Niedersächsisches Ministerium für Inneres und Sport Verfassungsschutzbericht 2011 Vorwort Liebe Bürgerinnen und Bürger, Aufgabe des Verfassungsschutzes ist es, Informationen über extremistische Entwicklungen und Organisationen zu gewinnen und darüber nicht nur politische Entscheidungsträger, sondern auch die Bevölkerung zu unterrichten. Mit dem vorliegenden Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2011 kommen wir dieser gesetzlichen Aufgabe nach. Der Bericht macht deutlich: Hasserfüllte und gewaltbereite extremistische Strömungen bedrohen unsere Demokratie. Die entsetzlichen Taten des "Nationalsozialistischen Untergrunds" (NSU), von Anders BREIVIK in Norwegen und von Arid UKA am Frankfurter Flughafen sind Beispiele für den tödlichen Hass zu allem entschlossener Extremisten. Extremisten nutzen das Internet als Waffe Das Internet ist eine immer wichtigere Plattform für den Extremismus. Es dient ihm als weltweite Bühne, um oft anonym aufhetzende Ideologien zu verbreiten. Extremisten nutzen das Internet als Waffe gegen Freiheit und Demokratie ebenso wie als Instrument zur Rekrutierung neuer Anhänger. Ob Aufrufe zu Demonstrationen oder die Verbreitung von Drohvideos - das Internet sorgt für massenhafte, schnelle und sofortige Verfügbarkeit extremistischer Positionen zu jeder Zeit und an jedem Ort. Es eröffnet Extremisten den Zugang zu einer Vielzahl von Menschen weit über den Bereich extremistischer Gruppierungen hinaus. Dadurch vergrößern sich die Radikalisierungspotenziale in unserer Gesellschaft. Dies ist eine komplexe sicherheitspolitische Herausforderung für den Verfassungsschutz. Islamistischer Extremismus und Terrorismus Nicht nur von Terrororganisationen wie al-Qaida gehen Gefahren aus, sondern auch von fanatisierten Einzeltätern, die sich oftmals über das Internet radikalisieren. Der Mordanschlag auf amerikanische Soldaten am Frankfurter Flughafen im März 2011 durch einen jungen Islamisten steht für einen solchen Fall. In Online-Magazinen und Videos drohen Islamisten mit Terror gegen Deutschland. Insbesondere das Online-Magazin Inspire ruft Muslime, die im Westen leben, dazu auf, dort Anschläge zu begehen. Zugleich gibt das Magazin Anleitungen zum Bombenbau. Zur Radikalisierung junger Muslime trägt ganz wesentlich die salafistische Propaganda bei. Auch in deutschsprachigen Online-Foren verherrlichen salafistische Aktivisten den militanten Jihad und wenden sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung. Der Einfluss salafistischer Netzwerke, die auch in Nie- dersachsen wirken, nimmt zu. Der Salafismus ist der ideologische Nährboden für den Terrorismus, wie zahlreiche Fälle islamistischer Täter belegen. Um Radikalisierung frühzeitig zu erkennen, müssen die operativen Maßnahmen der Sicherheitsbehörden flankiert werden durch solche der Prävention. In meinem Auftrag wurde 2011 unter Federführung des Verfassungsschutzes ein umfangreiches Antiradikalisierungsprogramm erarbeitet, das ich im Frühjahr 2012 der Öffentlichkeit vorgestellt habe. Neben Präventionspartnerschaften mit muslimischen Institutionen und öffentlichen Einrichtungen setzt es auch auf ein Aussteigerprogramm. Rechtsextremismus Das Personenpotenzial im Rechtsextremismus in Niedersachsen ist mit 1.625 Personen (2010 2.045 Personen) weiterhin rückläufig. Vor allem rechtsextremistische Parteien verlieren Mitglieder. Während sich die DVU inzwischen aufgelöst hat, stagniert die Mitgliederentwicklung der NPD in Niedersachsen bei 500 Personen. Der NPD gelingt es nicht, unter Jugendlichen neue Mitglieder zu rekrutieren. Vom zerstrittenen und kaum noch handlungsfähigen Landesverband der NPD gehen auch keine programmatischen Impulse aus. Einen Zuwachs von 400 auf 420 Personen hat demgegenüber die Neonazi-Szene zu verzeichnen, die verstärkt auf öffentlichkeitswirksame Aktionen und informelle Formen der Zusammenarbeit setzt. Für jugendliche Rechtsextremisten sind spektakuläre Aktionen wie die betont fremdenfeindliche "Volkstod-Kampagne" der Neonazi-Szene und Propagandaaktionen wie die Märsche der "Unsterblichen" attraktiver als Parteiarbeit im Stile der NPD. Jugendliche sind mehr an der Aktion als an der Organisation interessiert. An die Stelle starrer Kameradschaftsstrukturen treten lockere Formen nach dem Muster der Autonomen Nationalisten. Dies macht die Szene weniger berechenbar, aber zugleich auch attraktiver für jugendliche Rechtsextremisten. Beispielhaft für diese Entwicklung ist die neonazistische Gruppierung "Besseres Hannover", die versucht, in der Region Hannover durch provokante Aktionen öffentliche Aufmerksamkeit zu erzielen und Jugendliche für sich zu gewinnen. Im November 2011 wurden die jahrelang unentdeckt gebliebenen Gewaltverbrechen des NSU offenbar. Die Mordund Raubserie dieser rechtsextremistischen Tätergruppierung schockierte die Öffentlichkeit. Es gab auch Bezüge nach Niedersachsen. Die vollständige und umfassende Aufklärung ist Voraussetzung, um verloren gegangenes Vertrauen in die Sicherheitsbehörden zurück zu gewinnen. Linksextremismus Die Entwicklung des Jahres 2011 zeigt erneut, dass die Hemmschwelle innerhalb der linksextremistischen Szene, Gewalt auch gegen Personen anzuwenden, sehr niedrig ist. Ein Beispiel für diese Gewalt ist der Brandanschlag auf das Haus der Göttinger Burschenschaft Brunsviga im März. Unbekannte Täter entzündeten vor der Haustür zwei Papiertonnen mit Brandbeschleunigern und nahmen dabei die Gefährdung der im Haus schlafenden Mitglieder der Burschenschaft in Kauf. Ebenso war der 13. Castor-Transport nach Gorleben im November von einem aggressiv-militanten Verhalten der linksextremistischen Protestteilnehmer geprägt. Autonome griffen gezielt Polizisten mit Steinen und Präzisionsschleudern an. Insgesamt hat das Personenpoztenzial im gewaltbereiten Linksextremismus erneut zugenommen und liegt derzeit bei 940 Personen (2010: 910). Die Partei DIE LINKE. wird in Niedersachsen weiterhin beobachtet. Das im Herbst 2011 beschlossene Grundsatzprogramm bestärkt die extremistischen Bestrebungen innerhalb der Partei. Funktionsträger der Partei DIE LINKE. haben Verbindungen zu gewaltbereiten Extremisten, etwa aus der autonomen Szene und dem Umfeld der kurdischen Arbeiterpartei PKK. Die Notwendigkeit der Beobachtung machte nicht zuletzt im Januar 2011 das Bekenntnis der damaligen Bundesvorsitzenden Gesine LÖTZSCH zum Kommunismus deutlich. Es wurde von führenden Vertretern der Partei unterstützt, auch in Niedersachsen. Schutz niedersächsischer Unternehmen vor Spionage Weitere Kernaufgaben des Verfassungsschutzes sind die Spionageabwehr und der Geheimschutz. Niedersachsen ist als Standort zahlreicher innovativer Unternehmen für Spitzentechnologien im Fokus zahlreicher fremder Nachrichtendienste. Der präventive Aspekt der Abwehrarbeit wird seit Jahren durch einen starken Wirtschaftsschutz geleistet. Er ist ein anerkannter und erfolgreicher Partner der niedersächsischen Unternehmen. Die präventive Arbeit des Wirtschaftsschutzes kommt auch der Sicherheit des Standortes Niedersachsen insgesamt zugute. Sie wird in Zukunft weiterhin große Bedeutung haben. Prävention und Öffentlichkeitsarbeit Der niedersächsische Verfassungsschutz leistet mit der Sammlung und Auswertung von Informationen über extremistische Bestrebungen eine wichtige Aufgabe im Sinne eines Frühwarnsystems für die wehrhafte Demokratie. Mit der Gründung der Niedersächsischen Extremismus-Information-Stelle (NEIS) 2009 ist der Aspekt des offenen Demokratieschutzes in einer offenen Demokratie noch stärker in den Vordergrund der Arbeit des Verfassungsschutzes getreten. Der Verfassungsschutz ist auf Grund seiner Erkenntnisse Experte für Extremismus. Als solcher ist seine Meinung gefragt. Und in diesem Sinne soll er sich auch an den öffentlichen Diskussionen in der Gesellschaft beteiligen. Es geht also nicht um einen Verfassungsschutz im Verborgenen, sondern um eine anerkannte Institution, die sich - demokratisch kontrolliert - gemeinsam mit den Bürgerinnen und Bürgern sowie mit gesellschaftlichen Kooperationspartnern um die Stärkung der wehrhaften Demokratie bemüht. Aus meiner Sicht ist es wünschenswert, dass die Erkenntnisse des Verfassungsschutzes in der Präventionsarbeit ebenso wie in der politischen Bildung noch viel stärker genutzt werden. Damit unterstützt er das Leitbild vom aufgeklärten, informierten Bürger in der Demokratie - einem Bürger, der sich fundiert gegen die Feinde der Demokratie wehren kann. Die Praxis des Niedersächsischen Verfassungsschutzes mit NEIS beweist, wie richtig und sinnvoll es ist, dass eine Sicherheitsbehörde wie der Verfassungsschutz z. B. in Schulen Lehrer und Schüler darüber informiert, mit welchen Methoden politische Extremisten versuchen, junge Leute für sich zu gewinnen und ideologisch aufzustacheln. Der Niedersächsische Verfassungsschutz ist auf einem guten und kreativen Weg, der bundesweit positive Beachtung findet. Dafür gilt mein Dank allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern! Uwe Schünemann Niedersächsischer Minister für Inneres und Sport 1. Verfassungsschutz in Niedersachsen 2. Ausländerextremismus und Terrorismus 3. Rechtsextremismus 4. Linksextremismus 5. Scientology-Organisation 6. Spionageabwehr 7. Geheimund Wirtschaftsschutz 8. Anhang, Abkürzungs-, Personen-, Stichwortund Ortsverzeichnis INHALTSÜBERSICHT 1. DER VERFASSUNGSSCHUTZ IN NIEDERSACHSEN .................................................. 15 1.1 Verfassungsschutz und Demokratie............................................................................ 15 1.2 Gesetzliche Grundlagen............................................................................................... 17 1.3 Hauptaufgaben des Verfassungsschutzes .................................................................. 17 1.4 Organisation ................................................................................................................. 18 1.5 Informationsgewinnung .............................................................................................. 18 1.6 Keine polizeilichen Befugnisse .................................................................................... 19 1.7 Kontrolle ....................................................................................................................... 19 1.8 Verfassungsschutz als Nachrichtendienst ................................................................... 20 1.9 Beschäftigte .................................................................................................................. 20 1.10 Haushalt ........................................................................................................................ 20 1.11 Mitwirkungsaufgaben des Verfassungsschutzes........................................................ 20 1.12 Gemeinsames Informationsund Analysezentrum Polizei und Verfassungsschutz Niedersachsen (GIAZ - Niedersachsen) .................... 22 1.13 Informationsverarbeitung ........................................................................................... 24 1.14 Auskunftsersuchen von Bürgerinnen und Bürgern ................................................... 25 1.15 Niedersächsische Extremismus-Informations-Stelle (NEIS)......................................... 25 1.15.1 Presseund Bürgerkontakt ............................................................................ 26 1.15.2 Vortragsund Informationsveranstaltungen ................................................ 26 1.15.3 Ausstellung "Unsere Demokratie schützen - Verfassungsschutz gegen Extremismus" ...................................................................................... 27 1.15.4 Lehrerfortbildung ........................................................................................... 27 1.15.5 Beratung von Kommunen .............................................................................. 27 1.15.6 Symposien ....................................................................................................... 28 1.15.7 Andi-Comics .................................................................................................... 28 1.15.8 Planspiel "Demokratie und Extremismus" .................................................... 29 1.15.9 "Demokratie-Lotsen" ..................................................................................... 29 1.15.10 Informationsmaterialien von NEIS ................................................................. 30 1.15.11 Partner von NEIS ............................................................................................. 30 1.15.12 Projektgruppe "Antiradikalisierung" ............................................................ 30 1.15.13 Ausstellung "Muslime in Niedersachsen - Probleme und Perspektiven der Integration" ....................................................................... 32 1.15.14 Kontaktdaten .................................................................................................. 33 1.16 Gesamtkonzeption zur Bekämpfung des Rechtsextremismus .................................. 34 1.17 Aktion Neustart ............................................................................................................ 34 1.18 Anmerkungen zum Inhalt des Verfassungsschutzberichtes ...................................... 36 1.18.1 Umfang der Berichterstattung ...................................................................... 36 1.18.2 Hinweis zur Rechtschreibung ......................................................................... 36 1.18.3 Jahreszahlen ................................................................................................... 36 2. AUSLÄNDEREXTREMISMUS UND -TERRORISMUS ........................................... 37 2.1 Mitglieder-/Anhänger-Potenzial ................................................................................. 37 2.2 Politisch motivierte Kriminalität (PMK) mit extremistischem Hintergrund .............. 39 2.3 Allgemeines zum Ausländerextremismus ................................................................... 42 2.4 Islamismus als politische Weltanschauung ................................................................. 42 2.5 Die terroristische Dimension des Islamismus .............................................................. 45 2.6 Der Salafismus .............................................................................................................. 51 2.6.1 Allgemeines .................................................................................................... 52 2.6.2 Der Salafismus und die freiheitliche demokratische Grundordnung .......... 53 2.6.3 Struktur des Salafismus .................................................................................. 57 2.6.4 Salafismus und der "Arabische Frühling" ..................................................... 59 2.7 Verbreitung islamistisch-extremistischer und jihadistischer Positionen im Internet .................................................................................................................... 60 2.7.1 Islamistische und jihadistische Videos im Internet........................................ 60 2.7.2 Online-Magazin Inspire .................................................................................. 61 2.7.3 Islamistische Musik ......................................................................................... 62 2.8 Islamistische Radikalisierung ....................................................................................... 64 2.9 Muslimbruderschaft (MB) ............................................................................................ 67 2.9.1 Ursprung und Entwicklung ............................................................................ 67 2.9.2 Die Muslimbruderschaft in Deutschland und in Niedersachsen .................. 69 2.10 Tablighi Jama'at (TJ) .................................................................................................... 70 2.10.1 Ursprung und Entwicklung ............................................................................ 70 2.10.2 Aktivitäten von TJ-Anhängern in Deutschland und in Niedersachsen ........ 71 2.11 Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e. V. (IGMG) ..................................................... 72 2.11.1 Ursprung und Entwicklung ............................................................................ 73 2.11.2 Die IGMG in Deutschland und in Niedersachsen .......................................... 74 2.11.3 Die Milli Gazete als Sprachrohr der Milli Görüs-Bewegung......................... 76 2.11.4 Aktivitäten in Deutschland und in Niedersachsen........................................ 78 2.12 Hizb Allah (Partei Gottes) ............................................................................................ 79 2.12.1 Ursprung und Entwicklung ............................................................................ 80 2.12.2 Die Hizb Allah in Deutschland und in Niedersachsen .................................. 80 2.13 Sonstige ausländerextremistische Organisationen .................................................... 81 2.14 Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) / Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistans (KADEK) / Volkskongress Kurdistans (KONGRA GEL) / Gemeinschaft der Kommunen in Kurdistan (KKK) / Vereinigte Gemeinschaften Kurdistans (KCK) ..... 82 2.14.1 Organisatorische Strukturen .......................................................................... 84 2.14.2 Finanzierung ................................................................................................... 86 2.14.3 BGH ändert seine Rechtsprechung zur PKK .................................................. 87 2.14.4 Europäischer Gerichtshof verkündet Entscheidung im ROJ TV-Prozess ...... 88 2.14.5 Lage in der Türkei und Reaktionen in Deutschland ..................................... 88 2.14.6 Demonstrationen in Berlin anlässlich des 18. Jahrestages des bestehenden PKK-Verbots ............................................................................. 91 2.14.7 Demonstrationen in Hannover und Salzgitter anlässlich des Luftangriffs des türkischen Militärs mit 35 getöteten Zivilisten.................. 92 2.14.8 Ausblick ........................................................................................................... 92 2.15 Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE) ..................................................................... 93 2.15.1 Ursprung und Entwicklung ............................................................................ 93 2.15.2 Aktivitäten in Deutschland ............................................................................ 94 3. RECHTSEXTREMISMUS....................................................................................... 96 3.1 Mitglieder-Potenzial .................................................................................................... 96 3.2 Politisch motivierte Kriminalität (PMK) mit extremistischem Hintergrund .............. 98 3.3 Einführung.................................................................................................................. 100 3.4 Gesamtkonzeption zur Bekämpfung des Rechtsextremismus ................................ 102 3.5 Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) ................................................................ 102 3.5.1 Verbindungen des NSU zu weiteren Rechtsextremisten ............................ 103 3.5.2 Verbindungen des NSU nach Niedersachsen .............................................. 103 3.5.3 Maßnahmen zur Optimierung der Zusammenarbeit von Bund und Ländern ......................................................................................................... 104 3.6 Überblick über die aktuellen Entwicklungen im Rechtsextremismus ..................... 104 3.7 Subkulturell geprägte und sonstige gewaltbereite Rechtsextremisten ................. 108 3.7.1 Geschichte der Skinheads ............................................................................. 109 3.7.2 Skinheads in Deutschland ............................................................................ 110 3.7.3 Ideologie ....................................................................................................... 111 3.7.4 Erscheinungsbild ........................................................................................... 111 3.7.5 Rechtsextremistische Musikszene ................................................................ 112 3.7.6 Niedersächsische Vertriebe .......................................................................... 116 3.7.7 Rechtsextremistische Musik in Niedersachsen ............................................ 118 3.7.8 Rechtsextremistische Konzerte in Niedersachsen ....................................... 120 3.8 Rechtsextremistische Aktivitäten im Internet ........................................................ 122 3.9 Neonazistische Szene ................................................................................................. 125 3.9.1 Neonazistische Kameradschaften ................................................................ 125 3.9.2 Autonome Nationalisten .............................................................................. 126 3.9.3 Informelle Gruppen und Netzwerke ........................................................... 129 3.9.4 Ideologie der neonazistischen Szene .......................................................... 130 3.9.5 Verhältnis zur NPD ....................................................................................... 132 3.9.6 Neonazistische Personenzusammenschlüsse in Niedersachsen und ihre Aktivitäten ............................................................................................. 133 3.9.7 Szeneveranstaltungen als Kontaktund Informationsbörsen ................... 147 3.10 Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige e. V. (HNG) ............................................................................................. 148 3.11 Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) ................................................. 149 3.11.1 Geschichte und Entwicklung ........................................................................ 149 3.11.2 Organisation, Mitgliederentwicklung und Finanzen ................................. 150 3.11.3 Programmatik ............................................................................................... 151 3.11.4 Strategie ........................................................................................................ 153 3.11.5 Entwicklung in Niedersachsen ..................................................................... 156 3.11.6 Aktivitäten des niedersächsischen Landesverbandes ................................. 158 3.12 Junge Nationaldemokraten (JN) ............................................................................... 160 3.12.1 Geschichte und Entwicklung ........................................................................ 160 3.12.2 Entwicklung in Niedersachsen ..................................................................... 162 3.13 Rechtsextremistischer Geschichtsrevisionismus ........................................................ 162 3.13.1 Revisionistische Aktivitäten in Niedersachsen ............................................ 163 3.13.2 Europäische Aktion (EA) .............................................................................. 164 3.13.3 Verein Gedächtnisstätte e. V. ...................................................................... 166 3.13.4 Demonstrationen mit revisionistischem Charakter .................................... 167 3.14 Intellektualisierungsbemühungen im Rechtsextremismus ...................................... 168 3.14.1 Gesellschaft für freie Publizistik e. V. (GFP) ................................................ 169 3.15 Immobiliengeschäfte mit rechtsextremistischem Hintergrund ............................... 169 4. LINKSEXTREMISMUS ........................................................................................ 173 4.1 Mitglieder-Potenzial .................................................................................................. 173 4.2 Politisch motivierte Kriminalität (PMK) mit extremistischem Hintergrund ............ 175 4.3 Einführung.................................................................................................................. 178 4.4 Überblick über die aktuellen Entwicklungen im Linksextremismus ....................... 180 4.5 Autonome und sonstige gewaltbereite Linksextremisten ...................................... 182 4.5.1 Ursprünge und Ziele ..................................................................................... 182 4.5.2 Gewalttätige Aktionen in Niedersachsen ................................................... 184 4.5.3 Aktionsfeld "Antifaschismus" ...................................................................... 190 4.5.4 Aktionsfeld "Antirepression" ...................................................................... 193 4.5.5 Aktionsfeld "Antimilitarismus" ................................................................... 196 4.5.6 Aktionsfeld "Antirassismus" ........................................................................ 198 4.5.7 Einflussnahme von Linksextremisten auf die Proteste gegen Atomenergie und Castor-Tansporte ............................................................ 198 4.6 Gruppierung AVANTI - Projekt undogmatische Linke ............................................ 203 4.6.1 Selbstverständnis .......................................................................................... 203 4.6.2 Teil der "Interventionistischen Linken" ...................................................... 204 4.6.3 AVANTI Hannover ........................................................................................ 205 4.6.4 Aktuelle Aktivitäten ..................................................................................... 205 4.7 Linksextremistische Musikszene in Niedersachsen ................................................... 207 4.8 DIE LINKE. .................................................................................................................. 209 4.8.1 Verfassungsfeindlichkeit .............................................................................. 210 4.8.2 Grundsatzprogramm .................................................................................... 213 4.8.3 50. Jahrestag des Mauerbaus ....................................................................... 216 4.8.4 Offen extremistische Zusammenschlüsse .................................................... 217 4.8.5 Der Jugendverband "Linksjugend ['solid]" ................................................ 218 4.8.6 Der Studentenverband DIE LINKE.SDS. ....................................................... 220 4.8.7 Kommunalwahlen in Niedersachsen ........................................................... 221 4.8.8 Verhältnis zum Parlamentarismus ............................................................... 222 4.8.9 Bündnisund Kampagnenpolitik ................................................................. 222 4.9 Deutsche Kommunistische Partei (DKP).................................................................... 224 4.9.1 Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung ..... 225 4.9.2 Verhältnis zur ehemaligen DDR .................................................................. 225 4.9.3 Theoretische Konferenz am 30. Oktober in Hannover .............................. 226 4.9.4 Bündnispolitik ............................................................................................... 226 4.9.5 Kommunalwahlen in Niedersachsen ........................................................... 226 4.9.6 Zusammenarbeit mit der Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend (SDAJ) und der Assoziation Marxistischer StudentInnen (AMS) ................ 227 4.10 "Antirevisionistische" Publikation RotFuchs ............................................................ 228 4.11 Rote Hilfe e. V. (RH) ................................................................................................... 230 4.11.1 Struktur ......................................................................................................... 230 4.11.2 Aufgaben ...................................................................................................... 230 4.11.3 Bundesweite Aktivitäten .............................................................................. 231 4.11.4 Niedersächsische Aktivitäten ....................................................................... 231 4.12 Freie Arbeiterinnenund Arbeiter-Union/Internationale Arbeiterinnen Assoziation (FAU/IAA) ................................................................................................ 232 4.12.1 Struktur ......................................................................................................... 232 4.12.2 FAU in Niedersachsen ................................................................................... 232 5. SCIENTOLOGY - ORGANISATION (SO)............................................................ 234 5.1 Geschichte der SO ..................................................................................................... 234 5.2 Zielsetzung und verfassungsfeindliche Bestrebungen ............................................ 235 5.3 Organisation ............................................................................................................... 237 5.4 Scientology in Deutschland und Niedersachsen....................................................... 238 5.5 Hinweistelefon ........................................................................................................... 239 6. SPIONAGEABWEHR .......................................................................................... 240 6.1 Einführung.................................................................................................................. 240 6.2 Geheimdienste der Russischen Föderation ............................................................... 241 6.2.1 Vorsicht bei Reisen ....................................................................................... 243 6.3 Chinesische Geheimdienste ....................................................................................... 244 6.4 Geheimdienste der Islamischen Republik Iran ......................................................... 247 6.5 Proliferation ............................................................................................................... 248 6.6 Hilfe für Betroffene ................................................................................................... 249 7. GEHEIMUND WIRTSCHAFTSSCHUTZ............................................................. 250 7.1 Geheimschutz ............................................................................................................. 250 7.2 Wirtschaftsschutz ....................................................................................................... 251 7.2.1 Einleitung ...................................................................................................... 251 7.2.2 Zahlen und Fakten ........................................................................................ 254 7.2.3 15. Sicherheitstagung für geheimschutzbetreute Unternehmen .............. 255 7.2.4 10. Wirtschaftsschutztagung des Niedersächsischen Verfassungsschutzes ..................................................................................... 256 7.2.5 Präventionspartnerschaft der niedersächsischen Sicherheitsbehörden mit Unternehmen und Wirtschaftsverbänden gegen islamistische Radikalisierung ............................................................................................. 256 7.2.6 Erreichbarkeit des Fachbereiches Wirtschaftsschutz .................................. 257 8. ANHANG ........................................................................................................... 258 8.1 Definition der Arbeitsbegriffe .................................................................................. 258 8.2 Niedersächsisches Verfassungsschutzgesetz (NVerfSchG) ....................................... 263 8.3 Übersicht Verbote neonazistischer Vereinigungen ................................................. 291 8.4 Abkürzungsverzeichnis .............................................................................................. 293 8.5 Personenund Stichwortverzeichnis ........................................................................ 298 8.6 Ortsverzeichnis (Niedersachsen) . .............................................................................. 311 Verfassungsschutz in Niedersachsen 15 1. DER VERFASSUNGSSCHUTZ IN NIEDERSACHSEN 1.1 Verfassungsschutz und Demokratie Im Grundgesetz (GG) der Bundesrepublik Deutschland wurde Wehrhafte nach den Erfahrungen mit der Zerstörung der Weimarer ReDemokratie publik das Prinzip der wehrhaften Demokratie verankert. Das bedeutet, dass der demokratische Staat in der Lage sein soll, sich gegen seine Feinde zu wehren. Elemente der wehrhaften Demokratie sind z. B. die Unabänderlichkeit elementarer Verfassungsgrundsätze (Artikel 79 Abs. 3 GG) und die Möglichkeit, Parteien und sonstige Vereinigungen (Artikel 9 Abs. 2 und Artikel 21 Abs. 2 GG) zu verbieten. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinen Urteilen zum Verbot der Sozialistischen Reichspartei (SRP) von 1952 (BVerfGE 2,1) und zum Verbot der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD) von 1956 (BVerfGE 6, 300) die Wesensmerkmale der freiheitlichen demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes bestimmt. Dazu gehören (s. auch SS 4 Abs. 3 Niedersächsisches Verfassungsschutzgesetz - NVerfSchG): - das Recht des Volkes, die Staatsgewalt in Wahlen und AbWesensmerkmale stimmungen und durch besondere Organe der Gesetzder freiheitlichen gebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtspredemokratischen chung auszuüben und die Volksvertretung in allgemeiner, Grundordnung unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl zu wählen, - die Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung und die Bindung der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an Gesetz und Recht, - das Recht auf Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition, - die Ablösbarkeit der Regierung und ihre Verantwortlichkeit gegenüber der Volksvertretung, - die Unabhängigkeit der Gerichte, - der Ausschluss jeder Gewaltund Willkürherrschaft und - die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte. Die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder bezeichnen seit 1974 einheitlich politische Bestrebungen als extremistisch, die sich gegen diese Wesensmerkmale oder gegen den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes richten. Ihre Beobachtung dient dem Schutz der Verfassung. Da die Verfassungsschutzbehörden ihre Aufgaben im Vorfeld konkreter Gesetzesverstöße durchführen und frühzeitig 16 Verfassungsschutz in Niedersachsen verfassungsfeindliche Bestrebungen erkennen sollen, werden sie als ein "Frühwarnsystem" des demokratischen Rechtsstaates bezeichnet. Feinde der DemoDie Hauptfeinde der Demokratie heute sind neben dem rekratie: Islamismus, ligiös motivierten Islamismus der politische Rechtsund LinksRechtsextremismus, extremismus. Linksextremismus Zwischen diesen Extremismusphänomenen gibt es fundamentale Unterschiede. Der Islamismus setzt im Gegensatz zu tragenden Prinzipien der europäischen Aufklärung auf religiös-orthodoxe Ordnungsmodelle und zielt damit auf eine gegen den "Westen" gerichtete kulturelle Identität. Rechtsund Linksextremismus unterscheiden sich ideengeschichtlich durch ein unterschiedliches Verhältnis zum menschenrechtlichen Gleichheitsgebot. Während es Linksextremisten aufgrund der ökonomischen Kräfteverhältnisse ausschließen, dass die Gleichheit der Menschen in einer parlamentarischen Demokratie realisiert werden kann, negieren Rechtsextremisten das in Artikel 3 GG postulierte Gleichheitsprinzip grundsätzlich. Linksextremisten hingegen verabsolutieren das Gleichheitspostulat und schränken damit die universelle Gültigkeit der Freiheitsund Individualrechte ein. Gemeinsamkeiten Trotz dieser Unterschiede lassen sich Gemeinsamkeiten der Extremismen feststellen, wie sie für den modernen politischen Extremismus typisch sind: - Extremisten verfügen über ein geschlossenes Weltbild, das weder reflektiert noch fortentwickelt wird. In ihrem quasireligiösen Politikverständnis glauben sie, unfehlbar im Besitz der absoluten Wahrheit zu sein. - Aus diesem Absolutheitsanspruch heraus entwickeln sie ein Freund-Feind-Raster, das die Welt holzschnittartig in Gut und Böse einteilt und keine Differenzierung zulässt, um die als "Feinde" Gebrandmarkten kompromisslos zu bekämpfen. - Nicht der Einzelne, sondern die Gemeinschaft steht im Mittelpunkt. Individuelle Freiheitsrechte werden den Interessen des Kollektivs untergeordnet. - Extremisten haben ein Bild vom Menschen, wonach nicht alle Menschen über die gleiche Würde verfügen (Artikel 1 GG). - Es gilt das Primat der Ideologie, die mit Politik gleichgesetzt wird. Extremisten lehnen Aus diesem Verständnis von Politik als einer alle Lebensbedemokratischen reiche regelnden Weltanschauung lehnen Extremisten den Pluralismus ab demokratischen Pluralismus ab. Zu demokratischen Prinzipien wie Meinungs-, Presseund Parteienvielfalt haben sie lediglich Verfassungsschutz in Niedersachsen 17 ein taktisches Verhältnis. Ihr gemeinsames Ziel ist die Überwindung der bestehenden, von Individualrechten geprägten Ordnung. Dahinter steht zumeist das Streben nach Sicherheit und nach Überschaubarkeit der Welt, in der der Mensch nicht länger vereinzelt ist. Extremismus ist auch eine zum Teil mit messianischem Eifer vertretene Reaktion auf die Komplexität moderner westlicher Gesellschaften. In diesem Weltbild wird die Gegenwart als desolat empfunden oder diffamiert, um die extremistische Alternative unter Leitung eines "Führers", einer "Partei" oder eines "religiösen Wächterrates" als einzigen Ausweg erscheinen zu lassen. Wer sich aus Sicht der Extremisten dagegen stellt, hat keinen Anspruch auf Toleranz, sondern muss bekämpft werden - nach Auffassung gewaltbereiter Extremisten notfalls auch mit Gewalt. 1.2 Gesetzliche Grundlagen Die Aufgaben und Befugnisse des niedersächsischen VerfasRechtliche sungsschutzes sind gesetzlich festgelegt. Neben bundesgeGrundlagen setzlichen Vorschriften, welche im Wesentlichen die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes und die Befugnisse des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) regeln, bestehen in allen Bundesländern eigene Verfassungsschutzgesetze. In Niedersachsen regelt das im Anhang abgedruckte Gesetz über den Verfassungsschutz im Land Niedersachsen in der Fassung vom 6. Mai 2009 (Niedersächsisches Verfassungsschutzgesetz - NVerfSchG), zuletzt geändert durch Art. 5 des Gesetzes vom 7. Oktober 2010, die Aufgaben und Befugnisse der niedersächsischen Verfassungsschutzbehörde. 1.3 Hauptaufgaben des Verfassungsschutzes Hauptaufgabe des Verfassungsschutzes ist nach SS 3 NVerfSchG Hauptaufgaben die Sammlung und Auswertung von Informationen, insbesondes Verfassungsdere von sachund personenbezogenen Auskünften, Nachschutzes richten und Unterlagen über - Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziel haben, - sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten in der Bundesrepublik Deutschland für eine fremde Macht, 18 Verfassungsschutz in Niedersachsen - Bestrebungen in der Bundesrepublik Deutschland, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, - Bestrebungen, die gegen den Gedanken der Völkerverständigung (Artikel 9 Abs. 2 GG) oder gegen das friedliche Zusammenleben der Völker (Artikel 26 Abs. 1 GG) gerichtet sind. 1.4 Organisation Innenministerium ist Im Niedersächsischen Verfassungsschutzgesetz ist auch gereVerfassungsschutzgelt, dass die Verfassungsschutzbehörde in Niedersachsen das behörde Niedersächsische Ministerium für Inneres und Sport ist (SS 2 Abs. 1 NVerfSchG). Das Ministerium unterhält eine gesonderte Abteilung (Verfassungsschutzabteilung), welche allein die der Verfassungsschutzbehörde nach dem Verfassungsschutzgesetz und anderen Rechtsvorschriften obliegenden Aufgaben wahrnimmt. Diese Abteilung wird durch eine Verfassungsschutzpräsidentin oder einen Verfassungsschutzpräsidenten geleitet. 1.5 Informationsgewinnung Erkenntnisse Der niedersächsische Verfassungsschutz gewinnt die zur Erüberwiegend aus füllung seiner Aufgaben relevanten Informationen überwieoffen zugänglichen gend aus offen zugänglichen Quellen, die grundsätzlich jeQuellen dem Bürger auch zur Verfügung stehen, wie z. B. aus dem Internet, aus Zeitungen, Zeitschriften, Flugblättern, Programmen und Broschüren. Darüber hinaus können - im Rahmen gesetzlich festgelegter Befugnisse und unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit - nachrichtendienstliche Mittel zur Informationsbeschaffung eingesetzt werden. Nach SS 6 NVerfSchG darf der Verfassungsschutz zur Beschaffung der erforderlichen Informationen die hier abschließend aufgeführten nachrichtendienstlichen Mittel einsetzen, soweit dies für die Erkenntnisgewinnung unverzichtbar ist. Dazu gehören z. B. der Einsatz von verdeckt arbeitenden Vertrauensleuten (V-Leute), Observationen, verdeckte Bildund Tonaufzeichnungen und sonstige verdeckte Ermittlungen und Befragungen. Die näheren Voraussetzungen für den Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel sind in den SSSS 6 bis 6 d NVerfSchG geregelt. Von den nachrichtendienstlichen Mitteln wurden im Berichtszeitraum im Wesentlichen V-Leute, verdeckte Bildauf- Verfassungsschutz in Niedersachsen 19 zeichnungen, verdeckte Ermittlungen und Befragungen sowie zeitlich befristete Observationen eingesetzt. Eingriffe in das Brief-, Postund Fernmeldegeheimnis sind wegen der besonderen Bedeutung des Eingriffs in das Grundrecht des Artikel 10 GG (Brief-, Postund Fernmeldegeheimnis) nur unter besonders hohen Voraussetzungen und unter Beachtung strenger Verfahrensvorschriften möglich, die im Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses (Artikel 10-Gesetz - G 10) geregelt sind. So muss die Maßnahme durch den Niedersächsischen Innenminister oder seine Vertreterin bzw. seinen Vertreter angeordnet werden und bedarf vor ihrer Durchführung einer Zustimmung der G 10-Kommission des Niedersächsischen Landtages. Die Anzahl der G 10-Maßnahmen lag im Berichtszeitraum im einstelligen Bereich. 1.6 Keine polizeilichen Befugnisse Der Verfassungsschutzbehörde stehen bei der Erfüllung ihrer Keine polizeilichen Aufgaben keine polizeilichen Befugnisse zu, d. h. sie darf insBefugnisse besondere niemanden festnehmen, keine Durchsuchungen durchführen und keine Gegenstände beschlagnahmen (SS 5 Abs. 4 NVerfSchG). 1.7 Kontrolle Die Tätigkeit der niedersächsischen VerfassungsschutzbehörUmfassende de unterliegt einer vielfältigen Kontrolle. Dazu gehören inKontrolle des nerbehördliche Maßnahmen, wie z. B. Kontrollen durch den Verfassungsinternen behördlichen Datenschutzbeauftragten und externe schutzes Kontrollen durch den Niedersächsischen Datenschutzbeauftragten, dem ebenfalls umfangreiche Kontrollbefugnisse obliegen. Die parlamentarische Kontrolle, durch den Ausschuss für Angelegenheiten des Verfassungsschutzes ausgeübt, erfolgt unbeschadet der Rechte des gesamten Landtages und seiner sonstigen Ausschüsse nach SS 23 NVerfSchG. Das Niedersächsische Ministerium für Inneres und Sport ist nach SS 25 NVerfSchG verpflichtet, diesen Ausschuss umfassend über seine Tätigkeit als Verfassungsschutzbehörde im Allgemeinen sowie über Vorgänge von besonderer Bedeutung zu unterrichten. Bei Eingriffen in das Brief-, Postund Fernmeldegeheimnis entscheidet die G 10-Kommission des Landtages. Schließlich sind wie bei allen anderen Behörden auch, Einzelmaßnahmen des Verfassungsschutzes gerichtlich nachprüfbar. 20 Verfassungsschutz in Niedersachsen 1.8 Verfassungsschutz als Nachrichtendienst Die Verfassungsschutzbehörden verstehen sich als Nachrichtendienste (ND). Sie sind gesetzlich auf die Beschaffung und Auswertung von Informationen beschränkt. Im Gegensatz zu Geheimdiensten unterliegen sie der Kontrolle durch unabhängige Instanzen und unterrichten die Öffentlichkeit über wesentliche Ergebnisse ihrer Arbeit. Als Geheimdienste hingegen werden staatliche Organisationen fremder Mächte verstanden, die nicht nur politisch, wirtschaftlich, wissenschaftlich oder militärisch bedeutsame Nachrichten beschaffen und für ihre Auftraggeber auswerten, sondern auch aktive Handlungen zur Störung oder Beeinflussung "politischer Gegner" im Inund Ausland vornehmen. Dabei streben sie ein Höchstmaß an Geheimhaltung an. 1.9 Beschäftigte Insgesamt 283 Im Haushaltsplan 2011 standen der niedersächsischen VerfasMitarbeiter sungsschutzbehörde 225 Planstellen für Beamtinnen und Beamte (2010: 209) und 58 Beschäftigungsmöglichkeiten für das Tarifpersonal (2010: 58) zur Verfügung. Das Beschäftigungsvolumen, d. h. die Grundlage für die Berechnung der Personalkosten für die in der Verfassungsschutzbehörde Beschäftigten, betrug im Haushaltsjahr 2011 268,97 Vollzeiteinheiten (VZE). Im Haushaltsjahr 2010 betrug es 252,97 VZE. 1.10 Haushalt Im Haushalt der niedersächsischen Verfassungsschutzbehörde waren im Haushaltsjahr 2011 für Personalausgaben 12.635.000 EUR (2010: 12.138.000 EUR) und für Sachausgaben 3.734.000 EUR (2010: 4.663.000 EUR) veranschlagt. Damit ergab sich ein Ausgabevolumen von 16.369.000 EUR. 1.11 Mitwirkungsaufgaben des Verfassungsschutzes Zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und der Sicherheit des Bundes und der Länder nimmt der Verfassungsschutz neben seinem Beobachtungsund Aufklärungsauftrag auch gesetzlich geregelte Mitwirkungspflichten gegenüber anderen Behörden wahr (SS 1 Satz 2 Nr. 3 NVerfSchG). Im Rahmen dieser Mitwirkung wird geprüft, ob den Verfas- Verfassungsschutz in Niedersachsen 21 sungsschutzbehörden zu bestimmten, von den anfragenden Behörden näher bezeichneten Personen Erkenntnisse vorliegen, die bei den Entscheidungen der anfragenden Behörden eine sicherheitsbezogene Relevanz aufweisen. Im Jahr 2011 wurden mehr als 36.500 (Vorjahr 34.574) solMehr als 36.500 cher Mitwirkungsanfragen an den Verfassungsschutz gerichMitwirkungstet. Die anfragestärksten Prüfungsbereiche werden statistisch anfragen erfasst. Hier sind insbesondere zu nennen: - Beteiligungen bei Aufenthaltstiteln (14.210 Anfragen), - Beteiligungen bei Einbürgerungen (10.777), - Zuverlässigkeitsüberprüfungen nach dem Atomgesetz (5.454), - Zuverlässigkeitsüberprüfungen nach dem Luftsicherheitsgesetz (3.397), - Zuverlässigkeitsüberprüfungen nach dem Sprengstoffgesetz (582) und - Zuverlässigkeitsprüfungen für Dolmetscher des LKA (2.024). Zu den Mitwirkungsaufgaben des Verfassungsschutzes zählen des Weiteren Einzelanfragen nach dem Waffengesetz, Häftlingshilfegesetz, Ordensgesetz, Hafensicherheitsgesetz, Bundesvertriebenengesetz, der Bewachungsverordnung und der Überfallund Einbruchmelderichtlinie. Die Gesamtzahl der Anfragen lag im Jahr 2011 ca. 6 Prozent über dem Vorjahreswert. Aufgrund der bundeseinheitlichen Einführung eines neuen Neues Verfahren für automatisierten Verfahrens zur Abwicklung von MassenanMassenanfragen fragen und zur Prozesssteuerung werden Sicherheitsabfragen beschleunigt Abläufe im Aufenthaltsrecht nur dann vom Bundesverwaltungsamt an die Verfassungsschutzbehörden der Länder weitergeleitet, wenn erkennbar Erkenntnisse zu betroffenen Personen vorliegen. In Fällen ohne vorliegende Erkenntnisse erfolgt eine Negativauskunft automatisch durch das Bundesverwaltungsamt an die Ausländerbehörde. Dieses Verfahren wird in Niedersachsen seit dem 1. März im Aufenthaltsrecht genutzt. Es wird inzwischen in ähnlicher Form auch für die Zuverlässigkeitsprüfungen im Luftsicherheitsrecht und für die Dolmetscher der niedersächsischen Polizei eingesetzt und soll künftig für alle Mitwirkungsanfragen eingerichtet werden. Die neuen Verfahren unterstützen die Arbeit des Verfassungsschutzes und beschleunigen die Abläufe erheblich, weil die aufwändige manuelle Überprüfung der Personendaten entfällt. Im Aufenthaltsrecht ist eine erhebliche Steigerung der Zahl solcher Anfragen eingetreten (von 8.700 im Jahr 2010 auf 14.210), weil neben der Niederlassungserlaubnis 22 Verfassungsschutz in Niedersachsen jetzt auch die Duldung, die Erteilung und die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis in die Prüfung einbezogen werden und weil Nachberichte an die Ausländerbehörden vorgesehen sind. 1.12 Gemeinsames Informationsund Analysezentrum Polizei und Verfassungsschutz Niedersachsen (GIAZ - Niedersachsen) GIAZ - Niedersachsen Das seit dem 10.01.2005 eingerichtete "Gemeinsame Inforseit 2005 in Betrieb mationsund Analysezentrum Polizei und Verfassungsschutz Niedersachsen" (GIAZ - Niedersachsen) stellt einen Baustein innerhalb der Sicherheitsarchitektur des Landes Niedersachsen dar, mit dem die Zusammenarbeit in den wichtigsten Bereichen der Extremismusund Terrorismusbekämpfung optimiert wurde. Der schnelle Austausch und die umfassende Analyse und Bewertung aller verfügbaren Informationen bei sehr kurzen Kommunikationswegen sind entscheidende Voraussetzungen für die effektive Beobachtung und Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus. Zu den Aufgaben des GIAZ - Niedersachsen gehören die Zusammenführung, Analyse und Bewertung von polizeilichen und nachrichtendienstlichen Informationen aus den Themenfeldern - Internationaler Terrorismus und Extremismus, soweit er den internationalen Terrorismus unterstützt, insbesondere islamistischer Extremismus, - Rechtsextremismus und Verfassungsschutz in Niedersachsen 23 - Autonome und sonstige gewaltbereite Linksextremisten. Das GIAZ - Niedersachsen fasst diese Informationen in einer GIAZ erstellt gemeinsamen Datei zusammen. Zudem werden im GIAZ - NieLagebilder und dersachsen Lagebilder erstellt, neue Analyseprojekte initiiert initiiert und operative Maßnahmen, die von Polizei und VerfassungsAnalyseprojekte schutz in jeweils eigener Zuständigkeit durchgeführt werden, koordiniert. Diese Zusammenführung und einvernehmliche Bewertung von Erkenntnissen zu Sachverhalten, Objekten und Personen hat sich als sehr hilfreich erwiesen. Die in der Vergangenheit geleistete Analysetätigkeit sowie die daraus folgende Unterrichtung der Dienststellen von Polizei und Verfassungsschutz hat sich bewährt und zeichnet sich insbesondere dadurch aus, dass die tägliche Behördentätigkeit durch eine Gesamtbetrachtung vorliegender Erkenntnisstände effizienter erfolgt. Ein wichtiger Beitrag zur ganzheitlichen TerrorismusAufgabenbekämpfung ist der fortlaufende Aufgabenschwerpunkt schwerpunk "Brennpunkte des Islamismus in Niedersachsen" des GIAZ - "Brennpunkte Niedersachsen. Ziel dieses Projektes sind die weitere Aufheldes Islamismus in lung islamistischer Strukturen und das frühzeitige Erkennen Niedersachsen" von Schlüsselfiguren der islamistischen Szene. Die analytische Betrachtung soll Aufschluss geben über Anzahl, Verteilung und Zuordnung islamistischer Brennpunkte in Niedersachsen. Es geht darum, Erkenntnisse über Radikalisierung im und Rekrutierung für den Islamismus, insbesondere den islamistischen Terrorismus, zu gewinnen. Den aktuellen Entwicklungen innerhalb der verschiedenen Extremismusbereiche folgend wurde das GIAZ - Niedersachsen zudem beauftragt, ein aktuelles phänomenübergreifendes Lagebild zum Thema "Nutzung Sozialer Netzwerke im Internet durch Extremisten" zu erstellen. Auf Basis der für das Projekt verfügbaren Informationen ergaben sich neue Erkenntnisse über Schwerpunkte bei der Nutzung der verfügbaren Kommunikationsnetze, über die Motivationslage zur Verwendung dieser modernen Kommunikationsform und über die Art und Weise, wie insbesondere junge Menschen auf diesem Wege durch Extremisten angesprochen werden. Weiterhin beleuchtete die geleistete Projektarbeit die Entwicklung der politisch motivierten Kriminalität innerhalb der Sozialen Netzwerke und gibt Handlungsimpulse für die moderne Ausgestaltung behördlicher Präventionsarbeit. Das GIAZ - Niedersachsen wird zukünftig mit neuer Schwerpunktsetzung in die Bekämpfung des Rechtsextremismus und rechtsextremistischer Straftaten unmittelbar einbezogen. Dazu wird auch eine zwischen Polizei und Verfassungsschutz koordinierte intensivierte Beobachtung und Auswertung einschlägiger Internetseiten erfolgen. Niedersachsen hat frühzeitig erkannt, dass für eine umfas- 24 Verfassungsschutz in Niedersachsen sende und vollständige Analyse die themenbezogenen Informationen von Polizei und Verfassungsschutz zusammengefasst und einer gemeinsamen Auswertung zugeführt werden müssen. Mit diesem wichtigen Instrument der Terrorund Extremismusbekämpfung wird auch weiterhin, unter Beachtung des Trennungsgebotes und der einschlägigen Datenübermittlungsvorschriften, ein nahezu nahtstellenfreier Informationsaustausch zwischen Polizei und Verfassungsschutz gewährleistet. 1.13 Informationsverarbeitung Vorschriften zur Der Verfassungsschutz Niedersachsen ist - wie die anderen Speicherung, Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder auch Sperrung und - gesetzlich befugt, die zur Aufgabenerfüllung erforderlichen Löschung von personenbezogenen Daten zu erheben und in Akten und DaDaten teien zu speichern. Das NVerfSchG und detaillierte Dienstvorschriften schreiben bestimmte Speicherungsvoraussetzungen sowie Regelungen zur Sperrung und Löschung der Daten vor. Deren Beachtung unterliegt insbesondere der Kontrolle durch den Landesbeauftragten für den Datenschutz (LfD) und den im Verfassungsschutz bestellten behördlichen Datenschutzbeauftragten. NADIS - GemeinAufgrund der in Artikel 73 Nr. 10 GG und im Bundesversame Datenbank fassungsschutzgesetz (BVerfSchG) normierten Verpflichtung von Bund und zur Zusammenarbeit und gegenseitigen Unterrichtung unterLändern halten alle Verfassungsschutzbehörden gemäß SS 6 BVerfSchG eine gemeinsame beim Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) eingerichtete Datenbank, das Nachrichtendienstliche Informationssystem (NADIS). Alle teilnehmenden Behörden dürfen dort nach Maßgabe der jeweiligen eigenen rechtlichen Befugnisse personenbezogene Daten speichern sowie auf den gesamten NADIS-Datenbestand zugreifen und Daten abrufen. Die gemeinsame Datenbank von Bund und Ländern, NADIS, ist ein Aktenfundstellensystem, in dem nur der Name der gespeicherten Person, die zu ihrer Identifizierung erforderlichen Merkmale wie z. B. Wohnanschrift, Staatsangehörigkeit, Kraftfahrzeug sowie die speichernde Behörde und deren nach einem einheitlichen Aktenplan vergebenen Aktenzeichen enthalten sind. Nicht gespeichert ist der Inhalt der jeweiligen Information, die Anlass zur Vergabe des Aktenzeichens gewesen ist. Benötigt eine Verfassungsschutzbehörde zur eigenen Aufgabenerfüllung die Informationen einer anderen Verfassungsschutzbehörde über eine gespeicherte Person, so fragt Verfassungsschutz in Niedersachsen 25 sie in der Regel auf elektronischem Wege bei ihr an. Der Informationsübermittlung ist eine Relevanzprüfung durch die speichernde Stelle vorgeschaltet. Bedeutsam ist, dass sich die im NADIS gespeicherten personenbezogenen Daten nur teilweise auf Personen beziehen, die verfassungsfeindliche, sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Aktivitäten (vgl. SS 3 Abs. 1 NVerfSchG) entfaltet haben. Im NADIS werden auch Angaben zu Personen erfasst, bei denen eine Sicherheitsüberprüfung mit dem Ergebnis einer Ermächtigung zum Umgang mit Verschlusssachen durchgeführt wurde oder die als Zielpersonen terroristischer oder geheimdienstlicher Aktivitäten gelten. Vom Niedersächsischen Verfassungsschutz waren am 31.12.2011 folgende personenbezogene NADIS-Speicherungen veranlasst (Vorjahreszahlen in Klammern): - im Zusammenhang mit Sicherheitsüberprüfungen 41.583 (36.617) - im Zusammenhang mit originären Aufgaben des Verfassungsschutzes im Bereich Extremismus, Terrorismus, Spionageabwehr 10.867 (10.964) 1.14 Auskunftsersuchen von Bürgerinnen und Bürgern Im Jahr 2011 wurden 88 Auskunftsersuchen (2010: 83) gemäß Leichter SS 13 NVerfSchG beantwortet. In 59 Fällen hatte der VerfasAnstieg der sungsschutz keine Erkenntnisse gespeichert. Sechs AnfraAuskunftsergenden wurde der der Erfassung zugrunde liegende Sachsuchen verhalt uneingeschränkt mitgeteilt. In 22 Fällen wurde den Auskunftssuchenden der ihrer Erfassung zugrunde liegende Sachverhalt eingeschränkt mitgeteilt und im Übrigen gemäß SS 13 Abs. 3 NVerfSchG an den LfD verwiesen. In einem Fall konnten die vorliegenden Erkenntnisse nicht mitgeteilt werden. Auch in diesem Fall wurde an den LfD verwiesen. 1.15 Niedersächsische Extremismus-Informations-Stelle (NEIS) Unsere freiheitliche Verfassung zu schützen bedeutet nicht nur, extremistische Aktivitäten zu beobachten, sondern auch die Öffentlichkeit darüber zu informieren, so dass extremistische Ideologien von den Bürgerinnen und Bürgern als verfassungsfeindlich erkannt werden können. Diese Information ist eine gesetzliche Aufgabe: Gemäß SS 3 Abs. 4 NVerfSchG klärt die Verfassungsschutzbehörde die Öf- 26 Verfassungsschutz in Niedersachsen fentlichkeit auf der Grundlage ihrer Auswertungsergebnisse durch zusammenfassende Berichte und andere Maßnahmen über verfassungsfeindliche Bestrebungen und sicherheitsgefährdende bzw. geheimdienstliche Tätigkeiten auf. Zu den zusammenfassenden Berichten zählt insbesondere der jährVerfassungsliche Niedersächsische Verfassungsschutzbericht. "Verfasschutz durch sungsschutz durch Aufklärung" ist ein wichtiges Ziel, um die Aufklärung Demokratie vor ihren Feinden zu schützen. Um die vielfältigen Aufgaben der Presse-, Öffentlichkeitsarbeit und Prävention besser aufeinander abzustimmen, wurde von Innenminister Uwe Schünemann 2009 die Niedersächsische Extremismus-Informations-Stelle (NEIS) im Niedersächsischen Verfassungsschutz ins Leben gerufen. NEIS ist eine Anlaufstelle für die Öffentlichkeit. Sie bietet u. a. Informationen über - Rechtsextremismus - Linksextremismus - Ausländerextremismus, insbesondere Islamismus - Präventionsmaßnahmen. Die gesammelten Informationen des Verfassungsschutzes werden ausgewertet, analysiert und dokumentiert. Sie stehen NEIS als Grundlage für die Aufklärung zur Verfügung. NEIS benötigt NEIS kann und will seine Arbeit nur in der engen KoopePartner ration mit anderen staatlichen Einrichtungen, aber auch gesellschaftlichen Organisationen und Partnern durchführen. Es geht darum, Kompetenzen zusammenzuführen. Öffentlichkeitsarbeit von NEIS bedeutet in diesem Zusammenhang, Netzwerke von Demokraten zu fördern, die überzeugt sind, dass die Demokratie offensiv für ihre Werte eintreten und sich gegen ihre Feinde wehren muss. 1.15.1 Presseund Bürgerkontakt NEIS ist Ansprechpartner für die Presse in allen Fragen zum Extremismus. Die Bürgerund Presseanfragen an die Verfassungsschutzbehörde spiegeln thematisch alle Arbeitsfelder des Verfassungsschutzes wider. Dabei wird häufig eine Einschätzung erbeten, ob beschriebene Phänomene als extremistisch zu werten sind. 1.15.2 Vortragsund Informationsveranstaltungen NEIS hat erfahrene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Bereich der Auseinandersetzung mit Extremismus. Sie können zu allen Themen des Extremismus als Referenten eingeladen werden, z. B. von Schulen und anderen Bildungseinrichtungen, Kommunen, Vereinen, Parteien. NEIS begleitet Projekttage, Verfassungsschutz in Niedersachsen 27 Seminare und Workshops. Auch 2011 wurde dieses Angebot in umfangreicher Weise Mehr als 50 genutzt. Vor allem Vorträge und Informationen zum RechtsVorträge und extremismus wurden nachgefragt, zunehmend aber auch zu Veranstaltungen den Themen Islamismus und Linksextremismus. 2011 wurden in über 50 Vortragsveranstaltungen rund 3.000 Personen erreicht. Mehrfach besuchten auch Gruppen das Dienstgebäude des Verfassungsschutzes, um sich über die Arbeit der Behörde zu informieren. 1.15.3 Ausstellung "Unsere Demokratie schützen - Verfassungsschutz gegen Extremismus" Ein wesentliches Element der Öffentlichkeitsarbeit von NEIS ist Bereits 37.000 die Wanderausstellung "Unsere Demokratie schützen - VerBesucher bei fassungsschutz gegen Extremismus". So sind seit Beginn der Wanderausstellung Ausstellung im Jahr 2005 mittlerweile in 50 Orten Niedersachgegen Extremismus sens und angrenzenden Bundesländern mehr als 37.000 Schüler und andere Gruppen in über 1.000 Führungen durch die Ausstellung geführt worden. Anfang 2010 wurde die bisherige Ausstellung um das Thema Linksextremismus ergänzt, jedoch liegt der thematische Schwerpunkt weiterhin beim Rechtsextremismus. Diese Wanderausstellung unter dem neuen Titel "Verfassungsschutz gegen Extremismus - Unsere Demokratie schützen vor Rechtsund Linksextremismus" kann überall in Niedersachsen gezeigt werden. Sie vermittelt grundlegende Informationen über rechtsund linksextremistische Erscheinungsformen und Werbemethoden. Sie gibt Einblicke in die rechtsextremistische Musikszene und in den Gebrauch des Internets durch Extremisten. Für Schulklassen und andere Gruppen werden fachkundige Führungen angeboten. 1.15.4 Lehrerfortbildung In Zusammenhang mit der Ausstellung bietet NEIS in Kooperation mit dem Niedersächsischen Kultusministerium eine Lehrerfortbildung an. Sie soll dazu anregen, in den Schulen z. B. Projekttage gegen Extremismus und für Demokratie durchzuführen. Ergänzt wird dieses Qualifizierungsangebot durch Arbeitsmaterialien, die im Unterricht eingesetzt werden können. 1.15.5 Beratung von Kommunen In Kommunen entsteht oft die Frage, wie man sich vor allem Beratung von gegen rechtsextremistische Aktivitäten vor Ort wehren kann. Kommunen / NEIS bietet eine auf die jeweilige lokale Situation eingehende ImmobilienInformation und Beratung an. In Strategiegesprächen werden beauftragter 28 Verfassungsschutz in Niedersachsen Möglichkeiten der Prävention und des Umgangs mit Rechtsextremisten aufgezeigt. Bei NEIS ist auch der 2004 bestellte Beauftragte für Immobiliengeschäfte mit rechtsextremistischem Hintergrund tätig. Er berät betroffene Kommunen und wird koordinierend tätig (s. dazu mehr im Kapitel Rechtsextremismus unter 3.15). 1.15.6 Symposien Seit 2009 veranstaltet NEIS öffentliche Symposien zum Thema Extremismus, an denen anerkannte Experten teilnehmen und aus unterschiedlichen Blickwinkeln Fragen diskutieren. Die Inhalte werden jeweils in einem Tagungsband zusammengefasst. Symposien in Im Mai 2009 wurde das 1. Extremismus-Symposium unter Hannover und dem Titel "Linksextremismus - Die unterschätzte Gefahr?" in der Fläche durchgeführt. Im September 2009 folgte das 2. Symposium zum Thema "Neue Entwicklungen im Rechtsextremismus". Im Juni 2010 fand das 3. Extremismussypmposium zum Thema "Islamismus - Herausforderung für die Demokratie" statt. Das 4. Symposium im Juli hatte den Titel "Salafismus - Radikalisierung - Prävention". Über diese "großen" Symposien in der Landeshauptstadt Hannover hinaus hat NEIS 2010 damit begonnen, "kleine" regionale Symposien auch in der Fläche Niedersachsens durchzuführen. 2011 fanden regionale Symposien zu den Themen "Jugend im Fadenkreuz des Rechtsextremismus" in Lüneburg und "Islamismus in Deutschland - Gefahr für die Demokratie" in Oldenburg statt. Im Dezember folgte ein Symposium zum Islamismus in Verden. Auch diese regionalen Symposien fanden eine sehr gute Resonanz bei den Besuchern und in den Medien. 1.15.7 Andi-Comics Mit den Andi-Comics hat NEIS ein neues Informationsangebot herausgebracht, das sich vor allem an Jugendliche richtet. Die Themenhefte wurden in Nordrhein-Westfalen entwickelt und so überarbeitet, dass sie zu den niedersächsischen Verhältnissen passen. Drei Andi-Hefte liegen zu den Themen Islamismus, Andi-Comics Rechtsund Linksextremismus vor. In ihnen werden die Hauptfigur Andi und seine Freunde im Alltag mit extremistischen Positionen und Verhaltensweisen konfrontiert. Im Mittelpunkt steht der Bezug auf die demokratische Grundordnung als eine Staatsform der Toleranz, der Freiheit und des friedlichen Miteinanders. In einem Anhang werden Symbole erläutert, findet sich ein Begriffs-Glossar und werden die Grundlagen von Demokratie und Rechtsstaat erläutert. Auch ein Informationsund Anschriftenverzeichnis ist aufgenommen. Verfassungsschutz in Niedersachsen 29 Die Andi-Hefte können kostenfrei bei NEIS bestellt und in der schulischen und außerschulischen Bildungsarbeit eingesetzt werden. Zum Islamismus-Heft liegt eine ergänzende Handreichung für Lehrerinnen und Lehrer vor, die von der nordrhein-westfälischen Landesregierung herausgegeben wurde. 1.15.8 Planspiel "Demokratie und Extremismus" Für die Zielgruppe der etwas älteren Jugendlichen ab Klasse 10 bietet NEIS seit 2010 das Planspiel "Demokratie und Extremismus" an. Es ist ein ca. fünfstündiges Planspiel, in dem sich die Teilnehmerinnen und TeilPlanspiel "Demokratie nehmer anhand einer konkreten Situation - z. B. Anmeldung und Extremismus" eines "Trauermarsches" oder einer "Heldengedenkfeier" von Extremisten - in die Argumentation unterschiedlicher Interessengruppen einarbeiten, um im Anschluss die unterschiedlichen Positionen in einer gespielten Bürgerversammlung vorzutragen. Das Planspiel wird von einem Spielleiter moderiert. Es handelt sich um ein Angebot insbesondere an Schulen, bei denen es großes Interesse findet und die über die Durchführung in eigener Verantwortung entscheiden. Bisher wurden insgesamt 20 Planspiele an niedersächsischen Schulen durchgeführt. 1.15.9 "Demokratie-Lotsen" Für engagierte Ehrenamtliche bietet NEIS seit Ende 2010 das Demokratie-Lotsen Qualifizierungsprogramm "Demokratie-Lotsen" an. Es will einen Beitrag zur Förderung der Zivilgesellschaft und des demokratischen Engagements leisten. "Demokratie-Lotsen" können Menschen werden, die sich bereits ehrenamtlich engagieren und in der Lage sind, andere zu motivieren. Die Lotsen sollen vor Ort eigene Ideen entwickeln und umsetzen zur Stärkung der demokratischen Idee, der Förderung demokratischer Teilhabe, der Abwehr von Extremismus und zur Unterstützung von Zivilcourage. Sie sollen in die vor Ort bestehenden Ehrenamtsstrukturen eingebunden werden (z. B. Freiwilligenagentur, Jugendzentrum, Mehrgenerationenhaus, Seniorenservicebüro u. a.). Das Lotsenprogramm ist ein Beitrag zu einem offenen Demokratieschutz in einer offenen Gesellschaft. Der erste Kurs hat im Dezember 2010 begonnen. Das Programm wird in der Evangelischen Heimvolkshochschule Loccum durchgeführt. Das Demokratie-Lotsen-Programm wird als Partner unterstützt von: Amadeu-Antonio-Stiftung Berlin, Arbeitsstelle Rechtsextremismus und Gewalt 30 Verfassungsschutz in Niedersachsen (ARUG) in Braunschweig, Landesarbeitsgemeinschaft der Freiwilligenzentren und -agenturen, Freiwilligenzentrum Hannover, Landespräventionsrat Niedersachsen. Im Jahr 2011 wurden 30 Demokratie-Lotsen qualifiziert. 1.15.10 Informationsmaterialien von NEIS InformationsBei NEIS können Broschüren und andere Informationsmaterimaterialien alien zum Extremismus bestellt werden, wie z. B. - jährlicher Verfassungsschutzbericht, der einen detailierten Überblick über extremistische Entwicklungen in Niedersachsen gibt, - Tagungsdokumentationen der Extremismussymposien zu den Themen Rechtsund Linksextremismus sowie zum Islamismus, - "Andi"-Comics zu den Themen Rechtsund Linksextremismus sowie zum Islamismus, - Broschüre "ISLAMISMUS: Entwicklungen - Gefahren - Gegenmaßnahmen" und - Faltblätter: zum NEIS-Angebot, zum Planspiel "Demokratie und Extremismus", zum Qualifizierungskurs "Demokratie-Lotsen". 1.15.11 Partner von NEIS Partner von NEIS NEIS unterstützt alle demokratischen Handlungsansätze und Bündnisse gegen Extremismus. Sie arbeitet mit anderen Präventionsstellen zusammen. NEIS ist eingebunden in das Beratungsnetzwerk des Niedersächsischen Landespräventionsrates (LPR). Der LPR koordiniert Experten aus unterschiedlichen Bereichen zum Thema Rechtsextremismus und kann "Mobile Interventionsteams" (MIT) zusammenstellen, an denen auch NEIS beteiligt ist. Auch mit der Arbeitsstelle Rechtsextremismus und Gewalt (ARUG) in Braunschweig arbeitet NEIS eng zusammen. NEIS versteht sich als Ergänzung vorhandener Aktivitäten, die sie fördern und unterstützen will. 1.15.12 Projektgruppe "Antiradikalisierung" Projektgruppe Vor dem Hintergrund der zunehmenden Bedrohung durch "Antiradikalisierung" den "homegrown terrorism" hat der Niedersächsische Innenminister Uwe Schünemann im Herbst 2010 eine Projektgruppe unter Federführung des Verfassungsschutzes eingerichtet. Die Projektgruppe "Antiradikalisierung" hat ein ganzheitliches Handlungskonzept mit präventiven Maßnahmen erarbeitet, um der Gefahr der Radikalisierung von Muslimen frühzeitig entgegenwirken zu können. Die Niedersächsischen Verfassungsschutz in Niedersachsen 31 Sicherheitsbehörden gehen davon aus, dass neben den operativen Maßnahmen zum Schutz vor Anschlägen (Beobachtung durch den Verfassungsschutz, polizeiliche Gefahrenabwehr, Strafverfolgung) auch der Aufbzw. Ausbau eines funktionierenden Präventionsinstrumentariums im Bereich des islamistischen Extremismus und Terrorismus unter Einbindung und Mitwirkung gesellschaftlicher Akteure und ganz wesentlich auch muslimischer Bürgerinnen und Bürger bzw. Organisationen notwendig ist. Ein solches ganzheitliches Handlungskonzept existiert bislang in keinem anderen Bundesland. In der vom Niedersächsischen VerfassungsschutzpräsidenRessortübergreifende ten geleiteten Projektgruppe waren neben Mitarbeiterinnen Projektgruppe und Mitarbeitern des Verfassungsschutzes insbesondere Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Ministerien für Soziales, Frauen, Familie, Gesundheit und Integration, der Justiz und Kultus sowie Vertreter kommunaler Behörden und des Landespräventionsrates Niedersachsen eingebunden. Damit sollte eine möglichst große Praxisnähe und breite Akzeptanz in allen Ressorts der Landesverwaltung erreicht werden. Eingebunden waren auch Vertrerinnen und Vertreter muslimischer Organisationen. Der Präventionsansatz verfolgt im Kern vier Ziele: - Sensibilisierung von Behörden und gesellschaftlichen AkVier Kernziele teuren, - Früherkennung von islamistischen Radikalisierungsprozessen, - Immunisierung junger Muslime gegen extremistische Einflüsse und - Deradikalisierung, d. h. gefährdete Personen von einer weiteren Radikalisierung abzuhalten bzw. ausstiegswillige Personen aus extremistischen bzw. terroristischen Strukturen herauszulösen. Der Verfassungsschutz Niedersachsen geht davon aus, dass die islamistische Radikalisierung, insbesondere bei Jugendlichen, zunehmend im "Stillen", d. h. ohne direkte Einbindung in islamistische Netzwerke erfolgt. Hierbei kommt dem Internet eine zentrale Rolle zu. Solche Prozesse der Selbstradikalisierung sind für Sicherheitsbehörden kaum wahrzunehmen. Das muslimisch geprägte soziale und familiäre Umfeld betroffener Personen ist möglicherweise sensibler in der Wahrnehmung dieser Art der Radikalisierung und sollte daher in Maßnahmen der Anti-Radikalisierung eingebunden werden. Ziel ist die Etablierung einer Präventionspartnerschaft zwischen den muslimischen Organisationen in Niedersachsen sowie den niedersächsischen Sicherheitsbehörden. Ein erster 32 Verfassungsschutz in Niedersachsen Schritt bestand bereits darin, ein gemeinsames Symposium mit der Schura Niedersachsen und dem DITIB-Landesverband zum Thema "Salafismus - Radikalisierung - Prävention" im Juli 2011 in Hannover durchzuführen. Netzwerk mit Neben der Zusammenarbeit mit muslimischen Verbänden festen Ansprechist es aber auch unerlässlich, Institutionen und Behörden auf partnern aufbauen diesem Gebiet zu sensibilisieren. Dazu ist es notwendig, ein Netzwerk fester Ansprechpartner zwischen den Behörden, Institutionen und den Sicherheitsbehörden zu errichten. Zu nennen sind hier vor allem Schulen, Jugendämter, Einrichtungen der außerschulischen Jugendarbeit, Justizbehörden, Justizvollzugsanstalten, Ausländerbehörden und Ordnungsämter. Früherkennung und Sensibilisierung sind auch in Wirtschaftsunternehmen zunehmend wichtige Themen; unter Nutzung des Netzwerks geheimschutzbetreuter Firmen (ca. 600) des Arbeitsbereichs Wirtschaftsschutz des Niedersächsischen Verfassungsschutzes werden diese zukünftig verstärkt über die Gefahren des islamistischen Extremismus informiert und für Radikalisierungsprozesse sensibilisiert werden. AussteigerDie Einrichtung eines Aussteigerprogramms für Islamisten programm für wird - nach dem Vorbild des niedersächsischen AussteigerproIslamisten gramms "Aktion Neustart" im Bereich des Rechtsextremismus - ebenfalls geprüft. Dabei soll der Verfassungsschutz Niedersachsen - erstmalig in Deutschland - eigeninitiativ an potenzielle Ausstiegswillige herantreten, um diese aus der islamistischen Szene herauszulösen. Propaganda Die Projektgruppe hat sich zudem mit der Frage befasst, im Internet wie man der vor allem auf Jugendliche gerichteten islamistientgegenwirken schen Propaganda im Internet entgegenwirken kann. Sie hat umfangreiche Präventionsmaßnahmen im Bereich der Medienund Öffentlichkeitsarbeit entworfen. Ein Baustein ist hierbei eine Broschüre mit dem Titel "ISLAMISMUS: Entwicklungen - Gefahren - Gegenmaßnahmen", mit der differenziert und umfassend über den Islamismus informiert werden soll. Sie vermittelt u. a. einen Überblick über Entstehung, Ideologie, Erscheinungsformen und Akteure des islamistischen Extremismus und Terrorismus. 1.15.13 "Ausstellung "Muslime in Niedersachsen - Probleme und Perspektiven der Integration" Neue Ausstellung Die Wanderausstellung "Muslime in Niedersachsen - Prozum Islamismus bleme und Perspektiven der Integration" wurde seit dem geplant 26.11.2007 in einer komplett überarbeiteten Version präsentiert. Die 31 Tafeln umfassende Ausstellung gibt einen Überblick über integrationshemmende und integrationsfördernde Aspekte. Sie wirbt dafür, die gesellschaftlichen, aber auch die Verfassungsschutz in Niedersachsen 33 individuellen Anstrengungen für eine bessere Integration zu intensivieren. Sie war bisher in Bad Pyrmont, Bersenbrück, Damme, Ganderkesee, Garbsen, Georgsmarienhütte, Gifhorn, Göttingen, Goslar, Hameln, Helmstedt, Hildesheim, Holzminden, Langenhagen, Leer, Lüchow-Dannenberg, Lüneburg, Meinersen, Melle, Osterholz, Papenburg, Peine, Quakenbrück, Salzgitter, Sarstedt, Seelze, Stadtoldendorf, Verden, Weyhe, Wildeshausen, Wilhelmshaven, auf dem Deutschen Präventionstag in Hannover und Oldenburg und an der Polizeiakademie Nienburg zu sehen. Die Wanderausstellung wird ab 2012 ersetzt durch eine Ausstellung, die gezielt über den Islamismus aufklären soll. 1.15.14 Kontaktdaten Wünsche für Vortragsund Diskussionsveranstaltungen könKontaktnummern: nen per Post (Büttnerstraße 28, 30165 Hannover), telefonisch 0511/6709-217, -777 (0511/6709-217), per Fax (0511/6709-394) oder per E-Mail und -569 (oeffentlichkeitsarbeit@verfassungsschutz.niedersachsen.de) an den Niedersächsischen Verfasungsschutz gerichtet werden. Für inhaltliche Fragen zum Thema Extremismus steht die Niedersächsische Extremismus-Informations-Stelle (NEIS) beim Verfassungsschutz unter der Telefonnummer 0511/6709-777 oder über die o. a. E-Mail-Adresse zur Verfügung. Informationen zur Wanderausstellung "Verfassungsschutz gegen Extremismus - Unsere Demokratie schützen vor Rechtsund Linksextremismus", wie aktuelle Ausstellungsorte, Termine für Führungen, Voraussetzungen für die Präsentation etc. erhalten Sie unter der Telefonnummer 0511/6709-569 oder der o. a. E-Mail-Adresse. Die weiterhin unter Federführung des niedersächsischen Gemeinsame Verfassungsschutzes im Internet eingestellte gemeinsame Pränorddeutsche Seite sentation der norddeutschen Verfassungsschutzbehörden gegen Rechtsextremismus www.verfassungsschutzgegenrechtsextremismus.de stellt die Situation des Rechtsextremismus für ganz Norddeutschland dar. Neben ideologischen Begriffserklärungen und grundlegenden Erläuterungen zu rechtsextremistischen Erscheinungsformen finden sich auch Antworten auf die Frage "Was kann ich tun?" und weiterführende Links für den Bereich der Prävention. Die beteiligten Länder Bremen, Hamburg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Sachsen- 34 Verfassungsschutz in Niedersachsen Anhalt und Schleswig-Holstein haben mit dieser Internetseite die Möglichkeit, aktuelle Entwicklungen im Rechtsextremismus länderübergreifend umgehend online darzustellen. Weitere InformatiDer Niedersächsische Verfassungsschutz informiert umfasonen unter www. send unter der Adresse verfassungsschutz. niedersachsen.de www.verfassungsschutz.niedersachsen.de über Aufgaben und Befugnisse des Verfassungsschutzes und aktuelle Entwicklungen des politischen Extremismus sowie der Spionageabwehr mit der Schwerpunktsetzung auf Niedersachsen. Insbesondere in der Rubrik "Aktuelle Meldungen" und "Termine" werden zeitnah Berichte und Analysen veröffentlicht und Veranstaltungen des niedersächsischen Verfassungsschutzes angekündigt. Auf den Internet-Seiten des Ministeriums für Inneres und Sport www.mi.niedersachsen.de (Service \ Publikationen) Download von sind die Verfassungsschutzberichte der letzten Jahre sowie die Broschüren Broschüre "NEIN - Förderung politischer Handlungsmöglichkeiten gegen Rechtsextremismus in den Kommunen" veröffentlicht. 1.16 Gesamtkonzeption zur Bekämpfung des Rechtsextremismus Das Niedersächsische Ministerium für Inneres und Sport hat im Januar 2012 unter dem Titel "Rechtsextremismus in Niedersachsen bekämpfen - Demokratie stärken" eine Gesamtkonzeption gegen Rechtsextremismus vorgestellt. Diese enthält einen ausführlichen Situationsbericht zum Rechtsextremismus in Niedersachsen und erläutert die differenzierten Bekämpfungsstrategien der niedersächsischen Sicherheitsbehörden Polizei und Verfassungsschutz. Auch die Maßnahmen im Rahmen der Bund-Länder-Kooperation sind aufgeführt. 1.17 Aktion Neustart Kontaktnummer Im November 2010 rief der niedersächsische Verfassungs0172/4444300 schutz das neue Aussteigerprogramm "Aktion Neustart" ins Leben. Ziel dieses Aussteigerprogramms ist es, Rechtsextremisten, die sich aus der Szene lösen wollen, bei ihrem Aus- Verfassungsschutz in Niedersachsen 35 stieg beratend und unterstützend zur Seite zu stehen. Aber auch jungen Menschen, die in Gefahr sind, in die Szene abzurutschen, soll Unterstützung angeboten werden. Zudem bietet "Aktion Neustart" Hilfesuchenden aus dem sozialen Umfeld von Rechtsextremisten Beratung an, beispielsweise Eltern oder Lehrern. Ausstiegswillige und Ratsuchende können über die Rufnummer 0172/4444300 jederzeit und vertraulich Kontakt zu "Aktion Neustart" aufnehmen. Wichtiger Bestandteil des Programms "Aktion Neustart" ist zudem die aktive, eigeninitiative Ansprache von Rechtsextemisten, die in der Szene aktiv sind. Dieser Personenkreis soll durch gezielte Gespräche zu einem Umdenken bewegt werden. Mit dieser Komponente der aktiven Ansprache ergänzt "Aktion Neustart" auf sinnvolle Weise das bereits erfolgreiche Aussteigerprogramm des Niedersächsischen Justizministeriums und schließt damit eine Lücke in der bisherigen Ausstiegskonzeption. Erforderlich für eine effektive Bekämpfung des Rechtsextremismus ist ein vernetztes Vorgehen. Deshalb arbeitet "Aktion Neustart" mit anderen Institutionen zusammen, insbesondere mit der AussteigerhilfeRechts des Niedersächsischen Justizministeriums, aber auch mit privaten Institutionen wie der Arbeitsstelle Rechtsextremismus und Gewalt (ARUG). Sofern eine spezielle pädagogische oder therapeutische Betreuung notwendig ist, vermittelt "Aktion Neustart" entsprechende Stellen. Die ersten Erfahrungen bestätigen, dass die Zielgruppe - noch nicht straffällig gewordene Rechtsextremisten und junge Szeneangehörige - mit dem Aussteigerprogramm erreicht werden kann. So begleitet "Aktion Neustart" mittlerweile mehrere Rechtsextremisten bei ihrem Ausstieg aus der Szene, berät mehrere Erziehungsberechtigte rechtsextremistischer Jugendlicher und hat bereits aktiv Rechtsextremisten angesprochen. Bis Ende 2011 wurden insgesamt 26 Fälle bearbeitet. In Bisher schon 26 sechs Fällen konnte ein erfolgreicher Ausstieg erreicht werFälle bearbeitet den, darunter waren sowohl Szene-Einsteiger, als auch langjährige Protagonisten der rechtsextremistischen Szene. In fünf Fällen lehnten die angesprochenen Rechtsextremisten den Szene-Ausstieg kategorisch ab. In den bisher geführten Betreuungsgesprächen wurde die Bedeutung des Internets für den Einstieg junger Menschen in die rechtsextremistische Szene deutlich. In der überwiegenden Zahl der betreuten Fälle nutzten die jungen Szene-Einsteiger rechtsextremistische Internet-Foren und Homepages sowie so- 36 Verfassungsschutz in Niedersachsen ziale Netzwerke, um Kontakte zur rechtsextremistischen Szene zu knüpfen. Über entsprechende Internetquellen nahmen sie rechtsextremistisches Gedankengut auf und äußerten sich über aktuelle, für die Szene relevante Themen. 1.18 Anmerkungen zum Inhalt des Verfassungsschutzberichtes 1.18.1 Umfang der Berichterstattung Im folgenden Bericht wird ausschließlich über solche Bestrebungen berichtet, bei denen die vorliegenden tatsächlichen Anhaltspunkte eine Bewertung als extremistisch rechtfertigen. Über Bestrebungen, bei denen aufgrund der vorliegenden tatsächlichen Anhaltspunkte vorerst der Verdacht besteht, extremistisch zu sein, wird nicht berichtet. 1.18.2 Hinweis zur Rechtschreibung Im Bericht wird die deutsche Rechtschreibung entsprechend der aktuell gültigen Auflage des Dudens verwendet. Sofern in Zitaten davon abgewichen wird, liegt es daran, dass die Originalschreibweise der dem Zitat zugrunde liegenden Quelle übernommen wurde. Daneben können in Zitaten auch Namen anders geschrieben sein, als im übrigen Bericht. Ein gesonderter Hinweis auf die Abweichung erfolgt jedoch nicht. 1.18.3 Jahreszahlen Soweit im Bericht keine Jahreszahlen genannt sind, bezieht sich die Datumsangabe auf das Berichtsjahr. Ausländerextremismus 37 2. Ausländerextremismus1 und -terrorismus23 2.1 Mitglieder-/Anhänger-Potenzial Mitglieder-/Anhänger-Potenzial extremistischer Or2010 2011 ganisationen mit Bezug zum Ausland Islamistisch-extremistische Gruppen2 37.470 38.080 Extrem-nationalistische Gruppen 7.840 7.840 Linksextremistische Gruppen 17.070 20.570 Summe 62.380 66.490 Niedersachsen 2010 2011 Islamistisch-extremistische Gruppen 3.170 3.350 Extrem-nationalistische Gruppen3 600 600 Linksextremistische Gruppen 1.900 1.950 Summe 5.670 5.900 1 Es handelt sich hierbei nicht nur um Aktivitäten von Ausländern im aufenthaltsrechtlichen Sinne, sondern auch um Aktivitäten von Personen oder Gruppierungen mit Bezug zum Ausland, siehe hierzu auch die Anmerkungen unter 2.3. 2 Nicht alle Mitglieder islamistisch-extremistischer Organisationen verfolgen oder unterstützen extremistische Zielsetzungen. 3 Vereine der Almanya Türk Federasyon (ATF, so genannte "Graue Wölfe"), die keine außenwirksamen Aktivitäten entfaltet haben. Entwicklung der Mitgliederzahlen extremistischer Ausländerorganisationen 57400 58.420 59470 60.980 62.380 66.480 70.000117 00 -----60.000: 50.0004 40.000- T EBund 30.000 77 EiNiedersachsen 20.000- T 10.0004 0+ 2006 2007 2008 2009 2010 2011 Entwicklung der Mitgliederzahlen islamistisch-extremistischer Gruppen 32.150 33170 3720 36270 37470 38.080 ee |-EBund EB Niedersachsen 2006 2007 2008 2009 2010 2011 Ausländerextremismus 39 2.2 Politisch motivierte Kriminalität4 (PMK) mit extremistischem Hintergrund - Ausländer Die Politisch motivierte Kriminalität wird seit dem Jahr 2001 durch die Polizei nach dem von der Innenministerkonferenz beschlossenen "Kriminalpolizeilichen Meldedienst in Fällen Politisch motivierter Kriminalität (KPMD-PMK)" bundeseinheitlich erfasst. Im Jahr 2011 wurden im Bereich der Politisch motivierten Ausländerkriminalität mit extremistischem Hintergrund insgesamt 24 Straftaten (Vorjahr 136) polizeilich registriert. Dies bedeutet einen Rückgang der Delikte um 82,35 Prozent. In der Vergangenheit wurde dieser Phänomenbereich nicht nur in Niedersachsen von Straftaten der PKK dominiert. Ein deutlicher Schwerpunkt lag im Bereich der Verstöße gegen das Vereinsgesetz, unter anderem Spendengeldsammlungen und Aufrechterhaltung der Strukturen der mit einem Betätigungsverbot belegten PKK. Mit einem Anteil von ca. 69,6 Prozent (16 Straftaten) treten die Verstöße gemäß SS 20 Vereinsgesetz besonders hervor. Sie resultieren aus dem Verwenden von verbotenen Symbolen der PKK in der Öffentlichkeit bzw. dem Skandieren verbotener Parolen. Der starke Rückgang der Fallzahlen liegt insbesondere darin begründet, dass in Niedersachsen im Jahr 2011 keine umfangreichen Ermittlungsverfahren durchgeführt wurden, bei denen eine im Vergleich zu den Vorjahren hohe Zahl an Einzelstraftaten registriert wurde. Darüber hinaus wurde durch gezielte polizeiliche Maßnahmen, die in den vergangenen Jahren zur Einleitung einer Vielzahl von Strafverfahren führten, offenbar Wirkung erzielt und das Straftatenaufkommen der PKK im Jahr 2011 eingedämmt. Im Bereich der Sachbeschädigungen (SS 303 StGB) ist ein Rückgang von zehn auf vier Delikte zu verzeichnen. Bei drei Delikten handelt es sich um Farbschmierereien mit Bezügen zur PKK. Eine Sachbeschädigung hatte einen antisemitischen Hintergrund. Hier wurde die Mülltonne einer Familie jüdischen Glaubens in Brand gesetzt. Als Täter werden Jugendliche libanesischer Herkunft vermutet. Gegen Personen jüdischen Glaubens waren auch zwei Volksverhetzungen (SS 130 StGB) gerichtet, indem im Internet antisemitische Äußerungen durch Täter libanesischer Abstammung verbreitet wurden. Im Berichtszeitraum ereignete sich kein Gewaltdelikt mit extremistischem Hintergrund. Im Jahr 2010 waren hier noch vier Straftaten zu verzeichnen. Die Anzahl der als extremistisch erfassten Strafverfahren im Deliktsbereich Terrorismus bleibt mit zwei Vorgängen weiterhin auf einem konstant niedrigen Niveau. Aufgrund des Verdachts der aktiven Betätigung für die terroristische Vereinigung DHKP-C wird ein Verfahren wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland gemäß SS 129b StGB geführt. Im zweiten Ermittlungsverfahren stehen die Beschuldigten im Verdacht, im Internet Vorbereitungen für einen möglichen Anschlag verabredet und damit 4 Der PMK werden Straftaten zugeordnet, wenn in Würdigung der Umstände der Tat und/oder der Einstellung des Täters Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie den demokratischen Willensbildungsprozess beeinflussen sollen, sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung richten, durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden oder sich gegen eine Person, insbesondere aufgrund ihrer politischen Einstellung, Nationalität, Volkszugehörigkeit, Rasse, Hautfarbe, Religion, Weltanschauung oder Herkunft richten und die Tathandlung damit im Kausalzusammenhang steht. 40 Ausländerextremismus eine schwere staatsgefährdende Gewalttat gemäß SS 89a StGB vorbereitet zu haben. Die Ermittlungen konnten diesen Verdacht jedoch bisher nicht bestätigen. Im Jahr 2011 wurde in Niedersachsen ein Strafverfahren mit extremistischem Hintergrund im Themenzusammenhang "Islamismus" eingeleitet. Dabei handelt es sich um ein Verfahren wegen Beleidigung. Im vergangenen Jahr war auch festzustellen, dass die Nutzung des Internets als islamistisches Propaganda-, Rekrutierungsund Meinungsbildungsforum weiter an Bedeutung gewinnt. Insgesamt wurden zu den 24 Straftaten 21 Tatverdächtige5 ermittelt. Im Jahr 2011 ist jeweils mit sechs Tätern die größte Anzahl in den Altersgruppen der 21bis 30-Jährigen und 31bis 50-Jährigen festzustellen. Danach folgt die Gruppe der 14bis 17-Jährigen mit vier Tätern. Drei Tatverdächtige waren älter als 50 Jahre. In der Gruppe der 18bis 20-Jährigen ist ein Täter verzeichnet. Ein Tatverdächtiger war jünger als 14 Jahre. Die im Vergleich zu anderen Phänomenbereichen höhere Repräsentanz von älteren Personen ist auch im Jahr 2011 maßgeblich auf die Aktivitäten der PKK und die Verteilung der Altersstruktur der Täter im Umfeld der PKK zurückzuführen. 5 Die Angaben zu den Tatverdächtigen basieren auf der so genannten Tatverdächtigenechtzählung. Dabei werden Tatverdächtige, auch wenn sie mehrere Delikte begangen haben, in der Statistik nur einmal gezählt. Ausländerextremismus 41 Übersicht der Gewalttaten und sonstigen Straftaten mit extremistischem Hintergrund aus dem Bereich "Politisch motivierte Ausländerkriminalität" in Niedersachsen6 Gewalttaten: 2010 2011 Tötungsdelikte 0 0 Versuchte Tötungsdelikte 0 0 Körperverletzungen 2 0 Brandstiftungen 0 0 Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion 0 0 Landfriedensbrüche 1 0 Gefährl. Eingriffe in Bahn-, Luft-, Schiffsoder Straßenver- 0 0 kehr Freiheitsberaubung 0 0 Raub 1 0 Erpressung 0 0 Widerstandsdelikte 0 0 Insgesamt 4 0 Sonstige Straftaten: Sachbeschädigungen 12 4 Nötigungen/Bedrohungen 1 0 Andere Straftaten 119 20 Insgesamt 132 24 Straftaten insgesamt 136 24 6 Die Zahlen basieren auf Angaben des Landeskriminalamtes Niedersachsen (LKA NI). Die Darstellung der niedersächsischen Zahlen in Übersichten des Bundes kann davon abweichen, da das LKA NI eine so genannte lebende Statistik führt. Um die ständige Aktualität der Statistik sicherzustellen, werden dabei ggf. Nacherfassungen/Aktualisierungen auch für Vorjahre vorgenommen, so dass der Zahlenbestand noch Veränderungen unterliegen kann. 42 Ausländerextremismus 2.3 Allgemeines zum Ausländerextremismus In diesem Kapitel wird die Entwicklung in den verschiedenen Bereichen des islamistischen Extremismus und sonstigen Ausländerextremismus dargestellt. Detaillierte Berichte und Erläuterungen der Begriffe finden sich in den folgenden Unterkapiteln. Für die Zuordnung politisch motivierter Aktivitäten zum Bereich des so genannten Ausländerextremismus ist ein Auslandsbezug entscheidend. Dabei ist der aufenthaltsrechtliche Status einer Person oft nicht allein maßgebend. Ein solcher Auslandsbezug kann durch verschiedene Anknüpfungspunkte hergestellt werden. Er ist beispielsweise dann gegeben, wenn eine politisch motivierte Bestrebung Ziele eines international agierenden Terrornetzwerks verfolgt oder die beteiligten Personen mehrheitlich eine andere Staatsangehörigkeit besitzen. Unter Ausländerextremismus verstehen die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder daher politische Aktivitäten von Personen, wenn - diese sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung wenden, z. B. eine islamistische Ordnung für Staat und Gesellschaft durchsetzen wollen, - in Deutschland Auseinandersetzungen mit Gewalt ausgetragen werden und dadurch die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gefährdet wird, - vom Bundesgebiet ausgehende Gewaltaktionen in anderen Staaten durchgeführt oder vorbereitet und dadurch auswärtige Belange der Bundesrepublik gefährdet werden oder - Bestrebungen verfolgt werden, die gegen den Gedanken der Völkerverständigung oder gegen das friedliche Zusammenleben der Völker gerichtet sind. 2.4 Islamismus als politische Weltanschauung Während der Islam eine unter dem Schutz des Grundgesetzes stehende Religion darstellt, ist der Islamismus eine politische Ideologie, die in erheblichen Teilen der verfassungsmäßigen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland widerspricht. Anders als säkulare antidemokratische Ideologien wie Kommunismus oder Nationalsozialismus leitet der Islamismus seine politischen Ordnungsvorstellungen aus der Religion des Islams ab. Erstmals seit der Islamischen Revolution im Iran 1979 rückte mit den terroristischen Anschlägen vom 11.09.2001 in den westlichen Staaten mit dem Islamismus eine ideologische Strö- Ausländerextremismus 43 mung in den Fokus der Öffentlichkeit, die in der islamischen Welt bereits seit Jahrzehnten die Politik mitbestimmte. Ziel des Islamismus ist es, eine politische Ordnung auf der Basis des islamischen Rechtssystems, der Scharia, zu errichten. Die Scharia umfasst einerseits die Beziehungen zwischen Politisches dem Gläubigen und Gott (Gottesdienst und Kultus), andererVerständnis seits auch die Beziehungen zwischen den Gläubigen untereider Scharia nander (Recht). So enthält die Scharia nicht nur genaue Anweisungen für religiöse Rituale und Pflichten, sondern auch Regelungen für Familienrecht, Strafrecht, Erbrecht etc. Problematisch ist vor allem die politische Auslegung der Scharia mit Scharia durch Islamisten. Islamistischen Organisationen und FDGO nicht Bewegungen ist bei aller Unterschiedlichkeit gemeinsam, dass vereinbar sie Gesellschaften anstreben, die streng nach der Rechtsordnung der Scharia organisiert sein sollen. Diese Rechtsordnung unterteilt die Menschen entsprechend ihrem Glauben, ihrem Geschlecht und ihrem Verhältnis zum islamischen Staat in verschiedene rechtliche Kategorien, die den Status einer Person festlegen. Nach der Scharia besitzen lediglich Muslime alle Rechte, wobei muslimische Frauen gegenüber muslimischen Männern, etwa im Hinblick auf das Erbund Familienrecht, benachteiligt sind. Juden und Christen, die die Herrschaft des islamischen Staates akzeptieren, dürfen ihre Religion ausüben, müssen aber Sondersteuern bezahlen. Auch eine demokratisch legitimierte Regierungsgewalt von Nichtmuslimen über Muslime wird von der Scharia abgelehnt. Daher richtet sich der Islamismus mit seinem Bekenntnis zu einer Gesellschaftsordnung auf der Grundlage der Scharia gegen das Grundgesetz mit den dort verbürgten Rechten von Freiheit, Gleichheit und Menschenwürde. Eine staatliche Ordnung unter Geltung der Scharia ist mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik nicht vereinbar. Ebenso drängen Islamisten auf die unbedingte Rechtmäßigkeit der so genannten Hadd-Strafen, die für Vergehen wie "Diebstahl" oder "Unzucht" (außerehelichen bzw. homosexuellen Geschlechtsverkehr) Körperstrafen vorsehen, die von der Amputation der rechten Hand bis hin zur Todesstrafe reichen. Ein solchermaßen staatlich gebilligter Strafanspruch würde die in Artikel 1 Grundgesetz (GG) verankerte Unantastbarkeit der Menschenwürde verletzen. Die Genese des modernen Islamismus ist ohne den KoloniaHistorische lismus europäischer Mächte und den starken Einfluss westlichGrundlagen säkularer Ordnungsmodelle in islamischen Ländern im 19./20. Jahrhundert kaum zu verstehen. Im Vorfeld des Ersten Weltkrieges stand praktisch die gesamte islamische Welt unter direkter kolonialer Herrschaft oder - wie im Fall des Osmanischen Reiches und Persiens - zumindest unter einem starken politisch-ökonomischen Einfluss durch europäische Mächte. 44 Ausländerextremismus Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges nahm diese direkte Einflussnahme zwar ab, aber immer noch bestimmten im Westen entstandene Weltanschauungen wie Liberalismus, Nationalismus, Kommunismus etc. den politischen Diskurs in der islamischen Welt und die dort vorherrschenden Staatsmodelle. Die islamistischen Vordenker entwickelten vor allem in der Zeit der direkten wie indirekten europäischen Einflussnahme ihre grundlegenden ideologischen Vorstellungen. Sie setzten im Gegensatz zu tragenden Prinzipien der europäischen Aufklärung auf religiös-orthodoxe Ordnungsmodelle und zielten damit auf eine gegen den "Westen" gerichtete kulturelle Identität der islamischen Länder. Die zwei wesentlichen Säulen der Aufklärung - Rationalismus und Toleranz - werden vom Islamismus grundsätzlich abgelehnt. Eine kritische Reflexion islamisch-orthodoxer Glaubenslehren gilt als Sakrileg; die Ermordung entsprechend agierender Intellektueller wird von vielen Islamisten gutgeheißen. Toleranz gegenüber anderen Religionen wird, wenn überhaupt, nur in engen Grenzen praktiziert. Im Jahre 1924 wurde durch den türkischen Staatsmann und Nationalisten Mustafa Kemal 'Atatürk' das Kalifat abgeschafft. Das Kalifat ist eine islamische Herrschaftsform, bei der weltliche und religiöse Führerschaft in der Person des Kalifen (des Nachfolgers des Propheten Muhammad) vereint sind. Der Kalif ist als legitimer Nachfolger Muhammads mit der politischen und religiösen Führung der Umma, der Gemeinschaft aller gläubigen Muslime, betraut. Das Kalifat wurde weithin zumindest ideell als eine alle Muslime zusammenhaltende Klammer verstanden. Mit dessen Abschaffung verstärkte sich daher in fundamentalistischen Kreisen die Befürchtung, der Islam sei durch den Westen und westlich beeinflusste Muslime bedroht. Vor diesem Hintergrund gründete der ägyptische Grundschullehrer Hasan al-Banna 1928 die bis heute einflussreichste islamistische Organisation, die derzeit in über 70 Staaten präsente Muslimbruderschaft. In den 1960er Jahren radikalisierten sich Teile der Muslimbruderschaft. Ein Vertreter der radikalen Muslimbruderschaft war Sayyid Qutb. Es sind unter anderem seine Schriften, die noch heute zur LegitimaHasan al-Banna tion des islamistischen Terrorismus, auch seitens der al-Qaida, herangezogen werden. Antiwestliche Die Gründung des Staates Israel 1948 wurde von weiten VerschwörungsTeilen der arabischen und islamischen Welt neben der Abtheorien schaffung des Kalifats als eine weitere westliche Verschwörung aufgefasst. Die Etablierung des Staates Israel habe demnach das Ziel gehabt, einen Keil in die islamische Welt zu Ausländerextremismus 45 treiben und diese auch geografisch zu teilen. Dieser Vorgang führte Anfang der 1950er Jahre in Jordanien zur Gründung der islamistisch ausgerichteten Islamischen Befreiungspartei, der Hizb ut-Tahrir al-Islami (HuT). Diese Organisation lehnt den Nationalstaatsgedanken ab, weil dieses westliche Konzept die Einheit der Muslime spalte. Der Westen habe dieses Staatskonzept daher absichtlich in die islamische Welt importiert, um die Muslime in Nationen zu spalten und damit zu schwächen. Die HuT strebt hingegen die Wiedererrichtung des alle Muslime integrierenden Kalifats an, dessen Grundlage eben nicht die Nation, sondern vielmehr die Religion des Islams ist. 2.5 Die terroristische Dimension des Islamismus Bereits seit den 1940er Jahren haben Islamisten terroristische Anschläge verübt. So verfügte die Muslimbruderschaft über eine Geheimorganisation, die Attentate auf politische Gegner ausführte. Gezielte Selbstmordattentate wurden jedoch erst in den 1980er Jahren strategisch als politisches Mittel eingesetzt. Dieses Vorgehen breitete sich allmählich über das schiitische Hizb Allah-Milieu7 in den Bereich des sunnitischen Islamismus aus.8 Die islamistisch-terroristische Bedrohungslage hat sich im Laufe des ersten Jahrzehnts des 21. Jahrhunderts grundsätzlich verändert. Die Anschläge vom 11.09.2001 in New York und Washington waren nur möglich, weil sie in einer hierarchisch geordneten Organisation vorbereitet wurden. Diese Organisation war mit entsprechenden finanziellen Ressourcen ausgestattet und konnte ihre Angriffe von sicheren Basen aus über einen längeren Zeitraum planen und umsetzen. Diese hierarchische Organisation der al-Qaida existiert in dieser Form nicht mehr. Es bildeten sich zudem regional verankerte terroristische Organisationen, die sich schon durch ihre Benennung an das große Vorbild anlehnen (z. B. alQaida auf der Arabischen Halbinsel, al-Qaida im islamischen al-Qaida im islamischen Maghreb Maghreb) und sich auf die al-Qaida-Ideologie eines globalen 7 Siehe Kapitel 2.12. 8 Schiiten sind diejenigen Muslime, die Ali, den Vetter und Schwiegersohn Muhammads als dessen ersten rechtmäßigen Nachfolger anerkennen und in diesem Sinne Schiat Ali, Anhänger Alis heißen. Dieses Bekenntnis unterscheidet sie von den Sunniten, die in Abu Bakr (gest. 634), Umar (gest. 644), Osman (gest. 656) und dann erst Ali (gest. 661), die ersten rechtmäßigen Kalifen sehen. Die Sunniten bilden mit ca. 85-90 Prozent die größte Glaubensrichtung im Islam. Sunniten stellen in vielen islamischen Ländern die Mehrheit der Muslime, so beispielsweise in Ägypten, Tunesien, Jordanien, Syrien oder der Türkei. Zweitgrößte Glaubensrichtung des Islam sind mit ca. 10-15 Prozent die Schiiten. Siehe Klaus Kreiser / Rotraud Wielandt (Hrsg.), Lexikon der Islamischen Welt, 1992. 46 Ausländerextremismus militanten Jihad berufen. Eine von islamistischen terroristi- 9 schen Organisationen ausgehende Gefährdung existiert daher weiterhin. Aktuelle Seit Herbst 2010 ist eine intensivierte Gefährdung durch den Bedrohungslage islamistischen Terrorismus für deutsche Interessen im Inund Ausland festzustellen. Auch die neuesten Erkenntnisse bestätigen die bisherigen Lagebeurteilungen, wonach Anschläge im gesamten Bundesgebiet, d. h. auch in Niedersachsen, gegen zivile und staatliche Ziele durch al-Qaida bzw. die ihr nahestehenden Organisationen sowie Einzelpersonen jederzeit und an jedem Ort möglich sind. Nach Einschätzung der Bundessicherheitsbehörden richten terroristische Gruppierungen oder Einzeltäter ihre Zielauswahl danach aus, möglichst hohe Opferzahlen und ein Maximum an infrastrukturellen und volkswirtschaftlichen Schäden bei größtmöglicher medialer Aufmerksamkeit zu erreichen. Allerdings werden unter Umständen auch Tatgelegenheiten genutzt, die sich spontan ergeben. Ausweislich neuester Erkenntnisse in Westeuropa, so das Bundeskriminalamt in einem Lagebericht, sind zudem Entführungen einzukalkulieren, die bislang eher für den Bereich Nordund Ostafrika sowie für Süd-Ost-Asien und speziell den Irak und Afghanistan prognostiziert wurden. Auch die Einzeltäter, die keine formale Anbindung an Terrornetzwerke aufweisen, handeln bei ihren Anschlägen unter Berufung auf die militant-jihadistischen Ziele ihrer Leitfiguren. Ein Beispiel dafür ist Arid UKA, der Attentäter vom Frankfurter Flughafen. Bereits 235 Personen Die vom Islamismus ausgehende Gefahr kommt auch durch mit Deutschlanddie anhaltend festzustellende Reiseaktivität von Islamisten in Bezug haben paramidas afghanisch-pakistanische Grenzgebiet zum Ausdruck. Seit litärische Ausbildung 2011 ist zudem eine erhöhte Reiseaktivität nach Somalia zu durchlaufen registrieren. Den Bundessicherheitsbehörden liegen derzeit Informationen zu rund 235 Personen mit Deutschland-Bezug (deutsche Staatsangehörige mit Migrationshintergrund bzw. Konvertiten sowie in Deutschland aufhältig gewesene Personen anderer Staatsangehörigkeit) und islamistisch-terroristischem Hintergrund vor, die seit Beginn der 1990er Jahre eine paramilitärische Ausbildung erhalten haben sollen bzw. eine solche beabsichtigten. Zu ca. 100 Personen existieren konkrete Hinweise, die für eine absolvierte paramilitärische Ausbildung bzw. Beteiligung an Kampfhandlungen in Krisenregionen sprechen. Es wird davon ausgegangen, dass sich mehr als die Hälfte der Personen wieder in Deutschland aufhält. Hiervon sind ca. 10 Personen inhaftiert. Öffentlich bekannt ist, dass sich auch aktuell Personen mit Deutschland-Bezügen weiterhin in Regionen wie z. B. dem 9 Vgl. Leah Farrall, How al Qaeda Works, Foreign Affairs, March/April 2011, Bd. 90, Nr. 2, S. 128. Ausländerextremismus 47 afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet aufhalten, in denen sich Ausbildungslager islamistisch-terorristischer Organisationen befinden. Das islamistisch-terroristische PersonenpoCa. 1.140 Personen tenzial10 in Deutschland wird auf ca. 1.140 Personen veransind dem islamistischschlagt. Im aktuellen Berichtszeitraum erreichten die Sicherterroristischen heitsbehörden des Bun-des mehrere Hinweise, zumeist durch Personenpotenzial ausländische Dienste, in denen von Anschlagsplanungen islazuzurechnen mistisch-terroristischer Gruppierungen berichtet wurde. Die Ermittlungen konnten die Hinweise in der Mehrzahl jedoch nicht verifizieren. Möglicherweise haben aber die durchgeführten sicherheitsbehördlichen Maßnahmen solche Anschläge im Vorfeld verhindert. Im Jahr 2011 sind den Vereinigten Staaten empfindliche Schläge gegen die al-Qaida-Führung gelungen. Im Mai wurde Usama BIN LADIN und im September Anwar AL-AWLAQI, Propagandist der al-Qaida auf der arabischen Halbinsel, getötet. Die personellen Verluste al-Qaidas sowie der 10. Jahrestag der Anschläge vom 11.09.2001 haben dazu geführt, dass al-Qaida massive Anschläge angedroht hat. Zunächst blieb es allerdings Anwar Al-Awlaqi bei den Drohungen. Seit 2000 wurde in Deutschland eine Reihe von Terroranschlägen von den deutschen Sicherheitsbehörden verhindert, oder sie scheiterten aus anderen Gründen: - Im Dezember 2000 wurde ein in Straßburg (Frankreich) geVerhinderte oder planter Anschlag einer islamistischen Zelle aus Frankfurt gescheiterte verhindert. Nach der Überzeugung des OLG Frankfurt Anschläge in zielte der Anschlag auf christliche Symbole wie das StraßDeutschland burger Münster und den Weihnachtsmarkt. - Im April 2002 wurden Mitglieder der islamistischen alTawhid-Bewegung in Deutschland festgenommen. Sie hatten Anschläge auf ein jüdisches Gemeindezentrum in Berlin sowie auf eine Diskothek in Düsseldorf geplant. - Im September 2002 nahm die Polizei einen 25-jährigen Türken und dessen 23-jährige Verlobte, eine Amerikanerin türkischer Abstammung, wegen geplanter Anschläge auf US-Militäreinrichtungen und die Heidelberger Innenstadt fest. In der Wohnung des Paares wurden Sprengsätze sichergestellt. - Im März 2003 wurde in Berlin ein Tunesier unter Terrorismusverdacht festgenommen. Er soll Kontakte zu einem Unterstützer der Terroranschläge vom 11.09.2001 in den Vereinigten Staaten gehabt haben, als Ausbilder in einem Terrorcamp tätig gewesen sein und gemeinsam mit anderen Personen während des Irak-Krieges einen Anschlag 10 Relevante islamistische Personen; sonstige als gewaltbereit einzustufende Islamisten. 48 Ausländerextremismus in Deutschland geplant haben. In seiner Wohnung fand die Polizei eine Schusswaffe, große Mengen von Chemikalien zur Herstellung von Sprengstoff sowie ComputerProgramme für Flugsimulatoren. - Im Dezember 2004 konnte ein Anschlag der islamistischen Terrorgruppe Ansar al-Islam auf den damaligen irakischen Ministerpräsidenten Allawi bei dessen Besuch in Berlin vereitelt werden. - Im Juli 2006 scheiterten Anschläge auf zwei Regionalzüge in Nordrhein-Westfalen. Zwei Libanesen hatten am Kölner Hauptbahnhof mit Sprengsätzen präparierte Koffer in zwei Zügen nach Koblenz und Hamm platziert. Die Sprengsätze kamen wegen handwerklicher Fehler nicht zur Zündung. - Die 2007 festgenommenen Mitglieder der so genannten Sauerlandgruppe hatten geplant, mehrere Anschläge in Deutschland durchzuführen. Sie hatten in Niedersachsen über 700 kg chemischer Grundstoffe für die Sprengstoffherstellung erworben und weitere logistische Unterstützung (Beschaffung von Zündern) durch Islamisten aus dem Raum Braunschweig erhalten. - Im April 2011 wurden in Nordrhein-Westfalen drei Personen festgenommen, die im Auftrag al-Qaidas terroristische Anschläge in Deutschland vorbereiteten (so genannte Düsseldorfer Zelle). Einer von ihnen wurde von al-Qaida in einem Terrorcamp im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet ausgebildet. Im Dezember 2011 wurde in Nordrhein-Westfalen im Zusammenhang mit der bereits genannten Düsseldorfer Zelle eine weitere Person festgenommen. Diese Person hatte die Anschlagsplanungen weiterverfolgt und stand in direktem Kontakt mit Vertretern der al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel. Homegrown Darüber hinaus weisen die Sicherheitsbehörden seit geraumer Islamist Terrorism Zeit darauf hin, dass eine terroristische Gefährdung zu einem wesentlichen Teil auch von dem Phänomen des "homegrown islamist terrorism" ausgeht. Eine Reihe von erfolgten Anschlägen und Anschlagsversuchen in Europa und Nordamerika belegt, dass sich gerade auch im Westen geborene bzw. aufgewachsene Personen islamistisch radikalisiert haben. Vielfach zeigt sich, dass insbesondere Personen, die erst spät angefangen haben, ihren Glauben auszuleben (so genannte reborn muslims), und Konvertiten besonders empfänglich für islamistische Radikalisierung sein können. Die Erkenntnis, dass der islamistische Terrorismus in Europa nicht nur ein importiertes Phänomen ist, setzte sich insbesondere seit den Anschlägen Ausländerextremismus 49 auf das Londoner Verkehrsnetz im Juli 2005 durch, für die in der britischen Gesellschaft sozialisierte Täter verantwortlich waren. Damals kamen 56 Menschen ums Leben und mehrere Hundert wurden teilweise schwer verletzt. Eine wesentliche Gefahr geht zudem von radikalisierten Gefahr geht von Einzeltätern oder Kleinstgruppen aus, die nicht in ein terroradikalisierten ristisches Netzwerk eingebunden sind. Die Täter sehen sich Einzeltätern und gleichwohl eingebunden in ein weltweites Geflecht des miKleinstgruppen litanten Jihads. Eine Gefahr geht zudem von paramilitärisch aus ausgebildeten Rückkehrern aus Terrorcamps aus. Sie können eine Vorbildfunktion für junge Leute ausüben, die sich im Radikalisierungsprozess befinden. Die nachfolgend aufgeführten Beispiele erfolgter und missglückter Anschläge belegen die Gefahr durch radikalisierte Einzeltäter: - Ein Angehöriger der US-Streitkräfte erschießt am 05.11.2009 auf der Militärbasis von Fort Hood (Texas) 13 Personen. - Am 01.01.2010 drang ein aus Somalia stammender Mann gewaltsam in das Haus des dänischen Karikaturisten Kurt Westergaard, der für die Muhammad-Karikaturen verantwortlich ist, ein und griff ihn mit einer Axt und einem Messer an. - Am 01.05.2010 unternahm ein aus Pakistan stammender US-Bürger auf dem Times Square in New York den Versuch eines Autobombenanschlag. - Eine ursprünglich aus Bangladesch stammende Britin versuchte am 14.05.2010 einen britischen Abgeordneten zu erstechen, da dieser aus ihrer Sicht für die Beteiligung des Vereinigten Königreichs in dem Afghanistanund dem Irakkrieg mitverantwortlich ist. - Am 10.09.2010 explodierte ein kleiner Sprengkörper in der öffentlichen Toilette eines Kopenhagener Hotels. Die Explosion ereignete sich offenbar bei der Vorbereitung eines Anschlages auf die dänische Tageszeitung Jyllands Posten, die 2005 die Muhammad-Karikaturen veröffentlicht hatte. Bei dem Täter handelt es sich um einen belgischen Staatsangehörigen tschetschenischer Abstammung, der in der Vergangenheit Kontakte zu Bremer Islamisten hatte. - Am 11.12.2010 wurde im Zentrum von Stockholm ein brennendes Fahrzeug festgestellt. Zehn Minuten später ereignete sich eine Explosion in wenigen hundert Metern Entfernung. Diese Explosion wurde entgegen der Planung zu früh ausgelöst. Dabei tötete die Person, die die Sprengladung am Körper trug, sich selbst. In seinem auf einer islamistischen Internetseite veröffentlichten Testament gab 50 Ausländerextremismus der Täter, ein Schwede mit irakischen Wurzeln, an, dass er auf Veranlassung des irakischen Ablegers der al-Qaida gehandelt habe. - Am 02.03.2011 erschoss der aus dem Kosovo stammende, in Deutschland aufgewachsene Arid UKA einen Soldaten der US-Streitkräfte, der vor einem am Flughafen Frankfurt am Main parkenden Bus des US-Militärs wartete. Anschließend drang UKA in den Bus ein, erschoss den Fahrer und verletzte zwei weitere US-Soldaten schwer. Lediglich ein Defekt an UKAs Waffe verhinderte die Verletzung oder Tötung weiterer Menschen. Zum ersten Mal wurden damit bei einem islamistisch motivierten Anschlag in Deutschland Menschen getötet. Bei dem Täter handelt es sich um einen selbstradikalisierten Einzeltäter, der auch Kontakte zur salafistischen Szene11 hatte. Nach Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden kommt den Recherchen des Attentäters im Internet bei seiner Radikalisierung - die sich wahrscheinlich innerhalb kürzester Zeit vollzogen hat - eine Schlüsselrolle zu. Ein Film über die angebliche Misshandlung einer Muslimin durch US-Soldaten im Irak soll dabei letztlich den Ausschlag für die Gewalttat gegeben haben. Über Internet-Netzwerke hatte UKA Kontakt zu Predigern und Akteuren aus der deutschen salafistischen Extremistenszene. Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main verurteilte UKA am 10.02.2012 wegen Mordes in zweiFällen und versuchten Mordes in drei Fällen zu lebenslänglicher Freiheitsstrafe. Zugleich stellte das Gericht die besondere Schwere der Schuld fest.12 - Im März 2012 erschoss Mohammed MERAH, ein mutmaßlicher islamistischer Einzeltäter aus Toulouse, bei drei verschiedenen Anschlägen in Frankreich insgesamt sieben Personen, darunter drei Kinder. 11 Zum Salafismus siehe Kapitel 2.6. 12 Das Urteil ist bei Redaktionsschluss dieses Berichts nicht rechtskräftig. Ausländerextremismus 51 2.6 Salafismus Der Salafismus ist ein im Berichtszeitraum neu eingeführtes Beobachtungsobjekt der deutschen Verfassungsschutzbehörden. Er bezeichnet eine Bewegung und keine feste Organisation und ist somit ein dynamisches Phänomen innerhalb des Islamismus. Mitglieder/Anhänger 201113 Bund: ca. 3.800 Niedersachsen: ca. 275 Der internationale islamistische Terrorismus ist überwiegend Salafismus gilt als salafistisch inspiriert. Diese besonders radikale islamistische ein Nährboden des Strömung behauptet, dass die islamische Welt durch einen islamistischen anhaltenden Angriff des Westens, angeführt von den VereiTerrorismus nigten Staaten, bedroht sei. Die Muslime sollten ein an den Lebensumständen des 7. Jahrhunderts auf der Arabischen Halbinsel orientiertes "vollkommenes" Leben im Sinne der "urislamischen Gemeinschaft" führen. Um diesen Zustand zu erreichen, müsse jedoch zunächst die behauptete Hegemonie des Westens in der muslimischen Welt beendet werden. Hierfür wird es von Teilen der salafistischen Lehre als legitim angesehen, terroristische Akte zu verüben. Es ist jedenfalls zu erkennen, dass die Personen, die Terrorakte verüben, sich explizit auf die Lehren des Salafismus berufen. Der Salafismus gilt daher als ein Nährboden des global agierenden islamistischen Terrorismus. Befürworter dieses jihad-salafistischen Gedankenguts finden sich auch in islamistischen Kreisen in Niedersachsen. So bestand etwa über persönliche Bekanntschaften eine Anbindung der Sauerlandgruppe an ein im Raum Braunschweig/Wolfsburg agierendes salafistisches Netzwerk. Dieses Netzwerk wiederum ist im Hinblick auf Werbung, Finanzierung und Rekrutierung in die Strukturen des internationalen islamistischen Terrorismus eingebunden. Etwa seit Anfang 2003 wurden mehrere Personen aus Niedersachsen an Schauplätze militärisch ausgetragener Konflikte im Irak und Libanon vermittelt. Weiterhin konnten propagandistische Aktivitäten hinsichtlich der Legitimierung des Jihads gegen so genannte Ungläubige festgestellt werden. 13 Die Angaben sind sowohl dem politischen als auch dem jihadistischen Spektrum zuzuordnen. Die Zahlenangaben beruhen teilweise auf Schätzungen. Eine exakte Bezifferung ist im Bereich des Salafismus derzeit nicht möglich, da die strukturellen Besonderheiten salafistischer Bestrebungen in Deutschland genaue Erhebungen erschweren. So weisen zahlreiche salafistische Personenzusammenschlüsse keine festen Strukturen auf. Zudem bedurfte es einer Neubewertung der Anhängerzahlen in den einzelnen Teilbereichen des Islamismus. Die Ausweisung von Anhängerzahlen im Salafismus geht z. B. mit einem Rückgang der Anhängerzahlen im Bereich der Muslimbruderschaft einher. 52 Ausländerextremismus Die 2007 festgenommenen Mitglieder der Sauerlandgruppe hatten in Niedersachsen über 700 kg chemischer Grundstoffe für die Sprengstoffherstellung erworben und weitere logistische Unterstützung durch das Beschaffen von Zündern durch Personen aus dem Raum Braunschweig erhalten. Diese Personen sind ebenfalls dem salafistischen Spektrum zuzurechnen. Das OLG Düsseldorf verurteilte die Angeklagten aus der Sauerlandgruppe 2010 wegen Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung, Vorbereitung eines Sprengstoffanschlages und Verabredung zum Mord zu Haftstrafen zwischen fünf und zwölf Jahren. Zielgerichtet hatten sich die Mitglieder der Gruppe auf den Anschlag vorbereitet: Zwar erfüllten die nun Verurteilten zunächst nicht das Anforderungsprofil für die Teilnahme am militant verstandenen Jihad (körperliche Fitness, arabische Sprachkenntnisse, Vertrautheit mit dem islamischen Kulturkreis), waren dann aber bestrebt, diese Defizite zielgerichtet zu beheben (u. a. durch Sprachaufenthalt an einem Institut in Damaskus, Syrien). Bemerkenswert ist auch die undogmatische Herangehensweise an die Aufgabe, die sie sich selbst gestellt hatten. Es bestand ursprünglich der Wunsch, direkt als Kämpfer am Jihad in Tschetschenien bzw. im Irak teilzunehmen. Dass die Mitglieder der Gruppe sich letztlich auf eine Ausbildung in Pakistan und die versuchte Begehung eines Anschlages in Deutschland einließen, zeugt von unbedingter Entschlossenheit und operativer Flexibilität innerhalb einer global verstandenen Bewegung. Ihre Vernehmungen und die im Laufe des Strafverfahrens gewonnenen Informationen brachten neue Erkenntnisse hinsichtlich des Radikalisierungsbzw. des Rekrutierungsprozesses terroristischer Gruppierungen. So scheint das salafistische Bildungsnetzwerk mit seinen Islamseminaren eine wichtige Rolle im Radikalisierungsprozess zu spielen. In mehrtägigen Veranstaltungen werden einer großen Zahl vorwiegend junger Menschen die Grundsätze des salafistisch verstandenen Islams nahegebracht. Am Anfang des Radikalisierungsprozesses steht demnach eine ausgeprägte und intensive Beschäftigung mit Glaubensfragen. Dieser Prozess ist teilweise mit einem Ausstieg aus dem bisherigen sozialen Umfeld verbunden. Das Verfahren gegen die Sauerlandgruppe hat zudem gezeigt, dass sich Radikalisierungsprozesse in verhältnismäßig kurzer Zeit vollziehen können. Ein weiteres Beispiel hierfür ist die Tat von Arid UKA am Frankfurter Flughafen im März 2011. 2.6.1 Allgemeines Seit einigen Jahren bildet sich auch in Deutschland eine in Ausländerextremismus 53 engem Kontakt mit islamischen Kernländern stehende religiSalafistische Lehröse Lehrund Bildungsinfrastruktur heraus, die unter salafisund Bildungsinfratischen Vorzeichen steht. Der Salafismus vertritt eine politistruktur sierte Islamauffassung, die dem saudi-arabischen Wahhabismus nahe steht. Wie beim Salafismus handelt es sich beim Wahhabismus um eine islamische Reformbewegung. Reform in diesem Sinne bedeutet jedoch ein Zurückgehen auf einen imaginierten Urislam des 7. Jahrhunderts. Alle Entwicklungen im Islam, die erst nach dieser islamischen Frühzeit eingesetzt haben, wie etwa die Entstehung der etablierten islamischen Rechtsschulen, aber auch liberalere Lesarten des Islams, die z. B. die Vereinbarkeit mit der Demokratie und die Gleichheit der Geschlechter postulieren, werden abgelehnt. Für Salafisten gilt die Lebensführung der "frommen Altvorderen" (assalaf as-salih; der Prophet Muhammad und seine zeitgenössischen Anhänger) als verbindliches Vorbild für alle Zeiten. Es ist deshalb ihr Ansinnen, die gesellschaftlichen Verhältnisse, die im 7. Jahrhundert auf der Arabischen Halbinsel bestanden, auf die gesamte moderne Menschheit zu übertragen. Die oben beschriebenen verfassungsfeindlichen Aspekte des Islamismus treffen auf den Salafismus in verstärktem Maße zu; dies geht mitunter so weit, dass - im Gegensatz zu den anderen Islamisten - in salafistischen Kreisen über die schariarechtlichen Bedingungen der Versklavung so genannter Ungläubiger diskutiert wird. Der Salafismus kann sich dabei sowohl in einer gewaltfreien, politisch orientierten Variante darstellen, die sich primär der Missionierung widmet (so genannter politischer Salafismus). Er kann sich aber auch als terroristisch agierende Bewegung ausformen (so genannter Jihad-Salafismus). Zwischen beiden Erscheinungsformen gibt es fließende Übergänge. 2.6.2 Der Salafismus und die freiheitliche demokratische Grundordnung Es liegen tatsächliche Anhaltspunkte dafür vor, dass die salaWiderspruch fistischen Aktivitäten im Widerspruch zu den im Grundgesetz zu den im konkretisierten Menschenrechten stehen. Aussagen von SalaGrundgesetz fisten stellen beispielsweise den absoluten Schutz der Menkonkretisierschenwürde und das Recht auf freie Entfaltung der Persönten Menlichkeit in Frage. Diese Rechte zählt das Bundesverfassungsgeschenrechten richt ausdrücklich zum Kernbestand des Grundgesetzes. In der salafistischen Ideologie wird der Islam als einzige soziale, normative Ordnung nach dem Willen Gottes beschrieben, an der sich jeder Muslim in allen Lebenssituationen zu orientieren habe. Unterschiede zwischen verschiedenen 54 Ausländerextremismus menschlichen Gruppen und die Selbstentfaltung des Einzelnen werden abgelehnt. Das Verhältnis Salafistische Positionen stehen im Widerspruch zur freiheitdes Salafismus lichen demokratischen Grundordnung. Dies gilt insbesondere zur Gewalt für Forderungen mit Gewaltbezug. In den Ausführungen von Salafisten lassen sich drei Kategorien von Aussagen finden, die die körperliche Unversehrtheit des Einzelnen grundsätzlich in Abrede stellen. Drastische Zum Ersten ist die Forderung nach den so genannten KörStrafen für perstrafen im islamischen Recht zu nennen. Salafisten drin"Grenzvergehen" gen auf die unbedingte Rechtmäßigkeit von Körperstrafen. Im islamischen Strafrecht werden für zahlreiche Delikte Körperstrafen verhängt, so z. B. für die so genannten Grenzvergehen (von arabisch: hadd, "Grenze") sowie im Bereich des Blutrechts für Mord und Totschlag. Als "Grenzvergehen" werden diejenigen Verbrechen bezeichnet, die der Koran und die Überlieferung als Kapitalverbrechen benennen. Sie heißen "Grenzvergehen", da sie nicht das von Menschen geschaffene Recht, sondern das Recht Gottes verletzen. Es muss daher genau die im Koran bzw. die in der Überlieferung vorgesehene Strafe vollstreckt werden, d. h. die weltliche Justiz besitzt bei der Festlegung der Strafe keinen Ermessensspielraum. Zu den "Grenzvergehen" gehören: illegitimer Geschlechtsverkehr (Unzucht)14, Verleumdung/falsche Beschuldigung des illegitimen Geschlechtsverkehrs, schwerer Diebstahl, schwerer Straßenraub und Raubmord sowie Alkoholgenuss. Bei einigen Rechtsgelehrten gehört auch der Abfall vom Islam zu den Kapitalverbrechen. Die Art der für die "Grenzvergehen" verhängten Strafen reicht vom Auspeitschen über die Amputation von Hand und/oder Fuß bis hin zur Steinigung und Enthauptung. Daneben kennt das islamische Recht auch Freiheitsstrafen, Strafzahlungen oder die Verbannung. Insbesondere die im Koran verankerten Grenzstrafen gelten Salafisten als gottgewollt und damit verbindlich. Auch nach Ansicht des salafistischen Predigers Pierre VOGEL sei unbestritten, dass dank der Scharia, die u. U. das Handabhacken bei Diebstahl vorsieht, die Kriminalitätsrate sinken würde. Gewalt gegen Zum Zweiten steht die von Salafisten propagierte Gewalt "Ungläubige" gegen "Ungläubige" im Widerspruch zum Recht auf körperund Frauen liche Unversehrtheit. Zum Dritten verletzt die propagierte körperliche Züchtigung der Ehefrau deren Recht auf körperliche Unversehrtheit. Darüber hinaus existieren Aussagen, die das unmoralische und sündige Verhalten von Frauen allgemein beklagen, wenn sie entgegen vermeintlicher Kleidungsvorschriften unverhüllt "ihre Reize" zur Schau stellen. Ein solches "den Mann provozierendes Verhalten" sei zu bestrafen. 14 Siehe auch Kapitel 2.4. Ausländerextremismus 55 Nach salafistischer Auffassung hat Gott alle Menschen, die nicht der salafistischen Doktrin folgen wollen, verdammt: "Aus diesen beiden Ajat [Koranversen] erkennen wir, dass der Islam der einzige wahre religiöse Weg von Allah ist und dass im Jenseits keine andere Religion angenommen wird. Deshalb wird nur den Muslimen die ewige Glückseligkeit in der Nächsten Welt zuteil. Diejenigen, die mit einer anderen Religion als dem Islam sterben, werden im Jenseits zu den Verlierern gehören und werden im Höllenfeuer gefoltert werden." (Abdul Rahman Bin Hammad Al-Omar, Die Religion der Wahrheit, ohne Ortsund Jahresangabe, Online-Ausgabe, Seite 42)15 Wenn diese Personen aber schon zur Folterung im Jenseits verurteilt sind, so ist Gewalt im Diesseits gegen diese Individuen nach salafistischer Ansicht ebenfalls zulässig. Insbesondere Abtrünnigkeit - im salafistischen Kontext ein sehr ausgedehnter Begriff - wird verurteilt: "Alle diese Beispiele,16 sich vom Islam zu entfernen, führen zur Abtrünnigkeit."17 Die Konsequenz für ein solches Fehlverhalten ist klar: "Es ist ein schweres Verbrechen, dem Islam abtrünnig zu werden und wird mit dem Tod bestraft."18 Der Wechsel der Religion wird als Glaubensabfall (arabisch: ridda, irtidad) verdammt. Dem vom Glauben Abfallenden (arabisch: murtadd) droht die Todesstrafe: "Einer Person, die den Islamischen Glauben ablehnt, sollte eine Gelegenheit von drei aufeinanderfolgenden Tagen gegeben werden, um zur Gemeinschaft des Islam zurückzukehren. ... Wenn diese Person zur Gemeinschaft des Islam zurückkehrt, wird sie freigelassen; wenn nicht, wird die Strafe vollzogen. Die Tötung eines Abtrünnigen ist in Wirklichkeit eine Erlösung für die restlichen Mitglieder der Gesellschaft." (Abdul Rahman Al-Sheha, Missverständnisse über Menschenrechte im Islam, ohne Ortsangabe, 2008, OnlineAusgabe, Seite 130 f.)19 15 Al-Omar ist Theologieprofessor, der schon lange die salafistische Ideologie vertritt. Das angegebene Buch ist vermutlich in den 1970er Jahren erschienen. Seine Bücher sind auch in Deutschland weit verbreitet. 16 Es wird als Beispiel u. a. "Götzendienst" aufgeführt. Es heißt weiter: "Ein Muslim muss Götzendiener, Juden, Christen, Atheisten und die Feueranbeter als Ungläubige einstufen" oder "Wer den Propheten nicht mag oder eines der Islamischen Gesetze aufgibt, ist ein Ungläubiger." bzw. "Wer die Ungläubigen zu Freunden nimmt, ihnen gegen die Gläubigen hilft und sie zu Beschützern nimmt, ist ungläubig." 17 Al-Omar, Die Religion der Wahrheit, Seite 125. 18 Al-Omar, a.a.O., Seite 123. 19 Al-Sheha ist ein saudischer Autor, der einen konservativen Islam vertritt und dessen Werke auch in Deutschland weit verbreitet sind. 56 Ausländerextremismus Ein Beleg für die Gewaltbereitschaft im Salafismus ist die Propagierung der Züchtigung der Ehefrau. Salafisten legen zur Rechtfertigung einen Vers des Korans wörtlich aus und übertragen ihn auf den modernen Kontext: "Und wenn ihr fürchtet, dass (irgendwelche) Frauen sich auflehnen, dann vermahnt sie, meidet sie im Ehebett und schlagt sie! Wenn sie euch (daraufhin wieder) gehorchen, dann unternehmt (weiter) nichts gegen sie!" (Koran, Sure 4, Vers 34). Das Schlagen der Ehefrau wird als Mittel der Maßregelung und Erziehung gerechtfertigt, das als "letzte Möglichkeit" bei ungebührlichem Verhalten der Frau gebraucht werden dürfe. Ein solches Fehlverhalten wird insbesondere in "freizügigem" Verhalten der Frau durch ihren Kleidungsstil oder durch unbegleitetes Ausgehen aus dem Haus gesehen. So sei es die Pflicht, Frauen durch männliche Verwandte (arabisch: mahram) begleiten zu lassen und sie zum Verschleiern durch das Kopftuch (arabisch: hijab) anzuhalten oder gar zu zwingen. In dem von Salafisten verbreiteten Buch "Frauen im Schutz des Islam"20 wird diese empfohlene Vorgehensweise ausgeführt: "Das Heilmittel, um eine ungehorsame Frau zu behandeln, besteht, wie schon beschrieben, aus drei Stufen, die Allah im ehrwürdigen Koran genannt hat. Erste Stufe: Die Stufe der Ermahnung, Empfehlung und Warnung vor Allahs Strafe. Ein Ehemann muss seine ungehorsame Frau auf die Wichtigkeit der Befolgung der Anweisungen des Ehemanns im Islam hinweisen. Dieses ist ein sehr freundliches und einfaches Stadium. Aber wenn diese Behandlung nicht fruchtet und sich als unwirksam erweist, kommt die nächste Stufe. Zweite Stufe: Das Bett der Frau meiden. Oder, wenn man im gleichen Bett wie sie schläft, wird er ihr den Rücken zuwenden, sie nicht berühren, nicht mit ihr reden und keinen Geschlechtsverkehr mit ihr haben. Diese Stufe verbindet beides, Strenge und Freundlichkeit, obwohl es für beide eine ziemlich harte Handlungsweise ist. Wenn aber diese Behandlung nicht wirksam ist, kommt die nächste Stufe der Züchtigung. Dritte und letzte Stufe: Schlagen ohne zu verletzen, Knochen zu brechen, blaue oder schwarze Flecken auf 20 Das zitierte Buch wurde 2009 von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) als jugendgefährdend indiziert. Ausländerextremismus 57 dem Körper zu hinterlassen und unter allen Umständen vermeiden, ins Gesicht zu treffen." (Abdul Rahman Al-Sheha, Frauen im Schutz des Islam, ohne Ortsund Jahresangabe, Online-Ausgabe, Seite 84f.) 2.6.3 Struktur des Salafismus Zu den Kernpunkten des Salafismus gehört die Reinigung der Religion von "unislamischen" Elementen (arabisch: tasfiyya) und die Erziehung der Muslime zu einem islamgemäßen Leben (arabisch: tarbiyya). Der gewaltfrei agierende Salafismus setzt zur Propagierung von tasfiyya und tarbiyya auf zwei wesentliche Säulen: Religiöse Vorträge und Seminare sowie das Internet. Mindestens seit 2002 lassen sich verschiedene salafistische Seminaraktivitäten in Deutschland nachweisen. Eine besondere Rolle kommt dabei den überregionalen Grundlagenseminaren zu, die darauf zielen, vor allem jungen Menschen an einem Wochenende die salafistische Ideologie nahe zu bringen. Eine besondere Bedeutung hinsichtlich der Verbreitung des Braunschweig, ein Salafismus hatte für Niedersachsen und Deutschland der eheZentrum des Salafismals in Braunschweig ansässige, seit Anfang 2011 nach Mönmus in Deutschland chengladbach verlegte Verein "Einladung zum Paradies e. V.". Dieser Verein, der sich inzwischen im Auflösungsverfahren befindet, stand in direkter Verbindung zu einer in Braunschweig existierenden Moschee mit angeschlossener Islamschule. Hier erhalten über 200 Personen nach Lehrplänen der Universität Medina (Saudi-Arabien) eine umfangreiche Ausbildung in Islamstudien in deutscher Sprache. Das Studium wird überwiegend als Fernstudium über das Internet betrieben. Neben der Islamschule in Braunschweig kann man die Prüfungen auch in Moscheen in Mönchengladbach und Stuttgart ablegen. Die Islamschule selbst grenzt sich auf ihrer Internetseite von gewalttätigen Formen des Islamismus ab. Der Schulleiter, Muhamed CIFTCI, propagierte in öffentlichen Auftritten durchaus gewaltbefürwortende Positionen. So erklärte er in einem mittlerweile nicht mehr im Internet abrufbaren Video, dass für den Abfall vom Islam die Enthauptung die angemessene Strafe sei. In einer anderen Vorlesung zum Thema "Vermännlichung der Frau" erklärte er, dass die Bedeckung der Frau mit einem Kopftuch nicht genüge, sondern dass die Frau außerhalb ihres Hauses auch Gesicht und Hände zu verhüllen habe. Weiterhin dürfe die Frau nicht wie sie wolle ohne Begleitung ihr Haus verlassen. Auch machte CIFTCI in seinem 58 Ausländerextremismus Vortrag klar, dass das Ausüben bestimmter Sportarten den Frauen zu untersagen sei. Die besondere Gefahr der Braunschweiger Islamschule liegt in der potenziellen Multiplikatorenwirkung der Absolventen dieser Schule. Möglicherweise könnten die Absolventen mit ihrem umfangreichen Wissen Tätigkeiten etwa als Freitagsprediger anstreben. Neben der Islamschule unterhält CIFTCI auch Kontakte zum internationalen salafistischen Netzwerk, u. a. auf dem Balkan. Ein salafistisches Lehrangebot mit regelmäßigen Schulungen hält auch eine Moschee in Hannover bereit. Über CIFTCI und weitere salafistische Prediger besteht eine Anbindung dieser Moschee an das salafistische Bildungsund Gelehrtennetzwerk. Neben den Seminaraktivitäten und der Werbung über das Internet setzt das salafistische Gelehrtennetzwerk seit einigen Monaten auf eine weitere Aktion zur Missionierungsarbeit. Kostenlose Unter dem Motto "Lies! Im Namen Deines Herrn, der Dich Verteilung des erschaffen hat" wird bundesweit an Info-Ständen in FußgänKorans durch gerzonen und belebten Innenstadtbereichen eine kostenlose Salafisten Ausgabe des Korans an Passanten verteilt. Verantwortlich für das Projekt und die Bereitstellung der Koranexemplare ist das salafistische Predigernetzwerk "Die wahre Religion" um den Kölner Salafistenprediger Ibrahim ABOU NAGIE. Er tritt, ebenso wie CIFTCI oder Pierre VOGEL, regelmäßig im Zusammenhang mit salafistisch ausgerichteten Islamseminaren auf. Am 24.03.2012 nahm ABOU NAGIE an Verteilaktionen in Hamburg und Berlin teil. In einer Rede am Informationsstand gab er bekannt, dass er den Druck von "350.000 Koranen" in Auftrag gegeben habe. Deutschlandweit sollen an "83 Infoständen" täglich "100 bis 1.000 Exemplare" verteilt werden. Ferner würden - im Rahmen der Missionierung ("Dawa") - auch Muslime in "Gefängnissen, Krankenhäusern, Restaurants, Kindergärten und Schulen" mit Koranschriften beliefert. Auf seiner Internetseite wirbt ABOU NAGIE auch dafür, mit den Passanten an den Infoständen in eine Diskussion einzutreten und sie "zur einzig wahren Religion" einzuladen. Es ist daher zu befürchten, dass sich die Verteilaktion nicht auf die bloße Weitergabe des Korans beschränkt, sondern dass Salafisten im Rahmen der einzelnen Aktionen die Gelegenheit nutzen, mit jungen Menschen in Kontakt zu treten und salafistisches Gedankengut zu verbreiten. Die Aktion ist als ein weiterer Bestandteil der offensiven Missionierungsund Rekrutierungsarbeit der Salafisten zu werten. Ausländerextremismus 59 Allein in Niedersachsen sind bis zur Drucklegung dieses Berichts bereits Info-Stände in Städten wie Cloppenburg, Goslar, Hannover, Nordhorn, Osnabrück, Peine, Salzgitter und Wilhelmshaven durchgeführt worden. Weitere Verteilaktionen sind durch ABOU NAGIE angekündigt. 2.6.4 Salafismus und der "Arabische Frühling" Das Jahr 2011 sah in mehreren arabischen Staaten politische und gesellschaftliche Umbrüche, die kurz zuvor noch undenkbar schienen. Jahrzehnte alte de facto-Diktaturen wie diejenigen in Ägypten, Libyen und Tunesien wurden gestürzt. Im Jemen und in Syrien deuten sich (Stand Frühjahr 2012) ebenfalls grundlegende Veränderungen an. Die sich auflehnende Opposition kann dabei nicht als monolithischer Block beschrieben werden, sowohl säkular-demokratische als auch islamistische Kräfte treten in Erscheinung. Dabei ist festzustellen, dass die islamistischen Gruppierungen an Einfluss gewinnen. Nach den Parlamentswahlen in Ägypten stellen verschiedene islamistische Parteien - diese repräsentieren insbesondere die Muslimbrüder und die Salafisten - zusammen gut zwei Drittel der Mandate. Während Beobachter der politischen Szenerie Ägyptens bereits seit Jahren auf die Verankerung der Muslimbrüder in der ägyptischen Gesellschaft hinwiesen und einer dieser Gruppierung nahe stehenden Partei ein gutes Abschneiden bei freien Wahlen prognostizierten, hatte kaum jemand die politische Strömung des Salafismus für relevant in der ägyptischen Innenpolitik eingeschätzt. Zur allgemeinen Überraschung schnitt die salafistische "Partei des Lichts" bei den ägyptischen Parlamentswahlen sehr gut ab und erhielt etwa ein Viertel aller abgegebenen Stimmen. Damit wurde diese Gruppierung zweitstärkste Partei nach der den Muslimbrüdern nahe stehenden Freiheitsund Gerechtigkeitspartei. Dem Umfeld der Partei des Lichts werden auch politische Aktivisten zugerechnet, die zeitweise eine Art private islamische Sittenpolizei bildeten und etwa Frauen belästigten, die nach salafistischer Ansicht "unzüchtig" gekleidet waren. Bei den Wahlen in Tunesien erzielten Salafisten keine Erfolge, jedoch forderten dort salafistische Gruppierungen mit Nachdruck die Schließung eines Fernsehsenders, der einen religionskritischen Zeichentrickfilm ausgestrahlt hatte. 60 Ausländerextremismus 2.7 Verbreitung islamistisch-extremistischer und jihadistischer Positionen im Internet 2.7.1 Islamistische und jihadistische Videos im Internet Im Internet werden islamistische Botschaften verbreitet, die der freiheitlichen demokratischen Grundordnung entgegen stehen. Der Großteil der im Internet verbreiteten islamistischen Propaganda entstammt der salafistischen Szene. Vorträge von salafistischen Predigern wie Muhamed CIFTCI oder Pierre VOGEL sind im Internet u. a. auf dem Videoportal YouTube zu finden. Am 18. April wurde ein Vortrag mit dem Titel "Die Spaltung der Ummah" des salafistischen Predigers CIFTCI auf YouTube eingestellt. Darin sagt er: Antisemitische "Juden haben Tag und Nacht versucht [Muhammad] zu Feindbilder töten. ... Und sie haben alles gemacht, um den Islam zu vernichten. Wie oft haben die Feuer entzündet? Und Allah hat das Feuer ausgemacht. Und die [Juden] sind auf der Erde, um Unheil zu stiften. ... Deswegen, bis heute versuchen sie [den] Islam anzugreifen ... und sie versuchen die Muslime zu vernichten." CIFTCIs Vortrag enthält zudem Passagen, die gegen Christen gerichtet sind: "Die Christen sind gefährlicher als die Juden. Und die Christen sind schlauer als die Juden. Wir denken, die Juden verwalten die Christen. Das stimmt nicht. Die Christen verwalten die Juden. Wieso? Wer hat Palästina den Juden gegeben? Die Christen. Wer hat den Juden erlaubt, dass sie den Libanon bombardieren dürfen? Wer gibt ihnen die Waffen? Die Christen. Wer hat die anerkannt? Sie [die Christen] bekämpfen den Islam mit zwei Mitteln: Erstens, sie versuchen Muslime zu töten. Oder sie versuchen die Muslime zu Christen zu machen. ... Kommt ein B-52-Flugzeug und bombardiert ein ganzes muslimisches Dorf, z. B. in Afghanistan oder Irak. Das gleiche Flugzeug landet dann und verteilt Rote-Kreuz-Pakete. Vorher hat es getötet und jetzt liefert es Hilfspakete. Was für eine Logik. Sie sagen: 'Was es getötet hat, ist schön.'" Jihadistische Nicht nur Salafisten, die sich öffentlich von Gewalt distanziePropaganda durch ren, sondern auch Jihadisten stellen ihre Propagandavideos die Islamische Beins Internet ein. So erschien im Februar 2012 im Internet ein wegung Usbekistan Video von dem aus Deutschland stammenden Mitglied der Islamischen Bewegung Usbekistan (IBU), Mounir CHOUKA. Die Ausländerextremismus 61 IBU ist eine islamistisch-terroristische Organisation aus Usbekistan, die im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet operiert. Ihr haben sich mehrere deutsche Jihadisten angeschlossen. In dem Video mit dem Titel "Böses Vaterland" kritisiert CHOUKA die deutsche Regierung für ihre Haltung im vermeintlichen "Kampf gegen den Islam". Er beendet seine Videobotschaft mit der Ankündigung, eine Reihe von Anschlägen gegen Deutschland und "auch gegen das deutsche Volk" verüben zu wollen. Bereits 2011 sind mehrere deutschsprachige jihadistische Propagandaaufrufe CHOUKAs und der IBU im Internet veröffentlicht worden. 2.7.2 Online-Magazin Inspire Ein Medium der Verbreitung explizit jihadistischer PropaganBisher sieben da ist das Online-Magazin Inspire. Seit dem Sommer 2010 wird Inspire-Ausgadieses Magazin von dem Regionalflügel der al-Qaida auf der ben Arabischen Halbinsel (AQAH) in englischer Sprache herausgegeben. Es richtet sich insbesondere an Muslime im Westen. Statt die riskante Reise in entfernte Krisengebiete anzutreten, sollen diese Muslime den Terror direkt in den heimischen westlichen Staaten ausüben, so eine wichtige Botschaft von Inspire. Eine Reihe von erfolgten oder verhinderten Anschlägen im Westen wurde von islamistischen Einzeltätern geplant, die zuvor unter anderem durch die Lektüre von Inspire radikalisiert wurden. Bis zum Herbst erschienen sieben Ausgaben von Inspire. Unter der regelmäßigen Rubrik "Open Source Jihad" veröffentlicht Inspire Anleitungen für konspiratives Verhalten und die Begehung von Anschlägen in westlichen Staaten, u. a. durch Bombenbau mittels Haushaltschemikalien. Insbesondere werden Ratschläge erteilt, wie man den "individuellen Jihad" im Westen kostengünstig durchführen könne. In einem Beitrag der Ausgabe Nummer 2 vom Herbst 2010 mit dem Titel "Die ultimative Mähmaschine" rät ein Autor, einen Pickup-Geländewagen mit Stahlklingen zu versehen, um damit "mit hoher Geschwindigkeit" in eine Menschenmenge zu steuern und um sich zu schießen, um weitere Menschen zu töten: "Es ist eine Einbahnstraße. Du kämpfst so lange weiter, bis du als Märtyrer stirbst. ... Diese Idee könnte in Ländern wie Israel, den USA, Großbritannien, Kanada, Australien, Frankreich, Deutschland und Dänemark angewendet werden sowie in Ländern, die die israelische Besatzung Palä- 62 Ausländerextremismus stinas und die US-Invasion in Afghanistan und im Irak unterstützen oder eine besondere Rolle bei der Beleidigung des Propheten Muhammad gespielt haben ..." (Inspire, Ausgabe 2, Herbst 2010, Seite 54) Im Sommer erschien eine Sonderausgabe von Inspire anlässlich des Todes des am 2. Mai von US-Streitkräften in Pakistan getöteten Gründers und Anführers der al-Qaida Usama BIN LADIN. "Auch wenn wir den Verlust unseres großen Führers betrauern, gratulieren wir unserer muslimischen Nation zum Märtyrertod von Sheikh Usama. Er hat über 30 Jahre auf diesen Moment gewartet. Er hat ein Leben der Frömmigkeit gelebt, gab schon in jungen Jahren sein bequemes Leben auf, um sich den Mujahidin in den Bergen Afghanistans anzuschließen, gab sein Geld für den Weg Gottes, gründete eine Organisation, die den zeitgenössischen Jihad leitet und war für die Planung und Durchführung der größten Spezialoperation aller Zeiten verantwortlich: die Anschläge auf Washington und New York. Es war nur angemessen, dass ein solches Leben mit dem Märtyrertot geendet hat." (Inspire, Ausgabe 6, Sommer 2011, Seite 3) Im September wurden auch die beiden Hauptherausgeber des Inspire-Magazins, Anwar AL-AWLAQI und Samir KHAN, bei einem Luftschlag im Jemen getötet. Seither ist noch keine neue Ausgabe des Magazins im Internet erschienen. 2.7.3 Islamistische Musik Radikalisierung Auch islamistische Musik wird über das Internet von jihadisdurch islamistische tischen Salafisten zu Propagandaund MobilisierungszweMusik im Internet cken genutzt. Der Deutsche Denis CUSPERT alias Abou MALEEQ und der Österreicher Mohamed MAHMOUD alias Abu Usama AL-GHARIB propagieren in einem gemeinsamen Internetprojekt den Jihad. Abou MALEEQ wurde bereits vor seiner Konversion zum Islam unter dem Namen Deso Dogg als Rap-Musiker bekannt. Während dieser Zeit war er mehrfach inhaftiert. Seit seiner Konversion verbreitet er über das Internet jihadistische Nasheeds (religiöse SprechAbou MALEEQ gesänge). Nasheeds, wie "Wacht doch auf - Allahu Ausländerextremismus 63 Akbar", veröffentlicht von Abou MALEEQ Anfang 2011 im Internet, soll Arid UKA auf dem Weg zum Frankfurter Flughafen gehört haben, bevor er dort im März zwei US-amerikanische Soldaten erschossen und zwei weitere Soldaten schwer verletzt hat: Wacht doch auf, wacht doch auf! Krieg überall auf der welt, Muslime fallen für Öl und Geld, Allahu Akbar, Allahu Akbar [Gott ist der Größte]. Bomben fallen, Bomben fallen, auf Irak und Filistin [Palästina], sie zerstören unseren Din [Glauben], Allahu Akbar, Allahu Akbar. Mütter schrein', Kinder wein', Fisabilillah Jihad [auf dem Wege Gottes den Jihad (führen)], warum bleiben unsere Herzen hart? Allahu Akbar, Allahu Akbar. Macht Du'a, macht Du'a [Bittgebete] für die Brüder in Tschetschen', wie könnt ihr ruhig schlafen gehen'? Allahu Akbar, Allahu Akbar. Keine Angst, keine Angst. Kehrt zurück subhan'allah [gepriesen sei Gott], keine Angst vor den Kuffar [Ungläubigen], Allahu Akbar, Allahu Akbar. Muhahid, Mujahid [Kämpfer im Jihad], Scharia, Somalia, La ilaha illa Allah [Es gibt keinen Gott außer den einen Gott], Allahu Akbar, Allahu Akbar. Wandert aus, wandert aus! Usbekistan, Afghanistan, wir kämpfen in Chorassan [heute Afghanistan], Allahu Akbar, Allahu Akbar. Inschallah, Inschallah [so Gott will], wir kämpfen, fallen, Schuhada [Märtyrer], den Feind im Auge, bismillah [im Namen Gottes], Allahu Akbar, Allahu Akbar. AL-GHARIB hatte für die deutschsprachige Sektion der jihadistischen "Globalen Islamischen Medien-Front" (GIMF) gearbeitet, bis er 2007 in Wien inhaftiert wurde. Seit seiner Haftentlassung im September 2011 lebt er in Deutschland. Das Internetprojekt von Abu MALEEQ und AL-GHARIB zielt darauf ab, in Deutschland einsitzende muslimische Gefangene zu betreuen, sie zu radikalisieren und in jihadistisch-salafistische Netzwerke einzubinden. AL-GHARIB hat unmittelbar nach seiner Haftentlassung mit der Veröffentlichung von Propagandavideos begonnen. In mehreren auf der Internetplattform YouTube veröffentlichten Videos wirft er muslimischen Männern Tatenlosigkeit vor und bekundet seine uneingeschränkte Unterstützung für den Jihad. 64 Ausländerextremismus 2.8 Islamistische Radikalisierung Islamistische In islamistischen Radikalisierungsprozessen spielen verschieRadikalisierung dene Faktoren eine wichtige Rolle, wobei diese in jedem als individueller Einzelfall unterschiedlich intensiv ausgeprägt sein können. Prozess Neben der islamistischen Ideologie, insbesondere in ihrer salafistischen Ausformung, sind zahlreiche verstärkende Aspekte im Radikalisierungsprozess entscheidend. Die Ideologie stattet ihre Anhänger im Radikalisierungsprozess mit sozialen Bindungen, einem Zusammengehörigkeitsgefühl sowie sozialen und moralischen Vorstellungen aus. Zu den weiteren Aspekten, die eine Radikalisierung beeinflussen können, zählen z. B. Generationenkonflikte bei muslimischen Einwanderern in westlichen Staaten. Viele Aktivisten islamistischer Organisationen bewerten die Elterngeneration als eine von dem "wahren" Islam abweichende Generation. Diese Abweichung gelte es zu korrigieren. Allerdings gibt es auch Fälle, in denen eine islamistische Vorprägung durch die Eltern eine Radikalisierung begünstigt. Nicht selten waren radikalisierte Personen zuvor religiös eher gering gefestigt. Neben dem Einfluss radikaler Geistlicher kann es auch von entscheidender Bedeutung sein, ob in der örtlichen Umgebung charismatische Personen Orientierung bei der Radikalisierung geben können. Man wird niemals mit völliger Sicherheit vorhersehen können, wer sich radikalisiert und zum Terrorist wird. Allerdings ist es möglich, daran zu arbeiten, vorhandene Risikofaktoren für einen Radikalisierungsprozess zu identifizieren. Die Identifikation von Risikofaktoren kann dafür entscheidend sein, auf welche Weise der Radikalisierung vorgebeugt bzw. entgegengewirkt werden könnte. Terroristen können aus allen sozialen Gesellschaftsschichten stammen. Auslösende Motive für eine Radikalisierung als ein individuell verlaufender, sozialer und psychologischer Prozess sind dabei u. a.: - Reaktion auf subjektiv empfundene Ungerechtigkeiten, - Protest gegen politische oder soziale Situationen, - Identifizierung mit Opfern politischer Konflikte, - Suche einer sinnund identitätsstiftenden Wahrheit oder - Bedürfnis nach Akzeptanz, sozialen Bindungen oder die Suche nach einem Ausweg aus einer selbst empfundenen Opferrolle. Dies bedeutet, dass eine Radikalisierung aufgrund von konkreten persönlichen Motiven (z. B. gesellschaftliche Marginalisierung, das Erleben von Diskriminierung, enttäuschte berufliche Erwartungen, religiöse Naivität etc.) begünstigt werden kann. Gerade, wenn die genannten Motive in Kombination Ausländerextremismus 65 miteinander auftreten, können sie die Grundlage bilden, auf der sich einzelne Personen für einen islamistischen Radikalisierungsprozess öffnen.21 Der Übergang vom Extremisten zum Terroristen kann dann unter Umständen sehr schnell erfolgen. Trotz einer schwierigen empirischen Datenlage wurden mittlerweile einige Radikalisierungsmodelle entworfen.22 Obwohl die Ergebnisse der verschiedenen Modelle in Einzelheiten voneinander abweichen, sind eine Reihe von prägenden Elementen in islamistischen Radikalisierungsprozessen augenfällig:23 - Unmut ("grievance"). Eine gefühlte oder objektiv existieCharakteristische rende Unzufriedenheit ist ein wichtiger Bestandteil des Elemente der Radikalisierungsprozesses. Im westeuropäischen ZusamRadikalisierung menhang wird hierbei häufig das Gefühl der fehlenden Verankerung, Akzeptanz und Diskriminierung genannt, dem sich oftmals Migranten der zweiten und dritten Generation ausgesetzt sehen würden. - Ideologie. Ideologien können in einer als unbefriedigend empfundenen Welt als sinngebend für den Einzelnen erscheinen und dabei in eine bestimmte Richtung weisen. Ideologien müssen dabei nicht zwangsläufig kompliziert sein: Das einfache Erklärungsmuster eines angeblichen "Kriegs gegen den Islam", der von "Zionisten und Christen" geführt wird, ist ein gutes Beispiel. - Mobilisierung. Radikalisierung ist in den allermeisten Fällen eine soziale Aktivität, die in Gruppen Gleichgesinnter stattfindet, die miteinander freundschaftlich verbunden sind. Für Einzeltäter gilt, dass sie sich, trotz fehlender tatsächlicher Anbindung an eine Gruppe, dennoch einer globalen Bewegung zugehörig fühlen. - Tipping Point. Dem Handeln geht zumeist ein traumatisches Erlebnis voraus - häufig auch Tipping Point genannt -, das sowohl persönlicher als auch politischer Natur sein kann. Äußerliche Erscheinungsformen, die absolut sicher auf die islamistische Radikalisierung oder gar die Gewaltbereitschaft deuten, sind schwierig feststellbar. Darüber hinaus kann auch bei Vorliegen mehrerer Anhaltspunkte nicht ohne Weiteres davon ausgegangen werden, dass gefährliches oder sogar strafbares Verhalten anzunehmen ist. Ein Hinweis auf eine 21 John Horgan, Walking Away from Terrorism - Accounts of disengagement from radical and extremist movements, 2009, S. 11. 22 Exemplarisch: Mitchell D. Silber / Arvin Bhatt, New York City Police Department, Radicalization in the West: The Home!grown Threat, 2007. 23 Vgl. Peter Neumann, Thesenpapier zur BKA-Herbsttagung vom 19. - 20.10.2010, S. 3, abrufbar unter www.bka.de. 66 Ausländerextremismus islamistische Radikalisierung kann dann vorliegen, wenn beispielsweise Erkennen der - kritische Nachfragen zum Islam als Angriff auf die angeRadikalisierung sprochene Person oder Gruppe verstanden werden; - festgestellt wird, dass innerhalb einer Gruppe ein Infragestellen bestimmter Ansichten zur Auslegung des Islams als Verrat an der Gruppe gedeutet wird; - festgestellt wird, dass eine Person oder eine Gruppe ihre Außenwelt als ausschließlich feindselig begreift; - ein immer strenger werdender Moralkodex befolgt wird oder festzustellen ist, dass etwa der Druck auf einzelne Mitglieder einer Gruppe wächst oder bedingungslose Loyalität eingefordert bzw. gelebt wird; - die Religion zum Dauerthema und zur Erklärung für alles wird (beispielsweise ständiges Thematisieren der vermeintlichen Unterdrückung und Bedrängung der Muslime weltweit); - der Islam als Lösung und die so genannte westliche Welt als Ursache aller Probleme gesehen werden; - eine dualistische Weltsicht bzw. die Anwendung eines strikten Freund-Feind-Schemas vorherrscht. Vor dem Hintergrund der zunehmenden Bedrohung durch den "homegrown islamist terrorism" hat der Niedersächsische Innenminister Uwe Schünemann im März 2012 ein ganzheitliches Handlungskonzept zur Antiradikalisierung und Prävention im Bereich des islamistischen Extremismus und Terrorismus in Niedersachsen vorgestellt. Unter Einbeziehung verschiedener gesellschaftlicher und staatlicher Akteure soll mit Hilfe dieses Konzepts der Radikalisierung junger Muslime entgegengewirkt werden.24 24 Weitere Ausführungen zum Thema Prävention siehe auch Kapitel 1.15.12. Ausländerextremismus 67 2.9 Muslimbruderschaft (MB) Gegründet: 1928 in Ägypten Mitglieder/Anhänger 2010 201125 Bund: 1.700 1.600 Niedersachsen: 160 90 Publikationen: Risalat ul-Ikhwan (Rundschreiben der Bruderschaft) Die auch als "ideologische Mutterorganisation des politischen Islam" bezeichnete Muslimbruderschaft (MB) versucht mit ihrer Strategie der kulturellen Durchdringung der islamischen Staaten, die gesellschaftlichen Voraussetzungen zur Etablierung islamistischer Staatsmodelle zu schaffen. Der MB zugerechnete Gruppen haben sich in der Vergangenheit auch an gewaltsamen Erhebungen gegen die jeweiligen Machthaber in Syrien 1982 und in Algerien während der 1990er Jahre beteiligt. Den in das international verflochtene Netzwerk eingebundenen deutschen Zweigen der MB ist der gleiche Auftrag gestellt wie den nahöstlichen Zweigen der Bruderschaft: Die Durchdringung von Staat und Gesellschaft durch die Ideologie des Islamismus mit der Scharia26 in ihrer orthodoxen Lesart als allein gültiger Ordnung. Damit verfolgt die MB Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland im Sinne des SS 3 Abs. 1 Nr. 1 NVerfSchG. 2.9.1 Ursprung und Entwicklung Die sunnitische MB ging 1928 in Ägypten aus einer kleinen Neuerungen Gruppe von Männern um Hasan al-Banna hervor, die sich als werden als "Ver"Brüder im Dienste des Islam" verstanden. Als älteste und bis unreinigungen" heute wichtigste islamistische Organisation ist sie nach eigeangesehen nen Angaben in über 70 Ländern präsent. Trotz dieser internationalen Ausrichtung zeigt die Bruderschaft noch heute eine deutliche arabische Prägung. Ihre wichtigste Basis ist weiterhin Ägypten, wo sie bis zum Sturz des ägyptischen Präsidenten Hosni Mubarak am 11. Februar verboten war. Auf ihrer fünften Generalkonferenz 1939 in Kairo legte die 25 Der Rückgang der Anhängerzahlen im Bereich der Muslimbruderschaft beruht in erster Linie auf der Neueinführung des Beobachtungsobjekts des Salafismus. In diesem Rahmen wurden die Anhängerzahlen der einzelnen Teilbereiche des Islamismus durch die Verfassungsschutzbehörden anders zugeordnet. 26 Zur Scharia siehe Kapitel 2.4. 68 Ausländerextremismus MB ihre bis heute gültige Doktrin fest. Darin tritt ein entschieden islamistischer Wesenszug zu Tage. Indem sich die Muslimbrüder auf das Wirken und die Tradition des Propheten und seiner Gefährten berufen, grenzen sie sich von allen "Verunreinigungen" des Islams ab, die die islamische Welt seit dem 7. Jahrhundert heimgesucht hätten. Die MB ist eine hierarchisch strukturierte Organisation. Als ihr Oberhaupt fungiert der Murschid Amm, der "Allgemeine Führer", dem sich das einzelne Mitglied durch ein Gelöbnis zur Gefolgschaft verpflichtet. Für den Gründer al-Banna trug die Bruderschaft deutlich politische Züge. Darüber hinaus sei sie durch den als allumfassend angesehenen Charakter des Islams eine "der körperlichen Ertüchtigung dienende Gruppe", ein "kultureller und wissenschaftlicher Verband", eine "soziale Idee" und sogar ein "Wirtschaftsunternehmen". Der Wahlspruch der Bruderschaft verdeutlicht den universalen Anspruch: "Gott ist unser Ziel, der Prophet unser Führer, der Koran unsere Verfassung und der Kampf unser Weg. Der Tod um Gottes Willen ist unsere höchste Gnade. Gott ist groß." (nach Franz Kogelmann: "Die Islamisten Ägyptens in der Regierungszeit von Anwar as-Sadat [1970-1981]"; Berlin 1994, Seite 29) Vor dem Hintergrund des "Arabischen Frühlings" kommt der MB eine zunehmende Bedeutung im politischen und gesellschaftlichen Leben verschiedener arabischer Länder zu. So gingen aus den Parlamentswahlen in Ägypten zum Jahreswechsel 2011/2012 und bei der Wahl zur Verfassungsgebenden Versammlung Tunesiens im Oktober Parteien, die in der Tradition der Muslimbrüder stehen, als stärkste Gruppierungen hervor. Die Freiheitsund Gerechtigkeitspartei, die als politische Vertretung der ägyptischen MB gilt, bekräftigte bereits im Vorfeld der Wahlen, dass sie zwar nichts gegen Frauen und Christen in Ministerpositionen habe, beide Gruppen jedoch - in Übereinstimmung mit der Scharia - als ungeeignet für das Amt des ägyptischen Präsidenten betrachte. Ebenfalls vor den Wahlen erklärte der stellvertretende Vorsitzende der Freiheitsund Gerechtigkeitspartei, dass diese Partei ihre Politik auf der Basis der Scharia auszuüben gedenke. Auf einer Veranstaltung der tunesischen En-Nahda, dem tunesischen Zweig der MB und Gewinnerin der Wahlen in Tunesien, trat im November ein Vertreter der islamischen Widerstandbewegung HAMAS - dem palästinensischen Zweig der Muslimbruderschaft - auf, der seiner Hoffnung Ausdruck gab, Ausländerextremismus 69 die Ereignisse im arabischen Raum mögen zu einem "neuen Kalifat" und zur "Befreiung Jerusalems" führen. Auch in der syrischen Opposition spielen islamistische Kräfte eine gewisse Rolle. Bereits der letzte Aufstand gegen das säkulare Regime der Baath-Partei in Syrien 1982 wurde maßgeblich von Gruppierungen getragen, die der MB nahe stehen. 2.9.2 Die Muslimbruderschaft in Deutschland und in Niedersachsen Vorrangiges Ziel der MB ist es, die in Deutschland lebenden Muslime von der "wahren", d. h. von ihrer Interpretation des Islams zu überzeugen. Verschiedene islamische Zentren dienen diesem Ziel als organisatorische Stützpunkte. Gewaltaktivitäten der MB auf deutschem Boden wurden bisher nicht festgestellt. Die HAMAS ist über eine Unterorganisation in Deutschland vertreten. Es handelt sich hierbei um den im Mai 1981 im Islamischen Zentrum München (IZM) gegründeten Islamischen Bund Palästina (IBP). In Niedersachsen sind nur einzelne Mitglieder und Funktionäre dieser Vereinigung ansässig. Darüber hinaus ist hier ein Verein angemeldet, von dem einige Mitglieder der En-Nahda27, zuzurechnen sind. Am 19. Juni trat der Vorsitzende der En-Nahda, Raschid al-Ghannouchi, auf einer Veranstaltung in Wolfsburg auf. Die MB verfolgt auch in Niedersachsen ihren Ansatz der kulturellen und ideologischen Durchdringung. Dementsprechend übt die MB ihren Einfluss auf Moscheen in Niedersachsen in Braunschweig, Göttingen, Hannover und Osnabrück aus. Durch ihr Lehrangebot, wie z. B. in Moscheen angebotene Korankurse, verbreitet die MB ihre Ideologie. Hingegen sind öffentliche Aussagen von der Bruderschaft nahe stehenden Predigern mit antiwestlicher und/oder antijüdischer Tendenz vor dem Hintergrund verstärkter staatlicher Überwachungsmaßnahmen nicht mehr in früherer Schärfe wahrnehmbar. 27 Neben dem hier gemeldeten Vereinssitz ist in Niedersachsen auch der 1. stellvertretende Vorsitzende ansässig, während die übrigen Vereinsmitglieder über verschiedene Bundesländer verteilt sind. 70 Ausländerextremismus 2.10 Tablighi Jama'at (TJ) Gegründet: 1926 in Britisch-Indien Sitz: Weltzentrum in Lahore, Pakistan; europäisches Zentrum in Dewsbury (Großbritannien); in Deutschland keine offizielle Niederlassung. Mitglieder/Anhänger: 2010 2011 Bund: 700 700 Niedersachsen: 70 80 Die Tablighi Jama'at (TJ, "Gemeinschaft der Missionierung und Verkündung") wurde im letzten Jahrhundert als Missionsbewegung gegründet. Sie vertritt ein äußerst rigides Islamverständnis, das die Ausgrenzung der Frau und die Abgrenzung gegenüber Nichtmuslimen beinhaltet. Die Anhänger dieser internationalen islamischen Massenbewegung sind bestrebt, die überlieferte Lebensweise des Propheten Muhammad in Kleidung und täglichen Verrichtungen möglichst genau nachzuempfinden. Koran und Sunna28 werden strenggläubig und wortgenau befolgt und sollen als Richtschnur für jedes gesellschaftliche Miteinander gelten. Durch die Propagierung der Scharia29 als Grundlage ihres Gesellschaftsmodells verfolgt die TJ Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des SS 3 Abs. 1 Nr. 1 NVerfSchG. 2.10.1 Ursprung und Entwicklung Angesichts der Dominanz der europäischen Kolonialmächte propagierten so genannte islamische Reformbewegungen wie die TJ, die im indo-pakistanischen Raum ihren Ursprung hatten, die Säuberung des Islams von vermeintlichen geistigen und kulturellen Verunreinigungen.30 28 Der Begriff Sunna bezeichnet die überlieferten Taten, Ansichten und Unterlassungen des Propheten Muhammad in ihrer Gesamtheit und gilt als Richtschnur auch für den Muslim der heutigen Zeit. Nach dem Koran ist die Sunna des Propheten die zweitwichtigste Quelle des islamischen Rechts. 29 Zur Scharia siehe Kapitel 2.4. 30 Die Muslime Indiens sahen sich einer zweifachen Bedrohung ausgesetzt: Einerseits hatten sie die politische Macht an die christlichen Briten verloren, andererseits überwog in Indien zahlenmäßig die hinduistische Bevölkerungsgruppe. Während aufklärerische muslimische Kreise die Meinung vertraten, dass vor diesem Hintergrund nur mit westlichen Erkenntnissen, nicht gegen sie, der Aufbruch der Muslime Indiens in die Moderne gelingen könne, lehnten konservativ ausgerichtete sunnitische Rechtsgelehrte sowohl hinduistische als auch westliche Einflüsse ab und forderten deren Eliminierung. Ausländerextremismus 71 Heute zählt die TJ nach Zahl und Verbreitung ihrer Anhänger weltweit zu den bedeutendsten islamischen Bewegungen. Ihre Anhänger fühlen sich nicht einer festen Gruppierung zugehörig, sondern sehen sich als Muslime mit missionarischem Auftrag. Obwohl sich die TJ selbst als unpolitisch und gewaltlos darstellen, muss dies aus Sicht der Sicherheitsbehörden anders bewertet werden. Das strikte Koranverständnis führt zu einer Befürwortung der Scharia, des aus Koran und Sunna hergeleiteten islamischen Rechts, und damit in letzter Konsequenz zu einer Islamisierung der Gesellschaft. Das Bemühen um eine im Sinne der TJ vorbildliche Glaubenspraxis schließt eine weitgehend wortgetreue und rigide Interpretation des Korans und seiner Rechtsvorschriften ein, so dass damit der Erfüllung religiöser Vorschriften grundsätzlich Vorrang gegenüber einer an staatlichen Gesetzen orientierten Lebensführung eingeräumt wird. 2.10.2 Aktivitäten von TJ-Anhängern in Deutschland und in Niedersachsen Die Anhänger der TJ reisen in der Regel in Gruppen, um einerseits den Glauben zu verbreiten und andererseits die Frömmigkeit der Prediger selbst zu stärken. Zielgruppe sind in erster Linie Muslime mit einer vermeintlich unzureichenden Beachtung der Glaubensriten, erst in zweiter Linie Nichtmuslime. Zu den Pflichten eines Mitglieds gehört die freiwillige und unbezahlte missionarische Tätigkeit, die 40 Tage im Jahr betragen soll. Der Schwerpunkt der Aktivitäten der TJ liegt auf dem indischen Subkontinent. In den letzten Jahrzehnten hat diese islamische Massenbewegung ihre Aktivitäten jedoch auf Nordafrika und auf die muslimische Diaspora in Europa, Nordamerika und Australien ausgeweitet. Die TJ führt jährliche Treffen auf dem indischen Subkontinent durch, an denen Hunderttausende in Indien, Pakistan und Bangladesch teilnehmen. Diese Treffen entwickeln sich zu Anziehungspunkten von Islamisten, die die strenggläubige islamische Massenbewegung als Rekrutierungsfeld betrachten. Niedersächsische Anhänger der TJ sind an das globale Netzwerk der TJ angeschlossen. Von Niedersachsen ausgehende Missionsreisen werden aus der Masjid El Ummah-Moschee im Pakistanzentrum in Hannover nach entsprechender Vorgabe koordiniert. Die niedersächsischen TJ-Anhänger beteiligen sich insbesondere an regelmäßig stattfindenden bundesund europaweiten Treffen, auf denen u. a. organisatorische Entscheidungen der Bewegung getroffen werden. Grundlegende 72 Ausländerextremismus Entscheidungen werden jedoch von den Führungszentren der TJ in Pakistan und Indien getroffen. In Niedersachsen fanden 2011 in Hannover zwei größere Treffen mit nationaler und internationaler Beteiligung von bis zu 500 TJ-Anhängern statt. Im Rahmen dieser Treffen wird regelmäßig durch die Führung dazu aufgerufen, die Missionstätigkeit zu intensivieren. TJ-Anhänger sind aufgrund der durchzuführenden missionarischen Reisen auch regelmäßig in niedersächsischen Moscheen anzutreffen, die nicht originär der TJ zuzurechnen sind. So wurden Missionierungsgruppen u. a. in Göttingen, Osnabrück und der Region Braunschweig/Wolfsburg festgestellt. Die Bewegung ist bestrebt, ihre missionarischen Aktivitäten ständig zu intensivieren und ihre Anhängerzahl weltweit zu erhöhen. 2.11 Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e.V. (IGMG) Gegründet: 1985 in Köln (als Vereinigung der Neuen Weltsicht in Europa e.V. - AMGT) Vorsitzender: Yavuz Celik KARAHAN (bis zum 14.05.2011) Kemal ERGÜN (seit 14.05.2011) Sitz: Kerpen (NRW) Mitglieder/Anhänger 2010 2011 Bund: 30.000 31.000 Niedersachsen: 2.600 2.600 Offizielle Publikation: Perspektif (monatlich) Die Islamische Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG) ist im Wesentlichen bestrebt, türkischstämmigen Muslimen eine eigenständige Identität auf der Basis islamistischer wie auch türkischnationalistischer Anschauungen zu vermitteln. Diese Identität definiert sich in Abgrenzung zur freiheitlichen Werteordnung der Bundesrepublik Deutschland und propagiert die islamische Rechtsund Lebensordnung, die Scharia, als Grundlage ihres Gesellschaftsmodells. Damit trägt die IGMG zur Bildung Ausländerextremismus 73 von Parallelgesellschaften in Deutschland maßgeblich bei. Durch die Propagierung der Scharia31 in einer orthodoxen Lesart für alle Lebensbereiche und die darin begründete Ablehnung - des westlichen Demokratieund Rechtsstaatsprinzips, - der Freiheitsrechte des Einzelnen, namentlich der Religionsfreiheit, auch verstanden im Sinne einer möglichen Abkehr vom Islam, - der Gleichberechtigung von Mann und Frau und - insbesondere des grundgesetzlichen Prinzips der Volkssouveränität und der Geltung der verfassungsgemäß zustande gekommenen Gesetze bietet die IGMG Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des SS 3 Abs. 1 Nr. 1 NVerfSchG. 2.11.1 Ursprung und Entwicklung Die Geschichte und Ideologie der IGMG ist untrennbar mit Zentrale Rolle Necmettin ERBAKAN verbunden, der in den 1970er Jahren seiERBAKANs ne Vorstellungen zur Lösung der politischen und gesellschaftlichen Probleme in der Türkei in der Schrift "Milli Görüs" ("nationale Sicht") darlegte. ERBAKAN beschreibt die westliche Welt als "nichtige Ordnung" ("Batil Düzen"), die durch eine islamische "gerechte Ordnung" ("Adil Düzen"), d. h. die Scharia als Grundlage für Staat und Gesellschaft, zu ersetzen sei. Als Teil der von ERBAKAN bis zu seinem Tod im Alter von 84 Jahren am 27. Februar in Ankara angeführten Bewegung ist auch die IGMG von dieser Weltanschauung geprägt. Auch der Tod ERBAKANs wird hieran vorerst nichts ändern. Die IGMG ist in Deutschland das Sammelbecken der Anhänger der Milli Görüs-Bewegung. Sie erhebt den Anspruch, einen Großteil der außerhalb der Türkei lebenden Menschen türkischer Abstammung zu repräsentieren. Ihre Vorläuferorganisation, die Vereinigung der Neuen Weltsicht in Europa e. V. (nach dem türkischen Original AMGT abgekürzt), konstituierte sich 1985 in Köln. Die AMGT spaltete sich 1995 in die IGMG, deren Aufgaben sich auf die Bereiche Religion, Sozialwesen und Kultur konzentrieren, und in die Europäische Moscheebauund Unterstützungsgemeinschaft e. V. (EMUG), die für die Verwaltung des umfangreichen Immobilienbesitzes der Organisation zuständig ist. 31 Zur Scharia siehe Kapitel 2.4. 74 Ausländerextremismus 2.11.2 Die IGMG in Deutschland und in Niedersachsen Verflechtung Die IGMG ist mit verschiedenen islamischen Organisatimit anderen onen und Dachverbänden in Deutschland verflochten. VerOrganisationen bindungen bestehen zum Islamrat für die Bundesrepublik Deutschland (IR),32 zum Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD),33 zur Islamischen Gemeinschaft in Deutschland (IGD), zur Muslim Studenten Vereinigung in Deutschland (MSV) und zur Schura Niedersachsen. Auch im Koordinierungsrat der Muslime in Deutschland (KRM), der am 10.04.2007 seine Gründung bekannt gegeben hat, ist Milli Görüs vertreten. Der KRM besteht aus den vier islamischen Verbänden: der Türkisch-Islamischen Union der Anstalt für Religion e. V. (DITIB), dem Verband der Islamischen Kulturzentren e. V. (VIKZ), dem IR und dem ZMD. Vorgehen Die IGMG bestreitet, eine Form des Islams zu propagieren, die der IGMG in gegen die politisch-gesellschaftliche Integration der in der Deutschland Bundesrepublik lebenden Menschen türkischer Abstammung gerichtet sei. Tatsächlich versucht die IGMG jedoch über umfangreiche Angebote wie Korankurse, Hausaufgabenbetreuung, Ferienlager oder Sportaktivitäten Muslime durch ein möglichst alle Lebensbereiche umfassendes Angebot an sich zu binden und intensiv mit der politischen Ideologie der "Adil Düzen" zu indoktrinieren. Dabei nutzt die IGMG auch das Internet, indem sie auf ihrer deutschsprachigen Internetseite über verschiedene politische Themen informiert und auch kommentiert. Zu der von der IGMG organisierten "Betreuung" gehören u. a. eine Wallfahrtsorganisation, ein Vertrieb 32 Im Islamrat sind eigenen Angaben zufolge über 30 Organisationen zusammengeschlossen, die derzeit über mehr als 130.000 Mitglieder verfügen sollen. Der Islamrat wird von der IGMG dominiert. 33 Der ZMD ist ein Zusammenschluss von 19 Verbänden, denen ca. 12.000 Muslime zumeist arabischer Herkunft angehören. Etwa die Hälfte der Mitgliedsorganisationen des ZMD, u. a. die der Muslimbruderschaft zuzurechnende Islamische Gemeinschaft in Deutschland e. V., sind als islamistische Organisationen einzustufen. Ausländerextremismus 75 für religiöse Literatur, ein muslimisches Sozialwerk, ein Bestattungsfonds sowie Handelsgesellschaften für den Imund Export von Lebensmitteln. Die IGMG ist jedoch kein durchgehend homogener Verband. Vielmehr schienen bislang einige Führungsfunktionäre bemüht zu sein, eine größere Eigenständigkeit der Organisation gegenüber der türkischen "Milli Görüs" zu erreichen und sich allmählich vom strikt islamistischen Kurs ERBAKANs zu lösen. An der Basis gibt es jedoch eine zahlenmäßig nicht zu unterschätzende Fraktion von ERBAKAN-treuen Mitgliedern. Insbesondere große Teile der Jugendorganisation stehen weiterhin zu ERBAKAN. Inwieweit sich der Tod ERBAKANs auf das Verhältnis der IGMG in Deutschland zur Milli Görüs-Bewegung in der Türkei auswirkt, kann zurzeit noch nicht beurteilt werden. Während der Vorsitz der bisher von ERBAKAN geführten Saadet Partisi ("Partei der Glückseligkeit") am 6. März auf seinen bisherigen Stellvertreter Mustafa KAMALAK überging, der auf einem außerordentlichen Parteitag am 17. Juli im Amt bestätigt wurde, kann dessen Rolle als ideologischer Vordenker und Führer der Milli Görüs-Bewegung möglicherweise nicht adäquat besetzt werden. Es gibt keine Person mit vergleichbarem Charisma, die eine entsprechende Bedeutung erhalten könnte. Der Vorsitzende der IGMG Deutschland, Yavuz Celik KARAHAN, gab laut einer Internetveröffentlichung vom 14. März bekannt, nicht erneut für dieses Amt kandidieren zu wollen. Bei einer Vollversammlung am 14. Mai wurde der Vorsitzende des Regionalverbandes Köln, Kemal ERGÜN, zum neuen IGMG-Vorsitzenden gewählt. Der bisherige Generalsekretär Oguz ÜCÜNCÜ wurde in seinem Amt bestätigt, Hakki CIFTCI wurde zum stellvertretenden Vorsitzenden gewählt. Inwieweit die oben genannten Bemühungen um eine größere Eigenständigkeit durch diese personellen Veränderungen einen Rückschlag erleiden, kann noch nicht abschließend beurteilt werden. Auf Niedersachsen bezogen liegen keine Erkenntnisse über Strömungen vor, die sich von den politischen und ideologischen Vorgaben ERBAKANs lösen wollen. In den niedersächsischen Ortsvereinen wird eine Diskussion über die Leitlinien der IGMG-Deutschland nicht geführt. Es ist bislang keine Tendenz erkennbar, sich von der von ERBAKAN vorgegebenen Linie zu trennen. In Niedersachsen besteht ein Landesverband, zu dem minMindestens destens 35 Ortsvereine gehören. In zahlreichen Ortsvereinen 35 Ortsvereine in sind derzeit nur wenige Aktivitäten zu verzeichnen. Eine sehr Niedersachsen aktive Einrichtung ist dagegen das Braunschweiger Kulturund Bildungszentrum, das neben Nachhilfeunterricht und 76 Ausländerextremismus Hausaufgabenbetreuung auch Koranunterricht speziell für Kinder anbietet. Den Sicherheitsbehörden liegen Hinweise vor, die den Verdacht rechtfertigen, dass in einzelnen Einrichtungen der IGMG zumindet in Südniedersachsen Aktivitäten zur Indoktrinierung von Kindern und Jugendlichen stattfinden. So wurden bei Kindern und Jugendlichen, die an Koranschulungen teilgenommen hatten, in bestimmten Bereichen Verhaltensund Wesensänderungen festgestellt, z. B. zurückweisende Äußerungen über Christen oder - insbesondere bei männlichen Jugendlichen - ein die Gleichberechtigung von Männern und Frauen ablehnendes Verhalten. Darüber hinaus gibt es Anhaltspunkte dafür, dass Jugendliche angewiesen werden, Kontakte zu Nichtmuslimen aber auch zu Muslimen, die nicht der IGMG angehören, zu vermeiden. 2.11.3 Die Milli Gazete als Sprachrohr der Milli Görüs-Bewegung IGMG-Funktionäre nutzen ihren Einfluss in den Moscheen der Milli Görüs, um für die türkischsprachige Tageszeitung Milli Gazete (Nationalzeitung) zu werben. Die Milli Gazete besitzt aufgrund ihrer ideologischen Nähe eine Sprachrohrfunktion für die IGMG. So werden beispielsweise über den Bücherkatalog der IGMG Publikationen von Milli Gazete-Kolumnisten vertrieben. Die Anbindung der Milli Gazete an die IGMG wird deutlich, wenn man die die IGMG betreffende Berichterstattung heranzieht. Die Fülle von Berichten über IGMG-Veranstaltungen geht weit über das Maß hinaus, das man bei einer offiziell politisch neutralen Zeitung erwarten würde. Darüber hinaus wird in der Berichterstattung die Verbindung zwischen Milli Gazete und IGMG offen dargelegt. Auch das Oberverwaltungsgericht (OVG) Lüneburg bestätigt in einem am 15.09.2009 ergangenen Urteil den Sprachrohrcharakter der Milli Gazete. Nach Auffassung des Gerichts ist zwar nicht zu verkennen, dass die Milli Gazete als Zeitung - jedenfalls inzwischen - von der IGMG personell und redaktionell getrennt ist und dass die IGMG eine eigene Monatszeitschrift unter dem Namen "Perspektif" herausgibt und unter ihren Mitgliedern verteilt. Dies ändere jedoch nichts daran, dass die Milli Gazete als Tageszeitung großen publizistischen Einfluss auf die Mitgliederschaft der IGMG ausübt. Sie ist nach Auffassung des Gerichts auch ohne offiziellen IGMG-Publikationscharakter als Sprachrohr der Milli Görüs-Bewegung zu werten und insofern auch der IGMG zuzurechnen. Dieser Auf- Ausländerextremismus 77 fassung haben sich auch das Verwaltungsgericht Köln in seinem Urteil vom 29.11.2010 und das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg in seinem Urteil vom 10. Februar angeschlossen. Der Chefredakteur der Zeitung Milli Gazete, Mustafa KURDAS, erklärte zur Position der Milli Gazete in einem am 30./31. Mai veröffentlichten Interview: "Denn die Weltanschauung, die die Milli Gazete verteidigt, ist die Milli Görüs. Und die Milli Gazete ist stolz darauf. Es ist keine einfache Sache, die Stimme der Milli Görüs zu sein. ... Die Milli Gazete ist verpflichtet, die Ereignisse aus Erbakan'schen Blickwinkeln zu betrachten und die Erbakan'sche Entschlossenheit aufrecht zu erhalten. ...Die Milli Gazete wird auch in Zukunft die Stimme der Milli Görüs sein. Sie wird eine Stimme, die noch selbstbewusster und noch kräftiger ist. ... Die Milli Gazete und die Gemeinde der Milli Görüs sind wie Fleisch und Blut untrennbar." Dass die IGMG, wie oben dargelegt, sich an einem orthodoxen Verständnis der Scharia orientiert, geht auch aus einem Beitrag des Kolumnisten Mehmed Sevket Eygi hervor. Dieser warnt in der Milli Gazete vom 11. Januar, Seite 4, unter der Überschrift "Neue Bücher" vor so genannten religiösen Büchern, die über Reformansätze im Islam berichten. Diese Bücher seien schädlich. In einem weiteren Bericht in der Milli Gazete vom 22. Februar, Seite 4, unter der Überschrift "Richtiges und Falsches" lehnt er jede Form von Reformbestrebungen in der Religion kategorisch ab: Neuerungen seien "falsch" und "verkehrt". Noch deutlicher wird er in seiner Kolumne in der Milli Gazete vom 15. Juni, Seite 4, unter der Überschrift "Falsche Koran-Exegeten, fehlerhafte Koran-Exegese ...". Hier sehnt er die Zeit des Osmanischen Reiches herbei, in der "theologisch versierte, gebildete, ehrliche und opferbereite Theologen" gelebt und gelehrt hätten. In diesem Zusammenhang warnt Eygi vor einer Auslegung des Korans, die dazu gemacht sei, die Muslime zu betrügen. Weitere Kritikpunkte sieht er in Bestrebungen, die Religion zu reformieren oder den Feminismus an die Religion anzupassen. In einer Kolumne in der Milli Gazete vom 14. Juli, Seite 6, negiert er den Grundsatz der Volkssouveränität: In der islamischen Religion gebe es Werte und Kriterien, an die man 78 Ausländerextremismus sich halten müsse. In erster Linie nennt er das Buch Allahs, den Koran. Danach kämen die Sunna und die Vorgaben des Propheten Muhammad. Als dritten Punkt bezeichnet er die einheitliche Einsicht islamischer Gelehrter auf der Basis von Koran und Sunna und die daraus resultierende Scharia. Den Willen des Volkes für richtig zu halten, sei fatal und falsch, da das Volk keine gute Erziehung genossen habe. Toleranz findet im Verständnis Eygis ihre Grenzen in der Milli Görüs-Ideologie. In einem Beitrag "Gute und schlechte Toleranz" (Milli Gazete vom 26. Juli, Seite 6) schreibt er, dass ein Muslim zwar Toleranz zeigen dürfe, aber niemals dürfe diese Toleranz so weit reichen, dass Abstriche in der Religion gemacht werden müssten. In Zusammenhang mit religiösen Prinzipien, Pflichten und Regeln der Scharia sei Toleranz absolut nicht zulässig. Die Scharia sei auch der Gradmesser dafür, ob ein Glaube oder eine Handlung gut oder schlecht sei. Hierzu führt er in einer Kolumne vom 30./31. Juli unter der Überschrift "Diese Ordnung kann nicht als gut bezeichnet werden" aus, dass laut dem Islam, dem Koran, der Sunna und der Scharia die aktuelle Ordnung bzw. das System nicht gut und richtig, sondern schlecht und verdorben sei. Die Gesetze der heutigen Zivilisation, die EU-Standards und Normen stünden im Widerspruch zum Islam, zum Koran, zur Sunna und zur Scharia. Hier tritt das Verständnis der Milli Görüs-Bewegung zutage, nach dem der Koran, die Sunna und die Scharia nicht nur das individuelle und häusliche Leben der Muslime im Bezug zu ihrer Religion regeln, sondern auch alle sozialen und politischen Verhältnisse. Es kommt außerdem zum Ausdruck, dass nach diesem Verständnis staatliches Handeln dem islamischen Gesetz mit Absolutheitsanspruch unterzuordnen ist und allein von Gott, nicht jedoch von den demokratisch gewählten Institutionen legitimiert werden kann. Die Grundprinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung spielen nach diesem Verständnis keine Rolle. 2.11.4 Aktivitäten in Deutschland und in Niedersachsen Wie schon in den Jahren 2009 und 2010 führte die IGMG auch 2011 keine Jahresversammlung durch. Gründe dafür waren zum einen der Tod von ERBAKAN und zum anderen die am 12. Juni in der Türkei durchgeführten Parlamentswahlen. In Niedersachsen führten einige Ortsvereine Veranstaltungen durch. So fand am 24. Januar im Ortsverein Braunschweig eine Vortragsveranstaltung mit dem in der Türkei lebenden Geylani AKAN statt, an der 70 Personen teilnahmen. Im Verlaufe seiner Ausführungen ging er auch auf die Zeit Ibrahims Ausländerextremismus 79 (Abraham) ein - er gilt als einer der wichtigsten Propheten des Islams - und forderte, wie einst dieser beim Bau der Kaaba in Mekka den noch heute sichtbaren Fußabdruck im Stein hinterlassen habe, solle jeder Muslim in seinem Leben einen sichtbaren Fußabdruck im Kampf gegen die Ungläubigen hinterlassen. Am 27. Februar fand in Hannover eine Veranstaltung des Regionalverbandes Hannover zu Ehren des Propheten Muhammad unter dem Motto "Asr-i Saadet" (zu deutsch etwa: Zeitalter der Glückseligkeit) statt. An dieser Veranstaltung, die ganz unter dem Eindruck des Todes von ERBAKAN stand, nahmen etwa 700 bis 800 Personen teil. Ebenfalls in Hannover wurde am 9. April die traditionelle Gedenkveranstaltung für den Propheten Muhammad ("Alemlere Rahmet"/ zu Deutsch etwa: Gnade für die Welt) durchgeführt. Hieran nahmen ca. 2.000 Personen teil. Vom Regionalverband Hannover wurde weiterhin ein Familientag (Kermes) vom 20. bis 22. Mai in Salzgitter-Lebenstedt veranstaltet. Hieran nahmen insgesamt etwa 5.000 Gäste teil. Am 21. Mai wurde der ehemalige Bundesvorsitzende der IGMG, Yavuz Celik KARAHAN, als Ehrengast begrüßt. Der IGMG-Ortsverein Osnabrück führte vom 27. bis 29. Mai sein Sommerfest durch. Zu diesem Fest, für das auch in der Zeitung Milli Gazete geworben wurde, kamen insgesamt 2.000 Gäste. Die mittlerweile 10. Islamwoche wurde vom IGMG-Ortsverein Braunschweig in der Zeit vom 3. bis 5. Juni organisiert. Im Rahmen dieser Veranstaltung, für die ebenso in der Zeitung Milli Gazete geworben wurde, hielt der neue IGMG-Bundesvorsitzende ERGÜN die Freitagspredigt. 2.12 Hizb Allah (Partei Gottes) Gegründet: 1982 im Libanon Sitz: Beirut Generalsekretär: Hassan NASRALLAH Mitglieder/Anhänger 2010 2011 Bund: 900 950 Niedersachsen: 140 140 Publikation: Al-Ahd (Die Verpflichtung) 80 Ausländerextremismus Die libanesisch-schiitische Organisation Hizb Allah (Partei Gottes) bekämpft mit terroristischen Mitteln den Staat Israel, richtet ihre Propaganda aber auch gegen westliche Institutionen. Mit diesem Bestreben gefährdet die Hizb Allah auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland und wird daher nach SS 3 Abs. 1 Nr. 3 NVerfSchG beobachtet. Auf die in den letzten Jahren erfolgte Berichterstattung über den schiitisch geprägten Islamismus, der sich nicht auf die Hizb Allah ausrichtet, wird wegen nachlassender Relevanz für Niedersachsen nunmehr verzichtet. 2.12.1 Ursprung und Entwicklung Der iranische Die "Partei" Hizb Allah wurde 1982 unter maßgeblicher SteuEinfluss erung der Islamischen Republik Iran als Vertretung des radikalsten Teils der libanesischen Schiitengemeinde gegründet. Vorbild für die Hizb Allah ist der revolutionäre Iran; die Lehren des iranischen Revolutionsführers Khomeini gelten als richtungweisend. Nach dem Tode Khomeinis lockerten sich zunehmend die früher engen Beziehungen. Ihren politischen Einfluss stützt die schiitische Organisation wie andere islamistische Organisationen auch auf die soziale und karitative Betreuung ihrer Anhängerschaft. Dieses umfassende Betreuungssystem hatte die Hizb Allah mit finanzieller Unterstützung Irans aufbauen können. Im Emblem der Hizb Allah kommt die politische Ausrichtung zum Ausdruck. Es zeigt in arabischer Schrift den Namen der Organisation. Eine aus diesem Schriftzug erwachsende Faust hält eine Kalaschnikow, über der das Koranzitat "Die auf Gottes Seite stehen, werden Sieger sein" steht. Dies kann aber auch politisch als "Die Hizb Allah wird Sieger sein" gelesen werden. Die Unterzeile unter diesem Signet verweist auf die politische Zielrichtung: "Islamische Revolution im Libanon!". 2.12.2 Die Hizb Allah in Deutschland und in Niedersachsen Ungeachtet einer verbreiteten Sympathie unter den hier lebenden Libanesen für die politischen und ideologischen Ziele der Hizb Allah tritt diese Organisation in der deutschen Öffentlichkeit kaum mit Aktivitäten in Erscheinung. Veranstaltungen, für die bundesweit geworben wird, haben in der Regel nur geringen Zulauf. In Niedersachsen sind Anhänger und Sympathisanten der Hizb Allah in mehreren Vereinen organisiert, die die Pflege und Verbreitung der libanesischen Kultur und die Ausübung ihrer Religion als Zweck und Ziel in der Satzung angegeben Ausländerextremismus 81 haben. So unter anderem in Hannover, Osnabrück, Uelzen und in Südniedersachsen. Aktivitäten sind auch im niedersächsischen Umland Bremens zu beobachten. Die Vereine finanzieren sich hauptsächlich durch Mitgliedsbeiträge und Spendensammlungen. Die Anbindung an die Hizb Allah erfolgt über Funktionäre, die aus dem Libanon immer wieder zu herausragenden Anlässen anreisen, wie zum Beispiel dem Jahrestag des Abzugs der israelischen Armee aus dem Südlibanon oder zu hohen muslimischen Feiertagen. 2.13 Sonstige ausländerextremistische Organisationen In Niedersachsen sind neben islamistisch geprägten Organisationen weitere extremistische Organisationen mit Bezug zum Ausland aktiv. Die Aktivitäten dieser nichtislamistisch-extremistischen Ausländerorganisationen werden im Wesentlichen von den aktuellen Ereignissen und Entwicklungen in den jeweiligen Bezugsstaaten bestimmt. Diese Organisationen betrachten Deutschland als sicheren Rückzugsraum, von dem aus gewaltsame Aktionen im Heimatland vorbereitet werden können. Dies geschieht z. B. durch Aufrufe zu Gewalt oder durch die Beschaffung finanzieller und sonstiger Mittel. Im Folgenden werden die für Niedersachsen bedeutsamen Organisationen näher vorgestellt. 82 Ausländerextremismus 2.14 Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) / Freiheitsund Demokratiekogress Kurdistans (KADEK) / Volkskongress Kurdistans (KONGRA GEL) / Gemeinschaft der Kommunen in Kurdistan (KKK) / Vereinigte Gemeinschaften Kurdistans (KCK) Gegründet: 1978 in der Türkei Leitung: Abdullah ÖCALAN Sitz: Nord-Irak Mitglieder/Anhänger 2010 2011 Bund: 11.500 13.000 Niedersachsen: 1.550 1.600 Publikationen: Yeni Özgür Politika (Neue Freie Politik), werktäglich Serxwebun (Unabhängigkeit), monatlich Sterka Ciwan (Stern der Ju gend) vormals Ciwanen Azad (Freie Jugend),monatlich Medien: u. a. ROJ TV34 Betätigungsverbot: seit dem 26.11.1993 für die PKK35 Die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) wurde 1978 von Abdullah ÖCALAN in der Türkei gegründet. Sie benannte sich 2002 in Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistans (KADEK) und 2003 in Volkskongress Kurdistans (KONGRA GEL) um. Ab 2005 trat die PKK unter der Bezeichnung Gemeinschaften der Kommunen in Kurdistan (KKK) und seit 2007 unter Vereinigte Gemeinschaften Kurdistans (KCK) auf. Trotz zahlreicher Umbenennungen der PKK ist allen vorgenannten Organisationen gemein, dass der inhaftierte ÖCALAN als ihr Führer gilt. Ursprünglich durch marxistisch-leninistische Programmatik geprägt, änderte sich die Ideologie der Partei im Laufe der Jahre in eine kurdisch-nationale Richtung. Sie verfolgte das Ziel, einen politisch autonomen Kurdenstaat 34 Siehe Kapitel 2.14.4. 35 Gleiches gilt für die Organisationen Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistans (KADEK), Volkskongress Kurdistans (KONGRA GEL), Gemeinschaft der Kommunen in Kurdistan (KKK) und Vereinigte Gemeinschaften Kurdistans (KCK), bei denen es sich nach der Auffassung des Bundesministeriums des Innern um reine Umbenennungen handelt, für die das Verbot fortbesteht. Ausländerextremismus 83 auf türkischem, teilweise auch auf iranischem, irakischem, syrischem und armenischem Gebiet zu gründen. ÖCALAN erkämpfte sich in den Folgejahren gewaltsam den Aufstieg zur maßgeblichen Führungsfigur der Organisation. Nach seiner Verhaftung am 15.02.1999 in Nairobi wurde ÖCALAN in der Türkei wegen Hochverrats zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt, die er in einem Hochsicherheitsgefängnis auf der Insel Imrali im Marmarameer verbüßt. Von hier aus beeinflusst er über seine Anwälte die PKK immer noch maßgeblich. Die PKK kämpft in der Türkei seit 1984 mit einem militäAlleinvertretungsrischen Arm, den "Volksverteidigungseinheiten" (HPG), für anspruch der PKK einen unabhängigen Kurdenstaat. Der bewaffnete Kampf der PKK-Guerilla richtete sich zunächst gegen türkische Gendarmerieund Militäreinheiten. In den Folgejahren kam es zudem zu gewaltsamen Übergriffen der PKK gegen Teile der kurdischen Bevölkerung in der Türkei, aber auch in Deutschland, wenn diese sich der Programmatik der PKK und ihrem Alleinvertretungsanspruch widersetzten. In der Türkei verfolgt die PKK ihre Ziele bis heute mit Waffengewalt. Dies zeigen die bis in das Jahr 2011 andauernden Auseinandersetzungen zwischen türkischen Sicherheitskräften und der PKK-Guerilla sowie terroristische Anschläge in der Türkei (siehe auch Kapitel 2.14.5). Damit gefährdet die Organisation die auswärtigen Belange der Bundesrepublik Deutschland, so dass eine Beobachtung nach SS 3 Absatz 1 Nr. 3 NVerfSchG erforderlich ist. In Europa begann die Führung der PKK, die Situation in der Türkei durch politische Veranstaltungen und Kundgebungen in das Bewusstsein der Öffentlichkeit zu bringen und ihren bewaffneten Kampf als Freiheitskampf darzustellen. Auch in Deutschland versuchte die PKK, mit gewalttätigen Aktionen den Kampf in der Türkei zu unterstützen und ist nach wie vor bereit, militante Aktionen ihrer Anhänger wie z. B. Brandanschläge auf türkische Einrichtungen zumindest zu billigen. Damit ist die Organisation eine Bedrohung für die innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland (SS 3 Absatz 1 Nr. 1 NVerfSchG). Aus diesen Gründen untersagte das BunBetätigungsverbot desministerium des Innern der PKK, sich im Bundesgebiet zu in Deutschland betätigen. Das Betätigungsverbot umfasst auch den KADEK, den KONGRA GEL, die KKK und die KCK. Nach einem Beschluss des Rates der Europäischen Union vom 02.05.2002 wurde die PKK in die Liste terroristischer Organisationen ("EU-Terrorliste") aufgenommen. 84 Ausländerextremismus 2.14.1 Organisatorische Strukturen Civata Demokratik Kurdistan Der politische Arm der PKK in Europa, die "Civata Demokratik Kurdistan"(CDK)36, unterliegt auch dem für die PKK geltenden vereinsrechtlichen Betätigungsverbot. Trotzdem unterhält sie ein verzweigtes Netz verdeckt handelnder Funktionäre, die Anordnungen und Vorgaben der Organisationsspitze an die nachgeordneten Hierarchieebenen zur Umsetzung weitergeben. An der Spitze dieser hierarchischen Strukturen stehen Funktionäre, die in der Regel von der Europaleitung der Organisation für einen begrenzten Zeitraum eingesetzt werden. Föderation kurdischer Vereine in Deutschland e. V. Deutschlandweit gehören ca. 45 kurdische Ortsvereine der der PKK nahe stehenden "Föderation kurdischer Vereine in Deutschland e. V." (YEK-KOM) an. Die YEK-KOM ist eingebettet in die europäische Dachorganisation "Konföderation der kurdischen Vereine in Europa" (KON-KURD). Die YEK-KOM initiiert regelmäßig über ihre Ortsvereine öffentlichkeitswirksame Aktionen, die sich jeweils auf aktuelle 36 Deutschsprachige Übersetzung: "Koordination der kurdisch-demokratischen Gesellschaft in Europa". Ausländerextremismus 85 Geschehnisse (z. B. Exekutivmaßnahmen gegen PKK-nahe EinYEK-KOM-Vereine in richtungen, angebliche Leichenschändungen des türkischen Hannover, Militärs an getöteten PKK-Guerillakämpfern) oder bestimmte Hildesheim, Lohne, Jahrestage (etwa den Gründungstag der PKK) beziehen. Peine und Salzgitter Die YEK-KOM ist nicht vom PKK-Betätigungsverbot betroffen. Ihre Ortsvereine agieren aber häufig als Anmelder von Veranstaltungen mit Bezug zur politisch-ideologischen Zielsetzung der PKK. In Niedersachsen existieren YEK-KOM-Vereine in Hannover, Hildesheim, Lohne, Peine und Salzgitter. Die YEK-KOM organisierte mit Hilfe der Ortsvereine auch 2011 zahlreiche Veranstaltungen. Hier ist besonders das unter dem Motto "Freiheit für Abdullah ÖCALAN - Frieden in Kurdistan - Demokratisches, freies autonomes Kurdistan" im Kölner RheinEnergieStadion durchgeführte Kurdistan-Festival am 3. September anzuführen. Unter den ca. 38.000 Besuchern befanden sich auch zahlreiche Personen aus Niedersachsen. Im Verlauf der Veranstaltung wurden verbotene Fahnen geschwenkt und verbotene Parolen skandiert. Videobotschaften von ÖCALAN und Murat KARAYILAN, Vorsitzender des Exekutivrates der Vereinigten Gemeinschaften Kurdistans (KCK) und hochrangiger PKK-Funktionär, wurden eingespielt. KARAYILAN, bekleidet mit einem Kampfanzug, sprach von einem mit PKK-Fahne verhängten Rednerpult vor Personen in Kampfmontur oder mit Maskierung. In seiner Rede erklärte er, dass er kein Terrorist, sondern Freiheitskämpfer sei. Er machte die türkische Regierung für die Eskalation in der Türkei verantwortlich und erklärte, die PKK werde niemals weichen. Statt einer Lösung der kurdischen Frage strebe die türkische Regierung eine "Endlösung" an: "Wir als Guerilla und Freiheitskämpfer werden weiterhin kämpfen. Wir sind überall in den kurdischen Bergen präsent." Auf den Sitzplätzen des RheinEnergieStadions waren be"Kulturfest" war reits im Vorfeld Plakate mit PKKund KCK-Symbolen verteilt Propagandaveranworden; nach Bewertung durch die Staatsanwaltschaft Köln staltung ein Verstoß gegen das Vereinsgesetz. Mit dem im Bühnenbereich angebrachten Schriftzug: "Ciwan bicin Ciyan" ("Jugend in die Berge") wurde die kurdische Jugend aufgefordert, in die Guerilla einzutreten. Der PKK-nahe Fernsehsender ROJ TV berichtete direkt vom Kulturfestival. Bei dieser als "Kulturfest" deklarierten Veranstaltung handelte es sich vielmehr um eine PKK-Propagandaveranstaltung, für die eigens ca. 30.000 Plakate mit verbotener Symbolik an die Teilnehmer verteilt worden waren. 86 Ausländerextremismus Massenorganisationen Des Weiteren organisieren sich die Anhänger der PKK in so genannten Massenorganisationen, die bestimmte Bevölkerungsund Interessengruppen repräsentieren. - Jugendorganisation Der PKK-Jugendorganisation KOMALEN CIWAN ist das "14. Mazlum-Dogan Jugend-, Kulturund Sportfestival" unter dem Motto "Der Schutz unserer Kultur ist der Schutz unserer Existenz" zuzurechnen, das am 9. Juli - wie in den Vorjahren - im Südstadion in Köln mit etwa 5.500 (2010: 5.000) Teilnehmern stattfand. Die Propagandaveranstaltung sollte an den gleichnamigen Funktionär der PKK erinnern, der sich 1982 in türkischer Haft das Leben nahm und seitdem als Märtyrer verehrt wird. Die Veranstaltung bestand aus sportlichen Wettkämpfen und einem kulturellen Rahmenprogramm; Redebeiträge thematisierten jedoch auch politische Inhalte. Eine Grußbotschaft des Verbands der Studierenden aus Kurdistan (YXK, Studentenverband der PKK) bezeichnete die "kurdische und internationalistische Jugend" in Europa als Teil des "kurdischen Befreiungskampfes". Der einzige Weg, "die schmutzigen Spielchen gegen Jugendliche zu vereiteln", bestehe darin, sich für "unseren Wert und unseren Kampf" einzusetzen. - Sonstige Massenorganisationen Weitere PKK-nahe Massenorganisationen geben vor, die Interessen etlicher gesellschaftlicher Gruppen zu vertreten, so beispielsweise die der kurdischen Lehrer (Union der kurdischen Lehrer/YMK), der Studenten, der Journalisten (Union der Journalisten Kurdistans/YRK), der Juristen (Union der Juristen Kurdistans/YHK) sowie der Muslime (Islamische Gemeinde Kurdistans/CIK). Diese Organisationen sind auch in Niedersachsen aktiv. 2.14.2 Finanzierung "Spenden" bilden Die Beschaffung von Geld stellt nach wie vor eine der größBasis der ten Herausforderungen der PKK dar. Der Propagandaapparat, Finanzierung wie der Fernsehsender ROJ TV oder die Publikationen müssen ebenso finanziert werden wie die politischen Kampagnen, die Unterorganisationen und die Guerilla-Armee. Hierzu dient vor allem die jährlich stattfindende Spendenkampagne. Überdies werden Einkünfte auch durch Mitgliedsbeiträge, den Verkauf von Zeitschriften und den Erlös aus dem Verkauf von Eintrittskarten zu Großveranstaltungen erzielt. Auch in die- Ausländerextremismus 87 sem Jahr lag der Ertrag allein in Deutschland bei mehreren Millionen Euro. 2.14.3 BGH ändert seine Rechtsprechung zur PKK In einem Strafverfahren gegen einen Gebietsleiter der PKK hat der Bundesgerichtshof (BGH) in seinem Urteil vom 28.10.2010 (Az. 3 StR 179/10) seine bisherige Rechtssprechung geändert und das Ausgangsverfahren an das Oberlandesgericht Frankfurt am Main zurückgewiesen. Noch in den 1990er Jahren, als PKK-Anhänger in Deutschland Brandanschläge verübten, wurden Funktionäre der PKK als Mitglieder einer terroristischen Vereinigung gem. SS 129a Strafgesetzbuch (StGB) verfolgt. Nachdem die Funktionäre sich auf das Einsammeln von Spenden für die PKK konzentrierten, galten sie als Mitglieder einer kriminellen Vereinigung (SS 129 StGB). An dieser Auslegung hält der BGH ausdrücklich nicht mehr fest. Das Gericht sah sich insbesondere durch die Einfügung des SS 129b StGB37 in das Strafgesetzbuch zu einer neuen rechtlichen Bewertung veranlasst. Laut BGH sei es naheliegend, "... dass die PKK insgesamt die Voraussetzungen einer kriminellen und terroristischen Vereinigung im Ausland erfüllt, bei welcher der maßgebliche Vereinigungswille außerhalb der Bundesrepublik Deutschland gebildet wird und der Schwerpunkt der Strukturen in der Türkei, in Syrien, im Irak und im Iran liegt." Außerdem sieht der BGH aufgrund der Struktur der PKK keinen Anlass, in der strafrechtlichen Behandlung zwischen herausgehobenen Funktionären und sonstigen Mitgliedern zu differenzieren. Vielmehr könnten auch außenstehende Mitglieder Unterstützer der terroristischen Vereinigung sein. Es sei kein ausreichender sachlicher Grund dafür erkennbar, "... denjenigen, der sich in Kenntnis von Zielen, Programmatik und Methoden der Organisation dieser anschließt und in ihr betätigt, allein deshalb nicht als Mitglied ... einzustufen, weil er nicht dem Kreis der führenden Funktionäre angehört." 37 SS 129b StGB ist als Erweiterung der SSSS129 und 129a zu sehen und regelt nunmehr auch den Straftatbestand "Bildung einer kriminellen und terroristischen Vereinigung im Ausland". 88 Ausländerextremismus 2.14.4 Europäischer Gerichtshof verkündet Entscheidung im ROJ TV-Prozess Am 22. September entschied der Europäische Gerichtshof (EuGH) die vom Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) vorgelegte Rechtsfrage, ob das in Deutschland gegen ROJ TV ergangene Betätigungsverbot mit europäischem Recht vereinbar ist. Am 19.06.2008 verhängte das Bundesministerium des Inneren (BMI) ein Organisationsverbot gegen den Sender ROJ TV. Die Verbotsverfügung beschränkt sich auf den Geltungsbereich des deutschen Vereinsgesetzes. Das BVerwG stellte nach Rechtsmitteln der Betreibergesellschaft am 18.05.2009 in einem Eilverfahren die aufschiebende Wirkung gegen die Verbotsverfügung bezüglich ROJ TV wieder her. Somit durfte ROJ TV bis zu einer Entscheidung im Hauptsacheverfahren sein Programm auch in Deutschland wieder ausstrahlen. Der sich aus der Verbotsverfügung des BMI ergebende Rechtsstreit wurde an den EuGH zur Klärung weitergeleitet. Nach der Entscheidung des EuGH kann Deutschland die Ausstrahlung von ROJ TV nicht verhindern, so dass der aus Dänemark über Satellit verbreitete kurdische Fernsehsender weiterhin hier empfangen werden kann. Der EuGH stellte fest, dass lediglich der die Sendelizenz ausstellende Staat, also Dänemark, die rechtliche Möglichkeit hat, die Ausstrahlung von Sendungen durch ROJ TV zu verhindern.38 Allerdings stellte der EuGH darüber hinaus fest, dass ein Betätigungsverbot in Deutschland und damit auch das Verbot, hier Beiträge für ROJ TV zu produzieren, weiterhin grundsätzlich zulässig sei. Nach Maßgabe des EuGH muss nun das BVerwG abschließend über ein Betätigungsverbot in Deutschland entscheiden. 2.14.5 Lage in der Türkei und Reaktionen in Deutschland Die Entwicklung der Spannungen zwischen PKK-nahen Kurden und national gesinnten Türken in Deutschland wird maßgeblich von der Intensität der Kampfhandlungen in der türkisch-irakischen Grenzregion und den Haftbedingungen des PKK-Führers ÖCALAN bestimmt. 38 Am 10.01.2012 verurteilte das Amtsgericht Kopenhagen u. a. ROJ TV zu einer Geldbuße von umgerechnet ca. 350.000. Nach Überzeugung des Gerichts fördere der Sender mit der Auswahl der Themen und Meinungen, die man zu Wort kommen lasse, die terroristischen Aktivitäten der PKK. Außerdem werde der Sender von der PKK kontrolliert und teilweise finanziert. Unberührt von dem Urteil ist die Sendelizenz; ROJ TV darf weiter senden. Ausländerextremismus 89 Offensive im Iran Ab April 2011 kam es zwischen der iranischen Armee und den "Ostkurdistan-Kräften" (HRK), dem militärischen Arm der "Partei für ein freies Leben in Kurdistan" (PJAK - iranischer Ableger der PKK), immer wieder zu militärischen Auseinandersetzungen. Am 16. Juli überschritt das iranische Militär die Grenze zum Nordirak und ging in der Autonomen Region Kurdistans im Irak gegen Lager der PJAK vor. KARAYILAN wertete die Angriffe des iranischen Militärs als Versuch der Besetzung des Kandil-Gebirges und rief alle Kräfte der HPG dazu auf, zum Schutz Kurdistans Widerstand zu leisten. Die CDK und die YEK-KOM riefen anlässlich des Vorgehens des iranischen Militärs in Deutschland zu Protestaktionen auf. Isolationshaft ÖCALANs Seit Mitte August eskalierte nach einer Serie von Anschlägen der PKK und den Vergeltungsschlägen der türkischen Armee mit einer Vielzahl von Toten und Verletzten die Gewalt in den kurdischen Gebieten. Die Eskalation wurde zusätzlich durch die Haftsituation ÖCALANs verschärft. Seit dem 27. Juli wird seitens der Regierung ein Kontaktverbot ÖCALANs mit seinen Rechtsanwälten durchgesetzt. Die Staatsanwaltschaft und die Gefängnisdirektion begründeten ihre Ablehnungen u. a. mit dem Hinweis auf die "schlechte Wetterlage" bzw. "technische Probleme" bei der Inselfähre. Die Angehörigen von ÖCALAN durften am 12. Oktober nach 76 Tagen diesen erstmals wieder auf der Gefängnisinsel Imrali besuchen. Am 11. August gab der KCK-Exekutivrat eine Erklärung ab, in der er die völlige Isolierung seines Vorsitzenden als eine Politik der Gewalt und Unterdrückung scharf verurteilte. KARAYILAN bezeichnete die Fortsetzung der Isolierung ÖCALANs als eine Kriegserklärung der türkischen Regierung und drohte mit dem Einsatz von Selbstmordkommandos. In einer weiteren Erklärung erinnerte die PKK daran, dass es von dem Befinden ihres Führers ÖCALAN abhänge, wie sie sich mit ihren Kadern und militanten Einheiten verhalte. Man sei mehr denn je bereit, den Kampf auf allen Ebenen zu verstärken. Die Regierung wurde gewarnt, dass sie mit ihrer derzeitigen politischen Haltung zum Kurden-Konflikt das Land in einen Krieg stürze. 90 Ausländerextremismus Anschläge der Freiheitsfalken Kurdistans (TAK) In den Konflikt schalteten sich ebenfalls die Freiheitsfalken Kurdistans (TAK)39 ein, die ihrer Drohung eines "totalen Angriffs" vom 22. August terroristische Anschläge in Urlaubsgebieten und in der Hauptstadt Ankara mit Toten und Verletzten folgen ließen. Als Reaktion auf die bewaffneten Auseinandersetzungen des türkischen Militärs mit Kämpfern der PKK im türkisch-irakischen Grenzgebiet fanden ab dem 22. Oktober bundesweit voneinander unabhängige protürkische und prokurdische Kundgebungen statt. In einigen Fällen waren diese begleitet von gewalttätigen Auseinandersetzungen. Gewalttätige So wurde am 22. Oktober in Dortmund eine nicht angemelAuseinandersetdete, über das Soziale Netzwerk Facebook kurzfristig organizungen zwischen sierte, protürkische Demonstration als Gegenveranstaltung zu Kurden und Türken einer Protestkundgebung von PKK-Anhängern durchgeführt. in Deutschland Es trafen ca. 350 kurdische Demonstranten auf etwa 800 Personen des protürkischen Spektrums. Nur ein massiver Polizeieinsatz konnte eine weitere Eskalation verhindern. Protürkische Kundgebungen in Berlin, Duisburg, Hagen und Köln am 23. Oktober waren ebenfalls von gewalttätigen Auseinandersetzungen begleitet. Besetzungsaktionen kurdischer Jugendlicher in Deutschland und anderen Ländern Am 28. September drangen 34 jugendliche Anhänger der PKK in die Sendezentrale des Fernsehsenders RTL in Köln ein. Sie besetzten Räumlichkeiten der "Explosiv"-Redaktion und drohten, das Gebäude erst nach der Ausstrahlung einer vorbereiteten mehrseitigen Erklärung mit dem Thema "Freiheit für ÖCALAN!" im laufenden Fernsehprogramm zu verlassen. Gegen die Besetzer wurden Strafanträge wegen Hausfriedensbruch gestellt. Laut Meldungen der prokurdischen Nachrichtenagentur Firat News Agency (ANF) fanden am 28. September auch in anderen europäischen Ländern ähnliche Aktionen statt. Anlässlich des 13. Jahrestages der Ausweisung ÖCALANs aus Syrien (09.10.1998) versuchten am 6. Oktober jugendliche PKK-Angehörige die Büroräume der Nachrichtenagentur Reu39 Die nach eigenen Angaben aus den HPG der PKK hervorgegangenen TAK traten erstmals 2004 in Erscheinung. Bis 2010 verübten sie über 50 Anschläge, insbesondere auf zivile Ziele in der Westtürkei, vor allem in den Metropolen und den Touristenzentren. 2010 wurden auch Anschläge auf türkische Sicherheitskräfte mit Toten und Verletzten ausgeführt. Ob eine organisatorische und personelle Verbindung zwischen der PKK und den TAK besteht, ist unklar. Offiziell haben beide Gruppierungen sich stets voneinander distanziert. Signifikant ist jedoch, dass die TAK den PKK-Gründer ÖCALAN als ihren "Führer" bezeichnen und Terrorakte immer dann verüben, wenn der Konflikt zwischen PKK und türkischem Militär eskaliert. Die TAK sind seit 2006 auf der EU-Terrorliste. Ausländerextremismus 91 ters im Messeturm in Frankfurt am Main zu besetzen. Laut ROJ TV wurden in London das Gebäude des Fernsehsenders ITV und in Paris das Büro der Zeitung Zaman besetzt. Bereits am 1. Oktober hatte ROJ TV berichtet, dass 15 kurdische Jugendliche in London die Räumlichkeiten der Zeitung The Guardian besetzt hatten. Am 8. Oktober nahmen in Hannover 400 Kurden an einer Protestaktionen Protestaktion "Schluss mit der Verweigerung des Besuchsauch in empfangs für Öcalan" auf dem Opernplatz teil. Ein VerantNiedersachsen wortlicher der YEK-KOM aus Hannover verurteilte in seiner Rede die Isolationshaft ÖCALANs. Am 29. Oktober fanden friedliche Demonstrationen von PKK-Anhängern u. a. in Göttingen (300 Teilnehmer) und Kiel (1.000 Teilnehmer) statt, die sich gegen die Militäroperationen der türkischen Armee sowie die Isolationshaft ÖCALANs richteten. Am selben Tag kam es im Verlauf einer Veranstaltung in Bremen zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen etwa 70 PKK-Anhängern und etwa 1.000 Teilnehmern einer protürkischen Demonstration. Am 8. November übergab eine Gruppe kurdischer Jugendlicher und Frauen im Gebäude des Niedersächsischen Landtages ein Dossier u. a. zur Isolationshaft ÖCALANs. ROJ TV (Nachrichtensendung vom 8. November) und YÖP (Ausgabe vom 9. November, Seite 11) berichteten von einer "Besetzungsaktion". Ein Foto von der Aktion war ab 14. November auf dem Facebook-Profil der "Kurdischen Jugend Niedersachsen (Hannover)" eingestellt. Eine ähnliche "Besetzungsaktion" führte eine Gruppe kurdischer Personen am 14. Dezember durch, als sie im Gebäude des Niedersächsischen Landtages ein Dossier an eine Abgeordnete der Partei Die LINKE. übergab. Auch in diesem Fall wurde ein Foto auf dem genannten Facebook-Profil eingestellt. Europaweit fanden an diesem Tag weitere Aktionen statt, u. a. wurde in Köln das Gebäude des Fernsehsenders WDR und in Hamburg das Gebäude der Zeitschrift Der Spiegel von Kurden zur Übergabe eines Dossiers über die Isolationshaft ÖCALANs aufgesucht. 2.14.6 Demonstrationen in Berlin anlässlich des 18. Jahrestages des bestehenden PKK-Verbots Anlässlich des 18. Jahrestages des bestehenden Betätigungsverbots meldete der 1. Vorsitzende der YEK-KOM eine Großdemonstration für den 26. November in Berlin an. Die Kundgebung wurde unter Bezugnahme auf vergangene Veranstaltungsverläufe verboten.40 40 Beschlüsse des VG Berlin vom 22.11.2011, Az.: 1 L 369.11 und OVG Berlin-Brandenburg vom 25.11.2011, Az.: 1 S 187.11. 92 Ausländerextremismus An einer von der Antifaschistischen Revolutionären Aktion Berlin (ARAB) angemeldeten Ersatzveranstaltung nahmen ca. 2.000 überwiegend kurdischstämmige Personen, darunter auch Personen aus Niedersachsen, teil. Neben Anhängern der PKK beteiligten sich auch gewaltorientierte Linksextremisten an der Veranstaltung, die von massiven gewalttätigen Auseinandersetzungen begleitet war und in deren Verlauf 87 Polizeibeamte verletzt wurden. 2.14.7 Demonstrationen in Hannover und Salzgitter anlässlich eines Luftangriffs des türkischen Militärs mit 35 getöteten Zivilisten Bei einem türkischen Luftangriff im Grenzgebiet der Türkei zum Irak sind in der Nacht zum 29. Dezember mindestens 35 Menschen getötet worden, laut türkischem Militär mutmaßlich PKK-Rebellen. Nachdem sich herausstellte, dass die Opfer keine PKK-Kämpfer, sondern Schmuggler waren, verurteilte die CDK den Luftangriff als organisiertes und geplantes Massaker und rief die Kurden in Europa zu Protesten auf. Bundesweit führte die YEK-KOM ab dem 29. Dezember Demonstrationen durch. Das Kurdistan Volkshaus e. V. Hannover veranstaltete am 30. Dezember eine Demonstration zum Thema "Die 40 Toten von Sirnak". An dem Aufzug durch die Innenstadt Hannovers nahmen nach Polizeiangaben etwa 520 Personen teil. Am 31. Dezember führte das Kurdische Kulturzentrum e. V. Salzgitter eine Versammlung zum Thema: "Bombardierung eines kurdischen Dorfes im Auftrag der türkischen Regierung" durch, an der sich nach Polizeiangaben ca. 150 Personen beteiligten. 2.14.8 Ausblick Die PKK verfolgt weiterhin eine Doppelstrategie. Außerhalb der Türkei versucht sie mit weitgehend gewaltfreien Protestaktionen auf die Lage der Kurden in der Türkei aufmerksam zu machen. In der Türkei hingegen soll mit der Fortsetzung des bewaffneten Kampfes in den Grenzgebieten zum Irak und Iran sowie durch terroristische Anschläge in türkischen Großstädten Druck auf den Staatsapparat ausgeübt werden. Die PKK konnte sich auch im Jahr 2011 weder in der Türkei, noch in Deutschland als politischer Ansprechpartner für die Belange der Kurden durchsetzen. Die Sicherheitslage in Deutschland hängt von der Entwicklung in der Türkei und dem Nordirak ab. Gewalttätige Ausei- Ausländerextremismus 93 nandersetzungen zwischen Türken und Kurden sowie Brandanschläge jugendlicher PKK-Anhänger sind auch in Zukunft in Deutschland nicht auszuschließen. 2.15 Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE) Gegründet: 1972 in Sri Lanka Leitung: zurzeit vakant (bis Mai 2009 Velupillai PRABHAKARAN) Deutschlandleiter: John Pillai SRIRAVINDRANATHAN Mitglieder/Anhänger: 2010 2011 Bund: 1.000 1.000 Niedersachsen: 150 150 Publikationen: Tamil - Land An der Front Das Land ist der Nabel Vulkan Die Befreiungstiger von Tamil Eelam verfolgen das Ziel, ein von ihnen kontrolliertes Staatsgebilde ("Tamil Eelam") im Nordosten Sri Lankas zu errichten. Dabei gehen sie auf gewaltsame Weise gegen srilankische und indische Ziele vor. Sie gehören zu den extremistischen Gruppen, die besonders häufig von Selbstmordattentaten Gebrauch machen. Die LTTE ist seit Mai 2006 auf der EU-Liste terroristischer Organisationen ("EU-Terrorliste") verzeichnet. Durch ihre terroristischen Aktivitäten im Ausland gefährdet die LTTE die auswärtigen Belange der Bundesrepublik Deutschland und wird daher nach SS 3 Abs. 1 Nr. 3 NVerfSchG beobachtet. 2.15.1 Ursprung und Entwicklung Der 1983 begonnene militärische Konflikt geht auf die britische Kolonialzeit zurück, in der sich die in Sri Lanka, dem früheren Ceylon, dominierende singhalesisch-buddhistische Mehrheitsbevölkerung (72 Prozent) und die Minderheit der überwiegend hinduistischen Tamilen (18 Prozent) feindlich gegenüberstanden. Der 1976 aus einer revolutionär-marxistischen Organisation hervorgegangenen LTTE gelang es, tamilische Konkurrenzorganisationen in blutigen Auseinander- 94 Ausländerextremismus setzungen auszuschalten und sich gleichzeitig als Verteidiger der Tamilen gegen Übergriffe der singhalesischen Mehrheit zu profilieren. Diese ursprüngliche Zielsetzung wurde allmählich von einer tamilisch-nationalistischen Ausrichtung überlagert. In dem anschließenden, sich bis Mai 2009 hinziehenden Bürgerkrieg zwischen Zentralregierung und LTTE kamen über 80.000 Menschen ums Leben. Nach der Ausschaltung der gesamten LTTE-Führungsebene auf Sri Lanka kann eine Restrukturierung nur über die weltweit verbreitete tamilische Diaspora erfolgen, in der sich mittlerweile zwei Flügel herausgebildet haben. Die so genannten "Hardliner" halten das Erreichen ihres Zieles - ein unabhängiges "Tamil Eelam" - nur durch die Wiederaufnahme des bewaffneten Kampfes für möglich. Der moderate Flügel möchte einen selbstständigen Staat auf politischem und gewaltfreiem Wege erreichen. Hierzu wurde bereits 2010 eine "Transnationale Regierung" (Transnational Government of Tamil EelamTGTE) gegründet. Eine weitere Abspaltung davon, das "Transnational Government of Tamil Eelam-Democrats" (TGTE-Democrats) wurde wiederum aus Abweichlern der TGTE im März gegründet. Die TGTE-Democrats berufen sich auf die Vaddukoddai Resolution vom 14.05.1976, die als zentrale Forderung die Gründung eines souveränen marxistisch-leninistischen Tamilenstaates auf Sri Lanka enthält und somit dem ehemaligen Kriegsziel der LTTE entspricht. 2.15.2 Aktivitäten in Deutschland Finanzierung Veranstaltungen der LTTE, die im Bundesgebiet durch das durch Spenden Tamil Coordination Committee (TCC) mit Sitz in Oberhausen vertreten wird, orientieren sich häufig an der Zielsetzung, finanzielle Unterstützung für den politischen und militärischen Kampf, aber auch für humanitäre Zwecke in Sri Lanka zu erhalten. So fordert die LTTE die in Deutschland lebenden ca. 61.000 Tamilen, davon 5.000 in Niedersachsen, immer wieder zu Spenden auf. Bei ihren Spendensammlungen, die von den örtlichen Repräsentanten geleitet werden, bedient sich die Organisation der folgenden, ihr nahe stehenden Organisationen: - Tamil Youth Organization (TYO), Sitz in Hamm, - Tamil Rehabilitation Organization (TRO), Sitz in Wuppertal, - Tamil Student Organization (TSO), Sitz in Neuss, - Tamilische Bildungsvereinigung (TBV), Sitz in Stuttgart. Ausländerextremismus 95 2011 kam es bundesweit zu zahlreichen Demonstrationen von Tamilen. Am 21. Mai beteiligten sich ca. 2.000 Tamilen in Düsseldorf an einer friedlich verlaufenden Demonstration unter dem Motto "Gedenktag für die Opfer in Sri Lanka in den letzten Jahren". Auf der sich anschließenden Kundgebung wurde u. a. der am 31. März erschienene UN-Bericht über die Endphase des Bürgerkrieges auf Sri Lanka thematisiert, in dem auch der sri-lankischen Armee Kriegsverbrechen vorgeworfen werden. Wie auch in den Vorjahren fanden am 23. Juli in mehreren deutschen Städten Kundgebungen zum Gedenken an den 23.07.198341 statt. In Niedersachsen wurden dazu Veranstaltungen in Osnabrück und Hannover durchgeführt. Anlässlich der 18. Sitzung des UN-Menschenrechtsrats, an der einige tamilische Repräsentanten teilnehmen durften, fand am 19. September eine Großkundgebung der LTTE in Genf statt, an der mehr als 5.000 Personen teilnahmen. In Göttingen fand am 29. Oktober eine Märtyrer-Gedenkveranstaltung der LTTE mit 70 Teilnehmern statt. Traditionell feiern die Anhänger der LTTE am 27. November eines jeden Jahres den "Heldengedenktag", um ihrer im Kampf für einen unabhängigen Tamilenstaat getöteten Kämpfer zu gedenken. Der 27. November war der Geburtstag des 2009 durch die sri-lankische Armee getöteten LTTE-Führers PRABAKHARAN. Erstmalig wurden 2011 in Deutschland zwei Veranstaltungen von konkurrierenden Flügeln der LTTE durchgeführt. Der vom TCC in Dortmund veranstaltete "Heldengedenktag" wurde von ca. 3.500 Personen besucht, darunter auch Teilnehmer aus Niedersachsen. Die vom Verein für Souveränität der Tamilen in Mönchengladbach durchgeführte Konkurrenzveranstaltung hatte ca. 500 Teilnehmer. Das Oberlandesgericht Düsseldorf verurteilte am 12. OktoVerurteilung von ber vier Führungsfunktionäre der LTTE zu mehrjährigen HaftTCC-Funktionären strafen. Die vier Verurteilten hatten bis zu ihrer Festnahme im März 2010 das "Tamil Coordination Committee" (TCC) in Oberhausen geleitet und von dort aus Verstöße gegen das Außenwirtschaftsgesetz (AWG) begangen. Sie hatten Spenden unter der tamilischstämmigen Bevölkerung in Deutschland für den bewaffneten Kampf auf Sri Lanka gesammelt. 41 Am 23.07.1983 (später als "Black July" benannt) begann das von der singhalesischen Mehrheitsbevölkerung auf Sri Lanka verübte antitamilische Pogrom, in dessen Verlauf tausende Tamilen getötet wurden. 96 Rechtsextremismus 3. RECHTSEXTREMISMUS 3.1 Mitglieder-Potenzial42 Rechtsextremismus-Potenzial Bundesrepublik 2010 2011 Deutschland Subkulturell geprägte Rechtsextremisten43 8.300 7.600 Neonazis 44 5.600 6.000 Parteien: 9.600 7.300 NPD 6.600 6.300 DVU 3.000 1.000 Sonstige Organisationen 2.500 2.500 Summe 26.000 23.400 Nach Abzug von Mehrfachmitgliedschaften45 25.000 22.400 davon gewaltbereite Rechtsextremisten46 9.500 9.800 Niedersachsen47 2010 2011 Subkulturell geprägte und sonstige gewaltbereite 750 685 Rechtsextremisten Neonazis48 400 420 Parteien: 860 550 NPD 500 500 DVU 360 50 Sonstige Organisationen 49 135 90 Summe 2.145 1.745 Nach Abzug von Mehrfachmitgliedschaften 2.045 1.625 davon gewaltbereite Rechtsextremisten50 920 920 42 Die Zahlenangaben sind zum Teil geschätzt und gerundet. 43 Berücksichtigt werden wie bisher rechtsextremistische Skinheads und Straftäter. Die meisten Szenezugehörigen sind nicht in Gruppen organisiert. In die Statistik sind nicht nur tatsächlich als Täter/Tatverdächtige festgestellte Personen einbezogen, sondern auch solche Rechtsextremisten, bei denen lediglich Anhaltspunkte für Gewaltbereitschaft gegeben sind. 44 Nach Abzug von Mehrfachmitgliedschaften innerhalb der Neonazi-Szene. Bei der Anzahl der Gruppen werden nur diejenigen neonazistischen Gruppierungen und diejenigen Kameradschaften erfasst, die ein gewisses Maß an Organisierung aufweisen. 45 Die Mehrfachmitgliedschaften im Bereich der Parteien und sonstigen rechtsextremistischen Organisationen wurden vom gesamten Personenpotenzial abgezogen. 46 Aufgrund des Wandels innerhalb der rechtsextremistischen Szene wird die Zahl der gewaltbereiten Rechtsextremisten seit 2010 gesondert ausgewiesen. 47 Die für den Bund eingefügten Fußnoten 43 bis 46 gelten entsprechend auch für Niedersachsen. 48 Seit 2010 wird der gewaltbereite Anteil der Neonazis komplett mitgezählt. 49 Seit dem Jahr 2009 werden die Mitglieder der REP generell nicht mehr erfasst. 50 In der Gesamtzahl sind auch gewaltbereite Neonazis und NPD-Mitglieder enthalten. Entwicklung des Rechtsextremismus-Potenzials im Bund 38.600 31.000 30.000 26.600 25.000 22.400 40.0001 35.00030.00025.00020.00015.00010.0005.0000- 20066 2007 2008 2009 2010 2011 Entwicklung des Rechtsextremismus-Potenzials in Niedersachsen 2.805 2.740 2.780 2.195 2.045 1.625 3.000- , 2.5002.0001.5001.000500+ 0 un P_ m) ' wa nn -- ---P_, 2006 2007 2008 2009 2010 2011 98 Rechtsextremismus 3.2 Politisch motivierte Kriminalität (PMK) mit extremistischem Hintergrund - rechts Seit dem Jahr 2001 wird die Politisch motivierte Kriminalität nach dem von der Innenministerkonferenz beschlossenen "Kriminalpolizeilichen Meldedienst in Fällen Politisch motivierter Kriminalität (KPMD-PMK)" bundeseinheitlich erfasst. Die Gesamtzahl der erfassten Straftaten mit einem rechtsextremistisch motivierten Hintergrund betrug im Jahre 2011 in Niedersachsen 1.492 Delikte. Gegenüber dem Vorjahr, in dem 1.405 Straftaten registriert wurden, ist ein Anstieg um 6,19 Prozent zu konstatieren. Die so genannten Propagandadelikte (hauptsächlich Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen) bilden dabei mit 977 Taten weiterhin den größten Anteil (ca. 65,5 Prozent) an den Gesamtstraftaten. Im Bereich der rechtsextremistischen Konfrontationsdelikte, die sich gegen Angehörige der linken Szene richteten, sind die Fallzahlen im Berichtsjahr mit 100 Fällen (2010: 74) um 35,1 Prozent gestiegen. Die Anzahl der rechtsextremistischen Gewaltdelikte liegt mit 84 Fällen etwa auf dem Niveau des Vorjahres, in dem 81 Straftaten registriert wurden. Dies ist ein Anstieg um drei Delikte (ca. 3,7 Prozent). Dabei ist die Anzahl der Körperverletzungsdelikte mit 71 Fällen konstant geblieben. Die Gewaltdelikte wurden vorwiegend mit einer fremdenfeindlichen Motivation oder im Rahmen von Auseinandersetzungen mit Angehörigen der linken Szene begangen. Am 30.08.2011 eskalierte in Westerstede eine Auseinandersetzung, in deren weiterem Verlauf der spätere Beschuldigte mehrfach versuchte, mit einer Bügelsäge nach dem Kopf des türkischen Opfers zu schlagen. Hierdurch erlitt das Opfer eine leichte Verletzung, er konnte die weiteren Schläge jedoch abwehren und den Beschuldigten überwältigen. Der Beschuldigte äußerte anschließend eine ausländerfeindliche Einstellung. Von der zuständigen Staatsanwaltschaft wurde Anklage wegen des Verdachts des versuchten Mordes erhoben. Der Anteil der Täter von rechtsextremistischen Gewaltdelikten, die bei Tatausführung unter dem Einfluss von Alkohol standen, fällt wie in den Vorjahren hoch aus. 62 (ca. 44 Prozent) der insgesamt 141 Täter begingen im Jahr 2011 ihre Tat unter Alkoholeinfluss. Im Jahr 2010 lag der Anteil der alkoholisierten Täter noch bei 26,6 Prozent. Im Bereich der sonstigen extremistischen Straftaten dieses Phänomenbereiches ist analog zur Entwicklung des Gesamtstraftatenaufkommens eine Zunahme von 1.324 Taten (2010) auf 1.408 Taten (2011) festzustellen. Signifikant ist dabei der überdurchschnittliche Anstieg der Sachbeschädigungen von 86 Delikten im Jahr 2010 auf 151 im Jahr 2011. Ursächlich dafür ist unter anderem eine aufgeklärte Serie von Sprühund Schmieraktionen mit NS-Symbolen und fremdenfeindlichen Parolen im November/Dezember 2011 in Göttingen. Aktionsschwerpunkte der rechten Szene lagen insbesondere im Raum Nienburg/Schaumburg und in den Bereichen Hannover und im Landkreis Harburg mit vermehrten wechselseitigen Konfrontationsdelikten der rechten und linken Szene sowie in den Bereichen Braunschweig/Peine und Bad Nenndorf mit jeweils durchgeführten Großdemonstrationen der rechten Szene. Zu dem Anstieg der Straftaten haben u. a. auch so genannte Resonanzstraftaten im Zusammenhang mit den Straftaten der terroristischen Gruppierung Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) beigetragen. Hierbei handelt es sich Rechtsextremismus 99 überwiegend um fremdenfeindlich motivierte Farbschmierereien und ausländerfeindliche Parolen. Insgesamt wurden im Jahr 2011 873 Täter51 (876 im Jahr 2010) festgestellt. In der Altersgruppe der 21bis 30-Jährigen wurden 284 Täter (2010: 316 Täter) und in der Gruppe der 31bis50-Jährigen 200 Täter (2010: 199 Täter) polizeilich bekannt. In der Gruppe der 18bis 20-Jährigen wurden 163 Täter (2010: 149 Täter) verzeichnet. Auffällig ist im Vergleich mit anderen Phänomenbereichen der Politisch motivierten Kriminalität der hohe Anteil an jungen Straftätern in der Altersgruppe der 14bis 17-Jährigen mit 142 (2010: 135 Täter). Übersicht der Gewalttaten und sonstigen Straftaten mit extremistischem Hintergrund aus dem Bereich "Politisch motivierte Kriminalität - rechts-" in Niedersachsen52 Gewalttaten: 2010 2011 Tötungsdelikte 0 0 Versuchte Tötungsdelikte 0 1 Körperverletzungen 71 71 Brandstiftungen 2 5 Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion 0 0 Landfriedensbrüche 1 3 Gefährl. Eingriffe in Bahn-, Luft-, Schiffsund 0 1 Straßenverkehr Freiheitsberaubung 0 0 Raub 1 2 Erpressung 0 0 Widerstandsdelikte 6 1 Insgesamt 81 84 Sonstige Straftaten: Sachbeschädigungen 86 151 Nötigungen/Bedrohungen 14 16 Propagandadelikte 964 977 Störung der Totenruhe 1 2 Andere Straftaten (davon Volksverhetzung) 259 (162) 262 (190) Insgesamt 1.324 1.408 Straftaten insgesamt 1.405 1.492 51 Die Angaben zu den Tatverdächtigen basieren auf der so genannten Tatverdächtigenechtzählung. Dabei werden Tatverdächtige, auch wenn sie mehrere Delikte begangen haben, in der Statistik nur einmal gezählt. 52 Die Zahlen basieren auf Angaben des Landeskriminalamtes Niedersachsen (LKA NI). Die Darstellung der niedersächsischen Fallzahlen in Übersichten des Bundes kann davon abweichen, da das LKA NI eine so genannte "lebende Statistik" führt. Um die ständige Aktualität der Statistik sicherzustellen, werden dabei ggf. Nacherfassungen/Aktualisierungen auch für Vorjahre vorgenommen, so dass der Zahlenbestand Veränderungen unterliegen kann. 100 Rechtsextremismus 3.3 Einführung Eine in sich geschlossene rechtsextremistische Ideologie gibt es nicht. Vielmehr werden mit dem Begriff Rechtsextremismus Ideologieelemente erfasst, die in unterschiedlicher Intensität und mit unterschiedlicher Stoßrichtung der weltanschaulichen Überzeugung von einer Ungleichwertigkeit der Menschen Ausdruck verleihen. Zu nennen sind im Einzelnen: - Aggressive menschenverachtende Fremdenfeindlichkeit, - Antisemitismus, - Rassismus, - Unterscheidung von "lebenswertem" und "lebensunwertem" Leben, - Überhöhung des eigenen Volkes bei gleichzeitiger Abwertung anderer Nationen und Völker (Nationalismus), - Vorstellung einer rassisch verstandenen homogenen Volksgemeinschaft (Volksgemeinschaftsdenken), - Individualrechte verneinendes, dem Führerprinzip verpflichtetes Kollektivdenken (völkischer Kollektivismus), - Behauptung "natürlicher" Hierarchien (Biologismus), - Betonung des Rechts des Stärkeren (Sozialdarwinismus), - Ablehnung demokratischer Regelungsformen bei Konflikten, - Übertragung militärischer Prinzipien auf die zivile Gesellschaft (Militarismus), - Geschichtsrevisionismus (Relativierung der Verbrechen des - Nationalsozialismus), - Ethnopluralismus (Forderung nach strikter räumlicher und - kultureller Trennung verschiedener Ethnien). FremdenDie Ideologieelemente Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und feindlichkeit Antisemitismus sind die zentralen Begriffe des Rechtsextremismus. Mit "fremdenfeindlich" wird die Ablehnung all dessen bezeichnet, was als fremd bewertet und aus der Gesellschaft ausgegrenzt wird. Die Merkmale variieren: Ausländer, Juden, Muslime und Obdachlose können ebenso Opfer fremdenfeindlicher Ablehnung und Aggression werden wie Menschen mit Behinderungen und Homosexuelle. Fremdenfeindliche Positionen sind bei jeder rechtsextremistischen Organisation nachweisbar; sie bilden das Grundelement rechtsextremistischen Denkens. Rassismus Die in Deutschland gebräuchliche Verwendung des Begriffes Rassismus nimmt Bezug auf die Rassenideologie des Nationalsozialismus, die die "Selektion" und Vernichtung von Millionen Menschen biologisch begründete. Rassisten leiten Rechtsextremismus 101 aus den genetischen Merkmalen der Menschen eine naturgegebene soziale Rangordnung ab. Sie unterscheiden zwischen "wertvollen und minderwertigen menschlichen Rassen". Der Antisemitismus tritt im Rechtsextremismus in verschieAntisemitismus denen Varianten in Erscheinung. Antisemitische Positionen werden sowohl religiös als auch kulturell und rassistisch begründet. Häufig korrespondieren sie mit verschwörungstheoretischen Ansätzen. Vor dem historischen Hintergrund der systematischen Judenvernichtung durch den Nationalsozialismus (Holocaust53) sind antisemitische Einstellungsmuster ein Gradmesser für die Verfestigung eines rechtsextremistischen Weltbildes. Sie zeugen von ideologischer Nähe zum historischen Nationalsozialismus und treten häufig in Verbindung mit revisionistischen Positionen auf. Antisemitische Positionen sind ein Kennzeichen fast aller rechtsextremistischen Organisationen. Der Begriff Neonazismus, eine Abkürzung für Neooder Neonazismus neuer Nationalsozialismus, der häufig fälschlicherweise als Synonym für Rechtsextremismus verwendet wird, steht für Bestrebungen, die sich weltanschaulich auf den historischen Nationalsozialismus beziehen. Hierzu zählen in erster Linie die neonazistischen Kameradschaften und Organisationen wie die Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige e. V. (HNG). Innerhalb der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) ist der neonazistische Flügel ständig stärker geworden, seitdem sich die Partei gegenüber Freien Nationalisten geöffnet hat. Ausdruck dieser Entwicklung sind die Eintritte zahlreicher führender Protagonisten der Neonaziszene, die zudem Führungsämter in der NPD übernommen haben. Die ebenfalls als Synonym für rechtsextremistische BeFaschismus strebungen verwendeten Begriffe faschistisch oder neofaschistisch sind in zweifacher Hinsicht ungeeignet. Zum einen handelt es sich um Kampfbegriffe aus den Zeiten des Kalten Krieges, mit denen die Bundesrepublik Deutschland von der DDR in die Tradition des Nationalsozialismus gerückt worden war. Zum anderen verbindet sich mit diesen Begriffen die Vorstellung vom italienischen Faschismus Mussolinis, der als antidemokratische Bewegung ohne Rassismus vom deutschen Nationalsozialismus erheblich abwich. 53 Der Begriff bedeutet Massenvernichtung (vom griech. holocaustos = "völlig verbrannt"). 102 Rechtsextremismus 3.4 Gesamtkonzeption zur Bekämpfung des Rechtsextremismus Das Niedersächsische Ministerium für Inneres und Sport hat im Januar 2012 unter dem Titel "Rechtsextremismus in Niedersachsen bekämpfen - Demokratie stärken" eine "Gesamtkonzeption gegen Rechtsextremismus" vorgestellt. Darin sind die umfangreichen Maßnahmen von Polizei und Verfassungsschutz zur Strafverfolgung und Gefahrenabwehr sowie die Prävention aufgelistet und dargestellt. Die Konzeption enthält zudem einen ausführlichen Situationsbericht zum Rechtsextremismus in Niedersachsen und erläutert die differenzierten Bekämpfungsstrategien der niedersächsischen Sicherheitsbehörden Polizei und Verfassungsschutz. Auch die Maßnahmen im Rahmen der Bund-Länder-Kooperation sind aufgeführt. 3.5 Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) Die aus Thüringen stammende und bundesweit agierende Gruppierung Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) war eine rechtsterroristische Vereinigung, der zehn Morde zugerechnet werden, davon neun aus ausländerfeindlichen Motiven. Bis zu ihrer Aufdeckung im November 2011 hatte sich die Gruppe öffentlich nicht zu ihren Taten bekannt. Zwischen September 2000 und April 2007 soll die Gruppierung einen griechischund acht türkischstämmige Gewerbetreibende sowie eine Polizeibeamtin getötet haben. Des Weiteren sind dem NSU offenbar weitere rechtsextremistische Anschläge und eine Vielzahl von Banküberfällen zuzuordnen. Eine Verbindung zwischen den Morden und der "Zwickauer Zelle" konnte am 4. November hergestellt werden, als die Rechtsextremisten Uwe MUNDLOS und Uwe BÖHNHARDT aufgrund von Fahndungsmaßnahmen nach einem Banküberfall erschossen in einem Wohnmobil in Eisenach (Thüringen) aufgefunden wurden. Dort stellte die Polizei u. a. die Dienstwaffe der im April 2007 getöteten Polizistin sicher. Am selben Tag wurde ein Wohnhaus in Zwickau (Sachsen), in dem MUNDLOS und BÖHNHARDT zusammen mit Beate ZSCHÄPE in einer Wohngemeinschaft lebten, gesprengt. ZSCHÄPE stellte sich am 8. November nach mehrtägiger Flucht der Polizei. Sie befindet sich seitdem in Untersuchungshaft. Der Generalbundesanwalt leitete ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Bildung einer terroristischen Vereinigung gemäß SS 129a Abs. 1 Nr. 1 StGB gegen sie ein. In den Trümmern des Wohnhauses wurden u. a. die bei der Ermordung der neun Gewerbetreibenden verwendeten Rechtsextremismus 103 Tatwaffen sichergestellt. Ferner wurden mehrere DVDs mit einem Propagandafilm der bis dahin unbekannten rechtsextremistischen Gruppierung NSU gefunden, der ebenfalls Hinweise auf die Taten des NSU enthält. Die Ermittlungen der Generalbundesanwaltschaft ergaben weitere Belege dafür, dass MUNDLOS, BÖHNHARDT und ZSCHÄPE die Gründung des NSU zuzurechnen ist. 3.5.1 Verbindungen des NSU zu weiteren Rechtsextremisten Seit Bekanntwerden der Gruppierung konnten Verbindungen zu weiteren Personen aus der rechtsextremistischen Szene nachgewiesen werden. Gegen sie besteht der Verdacht, MUNDLOS, BÖHNHARDT und ZSCHÄPE nach ihrem Untertauchen unterstützt zu haben. Die Generalbundesanwaltschaft erweiterte das Ermittlungsverfahren entsprechend und erließ Haftbefehl gegen einen Teil der Verdächtigen. 3.5.2 Verbindungen des NSU nach Niedersachsen Mit Holger G. befindet sich unter den mutmaßlichen Unterstützern des NSU ein in Niedersachsen wohnhafter Rechtsextremist. Im Zuge der Ermittlungen wurde bekannt, dass ein Wohnmobil, das die Täter bei zwei ihrer Taten genutzt haben, auf die Personalien von G. angemietet worden war. Außerdem steht G. im Verdacht, den Haupttätern eine Schusswaffe übergeben zu haben. G., der 1997 nach Niedersachsen zog, stammt ebenso wie MUNDLOS, BÖHNHARDT und ZSCHÄPE aus Jena. Alle Genannten gehörten in den 1990er Jahren der damaligen Kameradschaft Jena an, die sich dem Thüringer Heimatschutz (THS), einem von 1997 bis 2002 bestehenden überregionalen Zusammenschluss von Rechtsextremisten in Thüringen, anschloss. Nach G.s Umzug nach Niedersachsen fielen über ihn einzelne Erkenntnisse an, die auf eine ab Ende 1999 bestehende Zugehörigkeit zur rechtsextremistischen Szene in Hannover schließen lassen. Im Zeitraum von Ende 1999 bis 2004 nahm G. mehrfach an Demonstrationen und Musikveranstaltungen der rechtsextremistischen Szene teil. G. hat sich über Jahre in der rechtsextremistischen Szene Hannovers bewegt. Seit dem Jahr 2005 hat er sich in diesem Zusammenhang unauffällig verhalten. Konkrete Erkenntnisse über Verbindungen des NSU zu weiteren Angehörigen der rechtsextremistischen Szene in Niedersachsen liegen nicht vor und sind abhängig vom Ergebnis des Ermittlungsverfahrens des Generalbundesanwaltes. 104 Rechtsextremismus 3.5.3 Maßnahmen zur Optimierung der Zusammenarbeit von Bund und Ländern Als Reaktion auf das Bekanntwerden der Mordserie der "Zwickauer Zelle" haben Bund und Länder weitreichende organisatorische Änderungen veranlasst, die eine Intensivierung der Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern bei der Bekämpfung des Rechtsextremismus zum Ziel haben. So hat am 16. Dezember ein Gemeinsames Abwehrzentrum Rechtsextremismus (GAR) die Arbeit aufgenommen. Die Polizei und der Verfassungsschutz Niedersachsens sind darin vertreten. Des Weiteren ist eine neue Verbunddatei von Polizei und Verfassungsschutz in Vorbereitung. Mit dem GAR wurde eine Einrichtung für die institutionalisierte Zusammenarbeit von Polizei und Verfassungsschutz geschaffen. Hier soll der Informationsaustausch zu gewaltbereiten Personen und Gruppen erfolgen, um Bedrohungen durch den Rechtsextremismus besser einschätzen zu können und die Vorbereitung operativer Maßnahmen wie etwa die Festnahmen zu erleichtern. In der Verbunddatei sollen die existierenden Datenbestände von Polizei und Verfassungsschutz über gewaltbezogene Rechtsextremisten gebündelt werden. 3.6 Überblick über die aktuellen Entwicklungen im Rechtsextremismus In diesem Kapitel wird die Entwicklung in den verschiedenen Bereichen des Rechtsextremismus dargestellt. Detaillierte Berichte und Erläuterungen der Begriffe finden sich in den folgenden Unterkapiteln. Die Erscheinungsformen des Rechtsextremismus haben sich in den letzten Jahren stark verändert. Das augenfälligste Merkmal dieser Entwicklung ist der permanente Anstieg des neonazistischen Potenzials von bundesweit 4.200 im Jahr 2006 auf 5.600 Personen im Jahr 2010. Parallel hierzu hat der parteigebundene Rechtsextremismus an Bedeutung verloren. Von den vor fünf Jahren vom Verfassungsschutz beobachteten Parteien NPD, DVU und Republikaner übt nur noch die NPD Einfluss auf die Entwicklung des Rechtsextremismus aus, ohne dass sich dies allerdings in steigenden Mitgliederzahlen niederschlägt - im Gegenteil, die Mitgliederzahl der NPD ist von 2006 bis 2011 von bundesweit 7.000 auf 6.300 gesunken. Im gleichen Zeitraum hat das Personenpotenzial des parteigebundenen Rechtsextremismus in Deutschland von 21.500 auf 7.300 Parteimitglieder abgenommen. Die Entwicklung des Mitgliederpotenzials in Niedersachsen spiegelt den gleichen Rechtsextremismus 105 Trend wider. Während das neonazistische Potenzial zwischen 2006 und 2011 von 350 auf 420 Personen angewachsen ist, hat sich die Zahl der rechtsextremistischen Parteimitglieder im Zeitraum von 2006 bis 2011 von 1.520 auf ca. 550 reduziert. Der DVU gehören mittlerweile nur noch ca. 50 Mitglieder an. Da sich in Niedersachsen auch kaum DVU-Mitglieder der NPD angeschlossen haben, konnte die NPD ihren Abwärtstrend nicht stoppen. Sie verlor gegenüber 2006 130 Mitglieder und zählt 2011 nur noch 500 Mitglieder. Bei den letzten Landtagswahlen erhielt die NPD in Niedersachen 2008 lediglich 1,2 Prozent. Verändert hat sich auch der subkulturell geprägte Bereich Strukturwandels des Rechtsextremismus. Die rechtsextremistischen Skinheads, des Rechtsextredie noch vor zehn Jahren mit dem für sie typischen Äußeren mismus - Springerstiefel und Glatze - die Wahrnehmung des Rechtsextremismus bestimmten, sind inzwischen in Niedersachsen fast völlig aus der Öffentlichkeit verschwunden. Die rechtsextremistische Subkultur hat sich in den letzten Jahren ausdifferenziert, Teile sind ideologisiert worden. Im Zuge dieser Entwicklung sind die Grenzen zwischen der subkulturellen und der neonazistischen Szene immer durchlässiger geworden. In Teilen hat eine Vermischung stattgefunden. Sie hat zu einem Anstieg in dem dargestellten neonazistischen Personenpotenzial und gleichzeitig zu einem Rückgang des subkulturellen Personenpotenzials beigetragen (von 750 in 2010 auf 685 in 2011). Die Autonomen Nationalisten bilden ein Bindeglied zwischen diesen beiden Bereichen des Rechtsextremismus. Nach wie vor steht die rechtsextremistische Musik im Zentrum der subkulturellen Szene. Die Texte würdigen gesellschaftliche Minderheiten herab und schüren Hass. Die Aufklärung und Verhinderung von Gewalteinstellungen fördernden rechtsextremistischen Konzerten hat deshalb weiterhin einen hohen Stellenwert in der Präventionsarbeit. Aufgrund von konsequenten Gegenmaßnahmen der niedersächsischen Sicherheitsbehörden ist die Anzahl solcher Veranstaltungen auf einige wenige zurückgegangen (2010: fünf Konzerte, 2011: vier Konzerte). Wesentlich schwerer ist es, der Verbreitung rechtsextremistischer Musik im Internet entgegenzuwirken. Die beschriebene Entwicklung ist Ausdruck eines Strukturwandels des Rechtsextremismus. Sie signalisiert zugleich eine veränderte Sicherheitslage, auf die die Sicherheitsbehörden operativ reagieren müssen. Die Sichtweise muss sich aber nicht nur wegen der Verschiebungen im Personenpotenzial verändern, sondern auch wegen des Wandlungsprozesses, den der neonazistische Bereich selbst vollzieht. Das überkommene Kameradschaftsmodell, mit dem RechtsJugendliche mehr an extremisten auf die Verbote neonazistischer Organisationen Aktion als an OrganiAnfang der 1990er Jahre reagierten, macht anderen Formen sation interessiert 106 Rechtsextremismus der Organisation Platz. Anstelle der eine gewisse Stetigkeit verlangenden Arbeit in neonazistischen Kameradschaften rücken lockere Formen des politischen Zusammenwirkens nach dem Muster der Autonomen Nationalisten in den Vordergrund. Die zunehmende Attraktivität dieser Formen des Rechtsextremismus ist darauf zurückzuführen, dass das aktionsorientierte Angebot der neonazistischen Szene Jugendliche, die mit dem Rechtsextremismus sympathisieren, weit mehr anspricht als die Gremienarbeit in rechtsextremistischen Parteien. Mit anderen Worten: Jugendliche sind mehr an der Aktion als an der Organisation interessiert. Wichtiger als die Mitgliedschaft in einer Organisation sind für sie die auf persönlicher Bekanntschaft basierenden Kontakte, die sie auch über das Internet in Foren und sozialen Netzwerken pflegen. Auf diese Weise entstehen Personengeflechte von einer ganz eigenen Art, die den Sicherheitsbehörden die Einschätzung des Rechtsextremismus erschweren. Gruppierung Beispielhaft für diese Entwicklung ist die neonazistische Besseres Gruppierung Besseres Hannover, die versucht, Jugendliche Hannover in der Region Hannover mit provokativen Aktionen ideologisch zu beeinflussen. Die Angehörigen der Gruppierung definieren sich über die Aktion. Sie treten in der Öffentlichkeit auf und suchen die offene Konfrontation. Ihr demonstratives Auftreten soll einschüchtern und zugleich das Zusammengehörigkeitsgefühl innerhalb der Gruppe stärken. Ein versiert gestalteter und aktuell gehaltener Internet-Auftritt, der selbst erstellte Videos einschließt, zielt auf Wirkung unter den mit diesem Medium aufgewachsenen Jugendlichen. Den hohen Stellenwert persönlicher Beziehungen verdeutlichen die Ermittlungen im Zusammenhang mit der terroristischen Gruppierung Nationalsozialistischer Untergrund (NSU). Nach derzeitigem Stand wurden die Täter von Rechtsextremisten in mehreren Bundesländern unterstützt, darunter auch von zumindest einem in Niedersachsen ansässigen Rechtsextremisten. Ohne dieses Unterstützernetz wären das jahrelange Leben im Untergrund und die Begehung schwerster Straftaten in dieser Form vermutlich nicht möglich gewesen. Persönliche Einen herausragenden Stellenwert für die Pflege der perBeziehungen sönlichen Kontakte und die "ideologische Aufrüstung" hahaben hohen ben Demonstrationen mit überregionalem Charakter. Dazu Stellenwert gehören z. B. der alljährlich in Bad Nenndorf durchgeführte "Trauermarsch" oder der "Tag der deutschen Zukunft", der in jedem Jahr an einem anderen Ort in Norddeutschland stattfindet. Daran beteiligten sich bis zu 1.000 Rechtsextre- Rechtsextremismus 107 misten aus verschiedenen Bundesländern. Das Internet hat der rechtsextremistischen Szene neue Möglichkeiten der Darstellung und Propaganda eröffnet. Es ist das einzige Massenmedium, über das Rechtsextremisten nahezu ungefiltert ihre Positionen verbreiten können. Hetzerische Darstellungen und Propagandavideos finden einen Verbreitungskreis, der weit über das von den Verfassungsschutzbehörden registrierte rechtsextremistische Personenpotenzial hinausreicht. Indem sie über das Internet kommunizieren und agitieren, unterlaufen Rechtsextremisten soziale Kontrollmechanismen und zum Teil auch strafrechtliche Sanktionierungsmöglichkeiten. Ein Gegensteuern erfordert die Entwicklung neuer Strategien und neuer operativer Ansätze. Die Aktionsund Propagandaformen der rechtsextremistiHohe Gewaltschen Szene haben sich zwar verändert, nicht aber die idebereitschaft ologischen Überzeugungen. Die Führungspersonen der neonazistischen Szene betrachten sich als die Speerspitze einer nationalen Bewegung. Ideologisch orientiert sich ihr Handeln am Ziel einer ethnisch homogenen Volksgemeinschaft. Daraus abgeleitet führen sie einen Kampf gegen die angebliche Überfremdung Deutschlands. Das Denken in Freund-Feind-Kategorien ist bezogen auf Einwanderer besonders stark ausgeprägt, wie die Aktionen der Neonazi-Gruppe Besseres Hannover (z. B. "Abschiebär") und der Inhalt der von dieser Gruppierung produzierten Schülerzeitung "Bock" verdeutlichen. Ähnlich feindselig verhalten sich die Neonazis gegenüber den von ihnen als Systemparteien bezeichneten demokratischen Parteien, denen sie in einer ihrer Kampagnen unterstellen, auf den Tod des deutschen Volkes hinzuwirken. Die Gewaltbereitschaft der auf Konfrontation ausgerichteten bewegungsund aktionsorientierten neonazistischen Szene ist insgesamt dementsprechend hoch. Bundesweit wird etwa die Hälfte aller neonazistischen Gruppierungen als gewaltbereit eingestuft. Die um Nachwuchs bemühte NPD versucht Einfluss auf die NPD um Einfluss neonazistische Szene zu gewinnen, unterliegt ihrerseits aber auf neonazistische der Einflussnahme dieser Szene. Sie vollzieht eine GratwanSzene bemüht derung zwischen Parlamentsund Bewegungsorientierung, vermag die Entwicklung im neonazistischen Bereich aber nicht zu steuern. Dennoch steht der weitaus größte Teil der Neonazi-Szene der NPD positiv gegenüber. Unübersehbar sind die personellen Verflechtungen zwischen Teilen der NPD und der neonazistischen Szene. Im Falle eines NPD-Verbots würden diese Mitglieder ihre Aktivitäten in der neonazistischen Szene fortsetzen. Mit dem Terminus "gewaltbereite Rechtsextremisten" er- 108 Rechtsextremismus fassen die Verfassungsschutzbehörden Personen, die einschlägige Delikte zu verantworten haben oder bei denen aufgrund ihrer Gruppenzugehörigkeit eine Gewaltbereitschaft vorausgesetzt werden kann. Das gewaltbereite Potenzial wird als Quersumme aus den Bereichen Subkultur, Neonazismus und NPD gebildet. Bundesweit wird es auf 9.800 Personen, für Niedersachsen auf 920 Personen beziffert. Eine besonders hohe Gewaltbereitschaft kennzeichnet die Angehörigen der subkulturell geprägten Szene. Innerhalb der NPD bilden die Kameradschaftsangehörigen das gewaltbereite Potenzial. Die von Rechtsextremisten ausgeübte Gewalt richtet sich gegen Einwanderer, gegen gesellschaftliche Minderheiten und gegen Antifa-Gruppen. Häufig werden die Taten spontan aus der Gruppe heraus, also nicht geplant begangen, was Gegenmaßnahmen der Sicherheitsbehörden erschwert. Waffenbesitz Wehrhaftigkeit und die Betonung von Kraft und Stärke geentspricht rechtshören zum rechtsextremistischen Selbstverständnis. Hieraus extremistischem resultiert die Verehrung der Wehrmacht und der Wunsch, Selbstverständnis Waffen zu besitzen. Eine gezielte Bewaffnung zur Führung eines politischen Kampfes findet nach Erkenntnissen der niedersächsischen Sicherheitsbehörden zwar nicht statt. Dennoch bedeutet der Besitz von Waffen durch Rechtsextremisten eine ernstzunehmende Gefahr, der sich die Sicherheitsbehörden vorrangig widmen müssen. Rechtsextremisten denken in Freund-Feind-Kategorien. Waffen ermöglichen es ihnen, Tötungsphantasien, wie sie in rechtsextremistischen Musiktexten zum Ausdruck kommen, in die Tat umzusetzen. Die Morde der Zwickauer Terrorzelle zeigen überdies, dass das Bekenntnis zur neonazistischen Ideologie den Willen zur Vernichtung bis hin zu einem organisierten Rechtsterrorismus einschließen kann. 3.7 Subkulturell geprägte und sonstige gewaltbereite Rechtsextremisten Personenpotenzial Der Terminus Rechtsextremistische Skinheads und sonstige in Niedersachsen gewaltbereite Rechtsextremisten ist ein von den Verfassungsseit Jahren schutzbehörden verwendeter Arbeitsbegriff, der entgegen rückläufig der Begrifflichkeit jedoch nur eine Teilmenge des rechtsextremistischen Gewaltpotenzials umfasst. Das mit diesem Begriff erfasste Personenpotenzial gibt dennoch Aufschluss über die Militanz des Rechtsextremismus. In diese Kategorie fallen rechtsextremistische Skinheads mit latenter oder offener Gewaltbereitschaft sowie Straftäter, die rechtsextremistisch motivierte Gewaltdelikte zu verantworten haben. Die rechtsextremistische Skinhead-Bewegung bildet die dominierende Rechtsextremismus 109 Gruppe innerhalb des gewaltbereiten rechtsextremistischen Spektrums. Auf Bundesebene lag das Potenzial im Jahr 2011 bei 7.600 Personen. In Niedersachsen ist die Zahl der rechtsextremistischen Skinheads und sonstigen gewaltbereiten Rechtsextremisten seit Jahren leicht rückläufig. Gegenüber dem Vorjahr hat sie sich 2011 von 750 auf 685 Personen reduziert. Regionale Schwerpunkte bilden die Räume Braunschweig/Peine/ Salzgitter, das Bremer Umland, Einbeck/Northeim, die Region Hannover, Lüneburg, Soltau/Schneverdingen sowie Uelzen. 3.7.1 Geschichte der Skinheads Die Skinhead-Bewegung hat ihren Ursprung in GroßbritanSkinhead-Bewenien. Aus der Arbeiterschicht stammende Jugendliche forgung kommt urmierten sich dort Ende der 1960er Jahre zu einer Protestbesprünglich aus der wegung, die sich gegen soziale Ausgrenzung zur Wehr setzte. Arbeiterschicht Im Laufe der Zeit entwickelte sich hieraus eine im ArbeiterGroßbritanniens milieu verankerte Subkultur. Das äußere Erscheinungsbild 110 Rechtsextremismus (schwere Stiefel, Jeans und T-Shirt) symbolisierte die soziale Herkunft, zu der sich Skinheads mit elitärem Stolz bekennen, wie ein Interview mit einem Skinhead im Fanzine54 Violence (Nr. 19/2006, Seite 28) verdeutlicht: "In unseren Augen geht es beim Skinhead sein um Patriotismus, stolz auf sich zu sein, auf Deine Stadt, Dein Land und stolz zu sein, dass wir die Arbeiterklasse sind ..." Ihre Wesensmerkmale - ein gegen die bestehende Gesellschaftsordnung gerichteter Antiintellektualismus, ein offen zur Schau gestellter Männlichkeitskult, eine aggressive Gewaltbereitschaft und eine latent fremdenfeindliche Grundeinstellung - machten die ursprünglich unpolitische Skinhead-Bewegung anfällig für die Einflussnahme und die Instrumentalisierung durch rechtsextremistische Organisationen. Zunächst gelang es der 1967 gegründeten neonazistischen National Front, die Skinheads in ihre politischen Aktivitäten einzubinden. Anschließend bemühten sich die noch radikaleren Gruppierungen British Movement und Blood & Honour erfolgreich um deren Rekrutierung. 3.7.2 Skinheads in Deutschland Ende der 1970er Jahre, als die neonazistische Beeinflussung in Großbritannien bereits vollzogen war, trat die Skinhead-Bewegung erstmals in Deutschland in Erscheinung. Sie gelangte über Angehörige der hier stationierten britischen Streitkräfte in das Bundesgebiet und wurde zunächst von deutschen Punks adaptiert, die sich für die Berichterstattung von Fanzines der britischen Skinhead-Bewegung interessierten. Anders als in Großbritannien war die deutsche Skinhead-Szene nicht allein im Arbeitermilieu verankert, sondern rekrutierte sich aus verschiedenen sozialen Randgruppen. Teil der Ungeachtet der für Skinheads typischen Aversion geSkinheadgen politische Arbeit geriet auch in Deutschland ein Teil der Bewegung unter Skinhead-Bewegung unter rechtsextremistischen Einfluss. rechtsextremistiRechtsextremistische Organisationen wie die Aktionsfront schem Einfluss Nationaler Sozialisten/Nationale Aktivisten (ANS/NA) des 1991 verstorbenen Neonazis Michael KÜHNEN und die verbotene Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei (FAP), deren damaliger niedersächsischer Landesvorsitzender Thorsten HEISE selbst Skinhead war, hatten das neu entstandene Rekrutierungspotenzial erkannt. Heute bildet die rechtsextremistische Skinhead-Bewegung ein Rekrutierungsfeld für die NPD und 54 Der Begriff Fanzine ist der englischen Sprache entlehnt und setzt sich aus den Worten "Fan" und "Magazine" zusammen. Rechtsextremismus 111 die neonazistischen Kameradschaften. Viele Skinheads wechseln in ihren Aktivitäten zwischen der Teilnahme an szenetypischen Veranstaltungen wie Konzerten, der Zugehörigkeit zu rechtsextremistischen Kameradschaften sowie der Unterstützung von NPD und JN. Dieses Verhalten macht die eindeutige Zuordnung von Personen zur Skinheadszene immer schwerer. Gleichwohl ist festzustellen, dass die Skinheadszene für die Darstellung des Rechtsextremismus in Niedersachsen deutlich an Bedeutung verloren hat. Dies wird auch durch die Tatsache verdeutlicht, dass die von nationalsozialistischem Gedankengut und dem Glauben an die Überlegenheit der weißen Rasse geprägte Blood & Honour-Bewegung, die bis zu ihrem Verbot am 14.08.2000 in Niedersachsen mit drei Sektionen vertreten war, keine Strukturen mehr aufweist. Die nationalsozialistisch und rassistisch ausgerichteten Hammerskins entfalten in Niedersachsen ebenfalls keine Aktivitäten. 3.7.3 Ideologie Die Denkweise rechtsextremistischer Skinheads ist geprägt von Rassismus, hemmungsloser Gewaltbereitschaft sowie einer unreflektierten Verherrlichung des Nationalsozialismus. Konflikte mit Angehörigen von ihnen verachteter sozialer Gruppen wie Ausländer, Obdachlose, Menschen mit Behinderungen, Homosexuelle und als "Zecken" titulierte linksorientierte politische Gegner werden bevorzugt gewalttätig auf der Straße ausgetragen. In einem Interview mit dem Fanzine Ratatösk (Ausgabe 4/2004, Seite 38) verlieh ein Skinhead der Gewaltaffinität mit folgenden Worten Ausdruck: "Gewalt ist keine Lösung, aber ein verdammt gutes Argument!" In Niedersachsen ereigneten sich im Jahr 2011 mehrere geGewalttätige walttätige Übergriffe von Skinheads. Am 11. Mai beleidigte in Übergriffe in Hannover ein Rechtsextremist einen deutschen Staatsbürger Niedersachsen mit Migrationshintergrund als "Scheiß Nigger" und schlug anschließend auf sein Opfer ein. Am 16. September überfielen in Tostedt zwei Rechtsextremisten einen Angehörigen der linksextremistischen Szene und traten mehrfach auf ihn ein. Am 25. September wurde in Hagen bei Bremerhaven ein amerikanischer Staatsbürger aufgrund seines südländischen Erscheinungsbildes von einer achtköpfigen Skinheadgruppe angegriffen und durch Faustschläge sowie Fußtritte verletzt. 3.7.4 Erscheinungsbild Das Erscheinungsbild der meisten Skinheads wurde anfangs wesentlich durch die szenetypische Kleidung und den kahl rasierten Kopf bzw. extrem kurz geschorene Haare geprägt. 112 Rechtsextremismus An die Stelle des klassischen Skinhead-Outfits sind inzwischen Kleidungsstücke und Marken getreten, die sich an allgemeinen Trends der Jugendmode, am Kleidungsstil der Hooliganszene oder der Autonomen Nationalisten55 orientieren. Außerdem verzichten nicht wenige rechtsextremistische Skinheads wegen der Anfeindungen, die sie dadurch in der Öffentlichkeit auf sich ziehen, darauf, sich ihren Kopf rasieren zu lassen. Ihre Verbundenheit mit dem Nationalsozialismus bringen rechtsextremistische Skinheads durch entsprechende Tätowierungen zum Ausdruck. Sie verwenden häufig Zahlencodes wie 18, 28 oder 8856 und Abkürzungen wie "14 words" oder ZOG57, um ihre neonazistische Weltanschauung zu verklausulieren. Szenehändler haben die Verdienstmöglichkeiten längst erkannt und vertreiben Artikel mit entsprechenden Aufdrucken in speziellen Läden bzw. über das Internet. Innerhalb der Skinhead-Bewegung wird ein übersteigerter Männlichkeitskult gepflegt, der u. a. in exzessivem Alkoholkonsum und einer offen zur Schau gestellten Frauenfeindlichkeit seinen Ausdruck findet. Das Durchschnittsalter der Skinheads beträgt etwa 15 bis 20 Jahre, das Einstiegsalter liegt teilweise noch darunter. Der Anteil von Männern beträgt nahezu 90 Prozent. Neben den rechtsextremistischen Skinheads gibt es nichtextremistische Strömungen mit entgegen gesetzter politischer Ausrichtung sowie die große, vorrangig "spaßorientierte" Gruppe der Oi!-Skins58. Die Oi!-Skin-Bewegung und die rechtsextremistische Skinhead-Szene sind nicht trennscharf zu unterscheiden. Oi!-Skin-Konzerte werden auch von rechtsextremistischen Skinheads besucht. Unter den Beobachtungsauftrag des Verfassungsschutzes fallen ausschließlich rechtsextremistische Skinheads. 3.7.5 Rechtsextremistische Musikszene Rechtsextremistische Musik ist ein wesentlicher Faktor für die Ausprägung eines Gemeinschaftsgefühls bei den Szeneange55 Siehe hierzu auch Kapitel 3.9.2. 56 Die Ziffern bezeichnen die Stelle eines Buchstabens im Alphabet. Mit 18 werden die Initialen von Adolf Hitler wiedergegeben, mit 88 verbinden Eingeweihte die verbotene nationalsozialistische Grußformel "Heil Hitler", und 28 steht für die in Deutschland verbotene Organisation Blood & Honour. 57 Die "14 words", häufig nur mit der Zahl 14 wiedergegeben, sind der Code für eine 14 Wörter umfassende Losung des amerikanischen Rechtsextremisten David Lane von der Gruppe The Order. In deutscher Übersetzung lautet der Satz: "Wir müssen die Existenz unseres Volkes sichern und eine Zukunft für unsere weißen Kinder". ZOG ist eine antisemitische Formel und bedeutet Zionist Occupied Government (zionistisch beherrschte Regierung). 58 Der Name leitet sich von einem Slang-Ausdruck aus dem Londoner East End ab. Mit "Oi, Oi, Oi" anstelle des traditionellen "one, two, three" zählte die SkinheadBand Cockney Rejects ihre Songs an. Rechtsextremismus 113 hörigen. Darüber hinaus dient sie dem Zweck, rechtsextremistische Ideologie - auch an Außenstehende - zu vermitteln. Die Liedinhalte formulieren in plakativer, häufig hetzerischer Form die rassistische, fremdenfeindliche und antisemitische Einstellung der Szeneangehörigen. Von eingängigen oder aufputschenden Melodien getragen, entwickeln die Liedtexte eine suggestive Wirkung. Rechtsextremistische Musik hat gerade im Bereich der rechtsextremistischen Subkultur, aber auch in der neonazistischen Kameradschaftsszene und in der NPD große Bedeutung. Von ihrem Ursprung her sind die rechtsextremistischen Bands eher dem subkulturellen Bereich, Liedermacher eher der Kameradschaftsszene und der NPD zuzuordnen. Gleichwohl nutzt die NPD für die von ihr verteilten Schulhof-CDs vorwiegend auch Lieder rechtsextremistischer Musikbands, um hiermit insbesondere Jugendliche und Jungwähler zu erreichen. Seit einigen Jahren reagieren rechtsextremistische Bands und Musikproduzenten durch die Verwendung verschiedener Musikstilrichtungen auf die verschiedenen musikalischen Vorlieben ihrer Hörer. So gibt es rechtsextremistische Musik im Stil des Black Metal (NSBM)59, des Schlagers und der Balladenmusik. Den größten Zuspruch erfahren unverändert die traditionellen rechtsextremistischen Musikstilrichtungen des Rock against Communism (RAC) und des Hatecore. Gerade bei jüngeren Szeneangehörigen - wie den Autonomen Nationalisten - ist ein Trend hin zum Hatecore, einem schnellen und aggressiven Musikstil, erkennbar. Dabei werden Texte mit üblichen rechtsextremistischen Inhalten wie Fremdenfeindlichkeit, Antisemitismus und Verherrlichung des Nationalsozialismus vermieden, um aktuelle politische Themenfelder wie AntiGlobalisierung oder Umweltschutz im rechtsextremistischen Kontext aufzugreifen. Nach wie vor überwiegen Veröffentlichungen mit typischen rechtsextremistischen Themen. Deutlich wird die dieser Ausrichtung zugrunde liegende Einstellung in einem Interview, das Studierende der Musikhochschule Hannover in dem von ihnen betreuten Magazin Saitensprung mit dem rechtsextremistischen Musiker Frank KRÄMER führten. KRÄMER war Mitglied der niedersächsischen Band "Stahlgewitter". In dem Interview, das seine rassistische Einstellung verdeutlicht, äußert er zur Erläuterung des Liedes "Pseudodeutscher" von "Stahlgewitter", dass ein Mensch mit anderer Hautfarbe niemals Deutscher sein könne: 59 National Socialist Black Metal. 114 Rechtsextremismus "Ein Volk definiert sich durch eine gewisse Homogenität. Also gleiche Sprache, gemeinsame Werte, hinter denen man steht, und natürlich auch ein ähnliches Aussehen. ... Dank wissenschaftlicher Erkenntnisse der Genetik, der Soziobiologie und der Verhaltensforschung wissen wir, dass z.B. Schwarze, Asiaten und Europäer ja nicht einfach nur verschieden aussehen, sondern ganz andere biologische und charakterliche Eigenarten mitbringen - eben jene, die ihnen das Überleben in ihrem natürlichen Lebensraum sichern." (Magazin Saitensprung, Seite 9) Die aus Syke stammende Band "Bunker 16" veröffentlichte auf dem Tonträger "Alles oder Nichts" das Lied "Wehrmachtssoldat", in dem ein verherrlichendes Bild eines Angehörigen der Wehrmacht mit der Kritik an aktuellen außenpolitischen Entscheidungen verbunden wird: "Stolz und Mut waren Deine Waffe so etwas gibt es heut' nicht mehr Heute kämpft man sogar für Völker die uns das Leben hier erschweren. Wehrmachtssoldat für Dich gab's keinen Verrat, für das Vaterland gekämpft in mancher Schlacht. Heut' marschiert man nur noch für die Übermacht, Wehrmachtssoldat heilig war Deine Tat. Weil sie uns belügen weil sie uns erpressen, sterben deutsche Soldaten für fremde Interessen." Bei den Bands zeigen Namen wie "Blitzkrieg", "Sturmtrupp", "Bataillon 500", "Kommando Ost" oder "Reichswehr" einen deutlichen Bezug zum Nationalsozialismus. Andere Bandnamen sind der germanisch-heidnischen Mythologie entnommen. Zu nennen sind hier beispielsweise Bezeichnungen wie "Einherjer", "Sleipnir", "Projekt Aaskereia", "Sigil", "Valhalla Patriots" oder "Legion of Thor". Szene-Anwälte Die Produzenten lassen Tonträger vor ihrem Erscheinen prüfen neue CDs durch Rechtsanwälte auf mögliche Rechtsverstöße überprüfen, um einerseits strafrechtliche Verfahren zu vermeiden. Andererseits sollen so die drohenden Geschäftsverluste durch Indizierungen, die einen Verkauf an Jugendliche unter 18 Jahren untersagen, oder Beschlagnahmeund Einziehungsbeschlüsse, die ein generelles Veräußerungsverbot nach sich ziehen, vermieden werden. Strafrechtlich relevante CDs - ihr Anteil beträgt weniger als zehn Prozent - werden bis auf wenige Ausnahmen im Ausland produziert. Neben offen syste- Rechtsextremismus 115 mablehnenden Positionen sind zunehmend verklausulierte rechtsextremistische Texte festzustellen. Die Anzahl von Neuveröffentlichungen strafrechtlich relevanter Tonträger mit offenkundig rechtsextremistischen Textinhalten ist dagegen rückläufig. Die Auseinandersetzung mit der rechtsextremistischen MuAuseinandersik ist seit mehreren Jahren ein Schwerpunkt der präventiven setzung mit der Verfassungsschutzarbeit. Der Wirkungsradius der Musik reicht rechtsextremisweit über das registrierte rechtsextremistische Personenpotischen Musik ist tenzial hinaus. Besonders angesprochen fühlen sich Jugendliein Schwerpunkt che, die ihre soziale Situation in den Liedtexten widergespieder präventiven gelt finden und nach Integration in eine Gruppe GleichgeVerfassungssinnter streben. Die Konfrontation mit rechtsextremistischer schutzarbeit Musik kann den Beginn einer Entwicklung markieren, in deren Verlauf sich Jugendliche zunehmend mit der rechtsextremistischen Szene identifizieren. Auch der Besuch rechtsextremistischer Konzerte kann zu einer allmählichen Einbindung in die Szene führen. Die Anzahl rechtsextremistischer Musikgruppen ist bundesCa. 170 weit in den letzten Jahren mit ca. 170 nahezu gleich geblierechtsextremistische ben. Dabei handelt es sich nicht um einen permanent gleichMusikgruppen in der bleibenden Kreis von Musikgruppen. Viele Bands bestehen Bundesrepublik nur für kurze Zeit. Bundesweit fanden 131 Musikveranstaltungen statt (2010: 128). Der regionale Schwerpunkt rechtsextremistischer Konzerte lag dabei in Sachsen und Baden-Württemberg. Eines der größten rechtsextremistischen Skinheadkonzerte in Deutschland fand am 16. Juli in Nienhagen (Sachsen-Anhalt) statt. Vor 1.100 Personen aus dem gesamten Bundesgebiet und den angrenzenden Nachbarstaaten spielten die Bands "Nordfront" (Hannover), "White Resistance" (Sachsen), "Sturmtrupp" (Bayern), "Legion of St. George" (England) und "Youngland" (USA). Die Bedeutung des Internets für die rechtsextremistische Szene belegt das mit viel Aufwand beworbene Konzert auf einer eigenen Internetseite unter der Bezeichnung "Die Transatlantik-Linie". Hier wurden Liedbeispiele der angekündigten Bands und aktualisierte Informationen über die Organisation der Veranstaltung sowie Anreiseinformationen angeboten. In einer ähnlichen Größenordnung bewegte sich die Besucherzahl bei einem Solidaritätskonzert unter dem Motto "Freiheit für Erich Priebke"60 am 12. November in Rothenburg (Sachsen). Neben der niedersächsischen Band "Bunker 16" und "Words of Anger" (Schleswig-Holstein) trat die in der rechtsextremistischen Szene namhafte Band "Die 60 Der 1913 geborene PRIEBKE ist ein wegen Kriegsverbrechen in Italien verurteilter ehemaliger SS-Offizier. 116 Rechtsextremismus Lunikoff-Verschwörung" des ehemaligen "Landser"-Sängers Michael "Lunikoff" REGENER auf. Musik als idenDie Nachfrage der rechtsextremistischen Szene nach Tontitätsstiftendes trägern, Druckerzeugnissen und Bekleidung sowie weiteren Medium szenetypischen Artikeln wird durch rechtsextremistische Vertriebe bedient, die insbesondere über das Internet ein permanent aktualisiertes Angebot offerieren. Die im Vergleich zum Vorjahr nahezu unverändert hohe Anzahl an Vertrieben zeigt die nach wie vor herausragende Bedeutung der Musik als identitätsstiftendes Medium im gesamten Rechtsextremismus. Wichtige deutsche Vertriebe sind Front Records, PC Records (beide Sachsen), der WB Versand (Thüringen) und der Wikinger Versand (Bayern). Die Indizierung und Verbote von rechtsextremistischen Tonträgern erschweren zwar den Zugang zu solchen Erzeugnissen erheblich, jedoch bieten im Ausland ansässige Vertriebe diese Produkte über das Internet weiterhin in Deutschland an. Zu nennen sind Werwolf Records und die amerikanischen Versandhändler Free Your Mind, ISD Records, Micetrap Distribution, NS 88 und NSM 88. Der australische Vertrieb Scythian Services hat sein Angebot stark ausgeweitet und verbreitet eine Vielzahl volksverhetzender und damit in Deutschland strafrechtlich relevanter Produktionen. Darunter finden sich beispielsweise Tonträger der Bands "Landser" (Berlin) und "Race War" (Baden-Württemberg), deren Mitglieder in Deutschland wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung am 22.12.2003 bzw. am 22.11.2006 verurteilt worden sind. 3.7.6 Niedersächsische Vertriebe In Niedersachsen sind elf Vertriebe ansässig: Adler-Versand (Diekholzen), Der Versand (Bovenden), Hatecore Lüneburg (Lüneburg), Max H8 (Cremlingen), Multiplex Musica (Hannover), Ragnarök Shop/ Pit's American Dreamstore 13 (Seesen), Streetwear Tostedt (Tostedt), dem der Vertrieb Nordic Flame zugehört, der Onlineshop der Burschenschaft Thormania und Das Zeughaus (Lingen/Ems) bestehen schon seit längerer Zeit. Old Honour New Hatred Records (Salzgitter) existiert im zweiten Jahr. Alle genannten Vertriebe spielen in der Szene eine eher untergeordnete Rolle, weil sie Produktionen weniger namhafter Musikbands bzw. keine Musikprodukte vertreiben und damit auch einen geringeren Umsatz verzeichnen. Übersicht über rechtsextremistische Skinheadbands, Liedermacher und Vertriebe in Niedersachsen Seevetal' Tostedt = a Lüneburg " @) Schneverdingen (r) (r) "* Meppen * Lingen Hannover Braunschweig m" (r)7 Diekholzen (r) Nordic Flame (Seevetal) &JI (r) Terroritorium (Hannover) /.) & Streetwear Tostedt Burschenschaft Thormania (r) Hatecore Lüneburg (Lüneburg) &JI (Braunschweig) &I (r) Alte Schule (Schneverdingen) [) @ MaxH8 (Cremlingen) (r) Bunker16 (Syke) I (r) Adler-Versand (Diekholzen) & (r) Gigi / Stahlgewitter (Meppen) JJ & Old Honour New Hatred (r) Das Zeughaus(Lingen) &Q Records (Salzgitter) &Q (r) Multiplex Musica (Hannover) X (r) Ragnarök (Seesen) (r) Nordfront (Hannover) /) (r)@ Der Versand (Bovenden) X 5 Vertriebe Stand: 31.12.2011 nu + x J2 Skinheadbands, Liedermacher Grafik: MI Nds. Abt. 5 118 Rechtsextremismus 3.7.7 Rechtsextremistische Musik in Niedersachsen Fünf niedersächsische Die Anzahl aktiver niedersächsischer rechtsextremistischer Bands aktiv Musikbands hat sich im Vergleich zum Vorjahr mit fünf Musikgruppen nicht verändert. Die niedersächsischen Bands "Gigi/Stahlgewitter" (Meppen) und "Nordfront" (Hannover) finden in ganz Deutschland große Beachtung in der rechtsextremistischen Musikszene. "Gigi/Stahlgewitter" Im Zusammenhang mit den Morden des Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) geriet die bereits 2010 von Daniel "Gigi" GIESE und seinem Projekt "Gigi und die braunen Stadtmusikanten" veröffentlichte CD "Adolf Hitler lebt!" erneut in den Fokus der Öffentlichkeit. In dem auf der CD enthaltenen Lied "Döner-Killer" greift GIESE - in dem für ihn charakteristischen Zynismus - die zu diesem Zeitpunkt noch unaufgeklärte Mordserie auf:61 "Neun Mal hat er es jetzt schon getan. Die SoKo Bosporus, sie schlägt Alarm. Die Ermittler stehen unter Strom. Eine blutige Spur und keiner stoppt das Phantom. Sie drehen durch, weil man ihn nicht findet. Er kommt, er tötet und er verschwindet. Spannender als jeder Thriller, sie jagen den Döner-Killer." Gegen die CD verfügte das Amtsgericht Osnabrück wegen der fremdenfeindlichen und antisemitischen Texte am 10. November einen Allgemeinen Beschlagnahmebeschluss. Am 19. Januar durchsuchte das Landeskriminalamt Sachsen mehrere sächsische rechtsextremistische Musikvertriebe wegen des Verdachts der Verbreitung des strafbaren Tonträgers. GIESE brachte unter der Bezeichnung "Gigi in Musica" einen Tonträger mit dem Titel "25 Jahre - Fette Beute" heraus. Dieser beinhaltet Coverversionen von Liedern bekannter Künstler wie Peter Maffay, Udo Jürgens und Gerhard Polt, die offenkundig nicht der rechtsextremistischen Szene zuzurechnen sind. Die hiermit verbundene Provokation sowohl gegenüber den Künstlern selbst als auch gegenüber staatlichen Einrichtungen verdeutlicht der Text, mit dem der Tonträger auf der Internetseite des Produzenten "PC-Records" (Sachsen) beworben wird. Darin heißt es: 61 Die Bewertung der Ermittlungsergebnisse durch das Bundeskriminalamt ergab, dass die Band mit dem Liedtext kein Täterwissen offenbart hat und eine Ableitung aus dem öffentlich zugänglichen Nachrichtenaufkommen sehr wahrscheinlich ist. Rechtsextremismus 119 "... Die Songs sind zwar seit Jahren und Jahrzehnten frei im Handel erhältlich, da sie jetzt aber der 'falsche' Sänger für das 'falsche' Publikum singt, war natürlich selbst hierfür ein knallhartes Gutachten nötig (weitere rechtliche Absicherungen inklusive). Selbstverständlich auch mit GEMA-Anmeldung. Man darf gespannt sein, wie Gutmenschen, Gedankenpolizei und BPJM reagieren." (...) "Bunker 16" Die aus dem Bremer Umland stammende 2009 gegründete Band "Bunker 16" trat u. a. bei einem Konzert anlässlich des 30-jährigen Bestehens der Bremer Band "Endstufe" auf. Mit der CD "Alles oder nichts" veröffentlichte "Bunker 16" in diesem Jahr einen eigenen Tonträger. Weiter war die Band mit zwei Beiträgen auf dem Sampler "For Freedom Of Speech" vertreten, der von dem Label "Oi! Ain't Red Records" des niedersächsischen "Adler-Versands" veröffentlicht wurde. "Nordfront" "Nordfront" veröffentlichte auf der Internetseite der Gruppierung Besseres Hannover62 im MP3-Format einen Tonträger mit dem Titel "Musik hören und den Widerstand unterstützen". Daneben wurden ein Beitrag der Band auf dem Sampler "Kraftschlag - zum Siegen verdammt" sowie zwei Beiträge auf dem Tonträger "Unsere Lieder klingen wieder" veröffentlicht. Ihren einzigen Live-Auftritt in diesem Jahr hatte die Band am 16. Juli in Nienhagen63. "Alte Schule" Die Band aus Schneverdingen veröffentlichte in diesem Jahr ihren ersten eigenen Tonträger. Unter dem Motto "Support your local Skinheadband" wurde eine Demo-CD der Band angeboten. "Terroritorium" Die Band aus Hannover ist im Mai bei zwei Konzerten aufgetreten. Im Oktober begleitete ein Auftritt von Terroritorium eine Rechtsschulung der Bürgerinitiative für Zivilcourage Hildesheim. Ein Tonträger wurde in diesem Jahr nicht veröffentlicht. 62 Siehe hierzu auch Kapitel 3.9.6. 63 Siehe hierzu auch Seite Kapitel 3.7.5. 120 Rechtsextremismus "Cherusker" Der bereits 2007 veröffentlichte Tonträger "Gift für die Ohren" der seit längerem inaktiven Band "Cherusker" wurde durch die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) im Juli in die Liste der jugendgefährdenden Medien eingetragen. Die Entscheidung wurde damit begründet, dass der textliche Inhalt zum Rassenhass anreizt bzw. den Nationalsozialismus verherrlicht oder verharmlost und damit die Schwelle zur Jugendgefährdung überschreitet. Deutlich wird, dass neu veröffentliche Tonträger nicht umgehend einem Verfahren über eine Indizierung durch die BPjM zugeführt werden. Auch Jahre nach dem erscheinen ist ein solches Indizierungsverfahren möglich. "Kategorie C" Die Bremer Band "Kategorie C" ist insbesondere wegen ihrer Gewalt verherrlichenden Texte in der rechtsextremistischen Skinheadund Neonazi-Szene beliebt. "Kategorie C" erfüllt die Funktion eines Bindegliedes zwischen der Hooligan-Szene und der rechtsextremistischen Szene. Zwar vermitteln die auf Tonträgern veröffentlichten Texte keine offenkundig rechtsextremistischen Inhalte, Konzertauftritte der Band tragen aber zur Mobilisierung und zum Zusammenhalt der rechtsextremistischen und der Hooligan-Szene bei. Auch die Organisation der Konzerte von "Kategorie C" wird des Öfteren von bekannten Rechtsextremisten übernommen. Im November untersagte das Oberverwaltungsgericht Bremen eine Konzertveranstaltung mit der Begründung, die Band müsse sich zurechnen lassen, dass Konzertbesucher bei solchen Veranstaltungen die Gelegenheit hätten, Straftaten zu begehen. Zwei bei dem Internetportal YouTube veröffentlichte Konzertausschnitte verdeutlichen die rechtsextremistische Grundeinstellung von Band und Publikum. Zur Begründung des Auftritsverbots wurden die bei diesen Konzerten intonierten Textzeilen "Hoch auf dem gelben Wagen, sitz ich beim Führer vorn" und "Eine U-Bahn bauen wir von St. Pauli bis nach Auschwitz" angeführt. 3.7.8 Rechtsextremistische Konzerte in Niedersachsen Die Strategie zur Durchführung rechtsextremistischer Konzerte hat sich gegenüber den Vorjahren nicht geändert. Konzerte finden nach wie vor vornehmlich in kleineren Orten statt. Raumanmietungen erfolgen häufig unter der Angabe, eine von Musikdarbietungen umrahmte Geburtstagsfeier durchführen zu wollen. Einige Veranstalter sind in Reaktion Rechtsextremismus 121 auf Exekutivmaßnahmen der Polizei dazu übergegangen, mit Ausweichstätten zu planen. Im Eventualfall werden Besucher dann per SMS über einen Zwischentreffpunkt zur Ausweichstätte umdirigiert. Mit solchen umfangreichen Vorplanungen möchte der Veranstalter sein Geschäftsrisiko reduzieren. In Niedersachsen sind 2011 vier Konzerte durchgeführt Nur vier Konzerte worden. Im Vorjahr waren es fünf Konzerte. Dem Druck der in Niedersachsen Sicherheitsbehörden ist es zu verdanken, dass die Konzerte nur in kleinem Rahmen stattfanden und somit die befürchtete Werbewirkung nicht entfalten konnten. Am 28. Mai fand in einer ehemaligen Gaststätte in Salzgitter (OT Ohlendorf) ein Skinhead-Konzert statt. Vor ca. 70 Besuchern spielten die Bands "Terroritorium" (Hannover), "Blackout" (England), "Priorität 18" (Sachsen) sowie der Sänger der englischen Band "Brutal Attack". Am 4. Juni wurde in Ebstorf (Landkreis Uelzen) ein Konzert durchgeführt, an dem ca. 100 Personen teilnahmen. Es spielten die Bands "Faustrecht" (Bayern), "Short Cropped" und "Les Vilains" (beide Belgien) sowie zwei weitere Bands. In Groß Mackenstedt (Landkreis Diepholz) wurde am 13. August anlässlich des 30-jährigen Bestehens der Bremer Band "Endstufe" eine Musikveranstaltung durchgeführt, bei der neben der Hauptband die Bands "Bunker 16" (Syke) und "Vierländer Jungs" (Hamburg) vor 150 eingeladenen Besuchern spielten. Das vierte Skinhead-Konzert fand am 26. November in Braunschweig statt. Ursprünglich hatten die Veranstalter geplant, das Konzert in Lengede durchzuführen. Weil der Vermieter der Lokalität vom Vertrag zurücktrat, wurde das Konzert kurzfristig nach Braunschweig verlagert. Dadurch konnte das Konzert nur mit einer wesentlich geringeren Besucherzahl durchgeführt werden. Vor ca. 80 Personen spielten die englischen Bands "Blackout" und "Section 88". Die ebenfalls angekündigte Band "Timebomb" aus Schleswig-Holstein konnte wegen der Verlegung des Konzertortes und der damit verbundenen zeitlichen Begrenzung für das Spielen von LiveMusik nicht auftreten. Die Liederund Balladenabende sind im Vergleich zum Zwei Liederund Vorjahr von vier auf zwei zurückgegangen. Die beiden VerBalladenabende anstaltungen fanden am 29. Januar und am 2. Oktober in Einohne Außenwirbeck statt. kung Darüber hinaus wurden drei geplante Veranstaltungen durch das rechtzeitige Handeln der Sicherheitsbehörden im Vorfeld verhindert. 122 Rechtsextremismus 3.8 Rechtsextremistische Aktivitäten im Internet Das Internet hat als Kommunikationsmittel für Rechtsextremisten zunehmend an Bedeutung gewonnen. Neben dem internen Informationsaustausch ist insbesondere die Nutzung als Werbeplattform für rechtsextremistische Parteien und Gruppierungen von hohem Interesse, da offene werbewirksame Auftritte eher gestört bzw. unterbunden werden. Die Anzahl der von deutschen Rechtsextremisten betriebenen Internetseiten betrug Ende 2011 ca. 1.000 Seiten64. Chat-Rooms Im Internet werden - in vermeintlich anonymer Umgebung und Foren - exzessiv fremdenfeindliche und antisemitische Positionen fördern verbreitet. Chat-Rooms und Diskussionsforen wie das Thiazi Zusammenhalt Forum65 haben für den Zusammenhalt der Szene einen immer größeren Stellenwert erlangt. Das Internet bietet die Möglichkeit, in nicht offenen, durch Passwort geschützten Bereichen miteinander zu kommunizieren. Rechtsextremisten versuchen auf diese Weise, Organisationsverbote zu unterlaufen und Kontakte auch zu Rechtsextremisten im Ausland zu knüpfen. Auf Jugendliche üben diese interaktiven Dienste eine besondere Faszination aus. Der Einstieg in rechtsextremistische Zusammenhänge ist leicht möglich, Gleichgesinnte sind schnell gefunden. Der rechtsextremistischen Szene wird durch diese Kommunikation ein neues Wir-Gefühl vermittelt. Zur Unterstützung politischer Aktivitäten von Rechtsextremisten ist das Internet von erheblichem Interesse. Neben der Nutzung als Kommunikationsmedium können Materialien für den Wahlkampf wie Flugblätter, Spukis66 und andere Propagandamittel zum Download angeboten werden, um so die Verbreitung zu vereinfachen. Des Weiteren werden häufig aus Anlass von Demonstrationen, Kampagnen und Veranstaltungen Sonderseiten in das Internet eingestellt, die mit Internetseiten rechtsextremistischer Organisationen verlinkt sind. RechtsextreEinen hohen Stellenwert bei der Verbreitung rechtsexmisten in Social tremistischen Gedankenguts haben Videoplattformen wie Communities YouTube oder MyVideo. Fast alle szenerelevanten rechtsextremistischen Bands, darunter die niedersächsische Gruppe "Stahlgewitter", nutzen die Videoplattformen zur Verbreitung ihrer Musik. Videos über rechtsextremistische Demons64 Gesamtzahl rechtsextremistischer Seiten im Internet; Bands, Parteien, Kameradschaften und sonstige rechtsextremistische Organisationen zusammengerechnet (Quelle BfV, April 2012). Bei der von den Verfassungsschutzbehörden abgestimmten Zählweise werden solche Internetseiten berücksichtigt, die im Verlauf des Jahres das Bemühen um Aktualität erkennen lassen und bei denen ein Interesse an den eingestellten Informationen durch Internetnutzer feststellbar ist. 65 111.909 Themen, 1.467.776 Beiträge, 29.667 Benutzer, aktive Benutzer 3.173 (Stand: 29.11.2011). Als Folge der vom BKA ausgeführten Durchsuchungensmaßnahmen am 14. Oktober ist das Forum im Internet nicht mehr erreichbar. 66 Als Spukis bezeichnet man Papier mit beschichteter Rückseite, das bei Befeuchtung klebt. Rechtsextremismus 123 trationen oder Aktionen werden zumeist unmittelbar nach dem Ereignis über die Videoplattformen ins Netz gestellt. Daneben nutzen Rechtsextremisten auch besonders die zum so genannten Web 2.0 zählenden Social Communities, z. B. MySpace, Ning, Facebook und SchülerVZ. Bei diesen Social Communities bietet die einfache Gestaltung eigener Internetauftritte einen besonderen Vorteil gegenüber der aufwändigeren Gestaltung klassischer Internetseiten. Bei Facebook z. B. ist die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) mit einer eigenen Seite vertreten. In einem Artikel in der Juni-Ausgabe der "Deutschen Stimme", dem Presseorgan der NPD, äußert sich das Mitglied des bayrischen NPD-Landesvorstands Patrick SCHRÖDER zu den Nutzungsmöglichkeiten des Internets für Rechtsextremisten. SCHRÖDER betreibt das rechtsextremistische Internetradio67 "Radio-FSN.de"68 mit einem angeschlossenen Forum. Die Funktionen von Radio und Forum beschreibt SCHRÖDER folgendermaßen: "Durch die Möglichkeiten, die dieses Netzwerk bietet, können nahezu alle Bereiche des politischen Kampfes unterstützt werden. ... Wenn FSN die Verbreitung erfährt, die wir uns wünschen, dann haben wir bald in vielen Orten Aktive, von denen man im >>normalen<< Leben nie Notiz genommen hätte. ... Für den Bereich >>Schulung<< stelle ich mir unter anderem vor, dass die registrierten Mitglieder unseres Netzwerkes in Zukunft per ePost entsprechendes Schulungsmaterial zugesandt bekommen können." Über die Nutzung der bekannten Sozialen Netzwerke und auf die Frage der Wechselwirkung mit dem Beitrag, den "RadioFSN.de" leisten soll, führt SCHRÖDER im selben Artikel aus: "Bisher fehlt ja ein >>national-soziales<< Netzwerk gänzlich. Die Nutzung der etablierten Communities sollte parallel laufen. Hier muß es vor allem das Ziel sein, mit seinem Auftreten den Unterstützer-, Symphatisantenund natürlich Freundeskreis weiter auszubauen." 67 Bei Internetradios handelt es sich um die Übertragung von Hörfunksendungen über das Internet, die zum Teil auf eigenständigen Homepages angeboten werden und zum Teil auf anderen rechtsextremistischen Internetseiten eingebunden sind. Nicht zuletzt wegen der technischen Voraussetzungen ist jedoch von einer geringen Anzahl von Zuhörern auszugehen. 68 FSN steht für den NPD-Leitspruch "Frei-Sozial-National", Deutsche Stimme, Ausgabe Juni 2011, Seite 3. 124 Rechtsextremismus Gerichtsverfahren Nachdem bereits in den Vorjahren Gerichtsverfahren gegen gegen Betreiber von die Betreiber von Internetradios durchgeführt wurden, waren rechtsextremistischen 2011 die Betreiber der Internetradios "Radio Irminsul"69 und Internetradios "Radio Kaffeebraun" von Exekutivmaßnahmen wegen des Verdachts der Verbreitung von rechtsextremistischen Inhalten betroffen. Gegen zwölf Betreiber des rechtsextremistischen Internetradios "Widerstand Radio" begann am 12. Dezember die Hauptverhandlung vor dem Landgericht Koblenz. Die Anklage lautet auf Bildung einer kriminellen Vereinigung sowie Volksverhetzung. Im selben Zusammenhang waren am 11. April bereits 18 Beschuldigte wegen Volksverhetzung und Bildung einer kriminellen Vereinigung zu Haftstrafen zwischen 21 Monaten auf Bewährung und drei Jahren und drei Monaten ohne Bewährung verurteilt worden. Dass sich das Internet nicht als rechtsfreier Raum darstellt, belegt auch die Verurteilung der beiden Betreiber des rechtsextremistischen Internetportals "Altermedia Deutschland" am 26. Oktober durch das Landgericht Rostock zu Haft für insgesamt 50 Straftaten wegen Volksverhetzung, Beleidigung, Aufruf zu Straftaten, Verunglimpfung des Andenkens Verstobener sowie das Verwenden verfassungsfeindlicher Symbole. Die Internetpräsenz "Altermedia Deutschland" ist ein so genanntes Nachrichtenportal. Hier werden einerseits Themen mit unmittelbarem Bezug zum Rechtsextremismus angeboten, andererseits werden allgemeinpolitische Themen im eingefärbten politischen Kontext dargestellt oder entsprechend kommentiert. Die Kontrolle der rechtsextremistischen Aktivitäten im Internet stellt Internetanbieter und Sicherheitsbehörden vor erhebliche Probleme. Für die Anbieter sind die extremistischen Inhalte nicht immer zu erkennen, so dass interne Kontrollmechanismen nicht greifen und eine Löschung der Beiträge nicht erfolgt. Für die Sicherheitsbehörden bedeutet das Auffinden und Bewerten rechtsextremistischer Seiten im Internet wegen der hohen Fluktuation der Internetpräsenzen einen hohen zeitlichen und personellen Aufwand. Auch in diesem Fall ist Prävention durch Aufklärung70 über die transportierten Inhalte eine vordringliche Aufgabe. 69 Das Wort Irminsul stammt aus der nordischen Mythologie und bezeichnet ein heiliges Symbol in Form einer großen Holzsäule. 70 Siehe hierzu auch Kapitel 1.15. Rechtsextremismus 125 3.9 Neonazistische Szene Das neonazistische Personenpotenzial ist bundesweit erneut Erneuter Anstieg angestiegen. 6.000 Personen (2009: 5.000, 2010: 5.600) werdes neonazistischen den der Szene zugerechnet. Da Neonazis im Vergleich zu Personenpotenzial subkulturell orientierten Rechtsextremisten über eine ausgeprägte Weltanschauung verfügen, signalisiert diese Entwicklung eine sich weiter verstärkende Ideologisierung junger Rechtsextremisten. In Niedersachsen liegt das neonazistische Personenpotenzial bei 420 Personen (2010: 400). Die neonazistische Szene ist inzwischen äußerst heterogen. Sowohl das äußere Erscheinungsbild als auch die Organisationsformen und -strukturen sowie die ideologische Ausrichtung unterlagen in den letzten Jahren einem ständigen Wandel. Elemente der rechtsextremistischen Subkultur haben EinHeterogene zug in die neonazistische Szene gefunden, so dass die Abgrenneonazistische zung zwischen diesen beiden Bereichen des RechtsextremisSzene mus zunehmend schwerfällt 3.9.1 Neonazistische Kameradschaften Bis in die 1990er Jahre hinein dominierten neonazistische Organisationen mit Vereinsoder Verbandsstrukturen die Neonaziszene. Als Reaktion auf die Verbote verschiedener Vereinigungen in der ersten Hälfte der 1990er Jahre entwickelten hiervon betroffene Neonaziführer mit den neonazistischen Kameradschaften erstmals eine Organisationsform ohne greifbare verbotsfähige formale Strukturen und Mitgliedschaften.71 Konzipiert waren die Kameradschaften als Träger neonazistischer Agitation und Aktion auf örtlicher Ebene. Neben gruppenzentrierten Aktivitäten wie Kameradschaftsabenden mit Stammtischcharakter oder internen Vortragsund Schulungsveranstaltungen zählen hierzu auch öffentlichkeitswirksame Propagandaaktionen, Flugblattverteilungen oder Infostände. Überregional wirken die Kameradschaften insbesondere durch die Teilnahme an Demonstrationen der rechtsextremistischen Szene zusammen. Die landesund teilweise bundesweite Mobilisierung erfolgt über die Einbindung in überregionale Netzwerke. Diese auf persönlichen Kontakten 71 Der Begriff Kameradschaft wird von Polizei und Verfassungsschutz unterschiedlich definiert. Während die Kameradschaften in der polizeilichen Arbeit im Hinblick auf die von ihnen bzw. ihren Angehörigen ausgehenden Gefährdungspotenziale bewertet werden, stehen bei der Bewertung durch den Verfassungsschutz Anhaltspunkte für politische Bestrebungen im Vordergrund. Insofern bilden die in den Statistiken der Polizei genannten Kameradschaften den militanten Anteil und damit eine Teilmenge der vom Verfassungsschutz unter ideologischen Aspekten registrierten Kameradschaften. 126 Rechtsextremismus beruhenden informellen Kommunikationsstrukturen gehen auf die ehemalig eigens zur überregionalen Vernetzung eingerichteten Aktionsbüros zurück. Deren Bedeutung nahm im Zuge der Verbreitung moderner Kommunikationsmittel zwar kontinuierlich ab, dennoch kommt es auch gegenwärtig noch zu regionalen und länderübergreifenden Koordinierungstreffen. Gesellschafts-, Bis Ende der 1990er Jahre beherrschten revisionistische wirtschaftsund Themen die ideologische Ausrichtung der neonazistischen sozialpolitische Szene. Öffentliche Veranstaltungen hatten häufig direkten Themen im Bezug zum historischen Nationalsozialismus. Der Widerstand, Vordergrund den diese Aktivitäten in der Bevölkerung auslösten, widersprach dem zunehmenden Bemühen der Szene, sich als eine ernstzunehmende politische Alternative darzustellen. Seit der Jahrtausendwende stehen deshalb gesellschafts-, wirtschaftsund sozialpolitische Themen wie "staatliche Repression", "Anti-Globalisierung", "Anti-Kapitalismus", "Arbeitsund Gesundheitsreform" oder die Forderung zur Schaffung "Nationaler Jugendzentren", "Tierund Umweltschutz" sowie die "Alkoholund Drogenproblematik" im Vordergrund. Großveranstaltungen mit revisionistischem Charakter wie das zentrale "Heldengedenken" im brandenburgischen Halbe oder die Gedenkveranstaltungen zum Todestag des ehemaligen Hitler-Stellvertreters Rudolf Heß verloren demgegenüber - auch infolge staatlicher Maßnahmen - an Bedeutung. 3.9.2 Autonome Nationalisten Parallel zur Aktualisierung der Themen bildete sich mit den Autonomen Nationalisten (AN) ein neues Phänomen im Bereich des Neonazismus heraus. Für die aktionsorientierten AN, die erstmals 2002 in Berlin als AntiAntifa-Projekt in Erscheinung traten72, steht die Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner im Mittelpunkt der Aktivitäten. Am auffälligsten waren die damit verbundenen stilistischen und aktionistischen Veränderungen durch die Übernahme ursprünglich linksextremistischer Aktionsformen. Selbst Symbolik, Rhetorik und Auftreten lehnen sich an linksextremistische Vorbilder an. Ein Beispiel hierfür ist die Bildung eines als NS-Block bezeichneten rechtsextremistischen Schwarzen Blocks bei Demonstrationen. Die strategische und stilistische Orientierung am politischen Gegner und das revolutionär-elitäre Selbstverständnis 72 Der Begriff "Autonome Nationalisten" taucht innerhalb der rechtsextremistischen Szene vereinzelt bereits seit Mitte der 1990er Jahre auf. Rechtsextremismus 127 der AN führten zu szeneinternen Kontroversen. Der NPD, aber auch Teilen der traditionellen Neonaziszene, muteten die AN zu individualistisch und "liberal" an. Um diesen Vorbehalten und dem Vorwurf zu begegnen, die AN würden die Idee einer Querfront, also eine Aktionseinheit mit Linksextremisten, verfolgen und dadurch die eigene Weltanschauung verraten, veröffentlichte die Aktionsgruppe Ruhr-Mitte Anfang 2008 eine Grundsatzerklärung: "Es gibt, und wird ewig, nur einen wahren Nationalen Bekenntnis zum Sozialismus geben. Als Weltanschauung entwickelt sich historischen dieser selbständig weiter, modernisiert sich bezüglich der Nationalsozialismus Aktionsgebiete, basiert aber weiterhin auf den grundlegenden Leitsätzen, die einst in eindeutigen Schriften und Büchern festgelegt wurden. ... Unser Nationalismus ist von Natur aus sozial, und nicht unser Sozialismus national." (Interneterklärung der Aktionsgruppe Ruhr-Mitte: "Für den einzig wahren Nationalen Sozialismus - Gegen Verfälschung und kontraproduktive Erneuerungen", Ausdruck vom 17. November) Im Unterschied zu den Anhängern des herkömmlichen Kameradschaftsmodells definieren die häufig in so genannten Aktionsgruppen auftretenden AN ihre jeweilige Zugehörigkeit nicht durch "Mitgliedschaft" sondern durch "Mitmachen": "... da wir kein Verein oder ähnliches sind, ist es nicht möglich uns einfach zu verbieten wie z. B. Kameradschaft XY, wir sind für den politischen Gegner nicht so einfach 'greifbar' und trotzdem durch unseren Autonomen Aktivismus (welcher viele Formen hat) ständig präsent! Hinzu kommt, dass jeder (vertrauenswürdige) Aktivist sich in seine Gruppe einbringt, er ist an Planungen sowie Aktionen beteiligt und bringt ständig neue Ideen mit. Bei uns ist nicht 'die Gruppe' national und sozialistisch, sondern auch jeder einzelne innerhalb der Gruppe! Dabei liegt jedem die Idee des DIY - [do it yourself] Aktivismus zugrunde ... . Daraus folgt ein Konzept des politischen Partisanen, welcher sich anonym in der Gesellschaft bewegt - und somit die Ideen seiner politischen Arbeit unter die Menschen trägt." (Interneterklärung der Autonomen Nationalisten Wolfenbüttel/Salzgitter zum Thema "Autonomer Aktivismus", Ausdruck vom 17.01.2012) 128 Rechtsextremismus Ungeachtet des solchermaßen propagierten führerlosen Widerstandes existieren innerhalb der Szene der AN Hierarchien mit regional dominierenden Führungsaktivisten. Provokatives Das Aufkommen der AN hatte verschiedene Ursachen. Auftreten und Teile der neonazistischen Szene, insbesondere die strikten Gewaltbereitschaft Verfechter eines parteifreien Nationalismus, betrachteten die NPD-Eintritte führender Neonazis im Jahr 2004 mit kritischer Distanz. Sie befürchteten eine Vereinnahmung durch eine "zu gemäßigte" NPD. Parallel wurde in der Szene eine kontroverse Diskussion über den grundsätzlichen Umgang mit staatlicher Repression geführt. Radikale Vertreter der rechtsextremistischen Szene sind nicht mehr bereit, als schikanös betrachtete Auflagen der Behörden oder Blockaden durch Gegendemonstranten bei eigenen Demonstrationen ohne Gegenwehr hinzunehmen. Sie suchen im provokativen, unter Umständen gewalttätigen Auftreten der AN eine Alternative. Das Phänomen der AN breitete sich zunächst von Berlin auf weitere Ballungsräume (Ruhrgebiet, München) aus. Mittlerweile registrieren die Verfassungsschutzbehörden AN-Szenen über das gesamte Bundesgebiet verteilt mit den regionalen Schwerpunkten Berlin und Ruhrgebiet. Zu beobachten ist, dass sich die Grenzen zwischen traditioneller Kameradschaftsszene und der Szene der AN verwischen. Diese Entwicklung hat ideologische und habituelle Gründe. So rückten bei den AN zunehmend wieder theoretische Grundlagen des Nationalsozialismus in den Vordergrund. Eine besondere Rolle bei dieser Rückbesinnung spielen ideologische Grundsätze aus der Anfangsphase des Nationalsozialismus. Zum Ausdruck kommt dies beispielsweise durch die Verwendung eines Emblems, auf dem sich Hammer und Schwert kreuzen.73 Trotz dieses Trends der Reideologisierung bilden die AN keinen weltanschaulich geschlossenen Block. Verbreitete Parallel zur ideologischen Rückbesinnung wirkten sich insÜbernahme besondere die für Jugendliche attraktiven Elemente einer von stilistischer Eleverschiedenen Jugendsubkulturen beeinflussten Ästhetik und mente der AN Erlebnisorientierung modernisierend auf die gesamte Neonaziszene aus. Diese Übernahme stilistischer Elemente durch andere Rechtsextremisten erschwert es, die Anzahl der AN genau zu beziffern. Schätzungen reichen bis zu 20 Prozent des neonazistischen Personenpotenzials. 73 Dieses, die Volksgemeinschaft von Arbeitern und Soldaten symbolisierende Emblem, hat seinen Ursprung in den vom linken Flügel der NSDAP um die Gebrüder STRASSER Ende der zwanziger Jahre herausgegebenen "Nationalsozialistischen Briefen". Rechtsextremismus 129 3.9.3 Informelle Gruppen und Netzwerke Informelle Gruppierungen weisen im Vergleich zu Kameradschaften nochmals reduzierte Strukturen auf und beschränken sich meist auf eine lose Interaktion. Hierunter fallen Personenzusammenschlüsse, die nicht die Kriterien von Kameradschaften erfüllen, die sich aber auch nicht dem Bereich der AN zurechnen. Derartige Personenzusammenschlüsse bezeichnen sich - häufig in Kombination mit einem Hinweis auf ihre regionale Herkunft - als Freie Kräfte. Informelle Gruppen bilden einerseits Rekrutierungspotenzial für bereits bestehende Kameradschaften bzw. Aktionsgruppen, andererseits beteiligen sie sich in organisatorisch eigenständiger Form an Aktionen regional agierender neonazistischer Netzwerke. Wie im Falle der Beteiligung an Aktionsformen der AN sind die Übergänge zwischen den verschiedenen Bereichen der neonazistischen Szene teilweise fließend und individuelle Zugehörigkeiten häufig nur in abstrakter Form möglich. Informellen regionalen oder überregionalen Netzwerken gehören sowohl Angehörige von Kameradschaften, Aktionsgruppen und informellen Gruppen an. Sie sind - ähnlich den Aktionsgruppen auf örtlicher Ebene - häufig in Erscheinungsbild und Vorgehensweise den AN angelehnt und zur Durchführung von konspirativ vorbereiteten Aktionen in der Lage. Bei diesen Aktionen hervorzuheben ist die seit dem Frühjahr 2011 zu beobachtende Aktionsreihe mit dem Titel "Die Unsterblichen". Den Auftakt bildete ein in der Nacht zum 1. Mai durchgeführter Fackelmarsch mit ca. 200 einheitlich mit weißen Theatermasken maskierten rechtsextremistischen Teilnehmern in Bautzen (Sachsen). Ein professionell gestaltetes Video des Aufmarsches fand innerhalb der neonazistischen Szene in ganz Deutschland große Resonanz. Seither wurden im gesamten Bundesgebiet unangemeldete Aktionen im Stil der "Unsterblichen" durchgeführt. Die "Unsterblichen" können als ein Instrument angesehen "Die Unsterbwerden, Ideologie und strategische Vorstellungen in Form lichen" als neue von Aktionen umzusetzen. In ideologischer Hinsicht versinnAktionsform bildlichen die einheitlichen Masken das Zurückstehen von Individuen und Egoismen hinter dem Erfolg der Gemeinschaft, auf strategischer Ebene tragen die gewählten Aktionsformen einer geänderten Erwartungshaltung aktionsorientierter Neonazis Rechnung. Deren Selbstverständnis einer jungen und dynamischen Bewegung kollidiert zunehmend mit der infolge behördlicher Auflagen und massiver Gegenproteste häufig stark eingeschränkten Durchführbarkeit angemeldeter rechtsextremistischer Demonstrationen. 130 Rechtsextremismus Abkehr von Die bei den Aktionen der "Unsterblichen" feststellbare Abfesten Organisatikehr von festen Organisationsstrukturen innerhalb der neoonsstrukturen nazistischen Szene kann als Spiegelbild einer in der gesamten Gesellschaft zu verzeichnenden schwindenden Bereitschaft zu langfristiger Einbindung in Organisationen und Vereinen gesehen werden. Insofern spiegelt auch die Gemeinschaft propagierende neonazistische Szene einen Trend zu einer zunehmenden Individualisierung wider. Eine eindeutige Abgrenzung zwischen den verschiedenen organisatorischen Erscheinungsformen des Neonazismus wird durch das gemeinsame Zusammenwirken in regionalen und überregionalen Netzwerken zusätzlich erschwert. 3.9.4 Ideologie der neonazistischen Szene In ideologischer Hinsicht eint die neonazistische Szene das unterschiedlich ausgeprägte Bekenntnis zum historischen Nationalsozialismus. VolksgemeinZiel ist die Überwindung des bestehenden demokratischen schaft Systems. An dessen Stelle soll ein am Führerprinzip ausgerichteter Staatsaufbau treten, dessen Grundlage eine rassistisch verstandene Volksgemeinschaft bildet: "Volksgemeinschaft soll vorrangig das Gemeinwohl sichern. Unter anderem Schutz der Einzelnen vor Einzelanliegen Einzelner. Die Volksgemeinschaft schafft die Verpflichtung für die Mitwirkung aller im Volk. Sie wird zwar stets kleinere naturgemäße Gegensätze beinhalten, aber dennoch ein gemeinsames Fundament aller schaffenden Deutschen sein. In ihr soll der Klassenkampf aufgehoben sein. In der Volksgemeinschaft steht nicht der am höchsten, der am meisten besitzt (Kapital), sondern der, der am meisten für die Gemeinschaft schafft. Sozialismus der Tat kann es daher nur in der Volksgemeinschaft geben. (Internetseite der Bürgerinitiative für Zivilcourage Wolfsburg, Politische Grundbegriffe, Ausdruck vom 18.01.2012) Langfristige Zur Erreichung dieses Ziels wird ein revolutionärer Ansatz verStrategie folgt. Bestimmend für diese langfristig angelegte Strategie ist eine antiparlamentarische Ausrichtung: Rechtsextremismus 131 "Als freie Nationalisten zielen wir nicht auf schnelle Scheinerfolge ab. Wir sind uns dessen bewusst, dass der politische Kampf kein Ende kennt, sondern immer neue Formen. Darum setzen wir auch künftig auf einen stetigen Aktivismus und denken in großen Zeiträumen. Nicht die nächsten Wahlen sind von Bedeutung, sondern die nächsten Generationen! Nicht Parteien sind von Bedeutung, sondern die Weiterentwicklung der ganzen Bewegung!" (Schwarze Fahne - Nationale und sozialistische elektronische Zeitschrift, Nummer 4, Januar 2010: "Perspektiven für den Freien Widerstand") Die Ablehnung der Demokratie umfasst auch das wirtschaftspolitische System. Neonazis sehen im Kapitalismus den "Feind der Freiheit und der Existenz der Völker". Antikapitalismus: Ist in einer krankenden Zeit, in der Kapitalismus - Sinnbild für den Feind der Völker geworden ist, einer der wichtigsten Bestandteile unseres Widerstandes geworden. Unsere Wirtschaft dient nicht dem Volk, sondern einer absoluten Minderheit, auf Kosten des Volkes! ... [Es ist] leicht zu begreifen, wohin uns der Weg des Kapitalismus führen wird ... - zu einem globalen Weltmarkt, in dem völkische Gemeinschaften keinen Platz mehr haben. ... Werte und Traditionen werden im Laufe der Amerikanisierung abgeschafft, Kriege werden unter dem Deckmantel der Demokratie geführt, um den Einfluss des Kapitals auf freie Völker zu stärken - bis nur noch blinde 'fast-food-kauende' Konsumenten übrig sind - eine vom Konsum gesteuerte Nation, die auf ihren Selbstschutz verzichtet und ihr Volk dem internationalen Kapital zum Fraß vorwirft." (Internetbeitrag der Autonomen Nationalisten Wolfenbüttel/Salzgitter zum Thema "Antikapitalismus"; Ausdruck vom 17.01.2012) Als Gegenmodell wird ein auf völkischen Vorstellungen basierender, autarker Nationalstaat propagiert. 132 Rechtsextremismus 3.9.5 Verhältnis zur NPD Übereinstimmende Feindbilder und Ideologieelemente bilden die Basis für eine politische Zusammenarbeit von Neonazis und NPD. Auch die NPD propagiert die auf dem historischen Nationalsozialismus fußende Vorstellung von einer Volksgemeinschaft, die Individualrechte negiert und Klassenund Parteiengegensätze aufheben soll. Allerdings bestehen hinsichtlich der Erreichung dieses Ziels erhebliche Differenzen. Aus Sicht maßgeblicher Freier Nationalisten74 akzeptiert die NPD durch die Beteiligung an Wahlen die Spielregeln einer parlamentarischen Demokratie und begeht damit Verrat am gemeinsamen Ziel, die bestehende Gesellschaftsordnung auf revolutionärem Wege durch eine Volksgemeinschaft zu ersetzen. Die folgende Stellungnahme verdeutlicht die grundlegende Ablehnung des parlamentarischen Weges durch die NeonaziSzene: Selbst wenn eine Machtübernahme durch eine Wahl nach den Vorgaben des Grundgesetzes erfolgen soll, ist die Demokratie nicht zu propagieren..., da auf unser Modell einer Staatsleitung durch Deutsche, die dazu aufgrund ihrer Anlagen befähigt sind, verwiesen werden muss. Es versteht sich von selbst, dass derartige Ansichten der freiheitlich-demokratischen Grundordnung (FDGO) nicht entsprechen. Eine Partei unter diesen Gesichtspunkten führen zu wollen, ist deshalb aussichtslos. Die Frage ist nun, ob der organisationstechnische Vorteil von Parteistrukturen die propagandistischen Nachteile aufwiegt, die ein Verzicht auf Beziehen klarer Positionen zur Demokratie mit sich bringt. Doch selbst, wer der demokratischen Partei als nötiger Organisationsstruktur bedarf, ist gehalten, sein inneres Selbstverständnis bezüglich 'der Demokratie' zu überprüfen." (Internetbeitrag der Autonomen Nationalisten Bückeburg vom 28. August: "Warum gegen Demokratie ?" Ausdruck vom 29. August) Die grundsätzliche Ablehnung einer Wahlbeteiligung weicht in der Praxis einer pragmatischen Haltung. So kommt es auf verschiedenen Ebenen häufig zu engen Kooperationen zwischen Freien Nationalisten und der NPD. Im Zusammenhang mit dem von der NPD propagierten "Kampf um die Straße" stellen Freie Nationalisten bei Demonstrationen regelmäßig 74 Als Freie Nationalisten werden Kameradschaftsanhänger und einzeln oder in Cliquen agierende Neonazis bezeichnet, die Bestandteil der so genannten freien nationalen Strukturen sind. Rechtsextremismus 133 den Großteil der Teilnehmer und leiten u. a. daraus ihren Anspruch auf Gleichberechtigung ab. Die sich noch deutlicher vom parlamentarischen RechtsexZusammenarbeit tremismus distanzierenden Autonomen Nationalisten favoritrotz strategischer sieren eine Zusammenarbeit mit den sich ebenfalls jugendlichDifferenzen revolutionär gebenden, in Niedersachsen teilweise völkischorientierten Jungen Nationaldemokraten (JN). Entscheidend für eine Zusammenarbeit sind zumeist langfristig gewachsene persönliche Verbindungen. 3.9.6 Neonazistische Personenzusammenschlüsse in Niedersachsen und ihre Aktivitäten Die Etablierung der Aktionsformen Autonomer Nationalisten (AN) führte 2008 auch in Niedersachsen zur Entstehung zahlreicher neuer Aktionsgruppen. Einige dieser Gruppen beschränken sich mittlerweile auf durch Einzelpersonen fortgeführte Internetprojekte oder stellten ihre Aktivitäten ganz ein. Demgegenüber konnten andere Aktionsgruppen ihre Strukturen festigen oder ihre Position durch Kooperation mit anderen neonazistischen Personenzusammenschlüssen ausbauen. Die neonazistische Szene in Niedersachsen ist gekennzeichnet durch ein heterogenes Erscheinungsbild. Für rechtsextremistische Aktivitäten sind klassische Kameradschaften ebenso verantwortlich wie Aktionsgruppen der AN und informelle Gruppierungen.75 Die Übergänge zwischen den verschiedenen Bereichen der neonazistischen Szene sind teilweise fließend - wie die Übernahme stilistischer Elemente der AN durch Angehörige der traditionellen Kameradschaftsszene oder deren Beteiligung an der Bildung eines rechtsextremistischen Schwarzen Blocks zeigt. Zu beobachten ist auch in Niedersachsen eine zunehmende Grenzen zwischen Verzahnung der traditionellen Neonaziszene und der Szene AN und Kameradder AN. Häufig hängt die Wahl des Erscheinungsbildes oder schaften fließend der Aktionsform maßgeblich von Art, Inhalt oder Zielrichtung der jeweiligen Veranstaltung oder Situation ab. Prägenden Einfluss auf die neonazistischen Aktivitäten in Niedersachsen hatte in diesem Jahr insbesondere die Gruppierung Besseres Hannover. Wie in den letzten Jahren machten daneben die Freien Kräfte Celle, die Snevern Jungs aus dem Raum Schneverdingen, die Bürgerinitiativen für Zivilcourage Hildesheim und Wolfsburg und die Kameradschaft Hildesheim auf sich aufmerksam. Hervorzuheben sind weiterhin die Burschenschaft Thormania, die Aktionsgruppe Gifhorn, die 75 Informelle Gruppierungen weisen im Vergleich zu Kameradschaften nochmals reduzierte Strukturen auf und beschränken sich meist auf eine lose Interaktion. 134 Rechtsextremismus Neonazi-Szenen in Buchholz in der Nordheide und Tostedt, das Netzwerk Nationaler Sozialisten Bückeburg und die Autonomen Nationalisten Wolfenbüttel/Salzgitter. Besseres Mit den Worten "Hier verlässt du das System [...] Hier zeiHannover gen wir dir DIE NEUE NATION" und einem auf Jugendliche zielenden Video, in dem der vermeintlich trostlosen Realität eine Vielfalt propagandistischer Aktivitäten mit Erlebnischarakter entgegenstellt wird, werden Besucher auf der Internetseite der Gruppierung Besseres Hannover empfangen. Die seit Anfang 2010 aktive Gruppierung, die Angehörige der neonazistischen Szene aus der Region Hannover umfasst, zielt darauf ab, mit spektakulären Aktionen Aufmerksamkeit zu erreichen. Sie propagiert das Ziel der Volksgemeinschaft, das sie als neonazistische Organisation ausweist. Als beispielhaft für den fremdenfeindlichen Charakter der Aktionen ist der so genannte "Abschiebär" zu nennen, der als "neue Waffe für die Durchsetzung unserer politischen Ziele und zur Bewahrung unserer Kultur" dienen soll. Auf der Internetseite von Besseres Hannover heißt es hierzu wörtlich: "Wir nehmen es nicht mehr hin, dass die Abschiebung von Ausländern in ihre Heimat von den Medien als etwas Schreckliches dargestellt wird. Wir haben die Schnauze voll und können auch anders! Abschiebung kann auch beglückend sein. Das folgende Video soll ein kleiner Vorgeschmack auf das sein, was im nächsten Jahr ansteht." (Internetseite von Besseres Hannover, Ausdruck vom 17.01.2012) In dem Video zeigt der "Abschiebär" vor einem Dönerimbiss den verbotenen Hitlergruß. Hervorzuheben ist zudem die von der Gruppierung erstellte Schülerzeitung Bock - Das Sprachrohr der Gegenkultur. Zwei der bislang vier erschienenen Ausgaben, die auch auf der Internetseite zum Herunterladen bereitgehalten werden, wurden durch die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien indiziert. Der dieser Publikation und den öffentlichkeitswirksamen Aktionen szeneintern beigemessene Erfolg sowie die regelmäßige Beteiligung an rechtsextremistischen Demonstrationen verhalfen der Hannoveraner Gruppierung über die Landesgrenzen hinaus zu Anerkennung innerhalb der Neonaziszene. Rechtsextremismus 135 Eng mit der Gruppierung Besseres Hannover kooperieren Freie Kräfte die Freien Kräfte Celle. Unter dieser Bezeichnung tritt in der Celle Region Celle ein aus Angehörigen der ehemaligen Kameradschaft 73 Celle bestehender Personenkreis um deren langjährigen Protagonisten Dennis BÜHRIG auf. Die Kameradschaft 73 Celle hatte sich Ende 2010 mit dem Hinweis aufgelöst, dass das klassische Kameradschaftsmodell als organisatorischer Ausgangspunkt politischer Aktivitäten nicht mehr zeitgemäß sei. Gleichwohl bedeute die Auflösung der Kameradschaft "nicht das Ende der nationalen und sozialistischen Politik in der Region Celle". Neben der Verbreitung von Schulhof-CDs und der auch vor Celler Schulen verteilten Publikation Bock, führten Angehörige der Freien Kräfte Celle Infostände u. a. aus Anlass der Aktionswochen zum Jahrestag der Bombardierung Dresdens durch und nahmen an Demonstrationen, Skinheadkonzerten und anderen szenerelevanten Veranstaltungen teil. Bei den seit ca. 2001 bestehenden Snevern Jungs handelt es Snevern Jungs sich um eine Gruppierung von ideologisch gefestigten Rechtsextremisten, deren Ursprung in der rechtsextremistischen Skinheadszene liegt. Sie nehmen an rechtsextremistischen Demonstrationen und Vortragsveranstaltungen, an öffentlichkeitswirksamen Informationsveranstaltungen zum Rechtsextremismus und öffentlichen Veranstaltungen und Festen teil. Durch ihr selbstbewusstes und provokantes Auftreten sowie die langjährige Szenezugehörigkeit verfügen die Snevern Jungs über eine hohe Reputation und über entsprechend vielfältige Kontakte innerhalb der rechtsextremistischen Szene. Die Wahl des informellen Kameradschaftsführers Matthias BEHRENS im Jahr 2009 zum stellvertretenden Vorsitzenden des NPD-Landesverbandes und zahlreiche von den Snevern Jungs im Rahmen von Wahlen durchgeführte Infostände verdeutlichen die Nähe zur NPD. Für Niedersachsen kann den Snevern Jungs eine Scharnierfunktion im Verhältnis zwischen Freien Nationalisten und NPD zugesprochen werden. Unter der Bürgerengagement vortäuschenden BezeichBfZ nung Bürgerinitiative für Zivilcourage (BfZ) existierte seit ca. Hildesheim 2002 eine neonazistische Gruppierung in Hildesheim. Öffentlichkeit erzeugte die BfZ hauptsächlich über die unaufdringlich gestaltete Internetseite, die selbstverfasste Artikel und Flugblätter zu aktuellen Themen ebenso enthält wie Informationen und Liedgut zu szenerelevanten Ereignissen wie "Heldengedenken" und Sonnenwendfeiern. Hinweise und Ratgeber zur elektronischen Datenspeicherung und verschlüsselten Kommunikation sowie juristisches Grundwissen und Verhaltenstipps zum Umgang mit Justizund Sicherheitsbehörden 136 Rechtsextremismus ergänzten das Angebot. Zur Vertiefung der theoretischen Grundlagen veranstaltete die BfZ am 15. Oktober eine Rechtsschulung mit dem bekannten Neonazi Christian WORCH aus Hamburg, an der auch Angehörige der neonazistischen Szene aus den Bereichen Hannover, Celle, Salzgitter und Wolfsburg teilnahmen. Am 31. Dezember erklärte die BfZ auf ihrer Internetseite formell ihre Auflösung. Ähnlich wie bei der Auflösung der Kameradschaft 73 Celle sollen die Aktivitäten mit dem Ziel, "das neue, bessere Deutschland" zu erkämpfen, jedoch "an anderer Stelle" auf "neuen Wegen" fortgesetzt werden. BfZ Wolfsburg Aktivitäten der gleichnamigen BfZ Wolfsburg sind seit Anfang 2006 zu verzeichnen. Öffentlichkeitswirksam tritt die Gruppierung seither insbesondere durch die Teilnahme an rechtsextremistischen Demonstrationen im norddeutschen Raum in Erscheinung. Gemeinsam mit der BfZ Hildesheim veröffentlichte die BfZ Wolfsburg im April das CD-Projekt "Unsere Lieder klingen wieder". Die CD beinhaltet deutsche Volkslieder, die von verschiedenen Interpreten rechtsextremistischer Musikstile neu eingespielt wurden. Neben dem eigenen InternetBlog unterstreicht die Veröffentlichung von Demonstrationsvideos über das Internet-Videoportal YouTube die jugendspezifische Ausrichtung der Gruppierung. Bei Demonstrationen treten die Angehörigen der BfZ im Stil der Autonomen Nationalisten auf, häufig gemeinsam mit der Aktionsgruppe Gifhorn. Im März 2012 gab die BfZ Wolfsburg über das mit der Aktionsgruppe Gifhorn gemeinsam betriebene Internetportal ihre Umbenennung in Aktionsgruppe Wolfsburg bekannt. Als Gründe wurden die zunehmende staatliche Verfolgung sowie mangelnde Objektivität medialer Berichterstattung angeführt. Zudem entspreche die Bezeichnung Bürgerinitiative zwar dem eigenen Selbstverständnis, sie sei allerdings für Jugendliche oft missverständlich. AG Gifhorn Die Aktionsgruppe Gifhorn (AGG) tritt seit Jahresbeginn 2011 auf. Sie ist dem Bereich der Autonomen Nationalisten zuzurechnen. Zu den Aktivitäten zählen neben regionalen Propagandaaktionen die regelmäßige Teilnahme an Demonstrationen und internen Veranstaltungen der rechtsextremistischen Szene. Dass die Aktivitäten sowohl vor Ort als auch im überregionalen Bereich häufig unter Beteiligung von Angehörigen anderer neonazistischer Gruppierungen, insbesondere aus den Bereichen Braunschweig, Celle, Gifhorn und Wolfsburg sowie Sachsen-Anhalt stattfinden, belegt die enge Einbindung der Aktionsgruppe Gifhorn in die Netzwerkstrukturen der neonazistischen Szene. Berichte über die zahl- Rechtsextremismus 137 reichen Aktionen werden im Internet sowohl über einen eigenen Blog als auch über ein regelmäßig aktualisiertes Profil im sozialen Netzwerk Facebook veröffentlicht. In Braunschweig existiert seit ca. Mitte 2008 die GruppieBurschenschaft rung Burschenschaft Thormania. Anfangs eher dem subkultuThormania rellen Bereich der rechtsextremistischen Szene zuzurechnen, entfaltete die Gruppierung, bei der es sich entgegen der Namensgebung nicht um eine studentische Burschenschaft handelt, zunehmend politische Aktivitäten. 2011 war die Burschenschaft Thormania maßgeblich in die Vorbereitung und Durchführung der Demonstrationen zum "Tag der deutschen Zukunft" (TddZ) am 4. Juni in Braunschweig und Peine mit ca. 600 Teilnehmern eingebunden. Für die 2012 in Hamburg geplante Folgeveranstaltung wurde mit einem Infostand geworben, als die Burschenschaft Thormania am 20. August in Braunschweig eine Veranstaltung mit einem Veteranen der Waffen-SS durchführte. Die Gruppierung unterhält eine eigene Internetseite in Form eines Blogs, auf der über die Teilnahme an Demonstrationen und Veranstaltungen wie "Heldengedenken" oder Sonnenwendfeiern berichtet wird. Die von Dieter RIEFLING dominierte Kameradschaft HildesKameradschaft heim nimmt seit 2008 regelmäßig an Demonstrationen in Hildesheim Niedersachsen und angrenzenden Bundesländern teil. In der Öffentlichkeit tritt die Gruppierung dabei unter der Bezeichnung Nationaler Widerstand Hildesheim oder Hildesheimer Widerstand in Erscheinung. RIEFLING selbst trat bei zahlreichen Veranstaltungen als Redner auf. So auch bei der von ihm angemeldeten Demonstration zum TddZ in Braunschweig am 4. Juni und verschiedenen Veranstaltungen der mit dieser Demonstration verbundenen Kampagne, u. a. am 20. August in Braunschweig. Zuvor hatte RIEFLING als Vertreter der TddZ-Kampagne im Rahmen des Pressefestes des DS-Verlages am 1. und 2. Juli in Jänkendorf (Sachsen) den so genannten Widerstandspreis der Deutschen Stimme entgegen genommen. Entsprechend prägen Berichte über Aktivitäten im Zusammenhang mit der Kampagne die Internetseite der Gruppierung. Über den Mikro-Blogging-Dienst Twitter informiert die Kameradschaft Hildesheim andere Szeneangehörige mit Live-Berichten über die Verläufe der von ihr besuchten Demonstrationen. Angehörige der Neonaziszene Tostedt (Landkreis Harburg) Neonaziszene treten öffentlich unter verschiedenen Bezeichnungen wie Tostedt Nationaler Widerstand Tostedt, AN Tostedt oder Gladiator Germania auf. Während sich ein Teil der Szene weitgehend 138 Rechtsextremismus auf die Beteiligung an öffentlichen Veranstaltungen im örtlichen Umfeld beschränkt und sich dabei durch einheitliche Kleidung als Gruppe zu erkennen gibt, ist ein anderer Teil in neonazistische Aktivitäten eingebunden. Dazu gehören Propagandaaktionen, Heldengedenkveranstaltungen oder die Teilnahme an Demonstrationen, Zeitzeugenund szeneinterne Gemeinschaftsveranstaltungen. Kristallisationsfigur der Tostedter Szene ist der überregional vernetzte Neonazi Stefan SILAR, dessen Geschäft "Streetwear Tostedt" eine Anlaufstelle für die örtlichen rechtsextremistischen Aktivisten bildet. Das Szenegeschäft steht seit Jahren im Fokus linksextremistischer Antifa-Aktivitäten. Gewalttätige Übergriffe im Rahmen dieser Auseinandersetzungen rücken die Tostedter Szene immer wieder ins Blickfeld der medialen Berichterstattung. Im Zusammenhang mit Auseinandersetzungen vor dem Geschäft im Rahmen einer Demonstration der antifaschistischen Szene zu Pfingsten 2010 kam es zur Anklage wegen schweren Landfriedensbruchs gegen SILAR. In erster und zweiter Instanz wurde er zu einer Bewährungsstrafe verurteilt. Gleichzeitig wurde gerichtlich die Schließung des Ladens angeordnet. Nachdem dieses Verfahren vor dem OLG wegen Strafklageverbrauchs aufgehoben und das Strafverfahren eingestellt wurde, wurden im Februar 2012 u. a. Schüsse aus einer Schreckschusswaffe auf das Haus von SILAR abgegeben. Neonaziszene Die Freie Kameradschaft Buchholz löste sich in der ersten Buchholz in Jahreshälfte 2011 auf. Einzelne ehemalige Kameradschaftsder Nordheide angehörige konzentrieren sich seitdem auf die Pflege eines als Infoportal für die Nordheide bezeichneten rechtsextremistischen Blogs im Internet. Die Beiträge weisen zu einem Großteil örtlichen oder regionalen Bezug auf. Regelmäßig werden darin Personen und Organisationen, die sich insbesondere auf kommunaler Ebene öffentlichkeitswirksam mit der rechtsextremistischen Szene auseinandersetzen, diskreditiert und geschmäht. Andere ehemalige Mitglieder wandten sich nach der Auflösung der rechtsextremistischen Szene in Hamburg zu. Im Zusammenhang mit Aktivitäten der Gruppierung Hamburger Nationalkollektiv/Weisse Wölfe Terrorcrew wurden 2011 mehrfach Angehörige der neonazistischen Szene aus Buchholz i. d. N. festgestellt. Ein am 17. Dezember in HamburgHarburg im Stil der "Unsterblichen" durchgeführter nächtlicher Fackelmarsch verdeutlicht die engen Verbindungen untereinander. Als Folge des eingeleiteten Ermittlungsverfahrens kam es im März 2012 zu Durchsuchungen bei den 17 Beteiligten. Zu ihnen zählen auch Angehörige der neonazistischen Szenen aus Buchholz i. d. N. und Tostedt. Rechtsextremismus 139 In Bückeburg orientiert sich eine Gruppe Jugendlicher am Autonome Auftreten der Autonomen Nationalisten. Unter der BezeichNationalisten nung Autonome Nationalisten Bückeburg wurde Ende März Bückeburg eine Internetseite eingestellt, die neben politischen Texten, Videos und Terminen von Demonstrationen auch regionale Nachrichten beinhaltete. Die Internetseite wurde einhergehend mit der am 31. Dezember erklärten Auflösung der AN Bückeburg eingestellt. An deren Stelle trat zum Jahreswechsel 2012 das personengleiche Informationsnetzwerk Nationaler Sozialisten aus Bückeburg, das sich auch weiterhin an demonstrativen Veranstaltungen - häufig gemeinsam mit Angehörigen der neonazistischen Szene aus der Region Hannover (u. a. von Besseres Hannover) und dem benachbarten Nordrhein-Westfalen - beteiligt. Im Zusammenhang mit den Aktivitäten dieses Personenzusammenschlusses ist 2011 eine Zunahme an rechtsextremistisch motivierten Straftaten und ein Anstieg von Auseinandersetzungen zwischen rechtsund linksextremistisch motivierten Personen im Bereich des Landkreises Schaumburg festzustellen. Durch Flugblattverteilungen und eine eigene InternetseiAutonome te werben die seit Mitte 2008 bestehenden Autonomen NaNationalisten tionalisten Wolfenbüttel/Salzgitter (AN-WFSZ) Jugendliche Wolfenbüttel/ für ihre Ziele an. Neben Eigenund Fremdberichten zu akSalzgitter tuellen gesellschaftlichen Entwicklungen nehmen sie zu Themen Stellung, die für Wolfenbüttel und Salzgitter regionale Bedeutung haben. Zudem beteiligen sich Angehörige der anlassbezogen agierenden AN-WFSZ an rechtsextremistischen Demonstrationen oder besuchen Konzerte der rechtsextremistischen Szene. Als weitere Schwerpunkte neonazistischer Aktivitäten sind die Bereiche Einbeck/Northeim, das Bremer Umland, das Emsland, die Harzregion sowie Friesland und Ostfriesland zu nennen. - Beteiligung an Trauermärschen im Bundesgebiet Aufzüge aus Anlass der Jahrestage von Bombardierungen Trauermärsche deutscher Städte durch alliierte Verbände während des 2. Weltkrieges haben identitätsstiftende Bedeutung für die neonazistische Szene. Die demonstrative Betonung des von Deutschen erlittenen Leids sowie die Gleichsetzung des alliierten Luftkrieges mit dem Holocaust dienen der Relativierung der Verbrechen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft. Als wichtigste Veranstaltung dieser Art gilt seit einigen Jahren der jährlich durchgeführte Trauermarsch in Dresden.76 76 Die Bombardierung Dresdens am 13.02.1945 wird von Rechtsextremisten als "Bombenholocaust" bezeichnet. Schwerpunkte neonazistischer Aktivitäten Fr --=" " Ostfriesland Buchhinle Tostedt (r) > Re = Schneverdingen Emsland " Celle . Gifhorn Hannover . 'woltsburg = 'Bückeburg Braunschweig Hildesheim Wolfenbüttel Salzgitter = + Einbeck/ Northeim Harz * (r) Snevern Jungs Schneverdingen sowie in den Bereichen * Freie Kräfte Celle " Braunschweig + Bürgerinitiative für Zivilcourage Hildesheim/ (r) Buchholz i. d. Nordheide Kameradschaft Hildesheim + Einbeck/Northeim + Bürgerinitiative für Zivilcourage Wolfsburg/ * Tostedt AN Wolfsburg * Emsland + AN OÖstfriesiand/Freie Kräfte Ostfriesland * und dem Harz " Aktionsgruppe Gifhorn +" AN Wolfenbüttel/Salzgitter + Besseres Hannover " Aktionsgruppe Oyten * Autonome Nationalisten Bückeburg/ Netzwerk Nationaler Sozialisten Bückeburg Stand: 31.12.2011 Grafik: MI Nds: Abt. 5 Rechtsextremismus 141 Nachdem es im Vorjahr nicht gelungen war, die Demonstration wie geplant durchzuführen, waren 2011 deutlich geringere Teilnehmerzahlen77 zu verzeichnen. Das nachlassende Interesse lag auch an der Durchführung von zwei aufeinanderfolgenden Veranstaltungen anstelle einer zentralen Kundgebung. So fanden sich am 13. Februar, dem Jahrestag der Bombardierung Dresdens, ca. 1.500 Rechtsextremisten zu dem von der Jungen Landsmannschaft Ostdeutschland e. V. (JLO) angemeldeten Trauermarsch ein. Zu der folgenden Veranstaltung am 19. Februar reisten insgesamt ca. 3.000 Rechtsextremisten an, darunter Neonazis aus Buchholz i. d. N., Göttingen, Hannover, Hildesheim, Schneverdingen, Tostedt, Wolfenbüttel und Wolfsburg. Durch Blockaden an der Aufzugstrecke kam es in weiten Teilen des Dresdner Stadtgebietes zu Auseinandersetzungen zwischen Rechtsund Linksextremisten und zu Übergriffen auf Polizeibeamte. Auch am Trauermarsch aus Anlass der Bombardierung Magdeburgs beteiligen sich regelmäßig niedersächsische Neonazis. Mit erneut ca. 1.000 Teilnehmern wurde am 15. Januar die Teilnehmerzahl des Vorjahres erreicht. Angehörige der Bürgerinitiative für Zivilcourage Wolfsburg, der Kameradschaft Hildesheim und des niedersächsischen Landesverbands der Jungen Nationaldemokraten (JN) machten u. a. mit Transparenten mit der Aufschrift "Kein Vergeben, kein Vergessen", "Trotzend aller Macht der Sieger blüht der Jugend Zukunftstraum" und "Es sind die Lebenden, die den Toten die Augen schließen. Es sind die Toten, die den Lebenden die Augen öffnen." auf sich aufmerksam. Darüber hinaus stellte das Aktionsbündnis Bad Nenndorf, das für die Organisation der jährlich in der niedersächsischen Kurstadt stattfindenden Gedenkmärsche verantwortlich ist, einen der Redner der Veranstaltung. - Versuchte Vereinnahmung des 1. Mai Ein zentrales Datum neonazistischer Agitation ist weiterhin 1. Mai der 1. Mai. Den Schwerpunkt niedersächsischer Beteiligung bildete die als zentrale Veranstaltung der norddeutschen neonazistischen Szene angekündigte Demonstration "Zukunft durch Arbeit - Fremdarbeiter stoppen!" in Halle/Saale (Sachsen-Anhalt). Unter den insgesamt ca. 750 Teilnehmern befanden sich zahlreiche Angehörige der neonazistischen Szene Niedersachsens. Auf Transparenten forderten u. a. Angehörige von Besseres Hannover "Grenzen dicht!", während Angehörige der Freien Kräfte Celle kritisierten: "Keine Arbeit und kein Brot, aber ein NS-Verbot". Auf einem weiteren Transparent wurde für die 77 Im Vorjahr belief sich die Teilnehmerzahl am zentralen Gedenkmarsch am 13.02.2010 auf ca. 6.500 Rechtsextremisten aus dem Inund Ausland. 142 Rechtsextremismus am 4. Juni geplante Demonstration aus Anlass des "Tages der deutschen Zukunft" (TddZ) in Braunschweig geworben. Mitgeführt wurde es u. a. von Angehörigen der neonazistischen Gruppierung Burschenschaft Thormania aus Braunschweig, die als örtliche Vertreter in die Organisation des TddZ eingebunden sind. Mit Dieter RIEFLING zählte überdies der Mitinitiator der dem TddZ zugrundeliegenden Kampagne zu den Rednern der 1. Mai-Demonstration in Halle. Als Folge zahlreicher Sitzblockaden und Störversuche kam es zu Auseinandersetzungen zwischen Demonstrationsteilnehmern und gewaltbereiten linksextremistischen Gegendemonstranten. - Sonnenwendfeiern als Merkmal einer selbstverstandenen Schicksalsund Wertegemeinschaft SonnenwendStarken Zulauf der norddeutschen neonazistischen Szene hafeiern ben die seit 2007 auf dem Anwesen des Landwirtes Joachim NAHTZ in Eschede (Landkreis Celle) stattfindenden Sonnenwendfeiern. An der von den Snevern Jungs und den Düütschen Deerns78 organisierten Veranstaltung beteiligten sich am 25. Juni aus Anlass der Sommersonnenwende ca. 150 Rechtsextremisten. An einem Verkaufsstand des Tostedter Szenegeschäftes "Streetwear Tostedt" wurden szenetypische T-Shirts und CDs sowie rechtsextremistische Literatur angeboten. Die ideologische Bedeutung von Sonnenwendfeiern für die neonazistische Szene bringt ein im Internet veröffentlichtes Video der Volksfront-Medien Niedersachsen zum Ausdruck. Die Ausführungen beinhalten ein offenes Bekenntnis zum Nationalsozialismus: "Unsere Kultur und ihr Entstehen ist um vieles älter als das uns gebrachte Alte Testament, welches uns im Zuge der Christianisierung diktiert wurde. Sie ist mit ihren entstandenen Bräuchen, Feiern und Traditionen ein wesentlicher Bestandteil unserer Weltanschauung und somit ein Produkt der Evolution unserer Art. ... Eine der wichtigsten unserer Kulturfeiern ist die Sonnenwende. ... In Zeiten größter Not und Verfolgung stand das Sonnenwendfeuer auch für das Bekenntnis zu Volk und Vaterland. Am 07. Juni 1933 beschloss die NSDAP den astrologischen Termin der Sonnenwendfeier dann zum offiziellen 78 Bei den Düütschen Deerns handelt es sich um einen Zusammenschluss von Frauen innerhalb der unter der Bezeichnung Nationale Sozialisten Niedersachsen agierenden niedersächsischen Kameradschaftsszene. Bei Brauchtumsveranstaltungen wie Sonnenwendfeiern oder Erntedankfesten übernehmen die Düütschen Deerns Aufgaben wie Organisation, Dekoration und Bewirtung, unter dem Motto "Deutsche Frauen, deutsche Sitte - walten stets in dieser Mitte!" Rechtsextremismus 143 Feiertermin. Von nun an charakterisierte die Sonnenwendfeier wie nichts anderes die Volksgemeinschaft der Deutschen. Es ist der Geist unserer Volksgemeinschaft, der uns alles ertragen und unser Volk stark sein lässt." Neben den Sonnenwendfeiern diente das landwirtschaftliche Nutzung des Anwesen in Eschede wie in den Vorjahren auch als VeranstalHofes NAHTZ tungsort eines Erntedankfestes am 24. September mit ca. 110 in Eschede Teilnehmern. Als Veranstalter traten offiziell die Düütschen Deerns auf. Unterstützt wurden sie bei der Ausrichtung durch die Landesverbände der niedersächsischen NPD und JN. Dies unterstreicht die enge Kooperation zwischen NPD und Neonaziszene in Niedersachsen. Die ideologische Bedeutung solcher Gemeinschaftsveranstaltungen für die rechtsextremistische Szene verdeutlichen noch am gleichen Tag veröffentlichte Beiträge aus dem Thiazi-Forum. Sie geben zugleich Aufschluss über den völkischen Charakter des Erntefestes: "Fröhliche, spielende Kinder ohne "gangstagehabe", durchweg gute Stimmung, harmonisches Beisammensein mit einer Friedlichkeit, die man auf keinem Schützenfest findet, die Verbundenheit, die man unter deutschen Menschen aller Altersgruppen, vom Kleinkind bis zur Erlebnisgeneration, in der Natur empfindet, liebevolle Dekoration und selbst zubereitete Speisen aus Zutaten unserer Heimat, ... deutsche Menschen auf deutschem Boden, naturverbunden und Brauchtum pflegend, nach dieser Erfahrung werdet ihr vielleicht bemerken, dass euch etwa fehlt, was ihr bis dato nicht einmal vermisst habt, weil ihr nicht wusstet, dass es sowas gibt." "In Eschede und besonders auf dem bekannten Hof lebt die Volksgemeinschaft! Niemand stellt sich über den Dingen, niemand wird hier aufgrund seines Auftretens, seiner politischen Heimat, seines Aussehens oder wegen anderer Dinge ausgeschlossen." (Schreibweisen wie im Original) Auf dem Gelände in Eschede trifft sich für Übungszwecke auch die bei rechtsextremistischen Demonstrationen auftretende Trommelgruppe Norddeutschland. Um die langfristige Nutzung des Geländes sicherzustellen, führten Angehörige der rechtsextremistischen Szene am 5. Juni Aufräumund Instandsetzungsarbeiten durch. 144 Rechtsextremismus - Kampagnendemonstration der norddeutschen Neonaziszene: "Tag der deutschen Zukunft" (TddZ) Unter dem Motto "Tag der deutschen Zukunft - Unser Signal gegen Überfremdung" demonstrierten am 4. Juni mehr als 600 Rechtsextremisten aus Niedersachsen und den angrenzenden Bundesländern sowie den Niederlanden in Braunschweig und Peine. Die Demonstration war die dritte Auflage einer Veranstaltungsreihe, die im Rahmen einer von der norddeutschen Neonaziszene initiierten Kampagne "Zukunft statt Überfremdung" in jährlich wechselnden norddeutschen Städten durchgeführt wird. Die Veranstaltungsreihe hat innerhalb der neonazistischen Szene über Norddeutschland hinausgehende Bedeutung erlangt und kann hinsichtlich ihrer szeneinternen Bedeutung mittlerweile mit dem jährlichen Gedenkmarsch in Bad Nenndorf verglichen werden. Die zugrundeliegende Thematik "Überfremdung" ist zudem nach wie vor ein Schwerpunkt rechtsextremistischer Agitation. Die angebliche Überfremdung Deutschlands und der deshalb drohende "Volkstod" waren der Hintergrund eines in der Nacht vor der Veranstaltung durchgeführten unangemeldeten Aufzuges in Hannover-Kleefeld. Die bis zu 40 der neonazistischen Szene zuzurechnenden Teilnehmer, darunter Angehörige von Besseres Hannover sowie der Autonomen Nationalisten Bückeburg und Wolfenbüttel/Salzgitter, trugen weiße Masken, führten Fackeln mit sich, zündeten Feuerwerkskörper und skandierten Parolen wie "frei, sozial und national" oder "Nationaler Sozialismus jetzt!". Auf einem Transparent propagierten sie "Aufwachen - Die Neue Nation erkämpfen!". Der Fackelmarsch ist Bestandteil der bundesweiten Aktionsreihe "Die Unsterblichen"79. In einem nachträglich verbreiteten Flugblatt, mit dem die Initiatoren den Anwohnern die Hintergründe der Aktion erläutern wollten, heißt es: "Diese jungen Leute sind Angehörige der letzten Deutschen Generation, die noch nicht Minderheit im eigenen Land ist. Sie sind es, die für die Fehler der Demokraten in den letzten 60 Jahren geradestehen müssen. Sie sind es, die erkannt haben, dass unser Volk aussterben wird. Der Begriff Volkstod ist ihnen allgegenwärtig, wenn sie in der Berufsschule oder an der Uni sitzen und in die Gesichter der Fremden schauen. Sie sind im Multi-Kulti-Alptraum aufgewachsen. Sie wollen die Wende und dazu müssen 79 Siehe hierzu auch Kapitel 3.9.3 Rechtsextremismus 145 sie Ihre Volksgenossen aufwecken, die lieber in Dekadenz vor sich dahinvegetieren, als den Kampf aufzunehmen. ... Nicht die Lauen und die Neutralen machen Geschichte, sondern die Menschen, die den Kampf auf sich nehmen!"80 - Gedenkmarsch in Bad Nenndorf mit bundesweiter Bedeutung An der unter dem Motto "Gefangen - Gefoltert - Gemordet! Geringere TeilnehDamals wie heute - Besatzer raus" durchgeführten Demonsmerzahlen in Bad tration beteiligten sich nach ca. 1.000 Personen im Vorjahr Nenndorf (2009: 730, 2008: 400) am 6. August ca. 600 Rechtsextremisten. Bad Nenndorf ist durch die Veröffentlichungen des englischen Journalisten Ian Cobain in den Fokus rechtsextremistischer Demonstrationsveranstalter gerückt. Seinen Recherchen zufolge war es nach Kriegsende im von der britischen Armee als Internierungslager genutzten Wincklerbad zu systematischer Folter und Misshandlungen gekommen. Unter Berufung auf die Darstellung Cobains versuchen Neonazis die deutsche Kriegsschuld und die Verbrechen des NS-Regimes durch Vergleiche mit alliiertem Unrecht zu relativieren. Während des Trauermarsches wurden von den aus dem gesamten Bundesgebiet stammenden Teilnehmern auf Spruchbändern Parolen wie "Deutsche Jugend, mach dich frei von der Lügentyrannei!" oder "Mord am deutschen Volk - Kein Vergeben, kein Vergessen alliierten Kriegsund Nachkriegsverbrechen!" verbreitet. Die Wortlaute der Transparente niedersächsischer Neonazis lauteten: "Sie brachten Folter, Verderben, Tod" (Kameradschaft Hildesheim), "Bad Nenndorf: Ein Beispiel von vielen! Deshalb: Die Gräueltaten der 'Befreier' aufdecken! Der Opfer gedenken, Besatzer rauswerfen!" (Freie Kräfte Celle), "Es gibt Verbrechen, die das Schicksal nie verzeiht!" (Düütsche Deerns) oder "Wo Recht zu Unrecht wird, wird Widerstand zur Pflicht!" (Kameradschaft Northeim). Die Reaktion des Redners Sven SKODA auf die Proteste gegen den alljährlichen neonazistischen Aufmarsch lässt hingegen die rassistisch-fremdenfeindlichen Motive und das angestrebte Ziel der Systemüberwindung erkennen: "Ihr, die ihr euch versteckt hinter 'bunt statt braun'. Ganz ehrlich, wenn ich mir diese Republik angucke - 'Braune' habt ihr genug. Und das sind keine, die von der Gesinnung her 'braun' sind. ... Unsere Uniform ist die Farbe 80 Es handelt sich um ein Zitat Adolf Hitlers, das in den von der Reichspropagandaleitung herausgegebenen Wochensprüchen der NSDAP abgedruckt worden war. 146 Rechtsextremismus unserer Haut. Und unsere Uniform wird auch eines Tages dafür sorgen, dass diese Republik ein ganz anderes Gesicht bekommt. Und dass diese Republik dorthin kommt, wohin sie gehört: auf den Abfallhaufen der Geschichte!" Zwar stellt der jährliche Gedenkmarsch in Bad Nenndorf weiterhin eine feste Größe in den Terminplanungen der Rechtsextremisten dar. Tatsächlich haben die Veranstalter jedoch in Anbetracht der gegenüber dem Vorjahr deutlich gesunkenen Teilnehmerzahl erstmals einen Rückschlag hinnehmen müssen. Dennoch ist nicht auszuschließen, dass die Demonstration in Bad Nenndorf als Veranstaltung mit bundesweiter Bedeutung langfristig das seit 2004 nicht mehr in der herkömmlichen Form in Wunsiedel (Bayern) mögliche Gedenken an Rudolf Heß, den Stellvertreter Hitlers auf Parteiebene, ersetzen könnte. Seitdem zentrale Aufmärsche in der fränkischen Stadt verboten sind81, führt die neonazistische Szene wieder dezentrale Veranstaltungen zu Ehren von Rudolf Heß durch, der als Opfer alliierter Siegerwillkür gesehen wird. Während es in einigen Bundesländern zu kleineren unangemeldeten Aufzügen kam, waren in Niedersachsen 2011 lediglich Propagandadelikte zu verzeichnen. - "Nationaler Antikriegstag" Zum jährlichen "Nationalen Antikriegstag", der am 3. September zum siebten Mal in Dortmund stattfand, reisten insgesamt ca. 750 Rechtsextremisten an, darunter auch Angehörige von Besseres Hannover. Ziel der Demonstrationen ist es, unter Hinweis auf aktuelle und frühere weltweite Krisenherde darauf hinzuweisen, dass die Öffentlichkeit aus Sicht der rechtsextremistischen Szene von Regierung und Medien über die wahren Ziele und das Ausmaß einer deutschen Beteiligung an internationalen Konflikten belogen wird. - Volkstrauertag als "Heldengedenken" Der im November begangene Volkstrauertag ist innerhalb der neonazistischen Szene als "Heldengedenktag" von hoher symbolischer und identitätsstiftender Bedeutung. Wegen des seit 2006 bestehenden Verbotes der bis dahin im brandenburgischen Halbe durchgeführten bundesweiten zentralen Ver81 Mit Beschluss vom 04.11.2009 hat das Bundesverfassungsgericht die Vereinbarkeit des dem Verbot zugrunde liegenden SS 130 Abs. 4 StGB mit Artikel 5 des Grundgesetzes festgestellt. Rechtsextremismus 147 anstaltung beschränkt sich die niedersächsische rechtsextremistische Szene seither auf die Durchführung von Kranzniederlegungen und Gedenkminuten auf Soldatenfriedhöfen, an Ehrenmalen und Kriegerdenkmälern. Derartige Veranstaltungen fanden - teilweise als Gemeinschaftsveranstaltungen mit NPD und JN - u. a. an einem Ehrenmal im Raum Hildesheim statt. An der Veranstaltung beteiligten sich Angehörige der Freien Kräfte Celle, von Besseres Hannover, der BfZ Hildesheim und der BfZ Wolfsburg. Im Bereich Braunschweig/Gifhorn und im Landkreis Harburg nahmen Angehörige der Aktionsgruppe Gifhorn und der Burschenschaft Thormania an entsprechenden Veranstaltungen teil. 3.9.7 Szeneveranstaltungen als Kontaktund Informationsbörsen Von den auf ideologische und propagandistische Zwecke zielenden Demonstrationen zu unterscheiden sind Gemeinschaftsveranstaltungen, die fast ausschließlich der Förderung des Zusammenhalts sowie des Aufund Ausbaus von Kontakten innerhalb der rechtsextremistischen Szene dienen. Neben gemeinsamen Besuchen von rechtsextremistischen Konzerten, Partys aus Anlass von Geburtstagen oder Junggesellenabschieden von Szeneangehörigen, Gründungsveranstaltungen oder Jubiläen von Gruppierungen zählen hierzu auch regelmäßig durchgeführte Sportveranstaltungen. Länderübergreifende Bedeutung kommt dem jährlich ausgetragenen Schottenfest zu, an dem sich am 2. Juli in Wallstawe (Sachsen-Anhalt) auch niedersächsische Rechtsextremisten beteiligten, darunter eine Mannschaft der Aktionsgruppe Gifhorn. Die bei solchen Veranstaltungen geknüpften Kontakte tragen dazu bei, Netzwerke zu bilden und die Gemeinschaft zu stärken. 148 Rechtsextremismus 3.10 Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige e. V. (HNG) Sitz: Frankfurt am Main Vorsitzende: Daniela WEGENER, Mainz Mitglieder 2010 2011 Bund: 600 600 Niedersachsen: ca. 50 ca. 40 Publikation: Nachrichten der HNG (monatlich, Auflage 700) Die neonazistische Vereinigung HNG wurde am 21. September durch den Bundesminister des Innern verboten. In Verbindung mit dem Verbot fanden bei führenden Mitgliedern des Vereins Durchsuchungen statt. Davon betroffen war neben Rechtsextremisten aus Bayern, Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz auch ein 34-Jähriger aus Nörten-Hardenberg (Landkreis Northeim). Bei der 1979 gegründeten, ca. 600 Mitglieder umfassenden HNG handelte es sich um die mitgliederstärkste und zugleich einzige neonazistische Vereinigung mit bundesweiter Bedeutung. Ihr Ziel war es, verurteilte Rechtsextremisten während der Inhaftierung zu betreuen, um eine Abkehr von der Szene zu verhindern. Insofern liefen die Aktivitäten der Organisation den Bemühungen staatlicher Aussteigerhilfen zuwider, die rechtsextremistischen Straftätern zum Ausstieg aus der Szene verhelfen möchten. Die HNG verfügte über keine regionalen Untergliederungen. Bis auf die jährliche Hauptversammlung, an der am 9. Juli im Raum Würzburg (Bayern) ca. 60 Mitglieder teilnahmen, führte die Organisation keine Veranstaltungen durch. Sie konzentrierte ihre Aktivitäten auf die Herausgabe der monatlich erscheinenden Nachrichten der HNG. Eine feste Rubrik des Vereinsorgans war die Veröffentlichung von Namen inhaftierter Rechtsextremisten aus dem Inund Ausland, um Kontakt zu ihnen zu vermitteln. Regelmäßig abgedruckt wurden ferner Briefe von Gefangenen, Kommentare zu Gesetzen und Gerichtsurteilen sowie Berichte über staatliche Maßnahmen gegen den Rechtsextremismus. Neben vereinsinternen Informationen enthielten die Nachrichten der HNG redaktionelle Beiträge, die den Lesern ideologische Orientierung geben sollten. In der Verbotsverfügung wird zwar hervorgehoben, dass die HNG die verfassungsmäßige Ordnung durch ein am na- Rechtsextremismus 149 tionalsozialistischen Ideal der Volksgemeinschaft orientiertes System habe ersetzen wollen, anders als bei vorausgegangenen Verboten neonazistischer Kameradschaften stützt sich das Verbot aber nicht hauptsächlich auf die Wesensverwandtschaft mit dem Nationalsozialismus. Im Vordergrund stehen vielmehr die Herausgabe der Publikation sowie die mit der Betreuung einhergehende soziale, moralische und ideologische Bindung rechtsextremistischer Straftäter. 3.11 Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) Sitz Bund: Berlin Niedersachsen: Lüneburg Vorsitzende Bund: Holger APFEL Niedersachsen: Christian BERISHA Manfred BÖRM (kommissarisch, seit dem 05.02.2012) Mitglieder 2010 2011 Bund: 6.600 6.300 Niedersachsen: 500 500 Publikationen Bund: Deutsche Stimme (monatlich, Auflage 35.000) Niedersachsen: lokale Publikationen 3.11.1 Geschichte und Entwicklung Die NPD wurde am 28.11.1964 in Hannover als "Sammlung des nationalen Lagers" gegründet. Es handelte sich um eine Fusion der Deutschen Reichspartei (DRP) mit kleineren rechtsextremistischen Organisationen. Die DRP als zum damaligen Zeitpunkt größte rechtsextremistische Partei stand in der Tradition der 1952 verbotenen Sozialistischen Reichspartei (SRP). In den Jahren 1966 bis 1972 war die NPD in sieben von zehn Landesparlamenten vertreten, darunter auch im Niedersächsischen Landtag. Der mit 4,3 Prozent der Stimmen verpasste Einzug in den Bundestag bei der Wahl von 1969 leitete eine Phase des Niedergangs ein. Im Jahr 1995, das den Tiefpunkt 150 Rechtsextremismus dieser Entwicklung markierte, gehörten der in sich zerstrittenen Partei bundesweit nur noch 2.800 Mitglieder an, ein Zehntel des Mitgliederstands von 1969. Der Negativtrend kehrte sich 1996 mit der Wahl des bayerischen Landesvorsitzenden Udo VOIGT zum Bundesvorsitzenden der NPD um. VOIGT reagierte auf den Strukturwandel des Rechtsextremismus und öffnete die überalterte, programmatisch auf revisionistische Themen verengte NPD mit der 1996 formulierten "Drei-Säulen-Strategie" - "Kampf um die Parlamente", "Kampf um die Straße", "Kampf um die Köpfe" - für die neonazistischen Freien Nationalisten und für rechtsextremistische Skinheads. 2004 begann eine neue Phase der Zusammenarbeit mit den Freien Nationalisten, die in der Proklamation einer "Volksfront von rechts" und der Aufnahme führender Neonazis in den Bundesvorstand der NPD ihren Ausdruck fand. In ihrem Bemühen, das gesamte rechtsextremistische Spektrum hinter sich zu sammeln, propagierte die NPD auf dem Parteitag von 2004 den "Kampf um den organisierten Willen", dem im Januar 2005 eine mit der DVU vereinbarte Zusammenarbeit bei Wahlen, der so genannte Deutschland-Pakt, folgte. Sowohl die "Volksfront von rechts" als auch der "Deutschland-Pakt" wurden 2009 aufgekündigt. Ende des Jahres 2010 fusionierte die NPD mit der DVU. Verankerung nur Die Strategie der NPD, sich zunächst in den neuen Bunin den neuen desländern zu verankern, erwies sich erstmals 2004 bei der Bundesländern sächsischen Landtagswahl als erfolgreich. Der Partei gelang es, mit 9,2 Prozent der Stimmen in den Landtag einzuziehen. Bei den Landtagswahlen 2009 schaffte sie trotz erheblicher Stimmenverluste den Wiedereinzug in den sächsischen Landtag mit 5,6 Prozent der Stimmen. Bei der Landtagswahl des Jahres 2006 in Mecklenburg-Vorpommern gelangte die NPD mit 7,3 Prozent der Stimmen in ein weiteres Landesparlament. 2011 gelang der NPD auch hier mit 6 Prozent der Stimmen der Wiedereinzug in das Landesparlament. 3.11.2 Organisation, Mitgliederentwicklung und Finanzen Nachdem die Mitgliederzahlen seit dem Scheitern des Verbotsantrages von 2003 bis 2007 kontinuierlich gestiegen waren, verringerte sich in den Folgejahren der Mitgliederbestand der Partei wieder. Grund für den Negativtrend waren die internen Querelen in einzelnen Landesverbänden, die Enttäuschung über ausbleibende Wahlerfolge und die Finanzskandale der Partei. Ende 2011 gehörten der in 16 Landesverbänden untergliederten Partei 6.300 Mitglieder an. Die Frauenorganisation der NPD, Ring Nationaler Frauen (RNF), zählt ca. 150 Mitglieder. Rechtsextremismus 151 Am 12./13. November fand im brandenburgischen Neuruppin der 33. ordentliche Bundesparteitag der NPD unter dem Kampagnen-Motto "Raus aus dem Euro" statt. Die rund 200 Delegierten waren turnusgemäß aufgerufen, einen neuen Parteivorstand zu wählen. Für das Amt des Bundesvorsitzenden kandidierten VOIGT, der die NPD bis dahin 15 Jahre lange geführt hatte, und der sächsische Landesvorsitzende Holger Holger APFEL ist APFEL. APFEL gewann die Wahl deutlich mit 126 Stimmen der neue Bundeszu 85 Stimmen. Seine Position wurde zusätzlich durch die vorsitzende der Wahl eines neuen Parteivorstandes gestärkt. Mit Ausnahme NPD des stellvertretenden Vorsitzenden Frank SCHWERDT setzten sich seine Wunschkandidaten durch. Als weitere Stellvertreter wurden Udo PASTÖRS und Karl RICHTER gewählt. Die von APFEL protegierte Vorsitzende des Unterbezirks Oberweser Ricarda RIEFLING gehört dem Parteivorstand als Beisitzerin an. Sie ist das einzige Vorstandsmitglied aus Niedersachsen. Manfred BÖRM gehört dem Parteivorstand kraft Funktion nicht mehr an, weil er den Posten des Ordnungsdienstleiters niedergelegt hat. Dies gilt auch für Ulrich EIGENFELD, der nicht mehr als Bundesschatzmeister, sondern nur noch als Kassenprüfer fungiert. Ricarda RIEFLING ist von APFEL aus zwei Gründen gefördert worden: Zum einen aus wahltaktischen Gründen. Sie sollte ihm die Unterstützung des RNF sichern. Zum anderen personifiziert RIEFLING den angestrebten Imagewechsel der NPD. Sie symbolisiert Verjüngung und Modernisierung. Finanziell befindet sich die NPD weiterhin in einer angespannten Lage. Die gegen die Partei wegen unrichtiger Rechenschaftsberichte zwischen 2002 bis 2007 verfügten finanziellen Sanktionen erfordern Rückstellungen in der Vermögensbilanz und engen den operativen Handlungsspielraum ein. Im Jahr 2010 finanzierte sich die NPD zu 39,1 Prozent aus staatlichen Mitteln. Vor dem Hintergrund der prekären Finanzlage der NPD kommt den Landtagsfraktionen in Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern, deren finanzielle Basis gesichert ist, für die Parteiarbeit eine besondere Bedeutung zu. 3.11.3 Programmatik Die NPD ist eine verfassungsfeindliche Partei, die in ProgramVolksgemeinmatik und Propaganda weitgehend neonazistisch geprägt ist. schaftsdenken Sie propagiert offen und aggressiv fremdenfeindliche, rassistische und antisemitische Positionen und versteht sich als Fundamentalopposition zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Aufschluss über die ideologische Grundaus- 152 Rechtsextremismus richtung gibt das auf einem Bundesparteitag am 04. und 05.06.2009 in Bamberg verabschiedete neue Parteiprogramm. Dort wird der Volksgemeinschaftsgedanke in einer völkischkollektivistischen Auslegung festgeschrieben: "Die Würde des Menschen als soziales Wesen verwirklicht sich vor allem in der Volksgemeinschaft. Erst die Volksgemeinschaft garantiert die persönliche Freiheit, diese endet dort, wo die Gemeinschaft Schaden nimmt." (Auszug aus dem Parteiprogramm, Abschnitt Grundgedanken - Der soziale Nationalstaat) Voraussetzung für die Errichtung einer Volksgemeinschaft ist die Herstellung einer im rassischen Sinn homogenen Bevölkerung, basierend auf der Familie als "Keimzelle des Volkes" und "Trägerin des biologischen Erbes". Geleitet von dieser rassistischen Grundüberzeugung, die die Partei in ihren Schriften als "lebensrichtiges Menschenbild" verklärt, erhebt die NPD daher immer wieder die Forderung nach einer "Rückführung der in Deutschland lebenden Ausländer". Eine weitere ideologische Zentralkategorie des Parteiprogramms bilden die Völker als "Träger der Kulturen". Die NPD verschreibt sich dem Ziel, die in einem Nationalstaat organisierten Völker, und damit verbunden, die Kulturen zu erhalten. Diesem Programmpunkt liegt der ethnopluralistische Denkansatz zugrunde, der vor allem von den theorielastigen Vertretern der "Neuen Rechten"82 verfochten wird. Auch dieser Ansatz beinhaltet einen fremdenfeindlichen Kern, wie die programmatischen Schlussfolgerungen zeigen: "Deutschland muß das Land der Deutschen bleiben und muß es dort, wo dies nicht mehr der Fall ist, wieder werden. ... Die Bewahrung unserer nationalen Identität und Sicherung unseres Heimatrechtes erfordert den Bestand des deutschen Volkes sichernde aktive Familienund Bevölkerungspolitik." (Auszug aus dem Parteiprogramm, Abschnitt Nationale Identität) Fremdenfeindliche In der Logik dieses fremdenfeindlichen Ansatzes liegt es, Ausrichtung dass Sozialleistungen ausschließlich Deutschen gewährt werden sollen. Während das Parteiprogramm jedem Deutschen das Recht auf Arbeit zubilligt und die Solidargemeinschaft aller Deutschen propagiert, fordert es zugleich kategorisch die Ausgliederung von Ausländern aus der Sozialversicherung. Der Slogan "Sozial geht nur national", mit dem die NPD 82 Siehe hierzu Kapitel 3.14 "Intellektualisierungsbemühungen im Rechtsextremismus". Rechtsextremismus 153 ihre Kampagnen bestreitet, offenbart vor diesem programmatischen Hintergrund einen eindeutig fremdenfeindlichen Charakter. Die Globalisierung wird von der NPD im wirtschaftspolitischen Teil ihres Programms als "Kampfansage an die nationalstaatliche Ordnung und damit an die Freiheit der Völker" interpretiert. Sie sei "eine Folge der von der internationalen Hochfinanz zielstrebig geplanten und durchgesetzten Politik". Der Globalisierung stellt die NPD eine "raumorientierte Volkswirtschaft als wirtschaftspolitische Alternative" entgegen. "Regionale Wirtschaftskreisläufe und dezentrale Strukturen" sollen "die dauerhafte Funktionsfähigkeit der Heimatmärkte" sicherstellen. Komplexen ökonomischen Prozessen gerecht werdende wirtschaftspolitische Maßnahmen verbinden sich mit diesen auf Autarkie zielenden Schlagwörtern nicht. Der Globalisierung möchte die NPD aber nicht nur auf ökonomischer, sondern auch auf weltanschaulicher Ebene entgegentreten. Ihr Gegenund Kampfbegriff zugleich heißt Nationalismus. 3.11.4 Strategie Die innerparteiliche Diskussion über die künftige Strategie Strategiedebatte im Vorfeld des Bundesparteitages offenbarte, dass sich in der NPD unterschiedliche Lager gegenüberstehen. Der langjährige Parteivorsitzende VOIGT exponierte sich als der führende Vertreter einer Rückbesinnung auf die ideologischen Grundlagen der Vergangenheit, verbunden mit einer klaren FreundFeind-Bestimmung. Deutlich wurde dies im Berliner Wahlkampf, den Voigt betont aggressiv und provokativ führte, wie die in der Nähe des Holocaust-Denkmals platzierten Wahlplakate mit der Aufschrift "Gas geben" in besonders drastischer Form dokumentierten. Als VOIGTs Gegenspieler profilierte sich der sächsische Landesvorsitzende APFEL, dessen strategische Überlegungen auf ein bürgerliches Image zielen - APFEL versucht, den neonazistischen Kerngehalt der NPD-Programmatik mit rechtspopulistischen Formeln zu kaschieren. Den theoretischen Überbau für diesen Ansatz formulierte der stellvertretende Parteivorsitzende Karl RICHTER in dem im Juni 2011 veröffentlichten Thesenpapier "Raus aus dem Vergangenheitsghetto - Gegenwart gestalten". RICHTER möchte der NPD ein modernes zeitgemäßes Erscheinungsbild geben und sie als "Partei der Gegenwart" präsentieren, die in ihrer Außendarstellung nicht länger auf "Trauer-, Gedenkund Erinnerungs- 154 Rechtsextremismus kundgebungen aus Anlass zeithistorischer Ereignisse" fixiert sei. Es geht ihm nicht um eine ideologische Kehrtwende, sondern um eine "zeitgemäße Verkaufsstrategie für ein politisches Produkt, das mehr Erfolg und ein optimales Marketing" erfordere. Partei will Image Der Wahlkampf in Mecklenburg-Vorpommern stand im als KümmererZeichen dieses Ansatzes. Der Spitzenkandidat PASTÖRS setzte Partei ausbauen auf Bürgernähe und betonte das Kümmerer-Image der NPD als einer Partei, die sich der sozialen Nöte der Menschen vor Ort annimmt. Der Wiedereinzug der NPD in den Landtag von Mecklenburg-Vorpommern bedeutete eine Stärkung der strategischen Linie APFELs, die sich endgültig mit seiner Wahl zum Bundesvorsitzenden durchsetzte. Zur Kennzeichnung dieses Weges prägte APFEL auf dem Bundesparteitag den Begriff "seriöse Radikalität", den er auf einer mit seinem Stellvertreter PASTÖRS am 15. November durchgeführten Pressekonferenz öffentlich erläuterte: "Die NPD ist keine Politsekte und keine Bürgerschrecktruppe. Wir wollen unser Image als Kümmerer-Partei ausbauen und so dem Bürger in der Außendarstellung eine möglichst hohe Identifikationsmöglichkeit bieten." (Internetseite der NPD, eingestellt am 15.11.2011) Die politischen Themenschwerpunkte werden folglich so gewählt, dass sie breite Bevölkerungsschichten ansprechen sollen. Neben den Themen Hartz IV und Überfremdung bietet aus Sicht APFELs vor allem die Euro-Krise die Möglichkeit, massenwirksam zu agieren. Sein Ziel ist es, die NPD als Anti-Euro-Partei zu profilieren. Der geplante Image-Wechsel, der auf das rechtspopulistische Wählerpotenzial zielt, bedeutet jedoch keine ideologische Neuorientierung. In einer Saalveranstaltung der Thüringer Jungen Nationaldemokraten bekannte sich APFEL ausdrücklich zu den bisherigen weltanschaulichen Positionen seiner Partei: "Eine Abkehr vom Abstammungsprinzip wird es mit mir nicht geben. Wir werden auch künftig den Staat Israel für seine verbrecherische Politik gegenüber den Palästinensern anprangern und jegliche Kollaboration mit den Blockparteien strikt ablehnen. Denn dieses liberalkapitalistische System hat keine Fehler, es ist der Fehler - und dabei bleibt es." (Deutsche Stimme, Januar 2012, Seite 16) Rechtsextremismus 155 Die Durchsetzung ihrer Ziele verfolgt die NPD unverändert Drei-Säulenüber die 1996 entwickelte "Drei-Säulen-Strategie" mit den Strategie Elementen "Kampf um die Straße", "Kampf um die Parlamente" und "Kampf um die Köpfe". Im Selbstverständnis der NPD haben die drei Säulen nicht den gleichen Rang. Die NPD ist aus Überzeugung bewegungsorientiert ("Kampf um die Straße"); ihr Verhältnis zum Parlamentarismus aber ist ein rein taktisches. Parlamente sind für die systemablehnende Partei Orte der Agitation und keine Stätten sachpolitischer Arbeit. Sie ermöglichen den Mandatsträgern der NPD, öffentlichkeitswirksam im Sinne der dritten Säule "Kampf um die Köpfe" zu wirken. Im Hinblick auf den "Kampf um die Straße" sind für das Berichtsjahr die Demonstrationen aus Anlass des 1. Mai hervorzuheben. Die NPD verzichtete auf eine zentrale Veranstaltung und führte stattdessen in der Annahme, hierdurch größere Aufmerksamkeit zu erzielen, 1. Mai Kundgebungen in verschiedenen Regionen Deutschlands durch. An den Demonstrationen in Halle, Greifswald, Heilbronn und Bremen nahmen zwischen 200 und 750 Rechtsextremisten teil. Das Motto "Fremdarbeiterinvasion stoppen - Arbeitsplätze zuerst für Deutsche" dokumentiert die fremdenfeindliche Stoßrichtung der NPD-Agitation. Beim "Kampf um die Parlamente" standen für die NPD die Landtagswahlen in den ostdeutschen Ländern im Vordergrund. Insgesamt blieben die Wahlergebnisse hinter den hochgesteckten Erwartungen zurück. Da die NPD zum Teil erhebliche Mittel in die Wahlkämpfe investierte, bedeuteten die schlechten Wahlergebnisse zugleich eine finanzielle Schwächung der Partei. Während die NPD in Mecklenburg-Vorpommern am 4. September trotz eines Stimmenverlusts von 1,3 Prozent mit 6 Prozent der Stimmen erneut in den Landtag gelangte, verfehlte sie bei der Wahl in Sachsen-Anhalt am 20. März mit 4,6 Prozent der Stimmen den einkalkulierten Einzug in ein weiteres Landesparlament. In den westlichen Bundesländern blieben die Wahlergebnisse ebenfalls hinter den Erwartungen zurück. In Berlin (am 18. September), Bremen (am 22. Mai) und Rheinland-Pfalz (am 27. März) konnte mit Ergebnissen von 2,1 Prozent, 1,6 Prozent bzw. 1,1 Prozent wenigstens noch die Schwelle zur Wahlkampfkostenerstattung von 1 Prozent überschritten werden, in Baden-Württemberg (am 27. März) wurde mit 0,97 Prozent selbst dieses Minimalziel verfehlt. Der "Kampf um die Köpfe" beinhaltet neben der Schulung der Parteimitglieder auch den Kampf um die Deutungshoheit politischer Begriffe (kulturelle Hegemonie). Für diesen Zweck verbreitet die NPD zielgruppenspezifische Propagandamaterialien. Im Mittelpunkt ihrer Agitation stehen Jugendliche, die 156 Rechtsextremismus sie mit so genannten Schulhof-CDs und Jugendzeitschriften anzusprechen versucht. Mit Blick auf diese Zielgruppe spielt außerdem die wiederbelebte Jugendorganisation Junge Nationaldemokraten (JN) in der Strategie des neuen Parteivorsitzenden APFEL eine besondere Rolle. Über die JN sollen vor allem Jugendliche propagandistisch beeinflusst werden, die arbeitslos oder mit ihrer sozialen Situation unzufrieden sind. In der Praxis werden die JN, deren Mitgliederzahlen rückläufig sind, den in sie gesetzten strategischen Erwartungen bislang jedoch nicht gerecht. Diese Feststellung gilt auch für die zweite zielgruppenspezifische Organisation der NPD, den 2006 gegründeten Ring Nationaler Frauen (RNF), der bislang keine eigenständigen programmatischen Akzente setzen konnte und mit seinen ca. 150 Mitgliedern auch kaum Aussenwirkung entfalten kann. RechtsextremiDie an ideologischen Debatten weniger interessierten Anstische Musik als gehörigen der rechtsextremistischen Subkultur versucht die Werbemittel NPD über das Mittel rechtsextremistische Musik zu erreichen. Aus diesem Grunde ist sie seit einigen Jahren dazu übergegangen, Parteiveranstaltungen durch den Auftritt bekannter rechtsextremistischer Bands für diese Zielgruppe attraktiver zu gestalten. Die größte Veranstaltung dieser Art war im Jahr 2011 das Pressefest des parteieigenen Deutsche Stimme Verlages, zu dem sich am 1. und 2. Juli im sächsischen Jänkendorf rund 2.000 Besucher einfanden. Das musikalische Rahmenprogramm bestritten mehrere bekannte rechtsextremistische Bands, darunter die "Lunikoff-Verschwörung", mit dem in der neonazistischen Szene überaus beliebten Frontmann Michael REGENER. Die Spitzenfunktionäre der NPD APFEL, PASTÖRS und VOIGT traten als Redner auf. 3.11.5 Entwicklung in Niedersachsen Die Aktivitäten des niedersächsischen Landesverbandes der NPD und seiner Untergliederungen sind seit 2008 rückläuMitgliederfig. Programmatische Impulse gingen vom niedersächsischen zahl stagniert Landesverband auch 2011 nicht aus. Die Mitgliederzahl staauf niedrigem gniert mit knapp 500 auf niedrigem Niveau. Persönliche VerNiveau werfungen zwischen führenden Parteimitgliedern schwächen den Landesverband zusätzlich. Organisiert ist der Landesverband in zwölf Unterbezirke und zwei Kreisverbände, von denen sich einige noch in nicht selbständige Ortsbereiche und Stützpunkte untergliedern. Die regionalen Verbände sind unterschiedlich groß und aktiv. Zu den aktivsten Untergliederungen gehören die Unterbezirke Lüneburg (inzwischen umbenannt in Unterbezirk Heide-Wendland), Stade und Oberweser, während von den Un- Rechtsextremismus 157 terbezirken wie Emsland/Grafschaft Bentheim, Mittelweser, Hannover oder Göttingen keine nennenswerten Aktivitäten ausgehen. Ihren Landesparteitag führte die niedersächsische NPD am 22. Mai in Northeim durch. Die Delegierten bestimmten den Lüneburger Kreistagsabgeordneten Christian BERISHA zum Nachfolger des bisherigen Amtsinhabers Adolf DAMMANN, der auf eine erneute Kandidatur verzichtet hatte. Als Stellvertreter wurden Manfred BÖRM und Matthias BEHRENS aus dem Unterbezirk Lüneburg in ihren Ämtern bestätigt. Die Wahl von Stefan KLINGBEIL (Unterbezirk Lüneburg) und Marco BORRMANN (Kreisverband Osterode) zu Beisitzern ist Ausdruck der starken Stellung von Angehörigen der neonazistischen Kameradschaftsszene innerhalb des niedersächsischen Landesverbandes. Mit Ricarda RIEFLING (Unterbezirk Oberweser), die mit dem neu geschaffenen Amt einer Landespressesprecherin betraut wurde, gelangte erstmals eine Frau in den Landesvorstand der niedersächsischen NPD, in der Christian Berisha Frauen mit einem Anteil von zehn bis 15 Prozent deutlich in der Minderheit sind. In regionaler Hinsicht bildet der Unterbezirk Lüneburg das Gravitationszentrum der Partei. Fünf der neun gewählten Vorstandsmitglieder gehören dieser Untergliederung an Die programmatischen Äußerungen BERISHAs nach seiner Wahl deuteten an, dass er den Landesverband an der Linie 158 Rechtsextremismus APFELs ausrichten und ihn als Anwalt sozial benachteiligter deutscher Familien profilieren wollte: "Wir werden in Niedersachsen die Menschen ansprechen, die derzeit benachteiligt werden. Besonders Familien, alleinstehenden Müttern, Kinder, Jugendlichen und älteren Menschen wollen wir eine Alternative bieten." (Internetseite der NPD, Ausdruck vom 23. Mai) "Machtund In der Folgezeit gelang es BERISHA jedoch weder in organisaFlügelkämpfe" torischer, noch in programmatischer Hinsicht Akzente zu setzen. Die Kritik an seiner Person nahm zu und führte schließlich Anfang Februar 2012 zum Rücktritt. BERISHAs Ausführungen, mit denen er diesen Schritt erklärte, dokumentieren den Zustand des niedersächsischen Landesverbandes der NPD: "Parteiinterne Machtund Flügelkämpfe haben sich mittlerweile zu einem Sumpf von erschreckendem Umfang ausgeweitet. In diese Kämpfe ... fand ich mich selbst wider Willen hineingezogen und gestehe, dass ich mich dem Druck zunehmend nicht mehr gewachsen fühlte." Seit BERISHAs Rücktritt leitet BÖRM den Landesverband kommissarisch. Ricarda RIEFLING wurde in ihrer Funktion als Beisitzerin und Pressesprecherin ebenfalls kommissarisch durch Patrick KALLWEIT ersetzt. 3.11.6 Aktivitäten des niedersächsischen Landesverbandes Im Mittelpunkt der Aktivitäten stand die Teilnahme an den am 11. September durchgeführten niedersächsischen Kommunalwahlen. Nach eigenen Angaben hatte die NPD insgesamt 68 Kandidaten aufgestellt. Am stärksten vertreten waren die Unterbezirke Lüneburg und Stade mit zusammengerechnet 32 Kandidaten. In den Unterbezirken Emsland/ Grafschaft Bentheim, Gifhorn/Wolfsburg, Göttingen, Hannover und Ostfriesland/Friesland hingegen war die NPD bei der Wahl nicht vertreten. In Lüneburg und Osnabrück kandidierten NPD-Mitglieder unter den Bezeichnungen Unabhängige Wählerliste Lüneburg/Bündnis Rechte (UWL) bzw. Freies Osnabrücker Bündnis (FOB). KommunalwahlEin vom Landesvorstand gesteuerter oder koordinierter kampf mit ausWahlkampf war nicht zu erkennen. Die Untergliederungen länderfeindlichen operierten in Eigenregie. Am meisten Aktivitäten zeigten die Themen Unterbezirke Lüneburg und Stade sowie der Kreisverband Goslar, die ihre Wahlkampfparolen über Infotische und Flugblätter verbreiteten. Die zentralen Forderungen konzentrier- Rechtsextremismus 159 ten sich auf den Ausstieg aus dem Euro und die Rückführung von Ausländern in ihre Heimatländer. Die NPD gewann insgesamt 21 Kommunalmandate und damit drei mehr als bei der letzten Wahl im Jahr 2006. Zu den Mandatsträgern gehören neben den Vorstandsbzw. inzwischen zurückgetretenen Vorstandsmitgliedern BERISHA (für die UWL im Kreistag Lüneburg), BEHRENS (Kreistag Heidekreis), Stefan KLINGBEIL (Stadt Munster), Marco BORRMANN (Stadt Herzberg) und KALLWEIT (Kreistag Goslar, Stadt Vienenburg) unter anderem auch Dr. Rigolf HENNIG (Kreistag und Stadt Verden), die Brüder Adolf und Friedrich PREUß (Kreistag bzw. Stadt Helmstedt), der ehemalige Landesvorsitzende DAMMANN (Kreistag Stade) und dessen Vorgänger Ulrich EIGENFELD (Stadt Oldenburg). Außerhalb des Kommunalwahlkampfes entfaltete die niedersächsische NPD kaum Aktivitäten. Eine gewisse Ausnahme bildeten die Unterbezirke Lüneburg, Stade und Oberweser sowie der Kreisverband Goslar, die sich nach der Kommunalwahl mit Infotischen und Flugblattaktionen an der Kampagne des Bundesverbandes "Raus aus dem Euro" beteiligten, mit der die NPD euroskeptische Stimmungen in der Bevölkerung populistisch aufgreift. Die fremdenfeindliche und völkische Ausrichtung der NPD wurde deutlich, als sie im Oktober in Holzminden und Vienenburg Flugblätter verteilte, die auf der einen Seite in Form eines Rückflugtickets gestaltet waren und auf der anderen Seite folgende Textpassagen enthielten: "Multikulti ist kein buntes, harmonisches Straßenfest, sondern ein einziges Pulverfass. Denn in der multikulturellen Gesellschaft, die heute das gewachsene Volk ersetzen soll, werden zwangsläufig Menschen zusammengepresst, die nicht zusammengehören und auch nicht zusammen gehören wollen. ... Deutschland muss das Land der Deutschen bleiben!". In Hameln versucht die NPD von islamfeindlichen Ressentiments zu profitieren. Mitglieder des Unterbezirks Oberweser forderten auf Plakaten, die sie im September an Straßenlaternen befestigten, "Keine Moscheen in Hameln". Die Rückseite des Plakats, für das Ricarda RIEFLING verantwortlich zeichnete, enthielt die fremdenfeindliche Parole "Arbeit zuerst für Deutsche". Die meisten Aktionen der niedersächsischen NPD blieben von der Öffentlichkeit weitgehend unbeachtet. Eine Ausnah- 160 Rechtsextremismus me bildete ein am 31. Januar offen über das Internet verbreiteter Brief des Lüneburger Unterbezirksvorsitzenden BÖRM, in dem er die Mitglieder seiner Partei aufforderte, sich als ehrenamtliche Interviewer bei der Volkszählung "Zensus 2011" zu bewerben, um den politischen Gegner auszuforschen. Die Ankündigung erwies sich als reiner Propagandacoup. Bei den Erhebungsstellen meldete sich kein einziges niedersächsisches NPD-Mitglied. Wie schwach die Organisations und Mobilisierungsfähigkeit des niedersächsischen Landesverbandes ist, zeigte sich am 11. Juni, als der Unterbezirk Göttingen in Northeim eine von BORRMANN angemeldete Kundgebung durchführte. An der Veranstaltung beteiligten sich statt der erwarteten 150 nur 56 Teilnehmer. Die Kundgebung war als Reaktion auf das Verhalten der Stadtverwaltung in Bezug auf den Landesparteitag gedacht, den die NPD am 22. Mai erst nach einem Rechtsstreit hatte durchführen können. 3.12 Junge Nationaldemokraten (JN) Sitz Bund: Berneburg (Sachsen-Anhalt) Niedersachsen: Delmenhorst Vorsitzende Bund: Michael SCHÄFER Niedersachsen: Christian FISCHER Mitglieder 2010 2011 Bund: 500 230 Niedersachsen: 40 20 Publikationen Bund Der Aktivist 3.12.1 Geschichte und Entwicklung Als der 1996 gewählte Parteivorsitzende Udo VOIGT damit begann, die überalterte NPD strategisch neu auszurichten, hatten die 1969 gegründeten Jungen Nationaldemokraten (JN) die Funktion eines Bindeglieds zwischen NPD, rechtsextremistischen Kameradschaften und anderen Neonazis. Diese Rolle ging im Zuge des gegen die NPD angestrengten Verbotsverfahrens verloren, weil die aus Gründen der Prozessführung taktierende NPD, und damit auch die JN, für jüngere Neonazis an Attraktivität verlor. In der Folgezeit übernahm die NPD Rechtsextremismus 161 selbst die Aufgabe, jüngere Rechtsextremisten für die Partei zu erschließen. Diese traten der NPD seither zumeist direkt ohne Umweg über die JN bei. Der seit Oktober 2007 amtierende JN-Bundesvorsitzende Michael SCHÄFER83 bemüht sich seit Beginn seiner Amtszeit um eine Profilschärfung der JN und deren Bedeutung als Bindeglied zwischen NPD und Freien Kräften. Ungeachtet ihrer organisatorischen Einbindung in die NPD sind die JN bemüht, ihre Eigenständigkeit herauszustellen: "Unser Kampf ist nicht das Erringen von Parlamentssitzen, sondern die Besetzung des vorpolitischen Raums, der 'Kulturrevolution von Rechts' und der Strategieentwicklung zur Ausübung politischer Macht ohne Herrschaft." (Internetseite des JN-Bundesverbandes, 28.12.2010) Zur Stärkung des Gemeinschaftsgefühls setzt die Bundesleitung auf die Durchführung bundesweiter Lager "als identitätsstiftende Veranstaltungen". Des Weiteren wird die Teilnahme an Demonstrationen, Heldengedenken, Trauermärschen und Flugblattverteilungen praktiziert. Der Slogan, mit dem die JN den Wert der Gemeinschaft betont - "Allein gestellt sind wir nichts, - in der Gemeinschaft ist jeder alles." (Internetseite des JN-Bundesverbandes, 28.12.2010) - erinnert stark an den Leitspruch der Hitler-Jugend "Du bist nichts, dein Volk ist alles". Einen bestimmenden Einfluss haben die völkisch orientierten, traditionalistisch auftretenden JN in der rechtsextremistischen Szene nicht erlangen können. Der Rückgang der Mitgliederzahl auf nurmehr 230 Mitglieder bringt dies in aller Deutlichkeit zum Ausdruck. Die aktionsorientierten Neonazigruppen setzen die Akzente und nicht die JN. SCHÄFER versucht hierauf zu reagieren, indem er perspektivisch programmatische Grundsatztreue mit einer anderen Darstellungsform verbinden möchte. Als Aufgabe der JN betrachtet er es, "...unsere Kultur, unser Brauchtum und unsere politische Idee zu erhalten und sie als Jugendbewegung zu formen und zu leben. Das müssen wir mit unserem Leben in der Bundesrepublik vereinbaren. Wir haben dafür zu sorgen, dass wir nicht die letzten von damals, sondern tatsächlich die Ersten von morgen sind." (Der Aktivist, Nr. 1/2012, Seite 24) 83 SCHÄFER wurde auf dem Bundeskongress der JN am 26. Juni in Baden-Württemberg in seinem Amt bestätigt. 162 Rechtsextremismus Um Resonanz zu finden, müssten die Ideen der JN zur Popkultur werden: "Wenn die Frage also lautet: Dürfen wir Pop sein? Dann ist die Antwort: Ja! Das müssen wir sogar, um erfolgreich zu sein. Nichts ist schlimmer, als im selbsterrichteten Ghetto zu versauern und sich zu wundern, warum wir seit über 60 Jahren nicht vorankommen." (Der Aktivist, Nr. 1/2012, Seite 26) Der Charakter der JN, deren organisatorisches Innenleben von einer Art völkischem Dogmatismus durchdrungen ist, dürfte einer solchen Entwicklung entgegenstehen. 3.12.2 Entwicklung in Niedersachsen Nach jahrelanger Inaktivität der JN in Niedersachsen folgte im August 2009 die Reorganisation des Landesverbandes und die Gründung der Stützpunkte Delmenhorst, Lüneburg und Osnabrück. Der Ende 2009 gegründete Stützpunkt Achim/ Verden löste sich im Laufe des Jahres 2010 wieder auf. Als JN-Landesvorsitzender fungiert Christian FISCHER aus Vechta. Der ehemalige Aktivist der verbotenen Heimattreuen Deutschen Jugend (HDJ) personifiziert die Nähe der Organisation zum historischen Nationalsozialismus. Der Landesverband ist weit davon entfernt, sich zu einer schlagkräftigen Jugendorganisation zu entwickeln. Er zählt nur noch 20 Mitglieder. Impulse für die Arbeit des Bundesverbandes gehen von ihm nicht aus, geschweige denn, dass er auf eine Erneuerung der Mutterorganisation, des NPD-Landesverbandes, hinwirken könnte. Die Aktivitäten beschränken sich zum größten Teil auf binnenzentrierte Veranstaltungen, um den Zusammenhalt unter den Mitgliedern zu fördern, und auf die Unterstützung der NPD im Kommunalwahlkampf oder bei der Betreuung von Infotischen. Eigene Akzente hat der niedersächsische Landesverband der JN in den zwei Jahren seit seiner Wiedergründung bislang nicht gesetzt. 3.13 Rechtsextremistischer Geschichtsrevisionismus Revisionistische Der Begriff rechtsextremistischer Geschichtsrevisionismus bePositionen dienen zeichnet die Leugnung oder Relativierung der nationalsoziaals ideologisches listischen Verbrechen und der deutschen Schuld am Ausbruch Bindegelied des Zweiten Weltkriegs. Revisionistische Positionen sind in un- Rechtsextremismus 163 terschiedlicher Ausprägung bei nahezu allen rechtsextremistischen Organisationen nachweisbar. Sie sind ideologisches Bindeglied zwischen den verschiedenen Strömungen des Rechtsextremismus. Der Revisionismus will den historischen Nationalsozialismus zumindest tendenziell rehabilitieren und die verfassungsmäßige Ordnung der Bundesrepublik Deutschland delegitimieren. Revisionisten im engeren Sinne sind bestrebt, die Erkenntnisse der seriösen Geschichtswissenschaft von einem vermeintlich wissenschaftlichen Standpunkt aus zu widerlegen. Dieser um eine wissenschaftliche Diktion bemühte Geschichtsrevisionismus, der rechtsextremistischen Organisationen die Argumentationsbasis liefert, ist eine internationale Erscheinung. Viele Revisionisten sind Ausländer oder agieren vom Ausland aus. Die ideologische Klammer ihrer Zusammenarbeit bildet eine eng mit revisionistischen Positionen verbundene antisemitische Grundeinstellung. Das Internet ist die wichtigste Agitationsplattform der Revisionisten. Hier pflegen sie ihre weltweiten Kontakte und steuern ihre Aktivitäten. In der Regel nutzen sie ausländische Internetprovider, um einer möglichen Strafverfolgung in Deutschland zu entgehen. Daneben werden revisionistische Schriften in Druckform durch hierauf spezialisierte Verlage verbreitet. 3.13.1 Revisionistische Aktivitäten in Niedersachsen Zentralfigur revisionistischer Aktivitäten in Niedersachsen ist der NPD-Stadtratsund Kreistagsabgeordnete Dr. Rigolf HENNIG aus Verden. HENNIG gehört seit Jahren zu den meinungsführenden niedersächsischen Rechtsextremisten. Er ist in der rechtsextremistischen Szene fest verankert und verfügt über eine Vielzahl von engen Kontakten und Verbindungen auf nationaler und internationaler Ebene. HENNIG fungiert als "Staatspräsident" der geschichtsund gebietsrevisionistischen Organisation Freistaat Preußen. Organ des Freistaates Preußen ist die Publikation "Stimme des Reiches" (SdR), für die Heinrich MOCK (Hannover) im Sinne des Presserechts verantwortlich zeichnet. Die "Stimme des Reiches" hat eine ähnliche Ausrichtung wie die frühere Publikation "Stimme des Gewissens" des 2008 verbotenen revisionistischen Vereins "Collegium Humanum" (CH). Für beide Zeitschriften charakteristisch sind antisemitische und den Holocaust leugnende Inhalte. In der Stimme des Reiches, Nummer 2, März-April 2011 (Internetausgabe), Seite 16 und 17, zeigt sich die dezidiert 164 Rechtsextremismus revisionistische Ausrichtung HENNIGs. Ausgehend von der Fortexistenz des Deutschen Reiches beschreibt er die Situation in Deutschland als "Folge der Umerziehung", eines für Revisionisten typischen Argumentationsmusters, mit der die Legitimität der Bundesrepublik in Frage gestellt wird: "Unser Ziel muß die Wiederherstellung der Handlungsfähigkeit des Deutschen Reiches sein als unser völkerrechtlicher Nationalstaat. Derzeit sind wir Deutschen noch vielfach Opfer einer 'Umerziehung' genannten Gehirnwäsche mit allen Folgen des eingepflanzten Irreseins bis hin zum Selbsthaß. Inzwischen herrscht hierzulande auch noch der blanke Haifischkapitalismus alias Zionismus ungestört ... Ein Feind, der erkannt ist, läßt sich bekämpfen. Es ist der Zionismus, der uns in mehrfacher Gestalt, so u.a. als 'Vereinte Nationen' (VN), NATO und EU begegnet." Die fremdenfeindliche Ausrichtung manifestiert sich in HENNIGs Ausführungen über eine "ordnende Reichsverfassung": " ... Eine ordnende Reichsverfassung aus bewährten Kräften,... wird allgemeine Wahlen vorbereiten. Als Sofortmaßnahmen stellt sie die Verfassung und die Gesetze des Deutschen Reiches mit Stand vom 23. Mai 1945 wieder her (und) macht den Ausländern einschließlich solcher mit bundesdeutschem Paß klar, dass sie im Deutschen Reich kein Aufenthaltsrecht haben, womit sich jede Sozialversorgung selbsttätig erledigt, kündigt sämtliche Arbeitsverträge mit Ausländern und sorgt für deren Rückführung samt Sippen unter Strafandrohung binnen längstens eines Jahres, berichtigt das Geschichtsbild und stellt jene Leute vor Gericht, die sich vorsätzlich an deutschen Lebensanliegen und am Völkerrecht vergangen haben." 3.13.2 Europäische Aktion (EA) Die nationalsozialistisch, rassistisch und antisemitisch ausgerichtete Europäische Aktion (EA) wurde 2010 zunächst unter der Bezeichnung Bund Freies Europa (BFE) von einer Personengruppe um den ehemaligen Vorsitzenden des 2008 verbotenen Vereins zur Rehabilitierung der wegen Bestreitens des Holocaust Verfolgten (VRBHV) Bernhard SCHAUB (Schweiz) gegründet. Der ehemalige VRBHV-Schatzmeister Arnold HÖFS aus Springe (Region Hannover) ist einer von zwei Schatzmeistern der EA. SCHAUB und HÖFS waren Teilnehmer der so genann- Rechtsextremismus 165 ten Holocaust-Konferenz am 11. und 12.12.2006 in Te84 heran (Iran). HÖFS gibt unter seinem Pseudonym Herbert HOFF die revisionistische Bücherreihe Faktenspiegel heraus. Die Ausgaben "Faktenspiegel V - Das belogene Volk Propaganda ohne Ende" und "Faktenspiegel VI - Drei zum Krieg vereinte Diener" sind von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) wegen Jugendgefährdung bereits indiziert worden. Die EA unterhält Landesgruppen in Deutschland, Bulgarien, England, Frankreich, Österreich und der Schweiz. Sie ist organisationsübergreifend tätig und sieht sich als Bewegung für die Freiheit und Selbständigkeit Europas und seiner Völker. Eine "Europäische Eidgenossenschaft" (Staatenbund) soll an die Stelle der aufzulösenden Staatenbündnisse EU und NATO treten. Auf einer Veranstaltung der Jugendorganisation der NPD,der Jungen Nationaldemokraten (JN), beschrieb HENNIG am 6. April die EA als Gegenentwurf zur EU. Das Deutsche Reich befinde sich quasi in einem Krieg gegen "die BRD": "Auch wir sind im Krieg, der nunmehr in ein entscheidendes Stadium übergeht, nämlich: die BRD als Teil des globalistischen Systems gegen das Deutsche Reich als unser Nationalstaat nach Völkerrecht ... wir müssen uns seelisch wie materiell rüsten - letzteres zumindest in Gestalt einer Notvorsorge. Den bestmöglichen organisatorischen Ansatz zur Bündelung bietet die vor Jahresfrist gegründete 'Europäische Aktion' als 'Europäische Eidgenossenschaft' der Gegenentwurf zur EU. Diese enthält als Kern das Deutsche Reich". (Internetseite der JN-Bund, Ausdruck vom 7. April) Als Staatsform der propagierten "Europäischen Eidgenossenschaft" beschreibt SCHAUB in seinem Buch "Die Europäische Aktion" die "Meritokratie", d. h. die Vorherrschaft einer "durch Leistung und Verdienste ausgezeichneten Volksschicht". ("Die Europäische Aktion", Seite 39). Fremdenfeindliche und rassistische Ausrichtung dokumentieren sich in den Aussagen SCHAUBs über die geforderten Ausweisungen außer-europäischer Einwanderer: 84 Die Holocaust-Konferenz fand auf Initiative des iranischen Staatspräsidenten Ahmadinedschad statt. Um Israel politisch zu attackieren, hatte Ahmadinedschad den Holocaust ein Jahr zuvor als Mythos bezeichnet. An der Konferenz nahmen namhafte Revisionisten aus verschiedenen europäischen Ländern teil. 166 Rechtsextremismus "Im Interesse aller Völker arbeitet die Europäische Aktion deswegen auf den Zeitpunkt hin, in dem die durcheinander geschobenen Völkerund Rassenmassen wieder entflochten werden können und damit ihre Heimat und ihre Wurzeln wiederfinden ... Jeder geht dann dahin zurück, woher er kommt. Weiße Ehegatten begleiten ihre Partner, Mischlinge siedeln sich in der Heimat ihres farbigen Elternteils an. Diese Rückwanderung ist keine übertriebene Zumutung. Es wurde den vergangenen Generationen bei uns manches zugemutet ... Außerdem wird eine Europäische Eidgenossenschaft dafür sorgen, dass diese Rücksiedlungen unter humanitären Gesichtspunkten ablaufen. Wir sind keine Barbaren." ("Die Europäische Aktion", Seite 20) Mit dem Ziel, den europäischen Charakter der Bewegung öffentlich zu dokumentieren, führte die EA am 10. September eine Veranstaltung in Einsiedeln (Schweiz) durch. Das Rahmenprogramm beinhaltete Ansprachen der Landesleiter, u. a. HENNIG, der Holocaustleugnerin Michele RENOUF (Großbritannien) und einen Kurzbeitrag des ehemaligen stellvertretenden Vorsitzenden der verbotenen Heimattreuen Deutschen Jugend (HDJ), Martin GÖTZE. Die Rede des EA-Leiters SCHAUB war geprägt von rassitischen und antisemitischen Äußerungen. Er berief sich auf "ein weißes und auf seine Tradtionen stolzes Europa", die "Ausschaltung des Weltzionismus als einer volksund kulturzersetzenden Kraft" und definierte als Gegner "das 'Jüdäo-christliche' Amerika und seine Vasallen (fast) überall in der Welt". 3.13.3 Verein Gedächtnisstätte e. V. Ein weiteres Beispiel für revisionistische Organisationen ist der 1992 gegründete Verein Gedächtnisstätte e. V. Vorsitzende war zunächst die Rechtsextremistin Ursula HAVERBECKWETZEL, 2003 folgte Wolfram SCHIEDEWITZ aus Seevetal (Landkreis Harburg). Gemäß Satzung will der Verein eine würdige Gedächtnisstätte für die deutschen Opfer des Zweiten Weltkrieges durch Bomben, Verschleppung, Vertreibung und in Gefangenenlagern errichten. Der Verein arbeitet eng mit verschiedenen rechtsextremistischen Verbänden und Vereinen ähnlicher Zielsetzung, u. a. der Schlesischen Jugend, zusammen. Unter dem Titel "Dresden 2011" äußerte sich der Vorsitzende des Vereins Gedächtnisstätte e. V., SCHIEDEWITZ, am Rechtsextremismus 167 19. Februar revisionistisch im Internet: "Versöhnung und Zukunft im friedlichen Miteinander der Völker kann es nur auf der Grundlage der geschichtlichen Wahrheit geben. Wir wollen diese friedliche Zukunft, wir wollen diese Wahrheit." (Internetseite des Vereins Gedächtnisstätte e. V., Ausdruck vom 1. April) Von 2007 bis 2009 unterhielt der Verein Räumlichkeiten im sächsischen Borna, die er verschiedenen rechtsextremistischen Gruppierungen zur Verfügung stellte. Im September wurde bekannt, dass der Verein im thüringischen Guthmannshausen Räumlichkeiten über ein Vereinsmitglied erworben hat. Als Referentin der ersten Veranstaltung sprach die Holocaustleugnerin HAVERBECK-WETZEL. 3.13.4 Demonstrationen mit revisionistischem Charakter Der Stellenwert des Revisionismus als verbindendes Ideologieelement der rechtsextremistischen Szene und sein ideologisches Anliegen, die Verbrechen der NS-Zeit zu relativieren, findet auch in den jährlichen Demonstrationen ihren Ausdruck, mit denen der Bombardierung deutscher Städte während des Zweiten Weltkriegs gedacht wird. Einen herausragenden Stellenwert für die rechtsextremistische Szene hat in diesem Zusammenhang die Stadt Dresden. Die regelmäßig am 13. Februar, dem Jahrestag der Bombardierung 1945, durchgeführte Demonstration ist bundesweit von Bedeutung für die rechtsextremistische Szene. Das Gedenken bietet Anlass, die deutschen Opfer der alliierten Luftangriffe gegen die Verbrechen der Nationalsozialisten aufzurechnen mit dem Ziel, das NS-Regime zu exkulpieren. Anlässlich des 66. Jahrestages der Bombardierung Dresdens nahmen am 13. Februar ca. 1.500 Rechtsextremisten an einem von der Jungen Landsmannschaft Ostdeutschland e. V. (JLO) organisierten so genannten Fackelmarsch durch Dresden teil. Für den 19. Februar rief die rechtsextremistische Szene zu drei Veranstaltungen mit den Themen "Recht auf Gedenken - der Wahrheit eine Gasse!", "Für eine freies Land, mit freien Menschen" und "Gedenken an die Flüchtlinge in Ostdeutschland, die bei der Bombardierung getötet wurden" auf. Rund 12.500 Gegendemonstranten verhinderten die Durchführung der Veranstaltungen. In der Dresdener Innenstadt kam es zu einer Vielzahl von gewalttätigen Auseinandersetzungen zwi- 168 Rechtsextremismus schen Rechtsund Linksextremisten bzw. der Polizei sowie zu Sachbeschädigungen. Mit der gleichen propagandistischen Stoßrichtung versucht die neonazistische Szene seit dem Jahre 2006 die Geschichte des Wincklerbades in der niedersächsischen Kurstadt Bad Nenndorf für sich zu nutzen.85 In den Jahren 1945 bis 1947 diente das Wincklerbad als Gefängnis und Verhörzentrum der britischen Besatzungsmacht. Während dieser Zeit soll es nach den Recherchen eines britischen Journalisten zu schweren Übergriffen von Seiten der Kommandantur und der Wachsoldaten auf die Inhaftierten gekommen sein. Am 6. August nahmen mehr als 600 Rechtsextremisten an einem so genannten Trauermarsch unter dem Motto: "8. Mai, gefangen, gefoltert, gemordet - damals wie heute - Besatzer raus!" teil. Der Zuspruch, den der zum Gedenken an die Opfer im August durchgeführte "Trauermarsch" innerhalb der rechtsextremistischen Szene erfährt, ist ein weiterer Beleg für die identitätsstiftende Funktion des Revisionismus. 3.14 Intellektualisierungsbemühungen im Rechtsextremismus "Neue Rechte" Seit Beginn der 1980er Jahre bemüht sich ein kleiner Kreis rechtsextremistischer Intellektueller, Einfluss auf gesellschaftliche Diskurse zu nehmen. Das Ziel ist die kulturelle Vorherrschaft. Ihr soll langfristig ein Systemwechsel folgen. Diese Variante des Rechtsextremismus, die abseits der Agitation der meisten Gruppierungen des organisierten Rechtsextremismus in verschiedenen rechtsextremistischen Zirkeln, Publikationen und Verlagen zu finden ist, wird oft mit dem Begriff "Neue Rechte"86 umschrieben. Hinter dem von der "Neuen Rechten" verfochtenen Konzept des Ethnopluralismus verbirgt sich eine fremdenfeindliche Grundtendenz. Der Ethnopluralismus stellt die kulturellen Unterschiede der Menschen in den Vordergrund und propagiert die kulturelle, möglichst aber auch räumliche Trennung ethnischer Gruppen. Ausgehend von einer homogenen Ethnie lehnen Vertreter der "Neuen Rechten" Einwanderung als "volksgemeinschaftsschädlich" ab. Die von einem elitären Bewusstsein getragenen Theoriezirkel der "Neuen Rechten" zielen nicht auf eine breitere Re85 Siehe hierzu auch Kapitel 3.9.6. 86 Die mit dem Begriff der "Neuen Rechten" bezeichnete ideologische Strömung beruft sich auf die "Konservative Revolution" - eine intellektuelle Strömung antidemokratischen Denkens in der Weimarer Republik. Der Begriff wird aber nicht einheitlich verwendet. Manche Autoren erfassen mit diesem Begriff den um Theoriebildung bemühten Teil des Rechtsextremismus in seiner Gesamtheit. Rechtsextremismus 169 zeption ihrer Denkansätze. Ihre philosophisch überhöhten Ausführungen dürften die Aufnahmefähigkeit und -bereitschaft der meisten organisierten Rechtsextremisten überfordern. Die Schriften der "Neuen Rechten" richten sich denn auch an einen anderen Adressatenkreis, an Angehörige der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Elite. Sie zu beeinflussen, wäre ein Schritt auf dem Wege zur angestrebten kulturellen Hegemonie. 3.14.1 Gesellschaft für freie Publizistik e. V. (GFP) Die 1960 gegründete Gesellschaft für Freie Publizistik e. V. (GFP) unter ihrem österreichischen Vorsitzenden Martin PFEIFFER ist mit ihren etwa 500 Mitgliedern die größte rechtsextremistische Kulturvereinigung. Ihr gehören vor allem Verleger, Buchhändler, Redakteure und Schriftsteller an. Auf Bundesebene führt die GFP jährlich einen Jahreskongress mit Mitgliederversammlung durch. Auf Länderebene fanden kleinere Vortragsveranstaltungen der GFP-Arbeitskreise für Südniedersachsen, Nordhessen und Westfalen mit zumeist revisionistischem Charakter statt. Daneben werden Tagungen für Verleger und Treffen für Juristen durchgeführt. Als Druckerzeugnis gibt die GFP die Kongressbroschüre GFP-Report sowie das vierteljährlich erscheinende GFP-Mitteilungsblatt Das Freie Forum heraus. Derzeit ist die GFP die einzige sich theoretisch betätigende Organisation, der Einfluss auf den rechtsextremistischen Theoriediskurs zugesprochen werden kann. Andere Organisationen mit intellektuellem Anspruch wie das 30 Jahre bestehende Thule-Seminar, die 2000 gegründete Deutsche Akademie oder das 1994 gegründete Deutsche Kolleg hingegen finden kaum Resonanz. 3.15 Immobiliengeschäfte mit rechtsextremistischem Hintergrund Im Jahr 2004 hat das Niedersächsische Ministerium für Inneres Beauftragter für und Sport einen Beauftragten für Immobiliengeschäfte mit Immobiliengeschäfte rechtsextremistischem Hintergrund bestellt. Die Tätigkeit des mit rechtsextremisBeauftragten ist seit 2007 eingebunden in das Beratungskontischem Hintergrund zept des niedersächsischen Verfassungsschutzes zur "Fördeim Innenministerium rung von Handlungsmöglichkeiten gegen Rechtsextremismus in den Kommunen". Der Beauftragte wird seit 2009 im Rahmen der Niedersächsischen Extremismus-Informations-Stelle (NEIS) tätig. 170 Rechtsextremismus Er stand auch im Jahr 2011 den Kommunen in Fragen zu Immobiliengeschäften mit rechtsextremistischem Hintergrund beratend zur Seite. Dies umfasste die Beratung grundsätzlicher Art ebenso wie die Unterstützung in konkreten Verdachtsfällen. Politisch motivierte Seit einer Reihe von Jahren versuchen Rechtsextremisten Scheingeschäfte Immobilien zu erwerben, die geeignet sind, Schulungen und Veranstaltungen durchzuführen und die als örtliche Treffpunkte oder Anlaufstellen dienen können. Nicht immer steht hinter dem Interesse an einer Immobilie auch eine reale Kaufabsicht. Häufig nutzen Rechtsextremisten das Bekanntwerden ihrer angeblichen Kaufabsicht, um sich in den Medien zu profilieren und um finanzielle Vorteile zu erzielen. Denn oftmals führt der öffentliche Protest gegen einen Immobilienkauf durch Rechtsextremisten dazu, dass Kommunen sich gezwungen sehen, ihr Vorkaufsrecht auszuüben oder das Objekt freihändig zu erwerben - nicht selten zu einem unangemessenen, hohen Preis. Bei solchen politisch motivierten Scheingeschäften kann es vorkommen, dass der Verkäufer an die Rechtsextremisten für ihre "Bemühungen" eine Provision zahlt. Reale Kaufabsichten und Scheingeschäfte sind im Einzelfall schwer zu unterscheiden. Auch die rechtlichen Möglichkeiten der Kommunen und staatlichen Stellen variieren von Fall zu Fall. Wesentliche Aufgaben des Beauftragten für Immobiliengeschäfte mit rechtsextremistischem Hintergrund sind daher die Weitergabe vorhandener Erfahrungswerte, die rechtliche Beratung der betroffenen Kommunen, die Koordinierung der beteiligten Behörden und die Vermittlung von Kontakten zu sachverständigen Stellen. Bis zu seinem Tod am 29.10.2009 standen insbesondere die Immobiliengeschäfte des rechtsextremistischen Aktivisten, Rechtsanwalts und NPD-Bundesvorstandsmitglieds Jürgen RIEGER aus Hamburg im Mittelpunkt. Zwar hat sich mangels einer vergleichbaren führungsund finanzstarken Person, welche die Immobiliengeschäfte in seinem Sinne weiterführen könnte, die Situation auf dem Gebiet rechtsextremistischer Immobiliengeschäfte entspannt. Dennoch ist davon auszugehen, dass Rechtextremisten weiterhin Interesse haben, insbesondere Immobilien im ländlichen Raum zu erwerben. Dies wird durch einen Vorfall im Nachbarland Thüringen bestätigt. Rechtsextremistischer Im Oktober erwarb eine Heilpraktikerin aus Hessen das Verein erwirbt ehemalige Rittergut von Guthmannshausen im Kreis SömmerImmobilie in da. Nachdem sie erklärt hat, das Gut dem Verein GedächtnisThüringen stätte e. V. zur Verfügung stellen zu wollen, wird inzwischen davon ausgegangen, dass sie lediglich als Strohfrau für den als rechtsextremistisch einzustufenden Verein und dessen Vorsit- Rechtsextremismus 171 zenden, Wolfram SCHIEDEWITZ aus Seevetal, aufgetreten ist. Der Rechtsstreit um die Nutzung der ehemaligen GaststätGaststätte te "Zur Synphonie" in der Gemeinde Hollern-Twielenfleth "Zur Synphonie" in (Landkreis Stade) ist noch nicht abgeschlossen. Die Gaststätte Hollern-Twielenfleth war im Juni 2010 von einem in der Neonaziszene nicht mehr (Landkreis Stade) aktiven Rechtsextremisten im Rahmen einer Zwangsversteigerung erworben worden. Der Käufer hatte sich zur Bundestagswahl 2009 als Direktkandidat der NPD im Landkreis Harburg aufstellen lassen, ohne selbst Mitglied der Partei zu sein. Er ist Anhänger des Rockerklubs "Gremium MC", der in Niedersachsen ausschließlich im Nordwesten vertreten ist. Nach vorliegenden Erkenntnissen wurde das Objekt für den Klub "Gremium MC" erworben, um ein Klubheim eröffnen zu können. Rockerklubs sind kein Beobachtungsobjekt des Niedersächsischen Verfassungsschutzes. Anhaltspunkte, welche darauf hindeuten, dass diese Gaststätte als regionaler oder überregionaler neonazistischer Treffpunkt dienen soll, liegen nicht vor. Auch existieren keine Erkenntnisse, die auf eine strategische Zusammenarbeit zwischen Rechtsextremisten und Rockerklubs hindeuten. In Einzelfällen - wie diesem - bestehen persönliche Verbindungen von Angehörigen der rechtsextremistischen Szene zu Rockerklubs. Aufgrund dieser bestehenden Kontakte zu Anhängern der rechtsextremistischen Szene kann eine Nutzung der Immobilie durch diese Szene nicht vollständig ausgeschlossen werden. Der zuständige Rat der Gemeinde Hollern-Twielenfleth hat am 22.10.2010 beschlossen, für das betroffene Gebiet einen Bebauungsplan aufzustellen. Dieser sieht eine Nutzung der Immobilie als Museum vor. In gleicher Sitzung wurde eine Satzung über eine baurechtliche Veränderungssperre für das betroffene Gebiet verabschiedet. Zuvor hatte der Landkreis Stade gegen den Käufer eine Verfügung erlassen, durch die ihm eine Nutzung des Objekts untersagt wird. Der Rechtsstreit bezüglich dieser Nutzungsuntersagungsverfügungen dauert weiterhin an. Ebenfalls weiterhin ungeklärt ist das Schicksal des Heisenhofes in Dörverden. RIEGER hatte seinerzeit das Objekt als "Director" der Wilhelm-Tietjen-Stiftung für Fertilisation Limited (WTSF Ltd.) für diese Gesellschaft erworben. Zum geschäftsführenden "Director" wurde im April Holger JANßEN als Nachfolger von Thomas WULFF bestellt. Ebenfalls im April hat das Oberverwaltungsgericht Lüneburg die Abrissverfügungen des Landkreises Verden für alle fünf Gebäude für rechtmäßig erachtet. Damit endete ein lange anhaltender - ursprünglich noch von RIEGER angestrengter - Rechtsstreit. Bereits das VG Stade hatte mit Urteil vom 05.02.2009 die Abrissverfügungen als rechtmäßig eingestuft. Daraufhin hatte die WTSF Ltd. Antrag auf Zulassung der Berufung gestellt. Mit 172 Rechtsextremismus dem Beschluss des OVG sind die Abrissverfügungen nunmehr bestandskräftig geworden. Schicksal des Nachdem die WTSF Ltd. den Abbruchanordnungen nicht "Heisenhofes" nachgekommen ist, bereitet der Landkreis Verden nunmehr nach wie vor offen den Abriss im Wege der Ersatzvornahme vor. Ob es tatsächlich zu einem Abriss kommen wird, ist derzeit jedoch noch unklar. Im Oktober 2011 hat ein Ehepaar aus Visselhövede (Landkreis Verden) den Heisenhof von der WTSF Ltd. erworben und plant nach eigenen Angaben die Errichtung eines Gesundheitszentrums. Ob ein Konzept vorgelegt werden wird, das die Gemeinde Dörverden zur Aufstellung einer Bauleitplanung für die im Außenbereich gelegenen Gebäude veranlassen wird und das den Landkreis von der Durchführung des Abrisses Abstand nehmen lässt, bleibt abzuwarten. Linksextremismus 173 4. LINKSEXTREMISMUS 4.1 Mitglieder-Potenzial Die Zahlenangaben sind zum Teil geschätzt und gerundet. Linksextremismus-Potenzial Bundesrepublik Deutschland 2010 2011 Marxisten-Leninisten und andere revolutionäre Marxisten87 25.800 25.000 Autonome und sonstige gewaltbereite Linksextremisten88 6.800 7.100 Summe 32.600 32.100 Nach Abzug der Mehrfachmitgliedschaften 32.200 31.800 DIE LINKE. 89 73.658 69.458 Linksextremismus-Potenzial Niedersachsen90 2010 2011 Marxisten-Leninisten und andere revolutionäre Marxisten 415 445 Autonome und sonstige gewaltbereite Linksextremisten 910 940 Summe 1.325 1.385 DIE LINKE. 91 3.259 3.139 87 Einschließlich Kommunistischer Plattform (KPF) und weiterer linksextremistischer Gruppen in der Partei DIE LINKE. 88 In die Statistik sind nicht nur tatsächlich als Täter/Tatverdächtige festgestellte Personen einbezogen, sondern auch solche Linksextremisten, bei denen lediglich Anhaltspunkte für Gewaltbereitschaft gegeben sind. Erfasst sind nur Gruppen, die feste Strukturen aufweisen und über einen längeren Zeitraum aktiv waren. Das Mobilisierungspotenzial der "Szene" umfasst zusätzlich mehrere tausend Personen. 89 Die Partei DIE LINKE. ist wegen ihres ambivalenten Erscheinungsbildes gesondert ausgewiesen. Es ist davon auszugehen, dass nicht alle Mitglieder linksextremistische Ziele verfolgen oder unterstützen. Die Partei firmierte bis zur Fusion mit der Partei Arbeit & Soziale Gerechtigkeit - Die Wahlalternative (WASG) am 16.06.2007 unter dem Namen Die Linkspartei.PDS. Die Mitgliederzahlen wurden der Internetseite der Partei DIE LINKE. mit Stand vom 31.12.2011 entnommen. Abweichende Mitgliederzahlen zu den vorherigen Verfassungsschutzberichten gehen auf die von der Partei DIE LINKE. durchgeführte und 2010 abgeschlossene Bereinigung der Mitgliederdateien zurück. 90 Die für den Bund eingefügten Fußnoten gelten entsprechend auch für Niedersachsen. Auf den Abzug von Mehrfachmitgliedschaften in Höhe von ca. 2 % wie beim Bund ist verzichtet worden. 91 Die Beobachtung der PDS wurde in Niedersachsen im Jahr 2003 begonnen. Bis zu diesem Zeitpunkt wurde lediglich die Kommunistische Plattform in der PDS (KPF) beobachtet. Nach der Fusion mit der WASG ist die Partei DIE LINKE. ein einheitliches Beobachtungsobjekt. Entwicklung des linksextremistischen Mitgliederpotenzials (ohnedie Partei DIE LINKE.) 30.700 30.800 31.200 31.600 32.200 31.800 35.000.707 30.000417 | 25.0004 20.000EBund 15.000- ' | Niedersachsen 2006 2007 2008 2009 2010 2011 Entwicklung des Potenzials der Autonomen und sonstigen gewaltbereiten Linksextremisten 6.000 6.300 6.300 6500 6.800 7.100 8.000,47 > EBund Ei Niedersachsen 2006 2007 2008 2009 2010 2011 Linksextremismus 175 4.2 Politisch motivierte Kriminalität92 (PMK) mit extremistischem Hintergrund - links Seit dem Jahr 2001 wird die Politisch motivierte Kriminalität nach dem von der Innenministerkonferenz beschlossenen "Kriminalpolizeilichen Meldedienst in Fällen Politisch motivierter Kriminalität (KPMD-PMK)" bundeseinheitlich erfasst. Im Phänomenbereich der Politisch motivierten Kriminalität -Linkswurden für das Jahr 2011 in Niedersachsen 693 extremistische Straftaten registriert. Das entspricht zum Vorjahr 2010 (795 Delikte) einem Rückgang von 12,83 Prozent. Bei 170 der linksextremistischen Straftaten handelt es sich um Fälle von Gewaltkriminalität. Im Vorjahr waren noch 180 linksextremistische Gewaltdelikte zu verzeichnen. Insgesamt spielt der Einfluss von Alkohol bei der Begehung von linksextremistischen Gewaltdelikten eine eher untergeordnete Rolle. Nur zwölf der insgesamt 165 Täter waren bei Tatausführung alkoholisiert. Das entspricht einem Anteil von ca. 7,3 Prozent (Jahr 2010: 5,2 Prozent). Insgesamt 104 der linksextremistischen Gewaltdelikte waren gegen die Polizei gerichtet. Dies bedeutet einen deutlichen Anstieg zum Vorjahr 2010, in dem 62 Fälle registriert wurden. In 73 Fällen wurden Polizeibeamtinnen und -beamte durch Körperverletzungen und Widerstandshandlungen unmittelbar angegangen. 89 Fälle der extremistischen Gewaltdelikte wiesen auch einen Zusammenhang mit Demonstrationen und Veranstaltungen auf, über die Hälfte (48) stand in Bezug zu den Castor-Protesten. Hier wurden Delikte wie Körperverletzungen, Gefährliche Eingriffe in den Straßenund Schienenverkehr, Widerstände und Landfriedensbrüche begangen. Es kam auch zu Sachbeschädigungen an Gleisen (so genanntes Schottern) oder zum Einsatz von Wurfgeschossen. Von den 170 Gewaltdelikten richteten sich 40 Taten gegen Angehörige der rechten Szene. Bei diesen Taten handelt es sich um 34 Körperverletzungen gem. SS 223 und SS 224 StGB. Im Jahr 2011 wurden acht linksextremistisch motivierte Brandanschläge registriert. Dabei wurde in sechs Fällen der Tatbestand der Brandstiftung gem. SS 306 StGB und in zwei Fällen der Tatbestand der schweren Brandstiftung gem. SS 306a StGB erfüllt. Der Rückgang dieser Fallzahlen setzt den schon für 2010 zu verzeichnenden leicht rückläufigen Trend fort. Am 16. Juli kam es in Vechelde zu einer Brandstiftung an einer im Bau befindlichen Hähnchenmastanlage. Mittels eines Brandbeschleunigers wurde von außen ein Feuer entfacht, welches in kurzer Zeit das Dach erfasste. Das Gebäude kam zum Einsturz. Der Sachschaden beträgt ca. 500.000 Euro. Von Tierrechtsaktivisten wurde eine Selbstbezichtigung versandt. Am 11. März richtete sich ein Brandanschlag gegen ein bewohntes Gebäude einer Burschenschaft in Göttingen. Darüber hinaus kam es zu zwei Sprengstoffdelikten gem. SS 308 StGB. Bei einer Tat am 15. Oktober verursachten unbekannte Täter in Ritterhude durch das Entzünden einer unbekannten Sprengund Brandvorrichtung eine erhebliche Rauchentwicklung im Vorraum eines Bankinstituts. Als Tathintergrund wurde ein Zusammenhang mit dem weltweiten "Aktionstag gegen die kapitalistische 92 Siehe Fußnote 3. 176 Linksextremismus Krise" angenommen, der an diesem Tage bundesweit zu Aktionen und auch zu Straftaten gegen Bankinstitute führte. Die zweite Tat war ein Sprengstoffanschlag unbekannter Täter am 2. Dezember auf das Gebäude des Land-, Amtsund Arbeitsgerichts Göttingen, bei dem zwölf Butangas-Kartuschen unmittelbar vor dem Eingang des Gerichtsgebäudes zur Explosion gebracht wurden. Insgesamt wurden im Jahr 2011 zu den Straftaten 396 Täter93 (427 im Jahr 2010) festgestellt. Die linksextremistischen Straftaten wurden schwerpunktmäßig durch Personen aus der Altergruppe der 21bis 30-Jährigen mit 197 Tätern (2010: 161 Täter) begangen. Es folgen die 31bis 50-Jährigen, die 70 Straftaten verübt haben (2010: 73 Täter) und die 18bis 20-Jährigen mit 67 Straftaten (112 im Jahr 2010). 48 Tatverdächtige waren zwischen 14 und 17 Jahre alt (45 Tatverdächtige im Jahr 2010). 93 Die Angaben zu den Tatverdächtigen basieren auf der so genannten Tatverdächtigenechtzählung. Dabei werden Tatverdächtige, auch wenn sie mehrere Delikte begangen haben, in der Statistik nur einmal gezählt. Linksextremismus 177 Übersicht der Gewalttaten und sonstigen Straftaten mit extremistischem Hintergrund aus dem Bereich "Politisch motivierte Kriminalität - links" in Niedersachsen94 Gewalttaten: 2010 2011 Tötungsdelikte 0 0 Versuchte Tötungsdelikte 1 0 Körperverletzungen 84 91 Brandstiftungen 13 8 Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion 1 2 Landfriedensbrüche 23 29 Gefährl. Eingriffe in Bahn-, Luft-, Schiffsoder 24 20 Straßenverkehr Freiheitsberaubung 0 0 Raub 4 2 Erpressung 0 0 Widerstandsdelikte 30 18 Sonstige Delikte 0 0 Insgesamt 180 170 Sonstige Straftaten: Sachbeschädigungen 321 377 Nötigungen/Bedrohungen 24 15 Andere Straftaten 270 131 Insgesamt 615 523 Straftaten insgesamt 795 693 94 Die Zahlen basieren auf Angaben des Landeskriminalamtes Niedersachsen (LKA NI). Die Darstellung der niedersächsischen Zahlen in Übersichten des Bundes kann davon abweichen, da das LKA NI eine so genannte lebende Statistik führt. Um die ständige Aktualität der Statistik sicherzustellen, werden dabei ggf. Nacherfassungen/Aktualisierungen auch für Vorjahre vorgenommen, so dass der Zahlenbestand noch Veränderungen unterliegen kann. 178 Linksextremismus 4.3 Einführung Liberale Forderung Für die Ideologie des deutschen Linksextremismus sind die nach Rechtsgleichheit beiden ideengeschichtlichen Grundströmungen des 19. Jahrwird um wirtschafthunderts, Marxismus und Anarchismus, grundlegend. Linksliche und soziale extremisten greifen die in der Französischen Revolution proGleichheit erweitert klamierten Werte Freiheit und Gleichheit in radikaler Zuspitzung auf und wollen den Menschen aus allen politischen und ökonomischen Abhängigkeiten befreien. Ihr Ziel ist es, den demokratischen Rechtsstaat zu überwinden und durch eine klassenlose bzw. herrschaftsfreie Gesellschaft zu ersetzen. Kommunismus und Anarchismus unterscheiden sich in der Bewertung der Freiheitsrechte. Überdeckt der übersteigerte Gleichheitsbegriff kommunistisch ausgerichteter Organisationen die individuellen Freiheitsrechte, lehnen anarchistische Gruppierungen staatliche Organisation und damit Machtstrukturen (Hierarchien) generell ab. Beide Richtungen orientieren sich an der Utopie einer klassenbzw. herrschaftsfreien Ordnung, d. h. der vollkommenen Befreiung des Menschen von allen gesellschaftlichen, politischen, ökonomischen und kulturellen Zwängen. Anarchisten, die in ihrem konkreten politischen Handeln diesen utopischen Entwurf vorzuleben versuchen, verneinen auf Zwang beruhende Zwischenstadien zur Realisierung dieser klassenlosen Gesellschaft wie die von Kommunisten geforderte Diktatur des Proletariats. Kommunistische Gruppierungen haben sich den Sturz des bestehenden politischen Systems und die Errichtung einer Diktatur des Proletariats unter Führung einer "proletarischen Avantgarde" als Ziel gesetzt. Das utopische Endziel dieser Gruppierungen ist die klassenlose kommunistische Gesellschaft. Marxistisch-leninistische Organisationen wie die Deutsche Kommunistische Partei (DKP), die MarxistischLeninistische Partei Deutschlands (MLPD) und auch Teile der Partei DIE LINKE. halten an der Idee einer Revolution der Arbeiterklasse fest, der die Diktatur des Proletariats folgt. Demgegenüber propagieren anarchistische Gruppierungen die Überwindung des bestehenden politischen Systems auf dem Wege massenhaften zivilen Ungehorsams95 und vorbildhafter Selbstorganisation. Linksextremistische Organisationen stimmen in der Notwendigkeit einer revolutionären Veränderung der bestehenden Verhältnisse überein, die das internationale Zusammenwirken aller revolutionären Kräfte erfordert (Internationalismus). Die Marktwirtschaft und die sie repräsentierenden Mächte, allen voran die USA und ihre Verbündeten, stehen für den Ge95 Ziviler Ungehorsam ist insbesondere bei den "gewaltfreien" Anarchisten der Verstoß gegen ein Gesetz aus Gewissensgründen; dabei wird bewusst in Kauf genommen, dafür bestraft zu werden. Linksextremismus 179 genentwurf zum ideologischen Weltbild der Linksextremisten und sind so eines ihrer zentralen Feindbilder. Die wechselweise als kapitalistisch oder neoliberal bezeichnete westliche Wirtschaftsordnung wird grundsätzlich als Ausbeutung des Menschen durch den Menschen abgelehnt. Linksextremisten wollen dem ihrer Meinung nach "entfesselten Kapitalismus"96 Einhalt gebieten und fordern - wie die Interventionistische Linke - : "Make capitalism history!"97 Ihre Kritik konzentriert sich vor allem auf die Großkonzerne, die NATO und ihre Führungsmacht, die USA. Während ihrem Verständnis nach die "amerikanische Plutokratie ... von der Ölund Waffenindustrie beherrscht wird"98, stellt die NATO ein "Interventionsbündnis zur Rohstoffsicherung"99 dar. Die Schuld für internationale Konflikte und Krisen liegt ausschließlich beim Westen. Linksextremisten fällt es schwer, sich eindeutig zum Existenzrecht des Staates Israel zu bekennen. Die diesjährige Diskussion innerhalb der Partei DIE LINKE. über ihr Verhältnis zum Staat Israel hat dieses deutlich gemacht. Bereits im Zuge des Golfkrieges 1991 kam es über diese Frage zum Bruch innerhalb der autonomen Szene. Während sich als "antideutsch" bzw. "antinational" verstehende Autonome vorbehaltlos mit Israel und seiner Schutzmacht, den USA, solidarisieren, gelten die Sympathien der sich als "antiimperialistisch" verstehenden Autonomen den Palästinensern. Deren Kampf gegen Israel verstehen sie als antiimperialistischen Akt nationaler Befreiung nicht nur von Israel, sondern auch von den USA und vom Kapitalismus. Viele Linksextremisten bezeichnen sich als antizionistisch. Dabei verschwimmen oftmals die Grenzen zu antisemitischen Stereotypen. So gibt es eine Reihe von Solidarisierungen von Linksextremisten mit erklärten islamistischen Feinden Israels. Im April 2011 machte beispielsweise der Duisburger Verband der Partei DIE LINKE. dadurch von sich reden, dass seine Internetseite mit einem antisemitischen Papier verlinkt war, auf dem u. a. ein Davidstern mit einem Hakenkreuz verschmilzt. Bereits zuvor hatte der Duisburger Oberbürgermeister-Kandidat der Partei DIE LINKE. im NRW-Kommunalwahlkampf des Jahres 2009 mit Blick auf die israelische PalästinaPolitik zum Boykott israelischer Waren aufgerufen. 96 DIE LINKE.: Programmatische Eckpunkte, Seite 34. 97 Internetseite der Interventionistischen Linken. 98 Maurer, Ulrich: Eiszeit. Staatsstreich des Kapitals oder Renaissance der Linken., München, 2006, Seite 211. 99 Reents, Jürgen: "Wir können nicht warten, bis Bush etwas merkt". Gespräch mit Oskar Lafontaine über Schnittmengen der Linken mit dem Islam, Atomgefahren, Rohstoff-Imperialismus und Entscheidungsfragen einer gemeinsamen Linken, in: Neues Deutschland vom 13.02.2006. 180 Linksextremismus 4.4 Überblick über die aktuellen Entwicklungen im Linksextremismus In diesem Kapitel wird die Entwicklung im Linksextremismus zusammengefasst dargestellt. Detaillierte Berichte finden sich in den jeweils folgenden Kapiteln. Die Erläuterung der Begrifflichkeiten erfolgt ebenfalls in den jeweiligen Kapiteln. Im Mittelpunkt der Entwicklung im Linksextremismus standen im Jahr 2011 die zunehmende Gewalt im Linksextremismus, der 13. Castor-Transport ins Transport-Behälter-Lager (TBL) Gorleben und die Programmdebatte innerhalb der Partei DIE LINKE. Wie schon in den vorangegangenen Jahren verübten Linksextremisten 2011 militante Aktionen in Form von Brandanschlägen auf Gebäude und Kraftfahrzeuge. Von Militanz geprägt waren zudem gewalttätige Auseinandersetzungen mit Rechtsextremisten. Ziele von Brandanschlägen waren u. a. das Gebäude des Land-, Amtsund Arbeitsgerichts Göttingen, das Haus der Göttinger Burschenschaft Brunsviga und eine im Bau befindliche Hähnchenmastanlage in Alvesse (Landkreis Peine). An den Protesten gegen den 13. Castor-Transport ins TBL Gorleben beteiligten sich mit bundesweit zwischen 13.000 und 15.000 Atomkraftgegnern deutlich weniger als im Vorjahr. Verantwortlich für den Rückgang war vor allem der Beschluss der Bundesregierung, als Reaktion auf die Reaktorkatastrophe im japanischen Fukushima acht Kernkraftwerke unmittelbar abzuschalten und bis zum Jahr 2022 endgültig aus der friedlichen Nutzung der Kernenergie auszusteigen. Demgegenüber stieg die Zahl der gewaltbereiten Linksextremisten auf etwa 450. Ihnen gelang es auch in diesem Jahr wieder, Teile des sonstigen linksextremistischen und nichtextremistischen Protestes für militante Aktionen zu mobilisieren. So versuchten Atomkraftgegner während des gesamten Transportes durch Schienenkrallen, Treckerund Sitzblockaden sowie Ankettund Abseilaktionen die Fahrt zum TBL zu behindern. Geprägt waren die Proteste von der Kampagne "Castor? Schottern!". Der maßgeblich von linksextremistischen bzw. linkextremistisch beeinflussten Organisationen und Gruppen initiierten Kampagne zur Unterhöhlung von Gleisabschnitten folgten mehrere tausend Menschen. Nennenswerte Störungen gelangen aber nicht. Eine erstmalig in Erscheinung getretene autonome Kampagne "Atomstaat stilllegen! Castor 2011 - weiträumig/unkontrollierbar/renitent" rief im Internet zu Blockadeund Sabotageaktionen sowie zu gezielter Militanz gegen die Polizei auf. Die Entwicklung des Jahres 2011 zeigt, dass die Hemm- Linksextremismus 181 schwelle innerhalb des linksextremistischen Spektrums gegenüber gewalttätigen Aktionen weiter schwindet und die Gefährdung von Menschen zumindest billigend in Kauf genommen wird. Das Jahr 2011 stand für die Partei DIE LINKE. im Zeichen programmatischer und personeller Debatten, enttäuschender Wahlergebnisse und innerparteilicher Konflikte. So beschloss sie auf ihrem Erfurter Parteitag im Oktober nach über eineinhalbjähriger Diskussion mit großer Mehrheit ihr erstes Grundsatzprogramm, das von einem abschließenden Mitgliederentscheid bestätigt wurde. Begleitet wurde die Debatte von einer teilweise heftig geführten Auseinandersetzung um die beiden Parteivorsitzenden Gesine LÖTZSCH und Klaus ERNST, denen u. a. ungeschicktes politisches Taktieren und Führungsschwäche vorgehalten wurde. Aus den Wahlen 2011 ging die Partei DIE LINKE. weitgehend als Verlierer hervor. Sie büßte bei allen sieben Landtagswahlen Stimmen ein, in Berlin schied sie aus der Regierung aus, in Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz verpasste sie sogar den Einzug in den Landtag. Bei den niedersächsischen Kommunalwahlen konnte sie zwar auf den ersten Blick Stimmen hinzugewinnen, im Vergleich zu der letzten Landtagswahl 2008 und den niedersächsischen Ergebnissen der Bundestagswahl 2009 verlor sie aber deutlich. Wesentliche Anhaltspunkte für die linksextremistischen Bestrebungen der Partei DIE LINKE. liefert ihr Grundsatzprogramm. Zudem betrachtet sie ihre offen extremistischen Strömungen weiterhin als integralen Bestandteil der Partei und arbeitet außerhalb der Partei mit linksextremistischen Gruppierungen zusammen. Am 21.07.2010 hat das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) in seinem Urteil (Az. 6 C 22.09) in einem Revisionsverfahren entschieden, dass die offene Beobachtung des ehemaligen Bundestagsabgeordneten der Partei DIE LINKE., Bodo RAMELOW, durch das Bundesamt für Verfassungsschutz rechtmäßig war. Zudem stellte das Gericht fest, dass tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen der Partei DIE LINKE. vorliegen. Erstmalig gibt es nunmehr eine höchstrichterliche Entscheidung, die die Verfassungsfeindlichkeit der Partei DIE LINKE. und die Rechtmäßigkeit ihrer Beobachtung bestätigt. 182 Linksextremismus 4.5 Autonome und sonstige gewaltbereite Linksextremisten Anhänger 2010 2011 Bund: 6.800 7.100 Niedersachsen: 910 940 Publikationen Bund: INTERIM (vierzehntägig) radikal (unregelmäßig) Phase 2 (etwa vierteljährlich) Niedersachsen: vers beaux temps, Hannover (etwa vierteljährlich) TABULA RASA, Hannover (etwa monatlich) göttinger Drucksache, Göttingen (wöchentlich) Alhambra, Oldenburg (alle zwei Monate) Fight back!, Braunschweig (unregelmäßig) autonomes Blättchen, Hannover (unregelmäßig) 4.5.1 Ursprünge und Ziele Die Entstehungsgeschichte der autonomen Bewegung reicht in die 1960er Jahre zurück, in denen die radikalen und militanten Teile der Studentenbewegung in zwei Hauptrichtungen zerfielen. Auf der einen Seite bildeten sich so genannte K-Gruppen heraus, deren Vertreter die Theorien der sozialistischen "Klassiker" wie Marx, Engels, Lenin und Mao dogmatisch auslegten. Die Aktivitäten dieser K-Gruppen waren von der Überzeugung getragen, dass nur eine disziplinierte, zentralistisch ausgerichtete Partei als Vorhut der Arbeiterklasse das Ziel der sozialistischen Revolution verwirklichen könne. Andererseits entstanden die Linksautonomen, die sich historisch auf die Erfahrungen der italienischen militanten Arbeiterund Studentenbewegung "Autonomia Operaia" beziehen und sich vorwiegend aus der militanten Anti-AKW-Bewegung und der militanten Hausbesetzerszene rekrutierten. Autonome Linksextremisten verstehen sich zwar auch als undogmatische Linke und streben wie die Vertreter der orthodoxen K-Gruppen die sozialistische Revolution an, beantworten die "Organisationsfrage" aber anders. Sie lehnen eine staatliche Ordnung und Hierachien ab und sprechen Linksextremismus 183 sich für die Selbstorganisation des Zusammenlebens aus. Gemeinsames Ziel der autonomen Gruppierungen ist es, Autonome wollen den Staat und seine Institutionen gewaltsam abzuschaffen den Staat gewaltund durch eine "herrschaftsfreie Gesellschaft" zu ersetzen. sam abschaffen Hiermit richten sie sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung und sind demnach verfassungsfeindlich (SS 3 Abs. 1 NVerfSchG). Die autonome Bewegung ist nicht wie kommunistische Organisationen von einer einheitlichen Ideologie geprägt. Sie verknüpft Elemente kommunistischer ebenso wie anarchistischer Theoretiker miteinander. Die verschiedenen Gruppen der autonomen Bewegung definieren sich vorrangig über ihren politisch militanten Aktionismus. Ihre Aktionsund Themenfelder orientieren sich zu einem erheblichen Teil an aktuellen politischen Ereignissen und Problemfeldern, um den autonomen Widerstand in der Öffentlichkeit besser zu vermitteln. Die Aktionsfelder der autonomen Bewegung unterliegen zeitweise auch Veränderungen. So engagieren sich deren Anhänger schon seit Jahren insbesondere in dem Themenfeld "Antifaschismus". In den letzten Jahren hat zudem das Aktionsfeld "Antirepression" im linksextremistischen Spektrum an Bedeutung gewonnen. Vor allem die Sicherheitsgesetze in der Bundesrepublik Deutschland nach den Terroranschlägen vom 11.09.2001 werden als eine neue Qualität "staatlicher Repression" wahrgenommen. Darüber hinaus rückte der Kampf um so genannte autonome Freiräume und gegen Pläne und Maßnahmen zur Umstrukturierung von Stadtteilen und Wohnvierteln verstärkt in den Vordergrund. Auch der Kampf gegen die friedliche Nutzung der Atomenergie blieb weiterhin ein wichtiges Thema für Linksautonome, obwohl die Bundesregierung nach der Reaktorkatastrophe im japanischen Fukushima vom März 2011 die dauerhafte Abschaltung von acht Atomkraftwerken beschlossen hat und bis zum Jahr 2022 schrittweise aus der Kernenergie aussteigen will. Brandanschläge auf die Infrastruktur der Deutschen Bahn AG, auf öffentliche Einrichtungen und Kraftfahrzeuge insbesondere in Berlin, Hamburg und Göttingen, vor allem aber die Angriffe auf Polizeiwachen in Berlin sowie die bundesweit zunehmende Konfrontationsgewalt zwischen Linksund Rechtsextremisten lassen erkennen, dass die von der offiziell im Jahre 2009 aufgelösten Berliner militanten gruppe (mg) angestoßene so genannte Militanzdebatte noch immer aktuell ist. Bei dieser Debatte geht es um die Frage, inwieweit Gewalt in der politischen Auseinandersetzung auch gegen Personen gerechtfertigt ist. Befürworten autonome Zusammenschlüsse grundsätzlich Gewalt gegen Sachen als Mittel der politischen Auseinandersetzung, so lehnen sie mehrheitlich gezielte An- 184 Linksextremismus schläge auf Personen ab. Die Befürwortung von Gewalt steht im Mittelpunkt einer im Frühjahr 2010 auch in Niedersachsen verbreiteten Broschüre namens prisma - radikales info sammelsurium militanter aktionen. Darin liefern unbekannte Verfasser handbuchartige Anleitungen dazu, wie sich bei schweren Straftaten Spuren vermeiden lassen. Zugleich greifen sie die Militanzdebatte über das Für und Wider von Gewalt zur Lösung politisch-gesellschaftlicher Probleme auf und propagieren gezielte gewalttätige Aktionen. Von Linksextremisten seit je bevorzugte Aktionsfelder, insbesondere die Bereiche "Antifaschismus" und "Antirepression", haben im Jahr 2011 eine deutlich stärkere Resonanz in der Öffentlichkeit wie auch in der linksautonomen Szene selbst gefunden. Mit der Steigerung des überwiegend bürgerlichen Protests einher ging so eine Zunahme des linksextremistischen Personenpotenzials in Niedersachsen. 2011 war hinsichtlich der aktiven Beteiligung eine Steigerung des gewaltbereiten autonomen Spektrums dergestalt zu verzeichnen, dass neben zahlreichen gewalttätigen Aktionen in Kleingruppen auch eine steuernde Einflussnahme auf Teile des nichtextremistischen, bürgerlichen Protests im Sinne der Ausübung "zivilen Ungehorsams" erfolgte. Die Planung und Begleitung von Großblockaden etwa bei Aufzügen von Rechtsextremisten, aber auch zur Verhinderung der Durchführung von Atomtransporten sind Ausdruck derartiger autonomer Aktivitäten. Aus diesem Grund hat sich die Anzahl des festzustellenden autonomen und sonstigen gewaltbereiten linksextremistischen Personenpotenzials für das Land Niedersachsen von 910 Personen im Vorjahr auf nunmehr 940 Personen erhöht. 4.5.2 Gewalttätige Aktionen in Niedersachsen Linksextremistischer Protest vermittelt sich für Autonome und sonstige gewaltbereite Linksextremisten nicht nur über Informationsund Diskussionsveranstaltungen, Workshops, Vorträge und die Verbreitung von themenbezogenen Flugblättern und Plakaten, sondern auch durch gewalttätige Aktionen wie Blockaden, Brandanschläge und Sachbeschädigungen, mit denen den eigenen politischen Zielen Nachdruck verliehen werden soll. Dem linksextremistischen Verständnis nach üben die "kapitalistischen Produktionsverhältnisse" Gewalt gegen ihre Bürger aus. Sie stellen eine auf gesellschaftlichen Strukturen wie Werte, Normen, Institutionen und Machtverhältnissen basierende "strukturelle Gewalt" gegenüber den Bürgern dar und Übersicht über Autonome Zentren und Autonome Gruppen in Niedersachsen (A) Winsen/l. & K Lüneburg Oldenburg (A)Rotenburg Lüchow(r)& Dannenberg Del & (&) Verden A) Cloppenburg Heidekreis Uelzen (A) Vechta (A) Celle EmslandGrafschaftBentheim Diepholz & (r) (r) Wunstorf (r) Eiham Ifsbu Hannover ONSEONg Braunschweig (A) Goslar Hameln-Pyrmont Göttingen ((r) Autonome Zentren (A) Autonome Gruppen - Braunschweig - Aurich-Wittmund - Lüchow-Dannenberg - Göttingen - Celle - Rotenburg - Hannover - Cloppenburg - Stade - Lüneburg - Delmenhorst - Velzen - Oldenburg - Diepholz - Vechta - Osnabrück - Emsland- - Verden Grafschaft Bentheim - Wilhelmshaven - Gifhorn - Winsen/L. - Goslar - Wolfsburg - Hameln-Pyrmont - Wunstorf - Heidekreis Stand: 31.12.2011 Grafik: MI Nds. Abt. 5 186 Linksextremismus hindern diese daran, sich ihren Anlagen und Möglichkeiten entsprechend frei zu entfalten. Aus dieser vermeintlichen "Gewalt des Systems" leiten Autonome und sonstige gewaltbereite Linksextremisten ein Naturrecht auf Widerstand ab. Linksextremistische Gewalt versteht sich demzufolge als "Gegengewalt", als reaktives und dadurch legitimes Mittel, um die herrschende Gewalt aufzubrechen und Veränderungen herbeizuführen. Für Autonome ist Militanz eine gängige Aktionsform des "legitimen Widerstands". Deren strafrechtliche Verfolgung durch "staatliche Repressionsapparate" betrachten sie als Versuch, ihre "antifaschistische Arbeit" zu kriminalisieren. Bundesweit standen, wie schon in den vorangegangenen Jahren, auch 2011 militante Aktionen in Form von Brandanschlägen auf Kraftfahrzeuge und öffentliche Einrichtungen sowie gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen Linksund Rechtsextremisten im Vordergrund. So waren insbesondere in Berlin und Hamburg erneut vor allem "Luxuslimousinen" Ziel von Brandanschlägen. Brandanschläge Die linksextremistisch motivierten Brandanschläge auf das Schienennetz der Deutschen Bahn im Großraum Berlin im Mai und Oktober zeigen ebenso wie die Angriffe auf Berliner Polizeiwachen vom Neujahrstag und vom April die hohe Gewaltbereitschaft der autonomen Szene. Bei diesen Anschlägen, zu denen Selbstbezichtigungsschreiben aus der linksextremistischen Szene vorliegen, sind die Täter planmäßig vorgegangen und haben bewusst in Kauf genommen, dass Menschen hätten zu Schaden kommen können. Auch in Niedersachsen gab es gezielte Aktionen militanter Linksextremisten. In Dannenberg geriet am 23. Februar ein Kleintransporter der Firma E.ON-Avacon auf dem Privatgrundstück eines Mitarbeiters in Brand. Wenige Wochen später wurde in der Interim Nr. 725 ein Selbstbezichtigungsschreiben mit der Überschrift "Repression erzeugt Widerstand. Widerstand erzeugt Wärme!" der Gruppe "Autonome Kernphysiker_innen" veröffentlicht. In dem Selbstbezichtigungsschreiben wird Bezug auf die präventive erkennungsdienstliche Behandlung zweier Atomkraftgegner im Polizeikommissariat Lüchow genommen. Ziel eines weiteren Brandanschlages war in der Nacht vom 11. auf den 12. März das Haus der Göttinger Burschenschaft Brunsviga. Unbekannte Täter zogen zwei Altpapiertonnen unmittelbar vor die Haustür der Burschenschaft und entzündeten diese, wobei die Haustür stark angekohlt wurde. Zufällig entdeckte ein Fahrradfahrer das Feuer, alarmierte die Hausbewohner und verständigte die Feuerwehr, die den Linksextremismus 187 Brand löschen konnte. Zum Zeitpunkt des Brandanschlages befanden sich neun Mitglieder der Burschenschaft im Haus. Am 11. Juni warfen unbekannte Täter einen Molotowcocktail gegen das Kreishaus des Landkreises Gifhorn. Ein Brand wurde jedoch nicht ausgelöst. An die Notausgangstür wurden die Worte "Remember Shambu Lama" gesprüht. Hierbei handelt es sich um einen abgelehnten Asylbewerber, der im März 2011 Selbstmord begangen hatte. Am 2. Dezember verübten unbekannte Täter einen Brandanschlag auf das Gebäude des Land-, Amtsund Arbeitsgerichts Göttingen, in dem sie zwölf Butangas-Kartuschen unmittelbar vor dem Eingang des Gerichtsgebäudes zur Explosion brachten. An der Fassade des Gebäudes brachten die Täter den Schriftzug an: "Nazis MORDEN! Der STAAT SCHIEBT AB!" sowie das Kürzel RAZ an, das für Revolutionäre Aktionszellen steht. Bei der RAZ handelt es sich um eine seit Ende 2009 hauptsächlich in Berlin aktive militante kommunistische Gruppe. Sie versteht sich als militanten Teil der revolutionären Linken, die den Kampf "Klasse gegen Klasse" in einer sozialrevolutionären und antiimperialistischen Linie fortführt. Ganz im Sinne des linksextremistischen Gewaltbegriffs, der eine "strukturelle Gewalt" des Staates behauptet, auf die mit "Gegengewalt" reagiert werden müsse, spricht die RAZ dem Staat das Gewaltmonopol ab und fordert zum gewaltsamen Sturz der bestehenden Ordnung auf: Der einzige Weg, uns zu nehmen was uns gehört, führt über die Erkenntnis, dem Staatsapparat das Gewaltmonopol abzusprechen und konsequent auf den Aufbau einer Gegenmacht hinzuarbeiten. Dazu sind unsere Interventionsmittel ... legitime Werkzeuge im Sinne der revolutionären Aktion und Gewalt." radikal Nr. 164/11, Seite 18 Aufgrund der Parole und des verwendeten Kürzels RAZ kann von einem linksextremistisch motivierten Anschlag ausgegangen werden. Der Anschlag wird in den Begründungszusammenhang mit dem zentralen linksextremistischen Thema Antirassismus und die damit verbundenen Aktionen gegen Abschiebungen von Ausländern gestellt. Dass Linksextremisten dabei immer zugleich auf den demokratischen Rechtsstaat zielen, den sie mit der nationalsozialistischen Diktatur gleichsetzen, unterstreichen Parolen, die auch in Göttingen von dem so genannten Schwarzen Block auf Demonstrationen skandiert wurden wie "Nazis morden, der Staat schiebt ab, das ist das gleiche Rassistenpack". 188 Linksextremismus Zwischen der Berliner und der Göttinger linksextremistischen Szene bestehen aber seit vielen Jahren enge Kontakte. Der Anschlag könnte von Göttinger Linksextremisten verübt worden sein, die im Sinne der RAZ agiert haben. 2011 gab es in Niedersachsen - wie auch im Vorjahr - Aktionen militanter Tierrechtler. Sie bezeichnen sich als Vegananarchisten und verwenden Symbole und Sprache der Autonomen. Mit dem Schlagwort "fight capitalism!" verdeutlichen sie ihre antikapitalistische Ausrichtung. Tierschutz findet deshalb für sie zugleich "im Rahmen einer umfassenden Herrschaftskritik" an den bestehenden Verhältnissen statt, wie der Internetseite der veganelinke zu entnehmen ist. Seit Jahren lassen sich in Veröffentlichungen der militanten Tierrechtsszene oder bei deren Aktionen Bezüge zur gewaltbereiten autonomen Szene feststellen: Sei es Aufgreifen typischer, von Linksextremisten besetzter Themenfelder, der Übernahme linksextremistischer Diktion oder das Verwenden von deren Symbolen ("Antifa"). Teilweise beteiligten sich Linksextremisten auch an Veranstaltungen militanter Tierrechtler. So unterstützten beispielsweise bei der Besetzung eines Geländes der Fa. Boehringer Ingelheim in Hannover im Juli 2009 Mitglieder der örtlichen autonomen Szene die Besetzer, indem sie sich temporär auf dem Gelände aufhielten. Eine der wichtigsten Sammlungsbewegungen der militanten Tierrechtsszene in Deutschland sowie weltweit ist die Animal Liberation Front (A.L.F.). Die A.L.F. ist eine im Jahre 1976 in Großbritannien gegründete internationale Gruppe militanter Tierrechtler. Ihr Ziel ist es, mit Anschlägen auf Einrichtungen und Personen und durch "Tierbefreiungen", Tierversuche und Tötung von Tieren zu verhindern. Sie besteht aus kleinen, unabhängig voneinander agierenden Zellen ohne zentrale Führung. Das Fehlen einer formellen Mitgliedschaft lässt darauf schließen, dass jede Gruppe oder Einzelperson, die sich mit den Zielen der A.L.F. identifiziert, in deren Namen Aktionen durchführen kann. Seit Mitte der 1990er Jahre verübten A.L.F.-Aktivisten nach eigenen Angaben auch in Niedersachsen Brandanschläge und Sabotageaktionen mit immensen Sachschäden. Am 16. Juli erfolgte in Alvesse (Landkreis Peine) ein Brandanschlag auf eine im Bau befindliche Hähnchenmastanlage. In einer im Internet verbreiteten Bekennung zu dem Anschlag heißt es, dass "legaler Protest" den Bau der Anlage nicht verhindern konnte, daher habe man sich für diese Aktionsform entschieden. Das Schreiben benennt die negativen Folgen für die Umwelt durch die Massentierhaltung, darüber hinausgehend wird Kapitalismusund Systemkritik betont: Linksextremismus 189 "Es ist normal, dass die demokratisch legitimierten Stellvertreter_innen Entscheidungen so treffen, dass Privilegierte möglichst viel Geld verdienen können, anstatt dass die Betroffenen miteinander Individuallösungen koordinieren können. Wir finden direkte Aktionen wie z.B. die von uns durchgeführte auch an anderen Orten, die der Emanzipation im Wege stehen, z.B. wo Tiere (Mensch=Säugetier) verdinglicht werden, sehr zu begrüssen. Dabei sollte stets reflektiert werden, welche Aktionsform angemessen ist und wie Verletzungen von Lebewesen möglichst ausgeschlossen werden können. Präzise gegen die Gesamtscheisse, widerständig voran!" (veröffentlicht im Internet, Ausdruck vom 26. Juli) Bereits im August 2010 hatten unbekannte Personen den Bauherrn der Anlage mit auf die Fahrbahn vor seinem Grundstück geschriebenen Worten "noch hast du die Wahl, deine Taten haben Konsequenzen! A.L.F." vor dem Bau der Mastanlage gewarnt. Ein weiterer Anschlag auf eine noch nicht fertig gestellte Hähnchenmastanlage verübten unbekannte Täter am 8. Oktober in Hohenhameln-Mehrum. In einem im Internet veröffentlichten Selbstbezichtigungsschreiben kritisierten die Täter die Nutztierhaltung und kündigten weitere Anktionen an: "wir müssen uns aus der ohnmacht befreien, die uns durch legalitätsdenken auferlegt wird. aktiver widerstand ist wichtig, möglich und nötig. allen landwirt_innen raten wir: finger weg von mastanlagen! sie brennen leicht ab... für die befreiung aller tiere. alf (animal liberation front)". (veröffentlicht im Internet, Ausdruck vom 10. Oktober) Darüber hinaus hatte sich die A.L.F bereits zu dem Brandanschlag auf die im Bau befindliche Hähnchenmastanlagen am 30.07.2010 in Sprötze/Buchholz i.d.N. (Landkreis Harburg) bekannt. Am 13. Juni wurden Scheiben und Eingangstür des RatMilitante hauses in Wietze eingeworfen und auf der Fassade der Spruch Tierrechtler "Blut an euren Händen" hinterlassen. Ihre Ablehnung des Kapitalismus sowie des Staates formulierten die Täter in einer Erklärung: 190 Linksextremismus "Mit dieser Aktion wollen wir unsere Wut über das profitorientierte System und seinen Marionetten zum Ausdruck bringen, das zulässt dass Projekte wie die Megaschlachtfabrik gebaut werden. Lasst uns aus der Zuschauer_innenrolle ausbrechen um Herrschaft direkt anzugreifen, mit allen Mitteln die nötig sind!" (veröffentlicht im Internet, Ausdruck vom 21. Juli, Schreibweise wie im Original) Massive Gewalt Die Entwicklung des Jahres 2011 zeigt, dass die Hemmschwelgegen Rechtsle innerhalb des linksextremistischen Spektrums gegenüber extremisten und gewalttätigen Aktionen weiter schwindet. Vor allem die zuPolizeibeamte nehmende Gewalt gegen Rechtsextremisten und Polizeibeamte, aber auch andere Personengruppen, wie z. B. Burschenschaftler, verdeutlicht, dass auch Personenschäden zumindest billigend in Kauf genommen werden. Das Ausmaß dieser Gewaltbereitschaft zeigte sich auch in diesem Jahr erneut bei gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Linksund Rechtsextremisten.100 4.5.3 Aktionsfeld "Antifaschismus" Zentrales Aktionsfeld der Autonomen ist der "Antifaschismus", der auch der Öffentlichkeit aus ihrer Sicht am besten zu vermitteln ist. Insbesondere auf diesem Gebiet zeigen Autonome eine hohe Gewaltbereitschaft. Feindbilder der Autonomen sind nicht nur rechtsextremistische Strukturen und Personen, sondern auch die Bundesrepublik Deutschland. Der demokratische Rechtsstaat und seine Wirtschaftsordnung werden in eine Tradition, die an den NSStaat anknüpft, gestellt und als faschistisch diffamiert. Feindbilder sind Rechtsextremismus wird von den Autonomen als ein systemRechtsextremisten immanentes Merkmal der deutschen Gesellschaftsordnung und der Staat bewertet. Sie unterstellen ihr, den Rechtsextremismus und einen immanenten Rassismus bewusst zu fördern und zu instrumentalisieren. Der revolutionäre "Antifaschismus" richtet sich primär gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung und verfolgt als Ziel, die gesellschaftlichen Strukturen, die aus seiner Sicht Faschismus und Rassismus hervorbringen, zu zerschlagen. Beispielhaft für diese Sichtweise ist die Eigendarstellung der Autonomen Antifa Bückeburg [AAB]: 100 Siehe auch Kapitel 4.5.3. Linksextremismus 191 "Wir sind eine antiautoritäre Gruppe, bestehend aus Jugendlichen, die sich antifaschistisch engagieren. Wir lehnen jegliche Form von Faschismus, Rassismus und Sexismus entschieden ab. Außerdem setzen wir uns für Tierrechte, linke Freiräume und Kapitalismuskritik ein. Wir sind gegen jeden Staat und jede Repression. Durch unsere Arbeit versuchen wir das politische Interesse anderer Leute zu wecken und sie für antifaschistische Aktivitäten zu begeistern." (Internetseite der [AAB] - Autonome Antifa Bückeburg, Ausdruck vom 10. Mai) Vor allem die öffentliche Präsenz von Rechtsextremisten ruft auf Seiten der Autonomen nach wie vor entsprechende Gegenreaktionen hervor. Seit Mitte 2010 kommt es aus diesem Grunde in Bückeburg wiederholt zu Konfrontationen zwischen Linksund Rechtsextremisten. So kam es am 2. Juni in Bückeburg zu einer Auseinandersetzung zwischen Angehörigen der rechtsextremistischen und linksextremistischen Szene, in deren Verlauf ein Rechtsextremist mit einer Holzlatte am Arm verletzt wurde. Am 26. August bedrohten etwa zehn vermummte Linksextremisten auf dem Schulgelände der Herderschule in Bückeburg eine als rechtsextremistisch geltende Person. Auch im Rahmen des niedersächsischen Kommunalwahlkampfes kam es zu körperlichen Auseinandersetzungen zwischen Rechtsund Linksextremisten. So griffen vier bis fünf maskierte Personen am 9. September drei Mitglieder der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) mit Pfefferspray an, als diese Wahlplakate in Oldenburg aufhängen wollten. Obwohl prinzipiell organisationsfeindlich, beteiligen sich Bündnispolitik Autonome auch an großen Bündnisdemonstrationen. Diese bieten ihnen die Gelegenheit, öffentlich besser wahrgenommen zu werden und in deren Schutz die Konfrontation mit den "Repressionsorganen des Staates" suchen zu können. In diesem Zusammenhang standen die Aktivitäten zur Verhinderung rechtsextremistischer Veranstaltungen, vor allem in Braunschweig, Peine, Bad Nenndorf und Northeim. Gegen die am 4. Juni in Braunschweig durchgeführte rechtsextremistische Demonstration unter dem Motto "Tag der Deutschen Zukunft" hatte das "Bündnis gegen Rechts Braunschweig" mobilisiert, dem neben demokratischen Organisationen auch die linksextremistischen Gruppierungen Antifaschistische Gruppe Braunschweig, Antifaschistisches Plenum Braunschweig, Jugend Antifa Aktion Braunschweig, Deutsche 192 Linksextremismus Kommunistische Partei (DKP) und die Partei DIE LINKE. angehörten. An der Protestaktion gegen eine kurzfristig angemeldete rechtsextremistische Kundgebung in Peine am selben Tag nahmen etwa 700 Personen aus dem linksextremistischen bzw. linksextremistisch beeinflussten Spektrum aus Niedersachsen und den angrenzenden Bundesländern teil. Im Verlauf der Veranstaltung errichteten Gegendemonstranten eine brennende Barrikade und bewarfen Polizeibeamte mit Steinen. Bei der Rückreise kam es am Osnabrücker Bahnhof zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Linksund Rechtsextremisten. In Bad Nenndorf beteiligten sich am 6. August etwa 160 Angehörige des linksautonomen Spektrums an den Protesten gegen den so genannten Trauermarsch der Freien Nationalisten. Zahlreiche autonome Kleingruppen versuchten im Verlauf des Tages - erfolglos - an die Aufzugstrecke der Rechtsextremisten zu gelangen, um den rechtsextremistischen Aufmarsch zu verhindern. Bereits im Vorfeld hatten Linksextremisten im Internet und auf Flugblättern sowohl in Niedersachsen als auch in den angrenzenden Bundesländern gegen die rechtsextremistische Demonstration mobilisiert. Neben Konkurrenzveranstaltungen in anderen Bundesländern (u. a. NPD-Wahlkampf in Berlin, Demonstration in Bielefeld) dürfte vor allem die starke Polizeipräsenz in der Stadt dazu geführt haben, dass die Anzahl linksextremistischer Teilnehmer gegenüber dem Vorjahr geringer ausfiel. Viele Autonome sahen offensichtlich geringe Chancen, an die Demonstrationsstrecke der Rechtsextremisten zu gelangen und deren Aufzug nachhaltig zu stören oder gar zu verhindern. "Antifaschismus" Gegen den Landesparteitag der NPD am 22. Mai in Nortnach wie vor heim mobilisierte u. a. auch das linksextremistisch beeinherausragendes flusste Göttinger Bündnis gegen Rechts, dem neben demoAgitationsfeld kratischen Organisationen auch linksextremistische Gruppieder Autonomen rungen wie die Antifaschistischen Linke International (A.L.I.) oder die Jugendantifa Göttingen (J.A.G.) angehören. Als rund 100 der etwa 300 angereisten Linksextremisten den Bahnhof in Northeim nicht verlassen durften, weil sie sich den Polizeikontrollen verweigert hatten, kam es zu gewalttätigen Angriffen auf Polizeibeamte. Nach dem Ende der Veranstaltung führten etwa 150 Linksextremisten in Göttingen eine Spontandemonstration durch, in deren Verlauf drei Polizeibeamte leicht verletzt wurden. Niedersächsische Autonome nehmen auch an Veranstaltungen außerhalb Niedersachsens teil. An antifaschistischen Gegenaktionen anlässlich der rechtsextremistischen Gedenkveranstaltungen zum 66. Jahrestag der Bombardierung Linksextremismus 193 der Stadt Dresden am 19. Februar beteiligten sich etwa 350 niedersächsische Autonome überwiegend aus den Räumen Braunschweig, Göttingen, Hannover, Lüneburg, Oldenburg und Osnabrück. Wie im Vorjahr gelang es den Gegendemonstranten, den rechtsextremistischen Aufzug zu verhindern. Vor allem das Dresdener linksextremistische Bündnis No Pasaran organisierte mehrere Blockadepunkte im Innenstadtbereich Dresdens. Im Verlauf der von hoher Gewaltbereitschaft geprägten Gegendemonstration griffen Linksextremisten Einsatzkräfte der Polizei an. Bei den Auseinandersetzungen wurden insgesamt 89 Polizeibeamte verletzt und 40 Personen des linksextremistischen Spektrums in Gewahrsam genommen. 4.5.4 Aktionsfeld "Antirepression" Linksextremisten verstehen unter Repression die Unterdrückung der individuellen, sozialen und politischen Entfaltung durch gesellschaftliche Strukturen oder autoritäre Verhältnisse, insbesondere durch Handlungen staatlicher Exekutivorgane wie Polizei und Nachrichtendienste. Vor allem die Erweiterung der Befugnisse der SicherheitsZunehmende behörden nach den Terroranschlägen vom 11.09.2001 wird Bedeutung des als "staatliche Repression" wahrgenommen. Linksextremisten Aktionsfeldes bezeichnen den Staat als "Unterdrückungsapparat" und "Antirepression" werfen ihm vor, seine Bewohner zu überwachen und seine Kritiker zu kriminalisieren. Vor diesem Hintergrund hat das Aktionsfeld "Antirepression" in den letzten Jahren im linksextremistischen Spektrum an Bedeutung gewonnen. Häufig werden für Veranstaltungen, bei denen aus Sicht der Linksextremisten mit Repressionsmaßnahmen zu rechnen ist, so genannte Ermittlungsausschüsse gebildet, die als zentrale Sammelund Informationsstelle dienen. Darüber hinaus befassen sich Vereine wie die von Linksextremisten getragene Rote Hilfe e. V. ausschließlich mit "Antirepressionsarbeit". Sie begleiten mit Hilfe von Presseerklärungen, Solidaritätsveranstaltungen und Kampagnen strafprozessuale Maßnahmen der Behörden. Vermeintlich repressive Handlungen der Staatsorgane dienen Linksextremisten immer häufiger als Anlass für Demonstrationen oder Kampagnen. Polizeiliche Maßnahmen im Zusammenhang mit Straftaten wie Körperverletzungsdelikten oder Landfriedensbruch werden als Kriminalisierung von linken Strukturen bezeichnet. Repressionsmaßnahmen gegen Szeneangehörige werden als 194 Linksextremismus staatliche Unterstützung für "Faschisten" und als Maßnahmen zur Stabilisierung des kapitalistischen Systems gedeutet. Zentrales Anliegen sind die Freilassungen von "politischen Gefangenen" sowie die Abschaffung aller "Knäste". Am 17. März verschickten die Revolutionären Aktionszellen (RAZ) - Zelle Georg von Rauch - Schreiben an drei Personen, darunter der Bundesminister des Innern, denen jeweils eine scharfe 8mm-Patrone beigefügt war. Begründet wurde die Versendung der Patronen mit der "Hochkonjunktur" staatlicher Repression insbesondere gegen "die revolutionäre Linke": "Staatsschutzprozesse gegen vermeintliche Angehörige klandestin militanter Gruppierungen und revolutionärer Bewegungen aus dem Inund Ausland, Razzien gegen linke Buchläden, Kriminalisierung linker Medien (radikal, interim und prisma), Spitzelwesen und Häuserräumungen sowie die Beugehaftandrohungen gegen ehemalige Mitglieder der RAF sind nur die Spitze des Eisberges. Der repressive Staatsapparat meint uns durch Drohungen und Repressalien einzuschüchtern und zum Schweigen zu bringen. Wir sagen den Herrschenden: 'Vergesst es!!!' Wenn der repressive Staatsapparat der Meinung ist, uns durch eine Kette von Repressionsschlägen einzuschüchtern, dann hat er sich verspekuliert." (veröffentlicht im Internet, Ausdruck vom 31. Mai) Darüber hinaus propagieren die Verfasser des Schreibens einen revolutionären Aufbauprozess zur Erreichung ihres Ziels, des Kommunismus. Am 22. Januar nahmen bis zu 550 Angehörige und Unterstützer der linksextremistischen Szene in Göttingen an einer Demonstration unter dem Motto "Betroffen ist eine/r, gemeint sind wir alle! Hände weg von linken AktivistInnen, Häusern und Strukturen!" teil. Darunter befanden sich etwa 120 Anhänger der Antifaschistischen Linken International (A.L.I.), der Redical [M] und der Jugendantifa Göttingen (J.A.G.). Anlass der Demonstration war eine seitens der Staatsanwaltschaft Göttingen veranlasste DNA-Entnahme bei einem Linksextremisten. Dieser wurde beschuldigt, bei einer anderen Antirepressionsdemonstration in Göttingen einen Knallkörper geworfen und dadurch einen Polizisten verletzt zu haben. Eine weitere Solidaritätsdemonstration fand am 28. Januar in Göttingen statt, nachdem der oben erwähnte Beschuldigte eine DNA-Probe abgegeben hatte. An ihr beteiligten sich etwa 300 Linksextremisten aus Göttingen, darunter etwa 150 Anhänger der A.L.I., der Redical [M] und der J.A.G. Im Verlauf Linksextremismus 195 der Veranstaltung wurde eine Solidaritätserklärung der Gruppe anarchist collective "Circle of Fire" aus Athen verlesen. Die Erklärung endete mit den Worten "Niemand im Kampf steht allein gegen den Staat. Solidarität ist eine Waffe". Auf dem Privatgelände eines Mitarbeiters eines großen Energieversorgungsunternehmens wurde am 23. Februar in Dannenberg ein Kleintransporter in Brand gesetzt. Hintergrund war die vorangegangene erkennungsdienstliche Behandlung eines Linksextremisten. In einer Veröffentlichung einer Szene-Zeitschrift heißt es hierzu: "REPRESSION ERZEUGT WIDERSTAND WIDERSTAND ERZEUGT WÄRME! Anlässlich der präventiven ED-Zwangs-Behandlung zweier antiatom Aktivisten durch den Staatsschutz Lüchow, haben wir in der Nacht auf den 23.2.11 in Dannenberg einen Transporter des EON Konzerns in Brand gesteckt. Kriminell ist die Atomindustrie, nicht der Widerstand! AUTONOME KERNPHYSIKER_INNEN" (INTERIM, Nr. 725 vom 4. März, Seite 10) In Hannover nahmen am 26. April an einem Aufzug unter dem Motto "Solidarität mit Sven, Stefan und Tim! Für einen konsequenten Antifaschismus! Betroffen sind Einige, gemeint sind wir alle!" bis zu 230 Personen, überwiegend aus dem linksextremistischen Spektrum, teil. Anlass der Demonstration war eine für den 29. April angesetzte Gerichtsverhandlung wegen gemeinschaftlich begangener gefährlicher Körperverletzung und Landfriedensbruchs im Zuge einer Konfrontation mit Rechtsextremisten im März 2010. Zahlreiche linksextremistische und linksextremistisch beeinflusste lokale und überregionale Gruppierungen riefen zu einer Beteiligung auf, z. B. die Antifaschistische Aktion Hannover [AAH], AVANTI - Avanti Projekt undogmatische Linke Ortsgruppe Hannover, 762 - Antifa der Uni Hannover, Fast Forward Hannover, Antifa rk Wunstorf, Antifaschistische Linke International (A.L.I.), Jugend Antifa Göttingen (JAG), Jugendantifa Kreis Osnabrück (JAKO), Autonome Antifa Bielefeld, Antifa Detmold, Dortmunder Antifabündnis, North East Antifaschists Berlin, Basisgruppe Antifaschismus Bremen, Red.Radical.Darmstadt. Auf der eigens dafür eingerichteten Internetseite heißt es: 196 Linksextremismus "Antifaschistischer Selbstschutz ist unumgänglich, notwendig und legitim. Es braucht aktive Menschen, die sich bewusst und tatkräftig gegen Nazis zur Wehr setzen. Dass genau diese auf Grundlage von Aussagen neonazistischer Gewalttäter unter Beihilfe von Polizei und Staatsschutz sich nun einer Kriminalisierung ausgesetzt sehen, ist beschämend und kränkend für alle, die Gewalt von Nazis ausgesetzt sind und dagegen auf die Straße gehen." (veröffentlicht im Internet, Ausdruck vom 13.03.2012) Auf der Demonstration wurden diverse Transparente mit Parolen wie "Kampf den Nazis - Kampf dem Staat!" mitgeführt. Bundesweit rückt das Themenfeld "Antirepression" gegenwärtig immer stärker in den Fokus des linksextremistischen Spektrums und führt insbesondere im militanten linksextremistischen Spektrum vermehrt zu Resonanzaktionen und Protesten wie z. B. gegen die regelmäßig stattfindende Innenministerkonferenz (Stichwort "Polizeistaat"). Um sich vor "staatlicher Repression" zu schützen, werden Aktionskonzepte innerhalb der Szene verbreitet. So wird beispielsweise in der im Frühjahr 2010 erschienenen Publikation prisma (prima radikales info sammelsurium militanter aktionen) darüber berichtet, welche Sicherheitsmaßnahmen bei militanten Aktionen beachtet werden sollten. Die Antifaschistische Aktion Hannover führte in Kooperation mit La Rage und der Roten Hilfe Hannover am 20. Oktober einen "Info Abend zu Aussageverweigerung und Anquatschversuchen" durch. 4.5.5 Aktionsfeld "Antimilitarismus" Ein weiterer Aktionsbereich im linksextremistischen Spektrum ist nach wie vor das Themenfeld "Antimilitarismus". Linksextremisten zielen mit ihren antimilitaristischen Protesten und Aktionen über den eigentlichen Demonstrationsanlass hinaus auf die Überwindung des bestehenden politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland. Neben der im Wesentlichen von Angehörigen des nichtextremistischen Spektrums getragenen so genannten Anti-Kriegs-Bewegung bzw. Friedensbewegung reklamieren auch der parteipolitisch organisierte Linksextremismus und Autonome - unter Linksextremismus 197 ausdrücklicher Einbeziehung für sie typischer militanter Aktionen - das Thema "Antimilitarismus" für sich. Die Aktionen richten sich dabei hauptsächlich gegen Veranstaltungen und Feierlichkeiten der Bundeswehr. Zu den bevorzugten Protestformen gehört die gewaltlose Aktion des so genannten "Die-in". Aktivisten mischen sich unter die Veranstaltungsteilnehmer, werfen sich auf den Boden und übergießen sich mit Kunstblut, um so gegen Armeen und Militäreinsätze zu protestieren. Am 8. Juli veranstaltete das zu diesem Zweck formierte Linksextremisten Bündnis "Antimilitaristischer Aktionskreis" (AMAK) einen Akbeteiligen sich an tionstag aus Protest gegen das traditionelle Sommerfest der Aktionen gegen Bundeswehr in Hannover. Dem Bündnis gehören folgende das Sommerbiwak linksextremistische bzw. linksextremistisch beeinflusste Grupin Hannover pierungen an: Antifaschistische Aktion Hannover [AAH], DIE LINKE. Linden Limmer und Region Hannover, AK Antimilitarismus in Alerta, DKP Hannover, FAU Hannover, SDAJ Hannover, Linksjugend ['solid] Hannover, Rote Aktion Kornstrasse (RAK), Autonome Antifa Rheine. Das Bündnis sieht seinen Protest gegen das Sommerfest legitimiert in der behaupteten Beteiligung der 1. Panzerdivision an "friedenserzwingenden Angriffskriegen": "Das Sommerbiwak ist für uns der Anlass, diejenigen, die von Krieg und Ausbeutung profitieren, mit sichtbarem und hörbarem Protest und Widerstand zu konfrontieren und ihnen die Akzeptanz zu entziehen. Sagt mit uns als antimilitaristischer Bewegung deutlich Nein! Zu öffentlichen Auftritten und Feiern der Bundeswehr. Denn sie feiern, damit sie Krieg führen können!" Auch dieses Jahr verübten Linksextremisten im Vorfeld des Sommerbiwaks zahlreiche Straftaten: Am 26. Juni wurde die Wohnungstür eines Bundeswehrangehörigen in der hannoverschen Nordstadt mit Farbe beschmiert und das Türschloss verklebt. Bei dem Betroffenen handelt es sich um den Vorsitzenden der Kameradschaft Studierender Reservisten der Universität Hannover, der durch diese Position in den Fokus des linksextremistischen Spektrums geraten war. In einer Erklärung im Internet wird der Anschlag wie folgt kommentiert: "Universitäten sollten Orte des Fortschritts sein und nicht die Voraussetzungen zum Krieg führen schaffen. Der Krieg beginnt hier!" Am 28. Juni wurden sechs Kriegsgräberdenkmäler in Hannover mit Teerfarbe beschmiert. Hierzu wurde ebenfalls eine Erklärung im Internet veröffentlicht: 198 Linksextremismus "Während die Bundeswehr in Afghanistan wütet, feiern die Stadt und das Militär gemeinsam im Stadtpark um die gesellschaftliche Akzeptanz des Militärs zu stärken. Unsere Aktion richtet sich gegen dieses abscheulich zynische Fest, gegen Militarismus und Heldentum." 4.5.6 Aktionsfeld "Antirassismus" Oldenburger Die Aktionsfelder "Antifaschismus" und "Antirassismus" hänLinksextremisten auch gen im ideologischen Verständnis der Autonomen unmittelim Themenfeld bar zusammen. Die Ursache für Rassismus sehen Autonome "Antirassismus" aktiv in der von Klassengegensätzen, Ausbeutung und Unterdrückung geprägten kapitalistischen Gesellschaft. Am 26. Februar fand in Oldenburg eine Demonstration unter dem Motto "Nie wieder Lager! Blankenburg muss geschlossen werden!" statt, an der sich ca. 120 Personen, überwiegend aus der autonomen Szene Oldenburgs, beteiligten. Hintergrund der Demonstration war das Vorhaben der Stadt Oldenburg, das Flüchtlingslager Blankenburg nach seiner beabsichtigten Schließung am 30. Juni durch das Land Niedersachsen weiterhin für die Unterbringung von Flüchtlingen zu nutzen. 4.5.7 Einflussnahme von Linksextremisten auf die Proteste gegen Atomenergie und Castor-Transporte Linksextremisten Für Linksextremisten ist der Kampf gegen die friedliche Nutunterstützen Kampf zung der Atomenergie seit nahezu 35 Jahren ein Themengegen friedliche schwerpunkt ihres militanten Widerstandes. Nutzung der Von den auf Systemüberwindung ausgerichteten linksexKernenergie tremistischen Aktivitäten gegen Atomenergie und CastorTransporte sind diejenigen nicht-extremistischer Organisationen zu unterscheiden. Linksextremistische Atomenergiegegner zielen mit ihren Protesten über den eigentlichen Demonstrationsanlass hinaus auf die Überwindung des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland. Die Bedeutung des politischen Aktionsfeldes "Anti-AtomProtest" unterlag in den letzten Jahren deutlichen Schwankungen. Nach der Vereinbarung aus dem Jahr 2002 zwischen der damaligen Bundesregierung und den Energieversorgungsunternehmen über den Ausstieg aus der friedlichen Nutzung der Kernenergie bis zum Jahr 2021 verlor das Aktionsfeld "Anti-Atom-Protest" zunächst an Bedeutung. So nahmen im Jahr 2006 lediglich 3.500 Personen an den Protestaktionen gegen den Castor-Transport ins niedersächsische Linksextremismus 199 Transportbehälterlager (TBL) Gorleben teil. Seit 2008 war jedoch wieder ein zunehmendes Protestverhalten zu verzeichnen, das nach der Entscheidung der Bundesregierung vom Herbst 2010, die Laufzeiten für Atomkraftwerke zu verlängern und die Erkundungsarbeiten am Gorlebener Salzstock wieder aufzunehmen, während des 12. Castor-Transports im November 2010 einen neuerlichen Höhepunkt erreichte. An den unterschiedlichen Protestaktionen gegen den 13. Castor-Transport von der Wiederaufbereitungsanlage La Hague in Frankreich in das niedersächsische TBL Gorleben vom 23. bis 28. November beteiligten sich bundesweit zwischen 13.000 und 15.000 Atomkraftgegner (2010: 30.000). An der friedlich verlaufenen Auftaktveranstaltung am 26. November in Dannenberg nahmen ca. 8.000 Personen teil. Zeitgleich befanden sich ca. 1.500 weitere Demonstranten noch in den Camps oder führten Aktionen in anderen Bereichen des Landkreises Lüchow-Dannenberg durch, insbesondere in der Nähe der Transportstrecke in der Göhrde. Die Anzahl der Autonomen aus dem gesamten Bundesgebiet, die sich an den Protesten im Landkreis Lüchow-Dannenberg beteiligten, lag bei etwa 450 Personen (2010: 300). Ursächlich für den Rückgang der Teilnehmerzahlen aus dem bürgerlichen Spektrum waren der in Folge auf die Reaktorkatastrophe im japanischen Fukushima von der Bundesregierung beschlossene Ausstieg aus der friedlichen Nutzung der Kernenergie bis zum Jahr 2022. Hierdurch trat eine gewisse "Befriedung" des Atomkonflikts ein. Vertreter von Bürgerinitiativen räumten im Vorfeld des Transportes ein, dass in diesem Jahr die Anzahl der Teilnehmer aus dem Vorjahr wohl nicht erreicht werden könne. Weder die Diskussion um eine mögliche Überschreitung der zulässigen Strahlendosis im TBL Gorleben durch die Einlagerung weiterer Castoren noch die Meldung, dass in Gorleben ggf. weitaus größere Mengen an Atommüll aufgenommen werden müssen als bisher bekannt, führten zu einer stärkeren Mobilisierung. Die Protestveranstaltungen konzentrierten sich auch in diesem Jahr erwartungsgemäß im Wesentlichen auf Niedersachsen. In Frankreich protestierten am 23. November erstmals mehrere hundert Teilnehmer gegen den Transport. Der vorverlegte Start und erhebliche Störaktionen von Atomkraftgegnern während des Transportverlaufs, insbesondere in Niedersachsen, führten dazu, dass der Castor-Transport mehr als 126 Stunden bis zum Erreichen des TBL Gorleben benötigte. So wurden beispielsweise an verschiedenen 200 Linksextremismus Orten Schienenkrallen angebracht, Sitzblockaden sowie Ankettund Abseilaktionen durchgeführt. Durch eine Vielzahl von Straßenblocken im Großraum Lüneburg sollte die Polizei an möglichst vielen Stellen gebunden und deren Einsatzlogistik gestört werden. Auf Landund Kreisstraßen im Bereich der Göhrde und im Kreisgebiet Lüchow-Dannenberg wurden Blockaden u. a. durch Landund Baumaschinen, gefällte Bäume und "Krähenfüße" errichtet. Am 24. November, zu einem Zeitpunkt, als sich der Transport noch in Frankreich aufhielt, erfolgten bereits erste Angriffe auf die Polizei bei der Räumung einer Blockade in Metzingen. Eingesetzte Beamte wurden mit Pyrotechnik, Steinen und Farbbeuteln beworfen, mehrere Einsatzfahrzeuge beschädigt. Während der "Rallye Monte Göhrde" am 25. November, zu der mehrere hundert Personen aus den Camps Metzingen und Dahlem im Landkreis Lüchow-Dannenberg aufgebrochen waren, wurde an verschiedenen Orten mehrfach gezielt die Polizei angegriffen. So setzten mehrere vermummte Personen durch den Bewurf mit Molotowcocktails ein Dienstfahrzeug bei Grünhagen in Brand. Das anschließend nicht mehr einsatzbereite Fahrzeug war zum Zeitpunkt des Angriffs mit einer Polizeibeamtin besetzt, die unverletzt blieb. Fünf weitere Fahrzeuge wurden durch Steinwürfe beschädigt, bei einem auf der Anfahrt zum Brandort befindlichen Feuerwehrfahrzeug wurden die Reifen zerstochen. In Metzingen griff eine 40-köpfige Personengruppe ein weiteres Einsatzfahrzeug der Polizei an und versuchte Gegenstände hieraus zu entwenden. Darüber hinaus sollten Einsatzkräfte mit einem Lockfeuer in einen vorbereiteten Hinterhalt gelockt werden, in dem in Depots Steine, "Krähenfüße", Nagelbretter, mit Schrauben durchbohrte Golfbälle und mit Teer gefüllte Weihnachtsbaumkugeln bereitlagen. An der friedlich verlaufenen Vorabenddemonstration unter dem Motto "Castor stoppen - Energiekonzerne enteignen und vergesellschaften" der linksextremistisch beeinflussten Kampagne "Hart Backbord!" in Lüneburg nahmen ca. 2.000 Personen teil, darunter ca. 150 Autonome. Die Auftaktkundgebung in Dannenberg am frühen Nachmittag verlief ebenso friedlich wie die Sitzblockade auf den Gleisen bei Harlingen mit bis zu 3.000 Personen, zu der die linksextremistisch beeinflusste Gruppierung "WiderSetzen" aufgerufen hatte. Vom anarchistisch ausgerichteten Netzwerk "X-tausendmal quer" konnten ca. 800 Personen für eine Sitzblockade auf der L 256 bei Gorleben mobilisiert werden. Transportverlauf Insgesamt erlitten während des Einsatzes 73 Polizeibeamte Verletzungen; mehrere Einsatzfahrzeuge wurden beschädigt. Linksextremismus 201 Die Polizei nahm 43 Personen fest, etwa 1.500 in Gewahrsam und sprach über 5.000 Platzverweise aus. Bei einer Vielzahl von Personen wurde die Identität festgestellt. Von den bisher 322 eingeleiteten Strafverfahren betrafen 177 Gewalttaten in der Göhrde. Diese reichen von einfachen Körperverletzungsdelikten über Brandanschläge auf Einsatzfahrzeuge bis zu gezielten Angriffen mit Präzisonsschleudern, bei denen schwerste Verletzungen der Einsatzkräfte mindestens billigend in Kauf genommen wurden. Die Proteste gegen den 13. Transport von Castoren nach Kampagne Gorleben waren neben zahlreichen friedlichen Aktionen ins"Castor? Schottern!" besondere von den Kampagnen "Castor? Schottern!" und "Atomstaat stilllegen!" geprägt. Wie bereits beim 12. Castor-Transport rief auch 2011 die Kampagne "Castor? Schottern!" zum massenhaften Entfernen von Steinen aus dem Gleiskörper auf, um die Strecke unbefahrbar zu machen. Der maßgeblich durch linksextremistische bzw. linkextremistisch beeinflusste Gruppen initiierten Kampagne folgten mehrere tausend Menschen. Nach der Ankündigung einiger Gruppen, an der Kampagne diesmal nicht teilzunehmen, fiel die Mobilisierung weitaus geringer aus als im Vorjahr. Dies spiegelten auch die Teilnehmerzahlen wider. Eine erstmalig in Erscheinung getretene autonome Kampagne "Atomstaat stilllegen! Castor 2011 - weiträumig/unkontrollierbar/renitent" rief seit Mai im Internet zu Blockadeund Sabotageaktionen sowie zu gezielter Militanz gegen die Einsatzkräfte auf. Sie veröffentlichte eine Karte, auf der sowohl Standorte von Funktürmen und Sendemasten als auch von der Atomindustrie und von der Polizei genutzte Infrastruktureinrichtungen verzeichnet waren: "Die Räume des Widerstandes erweitern heißt für uns, diesen Nachschub zu blockieren und zu sabotieren. Das kann schon im Vorfeld beginnen - denn auch aus Deiner Stadt kommen Bullen ins Wendland. Vor Ort heißt ein solches Konzept - eingebettet in den gesamten Widerstand - selbstorganisiert und unberechenbar zu agieren. ... Militanz ist dabei kein Selbstzweck, sondern eine Widerstandsform von vielen - allerdings eine, die besonders hohe Verantwortlichkeit braucht. Das Ziel ist, einen möglichst hohen, gezielten Sachschaden zu schaffen, ohne Unbeteiligte zu gefährden...". (Interim, Ausgabe Nr. 729 vom 24. Juni, Seite 4) 202 Linksextremismus Der Aufruf verdeutlicht den über den eigentlichen Protestanlass hinausgehenden systemüberwindenden Ansatz: "Deshalb rufen wir auf, nicht nur den Castortransport im Blick zu haben, sondern auch im Vorfeld diesen Teil der kapitalistischen Warenströme zu sabotieren und damit unsere Unversöhnlichkeit mit dem System deutlich zu machen ... Der Wahnsinn im Namen des Kapitalismus wird also weitergehen. Stellen wir uns dem entgegen, machen wir dem Atomstaat den Garaus - im November gemeinsam mit den Menschen im Wendland und auf der gesamten Strecke. Machen wir den nächsten Castortransport auch politisch so teuer wie möglich, indem wir selbstorganisiert, international und gemeinsam agieren...". (ebd.) Kampagne In einer weiteren Verlautbarung vom Oktober bekräftigte die "Atomstaat Kampagne "Atomstaat stilllegen!" ihr Ziel, möglichst hohe stilllegen" Sachschäden anzurichten. Zugleich unterstrich sie noch einmal ihre staatsfeindliche Position, in dem sie klarstellte, dass die Polizei das Hauptziel militanter Aktionen darstelle: "Es ist uns wichtig im November im Wendland genau die Kräfte ins Visier zu nehmen, die alltäglich zum Bestehen dieser Herrschaftsverhältnisse beitragen. Die Fahrzeugkonvois der Polizei gehören blockiert, ihr Kriegsgerät sabotiert... Ebenso wie ein Castortransport ins Wendland ohne die Staatsmacht nicht durchzuführen wäre, ist auch der kapitalistische Alltag ohne dieselbe Bullen unvorstellbar." (veröffentlicht im Internet, Ausdruck vom 25. Oktober) Darüber hinaus enthielt der Artikel Hinweise zu militanten Aktionen und einen Verweis auf die Publikation prisma, in der Anleitungen für militante Aktionen dezidiert beschrieben werden. Insgesamt scheint die seit Mai veröffentlichte Kampagne "Atomstaat stilllegen!" innerhalb der linksextremistischen Szene weitaus mehr Resonanz gefunden zu haben, als ursprünglich zu erwarten war. Zwar hatten nach dem Transport im Vorjahr einige autonome Gruppierungen in ihrer Kritik an der Kampagne "Castor? Schottern!" bereits angekündigt, sich wieder auf klandestine militante Aktionen zu verlegen, da ihnen das Aktionskonzept zu defensiv geprägt war. Allerdings war bis unmittelbar vor dem Transport eine Beteiligung der autonomen Szene in diesem Umfang nicht abzusehen gewesen. Linksextremismus 203 Weitere Aufrufe und Publikationen wie das unmittelbar vor dem Transport veröffentlichte Aktionskonzept "Ende im Gelände", in dem erklärt wurde, dass man sich nicht aufhalten lasse, das zu tun, was man für notwendig erachte, dürften innerhalb der gewaltbereiten linksextremistischen Szene als Signale zur Akzeptanz militanter Aktionen aufgefasst worden sein und somit zum Anstieg des Protestpotenzials beigetragen haben. 4.6 Gruppierung AVANTI - Projekt undogmatische Linke AVANTI - Projekt undogmatische Linke (AVANTI) ist nach eigener Aussage eine Organisation, die hauptsächlich zu den Themenfeldern "Antifaschismus", "Antimilitarismus", "Antirassismus" und "Soziale Kämpfe" Stellung bezieht und die "konstruktive Auseinandersetzung sucht". Die Keimzelle war der Zusammenschluss der Autonomen Gruppe Kiel mit dem Lübecker Arbeitskreis antiimperialistischer Widerstand (AKAW) im Oktober 1989. Im Gegensatz zur sonst eher üblichen "Einzelkämpfermentalität" der Autonomen sollen bei AVANTI Organisationsstrukturen geschaffen werden, die "gemeinsames Handeln und die Entwicklung eines solidarischen Zusammenhalts ermöglichen". Ortsgruppen bestehen neben Kiel und Lübeck auch in Flensburg, Hamburg, Norderstedt und seit November 2005 in Hannover, seit Juni 2008 in Bremen und seit Juni 2009 in Berlin. Eine weitere geografische Ausweitung "auf solider Basis anstatt als politischer Schnellschuss" wird angestrebt. 4.6.1 Selbstverständnis AVANTI will sich sowohl von der autonomen Szene als auch von orthodoxen Kommunisten unterscheiden. AVANTI beansprucht keinen "Alleinvertretungsanspruch der radikalen Linken", sondern stellt sich vielmehr der politischen Diskussion über Lösungen zur Überwindung der herrschenden Gesellschaftsordnung: "Wir sehen zwischen revolutionärer Zielsetzung und dem Kampf für konkrete Teilforderungen keinen grundlegenden Widerspruch. Im Gegenteil: Nur durch eine offensive Beteiligung an politischen Tageskämpfen kann revolutionäre Politik an Glaubwürdigkeit und Stärke gewinnen." (veröffentlicht auf der Internetseite von AVANTI, Ausdruck vom 7. November) 204 Linksextremismus Das aktuell gültige umfangreiche Grundsatzpapier aus dem Jahr 2004 propagiert die Schaffung einer neuen Gesellschaftsform: "Das Privateigentum an Produktionsmitteln kann und muss daher abgeschafft werden und eine Form kollektiven Eigentums an seine Stelle treten." (veröffentlicht auf der Internetseite von AVANTI, Ausdruck vom 7. November) Bei dem langfristig angestrebten Gesellschaftsumbau wird der Einsatz von Gewalt nicht ausgeschlossen: "Wir sind daher der Überzeugung, dass die Entscheidung zum Einsatz revolutionärer Gewalt sehr genau abgewogen werden muss und nur als letztes Mittel gelten kann, wenn andere Methoden, um dem Willen der Bevölkerungsmehrheit nach einem gesellschaftlichen Wandel Geltung zu verschaffen, nicht zur Verfügung stehen oder versagt haben." (veröffentlicht auf der Internetseite von AVANTI, Ausdruck vom 7. November) 4.6.2 Teil der "Interventionistischen Linken" AVANTI ist eingebunden in das bundesweite Netzwerk "Interventionistische Linke" (IL), einem Zusammenschluss von gegenwärtig 22 Gruppierungen des antiimperialistischen und autonomen Spektrums, aber auch nichtextremistischer Organisationen. Die IL betrachtet sich als organisierte und undogmatische "linksradikale Strömung", die durch Intervention in gesellschaftspolitische Auseinandersetzungen Handlungsfähigkeit demonstriert. Ihre verfassungsfeindliche Ausrichtung dokumentiert die IL in ihrem Faltblatt zur "Zweiten offenen Arbeitskonferenz" im April 2008 in Marburg: "Eine radikale Linke wird im Dazwischengehen deshalb immer auch sag-, sichtund streitbar machen, dass rebellische Wünsche und emanzipatorische Kämpfe konsequent nur in einer Politik des offensiven Bruchs mit den bestehenden Herrschaftsverhältnissen ausgefochten werden können." (Faltblatt zur Konferenz, veröffentlicht auf der Internetseite der IL, Ausdruck vom 7. November) Linksextremismus 205 Neben AVANTI gehören aus Niedersachsen noch die Antifaschistische Linke International (A.L.I.) aus Göttingen und die Rote Aktion Kornstrasse (RAK) aus Hannover zur IL. 4.6.3 AVANTI Hannover Die seit 1998 bestehende Antifa 3000 hatte über ihre Internetseite mitgeteilt, dass sie sich nach reiflicher Überlegung und dem positiven Verlauf gemeinsamer Projekte der Organisation AVANTI - Projekt undogmatische Linke als Ortsgruppe Hannover angeschlossen und als solche zum 01.11.2005 in "Avanti Hannover" umbenannt hat. Die Gruppe hat eine klare extremistische Ausrichtung: "Unsere Überzeugung war und ist, dass die heutige Gesellschaft revolutionär verändert werden muss und dass die hierfür notwendige gesellschaftliche Gegenmacht nicht allein aus spontanen Bewegungen bestehen kann, sondern die Beteiligung revolutionärer Organisationen braucht." (veröffentlicht auf der Internetseite von AVANTI, Ausdruck vom 7. November) 4.6.4 Aktuelle Aktivitäten Aktionsfeld "Anti-Atom" Ebenfalls im Mai veröffentlichte AVANTI ein Positionspapier zur deutschen Atompolitik mit dem Titel: "Sofortige Stilllegung aller Atomanlagen weltweit! Atomausstieg selber machen: Energiekonzerne Enteignen und vergesellschaften". AVANTI bezeichnet dieses Konzept von genossenschaftlich organisierten "Stadtwerken" als "Energiedemokratie": "Dabei entstehen Entscheidungsstrukturen jenseits eines Staates, der in repräsentativer Stellvertreterpolitik die Profitinteressen der Konzerne auch gegen die Bevölkerung mit allen Mitteln durchsetzen will - ob in den Parlamenten oder mit Polizeiknüppeln im Wendland." (veröffentlicht als achtseitige Druckschrift im Mai 2011) Aktionsfeld "soziale Kämpfe" In einem Aufsatz zur Krise des internationalen Finanzmarktes mit dem Titel "Von der Krise zum kollektiven Handeln" kommt AVANTI zu dem Schluss, dass der Versuch gescheitert 206 Linksextremismus sei, die ökonomische in eine politische Krise zu überführen. Die "Mobilisierungsund Zuspitzungsfähigkeit der gesamten Linken" sei ausbaubedürftig. Selbst die Tatsache, dass Milliarden in die Rettung von Banken, Finanzunternehmen und abgewirtschafteten Staaten gepumpt wurden, reiche nicht aus, um für eine radikale Widerstandsbewegung zu mobilisieren: "Was fehlte, war ein konkreter Ansatzpunkt für Massenmobilisierungen und deren linksradikaler Zuspitzung. Die Krise eignete sich hierfür kaum, da kein direktes Feindbild auszumachen war. Der Kapitalismus eignet sich schwerlich als konkretes Mobilisierungsangebot, insbesondere weil es an einem als glaubwürdig empfundenen gesellschaftlichen Gegenmodell, einer konkreten Utopie, mangelt." (veröffentlicht auf der Interseite von AVANTI, Ausdruck vom 8. November) Sympathisantengewinnung Im Oktober und November veranstaltete die linksextremistische Szene in Hannover eine Vortragsreihe unter dem Motto: "Unbekannt verzogen?". Folgende linksextremistische Gruppierungen haben an der Realisierung von "Unbekannt verzogen" mitgewirkt: Antifaschistische Aktion Hannover [AAH], AVANTI - Projekt undogmatische Linke OG Hannover, FAU, 762 - Antifa der Uni Hannover, Fast Forward Hannover (FFH), Junge Linke (Assoziation gegen Kapital und Nation). In den Selbstdarstellungen wird der systemüberwindende Ansatz deutlich: "Es kann nicht ausschließlich Kapitalismus für den ganzen Mist verantwortlich gemacht werden. Staat und Nation sind uns ebenso Feind wie Rassismus und Antisemitismus. Um radikale Änderungen durchsetzen zu können, muss Mensch sich ins Handgemenge werfen!" Antifaschistische Aktion Hannover [AAH] "Ziel ist ja nicht die Verhältnisse nur zu verstehen, sondern sie auf längere Sicht gezielt grundsätzlich zu verändern." Junge Linke (Assoziation gegen Kapital und Nation) Linksextremismus 207 "Uns ist klar, dass eine Gesellschaft, in der alle Menschen frei und gleich leben mit Kapitalismus und Staat nicht zu machen ist. Die Lösung lautet also: revolutionärer Umsturz!" 762 - Antifa der Uni Hannover Ziel der Aktivitäten war es, den Studierenden einen "Überblick über die Themenfelder der nicht-parteigebundenen linken Szene in Hannover" zu geben. Zu diesem Zweck wurden insgesamt 17 Veranstaltungen bzw. Vorträge organisiert. AVANTI beteiligte sich mit vier Vorträgen, u. a. zu den Themen "Linke Strategien gegen Rechtspopulismus und antimuslimischen Rassismus" sowie "Über die Hilflosigkeit bürgerlicher Gegenstrategien" an der Vortragsreihe. 4.7. Linksextremistische Musikszene Niedersachsen So wie in der rechtsextremistischen Musikszene gibt es auch im Linksextremismus Bands, deren extremistische Texte zum Widerstand gegen den Staat und zu Gewalt gegen den politischen Gegner auffordern. In größeren Städten Niedersachsens mit einer ausgeprägten linksextremistischen Szene haben sich Bands oder Liedermacher etabliert, die linksextremistische Texte verwenden. Die musikalische Bandbreite reicht von hauptsächlich aus dem Punk bzw. Hardcore-Bereich stammenden Bands bis zum Rap und Hip Hop. Auftrittsorte für die so genannten Solidaritäts-Konzerte sind Szeneobjekte wie z. B. das "JuzI" in Göttingen, das Infocafe "Anna und Arthur" in Lüneburg und das "Alhambra" in Oldenburg. Linksextremistische Liedtexte finden sich auch in den Songs eines Hamburger Rappers, der am 30. Juli bei einem Konzert in Celle auftrat, das unter dem Motto "Aufmucken gegen Rechts" stand. Der Hamburger Rapper, der nach eigenen Angaben "Klassenkampfrap" macht, verdeutlicht in seinem Song "Hass" die Ablehnung des Staates: "Wir haben Hass auf die Polizei, Hass auf den Staat, Hass auf eure Fressen, Hass auf die Waffen, die ihr tragt, Hass auf die Art, wie ihr die Massen verarscht." In einem weiteren Lied mit dem Titel "Revolution" heißt es: 208 Linksextremismus "Wenn die Jugend und die Alten, die Atzen und Proleten statt der Lügen eurer Medien nur die Klassenschranken sehen auf der Straße vereint, mit Barrikaden und Streiks dann erwartet euch eins, nämlich Revolution. Wieviel Fragen, eine Antwort, nämlich Revolution von Bayern bis nach Hamburg brauchts ne Revolution" Ein Video auf dem Internetportal YouTube zu seinem Lied "Generation-Krise - militant 2011" beginnt mit einem Fernsehinterview mit der verstorbenen Terroristin Ulrike Meinhof, in dem sie erklärt, dass der Kampf auf die Straße getragen werden muss, gefolgt von Szenen gewaltsamer Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und Polizeibeamten aus verschiedenen Ländern. Bundesweite Bekanntheit hat mittlerweile der Lüneburger Rapper "Johnny Mauser" erlangt. Unter dem Titel "Die Sendung mit dem Mauser" hat er 2011 eine neue CD veröffentlicht. In einem gemeinsam mit dem Musiker "Crashkid" aufgenommen Bonustrack "Ein bisschen mehr" ruft er zur Gewalt gegen Rechtsextremisten auf: "Nazi sein ist gar nicht schick, ruck zuck, ruck zuck ist die Fresse dick! ... Ich habe nichts gegen Nazis, nur meinen Schlagstock!" Nach wie vor ist das Göttinger Szenelabel "Fire and Flames" der bedeutendste Veranstalter der linksextremistischen Musikszene Niedersachsens. Auch 2011 führte "Fire and Flames" gemeinsam mit der Antifaschistischen Linken International (A.L.I.) zwei Solidaritätskonzerte in Göttingen durch mit Gruppen aus Göttingen, Schwäbisch-Gmünd und Rostock sowie ausländischen Bands aus Dänemark, Uruguay, Kanada und Italien. Das Label "Fire and Flames" vertreibt als Versandhandel neben linksextremistischer Musik auch linksextremistische Publikationen und Bekleidung mit linksextremistischer Symbolik. Linksextremismus 209 4.8 DIE LINKE.101 Vorsitzende Bund: Gesine LÖTZSCH und Klaus ERNST Niedersachsen: Giesela BRANDES-STEGGEWENTZ und Dr. Manfred SOHN Sitz Bund: Berlin Niedersachsen: Hannover Mitglieder102 2010 2011 Bund: 73.658 69.458 Niedersachsen: 3.259 3.139 Ergebnis Bundestagswahl am 27.09.2009: Bund: 5.155.933 Stimmen (= 11,9 %) Niedersachsen: 380.373 Stimmen (= 8,6 %) Ergebnis Europawahl am 07.06.2009 Bund: 1.969.239 Stimmen (= 7,5 %) Niedersachsen: 97.328 Stimmen (= 4,0 %) Ergebnis Landtagswahl am 27.01.2008: 243.361 Stimmen (= 7,1 %), 11 Sitze im Landtag (davon 1 Sitz für die DKP) Publikationen Bund: DISPUT (monatlich) Mitteilungen der Kommunistischen Plattform (monatlich) marx21 (fünfmal jährlich) Niedersachsen: Linkes Forum - DIE LINKE. Landesinfo Niedersachsen (mehrmals jährlich) daneben Publikationen der Kreisverbände 101 Die 1989 zunächst als SED-PDS aus der ostdeutschen Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) hervorgegangene Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS) hat sich im Juli 2005 in Linkspartei.PDS, Kurzbezeichnung "Die Linke", umbenannt. Am 16.06.2007 fusionierte die Linkspartei.PDS mit der Partei "Arbeit & soziale Gerechtigkeit - Die Wahlalternative" (WASG) zur Partei DIE LINKE. 102 Die Mitgliederzahlen wurden der Internetseite der Partei DIE LINKE. mit Stand vom 31.12.2011 entnommen. Abweichende Mitgliederzahlen zu den vorherigen Verfassungsschutzberichten gehen auf die von der Partei DIE LINKE. durchgeführte und 2010 abgeschlossene Bereinigung der Mitgliederdateien zurück. 210 Linksextremismus Das Jahr 2011 stand für die Partei DIE LINKE. im Zeichen programmatischer und personeller Debatten, enttäuschender Wahlergebnisse und innerparteilicher Konflikte. Auf ihrem Erfurter Parteitag vom 21. bis 23. Oktober beschloss die Partei DIE LINKE. nach über eineinhalbjähriger Diskussion mit großer Mehrheit ihr erstes Grundsatzprogramm. In einem abschließenden Mitgliederentscheid, an dem sich 48,86 Prozent der Parteimitglieder beteiligten, stimmten 95,81 Prozent für das neue Grundsatzprogramm und setzten es somit in Kraft. Begleitet wurde die Debatte von einer teilweise heftig geführten Auseinandersetzung um die beiden Parteivorsitzenden Gesine LÖTZSCH und Klaus ERNST, denen u. a. ungeschicktes politisches Taktieren und Führungsschwäche vorgehalten wurde. Bei den diesjährigen niedersächsischen Kommunalwahlen konnte die Partei DIE LINKE. sowohl bei den Gemeindewahlen (1,4 Prozent) als auch bei den Kreiswahlen (2,4 Prozent) auf den ersten Blick deutlich an Stimmen hinzugewinnen. Vergleicht man dagegen die Kommunalwahlergebnisse mit der letzten Landtagswahl 2008 (7,1 Prozent) und der Bundestagswahl 2009 (11,9 Prozent), so fällt der Stimmenanteil bei den Kommunalwahlen 2011 weitaus weniger positiv aus. Aus den Landtagswahlen des Jahres 2011 ging die Partei DIE LINKE. als Verlierer hervor. In Baden-Württemberg und in Rheinland-Pfalz verfehlte sie den Einzug in die jeweiligen Landesparlamente, in Berlin, Bremen und Sachsen-Anhalt gelang der Wiedereinzug mit zum Teil deutlichen Stimmenverlusten. Auch in Mecklenburg-Vorpommern büßte sie Stimmen ein, konnte aber wegen der gesunkenen Wahlbeteiligung prozentual etwas zulegen. Nur im Stadtstaat Hamburg konnte sie ihr Ergebnis aus der letzten Bürgerschaftswahl verteidigen. 4.8.1 Verfassungsfeindlichkeit Die Partei DIE LINKE. bzw. ihre Vorgängerparteien PDS und Linkspartei.PDS werden in Niedersachsen seit 2003 vom Verfassungsschutz beobachtet, weil zumindest namhafte Teile der Partei linksextremistische Bestrebungen verfolgen. Die Bewertung der Partei als verfassungsfeindlich ergibt sich aus ihren "Programmatischen Eckpunkten" aus dem Jahre 2007, dem 1. und 2. Programmentwurf, dem in Erfurt beschlossenen Grundsatzprogramm, aus den Äußerungen und Taten ihrer Spitzenfunktionäre und sonstigen Vertretern, Mitgliedern und Mitarbeitern sowie aus deren Schulungsund Werbematerialien. Bei einer Gesamtschau aller dieser schriftlichen Linksextremismus 211 und mündlichen Äußerungen ergeben sich folgende Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung: - DIE LINKE. hat ein kollektivistisches Menschenbild, das Zahlreiche Belege mit dem Menschenbild des Grundgesetzes vom selbstbefür Verfassungsstimmten Individuum nicht vereinbar ist. feindlichkeit - DIE LINKE. strebt eine grundlegende Veränderung der Eigentumsund Herrschaftsverhältnisse an, um eine neue sozialistische Wirtschafts-, Staatsund Gesellschaftsordnung zu errichten. Sie will Schlüsselindustrien und Privatbanken verstaatlichen, ohne sich zur Frage der vom Grundgesetz vorgeschriebenen Entschädigung zu äußern. Den Privatbesitz an Grund und Boden stellt sie in Frage. - DIE LINKE. strebt eine Gesellschaft mit umfassender staatlicher Regelung und Kontrolle an. Die zu erwartenden Eingriffe in das Privateigentum und in die persönliche Lebensgestaltung verstoßen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung. - DIE LINKE. lässt ein unmissverständliches Bekenntnis zur parlamentarischen Demokratie vermissen. Sie stellt die Bedeutung der Parlamente für den demokratischen Rechtsstaat in Frage und will ihre Funktion einschränken. Um ein möglichst breites linkes politisches Spektrum abzudecken, werden Aussagen zu Prinzipien und Werten des Grundgesetzes bewusst unklar und auslegungsfähig gehalten. - DIE LINKE. duldet und fördert die offen extremistischen Strömungen innerhalb der Partei wie die Kommunistische Plattform (KPF), das Marxistische Forum (MF), den Geraer Dialog/Sozialistischer Dialog (GD/SD), die Sozialistische Linke (SL), die Antikapitalistische Linke (AKL) oder die Arbeitsgemeinschaft Cuba Si und betrachtet sie als integrale Bestandteile der Partei. Zahlreiche Mitglieder dieser offen extremistischen Strömungen gehören zudem dem Parteivorstand an. - DIE LINKE. arbeitet mit Linksextremisten im Inland auch außerhalb der Partei zusammen. Das Spektrum reicht dabei von der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) über verschiedene trotzkistische Gruppierungen wie z. B. die Sozialistische Alternative Voran (SAV) oder den mittlerweile in der Partei aufgegangenen Linksruck bis hin zu gewaltbereiten Autonomen. - DIE LINKE. hat ein ambivalentes Verhältnis zur Gewalt. Einzelne Funktionäre und Mitglieder der Partei DIE LINKE. solidarisieren sich mit gewaltbereiten Autonomen und wirken mit ihnen bei Demonstrationen zusammen. 212 Linksextremismus - DIE LINKE. arbeitet mit Linksextremisten im Ausland zusammen. Das Spektrum reicht dabei von Kontakten zu ausländischen kommunistischen Parteien und Organisationen bis hin zu ausländischen terroristischen Gruppierungen. Einzelne Funktionäre und Mitglieder der Partei DIE LINKE. solidarisieren sich z. B. mit der kolumbianischen FARC und der kurdischen PKK. - DIE LINKE. lässt eine klare Distanzierung von der Diktatur in der DDR vermissen. - DIE LINKE. hat ein zwiespältiges Verhältnis zur Universalität der Menschenrechte. So verklärt sie lateinamerikanische Diktaturen wie das kommunistische Regime auf Kuba und solidarisiert sich mit autoritären Regimen wie in Venezuela. DIE LINKE. nennt das von ihr angestrebte System "demokratischer Sozialismus", um vordergründig einen verfassungskonformen Eindruck zu erwecken. Das Ziel, den Kapitalismus zugunsten eines demokratischen Sozialismus zu überwinden, ist für sich genommen nicht extremistisch. Das Grundgesetz schreibt keine bestimmte Wirtschaftsordnung vor, verlangt aber, dass die Vereinigungsfreiheit (Artikel 9 GG), die freie Wahl des Berufs, des Arbeitsplatzes und der Ausbildungsstätte (Artikel 12 GG), die allgemeine Handlungsfreiheit (Artikel 2 GG) und die Eigentumsgarantie (Artikel 14 GG) gewährleistet sind. Unter dem Stichwort "demokratischer Sozialismus" streben aber namhafte Teile der Partei ein anderes Staats-, Gesellschaftsund Wirtschaftsystem an, das mit diesen Grundrechten weitgehend unvereinbar ist. Diese Anhaltspunkte bieten ausreichend Gründe für die Verfassungsfeindlichkeit zumindest namhafter Teile der Partei DIE LINKE. Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) kommt in seinem Urteil vom 21.07.2010 (BVerwG 6 C 22.09) ebenfalls zu dieser Auffassung: "Bei den Parteien PDS, Linkspartei.PDS und DIE LINKE. bestanden und bestehen nach den bindenden tatsächlichen Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind. Hiervon ausgehend gehörte und gehört die Gewinnung von Informationen über diese Parteien zu den legitimen Aufgaben der Verfassungsschutzbehörden". (BVerwG, a.a.O., Seite 40) Linksextremismus 213 Damit bestätigt das BVerwG die Bewertung des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen (OVG NW) aus dessen Urteil vom 13.02.2009 (Az.: 16 A 845/08). Somit liegt nunmehr eine höchstrichterliche Entscheidung vor, die die Verfassungsfeindlichkeit der Partei DIE LINKE. und die Rechtmäßigkeit ihrer Beobachtung bestätigt. 4.8.2 Grundsatzprogramm Auf dem 2. Bundesparteitag der Partei DIE LINKE., der vom 21. bis 23. Oktober in Erfurt stattfand, hat sich die Partei nach einer mehr als eineinhalbjährigen Diskussion ihr erstes Grundsatzprogramm gegeben. Es basiert auf zwei Programmentwürfen, die die Parteivorsitzenden am 10.03.2010 bzw. am 26. Mai der Öffentlichkeit präsentiert hatten. Insgesamt gingen nach Angaben der Partei DIE LINKE. DIE LINKE. gibt sich über 1.400 Änderungsanträge bei der Redaktionskommission Grundsatzprogramm ein. Hiervon wurden jedoch lediglich 350 Anträge auf dem Parteitag behandelt, von denen 18 letztendlich auch mehrheitlich beschlossen wurden. Bereits im Vorfeld mahnten die Parteivorsitzenden und weitere Führungspersönlichkeiten zur Geschlossenheit und wiesen darauf hin, die erzielten Kompromisse nicht mit einer neuen Grundsatzdiskussion zu gefährden. Dieser Mahnung folgend, stimmten auf dem Parteitag von den 519 anwesenden Delegierten bei vier Gegenstimmen und 12 Enthaltungen 503 (96,9 Prozent) für den vom Bundesvorstand überarbeiteten und als Leitantrag vorgelegten Programmentwurf. In einem abschließenden Mitgliederentscheid, an dem sich 48,86 Prozent der Parteimitglieder beteiligten, votierten Mitte Dezember 95,81 Prozent für das neue Grundsatzprogramm und setzten dieses somit in Kraft. Ausgearbeitet wurde das Grundsatzprogramm von einer vierköpfigen Redaktionskommission, zusammengesetzt aus jeweils zwei Vertretern des traditionalistischen und des reformerischen Parteiflügels. Eine grundlegende inhaltliche Neuausrichtung stellt das beschlossene Programm gegenüber den beiden Programmentwürfen nicht dar. Der Aufbau des Grundsatzprogramms orientiert sich weiterhin an den klassischen kommunistischen Bedrohungsszenarien. Der Entwurf skizziert eine globale und nationale Bedrohung der Menschheit durch den Kapitalismus und empfiehlt als einzigen Lösungsansatz den Bruch mit dem bestehenden System. Orientiert an Schlüsselbegriffen traditioneller marxistischer Terminologie fordert DIE LINKE. eine "grundlegende Umgestaltung der Gesellschaft"103, um eine "von Kla103 Programm der Partei DIE LINKE., Seite 5. 214 Linksextremismus senschranken befreite Gesellschaft" zu errichten. Was sich 104 hinter der Formel von einer "grundlegenden Umgestaltung der Gesellschaft" verbirgt, verdeutlicht ein Blick in das von der DDR herausgegebene "Kleine Politische Wörterbuch". Dort heißt es: "Revolution: grundlegende qualitative Umgestaltung der Gesellschaft".105 Der von der Partei DIE LINKE. angestrebte "Systemwechsel" zielt dabei nicht nur auf die Überwindung der wirtschaftlichen, sondern auch der gesellschaftlichen Ordnung. So heißt es bereits in der Präambel: "... ein anderes Wirtschaftsund Gesellschaftssystem: den demokratischen Sozialismus" (Programm der Partei DIE LINKE., Seite 4) Was zumindest führende Teile der Linkspartei unter der Bezeichnung "demokratischer Sozialismus" anstreben, ist spätestens seit der Aufforderung ihrer Vorsitzenden Gesine LÖTZSCH, neue "Wege zum Kommunismus" zu suchen, deutlich geworden: eine kommunistische Gesellschaft. Nach wie vor steht die Forderung nach einer radikalen Veränderung der Eigentumsund Herrschaftsverhältnisse im Mittelpunkt des Grundsatzprogramms. Strukturbestimmende Großbetriebe der Wirtschaft, der Daseinsvorsorge, der gesellschaftlichen Infrastruktur, der Finanzinstitutionen und der Energiewirtschaft sollen der öffentlichen Hand zugeführt werden. Das damit über wirtschaftliche Veränderungen hinaus zugleich auch immer eine Überwindung der politischen Ordnung gemeint ist, verdeutlicht der stellvertretende Bundesvorsitzende der Partei DIE LINKE., Heinz BIERBAUM: "Die Veränderung der kapitalistischen Eigentumsverhältnisse ist entscheidend für die Veränderung der Gesellschaft." (Junge Welt vom 10.01.2012) Zu diesem Ansatz passt eine neu aufgenommene Passage, in der die Bundesrepublik einer marxistischen Kapitalismusanalyse unterzogen wird. Sie mündet in die Aussage "Deutschland ist eine Klassengesellschaft".106 Dabei bedient sich DIE LINKE. klassischer marxistischer Termini, wenn sie von der "Klasse der Kapitalisten" spricht, eine "gemeinsame Klassenlage" aller Lohnabhängigen beschwört, um so "die kapitalistische Herrschaft und Ausbeutung zu beschränken" und 104 Ebd., Seite 21. 105 Kleines Politisches Wörterbuch, 3. überarbeitete Auflage Ost-Berlin 1978, Seite 770. 106 Programm der Partei DIE LINKE., Seite 14. Linksextremismus 215 zugleich ein fehlendes "Klassenbewusstsein" in Deutschland bemängelt.107 Die von der Linkspartei gezogene Schlussfolgerung aus dieser Analyse, der Aufbau einer "Gesellschaft des demokratischen Sozialismus",108 ergibt sich aber "nicht einfach als Ergebnis von kleineren oder größeren Reformschritten"109, sondern durch "Umwälzungen mit revolutionärer Tiefe"110. Was unter "Umwälzungen mit revolutionärer Tiefe" zu verstehen ist, machte der niedersächsische Landesvorsitzende Dr. Manfred SOHN in einem Artikel der Jungen Welt vom 23.01.2012 deutlich, in dem er unter der Überschrift "Notwendige Revolution" direkt Bezug auf diese Passage des Grundsatzprogramms nimmt: "In diesem Prozeß verweben sich ständig ... Sozialreformen und Revolution mit dem Ergebnis einer letztlich revolutionären Umwälzung aller Verhältnisse. ... Weil das letztliche Resultat eine Veränderung mit revolutionärer Tiefe ist, ist das Bestimmende dieses Prozesses die Revolution und nicht die Sozialreform." Ganz im Sinne des kulturellen Hegemoniekonzepts des italienischen Marxisten Antonio Gramsci111 hängt die praktische Umsetzung des Grundsatzprogramms der Partei DIE LINKE. nach Auffassung von BIERBAUM entscheidend davon ab, "inwieweit der neoliberalen Hegemonie eine Alternative entgegengesetzt werden kann, die ihrerseits in der Lage ist, hegemoniale Kraft zu entfalten."112 Eine kritische Auseinandersetzung mit der DDR-Vergangenheit findet auch in dem neuen Programmentwurf nur auf den ersten Blick statt. So werden auf der einen Seite die staatliche Willkür in der DDR und der "Aufbau eines staatlichen Überwachungsapparates gegen die eigene Bevölkerung" kritisiert.113 Auf der anderen Seite fehlt dagegen jeglicher Hinweis darauf, von wem die Willkür letztendlich ausging, nämlich der SED und ihrer Staatssicherheit. Im direkten Anschluss an die Kritik werden die kulturellen Güter der DDR aufgezählt und so der Fokus wieder auf die positiven Aspekte der DDR gelenkt, auf die dann in den folgenden Absätzen des Programmentwurfs ausführlich eingegangen wird.114 107 Ebd. 108 Junge Welt vom 10.01.2012. 109 Ebd. 110 Programm der Partei DIE LINKE., Seite 21. 111 Gramsci geht davon aus, dass eine revolutionäre Partei nur siegen kann, wenn sie vor ihrer Machtübernahme die politisch-kulturelle Hegemonie, d. h. die Deutungshoheit über die Begriffe und Werte einer Gesellschaft, erlangt hat. 112 Junge Welt vom 10.01.2012. 113 Ebd., Seite 9. 114 Ebd. 216 Linksextremismus Mit dem neuen Grundsatzprogramm hat sich der traditionalistische Flügel innerhalb der Partei DIE LINKE. klar gegenüber den reformorientierten Kräften durchgesetzt. Erwartungsgemäß zufrieden zeigte er sich mit dem neu beschlossenen Parteiprogramm. In einem Beitrag zum Parteitag lobt die Sprecherin der KPF, Ellen BROMBACHER, die Ausrichtung des Programms in Richtung Systemwechsel: "Das beschlossene Parteiprogramm orientiert letztlich auf einen Systemwechsel - die Überwindung der Diktatur des Profits." (Internetseite der Partei DIE LINKE., Ausdruck vom 4. November) Aus der innerparteilichen Auseinandersetzung um das neue Grundsatzprogramm geht der traditionalistische Flügel der Partei DIE LINKE. als deutlicher Sieger hervor. Auch wenn sich das Programm sprachlich dem realpolitisch orientierten Flügel angenähert hat, ist es inhaltlich nicht wesentlich von den radikalen Positionen der Traditionalisten abgerückt. 4.8.3 50. Jahrestag des Mauerbaus Neben der Diskussion um ein Grundsatzprogramm bestimmten vor allem von der Partei DIE LINKE. selbst verursachte Debatten das Jahr 2011. Das Jahr begann mit der Veröffentlichung der Parteivorsitzenden über "Wege zum Kommunismus", setzte sich fort mit der Auseinandersetzung um antizionistische und antisemitische Tendenzen innerhalb der Partei und erreichte seinen vorläufigen Höhepunkt mit der Debatte um den 50. Jahrestag des Baus der Berliner Mauer. Hierin zeigt sich erneut ihr ambivalentes Verhältnis zur Diktatur in der DDR. So weigerten sich beim Landesparteitag in Mecklenburg-Vorpommern am Jahrestag des Mauerbaus drei Delegierte, unter ihnen die frühere Sozialministerin von Mecklenburg-Vorpommern, Marianne LINKE, sich zum Gedenken an die Opfer des Mauerbaus zu erheben. Dieser Konflikt manifestierte sich schließlich an der Schlagzeile, mit dem die linksextremistische Tageszeitung Junge Welt am 13. August auf ihrer Titelseite aufwartete. In menschenverachtender Weise formulierte sie unter einem Foto bewaffneter DDR-Kampfgruppenangehöriger, die den Mauerbau vor dem Brandenburger Tor bewachten: "Wir sagen an dieser Stelle einfach mal: Danke". Schaltete Die LINKE. bis dahin regelmäßig Anzeigen in der Linksextremismus 217 Jungen Welt, so forderten Teile der Partei nun als Reaktion auf diese Titelseite zum Boykott der Zeitung auf. Der Boykottaufruf führte zu heftigen Auseinandersetzungen innerhalb der Partei, zumal einige ihrer Funktionäre wie der niedersächsische Landesvorsitzende SOHN, Anteile an dem die Junge Welt vertreibenden Verlag 8. Mai-GmbH besitzen. So forderten 30 Abgeordnete der Bundestagsfraktion, unter ihnen die niedersächsischen Abgeordneten Heidrun DITTRICH, Dorothee MENZNER und Dr. Diether DEHM, die Rücknahme des Anzeigenboykotts. Zahlreiche Bundesund Landtagsabgeordnete der Partei DIE LINKE. unterstützten zudem demonstrativ mit Anzeigen die Junge Welt. So lies die niedersächsische Abgeordnete Pia ZIMMERMANN in der Jungen Welt vom 1./2./3. Oktober eine Anzeige mit ihrem Bild und dem folgendem Text schalten: "Eine freie Meinungsbildung bedarf auch einer freien und kritisch berichtenden Presse." Noch deutlicher wurde SOHN in einer Anzeige vom 29. September: "Wie sollen wir denn ohne Junge Welt als kollektive Propagandistin und Organisatorin den 3. Anlauf zum Sozialismus vorbereiten?" Die gegensätzlichen Reaktionen auf die umstrittene Titelseite der Jungen Welt verdeutlichen auch die grundsätzlich unterschiedlichen Positionen und Betrachtungsweisen innerhalb der Partei. So bemüht sich der reformorientierte Teil um eine kritische Auseinandersetzung mit der DDR-Vergangenheit, während Mitglieder des traditionalistischen Flügels versuchen, die Verbrechen der SED-Diktatur zu relativieren. 4.8.4 Offen extremistische Zusammenschlüsse Die in der Linkspartei.PDS entstandenen offen extremistischen Zusammenschlüsse wie die Kommunistische Plattform (KPF), das Marxistische Forum (MF), der Geraer Dialog/Sozialistischer Dialog (GD/SD), die Sozialistische Linke (SL), die Antikapitalistische Linke (AKL) oder die Arbeitsgemeinschaft Cuba Si bestehen weiter unverändert fort. Per Satzung erhalten sie spezielle Rechte und finanzielle Unterstützung. Diese Zusammenschlüsse werden von der Parteispitze nicht nur geduldet, sondern als wichtiger Bestandteil der Partei angesehen und 218 Linksextremismus sollen auch künftig politisch wirken können. Das verdeutlicht auch die Zusammensetzung des Parteivorstandes, dem zahlreiche Mitglieder dieser offen extremistischen Strömungen angehören. Mit Sahra WAGENKNECHT als stellvertretende Parteivorsitzende und seit November als eine der beiden Ersten Stellvertreter des Vorsitzenden der Bundestagsfraktion ist die KPF an zentraler Stelle vertreten, auch wenn WAGENKNECHT ihre dortigen Funktionen zurzeit ruhen lässt. Einflussreiche Zur Bedeutung der innerparteilichen Zusammenschlüsse extremistische bestätigte das BVerwG die Auffassung des OVG NW: Gruppierungen innerhalb der Partei "Zu den Gruppierungen Kommunistische Plattform, Marxistisches Forum und Linksjugend ['solid] hat das Oberverwaltungsgericht in diesem Zusammenhang festgestellt, sie seien keine innerhalb der Partei unbedeutenden Splittergruppen, sondern besäßen nach ihrer satzungsmäßigen Stellung, der Zahl ihrer Mitglieder, ihrem Rückhalt bei der Gesamtheit der Parteimitglieder und dem sich hieraus ergebenden Einfluss nennenswertes Gewicht innerhalb der Partei." (Urteil BVerwG, a.a.O., Seite 23) Insbesondere die KPF sieht sich innerhalb der Partei DIE LINKE. in der Tradition der kommunistischen deutschen Arbeiterbewegung und beansprucht für sich, die kommunistische Identität der Partei zu wahren. Sie spricht mit ihren ideologischen Vorstellungen vor allem die überalterte, in DDR-Nostalgie verhaftete Parteibasis im Osten an. Zugleich versteht sie sich als kommunistisches Korrektiv und versucht, Reformbestrebungen hin zu einer Sozialdemokratisierung der Mutterpartei entschieden entgegenzuwirken. Die "Bewahrung und Weiterentwicklung marxistischen Gedankenguts" ist nach eigenem Bekunden "wesentliches Anliegen" der KPF. Das BVerwG hat zur KPF ausgeführt: "..., dass Mitglieder dieses parteiinternen Zusammenschlusses sich der Sache nach ausdrücklich zu einer sozialistischen Revolution und Diktatur des Proletariats bekannten." (BVerwG, a.a.O., Seite 20) 4.8.5 Der Jugendverband Linksjugend ['solid] Der der Partei DIE LINKE. nahe stehende Jugendverband Linksjugend ['solid] - die sozialistische Jugend - der Name steht für sozialistisch, links und demokratisch - strebt einen Linksextremismus 219 "grundsätzlichen Systemwechsel" an. Hierzu heißt es in seiner Programmatik: "...Als SozialistInnen, KommunistInnen, AnarchistInnen kämpfen wir für eine libertäre, klassenlose Gesellschaft jenseits von Kapitalismus, Rassismus und Patriarchat. ... Die berühmten zwei Gräben Reform und Revolution bilden für uns keinen Widerspruch. Wir streiten für einen grundsätzlichen Systemwechsel - aber wir setzen auch mit radikalen Alternativen im Hier und Jetzt in der konkreten Lebenswelt junger Menschen an." (aus dem Programm der Linksjugend ['solid] vom 20/22.03.2009, veröffentlicht auf der Internetseite von ['solid], Ausdruck vom 04.04.2012) Zur Linksjugend stellte das OVG NW fest: Linksjugend ['solid] lehnt tra"Mit der als Jugendorganisation der Partei DIE LINKE. gende Prinzipien anerkannten Linksjugend ['solid] lehnt eine weitere der der freiheitlichen Partei zuzurechnende Gruppierung tragende Prinzipien demokratischen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung offen Grundordnung ab ab. Sie spricht dem Parlament seine in der Staatsordnung des Grundgesetzes zentrale Rolle bei der politischen Willensbildung ab, indem sie den Parlamentarismus als 'Kasperletheater zur Legititmation kapitalistischer Verhältnisse' (Verband ['solid] 36 - die sozialistische Jugend Kreuzberg) verunglimpft. Sie will das Parlament lediglich für ihre Zwecke instrumentalisieren, indem sie es als 'Bühne ... für den Kampf um eine gerechtere Welt' (Verband ['solid] 36 - die sozialistische Jugend Kreuzberg) nutzt, der 'schwerpunktmäßig außerhalb der Parlamente' (Dokument B 127) stattfinden soll." (OVG NW, a. a. O., Seite 57) Diese Einschätzung wurde durch das BVerwG vollumfänglich bestätigt. Vom 13. bis 15. Mai fand in Hannover der 4. Bundeskongress der Linksjugend ['solid] statt. In einem dort beschlossenen Antrag "Beschissenheit der Dinge - Grundsätzliches zu Gesellschaft und Parteiprogramm"115 macht die Linksjugend ['solid] deutlich, dass ihr der 1. Programmentwurf der Partei DIE LINKE. nicht radikal genug ist. Die bestehende Ordnung ist für sie nicht reformierbar: 115 Beschlussheft zum Bundeskongress der Linksjugend ['solid]. 220 Linksextremismus "Deren Folgen (gemeint sind die negativen Folgen des Kapitalismus, d. Verf.) können zum Teil sozialstaatlich zwar gelindert, aber niemals aufgehoben werden." Die Linksjugend ['solid] bekennt sich zu systemüberwindenden Veränderungen, die nicht auf demokratischem Weg erreicht werden sollen: "Ziel für einen Sozialismus des 21. Jahrhunderts kann also nicht 'Mehr Mitbestimmung und Kontrolle' bei der Kapitalverwertung, sondern muss die Überwindung eben dieser kapitalistischen Herrschaftsund Produktionsweise sein ... Der Sozialismus lässt sich nicht durch eine Bundestagsmehrheit einführen." Mit diesen Äußerungen unterstreicht die Linksjugend ['solid], dass für sie die parlamentarische Demokratie nur Mittel zum Zweck ist, um die bestehenden Verhältnisse auf revolutionärem Wege zu überwinden. 4.8.6 Der Studentenverband DIE LINKE.SDS. Im Mai 2007 gründete sich die Studentenorganisation DIE LINKE.Sozialistisch-Demokratischer Studierendenverband (DIE LINKE.SDS). Als der Partei DIE LINKE. nahe stehende Studentenorganisation will DIE LINKE.SDS "an der außerparlamentarischen Tradition des SDS der 68er-Bewegung anknüpfen." Ihren systemüberwindenden Charakter bringt sie in ihrem Selbstverständnis zum Ausdruck: "Der Kapitalismus ist für uns nicht das Ende der Geschichte. Wir stehen ein für die Überwindung der kapitalistischen Gesellschaftsordnung und stellen ihr unsere handlungsbestimmende Perspektive einer sozialistischen Gesellschaft entgegen." (veröffentlicht auf der Internetseite DIE LINKE.SDS, Ausdruck vom 24. November) DIE LINKE.SDS versteht sich zudem als Bindeglied zwischen der Partei DIE LINKE. und außerparlamentarisch tätigen Linksextremisten: Linksextremismus 221 "Durch unsere Mitarbeit ..., nehmen wir gemeinsam mit der Linksjugend ['solid] eine wichtige Scharnierfunktion zwischen Partei auf der einen und radikaler Linken auf der anderen Seite ein." (veröffentlicht auf der Internetseite DIE LINKE.SDS, Ausdruck vom 24. November) 4.8.7 Kommunalwahlen in Niedersachsen Am 11. September fanden in Niedersachsen KommunalMäßiges Ergebnis wahlen statt. Bei den Gemeindewahlen gewann die Partei bei KommunalDIE LINKE. insgesamt 118 Sitze (1,4 Prozent) und erzielte dawahlen mit im Vergleich zu den letzten Kommunalwahlen im Jahre 2006 (23 Sitze, 0,9 Prozent) deutlich mehr Mandate. Bei den Kreiswahlen erreichte die Partei 56 Mandate (2,4 Prozent) und konnte damit die bisherige Anzahl an Sitzen (2006: 23 Sitze, 0,2 Prozent)116 mehr als verdoppeln. Ihr bestes Ergebnis erzielte sie bei der Wahl des Rates der Stadt Oldenburg mit 6,1 Prozent117 (2006: 7,2 Prozent). Auf den ersten Blick scheint die Partei DIE LINKE. deutlich an Stimmen gewonnen zu haben. Ein direkter Vergleich mit den letzten Kommunalwahlen ist jedoch nur bedingt aussagekräftig. Zum damaligen Zeitpunkt waren die PDS und die Partei Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit (WASG) noch eigenständige Parteien, erst am 16.06.2007 fusionierten sie zur heutigen Partei DIE LINKE. Zieht man dagegen die letzte Landtagswahl 2008 (7,1 Prozent) und die Bundestagswahl 2009 (11,9 Prozent) heran, so fällt der Stimmenanteil bei den Kommunalwahlen 2011 weitaus weniger positiv aus. Auch bei diesen Kommunalwahlen arbeitete die Partei DIE LINKE. wieder mit anderen linksextremistischen Parteien in Wählerbündnissen zusammen. So trat in der Stadt Göttingen die "Göttinger Linke", ein Bündnis aus der Partei DIE LINKE. und der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP), an. Bei der Wahl zum Rat der Stadt Göttingen sowie bei den Ortsratswahlen konnte sie ihre bisherigen Mandate verteidigen (drei Mandate im Stadtrat Göttingen, zwei Mandate in den Ortsräten). Im Landkreis Lüchow-Dannenberg rief die DKP zur Wahl der Partei DIE LINKE. auf. Über die Kommunalwahlen hinaus suchen Teile der Partei DIE LINKE. weiterhin die Zusammenarbeit mit der DKP und sonstigen linksextremistischen Gruppierungen. So zog ihr Göttinger Kreisverband im August in das neue "Rote Zen116 Vorläufiges Ergebnis der Kommunalwahlen, Niedersächsischer Landeswahlleiter. 117 Ebd. 222 Linksextremismus trum" in Göttingen und bildete dort unter anderem zusammen mit dem DKP-Kreisverband Göttingen und der Roten Hilfe e.V. (Bundesgeschäftsstelle) eine Nutzergemeinschaft. 4.8.8 Verhältnis zum Parlamentarismus Das Verhältnis der Partei DIE LINKE. zum parlamentarischen System der Bundesrepublik Deutschland wird weniger von innerer Akzeptanz als von taktischen Überlegungen bestimmt. Nach Ansicht von Teilen der Partei wird Politik in erster Linie auf der Straße und nicht in den demokratisch gewählten Parlamenten entschieden. Heidrun DITTRICH, Mitglied des Bundestages, hielt in diesem Zusammenhang eine Regierungsbeteiligung ihrer Partei für nicht ausreichend: "Damit hätten wir das System noch nicht abgeschafft. So etwas geht leider nicht von oben." (Hannoversche Allgemeine Zeitung, Ausgabe vom 08.11.2010, Seite 2) Statt auf die parlamentarische Arbeit legt die Partei DIE LINKE. ihren politischen Schwerpunkt auf die außerparlamentarischen Bewegungen. Welchen Stellenwert sie für die Partei DIE LINKE. hat, verdeutlicht ihre Bundesvorsitzende Gesine LÖTZSCH: "Wir müssen unsere außerparlamentarische Arbeit wieder stärken und ihr größere Wertschätzung entgegenbringen. Sie ist nicht eine Ergänzung der parlamentarischen Arbeit, sondern eine wesentliche Voraussetzung für die Umsetzung unseres Programms." (Junge Welt vom 10./11. Dezember) 4.8.9 Bündnisund Kampagnenpolitik Die außerparlamentarische Arbeit ist für die Partei DIE LINKE. von entscheidender Bedeutung. Um außerparlamentarische Organisationen an sich zu binden und sie für ihre Interessen zu instrumentalisieren, setzt die Partei DIE LINKE. auf eine Strategie der revolutionären Marxisten mit langer Tradition: die Bündnisund Kampagnenpolitik. Die Partei stellt die "Systemfrage", versucht aber zugleich, den Eindruck einer ganz "normalen" Partei zu vermitteln, indem sie Themen aufgreift, Verbindungen zu für die sie bis weit in das nicht-extremistische Spektrum higewaltbereiten nein auf Zustimmung stößt. Linksextremisten Einzelne Funktionäre und Mitglieder der Partei DIE LINKE. lassen dabei einen klaren Trennungsstrich zu Autonomen und Linksextremismus 223 sonstigen gewaltbereiten Linksextremisten vermissen. Sie suchen die Zusammenarbeit mit offen extremistisch auftretenden außerparlamentarischen Organisationen. Besonders intensive Beziehungen im Rahmen ihrer Bündnisund Kampagnenpolitik weist die Partei DIE LINKE. zu Organisationen, die der kurdischen Arbeiterpartei PKK nahe stehen, auf. Die Partei DIE LINKE. setzt sich für deren Interessen ein. Diese rufen unter den in Deutschland lebenden Kurden zur Wahl bzw. Mitgliedschaft in der Partei DIE LINKE. auf. So kandidierten bei verschiedenen Landtagswahlen Kurden aus dem Umfeld der PKK auf den Listen der Partei DIE LINKE. und errangen u. a. in Berlin, Hamburg und Nordrhein-Westfalen Mandate in den jeweiligen Landesparlamenten. Vertreter der Partei DIE LINKE. wiederum unterstützen (Groß-)Veranstaltungen PKK-naher Organisationen teilweise mit Redebeiträgen. Auch in Niedersachsen ist eine Kooperation zwischen Kooperation zwiPKK-nahen Organisationen und der Partei DIE LINKE. zu beschen PKK-nahen obachten. So ist ein Mitglied des Kurdistan-Volkshauses e. V. Organisationen und Hannover im niedersächsischen Landesvorstand der Partei der Partei DIE LINKE. vertreten. Er veröffentlicht auf der Internetseite Rojaciwan, dem Sprachrohr der Jugendorganisation KOMALEN CIWAN der kurdischen Arbeiterpartei PKK. Für die Wahlen zur Region Hannover traten das Vorstandsmitglied der Föderation kurdischer Vereine in Deutschland e. V. (YEK-KOM), Gülten KELLOGLU, sowie die Aktivistin im Kurdistan Volkshaus e. V. und Redakteurin der PKK-nahen Tageszeitung Yeni Özgür Politika (YÖP), Yüksel TOPRAKLI, als Kandidatinnen für die Partei DIE LINKE. an. In den Rat der Stadt Wunstorf wurde für die Partei DIE LINKE. mit Ahmet ELIK ein Aktivist und Vorstandsmitglied des PKK-nahen Vereins Kurdistan Volkshaus e. V. Hannover gewählt. In Niedersachsen fungiert vor allem der Landtagsabgeordnete Patrick HUMKE nicht nur als Bindeglied seiner Partei zur autonomen Szene, sondern auch als Ansprechpartner PKKnaher Organisationen, für die er u. a. als Anmelder von und Redner auf Veranstaltungen in Erscheinung tritt. So meldete er für den 29. Oktober eine Demonstration in Göttingen unter dem Thema: "Stell dir vor es ist Krieg, und alle sehen weg - Solidarität mit der kurdischen Freiheitsbewegung"an. Mit der Demonstration, zu der u. a. neben PKK-nahen Organisationen die autonomen Gruppierungen Antifaschistische Linke International (A.L.I.) und Jugendantifa Göttingen (J.A.G.) mobilisierten, sollte vor allem gegen die Haftbedingungen des PKK-Anführers ÖCALAN protestiert werden. DIE LINKE. unterstützt die Forderung nach Aufhebung des PKK-Betätigungsverbots in Deutschland. 224 Linksextremismus 4.9 Deutsche Kommunistische Partei (DKP) Vorsitzende Bund: Bettina JÜRGENSEN Niedersachsen: Detlef FRICKE Sitz Bund: Essen Niedersachsen: Hannover Mitglieder 2010 2011 Bund: 4.000 4.000 Niedersachsen: 370 370 Ergebnis Landtagswahl am 27.01.2008: 1 Mandat durch gemeinsame Liste mit der Partei DIE LINKE. Publikationen Bund: Unsere Zeit (wöchentlich, Auflage 7.000) Marxistische Blätter (zweimonatlich, Auflage etwa 2.500) Niedersachsen: Hannoversches VolksBlatt Die Rote Spindel (Nordhorn/Lingen) Pulverturm (Oldenburg) Betriebszeitungen: Roter Käfer 1968 konstituierte sich die 1956 vom Bundesverfassungsgericht verbotene Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) unter dem Namen DKP neu. Als westdeutscher Interventionsapparat der SED folgte sie bis zum politischen Umbruch in den kommunistisch regierten Ländern Mittelund Osteuropas vorbehaltlos den ideologischen und politischen Vorgaben der SED, von der sie auch finanziell abhängig war. Der Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland stürzte die DKP nicht nur in eine materielle, sondern auch in eine Identitätsund Orientierungskrise. Neben den Geldern aus Ost-Berlin musste sie nun auch auf die ideologische Anleitung durch die SED verzichten. Die Entlassung ihres hauptamtlichen Apparates, die Schließung zahlreicher Parteieinrichtungen und ein Rückgang der Mitgliederzahlen von ca. 40.000 Mitgliedern in Linksextremismus 225 den 1980er Jahren auf gegenwärtig 4.000 Parteiangehörige waren die Folge. Aufgrund des hohen Durchschnittsalters der Mitglieder Stagnierende wird sich diese Entwicklung der DKP fortsetzen. Deutlich wird Mitgliederzahlen die Orientierungskrise auch daran, dass die im Juni 2000 beschlossene Erarbeitung eines neuen Parteiprogramms118 nach jahrelangem Richtungskampf zwischen Reformern und Anhängern eines orthodoxen Kurses erst im April 2006 beendet wurde. 4.9.1 Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung Aus dem im April 2006 beschlossenen Parteiprogramm ist Erlangung des deutlich ersichtlich, dass die DKP die parlamentarische DemoSozialismus auf kratie ablehnt ("Ziel der DKP ist der Sozialismus/Kommunisrevolutionärem mus", Programm der DKP, Seite 2). Wege Wie der Weg zum Sozialismus/Kommunismus erreicht werden soll, verdeutlicht die DKP in ihrem Programm: "Der Sozialismus kann nicht auf dem Weg von Reformen, sondern nur durch tief greifende Umgestaltungen und die revolutionäre Überwindung der kapitalistischen Eigentumsund Machtverhältnisse erreicht werden." (Programm der DKP, Seite 9) 4.9.2 Verhältnis zur ehemaligen DDR Die Partei sieht die Wurzel aller politischen Missstände im Kapitalismus. Unter diesem könne es keine menschenwürdige Politik geben. Die DDR-Diktatur verklärt sie weiterhin als Errungenschaft des Sozialismus, die der Macht des "deutschen Imperialismus" seine Grenzen aufgezeigt hat. Die Wiedervereinigung Deutschlands empfindet sie als eine Niederlage des Sozialismus: "Trotz seiner wahrhaft historischen Leistungen hat der Sozialismus in Europa eine Niederlage erlitten. ...; die Diskussion dazu findet in der DKP statt." (Programm der DKP, Seite 8) 118 Das vorherige Programm wurde 1978 verabschiedet. 226 Linksextremismus Zum 50. Jahrestag des Mauerbaus erklärte das Sekretariat des Parteivorstandes: "Die Schließung der Grenze am 13. August ... sicherte den Frieden nicht nur in dieser Region. Ohne sie hätte es Krieg gegeben." (Unsere Zeit vom 12. August) 4.9.3 Theoretische Konferenz am 30. Oktober in Hannover Richtungsstreit Am 30. Oktober führte die DKP in Hannover eine "Theorehält an tische Konferenz" zu dem seit längerem andauernden Richtungsstreit innerhalb der Partei um ein vom Parteivorstand entworfenes Thesenpapier durch. Das im Januar 2010 durch das Sekretariat eingebrachte Thesenpapier relativiert die Stellung der Arbeiterklasse als revolutionäres Subjekt, dem allein der Umsturz des herrschenden Systems obliege. Während die reformorientierten Kräfte die Thesen befürworten, gelten sie dem orthodoxen Flügel als unvereinbar mit dem Parteiprogramm. Er sieht darin eine Abkehr von den ursprünglichen Lehren von Marx, Engels und Lenin und fordert stattdessen eine Rückbesinnung auf die "unverfälschte Lehre" des wissenschaftlichen Sozialismus.119 Auch künftig werden die innerparteilichen Konflikte die Parteiarbeit dominieren, so dass eine politische Außenwirkung auch in Zukunft kaum wahrzunehmen sein wird. 4.9.4 Bündnispolitik Für die DKP ist die außerparlamentarische Arbeit zur Erlangung ihrer Ziele von zentraler Bedeutung. Um außerparlamentarische Organisationen an sich zu binden und sie für ihre Interessen zu instrumentalisieren, setzt die DKP auf eine Strategie der revolutionären Marxisten mit langer Tradition: die Bündnisund Kampagnenpolitik. Gezielt sucht sie nach Bündnispartnern im außerparlamentarischen Raum. Vor allem die Gewerkschaften stehen dabei im Fokus. 4.9.5 Kommunalwahlen in Niedersachsen In Niedersachsen trat die DKP lediglich in einigen Wahlkreisen und hier vorwiegend in Bündnissen zu den Kommunalwahlen 119 Den Gegenangriff organisieren - die Klasse gegen den Kapitalismus und für den Sozialismus mobilisieren", veröffentlicht im Internet, Ausdruck vom 28. November. Linksextremismus 227 an. Dabei konnte sie lediglich im Rat der Stadt Nordhorn zwei Mandate und im Kreistag des Landkreises Grafschaft Bentheim ein Mandat gewinnen. In Hannover, wo die DKP u. a. gemeinsam mit der Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD)120 in dem "Bündnis für soziale Gerechtigkeit" (BSG) antrat, konnten ebenfalls keine nennenswerten Wahlerfolge erzielt werden. So gewann man nur einen Sitz im Stadtbezirksrat Hannover Linden-Limmer. Bei der Wahl zum Rat der Stadt Göttingen sowie zu den Ortsratswahlen trat die DKP gemeinsam mit der Partei DIE LINKE. als Bündnis "Göttinger Linke" an. Dem Bündnis gelang es, seine drei bisherigen Mandate im Stadtrat zu verteidigen und zwei Mandate in den Ortsräten zu erringen. Im Landkreis Lüchow-Dannenberg rief die DKP zur Wahl der Partei DIE LINKE. auf. Die DKP stagniert auch nach diesen Kommunalwahlen Schwaches Ergebnis nach wie vor auf sehr niedrigem Niveau. Aufgrund der stebei den Kommunaltigen Überalterung und fehlender neuer Mitglieder wird wahlen die Partei in den nächsten Jahren vermutlich weiter an politischem Einfluss verlieren. 4.9.6 Zusammenarbeit mit der Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend (SDAJ) und der Assoziation Marxistischer Studierender (AMS) Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend Die DKP praktiziert weiterhin eine enge Zusammenarbeit mit SDAJ will den der ideologisch gleich ausgerichteten Sozialistischen DeutKlassenkampf schen Arbeiterjugend (SDAJ), die zwar formell ungebunden ist, von der DKP aber als parteieigene Jugendorganisation betrachtet wird. Die wie die DKP seit 1968 bestehende SDAJ versteht sich laut ihrer Internetseite als "antikapitalistische und revolutionäre Organisation".121 Ihr Ziel ist die Überwindung des Kapitalismus und der revolutionäre Bruch mit dem bestehenden Gesellschaftssystem hin zum Sozialismus. Am 1. und 2. Oktober fand der 20. Bundeskongress der SDAJ in Hannover statt, an dem nach eigenen Angaben rund 150 Personen teilnahmen. Auf dem Kongress wurde der bisherige Bundesvorsitzende Björn SCHMIDT aus Niedersachsen in seinem Amt bestätigt sowie ein neuer 33 Personen umfassender Bundesvorstand gewählt. Weiterhin wurde im Rahmen der Kampagne "Nazifreie Zone" beschlossen, mehr Einfluss auf Schülervertretungen und Gewerkschaften zu nehmen. 120 Die KPD wurde im Jahr 1990 in der derzeit noch existierenden DDR wieder gegründet und fällt aufgrund des seinerzeit geschlossenen Einheitsvertrages nicht unter das KPD-Verbot aus dem Jahr 1956. 121 Internetseite des SDAJ, Ausdruck vom 28. November. 228 Linksextremismus Hier soll der Einfluss der SDAJ im Rahmen ihrer Bündnispolitik ausgebaut und so neue Mitglieder und Verbündete für die eigene Sache geworben werden. 20. Bundeskongress Das ursprünglich geplante neue Zukunftspapier, das die der SDAJ in Hannover künftige Ausrichtung im Spannungsfeld von Reformorientierung und "unverfälschter Lehre" festlegen sollte, wurde nicht beschlossen. Zum niedersächsischen Landesverband der SDAJ gehören Ortsgruppen in Bremen, Göttingen, Hannover und Oldenburg. Assoziation Marxistischer Studierender Ebenfalls zur Nachwuchsgewinnung nutzt die DKP die ihr nahe stehende Assoziation Marxistischer Studierender (AMS), die sich selbst als die einzige bundesweite marxistische Studentenorganisation sieht. Sie versteht sich als Nachfolgerin des Marxistischen Studentenbunds Spartakus (MSB). Zu ihrer Taktik gehört das Zusammenwirken von Akademikern und Arbeitern. Ihre systemüberwindende Zielrichtung propagiert die AMS wie folgt: "Die AMS organisiert die Studenten im Kampf für ihre Rechte. Unser Ziel ist die revolutionäre Überwindung des Kapitalismus, um eine neue, gerechte, sozialistische Gesellschaftsordnung aufzubauen. Die AMS setzt sich dafür ein, dass die Studierenden Seite an Seite mit der Arbeiterbewegung für den Sozialismus streiten." (Internetseite der AMS, Ausdruck vom 28. November) 4.10 "Antirevisionistische" Publikation RotFuchs Der RotFuchs - Tribüne für Kommunisten und Sozialisten in Deutschland - wurde im Februar 1998 von der DKP-Gruppe Berlin-Nordost als politisch-theoretische Monatsschrift mit marxistisch-leninistischem Profil gegründet. Die regelmäßig 32 Seiten umfassende Zeitschrift kritisierte die "reformistische" Entwicklung der DKP und gründete als "parteiunabhängiges Blatt mit unveränderter Orientierung" den RotFuchs-Förderverein e. V. (RotFuchs e. V.). Nach eigenen Angaben zählt der Förderverein mehr als 1.300 Mitglieder, die in 30 Regionalgruppen organisiert sind.122 122 RotFuchs, Nr. 124, Mai 2008, Seite 1. Linksextremismus 229 Die auch über das Internet abrufbare Zeitschrift wird im Postversand in 37 Ländern verteilt und besitzt in Niedersachsen einen erheblichen Verbreitungsgrad. Der sich als revolutionäre Zeitschrift verstehende RotFuchs lehnt einen "modernen Reformsozialismus" strikt ab. Dieser agiere im Rahmen des bestehenden Systems und sei bereits Teil des Kapitalismus. Die Wiedervereinigung bezeichnen sie als einen "Sieg der Konterrevolution". Der Chefredakteur, Klaus STEINIGER123, beschreibt unter der Überschrift "Deutschland braucht Kommunisten!" den Weg für eine marxistisch geprägte Zukunft Deutschlands: "Es geht um den gemeinsamen Kampf aller, die mit ihrem Widerstand gegen die immer bedrohlichere Rechtsentwicklung in der BRD die Überzeugung verbinden, dass nur eine andere Eigentumsordnung und die Brechung der politischen Macht der Monopole echten Wandel herbeiführen können. Denn wir Marxisten gehören zu den letzten, die glauben, der gesellschaftliche Wandel vollziehe sich im Selbstlauf." (RotFuchs, Nr. 157, Februar 2011, Seite 1) In diesen Kontext passt auch die Beteiligung des RotFuchs an einem "Antifaschistischen Komitee gegen Krieg und Sozialraub", das in einer Erklärung vom 10. Juni den Mauerbau durch die DDR als friedenserhaltende notwendige Maßnahme rechtfertigt: "Die Sicherung der Staatsgrenze der DDR, insbesondere gegenüber den Westsektoren Berlins, am 13. August 1961 war eine historische Notwendigkeit der sozialistischen Staatengemeinschaft zur Abwehr der sich zuspitzenden Kriegsgefahr in Europa. Die Bemühungen der imperialistischen Kräfte in Deutschland, ihrer Handlanger in Politik und den sogenannten freien Medien, werden unverändert darauf gerichtet sein, den 13. August zu einem Schanddatum für die DDR zu machen und die Gegebenheiten der Vergangenheit und Gegenwart zu fälschen." (Junge Welt vom 7. August ) Als ideologische Konstante im RotFuchs zu erkennen ist die Gleichsetzung des Nationalsozialismus mit der Bundesrepublik Deutschland, die sich u. a. im KPD-Verbot 1956 manifestierte: 123 Klaus STEINIGER, geboren 1932 in Berlin, war Staatsanwalt, Bürgermeister, Fernsehjournalist und im Außenministerium der DDR tätig, von 1967 bis 1991 war er Redakteur und Auslandskorrespondent beim Neuen Deutschland. Seit 1998 ist er Chefredakteur der Zeitschrift RotFuchs. 230 Linksextremismus "Durch die Verfolgung und Einkerkerung Tausender und Abertausender Kommunisten im zwölften Jahr nach dem Sieg der Alliierten über Hitlers Schreckensregiment outete sich die BRD als ein in brauner Wolle gefärbter Staat des deutschen Imperialismus." (RotFuchs, Nr. 166, November 2011, Seite 1) 4.11 Rote Hilfe e. V. (RH) Bundesgeschäftsstelle: Göttingen Mitglieder 2010 2011 Bund: 5.400 5.600 Niedersachsen: 600 600 Publikation: Die Rote Hilfe (vierteljährlich, Auflage 5.000) Der Ursprung der RH geht auf die in der Weimarer Republik gegründete und von der KPD dominierte Rote Hilfe Deutschland (RHD) zurück, der bis zu einer Million Mitglieder angehörten. Nach der Zerschlagung der Organisation durch die Nationalsozialisten wurde die RHD von der linksextremistischen Kommunistischen Partei Deutschlands/Marxisten-Leninisten 1975 wieder gegründet. 4.11.1 Struktur Die RH ist seit 1986 ein eingetragener Verein und verfügt über einen Bundesvorstand, selbstständige Ortsgruppen sowie Kontaktstellen. In Niedersachsen existieren Ortsgruppen in Braunschweig, Göttingen, Hannover und Osnabrück. In Hameln gibt es eine Kontaktstelle. In Göttingen sind der Bundesvorstand einschließlich der Bundesgeschäftsstelle und die Redaktion der bundesweit erscheinenden Vereinszeitschrift Die Rote Hilfe ansässig. 4.11.2 Aufgaben Ihre Hauptaufgabe sieht die RH im Kampf gegen "staatliche Repression", indem sie Rechtshilfe gewährt, Szeneangehörigen Anwälte vermittelt und Beihilfe zu Prozesskosten und Linksextremismus 231 Geldstrafen leistet. Die dadurch entstehenden Kosten werden durch Einnahmen gedeckt, die überwiegend aus Mitgliedsbeiträgen und Spendengeldern erzielt werden. Darüber hinaus betreut die RH die so genannten politischen Gefangenen im Falle ihrer Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe, um so den Zusammenhalt der Häftlinge mit der linksextremistischen Szene zu bewahren. Gesetzliche Strafandrohungen sollen im Vertrauen auf eine leistungsfähige Solidaritätsorganisation ihren abschreckenden Charakter verlieren. Die RH versteht sich nicht als karitative Rechtsschutzversicherung, sondern als "Selbsthilfeorganisation für die gesamte Linke". Neben ihren Unterstützungsleistungen stellt die RH so genannte Ermittlungsausschüsse zu besonderen Veranstaltungen bereit. Die Aufgabe der Ermittlungsausschüsse besteht darin, sich um Festgenommene zu kümmern und Rechtsanwälte zu vermitteln. 4.11.3 Bundesweite Aktivitäten Nach dem Betätigungsverbot für die PKK gründeten die RH und die Föderation der Kurdischen Vereine in Deutschland 1996 gemeinsam den Rechtshilfefonds AZADI. Er unterstützt als eingetragener Verein nach den gleichen Prinzipien wie die RH bei Ermittlungsverfahren, vor Gericht und im Gefängnis Kurdinnen und Kurden, die in Deutschland im Zuge ihrer politischen Betätigung von Strafverfolgung bedroht sind. Publikationsorgan der RH ist weiterhin die vierteljährlich erscheinende Zeitung Die Rote Hilfe. Sie berichtet über den Stand von Strafverfahren und schildert Fälle, in denen Beschuldigte bei Strafverfahren von der RH unterstützt wurden. 4.11.4 Niedersächsische Aktivitäten Der alljährlich stattfindende Tag der politischen Gefangenen am 18. März bildete in Niedersachsen einen Schwerpunkt der öffentlichkeitswirksamen Aktivitäten der RH. Mit zahlreichen Veranstaltungen u. a. in Göttingen und Hannover, wie z. B. Filmvorführungen und Vorträgen, versuchte die RH, auf die Situation von "politischen" Gefangenen aufmerksam zu machen. Einen weiteren Schwerpunkt in der Arbeit der RH bildeten die Veranstaltungen zur Thematik "staatliche Repression", insbesondere zum neuen niedersächsischen Versammlungsgesetz, das am 1. Februar in Kraft getreten ist. 232 Linksextremismus 4.12 Freie Arbeiterinnenund ArbeiterUnion/Internationale ArbeiterInnen Assoziation (FAU/IAA) Die 1977 gegründete FAU/IAA versteht sich als eine nach basisdemokratischen Prinzipien aufgebaute Gewerkschaft, die sich im "weltweiten Kampf der Anarchosyndikalisten"124 der Internationalen ArbeiterInnen Assoziation mit Sitz in Spanien angeschlossen hat. Ihr unmittelbares Ziel ist der Aufbau revolutionärer Gewerkschaften und militanter Betriebsgruppen. Dazu agiert sie in Form so genannter direkter Aktionen, wie z. B. Fabrikbesetzungen, Streiks und Sabotageaktionen. 4.12.1 Struktur Gegenwärtig existieren bei ca. 350 Mitgliedern bundesweit 39 Ortsund so genannte Branchengruppen, die sich einmal jährlich zu einem Kongress treffen, um Fragen der Gesamtorganisation zu diskutieren. Wichtige Entscheidungen treffen die Mitglieder durch Urabstimmungen. Da die FAU/IAA hierarchische Strukturen ablehnt, hat sie keine hauptamtlichen Funktionäre. In Niedersachsen bestehen Ortsgruppen (Lokalföderationen) in Braunschweig und Hannover. Ihre anarchistische Ausrichtung einer "herrschaftsfreien Gesellschaft" veranschaulicht die FAU/IAA in ihrer Prinzipienerklärung: "Unser Ziel ist die Herrschaftslosigkeit - das Recht und die Möglichkeit des einzelnen Menschen, seine Fähigkeiten zu entfalten; und die gemeinschaftliche Selbstverwaltung aller Menschen, ohne FührerInnen und ohne Zwang." (veröffentlicht auf ihrer Internetseite, Ausdruck vom 30. November) Zentralorgan der FAU ist die in Hannover herausgegebene Zeitung Direkte Aktion (DA), die zweimonatlich bundesweit in einer Auflagenhöhe von etwa 3.000 Exemplaren erscheint. 4.12.2 FAU in Niedersachsen Die FAU Hannover gliedert sich in zwei Syndikate (Gewerkschaften): 124 Unter Anarchosyndikalismus versteht man eine gewerkschaftliche Organisierung, die auf anarchistischen Prinzipien beruht. Ziel ist es, das bestehende Staatssystem revolutionär zu überwinden und durch ein klassenund staatenloses System zu ersetzen. Linksextremismus 233 - Allgemeines Syndikat (ASy) - Gewerkschaft Gesundheitsberufe (GGB), mit einem eigenen Branchenkontakt für die Tiermedizinische Hochschule Die FAU Hannover beteiligte sich im Verbund mit anderen linksextremistischen Gruppierungen auch an Kundgebungen zum Antifaschismus und an den Protesten gegen den CastorTransport. Die FAU Braunschweig beteiligte sich an den Protesten gegen den von Rechtsextremisten veranstalteten "Tag der Deutschen Zukunft" am 4. Juni in Braunschweig125. 125 Siehe auch Kapitel 3.9.6. 234 Scientology-Organisation 5. SCIENTOLOGY-ORGANISATION (SO) Sitz: Los Angeles, Kalifornien/USA Präsident: David MISCAVIGE (Leiter der obersten Scientology Verwaltung/"RTC") Mitglieder: 2010 2011 Bund: 4.500 - 5.000 4.000 - 5.000 Niedersachsen: ca. 400 ca. 400 Publikationen: "Freiheit", "Impact", "The Auditor", "Dianetik Post", "Free Mind", "International Scientology News", "Advance" u. a. Teilorganisationen: In Deutschland zehn "Kirchen" ("Orgs"126), darunter zwei "Celebrity Centres"127, und dreizehn "Missionen"128, u. a. in Berlin, Düsseldorf, Frankfurt, Hamburg, Hannover, München, Stuttgart. 5.1 Geschichte der SO Der amerikanische Buch-Autor Lafayette Ron HUBBARD (1911-1986) veröffentlichte 1950 sein Buch mit dem Titel "Dianetik - Die moderne Wissenschaft der geistigen Gesundheit" und legte damit den Grundstein der ScientologyOrganisation (SO). Er entwickelte eine Selbsthilfemethode, die "ungenutztes geistiges Potential" freisetzen und "wahre Fähigkeiten" verwirklichen sollte. Zur Umsetzung gründete er zunächst in den USA "Dianetik-Zentren", um einen neuen Menschen mit scientologischer Prägung zu schaffen. Bereits 1954 gründete HUBBARD die erste offizielle "Scientology-Kirche" in Los Angeles. Er hoffte, damit seine Organisation gegen staatliche Eingriffe abzusichern. Nach HUBBARDs Ansicht war die Gesellschaft in ihrer modernen Erscheinungsform zum Untergang verurteilt. Sein Ziel war es, die Alleinherrschaft in einer neuen, ausschließlich 126 Interne SO-Abkürzung für Organisation. 127 SO-Betreuungsstelle für Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens - Schauspieler, Musiker etc. 128 Eine von der SO in ihrer Größe nicht näher definierte Anlaufstelle. Scientology-Organisation 235 nach scientologischen Richtlinien funktionierenden Welt zu erlangen. Die "Scientology-Kirche" scheint sich - aus rein taktischen Gründen, nicht aus innerer Überzeugung - nur dort als Religion darzustellen, wo sie sich finanzielle, insbesondere steuerliche Vorteile davon verspricht. Im arabischen Kulturraum, wo sich die SO keine Vorteile von der Darstellung als Religion erhoffen kann, werden dagegen Hinweise auf ein "religiöses" Selbstverständnis strikt vermieden. 5.2 Zielsetzung und verfassungsfeindliche Bestrebungen Die Expansionsbestrebungen der SO in Deutschland werden Expansionsuneingeschränkt fortgeführt und sind innerhalb der Organibestrebungen sation ein zentrales Thema. Sie strebt als Fernziel eine von ihr beherrschte Gesellschaftsordnung an, in der wesentliche Grundund Menschenrechte außer Kraft gesetzt oder eingeschränkt werden sollen. Die Innenministerkonferenz hatte bereits am 06.06.1997 die Entscheidung zur Beobachtung der SO durch die Verfassungsschutzbehörden getroffen, da bei der SO tatsächliche Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen vorlägen. Dies stellte auch das Verwaltungsgericht (VG) Köln in Beobachtung der einem Urteil vom 11.11.2004 (Az.: 20 K 1882/03) fest, mit dem SO rechtmäßig es eine Klage der Organisation gegen die Beobachtung durch das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) abgewiesen hatte. Nach Ansicht des Gerichts liegen tatsächliche Anhaltspunkte dafür vor, dass die SO Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung verfolgt. Die SO hat Anfang 2005 gegen diese Entscheidung Berufung beim Oberverwaltungsgericht (OVG) Nordrhein-Westfalen eingelegt. Mit dem Urteil vom 12.02.2008 (Az.: 5 A 130/05) hat der 5. Senat des OVG Nordrhein-Westfalen die Rechtmäßigkeit der Beobachtung der SO durch das BfV auch mit nachrichtendienstlichen Mitteln bestätigt. In der mündlichen Urteilsbegründung führte der Vorsitzende des 5. Senats aus, es lägen tatsächliche Anhaltspunkte dafür vor, dass die SO bzw. ihre Mitglieder nach wie vor Bestrebungen verfolgten, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet seien. Aus den scientologischen Schriften sowie den Aktivitäten der SO ergäben sich zahlreiche Hinweise, dass die SO eine Gesellschaftsordnung anstrebe, in der zentrale Verfassungswerte wie die Menschenwürde und das Recht auf Gleichbehandlung außer Kraft gesetzt oder eingeschränkt werden sollten. Insbe- 236 Scientology-Organisation sondere bestehe der Verdacht, dass in einer scientologischen Gesellschaft nur Scientologen die staatsbürgerlichen Rechte zustehen sollten. Ideologie der SO Die Ideologie der SO stützt sich bis heute ausschließlich auf die Schriften von HUBBARD. Seine programmatischen Äußerungen werden in den so genannten policy letters (Richtlinienbriefen) den Mitgliedern und Mitarbeitern als verbindliche Orientierung vorgegeben. Totalitäres HerrScientology sieht sich selbst als eine "Erlösungsreligion". schaftssystem Ihr Anliegen ist "die Errettung aller Menschen auf dem einzig wahren Weg zur persönlichen Unsterblichkeit". Das Ziel ist ein allein an scientologischen Wertvorstellungen orientiertes totalitäres Herrschaftssystem. Es soll durch Expansion in alle staatlichen und gesellschaftlichen Bereiche erreicht werden. Das Mittel dazu ist die Technologie129 der SO, deren Kernstück das so genannte Auditing ist, eine Methode zur Bewusstseinsund Verhaltenskontrolle. "Wahre Demokratie" Bereits in seinem Buch "Dianetik" hatte HUBBARD eine politische Relevanz seiner Lehre und Technik propagiert. Mit der Entwicklung seiner totalitären "Admintech" (Technologie) in elf Bänden hat HUBBARD ein Instrumentarium geschaffen, um Gruppen gefügig zu machen. Die neue scientologische "wahre Demokratie" soll die derzeitigen Demokratien ersetzen, die von Scientologen als Produkte einer "aberrierten", d. h. von der Vernunft abweichenden, als geisteskrank bezeichneten Gesellschaft angesehen werden. Alle gesellschaftlichen Probleme sollen dadurch gelöst werden, dass zunächst die politischen Meinungsführer und dann die Bevölkerung "geklärt" werden, so dass die Gesellschaft schließlich nur noch aus den so genannten Nichtaberrierten, den "Clears", besteht. Diese Technologie soll zur Organisation aller gesellschaftlichen Gruppen und Regierungen weltweit Verwendung finden. Die auf den Schriften ihres Gründers HUBBARD beruhende Ideologie besitzt innerhalb der Organisation unveränderliche Gültigkeit. Die Schriften und Aktivitäten der SO enthalten tatsächliche Anhaltspunkte, dass die SO die bestehende demokratische und rechtstaatliche Ordnung durch die Etablierung einer Gesellschaft mit scientologisch bestimmten Normen ersetzen und lenkenden Einfluss auf Regierungen ausüben will. Zentrale Bedeutung haben seine "Richtlinienbriefe" (Hubbard Communication Office Policy Letter = HCOPL), deren Vorgaben und Aussagen für scientologische Ziele nach wie vor neu aufgelegt und vertrieben werden. 129 Mit Hilfe der das System Scientology tragenden Techniklehre soll ein Mensch wissenschaftlich nachvollziehbar die "Handhabung des Lebens" lernen können. Diese Technik geht davon aus, dass jeder Mensch wie eine Maschine zu bedienen ist. Der durch die scientologischen Verfahren zu erzeugende neue Mensch, der Scientologe, ist nach HUBBARD ein "Produkt", das durch spezielle Übungen vom noch unvollkommenen bis zum vollkommenen Produkt gebracht werden muss. Scientology-Organisation 237 5.3 Organisation Die SO ist eine weltweit aktive, streng hierarchisch struktuHierarchische rierte Organisation mit einer Vielzahl von Unterund NebenStruktur organisationen, die der Durchsetzung der SO-Technologie, der Aufrechterhaltung von Machtstrukturen innerhalb der Organisation sowie der Geldbeschaffung dienen. Unter der Leitung von David MISCAVIGE wird die Gesamtorganisation zusammen mit der obersten Zentrale, der "Church of Scientology International" (CSI), über ein jeweiliges "Kontinentales Verbindungsbüro" (Continental Liaison Office) gesteuert. Das Büro für Europa ist in Kopenhagen. Von dort aus werden die nationalen Niederlassungen kontrolliert. Aufgabe des internationalen Managements ist es u. a., für jeden Sektor der SO Strategien und taktische Pläne zu entwickeln. Die wichtigsten Organisationseinheiten der SO130 131 130 "Office of Special Affairs" (OSA): Stelle für Rechtsangelegenheiten und Public Relations sowie organisationseigener Geheimdienst. 131 "World Institute of Scientology Enterprises" (WISE): Einrichtung, die die scientologische Technologie in die Geschäftswelt hineintragen und Wirtschaftsunternehmen kontrollieren soll. 238 Scientology-Organisation Weitere erwähnenswerte Organisationseinheiten sind die - "Sea Organization" (Sea Org), eine mit besonderen Kontrollbefugnissen ausgestattete Einrichtung, die in allen Organisationsteilen der SO Schlüsselpositionen besetzt, - "International Association of Scientologist" (IAS), ein weltweiter Verbund von Scientologen, der über Spenden und Beiträge kostspielige Kampagnen der SO finanziert, - Association for better Living and Education" (ABLE), eine Vereinigung verschiedener Gruppierungen, die in der Drogenund Gefangenenrehabilitierung sowie im Bildungsbereich aktiv sind und - "Citizens Commission on Human Rights" (CCHR), in Deutschland bekannt unter dem Namen "Kommission für Verstöße der Psychiatrie gegen Menschrechte" (KVPM). 5.4 Scientology in Deutschland und Niedersachsen ScientologyDie Basis des SO-Organisationsgefüges bilden die Sciento-loZentren gy-Zentren. In Deutschland gibt es zehn "Kirchen" (Orgs), von denen sich zwei als "celebrity-centres" bezeichnen, und 13 "Missionen", denen nach Schätzung der Verfassungsschutzbehörden 4.000 bis 5.000 Mitglieder zuzuordnen sind. Die Einrichtungen der SO sind in Deutschland überwiegend als eingetragene Vereine organisiert. Als Dachverband fungiert die Scientology Kirche Deutschland e. V. mit Sitz in München. Schwerpunkte der scientologischen Aktivitäten und Präsenz in Deutschland sind Baden-Württemberg, Bayern und Hamburg. Neben den offiziellen ScientologyZentren in Deutschland präsentiert sich die Organisation im Internet mit einer umfangreichen Internetseite und ist dort auch mit SO-Tarnorganisationen vertreten. Hierzu zählen u. a. "Jugend für Menschenrechte" sowie "Sag nein zu Drogen - sag ja zum Leben". Mit entsprechenden Videoclips auf YouTube versucht die SO mit gesellschaftlich anerkannten Themen, wie der Verbreitung und Durchsetzung moralisch hoher Werte sowie elementarer Rechte, arglose Nutzer anzusprechen. Die SO hat weiterhin die Möglichkeiten der elektronischen Scientology-Organisation 239 Medien für sich entdeckt. Die Phase, in der die Mitglieder ausInternet /Tarnschließlich Flyer und Hefte in Fußgängerzonen verteilten, um organisationen für das System zu werben, gehört der Vergangenheit an. Soziale Netzwerke wie Facebook, Twitter und SchülerVZ dienen jetzt verstärkt als Medium für eine direkte Kontaktanbahnung. Auch hier sind die Zielgruppe in erster Linie Jugendliche, die nicht wie bisher durch zeitund personalintensive Werbemaßnahmen auf der Straße, sondern direkt via Internet am heimischen Computer erreicht werden können. So kann Scientology Jugendliche dort abholen, wo sie viel Zeit am Tag verbringen. Die SO in Niedersachsen ist kein regionaler Schwerpunkt Org Hannover im Gesamtgefüge der Organisation. Die "Org" Hannover firmiert vereinsrechtlich unter der Bezeichnung "Scientology Gemeinde Hannover". Zu den Aktivitäten der niedersächsischen Scientologen geE-Meter hören in erster Linie Infostände in der Innenstadt von Hannover, an denen Werbebroschüren verteilt und der so genannte E-Meter, eine Art Lügendetektor, vorgeführt wird. In anderen Orten Niedersachsens werden die Infostände zumeist organisatorisch durch die "Scientology Kirche Hamburg" durchgeführt. Die "Org" Hannover wird nur von einem begrenzten Personenkreis regelmäßig aufgesucht. Die vor Jahren von der Organisation gefassten Expansionsziele in Deutschland konnten in Niedersachsen nicht realisiert werden. Obwohl die Mitgliederzahlen stagnieren und die Aktivitäten der SO in Niedersachsen rückläufig sind, bleibt die von dieser Organisation ausgehende Gefahr bestehen. In Niedersachsen bietet der Verfassungsschutz den Kommunen Beratung auch im Zusammenhang mit Sondernutzungserlaubnissen für Informationsstände der SO an. 5.5 Hinweistelefon Für Hinweise steht im Niedersächsischen Ministerium für InKontaktnummer neres und Sport, Verfassungsschutzabteilung, weiterhin der 0511/6709-393 Telefonanschluss mit der Nummer 0511/6709-393 zur Verfügung. 240 Spionageabwehr 6. SPIONAGEABWEHR 6.1 Einführung Die Bundesrepublik Deutschland ist aufgrund ihrer geopolitischen Lage, ihrer Rolle in der EU und der NATO sowie als Standort zahlreicher Unternehmen der Spitzentechnologie weiterhin Aufklärungsziel fremder Geheimdienste. Hauptträger dieser Spionageaktivitäten sind derzeit die Russische Föderation, die Volksrepublik China, aber auch der Iran. Darüber hinaus sind Länder des Nahen, Mittleren und Fernen Ostens sowie Nordafrikas zu nennen. Die niedersächsische Spionageabwehr hat den gesetzlichen Auftrag, alle Informationen über sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Aktivitäten zu sammeln und Proliferation132 zu verhindern. Dabei geht es nicht allein um den Schutz der Bürger und die Enttarnung von Agenten, sondern auch um die systematische Aufklärung von Strukturen, Arbeitsmethoden und Zielrichtungen der fremden Dienste. Die Geheimdienste dieser Staaten sind in unterschiedlicher Personalstärke an der jeweiligen amtlichen Vertretung (z. B. Botschaft, Generalkonsulat) in Deutschland präsent und unterhalten dort Stützpunkte. Geheimdienstmitarbeiter können dort als Diplomaten getarnt werden und betreiben entweder selbst Informationsbeschaffung oder leisten Unterstützung bei geheimdienstlichen Operationen ihrer Zentralen. Die Schwerpunkte ihrer Beschaffungsaktivitäten orientieren sich an politischen Vorgaben oder wirtschaftlichen Prioritäten in ihren Heimatstaaten. Ausspähung von Zunehmende Bedeutung gewinnt in diesem ZusammenOppositionellen hang die Ausspähung und Unterwanderung von in Niedurch fremde dersachsen ansässigen Organisationen und Personen, die in Dienste Gegnerschaft zu den Regierungen in ihren Heimatländern stehen. Niedersachsen im Aber nicht nur Regimegegner, staatliche Stellen und Wirt Fadenkreuz schaftsunternehmen, sondern alle niedersächsischen Bürger mit tatsächlichem oder vermutetem Zugang zu entsprechenden Informationen können im Inund Ausland Ziele geheimdienstlicher Aktivitäten werden. Daneben bemühen sich einige Staaten weiterhin intensiv darum, in den Besitz von Technologien und Gütern für atomare, biologische oder chemische Massenvernichtungswaffen mit den erforderlichen Trägersystemen zu gelangen. Auch innovative niedersächsische Firmen gerieten im vergangenen Jahr in den Fokus ausländischer Vermittler, die mit Geheimdiensten zusammenarbeiten. 132 Proliferation ist die Weiterverbreitung von ABC-Waffen und Trägersystemen; siehe auch Kapitel 6.5. Spionageabwehr 241 Um Kontrollmaßnahmen zu umgehen, wurden die illegaProliferation len Methoden weiter verfeinert, z. B. durch Beschaffung von Dual use-Gütern133 oder die Anlieferung über Drittländer. Eine wachsende Bedeutung erlangen internetgebundene Angriffe auf Computersysteme von Forschungseinrichtungen, Wirtschaftsunternehmen und Regierungsstellen. Angesichts der ausgewählten Ziele und der angewandten Methoden erscheint eine geheimdienstliche Steuerung oder zumindest Beteiligung in vielen Fällen als sehr wahrscheinlich. Einen Beitrag für mehr Sicherheit im Cyber-Raum leistet das neu eingerichtete Nationale Cyber-Abwehrzentrum (NCAZ). Durch Wirtschaftsspionage entsteht in Deutschland jährWirtschaftsschutz lich ein Schaden in Milliardenhöhe. Daher war auch 2011 die Sensibilisierung, Information und Aufklärung von niedersächsischen Firmen eine wichtige Aufgabe des Verfassungsschutzes. 6.2 Geheimdienste der Russischen Föderation Die Aufdeckung eines russischen Spionageringes in den USA sowie ein Fall in Estland zeigen, dass die russischen Geheimdienste langfristig planen und weiterhin mit hohem Aufwand weltweit aktiv sind. Auch in Deutschland halten sie an ihren aufwändigen SpiFestnahme eines onageoperationen fest. Dies bestätigt der folgende Fall. Ehepaares wegen Am 18. Oktober ist ein Ehepaar aus Hessen wegen des Verdes Verdachts der dachts der geheimdienstlichen Agententätigkeit für den SWR geheimdienstlichen der Russischen Föderation (RF) von Beamten des BundeskriAgententätigkeit minalamtes festgenommen worden. Bei der Durchsuchung 133 Hierbei handelt es sich um Produkte, die sowohl für zivile als auch für militärische Zwecke verwendbar sind. 242 Spionageabwehr der Wohnung wurde umfangreiches Beweismaterial sichergestellt. Der Ehemann lebt seit 1988 im Bundesgebiet und erwarb zunächst ein Diplom als Maschinenbauingenieur; seine Ehefrau zog 1990 zu. Das Ehepaar hat ein gemeinsames Kind und lebte seit 1990 in verschiedenen Städten im Bundesgebiet. Bei dem Ehepaar handelt es sich nach bisherigen Ermittlungen um ethnische Russen, die nach Ausbildung im Auftrag und als Angehörige des SWR mit neuer Identität über Südamerika und Österreich ins Bundesgebiet geschleust wurden und seit mehr als 20 Jahren im Bundesgebiet tätig waren. Dieser Fall verdeutlicht, dass die russische Staatsführung trotz der guten politischen Beziehungen zur Bundesrepublik Deutschland auf eine Aufklärung Deutschlands mit geheimdienstlichen Mitteln nicht verzichtet. Traditionell gehören hierzu Aufklärungsfelder wie Politik, Wirtschaft, Militär, Wissenschaft und Forschung. Die politische Informationsbeschaffung steht unverändert im Vordergrund. Die geheimdienstlichen Aktivitäten umfassen alle Politikfelder, die aus russischer Sicht eigene politische Interessen beeinflussen können. So besteht unter anderem ein permanentes Interesse an Informationen über die Entwicklung der Europäischen Union und die daraus resultierenden Auswirkungen auf das politische Gesamtgefüge in Europa. Im militärischen Bereich galt das Interesse Veranstaltungen, bei denen die Umgestaltung und Umrüstung der Bundeswehr oder die Schaffung gemeinsamer europäischer Streitkräfte sowie die technischen Anforderungen an die Verteidigungsindustrie thematisiert wurden. Außerdem interessierten sich die Dienste für die militärische Infrastruktur in Deutschland, für wehrtechnische Neuentwicklungen und aktuelle Rüstungsprodukte sowie militärisch nutzbare Zivilschutztechnik. Im wissenschaftlich-technologischen Sektor lag der Schwerpunkt der Aktivitäten auf der Beschaffung von Informationen über Computer-, Telekommunikationsund Sicherheitstechnik sowie von Produkten aus den Bereichen Messtechnik, Luftund Raumfahrt. Auch der seit fast zwei Jahrzehnten währende Tschetschenienkonflikt beschäftigt insbesondere den für das Inland zuständigen FSB, der aber zur Bekämpfung des islamistischen Terrorismus im Kaukasus erfahrungsgemäß auch international agiert, und Oppositionelle in Niedersachsen mit nachrichtendienstlichen Mitteln beobachtet. Die Informationsbeschaffung erfolgt zum einen durch die Auswertung offener Quellen wie das Internet oder anderer Medien und den Besuch von Industriemessen und öffentlichen Spionageabwehr 243 Vortragsveranstaltungen, zum anderen aber auch konspirativ aus den diplomatischen und konsularischen Vertretungen der RF mit ihren Legalresidenturen134. In Niedersachsen gibt es keine Konsulate der RF. Für das Landesgebiet ist die Legalresidentur in Berlin zuständig. Die unter diplomatischer Abdeckung getarnten hauptamtlichen Mitarbeiter der russischen Geheimdienste steuern aus diesen Residenturen heraus ihre Aktivitäten. Vor allem der privilegierte völkerrechtliche Status der offiziellen Auslandsvertretungen bietet den Angehörigen der Geheimdienste ausgezeichnete Rahmenbedingungen für Spionageaktivitäten in Deutschland. Dazu zählen z. B. der Diplomatenstatus als "Türöffner" bei der Aufnahme von Kontakten aller Art sowie die diplomatische Immunität und der damit verbundene Schutz vor Strafverfolgung. Die Bandbreite der entwickelten Aktivitäten reicht von der offenen Informationsgewinnung über die Führung vertraulicher Verbindungen bis hin zur geheimen Agentenführung. 6.2.1 Vorsicht bei Reisen Besonderen Gefahren sind auch Bürger ausgesetzt, die nach Russland reisen. Dazu gehören sowohl Touristen, Geschäftsreisende als auch das Personal von Hilfsorganisationen oder deutschstämmige Aussiedler. Die Daten dieser Personen werden bereits bei Visabeantragung erfasst, so dass jeder Reisende stets damit rechnen muss, von russischen Geheimdiensten überwacht, in geheimdienstliche Sachverhalte verstrickt und als Agent angeworben zu werden. Reisende sollten bei ihren Visumsund Zollformalitäten korrekte Angaben machen, da Unterlassungen von russischen Geheimdiensten erfahrungsgemäß dazu genutzt werden, gegen die Personen den Vorwurf bewusst falscher Angaben zu machen und gegen sie Verwendung finden können. Weiterhin müssen Reisende davon ausgehen, dass russische Geheimdienste ungehinderten Zugriff auf alle Telefonund Internetdaten (Telefonanlagen und Hotspots in Hotels etc.) haben und die Kommunikation überwachen. Zur Intensivierung dieser Überwachung wurden dem FSB im Juli per Gesetz zudem weit reichende exekutive Befugnisse zugestanden. So können Personen, die Vorladungen des FSB nicht nachkommen, bis zu 15 Tagen festgehalten werden. 134 Stützpunkt eines fremden Geheimdienstes in einer offiziellen (z. B. Botschaft, Generalkonsulat) oder halboffiziellen (z. B. Presseagentur, Fluggesellschaft) Vertretung seines Landes im Gastland. 244 Spionageabwehr 6.3 Chinesische Geheimdienste FirmenkooperatiNiedersachsen verfügt über vielfältige Kontakte zur Volksreonen/Hochschulpublik (VR) China. Es gibt eine große Anzahl von Kooperapartnerschaften tionen und Hochschulpartnerschaften zwischen chinesischen und niedersächsischen Firmen und Universitäten, einschließlich eines regen Austausches von Wissenschaftlern und Studenten. Über Kooperationen chinesischer und deutscher Universitäten wurden seit 2006 Konfuzius-Institute135 errichtet. Hierbei handelt es sich um von der chinesischen Regierung betriebene, staatliche Einrichtungen, die insbesondere zum Ziel haben, die chinesische Kultur und Chinesisch als Fremdsprache zu verbreiten. Das hannoversche Konfuzius-Institut im Chinesischen Zentrum Hannover e. V. wurde 2007 gegründet. Es ist das einzige Institut seiner Art in Deutschland, das nicht an eine Universität angegliedert ist. China hat sich zum Ziel gesetzt, seine Volkswirtschaft in ein "Marktwirtschaftssystem sozialistischer Prägung" zu verwandeln. Es geht darum, den Anschluss an die führenden In135 Konfuzius-Institute bzw. Konfuzius-Klassenräume sind vergleichbar mit Einrichtungen wie den Goethe-Instituten oder dem British Council, die sich dem kulturellen Austausch und der Vermittlung von Sprachkenntnissen verpflichtet haben. Bislang wurden weltweit mehr als 300 Konfuzius-Institute in 96 Ländern gegründet. In der Bundesrepublik Deutschland bestehen außer in Hannover noch Institute in Berlin, Düsseldorf, Duisburg (Metropole Ruhr), Erfurt, Frankfurt/M., Freiburg, Hamburg, Heidelberg, Leipzig, München, Nürnberg-Erlangen und Trier. Eine offizielle Anerkennung dieser Kooperationen als Konfuzius-Institut erfolgt durch das Büro für chinesische Sprachausbildung in Peking, einer Art Dachverband aller Konfuzius-Institute weltweit. Spionageabwehr 245 dustrienationen zu erreichen. Westliche Wirtschaftsexperten Transfer von sind übereinstimmend der Auffassung, dass dieses ehrgeiSpitzentechnologie zige Ziel nur mit massivem Transfer von Spitzentechnologie aus den hoch entwickelten Industriestaaten zu erreichen ist. Dazu bedient sich China weltweit seiner Geheimund Sicherheitsdienste und betreibt geheimdienstliche Aufklärung einschließlich des Einsatzes geheimdienstlicher Quellen. Es besteht ein permanentes Interesse an wissenschaftlichen, wirtschaftlichen, technischen und militärischen Informationen. Aber auch die klassischen Aufklärungsbereiche der Spionage stehen im Zielspektrum der chinesischen Dienste. So haben die Dienste die Aufgabe, die chinesische Staatsführung möglichst frühzeitig mit Informationen zu versorgen, die für Entscheidungen in der Außenund Sicherheitspolitik von Bedeutung sind. Eine weitere Aufgabe der chinesischen Geheimdienste ist Falun-Gong die Überwachung und die Beeinflussung der außerhalb Chinas und Uiguren lebenden oder sich vorübergehend aufhaltenden Landsleute. Hierzu zählen insbesondere diejenigen Personen, die dem politischen System ihres Heimatlandes kritisch gegenüberstehen ("Fünf Gifte")136 und in der Regel in zahlreichen Vereinen organisiert sind. Namentlich handelt es sich hauptsächlich um die in China seit 1999 verbotene buddhistisch-taoistische Falun-Gong-Bewegung sowie um die nach "Selbstbestimmung" strebenden islamischen Uiguren137, deren Heimat die ölreiche autonome Region Xinjiang im Nordwesten Chinas ist. Während die chinesischen Geheimdienste beim Sammeln von Erkenntnissen in den Bereichen Politik, Militär und Wirtschaft äußerst vorsichtig vorgehen, verhalten sie sich bei der Aufklärung und Bekämpfung der als "Fünf Gifte" bezeichneten Oppositionsbewegung deutlich aggressiver. Ihre Aktivitäten gegen die "Fünf Gifte" in der Bundesrepublik Deutschland führten nach umfangreichen Vorermittlungen der Niedersächsischen Verfassungsschutzbehörde am 17. Januar zu einer Anklageerhebung durch die Bundesanwaltschaft vor dem Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts (OLG) Celle wegen des Verdachts der geheimdienstlichen Agententätigkeit (SS 99 Abs. 1 Nr. 1 StGB). In diesem Verfahren verurteilte das OLG Celle am 8. Juni einen im Raum Hameln 136 Aus Sicht der Kommunistischen Partei Chinas fallen hierunter die Anhänger der Demokratiebewegung, die Befürworter einer Eigenstaatlichkeit Taiwans, die nach Erlangung tatsächlicher Autonomie strebenden und deshalb des Separatismus verdächtigten Angehörigen der tibetischen und uigurischen Minderheiten sowie die Mitglieder der Meditationsbewegung Falun Gong. Sie alle werden als "größte Gefahr" für den Bestand des politischen Systems der VR Chinas angesehen und als "Fünf Gifte" bezeichnet. Die zu den "Fünf Giften" zählenden Vereinigungen und Einzelpersonen werden in China unterdrückt und im Ausland sowohl mit diplomatischen als auch mit geheimdienstlichen Mitteln aufgeklärt und bekämpft. 137 Die Aktivitäten der Uiguren werden von China pauschal als terroristisch eingestuft. 246 Spionageabwehr lebenden deutschen Staatsangehörigen chinesischer Herkunft wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit zu einer Bewährungsstrafe. Außerdem hat das Gericht die Auflage erteilt, einen fünfstelligen Geldbetrag an eine gemeinnützige Organisation zu zahlen. Der Angeklagte wurde für schuldig befunden, in der Zeit von März 2006 bis April 2010 im Auftrag des chinesischen Nachrichtendienstes insbesondere die deutsche Sektion der regimekritischen Meditationsbewegung Falun Gong ausgespäht zu haben. In München standen vier gebürtige Chinesen, von denen zwei die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, im Verdacht, die dortige uigurische Exilgemeinde nachrichtendienstlich ausgeforscht zu haben. In den Verfahren vor dem Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts München wurden drei der Beschuldigten ebenfalls wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit verurteilt, ein Ermittlungsverfahren wurde aus Mangel an Beweisen eingestellt. Vorgehensweise Die methodische Arbeitsweise der chinesischen Geheimchinesischer dienste besteht bevorzugt in der offenen Abschöpfung von Geheimdienste Kontaktpersonen in nahezu allen gesellschaftlichen Bereichen. Genutzt werden vorrangig eigene sprachlich ausgebildete Landsleute. Sie unterhalten im Rahmen ihrer offiziellen Tätigkeit vielfältige Kontakte zu niedersächsischen Institutionen oder besuchen Veranstaltungen zu den sie interessierenden Themen, um mit den dort vertretenen Zielgruppen Kontakte zu knüpfen. Hierbei wird eine Politik des "langen Atems" mit einer "Offensive des Lächelns" verbunden, indem die Beziehungen zu geheimdienstlich interessanten Personen regelrecht kultiviert werden. Wiederholte Einladungen zum Essen, gemeinsamer Besuch kultureller Veranstaltungen, Empfänge in der Botschaft bis hin zu Einladungen nach China inklusive der Kostenübernahme vermitteln das Bemühen, eine "Freundschaftsbeziehung" aufzubauen. Hierbei handelt es sich um eine Arbeitsweise, die insbesondere im Rahmen von Geschäftsbeziehungen angewandt wird. Wahre Absichten Dabei lassen die verdeckt arbeitenden Geheimdienstangenicht sofort hörigen ihre wahren Absichten nicht erkennen. erkennbar Eine weitere Informationsabschöpfung erfolgt durch in Niedersachsen ständig oder vorübergehend lebende Chinesen138, die als hoch qualifizierte Mitarbeiter bei bedeutenden Firmen, in wissenschaftlichen Instituten oder als postgra138 Am 31.12.2010 waren in Niedersachsen 5.341 chinesische Staatsangehörige erfasst (Quelle: Landesbetrieb für Statistik und Kommunikationstechnologie Niedersachsen). Deutsche Staatsangehörige chinesischer Herkunft sind in diesen Zahlen nicht enthalten. Spionageabwehr 247 duierte Studenten tätig sind. Diese Personen werden von 139 den diplomatischen Vertretungen oder anderen staatlichen Stellen Chinas unter Hinweis auf das nationale Bewusstsein und den "Dienst am Vaterland" angehalten, die erworbenen Kenntnisse der Entwicklung Chinas zur Verfügung zu stellen. Elektronische Angriffe mit mutmaßlich chinesischem Ursprung gegen Regierungsstellen und Wirtschaftsunternehmen gab es auch im Jahre 2011. Die mittels E-Mail durchgeführten Angriffe verwenden überwiegend eine angehängte Schadsoftware (so genannte Trojaner), mit der Rechner infiziert werden, um sie ausspionieren, verändern und auch sabotieren zu können. Wichtigster Träger der geheimdienstlichen Aufklärung ist mit mehr als 800.000 Mitarbeitern der zivile Inlandsund Auslandsdienst; in China ist der Dienst für die Spionageabwehr zuständig und überwacht im Land lebende sowie einreisende Ausländer. Bei den Visumsund Zollformalitäten ist ähnliche AchtsamÜberwachung von keit wie bei Reisen in die Russische Föderation angebracht. Es China-Reisenden ist davon auszugehen, dass auch niedersächsische Besucher, vorrangig Entscheidungsträger aus Wirtschaft und Wissenschaft, in China einer umfassenden Überwachung unterliegen und in Hotels und Konferenzräumen abgehört werden. Der wachsende Informationsfluss aus dem Ausland wird in China ebenfalls überwacht. Die meisten ausländischen Online-Anbieter akzeptieren die staatliche Zensur. Lediglich in Einzelfällen sehen die chinesischen Nutzer (nur) die Überschriften aller Suchergebnisse. Die unliebsamen Inhalte (wie Informationen über Tibet oder das Blutvergießen auf dem Platz des Himmlischen Friedens) jedoch sind weiterhin durch die "Große Firewall" blockiert. 6.4 Geheimdienste der Islamischen Republik Iran Die Geheimdienste der Islamischen Republik Iran sind eine Zielbereiche und wichtige Stütze für das dortige Regime. Hauptträger der geAufklärungsheimdienstlichen Aktivitäten sind der zivile Inund Auslandsschwerpunkte geheimdienst, das Ministerium für Nachrichten und Sicherheit (Ministry of Information and Security - MOIS, in Farsi: Vezarat e Ettela'at Va Amniat e Keshvar - VEVAK) und der Geheimdienst der iranischen Revolutionsgarden (Revolutionary Guards Intelligence Department - RGID). 139 Als "Postgraduierte" bezeichnet man diejenigen Studenten, die bereits über einen Hochschulabschluss verfügen und in einem Aufbaustudium mit Ziel Master oder der Promotion an einer Universität eingeschrieben sind. 248 Spionageabwehr Schwerpunktaufgabe des iranischen Geheimdienstapparates ist die intensive Beobachtung und Bekämpfung oppositioneller Gruppierungen im Inund Ausland. Die Geheimdienste beschaffen darüber hinaus im westlichen Ausland auch Informationen aus den Bereichen Politik, Wirtschaft und Wissenschaft. Die gegen Deutschland gerichteten geheimdienstlichen Aktivitäten des Iran gehen vorrangig vom MOIS aus. Aufklärungschwerpunkte im Rahmen der Ausspähung der Exilopposition sind die Volksmodjahedin Iran-Organisation (MEK) und ihr politischer Arm, der Nationale Widerstandsrat Iran (NWRI). Weitere Aufklärungsziele sind die deutsche Außenund Sicherheitspolitik, aber auch die Wirtschaft, was sich insbesondere im iranischen Interesse an proliferationsrelevanten Gütern widerspiegelt. Methodik Das MOIS unterhält an der iranischen Botschaft in Berlin eine Legalresidentur, die auch mit der Beobachtung von in Deutschland lebenden Oppositionellen beauftragt ist. Daneben leistet sie logistische Unterstützung für geheimdienstliche Operationen der MOIS-Zentrale in Teheran. Auch hier lebende Iraner werden zur Informationsbeschaffung und logistischen Unterstützung genutzt. 6.5 Proliferation Großes Interesse besteht an der Beschaffung von Informationen aus niedersächsischen Hochtechnologieunternehmen. Proliferation erfolgt Wesentliches Merkmal der Proliferation - also der Weiterdurch Staaten und verbreitung von ABC-Waffen und Trägersystemen - ist, dass nicht durch Einzelsie nicht von einer einzelnen kriminellen Person oder Gruppe personen betrieben wird, sondern von so genannten Risikostaaten wie Iran, Nordkorea, Pakistan und Syrien unter Einbeziehung ihrer Geheimdienste. Erwerb von Da einsatzfähige ABC-Waffenund Trägersysteme nicht Dual-use-Gütern komplett auf dem Weltmarkt zu beschaffen sind, richtet sich und Know-how das Streben der genannten Länder auf den Erwerb von Produkten, die den Fortbestand und die Weiterentwicklung der bereits vorhandenen Waffenbestände sichern und es ermöglichen, neue Waffensysteme zu entwickeln. Im Mittelpunkt des Interesses stehen dabei solche Ausfuhrprodukte, die als so genannte Dual use-Güter sowohl im zivilen als auch im militärischen Bereich Anwendung finden können. Die Bundesrepublik Deutschland versucht, den proliferationsrelevanten Beschaffungsbemühungen durch eine restriktive Exportkontrolle entgegen zu wirken. Trotzdem gibt es für Spionageabwehr 249 die deutschen Sicherheitsbehörden bei der Proliferationsbekämpfung erhebliche Schwierigkeiten. Durch den Einsatz von Tarnfirmen/-organisationen sowie Bekämpfungsprodurch falsche Angaben über die Ware selbst, ihren tatsächblem durch Nutzung lichen Bestimmungsort und -zweck ist es oftmals sehr schwievon Tarnfirmen rig, geheimdienstlich gesteuerte Beschaffungsaktivitäten zu erkennen. Ziel der proliferationsrelevanten Beschaffungsbemühungen ist zudem der Erwerb von Wissen, um betriebene Programme zur eigenen Herstellung von Massenvernichtungswaffen nutzen zu können. Daraus entsteht das Problem, dass der Missbrauch von WisProblem sen, das von Gastwissenschaftlern im Rahmen einer grundGastwissenschaftler sätzlich gewünschten wissenschaftlichen Zusammenarbeit gewonnen wird, nur sehr schwer zu erkennen und nicht vollständig zu verhindern ist. Der Niedersächsische Verfassungsschutz hat in den letzten Prävention durch Jahren in ca. 130 niedersächsischen Firmen und wissenschaftSensibilisierung lichen Forschungseinrichtungen Ermittlungen sowie Sensibilisierungsgespräche geführt und somit erheblich zur Proliferationsbekämpfung beigetragen. 6.6 Hilfe für Betroffene Personen, die Opfer eines Anwerbungsversuchs fremder GeKontaktnummer heimdienste geworden sind, wird deshalb geraten, sich ver0511/6709-0 trauensvoll an das Niedersächsische Ministerium für Inneres und Sport, Verfassungsschutzabteilung, Postfach 44 20, 30044 Hannover, Tel. 0511/6709-0, zu wenden. 250 Geheimund Wirtschaftsschutz 7. GEHEIMUND WIRTSCHAFTSSCHUTZ 7.1 Geheimschutz Durch die vermehrten digitalen Angriffe (siehe Kapitel 6.1 Einführung Spionageabwehr) sind auch formal als geheimhaltungsbedürftig eingestufte Informationen in Behördennetzen gefährdet. Gerade die Veröffentlichungen von u. a. geheimen Informationen durch die Organisation WikiLeaks zeigen, wie wichtig ein hohes Niveau in der Datensicherheit durch Zugangsbegrenzung und Überprüfung der Berechtigten ist. Verschlusssache Informationen und Vorgänge, deren Bekanntwerden den Bestand oder lebenswichtige Interessen, die Sicherheit oder die Interessen des Bundes oder eines Landes gefährden können, müssen geheim gehalten und als Verschlusssache (VS) vor unbefugter Kenntnisnahme geschützt werden. Je nach Schutzbedürftigkeit erfolgt eine Einstufung der VS in unterschiedliche Geheimhaltungsgrade (VS-NUR FÜR DEN DIENSTGEBRAUCH, VS-VERTRAULICH, GEHEIM oder STRENG GEHEIM), wobei der Schutz durch vorbeugende und wirkungsvolle Maßnahmen des personellen und materiellen Geheimschutzes erzielt wird. personeller GeheimVS ab dem Geheimhaltungsgrad VS-VERTRAULICH dürfen und Sabotageschutz nur Personen zugänglich sein, die sich einer Sicherheitsüberprüfung unterzogen haben. Dieses zentrale Element des personellen Geheimschutzes ist in Niedersachsen im Niedersächsischen Sicherheitsüberprüfungsgesetz (Nds. SÜG) geregelt. Die in diesem Gesetz vorgeschriebenen Überprüfungsverfahren stellen sicher, dass nur Personen, deren Zuverlässigkeit festgestellt worden ist, eine sicherheitsempfindliche Tätigkeit ausüben. Dazu gehören auch Tätigkeiten an sicherheitsempfindlichen Stellen innerhalb von lebensoder verteidigungswichtigen Einrichtungen (Sabotageschutz, z. B. Rechenzentren des Landes, polizeiliche und kooperative Leitstellen). Zuständig für die Einleitung einer Sicherheitsüberprüfung ist die jeweilige Beschäftigungsdienststelle; die Verfassungsschutzbehörde wirkt bei der Durchführung der Überprüfung mit. SicherheitsüberprüBei den Sicherheitsüberprüfungen, die die niedersächfung ist Mitwirsische Verfassungsschutzbehörde sowohl für die eigenen Gekungsaufgabe heimnisträger als auch für alle in Behörden und sonstigen Institutionen im Geheimschutzverfahren befindlichen Personen des personellen vorbeugenden Geheimund Sabotageschutzes durchführt, handelt es sich um eine weitere Mitwirkungsaufgabe i. S. v. SS 3 Abs. 3 Nr. 1 u. 2 NVerfSchG.140 Der Überprüfung der Zuverlässigkeit des in den vorgenann140 Zu weiteren Mitwirkungsaufgaben siehe auch Kapitel 1.11. Geheimund Wirtschaftsschutz 251 ten Bereichen eingesetzten Personals kommt durch die anhaltenden Bemühungen fremder Geheimdienste, aber auch durch die steigende Verbreitung personenbezogener Daten verbunden mit persönlicher Sorglosigkeit eine steigende Bedeutung zu. Die aktuellen Ereignisse um Veröffentlichungen u. a. geschützter Informationen im Internet zeigt die Brisanz des Themas. Der materielle Geheimschutz umfasst technische und orMaterieller ganisatorische Maßnahmen gegen die unbefugte KenntnisGeheimschutz nahme von VS in schriftlicher oder elektronischer Form. In der Verschlusssachenanweisung (VSA) des Landes sowie ergänzenden Richtlinien ist geregelt, wie als VS eingestuftes Schriftgut sicher bearbeitet, verwahrt und verwaltet wird. Die Verfassungsschutzbehörde wirkt gemäß SS 60 Abs. 1 VSA bei der Durchführung der VSA und der sie ergänzenden Richtlinien mit und berät die Dienststellen des Landes. Beratungsschwerpunkte sind die Einrichtung und der Betrieb von besonders gesicherten Aktensicherungsräumen oder Stahlschränken (VS-Verwahrgelasse), in denen VS unter Beachtung baulicher, mechanischer, elektronischer und organisatorischer Sicherheitsvorkehrungen aufbewahrt werden können. Dabei ist festgestellt worden, dass die Anzahl der verschlusssachenverwaltenden Dienststellen weiterhin rückläufig ist, da das Aufkommen an VS zunehmend geringer wird und Altbestände konsequent vernichtet werden. Einen weiteren Beratungsschwerpunkt bildet der personelle Geheimschutz. Neben individuellen Beratungsgesprächen mit Geheimschutzbeauftragten oder VS-Verwaltern an deren Arbeitsplätzen werden Schulungen für Geheimschutzbeauftragte niedersächsischer Behörden durchgeführt, in denen Grundlagen des personellen und materiellen Geheimschutzes vermittelt werden. Geheimschutz findet nicht nur in Behörden statt, sondern auch in Unternehmen, die im Auftrag des Staates mit VS umgehen und demzufolge die Regelungen des personellen und materiellen Geheimschutzes beachten müssen. Geheimschutzbetreute Unternehmen sind z. B. Kernkraftwerke oder Betriebe der Rüstungsindustrie. 7.2 Wirtschaftsschutz 7.2.1 Einleitung Deutschland ist als technologieund exportorientierte Nation Wirtschaftsspionage abhängig von Know-how und Innovation als wertvollste Resund Konkurrenzaussourcen in der Volkswirtschaft. Dieses Wissen und diese Inforspähung mationen stehen jedoch im Visier fremder Nachrichtendienste 252 Geheimund Wirtschaftsschutz (Wirtschaftsspionage) und konkurrierender Unternehmen (Konkurrenzausspähung), die ganz gezielt und professionell Ausspähung betreiben. Ausspähung von inVon Wirtschaftsund Industriespionage betroffen sind novativen und techinnovative und technologieorientierte Branchen, besonders nologieorientierten Bereiche der Informationsund Kommunikationstechnik, der Branchen Luftund Raumfahrt, der Automobilindustrie, der Werkstoffund Produktionstechnik, der Biotechnik und Medizin, der Nanotechnologie sowie Energieund Umwelttechnik. Von Interesse sind Produktinnovationen, Businesspläne und Marktstrategien. Auch niedersächsische Unternehmen verzeichnen mit ihren Spitzentechnologien große Erfolge, z. B. im Bereich der Automobilund Schifffahrtsbranche, der Laserund Sensortechnik, der Windenergieanlagen und Landmaschinen sowie der Hörgeräteakustik und sind damit ebenfalls Ziel fremder Nachrichtendienste und von Konkurrenzfirmen. Eine der größten Bedrohungen stellen "Elektronische Angriffe" auf Computersysteme und mobile Kommunikation deutscher Wirtschaftsunternehmen, Forschungseinrichtungen und Behörden dar. IT-Sicherheit: Die EDV-Netzwerke sind häufig vor unbefugten Zugriffen Für Firmen nach wie nur unzureichend geschützt. Unverschlüsselte Verbindungen vor nachrangig über Telefon, Telefax, Mobiltelefon oder E-Mail sind problemlos abhörbar. Die "Schwachstelle Mensch" ist nicht selten Ursache für einen ungewollten Informationsabfluss. In kleinen und mittelständischen Unternehmen hat die IT-Sicherheit nur einen nachrangigen Stellenwert. Für Sicherheitsbehörden werden Ermittlungen in Schadensfällen dadurch erschwert, dass elektronische Zugriffe durch externe Angreifer in der Regel kaum oder gar keine Spuren hinterlassen. In den letzten Jahren werden gezielte Maßnahmen mit Hilfe von und gegen IT-Infrastrukturen unter dem Schutz der Anonymität im Internet festgestellt. Seit 2005 erfolgen Angriffe auf breiter Basis gegen Bundesbehörden, Wirtschaftsunternehmen und Forschungseinrichtungen. Die abgeflossenen Informationen sind besonders für staatliche Stellen interessant. Daher kann in diesen Fällen eine Spionageabsicht vermutet werden. Die Anzahl solcher nachrichtendienstlichen Angriffe summierte sich bis Ende Dezember 2010 auf ca. 2.000 in einem Jahr. Fehlerbehaftete IT-Produkte, der Ausfall von Informationsinfrastrukturen oder schwerwiegende Angriffe im Cyber-Raum können zu erheblichen Beeinträchtigungen der technischen, wirtschaftlichen und administrativen Leistungsfähigkeit Deutschlands führen. Nationales CyberAus diesem Grund wurde zum 1. April ein Nationales Abwehrzentrum Cyber-Abwehrzentrum (NCAZ) eingerichtet. Es arbeitet unter der Federführung des Bundesamtes für Sicherheit in der Geheimund Wirtschaftsschutz 253 Informationstechnik (BSI). Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), das Bundeskriminalamt (BKA) und zahlreiche weitere Behörden sind direkt beteiligt. Die Verfassungsschutzbehörden der Länder sind dabei Wirtschaftsschutz ist über den Verbund der Spionageabwehr eingebunden. Es finAnsprechpartner det ein Informationsaustausch in beide Richtungen statt. In Niedersachsen ist der Arbeitsbereich Wirtschaftsschutz beim Verfassungsschutz der Ansprechpartner. Darüber hinaus wurde ein Nationaler Cyber-Sicherheitsrat gegründet, der die Aufgaben der IT-Steuerung im Bund und dem IT-Planungsrat auf einer politisch-strategischen Ebene verzahnt. In ihm stimmen sich bei grundlegenden Fragestellungen hochrangige Vertreter aus Bund und Ländern ab. Auch hier ist Niedersachsen vertreten. Ungeachtet dieser Vernetzung der Sicherheitsbehörden Sicherheit von sieht Niedersachsen einen hohen Handlungsbedarf, die SiDatennetzen und cherheit von Datennetzen und IT-Systemen zu erhöhen. HierIT-Systemen zu wurde am 1. November im Niedersächsischen Ministerium erhöhen für Inneres und Sport eine neue Abteilung gegründet, die einen Schwerpunkt im Aufgabenbereich Cybersicherheit, Netzpolitik und Informationssicherheit hat. Hierdurch wurde die strategische Grundlage geschaffen, um die bereits bestehenden Maßnahmen zu erweitern und an die neuen Herausforderungen anzupassen. Mit Wirkung vom 1. August ist die Leitlinie zur Gewährleistung der Informationssicherheit in der niedersächsischen Landesverwaltung in Kraft getreten. Damit wurde ein ressortübergreifendes Informationssicherheitsmanagement eingeführt. Dieses dient der koordinierten Behandlung von Sicherheitsvorfällen, insbesondere im Bereich der Informationstechnik. Es schafft zudem einen Rahmen, um den Umgang mit Informationen und IT durch konkrete Verwaltungsanweisungen zu regulieren. Diese Regulierung soll in den nächsten Jahren vorangetrieben werden. Der Arbeitsbereich Wirtschaftsschutz des niedersäch5.000 Unternehsischen Verfassungsschutzes ist nicht nur in diesem Kontext men kontaktiert ein Partner für die Unternehmen in Niedersachsen, er bietet auch im Bereich der nachrichtendienstlichen Spionageabwehr Beratung. In diesem Zusammenhang ist der Wirtschaftsschutz als Gesprächspartner stark nachgefragt. Im Rahmen seiner bislang 12-jährigen Tätigkeit hat der Wirtschaftsschutz mehr als 5.000 Unternehmen mit sicherheitsrelevanten Informationen erreicht. 254 Geheimund Wirtschaftsschutz 7.2.2 Zahlen und Fakten 633 betreute Im Jahr 2011 wurden 633 Unternehmen betreut. Unternehmen Beratungen 95 bilaterale Die Beratungen von Unternehmen, d. h. individuelle SensibiKontakte lisierungsund Informationsgespräche vor Ort, zählen nach wie vor zum Kerngeschäft des Wirtschaftsschutzes. Insgesamt fanden 95 bilaterale Kontakte mit Firmen statt. Für die Unternehmen ist es in diesem Zusammenhang hilfreich, dass der Verfassungsschutz nicht dem Legalitätsprinzip unterliegt, also Sachverhalte mit strafrechtlichem Hintergrund nicht zwingend der Staatsanwaltschaft bzw. der Polizei gemeldet werden müssen. Dieser Umstand führte zu einer Vielzahl von Hinweisen auf sicherheitsrelevante Firmeneinbrüche mit möglichen Know-how-Diebstählen. Bei anderen signifikanten Vorfällen war die Informationstechnologie von Unternehmen betroffen: - Die von einem Dienstleister im IT-Bereich angemieteten Server eines Rechenzentrums aus Süddeutschland hatten Sicherheitslücken. Über die Bildergalerie verschafften sich die Täter Zugang zu den Rechnern, die Teil eines Botnetzes141 wurden. Es bestand die Gefahr, dass diese Rechner missbräuchlich zum Nachteil der Firma genutzt werden sollten. - Bei einem kommunalen Energieversorger wurde die Telefonanlage gehackt und ein beträchtlicher Schaden durch Auslandstelefonate verursacht. - In einem Hochtechnologieunternehmen war ein VoIPTelefon142 aufgefallen, das offensichtlich für Abhörzwecke manipuliert worden war. In das VoIP-Telefon wurde eine Handyplatine eingebaut, die mit der Stromversorgung und dem Raummikrofon verdrahtet wurde und so mit für eine akustische Raumüberwachung hätte dienen können. Ermittlungen und Auswertungen wiesen als Täter auf einen ehemaligen Mitarbeiter hin. Vorträge 84 Vorträge Die Mitarbeiter des Wirtschaftsschutzes hielten 84 Vorträge bei Tagungsveranstaltungen. Neben Industrieund Handelskammern, Universitäten und kommunalen Wirtschaftsför141 Unter einem Botnetz wird ein Netzwerk aus Computern verstanden, die nach der Infektion mit Schadsoftware zusammengeschlossen werden und, sobald eine Internetverbindung besteht, auf ferngesteuerte Befehle von Cyberkriminellen reagieren können. Je nach Grösse kann ein Botnetz aus einigen Hundert bis zu mehreren Millionen infizierter Rechner bestehen. 142 Ein VoIP-Telefon ist ein speziell für die Nutzung der Voice Over IP - Technik entwickeltes Telefon. Hier wird Telefonie auf Basis des Internetprotokolls über ein Computernetzwerk realisiert. Geheimund Wirtschaftsschutz 255 derungen werden die Vorträge des Wirtschaftsschutzes vermehrt durch Unternehmen im Rahmen des Führungskräftetrainings nachgefragt. Zum Thema Wirtschaftsspionage werden durch den Wirtschaftsschutz auch in zwei Studiengängen Gastreferate gehalten, nämlich an der Hochschule für öffentliche Verwaltung in Bremen (Risikound Sicherheitsmanagement) und an der Frankfurt School of Finance & Management (Certified Fraud Manager). Netzwerk Ein bedeutsamer Aspekt in der Arbeit des Wirtschaftsschutzes Die Polizei ein ist die Netzwerkarbeit. Ein wichtiger Partner hierbei ist die wichtiger Partniedersächsische Polizei, die oft Hinweisgeber für mögliche ner in der NetzWirtschaftsspionagefälle sein kann. Deshalb werden Studiewerkarbeit rende an der Polizeiakademie Niedersachsen, aber auch Polizeidienststellen im Lande zu diesen Themen sensibilisiert. Gemeinsam mit dem Fachkommissariat Wirtschaftskriminalität der Polizeidirektion Hannover wird ein Präventionsprojekt durchgeführt, bei dem in Firmenveranstaltungen zu den Themen Korruption, Wirtschaftsspionage und Internetkriminalität referiert wird. Das Landeskriminalamt Niedersachsen informiert den Wirtschaftsschutz über Einbruchsdiebstähle bei Unternehmen, bei denen Know-how abhanden gekommen und eventuell ein nachrichtendienstlicher Hintergrund gegeben ist. Die Netzwerkarbeit des Wirtschaftsschutzes kommt auch in den nachfolgend beschriebenen Veranstaltungen zum Tragen: 7.2.3 15. Sicherheitstagung für geheimschutzbetreute Unternehmen Im Juni fand in Schneverdingen die Tagung des Niedersächsischen Verfassungsschutzes für Sicherheitsbevollmächtigte der geheimschutzbetreuten Unternehmen in Niedersachsen statt, an der rund 40 Vertreter von Wirtschaftsunternehmen teilnahmen. Schwerpunkte der Veranstaltung bildeten die Themen Is40 Teilnehmer lamismusprävention in Form des niedersächsischen Prävenbei Tagung für tionskonzepts gegen Radikalisierung junger Muslime, die SicherheitsbeGeschäftspraxis in Indien sowie die IT-Sicherheit. Zu Letztevollmächtigte rem demonstrierte ein ehemaliger "Hacker" in einer LiveVorführung die Bedrohungen im Internet und die Gefahren 256 Geheimund Wirtschaftsschutz des Cloud Computing . Thema waren zudem die jüngsten 143 Sicherheitsvorfälle von Unternehmen, mit denen der Arbeitsbereich des Wirtschaftsschutzes befasst war. 7.2.4 10. Wirtschaftsschutztagung des Niedersächsischen Verfassungsschutzes WirtschaftsschutzIm November fand die 10. Wirtschaftsschutztagung in Hantagung mit 100 nover statt. Unter den etwa 100 Teilnehmern waren neben Teilnehmern Vertretern der Wirtschaft auch Studenten der Hochschule für öffentliche Verwaltung Bremen (Institut für Polizei und Sicherheitsforschung) sowie Vertreter anderer Verfassungsschutzbehörden und der Polizei. Im Mittelpunkt der Veranstaltung unter dem Motto "Cybersicherheit für die Wirtschaft - Ihre Daten in fremder Hand" standen Vorträge zur aktuellen Lage der Cybersicherheit in Deutschland und zum Cloud Computing. In einer LiveVorführung wurde dargestellt, wie leicht IT-Netze angegriffen werden können. 7.2.5 Präventionspartnerschaft der niedersächsischen Sicherheitsbehörden mit Unternehmen und Wirtschaftsverbänden gegen islamistische Radikalisierung RadikalisierungsDer Wirtschaftsschutz ist mit der Umsetzung des Projekts einer prozesse im Präventionspartnerschaft von Polizei und Verfassungsschutz Firmenumfeld mit der niedersächsischen Wirtschaft betraut. Die Kooperafrühzeitig tion ist in Form von Beratungen, Vorträgen und Tagungen erkennen institutionalisiert und verfolgt das Ziel, die niedersächsischen Unternehmen über die Gefahren des islamistischen Extremismus und Terrorismus zu informieren, zu sensibilisieren und sie dadurch in die Lage zu versetzen, Radikalisierungsprozesse im eigenen Firmenumfeld frühzeitig zu erkennen. Mittlerweile ist eine steigende Anzahl von Firmenanfragen zu den Gefahren des islamistischen Terrorismus zu erkennen, z. B. von Unternehmen, die als mögliches Ziel von Sabotageakten oder terroristischen Anschläge aufgrund eines wirtschaftlichen Engagements in Krisenregionen gelten können. 143 Cloud Computing ist ein Modell, das es erlaubt, jederzeit und überall über ein Netz auf einen geteilten Pool von konfigurierbaren Rechnerressourcen (z. B. Netze, Server, Speichersysteme, Anwendungen und Dienste) zuzugreifen, die schnell und mit minimalem Managementaufwand oder geringer Serviceprovider-Interaktion zur Verfügung gestellt werden können. Geheimund Wirtschaftsschutz 257 7.2.6 Erreichbarkeit des Fachbereichs Wirtschaftsschutz - Telefon: 0511-6709-247 oder -248 - Fax: 0511-6709-393 - E-Mail: wirtschaftsschutz@verfassungsschutz. niedersachsen.de - Homepage: www.verfassungsschutz.niedersachsen.de 258 Anhang 8. ANHANG 8.1 Definition der Arbeitsbegriffe AusländerExtremistische Ausländerorganisationen verfolgen in Deutschextremismus land Ziele, die häufig durch aktuelle Ereignisse und politische Entwicklungen in ihren Heimatländern bestimmt sind. Entsprechend ihrer politischen Ausrichtung handelt es sich dabei zum Beispiel um linksextremistische Organisationen (z. B. die türkische "Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front (DHKP-C)), soweit sie in ihren Heimatländern ein sozialistisches bzw. kommunistisches Herrschaftssystem anstreben oder um nationalistische Orga-nisationen, die ein überhöhtes Selbstverständnis von der eigenen Nation haben und die Rechte anderer Völker missachten. Daneben gibt es separatistische Organisationen, die eine Loslösung ihres Herkunftsgebietes aus einem bereits bestehenden Staatsgebilde und die Schaffung eines eigenen Staates verfolgen. Die größte von den Verfassungsschutzbehörden beobachtete ausländerextremistische Organisation in Deutschland ist nach wie vor die unter der Bezeichnung PKK bekannte "Arbeiterpartei Kurdistans". Derartige Organisationen unterliegen der Beobachtung durch die Verfassungsschutzbehörden, wenn: - sie sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland richten, indem sie hier z. B. versuchen, eine ihren Grundsätzen entsprechen de Parallelgesellschaft zu errichten, - sie ihre politischen Auseinandersetzungen mit Gewalt auf deutschem Boden austragen und dadurch die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gefährden, - sie vom Bundesgebiet aus Gewaltaktionen in anderen Staaten durchführen oder unterstützen und dadurch auswärtige Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zu diesen Staaten gefährden, - -sich ihre Aktivitäten gegen den Gedanken der Völkerverständigung, insbesondere das friedliche Zusammenleben der Völker, richten. Extremismus Die Verfassungsschutzbehörden unterscheiden zwischen "Extremismus" und "Radikalismus", obwohl beide Begriffe oft synonym gebraucht werden. Bei "Radikalismus" handelt es sich zwar auch um eine überspitzte, zum Extremen neigende Denkund Handlungsweise, die gesellschaftliche Probleme und Konflikte bereits "von der Wurzel (lat. radix) her" anpacken will. Im Unterschied zum "Extremismus" sollen jedoch weder der demokratische Verfassungsstaat noch die damit Anhang 259 verbundenen Grundprinzipien unserer Verfassungsordnung beseitigt werden. So sind z. B. Kapitalismuskritiker, die grundsätzliche Zweifel an der Struktur unserer Wirtschaftsund Gesellschaftsordnung äußern und sie von Grund auf verändern wollen, noch keine Extremisten. Radikale politische Auffassungen haben in unserer pluralistischen Gesellschaftsordnung ihren legitimen Platz. Auch wer seine radikalen Zielvorstellungen realisieren will, muss nicht befürchten, dass er vom Verfassungsschutz beobachtet wird, jedenfalls nicht, so lange er die Grundprinzipien unserer Verfassungsordnung anerkennt. Als extremistisch werden dagegen die Aktivitäten bezeichnet, die darauf abzielen, die Grundwerte der freiheitlichen Demokratie zu beseitigen. Islamismus Der Begriff des Islamismus bezeichnet eine religiös motivierte Form des politischen Extremismus. Islamisten sehen in den Schriften und Geboten des Islam nicht nur Regeln für die Ausübung der Religion, sondern auch Handlungsanweisungen für eine islamistische Staatsund Gesellschaftsordnung. Ein Grundgedanke dieser islamistischen Ideologie ist die Behauptung, alle Staatsgewalt könne ausschließlich von Gott (Allah) ausgehen. Damit richten sich islamistische Bestrebungen gegen die Wertvorstellungen des GG, insbesondere gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung. Islamisten halten die Etablierung einer islamischen Gesellschaftsordnung für unabdingbar. Dieser Ordnung sollen letztlich sowohl Muslime als auch Nicht-Muslime unterworfen werden. Islamistische Organisationen - mit Ausnahme islamistischterroristischer Organisationen - lassen sich grob in zwei Kategorien einteilen: - Organisationen, die in ihren Herkunftsländern die konsequente Umgestaltung der bestehenden Staatsund Gesellschaftsordnungen nach ihrem Verständnis der islamischen Rechtsordnung (Scharia) anstreben. In Deutschland liegt ihr Schwerpunkt auf propagandistischen Aktivitäten sowie der Sammlung von Spendengeldern, um die Mutterorganisationen in den Herkunftsländern zu unterstützen. - Andere islamistische Gruppierungen in Deutschland verfolgen eine umfassendere, auch politisch motivierte Strategie. Auch sie streben eine Änderung der Staatsund Gesellschaftsordnung in ihren Herkunftsländern zugunsten eines islamischen Staatswesens an. Sie bemühen sich jedoch im Rahmen einer legalistischen Strategie, ihren Anhängern in Deutschland größere Freiräume für ein schariakonformes Leben zu schaffen. 260 Anhang LinksextreMit dem Arbeitsbegriff werden die linksextremistischen vermismus fassungsfeindlichen Bestrebungen von deutschen Personenzusammenschlüssen bezeichnet, die sich auf der Grundlage einer marxistisch-leninistischen, revolutionär-marxistischen oder anarchistischen Ideologie in Deutschland gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung und ihre tragenden Grundsätze richten. Für Linksextremisten vielfach kennzeichnend ist ein grundsätzliches Bekenntnis zur "revolutionären Gewalt", obgleich sie tagespolitisch auf "legale" Kampfformen setzen. RechtsextreAls rechtsextremistisch werden von den Verfassungsschutzmismus behörden alle verfassungsfeindlichen oder extremistischen Bestrebungen bezeichnet, die auf der ideologischen Grundlage einer nationalistischen oder rassistischen Weltanschauung in Deutschland von deutschen Personenzusammenschlüssen ausgehen und sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung richten. Rechtsextremistischem Denken liegt vielfach die Vorstellung menschlicher Ungleichwertigkeit (Ideologie der Ungleichheit) zugrunde. Rechtsbzw. Bis 1974 wurden die Begriffe Extremismus sowie "RadikaLinksradikalislismus" bzw. "Rechtsoder Linksradikalismus" von den Vermus fassungsschutzbehörden nebeneinander als Synonyme zur Kennzeichnung verfassungsfeindlicher Bestrebungen verwendet. Der Radikalismusbegriff wird seitdem von den Verfassungsschutzbehörden nicht mehr für verfassungsfeindliche Bestrebungen benutzt, da er in der politischen Tradition der Aufklärung positiv besetzt ist und im Rechtssinne nur der Extremismusbegriff "der Tatsache Rechnung (trägt), dass politische Aktivitäten oder Organisationen nicht schon deshalb verfassungsfeindlich sind, weil sie eine ... 'radikale', das heißt eine bis an die Wurzel einer Fragestellung gehende Zielsetzung haben. Sie sind 'extremistisch' und damit verfassungsfeindlich im Rechtssinne nur dann, wenn sie sich gegen den ... Grundbestand unserer freiheitlichen rechtsstaatlichen Verfassung richten." (Verfassungsschutzbericht des Bundesinnenministeriums 1974, S. 4). Wenn die Verfassungsschutzbehörden überhaupt noch den Terminus "rechtsbzw. linksradikal" verwenden, werden damit in Abgrenzung zu dem verfassungsfeindlichen Rechtsbzw. Linksextremismus politische Aktivitäten und Zielsetzungen bezeichnet, die sich (noch) nicht gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung mit dem Ziel einer revolutionären Systemüberwindung richten. Anhang 261 Spionage Als Spionage wird die Tätigkeit für den Nachrichtendienst einer fremden Macht bezeichnet, die auf die Mitteilung oder Lieferung von Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen gerichtet ist. Die Beschaffung von Informationen, vor allem aus den Bereichen Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Militär, erfolgt zumeist unter Anwendung geheimer Mittel und Methoden. Soweit Spionage gegen die Bundesrepublik Deutschland gerichtet ist, kommt eine Strafbarkeit gemäß SSSS 93 ff. StGB in Betracht. Terrorismus Terrorismus ist nach der Definition der Verfassungsschutzbehörden der nachhaltig geführte Kampf für politische Ziele, die mit Hilfe von Anschlägen auf Leib, Leben und Eigentum anderer Menschen durchgesetzt werden sollen, insbesondere durch schwere Straftaten, wie sie in SS 129a Abs. 1 StGB genannt sind, oder durch andere Straftaten, die zur Vorbereitung solcher Straftaten dienen. VerfassungsVerfassungsfeindlich (= extremistisch) sind politische Aktivifeindliche/ täten, die gegen die verfassungsmäßige Ordnung gerichtet extremistische sind und darauf abzielen, die freiheitliche demokratische Bestrebungen Grundordnung zu beseitigen. Verfassungswidrig ist umgangssprachlich häufig synonym mit "verfassungsfeindlich" zu finden. Über die Frage der Verfassungswidrigkeit einer Partei entscheidet das Bundesverfassungsgericht (Art. 21 Abs. 2 GG; SSSS 13 Nr. 2, 43 ff. BVerfGG). Parteien sind verfassungswidrig, wenn sie nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgerichtet sind, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden. Es genügt nicht, wenn die Partei die freiheitliche demokratische Ordnung nicht anerkennt, sie ablehnt oder ihr andere Prinzipien entgegenhält. Es muss vielmehr eine aktiv-kämpferische, aggressive Haltung gegenüber der bestehenden verfassungsmäßigen Ordnung hinzukommen. Die Organisation muss also planvoll das Funktionieren dieser Ordnung beeinträchtigen und im weiteren Verlauf diese Ordnung selbst beseitigen wollen. Verbot verfasEin Verbot eines Vereins ist nach Art. 9 Abs. 2 GG möglich, sungsfeindlicher wenn der Zweck der Tätigkeit des Vereins den Strafgesetzen Organisationen/ zuwiderläuft oder sich gegen die verfassungsmäßige OrdVerfassungsnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richtet. widrigkeit Erst wenn dies durch Verfügung der Verbotsbehörde festgestellt ist, wird nach SS 3 Abs. 1 Vereinsgesetz der Verein als verboten (Art. 9 Abs. 2 GG) behandelt. Ein Vereinsverbot wird durch den Landesbzw. Bundesinnenminister erlassen. 262 Anhang Nach Art. 21 Abs. 2 GG sind Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, verfassungswidrig. Über die Frage der Verfassungswidrigkeit entscheidet das Bundesverfassungsgericht (Art. 21 Abs. 2 GG; SSSS 13 Nr. 2, 43 ff. BVerfG Die Hürden für ein Parteiverbot sind hoch. In der Bundesrepublik wurden bisher zwei Parteien verboten: 1952 die "Sozialistische Reichspartei" (SRP) und 1956 die "Kommunistische Partei Deutschlands" (KPD). Zuletzt wurde 2003 ein von Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat angestrengtes Verfahren zum Verbot der NPD eingestellt. Laut Bundesverfassungsgericht konnte zum Zeitpunkt der Einleitung des Verbotsverfahrens auf Grund der Beobachtung durch V-Leute der Verfassungsschutzbehörden, die als Mitglieder in Landesund Bundesvorständen der NPD fungieren, unmittelbar vor und während des Verbotsverfahrens nicht mehr von der Staatsfreiheit der NPD-Führung ausgegangen werden. Solange verfassungsfeindliche Parteien und sonstige Organisationen nicht verboten sind, dürfen sie sich im Rahmen der für alle geltenden Gesetze frei betätigen. WirtschaftsspioUnter Wirtschaftsspionage ist die staatlich gelenkte oder genage/ stützte, von fremden Nachrichtendiensten ausgehende AusWirtschaftsforschung von Wirtschaftunternehmen und Betrieben zu verschutz stehen. Davon abzugrenzen ist die Konkurrenzausspähung, nämlich die Ausforschung, die konkurrierende Unternehmen gegeneinander betreiben. Wirtschaftsschutz ist der präventive Teil der Spionageabwehr und soll dazu dienen, Schäden durch Wirtschaftsspionage und Konkurrenzausspähung in der Wirtschaft zu reduzieren und der Wirtschaft als kompetenter Ansprechpartner für Sicherheitsfragen und -vorfälle zur Verfügung zu stehen. Anhang 263 8.2 Gesetz über den Verfassungsschutz im Lande Niedersachsen (Niedersächsisches Verfassungsschutzgesetz - NVerfSchG -) in der Fassung vom 6. Mai 2009 (Nds. GVBl. S. 154) geändert durch Art. 5 des Gesetzes vom 7. Oktober 2010 (Nds. GVBl., S. 465) Inhaltsübersicht Erster Abschnitt Allgemeine Vorschriften SS 1 Zweck und Auftrag des Verfassungsschutzes SS 2 Zuständigkeit SS 3 Aufgaben SS 3a -- aufgehoben -- SS 4 Begriffsbestimmungen Zweiter Abschnitt Befugnisse, nachrichtendienstliche Mittel, Datenverarbeitung SS 5 Allgemeine Befugnisse SS 5a Besondere Auskunftspflichten SS 5b Verfahrensvorschriften für Besondere Auskunftspflichten SS 6 Informationsbeschaffung mit nachrichtendienstlichen Mitteln SS 6a Einsatz technischer Mittel in Wohnungen SS 6b Verfahrensvorschriften für den Einsatz technischer Mittel in Wohnungen SS 6c Verfahrensvorschriften für das heimliche Mithören und Aufzeichnen des nicht öffentlich gesprochenen Wortes unter Einsatz technischer Mittel SS 6d Einsatz technischer Mittel nach SS 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 12 SS 7 -- aufgehoben -- SS 8 Speicherung, Veränderung und Nutzung personenbezogener Daten SS 9 Speicherung, Veränderung und Nutzung personenbezogener Daten von Minderjährigen SS 10 Berichtigung, Löschung und Sperrung von personenbezogenen Daten in Dateien SS 11 Berichtigung, Löschung und Sperrung von personenbezogenen Daten in Akten SS 12 Dateibeschreibungen 264 Anhang Dritter Abschnitt Auskunft SS 13 Auskunft an Betroffene Vierter Abschnitt Informationsübermittlung SS 14 Grenzen der Übermittlung personenbezogener Daten SS 15 Übermittlung von Informationen an die Verfassungsschutzbehörde SS 16 Registereinsicht SS 17 Übermittlung personenbezogener Daten durch die Verfassungsschutzbehörde SS 18 Übermittlung von Informationen durch die Verfassungsschutzbehörde an Strafverfolgungsund Sicherheitsbehörden in Angelegenheiten des Staatsund Verfassungsschutzes SS 19 Übermittlung personenbezogener Daten an die Öffentlichkeit SS 20 Übermittlungsverbote, Minderjährigenschutz SS 21 Pflichten der empfangenden Stelle SS 22 Nachberichtspflicht Fünfter Abschnitt Parlamentarische Kontrolle SS 23 Ausschuss für Angelegenheiten des Verfassungsschutzes SS 24 Zusammensetzung SS 25 Kontrollrechte des Ausschusses SS 26 Verfahrensweise SS 27 Hilfe vonseiten der oder des Landesbeauftragten für den Datenschutz S e c h s t er A b s c h n i t t Schlussvorschriften SS 28 Geltung des Niedersächsischen Datenschutzgesetzes SS 29 Änderung des Niedersächsischen Gesetzes zur Ausführung des Gesetzes zu Artikel 10 Grundgesetz SS 30 Änderung des Niedersächsischen Beamtengesetzes SS 31 Änderung des Personalvertretungsgesetzes für das Land Niedersachsen SS 32 Inkrafttreten Anhang 265 Erster Abschnitt Allgemeine Vorschriften SS1 Zweck und Auftrag des Verfassungsschutzes 1 Der Verfassungsschutz dient dem Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, des Bestandes und der Sicherheit des Bundes und der Länder. 2 Er erfüllt diesen Auftrag durch 1. die Sammlung und Auswertung von Informationen über Bestrebungen und Tätigkeiten nach SS 3 Abs. 1 Satz 1, 2. die Unterrichtung der Landesregierung und die Aufklärung der Öffentlichkeit über diese Bestrebungen und Tätigkeiten, 3. die Wahrnehmung der in diesem Gesetz geregelten sonstigen Mitwirkungsaufgaben sowie 4. den in diesem Gesetz oder in anderen Rechtsvorschriften vorgesehenen Informationsaustausch mit anderen Stellen. SS2 Zuständigkeit (1) 1Verfassungsschutzbehörde ist das für Inneres zuständige Ministerium (Fachministerium). 2Das Fachministerium unterhält eine gesonderte Abteilung (Verfassungsschutzabteilung), die allein die der Verfassungsschutzbehörde nach diesem Gesetz und anderen Rechtsvorschriften obliegenden Aufgaben wahrnimmt. (2) 1Verfassungsschutzbehörden anderer Länder dürfen im Land Niedersachsen nur im Einvernehmen mit der Verfassungsschutzbehörde tätig werden. 2Ihre Befugnisse bestimmen sich dabei nach den Vorschriften dieses Gesetzes. 3Das Bundesamt für Verfassungsschutz darf im Land Niedersachsen nur im Benehmen mit der Verfassungsschutzbehörde tätig werden (SS 5 Abs. 2 des Bundesverfassungsschutzgesetzes). (3) Die Verfassungsschutzbehörde darf andere Verfassungsschutzbehörden nicht um Maßnahmen ersuchen, zu denen sie selbst nicht befugt ist. SS3 Aufgaben (1) 1Aufgabe der Verfassungsschutzbehörde ist die Sammlung und Auswertung von Informationen, insbesondere von sachund personenbezogenen Auskünften, Nachrichten und Unterlagen, über 1. Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziele haben, 266 Anhang 2. sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten in der Bundesrepublik Deutschland für eine fremde Macht, 3. Bestrebungen in der Bundesrepublik Deutschland, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, 4. Bestrebungen, die gegen den Gedanken der Völkerverständigung (Artikel 9 Abs. 2 des Grundgesetzes) oder gegen das friedliche Zusammenleben der Völker (Artikel 26 Abs. 1 des Grundgesetzes) gerichtet sind. 2 Die Leiterin oder der Leiter der Verfassungsschutzabteilung oder die Vertreterin oder der Vertreter bestimmt die Objekte, die zur Erfüllung der Aufgaben nach Satz 1 Nrn. 1, 3 und 4 planmäßig zu beobachten und aufzuklären sind (Beobachtungsobjekte). 3SS 5 Abs. 1 Satz 2 gilt entsprechend. 4Die Bestimmung eines Beobachtungsobjektes ist regelmäßig zu überprüfen. 5Sie ist aufzuheben, wenn die Voraussetzung des SS 5 Abs. 1 Satz 2 entfallen ist. 6Die Bestimmung eines Beobachtungsobjektes bedarf der Zustimmung der Fachministerin oder des Fachministers oder der Vertreterin oder des Vertreters. (2) 1Die Verfassungsschutzbehörde unterrichtet die zuständigen Stellen über Art und Ausmaß von Bestrebungen und Tätigkeiten nach Absatz 1. 2Die Unterrichtung soll die zuständigen Stellen in die Lage versetzen, die erforderlichen Abwehrmaßnahmen zu treffen. (3) Die Verfassungsschutzbehörde wirkt mit 1. bei der Sicherheitsüberprüfung von Personen nach Maßgabe des Niedersächsischen Sicherheitsüberprüfungsgesetzes, 2. bei der Sicherheitsüberprüfung von Personen, die an sicherheitsempfindlichen Stellen von lebensoder verteidigungswichtigen Einrichtungen beschäftigt sind oder werden sollen, 3. bei technischen Sicherheitsmaßnahmen zum Schutz von im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftigen Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen gegen die Kenntnisnahme durch Unbefugte, 3. bei der Überprüfung von Personen in sonstigen gesetzlich vorgesehenen Fällen, 4. bei einer im öffentlichen Interesse liegenden Überprüfung von Personen mit deren Einverständnis. (4) 1Die Verfassungsschutzbehörde klärt die Öffentlichkeit auf der Grundlage ihrer Auswertungsergebnisse durch zusammenfassende Berichte und andere Maßnahmen über Bestrebungen und Tätigkeiten nach Absatz 1 Satz 1 auf. 2Über tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen solcher Bestrebungen und Tätigkeiten darf aufgeklärt werden, wenn die Anhaltspunkte unter Berücksichtigung der Interessen der oder des Betroffenen hinreichend gewichtig sind. 3Zur Aufklärung gehört ein jährlicher Verfassungsschutzbericht, in dem auch die Summe der Haushaltsmittel sowie die Gesamtzahl der in der Verfassungsschutzabeitlung Anhang 267 Tätigen nach Stellen und Beschäftigungsvolumen darzustellen sind. Ferner sind 4 in dem Bericht allgemein die Einholung von Auskünften nach SS 5 a, die Anwendung nachrichtendienstlicher Mittel, die Auskunftsersuchen nach SS 13 und die Strukturdaten der von der Verfassungsschutzbehörde in Dateien im Sinne des SS 6 Satz 1 des Bundesverfassungsschutzgesetzes gespeicherten Personendatensätze darzustellen. SS3a -- aufgehoben -- SS4 Begriffsbestimmungen (1) 1Bestrebungen im Sinne des SS 3 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1, 3 und 4 sind politisch bestimmte, zielund zweckgerichtete Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluss. 2Für einen Personenzusammenschluss handelt, wer ihn in seinen Bestrebungen nachdrücklich unterstützt. 3Verhaltensweisen von Einzelpersonen, die nicht in einem oder für einen Personenzusammenschluss handeln, sind Bestrebungen im Sinne des SS 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 3 oder 4, wenn sie auf Anwendung von Gewalt gerichtet oder aufgrund ihrer Wirkungsweise geeignet sind, ein Schutzgut dieses Gesetzes erheblich zu beschädigen. (2) Im Sinne des SS 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 sind 1. Bestrebungen gegen den Bestand des Bundes oder eines Landes: solche, die darauf gerichtet sind, die Freiheit des Bundes oder eines Landes von fremder Herrschaft aufzuheben, ihre staatliche Einheit zu beseitigen oder ein zu ihnen gehörendes Gebiet abzutrennen; 2. Bestrebungen gegen die Sicherheit des Bundes oder eines Landes: solche, die darauf gerichtet sind, den Bund, Länder oder deren Einrichtungen in ihrer Funktionsfähigkeit erheblich zu beeinträchtigen; 3. Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung: solche, die darauf gerichtet sind, einen der in Absatz 3 genannten Verfassungsgrundsätze zu beseitigen oder außer Geltung zu setzen. (3) Zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des SS 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 zählen: 1. das Recht des Volkes, die Staatsgewalt in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung auszuüben und die Volksvertretung in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl zu wählen, 2. die Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung und die Bindung der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an Gesetz und Recht, 3. das Recht auf Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition, 4. die Ablösbarkeit der Regierung und ihre Verantwortlichkeit gegenüber der Volksvertretung, 268 Anhang 5. die Unabhängigkeit der Gerichte, 6. der Ausschluss jeder Gewaltund Willkürherrschaft und 7. die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte. (4) Eine Gefährdung auswärtiger Belange im Sinne des SS 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 liegt nur dann vor, wenn die Gewalt innerhalb der Bundesrepublik Deutschland angewendet oder vorbereitet wird und sie sich gegen die politische Ordnung oder Einrichtungen anderer Staaten richtet oder richten soll. (5) Gewalt im Sinne dieses Gesetzes ist die Anwendung körperlichen Zwanges gegen Personen und die gewalttätige Einwirkung auf Sachen. (6) Sammlung von personenbezogenen Daten ist das Erheben im Sinne des Niedersächsischen Datenschutzgesetzes. Zweiter Abschnitt Befugnisse, nachrichtendienstliche Mittel, Datenverarbeitung SS5 Allgemeine Befugnisse (1) 1Die Verfassungsschutzbehörde darf die zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlichen Informationen einschließlich personenbezogener Daten erheben und weiter verarbeiten, soweit dieses Gesetz oder andere Rechtsvorschriften nicht besondere Regelungen treffen. 2Voraussetzung für die Sammlung von Informationen im Sinne des SS 3 Abs. 1 Satz 1 ist das Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte, die, insgesamt betrachtet und unter Einbeziehung nachrichtendienstlicher Erfahrungen, den Verdacht einer der in SS 3 Abs. 1 Satz 1 genannten Bestrebungen oder Tätigkeiten rechtfertigen. (2) 1Werden personenbezogene Daten bei Betroffenen mit deren Kenntnis erhoben, so ist der Erhebungszweck anzugeben, es sei denn, dass die Erhebung für Zwecke des Verfassungsschutzes nicht bekannt werden darf. 2Die Betroffenen sind auf die Freiwilligkeit ihrer Angaben hinzuweisen. (3) Ist zum Zwecke der Sammlung von Informationen die Weitergabe personenbezogener Daten unerlässlich, so dürfen schutzwürdige Interessen der betroffenen Person nur im unvermeidbaren Umfang beeinträchtigt werden. (4) 1Polizeiliche Befugnisse oder Weisungsbefugnisse stehen der Verfassungsschutzbehörde zur Erfüllung ihrer Aufgaben nicht zu. 2Sie darf die Polizei nicht um Maßnahmen ersuchen, zu denen sie selbst nicht befugt ist, auch nicht im Wege der Amtshilfe. (5) 1Die Verfassungsschutzbehörde ist an die allgemeinen Rechtsvorschriften gebunden. 2Bei der Sammlung und Verarbeitung von Informationen hat sie von Anhang 269 mehreren geeigneten Maßnahmen diejenige zu wählen, die Betroffene voraussichtlich am wenigsten beeinträchtigt. 3Eine Maßnahme darf keinen Nachteil herbeiführen, der erkennbar außer Verhältnis zu dem beabsichtigten Erfolg steht. SS5a Besondere Auskunftspflichten (1) 1Diejenigen, die geschäftsmäßig Postdienstleistungen erbringen oder Telemedien anbieten oder daran mitwirken, sind verpflichtet, der Verfassungsschutzbehörde auf Anordnung unentgeltlich Auskünfte über Daten zu erteilen, die für die Begründung, inhaltliche Ausgestaltung, Änderung oder Beendigung eines Vertragsverhältnisses über Postdienstleistungen oder Telemedien gespeichert worden sind. 2Auskünfte dürfen nur im Einzelfall und unter der Voraussetzung eingeholt werden, dass sie zur Erfüllung der Aufgaben nach SS 3 Abs. 1 Satz 1 erforderlich sind. (2) 1Luftfahrtunternehmen sind verpflichtet, der Verfassungsschutzbehörde auf Anordnung unentgeltlich Auskünfte zu Namen und Anschriften von Kundinnen und Kunden sowie zur Inanspruchnahme und den Umständen von Transportleistungen, insbesondere zum Zeitpunkt von Abfertigung und Abflug und zum Buchungsweg, zu erteilen. 2Auskünfte dürfen nur im Einzelfall und unter der Voraussetzung eingeholt werden, dass sie zur Erfüllung der Aufgaben nach SS 3 Abs. 1 Satz 1 erforderlich sind und dass tatsächliche Anhaltspunkte für eine schwerwiegende Gefahr für ein in SS 3 Abs. 1 Satz 1 genanntes Schutzgut vorliegen. (3) 1Kreditinstitute, Finanzdienstleistungsinstitute und Finanzunternehmen sind verpflichtet, der Verfassungsschutzbehörde auf Anordnung unentgeltlich Auskünfte zu Konten und Geldanlagen, insbesondere zu Kontoständen, Zahlungseinund -ausgängen und sonstigen Geldbewegungen, sowie zu Kontoinhaberinnen, Kontoinhabern, sonstigen Berechtigten und weiteren am Zahlungsverkehr Beteiligten zu erteilen. 2Absatz 2 Satz 2 gilt entsprechend. (4) 1Diejenigen, die geschäftsmäßig Postdienstleistungen erbringen oder daran mitwirken, sind auch verpflichtet, der Verfassungsschutzbehörde auf Anordnung unentgeltlich Auskünfte zu Namen und Anschriften von Absendern und Empfängern, Größe und Gewicht von Postsendungen sowie zu sonstigen Umständen des Postverkehrs zu erteilen. 2Absatz 2 Satz 2 gilt entsprechend. (5) 1Diejenigen, die geschäftsmäßig Telemedien anbieten oder daran mitwirken, sind auch verpflichtet, der Verfassungsschutzbehörde auf Anordnung unentgeltlich Auskünfte zu Merkmalen zur Identifikation der Nutzerin oder des Nutzers von Telemedien, Angaben über Beginn und Ende sowie über den Umfang der jeweiligen Nutzung und Angaben über die von der Nutzerin oder dem Nutzer in Anspruch genommenen Telemedien zu erteilen. 2Absatz 2 Satz 2 gilt entsprechend. 270 Anhang (6) Diejenigen, die geschäftsmäßig Telekommunikationsdienste erbringen 1 oder daran mitwirken, sind verpflichtet, der Verfassungsschutzbehörde auf Anordnung unentgeltlich Auskünfte zu Verkehrsdaten nach SS 96 Abs. 1 Nrn. 1 bis 4 und SS 113 a des Telekommunikationsgesetzes und sonstigen zum Aufbau und zur Aufrechterhaltung der Telekommunikation notwendigen Verkehrsdaten zu erteilen. 2Auskünfte dürfen nur im Einzelfall zur Erfüllung der Aufgaben nach SS 3 Abs. 1 Satz 1 und unter den Voraussetzungen des SS 3 Abs. 1 des Artikel 10-Gesetzes eingeholt werden. (7) Auskünfte nach den Absätzen 2, 3 und 5 dürfen nur über Personen eingeholt werden, bei denen tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie die schwerwiegende Gefahr nachdrücklich fördern oder bei denen aufgrund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass sie die Leistung für solche Personen in Anspruch nehmen. (8) Auskünfte nach Absatz 4 dürfen nur über Personen eingeholt werden, bei denen tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie die schwerwiegende Gefahr nachdrücklich fördern oder bei denen aufgrund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass sie für solche Personen bestimmte oder von diesen herrührende Postsendungen entgegennehmen oder weitergeben. (9) Auskünfte nach Absatz 6 dürfen nur über Personen eingeholt werden, bei denen tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht bestehen, dass sie eine Straftat nach SS 3 Abs. 1 des Artikel 10-Gesetzes planen, begehen oder begangen haben, aufgrund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass sie über ihren Teilnehmeranschluss für Personen nach Nummer 1 bestimmte oder von ihnen herrührende Mitteilungen entgegennehmen oder weitergeben, oder aufgrund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass Personen nach Nummer 1 deren Teilnehmeranschluss nutzen. SS5b Verfahrensvorschriften für Besondere Auskunftspflichten (1) 1Anordnungen nach SS 5 a Abs. 2 bis 6 werden von der Leiterin oder dem Leiter der Verfassungsschutzabteilung oder der Vertreterin oder dem Vertreter schriftlich beantragt. 2Die Anordnungen trifft die Fachministerin oder der Fachminister oder die Vertreterin oder der Vertreter. 3Die Anordnung der Erteilung einer Auskunft über künftig anfallende Daten ist auf höchstens drei Monate zu befristen. 4Die Verlängerung dieser Anordnung um jeweils nicht mehr als drei Monate ist auf Antrag zulässig. 5Auskunftsersuchen nach SS 5 a und die übermittelten Daten dürfen weder den Betroffenen noch Dritten vom Auskunftsgeber mitgeteilt werden. (2) 1Anordnungen nach SS 5 a Abs. 2 bis 6 sowie deren Verlängerungen bedürfen der Zustimmung der nach SS 2 Abs. 1 des Niedersächsischen Gesetzes zur Ausführung des Artikel 10-Gesetzes (Nds. AG G 10) bestehenden Kommission (G 10-Kommission). 2Bei Gefahr im Verzuge kann die Fachministerin oder der Fachminister oder die Vertreterin oder der Vertreter anordnen, dass die Anord- Anhang 271 nung vor der Zustimmung der G 10-Kommission vollzogen wird. In diesem Fall 3 ist die nachträgliche Zustimmung unverzüglich einzuholen. (3) 1Die G 10-Kommission prüft im Rahmen der Erteilung der Zustimmung nach Absatz 2 Satz 1 sowie aufgrund von Beschwerden die Zulässigkeit und Notwendigkeit der Einholung von Auskünften nach SS 5 a Abs. 2 bis 6. 2SS 4 Abs. 2 Nds. AG G 10 ist entsprechend anzuwenden. 3Anordnungen über Auskünfte, die die G 10-Kommission für unzulässig oder nicht notwendig erklärt, hat die Fachministerin oder der Fachminister oder die Vertreterin oder der Vertreter unverzüglich aufzuheben; die bereits erhobenen Daten dürfen nicht verwendet werden und sind unverzüglich zu löschen. 4Wird die nachträgliche Zustimmung im Fall des Absatzes 2 Satz 2 versagt, so ist Satz 3 entsprechend anzuwenden. (4) 1Für die aufgrund von Anordnungen nach SS 5 a Abs. 2 bis 6 erhobenen personenbezogenen Daten gelten die SSSS 4 und 12 Abs. 1 und 3 des Artikel 10-Gesetzes sowie SS 4 Abs. 5 und 6 Nds. AG G 10 entsprechend. 2Soweit aufgrund von Anordnungen nach SS 5 a Abs. 1 bei denjenigen, die geschäftsmäßig Telemedien anbieten oder daran mitwirken, personenbezogene Daten erhoben worden sind, gilt für die Unterrichtung der Betroffenen SS 6 Abs. 9. (5) 1Das Fachministerium unterrichtet im Abstand von höchstens sechs Monaten den Ausschuss für Angelegenheiten des Verfassungsschutzes über die Durchführung des SS 5 a Abs. 2 bis 6; dabei ist insbesondere ein Überblick über Anlass, Umfang, Dauer, Ergebnis und Kosten der im Berichtszeitraum durchgeführten Maßnahmen zu geben. 2Der Ausschuss erstattet dem Landtag jährlich einen Bericht über die Durchführung sowie Art, Umfang und Anordnungsgründe der Maßnahmen nach SS 5 a Abs. 2 bis 6. (6) Das Fachministerium unterrichtet das Parlamentarische Kontrollgremium des Bundes jährlich über die nach SS 5 a Abs. 2 bis 6 durchgeführten Maßnahmen; dabei ist ein Überblick über Anlass, Umfang, Dauer, Ergebnis und Kosten der im Berichtszeitraum durchgeführten Maßnahmen zu geben. (7) Das Grundrecht des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses (Artikel 10 des Grundgesetzes) wird nach Maßgabe der Absätze 1 bis 4 sowie des SS 5 a Abs. 4 bis 9 eingeschränkt. SS6 Informationsbeschaffung mit nachrichtendienstlichenMitteln (1) 1Die Verfassungsschutzbehörde darf zur heimlichen Informationsbeschaffung, insbesondere zur heimlichen Erhebung personenbezogener Daten, nur folgende nachrichtendienstliche Mittel anwenden: 1. Inanspruchnahme von Vertrauensleuten, sonstigen geheimen Informantinnen und Informanten und Gewährspersonen, vorbehaltlich Satz 2; 2. Einsatz von verdeckt ermittelnden Beamtinnen und Beamten; 3. Observationen, auch mit besonderen für Observationszwecke bestimmten technischen Mitteln; 272 Anhang 4. Bildaufzeichnungen; 5. verdeckte Ermittlungen und Befragungen; 6. heimliches Mithören ohne Inanspruchnahme technischer Mittel; 7. heimliches Mithören und Aufzeichnen des nicht öffentlich gesprochenen Wortes unter Einsatz technischer Mittel; 8. Beobachtung des Funkverkehrs auf nicht für den allgemeinen Empfang bestimmten Kanälen; 9. Verwendung fingierter biografischer, beruflicher oder gewerblicher Angaben (Legenden) mit Ausnahme solcher beruflicher Angaben, die sich auf die in Satz 2 genannten Personen beziehen; 10. Beschaffung, Herstellung und Verwendung von Tarnpapieren und Tarnkennzeichen; 11. Überwachung des Brief-, Postund Fernmeldeverkehrs nach Maßgabe des Artikel 10-Gesetzes; 12. technische Mittel, mit denen zur Ermittlung der Geräteund der Kartennummern aktiv geschaltete Mobilfunkendeinrichtungen zur Datenabsendung an eine Stelle außerhalb des Telekommunikationsnetzes veranlasst werden. 2 Die nachrichtendienstlichen Mittel dürfen auch angewendet werden, wenn Dritte unvermeidbar betroffen werden. (2) Die Mittel nach Absatz 1 dürfen nur angewendet werden, wenn 1. sich ihr Einsatz gegen Personenzusammenschlüsse, in ihnen oder für sie tätige Personen oder gegen Einzelpersonen richtet, bei denen tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht von Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 3 Abs. 1 Satz 1 vorliegen, 2. sich ihr Einsatz gegen Personen richtet, von denen aufgrund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass sie für eine der in Nummer 1 genannten Personen bestimmte oder von ihr herrührende Mitteilungen entgegennehmen oder weitergeben, 3. ihr Einsatz gegen andere als die in den Nummern 1 und 2 genannten Personen unumgänglich ist, um Erkenntnisse über sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten für eine fremde Macht oder über Bestrebungen zu gewinnen, die sich unter Anwendung von Gewalt oder durch darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen gegen die in SS 3 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 und 3 genannten Schutzgüter wenden, 4. durch sie die zur Erforschung von Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 3 Abs. 1 Satz 1 erforderlichen Quellen in den in Nummer 1 genannten Personenzusammenschlüssen gewonnen oder überprüft werden können oder 5. dies zum Schutz der in der Verfassungsschutzabteilung Tätigen, der Einrichtungen und Gegenstände der Verfassungsschutzabteilung und der Quellen der Verfassungsschutzbehörde vor Bestrebungen gegen die Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder vor sicherheitsgefährdenden oder geheimdienstlichen Tätigkeiten für eine fremde Macht erforderlich ist. Anhang 273 (3) Bei der Anwendung der Mittel nach Absatz 1 dürfen keine Straftaten be- 1 gangen werden. 2Es dürfen nur folgende Straftatbestände verwirklicht werden: 1. SS 84 Abs. 2, SS 85 Abs. 2, SS 86 Abs. 1, SSSS 86 a, 98, 99, 129 a, 129 b Abs. 1 Satz 1, soweit er auf SS 129 a verweist, SSSS 267, 271 und 273 des Strafgesetzbuchs, 2. SS 20 Abs. 2 Satz 1 Nrn. 2 und 4 bis 6 des Niedersächsischen Versammlungsgesetzes sowie 3. SS 20 des Vereinsgesetzes. 3 Dabei darf weder auf die Gründung einer strafbaren Vereinigung hingewirkt noch eine steuernde Einflussnahme auf sie ausgeübt werden. 4Erlaubt sind nur solche Handlungen, die unter besonderer Beachtung des Übermaßverbots unumgänglich sind. (4) 1Eine Informationsbeschaffung mit den Mitteln nach Absatz 1 ist unzulässig, wenn die Erforschung des Sachverhalts auf andere, die Betroffenen weniger beeinträchtigende Weise möglich ist; dies ist in der Regel anzunehmen, wenn die Information aus allgemein zugänglichen Quellen oder durch ein Ersuchen nach SS 15 Abs. 3 gewonnen werden kann. 2Die Anwendung eines Mittels nach Absatz 1 darf nicht erkennbar außer Verhältnis zur Bedeutung des aufzuklärenden Sachverhalts stehen, insbesondere nicht außer Verhältnis zu der Gefahr, die von der jeweiligen Bestrebung oder Tätigkeit nach SS 3 Abs. 1 Satz 1 ausgeht oder ausgehen kann. 3Die Maßnahme ist unverzüglich zu beenden, wenn ihr Zweck erreicht ist oder sich Anhaltspunkte dafür ergeben, dass er nicht oder nicht auf diese Weise erreicht werden kann. (5) 1Die Anwendung der Mittel nach Absatz 1 Satz 1 Nrn. 1, 2 und 4 bedarf der Anordnung durch die Leiterin oder den Leiter der Verfassungsschutzabteilung oder die Vertreterin oder den Vertreter. 2Dies gilt auch für Mittel nach Absatz 1 Satz 1 Nr. 3, wenn diese innerhalb einer Woche insgesamt länger als 24 Stunden oder über einen Zeitraum von einer Woche hinaus durchgeführt werden sollen (längerfristige Observation) oder besondere für Observationszwecke bestimmte technische Mittel eingesetzt werden. (6) 1Die mit Mitteln nach Absatz 1 erhobenen personenbezogenen Daten dürfen nur für den Zweck gespeichert, verändert und genutzt werden, zu dem sie erhoben worden sind. 2Eine Speicherung, Veränderung, Übermittlung oder Nutzung zu anderen Zwecken ist nur zulässig, wenn das zur Erhebung verwendete Mittel auch für den anderen Zweck hätte angewendet werden dürfen und die Daten im Fall der Übermittlung zur Erfüllung der Aufgaben des Empfängers erforderlich sind. 3Sind mit den Daten nach Satz 1 sonstige Daten der betroffenen Personen oder von Dritten so verbunden, dass eine Trennung nicht oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand möglich ist, so dürfen sie gemeinsam mit den Daten nach Satz 1 gespeichert und übermittelt werden; sie sind zu sperren. (7) 1Werden den in Absatz 1 Satz 1 Nrn. 1 und 2 genannten Personen Daten aus dem Kernbereich privater Lebensgestaltung bekannt, so dürfen diese nicht 274 Anhang gespeichert, verändert oder genutzt werden; sie sind unverzüglich zu löschen. 2 Die Tatsache, dass Daten aus dem Kernbereich privater Lebensgestaltung erhoben wurden, und die Löschung der Daten sind zu dokumentieren. (8) 1Personenbezogene Daten, die durch Maßnahmen nach Absatz 1 erhoben wurden, sind entsprechend zu kennzeichnen. 2Sie dürfen an eine andere Stelle nur übermittelt werden, wenn diese die Kennzeichnung aufrechterhält. (9) 1Die Verfassungsschutzbehörde hat die Betroffenen über eine Maßnahme nach Absatz 1 Satz 1 Nrn. 1, 2, 4 und 7 nach ihrer Beendigung zu unterrichten. 2 Das gilt auch für eine Maßnahme nach Absatz 1 Satz 1 Nr. 3, wenn es sich um eine längerfristige Observation handelt oder besondere für Observationszwecke bestimmte technische Mittel eingesetzt werden. 3Die Unterrichtung wird zurückgestellt, solange 1. eine Gefährdung des Zwecks der Maßnahme nicht ausgeschlossen werden kann, 2. durch das Bekanntwerden der Maßnahme Leib, Leben, Freiheit oder ähnlich schutzwürdige Belange einer Person gefährdet werden, 3. ihr überwiegende schutzwürdige Belange einer anderen betroffenen Person entgegenstehen oder 4. durch das Bekanntwerden der Maßnahme die weitere Verwendung der in Absatz 1 Satz 1 Nrn. 1 und 2 genannten Personen gefährdet wird. 4 In der Unterrichtung ist auf die Rechtsgrundlage der Maßnahme und das Auskunftsrecht nach SS 13 hinzuweisen. 5Die Zurückstellung der Unterrichtung über eine Maßnahme ist spätestens nach Ablauf von zwei Jahren unter Angabe des Grundes der oder dem Landesbeauftragten für den Datenschutz mitzuteilen. 6 Einer Unterrichtung bedarf es endgültig nicht, wenn 1. die Voraussetzung der Zurückstellung auch fünf Jahre nach Beendigung der Maßnahme noch nicht entfallen ist, 2. sie mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch in Zukunft nicht entfallen wird, 3. die Voraussetzungen für eine Löschung vorliegen und 4. die oder der Landesbeauftragte für den Datenschutz zustimmt. (10) 1Die Maßnahmen nach Absatz 1 Satz 1 Nrn. 1 bis 4 dürfen sich nicht gegen Personen richten, die in Strafverfahren aus beruflichen Gründen zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigt sind (SSSS 53 und 53 a der Strafprozessordnung - StPO), soweit Sachverhalte betroffen sind, auf die sich ihr Zeugnisverweigerungsrecht bezieht. 2Die Verfassungsschutzbehörde darf solche Personen nicht von sich aus nach Absatz 1 Satz 1 Nr. 1 in Anspruch nehmen. (11) 1Tarnpapiere und Tarnkennzeichen dürfen auch zu dem in Absatz 2 Nr. 5 genannten Zweck hergestellt und verwendet werden. 2Die Behörden des Lan- Anhang 275 des, der Gemeinden und der Landkreise sind verpflichtet, der Verfassungsschutzbehörde technische Hilfe für Tarnungsmaßnahmen (Absatz 1 Satz 1 Nr. 10) zu leisten. (12) 1Die näheren Voraussetzungen für die Anwendung der Mittel nach Absatz 1 und die Zuständigkeit für ihre Anordnung sind in Dienstvorschriften des Fachministeriums umfassend zu regeln. 2Vor Erlass solcher Dienstvorschriften ist der Ausschuss für Angelegenheiten des Verfassungsschutzes rechtzeitig zu unterrichten. SS6a Einsatz technischer Mittel in Wohnungen (1) 1Der Einsatz technischer Mittel zur Informationsbeschaffung aus Wohnungen ist nur zulässig zur Abwehr der Gefahr, dass jemand eine besonders schwerwiegende Straftat begehen wird, die im Einzelfall geeignet ist, eines der in SS 3 Abs. 1 Satz 1 genannten Schutzgüter zu gefährden. 2Besonders schwerwiegende Straftaten sind 1. Straftaten des Friedensverrats und des Hochverrats nach den SSSS 80, 81 und 82 des Strafgesetzbuchs, 2. Straftaten des Landesverrats und der Gefährdung der äußeren Sicherheit nach den SSSS 94, 95 Abs. 3 und SS 96 Abs. 1, jeweils auch in Verbindung mit SS 97 b, sowie nach den SSSS 97 a, 98 Abs. 1 Satz 2, SS 99 Abs. 2 und den SSSS 100, 100 a Abs. 4 des Strafgesetzbuchs, 3. Bildung terroristischer Vereinigungen nach SS 129 a, ausgenommen die Fälle des SS 129 a Abs. 3, jeweils auch in Verbindung mit SS 129 b, des Strafgesetz buchs, 4. Straftaten gegen das Leben nach den SSSS 211 und 212 des Strafgesetzbuchs, 5. Völkermord nach SS 6 des Völkerstrafgesetzbuchs, 6. Straftaten gegen die persönliche Freiheit nach den SSSS 234, 234 a Abs. 1, SSSS 239 a und 239 b des Strafgesetzbuchs, 7. Gemeingefährliche Straftaten nach den SSSS 306 a, 306 b, 307 Abs. 1 und 2, SS 308 Abs. 1, SS 309 Abs. 1, SS 310 Abs. 1 Nr. 1, SS 313 Abs. 1, SS 314 Abs. 1, SS 315 Abs. 3, SS 316 b Abs. 3 und SS 316 c des Strafgesetzbuchs sowie 8. Straftaten nach SS 19 Abs. 2 Nr. 2 und SS 20 Abs. 1, jeweils auch in Verbindung mit SS 21, des Gesetzes über die Kontrolle von Kriegswaffen. 3 Die Maßnahme ist nur zulässig, wenn die Erforschung des Sachverhalts auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre. (2) 1Die Maßnahme darf sich nur gegen die verdächtige Person richten und nur in der Wohnung der verdächtigen Person durchgeführt werden. 2In der Wohnung einer anderen Person ist die Maßnahme nur zulässig, wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass die verdächtige Person sich dort aufhält und die Maßnahme in der Wohnung der verdächtigen Person nicht möglich oder allein zur Erforschung des Sachverhalts nicht ausreichend ist. 3Die Maßnahme 276 Anhang darf nicht in einer Wohnung durchgeführt werden, die von einer nach SS 53 oder SS 53 a StPO zur Verweigerung des Zeugnisses berechtigten Person zur Ausübung ihres Berufs genutzt wird. (3) 1Die Maßnahme darf nur angeordnet werden, soweit aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte, insbesondere zu der Art der zu überwachenden Räumlichkeiten und zum Verhältnis der zu überwachenden Personen zueinander, anzunehmen ist, dass durch die Überwachung Vorgänge, die dem Kernbereich privater Lebensgestaltung zuzurechnen sind, nicht erfasst werden. 2Gespräche in Betriebsoder Geschäftsräumen sind in der Regel nicht dem Kernbereich privater Lebensgestaltung zuzurechnen. (4) 1Die Maßnahme ist unverzüglich zu unterbrechen, wenn sich Anhaltspunkte dafür ergeben, dass der Kernbereich privater Lebensgestaltung von der Datenerhebung erfasst wird. 2Werden durch die Maßnahme Daten aus dem Kernbereich privater Lebensgestaltung erfasst, so dürfen diese nicht gespeichert, verändert oder genutzt werden; entsprechende Aufzeichnungen sind unverzüglich zu löschen. 3Die Tatsache, dass Daten aus dem Kernbereich privater Lebensgestaltung erhoben wurden, und die Löschung der Daten sind zu dokumentieren. (5) Der Einsatz technischer Mittel zur Informationsbeschaffung aus Wohnungen ist auch zulässig, soweit dieser Einsatz zur Abwehr einer Gefahr für Leben, Gesundheit oder Freiheit der bei einem Einsatz in Wohnungen tätigen Personen unerlässlich ist. SS6b Verfahrensvorschriften für den Einsatz technischer Mittel in Wohnungen (1) 1Maßnahmen nach SS 6 a Abs. 1 Satz 1 bedürfen der richterlichen Anordnung. 2Zuständig ist das Amtsgericht, in dessen Bezirk die Verfassungsschutzbehörde ihren Sitz hat. 3Die Anordnung ist auf höchstens einen Monat zu befristen. 4Sie ergeht schriftlich. 5Sie muss die Person, gegen die sich die Maßnahme richtet, Art und Umfang der zu erhebenden Daten sowie die betroffenen Wohnungen bezeichnen und ist zu begründen. 6Das gerichtliche Verfahren richtet sich nach den Vorschriften des Niedersächsischen Gesetzes über die freiwillige Gerichtsbarkeit. 7Gegen eine Entscheidung, durch welche der Antrag der Verfassungsschutzbehörde abgelehnt wird, steht dieser die Beschwerde zu. 8Die Anordnung kann um jeweils höchstens einen weiteren Monat verlängert werden. 9 Ist die Dauer der Anordnung einer Maßnahme auf insgesamt sechs Monate verlängert worden, so entscheidet über weitere Verlängerungen das Landgericht; über eine Beschwerde entscheidet das Oberlandesgericht. (2) 1Bei Gefahr im Verzuge kann die Leiterin oder der Leiter der Verfassungsschutzabteilung oder die Vertreterin oder der Vertreter die Maßnahme anordnen. 2Absatz 1 Sätze 3 bis 5 gilt entsprechend; in der Begründung ist auch darzulegen, dass Gefahr im Verzuge vorliegt. 3Eine richterliche Bestätigung der Anordnung ist unverzüglich zu beantragen. 4Die Anordnung nach Satz 1 tritt Anhang 277 spätestens mit Ablauf des dritten Tages nach ihrem Erlass außer Kraft, wenn sie bis dahin nicht bestätigt wird; die bereits erhobenen Daten dürfen nicht gespeichert, verändert, übermittelt oder genutzt werden und sind unverzüglich zu löschen. (3) 1Der Vollzug der Anordnung erfolgt unter Aufsicht einer oder eines in der Verfassungsschutzabteilung Tätigen, die oder der die Befähigung zum Richteramt hat. 2Liegen die Voraussetzungen der Anordnung nicht mehr vor, so ist die Maßnahme unverzüglich zu beenden. (4) 1Gegen die Anordnung der Maßnahme steht der betroffenen Person nur die sofortige Beschwerde zu. 2Die Frist beginnt mit Zugang der Unterrichtung nach SS 6 Abs. 9. 3In der Unterrichtung ist auf die Möglichkeit nachträglichen Rechtsschutzes und die dafür vorgesehene Frist hinzuweisen. 4Die sofortige weitere Beschwerde ist nur statthaft, wenn das Landgericht sie wegen der grundsätzlichen Bedeutung zulässt oder das Landgericht die Anordnung im Beschwerdeverfahren erlassen hat. (5) 1Maßnahmen nach SS 6 a Abs. 5 bedürfen der Anordnung durch die Leiterin oder den Leiter der Verfassungsschutzabteilung oder durch die Vertreterin oder den Vertreter. 2Absatz 1 Sätze 4 und 5 sowie Absatz 3 gelten entsprechend. (6) 1Daten, die aufgrund einer Anordnung nach SS 6 a Abs. 5 erhoben worden sind, dürfen zu anderen als den dort genannten Zwecken unter den Voraussetzungen des SS 6 Abs. 6 Satz 2 gespeichert, verändert, übermittelt und genutzt werden, wenn zuvor die Rechtmäßigkeit der Maßnahme richterlich festgestellt ist; Absatz 1 Sätze 2, 6 und 7 gilt entsprechend. 2Wird die Rechtmäßigkeit der Maßnahme nicht richterlich festgestellt, so dürfen die bereits erhobenen Daten nicht gespeichert, verändert und genutzt werden; sie sind unverzüglich zu löschen. 3SS 4 Abs. 1 des Artikel 10-Gesetzes gilt entsprechend. (7) Von einer Maßnahme nach SS 6 a Abs. 1 Satz 1 oder Abs. 5 ist der Ausschuss für Angelegenheiten des Verfassungsschutzes in der nächsten nach der Anordnung stattfindenden Sitzung zu unterrichten. (8) 1Nach Beendigung einer Maßnahme nach SS 6 a Abs. 1 Satz 1 oder Abs. 5 teilt das Fachministerium abweichend von SS 6 Abs. 9 Satz 5 dem Ausschuss für Angelegenheiten des Verfassungsschutzes innerhalb von sechs Monaten die Unterrichtung der Betroffenen oder die Gründe für eine Zurückstellung nach SS 6 Abs. 9 Satz 3 mit. 2Dem Ausschuss sind jeweils nach einem Jahr eine weitere Zurückstellung der Unterrichtung und deren Gründe mitzuteilen. 3Soll die Unterrichtung endgültig unterbleiben, so bedarf es abweichend von SS 6 Abs. 9 Satz 6 Nr. 4 der Zustimmung des Ausschusses. (9) Das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung (Artikel 13 des Grundgesetzes) wird nach Maßgabe der Absätze 1 bis 6 sowie des SS 6 a eingeschränkt. 278 Anhang SS6c Verfahrensvorschriften für das heimliche Mithören und Aufzeichnen des nicht öffentlich gesprochenen Wortes unter Einsatz technischer Mittel (1) Für die Anordnung des Einsatzes eines nachrichtendienstlichen Mittels nach SS 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 7 außerhalb einer Wohnung gilt SS 5 b Abs. 1 bis 3 entsprechend. (2) 1Werden durch eine Maßnahme nach Absatz 1 Daten aus dem Kernbereich privater Lebensgestaltung erfasst, so dürfen diese nicht gespeichert, verändert oder genutzt werden; entsprechende Aufzeichnungen sind unverzüglich zu löschen. 2Die Tatsache, dass Daten aus dem Kernbereich privater Lebensgestaltung erhoben wurden, und die Löschung der Daten sind zu dokumentieren. (3) Für personenbezogene Daten, die durch Maßnahmen nach Absatz 1 erhoben wurden, gelten die SSSS 4 und 12 Abs. 1 und 3 des Artikel 10-Gesetzes sowie SS 4 Abs. 5 und 6 Nds. AG G 10 entsprechend; SS 6 Abs. 6, 8 und 9 findet keine Anwendung. (4) Das Fachministerium unterrichtet den Ausschuss für Angelegenheiten des Verfassungsschutzes im Abstand von höchstens sechs Monaten über Maßnahmen nach Absatz 1. SS6d Einsatz technischer Mittel nach SS 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 12 (1) 1Technische Mittel nach SS 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 12 darf die Verfassungsschutzbehörde zur Erfüllung ihrer Aufgaben nach SS 3 Abs. 1 Satz 1 einsetzen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für eine schwerwiegende Gefahr für ein in SS 3 Abs. 1 Satz 1 genanntes Schutzgut vorliegen. 2Die Maßnahme ist nur zulässig, wenn die Erforschung des Sachverhalts auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre. 3Die Maßnahme darf sich nur gegen Personen richten, bei denen tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie die schwerwiegende Gefahr nachdrücklich fördern. 4Gegen sonstige Personen darf das Mittel eingesetzt werden, wenn aufgrund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass diese für Personen nach Satz 3 bestimmte oder von ihr herrührende Mitteilungen entgegennehmen oder weitergeben oder dass ihre Mobilfunkendeinrichtungen von Personen nach Satz 3 benutzt werden. 5SS 5 b Abs. 1 bis 3 gilt entsprechend. (2) 1Für personenbezogene Daten, die durch Maßnahmen nach Absatz 1 erhoben wurden, gelten die SSSS 4 und 12 Abs. 1 und 3 des Artikel 10-Gesetzes sowie SS 4 Abs. 5 und 6 Nds. AG G 10 entsprechend; SS 6 Abs. 6, 8 und 9 findet keine Anwendung. 2SS 5 b Abs. 5 gilt entsprechend. SS7 -- aufgehoben -- Anhang 279 SS8 Speicherung, Veränderung und Nutzung personenbezogener Daten (1) 1Die Verfassungsschutzbehörde darf zur Erfüllung ihrer Aufgaben nach SS 3 Abs. 1 Satz 1 personenbezogene Daten speichern, verändern und nutzen, wenn 1. tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht bestehen, dass die betroffene Person an Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 3 Abs. 1 Satz 1 beteiligt ist, und dies für die Beobachtung der Bestrebung oder Tätigkeit erforderlich ist, 2. dies für die Erforschung und Bewertung gewalttätiger Bestrebungen nach SS 3 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1, 3 und 4 oder von Tätigkeiten nach SS 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 erforderlich ist oder 3. dies zur Schaffung nachrichtendienstlicher Zugänge zu Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 3 Abs. 1 Satz 1 erforderlich ist. 2 In Akten dürfen über Satz 1 Nr. 2 hinaus personenbezogene Daten auch gespeichert, verändert und genutzt werden, wenn dies sonst zur Erforschung und Bewertung von Bestrebungen nach SS 3 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1, 3 und 4 erforderlich ist. (2) Personenbezogene Daten dürfen nur dann in Dateien gespeichert werden, wenn sie aus Akten ersichtlich sind. (3) Die Speicherung von personenbezogenen Daten aus der engeren Persönlichkeitssphäre in Dateien ist unzulässig. (4) Die Verfassungsschutzbehörde hat die Speicherungsdauer auf das für ihre Aufgabenerfüllung erforderliche Maß zu beschränken. SS9 Speicherung, Veränderung und Nutzung personenbezogener Daten von Minderjährigen (1) 1Die Verfassungsschutzbehörde darf unter den Voraussetzungen des SS 8 Daten über das Verhalten Minderjähriger aus der Zeit vor Vollendung des 14. Lebensjahres in Akten, die zu ihrer Person geführt werden, nur speichern, verändern oder nutzen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die betroffene Person eine der in SS 3 Abs. 1 des Artikel 10-Gesetzes genannten Straftaten plant, begeht oder begangen hat. 2In Dateien dürfen Daten über das Verhalten Minderjähriger nur gespeichert, verändert oder genutzt werden, wenn 1. die oder der Minderjährige zu dem Zeitpunkt, auf den sich die Daten beziehen, das 14. Lebensjahr bereits vollendet hatte und 2. tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht einer Tätigkeit nach SS 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 oder einer Bestrebung nach SS 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 3 oder 4 bestehen, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen verfolgt wird. 280 Anhang (2) Die nach Absatz 1 über Personen vor Vollendung des 16. Lebensjahres ge- 1 speicherten Daten sind zwei Jahre nach der Speicherung zu löschen, es sei denn, dass weitere Informationen im Sinne des SS 3 Abs. 1 Satz 1 hinzugekommen sind. 2 Die nach Absatz 1 über Personen nach Vollendung des 16. und vor Vollendung des 18. Lebensjahres gespeicherten Daten sind zwei Jahre nach der Speicherung auf die Erforderlichkeit einer weiteren Speicherung zu überprüfen. 3Sie sind spätestens nach fünf Jahren zu löschen, es sei denn, dass nach Eintritt der Volljährigkeit weitere Informationen über Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 3 Abs. 1 Satz 1 hinzugekommen sind. SS 10 Berichtigung, Löschung und Sperrung von personenbezogenen Daten in Dateien (1) Die Verfassungsschutzbehörde hat die in Dateien gespeicherten personenbezogenen Daten zu berichtigen, wenn sie unrichtig sind; sie hat sie zu ergänzen, wenn sie unvollständig sind und dadurch schutzwürdige Interessen der betroffenen Person beeinträchtigt sein können. (2) 1Die Verfassungsschutzbehörde hat die in Dateien gespeicherten personenbezogenen Daten zu löschen, wenn 1. ihre Speicherung unzulässig war oder 2. ihre Kenntnis für die Aufgabenerfüllung nicht mehr erforderlich ist. 2 Die Löschung unterbleibt, wenn Grund zu der Annahme besteht, dass durch sie schutzwürdige Interessen von Betroffenen beeinträchtigt würden. 3In diesem Fall sind die Daten zu sperren. 4Sie dürfen nur noch mit Einwilligung der Betroffenen weiterverarbeitet werden. (3) 1Die Verfassungsschutzbehörde prüft bei der Einzelfallbearbeitung und nach festgesetzten Fristen, spätestens nach fünf Jahren, ob gespeicherte personenbezogene Daten zu berichtigen oder zu ergänzen, zu löschen oder zu sperren sind. 2Gespeicherte personenbezogene Daten über Bestrebungen nach SS 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 sind spätestens zehn Jahre, über Bestrebungen nach Nr. 3 oder 4 spätestens 15 Jahre nach dem Zeitpunkt der letzten Speicherung einer Information über Bestrebungen und Tätigkeiten nach SS 3 Abs. 1 Satz 1 zu löschen. (4) 1In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nr. 2 und des Absatzes 3 Satz 2 tritt an die Stelle der Löschung der personenbezogenen Daten durch die Verfassungsschutzbehörde die Abgabe an das Landesarchiv. 2Die Nutzung archivierter Daten durch die Verfassungsschutzbehörde ist ausgeschlossen, solange diese nicht allgemein zugänglich sind. (5) Personenbezogene Daten, die ausschließlich zu Zwecken der Datenschutzkontrolle, der Datensicherung oder zur Sicherstellung eines ordnungsgemäßen Betriebes einer Datenverarbeitungsanlage gespeichert werden, dürfen nur für diese Zwecke oder zur Verfolgung von Straftaten nach dem Niedersächsischen Datenschutzgesetz weiterverarbeitet werden. Anhang 281 SS 11 Berichtigung, Löschung und Sperrung von personenbezogenen Daten in Akten (1) Stellt die Verfassungsschutzbehörde fest, dass in Akten gespeicherte personenbezogene Daten unrichtig sind, oder wird ihre Richtigkeit von Betroffenen bestritten, so ist dies in der Akte zu vermerken. (2) 1Für Akten, die zu einer bestimmten Person geführt werden, gilt SS 10 Abs. 2 und 3 entsprechend. 2Im Übrigen hat die Verfassungsschutzbehörde personenbezogene Daten zu sperren, wenn sie bei der Einzelfallbearbeitung feststellt, dass ohne die Sperrung schutzwürdige Interessen von Betroffenen beeinträchtigt würden, und die Daten für die künftige Aufgabenerfüllung nicht mehr erforderlich sind. 3Gesperrte Daten sind mit einem entsprechenden Vermerk zu versehen; sie dürfen nicht mehr weiterverarbeitet werden. 4Eine Aufhebung der Sperrung ist möglich, wenn ihre Voraussetzungen nachträglich entfallen. (3) 1Sind Akten der Verfassungsschutzbehörde für ihre Aufgabenerfüllung nicht mehr erforderlich, so tritt an die Stelle ihrer Vernichtung die Abgabe an das Landesarchiv. 2Für Akten, die zu einer bestimmten Person geführt werden, oder andere Akten, die personenbezogene Daten enthalten, gilt SS 10 Abs. 4 Satz 2 entsprechend. SS 12 Dateibeschreibungen (1) 1Für jede Datei bei der Verfassungsschutzbehörde sind in einer Dateibeschreibung festzulegen: 1. die Bezeichnung der Datei, 2. der Zweck der Datei, 3. Inhalt, Umfang, Voraussetzungen und Rechtsgrundlage der Speicherung, Übermittlung und Nutzung (betroffener Personenkreis, Arten der Daten), 4. Überprüfungsfristen, Speicherungsdauer, 5. die nach dem Niedersächsischen Datenschutzgesetz erforderlichen technischen und organisatorischen Maßnahmen, 6. bei automatisierten Verfahren die Betriebsart des Verfahrens, die Art der Geräte, die Stellen, bei denen sie aufgestellt sind, sowie das Verfahren zur Übermittlung, Sperrung, Löschung und Auskunftserteilung. 2 Satz 1 gilt nicht für Dateien, die aus ausschließlich verarbeitungstechnischen Gründen vorübergehend vorgehalten werden. (2) Vor dem Erlass einer Dateibeschreibung ist die oder der Landesbeauftragte für den Datenschutz anzuhören. (3) 1Die Speicherung personenbezogener Daten ist auf das erforderliche Maß zu beschränken. 2In angemessenen Abständen ist die Notwendigkeit der Weiterführung oder Änderung der Dateien zu überprüfen. 282 Anhang (4) In der Dateibeschreibung über personenbezogene Textdateien ist die Zugriffsberechtigung auf Personen zu beschränken, die unmittelbar mit Arbeiten in dem Gebiet betraut sind, dem die Textdateien zugeordnet sind; Auszüge aus Textdateien dürfen nicht ohne die dazugehörenden erläuternden Unterlagen übermittelt werden. Dritter Abschnitt Auskunft SS 13 Auskunft an Betroffene (1) 1Die Verfassungsschutzbehörde erteilt Betroffenen auf Antrag unentgeltlich Auskunft über die zu ihrer Person gespeicherten Daten. 2Die Auskunftsverpflichtung erstreckt sich nicht auf die Herkunft der Daten und die Empfänger von Übermittlungen. 3Über Daten aus Akten, die nicht zur Person der Betroffenen geführt werden, wird Auskunft nur erteilt, soweit die Daten, namentlich aufgrund von Angaben der Betroffenen, mit angemessenem Aufwand auffindbar sind. 4Die Verfassungsschutzbehörde bestimmt Verfahren und Form der Auskunftserteilung nach pflichtgemäßem Ermessen. (2) 1Die Auskunftserteilung kann nur abgelehnt werden, soweit 1. die Auskunft die öffentliche Sicherheit gefährden oder sonst dem Wohl des Bundes oder eines Landes Nachteile bereiten würde, 2. die Daten oder die Tatsache ihrer Speicherung nach einer Rechtsvorschrift oder wegen der berechtigten Interessen von Dritten geheim gehalten werden müssen oder 3. durch die Auskunftserteilung Informationsquellen gefährdet würden oder die Ausforschung des Erkenntnisstandes oder der Arbeitsweise der Verfassungsschutzbehörde zu befürchten ist. 2 Die Entscheidung trifft die Leiterin oder der Leiter der Verfassungsschutzabteilung unter Abwägung der in Satz 1 Nrn. 1 bis 3 genannten Interessen mit dem Interesse der antragstellenden Person an der Auskunftserteilung. 3Die Leiterin oder der Leiter der Verfassungsschutzabteilung kann eine Mitarbeiterin oder einen Mitarbeiter damit beauftragen, ebenfalls Entscheidungen nach Satz 1 zu treffen. (3) 1Die Ablehnung einer Auskunft bedarf keiner Begründung, soweit durch die Begründung der Zweck der Ablehnung gefährdet würde. 2Die Gründe der Ablehnung sind aktenkundig zu machen. 3Wird der antragstellenden Person keine Begründung für die Ablehnung der Auskunft gegeben, so ist ihr die Rechtsgrundlage dafür zu nennen. 4Ferner ist sie darauf hinzuweisen, dass sie sich an die Landesbeauftragte oder den Landesbeauftragten für den Datenschutz wenden kann. 5Der oder dem Landesbeauftragten ist auf Verlangen Auskunft zu erteilen. 6Stellt die Fachministerin oder der Fachminister oder die Vertreterin Anhang 283 oder der Vertreter, fest, dass durch die Erteilung der Auskunft nach Satz 5 die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gefährdet würde, so darf die Auskunft nur der oder dem Landesbeauftragten persönlich erteilt werden. 7Mitteilungen der oder des Landesbeauftragten an die antragstellende Person dürfen keine Rückschlüsse auf den Erkenntnisstand der Verfassungsschutzbehörde zulassen, sofern diese nicht einer weitergehenden Mitteilung zustimmt. Vierter Abschnitt Informationsübermittlung SS 14 Grenzen der Übermittlung personenbezogener Daten Wird nach den Bestimmungen dieses Abschnitts um die Übermittlung personenbezogener Daten ersucht, so dürfen nur solche Daten übermittelt werden, die bei der ersuchten Behörde oder Stelle bereits bekannt sind oder von ihr aus allgemein zugänglichen Quellen entnommen werden können. SS 15 Übermittlung von Informationen an die Verfassungsschutzbehörde (1) Die Behörden des Landes, insbesondere die Staatsanwaltschaften und, vorbehaltlich der staatsanwaltschaftlichen Sachleitungsbefugnis, die Polizeibehörden, sowie die der ausschließlichen Aufsicht des Landes unterstehenden Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts unterrichten von sich aus die Verfassungsschutzbehörde über die ihnen bekannt gewordenen Tatsachen, die sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten für eine fremde Macht oder Bestrebungen in der Bundesrepublik Deutschland erkennen lassen, die sich unter Anwendung von Gewalt oder durch darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen gegen die in SS 3 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1, 3 und 4 genannten Schutzgüter wenden. (2) Die Staatsanwaltschaften und, vorbehaltlich der staatsanwaltschaftlichen Sachleitungsbefugnis, die Polizeibehörden sowie die Ausländerbehörden übermitteln darüber hinaus von sich aus der Verfassungsschutzbehörde auch alle anderen ihnen bekannt gewordenen Informationen einschließlich personenbezogener Daten über Bestrebungen nach SS 3 Abs. 1 Satz 1, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Übermittlung für die Erfüllung der Aufgaben der Verfassungsschutzbehörde erforderlich ist. (3) 1Die Verfassungsschutzbehörde darf zur Erfüllung ihrer Aufgaben die in Absatz 1 genannten Stellen um Übermittlung der zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlichen Informationen einschließlich personenbezogener Daten ersuchen, wenn diese nicht aus allgemein zugänglichen Quellen oder nur mit übermäßigem Aufwand oder nur durch eine die betroffene Person stärker belastende Maßnahme erhoben werden können. 2Die Ersuchen sind aktenkundig zu machen. (4) 1Die Übermittlung personenbezogener Daten, die aufgrund einer Maß- 284 Anhang nahme nach SS 100 a StPO bekannt geworden sind, ist nach den Absätzen 1 bis 3 nur zulässig, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass jemand eine der in SS 3 des Artikel 10-Gesetzes genannten Straftaten plant, begeht oder begangen hat. 2Auf die der Verfassungsschutzbehörde nach Satz 1 übermittelten personenbezogenen Daten findet SS 4 Abs. 1 und 2 Satz 1 sowie Abs. 4 bis 6 des Artikel 10-Gesetzes entsprechende Anwendung. (5) 1Die Übermittlung personenbezogener Daten, die aufgrund anderer strafprozessualer Zwangsmaßnahmen (SSSS 94 bis 100, 100 c bis 111 p, 163 e und 163 f StPO) bekannt geworden sind, ist nur zulässig, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für gewalttätige Bestrebungen nach SS 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 3 oder 4 oder von Tätigkeiten nach SS 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 bestehen. 2Die nach Satz 1 übermittelten personenbezogenen Daten dürfen nur zur Erforschung solcher Bestrebungen oder Tätigkeiten genutzt werden. SS 16 Registereinsicht (1) Die Verfassungsschutzbehörde darf zur Gewinnung von Informationen über gewalttätige Bestrebungen nach SS 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 3 oder 4 oder über Tätigkeiten nach SS 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 die von öffentlichen Stellen geführten Register, insbesondere Grundbücher, Personenstandsbücher, Melderegister, Personalausweisregister, Passregister, Führerscheinkartei, Waffenscheinkartei, einsehen. (2) 1Die Einsichtnahme ist nur zulässig, wenn 1. eine Übermittlung der Daten durch die registerführende Stelle den Zweck der Maßnahme gefährden würde oder 2. die betroffene Person durch eine anderweitige Informationsgewinnung unverhältnismäßig beeinträchtigt würde. 2 Die Einsichtnahme ist unzulässig, wenn ihr eine gesetzliche Geheimhaltungsvorschrift oder eine Pflicht zur Wahrung von Berufsgeheimnissen entgegensteht. (3) Die Einsichtnahme ordnet die Leiterin oder der Leiter der Verfassungsschutzabteilung oder die Vertreterin oder der Vertreter an. (4) 1Die durch Einsichtnahme in Register gewonnenen Informationen dürfen nur zu den in Absatz 1 genannten Zwecken verwendet werden. 2Gespeicherte Informationen sind zu löschen und Unterlagen zu vernichten, sobald sie für diese Zwecke nicht mehr erforderlich sind. (5) 1Über jede Einsichtnahme ist ein gesonderter Nachweis zu führen, aus dem ihr Zweck, das eingesehene Register und die registerführende Stelle sowie die Namen der Betroffenen hervorgehen, deren Daten für eine weitere Verarbeitung erforderlich sind. 2Diese Nachweise sind gesondert aufzubewahren, gegen Anhang 285 unberechtigten Zugriff zu sichern und am Ende des Kalenderjahres, das dem Jahr der Anfertigung folgt, zu vernichten. SS 17 Übermittlung personenbezogener Daten durch die Verfassungsschutzbehörde (1) 1Die Verfassungsschutzbehörde darf personenbezogene Daten an inländische Behörden übermitteln, wenn dies zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlich ist oder der Empfänger die Daten zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder sonst für Zwecke der öffentlichen Sicherheit oder der Strafverfolgung benötigt. 2Die Übermittlung ist aktenkundig zu machen. 3Die empfangende Behörde darf die übermittelten Daten, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, nur zu dem Zweck weiterverarbeiten, zu dem sie ihr übermittelt wurden. (2) 1Die Verfassungsschutzbehörde darf personenbezogene Daten an Dienststellen der alliierten Streitkräfte übermitteln, soweit dies im Rahmen der Zusammenarbeit nach Artikel 3 des Zusatzabkommens vom 3. August 1959 zu dem Abkommen zwischen den Parteien des Nordatlantikvertrages vom 19. Juni 1951 über die Rechtsstellung ihrer Truppen hinsichtlich der in der Bundesrepublik Deutschland stationierten ausländischen Truppen (BGBl. 1961 II S. 1183, 1218) erforderlich ist. 2Die Übermittlung ist aktenkundig zu machen. (3) 1Die Verfassungsschutzbehörde darf personenbezogene Daten im Einvernehmen mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz an ausländische öffentliche Stellen sowie an überund zwischenstaatliche Stellen übermitteln, soweit die Übermittlung in einem Gesetz, einem Rechtsakt der Europäischen Gemeinschaften oder einer internationalen Vereinbarung geregelt ist. 2Eine Übermittlung darf auch erfolgen, wenn sie 1. zum Schutz von Leib oder Leben erforderlich ist oder 2. zur Erfüllung eigener Aufgaben, insbesondere in Fällen grenzüberschreitender Tätigkeiten der Verfassungsschutzbehörde, unumgänglich ist und im Empfängerland gleichwertige Datenschutzregelungen gelten. 3Die Übermittlung unterbleibt, wenn ihr auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland oder überwiegende schutzwürdige Interessen der Betroffenen, insbesondere deren Schutz vor einer rechtsstaatswidrigen Verfolgung, entgegenstehen. 4 Die Übermittlung der von einer Ausländerbehörde empfangenen personenbezogenen Daten unterbleibt, es sei denn, die Übermittlung ist völkerrechtlich geboten. 5Die Übermittlung ist aktenkundig zu machen. 6Die empfangende Stelle darf die übermittelten Daten nur für den Zweck weiterverarbeiten, zu dem sie ihr übermittelt wurden. 7Sie ist auf die Verarbeitungsbeschränkung und darauf hinzuweisen, dass sich die Verfassungsschutzbehörde vorbehält, Auskunft über die Verarbeitung der Daten zu verlangen. (4) 1Personenbezogene Daten dürfen an einzelne Personen oder an andere als die in den Absätzen 1 bis 3 genannten Stellen nicht übermittelt werden, es 286 Anhang sei denn, dass dies zum Schutz vor Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 3 Abs. 1 Satz 1 oder zur Gewährleistung der Sicherheit von lebensoder verteidigungswichtigen Einrichtungen (SS 1 Abs. 4 und 5 des Niedersächsischen Sicherheitsüberprüfungsgesetzes) erforderlich ist und die Fachministerin oder der Fachminister oder die Vertreterin oder der Vertreter der Übermittlung zugestimmt hat. 2Die Verfassungsschutzbehörde führt über jede Übermittlung personenbezogener Daten nach Satz 1 einen gesonderten Nachweis, aus dem der Zweck der Übermittlung, ihre Veranlassung, die Aktenfundstelle und der Empfänger hervorgehen. 3Die Nachweise sind gesondert aufzubewahren, gegen unberechtigten Zugriff zu sichern und am Ende des Kalenderjahres, das dem Jahr ihrer Anfertigung folgt, zu vernichten. 4Der Empfänger darf die übermittelten Daten nur für den Zweck weiterverarbeiten, zu dem sie ihm übermittelt wurden. 5Er ist auf die Verarbeitungsbeschränkung und darauf hinzuweisen, dass sich die Verfassungsschutzbehörde vorbehält, Auskunft über die Verarbeitung der Daten zu verlangen. 6Die Übermittlung der personenbezogenen Daten ist der betroffenen Person durch die Verfassungsschutzbehörde mitzuteilen, sobald eine Gefährdung der Aufgabenerfüllung durch die Mitteilung nicht mehr zu besorgen ist. 7Die Zustimmung nach Satz 1 und das Führen eines Nachweises nach Satz 2 sind nicht erforderlich, wenn personenbezogene Daten durch die Verfassungsschutzbehörde zum Zweck von Datenerhebungen an andere Stellen übermittelt werden. SS 18 Übermittlung von Informationen durch die Verfassungsschutzbehörde an Strafverfolgungsund Sicherheitsbehörden in Angelegenheiten des Staatsund Verfassungsschutzes (1) Die Verfassungsschutzbehörde übermittelt den Staatsanwaltschaften und, vorbehaltlich der staatsanwaltschaftlichen Sachleitungsbefugnis, den Polizeibehörden von sich aus die ihr bekannt gewordenen Informationen einschließlich personenbezogener Daten, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Übermittlung zur Verhinderung oder Verfolgung von folgenden Straftaten erforderlich ist: 1. die in SS 74 a Abs. 1 und SS 120 Abs. 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes genannten Straftaten, 2. Straftaten, bei denen aufgrund ihrer Zielrichtung, des Motivs des Täters oder dessen Verbindung zu einer Organisation anzunehmen ist, dass sie sich gegen die in SS 3 Abs. 1 Satz 1 genannten Schutzgüter wenden. (2) Die Polizeibehörden dürfen zur Verhinderung von Straftaten nach Absatz 1 die Verfassungsschutzbehörde um Übermittlung der erforderlichen Informationen einschließlich personenbezogener Daten ersuchen. SS 19 Übermittlung personenbezogener Daten an die Öffentlichkeit Bei der Aufklärung der Öffentlichkeit einschließlich der Medien über Bestrebungen und Tätigkeiten nach SS 3 Abs. 1 Satz 1 dürfen personenbezogene Daten Anhang 287 nur bekannt gegeben werden, wenn die Bekanntgabe für das Verständnis der Darstellung, insbesondere von Organisationen oder unorganisierten Gruppierungen, erforderlich ist und das Interesse der Allgemeinheit das schutzwürdige Interesse der betroffenen Person überwiegt. SS 20 Übermittlungsverbote, Minderjährigenschutz (1) Die Übermittlung von Informationen nach den Vorschriften dieses Abschnitts unterbleibt, wenn 1. die Informationen zu löschen sind, 2. für die übermittelnde Stelle erkennbar ist, dass die Informationen für die empfangende Stelle nicht erforderlich sind, 3. für die übermittelnde Stelle erkennbar ist, dass unter Berücksichtigung der Art der Informationen, insbesondere ihres Bezuges zu der engeren Persönlichkeitssphäre der betroffenen Person, und der Umstände ihrer Erhebung das schutzwürdige Interesse der betroffenen Person das Interesse der Allgemeinheit an der Übermittlung überwiegt, 4. überwiegende Sicherheitsinteressen dies erfordern oder 5. besondere Regelungen in Rechtsvorschriften, in Standesrichtlinien oder Verpflichtungen zur Wahrung besonderer Amtsgeheimnisse der Übermittlung entgegenstehen. (2) Personenbezogene Daten Minderjähriger dürfen nach den Vorschriften dieses Gesetzes übermittelt werden, solange die Voraussetzungen der Speicherung nach SS 9 erfüllt sind. (3) 1Personenbezogene Daten Minderjähriger über ihr Verhalten vor Vollendung des 14. Lebensjahres dürfen nach den Vorschriften dieses Gesetzes nicht an ausländische oder an überoder zwischenstaatliche Stellen übermittelt werden. 2Dasselbe gilt für Informationen über Personenzusammenschlüsse, deren Mitglieder überwiegend Minderjährige sind, die das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet haben. SS 21 Pflichten der empfangenden Stelle 1 Die empfangende Stelle prüft, ob die ihr nach den Vorschriften dieses Gesetzes übermittelten personenbezogenen Daten für die Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlich sind. 2Ergibt die Prüfung, dass dies nicht der Fall ist, so hat sie die entsprechenden Unterlagen zu vernichten und gespeicherte Daten zu löschen. 3 Die Vernichtung und die Löschung können unterbleiben, wenn die Trennung von anderen Informationen, die zur Erfüllung der Aufgaben erforderlich sind, nicht oder nur mit unvertretbarem Aufwand möglich ist; in diesem Fall sind die Daten zu sperren. 288 Anhang SS 22 Nachberichtspflicht 1 Erweisen sich personenbezogene Daten nach ihrer Übermittlung als unvollständig oder unrichtig, so sind sie gegenüber der empfangenden Stelle unverzüglich zu ergänzen oder zu berichtigen, es sei denn, dass der Mangel für die Beurteilung des Sachverhalts offensichtlich ohne Bedeutung ist. 2Werden personenbezogene Daten nach ihrer Übermittlung gesperrt, so ist dies der empfangenden Stelle unter Angabe der Gründe, die zu der Sperrung geführt haben, unverzüglich mitzuteilen. Fünfter Abschnitt Parlamentarische Kontrolle SS 23 Ausschuss für Angelegenheiten des Verfassungsschutzes Die parlamentarische Kontrolle auf dem Gebiet des Verfassungsschutzes übt unbeschadet der Rechte des Landtages und seiner sonstigen Ausschüsse ein besonderer, vom Landtag gebildeter Ausschuss für Angelegenheiten des Verfassungsschutzes aus. SS 24 Zusammensetzung (1) 1Der Ausschuss für Angelegenheiten des Verfassungsschutzes soll aus mindestens sieben Abgeordneten des Landtages bestehen. 2Mitglieder der Landesregierung können dem Ausschuss nicht angehören. (2) 1Jede Fraktion erhält mindestens einen Sitz. 2Die Verteilung aller Sitze bestimmt sich nach der Geschäftsordnung des Niedersächsischen Landtages. SS 25 Kontrollrechte des Ausschusses (1) Das Fachministerium ist verpflichtet, den Ausschuss für Angelegenheiten des Verfassungsschutzes umfassend über seine Tätigkeit als Verfassungsschutzbehörde im Allgemeinen sowie über Vorgänge von besonderer Bedeutung zu unterrichten. (2) Der Ausschuss hat das Recht, Auskunftspersonen anzuhören, wenn mindestens ein Fünftel der Ausschussmitglieder dies verlangt. (3) Das Fachministerium kann das Anhörungsverlangen nach Absatz 2 in entsprechender Anwendung des Artikels 24 Abs. 3 der Niedersächsischen Verfassung ablehnen; die Gründe sind dem Ausschuss darzulegen. (4) 1Die in der Verfassungsschutzabteilung Tätigen dürfen in dienstlichen Angelegenheiten Eingaben an den Ausschuss für Angelegenheiten des Verfas- Anhang 289 sungsschutzes richten. Solche Eingaben und die Verhandlungen des Ausschusses 2 über sie sind vertraulich im Sinne der Geschäftsordnung des Niedersächsischen Landtages. SS 26 Verfahrensweise (1) 1Für die Verhandlungen des Ausschusses für Angelegenheiten des Verfassungsschutzes gelten die Vorschriften der Geschäftsordnung des Niedersächsischen Landtages. 2Jedoch bedarf ein Beschluss, durch welchen die Vertraulichkeit von Akten oder sonstigen Unterlagen oder von Verhandlungen des Ausschusses aufgehoben wird, einer Mehrheit von zwei Dritteln der Stimmen seiner Mitglieder. 3Ist zu einem solchen Beschluss das Einvernehmen der Landesregierung erforderlich und weigert diese sich, es zu erteilen, so hat sie die Gründe dafür vor dem Ausschuss darzulegen. 4Dient die Vertraulichkeit dem Schutz von Informationen, deren Geheimhaltung in die Verantwortung einer Behörde des Bundes oder eines anderen Landes fällt, so bedarf die Aufhebung der Vertraulichkeit des Einvernehmens dieser Behörde. (2) 1Der Ausschuss gibt sich für die Wahrnehmung der Aufgaben nach SS 2 Abs. 1 Nds. AG G 10 eine besondere Geschäftsordnung. 2Zu deren Geheimschutzregelungen ist die Landesregierung zu hören. 3Die Geschäftsordnung bedarf der Bestätigung durch den Landtag. (3) Der Ausschuss berichtet dem Landtag in der Mitte und am Ende jeder Wahlperiode über seine Tätigkeit. (4) Der Ausschuss übt seine Tätigkeit auch über das Ende einer Wahlperiode des Landtages so lange aus, bis der nachfolgende Landtag den Ausschuss nach SS 24 neu gebildet hat. SS 27 Hilfe vonseiten der oder des Landesbeauftragten für den Datenschutz (1) 1Der Ausschuss für Angelegenheiten des Verfassungsschutzes hat auf Antrag von mindestens einem Viertel seiner Mitglieder die Landesbeauftragte oder den Landesbeauftragten für den Datenschutz zu beauftragen, die Rechtmäßigkeit einzelner Maßnahmen der Verfassungsschutzbehörde zu überprüfen. 2 Die Befugnisse der oder des Landesbeauftragten richten sich nach den Bestimmungen des Niedersächsischen Datenschutzgesetzes. (2) Wird die oder der Landesbeauftragte für den Datenschutz nach SS 13 Abs. 3 tätig, so kann sie oder er den Ausschuss von sich aus unterrichten, wenn sich Beanstandungen ergeben, eine Mitteilung an die betroffene Person aber aus Geheimhaltungsgründen unterbleiben muss. 290 Anhang Sechster Abschnitt Schlussvorschriften SS 28 Geltung des Niedersächsischen Datenschutzgesetzes Bei der Erfüllung der Aufgaben nach SS 3 durch die Verfassungsschutzbehörde finden die Vorschriften des SS 4 Abs. 1 sowie der SSSS 9 bis 17 a des Niedersächsischen Datenschutzgesetzes keine Anwendung. SS 29 Änderung des Niedersächsischen Gesetzes zur Ausführung des Gesetzes zu Artikel 10 Grundgesetz*) SS 30 Änderung des Niedersächsischen Beamtengesetzes*) SS 31 Änderung des Personalvertretungsgesetzes für das Land Niedersachsen*) SS 32 Inkrafttreten**) (1) Dieses Gesetz tritt 14 Tage nach seiner Verkündung in Kraft. (2) Gleichzeitig tritt das Niedersächsische Verfassungsschutzgesetz vom 12. Juli 1976 (Nds. GVBl. S. 181), geändert durch Gesetz vom 24. März 1980 (Nds. GVBl. S. 67), außer Kraft.144 *) Diese Vorschrift des Gesetzes in der ursprünglichen Fassung vom 3. November 1992 (Nds. GVBI. S. 273) wird hier nicht abgedruckt. **) Diese Vorschrift betrifft das Inkrafttreten des Gesetzes in der ursprünglichen Fassung vom 3. November 1992 (Nds. GVBl. S. 283). Der Zeitpunkt des Inkrafttretens der späteren Änderungen ergibt sich aus den in den Bekanntmachungen vom 30. März 2004 (Nds. GVBl. S. 117) und vom 19. November 2007 (Nds. GVBl. S. 641) sowie den in der vorangestellten Bekanntmachung näher bezeichneten Gesetzen. Anhang 291 8.3 Übersicht Verbote neonazistischer Vereinigungen Verbotsverfüg. Vereinigung Verbotsbehörde 26.11.1992 Nationalistische Front (NF Bundesministerium des Innern 08.12. 1992 Deutsche Alternative (DA) Bundesministerium des Innern Deutscher KameradschaftsNiedersächsisches 18.12.1992 bund (DKB) Innenministerium 21.12.1992 Nationale Offensive (NO) Bundesministerium des Innern Bayerisches Staatsministerium 07.06.1993 Nationaler Block (NB) des Innern Heimattreue Vereinigung Innenministerium des Landes 08.07.1993 Deutschlands (HVD) Baden-Württemberg Freundeskreis Freiheit für Innenministerium des Landes 25.08.1993 Deutschland (FFD Nordrhein-Westfalen Bundesministerium des Innern 10.11.1994 Wiking Jugend e.V. (WJ) (auf Initiative des Niedersächsischen Innenministeriums) Bundesministerium des Innern Freiheitliche Deutsche 24.02.1995 (auf Initiative des NiedersächArbeiterpartei (FAP) sischen Innenministeriums) 24.02.1995 Nationale Liste (NL) Behörde für Inneres Hamburg Direkte Aktion/MitteldeutschInnenministerium des Landes 05.05.1995 land (JF) Brandenburg Bayerisches Staatsministerium 22.07.1996 Skinheads Allgäu des Innern Innenministerium des Landes 14.08.1997 Kameradschaft Oberhavel Brandenburg Heide-Heim e.V. und HeideNiedersächsisches 09.02.1998 heim e.V. Innenministerium 10.08.2000 Hamburger Sturm Behörde für Inneres Hamburg Blood & Honour -Division 12.09.2000 Deutschland mit JugendorgaBundesministerium des Innern nisation White Youth Skinheads Sächsische Schweiz (SSS) mit Skinheads Sächsische Sächsisches Staatsministerium 02.04.2001 Schweiz - Aufbauorganisatides Innern onen und Nationaler Widerstand Pirna 292 Anhang Bündnis nationaler SoziaInnenministerium des Landes 07.03.2003 listen für Lübeck Schleswig-Holstein Bayerisches Staatsministerium des 19.12.2003 Fränkische Aktionsfront Innern Kameradschaft Tor 07.03.2005 "Mädelgruppe" der KameInnensenator des Landes Berlin radschaft Tor Berliner Alternative Süd-Ost 07.03.2005 Innensenator des Landes Berlin (BASO) Kameradschaft Hauptvolk mit Innenministerium des Landes 06.04.2005 Untergruppierung "Sturm Brandenburg 27" Alternative Nationale StrausInnenministerium des Landes 04.07.2005 berger DArt Piercing und Brandenburg Tattoo Offensive (ANSDAPO) Innenministerium des Landes 26.06.2006 Schutzbund Deutschland Brandenburg Sächsisches Staatsministerium 23.04.2007 Kameradschaft Sturm 34 des Innern Blue White Street Elite (BWSE) rechtsextremistisch Innenministerium des 01.04.2008 beeinflusste Hooligan-VereiLandes Brandenburg nigung 07.05.2008 Collegium Humanum (CH) Bundesministerium des Innern Verein zur Rehabilitierung der wegen Bestreitens des 07.05.2008 Bundesministerium des Innern Holocaust Verfolgten (VRBHV) Heimattreue Deutsche Ju31.03.2009 Bundesministerium des Innern gend e.V. (HDJ) Mecklenburgische AktionsInnenministerium des Landes 28.05.2009 front Mecklenburg-Vorpommern 05.11.2009 Frontbann 24 Innensenator des Landes Berlin Freie Kräfte Teltow-Fläming Innenministerium des 11.04.2011 (FKTF) Landes Brandenburg Hilfsorganisation für nationaBundesministerium 30.08.2011 le politische Gefangene und des Innern ihre Angehörigen e.V. (HNG) Abkürzungsverzeichnis 293 8.4 Abkürzungsverzeichnis [AAB] Autonome Antifa BfZ Bürgerinitiative für Bückeburg Zivilcourage [AAH] Antifaschistische Aktion BGH Bundesgerichtshof Hannover BMI Bundesministerium des ABLE Association for better Innern Living and Education BPjM Bundesprüfstelle für juAG Aktionsgruppe gendgefährdende Medien AKL Antikapitalistische Linke BSG Bündnis für soziale GerechA.L.F. Animal Liberation Front tigkeit A.L.I. Antifaschistische Linke BVerfG Bundesverfassungsgericht International BVerfGE Entscheidungssammlung AMAK Antimilitaristischer des BVerfG Aktionskreis Hannover BVerfSchG BundesverfassungsschutzAMGT Vereinigung der Neuen gesetz Weltsicht e. V. BVerwG Bundesverwaltungsgericht AMS Assoziation Marxistischer Studierender CCHR Citizens Commission on AN Autonome Nationalisten Human Rights ANF Firat News Agency CDK Koordination der kurANNW Autonome Nationalisten dischen demokratischen Nordwest Gesellschaft in Europa ("Civata Demokratik KurdiANS/NA Autonome Nationalsoziastan") listen/Nationale Aktivisten CH Collegium Humanum - AN-WFSZ Autonome Nationalisten Akademie für Umwelt und Wolfenbüttel/Salzgitter Lebensschutz e. V. AQAH Al-Qaida auf der CIK Islamische Gemeinde Arabischen Halbinsel Kurdistans ARAB Antifaschistische RevolutioCSI Church of Scientology näre Aktion Berlin International AWG Außenwirtschaftsgesetz AZADI Rechtshilfefonds der RH DA Deutsche Akademie und der Föderation der Kurdischen Vereine in DA Direkte Aktion (Zeitung Deutschland der FAU/IAA) Dev Sol Devrimci Sol (Revolutionäre Linke) BFE Bund Freies Europa DHKP-C Revolutionäre VolksbefreiBfV Bundesamt für Verfasungspartei-Front (KARAsungsschutz TAS-Flügel) 294 Abkürzungsverzeichnis DIE LINKE.SDS DIE LINKE.SozialisGGB Gewerkschaft Gesundheitstisch-Demokratischer berufe Studentenverband GIAZ Projekt "Gemeinsames DITIB Türkisch-Islamische Union Informationsund Analyseder Anstalt für Religion zentrum Polizei und e.V. Verfassungsschutz Niedersachsen" DK Deutsches Kolleg GRU Russischer militärischer Nachrichtendienst DKP Deutsche Kommunistische ("Glawnoje RaswediwatelPartei noje Uprawlenije") DRP Deutsche Reichspartei GWS Genau wieder solche DVU Deutsche Volksunion G 10 Artikel 10-Gesetz EA Europäische Aktion HAMAS Islamische WiderstandsbeEMUG Europäische Moscheebauwegung und UnterstützungsgeHCOPL Hubbard Communication meinschaft e. V. Office Policy Letter ETA Baskische Befreiungsaktion HDJ Heimattreue Deutsche EU Europäische Union Jugend e. V. EuGH Gerichtshof der Europäischen Union HNG Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren FAP Freiheitliche Deutsche Angehörige Arbeiterpartei HPG VolksverteidigungseinFAU/IAA Freie Arbeiterinnenheiten und Arbeiter-Union / HRK Ostkurdistan Kräfte Internationale ArbeiterInHuT Hizb ut-Tahrir al-Islami nen Assoziation fdGO freiheitliche demokratische Grundordnung IAS International Association of Scientologist FFH Fast Forward Hannover IBP Islamischer Bund Palästina FOB Freies Osnabrücker Bündnis IBU Islamische Bewegung FSB Russischer Inlandsnachrichtendienst ("Federalnaja Usbekistan Slushba Besopasnosti") ICOR International Coordination of Revolutionary Parties and Organizations GFP Gesellschaft für Freie IGD Islamische Gemeinschaft in Publizistik e. V. Deutschland e. V. GG Grundgesetz für die BunIGMG Islamische Gemeinschaft desrepublik Deutschland Milli Görüs e. V. Abkürzungsverzeichnis 295 IL Interventionistische Linke KVPM Kommission für Verstöße IR Islamrat für die Bundesreder Psychiatrie gegen publik Deutschland Menschenrechte IZH Islamisches Zentrum Hamburg LfD Landesbeauftragter für den Datenschutz IZM Islamisches Zentrum LfV Landesbehörde für München Verfassungsschutz LTTE Befreiungstiger von Tamil JAKO Jugendantifa Kreis Eelam ("Liberation Tigers Osnabrück of Tamil Eelam") J.A.G. Jugendantifa Göttingen MB Muslimbruderschaft JLO Junge Landsmannschaft MC Motorradclub Ostdeutschland MF Marxistisches Forum JN Junge Nationaldemokraten mg militante gruppe M.G.R.H. Militante Gruppe Region KADEK Freiheitsund Demokratie Hannover kongress Kurdistans MID Chinesischer militärischer KCK Vereinigte Gemeinschaften Nachrichtendienst Kurdistans MLPD Marxistisch-Leninistische KJM Kommision für JugendmePartei Deutschlands dienschutz MÖS Ministerium für öffentliche KKK Geimeinschaft der KommuSicherheit, China nen in Kurdistan MOIS Ministry of Information KNK Kurdischer Nationalkonand Security (Ziviler Inund gress Auslandsgeheimdienst des KON-KURD Konföderation der Iran / in Farsi: VEVAK) kurdischen Vereine in MSB Marxistischer StudentenEuropa bund Spartakus KONGRA GEL Volkskongress MSS Ministerium für StaatsKurdistans sicherheit, China KPD Kommunistische Partei MSV Muslim-StudentenvereiniDeutschlands gung in Deutschland KPMD-PMK Kriminalpolizeilicher Meldedienst in Fällen NADIS Nachrichtendienstliches Politisch motivierter KrimiInformationssystem nalität NBK Nationaler Bildungskreis KPF Kommunistische Plattform der Partei DIE LINKE. KRM Koordinierungsrat der NCAZ Nationales Cyber-AbwehrMuslime in Deutschland Zentrum 296 Abkürzungsverzeichnis NEIS Niedersächsische ExtremisSAV Sozialistische Alternative mus-Informations-Stelle Voran NATO North Atlantic Treaty OrSDAJ Sozialistische Deutsche ganization (NordatlantikArbeiterjugend vertrag) SdR Stimme des Reiches NPD Nationaldemokratische Sea Org Sea Organization Partei Deutschlands SJ Schlesische Jugend NSBM National Socialist Black Metal SL Sozialistische Linke NVerfSchG Niedersächsisches SO Scientology-Organisation Verfassungsschutzgesetz SRP Sozialistische Reichspartei StGB Strafgesetzbuch OLG Oberlandesgericht SWR Russischer Dienst für AusOrg Organisation/Kirche (im landsaufklärung ("Slushba Zusammenhang mit Wneschnej Raswedkij") Scientology) OSA Office of Special Affairs TAK Freiheitsfalken Kurdistans OVG Oberverwaltungsgericht TBL Transportbehälterlager TBV Tamilische BildungsvereiniPDS Partei des Demokratischen gung Sozialismus TCC Tamil Coordination ComPJAK Partei für ein freies Leben mittee in Kurdistan TGTE Transnational Government PKK Arbeiterpartei Kurdistans of Tamil Eelam PMK Politisch motivierte THKP-C Türkische VolksbefreiungsKriminalität partei-Front - Revolutio näre Linke (YAGAN-Flügel) TJ Tablighi Jama'at RAC Rock Against Communism TKP/ML Türkische Kommunistische RAK Rote Aktion Kornstraße Partei / Marxisten-LeniRAZ Revolutionäre Aktionsnisten zellen TRO Tamil Rehabilitation REP Die Republikaner Organization RF Russische Föderation TSO Tamil Student OrganizaRGID Revolutionary Guards Inteltion ligence Departement (GeTYO Tamil Youth Organization heimdienst der iranischen Revolutionsgarden) RH Rote Hilfe e. V. UN United Nations, Vereinte Nationen RHD Rote Hilfe Deutschland UZ Unsere Zeit RNF Ring Nationaler Frauen UWL Unabhängige Wählerliste Lüneburg/Bündnis Rechte Abkürzungsverzeichnis 297 VEVAK Ziviler Inund Auslandsgeheimdienst des Iran VG Verwaltungsgericht VIKZ Verband der Islamischen Kulturzentren e. V. VR Volksrepublik VRBHV Verein zur Rehabilitierung der wegen Bestreitens des Holocaust Verfolgten VS Verschlusssache VSA Verschlusssachenanweisung WASG Partei Arbeit & Soziale Gerechtigkeit - Die Wahlalternative WISE World Institute of Scientology Enterprises WTSF Ltd. Wilhelm-Tietjen-Stiftung für Fertilisation Limited YEK-KOM Föderation kurdischer Vereine in Deutschland e. V. YHK Union der Juristen Kurdistans YMK Union der kurdischen Lehrer YÖP Yeni Özgür Politica YRK Union der Journalisten Kurdistans YXK Union der StudentInnen aus Kurdistan ZMD Zentralrat der Muslime in Deutschland ZOG Zionist Occupied Government 298 Personenund Stichwortverzeichnis 8.5 PERSONENUND STICHWORTVERZEICHNIS A ABOU MALEEQ * siehe CUSPERT, Denis ABOU NAGIE, Ibrahim * 58f. ABOU TALHA AL-ALMANI * siehe CUSPERT, Denis ABU ANAS/ENES * siehe CIFTCI, Muhamed ABU USAMA AL-GHARIB * siehe MAHMOUD, Mohamed Adler-Versand * 116,119 AKAN, Geylani * 78 Aktionsbüros * 126 Aktionsfront Nationaler Sozialisten/Nationale Aktivisten (ANS/NA) * 110 Aktionsgruppe Gifhorn * 133, 136, 147 Aktionsgruppe Wolfsburg * 136 AL-BANNA, Hasan * 44 al-Qaida * 44-49, 61f. AL-AWLAQI, Anwar * 47, 62 Alerta - libertäres Netzwerk Hannover * 197 Alhambra * 182, 207 Altermedia Deutschland * 124 Alte Schule * 119 An der Front * 93 Anarchismus * 178 Animal Liberation Front (A.L.F.) * 188f. Antifa der Uni Hannover (762 -) * 195, 206f. Antifa rk Wunstorf * 195 Antifaschismus * 183f., 190, 192, 195, 198, 203, 233 Antifaschistische Aktion Hannover [AAH] * 195ff., 206 Antifaschistische Gruppe Braunschweig * 191 Antifaschistische Linke International (A.L.I.) * 195, 205, 223 Antikapitalistische Linke (AKL) * 211, 217 Antifaschistisches Plenum Braunschweig *191 Antimilitarismus * 196f., 203 Antimilitaristischer Aktionskreis AMAK * 197 Antiradikalisierung * 30, 66 Antirassismus * 187, 198, 203 Antisemitismus (Begriff) * 100f., 113, 206 Personenund Stichwortverzeichnis 299 APFEL, Holger * 149, 151, 153f., 156, 158 Arabischer Frühling * 59, 68 Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) * 39f., 82-93, 212, 223, 231, 258 Arbeitsgemeinschaft Cuba Si * 211, 217 Artikel 10-Gesetz * 19, 264, 270ff., 277ff., 284, 290 Association for better Living and Education (ABLE) * 238 Assoziation Marxistischer Studierender (AMS) * 227f. Atomenergie (Proteste gegen die - ) * 183, 198 Atomstaat stilllegen (Kampagne - ) * 180, 201f. Autonome * 23, 173, 179, 182ff., 186, 188, 190ff., 195-204, 211, 222f. Autonome Antifa Bückeburg [ABB] * 191 Autonome Nationalisten * 126-129, 133, 137, 139 Autonome Nationalisten Wolfenbüttel/Salzgitter * 127, 131, 134, 139 AVANTI - Projekt undogmatische Linke * 195, 203-207 B Bataillon 500 * 114 BEHRENS, Matthias * 135, 157, 159 BERISHA, Christian * 149, 157ff. Besseres Hannover * 106f., 119, 133ff., 139, 141, 144, 146f. BIERBAUM, Heinz * 214 BIN LADIN, Usama * 47, 62 Blackout * 121 Blitzkrieg * 114 Blood & Honour * 110ff., 291 Bock * 107, 134f. BRANDES-STEGGEWENTZ, Giesela * 209 BROMBACHER, Ellen * 216 Brutal Attack * 121 BÜHRIG, Dennis * 135 Bündnis für soziale Gerechtigkeit (BSG) * 227 Bürgerinitiative für Zivilcourage Hildesheim * 119, 133, 135 Bürgerinitiative für Zivilcourage Wolfsburg * 130, 136, 141 Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) * 56, 120, 134,165 Bund Freies Europa (BFE) * 164 Bunker 16 * 114f., 119, 121 Burschenschaft Thormania * 116, 133, 137, 142, 147 300 Personenund Stichwortverzeichnis C CASTOR-Transport (Aktionen gegen den - ) * 175, 180, 198-202, 233 Castor? Schottern! (Kampagne -) * 180, 201f. Cherusker * 120 CHOUKA, Mounir * 60f. Church of Scientology International (CSI) * 237 CIFTCI, Hakki * 75 CIFTCI, Muhamed * 57f., 60 Citizens Commission on Human Rights (CCHR) * 238 Civata Demokratik Kurdistan *84 Collegium Humanum - Akademie für Umwelt und Lebensschutz e. V. (CH) * 163, 292 CUSPERT, Denis * 62f. D DAMMANN, Adolf * 157, 159 Das Freie Forum * 169 Das Land ist der Nabel * 93 Das Zeughaus * 116 DEHM, Dr. Diether * 217 Der Aktivist * 160ff. Der Versand * 116 Deutsche Akademie * 169 Deutsche Kommunistische Partei (DKP) * 178, 192, 197, 209, 211f., 224-228 Deutsche Stimme * 123, 149, 154, 156 Deutsche Volksunion (DVU) * 96, 104f., 150 Deutsche Wochen-Zeitung * siehe National-Zeitung Deutschland-Pakt * 150 Die-in * 197 DIE LINKE. * 173, 178-181, 192, 197, 209-218, 221-224, 227 DIE LINKE.SDS * 220f. Die Linkspartei.PDS * siehe DIE LINKE. Die Rote Spindel * 224 Die wahre Religion * 58 Direkte Aktion * 232 DISPUT * 209 DITIB * 32, 74 DITTRICH, Heidrun * 217, 222 Personenund Stichwortverzeichnis 301 Dschihad/Dschihadismus * siehe Jihad Dual use * 241, 248 Düütsche Deerns * 142f., 145 E Einherjer * 114 Endstufe * 119, 121 En-Nahda * 68f. ERBAKAN, Necmettin * 73, 75, 77ff. ERGÜN, Kemal * 72, 75, 79 ERNST, Klaus * 181, 209f. Ethnopluralismus * 100, 168 Europäische Aktion (EA) * 164ff. Europäische Moscheebauund Unterstützungsgemeinschaft e. V. (EMUG) * 73 EU-Terrorliste * 83, 90, 93 F Faktenspiegel * 165 Fanzines * 110 Fast Forward Hannover (FFH) * 195, 206 Faustrecht * 121 Fight Back! * 182 FISCHER, Christian * 160, 162 Föderation kurdischer Vereine in Deutschland e. V. (YEK-KOM) * 84, 223, 231 Frauenfeindlichkeit * 112 Free Your Mind * 116 Freie Arbeiterinnenund Arbeiter-Union / Internationale ArbeiterInnen Assoziation (FAU/IAA) * 197, 206, 232f. Freie Kameradschaft Buchholz * 138 Freie Kräfte Celle * 133, 135, 141, 145, 147 Freie Nationalisten * 131f. Freies Osnabrücker Bündnis (FOB) * 158 Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei (FAP) * 110, 291 Freiheitsfalken Kurdistans * 90 Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistans (KADEK) * siehe Volkskongress Kurdistans Freistaat Preußen * 163 Fremdenfeindlichkeit (Begriff) * 100, 113 302 Personenund Stichwortverzeichnis FRICKE, Detlef * 224 Front Records * 116 "Fünf Gifte" * 245 G Geheimschutz * 250f., 255 Geheimdienst der iranischen Revolutionsgarden (RGID) * 247 Gemeinschaft der Kommunen in Kurdistan (KKK) * 82f. Geraer Dialog/Sozialistischer Dialog * 211, 217 Geschichtsrevisionismus * 100, 162f. Gesellschaft für Freie Publizistik e. V. (GFP) * 169 GIESE, Daniel * 118 Gigi und die Braunen Stadtmusikanten * 118 Gladiator Germania * 137 Globalisierung (Proteste gegen die - ) * 113, 126, 153 göttinger Drucksache * 182 GÖTZE, Martin * 166 Gremium MC *171 H HAMAS * siehe Islamische Widerstandsbewegung Hannoversches VolksBlatt * 224 Hatecore * 113 Hatecore Lüneburg * 116 HAVERBECK-WETZEL, Ursula * 166f. Heide-Heim e. V. und Heideheim e. V. * 291 Heimattreue Deutsche Jugend (HDJ) * 162, 166, 292 HEISE, Thorsten * 110 Heisenhof * 171f. HENNIG, Rigolf Dr. * 159, 163-166 Heß, Rudolf (Gedenkaktionen für - ) * 126, 146 Hildesheimer Widerstand * 137 Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige (HNG) * 101, 148, 292 Hizb Allah * 45, 79ff. Hizb ut-Tahrir al-Islami (HuT) * 45 HÖFS, Arnold * 164f. HOFF, Herbert * 165 Personenund Stichwortverzeichnis 303 Holocaust (Leugnung/Relativierung) * 101, 139, 159, 163ff. Homegrown Islamist Terrorism * 30, 48, 66 HUBBARD, Lafayette Ron * 234, 236 HUMKE, Patrick * 223 I Inspire * 61f. INTERIM * 182, 186, 194f., 201 International Association of Scientologists (IAS) * 238 Interventionistische Linke (IL) * 179, 204f. ISD Records * 116 Islamische Gemeinde Kurdistans (CIK) * 86 Islamische Gemeinschaft in Deutschland e. V. (IGD) * 74 Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e. V. (IGMG) * 72-79 Islamische Widerstandsbewegung HAMAS * 68f. Islamischer Bund Palästina (IBP) * 69 Islamismus (Begriff) * 16, 23, 30, 32f., 42-46, 51, 53, 67, 80, 259 Islamrat für die Bundesrepublik Deutschland (IR) *74 Islamistische Radikalisierung * 30, 48, 64ff., 256 Islamistischer Terrorismus * 44, 46, 48, 51, 256 J Jugend Antifa Aktion Braunschweig * 191 Jugendantifa Göttingen (J.A.G.) * 192, 194f., 223 Jugendantifa Kreis Osnabrück (JAKO) * 195 Jihad/Jihadismus * 46, 49, 51f., 60-63 Jihad-Salafismus * 51, 53, 63 JÜRGENSEN, Bettina * 224 Junge Landsmannschaft Ostdeutschland (JLO) * 141, 167 Junge Nationaldemokraten (JN) * 133, 141, 154, 156, 160ff., 165 Junge Welt * 214-217, 222, 229 K Kameradschaft 73 Celle * 135f. Kameradschaft Hildesheim * 133, 137, 141, 145 Kameradschaft Northeim * 145 KARAHAN, Yavuz Celik * 72, 75, 79 KARAYILAN, Murat * 85, 89 304 Personenund Stichwortverzeichnis Kategorie C * 120 KELLOGLU , Gülten * 223 KHAN, Samir * 62 KOMALEN CIWAN * 86, 223 Kommando Ost * 114 Kommission für Verstöße der Psychiatrie gegen Menschenrechte (KVPM) * 238 Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) *178, 192, 224, 227, 229f., 260, 262 Kommunistische Plattform der Partei DIE LINKE. (KPF) * 211, 217f. Konvertiten * 48 Konföderation der kurdischen Vereine in Europa (KON-KURD) * 84 Koordination der kurdisch-demokratischen Gesellschaft in Europa (CDK) * 84, 89, 92 Koordinierungsrat der Muslime in Deutschland (KRM) * 74 KRÄMER, Frank *113 KÜHNEN, Michael * 110 KURDAS, Mustafa * 77 Kurdistan-Festival * 85 Kurdistan Volkshaus e. V. Hannover * 92, 223 L LAFONTAINE, Oskar * 179 Landser * 116 Legion of St. George * 115 Legion of Thor * 114 Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE) * 93ff. Linkes Forum * 209 Linksextremismus (Begriff) * 26ff., 173, 178, 180ff., 260 Linksjugend ['solid] * 218f. LÖTZSCH, Gesine * 181, 209f., 214, 222 Lunikoff-Verschwörung, Die * 116, 156 M MAHMOUD, Mohamed * 62 marx21 * 209 Marxismus * 178 Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) * 178 Marxistische Blätter * 224 Marxistischer Studentenbund Spartakus (MBS) * 228 Personenund Stichwortverzeichnis 305 Marxistisches Forum (MF) * 211, 217f. Mauser, Johnny * 208 Max H8 * 116 Mazlum-Dogan-Festival * 86 MENZNER, Dorothee * 217 Micetrap Distribution * 116 Militanzdebatte * 183f. Milli Gazete * 76-79 Ministerium für Nachrichten und Sicherheit des Iran (MOIS) * 247f. Ministry of Information and Security (MOIS) * 247f. MISCAVIGE, David * 234, 237 MOCK, Heinrich * 163 Multiplex-Musica * 116 Muslim Studentenvereinigung in Deutschland (MSV) * 74 Muslimbruderschaft * 44, 51, 67ff., 74 N Nachrichten der HNG * 148 NAHTZ, Joachim * 142f. NASRALLAH, Hassan * 79 Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) * 96, 101, 104f., 107ff., 113, 123, 127f., 132, 135, 147, 149-160, 161ff., 170f., 191f., 262 Nationale Liste (NL) * 291 Nationale Sozialisten Niedersachsen * 142 Nationaler Antikriegstag * 146 Nationaler Widerstand Hildesheim * 137 Nationaler Widerstand Tostedt * 137 Nationaler Widerstandsrat Iran (NWRI) * 248 Nationales Cyber-Abwehrzentrum (NCAZ) * 241, 252f. Nationalismus * 44, 100, 127f., 153 Neonazismus (Begriff) * 101, 108, 126, 130 Neonazistische Kameradschaften * 125f. Netzwerk Nationaler Sozialisten Bückeburg * 134, 139 Neue Rechte * 168 Nordfront * 115, 118, 119 Nordic Flame * 116 NS 88 * 116 NSM 88 * 116 306 Personenund Stichwortverzeichnis O ÖCALAN, Abdullah * 82f., 85, 88-91, 223 Office of Special Affairs (OSA) * 237 Oi!-Skin * 112, 119 Old Honour New Hatred Records * 116 Özgür Politika * siehe Yeni Özgür Politika P Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS) * siehe DIE LINKE. Partei für ein freies Leben in Kurdistan (PJAK) * 89 PC Records * 116, 118 PDS * siehe DIE LINKE. Perspektif * 72, 76 PFEIFFER, Martin * 169 Phase 2 - Zeitschrift gegen die Realität * 181 PKK * siehe Arbeiterpartei Kurdistans Politischer Salafismus * 53 Politisch motivierte Kriminalität * 23, 39, 41f., 98f., 175, 177 PRABHAKARAN, Velupillai * 93 prisma - prima radikales info sammelsurium militanter aktionen * 184, 194, 196, 202 Priorität 18 * 121 Proliferation * 240f., 248f. Projekt Aaskereia * 114 Pulverturm * 224 Q QUTB, Sayyid * 44 R Race War * 116 radikal * 182, 187, 194 Radio FSN.de * 123 Radio Irminsul * 124 Radio Kaffeebraun * 124 Ragnarök Shop/ Pit's American Dreamstore 13 * 116 RAMELOW, Bodo * 181 Ratatösk * 111 Personenund Stichwortverzeichnis 307 Rassismus (Begriff) * 100f., 111, 190f., 198, 206f., 219 Reborn Muslims * 48 Rechtsextremismus (Begriff) * 22f., 27ff., 32, 34, 96-108, 125, 133ff., 148ff., 168ff., 190, 260 Redical [M] * 194 REGENER, Michael "Lunikoff" * 116, 156 Reichswehr * 114 RENOUF, Michele * 166 Revisionismus * siehe Geschichtsrevisionismus Revolutionary Guards Intelligence Departement (RGID) * 247 Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front, KARATAS-Flügel (DHKP-C) * 258 RIEFLING, Dieter * 137, 142 RIEFLING, Ricarda * 151, 157ff. RIEGER, Jürgen * 170f. Ring Nationaler Frauen (RNF) * 150, 156 Rock against Communism (RAC) * 113 Rockerclubs * 171 ROJ TV * 82, 85f., 88, 91 Rote Aktion Kornstraße [RAK] * 197, 205 Rote Hilfe e. V. (RH) * 193, 230f. Roter Käfer * 224 RotFuchs * 228ff. S Salafismus * 28, 32, 51-60, 67 Sauerlandgruppe * 48, 51f. SCHÄFER, Michael * 160f. Scharia * 43, 54, 67f., 70ff., 259 SCHAUB, Bernhard * 146ff. SCHIEDEWITZ, Wolfram * 166, 171 Schiitischer Islamismus * 80 Schlesische Jugend (SJ) * 166 SCHMIDT, Björn * 227 Schwarze Fahne * 131 Scientology-Organisation * 234-239 Scythian Services * 116 Sea Organization * 238 Section 88 * 121 308 Personenund Stichwortverzeichnis Short Cropped * 121 Sigil * 114 SILAR, Stefan * 138 Skinhead-Konzerte * 121 Skinheads * 96, 105, 108-112, 150, 291 SKODA, Sven * 145 Sleipnir * 114 Snevern Jungs * 133, 135, 142 SOHN, Manfred * 209, 215, 217 Sozialistische Alternative Voran (SAV) * 211 Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend (SDAJ) * 227 Sozialistische Linke (SL) * 211, 217 Sozialistische Reichspartei (SRP) * 15, 149, 262 SRIRAVINDRANATHAN, John Pillai * 93 Stahlgewitter * 113, 118, 122 Stimme des Reiches (SdR) * 163 Streetwear Tostedt * 116, 138, 142 Sturmtrupp * 114, 119 Sunna * 70f., 78 T TABULA RASA * 182 Tablighi Jama'at (TJ) * 70ff. Tag der deutschen Zukunft * 106, 137, 142, 144, 191, 233 Tamil Coordination Committee (TCC) * 94f. Tamilische Bildungsvereinigung (TBV) * 94 Tamil Rehabilitation Organization (TRO) * 94 Tamil Student Organization (TSO) * 94 Tamil Youth Organization (TYO) * 94 Terrorismus * 22ff., 31f., 39, 44, 46ff., 51, 66, 108, 242, 256, 261 Terroritorium * 119, 121 Thiazi Forum * 122, 143 Thormania * 116, 133, 137, 142, 147 Thule Seminar * 169 Tierrechtler * 188f. Timebomb * 121 TOPRAKLI, Yüksel * 223 Personenund Stichwortverzeichnis 309 U ÜCÜNCÜ, Oguz * 75 UKA, Arid * 46, 50, 52, 63 Unabhängige Wählerliste Lüneburg/Bündnis Rechte (UWL) * 158f. Union der Journalisten Kurdistans (YRK) * 86 Union der Juristen Kurdistans (YHK) * 86 Union der kurdischen Lehrer (YMK) * 86 Unsere Zeit (UZ) * 224, 226 Unsterblichen, Die * 129f., 138, 144 V Valhalla Patriots * 114 Vegananarchisten * 188 Veganelinke * 188 Verband der Islamischen Kulturzentren e. V. (VIKZ) * 74 Verbote neonazistischer Vereinigungen * 291 Verein Gedächtnisstätte e. V. * 166f., 170 Verein zur Rehabilitierung der wegen Bestreitens des Holocaust Verfolgten (VRBHV) * 292 Vereinigte Gemeinschaften Kurdistans (KCK) * 82, 85 Vereinigung der Neuen Weltsicht in Europa e. V. (AMGT) * 72f. vers beaux temps * 182 Vierländer Jungs * 121 Violence * 110 VOGEL, Pierre * 54, 58, 60 VOIGT, Udo * 150f., 153, 156, 160 Volksfront Medien Niedersachsen * 142 Volksfront von rechts * 150 Volksgemeinschaft * 100, 107, 128, 130, 132, 143, 149-152 Volkskongress Kurdistans (KONGRA GEL) * 82 Volksmodjahedin Iran-Organisation (MEK) * 248 Volksverteidigungseinheiten (HPG) * 83, 89f. Vulkan * 93 W WAGENKNECHT, Sahra * 218 WB Versand * 116 Weisse Wölfe Terrorcrew * 138 310 Personenund Stichwortverzeichnis Werwolf Records * 116 White Resistance * 115 Widerstand Radio * 124 WiderSetzen (Kampagne -) * 200 Wiking-Jugend e. V. (WJ) * 191 Wikinger Versand * 116 Wilhelm-Tietjen-Stiftung für Fertilisation Limited (WTSF Ltd.) * 171 Wirtschaftsschutz * 32, 241, 250-257, 262 Wirtschaftsspionage * 241, 251f., 255, 262 WORCH, Christian * 136 Words of Anger * 115 World Institute of Scientology Enterprises (WISE) * 237 WULFF, Thomas * 171 X x-tausendmal quer * 200 Y Yeni Özgür Politika * 82, 223 Youngland * 115 Z Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD) * 74 ZIMMERMANN, Pia * 217 Ortsverzeichnis 311 8.6 ORTSVERZEICHNIS (Niedersachsen) Achim * 162 Bad Nenndorf * 98, 106, 141, 144ff., 168, 191f. Bentheim * 157f., 227 Bersenbrück* 33 Bovenden * 116 Braunschweig * 30, 48, 51f., 57f., 69, 72, 75, 78f., 98, 109, 121, 136f., 142, 144, 147, 182, 191, 193, 230, 232f. Buchholz idN * 134, 138, 141, 189 Celle * 133, 135f., 141f., 145, 147, 207, 245 Cloppenburg * 59 Cremlingen * 116 Dannenberg * 33, 168, 195, 199f., 221, 227 Delmenhorst * 160, 162 Diekholzen * 116 Diepholz * 121 Dörverden * 171f. Einbeck * 109, 121, 139 Emsland * 139, 157f. Eschede * 142f. Ganderkesee * 33 Garbsen * 33 Georgsmarienhütte * 33 Gifhorn * 33, 133, 136, 147, 158, 187 Gorleben * 180, 199ff. Goslar * 33, 59, 158f. Göttingen * 33, 69, 72, 91, 95, 98, 141, 157f., 160,175f., 182f., 187, 192-195, 205, 207f., 221ff., 227f., 230f. Hameln * 33, 159, 230, 245 Hannover * 28, 30, 32f., 58f., 69, 71f., 79, 81, 85, 91f., 95, 98, 103, 106f., 109, 111, 113, 115f., 118f., 121, 133-136, 139, 141, 144, 146f., 149, 157f., 163f., 182, 188, 193, 195ff., 203, 205ff., 209, 219, 223f., 226ff., 230-234, 239, 244, 249, 255f. Harburg * 98, 137f., 147, 166, 171, 189 Harz * 139 Helmstedt * 33, 159 Herzberg * 159 312 Ortsverzeichnis Hildesheim * 33, 85, 119, 133, 135ff., 141, 145, 147 Hollern-Twielenfleth * 171 Holzminden * 33, 159 Langenhagen * 33 Leer * 33 Lingen * 116, 224 Lohne * 85 Lüchow * 33, 186, 195, 199f., 221, 227 Lüneburg * 28, 33, 76, 109, 116, 149, 156-160, 162, 171, 193, 200, 207f. Meinersen * 33 Melle * 33 Meppen * 118 Munster * 159 Nienburg * 33, 98 Nordhorn * 59, 224, 227 Northeim * 109, 139, 145, 148, 157, 160, 191f. Oldenburg * 28, 33, 159, 182, 191, 193, 198, 207, 221, 224, 228 Osnabrück * 59, 69, 72, 79, 81, 95, 118, 158, 162, 192f., 195, 230 Osterode * 157 Ostfriesland * 139, 158 Papenburg * 33 Peine * 33, 59, 85, 98, 109, 137, 144, 180, 188, 191f. Quakenbrück * 33 Salzgitter * 33, 59, 79, 85, 92, 109, 116, 121, 127, 131, 134, 136, 139, 144 Schaumburg * 98, 139 Schneverdingen * 109, 119, 133, 141, 255 Seelze * 33 Seesen * 116 Seevetal * 166, 171 Soltau * 109 Springe * 164 Stade * 156, 158f., 171 Stadtoldendorf * 33 Südniedersachsen (Region) * 76, 81, 169 Syke * 114, 121 Tostedt * 111, 116, 134, 137f., 141f. Uelzen * 81, 109, 121 Vechta * 162 Ortsverzeichnis 313 Verden * 28, 33, 159, 162f., 171f. Wendland * 156, 201f., 205 Westerstede * 98 Weyhe * 33 Wildeshausen * 33 Wilhelmshaven * 33, 59 Wolfenbüttel * 127, 131, 134, 139, 141, 144 Wolfsburg * 51, 69, 72, 130, 133, 136, 141, 147, 158 Wunstorf * 195, 223, 298 VERTEILERHINWEIS: Diese Druckschrift wird von der Landesregierung Niedersachsen im Rahmen ihrer verfassungsrechtlichen Verpflichtung zur Unterrichtung der Öffentlichkeit herausgegeben. Sie darf weder von Parteien noch von Wahlwerbern oder Wahlhelfern während eines Wahlkampfes zum Zwecke der Wahlwerbung verwendet werden. Dies gilt für alle Wahlen. Missbräuchlich ist insbesondere die Verteilung auf Wahlveranstaltungen, an Informationsständen der Parteien sowie das Einlegen, Aufdrucken oder Aufkleben parteipolitischer Informationen oder Werbemittel. Untersagt ist auch die Weitergabe an Dritte zum Zwecke der Wahlwerbung. Auch ohne zeitlichen Bezug zu einer Wahl darf die vorliegende Druckschrift nicht so verwendet werden, dass dies als Parteinahme des Herausgebers zugunsten einzelner politischer Gruppen verstanden werden könnte. Diese Beschränkungen gelten unabhängig vom Vertriebsweg, also unabhängig davon, auf welchem Wege und in welcher Anzahl diese Informationsschrift dem Empfänger zugegangen ist. Den Parteien ist es gestattet, die Druckschriften zur Unterrichtung ihrer eigenen Mitglieder zu verwenden. (c) Niedersächsisches Ministerium für Inneres und Sport Abteilung Verfassungsschutz Herausgeber: Niedersächsisches Ministerium für Inneres und Sport Presseund Öffentlichkeitsarbeit Lavesallee 6, 30169 Hannover Telefon: 0511 120-6255 Fax: 0511 120-6555 E-Mail: pressestelle@mi.niedersachsen.de Internet: www.mi.niedersachsen.de Herstellung: LGLN, Hannover