrachtete Auflagen der Behörden oder Blockaden durch Gegendemonstranten bei eigenen Demonstrationen ohne Gegenwehr hinzunehmen. Sie suchen im provokativen, teilweise gewalttätigen Auftreten der AN eine Alternative. Das Phänomen der AN breitete sich zunächst von Berlin auf weitere Ballungsräume (Ruhrgebiet, München) aus. Mittlerweile registrieren die Verfassungsschutzbehörden über das gesamte Bundesgebiet verteilte AN-Szenen. Zu beobachten ist, dass die Grenzen zwischen traditioneller Kameradschaftsszene und der Szene der AN verwischen, weil sich die beiden Bereiche des Neonazismus sowohl in ideologischer als auch in habitueller Hinsicht annähern: Einerseits findet bei den AN ein Prozess der Re-Ideologiesierung statt, in dessen Verlauf zunehmend Ideologieelemente aus der Anfangsphase des Nationalsozialismus in den Vordergrund rücken, andererseits wirken sich die für Jugendliche attraktiven Elemente der von verschiedenen Jugendsubkulturen beeinflussten Ästhetik und die Erlebnisorientierung der AN modernisierend auf die gesamte Neonaziszene aus. Wegen der Übernahme stilistischer Elemente durch andere Rechtsextremisten ist es nicht möglich, die Anzahl der AN aufgrund 1990er Jahre auf. 43 äußerlicher Merkmale genau zu beziffern. Erschwerend kommt hinzu, dass die AN trotz des Trends der Re-Ideologiesierung, der beispielsweise durch die Verwendung eines Emblems, auf dem sich Hammer und Schwert kreuzen27, zum Ausdruck kommt, keinen weltanschaulich geschlossenen Block bilden. 2.6.3 Informelle Gruppen und Netzwerke Informelle Gruppierungen weisen im Vergleich zu Kameradschaften nochmals reduzierte Strukturen auf und beschränken sich meist auf eine lose Interaktion. Es handelt sich um Personenzusammenschlüsse, die nicht die Kriterien von Kameradschaften erfüllen, die sich aber auch nicht dem Bereich der AN zurechnen. Sie bezeichnen sich - häufig in Kombination mit einem Hinweis auf ihre regionale Herkunft - als Freie Kräfte. Informelle Gruppen bilden einerseits Rekrutierungspotenzial für bereits bestehende Kameradschaften bzw. Aktionsgruppen, andererseits beteiligen sie sich in organisatorisch eigenständiger Form an Aktionen regional agierender neonazistischer Netzwerke. Eine trennscharfe Abgrenzung zwischen den verschiedenen organisatorischen Erscheinungsformen des Neonazismus ist nicht möglich. Regionalen oder überregionalen Netzwerken gehören sowohl Angehörige von Kameradschaften und Aktionsgruppen als auch Mitglieder informeller Gruppen an. Sie lehnen sich - ähnlich den Aktionsgruppen auf örtlicher Ebene - häufig an das Erscheinungsbild der AN an und sind ebenso wie diese in der Lage, konspirativ vorbereitete Aktionen durchzuführen. Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang die seit Frühjahr 2011 zu beobachtende Aktionsreihe mit dem Titel "Die Unsterblichen". Den Auftakt bildete ein in der Nacht zum 01.05.2011 durchgeführter Fackelmarsch mit ca. 200 einheitlich mit weißen Theatermasken maskierten rechtsextremistischen Teilnehmern in Bautzen (Sachsen). Ein professionell gestaltetes Video des Aufmarsches fand innerhalb der neonazistischen Szene in ganz Deutschland große Resonanz. In ideologischer Hinsicht versinnbildlichen die einheitlichen Masken das Zurückstehen von Individuen und Egoismen hinter dem Erfolg der Gemeinschaft, auf strategischer Ebene tragen die gewählten Aktionsformen dem Verlangen aktionsorientierter Neonazis Rechnung, sich trotz behördlicher Auflagen und massiver Gegenproteste als junge und dynamische Bewegung zu behaupten. Nach einer Hochphase der Kampagne in den Jahren 2011 und 2012 werden gegenwärtig nur noch vereinzelt unangemeldete Aktionen im Stil der "Unsterblichen" durchgeführt. Ursächlich hierfür dürfte das im Juni 2012 ausgesprochene Verbot der als Urheber geltenden "Widerstandsbewegung in Südbrandenburg" sein. Allerdings ist die Idee der "Unsterblichen" auch in der neonazistischen Szene Niedersachsens nach wie vor populär, wie z. B. eine Plakataktion zum Thema "Werde unsterblich" am 07.01.2013 in Hannover zeigt. 2.6.4 Ideologie der neonazistischen Szene In ideologischer Hinsicht eint die neonazistische Szene das unterschiedlich ausgeprägte Bekenntnis zum historischen Nationalsozialismus. Ziel ist die Überwindung des bestehenden 27 Das Emblem symbolisiert die Volksgemeinschaft von Arbeitern und Soldaten. Es hat seinen Ursprung in den vom linken Flügel der NSDAP um die Gebrüder Strasser Ende der 1920er Jahre herausgegebenen "Nationalsozialistischen Briefen". 44 demokratischen Systems. An dessen Stelle soll ein am Führerprinzip ausgerichteter Staatsaufbau treten, dessen Grundlage eine rassistisch verstandene Volksgemeinschaft bildet. Die Ablehnung der Demokratie umfasst auch das wirtschaftspolitische System. Neonazis sehen im Kapitalismus den "Feind der Freiheit und der Existenz der Völker". Als Gegenmodell wird ein auf völkischen Vorstellungen basierender, autarker Nationalstaat propagiert. "Unsere Idee des völkischen Sozialismus ... beruht auf den ewig gültigen Naturgesetzen. Wir haben gelernt, dass Nationalismus und Sozialismus untrennbar sind und nur gemeinsam zum Erfolg führen können. Unser Ziel ist ein souveräner, sozialistischer Nationalstaat auf Basis einer biologisch gewachsenen, kulturell gefestigten Volksgemeinschaft, in einem Europa der Vaterländer." (Internetseite von Nationaler Widerstand Unterelbe: "Neue Wege gehen", Ausdruck vom 16.01.2014) Die neonazistische Szene sieht sich als eine politisch-soziale Bewegung, die nach eigenem Bekunden auf einen "stetigen Aktivismus" setzt und nicht auf "schnelle Scheinerfolge". Bestimmend für diese langfristig angelegte Strategie ist eine national-revolutionäre antiparlamentarische Ausrichtung. 2.6.5 Verhältnis zur NPD Übereinstimmende Feindbilder und Ideologieelemente bilden die Basis für die politische Zusammenarbeit von Neonazis und NPD. Auch die NPD propagiert die auf den historischen Nationalsozialismus zurückgehende Vorstellung einer Volksgemeinschaft, die Individualrechte negiert und Klassenund Parteiengegensätze aufheben soll. Allerdings bestehen hinsichtlich der Erreichung dieses Ziels erhebliche Differenzen. Aus Sicht führender Neonazis akzeptiert die NPD durch die Beteiligung an Wahlen die Spielregeln einer parlamentarischen Demokratie und begeht damit Verrat am gemeinsamen Ziel, die bestehende Gesellschaftsordnung auf revolutionärem Wege durch eine Volksgemeinschaft zu ersetzen. Die grundsätzliche Ablehnung einer Wahlbeteiligung weicht in der Praxis einer pragmatischen Haltung. So kommt es auf verschiedenen Ebenen häufig zu engen Kooperationen zwischen Neonazis und der NPD. Im Zusammenhang mit dem von der NPD propagierten "Kampf um die Straße" stellen Neonazis bei Demonstrationen regelmäßig den Großteil der Teilnehmer und leiten u. a. daraus ihren Anspruch auf Gleichberechtigung ab. Zudem sind zahlreiche Neonazis der NPD beigetreten, als der frühere NPD-Vorsitzende Udo VOIGT die Partei für Mitglieder neonazistischer Kameradschaften öffnete. Die sich noch deutlicher vom parlamentarischen Rechtsextremismus distanzierenden AN favorisieren eine Zusammenarbeit mit den sich ebenfalls jugendlich-revolutionär gebenden, in Niedersachsen überwiegend völkisch orientierten Jungen Nationaldemokraten (JN). Entscheidend für eine Zusammenarbeit sind zumeist langfristig gewachsene persönliche Verbindungen. 2.6.6 Neonazistische Personenzusammenschlüsse in Niedersachsen Kennzeichnend für die neonazistische Szene in Niedersachsen ist die landesweit feststellbare Verzahnung mit der subkulturell geprägten wie auch mit der in Parteien organisierten rechtsextremistischen Szene. Art und Intensität der Überschneidungen hängen maßgeblich 45 von den handelnden Personen vor Ort ab und unterscheiden sich daher von Region zu Region. Der allgemeinen Entwicklung folgend, die durch ein Abrücken von starren Organisationsstrukturen gekennzeichnet ist, sind Neonazis in den verschiedenen Landesteilen Niedersachsens mittlerweile in überregionale rechtsextremistische Netzwerke eingebunden. Solche Netzwerke bilden sich aus Personen, Gruppierungen und Parteistrukturen heraus, die bisher vornehmlich auf lokaler oder regionaler Ebene agiert haben. Sie unterliegen personell wie auch strukturell einer kontinuierlichen Fluktuation. Bündnisse oder Kooperationen werden dabei nicht formal begründet, sondern resultieren aus den Verhältnissen vor Ort. Den Präferenzen der jeweiligen Akteure entsprechend reicht die Bandbreite an Aktivitäten von der Durchführung öffentlichkeitswirksamer Propaganda-, Gedenkoder Störaktionen über die Veranstaltung rechtsextremistischer Balladenabende bis zur Teilnahme an Demonstrationen oder szeneinternen Großveranstaltungen im gesamten Bundesgebiet. Als herausragende Beispiele für eine zunehmende Netzwerkbildung können die Neonaziszene Südniedersachsen und die vom Aktionsbündnis 38 bestimmte rechtsextremistische Szene im südöstlichen Niedersachsen angeführt werden. Auch die Verbindungen der Freien Kräfte Ostfriesland zur Neonaziszene Emsland sowie zu Neonazis aus den Niederlanden und Nordrhein-Westfalen weisen den Charakter informeller Netzwerke auf. Gleiches gilt für die länderübergreifenden Verflechtungen der Nationalen Sozialisten Bückeburg mit der neonazistischen Szene in der Region Ostwestfalen-Lippe (Nordrhein-Westfalen). Die Entwicklung der rechtsextremistischen Szene im südöstlichen Niedersachsen ist exemplarisch für die fließenden Übergänge zwischen einer überwiegend subkulturell geprägten Szene und einer politisch orientierten neonazistischen Szene. Die personellen Verbindungen reichen zudem in den rechtsextremistischen Parteienbereich hinein. Kristallisationspunkt dieser Entwicklung ist das Aktionsbündnis 38 (AB 38). Unter dieser Bezeichnung treten seit September 2012 die bereits zuvor in der Region aktiven Aktionsgruppen Gifhorn und Wolfsburg sowie die Aktionsgruppe 38 und - bis zu ihrer Auflösung im März - die Burschenschaft Thormania aus Braunschweig in Erscheinung. Die Aktionsgruppe Wolfsburg hat sich mittlerweile erneut in Bürgerinitiative für Zivilcourage Wolfsburg28 umbenannt. Hinzu kommt die regelmäßige Einbindung von Angehörigen des NPD-Unterbezirkes Gifhorn-Wolfsburg. Durch die am 25.08.2013 erfolgte Gründung des Kreisverbandes Die Rechte Braunschweiger Land versuchen die Angehörigen des AB 38 derzeit, das Parteienprivileg für die Durchführung ihrer Aktivitäten zu nutzen.29 Sie orientieren sich am Vorbild der verbotenen neonazistischen Vereinigungen in Nordrhein-Westfalen, die den dortigen Landesverband der Partei Die Rechte dominieren. In beiden Fällen beschränken sich die Parteiaktivitäten auf ein Minimum in dem Bestreben, den Vorgaben des Parteiengesetzes zu genügen. Trotz der Auflösung der Burschenschaft Thormania, die erklärte, an anderer Stelle aktiv sein zu wollen, ist die Anhängerzahl des AB 38 weiter gewachsen. Als förderlich für diese Entwicklung erwies sich die Erweiterung des bisherigen Einzugsbereiches auf die Städte Helmstedt, Königslutter, Peine, Salzgitter und Wolfenbüttel. Die damit einhergehende Einbindung von Personen aus der subkulturell geprägten rechtsextremistischen Musikszene förderte die Ideologisierung dieses Personenkreises. Im Gegenzug eröffnete sich dem AB 38 die Möglich28 Die Angehörigen der neonazistischen Szene traten bereits in den Jahren 2006 bis 2012 unter der Bezeichnung "Bürgerinitiative für Zivilcourage Wolfsburg" auf. 29 Siehe hierzu auch Kapitel 2.9.4. 46 keit, seine Attraktivität durch Konzerte und Auftritte von Balladensängern zu erhöhen. Das AB 38, das in der Vergangenheit auch unter der Bezeichnung Freie Kräfte Niedersachsen-Ost in Erscheinung getreten ist, ist der zurzeit aktivste neonazistische Personenzusammenschluss in Niedersachsen. Die überregionale Bedeutung der Gruppierung zeigte sich zum Beispiel anlässlich der Demonstration zum "Tag der deutschen Zukunft" (TddZ) am 01.06.2013 in Wolfsburg, in deren Organisation das Bündnis maßgeblich eingebunden war. Bereits im Vorfeld hatten 22 Angehörige des AB 38 am 16.02.2013 in Wolfsburg eine gegen den TddZ gerichtete Informationsveranstaltung zu stören versucht.30 Die Einbindung in ein überregionales Kontaktnetz dokumentiert sich auch in einer Solidaritätsfeier, die die Gruppierung am 29.06.2013 in Braunschweig zugunsten des aus Hessen stammenden und in Österreich inhaftierten Liedermachers "Reichstrunkenbold"31 ausrichtete. Nach eigenen Angaben wurde eine Spendensumme von etwa 1.500 Euro gesammelt. In der Region selbst trat das AB 38 wiederholt öffentlich in Erscheinung. Die folgenden Beispiele illustrieren die Bandbreite der Aktivitäten: An einem am 29.04.2013 im Landkreis Gifhorn abgehaltenen Seminar der rechtsextremistischen Gefangenenhilfe - eine Organisation, die sich der Betreuung rechtsextremistischer Straftäter widmet - und an einem anschließenden Auftritt des Liedermachers "Fylgien" nahmen auch Angehörige des AB 38 teil. Eine am 18.07.2013 in Braunschweig von 45 Rechtsextremisten durchgeführte Kundgebung zum Thema "Braunschweiger Land auf dem linken Auge blind!? Genug ist genug, jetzt ist Schluss - wir lassen uns nicht kriminalisieren" galt der Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner. Am 15.09.2013 und noch einmal am 01.12.2013 versuchten überwiegend Angehörige der Aktionsgruppe Gifhorn eine nicht extremistische Demonstration für den Tierschutz ideologisch zu instrumentalisieren. Mit Redebeiträgen und einem entsprechenden Transparent wiesen sie auf das im Jahr 1933 von den Nationalsozialisten erlassene erste deutschlandweite Tierschutzgesetz hin und demonstrierten damit ihre Verwurzelung in der nationalsozialistischen Ideologie. Am 17.11.2013 führten etwa 40 Angehörige von AB 38 und der regionalen NPD/JN aus Anlass des Volkstrauertages ein "Heldengedenken" mit Kranzniederlegung im Landkreis Gifhorn durch. Als Beleg für die grundsätzliche Gewaltbereitschaft der Angehörigen von AB 38/Die Rechte Braunschweiger Land kann ein am 27.10.2013 eingeleitetes Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der gefährlichen Körperverletzung gewertet werden. Zur südniedersächsischen Neonaziszene gehören die nur teilweise voneinander abgrenzbaren rechtsextremistischen Szenen in den Landkreisen Göttingen, Northeim und Osterode. Einer der Protagonisten ist der Vorsitzende des NPD-Unterbezirks Göttingen, Marco BORRMANN, durch den enge Kontakte zu den Neonaziszenen in Nordhessen und im westlichen Thüringen bestehen. Gemeinsam mit Neonazis aus diesen Bereichen betätigen sich Szeneangehörige aus Südniedersachsen, u. a. bei den jährlichen Gedenkmärschen in Bad Nenndorf (Landkreis Schaumburg), im Ordnerdienst. Die gelegentliche Verwendung der Bezeichnung Kameradschaft Dreiländereck unterstreicht die länderübergreifende Zusammenarbeit. BORRMANN war Mitglied der ehemaligen Kameradschaft Northeim des führenden Neonazis Thorsten HEISE, der 2004 nach Fretterode (Thüringen) verzogen ist. Dies erklärt, warum Angehörige der Neonaziszene Südniedersachsen bei Demonstrationen weiterhin das bereits 30 Siehe hierzu auch Kapitel 2.6.7.3. 31 Der Liedermacher wurde als erster Deutscher wegen Verstoßes gegen Bestimmungen des österreichischen Verfassungsgesetzes über das Verbot der NSDAP zu einer Haftstrafe von drei Jahren verurteilt. 47 aus den 1990er Jahren bekannte Transparent der Kameradschaft Northeim mit der Aufschrift "Wo Recht zu Unrecht wird, wird Widerstand zur Pflicht!" verwenden. Darüber hinaus ist die Neonaziszene Südniedersachsen eng mit der subkulturellen Szene und der NPD verzahnt. Die gemeinsame Teilnahme an Zeitzeugenvorträgen, Sonnenwendfeiern oder Balladenabenden und die gemeinsame Organisation von Veranstaltungen sind Ausdruck dieses Zusammenspiels, das sich an folgenden Beispielen dokumentieren lässt: Im Rahmen des Landtagswahlkampfes führte der NPD-Landesverband Niedersachsen am 19.01.2013 in Hannover eine Kundgebung durch, die von Angehörigen der Neonaziszene Südniedersachsen unterstützt wurde. Am 14.03.2013 versammelten sich etwa 50 Angehörige der neonazistischen Szene, darunter Neonazis aus Südniedersachsen, zu einer Mahnwache in Hannover. Anlass hierfür war ein Tötungsdelikt in Kirchweyhe (Landkreis Diepholz), durch einen Täter mit Migrationshintergrund.32 Das Landgericht Verden verurteilte den Beschuldigten am 26.02.2014 zu einer Haftstrafe von fünf Jahren und neun Monaten. Am 15.06.2013 beteiligten sich Angehörige der Neonaziszene Südniedersachsen mit einem Infostand zur Kampagne "Trauermarsch in Bad Nenndorf" am Thüringentag der "nationalen Jugend" in Kahla (Thüringen). Die Vorbereitungen für die Demonstration am 03.08.2013 in Bad Nenndorf, in deren Organisation Angehörige der Neonaziszene Südniedersachsen maßgeblich eingebunden waren, standen auch im Mittelpunkt einer am 12.07.2013 in Einbeck durchgeführten Mobilisierungsveranstaltung mit rund 40 Teilnehmern. Einer von zahlreichen Balladenabenden fand am 17.08.2013 mit etwa 50 Teilnehmern in Uslar statt. Auch in Westniedersachsen lässt sich eine zunehmende überregionale Vernetzung unterschiedlicher Akteure der rechtsextremistischen, insbesondere neonazistischen Szene feststellen. Zu nennen sind die Freien Kräfte Ostfriesland sowie die Neonaziszene Emsland und die Neonaziszene Osnabrück, die zwar nur wenige Angehörige umfassen, jedoch personelle Überschneidungen mit den regionalen NPD-Unterbezirken aufweisen. Die Notwendigkeit zur Bildung informeller Netzwerke resultiert mehr noch als in anderen Landesteilen aus der Tatsache eines insgesamt zurückgehenden Personenpotenzials. Vor diesem Hintergrund nimmt die ohnehin hohe Bedeutung sozialer Netzwerke für die Mobilisierungsund Aktionsfähigkeit der Szene weiter zu. Über die sozialen Netzwerke, in denen auch die mit Smartphones kompatiblen QR-Codes verwendet werden, berichten Szeneangehörige über ihre Aktivitäten und versuchen, neue Anhänger zu gewinnen. Dabei sind sie entweder eindeutig als szenetypisch identifizierbar, wie z. B. die Aktionsgemeinschaft Emsland bzw. die Freien Kräfte Papenburg, oder sie firmieren wie im Fall der Freien Kräfte Ostfriesland eher unverfänglich unter der Bezeichnung "Leuchtfeuer Ostfriesland". Letztere geben in diversen Beiträgen zum Thema "Sittengesetz" Einblick in ihre ideologischen Vorstellungen von "Führer und Gefolgschaft", "Wahrung und Mehrung germanischer Art" und "Völkischer Sitte". Die Ausführungen beinhalten ein unverhohlenes Bekenntnis zum Nationalsozialismus: "Der Nationalsozialismus kämpft seit über 90 Jahren und ist seit dem Tode seines Schöpfers durch keinen wesentlich neuen Impuls geadelt worden. Er zehrt noch immer von dem Erbe der Blutzeugen."33 32 Siehe auch Seite 52 (Ausführungen zu Besseres Hannover) und Kapitel 2.6.7.2 und 2.9.4. 33 Als "Blutzeugen" wurden im Nationalsozialismus die im Kampf für die "Bewegung" zu Tode gekommenen Anhänger des Nationalsozialismus bezeichnet. 48 (Facebook-Profil von Leuchtfeuer Ostfriesland am 09.05.2013, Ausdruck vom 19.12.2013) In Anlehnung an die rechtsextremistische "Volkstod-Kampagne" werden fremdenfeindliche und rassistische Überzeugungen unverstellt zum Ausdruck gebracht: "Steht Heimat nicht für die Verwurzelung eines gewachsenen Volkes in der Gesamtheit in seinem angestammten Lebensraum? ... Heimat bedeutet auch die Verbundenheit zum inneren Wesen des eigenen Volkes - einem Volk, welches mittlerweile im Sterben liegt und einfach durch Zuwanderung ersetzt werden soll." (Facebook-Profil von Leuchtfeuer Ostfriesland am 28.04.2013, Ausdruck vom 19.12.2013) Die netzwerkartigen Strukturen im Raum Ostfriesland/Emsland treten durch die gemeinsame Teilnahme an Demonstrationen offen zutage, insbesondere wenn es sich um Veranstaltungen handelt, die von der Partei Die Rechte in Niedersachsen oder Nordrhein-Westfalen organisiert werden. Darüber hinaus bestehen ausgeprägte Verbindungen zu Angehörigen der neonazistischen Blood & Honour Divisie Noordland in den benachbarten Niederlanden.34 Das grenzüberschreitende Zusammenspiel zeigte sich bei gemeinsamen Veranstaltungen, z. B. am 19.01.2013 in Winschoten (NL) oder am 10.10.2013 in Groß Berßen (Landkreis Emsland), an denen jeweils ca. 80 Neonazis und Anhänger der rechtsextremistischen Subkultur teilnahmen. Die Ausrichtung der letztgenannten Veranstaltung durch Angehörige der Neonaziszene Emsland und des NPD-Unterbezirks Emsland-Grafschaft Bentheim verweist zudem auf die fließenden Übergänge zwischen den verschiedenen Strömungen innerhalb des rechtsextremistischen Lagers auch in dieser Region Niedersachsens. Im Bereich Bückeburg (Landkreis Schaumburg) existiert seit Anfang 2011 mit den Nationalen Sozialisten Bückeburg, eine aus Jugendlichen und jungen Erwachsenen bestehende rechtsextremistische Szene. Öffentlichkeitswirksame politische Aktivitäten haben seit September 2012 deutlich abgenommen. Grund hierfür dürfte das Verbotsverfahren gegen Besseres Hannover sein, in das auch ein führender Angehöriger der Nationalen Sozialisten Bückeburg involviert war. Infolge der Entstehung der Nationalen Sozialisten Bückeburg ist seit 2011 eine Zunahme an rechtsextremistisch motivierten Straftaten sowie ein Anstieg von Auseinandersetzungen zwischen rechtsund linksextremistisch motivierten Personen im Bereich des Landkreises Schaumburg zu verzeichnen. Die verstärkte Präsenz von Angehörigen der neonazistischen Szene aus Nordrhein-Westfalen ist Ausdruck einer organisatorischen Verflechtung in die angrenzende Region Ostwestfalen-Lippe. Die Zusammenarbeit über die Landesgrenzen hinweg zeigt sich in der gemeinsamen Beteiligung an Demonstrationen und der Durchführung von Gemeinschaftsveranstaltungen wie auch in der Teilnahme an Balladenabenden. Daneben ist der "Kameradschaftsdienst Demosanis" zu nennen, der vornehmlich von Angehörigen dieser Szenen gebildet wird und der regelmäßig bei Demonstrationen und szeneinternen Großveranstaltungen im gesamten Bundesgebiet auftritt. Ebenfalls über ausgeprägte Kontakte nach Nordrhein-Westfalen verfügt die seit Anfang 2012 bestehende und seither bei Demonstrationen in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen 34 Siehe hierzu auch Kapitel 2.6.7.1 und 2.6.7.3. 49 präsente Aktionsgruppe Weserbergland. Personelle Überschneidungen bestehen zu einem Aktivistenkreis in Hannover, der sich der neonazistischen Vereinigung Hamburger Nationalkollektiv/Weisse Wölfe Terrorcrew (HNK/WWT) zurechnet. Die seit Mai 2011 als HNK/WWT hauptsächlich in Hamburg aktive neonazistische Vereinigung machte im Dezember 2011 durch einen unangemeldeten Fackelmarsch in HamburgHarburg auf sich aufmerksam, der im Stil der "Unsterblichen" durchgeführt wurde. An diesem Aufzug beteiligten sich auch Neonazis aus Niedersachsen, u. a. aus Hannover. Der nur wenige Personen umfassende Ableger WWT Hannover fiel bislang lediglich durch Demonstrationsund Konzertteilnahmen sowie vereinzelte Parolenschmierereien im Stadtgebiet auf. Ein ehemaliges Mitglied der Gruppierung HNK/WWT aus Buchholz, der die Gruppierung zwischenzeitlich verlassen hatte und maßgeblich am Aufbau der Aktionsgruppe (AG) Nordheide beteiligt war, ist Beschuldigter eines von der Bundesanwaltschaft wegen des Verdachts der Bildung einer terroristischen Vereinigung geführten Ermittlungsverfahrens gegen Angehörige der rechtsextremistischen Szene aus Deutschland, der Schweiz und den Niederlanden. Die in diesem Zusammenhang am 17.07.2013 erfolgten Durchsuchungsmaßnahmen dürften der Grund dafür sein, dass auch die Aktivitäten der AG Nordheide - mit Ausnahme eines weiterhin betriebenen Twitter-Accounts - spürbar zurückgegangen sind. Bis zu diesem Zeitpunkt war die AG Nordheide hauptsächlich durch Demonstrationsteilnahmen und fremdenfeindliche Agitation gegen die Unterbringung von Asylbewerbern hervorgetreten. Entgegen dem in den beschriebenen Regionen feststellbaren Trend hin zu informellen Netzwerken, war in anderen Regionen Niedersachsens wie Hannover, Hildesheim oder dem Bereich der Lüneburger Heide, die in den vergangenen Jahren zu den Schwerpunkten neonazistischer Agitation gehörten, ein deutlicher Rückgang an neonazistischen Aktivitäten zu verzeichnen. Zurückzuführen ist dies in erster Linie auf das am 25.09.2012 erfolgte Verbot von Besseres Hannover35 und die vorausgegangenen Exekutivund Verbotsmaßnahmen gegen neonazistische Vereinigungen in Brandenburg36, Nordrhein-Westfalen37 und Rheinland-Pfalz38. In der Folge konnten weder in Hannover noch im übrigen Niedersachsen oder im Bundesgebiet weitere Aktivitäten von Besseres Hannover als Gruppierung festgestellt werden, abgesehen von dem kurzzeitigen Versuch, die eigene Internetseite weiter zu betreiben. Mehr als die Hälfte der ehemaligen Angehörigen von Besseres Hannover trat in der Folgezeit nicht mehr durch rechtsextremistische Aktivitäten in Erscheinung. Einzelne Mitglieder wandten sich anderen neonazistischen Gruppierungen zu, u. a. dem AB 38 und den Nationalen Sozia35 Eine durch ein führendes Mitglied der Gruppierung eingereichte Klage gegen das Verbot wurde durch das OVG Lüneburg mit Urteil vom 03.09.2013 als unzulässig abgewiesen, da der Kläger zunächst im eigenen Namen geklagt hatte und das Gericht eine ohnehin verfristete Klageänderung nicht als sachdienlich ansah. Im individuellen Klageverfahren erachtete das OVG die Klage für zulässig, aber unbegründet, da hier lediglich die formelle Rechtmäßigkeit geprüft werden konnte, welche das Gericht u. a. im Hinblick auf die erforderliche Vereinseigenschaft bejahte. Eine Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision wurde am 06.01.2014 vom Bundesverwaltungsgericht zurückgewiesen. Das Urteil des OVG ist damit rechtskräftig. 36 Verbot der Widerstandsbewegung in Südbrandenburg (siehe Kapitel 8.3). 37 Verbot von Nationaler Widerstand Dortmund, Kameradschaft Hamm und Kameradschaft Aachener Land (siehe Kapitel 8.3). 38 Exekutivmaßnahmen gegen 33 Angehörige und Unterstützer des neonazistischen Aktionsbüros Mittelrhein am 13.03.2012. Der Prozess vor dem Landgericht Koblenz gegen insgesamt 26 Beschuldigte ist noch nicht abgeschlossen. 50 listen Bückeburg und beteiligen sich allein oder in kleineren Gruppen auch weiterhin an Veranstaltungen und Aktionen der rechtsextremistischen Szene. Zu beobachten war dies insbesondere bei Demonstrationen in Niedersachsen und in benachbarten Bundesländern, bei denen die Teilnahme zusammen mit Angehörigen des AB 38 unter der gemeinsamen Bezeichnung Freie Kräfte Niedersachsen-Ost erfolgte. In Celle betrieben ehemalige Angehörige von Besseres Hannover zudem am 16.02.2013 gemeinsam mit den Freien Kräften Celle einen Infostand aus Anlass der Aktionswoche zum Jahrestag der Bombardierung Dresdens. Dies verdeutlichte noch einmal die langjährigen Verbindungen von Besseres Hannover zur Neonazi-Szene in Celle. Ehemalige führende Angehörige von Besseres Hannover waren darüber hinaus verantwortlich für eine am 14.03.2013 in Hannover abgehaltene Kundgebung und eine am 16.03.2013 in Verden durchgeführte Demonstration. Die Anmeldung der beiden Veranstaltungen erfolgte vor dem Hintergrund des in Kirchweyhe (Landkreis Diepholz) begangenen Tötungsdeliktes.39 Weiterhin in der rechtsextremistischen Szene aktiv ist Patrick KRUSE, der als Liedermacher "Jugendgedanken" auch nach dem Verbot von Besseres Hannover regelmäßig und bundesweit bei Veranstaltungen der Neonaziszene und der JN auftritt.40 Die Zugehörigkeit zu Besseres Hannover, mit der KRUSE in einem Interview gegenüber dem interaktiven rechtsextremistischen Internetangebot "FSN.tv" vom 11.11.2012 öffentlich kokettierte, dürfte dabei anfangs maßgeblich zur Steigerung seines Bekanntheitsgrades beigetragen haben. Das Verbot von Besseres Hannover hat aber nicht nur zu einem merklichen Rückgang neonazistischer Aktivitäten in der Stadt und in der Region Hannover geführt, sondern die neonazistische Szene in Niedersachsen verunsichert und geschwächt, sowohl personell als auch in Hinsicht auf die Mobilisierungsund Aktionsbereitschaft. Besonders deutlich zeigt sich dies bei den Snevern Jungs und den Freien Kräften Celle (ehemals Kameradschaft 73 Celle), die in der Vergangenheit mit den Hannoveranern eng kooperiert hatten. Der Bedeutungsverlust dieser beiden Gruppierungen resultiert aber auch aus den veränderten strukturellen Bedingungen, unter denen die Kontaktpflege in der neonazistischen Szene mittlerweile erfolgt. Angehörige der Snevern Jungs und der Freien Kräfte Celle waren in den letzten Jahren maßgeblich an der Koordinierung der Aktivitäten zumeist örtlich agierender Kameradschaften und deren Zusammenarbeit auf norddeutscher Ebene beteiligt. Sie orientierten sich dabei am Vorbild der Aktionsbüros und der später ausgeweiteten überregionalen Kameradschaftstreffen. Die voranschreitende technische Entwicklung und die wachsende Bedeutung des Internets, insbesondere der sozialen Netzwerke, machen derartig formalisierte persönliche Kontakte jedoch zunehmend entbehrlich. Gegenwärtig scheinen zur Absprache gemeinsamer Aktivitäten neben bereits bestehenden persönlichen oder virtuellen Kontakten Veranstaltungen auszureichen, die entweder aufgrund der politischen Motivation (gemeinsame Demonstrationsteilnahmen, Zeitzeugenveranstaltungen) oder zur Förderung des Gemeinschaftsgefühls (Balladenabende, Solidaritätsfeiern) stattfinden. Eigens für diesen Zweck anberaumte Sondertreffen sind entbehrlich. Infolge dieser Entwicklung verloren die bisherigen Führungspersonen aus Celle, Hildesheim und Schneverdingen an Einfluss innerhalb der neonazistischen Szene Niedersachsens. Auch 39 Siehe hierzu auch Seite 49 und Kapitel 2.6.7.2 und 2.9.4. 40 Siehe hierzu auch Kapitel 2.5.3. 51 fanden die in den letzten Jahren maßgeblich von den genannten Gruppierungen durchgeführten Sonnenwendfeiern in Eschede (Landkreis Celle) nicht mehr statt, die bis dahin mit Teilnehmerzahlen von bis zu 250 Rechtsextremisten überaus bedeutsam für die norddeutsche Neonaziszene waren. Lediglich die völkisch ausgerichtete neonazistische Frauengruppierung Düütsche Deerns beteiligt sich weiterhin an der Gestaltung von Kulturund Brauchtumsveranstaltungen, die überwiegend auf die JN in Niedersachsen zurückgehen. 41 Ein im landesweiten Vergleich überdurchschnittliches Personenpotenzial weist die Neonaziszene Tostedt (Landkreis Harburg) auf, zu der auch seit Jahren in die norddeutsche Szene eingebundene Neonazis aus dem Heidekreis und dem Landkreis Rotenburg (Wümme) gehören. Allerdings ist die Anzahl der öffentlichkeitswirksamen Aktivitäten im letzten Jahr deutlich zurückgegangen. Zu den Aktivitäten gehörten Demonstrationsteilnahmen von Einzelpersonen und die Kranzniederlegung aus Anlass des als "Heldengedenken" begangenen Volkstrauertages sowie eine Ende des Jahres gemeinsam mit dem Nationalen Widerstand Unterelbe geschaltete Anzeige anlässlich des Todes des Kriegsverbrechers Erich Priebke in einem regionalen Wochenblatt. Darüber hinaus konzentrierten sich die Aktivitäten auf die Teilnahme und Durchführung szeneinterner Veranstaltungen. Neben gemeinsamen Besuchen von Konzerten gehören hierzu eine am 03.05.2013 in Moisburg (Landkreis Harburg) veranstaltete und als "Fight Night" bezeichnete Amateur-Boxveranstaltung sowie ein am 24.08.2013 in Tostedt mit etwa 60 Teilnehmern durchgeführtes Sommerfest unter dem Motto "Tostedt ist bunt? Deutschland multikulti? - Wir bleiben braun!!!". Die Ausrichtung derartiger Veranstaltungen festigt den gruppeninternen Zusammenhalt und trägt zum Erhalt der szeneinternen Reputation der Angehörigen bei, die oftmals eine langjährige Szenezugehörigkeit aufweisen. Die Region Hildesheim, in der in der Vergangenheit mit der Kameradschaft Hildesheim und der so genannten Bürgerinitiative für Zivilcourage Hildesheim zwei bedeutsame Gruppierungen ansässig waren, hat zwischenzeitlich für die neonazistische Szene an Bedeutung verloren. Mittlerweile sind jedoch Ansätze einer Restrukturierung der regionalen Szene erkennbar. Eine zentrale Rolle nimmt dabei der durch seine aggressiven Redeauftritte bundesweit bekannte Neonazi Dieter RIEFLING ein. RIEFLING ist u. a. durch seine führende Funktion im Rahmen der Kampagne zum "Tag der deutschen Zukunft"42 und seine regelmäßige Teilnahme an überregionalen Veranstaltungen der rechtsextremistischen Szene in Niedersachsen einer der einflussreichsten niedersächsischen Neonazis. Aufgrund seiner langjährigen Szenezugehörigkeit verfügt er über weitreichende Verbindungen zu szenerelevanten Personen und Organisationen im gesamten Bundesgebiet. 2.6.7 Demonstrationen und Kampagnen der rechtsextremistischen Szene Demonstrationen sind für die den parlamentarischen Prozess ablehnende neonazistische Szene das wichtigste Mittel, um ihr ideologisches Anliegen in die Öffentlichkeit zu tragen und sich zugleich als Bewegung zu präsentieren. Demonstrationen können als Indikator für die thematische Schwerpunktsetzung und die Mobilisierungsfähigkeit der rechtsextremistischen Szene angesehen werden. Grundsätzlich lässt sich feststellen, dass die Bereitschaft an Demonstrationen teilzunehmen, in den letzten Jahren nachgelassen hat. Dies gilt nicht für sze41 Siehe hierzu auch Kapitel 2.8. 42 Siehe hierzu auch Kapitel 2.6.7.3. 52 neinterne Veranstaltungen, die den Charakter einer Kontaktund Informationsbörse aufweisen und dem inneren Zusammenhalt dienen. Im Folgenden wird die Beteiligung niedersächsischer Neonazis an den wichtigsten Demonstrationen nachgezeichnet. 2.6.7.1 Trauermärsche in Magdeburg und Dresden Den Auftakt des jährlichen Demonstrationsgeschehens machte am 12.01.2013 der "Trauermarsch" zum Jahrestag der Bombardierung Magdeburgs. Dabei blieb die Teilnehmerzahl mit rund 900 Rechtsextremisten gegenüber dem Vorjahr nahezu konstant. Unter den Teilnehmern waren auch Angehörige des AB 38, der Aktionsgruppen Nordheide und Weserbergland, der Nationalen Sozialisten Bückeburg und der Neonaziszene Südniedersachsen sowie der neonazistischen Szenen im Emsland und in Osnabrück, die gemeinsam mit Neonazis aus den Niederlanden erschienen. Hingegen reisten am 13.02.2013 zu einer der seit Jahren wichtigsten Demonstrationen, dem "Trauermarsch" zum Jahrestag der Bombardierung Dresdens, lediglich 700 Rechtsextremisten an. Ausschlaggebend für den geringen Zuspruch dürften die bereits im Vorfeld absehbaren Blockaden durch Gegendemonstranten gewesen sein, die eine reibungslose Durchführung als wenig wahrscheinlich erschienen ließen. Die Gegendemonstrationen führten dazu, dass ein einheitlicher Aufmarsch nicht zustande kam und sich die Teilnehmer auf kleinere Spontandemonstrationen abseits der eigentlichen Route beschränken mussten. 2.6.7.2 Kampagnenthema Kirchweyhe Ein am 10.03.2013 in Kirchweyhe (Landkreis Diepholz) durch einen jungen Mann mit Migrationshintergrund begangenes Tötungsdelikt bot den Angehörigen der neonazistischen Szene sowie der NPD und der Partei Die Rechte Anlass für eine fremdenfeindliche Kampagne. Sie versuchten, mit ausländerund islamfeindlichen Parolen und der Warnung vor einer vermeintlichen Überfremdung Deutschlands von der aufgeheizten Stimmung in der Bevölkerung zu profitieren. Nachdem das Tötungsdelikt von der Presse in großer Aufmachung aufgegriffen worden war, setzten die Rechtsextremisten am 14.03.2013 mit einer Mahnwache in Hannover ein erstes Zeichen. An der Veranstaltung beteiligten sich rund 50 Angehörige der neonazistischen Szene, u. a. des AB 38 und der Neonaziszene Südniedersachsen sowie ehemalige Angehörige von Besseres Hannover. Zwei Tage später nahmen insgesamt rund 60 Neonazis von AB 38, Snevern Jungs, Aktionsgruppe Weserbergland und Neonazis aus Oldenburg an einer Spontandemonstration in Verden teil. Unter maßgeblicher Beteiligung der neonazistischen Szenen aus Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen fanden zudem am 23.03.2013 und am 11.05.2013 zwei Aufzüge in Kirchweyhe statt. Anmelder der von etwa 80 bzw. 100 Rechtsextremisten besuchten Aufmärsche war die Partei Die Rechte.43 Großes Interesse bei der neonazistischen Szene Niedersachsens fand die vom Landesverband Nordrhein-Westfalen der Partei Die Rechte angemeldete Demonstration "Heraus zum 1. Mai" in Dortmund. Zu den insgesamt rund 450 Teilnehmern zählten neben Angehörigen der Neonaziszene Südniedersachsen, der Aktionsgruppe Nordheide, der Aktionsgruppe Weserbergland, der Freien Kräfte Ostfriesland und der neonazistischen Szenen aus Oldenburg und dem Emsland auch zahlreiche Vertreter des AB 38, die für die Kampagnendemonstration zum "Tag der deutschen Zukunft" (TddZ) warben. 43 Siehe hierzu auch Seiten 49 und 52 und Kapitel 2.9.4. 53 2.6.7.3 Kampagnendemonstration der norddeutschen Neonaziszene: "Tag der deutschen Zukunft" (TddZ) Am TddZ beteiligten sich am 01.06.2013 in Wolfsburg etwa 530 Rechtsextremisten (2012: 700) aus Niedersachsen und den angrenzenden Bundesländern sowie vereinzelt auch aus dem übrigen Bundesgebiet und den Niederlanden. In seinem Redebeitrag betonte der Mitinitiator der Kampagne RIEFLING die szeneübergreifende Bedeutung der Demonstration: "Jeder deutsche Volksgenosse ist eingeladen und vor allen Dingen auch aufgerufen, sich für die Zukunft unseres deutschen Volkes einzusetzen. Beim Tag der deutschen Zukunft gibt es keine Parteiengrenzen und Gruppenegoismen. ... Die Rednerliste enthält auch einen Querschnitt unserer Bewegung aus allen Parteien und Strukturen. Es ist ein Spiegelbild unserer Bewegung." Den Aussagen RIEFLINGs zufolge, der sich am 26.05.2013 in einem Interview im szeneinternen interaktiven rechtsextremistischen Internetangebot "FSN.tv" geäußert hatte, soll es den TddZ auch in den nächsten Jahren geben: "Der TddZ ist so lange notwendig, so lange wir dieses Überfremdungsproblem in unserer geliebten Heimat haben. Und so lange nicht die schätzungsweise 18 Millionen artund kulturfremden Menschen hier ausgeschafft worden sind - in welcher Form auch immer - wird es wahrscheinlich die Problematik geben und somit die Berechtigung des TddZ." 2.6.7.4 Demonstrationen der Neonaziszene in Bad Nenndorf Die historisch belegten Übergriffe auf deutsche Kriegsgefangene im Wincklerbad in Bad Nenndorf (Landkreis Schaumburg) sind für die rechtsextremistische Propagandastrategie von besonderer Bedeutung, um auf diese Weise nationalsozialistische Verbrechen und damit den Nationalsozialismus selbst durch Vergleiche zu relativieren. Die offene Verherrlichung des Nationalsozialismus ist demgegenüber in den Hintergrund getreten. Seinen größten Zuspruch erfuhr der "Trauermarsch" im Jahr 2010 mit der Teilnahme von rund 1.000 Rechtsextremisten. Seitdem gingen die Teilnehmerzahlen kontinuierlich zurück. Unter dem Motto "Gefangen - gefoltert - gemordet! Damals wie heute - Besatzer raus!" beteiligten sich am 03.08.2013 lediglich noch etwa 320 Teilnehmer. Aufgrund massiver Gegenproteste gelang es zudem erstmals nicht, die angestrebte Kundgebung direkt am Wincklerbad abzuhalten. Für den 02.11.2013 meldeten dann sowohl das neonazistische Gedenkbündnis Bad Nenndorf als auch die NPD und die Partei Die Rechte getrennt voneinander weitere demonstrative Veranstaltungen in Bad Nenndorf an. Das Hauptziel einer Kundgebung am historischen Wincklerbad wurde zwar erreicht, allerdings beteiligten sich insgesamt lediglich etwa 60 Angehörige der neonazistischen Szene aus Niedersachsen und der Partei Die Rechte aus Nordrhein-Westfalen an den Kundgebungen. Ursachen für den Rückgang der Teilnehmerzahl sind neben dem breitgefächerten zivilgesellschaftlichen Gegenprotest, der rechtsextremistische Mitläufer nicht unbeeindruckt lässt, die anhaltende Verunsicherung der rechtsextremistischen Szene infolge staatlicher Exekutivmaßnahmen im Jahr 2012 und die szeneintern nachlassende Bedeutung von Demonstrationen im Allgemeinen und von Veranstaltungen mit vergangenheitsbezogener Thematik im Speziellen. 54 2.6.7.5 Volkstrauertag als "Heldengedenken" Der im November begangene Volkstrauertag ist innerhalb der neonazistischen Szene als "Heldengedenktag" von hoher symbolischer und identitätsstiftender Bedeutung. In der Vergangenheit fand die bundesweite zentrale Veranstaltung im brandenburgischen Halbe statt. Seit dem Verbot der Veranstaltung im Jahr 2006 beschränkt sich die rechtsextremistische Szene in Niedersachsen auf die Durchführung von Kranzniederlegungen und Gedenkminuten auf Soldatenfriedhöfen und an Kriegerdenkmälern. Angehörige der Aktionsgruppe Gifhorn, der Partei Die Rechte Braunschweiger Land und des NPD-Unterbezirks Gifhorn-Wolfsburg versammelten sich an einem Ehrenmal im Landkreis Gifhorn, um einen Kranz niederzulegen. Auf dem mitgeführten Transparent war zu lesen: "Die Zeit heilt nicht alle Wunden, sie lehrt uns nur mit dem Unbegreiflichen zu leben." Weitere Kranzniederlegungen in kleinerem Rahmen führten Angehörige der neonazistischen Szene und der NPD in den Landkreisen Emsland, Göttingen, Harburg und Heidekreis durch. Grablichter, Gestecke oder Gedichte wurden im Landkreis Hildesheim sowie im Bereich der Freien Kräfte Ostfriesland niedergelegt. 2.6.7.6 Kampagne zur Freilassung von Erich Priebke Für die ideologische Rückversicherung sowohl der subkulturell geprägten als auch der neonazistischen Szene sind des weiteren Zeitzeugen aus der Ära des historischen Nationalsozialismus von großer Bedeutung. Im Mittelpunkt steht die Bewahrung einer Erinnerungskultur, die in Zeitzeugenvorträgen wie auch in Internetforen regelmäßig hochrangige ehemalige Repräsentanten des NS-Regimes und ehemalige Angehörige der Wehrmacht zu Wort kommen lässt. Zu den prominentesten Vertretern zählte Erich Priebke, der in Italien wegen seiner Beteiligung an Massenerschießungen als NS-Kriegsverbrecher verurteilt und unter Hausarrest gestellt wurde. Am 11.10.2013 verstarb Priebke im Alter von 100 Jahren in Rom. Anlässlich seines Todes wurden Beileidsbekundungen für "einen der letzten Helden der deutschen Geschichte" im Internet44 veröffentlicht. In Niedersachsen ließen der Nationale Widerstand Unterelbe und der Nationale Widerstand Tostedt Todesanzeigen in Wochenblättern drucken. Am Beispiel Priebkes relativiert der Nationale Widerstand Tostedt auf seiner Internetseite auch die individuelle Schuld von Kriegsverbrechen und verbindet dies mit antisemitisch konnotierten Verschwörungstheorien: "Das Schicksal wollte es, dass er durch einen 'Führerbefehl' an der Vergeltungsaktion für einen feigen kommunistischen Anschlag, der 33 deutsche Soldaten und eine große Zahl unbeteiligter italienischer Zivilisten tötete, teilnehmen musste. ... Jüdische Organisationen, die seit Jahrzehnten jeden kleinen Gefreiten mit biblischer Rachsucht ausgraben, um ihn vor Gericht zu zerren, damit die Propagandakampagnen gegen unser Vaterland nicht ins Stocken geraten, hatten auch Priebke im Visier." (Internetseite des Nationalen Widerstands Tostedt, Ausdruck vom 22.11.2013) Vorausgegangen war eine bundesweite Solidaritätskampagne aus Anlass des 100. Geburtstages von Priebke am 29.07.2013, an der sich aus Niedersachsen Angehörige des AB 38 beteiligten. Beim international bedeutenden ISD-Memorial-Konzert zum 20. Todestag des Gründers von Blood & Honour, Ian Stuart DONALDSON, am 20./21.09.2013 in Nottingham (GB) ließen sie sich mit dem Banner "Lasst Erich Priebke frei" ablichten. Die gleiche Aktion 44 Twitter-Account der AG Nordheide, Ausdruck vom 12.10.2013. 55 wurde gemeinsam mit Angehörigen der NPD-Unterbezirke Gifhorn-Wolfsburg und Helmstedt am ehemaligen Grenzübergang Helmstedt-Marienborn wiederholt. Die Solidarität zeigte sich besonders deutlich am 03.08.2013 in Bad Nenndorf, wo Teilnehmer an der Spitze des Demonstrationszuges mit einem Transparent die Freiheit für Erich Priebke forderten. 2.7 Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) Bund Niedersachsen Sitz Berlin Oldenburg Vorsitzende Holger APFEL Manfred BÖRM (bis zum 12.12.2013) (kommissarisch bis zum 09.03.2013) Udo Pastörs Ulrich Eigenfeld (seit 10.01. 2014) (seit dem 10.03.2013) Mitglieder 2012: 6.000 2012: 470 2013: 5.500 2013: 450 Publikationen Deutsche Stimme - 2.7.1 Geschichte und Entwicklung Die NPD wurde am 28.11.1964 in Hannover als "Sammlung des nationalen Lagers" gegründet. Es handelte sich um eine Fusion der Deutschen Reichspartei (DRP) mit kleineren rechtsextremistischen Organisationen. Die DRP als zum damaligen Zeitpunkt größte rechtsextremistische Partei stand in der Tradition der 1952 verbotenen Sozialistischen Reichspartei (SRP). In den Jahren 1966 bis 1972 war die NPD in sieben von zehn Landesparlamenten vertreten, darunter auch im Niedersächsischen Landtag. Der mit 4,3 Prozent der Stimmen verpasste Einzug in den Bundestag bei der Wahl von 1969 leitete eine Phase des Niedergangs ein. Im Jahr 1995, das den Tiefpunkt dieser Entwicklung markierte, gehörten der in sich zerstrittenen Partei bundesweit nur noch 2.800 Mitglieder an, ein Zehntel des Mitgliederstands von 1969. Der Negativtrend kehrte sich 1996 mit der Wahl des bayerischen Landesvorsitzenden Udo VOIGT zum Bundesvorsitzenden der NPD um. VOIGT reagierte auf den Strukturwandel des Rechtsextremismus und öffnete die überalterte, programmatisch auf revisionistische Themen verengte NPD mit der 1996 formulierten "Drei-Säulen-Strategie" - "Kampf um die Parlamente", "Kampf um die Straße", "Kampf um die Köpfe" - für die neonazistischen Freien Nationalisten und für rechtsextremistische Skinheads. 2004 begann eine neue Phase der Zusammenarbeit mit den Freien Nationalisten, die in der Proklamation einer "Volksfront von rechts" und der Aufnahme führender Neonazis in den Bundesvorstand der NPD ihren Ausdruck fand. In ihrem Bemühen, das gesamte rechtsextremistische Spektrum hinter sich zu sammeln, propagierte die NPD auf dem Parteitag von 2004 den "Kampf um den organisier56 ten Willen" und ergänzte damit ihre "Drei-Säulen-Strategie". Ende des Jahres 2010 fusionierte die NPD mit der DVU, deren Restbestände sich Mitte 2012 auflösten. Die Strategie der NPD, sich zunächst in den neuen Bundesländern zu verankern, erwies sich erstmals 2004 bei der sächsischen Landtagswahl als erfolgreich. Der Partei gelang es, mit 9,2 Prozent der Stimmen in den Landtag einzuziehen. 2009 schaffte sie trotz erheblicher Stimmenverluste den Wiedereinzug in das Landesparlament. Seit 2006 ist die NPD außerdem im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern vertreten. Die beiden Landtagsfraktionen bilden die Basis für die strategische Ausrichtung und die Professionalisierung der Gesamtpartei. Bundesweit hält die Partei rund 330 kommunale Mandate, davon 15 in Niedersachsen. 75 Prozent der Kommunalmandate entfallen auf die neuen Bundesländer. 2.7.2 Organisation, Mitgliederentwicklung und Finanzen Der seit 2008 zu registrierende Mitgliederverlust hielt auch im Jahre 2013 an. Zum Ende des Jahres gehörten der in 16 Landesverbände untergliederten Partei noch 5.500 Mitglieder an. Die Frauenorganisation der NPD, Ring Nationaler Frauen (RNF), umfasst etwa 150 Mitglieder. Ausschlaggebend für die Austritte war in erster Linie die Ablehnung des vom ehemaligen Bundesvorsitzenden APFEL verfolgten Kurses der "seriösen Radikalität"45. So verließen z. B. viele Mitglieder in Rheinland-Pfalz die NPD und gründeten eine neue Partei mit der Bezeichnung "Der III. Weg". Vereinzelt traten ehemalige NPD-Mitglieder auch der Partei Die Rechte bei. Aus Opposition zum Kurs von APFEL organisierten sich außerdem so genannte "Freundeskreise Udo Voigt", die sich für die Rückkehr des ehemaligen Vorsitzenden an die Parteispitze einsetzten. In finanzieller Hinsicht ist die Existenz der NPD trotz erheblicher Probleme nicht gefährdet. Für eine Rückzahlungsverpflichtung in Höhe von etwa 1,27 Millionen Euro aufgrund eines Urteils des Bundesverwaltungsgerichts46 hatte die Partei entsprechende Rücklagen bilden können. Eine Verrechnung der Abschlagszahlungen aus der staatlichen Parteienfinanzierung mit der Rückzahlungsverpflichtung konnte die NPD im Hinblick auf die stattfindenden Bundestagswahlen verhindern. Somit wurden ihr zwei Abschlagszahlungen in Höhe von je 303.000 Euro ausgezahlt. Wegen der angespannten Finanzlage allerdings wurden zum Ende des Jahres Mitarbeiter der Parteizentrale entlassen. Da die Einnahmen aus der staatlichen Parteienfinanzierung seit Jahren die größte Einnahmequelle der Partei darstellen, ist das Wahljahr 2014 mit der Europawahl und den Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen für die NPD von herausragender Bedeutung. 45 Auf dem Parteitag 2011 propagierte APFEL seine Strategie der "seriösen Radikalität", mit der sich keine inhaltliche Neupositionierung der Partei verband, sondern lediglich der Versuch, den neonazistischen Kerngehalt der NPDProgrammatik n der Außendarstellung mit rechtspopulistischen Formeln zu kaschieren. APFEL setzte sich gegen den ehemaligen Bundesvorsitzenden Udo VOIGT durch, der die ideologischen Grundlagen der Vergangenheit in den Mittelpunkt der Agitation stellen wollte. 46 Am 12.12.2012 verurteilte das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig die NPD zu einer Strafe in Höhe von rund 1,27 Millionen Euro. Damit wurde die ursprünglich von der Bundestagsverwaltung geforderte Strafzahlung von 2,5 Millionen Euro wegen eines fehlerhaften Rechenschaftsberichts für das Jahr 2007 um etwa die Hälfte reduziert. 57 2.7.3 Programmatik Die NPD propagiert offen und aggressiv fremdenfeindliche, rassistische und antisemitische Positionen. Ihre von völkisch-rassistischen Vorstellungen geleitete Programmatik weist eine ideologische und sprachliche Nähe zur Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) auf. Aus ihrem Parteiprogramm und den Veröffentlichungen ihrer Funktionsträger ist zu schließen, dass sie die bestehende politische und gesellschaftliche Ordnung durch eine ethnisch homogene Volksgemeinschaft ersetzen will. Das 2010 verabschiedete Parteiprogramm "Arbeit - Familie - Vaterland" führt hierzu aus: "Die Würde des Menschen als soziales Wesen verwirklicht sich vor allem in der Volksgemeinschaft. Erst die Volksgemeinschaft garantiert die persönliche Freiheit, diese endet dort, wo die Gemeinschaft Schaden nimmt". (Auszug aus dem Parteiprogramm, Abschnitt "Grundgedanken - Der soziale Nationalstaat", Seite 6) Die Zugehörigkeit zu dieser Volksgemeinschaft wiederum unterliegt völkisch-biologischen Vorstellungen: "Deutscher ist, wer deutscher Herkunft ist und damit in die ethnischkulturelle Gemeinschaft des deutschen Volkes hineingeboren wurde. ... Ein Afrikaner, Asiate oder Orientale wird nie Deutscher werden können, weil die Verleihung bedruckten Papiers (des BRD-Passes) ja nicht die biologischen Erbanlagen verändert, die für die Ausprägung körperlicher, geistiger und seelischer Merkmale von Einzelmenschen und Völkern verantwortlich sind." (Internetseite der NPD, Ausdruck vom 26.03.2013) Auch die wirtschaftspolitischen Vorstellungen basieren auf dem Volksgemeinschaftsgedanken. Der "liberal-kapitalistischen Wirtschaftsordnung" stellt die Partei die "Solidargemeinschaft aller Deutschen" entgegen, die sich am "heimischen Lebensraum" orientieren solle.47 Ganz in diesem Sinne sind die tagespolitischen Forderungen der NPD auf die Exklusion von Einwanderern aus der "Solidargemeinschaft aller Deutschen" ausgerichtet: "Ausländer sind aus den deutschen Sozialversicherungen auszugliedern und einer gesonderten Ausländersozialgesetzgebung zuzuordnen. In ihrer Ausgestaltung von Pflichten und Ansprüchen hat sie auch dem Rückführungsgedanken Rechnung zu tragen." (Parteiprogramm der NPD, Seite 11) Mit einem 2009 entwickelten "Fünf-Punkte-Plan" strebt die Partei die "Rückführung aller Ausländer" an, was eine Vertreibung von Millionen Menschen aus Deutschland nach sich ziehen würde. Der damalige stellvertretende und heutige Bundesvorsitzende, Udo PASTÖRS, spitzte dies in aggressiver Weise in einer Rede am 19.03.2011 in Günzburg (Bayern) noch einmal zu: "Das Menschenrecht besteht aber auch aus dem Selbstbestimmungsrecht der Völker 47 Vgl. NPD-Parteiprogramm: Die raumorientierte Volkswirtschaft als wirtschaftspolitische Alternative, Seite 9. 58 und wenn wir selbstbestimmt sagen, Europa ist das Land der weißen Rasse und es soll es auch bleiben, dann haben wir auch ein Recht darauf, dass notfalls mit militärischer Gewalt sicherzustellen." Zur Strategie der Partei gehört es, die in der Bevölkerung vorhandenen Ängste bewusst zu schüren, um so an ein breites gesellschaftliches Spektrum anschließen zu können. So werden Ausländer, insbesondere Muslime, generell als gewalttätig bezeichnet und für soziale Probleme verantwortlich gemacht. Dabei setzt die NPD bewusst die Begriffe Islam, Islamismus und islamistischer Terrorismus gleich. Die Herstellung einer Volksgemeinschaft ist mit einer parlamentarischen Demokratie nicht vereinbar. Führende Parteifunktionäre haben dies wiederholt zum Ausdruck gebracht. So erklärte der ehemalige Bundesvorsitzende APFEL nach seiner Wahl im November 2011 auf einer Saalveranstaltung der JN in Kirchheim (Thüringen) unumwunden: "Und ich denke, wir können ohne Umschweife sagen, dass die Politiker längst nur noch willfährige Erfüllungsgehilfen, willfährige Marionetten des Finanzkapitals sind. Und eben deshalb stellen wir fest, das liberal-kapitalistische System hat keine Fehler, es ist der Fehler, und eben deshalb liebe Freunde, muss es überwunden werden." Ebenso deutlich äußerte sich PASTÖRS in seiner bereits zitierten Rede in Günzburg am 19.03.2011: "Das was vor uns liegt, ist die Reststrecke eines korrupten Systems, was beseitigt gehört, weil es den Volkserhalt gefährdet, liebe Freunde." Diese exemplarischen Aussagen belegen, dass die NPD gegenüber der freiheitlichen demokratischen Grundordnung eine aktiv-kämpferische und aggressive Haltung einnimmt. Indizien hierfür sind darüber hinaus ein erhöhtes Straftatenaufkommen führender Parteifunktionäre sowie personelle Überschneidungen mit der Neonaziszene. Die Wesensverwandtschaft der NPD mit dem historischen Nationalsozialismus lässt sich nicht nur aufgrund der ideologischen Schnittmengen mit der Programmatik der NSDAP belegen, sie wird immer wieder auch in öffentlichen Bekenntnissen zu führenden Repräsentanten des NS-Regimes zum Ausdruck gebracht. So zitierte die Berliner Vorsitzende des Rings Nationaler Frauen (RNF) in ihrem Redebeitrag auf der NPD-Demonstration am 01.05.2013 in Berlin aus einer Rede von Josef Goebbels: "Ehret die Arbeit und achtet den Arbeiter! Bekränzt eure Häuser und die Straßen der Städte und Dörfer mit frischem Grün. Deutsche aller Stände, Stämme und Berufe reicht euch die Hände! Geschlossen marschieren wir in die neue Zeit hinein." 48 48 Goebbels Rede am 01.05.1933 stand im Kontext der Umdeutung des 1. Mai zum "Tag der nationalen Arbeit" und ging der Zerschlagung der Gewerkschaften im Zuge der Gleichschaltung voraus. 59 Der stellvertretende Landesvorsitzende der NPD in Hamburg, Thomas WULFF 49, beendete seine Kritik an dem ehemaligen Bundesvorsitzenden APFEL anlässlich des Bundesparteitages 2013 mit verherrlichenden Aussagen über Adolf Hitler: "Möge dieser Parteitag am Wochenende des 20. April dem einen oder anderen Delegierten blitzartig ins Gedächtnis rufen, wozu der größte Sohn unseres Volkes - auch ohne Anfangs große Mittel zur Verfügung zu haben - in der Lage war. Es gelang ihm, weil er, unter Einsatz seiner ganzen Person, vollkommen selbstlos handelnd, unbestechlich und zu jedem persönlichem Opfer bereit, die Verkörperung der Hoffnung von Millionen selbst wurde! - und dies nie verraten hat..." (Thomas WULFF: "NPD am Boden - Eine Partei zerstört sich selbst!", veröffentlicht in einem rechtsextremistischen Nachrichtenportal im Internet) 2.7.4 Innerparteiliche Entwicklung und Strategie Am 19.12.2013 erklärte der Bundesvorsitzende APFEL seinen Rücktritt und legte gleichzeitig auch den Fraktionsvorsitz der sächsischen NPD-Landtagsfraktion nieder. Als Begründung führte er an, dass ihm "die innerparteilichen Grabenkämpfe zu schaffen" gemacht hätten. Hinzu seien ehrverletzende Verleumdungen gekommen. Am 24.12.2013 trat APFEL aus der NPD aus. Sein Landtagsmandat legte er am 17.01.2014 nieder. Der NPD-Bundesvorstand beauftragte am 10.01.2014 den stellvertretenden Bundesvorsitzenden PASTÖRS mit der Führung der Partei. PASTÖRS hat sich in der Partei bislang als Verfechter eines radikalen Kurses und einer intensiven Zusammenarbeit mit der neonazistischen Szene profiliert. Bereits kurz nach Amtsantritt äußerte er in seiner Eröffnungsrede auf dem NPD-Bundesparteitag zur Europawahl am 18.01.2014 in Kirchheim (Thüringen) die Absicht, "mit den freien Strukturen zu einer verbindlich geregelten Zusammenarbeit zu kommen". Wie sich bei der anschließenden Wahl des Spitzenkandidaten zur Europawahl erwies, ist seine Position jedoch noch nicht gefestigt. PASTÖRS unterlag bei der Abstimmung seinem Rivalen, dem ehemaligen Bundesvorsitzenden Udo VOIGT. Als politische Richtungsentscheidung indes ist VOIGTs Wahl nicht zu bewerten, dazu unterscheiden sich die beiden führenden NPD-Funktionäre in ihrer ideologischen und politischen Grundausrichtung zu wenig. Auf die Listenplätze 2 und 3 wählten die Delegierten den parlamentarischen Berater der sächsischen NPD-Fraktion, Olaf ROSE, und den NPD-Geschäftsführer Jens PÜHSE. Die Vorsitzende des Unterbezirks Hannover, Christina KRIEGER, wurde auf Platz 7 der Liste gewählt. Noch im April hatten die Delegierten APFEL auf dem 34. ordentlichen Bundesparteitag in Weinheim (Baden-Württemberg) erneut zum Vorsitzenden gewählt. Sein Herausforderer, der stellvertretende Berliner Landesvorsitzende Uwe MEENEN, für den VOIGT eine Wahlempfehlung ausgesprochen hatte, unterlag mit nur 37 Stimmen deutlich. VOIGT hatte seine angekündigte Wahlkandidatur kurzfristig zurückgezogen. 49 Auf seiner Antrittsrede zum Vorsitzenden der NPD in Hamburg im März 2014 bezeichnete er sich als Nationalsozialist. Er wurde daraufhin vom NPD-Bundesvorstand mit sofortiger Wirkung seines Amtes enthoben. 60 Ebenfalls in ihren Ämtern bestätigt wurden die stellvertretenden Bundesvorsitzenden PASTÖRS (Mecklenburg-Vorpommern), Karl RICHTER (Bayern) und Frank SCHWERDT (Thüringen). Nahezu unverändert blieb der Bundesvorstand auch nach der Wiederwahl der Beisitzer. Der Parteitag hatte damit der von APFEL propagierten Strategie der "seriösen Radikalität" zugestimmt, obwohl diese aufgrund rückläufiger Mitgliederzahlen und negativer Wahlergebnisse als gescheitert angesehen werden musste. Die Bruchlinien innerhalb der NPD aber waren bereits unübersehbar. Insbesondere die neonazistisch geprägten Landesverbände Berlin, Rheinland-Pfalz und Thüringen standen in Opposition zum Kurs des Bundesvorsitzenden. So wählte die NPD in Berlin und Thüringen fast ausschließlich Rechtsextremisten mit einem neonazistischen Vorlauf auf die ersten Plätze ihrer Landesliste für die Bundestagswahlen. Die Durchsetzung ihrer Ziele verfolgt die NPD unverändert über die 1996 entwickelte "DreiSäulen-Strategie". Im Selbstverständnis der NPD haben die drei Säulen nicht den gleichen Rang. Die NPD ist aus Überzeugung bewegungsorientiert ("Kampf um die Straße"); ihr Verhältnis zum Parlamentarismus aber ist ein rein taktisches. Parlamente sind für die System ablehnende Partei Orte der Agitation und keine Stätten sachpolitischer Arbeit. Sie ermöglichen den Mandatsträgern der NPD, öffentlichkeitswirksam im Sinne der dritten Säule "Kampf um die Köpfe" zu wirken. Der "Kampf um die Köpfe" beinhaltet neben der Schulung der Parteimitglieder auch den Kampf um die Deutungshoheit politischer Begriffe (kulturelle Hegemonie). Für diesen Zweck verbreitet die NPD zielgruppenspezifische Propagandamaterialien. Im Mittelpunkt ihrer Agitation stehen Jugendliche, die sie mit so genannten Schulhof-CDs und Jugendzeitschriften anzusprechen versucht. Die politischen Kampagnen der NPD haben gezeigt, dass die Partei sich zumindest im Osten Deutschlands auf aktuelle Entwicklungen schnell einzustellen versteht. So reagierte sie auf die Hochwasserkatastrophe mit einer Spendenaktion und einem Aufruf zu nationaler Solidarität; ausgeklammert blieben dem ideologischen Selbstverständnis gemäß "Ausländer" und "Migranten". Ein beherrschendes Kampagnenfeld war lange Zeit die Agitation gegen den Euro und damit gegen den europäischen Einigungsprozess. Als die NPD mit diesem Kampagnenfeld gegenüber konkurrierenden Parteien ins Hintertreffen zu geraten drohte, widmete sie sich primär dem Kampagnenfeld Asyl. Der Erfolg, den die NPD mit der Agitation gegen Asylbewerber in Berlin-Hellersdorf und im sächsischen Schneeberg erzielte, wo sie bei drei Demonstrationen jeweils zwischen 1.500 und 1.800 Teilnehmer bis weit ins bürgerliche Lager hinein mobilisierte, bestärkte die Partei in dieser Ausrichtung. Weitere dezentrale Demonstrationen im Rahmen des "Kampf um die Straße" führt die NPD jährlich zum 1. Mai durch. Zu der Kundgebung in Berlin unter dem Motto "Genug gezahlt! - Wir sind keine Melkkuh Europas" erschienen rund 450 Anhänger. Eine Demonstration des hessischen NPD-Landesverbandes in Frankfurt konnte aufgrund der zahlreichen Gegendemonstranten nicht durchgeführt werden. An der anschließenden Spontankundgebung in Hanau beteiligten sich etwa 150 Rechtsextremisten. Im Vergleich zum Vorjahr konnte die NPD mit rund 600 Rechtsextremisten bei ihren Aufmärschen zum 1. Mai damit nur ungefähr die Hälfte der Anhänger mobilisieren. 61 Beim "Kampf um die Parlamente", bei dem sich die NPD als "Kümmererpartei" profilieren will, konnte die Partei auch 2013 keine nennenswerten Erfolge erzielen. Bei der Landtagswahl in Niedersachsen am 20.01.2013 verlor sie gegenüber der Wahl 2008 0,7 Prozent und verzeichnete mit 0,8 Prozent (29.449 Zweitstimmen) eines ihrer schlechtesten Ergebnisse. Auch bei der Landtagswahl in Bayern am 15.09.2013 verfehlte die NPD mit nur 0,6 Prozent der Stimmen die für sie wichtige Wahlkampfkostenerstattung. In Hessen hingegen gelang es der Partei am 22.09.2013, die Ein-Prozent-Hürde zu überwinden. Bei der ebenfalls am 22.09.2013 durchgeführten Bundestagswahl musste die NPD im Vergleich zur Wahl 2009 leichte Verluste hinnehmen. Sie erhielt 560.828 Stimmen (1,3 Prozent) und verlor damit gegenüber der Wahl 2009 74.697 Stimmen. Die meisten Wähler gaben der Partei in Sachsen (3,3 Prozent) und Thüringen (3,2 Prozent) ihre Stimmen. Die schlechtesten Landeswahlergebnisse wurden in Niedersachsen (0,8 Prozent), Schleswig-Holstein (0,7 Prozent) und Hamburg (0,6 Prozent) erzielt. Den Schwerpunkt des Bundestagwahlkampfes bildete die vom 12.08. bis 21.09.2013 durchgeführte "Deutschlandfahrt", die in rund 100 Städten unter dem Motto "Asylflut und Eurowahn stoppen - NPD in den Bundestag" Station machte. In Niedersachsen fanden Kundgebungen in Braunschweig, Hannover, Hildesheim, Lüneburg, Oldenburg und Osnabrück statt, die aber nur von wenigen NPD-Anhängern besucht wurden. Für die Partei bemisst sich der Erfolg dieser "Deutschlandfahrt" aber nicht an der Anzahl der vor Ort mobilisierten Teilnehmer, sondern an der erzeugten öffentlichen Aufmerksamkeit. Entsprechend der "seriösen Radikalität" hatte die Bundespartei in ihrem Wahlprogramm unter dem unmissverständlichen Titel "Natürlich Deutsch" weitgehend auf aggressive und klassisch rechtsextremistische Formulierungen verzichtet und die Themen Soziales und Finanzen in den Mittelpunkt gerückt. Die Angehörigen der rechtsextremistischen Subkultur versucht die NPD durch Auftritte von szeneeigenen Bands und Liedermachern bei Parteiveranstaltungen zu erreichen. Am 08.06.2013 organisierten der NPD-Kreisverband Vogtland und die JN Sachsen den 4. JNSachsentag, an dem rund 700 Personen teilnahmen. Musikalische Darbietungen erfolgten von den Bands "Sachsenblut", "Act of Violence", "Burn Down" und der rechtsextremistischen Kultband "Die Lunikoff-Verschwörung". An Infotischen konnten die Teilnehmer ein "Solidaritäts-T-Hemd" und "Erich Priebke-Wein" erwerben. Als Redner traten u. a. der damalige Bundesvorsitzende APFEL und der Berliner Landesvorsitzende Sebastian SCHMIDTKE auf. An der vom NPD-Kreisverband Gera (Thüringen) durchgeführten Veranstaltung "Rock für Deutschland" am 06.07.2013 in Gera nahmen ebenfalls rund 700 Personen teil. Das Verhältnis der NPD zur neonazistischen Szene ist ambivalent und variiert von Landesverband zu Landesverband. In Mecklenburg-Vorpommern und Berlin sind Szeneangehörige die entscheidenden Träger des jeweiligen Landesverbandes. So sprach der Berliner Landesvorsitzende SCHMIDTKE zu den Teilnehmern des von der neonazistischen Szene ausgerichteten "Tages der deutschen Zukunft" am 01.06.2013 in Wolfsburg. Auch im niedersächsischen Landesverband sind Neonazis vertreten, spielen aber keine vergleichbar dominierende Rolle. Am 09.12.2011 entschied die Ständige Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder (IMK), die Möglichkeit eines NPD-Verbotsverfahrens nach Art. 21 Abs. 2 des Grundgeset62 zes zu prüfen. Eine gemeinsam von Bund und Ländern eingesetzte Arbeitsgruppe sollte die Erfolgsaussichten eines Verbotes erörtern. Der Bericht der Arbeitsgruppe veranlasste die Landesinnenminister auf ihrer Sitzung am 22.03.2012 dazu, die notwendigen Schritte für ein Verbotsverfahren einzuleiten. Im Rückblick auf das gescheiterte Verbotsverfahren im Jahre 2003 wurden dafür alle Quellen in den Führungsebenen der Partei abgeschaltet. 50 Auf der Grundlage der durch die Verfassungsschutzbehörden gesammelten Materialien entschieden sich die Innenminister der Länder am 05.12.2012 für einen erneuten Verbotsantrag. Am 14.12.2012 fasste daraufhin der Bundesrat den Beschluss, das Parteiverbotsverfahren anzustrengen. Nach Abschluss der Materialsammlung reichte der Bundesrat am 03.12.2013 den Antrag auf Verbot der NPD beim Bundesverfassungsgericht ein. Die NPD selbst hatte zuvor im November 2012 mit einer Organklage vor dem Bundesverfassungsgericht versucht, ihre "Verfassungskonformität" feststellen zu lassen. Die Klage war jedoch vom Gericht abgelehnt worden. 2.7.5 Niedersächsischer Landesverband der NPD Der seit Jahren anhaltende Niedergang der niedersächsischen NPD setzte sich auch im Jahr 2013 fort. Infolge der jahrelangen Inaktivität wurden der Unterbezirk Mittelweser und der Kreisverband Osterode aufgelöst. Der niedersächsische Landesverband verfügt somit nur noch über elf Unterbezirke und einen Kreisverband. Dem Unterbezirk Hannover gehören als kleinste Untergliederung noch die Stützpunkte Barsinghausen/Wunstorf und Laatzen an. Die Zahl der Mitglieder des Landesverbandes verringerte sich auf etwa 450. Am 10.03.2013 führte die Partei ihren Landesparteitag im Landkreis Goslar durch. Da sich der alte Landesvorstand aufgrund parteiinterner Querelen und des schlechten Wahlergebnisses bei der Landtagswahl am 20.01.2013 nicht mehr zu Verfügung stellte, musste ein neuer Landesvorstand gewählt werden. Die Delegierten bestimmten den früheren Vorsitzenden, Ulrich EIGENFELD51, erneut zum Landesvorsitzenden. Als Stellvertreter wurden Michael KNOBLOCH (UB Gifhorn/Wolfsburg) und Brigitte KALLWEIT, Landesvorsitzende des Rings Nationaler Frauen (RNF) Niedersachsen, gewählt. Beisitzer sind Dennis DORMUTH (UB Oldenburg), Matthias RIES (UB Osnabrück), Friedrich PREUß (UB Braunschweig), Ingo HELGE (UB Heide-Wendland) Christina KRIEGER (UB Hannover), Peter SÜSSBIER (UB Gifhorn/Wolfsburg) und Carin HOLLACK (UB Hannover). Im Anschluss wählte der Landesverband Ulrich EIGENFELD, Marco BORRMANN und Brigitte KALLWEIT auf die ersten Plätze seiner Liste für die Bundestagswahl. Der Landesverband schloss sich mit dieser Wahl der vom ehemaligen Bundesvorsitzenden APFEL propagierten "seriösen Radikalität" an. Eine Zusammenarbeit mit der neonazistischen Szene, insbesondere im Hinblick auf den "Kampf um die Straße", bleibt somit vorerst unwahrscheinlich. Programmatisch setzte der Landesverband keine eigenen Akzente. Im Wahlkampf übernahm er die von der Bundespartei vorgegebenen Themen. 50 Das Bundesverfassungsgericht hatte am 18.03.2003 das Verbotsverfahren aus Verfahrensgründen eingestellt. 51 EIGENFELD gehört dem national-konservativen Flügel der Partei an, der sich gegen eine Zusammenarbeit mit der Neonaziszene ausspricht. Von 1996 bis Mai 2009 hatte er bereits den Landesverband angeführt. 63 Die Aktivitäten der meisten Unterbezirke beschränkten sich auf regelmäßige Mitgliederversammlungen und Stammtische. Prominente Rechtsextremisten hielten bei diesen Veranstaltungen zeitweilig Gastvorträge, wie z. B. das NPD-Mitglied aus Sachsen-Anhalt Hans PÜSCHEL am 07.06.2013 beim Unterbezirk Osnabrück oder der ehemalige Bundesvorsitzende VOIGT am 13.12.2013 im UB Heide-Wendland. Der Unterbezirk Osnabrück versuchte in der Zeit des Bundestagswahlkampfes, erfolglos durch ein "Immobilienscheingeschäft" in Bad Bergen auf sich aufmerksam zu machen. Unter der Leitung des Pressesprechers DORMUTH baute die niedersächsische NPD ihre Internetaktivitäten aus. Die einzelnen Unterbezirke erstellen in der Regel keine eigenen Beiträge, sondern übernehmen die Berichte des Landesverbandes. Dem neuen Landesvorstand gelang es nicht, die strukturellen und personellen Defizite des Landesverbandes zu beheben. So fanden Veranstaltungen wie eine Rhetorikschulung im Juli 2013 und ein Wahlkongress im August 2013 nur wenig Resonanz in den Parteiuntergliederungen. Auch an den durchgeführten Kundgebungen oder Mahnwachen beteiligten sich nur wenige Mitglieder. An einer Kundgebung des Unterbezirks Hannover unter dem Motto "Asylflut stoppen" am 11.09.2013 in Hannover nahmen lediglich sieben Personen teil. Zu einer NPD-Kundgebung anlässlich der Innenministerkonferenz am 06.12.2013 in Osnabrück fanden sich aus den Landesverbänden Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen nur 20 Rechtsextremisten ein. Der Landesvorsitzende EIGENFELD bekannte auf einer erweiterten Landesvorstandsitzung im November 2013: "Es ist für uns ganz wichtig auch ganz schonungslos Bestand aufzunehmen über die Dinge, die bei uns im Landesverband als Mängel da sind." (veröffentlicht auf der Internetseite der NPD Niedersachsen, Ausdruck vom 09.12.2013) Als künftige Schwerpunkte benannte er für den Landesverband die "Mitgliederwerbung, die Verbesserung der Verbände, vernünftige Bildungsarbeit, bessere Zusammenarbeit aller Verbände untereinander". Darin lägen die Aufgaben des Landesverbandes, die gerade aus den Mängeln der Vergangenheit wahrgenommen werden müssten. Die Passivität ganzer Unterbezirke hatte schon die Sammlung der erforderlichen 2.000 Unterstützungsunterschriften für den Antritt zur Landtagswahl im Januar 2013 erschwert. Nur durch den Einsatz von Wahlhelfern aus anderen Landesverbänden konnte die Wahlteilnahme gesichert werden. Überdurchschnittliche Ergebnisse erzielte die Partei in Helmstedt (1,7 Prozent), Soltau (1,6 Prozent), Celle, Delmenhorst, Goslar, Osterode und Salzgitter (je 1,3 Prozent). Die wenigsten Stimmen bekam die NPD in Lingen (0,3 Prozent), Cloppenburg, Georgsmarienhütte, Göttingen, Meppen und Osnabrück-West (je 0,4 Prozent). Ihr erklärtes Ziel, Wahlkampfkostenerstattung zu erhalten, verfehlte die Partei mit 0,8 Prozent der abgegebenen Zweitstimmen. In der Endphase des Wahlkampfes vom 07. bis 19.01.2013 versuchte die Partei, mit einer so genannten "Niedersachsentour" noch einmal öffentliche Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Dazu führte sie in 21 Städten insgesamt 23 Kurzkundgebungen unter dem Motto "Raus aus 64 dem Euro - Wir wollen nicht Zahlmeister Europas sein" durch. An den Kundgebungen, in deren Rahmen neben dem damaligen Bundesvorsitzenden APFEL auch der damalige stellvertretende Bundesvorsitzende PASTÖRS als Gastredner auftrat, beteiligten sich im Durchschnitt etwa 20 Sympathisanten. Bei den Bundestagswahlen im September stimmten in Niedersachsen dem amtlichen Wahlergebnis nach 37.415 Wahlberechtigte (0,8 Prozent) mit ihrer Zweitstimme und 41.103 Wahlberechtigte (0,9 Prozent) mit ihrer Erststimme für die NPD. Damit verlor die Partei gegenüber der Bundestagswahl 2009 jeweils 0,4 Prozent der Stimmen. In sechs Wahlkreisen konnte die NPD die Ein-Prozent-Marke erreichen bzw. überschreiten: Celle-Uelzen, Delmenhorst-Wesermarsch-Oldenburg-Land, Goslar-Northeim-Osterode, Heidekreis, HelmstedtWolfsburg, Rotenburg und Salzgitter-Wolfenbüttel. Das beste Wahlergebnis erzielte Friedrich PREUß im Wahlkreis Helmstedt-Wolfsburg mit 2 Prozent der Erststimmen (und 1,4 Prozent der Zweitstimmen für die NPD). Die wenigsten Stimmen erhielt die Partei in den Wahlkreisen Mittelems, Stadt Hannover II und Stadt Osnabrück. In den Wahlkämpfen setzte die NPD thematisch auf die Ende 2011 initiierte Anti-EUbzw. Anti-Euro-Kampagne mit der Forderung nach einem Austritt Deutschlands aus der EU und der Wiedereinführung einer nationalen Währung. Darüber hinaus versuchte die Partei, das Thema Asylmissbrauch von Bürgern aus südosteuropäischen Staaten durch fremdenund islamfeindliche Wahlwerbung für sich zu nutzen. Sie verbreitete Flugblätter mit Parolen wie "Sicher leben - Asylflut stoppen", "Geld für die Oma statt für Sinti und Roma", "Maria statt Scharia" oder "Natürlich deutsch". An den bundesweiten Aktionstagen im Rahmen des Bundestagswahlkampfes führten die NPD-Untergliederungen nur wenige Flugblattaktionen und vereinzelte Infotische, u. a. in Hildesheim und Oldenburg durch. Die geringen Stimmenanteile belegen den Bedeutungsverlust der niedersächsischen NPD. Da in den vergangenen Jahren ein "Generationswechsel" nicht stattgefunden hat und mehrere Unterbezirke weiterhin von älteren Parteifunktionären geführt werden, wird sich diese Entwicklung in den kommenden Jahren vermutlich fortsetzen. 2.8 Junge Nationaldemokraten (JN) Bund Niedersachsen Sitz Riesa Vechta (Sachsen) Vorsitzende Andy KNAPE Christian FISCHER Mitglieder 2012: 350 2012: 20 2013: 380 2013: 20 65 Publikationen Der Aktivist - 2.8.1 Geschichte und Entwicklung Als der 1996 gewählte Parteivorsitzende Udo VOIGT damit begann, die überalterte NPD strategisch neu auszurichten, hatten die 1969 gegründeten Jungen Nationaldemokraten (JN) die Funktion eines Bindeglieds zwischen NPD, rechtsextremistischen Kameradschaften und anderen Neonazis. Diese Rolle ging im Zuge des in den Jahren 2000 bis 2003 gegen die NPD angestrengten Verbotsverfahrens verloren, weil die aus Gründen der Prozessführung taktierende NPD, und damit auch die JN, für jüngere Neonazis an Attraktivität verlor. In der Folgezeit übernahm die NPD selbst die Aufgabe, jüngere Rechtsextremisten für die Partei zu erschließen. Diese treten der NPD seither zumeist direkt ohne Umweg über die JN bei. Die JN verstehen sich seitdem "als ein Bindeglied zwischen der NPD und parteiunabhängigen Initiativen und Aktivisten". Vor diesem Hintergrund sind auch die von den JN durchgeführten Solidarisierungsaktionen mit "politischen Gefangenen" zu sehen. Mit der Aktion "Eine Nachricht macht die Runde", an der sich auch die JN Niedersachsen beteiligten, sollte "auf die Missstände in diesem Unrechtsstaat aufmerksam" gemacht werden. Angehörige des JN-Bundesvorstandes hielten am 24.04.2013 vor dem Landgericht in Koblenz beim Verfahren gegen Angehörige des neonazistischen "Aktionsbüros Mittelrhein" eine Mahnwache ab und störten anschließend die Gerichtsverhandlung. Um auch unpolitische Jugendliche anzusprechen, hatten die JN Ende 2012 eine so genannte Schulhof-CD erstellt, auf der die Frontstellung gegenüber "dem System" deutlich zum Ausdruck kommt: "Wir erheben unsere Stimme und unsere Fäuste gegen ein System, in dem unsere Zukunft schon längst nicht mehr gesichert ist." ("Ansprache an die Jugend" des Bundesvorsitzenden Andy KNAPE auf der SchulhofCD "Die Zukunft im Blick")52 Ein Bekenntnis zum Volksgemeinschaftsgedanken legten die JN am 04.04.2013 auf ihrer Internetseite ab: "Allein gestellt sind wir nichts - in der Gemeinschaft jedoch ist jeder alles. Gemeinschaftsgebunden sind wir bereits durch die Geburt. Wir kommen aus der Gemeinschaft der Familie und fühlen uns durch die Nation unser Leben lang der Gemeinschaft - der Volksgemeinschaft - verbunden." Dass sich dieses Volksgemeinschaftsideal gegen eine pluralistische Demokratie ausrichtet, beschreibt der JN-Schulungsleiter Pierre DORNBRACH in der JN-Publikation "Der Aktivist": "Einem System, dass sich auf Mehrheitsentscheidungen stützt, kann demnach auch keine Ewigkeitsgarantie ausgesprochen werden. ... Nun müssen wir umso stärker als genau die 'Anderen' hervortreten. Wir wollen doch schließlich die sein, die einen Ge52 Die CD wurde am 07.03.2013 von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) indiziert. 66 gensatz zum derzeitigen Zustand ausmachen?! Dann müssen wir auch mit aller Schärfe verdeutlichen, dass wir anders, aber zugleich völkisch, d. h. im Volke verankert sind." ("Der Aktivist", Ausgabe Nr. 2, 2012) Die Identifikation mit dem historischen Nationalsozialismus kommt bei den JN auch durch die Glorifizierung des ehemaligen Angehörigen der Waffen-SS, Erich Priebke, zum Ausdruck. Für den als "Kämpfer für Deutschland" verehrten Priebke veranstalteten JN-Mitglieder anlässlich seines Todes am 16.10.2013 eine Gedenkveranstaltung in Leipzig. Mit der Durchführung von so genannten Kaderwochenenden des Nationalen Bildungskreises (NBK) streben die JN die Ausbildung einer "charakterlich und weltanschaulich geschulten Elite" an. Im Berichtsjahr veröffentlichte der NBK einen "Leitfaden Politische Grundbegriffe" und eine Schriftreihe zu der im Jahr 2012 gestarteten Kampagne "Volkstod aufhalten". Am 13.04.2013 waren die JN Mitveranstalter des "4. Südwestdeutschen Kulturtages", der vom Veranstaltungsverlauf her dem "Märkischen Kulturtag" der verbotenen HDJ nachempfunden zu sein schien. Jedoch im Wissen darum, dass eine strikte völkische Ausrichtung eine Zusammenarbeit mit den Freien Nationalisten erschwert, starteten die JN Ende 2012 im sozialen Netzwerk Facebook die Kampagne "Identität - Werde, wer Du bist", für die u. a. der aus Vienenburg (Landkreis Goslar) stammende Patrick KALLWEIT53 mit ausgestreckter und weiß bemalter Hand warb. Der ehemalige JN-Bundesvorsitzende Michael SCHÄFER erklärte dazu: "Ob nun als eigenständige, starke Bewegung im großen vorpolitischen Raum, als Türöffner zu neuen Jugendbereichen oder als Durchlauferhitzer für die sich modernisierenden nationalistischen Gruppen. Alles ist besser als ein Verharren im Stillstand." (Internetseite der Aktion Widerstand am 02.01.2013) Zu dieser Kampagne zählte auch eine Aktion während des Bundestagswahlkampfs, als die JN mit zynischer Absicht Kondome "für Ausländer und auserwählte Deutsche" verschickte. 2.8.2 Entwicklung in Niedersachsen Nach jahrelanger Inaktivität der JN in Niedersachsen folgte im August 2009 die Reorganisation des Landesverbandes und die Gründung der Stützpunkte Delmenhorst, Lüneburg und Osnabrück. Der Ende 2009 gegründete Stützpunkt Achim/Verden löste sich im Laufe des Jahres 2010 wieder auf. Als JN-Landesvorsitzender fungiert Christian FISCHER, ein ehemaliger Angehöriger der verbotenen Heimattreuen Deutschen Jugend e. V. (HDJ), unter dem der Landesverband eine völkische Ausrichtung erfährt. In einer anlässlich der Landtagswahl 2013 erstellten Zeitschrift für Jugendliche mit dem Namen "Weckruf" bekennen sich auch die JN Niedersachsen zur Volksgemeinschaft: "Wir JN leben die Volksgemeinschaft, die wir in einer neuen Ordnung verwirklichen wollen, bereits heute in den eigenen Reihen vor. Wir wissen: Nationale Identität und nationale Solidarität sind die Pfeiler des sich erneuernden deutschen Volkes. Wir sind 53 KALLWEIT wurde am 27.10.2012 auf dem 39. JN-Bundeskongress in Thüringen in den Bundesvorstand gewählt. 67 die Vorhut eines neuen, auf der Solidargemeinschaft des Volkes begründeten Deutschlands." So standen auch die 2013 durchgeführten Aktivitäten des JN-Landesverbandes, u. a. das "1. Niedersächsische Seminar zu Weltanschauung, Kultur und Geschichte" und das "Erntedankfest", im Zeichen von Volksgemeinschaft und Brauchtumspflege. Anhänger des Stützpunktes Delmenhorst führten einige Flugblattaktionen in Achim und Delmenhorst durch. Ferner unterstützen einige JN-Mitglieder den NPD-Landesverband im Landtagsund Bundestagswahlkampf. Der Stützpunkt Lüneburg verteilte zur Zeit des Landtagswahlkampfes einige wenige Schulhof-CDs. 2.9 Die Rechte Bund Niedersachsen Sitz Parchim - (Mecklenburg-Vorpommern) Vorsitzende Christian WORCH Robert KLUG Mitglieder 2012: 150 2012: 30 2013: 500 2013: 35 Publikationen - - 2.9.1 Organisation und Entwicklung Die Partei Die Rechte wurde im Mai 2012 in Hamburg von Mitgliedern der ehemaligen DVU und dem langjährigen Neonazi Christian WORCH gegründet. Der Posten des Bundesvorsitzenden ging dabei an WORCH. Als stellvertretende Vorsitzende wurde die ehemalige Landesvorsitzende der DVU Schleswig-Holstein, Ingeborg LOBOCKI, gewählt. Im September 2012 folgte die Gründung des mitgliederstärksten Landesverbandes Nordrhein-Westfalen durch ehemalige Mitglieder der im August 2012 verbotenen neonazistischen Kameradschaften Aachen, Dortmund und Hamm. Die ehemaligen Kameradschaftsführer übernahmen im Landesvorstand und in den Kreisverbänden die Führungsfunktionen und setzen seitdem unter dem Schutz des Parteienprivilegs ihre bisherigen Aktivitäten fort. Zudem traten der Partei vereinzelt auch NPD-Mitglieder bei, die von dem Kurs des damaligen Bundesvorsitzenden APFEL enttäuscht waren. Die Rechte verfügt darüber hinaus über Landesverbände in Baden-Württemberg, Berlin, Brandenburg, Hessen, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und Sachsen. In Bremen gibt es einen Landesbeauftragten. Zum Jahresende gehörten der Partei rund 500 Mitglieder an. 68 Beim zweiten Bundesparteitag im Oktober 2012 wählten die Delegierten mit Dennis GIEMSCH (Nationaler Widerstand Dortmund) und Sascha KROLZIG (Kameradschaft Hamm) zwei weitere Neonazis als Beisitzer in den Bundesvorstand. Auf dem dritten Bundesparteitag am 18.05.2013 übernahm LOBOCKI das Amt der Schatzmeisterin. In der anschließenden Wahl der Kandidaten für die Europawahl wählten die Mitglieder den Neonazi Sven SKODA54 aus Nordrhein-Westfalen vor dem Bundesvorsitzenden WORCH zum Spitzenkandidaten. 2.9.2 Ideologie und Programmatik Der Einfluss führender Neonazis im Bundesvorstand sowie im Landesverband NordrheinWestfalen, von dem Die Rechte dominiert wird, veränderte den Charakter der Partei, die bei ihrer Gründung das nach eigenem Bekunden "sprachlich wie inhaltlich modernisierte und ergänzte" frühere Programm der ehemaligen DVU zur Grundlage genommen hatte.55 Die Partei steht seitdem hinsichtlich ihrer Ideologie, ihrer Aktivitäten und der führenden Personen in der Kontinuität der verbotenen neonazistischen Kameradschaften. Ihre Agitation ist von Demokratieund Fremdenfeindlichkeit und der Verherrlichung des Nationalsozialismus bestimmt. In einer Ansprache am 18.01.2014 bekannte sich SKODA beim so genannten Trauermarsch in Magdeburg zum historischen Nationalsozialismus: "Die Idee gegen die Krieg geführt worden ist, ist nicht am 08. Mai 1945 gestorben. Die an den ewigen Lebensgesetzen ausgerichtete Weltanschauung, die Synthese aus Nationalismus und Sozialismus brennt nach wie vor in der Brust der deutschen Menschen." Zu den Kommunalwahlen 2014 in Dortmund wählten die Mitglieder den in der rechtsextremistischen Szene als "SS-Siggi" bekannten Siegfried BORCHHARDT auf Platz 1 ihrer Liste. Der nordrhein-westfälische Landesvorsitzende GIEMSCH, der sich für die Errichtung einer Volksgemeinschaft ausspricht,56 kam auf Platz 2. 2.9.3 Aktivitäten Unter dem Schutz des Parteienprivilegs übernahm Die Rechte die zuvor von den verbotenen Kameradschaften veranstalteten Aktionen in Nordrhein-Westfalen, wie z. B. die Durchführung von Demonstrationen. An der größten Veranstaltung der Partei unter dem Motto "Heraus zum 1. Mai" in Dortmund, die in den Jahren zuvor von der Kameradschaft Dortmund organisiert wurde, beteiligten sich rund 450 Personen. Als Redner trat neben dem Bundesvorsitzenden WORCH u. a. auch Dieter RIEFLING aus Hildesheim auf. An den Bundestagswahlen im September beteiligte sich die Partei nur mit einer Landesliste in Nordrhein-Westfalen. Sie erhielt lediglich 2.288 Zweitstimmen. 54 SKODA war neben anderen Mitgliedern des Aktionsbüros Mittelrhein wegen der Bildung einer kriminellen Vereinigung angeklagt und saß von März 2012 bis Januar 2014 in Untersuchungshaft. 55 Bei der Gründung der Partei hatte der Bundesvorsitzende WORCH Die Rechte als "weniger radikal als die NPD", aber "radikaler als die REPs und die PRO-Bewegung" beschrieben (Internetseite von Christian WORCH). 56 "Die Familie ist das Herzstück der Volksgemeinschaft und dafür trete ich ein", Kandidatenvorstellung von Dennis GIEMSCH zu den Kommunalwahlen 2014 (Internetseite der Partei Die Rechte, Dortmund). 69 2.9.4 Entwicklung in Niedersachsen Am 09.02.2013 wurde in Munster (Landkreis Heidekreis) der Kreisverband Heidekreis gegründet. An der Veranstaltung nahmen etwa 15 Personen teil, darunter auch ehemalige Angehörige der NPD, die den früheren Landesschatzmeister der NPD, Stefan KLINGBEIL, zu ihrem Vorsitzenden wählten. Die Gründung des niedersächsischen Landesverbandes folgte kurze Zeit später am 24.02.2013. Zum Vorsitzenden wurde Robert KLUG, ehemaliges Mitglied der NPD, bestimmt. Sein Stellvertreter und zugleich Landesschatzmeister wurde KLINGBEIL. Am 25.08.2013 bildete sich der Kreisverband Braunschweiger Land, der u. a. von Angehörigen des Aktionsbündnisses 38 gegründet wurde. Den Kreisvorsitz übernahm Michael BERNER, der zum Führungskreis des neonazistischen Aktionsbündnisses 38 zählt. Während weder vom Kreisverband Heidekreis noch vom Landesverband politische Aktionen ausgingen, trat der Kreisverband Braunschweiger Land mehrfach öffentlichkeitswirksam in Erscheinung. Hierzu zählen das Verteilen von Propagandamaterialien in Braunschweig und die Teilnahme an Demonstrationen der neonazistischen Szene, wie beim "Tag der deutschen Zukunft" am 06.06.2013 in Wolfsburg oder beim so genannten Trauermarsch am 18.01.2014 in Magdeburg. Am 29.09.2013 führte der Kreisverband in Braunschweig gemeinsam mit Anhängern der neonazistischen Szene eine Solidarisierungsaktion für den ehemaligen Angehörigen der Waffen-SS Erich Priebke durch. Den Todesfall eines jungen Deutschen im März 2013 in Kirchweyhe (Landkreis Diepholz) versuchte die Bundespartei mit der Durchführung von Demonstrationen für fremdenfeindliche Propaganda zu nutzen. An der vom Bundesvorsitzenden WORCH angemeldeten Kundgebung unter dem Motto "Mord an Daniel S. (25) - Gegen Versammlungsverbote!" am 23.03.2013 beteiligten sich in Kirchweyhe knapp 100 Rechtsextremisten. An einer erneuten Demonstration am 11.05.2013 mit der Forderung nach einer Umbenennung des Bahnhofsvorplatzes in den Namen des Opfers nahmen rund 80 Rechtsextremisten teil. Auf den Versammlungen hielten WORCH und RIEFLING Redebeiträge.57 Die Abwesenheit des niedersächsischen Landesvorstandes bei diesen Kundgebungen war bereits ein Beleg für die Inaktivität des Verbandes. Diese Inaktivität wie auch die laut WORCH "menschlichen Unzulänglichkeiten und Streitereien" führten zu den Rücktritten von drei Vorstandsmitgliedern und der Auflösung des Landesvorstandes am 09.11.2013, wie der Bundesvorsitzende in einem Schreiben an die Mitglieder des Landesverbandes erklärte. Auf dem Landesparteitag am 14.01.2014 wählten die lediglich sechs anwesenden Mitglieder wieder Robert KLUG zum Landesvorsitzenden und dessen Ehefrau Birgit KLUG zu seiner Stellvertreterin.58 Aufgrund der mangelnden Organisationsfähigkeit und der Inaktivität des Landesverbandes ist Die Rechte in Niedersachsen auf absehbare Zeit keine Konkurrenz für die NPD, die auf etablierte Strukturen zurückgreifen kann. Derzeit deutet die Entwicklung der Partei darauf hin, dass Die Rechte als Ersatzorganisation für verbotene oder von einem Verbot bedrohte Kameradschaften konzipiert ist. 57 Siehe hierzu auch Seiten 49 und 52 und Kapitel 2.6.7.2. 58 Internetseite der Partei Die Rechte, Ausdruck vom 20.01.2014. 70 2.10 Rechtsextremistischer Geschichtsrevisionismus Der Begriff rechtsextremistischer Geschichtsrevisionismus bezeichnet die Leugnung oder Relativierung der nationalsozialistischen Verbrechen und der deutschen Schuld am Ausbruch des Zweiten Weltkrieges. Revisionistische Positionen sind in unterschiedlicher Ausprägung bei nahezu allen rechtsextremistischen Organisationen nachweisbar. Sie sind ideologisches Bindeglied zwischen den verschiedenen Strömungen des Rechtsextremismus und zugleich ein wichtiges Element der historischen Identitätsstiftung. Deutlich wird dies z. B. bei den rechtsextremistischen Demonstrationen aus Anlass der Jahrestage der Bombardierung deutscher Städte wie in Dresden oder Magdeburg und beim so genannten Trauermarsch in Bad Nenndorf. Alle diese Veranstaltungen haben einen organisationsübergreifenden Charakter. Der Revisionismus will den historischen Nationalsozialismus zumindest tendenziell rehabilitieren und die verfassungsmäßige Ordnung der Bundesrepublik Deutschland delegitimieren. Revisionisten im engeren Sinne sind bestrebt, die Erkenntnisse der seriösen Geschichtswissenschaft von einem vermeintlich wissenschaftlichen Standpunkt aus zu widerlegen. Dieser um eine wissenschaftliche Diktion bemühte Geschichtsrevisionismus, der rechtsextremistischen Organisationen die Argumentationsbasis liefert, ist eine internationale Erscheinung. Viele Revisionisten sind Ausländer oder agieren vom Ausland aus. Die ideologische Klammer ihrer Zusammenarbeit bildet eine eng mit revisionistischen Positionen verbundene antisemitische Grundeinstellung. Das Internet ist die wichtigste Agitationsplattform der Revisionisten. Hier pflegen sie ihre weltweiten Kontakte und steuern ihre Aktivitäten. In der Regel nutzen sie ausländische Internetprovider, um einer möglichen Strafverfolgung in Deutschland zu entgehen. Daneben werden revisionistische Schriften in Druckform durch hierauf spezialisierte Verlage verbreitet. 2.10.1 Revisionistische Aktivitäten in Niedersachsen Zentralfigur revisionistischer Aktivitäten in Niedersachsen ist Dr. Rigolf HENNIG, bis April 2012 Stadtratsund Kreistagsabgeordneter der NPD in Verden. Er gehört seit Jahren zu den meinungsführenden niedersächsischen Rechtsextremisten und ist in der rechtsextremistischen Szene fest verankert. Darüber hinaus verfügt er über eine Vielzahl von engen Kontakten und Verbindungen auf nationaler und internationaler Ebene. HENNIG fungiert als "Staatspräsident" der geschichtsund gebietsrevisionistischen Organisation Freistaat Preußen. Organ des Freistaates Preußen ist die Publikation "Stimme des Reiches" (SdR), deren Beiträge offen antisemitische mit revisionistischen Positionen verbinden. In einem Beitrag diffamiert HENNIG beispielsweise die Europäische Union als Teil einer angeblichen jüdischen Weltverschwörung: "Die EU ist abzuwickeln, weil sie als Glied des Zionismus die Völker verknechtet und die Länder ausschlachtet mit dem Ziel der zionistischen Weltherrschaft ... Deutschland muß als Volksstaat 'Deutsches Reich' den Raum seiner Sprache voll ausfüllen ..." ("Europa in zwei Schritten", Stimme des Reiches Nr. 4, 2013, Seite 13) 71 Neben HENNIG ist Ursula HAVERBECK-WETZEL eine der Hauptautoren der SdR. Die ehemalige Vorsitzende des 2008 durch den Bundesminister des Innern verbotenen Vereins "Collegium Humanum" (CH) und verurteilte Holocaustleugnerin kritisiert in typischer revisionistischer Art und Weise, dass "weiter das Gedenken an die sechs Millionen vergaster Juden zelebriert" werde: "Nun ist es unausweichlich, dass die bisher schon Befragten sich endlich zu einer Antwort bequemen ..., damit diese höchst umstrittene Behauptung von der Vergasung von sechs Millionen Juden endlich geklärt wird. Wo, wie und wann fand dieses größte Verbrechen statt? Ist die ganze Nachkriegsgeschichte auf einer gigantischen Lüge aufgebaut? Zu welchem Zweck?" ("Neues aus der Holocaust-Forschung", Stimme des Reiches Nr. 3, 2013, Seite 6) 2.10.2 Europäische Aktion (EA) Die neonazistisch, rassistisch und antisemitisch ausgerichtete Europäische Aktion (EA) wurde 2010 zunächst unter der Bezeichnung Bund Freies Europa (BFE) von einer Personengruppe um den ehemaligen Vorsitzenden des 2008 verbotenen Vereins zur Rehabilitierung der wegen Bestreitens des Holocaust Verfolgten (VRBHV), Bernhard SCHAUB, gegründet. Der Personengruppe gehören aus Niedersachsen als Landesleiter Deutschland HENNIG und als Schatzmeister Arnold HÖFS59 an. Die EA unterhält nach eigenen Angaben Landesgruppen in Deutschland, England, Frankreich, Kroatien, dem Fürstentum Liechtenstein, Österreich, Russland, der Schweiz, Spanien, der Ukraine und Weißrussland. Weitere Landesgruppen sollen sich im Aufbau befinden. In Deutschland ist die EA in allen Bundesländern vertreten. Ausweislich ihrer Internetdarstellung versteht sich die EA als "fundamentale Gegenbewegung zum herrschenden System" und als "Lebensund Kampfgemeinschaft" für "die Freiheit und Selbständigkeit Europas und seiner Völker". Ihr Ziel ist ein vollständiger Systemwechsel und die Wiederherstellung eines "freien und souveränen deutschen Reiches" auf der Grundlage einer ethnisch homogenen Volksgemeinschaft. Die inhaltlichen Grundpositionen ("7 Ziele") der EA sind von SCHAUB unter dem Titel "Die Europäische Aktion - Aufbau und Ziele der europäischen Freiheitsbewegung" verfasst worden. SCHAUB agitiert in dieser Grundsatzschrift in typischer revisionistischer Manier gegen angebliche Denkund Redeverbote, die ihren "gemeinsamen Mittelpunkt in den Gaskammern von Auschwitz" hätten.60 Von der gleichen revisionistischen Sichtweise getragen prangert HENNIG im EA-Mitteilungsblatt "Europa ruft" die angeblich "raumfremde Bevormundung" des deutschen Volkes an: "Denn es ist im Zeichen der 'Umerziehung' genannten Gehirnwäsche der Deutschen seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges so weit gekommen, daß viele mit ihrem Deutschtum nicht mehr zurecht zu kommen scheinen und dieses im schlimmsten Fall sogar bekämpfen." ("Die Deutschen", Europa ruft Nr. 1, 2013, Seite 1) 59 HÖFS gibt unter seinem Pseudonym Herbert HOFF die revisionistische Bücherreihe Faktenspiegel heraus. Die Ausgaben V und VI sind von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) wegen Jugendgefährdung indiziert worden. 60 Vgl. "Die Europäische Aktion. Aufbau und Ziele der europäischen Freiheitsbewegung", Eschenz: Ghibellinum-Verlag 2011, Seite 12. 72 Auf dem Europafest 2012 bezeichnete SCHAUB die EA als "Zusammenschluss der weißen Menschheit zur Sicherung ihres Lebensraumes und ihrer Kultur für die Zukunft". In ihren Veröffentlichungen kündigt die EA an, "Programme für die Rückwanderung der Fremdkontinentalen" erstellen zu wollen.61 Damit wird die Rückführung von Einwanderern in ihre Heimatländer zur zentralen Forderung der EA. Mit einer solchen grundsätzlich für alle rechtsextremistischen Organisationen anschlussfähigen Zielsetzung unterstreicht die EA ihr Selbstverständnis von einer organisationsübergreifenden Sammlungsbewegung innerhalb des Rechtsextremismus. In diesem Sinne haben die Sprecher der EA 2013 auf zahlreichen szeneinternen Veranstaltungen im gesamten Bundesgebiet für ihre Organisation geworben. Inzwischen verfügt die EA über eine Vielzahl von nationalen und internationalen Kontakten in die rechtsextremistische Szene. Bereits 2012 wurde eine Kooperation mit der NPD vereinbart. Ferner bestehen Kontakte zu Meinolf SCHÖNBORN, dem Herausgeber der Publikation "Recht und Wahrheit" (RuW). Deutlich wird dies durch eine gemeinsame Flugblattaktion von EA und RuW anlässlich der Bundestagswahl 2013: "Wach auf, wach auf, du Deutsches Land! Keine Stimme mehr den Schuldenmacherparteien: CDU/CSU, FDP, Grüne und SPD". Intensive Verbindungen unterhält die EA aber nicht nur zum neonazistischen Bereich, sondern auch zu den Verfechtern des ethnopluralistischen Ansatzes. Basierend auf der 2012 vereinbarten Zusammenarbeit mit dem ethnopluralistischen Thule-Seminar unter Leitung von Pierre KREBS wurde am 25.11.2013 auf der Internetseite der EA unter dem Titel "Wofür wir kämpfen" eine ergänzte und erweiterte Kommentierung des gleichnamigen Buches von Guillaume FAYE, Vertreter der französischen Neuen Rechten ("Nouvelle Droite"), veröffentlicht. In Anknüpfung hieran fordert die EA dazu auf, in den Widerstand "gegen den biologischen, ethnischen, politischen und geistigen Niedergang der europäischen Kultur und der Nationen"62 einzutreten. Mit dem Ziel, den europäischen Charakter der Bewegung zu dokumentieren, führte die EA am 14.09.2013 in "Mitteldeutschland" ihr Europafest mit Redebeiträgen, Kulturprogramm, Gesprächen und Gesang durch. 2.10.3 Verein Gedächtnisstätte e. V. Der Verein Gedächtnisstätte e. V. wurde 1992 gegründet. Erste Vorsitzende war die Holocaustleugnerin Ursula HAVERBECK-WETZEL, bevor ihr 2003 Wolfram SCHIEDEWITZ aus Seevetal (Landkreis Harburg) auf diesem Posten folgte. In seiner Satzung hat sich der Verein zum Ziel gesetzt, eine würdige Gedächtnisstätte für die deutschen Opfer des Zweiten Weltkrieges zu errichten. Der Verein will damit " ... die ungerechtfertigte Einseitigkeit der Geschichtsbetrachtung und Vergangenheitsbewältigung beenden!"63 Die Veröffentlichungen konzentrieren sich in revisionistischer Diktion vor allem auf die Erinnerung an die deutschen Opfer von Krieg und Vertreibung. Der Vorsitzende SCHIEDEWITZ sieht seinen Verein im Kampf gegen eine angebliche Meinungsdiktatur zur Unterdrückung der geschichtlichen Wahrheit: "An die Opfer von Gewaltherrschaft erinnern in Deutschland etwa 6000 Mahnmale - von persönlichen 'Stolpersteinen' über riesige Museumskomplexe bis zu fußballfeldgroßen Gedenkarealen. Das Jahrhundertverbrechen am deutschen Volk wurde bisher 61 Vgl. Internetseite der EA vom 01.01.2014: "Mandelas Südafrika als Vorbote Europas". 62 Internetseite der EA vom 17.12.2012: "Leitbrief 5 zum 21. Julmond". 63 Internetseite des Vereins Gedächtnisstätte e. V.: "Was wir wollen", Ausdruck vom 19.12.2013. 73 weder gewürdigt noch sind unsere ehemaligen Kriegsgegner zu einer Geste der Anerkennung dieser Schicksale bereit. Der sich vor allem im Ausland regende Widerstand gegen diese völkerrechtswidrigen Maßnahmen und ihre nur die Deutschen belastende Aufarbeitung weckt die Sorge der Meinungsindustrie, hier umsteuern zu müssen." (Internetseite des Vereins Gedächtnisstätte e. V.: "Warum gibt es dieses Gedenken", Ausdruck vom 19.12.2013) Seit 2011 nutzt der Verein für seine Veranstaltungen die Räumlichkeiten auf einem Rittergut im thüringischen Guthmannshausen. Regelmäßig führt der Verein dort Vortragsveranstaltungen mit Zeitzeugen und Historikern durch, darunter auch bekennende Revisionisten und Holocaustleugner wie HAVERBECK-WETZEL. Darüber hinaus bestehen Kontakte zu diversen rechtsextremistischen Organisationen, u. a. Schlesische Jugend e. V. (SJ), Freundschaftsund Hilfswerk Ost e. V. (FHwO) und Junge Landsmannschaft Ostdeutschland (JLO) sowie NPD und neonazistische Freie Kräfte. Diese Kontakte zeigen die Bemühungen des Vereins, ein organisationsübergreifendes Netzwerk aufzubauen. 2.10.4 Bewertung Revisionistische Positionen bilden das historische Fundament rechtsextremistischen Gedankenguts. Als verbindendes Ideologieelement sind sie in unterschiedlicher Ausprägung bei nahezu allen rechtsextremistischen Organisationen nachweisbar und finden sich in rechtsextremistischen Aktivitäten im Internet ebenso wie in der rechtsextremistischen Musikszene, den organisationsunabhängigen Verlagen, Vertriebsdiensten und Publikationen wieder. Rechtsextremistische Musik und Konzerte sowie die Produkte der Verlagsund Vertriebsdienste, aber auch aktionsorientierte Veranstaltungen, die teilweise über das Internet beworben werden, können als Einstieg in die rechtsextremistische Ideologie dienen und gerade junge Menschen ansprechen. Dagegen haben Demonstrationen und Kundgebungen mit revisionistischer Zielsetzung, wie z. B. "Heldengedenken", "Trauermärsche" oder Gedenkveranstaltungen, weiterhin an Bedeutung verloren. Die Teilnehmerzahlen sind seit Jahren rückläufig. Ursächlich hierfür können zum einen massive Gegenproteste, zum anderen aber auch behördliche Auflagen sein. In der Aufgabenerfüllung der Verfassungsschutzbehörde wird der Revisionismus daher auch zukünftig Beachtung finden. 2.11 Intellektualisierungsbemühungen im Rechtsextremismus Seit Beginn der 1980er Jahre bemüht sich ein kleiner Kreis rechtsextremistischer Intellektueller, Einfluss auf gesellschaftliche Diskurse zu nehmen. Das Ziel ist die kulturelle Vorherrschaft. Ihr soll langfristig ein Systemwechsel folgen. Diese Variante des Rechtsextremismus, die abseits der Agitation der meisten Gruppierungen des organisierten Rechtsextremismus in verschiedenen rechtsextremistischen Zirkeln, Publikationen und Verlagen zu finden ist, wird oft mit dem Begriff Neue Rechte64 umschrieben. 64 Die mit dem Begriff Neue Rechte bezeichnete ideologische Strömung beruft sich auf die "Konservative Revolution" - eine intellektuelle Strömung antidemokratischen Denkens in der Weimarer Republik. Der Begriff wird aber nicht einheitlich verwendet. Manche Autoren erfassen mit diesem Begriff den um Theoriebildung bemühten Teil des Rechtsextremismus in seiner Gesamtheit. 74 Hinter dem von der Neuen Rechten verfochtenen Konzept des Ethnopluralismus verbirgt sich eine fremdenfeindliche Grundtendenz. Der Ethnopluralismus stellt die kulturellen Unterschiede der Menschen in den Vordergrund und propagiert die kulturelle, möglichst aber auch räumliche Trennung ethnischer Gruppen. Ausgehend von einer homogenen Ethnie lehnen Vertreter der Neuen Rechten Einwanderung als "volksgemeinschaftsschädlich" ab. Die von einem elitären Bewusstsein getragenen Theoriezirkel der Neuen Rechten zielen nicht auf eine breitere Rezeption ihrer Denkansätze. Ihre philosophisch überhöhten Ausführungen dürften die Aufnahmefähigkeit und -bereitschaft der meisten organisierten Rechtsextremisten überfordern. Die Schriften der Neuen Rechten richten sich denn auch an einen anderen Adressatenkreis, an Angehörige der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Elite. Sie zu beeinflussen, wäre ein Schritt auf dem Wege zur angestrebten kulturellen Hegemonie. 2.11.1 Gesellschaft für Freie Publizistik e. V. (GFP) Die 1960 gegründete Gesellschaft für Freie Publizistik e. V. (GFP) unter ihrem österreichischen Vorsitzenden Martin PFEIFFER ist mit ihren etwa 500 Mitgliedern die größte rechtsextremistische Kulturvereinigung. Ihr gehören vor allem Verleger, Buchhändler, Redakteure und Schriftsteller an. Auf Bundesebene führt die GFP jährlich eine Tagung samt Mitgliederversammlung durch. Unter dem Motto "Von Versailles nach Brüssel - Deutschland zahlt immer" fand der GFP-Jahreskongress vom 14. bis 16.06.2013 in Thüringen statt. Etwa 100 Teilnehmer fanden sich ein, um ein "starkes Zeichen des Protests gegen zeitgeistige Bevormundung und medialen Tugendterror zu setzen". Im Rahmen der Jahreshauptversammlung der GFP wurde zudem beschlossen, die Bundesregierung aufzufordern, gemäß den internationalen Vereinbarungen der Vereinten Nationen den aus Sicht der GFP "skandalösen" Paragrafen 130 StGB ("Volksverhetzung") abzuschaffen und die Meinungsfreiheit vollständig zu gewährleisten.65 Auf Länderebene existieren Arbeitskreise, wie z. B. der GFP-Arbeitskreis für Südniedersachsen, Nordhessen und Westfalen, zu deren Aufgaben es gehört, Vortragsveranstaltungen mit zumeist revisionistischem Charakter durchzuführen. Als Druckerzeugnis gibt die GFP die Kongressbroschüre "GFP-Report" und das vierteljährlich erscheinende GFP-Mitteilungsblatt "Das Freie Forum" heraus. Die GFP ist seit geraumer Zeit die einzige sich theoretisch betätigende Organisation, der ein gewisser Einfluss auf den rechtsextremistischen Theoriediskurs zugesprochen werden kann. Andere Organisationen mit intellektuellem Anspruch wie das 1994 gegründete Deutsche Kolleg oder das seit 30 Jahren bestehende Thule-Seminar finden hingegen kaum Resonanz. Das ethnopluralistisch ausgerichtete Thule-Seminar unter Leitung von Pierre KREBS gibt den Jahresplaner Mars Ultor heraus. Zu einer am 13.02.2013 stattgefundenen Veranstaltung in Fretterode (Thüringen) vor neonazistischen Freien Kräften wird KREBS darin mit den Worten zitiert: "Heil unseren Kindern, d. h. unserer Zukunft! Heil Europa, d. h. unseren Völkern, unserer Rasse, unserem Blut! Heil unserem Geist, d. h. unserer Kultur, und wir werden ihn erringen, festigen, verwirklichen, den Sieg des Willens, dem germanischen Gott verpflichtet. Ich nenne ihn: der Wille!" (Mars Ultor 2014, Seite 68) 65 Das Freie Forum Nr. 3, 2013, Seite 3. 75 Neben Kontakten zu neonazistischen Freien Kräften unterhält KREBS auch Beziehungen zur Europäischen Aktion (EA). Im Gegenzug ist die EA im o. g. Taschenbuchplaner vertreten. Im Rahmen einer Konferenz der EA am 20.01.2013 in Genf (Schweiz) wird KREBS, der als Redner eingeladen war, wie folgt angekündigt: "Der Vortrag von Pierre Krebs gibt Antwort auf die Frage: Wozu Revolution? Sie ist notwendig, um den Aufbruch des Ethno-Sozialismus vorzubereiten, von dem die Zukunft der weißen Welt abhängt." (Mars Ultor 2014, Seite 44) 2.11.2 Bewertung Die Intellektualisierungsbemühungen im Rechtsextremismus finden in der rechtsextremistischen Szene kaum Beachtung. Die Theoriezirkel der Neuen Rechten haben derzeit nur geringen Einfluss auf die Akteure und Organisationen des "alten" Rechtsextremismus. Ihre Zielgruppe sind vorrangig elitäre, theoriegeleitete Denkzirkel und weniger aktionsorientierte Kameradschaften. Eine gewisse Resonanz erfährt die Neue Rechte jedoch innerhalb der NPD und in deren Publikationen, wie zahlreiche Beiträge in der "Deutschen Stimme" belegen. Auch die Rezeption des vom Thule-Seminar in Zusammenarbeit mit der GFP herausgegebenen Buches "Wofür wir kämpfen" von Guillaume FAYE66, hinsichtlich der ideologischen Ausrichtung einer revisionistisch und neonazistisch ausgerichteten Organisation wie der EA zeigt den doch vorhandenen Einfluss intellektueller Kreise auf aktivistische Gruppierungen. So können die weltanschaulichen Positionierungen und theoriegeleiteten Diskurse der Neuen Rechten dann eine nachhaltige Bedeutung für andere rechtsextremistische Organisationen entfalten, wenn mit ihrer Hilfe versucht wird, Aktivitäten ideologisch zu begründen. Der intellektuelle Rechtsextremismus wird daher auch in Zukunft eine wichtige Rolle in der Aufgabenerfüllung der Verfassungsschutzbehörde darstellen. 2.12 Immobiliengeschäfte mit rechtsextremistischem Hintergrund Im Jahr 2004 hat das Niedersächsische Ministerium für Inneres und Sport eine Beauftragte/einen Beauftragten für Immobiliengeschäfte mit rechtsextremistischem Hintergrund bestellt. Die Tätigkeit der beauftragten Person ist seit 2007 eingebunden in das Beratungskonzept des Niedersächsischen Verfassungsschutzes zur "Förderung von Handlungsmöglichkeiten gegen Rechtsextremismus in den Kommunen". Sie wird seit 2009 im Rahmen der Präventionsund Öffentlichkeitsarbeit des Niedersächsischen Verfassungsschutzes tätig. Seit einer Reihe von Jahren versuchen Rechtsextremisten Immobilien zu erwerben, die dafür geeignet sind, in ihnen Schulungen und Veranstaltungen durchzuführen, und die als örtliche Treffpunkte oder Anlaufstellen dienen können. Nicht immer steht hinter dem Interesse an einer Immobilie jedoch auch eine reale Kaufabsicht. Häufig nutzen Rechtsextremisten das Bekanntwerden ihrer angeblichen Kaufabsicht, um sich in den Medien zu profilieren und um finanzielle Vorteile zu erzielen. Denn oftmals führt der öffentliche Protest gegen einen Immobilienkauf durch Rechtsextremisten dazu, dass Kommunen sich gezwun66 Siehe Kapitel 2.10.2, Seite 72. 76 gen sehen, ihr Vorkaufsrecht auszuüben oder das Objekt freihändig zu erwerben - nicht selten zu einem unangemessenen, hohen Preis. Bei solchen politisch motivierten Scheingeschäften kann es vorkommen, dass der Verkäufer an die Rechtsextremisten für ihre "Bemühungen" eine Provision zahlt. Dennoch ist davon auszugehen, dass Rechtextremisten weiterhin - zur Verbreiterung ihrer Basis und damit zur Festigung ihrer Strukturen - Interesse am Erwerb von Immobilien haben. Insbesondere Leerstand-Immobilien in strukturschwachen ländlichen Räumen dürften als günstig zu erwerbende Objekte die Aufmerksamkeit von rechtsextremistischen Vereinigungen aber auch Einzelpersonen erwecken. Reale Kaufabsichten und Scheingeschäfte sind allerdings im Einzelfall schwer zu unterscheiden. Auch die rechtlichen Möglichkeiten der Kommunen und staatlichen Stellen variieren von Fall zu Fall. Wesentliche Aufgaben der beauftragten Person sind daher die Weitergabe vorhandener Erfahrungswerte, die rechtliche Beratung der betroffenen Kommunen, die Koordinierung der beteiligten Behörden und die Vermittlung von Kontakten zu sachverständigen Stellen. Durch eine enge Zusammenarbeit der beauftragten Person mit den betroffenen Kommunen und weiteren Behörden ist es in den vergangenen Jahren wiederholt gelungen, den Erwerb oder die Nutzung von Immobilien durch Rechtsextremisten zu verhindern. Als Beispiele sind zu nennen: das ehemalige Bahnhofsgebäude in Melle (Landkreis Osnabrück), das Landhaus Gerhus in der Gemeinde Faßberg (Landkreis Celle), das ehemalige Kurhaus in Bad Gandersheim (Landkreis Northeim), der Heisenhof in Dörverden (Landkreis Verden). Hinsichtlich des Heisenhofes in Dörverden ist seitens des Landkreises Verden ein Abriss beabsichtigt, nachdem die Abrissverfügungen rechtskräftig geworden sind. Verzögerungen sind durch den im Oktober 2011 erfolgten Eigentümerwechsel entstanden. Eine Frau aus Kirchlinteln (Landkreis Verden) hatte die Immobilie seinerzeit von der Wilhelm Tietjen Stiftung für Fertilisation Limited erworben und nach eigenen Angaben die Errichtung eines Gesundheitszentrums geplant. Dieses Vorhaben konnte bislang nicht umgesetzt werden, so dass seitens des Landkreises grundsätzlich weiter an den Abrissplänen festgehalten wird. Die Verhinderung der Schaffung von Strukturen und Anlaufstellen für Rechtsextremisten durch Immobilienbesitz konnte in den genannten Fällen - nach Erstellung und Bewertung eines Lagebildes - durch ein rasches und konsequentes Vorgehen gelingen. Aus diesem Grund ist eine frühzeitige Kontaktaufnahme zur beauftragten Person - bereits bei ersten möglichen Anzeichen für ein Immobiliengeschäft mit rechtsextremistischem Hintergrund - von entscheidender Bedeutung. Die beauftragte Person stand auch 2012 den Kommunen in Fragen zu Immobiliengeschäften mit rechtsextremistischem Hintergrund beratend zur Seite. Dies umfasste die Beratung grundsätzlicher Art ebenso wie die Unterstützung in konkreten Verdachtsfällen. Dabei konnte vielfach der Verdacht eines Immobiliengeschäftes mit rechtsextremistischem Hintergrund ausgeräumt sowie Scheingeschäfte als solche erkannt werden. Auch im Rahmen der Beratung kommunaler Mandatsträger war die beauftragte Person zusammen mit Ex77 perten aus dem Bereich Rechtsextremismus zu Strategiegesprächen wiederholt in niedersächsischen Landkreisen, Städten und Gemeinden, um über Möglichkeiten kommunalen Engagements gegen Rechtsextremismus und die Entwicklung von Strategien gegen rechtsextreme Infrastruktur zu referieren. Kontaktdaten: Tel.: 0511-6709-282 E-Mail: immobilien@verfassungsschutz.niedersachsen.de 78 3. Linksextremismus 3.1 Mitglieder-Potenzial Linksextremismus-Potenzial Bundesrepublik Deutschland 2012 2013 Marxisten-Leninisten und andere revolutionäre Marxisten 22.600 21.600 Autonome und sonstige gewaltbereite Linksextremisten 67 7.100 6.900 Summe 29.700 28.500 Nach Abzug von Mehrfachmitgliedschaften 29.400 27.700 Linksextremismus-Potenzial Niedersachsen68 2012 2013 Marxisten-Leninisten und andere revolutionäre Marxisten 445 470 Autonome und sonstige gewaltbereite Linksextremisten 940 880 Summe 1.385 1.350 Die Zahlenangaben sind zum Teil geschätzt und gerundet. 67 In die Statistik sind nicht nur tatsächlich als Täter/Tatverdächtige festgestellte Personen einbezogen, sondern auch solche Linksextremisten, bei denen lediglich Anhaltspunkte für Gewaltbereitschaft gegeben sind. Erfasst sind nur Gruppen, die feste Strukturen aufweisen und über einen längeren Zeitraum aktiv waren. Das Mobilisierungspotenzial der "Szene" umfasst zusätzlich mehrere tausend Personen. 68 Die für den Bund eingefügte Fußnote gilt entsprechend auch für Niedersachsen. Auf den Abzug von Mehrfachmitgliedschaften in Höhe von ca. 2 Prozent wie beim Bund ist verzichtet worden. 79 3.2 Politisch motivierte Kriminalität69 (PMK) mit extremistischem Hintergrund - links Seit dem Jahr 2001 wird die Politisch motivierte Kriminalität nach dem von der Innenministerkonferenz beschlossenen "Kriminalpolizeilichen Meldedienst in Fällen Politisch motivierter Kriminalität (KPMD-PMK)" bundeseinheitlich erfasst. Weitergehende grundsätzliche Aussagen zur PMK finden Sie in Kapitel 2.2. Im Phänomenbereich PMK -linkswurden im Jahr 2013 in Niedersachsen insgesamt 984 politisch motivierte Straftaten registriert (2012: 650). Straftatenauslösende Ereignisse waren insbesondere Wahlkampfaktivitäten rechtsextremistischer Parteien und Gegendemonstrationen zu rechtsextremistischen Versammlungen (Bad Nenndorf, Wolfsburg). Von den 984 Straftaten des Gesamtstraftatenaufkommens der PMK -linkswurden 705 Fälle als extremistisch eingestuft. Das entspricht einem Anteil von 71,7 Prozent. Im Vorjahr betrug der Anteil 73,5 Prozent. Bei 173 der linksextremistischen Straftaten handelt es sich um Fälle von Gewaltkriminalität, die im Vergleich zum Vorjahr (126) um 47 Fälle zunahmen. Bei 144 linksextremistischen Gewaltdelikten wurde das Themenfeld "Antifaschismus" und in 114 Fällen das Themenfeld "Konfrontation gegen rechts" benannt. Bei den linksextremistischen Gewaltdelikten entfallen 75 auf das Themenfeld "Innen-Sicherheitspolitik-Polizei". Die Landtagsund Bundestagswahlen führten zu 52 linksextremistischen Gewaltdelikten. 2013 wurden Polizeibeamte bei elf linksextremistischen Gewaltdelikten (2012: 13) verletzt. 2013 wurden im Bereich der PMK -linksneun linksextremistische Branddelikte (2012: 1) und in einem Fall ein versuchtes Sprengstoffdelikt (2012: 0) begangen. Herausragend waren zwei Taten. Dazu zählt die Brandstiftung an Bundeswehrfahrzeugen in Lüneburg, die mittels mehrerer USBV70 begangen wurde und einen Sachschaden von rund 260.000 Euro verursachte. Obwohl keine Selbstbezichtigung zur Tat bekannt wurde, ist aufgrund der Tatumstände (Begehungsform und Zielobjekt) von einer linksmotivierten Tat mit antimilitaristischem Hintergrund auszugehen. Eine weitere bedeutende Tat war ein versuchtes Sprengstoffdelikt an drei Tatorten (Bundespolizei, Zollamt, Verwaltungsgericht) in Göttingen durch USBV mit Gaskartuschen (Typ "Gasaki"), die nicht zündeten. In einem Selbstbezichtigungsschreiben stellten die Verfasser die Tat in Bezug zu einer gewalttätigen Demonstration zugunsten des linken Szenetreffs "Rote Flora" in Hamburg. Es bestehen bisher keine Anzeichen auf linksterroristische Strukturen in Niedersachsen. 69 Siehe Fußnote 13. 70 USBV = Unkonventionelle Brandund Sprengstoffvorrichtung. 80 Übersicht der Gewalttaten und sonstigen Straftaten mit extremistischem Hintergrund aus dem Bereich "Politisch motivierte Kriminalität - links" in Niedersachsen 71 Gewalttaten: 2012 2013 Tötungsdelikte 0 0 Versuchte Tötungsdelikte 0 0 Körperverletzungen 86 88 Brandstiftungen 1 9 Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion 0 1 Landfriedensbrüche 13 24 Gefährl. Eingriffe in Bahn-, Luft-, Schiffsoder Straßenverkehr 1 3 Freiheitsberaubung 0 0 Raub 2 4 Erpressung 1 1 Widerstandsdelikte 22 43 Sonstige Delikte 0 0 Insgesamt 126 173 Sonstige Straftaten: Sachbeschädigungen 219 276 Nötigungen/Bedrohungen 16 19 Andere Straftaten 117 237 Insgesamt 352 532 Straftaten insgesamt 474 705 71 Die Zahlen basieren auf Angaben des Landeskriminalamtes Niedersachsen (LKA NI). Die Darstellung der niedersächsischen Fallzahlen in Übersichten des Bundes kann davon abweichen, da das LKA NI eine so genannte "lebende Statistik" führt. Um die ständige Aktualität der Statistik sicherzustellen, werden dabei ggf. Nacherfassungen/Aktualisierungen auch für Vorjahre vorgenommen, so dass der Zahlenbestand Veränderungen unterliegen kann. 81 3.3 Einführung Der Linksextremismus ist nicht statisch, sondern ständigen Veränderungen ausgesetzt. Vor allem der parlamentsorientierte Linksextremismus unterliegt einem ständigen Wandel in seiner personellen Zusammensetzung und politischen Ausrichtung. Anders als in den Jahren zuvor liegen für die Partei DIE LINKE. in Niedersachsen keine tatsächlichen Anhaltspunkte mehr für den Verdacht vor, sie richte sich in ihrer Gesamtheit gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung nach SS 3 Abs. 1 NVerfSchG. Zudem kommt das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 17.09.2013 zu dem Schluss, dass die Beobachtung eines Abgeordneten der Partei DIE LINKE. einen "Eingriff in das freie Mandat" darstellt und somit nicht den "Anforderungen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit" genügt.72 Künftig werden daher nur noch die für das Land Niedersachsen relevanten offen extremistischen Zusammenschlüsse Kommunistische Plattform (KPF), Sozialistische Linke (SL) und Antikapitalistische Linke (AKL) beobachtet und im Niedersächsischen Verfassungsschutzbericht erwähnt. Bei ihnen liegen weiterhin tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung vor. Zudem haben linksextremistische Parteien allgemein in den letzten Jahren an politischem Gewicht und Bedeutung verloren. Eine Überprüfung der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) und der Marxistisch-Leninistischen Partei Deutschlands (MLPD) hat vor dem Hintergrund des Abschneidens beider Parteien bei den Wahlen in 2013 ergeben, dass beide Parteien zum gegenwärtigen Zeitpunkt für die Bewertung des Linksextremismus in Niedersachsen nicht mehr von ausreichender Relevanz sind, um über sie im Rahmen eines eigenen Kapitels zu informieren. Auf eine weitere, eigenständige Berichterstattung über den bundesweit vertriebenen RotFuchs - Tribüne für Kommunisten und Sozialisten in Deutschland - (gegründet im Februar 1998 von der DKP-Gruppe Berlin-Nordost als politisch-theoretische Monatsschrift mit marxistisch-leninistischem Profil) wird unter Abwägung der Erforderlichkeit und Relevanz für Niedersachsen künftig verzichtet. 3.4 Überblick In diesem Kapitel wird die Entwicklung im Linksextremismus zusammengefasst dargestellt. Detaillierte Berichte finden sich in den jeweils folgenden Kapiteln. Die Erläuterung der Begrifflichkeiten erfolgt ebenfalls in den jeweiligen Kapiteln. 3.4.1. Ideologie Für die Ideologie des deutschen Linksextremismus sind die beiden ideengeschichtlichen Grundströmungen des 19. Jahrhunderts, Marxismus und Anarchismus, grundlegend. Linksextremisten greifen die in der Französischen Revolution proklamierten Werte Freiheit und Gleichheit in radikaler Zuspitzung auf und wollen den demokratischen Rechtsstaat auch auf revolutionärem Wege überwinden, um ihn durch eine klassenlose bzw. herrschafts72 Pressemitteilung des BVerfG Nr. 60/2013 "Abgeordnetenbeobachtung unterliegt strengen Verhältnismäßigkeitsanforderungen" des Bundesverfassungsgerichts vom 09.10.2013. 82 freie Gesellschaft zu ersetzen. Kommunismus und Anarchismus unterscheiden sich in der Bewertung der Freiheitsrechte. Überdeckt der übersteigerte Gleichheitsbegriff kommunistisch ausgerichteter Organisationen die individuellen Freiheitsrechte, lehnen anarchistische Gruppierungen staatliche Organisation und damit Machtstrukturen (Hierarchien) generell ab. Beide Richtungen orientieren sich an der Utopie einer klassenbzw. herrschaftsfreien Ordnung, d. h. der vollkommenen Befreiung des Menschen von allen gesellschaftlichen, politischen, ökonomischen und kulturellen Zwängen. Anarchisten, die in ihrem konkreten politischen Handeln diesen utopischen Entwurf vorzuleben versuchen, verneinen auf Zwang beruhende Zwischenstadien zur Realisierung dieser klassenlosen Gesellschaft wie die von Kommunisten angestrebte Diktatur des Proletariats. Kommunistische Gruppierungen haben sich den Sturz des bestehenden politischen Systems und die Errichtung einer Diktatur des Proletariats unter Führung einer "proletarischen Avantgarde" als Ziel gesetzt. Das utopische Endziel dieser Gruppierungen ist die klassenlose kommunistische Gesellschaft. Marxistisch-Leninistische Organisationen wie die Deutsche Kommunistische Partei (DKP), die Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD), aber auch die extremistischen Teile der Partei DIE LINKE. halten an der Idee einer Revolution der Arbeiterklasse fest, der die Diktatur des Proletariats folgt. Demgegenüber propagieren anarchistische Gruppierungen die Überwindung des bestehenden politischen Systems auf dem Wege massenhaften zivilen Ungehorsams73 und vorbildhafter Selbstorganisation. Linksextremistische Organisationen stimmen in der Notwendigkeit einer revolutionären Veränderung der bestehenden Verhältnisse überein, die das internationale Zusammenwirken aller revolutionären Kräfte erfordert (Internationalismus). Die Marktwirtschaft und die sie repräsentierenden Mächte, allen voran die USA und ihre Verbündeten, stehen für den Gegenentwurf zum ideologischen Weltbild der Linksextremisten und sind so eines ihrer zentralen Feindbilder. Die wechselweise als kapitalistisch oder neoliberal bezeichnete westliche Wirtschaftsordnung wird grundsätzlich als Ausbeutung des Menschen durch den Menschen abgelehnt. Linksextremisten wollen dem ihrer Meinung nach "entfesselten Kapitalismus" Einhalt gebieten und fordern - wie die Interventionistische Linke auf ihrer Internetseite - : "Make capitalism history!" Ihre Kritik konzentriert sich vor allem auf die Großkonzerne, die NATO und ihre Führungsmacht, die USA. Die Schuld für internationale Konflikte und Krisen verorten sie ausschließlich im Westen. 3.4.2. Entwicklungen im Linksextremismus Im Mittelpunkt der Entwicklung im Linksextremismus stand im Jahr 2013 vor allem die zunehmende Gewaltbereitschaft und -intensität der Autonomen. So wurden am 21./22.12.2013 an verschiedenen Standorten in Göttingen drei unkonventionelle Brandund Sprengvorrichtungen (USBV) von unbekannten Tätern platziert, die aber aus bisher unbekannten Gründen nicht zündeten. Zu der Tat bekannte sich in einem Selbstbezichtigungsschreiben eine Gruppe namens "Flora und Fauna". Als Motiv nannte sie die Solidarität mit den Protesten rund um das autonome Zentrum "Rote Flora" in Hamburg vom 21.12.2013. Von Militanz geprägt waren außerdem gewalttätig verlaufene Auseinandersetzungen zwi73 Ziviler Ungehorsam ist insbesondere bei den "gewaltfreien" Anarchisten der Verstoß gegen ein Gesetz aus Gewissensgründen; dabei wird bewusst in Kauf genommen, dafür bestraft zu werden. 83 schen Linksextremisten und der Polizei, vor allem im Zusammenhang mit Demonstrationen sowie zwischen Linksund Rechtsextremisten. So versuchten etwa 120 gewaltbereite Linksextremisten im Rahmen der Proteste gegen den rechtsextremistischen "Tag der deutschen Zukunft" (TddZ) am 01.06.2013 in Wolfsburg die dortige Bahnhofshalle kurzfristig zu blockieren, um auf diesem Wege die Rechtsextremisten an der Anreise zu hindern. Wiederholt wurden im weiteren Verlauf Steine geworfen, zudem gab es körperliche Auseinandersetzungen mit der Polizei. Von bundesweiter Bedeutung war zudem am 21.12.2013 eine Demonstration in Hamburg unter dem Motto "Rote Flora verteidigen - Esso-Häuser durchsetzen! Gegen rassistische Zustände - Bleiberecht für alle!", an der sich auch niedersächsische Linksextremisten beteiligten. Sie mündete in bis in die Nacht andauernde Auseinandersetzungen mit der Polizei und bedeutete für Hamburg mit 120 verletzten Polizisten die schwersten Ausschreitungen seit Jahren. Die Entwicklung des Jahres 2013 zeigt, dass die Hemmschwelle zur Anwendung von Gewalt vor allem gegenüber Polizeibeamten weiter gesunken ist und eine Gefährdung von Menschen billigend in Kauf genommen wird. Von Linksextremisten seit je bevorzugte Aktionsfelder, insbesondere die Bereiche "Antifaschismus", "Antirassismus", "Antirepression" und "Antimilitarismus", haben zudem eine deutlich stärkere Resonanz in der Öffentlichkeit wie auch in der linksautonomen Szene selbst gefunden. Das Personenpotenzial des autonomen und gewaltbereiten linksextremistischen Spektrums ist dagegen leicht auf 880 Personen zurückgegangen. Im Bereich des parlamentsorientierten Linksextremismus setzte sich der politische Abstieg der orthodox marxistisch-leninistisch ausgerichteten Parteien DKP und MLPD weiter fort. So beteiligte sich die DKP an den Bundestagswahlen vom 22.09.2013 nur mit einigen Direktkandidaten und erhielt insgesamt lediglich 1.699 Erststimmen. Ihre Mitgliederzahlen stagnieren seit Jahren auf niedrigem Niveau. Ein höheres Ergebnis bei der Bundestagswahl als die DKP konnte die MLPD erzielen. Sie trat bundesweit mit Landeslisten und 41 Direktkandidaten an. Dabei erhielt sie bundesweit 12.904 Erstimmen und 24.219 Zweitstimmen, davon 259 Erststimmen und 1.267 Zweitstimmen in Niedersachsen. Ähnlich wie die DKP ist die MLPD in Niedersachsen in der Öffentlichkeit kaum wahrnehmbar. Zur niedersächsischen Landtagswahl vom 20.01.2013 waren DKP und MLPD nicht angetreten. 84 3.5 Autonome und sonstige gewaltbereite Linksextremisten Bund Niedersachsen Anhänger 2012: 7.100 2012: 940 2013: 6.900 2013: 880 Publikationen INTERIM vers beaux temps, Hannover (vierzehntägig) (etwa vierteljährlich) radikal TABULA RASA, Hannover (unregelmäßig) (etwa monatlich) Phase 2 göttinger Drucksache, Göttingen (etwa vierteljährlich) (wöchentlich) Alhambra, Oldenburg (alle zwei Monate) Fight back!, Braunschweig (unregelmäßig) autonomes Blättchen, Hannover (unregelmäßig) 3.5.1 Ursprünge, Ziele und Vorgehensweise Die Entstehungsgeschichte der autonomen Bewegung reicht bis in die 1960er Jahre zurück, in denen die radikalen und militanten Teile der Studentenbewegung in zwei Hauptrichtungen zerfielen. Auf der einen Seite bildeten sich so genannte K-Gruppen 74 heraus, deren Vertreter die Theorien der sozialistischen "Klassiker" wie Marx, Engels, Lenin und Mao dogmatisch auslegten. Die Aktivitäten dieser K-Gruppen waren von der Überzeugung getragen, dass nur eine disziplinierte, zentralistisch ausgerichtete Partei als Vorhut der Arbeiterklasse das Ziel der sozialistischen Revolution verwirklichen könne. Andererseits formierten sich die Autonomen Ende der 1970er, Anfang der 1980er Jahre vorwiegend aus der Sponti-Szene, der militanten Anti-AKW-Bewegung und der militanten Hausbesetzerszene. Aus dieser Zeit stammt auch ihre Selbstbezeichnung. Sie steht für Eigenständigkeit und bezieht sich historisch auf die Erfahrungen der militanten italienischen Arbeiterund Studen74 Der Begriff "K-Gruppen" ist eine Sammelbezeichnung für politische Gruppierungen wie den Kommunistischen Bund Westdeutschlands (KBW) oder die MLPD, die sich seit dem Ende der 1960er Jahre am Marxismus-Leninismus maoistischer Prägung orientieren und sich die Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zum Ziel gesetzt haben. 85 tenbewegung "Autonomia Operaia" der 1960er Jahre.75 Mit Beginn der 1990er Jahre bildete sich mit den so genannten Antideutschen eine neue Strömung innerhalb des autonomen Spektrums heraus, die sich gegen einen vermeintlichen deutschen Nationalismus wandte. Vor dem Hintergrund der deutschen Wiedervereinigung befürchteten ihre Aktivisten ein Erstarken des Nationalismus innerhalb der vereinigten Bundesrepublik und eine Rückkehr zum Nationalsozialismus. Im Zuge der Golfkriege von 1990 und 2003 solidarisierten sie sich bedingungslos mit dem Staat Israel und seiner Schutzmacht, den USA. Aus diesem Grunde kam es zum Bruch zwischen den Antideutschen, die immer nur einen Minderheitenposition innerhalb des autonomen Spektrums darstellten und darstellen, und den die autonome Szene dominierenden so genannten Antiimperialisten mit ihrer ausgeprägten antiwestlichen, insbesondere antiamerikanischen und antiisraelischen Haltung. Autonome Gruppierungen sind nicht wie kommunistische Organisationen von einer einheitlichen Ideologie geprägt. Sie verknüpfen vielmehr Elemente kommunistischer und anarchistischer Weltbilder miteinander. Autonome im klassischen Sinne verstehen sich zwar auch als undogmatische Linke und streben wie die Vertreter der orthodoxen K- Gruppen die sozialistische Revolution an, beantworten die "Organisationsfrage" aber anders. Sie lehnen eine staatliche Ordnung und jegliche Form von Hierarchien ab und sprechen sich für die Selbstorganisation des Zusammenlebens aus. Gemeinsames Ziel aller autonomen Gruppierungen ist es, den Staat und seine Institutionen gewaltsam abzuschaffen und durch eine "herrschaftsfreie Gesellschaft" zu ersetzen. Hiermit richten sie sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung und sind demnach verfassungsfeindlich (SS 3 Abs. 1 NVerfSchG). Die Sympathisantengewinnung der autonomen Szene beginnt bereits in der Schule, z. B. durch persönliche Kontakte, Aushänge und Veranstaltungshinweise. Dort wie auch später vor allem an der Universität soll das Interesse von anpolitisierten Jugendlichen bzw. jungen Erwachsenen für ein Engagement in autonomen Gruppierungen und deren Aktionsfelder geweckt werden. Dies geschieht hauptsächlich über gesamtgesellschaftlich relevante Themen wie beispielsweise den Kampf gegen den Rechtsextremismus. In den letzten Jahren ist ein Wandel des Selbstverständnisses von Teilen der autonomen Szene zu erkennen. Als Reaktion auf zunehmende interne Kritik an der autonomen Bewegung haben einige von ihnen begonnen, der Ideologieund Organisationsfrage mehr Raum zu geben. Diese sich als "postautonom" verstehenden Gruppierungen kennzeichnen eine undogmatische marxistisch-leninistische Ideologie, eine breit gefächerte Bündnispolitik und der Wille, sich zu organisieren und zu vernetzen, um so in einem langfristigen Prozess die vorherrschenden Verhältnisse zu überwinden. Im Zuge dieser Entwicklung haben sich Zusammenschlüsse wie die antiimperialistisch ausgerichtete "Interventionistische Linke" (IL) und das antideutsch ausgerichtete Bündnis "...ums Ganze" herausgebildet. Sie versuchen, auch gegen teilweise heftige Widerstände aus dem autonomen Spektrum, dieses 75 Diese militante "Arbeiterautonomie" propagierte den Kampf gegen die Fabrikarbeit und wandte sich gezielt gegen die etablierten Gewerkschaften und die Kommunistische Partei Italiens, denen sie Anpassung, Bevormundung und Verbürgerlichung vorwarf. Lang andauernde Bestreikungen vor allem von Automobilfabriken bis hin zur Entführung von Managern, gewaltsame Auseinandersetzungen mit der Polizei und Sabotageakte in Fabriken prägten ihre Aktivitäten. 86 stärker zu vernetzen und das autonome Handeln besser zu organisieren, um so die Schlagkraft der autonomen Bewegung zu erhöhen. Diese Prozesse verdeutlichen, dass die linksextremistische Szene nicht statisch, sondern in "Bewegung" und somit ständigen Veränderungen unterworfen ist. Eine zentrale Rolle im autonomen Selbstverständnis spielt die Frage der Gewalt. Linksextremistischer Protest vermittelt sich für Autonome und sonstige gewaltbereite Linksextremisten nicht nur über Informationsund Diskussionsveranstaltungen, Workshops, Vorträge und die Verbreitung von themenbezogenen Flugblättern und Plakaten, sondern auch durch gewalttätige Aktionen wie Blockaden, Brandanschläge und Sachbeschädigungen, mit denen den eigenen politischen Zielen Nachdruck verliehen werden will. Dem linksextremistischen Verständnis nach üben die "kapitalistischen Produktionsverhältnisse" Gewalt gegen ihre Bürger aus. Sie stellen eine auf gesellschaftlichen Strukturen wie Werten, Normen, Institutionen und Machtverhältnissen basierende "strukturelle Gewalt" gegenüber den Bürgern dar und hindern diese daran, sich ihren Anlagen und Möglichkeiten entsprechend frei zu entfalten. Aus dieser vermeintlichen "Gewalt des Systems" leiten Autonome und sonstige gewaltbereite Linksextremisten ein Naturrecht auf Widerstand ab. Linksextremistische Gewalt versteht sich demzufolge als "Gegengewalt", als reaktives und dadurch legitimes Mittel, um die herrschende Gewalt aufzubrechen und Veränderungen herbeizuführen. Aus diesem Grunde spielt die Anwendung von Gewalt eine zentrale Rolle in der autonomen Szene. Die Ereignisse des letzten Jahres, insbesondere die Vorkommnisse vor, während und nach der Demonstration vom 21.12.2013 in Hamburg unter dem Motto "Selbstorganisation statt Repression! Refugee-Bleiberecht, Esso-Häuser und Rote Flora durchsetzen!", belegen eine erhöhte Aggressivität innerhalb des linksextremistischen Spektrums. Sie lassen erkennen, dass die Hemmschwelle zur Anwendung von Gewalt weiter gesunken ist und die Gefährdung von Menschenleben billigend in Kauf genommen wird. Vor allem Polizeibeamte werden zunehmend zu Opfern linksextremistischer Gewalt. Die szeneinternen Reaktionen auf tätliche Übergriffe auf und entmenschlichende Äußerungen gegenüber Polizisten im Internet zeigen aber, dass es gegenwärtig keine Bereitschaft innerhalb der autonomen Szene zur gezielten Tötung von Menschen gibt. Insofern hat der seit den tödlichen Schüssen vom November 1987 auf zwei Polizeibeamte im Zusammenhang mit den Protesten gegen die Startbahn West in Frankfurt am Main bestehende Grundkonsens, keine direkten Angriffe auf Leib und Leben von Menschen zu begehen, weiterhin innerhalb der linksextremistischen Szene Bestand. Auch für eine Wiederaufnahme der so genannten Militanzdebatte76, die die 2009 aufgelöste Berliner militanten gruppe (mg) angestoßen hatte, gibt es gegenwärtig keine Anzeichen. Weder zeichnet sich eine strukturierte Debatte zu diesem Thema ab, noch ist eine linksextremistische Gruppierung erkennbar, die diese steuern und führen könnte. Zwar können künftige Radikalisierungen nicht ausgeschlossen werden, zurzeit weist aber nichts auf eine sich organisierende Gewalt hin, die in einen erneuten Linksterrorismus münden könnte. 76 Bei dieser Debatte ging es um die Frage, inwieweit Gewalt in der politischen Auseinandersetzung auch gegen Personen angebracht und innerhalb der linksextremistischen Szene vermittelbar ist. 87 Autonome Zentren sind selbstverwaltete und unabhängige kulturelle und soziopolitische Einrichtungen. Sie sind in erster Linie Versammlungsund Veranstaltungszentren und dienen Linksextremisten als Rückzugsräume zur Planung politischer Agitation und (gewalttätiger) Aktionen. Oftmals sind sie aber auch Teil öffentlicher Einrichtungen beispielsweise der Jugendarbeit, die nicht nur von Linksextremisten, sondern auch von demokratischen Organisationen und Einzelpersonen genutzt werden. 3.5.2. Aktionsfelder Linksextremisten sind thematisch vielseitig aufgestellt. Neben dem Antifaschismus engagieren sie sich vor allem in ideologisch eng miteinander verbundenen Themenfeldern wie Antirepression, Antirassismus und Antimilitarismus. Sie agieren dabei themenübergreifend, so dass oftmals dieselben Akteure in thematisch unterschiedlich ausgerichteten Gruppierungen anzutreffen sind. Mit ihren Aktionsfeldern greifen Linksextremisten gesamtgesellschaftlich relevante Themen auf, die die Menschen bis weit in die Mitte der Gesellschaft bewegen und zum zivilgesellschaftlichen Engagement herausfordern. Im Gegensatz zum bürgerlichen Protest, der frei ist von systemüberwindenden Forderungen, basiert der linksextremistische auf ideologischen Grundannahmen, für die eine prinzipielle Gegnerschaft zum politischen System der Bundesrepublik und seiner Wirtschaftsordnung kennzeichnend ist. Linksextremisten dienen ihre Aktionsfelder daher nur als Plattform für ihr eigentliches Ziel, den Kampf gegen den demokratischen Rechtsstaat. Erst wenn dieser überwunden ist, lassen sich ihrer Auffassung nach alle anderen gesellschaftlichen Probleme lösen. So heißt es exemplarisch bezüglich der Bekämpfung des Rechtsextremismus im Selbstverständnis der Jugendantifa Kreis Osnabrück: "Die Überwindung des Faschismus ist nur mit der Überwindung des kapitalistischen Normalvollzugs und seiner bürgerlichen Ideologie möglich." (Internetseite der Jugendantifa Kreis Osnabrück, Ausdruck vom 13.03.2014) Linksextremisten versuchen, gesellschaftliches bürgerliches Engagement für ihre systemüberwindenden Ziele zu instrumentalisieren. 3.5.2.1 Aktionsfeld "Antifaschismus" Zentrales Aktionsfeld der Autonomen ist der "Antifaschismus", da dieser der Öffentlichkeit aus ihrer Sicht am besten zu vermitteln ist. Insbesondere auf diesem Gebiet zeigen Autonome eine hohe Gewaltbereitschaft. Unter Rückgriff auf die von dem damaligen Vorsitzenden der Kommunistischen Internationale (Komintern) Georgi Dimitroff im August 1935 auf dem VII. Weltkongress der Komintern in Moskau aufgestellten These, wonach der Faschismus "die offene terroristische Diktatur der reaktionärsten, am meisten chauvinistischen, am meisten imperialistischen Elemente des 88 Finanzkapitals"77 sei, ist der Faschismus dem linksextremistischen Verständnis nach dem Kapitalismus immanent. Faschismus kann deshalb nur dann erfolgreich bekämpft werden, wenn zugleich auch seine Ursache, der Kapitalismus, beseitigt wird. Konsequenter Antifaschismus zielt daher für Linksextremisten immer auch auf die kapitalistische Wirtschaftsund Gesellschaftsordnung, die es zu überwinden gilt. Feindbilder der Autonomen sind nicht nur rechtsextremistische Strukturen und Personen, sondern auch die Bundesrepublik Deutschland. Der demokratische Rechtsstaat und seine Wirtschaftsordnung werden in eine Tradition mit dem NS-Staat gestellt und als faschistisch bezeichnet. Rechtsextremismus wird von den Autonomen als ein systemimmanentes Merkmal der deutschen Gesellschaftsordnung bewertet. Sie unterstellen ihr, den Rechtsextremismus und einen immanenten Rassismus bewusst zu fördern und zu instrumentalisieren. Der revolutionäre "Antifaschismus" richtet sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung und verfolgt als Ziel, die gesellschaftlichen und politischen Strukturen, die aus linksextremistischer Sicht Faschismus und Rassismus hervorbringen, zu zerschlagen. Bis heute gilt die Aussage, die die redical [M] in einem Flugblatt vom 22.05.2011 zu den Protesten gegen den NPD-Landesparteitag in Northeim plakativ zum Ausdruck gebracht hat: "Wir bekämpfen Nazis aktiv und mit unseren Mitteln - das bleibt auch so. Vor allem aber bekämpfen wir dieses Deutschland samt seines kapitalistischen Wertsystems, das Menschen nach brauchbar und unbrauchbar sortiert, das Konkurrenz und Mehrwert über die Bedürfnisse des Menschen stellt, das Zustände wie nun Northeim zwangsläufig hervorbringt. Wir kämpfen noch immer für den kategorischen Imperativ, alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist. ... Für den Frieden und den Kommunismus!" Auch die Antifaschistische Aktion Hannover (AAH) verdeutlicht in ihren Grundsätzen beispielhaft, in welchem Sinne der Antifaschismus bis heute von Autonomen interpretiert wird: "Wir haben ein Ziel: Soziale Revolution. Wir kämpfen für die Abschaffung jeglicher Unterdrückung - für Herrschaftsfreiheit nicht nur hier, sondern überall. Deshalb ist unser antifaschistischer Kampf mehr als nur die Verteidigung des Status quo gegen Faschismus. Unsere Perspektive geht über das bestehende Ganze hinaus." (veröffentlicht auf der Internetseite der AAH, Ausdruck vom 14.01.2014) Vor allem die öffentliche Präsenz von Rechtsextremisten führt auf Seiten der Autonomen nach wie vor zu entsprechenden Gegenreaktionen. Diese reichen von verbalen Attacken über Angriffe auf szenetypische Treffpunkte bis hin zu körperlichen Konfrontationen. So genannte Outing-Aktionen dienen dazu, persönliche Daten wie Wohnort, Beruf und Fotos von vermeintlichen Rechtsextremisten mit dem Ziel öffentlich zu machen, die betroffene 77 Georgi Dimitroff, Die Offensive des Faschismus und die Aufgaben der Kommunistischen Internationale im Kampf für die Einheit der Arbeiterklasse gegen den Faschismus, in: ders., Gegen Faschismus und Krieg. Ausgewählte Reden und Schriften, Leipzig 1982, Seiten 49-136, hier Seite 52. 89 Person gesellschaftlich zu ächten und ihr bis hin zum Verlust des Arbeitsplatzes maximalen Schaden zuzufügen. Nicht selten münden sie in körperliche Übergriffe auf den politischen Gegner. Obwohl prinzipiell organisationsfeindlich, beteiligen sich Autonome auch an großen bürgerlichen Bündnisdemonstrationen. Diese bieten ihnen die Gelegenheit, öffentlich besser wahrgenommen zu werden und in deren Schutz die Konfrontation mit den "Repressionsorganen des Staates" suchen zu können. Den von demokratischen Organisationen getragenen Protest gegen den mittlerweile zum achten Mal in Folge in Bad Nenndorf (Landkreis Schaumburg) durchgeführten so genannten Trauermarsch von Rechtsextremisten am 03.08.2013 nutzten Linksextremisten, um ihre Ablehnung der staatlichen Ordnung zum Ausdruck zu bringen. Nach Polizeiangaben bemühten sich ca. 300 Angehörige der linksextremistischen autonomen Szene aus dem norddeutschen Raum, den rechtsextremistischen Aufmarsch zu verhindern. So lief eine überwiegend aus Linksextremisten bestehende Gruppe von etwa 50 Personen parallel zur Aufzugsstrecke der Rechtsextremisten und versuchte mehrfach, Absperrungen der Polizei zu durchbrechen. Linksextremisten versuchten ferner den rechtsextremistischen so genannten Tag der deutschen Zukunft (TddZ) am 01.06.2013 in Wolfsburg zu verhindern. Neben dem größtenteils von Gewerkschaften, Kirchengemeinden und demokratischen Parteien getragenen Zusammenschluss "Wolfsburg ist bunt - Schulterschluss Wolfsburger Demokraten" mobilisierten auch Bündnisse wie die Kampagne "No-TddZ". Sie setzte sich überwiegend aus linksextremistischen Antifa-Gruppierungen, namentlich der Antifa Lüneburg, zusammen. Erklärtes Ziel des Bündnisses war es, die rechtsextremistische Demonstration zu blockieren und somit zu verhindern. Dabei grenzten sie sich von den demokratischen Demonstrationen und Protesten ab. In dem auf der Internetseite des Bündnisses eingestellten Aufruf heißt es dazu: "Wir werden nicht tatenlos zusehen, wenn die Nazis in Wolfsburg versuchen ihren Aufmarsch durchzuführen. Dem werden wir entschlossen und mit allen Mitteln entgegentreten. Beteiligt euch am 01. Juni 2013 an den antifaschistischen Aktionen in Wolfsburg damit wir den Naziaufmarsch gemeinsam verhindern ... Ein 'Gesicht zeigen gegen Rechts', eine 'Meile der Demokratie' mit Grillen und Saufen gegen Rechts oder andere symbolische Aktionen reichen uns nicht aus. Wir wollen den direkten Widerstand, der Faschisten und ihre Sympathisanten an dem hindert, was sie gerade tun!" Unter dem Motto "There is no german Zukunft" mobilisierte ein weiteres Bündnis gegen den TddZ, das aufgrund der Formulierung seines Aufrufes dem antideutschen 78 Spektrum innerhalb der autonomen Szene zuzuordnen ist. Dem auf der Internetseite dieses Bündnisses eingestellten Aufruf nach gehören ihm, " ... linksradikale Gruppen, die dezentral und kreativ gegen den Aufmarsch vorgehen" an. Insgesamt beteiligten sich etwa 500 gewaltbereite Linksextremisten an den Gegendemonstrationen in Wolfsburg. Bei einer Vorkontrolle von mit Autonomen besetzten Reise78 Siehe Kapitel 3.5.1. 90 bussen und Pkw konnte die Polizei unter anderem drei Feuerlöscher, sechs Reizstoffsprühgeräte (Pfefferspray), ein Kunststoffschutzschild und einen Teleskopschlagstock sicherstellen. Einige von ihnen versuchten die Bahnhofshalle zu blockieren, indem sie sich auf die Treppe zu den Gleisen setzten, um so die Rechtsextremisten an der Anreise zu hindern. Im Laufe des Tages bemühten sich immer wieder größere Gruppen von Autonomen erfolglos auf die Aufzugsstrecke der Rechtsextremisten zu gelangen. Durch Steinwürfe und körperliche Auseinandersetzungen mit der Polizei wurden acht Einsatzkräfte verletzt, insgesamt 14 Personen wurden festgenommen. Die Teilnahme von gewaltbereiten Linksextremisten an den Protesten gegen den TddZ hat in den letzten Jahren stetig zugenommen. Waren im Jahr 2010 in Hildesheim noch ca. 100 gewaltbereite Linksextremisten beteiligt, nahmen am 04.06.2011 bereits 700 an den Protesten in Braunschweig teil. Seinen Höhepunkt erreichte der autonome Gegenprotest 2012 in Hamburg mit insgesamt ca. 1.500 gewaltbereiten Linksextremisten. Die vergleichsweise hohe Teilnehmerzahl ist auf die in Hamburg über Jahrzehnte gefestigten linksextremistischen Strukturen zurückzuführen. In 2013 war die Zahl der gewaltbereiten Linksextremisten mit etwa 500 stark rückläufig. Daraus aber auf einen generellen Rückgang zu schließen, wäre verfrüht. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die vergleichsweise geringe Beteiligung in erster Linie den bundesweiten linksextremistischen Aktionen im Zusammenhang mit der zeitgleichen Blockupy-Kampagne am 30.05. und 01.06.2013 in Frankfurt geschuldet ist. Auch bei künftigen Veranstaltungen der rechtsextremistischen Szene muss daher von einer hohen überregionalen Mobilisierung linksextremistischer Gegenproteste ausgegangen werden, die auch weiterhin von einem hohen Gewaltpotenzial geprägt sein können. 3.5.2.2 Aktionsfeld "Antirassismus" Der Bürgerkrieg in Syrien und die Lage vor allem in Nordafrika führen dazu, dass zahlreiche Menschen ihre Heimat verlassen und sich auf der Flucht befinden. Ihr Schicksal berührt die Menschen auch in der Bundesrepublik und führt zu zahlreichen Solidarisierungsaktionen. Vor dem Hintergrund dieser Entwicklung befindet sich auch das Themenfeld "Antirassismus" in der autonomen Szene im Aufwind. Im Gegensatz zum demokratischen Protest benutzen Autonome dieses Thema aber nur als Plattform für ihr eigentliches Ziel, den Kampf gegen den demokratischen Rechtsstaat. Ihrer Meinung nach unterstreicht vor allem der Umgang mit den so genannten Lampedusa-Flüchtlinge im Stadtgebiet von Hamburg die "Notwendigkeit gegen diesen Staat und seine Organe" vorzugehen. So solidarisieren sich Teile auch des niedersächsischen linksextremistischen Spektrums mit den Betroffenen und mobilisieren zu Resonanzkundgebungen. Die grundsätzlich pazifistisch orientierten Unterstützungsorganisationen des demokratischen Spektrums führen naturgemäß innerhalb der gewaltbereiten autonomen Szene zu Kontroversen über mögliche gemeinsame Aktionen und Kundgebungen. Daher neigen Teile der autonomen Szene dazu, nur begrenzt zu entsprechenden Aktionen zu mobilisieren. Sie priorisieren stattdessen eigenständige Solidaritätsveranstaltungen, z. B. die friedlich verlaufene 91 Spontankundgebung am 15.10.2013 in Hannover-Linden mit ca. 30 Personen, bei der u. a. Parolen wie "Solidarität muss praktisch werden - Feuer und Flamme den Abschiebebehörden", "Kein Mensch ist illegal - Bleiberecht für alle" und "Nazis morden - der Staat schiebt ab - das ist das gleiche Rassistenpack" skandiert wurden. Diese Versammlung fand mutmaßlich durch elektronische Mobilisierung von Personen der autonomen Szene statt. Dennoch bleibt innerhalb der linksextremistischen Szene immer eine Schnittmenge für kollektives, öffentlichkeitswirksames Engagement. Für den 29.11.2013 mobilisierte die linksextremistische Gruppierung Antifaschistische Linke International (A.L.I.) in Göttingen für eine Demonstration unter dem Motto: "Rassismus bekämpfen - Verfassungsschutz auflösen". Anlass war der zweite Jahrestag des Bekanntwerdens der Morde des "Nationalsozialistischen Untergrunds" (NSU). Insgesamt nahmen ca. 480 Personen an der Demonstration durch die Göttinger Innenstadt teil. Neben vereinzelten Auseinandersetzungen mit der Polizei wurden von vermummten Teilnehmer Bengalfackeln und Pyrotechnik abgebrannt. Während der Demonstration gerieten auch zwei Pkw in Brand, die auf den Grundstücken zweier Studentenverbindungen geparkt waren. Die A.L.I. ist ebenso wie die redical [m] aus der ehemaligen Göttinger Autonomen Antifa [M] die sich Ende April 2004 aufgelöst hat, hervorgegangen. Sie ist inhaltlich antiimperialistisch ausgerichtet und grenzt sich dadurch ideologisch von den antideutschen Gruppierungen innerhalb der linksextremistischen autonomen Szene ab. Sie versteht sich als: "Teil einer weltweiten Linken, die sich den Zumutungen und existentiellen Bedrohungen durch den Kapitalismus in konkreten Kämpfen entgegenstellt ... Bezugspunkt und Subjekt von Befreiung sind für uns alle Menschen, die wie wir innerhalb der ihnen gegebenen gesellschaftlichen Bedingungen den Kampf gegen den Kapitalismus, das Patriarchat, nationalistischen Chauvinismus, Rassismus und Antisemitismus entwickeln wollen; für eine Gesellschaft in der die Herrschaft des Menschen über den Menschen überwunden ist." (veröffentlicht auf der Internetseite der A.L.I., Ausdruck vom 13.03.2014) Neben dem allgemeinen Hauptaktionsfeld der A.L.I., dem Antifaschismus, haben die Themenbereiche Antirassismus, Antirepression und Antimilitarismus einen hohen Stellenwert. Diese Aktionsfelder werden von der A.L.I., auch aufgrund tagespolitischer Ereignisse, mit unterschiedlichen Schwerpunkten öffentlich durch unterschiedliche Veranstaltungen, Demonstrationen oder Kundgebungen thematisiert. Die A.L.I. agiert nicht nur in Göttingen sondern ruft auch zu überregionalen Aktionen auf. So mobilisierte sie über ihre Internetseite zu den Protesten gegen den "Tag der deutschen Zukunft" in Wolfsburg und den Protesten gegen den "Trauermarsch" der Neonaziszene in Bad Nenndorf. Neben ihrem regionalen Aktionsradius strebt die A.L.I. jedoch laut ihrem Selbstverständnis auch überregionale Strukturen an. "Parallel zu dieser regionalen Verankerung beteiligen wir uns an der Schaffung einer radikalen Linken, die bundesweite Handlungsfähigkeit erreichen will." (veröffentlicht auf der Internetseite der A.L.I., Ausdruck vom 13.03.2014) 92 Aus diesem Grunde arbeitet die A.L.I. auch in dem bundesweiten Netzwerk "Interventionistische Linke" (IL) mit, einem Zusammenschluss überwiegend antiimperialistisch ausgerichteter autonomer Gruppierungen und nichtextremistischer Organisationen sowie Einzelpersonen (siehe auch Kapitel 3.6.3.). Die redical [m] versteht sich dagegen als eine antideutsche Gruppierung. Sie ist in denselben Themenbereichen wie die A.L.I. aktiv. Welche Alternative ihr zur bestehenden Ordnung vorschwebt, unterstreicht der abschließende Satz ihres Selbstverständnisses: "Für den Kommunismus!" (veröffentlicht auf der Internetseite der redical [m], Ausdruck vom 28.03.2014) Um dieses Ziel zu erreichen, ist die redical [m] der "festen Überzeugung, dass die Linke kaum etwas mehr braucht als Verbindlichkeit und feste Strukturen, um sich überhaupt kontinuierlich weiter entwickeln zu können." Aus diesem Grunde hat sie sich dem bundesweit agierenden antideutschen kommunistischen Bündnis "Ums Ganze" angeschlossen. Vor allem die EU-Asylpolitik ist ein insbesondere in linksextremistischen Kreisen heftig umstrittenes Thema. Aus diesem Grunde wird der Begründungszusammenhang "Antirassismus" auch künftig nicht nur Basis von linksextremistisch motivierten Demonstrationen sein, sondern könnte mit großer Wahrscheinlichkeit auch weiterhin szenetypische Straftaten nach sich ziehen, ohne dass diese immer einer genauen autonomen Gruppierung zugeordnet werden können. Hierzu zählen u. a. Sachbeschädigungen wie Farbschmierereien oder das Einwerfen von Fensterscheiben bei Polizeidienststellen, die an der Durchsetzung staatlicher Maßnahmen in Asylund Flüchtlingsverfahren beteiligt sind. Zuletzt wurde das Thema Asylund Flüchtlingsprojekt von der autonomen Szene in Hamburg benutzt, um für ihr primäres Anliegen, die "Rote Flora" als linksautonomes Zentrum zu erhalten, größtmöglich zu mobilisieren. Aufgerufen wurde von der Kampagne "Flora bleibt unverträglich" zu einer bundesweiten Demonstration am 21.12.2013 mit dem Motto "Selbstorganisation statt Repression! Refugee-Bleiberecht, Esso-Häuser und Rote Flora durchsetzen!". Diesem Aufruf folgten unter Beteiligung niedersächsischer Linksextremisten insgesamt 7.300 Personen. Darunter befanden sich 4.700 gewaltbereite Personen, die zum großen Teil dem linksextremistischen Spektrum zugeordnet wurden. Im Verlauf der Demonstration eskalierte die Situation zwischen der Polizei und den Demonstrationsteilnehmern. Aus einem schwarzen Block an der Spitze des Aufzuges heraus wurden Feuerwerkskörper und sonstige Gegenstände in Richtung der Einsatzkräfte geworfen. Die Polizei setzte daraufhin Schlagstöcke, Pfefferspray und Wasserwerfer ein und verfügte die Auflösung der Demonstration. Im Verlauf des Nachmittags bis in die Nacht lieferten sich Gruppen mit bis zu 300 Personen immer wieder gewalttätige Auseinandersetzungen mit der Polizei. Supermärkte, Hotels, Behördenund Bankgebäude wurden beschädigt, Pkw in Brand gesetzt. Im Laufe des Tages wurden 20 Personen vorläufig festgenommen, 120 Polizeibeamte wurden verletzt. 93 Aus Solidarität mit den Forderungen der Hamburger Demonstranten wurde in den folgenden Tagen in Göttingen auf dem Parkplatz der Bundespolizei, vor dem Hauptzollamt und vor dem Verwaltungsgericht jeweils ein Brandsatz gelegt, ohne dass es zu einer Detonation kam. Der Aufbau der drei Brandsätze entsprach der in der linksextremistischen Szene kursierenden Anleitung für eine so genannte GASAKI-Sprengvorrichtung79. Diese Brandsatzmodelle mit Gaskartuschen wurden in den letzten Jahren u. a. von den Revolutionären Aktionszellen (RAZ) bei Anschlägen in Berlin eingesetzt. Zu den Anschlägen in Göttingen bekannte sich eine bisher unbekannte Gruppe namens "Flora und Fauna" im Internet unter der Überschrift: "Solidarität muss praktisch werden! Auf Allen Ebenen! Mit Allen Mitteln!". In ihrem Selbstbezichtigungsschreiben solidarisierte sie sich mit den Protesten vom 21.12.2013 in Hamburg und stellte die Anschläge von Göttingen als ihre "Reaktion" auf die Vorkommnisse von Hamburg dar. 3.5.2.3 Aktionsfeld "Antirepression" Gewöhnlich spricht man von "Repression", wenn es um Unterdrückung und Menschenrechtsverletzungen in Diktaturen und autoritären Systemen geht. Linksextremisten dagegen übertragen diesen Begriff auf die innenpolitische Situation in Deutschland. Sie verstehen unter Repression die vermeintliche Unterdrückung der individuellen, sozialen und politischen Entfaltung durch gesellschaftliche Strukturen oder autoritäre Verhältnisse in Deutschland, insbesondere durch Handlungen staatlicher Exekutivorgane wie Polizei und Nachrichtendienste. Ihnen geht es dabei vor allem um die Delegitimierung des demokratischen Rechtsstaates. Vor allem die Erweiterung der Befugnisse der Sicherheitsbehörden nach den Terroranschlägen vom 11.09.2001 wird als "staatliche Repression" wahrgenommen. Linksextremisten bezeichnen den Staat als "Unterdrückungsapparat" und werfen ihm vor, seine Bewohner zu überwachen und seine Kritiker zu kriminalisieren. Vor diesem Hintergrund hat das Aktionsfeld "Antirepression" in den letzten Jahren im linksextremistischen Spektrum an Bedeutung gewonnen. Vermeintlich repressive Handlungen der Staatsorgane dienen Linksextremisten immer häufiger als Anlass für Demonstrationen oder Kampagnen. Polizeiliche Maßnahmen im Zusammenhang mit Straftaten wie Körperverletzungsdelikten oder Landfriedensbruch werden als "Kriminalisierung von linken Strukturen" bezeichnet. Repressionsmaßnahmen gegen Szeneangehörige im Zusammenhang mit rechtsextremistischen Veranstaltungen werden als staatliche Unterstützung für "Faschisten" und als Maßnahmen zur Stabilisierung des kapitalistischen Systems gedeutet. Zentrales Anliegen sind die Freilassungen von "politischen Gefangenen" sowie die Abschaffung aller "Knäste". In diesem Zusammenhang wird auch die zweimal jährlich stattfindende Ständige Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder (IMK) von Linksextremisten als ein Symbol für staatliche Überwachung, "rassistische Sondergesetze" und als Höhepunkt staatlicher "Organisation von Repression" gesehen. So heißt es in einem Aufruf zu den Protesten gegen die IMK im Mai 2013 in Hannover: "Die tiefen Einschnitte in Freiheitsrechte scheinen notwendig zu sein, damit das Sys79 GASAKI ist Szenejargon und steht für ein Brandsatzmodell mit Gaskartuschen. 94 tem nicht an den brodelnden inneren Widersprüchen zerbricht. Diese Herstellung von Sicherheit, die nicht mehr als ein Herstellen von Staatlichkeit ist, ist auch für uns als Teil der radikalen Linken bedrohlich ... Hier werden Leitlinien entworfen, Strategien und Instrumente entwickelt, die dazu dienen dort mit Gewalt zu intervenieren, wo es nicht gelingt gesellschaftlichen Konsens durch Ideologie herzustellen." (veröffentlicht im Internet, Ausdruck vom 18.12.2013) An den Protesten der weitgehend friedlich verlaufenen Demonstration in Hannover nahmen ca. 200 Personen teil. Im Aufruf des Bündnisses "Kein Frieden mit der IMK" zu den Protesten im Vorfeld der IMK in Osnabrück heißt es: "Die IMK dient der politischen Führung als Werkzeug zur Machterhaltung und - ausweitung. Auf der IMK werden die Weichen gestellt, die später unsere Selbstbestimmung beschneiden." (veröffentlicht im Internet, Ausdruck vom 18.12.2013) An dieser störungsfrei verlaufenen Demonstration beteiligten sich am 30.11.2013 in Osnabrück ca. 260 Personen. Um sich generell vor "staatlicher Repression" zu schützen, werden Aktionskonzepte innerhalb der linksextremistischen Szene verbreitet. So wird in der im Frühjahr 2010 erschienenen Publikation prisma - prima radikales info sammelsurium militanter aktionen - darüber berichtet, welche Sicherheitsmaßnahmen bei militanten Aktionen beachtet werden sollten. In Publikationen und Internet-Veröffentlichungen geben Linksextremisten Hinweise zum Umgang mit "Anquatschversuchen" sowie zum Verhalten im Umgang mit den "Repressionsorganen". Vereine wie die von Linksextremisten getragene Rote Hilfe e. V. (RH) befassen sich ausschließlich mit "Antirepressionsarbeit". Sie begleiten mit Hilfe von Solidaritätsveranstaltungen und Kampagnen strafprozessuale Maßnahmen der Behörden. Die RH ist seit 1986 ein eingetragener Verein mit einem Bundesvorstand und einer Bundesgeschäftsstelle in Göttingen. Selbstständige Ortsgruppen in Niedersachsen existieren in Braunschweig, Göttingen, Hannover und Osnabrück. Ihre Hauptaufgabe sieht die RH im Kampf gegen "staatliche Repression" indem sie Rechtshilfe gewährt und Szeneangehörigen Anwälte vermittelt. In der Konfrontation zwischen "repressivem" Staat und "Opposition" sieht die Rote Hilfe ihren Platz an der Seite der von staatlichen Maßnahmen Betroffenen. So heißt es in ihrer Publikation Die Rote Hilfe: "Das wohl wichtigste staatliche Repressionsinstrument, das oftmals den Schlusspunkt systematischer Attacken gegen linke Oppositionelle bildet, ist nach wie vor der Knast ... Setzen wir den Angriffen des Systems auf unsere Genoss_innen und Strukturen unseren entschlossenen Widerstand entgegen." (Sonderausgabe der Roten Hilfe vom 18.03.2012, Seite 1f.) 95 Die RH versteht sich aber nicht als karitative Rechtsschutzversicherung, sondern als "Selbsthilfeorganisation für die gesamte Linke". Neben ihren Unterstützungsleistungen stellt die RH so genannte Ermittlungsausschüsse zu besonderen Veranstaltungen wie z. B. Demonstrationen bereit. Die Aufgabe der Ermittlungsausschüsse besteht darin, sich um Festgenommene zu kümmern und Rechtsanwälte zu vermitteln. Nach wie vor nimmt das Themenfeld "Antirepression" einen hohen Stellenwert innerhalb des linksextremistischen Spektrums ein und führt insbesondere bei gewaltorientierten Linksextremisten vermehrt zu Resonanzaktionen und Protesten. Vor allem nach den gewalttätigen Protesten im Dezember 2013 in Hamburg zeichnet sich ein hoher Solidarisierungseffekt innerhalb dieser Szene ab. 3.5.2.4 Aktionsfeld "Antimilitarismus" Antimilitaristen unterstellen der Bundesrepublik, von ihrer Staatsordnung, Gesellschaftsstruktur und Denkweise her militaristisch zu sein. Ihre Proteste richten sich deshalb vor allem gegen die Bundeswehr und gegen die mit ihr zusammenarbeitenden Unternehmen. Auch Linksextremisten sind in dem Themenfeld "Antimilitarismus" aktiv. Im Gegensatz zu den nichtextremistischen Antimilitaristen zielen sie mit ihren antimilitaristischen Protesten und Aktionen über den eigentlichen Anlass hinaus auf die Überwindung des bestehenden politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland. Neben der im Wesentlichen von Angehörigen des nichtextremistischen Spektrums getragenen so genannten Anti-Kriegsbzw. Friedensbewegung reklamieren auch der parteipolitisch organisierte Linksextremismus und Autonome - unter ausdrücklicher Einbeziehung für sie typischer militanter Aktionen - das Thema "Antimilitarismus" für sich. Im Sinne der Militarismustheorie Karl Liebknechts, wonach das Militär im Kapitalismus dazu dient, "kapitalistische Expansionsbestrebungen" gegenüber anderen Staaten durchzusetzen und im eigenen Land den Kapitalismus und dessen "Ausbeutungsstrukturen" zu stabilisieren,80 sehen Linksextremisten in der Bundeswehr ein kriegführendes Organ zur Durchsetzung "kapitalistischer" und "imperialistischer" Interessen. So heißt es in dem von der autonomen Szene Hannover herausgegebenen "Autonomen Blättchen": "Erfolgreicher Antimilitarismus kommt nicht ohne eine grundsätzliche Infragestellung der gesellschaftlichen Verhältnisse aus. Das heißt, ohne revolutionäre Perspektive wird kein antimilitaristischer Kampf erfolgreich sein können." (Ausgabe Nr. 14 vom 10.09.2013, veröffentlicht im Internet, Ausdruck vom 04.02.2014) 80 Karl Liebknecht, Militarismus und Antimilitarismus unter besonderer Berücksichtigung der internationalen Jugendbewegung, Leipzig 1907. 96 Ihre Aktionen richten sich vor allem gegen die öffentliche Präsenz der Bundeswehr in der Gesellschaft und deren Auslandseinsätze. Während pazifistische Antimilitaristen beispielsweise gewaltlose Aktion wie das so genannte "Die-in" durchführen, bei denen sie sich unter die Veranstaltungsteilnehmer mischen, auf den Boden werfen und sich mit Kunstblut übergießen, um so gegen Armeen und Militäreinsätze zu protestieren, beschränken Autonome ihre Proteste nicht auf friedliche Aktionsformen. Ihre Gewaltbereitschaft drückt sich vor allem in Anschlägen auf die Bundeswehr und auf die mit ihnen kooperierenden Unternehmen wie die Deutsche Post AG, die Telekom oder die DHL aus. So verschafften sich bislang unbekannte Täter in der Nacht zum 27.07.2013 Zugang zum Gelände der Elbe-Havel-Kaserne in Havelberg im Landkreis Stendal (Sachsen-Anhalt) und setzten durch eine Vielzahl von Brandsätzen mehrere Fahrzeuge der Bundeswehr in Brand. Hierbei entstand ein Sachschaden von rund zehn Millionen Euro. Der Anschlag fand am "Aktionstag gegen das Gefechtsübungszentrum Altmark (GÜZ)" statt, der im Rahmen des "antimilitaristischen" Camps "War starts here" in der Altmark, rund 100 km südwestlich von Havelberg, durchgeführt wurde. An dem Camp nahmen auch in diesem Jahr Personen aus Niedersachsen teil und beteiligten sich an Aktionen gegen das GÜZ. In einer Pressemitteilung vom 28.07.2013 auf der Internetseite des "War starts here"-Camps heißt es zu dem Anschlag: "Es ist in unseren Augen nachvollziehbar, wenn sich Menschen für Sabotage als antimilitaristisches Mittel entscheiden und Abrüstung selbst in die Hand nehmen". (Internetseite "War starts here-Camp", Ausdruck vom 09.01.2014) Darüber hinaus stieß der Anschlag auch bei einzelnen Campteilnehmern auf Zustimmung, wie eine auf dem Internetportal "linksunten.indymedia" veröffentlichte Stellungnahme vom 27.07.2013 belegt: "Wir freuen uns über alle anderen gelaufenen Aktionen an diesem Tag und während des WarStartsHereCamps 2013 und die Abrüstung in Havelberg und wünschen einen weiteren schönen, und vor allem heißen antimilitaristischen Sommer!!!" In Niedersachsen wurde in der Nacht zum 16.12.2013 in Lüneburg ein Brandanschlag auf dem Gelände der Bundeswehr verübt. Unbekannte Täter setzten zwei auf einem Werkstattgelände abgestellte Bundeswehr-Lkw in Brand. An weiteren dort abgestellten Fahrzeugen wurden nicht gezündete Brandsätze festgestellt. Es entstand ein Sachschaden in Höhe von mindestens 260.000 Euro. Bislang liegt kein Selbstbezichtigungsschreiben zu der Tat vor. Die Zielauswahl und die Vorgehensweise sprechen jedoch für einen linksextremistischen Hintergrund. Da diese Form des "Antimilitarismus" große öffentliche Beachtung findet und innerhalb der linksextremistischen Szene auf Zustimmung stößt, muss auch weiterhin mit Anschlägen auf die Bundeswehr gerechnet werden. In der Region Hannover ist im Themenfeld Antimilitarismus vor allem die seit den späten 1980er Jahren bestehende linksextremistische Gruppierung Rote Aktion Kornstraße (RAK) aktiv. Sie beteiligt sich u. a. an den regelmäßigen Protestaktionen zur jährlich im Februar stattfindenden NATO-Sicherheitskonferenz in München. 97 Ferner sind auch Musikveranstaltungen und Nachwuchsgewinnungsmaßnahmen der Bundeswehr in der Region Hannover Anlass zu Störaktionen und Protestkundgebungen von Antimilitaristen. 3.6 Gruppierung AVANTI - Projekt undogmatische Linke AVANTI - Projekt undogmatische Linke (AVANTI) ist nach eigener Aussage eine Organisation, die hauptsächlich zu den Themenfeldern "Antifaschismus", "Antimilitarismus", "Antirassismus" und "Soziale Kämpfe" Stellung bezieht. Im Gegensatz zur sonst eher üblichen "Einzelkämpfermentalität" der Autonomen sollen bei AVANTI Organisationsstrukturen geschaffen werden, die "gemeinsames Handeln und die Entwicklung eines solidarischen Zusammenhalts ermöglichen". Ortsgruppen bestehen in Berlin, Bremen, Flensburg, Hamburg, Hannover, Kiel, Lübeck und Norderstedt. 3.6.1 Selbstverständnis AVANTI will sich sowohl von der autonomen Szene als auch von orthodoxen Kommunisten unterscheiden. AVANTI beansprucht keinen "Alleinvertretungsanspruch der radikalen Linken", sondern stellt sich der politischen Diskussion über Lösungen zur Überwindung der herrschenden Gesellschaftsordnung: "Wir sehen zwischen revolutionärer Zielsetzung und dem Kampf für konkrete Teilforderungen keinen grundlegenden Widerspruch. Im Gegenteil: Nur durch eine offensive Beteiligung an politischen Tageskämpfen kann revolutionäre Politik an Glaubwürdigkeit und Stärke gewinnen." (veröffentlicht auf der Internetseite von AVANTI, Ausdruck vom 10.12.2013) Das aktuell gültige umfangreiche Grundsatzpapier aus dem Jahr 2004 propagiert die Schaffung einer neuen Gesellschaftsform, bei dem der Einsatz von Gewalt nicht ausgeschlossen wird: "Das Privateigentum an Produktionsmitteln kann und muss daher abgeschafft werden und eine Form kollektiven Eigentums an seine Stelle treten. ... Wir sind daher der Überzeugung, dass die Entscheidung zum Einsatz revolutionärer Gewalt sehr genau abgewogen werden muss und nur als letztes Mittel gelten kann, wenn andere Methoden, um dem Willen der Bevölkerungsmehrheit nach einem gesellschaftlichen Wandel Geltung zu verschaffen, nicht zur Verfügung stehen oder versagt haben." (veröffentlicht auf der Internetseite von AVANTI, Ausdruck vom 10.12.2013) 3.6.2 AVANTI Hannover Die seit 1998 bestehende Antifa 3000 hatte über ihre Internetseite mitgeteilt, dass sie sich nach dem positiven Verlauf gemeinsamer Projekte der Organisation AVANTI - Projekt undogmatische Linke als Ortsgruppe Hannover angeschlossen und als solche zum 01.11.2005 in "Avanti Hannover" umbenannt hat. Die Gruppe bekennt sich zur Notwendigkeit revolutionärer Organisationen: 98 "Unsere Überzeugung war und ist, dass die heutige Gesellschaft revolutionär verändert werden muss und dass die hierfür notwendige gesellschaftliche Gegenmacht nicht allein aus spontanen Bewegungen bestehen kann, sondern die Beteiligung revolutionärer Organisationen braucht." (veröffentlicht auf der Internetseite von AVANTI, Ausdruck vom 10.12.2013) 3.6.3 Teil der "Interventionistischen Linken" AVANTI ist eingebunden und wichtiges Mitglied in dem bundesweiten Netzwerk "Interventionistische Linke" (IL), einem Zusammenschluss von gegenwärtig 23 Gruppierungen des antiimperialistischen und autonomen Spektrums, aber auch nichtextremistischer Organisationen sowie Einzelpersonen. Die IL betrachtet sich als organisierte und undogmatische "linksradikale Strömung", die durch Intervention in gesellschaftspolitische Auseinandersetzungen Handlungsfähigkeit demonstriert. Den Grundsatz ihrer verfassungsfeindlichen Ausrichtung dokumentiert die IL in ihrem Faltblatt zur "Zweiten offenen Arbeitskonferenz" vom April 2008 in Marburg, der noch heute ihre Aktionen bestimmt: "Eine radikale Linke wird im Dazwischengehen deshalb immer auch sag-, sichtund streitbar machen, dass rebellische Wünsche und emanzipatorische Kämpfe konsequent nur in einer Politik des offensiven Bruchs mit den bestehenden Herrschaftsverhältnissen ausgefochten werden können." (Faltblatt zur Konferenz, veröffentlicht auf der Internetseite der IL, Ausdruck vom 10.12.2013) Neben AVANTI gehören aus Niedersachsen noch die A.L.I. aus Göttingen und die Rote Aktion Kornstrasse (RAK) aus Hannover zur IL. 3.6.4 Aktuelle Aktivitäten Für den "hannoverschen Arm" der IL zeichnet sich seit Mitte 2012 eine neue Entwicklung ab. Drei der einflussreichsten Gruppierungen des autonomen Spektrums der Region Hannover führten unter dem Motto "Hinein in die gemeinsame Organisierung" Gespräche über eine abgestimmte Vorgehensweise. zur Durchsetzung des gemeinsamen Ziels, die Umwälzung der politischen Verhältnisse herbei. Beteiligt an diesen Bestrebungen sind die bereits zur IL gehörende Ortsgruppe Hannover von AVANTI81, die RAK sowie die Antifaschistischen Aktion Hannover [AAH]. Die [AAH] trat erstmals Anfang 2001 in Erscheinung und stellt aktuell eine der aktivsten Gruppierungen des autonomen Spektrums in der Region Hannover dar. Im Oktober 2007 gab die [AAH] die Abspaltung eines Teils ihrer Mitglieder bekannt. Die (Rest)Gruppierung veröffentlichte unter Beibehaltung des alten Namens im März 2008 ein nach wie vor gültiges Grundsatzpapier über ihre Verortung innerhalb der "radikalen Linken". In diesem Papier hebt die [AAH] hervor: "Wir kämpfen für die Abschaffung jeglicher Unterdrückung, für Herrschaftsfreiheit 81 Die Ortsgruppe Hannover von AVANTI ist im Jahr 2005 aus dem Zusammenschluss der damaligen Gruppierung Antifa 3000 mit der Organisation AVANTI - Projekt undogmatische Linke entstanden. 99 nicht nur hier, sondern überall. Deshalb ist unser antifaschistischer Kampf mehr als nur die Verteidigung des Status quo gegen den Faschismus." (veröffentlicht auf der Internetseite der [AAH], Ausdruck vom 10.03.2014) Die [AAH] organisiert jährlich den antikapitalistischen Block zum 1. Mai in Hannover und versucht damit auch im Themenfeld "Soziale Kämpfe" Präsenz zu zeigen. Darüber hinaus werden von der [AAH] im UJZ Kornstraße in Hannover regelmäßig Informationsund Mobilisierungsveranstaltungen zu verschiedenen Themenfeldern organisiert. Die Entwicklung in Hannover unterstreicht einmal mehr den Wandel hin zu postautonomen Strukturen, dem Teile der autonomen Szene seit einiger Zeit unterliegen. Diesen Postautonomen kommt es darauf an, sich - entgegen dem bisherigen autonomen Selbstverständnis - zu organisieren, sich zu vernetzen und der Frage der Ideologie einen größeren Stellenwert einzuräumen. Obwohl die IL bereits seit Jahren einen intensiven Diskurs über die Möglichkeiten einer strukturierten bundesweiten Mobilisierung zu den einschlägigen Kampagnen wie z. B. Blockaden von überregionalen rechtsextremistischen Aufmärschen oder zu "Castor schottern"Aktionen führt, zeigt diese lokale Vernetzungsbestrebung deutlich, das auch "vor Ort" die Akzente für Widerstand und Protest wirkungsvoll zusammengeführt werden sollen. Für das Jahr 2014 sind bereits Projekte angekündigt, die das weitere Zusammenwachsen fördern sollen. Es handelt sich dabei u. a. um Blockupy-Proteste gegen Kapitalismus und autoritäres Krisenmanagement in Frankfurt/Main, Proteste gegen den rechtsextremistischen so genannten Trauermarsch in Bad Nenndorf und Proteste gegen das Sommerbiwak der 1. Panzerdivision in Hannover. Mit der Auswahl der Themen (Antiglobalisierung, Antifaschismus, Antimilitarismus) wird ein breiter Bogen innerhalb der Aktionsfelder der autonomen Szene geschlagen. 3.7. Anarchismus Neben dem Kommunismus ist der moderne Anarchismus der zweite grundlegende Ideologiestrang des Linksextremismus. Beide Richtungen wollen auf revolutionärem Wege die bestehende Ordnung überwinden, unterscheiden sich aber in der Zielsetzung. Während Kommunisten sich an der Utopie einer klassenlosen Gesellschaft orientieren, streben Anarchisten eine herrschaftsfreie Gesellschaft an. Im Anarchismus nimmt die individuelle Freiheit den höchsten Stellenwert ein. Überlagern ein übersteigerter Gleichheitsbegriff und eine kollektivistische Orientierung bei kommunistisch ausgerichteten Organisationen die individuellen Freiheitsrechte, lehnen Anarchisten jegliche Form von Hierarchien und Herrschaft ab. Alle anarchistischen Strömungen verneinen aus diesem Grunde den Staat, seine Institutionen und Repräsentanten ebenso wie die kapitalistische Wirtschaftsweise und alle auf hierarchischen Strukturen basierenden gesellschaftlichen Organisationen, insbesondere die Kirchen. Sie streben vielmehr die vollkommene Befreiung des Menschen von allen gesellschaftlichen, politischen, ökonomischen und kulturellen Zwängen an. 100 Während Anarchisten deutlich sagen, was sie nicht wollen, bleiben ihre Vorstellungen für die praktische Gestaltung der angestrebten anarchistischen Gesellschaft eher unbestimmt. So soll jeder Mensch sich dort ohne unterdrückende Autorität und in freier Assoziation mit anderen Menschen entfalten können. Jeder soll sich freiwillig, selbstbestimmt und föderal in Kollektiven verschiedener Art wie Kommunen als kleinster Einheit des Zusammenlebens, Genossenschaften und Syndikaten als Basis der Produktion zusammenschließen. Daraus wird deutlich, dass sich Anarchisten zwar weitgehend einig darüber sind, was sie ablehnen, aber nur diffuse Vorstellungen darüber haben, was sie bejahen und anstreben. Damit kommen Anarchisten dem autonomen Selbstverständnis sehr nahe. Begriffe wie "Autonomie" und "Selbstbestimmung", aber auch "Assoziation" und "Selbstverwaltung" spielen aus diesem Grunde für sie eine zentrale Rolle. Mit dem Letztgenannten sind Zusammenschlüsse von Menschen am Arbeitsplatz oder Wohnort gemeint. Der Anarchismus ist aber kein monolithischer Block. Vielmehr verbergen sich hinter diesem Begriff verschiedene Formen anarchistischen Selbstverständnisses. So betont der kollektivistische Anarchismus die Gemeinschaft, der alle Güter und Produktionsmittel gehören sollen, während der individualistische Anarchismus den Einzelnen und seine Interessen ins Zentrum des politischen Denkens rückt. Für den solidarischen Anarchismus steht dagegen die soziale Gleichheit im Mittelpunkt. Sie soll aber nicht über die Abschaffung des Privateigentums an den Produktionsmitteln, sondern über deren gerechtere Verteilung erreicht werden. Demgegenüber fordern die Anhänger des kommunistischen Anarchismus den vollständigen Bruch mit dem Kapitalismus, die Bejahung des Gemeineigentums und die Verneinung des Lohnsystems bis hin zur Abschaffung des Geldes. Der eher praktisch als theoretisch ausgerichtete Anarchosyndikalismus wiederum knüpft an den kollektiven, kommunistischen und solidarischen Anarchismus an und überträgt diesen auf die gewerkschaftliche Arbeit in den Betrieben.82 Zu einer der größten anarchosyndikalistischen83 Gruppierungen in Deutschland zählt die 1977 gegründete Freie Arbeiterinnenund Arbeiter-Union/Internationale ArbeiterInnen Assoziation (FAU/IAA). Sie versteht sich als eine nach basisdemokratischen Prinzipien aufgebaute Gewerkschaft, die sich im "weltweiten Kampf der Anarchosyndikalisten" der Internationalen ArbeiterInnen Assoziation mit Sitz in Spanien angeschlossen hat. Ihr unmittelbares Ziel ist der Aufbau revolutionärer Gewerkschaften und militanter Betriebsgruppen. Dazu agiert sie in Form so genannter direkter Aktionen, wie z. B. Fabrikbesetzungen, Streiks und Sabotageaktionen. In ihrer "Prinzipienerklärung" konstatiert sie: "Die parlamentarische Demokratie ist nur eine scheinbare Demokratie ... Unser Ziel ist Herrschaftslosigkeit ... Eine grundlegende Veränderung der bestehenden Verhältnisse ist nur durch eine vollständige Umgestaltung, die soziale Revolution, zu erreichen." (veröffentlicht auf der Internetseite der FAU, Ausdruck vom 14.03.2014) 82 Armin Pfahl-Traughber, Linksextremismus in Deutschland. Eine kritische Bestandsaufnahme, Wiesbaden 2014, S. 55ff. 83 Unter Anarchosyndikalismus versteht man eine gewerkschaftliche Organisierung, die auf anarchistischen Prinzipien beruht. Ziel ist es, das bestehende Staatssystem revolutionär zu überwinden und durch ein klassenund staatenloses System zu ersetzen. 101 In Niedersachsen existieren derzeit zwei offizielle Lokalföderationen der FAU/IAA in Hannover und Oldenburg. Im den vergangenen Jahren engagierte sich die FAU/IAA insbesondere in Kampagnen gegen Leiharbeit, für das Streikrecht und die Gewerkschaftsfreiheit. So beteiligte sich die FAU/IAA in Hannover erneut an verschiedenen Demonstrationen. Sie nahm u. a. an einer Kundgebung des Deutschen Gewerkschaftsbundes zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen am 07.09.2013 in Hannover teil. Am 18.06.2013 verteilte sie Flugblätter und Rosen an Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer des Einzelhandels, um sich mit diesen zu solidarisieren und auf die Arbeitsbedingungen der Branche hinzuweisen. Darüber hinaus organisierte sie eine Veranstaltungsreihe mit dem Thema "Arbeitskämpfe im Einzelhandel". Mit diesen Aktionsformen instrumentalisieren sie den gewerkschaftlichen Protest für ihre eigenen Ziele. Weiterhin besteht in Göttingen die der FAU/IAA nahe stehende Anarcho-syndikalistische Jugendorganisation Göttingen/Südniedersachsen (ASJ). Diese versteht sich selbst als "eine lokalistische und anarcho-syndikalistische Gruppe und Teil eines Netzwerkes aus anarchosyndikalistischen und/oder daran orientierten libertären Jugendgruppen." Nach eigenen Angaben bestehen neben der ASJ Göttingen/Südniedersachen im Bundesgebiet zwölf weitere Jugendorganisationen. Die ASJ organisiert in Göttingen regelmäßig öffentliche Abende und beteiligt sich an szenetypischen Demonstrationen. 3.8 Offen extremistische Zusammenschlüsse in der Partei DIE LINKE. Die Partei DIE LINKE. hat ihre Wurzeln in der 1989 aus der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) hervorgegangenen Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS), die sich im Juli 2005 in Linkspartei.PDS umbenannte und am 16.06.2007 mit der Partei "Arbeit & soziale Gerechtigkeit - Die Wahlalternative" (WASG) zur Partei DIE LINKE. fusionierte. Seit Beginn der 1990er Jahre wurde die damalige PDS und heutige Partei DIE LINKE. vom Bundesamt für Verfassungsschutz und mehreren Landesämtern für Verfassungsschutz beobachtet. Die Herangehensweise war dabei von Anfang an sehr unterschiedlich. Während einige Bundesländer die Partei gar nicht beobachteten oder sich nur auf ihre extremistischen Zusammenschlüsse konzentrierten, beobachteten der Bund und weitere Landesämter für Verfassungsschutz, so auch Niedersachsen, die Gesamtpartei mit offenen und teilweise auch mit nachrichtendienstlichen Mitteln. Die Entwicklung der Partei DIE LINKE. in den letzten Jahren hat gezeigt, dass sie in ihrer Gesamtheit auf dem Boden des Grundgesetzes steht. Ein nennenswerter Einfluss von Vertretern ihrer extremistischen Strömungen auf die Gesamtpartei ist nicht mehr feststellbar. Weder das Programm der niedersächsischen Partei DIE LINKE. zur Landtagswahl 2013 noch die Äußerungen ihrer nicht den extremistischen Strömungen zugehörigen Funktionäre und Mitglieder lassen den ausreichenden Verdacht zu, die Gesamtpartei würde den demokratischen Verfassungsstaat in Frage stellen. Auch in den Bereichen, wo die Partei politische 102 Verantwortung übernommen hat, wie z. B. in den Kommunen, sind extremistische Äußerungen oder Handlungen nicht bekannt. Darüber hinaus hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 17.09.2013 festgestellt, dass die Beobachtung eines ehemaligen Bundestagsabgeordneten und heutigen Landtagsabgeordneten der Partei DIE LINKE. durch das Bundesamt für Verfassungsschutz einen ungerechtfertigten Eingriff in dessen freie Mandatsausübung darstellt. Da der Betroffene keiner extremistischen Strömung seiner Partei angehört, geht von ihm nach Auffassung des Gerichts auch "kein relevanter Beitrag für eine Gefährdung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung" aus. Bei einer Gesamtabwägung aller Umstände kommt das Gericht deshalb zu dem Schluss, dass die durch die Beobachtung des Betroffenen gewonnenen "zusätzlichen Erkenntnisse für die Ermittlung eines umfassenden Bildes über die Partei außer Verhältnis zu der Schwere des Eingriffs in das freie Mandat des Beschwerdeführers" stehen. Aus diesem Grunde untersagt das Gericht die weitere Beobachtung des Betroffenen, da eine solche Maßnahme nicht den "Anforderungen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit" genüge.84 Vor diesem Hintergrund entfallen nach Ansicht des Niedersächsischen Verfassungsschutzes die Voraussetzungen für eine Beobachtung der Gesamtpartei DIE LINKE. nach SS 3 Abs. 1 NVerfSchG. Künftig werden daher nur noch die für das Land Niedersachsen relevanten offen extremistischen Zusammenschlüsse KPF, SL und AKL beobachtet und im Niedersächsischen Verfassungsschutzbericht erwähnt, da bei Ihnen weiterhin tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung vorliegen. 3.8.1 Kommunistische Plattform (KPF) Die KPF ist mit bundesweit ca. 1.200 Mitgliedern der mitgliederstärkste, offen extremistische Zusammenschluss innerhalb der Partei. Sie versteht sich laut ihrer Satzung als ein "bundesweiter Zusammenschluss von Kommunistinnen und Kommunisten in der Partei DIE LINKE.", der nach wie vor an marxistisch-leninistischen Traditionen festhält. Zuletzt bemühte sich die niedersächsische KPF mit einem Antrag für den 4. Landesparteitag am 08.02.2014, ihren satzungsgemäßen Status dahingehend abzuändern, dass sie künftig auch ordentliche Delegierte und Mitglieder in den Landessausschuss entsenden kann, um so ihren Einfluss auf die Partei DIE LINKE. ausweiten zu können. Die KPF ringt innerhalb der Partei DIE LINKE. um den sozialistischen Charakter der Partei und versucht orthodoxmarxistische Wertvorstellungen zu erhalten und auszuweiten. Der Bundessprecherrat hat hierzu im Dezember 2013 erklärt: "Daraus folgt, dass die ideologischen Auseinandersetzungen wieder einen bedeutenderen Stellenwert erhalten werden. Als Kommunistinnen und Kommunisten in der LINKEN werden wir uns den inhaltlichen Fragen dieser Auseinandersetzung stellen." (KPF Mitteilungen Dezember 2013, Seite 12) 3.8.2 Sozialistische Linke (SL) Mit ca. 800 Mitgliedern gehört die SL ebenfalls zu den größten Zusammenschlüssen inner84 Siehe hierzu auch Kapitel 3.3. 103 halb der Partei DIE LINKE. In der SL arbeiten trotzkistische Gruppierungen, allen voran das trotzkistische Netzwerk "marx21". Dem Netzwerk gehören ca. 400 Personen an. Sie stellen damit knapp die Hälfte der Mitglieder der SL. In ihren politischen Leitsätzen vom 01.09.2007 formuliert marx21 seine Ziele wie folgt: "Das Netzwerk steht für die Tradition des Sozialismus von unten. Diese richtet sich nach der zentralen Erkenntnis von Karl Marx, dass der Weg zu einer freien und gerechten Gesellschaft nur über die Selbstbefreiung der arbeitenden Menschen führen kann." Konkreter wird sie in einer Ausgabe in der von ihr herausgegebenen Zeitschrift marx21: Sorgfältige und wissenschaftliche Analysen sind kein geistiger Luxus, sie sind unverzichtbar für die Entfaltung erfolgreicher Klassenkämpfe zur Überwindung des Kapitalismus ... Daran gilt es auch heute wieder anzuknüpfen, denn ohne revolutionäre Theorie keine revolutionäre Praxis." (marx21, Ausgabe 04/2013, Seite 74) Darüber hinaus betont das Netzwerk in seinen politischen Leitsätzen, dass es in der SL mitwirkt, um vor allem die eigenen Ziele zu verwirklichen. Die Ursprünge von marx21 gehen auf die "Sozialistische Arbeitergruppe" (SAG), die 1969/70 entstand, zurück. Ziel der SAG war es, eine revolutionäre marxistische Partei zur Bekämpfung des Kapitalismus aufzubauen, um so einen neuen Staat auf der Basis von Arbeiterräten zu errichten. Die SAG beteiligte sich aktiv an der Antifa-Bewegung und kooperierte dabei auch mit autonomen Gruppen. 1993 erfolgte die Umbenennung in "Linksruck". Mit der Entstehung der Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit (WASG) und ihrer späteren Fusion mit der PDS zur Partei DIE LINKE. versuchte der "Linksruck" in diesen Parteien zu wirken. Dabei bediente er sich der für trotzkistische Gruppierungen typischen Taktik des Entrismus85. Am 01.09.2007 löste sich "Linksruck" offiziell auf, existiert seitdem aber in der neu organisierten Gruppe marx21 und wirkt weiter innerhalb der Partei DIE LINKE. Die Mitglieder beider Organisationen stimmen größtenteils überein. Marx21 zählt dabei zu den aktivsten trotzkistischen Organisationen in Deutschland. In Niedersachsen erklärt die SL in ihrer Gründungserklärung aus dem Jahr 2006, dass sie die "Tradition der sozialistischen ArbeiterInnenbewegung in sich aufhebt" und einen neuen Anlauf unternimmt, die "Vorherrschaft des Kapitals" zu überwinden. Die SL strebt aber nicht nur einen wirtschaftlichen, sondern auch einen gesellschaftlichen Systemwechsel an. Dazu heißt es in ihrer Gründungserklärung: "In sozialistischer Tradition engagieren wir uns für eine solidarische Gesellschaft, in der wir Menschen unsere Verhältnisse bewusst und menschengerecht regeln. Anstelle abstrakter Utopien nehmen wir die Potentiale der heutigen Gesellschaft selbst zum Ausgangspunkt, um die Gesellschaft umfassend zu verändern." (veröffentlicht auf der Internetseite der SL, Ausdruck vom 22.01.2014) Sie greift damit Forderungen und Ansichten des Netzwerkes marx21 auf. 85 Entrismus ist eine vornehmlich von Trotzkisten angewandte Taktik, um politische Organisationen mit dem Ziel zu unterwandern, von innen heraus politischen Einfluss zu gewinnen, die eigene Ideologie zu verbreiten und langfristig den Kurs der Organisation zu verändern. 104 3.8.3 Antikapitalistische Linke (AKL) Die AKL bezeichnet sich in einer Erklärung vom 17.10.2012 als Zusammenschluss, der in der aktuellen Politik und der programmatischen Diskussion eine "vorantreibende und radikal sozialistische Position" vertritt. Mit Beschluss vom 15.01.2012 fungiert die AKL als Bundesarbeitsgemeinschaft in der Partei DIE LINKE. Seit ihrem Gründungsaufruf aus dem Jahr 2006 haben fast 2.000 Unterstützer für die AKL unterzeichnet. Gezielt sucht sie den Schulterschluss mit anderen extremistischen Gruppierungen wie den gewaltbereiten Autonomen. So fordert sie in einer am 20.02.2013 auf ihrer Internetseite veröffentlichten Erklärung dazu auf, sich nicht in "friedliche und angeblich gewaltbereite autonome und bürgerliche Antifaschisten spalten" zu lassen. Dass die AKL ihre Ziele nicht auf demokratisch-parlamentarischem Wege erreichen will, macht die Äußerung eines Mitgliedes des BundessprecherInnen-Rates der AKL deutlich: "Gesellschaftliche Veränderungen werden nicht durch Regierungsbeteiligungen erreicht, sondern nur breite gesellschaftliche Bewegungen, durch Massenproteste und -kämpfe gegen den Kapitalismus und für eine neue andere Gesellschaft." (veröffentlicht auf der Internetseite der AKL, Ausdruck vom 30.10.2013) Auch in Niedersachsen gehört die AKL zu den aktiven und offen extremistischen Gruppierungen. Dies zeigt sich in einer auf ihrer Internetseite veröffentlichten Erklärung vom 11.03.2013 zum Bundestagswahlprogrammentwurf der Partei DIE LINKE. Dort wollte die AKL-Niedersachsen folgende Passage einfügen lassen: "Ein Zurück zu einem sozialen, regulierten Kapitalismus kann es jedoch auch nicht geben, dies macht eine neue, sozialistische Gesellschaftsordnung nicht nur erstrebenswert, sondern für das Überleben der menschlichen Zivilisation erforderlich." 105 4. Islamismus und sonstiger Extremismus mit Auslandsbezug 4.1 Mitglieder-/Anhänger-Potenzial Mitglieder-/Anhänger-Potenzial extremistischer Organisationen mit 2012 2013 Bezug zum Ausland Bundesrepublik Deutschland Islamistisch-extremistische Gruppen86 42.550 43.185 Extrem-nationalistische Gruppen 10.840 10.840 Linksextremistische Gruppen 17.970 17.970 Summe 71.360 71.995 Mitglieder-/Anhänger-Potenzial extremistischer Organisationen mit Bezug zum Ausland 2012 2013 Niedersachsen Islamistisch-extremistische Gruppen 3.380 3.410 Extrem-nationalistische Gruppen87 600 600 Linksextremistische Gruppen 1.900 1.900 Summe 5.880 5.910 86 Nicht alle Mitglieder islamistisch-extremistischer Organisationen verfolgen oder unterstützen extremistische Zielsetzungen. In der Zahl 42.550 ist erstmalig auch die bundesweite Gesamtzahl der Salafisten enthalten, die der Bund für 2011 noch nicht einbezogen hatte. 87 Vereine der Almanya Türk Federasyon (ATF, so genannte "Graue Wölfe"), die keine öffentlichkeitswirksamen Aktivitäten entfaltet haben. 106 4.2 Politisch motivierte Kriminalität88 (PMK) mit extremistischem Hintergrund - Ausländer Die Politisch motivierte Kriminalität wird seit dem Jahr 2001 durch die Polizei nach dem von der Innenministerkonferenz beschlossenen "Kriminalpolizeilichen Meldedienst in Fällen Politisch motivierter Kriminalität (KPMD-PMK)" bundeseinheitlich erfasst. Weitergehende grundsätzliche Aussagen zur PMK finden Sie in Kapitel 2.2. Im Jahr 2013 wurden im Phänomenbereich der Politisch motivierten Ausländerkriminalität insgesamt 45 Straftaten (2012: 58 Straftaten) mit extremistischem Hintergrund polizeilich registriert. Dies bedeutet einen Rückgang der Delikte um 28,8 Prozent. Die Fallzahlen befinden sich damit in den Deliktsbereichen auf einem weiterhin niedrigen Niveau. Mit einem Anteil von 70,6 Prozent (34 Straftaten) treten in diesem Phänomenbereich wie auch in den Jahren zuvor die Verstöße nach SS 20 Vereinsgesetz besonders hervor. Diese stehen überwiegend im Zusammenhang mit der PKK. Im Berichtszeitraum ereigneten sich drei Gewaltdelikte mit extremistischem Hintergrund. Während einer im April 2013 durchgeführten stationären Versammlung des PKK-nahen "Mala Gel e. V." auf dem Steintorplatz in Hannover gingen sechs Personen türkischer Herkunft über den Platz. Nachdem eine dieser Personen ein ihr überreichtes Flugblatt mit PKK-nahen Themen zerknüllt und zu Boden geworfen hatte, kam es zu einer Schlägerei zwischen ca. 1520 kurdischen Teilnehmern und den sechs türkischen Passanten. In deren Verlauf erhielt einer dieser Passanten einen lebensbedrohlichen Messerstich in den Lendenbereich und es wurde eine Körperverletzung mittels Fahnenstange als Schlagwerkzeug begangen. Eine Beschuldigte steht im Verdacht, im Vorfeld der Tätlichkeiten, nachdem das Flugblatt weggeworfen worden war, auf die kurdischen Teilnehmer entsprechend eingewirkt und sich gemäß SS 125 StGB strafbar gemacht zu haben. Im Jahr 2013 wurde in Niedersachsen kein Ermittlungsverfahren wegen islamistischem Terrorismus geführt. Das Verfahren gem. SS 89b aus dem Jahr 2012 wurde gem. SS 154f StPO eingestellt, da der Beschuldigte sich im Ausland aufhält. 88 Siehe Fußnote 13. 107 Übersicht der Gewalttaten und sonstigen Straftaten mit extremistischem Hintergrund aus dem Bereich "Politisch motivierte Ausländerkriminalität" in Niedersachsen 89 Gewalttaten: 2012 2013 Tötungsdelikte 0 0 Versuchte Tötungsdelikte 0 0 Körperverletzungen 0 2 Brandstiftungen 0 0 Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion 0 0 Landfriedensbrüche 0 1 Gefährl. Eingriffe in Bahn-, Luft-, Schiffsoder Straßenverkehr 0 0 Freiheitsberaubung 1 0 Raub 0 0 Erpressung 0 0 Widerstandsdelikte 0 0 Insgesamt 1 3 Sonstige Straftaten: Sachbeschädigungen 4 3 Nötigungen/Bedrohungen 0 2 Andere Straftaten (davon SS 20 VereinsG90) 53 (43) 37 (34) Insgesamt 57 42 Straftaten insgesamt 58 45 Anm.: Andere Straftaten: 34 x SS20 VereinsG , 1 x SS109H StGB, 1 x "SS85 StGB, 1 x SS130 StGB 89 Die Zahlen basieren auf Angaben des Landeskriminalamtes Niedersachsen (LKA NI). Die Darstellung der niedersächsischen Fallzahlen in Übersichten des Bundes kann davon abweichen, da das LKA NI eine so genannte "lebende Statistik" führt. Um die ständige Aktualität der Statistik sicherzustellen, werden dabei ggf. Nacherfassungen/Aktualisierungen auch für Vorjahre vorgenommen, so dass der Zahlenbestand Veränderungen unterliegen kann. 90 Zuwiderhandlungen gegen (Vereins-) Verbote. 108 4.3 Allgemeines zum Extremismus mit Auslandsbezug Die Bezeichnung "Extremismus mit Auslandsbezug" umfasst zwei unterschiedliche Phänomenbereiche. Sie bezieht sich zum einen auf die politische Ideologie des Islamismus, zum anderen aber auch auf die Aktivitäten der in Deutschland agierenden, nichtislamistischen Organisationen mit Auslandsbezug. In diesem Kapitel wird die Entwicklung in den verschiedenen Bereichen des islamistischen Extremismus und des sonstigen Extremismus mit Auslandsbezug dargestellt. Detaillierte Berichte und Erläuterungen der Begriffe finden sich in den folgenden Unterkapiteln. Die Zuordnung politisch motivierter Aktivitäten zum Bereich des Extremismus mit Auslandsbezug ist beispielsweise dann gegeben, wenn eine politisch motivierte Bestrebung Ziele eines international agierenden Terrornetzwerks oder einer anderen Bestrebung im Ausland verfolgt oder die beteiligten Personen mehrheitlich eine andere Staatsangehörigkeit besitzen. Unter Extremismus mit Auslandsbezug verstehen die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder daher politische Aktivitäten von Personen, wenn in Deutschland Auseinandersetzungen mit Gewalt ausgetragen werden und dadurch die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gefährdet wird, diese sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung wenden, z. B eine islamistische Ordnung für Staat und Gesellschaft durchsetzen wollen, vom Bundesgebiet ausgehende Gewaltaktionen in anderen Staaten durchgeführt oder vorbereitet und dadurch auswärtige Belange der Bundesrepublik gefährdet werden oder Bestrebungen verfolgt werden, die gegen den Gedanken der Völkerverständigung oder gegen das friedliche Zusammenleben der Völker gerichtet sind. 4.4 Islamismus Der Islamismus ist eine politische Ideologie, deren Anhänger sich auf religiöse Normen des Islams berufen und diese politisch ausdeuten. Auch wenn der Begriff des Islamismus auf den Islam hindeutet, so ist doch diese politische Ideologie deutlich von der durch das Grundgesetz geschützten Religion des Islams zu trennen. Islamisten sehen in der Religion des Islams nämlich nicht nur eine Religion, sondern auch ein rechtliches Rahmenprogramm für die Gestaltung aller Lebensbereiche: Von der Staatsorganisation über die Beziehungen zwischen den Menschen bis ins Privatleben des Einzelnen. Islamismus beginnt dort, wo religiöse islamische Normen als für alle verbindliche Handlungsanweisungen gedeutet und - bisweilen unter Zuhilfenahme von Gewalt - durchgesetzt werden sollen. Islamistischen Organisationen und Bewegungen ist bei aller Unterschiedlichkeit gemeinsam, dass sie Gesellschaften anstreben, die durch die islamische Rechtsordnung der Scharia organisiert sind. Der Interpretationsspielraum bezüglich dessen, was die Scharia genau beinhaltet, ist groß. Islamisten verstehen die Scharia als von Gott verordnete Rechtsordnung für Staat und Gesellschaft. Sie richten sich in ihrer politisierten Interpretation der Scharia oft auch gegen die Mehrheit der Muslime, die in diesen islamischen Regeln ausschließlich einen 109 Leitfaden für ihre individuelle religiöse Praxis sehen. Islamisten beanspruchen für sich oftmals, wie etwa im Falle der Scharia oder auch des Jihads91, die inhaltliche Deutungshoheit über religiöse Begriffe und Konzepte, die allen Muslimen zu eigen sind, und politisieren diese. In seinem Absolutheitsanspruch widerspricht der Islamismus in erheblichen Teilen der verfassungsmäßigen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland. Insbesondere werden durch die islamistische Ideologie die demokratischen Grundsätze der Trennung von Staat und Religion, der Volkssouveränität, der religiösen und sexuellen Selbstbestimmung, der Gleichstellung der Geschlechter sowie das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit verletzt. So werden z. B. Frauen von Islamisten nach deren Schariaverständnis im Hinblick auf das Erbund Familienrecht benachteiligt. Die Herabwürdigung einer Frau wird beispielsweise dadurch deutlich, dass die Zeugenaussage eines Mannes in einigen Bereichen so schwer wiegt wie die zweier Frauen. Juden und Christen, die die Herrschaft des islamischen Staates akzeptieren, dürfen ihre Religion ausüben, müssen aber Sondersteuern zahlen. Ebenso drängen Islamisten auf die unbedingte Rechtmäßigkeit der so genannten Hadd-Strafen, die für Vergehen wie "Diebstahl" oder "Unzucht" Körperstrafen vorsehen, die von der Amputation der rechten Hand bis hin zur Todesstrafe reichen. Der Islamismus kann unterschiedlich ausgestaltet sein. Das islamistische Spektrum beinhaltet legalistische Organisationen, die bestrebt sind, innerhalb des vom Staat vorgegebenen rechtlichen Rahmens ihre Ziele durchzusetzen und Gewalt kategorisch ablehnen. Ein Beispiel für eine solche legalistische Organisation ist die Islamische Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG, siehe Kapitel 4.10). Ebenso umfasst es islamistische Organisationen, die Gewalt als ein Mittel unter vielen befürworten und diese unter Umständen in akuten Konflikten, zumeist in dem Herkunftsland ihrer Akteure, anwenden. Die HAMAS (siehe Kapitel 4.8) und die Hizb Allah (siehe Kapitel 4.11) sind Beispiele dafür. Darüber hinaus beinhaltet das islamistische Spektrum auch terroristische Organisationen, die vorwiegend zum Mittel der Gewalt greifen und staatliche Strukturen offen bekämpfen. Dazu zählen etwa jihadistische Organisationen wie al-Qaida (siehe Kapitel 4.5). Quergelagert zu diesen drei Ausformungen des Islamismus liegt der Salafismus (siehe Kapitel 4.7). Die meisten Anhänger dieser islamistischen Bestrebung, so genannte politische Salafisten, lehnen Gewalt als Mittel ab. Eine Minderheit allerdings, so genannte jihadistische Salafisten, propagieren als primäres Mittel Gewalt, um ihre politischen Ziele zu erreichen. 91 Die wörtliche Übersetzung des Begriffs "Jihad" ist "Anstrengung" oder "Bemühung". Es gibt zwei Formen des Jihad: die geistig-spirituelle Bemühung des Gläubigen um das richtige religiöse und moralische Verhalten gegenüber Gott und den Mitmenschen ("großer Jihad") oder der kämpferische Einsatz zur Verteidigung oder Ausdehnung des islamischen Herrschaftsgebiets ("kleiner Jihad"). Von militanten Gruppen wird der Jihad häufig als religiöse Legitimation für Terroranschläge verwendet. 110 4.5 Internationaler islamistischer Terrorismus Der internationale islamistische Terrorismus stellt eine große Herausforderung für die internationale Staatengemeinschaft dar und ist nach wie vor auch eine Gefahr für die innere Sicherheit Deutschlands. Die Aktivisten des islamistischen Terrorismus sind überwiegend von der (jihad)-salafistischen Ideologie geleitet. Sie propagieren, dass die islamische Welt durch einen anhaltenden Angriff des Westens, angeführt von den USA, bedroht sei. Um die von ihnen angestrebten Lebensumstände der "urislamischen Gemeinschaft" des 7. Jahrhunderts auf der Arabischen Halbinsel herstellen zu können, müsse zunächst die vermeintliche Hegemonie des Westens in der muslimischen Welt beendet werden. Die Struktur islamistisch-terroristischer Organisationen, allen voran die der al-Qaida, hat sich im letzten Jahrzehnt grundlegend verändert. Die Anschläge vom 11.09.2001 in New York und Washington waren nur möglich, weil al-Qaida damals eine hierarchisch geordnete Organisation gewesen ist. Sie war mit den dafür notwendigen finanziellen Ressourcen ausgestattet und konnte ihre Angriffe von sicheren Basen aus über einen längeren Zeitraum planen und umsetzen. Diese hierarchische Organisation der (Kern-)al-Qaida existiert, nicht zuletzt aufgrund des Verfolgungsdrucks durch die USA und ihrer Verbündeten, in dieser Form nicht mehr. Seither hat eine Regionalisierung al-Qaidas stattgefunden. So bildeten sich regional verankerte terroristische Organisationen, die sich mitunter durch ihre Benennung an das große Vorbild anlehnen [z. B. al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel (AQAH), al-Qaida im islamischen Maghreb (AQM), Islamischer Staat Irak und Großsyrien (ISIG), al-Shabab, Jabhat al-Nusra] und sich - neben einer jeweils eigenen, auch regionalen Agenda - auf die al-Qaida-Ideologie eines globalen militanten Jihad berufen. Auch nach dem Tod Usama BIN LADINs im Mai 2011 verfolgen Kern-al-Qaida und ihre Regionalorganisationen weiterhin ihre Hauptziele: Das Zurückdrängen des westlichen Einflusses auf muslimische Länder sowie den Sturz vermeintlich unislamischer Regierungen im Nahen und Mittleren Osten sowie Nordafrika. Die Destabilisierung einiger Staaten im Nahen Osten (z. B. Syrien und Ägypten) im Zuge des Arabischen Frühlings versucht al-Qaida für sich zu nutzen und ihren Einfluss auszubauen. Das zeigt sich etwa in der Neugründung von al-Qaida-Regionalorganisationen bzw. in der Verfestigung jihadistischer Strukturen. So schloss sich etwa im Januar 2012 die "Unterstützungsfront für das syrische Volk", in der arabischen Kurzform Jabhat al-Nusra, aus Syrien der al-Qaida an, indem sie ihre Treue gegenüber dem neuen Emir der al-Qaida, Ayman AZZAWAHIRI schwor. Ein neuer Trend im Verhältnis der al-Qaida-Regionalorganisationen zueinander, aber auch zur Kern-al-Qaida, zeichnete sich im Verlauf des Jahres 2013 ab: Zwei al-QaidaRegionalorganisationen, Jabhat al-Nusra und ISIG, bekämpfen sich derzeit gegenseitig, um die Vorherrschaft in Syrien zu erringen. ISIG versucht parallel dazu eigene staatliche Strukturen in Teilen von Syrien zu etablieren. Damit fordert ISIG Kern-al-Qaida heraus, die verfügt hat, dass Jabhat al-Nusra die einzige Regionalorganisation al-Qaidas in Syrien sei. Neben den Organisationen der al-Qaida ist noch eine Vielzahl an eigenständigen islamistisch-terroristischen Organisationen an den Brennpunkten im Nahen und Mittleren Osten und Nordafrika tätig. Beispiele dafür sind: Die im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet agierende Islamische Bewegung Usbekistans (IBU), in deren Reihen auch Muslime aus Deutschland kämpfen. Auch unterhält die IBU paramilitärische Ausbildungslager. In Deutschland sind populäre 111 Mitglieder der islamistisch-jihadistischen Szene die aus Bonn stammenden Brüder, Monir und Yassin CHOUKA. Sie verbreiten bereits seit mehreren Jahren deutschsprachige Internetpropaganda im Namen der IBU und deklarieren Deutschland als Feind. Auch in Syrien ist eine Reihe von islamistisch-jihadistischen Organisationen aktiv, die nicht der al-Qaida angehört. Diese Kampfgruppen schlossen sich am 22.11.2013 zur Islamischen Front zusammen. Sie bekämpfte Ende 2013 auch die al-QaidaRegionalorganisation ISIG. Eine weitere islamistisch-terroristische Organisation, die nicht der al-Qaida angehört, ist um den Anfang 2014 verstorbenen Tschetschenen Doku UMAROV, den selbsternannten Emir eines von ihm angestrebten Kaukasischen Emirats, aktiv: Im Juli 2013 veröffentlichte UMAROV ein Video mit dem Aufruf, die Olympischen Spiele 2014 in Sotschi "mit allen Mitteln" zu verhindern. Seine Anhänger sollten dieses Ziel mit "maximaler Gewalt" durchsetzen. Am 29. und 30.12.2013 erfolgten im südrussischen Wolgograd zwei Selbstmordanschläge. Zwar hat sich UMAROV nicht zu diesen Anschlägen bekannt, doch ist davon auszugehen, dass seine Organisation dafür verantwortlich ist. Deutlich hat sich im Jahr 2013 gezeigt, dass die einzelnen islamistisch-terroristischen Organisationen zwar ideologisch gesehen das gleiche Ziel verfolgen. Jedoch vertreten sie alle auch ihre partikularen, regionalen Interessen. Selbst innerhalb des al-Qaida-Verbundes traten 2013 die regionalen Machtbestrebungen einzelner Gruppen deutlich zutage. ISIG hat sich in seinem Bestreben, seine Vormachtstellung auch auf Syrien auszudehnen, den Maßgaben der Kern-al-Qaida widersetzt. Innerhalb der al-Qaida, namentlich zwischen der syrischen Jabhat al-Nusra und dem ISIG, wurden in Folge Bruderkämpfe ausgefochten. In ähnliche Kämpfe war ISIG auch gegen die Islamische Front verwickelt. Abzuwarten bleibt, inwiefern ISIG auch weiterhin die Führung der al-Qaida zugunsten eigener Interessen untergraben wird und welche Konsequenzen sich für das innere Gefüge der al-Qaida daraus ergeben. Einhergehend mit der Regionalisierung der al-Qaida hat sich auch die Propaganda dieses Organisationsverbundes verändert. Bereits in den 1990er Jahren hatte al-Qaida begonnen, auch das Internet zur Verbreitung ihrer Botschaften zu nutzen. Jedoch erfolgte die Propaganda bis vor wenigen Jahren vorwiegend auf Arabisch, so dass nur ein eingeschränkter Personenkreis erreicht werden konnte. Mit der Regionalisierung der Organisation und der gleichzeitigen Fortentwicklung des Internets veränderte sich dies. Al-Qaida ist in den letzten Jahren dazu übergegangen, insbesondere auch in englischer Sprache Muslime für den militanten Jihad zu werben. Besonderes Augenmerk liegt dabei auf der Mobilisierung westlicher Muslime, die gerade auch einzeln oder in Kleinstgruppen individuell im Westen tätig werden sollen. Es ist davon auszugehen, dass diese Werbung von al-Qaida und anderen islamistischterroristischen Organisationen für den individuellen Jihad im Westen von einigen Adressaten in die Tat umgesetzt wird: Am 15.04.2013 verübten zwei im Nordkaukasus geborene Brüder tschetschenischer Volkszugehörigkeit, Tamerlan und Dzokhar TSARNAEV, während des Boston-Marathons in den USA einen Bombenanschlag. Drei Menschen kamen ums Leben, mehr als 200 Personen wurden teilweise schwer verletzt. Darüber hinaus ermordeten zwei Islamisten am 22.05.2013 einen britischen Soldaten auf offener Straße im Londoner 112 Viertel Woolwich. Sie hatten ihn zunächst mit dem Auto angefahren und dann mit Messern und einem Fleischerbeil angegriffen und getötet. Es handelte sich bei den Attentätern um britische Staatsangehörige nigerianischer Abstammung. Insbesondere die AQAH hat sich hinsichtlich jihadistischer Propaganda innovativ gezeigt. Sie propagiert seit Sommer 2010 in dem von ihr herausgegebenen Online-Magazin Inspire in englischer Sprache den militanten Jihad. Ganz im Sinne der al-Qaida-Ideologie des globalen Jihad wirbt sie für die Begehung von Anschlägen durch Einzeltäter oder Kleinstgruppen gerade auch in westlichen Staaten, auch ohne formalen Anschluss an eine al-QaidaOrganisation. Der Gebrauch der englischen Sprache erweitert den potenziellen Adressatenkreis und bezieht insbesondere auch westliche Muslime in die Propaganda ein. Im September 2011 wurden die beiden Hauptherausgeber des Inspire-Magazins, Anwar AL-AWLAQI und Samir KHAN, durch eine US-amerikanische Drohne im Jemen getötet. Ungeachtet dessen erschienen sowohl 2012 wie auch 2013 jeweils zwei neue Ausgaben des Magazins. Somit sind bis Ende 2013 insgesamt elf Ausgaben von Inspire herausgebracht worden. Die 10. Ausgabe von Inspire behandelt hauptsächlich den individuellen Jihad und den Militäreinsatz Frankreichs in Mali. In der 11. Ausgabe preisen die Autoren den Anschlag auf den Marathon in Boston am 15.04.2013. Auch der Anschlag in London auf einen britischen Soldaten am 22.05.2013 wird lobend erwähnt. Vor dem Hintergrund des angeblichen Niedergangs der USA werden die Leser von Inspire dazu aufgerufen, die Wirtschaft der USA durch vermehrte Angriffe im Sinne des individuellen Jihads weiter zu schwächen. Eine Jihadpublikation eher technischer Ausrichtung stellt das Magazin Al-Qaeda Airlines dar, dessen vierte Ausgabe im April 2013 im Internet veröffentlicht wurde. Hier geht es auf über 600 Seiten und in einigen angehängten Videos um die Herstellung und Ausbringung von Giftgasen. Die früheren Ausgaben dieses arabischund englischsprachigen Journals behandelten verschiedene für Jihadzwecke brauchbar erscheinende Chemikalien, Gifte sowie Sprengstoffe. 2013 erschien eine weitere englischsprachige jihadistische Zeitschrift mit dem Namen Azan (Gebetsruf). In der bereits im Dezember 2013 erschienenen 4. Ausgabe dieses OnlineMagazins erläutert der sich ABU SALAMAH AL-MUHAJIR nennende Autor in dem Artikel "To Jihadis in the West" seine Auffassung, wonach ein Anschlag im Westen den größten Beitrag zum Jihad darstelle, den ein Muslim im Westen leisten könne. Der Schaden, der dadurch entstünde, sei viel größer und effektiver als der Schaden, der bei einem Angriff auf in der Welt verteilte westliche Truppen entstehe. Weiterhin sei von Vorteil, dass der meist weite und beschwerliche Weg in Jihad-Gebiete entfalle. Auch sei zu bedenken, dass die Nachrichtendienste Rückkehrer aus Jihad-Gebieten überwachten. Daher sei es klüger, ganz auf eine Ausreise zu verzichten und sich im Westen so unauffällig wie möglich zu verhalten, um einen Terroranschlag ausführen zu können. 113 4.6 Islamistischer Terrorismus in Deutschland Die islamistisch-terroristische Szene in Deutschland ist heterogen ausgestaltet. Sie umfasst einerseits Gruppierungen, die Beziehungen zu islamistisch-terroristischen Organisationen im Ausland haben und andererseits Kleinstgruppen und selbstmotivierte Einzeltäter, die an keine terroristische Organisation angebunden sind. Gerade die unabhängigen Gruppen und Einzelpersonen agieren zwar in der Regel im Sinne der von internationalen Organisationen wie al-Qaida vorgegebenen Leitlinien - das lässt sich nicht zuletzt auf deren massive Internetpropaganda für einen individuellen militanten Jihad im Westen zurückführen. Jedoch sind sie nicht im Auftrag solcher Organisationen aktiv, sondern führen ihre Aktivitäten selbständig durch. Für die Sicherheitsbehörden sind insbesondere Einzelpersonen, die selbständig einen Anschlag in Deutschland planen und deren Radikalisierung maßgeblich abgeschottet über das Internet erfolgt, herausfordernd. Die Anschlagsplanungen von Einzelpersonen sind im Vorfeld nur schwer zu erkennen. Exemplarisch für einen solchen eigenständig durchgeführten Anschlag ist der Fall Arid UKA. Er erschoss im März 2011 am Frankfurter Flughafen zwei USamerikanische Soldaten und verletzte zwei weitere schwer. Am 10.12.2012 scheiterte ein Sprengstoffanschlag am Bonner Hauptbahnhof. Dort wurde eine Tasche mit einem sprengstoffverdächtigen Gegenstand aufgefunden, der bereits gezündet worden war. Eine Explosion fand aufgrund technischer Unzulänglichkeiten nicht statt. Am 12.03.2014 wurde wegen dieses versuchten Sprengstoffanschlags vom Generalbundesanwalt Anklage gegen einen deutschen Islamisten erhoben. Darüber hinaus erhob er Anklage gegen diesen und drei weitere Islamisten, weil er davon ausgeht, dass sie Ende 2012 eine islamistisch-jihadistische Gruppierung mit dem Ziel gegründet haben, Anschläge auf führende Mitglieder der rechtsextremen pro NRW geplant zu haben. Konkret sei für den 13.03.2013 ein Mordanschlag auf den Vorsitzenden der pro NRW vorgesehen gewesen. Eine terroristische Gefährdung geht zu einem wesentlichen Teil, wie die beiden Fälle beispielhaft zeigen, auch von dem Phänomen des "homegrown islamist terrorism" aus. Eine Reihe von erfolgten Anschlägen und Anschlagsversuchen in Europa und Nordamerika belegt, dass sich gerade auch im Westen geborene bzw. aufgewachsene Personen islamistisch radikalisiert haben. Die Erkenntnis, dass der islamistische Terrorismus in Europa nicht nur ein importiertes Phänomen ist, setzte sich spätestens mit den Anschlägen auf das Londoner Verkehrsnetz im Juli 2005 durch, für die in der britischen Gesellschaft sozialisierte Täter verantwortlich waren. Damals kamen 56 Menschen ums Leben und mehrere Hundert wurden teilweise schwer verletzt. Bekannt für den "homegrown islamist terrorism" in Deutschland sind die Aktivitäten der Sauerlandgruppe. Diese aus vier Personen bestehende Gruppe, zwei davon Konvertiten, hatte geplant, mehrere Anschläge in Deutschland durchzuführen. Sie hatten in Niedersachsen über 700 kg chemischer Grundstoffe für die Sprengstoffherstellung erworben und weitere logistische Unterstützung (Beschaffung von Zündern) durch Islamisten aus dem Raum Braunschweig erhalten. 2007 wurden die Mitglieder der Gruppe festgenommen. Das Oberlandesgericht Düsseldorf verurteilte die Angeklagten aus der Sauerlandgruppe 2010 wegen Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung, Vorbereitung eines Sprengstoffanschlages und Verabredung zum Mord zu Haftstrafen zwischen fünf und zwölf 114 Jahren. Der Fall der Sauerlandgruppe ist nicht nur beispielhaft für den "homegrown islamist terrorism", sondern verweist auf einen weiteren Gefährdungsaspekt für die Innere Sicherheit Deutschlands: Die Mitglieder dieser Gruppe waren 2006 nach Pakistan ausgereist, wo sie sich in einem paramilitärischen Ausbildungslager der terroristischen Vereinigung Islamische JihadUnion (IJU), einer Abspaltung der IBU, in Pakistan aufhielten. Nach ihrer Rückkehr verfolgten sie die Anschlagspläne in Deutschland. Personen, die eine Ausbildung in einem paramilitärischen Ausbildungslager erhalten oder an Kampfhandlungen im Ausland teilgenommen haben, stellen bei der Wiedereinreise nach Deutschland ein besonderes Risiko dar. Bei einem Verbleib in der Region, in die sie ausgereist sind, können von ihnen Gefährdungen deutscher oder ausländischer Interessen ausgehen. Rückkehrer aus den so genannten Jihad-Gebieten genießen in der islamistischen Szene ein hohes Ansehen und können einer weiteren Radikalisierung bislang nicht gewaltbereiter Islamisten Vorschub leisten. Besonders relevant wurden im Jahr 2013 Ausreisebewegungen und die Frage nach der Radikalität der Rückkehrer für die Sicherheitsbehörden in Bezug auf den Bürgerkrieg in Syrien. Bis 2011 war das Hauptausreiseziel von Islamisten das afghanisch-pakistanische Grenzgebiet, 2011 dominierte Somalia. 2012 reisten Islamisten aufgrund der geänderten politischen Lage im Kontext des Arabischen Frühlings vornehmlich nach Ägypten. Der attraktivste Jihad-Schauplatz ist derzeit Syrien. Gründe hierfür sind vor allem die gute Erreichbarkeit, die schnelle Einbindung der Ausreisenden in das Kampfgeschehen, der geringe Verfolgungsdruck sowie die Motivation, in Syrien einen islamischen Staat zu errichten. Aber auch die zunehmenden Propaganda-Aktivitäten der islamistisch-terroristischen Szene - vor allem im Internet - sorgen für eine erhöhte Attraktivität des Schauplatzes Syrien. Seit dem Jahr 2011 versuchen verschiedene bewaffnete Oppositionsgruppen das säkular orientierte Regime Baschar al-Assads in Syrien zu stürzen. Standen zu Beginn der Proteste gegen die Herrschaft Assads noch friedfertige Forderungen nach Reformen im Vordergrund, so nahmen ab der zweiten Jahreshälfte 2011 bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen Regierung und Opposition kontinuierlich zu. In steigendem Maße mischten sich auch jihadistische Gruppierungen in die Kämpfe ein. Die militärische Bedeutung der zwei al-Qaida-Regionalorganisationen vor Ort, Jabhat al-Nusra und ISIG, sowie eine Reihe unabhängiger jihadistischer Organisationen, zusammengeschlossen in der Islamischen Front, wächst zunehmend. Insbesondere ISIG wirbt auch unter deutschsprachigen Islamisten für Unterstützung. Ende November 2013 veröffentlichte diese al-Qaida-Regionalorganisation eine Folge aus seiner Videoreihe "Fenster zum Land der Schlachten". Sprecher in dieser Veröffentlichung ist ein Deutscher mit dem Kampfnamen ABU USAMA. Dieser erklärt, dass er vor vier Jahren zum Islam konvertiert sei und sich nun dem Jihad in Syrien angeschlossen habe. Er ruft nun die Muslime zum Jihad in Syrien, den er als individuelle Pflicht bezeichnet, auf: "Wenn ihr Muslime seid, so wacht auf und schließt euch der Karawane an! ... Deswegen, Bruder und Schwester, mach die hijra [Auswanderung] in den Jihad, denn der Jihad ist ... Pflicht für jeden Muslim geworden, beteilige dich am Jihad, unterstütze die Muslime, spende, rede gut über uns, sag nicht, wir sind Terroristen, wer sind die Terroristen? Die Amerikaner sind die Terroristen!" 115 Auch die verbotene Vereinigung Millatu Ibrahim spielt in der jihadistischen Szene in Deutschland im Kontext der Reisebewegungen an Jihad-Schauplätze eine wichtige Rolle. Sie wurde im November 2011 in Deutschland gegründet und am 14.06.2012 durch den Bundesminister des Inneren verboten. Als am 01.05.2012 in Solingen und am 05.05.2012 in Bonn bei Veranstaltungen der islamkritischen Gruppierung pro NRW salafistische Gegendemonstranten mit Gewalt gegen Polizisten und pro NRW-Aktivisten vorgingen, spielten hierbei Personen, die dem Umfeld der Vereinigung Millatu Ibrahim entstammen, eine wesentliche Rolle. Zentrale Figur von Millatu Ibrahim ist der österreichische Staatsbürger Mohamed MAHMOUD, der bereits 2007 den deutschsprachigen Ableger der jihadistischen Globalen Islamischen Medienfront (GIMF) gegründet hatte. Bekanntheit erlangte Millatu Ibrahim durch zahlreiche Audiound Videobotschaften, in denen MAHMOUD, aber auch Denis CUSPERT92 für den globalen Jihad warben. Nach dem Verbot Millatu Ibrahims reisten zahlreiche Anhänger dieser Organisation aus Deutschland, insbesondere nach Ägypten aus. Nach seiner Ausreise veröffentlichte CUSPERT etwa im September 2012 ein "Abschiedsvideo", in dem er Deutschland zum "Kriegsgebiet" erklärt. Inhaltlich übereinstimmend äußerte sich MAHMOUD in der Anfang Januar 2013 veröffentlichten Videobotschaft "Tag der Aufopferung": "Und so wie sie den Tod, so wie die Deutschen und die Amerikaner und die Engländer den Tod zu unseren Ländern gebracht haben ..., werden wir ihnen den Tod zu ihren Ländern bringen ... Möge uns Allah die Shahada fisabilillah [Märtyrertum] gewähren und möge uns dazu befähigen, die Kuffar [Ungläubigen] in aller Welt zu vernichten und zu zerstören!" Bis zu seinem Verbot erwies sich Millatu Ibrahim als die bei Weitem einflussreichste jihadistische Organisation in Deutschland. Auch 2013 übten einige ihrer Akteure aus dem Ausland heraus einen großen Einfluss auf die islamistisch-jihadistische Szene in Deutschland aus. CUSPERT, der sich inzwischen in Syrien aufhält, wirbt nun von dort aus für die Ausreise in dieses Kampfgebiet. Den Sicherheitsbehörden liegen mit Stand März 2014 Erkenntnisse zu mehr als 320 Islamisten aus Deutschland vor, die in Richtung Syrien ausgereist sind, um dort beispielsweise an Kampfhandlungen teilzunehmen oder den Widerstand gegen das Assad-Regime in sonstiger Weise zu unterstützen. Es ist allerdings nicht klar, ob sich alle diese Personen tatsächlich in Syrien aufhalten bzw. aufgehalten haben. Aufgrund der dynamischen Lageentwicklung vor Ort unterliegt diese Zahl tagesaktuellen Veränderungen mit derzeit eher steigender Tendenz. Einige der den Sicherheitsbehörden bekannten in Richtung Syrien ausgereisten Personen sind bereits wieder nach Deutschland zurückgekehrt. Mehrheitlich kann nicht nachgewiesen werden, ob sie sich in Syrien an Kampfhandlungen beteiligt haben. Die Anzahl derjeni92 CUSPERT war bis 2010 als Gangsta-Rapper unter dem Namen Deso Dogg aktiv. Nach seiner Zuwendung zum salafistischen Islam trat er mit islamistischen Kampfgesängen (Nasheeds) unter dem Namen Abu Talha al-Almani in Erscheinung. 116 gen Personen, von denen bekannt ist, dass sie sich in Syrien aktiv am bewaffneten Widerstand beteiligt haben, beläuft sich aktuell auf etwa ein Dutzend. Darüber hinaus ist bekannt, dass einige aus Deutschland ausgereiste Islamisten in Syrien verstorben sind. Die deutschen Sicherheitsbehörden sind bestrebt, möglichst viele Ausreisen in Richtung Syrien zu unterbinden. Die Anzahl der tatsächlich verhinderten Ausreisen beläuft sich auf einen niedrigen zweistelligen Bereich. Neben einer Zunahme der Reisebewegungen werden islamistische Akteure in Syrien auch materiell aus Deutschland, auch aus Niedersachsen, unterstützt. So rufen Islamisten in Deutschland massiv zu Spendensammlungen, etwa über Benefizveranstaltungen, auf. Ebenso organisieren sie Hilfskonvois, um Geldund Sachspenden oder auch Krankenwagen nach Syrien liefern zu können. Es ist kaum möglich zu differenzieren, ob die jeweiligen Spenden als humanitäre Hilfsleistungen der syrischen Zivilbevölkerung zugutekommen oder ob sie der Unterstützung jihadistischer Gruppierungen dienen. 4.7 Salafismus Der Salafismus ist ein im Jahr 2011 neu eingeführtes Beobachtungsobjekt der deutschen Verfassungsschutzbehörden. Er bezeichnet eine Bewegung und keine feste Organisation und ist somit ein dynamisches Phänomen innerhalb des Islamismus. Mitglieder/Anhänger93 2012 2013 Bund: ca. 4.500 5.500 Niedersachsen: ca. 300 ca. 330 Der Salafismus ist eine besonders radikale und die derzeit dynamischste islamistische Bewegung in Deutschland, aber auch auf internationaler Ebene. Salafisten weltweit glorifizieren einen idealisierten Ur-Islam des 7./8. Jahrhunderts und orientieren sich, um diesem möglichst nahe zu kommen, an der Lebensweise der ersten Muslime in der islamischen Frühzeit. Sie versuchen ihre religiöse Praxis und Lebensführung ausschließlich an den von ihnen wörtlich verstandenen Prinzipien des Korans und dem Vorbild des Propheten Muhammad und der frühen Muslime, der rechtschaffenden Altvorderen (arab. Al-salaf al-salih, daher der Begriff Salafismus), auszurichten. Exemplarisch für die Auffassung aller Salafisten heißt es in einer Broschüre, die der Deutschsprachige Islamkreis (DIK) in Hannover herausgegeben hat: "Und in der Tat wird man zu der Schlussfolgerung gelangen, dass man den Qur'an und die Sunna des Propheten nur im Lichte der Methodologie der Salaf as-Salih verstehen darf .... Daraus folgt zugleich, dass wir Muslime bei jedem Ausspruch des Propheten und bei jedem Vers im Koran fragen müssen, wie diese z. B. von den Gefähr93 Die Angaben sind sowohl dem politischen als auch dem jihadistischen Spektrum zuzuordnen. Die Zahlenangaben beruhen teilweise auf Schätzungen. Eine exakte Bezifferung ist im Bereich des Salafismus derzeit nicht möglich, da die strukturellen Besonderheiten salafistischer Bestrebungen in Deutschland genaue Erhebungen erschweren. So weisen zahlreiche salafistische Personenzusammenschlüsse keine festen Strukturen auf. 117 ten verstanden und umgesetzt wurden." (Deutschsprachiger Islamkreis e.V. [Hrsg.], Was jeder Muslim wissen sollte, ohne Jahr, Seite 27, verteilt 2012) Alle Entwicklungen im Islam, die erst nach dieser islamischen Frühzeit eingesetzt haben, wie etwa die Entstehung der etablierten islamischen Rechtsschulen, aber auch liberalere Formen des Islams und die Vereinbarkeit mit der Demokratie und die Gleichheit der Geschlechter werden von Salafisten abgelehnt. Die Scharia, die von Salafisten als von Gott gegebene verbindliche Rechtsordnung verstanden wird, ist nach salafistischer Ideologie jeder weltlichen Gesetzgebung übergeordnet. So sei einzig Gott der legitime Gesetzgeber und nicht das Volk. Die Beteiligung am demokratischen Prozess bezeichnen Salafisten daher als Polytheismus (arab. Schirk), werde doch der Mensch in der Demokratie über Gott erhöht. In der Konsequenz lehnen Salafisten die Geltung staatlicher Gesetze ab. In der Broschüre des DIK heißt es entsprechend: "Da das Wort Ibadah [Dienst an Gott] totale Gehorsamkeit bedeutet und Allah als der ultimative Gesetzgeber angesehen wird, ist die Ausführung eines säkularen Rechtssystems, welches nicht auf göttlichem Gesetz (Scharia) basiert, ein Akt des Unglaubens bezüglich des göttlichen Gesetzes und ein Akt des Glaubens an die Richtigkeit solcher Systeme. Ein solcher Glaube gründet eine Form des Gottesdienstes an etwas anderem als an Allah (Schirk)." (Ebd., Seiten 8-9) Salafisten streben danach, Staat, Gesellschaft und das Privatleben jedes Individuums so umzugestalten, dass sie den vermeintlich von Gott geforderten Normen entsprechen. Konsequenterweise propagieren sie auch das nach ihrer Auslegung im Koran normierte ungleiche Verhältnis zwischen den Geschlechtern, ein Strafrecht, das auch Körperstrafen vorsieht, die Begrenzung der Religionsfreiheit etc. Eindrucksvoll haben Salafisten in den Staaten, die im Zuge des Arabischen Frühlings neue Verfassungen und Regierungen erhielten, ihren ideologisch begründeten Forderungen politischen Nachdruck verliehen. Die von Salafisten propagierte Staatsund Gesellschaftsordnung steht im deutlichen Widerspruch zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Insbesondere werden die demokratischen Grundsätze der Trennung von Staat und Religion, der Volkssouveränität, der religiösen und sexuellen Selbstbestimmung, der Gleichstellung der Geschlechter sowie das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit verletzt. 4.7.1 Salafismus in Deutschland Der Salafismus lässt sich in eine politische, der die überwiegende Mehrheit der Salafisten in Deutschland zuzurechnen sind, und eine jihadistische / terroristische Ausprägung aufschlüsseln. Alle Salafisten streben die gleichen Ziele an, doch unterscheiden sich politische und jihadistische Salafisten in der Wahl ihrer Mittel, um diese Ziele zu erreichen. Vertreter des politischen Salafismus stützen sich auf intensive Propagandatätigkeit, die sie als Dawa118 Arbeit bezeichnen, um für ihre Vision einer gottgewollten Staatsund Gesellschaftsform zu werben und gesellschaftlichen Einfluss zu gewinnen. Jihadistische Salafisten setzen darüber hinaus und vor allem auf das Mittel der Gewalt, um ihre Ziele zu erreichen. Die Übergänge zwischen beiden Salafismusformen sind fließend. Dies zeigte sich deutlich, als im Rahmen des nordrhein-westfälischen Landtagswahlkampfes im Mai 2012 Mitglieder der rechtsextremen Partei pro NRW Muhammad-Karikaturen zeigten. Salafistische Gegendemonstranten griffen in Solingen und Bonn Mitglieder von pro NRW und Polizisten an. Diese Form der Straßengewalt ist für den Salafismus in Deutschland eine neue Aktionsform, an der nicht nur jihadistische Salafisten beteiligt waren. Die Auseinandersetzungen zwischen Salafisten und der pro NRW wurden auch von jihadistischen Salafisten der IBU im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet aufgegriffen. In einer deutschsprachigen Videobotschaft empfahlen sie, nicht auf Straßengewalt zu setzen, sondern vielmehr den Zielpersonen im Geheimen aufzulauern. Am 13.03.2013 wurden in Nordrhein-Westfalen vier Personen wegen des Verdachts der Vorbereitung eines Attentats auf den Vorsitzenden der pro NRW, Marcus BEISICHT, festgenommenen und mittlerweile angeklagt94. Bei Wohnungsdurchsuchungen wurde u. a. eine scharfe Schusswaffe, zur Herstellung von Sprengstoff geeignetes Material sowie eine markierte Liste von pro NRWPolitikern gefunden. Der Salafismus hat als dynamische heterogene Bewegung keine feste Struktur. Vielmehr sind seine Anhänger, auch in Deutschland, in losen internationalen Netzwerken organisiert. Knotenpunkte dieser Netzwerke sind Prediger und einige Moscheegemeinden. Salafisten verbreiten ihre Ideologie professionell. Ihre Vertreter setzen sich öffentlichkeitswirksam in Szene. Da salafistische Prediger in Deutschland vorwiegend die deutsche Sprache nutzen und insbesondere am Sprachgebrauch Jugendlicher andocken, üben sie eine beträchtliche Anziehungskraft vorwiegend auf junge Menschen, darunter auch Konvertiten, aus. Salafistische Prediger verbreiten ihre Ideologie in hohem Maße über das Internet. Ihre Onlineangebote, Videos, Schriftstücke sowie Audios dominieren die deutschsprachigen Informationsangebote im Internet über den Islam. Personen, die sich über die Religion des Islams informieren möchten, besuchen daher häufig von Salafisten betriebene Webseiten, ohne dies zu erkennen. Durch diese hohe Medienpräsenz erreicht salafistische Propaganda weite Kreise der Gesellschaft in Deutschland. Eine wesentliche Rolle in der Verbreitung salafistischer Ideologie spielen in Deutschland auch Islamseminare und Vorträge von salafistischen Predigern. Während solcher Seminare tritt eine Reihe von Predigern auf, die sich vor allem an junge Menschen, die noch keine Anhänger des Salafismus sind, aber auch an Salafisten, richten. Auf solchen Seminaren, die häufig mehrere Tage andauern, wird durch gemeinsame Aktivitäten ein Gemeinschaftsgefühl geschaffen. Attraktiv ist die auf diese Weise vermittelte Ideologie deshalb, weil sie Halt suchenden Menschen feste Regeln für ihre Lebensführung vorgibt. Zudem vermitteln solche Gemeinschaftsveranstaltungen und die salafistische Ideologie das Gefühl, einer von Gott bevorzugten Elite anzugehören. 94 Siehe hierzu auch Kapitel 4.6. 119 Eine weitere Aktionsform, mittels derer salafistische Propaganda in Deutschland verbreitet wird, sind bundesweit organisierte Islam-Infostände. Auf diese Weise verteilen Salafisten Broschüren, Flugblätter, salafistische Grundlagenwerke, aber auch Koranausgaben. Ein besonders populäres Beispiel für einen solchen IslamInfostand ist die Koranverteilaktion "Lies! Im Namen Deines Herrn, der Dich erschaffen hat". Diese 2012 gestartete DawaAktion, wurde auch 2013 fortgesetzt. Weiterhin wurden bundesweit, auch in Niedersachsen, an Infoständen in Fußgängerzonen und belebten Innenstadtbereichen kostenlose Ausgaben des Korans an Passanten verteilt. Ferner sollten im Rahmen der Missionierung auch Muslime in Gefängnissen, Krankenhäusern, Restaurants, Kindergärten und Schulen mit Koranschriften beliefert werden. Verantwortlich für das Projekt und die Bereitstellung der Koranexemplare ist das salafistische Predigernetzwerk Die Wahre Religion (DWR) um den Kölner Salafistenprediger Ibrahim ABOU NAGIE. Er tritt regelmäßig im Zusammenhang mit salafistisch ausgerichteten Islamseminaren auf. Auf seiner Internetseite wirbt ABOU NAGIE dafür, mit den Passanten an den Infoständen über die "einzig wahre Religion" zu diskutieren. Es ist daher zu befürchten, dass sich die Verteilaktion nicht auf die bloße Weitergabe des Korans beschränkt, sondern dass Salafisten über die Aktionen mit jungen Menschen in Kontakt treten und salafistisches Gedankengut verbreiten. Die Aktion ist als ein weiterer Bestandteil der bundesweiten offensiven Missionierungsund Rekrutierungsarbeit der Salafisten zu werten. Am 13.03.2013 wurden in Hessen und Nordrhein-Westfalen Exekutivmaßnahmen zum Vollzug der am 25.02.2013 erlassenen Vereinsverbote des Bundesministeriums des Innern (BMI) gegen die drei salafistischen Organisationen DawaFFM 95, An-Nussrah und Islamische Audios durchgeführt. DawaFFM wurde 2008 in Frankfurt am Main gegründet, um salafistisches Gedankengut bei jungen Muslimen und Nicht-Muslimen zu verbreiten. In den Fokus der Öffentlichkeit rückte DawaFFM im Zusammenhang mit dem Anschlag, bei dem Arid UKA im März 2011 am Frankfurter Flughafen zwei Angehörige der US-amerikanischen Luftwaffe tötete. UKA hatte über das soziale Netzwerk Facebook in Verbindung mit DawaFFM gestanden. Bei An-Nussrah handelte es sich um eine Teilorganisation des am 14.06.2012 verbotenen jihadistisch-salafistischen Vereins Millatu Ibrahim. Beide Organisationen waren sowohl personell als auch organisatorisch eng miteinander verbunden. Islamische Audios war eine vornehmlich im Internet agierende salafistische Vereinigung mit teilweiser jihadistischer Tendenz. 4.7.2 Salafismus in Niedersachsen Die internationalen und bundesdeutschen Entwicklungen im Salafismus sind auch in Niedersachsen zu beobachten. Es handelt sich bei den Salafisten in Niedersachsen ebenfalls um keine homogene Gruppe, sondern vielmehr um ein mannigfaltiges Beziehungsgeflecht von Personen, die im Kontext von Moscheen und Islamseminaren aktiv sind. Ebenso sind die Aktivitäten von Kleinstgruppen und Einzelpersonen charakteristisch für die salafistische Szene. Ebenso wie international und deutschlandweit gilt der Salafismus in Niedersachsen als zurzeit dynamischste islamistische Bewegung. Im Vergleich zu 2012 war im Jahr 2013 eine zehnprozentige Steigerung der Anhängerzahlen von 300 auf 330 zu verzeichnen. Es ist nach bisheriger Einschätzung für das Jahr 2014 mit einem weiteren quantitativen Anwachsen der 95 FFM steht für Frankfurt am Main. 120 salafistischen Bewegung zu rechnen. Die niedersächsische salafistische Szene ist ganz überwiegend dem politischen Spektrum zuzurechnen. In Niedersachsen gibt es eine Reihe von Standorten, insbesondere in den größeren Städten, von denen aus Salafisten ihre Aktivitäten entfalten. Die Prediger, die dort auftreten, sind in das nationale und internationale salafistische Netzwerk eingebunden. Im Folgenden werden einige salafistische Vereinigungen in Niedersachsen exemplarisch dargestellt. Eine besondere Bedeutung hinsichtlich der Verbreitung des Salafismus hatte für Niedersachsen bislang die Islamschule des Muhamed CIFTCI in Braunschweig, deren Unterricht im Sommer 2012 eingestellt wurde. Hier haben über 200 Personen eine umfangreiche Ausbildung in Islamstudien in deutscher Sprache erhalten. Das Studium wurde überwiegend als Fernstudium über das Internet betrieben. Die besondere Gefahr der Braunschweiger Islamschule lag in der potenziellen Multiplikatorenwirkung der Absolventen. Es stand zu befürchten, dass die Absolventen Tätigkeiten etwa als Freitagsprediger anstrebten. Darüber hinaus war zu beobachten, dass sich einzelne Schüler des CIFTCI zunehmend radikalisiert haben. Zu CIFTCIs Schülern zählte unter anderem der 25jährige Murat KUTLU, der am 05.05.2012 in Bonn bei Ausschreitungen gewaltbereiter Salafisten zwei Polizisten mit einem Messer schwer verletzte. Er hatte sich von Anhängern der rechtsextremistischen Partei pro NRW, die Muhammad-Karikaturen öffentlich gezeigt hatten, provozieren lassen. Das Landgericht Bonn verurteilte KUTLU im Oktober 2012 wegen gefährlicher Körperverletzung, Landfriedensbruchs und Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte zu sechs Jahren Freiheitsentzug. Die staatliche Zentralstelle für Fernunterricht (ZFU) hat am 10.07.2012 CIFTCIs Antrag auf Anerkennung des Unterrichts als Fernstudium abgelehnt. Zur Begründung führt die ZFU an, der Fernlehrgang sei nicht zur Erreichung der vom Veranstalter angegebenen Lehrgangsziele geeignet. Eine gutachterliche Prüfung habe ergeben, dass das Angebot keinem der an der Universität Medina angebotenen islamwissenschaftlichen oder theologischen Studiengänge entspreche. Zudem stelle die in dem Online-Unterricht vermittelte salafistische Weltanschauung die demokratische und rechtstaatliche Ordnung in Deutschland als "Usurpation der Souveränität Gottes" dar und verfolge das Ziel der umfassenden Umgestaltung von Staat, Gesellschaft und allen individuellen Lebensbereichen gemäß bestimmter, als "gottgewollt" postulierter Normen. CIFTCI hat allerdings öffentlich erklärt, zukünftig an Unterrichtsangeboten - auch über das Internet - festhalten zu wollen. Nachdem die ZFU die Anerkennung der Islamschule als Fernunterrichtsangebot verweigert hat, besteht die Vermutung, dass über die nicht öffentlich zugängliche Islamische Videothek ("Islamothek") des CIFTCI auch Materialien gegen Gebühr verbreitet werden, die im Angebot der Islamschule standen. Bis heute tritt CIFTCI regelmäßig als Prediger in der Braunschweiger Moschee Deutschsprachige Muslimische Gemeinschaft (DMG) sowie bundesweit und auch international als Prediger und Islamlehrer in Erscheinung. 121 Im April 2013 erschien im Internet ein Aufruf CIFTCIs, den salafistischen Verein Helfen in Not e. V. in seinem Engagement in Syrien zu unterstützen. Eine Reihe von Videos, die von Mitgliedern dieses Vereins ins Internet eingestellt wurde, lässt die Deutung zu, dass das Engagement von Helfen in Not e. V. über humanitäre Hilfsleistungen für die syrische Zivilgesellschaft hinausgeht - und der Verein zumindest der materiellen Unterstützung von syrischen Islamisten nicht ablehnend gegenüber steht. In seinem Video stellt CIFTCI die Situation im syrischen Bürgerkrieg96 einseitig dar und macht massiv Stimmung gegen Schiiten97. Er unterstellt, dass Schiiten das Ziel hätten Sunniten zu töten und spricht ihnen ab, überhaupt Muslime zu sein: "Das heißt, das Töten der Muslime sehen sie [die Schiiten] als Jihad. Deswegen, das ist einer der Beweise, wie sehr sie uns, die Muslime, hassen und gar nichts mit dem Islam zu tun haben." (Muhamed Ciftci: Sheikh Abu Anas - Lasst Eure Geschwister nicht im Stich [Helfen in Not], Video abgerufen auf YouTube am 22.04.13) CIFTCI entwirft ein Bedrohungsszenario, nach dem Sunniten überall und jederzeit in Bedrängnis geraten könnten und zieht die Konsequenz: "Deswegen fordere ich von Euch, liebe Geschwister, denkt daran: Heute ist Syrien und morgen kann es bei Dir passieren. Wenn Du morgen dann niemanden findest, dann frag Dich, wo warst Du, als heute die Leute Dich brauchten ... Bitte helft unseren Brüdern [von Helfen in Not], sogar: Ich sage nicht bitte helft, sondern Ihr müsst helfen, sag ich, es ist Pflicht, dass jeder Muslim für Syrien helfen muss." (Ebd.) Im Kontext der Ereignisse in Syrien wird insbesondere von Salafisten, so auch hier von CIFTCI, regelmäßig auf das Feindbild Schia/Schiiten zurückgegriffen. Dadurch wird dem Syrienkonflikt eine religiöse Bedeutung gegeben. Das kann motivierend wirken, die "sunnitischen Brüder" im Kampf gegen die Schiiten zu unterstützen. Der Kampf in Syrien ist in salafistischer Propaganda daher nicht nur ein politischer Kampf gegen ein ungerechtes System, sondern ebenso ein Verteidigungskampf gegen die Feinde des Islams. Propaganda dieser Art ist geeignet, auch in Deutschland Misstrauen gegen Schiiten zu säen. Darüber hinaus kann sie auf Personen motivierend wirken, (jihadistisch-)salafistische Akteure in Syrien zu unterstützen. In der Braunschweiger DMG fand vom 30.11. bis 01.12.2013 ein Islamseminar des salafistischen Predigers Pierre VOGEL statt, an dem über 200 Personen teilnahmen. In einem Vortrag mit dem Titel "Antimodernismus" behauptete VOGEL, so genannte Modernisten versuchten den Islam zu zerstören. Als Modernisten bezeichnete VOGEL "Heuchler" (Munafiq), also Muslime, die ein anderes Verständnis vom Islam vertreten als sein eigenes sowie "Irregegangene", die den Westen verherrlichten, und "Leute, die den Islam einfach hassen". Einführend erklärte er: 96 Siehe zum Bürgerkrieg in Syrien Kapitel 4.6. 97 Im Bürgerkrieg in Syrien unterstützen der schiitische Staat Iran, aber auch die schiitische Hizb Allah, das noch bestehende Regime unter Baschar al-Assad. Nicht zuletzt werden auch Assad und seine Familie als Alawiten dem schiitischen Islam zugerechnet. 122 "Ich danke Allah, der mir die Möglichkeit gegeben hat in dieser Zeit den Islam zu verteidigen gegen die Munafiqun [Heuchler] und die Kafirun [Ungläubige]. Die versuchen diese Religion platt zu machen. Aber nur über unsere Leiche." (Pierre Vogel: Antimodernismus, Video, abgerufen auf YouTube am 17.12.2013) Das Entwerfen eines solchen Bedrohungsszenarios, in dem der Islam von Feinden zerstört werden soll, ist ein rhetorisches Motiv, das sich stets in salafistischer Propaganda findet. Es entspricht dem von Salafisten vermittelten Weltbild, das einzig auf Komplexitätsreduktion ausgerichtet ist und sich in den Kategorien verboten - erlaubt, Freund - Feind, Paradies - Hölle widerspiegelt. Dieses Weltbild gründet auf dem von Salafisten postulierten unbedingtem Gehorsam gegenüber Gott. Entsprechend formuliert VOGEL in demselben Vortrag: "Wir sagen immer noch 'La ilaha illa Allah'98 und alles, was dieser Sache widerspricht ist falsch, falsch, falsch, falsch, falsch und ein Weg in die Hölle! So einfach sieht das aus ... Und egal in welchem Bereich der Befehl kommt, sei es in der Aqida, dem Glauben, ... weil wenn Allah etwas erwähnt im Koran ... dann schwingt gleichzeitig der Befehl mit daran zu glauben. Oder, ob diese Information, dieser Befehl in Ritualen (Ibadat) ist, Gebet, Fasten etc. Oder ob dieser Befehl in Sachen ist, die mit unserem sozialen Leben zu tun haben, wie man sich zu kleiden hat, Hijab [Verschleierung], Bart etc. Oder, ob dieser Befehl mit etwas zu tun hat im Strafrecht. Wenn im Koran steht: 'Der Dieb, die Diebin, schneidet ihre Hände ab', dann steht das dort. Das hat Allah uns nicht umsonst offenbart." (Pierre Vogel: ebd.) In VOGELs Vortrag wird deutlich, wofür er selbst eintritt: "Was kommt bei dem Modernismus raus am Ende? Keine Scharia, keine HududStrafen [im Koran niedergelegte Körperstrafen], kein Hijab, ... keine Polygamie ... d. h. alles, was mit Frauen zu tun hat, alles, was mit Strafrecht zu tun hat. - Und alle kommen ins Paradies. Friede, Freude, Eierkuchen. Und wer will das haben? Das ist komischerweise genau das, was der westlichen Vorstellung entspricht." (Pierre Vogel: ebd.) Im Umkehrschluss steht VOGEL also für eine Gesellschaftsordnung, in der die Scharia gilt, Hadd-Strafen angewandt werden, die Verschleierung der Frau eine Pflicht und die Polygamie die Regel ist. Damit umschreibt VOGEL die Kernelemente der von Salafisten angestrebten Gesellschaftsordnung. Auf seinem Islamseminar in Braunschweig rief VOGEL seine Zuhörer dazu auf, sich massiv der Dawa, der Mission, zu widmen. Er verwies auf ein neues Dawaformat, das er als "Wohnungsdawa" beschrieb. So sollen sich regelmäßig zehn bis zwanzig "Brüder" oder "Schwestern", nach Geschlechtern getrennt, in Privatwohnungen treffen, um dort Videos mit religiösen Vorträgen zu schauen. In Niedersachsen gebe es bereits vier Standorte, in denen die "Wohnungsdawa" durchgeführt werde. Regelmäßig sollten diese Gruppen auch Dawa auf der Straße ("Streetdawa") betreiben. 98 "Es gibt keinen Gott außer Gott"; Teil des islamischen Glaubensbekenntnisses. 123 Unter "Streetdawa" versteht VOGEL öffentliche Aktionsformen, wie etwa die Koranverteilaktion "Lies", die in Niedersachsen nach wie vor betrieben wird. Ein weiterer Schwerpunkt des Salafismus in Niedersachsen ist in Hannover. In der Moschee des Vereins Deutschsprachiger Islamkreis e. V. (DIK) treten oftmals salafistische Prediger aus dem Inund Ausland auf: Regelmäßig ist der Prediger Hassan DABBAGH als Gastreferent vor Ort. Darüber hinaus sind u. a. Auftritte von VOGEL, Muhamed CIFTCI und Sven LAU bekannt. Der DIK Hannover betätigt sich darüber hinaus als Herausgeber einer Broschüre mit dem Titel "Was jeder Muslim wissen sollte". In der Schrift, die ohne Jahresangabe veröffentlicht wurde, wird dezidiert die salafistische Ideologie beworben. In Osnabrück ist der 2013 neu angemeldete salafistische Verein Afrikabrunnen e. V. angesiedelt. Seine Mitglieder engagieren sich, zusammen mit dem salafistischen Verein Helfen in Not e. V., in der Spendensammlung für sunnitische Muslime in Syrien. 2013 organisierte Afrikabrunnen e. V. zwei Benefizveranstaltungen zugunsten der sunnitischen Muslime in Syrien. Am 01.09.2013 fand das Brunnenfestival in Dortmund statt. Dort traten die salafistischen Prediger LAU, Brahim BELKAID, VOGEL und Said EL-EMRANI auf. Am 08.12.2013 erfolgte die Benefizveranstaltung "Bankett zur Rettung der Umma" unter Beteiligung von VOGEL und LAU. Es ist darüber hinaus bekannt, dass Mitglieder von Afrikabrunnen e. V. im Dezember 2013 gemeinsam mit Helfen in Not e. V. einen LKW mit Hilfsgütern nach Syrien gefahren haben. Wem diese Sachspenden in Syrien zugutekamen ist nicht bekannt. In Hildesheim ist der Deutschsprachige Islamkreis Hildesheim e. V. (DIK) als Standort salafistischer Aktivitäten bekannt. Zum Zeitpunkt der Moscheegründung 2012 hatte der Verein sich dezidiert für die salafistische Ideologie ausgesprochen. So wies er auf seiner Internetseite darauf hin, dass er sich den Ahlu-Sunna wa-l Jama'a, einer geläufigen Selbstbezeichnung von Salafisten, zuordne und sich auf das Islamverständnis der ersten Generationen der Muslime berufe. Auch im DIK Hildesheim treten prominente salafistische Prediger auf. So sind Abdelilah BELATOUANI, LAU und Efstathios TSIOUNIS am 31.12.1012 vor Ort als Teilnehmer bzw. als Vortragende auf der Silvesterveranstaltung des Vereins in Erscheinung getreten. Vom 15. bis 17.03.2013 fand im DIK Hildesheim ein Islamseminar mit dem salafistischen Prediger Ahmad ABDULAZIZ ABDULLAH (Abu Walaa) statt. Dieser ist auch bei der Silvesterveranstaltung des DIK Hildesheim 2013 anwesend gewesen. Darüber hinaus gibt es in Niedersachsen Moscheegemeinden, in denen einzelne Salafisten verkehren oder die vereinzelt Veranstaltungen mit bekannten salafistischen Predigern durchführen. Eine nachhaltige salafistische Beeinflussung großer Teile der Moscheebesucher in diesen Gemeinden ist nicht belegbar, kann aber bezogen auf einzelne Besucher nicht ausgeschlossen werden. 124 4.8 Muslimbruderschaft Gegründet 1928 in Ägypten Mitglieder/Anhänger Bund Niedersachsen 2012: 1.600 2012: 90 2013: 1.600 2013: 90 Publikation Risalat ul-Ikhwan (Rundschreiben der Bruderschaft) Die auch als "ideologische Mutterorganisation des politischen Islam" bezeichnete Muslimbruderschaft (MB) versucht mit ihrer Strategie der kulturellen Durchdringung der islamischen Staaten, die gesellschaftlichen Voraussetzungen zur Etablierung islamistischer Staatsmodelle zu schaffen. Der MB zugerechnete Gruppen haben sich in der Vergangenheit auch an gewaltsamen Erhebungen gegen die jeweiligen Machthaber in Syrien 1982 und in Algerien während der 1990er Jahre beteiligt. Den in das internationale Netzwerk eingebundenen deutschen Zweigen der MB ist der gleiche Auftrag gestellt wie den nahöstlichen Zweigen der Bruderschaft: Die Durchdringung von Staat und Gesellschaft durch die Ideologie des Islamismus mit der Scharia99 in ihrer orthodoxen Lesart als allein gültiger Ordnung. Damit verfolgt die MB Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland im Sinne des SS 3 Abs. 1 Nr. 1 NVerfSchG. 4.8.1 Ursprung und Entwicklung Die sunnitische MB ging 1928 in Ägypten aus einer kleinen Gruppe von Männern um Hasan al-Banna hervor, die sich als "Brüder im Dienste des Islam" verstanden. Die Bewegung gewann schnell an Einfluss und Mitgliedern und ist bis heute die größte islamistische Bewegung im Nahen und Mittleren Osten. Ihre überragende Bedeutung verdankt sie dem Umstand, dass sie in allen islamischen Staaten Ableger aufbauen konnte und auch andere islamistische Gruppen beeinflusste. Nach eigenen Angaben ist die MB heute in über 70 Ländern präsent. Auf ihrer fünften Generalkonferenz 1939 in Kairo legte die MB ihre bis heute gültige Doktrin fest. Darin tritt ein entschieden islamistischer Wesenszug zu Tage. Indem sich die Muslimbrüder auf das Wirken und die Tradition des Propheten und seiner Gefährten berufen, grenzen sie sich von allen "Verunreinigungen" des Islams ab, die die islamische Welt seit dem 7. Jahrhundert heimgesucht hätten. Trotz ihrer internationalen Ausrichtung zeigt die Bruderschaft noch heute eine deutliche arabische Prägung. Ihre wichtigste Basis ist weiterhin Ägypten, wo sie bis zum Sturz des ägyptischen Präsidenten Hosni Mubarak 2011 verboten war. Im Zuge des Arabischen Frühlings wurde der Muslimbruder Mohammed Mursi am 30.06.2012 zum Präsidenten Ägyp99 Zur Scharia siehe Kapitel 4.4. 125 tens gewählt. Nach nur einjähriger Präsidentschaft setzte ihn die Armeeführung am 03.07.2013 ab. Damit reagierte sie u. a. auf anhaltende Proteste von Teilen der Bevölkerung gegen Mursis islamistische Klientelpolitik. Anhänger der Muslimbruderschaft protestierten massiv gegen die Absetzung Mursis und wurden vom Militär blutig niedergeschlagen. Am 23.09.2013 verbot die ägyptische Regierung die MB und stufte sie am 25.12.2013 als Terrororganisation ein. Zahlreiche Mitglieder der MB wurden seither verhaftet. Es ist möglich, dass sich aufgrund der staatlichen Repression - ähnlich wie bereits im Ägypten der 1950er und 1960er Jahre - Teile der ägyptischen MB im Untergrund radikalisieren. Die MB ist eine hierarchisch strukturierte Organisation. Als ihr Oberhaupt fungiert der Murschid Amm, der "Allgemeine Führer", dem sich das einzelne Mitglied durch ein Gelöbnis zur Gefolgschaft verpflichtet. Für den Gründer al-Banna trug die Bruderschaft deutlich politische Züge. Darüber hinaus sei sie durch den als allumfassend angesehenen Charakter des Islams eine "der körperlichen Ertüchtigung dienende Gruppe", ein "kultureller und wissenschaftlicher Verband", eine "soziale Idee" und sogar ein "Wirtschaftsunternehmen". Der Wahlspruch der Bruderschaft verdeutlicht den universalen Anspruch: "Gott ist unser Ziel, der Prophet unser Führer, der Koran unsere Verfassung und der Kampf unser Weg. Der Tod um Gottes Willen ist unsere höchste Gnade. Gott ist groß." (nach Franz Kogelmann: "Die Islamisten Ägyptens in der Regierungszeit von Anwar asSadat [1970-1981]"; Berlin 1994, Seite 29) Vor dem Hintergrund des "Arabischen Frühlings" kam der MB eine zunehmende Bedeutung im politischen und gesellschaftlichen Leben verschiedener arabischer Länder zu. So gingen aus den Parlamentswahlen in Ägypten zum Jahreswechsel 2011/2012 und bei der Wahl zur Verfassungsgebenden Versammlung Tunesiens im Oktober 2011 Parteien, die in der Tradition der Muslimbrüder stehen, als stärkste Gruppierungen hervor. 4.8.2 Die Muslimbruderschaft in Deutschland und in Niedersachsen Vorrangiges Ziel der MB ist es, die in Deutschland lebenden Muslime von der "wahren", d. h. von ihrer Interpretation des Islams zu überzeugen. Verschiedene islamische Zentren dienen diesem Ziel als organisatorische Stützpunkte. Gewaltaktivitäten der MB auf deutschem Boden wurden bisher nicht festgestellt. Der palästinensische Zweig der MB, die HAMAS, ist über eine Unterorganisation in Deutschland vertreten. Es handelt sich hierbei um den im Mai 1981 im Islamischen Zentrum München (IZM) gegründeten Islamischen Bund Palästina (IBP). In Niedersachsen sind nur einzelne Mitglieder und Funktionäre dieser Vereinigung ansässig. Darüber hinaus ist hier ein Verein angemeldet, von dem einige Mitglieder der tunesischen En-Nahda100 zuzurechnen sind. Die MB verfolgt auch in Niedersachsen ihren Ansatz der kulturellen und ideologischen Durchdringung. Dementsprechend übt die MB ihren Einfluss auf Moscheen in Niedersachsen in Braunschweig, Göttingen, Hannover und Osnabrück aus. Durch ihr Lehrangebot, wie z. B. in Moscheen angebotene Korankurse, verbreitet die MB ihre Ideologie. Hingegen 100 Neben dem hier gemeldeten Vereinssitz ist in Niedersachsen auch der 1. stellvertretende Vorsitzende ansässig, während die übrigen Vereinsmitglieder über verschiedene Bundesländer verteilt sind. 126 sind öffentliche Aussagen von der Bruderschaft nahe stehenden Predigern mit antiwestlicher und/oder antijüdischer Tendenz vor dem Hintergrund verstärkter staatlicher Überwachungsmaßnahmen nicht mehr in früherer Schärfe wahrnehmbar. 4.9 Tablighi Jama'at (TJ, Gemeinschaft der Missionierung und Verkündung) Gegründet 1926 in Britsch-Indien Sitz: Weltzentrum in Lahore, Pakistan; europäisches Zentrum in Dewsbury (Großbritannien); in Deutschland keine offizielle Niederlassung. Mitglieder/Anhänger Bund Niedersachsen 2012: 700 2012: 80 2013: 700 2013: 80 Die Tablighi Jama'at (TJ, "Gemeinschaft der Missionierung und Verkündung") wurde im letzten Jahrhundert als Missionsbewegung gegründet. Sie vertritt ein äußerst rigides Islamverständnis, das die Ausgrenzung der Frau und die Abgrenzung gegenüber Nichtmuslimen beinhaltet. Die Anhänger dieser internationalen islamischen Massenbewegung sind bestrebt, die überlieferte Lebensweise des Propheten Muhammad in Kleidung und täglichen Verrichtungen möglichst genau nachzuempfinden. Koran und Sunna werden strenggläubig und wortgenau befolgt und sollen als Richtschnur für jedes gesellschaftliche Miteinander gelten. Durch die Propagierung der Scharia101 als Grundlage ihres Gesellschaftsmodells verfolgt die TJ Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des SS 3 Abs. 1 Nr. 1 NVerfSchG. 4.9.1 Ursprung und Entwicklung Angesichts der Dominanz der europäischen Kolonialmächte propagierten so genannte islamische Reformbewegungen wie die TJ, die im indo-pakistanischen Raum ihren Ursprung hatten, die Säuberung des Islams von vermeintlichen geistigen und kulturellen Verunreinigungen.102 Heute zählt die TJ nach Zahl und Verbreitung ihrer Anhänger weltweit zu den bedeutendsten islamischen Bewegungen. Ihre Anhänger fühlen sich nicht einer festen Gruppierung zugehörig, sondern sehen sich als Muslime mit missionarischem Auftrag. 101 Zur Scharia siehe Kapitel 4.4. 102 Die Muslime Indiens sahen sich einer zweifachen Bedrohung ausgesetzt: Einerseits hatten sie die politische Macht an die christlichen Briten verloren, andererseits überwog in Indien zahlenmäßig die hinduistische Bevölkerungsgruppe. Während aufklärerische muslimische Kreise die Meinung vertraten, dass vor diesem Hintergrund nur mit westlichen Erkenntnissen, nicht gegen sie, der Aufbruch der Muslime Indiens in die Moderne gelingen könne, lehnten konservativ ausgerichtete sunnitische Rechtsgelehrte sowohl hinduistische als auch westliche Einflüsse ab und forderten deren Eliminierung. 127 Obwohl sich die TJ selbst als unpolitisch und gewaltlos darstellt, muss dies aus Sicht der Sicherheitsbehörden anders bewertet werden. Das strikte Koranverständnis führt zu einer Befürwortung der Scharia, des aus Koran und Sunna hergeleiteten islamischen Rechts, und damit in letzter Konsequenz zum Versuch einer Islamisierung der Gesellschaft. Das Bemühen um eine im Sinne der TJ vorbildliche Glaubenspraxis schließt eine weitgehend wortgetreue und rigide Interpretation des Korans und seiner Rechtsvorschriften ein, so dass damit der Erfüllung religiöser Vorschriften grundsätzlich Vorrang gegenüber einer an staatlichen Gesetzen orientierten Lebensführung eingeräumt wird. 4.9.2 Aktivitäten von TJ-Anhängern in Deutschland und in Niedersachsen Die Anhänger der TJ reisen in der Regel in Gruppen, um einerseits den Glauben zu verbreiten und andererseits die Frömmigkeit der Prediger selbst zu stärken. Zielgruppe sind in erster Linie Muslime mit einer vermeintlich unzureichenden Beachtung der Glaubensriten, erst in zweiter Linie Nichtmuslime. Zu den Pflichten eines Mitglieds gehört die freiwillige und unbezahlte missionarische Tätigkeit, die 40 Tage im Jahr betragen soll. Der Schwerpunkt der Aktivitäten der TJ liegt auf dem indischen Subkontinent. In den letzten Jahrzehnten hat diese islamische Massenbewegung ihre Aktivitäten jedoch auf Nordafrika und auf die muslimische Diaspora in Europa, Nordamerika und Australien ausgeweitet. Niedersächsische Anhänger der TJ sind an das globale Netzwerk der TJ angeschlossen. Von Niedersachsen ausgehende Missionsreisen werden aus der Masjid El Ummah-Moschee im Pakistanzentrum in Hannover nach entsprechender Vorgabe koordiniert. Die niedersächsischen TJ-Anhänger beteiligen sich insbesondere an regelmäßig stattfindenden bundesund europaweiten Treffen, auf denen u. a. organisatorische Entscheidungen der Bewegung getroffen werden. Grundlegende Entscheidungen werden jedoch von den Führungszentren der TJ in Pakistan und Indien getroffen. TJ-Anhänger sind aufgrund der durchzuführenden missionarischen Reisen auch regelmäßig in niedersächsischen Moscheen anzutreffen, die nicht originär der TJ zuzurechnen sind. So wurden Missionierungsgruppen u. a. in Göttingen, Osnabrück und der Region Braunschweig/Wolfsburg festgestellt. Die Bewegung ist bestrebt, ihre missionarischen Aktivitäten ständig zu intensivieren und ihre Anhängerzahl weltweit zu erhöhen. 128 4.10 Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e.V. (IGMG) Gegründet 1985 in Köln (als Vereinigung der Neuen Weltsicht in Europa e.V. - AMGT) Sitz: Kerpen (NRW) Vorsitzender: Kemal ERGÜN Mitglieder/Anhänger Bund Niedersachsen 2012: 31.000 2012: 2.600 2013: 31.000 2013: 2.600 Offizielle Publikation Perspektif (monatlich) Cami'a (14-tägig) Mit ca. 31.000 Mitgliedern bundesweit, davon ca. 2.600 in Niedersachsen, ist die Islamische Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG) die größte islamistische Organisation in Deutschland. Als legalistisch-islamistische Organisation ist die IGMG bestrebt ihre Ziele innerhalb des vom Staat vorgegebenen rechtlichen Rahmens durchzusetzen und lehnt Gewalt kategorisch ab. Die Charakterisierung der IGMG als islamistische Großorganisation ist allerdings insofern zu relativieren, als zunehmend weniger Anhaltspunkte für extremistische Aktivitäten und Positionen der IGMG vorliegen. Die IGMG ist als Massenorganisation ein Sammelbecken ganz unterschiedlicher religiöser und politischer Positionen. Dem entsprechend sind nicht alle Mitglieder der IGMG dem extremistischen Spektrum zuzuordnen. Auch moderat eingestellte Muslime und Anhänger eines eher unpolitischen türkisch-orthodoxen Volksislams sind in der IGMG aktiv. Darüber hinaus zeichnet sich seit einigen Jahren bei Führungsfunktionären der IGMG ein Reformkurs ab, der dafür spricht, dass die IGMG als Gesamtorganisation nicht mehr eindeutig dem islamistischen Spektrum zugerechnet werden kann. Inwiefern die IGMG als Ganzes zukünftig in den Aufgabenbereich des Verfassungsschutzes fällt, bedarf der Überprüfung. Die ideologischen Wurzeln der IGMG liegen in der von dem türkischen Politiker Necmettin ERBAKAN (gestorben 2011) Ende der 1960er Jahre begründeten Milli Görüs-Bewegung. ERBAKAN strebte die Schaffung einer neuen Großtürkei in Anlehnung an das Osmanische Reich bei gleichzeitiger Abschaffung des Laizismus an. In seiner Ideologie verknüpfte ERBAKAN islamistische mit türkisch-nationalistischen Elementen. Gemäß der Ideologie ERBAKANs stehen sich in jeder Epoche gegensätzliche Zivilisationen unversöhnlich gegenüber, die entweder auf "gerechten" ("Adil Düzen") oder auf "nichtigen Ordnungen" ("Batil Düzen") beruhen. Gerecht seien nur diejenigen Ordnungen, die auf göttlicher Offenbarung basierten. Nichtig seien dagegen alle Ordnungen, die von Menschen erdacht worden seien. ERBAKAN zufolge dominiere mit der westlichen Zivilisation eine "nichtige", auf von Menschen geschaffenen und damit willkürlichen Regeln beruhen129 de Ordnung, welche durch ein islamisches System ersetzt werden müsse. Die Grundlage dieser islamischen Ordnung müsse die Scharia sein. ERBAKAN verstand die Scharia nicht nur als Leitfaden für die individuelle Religionsausübung, sondern auch als verbindliches politisches Programm. Anders als von ERBAKAN propagiert, vertritt die IGMG heute - wie auch die große Mehrheit der in Deutschland lebenden Muslime - öffentlich die Position, dass die Scharia nicht politisch, sondern ausschließlich religiös bzw. als Orientierung für die individuelle Lebensführung des einzelnen Muslims zu verstehen sei. Die türkische Milli Görüs-Bewegung umfasst unterschiedliche Organisationen, die von der gemeinsamen Ideologie und der Bindung an ERBAKAN zusammengehalten werden. In der Türkei sind das unter anderem die Saadet Partisi (SP, "Partei der Glückseligkeit") und die Tageszeitung Milli Gazete. In Deutschland wurde die Bewegung zunächst von der IGMG getragen. Innerhalb der IGMG setzen sich aber zunehmend diejenigen Funktionäre durch, die sich gegenüber der türkischen Milli Görüs-Bewegung emanzipieren und sich primär auf die Belange der Muslime in Deutschland fokussieren. ERBAKAN wird von ihnen eher aus traditionellen Beweggründen verehrt und nicht so sehr als religiös-politisches Idol. Es liegen Anhaltspunkte dafür vor, dass sich Mitglieder und Funktionäre der IGMG, die nach wie vor ERBAKANs islamistischen Kurs verfolgen, zunehmend anderen Organisationen der Milli Görüs-Bewegung zuwenden, etwa den in Deutschland neu gegründeten Niederlassungen der SP und der Erbakan-Stiftung. Die IGMG gibt in Deutschland zwei Zeitschriften heraus: "Perspektif" und "Cami'a". Bisweilen wird aber auch in der türkischen Milli Gazete über Veranstaltungen und Belange der IGMG berichtet. Die formal unabhängige türkische Tageszeitung Milli Gazete ("Nationalzeitung") ist ein wichtiges ideologisches Bindeglied der unterschiedlichen Organisationen der Milli Görüs-Bewegung. Ihre Bedeutung in der IGMG nimmt allerdings zunehmend ab. Insofern ist fraglich, inwiefern islamistische Äußerungen in der Milli Gazete nach wie vor auch der IGMG zugerechnet werden können. Der Landesverband der IGMG in Niedersachsen umfasst mindestens 35 Ortsvereine. Der aktivste Verein ist das Braunschweiger Kulturund Bildungszentrum, das neben Nachhilfeunterricht und Hausaufgabenbetreuung auch Koranunterricht speziell für Kinder anbietet. Erstmals seit dem Jahr 2009 führte die IGMG wieder eine Jahresversammlung auf Europaebene durch. Zum "Tag der Brüderlichkeit und Solidarität" am 19.05.2013 in Hasselt (Belgien) kamen etwa 25.000 Personen, die der IGMG nahe stehen, zusammen. Ehrengäste waren unter anderem der Vorsitzende des hohen Konsultationsrates der Saadet Partisi und der türkische Vizepremier. In Hannover führte der Regionalverband Hannover am 24.02.2013 im Congress Centrum eine Veranstaltung zur "Geburt des Propheten Muhammad" durch, an der ca. 3.000 Personen teilnahmen. Anwesend war auch der damalige IGMG-Generalsekretär Oguz ÜCÜNCÜ, der einige Bittgebete sprach und die Abschlussrede hielt. Vom 07. bis 09.06.2013 feierte der Ortsverein Braunschweig seine mittlerweile 12. Islamwoche. Die Gesamtteilnehmerzahl lag bei ca. 4.000 Personen. 130 4.11 Hizb Allah (Partei Gottes) Gegründet 1982 im Libanon Sitz: Beirut Generalsekretär: Hassan NASRALLAH Mitglieder/Anhänger Bund Niedersachsen 2012: 950 2012: 130 2013: 950 2013: 130 Publikation Al-Ahd (Die Verpflichtung) Die libanesisch-schiitische Organisation Hizb Allah (Partei Gottes) bekämpft mit terroristischen Mitteln den Staat Israel, richtet ihre Propaganda aber auch gegen westliche Institutionen. Mit diesem Bestreben gefährdet die Hizb Allah auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland und wird daher nach SS 3 Abs. 1 Nr. 3 NVerfSchG beobachtet. Im Juli 2013 setzte die Europäische Union den militärischen Arm der Hizb Allah (al-muqawama alislamiya - Islamischer Widerstand) auf die Liste der terroristischen Organisationen. 4.11.1 Ursprung und Entwicklung Die "Partei" Hizb Allah wurde 1982 unter maßgeblicher Steuerung der Islamischen Republik Iran als Vertretung des radikalsten Teils der libanesischen Schiitengemeinde gegründet. Vorbild für die Hizb Allah ist der revolutionäre Iran; die Lehren des iranischen Revolutionsführers Khomeini gelten als richtungweisend. Nach dem Tode Khomeinis lockerten sich zunehmend die früher engen Beziehungen. Ihren politischen Einfluss stützt die schiitische Organisation wie andere islamistische Organisationen auch auf die soziale und karitative Betreuung ihrer Anhängerschaft. Dieses umfassende Betreuungssystem hatte die Hizb Allah mit finanzieller Unterstützung Irans aufbauen können. Im Emblem der Hizb Allah kommt die politische Ausrichtung zum Ausdruck. Es zeigt in arabischer Schrift den Namen der Organisation. Eine aus diesem Schriftzug erwachsende Faust hält eine Kalaschnikow, über der das Koranzitat "Die auf Gottes Seite stehen, werden Sieger sein" steht. Dies kann aber auch politisch als "Die Hizb Allah wird Sieger sein" gelesen werden. Die Unterzeile unter diesem Signet verweist auf die politische Zielrichtung: "Islamische Revolution im Libanon!". 4.11.2 Die Hizb Allah in Deutschland und in Niedersachsen Ungeachtet einer verbreiteten Sympathie unter den hier lebenden schiitischen Libanesen für die politischen und ideologischen Ziele der Hizb Allah tritt diese Organisation in der deutschen Öffentlichkeit kaum mit Aktivitäten in Erscheinung. Veranstaltungen, für die bundesweit geworben werden, haben in der Regel nur geringen Zulauf. Dennoch darf das Mobilisierungspotenzial der Hizb Allah in Deutschland nicht unterschätzt werden. Es ist 131 davon auszugehen, dass auch in Zukunft Aufrufe bzw. Weisungen des Generalsekretärs der Hizb Allah konsequent von seinen Anhängern umgesetzt werden. So rief bereits 2012 Hassan NASRALLAH auf einer Großkundgebung in Beirut zu Protest gegen den islamfeindlichen Film "Innocence of Muslims" auf. Im Anschluss daran wurden in verschiedenen deutschen Städten Demonstrationen durchgeführt, an denen zwischen 800 und 1.500 Personen teilnahmen. Die Anmelder wiesen einen Bezug zur Hizb Allah auf. In Niedersachsen sind Anhänger und Sympathisanten der Hizb Allah in mehreren Vereinen organisiert, die die Pflege und Verbreitung der libanesischen Kultur und die Ausübung ihrer Religion als Zweck und Ziel in der Satzung angegeben haben. So u. a. in Hannover, Osnabrück, Uelzen und in Südniedersachsen. Aktivitäten sind auch im niedersächsischen Umland Bremens zu beobachten. Die Vereine finanzieren sich hauptsächlich durch Mitgliedsbeiträge und Spendensammlungen. Die Anbindung an die Hizb Allah erfolgt über Funktionäre, die aus dem Libanon immer wieder zu herausragenden Anlässen anreisen, wie zum Beispiel dem Jahrestag des Abzugs der israelischen Armee aus dem Südlibanon oder zu hohen muslimischen Feiertagen. 4.12 Sonstige extremistische Organisationen mit Auslandsbezug In Niedersachsen sind neben islamistisch geprägten Organisationen weitere extremistische Organisationen mit Bezug zum Ausland aktiv. Die Aktivitäten dieser nichtislamistischextremistischen Organisationen werden im Wesentlichen von den aktuellen Ereignissen und Entwicklungen in den jeweiligen Bezugsstaaten bestimmt. Diese Organisationen betrachten Deutschland als sicheren Rückzugsraum, von dem aus gewaltsame Aktionen im Heimatland vorbereitet werden können. Dies geschieht z. B. durch Aufrufe zu Gewalt oder durch die Beschaffung finanzieller und sonstiger Mittel. Im Folgenden werden die für Niedersachsen bedeutsamen Organisationen näher vorgestellt. 132 4.13 Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) / Freiheitsund Demokratiekogress Kurdistans (KADEK) / Volkskongress Kurdistans (KONGRA GEL) / Gemeinschaft der Kommunen in Kurdistan (KKK) / Vereinigte Gemeinschaften Kurdistans (KCK) Gegründet 1978 in der Türkei Sitz: Nord-Irak Leitung: Abdullah ÖCALAN Mitglieder/Anhänger Bund Niedersachsen 2012: 13.000 2012: 1.600 2013: 13.000 2013: 1.600 Publikation Yeni Özgür Politika (Neue Freie Politik), werktäglich Serxwebun (Unabhängigkeit), monatlich Sterka Ciwan (Stern der Jugend) vormals Ciwanen Azad (Freie Jugend), monatlich Sender u. a. ROJ TV und Nuce TV103 Betätigungsverbot seit dem 26.11.1993 für die PKK104 Die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) wurde 1978 von Abdullah ÖCALAN in der Türkei gegründet. Sie benannte sich 2002 in Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistans (KADEK) und 2003 in Volkskongress Kurdistans (KONGRA GEL) um. Ab 2005 trat die PKK unter der Bezeichnung Gemeinschaften der Kommunen in Kurdistan (KKK) und seit 2007 unter Vereinigte Gemeinschaften Kurdistans (KCK) auf. Trotz zahlreicher Umbenennungen der PKK ist allen vorgenannten Organisationen gemein, dass der inhaftierte ÖCALAN als ihr Führer gilt. Ursprünglich durch marxistisch-leninistische Programmatik geprägt, vertritt die PKK heute eine kurdisch-nationalistische Ideologie. Sie verfolgte das Ziel, einen politisch autonomen Kurdenstaat auf türkischem, teilweise auch auf iranischem, irakischem, syrischem und armenischem Gebiet zu gründen. 103 Die PKK unterhält einen umfangreichen Propagandaapparat zu dem u. a. Fernsehsender gehören. Die Sender sind eng miteinander verzahnt, was sich z. B. an zahlreichen personellen Überschneidungen bei den Moderatoren und den Hintergrundstimmen zeigt. Die Produktionsfirma von Nuce TV ist in Belgien unter der früheren Adresse von ROJ TV registriert. 104 Gleiches gilt für die Organisationen Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistans (KADEK), Volkskongress Kurdistans (KONGRA GEL), Gemeinschaft der Kommunen in Kurdistan (KKK) und Vereinigte Gemeinschaften Kurdistans (KCK), bei denen es sich nach der Auffassung des Bundesministeriums des Innern um reine Umbenennungen handelt, für die das Verbot fortbesteht. 133 Am 15.02.1999 wurde ÖCALAN in Nairobi (Kenia) verhaftet und anschließend in der Türkei wegen Hochverrats zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. Aus dem Gefängnis heraus beeinflusst er die PKK immer noch maßgeblich. Die PKK kämpft in der Türkei seit 1984 mit ihrem militärischen Arm, den "Volksverteidigungseinheiten" (HPG), für einen unabhängigen Kurdenstaat. Zunächst richtete sich der bewaffnete Kampf dieser PKK-Guerilla gegen türkische Gendarmerieund Militäreinheiten. In den Folgejahren bekämpfte sie aber auch Teile der kurdischen Bevölkerung in der Türkei und u. a. auch in Deutschland, wenn diese sich der Programmatik der PKK und ihrem Alleinvertretungsanspruch widersetzten. In der Türkei verfolgt die PKK ihre Ziele bis heute mit Waffengewalt. Dies zeigen die bis in das Jahr 2012 andauernden Auseinandersetzungen zwischen türkischen Sicherheitskräften und der PKK-Guerilla sowie terroristische Anschläge in der Türkei.105 Damit gefährdet die Organisation die auswärtigen Belange der Bundesrepublik Deutschland, so dass eine Beobachtung nach SS 3 Absatz 1 Nr. 3 NVerfSchG erforderlich ist. Auch in Deutschland versuchte die PKK mit gewalttätigen Aktionen den Kampf in der Türkei zu unterstützen und ist nach wie vor bereit, militante Aktionen ihrer Anhänger, wie z. B. Brandanschläge auf türkische Einrichtungen, zumindest zu billigen. Damit ist die Organisation eine Bedrohung für die innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland (SS 3 Absatz 1 Nr. 1 NVerfSchG). Aus diesen Gründen untersagte 1993 das Bundesministerium des Innern der PKK, sich im Bundesgebiet zu betätigen. Das Betätigungsverbot umfasst auch die Organisationen KADEK, KONGRA GEL, KKK und KCK. Nach einem Beschluss des Rates der Europäischen Union vom 02.05.2002 wurde die PKK in die Liste terroristischer Organisationen ("EU-Terrorliste") aufgenommen. 4.13.1 Organisatorische Strukturen Civata Demokratik Kurdistan Der politische Arm der PKK in Europa, die Civata Demokratik Kurdistan (CDK) 106, unterliegt ebenfalls dem für die PKK geltenden vereinsrechtlichen Betätigungsverbot. Trotzdem unterhält sie ein verzweigtes Netz verdeckt handelnder Funktionäre, die Anordnungen und Vorgaben der Organisationsspitze an die nachgeordneten Hierarchieebenen zur Umsetzung weitergeben. An der Spitze dieser hierarchischen Strukturen stehen Funktionäre, die in der Regel von der Europaleitung der Organisation für einen begrenzten Zeitraum eingesetzt werden. Föderation kurdischer Vereine in Deutschland e. V. Deutschlandweit gehören ca. 45 kurdische Ortsvereine der der PKK nahe stehenden Föde105 Am 25.06.2012 berichtete die PKK-nahe Tageszeitung Yeni Özgür Politika (YÖP), dass am 19. und 20.06.2012 in der Region Hakkari bei Anschlägen über 100 türkische Soldaten sowie 14 Angehörige der HPG getötet worden sein sollen. 106 "Koordination der kurdisch-demokratischen Gesellschaft in Europa". 134 ration kurdischer Vereine in Deutschland e. V. (YEK-KOM) an. Die YEK-KOM ist eingebettet in die in Belgien ansässige europäische Dachorganisation Konföderation der kurdischen Vereine in Europa (KON-KURD), welche sich im Rahmen ihres 19. Kongresses am 06. und 07.07.2013 in Belgien in Kurdischer Demokratischer Gesellschaftskongress in Europa (KCD Ewrupa, türkisch: Avrupa Demokratik Kürt Toplum Kongresi) umbenannte. Die YEK-KOM initiiert regelmäßig über ihre Ortsvereine öffentlichkeitswirksame Aktionen, die sich jeweils auf aktuelle Geschehnisse (z. B. Exekutivmaßnahmen gegen PKK-nahe Einrichtungen, angebliche Leichenschändungen des türkischen Militärs an getöteten PKKGuerillakämpfern) oder bestimmte Jahrestage (etwa den Gründungstag der PKK) beziehen. Die YEK-KOM ist nicht vom PKK-Betätigungsverbot betroffen. Ihre Ortsvereine agieren aber häufig als Anmelder von Veranstaltungen mit Bezug zur politisch-ideologischen Zielsetzung der PKK. In Niedersachsen existieren YEK-KOM-Vereine in Hannover, Hildesheim, Lohne, Osnabrück, Peine und Salzgitter. Die YEK-KOM organisierte mit Hilfe der Ortsvereine auch 2013 zahlreiche Veranstaltungen. Hier ist besonders das unter dem Motto "Freiheit für ÖCALAN - Frieden in Kurdistan" in Dortmund am 21.09.2013 veranstaltete 21. Kurdistan-Festival, das jährlich Besucher aus ganz Europa anzieht, hervorzuheben. Unter den ca. 25.000 Besuchern (2012: 40.000 Besucher) befanden sich auch zahlreiche Personen aus Niedersachsen. Jugendorganisation Der PKK-Jugendorganisation KOMALEN CIWAN (KC) ist das "16. Mazlum-Dogan Jugend-, Kulturund Sportfestival" zuzurechnen, das am 17.08.2013 in Brüssel (Belgien) mit ca. 1.500 Teilnehmern (2012: ca. 3.000) stattfand. Die Propagandaveranstaltung soll an den gleichnamigen Funktionär der PKK erinnern, der sich 1982 in türkischer Haft das Leben nahm und seitdem als Märtyrer verehrt wird. Zur Veranstaltung gehörten neben sportlichen Wettkämpfen und einem kulturellen Rahmenprogramm auch politische Redebeiträge. Sonstige Massenorganisationen Weitere PKK-nahe Massenorganisationen geben vor, die Interessen etlicher gesellschaftlicher Gruppen zu vertreten, so beispielsweise die der kurdischen Lehrer (Union der kurdischen Lehrer/YMK), der Studenten (Verband der Studierenden aus Kurdistan/YXK), der Journalisten (Union der Journalisten Kurdistans/YRK), der Juristen (Union der Juristen Kurdistans/YHK) sowie der Muslime (Islamische Gemeinde Kurdistans/CIK). Diese Organisationen sind auch in Niedersachsen aktiv. 4.13.2 Finanzierung Die Beschaffung von Geld stellt nach wie vor eine der größten Herausforderungen der PKK dar. Der Propagandaapparat, wie die Fernsehsender ROJ TV bzw. Nuce TV oder die Publikationen, muss ebenso finanziert werden wie die politischen Kampagnen, die Unterorganisationen und die Guerilla-Armee. Hierzu dient vor allem die jährlich stattfindende Spendenkampagne. Überdies werden Einkünfte auch durch Mitgliedsbeiträge, den Verkauf von Zeitschriften und den Erlös aus dem Verkauf von Eintrittskarten zu Großveranstaltungen erzielt. Im 135 Jahr 2013 lag der Ertrag allein in Deutschland wiederholt bei mehreren Millionen Euro. Die Spendenbereitschaft der kurdischen Bevölkerung ist im Jahr 2013 aufgrund der aktuellen politischen Situation in der Türkei und in Syrien (s. Ziffer 4.13.7) gewachsen. 4.13.3 Friedensprozess zwischen der PKK und dem türkischen Staat Die seit Ende 2012 geführten Verhandlungen zwischen ÖCALAN und Vertretern der türkischen Regierung mündeten im Rahmen des Newroz-Festes am 21.03.2013 in einem schriftlichen Aufruf ÖCALANs zu einem zunächst einseitigen Waffenstillstand seitens der PKK sowie einem Abzug der PKK-Kämpfer aus dem Gebiet der Türkei. Von der Regierung forderte er im Gegenzug politische Verhandlungen und eine Demokratisierung der Türkei. Anfang Oktober stellte die türkische Regierung ein "Demokratisierungspaket" vor, das PKKnahe Kreise jedoch als ungeeignet, den Friedensprozess voranzutreiben, zurückwiesen. Der Vorsitzende des Exekutivrates der KCK, Cemil BAYIK, erklärte einem Bericht der YÖP vom 23.10.2013 zufolge, dass das Ende des gegenwärtigen Friedensprozesses zwischen der PKK und dem türkischen Staat erreicht sei, wenn es keine Garantie für Verfassungsänderungen gebe und drohte mit der Rückkehr der PKK-Guerillaeinheiten aus dem Nordirak in die Türkei: "Entweder sie akzeptieren substanzielle Verhandlungen mit der Kurdischen Freiheitsbewegung oder in der Türkei bricht ein Bürgerkrieg aus." Er forderte zudem eine Verbesserung der Haftbedingungen des inhaftierten ÖCALAN sowie die Beteiligung einer nicht näher konkretisierten "dritten Seite", die den Friedensprozess beobachten solle. 4.13.4 Ermordung von drei PKK-Aktivistinnen in Paris Am 09.01.2013 wurden im Kurdischen Informationsbüro in Paris die drei PKK-Aktivistinnen Sakine CANSIZ, Fidan DOGAN und Leyla SAYLEMEZ durch gezielte Kopfschüsse getötet. CANSIZ war eine hochrangige Funktionärin und Mitbegründerin der PKK. Sie kämpfte u. a. in der kurdischen Guerilla, war Führungskader in Norddeutschland und saß im Jahr 2007 kurzfristig in Hamburg in Haft. Am 21.03.2009 nahm sie an der zentralen Newroz-Veranstaltung in Hannover teil. Bei dem mutmaßlichen Täter soll es sich um einen PKK-Aktivisten handeln. Der türkische Staatsbürger, der bis 2011 in Deutschland lebte, war seit November 2012 Mitglied in einem PKK-nahen Kulturverein und hatte Zugang zum Kurdischen Informationsbüro. In der Folge der Morde versammelten sich am 10.01.2013 ca. 1.500 Personen am Tatort in Paris. An einer weiteren Demonstration am 12.01.2013 nahmen 15.000 Kurden (nach eigenen Angaben: etwa 100.000) teil, die aus umliegenden europäischen Ländern, so auch aus Niedersachsen, angereist waren. Am 26.01.2013 fand in Paris zudem eine zentrale Großkundgebung kurdischer Jugendlicher statt. Auch in rund 30 Städten in Deutschland wurden Veranstaltungen aus Anlass der Morde durchgeführt, so u. a. am 12.01.2013 mit 2.300 Teilnehmern in Hannover (vom Kurdistan Volkshaus e. V. Hannover angemeldet) und am 26.01.2013 mit 300 Teilnehmern in Salzgitter. Im Rahmen einer im Internet veröffentlichten Erklärung rief die KC zu Vergeltungsschlägen auf. 136 Nuce TV berichtete am 23.01.2013 über einen Aufruf der YEK-KOM, unter deren Federführung jeden Freitag vor allen französischen Konsulaten in Deutschland bis zur Aufklärung der Morde Aktionen durchgeführt werden sollen. Seit dem 31.01.2013 führt das Kurdistan Volkshaus e. V. Hannover regelmäßig donnerstags Mahnwachen vor dem französischen Honorarkonsulat in Hannover durch. 4.13.5 Weitere Aktivitäten in Niedersachsen Aufgrund eines Beschlusses des Amtsgerichtes Lüneburg durchsuchte die Polizeidirektion Hannover am 10.03.2013 das Kurdistan Volkshaus e. V. Hannover. Es bestand der Verdacht, dass eine Spendenkampagne für die PKK aus den Räumen des Vereins von einem führenden PKK-Funktionär organisiert worden sei. Es wurden u. a. 23 KCK-Spendenquittungen in Höhe von insgesamt mehr als 4.000 Euro sowie diverse PKK-Propagandamaterialien beschlagnahmt und acht Ermittlungsverfahren gem. SS 20 Vereinsgesetz (Zuwiderhandlung gegen Verbote) eingeleitet. In einer Erklärung vom 11.03.2013 verurteilte die YEK-KOM die Durchsuchung als "erneute polizeiliche Willkürmaßnahme": "Diese Razzia hat noch einmal die Zusammenarbeit der deutsch-türkischen Polizei im Kampf gegen die kurdische Freiheitsbewegung unterstrichen. Unser Verein in Hannover wurde in der Vergangenheit des Öfteren Opfer deutscher Polizeigewalt. Diese Razzia hat keine juristische oder legale Grundlage. Die Vorgehensweise einiger Polizeibeamter zeigt, dass sie den Friedensprozess zwischen der Türkei und der PKK sowie mit Abdullah Öcalan nicht befürworten und diese mit ihrer Art und Weise der politisch gerichteten Razzia beschädigen wollen." Auch der Vorstand des Kurdistan Volkshauses e. V. Hannover äußerte Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Maßnahme. Das Kurdistan Volkshaus e. V. Hannover führte am 16.03.2013 einen Infotisch in der Innenstadt von Hannover durch, um neue Mitglieder zu werben und Unterschriften im Rahmen der seit September 2012 laufenden Kampagne "Freiheit für ÖCALAN" zu sammeln. Im Verlauf der Veranstaltung kam es zu Streitigkeiten mit einer Gruppe türkischstämmiger Männer, bei der eine türkische Person durch einen Messerstich verletzt wurde. Gegen mehrere Personen wurden Ermittlungsverfahren wegen gefährlicher Körperverletzung nach SS 224 Strafgesetzbuch (StGB) eingeleitet. 4.13.6 ROJ TV meldet Konkurs an Der von Dänemark aus arbeitende PKK-nahe TV-Sender ROJ TV hat Konkurs angemeldet. In einer Pressemitteilung des Senders, heißt es, der Schritt sei eine direkte Folge eines Urteils vom 03.07.2013, mit dem das Landgericht Kopenhagen den Mediengesellschaften ROJ TV A/S und Mesopotamia Broadcast METV A/S die Sendelizenzen für die Fernsehsender ROJ TV und NUCE TV sowie den Musiksender MMC entzogen hatte. Beide Gesellschaften wurden zu einer Geldbuße in Höhe von umgerechnet etwa 1,4 Millionen Euro wegen Verstoßes gegen die Antiterrorgesetze verurteilt. 137 4.13.7 Situation in Syrien Ende Juli 2012 brachen im türkisch-syrischen Grenzgebiet heftige Kämpfe zwischen den beiden zum al-Qaida-Netzwerk zählenden jihadistischen Gruppierungen al-Nusra-Front und Islamischer Staat im Irak und Syrien (ISIS) und den "Volksverteidigungseinheiten" (YPG) der Partiya Yekitiya Demokrat (Partei der demokratischen Einheit, PYD) - dem syrischen Zweig der PKK - aus. In Folge eines Attentates am 30.07.2013 auf einen bekannten kurdischer Politiker in Qamishli (Grenzort zwischen Syrien und der Türkei), rief die YPG u. a. über den PKK-nahen Fernsehsender Nuce TV zu verstärkter militärischer Mobilisierung und der Bewaffnung kurdischer Jugendlicher gegen die al-Nusra Front und al-Qaida auf. Die KCK-Führung verurteilte den "niederträchtigen Anschlag" und rief ihrerseits alle Kurden dazu auf, die "Revolution in Rojava" moralisch und praktisch zu unterstützen107. Das Kurdistan Volkshaus e. V. Hannover führte im Namen der PYD am 03.08.2013 eine Kundgebung zum Thema "Solidarität "gegen" die Islamisten in Westkurdistan" mit etwa 450 Teilnehmern durch. Polizeiangaben zufolge war bei den Teilnehmern im Alter von 18 bis 30 Jahren ein aggressives Grundpotenzial feststellbar. Deutschlandweit fanden themengleiche Veranstaltungen u. a. am 10.08.2013 in Berlin, Bremen und Kassel statt. Die YEK-KOM rief zur Teilnahme an den Protestveranstaltungen auf. 4.13.8 Ausblick Die Tätigkeit der PKK ist in Europa auf die politische und materielle Unterstützung des Kampfes in der Heimat ausgerichtet. Die Beschaffung finanzieller Mittel für die Ausrüstung und Bewaffnung des militärischen Arms, für die Unterhaltung des Parteiapparates und seiner medialen Plattformen sowie die Durchführung der Parteiaktivitäten bilden daher in Europa und insbesondere in Deutschland auf allen Organisationsebenen einen Schwerpunkt. Die PKK verfolgt grundsätzlich weiterhin eine Doppelstrategie. Außerhalb der Türkei versucht sie, mit weitgehend gewaltfreien Protestaktionen auf die Lage der Kurden in der Türkei und insbesondere auf die Haftsituation ÖCALANs aufmerksam zu machen, wobei sie auch gewalttätige Aktionen in Kauf nimmt. In der Türkei hingegen soll mit der Fortsetzung des bewaffneten Kampfes in den Grenzgebieten zu Irak, Iran und Syrien sowie durch terroristische Anschläge in türkischen Großstädten Druck auf den Staatsapparat ausgeübt werden. Erfolgsaussichten und Ernsthaftigkeit des Friedensplans zwischen der PKK und der türkischen Regierung können nach wie vor nicht abschließend bewertet werden. Sollten die Friedensverhandlungen allerdings abrupt beendet werden oder weiter ins Stocken geraten, könnte sich dies auch auf die Sicherheitslage in Deutschland negativ auswirken. Schwere Anschläge in Deutschland sind gegenwärtig allerdings nicht zu erwarten. Nach wie vor können Entwicklungen in der Heimatregion auch unmittelbare Reaktionen bei den in Niedersachsen lebenden PKK-Anhängern hervorrufen. Die Sicherheitslage in Deutschland hängt somit auch von der Entwicklung in der Türkei und dem Nordirak ab. Veranstaltungstypische Gewaltstraftaten, insbesondere gegen türkische Nationalisten und auch gegen Polizeibeamte, wären in Betracht zu ziehen. Auch vereinzelte zumeist anlassbezogene Straftaten wie Brandstiftungen, vor allem durch Jugendliche, 107 YÖP vom 01.08.2013, Seiten 1 und 4. 138 müssten einkalkuliert werden. 4.14 Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE, Befreiungstiger von Tamil Eelam) Gegründet 1972 in Sri Lanka Leitung: zurzeit vakant (bis Mai 2009 Velupillai PRABHAKARAN) Deutschlandleiter: John Pillai SRIRAVINDRANATHAN Mitglieder/Anhänger Bund Niedersachsen 2012: 1.000 2012: 150 2013: 1.000 2013: 150 Publikation Tamil - Land An der Front Das Land ist der Nabel Vulkan Die Befreiungstiger von Tamil Eelam verfolgen das Ziel, ein von ihnen kontrolliertes Staatsgebilde ("Tamil Eelam") im Nordosten Sri Lankas zu errichten. Dabei gehen sie auf gewaltsame Weise gegen srilankische und indische Ziele vor. Sie gehören zu den extremistischen Gruppen, die besonders häufig von Selbstmordattentaten Gebrauch machen. Die LTTE ist seit Mai 2006 auf der EU-Liste terroristischer Organisationen ("EU-Terrorliste") verzeichnet. Durch ihre terroristischen Aktivitäten im Ausland gefährdet die LTTE die auswärtigen Belange der Bundesrepublik Deutschland und wird daher nach SS 3 Abs. 1 Nr. 3 NVerfSchG beobachtet. 4.14.1 Ursprung und Entwicklung Der 1983 begonnene militärische Konflikt geht auf die britische Kolonialzeit zurück, in der sich die in Sri Lanka, dem früheren Ceylon, dominierende singhalesisch-buddhistische Mehrheitsbevölkerung (72 Prozent) und die Minderheit der überwiegend hinduistischen Tamilen (18 Prozent) feindlich gegenüberstanden. Der 1976 aus einer revolutionärmarxistischen Organisation hervorgegangenen LTTE gelang es, tamilische Konkurrenzorganisationen in blutigen Auseinandersetzungen auszuschalten und sich gleichzeitig als Verteidiger der Tamilen gegen Übergriffe der singhalesischen Mehrheit zu profilieren. Diese ursprüngliche Zielsetzung wurde allmählich von einer tamilisch-nationalistischen Ausrichtung überlagert. In dem anschließenden, sich bis Mai 2009 hinziehenden Bürgerkrieg zwischen Zentralregierung und LTTE kamen über 80.000 Menschen ums Leben. Nach der Ausschaltung der gesamten LTTE-Führungsebene auf Sri Lanka kann eine Restrukturierung nur über die weltweit verbreitete tamilische Diaspora erfolgen, in der sich zwei Flügel heraus139 gebildet haben. Die so genannten Hardliner halten das Erreichen ihres Zieles - ein unabhängiges "Tamil Eelam" - nur durch die Wiederaufnahme des bewaffneten Kampfes für möglich. Der moderate Flügel möchte einen selbstständigen Staat auf politischem und gewaltfreiem Wege erreichen. Hierzu wurde bereits 2010 eine Transnationale Regierung (Transnational Government of Tamil Eelam-TGTE) gegründet. 4.14.2 Aktivitäten in Deutschland Veranstaltungen der LTTE, die im Bundesgebiet hauptsächlich durch das Tamil Coordination Committee (TCC) mit Sitz in Oberhausen vertreten wird, orientieren sich häufig an der Zielsetzung, finanzielle Unterstützung für den politischen und militärischen Kampf, aber auch für humanitäre Zwecke in Sri Lanka zu erhalten. So fordert die LTTE die in Deutschland lebenden ca. 61.000 Tamilen, davon 5.000 in Niedersachsen, immer wieder zu Spenden auf. Bei ihren Spendensammlungen, die von den örtlichen Repräsentanten geleitet werden, bedient sich die Organisation der folgenden, ihr nahe stehenden Organisationen: Tamil Youth Organization (TYO), Sitz in Hamm, Tamil Rehabilitation Organization (TRO), Sitz in Wuppertal, Tamil Student Organization (TSO), Sitz in Neuss, Tamilische Bildungsvereinigung (TBV), Sitz in Stuttgart. Auch 2013 fanden bundesweit zahlreiche Demonstrationen unter Beteiligung tamilischstämmiger Personen statt. Eine am 12.02.2013 in London gestartete Kampagne unter dem Motto "TamilVan - eine europaweite Kampagne für Gerechtigkeit der Eelam Tamilen in Sri Lanka" führte mit einem Wohnmobil durch verschiedene europäische Länder. In Niedersachsen machte das Wohnmobil in Hannover und Osnabrück Halt. Die Kampagne endete am 04.03.2013 anlässlich einer Kundgebung vor dem UN-Gebäude in Genf. An ihr nahmen mehrere tausend Anhänger der LTTE aus Europa teil. Traditionell feiern die Anhänger der LTTE am 27. November eines jeden Jahres den "Heldengedenktag", um ihrer im Kampf für einen unabhängigen Tamilienstaat getöteten Kämpfer zu gedenken. Der 27. November war der Geburtstag des 2009 durch die sri-lankische Armee getöteten LTTE-Führers PRABAKHARAN. An der Veranstaltung am 27. November in Dortmund nahmen ca. 3.500 Personen u.a. auch aus Niedersachsen teil. Um auch den berufstätigen Anhängern Gelegenheit zu bieten, ihrer Helden zu gedenken, wurden zwei Ausweichveranstaltungen am darauffolgenden Wochenende in München und Stuttgart angeboten Am 18.05.2013 beteiligten sich ca. 850 Tamilen (2012: 800) in Düsseldorf an einer vom Volksrat der Eelam Tamilen Deutschland e. V. (VETD) und der Tamilischen Jugendorganisation Deutschland e.V. (TYO) veranstalteten friedlich verlaufenen Demonstration zum "Tag der Kriegsverbrechen". Weitere Veranstaltungen zu diesem Thema fanden am 18.05.2013 in Bielefeld, Essen und Hannover sowie am 20.05.2013 in Berlin statt. Der "War Crimes Day" stellt neben dem Heldengedenktag am 27. November seit dem Kriegsende das wichtigste Ereignis für die LTTE dar. 140 Wie auch in den Vorjahren fanden am 23.07.2013 in mehreren deutschen Städten Kundgebungen zum Gedenken an den 23.07.1983108 statt. 108 Am 23.07.1983 (später als "Black July" benannt) begann das von der singhalesischen Mehrheitsbevölkerung auf Sri Lanka verübte antitamilische Pogrom, in dessen Verlauf tausende Tamilen getötet wurden. 141 5. Scientology-Organisation Sitz: Los Angeles, Kalifornien/USA Präsident: David MISCAVIGE (Leiter der obersten ScientologyVerwaltung/"RTC") Gründer: Lafayette Ron HUBBARD (1911-1986) Mitglieder Bund Niedersachsen 2012: 3.500 - 4.500 2012: ca. 400 2013: 3.000 - 4.000 2013: ca. 400 Publikation "Freiheit", "Impact", "The Auditor", "Dianetik Post", "Free Mind", "International Scientology News", "Advance" u. a. 5.1 Entstehung der SO Der amerikanische Buch-Autor Lafayette Ron HUBBARD veröffentlichte 1950 sein Buch mit dem Titel "Dianetik - Die moderne Wissenschaft der geistigen Gesundheit" und legte damit den Grundstein der Scientology-Organisation (SO). Er entwickelte eine Selbsthilfemethode, die "ungenutztes geistiges Potential" freisetzen und wahre "Fähigkeiten" verwirklichen sollte. 1954 gründete HUBBARD die erste offizielle Scientology-Kirche in Los Angeles. 1970 erfolgte die Gründung der ersten Niederlassung in Deutschland. 5.2 Zielsetzung und verfassungsfeindliche Bestrebungen Die Scientology-Organisation strebt als Fernziel eine von ihr beherrschte Gesellschaftsordnung an, in der wesentliche Grundund Menschenrechte außer Kraft gesetzt oder eingeschränkt werden sollen. Scientology sieht sich selbst als eine "Erlösungsreligion". Das Ziel ist ein allein an scientologischen Wertvorstellungen orientiertes totalitäres Herrschaftssystem. Es soll durch Expansion in alle staatlichen und gesellschaftlichen Bereiche erreicht werden. Das Mittel dazu ist die Technologie109 der SO, deren Kernstück das so genannte Auditing ist, eine Methode zur 109 Mit Hilfe der das System Scientology tragenden Techniklehre soll ein Mensch wissenschaftlich nachvollziehbar die "Handhabung des Lebens" lernen können. Diese Technik geht davon aus, dass jeder Mensch wie eine Maschine zu bedienen ist. Der durch die scientologischen Verfahren zu erzeugende neue Mensch, der Scientologe, ist nach HUBBARD ein "Produkt", das durch spezielle Übungen vom noch unvollkommenen bis zum vollkommenen Produkt gebracht werden muss. 142 Bewusstseinsund Verhaltenskontrolle. Die auf den Schriften ihres Gründers HUBBARD beruhende Ideologie besitzt innerhalb der Organisation unveränderliche Gültigkeit. Die Schriften und Aktivitäten der SO enthalten tatsächliche Anhaltspunkte, dass die SO die bestehende demokratische und rechtstaatliche Ordnung durch die Etablierung einer Gesellschaft mit scientologisch bestimmten Normen ersetzen und lenkenden Einfluss auf Regierungen ausüben will. 5.3 Scientology in Deutschland und Niedersachsen Scientology ist in Deutschland weiterhin präsent. Die Einrichtungen der SO sind überwiegend als eingetragene Vereine organisiert. Als Dachverband fungiert die Scientology Kirche Deutschland e. V. mit Sitz in München. Schwerpunkte der scientologischen Aktivitäten in Deutschland sind Baden-Württemberg, Bayern und Hamburg. Neben den offiziellen Scientology-Zentren in Deutschland präsentiert sich die Organisation mit einem umfangreichen Internetauftritt. Sie ist dort auch mit SO-Tarnorganisationen vertreten, zu denen u. a. "Jugend für Menschenrechte" sowie "Sag nein zu Drogen - sag ja zum Leben" zählen. Mit entsprechenden Videoclips auf YouTube versucht die SO mit gesellschaftlich anerkannten Themen, wie der Verbreitung und Durchsetzung moralisch hoher Werte sowie elementarer Rechte, arglose Nutzer anzusprechen. Soziale Netzwerke wie Facebook, Twitter und SchülerVZ dienen verstärkt als Medium für eine direkte Kontaktanbahnung. Auch hier sind die Zielgruppe in erster Linie Jugendliche, die nicht wie bisher durch zeitund personalintensive Werbemaßnahmen auf der Straße, sondern direkt über das Internet am heimischen Computer erreicht werden können. In Niedersachsen entfaltet die SO keine nennenswerten Aktivitäten und ist kein regionaler Schwerpunkt im Gesamtgefüge der Organisation in Deutschland. Die "Org" 110 Hannover firmiert vereinsrechtlich unter der Bezeichnung "Scientology Gemeinde Hannover". Zu den wenigen Aktivitäten der niedersächsischen Scientologen gehören in erster Linie die Durchführung von Infoständen in der Innenstadt von Hannover, an denen Werbebroschüren verteilt und der so genannte E-Meter, eine Art Lügendetektor, vorgeführt werden. In anderen Orten Niedersachsens werden die Infostände zumeist organisatorisch durch die "Scientology Kirche Hamburg" durchgeführt. Die "Org" Hannover wird nur von einem sehr begrenzten Personenkreis regelmäßig aufgesucht. Die vor Jahren von der Organisation gefassten Expansionsziele in Deutschland konnten in Niedersachsen nicht realisiert werden. In Niedersachsen bietet der Verfassungsschutz den Kommunen Beratung auch im Zusammenhang mit Sondernutzungserlaubnissen für Informationsstände der SO an. 110 Interne SO-Abkürzung für Organisation. 143 6. Spionageabwehr 6.1 Einführung Die Bundesrepublik Deutschland ist aufgrund ihrer geopolitischen Lage, ihrer Rolle in der EU und der NATO sowie als Standort zahlreicher Unternehmen der Spitzentechnologie attraktives Aufklärungsziel fremder Geheimdienste. Niedersachsen ist insbesondere als erfolgreicher Wirtschaftsstandort Ziel entsprechender Spionageaktivitäten. Vermeintliche Hauptträger dieser Spionageaktivitäten waren bisher die Russische Föderation, die Volksrepublik China, aber auch der Iran. Seit den Veröffentlichungen von Edward Snowden über die Aktivitäten z. B. von amerikanischen und britischen Geheimdiensten in Deutschland ist diesbezüglich ein Umdenken erforderlich. Es muss zur Kenntnis genommen werden, dass neben den bisher bekannten Hauptträgern auch die Geheimbzw. Nachrichtendienste der engsten Verbündeten der Bundesrepublik Deutschland möglicherweise systematisch und in einem bisher nicht erahnten Ausmaß Spionage in und gegen Deutschland betreiben. Deutlich geworden ist, dass die deutsche Spionagewehr ihre Aktivitäten nicht auf die "klassischen" Gegner beschränken darf. Im Gegensatz zum deutschen Verfassungsschutz, der lediglich Spionageabwehr betreibt, haben andere Geheimbzw. Nachrichtendienste in der Regel eine gesetzliche Legitimation und auch den Auftrag für eine aktive Spionage, großenteils sogar für eine gezielte Wirtschaftsspionage, dem sie mutmaßlich auch in Deutschland konsequent nachkommen. Die Geheimdienste sind in unterschiedlicher Personalstärke u. a. an den jeweiligen amtlichen Vertretungen (z. B. Botschaften, Generalkonsulate) in Deutschland präsent und unterhalten dort Stützpunkte. Geheimdienstmitarbeiter können dort als Diplomaten getarnt werden und betreiben entweder selbst Informationsbeschaffung oder leisten Unterstützung bei geheimdienstlichen Operationen ihrer Zentralen. Die Schwerpunkte ihrer Beschaffungsaktivitäten orientieren sich an politischen Vorgaben oder wirtschaftlichen Prioritäten in ihren Heimatstaaten. In Niedersachsen ist in diesem Zusammenhang die Ausspähung und Unterwanderung von ansässigen Organisationen und Personen, die in Gegnerschaft zu den Regierungen in ihren Heimatländern stehen, von größerer Bedeutung. Aber nicht nur Regimegegner, staatliche Stellen und Wirtschaftsunternehmen, sondern alle niedersächsischen Bürger mit tatsächlichem oder vermutetem Zugang zu entsprechenden Informationen können im Inund Ausland Ziel geheimdienstlicher Aktivitäten werden. Daneben bemühen sich einige Staaten wie z. B. der Iran weiterhin intensiv darum, in den Besitz von Technologien und Gütern für atomare, biologische oder chemische Massenvernichtungswaffen mit den erforderlichen Trägersystemen zu gelangen. Auch innovative niedersächsische Firmen geraten immer wieder in den Fokus ausländischer Vermittler, die mit 144 Geheimdiensten zusammenarbeiten. Um Kontrollmaßnahmen zu umgehen, wurden die illegalen Methoden weiter verfeinert, z. B. durch Beschaffung von Dual-use-Gütern111 oder die Anlieferung über Drittländer. Eine rasant wachsende Bedeutung erlangen internetgebundene Angriffe auf Computersysteme von Forschungseinrichtungen, Wirtschaftsunternehmen und Regierungsstellen. Angesichts der ausgewählten Ziele und der angewandten Methoden erscheint eine geheimdienstliche Steuerung oder zumindest Beteiligung in vielen Fällen als sehr wahrscheinlich. Der Arbeitsbereich Spionageabwehr im Niedersächsischen Verfassungsschutz hat den gesetzlichen Auftrag, alle Informationen über diese sicherheitsgefährdenden oder geheimdienstlichen Aktivitäten zu sammeln und Spionage sowie Proliferation112 zu verhindern. Dabei geht es insbesondere darum, den Schutz der in Niedersachsen lebenden Bürgerinnen und Bürger zu gewährleisten und den Politikund Wirtschaftsstandort Niedersachsen zu schützen. Im Bundesgebiet wurden durch den Generalbundesanwalt (GBA) im Jahr 2013 insgesamt 19 Ermittlungsverfahren im Bereich Spionage und Proliferation neu eingeleitet. Davon werden 15 Verfahren wegen des Verdachts der geheimdienstlichen Agententätigkeit (SS 99 StGB) geführt, zwei Verfahren wegen landesverräterischer Ausspähung von Staatsgeheimnissen (SS 96 StGB) sowie zwei Verfahren wegen des Verdachts des Verstoßes gegen das Außenwirtschaftsbzw. Kriegswaffenkontrollgesetz. Durch Wirtschaftsspionage entsteht in Deutschland jährlich ein Schaden in Milliardenhöhe. Daher war auch 2013 die Sensibilisierung, Information und Aufklärung von niedersächsischen Firmen eine wichtige Aufgabe des Verfassungsschutzes. 6.2 Geheimdienste der Russischen Föderation (RF) Trotz guter politischer Beziehungen zur Bundesrepublik Deutschland verzichtet Russland auch weiterhin nicht auf eine Aufklärung Deutschlands mit geheimdienstlichen Mitteln. Das belegt der Fall zweier mutmaßlicher hauptamtlicher Mitarbeiter des russischen Auslandsnachrichtendienstes SWR, die wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit nach SS 99 StGB in Tateinheit mit geheimdienstlicher Agententätigkeit gegen den NATO-Vertragsstaat Königreich der Niederlande am 02.07.2013 verurteilt wurden. Das OLG Stuttgart (Az.: 4b-3 StE 5/12) verhängte Freiheitsstrafen von 6 Jahren und 5 Monaten bzw. 5 Jahren und 5 Monaten. Zur Abschöpfung des aus der Tat erlangten Agentenlohns hatte das Gericht zudem einen Wertersatzverfall in Höhe von 500.000 Euro angeordnet. Das Gericht sah als erwiesen an, dass das Ehepaar A. seit mehr als 20 Jahren in Deutschland für den russischen Nachrichtendienst geheimdienstlich tätig gewesen war. Die Eheleute waren 1988 und 1990 als vorgebliche österreichische Staatsangehörige südamerikanischer Herkunft unter den Aliasnamen Andreas und Heidrun A. in die Bundesrepublik Deutschland ein111 Hierbei handelt es sich um Produkte, die sowohl für zivile als auch für militärische Zwecke verwendbar sind. 112 Proliferation ist die Weiterverbreitung von ABC-Waffen und Trägersystemen; siehe auch Kapitel 6.5. 145 gereist. Unter dieser mit falschen österreichischen Ausweispapieren untermauerten Legende bauten sie sich eine bürgerliche Existenz auf, mit der sie ihre geheimdienstliche Tätigkeit tarnten. Die Verurteilten hatten die Aufgabe, Informationen über die politische und militärpolitische Strategie der EU und der NATO zu gewinnen. Zu diesem Zweck führten sie von Oktober 2008 bis August 2011 als geheimdienstliche Instrukteure einen weiteren Agenten, der ihnen aus dem niederländischen Außenministerium amtliche Dokumente über EUund NATO-Angelegenheiten lieferte. Diese leitete Andreas A. über so genannte tote Briefkästen an seine Zentrale weiter. Bis zu ihrer Festnahme am 18.10.2011 beschaffte das Ehepaar darüber hinaus auch Informationen über allgemeinund sicherheitspolitische Aspekte der Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland, der EU und der NATO zu Russland. Während der gesamten Dauer ihrer geheimdienstlichen Tätigkeit stand das Ehepaar in regelmäßigem Kontakt mit ihrer Führungsstelle. Ihre Anweisungen erhielten sie hauptsächlich mittels Agentenfunk113. Ihre Meldungen an die Geheimdienstzentrale übermittelten sie hingegen per Satellitenübertragung, für versteckte Botschaften nutzten sie ein Internetvideoportal. Für ihre Agententätigkeit erhielten sie feste Bezüge, die sich in den letzten Jahren auf knapp 100.000 Euro pro Jahr beliefen. Die politische Informationsbeschaffung steht unverändert im Vordergrund der Bemühungen russischer Geheimdienste. So besteht u. a. ein ständiges Interesse an Informationen über die Entwicklung der EU. Im militärischen Bereich gilt das Interesse Veranstaltungen, bei denen die Umgestaltung und Umrüstung der Bundeswehr oder die Schaffung gemeinsamer europäischer Streitkräfte sowie die technischen Anforderungen an die Verteidigungsindustrie thematisiert wurden. Außerdem interessierten sich die Dienste für die militärische Infrastruktur in Deutschland, für wehrtechnische Neuentwicklungen sowie militärisch nutzbare Zivilschutztechnik. Im wissenschaftlich-technologischen Sektor liegt der Schwerpunkt der Aktivitäten auf der Beschaffung von Informationen über Computer-, Telekommunikationsund Sicherheitstechnik sowie von Produkten aus den Bereichen Messtechnik, Luftund Raumfahrt. Die Informationsbeschaffung erfolgt zum einen durch Auswertung offener Quellen und den Besuch von Industriemessen und öffentlichen Vortragsveranstaltungen, zum anderen aber auch konspirativ aus den diplomatischen und konsularischen Vertretungen der RF mit ihren Legalresidenturen114. In Niedersachsen gibt es keine Konsulate der RF. Für das Landesgebiet ist die Botschaft in Berlin zuständig. Die als Diplomaten getarnten hauptamtlichen Mitarbeiter der russischen Geheimdienste steuern aus diesen Residenturen heraus ihre Aktivitäten. Vor allem der völkerrechtliche Status der offiziellen Auslandsvertretungen bietet den Angehörigen der Geheimdienste die Rahmenbedingungen für Spionageaktivitäten in Deutschland. Dazu zählen z. B. der Diplomatenstatus als "Türöffner" bei der Aufnahme von Kontakten aller Art sowie die diplomatische Immunität und der damit verbundene Schutz vor Strafverfolgung. Die Bandbreite der entwickelten Aktivitäten reicht von der offenen Informationsgewinnung über die Führung vertraulicher Verbindungen bis hin zur geheimen Agentenführung. 113 Hierbei handelt es sich um das Versenden und/oder Empfangen von Nachrichten im Kurzwellenbereich. 114 Stützpunkt eines fremden Geheimdienstes in einer offiziellen (z. B. Botschaft, Generalkonsulat) oder halboffiziellen (z. B. Presseagentur, Fluggesellschaft) Vertretung seines Landes im Gastland. 146 6.2.1 Vorsicht bei Reisen Auch Touristen, Geschäftsreisende und das Personal von Hilfsorganisationen oder deutschstämmige Aussiedler stehen im Fokus russischer Geheimdienste. Die Daten dieser Personen werden bereits bei Visabeantragung erfasst, so dass jeder Reisende stets damit rechnen muss, von russischen Geheimdiensten überwacht zu werden. Reisende sollten bei ihren Visumsund Zollformalitäten korrekte Angaben machen, da russische Geheimdienste den Vorwurf bewusst falscher Angaben nutzen könnten, um Druck auszuüben. Weiterhin müssen Reisende davon ausgehen, dass russische Geheimdienste ungehinderten Zugriff auf alle Telefonund Internetdaten (Telefonanlagen und Hotspots in Hotels etc.) haben und die Kommunikation überwachen. Zur Intensivierung dieser Überwachung wurden dem FSB im Juli 2011 per Gesetz weit reichende exekutive Befugnisse zugestanden. So können Personen, die Vorladungen des FSB nicht nachkommen, bis zu 15 Tage festgehalten werden. 6.3 Chinesische Geheimdienste Niedersachsen verfügt über vielfältige Kontakte zur Volksrepublik China. Es gibt eine große Anzahl von Kooperationen und Hochschulpartnerschaften zwischen chinesischen und niedersächsischen Firmen und Universitäten, einschließlich eines regen Austausches von Wissenschaftlern und Studenten. China hat sich zum Ziel gesetzt, seine Volkswirtschaft in ein "Marktwirtschaftssystem sozialistischer Prägung" zu verwandeln, um so den Anschluss an die führenden Industrienationen zu erreichen. Wirtschaftsexperten sind übereinstimmend der Auffassung, dass dieses Ziel nur mit massivem Transfer von Spitzentechnologie aus den hoch entwickelten Industriestaaten zu erreichen ist. Dazu bedient sich China weltweit seiner Geheimund Sicherheitsdienste und betreibt geheimdienstliche Aufklärung einschließlich des Einsatzes geheimdienstlicher Quellen. Es besteht ein ständiges Interesse an wissenschaftlichen, wirtschaftlichen, technischen und militärischen Informationen. Aber auch die klassischen Aufklärungsbereiche der Spionage stehen im Zielspektrum der chinesischen Dienste. So haben die Dienste die Aufgabe, die chinesische Staatsführung möglichst frühzeitig mit Informationen zu versorgen, die für Entscheidungen in der Außenund Sicherheitspolitik von Bedeutung sind. Eine weitere Aufgabe der chinesischen Geheimdienste ist die Überwachung und die Beeinflussung der außerhalb Chinas lebenden Landsleute. Hierzu zählen insbesondere diejenigen Personen, die dem politischen System ihres Heimatlandes kritisch gegenüberstehen ("Fünf Gifte")115 und in der Regel in zahlreichen Vereinen organisiert sind. Namentlich 115 Bei den "Fünf Giften" handelt es sich aus Sicht der Kommunistischen Partei Chinas um die Anhänger der Demokratiebewegung, die Befürworter einer Eigenstaatlichkeit Taiwans, die nach Erlangung tatsächlicher Autonomie strebenden und deshalb des Separatismus verdächtigten Angehörigen der tibetischen und uigurischen Minderheiten sowie die Mit147 handelt es sich hauptsächlich um die in China seit 1999 verbotene buddhistisch-taoistische Falun-Gong-Bewegung sowie die nach Selbstbestimmung strebenden islamischen Uiguren116, deren Heimat die ölreiche autonome Region Xinjiang im Nordwesten Chinas ist. Die Vorgehensweise der chinesischen Geheimdienste besteht in erster Linie in der offenen Abschöpfung von Kontaktpersonen in nahezu allen gesellschaftlichen Bereichen. Genutzt werden vorrangig eigene sprachlich ausgebildete Landsleute. Sie unterhalten im Rahmen ihrer offiziellen Tätigkeit vielfältige Kontakte zu niedersächsischen Institutionen oder besuchen Veranstaltungen, um mit den dort vertretenen Zielgruppen Kontakte zu knüpfen. Hierbei wird eine Politik des "langen Atems" mit einer "Offensive des Lächelns" verbunden, indem die Beziehungen zu geheimdienstlich interessanten Personen regelrecht kultiviert werden. Wiederholte Einladungen zum Essen, gemeinsamer Besuch kultureller Veranstaltungen, Empfänge in der Botschaft bis hin zu Einladungen nach China inklusive der Kostenübernahme vermitteln das Bemühen, eine "Freundschaftsbeziehung" aufzubauen. Weitere Informationsabschöpfungen erfolgen einerseits durch in Niedersachsen ständig oder vorübergehend lebende Chinesen117, die als hoch qualifizierte Mitarbeiter bei bedeutenden Firmen, in wissenschaftlichen Instituten oder als postgraduierte Studenten 118 tätig sind. Diese Personen werden von den diplomatischen Vertretungen oder anderen staatlichen Stellen Chinas angehalten, die erworbenen Kenntnisse der Entwicklung Chinas zur Verfügung zu stellen. Andererseits werden in Einzelfällen auch offizielle Delegationen genutzt, um nachrichtendienstliche Mitarbeiter unauffällig einzuschleusen. Bei Reisen nach China ist schon bei den Visaund Zollformalitäten ähnliche Achtsamkeit wie bei Reisen in die Russische Föderation angebracht, da der zivile Inund Auslandsdienst mit mehr als 800.000 Mitarbeitern wichtigster Träger der geheimdienstlichen Aufklärung ist. Der Dienst ist für die Spionageabwehr zuständig und überwacht im Land lebende sowie einreisende Ausländer. Somit ist davon auszugehen, dass auch niedersächsische Besucher, vorrangig Entscheidungsträger aus Wirtschaft und Wissenschaft, in China einer umfassenden Überwachung unterliegen und in Hotels und Konferenzräumen abgehört werden. Der stetig zunehmende Informationsfluss aus dem Ausland wird in China ebenfalls überwacht. 6.4 Geheimdienste der Islamischen Republik Iran Die Geheimdienste der Islamischen Republik Iran sind eine wichtige Stütze für das dortige Regime. Hauptträger der geheimdienstlichen Aktivitäten sind das Ministerium für Nachrichten und Sicherheit (Ministry of Information and Security - MOIS, in Farsi: Vezarat e Ettela'at Va Amniat e Keshvar - VEVAK) und der Geheimdienst der iranischen Revolutionsgarden (Revolutionary Guards Intelligence Department - RGID). glieder der Meditationsbewegung Falun-Gong. Sie alle werden als "größte Gefahr" für den Bestand des politischen Systems der Volksrepublik China angesehen. 116 Die Aktivitäten der Uiguren werden von China pauschal als terroristisch eingestuft. 117 Am 31.12.2012 lebten in Niedersachsen 6.465 chinesische Staatsangehörige (Quelle: Landesbetrieb für Statistik und Kommunikationstechnologie Niedersachsen). Deutsche Staatsangehörige chinesischer Herkunft sind in diesen Zahlen nicht enthalten. 118 Als "Postgraduierte" bezeichnet man diejenigen Studenten, die bereits über einen Hochschulabschluss verfügen und in einem Aufbaustudium mit dem Ziel des Masterabschlusses oder der Promotion an einer Universität eingeschrieben sind. 148 Die gegen Deutschland gerichteten geheimdienstlichen Aktivitäten des Iran gehen vorrangig vom MOIS aus. Aufklärungsschwerpunkte im Rahmen der Ausspähung der Exilopposition sind die Volksmodjahedin Iran-Organisation (MEK) und ihr politischer Arm, der Nationale Widerstandsrat Iran (NWRI). Weitere Aufklärungsziele sind die deutsche Außenund Sicherheitspolitik, aber auch die Wirtschaft, was sich insbesondere im iranischen Interesse an proliferationsrelevanten Gütern widerspiegelt. Das MOIS unterhält an der iranischen Botschaft in Berlin eine Legalresidentur, die auch mit der Beobachtung von in Deutschland lebenden Oppositionellen beauftragt ist. Daneben leistet sie logistische Unterstützung für geheimdienstliche Operationen der MOIS-Zentrale in Teheran. Auch in Deutschland lebende Iraner werden zur Informationsbeschaffung und logistischen Unterstützung genutzt. 6.5 Proliferation Wesentliches Merkmal der Proliferation - also der Weiterverbreitung von ABC-Waffen und Trägersystemen - ist, dass sie nicht von Einzelpersonen, sondern von so genannten proliferationsrelevanten Staaten wie Iran, Nordkorea, Pakistan und Syrien unter Einbeziehung ihrer Geheimdienste betrieben wird. Da einsatzfähige ABC-Waffenund Trägersysteme nicht komplett auf dem Weltmarkt zu beschaffen sind, richtet sich das Interesse dieser Staaten grundsätzlich auf den Erwerb von Produkten, die den Fortbestand und die Weiterentwicklung der bereits vorhandenen Waffenbestände gewährleisten. Im Mittelpunkt stehen dabei solche Ausfuhrprodukte, die als so genannte Dual-use-Güter sowohl im zivilen als auch im militärischen Bereich Anwendung finden können. Großes Interesse besteht an der Beschaffung von Gütern und Informationen aus niedersächsischen Hochtechnologieunternehmen. Durch den Einsatz von Tarnfirmen/organisationen sowie durch falsche Angaben über die Ware selbst, ihren tatsächlichen Bestimmungsort und -zweck ist es oftmals sehr schwierig, geheimdienstlich gesteuerte Beschaffungsaktivitäten zu erkennen. Die Bundesrepublik Deutschland versucht, der Proliferation durch eine restriktive Exportkontrolle entgegen zu wirken. Die proliferationsrelevanten Staaten bemühen sich zudem um den Erwerb von Know-how, um mit diesem betriebene Programme zur eigenen Herstellung von Massenvernichtungswaffen nutzen zu können. Mit Urteil vom 08.11.2013 hat das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg auch einen niedersächsischen Geschäftsmann wegen Verstößen nach dem Außenwirtschaftsgesetz und versuchten Verstößen nach dem Kriegswaffenkontrollgesetz zu einer Bewährungsstra149 fe von 18 Monaten verurteilt, der an der Beschaffung von Spezialventilen für den Iran beteiligt gewesen ist. Der Niedersächsische Verfassungsschutz hat den Kontakt zu niedersächsischen Firmen und wissenschaftlichen Forschungseinrichtungen weiter ausbauen können. Durch konsequente Sachverhaltsaufklärungen und Sensibilisierungsgespräche wurde versucht, einen wesentlichen Beitrag zur Proliferationsbekämpfung zu leisten. 6.6 Elektronische Angriffe mit vermutetem nachrichtendienstlichen Hintergrund Die Abhängigkeit unserer Gesellschaft von Informationsund Kommunikationstechnologien ist in den vergangenen Jahren rapide angestiegen. Weltweit nutzen alle Bereiche des gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens die Möglichkeiten der Vernetzung und des schnellen Informationsaustausches. Die dadurch entstandene Verwundbarkeit moderner Gesellschaften muss als eine der größten sicherheitspolitischen Herausforderungen verstanden werden, denn der mögliche Schaden für Staaten, ihre Bevölkerung und ihre Volkswirtschaften im Falle der Beeinträchtigung von Informationsinfrastrukturen ist immens. Auch hierzulande sind Staat, Kritische Infrastrukturen 119, Wirtschaft, Wissenschaft und Bevölkerung auf das verlässliche Funktionieren dieser Technologien, insbesondere des Internets, angewiesen. Elektronische Angriffe werden immer zahlreicher, komplexer und professioneller. Meistens kann bei Angriffen weder auf die Identität noch auf die Motivation des Angreifers geschlossen werden; kriminelle, terroristische, militärische und/oder nachrichtendienstliche Hintergründe sind denkbar. Die Abwehrund Rückverfolgungsmöglichkeiten gegenüber technologisch hoch entwickelten Schadprogrammen, die für solche Angriffe häufig genutzt werden, sind sehr begrenzt. Fremde Staaten nutzen die Möglichkeit, durch gezielte elektronische Angriffe Informationen zu erlangen und das erworbene Wissen zu ihrem Vorteil zu nutzen. In jüngster Vergangenheit sind bundesweit - so auch in Niedersachsen - elektronische Angriffe insbesondere auf Unternehmen und Zulieferer aus verschiedenen Technologiebereichen offenkundig geworden. Neben den im Jahr 2013 fortgesetzten Angriffen auf Großunternehmen sind in Niedersachsen auch diverse kleine und mittelständische Unternehmen betroffen, in denen insbesondere die IT-Sicherheit nur einen nachrangigen Stellenwert hat. Häufig sind die EDV-Netzwerke vor unbefugten Zugriffen nur unzureichend geschützt. Dazu gehört auch die Vernachlässigung der Sicherheit von Steuersystemen in Industrieanlagen (SCADA-Systeme)120, insbesondere wenn diese im Zuge der Vernetzung erst nachträglich an das Internet angeschlossen worden sind. Unverschlüsselte Verbindungen 119 Kritische Infrastrukturen sind Organisation und Einrichtungen mit wichtiger Bedeutung für das staatliche Gemeinwesen, bei deren Ausfall oder Beeinträchtigung nachhaltig wirkende Versorgungsengpässe, erhebliche Störungen der öffentlichen Sicherheit oder andere dramatische Folgen eintreten würden (Internetseite des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik - BSI). 120 Supervisory Control and Data Acquisition; damit sind Computer-Systeme gemeint, mit denen man technische Prozesse steuern und überwachen kann. 150 über Telefon, Telefax, Mobiltelefon oder E-Mail sind problemlos angreifbar. Hauptsächlich sind es jedoch fehlerbehaftete Software-Produkte, lückenhafte Hardwarekomponenten und unzureichend sensibilisierte Anwender, die die Wahrscheinlichkeit, Opfer eines elektronischen Angriffs zu werden, erhöhen. Zu den signifikanten Vorfällen in Niedersachsen gehört die Betroffenheit eines kleinen niedersächsischen innovativen Unternehmens, das mit neuen Entwicklungen im Bereich der volldigitalen Mobilfunknetze befasst ist. Diese Innovationen wurden international vorgestellt und für die zivile Verwendung angeboten. Bei den Produktpräsentationen und anschließenden Geschäftstreffen kam es mutmaßlich zu Kontakten mit Agenten fremder Geheimdienste. In der Folgezeit war und ist das Unternehmen massiven Angriffen auf sein Firmennetzwerk auf unterschiedlichen Ebenen ausgesetzt gewesen. So wurden u. a. wiederholte Angriffe auf die Internetpräsenz und mehrere mit Schadsoftware im Anhang behaftete E-Mails festgestellt. Beide Methoden sind besonders geeignet, sich Zugang zu den Netzwerken der betroffenen Unternehmen zu verschaffen und diese zum Zweck der Spionage und Sabotage zu kompromittieren. Eine Bearbeitung entsprechend festgestellter elektronischer Angriffe stellt die Sicherheitsbehörden aufgrund der Anonymität des Angriffs und der oftmals nicht offensichtlichen Motivation der Angreifer sowie der damit aufgeworfenen Zuständigkeitsfrage vor Probleme. Daher steht der Niedersächsische Verfassungsschutz insbesondere den hiesigen Wirtschaftsunternehmen als Ansprechpartner zur Verfügung. Neben einer Beratung in allen Fällen wird eine operative Verdachtsfallbearbeitung bei elektronischen Angriffen mit vermutetem nachrichtendienstlichen Hintergrund gewährleistet. Fälle von "Cybercrime", bei denen ein solcher Verdacht ausgeschlossen werden konnte, werden in Absprache und mit Einverständnis des Betroffenen an die Strafverfolgungsbehörden abgegeben. Es ist sicher, dass sich die Entwicklung im Sektor der Informationsund Kommunikationstechnologien fortsetzen wird und die operativen Risiken in der Zukunft noch stärker steigen werden. Einer Früherkennung und Abwehr der Risiken muss erhebliche Bedeutung beigemessen werden. Auf Bundesund Landesebene wurde daher mit der Entwicklung von Cyber-Sicherheitsstrategien begonnen. Auf Bundesebene wurde ein Nationales Cyber-Abwehrzentrum (NCAZ) eingerichtet. Es arbeitet unter der Federführung des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI). Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), das Bundeskriminalamt (BKA) und zahlreiche weitere Behörden sind direkt beteiligt. Die Verfassungsschutzbehörden der Länder sind dabei über den Verbund der Spionageabwehr eingebunden. Ansprechpartner in Niedersachsen ist der Arbeitsbereich Wirtschaftsschutz beim Verfassungsschutz. In Niedersachsen wurde aus den Leitgedanken der Landesregierung, eine angemessene Krisenprävention zum Schutz des Landes vor Angriffen aus dem "Cyber-Raum" zu betreiben, eine Cyber-Sicherheitsstrategie beschlossen. Zu den strategischen Ansätzen gehört u. a. auch der Ausbau der Kooperation zwischen Polizei und Verfassungsschutz unter Wahrung des Trennungsgebotes. Hier soll der Prävention und der Bekämpfung von CyberAngriffen und der Spionage sowie der Beachtung des formellen IT-Geheimschutzes Rechnung getragen werden. 151 Kernelement der Cyber-Sicherheitsstrategie für Niedersachsen ist das Computer Emergency Response Team der niedersächsischen Landesverwaltung (N-CERT). Das N-CERT dient u. a. auch als Informationsdrehscheibe für die notwendige fachliche und präventive Vernetzung von Verwaltung, Wirtschaft und Forschung und hat seine Arbeit Anfang 2013 aufgenommen. 6.7 Hilfe für Betroffene Personen, die Opfer eines Anwerbungsversuchs fremder Geheimdienste oder eines elektronischen Angriffs mit vermutetem nachrichtendienstlichen Hintergrund geworden sind, wird geraten, sich an das Niedersächsische Ministerium für Inneres und Sport, Verfassungsschutzabteilung, Postfach 44 20, 30044 Hannover, Tel. 0511/6709-0, zu wenden. 152 7. Geheimund Wirtschaftsschutz 7.1 Geheimschutz Durch die vermehrten elektronischen Angriffe (siehe Kapitel 6.6) sind auch formal als geheimhaltungsbedürftig eingestufte Informationen in Behördennetzen gefährdet. Gerade die Veröffentlichungen von u. a. geheimen Informationen durch die Organisation WikiLeaks zeigen, wie wichtig ein hohes Niveau in der Datensicherheit durch Zugangsbegrenzung und Überprüfung der Berechtigten ist. Informationen und Vorgänge, deren Bekanntwerden den Bestand oder lebenswichtige Interessen, die Sicherheit oder die Interessen des Bundes oder eines Landes gefährden können, müssen geheim gehalten und als Verschlusssache (VS) vor unbefugter Kenntnisnahme geschützt werden. Je nach Schutzbedürftigkeit erfolgt eine Einstufung der VS in unterschiedliche Geheimhaltungsgrade (VS-NUR FÜR DEN DIENSTGEBRAUCH, VS-VERTRAULICH, GEHEIM oder STRENG GEHEIM), wobei der Schutz durch vorbeugende und wirkungsvolle Maßnahmen des personellen und materiellen Geheimschutzes erzielt wird. VS ab dem Geheimhaltungsgrad VS-VERTRAULICH dürfen nur Personen zugänglich sein, die sich einer Sicherheitsüberprüfung unterzogen haben. Dieses zentrale Element des personellen Geheimschutzes ist in Niedersachsen im Niedersächsischen Sicherheitsüberprüfungsgesetz (Nds. SÜG) geregelt. Die in diesem Gesetz vorgeschriebenen Überprüfungsverfahren stellen sicher, dass nur Personen, deren Zuverlässigkeit festgestellt worden ist, eine sicherheitsempfindliche Tätigkeit ausüben. Dazu gehören auch Tätigkeiten an sicherheitsempfindlichen Stellen innerhalb von lebensoder verteidigungswichtigen Einrichtungen (Sabotageschutz, z. B. Rechenzentren des Landes, polizeiliche und kooperative Leitstellen). Zuständig für die Einleitung einer Sicherheitsüberprüfung ist die jeweilige Beschäftigungsdienststelle; die Verfassungsschutzbehörde wirkt bei der Durchführung der Überprüfung mit. Bei den Sicherheitsüberprüfungen, die die niedersächsische Verfassungsschutzbehörde sowohl für die eigenen Geheimnisträger als auch für alle in Behörden und sonstigen Institutionen im Geheimschutzverfahren befindlichen Personen des personellen vorbeugenden Geheimund Sabotageschutzes durchführt, handelt es sich um eine Mitwirkungsaufgabe i. S. v. SS 3 Abs. 3 Nr. 1 u. 2 NVerfSchG.121 Der Überprüfung der Zuverlässigkeit des in den vorgenannten Bereichen eingesetzten Personals kommt durch die anhaltenden Bemühungen fremder Geheimdienste, aber auch durch die steigende Verbreitung personenbezogener Daten verbunden mit persönlicher Sorglosigkeit eine steigende Bedeutung zu. Die aktuellen Ereignisse um Veröffentlichungen u. a. geschützter Informationen im Internet zeigt die Brisanz des Themas. Der materielle Geheimschutz umfasst technische und organisatorische Maßnahmen gegen 121 Zu weiteren Mitwirkungsaufgaben siehe auch Kapitel 1.12. 153 die unbefugte Kenntnisnahme von VS in schriftlicher oder elektronischer Form. In der Verschlusssachenanweisung (VSA) des Landes sowie ergänzenden Richtlinien ist geregelt, wie als VS eingestuftes Schriftgut sicher bearbeitet, verwahrt und verwaltet wird. Die Verfassungsschutzbehörde wirkt gemäß SS 60 Abs. 1 VSA bei der Durchführung der VSA und der sie ergänzenden Richtlinien mit und berät die Dienststellen des Landes. Beratungsschwerpunkte sind die Einrichtung und der Betrieb von besonders gesicherten Aktensicherungsräumen oder Stahlschränken (VS-Verwahrgelasse), in denen VS unter Beachtung baulicher, mechanischer, elektronischer und organisatorischer Sicherheitsvorkehrungen aufbewahrt werden können. Dabei ist festgestellt worden, dass die Anzahl der verschlusssachenverwaltenden Dienststellen weiterhin rückläufig ist, da das Aufkommen an VS zunehmend geringer wird und Altbestände konsequent vernichtet werden. Einen weiteren Beratungsschwerpunkt bildet der personelle Geheimschutz. Neben individuellen Beratungsgesprächen mit Geheimschutzbeauftragten oder VS-Verwaltern an deren Arbeitsplätzen werden Schulungen für Geheimschutzbeauftragte niedersächsischer Behörden durchgeführt, in denen Grundlagen des personellen und materiellen Geheimschutzes vermittelt werden. Geheimschutz findet nicht nur in Behörden statt, sondern auch in Unternehmen, die im Auftrag des Staates mit VS umgehen und demzufolge die Regelungen des personellen und materiellen Geheimschutzes beachten müssen. Geheimschutzbetreute Unternehmen sind z. B. Kernkraftwerke oder Betriebe der Rüstungsindustrie. 7.2 Wirtschaftsschutz 7.2.1 Einleitung Deutschland ist als technologieund exportorientierte Nation abhängig von Know-how und Innovation als wertvollste Ressourcen in der Volkswirtschaft. Dieses Wissen und diese Informationen stehen jedoch im Visier fremder Nachrichtendienste (Wirtschaftsspionage) und konkurrierender Unternehmen (Konkurrenzausspähung), die ganz gezielt und professionell Ausspähung betreiben. Von Wirtschaftsund Industriespionage betroffen sind innovative und technologieorientierte Branchen, besonders Bereiche der Informationsund Kommunikationstechnik, der Luftund Raumfahrt, der Automobilindustrie, der Werkstoffund Produktionstechnik, der Biotechnik und Medizin, der Nanotechnologie sowie Energieund Umwelttechnik. Von Interesse sind Produktinnovationen und Marktstrategien. Auch niedersächsische Unternehmen verzeichnen mit ihren Spitzentechnologien große Erfolge, z. B. im Bereich der Automobilund Schifffahrtsbranche, der Laserund Sensortechnik, der Windenergieanlagen und Landmaschinen sowie der Hörgeräteakustik und können damit ebenfalls Ziel fremder Nachrichtendienste und von Konkurrenzfirmen sein. Vor diesem Hintergrund wurde bei den Verfassungsschutzbehörden der Arbeitsbereich Wirt154 schaftsschutz geschaffen. Der Wirtschaftsschutz des Niedersächsischen Verfassungsschutzes hat sich aus der Spionageabwehr heraus inzwischen zu einem Partner für die Wirtschaft entwickelt und bietet zu folgenden Themen Beratungen an: Wirtschaftsund Industriespionage, Cybersicherheit, Know-how-Schutz, Sicherheit in der Informationsund Kommunikationstechnologie, Geheimschutz in der Wirtschaft, Sicherheit auf Geschäftsreisen im Ausland, Innentäterproblematik und Social Engineering. In diesem Zusammenhang ist der Wirtschaftsschutz als Gesprächspartner stark nachgefragt. Im Rahmen seiner bislang 14-jährigen Tätigkeit hat der Wirtschaftsschutz mehr als 7.000 Unternehmen mit sicherheitsrelevanten Informationen erreicht. 7.2.2 Zahlen und Fakten Im Jahr 2013 betreute der Wirtschaftsschutz 763 Unternehmen. Beratungen Die Beratungen von Unternehmen, d. h. individuelle Sensibilisierungsund Informationsgespräche vor Ort, zählen nach wie vor zum Kerngeschäft des Wirtschaftsschutzes. Insgesamt fanden 107 bilaterale Kontakte mit Firmen statt. Für die Unternehmen ist es in diesem Zusammenhang hilfreich, dass der Verfassungsschutz nicht dem Legalitätsprinzip unterliegt, also Sachverhalte mit strafrechtlichem Hintergrund nicht zwingend der Staatsanwaltschaft bzw. der Polizei gemeldet werden müssen. Dieser Umstand führte zu einer Vielzahl von Hinweisen auf sicherheitsrelevante Vorfälle mit möglichen Know-how-Verlusten. Häufig war die Informationstechnologie von Unternehmen betroffen, denn in mehreren Fällen waren Firmennetzwerke von Schadsoftware befallen. In einem Fall berichtete eine Firma, dass sie mehrfach sicher geglaubte Aufträge verloren hatte. Schließlich wurde in dem Firmennetzwerk an einer verdeckten Stelle ein WLANRouter aufgefunden, welcher nicht der Firma zuzuordnen war. Es besteht der Verdacht, dass Angreifer über diesen Router Zugriff auf sensible Informationen des Unternehmens bekommen haben. In weiteren Fällen nutzten ausgeschiedene Mitarbeiter ihr Wissen unberechtigt in neuen Unternehmen bzw. wurden Angriffe auf Telefonanlagen in Firmen festgestellt, die eine Weiterleitung zu kostenpflichtigen Rufnummern im Ausland zur Folge hatten. In den vorgenannten Fällen ließ sich nach eingehender Prüfung allerdings kein Verdacht einer nachrichtendienstlichen Tätigkeit begründen. 155 Vorträge Die Mitarbeiter des Wirtschaftsschutzes hielten 112 Vorträge bei Tagungsveranstaltungen. Neben Industrieund Handelskammern, Universitäten und kommunalen Wirtschaftsförderungen werden die Vorträge des Wirtschaftsschutzes vermehrt von Unternehmen im Rahmen von Awareness-Veranstaltungen für Mitarbeiter und bei Führungskräftetrainings nachgefragt, um für eine Sensibilisierung zu sorgen. Zum Thema Wirtschaftsspionage wurde durch den Wirtschaftsschutz auch im Studiengang Risikound Sicherheitsmanagement an der Hochschule für öffentliche Verwaltung Bremen ein Gastreferat gehalten. Netzwerk Ein bedeutsamer Aspekt in der Arbeit des Wirtschaftsschutzes ist die Netzwerkarbeit. Ein wichtiger Partner hierbei ist die niedersächsische Polizei, die oft Hinweisgeber für mögliche Wirtschaftsspionagefälle sein kann. Deshalb werden Studierende an der Polizeiakademie Niedersachsen, aber auch Polizeidienststellen im Lande zu diesen Themen sensibilisiert. Gemeinsam mit dem Fachkommissariat Wirtschaftskriminalität der Polizeidirektion Hannover wird ein Präventionsprojekt durchgeführt, bei dem in Firmenveranstaltungen zu den Themen Korruption, Wirtschaftsspionage und Internetkriminalität referiert wird. Das Landeskriminalamt Niedersachsen informiert den Wirtschaftsschutz über Einbruchsdiebstähle bei Unternehmen, bei denen Know-how abhandengekommen und eventuell ein nachrichtendienstlicher Hintergrund gegeben ist. Darüber hinaus kommt es häufig zu einer Zusammenarbeit mit der dortigen Zentralstelle Internetkriminalität. Die Netzwerkarbeit des Wirtschaftsschutzes kommt auch in den nachfolgend beschriebenen Veranstaltungen zum Tragen. 7.2.3 17. Sicherheitstagung für geheimschutzbetreute Unternehmen Am 05. und 06.06.2013 fand in Braunlage die Tagung des Niedersächsischen Verfassungsschutzes für Sicherheitsbevollmächtigte der geheimschutzbetreuten Unternehmen in Niedersachsen statt. Rund 60 Vertreter von Wirtschaftsunternehmen nahmen an der Veranstaltung zum Thema "Die Realität in der Welt der Sicherheit" teil. Die Teilnehmer wurden u. a. über die Arbeit des NSU-Untersuchungsausschusses, den Verratsfall auf der NATOBasis in Ramstein (Rheinland-Pfalz) und die Arbeit des Militärischen Abschirmdienstes (MAD) informiert. 7.2.4 12. Wirtschaftsschutztagung des Niedersächsischen Verfassungsschutzes Am 14.11.2013 fand die 12. Wirtschaftsschutztagung in Hannover statt. Unter den etwa 140 Teilnehmern waren neben Vertretern der Wirtschaft auch Studenten der Hochschule für öffentliche Verwaltung Bremen (Institut für Polizei und Sicherheitsforschung) sowie Vertreter anderer Verfassungsschutzbehörden und der Polizei. Im Mittelpunkt der Veranstaltung standen Vorträge zum Thema Cybersicherheit. Des Weiteren wurde zu den Möglichkeiten der Informationsbeschaffung durch private Ermittler referiert. 156 7.2.5 CeBIT 2013 Vom 05. bis 09.03.2013 beteiligte sich der Wirtschaftsschutz während der Computer-Messe CeBIT auf einem Gemeinschaftsstand des Landes Niedersachsen und präsentierte sein Informationsangebot mit dem Schwerpunkt Cybersicherheit. 7.2.6 AirIT Security Day 2013 Am 25.09.2013 war der Wirtschaftsschutz mit einem eigenen Stand beim AirIT Security Day 2013 am Flughafen Hannover vertreten. Unter den über 100 Teilnehmern aus verschiedenen Unternehmen waren IT-Leiter, Security-Officer sowie Geschäftsführer zahlreicher niedersächsischer Unternehmen. 7.2.7 Kontaktdaten des Fachbereichs Wirtschaftsschutz Telefon: 0511-6709-247 oder -248 Fax: 0511-6709-393 E-Mail: wirtschaftsschutz@verfassungsschutz.niedersachsen.de Homepage: www.verfassungsschutz.niedersachsen.de 157 8. Anhang 8.1 Definition der Arbeitsbegriffe Extremismus Die Verfassungsschutzbehörden unterscheiden zwischen "Extremismus" und "Radikalismus", obwohl beide Begriffe oft synonym gebraucht werden. Bei "Radikalismus" handelt es sich zwar auch um eine überspitzte, zum Extremen neigende Denkund Handlungsweise, die gesellschaftliche Probleme und Konflikte bereits "von der Wurzel (lat. radix) her" anpacken will. Im Unterschied zum "Extremismus" sollen jedoch weder der demokratische Verfassungsstaat noch die damit verbundenen Grundprinzipien unserer Verfassungsordnung beseitigt werden. So sind z. B. Kapitalismuskritiker, die grundsätzliche Zweifel an der Struktur unserer Wirtschaftsund Gesellschaftsordnung äußern und sie von Grund auf verändern wollen, noch keine Extremisten. Radikale politische Auffassungen haben in unserer pluralistischen Gesellschaftsordnung ihren legitimen Platz. Auch wer seine radikalen Zielvorstellungen realisieren will, muss nicht befürchten, dass er vom Verfassungsschutz beobachtet wird, jedenfalls nicht, so lange er die Grundprinzipien unserer Verfassungsordnung anerkennt. Als extremistisch werden dagegen die Aktivitäten bezeichnet, die darauf abzielen, die Grundwerte der freiheitlichen Demokratie zu beseitigen. Extremismus mit Auslandsbezug Extremistische Ausländerorganisationen verfolgen in Deutschland Ziele, die häufig durch aktuelle Ereignisse und politische Entwicklungen in ihren Heimatländern bestimmt sind. Entsprechend ihrer politischen Ausrichtung handelt es sich dabei zum Beispiel um linksextremistische Organisationen, soweit sie in ihren Heimatländern ein sozialistisches bzw. kommunistisches Herrschaftssystem anstreben oder um nationalistische Organisationen, die ein überhöhtes Selbstverständnis von der eigenen Nation haben und die Rechte anderer Völker missachten. Daneben gibt es separatistische Organisationen, die eine Loslösung ihres Herkunftsgebietes aus einem bereits bestehenden Staatsgebilde und die Schaffung eines eigenen Staates verfolgen. Die größte von den Verfassungsschutzbehörden beobachtete ausländerextremistische Organisation in Deutschland ist nach wie vor die unter der Bezeichnung PKK bekannte Arbeiterpartei Kurdistans. Derartige Organisationen unterliegen der Beobachtung durch die Verfassungsschutzbehörden, wenn: sie sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland richten, indem sie hier z. B. versuchen, eine ihren Grundsätzen entsprechende Parallelgesellschaft zu errichten, sie ihre politischen Auseinandersetzungen mit Gewalt auf deutschem Boden austragen und dadurch die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gefährden, sie vom Bundesgebiet aus Gewaltaktionen in anderen Staaten durchführen oder unterstützen und dadurch auswärtige Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zu diesen Staaten gefährden, sich ihre Aktivitäten gegen den Gedanken der Völkerverständigung, insbesondere 158 das friedliche Zusammenleben der Völker, richten. Islamismus Der Begriff des Islamismus bezeichnet eine religiös motivierte Form des politischen Extremismus. Islamisten sehen in den Schriften und Geboten des Islams nicht nur Regeln für die Ausübung der Religion, sondern auch Handlungsanweisungen für eine islamistische Staatsund Gesellschaftsordnung. Ein Grundgedanke dieser islamistischen Ideologie ist die Behauptung, alle Staatsgewalt könne ausschließlich von Gott (Allah) ausgehen. Damit richten sich islamistische Bestrebungen gegen die Wertvorstellungen des Grundgesetzes, insbesondere gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung. Islamisten halten die Etablierung einer islamischen Gesellschaftsordnung für unabdingbar. Dieser Ordnung sollen letztlich sowohl Muslime als auch Nicht-Muslime unterworfen werden. Islamistische Organisationen - mit Ausnahme islamistisch-terroristischer Organisationen - lassen sich grob in zwei Kategorien einteilen: Organisationen, die in ihren Herkunftsländern die konsequente Umgestaltung der bestehenden Staatsund Gesellschaftsordnungen nach ihrem Verständnis der islamischen Rechtsordnung (Scharia) anstreben. In Deutschland liegt ihr Schwerpunkt auf propagandistischen Aktivitäten sowie der Sammlung von Spendengeldern, um die Mutterorganisationen in den Herkunftsländern zu unterstützen. Andere islamistische Gruppierungen in Deutschland verfolgen eine umfassendere, auch politisch motivierte Strategie. Auch sie streben eine Änderung der Staatsund Gesellschaftsordnung in ihren Herkunftsländern zugunsten eines islamischen Staatswesens an. Sie bemühen sich jedoch im Rahmen einer legalistischen Strategie, ihren Anhängern in Deutschland größere Freiräume für ein Scharia konformes Leben zu schaffen. Linksextremismus Mit dem Arbeitsbegriff werden die linksextremistischen verfassungsfeindlichen Bestrebungen von deutschen Personenzusammenschlüssen bezeichnet, die sich auf der Grundlage einer marxistisch-leninistischen, revolutionär-marxistischen oder anarchistischen Ideologie in Deutschland gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung und ihre tragenden Grundsätze richten. Für Linksextremisten vielfach kennzeichnend ist ein grundsätzliches Bekenntnis zur "revolutionären Gewalt", obgleich sie tagespolitisch auf "legale" Kampfformen setzen. Rechtsextremismus Als rechtsextremistisch werden von den Verfassungsschutzbehörden alle verfassungsfeindlichen oder extremistischen Bestrebungen bezeichnet, die auf der ideologischen Grundlage einer nationalistischen oder rassistischen Weltanschauung in Deutschland von deutschen Personenzusammenschlüssen ausgehen und sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung richten. Rechtsextremistischem Denken liegt vielfach die Vorstellung menschlicher Ungleichwertigkeit (Ideologie der Ungleichheit) zugrunde. 159 Rechtsbzw. Linksradikalismus Bis 1974 wurden die Begriffe Extremismus sowie "Radikalismus" bzw. "Rechtsoder Linksradikalismus" von den Verfassungsschutzbehörden nebeneinander als Synonyme zur Kennzeichnung verfassungsfeindlicher Bestrebungen verwendet. Der Radikalismusbegriff wird seitdem von den Verfassungsschutzbehörden nicht mehr für verfassungsfeindliche Bestrebungen benutzt, da er in der politischen Tradition der Aufklärung positiv besetzt ist und im Rechtssinne nur der Extremismusbegriff "der Tatsache Rechnung (trägt), dass politische Aktivitäten oder Organisationen nicht schon deshalb verfassungsfeindlich sind, weil sie eine ... 'radikale', das heißt eine bis an die Wurzel einer Fragestellung gehende Zielsetzung haben. Sie sind 'extremistisch' und damit verfassungsfeindlich im Rechtssinne nur dann, wenn sie sich gegen den ... Grundbestand unserer freiheitlichen rechtsstaatlichen Verfassung richten." (Verfassungsschutzbericht des Bundesinnenministeriums 1974, S. 4). Wenn die Verfassungsschutzbehörden überhaupt noch den Terminus "rechtsbzw. linksradikal" verwenden, werden damit in Abgrenzung zu dem verfassungsfeindlichen Rechtsbzw. Linksextremismus politische Aktivitäten und Zielsetzungen bezeichnet, die sich (noch) nicht gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung mit dem Ziel einer revolutionären Systemüberwindung richten. Salafismus Der Ausdruck Salafismus (arab. Salafiyya) bezeichnet jene islamistischen Strömungen, die sich ganz auf das Vorbild der Altvorderen (arab. salaf, "Vorfahre") ausrichten. Nur die Quellen aus der Frühzeit des Islams, Koran und Sunna, sind für Salafisten von Bedeutung. Alle islamischen Lehrsätze, die die Gelehrten in den Jahrhunderten nach dem Tod Muhammads entwickelt haben, lehnen sie als unislamisch ab. Der wesentliche Unterschied des Salafismus zu den übrigen islamistischen Positionen liegt darin begründet, dass die Salafisten ausschließlich Handlungen und Anschauungen des Propheten und seiner muslimischen Zeitgenossen, so wie es die islamische Tradition überliefert, als vorbildhaft für alle Zeiten ansehen. Es ist ihr Ansinnen, die sozialen und gesellschaftlichen Verhältnisse, die im 7. Jahrhundert auf der Arabischen Halbinsel galten, auf die gesamte moderne Menschheit zu übertragen. Das schließt z. B. auch die Verheiratung neunjähriger Mädchen und die Sklaverei ein. Durch einige Salafisten wird auch der Begriff des Jihad betont militant interpretiert. Sie sehen im Jihad primär eine Notwendigkeit zur aktiven Verteidigung des Islams und der Staaten mit überwiegend muslimischer Bevölkerung. Hierbei wird davon ausgegangen, dass die Bedrohung der islamischen Welt von den Staaten der so genannten westlichen Welt ausgeht. Diese so genannten jihadistischen Salafisten konstruieren daher eine persönliche Verantwortung eines jeden Muslims, den Jihad im Sinne eines bewaffneten Kampfes gegen die vermeintlichen Gegner des Islams zu praktizieren. Das schließt auch die Durchführung von Terroranschlägen ein. Spionage Als Spionage wird die Tätigkeit für den Nachrichtendienst einer fremden Macht bezeichnet, die auf die Mitteilung oder Lieferung von Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnis160 sen gerichtet ist. Die Beschaffung von Informationen, vor allem aus den Bereichen Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Militär, erfolgt zumeist unter Anwendung geheimer Mittel und Methoden. Soweit Spionage gegen die Bundesrepublik Deutschland gerichtet ist, kommt eine Strafbarkeit gemäß SSSS 93 ff. StGB in Betracht. Terrorismus Terrorismus ist nach der Definition der Verfassungsschutzbehörden der nachhaltig geführte Kampf für politische Ziele, die mit Hilfe von Anschlägen auf Leib, Leben und Eigentum anderer Menschen durchgesetzt werden sollen, insbesondere durch schwere Straftaten, wie sie in SS 129a Abs. 1 StGB genannt sind, oder durch andere Straftaten, die zur Vorbereitung solcher Straftaten dienen. Verfassungsfeindliche/ extremistische Bestrebungen Verfassungsfeindlich (= extremistisch) sind politische Aktivitäten, die gegen die verfassungsmäßige Ordnung gerichtet sind und darauf abzielen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beseitigen. Verfassungswidrig ist umgangssprachlich häufig synonym mit "verfassungsfeindlich" zu finden. Über die Frage der Verfassungswidrigkeit einer Partei entscheidet das Bundesverfassungsgericht (Art. 21 Abs. 2 GG; SSSS 13 Nr. 2, 43 ff. BVerfGG). Parteien sind verfassungswidrig, wenn sie nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgerichtet sind, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden. Es genügt nicht, wenn die Partei die freiheitliche demokratische Ordnung nicht anerkennt, sie ablehnt oder ihr andere Prinzipien entgegenhält. Es muss vielmehr eine aktiv-kämpferische, aggressive Haltung gegenüber der bestehenden verfassungsmäßigen Ordnung hinzukommen. Die Organisation muss also planvoll das Funktionieren dieser Ordnung beeinträchtigen und im weiteren Verlauf diese Ordnung selbst beseitigen wollen. Verbot verfassungsfeindlicher Organisationen/ Verfassungswidrigkeit Ein Verbot eines Vereins ist nach Art. 9 Abs. 2 GG möglich, wenn der Zweck der Tätigkeit des Vereins den Strafgesetzen zuwiderläuft oder sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richtet. Erst wenn dies durch Verfügung der Verbotsbehörde festgestellt ist, wird nach SS 3 Abs. 1 Vereinsgesetz der Verein als verboten (Art. 9 Abs. 2 GG) behandelt. Ein Vereinsverbot wird durch den Landesbzw. Bundesinnenminister erlassen. Nach Art. 21 Abs. 2 GG sind Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, verfassungswidrig. Über die Frage der Verfassungswidrigkeit entscheidet das Bundesverfassungsgericht (Art. 21 Abs. 2 GG; SSSS 13 Nr. 2, 43 ff. BVerfG) Die Hürden für ein Parteiverbot sind hoch. In der Bundesrepublik wurden bisher zwei Parteien verboten: 1952 die "Sozialistische Reichspartei" (SRP) und 1956 die "Kommunistische Partei Deutschlands" (KPD). 161 Zuletzt wurde 2003 ein von Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat angestrengtes Verfahren zum Verbot der NPD eingestellt. Laut Bundesverfassungsgericht konnte zum Zeitpunkt der Einleitung des Verbotsverfahrens auf Grund der Beobachtung durch V-Leute der Verfassungsschutzbehörden, die als Mitglieder in Landesund Bundesvorständen der NPD fungieren, unmittelbar vor und während des Verbotsverfahrens nicht mehr von der Staatsfreiheit der NPD-Führung ausgegangen werden. Am 22.03.2012 wurde bei einer Sondersitzung der Innenministerkonferenz (IMK) Einigung dahingehend erzielt, eine Arbeitsgruppe der Innenministerien zur Materialsammlung in Vorbereitung eines möglichen neuen NPD-Verbotsverfahrens einzurichten. Gleichzeitig erging ein Beschluss, der die Verfassungsschutzbehörden verpflichtete, ggf. bei der NPD vorhandene Quellen auf Vorstandsebene bis zum 02.04.2012 abzuschalten. Auf der Grundlage der durch die Verfassungsschutzbehörden gesammelten Materialien entschieden sich die Innenminister der Länder am 05.12.2012 für einen erneuten Verbotsantrag. Am 14.12.2012 fasste daraufhin der Bundesrat den Beschluss, das Parteiverbotsverfahren anzustrengen. Nach Abschluss der Materialsammlung reichte der Bundesrat am 03.12.2013 den Antrag auf Verbot der NPD beim Bundesverfassungsgericht ein. Solange verfassungsfeindliche Parteien und sonstige Organisationen nicht verboten sind, dürfen sie sich im Rahmen der für alle geltenden Gesetze frei betätigen. Wirtschaftsspionage/ Wirtschaftsschutz Unter Wirtschaftsspionage ist die staatlich gelenkte oder gestützte, von fremden Nachrichtendiensten ausgehende Ausforschung von Wirtschaftsunternehmen und Betrieben zu verstehen. Davon abzugrenzen ist die Konkurrenzausspähung, nämlich die Ausforschung, die konkurrierende Unternehmen gegeneinander betreiben. Wirtschaftsschutz ist der präventive Teil der Spionageabwehr und soll dazu dienen, Schäden durch Wirtschaftsspionage und Konkurrenzausspähung in der Wirtschaft zu reduzieren und der Wirtschaft als kompetenter Ansprechpartner für Sicherheitsfragen und -vorfälle zur Verfügung zu stehen. 162 8.2 Gesetz über den Verfassungsschutz im Lande Niedersachsen (Niedersächsisches Verfassungsschutzgesetz - NVerfSchG -) in der Fassung vom 6. Mai 2009 (Nds. GVBl. S. 154) zuletzt geändert durch Art. 2 des Gesetzes vom 19.06.2013 (Nds. GVBl. Nr. 10/2013, S. 158) Inhaltsübersicht Erster Abschnitt Allgemeine Vorschriften SS1 Zweck und Auftrag des Verfassungsschutzes SS2 Zuständigkeit SS3 Aufgaben SS3a -- aufgehoben -- SS4 Begriffsbestimmungen Zweiter Abschnitt Befugnisse, nachrichtendienstliche Mittel, Datenverarbeitung SS5 Allgemeine Befugnisse SS5a Besondere Auskunftspflichten SS5b Verfahrensvorschriften für Besondere Auskunftspflichten SS5c Auskunftspflichten SS6 Informationsbeschaffung mit nachrichtendienstlichen Mitteln SS6a Einsatz technischer Mittel in Wohnungen SS6b Verfahrensvorschriften für den Einsatz technischer Mittel in Wohnungen SS6c Verfahrensvorschriften für das heimliche Mithören und Aufzeichnen des nicht öffentlich gesprochenen Wortes unter Einsatz technischer Mittel SS6d Einsatz technischer Mittel nach SS 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 12 SS7 -- aufgehoben -- SS8 Speicherung, Veränderung und Nutzung personenbezogener Daten SS9 Speicherung, Veränderung und Nutzung personenbezogener Daten von Minderjährigen SS 10 Berichtigung, Löschung und Sperrung von personenbezogenen Daten in Dateien SS 11 Berichtigung, Löschung und Sperrung von personenbezogenen Daten in Akten SS 12 Dateibeschreibungen Dritter Abschnitt Auskunft SS 13 Auskunft an Betroffene Vierter Abschnitt Informationsübermittlung SS 14 Grenzen der Übermittlung personenbezogener Daten SS 15 Übermittlung von Informationen an die Verfassungsschutzbehörde 163 SS 16 Registereinsicht SS 17 Übermittlung personenbezogener Daten durch die Verfassungsschutzbehörde SS 18 Übermittlung von Informationen durch die Verfassungsschutzbehörde an Strafverfolgungsund Sicherheitsbehörden in Angelegenheiten des Staatsund Verfassungsschutzes SS 19 Übermittlung personenbezogener Daten an die Öffentlichkeit SS 20 Übermittlungsverbote, Minderjährigenschutz SS 21 Pflichten der empfangenden Stelle SS 22 Nachberichtspflicht Fünfter Abschnitt Parlamentarische Kontrolle SS 23 Ausschuss für Angelegenheiten des Verfassungsschutzes SS 24 Zusammensetzung SS 25 Kontrollrechte des Ausschusses SS 26 Verfahrensweise SS 27 Hilfe vonseiten der oder des Landesbeauftragten für den Datenschutz Sechster Abschnitt Schlussvorschriften SS 28 Geltung des Niedersächsischen Datenschutzgesetzes SS 29 Änderung des Niedersächsischen Gesetzes zur Ausführung des Gesetzes zu Artikel 10 Grundgesetz SS 30 Änderung des Niedersächsischen Beamtengesetzes SS 31 Änderung des Personalvertretungsgesetzes für das Land Niedersachsen SS 32 Inkrafttreten Erster Abschnitt Allgemeine Vorschriften SS1 Zweck und Auftrag des Verfassungsschutzes 1 Der Verfassungsschutz dient dem Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, des Bestandes und der Sicherheit des Bundes und der Länder. 2Er erfüllt diesen Auftrag durch 1. die Sammlung und Auswertung von Informationen über Bestrebungen und Tätigkeiten nach SS 3 Abs. 1 Satz 1, 2. die Unterrichtung der Landesregierung und die Aufklärung der Öffentlichkeit über diese Bestrebungen und Tätigkeiten, 3. die Wahrnehmung der in diesem Gesetz geregelten sonstigen Mitwirkungsaufgaben sowie 4. den in diesem Gesetz oder in anderen Rechtsvorschriften vorgesehenen Informationsaustausch mit anderen Stellen. 164 SS2 Zuständigkeit (1) 1Verfassungsschutzbehörde ist das für Inneres zuständige Ministerium (Fachministerium). 2Das Fachministerium unterhält eine gesonderte Abteilung (Verfassungsschutzabteilung), die allein die der Verfassungsschutzbehörde nach diesem Gesetz und anderen Rechtsvorschriften obliegenden Aufgaben wahrnimmt. (2) 1Verfassungsschutzbehörden anderer Länder dürfen im Land Niedersachsen nur im Einvernehmen mit der Verfassungsschutzbehörde tätig werden. 2Ihre Befugnisse bestimmen sich dabei nach den Vorschriften dieses Gesetzes. 3Das Bundesamt für Verfassungsschutz darf im Land Niedersachsen nur im Benehmen mit der Verfassungsschutzbehörde tätig werden (SS 5 Abs. 2 des Bundesverfassungsschutzgesetzes). (3) Die Verfassungsschutzbehörde darf andere Verfassungsschutzbehörden nicht um Maßnahmen ersuchen, zu denen sie selbst nicht befugt ist. SS3 Aufgaben (1) 1Aufgabe der Verfassungsschutzbehörde ist die Sammlung und Auswertung von Informationen, insbesondere von sachund personenbezogenen Auskünften, Nachrichten und Unterlagen, über 1. Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziele haben, 2. sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten in der Bundesrepublik Deutschland für eine fremde Macht, 3. Bestrebungen in der Bundesrepublik Deutschland, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, 4. Bestrebungen, die gegen den Gedanken der Völkerverständigung (Artikel 9 Abs. 2 des Grundgesetzes) oder gegen das friedliche Zusammenleben der Völker (Artikel 26 Abs. 1 des Grundgesetzes) gerichtet sind. 2 Die Leiterin oder der Leiter der Verfassungsschutzabteilung oder die Vertreterin oder der Vertreter bestimmt die Objekte, die zur Erfüllung der Aufgaben nach Satz 1 Nrn. 1, 3 und 4 planmäßig zu beobachten und aufzuklären sind (Beobachtungsobjekte). 3SS 5 Abs. 1 Satz 2 gilt entsprechend. 4Die Bestimmung eines Beobachtungsobjektes ist regelmäßig zu überprüfen. 5Sie ist aufzuheben, wenn die Voraussetzung des SS 5 Abs. 1 Satz 2 entfallen ist. 6Die Bestimmung eines Beobachtungsobjektes bedarf der Zustimmung der Fachministerin oder des Fachministers oder der Vertreterin oder des Vertreters. (2) 1Die Verfassungsschutzbehörde unterrichtet die zuständigen Stellen über Art und Ausmaß von Bestrebungen und Tätigkeiten nach Absatz 1. 2Die Unterrichtung soll die zuständigen Stellen in die Lage versetzen, die erforderlichen Abwehrmaßnahmen zu treffen. (3) Die Verfassungsschutzbehörde wirkt mit 1. bei der Sicherheitsüberprüfung von Personen nach Maßgabe des Niedersächsischen Sicherheitsüberprüfungsgesetzes, 2. bei der Sicherheitsüberprüfung von Personen, die an sicherheitsempfindlichen Stel165 len von lebensoder verteidigungswichtigen Einrichtungen beschäftigt sind oder werden sollen, 3. bei technischen Sicherheitsmaßnahmen zum Schutz von im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftigen Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen gegen die Kenntnisnahme durch Unbefugte, 4. bei der Überprüfung von Personen in sonstigen gesetzlich vorgesehenen Fällen, 5. bei einer im öffentlichen Interesse liegenden Überprüfung von Personen mit deren Einverständnis. (4) 1Die Verfassungsschutzbehörde klärt die Öffentlichkeit auf der Grundlage ihrer Auswertungsergebnisse durch zusammenfassende Berichte und andere Maßnahmen über Bestrebungen und Tätigkeiten nach Absatz 1 Satz 1 auf. 2Über tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen solcher Bestrebungen und Tätigkeiten darf aufgeklärt werden, wenn die Anhaltspunkte unter Berücksichtigung der Interessen der oder des Betroffenen hinreichend gewichtig sind. 3Zur Aufklärung gehört ein jährlicher Verfassungsschutzbericht, in dem auch die Summe der Haushaltsmittel sowie die Gesamtzahl der in der Verfassungsschutzabteilung Tätigen nach Stellen und Beschäftigungsvolumen darzustellen sind. 4Ferner sind in dem Bericht allgemein die Einholung von Auskünften nach SS 5 a, die Anwendung nachrichtendienstlicher Mittel, die Auskunftsersuchen nach SS 13 und die Strukturdaten der von der Verfassungsschutzbehörde in Dateien im Sinne des SS 6 Satz 1 des Bundesverfassungsschutzgesetzes gespeicherten Personendatensätze darzustellen. SS3a -- aufgehoben -- SS4 Begriffsbestimmungen (1) 1Bestrebungen im Sinne des SS 3 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1, 3 und 4 sind politisch bestimmte, zielund zweckgerichtete Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluss. 2Für einen Personenzusammenschluss handelt, wer ihn in seinen Bestrebungen nachdrücklich unterstützt. 3Verhaltensweisen von Einzelpersonen, die nicht in einem oder für einen Personenzusammenschluss handeln, sind Bestrebungen im Sinne des SS 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 3 oder 4, wenn sie auf Anwendung von Gewalt gerichtet oder aufgrund ihrer Wirkungsweise geeignet sind, ein Schutzgut dieses Gesetzes erheblich zu beschädigen. (2) Im Sinne des SS 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 sind 1. Bestrebungen gegen den Bestand des Bundes oder eines Landes: solche, die darauf gerichtet sind, die Freiheit des Bundes oder eines Landes von fremder Herrschaft aufzuheben, ihre staatliche Einheit zu beseitigen oder ein zu ihnen gehörendes Gebiet abzutrennen; 2. Bestrebungen gegen die Sicherheit des Bundes oder eines Landes: solche, die darauf gerichtet sind, den Bund, Länder oder deren Einrichtungen in ihrer Funktionsfähigkeit erheblich zu beeinträchtigen; 3. Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung: solche, die darauf gerichtet sind, einen der in Absatz 3 genannten Verfassungsgrundsätze zu beseitigen oder außer Geltung zu setzen. (3) Zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des SS 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 zählen: 166 1. das Recht des Volkes, die Staatsgewalt in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung auszuüben und die Volksvertretung in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl zu wählen, 2. die Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung und die Bindung der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an Gesetz und Recht, 3. das Recht auf Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition, 4. die Ablösbarkeit der Regierung und ihre Verantwortlichkeit gegenüber der Volksvertretung, 5. die Unabhängigkeit der Gerichte, 6. der Ausschluss jeder Gewaltund Willkürherrschaft und 7. die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte. (4) Eine Gefährdung auswärtiger Belange im Sinne des SS 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 liegt nur dann vor, wenn die Gewalt innerhalb der Bundesrepublik Deutschland angewendet oder vorbereitet wird und sie sich gegen die politische Ordnung oder Einrichtungen anderer Staaten richtet oder richten soll. (5) Gewalt im Sinne dieses Gesetzes ist die Anwendung körperlichen Zwanges gegen Personen und die gewalttätige Einwirkung auf Sachen. (6) Sammlung von personenbezogenen Daten ist das Erheben im Sinne des Niedersächsischen Datenschutzgesetzes. Zweiter Abschnitt Befugnisse, nachrichtendienstliche Mittel, Datenverarbeitung SS5 Allgemeine Befugnisse (1) 1Die Verfassungsschutzbehörde darf die zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlichen Informationen einschließlich personenbezogener Daten erheben und weiter verarbeiten, soweit dieses Gesetz oder andere Rechtsvorschriften nicht besondere Regelungen treffen. 2 Voraussetzung für die Sammlung von Informationen im Sinne des SS 3 Abs. 1 Satz 1 ist das Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte, die, insgesamt betrachtet und unter Einbeziehung nachrichtendienstlicher Erfahrungen, den Verdacht einer der in SS 3 Abs. 1 Satz 1 genannten Bestrebungen oder Tätigkeiten rechtfertigen. (2) 1Werden personenbezogene Daten bei Betroffenen mit deren Kenntnis erhoben, so ist der Erhebungszweck anzugeben, es sei denn, dass die Erhebung für Zwecke des Verfassungsschutzes nicht bekannt werden darf. 2Die Betroffenen sind auf die Freiwilligkeit ihrer Angaben hinzuweisen. (3) Ist zum Zwecke der Sammlung von Informationen die Weitergabe personenbezogener Daten unerlässlich, so dürfen schutzwürdige Interessen der betroffenen Person nur im unvermeidbaren Umfang beeinträchtigt werden. (4) 1Polizeiliche Befugnisse oder Weisungsbefugnisse stehen der Verfassungsschutzbehörde zur Erfüllung ihrer Aufgaben nicht zu. 2Sie darf die Polizei nicht um Maßnahmen ersuchen, zu denen sie selbst nicht befugt ist, auch nicht im Wege der Amtshilfe. (5) 1Die Verfassungsschutzbehörde ist an die allgemeinen Rechtsvorschriften gebunden. 2 Bei der Sammlung und Verarbeitung von Informationen hat sie von mehreren geeigneten 167 Maßnahmen diejenige zu wählen, die Betroffene voraussichtlich am wenigsten beeinträchtigt. 3Eine Maßnahme darf keinen Nachteil herbeiführen, der erkennbar außer Verhältnis zu dem beabsichtigten Erfolg steht. SS5a Besondere Auskunftspflichten (1) 1Diejenigen, die geschäftsmäßig Telemedien anbieten oder daran mitwirken, sind verpflichtet, der Verfassungsschutzbehörde auf Anordnung unentgeltlich Auskünfte über Daten zu erteilen, die für die Begründung, inhaltliche Ausgestaltung, Änderung oder Beendigung eines Vertragsverhältnisses über Telemedien gespeichert worden sind. 2Auskünfte dürfen nur im Einzelfall und unter der Voraussetzung eingeholt werden, dass sie zur Erfüllung der Aufgaben nach SS 3 Abs. 1 Satz 1 erforderlich sind. (2) 1Luftfahrtunternehmen sind verpflichtet, der Verfassungsschutzbehörde auf Anordnung unentgeltlich Auskünfte zu Namen und Anschriften von Kundinnen und Kunden sowie zur Inanspruchnahme und den Umständen von Transportleistungen, insbesondere zum Zeitpunkt von Abfertigung und Abflug und zum Buchungsweg, zu erteilen. 2Auskünfte dürfen nur im Einzelfall und unter der Voraussetzung eingeholt werden, dass sie zur Erfüllung der Aufgaben nach SS 3 Abs. 1 Satz 1 erforderlich sind und dass tatsächliche Anhaltspunkte für eine schwerwiegende Gefahr für ein in SS 3 Abs. 1 Satz 1 genanntes Schutzgut vorliegen. (3) 1Kreditinstitute, Finanzdienstleistungsinstitute und Finanzunternehmen sind verpflichtet, der Verfassungsschutzbehörde auf Anordnung unentgeltlich Auskünfte zu Konten und Geldanlagen, insbesondere zu Kontoständen, Zahlungseinund -ausgängen und sonstigen Geldbewegungen, sowie zu Kontoinhaberinnen, Kontoinhabern, sonstigen Berechtigten und weiteren am Zahlungsverkehr Beteiligten zu erteilen. 2Absatz 2 Satz 2 gilt entsprechend. (4) 1Diejenigen, die geschäftsmäßig Telemedien anbieten oder daran mitwirken, sind auch verpflichtet, der Verfassungsschutzbehörde auf Anordnung unentgeltlich Auskünfte zu 1. Merkmalen zur Identifikation der Nutzerin oder des Nutzers von Telemedien, 2. Angaben über Beginn und Ende sowie über den Umfang der jeweiligen Nutzung und 3. Angaben über die von der Nutzerin oder dem Nutzer in Anspruch genommenen Telemedien zu erteilen. 2Absatz 2 Satz 2 gilt entsprechend. (5) 1Diejenigen, die geschäftsmäßig Telekommunikationsdienste erbringen oder daran mitwirken, sind verpflichtet, der Verfassungsschutzbehörde auf Anordnung Auskünfte zu Verkehrsdaten nach SS 96 Abs. 1 Nrn. 1 bis 4 des Telekommunikationsgesetzes (TKG) und sonstigen zum Aufbau und zur Aufrechterhaltung der Telekommunikation notwendigen Verkehrsdaten zu erteilen. 2Auskünfte dürfen nur im Einzelfall zur Erfüllung der Aufgaben nach SS 3 Abs. 1 Satz 1 und unter den Voraussetzungen des SS 3 Abs. 1 des Artikel 10Gesetzes eingeholt werden. 3Die Verfassungsschutzbehörde hat für die Erteilung von Auskünften nach Satz 1 eine Entschädigung entsprechend SS 23 des Justizvergütungsund - entschädigungsgesetzes zu gewähren. (6) Auskünfte nach den Absätzen 2 bis 4 dürfen nur über Personen eingeholt werden, bei denen tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie die schwerwiegende Gefahr nachdrücklich fördern oder bei denen aufgrund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass sie die Leistung für solche Personen in Anspruch nehmen. 168 (7) Auskünfte nach Absatz 5 dürfen nur über Personen eingeholt werden, bei denen 1. tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht bestehen, dass sie eine Straftat nach SS 3 Abs. 1 des Artikel 10-Gesetzes planen, begehen oder begangen haben, 2. aufgrund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass sie über ihren Teilnehmeranschluss für Personen nach Nummer 1 bestimmte oder von ihnen herrührende Mitteilungen entgegennehmen oder weitergeben, oder 3. aufgrund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass Personen nach Nummer 1 deren Teilnehmeranschluss nutzen. SS5b Verfahrensvorschriften für Besondere Auskunftspflichten (1) 1Anordnungen nach SS 5 a Abs. 2 bis 5 werden von der Leiterin oder dem Leiter der Verfassungsschutzabteilung oder der Vertreterin oder dem Vertreter schriftlich beantragt. 2 Die Anordnungen trifft die Fachministerin oder der Fachminister oder die Vertreterin oder der Vertreter. 3Die Anordnung der Erteilung einer Auskunft über künftig anfallende Daten ist auf höchstens drei Monate zu befristen. 4Die Verlängerung dieser Anordnung um jeweils nicht mehr als drei Monate ist auf Antrag zulässig. 5Auskunftsersuchen nach SS 5 a und die übermittelten Daten dürfen weder den Betroffenen noch Dritten vom Auskunftsgeber mitgeteilt werden. (2) 1Anordnungen nach SS 5 a Abs. 2 bis 5 sowie deren Verlängerungen bedürfen der Zustimmung der nach SS 2 Abs. 1 des Niedersächsischen Gesetzes zur Ausführung des Artikel 10-Gesetzes (Nds. AG G 10) bestehenden Kommission (G 10-Kommission). 2Bei Gefahr im Verzuge kann die Fachministerin oder der Fachminister oder die Vertreterin oder der Vertreter anordnen, dass die Anordnung vor der Zustimmung der G 10-Kommission vollzogen wird. 3In diesem Fall ist die nachträgliche Zustimmung unverzüglich einzuholen. (3) 1Die G 10-Kommission prüft im Rahmen der Erteilung der Zustimmung nach Absatz 2 Satz 1 sowie aufgrund von Beschwerden die Zulässigkeit und Notwendigkeit der Einholung von Auskünften nach SS 5 a Abs. 2 bis 5. 2SS 4 Abs. 2 Nds. AG G 10 ist entsprechend anzuwenden. 3Anordnungen über Auskünfte, die die G 10-Kommission für unzulässig oder nicht notwendig erklärt, hat die Fachministerin oder der Fachminister oder die Vertreterin oder der Vertreter unverzüglich aufzuheben; die bereits erhobenen Daten dürfen nicht verwendet werden und sind unverzüglich zu löschen. 4Wird die nachträgliche Zustimmung im Fall des Absatzes 2 Satz 2 versagt, so ist Satz 3 entsprechend anzuwenden. (4) 1Für die aufgrund von Anordnungen nach SS 5 a Abs. 2 bis 5 erhobenen personenbezogenen Daten gelten die SSSS 4 und 12 Abs. 1 und 3 des Artikel 10-Gesetzes sowie SS 4 Abs. 5 und 6 Nds. AG G 10 entsprechend. 2Soweit aufgrund von Anordnungen nach SS 5 a Abs. 1 personenbezogene Daten erhoben worden sind, gilt für die Unterrichtung der Betroffenen SS 6 Abs. 9. (5) 1Das Fachministerium unterrichtet im Abstand von höchstens sechs Monaten den Ausschuss für Angelegenheiten des Verfassungsschutzes über die Durchführung des SS 5 a Abs. 2 bis 5; dabei ist insbesondere ein Überblick über Anlass, Umfang, Dauer, Ergebnis und Kosten der im Berichtszeitraum durchgeführten Maßnahmen zu geben. 2Der Ausschuss erstattet dem Landtag jährlich einen Bericht über die Durchführung sowie Art, Umfang und Anordnungsgründe der Maßnahmen nach SS 5 a Abs. 2 bis 5. (6) Das Fachministerium unterrichtet das Parlamentarische Kontrollgremium des Bundes jährlich über die nach SS 5 a Abs. 2 bis 5 durchgeführten Maßnahmen; dabei ist ein Über169 blick über Anlass, Umfang, Dauer, Ergebnis und Kosten der im Berichtszeitraum durchgeführten Maßnahmen zu geben. (7) Das Grundrecht des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses (Artikel 10 des Grundgesetzes) wird nach Maßgabe der Absätze 1 bis 4 sowie des SS 5 a Abs. 4 bis 7 eingeschränkt. SS5c Auskunftspflichten (1) 1Diejenigen, die geschäftsmäßig Telekommunikationsdienste erbringen oder daran mitwirken, sind verpflichtet, der Verfassungsschutzbehörde auf Anordnung Auskünfte zu den nach den SSSS 95 und 111 TKG erhobenen Daten unverzüglich und vollständig zu erteilen. 2Auskünfte dürfen nur im Einzelfall und unter der Voraussetzung eingeholt werden, dass sie zur Erfüllung der Aufgaben nach SS 3 Abs. 1 Satz 1 erforderlich sind. (2) 1Zu Daten, mittels derer der Zugriff auf Endgeräte oder auf Speichereinrichtungen, die in diesen Endgeräten oder hiervon räumlich getrennt eingesetzt werden, geschützt wird, darf eine Auskunft nach Absatz 1 nur unter den Voraussetzungen des SS 3 Abs. 1 des Artikel 10-Gesetzes eingeholt werden. 2SS 5 a Abs. 7 und SS 5 b Abs. 1 bis 4 gelten entsprechend. (3) 1Anhand einer zu einem bestimmten Zeitpunkt zugewiesenen InternetprotokollAdresse dürfen die in eine Auskunft nach Absatz 1 aufzunehmenden Daten nur unter den Voraussetzungen des SS 3 Abs. 1 des Artikel 10-Gesetzes bestimmt werden. 2SS 5 a Abs. 7 und SS 5 b Abs. 1 bis 4 gelten entsprechend. (4) Die Verfassungsschutzbehörde hat für die Erteilung von Auskünften nach den Absätzen 1 bis 3 eine Entschädigung entsprechend SS 23 des Justizvergütungsund - entschädigungsgesetzes zu gewähren. (5) Das Grundrecht des Fernmeldegeheimnisses (Artikel 10 des Grundgesetzes) wird nach Maßgabe des Absatzes 3 eingeschränkt. SS6 Informationsbeschaffung mit nachrichtendienstlichen Mitteln (1) 1Die Verfassungsschutzbehörde darf zur heimlichen Informationsbeschaffung, insbesondere zur heimlichen Erhebung personenbezogener Daten, nur folgende nachrichtendienstliche Mittel anwenden: 1. Inanspruchnahme von Vertrauensleuten, sonstigen geheimen Informantinnen und Informanten und Gewährspersonen, vorbehaltlich Satz 2; 2. Einsatz von verdeckt ermittelnden Beamtinnen und Beamten; 3. Observationen, auch mit besonderen für Observationszwecke bestimmten technischen Mitteln; 4. Bildaufzeichnungen; 5. verdeckte Ermittlungen und Befragungen; 6. heimliches Mithören ohne Inanspruchnahme technischer Mittel; 7. heimliches Mithören und Aufzeichnen des nicht öffentlich gesprochenen Wortes unter Einsatz technischer Mittel; 8. Beobachtung des Funkverkehrs auf nicht für den allgemeinen Empfang bestimmten Kanälen; 9. Verwendung fingierter biografischer, beruflicher oder gewerblicher Angaben (Legenden) mit Ausnahme solcher beruflicher Angaben, die sich auf die in Satz 2 genannten 170 Personen beziehen; 10. Beschaffung, Herstellung und Verwendung von Tarnpapieren und Tarnkennzeichen; 11. Überwachung des Brief-, Postund Fernmeldeverkehrs nach Maßgabe des Artikel 10Gesetzes; 12. technische Mittel, mit denen zur Ermittlung der Geräteund der Kartennummern aktiv geschaltete Mobilfunkendeinrichtungen zur Datenabsendung an eine Stelle außerhalb des Telekommunikationsnetzes veranlasst werden. 2 Die nachrichtendienstlichen Mittel dürfen auch angewendet werden, wenn Dritte unvermeidbar betroffen werden. (2) Die Mittel nach Absatz 1 dürfen nur angewendet werden, wenn 1. sich ihr Einsatz gegen Personenzusammenschlüsse, in ihnen oder für sie tätige Personen oder gegen Einzelpersonen richtet, bei denen tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht von Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 3 Abs. 1 Satz 1 vorliegen, 2. sich ihr Einsatz gegen Personen richtet, von denen aufgrund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass sie für eine der in Nummer 1 genannten Personen bestimmte oder von ihr herrührende Mitteilungen entgegennehmen oder weitergeben, 3. ihr Einsatz gegen andere als die in den Nummern 1 und 2 genannten Personen unumgänglich ist, um Erkenntnisse über sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten für eine fremde Macht oder über Bestrebungen zu gewinnen, die sich unter Anwendung von Gewalt oder durch darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen gegen die in SS 3 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 und 3 genannten Schutzgüter wenden, 4. durch sie die zur Erforschung von Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 3 Abs. 1 Satz 1 erforderlichen Quellen in den in Nummer 1 genannten Personenzusammenschlüssen gewonnen oder überprüft werden können oder 5. dies zum Schutz der in der Verfassungsschutzabteilung Tätigen, der Einrichtungen und Gegenstände der Verfassungsschutzabteilung und der Quellen der Verfassungsschutzbehörde vor Bestrebungen gegen die Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder vor sicherheitsgefährdenden oder geheimdienstlichen Tätigkeiten für eine fremde Macht erforderlich ist. (3) 1Bei der Anwendung der Mittel nach Absatz 1 dürfen keine Straftaten begangen werden. 2Es dürfen nur folgende Straftatbestände verwirklicht werden: 1. SS 84 Abs. 2, SS 85 Abs. 2, SS 86 Abs. 1, SSSS 86 a, 98, 99, 129 a, 129 b Abs. 1 Satz 1, soweit er auf SS 129 a verweist, SSSS 267, 271 und 273 des Strafgesetzbuchs, 2. SS 20 Abs. 2 Nrn. 2 und 4 bis 6 des Niedersächsischen Versammlungsgesetzes sowie 3. SS 20 des Vereinsgesetzes. 3 Dabei darf weder auf die Gründung einer strafbaren Vereinigung hingewirkt noch eine steuernde Einflussnahme auf sie ausgeübt werden. 4Erlaubt sind nur solche Handlungen, die unter besonderer Beachtung des Übermaßverbots unumgänglich sind. (4) 1Eine Informationsbeschaffung mit den Mitteln nach Absatz 1 ist unzulässig, wenn die Erforschung des Sachverhalts auf andere, die Betroffenen weniger beeinträchtigende Weise möglich ist; dies ist in der Regel anzunehmen, wenn die Information aus allgemein zugänglichen Quellen oder durch ein Ersuchen nach SS 15 Abs. 3 gewonnen werden kann. 2Die Anwendung eines Mittels nach Absatz 1 darf nicht erkennbar außer Verhältnis zur Bedeutung des aufzuklärenden Sachverhalts stehen, insbesondere nicht außer Verhältnis zu der Gefahr, die von der jeweiligen Bestrebung oder Tätigkeit nach SS 3 Abs. 1 Satz 1 ausgeht 171 oder ausgehen kann. 3Die Maßnahme ist unverzüglich zu beenden, wenn ihr Zweck erreicht ist oder sich Anhaltspunkte dafür ergeben, dass er nicht oder nicht auf diese Weise erreicht werden kann. (5) 1Die Anwendung der Mittel nach Absatz 1 Satz 1 Nrn. 1, 2 und 4 bedarf der Anordnung durch die Leiterin oder den Leiter der Verfassungsschutzabteilung oder die Vertreterin oder den Vertreter. 2Dies gilt auch für Mittel nach Absatz 1 Satz 1 Nr. 3, wenn diese innerhalb einer Woche insgesamt länger als 24 Stunden oder über einen Zeitraum von einer Woche hinaus durchgeführt werden sollen (längerfristige Observation) oder besondere für Observationszwecke bestimmte technische Mittel eingesetzt werden. (6) 1Die mit Mitteln nach Absatz 1 erhobenen personenbezogenen Daten dürfen nur für den Zweck gespeichert, verändert und genutzt werden, zu dem sie erhoben worden sind. 2 Eine Speicherung, Veränderung, Übermittlung oder Nutzung zu anderen Zwecken ist nur zulässig, wenn das zur Erhebung verwendete Mittel auch für den anderen Zweck hätte angewendet werden dürfen und die Daten im Fall der Übermittlung zur Erfüllung der Aufgaben des Empfängers erforderlich sind. 3Sind mit den Daten nach Satz 1 sonstige Daten der betroffenen Personen oder von Dritten so verbunden, dass eine Trennung nicht oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand möglich ist, so dürfen sie gemeinsam mit den Daten nach Satz 1 gespeichert und übermittelt werden; sie sind zu sperren. (7) 1Werden den in Absatz 1 Satz 1 Nrn. 1 und 2 genannten Personen Daten aus dem Kernbereich privater Lebensgestaltung bekannt, so dürfen diese nicht gespeichert, verändert oder genutzt werden; sie sind unverzüglich zu löschen. 2Die Tatsache, dass Daten aus dem Kernbereich privater Lebensgestaltung erhoben wurden, und die Löschung der Daten sind zu dokumentieren. (8) 1Personenbezogene Daten, die durch Maßnahmen nach Absatz 1 erhoben wurden, sind entsprechend zu kennzeichnen. 2Sie dürfen an eine andere Stelle nur übermittelt werden, wenn diese die Kennzeichnung aufrechterhält. (9) 1Die Verfassungsschutzbehörde hat die Betroffenen über eine Maßnahme nach Absatz 1 Satz 1 Nrn. 1, 2, 4 und 7 nach ihrer Beendigung zu unterrichten. 2Das gilt auch für eine Maßnahme nach Absatz 1 Satz 1 Nr. 3, wenn es sich um eine längerfristige Observation handelt oder besondere für Observationszwecke bestimmte technische Mittel eingesetzt werden. 3Die Unterrichtung wird zurückgestellt, solange 1. eine Gefährdung des Zwecks der Maßnahme nicht ausgeschlossen werden kann, 2. durch das Bekanntwerden der Maßnahme Leib, Leben, Freiheit oder ähnlich schutzwürdige Belange einer Person gefährdet werden, 3. ihr überwiegende schutzwürdige Belange einer anderen betroffenen Person entgegenstehen oder 4. durch das Bekanntwerden der Maßnahme die weitere Verwendung der in Absatz 1 Satz 1 Nrn. 1 und 2 genannten Personen gefährdet wird. 4 In der Unterrichtung ist auf die Rechtsgrundlage der Maßnahme und das Auskunftsrecht nach SS 13 hinzuweisen. 5Die Zurückstellung der Unterrichtung über eine Maßnahme ist spätestens nach Ablauf von zwei Jahren unter Angabe des Grundes der oder dem Landesbeauftragten für den Datenschutz mitzuteilen. 6Einer Unterrichtung bedarf es endgültig nicht, wenn 1. die Voraussetzung der Zurückstellung auch fünf Jahre nach Beendigung der Maßnahme noch nicht entfallen ist, 172 2. sie mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch in Zukunft nicht entfallen wird, 3. die Voraussetzungen für eine Löschung vorliegen und 4. die oder der Landesbeauftragte für den Datenschutz zustimmt. (10) 1Die Maßnahmen nach Absatz 1 Satz 1 Nrn. 1 bis 4 dürfen sich nicht gegen Personen richten, die in Strafverfahren aus beruflichen Gründen zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigt sind (SSSS 53 und 53 a der Strafprozessordnung - StPO), soweit Sachverhalte betroffen sind, auf die sich ihr Zeugnisverweigerungsrecht bezieht. 2Die Verfassungsschutzbehörde darf solche Personen nicht von sich aus nach Absatz 1 Satz 1 Nr. 1 in Anspruch nehmen. (11) 1Tarnpapiere und Tarnkennzeichen dürfen auch zu dem in Absatz 2 Nr. 5 genannten Zweck hergestellt und verwendet werden. 2Die Behörden des Landes, der Gemeinden und der Landkreise sind verpflichtet, der Verfassungsschutzbehörde technische Hilfe für Tarnungsmaßnahmen (Absatz 1 Satz 1 Nr. 10) zu leisten. (12) 1Die näheren Voraussetzungen für die Anwendung der Mittel nach Absatz 1 und die Zuständigkeit für ihre Anordnung sind in Dienstvorschriften des Fachministeriums umfassend zu regeln. 2Vor Erlass solcher Dienstvorschriften ist der Ausschuss für Angelegenheiten des Verfassungsschutzes rechtzeitig zu unterrichten. SS6a Einsatz technischer Mittel in Wohnungen (1) 1Der Einsatz technischer Mittel zur Informationsbeschaffung aus Wohnungen ist nur zulässig zur Abwehr der Gefahr, dass jemand eine besonders schwerwiegende Straftat begehen wird, die im Einzelfall geeignet ist, eines der in SS 3 Abs. 1 Satz 1 genannten Schutzgüter zu gefährden. 2Besonders schwerwiegende Straftaten sind 1. Straftaten des Friedensverrats und des Hochverrats nach den SSSS 80, 81 und 82 des Strafgesetzbuchs, 2. Straftaten des Landesverrats und der Gefährdung der äußeren Sicherheit nach den SSSS 94, 95 Abs. 3 und SS 96 Abs. 1, jeweils auch in Verbindung mit SS 97 b, sowie nach den SSSS 97 a, 98 Abs. 1 Satz 2, SS 99 Abs. 2 und den SSSS 100, 100 a Abs. 4 des Strafgesetzbuchs, 3. Bildung terroristischer Vereinigungen nach SS 129 a, ausgenommen die Fälle des SS 129 a Abs. 3, jeweils auch in Verbindung mit SS 129 b, des Strafgesetzbuchs, 4. Straftaten gegen das Leben nach den SSSS 211 und 212 des Strafgesetzbuchs, 5. Völkermord nach SS 6 des Völkerstrafgesetzbuchs, 6. Straftaten gegen die persönliche Freiheit nach den SSSS 234, 234 a Abs. 1, SSSS 239 a und 239 b des Strafgesetzbuchs, 7. Gemeingefährliche Straftaten nach den SSSS 306 a, 306 b, 307 Abs. 1 und 2, SS 308 Abs. 1, SS 309 Abs. 1, SS 310 Abs. 1 Nr. 1, SS 313 Abs. 1, SS 314 Abs. 1, SS 315 Abs. 3, SS 316 b Abs. 3 und SS 316 c des Strafgesetzbuchs sowie 8. Straftaten nach SS 19 Abs. 2 Nr. 2 und SS 20 Abs. 1, jeweils auch in Verbindung mit SS 21, des Gesetzes über die Kontrolle von Kriegswaffen. 3 Die Maßnahme ist nur zulässig, wenn die Erforschung des Sachverhalts auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre. (2) 1Die Maßnahme darf sich nur gegen die verdächtige Person richten und nur in der Wohnung der verdächtigen Person durchgeführt werden. 2In der Wohnung einer anderen 173 Person ist die Maßnahme nur zulässig, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass die verdächtige Person sich dort aufhält und die Maßnahme in der Wohnung der verdächtigen Person nicht möglich oder allein zur Erforschung des Sachverhalts nicht ausreichend ist. 3Die Maßnahme darf nicht in einer Wohnung durchgeführt werden, die von einer nach SS 53 oder SS 53 a StPO zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigten Person zur Ausübung ihres Berufs genutzt wird. (3) 1Die Maßnahme darf nur angeordnet werden, soweit aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte, insbesondere zu der Art der zu überwachenden Räumlichkeiten und zum Verhältnis der zu überwachenden Personen zueinander, anzunehmen ist, dass durch die Überwachung Vorgänge, die dem Kernbereich privater Lebensgestaltung zuzurechnen sind, nicht erfasst werden. 2Gespräche in Betriebsoder Geschäftsräumen sind in der Regel nicht dem Kernbereich privater Lebensgestaltung zuzurechnen. (4) 1Die Maßnahme ist unverzüglich zu unterbrechen, wenn sich Anhaltspunkte dafür ergeben, dass der Kernbereich privater Lebensgestaltung von der Datenerhebung erfasst wird. 2Werden durch die Maßnahme Daten aus dem Kernbereich privater Lebensgestaltung erfasst, so dürfen diese nicht gespeichert, verändert oder genutzt werden; entsprechende Aufzeichnungen sind unverzüglich zu löschen. 3Die Tatsache, dass Daten aus dem Kernbereich privater Lebensgestaltung erhoben wurden, und die Löschung der Daten sind zu dokumentieren. (5) Der Einsatz technischer Mittel zur Informationsbeschaffung aus Wohnungen ist auch zulässig, soweit dieser Einsatz zur Abwehr einer Gefahr für Leben, Gesundheit oder Freiheit der bei einem Einsatz in Wohnungen tätigen Personen unerlässlich ist. SS6b Verfahrensvorschriften für den Einsatz technischer Mittel in Wohnungen (1) 1Maßnahmen nach SS 6 a Abs. 1 Satz 1 bedürfen der richterlichen Anordnung. 2 Zuständig ist das Amtsgericht, in dessen Bezirk die Verfassungsschutzbehörde ihren Sitz hat. 3Die Anordnung ist auf höchstens einen Monat zu befristen. 4Sie ergeht schriftlich. 5Sie muss die Person, gegen die sich die Maßnahme richtet, Art und Umfang der zu erhebenden Daten sowie die betroffenen Wohnungen bezeichnen und ist zu begründen. 6Das gerichtliche Verfahren richtet sich nach den Vorschriften des Niedersächsischen Gesetzes über die freiwillige Gerichtsbarkeit. 7Gegen eine Entscheidung, durch welche der Antrag der Verfassungsschutzbehörde abgelehnt wird, steht dieser die Beschwerde zu. 8Die Anordnung kann um jeweils höchstens einen weiteren Monat verlängert werden. 9Ist die Dauer der Anordnung einer Maßnahme auf insgesamt sechs Monate verlängert worden, so entscheidet über weitere Verlängerungen das Landgericht; über eine Beschwerde entscheidet das Oberlandesgericht. (2) 1Bei Gefahr im Verzuge kann die Leiterin oder der Leiter der Verfassungsschutzabteilung oder die Vertreterin oder der Vertreter die Maßnahme anordnen. 2Absatz 1 Sätze 3 bis 5 gilt entsprechend; in der Begründung ist auch darzulegen, dass Gefahr im Verzuge vorliegt. 3Eine richterliche Bestätigung der Anordnung ist unverzüglich zu beantragen. 4Die Anordnung nach Satz 1 tritt spätestens mit Ablauf des dritten Tages nach ihrem Erlass außer Kraft, wenn sie bis dahin nicht bestätigt wird; die bereits erhobenen Daten dürfen nicht gespeichert, verändert, übermittelt oder genutzt werden und sind unverzüglich zu löschen. (3) 1Der Vollzug der Anordnung erfolgt unter Aufsicht einer oder eines in der Verfassungs174 schutzabteilung Tätigen, die oder der die Befähigung zum Richteramt hat. 2Liegen die Voraussetzungen der Anordnung nicht mehr vor, so ist die Maßnahme unverzüglich zu beenden. (4) 1Gegen die Anordnung der Maßnahme steht der betroffenen Person nur die sofortige Beschwerde zu. 2Die Frist beginnt mit Zugang der Unterrichtung nach SS 6 Abs. 9. 3In der Unterrichtung ist auf die Möglichkeit nachträglichen Rechtsschutzes und die dafür vorgesehene Frist hinzuweisen. 4Die sofortige weitere Beschwerde ist nur statthaft, wenn das Landgericht sie wegen der grundsätzlichen Bedeutung zulässt oder das Landgericht die Anordnung im Beschwerdeverfahren erlassen hat. (5) 1Maßnahmen nach SS 6 a Abs. 5 bedürfen der Anordnung durch die Leiterin oder den Leiter der Verfassungsschutzabteilung oder durch die Vertreterin oder den Vertreter. 2 Absatz 1 Sätze 4 und 5 sowie Absatz 3 gelten entsprechend. (6) 1Daten, die aufgrund einer Anordnung nach SS 6 a Abs. 5 erhoben worden sind, dürfen zu anderen als den dort genannten Zwecken unter den Voraussetzungen des SS 6 Abs. 6 Satz 2 gespeichert, verändert, übermittelt und genutzt werden, wenn zuvor die Rechtmäßigkeit der Maßnahme richterlich festgestellt ist; Absatz 1 Sätze 2, 6 und 7 gilt entsprechend. 2Wird die Rechtmäßigkeit der Maßnahme nicht richterlich festgestellt, so dürfen die bereits erhobenen Daten nicht gespeichert, verändert und genutzt werden; sie sind unverzüglich zu löschen. 3SS 4 Abs. 1 des Artikel 10-Gesetzes gilt entsprechend. (7) Von einer Maßnahme nach SS 6 a Abs. 1 Satz 1 oder Abs. 5 ist der Ausschuss für Angelegenheiten des Verfassungsschutzes in der nächsten nach der Anordnung stattfindenden Sitzung zu unterrichten. (8) 1Nach Beendigung einer Maßnahme nach SS 6 a Abs. 1 Satz 1 oder Abs. 5 teilt das Fachministerium abweichend von SS 6 Abs. 9 Satz 5 dem Ausschuss für Angelegenheiten des Verfassungsschutzes innerhalb von sechs Monaten die Unterrichtung der Betroffenen oder die Gründe für eine Zurückstellung nach SS 6 Abs. 9 Satz 3 mit. 2Dem Ausschuss sind jeweils nach einem Jahr eine weitere Zurückstellung der Unterrichtung und deren Gründe mitzuteilen. 3Soll die Unterrichtung endgültig unterbleiben, so bedarf es abweichend von SS 6 Abs. 9 Satz 6 Nr. 4 der Zustimmung des Ausschusses. (9) Das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung (Artikel 13 des Grundgesetzes) wird nach Maßgabe der Absätze 1 bis 6 sowie des SS 6 a eingeschränkt. SS6c Verfahrensvorschriften für das heimliche Mithören und Aufzeichnen des nicht öffentlich gesprochenen Wortes unter Einsatz technischer Mittel (1) Für die Anordnung des Einsatzes eines nachrichtendienstlichen Mittels nach SS 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 außerhalb einer Wohnung gilt SS 5 b Abs. 1 bis 3 entsprechend. (2) 1Werden durch eine Maßnahme nach Absatz 1 Daten aus dem Kernbereich privater Lebensgestaltung erfasst, so dürfen diese nicht gespeichert, verändert oder genutzt werden; entsprechende Aufzeichnungen sind unverzüglich zu löschen. 2Die Tatsache, dass Daten aus dem Kernbereich privater Lebensgestaltung erhoben wurden, und die Löschung der Daten sind zu dokumentieren. (3) Für personenbezogene Daten, die durch Maßnahmen nach Absatz 1 erhoben wurden, gelten die SSSS 4 und 12 Abs. 1 und 3 des Artikel 10-Gesetzes sowie SS 4 Abs. 5 und 6 Nds. AG G 10 entsprechend; SS 6 Abs. 6, 8 und 9 findet keine Anwendung. 175 (4) Das Fachministerium unterrichtet den Ausschuss für Angelegenheiten des Verfassungsschutzes im Abstand von höchstens sechs Monaten über Maßnahmen nach Absatz 1. SS6d Einsatz technischer Mittel nach SS 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 12 (1) 1Technische Mittel nach SS 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 12 darf die Verfassungsschutzbehörde zur Erfüllung ihrer Aufgaben nach SS 3 Abs. 1 Satz 1 einsetzen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für eine schwerwiegende Gefahr für ein in SS 3 Abs. 1 Satz 1 genanntes Schutzgut vorliegen. 2Die Maßnahme ist nur zulässig, wenn die Erforschung des Sachverhalts auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre. 3Die Maßnahme darf sich nur gegen Personen richten, bei denen tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie die schwerwiegende Gefahr nachdrücklich fördern. 4Gegen sonstige Personen darf das Mittel eingesetzt werden, wenn aufgrund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass diese für Personen nach Satz 3 bestimmte oder von ihr herrührende Mitteilungen entgegennehmen oder weitergeben oder dass ihre Mobilfunkendeinrichtungen von Personen nach Satz 3 benutzt werden. 5SS 5 b Abs. 1 bis 3 gilt entsprechend. (2) 1Für personenbezogene Daten, die durch Maßnahmen nach Absatz 1 erhoben wurden, gelten die SSSS 4 und 12 Abs. 1 und 3 des Artikel 10-Gesetzes sowie SS 4 Abs. 5 und 6 Nds. AG G 10 entsprechend; SS 6 Abs. 6, 8 und 9 findet keine Anwendung. 2SS 5 b Abs. 5 gilt entsprechend. SS7 -- aufgehoben -- SS8 Speicherung, Veränderung und Nutzung personenbezogener Daten (1) 1Die Verfassungsschutzbehörde darf zur Erfüllung ihrer Aufgaben nach SS 3 Abs. 1 Satz 1 personenbezogene Daten speichern, verändern und nutzen, wenn 1. tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht bestehen, dass die betroffene Person an Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 3 Abs. 1 Satz 1 beteiligt ist, und dies für die Beobachtung der Bestrebung oder Tätigkeit erforderlich ist, 2. dies für die Erforschung und Bewertung gewalttätiger Bestrebungen nach SS 3 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1, 3 und 4 oder von Tätigkeiten nach SS 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 erforderlich ist oder 3. dies zur Schaffung nachrichtendienstlicher Zugänge zu Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 3 Abs. 1 Satz 1 erforderlich ist. 2 In Akten dürfen über Satz 1 Nr. 2 hinaus personenbezogene Daten auch gespeichert, verändert und genutzt werden, wenn dies sonst zur Erforschung und Bewertung von Bestrebungen nach SS 3 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1, 3 und 4 erforderlich ist. (2) Personenbezogene Daten dürfen nur dann in Dateien gespeichert werden, wenn sie aus Akten ersichtlich sind. (3) Die Speicherung von personenbezogenen Daten aus der engeren Persönlichkeitssphäre in Dateien ist unzulässig. (4) Die Verfassungsschutzbehörde hat die Speicherungsdauer auf das für ihre Aufgabenerfüllung erforderliche Maß zu beschränken. 176 SS9 Speicherung, Veränderung und Nutzung personenbezogener Daten von Minderjährigen (1) 1Die Verfassungsschutzbehörde darf unter den Voraussetzungen des SS 8 Daten über das Verhalten Minderjähriger aus der Zeit vor Vollendung des 14. Lebensjahres in Akten, die zu ihrer Person geführt werden, nur speichern, verändern oder nutzen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die betroffene Person eine der in SS 3 Abs. 1 des Artikel 10-Gesetzes genannten Straftaten plant, begeht oder begangen hat. 2In Dateien dürfen Daten über das Verhalten Minderjähriger nur gespeichert, verändert oder genutzt werden, wenn 1. die oder der Minderjährige zu dem Zeitpunkt, auf den sich die Daten beziehen, das 14. Lebensjahr bereits vollendet hatte und 2. tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht einer Tätigkeit nach SS 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 oder einer Bestrebung nach SS 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 3 oder 4 bestehen, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen verfolgt wird. (2) 1Die nach Absatz 1 über Personen vor Vollendung des 16. Lebensjahres gespeicherten Daten sind zwei Jahre nach der Speicherung zu löschen, es sei denn, dass weitere Informationen im Sinne des SS 3 Abs. 1 Satz 1 hinzugekommen sind. 2Die nach Absatz 1 über Personen nach Vollendung des 16. und vor Vollendung des 18. Lebensjahres gespeicherten Daten sind zwei Jahre nach der Speicherung auf die Erforderlichkeit einer weiteren Speicherung zu überprüfen. 3Sie sind spätestens nach fünf Jahren zu löschen, es sei denn, dass nach Eintritt der Volljährigkeit weitere Informationen über Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 3 Abs. 1 Satz 1 hinzugekommen sind. SS 10 Berichtigung, Löschung und Sperrung von personenbezogenen Daten in Dateien (1) Die Verfassungsschutzbehörde hat die in Dateien gespeicherten personenbezogenen Daten zu berichtigen, wenn sie unrichtig sind; sie hat sie zu ergänzen, wenn sie unvollständig sind und dadurch schutzwürdige Interessen der betroffenen Person beeinträchtigt sein können. (2) 1Die Verfassungsschutzbehörde hat die in Dateien gespeicherten personenbezogenen Daten zu löschen, wenn 1. ihre Speicherung unzulässig war oder 2. ihre Kenntnis für die Aufgabenerfüllung nicht mehr erforderlich ist. 2 Die Löschung unterbleibt, wenn Grund zu der Annahme besteht, dass durch sie schutzwürdige Interessen von Betroffenen beeinträchtigt würden. 3In diesem Fall sind die Daten zu sperren. 4Sie dürfen nur noch mit Einwilligung der Betroffenen weiterverarbeitet werden. (3) 1Die Verfassungsschutzbehörde prüft bei der Einzelfallbearbeitung und nach festgesetzten Fristen, spätestens nach fünf Jahren, ob gespeicherte personenbezogene Daten zu berichtigen oder zu ergänzen, zu löschen oder zu sperren sind. 2Gespeicherte personenbezogene Daten über Bestrebungen nach SS 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 sind spätestens zehn Jahre, über Bestrebungen nach Nr. 3 oder 4 spätestens 15 Jahre nach dem Zeitpunkt der letzten Speicherung einer Information über Bestrebungen und Tätigkeiten nach SS 3 Abs. 1 Satz 1 zu löschen. 177 (4) 1In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nr. 2 und des Absatzes 3 Satz 2 tritt an die Stelle der Löschung der personenbezogenen Daten durch die Verfassungsschutzbehörde die Abgabe an das Landesarchiv. 2Die Nutzung archivierter Daten durch die Verfassungsschutzbehörde ist ausgeschlossen, solange diese nicht allgemein zugänglich sind. (5) Personenbezogene Daten, die ausschließlich zu Zwecken der Datenschutzkontrolle, der Datensicherung oder zur Sicherstellung eines ordnungsgemäßen Betriebes einer Datenverarbeitungsanlage gespeichert werden, dürfen nur für diese Zwecke oder zur Verfolgung von Straftaten nach dem Niedersächsischen Datenschutzgesetz weiterverarbeitet werden. SS 11 Berichtigung, Löschung und Sperrung von personenbezogenen Daten in Akten (1) Stellt die Verfassungsschutzbehörde fest, dass in Akten gespeicherte personenbezogene Daten unrichtig sind, oder wird ihre Richtigkeit von Betroffenen bestritten, so ist dies in der Akte zu vermerken. (2) 1Für Akten, die zu einer bestimmten Person geführt werden, gilt SS 10 Abs. 2 und 3 entsprechend. 2Im Übrigen hat die Verfassungsschutzbehörde personenbezogene Daten zu sperren, wenn sie bei der Einzelfallbearbeitung feststellt, dass ohne die Sperrung schutzwürdige Interessen von Betroffenen beeinträchtigt würden, und die Daten für die künftige Aufgabenerfüllung nicht mehr erforderlich sind. 3Gesperrte Daten sind mit einem entsprechenden Vermerk zu versehen; sie dürfen nicht mehr weiterverarbeitet werden. 4Eine Aufhebung der Sperrung ist möglich, wenn ihre Voraussetzungen nachträglich entfallen. (3) 1Sind Akten der Verfassungsschutzbehörde für ihre Aufgabenerfüllung nicht mehr erforderlich, so tritt an die Stelle ihrer Vernichtung die Abgabe an das Landesarchiv. 2Für Akten, die zu einer bestimmten Person geführt werden, oder andere Akten, die personenbezogene Daten enthalten, gilt SS 10 Abs. 4 Satz 2 entsprechend. SS 12 Dateibeschreibungen (1) 1Für jede Datei bei der Verfassungsschutzbehörde sind in einer Dateibeschreibung festzulegen: 1. die Bezeichnung der Datei, 2. der Zweck der Datei, 3. Inhalt, Umfang, Voraussetzungen und Rechtsgrundlage der Speicherung, Übermittlung und Nutzung (betroffener Personenkreis, Arten der Daten), 4. Überprüfungsfristen, Speicherungsdauer, 5. die nach dem Niedersächsischen Datenschutzgesetz erforderlichen technischen und organisatorischen Maßnahmen, 6. bei automatisierten Verfahren die Betriebsart des Verfahrens, die Art der Geräte, die Stellen, bei denen sie aufgestellt sind, sowie das Verfahren zur Übermittlung, Sperrung, Löschung und Auskunftserteilung. 2 Satz 1 gilt nicht für Dateien, die aus ausschließlich verarbeitungstechnischen Gründen vorübergehend vorgehalten werden. (2) Vor dem Erlass einer Dateibeschreibung ist die oder der Landesbeauftragte für den Datenschutz anzuhören. (3) 1Die Speicherung personenbezogener Daten ist auf das erforderliche Maß zu beschrän178 ken. 2In angemessenen Abständen ist die Notwendigkeit der Weiterführung oder Änderung der Dateien zu überprüfen. (4) In der Dateibeschreibung über personenbezogene Textdateien ist die Zugriffsberechtigung auf Personen zu beschränken, die unmittelbar mit Arbeiten in dem Gebiet betraut sind, dem die Textdateien zugeordnet sind; Auszüge aus Textdateien dürfen nicht ohne die dazugehörenden erläuternden Unterlagen übermittelt werden. Dritter Abschnitt Auskunft SS 13 Auskunft an Betroffene (1) 1Die Verfassungsschutzbehörde erteilt Betroffenen auf Antrag unentgeltlich Auskunft über die zu ihrer Person gespeicherten Daten. 2Die Auskunftsverpflichtung erstreckt sich nicht auf die Herkunft der Daten und die Empfänger von Übermittlungen. 3Über Daten aus Akten, die nicht zur Person der Betroffenen geführt werden, wird Auskunft nur erteilt, soweit die Daten, namentlich aufgrund von Angaben der Betroffenen, mit angemessenem Aufwand auffindbar sind. 4Die Verfassungsschutzbehörde bestimmt Verfahren und Form der Auskunftserteilung nach pflichtgemäßem Ermessen. (2) 1Die Auskunftserteilung kann nur abgelehnt werden, soweit 1. die Auskunft die öffentliche Sicherheit gefährden oder sonst dem Wohl des Bundes oder eines Landes Nachteile bereiten würde, 2. die Daten oder die Tatsache ihrer Speicherung nach einer Rechtsvorschrift oder wegen der berechtigten Interessen von Dritten geheim gehalten werden müssen oder 3. durch die Auskunftserteilung Informationsquellen gefährdet würden oder die Ausforschung des Erkenntnisstandes oder der Arbeitsweise der Verfassungsschutzbehörde zu befürchten ist. 2 Die Entscheidung trifft die Leiterin oder der Leiter der Verfassungsschutzabteilung unter Abwägung der in Satz 1 Nrn. 1 bis 3 genannten Interessen mit dem Interesse der antragstellenden Person an der Auskunftserteilung. 3Die Leiterin oder der Leiter der Verfassungsschutzabteilung kann eine Mitarbeiterin oder einen Mitarbeiter damit beauftragen, ebenfalls Entscheidungen nach Satz 1 zu treffen. (3) 1Die Ablehnung einer Auskunft bedarf keiner Begründung, soweit durch die Begründung der Zweck der Ablehnung gefährdet würde. 2Die Gründe der Ablehnung sind aktenkundig zu machen. 3Wird der antragstellenden Person keine Begründung für die Ablehnung der Auskunft gegeben, so ist ihr die Rechtsgrundlage dafür zu nennen. 4Ferner ist sie darauf hinzuweisen, dass sie sich an die Landesbeauftragte oder den Landesbeauftragten für den Datenschutz wenden kann. 5Der oder dem Landesbeauftragten ist auf Verlangen Auskunft zu erteilen. 6Stellt die Fachministerin oder der Fachminister oder die Vertreterin oder der Vertreter, fest, dass durch die Erteilung der Auskunft nach Satz 5 die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gefährdet würde, so darf die Auskunft nur der oder dem Landesbeauftragten persönlich erteilt werden. 7Mitteilungen der oder des Landesbeauftragten an die antragstellende Person dürfen keine Rückschlüsse auf den Erkenntnisstand der Verfassungsschutzbehörde zulassen, sofern diese nicht einer weitergehenden Mitteilung zustimmt. 179 Vierter Abschnitt Informationsübermittlung SS 14 Grenzen der Übermittlung personenbezogener Daten Wird nach den Bestimmungen dieses Abschnitts um die Übermittlung personenbezogener Daten ersucht, so dürfen nur solche Daten übermittelt werden, die bei der ersuchten Behörde oder Stelle bereits bekannt sind oder von ihr aus allgemein zugänglichen Quellen entnommen werden können. SS 15 Übermittlung von Informationen an die Verfassungsschutzbehörde (1) Die Behörden des Landes, insbesondere die Staatsanwaltschaften und, vorbehaltlich der staatsanwaltschaftlichen Sachleitungsbefugnis, die Polizeibehörden, sowie die der ausschließlichen Aufsicht des Landes unterstehenden Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts unterrichten von sich aus die Verfassungsschutzbehörde über die ihnen bekannt gewordenen Tatsachen, die sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten für eine fremde Macht oder Bestrebungen in der Bundesrepublik Deutschland erkennen lassen, die sich unter Anwendung von Gewalt oder durch darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen gegen die in SS 3 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1, 3 und 4 genannten Schutzgüter wenden. (2) Die Staatsanwaltschaften und, vorbehaltlich der staatsanwaltschaftlichen Sachleitungsbefugnis, die Polizeibehörden sowie die Ausländerbehörden übermitteln darüber hinaus von sich aus der Verfassungsschutzbehörde auch alle anderen ihnen bekannt gewordenen Informationen einschließlich personenbezogener Daten über Bestrebungen nach SS 3 Abs. 1 Satz 1, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Übermittlung für die Erfüllung der Aufgaben der Verfassungsschutzbehörde erforderlich ist. (3) 1Die Verfassungsschutzbehörde darf zur Erfüllung ihrer Aufgaben die in Absatz 1 genannten Stellen um Übermittlung der zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlichen Informationen einschließlich personenbezogener Daten ersuchen, wenn diese nicht aus allgemein zugänglichen Quellen oder nur mit übermäßigem Aufwand oder nur durch eine die betroffene Person stärker belastende Maßnahme erhoben werden können. 2Die Ersuchen sind aktenkundig zu machen. (4) 1Die Übermittlung personenbezogener Daten, die aufgrund einer Maßnahme nach SS 100 a StPO bekannt geworden sind, ist nach den Absätzen 1 bis 3 nur zulässig, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass jemand eine der in SS 3 des Artikel 10Gesetzes genannten Straftaten plant, begeht oder begangen hat. 2Auf die der Verfassungsschutzbehörde nach Satz 1 übermittelten personenbezogenen Daten findet SS 4 Abs. 1 und 2 Satz 1 sowie Abs. 4 bis 6 des Artikel 10-Gesetzes entsprechende Anwendung. (5) 1Die Übermittlung personenbezogener Daten, die aufgrund anderer strafprozessualer Zwangsmaßnahmen (SSSS 94 bis 100, 100 c bis 111 p, 163 e und 163 f StPO) bekannt geworden sind, ist nur zulässig, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für gewalttätige Bestrebungen nach SS 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 3 oder 4 oder von Tätigkeiten nach SS 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 bestehen. 2Die nach Satz 1 übermittelten personenbezogenen Daten dürfen nur zur Erforschung solcher Bestrebungen oder Tätigkeiten genutzt werden. 180 SS 16 Registereinsicht (1) Die Verfassungsschutzbehörde darf zur Gewinnung von Informationen über gewalttätige Bestrebungen nach SS 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 3 oder 4 oder über Tätigkeiten nach SS 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 die von öffentlichen Stellen geführten Register, insbesondere Grundbücher, Personenstandsbücher, Melderegister, Personalausweisregister, Passregister, Führerscheinkartei, Waffenscheinkartei, einsehen. (2) 1Die Einsichtnahme ist nur zulässig, wenn 1. eine Übermittlung der Daten durch die registerführende Stelle den Zweck der Maßnahme gefährden würde oder 2. die betroffene Person durch eine anderweitige Informationsgewinnung unverhältnismäßig beeinträchtigt würde. 2 Die Einsichtnahme ist unzulässig, wenn ihr eine gesetzliche Geheimhaltungsvorschrift o- der eine Pflicht zur Wahrung von Berufsgeheimnissen entgegensteht. (3) Die Einsichtnahme ordnet die Leiterin oder der Leiter der Verfassungsschutzabteilung oder die Vertreterin oder der Vertreter an. (4) 1Die durch Einsichtnahme in Register gewonnenen Informationen dürfen nur zu den in Absatz 1 genannten Zwecken verwendet werden. 2Gespeicherte Informationen sind zu löschen und Unterlagen zu vernichten, sobald sie für diese Zwecke nicht mehr erforderlich sind. (5) 1Über jede Einsichtnahme ist ein gesonderter Nachweis zu führen, aus dem ihr Zweck, das eingesehene Register und die registerführende Stelle sowie die Namen der Betroffenen hervorgehen, deren Daten für eine weitere Verarbeitung erforderlich sind. 2Diese Nachweise sind gesondert aufzubewahren, gegen unberechtigten Zugriff zu sichern und am Ende des Kalenderjahres, das dem Jahr der Anfertigung folgt, zu vernichten. SS 17 Übermittlung personenbezogener Daten durch die Verfassungsschutzbehörde (1) 1Die Verfassungsschutzbehörde darf personenbezogene Daten an inländische Behörden übermitteln, wenn dies zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlich ist oder der Empfänger die Daten zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder sonst für Zwecke der öffentlichen Sicherheit oder der Strafverfolgung benötigt. 2Die Übermittlung ist aktenkundig zu machen. 3Die empfangende Behörde darf die übermittelten Daten, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, nur zu dem Zweck weiterverarbeiten, zu dem sie ihr übermittelt wurden. (2) 1Die Verfassungsschutzbehörde darf personenbezogene Daten an Dienststellen der alliierten Streitkräfte übermitteln, soweit dies im Rahmen der Zusammenarbeit nach Artikel 3 des Zusatzabkommens vom 3. August 1959 zu dem Abkommen zwischen den Parteien des Nordatlantikvertrages vom 19. Juni 1951 über die Rechtsstellung ihrer Truppen hinsichtlich der in der Bundesrepublik Deutschland stationierten ausländischen Truppen (BGBl. 1961 II S. 1183, 1218) erforderlich ist. 2Die Übermittlung ist aktenkundig zu machen. (3) 1Die Verfassungsschutzbehörde darf personenbezogene Daten im Einvernehmen mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz an ausländische öffentliche Stellen sowie an überund zwischenstaatliche Stellen übermitteln, soweit die Übermittlung in einem Gesetz, einem Rechtsakt der Europäischen Gemeinschaften oder einer internationalen Vereinbarung 181 geregelt ist. 2Eine Übermittlung darf auch erfolgen, wenn sie 1. zum Schutz von Leib oder Leben erforderlich ist oder 2. zur Erfüllung eigener Aufgaben, insbesondere in Fällen grenzüberschreitender Tätigkeiten der Verfassungsschutzbehörde, unumgänglich ist und im Empfängerland gleichwertige Datenschutzregelungen gelten. 3Die Übermittlung unterbleibt, wenn ihr auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland oder überwiegende schutzwürdige Interessen der Betroffenen, insbesondere deren Schutz vor einer rechtsstaatswidrigen Verfolgung, entgegenstehen. 4Die Übermittlung der von einer Ausländerbehörde empfangenen personenbezogenen Daten unterbleibt, es sei denn, die Übermittlung ist völkerrechtlich geboten. 5Die Übermittlung ist aktenkundig zu machen. 6 Die empfangende Stelle darf die übermittelten Daten nur für den Zweck weiterverarbeiten, zu dem sie ihr übermittelt wurden. 7Sie ist auf die Verarbeitungsbeschränkung und darauf hinzuweisen, dass sich die Verfassungsschutzbehörde vorbehält, Auskunft über die Verarbeitung der Daten zu verlangen. (4) 1Personenbezogene Daten dürfen an einzelne Personen oder an andere als die in den Absätzen 1 bis 3 genannten Stellen nicht übermittelt werden, es sei denn, dass dies zum Schutz vor Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 3 Abs. 1 Satz 1 oder zur Gewährleistung der Sicherheit von lebensoder verteidigungswichtigen Einrichtungen (SS 1 Abs. 4 und 5 des Niedersächsischen Sicherheitsüberprüfungsgesetzes) erforderlich ist und die Fachministerin oder der Fachminister oder die Vertreterin oder der Vertreter der Übermittlung zugestimmt hat. 2 Die Verfassungsschutzbehörde führt über jede Übermittlung personenbezogener Daten nach Satz 1 einen gesonderten Nachweis, aus dem der Zweck der Übermittlung, ihre Veranlassung, die Aktenfundstelle und der Empfänger hervorgehen. 3Die Nachweise sind gesondert aufzubewahren, gegen unberechtigten Zugriff zu sichern und am Ende des Kalenderjahres, das dem Jahr ihrer Anfertigung folgt, zu vernichten. 4Der Empfänger darf die übermittelten Daten nur für den Zweck weiterverarbeiten, zu dem sie ihm übermittelt wurden. 5Er ist auf die Verarbeitungsbeschränkung und darauf hinzuweisen, dass sich die Verfassungsschutzbehörde vorbehält, Auskunft über die Verarbeitung der Daten zu verlangen. 6Die Übermittlung der personenbezogenen Daten ist der betroffenen Person durch die Verfassungsschutzbehörde mitzuteilen, sobald eine Gefährdung der Aufgabenerfüllung durch die Mitteilung nicht mehr zu besorgen ist. 7Die Zustimmung nach Satz 1 und das Führen eines Nachweises nach Satz 2 sind nicht erforderlich, wenn personenbezogene Daten durch die Verfassungsschutzbehörde zum Zweck von Datenerhebungen an andere Stellen übermittelt werden. SS 18 Übermittlung von Informationen durch die Verfassungsschutzbehörde an Strafverfolgungsund Sicherheitsbehörden in Angelegenheiten des Staatsund Verfassungsschutzes (1) Die Verfassungsschutzbehörde übermittelt den Staatsanwaltschaften und, vorbehaltlich der staatsanwaltschaftlichen Sachleitungsbefugnis, den Polizeibehörden von sich aus die ihr bekannt gewordenen Informationen einschließlich personenbezogener Daten, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Übermittlung zur Verhinderung oder Verfolgung von folgenden Straftaten erforderlich ist: die in SS 74 a Abs. 1 und SS 120 Abs. 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes genannten Straftaten, Straftaten, bei denen aufgrund ihrer Zielrichtung, des Motivs des Täters oder dessen Ver182 bindung zu einer Organisation anzunehmen ist, dass sie sich gegen die in SS 3 Abs. 1 Satz 1 genannten Schutzgüter wenden. (2) Die Polizeibehörden dürfen zur Verhinderung von Straftaten nach Absatz 1 die Verfassungsschutzbehörde um Übermittlung der erforderlichen Informationen einschließlich personenbezogener Daten ersuchen. SS 19 Übermittlung personenbezogener Daten an die Öffentlichkeit Bei der Aufklärung der Öffentlichkeit einschließlich der Medien über Bestrebungen und Tätigkeiten nach SS 3 Abs. 1 Satz 1 dürfen personenbezogene Daten nur bekannt gegeben werden, wenn die Bekanntgabe für das Verständnis der Darstellung, insbesondere von Organisationen oder unorganisierten Gruppierungen, erforderlich ist und das Interesse der Allgemeinheit das schutzwürdige Interesse der betroffenen Person überwiegt. SS 20 Übermittlungsverbote, Minderjährigenschutz (1) Die Übermittlung von Informationen nach den Vorschriften dieses Abschnitts unterbleibt, wenn 1. die Informationen zu löschen sind, 2. für die übermittelnde Stelle erkennbar ist, dass die Informationen für die empfangende Stelle nicht erforderlich sind, 3. für die übermittelnde Stelle erkennbar ist, dass unter Berücksichtigung der Art der Informationen, insbesondere ihres Bezuges zu der engeren Persönlichkeitssphäre der betroffenen Person, und der Umstände ihrer Erhebung das schutzwürdige Interesse der betroffenen Person das Interesse der Allgemeinheit an der Übermittlung überwiegt, 4. überwiegende Sicherheitsinteressen dies erfordern oder 5. besondere Regelungen in Rechtsvorschriften, in Standesrichtlinien oder Verpflichtungen zur Wahrung besonderer Amtsgeheimnisse der Übermittlung entgegenstehen. (2) Personenbezogene Daten Minderjähriger dürfen nach den Vorschriften dieses Gesetzes übermittelt werden, solange die Voraussetzungen der Speicherung nach SS 9 erfüllt sind. (3) 1Personenbezogene Daten Minderjähriger über ihr Verhalten vor Vollendung des 14. Lebensjahres dürfen nach den Vorschriften dieses Gesetzes nicht an ausländische oder an überoder zwischenstaatliche Stellen übermittelt werden. 2Dasselbe gilt für Informationen über Personenzusammenschlüsse, deren Mitglieder überwiegend Minderjährige sind, die das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet haben. SS 21 Pflichten der empfangenden Stelle 1 Die empfangende Stelle prüft, ob die ihr nach den Vorschriften dieses Gesetzes übermittelten personenbezogenen Daten für die Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlich sind. 2Ergibt die Prüfung, dass dies nicht der Fall ist, so hat sie die entsprechenden Unterlagen zu vernichten und gespeicherte Daten zu löschen. 3Die Vernichtung und die Löschung können unterbleiben, wenn die Trennung von anderen Informationen, die zur Erfüllung der Aufgaben erforderlich sind, nicht oder nur mit unvertretbarem Aufwand möglich ist; in diesem Fall sind die 183 Daten zu sperren. SS 22 Nachberichtspflicht 1 Erweisen sich personenbezogene Daten nach ihrer Übermittlung als unvollständig oder unrichtig, so sind sie gegenüber der empfangenden Stelle unverzüglich zu ergänzen oder zu berichtigen, es sei denn, dass der Mangel für die Beurteilung des Sachverhalts offensichtlich ohne Bedeutung ist. 2Werden personenbezogene Daten nach ihrer Übermittlung gesperrt, so ist dies der empfangenden Stelle unter Angabe der Gründe, die zu der Sperrung geführt haben, unverzüglich mitzuteilen. Fünfter Abschnitt Parlamentarische Kontrolle SS 23 Ausschuss für Angelegenheiten des Verfassungsschutzes Die parlamentarische Kontrolle auf dem Gebiet des Verfassungsschutzes übt unbeschadet der Rechte des Landtages und seiner sonstigen Ausschüsse ein besonderer, vom Landtag gebildeter Ausschuss für Angelegenheiten des Verfassungsschutzes aus. SS 24 Zusammensetzung (1) 1Der Ausschuss für Angelegenheiten des Verfassungsschutzes soll aus mindestens sieben Abgeordneten des Landtages bestehen. 2Mitglieder der Landesregierung können dem Ausschuss nicht angehören. (2) 1Jede Fraktion erhält mindestens einen Sitz. 2Die Verteilung aller Sitze bestimmt sich nach der Geschäftsordnung des Niedersächsischen Landtages. SS 25 Kontrollrechte des Ausschusses (1) Das Fachministerium ist verpflichtet, den Ausschuss für Angelegenheiten des Verfassungsschutzes umfassend über seine Tätigkeit als Verfassungsschutzbehörde im Allgemeinen sowie über Vorgänge von besonderer Bedeutung zu unterrichten. (2) Der Ausschuss hat das Recht, Auskunftspersonen anzuhören, wenn mindestens ein Fünftel der Ausschussmitglieder dies verlangt. (3) Das Fachministerium kann das Anhörungsverlangen nach Absatz 2 in entsprechender Anwendung des Artikels 24 Abs. 3 der Niedersächsischen Verfassung ablehnen; die Gründe sind dem Ausschuss darzulegen. (4) 1Die in der Verfassungsschutzabteilung Tätigen dürfen in dienstlichen Angelegenheiten Eingaben an den Ausschuss für Angelegenheiten des Verfassungsschutzes richten. 2Solche Eingaben und die Verhandlungen des Ausschusses über sie sind vertraulich im Sinne der Geschäftsordnung des Niedersächsischen Landtages. 184 SS 26 Verfahrensweise (1) 1Für die Verhandlungen des Ausschusses für Angelegenheiten des Verfassungsschutzes gelten die Vorschriften der Geschäftsordnung des Niedersächsischen Landtages. 2Jedoch bedarf ein Beschluss, durch welchen die Vertraulichkeit von Akten oder sonstigen Unterlagen oder von Verhandlungen des Ausschusses aufgehoben wird, einer Mehrheit von zwei Dritteln der Stimmen seiner Mitglieder. 3Ist zu einem solchen Beschluss das Einvernehmen der Landesregierung erforderlich und weigert diese sich, es zu erteilen, so hat sie die Gründe dafür vor dem Ausschuss darzulegen. 4Dient die Vertraulichkeit dem Schutz von Informationen, deren Geheimhaltung in die Verantwortung einer Behörde des Bundes o- der eines anderen Landes fällt, so bedarf die Aufhebung der Vertraulichkeit des Einvernehmens dieser Behörde. (2) 1Der Ausschuss gibt sich für die Wahrnehmung der Aufgaben nach SS 2 Abs. 1 Nds. AG G 10 eine besondere Geschäftsordnung. 2Zu deren Geheimschutzregelungen ist die Landesregierung zu hören. 3Die Geschäftsordnung bedarf der Bestätigung durch den Landtag. (3) Der Ausschuss berichtet dem Landtag in der Mitte und am Ende jeder Wahlperiode über seine Tätigkeit. (4) Der Ausschuss übt seine Tätigkeit auch über das Ende einer Wahlperiode des Landtages so lange aus, bis der nachfolgende Landtag den Ausschuss nach SS 24 neu gebildet hat. SS 27 Hilfe vonseiten der oder des Landesbeauftragten für den Datenschutz (1) 1Der Ausschuss für Angelegenheiten des Verfassungsschutzes hat auf Antrag von mindestens einem Viertel seiner Mitglieder die Landesbeauftragte oder den Landesbeauftragten für den Datenschutz zu beauftragen, die Rechtmäßigkeit einzelner Maßnahmen der Verfassungsschutzbehörde zu überprüfen. 2Die Befugnisse der oder des Landesbeauftragten richten sich nach den Bestimmungen des Niedersächsischen Datenschutzgesetzes. (2) Wird die oder der Landesbeauftragte für den Datenschutz nach SS 13 Abs. 3 tätig, so kann sie oder er den Ausschuss von sich aus unterrichten, wenn sich Beanstandungen ergeben, eine Mitteilung an die betroffene Person aber aus Geheimhaltungsgründen unterbleiben muss. Sechster Abschnitt Schlussvorschriften SS 28 Geltung des Niedersächsischen Datenschutzgesetzes Bei der Erfüllung der Aufgaben nach SS 3 durch die Verfassungsschutzbehörde finden die Vorschriften des SS 4 Abs. 1 sowie der SSSS 9 bis 17 a des Niedersächsischen Datenschutzgesetzes keine Anwendung. SS 29 Änderung des Niedersächsischen Gesetzes zur Ausführung des Gesetzes zu Artikel 10 Grundgesetz*) 185 SS 30 Änderung des Niedersächsischen Beamtengesetzes*122) SS 31 Änderung des Personalvertretungsgesetzes für das Land Niedersachsen*) SS 32 Inkrafttreten **) (1) Dieses Gesetz tritt 14 Tage nach seiner Verkündung in Kraft. (2) Gleichzeitig tritt das Niedersächsische Verfassungsschutzgesetz vom 12. Juli 1976 (Nds. GVBl. S. 181), geändert durch Gesetz vom 24. März 1980 (Nds. GVBl. S. 67), außer Kraft. * Diese Vorschrift des Gesetzes in der ursprünglichen Fassung vom 03.11.1992 (Nds. GVBl. S. 283) wird hier nicht abgedruckt. ** Diese Vorschrift betrifft das Inkrafttreten des Gesetzes in der ursprünglichen Fassung vom 03.11.1992 (Nds. GVBl. S. 283). Der Zeitpunkt des Inkrafttretens der späteren Änderungen ergibt sich aus den in den Bekanntmachungen vom 30.03.2004 (Nds. GVBl. S. 117) und vom 19.11.2007 (Nds. GVBl. S. 641) sowie den in der vorangestellten Bekanntmachung näher bezeichneten Gesetzen. 186 8.3 Übersicht Verbote neonazistischer Vereinigungen 26.11.1992 Nationalistische Front (NF) Bundesministerium des Innern 08.12.1992 Deutsche Alternative (DA) Bundesministerium des Innern 18.12.1992 Deutscher Kameradschaftsbund (DKB) Niedersächsisches Innenministerium 21.12.1992 Nationale Offensive (NO) Bundesministerium des Innern 07.06.1993 Nationaler Block (NB) Bayerisches Staatsministerium des Innern 08.07.1993 Heimattreue Vereinigung Innenministerium des Landes Deutschlands (HVD) Baden-Württemberg 25.08.1993 Freundeskreis Freiheit für Innenministerium des Landes Deutschland (FFD) Nordrhein-Westfalen 10.11.1994 Wiking Jugend e.V. (WJ) Bundesministerium des Innern (auf Initiative des Niedersächsischen Innenministeriums) 24.02.1995 Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei Bundesministerium des Innern (FAP) (auf Initiative des Niedersächsischen Innenministeriums) 24.02.1995 Nationale Liste (NL) Behörde für Inneres Hamburg 05.05.1995 Direkte Aktion/Mitteldeutschland (JF) Innenministerium des Landes Brandenburg 22.07.1996 Skinheads Allgäu Bayerisches Staatsministerium des Innern 14.08.1997 Kameradschaft Oberhavel Innenministerium des Landes Brandenburg 187 09.02.1998 Heide-Heim e.V. und Heideheim e.V. Niedersächsisches Innenministerium 10.08.2000 Hamburger Sturm Behörde für Inneres Hamburg 12.09.2000 Blood & Honour -Division Deutschland Bundesministerium des Innern mit Jugendorganisation White Youth 02.04.2001 Skinheads Sächsische Schweiz (SSS) Sächsisches Staatsministerium mit des Innern Skinheads Sächsische Schweiz - Aufbauorganisationen und Nationaler Widerstand Pirna 07.03.2003 Bündnis nationaler Sozialisten für Innenministerium des Landes Lübeck Schleswig-Holstein 07.03.2003 Bündnis nationaler Sozialisten für Innenministerium des Landes Lübeck Schleswig-Holstein 19.12.2003 Fränkische Aktionsfront Bayerisches Staatsministerium des Innern 07.03.2005 Kameradschaft Tor Innensenator des Landes Berlin "Mädelgruppe" der Kameradschaft Tor 07.03.2005 Berliner Alternative Süd-Ost (BASO) Innensenator des Landes Berlin 06.04.2005 Kameradschaft Hauptvolk mit Innenministerium des Landes Untergruppierung "Sturm 27" Brandenburg 04.07.2005 Alternative Nationale Strausberger Innenministerium des Landes DArt Brandenburg Piercing und Tattoo Offensive (ANSDAPO) 26.06.2006 Schutzbund Deutschland Innenministerium des Landes Brandenburg 23.04.2007 Kameradschaft Sturm 34 Sächsisches Staatsministerium des Innern 188 01.04.2008 Blue White Street Elite (BWSE) Innenministerium des Landes Sachrechtsextremistisch beeinflusste sen-Anhalt Hooligan-Vereinigung 07.05.2008 Collegium Humanum Bundesministerium des Innern 07.05.2008 Verein zur Rehabilitierung der wegen Bundesministerium des Innern Bestreitens des Holocaust Verfolgten (VRBHV) 31.03.2009 Heimattreue Deutsche Jugend e.V. Bundesministerium des Innern (HDJ) 28.05.2009 Mecklenburgische Aktionsfront Innenministerium des Landes Mecklenburg-Vorpommern 05.11.2009 Frontbann 24 Innensenator des Landes Berlin 11.04.2011 Freie Kräfte Teltow-Fläming (FKTF) Innenministerium des Landes Brandenburg 30.08.2011 Hilfsorganisation für nationale Bundesministerium des Innern politische Gefangene und ihre Angehörigen e. V. (HNG) 10.05.2012 Kameradschaft Walter Spangenberg Innenministerium des Landes Nordrhein-Westfalen 19.06.2012 Widerstandsbewegung in Innenministerium des Landes BranSüdbrandenburg denburg 23.08.2012 Kameradschaft Aachener Land Innenministerium des Landes Nordrhein-Westfalen 23.08.2012 Kameradschaft Hamm Innenministerium des Landes Nordrhein-Westfalen 23.08.2012 Nationaler Widerstand Dortmund Innenministerium des Landes Nordrhein-Westfalen 25.09.2012 Besseres Hannover Niedersächsisches Innenministerium 12.02.2013 Nationale Sozialisten Döbeln mit Sächsisches Staatsministerium Division Döbeln, Initiative für Döbeln des Innern und Freies Döbeln sowie der Band INKUBATION 189 8.4 Abkürzungsverzeichnis A [AAH] Antifaschistische Aktion Hannover ABLE Association for better Living and Education AG Aktionsgruppe AKL Antikapitalistische Linke A.L.I. Antifaschistische Linke International AMAK Antimilitaristischer Aktionskreis Hannover AMGT Vereinigung der Neuen Weltsicht e. V. AMS Assoziation Marxistischer Studierender AN Autonome Nationalisten AN-WFSZ Autonome Nationalisten Wolfenbüttel/Salzgitter AQAH Al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel ARAB Antifaschistische Revolutionäre Aktion Berlin ASJ Anarcho-syndikalistische Jugendorganisation AZADI Rechtshilfefonds der RH und der Föderation der Kurdischen Vereine in Deutschland B BFE Bund Freies Europa BfV Bundesamt für Verfassungsschutz BfZ Bürgerinitiative für Zivilcourage BMI Bundesministerium des Innern BPjM Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien BVerfG Bundesverfassungsgericht BVerfGE Entscheidungssammlung des BVerfG BVerfSchG Bundesverfassungsschutzgesetz BVerwG Bundesverwaltungsgericht C CCHR Citizens Commission on Human Rights CDK Koordination der kurdisch-demokratischen Gesellschaft in Europa (Civata Demokratik Kurdistan) CH Collegium Humanum - Akademie für Umwelt und Lebensschutz e. V. CIK Islamische Gemeinde Kurdistans CSI Church of Scientology International D DA Direkte Aktion (Zeitung der FAU/IAA) DHKP-C Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front (KARATAS-Flügel) DIE LINKE.SDS DIE LINKE.Sozialistisch-Demokratischer Studentenverband DITIB Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion e.V. 190 DKP Deutsche Kommunistische Partei DRP Deutsche Reichspartei DVU Deutsche Volksunion DWR Die Wahre Religion E EA Europäische Aktion EMUG Europäische Moscheebauund Unterstützungsgemeinschaft e. V. F FAP Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei FAU/IAA Freie Arbeiterinnenund Arbeiter-Union / Internationale ArbeiterInnen Assoziation fdGO freiheitliche demokratische Grundordnung FSB Russischer Inlandsnachrichtendienst ("Federalnaja Slushba Besopasnosti") G GFP Gesellschaft für Freie Publizistik e. V. GG Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland GGB Gewerkschaft Gesundheitsberufe GIAZ Gemeinsames Informationsund Analysezentrum Polizei und Verfassungsschutz Niedersachsen GRU Russischer militärischer Nachrichtendienst ("Glawnoje Raswediwatelnoje Uprawlenije") G 10 Artikel 10-Gesetz H HAMAS Islamische Widerstandsbewegung HCOPL Hubbard Communication Office Policy Letter HDJ Heimattreue Deutsche Jugend e. V. HNG Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige HPG Volksverteidigungseinheiten HRK Ostkurdistan Kräfte HuT Hizb ut-Tahrir al-Islami I IAS International Association of Scientologist IBP Islamischer Bund Palästina IBU Islamische Bewegung Usbekistan IGD Islamische Gemeinschaft in Deutschland e. V. IGMG Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e. V. IHH Internationale Humanitäre Hilfe e. V. IL Interventionistische Linke IR Islamrat für die Bundesrepublik Deutschland 191 IZM Islamisches Zentrum München J J.A.G. Jugendantifa Göttingen JLO Junge Landsmannschaft Ostdeutschland JN Junge Nationaldemokraten K KADEK Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistans KCK Vereinigte Gemeinschaften Kurdistans KKK Geimeinschaft der Kommunen in Kurdistan KON-KURD Konföderation der kurdischen Vereine in Europa KONGRA GEL Volkskongress Kurdistans KPD Kommunistische Partei Deutschlands KPMD-PMK Kriminalpolizeilicher Meldedienst in Fällen Politisch motivierter Kriminalität KPF Kommunistische Plattform der Partei DIE LINKE. KRM Koordinierungsrat der Muslime in Deutschland KVPM Kommission für Verstöße der Psychiatrie gegen Menschenrechte L LfD Landesbeauftragter für den Datenschutz LTTE Befreiungstiger von Tamil Eelam ("Liberation Tigers of Tamil Eelam") M M31 Europäischer Aktionstag gegen den Kapitalismus "March 31" March 31 Siehe M31 MB Muslimbruderschaft MF Marxistisches Forum mg militante gruppe MID Chinesischer militärischer Nachrichtendienst MLPD Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands MOIS Ministry of Information and Security (Ziviler Inund Auslandsgeheimdienst des Iran / in Farsi: VEVAK) MPS Ministerium für öffentliche Sicherheit, China MSB Marxistischer Studentenbund Spartakus MSS Ministerium für Staatssicherheit, China MSV Muslim Studenten Vereinigung in Deutschland e. V. N NADIS Nachrichtendienstliches Informationssystem NCAZ Nationales Cyber-Abwehrzentrum NATO North Atlantic Treaty Organization (Nordatlantikvertrag) NPD Nationaldemokratische Partei Deutschlands NSBM National Socialist Black Metal NVerfSchG Niedersächsisches Verfassungsschutzgesetz 192 O OLG Oberlandesgericht Org Organisation/Kirche (im Zusammenhang mit Scientology) OSA Office of Special Affairs OVG Oberverwaltungsgericht P PAJK Freiheitspartei der Frauen Kurdistans PDS Partei des Demokratischen Sozialismus PKK Arbeiterpartei Kurdistans PMK Politisch motivierte Kriminalität R RAC Rock Against Communism RAK Rote Aktion Kornstraße RF Russische Föderation RGID Revolutionary Guards Intelligence Departement (Geheimdienst der iranischen Revolutionsgarden) RH Rote Hilfe e. V. RHD Rote Hilfe Deutschland RNF Ring Nationaler Frauen S SAV Sozialistische Alternative Voran SDAJ Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend SdR Stimme des Reiches Sea Org Sea Organization SJ Schlesische Jugend e. V. SL Sozialistische Linke SO Scientology-Organisation SRP Sozialistische Reichspartei StGB Strafgesetzbuch SWR Russischer Dienst für Auslandsaufklärung ("Slushba Wneschnej Raswedkij") T TAK Freiheitsfalken Kurdistans TBL Transportbehälterlager TBV Tamilische Bildungsvereinigung TCC Tamil Coordination Committee TddZ Tag der deutschen Zukunft TGTE Transnational Government of Tamil Eelam TJ Tablighi Jama'at TRO Tamil Rehabilitation Organization TSO Tamil Student Organization 193 TYO Tamil Youth Organization V VETD Volksrat der Eelam Tamilen Deutschland e. V. VEVAK Ziviler Inund Auslandsgeheimdienst des Iran VG Verwaltungsgericht VIKZ Verband der Islamischen Kulturzentren e. V. VRBHV Verein zur Rehabilitierung der wegen Bestreitens des Holocaust Verfolgten VS Verschlusssache VSA Verschlusssachenanweisung VST Verein für Souveränität der Tamilen W WASG Partei Arbeit & Soziale Gerechtigkeit - Die Wahlalternative WISE World Institute of Scientology Enterprises Y YEK-KOM Föderation kurdischer Vereine in Deutschland e. V. YHK Union der Juristen Kurdistans YMK Union der kurdischen Lehrer YÖP Yeni Özgür Politica YRK Union der Journalisten Kurdistans YXK Verband der Studierenden aus Kurdistan e. V. Z ZMD Zentralrat der Muslime in Deutschland 8.5 Personenund Stichwortverzeichnis 8.6 Ortsverzeichnis (Niedersachsen) 194 Verteilerhinweis Diese Druckschrift wird von der Landesregierung Niedersachsen im Rahmen ihrer gesetzlichen Verpflichtung zur Unterrichtung der Öffentlichkeit herausgegeben. Sie darf weder von Parteien noch von Wahlwerbern oder Wahlhelfern während eines Wahlkampfes zum Zwecke der Wahlwerbung verwendet werden. Dies gilt für alle Wahlen. Missbräuchlich ist insbesondere die Verteilung auf Wahlveranstaltungen, an Informationsständen der Parteien sowie das Einlegen, Aufdrucken oder Aufkleben parteipolitischer Informationen oder Werbemittel. Untersagt ist auch die Weitergabe an Dritte zum Zwecke der Wahlwerbung. Auch ohne zeitlichen Bezug zu einer Wahl darf die vorliegende Druckschrift nicht so verwendet werden, dass dies als Parteinahme des Herausgebers zugunsten einzelner politischer Gruppen verstanden werden könnte. Diese Beschränkungen gelten unabhängig vom Vertriebsweg, also unabhängig davon, auf welchem Wege und in welcher Anzahl diese Informationsschrift dem Empfänger zugegangen ist. Den Parteien ist es gestattet, die Druckschrift zur Unterrichtung ihrer eigenen Mitglieder zu verwenden. (c) Niedersächsisches Ministerium für Inneres und Sport Abteilung Verfassungsschutz 195 Herausgeber: Niedersächsisches Ministerium für Inneres und Sport Presseund Öffentlichkeitsarbeit Lavesallee 6, 30169 Hannover Telefon: 0511 120-6255 Telefax: 0511 120-6555 Internet: www.mi.niedersachsen.de 196