Vorwort Liebe Mitbürgerinnen und Mitbürger, auch im Jahr 2005 war die Hauptaufgabe des Niedersächsischen Landesamtes für Verfassungsschutz (NLfV), politischen Extremismus sorgfältig zu beobachten und durch gezielte Informationsbeschaffung bekämpfen zu helfen. Sowohl die Beobachtung des Rechtsextremismus als auch des islamistischen Extremismus und Terrorismus stellten im Berichtszeitraum erneut die beiden Arbeitsschwerpunkte des NLfV dar. Ein weiterer Schwerpunkt lag im Bereich des Linksextremismus. Die niedersächsischen Sicherheitsbehörden messen der konsequenten Kontrolle der rechtsextremistischen Musikszene und der neonazistischen Kameradschaften eine besondere Bedeutung zu. Zu diesem Zweck hat die Landesregierung die Prävention und Aufklärung über rechtsextremistische Aktivitäten intensiviert. Die vom Niedersächsischen Landesamt für Verfassungsschutz konzipierte Wanderausstellung "Demokratie schützen - Verfassungsschutz gegen Rechtsextremismus" leistet hierzu einen unverzichtbaren Beitrag in den Kommunen und vor allem in den Schulen unseres Landes und dient auch der Aufklärung der Bürgerinnen und Bürger. Darüber hinaus führt seit Mai 2004 das Niedersächsische Kultusministerium - parallel zur Öffentlichkeitsarbeit des NLfV in den Schulen - in intensiver Zusammenarbeit mit dem NLfV, eine landesweite Aufklärungskampagne durch. Ihr Ziel ist, Lehrkräfte und andere Multiplikatoren über die Absichten von Rechtsextremisten im Internet und in der Musikszene zu informieren und sie für die geistig-politische Auseinandersetzung mit dem militanten Rechtsextremismus "fit" zu machen. Auch Eltern sollen sensibilisiert werden. Der intensiven Zusammenarbeit zwischen den Sicherheitsund den Schulbehörden ist es zu verdanken, dass 2005 die geplante CD-Verteilaktion von Rechtextremisten auf den Schulhöfen in Niedersachsen gescheitert ist. Ansätze von Rechtsextremisten um den Hamburger Neonazi RIEGER, die Liegenschaft Heisenhof in Dörverden als Treff und Tagungsstätte zu entwickeln, konnten die Kommunalund Landesbehörden im Berichtszeitraum erfolgreich unterbinden. Das neue Gemeinsame Informationsund Analysezentrum des LKA Niedersachsen und des NLfV, das GIAZ Polizei und Verfassungsschutz Niedersachsen, leistete bei der Bewältigung der von diesem Objekt ausgehenden Gefahrenlagen wertvolle Informationsbündelung. Neben dem Rechtsextremismus stellt auch in Niedersachsen die Beobachtung islamistisch-extremistischer Gruppierungen weiterhin eine zentrale Aufgabe des Verfassungsschutzes dar. Dabei gilt auch für den Berichtszeitraum 2005 die Feststellung: Niedersachsen ist nach wie vor kein Schwerpunktland extremistischer Aktivitäten von Ausländern. Gleichwohl richtet sich das besondere Augenmerk des Niedersächsischen Verfassungsschutzes weiterhin auf die Aktivitäten islamistischer Organisationen in Niedersachsen. Auch die Bekämpfung der Gewaltbereitschaft von Autonomen und anderen militanten Linksextremisten bleibt eine unverzichtbare Aufgabe von Verfassungsschutz und Polizei. Der Linksextremismus stellt einen mit dem Islamismus und dem Rechtsextremismus vergleichbaren Schwerpunkt dar. Die bedrohlichste Erscheinungsform des Linksextremismus ist nach wie vor das Spektrum der so genannten Autonomen und sonstigen gewaltbereiten Linksextremisten. Abschließend möchte ich es nicht versäumen, den Mitarbeitern des NLfV, aber auch der anderen niedersächsischen Sicherheitsbehörden nachdrücklich für ihre oftmals schwierige, im Berichtszeitraum wiederum sehr erfolgreiche Arbeit für die Sicherheit unseres Bundeslandes zu danken. Uwe Schünemann Niedersächsischer Minister für Inneres und Sport Rechtsextremismus Linksextremismus Ausländerextremismus Scientology Spionageabwehr Geheimu. Wirtschaftsschutz Verfassungsschutz in Niedersachsen Anhang, Abkürzungs-, Stichwortund Ortsverzeichnis INHALTSÜBERSICHT RECHTSEXTREMISMUS............................................................................................. 9 Mitglieder-Potenzial ............................................................................................................... 9 Politisch motivierte Kriminalität (PMK) mit extremistischem Hintergrund ....................... 10 Einführung............................................................................................................................. 14 Aktuelle Entwicklungen in Niedersachsen .......................................................................... 17 "Heisenhof"........................................................................................................................... 20 Intellektualisierungsbemühungen im Rechtsextremismus ................................................. 20 Rechtsextremistischer Geschichtsrevisionismus ................................................................... 23 Rechtsextremistische Skinheads und sonstige gewaltbereite Rechtsextremisten ............ 28 Szenezeitschriften (Fanzines) ......................................................................................... 31 Rechtsextremistische Musikszene .................................................................................. 32 Aktivitäten niedersächsischer Skinhead-Bands ............................................................. 35 Rechtsextremistische Konzerte.................................................................................... 37 Nutzung des Internets durch Rechtsextremisten ................................................................ 39 Neonazistische Kameradschaften ........................................................................................ 40 Entstehungsgeschichte ................................................................................................... 41 Ideologie ......................................................................................................................... 42 Kameradschaften in Niedersachsen............................................................................... 44 Überregionale Aktivitäten von Kameradschaften........................................................ 46 Verbote neonazistischer Vereinigungen ............................................................................. 49 Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige e. V. (HNG) ............................................................................................................................. 51 Rechtsextremistische Parteien .............................................................................................. 53 Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD)...................................................... 53 Junge Nationaldemokraten (JN) ................................................................................. 64 Deutsche Volksunion (DVU) ........................................................................................... 67 Die Republikaner (REP)................................................................................................... 71 Exilregierung Deutsches Reich ............................................................................................. 75 LINKSEXTREMISMUS .............................................................................................. 77 Mitglieder-Potenzial ............................................................................................................. 77 Politisch motivierte Kriminalität (PMK) mit extremistischem Hintergrund ....................... 78 Einführung............................................................................................................................. 82 Autonome und sonstige gewaltbereite Linksextremisten ................................................. 84 Ursprünge und Ziele ....................................................................................................... 84 Antideutsche/Antinationale ........................................................................................... 86 Autonome Organisierungsbemühungen ...................................................................... 87 Regionale Spaltungen und Vernetzungen................................................................... 88 Medien der autonomen Szene ...................................................................................... 90 Aktionsfelder Antifaschismus und Antirassismus ......................................................... 92 Einflussnahme von Linksextremisten auf die Proteste gegen Globalisierung und Neoliberalismus .................................................................. 96 Einflussnahme von Linksextremisten auf die Proteste gegen Kernenergie................ 98 Verfassungsfeindlicher Hintergrund des Widerstandes gegen den Castor-Transport .......................................................................................... 99 Beteiligung von Linksextremisten bei den Protesten gegen den Castor-Transport ........................................................................................ 101 Die Linkspartei.PDS ............................................................................................................. 104 Deutsche Kommunistische Partei (DKP)............................................................................. 108 Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) ..................................................... 112 Freie Arbeiterinnenund Arbeiter-Union/Internationale ArbeiterInnen Assoziation (FAU/IAA) .................................................................................................. 114 Linksruck .............................................................................................................................. 115 Rote Hilfe e. V. (RH) ............................................................................................................ 117 Antirevisionistische Publikationen ..................................................................................... 121 RotFuchs ........................................................................................................................ 121 offen-siv - Zeitschrift für Sozialismus und Frieden ..................................................... 123 AUSLÄNDEREXTREMISMUS................................................................................. 125 Mitglieder-/Anhänger-Potenzial ........................................................................................ 125 Politisch motivierte Kriminalität (PMK) mit extremistischem Hintergrund .................. 125 Einführung........................................................................................................................... 129 Islamismus als politische Weltanschauung .................................................................. 130 Die terroristische Dimension des Islamismus, der islamistische Terrorismus ............. 132 Mediale Verbreitung islamistischer Positionen........................................................... 134 Weitere extremistische Ausländerorganisationen...................................................... 135 Muslimbruderschaft (MB) ................................................................................................... 137 Tablighi Jamaat (TJ) ............................................................................................................ 142 Ansar al-Islam (Unterstützer des Islam) ............................................................................. 144 Islamische Befreiungspartei (Hizb ut-Tahrir al-Islami, HuT) ............................................. 146 Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e. V. (IGMG) ............................................................ 149 Der Kalifatsstaat (Hilafet Devleti) ..................................................................................... 156 Schiitischer Islamismus ........................................................................................................ 158 Hizb Allah (Partei Gottes) ................................................................................................... 160 Volkskongress Kurdistans (KONGRA GEL) - ehemals Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistans (KADEK) / Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) ................. 162 Devrimci Sol (Dev Sol) / DHKP-C und THKP-C-Devrimci Sol .............................................. 172 Türkische Kommunistische Partei / Marxisten-Leninisten (TKP/ML)................................. 174 Volksmodjahedin Iran-Organisation (MEK) / Nationaler Widerstandsrat Iran (NWRI) ... 177 Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE) ............................................................................ 180 SCIENTOLOGY - ORGANISATION (SO) ................................................................ 183 Zielsetzung und verfassungsfeindliche Bestrebungen ..................................................... 183 Organisation ........................................................................................................................ 185 Scientology in Deutschland und Niedersachsen................................................................ 186 Hinweistelefon .................................................................................................................... 187 SPIONAGEABWEHR .............................................................................................. 188 Einführung........................................................................................................................... 188 Geheimdienste der Russischen Föderation ........................................................................ 189 Chinesische Geheimdienste ................................................................................................ 190 Geheimdienste aus Staaten des Nahen und Mittleren Ostens ......................................... 193 Proliferation und illegaler Wissenstransfer ....................................................................... 193 Spionage im Bereich der Kommunikationstechnik ........................................................... 195 GEHEIMUND WIRTSCHAFTSSCHUTZ................................................................. 197 Personeller Geheimschutz .................................................................................................. 197 Materieller Geheimschutz .................................................................................................. 197 Beratung .............................................................................................................................. 198 Wirtschaftsspionage und Wirtschaftsschutz...................................................................... 198 DER VERFASSUNGSSCHUTZ IN NIEDERSACHSEN .............................................. 201 Beschäftigte......................................................................................................................... 201 Haushalt ............................................................................................................................... 201 Mitwirkungsaufgaben des NLfV ........................................................................................ 201 Projektorganisation Gemeinsames Informationsund Analysezentrum Polizei und Verfassungsschutz Niedersachsen (GIAZ Niedersachsen) .............................. 204 Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel ............................................................................ 204 Nachrichtendienstliches Informationssystem (NADIS) ...................................................... 205 Auskunftsersuchen von Bürgerinnen und Bürgern .......................................................... 207 Presseund Öffentlichkeitsarbeit des Ministeriums für Inneres und Sport sowie des NLfV ............................................................................... 207 ANHANG ............................................................................................................... 211 Definition der Arbeitsbegriffe ........................................................................................... 211 Niedersächsisches Verfassungsschutzgesetz (NVerfSchG) ................................................ 215 ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS ................................................................................. 241 STICHWORTVERZEICHNIS .................................................................................... 244 ORTSVERZEICHNIS................................................................................................ 253 Rechtsextremismus 9 RECHTSEXTREMISMUS Mitglieder-Potenzial Rechtsextremismus-Potenzial1 Bundesrepublik 2004 2005 Deutschland Subkulturell geprägte und sonstige gewaltbereite 10.000 10.400 Rechtsextremisten2 Neonazis3 3.800 4.100 Parteien: 23.800 21.500 NPD 5.300 6.000 DVU 11.000 9.000 REP4 7.500 6.500 Sonstige Organisationen 4.300 4.000 Summe 41.900 40.000 Nach Abzug von Mehrfachmitgliedschaften5 40.700 39.000 Niedersachsen6 2004 2005 Subkulturell geprägte und sonstige 980 930 gewaltbereite Rechtsextremisten Neonazis 365 365 Parteien: 1.710 1.530 NPD 460 580 DVU 800 730 REP 450 220 Sonstige Organisationen7 230 100 Summe 3.285 2.925 Nach Abzug von Mehrfachmitgliedschaften 3.130 2.825 1 Die Zahlenangaben sind zum Teil geschätzt und gerundet. 2 Die meisten subkulturell geprägten und sonstigen gewaltbereiten Rechtsextremisten (hauptsächlich Skinheads) sind nicht in Gruppen organisiert. In die Statistik sind nicht nur tatsächlich als Täter/Tatverdächtige festgestellte Personen einbezogen, sondern auch solche Rechtsextremisten, bei denen lediglich Anhaltspunkte für Gewaltbereitschaft gegeben sind. 3 Nach Abzug von Mehrfachmitgliedschaften innerhalb der Neonazi-Szene. Bei der Anzahl der Gruppen werden nur diejenigen neonazistischen Gruppierungen und diejenigen der rund 160 Kameradschaften erfasst, die ein gewisses Maß an Organisierung aufweisen. 4 Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass alle Mitglieder der REP verfassungsfeindliche Ziele verfolgen oder unterstützen. 5 Die Mehrfachmitgliedschaften im Bereich der Parteien und sonstigen rechtsextremistischen Organisationen wurden vom gesamten Personenpotenzial abgezogen. 6 Die für den Bund eingefügten Fußnoten 1 bis 5 gelten entsprechend auch für Niedersachsen. 7 Das Personenpotenzial der Deutschen Partei (50) ist, wie bei den Zahlen für die Bundesrepublik Deutschland, bei den Sonstigen Organisationen erfasst. 10 Rechtsextremismus Politisch motivierte Kriminalität (PMK) mit extremistischem Hintergrund - rechts Die Erfassung der Politisch motivierten Kriminalität ist Aufgabe der Polizei. Seit dem Jahr 2001 wird die Politisch motivierte Kriminalität nach dem von der Innenministerkonferenz beschlossenen Kriminalpolizeilichen Meldedienst "Politisch motivierte Kriminalität" (KPMD-PMK) bundeseinheitlich erfasst. Die Gesamtzahl der mit politisch motiviertem Hintergrund begangenen Straftaten im Phänomenbereich "Rechts" betrug im Jahr 2005 in Niedersachsen 1.574 Delikte. Im Vergleich zum Vorjahr, in dem 1.457 Straftaten verübt wurden, bedeutet dies ein Anstieg um etwa 8 %. Für den gleichen Zeitraum ist eine ähnlich hohe prozentuale Steigerung bei den rechtsextremistischen Straftaten (um etwa 9 % von 1.399 auf 1.518 Taten) festzustellen. Die Tendenz kontinuierlicher Steigerungen bei den Gewaltdelikten vergangener Jahre hielt auch 2005 an. Im Vergleich zum Jahr 2004, in dem 103 Gewalttaten begangen wurden, kam es im Jahr 2005 zu 119 verübten Taten dieser Kategorie. Bei diesen Straftaten handelt es sich überwiegend um einfache und gefährliche Körperverletzungen. Beispielsweise hat am 6. Mai 2005 ein Angehöriger der rechtsextremistischen Szene während eines Schützenfestes in Breese i.d. Marsch mehrfach mit erhobenem Arm (Hitlergruß) die Tanzfläche überquert und wurde daraufhin auf sein Verhalten durch einen Veranstaltungsgast angesprochen und zurechtgewiesen. Dieser wurde nach Verlassen der Veranstaltung beim Einsteigen in ein Taxi durch den Rechtsextremisten abgefangen und mehrfach zu Boden gestoßen. Die Steigerung um 15 % bei den "sonstigen extremistischen Straftaten" im Bereich "Rechts" (von 1.212 Taten im Jahr 2004 auf 1.399 im Jahr 2005) beruhte auf dem Anstieg bei den Propagandadelikten um 19 % (von 825 Taten im Jahr 2004 auf 980 im Jahr 2005). Die intensive gesellschaftspolitische Auseinandersetzung mit dem Thema "Rechtsextremismus" verbunden mit Aktionsprogrammen hat zu einer zunehmenden Sensibilisierung der Gesellschaft und damit einhergehend einem gesteigerten Anzeigeverhalten sowie in der Konsequenz erhöhten Fallzahlen geführt. An dem Programm "Schule ohne Rassismus - Schule mit Courage" haben bisher in Niedersachsen 49 Schulen teilgenommen. Die Durchführung entsprechender Veranstaltungen erfolgt zum Teil mit Unterstützung der polizeilichen Fachdienststellen vor Ort. Erwähnenswert ist auch das polizeiliche "Modellprojekt Jugendarbeit zur Intensivierung der Prävention gegen Rechts (PräGeRex)". Anteil der Erfassungsdavon nicht davon PMK extremistischen bereich extremistisch extremistisch Straftaten PMK-rechts 1574 56 1518 96,40% Rechtsextremismus 11 Übersicht über die Gewalttaten und sonstigen Straftaten mit extremistischem Hintergrund aus dem Bereich "Politisch motivierte Kriminalität - rechts" in Niedersachsen8 Gewalttaten: 2004 2005 Tötungsdelikte 0 0 Versuchte Tötungsdelikte 0 0 Körperverletzungen 86 96 Brandstiftungen 7 4 Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion 0 0 Landfriedensbrüche 0 2 Gefährl. Eingriffe in Bahn-, Luft-, Schiffs- 3 3 und Straßenverkehr Freiheitsberaubung 1 0 Raub 1 2 Erpressung 0 0 Widerstandsdelikte 5 12 insgesamt 103 119 Sonstige Straftaten: Sachbeschädigungen 73 47 Nötigungen/Bedrohungen 15 13 Propagandadelikte 825 980 Störung der Totenruhe 3 8 Andere Straftaten, insbesondere 380 351 Volksverhetzung (davon terroristisch) (0) (0) insgesamt 1.296 1.399 Straftaten insgesamt 1.399 1.518 8 Die Zahlen basieren auf Angaben des Landeskriminalamtes Niedersachsen (LKA NI). Die Darstellung der Gewalttaten im Ländervergleich weicht von diesen Zahlen geringfügig ab, da das LKA NI eine so genannte lebende Statistik führt. Das heißt, dass Nacherfassungen/Aktualisierungen für Vorjahre vorgenommen werden und der Zahlenbestand insoweit Änderungen unterliegt. 12 Rechtsextremismus Übersicht über die Gewalttaten und sonstigen Straftaten mit extremistischem Hintergrund aus dem Bereich "Politisch motivierte Kriminalität - rechts" in der Bundesrepublik Deutschland9 Gewalttaten: 2004 2005 Tötungsdelikte 0 0 Versuchte Tötungsdelikte 6 2 Körperverletzungen 640 816 Brandstiftungen 37 14 Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion 2 3 Landfriedensbrüche 25 39 Gefährl. Eingriffe in Bahn-, Luft-, Schiffs- 6 9 und Straßenverkehr Freiheitsberaubung 2 0 Raub 9 23 Erpressung 5 6 Widerstandsdelikte 44 46 insgesamt 776 958 Sonstige Straftaten: Sachbeschädigungen 243 445 Nötigungen/Bedrohungen 97 90 Propagandadelikte 8.337 10.881 Störung der Totenruhe 20 30 Andere Straftaten, insbesondere 2.578 2.957 Volksverhetzung insgesamt 11.275 14.403 Straftaten insgesamt 12.051 15.361 9 Die Zahlen basieren auf Angaben des Bundeskriminalamtes (BKA). Rechtsextremismus 13 Gewalttaten mit extremistischem Hintergrund aus dem Bereich "Politisch motivierte Kriminalität - rechts"10 Gewalttaten 2004 2005 Baden-Württemberg 67 71 Bayern 42 77 Berlin 56 48 Brandenburg 105 97 Bremen 1 9 Hamburg 9 20 Hessen 25 25 Mecklenburg-Vorpommern 21 28 Niedersachsen 101 119 Nordrhein-Westfalen 116 121 Rheinland-Pfalz 17 24 Saarland 7 15 Sachsen 63 89 Sachsen-Anhalt 71 107 Schleswig-Holstein 41 55 Thüringen 34 53 Gesamt 776 958 10 Die Zahlen basieren auf Angaben des Bundeskriminalamtes (BKA). Die Darstellung der Gewalttaten in der Tabelle für Niedersachsen weicht von diesen Zahlen geringfügig ab, da das Landeskriminalamt eine so genannte lebende Statistik führt. Das heißt, dass Nacherfassungen/Aktualisierungen für Vorjahre vorgenommen werden und der Zahlenbestand insoweit Änderungen unterliegt. 14 Rechtsextremismus Einführung Der von den Verfassungsschutzbehörden entwickelte Arbeitsbegriff des politischen Extremismus orientiert sich an der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, das in seinen Verbotsurteilen gegen die Sozialistische Reichspartei (SRP) 1952 und die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) im Jahr 1956 die Wesensmerkmale der freiheitlichen demokratischen Grundordnung bestimmte: - Grundund Menschenrechte, - Volkssouveränität, - Gewaltenteilung, - Verantwortlichkeit der Regierung, - Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, - Unabhängigkeit der Gerichte sowie das - Mehrparteienprinzip mit dem Recht auf Bildung und Ausübung einer Opposition. Ein Personenzusammenschluss wird von den Verfassungsschutzbehörden als extremistisch bewertet, wenn sich seine politisch bestimmten Bestrebungen gegen diese Wesensmerkmale der verfassungsmäßigen Ordnung richten. Rechtsund Linksextremismus unterscheiden sich ideengeschichtlich durch ein unterschiedliches Verhältnis zu den Werten der Aufklärung und der Französischen Revolution. Während es Linksextremisten aufgrund der ökonomischen Kräfteverhältnisse in einem kapitalistischen Wirtschaftssystem ausschließen, dass die Gleichheit der Menschen in einer parlamentarischen Demokratie realisiert werden kann, negieren Rechtsextremisten das in Artikel 3 des Grundgesetzes postulierte Gleichheitsprinzip grundsätzlich. In historischer Perspektive fallen sie damit hinter die Werte der Französischen Revolution zurück. Die Bezugnahme auf Symbole der germanischen Mythologie, z. B. durch rechtsextremistische Skinheads, bringt dies zum Ausdruck. Linksextremisten hingegen verabsolutieren das Gleichheitspostulat und schränken damit die universelle Gültigkeit der Freiheitsund Individualrechte ein. Beiden Spielarten des Extremismus gemein ist ihr antipluralistischer Charakter, der aus einem abweichende Meinungen negierenden absoluten Wahrheitsanspruch resultiert. Der Sammelbegriff Rechtsextremismus bezeichnet kein in sich geschlossenes Weltbild. Mit dem Begriff Rechtsextremismus werden vielmehr Ideologieelemente erfasst, die in unterschiedlicher Intensität und mit unterschiedlicher Stoßrichtung der weltanschaulichen Überzeugung von einer Ungleichwertigkeit der Menschen Ausdruck verleihen. Zu Rechtsextremismus 15 nennen sind im Einzelnen: - Aggressive menschenverachtende Fremdenfeindlichkeit, - Antisemitismus, - Rassismus, - Unterscheidung von "lebenswertem" und "lebensunwertem" Leben, - Überhöhung des eigenen Volkes bei gleichzeitiger Abwertung anderer Nationen und Völker (Nationalismus), - Vorstellung einer rassisch verstandenen homogenen Volksgemeinschaft (Volksgemeinschaftsdenken), - Individualrechte verneinendes, dem Führerprinzip verpflichtetes Kollektivdenken (völkischer Kollektivismus), - Behauptung natürlicher Hierarchien (Biologismus), - Betonung des Rechts des Stärkeren (Sozialdarwinismus), - Ablehnung demokratischer Regelungsformen bei Konflikten, - Übertragung militärischer Prinzipien auf die zivile Gesellschaft (Militarismus), - Geschichtsrevisionismus (Relativierung oder Leugnung der Verbrechen des Nationalsozialismus), - Ethnopluralismus11 (Forderung nach strikter räumlicher und kultureller Trennung verschiedener Ethnien). Die Ideologieelemente Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Antisemitismus sind die Zentralkategorien des Rechtsextremismus. Mit fremdenfeindlich wird die Ablehnung all dessen bezeichnet, was als fremd bewertet und aus der Gesellschaft ausgegrenzt wird. Ausländer, insbesondere Muslime, und Obdachlose können ebenso Opfer fremdenfeindlicher Ablehnung und Aggression werden wie Behinderte und Homosexuelle. Fremdenfeindliche Positionen sind bei jeder rechtsextremistischen Organisation nachweisbar; sie stellen das Grundelement rechtsextremistischen Denkens dar. Der Rassismus-Begriff nimmt Bezug auf die Rassenideologie des Nationalsozialismus, die die Selektion und Vernichtung von Millionen Menschen rassenbiologisch begründete. Rassisten leiten aus genetischen Merkmalen der Menschen eine naturgegebene soziale Rangordnung ab. Sie unterscheiden zwischen wertvollen und minderwertigen menschlichen "Rassen". 11 Ethnopluralismus bedeutet (wörtlich): Vielfalt von sprachlich-kulturell einheitlichen Volksgruppen und Völkern. Der rechtsextremistische Charakter einer "ethnopluralistischen" Konzeption ergibt sich aus der weltanschaulichen Fixierung auf "Ethnien": Der Bürger existiert nicht als Individuum im Sinne des Grundgesetzes mit unveräußerlichen Menschenrechten, sondern nur als Bestandteil des Kollektivs, dem ethnisch definierten Volk als Subjekt der Geschichte. 16 Rechtsextremismus Der Antisemitismus tritt im Rechtsextremismus in verschiedenen Varianten in Erscheinung. Antisemitische Positionen werden sowohl religiös als auch kulturell und rassistisch begründet. Häufig korrespondieren sie mit verschwörungstheoretischen Ansätzen. Vor dem historischen Hintergrund der systematischen Judenvernichtung durch den Nationalsozialismus (Holocaust12) sind antisemitische Einstellungsmuster ein Gradmesser für die Verfestigung eines rechtsextremistischen Weltbildes. Sie zeugen von ideologischer Nähe zum historischen Nationalsozialismus und sind häufig mit revisionistischen Positionen verbunden. Antisemitische Positionen sind ein Kennzeichen fast aller rechtsextremistischen Organisationen. Die Spannbreite reicht von den Vernichtungsphantasien in den Texten rechtsextremistischer Skinhead-Musik und dem offen artikulierten Judenhass des rechtsextremistischen Anwalts Horst MAHLER bis zu einem neuen sekundären Antisemitismus, z. B. in der Nationalzeitung des DVU-Vorsitzenden FREY, der sich nicht trotz, sondern wegen der Judenvernichtung entwickelt hat. Der Begriff Neonazismus, eine Abkürzung für Neooder neuer Nationalsozialismus, der häufig als Synonym für Rechtsextremismus verwendet wird, bezeichnet Bestrebungen, die sich weltanschaulich auf den historischen Nationalsozialismus beziehen. Hierzu zählen in erster Linie die neonazistischen Kameradschaften und Organisationen wie die Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige (HNG). Innerhalb der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) ist das Spektrum, das eine nationalsozialistische Wiederbelebung anstrebt, stärker geworden, seitdem sich die Partei gegenüber Kameradschaftsangehörigen geöffnet hat. Die ebenfalls als Synonyme für rechtsextremistische Bestrebungen verwendeten Begriffe Faschismus oder Neofaschismus sind in zweifacher Hinsicht ungeeignet; zum einen handelt es sich um Kampfbegriffe aus den Zeiten des Kalten Krieges, mit denen die Bundesrepublik Deutschland von der DDR in die Tradition des Nationalsozialismus gerückt werden sollte, zum anderen verbindet sich mit diesen Begriffen die Vorstellung vom italienischen Faschismus Mussolinis, der als antidemokratische Bewegung ohne Rassismus vom deutschen Nationalsozialismus erheblich abwich. 12 Der Begriff bedeutet Massenvernichtung (vom griech. holocaustos = "völlig verbrannt"). Rechtsextremismus 17 Aktuelle Entwicklungen in Niedersachsen Die rechtsextremistische Subkultur, die in der Skinhead-Musik ihren deutlichsten Ausdruck findet, die neonazistischen Kameradschaften und die NPD bestimmen weiterhin das Erscheinungsbild und die Virulenz des Rechtsextremismus in Niedersachsen und auf Bundesebene. Zwischen diesen drei Bereichen des Rechtsextremismus, die sich im Grad ihrer Politisierung unterscheiden, bestehen Wechselwirkungen. Der Wirkungsradius der rechtsextremistischen Musikszene erstreckt sich weit über das rechtsextremistische Personenpotenzial hinaus. Jugendliche kommen über die volksverhetzenden, rassistischen und antisemitischen Botschaften der Skinhead-Musik häufig erstmals mit dem Rechtsextremismus in Berührung. Untersuchungen13 zeigen, dass die Hassbotschaften dieser Musik nicht ohne Folgen für das Denken und das Verhalten charakterlich noch ungefestigter junger Menschen bleiben, auch wenn sie sich keiner rechtsextremistischen Organisation anschließen. Die neonazistischen Kameradschaften und die NPD haben die identitätsstiftende Wirkung und die Werbewirksamkeit der rechtsextremistischen Musik erkannt. Mit Konzerten und eigens für diese Zwecke produzierten CDs versuchen sie, Jugendliche an den organisierten Rechtsextremismus heranzuführen. In Niedersachsen ist es den Sicherheitsbehörden gelungen, im Rahmen der Gefahrenabwehr die Durchführung von strafrechtlich relevanten Konzerten so weit zu erschweren, dass sich ihre Anzahl seit Jahren auf einem relativ niedrigen Niveau bewegt. 2005 wurden lediglich fünf rechtsextremistische Konzerte in Niedersachsen durchgeführt (2004: 7). Auf Bundesebene hingegen war im Berichtszeitraum ein weiterer deutlicher Anstieg zu registrieren. Die Verbreitung der Musik über das Internet kann nur schwer eingedämmt werden, zumal Vertriebe, die volksverhetzende Titel im Angebot führen, vom Ausland aus mit Zielrichtung auf den deutschen Markt operieren. Welche Bedeutung der Versandhandel inzwischen erreicht hat, lässt sich daran ablesen, dass die Anzahl rechtsextremistischer Musikvertriebe von 50 im Jahr 2003 auf gegenwärtig rund 75 angestiegen ist. Vier dieser Vertriebe gehen ihren Geschäften in Niedersachsen nach. Für die Präventionstätigkeit hat diese Entwicklung zur Konsequenz, dass die repressiven Maßnahmen des Staates durch Aufklärungsarbeit und die geistige Auseinandersetzung mit den Botschaften der rechtsextremistischen Szene 13 Andreas Marneros: Blinde Gewalt. Rechtsradikale Gewalttäter und ihre zufälligen Opfer. Frankfurt am Main 2005 18 Rechtsextremismus ergänzt wurden und weiter ergänzt werden müssen. Von dieser Zielsetzung geleitet hat das Niedersächsische Landesamt für Verfassungsschutz (NLfV) die vom Niedersächsischen Innenminister am 1. Dezember eröffnete Wanderausstellung "Verfassungsschutz gegen Rechtsextremismus" konzipiert, die in allen Teilen des Landes zu sehen sein wird. Darüber hinaus führt das NLfV regelmäßig Informationsund Fortbildungsveranstaltungen über den Rechtsextremismus für Lehrer und Schüler durch. In Niedersachsen sind unverändert etwa zwanzig Kameradschaften aktiv. Hinter dieser seit einigen Jahren konstanten Zahl verbirgt sich eine hohe Fluktuation. Im gleichen Maße, wie sich bestehende Kameradschaften auflösen, entstehen an anderer Stelle des Landes neue Zusammenschlüsse. Infolge dessen haben sich die regionalen Schwerpunkte im Verlaufe der letzten Jahre mehrfach verschoben. Als Schwerpunktbereiche können derzeit das östliche Niedersachsen sowie die Räume Hannover und Osnabrück bezeichnet werden. Die Fluktuation bedeutet, dass sich die meisten Kameradschaftsangehörigen nicht dauerhaft in der rechtsextremistischen Szene engagieren. Andererseits muss es besorgt machen, dass sich immer wieder junge Menschen bereit finden, eine Kameradschaft zu gründen oder sich ihr anzuschließen. Offensichtlich übt der Kameradschaftsgedanke eine Attraktivität auf bestimmte Jugendliche aus. Mit den Gründen hierfür setzt sich die Präventionsarbeit gegen Rechtsextremismus auseinander. In den östlichen Bundesländern sind die dortigen Kameradschaftsmitglieder weltanschaulich wesentlich gefestigter und in einem ungleich stärkeren Maße von einem neonazistischen politischen Handlungswillen bestimmt als niedersächsische Szeneangehörige. Während die Anzahl von Neonazis in Niedersachsen mit 365 Personen konstant blieb, war auf Bundesebene ein weiterer deutlicher Anstieg des neonazistischen Potenzials von 3.800 auf 4.100 Neonazis zu verzeichnen, nachdem es ein Jahr zuvor bereits einen Zuwachs um fast 30 % gegeben hatte. Die NPD versucht, sich mit dem Selbstverständnis der führenden Kraft einer "Volksfront von rechts" sowohl die rechtsextremistische Subkultur als auch die neonazistischen Kameradschaften politisch nutzbar zu machen. Der Wahlerfolg der Partei im September 2004 in Sachsen hat diese Strategie begünstigt, wie am deutlichen Mitgliederzuwachs auf Bundesund Landesebene abzulesen ist. Bundesweit gehören der NPD mittlerweile 6.000 Mitglieder (Vorjahr: 5.300) an, davon 580 (Vorjahr: 460) in Niedersachsen. Auf das gewachsene Interesse von jungen Rechtsextremisten an der NPD ist es zurückzuführen, dass sich das Durchschnittsalter Rechtsextremismus 19 der Parteimitglieder weiter verringert hat. Bei der Bundestagswahl hat die NPD zwar lediglich 1,6 % der Zweitstimmen erringen können, in absoluten Zahlen bedeutet dies jedoch, dass immerhin 748.568 Bürger eine Partei gewählt haben, die offen neonazistische Positionen vertritt. Die NPD sieht sich durch dieses Ergebnis, durch das sie Wahlkampfkostenerstattung erhält, in ihrer Strategie einer Öffnung gegenüber den neonazistischen Kameradschaften bestärkt. Sie wird ihre jugendspezifische Werbestrategie unter Einsatz von CDs und Jugendzeitschriften fortsetzen. Die NPD hat jedoch noch keinen steuernden Einfluss auf die neonazistischen Kameradschaften und die rechtsextremistische Subkultur erlangt. Beide Bereiche des Rechtsextremismus folgen einer eigendynamischen Entwicklung. Die trotz sich fortsetzender Mitgliederverluste nach wie vor bundesweit mitgliederstärksten rechtsextremistischen Parteien Deutsche Volksunion (DVU) und Republikaner (REP) sind für das Erscheinungsbild des Rechtsextremismus von nachrangiger Bedeutung. Die REP sind in Hinsicht auf eine Zusammenarbeit mit der NPD in sich zerstritten. In Niedersachsen führte dies zum Austritt ehemals führender Funktionäre, die sich zum Teil für die in Hannover, Celle und Lüneburg mit Blick auf die Kommunalwahl gegründeten Sozialpatriotischen Bündnisse engagieren. Mit 220 verbliebenen Parteimitgliedern ist der auch finanziell geschwächte niedersächsische Landesverband der REP nicht mehr kampagnefähig. Die DVU ist auch im Jahr 2005 in Niedersachsen öffentlich nicht in Erscheinung getreten. Auf Bundesebene wird die Partei wegen der Kooperation mit der NPD im Rahmen des so genannten Deutschland-Paktes weiterhin zu beachten sein. Eigenständige ideologische Akzente indes setzt die DVU nicht. Die Entwicklung der Deutschen Partei (DP), der in Niedersachsen ca. 50 Mitglieder angehören, stagniert. Die Erfolglosigkeit hat zu einer Aufspaltung der DP in zwei sich heftig befehdende Lager geführt, in Befürworter und strikte Gegner einer Bündnispolitik mit anderen rechtsextremistischen Organisationen. Der niedersächsische Landesverband lehnt eine Zusammenarbeit mit der NPD ab. Einen eher obskuren Charakter hat die Exilregierung Deutsches Reich, die der Bundesrepublik Deutschland die Rechtmäßigkeit abspricht und deren Mitglieder sich als Staatsangehörige des juristisch angeblich fortbestehenden Deutschen Reiches mit "eigenen" Ausweispapieren "legitimieren". Von Bedeutung für die Entwicklung des Rechtsextremismus ist die Organisation nicht. 20 Rechtsextremismus "Heisenhof" Ein Thema, das die Diskussion über den Rechtsextremismus in Niedersachsen seit 2004 prägte, war die Ersteigerung des Heisenhofs, einer ehemaligen Bundeswehrliegenschaft in Dörverden (Landkreis Verden), durch die in London ansässige Wilhelm Tietjen Stiftung14 für Fertilisation Ltd. Ihr Geschäftsführer (Director), der langjährige rechtsextremistische Aktivist und Rechtsanwalt Jürgen RIEGER15, Hamburg, hatte bis 1997 in einer rechtsextremistischen Tagungsstätte in Hetendorf (Landkreis Celle) regelmäßig rechtsextremistische Veranstaltungswochen durchgeführt. Im Berichtszeitraum machte der befürchtete Ausbau des Heisenhofs zu einem Veranstaltungszentrum über erste Versuche hinaus keine Fortschritte. Zu diesem "Stillstand" hat starker demokratischer Protest aus der Region beigetragen, der nicht zuletzt von der besonderen Aufmerksamkeit und dem konstruktiven Zusammenwirken örtlicher und überregionaler Behörden unterstützt wurde. So haben beispielsweise die Sicherheitsbehörden insgesamt ihre Präsenz im Bereich der Liegenschaft deutlich verstärkt. Darüber hinaus wurde ein ständiger Informationsaustausch der zuständigen Behörden initiiert und im Berichtszeitraum erfolgreich fortgeführt. Innerhalb der rechtsextremistischen Szene wurde keine Werbung für das Objekt betrieben, weder als Anlaufstelle noch für Veranstaltungen. Die Rechtsextremisten, die sich im Verlaufe des Jahres auf dem Heisenhof vorübergehend aufgehalten haben, rekrutierten sich aus dem örtlichen Bereich und gehören der NPD/Junge Nationaldemokraten an. Intellektualisierungsbemühungen im Rechtsextremismus Anders als die meisten Gruppierungen des organisierten Rechtsextremismus, die das politische Geschehen mit plakativen fremdenfeindlichen, antisemitischen, rassistischen und nationalistischen Aussagen begleiten, ist ein kleinerer 14 Der im Jahr 2002 verstorbene Wilhelm Tietjen war SS-Angehöriger aus Bremen und hat nach 1945 mit Börsengeschäften Vermögen erworben. 15 Der 1946 geborene RIEGER ist seit Ende der 60er Jahre als Rechtsextremist aktiv. Er war und ist in zahlreichen rechtsextremistischen Zirkeln und Organisationen führend tätig, u. a. in der Gesellschaft für Freie Publizistik (GFP). Seit 1989 ist er Vorsitzender der rechtsextremistischen Artgemeinschaft - Germanische Glaubens-Gemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung e. V. und Schriftleiter ihrer Nordischen Zeitung. Rechtsextremismus 21 Kreis rechtsextremistischer Intellektueller seit Beginn der achtziger Jahre um eine ideologische Überhöhung rechtsextremistischer Positionen bemüht. Ziel dieser Bemühungen ist es, geistigen Einfluss auf die rechtsextremistische Szene und langfristig auf die Gesellschaft insgesamt zu gewinnen. Als Voraussetzung für den langfristig beabsichtigten Systemwechsel wird eine kulturelle Vorherrschaft angestrebt. Diese Variante des Rechtsextremismus wird oft mit dem Begriff "Neue Rechte"16 umschrieben. Die "Neue Rechte" verbirgt ihre fremdenfeindliche Grundtendenz in dem von ihr propagierten Konzept des Ethnopluralismus. Der führende Vertreter dieses Denkansatzes ist der Vertreter der französischen Nouvelle Droite (Neue Rechte) Alain de Benoist, ein Philosoph, dessen Schriften von deutschen Rechtsextremisten umfassend rezipiert werden. De Benoist betrachtet Völker als "organische Gemeinschaften", die sich von Fremdbestimmung befreien müssten. Ausgehend von der homogenen Ethnie lehnen von ihm beeinflusste Vertreter der "Neuen Rechten" Einwanderung als "volksgemeinschaftsschädlich" ab. Das Konzept des Ethnopluralismus stellt die kulturellen Unterschiede der Menschen in den Vordergrund und propagiert die kulturelle, möglichst aber auch räumliche Trennung ethnischer Gruppen. Neben verschiedenen rechtsextremistischen Publikationen wie Nation & Europa, nation24.de - Das patriotische Magazin oder Sleipnir widmen sich insbesondere rechtsextremistische Theoriezirkel der Strategieund Theoriebildung. So versteht sich das 1994 in Berlin gegründete und bis 2004 gemeinsam von MAHLER, Reinhold OBERLERCHER und Uwe MEENEN betriebene Deutsche Kolleg (DK) als "Denkorgan des Deutschen Reiches". Zwischen MAHLER einerseits und OBERLERCHER und MEENEN andererseits ist es zum Bruch gekommen mit der Folge, dass die Schulungen des Deutschen Kollegs seitdem ohne MAHLER durchgeführt werden. MAHLER benutzt die enge Verbindung zur Vorsitzenden des seit 1963 bestehenden Collegium Humanum - Akademie für Umwelt und Lebensschutz e. V. (CH), Ursula HAVERBECKWETZEL, um eigene Seminare in den Vereinsräumen des CH in Vlotho (NRW) durchzuführen. In Schulungsveranstaltungen und Theorieseminaren wird die Reichsidee propa16 Die mit dem Begriff der "Neuen Rechten" umschriebene ideologische Strömung knüpft an eine akademisch-intellektuelle Ausprägung antidemokratischen Denkens an, die sich auf die "Konservative Revolution" - eine intellektuelle Strömung antidemokratischen Denkens in der Weimarer Republik - beruft. Der Begriff wird aber nicht einheitlich verwendet. Manche Autoren erfassen mit diesem Begriff den um Theoriebildung bemühten Teil des Rechtsextremismus in seiner Gesamtheit. 22 Rechtsextremismus giert; Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit und Rassismus stellen grundlegende ideologische Konstanten dieser Schulungsarbeit dar. Eine ähnliche Ausrichtung vertritt die 2000 gegründete NPDnahe Deutsche Akademie, die organisationsübergreifend in Schulungen, Seminaren sowie Sommerund Winterakademien rechtsextremistische "staatstheoretische Bildungsarbeit" anbietet. Zum neuen Vorsitzenden der Gesellschaft für Freie Publizistik e. V. (GFP), die als größte rechtsextremistische Kulturvereinigung in Deutschland bezeichnet werden kann, wurde im April der sächsische NPD-Fraktionsmitarbeiter und frühere Braunschweiger Waldorflehrer Andreas MOLAU (* 1968) gewählt. Von seiner Wahl verspricht sich die Organisation eine Verjüngung und neue theoretische Impulse. In welche Richtung MOLAU die GFP zu führen gedenkt, machte er in einer Rede auf dem vom 8. bis 10. April in Bayreuth durchgeführten "Deutschen Kongress" der Organisation deutlich: "Wir sind nicht verpflichtet, die Geschichtslügen der Sieger und ihrer deutschen Helfershelfer zu glauben, ... wir müssen nicht die gleiche Schuldliteratur lesen, ... wir können unsere Kinder ... loslassen, denn es gibt nationale Jugendbünde, die einen freiheitlichen Impuls pflegen. Wir können eine Gegengesellschaft aufbauen, und wir müssen das tun. Jeder Einzelne, der aus dem Wahnsinn ausschert, ist ein Stachel im Fleisch der großen Gleichschalter. Wir müssen uns selbst befreien!" Die GFP unterhält Kontakte zu anderen rechtsextremistischen Organisationen, so zur NPD, zur Deutschen Studiengemeinschaft (DSG), zur Deutschen Liga für Volk und Heimat (DLVH), zum Deutschen Rechtsbüro sowie zum Schutzbund für das Deutsche Volk. Durch die Wahl MOLAUs zum Vorsitzenden der GFP dürfte sich die Zusammenarbeit mit der NPD noch weiter intensivieren. Auch das bedeutendste rechtsextremistische Theorieorgan, die in einer Auflagenhöhe von 18.000 Exemplaren verbreitete Zeitschrift Nation & Europa - Deutsche Monatshefte (N & E), bewegt sich immer stärker auf die NPD zu. N & E unterstützt die von der NPD propagierte "Volksfront von rechts". Einige ihrer Verlagsangehörigen und Autoren sind für die NPD tätig, so Karl RICHTER, der neben seiner Tätigkeit als Redakteur bei N & E von Rechtsextremismus 23 der sächsischen NPD-Landtagsfraktion als wissenschaftlicher Mitarbeiter beschäftigt ist. In der Doppelausgabe 7-8/2005 wurde er als Stabschef von Peter MARX, dem stellvertretenden NPD-Parteivorsitzenden, NPD-Fraktionsgeschäftsführer und Bundeswahlkampfleiter, vorgestellt. Der Mitherausgeber von N & E Harald NEUBAUER kandidierte in Sachsen als Nicht-Parteimitglied auf Platz 2 der NPD-Landesliste für den Bundestag. Sowohl NEUBAUER als auch RICHTER sind darüber hinaus bei dem Bildungswerk für Heimat und nationale Identität e. V. der NPD als Funktionäre tätig. Rechtsextremistischer Geschichtsrevisionismus Mit dem Begriff Geschichtsrevisionismus wird eine Strömung innerhalb des Rechtsextremismus bezeichnet, die sich auf die Leugnung oder Relativierung der nationalsozialistischen Verbrechen und der deutschen Schuld am Ausbruch des Zweiten Weltkrieges konzentriert. Revisionistische Positionen sind in unterschiedlicher Ausprägung bei nahezu allen rechtsextremistischen Organisationen nachweisbar. Sie bilden die historische Komponente des rechtsextremistischen Selbstverständnisses. Revisionisten im engeren Sinne sind bestrebt, die Urteile der Geschichtswissenschaft von einem vermeintlich wissenschaftlichen Standpunkt aus zu revidieren. Die Arbeit der sich wissenschaftlich gerierenden Revisionisten ist auf die Delegitimierung der verfassungsmäßigen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland gerichtet.17 Auch wenn er die nationalsozialistische Herrschaft in Deutschland zum Gegenstand hat, ist der Geschichtsrevisionismus eine internationale Erscheinung. Die wichtigsten Revisionisten sind Ausländer oder agieren zumindest vom Ausland aus. Die ideologische Klammer ihrer Zusammenarbeit bildet eine eng mit revisionistischen Positionen verbundene antisemitische Grundeinstellung. Als der iranische Präsident Mahmoud Ahmadinedschad den Holocaust im Dezember zum Mythos erklärte, nahmen führende Revisionisten seine Ausführungen zum Anlass, um die Durchführung einer Revisionismus-Konferenz in Teheran vorzuschlagen. Im Iran stieß dieser Vorschlag auf positive Resonanz. Die Nutzung des Internets als Kommunikationsplattform 17 Ausführliche Informationen über die Vorgehensweise der Revisionisten und Porträts der wichtigsten Revisionisten finden sich auf der für den Schulunterricht empfehlenswerten Internetseite www.h-ref.de (Holocaust-Referenz. Argumente gegen Auschwitzleugner). 24 Rechtsextremismus für weltweite Kontakte und gemeinsame Aktivitäten ist für Revisionisten heute selbstverständlich. In der Regel benutzen sie ausländische Internetprovider, um einer möglichen Strafverfolgung in Deutschland zu entgehen. Daneben werden revisionistische Schriften weiterhin in Druckform durch verschiedene Verlage verbreitet. Zu nennen ist z. B. der Grabert-Verlag, dessen Leiter Wigbert GRABERT die Verantwortung für den Zweiten Weltkrieg in einem Beitrag für den zweimonatlich erscheinenden revisionistischen Euro-Kurier - Aktuelle Buchund Verlags-Nachrichten (Nr. 4/2005) "den Feindmächten des Ersten Weltkriegs" zuschreibt. Zu den bekanntesten revisionistischen Dokumenten zählen der "Leuchter Report" und das "Rudolf Gutachten". Beide pseudowissenschaftlichen Studien wurden zur Verteidigung angeklagter Revisionisten erstellt. Der deutschstämmige US-Amerikaner Fred A. LEUCHTER behauptet in dem 1988 veröffentlichten, nach ihm benannten Report, dass die massenhafte Vernichtung von Juden im Konzentrationslager Auschwitz technisch nicht möglich gewesen sei. Das seit 1991 verbreitete "Gutachten" des deutschen Chemikers Germar RUDOLF bestreitet ebenfalls auf pseudowissenschaftlicher Basis das Vorhandensein der Gaskammern im Konzentrationslager Auschwitz. RUDOLF, der für zahlreiche weitere revisionistische Publikationen verantwortlich zeichnet, wurde am 15. November aufgrund eines internationalen Haftbefehls wegen Volksverhetzung von den USA nach Deutschland ausgeliefert, wo er seither inhaftiert ist.18 Der von den belgischen Behörden bereits 2002 verbotene, in Antwerpen ansässige Verlag Vrij Historisch Onderzoek (V.H.O.) der Brüder Siegfried und Herbert VERBEKE verbreitet revisionistische Literatur über das Internet auch nach Deutschland. Aufgrund eines europäischen Haftbefehls, u. a. wegen Volksverhetzung, wurde Siegfried VERBEKE im August in den Niederlanden verhaftet und am 1. November nach Deutschland ausgeliefert. Auf der Internetseite des V.H.O. wird der Holocaust offen geleugnet: "Natürlich zeigen alle verfügbaren Dokumente und Sachbeweise, daß es keinen Befehl für einen Massenmord an den Juden gab, auch keinen Plan, keine Finanzmittel, keine Tatwaffen - nämlich keine Gaskammern - und keine Opfer - [es] gibt nämlich keine einzige Leiche, an der durch Autopsie ein Tod durch Vergasung festgestellt wurde". 18 Das Landgericht Stuttgart verurteilte Germar RUDOLF bereits am23.06.1995 u. a. wegen Volksverhetzung zu einer Freiheitsstrafe von 14 Monaten ohne Bewährung. Grundlage des Urteils waren seine Aktivitäten im Zusammenhang mit der Erstellung des "Rudolf-Gutachtens". Rechtsextremismus 25 Die NPD solidarisierte sich mit VERBEKE und bat mit der Parole "Unterstützt die freie Meinungsäußerung - Unterstützt Siegfried Verbeke" auf ihrer Internetseite um finanzielle Unterstützung für ihn. Von den Verhaftungen weltweit agierender HolocaustLeugner im Jahr 2005 waren neben Siegfried VERBEKE und Germar RUDOLF auch die international führenden Revisionisten Ernst ZÜNDEL und David IRVING betroffen. IRVING, der am 11. November in Österreich festgenommen wurde, propagiert in seinen Büchern und Vorträgen, dass in deutschen Konzentrationslagern keine Massenvernichtungen durch Giftgas durchgeführt worden seien. Seine zahlreichen, in wissenschaftlicher Form abgefassten, seriös anmutenden Schriften werden in umfangreicher Form auch über das Internet verbreitet. Gerade in Bezug auf seine Veröffentlichungen besteht die Gefahr, dass Schüler, die im Internet recherchieren, um Referate über den Nationalsozialismus zu verfassen, durch IRVINGs Darstellungen zu revisionistischen Sichtweisen gelangen. IRVINGs Werk ist nicht durchgehend revisionistisch. Die militärisch-historischen Forschungsergebnisse aus der Frühphase seiner Tätigkeit wurden auch von Historikern weitgehend akzeptiert. Der am 1. März von Kanada nach Deutschland abgeschobene deutsche Staatsangehörige Ernst ZÜNDEL muss sich seit dem 8. November vor dem Amtsgericht Mannheim verantworten. Ihm wird zur Last gelegt, im Internet auf seiner Homepage "ZUNDELSITE" sowie mit der Herausgabe der Publikation Germania-Rundbrief den nationalsozialistischen Völkermord an den Juden systematisch geleugnet bzw. verharmlost zu haben. ZÜNDEL wird u. a. vom Hamburger Rechtsextremisten und Rechtsanwalt RIEGER verteidigt. In der rechtsextremistischen Szene in Niedersachsen findet der Prozess gegen den bereits 1958 nach Kanada ausgewanderten Revisionisten nur geringe Resonanz. In Hannover bekundeten am 10. November einige Rechtsextremisten ZÜNDEL öffentlich ihre Sympathie. Während einer Kundgebung zeigten sie ein Bettlaken mit der Aufschrift "Keine Lüge kann ewig leben! M. L. King. FREIHEIT für Ernst Zündel". Auch der österreichische Revisionist Walter OCHENSBERGER solidarisierte sich mit ZÜNDEL. Er bezeichnete ihn als "Symbol für den unbeugsamen Wahrheitswillen des menschlichen Geistes". OCHENSBERGER gibt die vierteljährlich erscheinende Publikation PHOENIX heraus. Die auch in Deutschland verbreitete Schrift beinhaltet rassistische, antisemitische und holocaustleugnende Artikel. Von den USA aus agiert der Rechtsextremist Gary Rex LAUCK, der den Nationalsozialismus in offener Form verherr- 26 Rechtsextremismus licht und als bekennender Hitler-Anhänger neben neonazistischem Schriftgut auch für die Verbreitung revisionistischen Gedankenguts sorgt. LAUCK ist Leiter der in Lincoln (Nebraska, USA) ansässigen Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei/Auslandsund Aufbauorganisation (NSDAP/ AO). In seiner vierteljährlich erscheinenden Publikation NSKampfruf, in der er insbesondere rassistische und antisemitische Positionen verbreitet, erscheinen immer wieder auch revisionistische Beiträge. Den Schwerpunkt der Aktivitäten LAUCKs bildet das Internet. Die Internetseite der NSDAP/AO ist in vielen Sprachen abrufbar und bietet eine Vielzahl von Propagandamaterialien zum Kauf an. Der am 9.11.2003 gegründete Verein zur Rehabilitierung der wegen Bestreitens des Holocaust Verfolgten (VRBHV) verfolgt ausschließlich revisionistische Zielsetzungen und kann als die derzeit bedeutendste revisionistische Organisation in Deutschland gelten. Vorsitzender des in Vlotho (NRW) ansässigen Vereins ist der Schweizer Revisionist Bernhard SCHAUB. Zu den Gründungsmitgliedern zählen Robert FAURISSON, Jürgen GRAF, Frederick THOBEN, Gerd HONSIK, Manfred ROEDER, Germar RUDOLF, Wilhelm STÄGLICH, Ernst ZÜNDEL, Frank RENNICKE und Hans-Dietrich SANDER. Stellvertretende Vorsitzende ist Ursula HAVERBECK-WETZEL, die zugleich die ebenfalls in Vlotho ansässige Bildungsstätte Collegium Humanum leitet. Das CH gibt die alle zwei Monate erscheinende Publikation Stimme des Gewissens - Lebensschutz-Informationen (LSI) heraus. Schriftleiter dieser Publikation ist der Niedersachse Ernst-Otto COHRS. Eine enge Verbindung besteht zwischen der CH-Vorsitzenden HAVERBECK-WETZEL und MAHLER, auf dessen Initiative die Gründung des VRBHV wesentlich zurückgeht. MAHLER gilt darüber hinaus als Initiator der Reichsbürgerbewegung (RBB), der Vertreter verschiedener rechtsextremistischer Gruppierungen wie das Deutsche Kolleg (DK), CH und VRBHV angehören. Zur Jahreswende 2004/2005 propagierte die Reichsbürgerbewegung unter MAHLERs Verantwortung in Braunschweig einen "Aufstand für die Wahrheit" und verteilte Flugblätter mit antisemitischen und revisionistischen Inhalten. Der "Aufstand für die Wahrheit" knüpft an die Auseinandersetzung um den Wechsel des ehemaligen Waldorf-Lehrers MOLAU zur NPD-Fraktion in Sachsen an. In dem am 30.11.2004 verteilten Flugblatt wird u. a. behauptet, "dass Rudolf Heß ... nach 46-jähriger völkerrechtswidriger Gefangenschaft ermordet worden ist ..., um die Lüge der Feinde des Reiches zu schützen, dass Adolf Hitler für den Zweiten Weltkrieg verantwortlich sei" sowie Rechtsextremismus 27 "dass die Weltjudenheit schon am 24. März 1933 dem Deutschen Reiche den 'Heiligen Krieg' erklärt und im August 1933 einen weltweiten höchst wirksamen Handelsund Finanzboykott organisiert hat". Das Berliner Landgericht verurteilte MAHLER am 12. Januar wegen Volksverhetzung zu einer neunmonatigen Freiheitsstrafe ohne Bewährung. Im September 2002 hatte MAHLER in den Räumen der NPD in Berlin einen Schriftsatz im Rahmen des NPD-Verbotsverfahrens verteilen lassen, in dem er den Hass auf Juden als etwas Normales, als "unerträgliches Zeichen eines intakten spirituellen Immunsystems" bezeichnet hatte. In enger Verbindung mit MAHLER steht der in Australien ansässige Frederick THOBEN. Er unterhält das Adelaide-Institute, das als weltweiter Multiplikator für revisionistisches Gedankengut gelten kann. Die halbjährlich in Illfeld (Thüringen) durchgeführten Lesertreffen der Zeitschrift Recht und Wahrheit, die sich revisionistischen Themenstellungen widmen, stehen unter der Leitung des ehemaligen NPD-Vorsitzenden und verurteilten Holocaust-Leugners Günter DECKERT. Der bisherige Herausgeber der rechtsextremistischen Publikation Recht und Wahrheit, Georg Albert BOSSE, ist am 2. Januar verstorben. BOSSE wurde mehrfach wegen Leugnung der systematischen Judenvernichtung verurteilt. Bis Sommer 2001 hatte er seinen Wohnsitz in Wolfsburg. Neuer Herausgeber der revisionistischen Zeitschrift Recht und Wahrheit ist Armin MÜHLBAUER. Das von Klaus HOFFMANN geleitete, in Niedersachsen ansässige Freundschaftsund Hilfswerk Ost (FHWO) vertritt in seinem Organ der Ostbote geschichtsund gebietsrevisionistische Positionen. Hoffmann war nach Angaben des Bundeswahlleiters bis 1994 stellvertretender Landesvorsitzender der NPD. Auf dem Verbandstag des FHWO wurde am 23. Oktober in Schatensen eine von HOFFMANN verfasste Resolution verabschiedet, in der eine objektive und ungeschmälerte Geschichtsdarstellung gefordert wird. Gegen HOFFMANN wurde ein Ermittlungsverfahren eingeleitet, weil er zehn Exemplare der revisionistischen Broschüre "Die neue Sicht von 28 Rechtsextremismus Auschwitz" des Österreichers Wieland KÖRNER bestellt hatte. KÖRNERs Schrift hat in der rechtsextremistischen Szene große Verbreitung gefunden und zur Einleitung zahlreicher Ermittlungsverfahren geführt. Rechtsextremistische Skinheads und sonstige gewaltbereite Rechtsextremisten Das Personenpotenzial der rechtsextremistischen Skinheads einschließlich der Straftäter, die rechtsextremistisch motivierte Gewalttaten zu verantworten haben, hat sich auf Bundesebene gegenüber dem Vorjahr von 10.000 auf ca. 10.400 vergrößert. In Niedersachsen hielt demgegenüber der seit 2002 zu registrierende rückläufige Trend an. Das gewaltbereite Potenzial verringerte sich um 50 auf 930 Personen. Die regionalen Schwerpunkte bilden die Räume Braunschweig/ Salzgitter, das Bremer Umland, das Stadtgebiet und die Region Hannover, Hildesheim, Lüneburg, Northeim, Soltau/Schneverdingen sowie Tostedt. Der Ursprung der Skinhead-Bewegung liegt in Großbritannien, wo sich Ende der sechziger Jahre in der Arbeiterschicht eine jugendliche Subkultur herausbildete. Ihre soziale Herkunft stellten die Skinheads durch ihre Kleidung (Springerstiefel, Jeans und T-Shirt) heraus, die zusammen mit der Bomberjacke noch heute als szenetypisches Outfit gilt. Das äußere Erscheinungsbild soll der Ablehnung bürgerlicher Lebensformen Ausdruck verleihen und war als Kampfansage gegen die etablierten sozialen Schichten zu verstehen. Weitere Attribute der Skinhead-Bewegung waren ein gegen die bestehende Gesellschaftsordnung gerichteter Antiintellektualismus, ein Männlichkeitskult und eine aggressive Gewaltbereitschaft. Diese Eigenschaften machten die Skinhead-Bewegung für eine rechtsextremistische Beeinflussung durch Organisationen wie British Movement oder die British National Party anfällig. Ende der siebziger Jahre verstärkte sich diese Tendenz noch, als die steigende Arbeitslosigkeit in Großbritannien zu wachsender Fremdenfeindlichkeit führte. Zu diesem Zeitpunkt trat die Skinhead-Bewegung erstmals auch in Deutschland in Erscheinung. Sie wurde über Angehörige der britischen Streitkräfte in das Bundesgebiet importiert. Zudem versorgten sich deutsche Punks mit britischen Szenemagazinen (Fanzines), in denen ausführlich über die Skinhead-Bewegung berichtet wurde. Anders als in ihrem Herkunftsland rekrutierte sich die deutsche Skinhead-Szene nicht ausschließlich aus der Arbeiterschicht. Gleichwohl kamen die Szeneangehörigen Rechtsextremismus 29 vornehmlich aus sozialen Randgruppen. Ungeachtet der für Skinheads typischen Aversion gegen politische Arbeit geriet auch in Deutschland ein Teil der Szene unter rechtsextremistischen politischen Einfluss. Organisationen wie die Aktionsfront Nationaler Sozialisten/Nationale Aktivisten (ANS/NA) des 1991 verstorbenen Neonazis Michael KÜHNEN oder die 1995 verbotene Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei (FAP), deren niedersächsischer Landesvorsitzender Thorsten HEISE19 selbst Skinhead war, versuchten sich dieses Personenpotenzial politisch zu erschließen. Heute bildet die rechtsextremistische Skinhead-Bewegung ein wichtiges Rekrutierungsfeld für die NPD und die neonazistischen Kameradschaften. Das Weltbild rechtsextremistischer Skinheads in Deutschland ist von rassistischer Fremdenfeindlichkeit, hemmungsloser Gewaltbereitschaft und unreflektierter Verherrlichung des Nationalsozialismus geprägt. Die Symbolik der Szene spiegelt diese Grundeinstellung wider. Kleidungsstücke und Tätowierungen zeugen von der Verbundenheit mit dem Nationalsozialismus. Abkürzungen wie ZOG, 14 words und Rahowa20 oder Zahlencodes wie 18, 28 oder 8821 bringen das weltanschauliche Bekenntnis in verklausulierter Form zum Ausdruck. Szeneläden und Internetvertriebe führen szenetypische Artikel. Bestimmend für das Erscheinungsbild der meisten Skinheads ist neben der szenetypischen Kleidung der kahl geschorene Kopf, der der Subkultur den Namen gegeben hat. Wegen der Anfeindungen, die sie hiermit in der Öffentlichkeit auf sich ziehen, verzichten inzwischen allerdings nicht wenige Skinheads darauf, sich ihren Kopf rasieren zu lassen. Männlichkeitsrituale wie exzessiver Alkoholkonsum und offen zur Schau gestellte Frauenfeindlichkeit sind weitere Merkmale der Skinhead-Bewegung. Die meisten Skinheads sind zwischen 15 und 20 Jahre alt; das Einstiegsalter liegt teilweise sogar noch darunter. Der Anteil von Männern beträgt nahezu 90 %. 19 HEISE ist u. a. wegen Vergehen gegen das Waffengesetz sowie das Versammlungsgesetz, wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Nötigung und wegen Volksverhetzung vorbestraft. 20 ZOG ist eine antisemitische Formel und bedeutet Zionist Occupied Government (zionistisch beherrschte Regierung). Die 14 words, häufig nur mit der Zahl 14 wiedergegeben, sind der Code für eine 14 Wörter umfassende Losung des amerikanischen Rechtsextremisten David Lane von der Gruppe The Order. In deutscher Übersetzung lautet der Satz: "Wir müssen die Existenz unseres Volkes sichern und eine Zukunft für unsere weißen Kinder". Rahowa steht für Racial Holy War (Heiliger Rassenkrieg). 21 Die Ziffern bezeichnen die Stelle eines Buchstaben im Alphabet. Mit 18 werden die Initialien von Adolf Hitler wiedergegeben, mit 88 verbinden Eingeweihte die verbotene nationalsozialistische Grußformel "Heil Hitler", und 28 steht für die in Deutschland verbotene Organisation Blood & Honour. 30 Rechtsextremismus Konflikte mit Angehörigen von ihnen verachteter sozialer Gruppen wie Ausländer, Obdachlose, Behinderte, Homosexuelle oder als "Zecken" titulierte linksorientierte politische Gegner werden oft mittels körperlicher Gewalt auf der Straße ausgetragen. "Gewalt ist keine Lösung, aber ein verdammt gutes Argument!" erklärte ein Skinhead in einem Interview mit dem Fanzine Ratatösk (Ausgabe 4, S. 38) das militante Selbstverständnis der Szene. Die Gewaltbereitschaft der rechtsextremistischen SkinheadSzene in Niedersachsen zeigt z. B. folgende Straftat: Am 11. Februar schlug ein Skinhead in Moringen einen Angehörigen der linken Szene nieder und trat anschließend mit Springerstiefeln auf den am Boden Liegenden ein. Das Opfer erlitt einen Nasenbeinsowie einen Schlüsselbeinbruch. War die englische Skinhead-Bewegung in ihrer Anfangsphase als jugendliche Protestbewegung gegen soziale Ausgrenzung zu charakterisieren, so entwickelte sie sich im Laufe der Zeit zu einer in sich differenzierten internationalen Subkultur, die nicht nur in Großbritannien und Deutschland, sondern auch in den skandinavischen Ländern, in Südund Osteuropa sowie den USA vertreten ist. Neben den rechtsextremistischen Skinheads gibt es Strömungen mit anderer politischer Ausrichtung wie die Redskins und die SHARP-Skins22 sowie die vorrangig subkulturell orientierte große Gruppe der Oi!-Skins23. In einer Szenezeitschrift wird ein Oi-Skin definiert als "ein dem Alkohol nicht abgeneigter Arbeiter, der sich keine Meinung aufdrängen lässt und sein Maul aufreißt. Er lässt sich trotz staatlicher Repression den Spaß am Leben nicht vermiesen." (Foier frei!, Ausgabe 18, S.8) Die Oi-Skin-Bewegung und die rechtsextremistische Skinhead-Szene sind nicht trennscharf zu unterscheiden. Oi-SkinKonzerte werden auch von rechtsextremistischen Skinheads besucht. Unter den Beobachtungsauftrag des Verfassungsschutzes fallen ausschließlich rechtsextremistische Skinheads. Von nationalsozialistischem Gedankengut und dem Glauben an die Überlegenheit der weißen Rasse ist die Blood & Honour-Bewegung (B&H) geprägt. Der 1993 verstorbene 22 Die antirassistischen SHARP-Skins (Skinheads Against Racial Prejudice) und die linksorientierten Redskins entstanden 1987 bzw. 1993 in den USA. In Deutschland gehören beiden Strömungen nur wenige Personen an. 23 Die Strömung der Oi!-Skins umfasst den "spaßorientierten" Teil der Skinhead-Bewegung. Der Name leitet sich von einem Slang-Ausdruck aus dem Londoner East End her. Mit "Oi, Oi, Oi" anstelle des traditionellen "one, two, three" zählte die Skinhead-Band Cockney Rejects ihre Songs an. Rechtsextremismus 31 Frontmann der Skinhead-Band Skrewdriver Ian Stuart DONALDSON gründete die Organisation unter dem Eindruck eines Films über die Hitler-Jugend mit der Zielsetzung, dem rechtsextremistischen Teil der Skinhead-Szene eine Organisation zu geben. Die international ausgerichtete Bewegung verfügt über Untergliederungen auf Landesebene. Solche Divisionen existieren mittlerweile auf allen Kontinenten. Die 1994 gegründete B&H-Division Deutschland wurde am 14.08.2000 durch den Bundesinnenminister verboten. Das Verbot erfasste drei niedersächsische Sektionen: "Niedersachsen", "Nordmark" und "Weser-Ems". In Niedersachsen bestehen keine B&H-Strukturen mehr. An den im benachbarten Ausland und in Großbritannien durchgeführten B&H-Konzerten nehmen auch einzelne niedersächsische Rechtsextremisten teil. Einen weiteren Zweig der Skinhead-Bewegung mit "politischem" Anspruch bilden die 1986 in den USA entstandenen Hammerskins. Ziel der Organisation ist es, alle weißen rechtsextremistischen Skinheads in einer so genannten Hammerskin-Nation zu vereinigen. Ihr Symbol, zwei gekreuzte Hämmer, steht für "Kraft und Stärke der weißen Arbeiterbewegung". In Deutschland traten Hammerskins erstmals 1991 in Brandenburg in Erscheinung. In Niedersachsen spielt die Hammerskin-Bewegung, die bundesweit nur wenig mehr als 100 Mitglieder zählt, kaum eine Rolle. Szenezeitschriften (Fanzines) Der Begriff Fanzine ist der englischen Sprache entlehnt und setzt sich aus den Worten "Fan" und "Magazine" zusammen. Er bezeichnet Info-Hefte, wie sie in vielen Subkulturen typisch sind. Fanzines sind weder eine Erfindung der Skinhead-Szene noch ausschließlich in ihr zu finden. Zu den Inhalten dieser Fanzines gehören Informationen über Musikgruppen und Tonträger-Neuerscheinungen, Verlaufsberichte von Konzerten und Partys und nicht zuletzt Interviews mit Szeneangehörigen. Die Auflagenhöhe der Fanzines hat in Einzelfällen bis zu 15.000 Hefte pro Ausgabe betragen. Diese Größenordnung ist jedoch die Ausnahme. In der Regel überschreitet die Auflagenhöhe einige hundert Exemplare nicht. Die Erscheinungsform reicht von einem wenige Seiten umfassenden, kopierten Heft bis hin 32 Rechtsextremismus zur hundertseitigen Hochglanzbroschüre. Die Bedeutung der Fanzines für die Szene hat abgenommen, seitdem immer mehr Informationen über das Internet verbreitet werden. Bundesweit wurden 2005 etwa 20 Fanzines registriert. In Niedersachsen sind die Fanzines Violence (Braunschweig) und Final Destination (Emden) erschienen. Rechtsextremistische Musikszene Die rechtsextremistische Skinhead-Musik ist Integrationsfaktor und wichtigstes Ausdrucksmittel der subkulturell geprägten rechtsextremistischen Szene zugleich. Die Musiktexte vermitteln in plakativer, zum Teil hetzerischer Form rassistische, fremdenfeindliche und antisemitische Positionen. Der Kontakt mit der auf emotionale Wirkung zielenden Musik kann der Beginn einer Entwicklung sein, der zu einer immer stärkeren Identifizierung mit der rechtsextremistischen Szene führt. Der Psychiater Andreas Marneros, der bei zahlreichen Gerichtsverfahren gegen rechtsextremistische Gewalttäter als Gutachter in Erscheinung getreten ist, kommt aufgrund seiner beruflichen Erfahrungen zu folgendem Urteil: "Die rechtsextremistische Musik wirkt auf diese jungen, einfachen, eingeschränkten Gemüter wie eine Droge. Sie putscht auf, sie macht aggressiv, sie eröffnet Wege, die zum Abgrund führen."24 Diese Entwicklung wird durch den Besuch von Konzerten begünstigt, deren Gestaltung darauf gerichtet ist, das Gemeinschaftsgefühl der Teilnehmer zu stärken und Informationen auszutauschen. Besonders angesprochen fühlen sich Jugendliche, die ihre soziale Situation in den Liedtexten widergespiegelt sehen und nach Integration in eine Gruppe Gleichgesinnter streben. Strategisch denkende rechtsextremistische Führungspersonen haben die Bedeutung der Musik schon vor der Verteilung der Schulhof-CD mit dem Titel "Anpassung ist Feigheit" erkannt. Sie setzen dieses Medium gezielt ein, um Jugendliche für die Szene der neonazistischen Kameradschaften zu gewinnen oder um das Wahlverhalten von Erstwählern zu beeinflussen. Die NPD brachte im Bundestagswahlkampf eine Schulhof-CD mit dem Titel "Der Schrecken aller linken Spießer und Pauker!" als Werbemittel 24 Andreas Marneros: a. a. O., S. 213. Rechtsextremismus 33 zum Einsatz. Dieser Weg der Werbung dürfte auch deshalb aussichtsreich sein, weil der Bekanntheitsgrad einzelner rechtsextremistischer Musikproduktionen weit über das vom Verfassungsschutz beobachtete rechtsextremistische Spektrum hinausreicht. Über das Internet kann die gesamte Bandbreite einschlägiger Titel heruntergeladen werden. Diese Form der Verbreitung rechtsextremistischer Musik stellt eine besondere Herausforderung für Präventionsarbeit dar. Die Namen vieler Bands verdeutlichen das ideologische Verhältnis der Szene zum Nationalsozialismus. Bandnamen wie Nordfront, Bataillon 500, Hauptkampflinie, Division Wiking, Endlöser oder Blitzkrieg zeigen den Bezug zum "Dritten Reich", aber auch die Aggressivität der Szene. Andere Bands haben ihren Namen der germanisch-heidnischen Mythologie entlehnt: Einherjer, Sleipnir, Donnerhall, Walhalla Patriots oder Thor sind nur einige Beispiele hierfür. Viele Bands bestehen nur für kurze Zeit. Teilweise handelt es sich um Projekte von Mitgliedern mehrerer Bands, die sich - mitunter nach nur einer gemeinsamen Produktion - wieder auflösen. Die Produzenten rechtsextremistischer Musik sind wegen des staatlichen Verfolgungsdrucks dazu übergegangen, Liedtexte mit politischen Aussagen vor der Veröffentlichung auf Tonträgern von Rechtsanwälten auf ihre mögliche strafrechtliche Relevanz überprüfen zu lassen. Sie versuchen auf diese Weise das finanzielle Risiko, das ihnen im Falle von Einziehungsund Beschlagnahmebeschlüssen droht, zu mindern. Die rechtsextremistische Skinhead-Band Kraftschlag hat ein Lied von der CD "Trotz Verbot nicht tot" aus dem Jahr 1992 in einer strafrechtlich unverfänglichen Form auf der 2005 erschienenen CD "Die wilden Jahre, Hits vom Index 89-95" neu veröffentlicht. In der "Originalversion" lautete der Text: "Es fliegen die Stiefel genauso wie die Fäuste, niemand kann sie bändigen, die deutsche Kraftschlag-Meute. Ihr Linken in Deutschland, hier werdet Ihr nicht alt, Kraftschlag, Kraftschlag im Zeichen der Gewalt. Ihr Linken in Deutschland, hier werdet Ihr nicht alt, Kraftschlag, Kraftschlag ist Kraft durch Gewalt." Die veränderte Version enthält folgende Liedzeilen: "Es fliegen die Stiefel, es ballen sich die Fäuste, niemand kann sie bändigen, die deutsche Kraftschlag-Meute. Ihr Linken sollt wissen, in Deutschland wird es kalt, Kraftschlag, Kraftschlag es durch die Straßen hallt. Ihr Linken sollt wissen, in Deutschland wird es kalt, Kraftschlag, Kraftschlag es durch die Straßen hallt." 34 Rechtsextremismus Etwa ein Zehntel der Neuerscheinungen ist als strafrechtlich relevant einzustufen. Die Produktion dieser CDs erfolgt fast ausschließlich im Ausland. Insbesondere amerikanische und skandinavische Vertriebe übernehmen die Produktion von Tonträgern, mit denen einschlägige Bands in volksverhetzender Weise rechtsextremistisches Gedankengut verbreiten. Die Diskussionen in Internetforen zeigen, dass der Besitz solcher CDs prestigeträchtig ist und der Profilierung dient. Ein Beispiel für eine solche Produktion ist die 2005 veröffentlichte CD "Vorwärts für Deutschland" der aus MecklenburgVorpommern stammenden Band Bataillon 500. Das Lied "Freiheit" wird mit Ausschnitten aus einer Rede des nationalsozialistischen Propagandaministers Joseph Goebbels eingeleitet. Die sich anschließenden Textzeilen lauten: "Ich glaube an das Reich und an den deutschen Sieg. Ich glaube an mein Volk und an den weißen Rassenkrieg. Ich glaube an den Führer, er war Deutschlands größter Sohn. Ich glaube an die Wiedergeburt der weißen Nation." Das Booklet des Tonträgers zeigt einen Soldaten in Wehrmachtsuniform vor einem halb verdeckten Hakenkreuz sowie eine Abbildung Adolf Hitlers, auf der ebenfalls ein Hakenkreuz zu erkennen ist. Nicht nur die Musik selbst ist von Militanz geprägt, auch die Werbung für die CDs auf den Internetseiten der rechtsextremistischen Vertriebe erfolgt in aggressivem Ton. Für die CD "Die Antwort auf's System" der Gruppe X.x.X. wirbt der rechtsextremistische Witwe Bolte-Versand (WB-Versand) folgendermaßen: "Hass braucht keinen Namen. Hass benötigt ein Ventil. Und dieses Ventil ist in diesem Falle zweifelsohne die Musik. Die Stücke auf dieser brandneuen Scheibe sind genau das richtige Ventil, um den Weihnachtsmann rückwärts den Kamin hinaufzujagen. ... Text und Musik sind ein Schlag in die Fresse des Systems." Zentrale Bedeutung für die Verbreitung rechtsextremistischer CDs haben jene rechtsextremistischen Musikvertriebe erlangt, die ihr Angebot in der Regel über das Internet offerieren. Die Anzahl der für die deutsche Szene relevanten Rechtsextremismus 35 Vertriebe hat von 50 im Jahr 2003 auf mittlerweile rund 75 Vertriebe zugenommen. In Niedersachsen sind die Vertriebe Front Records (Gittelde), Reichsversand (Buxtehude), Der Versand (Göttingen) und Nordic Flame (Seevetal) ansässig. Aktivitäten niedersächsischer Skinhead-Bands Gegenüber dem Vorjahr verringerte sich die Anzahl niedersächsischer Skinhead-Bands von zehn auf sieben Gruppen: Agitator (Göttingen), Division Wiking (Lehrte), Donnerhall (Peine), Gigi & Die braunen Stadtmusikanten (Meppen), Cherusker (Osnabrück) sowie Nordfront und Terroritorium aus dem Raum Hannover. Damit entwickelte sich die rechtsextremistische Bandszene in Niedersachsen rückläufig - entgegengesetzt zum Bundestrend. Von einer Entwarnung kann aber dennoch nicht gesprochen werden, da auch die niedersächsische Bandszene einem steten Wechsel unterliegt. Bundesweit war 2005 ein deutlicher Anstieg von 106 auf ca. 125 Bands zu verzeichnen. Die in der rechtsextremistischen Szene stark gefragte, aus drei Personen bestehende Gruppe Nordfront tritt häufig auch außerhalb Niedersachsens auf. Im Mai veröffentlichte die Band bereits ihre vierte CD. Der Werbetext, mit dem die "Jahre der Schande" betitelte CD im RockNord Shop angepriesen wurde, vermittelt einen plastischen Eindruck von der Art der musikalischen Darbietung und von der Wertschätzung der Band in der rechtsextremistischen Szene: "Die Norddeutschen lassen es hier richtig krachen. Ein Hammer in Sachen Rechtsrock ist diese Scheibe durchweg. Es ist der Hass der 'W.s.r.'25 mit dem spielerischen Können der 'Dunklen Macht' gepaart worden und dabei rausgekommen ist ein Meilenstein 'deutscher Tonkunst' mit in-die-Fresse-Texten in Sachen 'Sozialkritik'. Deutschland zieh Dich warm an, Nordfront kommen!!! Das beste Album ihrer Bandgeschichte." Die 16 Lieder der CD widmen sich den für die rechtsextremistische Musik typischen Themenbereichen Deutsches Reich und deutsches Volk, Vaterland, Überfremdung und Verherrlichung des Soldatentums. Die Werbetexte kokettieren mit einer möglichen Indizierung der CD, um den Verkauf zu fördern. Eine Indizierung der rechtsextremistischen CD ist 25 "W.s.r." = Werft sie raus. Laut Beschluss des AG Pinneberg vom 13. Februar 2002 erfüllt das bereits auf der Debüt-CD veröffentlichte Lied "Werft sie raus" den Strafbestand der Volksverhetzung. Der menschenverachtende Text des Liedes stachelt zum Hass gegen Teile der Bevölkerung auf. 36 Rechtsextremismus bislang nicht erfolgt. Wie Nordfront absolvierte auch die ebenfalls aus der Region Hannover stammende Band Terroritorium im Jahr 2005 zahlreiche Konzertauftritte. Terroritorium hat bislang erst einen Tonträger - die CD "Wir sagen nein" - veröffentlicht. Eine zweite CD befand sich zum Jahresende in Vorbereitung, wie auf der seit dem 15. Dezember neu gestalteten Homepage der Skinhead-Band angekündigt wurde. Die Bandmitglieder bekennen sich zu ihrer nationalistischen Gesinnung. Die Musik wird von ihnen bewusst als Transportmittel für politische Botschaften genutzt: "Musik ist eine unserer stärksten Waffen und die effektivste Möglichkeit, sich Gehör zu verschaffen", heben die Bandmitglieder in einer Selbstdarstellung auf der eigenen Homepage in fett gedruckten Lettern hervor. In den Liedtexten der Band überwiegen revisionistische Positionen. Während von der Lehrter Skinhead-Band Division Wiking, deren aktuelle CD "Gewand der Wahrheit" aus dem Jahr 2004 stammt, keine Aktivitäten ausgingen, veröffentlichte die Göttinger Band Agitator zum Jahresende ihre erste eigene CD mit dem Titel "Die Straßen sind frei!" beim WB-Versand des Neonazis und NPD-Vorstandsmitgliedes Thorsten HEISE. Das wichtigste Magazin für rechtsextremistische Musik, die Zeitschrift RockNord, stellt ihren Lesern die Band mit folgenden Worten vor: "Agitator kommen aus Niedersachsen. Sie beschreiben ihr Verhältnis zum politischen Gegner als gespannt. Im Gegensatz zu vielen Nachwuchskombos aus dem RAC-Bereich26 zeigen die 'musikalischen Überzeugungstäter' Ecken und Kanten, pfeifen auf loyale Konsens-Antworten und liefern statt hohler Phrasen schlagfertige Bescheidenheit". (RockNord, Nr. 118-119, August 2005, S. 34) Den weltanschaulichen Standpunkt der Bandmitglieder spiegelt der Refrain des Songs "Das Lied" der CD "Die Straßen sind frei!" wider: "Denn ich bin mit Leib und Seele Nazi, und ich weiß mit Sicherheit, für mich kann's nichts Schöneres geben, ich bleib Nazi, für alle Zeit." Neben der Produktion der ersten eigenen CD beteiligte 26 RAC = Rock Against Communism Rechtsextremismus 37 sich die 2005 sehr aktive Band an zwei weiteren CDs. Zum Sampler "Zurück zu den Wurzeln" steuerten Agitator und die Skinhead-Bands Oidoxie aus Nordrhein-Westfalen sowie Gegenschlag aus Hessen jeweils sechs Lieder bei. Am Ende des Jahres veröffentlichte Agitator gemeinsam mit der bayerischen Skinhead-Band Nordwind die CD "... a very WHITE x-mas", deren Beiträge - rechtsextremistische Interpretationen bekannter Weihnachtslieder - laut Werbetext "zum Pogen unter dem Tannenbaum einladen". Die CD gelangte allerdings erst nach dem Weihnachtsfest in den rechtsextremistischen Musikvertrieb. Die CD "Gigi & Die braunen Stadtmusikanten" (Untertitel: "Braun is beautiful!") aus dem Jahr 2004 ist die bislang einzige Veröffentlichung der gleichnamigen Formation. Hinter der Bezeichnung Gigi verbirgt sich Daniel GIESE, der maßgeblich an den Bands Saccara und Stahlgewitter beteiligt war. Wenn in Foren oder Szenezeitschriften von Konzerten dieser Bands berichtet wird, dann bezieht sich dies auf Auftritte von GIESE, der gemeinsam mit wechselnden Musikern alte Lieder von Stahlgewitter spielt. Stahlgewitter selbst ist seit zwei Jahren inaktiv. Rechtsextremistische Konzerte An der Strategie zur Durchführung von Skinhead-Konzerten hat sich gegenüber den Vorjahren nichts geändert. Konzerte werden nach wie vor vornehmlich in kleineren Orten durchgeführt. Raumanmietungen erfolgen häufig unter der Angabe, eine von Musikdarbietungen umrahmte Geburtstagsfeier durchführen zu wollen. Um Exekutivmaßnahmen der Polizei zu unterlaufen, planen manche Konzertveranstalter doppelgleisig mit einer zweiten Veranstaltungsstätte. Im Notfall werden die Besucher dann konspirativ per SMS über einen neuen Treff zum Ersatzort umdirigiert. Die Auflösung von Konzerten hat für den Veranstalter erhebliche finanzielle Verluste zur Folge, da Zahlungen an die bereits angereisten Bands zu leisten sind, ohne dass diesen Kosten Einnahmen gegenüberstehen. Sofern bereits Eintrittsgelder entrichtet worden sind, müssen diese in der Regel zurückerstattet werden. Als Reaktion auf die staatlichen Maßnahmen zeichnet sich ein Trend zur Verlagerung größerer Konzerte ins Ausland ab. Zu nennen sind neben Großbritannien, wo alljährlich im September unter Beteiligung auch niedersächsischer Skinheads die Ian-Stuart-Memorial-Konzerte veranstaltet werden, Belgien, Elsass-Lothringen und das österreichische Bundesland Vorarlberg. Solche Großkonzerte, zu denen Teilnehmer aus 38 Rechtsextremismus vielen europäischen Ländern anreisen, verstärken die internationale Verflechtung der rechtsextremistischen SkinheadSzene. 2005 sind in Niedersachsen fünf Skinhead-Konzerte bekannt geworden. Die durchschnittliche Besucherzahl lag bei 120 Personen. Im Gegensatz zur Entwicklung in Niedersachsen war auf Bundesebene ein weiterer deutlicher Anstieg auf 193 Konzerte zu verzeichnen. Die bisherige Höchstzahl von 137 Konzerten in 2004 wurde damit weit übertroffen. Die Schwerpunktregionen sind Sachsen, Thüringen und BadenWürttemberg. Der Anstieg auf Bundesebene ist darauf zurückzuführen, dass Konzerte zunehmend auf Privatgelände und im Zusammenhang mit NPD-Veranstaltungen stattfinden. So wurde die rechtsextremistische Musikveranstaltung mit dem größten Zulauf am 2. April in Pößneck (Thüringen) im Anschluss an den NPD-Landesparteitag durchgeführt. Mehr als 1000 Rechtsextremisten fanden sich zum Abschiedskonzert von Michael "Lunikoff" REGENER, dem Frontmann der verbotenen rechtsextremistischen Skinhead-Band Landser, ein, der kurz darauf eine mehrjährige Haftstrafe antreten musste. In Niedersachsen wurden rechtsextremistische Musikveranstaltungen in Tostedt und in Bröckel (Landkreis Celle) durchgeführt. In Tostedt wohnten am 29. Januar 190 Rechtsextremisten den Auftritten der Skinhead-Bands Confident of Victory (Brandenburg) und Civico 88 (Italien) bei. Am 26. März fand ein für den Großraum Hannover angekündigtes Skinhead-Konzert mit den Bands ARMCO (Italien), Last Riot (Sachsen), Lions Pride (Belgien) und After the Fire (Niederlande) in Bröckel statt. Das Konzert wurde von 130 Rechtsextremisten besucht. Die Polizei erteilte vier Platzverweise; gegen zwei Personen wurden wegen des Zeigens des HitlerGrußes Ermittlungsverfahren eingeleitet. Die Aufklärungsarbeit und das konsequente Einschreiten der niedersächsischen Sicherheitsbehörden erschweren die Organisation von rechtsextremistischen Musikveranstaltungen erheblich. Die Durchführung von drei Konzerten konnte verhindert werden. In einer Hildesheimer Gaststätte sollte am 3. Dezember ein Konzert mit fünf Bands stattfinden. Der Wirt, der von einer Geburtstagsfeier ausgegangen war, widerrief den Mietvertrag, nachdem ihn die Polizei über den eigentlichen Zweck der Veranstaltung aufgeklärt hatte. Daraufhin verbot die Polizei das Abspielen von Musik. Zu diesem Zeit- Rechtsextremismus 39 punkt waren bereits mehr als 200 Rechtsextremisten und die Mitglieder der Skinhead-Band Nordfront anwesend. Ein am 10. Dezember in Bad Essen im Parkhotel als Einweihungsfeier geplantes Konzert mit den Skinhead-Bands Rachezug (Hessen), Cherusker, Gegenschlag und Words of Anger (Schleswig-Holstein) wurde von der Gemeinde verboten. Die Polizei richtete Kontrollstellen ein und stellte die Personalien der trotz Konzertverbot anreisenden Besucher fest. Im Gegensatz zur Entwicklung im Bereich der Skinhead-Konzerte hat die Anzahl von rechtsextremistischen Liederund Balladenabenden in Niedersachsen deutlich zugenommen. Nach drei Liederund Balladenabenden in 2004 mit durchschnittlich 55 Teilnehmern wurden in 2005 acht Veranstaltungen dieser Art registriert. In der Regel handelte es sich um das musikalische Rahmenprogramm von Vortragsund NPD-Veranstaltungen oder Geburtstagsund Grillfeiern. Die Liederabende wurden von durchschnittlich 85 Personen besucht. Nutzung des Internets durch Rechtsextremisten Das Internet hat als Kommunikationsmittel für Rechtsextremisten weiter zunehmend an Bedeutung gewonnen. Die Anzahl der von deutschen Rechtsextremisten betriebenen Homepages betrug Ende 2005 1.000 Seiten27. Das Internet bietet Rechtsextremisten die Möglichkeit, in abgeschotteten, durch Passwort geschützten Bereichen miteinander zu kommunizieren. Zum Teil gelingt es ihnen auf diese Weise, Organisationsverbote zu unterlaufen und internationale Kontakte zu knüpfen. Zudem erreichen äußerst fremdenfeindliche und antisemitische Botschaften über das Internet einen Adressatenkreis, der weit über das von den Verfassungsschutzämtern beobachtete rechtsextremistische Personenpotenzial hinausreicht. Gerade auf Jugendliche üben die interaktiven Internetdienste eine besondere Faszination aus. Der Einstieg in rechtsextremistische Zusammenhänge ist leicht möglich, Gleichgesinnte sind schnell gefunden. Die Nutzung des Internets in der ganzen Bandbreite seiner Möglichkeiten setzt beim Anwender allerdings eine gewisse Grundkenntnis und kommunikative Fähigkeiten 27 Gesamtzahl rechtsextremistischer Seiten im Internet; Bands, Parteien, Kameradschaften und sonstige rechtsextremistische Organisationen zusammengerechnet. (Quelle BfV, Dezember 2005) 40 Rechtsextremismus voraus. Der Umgang mit Musiktauschbörsen (Downloads von MP3-Dateien), Foren, Chats (IRC, Messenger) und im Mailversand mit der Verschlüsselungssoftware PGP28 gehören heute zu dem auch in der rechtsextremistischen Skinhead-Szene verbreiteten Standard. Die Möglichkeiten des Internets sind von der rechtsextremistischen Skinhead-Musikszene längst erkannt worden. Sie nutzt das Internet verstärkt zur Selbstdarstellung und zur Verbreitung ihrer Produkte. Die meisten der bekannten Skinhead-Bands betreiben eine eigene Homepage, über die Liedtexte und Musikstücke herunterzuladen sind. Insbesondere ausländische Bands und Musiktauschbörsen bieten über das Internet Lieder und Texte mit strafrechtlich relevanten Inhalten an. Internetforen sind für die Skinhead-Szene von zunehmender Bedeutung. Die verschiedenen Foren fördern den Zusammenhalt durch den Austausch von Informationen und dienen der szeneinternen Kommunikation. Von den ca. 25 Foren sind als bedeutendste das Wikinger Forum, das Hatecore-Forum sowie das Nationale Forum zu nennen. Die ca. 830 Mitglieder des für die Szene meinungsbildenden Wikinger Forums haben sich zu über 1.200 Themen mit rund 30.000 Beiträgen geäußert. Das verbindende Element der Kommunikation in diesen Foren ist die rechtsextremistische Einstellung. Neonazistische Kameradschaften Das neonazistische Personenpotenzial ist auf Bundesebene seit Jahren kontinuierlich angestiegen. 2005 war ein erneuter Zuwachs von 3.800 auf 4.100 Personen zu beobachten. Diese Entwicklung wird von der Öffentlichkeit mit Besorgnis registriert, weil sich in ihr die zunehmende Ideologisierung junger Rechtsextremisten insbesondere im Osten Deutschlands dokumentiert. Neonazis sind in ihrer Weltanschauung gefestigter als subkulturell orientierte Rechtsextremisten. Die Präventionsarbeit in diesem Bereich des Rechtsextremismus gestaltet sich deshalb weit schwieriger. 28 Abk. für Pretty Good Privacy, ein im Internet für die geschützte Übermittlung von Datensätzen verwendetes Datenverschlüsselungssystem. Rechtsextremismus 41 Im Gegensatz zur Zunahme auf Bundesebene ist die Entwicklung in Niedersachsen unverändert. Dem neonazistischen Spektrum sind unverändert 365 Rechtsextremisten zuzurechnen. Entstehungsgeschichte Um die in der ersten Hälfte der neunziger Jahre verfügten Verbote verschiedener neonazistischer Organisationen (s. Übersicht) zu unterlaufen, entwickelten hiervon betroffene Neonazianführer wie Thomas WULFF29, Christian WORCH30 und Thorsten HEISE31 mit den neonazistischen Kameradschaften eine Organisationsform ohne greifbare verbotsfähige formale Strukturen und Mitgliedschaften. Die Kameradschaften sind neben einzeln oder in Cliquen agierenden Neonazis Bestandteil der so genannten freien nationalen Strukturen, weshalb sich Kameradschaftsmitglieder häufig auch als Freie Nationalisten bezeichnen, die "über alle Parteigrenzen und Organisationszwänge hinweg überall dort aktiv ... werden, wo es dem Kampf um Deutschland nutzt." (Internet: Autorenkollektiv: Leitfaden "Freier Nationalist - Mein Selbstverständnis", Stand 26. Januar) Ursprünglich waren die fünf bis 25 Mitglieder umfassenden Kameradschaften als Kristallisationspunkte neonazistischer Agitation und Aktion auf örtlicher Ebene konzipiert. Im Verlaufe der letzten zehn Jahre hat sich das Kameradschaftsmodell ausdifferenziert und damit zum Teil von den ursprünglichen Intentionen entfernt. Während in den östlichen Bundesländern ideologisch gefestigte Kameradschaften dominieren, ist das Erscheinungsbild der niedersächsischen Kameradschaften eher heterogen. Ihre Aktivitäten sind sehr viel häufiger gruppenzentriert und weniger außenorientiert. So genannte Mischkameradschaften aus rechtsextremistischen Skinheads und Neonazis, wie sie das Erscheinungsbild in Niedersachsen prägen, engagieren sich weniger intensiv und dauerhaft als Kameradschaften, deren Mitglieder von einer gefestigten neonazistischen Weltanschauung geleitet sind. 29 WULFF war Vorsitzender der verbotenen neonazistischen Gruppierung Nationale Liste (NL). 30 WORCH war stellvertretender Vorsitzender der verbotenen neonazistischen Gruppierung Nationale Liste (NL). 31 HEISE war niedersächsischer Landesvorsitzender der verbotenen Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei (FAP). 42 Rechtsextremismus Bei der Entwicklung von Präventionsansätzen sind diese regionalspezifischen Unterschiede zu beachten. Die Kameradschaften rekrutieren ihre Mitglieder aus den örtlichen unstrukturierten rechtsextremistischen Szenen. Die Kontaktaufnahme erfolgt zumeist aufgrund persönlicher Bekanntschaft oder bei szenerelevanten Gemeinschaftsveranstaltungen. Von besonderer Bedeutung sind die Skinhead-Konzerte, durch die an rechtsextremistischer Musik interessierte, charakterlich noch ungefestigte Jugendliche häufig erstmals in direkten Kontakt mit Neonazis treten. In Niedersachsen ist diese Rekrutierungsmöglichkeit wegen der geringen Anzahl von zudem noch konspirativ durchgeführten Konzerten nicht in vergleichbarem Maße gegeben wie in anderen Bundesländern. Das Einstiegsalter liegt bei etwa 16 Jahren; die Mehrheit der Kameradschaftsmitglieder gehört zur Altersgruppe der 20bis 25-Jährigen. Frauen spielen in der auf "Männlichkeitstugenden" (Stärke, Kampf) fixierten neonazistischen Szene eine nur untergeordnete Rolle. Ihr Anteil beträgt in Niedersachsen lediglich etwa 10 %. Sehr selten nehmen sie Führungsfunktionen wahr. Von besonderer Bedeutung für die Bildung und den Bestand einer Kameradschaft ist ein Anführer. Für seine Akzeptanz sind Kontakte zur überregionalen rechtsextremistischen Szene wichtig, die es ihm ermöglichen, als örtlicher bzw. regionaler Multiplikator für szenerelevante Informationen, z. B. Demonstrationsund Konzerttermine, zu fungieren. Das Kontaktnetz des Kameradschaftsführers, die Intensität und die Qualität seiner Beziehungen zu rechtsextremistischen Organisationen und Führungsfiguren, aber auch sein Wille zur Gestaltung und Organisation sind entscheidend für den internen Rang und die Ausrichtung einer Kameradschaft. Die Aktionsbüros, die von der neonazistischen Szene zur überregionalen Koordination der Aktivitäten eingerichtet wurden, haben wegen der in den letzten Jahren deutlich gewachsenen Ausbreitung der modernen Kommunikationsmittel Mobiltelefon und Internet an Bedeutung verloren. Das von Hamburg aus operierende, für die Vernetzung der Kameradschaften im norddeutschen Bereich zuständige Aktionsbüro Nord beschränkt sich inzwischen ausschließlich auf Internetpräsenz. Ideologie In ideologischer Hinsicht eint die Kameradschaftsmitglieder das unterschiedlich ausgeprägte Bekenntnis zum historischen Nationalsozialismus. Rechtsextremismus 43 Aus den übereinstimmenden Ideologieelementen und Feindbildern resultiert das politische Zusammenwirken der neonazistischen Kameradschaften mit der NPD. Beide Strömungen des Rechtsextremismus streben die Errichtung einer Volksgemeinschaft an. Mit dem Begriff Volksgemeinschaft verbindet sich die Vorstellung von einer die Individualrechte negierenden totalitären Herrschaftsform, in der Klassenund Parteiengegensätze aufgehoben sein sollen. Diese Zielvorstellung teilen sie mit dem historischen Nationalsozialismus. Aus dem gemeinsamen Ziel der Errichtung einer Volksgemeinschaft erwachsen zugleich aber auch erhebliche Differenzen zwischen den so genannten Freien Nationalisten und der NPD. Aus Sicht einiger Nationalisten akzeptiert die NPD durch die Beteiligung an Wahlen die Spielregeln einer parlamentarischen Demokratie und begeht damit Verrat an der Zielsetzung, die bestehende Gesellschaftsordnung auf revolutionärem Wege durch eine Volksgemeinschaft zu ersetzen. Die Eintritte führender Neonazis wie WULFF und HEISE in die NPD lösten überdies in Teilen des neonazistischen Spektrums die Besorgnis aus, dass sie von der als Systempartei bezeichneten NPD instrumentalisiert werden sollten. Dennoch konnte die NPD in den Wahlkämpfen des Jahres 2005 auf die Unterstützung großer Teile der Nationalisten zurückgreifen. Das taktische Kalkül und die inhaltlichen Differenzen dieser Zusammenarbeit verdeutlicht folgende im Internet verbreitete Grundsatzerklärung: "Wir lehnen dieses System mit all seinen kranken gegen das eigene Volk gerichteten Auswüchse ab. Wir wollen dieses asoziale System nicht reformieren, sondern abschaffen und ersetzen! ... Viele nationale Aktivisten, die sich auf Grund ihrer systemfeindlichen Haltung nicht in Parteien organisiert haben, sehen ... (aber) in der Unterstützung der NPD bei Wahlen eine Möglichkeit, die Akzeptanz nationaler Standpunkte in der Bevölkerung zu testen und die eigene Basisarbeit zu intensivieren. ... Probleme mit dem Kurs der Partei, mit Kandidaten, deren Weltbild von uns nur als feindlich wahrgenommen werden kann, ... spielen bei diesen Überlegungen keine Rolle." (Grundsatzerklärung: Warum unterstützen freie nationale Strukturen die NPD im Wahlkampf, Internet-Ausdruck vom 20. Oktober) Die Kooperation zwischen den Freien Nationalisten und der NPD weist also Bruchlinien auf. Das Abschneiden der NPD bei zukünftigen Wahlen dürfte die Akzeptanz der Zusammenarbeit maßgeblich beeinflussen. 44 Rechtsextremismus Kameradschaften in Niedersachsen Von den bundesweit ca. 160 aktiven neonazistischen Kameradschaften sind dem NLfV etwa 20 in Niedersachsen bekannt. Das neonazistische Potenzial in Niedersachsen umfasst insgesamt 365 Rechtsextremisten. Im Unterschied zu den Kameradschaften in den neuen Bundesländern, bei denen - der ursprünglichen Konzeption entsprechend - in der Regel die politische Agitation im Vordergrund steht, kennzeichnet die niedersächsischen Kameradschaften eher eine diffuse rechtsextremistische Weltanschauung und nicht ein besonderer Wille zum koordinierten politischen Handeln. Insofern hat sich der Kameradschaftsgedanke in Niedersachsen gegenüber den Vorstellungen und Zielsetzungen des Organisationsmodells weitgehend verselbstständigt. Die in der Vergangenheit aktive Kameradschaft Weserbergland, die zu Beginn des Jahres durch ein Strafverfahren gegen ein führendes Mitglied erneut in den Blickpunkt der Öffentlichkeit rückte, gab zwischenzeitlich bekannt, dass sie sich vor dem Hintergrund einer zunehmenden "Kriminalisierung ihrer Mitglieder" und einem möglicherweise bevorstehenden Verbotsverfahren künftig lediglich als organisationsund strukturlose Plattform des "nationalen Widerstandes" in den Regionen Hannover, Deister, Schaumburg, Hameln, Nienburg und Ostwestfalen versteht. Ehemals führende Kameradschaftsmitglieder betätigen sich seither nur noch als Einzelaktivisten für die NPD und deren Jugendorganisation Junge Nationaldemokraten. Über vereinzelte Klebeaktionen, einen Infotisch und eine Demonstration mit geringer Beteiligung ist dieses Engagement im Jahr 2005 nicht hinausgegangen. Mittlerweile ist die Kameradschaft mit eigener Homepage wieder im Internet vertreten und "hat es sich zur Aufgabe gemacht, dem volksfeindlichem System und der menschenfeindlichen Gesellschaft in diesem Lande etwas entgegenzusetzen." (Fehler aus dem Original übernommen) (Internet-Ausdruck vom 28.03.2006) Der Kameradschaft Nationalrevolutionäre Alternative Neuhaus/Elbe, die sich mittlerweile in Nationale Sozialisten Neuhaus/Elbe umbenannt hat und Verbindungen zum bundesweit agierenden Kampfbund Deutscher Sozialisten (KDS)32 unterhält, gehören weniger als zehn Personen an. Dennoch gehen von dieser Gruppierung vielfältige politische Aktivitäten aus. Neben der Teilnahme an Demonstrationen der Nationalisten entwirft, produziert und verbreitet die Kameradschaft Propagandamaterial in Form von Plakaten und Rechtsextremismus 45 Flugblättern, gibt mit dem Neuhauser Sturm ein regelmäßig erscheinendes eigenes Informationsblatt heraus und führte am 23. April - allerdings ohne öffentliche Resonanz - eine Standkundgebung zum Thema "Volksgemeinschaft statt Sozialabbau" durch. Die Bürgerinitiative für Zivilcourage Hildesheim verbreitete anlässlich ihres einjährigen Bestehens im Internet, sie habe im Rahmen ihrer "Öffentlichkeitsarbeit" innerhalb eines Jahres ca. 100.000 Flugblätter verteilt. Darüber hinaus versucht die Gruppierung - ebenso wie ihr im Juli gegründeter Ableger, die Bürgerinitiative für Zivilcourage Celle -, mit zeitgeschichtlichen und aktuellen Beiträgen politisch-ideologische Außenwirkung zu erzielen, die sie über das Internet verbreitet. Die für diese Zwecke eingerichtete eigene Homepage wendet sich mit einer eigenen Rubrik an Jugendliche. In Celle machte am 2. September eine Gruppe Rechtsextremisten mit einer Störaktion gegen eine Wahlkampfveranstaltung der SPD auf sich aufmerksam. Zwölf in schwarz gekleidete und in Marschformation angetretene Rechtsextremisten, die einschlägige Parolen skandierten, gaben sich als Nationaler Widerstand Celle zu erkennen. Zu dieser Gruppe gehörten auch Mitglieder der Bürgerinitiative für Zivilcourage. Ebenfalls auf politisch-ideologische Außenwirkung gerichtet sind die Aktivitäten der Kameradschaft Gifhorn und der Snevernjungs aus Schneverdingen. Beide Kameradschaften veröffentlichten auf ihren Internetseiten Erlebnisberichte über die Teilnahme an Veranstaltungen oder Demonstrationen der rechtsextremistischen Szene, CDund Buchbesprechungen. Die Kameradschaft Gifhorn tritt auch unter den Bezeichnungen Widerstand Gifhorn oder Freie Nationalisten Gifhorn in Erscheinung. Die Kameradschaft Salzgitter versucht auf anderem Wege, öffentliche Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen. Bereits seit 32 Der KDS wurde am 1. Mai 1999 gegründet. Ziel der ca. 50 Mitglieder starken nationalrevolutionären Organisation ist es, linke und rechte revolutionäre Kräfte auf der Basis eines Bekenntnisses zu Volk und Heimat zu einem Bündnis zusammenzufassen. Seit etwa 2000 bezeichnen sich deutsche Rechtsextremisten insbesondere aus dem Umfeld der neonazistischen Kameradschaften als nationalrevolutionär bzw. als "nationale Sozialisten". Sie versuchen mit einer so genannten Querfrontstrategie an ursprünglich linke Konzepte und Theorien anzuknüpfen. 46 Rechtsextremismus mehreren Jahren tritt eine größere Anzahl rechtsextremistischer Jugendlicher unter dieser Bezeichnung bei Demonstrationen auf. Regelmäßige Treffen oder Veranstaltungen finden nicht statt, weshalb nicht von einer Kameradschaft im ursprünglichen Sinne gesprochen werden kann. Vielmehr handelt es sich um eine Bezeichnung, unter der die gesamte neonazistische Szene im Raum Salzgitter und Umgebung auftritt, wenn sie von führenden Aktivisten für Großereignisse wie Demonstrationen mobilisiert wird. Bei Demonstrationen ist auch regelmäßig die von HEISE gegründete und geführte Kameradschaft Northeim vertreten. Die Kameradschaftsund Schulungsabende, die früher von einem relativ großen Personenkreis besucht wurden, haben seit dem Umzug HEISEs nach Fretterode in Thüringen für die Szene an Bedeutung verloren. Strukturen, die auf engen persönlichen Kontakten von Rechtsextremisten zu HEISE basieren, bestehen aber unverändert fort. Der regionale Schwerpunkt hat sich allerdings von Niedersachsen nach Thüringen verschoben. An den Gemeinschaftsveranstaltungen der Kameradschaft nehmen aber nach wie vor auch Rechtsextremisten aus dem südniedersächsischen Raum teil. Die Kameradschaft Honour & Pride fiel erstmals im Zusammenhang mit einem am 29. Januar in Braunschweig veranstalteten Skinhead-Konzert auf. Einige Teilnehmer trugen T-Shirts mit dem Kameradschaftsnamen und den Zusätzen Braunschweig und Nordharz, woraus ersichtlich wird, dass die Gruppierung im südöstlichen Niedersachsen angesiedelt ist. Die Aktivitäten der Kameradschaft konzentrieren sich auf die rechtsextremistische Musikund Veranstaltungsszene, politische Aktivitäten wurden bisher nicht beobachtet. Am 30. Juli veranstaltete die Kameradschaft in Salzgitter ein "nationales" Fußballturnier, an dem ca. 150 Personen teilnahmen. Über das Turnier wurde u. a. auf der Internetseite der Bürgerinitiative für Zivilcourage Celle berichtet. Ebenso wie Skinhead-Konzerte dienen auch solche Gemeinschaftsveranstaltungen der Förderung des Zusammenhalts innerhalb der Szene. Bei dieser Gelegenheit werden Kontakte geknüpft und gepflegt, Informationen ausgetauscht und nicht selten auch weltanschaulich noch nicht gefestigte Szeneanhänger durch die Vermittlung eines Gemeinschaftsgefühls eingebunden. Überregionale Aktivitäten von Kameradschaften Die Freien Nationalisten führten im Jahr 2005 in Niedersachsen zwar keine eigenständigen Demonstrationen durch, sie beteiligten sich aber an den von der NPD durchgeführten Rechtsextremismus 47 Aufzügen in Verden, Braunschweig, Oldenburg, Langwedel und Göttingen. Kameradschaftsmitglieder aus Niedersachsen nahmen außerdem an den Demonstrationen anlässlich der Jahrestage der Bombardierung von Magdeburg und Dresden am 15. Januar und 13. Februar teil. Ferner beteiligten sie sich an den rechtsextremistischen Kundgebungen, die am 1. Mai in Leipzig aus Anlass des Tages der Arbeit und am 8. Mai in Berlin aus Anlass des 60. Jahrestages der deutschen Kapitulation durchgeführt wurden. Von besonderer Bedeutung für den Zusammenhalt der neonazistischen Szene auf überregionaler Ebene sind die Veranstaltungen, die alljährlich zum Gedenken an den Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß durchgeführt werden. Im Mittelpunkt dieser Aktivitäten steht seit Jahren eine zentrale Kundgebung in Wunsiedel, der Grabstätte von Heß, der 1987 im Spandauer Kriegsgefängnis Selbstmord beging. Die neonazistische Szene bezweifelt die offizielle Darstellung der Todesumstände und verehrt Heß als einen Märtyrer des Friedens, der einem Komplott der britischen Außenpolitik zum Opfer gefallen sei, so der seit 2004 erscheinende Taschenkalender des "nationalen Widerstandes". Die vom Hamburger Rechtsanwalt und Neonazi RIEGER bereits zum fünften Mal in Wunsiedel für den 20. August geplante Kundgebung wurde unter Berufung auf die am 1. April in Kraft getretenen Änderungen des Versammlungsgesetzes und des Strafgesetzbuches verboten. Den neuen rechtlichen Bestimmungen zufolge macht sich strafbar, wer öffentlich oder in einer Versammlung den öffentlichen Frieden in einer die Würde der Opfer verletzenden Weise dadurch stört, dass er die nationalsozialistische Willkürherrschaft billigt, verherrlicht oder rechtfertigt. Als Reaktion auf die für die rechtsextremistische Szene offensichtlich überraschende gerichtliche Verbotsbestätigung wurden in mehreren deutschen Städten kurzfristig Demonstrationen angemeldet. Infolge des Verbots einer solchen Ersatzveranstaltung in Magdeburg führten Neonazis, die hiervon auf der Anreise überrascht worden waren, am 20. August in Peine eine nicht angemeldete Kundgebung durch, an der sich ca. 500 Rechtsextremisten aus dem Saarland, Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Hessen beteiligten. Auf dem Weg skandierten sie Parolen wie "Rudolf Heß - Märtyrer für Deutschland" oder "Ruhm und Ehre der Waffen-SS". Zu einer weiteren Veranstaltung mit überregionaler Bedeutung hat sich mittlerweile das "Heldengedenken" im 48 Rechtsextremismus brandenburgischen Halbe entwickelt. In Halbe, dem Ort der letzten Kesselschlacht des Zweiten Weltkrieges, befindet sich die größte Kriegsgräberstätte auf deutschem Boden. Der vom Hamburger Neonazi WORCH für den 12. November angemeldete Demonstrationsaufzug stand unter dem Motto "Ruhm ist: Mitgedacht zu werden, wenn an ein ganzes Volk gedacht wird". Aufgrund der Blockade der Aufmarschstrecke durch ca. 1.000 Gegendemonstranten konnte die Demonstration nicht wie geplant durchgeführt werden. Die Teilnehmerzahl blieb mit 1.700 Rechtsextremisten hinter den Erwartungen der Veranstalter zurück. Rechtsextremismus 49 Verbote neonazistischer Vereinigungen Verbotsverfüg. Vereinigung Verbotsbehörde 26.11.1992 Nationalistische Front (NF) Bundesministerium des Innern 08.12. 1992 Deutsche Alternative (DA) Bundesministerium des Innern 18.12.1992 Deutscher Niedersächsisches Kameradschaftsbund (DKB) Innenministerium 21.12.1992 Nationale Offensive (NO) Bundesministerium des Innern 07.06.1993 Nationaler Block (NB) Bayerisches Staatsministerium des Innern 08.07.1993 Heimattreue Vereinigung Innenministerium Deutschlands (HVD) des Landes Baden-Württemberg 25.08.1993 Freundeskreis Freiheit für Innenministerium Deutschland (FFD) des Landes Nordrhein-Westfalen 10.11.1994 Wiking Jugend e.V. (WJ) Bundesministerium des Innern (auf Initiative des Niedersächsischen Innenministeriums) 24.02.1995 Freiheitliche Deutsche Bundesministerium Arbeiterpartei (FAP) des Innern (auf Initiative des Niedersächsischen Innenministeriums) 22.02.1995 Nationale Liste (NL) Behörde für Inneres Hamburg 12.05.1995 Direkte Aktion/MittelInnenministerium des deutschland (JF) Landes Brandenburg 22.07.1996 Skinheads Allgäu Bayerisches Staatsministerium des Innern 50 Rechtsextremismus 14.08.1997 Kameradschaft Oberhavel Innenministerium des Landes Brandenburg 09.02.1998 Heide-Heim e.V. und HeideNiedersächsisches heim e.V. Innenministerium 10.08.2000 Hamburger Sturm Behörde für Inneres Hamburg 12.09.2000 Blood & Honour -Division Bundesministerium Deutschland des Innern mit Jugendorganisation White Youth 03.04.2001 Skinheads Sächsische Schweiz Sächsisches (SSS) mit Skinheads Sächsische Staatsministerium Schweiz - Aufbauorganisatides Innern onen und Nationaler Widerstand Pirna 07.03.2003 Bündnis nationaler Sozialisten Innenministerium des für Lübeck Landes Schleswig-Holstein 19.12.2003 Fränkische Aktionsfront Bayerisches Staatsministerium des Innern 07.03.2005 Kameradschaft Tor Innensenator des "Mädelgruppe" der KameLandes Berlin radschaft Tor 07.03.2005 Berliner Alternative Süd-Ost Innensenator des (BASO) Landes Berlin 12.04.2005 Kameradschaft Hauptvolk mit Innenministerium des Untergruppierung "Sturm 27" Landes Brandenburg 14.07.2005 Alternative Nationale StrausInnenministerium des berger DArt Piercing und Landes Brandenburg Tattoo Offensive (ANSDAPO) Rechtsextremismus 51 Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige e. V. (HNG) Sitz: Frankfurt a.M. Vorsitzende: Ursula MÜLLER (Mainz) Mitglieder 2004 2005 Bund: 600 600 Niedersachsen: 60 55 Publikation: Nachrichten der HNG (monatl., Aufl. 600 Exemplare) Die 1979 gegründete und seit 1991 von Ursula MÜLLER aus Mainz geleitete HNG ist seit Jahren die mitgliederstärkste neonazistische Organisation. Wegen ihrer organisationsübergreifenden Ausrichtung kommt ihr eine integrierende Funktion für die neonazistische Szene zu. Über regionale Untergliederungen verfügt die Organisation nicht. Mit Ausnahme der Hauptversammlung, die am 16. April unter Beteiligung von 140 Mitgliedern im bayerischen Gremsdorf stattfand, führt die HNG keine Veranstaltungen durch. Die Tätigkeit der Organisation konzentriert sich auf die Betreuung inhaftierter deutscher und ausländischer Neonazis mit dem Ziel, ein Abwenden von der neonazistischen Szene zu verhindern. Insofern laufen die Aktivitäten der Organisation den Bemühungen staatlicher Aussteigerhilfen zuwider, die rechtsextremistischen Straftäter zum Ausstieg aus der Szene verhelfen möchte. Jede Ausgabe der monatlich erscheinenden Publikation Nachrichten der HNG enthält zur Kontaktvermittlung eine Liste mit den Namen inhaftierter Rechtsextremisten, darunter auch niedersächsische Rechtsextremisten. Feste Bestandteile einer Ausgabe sind darüber hinaus Briefe von Gefangenen an die Schriftleitung, Berichte über rechtsextremistische Aktionen und Kommentare zu Gerichtsurteilen und staatlichen Maßnahmen im Zusammenhang mit rechtsextremistischen Aktivitäten. In jeder Ausgabe erklärt die HNG, ihr gehe es darum, "die Eingriffe des BRD-Regimes in die politischen Grundfreiheiten national denkender Menschen möglichst lückenlos zu 52 Rechtsextremismus dokumentieren ..., um die Verantwortlichen später einmal zur Rechenschaft ziehen zu können". Neben den festen Rubriken enthalten die Nachrichten der HNG redaktionelle Beiträge, die der ideologischen Aufrüstung des neonazistischen Lagers dienen. So werden in der Februar-Ausgabe die "anglo-amerikanischen Bomben-Terrorangriffe" des Zweiten Weltkrieges in zynischer Form mit der Flutkatastrophe in Südostasien verglichen. Die in einem von der Ausländerbeauftragten der Bundesregierung herausgegebenen Buch enthaltenen Vorschläge zur Integration von Ausländern kommentieren die HNG-Nachrichten im April mit den Worten: "Das unerwünschte in Deutschland ist der Deutsche! Das Verbot alles Deutschen, das Wünschenswerteste allen antideutschen Minusseelen."33 Ganz in der Tradition des historischen Nationalsozialismus beschäftigt sich die Mai-Ausgabe mit dem "Muttertum" und der Rolle der "deutschen Frau (als) Trägerin der Zukunft ... des Volkes". In dem aus Anlass des Jahrestages des Nürnberger Kriegsverbrecherprozesses veröffentlichten Beitrag "Über Galgen wächst kein Gras" ist vom Auftakt der angeblich unrechtmäßigen Verfolgung "national-denkender" Menschen die Rede. Der in Nürnberg zu lebenslanger Haft verurteilte Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß ist für die HNG die Symbolfigur der "unterdrückten Freiheit in Deutschland". Jede Ausgabe der HNG-Nachrichten enthält ein Foto des Hitler-Stellvertreters. Aus dem Bekenntnis zu Heß und damit zum historischen Nationalsozialismus leitet die HNG ihren selbstgestellten Auftrag zur Betreuung rechtsextremistischer Gefangener ab. 33 Schreibweise im Original Rechtsextremismus 53 Rechtsextremistische Parteien Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) Sitz Bund: Berlin Niedersachsen: Lüneburg Vorsitzende Bund: Udo VOIGT Niedersachsen: Ulrich EIGENFELD Mitglieder 2004 2005 Bund: 5.300 6.000 Niedersachsen: 460 580 Publikationen Bund: Deutsche Stimme (monatlich, Aufl. 21.000 Exemplare) Niedersachsen: Niedersachsen-Spiegel (vierteljährlich, Auflagenhöhe nicht bekannt) Die NPD wurde am 28.11.1964 in Hannover als "Sammlung des nationalen Lagers" von Vertretern der Deutschen Partei, der Gesamtdeutschen Partei/Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten und der Deutschen Reichspartei (DRP) gegründet. Die DRP, die zu diesem Zeitpunkt größte rechtsextremistische Partei, stand in der Tradition der 1952 wegen ihrer Wesensverwandtschaft mit dem Nationalsozialismus vom Bundesverfassungsgericht verbotenen Sozialistischen Reichspartei. In den Jahren 1966 bis 1968 gelang der NPD der Einzug in sieben Landesparlamente. In Niedersachsen erreichte sie bei der Landtagswahl von 1967 7 % der Stimmen. Das Scheitern bei der Bundestagswahl des Jahres 1969 mit 4,3 % der Stimmen leitete einen Abstieg der Partei ein. Ihr Mitgliederstand verringerte sich von 28.000 im Jahr 1969 auf 8.500 im Jahr 1978. Den absoluten Tiefpunkt markierte das Jahr 1995, als der NPD nach parteiinternen Auseinandersetzungen um den wegen rechtsextremistischer Delikte zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilten Parteivorsitzenden Günter DECKERT nur noch 2.800 Mitglieder angehörten. Erst die Übernahme des Parteivorsitzes durch den bayerischen NPD-Funktionär Udo VOIGT im Jahre 1996 leitete eine Aufwärtsentwicklung ein. VOIGT öffnete die vergangenheitsbezogene und überalterte Partei für Neonazis und 54 Rechtsextremismus rechtsextremistische Skinheads. Die NPD nutzte das Parteienprivileg, um parteiungebundenen Neonazis Demonstrationsspielraum zu verschaffen. Insbesondere bei den Kundgebungen gegen die so genannte Wehrmachtsausstellung wirkten NPD-Mitglieder und Freie Nationalisten zusammen. Infolge dieser Öffnungspolitik stieg die Mitgliederzahl vorübergehend auf 6.500. Dieser Prozess war begleitet von einer immer stärker ausgeprägten neonazistischen Akzentuierung der programmatischen Positionen. Das von Bundesregierung, Bundestag und Bundesrat vor dem Bundesverfassungsgericht gegen die NPD angestrengte Verbotsverfahren hatte zur Folge, dass die Mitgliederzahl auf 5.000 Personen sank, nicht zuletzt weil die NPD-Führung die Zusammenarbeit mit den neonazistischen Kräften aus verfahrenstaktischen Gründen reduzierte. Nach dem Scheitern des Verbotsverfahrens begann eine neue Phase der Zusammenarbeit mit den Freien Nationalisten. Führende Neonazis gelangten auf dem Bundesparteitag des Jahres 2004 in den Bundesvorstand der NPD. Im Bemühen, das gesamte rechtsextremistische Spektrum hinter sich zu sammeln, propagierte die NPD auf demselben Parteitag den "Kampf um den organisierten Willen", der durch die Anfang 2005 im "Deutschland-Pakt" zwischen der NPD und der DVU vereinbarte Zusammenarbeit bei Wahlen ergänzt wird. Organisation und Mitgliederentwicklung Der Einzug der NPD in den Sächsischen Landtag im September 2004 steigerte die Attraktivität der Partei im rechtsextremistischen Lager, die sich auch in einem Mitgliederzuwachs in allen Bundesländern niederschlug. Am Ende des Jahres gehörten der NPD 6.000 Mitglieder (2004: 5.300) an. Stärkste Untergliederung ist mit 1.000 Mitgliedern der in 25 Kreisverbänden organisierte sächsische Landesverband. In Sachsen profitierte die NPD von verfestigten rechtsextremistischen Strukturen im nicht parteigebundenen Bereich. Allerdings dürften sich die Ende des Jahres vollzogenen Austritte von drei Landtagsabgeordneten aus Fraktion und Partei aufgrund interner Konflikte, die einen innerparteilichen Gegensatz zwischen Funktionären, die aus Ostbzw. Westdeutschland stammen, widerspiegeln, negativ auf die weitere Mitgliederentwicklung des sächsischen Landesverbandes auswirken. In Mecklenburg-Vorpommern haben die zahlreichen Eintritte von Nationalisten nach Einschätzung des rechtsextremistischen Störtebeker-Netzes dazu geführt, dass Rechtsextremismus 55 "das Kräfteverhältnis innerhalb der Partei quasi umgekippt (ist) und die alten Parteikader quasi entmachtet wurden". (Internet-Ausdruck vom 13.01.2006) Neben Nationalisten sind der NPD im Verlaufe des Jahres auch ehemalige Mitglieder der Republikaner beigetreten, die ihre politische "Heimat" aus Enttäuschung über die zunehmende Bedeutungslosigkeit der REP verlassen haben. Auch der niedersächsische Landesverband profitierte vom Wahlerfolg der NPD in Sachsen. Er steigerte seinen Mitgliederstand von 460 auf rund 580 Personen. Der niedersächsische Landesverband ist in die neun Unterbezirke Braunschweig, Wolfsburg/Gifhorn, Göttingen, Hannover, Lüneburg, Stade, Oldenburg, Osnabrück und Emsland/Bentheim untergliedert. Auf dem 41. Landesparteitag in Syke-Heiligenfelde wurden am 5. Juni in Anwesenheit des Bundesvorsitzenden VOIGT Ulrich EIGENFELD als Landesvorsitzender sowie Manfred BÖRM, Adolf DAMMANN und Friedrich PREUß als stellvertretende Landesvorsitzende in ihren Ämtern bestätigt. Als neugewählte Beisitzer rückten Daniel HUBERT aus dem Unterbezirk Göttingen sowie Thomas WARNAT und Frank BLOHME aus dem Unterbezirk Hannover in den Landesvorstand auf. BLOHME wurde außerdem die Funktion des Landespressesprechers übertragen. Unter den 140 Delegierten des überdurchschnittlich gut besuchten Landesparteitages befanden sich zahlreiche junge Parteimitglieder. Ihre Teilnahme kann als ein Zeichen dafür gewertet werden, dass die Werbung der NPD innerhalb der unstrukturierten rechtsextremistischen Szene Wirkung zeigt. Ideologie und Strategie In ihren theoretischen Schriften umschreibt die NPD ihr politisches Endziel, die Schaffung einer ethnisch homogenen Volksgemeinschaft, mit Begriffen wie "Gemeinschaft der Angehörigen des deutschen Volkes im natürlichen, ethnischen Sinne"34. Mit der 1997 konzipierten Drei-Säulen-Strategie - "Kampf um die Straße, Kampf um die Köpfe und Kampf um die Parlamente" - arbeitet die NPD an der Verwirklichung dieser Bestrebungen, die die demokratisch verfasste Ordnung der Bundesrepublik Deutschland ersetzen soll. Der Begriff Volksgemeinschaft bezeichnet die Gleichschaltung nach innen durch die Ausgrenzung von Minderheiten und 34 Profil - Nationaldemokratische Schriftenreihe, Folge 12, S. 20. 56 Rechtsextremismus politisch Andersdenkenden, um nach außen Geschlossenheit und Schlagkraft zu gewinnen. Der einzelne Mensch ist in einer solchen Ordnung dem von einem Führer konstruierten Willen des Volkes unterworfen, ohne dass er Individualrechte für sich beanspruchen kann (völkischer Kollektivismus). Dem antiindividualistischen und antipluralistischen Ansatz des völkischen Kollektivismus verleiht der sächsische Landtagsabgeordnete Jürgen GANSEL theoretischen Ausdruck: "Zwischen den abstrakten Polen von 'Mensch' und 'Menschheit' wollen wir das Volk als gewachsene Lebensund Solidargemeinschaft wieder in den Mittelpunkt der identitären Selbstverortung rücken." (Jürgen GANSEL: Internet-Beitrag vom 5. Mai über das Wesen und Wollen der Dresdner Schule) Ebenso eindeutig formulierte der stellvertretende Bundesvorsitzende Holger APFEL auf einer Kundgebung aus Anlass des Todestages von Heß am 20. August in Nürnberg: "Wir sind stolz darauf, Deutsche zu sein. Nichts für uns, alles für Deutschland."35 Vor diesem weltanschaulichen Hintergrund ist es nicht überraschend, dass sich führende Parteifunktionäre positiv über Hitler äußern. Der Parteivorsitzende VOIGT, der Hitler in einem Interview mit der Wochenzeitung Junge Freiheit bereits im vergangenen Jahr als "großen Staatsmann" bezeichnet hatte, bekräftigte sein Urteil in einem Interview mit der Tageszeitung Die Welt vom 12. Februar mit den Worten: "Nur ein großer Staatsmann kann große Verbrechen begehen." Der sächsische Landtagsabgeordnete MENZEL äußerte in einem Beitrag des ARD-Magazins Kontraste am 22. September unzweideutig: "Ich halte den Führer nach wie vor für einen großen Staatsmann, vielleicht einen der größten, den wir je gehabt haben. Dazu stehe ich." An Ausführungen von führenden Parteimitgliedern lässt sich aufzeigen, dass die Volksgemeinschaft auf revolutionärem Weg, d. h. durch Beseitigung der verfassungsmäßigen Ordnung, herbeigeführt werden soll. Der Mitarbeiter der säch35 Die Äußerung APFELs erinnert an Losungen aus dem Dritten Reich wie: "Du bist nichts, dein Volk ist alles." (Einleitung des Handbuchs Mädel im Dienst, Potsdam 1934) Rechtsextremismus 57 sischen Landtagsfraktion Karl RICHTER entwickelte im rechtsextremistischen Theorieorgan Nation & Europa folgende Perspektive: "Verbrauchte, überlebte Regime können ungleich schneller und im Normalfall auch 'unblutiger' entsorgt werden als unter totalitärem Vorzeichen. ... Höchste Zeit also für Abhilfe zu sorgen - zunächst in den Parlamenten, dann in der Regierung." (Nation & Europa, Nr. 2/2005, S. 9) In einem Interview mit dem Stader Tageblatt vom 8. September erklärte der stellvertretende niedersächsische Landesvorsitzende DAMMANN unumwunden, Ziel seiner Bewegung sei die "Beseitigung der parlamentarischen Demokratie". Für ihn ist die Bundesrepublik das Produkt der Besatzungsmächte und das Grundgesetz das "Zeichen der Fremdherrschaft". Wie die Äußerungen DAMMANNs erkennen lassen, korrespondiert die ideologische Nähe zum Nationalsozialismus mit revisionistischen Positionen zur NS-Diktatur. Um ihren in dieser weltanschaulichen Tradition stehenden politischen Zielen Legitimation zu verleihen, suggeriert die NPD, die historische Wahrheit über die nationalsozialistische Vergangenheit sei von den Siegermächten und ihren "Geschöpfen", den demokratischen Parteien, systematisch verfälscht worden. Der Parteivorsitzende VOIGT führte im Parteiorgan Deutsche Stimme hierzu aus: "Wenn wir die Macht haben, wird es wieder Forschungsund Meinungsfreiheit geben und da wird die Geschichte sicher noch einmal aufgerollt werden müssen, um sich vom Siegerdiktat zu befreien." (Deutsche Stimme, Nr. 12/2005, S. 3) Sein Stellvertreter APFEL bezeichnete die Bundesrepublik in einer Rede auf einer NPD-Demonstration am 8. Mai in Berlin als "Canossa-Republik" und forderte ein Ende der Vergangenheitsbewältigung. Die Bundesrepublik sei eine "Lügenrepublik", der man nur abgrundtiefe Abscheu entgegenbringen könne. Für sich zog APFEL daraus die Schlussfolgerung: "Ich schäme mich ein Bundesrepublikaner zu sein! ... Wir sind stolz, Deutsche zu sein!" Das Volksgemeinschaftsdenken, das Bestreben, die Gesellschaft als Volksgemeinschaft ethnisch "gleichzuschalten", prägt auch die wirtschaftspolitischen Positionen der NPD. Der fortschreitenden Globalisierung begegnet sie mit dem 58 Rechtsextremismus Konzept einer raumorientierten Volkswirtschaft. Unter der Überschrift "Die Nation als soziale Schutzund Solidargemeinschaft" umriss Jürgen GANSEL in der Deutschen Stimme das Gegenkonzept der NPD zur Globalisierung: "Angesichts dieser Entwicklung weiterhin ausländische Arbeitsplatzdiebe und Sozialschnorrer ins Land zu holen, anstatt die begrenzten Arbeitsplätze und Sozialleistungen in Form eines völkischen Sozialkompromisses nur Volksangehörigen zukommen zu lassen, kann nur als politkriminell bezeichnet werden." (Deutsche Stimme, Nr. 12/2005, S. 17) Fremdenfeindliche Argumentationsmuster, wie sie in GANSELs Ausführungen und in der permanenten Forderung, in Deutschland lebende Ausländer in die Heimat zurückzuführen, zum Ausdruck kommen, durchziehen die politische Propaganda der NPD ebenso wie antisemitische Positionen. Der stellvertretende Vorsitzende des nordrhein-westfälischen Landesverbandes Claus CREMER wurde wegen Volksverhetzung zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr verurteilt, weil er auf einer Demonstration am 26.06.2004 in Bochum, die unter dem Motto "Keine Steuergelder für den Synagogenbau - für Meinungsfreiheit" stand, behauptet hatte, Menschen jüdischen Glaubens billigten den sexuellen Missbrauch von Kindern. Die NPD bemüht sich parallel zur Forcierung der Zusammenarbeit mit den Freien Nationalisten und der DVU um eine Intellektualisierung ihres politischen Ansatzes. Die für diese Zwecke eingerichtete Dresdner Schule, die eine Antwort auf die marxistische Frankfurter Schule vergangener Zeiten darstellen soll, machte allerdings bislang keine Fortschritte. Durch die Wahl des stellvertretenden Chefredakteurs der Deutschen Stimme Andreas MOLAU zum Vorsitzenden der rechtsextremistischen Gesellschaft für Freie Publizistik (GFP) ergibt sich für die Partei eine weitere Möglichkeit, auf das parteiungebundene rechtsextremistische intellektuelle Spektrum einzuwirken. Den Intellektualisierungsbemühungen dürften angesichts der Sozialstruktur der Parteimitgliedschaft nicht nur in Niedersachsen Grenzen gesetzt sein. "Volksfront von rechts" Der am 15. Januar auf dem Bundesparteitag der DVU von den Parteivorsitzenden VOIGT und Dr. Gerhard FREY zwischen der NPD und der DVU vereinbarte "Deutschland-Pakt" stellt eine Erweiterung der von der NPD und den Freien Nati- Rechtsextremismus 59 onalisten seit 2004 verfochtenen "Volksfront von rechts" dar. Das Abkommen legt fest, welche der beiden Parteien des rechtsextremistischen Lagers bei Landtags-, Bundestagsund Europawahlen kandidieren soll. Der "Deutschland-Pakt" wird vom niedersächsischen Landesverband der NPD konsequent umgesetzt. Die Delegierten eines am 10. Juli durchgeführten außerordentlichen Landesparteitages nominierten den Bremer Landesvorsitzenden der DVU Siegfried TITTMANN, der seine Partei als Abgeordneter in der Bremer Bürgerschaft vertritt, auf Platz zwei der Landesliste für die Bundestagswahl im September. Platz vier nahm Hans-Gerd WIECHMANN ein, der bis Anfang des Jahres den Landesverband der Republikaner geführt hatte. Obwohl die Parteivorsitzenden immer wieder betonen, dass sich beide Parteien in den Grundzielen einig seien, gibt es nach wie vor politisch-ideologische Differenzen, insbesondere in Hinsicht auf die Zusammenarbeit mit den Freien Nationalisten. In einer am 4. Februar auf der Internetseite der DVU verbreiteten Erklärung verkündete FREY, er werde bei der Zusammenarbeit mit der NPD "kein Jota vom bisherigen Kurs abweichen". Dieser lasse sich auf die Kurzformel bringen: "Ja zum Grundgesetz - Knallhart gegen Gewalt - Nein zum Nazismus und Neonazismus." Wenngleich sich die NPD bereits vor Jahren den Freien Nationalisten geöffnet hat und zum Teil eng mit ihnen kooperiert, besteht zu ihnen ein grundsätzliches ideologisches Spannungsverhältnis. Die Teilnahme der NPD an Wahlen stößt bei vielen parteiungebundenen Rechtsextremisten auf Ablehnung. Im Internetforum "Freier Widerstand" riefen Neonazis am 10. August zum Boykott der Bundestagswahlen auf. Für die Verfasser, die sich selbst als Freie Nationale Sozialisten bezeichneten, ist die NPD eine mit CDU und SPD vergleichbare "BRD-Partei" mit der Aufgabe, möglichst viele Gegner an das "unsinnige" parlamentarische System zu binden. Der Ausgang der Bundestagswahl wurde im Forum "Freier Widerstand" am 18. September als Blamage für die NPD bewertet. Die Autoren solidarisierten sich mit dem Vorsitzenden der NPD-Jugendorganisation Junge Nationaldemokraten (JN), Stefan ROCHOW, der das Bündnis zwischen DVU und NPD in einem Internetbeitrag als "rechts-reaktionäres, nationalund sozialdemagogisches Bündnis" bezeichnet hatte. Sie forderten: "Keine Volksfront mit der Reaktion! Keine Stimme der Demokratie! Solidarität mit allen revolutionären Nationalsozialisten in der NPD!" 60 Rechtsextremismus Auch der frühere NPD-Theoretiker Jürgen SCHWAB kritisierte am 23. Mai in einem vom Sprecherrat der Deutschen Akademie unterzeichneten Aufruf, der "neue Kurs" der NPD scheine immer mehr dem BRD-Parlamentarismus und somit dem kapitalistischen System verpflichtet. SCHWAB beklagte, dass die nationalrevolutionären Kräfte in der NPD in die Defensive geraten seien. Der Neonazi Christian WORCH sah die NPD in einem Beitrag für das Internetforum "Freier Widerstand" in einem problematischen Spagat zwischen DVU und Neonazis begriffen. Bleibe der Erfolg von Sachsen singulär, werde die NPD wieder den Kampf um die Straße aufnehmen müssen. Dort aber liege die Kernkompetenz der Neonazis. Die Partei lasse bislang die notwendige Kooperationsbereitschaft vermissen. Für eine Zusammenarbeit gelte jedoch "Für nix gibt's nix!" Aktivitäten und Demonstrationen Den im Rahmen ihrer Drei-Säulen-Strategie propagierten "Kampf um die Straße" setzte die NPD in intensiver Form fort. 2005 wurden auf Bundesebene ca. 60 Demonstrationen und öffentliche Kundgebungen mit NPD-Bezug festgestellt. Die größte Veranstaltung war eine von der Jugendorganisation der NPD, den JN und dem Berliner Landesverband der NPD aus Anlass des Kriegsendes am 8. Mai in der deutschen Hauptstadt organisierte Kundgebung. An der Demonstration, die unter dem Motto "60 Jahre Befreiungslüge - Schluß mit dem Schuldkult" durchgeführt wurde, beteiligten sich insgesamt rund 3.300 Rechtsextremisten, darunter auch Vertreter befreundeter rechtsextremistischer Organisationen aus Rumänien, Spanien, Griechenland, Österreich, Südtirol, Belgien, Schweden, Norwegen, Finnland und aus Südafrika. Als Redner traten neben VOIGT und APFEL der rechtsextremistische Liedermacher Frank RENNICKE, der inzwischen verstorbene ehemalige REP-Vorsitzende Franz SCHÖNHUBER und der DVU-Vorsitzende FREY auf. Unter den Demonstrationsteilnehmern befand sich eine Vielzahl bekannter Rechtsextremisten. Ein weiteres Großereignis mit organisationsübergreifender Bedeutung ist der jährliche "Trauermarsch" der Jungen Landsmannschaft Ostpreußen (JLO) zum Gedenken an die Zerstörung Dresdens im Rechtsextremismus 61 Jahre 1945, der am 13. Februar unter der Schirmherrschaft der NPD stattfand. An der revisionistisch ausgerichteten Demonstration nahmen 5.000 Personen aus den Reihen der Freien Nationalisten, der NPD und anderer rechtsextremistischer Organisationen teil. Die Teilnehmerzahl hat sich damit gegenüber dem Vorjahr mehr als verdoppelt. Aus Niedersachsen beteiligten sich u. a. Mitglieder der NPD-Unterbezirke Hannover, Osnabrück und Göttingen sowie Angehörige der Kameradschaft Northeim. Aktivitäten in Niedersachsen Das Zusammenspiel mit den Freien Nationalisten gestaltet sich in den einzelnen Unterbezirken der NPD unterschiedlich. Während in einigen Unterbezirken wie Osnabrück eine enge Zusammenarbeit entstanden ist, wird in eher traditionalistisch ausgerichteten Unterbezirken eine engere Kooperation mit militant auftretenden Kameradschaftsangehörigen nur eingegangen, wenn die Vorherrschaft der NPD akzeptiert wird. Anderenfalls wird eine Zusammenarbeit kategorisch abgelehnt. Auf dem Landesparteitag am 5. Juni wurde deutlich, dass die Veranstaltung von Demonstrationen innerhalb der Partei u.a. wegen der Kosten, wegen fehlender Teilnahmebereitschaft und wegen befürchteter negativer Berichterstattung über das Auftreten der Kameradschaften nicht unumstritten ist. Erst in einer Kampfabstimmung entschied sich der Landesverband mit einer nur knappen Mehrheit für die weitere Durchführung von Demonstrationen. Damit war die Voraussetzung gegeben, um die im Jahr 2004 begonnene Kampagne "Sozialabbau, Rentenklau, Korruption - Nicht mit uns" des niedersächsischen Landesverbandes fortzusetzen. Da die NPD ihre eigenen Mitglieder in Niedersachsen nur unzureichend mobilisieren kann, war sie bei der Durchführung der Demonstrationen auf die Unterstützung der parteiungebundenen Kräfte angewiesen. Aus diesem Grunde bestimmte das Auftreten der neonazistischen Kameradschaften das Demonstrationsbild bei den vier von der NPD angemeldeten Aufmärschen am 2. April in Verden, am 18. Juni in Braunschweig, am 3. September in Oldenburg und am 29. Oktober in Göttingen. Wie wenig belastbar das Verhältnis zwischen der NPD und 62 Rechtsextremismus den Freien Nationalisten ist, wurde im Zusammenhang mit der Demonstration in Göttingen deutlich. Von der Befürchtung geleitet, dass die Redebeiträge des Freien Nationalisten Dieter RIEFLING aus Hildesheim, in denen der Nationalsozialismus gerechtfertigt wurde, das Ansehen der NPD als Wahlpartei schädigen würden, verhängte der Landesverband ein inzwischen wieder aufgehobenes Redeverbot über RIEFLING für NPD-Veranstaltungen. Die Freien Nationalisten reagierten auf diese Maßnahme mit der Aufkündigung der Zusammenarbeit. In einer am 29. November auf der Homepage des Widerstandes Nord im Internet verbreiteten Erklärung stellten sie fest: "Wir stellen die Zusammenarbeit mit dem NPD-Landesverband Niedersachsen bei Demonstrationen und Saalveranstaltungen mit sofortiger Wirkung solange ein, wie das vom Landesvorstand mit knapper einfacher Mehrheit verhängte Redeverbot gegen Kamerad Dieter Riefling Bestand hat." Die Freien Nationalisten lasteten das Vorgehen gegen RIEFLING dem niedersächsischen Landesvorsitzenden Ulrich EIGENFELD an, den sie als Reaktionär und Spalter der Bewegung bezeichneten. Die Erklärung schließt mit der Aufforderung, die NPD Niedersachsen solle genau überlegen, ob ein Landesvorsitzender EIGENFELD noch tragbar sei. Die Konfliktlinien der Auseinandersetzung verlaufen allerdings auch durch die NPD selbst, denn auf der Unterstützerliste des Aufrufes für RIEFLING befanden sich auch die Namen von NPDund JN-Mitgliedern. Der Unterbezirk Stade entwickelte im Berichtszeitraum, wie bereits in den Vorjahren, die meisten Aktivitäten. Neben Mahnwachen und zahlreichen Infoständen im Zusammenhang mit dem Bundestagswahlkampf führte der Unterbezirk mehrere Vortragsveranstaltungen mit bekannten rechtsextremistischen Referenten wie RIEGER und Udo PASTÖRS (Mecklenburg-Vorpommern) oder WIECHMANN aus Lüneburg durch. Der ehemalige Landesvorsitzende der REP WIECHMANN, der sich der NPD im Verlaufe des Jahres immer stärker angenähert hatte, fungierte auch als Redner auf Demonstrationen. Der NPD-Unterbezirk Osnabrück konnte den ehemaligen Rechtsterroristen Peter NAUMANN und den rechtsextremistischen Publizisten Reinhold OBERLERCHER für Vortragsveranstaltungen gewinnen. OBERLERCHER referierte im Dezember im Parkhotel in Bad Essen über das Thema "Wenn Systeme brechen - Klassenkampf, Rassenkampf und Volkskrieg?". Das Parkhotel steht seit Jahresende im Blickpunkt des öffentlichen Interesses, weil die Öffentlichkeit annahm, Rechtsextremismus 63 der Pächter, der sich im Bundestagswahlkampf für die NPD engagiert hatte, werde es als Tagungsund Veranstaltungsstätte der NPD nutzen. Nach einem Eigentümerwechsel wurde der Pachtvertrag 2006 gekündigt. Beteiligung an Wahlen Die Euphorie, die nach dem erfolgreichen Abschneiden bei der Landtagswahl in Sachsen im September 2004 im rechtsextremistischen Lager vorherrschte, erhielt durch die Ergebnisse bei den Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen einen erheblichen Dämpfer. Konnte die NPD bei der Landtagswahl in Schleswig-Holstein immerhin noch 1,9 % der Zweitstimmen erreichen und somit in den Genuss der Wahlkampfkostenerstattung gelangen, so war das Ergebnis von 0,9 % bei der Landtagswahl im Mai in Nordrhein-Westfalen ernüchternd für die Partei. Der Wahlkampf offenbarte die organisatorischen Schwächen dieser Landesverbände. Bis zur Aufnahme des Wahlkampfes waren die Landesverbände in der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen worden und höchstens durch innerparteiliche Querelen und Auseinandersetzungen mit der regionalen Neonaziszene in Erscheinung getreten. Den Bundestagswahlkampf gestaltete die NPD aufwändig. Sie konnte auf die finanzielle Unterstützung der DVU zurückgreifen, die nach den Absprachen des "DeutschlandPaktes" auf eine Teilnahme an der Wahl verzichtet hatte. Als Wahlkampfmittel setzte die Partei neben Plakaten, Flugblättern und Infoständen auch eine Wahlkampfzeitung ein. Thematisch setzte die NPD auf Parolen wie "Schnauze voll? Lügner abstrafen", "Quittung für Hartz IV", "Fremdarbeiter stoppen" und "EU abwählen". Für bundesweite Aufmerksamkeit sorgte die Verteilung einer so genannten Schulhof-CD mit dem Titel "Der Schrecken aller linken Spießer und Pauker!". Der Einsatz solcher CDs zeigte, dass inzwischen auch die NPD die propagandistische Wirkung szenetypischer Musik für die Vermittlung rechtsextremistischer Positionen erkannt hatte. Im Bemühen, einen möglichst großen Personenkreis anzusprechen, spiegeln die auf der CD präsentierten 13 Lieder die Bandbreite der unter Jugendlichen gängigen Musikstilrichtungen wider. Die strafrechtlich nicht relevanten Texte sollen Jugendliche emotionalisieren, um sie auf diesem Wege für die "Idee des nationalen Widerstandes" zu gewinnen. In Niedersachsen kam die Schulhof-CD in kleiner Anzahl in den Städten Dassel, Duderstadt, Garbsen, Hemmingen, Holzminden, Oldenburg, Osnabrück, Pattensen, Stade und Wolfenbüttel zur Verteilung. 64 Rechtsextremismus Dem amtlichen Endergebnis zufolge konnte die NPD bei der Bundestagswahl 748.568 Zweitstimmen (1,6 %) und 857.777 Erststimmen (1,8 %) auf sich vereinen. Im alten Bundesgebiet erzielte die Partei 1,1 % der Zweitstimmen, in den neuen Bundesländern hingegen 3,6 % der Stimmen. Durch das Überschreiten der 0,5-%-Hürde erhält sie die für die NPD wichtige Wahlkampfkostenerstattung. Ihr bestes Landesergebnis erreichte die NPD erwartungsgemäß mit einem Stimmenanteil von 4,9 % in Sachsen. Überdurchschnittlich schnitt sie auch in Thüringen mit 3,7 % und in Mecklenburg-Vorpommern mit 3,5 % der Zweitstimmen ab. Ihr schlechtestes Ergebnis erzielte sie in NordrheinWestfalen mit 0,8 %. In Niedersachsen erhielt die von Kameradschaftsmitgliedern und unorganisierten Skinheads unterstützte NPD-Liste 62.294 Erststimmen (1,3 %) und 59.728 Zweitstimmen (1,3 %). Die besten Ergebnisse erzielte die Partei in den Wahlkreisen, in denen sie durch Aktionen in besonderer Weise auf sich aufmerksam gemacht hatte. So konnte der stellvertretende Landesvorsitzende Adolf DAMMANN im Wahlkreis Stade-Cuxhaven 2.924 Erststimmen (2 %) für sich verbuchen. Im Wahlkreis Rotenburg-Verden kam der NPD-Kandidat Dr. Rigolf HENNIG36 auf 3.031 Erststimmen (1,7 %). Junge Nationaldemokraten (JN) Für den Parteivorsitzenden VOIGT hatten die JN die Funktion eines Bindegliedes zwischen NPD, rechtsextremistischen Kameradschaften und anderen Neonazis. Im Verlauf des gegen die NPD angestrengten Verbotsverfahrens kamen die Aktivitäten der JN auf Bundesebene weitgehend zum Erliegen. Die frühere Funktion der Jugendorganisation, den subkulturellen Raum für die NPD zu erschließen, wird inzwischen von der NPD selbst wahrgenommen. Jugendliche Rechtsextremisten treten der NPD ohne den Umweg über die JN direkt bei. 36 HENNIG vertritt als Schriftleiter des "Reichsboten" revisionistische und antisemitische Thesen. In der Ausgabe Nr. 6 schrieb er unter dem Titel "Hitler und das Dritte Reich", der Führer habe die Wünsche seines Volkes erfüllt. Nach dem Krieg sei aber das gefälschte Geschichtsbild des industriellen Massenmordes an Juden verbreitet worden. Rechtsextremismus 65 Als Folge dieser Entwicklung verzeichnen die JN seit Jahren bundesweit einen Mitgliederrückgang. Der Organisation gehörten zum Jahresende noch rund 350 Personen an. Auf dem am 26. November in Chemnitz durchgeführten Bundeskongress der Organisation wurde der bisherige Vorsitzende Stefan ROCHOW in seinem Amt bestätigt. Als seine Stellvertreter fungieren Alexander NEIDLEIN (BadenWürttemberg) und Philipp VALENTA (Sachsen-Anhalt). Die bisherigen Vorstandsmitglieder aus Niedersachsen, Florian CORDES und Daniel FÜRSTENBERG, sind nicht mehr mit Führungsaufgaben auf Bundesebene betraut. Der Bundesvorsitzende ROCHOW führte in einer auf den Internetseiten des JN-Bundesvorstandes am 28. November verbreiteten Grundsatzerklärung aus: "Schwerpunkt unserer Arbeit in den nächsten zwei Jahren wird die Akzentuierung und Schärfung unseres eigenen Profils sein. Aktionismus und Kaderschulung werden die Hauptschwerpunkte unserer Arbeit sein müssen... . Wir sind einerseits integraler Bestandteil der NPD und unterstützen damit kooperativ unsere Partei in ihren Vorhaben. Andererseits sollten wir durch den konsequenten Ausbau der JN jungen Menschen einen geschützten Raum bieten, in welchem eigene Politik betrieben werden kann und auch konstruktive Kritik an der Mutterpartei entstehen kann, damit wir nicht nur als sprachloses Anhängsel der NPD wahrgenommen werden." Die Formulierung, dass "auch konstruktive Kritik an der Mutterpartei entstehen kann", ist vor dem Hintergrund eines Schriftwechsels zwischen SCHWAB und ROCHOW zu sehen. ROCHOW hatte die eigene Partei am 11. August in einem an SCHWAB gerichteten offenen Brief angegriffen: "Ich brauche Dir nicht sagen, wie es um die geistige Denkbereitschaft im nationalen Lager bestellt ist. Selbst in den Führungsetagen des nationalen Lagers, ausdrücklich die NPD eingeschlossen, wird man eine sachliche und weiterführende Diskussion in dieser Frage nicht zufriedenstellend führen können. Der Populismus und das Hinterherhecheln nach Stimmungen und kurzfristig angelegten Erfolgen überwiegt leider noch das Denken dieser Herren. Eine langangelegte Strategie wird hier nicht zu erwarten sein, da klare Weltanschauungen der Kurzfristigkeit im Denken weichen mußten." (Internet-Ausdruck vom 11.08.2005) 66 Rechtsextremismus Heftige Kritik übte ROCHOW an der "Volksfront von rechts": "Die sogenannte rechte Volksbewegung aus NPD und DVU ist sicherlich auf den ersten Blick ein unterstützungswürdiger Ansatz, weil man glauben könnte, hier entsteht eine starke nationale Kraft, welche die Probleme der Zukunft bewältigen kann. Leider ist dieses Ziel schon im Ansatz gescheitert..." ROCHOW, der wie SCHWAB einen nationalrevolutionären Kurs vertritt, wurde wegen dieser Verlautbarung vom stellvertretenden Parteivorsitzenden Peter MARX gerügt. MARX bezeichnete die Ausführungen am 20. August auf der Internetseite des NPD-Bundesverbandes öffentlich "als groben politischen Unfug und Zeichen mangelnder politischer Reife". ROCHOW schwenkte anschließend wieder auf die offizielle Parteilinie ein. Der Vorgang zeigt die faktische Bedeutungslosigkeit der JN in der derzeitigen NPD-Strategie. Auch in Niedersachsen ist der parteiinterne Stellenwert der JN gesunken. Hatten Aktivisten der NPD/JN Verden noch bis zur Jahresmitte eine weitere Ausgabe der Jugendzeitschrift Der Rebell an Schulen verteilt, so kam die Kampagne "Den Nationalismus in die Schule tragen" im Verlaufe des Jahres zum Erliegen. Der Rückgang der Aktivitäten erklärt sich mit dem Fortzug des damaligen JN-Stützpunktleiters Sascha SCHÜLER und internen Querelen. Am 1. Mai führten die JN in Bückeburg einen Aufzug mit anschließender Kundgebung unter dem Motto "Die Forderung nach Arbeit ist berechtigt - ein neues System bietet neue Möglichkeiten" durch, an der rund 50 Extremisten teilnahmen. Am 8. Oktober beteiligten sich wiederum knapp 50 Personen aus dem Spektrum der unorganisierten Kameradschaftsszene an einer Demonstration der JN in Langwedel/Daverden, die unter dem Motto "Stoppt die Ausländerkriminalität in Langwedel" durchgeführt wurde. Zu den Kundgebungsteilnehmern sprachen der Hamburger Neonazi Alexander HOHENSEE, WIECHMANN und ein Angehöriger der Kameradschaft Hamm. Rechtsextremismus 67 Deutsche Volksunion (DVU) Sitz Bund: München Niedersachsen: Burgdorf Vorsitzende Bund: Dr. Gerhard FREY (München) Niedersachsen: Dieter WIEGRÄFE (Burgdorf) Mitglieder 2004 2005 Bund: 11.000 9.000 Niedersachsen: 800 730 Publikationen: National-Zeitung/Deutsche-Wochen-Zeitung (wöchentlich, Auflage ca. 41.000 Exemplare) Die DVU wurde 1987 in München gegründet. Sie ging aus dem bis heute bestehenden Verein DVU e. V. hervor, der 1971 als organisatorisches Sammelbecken für ehemalige NPD-Mitglieder entstanden war, nachdem die NPD 1969 den Einzug in den Bundestag knapp verfehlt hatte. Bis 1991 trug die DVU den Namenszusatz Liste D. Partei und Verein verdanken ihre Existenz dem Münchener Verleger Dr. Gerhard FREY (*1933), der die Partei seit ihrer Gründung zentralistisch und im autokratischen Stil führt. Auf dem Bundesparteitag der DVU am 15. Januar in München wurde er mit 99,3 % der Stimmen ein weiteres Mal im Amt des Parteivorsitzenden bestätigt. FREYs Vorgaben bestimmen ihre politischen Erklärungen und die Personalauswahl auch bis zur untersten Organisationsebene. Die Beachtung der Grundsätze einer innerparteilichen Demokratie ist nicht erkennbar. Die finanzielle Abhängigkeit der Partei von ihrem Vorsitzenden stärkt die Position FREYs zusätzlich. Dem auf dem Bundesparteitag vorgestellten Finanzbericht zufolge ist die DVU mit ca. zwei Millionen Euro bei dem Millionär FREY verschuldet. Dieser handelt dabei nicht uneigennützig, sondern verbindet sein parteipolitisches Engagement mit seinen finanziellen Interessen als Unternehmer. Die politisch weitgehend inaktiven Parteimitglieder bilden einen festen Kundenstamm für die Produkte seiner Medienunternehmen DSZ - Druckschriften und Zeitungsverlag (DSZ-Verlag) sowie FZ - Freiheitlicher Buchund Zeitschriftenverlag (FZ-Verlag), dem der Deutsche Buchdienst als Vertrieb deutsch-nationaler und rechtsextremistischer Bücher und Devotionalien angeschlossen ist. Der DVU ist nicht zuletzt wegen des finanziellen Engage- 68 Rechtsextremismus ments FREYs mehrfach der Einzug in Landesparlamente gelungen. Ihren größten Wahlerfolg erzielte die Partei 1998, als sie bei der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt 12,9 % der Stimmen erreichte. Derzeit ist die DVU mit sechs Abgeordneten im brandenburgischen Landtag vertreten. Das Abgeordnetenmandat in der Bremer Bürgerschaft nimmt der Landesvorsitzende Siegfried TITTMANN37 wahr. Absprachegemäß verzichtete die DVU zugunsten der NPD auf eine eigenständige Teilnahme an der Bundestagswahl. Stattdessen kandidierten 15 Parteimitglieder auf den Landeslisten der NPD. Organisationsstruktur Der Bundesverband der DVU untergliedert sich in 16 Landesverbände. Auf regionaler Ebene bestehen als Unterbau faktisch weitgehend funktionslose Kreisverbände und so genannte politische Stammtische, aus denen sich Kreisverbände bilden sollen. Über eine Nachwuchsorganisation verfügt die DVU nicht. Der 1988 gegründete niedersächsische Landesverband befindet sich weiterhin in einem desolaten Zustand. Die Mitgliederzahl geht parallel zur Entwicklung auf Bundesebene seit Jahren zurück und liegt derzeit bei ca. 730 Mitgliedern. Öffentlich tritt die DVU in Niedersachsen nicht in Erscheinung. Ein organisatorischer Schwerpunkt ist nicht erkennbar. Auf dem am 13. März in Rhade durchgeführten gemeinsamen Parteitag der Landesverbände Niedersachsen, Bremen und Hamburg wurde Dieter WIEGRÄFE von den niedersächsischen Teilnehmern zum neuen Vorsitzenden des niedersächsischen Landesverbandes gewählt. Programmatik Die im DSZ-Verlag in einer Auflagenhöhe von ca. 41.000 Exemplaren erscheinende National-Zeitung (NZ) ist das inoffizielle Parteiorgan der DVU. In ihrer Berichterstattung spiegeln sich in suggestiver Form die fremdenfeindlichen, antisemitischen, antiamerikanischen und revisionistischen Positionen der DVU wider. Die Autoren achten zwar darauf, die Schwelle zur Strafbarkeit nicht zu überschreiten, dramatisieren in ihren Beiträgen politische und soziale Probleme aber bewusst in einer die Fakten ignorierenden manipulativen 37 Die DVU profitiert von einer Besonderheit des Bremer Wahlrechts. Die 5-%Sperrklausel wird für die Städte Bremen und Bremerhaven getrennt gewertet. Während die DVU in Bremen lediglich 1,4 % der Stimmen erzielte, erreichte sie in Bremerhaven 7,1 %. Rechtsextremismus 69 Weise, um die Vorurteilsstrukturen der Leserschaft für rechtsextremistische Zielsetzungen zu mobilisieren. Insbesondere Muslime und Juden sind Ziele verunglimpfender Pauschalurteile. Einen Schwerpunkt der Berichterstattung des Jahres 2005 bildeten fremdenfeindliche Artikel über den von der Türkei angestrebten EU-Beitritt. Die Ausschreitungen von Jugendlichen mit Migrationshintergrund in Frankreich im Oktober und November wurden unter der Angst schürenden Überschrift "Heute brennt Paris, morgen Berlin? Frankreich zeigt, was Deutschland droht" folgendermaßen kommentiert: "Die Aufnahme der Türkei in die EU ist folgenschwer und vor nachfolgenden Generationen nicht zu verantworten. Im Unterschied zu damals haben wir es auch nicht mehr mit einem Weltreich zu tun, sondern die Türkei ist ein bankrotter Staat mit Rekord-Inflation und totaler Überschuldung. ... Welch ein Irrsinn, zumal weitere zwei Millionen Türken, die nach einem EU-Beitritt zu uns strömten, Deutschland und den so genannten EU-Raum gesellschaftlich und politisch völlig verändern und verfremden würden; und zwar nicht zum Positiven: Denn dass in der Türkei nach wie vor gefoltert und gemordet wird, bestätigt jede Menschenrechtsorganisation..." (NZ, Nr. 46, vom 11.11.2005, S. 1) Die reißerischen Überschriften zahlreicher weiterer Artikel zielen auf die Überfremdungsängste der Leserschaft, wie folgende Beispiele zeigen: "Bald alle Deutschen arbeitslos? - Die Invasion ausländischer Schwarzarbeiter" (NZ, Nr. 15, vom 08.04.2005, S. 1), "Kommen Millionen Afrikaner zu uns? Vor Völkerwanderung nach Deutschland" (NZ, Nr. 45, vom 04.11.2005, S. 1) und "Plünderung der Rentenkasse - Renten runter - noch mehr Geld für Fremde" (NZ, Nr. 35, vom 26.08.2005, S. 1). Der 60. Jahrestag des Kriegsendes gab Anlass, die für die NZ charakteristische Propagierung geschichtsrevisionistischer Positionen noch zu intensiveren. Die DVU leugnet die Existenz des Holocausts zwar nicht, aber sie relativiert die nationalsozialistischen Verbrechen gegen die Menschlichkeit durch wiederholte Vergleiche mit den Opfern des alliierten Luftkrieges. Damit verbindet die DVU Vorwürfe gegen Politiker, 70 Rechtsextremismus lieber das Kriegsende als "Befreiung" zu feiern als der Opfer zu gedenken, um so die Entstehungsgeschichte der Bundesrepublik Deutschland zu delegitimieren. Im Zusammenhang mit dem 60. Jahrestag der Bombardierung Dresdens merkte die NZ in diesem Sinne an: "Am 13. Februar jährt sich das zum Himmel schreiende alliierte Terror-Bombardement auf Dresden zum 60. Male. Etablierte Politiker werden nicht müde, die schrecklichen Ereignisse des 13. Februar 1945 zu verharmlosen. Vielmehr bereitet man sich auf bombastische 'Befreiungs'-Feierlichkeiten zum 8. Mai vor." (NZ, Nr. 6, vom 04.02.2005, S. 6) Eine antisemitische Grundeinstellung, ein sekundärer Antisemitismus, verbirgt sich hinter der stereotyp wiederholten Behauptung, Juden bzw. Israel würden Deutschland durch den permanenten Hinweis auf die nationalsozialistischen Verbrechen zu ungerechtfertigten finanziellen Leistungen und zu politischem Entgegenkommen nötigen: "Die etablierten Parteien brauchen sich ... bei der Einschränkung der Juden-Einwanderung nicht zu fürchten... Dass diese Milliarden Euro verschlingende Massenimmigration von Personen, die keinerlei Bezug zum deutschen Volk, der deutschen Kultur oder der deutschen Sprache haben, den Nutzen unseres Vaterlandes nicht mehrt, ist ohnehin klar. Man wundert sich, welche Wege einer absurden 'Wiedergutmachung' die in der Bundesrepublik herrschenden Parteien suchen." (NZ, Nr. 2, vom 07.01.2005, S. 4) Zusammenarbeit mit rechtsextremistischen Organisationen Hatte FREY in den vergangenen Jahren noch eine Zusammenarbeit mit der NPD mit der Begründung abgelehnt, die NPD verfolge einen nationalrevolutionären und nicht einen nationaldemokratischen Kurs, unterzeichnete er am 15. Januar zusammen mit dem Vorsitzenden der NPD, VOIGT, ein als "Deutschland-Pakt" bezeichnetes Wahlbündnis. Das bis Ende 2009 geltende Abkommen sieht vor, dass DVU und NPD bei Bundestags-, Europaund Landtagswahlen nicht gegeneinander antreten. Demnach kandidiert die DVU bei der Landtagswahl in Sachsen-Anhalt (2006), den Bürgerschaftswahlen in Bremen (2007) und Hamburg (2008) sowie den Landtagswahlen in Thüringen und Brandenburg (beide 2009). Darüber hinaus tritt sie bei der Europawahl (2009) an. Rechtsextremismus 71 Wenngleich sich FREY einem Bericht der Zeitschrift Nation & Europa zufolge im September auf einem Bundeskongress der NPD in Sachsen für eine Verlängerung des Paktes über 2009 aussprach, darf nicht darüber hinweggesehen werden, dass es nach wie vor deutliche Unterschiede zwischen beiden Parteien gibt: Während die bürgerlich auftretende DVU vorgibt, im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung zu handeln, strebt die NPD eine revolutionäre Veränderung der Gesellschaft zur Volksgemeinschaft an. Neben persönlichen Eitelkeiten und Machtkalkül könnten diese politischen Differenzen eine Bruchstelle des Bündnisses zwischen NPD und DVU markieren. Die Republikaner (REP) Sitz Bund: Berlin Niedersachsen: Hannover Vorsitzende Bund: Dr. Rolf SCHLIERER Niedersachsen: Hans-Jürgen KIRSTE (seit 11. Juni) Mitglieder 2004 2005 Bund: 7.500 6.500 Niedersachsen: 450 220 Publikationen: Zeit für Protest (zweimonatl., Aufl. ca. 10.000) Die 1983 gegründete Partei Die Republikaner prägte in der zweiten Hälfte der achtziger Jahre die öffentliche Wahrnehmung des Rechtsextremismus in Deutschland. Die Wahlerfolge dieser Zeit waren auf die von den REP vor dem Hintergrund steigender Asylbewerberzahlen mit fremdenfeindlichen Aussagen bestrittenen Wahlkämpfe zurückzuführen. Als diese Thematik nach der Wiedervereinigung in den Hintergrund rückte, konnte sich die Partei nicht mehr in gleicher Weise profilieren und verlor zunehmend an Bedeutung. Ein starker Rückgang der Mitgliederzahlen, schlechte Wahlergebnisse und eine desolate Finanzlage kennzeichneten die ab Mitte der neunziger Jahre einsetzende Phase des Niedergangs. Hinzu kamen ständige persönliche Auseinandersetzungen auf allen Parteiebenen, die häufige personelle Veränderungen nach sich zogen und einen einheitlichen politischen Kurs erschwerten. 72 Rechtsextremismus Der seit 1994 amtierende Bundesvorsitzende Dr. Rolf SCHLIERER muss sich trotz seiner Wiederwahl auf dem Bundesparteitag 2004 verstärkt mit Kritikern aus den eigenen Reihen auseinander setzen, die seit Jahren für eine Lockerung des strikten Abgrenzungskurses der REP gegenüber anderen rechtsextremistischen Parteien eintreten38. Dies hat den seit Jahren bestehenden innerparteilichen Konflikt verschärft, der eine nicht unerhebliche Anzahl von Parteiaustritten und die faktische Auflösung einzelner Landesverbände nach sich gezogen hat. Der Hamburger Landesverband veröffentlichte am 8. Januar eine Pressemitteilung, in der er seine Auflösung bekannt gab und mitteilte, dass der gesamte Landesvorstand der NPD beigetreten sei. Gegenüber dem Vorjahr hat sich die Mitgliederzahl des niedersächsischen Landesverbandes von 450 auf 220 Personen halbiert. Organisatorisch ist der Landesverband in vier Bezirksverbände und Kreisverbände untergliedert: Von den durch den Mitgliederschwund geschwächten Kreisverbänden gehen allerdings nur noch sporadisch Impulse aus. Es gelang dem niedersächsischen Landesverband nicht einmal, die erforderliche Anzahl von Unterstützungsunterschriften für die Zulassung zur Bundestagswahl zu sammeln. Der erst im März 2004 zum Landesvorsitzenden gewählte Hans-Gerd WIECHMANN, der für eine Annäherung der REP an andere rechtsextremistische Organisationen eintrat, konnte sich mit dieser Position nicht durchsetzen. Er gab daraufhin sein Amt auf und trat nach heftigen Auseinandersetzungen aus der Partei aus. Parteifunktionäre und zahlreiche einfache Mitglieder, die den REP keine Zukunftsperspektive mehr zubilligten, schlossen sich seinem Schritt an. Auf Initiative WIECHMANNs und anderer ehemaliger REP-Mitglieder entstanden in Hannover, Celle und Lüneburg parteiunabhängige und organisationsübergreifende Patriotische Bündnisse. Die Patriotischen Bündnisse, denen auch Vertreter der NPD angehören, beabsichtigen eine Teilnahme an der niedersächsischen Kommunalwahl im September 2006. Zum neuen niedersächsischen Landesvorsitzenden wurde auf dem Landesparteitag am 11. Juni in Verden Hans-Jürgen KIRSTE gewählt. Die weiteren Vorstandsmitglieder verfügen kaum über politische Erfahrung in Führungspositionen der REP. 38 In der Weiterführung des Ruhstorfer Beschlusses von 1990 bestimmt das Veitshöchheimer Bekenntnis, das auf dem Bundesparteitag am 27./28.11.2004 verabschiedet wurde, die Trennlinie zu Organisationen "die unseren Staat oder die freiheitliche demokratische Grundordnung beseitigen wollen ... Daher kommen insbesondere gemeinsame Aktivitäten mit der NPD bei deren derzeitigen Zielen oder gar mit nationalsozialistischen Organisationen und deren Umfeld ... nicht in Betracht." Rechtsextremismus 73 Bundesweit traten die REP lediglich in 9 von 16 Bundesländern zur Wahl an. Mit 0,6 % der Zweitstimmen erzielten sie dasselbe Ergebnis wie im Jahre 2002. Die Partei hat damit zwar das Minimalziel, den Erhalt der staatlichen Teilfinanzierung zu sichern, erreicht. Sie ist aber in allen Bundesländern von der NPD deutlich überholt worden. Die REP charakterisieren sich selbst als national-konservative Partei innerhalb des demokratischen Parteienspektrums. Tatsächlich bestehen nach wie vor Anhaltspunkte für rechtsextremistische Bestrebungen. Hervorzuheben ist in dieser Hinsicht die in ihrer Eindimensionalität und Monokausalität fremdenfeindliche Erklärung von Arbeitsmarktund Sozialproblemen mit der Anwesenheit von ausländischen Staatsbürgern. Beständig wird das durch die Realitäten nicht abgedeckte Schreckensszenario von einer Massenzuwanderung heraufbeschworen. In einer Pressemitteilung zum "Tag der Integration" am 25. September z. B. forderte SCHLIERER einen "'Tag der Rückwanderung' als Symbol des Umsteuerns in der völlig verfehlten deutschen Einwanderungspolitik" und begründete dies wie folgt: "Diente das sog. Zuwanderungsgesetz wirklich einer an deutschen Interessen ausgerichteten Steuerung der Einwanderung, dürfte es bei brutto neun Millionen Arbeitslosen nicht einen einzigen 'Neuzuwanderer' mehr geben. Stattdessen läuft die Masseneinwanderung auf den deutschen Arbeitsmarkt und in die Sozialsysteme ungebremst weiter. Angesichts leerer Kassen wird das binnen kurzem zum Kollaps und zu schweren inneren Konflikten führen...Erst wenn das Zuwanderungsgesetz durch ein Rückführungsgesetz und der 'Tag der Integration' durch einen 'Tag der Rückwanderung' ersetzt wird, werden wir die strukturellen Probleme unseres Landes in den Griff bekommen können." (Pressemitteilung Nr. 61/05 vom 23.09.2005) Die völkisch geprägte fremdenfeindliche Argumentation der REP kommt im Parteiprogramm des Berliner Landesverbandes zum Ausdruck: "Die seit Jahren anhaltende Masseneinwanderung führt nicht nur zu untragbaren wirtschaftlichen Lasten und innerem Unfrieden, sondern zur Veränderung und letztlich Auflösung unseres Volkes. Das ist Hochverrat." 74 Rechtsextremismus Die weltweit verübten islamistischen Terroranschläge werden von den REP zum Anlass genommen, um vor den Folgen einer durch Fakten nicht gedeckten "Massenzuwanderung" muslimischer Bürger zu warnen. In einer Pressemitteilung des Bundesvorstandes wird von Terrorgefahren als "Folge der muslimischen Masseneinwanderung und der multikulturellen Gleichgültigkeit" gesprochen und geschlussfolgert: "Wer grenzenlos islamische Einwanderung duldet, holt sich den potenziellen Feind ins eigene Haus - und wer diese Einwanderer unkontrolliert gewähren läßt, ohne sie zur Assimilation zu veranlassen, spielt mit dem Leben der Bürger." (Pressemitteilung Nr. 44/05 vom 08.07.2005) Pauschalverdächtigungen dieser Art sind geeignet, den muslimischen Bevölkerungsanteil in seiner Gesamtheit zu verunglimpfen. Eine zweite Konstante programmatischer Verlautbarungen der REP stellen revisionistische Positionen dar. In einer Rede auf einer Parteiveranstaltung am 9. Februar in Geisenhausen (Bayern) bezeichnete SCHLIERER das "Dogma von der Einzigartigkeit deutscher Verbrechen" als "historische Lüge, die ebenso wie der Popanz der rechtsextremistischen Bedrohung benutzt werde, um die Deutschen dauerhaft emotional und moralisch unter Druck zu setzen". In einer Pressemitteilung der REP wurden die Ausführungen des Parteivorsitzenden wie folgt zusammengefasst: "Schlierer erinnerte daran, daß in der Nacht zum Aschermittwoch vor 60 Jahren Dresden von anglo-amerikanischen Terrorbombern in Schutt und Asche gelegt wurde, während Millionen Deutsche auf der Flucht vor dem Wüten der sowjetischen Soldateska gewesen seien. 1945 sei für Deutschland kein Jahr der Befreiung, sondern ein Jahr der katastrophalen Niederlage gewesen... Deutschland brauche mit seiner langen demokratischen Tradition, die weit in die Geschichte zurückreiche, weder 'Umerziehung' noch moralische Lektionen aus Amerika." (Pressemitteilung Nr. 08/2005 vom 09.02.2005) Unter der Überschrift "Volk am Nasenring - Die Deutschen müssen Nationalmasochismus und Selbsthaß überwinden" war zum gleichen Zeitpunkt in der Parteizeitung Zeit für Protest zu lesen: "Der ritualisierte offizielle Gedenkbetrieb, ...ist der vorläufige Höhepunkt einer Orgie des Selbsthasses, ... Die NS-Ver- Rechtsextremismus 75 brechen waren furchtbar, aber nicht 'einzigartig'." (Zeit für Protest, Nr. 1-2/2005) Die Leugnung der Einzigartigkeit, d. h. die Relativierung der NS-Verbrechen und die Forderung nach einem Ende der Diskussionen um die nationalsozialistische Vergangenheit, bilden das Kernstück der revisionistischen Agitation der REP. In ihrer Intensität und drastischen Wortwahl zeigt sich das nach wie vor vorhandene rechtsextremistische Gedankengut und die grundsätzlich ablehnende Haltung der REP gegenüber dem im Grundgesetz verankerten Demokratieprinzip. Der von SCHLIERER verwendete Begriff "Umerziehung" zieht die Legitimität der verfassungsmäßigen Ordnung in Zweifel. Die Einführung des Grundgesetzes erscheint in dieser Sichtweise als Ausdruck alliierter Machtpolitik und die Bundesrepublik Deutschland als ein nicht souveräner fremdbestimmter Staat. Exilregierung Deutsches Reich Am 08.05.2004 fand in Hannover die Gründungsveranstaltung der Gruppierung Exilregierung Deutsches Reich statt. Initiator der Gruppierung ist Norbert Rudolf SCHITTKE aus Hildesheim, der als selbsternannter "Reichskanzler" agiert. Als "Leiter des Presseund Informationsamtes" der Exilregierung fungiert Uwe BRADLER39. Die Exilregierung spricht der verfassungsmäßigen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland die Legitimität ab: "Das Grundgesetz ist nicht - wie absichtlich behauptet wird - vom deutschen Volk in freier Entscheidung beschlossen worden. Es ist überhaupt nicht vom deutschen Volk beschlossen worden. Aus diesem Grunde ist es keine deutsche Verfassung, sondern ein alliiertes und oktroyiertes Gesetz für ein besetztes Gebiet." (Internet-Ausdruck vom 05.04.2006) 39 BRADLER war bis 2004 Anhänger der Kommissarischen Reichsregierung (KKR) um den Berliner Rechtsextremisten Wolgang Gerhard Günter EBEL, die aufgrund der geringen Akzeptanz EBELs im rechtsextremistischen Spektrum an Bedeutung verloren hat. Bei der Exilregierung handelt es sich um eine Absplitterung der ursprünglichen KRR. 76 Rechtsextremismus Aus Sicht der Mitglieder der Exilregierung, die sich als "Reichsbürger" bezeichnen, besteht das Deutsche Reich in den Grenzen von 1937 auf Grundlage der Weimarer Verfassung völkerrechtlich fort und ist lediglich handlungsunfähig. Die Exilregierung hat sich die Reorganisation des Deutschen Reiches und die Ablösung des "Provisoriums BRD", d. h. die Überwindung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, zum Ziel gesetzt. Den Mitgliedern der "provisorischen Regierung von Deutschland", gemeint ist die Bundesregierung, wird "landesverräterisches Handeln" und "Ausbeutung des Staatsvolkes" durch Veruntreuung und Vergeudung von Geldern vorgeworfen. Die Bundesregierung betreibe "die bewusste Vermischung des gesamtdeutschen Staatsvolkes mit Einwanderern aus allen Ländern der Erde zur Steigerung der Kriminalität und Verunsicherung des deutschen Staatsvolkes". (Internet-Ausdruck vom 05.04.2006) In der Öffentlichkeit treten die Mitglieder der Gruppierung als "Reichsbürger" schon seit längerem mit selbstentworfenen Dokumenten, wie "Reichspersonenausweisen" oder "Reichsführerscheinen" in Erscheinung, die gegen eine Gebühr bei den dafür eingerichteten "Meldestellen" der Exilregierung oder über die Internetseite erworben werden können und auch zur internen Legitimation für die Veranstaltungen der Exilregierung eingesetzt werden. Derzeit werden von der Gruppierung ca. 80 Personen als Mitglieder geführt. Der aktive Kern besteht aus etwa zehn Personen. Linksextremismus 77 LINKSEXTREMISMUS Mitglieder-Potenzial Linksextremismus-Potenzial40 Bundesrepublik 2004 2005 Deutschland Marxisten-Leninisten und andere 25.700 25.400 revolutionäre Marxisten41 Autonome und sonstige gewaltbereite 5.500 5.500 Linksextremisten42 Summe 31.200 30.900 Nach Abzug der Mehrfachmitgliedschaften 30.800 30.600 Die Linkspartei. PDS43 65.800 61.600 Niedersachsen44 2004 2005 Marxisten-Leninisten und andere 470 470 revolutionäre Marxisten Autonome und sonstige gewaltbereite 710 700 Linksextremisten Summe 1.180 1.170 Die Linkspartei. PDS45 725 725 40 Die Zahlenangaben sind zum Teil geschätzt und gerundet. 41 Einschließlich Kommunistischer Plattform (KPF) und weiterer linksextremistischer Gruppen in der Linkspartei. PDS. 42 In die Statistik sind nicht nur tatsächlich als Täter/Tatverdächtige festgestellte Personen einbezogen, sondern auch solche Linksextremisten, bei denen lediglich Anhaltspunkte für Gewaltbereitschaft gegeben sind. Erfasst sind nur Gruppen, die feste Strukturen aufweisen und über einen längeren Zeitraum aktiv waren. Das Mobilisierungspotenzial der "Szene" umfasst zusätzlich mehrere tausend Personen. 43 Die Linkspartei PDS ist wegen ihres ambivalenten Erscheinungsbildes gesondert ausgewiesen. Es ist davon auszugehen, dass nicht alle Mitglieder linksextremistische Ziele verfolgen oder unterstützen. 44 Die für den Bund eingefügten Fußnoten gelten entsprechend auch für Niedersachsen. Auf den Abzug von Mehrfachmitgliedschaften in Höhe von ca. 2 % wie beim Bund ist verzichtet worden. 45 Die Beobachtung der PDS wurde in Niedersachsen im Jahr 2003 begonnen. Bis zu diesem Zeitpunkt wurde lediglich die Kommunistische Plattform in der Linkspartei. PDS (KPF) beobachtet. 78 Linksextremismus Politisch motivierte Kriminalität (PMK) mit extremistischem Hintergrund - links Die Erfassung der Politisch motivierten Kriminalität ist Aufgabe der Polizei. Seit dem Jahr 2001 wird die Politisch motivierte Kriminalität nach dem von der Innenministerkonferenz beschlossenen Kriminalpolizeilichen Meldedienst "Politisch motivierte Kriminalität" (KPMD-PMK) bundeseinheitlich erfasst. Die linksextremistischen Straftaten stiegen um etwa 56 % von 316 Taten im Jahr 2004 auf 492 Taten im Jahr 2005. Der signifikante Anstieg spiegelt sich vor allem in der Kategorie der "Gewalttaten", in der eine Deliktszunahme um rund 122 % (von 83 Fällen im Jahr 2004 auf 184 Straftaten im Jahr 2005) registriert wurde, wider. Auch in der Kategorie der "sonstigen extremistischen Straftaten" war ein Anstieg in diesem Phänomenbereich festzustellen (von 233 Taten im Jahr 2004 auf 308 Taten im Jahr 2005). Dieser beruht unter anderem auf einer Zunahme bei Verstößen gegen das Versammlungsgesetz (von 56 im Jahr 2004 auf 68 im Jahr 2005) und bei Propagandadelikten (von 15 im Jahr 2004 auf 31 im Jahr 2005). Ursächlich für den Anstieg der Gewalttaten war die vermehrte Begehung von Landfriedensbrüchen, Körperverletzungen und gefährlichen Eingriffen in den Bahnverkehr im Zusammenhang mit demonstrativen Ereignissen der rechtsextremistischen Szene und damit verbundenen Gegendemonstrationen sowie strafrechtlich relevanten Aktionen gegen den im November durchgeführten Castor-Transport. Bei dem überwiegenden Teil der Straftaten im Jahr 2005 (124 Delikte) handelte es sich wie auch im Jahr 2004 (126 Delikte) um den Tatbestand der Sachbeschädigung. Im Bereich der PMK-Links wurde die Strafvorschrift des SS 86a StGB (Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen) hauptsächlich durch das Schmieren oder Einritzen von Hakenkreuzen verwirklicht, womit Personen des linken Spektrums ihre Ablehnung gegenüber dem Nationalsozialismus zum Ausdruck bringen wollten. Darüber hinaus kam es aus Anlass der am 18. September durchgeführten Bundestagswahlen zu einem erhöhten Straftatenaufkommen. Täter aus dem linken Spektrum zerstörten Wahlkampfmittel rechter Parteien oder beschädigten diese, indem Hakenkreuzdarstellungen u.ä. angebracht wurden. Im Bereich des linksextremistischen Spektrums ist insgesamt festzustellen, dass die Aktionsfelder "Antifaschismus" und "Konfrontation gegen Rechts" nach wie vor Schwerpunkte darstellen. Seit 2002 steigt der Anteil der extremistischen Kriminalität "Links" an der Gesamtzahl der politisch motivierten Delikte: (2002 : 12 %, 2003 : 14 %, 2004 : 17 %, 2005 : 24 %) ErfassungsPMK davon nicht davon Anteil der bereich extremistisch extremistisch extremistischen Straftaten PMK-links 766 274 492 64,20% Linksextremismus 79 Übersicht über die Gewalttaten und sonstigen Straftaten mit extremistischem Hintergrund aus dem Bereich "Politisch motivierte Kriminalität - links" in Niedersachsen46 Gewalttaten: 2004 2005 Tötungsdelikte 0 0 Versuchte Tötungsdelikte 0 0 Körperverletzungen 32 60 Brandstiftungen 6 5 Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion 0 0 Landfriedensbrüche 28 58 Gefährl. Eingriffe in Bahn-, Luft-, Schiffsoder Straßenverkehr 3 30 Freiheitsberaubung 0 0 Raub 3 6 Erpressung 0 1 Widerstandsdelikte 11 24 insgesamt 83 184 Sonstige Straftaten: Sachbeschädigungen 126 124 Nötigungen/Bedrohungen 3 17 Andere Straftaten 104 167 (davon terroristisch) (0) (0) insgesamt 233 308 Straftaten insgesamt 316 492 46 Die Zahlen basieren auf Angaben des Landeskriminalamtes Niedersachsen (LKA NI). Die Darstellung der Gewalttaten im Ländervergleich weicht von diesen Zahlen geringfügig ab, da das LKA NI eine so genannte lebende Statistik führt. Das heißt, dass Nacherfassungen/Aktualisierungen für Vorjahre vorgenommen werden und der Zahlenbestand insoweit Änderungen unterliegt. 80 Linksextremismus Übersicht über die Gewalttaten und sonstigen Straftaten mit extremistischem Hintergrund aus dem Bereich "Politisch motivierte Kriminalität - links" in der Bundesrepublik Deutschland47 Gewalttaten: 2004 2005 Tötungsdelikte 0 0 Versuchte Tötungsdelikte 0 1 Körperverletzungen 226 391 Brandstiftungen 31 29 Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion 0 0 Landfriedensbrüche 144 298 Gefährl. Eingriffe in Bahn-, Luft-, Schiffs19 53 oder Straßenverkehr Freiheitsberaubung 0 0 Raub 12 13 Erpressung 1 1 Widerstandsdelikte 88 110 insgesamt 521 896 Sonstige Straftaten: Sachbeschädigungen 490 713 Nötigungen/Bedrohungen 19 42 Andere Straftaten 410 654 insgesamt 919 1.409 Straftaten insgesamt 1.440 2.305 47 Die Zahlen basieren auf Angaben des Bundeskriminalamtes (BKA). Linksextremismus 81 Gewalttaten mit extremistischem Hintergrund aus dem Bereich "Politisch motivierte Kriminalität - links"48 Gewalttaten 2004 2005 Baden-Württemberg 31 44 Bayern 27 107 Berlin 155 124 Brandenburg 22 17 Bremen 0 2 Hamburg 16 19 Hessen 18 20 Mecklenburg-Vorpommern 22 14 Niedersachsen 81 184 Nordrhein-Westfalen 48 32 Rheinland-Pfalz 8 74 Saarland 4 3 Sachsen 55 108 Sachsen-Anhalt 13 61 Schleswig-Holstein 12 87 Thüringen 9 0 Gesamt 521 896 48 Die Zahlen basieren auf Angaben des Bundeskriminalamtes. Die Darstellung der Gewalttaten in der Tabelle für Niedersachsen weicht von diesen Zahlen geringfügig ab, da das Landeskriminalamt eine so genannte lebende Statistik führt. Das heißt, dass Nacherfassungen/Aktualisierungen für Vorjahre vorgenommen werden und der Zahlenbestand insoweit Änderungen unterliegt. 82 Linksextremismus Einführung Für die Ideologie des deutschen Linksextremismus sind die beiden ideengeschichtlichen Grundströmungen des 19. Jahrhunderts, Marxismus und Anarchismus, grundlegend. Linksextremisten greifen die in der Französischen Revolution proklamierten Werte Freiheit und Gleichheit in radikaler Zuspitzung auf und wollen den Menschen aus Abhängigkeiten befreien und - insbesondere Anarchisten - jegliche Herrschaftsverhältnisse abschaffen. Das Streben nach Gleichheit kennzeichnet den entscheidenden Unterschied zum Rechtsextremismus, der als Ideologie der Ungleichheit bezeichnet werden kann. Kommunismus, der für die Anhänger der marxistischen Lehre die höchste Form der gesellschaftlichen Entwicklung darstellt, und Anarchismus unterscheiden sich in der Bewertung der Freiheitsrechte. Während der übersteigerte Gleichheitsbegriff kommunistisch ausgerichteter Organisationen individuelle Freiheitsrechte überdeckt, lehnen anarchistische Gruppierungen staatliche Organisation und damit Machtstrukturen (Hierarchien) generell ab. Beide Richtungen orientieren sich an der Utopie einer klassenoder herrschaftsfreien Ordnung, d. h. der vollkommenen Befreiung des Menschen von allen gesellschaftlichen, politischen, ökonomischen und kulturellen Zwängen. Anarchisten, die in ihrem konkreten politischen Handeln diesen utopischen Entwurf vorzuleben versuchen ("Aufhebung der Herrschaft des Menschen über den Menschen"), lehnen auf Zwang beruhende Zwischenstadien zur Realisierung dieser klassenlosen Gesellschaft wie die von Kommunisten geforderte Diktatur des Proletariats ab. Kommunistische Gruppierungen haben sich den Sturz des bestehenden politischen Systems und die Errichtung einer Diktatur des Proletariats unter Führung einer "proletarischen Avantgarde" als Ziel gesetzt. Das utopische Endziel dieser Gruppierungen ist die klassenlose kommunistische Gesellschaft. Marxistisch-leninistische Organisationen wie die Deutsche Kommunistische Partei (DKP), die MarxistischLeninistische Partei Deutschlands (MLPD) und die Kommunistische Plattform (KPF) der Linkspartei.PDS halten an der Idee einer Revolution der Arbeiterklasse fest, der die Diktatur des Proletariats folgt. Demgegenüber propagieren anarchistische Gruppierungen die Überwindung des bestehenden politischen Systems auf dem Wege massenhaften zivilen Widerstands49 und vorbildhafter Selbstorganisation. Linksext49 Ziviler Ungehorsam ist insbesondere bei den "gewaltfreien" Anarchisten der Verstoß gegen ein Gesetz aus Gewissensgründen, wobei bewusst in Kauf genommen wird, dafür bestraft zu werden. Linksextremismus 83 remistische Organisationen stimmen darin überein, dass ein revolutionärer Umsturz das internationale Zusammenwirken revolutionärer Kräfte erfordert (Internationalismus). Mitte 2005 beschloss die in Linkspartei.PDS umbenannte Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS) zusammen mit der nichtextremistischen Partei Arbeit & soziale Gerechtigkeit - Die Wahlalternative (WASG), innerhalb der folgenden zwei Jahre ein gemeinsames Projekt der Linken in Deutschland auf den Weg zu bringen. Aufgrund der Zusammenarbeit bei der Bundestagswahl im September konnte die Linkspartei.PDS mit 8,7 % der Zweitstimmen ihr Ergebnis gegenüber 2002 mehr als verdoppeln. Seit dem Einzug in den Bundestag versuchen vor allem Vertreter der Linkspartei.PDS die Fusion mit der WASG zu forcieren, um bei künftigen Wahlen ihre eigenen Schwächen in den alten Bundesländern auszugleichen. Während die Linkspartei.PDS auf Bundesebene weiterhin deutlich Mitglieder verloren hat (mit einem Rückgang von 66.000 auf 62.000), konnte sie ihren Mitgliederstand in Niedersachsen bei 725 Personen halten. Demgegenüber haben die kommunistischen Parteien DKP (4.500 Mitglieder) sowie die MLPD (2.300 Mitglieder) nur noch eine nachrangige Bedeutung. Auch bei Wahlen erzielten sie nur marginale Ergebnisse. Inhaltlich verharrten sie in überkommenen theoretischen Diskussionen. Bedrohlichste Erscheinungsform des Linksextremismus für die Sicherheitsbehörden ist nach wie vor das Spektrum der so genannten Autonomen und sonstigen gewaltbereiten Linksextremisten. Autonome nutzen demokratische Protestformen häufig als "Trittbrettfahrer", wobei sie oft äußerst gewalttätig auftreten - etwa bei Gegendemonstrationen zu rechtsextremistischen Versammlungen. 84 Linksextremismus Autonome und sonstige gewaltbereite Linksextremisten Anhänger 2004 2005 Bund50: 5.500 5.500 Niedersachsen: 710 710 Publikationen Bund: INTERIM (vierzehntägig) radikal (unregelmäßig) Phase 2 (etwa vierteljährlich) Niedersachsen: vers beaux temps, Hannover (etwa vierteljährl.) EinSatz!, Göttingen (unregelmäßig) göttinger Drucksache, Göttingen (unregelmäßig) Alhambra, Oldenburg (monatlich) Fight back!, Braunschweig (unregelmäßig) Die Zwille, Osnabrück (monatlich) Ursprünge und Ziele Die Entstehungsgeschichte der autonomen Bewegung51 reicht in die sechziger Jahre des 20. Jahrhunderts zurück, in denen die radikalen und militanten Teile der Studentenbewegung in zwei Hauptrichtungen zerfielen. Auf der einen Seite bildeten sich so genannte K-Gruppen heraus, deren Vertreter die Theorien der sozialistischen "Klassiker" wie Marx, Engels, Lenin und Mao dogmatisch auslegten. Die Aktivitäten dieser so genannten K-Gruppen waren von der Überzeugung getragen, dass nur eine disziplinierte, zentralistisch ausgerichtete Partei als Vorhut der Arbeiterklasse das Ziel der sozialistischen Revolution verwirklichen könne. 50 darunter 5.000 Autonome 51 Eine Charakterisierung autonomen Selbstverständnisses findet sich in Schultze, Thomas/Gross, Almut: Die Autonomen: Ursprünge, Entwicklung und Profil der autonomen Bewegung; Hamburg (1997): "Die Autonomen stellen ein Konglomerat vornehmlich aus Spontund Italo-'Verschnitten' dar. Schlagwörter der autonomen Bewegung, die unterschiedlich gefüllt werden, sind: Selbstbestimmung, Politik der 1. Person, kollektive und Ich-Identität, Solidarität, Aktion vor Theorie, keine Hierarchien, sozialrevolutionär, alltägliche Veränderungen, Unabhängigkeit... und diverse Anti-Einstellungen wie Antiimperilalismus und Antifaschismus. Eine positive Bestimmung fällt meistens schwerer und bezieht sich auf Freiräume und gegenkulturelle Entwürfe in Musik und Kunst, im Zusammenleben und -arbeiten." Linksextremismus 85 Autonome Linksextremisten andererseits, die sich auch als undogmatische Linke verstanden, strebten zwar wie die Vertreter der orthodoxen K-Gruppen die sozialistische Revolution an. Sie beantworteten die "Organisationsfrage" aber ganz anders. Statt eine staatliche Ordnung herbeizuführen, sprachen sich die autonomen Linksextremisten für die Selbstorganisation des Zusammenlebens aus, eine "herrschaftsfreie Gesellschaft". Auch heute noch ist es gemeinsames Ziel der autonomen Gruppierungen, den Staat und seine Institutionen gewaltsam abzuschaffen und durch eine "herrschaftsfreie Gesellschaft" zu ersetzen. Die autonome Bewegung ist nicht wie kommunistische Organisationen von einer einheitlichen Ideologie geprägt. Sie verknüpfen Elemente sowohl kommunistischer als auch anarchistischer Theoretiker miteinander. Die verschiedenen Gruppen der autonomen Bewegung bilden sich vorrangig über ihren politischen oft auch militanten Aktionismus. Ihre Aktionsund Themenfelder orientieren sich dabei zu einem erheblichen Teil an aktuellen politischen Ereignissen und Problemfeldern, um den autonomen Widerstand in der Öffentlichkeit besser zu vermitteln. Mit der Veränderung der politischen Agenda haben sich auch die Aktionsfelder der autonomen Bewegung entwickelt. So engagieren sich deren Anhänger - wie auch in den vergangenen Jahren - in den Themenfeldern Antifaschismus und Antirassismus. Die Aktionsfelder Anti-Globalisierung und Anti-Castor stellen für die Autonomen weiterhin keinen Schwerpunkt dar. Zentrales Aktionsfeld ist der der Öffentlichkeit am besten vermittelbare "Antifaschismus-Kampf". Insbesondere auf diesem Gebiet zeigen Autonome eine hohe Aggressivität und Gewaltbereitschaft. Autonome führen dabei in der Regel keine eigenen Veranstaltungen durch, sondern beteiligen sich an demokratischen Protestveranstaltungen. Wie im Vorjahr reagierte die autonome Szene auch im Jahr 2005 auf Propagandaaktivitäten von Rechtsextremisten in der Region Rotenburg/Verden. Die teilweise gewalttätigen Aktivitäten der autonomen Szene richteten sich landesweit gegen rechtsextremistische Versammlungen. Die autonome Szene ist nach wie vor geschwächt durch interne Auseinandersetzungen über grundsätzliche Fragen ihrer ideologischen Ausrichtung. Eine entscheidende Rolle spielt hierbei die Konfrontation zwischen den so genannten Antideutschen/Antinationalen und den Antiimperialisten. Generell ist nach wie vor eine allgemeine Mobilisierungsschwäche in der autonomen Szene zu beobachten, die auf Ermüdungserscheinungen durch die Vielzahl der in Niedersachsen, aber auch bundesweit durchgeführten auto- 86 Linksextremismus nomen Veranstaltungen zurückzuführen ist. Bei intensiver Vorarbeit einzelner autonomer Gruppierungen - vor allem in Göttingen und Hannover - ließen sich im Berichtsjahr verhältnismäßig viele Autonome für Aktionen mobilisieren. Nach wie vor gibt es in der autonomen Szene keine einheitliche Meinung über die seit 2001 anhaltende so genannte Militanz-Debatte. Dabei geht es um die Frage, inwieweit Gewalt gegen Personen in der politischen Auseinandersetzung gerechtfertigt ist. Während autonome Zusammenschlüsse grundsätzlich die Ausübung von Gewalt gegen Sachen als Mittel der politischen Auseinandersetzung befürworten, lehnen sie die Ausübung von gezielter Gewalt gegen Personen (personenbezogene Anschläge) mehrheitlich ab. Die Zahl der extremistisch motivierten Gewaltdelikte hat sich fast verdoppelt; diese erhebliche Steigerung geht auf Straftaten gegen Polizeibeamte und Rechtsextremisten bei Aktionen gegen rechtsextremistische Demonstrationen z. B. in Bückeburg, Braunschweig, Oldenburg und Göttingen zurück. Antideutsche/Antinationale Unter den Linksextremisten vertreten so genannte Antideutsche eine Strömung, die durch ihre uneingeschränkte Solidarität mit dem jüdischen Volk und dem israelischen Staat sowie den USA zu einem tief greifenden Bruch in der linksextremistischen Szene geführt hat. Antideutsche definieren ihre Gegnerschaft zum Staat insbesondere darüber, dass sie allen Deutschen Antisemitismus und den Wunsch nach Großmachtstreben unterstellen. Vertreter dieser Richtung unterstützen den militärischen Einsatz der USA und ihrer Verbündeten im Irak sowie die Politik Israels, die sie als "Kampf gegen den Islamismus" betrachten. Während Autonome Nation und Staat bisher als Konstrukte bürgerlicher Herrschaft grundsätzlich ablehnten, fordern Antideutsche in ihrer uneingeschränkt israelfreundlichen Haltung für alle Juden eine nationalstaatliche Basis. Im Kampf gegen Antisemitismus verdienen ihrer Auffassung nach die USA Dank, weil sie Deutschland vom Nationalsozialismus befreit haben und Israel schützen. Die Kritik am deutschen Staat, der nach Auffassung der Antideutschen Antisemitismus hervorbringe, mündet in der Forderung nach Auflösung des bestehenden politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland. So äußerte die Autonome Antifa Nordost (AA/NO) aus Berlin in einem Internetbeitrag vom 31.Januar 2005: Linksextremismus 87 "Nicht die Neonazis sind das Problem; das Problem ist Deutschland. Deshalb fordern wir auch 60 Jahre nach Niederschlagung des Nationalsozialismus wieder die völlige Demilitarisierung von Deutschland, ein Verbot von jeglichen Vertriebenenverbänden und dass Deutschland wieder unter die Kontrolle der Alliierten gestellt wird." Den inhaltlichen Widerspruch, einerseits ein vermeintlich imperialistisches Deutschland zu bekämpfen und andererseits die USA - aus Sicht der meisten Linksextremisten der Inbegriff des Imperialismus - zu unterstützen, ignorieren Antideutsche. Der größte Teil der linksextremistischen Szene lehnt diese Auffassung ab. Mit ihrem bedingungslosen Eintreten für den israelischen Staat und gegen Palästina befinden sich die Antideutschen im Widerspruch zu den so genannten Antiimperialisten52. Die gegensätzlichen Positionen haben sich als unüberbrückbar erwiesen, so dass sich im Jahr 2004 selbst langjährige Antifa-Gruppen in Berlin, Köln und Göttingen gespalten bzw. aufgelöst haben. Autonome Organisierungsbemühungen Die Organisierungsdebatte der autonomen Szene geht zurück auf ein Grundsatzpapier der im Mai 2004 wegen ideologischer Differenzen "aufgelösten" Göttinger Autonomen Antifa [M] (AA[M]) aus dem Jahr 1991. Darin kritisierte die Gruppe, dass die Unverbindlichkeit autonomer Strukturen eine kontinuierliche Praxis verhindere und die Autonomen damit zu einem bedeutungslosen Nischenund Gettodasein verdamme. Daher seien verbindliche Organisationsstrukturen in der autonomen Szene notwendig. Obwohl hierarchische und bürokratische Strukturen nach dem autonomen Selbstverständnis prinzipiell abgelehnt werden, gründeten autonome Gruppen aus dem gesamten Bundesgebiet im Jahr 1992 die Antifaschistische Aktion/Bundesweite Organisation (AA/BO). Nachdem sich diese infolge einer inhaltlichen und strukturellen Krise im Frühjahr 2001 aufgelöst hatte, gelang es der autonomen Szene nicht mehr, eine neue Bundesorganisation aufzubauen. Entsprechend gibt die autonome Szene heute organisatorisch ein zerrissenes Bild ab. Im Rahmen antifaschistischer Aktionen bilden sich jedoch vermehrt anlassund themenbezogene regionale Bündnisse (Regios) und Vernetzungen. 52 Antiimperialisten lehnen alle Bestrebungen eines Staates ab, "imperialen" Einfluss auf andere Länder oder Völker zu nehmen. 88 Linksextremismus Regionale Spaltungen und Vernetzungen Ehemalige Aktivisten der Antifaschisten Aktion Hannover [AAH] gründeten im Januar zusammen mit Anhängern anderer linksextremistischer Gruppen in Hannover die neue Gruppierung Politik.Organisation.Praxis [P.O.P.]. Grund für die Abspaltung von der [AAH] waren persönliche und ideologische Differenzen innerhalb der Gruppe. Im Februar gründete sich daraufhin die [AAH] ebenfalls neu. In ihren im Internet veröffentlichten Grundsatzerklärungen dokumentieren beide Gruppierungen ihren systemüberwindenden Ansatz. Ideologische Konstante bildet auch hier der "Kampf gegen den Faschismus". Ziel der "neuen" [AAH] ist ihrer Grundsatzerklärung zufolge: "Eine Gesellschaft ohne Staat(en), von der Basis her organisiert und direkt verwaltet und damit vom Bewusstsein aller getragen. Eine herrschaftsfreie Gesellschaft, in der dem Faschismus alle sozialen, ideologischen und psychologischen Grundlagen entzogen sind." (Antifaschistische Aktion Hannover [AAH] im Februar 2005) In ihrer im Internet veröffentlichten Gründungserklärung propagiert die [P.O.P.] die Überwindung des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland über den Weg einer "sozialen Revolution": "Festzuhalten ist, dass jede revolutionäre Organisation langfristig in der Lage sein muss, wirkliche Veränderungen auch durchsetzen zu können, wir wollen den Klassenkampf heute, morgen, bis zum Ziel. ... Pop is the way to communism! Für die soziale Revolution! Für den Kommunismus!" Während die [AAH] einen eher aktionsorientierten revolutionären Ansatz verfolgt, versteht sich die [P.O.P.] mit ihren Betrachtungen zu aktuellen politischen Ereignissen als "Denkfabrik". Die bereits seit 1998 bestehende Antifa 300053 schloss sich im November der Organisation AVANTI - Projekt undogma53 Nach eigenen Angaben ist die Antifa 3000 aus der Zusammenarbeit im Bündnis gegen das ehemalige rechtsextremistische Schulungsund Tagungszentrum Hetendorf, Landkreis Celle, hervorgegangen. Die Bezeichnung 3000 leitet sich aus der ehemaligen Postleitzahl der Stadt Hannover ab. Linksextremismus 89 tische Linke als Ortsgruppe Hannover (Avanti Hannover) 54 an. Ihre im Internet veröffentlichte Erklärung offenbart ihre grundlegende Gegnerschaft zum politischen System: "Unsere Überzeugung war und ist, dass die heutige Gesellschaft revolutionär verändert werden muss und dass die hierfür notwendige gesellschaftliche Gegenmacht nicht allein aus spontanen Bewegungen bestehen kann, sondern die Beteiligung revolutionärer Organisationen braucht." Eine im Bereich der Autonomen einflussreiche bundesweite Bündnisstruktur scheint sich aus der Gruppierung AVANTI - Projekt undogmatische Linke jedoch nicht zu entwickeln. Vielmehr ist sie ein weiteres Beispiel für die in der autonomen Szene typischen lokalen und regionalen Vernetzungsbemühungen. Bereits im Jahr 2004 hatte sich die Autonome Antifa [M] (AA[M]) aus Göttingen aufgrund ideologischer Differenzen innerhalb der Gruppe aufgelöst. Im Jahr 2005 haben sich die daraus hervorgegangenen drei neuen Gruppierungen - Antifaschistische Linke International (A.L.I.), - Antifa I Aktion & Kritik sowie - Redical M ungeachtet punktueller Zusammenarbeit mit jeweils eigenständigen Aktionen in der linksextremistischen Szene verfestigt. So initiierte die Redical M am 22. Januar in Göttingen eine Demonstration unter dem Motto "Get out of control - innere Aufrüstung sabotieren", zu der auch A.L.I. und Antifa I Aktion & Kritik aufriefen. Ziel der Veranstaltung war es, an die "Proteste gegen Sozialraub" anzuknüpfen und die "antikapitalistischen Positionen" zu stärken. Die Beteiligung von etwa 150 überwiegend dem linksextremistischen autonomen Spektrum zuzurechnenden Personen deutet auf eine für eine regionale Veranstaltung relativ hohe Mobilisierungsfähigkeit. Die Rede der Redical M, die auch im Internet veröffentlicht wurde, endete mit: "Kapitalismus abschaffen! Für den Kommunismus!" In einer im Vorfeld veröffentlichten Broschüre begründet die Redical M ihre Forderung nach Abschaffung des Systems mit grundlegender Kapitalismuskritik: 54 AVANTI - Projekt undogmatische Linke ist nach eigener Aussage eine Organisation, die hauptsächlich zu den Themenfeldern Antimilitarismus, Soziales, Antirassismus und Antifaschismus Stellung bezieht. Ortsgruppen bestehen neben Kiel und Lübeck mittlerweile auch in Flensburg, Hamburg, Norderstedt und seit November 2005 in Hannover. AVANTI - Projekt undogmatische Linke steht in keiner Verbindung zum Avanti e. V. Osnabrück. 90 Linksextremismus "Wenn die kapitalistische Verwertungsgesellschaft keinerlei Verwendung für alle jene hat, die sich nicht Profit bringend einsetzen lassen, liegt hier das Hauptproblem. Denn in der kapitalistischen Verwertungsgesellschaft liegt die Grundlage für Rationalisierungen, Entlassungen, Lohnkürzungen und das Niederreißen des Sozialstaates nach Ende der Systemkonkurrenz. Alles in allem also unserer Meinung nach genügend Gründe eine für Abschaffung dieses Systems zu sein." (Fehler aus dem Original übernommen) (get out of control - INNERE AUFRÜSTUNG SABOTIEREN; kam im Dezember 2004 im Göttinger Raum zur Verteilung) Als aktivste der drei Gruppierungen protestierte die A.L.I. im Juli gegen die von der Bundesregierung als "Agenda 2010" veröffentlichten Maßnahmen zur Reform des Sozialstaates. Anlässlich einer Vortragsveranstaltung in Göttingen kritisierte sie in einem Flugblatt den Vorsitzenden der Kommission zur nachhaltigen Finanzierung der Sozialversicherungssysteme als "Hauptverantwortlichen des Sozialabbaus". In dem Flugblatt heißt es: "Kein Raum für Rürup! Unsere Reformbilanz heißt Widerstand! The only solution: Revolution!". Medien der autonomen Szene Das Internet hat in der autonomen Szene nicht zuletzt wegen der Kommunikationsmöglichkeit über Mailinglisten und Diskussionsforen als Propagandaund Informationsinstrument eine herausragende Bedeutung. Trotz der Attraktivität der modernen Medien sind die regional und überregional erscheinenden Publikationen bei der Herstellung einer so genannten Gegenöffentlichkeit nach wie vor bedeutsam. Die oft konspirativ erstellten und verbreiteten Veröffentlichungen enthalten z. B. Veranstaltungshinweise, Demonstrationsaufrufe, Handlungsanleitungen zu militanten Aktionen sowie Selbstbezichtigungen für Anschläge. Während die in Niedersachsen erscheinenden Publikationen Linksextremismus 91 - göttinger Drucksache (Göttingen), - vers beaux temps55 (Hannover), - Alhambra (Oldenburg), - Die Zwille (Osnabrück), - EinSatz! (Göttingen) und - Fight back! (Braunschweig) nur regionale Bedeutung haben, nehmen die autonomen Druckschriften - INTERIM (Berlin), - radikal (Berlin) und - Phase 2 (Berlin/Leipzig/Göttingen) aufgrund ihres bundesweiten Vertriebs eine herausgehobene Stellung ein. Die seit Mai 1988 bestehende Zeitschrift INTERIM ist das bundesweit bedeutendste Printmedium der autonomen Szene und erscheint in zweiwöchentlichem Rhythmus in einer geschätzten Auflage von 1.000 Exemplaren. Vertrieben wird die Zeitschrift bundesweit hauptsächlich über Info-Läden56. Nachdem nach ca. fünfjähriger Pause im April 2004 wieder eine Ausgabe der konspirativ hergestellten und verbreiteten Untergrundzeitschrift radikal erschienen war, wurde im Sommer 2005 unter dem Titel "Möge die Nacht mit Euch sein" die eine weitere Ausgabe der Zeitschrift veröffentlicht. Das Heft enthält neben Beiträgen über szene-relevante Ereignisse u.a. ein Interview zur Militanzdebatte. Die erstmals 1976 in Berlin erschienene radikal versteht sich selbst als Sprachrohr der linksextremistischen Szene außerhalb presserechtlicher Verantwortung und Kontrolle. Bei der vierteljährlich erscheinenden Zeitschrift Phase 2 handelt es sich um ein Theorieund Diskussionsforum mit den Schwerpunktthemen Antirassismus, Kapitalismuskritik, Feminismus und Internationalismus. Die erstmals im Juli 2001 erschienene Phase 2 wird von drei Redaktionsgruppen aus Göttingen, Berlin und dem "Bündnis gegen Rechts" aus Leipzig verfasst. Die niedersäch55 übersetzt aus dem Französischen: "schönen Zeiten entgegen" 56 Info-Läden sind ein Bestandteil informeller autonomer Strukturen und Organisation. Neben aktuellen Informationen stellen viele Läden auch Archive zur Verfügung und dienen der Vernetzung von Gruppen und Einzelpersonen. Autonome Gruppen nutzen die Postanschrift von Info-Läden auch als Briefkasten. 92 Linksextremismus sischen Finanzbehörden haben inzwischen dem als Herausgeber auftretenden "Verein zur Förderung antifaschistischer Kultur e. V." - ein Tarnverein der mittlerweile aufgelösten Autonomen Antifa [M] aus Göttingen - die steuerliche Gemeinnützigkeit aberkannt. Neuer Herausgeber ist jetzt der Leipziger Verein Kulturprojekt Plagwitz e. V. Aktionsfelder Antifaschismus und Antirassismus Aktionsfeld Antifaschismus Wenngleich der militante Antifaschismus in den letzten Jahren aufgrund des verstärkten Engagements demokratischer Organisationen und staatlicher Institutionen gegen Rechtsextremismus in der Öffentlichkeit weniger Beachtung findet, stellt er nach wie vor das zentrale Aktionsfeld autonomer Bestrebungen dar. So reagierten militante Autonome im Jahr 2005 auf zahlreiche Versammlungen und Informationsstände von rechtsextremistischen Gruppierungen in Verden, Bückeburg, Braunschweig, Oldenburg und Göttingen mit gewalttätigen Gegenaktionen. Als Feindbilder gelten den Autonomen nicht nur rechtsextremistische Aktivitäten und Personen, sondern auch das politische System der Bundesrepublik Deutschland selbst. Der demokratische Rechtsstaat und die freiheitliche Gesellschaft werden in eine Tradition mit dem NS-Staat gestellt und als neofaschistisch herabgewürdigt. Rechtsextremismus wird von den Autonomen als ein systemimmanentes Merkmal unserer Gesellschaftsordnung interpretiert. Sie unterstellen unserem politischen System, Rechtsextremismus bewusst zu fördern und zu instrumentalisieren. Ihr revolutionärer Antifaschismus richtet sich primär gegen das kapitalistische System selbst und verfolgt als Ziel, die gesellschaftlichen Strukturen, die aus ihrer Sicht Faschismus und Rassismus hervorbringen, zu zerschlagen. Beispielhaft für dieses Verständnis von Antifaschismus ist ein im Internet veröffentlichtes Positionspapier der Gruppierung [P.O.P.] aus Hannover anlässlich des 60. Jahrestages des Kriegsendes am 8. Mai 1945. Darin spricht die Gruppierung dem Staat und demokratischen Organisationen die Legitimation ab, eine Feier zum Tag der Befreiung zu begehen, da diese nur einer "Reinwaschung und/oder Umdeutung der deutschen Geschichte" diene: "Wir müssen offensiv die Grundlagen für den Faschismus, die auch heute noch gegeben sind, aufzeigen. Deshalb muss Linksextremismus 93 ein angemessenes Gedenken aus einer revolutionären Perspektive deutlich die Unterschiede zwischen uns und dem bürgerlichen Versuch, sich ein antifaschistisches Mäntelchen umzuhängen, benennen. Dieser Tag gibt uns daher die Möglichkeit uns klar vom bürgerlichen Antifaschismus zu distanzieren, der am 8. Mai als Staatsakt von denen begangen wird, die den rassistischen Normalzustand organisieren und jetzt heuchlerisch gegen böse Nazis demonstrieren wollen. Wir setzen einen anständigen Aufstand gegen den Aufstand der Anständigen!" (Ausdruck vom April 2005) Nach dem Verständnis der [P.O.P.] ist eine endgültige Überwindung immer noch vorhandener "faschistischer" Einstellungen nur zu erreichen, wenn die freiheitliche demokratische Grundordnung beseitigt wird: "Aber da sowohl Faschisten als auch Demokraten um die korrekte Staatsführung, die Nation, konkurrieren, ist es notwendig, zur Bekämpfung des Faschismus auch die Existenz des bürgerlichen Staates in Frage zu stellen." (Ausdruck vom April 2005) In gleicher Weise offenbarte eine Initiative Göttinger Gruppierungen, an der auch die linksextremistischen Gruppen Antifa I Aktion & Kritik und die Redical M beteiligt waren, ein Feindbild, das sich neben rechtsextremistischen Strukturen undifferenziert auch gegen den demokratischen Rechtsstaat und die freiheitliche Gesellschaft richtet. So riefen die Gruppierungen in Zusammenhang mit der Äußerung eines ehemaligen SS-Soldaten über seine Beteiligung an Massenmorden an der jüdischen Bevölkerung in der Ukraine im April zu einer Kundgebung in Göttingen auf: "Die Mörder sind unter uns! Wie für Millionen andere deutsche Täter und Profiteure des Nazi-Faschismus wird diese Äußerung für ihn keine nennenswerten juristischen Folgen haben. Keine Ruhe der Tätergesellschaft!" Regionaler Brennpunkt des "AntifaschismusKampfes" war für das autonome Spektrum auch in diesem Jahr der von dem Neonazi RIEGER für die Wilhelm Tietjen Stiftung für Fertilisation Ltd. ersteigerte "Heisenhof". Am 8. Mai initiierten verschiedene linksextremistische Gruppierungen eine "antifa- 94 Linksextremismus schistische Demonstration" gegen die Nutzung des "Heisenhofes" durch Rechtsextremisten sowie gegen die während des Nationalsozialismus in der Nähe angesiedelte Pulverfabrik Eibia, in der Zwangsarbeiter beschäftigt waren. An der unter dem Motto "Kein Vergeben Kein Vergessen Keine Nazis! Nicht im Heisenhof oder sonstwo" stehenden Veranstaltung beteiligten sich etwa 120 Personen der regionalen sowie der Bremer autonomen Szene. Neben den Aktionen gegen den "Heisenhof" konzentrierten sich die Protestaktionen der Autonomen auf eine Veranstaltungsreihe der NPD unter dem Motto "Sozialabbau, Rentenklau, Korruption - Nicht mit uns". So formierte sich gegen die am 2. April in Verden, am 18. Juni in Braunschweig, am 3. September in Oldenburg und am 29. Oktober in Göttingen durchgeführten rechtsextremistischen Demonstrationen neben dem demokratischen Protest ein breiter Widerstand aus dem linksextremistischen Spektrum. An den Protestaktionen gegen die vom NPD-Landesverband Niedersachsen angemeldete Demonstration unter dem Motto "Sozialabbau, Rentenklau, Korruption - Nicht mit uns" am 2. April in Verden nahmen auch 350 bis 400 Autonome teil. Insbesondere die Demonstrationen in Göttingen und Oldenburg waren teilweise von heftigen gewalttätigen Auseinandersetzungen begleitet. Dabei bedienten sich Autonome erneut der so genannten Kleingruppentaktik, bei der sie aus dem Schutz der demokratischen Proteste heraus in Kleingruppen militant gegen Rechtsextremisten sowie gegen Polizeibeamte vorgingen, die das Demonstrationsrecht gewährleisten mussten. In Göttingen setzten Autonome zahlreiche Barrikaden in Brand. Die Polizei verhinderte Übergriffe gewaltbereiter Autonomer auf rechtsextremistische Demonstrationsteilnehmer. Die vorzeitige Beendigung des NPD-Aufzuges wurde im Internetportal Indymedia, das von Linksextremisten genutzt wird, als Sieg für die Kleingruppen und "Desaster für die Nazis" gewertet. In einer Internetveröffentlichung beurteilte die A.L.I. insbesondere das Zusammenspiel von antifaschistischer Bündnisarbeit und militanten Aktionen als Erfolg. Die Antifa I Aktion & Kritik kündigte an, sich nicht auf den "sehr erfolgreichen Antinaziprotesten" auszuruhen. Autonome Linksextremisten sind bemüht, den friedlichen demokratischen Protest gegen Rechtsextremisten für ihre eigenen, über den Demonstrationsanlass hinausgehenden Ziele zu instrumentalisieren. Insgesamt führ- Linksextremismus 95 te die Beteiligung an den Protesten gegen die NPD-Demonstrationen zu einer größeren Mobilisierungsfähigkeit innerhalb des militanten antifaschistischen Spektrums. Aktionsfeld Antirassismus Im ideologischen Verständnis der Autonomen steht der Rassismus in einem unmittelbaren Zusammenhang mit dem Faschismus. Dessen Ursachen sehen sie in der von Klassengegensätzen, Ausbeutung und Unterdrückung geprägten kapitalistischen Gesellschaft; nur durch die Abschaffung des Kapitalismus könne auch der staatliche Rassismus beseitigt werden. Linksextremisten konzentrierten ihre Aktionen auch im Jahr 2005 auf Ausländerund Asylpolitik, Abschiebepraxis sowie die Unterbringung ausländischer Flüchtlinge und Migranten und deren Residenzpflicht. Diese betrachten Linksextremisten als Ausdruck rassistischer Politik. Auch hier nutzten Linksextremisten - insbesondere im südniedersächsischen Raum - eine Vielzahl weitgehend von demokratischen Initiativen und Einzelpersonen getragene Solidaritätsveranstaltungen für die Propagierung ihrer eigenen Ziele. Dabei forderten sie ein Bleiberecht für alle Flüchtlinge und kritisierten staatliches Handeln als rassistisch. Unter dem Motto "Bleiberecht für alle" führte der Göttinger Arbeitskreis Asyl (AK Asyl), dem auch Linksextremisten angehören, am 9. Juni in Göttingen eine Demonstration durch, die sich gegen die Inhaftierung eines in Deutschland lebenden Bürgerkriegsflüchtlings richtete. Im Anschluss an die Demonstration besetzten etwa 20 dem Linksextremismus zuzurechnenden Personen das Wahlkreisbüro des damaligen Bundesumweltministers. Bis zur endgültigen Abschiebung Ende Juli veranstaltete der Arbeitskreis Asyl eine friedlich verlaufene Kundgebungsreihe. Etwa 50 Autonome beteiligten sich im September im Rahmen der diesjährigen Anti-Lager-Tour an gewaltfreien Aktionen an der Landesaufnahmestelle in Bramsche-Hesepe sowie an Aufnahmeeinrichtungen in Mecklenburg-Vorpommern. Die Demonstration in Niedersachsen, die ohne Resonanz verlief, richtete sich gegen das europäische "Lagersystem" sowie die Unterbringungsund Abschiebepraxis von Flüchtlingen und Migranten in Deutschland. Mit Flugblättern, Plakaten und Internetveröffentlichungen protestierten die Veranstalter gegen die aus ihrer Sicht unmenschliche Unterbringung von Flüchtlingen und Migranten in Lagern. Auf einem Flugblatt war u. a. zu lesen: 96 Linksextremismus "Zusätzlich zur sozialen Isolation kommt ein ausgeklügeltes Schikaneund Demütigungssystem einschließlich rassistischer Sondergesetze wie z. B. das weitgehende Arbeitsverbot für Flüchtlinge. ..." Im Gegensatz zum Thema Antifaschismus wirken antirassistisch motivierte Aktionen weniger mobilisierend in der autonomen Szene. Einflussnahme von Linksextremisten auf die Proteste gegen Globalisierung und Neoliberalismus Der ökonomische, politische und kulturelle Wandel und die damit einhergehende Veränderung der Gesellschaften und ihrer Lebensbedingungen haben in den letzten Jahren zu einer sich weltweit entwickelnden heterogenen Protestbewegung geführt. Die Proteste der Anti-Globalisierungsbewegung richteten sich insbesondere gegen die Gipfelkonferenzen der Europäischen Union (EU), des Internationalen Währungsfonds (IWF), der Welthandelsorganisation (WTO), des Nordatlantikvertrages (NATO) sowie insbesondere gegen die Spitzentreffen der Staatsund Regierungschefs der acht wichtigsten Industrienationen (G 8-Gipfel) als Verkörperung des weltweiten Kapitalismus und seiner Globalisierung. Neben demokratischen Organisationen nutzten Linksextremisten das Aktionsfeld Anti-Globalisierung als Plattform ihres Widerstands. Gewalttätige Gruppierungen der internationalen Protestbewegung, die eine kleine Minderheit darstellten, nutzten die zunächst friedlichen Proteste wiederholt zur planmäßigen Straßenmilitanz. Wie in den Vorjahren formierte sich auch gegen den diesjährigen Weltwirtschaftsgipfel der G 8-Länder vom 6. bis 8. Juli in Gleneagles (Schottland) starker Widerstand. Britische Globalisierungskritiker, insbesondere das internationale Netzwerk Dissent!57, hatten bereits seit Herbst 2003 für Protestaktionen gegen den G 8-Gipfel mobilisiert. An den Protesten in Schottland beteiligten sich etwa 200 bis 300 Linksextremisten aus Deutschland, darunter auch Globalisierungsgegner aus Niedersachsen. 57 Das anarchistisch beeinflusste Netzwerk Dissent! wurde im Jahr 2003 von ehemaligen Umweltaktivisten, Mitgliedern von Antikriegsbewegungen und antikapitalistischen Gruppen in Großbritannien ins Leben gerufen. Das Netzwerk sieht keine Mitgliedschaften vor. Es dient zur Kommunikation und Koordinierung von Aktionen zwischen lokalen Widerstandsgruppen gegen die jährlichen G 8-Gipfel weltweit. Linksextremismus 97 Die bereits 2004 im Internet veröffentlichte Grundsatzerklärung der Gruppierung Dissent!, auf die sich auch deutsche Linksextremisten beziehen, dokumentiert ihre über die Globalisierungskritik hinausgehende generelle Ablehnung von Herrschaft: "Eine klare Ablehnung von Kapitalismus, Imperialismus und Feudalismus und aller Handelsabkommen, Institutionen und Regierungen, die die zerstörerische Globalisierung vorantreiben. Wir lehnen alle Formen und Systeme von Herrschaft und Diskriminierung ab, einschließlich, aber nicht beschränkt auf Patriarchat, Rassismus und religiösen Fundamentalismus aller Art. Wir erkennen die vollständige Würde aller Menschen. Eine konfrontative Haltung, da wir nicht glauben dass Lobbyarbeit einen nennenswerten Einfluss haben auf undemokratische Organisationen, die maßgeblich vom transnationalen Kapital beeinflusst sind. Ein Aufruf zu direkter Aktion und zivilem Ungehorsam, Unterstützung für die Kämpfe sozialer Bewegungen, die Respekt für das Leben und die Rechte der unterdrückten Menschen maximieren, wie auch den Aufbau von lokalen Alternativen zum Kapitalismus." (Dissent! vom 18.05.2005) Nach einer Stagnation der Proteste in den Vorjahren hat es den Anschein, als habe die internationale Protestbewegung gegen die G 8-Gipfel neuen Auftrieb erhalten, vor allem durch eine bessere Organisierung und Mobilisierung. Für den G 8-Gipfel im mecklenburgischen Seebad Heiligendamm im Frühsommer 2007 hat sich bereits jetzt eine breite Protestbewegung formiert. Neben dem demokratischen Protest hat sich ein Bündnis herausgebildet, dem Autonome, das teilweise linksextremistische internationale Netzwerk Dissent! sowie militante Widerstandsgruppen angehören. In einem Interview rechtfertigte ein Angehöriger dieser militanten Widerstandsbewegung die Anwendung von Gewalt: "Wenn wir in dieser Gesellschaft etwas skandalisieren wollen, dann geht das leider nicht ohne Gewalt ... also auch mal Autos oder 'ne leere Bullenwanne abfackeln." ("Das Magazin", Berlin, Ausgabe Mai 2005) So wurden im Jahr 2005 fünf Brandschläge verübt, die im direkten Zusammenhang mit den Protesten gegen den G 8-Gipfel stehen. Neben Anschlägen in Berlin und Hamburg ereignete sich ein Brandanschlag am 28. Juli im niedersäch- 98 Linksextremismus sischen Hollenstedt, Landkreis Harburg, auf den PKW des Vorstandsvorsitzenden der Norddeutschen Affinerie58. In einem Selbstbezichtigungsschreiben wird das Unternehmen als exemplarisch für die "Instrumente imperialistischer Wirtschaftpolitik" bezeichnet. Mit weiteren Anschlägen von linksextremistischen Globalisierungsgegnern ist zu rechnen. Einflussnahme von Linksextremisten auf die Proteste gegen Kernenergie Für Linksextremisten ist der Kampf gegen die friedliche Nutzung der Atomenergie seit 1975 ein Kristallisationspunkt ihres militanten Widerstandes. Dieses politische Aktionsfeld hat in den letzten Jahren allerdings an Relevanz verloren; auf Bundesebene lassen sich immer weniger Linksextremisten für Widerstandsaktionen mobilisieren. Das liegt zum einen daran, dass andere linksextremistisch besetzte Themen wie "Sozialabbau" und Antifaschismus den Bereich Kernenergie überlagern. Zum anderen haben Bundesregierung und die Energieversorgungsunternehmen bereits im Jahr 2000 den Ausstieg aus der friedlichen Nutzung der Kernenergie bis zum Jahr 2021 vereinbart. Selbst Transporte in das Zwischenlager Gorleben, das für die Anti-Atom-Bewegung nach wie vor von zentraler symbolischer Bedeutung ist, motivieren Autonome nur noch vereinzelt zu nennenswerten Widerstandsaktionen. Auch andere Aktionen wie Blockaden der Nukleartransporte in die Wiederaufarbeitungsanlagen Sellafield (Großbritannien) und La Hague (Frankreich) blieben ohne die von den Initiatoren erhoffte Resonanz. Nur vereinzelt beteiligten sich Linksextremisten an den von nordrhein-westfälischen und sächsischen Gruppen, darunter die linksextremistisch beeinflussten Organisationen Widerstand gegen Atomanlagen (WigA) und Pollux, organisierten Protestaktionen gegen die CastorTransporte von Dresden-Rossendorf nach Ahaus (30./31. Mai, 06./07. und 13./14. Juni). Angesichts der anhaltenden Mobilisierungsschwäche der linksextremistischen Anti-Atom-Bewegung kündigte die 58 Der Norddeutsche Affinerie-Konzern aus Hamburg ist der größte Kupferproduzent Europas und als Rohstoffverarbeiter in Afrika, Asien und Lateinamerika engagiert. Linksextremismus 99 von der Ideologie der Graswurzelbewegung maßgeblich 59 beeinflusste Initiative X-tausendmal quer ein "Comeback der Anti-Atom-Bewegung" an. Der Versuch, mit einer neuen Kampagne ".ausgestrahlt - Gemeinsam gegen ein Comeback der Atomenergie" die Anti-Atom-Bewegung nennenswert zu mobilisieren, blieb jedoch erfolglos. Vor dem Hintergrund der derzeitigen politischen Diskussion über die Zukunft der Atompolitik bleibt abzuwarten, wie sich die Mobilisierungsfähigkeit der linksextremistischen Szene bei zukünftigen Protestaktionen entwickeln wird. Die Anti-Atom-Bewegung wird ihre Aktivitäten vermutlich erst dann ausweiten, wenn eine Entscheidung über die endgültige Einrichtung eines Endlagers für Atommüll getroffen ist. Von den auf eine systemüberwindende Zielsetzung ausgerichteten linksextremistischen Aktivitäten ist der gewaltfreie Protest gegen die Castor-Transporte zu unterscheiden. Grundsätzlich kann festgestellt werden, dass autonome und anarchistische Zusammenschlüsse den demokratischen Protest weder dominiert noch maßgeblich beeinflusst haben. Verfassungsfeindlicher Hintergrund des Widerstandes gegen den Castor-Transport Linksextremistische Castor-Gegner zielen mit ihren Protesten über den eigentlichen Demonstrationsanlass hinaus auf die Überwindung des politischen Systems der Bundesrepublik Deutschland. Kennzeichnend dafür sind Veröffentlichungen der autonomen Szene vor Beginn des Castor-Transportes im November unter den Überschriften "Game over! - Against Castor, Capital & Cops", "Atomstaat Ausrangieren - Kapitalismus Stillegen" und "...gegen Bullen, Staat und Kapital". Die Verfasser betonten, dass ihre Aktionen nicht nur auf die Verhinderung des Castor-Transportes abzielten, sondern auf die Abschaffung des "Staates und einer kapitalistischen Ökonomie": "Atomkraft ist kein Fehler in diesem System, sondern ein Ausdruck davon." (Flugblatt des Projektes Gegendruck [Lüneburg], November 2005) 59 Die in der Tradition des Anarchismus stehende Graswurzelbewegung entstand in der Zeit der 68er Studentenbewegung. Die Gründung der Zeitung Graswurzelrevolution im Jahre 1972 markiert ihren eigentlichen Beginn. Ziel der anarchistischen Bewegung ist es, "alle Formen von Gewalt und Herrschaft" abzuschaffen und "Hierarchien des Kapitalismus" zu überwinden. 100 Linksextremismus Dass der Kampf gegen die Kernenergie für die autonome Szene eine symbolische Bedeutung für ihre politischen Zielsetzungen hat, verdeutlichte auch eine Rede, die anlässlich der Auftaktkundgebung zu den Protestaktionen am 19. November in Hitzacker gehalten wurde: "Es geht also nicht nur darum, gegen die Symptome zu kämpfen, sondern sich für eine Gesellschaft einzusetzen, in der die Ursachen für diese gar nicht mehr vorkommen, gar nicht mehr denkbar sind. ... Denn unser Kampf richtet sich nicht nur gegen eine menschenfeindliche Technologie ... sondern gegen die Verhältnisse, die diese Technologie erst ermöglichen. Wir sind den herrschenden Verhältnissen gegenüber nicht dialogbereit ... wir wollen ein anderes Leben, wir wollen eine andere Welt!" (veröffentlicht im Internet am 20.11.2005) In einer für autonome Argumentationsmuster charakteristischen Diktion rechtfertigt das Anti-Atom-Plenum (AAP) Göttingen in einem im Juli veröffentlichten Flugblatt seine grundlegende Gegnerschaft zum politischen System mit der Unterdrückung des Menschen durch "menschenverachtende Technologien". Hierin manifestiert sich erneut der Symbolcharakter des autonomen Widerstandes gegen Kernenergie: "Wichtiger ist den Herrschenden der Profit der Konzerne. Wir wollen aber kein (kapitalistisches) System ... Wir lehnen ein System ab, das durch Herrschaft, Sozialabbau, Patriarchat und Rassismus ... gekennzeichnet ist. Daher sehen wir den Kampf gegen menschenverachtende Technologie als einen Teil des Befreiungskampfes gegen all diese Übel an ... ." Die Graswurzelbewegung repräsentiert die anarchistische Komponente des linksextremistischen Castor-Widerstandes. Sie unterscheidet in Bezug auf den Einsatz militanter Mittel zwischen der von ihr kategorisch abgelehnten Gewalt gegen Menschen einerseits und den - nach ihrem Verständnis - gewaltfreien Sachbeschädigungen und Sabotageaktionen andererseits. Letztere befürwortet sie als politisches Kampfmittel, soweit sie nach ihrer Auffassung der Bevölkerung vermittelbar sind. Diese theoretischen Grundsatzpositionen bestimmen nach wie vor das Engagement der Graswurzelbewegung sowohl im Zusammenhang mit den Castor-Transporten als auch der Atomtechnologie insgesamt. Der Widerstand wird dabei immer als Mittel zum Zweck verstanden, um die weiterführenden anarchistischen Gesellschaftsvorstellungen zu befördern. Linksextremismus 101 In einem nach der Bundestagswahl veröffentlichten Beitrag in der Zeitschrift Graswurzelrevolution wird Widerstand gegen das als "Atomstaat" bezeichnete politische System der Bundesrepublik Deutschland propagiert: "Wer auch immer die neue Regierung bilden wird, wird weiter im Sinne der Wirtschaftslobby und den mit ihr verwobenen Massenmedien arbeiten. Das heißt, neoliberale Politik der Umverteilung von unten nach oben, ... die Atomstaatspolitik ... und der Ausbau des Repressionsund Überwachungsapparates werden fortgesetzt. Fazit: Unser Widerstand von unten gegen die Politik von oben ist notwendiger denn je." (Graswurzelrevolution Nr. 302 vom Oktober 2005, S. 2) Die von der anarchistischen Ideologie der Graswurzelbewegung maßgeblich beeinflusste Initiative X-tausendmal quer hatte im Vorfeld des Castor-Transportes nach Gorleben im November zur Teilnahme an Aktionen im Wendland aufgerufen. Mit den für die Graswurzelbewegung charakteristischen Argumentationen zieht die Initiative unter der Überschrift "Gewaltfrei und Ungehorsam gegen Atomkraft" in einer im Internet veröffentlichten Presseinformation eine beschönigende Bilanz der Proteste: "Mit einer Mischung aus effektiven Kleingruppenaktionen und massenhaftem Zivilen Ungehorsam haben wir deutlich gemacht, dass wir das 'Weiter So' in der Atompolitik nicht akzeptieren werden. Letztlich wird rund um Gorleben der Konflikt über das ungelöste Atommüllproblem nur stellvertretend für die ganze Gesellschaft ausgetragen." (Presseinformation X-tausendmal quer vom 22.11.2005) Beteiligung von Linksextremisten an den Protesten gegen den Castor-Transport An den Protestaktionen im Zusammenhang mit dem Castor-Transport von La Hague nach Gorleben vom 19. bis 22. November beteiligten sich Linksextremisten nur in geringem Maße. Wie in den vergangenen Jahren protestierten zum weit überwiegenden Teil nichtextremistische Gruppierungen. Von den linksextremistischen bzw. linksextremistisch beeinflussten Organisationen beteiligten sich u. a. das Anti-AtomPlenum Berlin sowie die anarchistisch beeinflusste Kampagne X-tausendmal quer. Die verschiedenen Gruppierungen im Wendland bereiteten ihre Aktionen, z. B. die Einrichtung von Camps und 102 Linksextremismus Infopunkten, nicht zuletzt aufgrund geringerer Teilnehmerzahlen gemeinsam vor. So koordinierten insbesondere die bundesweit agierende Initiative X-tausendmal quer und die regional tätige, linksextremistisch beeinflusste Gruppierung WiderSetzen ihre Aktionen. Insgesamt lässt sich eine zunehmende Regionalisierung des Anti-Castor-Protestes feststellen. Dies zeigt sich etwa darin, dass eine über die genannten regionalen Strukturen hinausgehende bundesweite Zusammenarbeit auch im Jahr 2005 nicht erkennbar war. Darüber hinaus konzentrierten sich die Aufrufe zu Aktionen auf den Raum Niedersachsen. Zwar riefen auch die autonomen Szenen von Berlin, Bremen, Hamburg und Nordrhein-Westfalen zu den Protesten auf, der Schwerpunkt der Mobilisierung lag jedoch im Wendland sowie in Lüneburg, Hannover und Göttingen. Im Vorfeld des Transports verübten militante Atomkraftgegner einen Brandanschlag auf eine Containerunterkunft der Polizei in Woltersdorf, mehrere Hakenkrallenanschläge in vier Bundesländern, darunter in Niedersachsen, sowie zwei Brandanschläge auf Fahrzeuge in Berlin und Dannenberg. Wie im vergangenen Jahr wurde im Wendland an zwei Stellen versucht, die Bahnbzw. Straßenstrecke mit Wasser zu unterspülen. In einem Selbstbezichtigungsschreiben zu mehreren Hakenkrallenanschlägen stellte ein bisher unbekannter Personenzusammenschluss c.r.o.c.h.e.t.60 einen Bezug zum Tod eines französischen Anti-Atom-Aktivisten im Verlauf des Castor-Transportes im Jahr 2004 her: "Wut und Trauer in Widerstand! Für die sofortige Abschaffung aller Atomanlagen und der herrschenden Klasse!" Zu der Auftaktkundgebung am 5. November in Lüneburg kamen etwa 2.600 Personen. An der Großkundgebung in Hitzacker am 19. November beteiligten sich etwa 3.100 und an den in den folgenden Tagen im Landkreis Lüchow-Dannenberg durchgeführten Aktionen mehrere hundert Personen. Die Anzahl Autonomer aus dem gesamten Bundesgebiet, die sich an den Protesten in Lüneburg und Hitzacker in Form eines so genannten Schwarzen Blocks beteiligten, lag wie im Vorjahr bei jeweils etwa 100 Personen. Die geringe Beteiligung von Linksextremisten war Ausdruck mangelhafter 60 Französisch für "Haken" Linksextremismus 103 konzeptioneller Vorbereitung. Eine weitere Ursache liegt vermutlich darin, dass Linksextremisten ihre Aktivitäten im Bereich Antifaschismus intensivierten, dem sie im Verlauf des Jahres größere Priorität beimaßen. Entlang der gesamten Strecke behinderten eine Vielzahl von Blockadeund Störaktionen, darunter auch versuchte Ankettungen und Traktorblockaden, den Transport. An der Bahnstrecke Lüneburg-Dannenberg wurden mehrere Schienenkrallen beseitigt. Ziel militanter autonomer Widerstandsaktionen war wie in den Vorjahren die Polizei, die meisten strafbaren Aktionen blieben jedoch aufgrund starker Polizeipräsenz ohne große Wirkung auf den Castor-Transport. Während es weniger kleinere militante Aktionen in der Transportphase - wie zum Beispiel brennende Reifen und Heuballen auf Schienen und Straßen - gab, nahmen Hakenkrallenund Brandanschläge durch Autonome im Vorfeld des Transportes zu. Die bereits in der Vergangenheit zu beobachtende "dezentrale Kleingruppen-" oder "NadelstichTaktik" verlagerte sich weiterhin auf Bahnstrecken außerhalb Niedersachsens. Als Trend lässt sich feststellen, dass Angehörige linksextremistischer Gruppierungen auf eine Teilnahme an der Kampagne im Wendland zugunsten von Aktionen in anderen Regionen verzichten. 104 Linksextremismus Die Linkspartei.PDS Vorsitzende Bund: Lothar BISKY Niedersachsen: Dorothee MENZNER und Dr. Diether DEHM Sitz Bund: Berlin Niedersachsen: Hannover Mitglieder 2004 200561 Bund: 66.000 61.489 Niedersachsen: 725 875 Publikationen Bund: DISPUT (monatlich) Mitteilungen der Kommunistischen Plattform (monatlich) Niedersachsen: PDS-Landesinfo (mehrmals jährl.) daneben Publikationen der Kreisverbände Das Jahr 2005 war für die aus der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) hervorgegangene und am 17. Juli in Die Linkspartei.PDS umbenannte Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS) geprägt von ihrem Wiedereinzug in den Deutschen Bundestag. Dieser Wahlsieg war möglich geworden, nachdem sich die PDS mit der erst im Jahr 2005 gegründeten nichtextremistischen Partei Arbeit & soziale Gerechtigkeit - Die Wahlalternative (WASG) auf eine Zusammenarbeit geeinigt hatte. Bei der Wahl zum 16. Deutschen Bundestag erzielte die Linkspartei.PDS 8,7 % der Zweitstimmen (4.118.248 Stimmen). Damit konnte die Linkspartei.PDS ihr Ergebnis, bezogen auf das Abschneiden der PDS bei der Bundestagswahl 2002 (4,0 %, 1.916.702 Stimmen) verdoppeln und mit 54 Abgeordneten als viertstärkste Fraktion in den Bundestag einziehen. Bei der Bundestagswahl 2002 war die PDS noch an der 5 %-Klausel gescheitert, allerdings während der 15. Wahlperiode mit den beiden direkt gewählten Abgeordneten Gesine LÖTZSCH und Petra PAU im Parlament vertreten. Die Strategie der Zusammenarbeit mit der WASG hat sich 61 Eigenangaben der Partei mit Stand vom 31.12.2005; Internet, festgestellt am 24.03.2006 Linksextremismus 105 für die Linkspartei.PDS ausgezahlt: Sie konnte ihren Zweitstimmenanteil in den alten Bundesländern (und West-Berlin) auf 4,9 % (2002: 1,1 %), in den neuen Bundesländern (und Ost-Berlin) auf 25,4 % (2002: 16,9 %) ausbauen. Noch im Sommer 2005, vor der Kooperationsabsprache mit der WASG, hatte die PDS aufgrund der fehlenden Verankerung in den alten Bundesländern ein erneutes Scheitern an der 5 %-Hürde befürchten müssen. Von den 54 Bundestagsabgeordneten der Linkspartei.PDS kommen drei Mitglieder der bisherigen PDS aus Niedersachsen: - Dr. Diether DEHM, Vorsitzender des niedersächsischen Landesverbandes der Linkspartei.PDS, - Dorothee MENZNER, Vorsitzende des niedersächsischen Landesverbandes der Linkspartei.PDS und Mitglied des Bundesvorstandes der Partei, sowie - Jan KORTE, Vorsitzender des Linkspartei.PDS-Kreisverbandes Hannover und Mitglied des Bundesvorstandes der Partei. Auf den Landeswahllisten der Linkspartei.PDS waren u.a. auch Mitglieder der DKP, der trotzkistischen Organisationen Sozialistische Alternative Voran (SAV) sowie Mitglieder von Linksruck aufgestellt. Sie errangen jedoch kein Mandat. Beim Bundesparteitag der Linkspartei.PDS am 10./11. Dezember in Dresden stimmte eine große Mehrheit der rund 400 Delegierten einem Kooperationsabkommen zu, das den Zusammenschluss der Linkspartei.PDS mit der WASG bis zum 30. Juni 2007 vorsieht. In dem Abkommen wird u. a. der Charakter der neuen Partei beschrieben: Zu ihrer Politik sollen demnach "Widerstand und Protest ebenso zählen wie der Anspruch auf Mitund Umgestaltung und die Entwicklung über den Kapitalismus hinausweisender gesellschaftlicher Alternativen". Diese Aussagen sind - zum Teil wortgleich - dem geltenden Parteiprogramm der bisherigen PDS von Oktober 2003 entnommen. Dies deutet darauf hin, dass die neu zu bildende Partei keine politische Neuausrichtung anstrebt, sondern maßgeblich durch die Linkspartei.PDS bestimmt sein wird. Die Formulierung im Kooperationsabkommen, dass in der "pluralistischen Partei ... alle Menschen einen Platz haben [sollen], die gegen die gegenwärtigen Verhältnisse in der kapitalistischen Gesellschaft Widerstand leisten, sie verändern und schrittweise überwinden wollen", 106 Linksextremismus deutet darauf hin, dass auch offen extremistische Zusammenschlüsse innerhalb der Partei wirken können. Aussagen führender Funktionäre der Linkspartei.PDS lassen auf ihr Ziel schließen, die neu zu bildende Partei nach ihren bisherigen Vorstellungen zu gestalten. So äußerte der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Linkspartei.PDS, Bodo Ramelow, in einem Interview mit der Berliner Zeitung am 1. Dezember: "Ich bin allerdings dafür, dass wir eine kräftige marxistische Strömung haben." In beiden Parteien regen sich jedoch zum Teil heftige Widerstände gegen eine Fusion. So zeigte sich die Kommunistische Plattform der Linkspartei.PDS (KPF) besorgt über einen möglichen Identitätsverlust der Partei: "Von Anbeginn wehrten wir uns nachweisbar dagegen, daß schrittweise auf sozialistische Züge der Partei zugunsten sogenannter Realpolitik verzichtet, daß würdelos mit der eigenen Vergangenheit umgegangen wurde und daß durch die Art und Weise der Beteiligung an Landesregierungen bzw. deren Tolerierung der antikapitalistische Charakter der PDS tief beschädigt wurde." (Ellen BROMBACHER, Mitglied im Bundessprecherrat, in Mitteilungen der KPF, Heft 8/2005) Die bundesweit rund 1.500 Mitglieder zählende KPF sieht sich innerhalb der PDS in der Tradition der kommunistischen deutschen Arbeiterbewegung und beansprucht für sich, die kommunistische Identität der Linkspartei.PDS zu wahren. Die KPF spricht mit ihren ideologischen Vorstellungen vor allem die überalterte, in DDR-Nostalgie verhaftete Parteibasis im Osten an. Die Plattform versteht sich als kommunistisches Korrektiv und versucht, Reformbestrebungen hin zu einer Sozialdemokratisierung der Mutterpartei entschieden entgegenzuwirken. Die Bewahrung und Weiterentwicklung marxistischen Gedankenguts ist wesentliches Anliegen der KPF. Die Linkspartei.PDS hält bundesweit weiterhin an ihrer systemüberwindenden Programmatik fest. Auf der Basis des 2003 verabschiedeten Parteiprogramms der PDS strebt die Linkspartei.PDS weiterhin ein über die Grenzen der Gesellschaftsordnung hinausgehendes System an. Linksextremismus 107 Die Linkspartei.PDS hält es für erforderlich, die "gegebenen Verhältnisse", d. h. die "kapitalistische Gesellschaft" bzw. die für Ausbeutung und Unterdrückung ursächlichen "Machtund Eigentumsverhältnisse" letztendlich zu überwinden62. Ein weiterer Anhaltspunkt für linksextremistische Bestrebungen liegt in der Tatsache, dass bundesweit offen extremistische Zusammenschlüsse wie die KPF und das Marxistische Forum (MF) innerhalb der Partei politisch wirken können. Ferner existiert seit Februar 2003 mit dem Geraer Dialog/Sozialistischer Dialog(GD/SG) ein weiterer bundesweiter Zusammenschluss dogmatischer Parteilinker, der sich seitdem zu einem Sammelbecken extremistischer Kräfte in der PDS entwickelt hat. Die aus Hannover stammende Monika WINDHORN, Mitglied des Sprecherrates der KPF Niedersachsen, gehört weiterhin dem Bundeskoordinierungsrat der KPF an, der neben dem Bundessprecherrat das Leitungsgremium der KPF darstellt. Solange die Linkspartei.PDS an ihrem grundlegend systemüberwindenden Ansatz, dem Ziel einer neuen Gesellschaft, festhält und in ihren Reihen offen linksextremistisch wirkende Zusammenhänge wie die KPF duldet, die über einen nicht unerheblichen Einfluss auf die Ausrichtung der Partei verfügen, erscheint das Bekenntnis zum Grundgesetz formal und nicht überzeugend. Angesichts der inhaltlichen Nähe des Kooperationsabkommens zum geltenden Parteiprogramm der Linkspartei.PDS ist eine programmatische Neuausrichtung einer neu zu bildenden Partei derzeit nicht zu erwarten. Vielmehr ist der Zusammenschluss beider Parteien eher eine Übernahme der WASG durch die Linkspartei. PDS, der dazu dienen soll, deren Schwächen in den westdeutschen Bundesländern auszugleichen. Parallel zu dem seit 1992 insbesondere in den neuen Bundesländern andauernden Mitgliederrückgang zeichnet sich auch in mehreren alten Bundesländern eine ähnliche Entwicklung ab. Der bundesweite Mitgliederrückgang von ca. 66.000 auf rund 62.000 ist in erster Linie mit der Überalterung der ostdeutschen Landesverbände zu erklären. In Niedersachsen konnte die Partei ihren Mitgliederstand bei 725 Personen halten. 62 Programm der PDS, S. 2 ff, S. 21 f 108 Linksextremismus Deutsche Kommunistische Partei (DKP) Vorsitzende Bund: Heinz STEHR Niedersachsen: Detlef FRICKE Sitz Bund: Essen Niedersachsen: Hannover Mitglieder 2004 2005 Bund: 4.500 weniger als 4.500 Niedersachsen: 400 400 Publikationen Bund: Unsere Zeit (wöchentlich, Aufl. 7.500) Marxistische Blätter (zweimonatlich, Aufl. etwa 2.500) Niedersachsen: Hannoversches VolksBlatt Die Rote Spindel (Nordhorn/Lingen) Pulverturm (Oldenburg) Betriebszeitungen: Roter Käfer (VW, Braunschweig) KarlOS (Karmann, Osnabrück) Roter Bully (VW Nutzfahrzeuge, Hannover) Die 1968 gegründete DKP steht in der Tradition der 1956 vom Bundesverfassungsgericht verbotenen Kommunistischen Partei Deutschlands. Bis zum politischen Umbruch in den kommunistisch regierten Ländern Osteuropas ordnete sich die DKP vorbehaltlos den ideologischen und politischen Vorgaben der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU) und der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands (SED) unter, von der sie auch finanziell weitgehend abhängig war. Seit dem Beitritt der DDR zur Bundesrepublik Deutschland befindet sich die Partei in einer Identitätsund Orientierungskrise, die an einem beträchtlichen Mitgliederverlust von ca. 40.000 Mitgliedern in den achtziger Jahren auf gegenwärtig unter 4.500 Parteiangehörige abzulesen ist. Aufgrund des hohen Durchschnittsalters der Mitglieder wird sich diese Entwicklung der DKP fortsetzen. Deutlich wird die Orientierungskrise auch daran, dass die bereits im Juni 2000 beschlossene Erarbeitung eines neuen Parteiprogramms62 noch immer 62 Das gültige Programm wurde 1978 verabschiedet. Linksextremismus 109 nicht abgeschlossen ist. Am 12./13. Februar fand in Duisburg der 17. Bundesparteitag statt, der aufgrund programmatischer Differenzen nicht fristgerecht im Jahr 2004 abgehalten werden konnte. Der Parteitag machte deutlich, dass die innerparteilichen Richtungskämpfe zwischen Reformern und Anhängern eines orthodoxen Kurses die derzeitige Erarbeitung eines neuen Parteiprogramms weiterhin lähmen. In der Parteizeitung der DKP, Unsere Zeit (UZ), wird der programmatische Richtungsstreit beschönigend dargestellt: "Wer von diesem 17. Parteitag der DKP einen Eklat, PutschVersuche oder destruktiven Streit erhofft oder befürchtet hat, musste im Verlauf der zweitägigen Debatten zur Kenntnis nehmen: Diese kleine DKP ist nicht nur nah dran an den aktuellen Kämpfen und Problemen unserer Zeit, sondern bei allen Irritationen auch in der Lage, souverän mit unübersehbaren Meinungsverschiedenheiten umzugehen." (UZ Nr. 7, vom 18.02.2005, S. 1) Entgegen dieser Darstellung zeigten sich insbesondere bei der Wahl des Parteivorstandes offenkundige parteiinterne Probleme. So bestätigten die Delegierten zwar Heinz STEHR als Vorsitzenden sowie seine Stellvertreter Rolf PRIEMER und Nina HAGER in ihren Ämtern, jedoch mit einer für kommunistische Parteien ungewöhnlich niedrigen Zustimmungsquote zwischen 60 und 80 %. In den 37-köpfigen Parteivorstand wurden vier Vertreter aus Niedersachsen gewählt, darunter die beiden Landesvorstandsmitglieder Yrida BERGER und Detlef FRICKE. Konkrete Beschlüsse hat der Parteitag nicht hervorgebracht, was auch die Berichterstattung im Parteiorgan UZ vom 18. Februar zeigt: "Emotionale und politische Höhepunkte des Parteitages waren die Grußworte." Vielmehr beschlossen die Delegierten, einen Entwurf des neuen Parteiprogramms bis zur Fortsetzung des Parteitages Anfang 2006 in der Partei zu diskutieren. Als Beilage zur UZ Nr.13 vom 1. April wurde eine zwölfseitige "Diskussionsgrundlage des Parteiprogramms der DKP" veröffentlicht. Bereits in der Präambel wird die marxistischleninistische Ausrichtung der DKP und ihre systemüberwindende Zielsetzung deutlich: "Notwendig ist der revolutionäre Bruch mit den kapitalistischen Machtund Eigentumsverhältnissen, die Überwindung des Kapitalismus durch eine Gesellschaft, die auf Gemeineigentum an den wichtigsten Produktionsmitteln und die politische Macht des arbeitenden Volkes gründet. Diese 110 Linksextremismus Gesellschaft ist der Sozialismus." Darüber hinaus zeigt der Entwurf in zahlreichen Passagen einen engen ideologischen Bezug der DKP zum Staatsund Gesellschaftssystem der DDR, "jenes Staates, in dem 40 Jahre lang die Macht der Konzerne und Banken beseitigt war ... und der als antifaschistischer deutscher Staat in Erinnerung bleiben wird". Diese orthodoxe Orientierung des Programmentwurfs dürfte bei den reformorientierten Kräften keine Akzeptanz erfahren und für weitere Kontroversen sorgen. Allerdings zeigt der Entwurf auch reformorientierte Züge. So orientiert sich die DKP zwar weiterhin in erster Linie am Marxismus-Leninismus, will sich dem Programmentwurf zufolge jedoch erstmals auch anderen Strömungen öffnen, um den von ihr angestrebten Sozialismus zu erreichen: "Die DKP geht davon aus, dass der Sozialismus das gemeinsame Werk von Menschen unterschiedlicher Herkunft sein wird, die das Ziel einer von der Herrschaft des kapitalistischen Profitprinzips befreiten Gesellschaft verbindet, deren weltanschauliche und politische Zugänge zu diesem Ziel sich jedoch unterscheiden. Unverzichtbar ... ist der wissenschaftliche Sozialismus, die Theorie von Marx, Engels und Lenin. Andere Zugänge können aus religiösen oder allgemein humanistischen Überzeugungen, aus feministischen, pazifistischen, aus antirassistischen oder ökologischen Motiven erwachsen." Die vorgezogene Wahl zum 16. Deutschen Bundestag belebte in der DKP die Diskussion über Bündnisse mit anderen "linksgerichteten" Parteien. Während die DKP bisher eher die ideologischen Diskrepanzen zur PDS thematisiert hatte, unterstützte sie nun das Wahlbündnis von Linkspartei.PDS und WASG. Vermutlich auch aus organisatorischen Gründen verzichtete die DKP auf die Aufstellung eigener Landeswahllisten und ließ stattdessen in neun Bundesländern elf DKPMitglieder auf Wahllisten der Linkspartei.PDS kandidieren; diese errangen jedoch kein Mandat. In der UZ Nr. 38 vom 23.09.2005 begrüßte die DKP den Einzug der Linkspartei.PDS in den Bundestag und sah darin auch einen Erfolg für sich. Die DKP praktiziert weiterhin eine enge Zusammenarbeit mit der ideologisch gleich gerichteten Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend (SDAJ), die zwar formell ungebunden ist, von der DKP aber dennoch als parteieigene Jugendorganisation betrachtet wird. Die wie die DKP seit 1968 beste- Linksextremismus 111 hende SDAJ versteht sich als Interessenvertreterin der "arbeitenden und lernenden Jugend". Ihre Aktivitäten richten sich schwerpunktmäßig auf die Bekämpfung eines angeblichen deutschen Militarismus und gegen den Aufbau einer EU-Armee. Der Bundesvorstand der SDAJ machte in einer Presseerklärung zum 8. Mai deutlich, dass mit dem bestehenden politischen System eine endgültige Befreiung vom Faschismus noch nicht abschließend vollzogen worden sei. Darüber hinaus kritisierte sie insbesondere den "imperialistischen deutschen Militarismus": "Die Bundeswehr wird zur Aufrechterhaltung des freien Zugangs zu Rohstoffen und Absatzmärkten für die deutschen Großkonzerne in aller Welt eingesetzt. Kriegseinsätze und Aufrüstung sollen mit der EU-Verfassung zur Normalität werden..." (UZ Nr. 18, vom 06.05.2005, S. 7) Wohl aufgrund der augenfälligen Überalterung der Partei hat der niedersächsische Landesverband der DKP beschlossen, die Jugendpolitik durch regelmäßige Treffen mit dem SDAJ-Landesvorstand in den Vordergrund zu rücken. Ebenfalls zur Nachwuchsgewinnung nutzt die DKP die ihr nahe stehende Assoziation Marxistischer StudentInnen (AMS), die sich selbst als die einzige bundesweite marxistische Studentenorganisation sieht. Auf ihrem Bundestreffen vom 8. bis 9. Oktober in Düsseldorf befasste sich die AMS schwerpunktmäßig mit der Mobilisierung des Widerstandspotenzials gegen die Einführung von Studiengebühren und für den "proletarischen Internationalismus". "Proletarischer Internationalismus ist am Wirksamsten, wenn er konkret begreifbar und erlebbar wird. Die AMS wird in diesem Sinne an den Hochschulen ... wirken. Nieder mit dem Kapitalismus, nieder mit dem Imperialismus! Es lebe der Sozialismus, es lebe die Freiheit!" (Internetseite der AMS, Ausdruck vom 09.10.2005) In Niedersachsen bestehen AMS-Gruppen an den Hochschulen in Hannover, Göttingen, Oldenburg und Osnabrück. 112 Linksextremismus Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) Vorsitzender: Stefan ENGEL Sitz: Gelsenkirchen Mitglieder 2004 2005 Bund: 2.000 2.300 Niedersachsen: 25 25 Publikationen: Rote Fahne (wöchentlich, Auflage etwa 7.500) Der Revolutionäre Weg Die 1982 aus dem Kommunistischen Arbeiterbund hervorgegangene MLPD orientiert sich nach wie vor an den von ihr fundamentalistisch interpretierten Theorien von Marx, Engels, Lenin, Mao Tsetung und Stalin. Abweichungen von der Reinheit dieser Lehren werden als Verrat am Sozialismus bekämpft. Als Verrat betrachtet die MLPD die vom sowjetischen Parteichef Nikita Chruschtschow 1956 zur Überwindung der schlimmsten Auswüchse des Stalinismus eingeleitete "Tauwetterpolitik" und den so genannten real existierenden Sozialismus der DDR. In den organisationspolitischen Grundsätzen der MLPD64 wird das Ziel der Partei deutlich, das bestehende politische System der Bundesrepublik Deutschland zu überwinden und durch ein kommunistisches zu ersetzen: "Die MLPD versteht sich als politische Vorhutorganisation der Arbeiterklasse in Deutschland. Ihr grundlegendes Ziel ist der revolutionäre Sturz der Diktatur des Monokapitals und die Errichtung der Diktatur des Proletariats für den Aufbau des Sozialismus als Übergangsstadium zur klassenlosen kommunistischen Gesellschaft." Diese Zielsetzung findet sich auch im gültigen Parteiprogramm vom Januar 2000. Darin heißt es im Kapitel "Der Sozialismus als gesellschaftliches Ziel": 64 Zentralkomitee der MLPD (Hrsg.): Statut der MLPD, Stuttgart, [August] 1982 Linksextremismus 113 "Die Arbeiterklasse muss nach dem Sturz der Diktatur der Monokapitalisten und der Eroberung der Staatsmacht die Diktatur des Proletariats errichten und die Produktionsmittel in gemeinsames Eigentum des gesamten werktätigen Volkes überführen." Das utopische Ziel einer klassenlosen Gesellschaft ohne Staat ist mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, die insbesondere politischen Minderheiten Grundrechte gewährleistet, nicht vereinbar. Auf der Grundlage dieser utopischen Konzeption strebt die MLPD nach Masseneinfluss. Bei ihrem Anliegen, ihre Ideologie in der Bevölkerung, insbesondere der "Arbeiterklasse" zu verbreiten, stützt sich die MLPD in erster Linie auf ein umfangreiches Publikationswesen mit Zeitschriften, Broschüren, Flugblättern etc. Die wichtigste Publikation ist die Rote Fahne, von der die MLPD wöchentlich ca. 7.500 Exemplare verbreitet. Wenngleich die von der MLPD beeinflussten Demonstrationen der Montagsdemo-Bewegung ("Weg mit Hartz IV - das Volk sind wir!") 2005 erheblich an Bedeutung verloren, führte sie weiterhin Protestaktionen in Hannover und Wilhelmshaven durch. Weitere Aktionsschwerpunkte der Partei waren die Gründung einer Wählerinitiative zur Unterstützung der Kandidatur der MLPD / offene Liste anlässlich der vorgezogenen Bundestagswahl. In Niedersachsen verfügt die MLPD über Aktivisten in Braunschweig, Hannover und Wilhelmshaven. Um auch die "Jugend der Arbeiterklasse" für den Kampf für den Sozialismus zu gewinnen, unterhält die Partei die 1992 aus den Vorläuferorganisationen Arbeiterjugendverband/Marxisten-Leninisten und Marxistisch-Leninistischer Schülerund Studentenverband hervorgegangene Jugendorganisation REBELL. Neben dem Jugendverband REBELL und dessen Kinderorganisation ROTFÜCHSE verfügt die MLPD mit dem Frauenverband COURAGE und der auf Internationalismusarbeit ausgerichteten Solidarität International (SI) über weitere Vorfeldorganisationen. Ungeachtet ihrer Bemühungen, Einfluss zu gewinnen, verharrt die MLPD in einer randständigen Situation. Das zeigte auch das Ergebnis bei der Bundestagswahl im September, bei der sie nur 0,1 % der Stimmen erhielt. 114 Linksextremismus Freie Arbeiterinnenund Arbeiter-Union / Internationale ArbeiterInnen Assoziation (FAU/IAA) Die 1977 gegründete FAU/IAA versteht sich als eine Gewerkschaft, die sich im "weltweiten Kampf der Anarchosyndikalisten65" der Internationalen ArbeiterInnen Assoziation mit Sitz in Spanien angeschlossen hat. Ihr unmittelbares Ziel ist der Aufbau revolutionärer Gewerkschaften und militanter Betriebsgruppen. Dazu agiert sie in Form so genannter direkter Aktionen wie z. B. Fabrikbesetzungen, Sabotage und Streiks. Ihre anarchistische Ausrichtung veranschaulicht die FAU in jeder Ausgabe ihrer in Hannover herausgegebenen Zeitung Direkte Aktion, die zweimonatlich bundesweit in einer Auflagenhöhe von etwa 6.000 Exemplaren erscheint: "Wir Anarcho-SyndikalistInnen haben die herrschaftslose, ausbeutungsfreie, auf Selbstverwaltung begründete Gesellschaft als Ziel. Daher lehnen wir die Organisation unserer Interessen in zentralistisch aufgebauten Organisationen ab, da diese stets Machtkonzentration und Hierarchie bedeuten. Weder soll, noch kann mensch mit StellvertreterInnen-Politik, wie sie z. B. von reformistischen Gewerkschaften, Parteien und Kirchen betrieben wird, unsere Interessen durchsetzen." Gegenwärtig existieren bundesweit ca. 40 Ortsund so genannte Branchengruppen, die sich einmal jährlich zu einem Kongress treffen, um Fragen der Gesamtorganisation zu diskutieren. Wichtige Entscheidungen treffen die Mitglieder durch Urabstimmungen. Da die FAU hierarchische Strukturen ablehnt, hat sie keine hauptamtlichen Funktionäre. In Niedersachsen bestehen Ortsgruppen in Hannover und Osnabrück sowie eine Kontaktadresse in Göttingen. Im Jahr 2005 hat sich die FAU schwerpunktmäßig mit den Folgen der Einführung der "Hartz IV-Gesetze" auseinander gesetzt. So beteiligte sie sich im Rahmen der "Aktion Agenturschluss" am 3. Januar mit Redebeiträgen in Hannover und Osnabrück an den Protesten vor den Arbeitsagenturen. Am 22. April initiierte das Bildungssyndikat66 der FAU medi65 Unter Anarchosyndikalismus versteht man eine gewerkschaftliche Organisierung, die auf anarchistischen Prinzipien beruht. Ziel ist es, das bestehende Staatssystem revolutionär zu überwinden und durch ein klassenund staatenloses System zu ersetzen. 66 Bei den Bildungssyndikaten der FAU handelt es sich um eine Branchengruppe, in der sich "Lernende, Lehrende und Erwerbstätige im Bildungssektor" mit den Grundsätzen der FAU im Bereich der staatlichen Bildung auseinander setzen. Linksextremismus 115 enwirksam eine friedlich verlaufene Besetzung der Osnabrücker Geschäftsstelle der CDU, um gegen die Einführung von Studiengebühren zu protestieren. Die Aktion stand unter dem Motto: "Freie Bildung für alle Menschen ohne abschreckende und diskriminierende Studiengebühren!". Bei diesen Aktionen gelang es der FAU weder, den gleich gelagerten Protest des demokratischen Spektrums zu unterwandern, noch ihre linksextremistischen Botschaften in die Öffentlichkeit zu transportieren. Anlässlich der Bundestagswahl veröffentlichte die FAU im Internet einen Beitrag mit dem Titel "Maul halten und wählen - Wer seine Stimme abgibt, der hat bereits verloren", in dem sie die Ablehnung der parlamentarischen Demokratie in plakativer Weise zum Ausdruck bringt: "Wir kämpfen für einen freiheitlichen Sozialismus - wir organisieren uns von unten! Deshalb kämpfen wir nicht als Politiker/innen, sondern als Gewerkschafter/innen in unabhängigen, selbstorganisierten Klassenkampf-Gewerkschaften für unser Recht auf Widerstand, Würde und Gerechtigkeit ... Es gibt ... genügend Gründe, diesem System die kalte Schulter zu zeigen und sich auf wichtigere Dinge im Leben zu konzentrieren als gerade auf's Wählen. Klassenkampf macht mehr Spaß!" (Internetseite der FAU, September 2005) Linksruck Linksruck ist mit rund 3.000 Mitgliedern die einflussreichste und aktivste von ca. 20 trotzkistischen Gruppen und Zirkeln in der Bundesrepublik Deutschland. Trotzkismus ist eine marxistische Strömung, die nach dem russischen Kommunisten Leo Davidowitsch Bronstein, genannt Trotzki (1879-1940), benannt wurde. Endziel der trotzkistischen Lehre ist die Errichtung einer kommunistischen Gesellschaftsordnung. Die "Zerschlagung des bürgerlichen Staatsapparates" und die Errichtung der "Diktatur des Proletariats" sind unabdingbare Voraussetzungen für den Aufbau des Sozialismus. Der Trotzkismus weicht vom orthodoxen Marxismus-Leninismus vor allem hinsichtlich der Revolutionstheorie und der Parteilehre ab. Wesentlicher Bestandteil des Trotzkismus ist die Theorie der "Permanenten Revolution", d. h. die sozialistische Revolution wird als permanenter Prozess unter Führung von Arbeiterund Fabrikräten verstanden. Diese Theorie zeichnete 116 Linksextremismus sich im Gegensatz zu Stalins Modell der Errichtung des "Sozialismus in einem Land" durch einen ausgeprägt internationalistischen Ansatz aus. Eine einmal begonnene Revolution müsse beständig auf nationalem und internationalem Gebiet bis zum weltweiten Sieg der Arbeiterklasse fortgesetzt werden. Diese Ideologie liegt der Forderung von Linksruck zugrunde, internationalistische Arbeiterkämpfe in aller Welt zu unterstützen: "Das Scheitern der russischen Revolution mit der Machtübernahme Stalins hat ebenfalls bewiesen, dass eine sozialistische Revolution nicht isoliert in einem Land erfolgreich sein kann. Der Kapitalismus ist ein internationales System, das nur international besiegt werden kann. Der Kampf findet darum nicht zwischen Ländergrenzen, sondern zwischen Klassengrenzen statt. Darum unterstützen wir als Internationalisten Arbeiterkämpfe in aller Welt ebenso wie Bewegungen zur nationalen Befreiung unterdrückter Völker." (Politische Grundsätze von Linksruck, veröffentlicht auf der Internetseite von Linksruck am 31.10.2005) Linksruck strebt den Aufbau einer revolutionär-kommunistischen Partei an, die unter Führung von "Arbeiterräten" auf eine von der "Arbeiterklasse" getragene Revolution hinarbeiten soll. Ihre verfassungsfeindlichen Bestrebungen verdeutlicht Linksruck in fast jeder Ausgabe ihrer zweiwöchentlich erscheinenden gleichnamigen Zeitung. So heißt es: "Wir glauben, dass der Kapitalismus nicht verbessert werden kann, sondern durch eine sozialistische Revolution gestürzt werden muss." Mit der Ablehnung der parlamentarischen und rechtsstaatlichen Demokratie verstößt die Agitation von Linksruck gegen maßgebliche Grundsätze der freiheitlichen demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland. Trotz der Ablehnung der parlamentarischen Demokratie unterstützte Linksruck die Bemühungen, eine neue Linkspartei zu bilden. In der 2005 gegründeten nichtextremistischen Partei Arbeit & soziale Gerechtigkeit - Die Wahlalternative (WASG) glaubt Linksruck, ein geeignetes Operationsfeld für die Verbreitung ihrer politischen Ziele gefunden zu haben. Hierbei handelt es sich um die für trotzkistische Bewegungen charakteristische Taktik des "Entrismus", der unerkannten Infiltration von demokratischen Parteien und Organisationen mit dem Ziel, diese von innen auszuhöhlen und zu desorganisieren. Linksextremismus 117 Nach der Annäherung an das Bündnis von WASG und Linkspartei.PDS zeichnete sich für Linksruck jedoch nicht die erhoffte Einflussnahme ab - wenngleich die Gruppierung in ihrer Internetseite den Eindruck vermittelt, sie sei bereits Teil dieses Bündnisses. Den Schwerpunkt ihrer Aktivitäten legte die taktisch flexible Gruppierung im Jahr 2005 wie im Vorjahr auf den Kampf gegen "Sozialabbau". Darüber hinaus beteiligte sie sich an demokratischen Protesten gegen die Einführung von Studiengebühren. In Niedersachsen bildet Hannover den Aktionsschwerpunkt der landesweit ca. 40 Mitglieder zählenden Gruppierung. Rote Hilfe e. V. (RH) Bundesgeschäftsstelle: Göttingen Mitglieder 2004 2005 Bund: 4.600 4.600 Niedersachsen: 600 600 Publikation: Die Rote Hilfe (vierteljährlich, Auflage 5.000) Der Ursprung der RH geht auf die in der Weimarer Republik gegründete und von der KPD dominierte Rote Hilfe Deutschland (RHD) zurück, der bis zu eine Million Mitglieder angehörten. Nach der Zerschlagung der Organisation durch die Nationalsozialisten wurde die RHD von der linksextremistischen Kommunistischen Partei Deutschlands/MarxistenLeninisten (KPD/ML) 1975 wieder gegründet. Sie entwickelte sich von einem kommunistisch geleiteten Verband zu einer nach eigenen Angaben "parteiunabhängigen, strömungsübergreifenden Schutzund Solidaritätsorganisation". Ihre Hauptaufgabe sieht die RH im Kampf gegen "staatliche Repression", indem sie Rechtshilfe gewährt, Szeneangehörigen Anwälte vermittelt, Beihilfe zu Prozesskosten und Geldstrafen leistet und im Falle der Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe die so genannten politischen Gefangenen betreut, um den Zusammenhalt der Häftlinge mit der linksextremistischen Szene zu bewahren. Die RH versteht sich nicht als karitative Rechtsschutzversicherung. Ihrer Selbstdarstellung zufolge soll jede einzelne Unterstützung vielmehr 118 Linksextremismus ein Beitrag zur Stärkung der "linken" Bewegung darstellen. Strafandrohungen sollen im Vertrauen auf eine leistungsfähige Solidaritätsorganisation ihren abschreckenden Charakter verlieren. Sie stellt staatlicher Verfolgung "Solidarität" entgegen. In einem Faltblatt fordert sie: "Wir müssen der durch Repression verursachten Vereinzelung unsere Solidarität entgegensetzen." Die Mitglieder der Roten Hilfe, die sich aus dem gesamten linksextremistischen Spektrum rekrutieren, entscheiden über Grundsätze und Schwerpunkte der Tätigkeit der Roten Hilfe durch eine von ihnen gewählte Bundesdelegiertenversammlung. Die Organisation finanziert sich durch Mitgliedsbeiträge und themenspezifische Spendenaktionen, so verwaltet z. B. die Göttinger Ortsgruppe ein "Castor-Konto". Darüber hinaus unterhält die RH weitere Spendenkonten für von staatlichen Sanktionen betroffene Antifaschisten. Die seit 1986 als eingetragener Verein fungierende Organisation ist in einen Bundesvorstand, selbstständige Ortsgruppen sowie Kontaktstellen gegliedert. Niedersächsische Ortsgruppen existieren in Braunschweig, Göttingen, Hameln, Hannover und Osnabrück. In Göttingen sind die Bundesgeschäftsstelle und die Redaktion der Vereinszeitschrift Die Rote Hilfe ansässig. Ebenfalls in Göttingen ansässig ist das Rote Hilfe e. V. Archiv. Dieses steht nun dem am 18. Februar gegründeten Hans-Litten-Archiv-Verein zur Errichtung und Förderung eines Archivs der Solidaritätsorganisationen der Arbeiterund Arbeiterinnenbewegung und der sozialen Bewegungen (Rote-Hilfe-Archiv) e. V. als Leihgabe und Grundlage für seine zukünftige Tätigkeit zur Verfügung. Der im Internet veröffentlichten Gründungserklärung zufolge will sich der neue Verein insbesondere mit der Verfolgungsgeschichte während des NS-Regimes befassen. Forschungsschwerpunkt soll die Aufarbeitung des antifaschistischen Widerstandes durch die Rote Hilfe sein. Neben dem Archiv, welches Mitgliedern und der interessierten Öffentlichkeit zur Verfügung steht, kommt dem bundesweit erscheinenden Publikationsorgan, der Mitgliederzeitschrift Die Rote Hilfe eine besondere Bedeutung zu. Die Zeitschrift berichtet über den Stand von Strafverfahren und schildert Fälle, in denen Beschuldigte bei Strafverfahren Unterstützung von der RH erhalten haben. In den ersten drei Ausgaben des Jahres 2005 wurden 119 Fälle mit Unterstützungsleistungen in Höhe von insgesamt etwa 50.000 Euro aufgeführt. Sonstige politische Schriften und Rechtshilfebroschüren werden über einen Literaturvertrieb in Kiel veröffentlicht. Linksextremismus 119 Am 18. März initiierte die RH gemeinsam mit der linksextremistischen, antiimperialistisch ausgerichteten Initiative Libertad!67 den traditionellen bundesweiten Aktionstag "Freiheit für alle politischen Gefangenen". So führte die RH-Ortsgruppe Osnabrück einen Filmabend sowie eine Informationsveranstaltung zu dem Aktionstag durch. Die RHOrtsgruppe Göttingen veranstaltete zusammen mit der Antifaschistischen Linken International (A.L.I.) am 19. März ein Konzert, dessen Erlös einem Antifaschisten zu Gute kommen sollte, der wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz vor Gericht stand. Der Aktionstag blieb jedoch auch in diesem Jahr ohne größere Resonanz. Neben ihren Unterstützungsleistungen stellt die RH so genannte Ermittlungsausschüsse (EA) zu besonderen Veranstaltungen bereit. Ihre Aufgabe wurde beispielsweise anlässlich der Demonstration der NPD in Göttingen am 29. Oktober beschrieben. So sollte der Ermittlungsausschuss "vor, während und nach den Aktionen gegen den Naziaufmarsch am 29. Oktober nach Festgenommenen, In-Gewahrsam-Genommenen und Verschwundenen forschen und sich um AnwältInnen kümmern". (Internetseite der A.L.I.) Solidaritätsbekundungen des Bundesvorstandes galten 2005 wie im Vorjahr einem Rote Hilfe-Aktivisten, der wegen linksextremistischer Bestrebungen nicht nur in Baden-Württemberg, sondern auch in Hessen nicht als Lehrer in den Landesdienst übernommen wird. Die RH warf dem Verfassungsschutz vor, Informationen über den Betroffenen aus "dubiosen Quellen" erlangt zu haben. Sie erklärte hierzu in einer im Internet veröffentlichten Erklärung vom 6. September: "Die VS-Aktivitäten dienen dazu, politische Zusammenhänge auszuforschen, Psychound Soziogramme der politisch aktiven Menschen zu erstellen, Misstrauen untereinander zu säen und einzelne politisch zu isolieren." Darüber hinaus bekundete die RH ihre Solidarität mit dem wegen Nötigung verurteilten EDV-Administrator der Internetseite der linksextremistischen Initiative Libertad!, der im 66 Libertad! wurde 1992 aus Anlass der Proteste gegen den Weltwirtschaftsgipfel in München gegründet. Es handelt sich um eine aus mehreren Ortsgruppen bestehende bundesweite Initiative von Angehörigen der autonomen/antiimperialistischen Szene. Schwerpunkte der Arbeit der Initiative sind der Kampf gegen staatliche "Repression" und die Solidarität mit den "politischen Gefangenen" weltweit. 120 Linksextremismus Juni 2001 als "Online-Demonstration" Aufrufe auf einer Internetseite gegen den Lufthansa-Konzern initiiert hatte68, an der auch niedersächsische Gruppen beteiligt waren. Am 10. Juni erklärte die Ortsgruppe Darmstadt auf ihrer Internetseite: "Denn um unseren Kampf gegen die kapitalistische Ordnung, gegen Imperialismus, gegen Faschismus und gegen Rassismus, unsere Vorstellungen von einem Leben in Würde und frei von Herrschaft, unsere Inhalte weiterhin offensiv darzustellen und zu einem wahrnehmbaren Faktor in gesellschaftlichen Auseinandersetzungen zu machen, müssen wir auch über neue Formen des Widerstands diskutieren und diese für uns nutzbar machen - nicht nur auf der Straße, sondern auch im Internet." (Internetausdruck vom 11.07.2005) Nach dem Betätigungsverbot für die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) gründeten die RH und die Föderation der kurdischen Vereine in Deutschland (YEK-KOM) 1996 gemeinsam den Rechtshilfefonds AZADI. Er unterstützt als eingetragener Verein nach den gleichen Prinzipien wie die RH Kurdinnen und Kurden, die in Deutschland wegen ihrer verbotenen politischen Betätigung mit Strafverfolgung bedroht sind, in Ermittlungsverfahren, vor Gericht und im Gefängnis. 68 Der Angehörige der Initiative Libertad! hatte u. a. auf der Internetseite der Gruppierung zum Protest aufgerufen: "Wenn Konzerne, die mit Abschiebungen Geld verdienen, ihre größten Filialen im Netz aufbauen, dann muss man auch genau dort demonstrieren". Linksextremismus 121 Antirevisionistische Publikationen69 RotFuchs Der RotFuchs - Tribüne für Kommunisten und Sozialisten in Deutschland wurde im Februar 1998 von der DKP-Gruppe Berlin-Nordost als politisch theoretische Monatsschrift mit marxistisch-leninistischem Profil gegründet. Die Zeitschrift kritisierte die "reformistische" Entwicklung der DKP und entwickelte sich zu einer Konkurrenz für die DKP-Parteizeitung Unsere Zeit. Nach parteiinternen Streitigkeiten trennte sich die Redaktion im Juni 2001 von der DKP und gründete als "parteiunabhängiges Blatt mit unveränderter Orientierung" am 27.07.2001 den RotFuchs-Förderverein e. V. (RotFuchs e. V.). Nach eigenen Angaben zählt der Förderverein über 800 Mitglieder, die in 15 Regionalgruppen70 organisiert sind, und 14.000 ständige Leser (RotFuchs Nr. 93, vom Oktober 2005, S. 15). Die auch über das Internet abrufbare Zeitschrift wird im Postversand in 27 Ländern verteilt und besitzt auch in Niedersachsen einen erheblichen Verbreitungsgrad. Der sich als revolutionäre Zeitung verstehende RotFuchs lehnt einen "modernen Reformsozialismus" strikt ab. Dieser agiere im Rahmen des bestehenden Systems und sei bereits Teil des Kapitalismus. Seine Wortführer seien unwiderruflich in der "imperialistischen BRD" angekommen und bezeichneten die Wiedervereinigung als "Wende". Tatsächlich habe es sich um einen "Sieg der Konterrevolution" gehandelt. Zum Ziel seiner Vorstellungen von Sozialismus führt der Chefredakteur des RotFuchs, Klaus STEINIGER71, wie folgt aus: "Der Sozialismus, für den wir kämpfen und dem das Grundgesetz einen legalen Weg offenläßt, beruht in erster Linie 69 Für (sektiererische) Anhänger der politischen Ideologie des Kommunismus, insbesondere des Marxismus-Leninismus bezeichnet der Begriff Revisionismus die Abkehr bzw. den Verrat an den ideologischen Grundlagen (z.B. das "Lobhudeln gegenüber der bürgerlichen Demokratie" sowie das Abrücken von der materialistischen Weltanschauung, der "Klassenfrage" oder der Imperialismustheorie). In diesem begrifflichen Zusammenhang grenzen sich "Antirevisionisten" heute von der DKP bzw. insbesondere der Linkspartei. PDS ab, denen sie Abkehr vom "wissenschaftlichen Sozialismus" bzw. einen Reformkurs unterstellen. 70 Berlin, Chemnitz/Zwickau, Dresden, Freiberg, Halle, Hamburg, Leipzig, Magdeburg, Neubrandenburg, Rostock, Schwerin, Strausberg, Teterow, Thüringen, Uckermark 71 Klaus STEINIGER, geboren 1932 in Berlin, war Staatsanwalt, Bürgermeister, Fernsehjournalist und im Außenministerium der DDR tätig, von 1967 bis 1991 war er Redakteur und Auslandskorrespondent beim Neuen Deutschland. Seit 1998 ist er Chefredakteur der Zeitschrift RotFuchs. 122 Linksextremismus auf der Entscheidung der Machtund der Eigentumsfrage zugunsten der Werktätigen. Er setzt die gesellschafts-umwälzende Überwindung des Kapitalismus und die Aufhebung der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen voraus ... Uns Kommunisten und Sozialisten geht es nicht um das Stück Brot, wir wollen den ganzen Laib, um mit Brecht zu sprechen. Es geht uns um einen zutiefst revolutionären Prozeß gesellschaftlicher Umgestaltung." (RotFuchs Nr. 91, vom August 2005, S. 1) Die Monatsschrift RotFuchs hält unbeirrt an ihrer DDR-Nostalgie fest und propagiert die vermeintlichen Erfolge des politischen Systems der DDR. In diesem Zusammenhang kritisiert sie den gesellschaftlichen Werteverfall durch die "systemimmanente Rücksichtslosigkeit" in der "bundesdeutschkapitalistischen Wirklichkeit" vor allem für die "orientierungslose" Jugend: "Es ist für uns Ältere, die wir DDR-erfahren sind, eine aus unserem Lebenswerk resultierende Verpflichtung, der jüngeren Generation bei ihrer Suche nach neuen, "alten" Werten zu helfen. Indem wir ihr mitteilen, was die systemkonformen Medien geflissentlich verschweigen: Wie es wirklich war in der DDR - und warum in diesem sozialistischen deutschen Staat junge Leute frei waren von jenen existentiellen Sorgen, die nunmehr auf denen lasten, die in diesem System leben, dessen Charakteristikum Egoismus ist." (RotFuchs Nr. 93, vom Oktober 2005, S. 3) Anlässlich der Bundestagswahlen im September äußert sich der RotFuchs in abfälliger Weise über Vertreter des politischen Systems. Er wirft den "etablierten" Parteien vor, sich einen "linken Anstrich" zu geben, um bei den Wählern nicht den Eindruck unsozialer Härten aufkommen zu lassen: "Fehlte eigentlich nur, daß sich auch die Mehrwert-KanzlerKandidatin Angela Merkel wenigstens als Halblinke outet ... In einer Zeit, in der sich alles linker Schminke bedient, kommt es für Marxisten darauf an, ihr ideologisches Pulver trocken zu halten, um nicht in den Sog falscher Linkstümelei zu geraten." (RotFuchs Nr. 92, vom September 2005, S. 1) Linksextremismus 123 offen-siv - Zeitschrift für Sozialismus und Frieden In ideologischer Nähe zur Zeitschrift RotFuchs hält auch die in Hannover erscheinende offen-siv - Zeitschrift für Sozialismus und Frieden weiterhin an dem DDR-System und seinem politisch-ideologischen Erbe fest. Die Publikation versteht sich als ein kommunistisches Blatt, das sich auf der Grundlage der Theorie von Marx, Engels und Lenin bewegt. Mit ihrer Auflage von 600 bis 900 Exemplaren pro Ausgabe erscheint sie bis zu zwölfmal jährlich und erreicht nach eigenen Angaben etwa 1.500 Leser. Bis November 2002 erschien die offensiv in der Herausgeberschaft der Kommunistischen Plattform der bisherigen PDS Hannover. Die in Hannover ansässige Redaktion gründete im Januar 2003 als Trägerverein den Verein zur Förderung demokratischer Publizistik e. V. In einem Aufsatz über den Charakter aktueller Protestbewegungen wird den "Montagsdemonstrationen", der so genannten globalisierungskritischen Bewegung, "linken Gewerkschaftsnetzwerken" sowie der WASG vorgeworfen, führungsunfähig im Hinblick auf die Interessen und langfristigen Perspektiven der Arbeiterklasse zu sein. Diese Interessen würden vielmehr am besten durch Kommunisten vertreten: "Der Kampf um Sozialismus muss sich dabei mehr denn je als ein Kampf 'um's Teewasser72 bewähren, bei denen Kommunisten als die aktivsten, fortgeschrittensten, und glaubwürdigsten Interessenvertreter der Arbeiterklasse auftreten - auch wenn (noch) nicht in einer gemeinsamen kommunistischen Partei organisiert ... Dieser Kampf bedarf einer kommunistischen Avantgarde, die die Interessen der Arbeiterklasse am konsequentesten zu vertreten weiß und die gesellschaftliche Perspektive der Bezwingung des Kapitals zugunsten einer sozialistischen Produktionsweise aufzeigen kann. (offen-siv, Ausgabe Januar/Februar 2005, S. 17) offen-siv ist nach wie vor von der Fortschrittlichkeit des Sozialismus in der ehemaligen Sowjetunion überzeugt. Für dessen Niedergang seien daher nicht das Modell selbst, sondern die weltpolitischen Rahmenbedingungen verantwortlich: "Umringt von den durch permanente Hochrüstung immer bedrohlicher werdenden imperialistischen Mächten unter Führung der USA war die Politik der sozialistischen Länder 72 Zitat nach Berthold Brecht; offen-siv meint damit konkrete Veränderungen der Lebensverhältnisse im sozialistischen Sinne. 124 Linksextremismus vordringlich auf die Erhaltung des Friedens und die Stärkung der Friedenskräfte ausgerichtet. Das bedeutete auf allen Ebenen die Herstellung breiter Bündnisse über die Klassenfronten hinweg, unter Zurückstellung revolutionärer Ziele der kommunistischen Parteien." (offen-siv, Ausgabe März/April 2005, S. 49) Daran anknüpfend entwickelt der Autor Hans Heinz HOLZ eine Strategie der kommunistischen Bewegung in der heutigen Zeit. Aus seiner Sicht wird die heutige defensive Haltung der kommunistischen Parteien in Europa, d. h. die Verteidigung der in letzten Jahren erreichten Reformen zur Verbesserung der Lage der Arbeiterklasse, "der offensiven Ausbeutungsstrategie der herrschenden Klasse immer unterlegen sein": "Nur im Angriff auf die Wesensverfassung des Kapitals können die Ziele formuliert werden, die in einem langen und opferreichen Kampf mehr und mehr die Massen ergreifen und in Bewegung versetzen." (offen-siv, Ausgabe März/April 2005, S. 49) Ausländerextremismus 125 AUSLÄNDEREXTREMISMUS Mitglieder-/Anhänger-Potenzial Mitglieder-/Anhänger-Potenzial 2004 2005 extrem. Ausländerorganisationen73 Bundesrepublik Deutschland Islamistisch-extremistische Gruppen74 31.800 32.100 Extrem-nationalistische Gruppen 8.430 8.430 Linksextremistische Gruppen 17.290 16.890 Summe 57.520 57.420 Niedersachsen 2004 2005 Islamistisch-extremistische Gruppen 3.120 3.145 Extrem-nationalistische Gruppen 600 600 Linksextremistische Gruppen 2.010 1.910 Summe 5.730 5.655 Politisch motivierte Kriminalität (PMK) mit extremistischem Hintergrund - Ausländer Die Erfassung der Politisch motivierten Kriminalität ist Aufgabe der Polizei. Seit dem Jahr 2001 wird die Politisch motivierte Kriminalität nach dem von der Innenministerkonferenz beschlossenen Kriminalpolizeilichen Meldedienst "Politisch motivierte Kriminalität" (KPMD-PMK) bundeseinheitlich erfasst. Das Straftatenaufkommen innerhalb der politisch motivierten Ausländerkriminalität ging im Jahr 2005 im Vergleich zum Vorjahr von 123 auf 55 Taten um etwa 55% zurück. Im Bereich der extremistisch eingestuften Ausländerkriminalität ist für diesen Zeitraum ein Rückgang um 51 Prozent von 98 Taten im Jahr 2004 auf 48 in 2005 zu verzeichnen. 22 Ermittlungsverfahren resultierten aus einer Durchsuchungsaktion gegen die mit Betätigungsverbot belegte Organisation "Kalifatsstaat". In der Kategorie der "sonstigen extremistischen Straftaten" in diesem Phänomenbereich war ein signifikanter Rückgang (von 109 Fällen im Jahr 2004 auf 48 Taten im Jahr 2005) festzustellen. Die Anzahl der Gewaltdelikte ist mit 4 Taten im Jahr 2005 gegenüber dem Vor73 Die Zahlenangaben sind zum Teil geschätzt und gerundet. Eine dem deutschen Vereinsrecht entsprechende Organisierung ist in diesem Bereich in der Regel nicht gegeben. Daher ist eine exakte Schätzung mit besonderen Schwierigkeiten verbunden, so dass die Angabe zum Mitgliederpotenzial eine Schätzung der aktiven Anhänger einschließt. 74 Nicht alle Mitglieder islamistisch-extremistischer Organisationen verfolgen oder unterstützen extremistische Zielsetzungen. 126 Ausländerextremismus jahr, in dem 15 Gewalttaten verübt wurden, rückläufig. Während im Jahr 2004 8 dieser Delikte als extremistisch eingestuft wurden, erhielten 2005 3 Taten diese Einstufung. Besonders auffällig ist hierbei der Rückgang im Bereich der als extremistisch eingestuften Körperverletzungsdelikte. Statt 6 Straftaten im Jahr 2004 wurde im vergangenen Jahr lediglich eine Tat verzeichnet. ErfassungsPMK davon nicht davon Anteil der bereich extremistisch extremistisch extremistischen Straftaten PMK-Ausländer 55 7 48 87,30% Übersicht über die Gewalttaten und sonstigen Straftaten mit extremistischem Hintergrund aus dem Bereich "Politisch motivierte Ausländerkriminalität" in Niedersachsen75 Gewalttaten: 2004 2005 Tötungsdelikte 0 0 Versuchte Tötungsdelikte 0 0 Körperverletzungen 6 1 Brandstiftungen 0 0 Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion 0 0 Landfriedensbrüche 1 0 Gefährl. Eingriffe in Bahn-, Luft-, Schiffs- 0 0 oder Straßenverkehr Freiheitsberaubung 0 0 Raub 0 0 Erpressung 0 2 Widerstandsdelikte 1 0 insgesamt 8 3 Sonstige Straftaten: Sachbeschädigungen 1 0 Nötigungen/Bedrohungen 4 2 Andere Straftaten 85 43 (davon terroristisch) (0) (3) insgesamt 90 45 Straftaten insgesamt 98 48 75 Die Zahlen basieren auf Angaben des Landeskriminalamtes Niedersachsen (LKA NI). Die Darstellung der Gewalttaten im Ländervergleich weicht von diesen Zahlen geringfügig ab, da das LKA NI eine so genannte lebende Statistik führt. Das heißt, dass Nacherfassungen/Aktualisierungen für Vorjahre vorgenommen werden und der Zahlenbestand insoweit Änderungen unterliegt. Ausländerextremismus 127 Übersicht über die Gewalttaten und sonstigen Straftaten mit extremistischem Hintergrund aus dem Bereich "Politisch motivierte Ausländerkriminalität" in der Bundesrepublik Deutschland76 Gewalttaten: 2004 2005 Tötungsdelikte 4 0 Versuchte Tötungsdelikte 0 0 Körperverletzungen 24 24 Brandstiftungen 0 3 Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion 0 0 Landfriedensbrüche 4 2 Gefährl. Eingriffe in Bahn-, Luft-, Schiffs- 0 4 oder Straßenverkehr Freiheitsberaubung 1 0 Raub 2 1 Erpressung 17 11 Widerstandsdelikte 9 2 Sexualdelikte 0 0 insgesamt 61 47 Sonstige Straftaten: Sachbeschädigungen 31 23 Nötigungen/Bedrohungen 28 20 Andere Straftaten 341 554 insgesamt 400 597 Straftaten insgesamt 461 644 76 Die Zahlen basieren auf Angaben des Bundeskriminalamtes. 128 Ausländerextremismus Gewalttaten mit extremistischem Hintergrund aus dem Bereich "Politisch motivierte Ausländerkriminalität"77 Gewalttaten 2004 2005 Baden-Württemberg 20 6 Bayern 3 3 Berlin 8 7 Brandenburg 0 0 Bremen 6 2 Hamburg 4 5 Hessen 0 3 Mecklenburg-Vorpommern 1 0 Niedersachsen 6 3 Nordrhein-Westfalen 8 14 Rheinland-Pfalz 1 0 Saarland 0 0 Sachsen 3 1 Sachsen-Anhalt 0 3 Schleswig-Holstein 1 0 Thüringen 0 0 Gesamt 61 47 77 Die Zahlen basieren auf Angaben des Bundeskriminalamtes (BKA). Die Darstellung der Gewalttaten in der Tabelle für Niedersachsen weicht von diesen Zahlen geringfügig ab, da das Landeskriminalamt eine so genannte lebende Statistik führt. Das heißt, dass Nacherfassungen/Aktualisierungen für Vorjahre vorgenommen werden und der Zahlenbestand insoweit Änderungen unterliegt. Ausländerextremismus 129 Einführung Die Verfassungsschutzbehörden beobachten politisch bestimmte Aktivitäten von Ausländern nur dann, wenn diese insbesondere - sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung wenden, z. B. eine islamistische Ordnung für Staat und Gesellschaft durchsetzen wollen, - ihre politischen Auseinandersetzungen mit Gewalt auf deutschem Boden austragen und dadurch die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gefährden, - vom Bundesgebiet aus Gewaltaktionen in anderen Staaten durchführen oder vorbereiten und dadurch auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden oder wenn - Bestrebungen verfolgen, die gegen den Gedanken der Völkerverständigung, insbesondere des friedlichen Zusammenlebens der Völker gerichtet sind. Für viele Ausländer ist Deutschland zum Lebensmittelpunkt geworden. Mit dem Stichtag 31.12.200478 waren im Bundesgebiet 6.717.115 Ausländer statistisch erfasst, davon 462.383 in Niedersachsen, die damit 6,9 % der Gesamtbevölkerung dieses Bundeslandes ausmachten. Die größte ausländische Bevölkerungsgruppe in Niedersachsen stellten türkische Staatsangehörige mit 112.483 Personen. Insgesamt liegt der niedersächsische Ausländeranteil deutlich unter dem anderer westdeutscher Bundesländer. Im Jahr 2005 erwarben in Niedersachsen 10.886 Personen durch Einbürgerung die deutsche Staatsbürgerschaft. Damit ist die Zahl der Einbürgerungen im Vergleich zum Vorjahr um 112 (1,0%) zurückgegangen. So setzte sich die seit dem Jahr 2000 beobachtete Entwicklung deutlich abgeschwächt weiter fort. Zwischen 2003 und 2004 nahm die Zahl der Einbürgerungen noch um 5,6% ab. Mit einer Gesamtzahl von 2.897 (26,6%) stellten erneut Personen mit ehemals türkischer Staatsbürgerschaft den größten Anteil an den Einbürgerungen. An vierter Stelle (nach Personen ehemaliger serbisch-montenegrinischer und polnischer Staatsangehörigkeit) lagen Iraker, von denen im Jahre 2005 in Niedersachsen 516 (4,7%) Personen eingebürgert wurden. 78 Angaben aus dem Ausländerzentralregister. 130 Ausländerextremismus Die letzte exakte Zahl der in der Bundesrepublik Deutschland ansässigen Muslime lieferte die Volkszählung vom 25.05.1987. Danach gab es 1.650.952 Muslime in den alten Bundesländern: Das entsprach einem Bevölkerungsanteil von 2,7 %. Für Niedersachsen ergab diese Volkszählung 103.376 Muslime. Von diesen waren 4.448 deutsche und 98.928 ausländische Muslime. Was ihre heutige Zahl in Deutschland anbetrifft, so ist man aufgrund fehlender statistischer Erhebungen auf Schätzungen angewiesen. Das Zentralinstitut Islam-Archiv-Deutschland schätzte für 2005 eine Zahl von 3.224.000 in der Bundesrepublik wohnhafter Muslime. Die Zahl deutschstämmiger Muslime kann ebenfalls nur geschätzt werden, da der Übertritt zum Islam allein durch die Ablegung des islamischen Glaubensbekenntnisses vor Zeugen vollzogen wird und sich damit einer statistischen Erfassung entzieht. Islamismus als politische Weltanschauung Erstmals seit der Islamischen Revolution im Iran 1979 rückte mit den terroristischen Anschlägen vom 11.09.2001 in den westlichen Staaten mit dem Islamismus eine ideologische Strömung in den Fokus der Öffentlichkeit, die in der islamischen Welt bereits seit Jahrzehnten die Politik mitbestimmte. Diese Strömung des Islamismus, die die Religion des Islam in einer bis dahin nicht da gewesenen Weise politisierte, nahm für sich in Anspruch, den "wahren", von westlichen Einflüssen wie Demokratie und Frauenrechten "gesäuberten" Islam zu repräsentieren. Weite Teile der arabischen und muslimischen Welt fassten es zudem als eine westliche Verschwörung gegen den Islam auf, dass 1948 der Staat Israel gegründet wurde. Man unterstellte dem Westen, er wolle einen Keil in die islamische Staatenwelt treiben und diese auch geographisch teilen. Dieser Vorgang führte Anfang der fünfziger Jahre zur Gründung der islamistischen Islamischen Befreiungspartei, der Hizb utTahrir al-Islami (HuT). Diese Vereinigung, die in Deutschland seit 2003 einem Betätigungsverbot unterliegt, spricht sich seit ihren Anfängen insbesondere gegen den Nationalismus aus, dessen Eindringen in die islamische Welt sie ähnlich der Staatsgründung Israels als Versuch der Spaltung der Muslime ansieht. Entsprechend propagiert sie das Konzept eines alle Muslime umfassenden Reichs, des wiedererrichteten Kalifats. Den islamistischen Organisationen und Bewegungen ist bei aller Unterschiedlichkeit gemein, dass sie Gesellschaften Ausländerextremismus 131 anstreben, die streng auf der Basis der Scharia organisiert 79 sein sollen. Derartige Bestrebungen sind mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland grundsätzlich nicht vereinbar. Beispielsweise richten sie sich gegen den Gleichheitsgrundsatz, da die Einführung der Scharia bedeutete, dass die Frau im Vergleich zum Mann und der Nichtmuslim im Verhältnis zum Muslim nur einen minderen Rechtstatus innehat. Der Sammelbegriff des Islamismus umfasst sehr unterschiedliche Gruppierungen, von den islamistischen Vereinigungen, die einen gewaltfreien Weg zu diesem Ziel verfolgen, bis zu Gruppierungen, die eine auf der Scharia basierende Gesellschaft durch Gewalt errichten wollen. Die Verfassungsschutzbehörden tragen diesem wesentlichen Unterschied begrifflich Rechnung und differenzieren zwischen dem islamistischen Extremismus und dem islamistischen Terrorismus, der auch als Dschihadismus bezeichnet wird. Der Islamismus in Deutschland ist, ebenso wie der hiesige Islam, nach wie vor überwiegend türkisch geprägt. So ist auch die mitgliederstärkste islamistische Organisation in der Bundesrepublik Deutschland, die Islamische Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG), eine Gruppierung, in der sich islamistisches Gedankengut mit türkisch-nationalistischen Ansätzen mischt. Insgesamt hat sich in den letzten Jahren jedoch das Bild des Islamismus in Deutschland diversifiziert - entsprechend der Einwanderung von Menschen aus verschiedenen islamischen Ländern. So versammeln sich etwa in Moscheen, die der ursprünglich indo-pakistanischen Missionsbewegung Tablighi Jamaat zugerechnet werden, nicht nur Inder und Pakistaner, sondern auch Türken, Kurden, Afrikaner und Deutsche, die zum islamischen Glauben übergetreten sind (Konvertiten). 79 Der Begriff Scharia wird für die islamische Rechtsund Lebensordnung verwendet. Diese umfasst einerseits die Beziehungen zwischen dem Gläubigen und Gott (Gottesdienst und Kultus), andererseits auch die Beziehungen zwischen den Gläubigen untereinander (Recht). So beinhaltet die Scharia nicht nur genaue Anweisungen für religiöse Rituale und Pflichten, sondern auch Regelungen für Familienrecht, Strafrecht, Erbrecht etc. 132 Ausländerextremismus Die terroristische Dimension des Islamismus, der islamistische Terrorismus Anhänger der gewaltbereiten Variante des sunnitischen Islamismus, so genannte Dschihadisten80, vertreten die Ansicht, dass es zur Pflicht eines jeden Muslims gehöre, sich entsprechend der eigenen Leistungskraft am Kampf gegen angebliche Feinde des Islam zu beteiligen. So wie in den achtziger Jahren arabische Islamisten, die sich als so genannte Mudschahidin ("Diejenigen, die den Dschihad betreiben") am Kampf gegen die sowjetische Besatzungsmacht in Afghanistan beteiligten, stellt seit 2003 der Irakkonflikt einen globalen Anziehungspunkt für dschihadistische Freiwillige dar. Die Besonderheit des Irakkonfliktes liegt dabei in einer neuen ideologischen Komponente. Als Erweiterung der "Kriegserklärung" Usama BIN LADINs gegen "Juden und Kreuzzügler" aus dem Jahre 1998 vertreten militante sunnitische Islamisten nunmehr die Auffassung, schiitische Muslime seien Ungläubige und Feinde des Islam. Als in dieser Hinsicht besonders radikal hat sich der aus Jordanien stammende Terroristenführer Abu Musab AL-ZARQAWI erwiesen, der im Spätsommer 2005 über das Internet den schiitischen Muslimen folgende Kampfansage übermittelte: "Die Tage vergehen und ein Ereignis folgt dem Nächsten. Es gibt viele Kriege und sie werden unterschiedlich genannt - aber sie alle haben nur ein Motiv: Es sind die Kriege der Kreuzfahrer und Rafiditen81 gegen die Sunniten. Die Interessen der Kreuzfahrer und das Begehren ihrer Brüder, der hasserfüllten Rafiditen, sind die gleichen.... Dieser Lakai [gemeint ist der irakische Verteidigungsminister], der seine Religion und sein Land verraten hat und bereit ist, den Kreuzfahrern und Safawiden82 als Werkzeug zu dienen, droht damit, dass er und seine Engel der Zerstörung in Richtung Anbar, Qaim, 80 Als Dschihadisten werden diejenigen Islamisten bezeichnet, die den Dschihad (wörtlich: Anstrengung, Bemühung um Selbstvervollkommnung und Gottesnähe, aber auch i.S. "Heiliger Krieg" zur "Verteidigung") im militärischen Sinne zum zentralen Bestandteil ihrer Ideologie machen. 81 abwertende Bezeichnung für die Schiiten 82 Unter der Dynastie der Safawiden (1501-1736) wurde der schiitische Islam zur Staatsreligion im bis dahin mehrheitlich sunnitischen Iran erklärt. Ausländerextremismus 133 Rawatha und Samarra vorrücken. Ihm sagen wir: Durch Gottes Kraft halten die Mujahidin für Dich und Deine Soldaten ein scharfes Schwert und ein tödliches Gift bereit. So Gott will, wirst Du von den vielen Geschmäckern des Todes kosten und das Land der Sunniten wird von Euren faulenden Leichen übersät sein. Nach diesen Worten und nachdem die Welt nun die Wahrheit über diesen Kampf und sein wirkliches Motiv erfahren hat, beschließt die al-Qaida-Gruppe des Zweistromlandes: Nachdem die Regierung al-Ja'fari den Sunniten den totalen Krieg erklärt hat, hat die Organisation einen totalen Krieg gegen alle rafiditischen Schiiten im ganzen Irak beschlossen. Weil die Aggression von Euch ausging, ist dies der entsprechende Preis. Nehmt Euch in Acht, denn bei Gott, wir werden kein Mitleid mit Euch haben und keine Gnade walten lassen." (Auszug aus einer Rede des al-Qaida-Führers im Irak, Abu Musab AL-ZARQAWI, veröffentlicht auf der Internetseite des "Al Qaeda Jihad Media Batallion") (www.memri.de vom 20.07.2005) Mit der ideologischen Radikalisierung der sunnitischen Islamisten geht eine zunehmende Skrupellosigkeit bei der Wahl der Mittel einher. 2005 wurde das in der sunnitischen Welt früher unbekannte Mittel des terroristischen Selbstmordattentates auf bisher davon verschonte Gesellschaften übertragen. Am 25. November tötete der erste Selbstmordattentäter in der Geschichte Bangladeschs sich sowie vier Besucher einer Gerichtsbibliothek. Dass die Islamisten die laizistische Rechtsordnung dieses Staates ablehnen, war bereits elf Tage zuvor deutlich geworden, als zwei Richter eines anderen Gerichtes ermordet wurden. Auch Großbritannien, die ehemalige Kolonialmacht Bangladeschs, wurde am 7. Juli zum ersten Mal von islamistischen Selbstmordattentätern heimgesucht. Bei koordinierten Anschlägen auf das Londoner Nahverkehrssystem kamen 56 Menschen ums Leben. Ein zweiter Versuch einer anderen Terrorzelle, in mehreren vollbesetzten Bussen Anschläge zu verüben, scheiterte 14 Tage später lediglich an technischen Unzulänglichkeiten. Bei den Attentätern von London hat sich gezeigt, dass nicht mehr ein Aufenthalt in einem von al-Qaida in der afghanischen Wüste betriebenen Ausbildungslager erforderlich ist, um auch in westlichen Gesellschaften ein einheimisches Netzwerk terroristischer Art hervorzubringen. 134 Ausländerextremismus Mediale Verbreitung islamistischer Positionen Zahlreiche islamische Fernsehsender des nahund mittelöstlichen Raumes, die inzwischen insbesondere über Satellit in ganz Europa zu empfangen sind, vermitteln ein Weltbild, das häufig im Widerspruch steht zu den Grundsätzen eines friedlichen Zusammenlebens von islamischen Minderheitsgruppen in westlichen Gesellschaften. Stehen bei türkischen Sendern eher nationalistische Botschaften im Vordergrund, so verbreiten arabischsprachige Programme Positionen, die von einem orthodox-konservativen Islamverständnis geprägt sind, oder sogar von islamistischen Ideologien. Dies betrifft nicht zuletzt das Verhältnis von Mann und Frau. So erklärte am 20. Juni ein islamischer Prediger auf Bahrain-TV, dass ein Ehemann prinzipiell das Recht habe, seine Frau zu schlagen. Allerdings müsse er darauf achten, dies niemals vor den Kindern zu tun. In einer auf dem saudisch finanzierten Sender Middle East Broadcasting Center, London, ausgestrahlten Predigt wurde gefordert, dass Ehemänner, die ihre ehebrecherische Frau töteten, eine mildere Strafe bekommen sollten als eine Frau im umgekehrten Fall. Auch antijüdische bzw. antizionistische Stellungnahmen finden Verbreitung. In einer auf dem ägyptischen Fernsehsender Nile-Culture-TV ausgestrahlten Sendung "Eine Studie über Israels Geschichte" wurde am 27. November die Meinung geäußert, dass die Gaskammern in der Zeit des Nationalsozialismus eine Erfindung der Juden seien. Zunehmende Bedeutung für die Propaganda des gewaltbereiten Islamismus erfahren so genannte Internet-Videotheken. Hierbei handelt es sich um Internetseiten, von denen aus Propagandavideos herunterladbar sind und die sich im Gegensatz zu den TV-Programmen eher an ein jugendliches Publikum richten. Häufig werden propagandistisch aufbereitete Videoaufnahmen von Kampfhandlungen aus dem Irak, aber auch aus Tschetschenien oder Palästina/Israel angeboten. So verherrlicht beispielsweise ein Video mit dem Titel "Der Scharfschütze von Bagdad" die Ermordung junger amerikanischer Soldaten. Seit Mitte September veröffentlicht der dem Umfeld der al-Qaida zuzurechnende "Internet-Fernsehsender" Sawt alKhilafah (Stimme des Kalifats) in unregelmäßigen Abständen Videobeiträge im Stil westlicher Nachrichtensendungen zu Themen wie der Dschihad, internationale Mudjahedin, Palästina und Irak. Der vermummte und bewaffnete Sprecher verliest dabei aktuelle Nachrichten in islamistischer Interpretation, etwa zu der Flutkatastrophe in der "homosexuellen Stadt New Orleans". Häufig werden Filmbeiträge zu Anschlägen im Irak eingeblendet. Hinter diesem Projekt steht Ausländerextremismus 135 eine technisch versierte Gruppe, die sich selbst als Global Islamic Media Front (GIMF) bezeichnet. Solche Internet-Angebote ersetzen zumindest partiell den Verlust traditioneller islamistischer Kommunikationsräume, der durch die seit dem 11. September 2001 zunehmende staatliche Überwachung islamistischer Vereine und Moscheen festzustellen ist. Sie wirken somit über ihre propagandistische Wirkung hinaus als latente Gefahrenquelle für das Entstehen einheimischer terroristische Netzwerke. Neben den Internetseiten, die sich dem islamistischen Terrorismus zuordnen lassen, bieten mittlerweile nicht gewalttätige Islamisten Rechtsund Lebensberatung für Muslime nicht mehr nur in Arabisch und Englisch, sondern in nahezu allen europäischen Sprachen an. Eines der umfangreichsten deutschsprachigen Angebote bietet der in Delmenhorst ansässige Betreiber der Internetseite "Muslim-Markt". Weitere extremistische Ausländerorganisationen Ist das Bild der Öffentlichkeit vom Ausländerextremismus gegenwärtig vorwiegend von Ereignissen mit islamistischem Hintergrund geprägt, so wirken sich die Aktivitäten einer Vielzahl von ausländischen Vereinigungen und Organisationen, die vom Boden der Bundesrepublik Deutschland aus ihre politischen Vorstellungen zu verwirklichen versuchen, ebenenfalls auf die Sicherheit Deutschlands aus. Auch bei diesen Gruppierungen spiegeln sich selbst Jahrzehnte nach der Einwanderung der so genannten Gastarbeiter weiterhin die gesellschaftlichen und politischen Entwicklungen und Konflikte wider, die in den jeweiligen Herkunftsländern ihren Ursprung und Bezugspunkt finden. Diese Organisationen benutzen Deutschland als logistisches Hinterland im Hinblick auf Propaganda und Finanzierung ihrer Aktivitäten. Während sie in Deutschland oft auch aus taktischen Gründen in der Regel nicht gewalttätig in Erscheinung treten, bedienen sie sich in ihren Heimatländern durchaus terroristischer Methoden. Hierzu zählen u. a. die Befreiungstiger von Tamil Eelam (LTTE) sowie die international als terroristisch bewertete iranische Oppositionsgruppe Volksmodjahedin Iran-Organisation (MEK). Nicht zuletzt wegen der hohen Zahl türkischund kurdischstämmiger Menschen in der Bundesrepublik stellt die 136 Ausländerextremismus politische Entwicklung in der Türkei und im kurdischen Siedlungsgebiet auch im Jahr 2005 einen wichtigen Bezugspunkt für extremistische Gruppierungen aus diesen Gebieten dar. Themen wie der Beginn der Beitrittsverhandlungen der Türkei mit der Europäischen Union sowie die Haftbedingungen des Kurdenführers Abdullah ÖCALANs prägten das Geschehen der Anhänger des Volkskongresses Kurdistan (KONGRA GEL, ehemals Arbeiterpartei Kurdistans, PKK) in Deutschland. Von ihrem bisherigen Ziel, einen das gesamte kurdische Siedlungsgebiet umfassenden autonomen Staat zu gründen, musste der KONGRA GEL angesichts der Gründung eines weitgehend autonomen Kurdenstaates im Nordirak abrücken. Auch Organisationen wie die Deutsche Türk-Föderation (ATF) vertreten mit ihrer türkisch-nationalistischen Ideologie Weltanschauungen, die mit den Grundsätzen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht vereinbar sind. Ausländerextremismus 137 Muslimbruderschaft (MB) Gegründet: 1928 in Ägypten Sitz: München/Aachen Mitglieder/Anhänger83 2004 2005 Bund: 1.950 1.800 Niedersachsen: 160 160 Publikationen: Risalat ul-Ikhwan (Rundschreiben der Bruderschaft) Al-Islam mit Al-Islam aktuell (Der Islam) Al Ra'id (Der Kundschafter) Die mitunter auch als "Mutterorganisation des politischen Islams" bezeichnete Muslimbruderschaft (MB) versucht, durch eine Taktik der kulturellen Durchdringung der islamischen Staaten die gesellschaftlichen Voraussetzungen zur Etablierung islamistischer Staatsmodelle zu schaffen. Der MB zugerechnete Gruppen haben sich jedoch auch an gewaltsamen Erhebungen gegen die jeweiligen Machthaber in Syrien 1982 und in Algerien während der neunziger Jahre beteiligt. Den in das international verflochtene Netzwerk eingebundenen deutschen Zweigen der MB ist der gleiche Auftrag gestellt wie den nahöstlichen Zweigen der Bruderschaft: die Durchsetzung der Ideologie des Islamismus mit der Scharia als allein gültiger Ordnung für Staat und Gesellschaft. Mit diesen Bestrebungen richtet sich die MB gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland. Ursprung und Entwicklung Die sunnitische Muslimbruderschaft ging 1928 aus einer kleinen Gruppe von Männern um Hassan al-Banna hervor, die sich als "Brüder im Dienste des Islam" verstanden. Als älteste und bis heute wichtigste islamistische Organisation ist sie nach eigenen Angaben in über 70 Ländern präsent. Trotz dieser internationalen Ausrichtung zeigt die Bruderschaft 83 Potenzial der Mitglieder/Anhänger der verschiedenen Zweige der MB einschließlich der Islamischen Gemeinschaft in Deutschland e. V. (IGD), der HAMAS und der Islamischen Avantgardisten. 138 Ausländerextremismus noch heute ein arabisches Gepräge. Ihre wichtigste Basis stellt weiterhin Ägypten dar, wo sie offiziell verboten ist. Auf ihrer fünften Generalkonferenz 1939 in Kairo legte die Muslimbruderschaft ihre bis heute gültige Doktrin fest. Indem sich die Muslimbrüder darin auf das Wirken und die Tradition des Propheten und seiner Gefährten berufen, grenzen sie sich als Islamisten von allen "Verunreinigungen" des Islam ab, die die islamische Welt seit dem 7. Jahrhundert heimgesucht hätten. Das Beharren auf einem "Islamischen System" ist auf die traumatische Vorstellung muslimischer Abhängigkeit vom dominierenden Westen zurückzuführen. Die Muslimbruderschaft ist eine hierarchisch strukturierte Organisation. Als ihr Oberhaupt fungiert der Murschid Amm, der "Allgemeine Führer", dem sich das einzelne Mitglied durch ein Gelöbnis zur Gefolgschaft verpflichtet. Für den Gründer al-Banna trug die Bruderschaft deutlich politische Züge. Darüber hinaus sei sie durch den als allumfassend angesehenen Charakter des Islam eine "der körperlichen Ertüchtigung dienende Gruppe", ein "kultureller und wissenschaftlicher Verband", eine "soziale Idee" und sogar ein "Wirtschaftsunternehmen". Der Wahlspruch der Bruderschaft verdeutlicht den universalen Anspruch: Hassan al-Banna "Gott ist unser Ziel, der Prophet unser Führer, der Koran unsere Verfassung und der Kampf unser Weg. Der Tod um Gottes willen ist unsere höchste Gnade. Gott ist groß." (Franz Kogelmann: "Die Islamisten Ägyptens in der Regierungszeit von Anwar as-Sadat [1970-1981]"; Berlin 1994, S. 29) Mit dieser universalen, auf alle Bereiche der Gesellschaft zielenden Ausrichtung war die Muslimbruderschaft Vorbild gebend für den sunnitischen Islamismus des 20. Jahrhunderts. Dabei zeigt sie in ihrer internen Führungsstruktur deutliche Symptome der Erstarrung. Bis heute dominiert die "alte Garde" aus dem Umfeld al-Bannas die Bruderschaft. Dass die Muslimbruderschaft auch heute noch eine gewaltorientierte Organisation ist, zeigen Äußerungen des "Allgemeinen Führers", des 77-jährigen Muhammad Mahdi Akif. In zahlreichen Interviews legitimierte er den Einsatz von Selbstmordattentätern als Waffe sowohl gegen den "zionistischen Feind" Israel als auch zur "Befreiung" des Irak. Im Falle Israels könne man nicht zwischen Zivilisten und Angehörigen der Armee unterscheiden, da sie allesamt Feinde des Ausländerextremismus 139 arabischen Vaterlandes und des Islam seien. In Deutschland wurde Akif als Leiter des Islamischen Zentrums in München von 1984 bis 1987 bekannt. Regionale Strömungen der Muslimbruderschaft84 Ägypten Algerien Syrien Palästina Tunesien Islamische Islamische HAMAS En Nahda Föderation der Heilsfront (FIS) Avantgarden / Islamischen Islamisches Organisation Zentrum (IZ) in Aachen in Europa (FIOE) Islamischer Islamische Bund Palästina Gemeinschaft (IBP) in Deutschland e.V. (IGD) Islamisches Zentrum (IZ) in München Ausländische Organisationen mit Einzelmitgliedern in Deutschland Organisationen mit Sitz in Deutschland /Europa In Ägypten löste eine Stellungnahme des stellvertretenden Führers der Organisation, Muhammad Habib, die er am 5. Dezember im Rahmen einer Pressekonferenz im Hauptquartier der MB in Kairo äußerte85, eine heftige Kontroverse aus. Habib erklärte, nach islamischem Recht könne kein Nichtmuslim über einen Muslim herrschen, somit dürfe in Ägypten auch kein Nichtmuslim Präsident werden. Vor dem Hintergrund des Erfolges der Kandidaten der offiziell verbotenen Muslimbruderschaft bei den ägyptischen Parlamentswahlen im November und Dezember86 sorgten Äußerungen wie diese für Beunruhigung unter den ägyptischen Christen, aber auch in Kreisen liberaler Muslime. 84 Abgewandelte Darstellung aus dem Verfassungsschutzbericht 2005, Bayerisches Staatsministerium des Innern 85 Veröffentlicht: ALJAZEERA.NET; Internet-Ausdruck vom 24.01.2006 86 Im neuen ägyptischen Parlament werden den islamistischen Muslimbrüdern statt der bisherigen 15 nunmehr 88 Abgeordnete zugerechnet. Als Erfolg können sie verbuchen, dass zwei Drittel ihrer Kandidaten gewählt wurden. Mit Rücksicht auf das offizielle Verbot der MB hatte die Bruderschaft für die 444 Sitze des Parlaments ursprünglich lediglich 150 "unabhängige" Kandidaten aufgestellt, von denen sie dann aufgrund politischen Drucks etwa 20 zurückzog. 140 Ausländerextremismus Die Muslimbruderschaft in Deutschland Den deutschen Zweigen des internationalen MB-Netzwerks ist der gleiche Auftrag gestellt wie den nahöstlichen Gruppen der Bruderschaft: die Durchsetzung der Ideologie des Islamismus mit der Scharia als allein gültiger Ordnung für Staat und Gesellschaft. In Deutschland verbreitet die panislamisch orientierte Muslimbruderschaft ihre islamistischen Vorstellungen über eine Reihe von Gruppierungen. So übt sie über ihre Unterorganisationen Einfluss auf den Zentralrat der Muslime (ZMD)87 aus. Vorrangiges Ziel hierbei ist es, die in Deutschland lebenden Muslime von der "wahren", d. h. der islamistisch interpretierten Form des Islams zu überzeugen. Verschiedene Islamische Zentren dienen diesem Ziel als organisatorische Stützpunkte. Gewaltaktivitäten der MB auf deutschem Boden wurden bisher nicht festgestellt. Bereits 1960 gründete sich in der Bundesrepublik Deutschland die Islamische Gemeinschaft in Deutschland e. V. (IGD), die die mitgliederstärkste Organisation von Anhängern der MB in Deutschland ist. Die IGD hat ihren Sitz in dem von ihrem Präsidenten Ibrahim EL-ZAYAT geleiteten Islamischen Zentrum München (IZM). Zu der 27. Jahreskonferenz der IGD am 3. Dezember in Leverkusen versammelten sich ca. 4.000 Muslime aus allen Bundesländern. Unter dem Motto "Muslime in Deutschland - Mittendrin und doch daneben?!" hielt wie in den Jahren zuvor der bekannte ägyptische Fernsehprediger Amr Khaled eine Rede, in der er die Fortschrittlichkeit des Islam gegenüber der westlichen Gesellschaft betonte. Hierbei bediente er sich bekannter islamistischer Stereotype, wie der These, dass die Gleichberechtigung der Frau in der Gesellschaft nicht vom Westen ausgegangen, sondern von Anfang an im Islam angelegt gewesen sei. Auf der niedersächsischen Internetseite "Islam in Hannover", bei der ein Bezug zur MB besteht, wurde für die Teilnahme an der Jahreskonferenz geworben. Dem syrischen Zweig der MB zuzurechnen sind die Anfang der achtziger Jahre vom Leiter des Islamischen Zentrums Aachen (IZA), Issam EL-ATTAR, durch Abspaltung von der IGD gegründeten Islamischen Avantgarden. IGD und Islamische Avantgarden finanzieren sich in Deutschland im Wesentlichen über Mitgliedsbeiträge, Spendensammlungen in Mo87 Der ZMD ist ein Zusammenschluss von 19 Verbänden, dem ca. 12.000 Muslime zumeist arabischer Herkunft angehören. Etwa die Hälfte der Mitgliedsorganisationen des ZMD, u.a. die der Muslimbruderschaft zuzurechnende Islamische Gemeinschaft in Deutschland e. V. (IGD), sind als islamistische Organisationen einzustufen. Ausländerextremismus 141 scheen oder sonstige private Spenden. Untergruppierungen des syrischen Zweiges sind die Union Muslimischer Studentenorganisationen in Europa e. V. (UMSO) und die Union für die in den europäischen Ländern arbeitenden Muslime e. V. (UELAM). Die Islamische Widerstandsbewegung HAMAS, der palästinensische Zweig der Muslimbruderschaft, ist über eine Unterorganisation in Deutschland vertreten. Ihre Interessen vertritt in der Bundesrepublik der im Mai 1981 im IZ München gegründete Islamische Bund Palästina (IBP). In Niedersachsen sind nur einzelne Mitglieder und Funktionäre dieser Vereinigung ansässig. Auch für den Bereich der algerischen Heilsfront FIS finden sich nur einzelne Mitglieder. In Niedersachsen ist darüber hinaus ein Verein angemeldet, von dem einige Mitglieder dem tunesischen Zweig der Muslimbruderschaft, der En-Nahda, zuzurechnen sind.88 Ihrer Konzeption der kulturellen Durchdringung entsprechend veranstalten MB-Anhänger auch in niedersächsischen Moscheen Korankurse mit dieser ideologischen Ausrichtung. Öffentliche Aussagen von der Bruderschaft nahe stehenden Predigern mit antiwestlicher oder antijüdischer Tendenz sind vor dem Hintergrund verstärkter staatlicher Überwachungsmaßnahmen hingegen deutlich moderater. Anhänger der Muslimbruderschaft verfügen über niedersächsische Anlaufstellen in Braunschweig, Göttingen, Hannover und Osnabrück. 88 Neben dem hier gemeldeten Vereinssitz ist in Niedersachsen auch der Vorsitzende ansässig, während die übrigen Vereinsmitglieder über verschiedene Bundesländer verteilt sind. 142 Ausländerextremismus Tablighi Jamaat (TJ) Gegründet: 1926 in Britisch-Indien Sitz: Weltzentrum in Lahore (Pakistan), europäisches Zentrum in Dewsbury (Großbritannien), in Deutschland keine offizielle Niederlassung Mitglieder/ Anhänger 2004 2005 Bund: 450 500 Niedersachsen: 40 65 Die Tablighi Jamaat (TJ) ("Gemeinschaft der Missionierung und Verkündung") wurde als Missionsbewegung gegründet. Sie vertritt ein äußerst konservatives Islamverständnis. Ziel der Organisation ist die Islamisierung der Gesellschaft. Die Anhänger dieser internationalen islamischen Massenbewegung vertreten eine strenggläubige Auslegung des Korans und der Sunna, die Ausgrenzung der Frau und die Abgrenzung gegenüber Nichtmuslimen. Ursprung und Entwicklung Angesichts der Dominanz der europäischen Kolonialmächte propagierten so genannte islamische Reformbewegungen wie die TJ, die im indo-pakistanischen Bereich ihren Ursprung fanden, die Säuberung des Islam von vermeintlichen geistigen und kulturellen Verunreinigungen.89 So zogen seit Gründung der TJ Mitte der zwanziger Jahre Tausende von Laienpredigern durch Nordindien, und brachten die Mehrheit der dortigen Muslime dazu, die vorgeschriebenen Rituale im Sinne der islamischen Orthodoxie zu befolgen. Heute zählt die TJ nach Zahl und Verbreitung ihrer Anhänger zu den bedeutendsten islamischen Bewegungen. Ihre Anhänger fühlen sich nicht einer festen Gruppierung zugehörig, sondern sehen sich als Muslime mit missionarischem Auftrag. 89 In der britischen Kolonie Indien herrschten seit dem späten 18. Jahrhundert hauptsächlich muslimische Dynastien, die eine zahlenmäßige Überlegenheit der Hindus aufwies. Während aufklärerische Kreise die Meinung vertraten, dass nur mit westlichen Erkenntnissen, nicht gegen sie, der Aufbruch der Muslime Indiens in die Moderne gelingen könne, lehnten konservativ ausgerichtete sunnitische Rechtsgelehrte sowohl hinduistische als auch westliche Einflüsse ab. Ausländerextremismus 143 Entsprechendes Kennzeichen für die Anhänger der TJ ist das gruppenweise Herumreisen und Predigen, um einerseits den Glauben zu verbreiten und andererseits die Frömmigkeit des Predigers selbst zu stärken. Zielgruppe sind in erster Linie Muslime mit einer vermeintlich unzureichenden Beachtung der Glaubensriten, erst in zweiter Linie Nichtmuslime. Zu den Pflichten eines Mitglieds gehört die freiwillige und unbezahlte missionarische Tätigkeit, die 40 Tage im Jahr betragen soll. Aktivitäten Schwerpunkt der Aktivitäten der TJ bildet der indische Subkontinent. In den letzten Jahrzehnten hat die islamische Massenbewegung ihre Aktivitäten zudem auf Nordafrika und auf die muslimische Diaspora in Europa, Nordamerika und Australien ausgeweitet. Die TJ führt jährliche Treffen auf dem indischen Subkontinent durch, an denen Hunderttausende in Indien, Pakistan und Bangladesch teilnehmen. Diese Treffen entwickeln sich zu Anziehungspunkten von Islamisten, die die strenggläubige islamische Massenbewegung als Rekrutierungsfeld betrachten. Denn die Anhänger der TJ sind durch eine radikalisierte Weltanschauung geprägt, die Gemeinsamkeiten mit islamistischen Gruppierungen aufweist. Obwohl die TJ selbst Gewalt ablehnt, besteht die Gefahr, dass Netzwerke des islamistischen Terrorismus die internationalen Strukturen der TJ nutzen. Wie das Verwaltungsgericht Bayreuth in einem Beschluss vom 24. November feststellte, hatte auch Iyman Faris, der im Zusammenhang mit einem geplanten Anschlag auf die Brooklyn-Bridge in New York festgenommen wurde, Flugtickets für den Besuch des Zentrums der TJ in Pakistan erworben. Faris gab an, der TJ anzugehören. Mitglied der TJ war ebenfalls Richard Reid, der als so genannter Schuhbomber am 22.12.2001 beim Versuch scheiterte, ein Passagierflugzeug mit einer im Absatz seiner Schuhe versteckten Bombe zu sprengen. Auch niedersächsische Anhänger der TJ sind an das globale Netzwerk der TJ angeschlossen. Insbesondere nehmen sie an regelmäßig stattfindenden bundesund europaweiten Treffen teil. Darüber hinaus haben die niedersächsischen TJ-Anhänger die Missionsreisen intensiviert. Missionsreisen sind innerhalb Niedersachsens sowie deutschlandweit und auch in das Ausland durchgeführt worden. Diese Aktivitäten sowie die Kontakte nach Pakistan werden für Niedersachsen vom Pakistanzentrum in Hannover aus koordiniert. In Pakistan existieren enge Verbindungen zwischen der TJ und einer Vielzahl von Madrassen (islamische Lehrstätten), die wiederum in den Augen terroristisch agierender Islamisten vielversprechende Rekrutierungsbasen sind. 144 Ausländerextremismus Ansar al-Islam (Unterstützer des Islam) Gegründet: 2001 im Irak als Nachfolgeorganisation der Jund al-Islam Leitung: Abu Abdullah AL-SHAFI Bei der Ansar al-Islam handelt es sich um ein terroristisches Netzwerk, das ausgehend vom kurdischen Norden des Iraks auch über Anhänger im arabisch besiedelten Teil dieses Landes, mittlerweile aber auch in Europa verfügt. Zahlreiche Attentate im Irak werden dieser Organisation zugeschrieben, so etwa die Anschläge auf die jordanische Botschaft in Bagdad am 07.08.2003 sowie auf das UN-Hauptquartier in Bagdad am 19.08.2003. Ursprung und Entwicklung Die Ursprünge der Ansar al-Islam reichen in die Zeit der Herrschaft der Taliban über Afghanistan zurück. Dort formierte sich Anfang 2000 eine Gruppe syrischer Mudschahedin, die "Jund al-Scham" (Armee Syriens), die bald weitere Kreise von Dschihadisten anzog. Diesem Umfeld konnte zeitweise auch Abu Musab AL-ZARQAWI zugerechnet werden, der nunmehr im Irak ein eigenständiges terroristisches Netzwerk anführt, das mit der Ansar al-Islam teilweise kooperiert, teilweise zu ihr aber auch in Konkurrenz steht.90 Führungsstreitigkeiten innerhalb der Jund al-Scham führten dann zur Abspaltung und Gründung einer neuen Organisation, der "Jund al-Islam" (Soldaten des Islam), die ihre terroristischen Aktivitäten im überwiegend von Kurden besiedelten Nordirak entfaltete. Mit Übernahme der Führung dieser Gruppe durch Najm alDeen FARAJ AHMED MAHMOUD, alias Mullah KREKAR, Ende 2001 erfolgte eine Umbenennung in Ansar al-Islam; der heutige Führer Abu Abdullah AL-SHAFI wurde als Stellvertreter Mullah KREKARs eingesetzt. 90 AL-ZARQAWI erklärte sich im Oktober 2004 zum Stellvertreter Usama BIN LADINs, des Anführers der islamistischen Terrororganisation al-Qaida, im Irak und wurde Anführer der Gruppierung "al-Qaida im Zweistromland". Ausländerextremismus 145 Aktivitäten Propagandistisch tritt Ansar al-Islam vor allem im Internet auch unter dem Namen "Jaish Ansar al-Sunna" (Armee der Unterstützer der Sunniten) in Verbindung mit Anschlägen im Irak gegen die Koalitionstruppen, humanitäre Hilfskräfte und sonstige westliche Einrichtungen auf. Die Gruppierung ist für Mordund Sprengstoffanschläge nicht nur im Norden des Landes, sondern im gesamten Irak verantwortlich. So werden ihr die Anschläge auf die jordanische Botschaft in Bagdad am 07.08.2003 sowie auf das dortige UN-Hauptquartier am 19.08.2003 zugeschrieben. Dass sich Ansar al-Islam als Teil der weltweiten Dschihad-Bewegung sieht, belegt u. a. die Äußerung Mullah KREKARs, wonach BIN LADIN "eine Krone auf den Köpfen der Muslime" sei. Das in Westeuropa betriebene Netzwerk der Ansar al-Islam dient dazu, das in den jeweiligen Ländern vorhandene Unterstützungspotenzial zu mobilisieren und für ihre terroristischen Ziele zu nutzen. Die Aktivitäten dieses Netzwerks umfassen die Rekrutierung zum terroristischen Kampf bereiter Islamisten und deren Schleusung in den Irak, die Beschaffung und den Transfer von Geld und technischen Geräten sowie die Einschleusung im Irak verwundeter Mitglieder nach Westeuropa zur ärztlichen Versorgung. Hinweise auf die Existenz von Zellen der Ansar al-Islam in Niedersachsen liegen nicht vor. Jedoch konnten einzelne Anhänger bzw. Kontaktpersonen zu Zellen in Süddeutschland festgestellt werden. 146 Ausländerextremismus Islamische Befreiungspartei (Hizb ut-Tahrir al-Islami, HuT) Gegründet: 1953 in Jordanien Leitung: Ata Abu AL-RASCHTA Sitz: in Deutschland keine offizielle Niederlassung Mitglieder/ Anhänger 2004 2005 Bund: 200 300 Niedersachsen: 10 10 Publikationen: Al-Khilafa (Das Kalifat) (englisch/arabisch) Explizit (deutsch/niederländisch) Al-Wai (Das Bewusstsein) (arabisch) Köklü Degisim Dergisi (Zeitschrift der grundlegenden Veränderung) (türkisch) Betätigungsverbot: seit dem 15.01.2003 Die HuT hat offiziell erklärt, die Anwendung von Gewalt abzulehnen. Tatsächlich agiert die Islamische Befreiungspartei insbesondere gegen den Staat Israel auf eine Weise, welche bereits deutlich antisemitische und volksverhetzende Züge trägt. Ursprung und Entwicklung Die in allen arabischen Staaten verbotene Islamische Befreiungspartei (Hizb ut-Tahrir al-Islami, HuT) wurde 1953 im jordanischen Ost-Jerusalem von dem 1978 verstorbenen islamischen Rechtsgelehrten Scheich Taqi ad-Din an-Nabhani gegründet. Zentrales Anliegen an-Nabhanis und bis heute propagiertes Ziel der HuT ist die Errichtung eines das gesamte Siedlungsgebiet von Muslimen umfassenden Staates, an dessen Spitze ein auf Lebenszeit gewählter Kalif steht. Dieser soll das islamische Recht, die Scharia, umsetzen und so die angestrebte Herrschaft Gottes auf Erden verwirklichen. Dabei betrachtet die HuT die Machtergreifung durch einen Staatsstreich als Alternative zu der in ihren Augen gescheiterten Strategie der Muslimbrüder, sich primär über soziale Ausländerextremismus 147 Betreuungsangebote in der Gesellschaft eine Basis zu verschaffen. An-Nabhanis "System des Islam" nimmt formale Anleihen bei modernen staatsrechtlichen Ideen des Westens (Staatsbürgerschaft, Verfassung etc.), füllt diese aber mit einem islamistischen Inhalt, der zum Teil mittelalterliche Vorstellungen vom Kalifat aufgreift. So legte die Befreiungspartei einen Verfassungsentwurf vor, dem im Bereich der Außenpolitik die klassische islamische Einteilung der Welt in ein "Haus des Islam" und ein "Haus des Unglaubens bzw. des Krieges" zugrunde liegt. Beispielsweise heißt es in Artikel 178: "Im Blick auf jene Staaten, die nach der Scharia faktische Feindstaaten darstellen, wie zum Beispiel Israel, muss der Kriegszustand die Grundlage für jegliches politisches Handeln bilden. Der Verkehr mit diesen Staaten erfolgt auf der Grundlage, dass sie mit uns aktuell im Krieg stehen, einerlei, ob mit ihnen ein Waffenstillstandsabkommen besteht. Allen Bürgern dieser Staaten ist die Einreise in das islamische Land verboten. Soweit sie Nicht-Muslime sind, gelten sie als vogelfrei." (Andreas Meier, "Politische Strömungen im modernen Islam", Wuppertal 2002, S. 86) Dieser Entwurf soll nach Vorstellungen an-Nabhanis der Verfassung eines wiedererrichteten Kalifats als Grundlage dienen. Die HuT ist heute weltweit aktiv und international vernetzt; ihr an der Basis konspirativ organisierter, zellenartiger Aufbau ist hierarchisch und zentralistisch. Ihre Struktur gestaltet sich ausgehend von lokalen Basiseinheiten über regionale und nationale Organisationsebenen bis hin zu einer überregionalen Führung. Der Nachfolger an-Nabhanis als Führer der Partei, der 2003 verstorbene Abdul Qadim ZALLUM, betrieb in den neunziger Jahren die Ausbreitung nach Zentralasien. Mittlerweile ist die Organisation dort besonders in Usbekistan und Kirgisien verankert. Für den deutschsprachigen Raum spielt Wien eine wichtige Rolle. Von hier aus gelangten die ersten deutschsprachigen Publikationen in die Bundesrepublik. 148 Ausländerextremismus Die HuT in Deutschland Bundesweit fiel die HuT zum ersten Mal im Zusammenhang mit einer Veranstaltung am 27.10.2002 an der Technischen Hochschule Berlin zum Thema "Der Irak - ein neuer Krieg und die Folgen" auf, bei der Vertreter der Organisation dem Staat Israel das Existenzrecht absprachen. Aufsehen erregte die Veranstaltung auch durch die Teilnahme des NPD-Vorsitzenden Udo VOIGT und des Rechtsextremisten Horst MAHLER, die ihre Zustimmung zu den antisemitischen Thesen des HuT-Funktionärs Shaker ASSEM zum Irakkonflikt bekundeten. Das Bundesministerium des Innern hat am 15.01.2003 die Betätigung der HuT in der Bundesrepublik Deutschland wegen ihrer aggressiven antisemitischen Propaganda verboten. Vom Verbot umfasst sind auch Produktion und Verbreitung der der HuT zuzurechnenden deutschsprachigen Zeitschrift Explizit, einschließlich der entsprechenden Internetseite. Am 8. August wies das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) die von der HuT erhobene Klage gegen die Verbote ab. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass die HuT sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung richtet, indem sie immer wieder zur gewaltsamen Beseitigung des Staates Israel und zur Tötung von Menschen aufgefordert hat. Die HuT beantragte in der Folge die Durchführung einer mündlichen Verhandlung vor dem BVerwG, in der am 25.01.2006 das Verbot bestätigt wurde. In Niedersachsen sind lediglich einzelne Mitglieder der HuT durch Propagandaaktivitäten auffällig geworden. Wegen des Verdachts des Verstoßes gegen SS 20 Vereinsgesetz fanden im Dezember 2004 in mehreren Ländern, auch in Niedersachsen, Wohnungsdurchsuchungen statt. Die daraufhin eingeleiteten Ermittlungsverfahren wurden teilweise im Laufe des Jahres 2005 eingestellt. Gegen einen Beschuldigten wurde mittlerweile Anklage erhoben. Der Hauptbeschuldigte verlies im Jahr 2005 die Bundesrepublik Deutschland und entzog sich so der weiteren strafrechtlichen Verfolgung. Das Verfahren gegen ihn wurde von der Staatsanwaltschaft vorläufig eingestellt. Offene Aktivitäten der hier weiterhin lebenden Anhänger sind seitdem nicht mehr feststellbar. Ausländerextremismus 149 Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e. V. (IGMG) Gegründet: 1985 in Köln als Vereinigung der Neuen Weltsicht in Europa e. V. (Avrupa Milli Görüs Testelatlari, AMGT) Vorsitzender: Yavuz Celik KARAHAN Sitz: Kerpen (NRW) Mitglieder/Anhänger 2004 2005 Bund: 26.500 26.500 Niedersachsen: 2.600 2.600 Publikation: Milli Görüs & Perspektive (Neue Weltsicht und Perspektive) Die Islamische Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG)91 ist im Wesentlichen bestrebt, türkischstämmigen Muslimen eine eigenständige Identität auf der Basis islamistischer wie auch türkisch-nationalistischer Anschauungen zu vermitteln. Diese Identität definiert sich in Abgrenzung zur freiheitlichen Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland und propagiert die islamische Rechtsund Lebensordnung, die Scharia, als Grundlage ihres Gesellschaftsmodells. Mit dieser Integrationsfeindlichkeit trägt die IGMG maßgeblich zur Bildung von Parallelgesellschaften in Deutschland bei. Kennzeichnend für die Zuordnung der IGMG zum islamistischen Extremismus ist die Ablehnung von Gewalt als Mittel zur langfristigen Durchsetzung ihrer politisch-ideologischen Zielvorstellungen. Diese Ausrichtung wird auch als "legalistischer Islamismus" bezeichnet. Ursprung und Entwicklung Die Geschichte und Ideologie der IGMG ist untrennbar mit dem türkischen Islamistenführer Necmettin ERBAKAN verbunden, der in den 70er Jahren seine Vorstellungen zur 91 Milli Görüs "heißt wörtlich übersetzt 'Nationale Sicht', gemeint ist dabei jedoch nicht eine türkisch nationale Haltung, sondern mit Bezug zur Bedeutung des Wortes 'milli' im Arabischen und dessen Verwendung im Koran (Sure 3, Vers 95), das Bekenntnis zur 'Religion Abrahams'." (Türkische Muslime in Nordrhein-Westfalen, MFAGS, Duisburg 1997, S. 120). 150 Ausländerextremismus Lösung der politischen und gesellschaftlichen Probleme in der Türkei in der Schrift "Milli Görüs" ("nationale Sicht") darlegte. ERBAKAN beschreibt die westliche Welt als "nichtige Ordnung" ("Batil Düzen"), die durch eine islamische "gerechte Ordnung" ("Adil Düzen") mit der Scharia als Grundlage für Staat und Gesellschaft zu ersetzen sei. Als Teil der von ERBAKAN bis heute angeführten Bewegung ist auch die IGMG von dieser Weltanschauung geprägt. Die IGMG fungiert als Sammelbecken der Anhänger der Milli Görüs-Bewegung. Ihre Vorläuferorganisation, die Vereinigung der Neuen Weltsicht in Europa e. V. (AMGT), konstituierte sich 1985 in Köln. 1995 spaltete sich die AMGT in die IGMG, deren Aufgaben sich auf die Bereiche Religion, Sozialwesen und Kultur konzentrieren, und in die Europäische Moscheebauund Unterstützungsgemeinschaft e. V. (EMUG), die für die Verwaltung des umfangreichen Immobilienbesitzes der Organisation zuständig ist. Heute gilt die IGMG als der größte nicht vom türkischen Staat direkt beeinflusste türkisch-islamische Verband in Europa - auch in Deutschland ist die IGMG mit ihren 26.500 Anhängern die größte islamistische Organisation. Ihre Strukturen sind darüber hinaus in Nordamerika, Australien und Zentralasien nachweisbar. Die IGMG in Deutschland Die IGMG ist mit verschiedenen islamischen Organisationen und Dachverbänden in Deutschland personell verflochten. So führt der ehemalige Generalsekretär der IGMG, Ali KIZILKAYA, den Islamrat für die Bundesrepublik Deutschland92, dem viele Jahre der frühere IGMG-Funktionär Hassan ÖZDOGAN vorstand. Über den Vorsitzenden der im Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD) vertretenen Islamischen Gemeinschaft in Deutschland (IGD), Ibrahim EL-ZAYAT, bestehen Verbindungen zum ZMD. EL-ZAYAT, Schwager des ehemaligen IGMG-Vorsitzenden Mehmet Sabri ERBAKAN, ist außerdem Bundesvorsitzender der im ZMD vertretenen Muslim Studentenvereinigung in Deutschland 92 Im Islamrat sind eigenen Angaben zufolge über 30 Organisationen zusammengeschlossen, die über mehr als 130.000 Mitglieder verfügen sollen. Der Islamrat wird von der IGMG dominiert. Ausländerextremismus 151 (MSV). Als ihr stellvertretender Vorsitzender fungiert der ehemalige Vorsitzende des Islamrats Hassan ÖZDOGAN. EL-ZAYAT kontrolliert als Vorsitzender der Europäischen Moscheebauund Unterstützungsgemeinschaft e. V. (EMUG) auch den umfangreichen Immobilienbesitz der Milli GörüsBewegung, insbesondere ihre Moscheeimmobilien. Übersicht zur Entstehung der heutigen IGMG93 Islamische Union Europa e. V. (1976 als Türkische Union Europa e. V. gegründet; 1982 umbenannt) Vereinigung der neuen Abspaltung der KAPLANWeltsicht in Europa Anhänger e. V. (AMGT) Verband der Islamischen Vereine und Gemeinden e. V. 1985 (ICCB) (späterer Kalifatsstaat) 1984 Europäische Islamische Moscheebauund Gemeinschaft Milli UnterstützungsGörüs e. V. (IGMG) gemeinschaft e. V. (EMUG) 1995 1994 Die IGMG bestreitet, eine Form des Islam zu propagieren, die gegen die politisch-gesellschaftliche Integration der in der Bundesrepublik lebenden Menschen türkischer Abstammung gerichtet sei. Tatsächlich versucht die IGMG jedoch über einen umfangreichen Katalog von Angeboten wie Korankurse, Hausaufgabenbetreuung, Ferienlager oder Sportaktivitäten Muslime durch möglichst alle Lebensbereiche umfassende 93 Darstellung in Anlehnung an: Lemmen, Islamische Vereine und Verbände in Deutschland, 2002. 152 Ausländerextremismus Angebote an sich zu binden und mit der politischen Ideologie der "Adil Düzen" zu indoktrinieren. Diese Vorgehensweise ist auch von anderen islamistischen Gruppierungen wie der Muslimbruderschaft oder der Hizb Allah bekannt. Zu der von der IGMG organisierten "Betreuung" gehören auch eine Wallfahrtsorganisation, ein Vertrieb für religiöse Literatur, ein muslimisches Sozialwerk, ein Bestattungsfonds sowie Handelsgesellschaften für den Imund Export von Lebensmitteln. Auch in Niedersachsen besteht ein Landesverband, zu dem mindestens 37 Ortsvereine gehören, u.a. in Braunschweig, Hannover, Oldenburg, Osnabrück und Salzgitter. Eine sehr aktive Einrichtung der IGMG ist das Braunschweiger Kulturund Bildungszentrum, das neben Nachhilfeunterricht und Hausaufgabenbetreuung auch Koranunterricht speziell für Kinder anbietet. Aktivitäten Im Gegensatz zu früheren Großveranstaltungen mit politischen Schwerpunkten hatte der so genannte Familientag der IGMG am 14. und 15. Mai in Kerpen, an dem etwa 25.000 Besucher aus Deutschland und den benachbarten Ländern teilnahmen, eher Volksfestcharakter. Als langfristig bedeutsam für den Integrationsprozess könnten sich Bemühungen erweisen, auf Bundesebene eine einheitliche Vertretung der Muslime zu schaffen. An den Tagungen von Vertretern muslimischer Verbände am 26./27. Februar in der Nähe von Hamburg und am 10. September in Hannover war die IGMG zumindest mittelbar über den von ihr dominierten Islamrat für die Bundesrepublik Deutschland beteiligt. Die IGMG versucht sich durch dieses Engagement politisch zu positionieren. 2006 soll mit der Abstimmung über einen Entwurf für eine bundesweite Organisation der Startschuss für die einheitliche Vertretung der Muslime erfolgen. Der Generalsekretär der IGMG, Oguz ÜCÜNCÜ, bezeichnete die Beschlüsse dieser Gespräche gegenüber der Presse als einen "entscheidenden Durchbruch" und hoffte auf einen "beherzten Schritt" der deutschen Politik. Nadeem ELYAS zufolge, der bis Anfang Februar 2006 Vorsitzender des ZMD war, soll die neue Dachorganisation "legitimer Ansprechpartner" für Staat und Gesellschaft werden. Ziel sei es darüber hinaus, als Religionsgemeinschaft mit allen Rechten anerkannt zu werden. Zu diesen Rechten gehörten etwa der Bau von Moscheen, Islamunterricht an den Schulen sowie die Einführung islamischer Feiertage und die Erhebung von zentralen Kirchensteuern. Ausländerextremismus 153 Die Milli Gazete als Sprachrohr der Milli Görüs-Bewegung IGMG-Funktionäre nutzen ihren Einfluss in den Moscheen der Milli Görüs, um für die türkischsprachige Tageszeitung Milli Gazete (Nationalzeitung) zu werben. Aufgrund ihrer ideologischen Nähe kann die Milli Gazete als Sprachrohr der IGMG bezeichnet werden. Über den Bücherkatalog der IGMG werden Publikationen von Milli Gazete-Kolumnisten vertrieben. Die Anbindung der Milli Gazete an die IGMG wird deutlich, wenn man die die IGMG betreffende Berichterstattung heranzieht. Die Fülle von Berichten über IGMG-Veranstaltungen geht weit über das Maß hinaus, das man bei einer verbandsunabhängigen Zeitung erwarten müsste. In der Berichterstattung wird die Verbindung zwischen Milli Gazete und IGMG offen dargelegt. So hielt laut einem Bericht auf Seite 3 der Milli Gazete vom 17. Februar der Leiter des IGMGOrtsvereins in Neustadt am Rübenberge anlässlich einer Feier zum Opferfest eine Ansprache, in der er für ein Abonnement der Milli Gazete warb. Wörtlich sagte er: "Die Milli Gazete ist unsere Lebensader. Für sie einzutreten, sie zu lesen und andere dazu zu motivieren, sollte unsere vorrangige Aufgabe sein." Deutlich wird die Wechselbeziehung zwischen der Milli Gazete und der Milli Görüs auch in einem Artikel der Milli Gazete vom 20. Juli: "Der Erfolg von Milli Gazete ist der Erfolg der Milli Görüs. Der Erfolg von Milli Görüs ist der Erfolg unserer Nation." Der Zusammenhang zwischen der Lektüre der Milli Gazete und dem Erfolg der türkischen Nation wird anschließend näher erläutert: "Wir alle haben Kinder und eine 'saubere Gesellschaft' ist unser aller Ideal. Die 'saubere Gesellschaft' kann allerdings ausschließlich mit der 'Milli GörüsMentalität' verwirklicht werden. Das bedeutet auch, dass in jedem Haus Milli Gazete gelesen werden muss." Weiterhin wird der Generaldirektor der Milli Gazete zitiert, der anlässlich einer Abendveranstaltung für Milli GazeteAbonnenten in Istanbul erklärte: "Wenn ihr wollt, dass unser Hodja Necmettin Erbakan in jedes Haus kommt, müsst ihr Milli Gazete lesen. Diese Zeitung 154 Ausländerextremismus reflektiert mit allem, mit jeder Nachricht, die Position der Milli Görüs." Die Milli Gazete sieht sich nach einem in der Ausgabe vom 7. November veröffentlichen "Brief von Milli Gazete" in der Pflicht, bei den Muslimen ein politisches Bewusstsein zu schaffen. Unter Hinweis auf die "Feinde der Menschheit", die fürchteten, dass die Muslime ein politisches Bewusstsein entwickeln könnten, erläutert sie: "Als Milli Gazete ist es unsere Pflicht, die Stimme derjenigen Menschen zu sein, die dieses politische Bewusstsein schaffen wollen, diese Pflicht so gut wie möglich zu verbreiten und unsere Veröffentlichungen dazu zu nutzen, dass ihr politischer Wille zur Herrschaft gelangt." Die Milli Gazete verbreitet in ihren Beiträgen für den Islamismus typische Weltsichten. So werden Christen als "Kreuzzügler", d. h. als Feinde des Islam bezeichnet: "Sie (die Kreuzritter) wenden jede Form von List an, um unsere Macht zu schwächen und uns unseren Staat wegzunehmen. Wir müssen uns schleunigst die glanzvollen Phasen unserer Geschichte vor Augen führen und den Armeen der Kreuzritter erneut unser materielles und ideelles Rüstzeug entgegensetzen." (Milli Gazete vom 07.06.2005, S. 13) Die Politik der westlichen Staaten erscheint in der Darstellung der Milli Gazete nicht besser als der Terrorismus, der als Vorwand für die Diskriminierung der Muslime diene. Unter der Überschrift "Sieht so die Demokratie aus?" heißt es auf der Titelseite: "Nach den USA, England und Frankreich hat auch Australien den Terror zum Vorwand genommen und unterdrückt die muslimische Bevölkerung. Auch Deutschland bereitet sich darauf vor, sich den Reihen der Unterdrücker und Inhibitoren anzuschließen. Offensichtlich wird der Terror als Legitimation genommen, den Islam, die Muslime und die islamische Welt zur Zielscheibe zu erklären." (Milli Gazete vom 09.08.2005, S. 1) Aufschlüsse über die gesellschaftspolitischen Intentionen der IGMG für die Bundesrepublik Deutschland liefert die Milli Gazete vom 26./27. Februar, die über ein Treffen von christlichen, jüdischen und islamischen Religionsvertretern berich- Ausländerextremismus 155 tet. Den Ansichten der muslimischen Vertreter wird breiter Raum gewährt: "Wir glauben, das beste Modell für ein friedvolles Zusammenleben in Deutschland liefert das osmanische Modell." (Ali Ihsan GÜMÜSOGLU, Vorsitzender der Hagia - Sophia - Moschee in Karlsruhe) "Vielleicht ist das osmanische Modell das beste. Ihm ist es gelungen, die verschiedenen Kulturen und Glaubensgemeinschaften zusammenzuhalten." (Samir MOURAD, EIFDIK - Vorsitzender) Mit dem "osmanischen Modell für ein friedvolles Zusammenleben" ist das sog. Millet-System im Osmanischen Reich gemeint, das sich grundlegend von einem auf der freiheitlichen demokratischen Grundordnung aufbauenden Verständnis von Integration unterscheidet. Das Millet-System, das sich an den islamischen Vorschriften für die Behandlung anerkannter religiöser Minderheiten orientierte, ordnete nichtmuslimischen Personen im Verhältnis zu sunnitischen Muslimen einen minderwertigen Rechtsstatus zu. So konnten z. B. Christen im Osmanischen Reich bis zur Mitte des 19. Jahrhundert grundsätzlich keine höheren Militär-, Ziviloder Hofverwaltungsämter ausüben. Weiterhin trat im Millet-System das Individuum gegenüber der Gruppe zurück; jeder Untertan des osmanischen Staates wurde primär als Mitglied einer Glaubensgemeinschaft, sei sie muslimischer, christlicher oder jüdischer Ausrichtung, angesehen. Das führte zu einem nicht immer friedlichen Neben-, nicht jedoch zu einem gleichberechtigten Miteinander von Angehörigen verschiedener Religionsgemeinschaften. Dabei galt der muslimische Staatsbürger dem nichtmuslimischen gegenüber als naturgemäß überlegen. "Benutzt man den Scharia-Begriff speziell im islamischen Zusammenhang, dann sind die islamischen Gesetze gemeint. Erklärt die Politik ihre Unabhängigkeit von der Scharia, dann wird sie absolut und zur Quelle der Unterdrückung." (Milli Gazete vom 05.07.2005, S. 13) Mit diesem offenen Bekenntnis zur Scharia sowie der Propagierung einer ideologischen Zielvorstellung, in welcher der Einzelne über seine Religionszugehörigkeit definiert wird, grenzt sich Milli Görüs von der auf den Individualrechten basierenden freiheitlichen Gesellschaft der Bundesrepublik Deutschland ab. 156 Ausländerextremismus Der Kalifatsstaat (Hilafet Devleti) Gegründet: 1984 in Köln Sitz: Köln Leitung: Metin KAPLAN Mitglieder/ Anhänger 2004 2005 Bund: 750 750 Niedersachsen: 140 130 Verbot: seit dem 12.12. 2001 Die Vereinigung Kalifatsstaat betrieb unter der Leitung des selbst ernannten Kalifen Metin KAPLAN von der Bundesrepublik aus den Sturz der laizistischen Staatsordnung in der Türkei und gefährdete damit außenpolitische Interessen Deutschlands. Die selbst im islamistischen Kontext als äußerst radikal einzustufende Ideologie dieser Vereinigung war in besonderem Maße geeignet, mit ihrer antiwestlichen Propaganda den Gedanken der Völkerverständigung und das friedliche Zusammenleben der Völker zu gefährden. Ursprung und Entwicklung Der Kalifatsstaat ging 1994 aus dem Verband der islamischen Vereine und Gemeinden e. V. Köln (ICCB) hervor. Diesen hatte der als "Khomeini von Köln" bekannt gewordene Cemaleddin KAPLAN, der Vater von Metin KAPLAN, 1984 gegründet. Mit der Gründung des ICCB hatte sich KAPLAN von der Milli Görüs-Bewegung Necmettin ERBAKANs getrennt, dem er eine zu große Kompromissbereitschaft vorwarf. Nachdem sich KAPLAN 1994 zum Kalifen der Muslime erklärt hatte, nannte sich der ICCB fortan Kalifatsstaat (Hilafet Devleti). Das Ziel des 1995 verstorbenen Vaters, einen revolutionärislamistischen Umsturz in der Türkei herbeizuführen, behielt auch sein Nachfolger Metin KAPLAN bei. Unter dessen Führung nahm die Organisation zunehmend sektiererische Züge an. Während die Anhängerzahl auch aufgrund mangelnden Charismas des neuen Kalifen abnahm, eskalierten die internen Auseinandersetzungen. 1997 wurde Yusuf Ibrahim SOFU, ein Konkurrent Metin KAPLANs, von unbekannten Tätern er- Ausländerextremismus 157 schossen. Wegen öffentlicher Aufforderung zu dieser Straftat wurde KAPLAN zu einer mehrjährigen Freiheitsstrafe verurteilt. Seit seiner Freilassung im März 2003 kam es zu intensiven juristischen Auseinandersetzungen um seinen Verbleib in Deutschland. Im Oktober 2004 wurde Kaplan in die Türkei abgeschoben. Dort verurteilte ihn ein Istanbuler Gericht am 20. Juni wegen Hochverrats zu einer lebenslangen Haftstrafe ohne Aussicht auf vorzeitige Entlassung. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass KAPLAN seinen Anhängern 1998 den Auftrag zu einem Attentat auf die türkische Regierung erteilte. Ende November hob das Berufungsgericht in Ankara dieses Urteil gegen KAPLAN wegen Verfahrensfehlern auf und ordnete ein neues Gerichtsverfahren an. Verbot des Kalifatsstaates Nach Streichung des Religionsprivilegs94 wurde der Kalifatsstaat als erste islamistische Organisation am 12.12.2001 vom Bundesminister des Innern verboten. Laut Verbotsverfügung richtete sich der Verein, der die Beseitigung des laizistischen türkischen Staates anstrebte, gegen die verfassungsmäßige Ordnung und den Gedanken der Völkerverständigung. Der Kalifatsstaat lehnte die parlamentarische Demokratie und den Parteienpluralismus als "unislamisch" ab und verbreitete in seinen Publikationen aggressive antijüdische und antizionistische Propaganda. Das Verbot führte zu einer erheblichen Schwächung der Organisation. Allein der Verlust der Vereinsräumlichkeiten stellte ein erhebliches logistisches Problem dar. Inzwischen treffen sich ehemalige Mitglieder des Kalifatsstaats - überwiegend zum Freitagsgebet - in Privatwohnungen bzw. neu angemieteten Liegenschaften. Die Abschiebung KAPLANs im Oktober 2004 wirkte sich hingegen kaum auf die weitere Entwicklung der Organisation aus, da er bereits seit seiner Inhaftierung im Jahr 2000 mehr Symbolfigur als tatsächlicher Führer des Kalifatsstaats war. 94 Der Begriff Religionsprivileg bezieht sich auf die besondere Stellung von Religionsgemeinschaften und weltanschaulichen Vereinigungen in Deutschland. Diese waren von den Vorschriften des Vereinsgesetzes ausgenommen. Am 09.11.2001 hob der Bundestag nahezu einstimmig das Religionsprivileg des Vereinsgesetzes auf. Angesichts der terroristischen Bedrohungen, wie sie durch die Anschläge des 11.09.2001 zum Ausdruck gekommen waren, wurde die Möglichkeit geschaffen, extremistische Religionsgemeinschaften gegebenenfalls auch zu verbieten. Betroffen sind Vereinigungen, die unter dem Deckmantel der Religionsausübung ihre Aktivität gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder die Strafgesetze richten. 158 Ausländerextremismus In den Regionen, in denen der Kalifatsstaat vor dem Verbot Vereine und Moscheen hatte (Osnabrück, Salzgitter und Wunstorf), fanden Treffen von Sympathisanten statt. Aufgrund dieser Treffen sowie wegen finanzieller Transaktionen zugunsten des Kalifatstaates leitete die Polizei Verfahren wegen des Verdachts der Fortführung einer verbotenen Organisation ein. Die Zurückhaltung der Anhänger des Kalifatsstaats im Zusammenhang mit der Abschiebung KAPLANs bestätigt die Einschätzung der Sicherheitsbehörden, wonach insbesondere verdachtsunabhängige Kontrollen vor bekannten Versammlungsorten und die Angst, möglicherweise selbst abgeschoben zu werden, sich lähmend auf die Reste der Organisation auswirken. Schiitischer Islamismus Maßgeblichen Einfluss auf die extremistischen Aktivitäten schiitischer Muslime hat die religiöse und politische Führung der Islamischen Republik Iran, dem Land mit der größten Zahl von schiitischen Gläubigen. Seit der "Islamischen Revolution" von 1979 ist der islamische Oberste Rechtsgelehrte, der "Revolutionsführer", die höchste Autorität im Iran. Nach der iranischen Verfassung ist alle staatliche Gewalt der religiösen Führung untergeordnet. Der schiitische Islam ist die Staatsreligion des Iran. Die religiöse Führung bestimmt die innenund außenpolitischen Leitlinien. Die Politik der Staatsführung ist antiwestlich und antizionistisch95 sowie antiisraelisch ausgerichtet. Im Oktober verdeutlichte der iranische Präsident Ahmadinedschad die Radikalität der gegenwärtigen iranischen Staatsführung, als er auf einer Konferenz mit dem Titel "Die Welt ohne Zionismus" die "Tilgung Israels von der Landkarte" forderte. Die weltweite Verbreitung der iranisch-schiitischen Vorstellungen von einer "Islamischen Revolution" ist bis heute maßgebliches Ziel der Politik des Iran. Zur Umsetzung dieses Ziels dient in Deutschland insbesondere das Islamische Zen95 Der Begriff Zionismus nimmt Bezug auf den Namen des Jerusalemer Tempelberges "Zion", der oft als Synonym für Jerusalem und das Land Israel gebraucht wird. "Der Zionismus ist eine Ideologie, die die Sehnsucht von Juden aus aller Welt nach ihrer historischen Heimat zum Ausdruck bringt - die Sehnsucht nach Zion, dem Land Israel."(Prof. Benyamin Neuberger) Der Begriff bezeichnet die (Ende des 19. Jh.s entstandene) jüdische National-Bewegung, die sich für die Errichtung eines nationalen Staates fürJuden in Palästina einsetzte. Von so genannten Antizionisten wird mit dem Begriff heute auch eine politische Ideologie bezeichnet, die eine Vergrößerung des israelischen Territoriums zu Lasten der Palästinenser befürwortet. Ausländerextremismus 159 trum Hamburg als zentraler Anlaufpunkt der schiitischen Muslime. Seit Anfang 2004 leitet der iranische Ayatollah Seyyed Abbas Hosseini Ghaemmaghami das IZH. Auch in Niedersachsen richten sich verschiedene islamistische Vereinigungen auf das Islamische Zentrum Hamburg aus, teilweise werden Satzungsfragen und andere wesentliche Entscheidungen von der Zustimmung des Islamischen Zentrums Hamburg abhängig gemacht. Traditionell dient der so genannte al-Quds-Tag96 zur Demonstration schiitisch-islamistischer Überzeugungen. Anlässlich des Jerusalem-Tages versammelten sich am 29. Oktober in Berlin rund 300 Personen, deutlich weniger als in den Vorjahren, zu einer friedlich verlaufenen Kundgebung. Auch aus Niedersachsen reisten im Jahr 2005 weniger Teilnehmer an als im Vorjahr. Muslim-Markt Die Ausrichtung an der "Islamischen Revolution" im Iran spiegelt sich auch im bedeutendsten muslimischen Internet-Portal in Niedersachsen, dem von dem deutschen Islamisten türkischer Abstammung Dr. Yavuz ÖZOGUZ aus Delmenhorst betriebenen "Muslim-Markt", wider. Dr. ÖZOGUZ und sein Bruder sind zum schiitischen Islam konvertiert. Er unterstützt mit Nachdruck die Politik des iranischen Revolutionsführers Ayatollah Ali Khamenei. Strafrechtliche Konsequenzen hatte seine Wiedergabe einer antisemitischen Rede Khameneis auf den Seiten des "Muslim-Markts". Darin hieß es: "Alle Politiker, alle Journalisten, alle Intellektuellen, alle Offiziellen des Westens sollen ihre Köpfe verbeugen, um der Gaskammern zu gedenken. Dabei sollen sie alle einem Märchen beipflichten, dessen Authentizität gar nicht klar ist ..." 96 Al-Quds ist der arabische Name für Jerusalem (die Heilige [Stadt]). Die jährlich durchgeführten "al-Quds"-Tage, zu denen der iranische Revolutionsführer Ayatollah Khomeini im Jahre 1979 aufgerufen hatte, richten sich gegen die israelische Präsenz in Jerusalem. Der weltweite Gedenktag wird seit 1996 auch in Deutschland von Angehörigen der iranischen Gemeinden in Berlin organisiert und von Schiiten verschiedener ethnischer Herkunft (u. a. Libanesen, Türken, Kurden, Araber und Deutsche) begangen. 160 Ausländerextremismus Aufgrund dieser den Holocaust leugnenden Aussage sowie der kommentarlosen Gegenüberstellung von Bilddokumenten aus der Zeit des Nationalsozialismus mit aktuellen Aufnahmen aus dem Westjordanland verurteilte das Amtsgericht Delmenhorst ÖZOGUZ am 19. Januar wegen Volksverhetzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Monaten auf Bewährung. Gegen Zahlung von 1.000 EUR an ein Kinderhospiz stellte das Landgericht Oldenburg Anfang Dezember 2004 das Strafverfahren gegen ÖZOGUZ ein. Bundesweite Beachtung fand ein im Forenbereich des Muslim-Marktes am 9. September veröffentlichter Beitrag, der sich gegen den islamkritischen Publizisten Dr. Hans-Peter Raddatz richtete. In dem Text hieß es: "Wenn der Islam so ist, wie Raddatz es immer wieder vorstellt, dann möge der allmächtige Schöpfer alle Anhänger jener Religion vernichten. Und wenn Herr Raddatz ein Hassprediger und Lügner ist, dann möge der allmächtige Schöpfer ihn für seine Verbrechen bestrafen." Die vorstehende Äußerung wurde von einigen namhaften Islamwissenschaftlern als Mordaufruf bewertet und führte zu einem weiteren Ermittlungsverfahren gegen Dr. ÖZOGUZ. Mittlerweile rief ÖZOGUZ zu Spenden für den Muslim-Markt auf, was auf finanzielle Probleme dieses Forums hindeutet. Hizb Allah (Partei Gottes) Gegründet: 1982 im Libanon Sitz: Beirut Generalsekretär: Hassan NASRALLAH Mitglieder/Anhänger 2004 2005 Bund: 850 900 Niedersachsen: 140 140 Publikation: Al-Ahd (Die Verpflichtung) Die libanesisch-schiitische Organisation Hizb Allah (Partei Gottes) bekämpft mit terroristischen Mitteln insbesondere den Staat Israel, richtet ihre Propaganda aber auch gegen westliche Institutionen. Ausländerextremismus 161 Ursprung und Entwicklung Die "Partei"97 Hizb Allah wurde 1982 unter maßgeblicher Steuerung durch die Islamische Republik Iran als Vertretung des radikalsten Teils der libanesischen Schiitengemeinde gegründet. Vorbild für die Hizb Allah ist der revolutionäre Iran; die Lehren des iranischen Revolutionsführers Khomeini gelten als richtungweisend. Nach dem Tode Khomeinis lockerten sich allerdings zunehmend die früher engen Beziehungen. Ihren politischen Einfluss stützt die schiitische Organisation wie andere islamistische Organisationen auch auf die soziale und karitative Betreuung ihrer Anhängerschaft. Dieses umfassende Betreuungssystem hatte die Hizb Allah mit finanzieller Unterstützung Irans aufbauen können. Im Emblem der Hizb Allah kommt die politische Ausrichtung zum Ausdruck. Es zeigt in arabischer Schrift den Namen der Organisation Hizb Allah. Eine aus diesem Schriftzug erwachsende Faust hält eine Kalaschnikow, über der das Koranzitat "Die auf Gottes Seite stehen, werden Sieger sein" steht. Dies kann aber auch politisch als "Die Hizb Allah wird Sieger sein" gelesen werden. Die Unterzeile unter diesem Signet weist auf die politische Zielrichtung: "Islamische Revolution im Libanon!". Hizb Allah in Deutschland Die Hizb Allah tritt in Deutschland in der Öffentlichkeit kaum mit Aktivitäten in Erscheinung. Bundesweite Veranstaltungen haben nur geringen Zulauf. Jährlich feiern die Hizb Allah-Anhänger zum Beispiel den Abzug der israelischen Armee aus dem Südlibanon im Jahr 2000 als größten Erfolg in der Geschichte ihrer Organisation. In Niedersachsen haben sich Anhänger der Hizb Allah in mehreren konspirativ arbeitenden Ortsgruppen bzw. Stützpunkten organisiert, unter anderem in Hannover, Osnabrück, Uelzen und in Südniedersachsen. Aktivitäten sind auch im niedersächsischen Umland Bremens zu beobachten. Über Funktionäre, die aus dem Libanon stammen, erfolgt eine Anbindung dieser Gruppen an die Mutterorganisation. Die Ortsgruppen finanzieren sich hauptsächlich über Spendensammlungen. 97 Obwohl hizb im modernen Hocharabisch mit "Partei" wiedergegeben wird, stammt der Ausdruck hizb allah ursprünglich aus dem Koran, Sure 5, Vers 56 beziehungsweise Sure 58, Vers 22, und bedeutet "die auf Gottes Seite stehen". Die sowohl politisch als auch religiös mögliche Interpretation spiegelt den ambivalenten Charakter der Organisation wider. 162 Ausländerextremismus Ungeachtet einer verbreiteten Sympathie für die politischen und ideologischen Ziele der Hizb Allah lässt das Interesse an den Ereignissen im Heimatland unter den hier lebenden Libanesen nach. Dennoch muss davon ausgegangen werden, dass im Falle einer Eskalation des Nahost-Konfliktes auch unter den hier lebenden Hizb Allah-Anhängern eine über die verbale und finanzielle Unterstützung hinausgehende Mobilisierungsbereitschaft besteht. Volkskongress Kurdistans (KONGRA GEL) - ehemals Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistans (KADEK) / Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) Gegründet: 1978 in der Türkei Generalvorsitzender: Abdullah ÖCALAN Sitz: bis 10/98 Damaskus, seitdem ohne festen Sitz Mitglieder/Anhänger 2004 2005 Bund: 11.500 11.500 Niedersachsen: 1.500 1.500 Publikationen: Özgür Politika, täglich (bis September) Serxwebun (Unabhängigkeit), monatlich Kurdistan-Report, zweimonatlich Weitere Publikationen der Teilund Nebenorganisationen des KONGRA GEL, z. B. Jina Serbilind (Die stolze Frau) Roja Kurdistane (Sonne Kurdistans) Özgür Genclik (Freie Jugend) Ronahi (Licht) Betätigungsverbot: seit dem 26.11.1993 für die PKK98 Der Volkskongress Kurdistans (KONGRA GEL) ist nach zweifacher Umbenennung aus der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) hervorgegangen. War die Organisation in ihren An98 Gleiches gilt für die Organisationen Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistans (KADEK) und Volkskongress Kurdistans (KONGRA GEL), bei denen es sich nach der Auffassung des Bundesministeriums des Innern um reine Umbenennungen handelt, für die das Verbot fortbesteht. Eine Aufnahme in die EU-Liste terroristischer Organisationen besteht für die PKK seit 02.05.2002, für KADEK und KONGRA GEL seit 02.04.2004. Ausländerextremismus 163 fängen zunächst von der marxistisch-leninistischen Ideologie geprägt, wurde sie im Laufe der Jahre zunehmend durch kurdisch-nationalistisches Gedankengut bestimmt. Die PKK brachte diese nationalistische Ideologie sowohl in der Türkei als auch in der Bundesrepublik Deutschland auf militante und gewalttätige Weise zum Ausdruck. Auch heute ist der KONGRA GEL grundsätzlich bereit, Gewalt zur Verwirklichung seiner politischen Ziele einzusetzen. Ursprung und Entwicklung Die 1978 von Abdullah ÖCALAN in der Türkei gegründete PKK hatte ursprünglich zum Ziel, einen politisch autonomen Kurdenstaat auf türkischem, teilweise auch auf iranischem, irakischem, syrischem und armenischem Gebiet zu gründen. Erst in jüngster Zeit rückte sie von dieser Forderung ab. ÖCALAN erkämpfte sich in den Folgejahren gewaltsam den Aufstieg zur maßgeblichen Führungsfigur der Organisation. Aus seinem Exil in Damaskus (Syrien) heraus prägte er die programmatischen Leitlinien der PKK. ÖCALAN ordnete von dort aus eine Vielzahl parteiinterner "Säuberungen" zur Durchsetzung seines politisch-ideologischen Führungsanspruches an. Konkurrenten wurden verfolgt oder ermordet. Politischer Druck der Türkei gegenüber der syrischen Regierung führte Ende 1998 zur Ausweisung ÖCALANs aus seinem Exil in Damaskus. Nach seiner Verhaftung am 16.02.1999 in Nairobi wurde ÖCALAN zu einer lebenslänglichen Haftstrafe wegen Hochverrats verurteilt, die er in einem eigens für ihn unterhaltenen Hochsicherheitsgefängnis auf der Insel Imrali im Marmara-Meer verbüßt. Seit 1984 kämpft die PKK bzw. KADEK/KONGRA GEL auch mit einem militärischen Arm für einen unabhängigen Kurdenstaat. Der bewaffnete Kampf der PKK-Guerilla richtete sich zunächst gegen türkische Gendarmerieund Militäreinheiten. In den Folgejahren zielte er aber auch auf Teile der kurdischen Bevölkerung, wenn diese sich der Programmatik der PKK und ihrem Alleinvertretungsanspruch widersetzte. Die Türkei reagierte auf diese Entwicklung mit der Verhängung des Kriegsrechts in den betroffenen südöstlichen Provinzen. Auch in Deutschland versuchte die PKK mit politischen und gewalttätigen Aktionen, den Kampf in der Türkei zu unterstützen. Daher untersagte das Bundesministerium des Innern der PKK im Jahr 1993, sich im Bundesgebiet zu betätigen. Das Betätigungsverbot umfasst auch den KADEK und KONGRA GEL, bei denen es sich nach deutscher Auffassung um reine Umbenennungen handelt. 164 Ausländerextremismus Strategiewechsel und Umbenennung Die PKK war bereits vor der Festnahme ÖCALANs in die Defensive geraten und versuchte daher ab 1999, auf politischem Feld Terrain zurückzugewinnen. Diese neue Phase war gekennzeichnet durch verschiedene Friedensinitiativen wie z. B. Gewaltverzichtserklärungen gegenüber der Türkei, angebliche innerorganisatorische Demokratisierungsanstrengungen sowie politische Agitation in der Türkei und in Europa. Der Höhepunkt dieser Entwicklung war die "Auflösung" der PKK im Jahr 2002 und die gleichzeitige "Gründung" einer "neuen" Organisation mit dem Namen Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistans (KADEK). Ende 2003 löste sich der KADEK auf; an seine Stelle trat der Volkskongress Kurdistans (KONGRA GEL). Dieser sollte nach Aussagen des Parteivorsitzenden Zübeyir AYDAR die militärischen Auseinandersetzungen beenden und stattdessen einen politischen Kampf führen. Dies ist jedoch eher als Absichtserklärung zu verstehen. Denn Mitte 2004 hoben die Volksverteidigungseinheiten, der militärische Arm des KONGRA GEL, den seit 1998 anhaltenden einseitigen Waffenstillstand mit der Türkei auf. Organisationsinterne Meinungsverschiedenheiten bezüglich des weiteren Kurses des KONGRA GEL führten im Jahr 2004 dazu, dass einige führende Funktionäre unter Leitung des abtrünnigen Osman ÖCALAN, des Bruders von Abdullah ÖCALAN, die Patriotisch-Demokratische Partei (PWD) im Nordirak gründeten. Diese Gruppierung ist von ihrer Anzahl her eher unbedeutend und innerhalb der KONGRA GEL-Anhänger nicht auf große Sympathien gestoßen. Ihre Gründung ist jedoch ein deutliches Anzeichen für die Unsicherheiten der KONGRA GEL-Führungskader bezüglich des weiteren Kurses der Organisation. Gründung der "neuen PKK" Unter dem Eindruck dieser Abspaltungstendenzen bildeten die Abdullah ÖCALAN weiterhin treuen Kader unter dem Vorsitzenden des Exekutivrates99 des KONGRA GEL, Murat KARAYILAN, bereits im April 2004 ein Vorbereitungskomitee für den Neuaufbau der PKK, welches eine Satzung und ein 99 Der Exekutivrat besteht aus 40 Mitgliedern und leitet und kontrolliert die ihm unterstellten Komitees für Politik, Soziales, Kunst, Medien, Frauen, Jugend etc. Der Exekutivrat sowie der Vorstand mit Zübeyir AYDAR als Vorsitzendem und sechs Stellvertretern bilden zusammen das höchste Exekutivorgan des KONGRA GEL. Ausländerextremismus 165 Programm ausarbeiten sollte. Vom 28. März bis 4. April fand schließlich ein "Kongress für den Wiederaufbau der PKK" statt, in dessen Anschluss die Gründung der "neuen PKK" erklärt wurde. Dabei handelt es sich jedoch nicht um eine erneute Umbenennung des KONGRA GEL, sondern um eine neue Teilorganisation innerhalb des Gesamtgefüges des KONGRA GEL. Ihre Aufgabe soll es sein, über eine ideologische Schulung die Anbindung der Funktionäre an die Organisation zu stabilisieren und über den Namen PKK die Identifizierung mit der Organisation wiederherzustellen. Wesentliches Ziel der "neuen PKK" ist es, eine "Föderation des Demokratischen Nahen Ostens" zu erreichen, so dass der Wirkbereich der neuen Organisation seinen Schwerpunkt zunächst im Nahen Osten und nicht in Europa haben wird. In einem Interview der Mezopotamja Haber Ajansi (MHA) News Agency mit Murat KARAYILAN vom 8. April wird die Rolle der "neuen PKK" und deren zustimmende Haltung zum Einsatz von Gewalt deutlich: "In erster Linie geht es um ideologische ... Vorreiterschaft, um die Gestaltung ... des Kampfverständnisses für das kurdische Volk. ... Die PKK beabsichtigt, ihre politische Linie in Kurdistan nicht unter eigenem Namen, sondern über den KONGRA GEL in die Tat umzusetzen. Die PKK befürwortet die Linie der legitimen Verteidigung." Die "neue" PKK soll somit - vergleichbar der "alten" PKK - das politisch-ideologische Führungszentrum für den KONGRA GEL bilden. KARAYILAN stellt klar, dass die "neue PKK" das Konzept und die Ideen Abdullah ÖCALANs als wegweisend ansieht: "Der Apoismus100 bildet die Seele, den Geist." Neue Vorstellungen zur Lösung der Kurdenfrage Im Jahr 2005 wurde der KONGRA GEL damit konfrontiert, dass im Nordirak erstmals für einen Teil des kurdischen Siedlungsgebietes eine eigenständige Verwaltung verwirklicht wurde, ohne dass dabei der KONGRA GEL beteiligt war. Dies zeigte dem KONGRA GEL, dass das in der Vergangenheit angestrebte eigenständige Staatswesen "Kurdistan" im Nahen Osten kaum mehr zu verwirklichen war. So rückte Abdullah ÖCALAN von dieser Forderung ab und ließ in einer Grußbot100 "Apo", zu deutsch "Onkel", ist in KONGRA GEL-Kreisen ein Synonym für Abdullah ÖCALAN. 166 Ausländerextremismus schaft zum Newroz-Fest sowie auf der Internetseite des 101 KONGRA GEL Ende März ein neues Konzept, den "Demokratischen Konföderalismus Kurdistans", zur Lösung der Kurdenfrage im Nahen Osten verkünden. Kern des politischen Konzepts soll es sein, so genannte demokratisch legitimierte Lösungsansätze der Kurdenfrage in den vier von Kurden besiedelten Staaten (Iran, Irak, Syrien und Türkei) zu erarbeiten. Ziel soll jedoch nicht ein eigenständiges Staatswesen sein, sondern tiefgreifende demokratische Reformen innerhalb der betroffenen Staaten. "Regionale freie Bürgerräte" sollen ein Rechtssystem entwickeln, welches gleichberechtigt neben EU-Recht und dem Recht des jeweiligen Staates gültig sein soll: "Von nun an haben in Kurdistan drei Rechtssysteme Gültigkeit: Das EU-Recht, das Recht des jeweiligen Einheitsstaates und das demokratisch-konföderale Recht." (aus dem Konzept des "Demokratischen Konföderalismus Kurdistans", Internetseite des KONGRA GEL, Ausdruck vom 05.04.2005) Militärische Mittel sollen nur im Verteidigungsfall zum Einsatz kommen. Die Erklärung ÖCALANs, dass sich der "demokratische Konföderalismus ... gegenüber Angriffen auf das Land, das Volk und die Freiheit sowie bei eklatanten Rechtsverletzungen ... auf sein legitimes Recht auf Selbstverteidigung (beruft)", macht deutlich, dass der KONGRA GEL immer noch nicht zu einem generellen Gewaltverzicht bereit ist. Zugleich verkündete ÖCALAN die Gründung einer "Konföderation der kurdischen Gemeinschaften" ("Koma Komalen Kurdistan", KKK) als Ausdruck der "demokratischen konföderalen Organisation" und erklärte sich zu deren Führer. Nach der Propagierung des Modells des "Demokratischen Konföderalismus Kurdistans" hat der KONGRA GEL auch eine Umbenennung seiner Organe eingeleitet. Zunehmend ist nicht mehr vom Exekutivrat des KONGRA GEL, sondern vom Exekutivrat des "Demokratischen Konföderalismus 101 Die Kurden gehören zum iranischen Kulturkreis und sprechen eine westiranische Sprache. Nach altiranischer Vorstellung beginnt das neue Jahr mit dem Frühlingsanfang. Das Newroz-Fest geht auf einen angeblich 2.500 Jahre alten Mythos zurück. Seinerzeit habe sich das kurdische Volk mit einem Fackelmarsch gegen die Tyrannei eines Despoten erhoben. Tatsächlich entstammt das Newroz-Fest dem iranischen Kulturkreis. Traditionell ist der Tanz in der Landestracht um ein offenes Feuer. Der KONGRA GEL instrumentalisiert diesen Festtag zu Propagandazwecken. Ausländerextremismus 167 Kurdistans" bzw. der KKK die Rede. Das soll offenbar dazu beitragen, der verbotenen Organisation PKK den Anschein demokratischer Strukturen zu geben. Führungsanspruch von Abdullah ÖCALAN Am 12. Mai bestätigte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg sein Urteil bezüglich der Klage Abdullah ÖCALANs gegen die Türkei aus dem Jahr 2003. Das Gericht rügte den Verlauf des Prozesses gegen ÖCALAN aus dem Jahr 1999 in der Türkei erneut als unfair, bestätigte jedoch auch, dass in Bezug auf dessen Festnahme im Februar 1999 in Kenia, die Inhaftierung und die Haftbedingungen ÖCALANs keine Verletzungen der Europäischen Menschenrechtskonvention vorliegen. Eine Neuauflage des Verfahrens gegen ÖCALAN wird zwar empfohlen, aber nicht verbindlich vorgeschrieben. Die Führung des KONGRA GEL begrüßte in einem Artikel der Özgür Politika vom 14. Mai diese Entscheidung. Nach Auffassung des KONGRA GEL ist ÖCALAN immer noch der alleinvertretungsberechtigte Ansprechpartner für die türkische Regierung in allen kurdischen Belangen. Um dies erneut zu unterstreichen, startete die Konföderation der kurdischen Vereine in Europa (KON-KURD), die den legalen europäischen Überbau zu den kurdischen Verbänden in den einzelnen europäischen Staaten bildet, am 14. Juli unter dem Motto "Freiheit für Öcalan" eine Solidaritätskampagne für den Inhaftierten. Bis März 2006 sollen dabei in der kurdischen Bevölkerung Unterschriften gesammelt und dem Europarat sowie anderen internationalen Einrichtungen überreicht werden. Die Kampagne will vor allem erreichen, dass das Verfahren türkischer Gerichte gegen ÖCALAN vor einem unabhängigen internationalen Gericht wieder aufgenommen wird. Auch bei einer Großdemonstration am 5. Juli in Straßburg verdeutlichten mehrere tausend KONGRA GELAnhänger ihre Solidarität mit ÖCALAN. Die Protestkundgebung fand anlässlich einer Sitzung des Ministerkomitees des Europarates statt, bei der die Türkei aufgefordert wurde, das Urteil des EGMR umzusetzen. 168 Ausländerextremismus Zum "Friedenskurs" des KONGRA GEL Der seit 1999 in Europa eingeschlagene "Friedenskurs" des KONGRA GEL steht in Widerspruch zu den anlassbezogenen Kampfhandlungen in der Türkei. Lediglich für die Zeit vom 20. August bis zum 3. Oktober kündigte das Präsidium des KONGRA GEL einen Waffenstillstand der Volksverteidigungseinheiten (HPG) an. Vorausgegangen war eine Erklärung des türkischen Ministerpräsidenten Erdogan, in der er erstmals Fehler und Probleme im Umgang mit der kurdischen Bevölkerung einräumte. Nach Ablauf der Frist beendeten die Volksverteidigungseinheiten den Waffenstillstand, da die türkische Armee ihre Operationen gegen Stützpunkte der HPG fortgesetzt und 42 Angehörige der HPG getötet habe. Der Vorstand der "Konföderation der kurdischen Gemeinschaften" (KKK) kritisierte, dass die EU sich mit der Eröffnung der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei zum Mitverantwortlichen des Kurdenproblems gemacht habe. Im Rahmen der EU-Beitrittsverhandlungen gebe es keine Perspektiven hinsichtlich einer Lösung der Kurdenfrage. Die KKK leitete einer Meldung der KONGRA GEL-nahen Nachrichtenagentur Mezopotamja Haber Ajansi (MHA) zufolge aufgrund des türkischen Verhaltens ein legitimes Widerstandsrecht gegenüber der Türkei ab: "Somit wurde unser demokratischer Lösungsund Friedensvorstoß wieder einmal mit Gewalt beantwortet und auch diese Phase beendet. Es ist sicher, dass das kurdische Volk sein demokratisches Widerstandsrecht auf der Linie der aktiven legitimen Verteidigung gegen den türkischen Staat benutzen wird, um sich und seine nationale Ehre zu schützen." (Internet-Ausdruck vom 06.10.2005) Der mehrfach proklamierte Waffenstillstand ist nicht als genereller Gewaltverzicht des KONGRA GEL zu verstehen. Maßnahmen gegen die ÖZGÜR POLITIKA Von großer Bedeutung für den KONGRA GEL ist die Berichterstattung über Aktivitäten und Ziele der Organisation in KONGRA GEL-nahen Medien wie dem Satellitensender ROJ TV oder der Tageszeitung Özgür Politika (ÖP). Insbesondere in der Özgür Politika fanden sich regelmäßig Hinweise auf Veranstaltungen und insbesondere Aufrufe zur Teilnahme an KONGRA GEL-Großveranstaltungen. Am 5. September 2005 hat der Bundesminister des Innern eine Verbotsverfügung gegen den E.Xani Presseund Ausländerextremismus 169 Verlags-GmbH, Neu-Isenburg (Hessen), als Verlegerin der ÖP erlassen und gleichzeitig die sofortige Vollziehung angeordnet. Begründet wurde das Verbot der E.Xani Presseund Verlags-GmbH damit, dass die Zeitung als Sprachrohr des KONGRA GEL dessen Nachrichten und Propaganda verbreitet und die Anhängerschaft mobilisiert. Als Protest gegen das Verbot fanden in verschiedenen Städten Deutschlands, u.a. auch am 17. September 2005 in Hannover, friedliche Kundgebungen statt. Das Präsidium des KONGRA GEL erklärte nach einer Meldung der kurdischen Nachrichtenagentur MHA vom 6. September, "dass man diesbezüglich nicht schweigen werde und sich unter Nutzung aller demokratischen und legitimen Rechte wehren werde". Diese Äußerung entspricht dem seit 1999 verfolgten Kurs, sich öffentlichkeitswirksam als friedlich und ausschließlich um die kulturelle Identität der Kurden bemüht darzustellen. Mit Gerichtsbescheid vom 20. Dezember 2005 hat das Bundesverwaltungsgericht die Verbotsverfügungen des Bundesministers des Innern gegen die "E.Xani Presseund Verlags-GmbH" aufgehoben. In der Begründung führte das Gericht aus, dass das Verbot bei zunächst summarischer Prüfung rechtswidrig sei. Eine inhaltliche Überprüfung der Zuordnung der Zeitung an den KONGRA GEL war nicht Gegenstand der Entscheidung. Die ÖZGÜR POLITIKA ist trotz der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts nicht mehr herausgegeben worden. Stattdessen erscheint seit Anfang 2006 eine neue Tageszeitung mit dem Namen Yeni Özgür Politika (Neue Freie Politik). Zentrale Themen sind auch dort - wie schon bei der ÖZGÜR POLITIKA - die Situation der Kurden in der Türkei, die Haftbedingungen Abdullah ÖCALANs sowie Aktivitäten der KONGRA Gel-nahen Organisationen in Europa. Finanzierung Der hohe Geldbedarf des Propagandaapparates des KONGRA GEL mit dem Fernsehsender ROJ TV, den Publikationen, den politischen Kampagnen, sowie den kurdischen Volksbefrei- 170 Ausländerextremismus ungseinheiten und zahlreicher Unterorganisationen wird in erheblichem Maße durch die Einnahmequellen in Deutschland und Europa gedeckt. Neben den Mitgliedsbeiträgen, den Einnahmen aus dem Verkauf von Publikationen und aus Gewinnen bei Großveranstaltungen stammt der überwiegende Anteil der Einnahmen aus Spendenbeiträgen der KONGRA GEL-Anhänger. Seit Verkündung des "Friedenskurses" waren die Einnahmen aus Spendengeldern stark rückläufig. Denn seither kann der KONGRA GEL bei der Erhebung von Spenden nicht mehr mit dem hohen Finanzbedarf für die Ausrüstung der HPGKampfeinheiten argumentieren. Die Einnahmeausfälle stellen den KONGRA GEL vor eine zentrale Herausforderung. Aktivitäten der YEK-KOM Auf lokaler Ebene betätigen sich Ortsvereine, die unter der dem KONGRA GEL nahe stehenden Dachorganisation Föderation der Kurdischen Vereine in Deutschland (YEK-KOM) organisiert sind. In Niedersachsen existieren solche Vereine in Celle, Hannover, Oldenburg, Peine und Salzgitter. Da die YEK-KOM-Ortsvereine nicht vom bestehenden KONGRA GELBetätigungsverbot erfasst werden, treten diese immer wieder als Anmelder von Veranstaltungen in Erscheinung, die einen mehr oder weniger eindeutigen Bezug zur politischideologischen Zielsetzung des KONGRA GEL aufweisen. Wie in den Vorjahren konnte die YEK-KOM auch 2005 zahlreiche Kurden für eine Reihe von Großveranstaltungen und kleineren, dezentralen Veranstaltungen mobilisieren, wenngleich die Teilnehmerzahlen gegenüber 2004 insgesamt leicht zurückgingen. So nahmen anlässlich des kurdischen Neujahrsfestes an der zentralen Newroz-Feier für Norddeutschland am 26. März in Hamburg ca. 7.000 Personen teil. Die YEK-KOM führte zudem am 15./16. Juli in Köln das 8. Mazlum Dogan Jugend-, Kulturund Sportfestival102 durch, an dem sich etwa 2.500 überwiegend jugendliche Besucher aus dem gesamten Bundesgebiet sowie aus den Beneluxstaaten beteiligten. Mit Veranstaltungen wie dem Mazlum Dogan-Festival versucht die YEK-KOM, kurdische Jugendliche an die Organisation heranzuführen. Unter dem Motto "EU - Türkei: Auch wir sind Verhandlungspartei - Lösung der kurdischen Frage, Freiheit für Abdullah ÖCALAN" versammelten sich am 3. September ca. 102 Das Festival soll an den gleichnamigen Funktionär der PKK erinnern, der sich 1982 in türkischer Haft das Leben nahm und seitdem als Märtyrer verehrt wird. Ausländerextremismus 171 40.000 Personen aus dem gesamten Bundesgebiet und dem benachbarten Ausland zum 13. Internationalen Kurdistanfestival in Köln. Zahlreiche Teilnehmer bekundeten ihre Sympathie für den KONGRA GEL und Abdullah ÖCALAN - vereinzelt auch durch verbotene Symbole. Das dem KONGRA GEL nahe stehende Frauenbüro für Frieden - CENI feierte am 18. Juni in Gelsenkirchen das 2. Internationale ZILAN-Frauenfestival103 mit ca. 3.500 Teilnehmern. Die Freiheitspartei der Frauen Kurdistans (PAJK) erklärte in einem Bericht der ÖP vom 19. Juni, die eigentliche Bedeutung des Festivals liege darin, sich an jene zu erinnern, "die mit ihrem Blut die Geschichte des Kampfes geschrieben haben." Wenngleich die Veranstaltungen in erster Linie ein kulturelles Programm bieten und eher familiären Charakter haben, instrumentalisiert die YEK-KOM diese Veranstaltungen auch für politische Botschaften. Ausblick Trotz des friedlichen Verhaltens in Europa und des einseitigen Waffenstillstandes in Südostanatolien gelang es dem KONGRA GEL nicht, zu Beginn der EU-Beitrittsverhandlungen mit der Türkei als Repräsentant der kurdischen Minderheit berücksichtigt zu werden. Wie bei früheren Rückschlägen reagierte der KONGRA GEL mit einer Wiederaufnahme von Kampfhandlungen in der Türkei. Der mit dem Modell des "Demokratischen Konföderalismus Kurdistans" in Europa und auch in den kurdischen Siedlungsgebieten proklamierte demokratische Ansatz wird wegen der erneuten Kampfhandlungen sowie der Neugründung der PKK, welche ÖCALANs Ideologie als einzige Leitlinie der Organisation durchsetzen soll, auch in naher Zukunft nicht verwirklicht werden können. Dieser unklare Kurs des KONGRA GEL lässt den "Friedenskurs" nicht glaubwürdig erscheinen und führt auf politischer Ebene zur Erfolglosigkeit. Zum anderen führt das verstärkte militärische Engagement der HPG bei gleichzeitig gesunkener Spendenbereitschaft zu einer finanziellen Überbelastung. Es bleibt abzuwarten, ob die Kurden in Europa angesichts der Erfolglosigkeit des KONGRA GEL weiterhin bereit sind, den bewaffneten Kampf zu unterstützen. 103 Namensgeberin für das Festival ist die Selbstmordattentäterin Zeynep KINACI alias ZILAN, die von Angehörigen und Sympathisanten des KONGRA GEL als Märtyrerin verehrt wird. 172 Ausländerextremismus Devrimci Sol (Dev Sol) / DHKP-C und THKP-C-Devrimci Sol Gegründet: 1978 in der Türkei Die Organisation ist gespalten in: Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front (DHKP-C) "KARATAS-Flügel" sowie Türkische Volksbefreiungspartei-Front - Revolutionäre Linke (THKP-C-Devrimci Sol) "YAGAN-Flügel" Mitglieder/Anhänger 2004 2005 Bund: 650 650 Niedersachsen: 40 50 Publikationen: Ekmek ve Adalet (Brot und Gerechtigkeit), wöchentlich, eingestellt im Mai 2005 Verbote: Devrimci Sol (Dev Sol) seit dem 27.01.1983 DHKP-C seit dem 13.08.1998 Betätigungsverbot THKP-C seit dem 13.08.1998 Betätigungsverbot Die in zwei Flügel gespaltene Organisation Devrimci Sol gilt als eine der militantesten Gruppierungen der linksextremistischen Szene der Türkei. Die in Deutschland verbotene Organisation verfolgt das Ziel, das bestehende türkische Staatssystem zu zerschlagen, um ein sozialistisches System zu errichten. Bei der Verfolgung dieser Zielsetzung kam es bis 1998 auch zur Anwendung von Gewalt in der Bundesrepublik Deutschland. Ursprung und Entwicklung Die Devrimci Sol (Revolutionäre Linke) hat ihren Ursprung in der THKP-C (Türkische Volksbefreiungspartei-Front), die seit Ende der sechziger Jahre zusammen mit anderen Linksextremisten den bewaffneten Kampf gegen den türkischen Staat führte. Nach ihrer Zerschlagung 1972 und einer sich anschließenden Phase der Neuorganisation wurde 1978 die Devrimci Sol gegründet. Sie ist bestrebt, den aus ihrer Sicht "faschistisch-oligarchischen" türkischen Staat auf revolutionärem Wege durch ein marxistisches Gesellschaftssystem zu ersetzen. Bereits zwei Jahre später, im September 1980, wurde die Organisation wegen zahlreicher von ihr zu verantworten- Ausländerextremismus 173 der Terroranschläge in der Türkei verboten. Am 27.01.1983 erging in der Bundesrepublik Deutschland gegen die Devrimci Sol als erster Ausländerorganisation ein Verbot nach dem Vereinsgesetz. Die Devrimci Sol setzte ihre Aktivitäten konspirativ fort. Interne Richtungskämpfe führten 1993 dazu, dass sich Devrimci Sol in zwei Flügel aufspaltete: in den "KARATASFlügel"104, aus dem die 1994 in Syrien gegründete Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front (DHKP-C) hervorging, und in den in Deutschland weniger bedeutenden "YAGANFlügel", der sich nach der historischen Vorgängerorganisation Türkische Volksbefreiungspartei-Front - Revolutionäre Linke (THKP-C-Devrimci Sol) benannte. In der Türkei agiert die DHKP-C mit einem politischen Arm, der Revolutionären Volksbefreiungspartei (DHKP), und mit einem militärischen Zweig, der Revolutionären Volksbefreiungsfront (DHKC). Das Bundesministerium des Innern erließ am 13.08.1998 gegen die DHKP-C als Ersatzorganisation der verbotenen Devrimci Sol ein Vereinsverbot und gegen die THKP-C ein Betätigungsverbot. Diese Verbotsmaßnahmen führten dazu, dass die Organisationen ihre Aktivitäten wie Vollversammlungen und Gedenkfeiern ins europäische Ausland verlagerten. Im Mai 2002 nahm die Europäische Union die DHKP-C in ihre Liste terroristischer Organisationen auf. Aktivitäten In Deutschland greift das "Solidaritätskomitee mit den politischen Gefangenen und deren Familien in der Türkei" (TAYAD-Komitee) im Rahmen von Demonstrationen Themen mit DHKP-C-Bezug wie z. B. die Verlegung von Gefangenen in Einzelzellen in türkischen Gefängnissen auf. Zudem werden bei Veranstaltungen der 2004 ins Leben gerufenen Anatolischen Föderation Publikationen und Propagandamaterial der DHKP-C ausgelegt. Dies lässt eine Nähe zur DHKP-C vermuten, was dadurch belegt wird, dass die Anatolische Föderation als Dachverband für verschiedene Vereine im Bundesgebiet fungiert, die der DHKP-C thematisch nahe stehen (in Niedersachsen existiert kein angeschlossener Verein). Die eigenen Aktionen der Anatolischen Föderation, die sich hauptsächlich mit der aktuellen sozialpolitischen Situation der Ausländer in der Bundesrepublik beschäftigen, lassen eine Verflechtung mit Inhalten der DHKP-C derzeit nicht erkennen. Anhänger der DHKP-C in Niedersachsen gibt es insbesondere im Bereich Hannover sowie vereinzelt in Nordniedersachsen. 104 Die Flügel sind nach den jeweiligen Führungsfunktionären benannt. 174 Ausländerextremismus Türkische Kommunistische Partei / Marxisten-Leninisten (TKP/ML) Gegründet: 1972 in der Türkei Die Organisation ist gespalten in: Maoistische Kommunistische Partei (MKP), ehemals Ostanatolisches Gebietskomitee, sowie Partizan-Flügel (TKP/ML) Weitere Abspaltung: Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei (MLKP) Mitglieder/Anhänger 2004 2005 Bund: 1.300 1.300 Niedersachsen: 80 70 Publikationen: Halk Icin Devrimci Demokrasi (Revolutionäre Demokratie für das Volk) - MKP Halk Savasi (Der Volkskampf) - MKP Isci Köylü Kurtulusu Arbeiterund Bauernbefreiung) - TKP/ML Bületin (Das Bulletin) - TKP/ML Komünist (Der Kommunist) - TKP/ML Die Türkische Kommunistische Partei/Marxisten-Leninisten (TKP/ML) verfolgt das Ziel, die bestehende Staatsordnung der Türkei abzuschaffen und durch ein kommunistisches System maoistischer Prägung zu ersetzen. Die Gruppierung befürwortet dabei ausdrücklich den Einsatz von Gewalt. Im Jahr 2005 greift die TKP/ML erstmals die Forderung nach einem revolutionären Umsturz in der Bundesrepublik Deutschland auf, wie er von deutschen Linksextremisten propagiert wird. Ursprung und Entwicklung Die in der Türkei verbotene Türkische Kommunistische Partei/Marxisten-Leninisten wurde 1972 von Ibrahim KAYPAKKAYA gegründet. Die Organisation vertritt die Lehren des Marxismus-Leninismus, ergänzt durch einen maoistischen Ansatz, nach dem der Volkskrieg vom Land in die Städte zu tragen sei. Ziel der TKP/ML ist es, mittels einer bewaffneten Revolution eine klassenlose kommunistische Ausländerextremismus 175 Gesellschaft in der Türkei zu errichten. Dazu gründete die TKP/ML einen militärischen Arm, die Türkische Arbeiterund Bauernbefreiungsarmee (TIKKO). Seit Anfang der 90er Jahre führten interne, nur zum Teil ideologisch bedingte Auseinandersetzungen zu mehreren Fraktionsbildungen, Abspaltungen und veränderten Organisationsbezeichnungen. So spaltete sich die TKP/ML 1994 in den so genannten Partizan-Flügel, der weiterhin das Kürzel TKP/ML nutzt, sowie das Ostanatolische Gebietskomitee (DABK), das sich seit Dezember 2002 Maoistische Kommunistische Partei (MKP) nennt. Beide Gruppierungen unterhalten in der Türkei bewaffnete Gruppen: Der Partizan-Flügel nennt seinen militärischen Arm weiterhin TIKKO, während die MKP ihre Einheiten als Volksbefreiungsarmee bezeichnet. Als weitere Abspaltung ist die Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei (MLKP) zu nennen, der in Deutschland ca. 600 Anhänger zugerechnet werden. Sowohl TKP/ML als auch MKP treten in Deutschland bzw. Europa öffentlich nur durch ihre so genannten Basisorganisationen in Erscheinung. Sie bemühen sich um politische Kontakte und Einfluss, wobei sie die Zugehörigkeit zur jeweiligen Mutterorganisation zu verschleiern versuchen. Die Anhänger der TKP/ML sind auf europäischer Ebene in dem Dachverband Konföderation der Arbeiter aus der Türkei in Europa (ATIK) organisiert. Diesem Verband gehört in Deutschland die Föderation der Arbeiter aus der Türkei in Deutschland e. V. (ATIF) an. Die MKP gründete 1997 ebenfalls zwei Basisorganisationen, um sich von dem Partizan-Flügel abzugrenzen - die Konföderation für demokratische Rechte in Europa (ADHK) und die Föderation für demokratische Rechte in Deutschland e. V. (ADHF). Die Finanzierung der Organisationen erfolgt vor allem über Spendensammlungen und den Verkauf von Publikationen. Wie bei den meisten anderen türkischen linksextremistischen Organisationen auch stellt die finanzielle Situation die TKP/ML vor große Herausforderungen, da die Einnahmen kaum zur Deckung ihres Finanzbedarfs ausreichen. Aktivitäten in Deutschland Waren die Aktivitäten der TKP/ML bisher stets gegen den türkischen Staat gerichtet, so äußerte sich die Organisation erstmalig im Rahmen einer Demonstration am 9. Januar in Berlin anlässlich des 85. Todestag von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht zur politischen Situation in Deutschland. In einer in deutscher und türkischer Sprache verfassten Flugschrift verleiht die Organisation ihrer Hoffnung Ausdruck, 176 Ausländerextremismus dass "die bitteren Ergebnisse des Globalisierungsmärchens ... die gesellschaftlichen Massenbewegungen weiterhin auf die Straßen bringen" werden. Eine derartige Massenbewegung könne auch als historische Gelegenheit für die Revolution genutzt werden. Voraussetzung sei aber, dass die deutsche revolutionäre Arbeiterbewegung sich von den Klassenkämpfen in anderen Teilen der Welt beeinflussen lasse. Das Näherrücken einer "revolutionären Phase" sei jedoch auch davon abhängig, dass es eine "neue Rosa" (Luxemburg) und einen "neuen Karl" (Liebknecht) gäbe, die ebenso wie eine "echte kommunistische Partei" in Deutschland nicht in Sicht seien. Die Flugschrift endet mit dem Appell: "Die revolutionären Seelen von Rosa und Karl sollen ein Beispiel für das Weltproletariat und das deutsche Proletariat sein." Darüber hinaus rief die ATIF wie auch andere türkische Linksextremisten im Vorfeld der Bundestagswahl am 18. September zur Wahl linksextremistischer Parteien auf. In einer im September auf der Internetseite der ATIK veröffentlichten Erklärung forderte die Basisorganisation der TKP/ML Unterstützung für die Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD), da diese sich "für den echten Frieden, Gerechtigkeit und solidarischen Klassenkampf" einsetze. Die politischen Aktionen der TKP/ML in Deutschland beschränken sich auf Mitgliederversammlungen, Demonstrationen, Spendensammlungen sowie das Verteilen von Publikationen und Flugblättern. Beispielsweise führten zum Gedenken an den 32. Todestag von Parteigründer Ibrahim KAYPAKKAYA der Partizan-Flügel am 14. Mai in Ludwigshafen und die MKP am 21. Mai in Ludwigsburg jeweils eine Großveranstaltung durch. Ausländerextremismus 177 Volksmodjahedin Iran-Organisation (MEK) / Nationaler Widerstandsrat Iran (NWRI) Volksmodjahedin Iran-Organisation (MEK) Gegründet: 1965 im Iran Vorsitzender: Massoud RADJAVI militärischer Arm der MEK: National Liberation Army (NLA) Oberbefehlshaber: Massoud RADJAVI politischer Arm der MEK: Nationaler Widerstandsrat Iran (NWRI) Gegründet: 1981 in Paris Leitung: Deutschlandsprecherin Dr. Masoumeh BOLOURCHI Sitz in Deutschland: Köln Mitglieder/Anhänger 2004 2005 Bund: 900 900 Niedersachsen: 80 80 Publikation: Modjahed (Glaubenskämpfer) Die international als terroristisch bewertete Volksmodjahedin Iran-Organisation (MEK) gilt als die aktivste und militanteste Oppositionsgruppe gegen die Islamische Republik Iran. Ursprünglich war die politische Ideologie der MEK revolutionärmarxistisch geprägt, später traten Elemente des schiitischen Islam hinzu. Ziel der hierarchisch organisierten Kaderorganisation ist es, die iranische Regierung zu stürzen und selbst die Macht zu ergreifen. Dazu unterhielt die MEK bewaffnete Einheiten im Irak und schreckte vor Gewaltanwendung nicht zurück. Ursprung und Entwicklung Bereits zu Zeiten der iranischen Monarchie versuchten die Volksmodjahedin ihre aus islamisch-schiitischen und marxistischen Elementen zusammengesetzte Weltanschauung als "eigenständigen Weg zur Befreiung der islamischen Massen" 178 Ausländerextremismus zu propagieren. Vor diesem ideologischen Hintergrund nahmen die Volksmodjahedin 1971 den Kampf gegen das SchahRegime auf und leisteten einen wichtigen militärischen Beitrag zu dessen Sturz. Trotz erheblicher ideologischer Differenzen akzeptierten sie Ayatollah Khomeini zunächst als charismatischen Führer der Revolution. Die ideologischen Unterschiede zwischen den Volksmodjahedin, die einen "sozialistischen Islam" forderten, und den Vertretern der traditionellen schiitischen Geistlichkeit um Khomeini ließen sich jedoch nicht überbrücken. Die neue iranische Führung um Khomeini versuchte nach ihrer Machtübernahme, jegliche innenpolitische Opposition auszuschalten. Die MEK als mit Abstand stärkster Gegner antwortete mit einer Terrorkampagne, der zahlreiche Regierungsanhänger, aber auch Zivilisten zum Opfer fielen. Höhepunkt der Represssion waren der 20. ("Tag des Widerstandes") und der 21.06.1981 ("Tag der Märtyrer"), als eine Großdemonstration der Volksmodjahedin in Teheran blutig aufgelöst wurde. Nachdem der Vorsitzende der MEK, Massoud RADJAVI, 1981 fliehen musste, gründeten die Volksmodjahedin vom französischen Exil aus den Nationalen Widerstandsrat Iran (NWRI) als Vereinigung linker Organisationen und Einzelpersonen. Die Organisation sollte den politischen Kampf der linken Opposition gegen das "Mullahregime" mobilisieren, blieb jedoch unter der Kontrolle der MEK. 1993 bezeichnete sich der NWRI als "iranisches Exilparlament" und wählte Maryam RADJAVI, die Ehefrau Massoud RADJAVIs, zur "künftigen Präsidentin Irans". Die Organisation wird unterhalb des autoritär regierenden Ehepaares RADJAVI von Frauen dominiert. Die Organisationsführung verlangt von den Anhängern unbedingten Gehorsam und eine ständige weltweite Verfügbarkeit. Das vom NWRI nach außen hin propagierte Demokratieprinzip findet intern keine Anwendung, da die Aktivisten zur völligen Aufgabe ihrer eigenen Persönlichkeit gedrängt werden. Nach seiner Ausweisung aus Frankreich gründete Massoud RADJAVI 1986 im Irak die Nationale Befreiungsarmee (National Liberation Army, NLA) als bewaffneten Arm der Organisation. Bis zum Sturz des irakischen Diktators Saddam Hussein im Jahre 2003 führte die NLA terroristische Aktionen gegen die Islamische Republik Iran aus. Mit dem Einmarsch der US-geführten Koalitionstruppen in den Irak im Jahr 2003 wurden die NLA-Einheiten entwaffnet Ausländerextremismus 179 und in ihrem Lager festgesetzt. Somit verlor die NLA ihre Handlungsfähigkeit und die MEK ihre militärische Stütze. Im Frühjahr 2005 meldeten iranische Medien, dass 100 Mitglieder der NLA ihr Lager im Irak verlassen hätten und in die Islamische Republik Iran zurückgekehrt seien. Diese Meldung konnte bisher jedoch nicht bestätigt werden. Aktivitäten in Deutschland Wenngleich sich die MEK mit ihrem militärischen Arm in einer existenzgefährdenden Krise befindet, gelang es ihr auch im Jahr 2005, über den NWRI, zahlreiche Versammlungen und Demonstrationen in Europa durchzuführen. Eine zentrale Forderung bei diesen Veranstaltungen war, die MEK von der EU-Liste terroristischer Organisationen, auf der sie seit Mai 2002 verzeichnet ist, zu streichen. Vielmehr versucht sich der NWRI als eine demokratische Oppositionsbewegung und als politische Alternative zum islamistischen System des Iran darzustellen. So versammelten sich am 10. Februar ca. 1.500 NWRI-Anhänger anlässlich des 26. Jahrestages der "Islamischen Revolution" im Iran zu einer Demonstration in Berlin, um gegen Menschenrechtsverletzungen und die atomare Aufrüstung des Iran zu protestieren. Am 16. Februar demonstrierten etwa 50 Personen anlässlich des Besuchs des iranischen Außenministers Kamal Kharrazi zur Neueröffnung der iranischen Botschaft in Berlin. Anlässlich des zweiten Jahrestages polizeilicher Maßnahmen gegen die MEK und den NWRI am 17.06.2003105 in Frankreich führte der NWRI am 18. Juni in Cergy (Frankreich) eine Kundgebung durch, an der sich auch Anhänger aus Deutschland beteiligten. Etwa 6.000 Teilnehmer demonstrierten u. a. gegen die am 17. Juni erfolgte Präsidentschaftswahl im Iran und forderten erneut die Streichung der MEK aus den Listen terroristischer Organisationen. Auf Kundgebungen in Berlin, Köln, Frankfurt a.M. und Hamburg in der Zeit vom 31. Oktober bis 3. November kritisierte der NWRI die israelfeindlichen Aussagen des iranischen Staatspräsidenten Ahmadinedschad. Die Aktivitäten von NWRI-Anhängern in Niedersachsen beschränkten sich auch im Jahr 2005 auf die Teilnahme an überregionalen Veranstaltungen. Mit der Durchführung friedlicher Veranstaltungen ist die MEK bemüht, sich als de105 Bei der Polizeiaktion, die vor dem Hintergrund eines Ermittlungsverfahrens gegen die Volksmodjahedin wegen des Verdachts krimineller Geldbeschaffung und der Gründung einer terroristischen Vereinigung stattfand, war die Europazentrale der MEK in der Nähe von Paris durchsucht und mehrere Personen verhaftet worden. Zeitweise war auch die Vorsitzende Maryam RADJAVI inhaftiert. 180 Ausländerextremismus mokratische Organisation zu präsentieren. Dadurch will sie ihrer Forderung Nachdruck verleihen, nicht mehr als Terrororganisation auf den entsprechenden Listen der USA und der EU geführt zu werden. Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE) Gegründet: 1972 in Sri Lanka Leitung: Velupillai PRABAKHARAN Vorsitzender in Deutschland: VAKISAN (Vorname unbekannt) Sitz in Deutschland: Oberhausen Mitglieder/Anhänger 2004 2005 Bund: 750 800 Niedersachsen: 150 150 Publikationen: Tamil-Land An der Front Das Land ist der Nabel Vulkan Die Befreiungstiger von Tamil Eelam verfolgen das Ziel, ein von ihnen kontrolliertes Staatsgebilde ("Tamil Eelam") im Nordosten Sri Lankas zu errichten. Dabei gehen sie auf gewaltsame Weise gegen srilankische und indische Ziele vor. Sie gehören zu den politischen Gruppen, die bis zum Waffenstillstand im Jahr 2002 besonders häufig von Selbstmordattentaten Gebrauch machen. Ursprung und Entwicklung Der seit zwei Jahrzehnten andauernde militärische Konflikt geht auf die britische Kolonialzeit zurück, in der sich die in Sri Lanka dominierende singhalesisch-buddhistische Mehrheitsbevölkerung (72 %) und die Minderheit der überwiegend hinduistischen Tamilen (18 %) feindlich gegenüberstanden. Die Briten, die seit 1815 Ceylon beherrschten, begünstigten aus Machtkalkül die tamilische Minderheit, sodass gegen Ende der Kolonialepoche unverhältnismäßig viele Ausländerextremismus 181 Angehörige dieser Bevölkerungsgruppe führende Positionen in Verwaltung, Wirtschaft und im Pressewesen einnahmen. Nach der 1948 erlangten Unabhängigkeit dominierten zunehmend die Singhalesen Regierung und Verwaltung und erklärten den Buddhismus zur Staatsreligion. Der 1976 aus einer revolutionär-marxistischen Organisation hervorgegangenen LTTE gelang es, tamilische Konkurrenzorganisationen in blutigen Auseinandersetzungen auszuschalten und sich gleichzeitig als Verteidiger der Tamilen gegen Übergriffe der singhalesischen Mehrheit zu profilieren. Die sich verschärfenden ethnischen Spannungen zwischen Singhalesen und Tamilen gipfelten 1983 in schweren Ausschreitungen, die über 2.000 größtenteils tamilische Todesopfer forderten. In dem anschließenden Bürgerkrieg zwischen Zentralregierung und LTTE kamen über 60.000 Menschen ums Leben. Der auf Vermittlung der norwegischen Regierung am 23.02.2002 in Kraft getretene Waffenstillstand zwischen der srilankischen Regierung und der LTTE führte zunächst zu einer Beruhigung der politischen und militärischen Situation. Die von den Tamilen angestrebte Teilautonomie tamilischer Gebiete wurde erneut thematisiert. Diese Entwicklung geriet jedoch bereits 2004 wieder ins Stocken infolge eines innenpolitischen Kurswechsels unter dem neuen Premierminister Mahinda Rajapakse, der Zugeständnisse an die LTTE als "Separatismus" ablehnte. Nach der Flutkatastrophe im Dezember 2004 wurde Sri Lanka umfangreiche finanzielle Unterstützung zugesagt. In einem Abkommen regelten die srilankische Regierung und die LTTE, dass diese Mittel gleichmäßig und ausschließlich an hilfsbedürftige Opfer verteilt werden. Aktivitäten Die Aktivitäten der LTTE, die in Europa von Paris aus gesteuert werden, sind darauf ausgerichtet, finanzielle Unterstützung für den politischen und militärischen Kampf in Sri Lanka zu erlangen. So ruft die LTTE auch die in Deutschland lebenden ca. 61.000 Tamilen, davon 5.000 in Niedersachsen, immer wieder zu Spenden auf. Im Jahr 2005 organisierte die LTTE-Tarnorganisation Tamilische Rehabilitation Organisation e. V. (TRO) bundesweit Spendensammlungen für die Opfer der Flutkatastrophe im Dezember 2004, so auch in den niedersächsischen Städten Bad Pyrmont, Northeim, Salzgitter und Springe. Darüber hinaus führt die LTTE-Tarnorganisation World Tamil Movement (WTM) jährlich Spendensammlungen anlässlich von Kultur- 182 Ausländerextremismus und Heldengedenkveranstaltungen durch. Für den Ablauf der Spendensammlungen sind deren jeweiligen Repräsentanten in Niedersachsens größeren Städten verantwortlich. Um Strafverfolgungsmaßnahmen zu vermeiden, wird bei diesen Kampagnen auf Gewaltanwendung verzichtet. Wie in den Vorjahren führte die LTTE auch im Jahr 2005 europaweite Veranstaltungen gegen von ihr behauptete Menschenrechtsverletzungen auf Sri Lanka und gegen Abschiebungen von Tamilen durch. So fanden am 17. August in Genf und am 24. Oktober in Brüssel Demonstrationen mit mehreren tausend Teilnehmern statt. Am 10. Dezember begingen mehrere tausend Tamilen in Essen ihren traditionellen Heldengedenktag in Erinnerung an die im Bürgerkrieg auf Sri Lanka gefallenen LTTE-Kämpfer. Aus Niedersachsen nahmen ca. 100 Tamilen aus Goslar, Hannover und Seesen an der Veranstaltung teil. Anlässlich des Heldengedenktages betonte der LTTE-Führer Velupillai PRABAKHARAN die politische Kluft zwischen der LTTE und der neuen Regierung Sri Lankas, die trotz des kurzzeitig wiederbelebten Friedensprozesses weiterhin bestehe. In einem "dringlichen und letzten Appell" forderte PRABAKHARAN die srilankische Regierung auf, bald für die tamilische Seite befriedigende politische Rahmenbedingungen zu schaffen. Anderenfalls würde die LTTE im Jahr 2006 ihren Kampf um Selbstbestimmung und nationale Befreiung verstärkt vorantreiben mit dem Ziel, im tamilischen Landesteil eine eigene Regierung einzusetzen. Hierin zeigt sich die nach wie vor hohe Gewaltbereitschaft der LTTE. Schwerpunkte niedersächsischer LTTE-Aktivitäten sind weiterhin die Städte Göttingen, Hannover, Salzgitter sowie der Harz mit seinem Umland. Scientology 183 SCIENTOLOGY - ORGANISATION (SO) Sitz: Los Angeles (Kalifornien/USA) Präsident: Heber JENTZSCH David MISCAVIGE (Leiter der obersten Scientology-Verwaltung/RTC) Mitglieder: 2004 2005 Bund: 5.000-6.000 5.000-6.000 Niedersachsen: 600 ca. 550 Publikationen: Freiheit (für die Öffentlichkeit bestimmt), Dimensionen, Impact, The Auditor, Dianetik Post, Free Mind, International Scientology News, Advance u. a. (interne Publikationen) Teilorganisationen: In Deutschland zehn "Kirchen"("Orgs"106), darunter zwei "Celebrity Centres"107 und elf "Missionen"108 u. a. in Berlin, Düsseldorf, Frankfurt, Hamburg, Hannover, München, Stuttgart. Zielsetzung und verfassungsfeindliche Bestrebungen Der amerikanische Science-Fiction-Autor Lafayette Ronald HUBBARD (1911-1986) veröffentlichte 1950 sein Buch mit dem Titel "Dianetik - Die moderne Wissenschaft der geistigen Gesundheit" und legte damit den Grundstein für die Entwicklung der Scientology-Organisation (SO). Er entwickelte eine Selbsthilfemethode, die "ungenutztes geistiges Potential" freisetzen und "wahre Fähigkeiten" verwirklichen sollte. Zur Umsetzung dieser Methode richtete er zunächst in den USA "Dianetik-Zentren" ein, in denen neue Menschen mit scientologischer Prägung geschaffen werden sollten. Erst vier Jahre später, nachdem Probleme mit der amerikanischen Steuerbehörde aufgetreten waren, gründete HUBBARD 1954 die erste offizielle "Scientology-Kirche" in Los Angeles. 106 Interne SO-Abkürzung für Organisation 107 SO-Betreuungsstelle für Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens - Schauspieler, Musiker etc. 108 Eine von der SO in ihrer Größe nicht näher definierte Anlaufstelle 184 Scientology Sein Ziel war es weiterhin, die Alleinherrschaft in einer neuen, ausschließlich nach scientologischen Richtlinien funktionierenden Welt zu erlangen, da die Gesellschaft in ihrer modernen Erscheinungsform zum Untergang verurteilt sei. Scientology versteht sich selbst als eine "Erlösungsreligion", deren Anliegen "die Errettung aller Menschen auf dem einzig wahren Weg zur persönlichen Unsterblichkeit" ist. Die Bestrebungen der SO sind darauf ausgerichtet, ein allein an scientologischen Wertvorstellungen orientiertes, totalitäres Herrschaftssystem durch Expansion in allen Bereichen des staatlichen Lebens durchzusetzen. Dieses Ziel will die SO mittels ihrer Technologie109 erreichen, deren Kernstück das so genannte Auditing (eine Verhörmethode zur Bewusstseinsund Verhaltenskontrolle) ist. Nach Genehmigung durch den Innenminister hat das NLfV im Juli 1997 mit der Beobachtung der SO begonnen. Zuvor hatte die Ständige Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder festgestellt, dass bei der SO tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung vorliegen. Diese ergeben sich u.a. aus dem Ziel der SO, Einfluss in der bestehenden Gesellschaftsund Rechtsordnung zu gewinnen und diese letztendlich durch eine scientologische Gesellschaftsordnung zu ersetzen. So spricht HUBBARD z.B. allen Nicht-Scientologen die Fähigkeit ab, vernünftige Politik zu machen. Sie seien "aberriert", d.h. geistig krank, und sollten seiner Ansicht nach in seiner neuen Ordnung keine Bürgerrechte erhalten: "Vielleicht werden in ferner Zukunft nur dem Nichtaberrierten die Bürgerrechte verliehen. Vielleicht ist das Ziel irgendwann in der Zukunft erreicht, wenn nur der Nichtaberrierte die Staatsbürgerschaft erlangen und davon profitieren kann. Dies sind erstrebenswerte Ziele, deren Erreichung die Überlebensfähigkeit und das Glück der Menschheit erheblich zu steigern vermöchten." (Hubbard, "Dianetik", 1951, S. 487) Endziel der SO ist eine nach ihren Vorstellungen bereinigte neue Sozialund Staatsordnung ("Clear Planet"). Mit diesen Bestrebungen zielt die SO darauf ab, die in der Verfassung 109 Mit Hilfe der das System Scientology tragenden Techniklehre soll ein Mensch wissenschaftlich nachvollziehbar die "Handhabung des Lebens" lernen können. Diese Technik geht davon aus, dass jeder Mensch wie eine Maschine zu bedienen ist. Der durch die scientologischen Verfahren zu erzeugende neue Mensch, der Scientologe, ist nach HUBBARD ein "Produkt", das durch spezielle Übungen vom noch unvollkommenen bis zum vollkommenen Produkt gebracht werden muss. Scientology 185 garantierten Grundund Menschenrechte auszuhöhlen und die verfassungsmäßige Ordnung der Bundesrepublik Deutschland zu beseitigen. Die Beobachtung der SO durch die Verfassungsschutzbehörden hat bestätigt, dass die Organisation die in der scientologischen Literatur formulierte und dort als Gesetz definierte verfassungsfeindliche Zielsetzung nach wie vor verfolgt. Die öffentlichkeitswirksamen Aktivitäten der SO beziehen sich auf nahezu alle Lebensund Gesellschaftsbereiche. Ziel ist es dabei, Interessenten die scientologische Lehre zu vermitteln, sie in der Folge als Mitglieder und letztlich zur Realisierung ihrer Zielsetzung zu gewinnen. Die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Köln vom 11.11.2004, in der die Rechtmäßigkeit der Beobachtung der SO durch das Bundesamt für Verfassungsschutz sowohl mit offenen als auch mit nachrichtendienstlichen Mitteln bestätigt wurde, ist noch nicht rechtskräftig. Organisation Die SO ist eine weltweit operierende, streng hierarchisch strukturierte Organisation mit einer Vielzahl von Unterund Nebenorganisationen, die der Durchsetzung der SO-Technologie, der Aufrechterhaltung von Machtstrukturen innerhalb der Organisation sowie der Geldbeschaffung dienen. Unter der Leitung von David MISCAVIGE, dem Vorsitzenden des "Religious Technology Centers (RTC)110, wird die Gesamtorganisation zusammen mit der obersten Zentrale, der "Church of Scientology International" (CSI), über die jeweiligen "Kontinentalen Verbindungsbüros" (Continental Liaison Office) gesteuert, das sich für Europa in Kopenhagen befindet. Von dort aus werden die nationalen Niederlassungen kontrolliert. Aufgabe des internationalen Managements ist es u. a., für jeden Sektor der SO Strategien und taktische Pläne zu entwickeln. Zu den wichtigsten Organisationseinheiten von SO gehören die folgenden Einrichtungen: - "Sea Organization" (Sea Org), eine mit besonderen Kontrollbefugnissen ausgestattete Einrichtung, die in allen Organisationsteilen der SO Schlüsselpositionen besetzt, - "International Association of Scientologists" (IAS), weltweiter Verbund von Scientologen, der über Spenden und Beiträge kostspielige Kampagnen der SO finanziert, 110 RTC besitzt die Urheberund Markenrechte aller Werke von L. Ron HUBBARD und überwacht deren ordnungsgemäße Verwendung. 186 Scientology - "Office of Special Affairs" (OSA), Stelle für Rechtsangelegenheiten, Public Relations und geheimdienstähnliche Aktivitäten, - "World Institute of Scientology Enterprises" (WISE), Einrichtung, die die scientologische Technologie in die Geschäftswelt hineintragen und Wirtschaftsunternehmen kontrollieren soll, - "Association for Better Living and Education" (ABLE), Vereinigung verschiedener Gruppierungen, die in der Drogenund Gefangenenrehabilitierung sowie im Bildungsbereich aktiv sind und - "Citizens Commission on Human Rights" (CCHR), in Deutschland bekannt unter dem Namen "Kommission für Verstöße der Psychiatrie gegen Menschenrechte" (KVPM). Scientology in Deutschland und Niedersachsen An der Basis des SO-Organisationsgefüges befinden sich die Scientology-Zentren. In Deutschland gibt es zehn "Kirchen" (Orgs), von denen sich zwei als "Celebrity-Centres" bezeichnen und elf "Missionen", denen nach Schätzung der Verfassungsschutzbehörden ca. 5.000 bis 6.000 Mitglieder zuzuordnen sind. Die Einrichtungen der SO sind in Deutschland überwiegend als eingetragene Vereine organisiert. Als Dachverband fungiert die "Scientology Kirche Deutschland" e. V. mit Sitz in München. Neben den als SO-Einrichtungen zu erkennenden Orgs gibt es eine Vielzahl von Einzelorganisationen, aus deren Namen der Bezug zu Scientology nicht erkennbar ist. Die in Deutschland aktivsten Einrichtungen sind vor allem "NARCONON" und "CRIMINON", die von sich in der Öffentlichkeit behaupten, durch die Anwendung von HUBBARDs Techniken erfolgreich Drogenrehabilitation bzw. Resozialisierung im Strafvollzug betreiben zu können. "Applied Scholastics Deutschland" (ApS), eine gemeinnützige Vereinigung der SO, präsentiert sich mit einem Programm, das durch die Verbreitung der "einzigen funktionierenden Studientechnologie" die Ausbildung verbessern könne. Mit diesen Einrichtungen versucht die SO, sich als humanitäre und sozial engagierte Organisation darzustellen. In Niedersachsen ist die Organisation mit einer "Kirche" in Hannover vertreten, die als Gemeinde Hannover der Scientology Kirche Hamburg e. V. fungiert. In SeevetalMaschen arbeitet die Firma New Era Publications Deutschland GmbH, die für den Vertrieb von scientologischen Druckschriften, Videound Tonmaterial zuständig ist. Die niedersächsischen SO-Einrichtungen stellen keine regionalen Scientology 187 Schwerpunkte im Gesamtgefüge der Organisation dar. Eine Vielzahl der niedersächsischen Scientologen nimmt die SOAngebote in benachbarten Bundesländern wahr, insbesondere die der Org Hamburg. In Niedersachsen nutzen etwa 200 Personen mehr oder weniger regelmäßig die Org Hannover. Von diesem Personenkreis können etwa 20 Scientologen als feste Mitarbeiter angesehen werden. Schwerpunkte scientologischer Aktivitäten waren die zumeist in der Innenstadt von Hannover durchgeführten Werbemaßnahmen (Ansprache von Passanten, Informationsstände, Angebot eines "Stress-Tests" am E-Meter111). Ähnliche Veranstaltungen wurden in weiteren niedersächsischen Städten angemeldet, ohne dass sie tatsächlich durchgeführt wurden. Vermutlich dienten diese Anmeldungen der Erfüllung interner Vorgaben. Dieses lässt sich auch als Indiz dafür werten, dass die Aktivitäten der SO in Niedersachsen nicht die erhoffte Wirkung erzielen. Hinweistelefon Für Hinweise steht im Niedersächsischen Landesamt für Verfassungsschutz weiterhin der Telefonanschluss mit der Nummer 0511-6709-393 zur Verfügung. 111 einfaches technisches Hilfsmittel der Scientologen, das zum "Sichtbarmachen von Gedanken" eingesetzt wird 188 Spionageabwehr SPIONAGEABWEHR Einführung Deutschland bleibt auf Grund seiner wirtschaftlichen und politischen Stellung unverändert ein vorrangiges Ausspähungsziel für fremde Geheimdienste112. Deshalb wird dem gesetzlichen Auftrag der Spionageabwehr, die Sammlung und Auswertung von Informationen über sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten für eine fremde Macht, weiterhin große Bedeutung beigemessen. Primär geht es um die systematische Aufklärung von Strukturen, Methoden und Zielrichtungen von in Deutschland tätigen fremden Geheimdiensten. Mit Präventionsund Sensibilisierungsmaßnahmen ist der Verfassungsschutz bemüht, die erforderliche Aufmerksamkeit bei den deutschen Zielobjekten fremder Geheimdienste zu wecken. Potenzielle Zielpersonen fremder Geheimdienste sollen über entsprechende oft nicht zweifelsfrei erkennbare Spionageaktivitäten aufgeklärt und sensibilisiert werden. Das gilt nicht nur für die traditionellen Themenfelder der Spionage, sondern in ganz besonderem Maße für einen Bereich, in dem es um die Verhinderung der nachrichtendienstlich gesteuerten bzw. betriebenen illegalen Weiterverbreitung atomarer, biologischer oder chemischer Massenvernichtungswaffen sowie der dazu notwendigen Trägersysteme (Proliferation) geht. Im herkömmlichen Spionagebereich hängt die Zielrichtung der in Deutschland illegal tätigen fremden Geheimdienste von den aktuellen politischen Interessen der jeweiligen Staaten sowie ihrem wirtschaftlichen und technischen Entwicklungsstand ab. Hat die Ausforschung der jeweiligen Exilopposition in Deutschland insbesondere für Geheimdienste aus Ländern des Nahen und Mittleren Ostens sowie Nordafrikas oberste Priorität, setzen andere Länder ihren Aufklärungsschwerpunkt in der Informationsbeschaffung aus den Bereichen Politik, Wirtschaft und Militär. 112 Als Geheimdienste werden hier staatliche Organisationen fremder Mächte verstanden, die nicht nur politisch, wirtschaftlich, wissenschaftlich oder militärisch bedeutsame Nachrichten beschaffen und für ihre Auftraggeber auswerten, sondern auch aktive Handlungen zur Störung oder Beeinflussung "politischer Gegner" im Inund Ausland vornehmen. Dabei streben sie ein Höchstmaß an Geheimhaltung an. Die Verfassungsschutzbehörden verstehen sich als Nachrichtendienste. Sie sind gesetzlich auf die Beschaffung und Auswertung von Informationen beschränkt. Im Gegensatz zu Geheimdiensten unterliegen sie der Kontrolle durch unabhängige Instanzen und unterrichten die Öffentlichkeit über wesentliche Ergebnisse ihrer Arbeit. Spionageabwehr 189 Nach wie vor stellt die offene Abschöpfung interessanter Kontaktpersonen durch gezielte Gesprächsführung eine der wichtigsten Methoden der Informationsbeschaffung dar. Dabei wird das Wissen der Kontaktpersonen erfragt, ohne dass diese den nachrichtendienstlichen Hintergrund erkennt. Insbesondere wird versucht, Personen mit guten Zugangsmöglichkeiten zum Zielgebiet oder -objekt möglichst langfristig zu binden. Gelingt dies, ist für den Betroffenen die Gefahr groß, auch ungewollt in den Bereich der geheimdienstlichen Agententätigkeit zu geraten. Diese Form der Informationsbeschaffung betreiben insbesondere die Geheimdienste der Volksrepublik China und Russlands. Verdachtshinweisen auf einen möglicherweise nachrichtendienstlichen Kontaktversuch geht der Verfassungsschutz vertraulich und diskret nach und bietet im Einzelfall Hilfe an. Geheimdienste der Russischen Föderation Nach Auflösung des KGB113 im Dezember 1991 erfolgte zunächst die Aufteilung und Neugliederung des russischen Sicherheitsapparates in zeitweilig sechs zivile Nachfolgeeinrichtungen. Nach der von Präsident Putin 2003 eingeleiteten Restrukturierung entsteht erneut ein zentraler russischer Nachrichtendienst. Der seit März 2000 dem Präsidenten direkt unterstellte Inlandsgeheimdienst FSB114 wurde mit immer mehr Aufgaben ausgestattet. Nach einer Teileingliederung der für Kommunikation und elektronische Überwachung zuständigen Regierungsbehörde FAPSI115 und der Übernahme des für die Sicherung der russischen Außengrenzen zuständigen Grenzdienstes FPS116 fehlen für eine "Wiedergeburt" des KGB durch den Inlandsgeheimdienst FSB nur noch der für die Sicherheit des Präsidenten und anderer Spitzenpolitiker zuständige Schutzdienst FSO117 und der für die zivile Auslandsaufklärung zuständige SWR118, der sich einer Eingliederung bisher erfolgreich widersetzen konnte. Insgesamt lässt sich eine wachsende Machtstellung des FSB und eine zunehmende Verflechtung mit allen gesellschaftlichen und politischen Bereichen feststellen. Das wird auch 113 Komitet Gosudarstwennoi Besopasnosti, (Komitee für Staatssicherheit) 114 Federalnaja Sluschba Besopasnosti, (Abwehr-/Inlandsgeheimdienst) 115 Federalnoje Agenstwo Prawitelstvennoj Swjasi i Informazij, (Föderale Agentur für Regierungsmeldewesen und Information der Russischen Föderation) 116 Federalnaja Pogranitschnaia Sluschba, (Föderaler Dienst für Grenzschutz) 117 Federalnaja Slushba Okhrani, (Föderaler Dienst für Regierungsschutz) 118 Sluschba Wneschnej Raswedki, (Dienst für Auslandsaufklärung) 190 Spionageabwehr darin deutlich, dass seit dem 11. Juli 2004 der Leiter des FSB, Nikolai Patruschew, den Status eines Ministers erhalten hat und seine bis zu vier Stellvertreter zu stellvertretenden Ministern ernannt wurden. In den Fokus des FSB sind auch ausländische Nichtregierungsorganisationen119 geraten, die nach Aussagen Patruschews von fremden Geheimdiensten zunehmend genutzt würden, um auf nicht traditionellen Wegen nachrichtendienstliche Aufklärung zu betreiben. Russland selbst unternimmt nach den Beobachtungen der Verfassungsschutzbehörden über den SWR, der dem russischen Präsidenten direkt unterstellt ist, und unter Mitwirkung des FSB weltweit nach wie vor große Anstrengungen, auf offenen und geheimen Wegen Informationen aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Militär zu beschaffen. Das gilt insbesondere auch im Operationsgebiet Deutschland. Die "Legalresidenturen"120, die in Russlands exterritorialen Einrichtungen wie Botschaften, Generalkonsulaten und Handelsvertretungen eingebettetet sind, nehmen weiterhin eine bedeutsame Stellung bei der Informationsgewinnung im Ausland und damit auch in Deutschland ein. Unter diplomatischer Legende operierende Mitarbeiter der Geheimdienste versuchen dabei, über persönliche Kontakte zu Vertretern aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Forschung und auch Militär Informationen zu beschaffen. Dies trifft auch für den russischen militärischen Nachrichtendienst GRU (Glavnoie Rasvedivatelnoie Upravlenie) zu, der bereits seit Auflösung der drei sowjetischen Militärmissionen (SMM) in Deutschland nach 1990 verstärkt auf diplomatische Einrichtungen und Handelsvertretungen als konspirative Operationsbasen zurückgreifen musste. Chinesische Geheimdienste Die Volksrepublik China, die ihre Volkswirtschaft grundlegend reformieren und bis zum Jahre 2010 in ein "Marktwirtschaftssystem sozialistischer Prägung" überführen will, nutzt für dieses Ziel alle Formen der Kooperation mit den hoch entwickelten Industrienationen. Im Rahmen dieser Bemühungen betreibt China auch in Deutschland eine immer intensivere geheimdienstliche Aufklärung. So haben die 119 "Non Governmental Organizations" (NGOs); Hilfsorganisationen, Friedensverbände, Umweltschutzvereinigungen etc. 120 Stützpunkt eines fremden Geheimdienstes, getarnt in einer offiziellen oder halb-offiziellen Vertretung wie einer Botschaft, einem Generalkonsulat oder einer Fluggesellschaft. Spionageabwehr 191 chinesischen Geheimund Sicherheitsdienste die Aufgabe, die chinesische Staatsführung möglichst frühzeitig mit Informationen zu versorgen, die für Entscheidungen in der Außenund Sicherheitspolitik von Bedeutung sind. Außerdem besteht ein permanentes Interesse an militärischen, technischen, wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Informationen, um den Vorsprung des Westens zu verringern. Wichtigster Träger der nachrichtendienstlichen Aufklärung ist mit mehr als 800.000 Mitarbeitern das Ministerium für Staatssicherheit (MSS) als ziviler Inlandsund Auslandsgeheimdienst. Das MSS hat zur Sicherung der inneren Machtstrukturen fast uneingeschränkte Befugnisse. Es ist davon auszugehen, dass ausländische Besucher, vorrangig Entscheidungsträger aus Wirtschaft und Wissenschaft, in China einer umfassenden Überwachung unterliegen und in Hotels und Konferenzräumen abgehört werden. Bei dem militärischen Nachrichtendienst (MID) handelt es sich um die "2. Hauptverwaltung des Generalstabes der Volksbefreiungsarmee". Die vom MID im Ausland eingesetzten Agenten sind häufig bei den Militärattaches an den chinesischen diplomatischen Vertretungen (Legalresidenturen) angesiedelt. Botschaften und Konsulate bieten ebenso wie Presseagenturen den geheimdienstlich Tätigen eine gute Basis, weil das Interesse an bestimmten Informationen durch die "offizielle Funktion" kaschiert werden kann. Die chinesischen Geheimdienste legen den Schwerpunkt ihrer Nachrichtenbeschaffung auf offene Informationsabschöpfung. Eingesetzt werden vorrangig sprachlich ausgebildete Landsleute, die im Rahmen ihrer offiziellen Tätigkeit Kontakte zu deutschen Dienststellen und Ministerien unterhalten. Beziehungen zu nachrichtendienstlich interessanten Personen werden langfristig entwickelt und intensiv gepflegt anlässlich von kulturellen Veranstaltungen, bei Empfängen in der Botschaft bis hin zu Einladungen nach China. Das methodische Vorgehen ist von dem Kalkül geprägt, dass "Freunde" begehrte Informationen freiwillig liefern oder sich sogar zur "Lieferung" verpflichtet fühlen. Folgende öffentlich bekannt gewordenen Sachverhalte belegen die weltweit betriebene Wirtschaftsspionage der chinesischen Nachrichtendienste: - Im April wurde eine beim Autozulieferer Valeo in Frankreich als Praktikantin tätige 22-jährige Chinesin festgenommen. In ihrer Wohnung wurden sechs Computer und zwei Festplatten mit belastendem Material sichergestellt. Die junge Frau hatte Daten mehrerer Auto-Prototypen, die noch nicht die Marktreife erlangt haben, kopiert. 192 Spionageabwehr - In den USA konnte Ende des Jahres ein Spionagering aufgedeckt werden, der nach Pressemeldungen seit längerer Zeit sicherheitsrelevante Daten aus der Rüstungsindustrie an China geliefert haben soll. Im Zentrum der Ermittlungen stehen zwei aus China stammende Brüder. Einer von ihnen war als Elektronikingenieur bei einem namhaften Unternehmen in Los Angeles beschäftigt und an zahlreichen Rüstungsprojekten - u. a. für die US-Marine - beteiligt. Nach der Presseberichterstattung hat er sensible Unterlagen kopiert und die Datenträger an seinen Bruder weitergeleitet. Der Bruder wurde festgenommen, als er versuchte, die Daten über Hongkong in seine Heimatstadt in China zu bringen. Eine weitere Aufgabe der chinesischen Nachrichtendienste ist die Überwachung und die Beeinflussung der außerhalb Chinas lebenden "Landsleute". Hierzu zählen insbesondere oppositionelle Gruppen wie die in China seit 1999 verbotene buddhistisch-taoistische Falun-Gong-Bewegung sowie die nach "Selbstbestimmung" strebenden islamischen Uiguren, eine muslimische türkisch-sprachige Volksgruppe, deren Heimat die ölreiche autonome Region der nationalen Minderheit Xinjiang im Nordwesten Chinas ist. Anfang Juni bestätigten die beiden ehemaligen chinesischen Funktionäre Chen Yonglin121 und Hao Fengjun122 öffentlich Folterungen an Falun-Gong-Anhängern in China. Beide berichteten über umfangreiche Spionagetätigkeiten im Ausland. Einem im Oktober in der Zeitschrift "Die Neue Epoche online123" veröffentlichten Beitrag nach berichtete Chen Yonglin während eines Seminars im Europaparlament in Brüssel über Zusammenhänge zwischen Verbrechen in China und Spionage im Ausland: "Er (Chen) bestätigte den systematischen Charakter der Kampagne der KPC gegen Falun Gong und fügte hinzu: 'In Australien befinden sich über 1000 chinesische Geheimagenten, 121 Erster Sekretär für politische Angelegenheiten beim chinesischen Konsulat in Sydney/Australien, der im Mai gemeinsam mit seiner Familie das chinesische Konsulat verlassen und bei der australischen Regierung um politisches Asyl gebeten hat. 122 Nach Angaben des regimekritischen Mediendienstes "Die Neue Epoche online" war Hao Fengjun Geheimdienstmitarbeiter. Bevor er China im Februar in Richtung Australien verließ, war er zuständig für die Analyse der Berichte von Auslandsinformanten. Gleichzeitig fungierte er als höherer Polizeifunktionär des geheimen "Büros 610". Das im Büro für Öffentliche Sicherheit eingegliederte (Sonder-) "Büro 610", das von einem Mitglied des Politbüros der KP China geleitet wird, ist hauptsächlich zuständig für die Falun-Gong-Bewegung sowie für andere von der KP Chinas zur Sekte erklärten Organisationen. 123 Artikel "Europaparlament: Chinas Menschenrechte im Fokus" vom 28.10.2005 Spionageabwehr 193 die bei der Verfolgung von Falun Gong eine Rolle gespielt haben.' In jeder chinesischen Botschaft und jedem Konsulat befindet sich nach seiner Aussage mindestens ein Diplomat für politische Angelegenheiten, dessen Job es ist, Dissidenten in Übersee öffentlich zu beobachten. Gleichzeitig wird auf die jeweilige Auslandsregierung Druck ausgeübt, die Aktivitäten der dortigen Dissidenten zu beschränken. 'China hat unter dem Deckmantel 'Diplomat' in fast alle wichtigen Städte weltweit Geheimdienstagenten entsendet,' so Chen." Im Verlauf dieser Veranstaltung habe Hao Fengjun von sehr ernsten Menschenrechtsverstößen des "Büros 610" in China und von der Überwachung von chinesischen Dissidenten überall auf der Welt berichtet. Geheimdienste aus Staaten des Nahen und Mittleren Ostens Die Aktivitäten der fremden Geheimdienste aus den Staaten des Nahen und Mittleren Ostens sind nach wie vor schwerpunktmäßig auf die Ausforschung der in Deutschland ansässigen Oppositionellen und ihrer Organisationen ausgerichtet. So unterhalten z.B. die syrischen Geheimdienste nach wie vor in Deutschland Legalresidenturen an den Vertretungen ihres Landes. Die dort unter diplomatischem Status getarnt tätigen geheimdienstlichen Mitarbeiter setzten auch 2005 ihre Aktivitäten fort. Regimegegner, die in Deutschland ausgeforscht worden sind, werden bei der Einreise nach Syrien überwacht und unter Androhung von Restriktionen zur Mitarbeit aufgefordert. Nicht selten werden sie Opfer von Misshandlungen und Folter. Proliferation und illegaler Wissenstransfer Aus machtpolitischen Gründen halten einige Staaten des nahen und mittleren Ostens den Besitz von atomaren, biologischen und chemischen Waffensystemen auch weiterhin für unverzichtbar. Die Beschaffung von Hochtechnologieprodukten und der illegale Know-howTransfer von Produkten, die zur Herstellung von Massenvernichtungswaffen und entsprechenden Trägersystemen eingesetzt werden können, werden unter dem Begriff Proliferati- 194 Spionageabwehr on zusammengefasst. Zu den sogenannten proliferationsrelevanten Ländern zählen Indien, Iran, Nordkorea, Pakistan und Syrien. Es handelt sich hierbei um Staaten, von denen zu befürchten ist, dass sie Massenvernichtungswaffen im Konfliktfall einsetzen werden. Sie stellen damit weltweit eines der größten Sicherheitsrisiken dar. Auf politischer Ebene versuchen deshalb die Staaten der westlichen Welt, die proliferationsrelevanten Staaten zur Aufgabe ihrer Massenvernichtungswaffenprogramme zu bewegen. Der Fokus dieser Bemühungen richtete sich 2005 hauptsächlich auf Nordkorea und die Iranische Republik. Nordkorea erklärte im September zwar seinen Verzicht auf Atomwaffen und kündigte die Rückkehr zum Atomwaffensperrvertrag an. Es bleibt jedoch abzuwarten, ob das Land an der Vereinbarung tatsächlich festhält. Trotz der Verhandlungsbemühungen der Europäischen Union hält der Iran unvermindert an seinen Bestrebungen zum Aufbau des nuklearen Brennstoffkreislaufs fest. Eine Zunahme entsprechender Beschaffungsbemühungen ist zu befürchten. Ihren Bedarf an proliferationsrelevanten Gütern versuchen die genannten Länder in Hochtechnologiestaaten zu decken. Ziel ist der Erwerb von Produkten, die den Fortbestand und die Weiterentwicklung des schon bestehenden Produktionsprogramms sichern sollen oder die für die Entwicklung neuer Massenvernichtungswaffen oder Trägersysteme benötigt werden. Hierzu bedienen sie sich häufig staatlich gelenkter Beschaffungsorganisationen und Tarnfirmen. Unter Umgehung bestehender Exportvorschriften und über Umweglieferungen wird versucht, den tatsächlichen Bestimmungsort und Verwendungszweck der zu beschaffenden Güter gegenüber dem Geschäftspartner zu verschleiern. Oftmals haben die ausgeführten Teile "zweifache Nutzungsmöglichkeiten", d.h. sie können in militärischen Systemen, darunter Satelliten, Radar und intelligente Waffen, bei elektronischer Kriegsführung und im militärischen Kommunikationswesen, aber auch in zivilen Bereichen wie z.B. in Handys und Computern Verwendung finden. Man spricht hier von so genannten DualUse-Gütern. Die Bundesrepublik Deutschland als eine der führenden Industrienationen der Welt stellt ein bevorzugtes Beschaffungsziel dar. Zu den Aufgaben des Verfassungsschutzes gehört es auch, Unternehmen und Forschungseinrichtungen, die aufgrund ihrer Produktpalette oder ihres Know-how "interessant" sind, für Proliferationsbemühungen missbraucht zu werden, über diese Gefahren aufzuklären und für die Arbeitsmethoden fremder Geheimdienste zu sensibilisieren. Im Berichtsjahr konnte das Niedersächsische Landesamt für Verfassungsschutz seine Präventionsmaßnahmen inten- Spionageabwehr 195 sivieren. In zahlreichen Sensibilisierungsgesprächen wurden Hochtechnologieunternehmen und proliferationsrelevante Fachbereiche von Forschungseinrichtungen über die aktuelle Proliferationsproblematik aufgeklärt. Im gegenseitigen Informationsaustausch erhielt das Niedersächsische Landesamt für Verfassungsschutz auch konkrete Hinweise auf proliferationsrelevante Sachverhalte. Auch auf der Grundlage dieser Informationen konnte das NLfV gefährdete Unternehmen noch gezielter auf aktuelle Beschaffungsversuche aufmerksam machen. Spionage im Bereich der Kommunikationstechnik Zu den Arbeitsmethoden insbesondere der russischen Geheimdienste gehört auch die Informationsbeschaffung durch den Einsatz moderner Nachrichtentechnik bei der Fernmeldeund elektronischen Aufklärung. Sie findet auch als Kommunikationsinstrument bei der Agentenführung Anwendung. Dabei wird mit Fernmeldemitteln vom russischen Hoheitsgebiet und von einigen Stützpunkten der GUS aus der internationale Funkverkehr sowie die drahtlose Telekommunikation planmäßig überwacht und ausgewertet. Insbesondere durch die Beschaffung westlicher Technologie bemüht sich der russische Inlandsgeheimdienst FSB, seine technische Ausstattung auf hohem Niveau zu halten. Zu den Aufgaben der russischen Geheimdienste gehört auch die Wirtschaftsspionage mit elektronischen Mitteln. Da der FSB im Bereich der gewerblichen Wirtschaft die staatlichen Betreiberlizenzen für Kommunikationstechnik erteilt, für die Vergabe von Funkkanälen und Frequenzen zuständig ist sowie den Einsatz von Verschlüsselungsverfahren genehmigt, hat er Zugriff auf umfassende Informationen über nationale und internationale Geschäftsverbindungen russischer Unternehmen einschließlich der Leistungsfähigkeit und der technischen Ausstattung ihrer westlichen Geschäftspartner. In diesem Zusammenhang darf nicht unerwähnt bleiben, dass Telefon-, E-Mailund Faxverbindungen auch im Fokus der Geheimdienste westlicher Staaten stehen. Nach dem Bericht des Sonderausschusses ECHELON des Europäischen Parlaments aus dem Jahr 2001 hört das weltumspannende "Echelon-System" der englischsprachigen Staaten USA, Großbritannien, Kanada, Australien und Neuseeland unter der Verwaltung der amerikanischen National Security Agency (NSA) systematisch die nicht leitungsgebundene Satelliten-, Mikrowellenund Mobilfunk-Kommunikation ab. Die einge- 196 Spionageabwehr fangenen Signale werden durch Computer verarbeitet, die dazu programmiert wurden, Zieladressen, Wörter, Sätze oder sogar individuelle Stimmen zu erkennen. War "Echelon" zunächst nur dazu gedacht, die militärische und diplomatische Kommunikation der Sowjetunion und ihrer Verbündeten abzuhören, wird es heute auch zur Suche nach organisierter Kriminalität benutzt. Möglich ist auch, dass dieses System der Wirtschaftsspionage dient. Bis 2004 standen Antennen des "Echolon" auch im bayerischen Bad Aibling. Danach wurden das Personal und die Anlagen nach Griesheim bei Darmstadt verlegt. Als Kommunikationsmittel im geheimdienstlichen Verbindungswesen dient zunehmend das Internet. Agent und Führungsstelle richten sich z.B. bei einem großen Internet-EMail-Dienst eigene Postfächer unter fiktiven Daten ein und können so miteinander in Verbindung treten. Mittels des so genannten Steganographieverfahrens werden Daten im Internet ausgetauscht. Dabei werden Daten auf unverdächtigen Internetseiten so versteckt, dass sie von unautorisierten Nutzern nicht erkannt werden können. Geheimund Wirtschaftsschutz 197 GEHEIMUND WIRTSCHAFTSSCHUTZ Ziel des Geheimschutzes ist der Schutz staatlicher Verschlusssachen (VS). Informationen und Vorgänge, deren Bekannt werden den Bestand oder lebenswichtige Interessen, die Sicherheit oder sonstige Interessen des Bundes oder eines Landes gefährden können, müssen geheim gehalten und als VS vor unbefugter Kenntnisnahme geschützt werden. Je nach Schutzbedürftigkeit erfolgt eine Einstufung der VS in die Geheimhaltungsgrade VS-NUR FÜR DEN DIENSTGEBRAUCH, VS-VERTRAULICH, GEHEIM oder STRENG GEHEIM. Der Schutz der VS wird durch Maßnahmen des personellen und materiellen Geheimschutzes gewährleistet und richtet sich nach dem Geheimhaltungsgrad, wobei die Schutzmaßnahmen bei der Einstufung STRENG GEHEIM am höchsten sind. Personeller Geheimschutz Verschlusssachen ab dem Geheimhaltungsgrad VS-VERTRAULICH dürfen nur Personen bearbeiten, die sich einer Sicherheitsüberprüfung unterzogen haben. Zentrales Instrument für die Durchführung dieser Sicherheitsüberprüfungen im behördlichen Bereich ist in Niedersachsen das Niedersächsische Sicherheitsüberprüfungsgesetz (Nds. SÜG). Die in diesem Gesetz vorgeschriebenen Überprüfungsverfahren stellen sicher, dass nur Personen, deren Zuverlässigkeit festgestellt worden ist, eine sicherheitsempfindliche Tätigkeit ausüben. Zuständig für die Einleitung einer Sicherheitsüberprüfung ist die jeweilige Beschäftigungsdienststelle (zuständige Stelle); das NLfV wirkt bei der Durchführung der Überprüfung mit (mitwirkende Behörde). Im Jahr 2005 hat das NLfV als mitwirkende Behörde insgesamt 530 Sicherheitsüberprüfungen (2004: 458; 2003: 452) bearbeitet. Materieller Geheimschutz Der materielle Geheimschutz umfasst technische und organisatorische Maßnahmen zur Verhinderung der unbefugten Kenntnisnahme von VS. In der Verschlusssachenanweisung (VSA) sowie ergänzenden Richtlinien ist geregelt, wie als VS eingestuftes Schriftgut sicher bearbeitet, verwahrt und verwaltet wird. Dem Schutz elektronisch gespeicherter oder elektronisch übermittelter VS wird in der VSA, im Detail aber 198 Geheimund Wirtschaftsschutz in den "Niedersächsischen Richtlinien zum Geheimschutz von VS beim Einsatz von Informationstechnik" vom 29.12.2000 Rechnung getragen. Das NLfV wirkt gemäß SS 60 (1) VSA bei der Durchführung der VSA und der sie ergänzenden Richtlinien mit und berät die VS-verwaltenden Dienststellen des Landes. Beratungsschwerpunkte sind die Einrichtung und der Betrieb von VS-Verwahrgelassen wie besonders gesicherten Aktensicherungsräumen oder VS-Stahlschränken, in denen VS unter Beachtung baulicher, mechanischer, elektronischer und organisatorischer Sicherheitsvorkehrungen aufbewahrt werden können. Die Anzahl der VS-verwaltenden Dienststellen ist seit einigen Jahren rückläufig. 2005 konnten einige durch aufwändige Technik alarmgesicherte VS-Verwahrgelasse aus der Überwachung genommen werden, da das Aufkommen an VS vor allem in den Städten und Landkreisen rückläufig war und Altbestände vernichtet wurden. Beratung Über die Mitwirkungspflicht hinaus hat das NLfV einen besonderen Schwerpunkt seiner Geheimschutzarbeit in der Information und Beratung der Geheimschutzbeauftragten niedersächsischer Behörden. Im Rahmen einer zweitägigen Schulung für Geheimschutzbeauftragte wurden im September Grundlagen des personellen und materiellen Geheimschutzes vermittelt. Darüber hinaus finden individuelle Beratungsgespräche mit Geheimschutzbeauftragten oder VS-Verwaltern statt. Wirtschaftsspionage und Wirtschaftsschutz Hauptaufgabe des Wirtschaftsschutzes ist es, als vorbeugende Spionageabwehr die Wirtschaft vor Ausspähungsversuchen fremder Geheimdienste zu schützen, um Schäden für die deutsche Volkswirtschaft abzuwenden. Die in der Spionageabwehr gewonnenen Erkenntnisse über Arbeitsweise und Zielrichtungen fremder Nachrichtendienste sind maßgebliche Grundlage für die Beratung niedersächsischer Unternehmen. Des Weiteren werden die Unternehmen auch über die im NLfV gewonnenen Erkenntnisse zum Rechts-, Linksund Ausländerextremismus informiert. Mit diesem Arbeitsschwerpunkt hat sich das NLfV seit einigen Jahren zu einem festen Geheimund Wirtschaftsschutz 199 Ansprechpartner für die Wirtschaft in Niedersachsen entwickelt. Die Ausforschung deutscher Unternehmen durch fremde Nachrichtendienste ist als geheimdienstliche Agententätigkeit gemäß SS 99 StGB strafbar und fällt als Wirtschaftsspionage in die Zuständigkeit des Verfassungsschutzes. Davon abzugrenzen ist die Konkurrenzspionage nach SS 17 des Gesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb, bei der der Verrat von Betriebsund Geschäftsgeheimnissen von einem konkurrierenden Unternehmen ausgeht. Zuständig ist in diesen Fällen die Polizei für die Strafverfolgung. Im Bereich des Geheimund Wirtschaftsschutzes berät das NLfV derzeit fast 300 niedersächsische Firmen in Sicherheitsfragen. Hierzu zählen die geheimschutzbetreuten Unternehmen sowie Firmen aus dem technologieorientierten Sektor der Wirtschaft. Hauptzielgruppe bei den Beratungen sind weiterhin kleine und mittelständische Unternehmen, da diese erfahrungsgemäß über eine gering ausgeprägte Sicherheitsstruktur verfügen und somit eher einer Gefährdung durch Ausspähungsversuche und Know-how-Verlust unterliegen. Im Jahr 2005 hat das NLfV im Bereich Wirtschaftsschutz etwa 120 niedersächsische Unternehmen beraten. Eine Vielzahl von Unternehmen hat das NLfV darüber hinaus im Rahmen von 27 Vortragsveranstaltungen erreicht, die landesweit bei Firmen, Handelskammern, öffentlichen Verwaltungen, kommunalen Wirtschaftsförderungen und Technologiezentren, aber auch bei Polizeidienststellen sowie bei der Steuerfahndung durchgeführt wurden. Als ein sinnvolles Kommunikationsmittel hat sich der elektronische Newsletter des NLfV erwiesen, der die betreuten Unternehmen in unregelmäßigen Abständen mit aktuellen sicherheitsrelevanten Informationen versorgt. Neben den präventiven Aspekten ist es ein Ziel des Wirtschaftsschutzes, die Erkenntnislage des Verfassungsschutzes im Bereich der Wirtschaftsspionage zu verbessern, damit die Methoden und Arbeitsweisen fremder Nachrichtendienste erkannt werden können und die Spionageabwehr ihrer Frühwarnfunktion für die Wirtschaft gerecht werden kann. Dabei ist es von großer Bedeutung, dass der Verfassungsschutz auch von Sicherheitsvorfällen in den Unternehmen erfährt, die später in anonymisierter Form als Beispiele in den Firmenberatungen eingesetzt werden können. Für die Unternehmen ist häufig nicht sofort erkennbar, ob es sich bei einer Ausspähungshandlung um Wirtschaftsoder Konkurrenzspionage handelt. In jedem Fall ist es empfehlenswert, den Wirtschaftsschutz des NLfV zu informieren, um Hilfestellung beim weiteren Vorgehen zu erhalten. 200 Geheimund Wirtschaftsschutz Die folgenden Beispiele von Sicherheitsvorfällen, die dem NLfV mitgeteilt wurden, waren bei Präventionsmaßnahmen hilfreich: - Es wurde von chinesischen Praktikanten und Wissenschaftlern berichtet, die ungewöhnlich starkes Interesse an Produkten und Arbeitsabläufen entwickelten. Da in unzulässiger Weise Daten auf Laptops kopiert wurden, kann von gezielten Informationsbeschaffungsmaßnahmen aus gegangen werden,. - Unbekannten Tätern gelang es mit professioneller Ausspähungstechnik unbemerkt auf das Netzwerk eines Unternehmens zuzugreifen, einen "Trojaner" zu installieren und umfangreiche Datenmengen an nachrichtendienstlich relevante Adressaten zu senden. - In mehreren Fällen kam es in Unternehmen zu Laptopdiebstählen bei Einbrüchen auf dem Firmengelände oder bei Autoaufbrüchen. Dabei verschwanden in fast allen Fällen erhebliche Mengen sensibler und vertraulicher Daten. Da die Täter häufig gezielt vorgegangen sind, dürfte es sich in diesen Fällen nicht um Beschaffungskriminalität gehandelt haben, sondern um Spionage fremder Geheimdienste oder konkurrierender Unternehmen. Zum dritten Mal in Folge präsentierten sich der Niedersächsische Verfassungsschutz und die Polizei mit einem gemeinsamen Stand auf der Computermesse CeBIT in Hannover. Vielfältige, fachlich qualifizierte Beratungsgespräche dokumentieren das große Interesse der Messebesucher. Für die CeBIT 2006 ist eine Fortführung des gemeinsamen Messeauftritts vorgesehen. Auf der jährlichen Wirtschaftsschutztagung im Juni in Hannover informierten sich 50 Unternehmensvertreter über Rechts-, Linksund Ausländerextremismus, sowie Wirtschaftsspionage. Im Mittelpunkt der jährlichen Tagung für Sicherheitsbevollmächtigte der geheimschutzbetreuten Unternehmen Niedersachsens im November in Lüneburg standen Vorträge über sicherheitsrelevante Aspekte des Wirtschaftsaustausches mit China. Firmen können wie folgt Kontakt zum Wirtschaftsschutz aufnehmen: Tel.: 0511-6709-0, App.: 244-248 Fax: 0511-6709-393 E-Mail: wirtschaftsschutz@nlfv.niedersachsen.de Der Verfassungsschutz in Niedersachsen 201 DER VERFASSUNGSSCHUTZ IN NIEDERSACHSEN Beschäftigte Im Haushaltsplan 2005 waren für die niedersächsische Verfassungsschutzbehörde 246 Stellen (2004: 227) ausgewiesen. Im aktuellen Haushaltsplan 2006 ist die Stellenzahl wegen Erfüllung allgemeiner Einsparauflagen auf 244 festgesetzt worden. Die Personalverstärkung im Haushaltsjahr 2005 im direkten Vergleich zum Haushaltsjahr 2004 diente im Wesentlichen der Intensivierung von Beobachtung und Aufklärung des islamistischen Extremismus und Terrorismus. In der Gesamtstellenzahl sind auch die Beschäftigten enthalten, die keine verfassungsschutzspezifischen Aufgaben wahrnehmen, wie z.B. Schreibkräfte, Verwaltungspersonal, Hausmeister etc. Nach Abzug dieser Funktionen liegt die Zahl der originären Verfassungsschutzaufgaben zugeordneten Stellen bei 198. Das Beschäftigungsvolumen, die Grundlage für die Berechnung der Personalkosten für die im NLfV Beschäftigten, betrug im Haushaltsjahr 2005 233,84 Vollzeiteinheiten (VZE); für das Haushaltsjahr 2006 wurde es auf 231,12 VZE festgesetzt. Haushalt Im Haushalt der niedersächsischen Verfassungsschutzbehörde waren im Haushaltsjahr 2005 für Personalausgaben 10.466.000 EUR (2004: 9.665.000 EUR) und für Sachausgaben 2.594.000 EUR (2004: 2.338.000 EUR) veranschlagt. Damit ergab sich ein Ausgabevolumen von 13.060.000 EUR. Mitwirkungsaufgaben des NLfV Seit Anfang des Jahres werden die zuvor dezentral im Bereich Geheimschutz oder in der Fachabteilung Extremismus wahrgenommenen Mitwirkungsaufgaben des NLfV in einem neu eingerichteten Dezernat gebündelt. Damit wurde der zunehmenden Bedeutung dieser Sicherheitsaufgabe Rechnung getragen. 202 Der Verfassungsschutz in Niedersachsen Im Jahr 2005 erhielt das NLfV insgesamt 37.558 Mitwirkungsersuchen. Neben den Prüfungsschwerpunkten in den Bereichen Einbürgerungen (13.723 Anfragen), Aufenthaltstitel (5.263), Luftsicherheit (11.826) und Atomsicherheit (4.364) werden auch Stellungnahmen nach dem Waffengesetz, dem Sprengstoffgesetz, dem Häftlingshilfegesetz, dem Ordensgesetz, dem Hafensicherheitsgesetz, der Bewachungsverordnung und der Überfallund Einbruchmelderichtlinie bearbeitet. Im Rahmen der Mitwirkung wird überprüft, ob dem Verfassungsschutz zu den angefragten Personen Erkenntnisse vorliegen, die bei den Entscheidungen der anfragenden Behörden eine sicherheitsbezogene Relevanz entfalten. Der Verfassungsschutz in Niedersachsen 203 Organisationsplan des Niedersächsischen Landesamtes für Verfassungsschutz (NLfV) Präsident Vizepräsident Qualitätsmanagement Abteilung 1 Abteilung 2 Abteilung 3 Zentrale Aufgaben Extremismus und Spionageabwehr; Terrorismus Geheimu. Wirtschaftsschutz, Observation; Mitwirkungsaufgaben Dezernat 11 Dezernat 21 Dezernat 31 Grundsatzund GrundsatzanGrundsatzangelegenRechtsangelegengelegenheiten der heiten der Spionageheiten, ÖffentlichkeitsNachrichtenbeabwehr, operative und Pressearbeit, schaffung und Sicherheit, Geheimu. Berichtswesen; G 10 Auswertung, Wirtschaftsschutz Tarnmittel operative Sicherheit Dezernat 12 Dezernat 22 Dezernat 32 Datenverarbeitung, Ausländerextremismus Spionageabwehr, Technische Dienste und -terrorismus Scientology-Org. (SO) Dezernat 14 Dezernat 23 Dezernat 33 Verwaltung Rechtsextremismus Observationen und -terrorismus Dezernat 24 Dezernat 34 Linksextremismus Mitwirkungsaufgaben und -terrorismus bei der Abwehr islamistisch-extremistischer und sonstiger Gefahren durch andere Landesbehörden Stand: 01.04.2006 204 Der Verfassungsschutz in Niedersachsen Projektorganisation Gemeinsames Informationsund Analysezentrum Polizei und Verfassungsschutz Niedersachsen (GIAZ Niedersachsen) Zur weiteren Verbesserung des Informationsaustausches zwischen Polizei und Verfassungsschutz für projektbezogene Analysen hat Niedersachsen am 9. Dezember 2004 die bundesweit bislang einmalige Projektorganisation Gemeinsames Informationsund Analysezentrum Polizei und Verfassungsschutz Niedersachsen (GIAZ) gegründet. Das Trennungsgebot124 wird dabei nicht aufgehoben; das GIAZ ist paritätisch mit Mitarbeitern des Niedersächsischen Landesamtes für Verfassungsschutz und des Landeskriminalamtes Niedersachsen besetzt. Im GIAZ werden Erkenntnisse des Verfassungsschutzes und der Polizei aus den Bereichen - Internationaler Terrorismus und Extremismus, soweit er den internationalen Terrorismus unterstützt, - militanter Rechtsextremismus und - Autonome und sonstiger gewaltbereiter Linksextremismus zusammengefasst und einer gemeinsamen Analyse und Bewertung unterzogen. Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel Der Niedersächsische Verfassungsschutz gewinnt die zur Erfüllung seiner Aufgaben relevanten Informationen überwiegend aus offen zugänglichen Quellen. Darüber hinaus werden - im Rahmen gesetzlich festgelegter Befugnisse und unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit - nachrichtendienstliche Mittel zur Informationsbeschaffung eingesetzt. Nach SS 6 des Niedersächsischen Verfassungsschutzgesetzes (NVerfSchG) darf das NLfV zur Beschaffung der erforderlichen Informationen auch die hier abschließend aufgeführten nachrichtendienstlichen Mittel einsetzen, soweit dies für die Erkenntnisgewinnung unverzichtbar ist. Vor dem Einsatz von nachrichtendienstlichen Mitteln wird geprüft, ob die von den jeweiligen Bestrebungen ausgehenden Gefahren, ggf. die Konspiration oder Gewaltbereitschaft einer Organisation, den Einsatz dieser Mittel 124 Das Trennungsgebot zwischen Verfassungsschutz und Polizei ist historisch begründet und regelt die organisatorische und befugnismäßige Trennung dieser Einrichtungen. Sie haben keinerlei gegenseitige Weisungsbefugnis. So ist dem Verfassungsschutz untersagt, die Polizei zu Handlungen zu bewegen, zu denen er nicht befugt ist, z.B. Personen zu kontrollieren oder festzunehmen, Wohnungen zu durchsuchen oder Unterlagen zu beschlagnahmen. Der Verfassungsschutz in Niedersachsen 205 erfordern und durch welche Mittel die hiervon Betroffenen in ihren vom Grundgesetz geschützten Rechtspositionen am wenigsten belastet werden (Prinzip des geringstmöglichen Eingriffs). Die Anwendung nachrichtendienstlicher Mittel beinhaltete im Berichtszeitraum im Wesentlichen den Einsatz von Vertrauensleuten und sonstigen Informanten, verdeckte Ermittlungen und Befragungen sowie zeitlich befristete Observationen. Von dem nachrichtendienstlichen Mittel der Überwachung des Brief-, Postund Fernmeldeverkehrs nach Maßgabe des Gesetzes zur Beschränkung des Brief-, Post und Fernmeldegeheimnisses (Artikel 10-Gesetz - G10) wurde während des Berichtszeitraums vom NLfV wiederum nur in dem der Schwere des jeweiligen Verdachts angemessenen Maße Gebrauch gemacht. Die Anzahl der G10-Maßnahmen bewegte sich im einstelligen Bereich. Die dem NLfV durch die Neufassung des NVerfSchG im Jahr 2004 eingeräumten erweiterten Auskunftsbefugnisse gegenüber Kreditinstituten, Luftfahrtunternehmen und Erbringern von Postoder Telekommunikationsdienstleistungen sind nach SS 5a NVerfSchG an hohe rechtliche Voraussetzungen gebunden und lehnen sich im Bereich Postund Telekommunikationsdienstleistungen an das Prüfverfahren einer G 10-Maßnahme an. Von diesen Befugnissen, die zur besseren Aufklärung von Struktur, Logistik und Finanzierung terroristischer Gruppierungen erforderlich sind hat das NLfV aus Gründen der Verhältnismäßigkeit zurückhaltend Gebrauch gemacht. Nachrichtendienstliches Informationssystem (NADIS) Das NLfV ist - wie die anderen Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder auch - gesetzlich befugt, die zur Aufgabenerfüllung erforderlichen personenbezogenen Daten zu erheben und in Akten und Dateien zu speichern. Das Niedersächsische Verfassungsschutzgesetz und detaillierte Dienstvorschriften schreiben bestimmte Speicherungsvoraussetzungen sowie Regelungen zur Sperrung und Löschung der Daten vor. Deren Beachtung unterliegt insbesondere der Kontrolle durch den Landesbeauftragten für den Datenschutz, das Ministerium für Inneres und Sport und den im NLfV bestellten behördlichen Datenschutzbeauftragten. Aufgrund der in Art. 73 Nr. 10 des Grundgesetzes und in SS 1 Bundesverfassungsschutzgesetz (BVerfSchG) normierten 206 Der Verfassungsschutz in Niedersachsen Verpflichtung zur Zusammenarbeit und gegenseitigen Unterrichtung unterhalten alle Verfassungsschutzbehörden gemäß SS 6 BVerfSchG eine gemeinsame beim Bundesamt für Verfassungsschutz eingerichtete Datenbank, das so genannte Nachrichtendienstliche Informationssystem (NADIS). Alle teilnehmenden Behörden dürfen dort nach Maßgabe der jeweiligen eigenen rechtlichen Befugnisse personenbezogene Daten einstellen sowie auf den gesamten NADIS-Datenbestand zugreifen und Daten abrufen. Aus dem so genannten Aktenfundstellensystem, das NADIS darstellt, wird jedoch nur der Name der gespeicherten Person, die zu ihrer Identifizierung erforderlichen Merkmale wie z. B. Wohnanschrift, Staatsangehörigkeit, Kraftfahrzeug sowie die speichernde Behörde und deren nach einem einheitlichen Aktenplan vergebenen Aktenzeichen ersichtlich. Nicht gespeichert ist der Inhalt der jeweiligen Information, die Anlass zur Vergabe des Aktenzeichens gewesen ist. Benötigt eine Verfassungsschutzbehörde zur eigenen Aufgabenerfüllung die Informationen einer anderen Verfassungsschutzbehörde über eine gespeicherte Person, so fragt sie in der Regel auf elektronischem Wege bei ihr an. Der Informationsübermittlung ist eine Relevanzprüfung durch die speichernde Stelle vorgeschaltet. Bedeutsam ist, dass sich die im NADIS gespeicherten personenbezogenen Daten nur teilweise auf Personen beziehen, die verfassungsfeindliche, sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Aktivitäten (vgl. SS 3 Abs. 1 NVerfSchG) entfaltet haben. Im NADIS werden vielmehr auch Angaben zu Personen erfasst, bei denen eine Sicherheitsüberprüfung mit dem Ergebnis einer Ermächtigung zum Umgang mit Verschlusssachen durchgeführt wurde oder die als Zielpersonen terroristischer oder geheimdienstlicher Aktivitäten gelten. Vom NLfV waren am 31.12.2005 folgende personenbezogene NADIS-Speicherungen veranlasst (Vorjahreszahlen in Klammern): - im Zusammenhang mit Sicherheitsüberprüfungen 10.408 (10.146) - im Zusammenhang mit originären Aufgaben des NLfV im Bereich Extremismus, Terrorismus, Spionageabwehr 7.880 (7.473) Der Verfassungsschutz in Niedersachsen 207 Auskunftsersuchen von Bürgerinnen und Bürgern 2005 wurden 22 Auskunftsersuchen (2004: 22) gemäß SS 13 NVerfSchG abschließend bearbeitet. In 20 Fällen hatte das NLfV keine Erkenntnisse gespeichert. Zwei Anfragenden wurde der ihrer Erfassung zugrunde liegende Sachverhalt uneingeschränkt mitgeteilt. Presseund Öffentlichkeitsarbeit des Ministeriums für Inneres und Sport und des NLfV Das Niedersächsische Verfassungsschutzgesetz sieht ausdrücklich die Aufklärung der Öffentlichkeit über verfassungsfeindliche Bestrebungen und sicherheitsgefährdende bzw. geheimdienstliche Tätigkeiten vor. Gemäß SS 3 a Abs. 1 NVerfSchG erfolgt dies durch zusammenfassende Berichte des Ministeriums für Inneres und Sport, wozu insbesondere der Niedersächsische Verfassungsschutzbericht zählt. Das NLfV hat nach SS 3 a Abs. 2 NVerfSchG den gesetzlichen Auftrag, durch eigene Maßnahmen an der Aufklärungsarbeit mitzuwirken. Zentrale Aufgaben der Öffentlichkeitsarbeit des Verfassungsschutzes sind die Information der Bürgerinnen und Bürger über gesetzliche Grundlagen, Arbeitsweise und Kontrolle des Verfassungsschutzes, die Darstellung der Erscheinungsformen und ideologischen Grundlagen verfassungsfeindlicher Bestrebungen sowie Informationen über sicherheitsgefährdende und geheimdienstliche Aktivitäten. Der informierte Bürger soll in die Lage versetzt werden, sich ein Urteil über die Gefahren zu bilden, die unserem Rechtsstaat durch verfassungsfeindliche Kräfte drohen. Insoweit erfüllt die Öffentlichkeitsarbeit des Ministeriums für Inneres und Sport sowie des Verfassungsschutzes auch präventive Aufgaben bei der Bekämpfung des Extremismus. Die Öffentlichkeitsarbeit des Verfassungsschutzes zielt - über die bloße Wissensvermittlung hinaus - auch darauf ab, sich unsere fundamentalen Verfassungsprinzipien bewusst zu machen. Die politische Auseinandersetzung mit verfassungsfeindlichen Positionen setzt die Kenntnis extremistischer Bestrebungen voraus. Die Bürgerund Presseanfragen an das NLfV spiegeln thematisch alle Arbeitsfelder des Ver- 208 Der Verfassungsschutz in Niedersachsen fassungsschutzes wider. Den Schwerpunkt bildeten dabei neben Anfragen zu islamistischen Organisationen vor allem Informationen über rechtsextremistische Strukturen in Niedersachsen. Erscheinungsformen darzustellen, Hintergründe zu analysieren und auch auf Möglichkeiten des Zurückdrängens extremistischer Positionen einzugehen, steht bei den zielgruppenorientierten Vortragsund Diskussionsveranstaltungen des Verfassungsschutzes im Mittelpunkt. Wie in den Vorjahren wurden mehrfach Besuchergruppen in das Dienstgebäude des Verfassungsschutzes eingeladen. Darüber hinaus informierte das NLfV fortlaufend an Schulen und anderen Bildungseinrichtungen in Niedersachsen über den Rechtsextremismus, schwerpunktmäßig über Werbestrategien rechtsextremistischer Organisationen, die zunehmend auf junge Menschen zugeschnitten sind. Im Juni 2005 startete das Niedersächsische Kultusministerium in enger Zusammenarbeit mit dem NLfV, dem Niedersächsischen Landesamt für Lehrerbildung und Schulentwicklung (NiLS) und der Landesschulbehörde eine gemeinsame landesweite Fortbildungsreihe für Lehrkräfte mit Vortragsund Diskussionsveranstaltungen in verschiedenen Regionen des Landes. Im Mittelpunkt standen die Information über die Gefahren des Rechtsextremismus, die von Referenten des NLfV vorgetragen wurden, und Erfahrungsberichte von Lehrkräften. Die Veranstaltungen sollen auch dazu beitragen, dass in den Schulen Projekte gegen den Rechtsextremismus initiiert und nachhaltig verankert werden. Der Auftaktveranstaltung in Stade folgten weitere Veranstaltungen in Hameln, Walsrode, Osnabrück, Braunschweig und Hildesheim. Die Veranstaltungsreihe wird fortgesetzt. Die vom NLfV konzipierte Ausstellung "Demokratie schützen - Verfassungsschutz gegen Rechtsextremismus" ist ein weiteres Mittel zur Aufklärung und soll eine Hilfe bei der aktiven Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus darstellen. Sie schärft das Problembewusstsein, indem sie grundlegende Informationen über rechtsextremistische Erscheinungsformen und Werbemethoden vermittelt. Dieses Wissen ist die Voraussetzung für eine fundierte Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus und trägt maßgeblich dazu bei, dass Rechtsextremisten mit ihren menschenverachtenden Hassbotschaften das Denken vor allem junger Menschen nicht negativ beeinflussen. Im Mittelpunkt der am 1. Dezember durch Innenminister Schünemann und Verfassungsschutzpräsident Homuth eröffneten und durch die Stiftung Niedersachsen maßgeblich geförderten Ausstellung stehen Beispiele rechtsextremistischer Musik. Die Besucher werden mit Liedtexten konfrontiert, die in schlimmster Weise gegen Der Verfassungsschutz in Niedersachsen 209 Minderheiten und Randgruppen hetzen und Juden, Farbige, Homosexuelle, Obdachlose und Behinderte als minderwertig darstellen. Weil die volksverhetzende, fremdenfeindliche und zu Gewalttaten aufrufende Musik auf emotionale Wirkung zielt und Tabus bricht, ist sie für Jugendliche verführerisch. Die Ausstellung soll den verstärkten Bemühungen von Rechtsextremisten, Jugendliche zu werben, entgegenwirken. Neben der Präsentation von Musikbeispielen sind ein Einführungsfilm, zahlreiche Informationstafeln und ein Medienturm, der die Nutzung des Internets durch Rechtsextremisten anhand der Themenkomplexe Vertriebe, Kameradschaften, Internetforen, Musikgruppen und Revisionismus aufzeigt, Bestandteil der Präsentation. Das Konzept der Ausstellung sieht eine fachkundige Führung insbesondere von Schulklassen durch Mitarbeiter des NLfV vor. Das NLfV ist im Fachbeirat der Clearingstelle Prävention von Rechtsextremismus des Landespräventionsrates (LPR) vertreten, die die verschiedenen Aktivitäten im Zusammenhang mit Aufklärungsmaßnahmen gegen Rechtsextremismus in Niedersachsen vernetzen soll. Durch die Arbeit der Clearingstelle soll rechtsextremen Orientierungen - vor allem bei Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen - vorgebeugt werden. Die Mitgliedschaft im Fachbeirat stellt sicher, dass die Maßnahmen des NLfV mit den übrigen in Niedersachsen initiierten regionalen Präventionsaktivitäten abgestimmt werden. Nicht alle Erkenntnisse des Verfassungsschutzes können öffentlich dargestellt werden. Der Schutz der Informanten oder gesetzliche Verbote der Informationsweitergabe an Dritte können einer Veröffentlichung entgegenstehen. Aber zahlreiche Informationen zur Arbeit des Verfassungsschutzes und zu seinen Beobachtungsbereichen sind öffentlich darstellbar. Damit liefert der Verfassungsschutz einen Beitrag zur Ausgestaltung des Prinzips der wehrhaften Demokratie. Der informierte Bürger ist der beste Garant für die Lebendigkeit unserer Demokratie und für die Abwehr verfassungsfeindlicher Organisationen. Der Verfassungsschutz steht allen interessierten Bürgerinnen und Bürgern Niedersachsens durch seine Öffentlichkeitsarbeit zur Verfügung. Wünsche zu Vortragsund Diskussionsveranstaltungen können per Post (Büttnerstraße 28, 30165 Hannover), telefonisch (0511/6709-217), per Fax (0511/6709-380) oder per E- Mail (Pressestelle@nlfv.niedersachsen.de) an den Niedersächsischen Verfassungsschutz gerichtet werden. Informationen 210 Der Verfassungsschutz in Niedersachsen zur Wanderausstellung, wie aktuelle Ausstellungsorte, Termine für Führungen, Voraussetzungen für die Präsentation usw. erhalten Sie unter der Telefonnummer 0511/6709-569 oder der o.a. E-Mail-Adresse. Die unter der Adresse www.verfassungsschutzgegenrechtsextremismus.de im Internet eingestellte Präsentation "Für Demokratie und Toleranz - Gegen Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit" der norddeutschen Verfassungsschutzbehörden wird weiterhin von Besuchern nachgefragt. Beteiligt sind neben Niedersachsen die Länder Bremen, Hamburg, MecklenburgVorpommern, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein. Die mit unterschiedlichen Schwerpunkten gestalteten Internet-Seiten des NLfV und des Ministeriums für Inneres und Sport zu Themen des Verfassungsschutzes und des Geheimschutzes sind Bestandteil der gemeinsamen Öffentlichkeitsarbeit. Die Seiten des Ministeriums für Inneres und Sport www.mi.niedersachsen.de (Themen \ Innere Sicherheit) umfassen insbesondere politische Stellungnahmen sowie Grundsätzliches zum Verfassungsund Geheimschutz. Auch die Verfassungsschutzberichte der letzten Jahre sowie die Broschüre "Rechtsextremistische Skinheads - Neonazistische Kameradschaften" sind veröffentlicht. Das Niedersächsische Landesamt für Verfassungsschutz informiert unter der Adresse www.verfassungsschutz.niedersachsen.de über Aufgaben und Befugnisse des Verfassungsschutzes, aktuelle Entwicklungen des politischen Extremismus und Terrorismus sowie der Spionageabwehr. Anhang 211 ANHANG Definition der Arbeitsbegriffe AusländerUnter diesem Arbeitsbegriff werden von den Verfassungsextremismus schutzbehörden alle politisch bestimmten Bestrebungen von Ausländern zusammengefasst, wenn und soweit diese - sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung (fdGO) richten (SS 3 Abs. 1 Ziffer1, 1. Alternative NVerfSchG), indem sie darauf ausgehen, z. B. eine Parallelordnung zu errichten; - sich gegen den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes richten (SS 3 Abs. 1 Ziffer 1, 2. Alternative), indem sie politische Auseinandersetzungen ihres Heimatlandes gewaltsam in Deutschland austragen und damit die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gefährden; - in der Bundesrepublik Deutschland durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange gefährden (SS 3 Abs. 1, Ziffer 3) oder - Bestrebungen verfolgen, die gegen den Gedanken der Völkerverständigung oder gegen das friedliche Zusammenleben der Völker gerichtet sind. Der Sammelbegriff Ausländerextremismus schließt inhaltlich rechtsextremistisch-nationalistische, linksextremistische und sonstige extremistische Bestrebungen von ausländischen Personenzusammenschlüssen mit ein. Er stellt immer das zusammenfassende Ergebnis einer Bewertung anhand der dargestellten Tatbestandsmerkmale dar. Der Arbeitsbegriff vermag deshalb begrifflich die Aufgabenstellung des Verfassungsschutzes für dieses Beobachtungsfeld selbst nicht zu begründen. Extremismus Die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder bezeichnen seit 1974 verfassungsfeindliche Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung einheitlich als extremistisch (extremus lat.: äußerst). Verfassungsfeindlich oder extremistisch sind alle von Personenzusammenschlüssen ausgehenden, politisch bestimmten Bestrebungen (Aktivitäten), die insbesondere gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung oder einzelne ihrer tragenden Grundsätze gerichtet sind. Organisationen, die erkennbar solche extremistischen Bestrebungen verfolgen, werden von den Verfassungsschutzbehörden als verfassungsfeindlich bewertet. 212 Anhang Islamistischer Die Verfassungsschutzbehörden beobachten entsprechend Extremismus ihrem gesetzlichen Auftrag weder den "Islam" als Religion noch den Islamismus als religiös-politische Bewegung zur "Rückbesinnung" und Politisierung "ursprünglicher" islamischer Werte und Glaubensinhalte (islamischer Fundamentalismus). Ihr Arbeitsfeld sind islamistische Organisationen, die das islamische "Religionsgesetz" (Scharia) verabsolutiert und als politische Ideologie instrumentalisiert haben und dafür in der Bundesrepublik Deutschland entweder - politisch bestimmte Aktivitäten gegen die fdGO richten, - durch Anwendung von Gewalt bzw. darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange Deutschlands gefährden oder - Bestrebungen verfolgen, die gegen den Gedanken der Völkerverständigung bzw. gegen das friedliche Zusammenleben der Völker gerichtet sind. Die Träger dieser Bestrebungen in Deutschland werden als islamistische Extremisten bezeichnet. Durch diese Begriffsbildung wird der Islam als Religion von seiner islamistischen Übersteigerung getrennt und gleichzeitig der islamistische Extremist von dem Islamisten, der in seinem Denken der ideologischen Zielvorstellung einer Durchdringung von Staat und Gesellschaft durch den Islam anhängt, sie aber nicht aktiv wie der islamistische Extremist oder gewaltsam wie der islamistische Terrorist ins Werk setzt. Die Zuordnung zum Extremismusbegriff dient auch der Ausräumung einer weiteren begrifflichen Unschärfe der Bezeichnung "Islamist". Die wissenschaftliche Beschäftigung mit dem Islam wurde früher - vergleichbar der Begriffsbildung Romanistik und Romanist - als Islamistik bezeichnet und entsprechend tätige Wissenschaftler als Islamisten. LinksextreMit dem Arbeitsbegriff werden die linksextremistischen vermismus fassungsfeindlichen Bestrebungen von deutschen Personenzusammenschlüssen bezeichnet, die sich auf der Grundlage einer marxistisch-leninistischen, revolutionär marxistischen oder anarchistischen Ideologie in Deutschland gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung und ihre tragenden Grundsätze richten. Für Linksextremisten vielfach kennzeichnend ist ein grundsätzliches Bekenntnis zur "revolutionären Gewalt", obgleich sie tagespolitisch auf "legale" Kampfformen setzen. RechtsextreAls rechtsextremistisch werden von den Verfassungsschutzmismus behörden alle verfassungsfeindlichen oder extremistischen Bestrebungen bezeichnet, die auf der ideologischen Grundlage einer nationalistischen oder rassistischen Weltanschauung in Deutschland von deutschen Personenzusammenschlüssen Anhang 213 ausgehen und sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung richten. Rechtsextremistischem Denken liegt vielfach die Vorstellung menschlicher Ungleichwertigkeit (Ideologie der Ungleichheit) zugrunde. Rechtsbzw. Bis 1974 wurden die Begriffe Extremismus sowie "RadiLinksradikaliskalismus" bzw. "Rechtsoder Linksradikalismus" von den mus Verfassungsschutzbehörden nebeneinander als Synonyme zur Kennzeichnung verfassungsfeindlicher Bestrebungen verwendet. Der Radikalismusbegriff wird seitdem von den Verfassungsschutzbehörden nicht mehr für verfassungsfeindliche Bestrebungen benutzt, da er in der politischen Tradition der Aufklärung positiv besetzt ist und im Rechtssinne nur der Extremismusbegriff "der Tatsache Rechnung (trägt), dass politische Aktivitäten oder Organisationen nicht schon deshalb verfassungsfeindlich sind, weil sie eine ... 'radikale', das heißt eine bis an die Wurzel einer Fragestellung gehende Zielsetzung haben. Sie sind 'extremistisch' und damit verfassungsfeindlich im Rechtssinne nur dann, wenn sie sich gegen den ... Grundbestand unserer freiheitlichen rechtsstaatlichen Verfassung richten." (Verfassungsschutzbericht des Bundesinnenministeriums 1974, S. 4). Wenn die Verfassungsschutzbehörden überhaupt noch den Terminus "rechtsbzw. linksradikal" verwenden, werden damit in Abgrenzung zu dem verfassungsfeindlichen Rechtsbzw. Linksextremismus politische Aktivitäten und Zielsetzungen bezeichnet, die sich (noch) nicht gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung mit dem Ziel einer revolutionären Systemüberwindung richten. Spionage Staatlich gesteuerte Ausspähungsaktivitäten durch einen staatlich gelenkten Nachrichtendienst erfüllen den Straftatbestand der Spionage nach SSSS 94 ff. Strafgesetzbuch. Die Beobachtung und Abwehr dieser Spionage ist eine gesetzliche Aufgabe der Verfassungsschutzbehörden. Dazu gehört grundsätzlich nicht der Verrat von Geschäftsund Betriebsgeheimnissen zwischen konkurrierenden Unternehmen, der nach SSSS 17 ff. des Gesetzes über den unlauteren Wettbewerb strafbar ist. Terrorismus Terrorismus ist eine Form des politischen Extremismus, der die Beseitigung des demokratischen Verfassungsstaates mittels systematischer, massiver Gewaltanwendung zum Ziel hat. Kennzeichen des Terrorismus ist eine nachhaltige Anschlagstaktik durch arbeitsteilig organisierte, grundsätzlich verdeckt operierende Gruppen. Terroristische Gruppen erhoffen sich von ihren Aktionen eine massenmobilisierende 214 Anhang und ggf. revolutionierende Wirkung. Der demokratische Rechtsstaat soll damit destabilisiert und schließlich durch ein undemokratisches Regime ersetzt werden. VerfassungsAls verfassungsfeindlich oder extremistisch werden polifeindliche/ tische Bestrebungen (Aktivitäten) bezeichnet, die den deextremistische mokratischen Verfassungsstaat und seine fundamentalen Bestrebungen Werte ablehnen und darauf abzielen, die freiheitliche demokratische Grundordnung durch eine andere Ordnung zu ersetzen. Verfassungsfeinde oder Extremisten wenden sich mittelbar oder unmittelbar gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, d.h. gegen die im Grundgesetz konkretisierten Grundbzw. Menschenrechte (wie insbesondere die Glaubens-, Gewissensund Bekenntnisfreiheit, die Meinungsund Pressefreiheit und die Versammlungsund Vereinigungsfreiheit) sowie weitere grundlegende Prinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, wie das Rechtsstaatsprinzip, beruhend auf der Gewaltenteilung, die Bindung der Verwaltung an Recht und Gesetz, die Unabhängigkeit der Gerichte, die Volkssouveränität, ausgeübt durch die parlamentarische Demokratie, die Verantwortlichkeit der Regierung, das Mehrparteienprinzip und das Recht auf die Bildung und Ausübung einer Opposition (vgl. zur Definition der fdGO BVerfGE Bd. 2, S. 12 sowie zur Definition verfassungsfeindlicher Bestrebungen SS 4 NVerfSchG). Verbot Die Innenminister des Bundes und der Länder dürfen nach verfassungsdem Vereinsrecht das Verbot einer Vereinigung aussprechen, feindllicher Orgadie keine politische Partei oder Religionsbzw. Weltanschaunisationen/ ungsgemeinschaft ist, wenn sich diese nachweislich "gegen Verfassungsdie verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völwidrigkeit kerverständigung richtet" (SS 3 Vereinsgesetz). Mit dem rechtskräftigen Vereinsverbot ist festgestellt, dass die verfassungsfeindliche bzw. extremistische Organisation verfassungswidrig ist. Auf Antrag der Verfassungsorgane Bundesregierung, Bundestag oder Bundesrat kann bei einer politischen Partei allein das Bundesverfassungsgericht deren Verfassungswidrigkeit feststellen (Art. 21 Abs. 2 Grundgesetz; SS 13 Nr. 2, SS 43 ff. Bundesverfassungsgerichtsgesetz). Mit der Feststellung der Verfassungswidrigkeit einer Partei wird deren Auflösung insgesamt (oder eines selbständigen Teils der Partei) sowie das Verbot, Ersatzorganisationen zu schaffen, vom Bundesverfassungsgericht ausgesprochen. Solange verfassungsfeindliche Parteien und sonstigen Organisationen nicht verboten sind, dürfen sie sich im Rahmen der für alle geltenden Gesetze frei betätigen. Anhang 215 Gesetz über den Verfassungsschutz im Lande Niedersachsen (Niedersächsisches Verfassungsschutzgesetz - NVerfSchG -) in der Fassung vom 30. März 2004 Inhaltsübersicht Erster Abschnitt Allgemeine Vorschriften SS 1 Zweck und Auftrag des Verfassungsschutzes SS 2 Zuständigkeit SS 3 Aufgaben des Landesamtes für Verfassungsschutz SS 3a Aufklärung der Öffentlichkeit SS 4 Begriffsbestimmungen Zweiter Abschnitt Befugnisse, nachrichtendienstliche Mittel, Datenverarbeitung SS 5 Allgemeine Befugnisse des Landesamtes für Verfassungsschutz SS 5a Besondere Auskunftspflichten SS 6 Informationsbeschaffung mit nachrichtendienstlichen Mitteln SS 7 Weiterverarbeitung; Mitteilung an Betroffene SS 8 Speicherung, Veränderung und Nutzung personenbezogener Daten SS 9 Speicherung, Veränderung und Nutzung personenbezogener Daten von Minderjährigen SS 10 Berichtigung, Löschung und Sperrung von personenbezogenen Daten in Dateien SS 11 Berichtigung, Löschung und Sperrung von personenbezogenen Daten in Akten SS 12 Dateibeschreibungen Dritter Abschnitt Auskunft SS 13 Auskunft an Betroffene 216 Anhang Vierter Abschnitt Informationsübermittlung SS 14 Grenzen der Übermittlung personenbezogener Daten SS 15 Übermittlung von Informationen an das Landesamt für Verfassungs schutz SS 16 Registereinsicht durch das Landesamt für Verfassungsschutz SS 17 Übermittlung personenbezogener Daten durch das Landesamt für Verfassungsschutz SS 18 Übermittlung von Informationen durch das Landesamt für Verfassungsschutz an Strafverfolgungsund Sicherheitsbehörden in Angelegenheiten des Staatsund Verfassungsschutzes SS 19 Übermittlung personenbezogener Daten an die Öffentlichkeit SS 20 Übermittlungsverbote, Minderjährigenschutz SS 21 Pflichten der empfangenden Stelle SS 22 Nachberichtspflicht Fünfter Abschnitt Parlamentarische Kontrolle SS 23 Ausschuss für Angelegenheiten des Verfassungsschutzes SS 24 Zusammensetzung SS 25 Kontrollrechte des Ausschusses SS 26 Verfahrensweise SS 27 Hilfe von Seiten der oder des Landesbeauftragten für den Datenschutz Sechster Abschnitt Schlussvorschriften SS 28 Geltung des Niedersächsischen Datenschutzgesetzes SS 29 Änderung des Niedersächsischen Gesetzes zur Ausführung des Gesetzes zu Artikel 10 Grundgesetz SS 30 Änderung des Niedersächsischen Beamtengesetzes SS 31 Änderung des Personalvertretungsgesetzes für das Land Niedersachsen SS 32 Inkrafttreten Anhang 217 Erster Abschnitt Allgemeine Vorschriften SS1 Zweck und Auftrag des Verfassungsschutzes 1 Der Verfassungsschutz dient dem Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, des Bestandes und der Sicherheit des Bundes und der Länder. 2 Er erfüllt diesen Auftrag durch 1. die Sammlung und Auswertung von Informationen über Bestrebungen und Tätigkeiten nach SS 3 Abs. 1 Satz 1, 2. die Unterrichtung der Landesregierung und die Mitwirkung an der Aufklärung der Öffentlichkeit über diese Bestrebungen und Tätigkeiten, 3. die Wahrnehmung der in diesem Gesetz geregelten sonstigen Mitwirkungsaufgaben sowie 4. den in diesem Gesetz oder in anderen Rechtsvorschriften vorgesehenen Informationsaustausch mit anderen Stellen. SS2 Zuständigkeit (1) 1Verfassungsschutzbehörde ist das Landesamt für Verfassungsschutz als obere Landesbehörde. 2Das Landesamt für Verfassungsschutz untersteht dem für Inneres zuständigen Ministerium (Fachministerium). (2) Das Landesamt für Verfassungsschutz und polizeiliche Dienststellen dürfen einander nicht angegliedert werden. (3) 1Verfassungsschutzbehörden anderer Länder dürfen im Lande Niedersachsen nur im Einvernehmen mit dem Landesamt für Verfassungsschutz tätig werden. 2Ihre Befugnisse bestimmen sich dabei nach den Vorschriften dieses Gesetzes. (4) Hat sich das Bundesamt für Verfassungsschutz wegen beabsichtigter eigener Maßnahmen im Lande Niedersachsen mit dem Landesamt für Verfassungsschutz ins Benehmen gesetzt (SS 5 Abs. 2 des Bundesverfassungsschutzgesetzes), so unterrichtet das Landesamt für Verfassungsschutz das Fachministerium unverzüglich über die von ihm abgegebene Stellungnahme. (5) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf andere Verfassungsschutzbehörden nicht um Maßnahmen ersuchen, zu denen es selbst nicht befugt ist. SS3 Aufgaben des Landesamtes für Verfassungsschutz (1) 1Aufgabe des Landesamtes für Verfassungsschutz ist die Sammlung und Auswertung von Informationen, insbesondere von sachund personenbezogenen Auskünften, Nachrichten und Unterlagen, über 218 Anhang 1. Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziele haben, 2. sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten in der Bundesrepublik Deutschland für eine fremde Macht, 3. Bestrebungen in der Bundesrepublik Deutschland, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, 4. Bestrebungen, die gegen den Gedanken der Völkerverständigung (Artikel 9 Abs. 2 des Grundgesetzes) oder gegen das friedliche Zusammenleben der Völker (Artikel 26 Abs. 1 des Grundgesetzes) gerichtet sind. 2 Die Leiterin oder der Leiter des Landesamtes für Verfassungsschutz oder die Vertreterin oder der Vertreter bestimmt die Objekte, die zur Erfüllung der Aufgaben nach Satz 1 Nrn. 1, 3 und 4 planmäßig zu beobachten und aufzuklären sind (Beobachtungsobjekte). 3SS 5 Abs. 1 Satz 2 gilt entsprechend. 4Die Bestimmung eines Beobachtungsobjektes ist regelmäßig zu überprüfen. 5Sie ist aufzuheben, wenn die Voraussetzung des SS 5 Abs. 1 Satz 2 entfallen ist. 6Die Bestimmung eines Beobachtungsobjektes bedarf der Zustimmung der Fachministerin oder des Fachministers oder der Vertreterin oder des Vertreters. (2) 1Das Landesamt für Verfassungsschutz unterrichtet das Fachministerium regelmäßig und umfassend über die Wahrnehmung seiner Aufgaben und seine Auswertungsergebnisse. 2Die Unterrichtung soll die zuständigen Stellen in die Lage versetzen, Art und Ausmaß von Bestrebungen und Tätigkeiten nach Abs. 1 zu beurteilen und die erforderlichen Abwehrmaßnahmen zu treffen. (3) Das Landesamt für Verfassungsschutz wirkt mit 1. bei der Sicherheitsüberprüfung von Personen nach Maßgabe des Niedersächsischen Sicherheitsüberprüfungsgesetzes, 2. bei der Sicherheitsüberprüfung von Personen, die an sicherheitsempfindlichen Stellen von lebensoder verteidigungswichtigen Einrichtungen beschäftigt sind oder werden sollen, 3. bei technischen Sicherheitsmaßnahmen zum Schutz von im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftigen Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen gegen die Kenntnisnahme durch Unbefugte. Anhang 219 SS 3a Aufklärung der Öffentlichkeit (1) 1Das Fachministerium klärt die Öffentlichkeit auf der Grundlage der Auswertungsergebnisse des Landesamtes für Verfassungsschutz durch zusammenfassende Berichte über Bestrebungen und Tätigkeiten nach SS 3 Abs. 1 Satz 1 auf. 2Hierzu gehört ein jährlicher Verfassungsschutzbericht, in dem auch die Summe der Haushaltsmittel für das Landesamt für Verfassungsschutz sowie die Gesamtzahl seiner Bediensteten nach Stellen und Beschäftigungsvolumen darzustellen sind. 3Ferner sind in dem Bericht allgemein die Einholung von Auskünften nach SS 5 a, die Anwendung der nachrichtendienstlichen Mittel, die Auskunftsersuchen nach SS 13 und die Strukturdaten der vom Landesamt für Verfassungsschutz in Dateien im Sinne des SS 6 Satz 1 des Bundesverfassungsschutzgesetzes gespeicherten Personendatensätze darzustellen. (2) Das Landesamt für Verfassungsschutz wirkt ergänzend durch eigene Maßnahmen an der Aufklärung der Öffentlichkeit mit; es kann dabei zugleich über die Wahrnehmung seiner Aufgaben unterrichten. SS4 Begriffsbestimmungen (1) 1Bestrebungen im Sinne des SS 3 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1, 3 und 4 sind politisch bestimmte, zielund zweckgerichtete Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluss. 2Für einen Personenzusammenschluss handelt, wer ihn in seinen Bestrebungen nachdrücklich unterstützt. 3Verhaltensweisen von Einzelpersonen, die nicht in einem oder für einen Personenzusammenschluss handeln, sind Bestrebungen im Sinne des SS 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 3 oder 4, wenn sie auf Anwendung von Gewalt gerichtet oder auf Grund ihrer Wirkungsweise geeignet sind, ein Schutzgut dieses Gesetzes erheblich zu beschädigen. (2) Im Sinne des SS 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 sind 1. Bestrebungen gegen den Bestand des Bundes oder eines Landes: solche, die darauf gerichtet sind, die Freiheit des Bundes oder eines Landes von fremder Herrschaft aufzuheben, ihre staatliche Einheit zu beseitigen oder ein zu ihnen gehörendes Gebiet abzutrennen; 2. Bestrebungen gegen die Sicherheit des Bundes oder eines Landes: solche, die darauf gerichtet sind, den Bund, Länder oder deren Einrichtungen in ihrer Funktionsfähigkeit erheblich zu beeinträchtigen; 3. Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung: solche, die darauf gerichtet sind, einen der in Absatz 3 genannten Verfassungsgrundsätze zu beseitigen oder außer Geltung zu setzen. 220 Anhang (3) Zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des SS 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 zählen: 1. das Recht des Volkes, die Staatsgewalt in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung auszuüben und die Volksvertretung in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl zu wählen, 2. die Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung und die Bindung der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an Gesetz und Recht, 3. das Recht auf Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition, 4. die Ablösbarkeit der Regierung und ihre Verantwortlichkeit gegenüber der Volksvertretung, 5. die Unabhängigkeit der Gerichte, 6. der Ausschluss jeder Gewaltund Willkürherrschaft und 7. die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte. (4) Eine Gefährdung auswärtiger Belange im Sinne des SS 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 liegt nur dann vor, wenn die Gewalt innerhalb der Bundesrepublik Deutschland angewendet oder vorbereitet wird und sie sich gegen die politische Ordnung oder Einrichtungen anderer Staaten richtet oder richten soll. (5) Gewalt im Sinne dieses Gesetzes ist die Anwendung körperlichen Zwanges gegen Personen und die gewalttätige Einwirkung auf Sachen. (6) Sammlung von personenbezogenen Daten ist das Erheben im Sinne des Niedersächsischen Datenschutzgesetzes. Zweiter Abschnitt Befugnisse, nachrichtendienstliche Mittel, Datenverarbeitung SS5 Allgemeine Befugnisse des Landesamtes für Verfassungsschutz (1) 1Das Landesamt für Verfassungsschutz darf die zur Erfüllung seiner Aufgaben erforderlichen Informationen einschließlich personenbezogener Daten erheben und weiter verarbeiten, soweit dieses Gesetz oder andere Rechtsvorschriften nicht besondere Regelungen treffen. 2Voraussetzung für die Sammlung von Informationen im Sinne des SS 3 Abs. 1 Satz 1 ist das Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte, die, insgesamt betrachtet und unter Einbeziehung nachrichtendienstlicher Erfahrungen, den Verdacht einer der in SS 3 Abs. 1 Satz 1 genannten Bestrebungen oder Tätigkeiten rechtfertigen. (2) 1Werden personenbezogene Daten bei Betroffenen mit deren Kenntnis erhoben, so ist der Erhebungszweck anzugeben, es sei denn, dass die Erhebung Anhang 221 für Zwecke des Landesamtes für Verfassungsschutz nicht bekannt werden darf. 2 Die Betroffenen sind auf die Freiwilligkeit ihrer Angaben hinzuweisen. (3) Ist zum Zwecke der Sammlung von Informationen die Weitergabe personenbezogener Daten unerlässlich, so dürfen schutzwürdige Interessen der betroffenen Person nur im unvermeidbaren Umfang beeinträchtigt werden. (4) Polizeiliche Befugnisse oder Weisungsbefugnisse stehen dem Landesamt für Verfassungsschutz nicht zu; es darf die Polizei auch nicht im Wege der Amtshilfe um Maßnahmen ersuchen, zu denen es selbst nicht befugt ist. (5) 1Das Landesamt für Verfassungsschutz ist an die allgemeinen Rechtsvorschriften gebunden. 2Bei der Sammlung und Verarbeitung von Informationen hat es von mehreren geeigneten Maßnahmen diejenige zu wählen, die Betroffene voraussichtlich am wenigsten beeinträchtigt. 3Eine Maßnahme darf keinen Nachteil herbeiführen, der erkennbar außer Verhältnis zu dem beabsichtigten Erfolg steht. SS5a Besondere Auskunftspflichten (1) 1Kreditinstitute, Finanzdienstleistungsinstitute und Finanzunternehmen sind verpflichtet, dem Landesamt für Verfassungsschutz auf Verlangen unentgeltlich Auskünfte zu Konten, Konteninhabern und sonstigen Berechtigten sowie weiteren am Zahlungsverkehr Beteiligten und zu Geldbewegungen und Geldanlagen zu erteilen. 2Auskünfte dürfen nur im Einzelfall und unter der Voraussetzung eingeholt werden, dass diese zur Erfüllung der Aufgaben nach SS 3 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 2 bis 4 erforderlich sind und dass tatsächliche Anhaltspunkte für schwerwiegende Gefahren für die in SS 3 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 2 bis 4 genannten Schutzgüter vorliegen. (2) 1Luftfahrtunternehmen sind verpflichtet, dem Landesamt für Verfassungsschutz auf Verlangen unentgeltlich Auskünfte zu Namen, Anschriften und zur Inanspruchnahme von Transportleistungen und sonstigen Umständen des Luftverkehrs zu erteilen. 2Absatz 1 Satz 2 gilt entsprechend. (3) 1Diejenigen, die geschäftsmäßig Postdienstleistungen erbringen oder daran mitwirken, sind verpflichtet, dem Landesamt für Verfassungsschutz auf Verlangen unentgeltlich Auskünfte zu Namen, Anschriften, Postfächern und sonstigen Umständen des Postverkehrs zu erteilen. 2Auskünfte dürfen nur im Einzelfall zur Erfüllung der Aufgaben nach SS 3 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 2 bis 4 und unter den Voraussetzungen des SS 3 Abs. 1 des Artikel 10-Gesetzes eingeholt werden. (4) 1Diejenigen, die geschäftsmäßig Telekommunikationsdienste und Teledienste erbringen oder daran mitwirken, sind verpflichtet, dem Landesamt für Verfassungsschutz auf Verlangen unentgeltlich Auskünfte über Telekommuni- 222 Anhang kationsverbindungsdaten und Teledienstenutzungsdaten zu erteilen. Absatz 2 3 Satz 2 gilt entsprechend. 3Die Auskunft kann auch in Bezug auf zukünftige Telekommunikation und die zukünftige Nutzung von Telediensten verlangt werden. 4Telekommunikationsverbindungsdaten und Teledienstenutzungsdaten sind 1. Berechtigungskennungen, Kartennummern, Standortkennungen sowie Rufnummer oder Kennung des anrufenden und angerufenen Anschlusses oder der Endeinrichtung, 2. Beginn und Ende der Verbindung nach Datum und Uhrzeit, 3. Angaben über die Art der von der Kundin oder dem Kunden in Anspruch genommenen Telekommunikationsund Teledienst-Dienstleistungen, 4. Endpunkte festgeschalteter Verbindungen, ihr Beginn und ihr Ende nach Datum und Uhrzeit. (5) 1Über das Einholen von Auskünften nach den Absätzen 1 bis 4 entscheidet das Fachministerium auf Antrag des Landesamtes für Verfassungsschutz. 2Der Antrag ist zu begründen und von der Leiterin oder dem Leiter des Landesamtes für Verfassungsschutz oder der Vertreterin oder dem Vertreter zu unterzeichnen. 3Die Entscheidung des Fachministeriums bedarf der Zustimmung der nach SS 2 Abs. 1 des Niedersächsischen Gesetzes zur Ausführung des Artikel 10-Gesetzes (Nds. AG G 10) bestehenden Kommission (G 10-Kommission). 4Bei Gefahr im Verzuge kann das Fachministerium anordnen, dass die Entscheidung bereits vor der Zustimmung der Kommission vollzogen wird. 5In diesem Fall ist die nachträgliche Zustimmung unverzüglich einzuholen. (6) 1Die G 10-Kommission prüft im Rahmen der Erteilung der Zustimmung gemäß Absatz 5 Satz 3 sowie aufgrund von Beschwerden die Zulässigkeit und Notwendigkeit der Einholung von Auskünften nach den Absätzen 1 bis 4. 2SS 4 Abs. 2 Nds. AG G 10 ist entsprechend anzuwenden. 3Entscheidungen über Auskünfte, die die G 10-Kommission für unzulässig oder nicht notwendig erklärt, hat das Fachministerium unverzüglich aufzuheben. 4Wird die nachträgliche Zustimmung im Fall des Absatzes 5 Satz 4 versagt, so ist die Anordnung aufzuheben und die aufgrund der Anordnung erhobenen Daten sind unverzüglich zu löschen. 5Das Auskunftsersuchen und die übermittelten Daten dürfen weder den Betroffenen noch Dritten vom Auskunftsgeber mitgeteilt werden. (7) 1Das Fachministerium unterrichtet im Abstand von höchstens sechs Monaten den Ausschuss für Angelegenheiten des Verfassungsschutzes über die Durchführung der Absätze 1 bis 4; dabei ist insbesondere ein Überblick über Anlass, Umfang, Dauer, Ergebnis und Kosten der im Berichtszeitraum durchgeführten Maßnahmen zu geben. 2Der Ausschuss erstattet dem Landtag jährlich einen Bericht über die Durchführung sowie Art, Umfang und Anordnungsgründe der Maßnahmen nach den Absätzen 1 bis 4. (8) Das Fachministerium unterrichtet das Parlamentarische Kontrollgremium des Bundes jährlich über die nach den Ab-sätzen 1 bis 4 durchgeführten Maßnahmen; dabei ist ein Überblick über Anlass, Umfang, Dauer, Ergebnis und Kosten der im Berichtszeitraum durchgeführten Maßnahmen zu geben. Anhang 223 (9) Das Grundrecht des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses (Artikel 10 des Grundgesetzes) wird nach Maßgabe der Absätze 3 bis 6 eingeschränkt. SS6 Informationsbeschaffung mit nachrichtendienstlichen Mitteln (1) 1Das Landesamt für Verfassungsschutz darf zur heimlichen Informationsbeschaffung, insbesondere zur heimlichen Erhebung personenbezogener Daten, nur folgende nachrichtendienstliche Mittel anwenden: 1. Inanspruchnahme von Vertrauensleuten, sonstigen geheimen Informantinnen und Informanten und Gewährspersonen, vorbehaltlich Satz 2; 2. Einsatz von verdeckt ermittelnden Beamtinnen und Beamten; 3. Observationen; 4. Bildaufzeichnungen; 5. verdeckte Ermittlungen und Befragungen; 6. heimliches Mithören ohne Inanspruchnahme technischer Mittel; 7. heimliches Mithören und Aufzeichnen des nicht öffentlich gesprochenen Wortes unter Einsatz technischer Mittel; 8. Beobachtung des Funkverkehrs auf nicht für den allgemeinen Empfang bestimmten Kanälen; 9. Verwendung fingierter biographischer, beruflicher oder gewerblicher Angaben (Legenden) mit Ausnahme solcher beruflicher Angaben, die sich auf die in Satz 2 genannten Personen beziehen; 10. Beschaffung, Herstellung und Verwendung von Tarnpapieren und Tarnkennzeichen; 11. Überwachung des Brief-, Postund Fernmeldeverkehrs nach Maßgabe des Artikel 10-Gesetzes; 12. technische Mittel, mit denen zur Ermittlung des Standortes und zur Ermittlung der Geräteund der Kartennummern aktiv geschaltete Mobilfunkendeinrichtungen zur Datenabsendung an eine Stelle außerhalb des Telekommunikationsnetzes veranlasst werden. 2 Personen, die berechtigt sind, in Strafsachen aus beruflichen Gründen das Zeugnis zu verweigern (SSSS 53 und 53 a der Strafprozessordnung), darf das Landesamt für Verfassungsschutz nicht von sich aus nach Satz 1 Nr. 1 zur Beschaffung von Informationen über Sachverhalte in Anspruch nehmen, auf die sich ihr Zeugnisverweigerungsrecht bezieht. (2) Die Mittel nach Absatz 1 dürfen nur angewendet werden, wenn 1. sich ihr Einsatz gegen Personenzusammenschlüsse, in ihnen oder für sie tätige Personen oder gegen Einzelpersonen richtet, bei denen tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht von Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 3 Absatz 1 Satz 1 vorliegen, 224 Anhang 2. sich ihr Einsatz gegen Personen richtet, von denen auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass sie für eine der in Nummer 1 genannten Personen bestimmte oder von ihr herrührende Mitteilungen entgegennehmen oder weitergeben, 3. ihr Einsatz gegen andere als die in den Nummern 1 und 2 genannten Personen unumgänglich ist, um Erkenntnisse über sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten für eine fremde Macht oder über Bestrebungen zu gewinnen, die sich unter Anwendung von Gewalt oder durch darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen gegen die in SS 3 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1 und 3 genannten Schutzgüter wenden, 4. durch sie die zur Erforschung von Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 3 Abs. 1 Satz 1 erforderlichen Quellen in den in Nummer 1 genannten Personenzusammenschlüssen gewonnen oder überprüft werden können oder 5. dies zum Schutz der Bediensteten, Einrichtungen, Gegenstände und Quellen des Landesamtes für Verfassungsschutz vor Bestrebungen gegen die Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder vor sicherheitsgefährdenden oder geheimdienstlichen Tätigkeiten für eine fremde Macht erforderlich ist. (3) 1Der verdeckte Einsatz technischer Mittel zur Informationsgewinnung im Schutzbereich des Artikels 13 des Grundgesetzes ist zulässig, wenn die Voraussetzungen nach SS 3 Abs. 1 des Artikel 10-Gesetzes vorliegen und die Erforschung des Sachverhaltes auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre. 2Er darf nur in Wohnungen der verdächtigen Person erfolgen. 3In Wohnungen anderer Personen ist der Einsatz von Mitteln nach Satz 1 nur zulässig, wenn aufgrund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass die verdächtige Person sich darin aufhält. 4In Wohnungen von gemäß SS 53 Abs. 1 der Strafprozessordnung zur Verweigerung des Zeugnisses Berechtigten sind Maßnahmen nach Satz 1 nur zulässig, wenn die oder der zur Verweigerung des Zeugnisses Berechtigte selbst die verdächtige Person ist. (4) 1Maßnahmen nach Absatz 3 Satz 1 bedürfen der richterlichen Anordnung. 2 Zuständig ist das Amtsgericht, in dessen Bezirk das Landesamt für Verfassungsschutz seinen Sitz hat. 3Die Anordnung ist auf höchstens drei Monate zu befristen. 4Verlängerungen um jeweils höchstens drei weitere Monate sind auf Antrag zulässig, soweit die Voraussetzungen für die Anordnung fortbestehen. 5Für das Verfahren gelten die Vorschriften des Gesetzes über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit entsprechend. 6Gegen eine Entscheidung durch welche der Antrag des Landesamtes für Verfassungsschutz abgelehnt wird, steht diesem die Beschwerde zu. 7Bei Gefahr im Verzuge kann die Leiterin oder der Leiter des Landesamtes für Verfassungsschutz oder die Vertreterin oder der Vertreter die Anordnung treffen; die richterliche Entscheidung ist unverzüglich nachzuholen. 8Der Vollzug der Anordnung erfolgt unter der Aufsicht einer oder eines Bediensteten des Landesamtes für Verfassungsschutz, die oder der die Befähigung zum Richteramt hat. 9Liegen die Voraussetzungen der Anordnung nicht mehr vor oder ist der verdeckte Einsatz technischer Mittel zur Informationsgewinnung nicht mehr erforderlich, so ist die Maßnahme unverzüglich zu beenden. Anhang 225 (5) Der verdeckte Einsatz technischer Mittel zur Informationsgewinnung im 1 Schutzbereich des Artikels 13 des Grundgesetzes ist auch zulässig, soweit dieser Einsatz zur Abwehr von Gefahren für Leben, Gesundheit oder Freiheit der bei einem Einsatz in Wohnungen tätigen Personen unerlässlich ist. 2Verdeckte Einsätze nach Satz 1 bedürfen der Anordnung durch die Leiterin oder den Leiter des Landesamtes für Verfassungsschutz oder durch die Vertreterin oder den Vertreter. (6) Das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung (Artikel 13 des Grundgesetzes) wird nach Maßgabe der Absätze 3 bis 5 eingeschränkt. (7) 1Technische Mittel gemäß Absatz 1 Satz 1 Nr. 12 darf das Landesamt für Verfassungsschutz zur Erfüllung seiner Aufgaben nach SS 3 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 2 bis 4 unter den Voraussetzungen des SS 3 Abs. 1 des Artikel 10-Gesetzes einsetzen. 2Die Maßnahme ist nur zulässig, wenn ohne die Ermittlung die Erreichung des Zwecks der Überwachungsmaßnahme aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre. 3Personenbezogene Daten Dritter dürfen anlässlich solcher Maßnahmen nur erhoben werden, wenn dies aus technischen Gründen zur Erreichung des Zwecks nach Satz 1 unvermeidbar ist. 4Sie unterliegen einem absoluten Verwendungsverbot und sind nach Beendigung der Maßnahme unverzüglich zu löschen. 5SS 5 a Abs. 5 bis 7 gilt entsprechend. 6Das Grundrecht des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses (Artikel 10 des Grundgesetzes) wird insoweit eingeschränkt. (8) 1Bei der Anwendung der Mittel nach Absatz 1 dürfen keine Straftaten begangen werden. 2Es dürfen nur folgende Straftatbestände verwirklicht werden: 1. SS 84 Abs. 2, SS 85 Abs. 2, SS 86 Abs. 1, SSSS 86 a, 98, 99, 129 a, 129 b Abs. 1 Satz 1, soweit er auf SS 129 a verweist, SSSS 267, 271 und 273 des Strafgesetzbuches, 2. SSSS 23, 27 Abs. 2 Nrn. 1, 2 und 3 Buchst. b und c und SS 28 des Versammlungsgesetzes sowie 3. SS 20 des Vereinsgesetzes. 3 Dabei darf weder auf die Gründung einer strafbaren Vereinigung hingewirkt noch eine steuernde Einflussnahme auf sie ausgeübt werden. 4Erlaubt sind nur solche Handlungen, die unter besonderer Beachtung des Übermaßverbots unumgänglich sind. (9) 1Eine Informationsbeschaffung mit den Mitteln nach Abs. 1 ist unzulässig, wenn die Erforschung des Sachverhalts auf andere, die Betroffenen weniger beeinträchtigende Weise möglich ist; dies ist in der Regel anzunehmen, wenn die Information aus allgemein zugänglichen Quellen oder durch ein Ersuchen nach SS 15 Abs. 3 gewonnen werden kann. 2Die Anwendung eines Mittels nach Absatz 1 darf nicht erkennbar außer Verhältnis zur Bedeutung des aufzuklärenden Sachverhalts stehen, insbesondere nicht außer Verhältnis zu der Gefahr, die von der jeweiligen Bestrebung oder Tätigkeit nach SS 3 Abs. 1 Satz 1 ausgeht oder ausgehen kann. 3Die Maßnahme ist unverzüglich zu beenden, wenn ihr 226 Anhang Zweck erreicht ist oder sich Anhaltspunkte dafür ergeben, dass er nicht oder nicht auf diese Weise erreicht werden kann. (10) Von einer Maßnahme nach Absatz 3 oder 5 sowie dem Einsatz eines nachrichtendienstlichen Mittels nach Absatz 1, das in seiner Art und Schwere einer Beschränkung des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses gleichkommt, ist der Ausschuss für Angelegenheiten des Verfassungsschutzes in der nächsten nach der Anordnung stattfindenden Sitzung zu unterrichten. (11) 1Tarnpapiere und Tarnkennzeichen dürfen auch zu dem in Absatz 2 Nr. 5 genannten Zweck hergestellt und verwendet werden. 2Die Behörden des Landes, der Gemeinden und der Landkreise sind verpflichtet, dem Landesamt für Verfassungsschutz technische Hilfe für Tarnungsmaßnahmen (Absatz 1 Satz 1 Nr. 10) zu leisten. (12) 1Die näheren Voraussetzungen für die Anwendung der Mittel nach Absatz 1 und die Zuständigkeit für ihre Anordnung sind in Dienstvorschriften des Fachministeriums umfassend zu regeln. 2Vor Erlass solcher Dienstvorschriften ist der Ausschuss für Angelegenheiten des Verfassungsschutzes rechtzeitig zu unterrichten. SS7 Weiterverarbeitung; Mitteilung an Betroffene (1) Die durch Maßnahmen nach den SSSS 5 a und 6 Abs. 1 Satz 1 Nr. 12 erhobenen personenbezogenen Daten dürfen nur nach Maßgabe des SS 4 des Artikel 10-Gesetzes weiterverarbeitet werden. (2) 1Die mit Mitteln nach SS 6 Abs. 1 erhobenen personenbezogenen Daten dürfen nur für den Zweck weiter verarbeitet werden, zu dem sie erhoben worden sind. 2Eine Verarbeitung für andere Zwecke ist nur zulässig, wenn das zur Erhebung verwendete Mittel auch für den anderen Zweck hätte angewendet werden dürfen. 3Für personenbezogene Daten, die durch Maßnahmen nach SS 6 Abs. 3 und durch solche Maßnahmen nach SS 6 Abs. 1 erhoben wurden, die in ihrer Art und Schwere einer Beschränkung des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses gleichkommen, gilt SS 4 Abs. 1 und 2 Satz 1 sowie Abs. 4 bis 6 des Artikel 10-Gesetzes entsprechend. (3) 1Die durch Maßnahmen nach SS 6 Abs. 5 erhobenen Daten dürfen außer zu den dort genannten Zwecken nur zur Strafverfolgung oder zur Abwehr erheblicher Gefahren verwertet werden. 2Die Verwertung bedarf der richterlichen Feststellung der Rechtmäßigkeit der Maßnahme. 3 SS 6 Abs. 4 Sätze 2 und 5 bis 7 gilt entsprechend. 4Wird die Rechtmäßigkeit der Maßnahme nicht nachträglich richterlich bestätigt, so sind die erhobenen Daten unverzüglich zu löschen. 5SS 4 Abs. 1 und 2 Satz 1 sowie Abs. 4 bis 6 des Artikel 10-Gesetzes gilt entsprechend. Anhang 227 (4) Das Landesamt für Verfassungsschutz hat die in den Absätzen 1, 2 Satz 1 3 und Absatz 3 bezeichneten Maßnahmen den Betroffenen nach ihrer Einstellung mitzuteilen, wenn eine Gefährdung des Zwecks der Maßnahme ausgeschlossen werden kann. 2Kann eine Gefährdung des Zwecks der Maßnahme zu diesem Zeitpunkt nicht ausgeschlossen werden, so ist die Mitteilung vorzunehmen, sobald diese Voraussetzung gegeben ist. 3Wurden personenbezogene Daten übermittelt, so erfolgt die Mitteilung im Benehmen mit dem Empfänger. 4Einer Mitteilung bedarf es endgültig nicht, wenn 1. die Voraussetzung aus Satz 1 auch fünf Jahre nach Einstellung der Maßnahme noch nicht eingetreten ist, 2. sie mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch in Zukunft nicht eintreten wird und 3. die Voraussetzungen für eine Löschung sowohl bei der erhebenden Stelle als auch beim Empfänger vorliegen. 5 Bei den in Absatz 1 bezeichneten Maßnahmen stellt die G 10-Kommission das Vorliegen der Voraussetzungen des Satzes 4 fest; SS 4 Abs. 5 und 6 Nds. AG G 10 findet entsprechende Anwendung. 6Bei den übrigen Maßnahmen unterrichtet das Fachministerium den Ausschuss für Angelegenheiten des Verfassungsschutzes innerhalb von sechs Monaten nach Einstellung über die Mitteilung an die Betroffenen oder über die Gründe, die einer Mitteilung entgegenstehen. 7 Der Ausschuss ist auch über die nach Satz 4 unterbliebenen Mitteilungen zu unterrichten. SS8 Speicherung, Veränderung und Nutzung personenbezogener Daten (1) 1Das Landesamt für Verfassungsschutz darf zur Erfüllung seiner Aufgaben nach SS 3 Abs. 1 Satz 1 personenbezogene Daten speichern, verändern und nutzen, wenn 1. tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht bestehen, dass die betroffene Person an Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 3 Abs. 1 Satz 1 beteiligt ist, und dies für die Beobachtung der Bestrebung oder Tätigkeit erforderlich ist, 2. dies für die Erforschung und Bewertung gewalttätiger Bestrebungen nach SS 3 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1, 3 und 4 oder von Tätigkeiten nach SS 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 erforderlich ist oder 3. dies zur Schaffung nachrichtendienstlicher Zugänge zu Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 3 Abs. 1 Satz 1 erforderlich ist. 2 In Akten dürfen über Satz 1 Nr. 2 hinaus personenbezogene Daten auch gespeichert, verändert und genutzt werden, wenn dies sonst zur Erforschung und 228 Anhang Bewertung von Bestrebungen nach SS 3 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1, 3 und 4 erforderlich ist. (2) Personenbezogene Daten dürfen nur dann in Dateien gespeichert werden, wenn sie aus Akten ersichtlich sind. (3) Die Speicherung von personenbezogenen Daten aus der engeren Persönlichkeitssphäre in Dateien ist unzulässig. (4) Das Landesamt für Verfassungsschutz hat die Speicherungsdauer auf das für seine Aufgabenerfüllung erforderliche Maß zu beschränken. SS9 Speicherung, Veränderung und Nutzung personenbezogener Daten von Minderjährigen (1) 1Das Landesamt für Verfassungsschutz darf unter den Voraussetzungen des SS 8 Daten über das Verhalten Minderjähriger aus der Zeit vor Vollendung des 14. Lebensjahres in Akten, die zu ihrer Person geführt werden, nur speichern, verändern oder nutzen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die betroffene Person eine der in SS 3 Abs. 1 des Artikel 10-Gesetzes genannten Straftaten plant, begeht oder begangen hat. 2In Dateien dürfen Daten über das Verhalten Minderjähriger nur gespeichert, verändert oder genutzt werden, wenn 1. die oder der Minderjährige zu dem Zeitpunkt, auf den sich die Daten beziehen, das 14. Lebensjahr bereits vollendet hatte und 2. tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht einer Tätigkeit nach SS 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 oder einer Bestrebung nach SS 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 3 oder 4 bestehen, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen verfolgt wird. (2) 1Die nach Absatz 1 über Personen vor Vollendung des 16. Lebensjahres gespeicherten Daten sind zwei Jahre nach der Speicherung zu löschen, es sei denn, dass weitere Informationen im Sinne des SS 3 Abs. 1 Satz 1 hinzugekommen sind. 2Die nach Absatz 1 über Personen nach Vollendung des 16. und vor Vollendung des 18. Lebensjahres gespeicherten Daten sind zwei Jahre nach der Speicherung auf die Erforderlichkeit einer weiteren Speicherung zu überprüfen. 3Sie sind spätestens nach fünf Jahren zu löschen, es sei denn, dass nach Eintritt der Volljährigkeit weitere Informationen über Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 3 Abs. 1 Satz 1 hinzugekommen sind. Anhang 229 SS 10 Berichtigung, Löschung und Sperrung von personenbezogenen Daten in Dateien (1) Das Landesamt für Verfassungsschutz hat die in Dateien gespeicherten personenbezogenen Daten zu berichtigen, wenn sie unrichtig sind; es hat sie zu ergänzen, wenn sie unvollständig sind und dadurch schutzwürdige Interessen der betroffenen Person beeinträchtigt sein können. (2) 1Das Landesamt für Verfassungsschutz hat die in Dateien gespeicherten personenbezogenen Daten zu löschen, wenn 1. ihre Speicherung unzulässig war oder 2. ihre Kenntnis für die Aufgabenerfüllung nicht mehr erforderlich ist. 2 Die Löschung unterbleibt, wenn Grund zu der Annahme besteht, dass durch sie schutzwürdige Interessen von Betroffenen beeinträchtigt würden. 3In diesem Falle sind die Daten zu sperren. 4Sie dürfen nur noch mit Einwilligung der Betroffenen weiter verarbeitet werden. (3) 1Das Landesamt für Verfassungsschutz prüft bei der Einzelfallbearbeitung und nach festgesetzten Fristen, spätestens nach fünf Jahren, ob gespeicherte personenbezogene Daten zu berichtigen oder zu ergänzen, zu löschen oder zu sperren sind. 2Gespeicherte personenbezogene Daten über Bestrebungen nach SS 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 sind spätestens zehn Jahre, über Bestrebungen nach Nr. 3 oder 4 spätestens 15 Jahre nach dem Zeitpunkt der letzten Speicherung einer Information über Bestrebungen und Tätigkeiten nach SS 3 Abs. 1 Satz 1 zu löschen. (4) 1In den Fällen des Absatzes 2 Satz 1 Nr. 2 und des Absatzes 3 Satz 2 tritt an die Stelle der Löschung der personenbezogenen Daten durch das Landesamt für Verfassungsschutz die Abgabe an die Archivverwaltung. 2Die Nutzung archivierter Daten durch das Landesamt für Verfassungsschutz ist ausgeschlossen, solange diese nicht allgemein zugänglich sind. (5) Personenbezogene Daten, die ausschließlich zu Zwecken der Datenschutzkontrolle, der Datensicherung oder zur Sicherstellung eines ordnungsgemäßen Betriebes einer Datenverarbeitungsanlage gespeichert werden, dürfen nur für diese Zwecke oder zur Verfolgung von Straftaten nach dem Niedersächsischen Datenschutzgesetz weiter verarbeitet werden. 230 Anhang SS 11 Berichtigung, Löschung und Sperrung von personenbezogenen Daten in Akten (1) Stellt das Landesamt für Verfassungsschutz fest, dass in Akten gespeicherte personenbezogene Daten unrichtig sind, oder wird ihre Richtigkeit von Betroffenen bestritten, so ist dies in der Akte zu vermerken. (2) 1Für Akten, die zu einer bestimmten Person geführt werden, gilt SS 10 Abs. 2 und 3 entsprechend. 2Im übrigen hat das Landesamt für Verfassungsschutz personenbezogene Daten zu sperren, wenn es bei der Einzelfallbearbeitung feststellt, dass ohne die Sperrung schutzwürdige Interessen von Betroffenen beeinträchtigt würden, und die Daten für die künftige Aufgabenerfüllung nicht mehr erforderlich sind. 3Gesperrte Daten sind mit einem entsprechenden Vermerk zu versehen; sie dürfen nicht mehr weiter verarbeitet werden. 4Eine Aufhebung der Sperrung ist möglich, wenn ihre Voraussetzungen nachträglich entfallen. (3) 1Sind Akten des Landesamtes für Verfassungsschutz für dessen Aufgabenerfüllung nicht mehr erforderlich, so tritt an die Stelle ihrer Vernichtung durch das Landesamt die Abgabe an die Archivverwaltung. 2Für Akten, die zu einer bestimmten Person geführt werden, oder andere Akten, die personenbezogene Daten enthalten, gilt SS 10 Abs. 4 Satz 2 entsprechend. SS 12 Dateibeschreibungen (1) 1Für jede Datei beim Landesamt für Verfassungsschutz sind in einer Dateibeschreibung festzulegen: 1. die Bezeichnung der Datei, 2. der Zweck der Datei, 3. Inhalt, Umfang, Voraussetzungen und Rechtsgrundlage der Speicherung, Übermittlung und Nutzung (betroffener Personenkreis, Arten der Daten), 4. Überprüfungsfristen, Speicherungsdauer, 5. die nach dem Niedersächsischen Datenschutzgesetz erforderlichen technischen und organisatorischen Maßnahmen, 6. bei automatisierten Verfahren die Betriebsart des Verfahrens, die Art der Geräte, die Stellen, bei denen sie aufgestellt sind, sowie das Verfahren zur Übermittlung, Sperrung, Löschung und Auskunftserteilung. 2 Satz 1 gilt nicht für Dateien, die aus ausschließlich verarbeitungstechnischen Gründen vorübergehend vorgehalten werden. (2) 1Dateibeschreibungen bedürfen der vorherigen Zustimmung des Fachministeriums. 2Vor ihrem Erlass ist die oder der Landesbeauftragte für den Datenschutz anzuhören. Anhang 231 (3) Die Speicherung personenbezogener Daten ist auf das erforderliche Maß 1 zu beschränken. 2In angemessenen Abständen ist die Notwendigkeit der Weiterführung oder Änderung der Dateien zu überprüfen. (4) In der Dateibeschreibung über personenbezogene Textdateien ist die Zugriffsberechtigung auf Personen zu beschränken, die unmittelbar mit Arbeiten in dem Gebiet betraut sind, dem die Textdateien zugeordnet sind; Auszüge aus Textdateien dürfen nicht ohne die dazugehörenden erläuternden Unterlagen übermittelt werden. Dritter Abschnitt Auskunft SS 13 Auskunft an Betroffene (1) 1Das Landesamt für Verfassungsschutz erteilt Betroffenen auf Antrag unentgeltlich Auskunft über die zu ihrer Person gespeicherten Daten. 2Die Auskunftsverpflichtung erstreckt sich nicht auf die Herkunft der Daten und die Empfänger von Übermittlungen. 3Über Daten aus Akten, die nicht zur Person der Betroffenen geführt werden, wird Auskunft nur erteilt, soweit die Daten, namentlich auf Grund von Angaben der Betroffenen, mit angemessenem Aufwand auffindbar sind. 4Das Landesamt für Verfassungsschutz bestimmt Verfahren und Form der Auskunftserteilung nach pflichtgemäßem Ermessen. (2) 1Die Auskunftserteilung kann nur abgelehnt werden, soweit 1. die Auskunft die öffentliche Sicherheit gefährden oder sonst dem Wohl des Bundes oder eines Landes Nachteile bereiten würde, 2. die Daten oder die Tatsache ihrer Speicherung nach einer Rechtsvorschrift oder wegen der berechtigten Interessen von Dritten geheimgehalten werden müssen oder 3. durch die Auskunftserteilung Informationsquellen gefährdet würden oder die Ausforschung des Erkenntnisstandes oder der Arbeitsweise des Landesamtes für Verfassungsschutz zu befürchten ist. 2 Die Entscheidung trifft die Behördenleiterin oder der Behördenleiter unter Abwägung der in Satz 1 Nrn. 1 bis 3 genannten Interessen mit dem Interesse der antragstellenden Person an der Auskunftserteilung. 3Die Behördenleiterin oder der Behördenleiter kann eine Mitarbeiterin oder einen Mitarbeiter damit beauftragen, ebenfalls Entscheidungen nach Satz 1 zu treffen. (3) 1Die Ablehnung einer Auskunft bedarf keiner Begründung, soweit durch die Begründung der Zweck der Ablehnung gefährdet würde. 2Die Gründe der Ablehnung sind aktenkundig zu machen. 3Wird der antragstellenden Person keine Begründung für die Ablehnung der Auskunft gegeben, so ist ihr die 232 Anhang Rechtsgrundlage dafür zu nennen. Ferner ist sie darauf hinzuweisen, dass sie 4 sich an die Landesbeauftragte oder den Landesbeauftragten für den Datenschutz wenden kann. 5Der oder dem Landesbeauftragten ist auf Verlangen Auskunft zu erteilen. 6Stellt die Fachministerin oder der Fachminister oder die Vertreterin oder der Vertreter, fest, dass durch die Erteilung der Auskunft nach Satz 5 die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gefährdet würde, so darf die Auskunft nur der oder dem Landesbeauftragten persönlich erteilt werden. 7 Mitteilungen der oder des Landesbeauftragten an die antragstellende Person dürfen keine Rückschlüsse auf den Erkenntnisstand des Landesamtes für Verfassungsschutz zulassen, sofern dieses nicht einer weitergehenden Mitteilung zustimmt. Vierter Abschnitt Informationsübermittlung SS 14 Grenzen der Übermittlung personenbezogener Daten Wird nach den Bestimmungen dieses Abschnitts um die Übermittlung personenbezogener Daten ersucht, so dürfen nur solche Daten übermittelt werden, die bei der ersuchten Behörde oder Stelle bereits bekannt sind oder von ihr aus allgemein zugänglichen Quellen entnommen werden können. SS 15 Übermittlung von Informationen an das Landesamt für Verfassungsschutz (1) Die Behörden des Landes, insbesondere die Staatsanwaltschaften und, vorbehaltlich der staatsanwaltschaftlichen Sachleitungsbefugnis, die Polizeibehörden, sowie die der ausschließlichen Aufsicht des Landes unterstehenden Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts unterrichten von sich aus das Landesamt für Verfassungsschutz über die ihnen bekannt gewordenen Tatsachen, die sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten für eine fremde Macht oder Bestrebungen in der Bundesrepublik Deutschland erkennen lassen, die sich unter Anwendung von Gewalt oder durch darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen gegen die in SS 3 Abs. 1 Satz 1 Nrn. 1, 3 und 4 genannten Schutzgüter wenden. (2) Die Staatsanwaltschaften und, vorbehaltlich der staatsanwaltschaftlichen Sachleitungsbefugnis, die Polizeibehörden sowie die Ausländerbehörden übermitteln darüber hinaus von sich aus dem Landesamt für Verfassungsschutz auch alle anderen ihnen bekannt gewordenen Informationen einschließlich personenbezogener Daten über Bestrebungen nach SS 3 Abs. 1 Satz 1, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Übermittlung für die Erfüllung der Aufgaben des Landesamtes für Verfassungsschutz erforderlich ist. Anhang 233 (3) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf zur Erfüllung seiner Aufgaben 1 die in Absatz 1 genannten Stellen um Übermittlung der zur Erfüllung seiner Aufgaben erforderlichen Informationen einschließlich personenbezogener Daten ersuchen, wenn diese nicht aus allgemein zugänglichen Quellen oder nur mit übermäßigem Aufwand oder nur durch eine die betroffene Person stärker belastende Maßnahme erhoben werden können. 2Die Ersuchen sind aktenkundig zu machen. (4) 1Die Übermittlung personenbezogener Daten, die auf Grund einer Maßnahme nach SS 100a der Strafprozessordnung bekannt geworden sind, ist nach den Absätzen 1 bis 3 nur zulässig, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass jemand eine der in SS 3 des Artikel 10-Gesetzes genannten Straftaten plant, begeht oder begangen hat. 2Auf die dem Landesamt für Verfassungsschutz nach Satz 1 übermittelten personenbezogenen Daten findet SS 4 Abs. 1 und 2 Satz 1 sowie Abs. 4 bis 6 des Artikel 10-Gesetzes entsprechende Anwendung. (5) 1Die Übermittlung personenbezogener Daten, die auf Grund anderer strafprozessualer Zwangsmaßnahmen (SSSS 94 bis 100, 100 c bis 111 p, 163 e und 163 f der Strafprozessordnung) bekannt geworden sind, ist nur zulässig, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für gewalttätige Bestrebungen nach SS 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 3 oder 4 oder von Tätigkeiten nach SS 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 bestehen. 2Die nach Satz 1 übermittelten personenbezogenen Daten dürfen nur zur Erforschung solcher Bestrebungen oder Tätigkeiten genutzt werden. SS 16 Registereinsicht durch das Landesamt für Verfassungsschutz (1) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf zur Gewinnung von Informationen über gewalttätige Bestrebungen nach SS 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 3 oder 4 oder über Tätigkeiten nach SS 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 die von öffentlichen Stellen geführten Register, insbesondere Grundbücher, Personenstandsbücher, Melderegister, Personalausweisregister, Passregister, Führerscheinkartei, Waffenscheinkartei, einsehen. (2) 1Die Einsichtnahme ist nur zulässig, wenn 1. eine Übermittlung der Daten durch die registerführende Stelle den Zweck der Maßnahme gefährden würde oder 2. die betroffene Person durch eine anderweitige Informationsgewinnung unverhältnismäßig beeinträchtigt würde. 2 Die Einsichtnahme ist unzulässig, wenn ihr eine gesetzliche Geheimhaltungsvorschrift oder eine Pflicht zur Wahrung von Berufsgeheimnissen entgegensteht. 234 Anhang (3) Die Einsichtnahme ordnet die Leiterin oder der Leiter des Landesamtes für Verfassungsschutz, im Falle der Verhinderung die Vertreterin oder der Vertreter, an. (4) 1Die durch Einsichtnahme in Register gewonnenen Informationen dürfen nur zu den in Absatz 1 genannten Zwecken verwendet werden. 2Gespeicherte Informationen sind zu löschen und Unterlagen zu vernichten, sobald sie für diese Zwecke nicht mehr erforderlich sind. (5) 1Über jede Einsichtnahme ist ein gesonderter Nachweis zu führen, aus dem ihr Zweck, das eingesehene Register und die registerführende Stelle sowie die Namen der Betroffenen hervorgehen, deren Daten für eine weitere Verarbeitung erforderlich sind. 2Diese Nachweise sind gesondert aufzubewahren, gegen unberechtigten Zugriff zu sichern und am Ende des Kalenderjahres, das dem Jahr der Anfertigung folgt, zu vernichten. SS 17 Übermittlung personenbezogener Daten durch das Landesamt für Verfassungsschutz (1) 1Das Landesamt für Verfassungsschutz darf personenbezogene Daten an inländische Behörden übermitteln, wenn dies zur Erfüllung seiner Aufgaben erforderlich ist oder der Empfänger die Daten zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder sonst für Zwecke der öffentlichen Sicherheit oder der Strafverfolgung benötigt. 2Die Übermittlung ist aktenkundig zu machen. 3Die empfangende Behörde darf die übermittelten Daten, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist, nur zu dem Zweck weiterverarbeiten, zu dem sie ihr übermittelt wurden. (2) 1Das Landesamt für Verfassungsschutz darf personenbezogene Daten an Dienststellen der alliierten Streitkräfte übermitteln, soweit dies im Rahmen der Zusammenarbeit nach Artikel 3 des Zusatzabkommens vom 3. August 1959 zu dem Abkommen zwischen den Parteien des Nordatlantikvertrages vom 19. Juni 1951 über die Rechtsstellung ihrer Truppen hinsichtlich der in der Bundesrepublik Deutschland stationierten ausländischen Truppen (BGBl. 1961 II S. 1183, 1218) erforderlich ist. 2Die Übermittlung ist aktenkundig zu machen. (3) 1Das Landesamt für Verfassungsschutz darf personenbezogene Daten im Einvernehmen mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz an ausländische öffentliche Stellen sowie an überund zwischenstaatliche Stellen übermitteln, soweit die Übermittlung in einem Gesetz, einem Rechtsakt der Europäischen Gemeinschaften oder einer internationalen Vereinbarung geregelt ist. 2Eine Übermittlung darf auch erfolgen, wenn sie 1. zum Schutz von Leib oder Leben erforderlich ist oder 2. zur Erfüllung eigener Aufgaben, insbesondere in Fällen grenzüberschreitender Tätigkeiten des Landesamtes, unumgänglich ist und im Empfängerland Anhang 235 gleichwertige Datenschutzregelungen gelten. Die Übermittlung unter- 3 bleibt, wenn ihr auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland oder überwiegende schutzwürdige Interessen der Betroffenen, insbesondere deren Schutz vor einer rechtsstaatswidrigen Verfolgung, entgegenstehen. 4Die Übermittlung der von einer Ausländerbehörde empfangenen personenbezogenen Daten unterbleibt, es sei denn, die Übermittlung ist völkerrechtlich geboten. 5Die Übermittlung ist aktenkundig zu machen. 6Die empfangende Stelle darf die übermittelten Daten nur für den Zweck weiter verarbeiten, zu dem sie ihr übermittelt wurden. 7Sie ist auf die Verarbeitungsbeschränkung und darauf hinzuweisen, dass sich das Landesamt für Verfassungsschutz vorbehält, Auskunft über die Verarbeitung der Daten zu verlangen. (4) 1Personenbezogene Daten dürfen an einzelne Personen oder an andere als die in den Absätzen 1 bis 3 genannten Stellen nicht übermittelt werden, es sei denn, dass dies zum Schutz vor Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 3 Abs. 1 Satz 1 oder zur Gewährleistung der Sicherheit von lebensoder verteidigungswichtigen Einrichtungen (SS 1 Abs. 4 und 5 des Niedersächsischen Sicherheitsüberprüfungsgesetzes) erforderlich ist und das Fachministerium der Übermittlung zugestimmt hat. 2Das Landesamt für Verfassungsschutz führt über jede Übermittlung personenbezogener Daten nach Satz 1 einen gesonderten Nachweis, aus dem der Zweck der Übermittlung, ihre Veranlassung, die Aktenfundstelle und der Empfänger hervorgehen. 3Die Nachweise sind gesondert aufzubewahren, gegen unberechtigten Zugriff zu sichern und am Ende des Kalenderjahres, das dem Jahr ihrer Anfertigung folgt, zu vernichten. 4Der Empfänger darf die übermittelten Daten nur für den Zweck weiter verarbeiten, zu dem sie ihm übermittelt wurden. 5Er ist auf die Verarbeitungsbeschränkung und darauf hinzuweisen, dass sich das Landesamt für Verfassungsschutz vorbehält, Auskunft über die Verarbeitung der Daten zu verlangen. 6 Die Übermittlung der personenbezogenen Daten ist der betroffenen Person durch das Landesamt für Verfassungsschutz mitzuteilen, sobald eine Gefährdung der Aufgabenerfüllung durch die Mitteilung nicht mehr zu besorgen ist. 7 Die Zustimmung nach Satz 1 und das Führen eines Nachweises nach Satz 2 sind nicht erforderlich, wenn personenbezogene Daten durch die Verfassungsschutzbehörde zum Zweck von Datenerhebungen an andere Stellen übermittelt werden. SS 18 Übermittlung von Informationen durch das Landesamt für Verfassungsschutz an Strafverfolgungsund Sicherheitsbehörden in Angelegenheiten des Staatsund Verfassungsschutzes (1) Das Landesamt für Verfassungsschutz übermittelt den Staatsanwaltschaften und, vorbehaltlich der staatsanwaltschaftlichen Sachleitungsbefugnis, den Polizeibehörden von sich aus die ihm bekannt gewordenen Informationen einschließlich personenbezogener Daten, wenn tatsächliche Anhaltspunkte 236 Anhang dafür bestehen, dass die Übermittlung zur Verhinderung oder Verfolgung von folgenden Straftaten erforderlich ist: 1. die in SS 74a Abs. 1 und SS 120 Abs. 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes genannten Straftaten, 2. Straftaten, bei denen auf Grund ihrer Zielrichtung, des Motivs des Täters oder dessen Verbindung zu einer Organisation anzunehmen ist, dass sie sich gegen die in SS 3 Abs. 1 Satz 1 genannten Schutzgüter wenden. (2) Die Polizeibehörden dürfen zur Verhinderung von Straftaten nach Absatz 1 das Landesamt für Verfassungsschutz um Übermittlung der erforderlichen Informationen einschließlich personenbezogener Daten ersuchen. SS 19 Übermittlung personenbezogener Daten an die Öffentlichkeit Bei der Aufklärung der Öffentlichkeit einschließlich der Medien über Bestrebungen und Tätigkeiten nach SS 3 Abs. 1 Satz 1 dürfen personenbezogene Daten nur bekannt gegeben werden, wenn die Bekanntgabe für das Verständnis der Darstellung, insbesondere von Organisationen oder unorganisierten Gruppierungen, erforderlich ist und das Interesse der Allgemeinheit das schutzwürdige Interesse der betroffenen Person überwiegt. SS 20 Übermittlungsverbote, Minderjährigenschutz (1) Die Übermittlung von Informationen nach den Vorschriften dieses Abschnitts unterbleibt, wenn 1. die Informationen zu löschen sind, 2. für die übermittelnde Stelle erkennbar ist, dass die Informationen für die empfangende Stelle nicht erforderlich sind, 3. für die übermittelnde Stelle erkennbar ist, dass unter Berücksichtigung der Art der Informationen, insbesondere ihres Bezuges zu der engeren Persönlichkeitssphäre der betroffenen Person, und der Umstände ihrer Erhebung das schutzwürdige Interesse der betroffenen Person das Interesse der Allgemeinheit an der Übermittlung überwiegt, 4. überwiegende Sicherheitsinteressen dies erfordern oder 5. besondere Regelungen in Rechtsvorschriften, in Standesrichtlinien oder Verpflichtungen zur Wahrung besonderer Amtsgeheimnisse der Übermittlung entgegenstehen. (2) Personenbezogene Daten Minderjähriger dürfen nach den Vorschriften dieses Gesetzes übermittelt werden, solange die Voraussetzungen der Speicherung nach SS 9 erfüllt sind. Anhang 237 (3) Personenbezogene Daten Minderjähriger über ihr Verhalten vor Vollen- 1 dung des 14. Lebensjahres dürfen nach den Vorschriften dieses Gesetzes nicht an ausländische oder an überoder zwischenstaatliche Stellen übermittelt werden. 2Dasselbe gilt für Informationen über Personenzusammenschlüsse, deren Mitglieder überwiegend Minderjährige sind, die das 14. Lebensjahr noch nicht vollendet haben. SS 21 Pflichten der empfangenden Stelle 1 Die empfangende Stelle prüft, ob die ihr nach den Vorschriften dieses Gesetzes übermittelten personenbezogenen Daten für die Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlich sind. 2Ergibt die Prüfung, dass dies nicht der Fall ist, so hat sie die entsprechenden Unterlagen zu vernichten und gespeicherte Daten zu löschen. 3 Die Vernichtung und die Löschung können unterbleiben, wenn die Trennung von anderen Informationen, die zur Erfüllung der Aufgaben erforderlich sind, nicht oder nur mit unvertretbarem Aufwand möglich ist; in diesem Fall sind die Daten zu sperren. SS 22 Nachberichtspflicht 1 Erweisen sich personenbezogene Daten nach ihrer Übermittlung als unvollständig oder unrichtig, so sind sie gegenüber der empfangenden Stelle unverzüglich zu ergänzen oder zu berichtigen, es sei denn, dass der Mangel für die Beurteilung des Sachverhalts offensichtlich ohne Bedeutung ist. 2Werden personenbezogene Daten nach ihrer Übermittlung gesperrt, so ist dies der empfangenden Stelle unter Angabe der Gründe, die zu der Sperrung geführt haben, unverzüglich mitzuteilen. Fünfter Abschnitt Parlamentarische Kontrolle SS 23 Ausschuss für Angelegenheiten des Verfassungsschutzes Die parlamentarische Kontrolle auf dem Gebiet des Verfassungsschutzes übt unbeschadet der Rechte des Landtages und seiner sonstigen Ausschüsse ein besonderer, vom Landtag gebildeter Ausschuss für Angelegenheiten des Verfassungsschutzes aus. 238 Anhang SS 24 Zusammensetzung (1) 1Der Ausschuss für Angelegenheiten des Verfassungsschutzes soll aus mindestens sieben Abgeordneten des Landtages bestehen. 2Mitglieder der Landesregierung können dem Ausschuss nicht angehören. (2) 1Jede Fraktion erhält mindestens einen Sitz. 2Die Verteilung aller Sitze bestimmt sich nach der Geschäftsordnung des Niedersächsischen Landtages. SS 25 Kontrollrechte des Ausschusses (1) Das Fachministerium ist verpflichtet, den Ausschuss für Angelegenheiten des Verfassungsschutzes umfassend über die Tätigkeit des Landesamtes für Verfassungsschutz im allgemeinen sowie über Vorgänge von besonderer Bedeutung zu unterrichten. (2) 1Der Ausschuss hat das Recht, Auskünfte des Fachministeriums einzuholen, von diesem Einsicht in Akten und andere Unterlagen sowie Zugang zu Einrichtungen des Landesamtes für Verfassungsschutz zu verlangen und Auskunftspersonen anzuhören. 2Er übt diese Rechte auf Antrag mindestens eines seiner Mitglieder aus. (3) 1Soweit dies erforderlich ist, um vom Bund oder von einem Land erhebliche Nachteile abzuwenden, kann das Fachministerium die Erfüllung eines Verlangens nach Absatz 2 davon abhängig machen, dass die Akten oder sonstigen Unterlagen, in die der Ausschuss Einsicht nehmen will, oder die Verhandlungen, während derer Auskünfte erteilt, Einrichtungen des Landesamtes für Verfassungsschutz aufgesucht oder Auskunftspersonen angehört werden sollen oder die der Beratung hierüber dienen, nach der Geschäftsordnung des Niedersächsischen Landtages für vertraulich erklärt werden. 2Genügt dies nicht, so kann das Fachministerium das Verlangen ablehnen; die Gründe dafür hat es vor dem Ausschuss darzulegen. (4) 1Bedienstete des Landesamtes für Verfassungsschutz dürfen in dienstlichen Angelegenheiten Eingaben an den Ausschuss für Angelegenheiten des Verfassungsschutzes richten. 2Solche Eingaben und die Verhandlungen des Ausschusses über sie sind vertraulich im Sinne der Geschäftsordnung des Niedersächsischen Landtages. (5) 1Über alle Eingaben, die die Tätigkeit des Landesamtes für Verfassungsschutz betreffen und an den Landtag oder einen seiner Ausschüsse gerichtet sind, entscheidet der Ausschuss für Angelegenheiten des Verfassungsschutzes abschließend, es sei denn, dass der Einsender ausdrücklich eine Entscheidung des Landtages verlangt. 2Auf diese Möglichkeit ist der Einsender hinzuweisen. Anhang 239 SS 26 Verfahrensweise (1) 1Für die Verhandlungen des Ausschusses für Angelegenheiten des Verfassungsschutzes gelten die Vorschriften der Geschäftsordnung des Niedersächsischen Landtages. 2Jedoch bedarf ein Beschluss, durch welchen die Vertraulichkeit von Akten oder sonstigen Unterlagen oder von Verhandlungen des Ausschusses aufgehoben wird, einer Mehrheit von zwei Dritteln der Stimmen seiner Mitglieder. 3Ist zu einem solchen Beschluss das Einvernehmen der Landesregierung erforderlich und weigert diese sich, es zu erteilen, so hat sie die Gründe dafür vor dem Ausschuss darzulegen. 4Dient die Vertraulichkeit dem Schutz von Informationen, deren Geheimhaltung in die Verantwortung einer Behörde des Bundes oder eines anderen Landes fällt, so bedarf die Aufhebung der Vertraulichkeit des Einvernehmens dieser Behörde. (2) 1Der Ausschuss gibt sich für die Wahrnehmung der Aufgaben nach SS 2 Abs. 1 Nds. AG G 10 eine besondere Geschäftsordnung. 2Zu deren Geheimschutzregelungen ist die Landesregierung zu hören. 3Die Geschäftsordnung bedarf der Bestätigung durch den Landtag. (3) Der Ausschuss berichtet dem Landtag in der Mitte und am Ende jeder Wahlperiode über seine Tätigkeit. (4) Der Ausschuss übt seine Tätigkeit auch über das Ende einer Wahlperiode des Landtages so lange aus, bis der nachfolgende Landtag den Ausschuss nach SS 24 neu gebildet hat. SS 27 Hilfe von Seiten der oder des Landesbeauftragten für den Datenschutz (1) 1Der Ausschuss für Angelegenheiten des Verfassungsschutzes hat auf Antrag von mindestens einem Viertel seiner Mitglieder die Landesbeauftragte oder den Landesbeauftragten für den Datenschutz zu beauftragen, die Rechtmäßigkeit einzelner Maßnahmen, die das Landesamt für Verfassungsschutz durchgeführt hat, zu überprüfen. 2Die Befugnisse der oder des Landesbeauftragten richten sich nach den Bestimmungen des Niedersächsischen Datenschutzgesetzes. (2) Wird die oder der Landesbeauftragte für den Datenschutz nach SS 13 Abs. 3 tätig, so kann sie oder er den Ausschuss von sich aus unterrichten, wenn sich Beanstandungen ergeben, eine Mitteilung an die betroffene Person aber aus Geheimhaltungsgründen unterbleiben muss. 240 Anhang Sechster Abschnitt Schlussvorschriften SS 28 Geltung des Niedersächsischen Datenschutzgesetzes Bei der Erfüllung der Aufgaben nach SS 3 durch das Landesamt für Verfassungsschutz finden die Vorschriften des SS 4 Abs. 1 sowie der SSSS 9 bis 17 a des Niedersächsischen Datenschutzgesetzes keine Anwendung. SS 29 Änderung des Niedersächsischen Gesetzes zur Ausführung des Gesetzes zu Artikel 10 Grundgesetz*) SS 30 Änderung des Niedersächsischen Beamtengesetzes*) SS 31 Änderung des Personalvertretungsgesetzes für das Land Niedersachsen*) SS 32 Inkrafttreten**) (1) Dieses Gesetz tritt 14 Tage nach seiner Verkündung in Kraft. (2) Gleichzeitig tritt das Niedersächsische Verfassungsschutzgesetz vom 12. Juli 1976 (Nds. GVBl. S. 181), geändert durch Gesetz vom 24. März 1980 (Nds. GVBl. S. 67), außer Kraft. * Diese Vorschrift des Gesetzes in der ursprünglichen Fassung vom 3. November 1992 (Nds. GVBl. S. 283) wird hier nicht abgedruckt. ** Diese Vorschrift betrifft das In-Kraft-Treten des Gesetzes in der ursprünglichen Fassung vom 3. November 1992 (Nds. GVBl. S. 283). Der Zeitpunkt des In-Kraft-Tretens der späteren Änderungen ergibt sich aus den in der vorangestellten Bekanntmachung näher bezeichneten Gesetzen. Abkürzungsverzeichnis 241 ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS AA/BO Antifaschistische Aktion / DHKC Revolutionäre VolksbefreiBundesweite Organisation ungsfront [AAH] Antifaschistische Aktion HanDHKP Revolutionäre Volksbefreinover ungspartei AA[M] Autonome Antifa [M] DHKP-C Revolutionäre VolksbefreiAAP Anti-Atom-Plenum Göttinungspartei-Front (KARATASgen Flügel) ABLE Association for Better Living DK Deutsches Kolleg and Education DKP Deutsche Kommunistische ADHF Föderation für demokraPartei tische Rechte in Deutschland DP Deutsche Partei e. V. DSZDSZ - Druckschriftenund ADHK Konföderation für demokraVerlag Zeitungsverlag tische Rechte in Europa DVU Deutsche Volksunion A.L.I. Antifaschistische Linke International EMUG Europäische MoscheebauAMGT Vereinigung der Neuen Weltund Unterstützungsgemeinsicht e. V. schaft e. V. AMS Assoziation Marxistischer StudentInnen FAP Freiheitliche Deutsche ArbeiApS Applied Scholastics Deutschterpartei land FAPSI Föderale Agentur für RegieATF Deutsche Türk-Föderation rungsfernmeldewesen und ATIF Föderation der Arbeiter aus Information der der Türkei in Deutschland Russischen Föderation e. V. FAU/IAA Freie Arbeiterinnenund ArATIK Konföderation der Arbeiter beiter-Union / Internationale aus der Türkei in Europa ArbeiterInnen Assoziation FHWO Freundschaftsund Hilfswerk B&H Blood & Honour Ost FIS Islamische Heilsfront CCHR Citizens Commission on HuFPS Föderaler Dienst für Grenzman Rights schutz der Russischen Föderation CH Collegium Humanum - Akademie für Umwelt und LeFSB Russischer Inlandsnachrichbensschutz e. V. tendienst FSO Föderaler Dienst für Regierungsschutz der Russischen DABK Ostanatolisches GebietskomiFöderation tee 242 Abkürzungsverzeichnis FZFZ - Freiheitlicher Buchund KONKonföderation der kurVerlag Zeitschriftenverlag GmbH KURD dischen Vereine in Europa KONGRA Volkskongress Kurdistans GD/SD Geraer Dialog / SozialistiGEL scher Dialog KPD Kommunistische Partei GFP Gesellschaft für Freie PubliDeutschlands zistik KPF Kommunistische Plattform GRU Russischer militärischer Nachder Linkspartei.PDS richtendienst KVPM Kommission für Verstöße der Psychiatrie gegen Menschenrechte HAMAS Islamische Widerstandsbewegung HNG Hilfsorganisation für natioLTTE Befreiungstiger von Tamil nale politische Gefangene Eelam und deren Angehörige HPG Volksverteidigungseinheiten MB Muslimbruderschaft HuT Hizb ut-Tahrir al-Islami MEK Volksmodjahedin Iran-Organisation IAS International Association of MF Marxistisches Forum Scientologists MID Chinesischer militärischer IBP Islamischer Bund Palästina Nachrichtendienst ICCB Verband der islamischen MKP Maoistische Kommunistische Vereine und Gemeinden e. Partei V., Köln MLKP Marxistisch-Leninistische IGD Islamische Gemeinschaft in Kommunistische Partei Deutschland e. V. MLPD Marxistisch-Leninistische IGMG Islamische Gemeinschaft Milli Partei Deutschlands Görüs e. V. MSV Muslim StudentenvereiniIZA Islamisches Zentrum Aachen gung in Deutschland IZM Islamisches Zentrum München NL Nationale Liste NLA Nationale Befreiungsarmee JN Junge Nationaldemokraten NPD Nationaldemokratische Partei Deutschlands KADEK Freiheitsund DemokratiekoNSDAP/ Nationalsozialistische ngress Kurdistans AO Deutsche Arbeiterpartei / Auslandsund KDS Kampfbund Deutscher SoziaAufbauorganisation listen NWRI Nationaler Widerstandsrat KKK Konföderation der kurIran dischen Gemeinschaften ("Koma Komalen NZ National-Zeitung / Deutsche Kurdistan") Wochen-Zeitung Abkürzungsverzeichnis 243 OSA Office of Special Affairs UMSO Union Muslimischer Studentenorganisationen in Europa e. V. PAJK Freiheitspartei der Frauen Kurdistans UZ Unsere Zeit PDS Partei des Demokratischen Sozialismus V.H.O. Vrij Historisch Onderzoek PKK Arbeiterpartei Kurdistans VRBHV Verein zur Rehabilitierung PMK Politisch motivierte Kriminader wegen Bestreitens des lität Holocaust Verfolgten [P.O.P.] Politik.Organisation.Praxis PWD Patriotisch-Demokratische WISE World Institute of ScientolPartei ogy Enterprises WTM World Tamil Movement RBB Reichsbürgerbewegung REP Die Republikaner YEKFöderation der kurdischen KOM Vereine in Deutschland e. V. RH Rote Hilfe e. V. RTC Religious Technology Center ZMD Zentralrat der Muslime in Deutschland SDAJ Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend SHARP Skinheads Against Racial Prejudice SO Scientology-Organisation SWR Russischer Dienst für Auslandsaufklärung THKP-C Türkische Volksbefreiungspartei-Front - Revolutionäre Linke (YAGAN-Flügel) TIKKO Türkische Arbeiterund Bauernbefreiungsarmee TJ Tablighi Jamaat TKP/ML Türkische Kommunistische Partei / Marxisten-Leninisten TRO Tamilische Rehabilitation Organisation e. V. UELAM Union für die in den europäischen Ländern arbeitenden Muslime e. V. 244 Stichwortverzeichnis STICHWORTVERZEICHNIS A Adelaide-Institute * 27 Agitator * 35-37 Akif, Muhammad Mahdi * 138 Aktionsbüro Nord * 42 Al-Banna, Hasan * 137,138 al-Qaida * 133, 134, 144 AL-RASCHTA, Ata Abu * 146 AL-SHAFI, Abu Abdullah * 144 AL-ZARQAWI, Abu Musab * 132, 133, 144 Alhambra * 84, 91 Anarchismus * 82 Anatolische Föderation * 173 Ansar al-Islam * 144, 145 Anti-Atom-Plenum (AAP) Göttingen * 100, 101 Antideutsche / Antinationale * 85-87 Antifa I Aktion & Kritik * 89, 93, 94 Antifa 3000 * 88 Antifaschismus * 78, 85, 92-95, 103, 118 Antifaschistische Aktion / Bundesweite Organisation (AA/BO) * 87 Antifaschistische Aktion Hannover [AAH] * 88 Antifaschistische Linke International (A.L.I.) * 89, 90 , 94, 119 Antirassismus * 30, 85, 91, 95, 96 Antisemitismus (Begriff) * 16 APFEL, Holger * 56, 57, 60 Applied Scholastics Deutschland (ApS) * 186 Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) * siehe Volkskongress Kurdistans Artgemeinschaft - Germanische Glaubens-Gemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung e. V. * 20 ASSEM, Shaker * 148 Association for Better Living and Education (ABLE) * 186 Assoziation Marxistischer StudentInnen (AMS) * 111 Autonome * 83, 84-103, 204 Autonome Antifa [M] (AA[M]) * 87, 89 AVANTI - Projekt undogmatische Linke * 88, 89 AYDAR, Zübeyir * 164 B BERGER, Yrida * 109 BIN LADIN, Usama * 132, 144, 145 BISKY, Lothar * 104 BLOHME, Frank * 55 Blood & Honour * 29-31, 50 BOLOURCHI, Masoumeh * 177 Stichwortverzeichnis 245 BÖRM, Manfred * 55 BOSSE, Georg Albert * 27 BRADLER, Uwe * 75 BROMBACHER, Ellen * 106 Bürgerinitiative für Zivilcourage Celle * 45, 46 Bürgerinitiative für Zivilcourage Hildesheim * 45 C CASTOR-Transport (Aktionen gegen den - ) * 78, 85, 98, 99-103 Cherusker * 35, 39 Citizens Commission on Human Rights (CCHR) * 186 COHRS, Ernst-Otto * 26 Collegium Humanum - Akademie für Umwelt und Lebensschutz e. V. (CH) * 21, 26 CORDES, Florian * 65 Courage * 113 CREMER, Claus * 58 Criminon * 186 D DAMMANN, Adolf * 55, 57, 64 DECKERT, Günter * 27, 53 DEHM, Diether * 104, 105 Der Ostbote * 27 Der Rebell * 66 Der Revolutionäre Weg * 112 Der Versand * 35 Deutsche Akademie * 22, 60 Deutsche Kommunistische Partei (DKP) * 82, 83, 105, 108-111, 121 Deutsche Partei (DP) * 19 Deutsche Stimme * 53, 57, 58 Deutsche Türk-Föderation (ATF) * 136 Deutsche Volksunion (DVU) * 16, 19, 54, 58-60, 63, 66, 67-71 Deutsches Kolleg (DK) * 21, 26 Deutschland-Pakt * 19, 54, 58, 59, 63, 70, 71 Devrimci Sol (Dev Sol) * 172, 173 Die Linkspartei.PDS (ehemals Partei des Demokratischen Sozialismus, PDS) * 83, 104-107, 110, 117, 123 Die Republikaner (REP) * 19, 55, 59, 60, 62, 71-75 Die Zwille * 84, 91 DISPUT * 104 Dissent! * 96, 97 Division Wiking * 33, 35, 36 DONALDSON, Ian Stuart * 31 Donnerhall * 33, 35 Dschihad/Dschihadismus * 131, 132, 134, 144, 145 DSZ - Druckschriften und Zeitungsverlag GmbH (DSZ-Verlag) * 67, 68 246 Stichwortverzeichnis E EIGENFELD, Ulrich * 53, 55, 62 EinSatz! * 84, 91 EL-ATTAR, Issam * 140 EL-ZAYAT, Ibrahim * 140, 150, 151 ENGEL, Stefan * 112 En-Nahda * 139, 141 Entrismus * 116 ERBAKAN, Mehmet Sabri * 150 Erbakan, Necmettin * 149, 150, 153, 156 Euro-Kurier - Aktuelle Buchund Verlags-Nachrichten * 24 Europäische Moscheebauund Unterstützungsgemeinschaft e. V. (EMUG) * 150, 151 Exilregierung Deutsches Reich * 19, 75, 76 Explizit * 146, 148 F Fanzines * 28, 31, 32 FAURISSON, Robert * 26 Fight Back! * 84, 91 Final Destination * 31, 32 Föderation der Arbeiter aus der Türkei in Deutschland e. V. (ATIF) * 175, 176 Föderation der kurdischen Vereine in Deutschland e. V. (YEK-KOM) * 120, 170, 171 Föderation für demokratische Rechte in Deutschland e. V. (ADHF) * 175 Freie Arbeiterinnenund Arbeiter-Union / Internationale ArbeiterInnen Assoziation (FAU/IAA) * 114, 115 Freie Nationalisten * 41, 43-46, 54, 55, 58, 59, 61, 62 Freie Nationalisten Gifhorn * siehe Kameradschaft Gifhorn Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei (FAP) * 29, 41, 49 Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistans (KADEK) * siehe Volkskongress Kurdistans Fremdenfeindlichkeit * 15, 20-22, 29, 32, 39, 58, 68, 69, 71, 73 Freundschaftsund Hilfswerk Ost (FHWO) * 27 FREY, Gerhard * 16, 58-60, 67, 68, 70, 71 FRICKE, Detlef * 108 Front Records * 35 FÜRSTENBERG, Daniel * 65 FZ - Freiheitlicher Buchund Zeitschriftenverlag GmbH (FZ-Verlag) * 67 G GANSEL, Jürgen * 56, 58 Geheimschutz * 197, 198 Geraer Dialog/Sozialistischer Dialog (GD/SD) * 107 Geschichtsrevisionismus * 15, 23-28, 69 Gesellschaft für Freie Publizistik e. V. (GFP) * 20, 22, 58 GIESE, Daniel * 37 Stichwortverzeichnis 247 Gigi & Die braunen Stadtmusikanten * 35, 37 Globalisierung (Proteste gegen die - ) * 85, 96-98 göttinger Drucksache * 84, 91 GRABERT, Wigbert * 24 GRAF, Jürgen * 26 Graswurzelbewegung * 99-101 H HAGER, Nina * 109 Hammerskins * 31 HAVERBECK-WETZEL, Ursula * 21, 26 Heide-Heim e. V. und Heideheim e. V. * 50 HEISE, Thorsten * 29, 36, 41, 43, 46 Heisenhof * 20, 93, 94 HENNIG, Rigolf * 64 Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige (HNG) * 16, 51, 52 Hizb Allah * 152, 160-162 Hizb ut-Tahrir al-Islami (HuT) * 130, 146-148 HOFFMANN, Klaus * 27 HOHENSEE, Alexander * 66 Holocaust (Leugnung/Relativierung) * 16, 23-25, 69, 160 HONSIK, Gerd * 26 HUBBARD, Lafayette Ron * 183-186 HUBERT, Daniel * 55 I Initiative Libertad! * 119 INTERIM * 84, 91 International Association of Scientologists (IAS) * 185 IRVING, David * 25 Islamische Gemeinschaft in Deutschland e. V. (IGD) * 137, 139, 140, 150 Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e. V. (IGMG) * 131, 149-155 Islamische Heilsfront (FIS) * 139, 141 Islamische Widerstandsbewegung (HAMAS) * 137, 139, 141 Islamischer Bund Palästina (IBP) * 139, 141 Islamisches Zentrum Aachen (IZA) * 139, 140 Islamisches Zentrum München (IZM) * 139, 140 Islamismus (Begriff) * 130, 131, 212 J JENTZSCH, Heber * 183 Junge Nationaldemokraten (JN) * 20, 44, 59, 60, 62, 64-66 K Kalifatsstaat (vormals ICCB) * 125, 151, 156-158 Kameradschaft Gifhorn * 45 248 Stichwortverzeichnis Kameradschaft Honour & Pride * 46 Kameradschaft Nationalrevolutionäre Alternative Neuhaus/Elbe * 44 Kameradschaft Northeim * 46, 61 Kameradschaft Salzgitter * 45, 46 Kameradschaft Weserbergland * 44 Kampfbund Deutscher Sozialisten (KDS) * 44 KAPLAN, Cemaleddin * 156 KAPLAN, Metin * 156-158 KARAHAN, Yavuz Celik * 149 KARAYILAN, Murat * 164, 165 KAYPAKKAYA, Ibrahim * 174, 176 KIRSTE, Hans-Jürgen * 71, 72 KIZILKAYA, Ali * 150 Kommission für Verstöße der Psychiatrie gegen Menschenrechte (KVPM) * 186 Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) * 14, 117 Kommunistische Plattform der Linkspartei.PDS (KPF) * 77, 82, 106, 107 Konföderation der Arbeiter aus der Türkei in Europa (ATIK) * 175, 176 Konföderation für demokratische Rechte in Europa (ADHK) * 175 Konföderation der kurdischen Vereine in Europa (KON-KURD) * 167 KÖRNER, Wieland * 28 KORTE, Jan * 105 KREKAR, Mullah * 144, 145 L LAUCK, Gary Rex * 25, 26 LEUCHTER, Fred A. * 24 Leuchter-Report * 24 Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE) * 135, 180-182 Linksextremismus (Begriff) * 82, 212 Linksruck * 105, 115-117 LÖTZSCH, Gesine * 104 M MAHLER, Horst * 16, 21, 26, 27, 148 Maoistische Kommunistische Partei (MKP) * 174-176 MARX, Peter * 23, 66 Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei (MLKP) * 174, 175 Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) * 82, 83, 112, 113, 176 Marxistische Blätter * 108 Marxistisches Forum (MF) * 107 MEENEN, Uwe * 21 MENZNER, Dorothee * 104, 105 Milli Gazete * 153-155 MISCAVIGE, David * 183, 185 MOLAU, Andreas * 22, 26, 58 Mudschahedin * 132, 134, 144 MÜHLBAUER, Armin * 27 Stichwortverzeichnis 249 MÜLLER, Ursula * 51 Muslim Studentenvereinigung in Deutschland (MSV) * 150 Muslim-Markt * 135, 159, 160 Muslimbruderschaft * 137-141, 152 N Nachrichten der HNG * 51, 52 Narconon * 186 NASRALLAH, Hassan * 160 Nation & Europa * 21-23, 57 nation24.de - Das patriotische Magazin * 21 Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) * 16-20, 22, 23, 25-27, 29, 32, 36, 38, 39, 43, 44, 46, 53-66, 68, 70-73, 148 Nationale Befreiungsarmee (NLA) * 178, 179 Nationale Liste (NL) * 41, 49 Nationale Sozialisten Neuhaus/Elbe * siehe Kameradschaft Nationalrevolutionäre Alternative Neuhaus/Elbe Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei / Auslandsund Aufbauorganisation (NSDAP/AO) * 26 National-Zeitung / Deutsche Wochen-Zeitung (NZ) * 67-70 NAUMANN, Peter * 62 NEIDLEIN, Alexander * 65 Neonazismus (Begriff) * 16 Neonazistische Kameradschaften * 16-19, 29, 32, 40-50, 61, 64 NEUBAUER, Harald * 23 Neue Rechte * 21 Newrozfest * 166, 170 Niedersachsen-Spiegel * 53 Nordfront * 33, 35, 36, 39 Nordic Flame * 35 NS-Kampfruf * 26 O OBERLERCHER, Reinhold * 21, 62 ÖCALAN, Abdullah * 136, 162-167, 169-171 ÖCALAN, Osman * 164 OCHENSBERGER, Walter * 25 offen-siv * 123, 124 Office of Special Affairs (OSA) * 185 Oi!-Skins * 30 Ostanatolisches Gebietskomitee (DABK) * 175 ÖZDOGAN, Hassan * 150, 151 Özgür Politika * 162, 167, 168, 169 ÖZOGUZ, Yavuz * 159, 160 P PASTÖRS, Udo * 62 Patriotisch-Demokratische Partei (PWD) * 164 250 Stichwortverzeichnis PAU, Petra * 104 PDS-Landesinfo * 104 Phase 2 - Zeitschrift gegen die Realität * 84, 91 Politik.Organisation.Praxis [P.O.P.] * 88, 92, 93 PRABAKHARAN, Velupillai * 180, 182 PREUß, Friedrich * 55 PRIEMER, Rolf * 109 Projekt Gegendruck [Lüneburg] * 99 Proliferation * 188, 193-195 R radikal * 84, 91 RADJAVI, Maryam * 178, 179 RADJAVI, Massoud * 177, 178 RAMELOW, Bodo * 106 Rassismus (Begriff) * 15 REBELL (MLPD-Jugendverband) * 113 Rebell, Der (Schülerzeitung) * siehe Der Rebell Recht und Wahrheit * 27 Rechtsextremismus (Begriff) * 14-16, 212 Redical M * 89, 93 Redskins * 30 REGENER, Michael "Lunikoff" * 38 Reichsbürgerbewegung (RBB) * 26 Reichsversand * 35 Religious Technology Center (RTC) * 185 RENNICKE, Frank * 26, 60 Revisionismus * siehe Geschichtsrevisionismus Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front, KARATAS-Flügel (DHKP-C) * 172, 173 RICHTER, Karl * 22, 23, 57 RIEFLING, Dieter * 62 RIEGER, Jürgen * 20, 25, 47, 62 ROCHOW, Stefan * 59, 65, 66 ROEDER, Manfred * 26 Rote Fahne * 112, 113 Rote Hilfe e. V. (RH) * 117-119 RotFuchs * 121-123 Rotfüchse * 113 RUDOLF, Germar * 24-26 Rudolf-Gutachten * 24 Rudolf-Heß-Gedenkaktionen * 47, 52, 56 S SANDER, Hans-Dietrich * 26 Scharia * 131, 137, 140, 146, 147, 149, 150, 155 SCHAUB, Bernhard * 26 Stichwortverzeichnis 251 SCHITTKE, Norbert Rudolf * 75 SCHLIERER, Rolf * 71-75 SCHÜLER, Sascha Jörg * 66 Schulhof-CD * 32, 63 SCHWAB, Jürgen * 60, 65, 66 Scientology-Organisation * 183-187 Sea Organization * 185 Skinhead-Konzerte * 37-39, 42, 46 Skinhead-Musik * 16, 17, 31, 32-39, 40, 42 Skinheads * 14, 28-32, 37, 41, 53, 64 Skinheads Against Racial Prejudice (SHARP) * 30 Sleipnir * 21 Snevernjungs * 45 SOFU, Yusuf Ibrahim * 156 Solidaritätskomitee mit den politischen Gefangenen und deren Familien in der Türkei (TAYAD-Komitee) * 173 Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend (SDAJ) * 110, 111 Sozialpatriotische Bündnisse * 19, 72 STÄGLICH, Wilhelm * 26 Stahlgewitter * 37 STEHR, Heinz * 108, 109 STEINIGER, Klaus * 121 Stimme des Gewissens - Lebensschutzinformationen (LSI) * 26 T Tablighi Jamaat (TJ) * 131, 142, 143 Tamilische Rehabilitation Organisation e. V. (TRO) * 181 Terroritorium * 35, 36 THOBEN, Frederick * 26, 27 TITTMANN, Siegfried * 59, 68 Türkische Arbeiterund Bauernbefreiungsarmee (TIKKO) * 175 Türkische Kommunistische Partei/Marxisten-Leninisten (TKP/ML) * 174-176 Türkische Volksbefreiungspartei-Front, YAGAN-Flügel (THKP-C) * 172, 173 U ÜCÜNCÜ, Oguz * 152 Union für die in den europäischen Ländern arbeitenden Muslime e. V. (UELAM) * 141 Union Muslimischer Studentenorganisationen in Europa e. V. (UMSO) * 141 Unsere Zeit (UZ) * 108, 109, 121 V VALENTA, Philipp * 65 Verband der Islamischen Vereine und Gemeinden e. V. (ICCB) * 151, 156 VERBEKE, Herbert * 24 VERBEKE, Siegfried * 24, 25 Verbote neonazistischer Vereinigungen * 49, 50 252 Stichwortverzeichnis Verein zur Förderung demokratischer Publizistik * 123 Verein zur Rehabilitierung der wegen Bestreitens des Holocaust Verfolgten (VRBHV) * 26 Vereinigung der Neuen Weltsicht in Europa e. V. (AMGT) * 149-151 vers beaux temps * 84, 91 Violence * 32 VOIGT, Udo * 53, 55-58, 60, 64, 70, 148 Volksfront von rechts * 18, 22, 58, 59, 66 Volksgemeinschaft * 15, 43, 45, 55-57, 71 Volkskongress Kurdistans (KONGRA GEL) * 136, 162-171 Volksmodjahedin Iran-Organisation (MEK) / Nationaler Widerstandsrat Iran (NWRI) * 135, 177-180 Volksverteidigungseinheiten (HPG) * 168, 170, 171 Vrij Historisch Onderzoek (V.H.O.) * 24 W WARNAT, Thomas * 55 WiderSetzen * 102 Widerstand Gifhorn * siehe Kameradschaft Gifhorn WIECHMANN, Hans-Gerd * 59, 62, 66, 72 WIEGRÄFE, Dieter * 67, 68 Wiking-Jugend e. V. (WJ) * 49 Wilhelm Tietjen Stiftung für Fertilisation Ltd. * 20 WINDHORN, Monika * 107 Wirtschaftsschutz * 198-200 Wirtschaftsspionage * 191, 195, 196, 198-200 WORCH, Christian * 41, 48, 60 World Institute of Scientology Enterprises (WISE) * 186 World Tamil Movement (WTM) * 181 WULFF, Thomas * 41, 43 X x-tausendmal quer * 99, 101, 102 Z ZALLUM, Abdul Qadim * 147 Zeit für Protest * 71, 74, 75 Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD) * 140, 150, 152 ZÜNDEL, Ernst * 25, 26 Ortsverzeichnis 253 ORTSVERZEICHNIS (Niedersachsen) Amt Neuhaus * 44 Bad Essen * 39, 62 Bad Pyrmont * 181 Bramsche-Hesepe * 95 Braunschweig * 22, 26, 28, 32, 46 f., 55, 61, 84, 86, 91 f., 94, 108, 113, 118, 141, 152, 208 Bröckel * 38 Bückeburg * 66, 86, 92 Burgdorf * 67 Buxtehude * 35 Celle * 19 f., 38, 45 f., 72, 88, 170 Dannenberg * 102 f. Dassel * 63 Delmenhorst * 135, 159 f. Dörverden * 20 Duderstadt * 63 Emden * 32 Emsland * 55 Garbsen * 63 Gifhorn * 45, 55 Gittelde * 35 Gorleben * 98, 101 Goslar * 182 Göttingen * 35, 47, 55, 61 f., 84, 86 f., 89-95, 100, 102, 111, 114, 117-119, 141, 182 Grafschaft Bentheim * 55 Hameln * 44, 118, 208 Hannover * 18 f., 25, 28, 35 f., 38, 44, 53, 55, 61, 71 f., 75, 84, 86, 88, 89, 91 f., 102, 104 f., 107 f., 111, 113 f., 117 f., 123, 140 f., 143, 152, 161, 169 f., 173, 182 f., 186 f. Hemmingen * 63 Hetendorf * 20, 88 Hildesheim * 28, 38, 45, 62, 75, 208 Hitzacker * 100, 102 Hollenstedt * 97 Holzminden * 63 Langwedel * 47, 66 Lehrte * 35 f. Lingen * 108 Lüchow-Dannenberg * 102 Lüneburg * 19, 28, 53, 55, 62, 72, 99, 102 f., 200 Meppen * 35 Moringen * 30 254 Ortsverzeichnis Neustadt a. Rbge. * 153 Nienburg * 44 Nordhorn * 108 Northeim * 28, 46, 61, 181 Oldenburg * 47, 55, 61, 63, 84, 86, 91 f., 94, 108, 111, 152, 160, 170 Osnabrück * 18, 35, 55, 61-63, 84, 89, 91, 108, 111, 114 f., 118 f., 141, 152, 158, 161, 208 Pattensen * 63 Peine * 35, 47, 170 Rotenburg * 64, 85 Salzgitter * 28, 45 f., 152, 158, 170, 181 f. Schatensen * 27 Schaumburg * 44 Schneverdingen * 28, 45 Seesen * 182 Seevetal * 35, 186 Soltau * 28 Springe * 181 Stade * 55, 62-64, 208 Tostedt * 28, 38 Uelzen * 161 Verden * 20, 47, 61, 64, 66, 72, 85, 92, 94 Walsrode * 208 Wendland * 101-103 Wilhelmshaven * 113 Wolfenbüttel * 63 Wolfsburg * 27, 55 Woltersdorf * 102 Wunstorf * 158 Notizen 255 256 Notizen Notizen 257 258 Notizen Ausländerextremismus 259 260 Ausländerextremismus