Verfassungsschutzbericht 2024 Impressum Herausgeber Ministerium für Inneres, Bau und Digitalisierung Mecklenburg-Vorpommern Abteilung Verfassungsschutz Postfach 11 05 52 19055 Schwerin Telefon: +49 (0)385 74 20 0 E-Mail: info@verfassungsschutz-mv.de Internet: www.verfassungsschutz-mv.de Fotonachweise: Titelmotiv: "Die wehrhafte Demokratie", (c) Manfred Diekmann (2009) (c) Danny Gohlke (S. 8); Adobe Stock: (c) MikeCS Images (S. 19), (c) alisluch (S. 79), (c) Heiko (S. 80) Layout: Teamgeist Medien GbR, www.teamgeist-medien.de Stand: Juli 2025 Verteilerhinweis Diese Druckschrift ist Teil der Öffentlichkeitsarbeit des Ministeriums für Inneres, Bau und Digitalisierung Mecklenburg-Vorpommern. Sie wird kostenlos abgegeben und ist nicht zum Verkauf bestimmt. Sie darf weder von Parteien noch von Wahlwerbern oder Wahlhelfern während eines Wahlkampfes zum Zwecke der Wahlwerbung verwendet werden. Dies gilt für Kommunal-, Landtags-, Bundestagsund Europawahlen. 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Die "Wehrhafte Demokratie" - Auftrag und Verpflichtung des Verfassungsschutzes 12 1.1 Zweck des Verfassungsschutzes 12 1.2 Freiheitliche demokratische Grundordnung 14 1.3 Verfassungsschutzverbund von Bund und Ländern 15 1.4 Aufgaben des Verfassungsschutzes 16 1.5 Informationsbeschaffung 18 1.6 Kontrolle 19 1.7 Verhältnis von Verfassungsschutz und Polizei 20 1.8 Novellierung Landesverfassungsschutzgesetz 21 2. Auf einen Blick 24 2.1 Überblick Personenpotenzial 24 2.2 Zusammenfassung der einzelnen Phänomenbereiche 25 2.3 Straftatenaufkommen (Politisch motivierte Kriminalität) 28 3. Radikalisierung im digitalen Zeitalter: Junge Zielgruppen im Visier extremistischer Akteure 34 3.1 Allgemeines 34 3.2 Radikalisierungsprozesse 34 3.3 Rechtsextremistische Jugendgruppierungen 36 3.4 Islamistische Online-Mobilisierung 36 3.5 Linksextremismus und soziale Medien 37 3.6 Fazit 37 4. Rechtsextremismus und -terrorismus 40 4.1 Lageüberblick 40 4.2 Personenpotenzial 42 4.3 Militanter Rechtsextremismus und -terrorismus 42 4.4 Verbindungen der Rockerszene zu Rechtsextremisten 43 4.5 Trefforte der rechtsextremistischen Szene 44 4 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern Inhaltsverzeichnis 4.6 Rechtsextremistische Subkultur - weitgehend unstrukturiertes rechtsextremistisches Personenpotenzial 45 4.7 Parteiunabhängige bzw. parteiungebundene rechtsextremistische Strukturen - Neonazis 45 4.8 Kampfsport im Rechtsextremismus 48 4.9 Neonazistisch geprägte Veranstaltungen und Aktionen 49 4.10 Rechtsextremistische Musikveranstaltungen 50 4.11 Szeneläden/Versandhandel 54 4.12 Parteigebundener Rechtsextremismus 55 4.13 Neue Rechte 66 5. Reichsbürger und Selbstverwalter 78 5.1 Lageüberblick 78 5.2 Personenpotenzial 80 5.3 Strukturen und Aktivitäten der "Reichsbürger und Selbstverwalter"-Szene in Mecklenburg-Vorpommern 81 6. Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates 88 6.1 Lageüberblick 88 6.2 Personenpotenzial 88 6.3 Strukturen 89 6.4 Ausblick 90 7. Linksextremismus 94 7.1 Lageüberblick 94 7.2 Personenpotenzial 95 7.3 Linksextremistische Strukturen in Mecklenburg-Vorpommern 96 7.4 Organisationen und Parteien 97 7.5 Aktionsfelder 100 8. Islamismus / Islamistischer Terrorismus 106 8.1 Lageüberblick 106 8.2 Personenpotenzial 107 8.3 Entwicklung des islamistischen Extremismus und Terrorismus 107 5 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern Inhaltsverzeichnis 8.4 Salafismus 108 8.5 Staatliche Maßnahmen gegen islamistischen Extremismus 110 8.6 Aufenthaltsstatus ausländischer Islamisten 111 8.7 Islamismusprävention 112 9. Auslandsbezogener Extremismus 116 9.1 Lageüberblick 116 9.2 Personenpotenzial 116 9.3 "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) 117 9.4 Antiisraelische und propalästinensische Demonstrationen 121 9.5 Eritrea-Konflikt 122 10. Mitwirkungsangelegenheiten, Waffenrechtliche Erlaubnisse und Extremisten im öffentlichen Dienst 126 10.1 Allgemeines 126 10.2 Mitwirkungsangelegenheiten 126 10.3 Waffenrechtliche Erlaubnisse 128 10.4 Extremisten im öffentlichen Dienst 130 11. Spionageabwehr und hybride Bedrohungen 134 11.1 Spionageabwehr 134 11.2 Proliferation 137 11.3 Hybride Bedrohungen 137 11.4 Bedrohungen durch Cyberangriffe 139 11.5 Wirtschaftsschutz - eine Aufgabe der Spionageabwehr 140 11.6 Ansprechpartner vor Ort - Spionageabwehr Mecklenburg-Vorpommern 141 12 Presseund Öffentlichkeitsarbeit 144 12.1 Aktivitäten 144 12.2 Informationsmaterialien 145 12.3 Ausund Fortbildung/Praktika 147 6 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern Inhaltsverzeichnis 13. Anlagen 150 13.1 Abkürzungsverzeichnis 150 13.2 Glossar 152 13.3 Registeranhang 161 13.4 Politisch motivierte Kriminalität (Statistik) 162 13.5 Landesverfassungsschutzgesetz 163 Werde Teil unseres Teams - Gemeinsam die Verfassung schützen! Unsere aktuellen Ausschreibungen finden Sie unter: Karriereportal Homepage des der Landesverwaltung Verfassungsschutzes Mecklenburg-Vorpommern Mecklenburg-Vorpommern www.karriere-in-mv.de www.verfassungsschutz-mv.de 7 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern Vorwort Liebe Leserinnen und Leser, die freiheitliche demokratische Grundordnung ist das Fundament unseres gesellschaftlichen Zusammenlebens. Sie zu schützen, ist eine der zentralen Aufgaben des Verfassungsschutzes - gerade in Zeiten, in denen Extremismus, Desinformation und Spionage in immer neuen Formen auftreten und manifestieren. Der Verfassungsschutzbericht 2024 zeigt, dass die Gefahren für unsere Demokratie weiterhin hoch sind - auch in Mecklenburg-Vorpommern. In allen Phänomenbereichen des Extremismus sehen wir besorgniserregende Entwicklungen. Im Bereich des Rechtsextremismus sehen wir eine weiterhin ideologisch gefestigte und in Teilen gewaltbereite Szene. Auffällig ist insbesondere die Entwicklung innerhalb jugendlicher Milieus: Viele junge Menschen verfügen zwar (noch) nicht über ein geschlossenes rechtsextremistisches Weltbild, übernehmen jedoch einzelne ideologische Versatzstücke. Dabei stehen weniger ideologische Überzeugungen als vielmehr das Bedürfnis nach Zugehörigkeit, Selbstwirksamkeit und Einbindung in eine digitale oder analoge Peer-Group im Vordergrund. Die zentralen Inhalte richten sich häufig gegen die Menschenwürde - insbesondere gegen Migrantinnen und Migranten sowie gegen die Christian Pegel LGBTQIA+-Community - aber auch gegen politische Minister für Inneres, Bau und Digitalisierung des Landes Mecklenburg-Vorpommern Gegner, insbesondere aus dem linksextremistischen Spektrum. Diese Entwicklung ist Ausdruck einer komplexen Radikalisierungsdynamik, die zunehmend digital geprägt ist. In der heutigen Zeit können Jugendliche über soziale Netzwerke nahezu uneingeschränkt mit extremistischen Inhalten in Kontakt kommen. Extremistische Akteure nutzen Plattformen gezielt, um mit niedrigschwelligen, visuell aufbereiteten und emotionalisierenden Botschaften Bindung zu erzeugen, Unzufriedenheit zu kanalisieren und Mobilisierungspotenziale zu erschließen. Beteiligte an Versammlungen, Online-Kampagnen oder digitaler Gruppenbildungen entsprechen dabei nicht zwangsläufig dem Radikalisierungsgrad der Initiatoren, markieren aber eine gefährliche Eskalationsstufe: Sie lassen ideologische Verfestigung, organisatorische Struktur und konkrete Handlungsbereitschaft erkennen. Der Verfassungsschutz Mecklenburg-Vorpommern beobachtet diese Entwicklungen mit großer Aufmerksamkeit und arbeitet eng mit zivilgesellschaftlichen Partnern zusammen, um präventiv tätig zu werden. Programme wie "Demokratie und Toleranz gemeinsam stärken!" sowie die Arbeit der Landeszentrale für politische Bildung sind zentrale Bausteine in der politischen Aufklärung und Prävention. Aber auch als Gesellschaft sind wir gefordert, unsere Jugendlichen zu stärken - durch Aufklärung, Bildung und klare Grenzen. Prävention beginnt im Alltag, in Familien, Klassenzimmern und digitalen Räumen. Schützen wir gemeinsam unsere demokratischen Werte. Lassen wir nicht zu, dass Extremisten - egal welcher Ausrichtung - unsere Jugend instrumentalisieren. 8 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern Vorwort Im Bereich des Linksextremismus erkennen wir eine zunehmende Konfrontationsbereitschaft. Hier gilt es, differenziert zwischen legitimer Protestkultur und verfassungsfeindlichen Aktivitäten zu unterscheiden - ohne das Gewaltmonopol des Staates infrage zu stellen. Denn die ideologische Ablehnung staatlicher Institutionen, begleitet von Gewalt gegen politische Gegner und Einsatzkräfte, ist dabei weiterhin prägend für Teile der Szene. Insbesondere Polizeikräfte wurden wiederholt zum Ziel linksextremistisch motivierter Angriffe. Solche Angriffe sind durch nichts zu rechtfertigen. Wer Einsatzkräfte verletzt, greift nicht nur Menschen an, sondern auch das Fundament unserer demokratischen Ordnung und offenbart ein tiefsitzendes ideologisches Gewaltverständnis, das jede Grenze des demokratischen Diskurses überschreitet. Der Islamismus und der Ausländerextremismus sind weiterhin im Fokus des Verfassungsschutzes MecklenburgVorpommern. Dabei ist auffällig, wie internationale Konflikte - etwa im Nahen Osten - auf unsere Gesellschaft einund zurückwirken, das gesellschaftliche Klima beeinflussen und Polarisierung fördern. Dabei geht insbesondere im Islamismus eine Gefahr für die innere Sicherheit von radikalisierten Einzelpersonen aus. Neben Bedrohungen durch extremistische Bestrebungen im Inland haben sogenannte hybride Bedrohungen durch andere Staaten deutlich zugenommen: gezielte Desinformationskampagnen, Cyberangriffe auf kritische Infrastrukturen und Versuche ausländischer Akteure, Einfluss auf politische Prozesse zu nehmen, sind heute Teil eines neuen sicherheitspolitischen Alltags. Die jüngsten Spionagevorfälle verdeutlichen, wie verletzlich unsere demokratischen Institutionen sind. Besonders im Fokus stehen dabei nachrichtendienstliche Aktivitäten autoritärer Staaten (insbesondere Russland), die gezielt versuchen, gesellschaftliche Debatten zu manipulieren, Vertrauen in staatliche Institutionen zu untergraben und politische Entscheidungsträger unter Druck zu setzen. Hervorzuheben sind in diesem Zusammenhang die wachsenden Gefahren durch Cyberangriffe. Staatliche und nichtstaatliche Angreifer greifen gezielt kritische Infrastrukturen, Verwaltungen und politische Institutionen an - mit dem Ziel, Informationen auszuspähen, Vertrauen zu erschüttern und Abläufe zu stören. Die Bedrohung aus dem Cyberraum ist längst kein Zukunftsszenario mehr, sondern eine reale Herausforderung für die innere Sicherheit und Souveränität unseres Landes. Um diesen Gefahren zu begegnen, braucht es mehr denn je starke Sicherheitsbehörden, klare politische Prioritäten und ein waches gesellschaftliches Bewusstsein. Sicherheit ist keine Selbstverständlichkeit, sondern das Ergebnis gemeinsamer Anstrengung. Die Arbeit unseres Landesverfassungsschutzes wird auch in Zukunft eine tragende Rolle spielen - nicht nur in der Beobachtung und Analyse, sondern auch in der Sensibilisierung von Verwaltung, Wirtschaft und Öffentlichkeit. Sicherheit ist ein Gemeinschaftswerk. Es braucht wache Bürgerinnen und Bürger, starke Institutionen und eine klare Haltung gegen Extremismus, Hass, Gewalt und Ausgrenzung. Der Schutz unserer Demokratie beginnt bei jedem Einzelnen - online wie offline. Ich danke allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Verfassungsschutzes Mecklenburg-Vorpommern für ihren engagierten Einsatz im Dienste unserer Demokratie. Der vorliegende Bericht ist Ausdruck ihrer täglichen Arbeit - und ein Aufruf an uns alle, weiterhin wachsam zu bleiben und unsere Demokratie entschlossen zu verteidigen. Herzlichst Ihr Christian Pegel Minister für Inneres, Bau und Digitalisierung des Landes Mecklenburg-Vorpommern 9 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern Die "Wehrhafte Demokratie" - KAPITELÜBERSICHT Auftrag und Verpflichtung des 11 Verfassungsschutzes VERFASSUNGSSCHUTZBERICHT 2024 KAPITEL 1 Auf einen Blick Radikalisierung im digitalen Zeitalter: Junge Zielgruppen im 23 Visier extremistischer Akteure 33 KAPITEL 2 KAPITEL 3 Rechtsextremismus Reichsbürger und und -terrorismus Selbstverwalter 39 77 KAPITEL 4 KAPITEL 5 Verfassungsschutzrelevante Linksextremismus Delegitimierung des Staates 87 93 KAPITEL 6 KAPITEL 7 Islamismus / Islamistischer Auslandsbezogener Terrorismus Extremismus 105 115 KAPITEL 8 KAPITEL 9 Mitwirkungsangelegenheiten, Spionageabwehr und Waffenrechtliche Erlaubnisse und hybride Bedrohungen Extremisten im öffentlichen Dienst 125 133 KAPITEL 10 KAPITEL 11 Presseund Anlagen Öffentlichkeitsarbeit 143 149 KAPITEL 12 KAPITEL 13 Kapitel 1 Die "Wehrhafte Demokratie" - Auftrag und Verpflichtung des Verfassungsschutzes Verfassungsschutz Mecklenburg-Vorpommern 1 Die "Wehrhafte Demokratie" - Auftrag und Verpflichtung des Verfassungsschutzes 1. Die "Wehrhafte Demokratie" - Auftrag und Verpflichtung des Verfassungsschutzes 1.1 Zweck des Verfassungsschutzes Der Zweck des Verfassungsschutzes ist gesetzlich geregelt und im SS 1 des Landesverfassungsschutzgesetz M-V (LVerfSchG M-V) festgeschrieben: Der Verfassungsschutz dient dem Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, des Bestandes und der Sicherheit des Bundes und der Länder. Der Verfassungsschutz ist eine entscheidende Säule der "wehrhaften Demokratie". Der Begriff der "wehrhaften Demokratie" bezeichnet eine Reihe verfassungsrechtlicher Maßnahmen, die den Kernbestand und die Grundprinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung schützen sollen (siehe Abschnitt 1.2). Er bringt zum Ausdruck, dass sich eine Demokratie gegen Bestrebungen zur Abschaffung oder Aushöhlung dieser Ordnung aktiv zur Wehr setzen darf. Der Begriff fasst eine Reihe von grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Entscheidungen zusammen, die den Kernbestand und die Grundprinzipien unserer Verfassungsordnung (siehe Abschnitt 1.2) - die freiheitliche demokratische Grundordnung - schützen sollen. Die "Wehrhafte Demokratie" ist gekennzeichnet durch: Wertegebundenheit - Der Staat bekennt sich zu Verfassungswerten, von denen Menschenwürde, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit unveränderbar sind (vgl. hierzu Artikel 79 GG) Abwehrbereitschaft - Der Staat ist bereit und verpflichtet, diese Grundwerte aktiv gegen verfassungsfeindliche Bestrebungen zu verteidigen. Vorverlagerte Gefahrenabwehr - Der Staat reagiert nicht erst bei konkreten Gesetzesverstößen, sondern beobachtet potenziell verfassungsfeindliche Aktivitäten frühzeitig, z. B. durch den Einsatz des Verfassungsschutzes. INFOBOX Die Verfassungsschutzbehörden unterscheiden zwischen "Extremismus" und "Radikalismus", obwohl beide Begriffe oft synonym verwendet werden. "Radikalismus" bezeichnet eine überzogene, zum Extremen neigende Denkund Handlungsweise, die versucht, gesellschaftliche Probleme und Konflikte bereits "von der Wurzel (lat. radix) her" zu lösen. Anders als beim "Extremismus" soll aber weder der demokratische Verfassungsstaat noch die damit verbundenen Grundprinzipien unserer Verfassungsordnung abgeschafft werden. Radikale politische Auffassungen haben in unserer pluralistischen Gesellschaftsordnung ihren legitimen Platz. Auch wer seine radikalen Zielvorstellungen realisieren will, muss nicht befürchten, dass er vom Verfassungsschutz beobachtet wird, jedenfalls nicht, solange er die Grundprinzipien unserer Verfassungsordnung anerkennt. Als extremistisch werden dagegen die Aktivitäten bezeichnet, die darauf abzielen, die Grundwerte der freiheitlichen Demokratie zu beseitigen.1 1 Definition des Bundesamtes für Verfassungsschutz: https://www.verfassungsschutz.de/DE/service/glossar/Functions/glossar.html?cms_lv2=678586; abgerufen am 28.05.2024 12 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern 1 Die "Wehrhafte Demokratie" - Auftrag und Verpflichtung des Verfassungsschutzes Der Begriff Extremismus ist im Zusammenhang mit dem Auftrag des Verfassungsschutzes als eine Ordnungskategorie zu verstehen. Der Begriff ist ein Synonym für den gesetzlich normierten Auftrag zum Sammeln und Auswerten von Daten über verfassungsfeindliche Bestrebungen. Insofern steht der Begriff Extremismus im Verlauf des hiesigen Berichtes grundsätzlich für verfassungsfeindliche Bestrebungen. Diese "Wehrhaftigkeit" ist eine Lehre aus der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft, die auf legalistischem Wege durch die Abschaffung der demokratischen Weimarer Republik entstanden ist. Die Gesellschaft ist daher aufgefordert, entschieden und entschlossen den unterschiedlichen totalitären Gefahren entgegenzutreten. Als "Frühwarnsystem" soll der Verfassungsschutz in diesem Sinne aufklären, warnen und - soweit gesetzlich erlaubt - entsprechende Gefahren erforschen. Dabei wird er unterhalb der Schwelle der konkreten Gefahr und des Anfangsverdachts einer Straftat tätig. Dies wurde durch das Bundesverfassungsgericht zum zweiten NPD-Verbotsverfahren konkretisiert.1 Ihm kommt also die Funktion eines "Seismographen" in Bezug auf Entwicklungen zu, die unsere freiheitliche demokratische Rechtsordnung und damit die Freiheit und Sicherheit der Menschen in diesem Land gefährden können. Seine Tätigkeit erstreckt sich auf entsprechende "Bestrebungen", die im Einzelnen als "Beobachtungsobjekte" festgelegt werden. Dies können rechtsextremistische Zusammenschlüsse wie Parteien oder rechtsextreme Kameradschaften, linksextremistische Gruppierungen wie gewalttätige Autonome oder islamistische Strukturen sein, die unsere Freiheit und Sicherheit bedrohen. Neben der Aufklärung extremistischer Bestrebungen obliegt dem Verfassungsschutz auch die Aufgabe, Aktivitäten ausländischer Nachrichtendienste innerhalb der Bundesrepublik Deutschland aufzuklären2. Dieser Aufgabenbereich wird als "Spionageabwehr" bezeichnet und hat vor dem Hintergrund der weltweiten Sicherheitslage in den vergangenen Jahren deutlich an Bedeutung gewonnen. Näheres zu den Aufgaben des Verfassungsschutzes finden sie im Abschnitt 1.4. Die Spionage ist Bestandteil hybrider Bedrohungen und Angriffe, denen die Bundesrepublik Deutschland und das Land Mecklenburg-Vorpommern ausgesetzt sind. Die Erkennung und Abwehr dieser Angriffe hat als Aufgabe für den Verfassungsschutz an Bedeutung gewonnen. Nähere Informationen zur Spionageabwehr und zu hybriden Bedrohungen finden Sie in Kapitel 11. Diese zuvor genannten Handlungsaufträge des Verfassungsschutzes sind verfassungsrechtlich normiert.3 Er wird auf der Grundlage des Landesverfassungsschutzgesetzes (LVerfSchG M-V)4, also mit dem Willen und im Auftrag des Landesgesetzgebers als Vertretung des Volkes, wahrgenommen und durch diesen kontrolliert. Der Verfassungsschutz ist insoweit die Bewertungsinstanz für den politischen Extremismus sowie der Spionageabwehr und Hybriden Bedrohung in Deutschland. Er ist eine eigenständige Säule innerhalb der föderalen Sicherheitsarchitektur. Die Tätigkeit des Verfassungsschutzes als Inlandsnachrichtendienst ist von der Arbeit des Bundesnachrichtendienstes (BND) zu unterscheiden. Der BND beschafft außenund sicherheitspolitisch relevante Informationen über das Ausland. Logo Bundesnachrichtendienst Das Bundesamt für den Militärischen Abschirmdienst (BAMAD) nimmt nachrichtendienstliche Aufgaben im Bereich der Bundeswehr wahr. Wappen BAMAD 1 Urteil im Verbotsverfahren gegen die "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (2 BvB 1/13) vom 17.01.2017. 2 SS 5 Abs. 1 Nr. 2 LVerfSchG M-V 3 Vgl. Artikel 73 Nummer 10 b) und c) Grundgesetz. 4 Siehe Anlage 2. 13 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern 1 Die "Wehrhafte Demokratie" - Auftrag und Verpflichtung des Verfassungsschutzes 1.2 Freiheitliche demokratische Grundordnung Der Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung (fdGO) ist Kernaufgabe der Verfassungsschutzbehörden in Bund und Ländern. Damit ist aber nicht die Verfassung bzw. das Grundgesetz (GG) in seiner Gesamtheit gemeint, sondern die unabänderlichen obersten Wertprinzipien als Kernbestand der Demokratie. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG)1 hat den Begriff der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Artikels 21 Absatz 2 Grundgesetz dahingehend konkretisiert, dass die fdGO nur jene zentralen Grundprinzipien umfasst, "die für den freiheitlichen Verfassungsstaat schlechthin unentbehrlich sind". Diese beinhalten die Menschenwürde, das Demokratieprinzip und das Rechtsstaatsprinzip. Diese fundamentalen Werte bestimmen die Gesetzgebung des Bundes und der Länder, so auch die Verfassungsschutzgesetze. Zu diesen Grundsätzen gehören gemäß Landesverfassungsschutzgesetz M-V (SS 6 Absatz 3 LVerfSchG M-V) folgende Verfassungsprinzipien: das Recht des Volkes, die Staatsgewalt in Wahlen und Abstimmungen und durch Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung auszuüben und die Volksvertretung in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl zu wählen, die Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung und die Bindung der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an Recht und Gesetz, das Recht auf Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition, die Ablösbarkeit der Regierung und ihre Verantwortlichkeit gegenüber der Volksvertretung, die Unabhängigkeit der Gerichte, der Ausschluss jeder Gewaltund Willkürherrschaft sowie die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte. Das BVerfG hat darüber hinaus klargestellt, dass auch eine Verächtlichmachung des Parlamentarismus sowie das Missachten des staatlichen Gewaltmonopols eine Beeinträchtigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung darstellen.2 Wesentliche gesetzliche Grundlagen im Überblick Für die Arbeit des Verfassungsschutzes sind, neben dem Grundgesetz und der Verfassung des Landes Mecklenburg-Vorpommern, insbesondere folgende Punkte maßgebend: Landesverfassungsschutzgesetz Mecklenburg-Vorpommern (LVerfSchG M-V) Bundesverfassungsschutzgesetz (BVerfSchG) das Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses (Artikel 10-Gesetz) das Sicherheitsüberprüfungsgesetz Mecklenburg-Vorpommern (SÜG M-V) für die Gewährleistung des materiellen und personellen Geheimschutzes 1 Vgl. Urteil im Verbotsverfahren gegen die "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (2 BvB 1/13) vom 17.01.2017. 2 Ebd. 14 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern 1 Die "Wehrhafte Demokratie" - Auftrag und Verpflichtung des Verfassungsschutzes 1.3 Verfassungsschutzverbund von Bund und Ländern Der Verfassungsschutz in der Bundesrepublik Deutschland (BRD) ist föderal organisiert. Dementsprechend existieren 17 Verfassungsschutzbehörden, also ein Bundesamt (Bundesamt für Verfassungsschutz) und 16 Landesbehörden für Verfassungsschutz (LfV). Die Verfassungsschutzbehörden der Länder sind entweder eine Abteilung des jeweiligen Innenressorts (zwölf Bundesländer) oder eine eigenständige Landesoberbehörde (vier Bundesländer). Die 17 Verfassungsschutzbehörden der Bundesrepublik Deutschland Bremen Brandenburg Hamburg Berlin Hessen Bayern Mecklenburg-Vorpommern Bundesamt für Verfassungsschutz Baden-Württemberg Thüringen Niedersachsen Schleswig-Holstein Nordrhein-Westfalen Sachsen-Anhalt Rheinland-Pfalz Sachsen Saarland Weitere Informationen zum Verfassungsschutz Mecklenburg-Vorpommern sind auf der Internetseite www.verfassungsschutz-mv.de zu finden. Der Verfassungsschutz in Mecklenburg-Vorpommern ist seit seiner Gründung 1991 eine Abteilung des Ministeriums für Inneres, Bau und Digitalisierung (Abteilung 5) und gliedert sich in sechs Referate (Referate 500 bis 540 sowie den Stab). Geheimschutzbeauftragter (GSB) Abteilungsleiter Stab des Innenministeriums M-V Referat II 500 Referat II 510 Referat II 520 Referat II 530 Referat II 540 * Allgemeine Verwaltung * Justiziariat Auswertung: Operative Beschaffung: Auswertung: * Informationstechnik * mat./pers. * Rechtsextremismus * Observation * Linksextremismus Geheimschutz * Reichsbürger und * Quellenführung * Auslandsbezogener * Datenschutz Selbstverwalter * Ermittlungen Extremismus * G10-Stelle * Delegitimierung * Islamismus * Spionageabwehr des Staates * phänomenübergreifende Auswertung Personal und Haushalt Der Verfassungsschutz MV verfügt über 128 Stellen. Laut Haushaltsplan 2024/2025 stehen dem Verfassungsschutz jeweils pro Jahr 1.660.800 EUR zur Verfügung. Personalausgaben sind darin nicht enthalten.1 1 Abrufbar unter: https://www.regierung-mv.de/Landesregierung/fm/Haushalt/Haushaltsplan/2024-2025/ 15 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern 1 Die "Wehrhafte Demokratie" - Auftrag und Verpflichtung des Verfassungsschutzes 1.4 Aufgaben des Verfassungsschutzes Das Bundesamt für Verfassungsschutz sowie die Landesbehörden für Verfassungsschutz haben, entsprechend ihres gesetzlichen Auftrages, Informationen zu sammeln und auszuwerten, insbesondere sachund personenbezogene Auskünfte, Nachrichten und Unterlagen über: Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziel haben (Beispiel: linksoder rechtsextremistische Parteien oder Organisationen), sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten im Geltungsbereich des Grundgesetzes für eine fremde Macht (sogenannte Spionageabwehr), Bestrebungen, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden (beispielhaft hierfür sind Bestrebungen aus dem Phänomenbereich "Auslandsbezogener Extremismus" wie die PKK) und Bestrebungen, die gegen den Gedanken der Völkerverständigung (Artikel 9 Absatz 2 GG) oder gegen das friedliche Zusammenleben der Völker (Artikel 26 Absatz 1 GG) gerichtet sind (als Beispiel kann hier die HAMAS genannt werden). Bestrebungen werden in SS 6 Absatz 1 Nr. 1 (LVerfSchG M-V) definiert: Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung sind solche politisch bestimmten, zielund zweckgerichteten Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluss, die darauf gerichtet sind, einen der in Absatz 3 genannten Verfassungsgrundsätze zu beseitigen oder außer Geltung zu setzen. Der Begriff "Extremismus" dient - wie oben erläutert - als Ordnungskategorie und bezeichnet Bestrebungen, die sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung richten. Beispielhaft für Bestrebungen gegen die fdGO können rechtsextremistische Parteien oder Verbindungen genannt werden. Näheres dazu im Kapitel "Rechtsextremismus und -terrorismus". Der Gesetzgeber benennt hierbei klar einen Personenzusammenschluss. Allerdings können auch Einzelpersonen eine Bestrebung im Sinne des Gesetzes darstellen. Die Verhaltensweise der Person muss auf die Anwendung von Gewalt ausgerichtet sein oder ihre Wirkungsweise ist geeignet, ein Schutzgut erheblich zu beschädigen (SS 6 Absatz 4 LVerfSchG M-V). Beispielhaft können hier Akteure aus dem Bereich "Islamistischer Terrorismus" genannt werden. Deren Ziele beinhalten häufig das alleinige Vorbereiten und Durchführen von Anschlägen (vgl. Kapitel "Islamismus / Islamistischer Terrorismus"). Diese Bestrebungen werden als sogenannte Beobachtungsobjekte bezeichnet, die auf der Grundlage der gesetzlichen Voraussetzungen bestimmt werden. Grundsätzlich erfolgt die Beobachtung in drei aufeinander aufbauenden Phasen. Damit verbunden sind die verschiedenen rechtlichen Möglichkeiten der Informationsbeschaffung (s. Kapitel 1.5) und der Weitergabe von Informationen. 16 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern 1 Die "Wehrhafte Demokratie" - Auftrag und Verpflichtung des Verfassungsschutzes Hierbei werden folgende Einstufungen vorgenommen: Erste geringe tatsächliche Anhaltspunkte Kein Einsatz von ND-Mitteln1, personenbezogene Speicherung Prüffall in NADIS WN2, keine Information der Öffentlichkeit Nachweis der extremistischen Bestrebung noch nicht erbracht, hinreichend gewichtige tatsächliche Anhaltspunkte liegen vor Einsatz von ND-Mitteln, personenbezogene Speicherung Verdachtsfall in NADIS WN, keine Information der Öffentlichkeit Tatsächliche Anhaltspunkte haben sich zur Gewissheit verdichtet Gesicherte Einsatz von ND-Mitteln, personenbezogene Speicherung extremistische bei NADIS WN, Information der Öffentlichkeit und Bestrebung Nennung im Verfassungsschutzbericht möglich Ferner wirken das Bundesamt für Verfassungsschutz und die LfV mit: bei der Sicherheitsüberprüfung von Personen, die im öffentlichen Interesse mit geheimhaltungsbedürftigen Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen betraut werden, die Zugang dazu erhalten sollen oder ihn sich verschaffen können, bei der Sicherheitsüberprüfung von Personen, die an sicherheitsempfindlichen Stellen von lebensoder verteidigungswichtigen Einrichtungen tätig sind oder sein sollen, sowie bei der Überprüfung von Personen in sonstigen gesetzlich festgelegten Fällen, bei technischen Sicherheitsmaßnahmen, die dazu dienen, im öffentlichen Interesse geheim zuhaltende Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse vor unbefugtem Zugriff zu schützen 1 ND-Mittel = nachrichtendienstliche Mittel (Erläuterung dazu finden Sie im Abschnitt 1.5) 2 Das NAchrichtenDienstliche InformationsSystem und WissensNetz (NADIS WN) ist das zentrale Hinweisund Verbundsystem der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder für Personen und Objekte. 17 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern 1 Die "Wehrhafte Demokratie" - Auftrag und Verpflichtung des Verfassungsschutzes 1.5 Informationsbeschaffung Den weitaus größten Teil ihrer Informationen (ca. 80 Prozent) gewinnen die Verfassungsschutzbehörden aus offenen, allgemein zugänglichen Quellen - also aus Mitteilungen anderer Behörden, aus dem Internet (insbesondere soziale Medien), aber auch aus Druckerzeugnissen. Die Beschäftigten der Verfassungsschutzbehörden werten öffentliche Veranstaltungen aus oder befragen Personen, die sachdienliche Hinweise geben können. Bei diesen Gesprächen treten die Beschäftigten des Verfassungsschutzes offen auf. Mit der Sammlung offenen Materials entsteht allerdings nicht immer ein vollständiges Bild. Nicht alle Extremisten bekennen sich offen zu ihrer Verfassungsfeindlichkeit oder nennen gar ihren wahren Namen. Teilweise weicht das öffentliche Auftreten vom tatsächlichen Handeln ab. Sie agieren vielfach konspirativ, veröffentlichen z. B. keine öffentliche Erklärung über ihre Ziele und Absichten oder verteilen sogar Flugblätter mit ihren verfassungsfeindlichen Überzeugungen. Um auch getarnte oder geheim gehaltene Aktivitäten beobachten zu können, ist dem Verfassungsschutz im Rahmen gesetzlich festgelegter Befugnisse und unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit der Gebrauch nachrichtendienstlicher Mittel zur Informationsgewinnung gestattet. Nach SS 10 Abs. 1 LVerfSchG M-V darf der Verfassungsschutz M-V folgende nachrichtendienstliche Mittel anwenden: 1 Inanspruchnahme von Vertrauensleuten nach Maßgabe des SS 10a, sonstigen Informanten und Gewährspersonen; 2 Einsatz von Verdeckten Mitarbeitern nach Maßgabe des SS 10a; 3 Observationen; 4 Bildaufzeichnungen (Fotografieren, Filmen und Videografieren) außerhalb des Schutzbereiches des Artikels 13 des Grundgesetzes; 5 verdeckte Ermittlungen und Befragungen; 6 verdecktes Mithören ohne Inanspruchnahme technischer Mittel; 7 verdecktes Mithören und Aufzeichnen des nicht öffentlich gesprochenen Wortes unter Einsatz technischer Mittel außerhalb des Schutzbereiches des Artikels 13 des Grundgesetzes; 8 Beobachtung des Funkverkehrs auf nicht für den allgemeinen Empfang bestimmten Kanälen; 9 Verwendung fingierter biographischer, beruflicher oder gewerblicher Angaben (Legenden) 10 Beschaffung, Herstellung und Verwendung von Tarnpapieren und Tarnkennzeichen; 11 Überwachung des Brief-, Postund Fernmeldeverkehrs nach Maßgabe des aufgrund von Artikel 10 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes erlassenen Bundesgesetzes; 12 verdecktes Beobachten und sonstiges Aufklären des Internets, ohne dass der Schutzbereich des Artikels 10 des Grundgesetzes (Brief-, Postund Fernmeldegeheimnis) berührt ist, insbesondere die verdeckte Teilnahme an den Kommunikationseinrichtungen des Internets sowie die Suche nach ihnen. 18 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern 1 Die "Wehrhafte Demokratie" - Auftrag und Verpflichtung des Verfassungsschutzes 1.6 Kontrolle Parlamentarische Kontrollkommission Ve ontr rol he rw oll c le k Ko chtli alt e nt un ri Ge gsVerfassungsschutz Mecklenburg-Vorpommern Pa Ko ed eit rla ntr ien d M chk me oll un ntli nt e ari fe sc h Öf e Kontrollorgane des Verfassungsschutzes G10-Kommission Die Arbeit des Verfassungsschutzes unterliegt strengen rechtsstaatlichen Maßstäben. Eingriffe in die Privatund Freiheitsrechte der Bürger sind den Verfassungsschutzbehörden nur auf gesetzlicher Grundlage gestattet. Damit die Bürgerinnen und Bürger darauf vertrauen können, dass die Verfassungsschutzbehörden sich an ihren gesetzlichen Auftrag und an die für die Tätigkeit geltenden Rechtsbestimmungen halten, unterliegen diese einer mehrstufigen Kontrolle: einer allgemeinen parlamentarischen Kontrolle durch die Abgeordneten des Landtages MecklenburgVorpommern auf Grundlage von Berichtspflichten des Ministers für Inneres, Bau und Digitalisierung im Rahmen von Aktuellen Stunden, Kleinen und Großen Anfragen (2024 gingen insgesamt 31 Kleine Anfragen ein) oder Petitionen und unter Umständen einem Untersuchungsausschuss, einer besonderen Kontrolle durch die Parlamentarische Kontrollkommission (PKK) des Landtages (SS 27 LVerfSchG), Postkontrollen und Telefonüberwachungen müssen durch die G 10-Kommission des Landtages vorab genehmigt werden, einer Kontrolle durch die Dienstund Fachaufsicht durch den Innenminister des Landes MecklenburgVorpommern dem Landesbeauftragten für den Datenschutz und Informationsfreiheit Mecklenburg-Vorpommern (LfDI M-V) in Bezug auf die Einhaltung von allgemeinen Datenschutzvorschriften, dem Landesrechnungshof Mecklenburg-Vorpommern (LRH M-V) in Bezug auf das Haushaltsrecht, der gerichtlichen Überprüfung seines Handelns, soweit es dafür einen Anlass gibt, sowie der kritischen Begleitung durch die Öffentlichkeit und Medien, insbesondere durch Presseanfragen. 19 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern 1 Die "Wehrhafte Demokratie" - Auftrag und Verpflichtung des Verfassungsschutzes 1.7 Verhältnis von Verfassungsschutz und Polizei Verfassungsschutz und Polizei sind auf verschiedenen Ebenen voneinander getrennt. Das Verfassungsschutzgesetz sieht dabei folgende Trennungsgebote vor: Organisatorisches Die Verfassungsschutzbehörde darf Dienststellen 1 Trennungsgebot der Polizei, Dienststellen der Polizei dürfen der Verfassungsschutzbehörde nicht angegliedert werden. (SS 2 LVerfSchG) Befugnisrechtliches Keine polizeilichen Befugnisse 2 Trennungsgebot Keine Inanspruchnahme der Polizei im Wege der Amtshilfe (SS 8 LVerfSchG) zu Maßnahmen, zu denen sie selbst nicht befugt ist Informationelles Die Übermittlung personenbezogener Daten 3 Trennungsgebot an Polizei und Staatsanwaltschaft unterliegt strengen, gesetzlich festgelegten Vorgaben. (SS 20 LVerfSchG) Verfassungsschutz und Polizeibehörden sind organisatorisch, befugnisrechtlich und informationell voneinander getrennt. Somit steht die Ausübung polizeilicher oder strafprozessualer Eingriffsbefugnisse, zum Beispiel die Durchsuchung von Personen oder Sachen, die Beschlagnahme oder Festnahme von Personen, dem Verfassungsschutz nicht zu. Halten Beschäftigte des Verfassungsschutzes ein polizeiliches Eingreifen für geboten, unterrichten sie die Polizei nach pflichtgemäßem Ermessen. Diese entscheidet, ob und ggf. wie sie in eigener Zuständigkeit tätig wird. Der Verfassungsschutz unterliegt - im Gegensatz zur Polizei und Staatsanwaltschaft - nicht dem Legalitätsprinzip, sodass seine Beschäftigten nicht in jedem Fall Strafverfolgung veranlassen müssen, wenn sie Kenntnis von einer Straftat haben. Dieses Prinzip wurde in den Entscheidungen durch das Bundesverfassungsgericht (siehe u. a. BVerfG vom 26.04.2022, 1 BvR 1619/17) konkretisiert. Die Kompetenzverteilung lässt sich im Überblick wie folgt darstellen: Polizei Verfassungsschutz Legalitätsprinzip bei Strafverfolgungsmaßnahmen, Opportunitätsprinzip Opportunitätsprinzip bei Gefahrenabwehr allgemeine Gefahrenabwehr und Strafverfolgung durch Aufklärung von Extremismus und Spionageabwehr offene und verdeckte Informationsgewinnung durch offene und verdeckte Informationsgewinnung Eingriffsbefugnisse keine polizeilichen Eingriffsbefugnisse Einsatz von Zwangsmitteln keine Zwangsmittel zulässig 20 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern 1 Die "Wehrhafte Demokratie" - Auftrag und Verpflichtung des Verfassungsschutzes INFOBOX Legalitätsprinzip und Opportunitätsprinzip Das Legalitätsprinzip beschreibt die Verpflichtung der Strafverfolgungsbehörden, bei Vorliegen des Verdachts einer Straftat von Amts wegen (auch ohne Strafanzeige), Ermittlungen aufzunehmen. Der Verfassungsschutz ist vom Strafverfolgungszwang losgelöst. Für ihn gilt das Opportunitätsprinzip. Hiernach steht die Entscheidung, ob wegen einer Straftat eingeschritten werden soll, im Ermessen. Das Opportunitätsprinzip ermöglicht dem Verfassungsschutz die weitreichende Aufklärung von extremistischen Szenen. Das Trennungsgebot bedeutet jedoch nicht, dass Polizei, Strafverfolgungsbehörden und Verfassungsschutz nicht zusammenwirken dürfen. Im Gegenteil: Im Sinne eines notwendigen ganzheitlichen Aufklärungsund Bekämpfungsansatzes extremistischer Bedrohungen ist eine informationelle Zusammenarbeit von Polizei und Verfassungsschutz im Rahmen der gesetzlichen Grundlagen unverzichtbar. Bei besonders schweren Straftaten besteht nach dem Landesverfassungsschutzgesetz M-V die Pflicht zur Informationsübermittlung durch den Verfassungsschutz MV an die Polizei bzw. Staatsanwaltschaft.1 Der Verfassungsschutz erhält daher zahlreiche Informationen von den zuständigen Staatsanwaltschaften und Polizeidienststellen. Diese sind nach SS 24 des Landesverfassungsschutzgesetzes Mecklenburg-Vorpommern (LVerfSchG M-V) verpflichtet, verfassungsschutzrelevante Informationen eigeninitiativ zu übermitteln. Diese findet sowohl in der alltäglichen Arbeit zwischen den zuständigen Dienststellen als auch institutionalisiert mit allen Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern in zwei gemeinsamen Zentren statt: Für den Bereich des islamistischen Terrorismus seit 2004 im Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ) in Berlin und für die Bereiche Rechtsund Linksextremismus seit 2012 im Gemeinsamen Extremismusund Terrorismusabwehrzentrum (GETZ) in Köln. Verfassungsschutz und Polizei aller Länder sind in den Zentren durch Verbindungsbeamte vertreten. GTAZ Gemeinsames Terrorismusabwehrzentrum GETZ Gemeinsames Extremismusund Terrorismusabwehrzentrum 1.8 Novellierung Landesverfassungsschutzgesetz Das Bundesverfassungsgericht hatte in den Jahren 2022 (1 BvR 1619/17) und 2024 (1 BvR 2133/22) Vorschriften in verschiedenen Verfassungsschutzgesetzen auf ihre Verfassungsmäßigkeit überprüft. Im Mittelpunkt standen die konkreten Anforderungen des Verhältnismäßigkeitsprinzips an die Tätigkeit des Verfassungsschutzes. Das Gericht formulierte Pflichten des Gesetzgebers, Eingriffsschwellen orientiert am verfassungsschutzspezifischen Aufklärungsbedarf und dem jeweiligen Eingriffsgewicht gesetzlich zu definieren. Als Eingriff wurde dabei nicht nur die spezielle Überwachungsmaßnahme zur Erhebung personenbezogener Daten, sondern prinzipiell auch deren Übermittlung an andere Stellen (z. B. an die Polizei) gesehen. Damit ein Eingriff in die Rechte des Einzelnen den hohen Anforderungen an die Verhältnismäßigkeit gerecht wird, ist zudem eine Vorabkontrolle durch eine externe Instanz - etwa durch einen Richter oder ein Gremium des Landtages Mecklenburg-Vorpommern - erforderlich. Auch wenn die Entscheidungen den Verfassungsschutz Mecklenburg-Vorpommern nicht unmittelbar betreffen, wird das Landesverfassungsschutzgesetz M-V (LVerfSchG M-V) dahingehend angepasst. Die Neufassung soll voraussichtlich im Jahr 2026 vom Landtag Mecklenburg-Vorpommern beschlossen werden. Bis dahin orientieren sich die aktuellen Maßnahmen an den Vorgaben der Entscheidung. 1 SS 20 LVerfSchG M-V 21 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern Die "Wehrhafte Demokratie" - KAPITELÜBERSICHT Auftrag und Verpflichtung des 11 Verfassungsschutzes VERFASSUNGSSCHUTZBERICHT 2024 KAPITEL 1 Auf einen Blick Radikalisierung im digitalen Zeitalter: Junge Zielgruppen im 23 Visier extremistischer Akteure 33 KAPITEL 2 KAPITEL 3 Rechtsextremismus Reichsbürger und und -terrorismus Selbstverwalter 39 77 KAPITEL 4 KAPITEL 5 Verfassungsschutzrelevante Linksextremismus Delegitimierung des Staates 87 93 KAPITEL 6 KAPITEL 7 Islamismus / Islamistischer Auslandsbezogener Terrorismus Extremismus 105 115 KAPITEL 8 KAPITEL 9 Mitwirkungsangelegenheiten, Spionageabwehr und Waffenrechtliche Erlaubnisse und hybride Bedrohungen Extremisten im öffentlichen Dienst 125 133 KAPITEL 10 KAPITEL 11 Presseund Anlagen Öffentlichkeitsarbeit 143 149 KAPITEL 12 KAPITEL 13 Kapitel 2 Auf einen Blick Verfassungsschutz Mecklenburg-Vorpommern 2 Auf einen Blick 2. Auf einen Blick Dieser Abschnitt bietet einen kurzen Überblick über die Situation in den verschiedenen Phänomenbereichen Mecklenburg-Vorpommerns. Außerdem erfolgt eine kurze zusammenfassende Darstellung der politisch motivierten Kriminalität. 2.1 Überblick Personenpotenzial Anteil Personenpotenzial1 je Phänomenbereich in Mecklenburg-Vorpommern2: 1,4 % " 50 " 5,0 % 54,1 % " 180 " " 1.950 " 8,2 % " 295 " 12,2 % 19,1 % " 440 " " 690 " Rechtsextremismus und -terrorismus Auslandsbezogener Extremismus Reichsbürger und Selbstverwalter Islamismus / Islamistischer Terrorismus Linksextremismus Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates ANTEIL PERSONENPOTENZIAL JE PHÄNOMENBEREICH IN MV 1 Die Zahlenangaben zum Personenpotenzial der im Bericht genannten Personenzusammenschlüsse sind zum Teil geschätzt und gerundet. Es ist darauf hinzuweisen, dass den Verfassungsschutzbehörden nicht zu allen Mitgliedern/Anhängern individuelle Erkenntnisse vorliegen und dass für Zuordnungen zu diesen Personenzusammenschlüssen, die teils auch weniger strukturiert sind, nicht ausschließlich formelle Mitgliedschaften maßgeblich sind. Es erfolgt deshalb eine individuelle Einschätzung, welche teilweise auf Erfahrungswissen beruht. 2 Prozentangaben: Prozentualer Anteil am Gesamtpersonenpotenzial aller Phänomenbereiche 24 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern 2 Auf einen Blick Personenpotenzial je Phänomenbereich in Mecklenburg-Vorpommern: 2.500 2.000 1.950 1.855 1.500 1.000 690 690 500 430 440 295 295 180 180 50 50 0 RechtsReichsbürger VerfassungsschutzLinksIslamismus / Auslandsextremismus und und Selbstrelevante extremismus Islamistischer bezogener -terrorismus verwalter Delegitimierung Terrorismus Extremismus des Staates 2023 1.855 690 50 430 180 295 2024 1.950 690 50 440 180 295 PERSONENPOTENZIAL JE PHÄNOMENBEREICH IN MV 2023 2024 2.2 Zusammenfassung der einzelnen Phänomenbereiche Rechtsextremismus und -terrorismus Der Rechtsextremismus stellte auch im Jahr 2024 die größte Bedrohung für die freiheitliche demokratische Grundordnung in Mecklenburg-Vorpommern dar. Das Personenpotenzial stieg leicht an und verteilt sich weiterhin auf ein breites Spektrum teils loser, teils gefestigter Strukturen. Neben klassischen Aktivitäten wie Musikund Kampfsportveranstaltungen wurde verstärkt auf digitale Kanäle zur Ansprache insbesondere junger Menschen gesetzt. Die Szene zeigt sich in ihrer Erscheinungsform zunehmend heterogen. Während traditionelle Organisationsformen an öffentlicher Sichtbarkeit verloren, entwickelten sich insbesondere online neue Formen der Vernetzung. Dabei traten auch Minderjährige und junge Erwachsene in Erscheinung, die sich in digitalen Gruppen zusammenschließen und ideologische Versatzstücke aufgreifen. Eine zunehmende Radikalisierung über soziale Medien wurde festgestellt. Einzelne Inhalte propagierten offen Gewalt oder richteten sich antisemitisch sowie fremdenfeindlich gegen gesellschaftliche Gruppen. Sicherheitsbehörden registrierten zudem eine erhöhte Militanz innerhalb bestimmter Teilbereiche der Szene. Ereignisse mit bundesweiter Relevanz, darunter mehrere Anschläge mit mutmaßlich islamistischem Hintergrund, wurden von rechtsextremistischen Akteuren aufgegriffen und zur Legitimation eigener Positionen instrumentalisiert. Die Szene nutzt dabei regelmäßig gesellschaftliche Krisendiskurse zur Emotionalisierung und Mobilisierung. 25 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern 2 Auf einen Blick "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" Das Personenpotenzial in Mecklenburg-Vorpommern stagnierte im Jahr 2024 und lag weiterhin bei rund 690 Personen. Die Szene blieb durch eine hohe Heterogenität mit zahlreichen Kleinund Kleinstgruppen geprägt, die zumeist ohne übergeordnete Koordination agierten. Im Zentrum stand weiterhin die fundamentale Ablehnung der staatlichen Ordnung der Bundesrepublik Deutschland. "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" beriefen sich auf ein angeblich fortbestehendes "Deutsches Reich" oder reklamierten für sich ein individuelles Selbstverwaltungsrecht. Diese ideologischen Konstrukte verbanden sich regelmäßig mit antisemitischen, geschichtsrevisionistischen und staatsfeindlichen Narrativen. Die Szene nutzte verstärkt digitale Plattformen zur Verbreitung ihrer Inhalte. Professionell gestaltete Webseiten, Podcasts und Messenger-Kanäle trugen zur Verbreitung extremistischen Gedankenguts bei. Die Inhalte richteten sich zunehmend auch an jüngere Zielgruppen. Im öffentlichen Raum trat die Szene erneut durch Behördenkonflikte, Drohschreiben und die Verwendung gefälschter Dokumente in Erscheinung. Widerstandshandlungen gegenüber hoheitlichen Maßnahmen - etwa bei Verkehrskontrollen oder Zwangsvollstreckungen - wurden dokumentiert. In mehreren Fällen kam es zu körperlichen Auseinandersetzungen. Die weiterhin hohe Waffenaffinität stellte ein erhebliches Gefährdungspotenzial dar. Ideologische und personelle Überschneidungen mit anderen extremistischen Phänomenbereichen - insbesondere mit dem Rechtsextremismus sowie dem Bereich der verfassungsschutzrelevanten Delegitimierung des Staates - nahmen weiter zu. Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates (DEL) Das Personenpotenzial im Bereich der verfassungsschutzrelevanten Delegitimierung des Staates blieb im Jahr 2024 unverändert bei 50 Personen. Die Szene war weiterhin durch eine hohe ideologische Heterogenität und das Fehlen klarer Organisationsstrukturen gekennzeichnet. Zentrale Narrative richteten sich gegen staatliche Institutionen und demokratische Prozesse, häufig verbunden mit verschwörungsideologischen Elementen. Proteste zu Themen wie Energiepolitik oder Krieg wurden punktuell aufgegriffen, ohne dass eine nachhaltige Mobilisierung oder Einflussnahme über das eigene Umfeld hinaus festzustellen war. Die Aktivitäten beschränkten sich überwiegend auf soziale Medien und vereinzelte Versammlungen. Linksextremismus Das Personenpotenzial im Linksextremismus blieb im Jahr 2024 in Mecklenburg-Vorpommern weitgehend stabil. Thematisch dominierte die Bezugnahme auf klassische Aktionsfelder wie Antifaschismus, Antirepression und Klimaschutz, wobei letzteres weniger Relevanz für die Szene entfaltete. Internationale Konflikte, insbesondere der Krieg in der Ukraine und der Nahostkonflikt, sorgten innerhalb der Szene für ideologische Irritationen und Uneinigkeit. Ein steuernder oder prägender Einfluss auf Protestbewegungen konnte nicht festgestellt werden. Gewalt blieb ein zentrales Ausdrucksmittel innerhalb militanter Teile der Szene. Insbesondere Polizeikräfte wurden regelmäßig zum Ziel linksextremistisch motivierter Angriffe. Gleich zeitig setzten sich Unterstützungsstrukturen - etwa durch die "Rote Hilfe e. V." - für beschuldigte Aktivisten ein und trugen so zur Verfestigung gewaltakzeptierender Haltungen bei. 26 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern 2 Auf einen Blick Islamismus / Islamistischer Terrorismus Das islamistische Personenpotenzial in Mecklenburg-Vorpommern lag im Jahr 2024 weiterhin bei rund 180 Personen. Die Szene war von salafistischen Einflüssen geprägt und agierte vorwiegend in losen Netzwerken sowie als Einzelpersonen. Eine öffentliche Sichtbarkeit war kaum gegeben. Regionale Schwerpunkte lagen in Rostock und Güstrow. Islamistische Akteure nutzten vermehrt digitale Plattformen zur Verbreitung religiös-extremistischer Inhalte. Dabei war ein strategischer Versuch erkennbar, insbesondere junge Menschen durch niedrigschwellige Themen an radikale Botschaften heranzuführen. In Einzelfällen wurden ideologische Bindungen durch Alltagsberatungen und religiöse Orientierung gefestigt. Auch im Jahr 2024 ging die größte Gefahr im Bereich des islamistischen Terrorismus von Einzeltätern aus. Dies zeigte sich bundesweit durch die Anschläge in Mannheim am 31. Mai 2024 und in Solingen am 23. August 2024. Die Täter handelten jeweils allein; nach aktuellem Ermittlungsstand bestand in beiden Fällen eine zumindest ideologische Nähe zur Terrororganisation "Islamischer Staat" (IS). Ein Ableger des IS, die Gruppierung "Islamischer Staat Provinz Khorasan" (ISPK), ist zudem für einen Anschlag auf ein Rockkonzert am 22. März 2024 in der russischen Stadt Krasnogorsk bei Moskau verantwortlich. Bei dem Angriff wurden 144 Menschen getötet. Die Anschläge in Deutschland und Russland unterstreichen die weiterhin bestehende Gefährdungslage durch den internationalen islamistischen Terrorismus. In Mecklenburg-Vorpommern waren HAMAS-Sympathiebekundungen im digitalen Raum feststellbar. Öffentliche Aktivitäten mit direktem Bezug zur Organisation blieben aus. Auslandsbezogener Extremismus Das Personenpotenzial im Bereich des auslandsbezogenen Extremismus blieb in Mecklenburg-Vorpommern im Jahr 2024 unverändert bei unter 295 Personen. Schwerpunkt der Beobachtung war weiterhin die "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK), die mit etwa 270 Anhängern im Land vertreten ist. Die Organisation verfügt über einen hierarchisch strukturierten Funktionärsapparat und nutzt Deutschland als Rückzugsraum zur Finanzierung und Propagandaunterstützung. Öffentliche Aktivitäten der PKK blieben im Land begrenzt. Dennoch gelang es, für überregionale Veranstaltungen eine beträchtliche Zahl an Sympathisanten zu mobilisieren. In Rostock fanden kleinere Demonstrationen statt, die auf kurdische Anliegen aufmerksam machten. Ein steuernder Einfluss auf die politische Meinungsbildung war daraus jedoch nicht abzuleiten. Im Zuge propalästinensischer Proteste nach dem Terroranschlag der HAMAS auf Israel am 7. Oktober 2023 kam es auch in Mecklenburg-Vorpommern zu einzelnen Demonstrationen, bei denen israelkritische Positionen geäußert wurden. Die Schwelle zum offenen Antisemitismus wurde dabei nicht überschritten. Spionage, Sabotage und Hybride Bedrohungen Die Bundesrepublik Deutschland und damit auch Mecklenburg-Vorpommern standen 2024 weiterhin im Fokus fremder Nachrichtendienste. Insbesondere Russland, China, der Iran und die Türkei verfolgten gezielte Aktivitäten im Bereich Spionage, Proliferation und Cyberangriffe. Russland blieb dabei der prioritäre Akteur mit hoher operativer Intensität, insbesondere im Kontext des Ukrainekriegs. 27 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern 2 Auf einen Blick Neben klassischer Spionage zur Informationsabschöpfung in Wirtschaft, Wissenschaft und Politik rückten auch hybride Bedrohungen stärker in den Fokus. Diese umfassen unter anderem Cyberangriffe, Desinformationskampagnen und die gezielte Schwächung staatlicher Institutionen. Die hybride Bedrohungslage hat sich seit Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine nochmals verschärft. Zur Koordinierung entsprechender Gegenmaßnahmen richtete Mecklenburg-Vorpommern im Jahr 2024 einen Single Point of Contact (SPOC) für hybride Bedrohungen beim Verfassungsschutz ein. Er dient als zentrale Ansprechstelle für Informationsaustausch und Koordination zwischen Bund, Land und Kommunen. Auch der Bereich Wirtschaftsschutz wurde im Berichtsjahr personell und inhaltlich ausgebaut. Ziel ist die Sensibilisierung und Beratung von Unternehmen und Forschungseinrichtungen zur Prävention von Spionageund Sabotageaktivitäten, insbesondere im Bereich kritischer Infrastrukturen. 2.3 Straftatenaufkommen (Politisch motivierte Kriminalität) Der Verfassungsschutz ist im Vorfeld der Aufklärung von Straftaten tätig. Zur umfassenden Bewertung der Extremismuslage ist die Einbeziehung der polizeilich erfassten Fälle politisch motivierter Kriminalität (PMK) wichtig, da sich in diesen Taten extremistische Gefahrensituationen verwirklicht haben. Gesamtzahl Für das Jahr 2024 hat das Landeskriminalamt Mecklenburg-Vorpommern (LKA MV) insgesamt 3.317 Fälle der Politisch motivierten Kriminalität erfasst. Dies stellt im Vergleich zum Vorjahr (1.902) einen Anstieg um 1.415 Fälle (+74,7 %) dar. Auch bundesweit nahm die Zahl der Straftaten mit PMK-Bezug zu. Die Zahl der Straftaten erhöhte sich von 60.028 im Jahr 2023 auf 84.172 im Jahr 2024, was einem Anstieg von 40,2 % entspricht. Der Anteil von politisch motivierten Straftaten in MV an den bundesweiten Straftaten beträgt insgesamt 3,9 %. Im vergangenen Jahr lag der Anteil bei 3,2 %. Das Land Mecklenburg-Vorpommern hat einen Anteil von 1,90 % an der Gesamtbevölkerung der Bundesrepublik Deutschland. Ein Vergleich der beiden prozentualen Anteile verdeutlicht die besondere Lage des Extremismusgeschehens in MV. 3.500 3.317 3.000 2.500 2.184 2.000 1.902 1.500 1.369 1.000 734 500 361 304 168 33 28 16 22 0 Straftaten PMK PMK PMK PMK PMK gesamt -rechts-links-religiöse Ideologie-ausländische Ideologie-sonstige ZuordnungPMK MECKLENBURG-VORPOMMERN MV 2023 MV 2024 28 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern 2 Auf einen Blick 90.000 84.127 80.000 70.000 60.028 60.000 50.000 42.788 40.000 30.000 28.945 22.193 20.000 16.678 9.971 10.000 7.777 7.343 5.170 1.458 1.877 0 Straftaten PMK PMK PMK PMK PMK gesamt -rechts-links-religiöse Ideologie-ausländische Ideologie-sonstige ZuordnungPMK BUND Bund 2023 Bund 2024 PMK -rechtsIm Bereich der PMK -rechtsist in MV ein Anstieg um +59,5 % feststellbar (2023: 1.369 / 2024: 2.184). Der Bereich wird von sogenannten Propagandadelikten, wie dem Zeigen von verfassungsfeindlichen Symbolen und Gesten (z. B. "Hitler-Gruß") nach SS 86a StGB, dominiert. 2023 wurden 933 Straftaten registriert. 2024 gab es einen Anstieg um +58,2 % auf 1.476 registrierte Straftaten. Ein ähnlicher Trend ist für den Bund feststellbar. Dort stieg die Anzahl der Straftaten im Phänomenbereich rechts von 28.945 (2023) auf 42.788 (2024) und somit um +47,83 %. Auch hier dominierten Propagandadelikte mit einem Anteil von 61,5 % an den Gesamtstraftaten. Der Anteil der PMK -rechtsin MV an den bundesweiten Straftaten beträgt insgesamt 5,1 %. Im Vorjahr lag der Anteil bei 4,7 %. PMK -linksBei der Erfassung von Straftaten in MV im Zusammenhang mit PMK -linksist ein Anstieg um +114,9 % erkennbar. Im Jahr 2023 wurden 168 Straftaten erfasst. 2024 waren es 361. Schwerpunkt der Straftaten waren mit insgesamt 198 Fällen Sachbeschädigungen. Im Bereich der PMK -linkserfolgt auf Bundesebene ein ähnlicher Trend, auch wenn der Anstieg hier deutlich geringer ausfällt. Bundesweit ist ebenfalls ein Anstieg der PMK -linksum +28,21 % auf 9.971 Straftaten zu konstatieren. Auch hier sind Sachbeschädigungen mit einem Anteil von 52,7 % ein Schwerpunkt (2023: 3.981 / 2024: 5.253). Der Anteil der PMK -linksin MV an den bundesweiten Straftaten beträgt insgesamt 3,6 % (2023: 2,2 %). 29 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern 2 Auf einen Blick PMK -ausländische/religiöse IdeologieIm Phänomenbereich PMK -religiöse Ideologiewurden 16 Straftaten für das Jahr 2024 verzeichnet (2023: 28), was einen Rückgang um -42,9 % bedeutet. Der Rückgang ist durch den Anstieg im Vorjahr erklärbar, der auf bundesweit versendete Bombendrohungen per E-Mail an öffentlichen Schulen und Einrichtungen zurückzuführen war. Bundesweit wurden 2024 1.877 Straftaten registriert. Im Vergleich zum Vorjahr ist dies ein Anstieg um +28,74 % (2023: 1.458). Der Anteil MV an den bundesweiten Straftaten im Bereich -religiöse Ideologiebeträgt 0,9 % (2023: 1,92 %). Im Phänomenbereich PMK -ausländische Ideologiesanken im Jahr 2024 ebenfalls die Fallzahlen auf 22 (2023: 33), also um -33,3 %. Bundesweit stiegen die Straftaten um +42,03 % (2023: 5.170 / 2024: 7.343). Der Anteil von MV an den bundesweiten Straftaten beträgt somit lediglich 0,3 % (2023: 0,6 %). PMK -sonstige ZuordnungPolitisch motivierte Straftaten, die sich keinem der oben genannten "klassischen" Phänomenbereiche zuordnen lassen, werden als PMK -sonstige Zuordnungerfasst. Dies können bspw. Straftaten im Zusammenhang mit Demonstrationen, Wahlen oder dem Nahost-Konflikt sein. Aufgrund der Themenzusammenhänge Bundestagswahl und Nahost-Konflikt ist im vergangenen Jahr ein deutlicher Anstieg der Fallzahlen bei den Sachbeschädigungen (2023: 50 / 2024: 275), den Beleidigungen (2023: 75 / 2024: 152) sowie den Propagandadelikten (2023: 40 / 2024. 72) feststellbar. Insgesamt stieg die Anzahl festgestellter Straftaten in MV deutlich um +141,4 % von 304 (2023) auf 734 (2024). Auch auf Bundesebene nahm die Zahl der Straftaten zu, wenn auch nicht so deutlich. Hier stiegen die Straftaten von 16.678 (2023) auf 22.193 (2024), also um +33,07 %. Der Anteil der PMK -sonstige Zuordnungin MV an den bundesweiten Straftaten beträgt insgesamt somit 3,3 % (2023: 1,8 %). Antisemitische Straftaten Der Angriff der HAMAS auf Israel wirkte sich auf die Sicherheitslage in MV aus und führte zu einem besonderen Anstieg bei den antisemitischen Straftaten im Jahr 2023. Auch im Jahr 2024 konnte kein Rückgang in diesem Phänomenbereich verzeichnet werden. Die Anzahl antisemitischer Straftaten in MV stieg im Jahr 2024 um 4,2 % auf 124. 2023 waren es 115 Straftaten. Der überwiegende Teil dieser Straftaten fällt in den Bereich PMK -rechts(109). Auch auf Bundesebene nahm die Zahl antisemitischer Straftaten zu. 2023 wurden bundesweit 5.164 Straftaten erfasst. Im Jahr 2024 betrug die Anzahl 6.236, was einen Anstieg um +20,76 % bedeutet. Den größten Anteil dabei hatten die Bereiche PMK -rechtsund -ausländische Ideologie-. Im letztgenannten Bereich stiegen die Straftaten von 1.186 (2023) auf 1.940 (2024). Die größte Zunahme von +172,5 % wurde hingegen im Bereich PMK -linksregistriert (2023: 40 / 2024: 109). Der Anteil antisemitischer Straftaten in MV an den bundesweiten Straftaten beträgt insgesamt 2,0 % (2023: 2,2 %). Eine tabellarische Übersicht des LKA MV zu der PMK befindet sich in den Anlagen (Kapitel 14.4). Die aktuelle Statistik zur PMK in Deutschland finden Sie auf der Seite des Bundesministeriums des Innern und für Heimat (www.bmi.bund.de). 30 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern 2 Auf einen Blick Gemeinsam die Verfassung schützen Verfassungsschutz Mecklenburg-Vorpommern 31 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern Die "Wehrhafte Demokratie" - KAPITELÜBERSICHT Auftrag und Verpflichtung des 11 Verfassungsschutzes VERFASSUNGSSCHUTZBERICHT 2024 KAPITEL 1 Auf einen Blick Radikalisierung im digitalen Zeitalter: Junge Zielgruppen im 23 Visier extremistischer Akteure 33 KAPITEL 2 KAPITEL 3 Rechtsextremismus Reichsbürger und und -terrorismus Selbstverwalter 39 77 KAPITEL 4 KAPITEL 5 Verfassungsschutzrelevante Linksextremismus Delegitimierung des Staates 87 93 KAPITEL 6 KAPITEL 7 Islamismus / Islamistischer Auslandsbezogener Terrorismus Extremismus 105 115 KAPITEL 8 KAPITEL 9 Mitwirkungsangelegenheiten, Spionageabwehr und Waffenrechtliche Erlaubnisse und hybride Bedrohungen Extremisten im öffentlichen Dienst 125 133 KAPITEL 10 KAPITEL 11 Presseund Anlagen Öffentlichkeitsarbeit 143 149 KAPITEL 12 KAPITEL 13 Kapitel 3 Radikalisierung im digitalen Zeitalter: Junge Zielgruppen im Visier extremistischer Akteure Verfassungsschutz Mecklenburg-Vorpommern 3 Radikalisierung im digitalen Zeitalter: Junge Zielgruppen im Visier extremistischer Akteure 3. Radikalisierung im digitalen Zeitalter: Junge Zielgruppen im Visier extremistischer Akteure 3.1 Allgemeines Soziale Medien sind im Alltag junger Menschen fest verankert. Die nahezu ständige Verfügbarkeit digitaler Inhalte eröffnet viele Chancen - birgt aber auch erhebliche Risiken. Extremistische Akteure haben diese Entwicklung frühzeitig erkannt und nutzen digitale Plattformen gezielt, um ihre Weltbilder zu verbreiten und insbesondere junge Menschen für ihre Zwecke zu gewinnen. Während staatlich gesteuerte Desinformationskampagnen bereits im Kapitel "Spionage und hybride Bedrohungen" behandelt werden, konzentriert sich dieses Kapitel auf nichtstaatliche extremistische Gruppierungen und deren strategische Nutzung sozialer Medien. Dabei ist die zunehmende Reichweite extremistischer Inhalte ein zentrales Problem. Mit vergleichsweise geringem Aufwand gelingt es den Akteuren, gesellschaftliche oder politische Ereignisse ideologisch aufzuladen und in einem extremistischen Sinne zu deuten. Besonders besorgniserregend ist, dass viele dieser Botschaften gezielt Unsicherheiten junger Menschen ansprechen und dabei ein Narrativ von Bedrohung, Kontrollverlust und Widerstand erzeugen. Auf diese Weise fördern sie ein antidemokratisches Weltbild, das im Extremfall die Legitimität des demokratischen Staates infrage stellt und Gewalt als Mittel des politischen Ausdrucks bejaht. In den sozialen Netzwerken kann sich so eine Gegenkultur herausbilden, die radikale Standpunkte normalisiert, sich selbst als "alternativ" zum bestehenden System versteht und teilweise offen zu Handlungen außerhalb des rechtlichen Rahmens aufruft. 3.2 Radikalisierungsprozesse Radikalisierung ist ein hochindividueller Prozess, der durch verschiedene persönliche, soziale und gesellschaftliche Faktoren beeinflusst wird. Dabei ist es hilfreich, zwischen radikalen und extremistischen Haltungen zu unterscheiden. Radikale Positionen bewegen sich grundsätzlich noch im Rahmen des demokratischen Diskurses. Extremistische Haltungen hingegen verlassen diesen Rahmen bewusst, lehnen die freiheitliche demokratische Grundordnung ab und legitimieren oftmals Gewalt. Es gibt zahlreiche Theorien zur Erklärung von Radikalisierung - darunter psychologische, soziologische und gesellschaftstheoretische Ansätze. Keine dieser Theorien kann den Prozess jedoch abschließend erklären. Der Verfassungsschutz Mecklenburg-Vorpommern berücksichtigt daher ein mehrdimensionales Modell, das individuelle wie strukturelle Einflüsse einbezieht. Dabei werden wissenschaftliche Erkenntnisse mit den eigenen Beobachtungen des Verfassungsschutzes MV aus den jeweiligen Phänomenbereichen verknüpft. Auslöser für eine Radikalisierung können kritische Lebensereignisse sein, etwa der Verlust von Anerkennung, Diskriminierung oder familiäre Probleme. In Kombination mit bestimmten Persönlichkeitsmerkmalen - wie geringer Frustrationstoleranz oder einem Bedürfnis nach Zugehörigkeit - können diese Erfahrungen die Anfälligkeit für radikale Ideologien deutlich erhöhen. Besonders soziale Medien bieten hier einen niedrigschwelligen Zugang: Sie erlauben die schnelle Vernetzung mit Gleichgesinnten, bieten ein Gefühl von Zugehörigkeit und verstärken bestehende Einstellungen durch algorithmisch gesteuerte Echokammern (siehe ergänzend nachfolgende Grafik). Innerhalb solcher digitalen Gruppen entsteht oft ein geschlossenes Weltbild, das alternative Sichtweisen delegitimiert. Die Betroffenen sehen sich zunehmend als Teil einer auserwählten Gemeinschaft mit einer besonderen Mission. Dieser Prozess kann bis zur vollständigen Ablehnung demokratischer Werte und zur Bereitschaft führen, politisch motivierte Gewalt auszuüben. Verlagern sich digitale Gruppen in die reale Welt, können gemeinsame Aktivitäten wie das geschlossene Auftreten in der Öffentlichkeit mit uniformähnlicher Bekleidung oder auch die Teilnahme an Demonstrationen das bestehende "Wir-Gefühl" zusätzlich stärken. 34 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern 3 Radikalisierung im digitalen Zeitalter: Junge Zielgruppen im Visier extremistischer Akteure Ungünstige Persönlichkeitsmerkmale Neigung zu "Schwarz-Weiß" Denken Geringe Frustrationstoleranz Mangelhafte Problemlösungsstrategien PROZESS Ungünstige Umweltfaktoren Führt zu Chronische Krisen Mangel an Erfolgserlebnissen RADIKALISIERUNG Diskriminierungserleben Erhöhte Vulnerabilität Gewaltbereitschaft Hoffnungslosigkeit Offenheit für extreme "Lösungen" Kritische Ereignisse Führt zu Scheitern von Beziehungen Verlust der Arbeit Verlust nahestehender Personen Radikalisierungsprozess PHASE 1 PHASE 4 "Ideologische Öffnung" "Extremismus" In dieser Phase beginnt die Person, extreme In der finalen Phase sind die radikalisierten Ansichten in Betracht zu ziehen. Hier findet Überzeugungen so tief verwurzelt, dass es zu der erste Kontakt zu radikalen Ideen statt, oft gewalttätigen Handlungen oder der aktiven durch das Internet oder geschlossene Gruppen. Unterstützung von Extremismus kommt. Kennzeichnend ist ein wachsendes Misstrauen gegenüber der Gesellschaft und die Suche nach einer klaren Weltanschauung. PHASE 2 PHASE 3 "Verstärkter Kontakt mit Gleichgesinnten" "Verhärtung der Überzeugungen" Über soziale Medien oder persönliche Kontakte Es entstehen feste, nicht mehr hinterfragbare kommt es zu einer zunehmenden Bestätigung Überzeugungen. Die Person nimmt nur der radikalen Ideologie. Die Person fühlt sich noch Informationen wahr, die die eigene innerhalb der Gruppe unterstützt und bestätigt. Sichtweise unterstützen. Außenstehende werden als Gegner betrachtet. Die Meinungen werden stärker polarisiert und differenzieren sich immer mehr In dieser Phase wird die Bereitschaft für gewaltsame von der Mehrheit der Gesellschaft. oder extremistische Handlungen häufig stärker. 35 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern 3 Radikalisierung im digitalen Zeitalter: Junge Zielgruppen im Visier extremistischer Akteure Auch wenn Radikalisierung in der Regel als individueller Prozess verläuft, äußert sie sich zunehmend in sichtbaren kollektiven Erscheinungsformen - etwa in Form digital vernetzter Gruppen, öffentlichkeitswirksamer Aktionen oder koordinierter Kampagnen. Diese extern sichtbaren Aktivitäten lassen nicht in jedem Fall Rückschlüsse auf den inneren Radikalisierungsgrad Einzelner zu, sie markieren jedoch die organisatorische und ideologische Weiterentwicklung extremistischer Milieus. In den folgenden Abschnitten werden daher Entwicklungen in verschiedenen Extremismusbereichen dargestellt, die exemplarisch zeigen, wie sich ideologische Radikalisierung mit neuen Mobilisierungsformen - insbesondere im digitalen Raum - verbindet. 3.3 Rechtsextremistische Jugendgruppierungen Im Jahr 2024 wurde eine neue Ausprägung rechtsextremistischer Jugendgruppierungen sichtbar. Minderjährige, teils unter 14 Jahren, formierten sich in sozialen Netzwerken zu digital vernetzten Gruppen, in denen rechtsextremistische Inhalte ausgetauscht und gemeinsame Aktionen organisiert wurden. Dabei wurde ein Revival klassischer äußerer Erkennungsmerkmale aus den 1990er-Jahren beobachtet - darunter Bomberjacken, Glatzen und Springerstiefel. Die Gruppen traten oft unter dem Namen "Jung und Stark" oder vergleichbaren Bezeichnungen auf und waren bundesweit sowie regional aktiv. Viele der Jugendlichen weisen zwar noch kein geschlossenes rechtsextremistisches Weltbild auf, bedienen sich aber verschiedener ideologischer Versatzstücke der rechtsextremistischen Szene. Im Vordergrund stehen derzeit die Einbindung in eine Peer-Group, ein Gefühl von Zugehörigkeit und eine erlebte Aktionsfähigkeit. Die zentralen Inhalte richten sich dabei insbesondere gegen die Menschenwürde - vor allem in Bezug auf Migranten und die LGBTQIA+-Bewegung - sowie gegen politische Gegner, etwa die linksextremistische Szene und deren Veranstaltungen. Die Gruppen sind überwiegend über soziale Medien und Messenger-Dienste organisiert, aber auch deutlich im öffentlichen Raum präsent. Sie bestehen in der Regel aus einem kleinen festen Kern und sind darüber hinaus fluide und in ihrer Größe variabel. Die Stärke örtlich agierender Gruppen schwankt zwischen einer mittleren einstelligen Zahl und etwa einem Dutzend Akteuren. Sie sind im gesamten Land Mecklenburg-Vorpommern festzustellen. Durch die spezifischen Vernetzungsmöglichkeiten digitaler Plattformen ist eine schnelle und spontane Mobilisierung - auch von Sympathisanten - möglich, vereinzelt bis in den unteren dreistelligen Bereich. Die niedrige Einstiegsschwelle erlaubt es zudem, auch Personen ohne vorherige Szeneerfahrung anzusprechen und einzubinden. Erkenntnisse über eine zentrale überörtliche Steuerung dieser Gruppen liegen derzeit nicht vor. Gleichwohl beobachtet der Verfassungsschutz, dass etablierte rechtsextremistische Strukturen gezielt in diese Jugendgruppen einsickern, etwa bei Demonstrationen oder Aktionen, um Kontakt aufzunehmen, ideologischen Einfluss auszuüben und eine Anbindung an die organisierte Szene herzustellen. Die klassische Szene betrachtet die Jugendlichen zwar nicht als "gefestigt", erkennt jedoch deren Potenzial für zukünftige Rekrutierungen. 3.4 Islamistische Online-Mobilisierung Auch im Bereich des Islamismus ist eine verstärkte Nutzung sozialer Medien zur Verbreitung extremistischer Inhalte zu beobachten. Plattformen wie TikTok, Telegram oder Instagram dienen islamistischen Akteuren dazu, ihre Ideologie subtil und angepasst an jugendliche Zielgruppen zu verbreiten. Offen ausgesprochene Gewaltaufrufe sind seltener geworden, da restriktivere Plattformrichtlinien greifen. Stattdessen setzen islamistische Influencer zunehmend auf emotionale und gesellschaftsnahe Inhalte, die ein alternatives Wertesystem vermitteln sollen. 36 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern 3 Radikalisierung im digitalen Zeitalter: Junge Zielgruppen im Visier extremistischer Akteure Zentrale Botschaften werden dabei religiös legitimiert und auf eine Weise dargestellt, die einfache Antworten auf komplexe Fragen versprechen. Das Gefühl, Teil einer spirituell überlegenen Gemeinschaft zu sein, ist ein starker Anziehungspunkt - besonders für Jugendliche in Sinnkrisen oder mit einem Gefühl der Ausgrenzung. In diesen Fällen kann die ideologische Bindung schleichend, aber tiefgreifend erfolgen. Die islamistische Propaganda ist flexibel und wird fortlaufend an digitale Kommunikationsgewohnheiten angepasst, um maximale Reichweite zu erzielen. 3.5 Linksextremismus und soziale Medien Auch linksextremistische Gruppen nutzen soziale Medien strategisch, um Inhalte zu verbreiten, Veranstaltungen zu organisieren und sich mit Gleichgesinnten zu vernetzen. Besonders Instagram dient als Plattform für visuelle Selbstdarstellung, Symbolik und Reichweitenerzeugung. Dabei werden gesellschaftliche Themen wie Klimaschutz, soziale Gerechtigkeit oder Antirassismus aufgegriffen und mit extremistischen Narrativen verknüpft. Näheres hierzu finden Sie im Kapitel Linksextremismus. Beispielhaft ist die Gruppierung "Rote Jugend Rostock", die sich als kommunistische Jugendorganisation versteht und regelmäßig über Aktionen, Treffen und politische Inhalte berichtet. Neben klassischen kommunistischen Themen steht auch die Vernetzung mit autonomen und antifaschistischen Gruppen im Fokus. Die Mitglieder treten auch bewusst uniformiert oder martialisch auf, um Geschlossenheit zu demonstrieren und neue Anhänger zu gewinnen. 3.6 Fazit Radikalisierung stellt eine komplexe und reale Bedrohung für den gesellschaftlichen Zusammenhalt und die öffentliche Sicherheit dar. Dabei handelt es sich in der Regel um individuelle Prozesse, die schrittweise verlaufen und durch persönliche wie gesellschaftliche Faktoren beeinflusst werden. Besonders junge Menschen sind gefährdet, da sie über soziale Medien leicht Zugang zu extremistischen Inhalten finden und sich mit Gleichgesinnten vernetzen können. Extremistische Akteure nutzen digitale Plattformen gezielt, um ihre Weltbilder zu verbreiten, ideologische Bindungen herzustellen und Mobilisierungspotenziale auszuschöpfen. Dies geschieht zunehmend über niedrigschwellige, visuell aufbereitete Inhalte, die auf emotionale Ansprechbarkeit - Radikalisierung Quelle: Bundesamt für Verfassungsschutz und gesellschaftliche Verunsicherung zielen. Sichtbare Aktivitäten - etwa Versammlungen, digitale Gruppenbildungen oder Online-Kampagnen - spiegeln nicht zwangsläufig den Radikalisierungsgrad einzelner Beteiligter wider. Sie markieren jedoch eine relevante Eskalationsstufe innerhalb extremistischer Milieus, da sie ideologische Verfestigung, organisatorische Struktur und konkrete Handlungsbereitschaft erkennen lassen. Der Verfassungsschutz beobachtet diese Entwicklungen mit hoher Aufmerksamkeit und arbeitet eng mit zivilgesellschaftlichen Partnern zusammen, um frühzeitig präventiv tätig zu werden. Programme wie "Demokratie und Toleranz gemeinsam stärken!" sowie die Bildungsarbeit der Landeszentrale für politische Bildung und des Verfassungsschutzes MV leisten hierbei einen entscheidenden Beitrag. 37 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern Die "Wehrhafte Demokratie" - KAPITELÜBERSICHT Auftrag und Verpflichtung des 11 Verfassungsschutzes VERFASSUNGSSCHUTZBERICHT 2024 KAPITEL 1 Auf einen Blick Radikalisierung im digitalen Zeitalter: Junge Zielgruppen im 23 Visier extremistischer Akteure 33 KAPITEL 2 KAPITEL 3 Rechtsextremismus Reichsbürger und und -terrorismus Selbstverwalter 39 77 KAPITEL 4 KAPITEL 5 Verfassungsschutzrelevante Linksextremismus Delegitimierung des Staates 87 93 KAPITEL 6 KAPITEL 7 Islamismus / Islamistischer Auslandsbezogener Terrorismus Extremismus 105 115 KAPITEL 8 KAPITEL 9 Mitwirkungsangelegenheiten, Spionageabwehr und Waffenrechtliche Erlaubnisse und hybride Bedrohungen Extremisten im öffentlichen Dienst 125 133 KAPITEL 10 KAPITEL 11 Presseund Anlagen Öffentlichkeitsarbeit 143 149 KAPITEL 12 KAPITEL 13 Kapitel 4 Rechtsextremismus und -terrorismus Verfassungsschutz Mecklenburg-Vorpommern 4 Rechtsextremismus und -terrorismus 4. Rechtsextremismus und -terrorismus 4.1 Lageüberblick Der Rechtsextremismus stellt auch im Jahr 2024 die größte Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung in Mecklenburg-Vorpommern dar. Dies zeigt sich insbesondere in der gestiegenen und gleichzeitig hohen Zahl rechtsextremistischer Gewaltstraftaten, in der fortschreitenden ideologischen Radikalisierung und Vernetzung innerhalb der Szene sowie der dauerhaften Agitation gegen demokratische Institutionen. Hinzu kommt, dass das rechtsextremistische Personenpotenzial mit einem Anteil von 54 Prozent den größten Anteil am gesamten extremistischen Personenpotenzial im Land ausmacht. INFOBOX Rechtsextremisten lehnen die freiheitliche demokratische Grundordnung mit ihren zentralen Prinzipien - Menschenwürde, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit - ab. Der Rechtsextremismus ist ideologisch heterogen und verfügt über kein einheitliches Konzept. Neonazistische Parteien, Organisationen und Einzelpersonen beziehen sich auf die Ideologie des historischen Nationalsozialismus. Diese Verbundenheit zeigt sich häufig in der Verwendung nationalsozialistischer Symbole, der positiven Bewertung des Nationalsozialismus und seiner führenden Repräsentanten oder der Leugnung der von den Nationalsozialisten begangenen Verbrechen. Protagonisten der Neuen Rechten distanzieren sich dagegen aus strategischen Gründen bewusst von diesem Weltbild der Alten Rechten. Ein zentrales Merkmal aller rechtsextremistischen Strömungen ist die Vorstellung, dass der Wert eines Menschen von seiner Ethnie, Nationalität, geografischen Herkunft oder vermeintlichen "Rasse" abhängt. Auf Basis dieser Ideologie entwickeln Rechtsextremisten politische Konzepte, die eine strikte Exklusion sowie die weitgehende Ungleichbehandlung oder willkürliche Diskriminierung vermeintlich ethnisch Nichtdeutscher propagieren. Typische Elemente rechtsextremistischer Agitation sind: Nationalismus Muslimfeindlichkeit Rassismus Antisemitismus Ethnopluralismus Geschichtsrevisionismus Fremdenfeindlichkeit Demokratiefeindlichkeit Diese müssen nicht in Summe für die Bewertung als rechtsextremistische Bestrebung vorliegen. (Vgl. hierzu auch das Glossar in der Anlage zu den Begriffen Rechtsextremismus, Neonationalsozialismus und Neue Rechte.) Im vergangenen Jahr war der Phänomenbereich von einer neuen, jungen Generation von Rechtsextremisten geprägt. Eine Entwicklung, die sich nicht nur in sozialen Medien zeigte, sondern auch durch zahlreiche reale Treffen, bei denen die teils minderjährigen Jugendlichen geschlossen Auftreten und sich auch zu Versammlungen zusammenfanden. 40 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern 4 Rechtsextremismus und -terrorismus Durch die Interaktion mit rechtsextremistischen Gruppen, Kanälen oder Gleichgesinnten bewegen sich Nutzer sozialer Medien zunehmend in Echokammern. Ihre Überzeugungen werden dort häufig bestätigt und verstärkt. Dies kann zu einer Ignoranz gegenüber abweichenden Informationen führen und Radikalisierungsprozesse im digitalen Raum begünstigen. Diese, vom eigenen Meinungsbild abweichenden Informationen, werden bewusst vermieden oder nur bestätigend für die eigene Auffassung beigezogen. In Teilen der rechtsextremistischen Szene - insbesondere unter jungen Akteuren - ist so wohl in sozialen Netzwerken als auch auf einschlägigen Internetplattformen eine Verrohung der Sprache, das Verbreiten extremer Gewaltfantasien sowie die Zurschaustellung von Gewalt zu beobachten. Die frühzeitige Erkennung solcher Radikalisierungsprozesse - bei Einzelpersonen wie auch in Gruppen - ist entscheidend, um potenzielle Gewalttaten zu verhindern. Dies stellte auch im Jahr 2024 bundesweit eine der größten Herausforderungen für die Sicherheitsbehörden dar. Rechtsextremistische Parteien und Gruppierungen sehen in Jugendlichen ein besonders hohes Mobilisierungspotenzial. Sie versuchen, die eigene Ideologie langfristig zu etablieren, indem sie gezielt auf die Bedürfnisse der jungen Zielgruppe eingehen. Die Ideologie wird dabei durch Erlebnisformate wie sportliche Wettkämpfe, Wanderungen, Vorträge und interne Kampfsportveranstaltungen beworben. Diese Strategie hat sich in den letzten Jahren intensiviert und wird vom Verfassungsschutz in Mecklenburg-Vorpommern genau beobachtet. Im Jahr 2024 verstärkten sich die bereits bekannten Verbindungen zwischen einzelnen Personen aus der rechtsextremistischen Szene und der Rockerszene in Mecklenburg-Vorpommern. Der Verfassungsschutz MV konnte vermehrt Vernetzungsbestrebungen zwischen beiden Szenen feststellen. Ein zentrales Ziel der Rechtsextremisten bleibt der Anschluss an demokratisch-bürgerliche Kreise. Beispielhaft kann der legitime Protest der Landwirte, insbesondere am Schwerpunktprotesttag am 8. Januar 2024 sowie in der darauffolgenden Aktionswoche genannt werden. Es ist zwar keine maßgebliche Einflussnahme von Extremisten festgestellt worden, dennoch nutzten einzelne Personen und Gruppierungen in MecklenburgVorpommern den Bauernprotest als Anlass, extremistische Inhalte in den gesellschaftlichen Diskurs einzubringen. Im Berichtszeitraum des Jahres 2024 sorgten mehrere (bundesweite) Anschläge für teils massive Reaktionen der rechtsextremistischen Szene. Hervorzuheben sind dabei: der Messerangriff auf Michael Stürzenberger sowie auf einen dadurch verstorbenen Polizisten am 31. Mai 2024 im Vorfeld einer Kundgebung der Bürgerbewegung Pax Europa (BPE) in Mannheim, der Anschlag am 23. August 2024 in Solingen mit drei Toten und mehreren Verletzten, der Anschlag am 20. Dezember 2024 auf den Weihnachtsmarkt in Magdeburg mit sechs Todesopfern und mehreren hundert Verletzten. In diesem Zusammenhang machten Angehörige der Szene die Bundesregierung für sämtliche (Terror-)Anschläge auf deutschem Boden verantwortlich und sprachen teils offene Drohungen aus. Rechtsextremisten vertraten die Auffassung, eine sogenannte 'Remigration' - einschließlich der Abschiebung oder Ausweisung auch deutscher Staatsangehöriger mit Migrationshintergrund - hätte solche Anschläge verhindern können. Die Taten wurden somit direkt mit der Flüchtlingspolitik verknüpft, wodurch politische Entscheidungsträger unmittelbar für die Gewalttaten verantwortlich gemacht wurden. Vereinzelt waren in diesem Zusammenhang auch strafrechtlich relevante Äußerungen zu beobachten. Konkrete Ankündigungen von Vergeltungstaten oder anderen Straftaten wurden jedoch nicht festgestellt. Sowohl im parteigebundenen als auch im subkulturellen Rechtsextremismus stellt das ideologiestiftende Thema "Migration" weiterhin einen zentralen Anknüpfungspunkt an gesellschaftliche Debatten dar. Im Berichtszeitraum wurde unter anderem der Sturz der syrischen Regierung im Dezember 2024 durch rechtsextremistische Akteure aufgegriffen, um eigene ideologische Positionen in den öffentlichen Diskurs einzubringen. Dabei wurde insbesondere die für den Rechtsextremismus charakteristische Fremdenfeindlichkeit verbreitetet. 41 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern 4 Rechtsextremismus und -terrorismus 4.2 Personenpotenzial Rechtsextremismuspotenzial1 MV MV Bund Bund nach Organisationsgrad 2023 2024 2023 2024 in Parteien 285 335 16.300 25.000 Die Heimat (ehemals NPD) 1502 1503 2.800 2.500 nicht gesondert "DIE RECHTE" 5 5 300 ausgewiesen "Der III. Weg" 30 35 800 950 nicht gesondert nicht gesondert Neue Stärke Partei 20 25 ausgewiesen ausgewiesen nicht gesondert nicht gesondert nicht gesondert Junge Alternative Mecklenburg-Vorpommern 20 ausgewiesen ausgewiesen ausgewiesen in parteiunabhängigen bzw. 820 800 8.500 8.500 parteiungebundenen Strukturen4 weitgehend unstrukturiertes 750 815 17.000 18.000 rechtsextremistisches Personenpotenzial Gesamt5 1.855 1.950 40.600 50.250 davon gewaltorientierte Rechtsextremisten 730 700 14.500 15.300 4.3 Militanter Rechtsextremismus und -terrorismus Im Jahr 2024 lag der Fokus des Verfassungsschutzes Mecklenburg-Vorpommern auf der Beobachtung militanter rechtsextremistischer Strukturen und Einzelpersonen. Besonders im digitalen Raum wurde eine Zunahme an radikalen, gewaltverherrlichenden Äußerungen festgestellt - häufig getragen von jungen Erwachsenen oder sogar Minderjährigen (siehe auch Kapitel 3.3). Diese Radikalisierung wird unter anderem durch Verschwörungserzählungen wie den sogenannten "Großen Austausch" (engl. "Great Reset") befördert, die antisemitische Narrative bedienen. Dies ist eine Grundannahme im rechtsextremistischen Akzelerationismus. Ein Teil der Szene orientiert sich am rechtsextremistischen Akzelerationismus, der Gewalt gezielt als Mittel zur Destabilisierung der liberalen Demokratie einsetzt. In entsprechenden Online-Foren kommt es zur Glorifizierung rechtsterroristischer Attentäter sowie zur Diskussion über eigene Gewaltabsichten. Die teils anonymen, international vernetzten Gruppen agieren in digitalen Echokammern. 1 Alle Zahlen sind Rundungswerte. 2 davon 15 "Junge Nationalisten" (JN). 3 davon 15 "Junge Nationalisten" (JN). 4 Hierunter wird unter anderem das Personenpotenzial neonazistischer Personenzusammenschlüsse sowie von Organisationen der Neuen Rechten einschl. der "Identitären Bewegung Deutschland e. V." (IBD gefasst. 5 Zahl nach Abzug von Mehrfachmitgliedschaften. 42 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern 4 Rechtsextremismus und -terrorismus INFOBOX Großer Austausch / Great-Reset In verschiedenen extremistischen Bereichen wird der Ausdruck "Great Reset" für angebliche Weltherrschaftspläne einer allmächtigen finanziellen und politischen Elite verwendet, die angeblich hinter der Pandemie stecke und diese für ihre Ziele benutze. Diese Elite strebe eine neue Weltordnung an und durch vermeintlich geplante Massenmigration würde die Bevölkerung z. B. in Deutschland ausgetauscht werden. Häufig werden prominente globale Vertreter aus Wirtschaft und Politik als Köpfe dieser Verschwörung diffamiert und bedroht. Die Verschwörungstheorie ist stark antisemitisch geprägt und bedient alte Stereotypen einer jüdischen Weltverschwörung. Akzelerationismus (lat. accelerare "beschleunigen") im Rechtsextremismus Im rechtsextremistischen Akzelerationismus besteht die Annahme, dass die westliche Zivilisation in ihrer jetzigen Form dem Untergang geweiht und ein Rassenkrieg unausweichlich sei. Eine Entwicklung, die es zu beschleunigen gelte, bevor die "weiße" Bevölkerung weiter dezimiert werde. In diesem Kontext verübte weltweite Attentate zielen darauf ab, eine Gewaltspirale von Reaktion und Gegenreaktion in Gang zu setzen, die sich immer schneller dreht und irgendwann das "System", also die liberale Demokratie, in ihren Fliehkräften zerreißen soll.1 Die besondere Herausforderung für die Verfassungsschutzbehörden besteht darin, dass es keine festen Strukturen und Gruppierungen im herkömmlichen Sinne gibt. Menschen aus den verschiedensten Regionen in Deutschland - und teilweise sogar aus unterschiedlichen Ländern - versammeln sich auf Online-Plattformen. Zudem ist eine zunehmende Beschäftigung mit dem Thema Bewaffnung zu beobachten - sowohl legal als auch illegal, etwa über 3D-Druck. Diese - teilweise weltweite - Entwicklung ist auch in Mecklenburg-Vorpommern festzustellen. Einzelpersonen greifen auch die zuvor geschilderten Positionen auf. 4.4 Verbindungen der Rockerszene zu Rechtsextremisten Als Rocker werden Personen bezeichnet, die sich als Gruppe zusammengeschlossen haben, untereinander eine enge hierarchische Bindung pflegen und zumeist nicht oder nur im geringen Maße mit der Polizei kooperieren. Sie agieren nach eigens geschaffenen strengen Regeln und Satzungen. Ihre Zugehörigkeit zur Gruppe wird meist durch das Tragen einheitlicher Kleidung - wie Kutten - und Abzeichen nach außen präsentiert. Das ursprünglich obligatorische Motorradfahren, das in der Bezeichnung MC (Motorcycle Club) seinen Niederschlag findet, hat jedoch in den letzten Jahren nachgelassen. Polizeilich relevante Rockergruppierungen wie die Hells Angels Motorcycle Club (HAMC), Bandidos MC (BMC), Outlaws MC (OMC) und Gremium MC (GMC) werden als Outlaw Motorcycle Gangs (OMCG) bezeichnet. Dazu gehören ebenfalls die Unterstützergruppen (Supporterclubs). 1 https://www.verfassungsschutz.de/SharedDocs/glossareintraege/DE/A/akzelerationismus-rechtsextremistisch.html, 24.01.2025, 09:16 Uhr 43 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern 4 Rechtsextremismus und -terrorismus Rockergruppierungen gelten in der Regel als unpolitisch und fallen daher gemäß dem Landesverfassungsschutzgesetz Mecklenburg-Vorpommern (LVerfSchG M-V) grundsätzlich nicht in den Aufgabenbereich der Verfassungsschutzbehörde des Landes. Gleichwohl bestehen in Teilbereichen Überschneidungen zwischen der Rockerszene und rechtsextremistischen Strukturen. Meist handelt es sich um Personen, die aus der rechtsextremistischen Szene in die Rockerszene gewechselt sind, ohne ihre rechtsextreme Weltanschauung aufzugeben. Die persönlichen Kontakte zur rechtsextremen Szene bestehen fort und gemeinsame Aktivitäten werden weiterhin durchgeführt. Darüber hinaus sind auch geschäftliche Verflechtungen zwischen den beiden Szenen vorhanden. Beide verfügen über weitreichende wirtschaftliche Netzwerke, die wechselseitig genutzt werden. Die strenge hierarchische Gliederung, das Erscheinungsbild und die Organisationsstruktur der Rockergruppierungen werden von vielen Gruppierungen im Bereich der parteiungebundenen rechtsextremistischen Strukturen kopiert. Beispielhaft können hier die Verwendung von internen Rockerbezeichnungen wie Supporter oder Prospect und das Tragen von einheitlicher Kleidung wie Kutten mit Abzeichen als Zugehörigkeitsmerkmal der Mitglieder zu einer Gruppierung genannt werden. Die Gruppierung "Huskalar MC Stralsund" kann hier exemplarisch genannt werden. Diese Überschneidungen zwischen der rechtsextremistischen Szene und der Rockerszene, insbesondere wenn sich rechtsextremistische Bestrebungen z. B. durch Aktivitäten oder eine erhebliche Anzahl von Rechtsextremisten in Rockerstrukturen entwickeln, fallen in den Aufgabenbereich der Verfassungsschutzbehörde Mecklenburg-Vorpommerns (SS 5 Abs.1 Nr. 1 LVerfSchG M-V) und werden dementsprechend beobachtet. In Mecklenburg-Vorpommern wird eine wachsende Überschneidung der beiden Szenen wahrgenommen. Hinsichtlich des bestehenden Gefahrenpotenzials durch Rockergruppierungen, welches schwerpunktmäßig im Bereich der Gewaltkriminalität sowie bei Verstößen gegen das Betäubungsmittelgesetz (BtMG) und das Waffengesetz (WaffG) liegt, richtet die Verfassungsschutzbehörde Mecklenburg-Vorpommerns ihren Fokus auch gezielt auf die Einflussnahme der Rockerszene auf die rechtsextremistischen Gruppen. 4.5 Trefforte der rechtsextremistischen Szene Die rechtsextremistische Szene agiert überwiegend verdeckt und nutzt für ihre Aktivitäten - darunter Konzerte, Liederabende, interne Treffen, Vortragsveranstaltungen, Vernetzungsformate, Kampfsporteinheiten sowie sogenannte Kameradschaftsabende - größtenteils abgelegene und schwer einsehbare Trefforte. Aufgrund der infrastrukturellen Gegebenheiten in Mecklenburg-Vorpommern handelt es sich dabei häufig um ehemalige Anlagen der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaften (LPG), nicht mehr genutzte Gewerbeobjekte wie frühere Kaufhallen und Lagerhallen, umgebaute Garagenkomplexe, Kleingartenparzellen sowie private Immobilien. Diese Objekte wurden teils eigens mit Blick auf die Durchführung rechtsextremistischer Veranstaltungen nach außen hin baulich abgeschirmt. Aufgrund staatlicher Maßnahmen gelingt es der rechtsextremistischen Szene zunehmend seltener, geeignete Immobilien zu erwerben oder anzumieten. Infolgedessen weichen Akteure verstärkt auf öffentliche Räume aus, um sich zu treffen oder Aktivitäten durchzuführen. So finden beispielsweise Kampfsporttrainings oder andere sportliche Übungen auf öffentlichen Plätzen statt - unter anderem an Seen oder sogar auf Kinderspielplätzen. Ein Beispiel hierfür sind die Aktivitäten der Partei "Der III. Weg". Weitere Informationen dazu finden Sie im Kapitel 4.12. Daneben nutzt die Szene auch offen bekannte Objekte für ihre Zwecke. Beispielhaft ist hier das "Haus Jugendstil" in Anklam (Landkreis Vorpommern-Greifswald) zu nennen. Es dient der rechtsextremistischen Partei "Die Heimat" als Sitz des Landesverbandes und wird darüber hinaus von parteiungebundenen rechtsextremistischen Strukturen als Ausgangspunkt politischer Aktionen sowie als überregional bekannter Veranstaltungsort genutzt. 44 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern 4 Rechtsextremismus und -terrorismus 4.6 Rechtsextremistische Subkultur - weitgehend unstrukturiertes rechtsextremistisches Personenpotenzial Rechtsextreme Subkulturen treten vor allem durch politisch motivierte, fremdenfeindliche und antisemitische Straftaten in Erscheinung. Dazu gehört zum Beispiel das Zeigen verbotener Symbole wie Hakenkreuze oder SS-Runen sowie das Aussprechen rassistischer oder antisemitischer Beleidigungen - in manchen Fällen auch verbunden mit Gewalt. Solche Aktivitäten finden heute nicht mehr nur auf der Straße statt. Die Aktivitäten der rechtsextremen Szene haben sich in den vergangenen Jahren zunehmend ins Internet verlagert. Dort tauschen sie sich aus, vernetzen sich und organisieren ihre Treffen oder Aktionen. Die rechtsextremistische Subkultur hat sich seit Jahren zunehmend in den virtuellen Raum verlagert. Diese Entwicklung ist zwar nicht neu, führt jedoch dazu, dass das Beobachtungsfeld für den Verfassungsschutz kontinuierlich größer und komplexer wird. Die rechtsextremistische Subkultur setzt sich aus einzelnen Personen zusammen, die allein oder in kleinen, losen, örtlichen Strukturen agieren. Eine politisch ausgeprägte Motivation für eigene politische Aktionen oder auch eine Teilhabe am regionalen/überregionalen Politikgeschehen ist kaum vorhanden. Jedoch ist ein hohes Mobilisierungspotenzial für Aktionen der rechtsextremistischen Szene gegeben. Dabei liegt der Fokus auf der Teilnahme an rechtsextremistischen Konzerten, Kampfsportveranstaltungen sowie an Versammlungen und Demonstrationen. Beispielhaft können hier Kampfsportevents, die dem Kampf der Nibelungen1 nachempfunden sind, der jährliche Trauermarsch am 8. Mai in Demmin und der wiederkehrende Gedenkmarsch im Februar in Dresden genannt werden. Oft dient diese Subkultur auch als Einstieg in größere, organisierte rechtsextreme Gruppen. Vor allem bei großen Musikoder Kampfsportveranstaltungen versucht die Szene gezielt, neue Anhänger zu gewinnen - insbesondere für den Bereich des parteiunabhängigen Rechtsextremismus. 4.7 Parteiunabhängige bzw. parteiungebundene rechtsextremistische Strukturen - Neonazis INFOBOX Rechtsextremistische Kameradschaften Unter dem Begriff "Kameradschaften" werden in der Regel lokale neonazistische Gruppierungen verstanden. Sie umfassen meist etwa 10 bis 20 Mitglieder und sind, im Gegensatz zu den Cliquen der subkulturell geprägten rechtsextremistischen Szene, deutlich durch den Willen zu politischer Aktivität geprägt. Obwohl sie meist nur schwache vereinsähnliche Strukturen aufweisen, sind sie durch eine verbindliche Funktionsverteilung dennoch deutlich strukturiert. Mitglieder von Kameradschaften rechnen sich in der Regel den neonazistisch geprägten sogenannten "Freien Nationalisten" zu. Neonationalsozialismus/Neonazismus Der Neonationalsozialismus bezieht sich auf die Weltanschauung des "Dritten Reiches" und macht diese zur Grundlage seiner politischen Ziele. Elementare Bestandteile dieser Weltanschauung sind Rassismus und Nationalismus sowie die Forderung nach einem autoritären "Führerstaat" unter Ausschaltung der Gewaltenteilung. 1 Der "Kampf der Nibelungen" ist die größte und renommierteste europäische Kampfsportveranstaltung der rechtsextremistischen Szene. Sie wurde seit 2013 jedes Jahr durchgeführt und fand letztmalig am 13. Oktober 2018 ebenfalls in Ostritz (Sachsen) statt. Rund 850 Rechtsextremisten aus dem gesamten Bundesgebiet sowie aus Bulgarien, Frankreich, Griechenland, Österreich, Polen, Russland, der Schweiz, Tschechien, der Ukraine und den USA nahmen an der Veranstaltung teil. In der Szene war die Veranstaltung wegen ihrer professionellen Organisation und Durchführung auf großen Anklang gestoßen. Quelle: https://www.verfassungsschutz.de/SharedDocs/kurzmeldungen/DE/2019/verbot-einerveranstaltung-des-kampfsportformats-kampf-der-nibelungen.html 45 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern 4 Rechtsextremismus und -terrorismus Der bedeutendste und auch größte Anteil des rechtsextremistischen Personenpotenzials in MecklenburgVorpommern ist in Kameradschaften, Bruderschaften, Aktionsgruppen und ähnlichen Strukturen eingebunden. Es handelt sich hier um parteiungebundene Strukturen, die unterschiedlich straff organisiert und zum größten Teil untereinander vernetzt sind. In ihrer Größe und Reichweite unterscheiden sie sich insofern, dass einige nur örtlich vernetzt und aktionsorientiert sind, während andere eine überörtliche, z. T. sogar deutschlandweite Vernetzung zu anderen rechtsextremistischen Strukturen pflegen und ihre Aktivitäten dementsprechend mehr Reichweite entfalten. Trotz dieser Unterschiede eint sie eine gemeinsa me ideologische Ausrichtung: Sie lehnen die freiheitlich-demokratische Grundordnung ab und berufen sich in ihrer Haltung auf Kernelemente einer nationalsozialistischen Ideologie, insbesondere Nationalismus, Rassismus und Antisemitismus. Die Vernetzung der rechtsextremistischen Szene (wie bereits im Kapitel 4.6 beschrieben) hat schon immer einen hohen Stellenwert eingenommen und bleibt auch weiterhin eines der angestrebten Ziele in der Szene. Sie erfolgt über Musikund Kampfsportveranstaltungen und weitere politische Aktionen wie Demonstrationen (z. B. am 8. Mai in Demmin: Teilnahme des "Kameradschaftsbund Bargischow" und der "Bruderschaft Grimmen") und Aufmärsche. Dabei stehen die gegenseitige Unterstützung bei Veranstaltungen und die Rekrutierung neuer Mitglieder stark im Vordergrund Ein weiterer Aspekt ist die wirtschaftliche Vernetzung innerhalb der Szene. Insbesondere im handwerklichen Bereich entstehen geschlossene Strukturen, innerhalb derer sich Angehörige der Szene gegenseitig unterstützen. Der Aufbau von parteiunabhängigen rechtsextremistischen Gruppierungen lehnt sich oft an die internen Strukturen von Rockerclubs an. So wird auf eine enge soziale Bindung innerhalb der Gruppierung und die damit verbundene Kontrolle der Mitglieder Wert gelegt. Eine Teilnahme an internen Veranstaltungen, wie Kameradschaftsabenden und politischen Bildungsveranstaltungen - z. B. Vortragsreihen - ist oft verpflichtend und wird bei Verstoß geahndet. Auch das Tragen von einheitlichen Kleidungsstücken mit einem Logo oder Kutten mit Abzeichen, wie bei Rockern, führt zu einer stärkeren Bindung der einzelnen Personen an die Gruppierung. - K.B.A. Pommern - Jacke - - "Bruderschaft Grimmen - Pullover - - "Aryan Warriors" Pommern - Pullover - - "Aryan Warriors" Pommern - Kutte - 46 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern 4 Rechtsextremismus und -terrorismus Aktive Gruppierungen im Berichtszeitraum 2 1 4 3 6 5 4 Vorpommern-Greifswald Die abgebildete Karte zeigt einen Auszug der rechtsextremistischen Gruppierungen, Nationales Bündnis Löcknitz die im Berichtszeitraum aktiv waren. Kameradschaftsbund Anklam Kameradschaftsbund Bargischow 1 Rostock Kameradschaft Borken Aryan Warriors Rostocker Division Arischer Widerstandbund 2 Vorpommern-Rügen 5 Mecklenburgische Seenplatte Bruderschaft Grimmen Aktionsgruppe F.i.e.L. Pommern Huskarlar MC Stralsund Kollektiv Seenplatte 3 Nordwestmecklenburg 6 Landkreis Rostock Aktionsgruppe F.i.e.L. Mecklenburg Kameradschaft Güstrow Dorfgemeinschaft Jamel Freiheitliches Bündnis Güstrow Wählergemeinschaft Heimat Bützower Jungs 47 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern 4 Rechtsextremismus und -terrorismus - Sporttag im Landkreis Wittenberg Quelle: Homepage Der III. Weg 4.8 Kampfsport im Rechtsextremismus Im Rechtsextremismus ist Kampfsport das zentrale Mittel, um sich auf die Auseinandersetzung mit potenziellen Gegnern wie linken/linksextremistischen Personen und Gruppierungen sowie der Polizei vorzubereiten. Er wird jedoch auch im Zusammenhang mit einem übertriebenen Körperkult und der Vorbereitung auf den "Tag X" betrieben. Mit den überhöht dargestellten Tugenden Mut, Härte, Disziplin und Tapferkeit knüpft der Kampfsport in der rechtsextremistischen Szene ideologisch an das nationalsozialistische Weltbild des Dritten Reiches an. Mitglieder der Partei "Der III. Weg" veröffentlichen in den sozialen Medien regelmäßig Bilder von sogenannten "Trainingseinheiten", die an öffentlichen Orten wie Seen oder Spielplätzen stattfinden. Durch ein uniformiertes und kampfbereites Auftreten sollen dabei bestimmte ideologische Tugenden wie Disziplin, Stärke und Einsatzbereitschaft vermittelt werden. Näheres finden Sie im Kapitel 4.12. In diesem Zusammenhang kommt der "körperlichen Ertüchtigung" eine besondere Bedeutung zu. Beispielhaft ist der sogenannte Tollensemarsch vom 24. Februar 2024 zu nennen, an dem Angehörige der "Jungen Nationalisten" und des "III. Weges" teilnahmen. Auch hier dient die demonstrative Zurschaustellung sportlicher Aktivitäten - ähnlich wie beim Kampfsport - der propagandistischen Darstellung von Stärke und Durchhaltevermögen. INFOBOX Tag X Der "Tag X" beschreibt zunächst einen unbekannten Kalendertag. In extremistischen Milieus gilt dieser Tag allerdings als Tag des Zusammenbruches der bestehenden Ordnung, also des Staates. Einige Akteure, insbesondere aus dem Bereich Reichsbürger und Selbstverwalter, erwarten, dass dieser Tag zwangsläufig ohne ein eigenes Zutun eintritt. Es existiert allerdings keine einheitliche Definition, ab wann der "Tag X" eintritt und in welcher Form. Es werden daher hauptsächlich eigene Definitionen verwendet. Die willkürliche Auslegung des "Tag X" (jeder Extremist kann jederzeit den "Tag X" für sich ausrufen), die damit einhergehende Unberechenbarkeit und die gewaltorientierten Vorbereitungshandlungen machen eine sorgfältige und frühzeitige Erkennung der davon ausgehenden Gefahren notwendig. Manche Rechtsextremisten verfolgen das Ziel, diesen Tag aktiv mit Gewalthandlungen herbeizuführen und bereiten sich insbesondere durch Kampfsportund Waffentrainings darauf vor. Die Teilnahme von Rechtsextremisten aus Mecklenburg-Vorpommern an verschiedenen rechtsextremistischen Kampfsportveranstaltungen und deren daraus resultierenden Vernetzungsbestrebungen innerhalb der rechtsextremistischen Szene sowie die Teilnahme von Rechtsextremisten als Kämpfer und Zuschauer an öffentlichen nicht extremistischen Kampfsportveranstaltungen in Mecklenburg-Vorpommern werden seitens der Verfassungsschutzbehörde Mecklenburg-Vorpommerns beobachtet. Eine extremistische Einflussnahme auf öffentliche nicht extremistische Kampfsportveranstaltungen in MV ist bisher nicht erfolgt. 48 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern 4 Rechtsextremismus und -terrorismus 4.9 Neonazistisch geprägte Veranstaltungen und Aktionen Geschichtliche Ereignisse und Gedenktage, insbesondere mit Bezug zur Zeit des Nationalsozialismus, sind nach wie vor für die rechtsextremistische Szene bedeutende Termine. Die Erinnerung z. B. an den Jahrestag des Todes von Rudolf Hess oder das sogenannte Dresden-Gedenken bieten der Szene die Gelegenheit, den eigenen Geschichtsrevisionismus in die Öffentlichkeit zu tragen und somit Verbrechen und Verbrecher des Nationalsozialismus zu relativieren, umzudeuten oder zu verharmlosen. Gleichzeitig hat die Szene zu diesen festen Terminen die Möglichkeit, sich im Bundesgebiet weiter zu vernetzen und auszutauschen. Auch im Jahr 2024 konnte erneut beobachtet werden, dass die neonazistische Szene in Mecklenburg-Vorpommern Aktionen an spezifischen Gedenktagen durchführte oder sich bundesweit an Veranstaltungen beteiligte. Hervorzuheben ist insbesondere der 8. Mai in Demmin, an dem 2024 ca. 250 Rechtsextremisten teilnahmen. - 8.5.2024 "Trauermarsch" in Demmin Quelle: www.pixelarchiv.org INFOBOX 8. Mai - Ende des Zweiten Weltkrieges in Europa In der rechtsextremistischen Szene wird der 8. Mai nicht als Tag der Befreiung vom Nationalsozialismus, sondern als ein dunkler Tag in der Geschichte des deutschen Volkes gesehen. Rechtsextremisten gedenken an diesem Tag ausschließlich der deutschen Opfer des Krieges z. B. in Form von "Trauermärschen" und "Kranzniederlegungen" unter dem Motto: "Kein Grund zum Feiern". Die größte öffentliche Resonanz entfaltet insoweit das jährliche Demonstrationsgeschehen in Demmin. Die Diskussion um die Bewertung des 8. Mai 1945 ist grundsätzlich von der Meinungsfreiheit gedeckt, Rechtsextremisten nutzen diese allerdings, um ein geschichtsrevisionistisches und ein den Nationalsozialismus verherrlichendes Weltbild zu kultivieren. 49 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern 4 Rechtsextremismus und -terrorismus - Teilnehmer am Dresden-Gedenken Quelle: www.pixelarchiv.org INFOBOX Dresden-Gedenken In der rechtsextremistischen Szene wird der Zeitraum vom 13. - 15. Februar als "Gedenktage an die Toten der angloamerikanischen Bombenangriffe" gesehen. Dieser Angriff wird in der Szene häufig als "Bombenholocaust" bezeichnet und verharmlost damit abfällig den Holocaust. Jedes Jahr findet daher in Dresden ein "Gedenkmarsch" statt, an dem sich Rechtsextremisten aus dem gesamten Bundesgebiet in Dresden beteiligen. Im Jahr 2024 haben an dem Gedenkmarsch zum 79. Jahrestag bis zu 1.000 Personen der rechtsextremistischen Szene teilgenommen. Aus MV nahmen Angehörige der "Bruderschaft Grimmen" und der "Kameradschaft Güstrow" teil. Insbesondere das bereits erwähnte Dresden-Gedenken bietet der Szene die Möglichkeit, die Toten des Bombardements propagandistisch zu missbrauchen und deren Opferzahl künstlich zu überhöhen. Völlig unberücksichtigt bleibt hierbei der Aspekt, dass die Bombardierung Dresdens eine Folge des Weltkrieges war, der durch Adolf Hitler und das nationalsozialistische Deutschland ausgelöst wurde. Die damaligen Opfer werden darüber hinaus unter dem Hinweis auf eine verfehlte Einwanderungspolitik mit den Toten gleichgesetzt, die durch Angriffe illegaler Migranten in jüngster Vergangenheit ums Leben kamen. Dies schlägt für Rechtsextremisten die Brücke bis in die heutige Zeit und befeuert das Narrativ der Deutschen als "Opfervolk". 4.10 Rechtsextremistische Musikveranstaltungen Die Musikszene bleibt ein wichtiger Bestandteil des Rechtsextremismus in Deutschland. Besonders rechtsextremistische Musikveranstaltungen spielen eine wesentliche Rolle bei der Rekrutierung und Bindung von Anhängern. Der Besuch von Konzerten gehört für viele Mitglieder der Szene weiterhin zur traditionellen "Erlebniskultur". Die szenetypische Musik, das häufig durch Tätowierungen und spezielle Kleidung geprägte äußere Erscheinungsbild sowie der damit verbundene Lebensstil bilden die gemeinsamen Merkmale. Dabei werden 50 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern 4 Rechtsextremismus und -terrorismus offen oder verdeckt rechtsextremistische Feindbilder und ideologische Fragmente in Liedtexten verbreitet, wodurch entsprechende Denkmuster geformt und gefestigt werden. Stilistisch greift die rechtsextremistische Szene nicht nur auf klassischen Rechtsrock zurück, sondern bedient sich auch Volksliedern aus der Zeit des Nationalsozialismus, deutschspra chigem Rap sowie umgedichteten Liedern aus der Popmusik. Ziel ist es, damit ein möglichst breites Publikum anzusprechen - sowohl bei Konzerten/Liederabenden als auch in den sozialen Medien. Besonders durch das gemeinschaftliche Erleben von Live-Musikveranstaltungen wird ein starkes Identitätsund Zusammengehörigkeitsgefühl erzeugt. Diese Veranstaltungen tragen maßgeblich zur Finanzierung der rechtsextremistischen Szene bei. Inzwischen finden vermehrt Liederabende und kleinere Live-Musik-Events statt. Aufgrund des hohen staatlichen Repressionsdrucks verzichtet die Szene weiterhin auf Musik-Großveranstaltungen. - Live-Musikveranstaltung Quelle: Bundesamt für Verfassungsschutz INFOBOX Definition Musikveranstaltungen Bei Musikveranstaltungen wird zwischen "Konzerten", "Liederabenden" und "sonstigen Veranstaltungen mit Live-Musikdarbietungen" unterschieden. Bei den "sonstigen Veranstaltungen" handelt es sich um Treffen von Rechtsextremisten, bei denen die Musikdarbietung nicht den Hauptzweck der Veranstaltung darstellt. Beispiele hierfür sind Parteiveranstaltungen, Vorträge sowie interne Szenefeiern, insbesondere Geburtstagsfeiern. Im Gegensatz zu Konzerten und Liederabenden werden diese nicht als Musikveranstaltungen erfasst. Feiern ohne Live-Musik fließen ebenfalls nicht in die Statistik ein. 51 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern 4 Rechtsextremismus und -terrorismus In Mecklenburg-Vorpommern sind im Jahr 2024 acht rechtsextremistische Musikveranstaltungen bekannt geworden, was einen leichten Anstieg im Vergleich zum Vorjahr (fünf Musikveranstaltungen) darstellt. Am 15. Juni 2024 und am 16. November 2024 wurden in einem bekannten Szeneobjekt in Salchow, im Landkreis Vorpommern-Greifswald, Konzerte mit rechtsextremistischen Bands veranstaltet, die jeweils über 200 Teilnehmer anzogen. Im Landkreis Ludwigslust-Parchim wurde am 21. September 2024 ein Liederabend mit zwei Liedermachern organisiert, zu dem etwa 35 Personen kamen. Außerdem fand am 14. Juni 2024 im Landkreis VorpommernGreifswald ein Liederabend mit einem Liedermacher statt, an dem etwa 60 Personen teilnahmen. Zusätzlich gab es vier Veranstaltungen mit Live-Musik, zwei davon im Landkreis Vorpommern-Greifswald, und zwar am 9. März 2024 sowie am 18. Mai 2024. Im Landkreis Mecklenburgische Seenplatte wurden am 4. Juli 2024 und am 9. November 2024 jeweils Live-Musik-Veranstaltungen mit etwa 40 bzw. 50 Teilnehmern durchgeführt. Bei den bekannt gewordenen Konzerten und Liederabenden traten häufig Bands und Liedermacher aus anderen Bundesländern auf. Zu der bekanntesten Band in Mecklenburg-Vorpommern zählt nach wie vor "Path of Resistance". Der Liedermacher F.i.e.L. ("Fremde im eigenen Land")1, 2 aus dem Raum Grevesmühlen gehörte auch 2024 wieder zu den aktivsten rechtsextremistischen Liedermachern in Deutschland und Europa. Liegen im Vorwege solcher Veranstaltungen entsprechende Erkenntnisse dem Verfassungsschutz MV vor, werden diese frühestmöglich an die zuständigen Polizeidienststellen unter Berücksichtigung der gesetzlichen Voraussetzungen übermittelt. Übersicht der Musikveranstaltungen Stralsund VORPOMMERN-RÜGEN 2 Konzerte ROSTOCK Greifswald 1 Liederabend 2 Sonstige LANDKREIS Veranstaltungen Wismar ROSTOCK mit Musik NORDWESTMECKLENBURG VORPOMMERNGüstrow GREIFSWALD 2 Sonstige Veranstaltungen SCHWERIN mit Musik Neubrandenburg LUDWIGSLUST-PARCHIM MECKLEBNBURGISCHE Parchim SEENPLATTE 1 Liederabend 1 Keine personelle Überschneidung zur "Aktionsgruppe F.i.e.L." (vgl. S. 47) 2 https://www.facebook.com/photo/?fbid=761154822686088&set=ecnf.100063747305739&locale=de_DE 52 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern 4 Rechtsextremismus und -terrorismus Rechtsextremistische Musikveranstaltungen im Ausland Seit einiger Zeit verzichtet die Szene darauf, deutsche Musikgruppen namentlich auf ihren Flyern im Ausland anzukündigen. Dies steht im Zusammenhang mit Maßnahmen, die von den Behörden ergriffen werden, um die Ausreise rechtsextremistischer Musiker zu unterbinden. Dank der Weitergabe von Informationen an die Bundesbehörden über mögliche Auftritte deutscher rechtsextremistischer Bands und Interpreten im Ausland konnte im Jahr 2024 die Ausund Einreise mehrerer rechtsextremistischer Musiker verhindert werden. So wurde beispielsweise die Ausreise von mehreren Personen aus Mecklenburg-Vorpommern im Zusammenhang mit einem Konzert im November 2024 in Portugal1 verhindert. - Plakat der Musikveranstaltung in Portugal 1 https://www.facebook.com/defender.rac/photos/time-has-come-lads-see-you-this-fridayon-the-stage-again-having-ready-in-our-ar/1135636814842027/ 53 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern 4 Rechtsextremismus und -terrorismus 4.11 Szeneläden/Versandhandel Die Vertriebe stellen weiterhin eine wichtige Einnahmequelle für die rechtsextremistische Szene dar. In den letzten Jahren haben sich deren Aktivitäten in Mecklenburg-Vorpommern nahezu ausschließlich in den OnlineBereich verlagert. Das Sortiment dieser Vertriebe reicht von rechtsextremistischer Musik über Bekleidung und Gegenstände mit NS-verherrlichender Kunst bis hin zu Propagandamaterial wie Flyern, Aufklebern, Plakaten und Fahnen, aber auch Alltagsaccessoires wie Sonnenbrillen oder Schlüsselbändern. Im Raum Anklam existiert seit dem Jahr 2000 der rechtsextremistische Szeneladen "New Dawn Streetwear". Der Onlineshop "Wehrmacht1945.de" mit Sitz in Waren (Müritz) bietet eine Reihe von Gegenständen zur Verherrlichung der Wehrmacht an und richtet sich in erster Linie an die gewaltorientierte Neonaziszene. Das Angebot des "Pommerschen Buchdienstes" im "Nationalen Begegnungszentrum" in Anklam beinhaltet unter anderem antiquarische Schriften aus der Zeit des Nationalsozialismus, Schmuck mit keltischen Motiven sowie Tonträger mit Marschund Soldatenliedern. INFOBOX Dresscodes von Rechtsextremisten Die Outfits von Rechtsextremisten sind heute sehr vielfältig. Während das frühere "Skinhead-Outfit" mit Glatze, Springerstiefeln und Bomberjacke (insbesondere bei Jugendlichen) ein Revival erlebt, verzichten andere Rechtsextremisten bewusst auf eine markante Abgrenzung zum Mainstream. Sie verwenden subtilere rechtsextremistische Codes, die von Gleichgesinnten erkannt werden, jedoch von Außenstehenden oft nicht wahrgenommen werden. Zunehmend beliebt sind auch Kleidungsmarken aus dem Bereich des Boxund Kampfsports. Zu den szeneeigenen Labels zählen "Greifvogel Wear" (Sitz: Lindenau/Brandenburg) und "Black Legion" (Sitz: Cottbus/ Brandeburg), aber auch Marken von Unternehmen, die keine direkten Verbindungen zur rechtsextremistischen Szene haben. Eindeutige Hinweise auf die politische Gesinnung finden sich oft in Bildern und Texten, die ein Bekenntnis zur rechtsextremistischen Szene darstellen. Diese überschreiten selten die Schwelle zur Strafbarkeit. Besonders verbreitet sind Bekleidungsstücke mit Schriftzügen von rechtsextremistischen Bands wie "Kraftschlag" oder "Die Lunikoff Verschwörung". Die Modemarke "Ansgar Aryan" (Sitz: Mantel/Bayern) gehört zu den bekanntesten Marken im rechtsextremistischen Spektrum und versorgt diese Szene mit entsprechender Kleidung und Merchandise. Dabei werden bewusst Motive und Chiffren verwendet, die an das Dritte Reich erinnern. - Beispielhafte T-Shirt Motive Quelle: Homepage Ansgar Aryan 54 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern 4 Rechtsextremismus und -terrorismus 4.12 Parteigebundener Rechtsextremismus In einem demokratischen System übernehmen politische Parteien verschiedene grundlegende Funktionen. Zu den allgemein anerkannten Aufgaben von Parteien zählen insbesondere: die Gewinnung politischen Personals die Entwicklung politischer Inhalte, die Artikulation, Repräsentation und Bündelung gesellschaftlicher Interessen, die Mitwirkung an der Regierungsund Oppositionsbildung, die Mobilisierung der Anhängerschaft - insbesondere im Hinblick auf Wahlen. Mit der "Gewinnung politischen Personals" wird die Besetzung öffentlicher sowie parteiinterner Ämter und Mandate verstanden. In der Vergangenheit ist es rechtsextremistischen Parteien wie der Partei "Die Heimat" (ehemals NPD) oder der mittlerweile aufgelösten "Deutschen Volksunion" (DVU) mehrfach gelungen, in verschiedene Landesparlamente einzuziehen. Interessenartikulation, -repräsentation und -aggregation beziehen sich im Zusammenhang mit rechtsextremistischen Parteien darauf, die Interessen der Parteimitglieder und der potentiellen Wähler zu verbalisieren, zu vertreten und gegebenenfalls verschiedene Interessen und Positionen zusammenzuführen. Durch Demonstrationen und andere öffentlichkeitswirksame Aktivitäten können diese Parteien ihre Anliegen sowie die ihrer Wähler und Mitglieder nach außen kommunizieren. Die für Parteien wohl wichtigste Funktion, die interne und externe Mobilisierung der Anhängerschaft zu Wahlen, gelingt rechtsextremistischen Parteienstrukturen wie der Partei "Die Heimat" (ehemals NPD) mittlerweile immer weniger. Im Trend der letzten Jahre zeigte die Partei "Die Heimat" teilweise Auflösungserscheinungen und sieht sich derzeit mit desaströsen Wahlergebnissen konfrontiert. Auch die Parteien "DIE RECHTE" und "Der III. Weg" spielen politisch de facto keine Rolle. Zudem stellen sie die Teilnahme an Wahlen momentan nicht in den Mittelpunkt ihrer Aktivitäten, sondern vielmehr den Erhalt ihres formalen Parteienstatus. Im Rahmen einzelner Wahlkämpfe gelingt es jedoch rechtsextremen Parteien gelegentlich, durch provokative oder polarisierende Aktionen mediale Aufmerksamkeit zu erlangen. Eine nachhaltige Bündelung unterschiedlicher Wählerinteressen bleibt hingegen unwahrscheinlich, da das rechtsextreme Spektrum von internen Spaltungen und andauernden Streitigkeiten geprägt ist. Ebenso ist die Entwicklung politischer Inhalte bei rechtsextremistischen Parteien kaum ausgeprägt. Politische Positionen werden zumeist reaktiv formuliert - häufig auf Grundlage einer generellen Ablehnung des politischen Systems sowie demokratischer Parteien. Diese Ablehnung wird vielfach mit fragmentarischen Elementen rechtsextremer Ideologie verknüpft. In der Gesamtschau erfüllen rechtsextremistische Parteien allgemeine Funktionen einer Partei nur unzureichend oder gar nicht. Es zeigt sich allerdings, dass sie stattdessen andere, zumeist szeneinterne Funktionen übernehmen und ausüben. 55 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern 4 Rechtsextremismus und -terrorismus Identifizierte Funktionen rechtsextremistischer Parteien Im Zuge einer Analyse rechtsextremistischer Parteien konnten folgende zentrale Funktionen identifiziert werden: szeneinterne Vernetzungsfunktion szeneübergreifende Rekrutierungsfunktion logistische Funktion formale Schutzfunktion gegenüber etwaigen Verbotsüberlegungen des Staates Im Sinne einer szeneintern immer wieder beschworenen "nationalen Bewegung" bzw. eines "nationalen Widerstands" stellen rechtsextremistische Parteien einen wichtigen Baustein der szeneinternen Vernetzung dar. Sie sehen sich dabei als Teil einer gemeinsamen Bewegung, zu deren Zweck auch Kooperationen akzeptiert werden, die über das normale Zusammenwirken von rechtsextremistischen Akteuren - beispielsweise anlässlich einer Demonstration - hinausgehen. Exemplarisch können hier die Partei "DIE RECHTE" und "Der III. Weg" genannt werden, die dem gewaltorientierten rechtsextremistischen Spektrum nach diversen Verboten von regional agierenden neonazistischen Kameradschaften eine organisatorische Plattform bieten. Auch die Rekrutierung von Mitgliedern durch rechtsextremistische Parteien spielt für die Szene eine wesentliche Rolle. Durch ihre meist lokal verankerten Strukturen - wie Ortsoder Kreisverbände - erleichtern rechtsextremistische Parteien den Zugang zur Szene. Im Gegensatz zu anderen rechtsextremen Gruppierungen - etwa neonazistischen Kameradschaften, die stark auf Aktivismus setzen - ist eine öffentliche Sichtbarkeit für neue Mitglieder oftmals nicht erforderlich. Dies senkt die Eintrittsschwelle. Außerdem gleichen neonazistische Kameradschaften und organisationsarme rechtsextremistische Zusammenschlüsse häufig cliquenartigen Gemeinschaften, in denen sich neue Mitglieder mitunter nur schwer integrieren können. Darüber hinaus übernehmen rechtsextreme Parteien wichtige logistische Aufgaben. Sie melden beispielsweise Versammlungen und Demonstrationen an, leisten finanzielle Unterstützung oder deklarieren Konzerte als politische Parteiveranstaltungen. Obwohl die staatliche Parteienfinanzierung aufgrund geringer Wahlerfolge oder Ausschlüsse durch das Bundesverfassungsgericht begrenzt ist, verfügen rechtsextremistische Parteien durch Mitgliedsbeiträge über finanzielle Mittel, die anderen rechtsextremen Organisationen oft nicht zur Verfügung stehen. Nicht zuletzt profitieren rechtsextreme Parteien vom sogenannten Parteienprivileg. Dieses schützt sie in besonderem Maße vor staatlichen Eingriffen - etwa im Vergleich zu Vereinen. Veranstaltungen, die als Parteiveranstaltungen angemeldet sind, lassen sich nur unter erschwerten Bedingungen untersagen. Auch ein Parteiverbot unterliegt deutlich höheren rechtlichen Hürden als das Verbot eines Vereins nach dem Vereinsgesetz. Diese formale Schutzfunktion stellt daher einen bedeutenden Vorteil für rechtsextremistische Parteien dar - insbesondere vor dem Hintergrund des zweiten Verbotsverfahrens gegen die damalige NPD (heute "Die Heimat"). 56 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern 4 Rechtsextremismus und -terrorismus Parteien "Die Heimat" Gründung 1964 in Hannover (als NPD) Bundesvorstand, Struktur Landesund Kreisverbände Peter SCHREIBER, Berlin Vorsitzender/Sitz (Landesverband MV: Stefan KÖSTER) Mitglieder 150 im Parteiprogramm (von 2010) festgehalten, Schwerpunkte: Ideologie der VolksgemeinIdeologie schaft mit dem Ziel der Schaffung eines ethnisch homogenen Deutschlands, Beseitigung des demokratischen Rechtsstaates Bei der Partei "Die Heimat" handelt es sich weiterhin derzeit um die älteste noch bestehende rechtsextremistische Partei Deutschlands. Sie vertritt ein geschlossen rechtsextremistisches Weltbild und strebt die Beseitigung der bestehenden freiheitlichen demokratischen Grundordnung an. Dabei zielt die Partei auf die Errichtung eines an der ethnischen "Volksgemeinschaft" ausgerichteten autoritären Nationalstaats ab. Wesentliche verfassungsimmanente Bestandteile wie die Achtung der Menschenwürde und das Demokratieprinzip werden hierbei abgelehnt. Der von der Partei und ihrem Vorstand erhoffte Aufwärtstrend, der sich nach ihrem Parteitag im Jahr 2023 mit der Umbenennung und der Neuausrichtung einstellen sollte, war nur von kurzer Dauer bzw. blieb fast vollständig aus. Daneben sah sich die "Heimat" auch dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 23. Januar 2024 ausgesetzt, dass die Partei für sechs Jahre von der staatlichen Parteienfinanzierung ausschließt. Vermutlich ist es weniger die höchstrichterlich bestätigte Verfassungs feindlichkeit, die der "Heimat" schadet, als der Verlust steuerlicher Begünstigungen und möglicher zukünftiger finanzieller Privilegien. Insgesamt scheint sich die Partei weiter in einem Abwärtstrend zu befinden, was sich insbesondere durch den Rückgang der Mitgliederzahl, das Scheitern bei Wahlen (oft auch Nicht-Antritt) und eine augenscheinlich finanzielle Schieflage zeigt. Auch Abspaltungen einiger untergeordneter Verbände, um als "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) weiterzumachen, zeugen von Schwächen im Bereich der innerorganisatorischen Struktur und der Führung. Daran scheint auch der am 23. und 24. November 2024 durchgeführte 39. Ordentliche Bundesparteitag unter dem Motto "Alle(s) für die Heimat" in Sachsen nichts geändert zu haben. Als neuer Bundesvorsitzender wurde Peter SCHREIBER gewählt, der damit Frank FRANZ nach zehnjährigem Vorsitz ablöst. SCHREIBER beabsichtigt eine konsequente Weiterführung des Modernisierungskurses der Partei. Erneut in den Vorstand wurde auch Stefan KÖSTER, der Landesverbandschef Mecklenburg-Vorpommerns, gewählt. 57 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern 4 Rechtsextremismus und -terrorismus "Die Heimat" in Mecklenburg-Vorpommern Auch in Mecklenburg-Vorpommern ist der Abwärtstrend der Partei weiter spürbar. Dieser macht sich hier insbesondere durch die Inaktivität des Landesverbandes und der örtlichen Strukturen der Jungen Nationalisten (JN) sowie durch die Misserfolge bei der Kommunalwahl 2024 bemerkbar. Der 2023 beobachtete leichte Motivationsaufschwung infolge der Umbenennung der NPD in "Die Heimat" war nur von kurzer Dauer und brachte nachhaltig keinerlei Verbesserung für den Landesverband. Von den wenigen wahrnehmbaren Aktionen der Partei im Land, sind die folgenden zu nennen: Im Januar 2024 versuchte die Partei "Die Heimat" in Mecklenburg-Vorpommern, Anschluss an die bundesweiten Bauernproteste zu finden. So gab es diverse Aufrufe des Landesverbandes und mehrerer Kreisverbände zur Teilnahme am 8. Januar. Unterstützungsbekundungen wurden auch direkt an der Anschrift des Landesverbandes in Anklam (Haus JugendStil) durchgeführt. Zusätzlich wurde eine Banneraktion vor dem Anklamer Rathaus zu Solidaritätszwecken durchgeführt. Der Versuch der extremistischen Einflussnahme auf die "Bauernproteste" blieb jedoch ohne erkennbaren Erfolg. Am 24. Februar 2024 fand erneut die jährlich stattfindende Wanderung der rechtsextremistischen Szene um den Tollensesee in Neubrandenburg statt. Diese wird durch "Die Heimat"-Mitglieder aus MecklenburgVorpommern organisiert und findet Anklang in der Szene Mecklenburg-Vorpommerns und darüber hinaus. Rund 80 Personen beteiligten sich im Jahr 2024 an der etwa 40 km langen Wanderung. Im Haus JugendStil in Anklam wurde am 9. März 2024 eine parteipolitische Veranstaltung mit drei führenden Parteifunktionären abgehalten, die auch eine Gesprächsrunde beinhaltete. Hier sprachen der damalige Bundesvorsitzende Frank FRANZ, sein Stellvertreter Udo VOIGT und der frühere Fraktionsvorsitzende der NPD in Mecklenburg-Vorpommern, Udo PASTÖRS, über ihren politischen Werdegang und ihr Wirken in der Partei. Am 8. Mai 2024 fand traditionsgemäß der vom Landesverband verantwortete Demminer Trauermarsch statt. Im Vergleich zum Vorjahr stieg die Teilnehmerzahl um etwa 100 Personen auf ca. 260 Personen. Die Veranstaltung profitierte u. a. auch von überregional angereisten Teilnehmern und Parteigrößen. Neben Angehörigen der Parteien "Die Heimat" und "Junge Nationalisten" nahmen z. B. auch Mitglieder der "Neuen Stärke Partei" aus MecklenburgVorpommern sowie der regionalen und überregionalen parteiungebundenen rechtsextremistischen Szene teil. - 8.5.2024 "Trauermarsch" in Demmin Quellen: Facebook, Landesverband MuP; www.pixelarchiv.org Auf ihren Social-Media Profilen ist die Partei "Die Heimat" Mecklenburg-Vorpommern ebenfalls nur noch in sehr geringem Umfang aktiv. Vereinzelt gab es rechtsextremistische Reaktionen auf die Asylpolitik. So bewertete der Kreisverband Mecklenburgische Seenplatte die vermeintlich verstärkte Einbürgerungspolitik der Bundesregierung Anfang des Jahres als "völkerrechtswidrigen Austausch unseres Volkes".1 Daneben wurden der Demminer Trauermarsch oder auch das bundesweite rechtsextremistische "Dresden-Gedenken" beworben oder kommentiert und die Kommunalund Europawahlen sowie der Bundesparteitag der Partei "Die Heimat" medial in Szene gesetzt. 1 Facebook "NPDMSE" vom 22.01.2024, abgerufen am 22.01.2024 58 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern 4 Rechtsextremismus und -terrorismus Kommunalwahl 2024 Von den sechs Kreistagssitzen, die bei den vorherigen Wahlen erzielt wurden, konnte die "Heimat" 2024 lediglich zwei Sitze in den Landkreisen Rostock und Vorpommern Greifswald halten. Von den zuvor erreichten 16 Sitzen in Stadtoder Gemeindevertretungen konnten im Jahr 2024 lediglich zehn Sitze gewonnen werden. Zwei dieser Sitze blieben aufgrund fehlender Kandidaten unbesetzt. Zusätzlich erzielte die "Heimat" durch Einzelbewerber und die Gründung von Wählergruppen insgesamt vier weitere Sitze, von denen einer ebenfalls wegen fehlender personeller Hinterlegung nicht besetzt werden konnte. In Rostock, Schwerin und dem Landkreis LudwigslustParchim trat die "Heimat" nicht zu den Kommunalwahlen an. Im letztgenannten Landkreis arbeitete die Partei mit der Wählergruppe "Heimat und Identität" zusammen. Mit dieser wurden gemeinsame Kandidaten aufgestellt, die entweder für diese Wählergruppe oder als Einzelbewerber antraten. Zudem wurde ein langjähriges Mitglied der Partei "Die Heimat" nicht zur Bürgermeisterwahl am 2. Mai 2024 in Klein Bünzow im Landkreis Vorpommern-Greifswald zugelassen. Hintergrund ist, dass für diese Einschätzung nach SS 66 Landesund Kommunalwahlgesetz M-V die vorgeschlagenen Wahlkandidaten dahingehend überprüft werden, ob sie die entsprechenden Voraussetzungen erfüllen. Hierzu zählt auch, ob sie jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes eintreten werden. Der Wahlausschuss kam zu dem Schluss, dass dies bei dem Kandidaten der Partei "Die Heimat" nicht zutraf. Der Verfassungsschutz trug im Rahmen dieser Prüfung durch die Bereitstellung von Informationen zur Entscheidungsfindung bei. Die "Jungen Nationalisten" (JN) Die "Jungen Nationalisten" als Teilbzw. Jugendorganisation der Partei "Die Heimat" (ehemals NPD) verstehen sich als Aktivisten, die sowohl im Vordergrund als auch im Hintergrund agieren und eine Ideologie der ethnisch homogenen Volksgemeinschaft vertreten, ähnlich wie ihre Mutterpartei. Vor allem finden sich in ihrer Agitation auch rassistische, antisemitische und fremdenfeindliche Ansichten sowie Bezüge zum Nationalsozialismus. Die "Jungen Nationalisten" streben die Entwicklung einer rechtsextremistischen Gegenkultur an und verstehen ihren Wirkungsbereich im Wesentlichen im vorpolitischen Raum. Somit sind sie für die Partei in Bezug auf die Rekrutierung neuer Mitglieder und das Stimmenfangen bei Wahlen ein wichtiges Bindeglied zur parteiungebundenen rechtsextremistischen Szene. Bundesweit befanden sich die "Jungen Nationalisten" 2024 bezüglich ihrer Mitgliederzahlen und ihres Aktivitätenlevels in einem leichten Aufschwung. Die "Jungen Nationalisten" (JN) in Mecklenburg-Vorpommern Für Mecklenburg-Vorpommern konnte der bundesweit festgestellte Aufwärtstrend der JN allerdings nicht festgestellt werden. Derzeit sind keine gefestigten Strukturen oder klar erkennbaren Führungspersonen innerhalb der "Jungen Nationalisten" (JN) erkennbar. Der JN gehören in MV lediglich Personen im unteren zweistelligen Bereich an. Während in der ersten Jahreshälfte noch vereinzelte Aktivitäten im Land erkennbar waren, stellte sich die zweite Jahreshälfte bezüglich der regionalen JN nicht nur als aktionslos, sondern quasi als nicht mehr existent dar. Zu den wenigen Aktionen zählen die Teilnahme am Tollensemarsch am 24. Februar 2024, eine Gedenkveranstaltung für die Opfer alliierter Luftangriffe Anfang März 2024 auf Usedom, die Teilnahme am Demminer Trauermarsch am 8. Mai 2024 sowie die Teilnahme an der jährlichen Aktion "Schwarze Kreuze" - "Pommern verteidigen" Quelle: Instagram am 16. Juli 2024 in Mecklenburg-Vorpommern. 59 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern 4 Rechtsextremismus und -terrorismus "Wählergruppe Heimat und Identität" Wie bereits Ende des Jahres 2023 angekündigt, wurde am 18. Januar 2024 im Hinblick auf die anstehenden Kommunalwahlen die "Wählergruppe Heimat und Identität" gegründet. Bei dieser handelt es sich um eine direkte Nachfolgeorganisation der rechtsextremistischen Kreistagsfraktion "Heimat und Identität" des Landkreises Ludwigslust-Parchim, was sich aufgrund von Namensgleichheit, nahezu personeller Übereinstimmung sowie Weiterverwendung gleicher Social-Media-Kanäle und Logos herleiten lässt. Laut ihrer Werbung auf den Internetauftritten versteht sich die Wählergruppe als "eine richtige Alternative" und "überparteiliche und unabhängige politische Kraft". Wie die Kreistagsfraktion bisher auch, arbeitet die Wählergruppe aber eng mit der Partei "Die Heimat" zusammen. Dies belegen Doppelmitgliedschaften von Mitgliedern und Führungspersonen sowie die Kooperation bei den Kommunalwahlen. Ab April 2024 betrieb die Wählergruppe schwerpunktmäßig, u. a. mit Infotischen in Boizenburg und Ludwigslust, aktiv und öffentlichkeitswirksam Wahlkampf. Daneben fanden auch verschiedene Flyerverteilungen und Plakatierungen im Landkreis statt. Das Wahlergebnis war, wenngleich es sich um die erste Teilnahme an den Kommunalwahlen handelte, laut den Reaktionen von "Heimat und Identität" nicht ganz so, wie man es sich erhofft hatte. Von den ehemals fünf Mitgliedern im Kreistag Ludwigslust-Parchim konnte nur ein Sitz erneut erlangt werden. Daneben konnte die Wählergruppe in vier Stadtvertretungen je einen Sitz holen. Auch zwei weitere Einzelbewerber, die der Wählergruppe zugeordnet werden können, haben jeweils einen Sitz erhalten. Neben dem Wahlkampf führte "Heimat und Identität" auch ihre offenen Bürgerstammtische weiter, diese allerdings vornehmlich nur im ersten Halbjahr. Der Grund für die Einstellung ab Spätsommer 2024 scheint auf organisatorische Aspekte zurückzuführen zu sein, die die zuvor genutzten Räumlichkeiten in Ludwigslust betreffen. Auf ihren Social-Media-Profilen war "Heimat und Identität" vor allem im ersten Halbjahr des Berichtszeitraums präsent, wenngleich nicht so stark wie im Vorjahr. Erneut spielten dabei neben dem Wahlkampf die Migration im Allgemeinen und speziell die Flüchtlingsunterbringung im Landkreis eine zentrale Rolle. Regelmäßig wurden dabei Verantwortliche in Kommunal-, Landesund Bundesregierung als "Asylfanatiker", "Multikultifetischisten" und Ähnliches betitelt. Als weiteres Beispiel kann auch die Kreistagssitzung im Oktober 2024 genannt werden, bei der Stefan KÖSTER (Landesvorsitzender der Partei "Die Heimat" in Mecklenburg-Vorpommern) "auf die katastrophalen Folgen der linksgrünversifften Multi-Kulti-Beglückungspolitik bis in das kleinste Dorf" hingewiesen hat.1 In diesem Zusammenhang gab es zudem im Vorfeld Teilnahmen der Wählergruppe bzw. einzelner Mitglieder an Demonstrationen gegen eine zentrale Unterbringung von Flüchtlingen in Dabel (Landkreis Ludwigslust-Parchim). Daneben gab es auch verallgemeinernde und vom Sachverhalt losgelöste fremdenfeindliche Reaktionen auf die bundesweiten islamistischen Anschläge. So wurde der Messerangriff am 31. Mai 2024 in Mannheim kommentiert: "Kritisierst du den Islam, wirst du sterben! Diese schockierenden Bilder zeigen wie wichtig eine konsequente Remigration ist" Das ist das wahre Gesicht der islamischen Einwanderer, die ihren fanatischen Glauben an ihre Wüstenreligion in unserer Heimat ausleben!"2 Auch für das Jahr 2024 konnten Verflechtungen mit dem rechtsextremistischen Verein "KüstenwendeFreiheitliches Forum e. V." (siehe Kapitel 4.13) festgestellt werden. Diese nahmen unter anderem auf Einladung an der Auftaktveranstaltung zur Gründung der Wählergruppe im Februar 2024 teil und hielten ein Grußwort. 1 Facebook "Wählergruppe Heimat und Identität" vom 17.10.2024, abgerufen am 21.10.2024 2 Telegram "Heimat und Identität" vom 31.05.2024, abgerufen am 03.06.2024 60 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern 4 Rechtsextremismus und -terrorismus "Der III. Weg" Gründung 2013 in Heidelberg Bundesvorstand, vier Landesverbände, Struktur mehrere Stützpunkte; bisher keine Kreisverbände Matthias FISCHER, Weidenthal (Pfalz) Vorsitzender/Sitz Stützpunktleiter MV: N.N. Mitglieder 35 im "Zehn-Punkte-Programm" der Partei (aus dem Jahr 2021) festgehaltene Schwerpunkte: Verwirklichung einer völkischen Ordnung im Rahmen einer "Präsidialdemokratie" nach dem Ideologie "Führerprinzip"; "Drei-Säulen-Konzept": politischer und kultureller Kampf sowie Kampf um die Gemeinschaft Die 2013 gegründete Partei verfolgt programmatisch ein rechtsextremistisches Staatsund Gesellschaftsbild, das auf einem biologistischen Volksbegriff fußt und unter anderem nationalsozialistische, fremdenfeindliche und geschichtsrevisionistische Elemente verbindet. "Der III. Weg" strebt eine "nationale Revolution" und damit die Abschaffung der bisherigen Demokratieform an. Weiterhin wird laut Programm die vermeintliche Wiederherstellung "Gesamtdeutschlands in seinen völkerrechtlichen Grenzen" (gemeint sind die Grenzen von 1937) sowie die Wiedereinbindung aller ehemals deutschen Gebiete gefordert. Ein wichtiges Segment des politischen, kulturellen und gesellschaftlichen Kampfes der Partei nehmen die Arbeitsgemeinschaften (AGs) ein, in denen interessierte Parteimitglieder an konkreten Themenfeldern mitwirken können. Hierunter fallen beispielsweise die AG "Körper & Geist" (Fokus auf sportliche Betätigung und Bildung), die AG "Feder & Schwert" (Fokus auf Erstellung von Internet-Beiträgen zu verschiedenen Themen) oder die AG "Erde & Zukunft" (Fokus auf Umwelthemen). "Der III. Weg" ist die einzige rechtsextremistische Partei Deutschlands, die 2024 nicht von einem Mitgliederschwund betroffen war. Dies ist vermutlich auf starke, regionale Rekrutierungsbemühungen, eine intensive Nutzung sozialer Medien sowie eine moderne Öffentlichkeitsarbeit zurückzuführen. Ihre örtlichen Schwerpunkte liegen weiterhin in Ostund Süddeutschland. Inhaltlich wurde der Strukturausbau priorisiert. Eine Zusammenarbeit mit anderen rechtsextremistischen Parteien erfolgte bislang nicht und ist auch nicht beabsichtigt. Neben ihrem diesbezüglichen Alleingang ist sie auch die einzige rechtsextremistische Partei, die hinsichtlich des Ukraine-Krieges pro-ukrainische Positionen vertritt, die Auseinandersetzung ebenfalls als russischen Angriffskrieg ansieht und den ukrainischen Nationalisten durch verschiedene Unterstützungsleistungen zur Seite steht. Nicht zuletzt vermag es "Der III. Weg" wie keine andere rechtsextremistische Partei, über soziale Netzwerke und Messenger-Dienste neue und vor allem junge Interessierte zu erreichen. 61 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern 4 Rechtsextremismus und -terrorismus "Der III. Weg" in Mecklenburg-Vorpommern" Der im April 2023 gegründete Stützpunkt Nord/Ost, der sich hauptsächlich an Mitglieder aus Mecklenburg-Vorpommern richtet, hat sich auch im Laufe des Jahres 2024 mit verschiedenen Aktionen im Land beschäftigt und präsentiert. Es gab landesweit öffentlich wahrnehmbare Aktivitäten, die sowohl inhaltlich als auch quantitativ denjenigen aus dem Vorjahr ähnelten (z. B. Sportveranstaltungen und Flugblattverteilungen). Thematisch beschäftigte sich die Partei unter anderem erneut mit der Parteiwerbung, der durch Migration angeblich verursachten Probleme, Gedenkveranstaltungen mit Weltkriegsbezug und dem traditionellen Familienund Geschlechterbild. Konkret zählen hierzu: die Teilnahme von Einzelmitgliedern an dem jährlich stattfindenden Tollensemarsch am 24. Februar 2024 ein im März 2024 abgehaltenes Gedenken zu Ehren gefallener deutscher Soldaten der Weltkriege in Rostock eine Sportund Trainingsveranstaltung am 24. März 2024 in Rostock Infotische der Partei am 27. Juli 2024 in Pasewalk, Torgelow und Ueckermünde das Abhalten von zwei Infotischen am 24. August 2024 in Rostock eine Flyerverteilung am 17. Oktober 2024 in Parchim zum Thema "Kriminelle Ausländer raus!" und eine Beteiligung an einer Demonstration gegen die Flüchtlingsunterbringung in Dabel Solidaritätsaktion mit Graffitierstellung für den rechtsextremistischen Rapper "Kombaat" sowie Kampfsporttraining am 23. November 2024 in Rostock mit ca. 15 Teilnehmern eine Müllsammelaktion im November 2024 im Raum Vorpommern eine Plakataktion Anfang Dezember 2024 vor dem Rostocker Sonnenblumenhaus anlässlich des am 1. November 2024 in Kraft getretenen Selbstbestimmungsgesetzes, Inhalt: "Natürliches Familienglück statt LGBTQ-Wahnsinn!" - Plakataktion, Infostände und Flyerverteilung Quelle: Homepage Der III. Weg 62 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern 4 Rechtsextremismus und -terrorismus "Der III. Weg" legt darüber hinaus seinen Fokus auf den sportlichen Aktivismus. Sportund speziell Kampfsportveranstaltungen und -trainings machen einen nicht unerheblichen Teil der auch öffentlich wahrnehmbaren Aktionen der Partei aus. Dabei sind diese Aktivitäten in einem weiteren Sinne zu betrachten: Neben dem rein sportlichen Effekt stehen sie auch für Präsenz, Stärke, Wehrhaftigkeit (auch gegenüber politischen Gegnern oder anderen Feindbildern), Gemeinschaftlichkeit sowie ideologisches Zusammenwachsen im Sinne der Partei und als Gegenbild zur vermeintlich trägen, uninteressierten und schwachen Jugend. Man versteht sich hier durchaus als "besser" als der Durchschnitt und damit auch als attraktiv für potenziell neue Mitglieder, weshalb der Sport ein explizites Rekrutierungsund Werbungsmittel für die Partei darstellt1: 1 Telegram-Kanal: Der III. Weg NORD/OST. Beitrag vom 16. Februar 2024 63 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern 4 Rechtsextremismus und -terrorismus "Neue Stärke Partei" (NSP) Gründung 14.05.2021 in Erfurt Struktur Bundesvorstand, Landesverband Bundesvorsitzender: Christoph THEWS Vorsitzender/Sitz Landesvorsitzender MV: Marc DREXLER Mitglieder 25 im Parteiprogramm und ihrer Erklärung zur "Kampfkultur" festgehaltene Schwerpunkte: Ideologie völkischer Nationalismus, Fremdenfeindlichkeit, Rassismus, revolutionärer Umsturz des bestehenden Systems und die Errichtung eines totalitären Einparteienstaates Mit ihrer Gründung im Jahr 2021 in Erfurt zählt die "Neue Stärke Partei" zu einer der jüngsten rechtsextremistischen Parteien Deutschlands. Die Partei weist eine starke Nähe zum historischen Nationalsozialismus auf, verwendet ein biologistisch geprägtes Menschenbild und agitiert offen rassistisch und fremdenfeindlich. Ihr Ziel, die Abschaffung des derzeitigen politischen Systems und die Errichtung eines totalitären Einparteienstaates, verstößt gegen elementare Bestandteile der freiheitlichen demokratischen Grundordnung wie das Demokratieund Rechtsstaatsprinzip. Die Partei versucht, von sich das Bild einer aktivistischen und schlagkräftigen Gemeinschaft zu zeichnen, die mit Begriffen wie der "Kampfkultur" und gezeigter Stärke "in eine Revolution führen will", um "ihre Heimat zurückzuerobern". Strukturell bestand die "Neue Stärke Partei" im Berichtszeitraum lediglich aus dem Bundesverband sowie dem Landesverband Mecklenburg-Vorpommern. Daneben soll auch noch die "Neue Stärke Partei Jugendorganisation" existieren, die jedoch realweltlich bisher nicht in Erscheinung trat und sich auch nicht explizit durch eigenständige Aktivitäten vom Bundesoder Landesverband abhebt. Tatsächliche parteipolitische Arbeit oder ein darauf ausgerichteter Betätigungswille sind bei den Funktionären und Mitgliedern auf Bundesund Landesebene weiterhin nicht erkennbar. Hierbei sind insbesondere der Bundesvorsitzende (Christoph THEWS) sowie der Landesvorsitzende Mecklenburg-Vorpommerns (Marc DREXLER) zu nennen. Es ist davon auszugehen, dass neben einem fehlenden Willen auch eine fehlende Befähigung die Gründe hierfür sind. Sowohl der bundesweit anhaltende Mitgliederschwund und strukturelle Rückgang als auch die fehlenden Ambitionen und Möglichkeiten eines zukunftsfähigen Wirkens lassen die Partei in ihrer Wahrnehmbarkeit und ihrem Aktionsradius weiter sinken. Die "Neue Stärke Partei" in Mecklenburg-Vorpommern Weiterhin liegt das schwerpunktmäßige Betätigungsfeld der Gesamtpartei, die strukturell nur noch vom Landesverband Mecklenburg-Vorpommern getragen wird, in den Landkreisen Rostock, Mecklenburgische Seenplatte und der Hansestadt Rostock. 64 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern 4 Rechtsextremismus und -terrorismus Aufgrund ihrer weiter sinkenden Wahrnehmbarkeit sind selbst organisierte Veranstaltungen außerhalb Mecklenburg-Vorpommerns im Berichtszeitraum nicht festgestellt worden. Lediglich die Teilnahme einzelner Mitglieder oder Funktionäre an durch andere Gruppierungen der rechtsextremistischen Szene organisierten Veranstaltungen war vereinzelt beobachtbar. Darunter fällt z. B. die Kundgebung der Partei "Die RECHTE" und der Partei "Die Heimat" (ehemals NPD) am 1. Mai 2024 in Celle/NI. Der Schwerpunkt der NSP in Mecklenburg-Vorpommern lag im Berichtszeitraum erneut auf dem Abhalten öffentlicher Versammlungen. Ihre Mobilisierungsmöglichkeiten scheinen hierbei sehr begrenzt, da es der Partei nicht gelingt, Personen oder Mitglieder über den maximal mittleren zweistelligen Bereich zu einer Teilnahme zu bewegen. Zu den öffentlich wahrnehmbaren Aktivitäten in Mecklenburg-Vorpommern zählten im Jahr 2024: eine Gedenkveranstaltung zum Thema "Zurück zu unseren Traditionen" für die gefallenen deutschen Soldaten in den Weltkriegen am 10. März 204 in Waren mit 14 Teilnehmern eine Beteiligung einzelner Mitglieder an der 1. Mai-Kundgebung der NPD und der Partei "DIE RECHTE" am 1. Mai 2024 in Celle/NI eine Beteiligung einzelner Mitglieder am Demminer Trauermarsch am 8. Mai 2024 in Demmin eine Versammlung unter dem Motto "Was ist der Sinn von Demokratie?" am 1. Juni 2024 in Rostock-Warnemünde mit ca. 20 Teilnehmern eine Demonstration unter dem Motto "Wahrheit statt Medienhetze" am 29. Juni 2024 in Grevesmühlen zusammen mit der Partei "DIE RECHTE" mit ca. 40 Teilnehmern eine Beteiligung an der Gegendemonstration gegen den "Christopher Street Day" am 6. Juli 2024 in Schwerin mit knapp 40 Teilnehmern eine Versammlung unter dem Motto "Gefährliche Wallanlagen und Umgebung. Was macht die Polizei, Bürgermeisterin und die anderen Politiker dagegen?" am 31. August 2024 in Rostock mit ca. 20 Teilnehmern eine Gedenkveranstaltung anlässlich des Volkstrauertages am 17. November 2024 in Waren mit ca. 25 Teilenehmern 65 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern 4 Rechtsextremismus und -terrorismus 4.13 Neue Rechte Personenzusammenschlüsse im Umfeld der "Neuen Rechten" INFOBOX Neue Rechte Die Wirkungsweise, Strategie und Zielsetzung der sogenannten Neuen Rechten ist stark auf den metapolitischen Raum ausgerichtet. Nach ihrem Verständnis bedeutet Metapolitik die gezielte Einflussnahme auf gesellschaftliche Diskurse und kulturelle Deutungsmuster - mit dem Ziel, langfristig auch politische Machtverhältnisse im parlamentarischen Raum zu verändern. Der Neuen Rechten liegt die Annahme zugrunde, dass die Verschiebung von gesellschaftlichen Normen, Begrifflichkeiten und Deutungsrahmen im außerparlamentarischen Bereich - also im sogenannten vorpolitischen Raum - letztlich zu einer nachhaltigen Veränderung parlamentarischer Entscheidungsprozesse führen kann. Akteure in diesem Bereich verfolgen somit nicht nur kulturelle oder publizistische Ziele, sondern arbeiten auch strategisch an einer Veränderung politischer Machtverhältnisse. Zentral für diese Vorgehensweise ist die bewusste Etablierung und Popularisierung bestimmter Begriffe, Chiffren und Narrative im öffentlichen Diskurs. Ein Beispiel hierfür ist der Begriff der "Remigration", der im Jahr 2024 zunehmend in gesellschaftlichen Debatten aufgegriffen wurde. Wird dieser Begriff im Zusammenhang mit einem ethnokulturell definierten Volksverständnis und in fremdenfeindlichen Kontexten verwendet, kann er als tatsächlicher Anhaltspunkt für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gewertet werden. In Mecklenburg-Vorpommern gehen Aktivitäten der Neuen Rechten größtenteils von der "Identitäre Bewegung Deutschland e. V." (IBD) und ihrer Regionalgruppe "Identitäre Bewegung Mecklenburg-Vorpommern" (IB MV) aus. Darüber hinaus werden in diesem Kapitel erstmals Aktivitäten der "Jungen Alternative Mecklenburg-Vorpommern" (JA MV) aufgeführt. Das Verwaltungsgericht Köln hat im Eilverfahren am 5. Februar 2024 beschlossen, dass die Einstufung der JA als gesichert extremistische Bestrebung nach summarischer Prüfung rechtmäßig ist (VG Köln, Beschluss vom 05.02.2024 - 13 L 1124/23). Daher wurden im Berichtsjahr sowohl die Bundes-JA als auch deren Landesverband JA MV als gesichert rechtsextremistische Bestrebungen bearbeitet. Die JA MV vertritt - wie die JA auf Bundesebene - ein ethnisch-biologisch bzw. ethnisch-kulturell begründetes Volksverständnis. Als Teilorganisation ist ihr die Programmatik der Bundes-JA ebenfalls zuzurechnen. Ihre Ziele und das Verhalten ihrer Anhänger verstoßen gegen die Menschenwürde und den Kern des Demokratieprinzips. Der "Deutschlandplan" der JA, ihr am 2./3. Juni 2018 beschlossenes politisches Programm, bzw. die programmatischen Leitlinien "Jugend, die vorangeht!" enthalten tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht verfassungsfeindlicher Zielsetzungen. 66 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern 4 Rechtsextremismus und -terrorismus INFOBOX "Deutschlandplan" Beim "Deutschlandplan" handelt es sich um das am 2./3. Juni 2018 beschlossene Programm der JA. Darin wurden die Vorstellungen der JA vom "ethnischen Erhalt" des deutschen Volkes und der Minderwertigkeit von deutschen Staatsangehörigen mit Migrationshintergrund deutlich. Nach der Einstufung zum Verdachtsfall beschloss die JA auf ihrem Bundeskongress am 16./17. Februar 2019 einige Änderungen an ihrem "Deutschlandplan". Der Verdacht verfassungsfeindlicher Bestrebungen wurde hierdurch jedoch nicht ausgeräumt. Nach dem Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 8. März 2022 zur Beobachtung der JA als Verdachtsfall wurde auf dem Bundeskongress am 15. Oktober 2022 der "Deutschlandplan" durch die programmatischen Leitlinien "Jugend, die vorangeht!" ersetzt. Auch daraus ergibt sich nicht, dass sich die JA inhaltlich von ihren im "Deutschlandplan" formulierten Zielsetzungen verabschiedet hat. Daneben kommt es immer wieder zu neuen Aktionsformen, die sich zum Teil bekannten Protagonisten der Neuen Rechten zurechnen lassen. Ein Beispiel hierfür sind die im Jahr 2024 durchgeführten Lesekreise der "Aktion 451" in Rostock und Greifswald. Die "Aktion 451" ist im November 2023 im Zuge einer geplanten Vortragsveranstaltung des bundesweit bekannten Rechtsextremisten Götz KUBITSCHEK (Sachsen-Anhalt) in Wien/Österreich entstanden. Der Auftritt war durch die Wiener Universität untersagt worden, was in der Gründung der "Aktion 451" gipfelte. Die "Aktion 451" spricht hauptsächlich Studenten bzw. Personen bis 35 Jahre an. Im Jahr 2024 wurden zahlreiche "Aktion 451"-Lesekreise auch in anderen Bundesländern festgestellt. Gelesen werden unter anderem Publikationen des österreichischen Rechtsextremisten Martin SELLNER. Dieser ist als Führungsperson der deutschsprachigen "Identitären Bewegung" nicht nur für diese als Aktivist und Ideengeber zuständig, sondern tritt auch bei anderen vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextremistisch bewerteten Bestrebungen in Erscheinung. Hierzulande waren im Berichtszeitraum insbesondere die nachfolgenden Organisationen im Umfeld der "Neuen Rechten" aktiv: Übersicht der "Neuen Rechten" Neustart Kranichland RDG e. V. Stralsund VORPOMMERN-RÜGEN Identitäre Bewegung MV ROSTOCK Greifswald LANDKREIS Wismar ROSTOCK NORDWESTMECKLENBURG VORPOMMERNGüstrow GREIFSWALD Küstenwende e. V. Junge Alternative MV SCHWERIN Neubrandenburg LUDWIGSLUST-PARCHIM MECKLEBNBURGISCHE Parchim SEENPLATTE 67 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern 4 Rechtsextremismus und -terrorismus Identitäre Bewegung Deutschland e. V. (IBD)1, Identitäre Bewegung Mecklenburg-Vorpommern (IB MV)2 Die bundesweit aktive IBD agiert auf drei Ebenen: 1.) Bundesleitung, 2.) Regionalund Sitz/Verbreitung 3.) Ortsgruppen. Der Schwerpunkt der Aktivitäten der Regionalgruppe MecklenburgVorpommern liegt in der Hansestadt Rostock. Am 22. April 2024 ist ein neuer Vorstand der IBD bestellt worden. Dieser besteht aus Struktur dem 1. Vorsitzenden, einer Person aus Chemnitz, der die IBD vertritt. Sitz der IBD ist Paderborn in Nordrhein-Westfalen. Mitglieder In Mecklenburg-Vorpommern ca. 20 Aktivisten Das von der Identitären Bewegung verfolgte Konzept des Ethnopluralismus geht vom Vorrang der ethnisch-kulturell Deutschen aus, denen das Heimatrecht in Deutschland exklusiv zustehe. Deutschen Staatsangehörigen mit Migrationshintergrund wird kein Ideologie uneingeschränktes Bleiberecht zugestanden. "Nicht assimilierte Eingebürgerte" sollen die deutsche Staatsangehörigkeit verlieren und zur "Remigration" in ihr Herkunftsland gezwungen werden. Die der IBD zuzurechnenden Wirtschaftsunternehmen Medienagentur Okzident Media UG, Finanzdienstleistungsunternehmen Schanze Eins UG & Co. KG, Unternehmergesellschaft Kohorte UG mit ihrem Online-Shop Phalanx Europa sowie die "patriotische Digitalakademie" GegenUni UG verfolgen verschiedene Zielrichtungen. Über "Schanze Eins" soll es beispielsweise anonymen Geldgebern ermöglicht werden, Wirtschaftsunternehmen in Immobilienprojekte der IBD zu investieren. Mit "Okzident Media" und der "GegenUni" sollen eine "identitäre Gegenöffentlichkeit" geschaffen sowie Dienstleistungen im Bereich der Bildung erbracht werden. Hierüber sollen extremistische Überzeugung getarnt als wissenschaftliche Erkenntnisse verbreitet werden. "Phalanx Europa" stellt den Versandhandel der IBD dar. Die meisten Unternehmen sind seit Jahresbeginn 2024 nicht mehr in Mecklenburg-Vorpommern ansässig. Die IB MV fiel ab dem Jahr 2014 hauptsächlich durch Plakatierungen, angemeldete und unangemeldete Kundgebungen sowie Internetaktivitäten auf. Etwa bis zum Jahr 2019 verfügte sie über aktive und öffentlich wahrnehmbare Ortsgruppen in den Hansestädten Rostock, Stralsund und Greifswald. Die Grenzen zwischen der Bundesstruktur und den jeweiligen Ortsgruppen bzw. Regionalverbänden waren immer fließend. Seither ist ein Rückgang der Aktivitäten zu verzeichnen. Nach vielen Jahren des "Basis-Aktivismus" hat ein Strategiewechsel stattgefunden. Statt spektakulärer, öffentlichkeitswirksamer Aktionen, engagieren sich viele (ehemalige) IBD-Aktivisten mittlerweile in Parteien oder anderen Vereinigungen und als freie Autoren für Publikationen. Der frühere Bundesleiter aus MV (Daniel Fiß) tritt mittlerweile für die "Junge Alternative 1 Telegram Kanal-Info Identitäre Bewegung Deutschland, abgerufen am 03.01.2025. 2 Telegram Kanal-Info Identitäre Bewegung Mecklenburg-Vorpommern, abgerufen am 03.01.2025 68 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern 4 Rechtsextremismus und -terrorismus Mecklenburg-Vorpommern" (JA MV) in Erscheinung und fungierte zwischenzeitlich auch als Chefredakteur des österreichischen "Heimatkurier". Fiß (inzwischen Referent in der AfD-Landtagsfraktion) hielt z. B. einen von der JA MV organisierten Vortrag (Titel: "Wer wählt rechts - und warum") im Rahmen eines Info-Stammtisches der AfD am 1. November 2024 in Stralsund. Auf diesem Wege wird die Ideologie der IBD im Sinne einer "Mosaik-Rechten" in weitere Strukturen wie z. B. die Junge Alternative getragen. INFOBOX Mosaik-Rechte Bei der Mosaik-Rechten handelt sich um ein neurechtes Netzwerk, dessen Anhänger ihren politischen Ansatz als "Mosaik" verstehen. Dieses Netz aus Vereinen, Medien und zivilgesellschaftlichen Akteuren soll als Brücke zwischen Ideen der Neuen Rechten und der Realität dienen und Vorarbeit leisten, um die Meinungsvorherrschaft im vorpolitischen Raum zu erreichen. Die unterschiedlichen Akteure verfolgen die gleichen oder ähnliche Ziele, sind aber in verschiedenen Arbeitsfeldern aktiv. Die Anhänger sind der Ansicht, dass ein parteipolitischer Weg allein nicht ausreicht, um ihre Ziele zu erreichen. Gesellschaftliche Stimmungen sollen in gewünschter Weise beeinflusst werden, was mit einer Partei allein nicht möglich wäre. Trotz des beschriebenen Rückgangs von Aktivitäten im Verlauf der letzten zehn Jahre waren auch im Jahr 2024 wieder öffentlichkeitswirksame Aktionen der IBD/IB MV zu verzeichnen: Am Morgen des 18. März 2024 kletterten drei schwarz vermummte Aktivisten der IBD auf das Dach eines Gymnasiums in Ribnitz-Damgarten und befestigten dort ein Plakat mit der Aufschrift "HEIMATLIEBE IST KEIN VERBRECHEN" sowie das Bildnis von "Papa Schlumpf". Der öffentliche Telegram-Kanal "7 Türme Medien" veröffentlichte ein kurzes Video der Aktion mit der Anmerkung, dass Deutschland eine Diktatur sei.1 Der Aktion war eine Kampagne der rechtsextremistischen Szene zu einem Polizeieinsatz in diesem Gymnasium vorausgegangen. Dort hatten nach einem Hinweis des Schuldirektors drei Polizeibeamte ein Gespräch bei einer 16-jährigen Schülerin durchgeführt. Mehrere öffentliche Kanäle von Extremisten nannten den Schulleiter namentlich und veröffentlichten Lichtbilder seiner Person. In der Folge kam es zu zahlreichen Drohungen gegen den Schulleiter. Auffällig in diesem Zusammenhang war das hohe Interesse sowie die Berichterstattung des Nachrichtenportals "Voice of Europe". Seit Juni 2023 war "Voice of Europe" aktiv an der Verbreitung pro-russischer Propaganda und Desinformation beteiligt, trat dabei jedoch nach außen als legitimes internationales Nachrichtenportal auf. Im Mai 2024 wurde die Internetseite aufgrund von EU-Sanktionen gesperrt. Es veröffentlichte Inhalte in mehreren Sprachen, die überwiegend Narrative und politische Forderungen transportierten, die mit der russischen Außenpolitik übereinstimmen.2 Darüber hinaus wurden Geldflüsse an amtierende Mitglieder des Europäischen Parlaments bekannt, um die öffentliche Meinung zugunsten Russlands zu beeinflussen.3 Die gezielte Verbreitung von Desinformation im Zusammenhang mit dem Polizeieinsatz am Gymnasium von Ribnitz-Damgarten kann als Beispiel für illegitime Einflussnahmeversuche im Rahmen hybrider Bedrohungen gelten. Weitere Informationen dazu erhalten Sie im Kapitel 11 "Spionageabwehr und hybride Bedrohungen". 1 Telegram-Eintrag Sieben Türme Medien vom 18.03.2024, abgerufen am 19.03.2024. 2 Quelle: https://www.verfassungsschutz.de/SharedDocs/hintergruende/DE/spionage-und-proliferationsabwehr/gefaehrdungder-bundestagswahl-2025-durch-unzulaessige-auslaendische-einflussnahme.html, abgerufen am 27.05.2025 3 Quelle: https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/B-9-2024-0264_DE.html 69 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern 4 Rechtsextremismus und -terrorismus Am 1. Juni 2024 fand ein bundesweites Treffen der IBD unter dem Motto "10 Jahre Wider stand! / Jubiläumsfeier anlässlich des 10-jährigen Bestehens" in Bernsdorf (SN) statt, an dem sich auch IBD-Anhänger aus Mecklenburg-Vorpommern beteiligten. Weitere bekannte Aktivitäten waren: Kreidespray-Aktion am 20. August 2024 in Rostock, Plakatierung am Ostseestadion Rostock im August 2024, "Aktion gegen Migrantengewalt" in der Rostocker Fußgängerzone mit Schriftzug "GEFAHRENZONE MIGRANTENGEWALT" Aufkleberaktion mit Parolen "Ampel abschalten", "Europa - Jugend - Reconquista" und "Festung Europa" im November 2024, Protestaktion vor einem Ladengeschäft in Rostock, das mit Vielfalt und Toleranz geworben hatte, im November 2024. Im Ergebnis ist die Hansestadt Rostock als regionaler Aktionsschwerpunkt der IB MV anzusehen. Neustart Kranichland RDG e. V.1 Sitz/Verbreitung Saal Die Satzung des eingetragenen Vereins "Neustart Kranichland RDG e. V." wurde Struktur am 26. Juni 2022 verabschiedet. Zu den Vorstandsmitgliedern zählt unter anderem ein früherer Aktivist der IBD. Mitglieder 5 "Neustart Kranichland" verknüpft "deutsche Interessen" mit einem "ethnisch-kulturellen" Volksverständnis. Die Ideologie der IBD wird auch innerhalb des Vereins "Neustart Kranichland" umgesetzt. Der Verein fordert einen politischen bzw. zivilen Widerstand, um die Ideologie bestehende Ordnung zu destabilisieren. Der freiheitliche Rechtsstaat wird als diktatorisches Unrechtsregime dargestellt. Durch aktive Proteststrukturen sollen politische und soziale Geschehnisse mitgeprägt werden. Der Verein "Neustart Kranichland", der personelle und inhaltliche Überschneidungen mit der "Identitären Bewegung" aufweist, setzt auf teils provokative Aktionen. So startete der Verein als Reaktion auf den "Pride Month" eine Aktion, um das Anliegen der LGBTQI+-Community - den Kampf gegen Diskriminierung aufgrund der sexuellen Orientierung - infrage zu stellen. 1 Telegram-Eintrag Neustart Kranichland RDG e.V., abgerufen am 03.01.2025. 70 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern 4 Rechtsextremismus und -terrorismus INFOBOX Stolzmonat Auf Basis ihrer Weltanschauung lehnen Rechtsextremisten Diversität im Hinblick auf sexuelle Orientierung sowie Partnerschaftsund Familienmodelle größtenteils ab. Sie sehen Heterosexualität und die damit verbundene traditionelle Kernfamilie als alternativlos und biologisch "natürlich" an. Demgemäß stören sich Rechtsextremisten insbesondere am "Pride Month." Sie sehen diesen als vermeintlichen Dominanzmonat von "woken Linken" und nehmen ebenso Anstoß an diesbezüglichen Symbolen wie der Regenbogenfahne. Der im Juni 2023 erstmals in den sozialen Netzwerken ausgerufene "Stolzmonat" versucht hiermit zu brechen, indem "nationale Identität, familiäre Identität, geschlechtliche Identität" gefeiert werden. Der Stolzmonat geht mit einer Vielzahl spezifisch queerfeindlicher Agitationen - teilweise mit extrem abwertenden und menschenfeindlichen Positionen und Äußerungen - im Internet sowie realweltlichen Protestaktionen von Rechtsextremisten einher. Hierbei kommt mitunter eine eigens geschaffene "Stolzfahne", eine siebenteilig untergliederte Fahne in den Farben Schwarz-Rot-Gold, zum Einsatz. Ein Beispiel für queerfeindliche Agitation war der verbale Angriff auf den Oberbürgermeister der Stadt Neubrandenburg. Dieser hatte sich öffentlich für das Hissen einer Regenbogenfahne eingesetzt und sah sich in der Folge zahlreichen Anfeindungen in den sozialen Medien ausgesetzt. Die massive Hetze, die weit über den konkreten Anlass hinausging, führte letztlich zu seinem Rücktritt.1 "Neustart Kranichland RDG e. V." veröffentlichte zum Ende des "Stolzmonats" 2024 bei Telegram ein Video mit "Pepe dem Frosch". Eine als "Pepe" verkleidete männliche Person mit einem T-Shirt mit der Aufschrift "Patriot" brachte darin zunächst einen Aufkleber in den Farben der "Stolzfahne" und mit der Aufschrift "Döp dödö döp" (in Anspielung auf das mit rechtsextremistischen Parolen unterlegte Lied "L'amour toujours") am Ortseingangsschild von Ribnitz-Damgarten an. Anschließend hisste die Person eine Stolzfahne an einem Hafen und salutierte. Zuletzt war die Person noch mit einer abgeänderten Stolzfahne zu sehen, die zusätzlich den Reichsadler enthielt. Das Video wurde auch in den Telegram-Kanälen "Aktionsgruppe Nord-Ost" sowie der "Identitären Bewegung Mecklenburg-Vorpommern", dort mit dem Hashtag "#StolzstattPride", weiterverbreitet.2 INFOBOX Pepe der Frosch Mit Memes wie "Pepe the Frog" verbreiten Rechtsextremisten Hassbotschaften und Ideologeme in einer zeitgemäßen Szeneund Jugendsprache. Als vermeintlich humoristische, aber für den Eingeweihten durchaus eindeutige Bild-Text-Kombinationen transportieren sie rechtsextremistische Ideologeme, oftmals ohne dabei strafbares Material zu teilen. Die Aktivitäten des Vereins "Neustart Kranichland RDG e. V." sind im Vergleich zum Vorjahr im Jahr 2024 zurückgegangen. Es ist nicht auszuschließen, dass die handelnden Personen ihre Aktivitäten künftig wieder vermehrt innerhalb der IBD fortführen. 1 Quelle: https://www.ndr.de/nachrichten/mecklenburg-vorpommern/Regenbogenfahne-rauer-Ton-RuecktrittNeubrandenburgs-OB-Witt-im-Gespraech,regenbogenflagge138.html, abgerufen am 27.05.2025. 2 Telegram-Einträge Aktionsgruppe Nord-Ost und Identitäre Bewegung Mecklenburg-Vorpommern vom 30.06.2024, abgerufen am 04.07.2024. 71 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern 4 Rechtsextremismus und -terrorismus Küstenwende - Freiheitliches Forum e. V.1 Sitz/Verbreitung Güstrow Bei "Küstenwende - Freiheitliches Forum e. V" handelt es sich um einen eingetragenen Verein, welcher als sonstige Struktur rechtsextremistische Organisation dem parteiunabhängig strukturierten Extremismus zuzurechnen ist. Vorstandsvorsitzender: Holger ARPPE Mitglieder 10 "Küstenwende" agiert sowohl als Vernetzungsplattform als auch als inhaltlicher Ideengeber. Dessen völkisch-nationalistische Positionen stehen im Widerspruch zur Garantie der Menschenwürde. Außerdem hat "Küstenwende" zahlreiche Beiträge veröffentlicht, die die Bundesrepublik als kommunistische Diktatur oder einen im Niedergang befindlichen Staat Ideologie darstellen (siehe z. B. die Äußerung "Wer also unbedingt eine Diktatur verhindern will, kann das hier und jetzt tun und einfach mithelfen, das Grüne Reich zu stoppen"2). Die fortgesetzten verbalen Angriffe und Herabsetzungen sind in der Gesamtschau als unvereinbar mit dem Demokratieprinzip zu werten. "Küstenwende" hat seine Aktivitäten im Berichtszeitraum kontinuierlich ausgebaut. Im Jahr 2024 waren zahlreiche Diskussionsabende und Vortragsveranstaltungen im unteren zweistelligen Bereich zu verzeichnen mit Themen wie "Ausblicke - Kommt 2024 die Wende?", "Die Demos gegen rechts und ihre Hintermänner", "Verfassungsschutz - Wie umgehen mit der neuen Stasi?" oder "Deutschland in Not - Was können wir tun?". Hinzu kamen eine Frühlingswanderung sowie ein Sommerfest. Darüber hinaus wurde eine überregionale Vernetzung des Vereinsvorsitzenden Holger ARPPE deutlich. So nahm er am 19. Oktober 2024 an einem "Patriotentreffen Ost trifft West" in Niederbobritzsch/Sachsen teil. Das Treffen habe der Vernetzung innerhalb der "freiheitlichpatriotischen Bewegung" gedient.3 - Verschiedene Social-Media Posts Quelle: www.x.com 1 Facebook-Eintrag Küstenwende - Freiheitliches Forum e.V., abgerufen am 03.01.2025. 2 Telegram-Eintrag Küstenwende - Freiheitliches Forum e.V. vom 25.10.2024, abgerufen am 28.10.2024. 3 Telegram-Eintrag H. A. vom 22.10.2024, abgerufen am 28.10.2024. 72 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern 4 Rechtsextremismus und -terrorismus Junge Alternative Mecklenburg-Vorpommern (JA MV)1 Der offizielle Sitz der JA MV ist Sitz/Verbreitung Neubrandenburg. Der Verein ist landesweit aktiv. Die JA MV war im Berichtszeitraum gem. SS 17 Abs. 1 der Landessatzung der Alternative für Deutschland Mecklenburg-Vorpommern die Struktur offizielle Jugendorganisation des Landesverbandes. Vorsitzender: Alexander TSCHICH Mitglieder ca. 20 Die Entwicklung der JA MV ist eng verzahnt mit der Entwicklung der JA auf Bundesebene. Ideologische Differenzen wurden nicht festgestellt. Es liegen insbesondere keine Anhaltspunkte dafür vor, dass sich die JA MV von den Zielen der JA auf Bundesebene distanziert bzw. die politischen Vorstellungen der JA nicht mitträgt. In der Gesamtschau bestehen zahlreiche diffamierende und die Menschenwürde missachtende Positionierungen. Durch die pauschalen Verdächtigungen und Herabwürdigungen von Asylbewerbern und Migranten Ideologie besteht die Gefahr einer willkürlichen Diskriminierung aller ethnisch Nichtdeutschen sowie einer entwürdigenden Ungleichbehandlung. Zudem finden sich bei der JA MV Äußerungen und Aktivitäten, die den historischen Nationalsozialismus zwar nicht befürworten, aber nationalsozialistisches Unrecht relativieren. Dies geschieht insbesondere durch ein systematisches Verschweigen des Unrechtscharakters des NS-Staats im Zusammenhang mit den relevanten Veröffentlichungen, beispielsweise zum Volkstrauertag. Zur Herstellung einer gesellschaftlichen Anschlussfähigkeit unterstützte die JA MV die Bauernproteste vom 8. bis 15. Januar 2024 und rief mit einem Beitrag des JA-Bundesverbandes dazu auf, sich den Protesten in den Dörfern und Städten anzuschließen und dabei kreativ zu sein.2 Am 17. Januar 2024 beteiligte sich die JA MV an einer Mahnwache "Das Boot ist voll" in Bergen auf Rügen. Obwohl die Versammlungsbehörde den ca. 20 Teilnehmern - wohl auch mit Blick auf die Gegendemonstration - kurzfristig einen neuen Platz für die Versammlung zuweisen wollte, gelang es diesen, ihr Transparent mit der Aufschrift "DAS BOOT IST VOLL - GRENZEN DICHT UND REMIGRATION" auf dem Marktplatz zu präsentieren.3 1 Facebook-Eintrag Junge Alternative Mecklenburg-Vorpommern, abgerufen am 03.01.2025. 2 Facebook-Eintrag Junge Alternative Mecklenburg-Vorpommern vom 08.01.2024, abgerufen am 09.01.2024. 3 www.facebook.com/ja.meckpomm vom 17.01.2024, abgerufen am 23.01.2024. 73 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern 4 Rechtsextremismus und -terrorismus Außerdem wurde seitens der JA MV am 16. März 2024 im Demmlersaal des Schweriner Rathauses ein Vortragsabend mit dem Vorsitzenden des zwischenzeitlich aufgelösten und neustrukturierten "Instituts für Staatspolitik" (IfS)1 Götz KUBITSCHEK veranstaltet. Das aufgelöste und neustrukturierte IfS stellt eine publizistische und rechtsintellektuelle Institution dar und ist hauptsächlich als Ideengeber einzuschätzen. Die Stadt Schwerin war vor dem Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern mit ihrem Versuch gescheitert, den Mietvertrag für das Schweriner Rathaus zu kündigen. Gegendemonstranten versuchten, den Zugang zum Rathaus zu blockieren. Der frühere Bundesleiter der IBD, Daniel Fiß, musste von der Polizei daran gehindert werden, die - Quelle: www.facebook.com Rathaustreppe gewaltsam zu "räumen". Hinzu kamen Verteilaktionen direkt vor Schulen und sonstige Mitgliederwerbung der JA MV, die sich gezielt an Jugendliche richtete. Die JA MV führte mit ihrem Landesvorsitzenden am 9. Juli 2024 eine Flugblattverteilung vor einer Berufsschule durch. Es seien, so die JA MV, "viele spannende Gespräche" zustande gekommen und "zahlreiche neue Interessenten" gewonnen worden. Die verteilten JA-Flyer trugen Überschriften wie "GENERATION DEUTSCHLAND" und "ABSCHIEBE-HAUPTMEISTER".2 Eine weitere Aktion zur Mitgliederwerbung fand am 24. September 2024 im Landkreis Nordwestmecklenburg statt. Mehrere Vertreter der JA MV sprachen Jugendliche vor Ort an und verteilten Flyer der JA MV. Seitens der JA MV wurden auch spezielle "Jugend-Stammtische" angeboten, wie beispielsweise am 28. Oktober 2024 in Güstrow. Auch dort wurden Flyer der JA MV verteilt. 1 Die Tätigkeiten des IfS werden in der neu gegründeten "Menschenpark UG" fortgeführt 2 Facebook-Eintrag Junge Alternative Mecklenburg-Vorpommern vom 09.07.2024, abgerufen am 30.07.2024. 74 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern 4 Rechtsextremismus und -terrorismus Darüber hinaus sollen durch Aktivitäten wie Wanderungen und Grillabende Jugendliche als Mitglieder der JA gewonnen werden. Zudem wurde eine Zusammenarbeit mit JA-Strukturen aus anderen Bundesländern festgestellt. Die Junge Alternative Hamburg beteiligte sich am 3. August 2024 zusammen mit der JA MV und der "Freiheitlichen Jugend Wien" an einem "kleinen Vernetzungstreffen" in Schwerin. Anlässlich der zentralen Feierlichkeiten zum Tag der Deutschen Einheit am 3. Oktober 2024 in Schwerin bedankte sich die JA MV für den Besuch der Jungen Alternative Schleswig-Holstein und der Jungen Alternative Hamburg. Auf einem dazugehörigen Lichtbild waren 17 Personen zu erkennen. Das enge Zusammenwirken zwischen "Identitären" und der JA MV wurde exemplarisch an der Vortragsreihe des ehemaligen Bundesvorsitzenden der "Identitären Bewegung Deutschland e. V." (IBD) im Oktober/November 2024 deutlich. Veranstaltungshinweise für einen Vortrag "Wer wählt RECHTS?" in Schwerin, Greifswald und Stralsund wurden über die öffentliche Facebook-Seite der JA MV verbreitet. Es nahmen jeweils bis zu 50 Personen teil, darunter in Schwerin auch die zum Tag der Deutschen Einheit angereisten Besucher der Jungen Alternative Schleswig-Holstein und der Jungen Alternative Hamburg. Zu dem Thema ist eine gleichnamige Broschüre des ehemaligen IBD-Bundesleiters Daniel Fiß im Antaios-Verlag erschienen. Sitz des Verlags ist seit dem Jahr 2003 das Rittergut Schnellroda in Steigra/Sachsen-Anhalt, an dem auch die Nachfolgestrukturen des aufgelösten und neustrukturierten "Instituts für Staatspolitik" (IfS) angesiedelt sind. Zum Jahresende 2024 veröffentlichte der AfD-Bundesvorstands eine Pressemitteilung, nach der die Auflösung der JA in der derzeitigen Form und eine Eingliederung in die AfD geplant sei. Der AfD-Bundesparteitag beschloss am 12. Januar 2025 eine Änderung der Bundessatzung, wonach die JA mit Wirkung vom 1. April 2025 nicht mehr die offizielle Jugendorganisation der AfD sein wird. Stattdessen soll eine neue Jugendorganisation als rechtlich unselbstständiger Teil der Partei gegründet werden. Die Selbstauflösung der JA wurde demgemäß auf dem Bundeskongress am 1. Februar 2025 in Apolda/Thüringen beschlossen. Die Auflösung der JA MV erfolgte am 24. März 2025. Es ist aber davon auszugehen, dass die Jugendarbeit im Land in ähnlicher Form wie bisher fortgeführt wird. - Quelle: Homepage Junge Alternative 75 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern Die "Wehrhafte Demokratie" - KAPITELÜBERSICHT Auftrag und Verpflichtung des 11 Verfassungsschutzes VERFASSUNGSSCHUTZBERICHT 2024 KAPITEL 1 Auf einen Blick Radikalisierung im digitalen Zeitalter: Junge Zielgruppen im 23 Visier extremistischer Akteure 33 KAPITEL 2 KAPITEL 3 Rechtsextremismus Reichsbürger und und -terrorismus Selbstverwalter 39 77 KAPITEL 4 KAPITEL 5 Verfassungsschutzrelevante Linksextremismus Delegitimierung des Staates 87 93 KAPITEL 6 KAPITEL 7 Islamismus / Islamistischer Auslandsbezogener Terrorismus Extremismus 105 115 KAPITEL 8 KAPITEL 9 Mitwirkungsangelegenheiten, Spionageabwehr und Waffenrechtliche Erlaubnisse und hybride Bedrohungen Extremisten im öffentlichen Dienst 125 133 KAPITEL 10 KAPITEL 11 Presseund Anlagen Öffentlichkeitsarbeit 143 149 KAPITEL 12 KAPITEL 13 Kapitel 5 Reichsbürger und Selbstverwalter Verfassungsschutz Mecklenburg-Vorpommern 5 Reichsbürger und Selbstverwalter 5. Reichsbürger und Selbstverwalter 5.1 Lageüberblick INFOBOX "Reichsbürger und Selbstverwalter sind Gruppierungen und Einzelpersonen, die aus unterschiedlichen Motiven und mit unterschiedlichen Begründungen - unter anderem unter Berufung auf das historische Deutsche Reich, verschwörungstheoretische Argumentationsmuster oder ein selbst definiertes Naturrecht - die Existenz der BRD und deren Rechtssystem ablehnen, den demokratisch gewählten Repräsentanten die Legitimation absprechen oder sich gar in Gänze als außerhalb der Rechtsordnung stehend definieren, weshalb die Besorgnis besteht, dass sie Verstöße gegen die Rechtsordnung begehen."1 Seit dem Beginn der Beobachtung dieses Phänomenbereiches durch den Verfassungsschutz Mecklenburg-Vorpommern zeichnet sich die Szene vor allem durch ihre Heterogenität aus. Sie setzt sich vor allem aus Einzelpersonen, Kleinund Kleinstgruppen sowie hauptsächlich im Internet agierenden Netzwerken zusammen. Daneben existieren auch strukturierte Organisationen - teilweise auch über Bundesund Ländergrenzen hinweg. Deren Ideologien ähneln einander teilweise, sie deklarieren für sich jedoch in der Regel einen Alleinherrschaftsanspruch. In der ganzheitlichen Betrachtung des Phänomenbereiches findet sich ein breites Spektrum an Weltanschauungen, wobei allen die Ablehnung der Bundesrepublik Deutschland als souveräner Staat gemein ist. Die Leugnung der Existenz der BRD und infolgedessen die Aberkennung der Legitimation zu hoheitlichem Handeln sind elementare Bestandteile der Ideologie. Grundsätzlich sind zwei Ausrichtungen zu beobachten: die der "Reichsbürger" und die der "Selbstverwalter". Bei "Reichsbürgern" ist der Gebietsund Geschichtsrevisionismus häufig sehr ausgeprägt und sie berufen sich auf den Fortbestand des historischen "Deutschen Reiches". Dabei betrachten sie es als ihre Pflicht, das derzeit vermeintlich handlungsunfähige -aber angeblich noch existierendeDeutsches Reich zu reaktivieren. "Selbstverwalter" fühlen sich in der Regel dem Staat nicht zugehörig und argumentieren u. a., dass eine UNResolution es ihnen ermöglichen würde, in die Selbstverwaltung einzutreten. Oft werden auch philosophische oder religiöse Ansätze missbraucht oder neu interpretiert, um die Gründung ihrer Fantasiestaaten zu rechtfertigen. Eine trennscharfe Unterscheidung zwischen "Reichsbürgern" und "Selbstverwaltern" gestaltet sich häufig allerdings schwierig. INFOBOX UN-Resolution A/RES/56/83. "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" gehen von der irrigen Annahme aus, dass diese die Möglichkeit eröffne, eigene "Territorien" zu errichten. Bei der Resolution handelt es sich jedoch nicht um ein bindendes Völkervertragsrecht, daher kann ein Recht auf "Selbstverwaltung" daraus nicht abgeleitet werden. 1 Definition des Bundesamtes für Verfassungsschutz/BfV, Verfassungsschutzbericht 2023, S. 132 78 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern 5 Reichsbürger und Selbstverwalter Ein wesentliches Merkmal der Szene ist die Verbreitung von Verschwörungsideologien. Vor allem die Vorstellung, dass die Welt von einer politischen Elite gesteuert wird, welche die Weltordnung vorgibt und die Wahrheit zum eigenen Machterhalt unterdrückt, ist weithin verbreitet. Die Überschneidung der "Reichsbürger und Selbstverwalter"-Szene mit Ideologien des Rechtsextremismus und des Phänomenbereiches "Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates" konnte im Berichtszeitraum weiterhin beobachtet werden. Im Bereich der Verschwörungsideologien gibt es eine große Schnittmenge, aber auch rechtsextremistische Ansätze aus dem Antisemitismus, Rassismus, genereller Fremdenfeindlichkeit sowie Gebietsund Geschichtsrevisionismus vereinen die Phänomenbereiche. Die Nutzung von sozialen Medien für die Verbreitung eigener, auch verschwörungstheoretischer Narrative ist weiterhin ein entscheidender Faktor in der Szene. Zudem wurden die Webseiten teilweise deutlich professionalisiert. Podcasts oder regelmäßige kleinere Sendungen mit Interviews sprechen hierbei auch eine deutlich jüngere Zielgruppe an. Mit der stetigen Professionalisierung eigener Formate ist ein breites Portfolio an "alternativen Medien" entstanden. Damit einhergehend wird weiterhin die Annahme verbreitet, dass die "Systemmedien" unter der Kontrolle der "Eliten" stehen würden. Die Entstehung mehrerer Webseiten, die ein breites Spektrum an Waren und Dienstleistungen rund um den Phänomenbereich anbieten, erleichtert Szeneangehörigen die Abschottung von der bürgerlichen Gesellschaft. Eine besondere Herausforderung für die Sicherheitsbehörden stellt die schnelle und teils extreme Radikalisierung einzelner Personen dar. Diese geraten häufig infolge persönlicher Krisen - z. B. Überschuldung - in Kontakt mit der Szene. Anfangs äußert sich dies durch die Verweigerung von Zahlungen oder das Ignorieren von behördlicher Post. In der Folge werden staatliche Institutionen mit einer Vielzahl pseudojuristischer Schreiben überflutet, die teilweise auch Drohungen gegenüber Beschäftigten im öffentlichen Dienst enthalten. Steigende rechtliche Konsequenzen führen häufig zu einem sozialen Rückzug und einer stärkeren Hinwendung zur Szene. In bestimmten Situationen - etwa bei Verkehrskontrollen oder Durchsuchungen - kann dies in Gewaltanwendungen münden, die auf ein selbst konstruiertes Widerstandsrecht gestützt werden. Auch im Jahr 2024 sind "Reichsbürger und Selbstverwalter" in Mecklenburg-Vorpommern durch den Widerstand gegen staatliche Maßnahmen in Erscheinung getreten. Ausgangspunkt ist häufig die Weigerung zur Zahlung von Steuern, Abgaben oder Bußgeldern. Bei der Umsetzung der entsprechenden Haftbefehle kam es mehrfach zu körperlichen Auseinandersetzungen mit Polizeibeamten, wie beispielsweise im Mai 2024 bei einem Vorfall in Rostock, als ein Polizist und der Angreifer selbst verletzt wurden. Im Oktober 2024 führte der Zoll eine Durchsuchung bei einem Reichsbürger in Rostock durch, bei der Waffen, mehrere verbotene Gegenstände und eine erhebliche Anzahl an Munition sowie reichsbürgertypische Literatur und Schriftstücke gefunden wurden. Die Durchsuchung ist ein weiterer Beleg für die Waffenaffinität der Szene. Insbesondere durch die legale und illegale Bewaffnung stellen Angehörige der Reichsbürgerund Selbstverwalterszene eine grundsätzliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit dar. Daher ist es nach wie vor eine der vordringlichsten Aufgaben des Verfassungsschutzes, zur Entwaffnung von Extremisten beizutragen. 79 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern 5 Reichsbürger und Selbstverwalter 5.2 Personenpotenzial Personenpotenzial "Reichsbürger und MV MV Bund Bund Selbstverwalter"1 - nach Organisationsgrad 2023 2024 2023 2024 Gesamt 690 690 25.000 26.000 davon unstrukturiert 520 430 k. A. k. A. in Strukturen organisiert 170 260 k. A. k. A. davon Rechtsextremisten 50 55 1.350 1.400 davon gewaltorientiert 120 125 2.500 2.600 Erstmals seit der Beobachtung des Phänomenbereiches "Reichsbürger und Selbstverwalter" durch den Verfassungsschutz Mecklenburg-Vorpommern ist die Anzahl der Szeneangehörigen nicht angestiegen, sondern stagniert bei ca. 690 Personen. Der Anteil des unstrukturierten Personenpotenzials macht mit 62 Prozent weiterhin den Großteil des Personenpotenzials aus. Es ist allerdings eine zunehmende Strukturierung feststellbar. Das Interesse für die reichsbürgertypische Ideologie steigt trotz eines stagnierenden Personenpotenzials weiterhin an. Dies lässt sich gut an den steigenden Mitgliederzahlen der zahlreichen Telegram-Kanäle ablesen. Beispielhaft dafür steht der Anstieg der Mitglieder des Telegram-Kanals des selbsternannten Großherzogs Friedrich Maik von 25.000 (Stand 09/2023) auf 33.000 (Stand 12/2024). Seriös wirkende Webseiten und die Positionierung zu tagespolitischen Themen verschleiern die extremistische Zielrichtung diverser Reichsbürgerund Selbstverwalterorganisationen und machen sie anschlussfähig. Im Jahr 2024 konnten acht Prozent der "Reichsbürger und Selbstverwalter"-Szene auch dem Phänomenbereich "Rechtsextremismus" zugeordnet werden, 18 Prozent gelten als gewaltorientiert. Im Vergleich zum vorigen Berichtszeitraum gab es bei diesen Indikatoren nur einen leichten Anstieg. Im Gegensatz zur rechtsextremistischen Szene liegt der Frauenanteil mit 37 Prozent wesentlich höher. Zudem zeichnet sich eine Verjüngung der Szene ab. Der Anteil der 18bis 29-jährigen Personen ist allerdings verschwindend gering, sodass festzustellen bleibt, dass der Phänomenbereich in Mecklenburg-Vorpommern durch eine ältere Generation geprägt ist. 1 Alle Zahlen sind Rundungswerte. 80 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern 5 Reichsbürger und Selbstverwalter 5.3 Strukturen und Aktivitäten der "Reichsbürger und Selbstverwalter"-Szene in Mecklenburg-Vorpommern Das Personenpotenzial der Reichsbürgerszene ist auch in Mecklenburg-Vorpommern äußerst heterogen und nur durch wenige strukturierte Organisationen geprägt. Dennoch konnte erneut beobachtet werden, dass Einzelpersonen in ihren Schreiben Bezug auf bestehende Strukturen nehmen, wie zum Beispiel der Gruppierung "Großherzog Friedrich Maik". Es gibt jedoch weiterhin keinen Konsens über ein einheitliches Vorgehen in der Szene der "Reichsbürger und Selbstverwalter" und somit verschiedenste, voneinander unabhängige Gruppierungen wobei die nachfolgenden Organisationen hervorzuheben sind: Großherzogtum Friedrich Maik (GHZ) Bad Kleinen / Landkreis Sitz/Verbreitung Nordwestmecklenburg Struktur landesweit agierende Gruppierung Mitglieder ca. 55 Führungsperson Maik GEIKLER Ideologie Die ablehnende Haltung des selbsternannten "Großherzogs Friedrich Maik" gegenüber der freiheitlichen demokratischen Grundordnung wird bereits in dem angestrebten Ziel der Gruppierung deutlich: es wird die Abschaffung der parlamentarischen Demokratie und die Einführung der parlamentarischen Monarchie mit "Friedrich Maik" als Führungsperson angestrebt. Dazu "aktivierte" er im Juli 2019 "das Großherzogtum Mecklenburg-Strelitz und das Großherzogtum Mecklenburg-Schwerin in der Staatsform der parlamentarischen Monarchie und in den geographischen Grenzen von 1918." Für den "friedvollen Übergang" sei eine Volksinitiative notwendig, die vor fünf Jahren über eine Stimmzettelabgabe eingeleitet wurde. Es müssen "10 % der aktuell in Mecklenburg lebenden und stimmberechtigten Menschen den Stimmzettel unterschreiben und einreichen" damit die Landesregierung laut seinen Angaben die Regierungsgewalt unverzüglich an ihn abzugeben hat. Die Stimmzettel konnten bei landesweit örtlichen Unterstützern abgegeben werden. Nach eigenen Angaben wird die Organisation "Großherzogtum Friedrich Maik" von circa 155.000 Personen unterstützt1. "Großherzog Friedrich Maik" wiederholt allerdings regelmäßig, dass das Ziel nur nicht erreicht werden konnte, da Stimmzettel entwendet wurden. Bisher wurden jedoch weder durch den "Großherzog Friedrich Maik" noch durch seine Anhängerschaft Maßnahmen zu dieser verfassungsfeindlichen "Machtübernahme" ergriffen. 1 https://www.ghz-friedrich-maik.com/monarchie/dossier-1.html 81 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern 5 Reichsbürger und Selbstverwalter Zum 1. Juni 2024 wurde die Website der Organisation überarbeitet. Die bis dahin regelmäßig stattÜbersicht der findenden sogenannten Präsenzveranstaltungen Stammtische Bergen a. R. (letztmalig angekündigt für den 12. August 2023 im Stralsund Raum Ludwigslust) wurden komplett durch StammRostock tischtreffen ersetzt. Die Anzahl der Stammtische ist Anklam seither geringfügig angestiegen. Wismar Güstrow Schwerin Die Stammtische sind unterschiedlich aktiv. Einige Neubrandenburg Parchim laden mehrmals im Monat zu einem Treffen ein, anBoizenburg / Elbe Waren (Müritz) dere nur sehr unregelmäßig. Aktivitäten Neben den regelmäßig stattfindenden Stammtischtreffen wurden erneut saisonale Veranstaltungen wie das Sommerfest und das Erntedankfest durchgeführt. Auch weihnachtliche Aktivitäten wie ein Flohmarkt im Büro des selbsternannten Großherzogs in Bad Kleinen oder ein Beisammensein in Blankenberg wurden im vergangenen Jahr angekündigt. Der Schwerpunkt der Aktivitäten liegt in Mecklenburg-Vorpommern. Allerdings sollen auch Stammtische außerhalb der Landesgrenze stattgefunden haben. Neben den Stammtischen in Niedersachsen, Berlin, Brandenburg und Dänemark gibt es nun laut Website des selbsternannten Großherzogs auch Angebote in Hessen, Nordrhein-Westfalen und Bulgarien. Erneut konnte die Verteilung von Informationsflyern festgestellt werden, auf denen über den Unterschied zwischen der parlamentarischen Demokratie und der parlamentarischen Monarchie informiert wird. Im Ergebnis wird der freiheitlichen demokratischen Grundordnung die Legitimität abgesprochen. Weiterhin unterhält die Organisation den TelegramKanal "Informationen für das GHZ Mecklenburg-Strelitz, Mecklenburg-Schwerin, Herzogtum Pommern und das Königreich Preussen" mit nunmehr ca. 33.000 Followern. Auf diesem werden täglich Beiträge gepostet oder retweetet und zahlreiche gesellschaftliche und politische Ereignisse kommentiert. Die Beiträge haben in der Regel einen fremdenfeindlichen, antisemitischen oder geschichtsund gebietsrevisionistischen Hintergrund. So wird George Soros gern als Feindbild dargestellt, der als Teil einer "Elite" die Weltordnung an sich reißen will. Regelmäßig werden auch Inhalte zu den verschiedensten Verschwörungstheorien kommentiert und geteilt. "Friedrich Maik" ist unter anderem ein Verfechter der "Chemtrails-Verschwörung", der "Impf-Lüge", der "QAnon"-Bewegung oder der "Pizzagate1"-Affäre. Beispielhaft können die folgenden Beiträge auf der Plattform Telegram genannt werden: 1 Im US-Wahlkampf 2016 wurden gehackte E-Mails veröffentlicht, in denen es um "Pizza" und "Käse" ging. Hillary Clinton und ihrem Wahlkampfchef wurde unterstellt, dass sie in einer Washingtoner Pizzeria einen Kinderschänderring betrieben hätten und es sich um Codewörter gehandelt hätte. 82 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern 5 Reichsbürger und Selbstverwalter Vaterländischer Hilfsdienst Sitz/Verbreitung landesweit Struktur bundesweit agierende Gruppierungen Mitglieder ca. 20 Ideologie Gegründet wurde die Organisation 2018 vom selbsternannten "Generaldirektor" des Vaterländischen Hilfsdienstes (VHD), welcher die dominierende Stellung einnimmt. Die Gruppierung ist auch unter den Namen "Ewiger Bund" oder "Preußisches Institut" bekannt. Die verschiedenen Untergruppen dienen hauptsächlich der internen Aufgabenabgrenzung. Das Konglomerat verfolgt eine gemeinsame Ideologie: die Wiederherstellung des Deutschen Reiches unter der Herrschaft des Kaisers. Dies hat zwangsläufig die Abschaffung der bestehenden staatlichen Strukturen und des Hoheitsgebietes der Bundesrepublik Deutschland zur Folge. Es sollen stattdessen die Grenzen des ehemaligen "Deutschen Kaiserreiches" unter der Führung des Hauses Hohenzollern wiederhergestellt werden. Die Angehörigen dieser Gruppierung nehmen die Grenzen aus der Zeit des Staatenbundes als Vorbild, der 1871 aus 24 Mitgliedern bestand. Sie vertreten die Meinung, dass die damalige Rechtsordnung heute immer noch Bestand hat. "Bismarcks Erben [sieht sich als] eine Organisation von Bundesstaatenangehörigen für Bundesstaatenangehörige, die sich der Traditions-, Kultur-, Volkstumsaber vor allem der Rechtspflege der Bundesstaaten des Deutschen Reiches und dem Weltfrieden verpflichtet hat." Durch den VHD möchte die Organisation "Bismarcks Erben" perspektivisch dieses Ziel erreichen. Der VHD soll zur Ausübung der Staatsgewalt und als Ordnungsmacht eingesetzt werden. Zudem zählt zu dessen weiteren Aufgaben der Aufbau einer Verwaltungsstruktur, die bereits arbeitsfähig sei, sobald der Kaiser wiedereingesetzt würde. In den bestehenden 24 Armeekorpsbezirken (AKB) erfolgt die Meldung der Freiwilligen zum Dienst. Aktivitäten Im Jahr 2024 führte die Gruppierung "Bismarcks Erben" im gesamten Bundesgebiet erneut vier sogenannte "Fanal"-Aktionen durch, bei denen an Bismarck-Denkmälern Bengalos entzündet worden sein sollen. Die Aktionen finden regelmäßig zu bedeutenden Daten in der Geschichte des "Deutschen Reiches" statt. Die Organisation ruft Teilnehmende auf, Fotound Videomaterial der Aktionen unter dem Hashtag "#GermanReset" in sozialen Medien zu verbreiten, und inszeniert diese im Nachgang. Im Bundesland sind zwei AKB der Untergruppierung "Vaterländischer Hilfsdienst" vertreten: der "II. AKB" (östliche Landeshälfte/Vorpommern) sowie der "IX. AKB" (westliche Landeshälfte/Mecklenburg), wobei die Korpsbezirksgrenzen nicht mit den Grenzen der Bundesländer und der Bundesrepublik Deutschland übereinstimmen. Hauptsächlich führen die AKB sogenannte "Hilfsdiensttreffen" durch, bei denen die Rekrutierung und Vereidigung neuer "Hilfsdienstkräfte" stattfindet. Bei diesen Treffen kommt eine Teilnehmerzahl im unteren zweistelligen Bereich zusammen. Militante Aktivitäten, wie der Begriff Armeekorpsbezirk impliziert, sind bisher nicht bekannt geworden. 83 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern 5 Reichsbürger und Selbstverwalter Penzliner Runde Sitz/Verbreitung Landkreis Mecklenburgische Seenplatte Struktur regional agierende Gruppierungen Mitglieder ca. 20 Ideologie Nach eigenen Angaben behandelt die "Penzliner Runde" unterschiedliche Themen wie die Unterschiede "zwischen Menschen und Person" oder "Themen wie Zwangsabgaben, Staatsangehörigkeitsausweis, Personalausweis etc.". Es handelt sich hierbei um Kernthemen der Reichsbürger und Selbstverwalter, die mit unterschiedlichsten Argumentationsgrundlagen versuchen, sich von der Bundesrepublik Deutschland loszusagen. Hierbei sind nicht wenige der Ansicht, Bundespersonalausweise machten sie zu "Systemsklaven" und beraubten sie ihrer vermeintlich wahren Staatsangehörigkeit und der damit verbundenen Rechte. Es sind personelle Überschneidungen der "Penzliner Runde" mit den Organisationen "Ewiger Bund" bzw. "Vaterländischer Hilfsdienst" erkennbar, die auf eine ähnliche ideologische Ausrichtung hindeuten. Zudem bewirbt die Webseite der "Penzliner Runde" digitale Angebote des "Ewigen Bundes". Aktivitäten An den wöchentlich stattfindenden Treffen der "Penzliner Runde" im Kiosk 2000 in Neubrandenburg nahm in der Regel eine einstellige Personenzahl wechselnder Besucher teil. Deutsches Reich / Freistaat Preußen Landkreise Vorpommern-Greifswald Sitz/Verbreitung und Mecklenburgische Seenplatte Struktur bundesweit agierende Gruppierung Mitglieder ca. 15 Ideologie Die Mitglieder dieser Gruppierung sind der Überzeugung, dass das ehemals existierende Kaiserreich von 1914 und damit auch der Freistaat Preußen niemals untergegangen ist. Seit Sommer 2013 sei nach Auffassung der Gruppierung die Bundesrepublik Deutschland "abgelöst" und man selbst in der Regierungsverantwortung. Darüber hinaus erhebt der "Freistaat Preußen" den Anspruch, das Deutsche Reich international nach außen hin zu vertreten. 84 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern 5 Reichsbürger und Selbstverwalter Aktivitäten Einige Mitglieder der Organisation treten gegenüber Ämtern in Mecklenburg-Vorpommern seit mehreren Jahren durch den Versand von Beschwerdeschreiben und Fantasiepapieren in Erscheinung. Dazu zählen unter anderem Staatsangehörigkeitsausweise, Reisepässe und Heimatscheine. Die auf der Webseite der Organisation1 zu verzeichnenden Bekanntmachungen sind rückläufig. staatenlos.info Sitz/Verbreitung Landkreis Ludwigslust-Parchim Struktur bundesweit agierende Gruppierung Mitglieder ca. 15 Führungsperson Rüdiger HOFFMANN Ideologie Die Ideologie der Organisation "staatenlos.info" ist nach wie vor die vermeintliche Entnazifizierung Deutschlands und in der Folge die Errichtung eines neuen Staatssystems.2 Die Mitglieder von "staatenlos.info" sind der Auffassung, dass die Bundesrepublik Deutschland Rechtsnachfolgerin des nationalsozialistischen "Dritten Reiches" ist und dessen faschistische Politik weiter betreibe. Demzufolge muss der "nationalsozialistische Führungsstaat" abgelöst werden und soll künftig die Bezeichnung "Heimatreich der Deutschen" tragen.3 Die dazugehörige Website will "künstlerisch-satirisch über die Ursache und Generallösung der bis heute offensichtlich nicht geklärten 'Deutschen Frage' informieren". Probleme, welche sich aus dieser ungeklärten Frage ergeben, wären z. B. der immer noch andauernde Kriegszustand seit 1939 oder die "Staatenlosigkeit der indigenen Deutschen". Die verbreiteten Thesen sprechen der Bundesrepublik und ihren Institutionen die Legitimität ab und sind nicht mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung vereinbar. Auf dem Telegram-Kanal der Organisation "staatenlos. info" werden unter anderem Echtzeit-Übertragungen der monatlichen "Kundgebungen unter freiem Himmel" vor dem Reichstag in Berlin angeboten, hauptsächlich jedoch Videobotschaften verbreitet, in denen die Füh rungsperson der Gruppierung aktuelle politische und gesellschaftliche Ereignisse wie die Finanz-, Wirtschaftsund Coronakrise sowie den UkraineKrieg und den Nahost Konflikt thematisiert. Aktivitäten Die Mitglieder der Gruppierung führen wöchentlich Veranstaltungen in Wittenburg sowie monatlich in Berlin durch. Des Weiteren liegt ein Schwerpunkt der Bemühungen in der Verbreitung der Inhalte über Social-MediaKanäle und schwerpunktmäßig über die Website, auf der fast täglich umfangreiche Videobotschaften veröffentlicht werden. 1 https://freistaat-preussen.world/ 2 https://staatenlos.info/entnazifizierung-neues-staatssystem-in-deutschland 3 https://staatenlos.info/entnazifizierung-neues-staatssystem-in-deutschland 85 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern Die "Wehrhafte Demokratie" - KAPITELÜBERSICHT Auftrag und Verpflichtung des 11 Verfassungsschutzes VERFASSUNGSSCHUTZBERICHT 2024 KAPITEL 1 Auf einen Blick Radikalisierung im digitalen Zeitalter: Junge Zielgruppen im 23 Visier extremistischer Akteure 33 KAPITEL 2 KAPITEL 3 Rechtsextremismus Reichsbürger und und -terrorismus Selbstverwalter 39 77 KAPITEL 4 KAPITEL 5 Verfassungsschutzrelevante Linksextremismus Delegitimierung des Staates 87 93 KAPITEL 6 KAPITEL 7 Islamismus / Islamistischer Auslandsbezogener Terrorismus Extremismus 105 115 KAPITEL 8 KAPITEL 9 Mitwirkungsangelegenheiten, Spionageabwehr und Waffenrechtliche Erlaubnisse und hybride Bedrohungen Extremisten im öffentlichen Dienst 125 133 KAPITEL 10 KAPITEL 11 Presseund Anlagen Öffentlichkeitsarbeit 143 149 KAPITEL 12 KAPITEL 13 Kapitel 6 Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates Verfassungsschutz Mecklenburg-Vorpommern 6 Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates 6. Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates Ein wesentliches Element der Demokratie ist die freie Meinungsäußerung. Kritik an politischen Debatten oder Politikern ist hierbei nicht nur durch das Grundgesetz geschützt, sondern auch ausdrücklich im Rahmen der politischen Teilhabe erforderlich. Im Rahmen der Corona-Pandemie traten jedoch vermehrt Personen in Erscheinung, welche über die freie Meinungsäußerung hinaus und außerhalb der freiheitlichen demokratischen Grundordnung agitiert haben. Delegitimierer sprechen den Institutionen der Demokratie und deren Entscheidungsträgern die Legitimität ab, da sie die demokratischen Prozesse dahinter ablehnen. Im hiesigen Beobachtungsobjekt wurden vornehmlich Personen und Personenzusammenschlüsse erfasst, die sich während der Corona-Pandemie - oftmals unter Bezugnahme auf verschiedene Verschwörungserzählungen -radikalisiert haben, sodass sie an der Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung mitwirken wollten, gegebenenfalls auch unter Anwendung von Gewalt. 6.1 Lageüberblick In Mecklenburg-Vorpommern wies der Phänomenbereich "Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates" im Berichtszeitraum keine wesentlichen Veränderungen im Vergleich zum Vorjahr auf. Das Themenfeld rund um die COVID-19-Pandemie bleibt weiterhin von hoher Relevanz. Durch die im Mai 2024 veröffentlichten Protokolle des RKI-Krisenstabs rückte es erneut verstärkt in den Fokus. In der Szene wird versucht, auf Grundlage dieser Dokumente vermeintliche Skandale zu konstruieren und deren umfassende Aufarbeitung zu fordern. Dabei wurden auch martialische Forderungen nach sogenannten "Tribunalen" laut. Auch dies ist ein Indiz der in dieser Szene verbreiteten Gleichstellung von staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie mit den nationalsozialistischen Verbrechen. Darstellungen von Galgen in diesem Zusammenhang sprechen nicht für eine an der Menschenwürde und dem Rechtsstaatsprinzip ausgerichtete Aufarbeitung. Unverändert sind die Akteure des Phänomenbereichs bestrebt, aktuelle gesellschaftliche Themen aufzugreifen und für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. Ein nachhaltiger Erfolg oder eine größere Mobilisierungskraft, außerhalb des eigenen Personenpotenzials, konnte jedoch nicht erzielt werden. 6.2 Personenpotenzial DEL-Potenzial1 nach Organisationsgrad MV MV Bund Bund 2023 2024 2023 2024 weitgehend unstrukturiertes Personenpotenzial 50 50 k. A. k. A. davon in Personenzusammenschluss eingebunden 20 20 k. A. k. A. Gesamt 50 50 1.600 1.500 davon gewaltorientierte Extremisten 20 20 250 250 1 Alle Zahlen sind Rundungswerte. 88 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern 6 Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates 6.3 Strukturen Wolgast am Kai/"Orga-Team Wolgast" Sitz/Verbreitung Wolgast Struktur Personenzusammenschluss Mitglieder ca. 10 Im Rahmen von öffentlichen Versammlungen wurde durch "Wolgast steht auf" oftmals eine umfassende Kritik zu verschiedenen gesellschaftlichen Themen mit einer aggressivkämpferischen Haltung gegenüber nahezu allen Parteien auf Landesund Bundesebene verbreitet. Diese Ausdrucksform verdeutlicht eine grundlegende Ablehnung demokratischer Ideologie Prinzipien. Im Verständnis der Gruppierung werde Deutschland durch "Feinde regiert" und sei ein besetztes bzw. "fremdbestimmtes" Land. Dies drückt sich unter anderem auch in dem Wunsch aus, die bestehenden westlichen Bündnisse beenden zu wollen. Auch fanden sich wiederholt Bezugnahmen auf Verschwörungserzählungen, wie den sogenannten "Great Reset" (vgl. hierzu Info-Box im Kapitel 4.3). INFOBOX Verschwörungstheorien:1 Anhänger von Verschwörungstheorien unterstellen häufig einem als "Elite" bezeichneten Personenkreis die Existenz eines geheimen Plans zum Nachteil des Volkes. Sie behaupten, dieser Plan würde unbemerkt von der breiten Öffentlichkeit verfolgt, allein den Interessen dieser vermeintlichen Elite dienen und der übrigen Bevölkerung erheblichen Schaden zufügen. Zur Untermauerung dieser Annahmen werden immer wieder vermeintliche Belege angeführt, die jedoch einer sachlichen Überprüfung nicht standhalten. In solchen Kreisen herrscht häufig eine abgeschottete Kommunikationsweise, in der abweichende Informationen oder wissenschaftlich fundierte Fakten ausgeblendet oder abgelehnt werden. Im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie fanden insbesondere Verschwörungstheorien rund um die 2020 veröffentlichte Initiative "The Great Reset" des Weltwirtschaftsforums (WEF)2 Verbreitung. Ziel dieser Initiative war es ursprünglich, die Pandemie auch als Ausgangspunkt für wirtschaftliche und gesellschaftliche Reformen zu begreifen. In verschwörungstheoretischen Interpretationen wurde sie jedoch als angeblicher Versuch einer globalen Elite dargestellt, bestehende Strukturen zu zerstören und eine sogenannte "Weltregierung" zu errichten. Auch die Impfkampagne gegen das Coronavirus war häufig Gegenstand solcher Erzählungen. Teilweise wurde die Impfung als "Zwangsimpfung" bezeichnet und mit Behauptungen verknüpft - etwa, es seien Mikrochips zur Überwachung implantiert worden. Solche Narrative behaupteten darüber hinaus, die Maßnahmen hätten ein weltweites Überwachungsregime zum Ziel gehabt. 1 https://www.verfassungsschutz.de/DE/themen/verfassungsschutzrelevante-delegitimierung-des-staates/ begriff-und-erscheinungsformen/begriff-und-erscheinungsformen_artikel.html. 2 Quelle: https://www.weforum.org/stories/2020/06/covid19-great-reset-gita-gopinath-jennifer-morgan-sharan-burrow-climate/ 89 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern 6 Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates 6.4 Ausblick - Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates Quelle: Bundesamt für Verfassungsschutz Die Aktivitäten und das Personenpotenzial im Bereich der "verfassungsschutzrelevanten Delegitimierung des Staates" stagnieren derzeit, und wesentliche Veränderungen sind aktuell nicht zu erwarten. Ein avisierter Zuwachs, eine erfolgreiche Mobilisierungsfähigkeit oder die Prägung eines gesellschaftlichen Diskurses zu vermeintlichen "Skandalen" konnten nicht erreicht werden und sind derzeit nicht absehbar. Dennoch besteht ein Kern überzeugter Anhänger fort, welcher unbenommen versucht, entsprechende Aktivitäten zu entfalten und verschiedene gesellschaftliche Themen für ihre eigenen Zwecke zu instrumentalisieren. Bundesweit ist ein leichter Rückgang des Personenpotentials zu verzeichnen. Ob sich dieser Trend fortsetzt, lässt sich derzeit nicht abschließend bewerten. 90 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern 6 Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates Gemeinsam die Verfassung schützen Verfassungsschutz Mecklenburg-Vorpommern 91 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern Die "Wehrhafte Demokratie" - KAPITELÜBERSICHT Auftrag und Verpflichtung des 11 Verfassungsschutzes VERFASSUNGSSCHUTZBERICHT 2024 KAPITEL 1 Auf einen Blick Radikalisierung im digitalen Zeitalter: Junge Zielgruppen im 23 Visier extremistischer Akteure 33 KAPITEL 2 KAPITEL 3 Rechtsextremismus Reichsbürger und und -terrorismus Selbstverwalter 39 77 KAPITEL 4 KAPITEL 5 Verfassungsschutzrelevante Linksextremismus Delegitimierung des Staates 87 93 KAPITEL 6 KAPITEL 7 Islamismus / Islamistischer Auslandsbezogener Terrorismus Extremismus 105 115 KAPITEL 8 KAPITEL 9 Mitwirkungsangelegenheiten, Spionageabwehr und Waffenrechtliche Erlaubnisse und hybride Bedrohungen Extremisten im öffentlichen Dienst 125 133 KAPITEL 10 KAPITEL 11 Presseund Anlagen Öffentlichkeitsarbeit 143 149 KAPITEL 12 KAPITEL 13 Kapitel 7 Linksextremismus Verfassungsschutz Mecklenburg-Vorpommern 7 Linksextremismus 7. Linksextremismus 7.1 Lageüberblick Linksextremisten verfolgen das Ziel, die bestehende Staatsund Gesellschaftsordnung in Deutschland - und damit auch die freiheitliche demokratische Grundordnung - abzuschaffen. An ihre Stelle soll entweder ein kommunistisches System (dogmatischer Linksextremismus) oder eine "herrschaftsfreie", anarchistische Gesellschaft (linksextremistische Anarchisten) treten. Sie bedienen sich klassischer Themen wie dem Klassenkampf und Antikapitalismus, während sie gleichzeitig aktuelle politische Debatten aufgreifen, um nicht-extremistische Bewegungen zu beeinflussen und ihre Reichweite zu erhöhen. Ideologie Dogmatische Linksextremisten Dogmatische Linksextremisten berufen sich im Kern auf die marxistisch-leninistische Ideologie des Kommunismus. Dabei treten unterschiedliche Ausrichtungen wie Stalinismus, Maoismus oder Trotzkismus auf. Als notwendige Übergangsphase wird dabei ein sozialistisches System unter der "Diktatur des Proletariats" gesehen, das die Macht der "Arbeiterklasse" sichern soll. Systeme, die sich auf die Lehren von Marx, Engels, Lenin, Trotzki, Stalin oder Mao berufen, waren und sind antidemokratisch und menschenverachtend. In diesen Systemen wird der Einzelne lediglich als Bestandteil eines Kollektivs betrachtet und unterliegt einer strengen sozialen sowie politischen Kontrolle, die die Individualität unterdrückt. Dies steht im Gegensatz zu Demokratien, in denen die Rechte des Einzelnen durch die Verfassung garantiert sind. Die dramatischen Folgen dieser Ideologie manifestieren sich in Begriffen wie Mauerbau, Gulag, Holodomor, die Niederschlagung des Prager Frühlings oder dem Tian'anmen-Massaker. Undogmatische Linksextremisten Undogmatische Linksextremisten, etwa Autonome und Anarchisten, glauben an einen revolutionären Prozess, der direkt in eine "herrschaftsfreie" Gesellschaft mündet. Staatliche und gesellschaftliche Institutionen werden von ihnen gezielt delegitimiert, diskreditiert und häufig als "faschistoid" diffamiert. Gemeinsame Grundhaltung Allen Strömungen des Linksextremismus ist der Kampf gegen den Kapitalismus gemeinsam. In der heutigen Zeit verstehen Linksextremisten darunter demokratische Rechtsstaaten mit marktwirtschaftlich organisierten Volkswirtschaften, die sie für soziale Ungerechtigkeit, Rassismus, Kriege und Umweltzerstörung verantwortlich machen. Die Beseitigung dieser Verhältnisse durch eine Revolution wird als Voraussetzung für eine zukünftige Gesellschaft der "Freien und Gleichen" angesehen. Gewalt wird dabei frühzeitig bzw. direkt am Anfang einer Radikalisierung als legitimes Mittel betrachtet. 94 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern 7 Linksextremismus Linksextremistische Zusammenschlüsse gelten als verfassungsfeindlich, da sie sich gegen die Grundwerte unserer Demokratie richten: Gegen die Menschenwürde, indem das Kollektiv über das Individuum gestellt wird. Gegen das Demokratieprinzip, da sie das Parlament abschaffen und durch autoritäre sozialistische Strukturen oder ein Rätesystem ersetzen wollen. Gegen das Rechtsstaatsprinzip, weil sie eine entschädigungslose Enteignung und einen revolutionären Umsturz anstreben. Linksextremisten versuchen, aktuelle gesellschaftliche Themen zu dominieren oder im Sinne ihrer Ideologie zu beeinflussen. Sie greifen bewusst Themen auf, die in der Öffentlichkeit Zustimmung finden, um einen Gegensatz zwischen der Bevölkerung und staatlichen Akteuren herzustellen und ihre eigenen verfassungsfeindlichen Ziele zu legitimieren. Zu den dominierenden Themen gehören: Antifaschismus und Antirepression Klimaschutz der Ukraine-Krieg und der Nahostkonflikt, wenn auch in geringerem Maße Gerade der Ukraine-Krieg hat den dogmatischen Linksextremismus in eine ideologische Krise gestürzt. Die historische Nähe zu Russland, welcher nun als "Angreiferstaat" agiert, wurde zum Problem. Zudem bestehen Spannungen zwischen der überwiegend propalästinensischen Haltung dogmatischer Gruppen und der eher proisraelischen Position undogmatischer Strukturen. Diese internen Konflikte führten zu Zerwürfnissen und offenen Auseinandersetzungen innerhalb der Szene, was auch in der öffentlichen Wahrnehmung sichtbar wurde. Die einzelnen Aktionsfelder werden detailliert im Kapitel 7.5 dargestellt. 7.2 Personenpotenzial Dem Personenpotenzial aller linksdogmatischen Organisationen in Mecklenburg-Vorpommern werden im Berichtszeitraum rund 100 Personen zugerechnet. Im Vergleich zum Vorjahr ist ein Anstieg zu verzeichnen, der vor allem auf den Zuwachs bei der Gruppierung "Rote Jugend Rostock" zurückzuführen ist. Folgenden Organisationen/Parteien werden dem dogmatischen Linksextremismus zugeordnet: "Deutsche Kommunistische Partei"(DKP) "Rote Hilfe e.V."(RH) "MarxistischLeninistische Partei Deutschlands"(MLPD) "Rote Jugend Rostock" (RJR) "Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend" (SDAJ) 95 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern 7 Linksextremismus In der nachfolgenden Tabelle ist das Personenpotenzial der linksextremistischen Personenzusammenschlüsse im Jahr 2024 in Mecklenburg-Vorpommern und bundesweit dargestellt.1 MV MV Bund Bund 2023 2024 2023 2024 Gewaltorientierte Linksextremisten 210 205 11.200 11.200 "Rote Hilfe e.V."(RH) 260 250 13.700 14.400 "Deutsche Kommunistische Partei"(DKP) 30 30 2.765 2.682 "MarxistischLeninistische Partei Deutschlands"(MLPD) 15 15 2.800 2.800 "Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend"(SDAJ)2 10 10 670 670 "Rote Jugend Rostock" (RJR) 25 50 k. A. k. A. Gesamt3 430 440 37.000 38.000 7.3 Linksextremistische Strukturen in Mecklenburg-Vorpommern In Mecklenburg-Vorpommern blieben die linksextremistischen Strukturen im Berichtszeitraum auf dem Niveau des Vorjahres stabil. Das Personenpotenzial bewegte sich weiterhin bei deutlich unter 500 Personen. Parteien mit marxistisch-leninistischer Ausrichtung bleiben - auch aufgrund der historischen Erfahrungen mit dem "real existierenden Sozialismus" - bundesweit wenig attraktiv. Zusätzlich wirken sich die internationalen Krisen wie der Ukraine-Krieg und der Nahostkonflikt aus. Sie zwingen den dogmatischen Linksextremismus zu einer ideologischen Neuausrichtung, welche bislang nicht abgeschlossen ist. Demgegenüber sind insbesondere die Entstehung und Entwicklung vereinzelter neuer sowie bestehender Strukturen im dogmatischen Spektrum hervorzuheben. Hierzu zählt insbesondere die kommunistisch orientierte Gruppierung "Rote Jugend Rostock", die sich als Teil eines bundesweiten Netzwerks kommunistischer Jugendgruppen unter dem Namen "Rote Jugend Deutschland" versteht. Ihre ausgeprägte dogmatische und kämpferische Rhetorik orientiert sich an sozialistischen und kommunistischen Ideen, die insbesondere Jugendlichen und jungen Erwachsenen vermittelt werden sollen. Grundsätzlich zeigt sich, dass die Bereitschaft, sich in gewaltbereiten Szenen zu engagieren, nur in geringem Maße ausgeprägt ist. Dieses Engagement beschränkt sich überwiegend auf junge Menschen aus städtischen, universitätsnahen Milieus. Mecklenburg-Vorpommern mit seinen überwiegend ländlichen Strukturen, stellt 1 Alle Zahlen sind Rundungswerte. 2 Die Anzahl der Mitglieder der SDAJ in Mecklenburg-Vorpommern ist in der Gesamtzahl der gewaltorientierten Linksextremisten in Mecklenburg-Vorpommern mit enthalten. 3 Gesamtzahl von Mecklenburg-Vorpommern und Bund um Mehrfachmitgliedschaften bereinigt. Die Gesamtzahl des Bundes umfasst auch Organisationen, die in Mecklenburg-Vorpommern nicht vertreten sind oder nicht beobachtet werden. 96 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern 7 Linksextremismus daher strukturell kein Schwerpunktland für linksextremistische Militanz dar.Dennoch kommt es immer wieder zu Solidaritäts bekundungen mit linksextremistischen Gewalttätern, wie etwa Personen aus dem Umfeld des sogenannten "Antifa-Ost-Verfahrens". In diesen wird eine gewaltbefürwortende Haltung eingenommen, die zumindest ideologisch den gewaltbereiten Linksextremismus stützt. Ein weiterer Grund für den stagnierenden Zulauf zum Linksextremismus liegt in der Konkurrenz durch die Klimaprotestbewegung (kein Beobachtungsobjekt). Diese bot Jugendlichen und jungen Erwachsenen ein alternatives und oft attraktiveres Betätigungsfeld im Vergleich zu den traditionellen Themen der linksextremistischen Szene. 7.4 Organisationen und Parteien Gewaltorientierte Linksextremisten Sitz/Verbreitung Lokale Schwerpunkte bilden die Universitätsstädte Rostock und Greifswald. Der gewaltorientierten Szene in Mecklenburg-Vorpommern gehören im Wesent-lichen die "Autonomen" an, die ideologisch dem Anarchismus zuzurechnen sind. Diese Gruppierung ist Struktur für die Mehrzahl der linksextremistisch motivierten Straftaten, insbesondere die Gewalttaten, verantwortlich. Mitglieder ca. 205 Abschaffung der bestehenden staatlichen Strukturen auch unter Anwendung von Gewalt Ziele (insbesondere gegen Sicherheitsbehörden und ihre Repräsentanten) und unter Bezugnahme auf tagespolitisch aktuelle Themen. "Rote Hilfe e.V." (RH)1 Ortsgruppen in Sitz/Verbreitung Rostock und Greifswald Struktur bundesweit agierender Verein Mitglieder ca. 250 Vorrangiges Aktionsfeld der RH ist die rechtliche und finanzielle Unterstützung Szeneangehöriger in gerichtlichen Verfahren, insbesondere bei Strafprozessen, die dem Themenfeld "Antirepression" zugerechnet werden können. Durch die von ihr in Aussicht gestellten HilfsZiele maßnahmen senkt sie gezielt die Hemmschwellen zur Begehung von Straftaten (v. a. im Rahmen von Demonstrationen). Ihr Wirken ist somit als gewaltunterstützend anzusehen. Die Rote Hilfe feierte im Jahr 2024 ihr 100-jähriges Bestehen. 1 Internetseite der RH Rostock, abgerufen am 30.01.2025. 97 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern 7 Linksextremismus "Schwarz-Rote Hilfe" (SRH) Rostock1 Sitz/Verbreitung Rostock Struktur bundesweit agierender Verein Mitglieder unbekannt Grundsätzlich verfolgt die SRH, anders als die RH, den Ansatz der aktionsorientierten, nach eigenem Bekunden "kreativen Antirepression". Damit will sie u. a. Linksextremisten ermutigen, die Arbeit von Behörden und Gerichten zu erschweren. Ziele Nach eigenen Angaben bietet die SRH selbstorganisierte Anti-Repressions-Arbeit an, die unter anderem rechtliche, finanzielle und menschliche Unterstützung im Falle von Repressionen umfasst. Daher ist sie, ebenso wie die RH, gewaltunterstützend. Deutsche Kommunistische Partei (DKP), Landesverband MV2 Ansprechstellen in Stralsund, Sitz/Verbreitung Schwerin und Rostock Struktur bundesweite Partei Mitglieder ca. 30 Laut Parteiprogramm stellt "der revolutionäre Bruch mit den kapitalistischen Machtund Eigentumsverhältnissen" das erklärte Ziel dar. Ziele Die von der Partei angestrebte Gesellschaft wird als "der Sozialismus als erste Phase der kommunistischen Gesellschaftsformation" definiert. Regelmäßig führten die Ortsgruppen der DKP in MV im Berichtszeitraum ihre Mitgliederversammlungen durch. Die DKP MV ist grundsätzlich auch an der jährlich im Januar stattAktivitäten findenden Lenin-Liebknecht-Luxemburg Veranstaltung in Berlin vertreten und organisierte vereinzelt auch Veranstaltungen in Mecklenburg-Vorpommern. 1 X ehemals Twitter SRH, zuletzt abgerufen am 30.01.2025 2 Logo der DKP, abgerufen auf der Internetseite Wikipedia, abgerufen am 30.01.2025 98 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern 7 Linksextremismus Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend (SDAJ)1 Ortsgruppen in Schwerin, Sitz/Verbreitung Rostock und Greifswald bundesweit eigenständige Struktur Jugendorganisation, betrachtet sich als Nachwuchsorganisation der DKP Mitglieder ca. 10 Laut Parteiprogramm wird die Abschaffung des Kapitalismus Ziele und die Errichtung einer sozialistischen Gesellschaft angestrebt. Marxistisch Leninistische Partei Deutschlands (MLPD)2 Ortsgruppen in Malchow, Rostock und Schwerin, Jugendverband "REBELL" Sitz/Verbreitung mit einer Ortsgruppe in Rostock, MV gehört zum Landesverband Nord-Ost Struktur bundesweite Partei Mitglieder ca. 15 Politisches Ziel ist die Errichtung einer sozialistischen Gesellschaft Ziele als Übergang zur klassenlosen kommunistischen Gesellschaft. Die MLPD führte im Berichtszeitraum vereinzelt Versammlungen - vorrangig in Rostock - durch. Darüber hinaus verteilten Mitglieder bzw. Unterstützer der MLPD im Januar 2024 eine parteinahe Broschüre vor jeweils einer Schule in Malchow und Waren. Aktivitäten An einer Demonstration in Schwerin zum Nahost-Konflikt am 25. Oktober 2024 nahm auch die MLPD teil und verteilte eine Erklärung des Zentralkomitees der MLPD zum "Angriffskriegs Israels in Nahost". 1 Internetseite der SDAJ, abgerufen am 30.01.2025 2 Internetseite der MLPD, abgerufen am 30.01.2025 99 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern 7 Linksextremismus Rote Jugend Rostock (RJR)1 Sitz/Verbreitung Rostock bundesweite Rote Jugend Struktur Gruppen, vereint unter der "Roten Jugend Deutschland" Das erklärte Ziel der Roten Jugend besteht im Aufbau einer kampfstarken Organisation in der Form einer kommunistischen Partei. Dieses Endziel soll im Rahmen einer gesamtgesellschaftlichen Revolution erreicht werden, die über den Weg des Klassenkampfes zu einem Systemwechsel gemäß kommunistischer Ideologie führt. Nach eigener Selbstdarstellung versteht sich die Rote Jugend Rostock als "Zusammenschluss Ideologie kommunistischer Jugendlicher und junger Erwachsener mit dem Anspruch, einen organisierten Klassenkampf zu führen". Die Gruppierung tritt sowohl in sozialen Netzwerken als auch bei Veranstaltungen und Versammlungen der linken Szene öffentlich in Erscheinung. Die Mitglieder inszenieren sich hierbei bewusst in einheitlicher und martialischer Erscheinung -- beispielsweise durch rote Vermummung oder als sogenannter "roter Block" --, um Geschlossenheit und Kampfbereitschaft zu demonstrieren. Zunehmend führt die Rote Jugend Rostock eigenständige Aktionen durch, die überwiegend von den eigenen Mitgliedern getragen werden und ohne Beteiligung anderer linker oder linksextremistischer Gruppen stattfinden. Auffällig ist dabei die pro-palästinensische Haltung der Gruppierung, die sie durch regelmäßige Teilnahme an entsprechenden Veranstaltungen unterstreicht. So nahmen Mitglieder der Aktivitäten Roten Jugend Rostock an einer Veranstaltung in Schwerin am 7. Juni 2024 teil und verteilten mit Blick auf die anstehende Europawahl u. a. linksextremistische und antikapitalistische Flyer (vgl. dazu Kapitel 9.4). Diese Positionierung wird innerhalb der linken und linksextremistischen Szene zum Teil kritisch und kontrovers bewertet. Innerhalb der linksextremistischen Szene wird der "Roten Jugend Rostock" zudem teilweise Antisemitismus vorgeworfen. 7.5 Aktionsfelder Als "Aktionsfelder" werden jene Themenbereiche bezeichnet, in denen Linksextremisten ihre politischen und gesellschaftlichen Vorstellungen aktiv durchzusetzen versuchen. Dazu engagieren sie sich in verschiedenen politischen und sozialen Debatten und nutzen diese gezielt, um ihre Ideologie zu verbreiten und Einfluss zu gewinnen. Ihre Aktionen richten sich dabei situationsabhängig gegen den Staat, die freiheitliche demokratische Grundordnung oder politische Gegner. Häufig dienen diese Themen auch dazu, Gewalttaten ideologisch zu rechtfertigen und als angeblich notwendiges Mittel im politischen Kampf darzustellen. 1 Instagramseite der Roten Jugend Rostock, abgerufen am 30.01.2025 100 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern 7 Linksextremismus Folgende Aktionsfelder sind in der linksextremen Szene in Mecklenburg-Vorpommern relevant: Aktionsfeld "Klimaschutz" Der Klimaschutz und die damit verbundenen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Veränderungen sind mittlerweile zu einem festen und gewichtigen Bestandteil der öffentlichen Debatte über die Gestaltung der Zukunft geworden. Obwohl in der Bevölkerung weitgehend Einigkeit über die Notwendigkeit einer Reduzierung des CO2-Ausstoßes besteht, gehen die Vorstellungen hinsichtlich der konkreten Umsetzung -- von marktwirtschaftlichen Ansätzen bis hin zu planwirtschaftlichen Modellen - auseinander. Es ist wichtig zu betonen, dass die überwiegende Mehrheit der Klimabewegung nicht extremistisch ist. Der öffentliche Einsatz für einen stärkeren Klimaschutz ist ein legitimes Anliegen und steht zweifellos im Einklang mit den Werten einer freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Allerdings betrachten Linksextremisten die Klimabewegung als ein attraktives Betätigungsfeld: Das jugendliche Alter vieler Aktiver und die hohe öffentliche Sichtbarkeit der Proteste bieten ihnen Anknüpfungspunkte für ihre eigene politische Agitation. Dabei nehmen Linksextremisten bewusst die Gefährdung Dritter und die Begehung von Straftaten in Kauf, um mediale Aufmerksamkeit zu erzeugen. Ihre Aktionen zielen jedoch im Kern nicht auf einen echten Beitrag zum Umweltund Klimaschutz ab, sondern darauf, ihre eigene Deutungsmacht in der politischen Diskussion durchzusetzen. Ein maßgeblicher steuernder Einfluss von Linksextremisten auf die Klimabewegung ist derzeit allerdings nicht feststellbar. Für den Berichtszeitraum 2024 ist ein leichter Rückgang der Aktivitäten der Klimaprotestbewegung in Mecklenburg-Vorpommern zu verzeichnen. Ein zentraler Schwerpunkt blieb das LNG-Terminal auf der Insel Rügen, jedoch nahm die Zahl der Veranstaltungen in diesem Zusammenhang ab. Infolge dessen ergaben sich für die linksextremistische Szene weniger Anknüpfungspunkte im Themenfeld Klimaschutz. Stattdessen rückten - auch bedingt durch andere gesellschaftliche Debatten - alternative Aktionsfelder stärker in den Fokus der Szene. Aktionsfeld "Antifaschismus" Ein zentrales Betätigungsfeld der linksextremistischen Szene in Mecklenburg-Vorpommern bleibt der sogenannte "Antifaschismus". Dabei werden zwei Ziele miteinander verknüpft: Zum einen die Bekämpfung aller von ihnen selbst als rechts kategorisierten Personen und Organisationen, zum anderen die Delegitimierung des demokratischen Staates, der aus Sicht der Linksextremisten "Faschismus" nicht nur duldet, sondern durch seine Strukturen begünstigt. Nach ihrem Verständnis wurzelt "Faschismus" im "Kapitalismus", weshalb der "Kampf gegen Rechts" stets auch als Kampf gegen das bestehende Gesellschaftssystem verstanden wird. Die "Antifa-Arbeit" verbindet so die öffentlich anschlussfähige Ablehnung von Rechtsextremismus mit der schwerer vermittelbaren Forderung nach der Überwindung des "kapitalistischen Systems". Im Berichtszeitraum fiel die Szene durch eine Zunahme demonstrativer Aktivitäten auf, vor allem in den Städten Rostock, Schwerin und Wismar. Anlässlich des 20. Todestages von Mehmet Turgut, der am 25. Februar 2004 durch den rechtsterroristischen Nationalsozialistischen Untergrund (NSU) ermordet wurde, fanden im Februar 2024 verschiedene Gedenkveranstaltungen statt, insbesondere in der Stadt Rostock. So organisierten linke und linksextremistische Kreise am 17. Februar 2024 eine sogenannte antifaschistische Bustour mit über 101 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern 7 Linksextremismus 60 Teilnehmern, darunter die Rote Jugend Rostock, die unter anderem die Städte Rostock, Güstrow und Schwerin sowie die Wohnadresse eines führenden Neonazi-Aktivisten ansteuerte. Im Zuge der Veranstaltung stellte die Polizei Verstöße gegen das Versammlungsgesetz fest und kontrollierte die Busse. Dabei wurden mehrere Messer, Teleskopschlagstöcke, Quarzhandschuhe und Reizgas sichergestellt. Die Szene wertete die Maßnahmen als "staatliche Repression" und verharmloste die sichergestellten Waffen als "antifaschistischen Selbstschutz". Am 17. Mai 2024 organisierte die linksextremistische "Interventionistische Linke" (IL) in Rostock unter dem Motto "Wann, wenn nicht jetzt? Strategien gegen die AfD" eine Informationsveranstaltung mit antifaschistischer Ausrichtung -- ein weiteres Beispiel für die Besetzung dieses Aktionsfelds durch Linksextremisten. Aktionsfeld "Antirepression" Das Aktionsfeld "Antirepression" bündelt den Kampf der Linksextremisten gegen die von ihnen behauptete umfassende staatliche Unterdrückung. Nach ihrer Lesart versucht der "verhasste Staat" nicht nur revolutionäre Bestrebungen zu unterdrücken, sondern bereits grundlegende Bürgerrechte einzuschränken. Als Hauptgegner gelten Polizei, Nachrichtendienste, Justiz und andere staatliche Institutionen. Neben gewaltorientierten Gruppen engagieren sich hier auch Organisationen wie die "Rote Hilfe". Im Berichtszeitraum kam es zu Straftaten im Zusammenhang mit einer Kundgebung am 18. März 2024, dem von der Szene als "Tag der politischen Gefangenen" alljährlich begangenen Gedenktag. Nach dem Selbstverständnis der Szene gelten als politische Gefangene nicht nur Menschen, die wegen politisch motivierten Straftaten inhaftiert sind, sondern auch solche, bei denen die politische Gesinnung als strafverschärfend angesehen wird. Hierbei reklamiert die linksextremistische Szene die Deutungshoheit für sich. Die "Rote Hilfe Rostock" organisierte an diesem Tag eine Kundgebung "im Zeichen antifaschistischer Solidarität" in Rostock mit rund 50 Teilnehmern, darunter erkennbar auch Mitglieder der "Roten Jugend Rostock". Nach begangenen Straftaten kam es zu Polizeieinsätzen, bei denen die Beamten bedrängt und behindert wurden. Die Szene wertete das Vorgehen der Polizei als "Repression". Am Folgetag wurde ein Polizeigebäude in Rostock mit Pyrotechnik attackiert. Auf einer linksextremistischen Internetseite wurde die Tat unter dem Motto "Pyro gegen Bullen" bejubelt und in direkten Bezug zu den Vorkommnissen am 18. März gesetzt. Aktionsfeld "Antimilitarismus" Auch der Antimilitarismus gehört zu den traditionellen Betätigungsfeldern der linksextremistischen Szene, die hier an die frühen kommunistischen Strömungen anknüpft. Vor dem Hintergrund des Ukraine-Krieges und der Entscheidung der Bundesregierung, Militärausgaben zu erhöhen und Waffen zu liefern, hat dieses Thema an Bedeutung gewonnen. Linksextremisten bedienen sich des Narratives, wonach das Militär der Durchsetzung kapitalistischer Interessen im Ausland sowie der Wahrung bestehender Machtverhältnisse im Inland dient. Auslandseinsätze der Bundeswehr werden nicht als humanitäre Missionen anerkannt, vielmehr werden sie als Mittel zur Sicherung von Rohstoffquellen oder Absatzmärkten im Interesse der Wirtschaft interpretiert. Die antimilitaristischen Aktionen richten sich vorrangig gegen die Bundeswehr, aber auch gegen Rüstungsfirmen und deren Zulieferer, die zum Ziel von Angriffen und Störaktionen gemacht werden. Im Zuge der öffentlichen Diskussion über eine Wiedereinführung der Wehrpflicht war auch innerhalb der linksextremistischen Szene eine verstärkte Mobilisierung zu beobachten. 102 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern 7 Linksextremismus Gemeinsam die Verfassung schützen Verfassungsschutz Mecklenburg-Vorpommern 103 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern Die "Wehrhafte Demokratie" - KAPITELÜBERSICHT Auftrag und Verpflichtung des 11 Verfassungsschutzes VERFASSUNGSSCHUTZBERICHT 2024 KAPITEL 1 Auf einen Blick Radikalisierung im digitalen Zeitalter: Junge Zielgruppen im 23 Visier extremistischer Akteure 33 KAPITEL 2 KAPITEL 3 Rechtsextremismus Reichsbürger und und -terrorismus Selbstverwalter 39 77 KAPITEL 4 KAPITEL 5 Verfassungsschutzrelevante Linksextremismus Delegitimierung des Staates 87 93 KAPITEL 6 KAPITEL 7 Islamismus / Islamistischer Auslandsbezogener Terrorismus Extremismus 105 115 KAPITEL 8 KAPITEL 9 Mitwirkungsangelegenheiten, Spionageabwehr und Waffenrechtliche Erlaubnisse und hybride Bedrohungen Extremisten im öffentlichen Dienst 125 133 KAPITEL 10 KAPITEL 11 Presseund Anlagen Öffentlichkeitsarbeit 143 149 KAPITEL 12 KAPITEL 13 Kapitel 8 Islamismus / Islamistischer Terrorismus Verfassungsschutz Mecklenburg-Vorpommern 8 Islamismus / Islamistischer Terrorismus 8. Islamismus / Islamistischer Terrorismus 8.1 Lageüberblick Der Islam ist eine Weltreligion, deren Ausübung durch das Grundrecht auf Religionsfreiheit, wie es in Artikel 4 des Grundgesetzes verankert ist, garantiert wird. Daher wird der Islam als Religion nicht durch den Verfassungsschutz beobachtet. Im Gegensatz dazu leitet der Islamismus einen politischen Anspruch aus dem Islam ab. Islamisten missbrauchen die Religion, um politische Ziele zu verfolgen, die sich gegen die Verfassung richten. Ihr Bestreben ist es, ihre gesellschaftlichen und politischen Vorstellungen sowohl in muslimisch geprägten als auch in säkularen Gesellschaften durchzusetzen. Ihr Ziel ist es, eine "Ordnung des Islam" zu errichten, in der islamische Rechtsnormen - die Scharia - gelten und wesentliche Elemente der freiheitlichen demokratischen Grundordnung abgeschafft werden sollen. Der Verfassungsschutz beobachtet daher unter dem Begriff Islamismus religiös motivierte extremistische Bestrebungen, die sich gegen westliche Werte und die Prinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung richten. Der islamistische Extremismus stellt kein einheitliches Phänomen dar, sondern weist eine Vielzahl von Ausprägungen auf. Die Unterschiede werden einerseits durch den Einflussbereich und die Ansprüche sichtbar: Das Spektrum reicht von lokalen Vereinen bis hin zu weltweit agierenden Terrororganisationen wie dem sogenannten "Islamischen Staat" (IS) oder "al-Qaida". Zudem unterscheiden sich die Mittel, die islamistische Gruppen einsetzen, um ihre Ziele zu erreichen. Einige Gruppierungen, die als "legalistisch" bezeichnet werden, verfolgen zwar extremistische Zielvorstellungen, agieren jedoch innerhalb der gesetzlichen Rahmenbedingungen. Andere Gruppen wiederum befürworten unter bestimmten Umständen den Einsatz von Gewalt, um ihre Ziele durchzusetzen. Schließlich gibt es auch terroristische Organisationen wie "al-Qaida" und den IS, die gezielt auf Gewalt, Terror und - Flagge der verbotenen Terrororganisation IS Einschüchterung setzen. Die islamistische Szene weist demnach eine erhebliche Diversität auf, was zur Folge hat, dass der islamistische Extremismus nicht als geschlossene Bewegung nach außen auftritt. In Mecklenburg-Vorpommern stehen mangels gefestigter größerer Strukturen insbesondere islamistisch motivierte Einzelpersonen im Fokus der Sicherheitsbehörden. Diese Personen weisen zwar ideologische Überschneidungen mit internationalen Terrororganisationen wie dem "Islamischen Staat" (IS) auf, agieren jedoch ohne eine erkennbare Anbindung an solche Organisationen. Ihre isolierte Vorgehensweise erschwert eine frühzeitige Erkennung potenzieller Anschlagsplanungen erheblich. Vor diesem Hintergrund kommt dem Verfassungsschutz eine zentrale Rolle als Frühwarnsystem zu, um solche Personen möglichst frühzeitig zu identifizieren. Die betreffenden Einzelpersonen (s. Tabelle Personenpotenzial "Sonstige") vertreten teils unterschiedliche oder sich überschneidende religiöse Auslegungen des Islam und lassen sich daher nicht eindeutig Gruppierungen wie dem Salafismus (vgl. Kapitel 8.4) zuordnen. Gleichwohl bestehen gerade zum salafistischen Spektrum signifikante ideologische Überschneidungen. Regionale Schwerpunkte der islamistischen Szene sind vor allem in größeren Städten zu beobachten, wobei insbesondere Güstrow und Rostock hervorzuheben sind. 106 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern 8 Islamismus / Islamistischer Terrorismus 8.2 Personenpotenzial Das Personenpotenzial im islamistischen Extremismus bewegte sich im Berichtsjahr 2024 insgesamt auf einem gleichbleibenden Niveau: MV MV Bund Bund 2023 2024 2023 2024 Salafisten 180 170 10.500 11.000 Sonstige - < 10 16.700 17.280 Gesamt 180 < 180 27.200 28.280 8.3 Entwicklung des islamistischen Extremismus und Terrorismus Islamistischer Terrorismus bleibt eine ernste Bedrohung für die innere Sicherheit Deutschlands. Islamistische Terroristen befürworten und rechtfertigen den Einsatz von Gewalt, um ihre religiösen und gesellschaftlichen Vorstellungen durchzusetzen. Terroranschläge können grundsätzlich jederzeit auch in Deutschland stattfinden. Im Jahr 2023 kam es in Deutschland zu keinem tödlichen islamistischen Anschlag, jedoch mussten im Jahr 2024 zwei Anschläge verzeichnet werden, bei denen Menschen ums Leben kamen: am 31. Mai 2024 in Mannheim und am 23. August 2024 in Solingen. Auch weltweit war 2024 von zahlreichen islamistischen Anschlägen geprägt, insbesondere in Ländern wie Afghanistan und Syrien, wo viele Menschen ihr Leben verloren. Aber auch der europäische Kontinent blieb nicht verschont: Am 22. März 2024 töteten mehrere bewaffnete Angreifer, die vermutlich der Terrororganisation "Islamischer Staat Provinz Khorasan (ISPK)" angehören, in der russischen Stadt Krasnogorsk bei Moskau mindestens 144 Besucher eines Rockkonzerts. Rund 360 Menschen wurden verletzt. ISPK ist der afghanische Ableger des IS und rekrutiert auch Terroristen aus Zentralasien. Bereits 2023 war der Kölner Dom ein mutmaßliches Anschlagsziel dieser Gruppe, der Anschlag konnte jedoch verhindert werden. Auch 2024 konnten die deutschen Sicherheitsbehörden Anschläge vereiteln. So griff am 6. September 2024 ein 29-jähriger Mann mit einer Machete die Polizeiwache in Linz am Rhein (Rheinland-Pfalz) an. Der Attentäter wurde in einer Sicherheitsschleuse überwältigt, Polizisten wurden nicht verletzt. Der Angriff wurde als islamistisch motiviert eingestuft.Im August 2024 wurden in Wien kurzfristig drei Konzerte der US-Sängerin Taylor Swift aufgrund einer akuten Terrorgefahr abgesagt. Die österreichischen Behörden hatten zuvor zwei junge Männer festgenommen, die der Terrororganisation Islamischer Staat (IS) die Treue geschworen hatten. Einer der Täter soll geplant haben, mit einem mit Sprengstoff beladenen Fahrzeug in die Menschenmenge vor der Konzerthalle zu fahren. Ende 2024 lag das islamistisch-terroristische Personenpotenzial in Deutschland bei rund 1.660 Personen (Ende 2023: 1.700), von denen etwa 1 % in Mecklenburg-Vorpommern ansässig sind. Dieses Potenzial stellt nach wie vor eine erhebliche und dauerhafte Bedrohung dar, sodass grundsätzlich mit der Möglichkeit eines islamistischen Anschlags gerechnet werden muss. Islamistische Organisationen agieren häufig lokal oder regional, stehen aber zugleich untereinander in Kontakt - sei es direkt oder über das Internet. Auch die Islamisten in MecklenburgVorpommern sind in der Regel nicht isoliert, sondern vernetzt und werden von anderen Akteuren beeinflusst. 107 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern 8 Islamismus / Islamistischer Terrorismus 8.4 Salafismus Kurzporträt und Ziele Der Salafismus ist eine weltweite Bewegung mit zahlreichen Strömungen, Organisationen und Persönlichkeiten. In Deutschland, auch in Mecklenburg-Vorpommern, sind salafistische Aktivitäten vor allem in städtischen Ballungsräumen zu beobachten. Salafismus ist eine Ideologie und zugleich eine besonders radikale Strömung innerhalb des islamistischen Extremismus. Er orientiert sich an den Vorstellungen und Lebensweisen der ersten Muslime in der Frühzeit des Islam. Salafisten behaupten, ihre religiöse Praxis und ihr Leben ausschließlich nach den Grundsätzen des Korans und dem Vorbild des Propheten Mohammed sowie der sogenannten rechtschaffenen Altvorderen (arabisch: as-salaf as-salih) auszurichten. Ihr Ziel ist es, die islamischen Regeln der Frühzeit des Islam bedingungslos zu befolgen und durchzusetzen. Entstehung Es existiert kein genaues Gründungsdatum des Salafismus. Innerhalb dieser Bewegung existieren verschiedene Strömungen, die sich auf unterschiedliche islamische Gelehrte und Theoretiker beziehen. Allen Salafisten gemein ist die Überzeugung, dass die Handlungen und Aussagen des Propheten Mohammed, seiner Gefährten sowie der beiden nachfolgenden Generationen als ein verbindliches Vorbild für alle Zeiten anzusehen sind. Grund der Beobachtung und Verfassungsfeindlichkeit Die Salafisten beanspruchen die alleinige Deutungshoheit über islamische Schriften für sich. Abweichende Meinungen werden unterdrückt und Andersdenkende werden ausgegrenzt, verfolgt oder sogar mit dem Tode bedroht. Für Salafisten stellt der Islam nicht nur eine Religion dar, sondern vielmehr ein umfassendes System, das sämtliche Lebensbereiche einschließlich der Politik und der Gesetzgebung bestimmen soll. In der Konsequenz streben sie die Errichtung eines islamischen "Gottesstaates" an, der die Grundrechte und Prinzipien der deutschen Verfassung außer Kraft setzen würde. Sie wollen eine "Ordnung des Islam" errichten, in der islamische Rechtsnormen - die Scharia - für alle gelten. Die Propaganda und Aktivitäten der Salafisten gehen folglich über eine bloße religiöse Beeinflussung hinaus: Sie verfolgen einen totalitären Ansatz, bei dem religiöse Begriffe politisch umgedeutet und für ihre Zwecke missbraucht werden. Die salafistische Ideologie steht somit im Widerspruch zu Integration, religiöser Toleranz und den Grundlagen eines demokratischen Rechtsstaates. Der Salafismus ist keine einheitliche Bewegung, sondern unterteilt sich in verschiedene Strömungen. Der Verfassungsschutz unterscheidet hier vor allem zwischen politischem und jihadistischem Salafismus. 108 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern 8 Islamismus / Islamistischer Terrorismus Beide Strömungen teilen dieselben grundlegenden Überzeugungen, unterscheiden sich jedoch in ihren Vorgehensweisen: Politische Salafisten Politische Salafisten betreiben eine intensive Propaganda, die sie als "Missionierung" (arabisch: da'wa) bezeichnen. Ihr Ziel ist es, die Gesellschaft langfristig gemäß salafistischer Vorstellungen zu transformieren - beispielsweise durch Kundgebungen in Innenstädten oder sogenannte "Islamseminare". Im Berichtszeitraum fanden derartige öffentliche Veranstaltungen von Salafisten in Mecklenburg-Vorpommern jedoch nicht statt. Stattdessen verbreiten politische Salafisten ihre Botschaften überwiegend über das Internet, oft getarnt als religiöse Informationen. Tatsächlich handelt es sich dabei um gezielte Indoktrination, die nicht selten der Einstieg in eine weitere Radikalisierung ist. Obwohl Anhänger des politischen Salafismus häufig die Ablehnung von Terrorismus betonen und den friedlichen Charakter des Islam hervorheben, besteht innerhalb der Bewegung Uneinigkeit darüber, unter welchen Bedingungen Gewalt als zulässig erachtet wird. Daher ist die Abgrenzung zwischen politischem und jihadistischem Salafismus häufig schwer zu erkennen. Insgesamt zeigt der politische Salafismus ein ambivalentes Verhältnis zur Gewalt: Diese wird nicht grundsätzlich abgelehnt, sondern unter bestimmten Voraussetzungen - etwa zur "Verteidigung des Islam" - als legitim betrachtet. Jihadistische Salafisten Jihadistische Salafisten hingegen befürworten den offenen und unmittelbaren Einsatz von Gewalt. Sie propagieren den bewaffneten Kampf auch gegen Regierungen in mehrheitlich muslimischen Ländern, denen sie vorwerfen, vom wahren Glauben abgefallen und Handlanger des verhassten "Westens" zu sein. Die Terrororganisation "Islamischer Staat" (IS) gilt weiterhin als zentraler Akteur des jihadistischen Salafismus. Auffällig ist, dass alle Personen mit Deutschlandbezug, die den gewaltsamen Jihad unterstützen, zuvor Kontakt zu salafistischen Gruppen hatten. Es gilt daher als sicher, dass die salafistische Ideologie den Nährboden für islamistische Radikalisierung und die Rekrutierung für den gewaltsamen Jihad bildet. Situation in Mecklenburg-Vorpommern In Mecklenburg-Vorpommern haben sich bislang kaum feste salafistische Strukturen entwickelt. In der Regel treten Salafisten in dieser Region überwiegend als Einzelpersonen oder innerhalb loser, nicht formal organisierter Netzwerke auf. Nahezu die Hälfte der Salafisten im Land stammt aus Syrien, über ein Viertel aus dem Nordkaukasus. Die Zahl der Salafisten in Deutschland ist seit einigen Jahren stabil. Zum Ende des Jahres 2024 wurden bundesweit rund 10.500 Personen dem salafistischen Spektrum zugeordnet - ein Wert, der sich im Vergleich zum Vorjahr nicht verändert hat. In Mecklenburg-Vorpommern entfällt nahezu das gesamte islamistische Personenpotenzial auf den Salafismus. Zum Jahresende 2024 lag die Zahl der Salafisten im Land bei ca. 170 Personen (Vorjahr: 180). 109 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern 8 Islamismus / Islamistischer Terrorismus Veröffentlichungen Der Salafismus zeigt sich in vielfältigen Ausprägungen. Für die Anhänger dieser Strömung sind die Schriften zahlreicher "Gelehrter" und Ideologen von zentraler Bedeutung. Diese Texte werden weltweit und auch in Deutschland in gedruckter Form und über das Internet verbreitet. Besonders hervorzuheben sind Videos und Texte, die salafistische Inhalte transportieren und in sozialen Netzwerken verbreitet werden. Nicht erst seit der Corona-Pandemie hat sich das salafistische Online-Angebot stark ausgeweitet. Es richtet sich vor allem an junge Menschen, wird häufig von Gleichaltrigen erstellt und nutzt zunehmend visuelle Inhalte wie Videos oder kurze Clips. Der Austausch erfolgt schnell, die Botschaften werden kurz und prägnant vermittelt, um eine möglichst große Reichweite zu erzielen. (Vgl. hierzu Kapitel 3) Finanzierung Salafistische Bestrebungen finanzieren sich hauptsächlich durch Spenden von Anhängern sowie von Organisationen sowohl im Inals auch im Ausland. Darüber hinaus erhält die Szene aus dem Ausland materielle Unterstützung, wie etwa Broschüren und andere Publikationen. Im jihadistischen Bereich des Salafismus spielen alternative Finanzierungswege wie das sogenannte "Hawala"-Bankensystem oder Kryptowährungen eine wichtige Rolle. 8.5 Staatliche Maßnahmen gegen islamistischen Extremismus Verbot des "Islamischen Zentrums Hamburg e. V." (IZH) Das Bundesministerium des Innern und für Heimat (BMI) hat am 24. Juli 2024 das "Islamische Zentrum Hamburg e. V."1 (IZH) samt seinen bundesweiten Teilorganisationen verboten. Nach den Angaben des BMI handelt es sich beim IZH um eine extremistische islamistische Organisation, die verfassungsfeindliche Ziele verfolgt. Das Vermögen des IZH wurde beschlagnahmt. Zeitgleich fanden am 24. Juli 2024 in Hamburg und sieben weiteren Bundesländern, darunter auch in Mecklenburg-Vorpommern (Greifswald), Durchsuchungen statt. Das IZH war bundesweit aktiv. Sein Zweck verfolgte Ziele, die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung des Grundgesetzes sowie gegen den Gedanken der Völkerverständigung richteten. Das Zentrum verbreitete als direkte Vertretung des iranischen Revolutionsführers die Ideologie der sogenannten "Islamischen Revolution" in Deutschland auf aggressiv-kämpferische Weise und strebte ihre Umsetzung an. Außerdem verbreitete es unter seinen Anhängern einen aggressiven Antisemitismus und unterstützte in Deutschland die Terrororganisation "Hizb Allah" aus dem Libanon, die hier mit einem Betätigungsverbot belegt ist. Zwar fand in Mecklenburg-Vorpommern eine Durchsuchung in Greifswald statt, dies ist jedoch auf eine Einzelperson zurückzuführen. Hinweise auf strukturelle Aktivitäten in MV liegen nicht vor. 1 https://de.wikipedia.org/wiki/Islamisches_Zentrum_Hamburg#/media/Datei:Islamischen_ Zentrum_Hamburg_Razzia_und_Schlie%C3%9Fung_am_24._Juli_2024.jpg 110 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern 8 Islamismus / Islamistischer Terrorismus Verbot der "Deutschsprachigen Muslimischen Gemeinschaft e. V." (DMG) Das Niedersächsische Ministerium für Inneres und Sport hat am 12. Juni 2024 den Verein "Deutschsprachige Muslimische Gemeinschaft e. V." (DMG) mit Sitz in Braunschweig verboten und dessen Auflösung verfügt. Grund für das Verbot ist, dass sich die DMG gegen die verfassungsmäßige Ordnung und den Gedanken der Völkerverständigung richtet (SS 3 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 Vereinsgesetz i. V. m. Art. 9 Abs. 2 Alt. 2 und 3 Grundgesetz). Die DMG stellte über Jahre hinweg einen zentralen Akteur salafistischer Aktivitäten in Niedersachsen dar und zählte schon früh zu den wichtigsten salafistischen Zentren in Deutschland. Der Verein fungierte als bedeutende überregionale Plattform zur Verbreitung salafistischen Gedankengutes - sowohl online als auch durch lokale Veranstaltungen. Laut den Angaben des Niedersächsischen Innenministeriums vertrat die DMG eine Ideologie, die aggressiv-kämpferisch die Bildung von Parallelgesellschaften, die Ungleichbehandlung von Frauen, Intoleranz gegenüber anderen Religionen sowie Antisemitismus und Feindseligkeit gegenüber Israel fördert. Strukturelle Aktivitäten lagen in Mecklenburg-Vorpommern nicht vor. Aufgrund ihrer überregionalen Reichweite und ideologischen Ausstrahlung ist jedoch von einem Einflussnahmeversuch mit salafistischem Gedankengut auf die hiesige islamistische Szene auszugehen. 8.6 Aufenthaltsstatus ausländischer Islamisten Die Landesregierung von Mecklenburg-Vorpommern setzt sich konsequent dafür ein, islamistischen Aktivitäten keinen Raum zu geben und diese - sobald sie bekannt werden - zurückzudrängen und zu unterbinden. Die Verfassungsschutzbehörde unterstützt die Ausländerbehörden des Landes mit ihren Erkenntnissen, um zu verhindern, dass ausländischen Islamisten ein gefestigter Aufenthaltsstatus gewährt wird und, sofern die rechtlichen Voraussetzungen gegeben sind, deren Rückführung in die jeweiligen Herkunftsländer zu veranlassen. Zu diesem Zweck kooperieren die Sicherheitsbehörden des Landes - das Landeskriminalamt und die Verfassungsschutzbehörde - eng mit dem Ausländerreferat des Innenministeriums in der beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) angesiedelten Arbeitsgruppe "Statusrechtliche Begleitmaßnahmen" (AG Status). Das Hauptziel dieser AG besteht darin, Personen mit islamistischem oder terroristischem Hintergrund zu identifizieren und zu prüfen, inwieweit Maßnahmen wie: der Widerruf oder die Rücknahme einer Asyloder Flüchtlingsanerkennung, aufenthaltsbeendende Maßnahmen, Überwachungsmaßnahmen gemäß SS 56 Aufenthaltsgesetz (AufenthG), Maßnahmen zur Verhinderung der (Wieder-)Einreise, Maßnahmen zur Verhinderung oder Rücknahme einer Einbürgerung ergriffen werden können. 111 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern 8 Islamismus / Islamistischer Terrorismus Die AG Status kann dabei für den Widerruf von Asylentscheidungen oder für die Empfehlung einer Ausweisungsverfügung auch auf sicherheitsbehördliche Erkenntnisse zurückgreifen, die unterhalb der Schwelle strafrechtlicher Vergehen liegen. Dazu gehören beispielsweise Hinweise auf Aktivitäten für einen als verfassungsfeindlich eingestuften Verein. Es ist jedoch zu betonen, dass islamistische Aktivitäten, die nicht die Schwelle schwerwiegender Straftaten überschreiten oder lediglich als "abstrakte Gefahr" im Sinne des Polizeiund Ordnungsrechts eingestuft werden, in der Regel nicht ausreichen, um eine Aufenthaltsbeendigung rechtlich zu begründen. Ein vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) anerkannter Flüchtling kann beispielsweise den demokratischen Rechtsstaat offen ablehnen und die Überlegenheit der Scharia gegenüber dem deutschen Recht propagieren, ohne deshalb unmittelbar ausländerrechtliche Sanktionen befürchten zu müssen. Zu Abschiebungen kommt es selbst bei nachgewiesenen islamistischen / terroristischen Hintergründen auch dann nicht, wenn die Bundesregierung das Herkunftsland als nicht sicher eingestuft hat oder der Betroffene als staatenlos gilt, das heißt kein Herkunftsland nachgewiesen werden kann. 8.7 Islamismusprävention Staatliche Maßnahmen gegen den islamistischen Extremismus umfassen neben den Repressionsmaßnahmen verstärkt auch Ansätze der Prävention. Im Oktober 2024 nahm das Bundesinnenministerium (BMI) in Form der "Taskforce Islamismusprävention" die Arbeit auf. Dabei handelt es sich um ein neunköpfiges Team, das sich der Bekämpfung des Islamismus widmet. Sie ist ein Teil des Sicherheitspakets, das die Bundesregierung nach dem tödlichen Anschlag in Solingen am 23. August 2024 beschlossen hat (siehe oben). Ihr vorrangiges Ziel besteht darin, Maßnahmen zur Verhinderung der Radikalisierung junger Menschen im Internet zu entwickeln. Bereits seit 2012 existiert die Beratungsstelle Radikalisierung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), die ein bundesweiter Ansprechpartner, insbesondere für das private Umfeld von radikalisierten Personen, ist (erreichbar unter der Rufnummer 0911/9434343). Im Jahr 2017 wurde in MV im Rahmen der Umsetzung des "Nationalen Präventionsprogramms gegen islamistischen Extremismus" die Einrichtung einer interministeriellen Arbeitsgruppe "Islamismusprävention" beschlossen. Des Weiteren wurde der Aufbau einer Fachstelle zur Prävention von religiös begründetem Extremismus mit Mitteln des Bundesprogramms "Demokratie leben!" initiiert. Die Koordinierung dieser Präventionsmaßnahmen obliegt der "Landeszentrale für politische Bildung/Landeskoordinierungsstelle Demokratie und Toleranz", die der Aufsicht des Wissenschaftsministeriums untersteht. Die Islamismusprävention in MecklenburgVorpommern wird seitdem unter der Mitwirkung der Ministerien für Inneres, Bildung, Justiz und Soziales umgesetzt. Seit dem Frühjahr 2018 ist die Fachstelle für Prävention von religiös begründetem Extremismus mit dem Namen "Bidaya" (arab. für Start, Anfang) eingerichtet, die mittlerweile in Dahmen (Landkreis Rostock) angesiedelt ist. "Bidaya" steht staatlichen Stellen, zivilgesellschaftlichen Trägern und Einzelpersonen in MecklenburgVorpommern als Beratungsstelle im Themenfeld Islamismus und Islamfeindlichkeit zur Verfügung. Neben der Beratung liegt ein Schwerpunkt auf der Fortbildung von Fachkräften. Kontakt Fachstelle "Bidaya": Telefon: 0160/8045287 Internet: www.bidaya-mv.cjd.de 112 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern 8 Islamismus / Islamistischer Terrorismus Gemeinsam die Verfassung schützen Verfassungsschutz Mecklenburg-Vorpommern 113 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern Die "Wehrhafte Demokratie" - KAPITELÜBERSICHT Auftrag und Verpflichtung des 11 Verfassungsschutzes VERFASSUNGSSCHUTZBERICHT 2024 KAPITEL 1 Auf einen Blick Radikalisierung im digitalen Zeitalter: Junge Zielgruppen im 23 Visier extremistischer Akteure 33 KAPITEL 2 KAPITEL 3 Rechtsextremismus Reichsbürger und und -terrorismus Selbstverwalter 39 77 KAPITEL 4 KAPITEL 5 Verfassungsschutzrelevante Linksextremismus Delegitimierung des Staates 87 93 KAPITEL 6 KAPITEL 7 Islamismus / Islamistischer Auslandsbezogener Terrorismus Extremismus 105 115 KAPITEL 8 KAPITEL 9 Mitwirkungsangelegenheiten, Spionageabwehr und Waffenrechtliche Erlaubnisse und hybride Bedrohungen Extremisten im öffentlichen Dienst 125 133 KAPITEL 10 KAPITEL 11 Presseund Anlagen Öffentlichkeitsarbeit 143 149 KAPITEL 12 KAPITEL 13 Kapitel 9 Auslandsbezogener Extremismus Verfassungsschutz Mecklenburg-Vorpommern 9 Auslandsbezogener Extremismus 9. Auslandsbezogener Extremismus 9.1 Lageüberblick Im Bereich des nicht-islamistischen, auslandsbezogenen Extremismus sind Organisationen aktiv, die ideologische Elemente aus dem Rechtsund Linksextremismus sowie Antisemitismus aufgreifen oder separatistische Bestrebungen in ihren Herkunftsländern verfolgen. Die Situation in den betreffenden Regionen sowie die Vorgaben der dort ansässigen zentralen Organisationseinheiten wirken sich entscheidend auf die Politik, Strategie und Aktivitäten dieser Akteure in Deutschland aus. In ihren Heimatländern streben diese Organisationen zumeist radikale politische Umbrüche an, die häufig auch durch den Einsatz von Gewalt und Terror vorangetrieben werden. In der Folge verstoßen die in Deutschland aktiven Strukturen dieser extremistischen und teils terroristischen Auslandsorganisationen gegen den Gedanken der Völkerverständigung und gefährden bisweilen die öffentliche Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland.1 Deutschland dient den meisten dieser Gruppierungen als sicherer Rückzugsraum. Von hier aus unterstützen sie ihre Heimatorganisationen durch die Verbreitung von Propaganda, die Bereitstellung finanzieller Mittel und Material sowie teilweise durch die Rekrutierung neuer Kämpfer. Damit beeinträchtigen sie auch die außenpolitischen Interessen der Bundesrepublik Deutschland. 9.2 Personenpotenzial2 MV MV Bund Bund 2023 2024 2023 2024 "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) 270 270 15.000 15.000 Türkische Linksextremisten < 25 < 25 2.500 2.500 Gesamt3 < 295 < 295 17.500 17.500 Der Schwerpunkt der Beobachtungen im Bereich des auslandsbezogenen Extremismus im Jahr 2024 lag weiterhin auf der "Arbeiterpartei Kurdistans", aufgrund der Mitgliederzahl sowie der Aktivitäten dieser Organisation. Im Gegensatz dazu ist die Anzahl der Anhänger türkisch-linksextremistischer Organisationen, wie der "Revolutionären Volksbefreiungspartei-Front" (DHKP-C), der Türkischen Kommunistischen Partei/ Marxisten-Leninisten (TKP/ML) und der "Marxistisch-Leninistischen Kommunistischen Partei" (MLKP), im Land Mecklenburg-Vorpommern unbedeutend. Hierbei handelt es sich lediglich um unorganisierte Einzelpersonen. Personenzusammenschlüsse, Einrichtungen und Strukturen des türkischen Rechtsextremismus sind im Land nicht existent. Diesem Phänomenbereich gehören in Mecklenburg-Vorpommern lediglich einige wenige Einzelpersonen an. 1 SS 5 Abs. 1 Nr. 4 LVerfSchG M-V 2 Alle Zahlen sind Rundungswerte 3 Die Gesamtzahl der Mitglieder-/Anhängerzahlen von nicht islamistischen - linksextremistischen Ausländerorganisationen für ganz Deutschland weicht von der vom Bundesamt für Verfassungsschutz veröffentlichten Gesamtstatistik insofern ab, als in der o. a. Tabelle ausschließlich die im Land Mecklenburg-Vorpommern agierenden Organisationen berücksichtigt worden sind. 116 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern 9 Auslandsbezogener Extremismus 9.3 "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) Türkei/Nordirak, in Europa ist die Organisation durch wenige weisungsberechtigte Funktionäre mit wechselnden AufenthaltsSitz/Verbreitung orten durch den Kongress der KurdischDemokratischen Gesellschaft Kurdistan in Europa (KCDK-E) vertreten. Gründung/Bestehen seit November 1978 VERBOTEN Höchste Entscheidungsgremien: Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans Struktur/Repräsentanz (KCK, Präsident: Abdullah Öcalan, Co-Vorsitzende: Bese Hozat und Cemil Bayik) und die Generalversammlung Volkskongress Kurdistans (KONGRA-GEL) Europa autoritäre Führung mittels Kaderprinzip Deutschland neun Regionen (Eyalet), 31 Gebiete (Bölge) zugehörig zum PKK-Gebiet "Kiel", das wesentliche Teile von MecklenburgMV Vorpommern umfasst, mit einem leitenden Führungsfunktionär Mitglieder/Anhänger/Unterstützer ca. 270 in MV Serxwebun (Unabhängigkeit) (monatlich); Sterka Ciwan (Stern der Jugend) (monatlich); Newaja Jin (Melodie der Frauen) (monatlich); Kurdistan-Report (zwei-monatlich); Yeni Özgür Politika (Neue Freie Politik) (täglich); Fernsehen: Veröffentlichungen/Publikationen Sterk TV; Gerila TV; Internet: zahlreiche Internetauftritte verschiedener regionaler Gruppierungen sowie mediale Präsenz in unterschiedlichen sozialen Netzwerken mit guten Verknüpfungen untereinander. Ideologie/Ziele Die in der Türkei unter Führung von Abdullah Öcalan gegründete "Arbeiterpartei Kurdistans (Partiya Karkeren Kurdistan - PKK)" kämpft seit den frühen 1980er Jahren für die Unabhängigkeit bzw. größere Autonomie der Kurdengebiete im Osten der Türkei. Ursprünglich strebte die PKK einen eigenen kurdischen Nationalstaat an, der Teile der Türkei, des Nordiraks, des westlichen Irans und Nordsyriens umfassen sollte. Auch heute verfolgt sie weiterhin das Ziel eines länderübergreifenden kurdischen Verbunds im Nahen Osten. Zu den wesentlichen Forderungen zählen die Freilassung des inhaftierten PKK-Führers Abdullah Öcalan sowie die Aufhebung des Verbots der Betätigung der Organisation. Das Bundesministerium des Innern (BMI) erließ 1993 ein Betätigungsverbot gegen die PKK und ihre Nebenorganisationen. Darüber hinaus ist die PKK seit dem Jahr 2002 auf der Terrorliste der Europäischen Union verzeichnet und unterliegt somit restriktiven Maßnahmen. 117 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern 9 Auslandsbezogener Extremismus Bei Anschlägen und Gefechten zwischen der PKK, dem türkischen Staat und rivalisierenden Gruppen kamen seit Beginn des Konflikts mehrere zehntausend Menschen ums Leben, darunter zahlreiche Zivilisten. Deutschland fungiert für die PKK als sicherer Rückzugsraum. Sie gilt nach wie vor als die bedeutendste Kraft im Bereich des nicht-religiös motivierten Extremismus mit Auslandsbezug, gemessen an Anhängerzahlen, Organisationsgrad und Mobilisierungspotenzial. Im Jahr 2024 bestimmten folgende Themen die Aktivitäten der PKK in Deutschland: der Kampf kurdischer Einheiten in Syrien und im Irak gegen die islamistische Terrororganisation IS, die bewaffneten Auseinandersetzungen der PKK mit dem türkischen Staat und der KDP im Nordirak, die Kämpfe gegen das türkische Militär und islamistische Milizen in Nordsyrien, die politische Agitation für die Freilassung Öcalans und die Aufhebung des PKK-Verbots in Deutschland, Öffentlichkeitsarbeit zur "kurdischen Frage". Im vierten Quartal 2024 zeichneten sich erste Anzeichen einer möglichen Entspannung im jahrzehntelangen Konflikt zwischen der Türkei und der PKK ab. So durfte Abdullah Öcalan nach Jahren der Isolation wieder Besuch empfangen. Ein Koalitionspartner der Erdogan-Regierung stellte sogar eine Freilassung Öcalans in Aussicht - unter der Bedingung, dass er das Ende der Gewalt und die Auflösung der Organisation erklärt. Diese Entwicklung setzte sich zu Beginn des Jahres 2025 fort. In Deutschland unterhält die PKK einen konspirativ agierenden sowie hierarchisch organisierten Funktionärsapparat. Das Bundesgebiet ist in verschiedene Zuständigkeitsbereiche gegliedert, die jeweils von einem sogenannten "Gebietsverantwortlichen" geleitet werden. Diese Führungskräfte wechseln regelmäßig ihre Einsatzorte innerhalb Europas, um der Strafverfolgung zu entkommen. Die zentrale Aufgabe der Führungskader besteht darin, finanzielle Mittel zur Unterstützung der Guerillaeinheiten in der Türkei, Syrien und im Irak zu beschaffen sowie die Verbreitung der PKK-Ideologie voranzutreiben. Die Finanzierung erfolgt u. a. über den Verkauf von Publikationen sowie die Durchführung von Veranstaltungen und ist in erster Linie auf "Spendensammlungen" innerhalb der Anhängerschaft angewiesen - die oft nur unter erheblichem Druck zustande kommen. Im Rahmen der genannten Themen fanden im Jahr 2024 bundesund europaweit zahlreiche Resonanzaktionen der PKK-Anhängerschaft, wie Kundgebungen, Hungerstreiks und Demonstrationsmärsche, statt. Anhänger der PKK haben im Februar anlässlich des 25. Jahrestags der Festnahme des Organisationsgründers Öcalan eine Reihe öffentlichkeitswirksamer Aktionen durchgeführt, um ihrer Forderung nach einer Freilassung Öcalans Nachdruck zu verleihen. Im Vordergrund stand dabei eine Großdemonstration am 17. Februar in Köln unter dem Motto "Schluss mit 25 Jahren Isolation, Folter und Rechtlosigkeit"1. Zu dieser zentralen Abschlusskundgebung der diesjährigen Aktionen für Öcalan rief die Organisation u. a. in zahlreichen Appellen die gesamte europäische kurdische Gemeinschaft auf.2 Tatsächlich beteiligten sich an der Veranstaltung in der Spitze bis zu 14.500 Personen. Dies entsprach auch - Demonstration in Köln in etwa der angemeldeten Teilnehmerzahl. 1 Vgl. "KON-MED: Schluss mit 25 Jahren Isolation, Folter und Rechtlosigkeit" vom 09.02.2024, in: https://anfdeutsch.com; abgerufen am 19.02.2024. 2 "KCDK-E ruft zu Großdemonstration für Freiheit von Öcalan in Köln auf" vom 02.02.2024, in: https://anfdeutsch.com; abgerufen am 19.02.2024. 118 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern 9 Auslandsbezogener Extremismus Anlässlich des kurdischen Newroz-Neujahrsfestes1 fand am 23. März 2024 in Frankfurt/M. die alljährliche Großkundgebung der PKK unter dem Motto "Newroz bedeutet Freiheit, deine Freiheit bedeutet unsere Freiheit" statt. 2, 3 Wie bei solchen Veranstaltungen üblich, bediente sich die in Deutschland mit einem Betätigungsverbot belegte PKK für Anmeldung und Organisation ihrer nicht verbotenen Strukturen und deren Mitglieder. In der Spitze nahmen an der Veranstaltung 35.000 Personen teil4, doppelt so viele wie angekündigt und damit in etwa so viele wie bei der Vorjahresveranstaltung am selben Ort. Die Großkundgebung verlief größtenteils ohne Störungen, jedoch wurden vereinzelt Flaggen und Bilder mit verbotener PKK-Symbolik gezeigt. Die Newroz-Feierlichkeiten gehören für die Anhänger der PKK in Deutschland zu den bedeutendsten Großereignissen des Jahres. Die Veranstaltung erfreut sich aufgrund ihres Volksfestcharakters großer Beliebtheit und wird auch dazu genutzt, die - 32. Internationales Kurdisches Anliegen der PKK einem breiteren Personenkreis näherzubringen und Kulturfestival in Frankfurt am Main sich in einem positiven Licht darzustellen. Am 21. September 2024 fand ebenfalls in Frankfurt am Main das 32. "Internationale kurdische Kulturfestival" der PKK statt. Die Veranstaltung stand unter dem Motto "Isolation und Besatzung zerschlagen - Freiheit für Abdullah Öcalan". Die Teilnehmerzahlen der vergangenen Jahre wurden mit etwa 20.000 Personen (überwiegend PKK-Anhänger und größtenteils aus DEU) deutlich übertroffen. Dieses alljährliche Festival stellt einen der europaweiten (propagandistischen) Höhepunkte unter den zentralen Großveranstaltungen der PKK dar. Die Veranstaltung dient ihr unter anderem zur Verbreitung ihrer politischen Botschaften, der Gewinnung neuer Anhänger und als Ort der Vernetzung sowie des Austauschs. An beiden Veranstaltungen nahmen einzelne Personen aus Mecklenburg-Vorpommern teil. Am 23. Oktober 2024 verübte die PKK einen Anschlag auf das türkische Luftund Raumfahrtunternehmen TUSAS in Ankara. Fünf Menschen kamen ums Leben, 22 wurden verletzt. Die türkische Regierung identifizierte die beiden Attentäter später als Mitlieder der PKK.5 Am 25. Oktober 2024 bekannte sich die PKK-Guerilla im Internet zu dem Anschlag und bezeichnete das angegriffene Unternehmen als Waffenlieferant. Die beiden Attentäter wurden von der PKK sogleich als Märtyrer verherrlicht.6 - Darstellung der Attentäter auf ANF Bereits in der darauffolgenden Nacht reagierte die türkische Armee mit einer Luftoffensive gegen Stellungen und Infrastruktur der PKK im Irak und in Syrien.7 Hierauf reagierten PKK-Anhänger europaund bundesweit mit spontanen Protestaktionen; so fanden an den Folgetagen außerhalb von Mecklenburg-Vorpommern in insgesamt sechs deutschen Städten größere Aktionen statt. Auch bei einer PKK-Demonstration am 16. November 2024 in Köln, organisiert von der KCDK-E und mit etwa 7.000 Teilnehmern,8 zeigten einige Teilnehmer ein Banner mit den zwei Attentätern des Terroranschlags vom 23. Oktober 2024. 1 Das kurdische Neujahrsoder auch Frühlingsfest fällt auf den Zeitpunkt der Tag-und-Nacht-Gleiche und damit auf den 20./21. März eines jeden Jahres. 2 Da die PKK selbst verboten ist, tritt sie nicht als Organisatorin in Erscheinung, sondern bedient sich hierzu ihr nahestehender Vereine, die keinem Vereinsverbot unterliegen. 3 Vgl. Frankfurt: "Newroz bedeutet Freiheit, deine Freiheit bedeutet unsere Freiheit" vom 23.03.2024, in: https://anfdeutsch.com; abgerufen am 25.03.2024. 4 Vgl. "POL-F: 240323 - 0338: Frankfurt: Kundgebungen, Aufzüge, und Veranstaltungen in der Frankfurter Innenstadt und im Rebstockpark" vom 23.03.2024, in: https://anfdeutsch.com; abgerufen am 25.03.2024. 5 Vgl. "Türkei identifiziert mutmaßliche Angreifer als PKK-Mitglieder" vom 24.10.2024. in: www.tagesschau.de; abgerufen am 25.10.2024. 6 Vgl. "Nachruf auf Asya Ali und Rojger Helin" vom 26.10.2024, in: https://anfdeutsch.com; abgerufen am 28.10.2024. 7 Vgl. "Türkei meldet Angriffe in Irak und Syrien", https://www.zdf.de vom 24.10.2024, abgerufen am 30.01.2025 8 Der KCDK-E ("Kongress der kurdischen demokratischen Gesellschaften in Europa"/"Kongreya Civaken Demokratik a Kurdistaniyen Li Ewropa") bezeichnet sich als Dachverband der kurdischen Vereine in Europa und somit als die Europavertretung des kurdischen Volkes und ist de facto die Europaleitung der PKK. 119 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern 9 Auslandsbezogener Extremismus Aktivitäten der PKK in Mecklenburg-Vorpommern Der PKK werden in Mecklenburg-Vorpommern ca. 270 Personen zugerechnet. Trotz der Tatsache, dass auch im Jahr 2024 grundsätzlich keine größeren öffentlichkeitswirksamen politischen Aktivitäten im Land stattfanden, gelingt es der PKK immer wieder, eine beträchtliche Anzahl von Kurden aus Mecklenburg-Vorpommern zur Teilnahme an den zuvor genannten überregionalen Veranstaltungen zu mobilisieren. Die andauernden türkischen Militäroffensiven im Nordirak und seit Oktober 2024 auch in Nordsyrien trugen dazu bei, die hiesigen Kurden zu vereinen und für bundesweite Versammlungen zu mobilisieren. Obwohl die PKK über ein grundsätzlich hohes Mobilisierungspotenzial verfügt, kann sie nicht mehr an frühere Teilnehmerzahlen anknüpfen. Als Gründe werden sowohl der Verfolgungsdruck durch deutsche Strafverfolgungsund Sicherheitsbehörden1, Ausspähversuche von türkischen Sicherheitsbehörden, als auch eine wachsende Frustration der Kurden über den Status quo in den kurdischen Siedlungsgebieten vermutet. Kooperation mit deutschen Linksextremisten Im Verlauf des syrischen Bürgerkrieges und insbesondere seit Beginn der Kampfhandlungen zwischen dem IS und den PKK-nahen syrisch-kurdischen "Volksverteidigungseinheiten" (YPG) solidarisierten sich deutsche Linksextremisten noch stärker als zuvor mit der kurdischen Autonomiebewegung (sog. Kurdistan-Solidarität). In der Folge entstanden fast überall in Deutschland Aktionsbündnisse aus PKK-nahen kurdischen, linken und linksextremistischen Bewegungen sowie Solidaritätsgruppen mit linksextremistischen Akteuren, die gemeinsam gegen den Fortbestand des PKK-Verbotes kämpfen. Rostock bleibt das Zentrum solcher Bestrebungen in Mecklenburg-Vorpommern, und auch in Schwerin wurde eine wachsende Resonanz beobachtet. Angesichts der aktuellen Entwicklungen in Syrien nach dem Sturz des langjährigen Machthabers ASSAD organisierten die PKK sowie verschiedene türkische linksextremistische Organisationen seit Anfang Dezember 2024 zahlreiche Kundgebungen in Deutschland und Europa. Die PKK wirft der Türkei konkret vor, dass sie die Kräfteverschiebung in Syrien aktuell dazu nutzt, "um ihren Vernichtungsplan gegenüber den selbstverwalteten Regionen in Nordund Ostsyrien umzusetzen".2 Laut einer kurdischen Nachrichtenagentur (ANF) rief die PKK-Europaführung dazu auf, "angesichts der türkischdschihadistischen Angriffe in Syrien (...) für Rojava3 einzutreten und überall auf die Straße zu gehen". Am 16. Dezember 2024 folgten einige Aktivisten diesem Aufruf und besetzten das Brandenburger Tor in Berlin und entrollten ein rund 30 Meter langes Banner mit dem Schriftzug: "FÜR DEMOKRATIE IN SYRIEN - ROJAVA VERTEIDIGEN".4 Das in diesem Kontext vorrangig aktive Bündnis "Defend Kurdistan" setzt sich überwiegend aus PKK-nahen prokurdischen, linksorientierten und linksextremistischen Akteuren zusammen, die regelmäßig in Norddeutschland und dem "PKK-Gebiet Kiel" Aktionen im Zusammenhang mit dem bestehenden Kurdenkonflikt durchführen.5 1 Es gab 2024 bundesweit eine Reihe von Verhaftungen und Verurteilungen von PKK-Gebietsverantwortlichen nach SSSS 129 a, b StGB 2 Vgl. "Proteste gegen Invasion in Nordund Ostsyrien" vom 11.12.2024, in: https://anfdeutsch.com; abgerufen am 16.12.2024. 3 Mit "Rojava" sind die kurdischen Siedlungsbiete im Norden Syriens gemeint. Dieser Begriff und überhaupt die "Kurdistan-Solidarität" steht für die ideologischen Überschneidungen zwischen PKK-und prokurdischen sowie linksorientierten und linksextremistischen Akteuren. 4 Vgl. "Aktivisten entrollen Syrien-Transparent auf dem Brandenburger Tor" vom 17.12.2024, in: www.welt.de; abgerufen am 18.12.2024. 5 https://defend-kurdistan.com, Aufrufe zur Demo in Köln am 16.11.2024 und Aktionstag am 14.12.2024, abgerufen am 07.02.2025 120 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern 9 Auslandsbezogener Extremismus 9.4 Antiisraelische und propalästinensische Demonstrationen Als Folge des Terrorangriffes der HAMAS auf Israel 7. Oktober 2023 und des damit wieder aufgeflammten Nahost-Konfliktes (militärische Auseinandersetzungen zwischen Israel und der HAMAS) kam es auch 2024 bundesund europaweit zu zahlreichen antiisraelischen und propalästinensischen Demonstrationen und Protestkundgebungen, die teilweise auch gewalttätig verliefen. Veranstalter waren u. a. dem BDS1 nahestehende Vereine und teilweise neu Flagge Israels gegründete Bündnisse und Organisationen, die dem säkularen propalästinensischen Extremismus zuzurechnen sind. Unter den Teilnehmern waren auch Anhänger der - inzwischen verbotenen - HAMAS, der Hisbollah und vereinzelt der PFLP sowie auch der türkisch-linksextremistischen Organisationen MLKP, Young Struggle und DHKP-C. Die Teilnehmer dieser monatelangen Proteste waren zum Teil stark emotionalisiert. Einige Kundgebungen eskalierten in Richtung religiös-fanatischer, antizionistischer und antisemitischer Hetze.2 Die Personen und Bündnisse, die in diesem Zusammenhang in Mecklenburg-Vorpommern in Erscheinung traten, haben die - häufig fließende - Grenze zum Extremismus und Flagge Palästinas Antisemitismus im Jahr 2024 noch nicht offen überschritten. Auffallend waren im Jahr 2024 in diesem Zusammenhang v. a. Protest-, Störungsund Besetzungsaktionen an deutschen Universitäten, bei denen u. a. projüdische und propalästinensische Studenten gewaltsam aufeinandertrafen, wie z. B. in Berlin. Um gewaltsame Eskalationen und Besetzungen von Hörsälen durch propalästinensische Aktivisten zu stoppen, war in manchen Fällen sogar ein Eingreifen der Polizei erforderlich. Die beiden Universitätsstandorte in Mecklenburg-Vorpommern waren davon bislang nicht betroffen. - Demonstration in Berlin3 1 Die internationale antiisraelische Initiative "Boycott, Divestment and Sanctions" wird vom BfV als Beobachtungsobjekt bearbeitet und den säkularen extremistischen propalästinensischen Bestrebungen zugeordnet. 2 https://www.berliner-zeitung.de/news/berlin-111-vorlaeufige-festnahmen-bei-pro-palaestina-demo-nahe-kurfuerstendamm-li.2272921; https://www.morgenpost.de/berlin/article407700234/pyrotechnik-gezuendet-polizei-stoppt-palaestina-demo.html; 3 https://www.threads.com, Demo Berlin am 16.11.2024, abgerufen am 30.01.2025 121 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern 9 Auslandsbezogener Extremismus Erst nach dem Waffenstillstandsabkommen Israels mit der Hisbollah und der HAMAS und dem u. a. damit verbundenen Geiselund Gefangenenaustausch, der Einstellung der Kampfhandlungen und dem teilweisen Rückzug der israelischen Truppen aus dem Südlibanon und dem Gazastreifen ebbten die Proteste spürbar ab. Insbesondere in Berlin finden nach wie vor regelmäßig Demonstrationen zu dieser Thematik statt. In Mecklenburg-Vorpommern wurden im Jahr 2024 ebenfalls Veranstaltungen in diesem Zusammenhang durchgeführt. So demonstrierten vornehmlich Personen aus Syrien und Palästina mehrmals friedlich, beispielsweise in Schwerin und Neubrandenburg (22. März, 7. Juni, 8. Juni, 25. Oktober 2024). Einzelne Teilnehmer äußerten in emotionalisierter Form ihre israelkritische Einstellung, ohne dabei jedoch die Schwelle zum expliziten Antisemitismus und des Antizionismus zu überschreiten. Das Teilnehmerfeld umfasste Personen aus dem migrantischen Milieu sowie aus der deutschen linken und linksextremistischen Szene. So waren beispielsweise Mitglieder der Roten Jugend Rostock an der Veranstaltung in Schwerin am 7. Juni 2024 beteiligt und verteilten mit Blick auf die anstehende Europawahl u. a. linksextremistische und antikapitalistische Flyer. An der - Der öffentlich verwendete Slogan "From the River to the Sea" spricht Demonstration in Schwerin am 25. Oktober 2024 dem Staat Israel das Existenzrecht ab und erfüllt den Straftatbestand der Volksverhetzung. Das verwendete rote Dreieck wird von Experten nahm auch die MLPD teil und verteilte eine Erklärung und projüdischen Personen und Organisationen als HAMAS-Symbol des Zentralkomitees der MLPD zum "Angriffskriegs angesehen.1 Israels in Nahost".2 9.5 Eritrea-Konflikt Der Eritrea-Konflikt3 hatte auch im Jahr 2024 Auswirkungen auf die hiesige Sicherheitslage. In Deutschland leben ca. 70.000 Eritreer, die sich in eine regimetreue und eine regimekritische Fraktion aufteilen. Der genannte Konflikt trat erstmals offen zutage bei dem Eritrea-Festival im Juli 2023 in Gießen und zwei Monate später bei einer Eritrea-Veranstaltung in Stuttgart, wo es zu einem Angriff von ca. 200 Personen kam. Diese Gewalteskalation war bisher ohnegleichen. Hierbei wurden 23 Polizeikräfte verletzt. Vereinzelte Eritreer, die an den Veranstaltungen in Gießen und Stuttgart beteiligt waren, sind in Mecklenburg-Vorpommern wohnhaft. Organisierte Strukturen sind in Mecklenburg-Vorpommern bislang nicht feststellbar. Im Jahr 2024 wurden in Mecklenburg-Vorpommern keine öffentlichen Veranstaltungen von regimekritischen Personen oder Organisationen dokumentiert. 1 Humboldt-Universität Berlin; der öffentlich verwendete Slogan "From the River to the Sea" spricht dem Staat Israel das Existenzrecht ab und erfüllt den Straftatbestand der Volksverhetzung. Das verwendete rote Dreieck wird von Experten und projüdischen Personen und Organisationen als HAMAS-Symbol angesehen; die propalästinensischen Akteure sehen darin eine alternative Palästina-Flagge (rotes Dreieck aus Palästina-Flagge). https://www.spiegel.de "Wofür steht das rote Dreieck? vom 29.05.2024, abgerufen am 07.02.2025 2 https://www.rf-news.de/2024/kw43/demonstration-fuer-die-befreiung-palaestinas-in-schwerin, abgerufen am 30.01.2025 3 Eritrea ist seit 1993 von Äthiopien unabhängig; der dortige Machthaber führt das Land autokratisch. Es gibt praktisch kein Parlament und Gewaltenteilung; Oppositionelle werden verfolgt. Der bestehende Bürgerkrieg in der benachbarten äthiopischen Region Tigray beeinflusst die Sicherheitslage in Eritrea negativ. 122 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern 9 Auslandsbezogener Extremismus Gemeinsam die Verfassung schützen Verfassungsschutz Mecklenburg-Vorpommern 123 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern Die "Wehrhafte Demokratie" - KAPITELÜBERSICHT Auftrag und Verpflichtung des 11 Verfassungsschutzes VERFASSUNGSSCHUTZBERICHT 2024 KAPITEL 1 Auf einen Blick Radikalisierung im digitalen Zeitalter: Junge Zielgruppen im 23 Visier extremistischer Akteure 33 KAPITEL 2 KAPITEL 3 Rechtsextremismus Reichsbürger und und -terrorismus Selbstverwalter 39 77 KAPITEL 4 KAPITEL 5 Verfassungsschutzrelevante Linksextremismus Delegitimierung des Staates 87 93 KAPITEL 6 KAPITEL 7 Islamismus / Islamistischer Auslandsbezogener Terrorismus Extremismus 105 115 KAPITEL 8 KAPITEL 9 Mitwirkungsangelegenheiten, Spionageabwehr und Waffenrechtliche Erlaubnisse und hybride Bedrohungen Extremisten im öffentlichen Dienst 125 133 KAPITEL 10 KAPITEL 11 Presseund Anlagen Öffentlichkeitsarbeit 143 149 KAPITEL 12 KAPITEL 13 Kapitel 10 Mitwirkungsangelegenheiten, Waffenrechtliche Erlaubnisse und Extremisten im öffentlichen Dienst Verfassungsschutz Mecklenburg-Vorpommern 10 Mitwirkungsangelegenheiten, Waffenrechtliche Erlaubnisse und Extremisten im öffentlichen Dienst 10. Mitwirkungsangelegenheiten, Waffenrechtliche Erlaubnisse und Extremisten im öffentlichen Dienst 10.1 Allgemeines Der Verfassungsschutz Mecklenburg-Vorpommern erhebt und bewertet seine Informationen nicht nur zur Analyse von extremistischen Organisationen oder Spionageaktivitäten. Auf Grundlage seines gesetzlichen Auftrags gemäß SS 5 Abs. 3 des Landesverfassungsschutzgesetzes Mecklenburg-Vorpommern (LVerfSchG M-V) ist der Verfassungsschutz auch in sogenannte Mitwirkungsangelegenheiten eingebunden. Hierzu zählen insbesondere sicherheitsrelevante Verfahren wie Sicherheitsüberprüfungen, Einbürgerungsverfahren oder Maßnahmen im Bereich der Luftsicherheit. In diesen Fällen erfolgt eine Anfrage durch die jeweils zuständigen Behörden, woraufhin der Verfassungsschutz Mecklenburg-Vorpommern (unter Beachtung der gesetzlichen Vorgaben, insbesondere im Hinblick auf den Datenschutz) eine Rückmeldung erteilt. Die Sammlung und Bewertung von Informationen sowie deren gezielte Weitergabe an andere zuständige Stellen zur Einleitung geeigneter Maßnahmen im eigenen Zuständigkeitsbereich stellt eine zentrale Aufgabe des Verfassungsschutzes dar. Dieser Grundsatz lässt sich in folgendem Leitsatz zusammenfassen: Der Verfassungsschutz ist ein Nachrichtendienst, weil er Informationen beschafft, zusammenführt und bewertet, um sie weiterzugeben, damit andere sich danach richten können! Die vom Verfassungsschutz gewonnenen Erkenntnisse dienen nicht dem Selbstzweck, sondern sollen dazu beitragen, die Ausbreitung extremistischer Bestrebungen sowie Gefahren durch Sabotage oder Spionage frühzeitig zu erkennen und wirkungsvoll zu unterbinden. In diesem Kapitel wird zunächst ein statistischer Überblick zu den jeweiligen Mitwirkungsangelegenheiten gegeben. Im Anschluss wird - aufgrund ihrer sicherheitsrelevanten Bedeutung - besonders auf das Thema Extremisten im öffentlichen Dienst sowie waffenrechtliche Erlaubnisse bei extremistischen Personen eingegangen. 10.2 Mitwirkungsangelegenheiten Der Verfassungsschutz ist sog. mitwirkende (d. h. überprüfende) Stelle bei Sicherheitsüberprüfungen von Personen nach Maßgabe des Sicherheitsüberprüfungsgesetzes des Landes Mecklenburg-Vorpommern (SÜG M-V) Zuverlässigkeitsüberprüfungen von Personen in sonstigen gesetzlich bestimmten Fällen (z. B. SS 7 Luftsicherheitsgesetz, SS 12b Atomgesetz und SS 5 Waffengesetz). 126 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern 10 Mitwirkungsangelegenheiten, Waffenrechtliche Erlaubnisse und Extremisten im öffentlichen Dienst Sicherheitsüberprüfungen Ziel der Sicherheitsüberprüfungen nach dem SÜG M-V ist es, sicherzustellen, dass nur solche Personen, bei denen keine Sicherheitsrisiken vorliegen, sicherheitsempfindliche Tätigkeiten in einer öffentlichen Stelle oder einem Unternehmen ausüben. Eine sicherheitsempfindliche Tätigkeit liegt vor, wenn eine Person durch ihre Tätigkeit Zugang zu hoch eingestuften Verschlusssachen erhält oder aber innerhalb einer lebensoder verteidigungswichtigen Einrichtung tätig ist. Im Jahr 2024 hat die Landesbehörde für Verfassungsschutz bei 585 Sicherheitsüberprüfungen mitgewirkt. Sicherheitsüberprüfungen 2019 bis 2024 562 507 607 533 424 585 2019 2020 2021 2022 2023 2024 INFOBOX "Ein Sicherheitsrisiko liegt vor, wenn tatsächliche Anhaltspunkte Zweifel an der Zuverlässigkeit des Betroffenen bei der Wahrnehmung einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit begründen [z. B. Strafverfahren] oder eine besondere Gefährdung durch Anbahnungsoder Werbungsversuche fremder Nachrichtendienste, insbesondere die Besorgnis der Erpressbarkeit, vorliegt [z. B. Kompromat] oder Zweifel am Bekenntnis des Betroffenen zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder am jederzeitigen Eintreten für deren Erhaltung begründen [z. B. Strafverfahren mit extremistischem Kontext]."1 Zuverlässigkeitsüberprüfungen Im Jahr 2024 hat das LfV MV bei 33.124 Zuverlässigkeitsüberprüfungen mitgewirkt. Bei der Mehrzahl der Überprüfungen wird dazu auf automatisierte Verfahren, sog. Massendatenverfahren (MDV), zurückgegriffen. Zuverlässigkeitsüberprüfungen 2024 0,98 % Luftsicherheit; 323 Einbürgerung; 1852 5,59 % 1,58 % Atomgesetz; 523 Visumsverfahren; 3351 10,12 % 0,73 % Sprengstoffgesetz; 243 Asyl-Konsultationsverfahren; 568 1,71 % 4,91 % Bewachungsgewerbe; 1627 Beteiligungsverfahren (Aufenthalt); 12361 37,32 % 0,05 % Hafensicherheit; 15; Landesbeamtengesetz; 347 1,05 % 35,97 % Waffengesetz; 11914 1 vgl. SS 5 Absatz 2 SÜG M-V. 127 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern 10 Mitwirkungsangelegenheiten, Waffenrechtliche Erlaubnisse und Extremisten im öffentlichen Dienst Die anfragestärksten Bereiche bei den Zuverlässigkeitsüberprüfungen sind: Zuverlässigkeitsüberprüfungen bei waffenrechtlichen Erlaubnissen Gemäß SS 5 Absatz 5 Nummer 4 des Waffengesetzes fragt die zuständige Waffenbehörde den Verfassungsschutz MV an, ob Tatsachen bekannt sind, die Bedenken gegen die Zuverlässigkeit begründen, wie z. B. die Mitgliedschaft in einem verbotenen Verein oder Bestrebungen, die gegen die verfassungsmäßige Ordnung gerichtet sind. Einbürgerungsverfahren Eine Einbürgerung ist nach SS 11 Staatsangehörigkeitsgesetz (StAG) ausgeschlossen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass der Ausländer Bestrebungen verfolgt oder unterstützt, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind. Um dies zu überprüfen, ist eine sog. Regelanfrage der Einbürgerungsbehörde bei der Verfassungsschutzbehörde vorgeschrieben1. Das Ergebnis der Anfrage sowie die weiteren rechtlichen Voraussetzungen werden von der Einbürgerungsbehörde in eigener Zuständigkeit bewertet, um über den Einbürgerungsantrag zu entscheiden. Zuverlässigkeitsüberprüfungen im Bewachungsgewerbe Auf der Grundlage der Regelungen des SS 34a Gewerbeordnung (GewO) soll verhindert werden, dass Personen mit einem extremistischen Hintergrund, die im Bewachungsgewerbe tätig sind, Zugang zu sicherheitsempfindlichen Bereichen erhalten oder für die Bewachung von Flüchtlingsunterkünften eingesetzt werden. Auch hier wirkt die Verfassungsschutzbehörde durch eine entsprechende Mitteilung ihrer Erkenntnisse am Entscheidungsprozess mit. 10.3 Waffenrechtliche Erlaubnisse Der Besitz einer Waffenbesitzkarte und/oder eines kleinen Waffenscheins durch Extremisten ist grundsätzlich eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit. Daher stellt in Hinblick auf die oben genannten Mitwirkungspflicht dieses Themenfeld einen Schwerpunkt des Verfassungsschutzes MV dar. Eine feststellbare Waffenaffinität liegt insbesondere in den Phänomenbereichen des Rechtsextremismus, der Reichsbürger und Selbstverwalter und auch im neueren Phänomenbereich der verfassungsschutzrelevanten Delegitimierung des Staates vor. Zumindest ist dies für den Bereich des legalen Waffenbesitzes bei der Sichtung der Eintragungen im Nationalen Waffenregister (NWR) feststellbar. INFOBOX Nationales Waffenregister Das Nationale Waffenregister wurde im Jahr 2013 zur Abbildung des legalen privaten Waffenbesitzes in Deutschland in Betrieb genommen und im Jahr 2020 mit dem Ziel der vollständigen Abbildung des Waffenlebenszyklus durch die Einbindung der Daten der Waffenhersteller und -händler erfolgreich ausgebaut. Das Bundesverwaltungsamt betreibt das Nationale Waffenregister als Registerbehörde. Alle Behörden, die im Rahmen ihrer Aufgaben und Zuständigkeiten waffenrechtliche Daten benötigen, können jederzeit auf das NWR zugreifen. Durch diese Maßnahmen trägt das NWR zur öffentlichen Sicherheit in Deutschland bei. 1 vgl. SS 37 StAG. 128 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern 10 Mitwirkungsangelegenheiten, Waffenrechtliche Erlaubnisse und Extremisten im öffentlichen Dienst INFOBOX Waffenbesitz Die genaue Anzahl an Schusswaffen ist hierbei dynamisch. Solange eine Person Inhaber einer Waffenbesitzkarte ist, können neue Waffen erworben, aber auch abgegeben werden. Hinzu kommt, dass gerade Sammler und Waffenhändler über größere Anzahlen an Waffen mit stärkeren Zuund Abgängen verfügen. Die nachfolgenden Statistiken wurden zum Stichtag 31. Dezember 2024 zu Extremisten im Zuständigkeitsbereich des Verfassungsschutzes Mecklenburg-Vorpommern erhoben: 1 Gesamtzahl der Personen, die ausschließlich über einen Kleinen Waffenschein verfügen 54 21 1 5 2 0 REX RuS DEL LEX AEX ISL 2 Gesamtzahl der Personen, die über Waffenbesitzkarten verfügen 61 12 4 0 0 0 REX RuS DEL LEX AEX ISL 3 Gesamtzahl der im NWR registrierten erlaubnispflichtigen Schusswaffen, die zum Stichtag legal zur Verfügung standen 374 47 26 0 0 0 REX RuS DEL LEX AEX ISL 4 Gesamtzahl der Personen, die zum Stichtag noch über mindestens eine gültige waffenrechtliche Erlaubnis verfügen 119 33 5 5 2 0 REX RuS DEL LEX AEX ISL 129 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern 10 Mitwirkungsangelegenheiten, Waffenrechtliche Erlaubnisse und Extremisten im öffentlichen Dienst INFOBOX Waffenrechtliche Erlaubnisse Während Waffenbesitzkarten den Erwerb und den Besitz von bestimmten Waffen erlauben, berechtigen Waffenscheine zum Führen bestimmter Waffen außerhalb des Wohnraums einer Person. Ein Kleiner Waffenschein berechtigt zum Führen von Schreckschuss-, Reizstoffund Signalwaffen. In der oben aufgeführten Übersicht wurden die häufigsten waffenrechtlichen Erlaubnisse aufgeführt. Andere Erlaubnisse spielen in Mecklenburg-Vorpommern nur eine untergeordnete Rolle. Zu beachten ist, dass auf eine Person mehrere Waffenbesitzkarten registriert sein können. Ebenso können auf eine Person sowohl Waffenbesitzkarten als auch ein Kleiner Waffenschein registriert sein. Die Zuständigkeit für eine Versagung oder einen Entzug von waffenrechtlichen Erlaubnissen sowie anderer Maßnahmen obliegt den Landräten und Oberbürgermeistern der Landkreise und kreisfreien Städte als untere Waffenbehörde. Relevante Erkenntnisse zu Extremisten werden im Rahmen der gesetzlichen Möglichkeiten an die untere Waffenbehörde übermittelt. Soweit die Prognose rechtssicher erstellt werden kann, sind waffenrechtliche Erlaubnisse zu versagen, zurückzunehmen oder zu widerrufen (SS 45 WaffG). Durch gemeinsame Fallkonferenzen von örtlichen Waffenbehörden, oberster Waffenbehörde, Polizei und Verfassungsschutz werden Informationen zielorientiert ausgetauscht und die zuständigen Behörden gestärkt und unterstützt. Hierbei ist besonders der Informationsaustausch zwischen Verfassungsschutz, Polizei und Staatsanwaltschaft intensiviert worden. Es ist festzuhalten, dass ein waffenrechtliches Verfahren häufig ein langjähriges Gerichts verfahren nach sich zieht. Die Gerichte stellen in den jeweiligen Verfahren fest, ob genug Anhaltspunkte für eine Versagung oder den Widerruf der waffenrechtlichen Erlaubnis durch die Waffenbehörden vorliegen. Die Rechtsprechung in der Vergangenheit hat gezeigt, dass die alleinige Einstufung einer Person als Extremist durch den Verfassungsschutz hierfür nicht ausreicht. Die Waffenbehörden prüfen deshalb, ob die durch eigene Erkenntnisse oder Erkenntnisse der Polizei, Staatsanwaltschaft und auch des Verfassungsschutzes gewonnenen Informationen ausreichen, um eine waffenrechtliche Erlaubnis zu versagen oder zu widerrufen. Darüber hinaus kommt auch dem illegalen Waffenbesitz in den Phänomenbereichen eine Bedeutung zu. Sofern der Verfassungsschutz Mecklenburg-Vorpommern Erkenntnisse über den illegalen Waffenbesitz bei Extremisten gewinnt, erfolgt im Rahmen der rechtlichen Möglichkeiten eine umgehende Benachrichtigung der zuständigen Sicherheitsbzw. Strafverfolgungsbehörden. 10.4 Extremisten im öffentlichen Dienst Die Aufklärung von extremistischen und verfassungsfeindlichen Bestrebungen innerhalb des öffentlichen Dienstes ist eine wichtige Aufgabe der Verfassungsschutzbehörden. Tarifbeschäftigte und Beamte im öffentlichen Dienst sind die vollziehende Kraft der demokratisch legitimierten Regierung. Als essenzieller Bestandteil des Staates muss sichergestellt werden, dass sie jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung eintreten. Da Angehörige des öffentlichen Dienstes weitreichende Befugnisse und Einflussmöglichkeiten haben, tragen sie eine besondere Verantwortung. Ein Schwerpunkt der Aufklärung liegt insbesondere bei Extremisten in Sicherheitsbehörden, da diese in herausgehobener Weise für die Einhaltung und den Schutz der demokratischen und rechtsstaatlichen Grundsätze der Bundesrepublik Deutschland verantwortlich sind. Angehörige von Sicherheitsbehörden erhalten häufig eine besondere Ausbildung und Zugang zu sensiblen Informationen. 130 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern 10 Mitwirkungsangelegenheiten, Waffenrechtliche Erlaubnisse und Extremisten im öffentlichen Dienst Um die Aufnahme von Extremisten in Sicherheitsbehörden bereits im Vorfeld verhindern zu können, werden seit dem Jahr 2022 bei der Einstellung von zukünftigen Polizeiund Justizvollzugsbeamten gesetzlich festgelegte Anfragen an den Verfassungsschutz Mecklenburg-Vorpommern gerichtet (SS 12a Landesbeamtengesetz - LBG M-V). Bei Vorliegen entsprechender Informationen kann somit eine Einstellung oder die Berufung in ein Beamtenverhältnis verhindert werden. Das Bundesamt für Verfassungsschutz veröffentlicht in Zusammenarbeit mit den Bundesländern erneut das bundesweite Lagebild zu Rechtsextremisten, Reichsbürgern und Selbstverwaltern sowie verfassungsschutzrelevanten Delegitimierern des Staates für die Jahre 2023 und 2024. In diesem Zeitraum wurden drei Fälle neu registriert. Phänomenologisch verteilen diese sich wie folgt: Rechtsextremismus: 1 Fall Reichsbürger und Selbstverwalter: 2 Fälle Derzeit werden folgende erwiesene Fälle (inkl. der neuen Fälle 2024) den jeweiligen Phänomenbereichen zugeordnet: Rechtsextremismus: 13 Fälle Reichsbürger und Selbstverwalter: 2 Fälle Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates: 1 Fall In den genannten Fällen erfolgen derzeitig disziplinarrechtliche Maßnahmen. Die vorliegenden Erkenntnisse über verfassungsfeindliche Bestrebungen innerhalb des öffentlichen Dienstes bilden die Grundlage für arbeitsrechtliche beziehungsweise beamtenrechtliche Maßnahmen bis hin zur Entfernung aus dem Beschäftigungsoder Beamtenverhältnis durch die jeweiligen personalbearbeitenden Stellen. Darüber hinaus bietet der Verfassungsschutz regelmäßig Sensibilisierungsund Informationsangebote für andere Institutionen und Behörden an. 131 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern Die "Wehrhafte Demokratie" - KAPITELÜBERSICHT Auftrag und Verpflichtung des 11 Verfassungsschutzes VERFASSUNGSSCHUTZBERICHT 2024 KAPITEL 1 Auf einen Blick Radikalisierung im digitalen Zeitalter: Junge Zielgruppen im 23 Visier extremistischer Akteure 33 KAPITEL 2 KAPITEL 3 Rechtsextremismus Reichsbürger und und -terrorismus Selbstverwalter 39 77 KAPITEL 4 KAPITEL 5 Verfassungsschutzrelevante Linksextremismus Delegitimierung des Staates 87 93 KAPITEL 6 KAPITEL 7 Islamismus / Islamistischer Auslandsbezogener Terrorismus Extremismus 105 115 KAPITEL 8 KAPITEL 9 Mitwirkungsangelegenheiten, Spionageabwehr und Waffenrechtliche Erlaubnisse und hybride Bedrohungen Extremisten im öffentlichen Dienst 125 133 KAPITEL 10 KAPITEL 11 Presseund Anlagen Öffentlichkeitsarbeit 143 149 KAPITEL 12 KAPITEL 13 Kapitel 11 Spionageabwehr und hybride Bedrohungen Verfassungsschutz Mecklenburg-Vorpommern 11 Spionageabwehr und hybride Bedrohungen 11. Spionageabwehr und hybride Bedrohungen 11.1 Spionageabwehr Jede Tätigkeit eines fremden Nachrichtendienstes, die ohne ausdrückliche Genehmigung der zuständigen Behörden durchgeführt wird, ist illegal und stellt einen inakzeptablen Eingriff in die nationale Gebietshoheit der Bundesrepublik Deutschland dar. Solche Aktivitäten bergen stets die Gefahr, dass deutsche Interessen erheblich beeinträchtigt oder gar massiv verletzt werden. Dies gilt umso mehr für Zeiten, in denen wir uns - insbesondere mit Blick auf den seit dem Jahr 2022 andauernden russischen Angriffskrieg in der Ukraine - in einer "Zeitenwende" befinden, deren Folgen nicht nur unter sicherheitspolitischen Gesichtspunkten zu betrachten sind und die unser staatliches Gemeinwesen vor große Herausforderungen stellen wird. Deutschland ist aufgrund seiner starken Wirtschaft, seiner Lage in Europa und seiner Rolle in der NATO und EU ein attraktives Ziel für Spionage. Die technologisch hochentwickelte Wirtschaft und Forschung unseres Landes machen es weltweit zu einem Innovationsmotor und somit zum Fokus nachrichtendienstlicher Aktivitäten. Insgesamt führt dies zu einem kontinuierlichen nachrichtendienstlichen Interesse verschiedener Staaten an der Bundesrepublik Deutschland und zu einer seit Jahren andauernden hohen Intensität entsprechender Aufklärungsaktivitäten auf deutschem Boden. Zu diesem Zwecke werden weltweit verdeckt operierende und zum Teil sehr personalstarke Nachrichtendienste eingesetzt, deren Aufgabenstellungen sich an den politisch definierten Vorgaben und Interessen ihrer jeweiligen Regierungen orientieren. Mecklenburg-Vorpommern gehört - vor allem in Anbetracht der regional vorherrschenden maritimen Wirtschaftsbezüge und aufgrund seiner sicherheitsund geostrategisch bedeutenden Lage an der Ostsee - zum bundesweiten Gefahrenraum. Eine wesentliche Aufgabe und Kernkompetenz des Verfassungsschutzes ist es, nachrichtendienstliche Tätigkeiten fremder Staaten in Deutschland aufzuklären und abzuwehren. Dies geschieht - sofern keine originären Belange der Bundeswehr berührt sind - im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben durch die jeweiligen Fachbereiche für Spionageabwehr auf Bundesbzw. Landesebene. Diese arbeiten im Verfassungsschutzverbund sehr eng zusammen. Das Bundesamt für Verfassungsschutz, als Zentralstelle, ist dafür verantwortlich, die gewonnenen Erkenntnisse auf bundesweiter Ebene zusammenzufassen und auszuwerten. Spionage und andere sicherheitsgefährdende Aktivitäten ausländischer Staaten, die auf die Sicherheitsinteressen der Bundesrepublik Deutschland abzielen, werden seit Jahren mit unterschiedlich hoher Intensität insbesondere von der Russischen Föderation, der Volksrepublik China und der Islamischen Republik Iran durchgeführt. In Bezug auf die genannten Staaten stellte sich die Lage aus Sicht der Spionageabwehr für den Berichtszeitraum wie folgt dar: Russland Der Angriff der Russischen Föderation auf die Ukraine am 24. Februar 2022 hat die sicherheitspolitische Lage in Europa und damit auch die der Bundesrepublik Deutschland grundlegend verändert. Den europäischen Staaten steht ein aggressives, unberechenbares und ausschließlich eigenes Interesse verfolgendes Russlandgegenüber. Diese Situation spiegelt sich auch in der Beurteilung der Aktivitäten russischer Nachrichtendienste wider. Von diesen geht unzweifelhaft die größte nachrichtendienstliche Gefahr für die Sicherheit der Flagge Russlands Bundesrepublik Deutschland aus, zumal es sich bei der Russischen 134 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern 11 Spionageabwehr und hybride Bedrohungen Föderation um den derzeit einzigen Staat handelt, mit dem - insbesondere im Rahmen der NATO-Beistandsverpflichtungen - eine militärische Auseinandersetzung in absehbarer Zukunft eintreten könnte. Dementsprechend bildet Russland auch nach wie vor den prioritären Bearbeitungsschwerpunkt der deutschen Spionageabwehr im Verfassungsschutzverbund. Die russischen Nachrichtendienste setzen verschiedene Instrumente aus einem umfassenden "Werkzeugkasten" ein (vgl. Abschnitt "Hybride Bedrohungen"). Diese reichen von einer Einflussnahme des öffentlichen Willensbildungsprozesses, der Nutzung menschlicher Quellen in relevanten Zielobjekten bis hin zu Sabotageaktivitäten oder Cyberangriffen etwa gegen Einrichtung der Kritischen Infrastruktur. Mit Bezug nach Mecklenburg-Vorpommern ist diesbezüglich beispielsweise die Anlandung von Datenkabeln aus der Ostsee zu betrachten. In der Summe zielen die oben genannten Handlungen darauf ab, unsere gegenwärtige gesellschaftliche und staatliche Ordnung zu schwächen oder zu destabilisieren. Wie konkret die Bedrohung durch russische Sabotage gerade für die Logistikbranche ist, zeigt sich an der Explosion von Brandsätzen in der Logistikkette in mehreren europäischen Ländern im Juli 2024, für die europäische Sicherheitsbehörden den russischen Militärnachrichtendienst GRU verantwortlich gemacht haben.1 Infolge des gegenwärtigen Krieges in der Ukraine und den damit verbundenen wirtschaftlichen sowie politischen Sanktionen der internationalen Staatengemeinschaft ist Russland zunehmend von seinem langjährig vorhandenen Erkenntnisaufkommen und den bestehenden Lieferketten abgeschnitten worden. Insofern sind sie bestrebt, das bereits vorhandene Informationsund Technologiedefizit durch eine massive Ausweitung seiner Spionageund Proliferationsaktivitäten, insbesondere auch in Deutschland, zu kompensieren. Entsprechend dürfte ein hoher Druck auf den russischen Nachrichtendiensten lasten, sich verstärkt Zugang zu Personen mit einschlägigen Kenntnissen sowie zu Technologien zu verschaffen, die für die dortige (Kriegs-)Wirtschaft und Forschung von Bedeutung sind. Eine Vielzahl deutscher High-Tech-Unternehmen sind Weltmarktführer in ihren Branchen und stehen im Fokus russischer Beschaffungsbemühungen. Zusätzlich zu den Spionagetätigkeiten aus den zwei noch vorhandenen russischen Legalresidenturen (Botschaft in Berlin und Generalkonsulat in Bonn) sowie durch den Einsatz von reisenden Führungsoffizieren und sogenannten Illegalen, also Personen mit falscher Identität in Deutschland, nutzen die russischen Nachrichtendienste mittlerweile auch verstärkt sogenannte Low-LevelAgents. Diese Akteure agieren gelegentlich ohne das Bewusstsein ihrer tatsächlichen nachrichtendienstlichen Funktion und Anbindung an einen Führungsoffizier im niedrigschwelligen Aufgabenspektrum. Zudem werden zunehmend Personen aus dem Bereich der Organisierten Kriminalität und nicht-russischer Staatsangehörigkeit rekrutiert. Damit soll die tatsächliche staatliche russische Urheberschaft verschleiert werden. Beispielhaft hierfür sind die im Frühjahr 2024 in Bayreuth erfolgten Verhaftungen von zwei Personen. Sie sollen Bahngleise, Truppenübungsplätze und militärische Infrastruktur ausgekundschaftet haben. Drei weitere Personen sollen im Juni des Jahres in Frankfurt am Main im Zusammenhang mit mutmaßlicher Spionagetätigkeit für Russland verhaftet worden sein. Der Generalbundesanwalt ermittelt auch hier wegen des Verdachts der geheimdienstlichen Agententätigkeit. China Die Aktivitäten chinesischer Nachrichtenund Sicherheitsdienste fokussieren sich nach wie vor klar auf zwei zentrale Hauptziele: die Sicherung des Machterhalts der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) sowie die Unterstützung des systematischen Ausbaus der globalen geostrategischen Position Chinas. Die Volksrepublik China verfolgt dabei klar formulierte Zielsetzungen. Bis zum Jahr 2049, dem 100. Jahrestag der Staatsgründung, soll der Status der führenden Weltmacht erreicht sein. Zur Umsetzung dieser Flagge der Volksrepublik China strategischen Ambitionen setzt China weltweit eine Vielzahl von 1 Quelle: https://www.verfassungsschutz.de/SharedDocs/kurzmeldungen/DE/2025/2025-05-21-gemeinsamer-sicherheitshinweis-gru.html 135 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern 11 Spionageabwehr und hybride Bedrohungen Einflussakteuren ein, die auf unterschiedlichen Ebenen der internationalen Politik, Gesellschaft, Wissenschaft und Wirtschaft tätig sind. Es soll ein Umfeld geschaffen werden, das der langfristigen Zielerreichung zuträglich ist. In Deutschland sind unter anderem die chinesische Botschaft, die Generalkonsulate, akkreditierte Auslandskorrespondentinnen und -korrespondenten sowie mit staatlichen Stipendien geförderte chinesische Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in die gesteuerte Informationsgewinnung eingebunden. Im Oktober 2024 wurde in Leipzig eine vermeintliche Agentin eines chinesischen Nachrichtendienstes festgenommen - ein konkretes Beispiel für klassische nachrichtendienstliche Aktivitäten. Der Tatverdacht bezieht sich auf die verdeckte Beschaffung sicherheitsrelevanter Informationen, insbesondere in Bezug auf den Transport von Rüstungsgütern, relevante Personen sowie logistische Infrastrukturen. Der Vorfall verdeutlicht, dass auch traditionelle Formen konspirativer Informationsbeschaffung weiterhin Bestandteil der chinesischen Vorgehensweise sind. Flankiert werden diese nachrichtendienstlichen Aktivitäten durch gezielte Unternehmensbeteiligungen und -übernahmen im Rahmen eines umfassenden Systems des Technologieund Wissenstransfers. In der Folge drohen deutschen Unternehmen erhebliche Wettbewerbsnachteile. Auch Forschungskooperationen sowie der Aufenthalt chinesischer (Gast-)Wissenschaftler an deutschen Hochschulen sind in diesem Kontext sicherheitsrelevant zu betrachten. Im Fokus stehen insbesondere Informationen aus den Bereichen Biotechnologie, Künstliche Intelligenz, Quantentechnologie, Hyperschalltechnik, Überwachungsund Sensortechnologie sowie sogenannte Emerging Technologies (EMT). Das strategisch motivierte außenund sicherheitspolitische Handeln der Volksrepublik China wirkt sich unmittelbar auf die Innovationsund Wettbewerbsfähigkeit deutscher Unternehmen aus. Im schlimmsten Fall sind erhebliche volkswirtschaftliche Schäden und ein teilweiser Verlust der nationalen Souveränität zu erwarten. Iran Die Islamische Republik Iran sieht sich selbst als Regionalmacht im Nahen und Mittleren Osten und ist zunehmend bestrebt, ihr außenund sicherheitspolitisches Einflussund Wirkungsfeld zu vergrößern. Innerstaatlich war ein verstärktes Demonstrationsund Protestgeschehen zu beobachten. Diese zwei Faktoren können als maßgeblich für das Handeln sämtlicher Sicherheitsbehörden des Iran angesehen werden. In diesem Zusammenhang kann der Sicherheitsapparat dort als Garant staatlicher und religiöser MachtFlagge des Iran strukturen angesehen werden. In dem herrschenden iranischen Machtgefüge kommt dem Ministry of Intelligence, häufig als MOIS abgekürzt, eine bedeutende Rolle zu. So übt das MOIS eine Vielzahl weltweiter nachrichtendienstlicher Aktivitäten, so auch in Deutschland, aus. Der Schwerpunkt liegt dabei im Wesentlichen auf der Beschaffung von Informationen aus den Bereichen der Außenund Sicherheitspolitik, die einen unmittelbaren Bezug zum Geschehen im Nahen und Mittleren Osten und damit zum Iran haben. Besonders im Fokus dürfte derzeit die Entwicklung des Gaza-Krieges stehen. Aber auch das Wirken der in Deutschland lebenden Personen und Organisationen, die sich in Opposition zum iranischen Regime befinden, bleiben weiterhin im Blickfeld des MOIS. Des Weiteren führen die dortigen Nachrichtenund Sicherheitsdienste, vornehmlich die Quds Force der Iranischen Revolutionsgarden, Aufträge mit staatsterroristischem Hintergrund, auch in Europa, aus. Das Spektrum reicht dabei von der Ausspähung potenzieller Anschlagsziele, hier vor allem mit (pro-)israelischen Bezügen, über die Einschüchterung und Bedrohung von Oppositionellen bis hin zu tatsächlichen Entführungen von Personen. Bei Reisen in den Iran kam es zudem mehrfach zu Anbahnungen und Verhaftungen. In diesem Kontext sind besonders Personen mit deutscher und iranischer Staatsangehörigkeit, sogenannte Doppelstaatler, gefährdet. Darüber hinaus sind die iranischen Sicherheitsdienste in einem beträchtlichen Umfang in die verdeckte, rechtswidrige Beschaffung von Materialien und Wissen zur Herstellung atomarer, biologischer und/oder chemischer Massenvernichtungswaffen (ABC-Waffen) bzw. entsprechender Trägersysteme (wie etwa Raketen usw.) und ihrer Weiterverbreitung, der sogenannten Proliferation (siehe unten), eingebunden. 136 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern 11 Spionageabwehr und hybride Bedrohungen 11.2 Proliferation Der Begriff Proliferation bezeichnet die illegale Beschaffung von Know-how und Gütern, die zur Herstellung und Unterhaltung atomarer, biologischer und chemischer Massenvernichtungswaffen sowie entsprechender Trägertechnologien und Systeme erforderlich sind. Verschiedene Länder sind aufgrund technologischer Wissensdefizite sowie auch aufgrund von gegen sie bestehenden Sanktionen (siehe Russland) in zunehmendem Maße daran interessiert, entsprechende Waren und das zu ihrer Fertigung erforderliche Fachwissen aus den jeweiligen Herstellungsstaaten zu beziehen. In diesem Kontext stehen Deutschland und somit auch Mecklenburg-Vorpommern als Träger und Inhaber von weltweit gefragten Produkten und Know-how im Fokus. Dies geschieht zu einem wesentlichen Teil durch verdeckte Beschaffungsaktivitäten verschiedener Länder. Zur Tarnung derartiger Aktivitäten kommen etwa die Lieferungen über sogenannte Drittstaaten, gefälschte Exportunterlagen und die Beteiligung von mehreren Zwischenhändlern im Rahmen komplexer internationaler Firmenund Finanzierungsstrukturen zum Einsatz. Herausragend zu benennende Akteure sind hier neben Russland, China und dem Iran auch Länder wie Pakistan und Nordkorea, die entsprechende Aktivitäten auch in der Bundesrepublik Deutschland entfalten. So wurden z. B. im April 2024 drei Personen in Düsseldorf und Bad Homburg wegen mutmaßlicher Spionage und der Beschaffung von Informationen zu militärisch nutzbaren innovativen Technologien für China verhaftet. Die Bearbeitung dieses Aufgabenfeldes erfolgt seitens des Verfassungsschutzes im engen Schulterschluss mit anderen Sicherheitsbehörden, insbesondere der Polizei, verschiedener Zollbehörden sowie des Bundesamtes für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) und des Bundesnachrichtendienstes (BND). Die Fachbereiche Spionageabwehr der Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern sind vor dem Hintergrund der bestehenden Einbindung ausländischer Nachrichtendienste in proliferationsrelevante Beschaffungsabläufe ein wesentlicher Bestandteil des staatlichen Gesamtverbundes zur Beobachtung und Abwehr illegaler Proliferationsaktivitäten. 11.3 Hybride Bedrohungen Beispiele hybrider (Wirtschafts-) Desinformation Cyberangriffe Bedrohungen Spionage Diebstahl geistigen (wirtschaftliche) Einflussnahme Sabotage (KRITIS) Eigentums Einflussnahme auf freie Wahlen Hybride Bedrohungen sind eine der größten sicherheitspolitischen Herausforderungen der Gegenwart. Der Sammelbegriff der hybriden Bedrohungen bezeichnet verschiedene Formen illegitimer Einflussnahme auf Staaten durch fremde Staaten. Diese Staaten versuchen, durch den Einsatz verschiedener Machtinstrumente, auch unter Einbeziehung nichtstaatlicher Akteure, ihre Ziele gegen die Interessen unseres Staates und die Werteordnung unserer Verfassung offen oder verdeckt durchzusetzen. Zu den eingesetzten Instrumenten zählen insbesondere Desinformation, Cyberangriffe auf staatliche Stellen und Unternehmen, (Wirtschafts-) Spionage, Sabotage von kritischer Infrastruktur und die Einflussnahme auf Wahlen. Seit Beginn des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine im Jahr 2022 und der damit verbundenen massiven Verschlechterung der auswärtigen Beziehungen zur Russischen Föderation hat sich die hybride Bedrohungslage in Deutschland noch einmal deutlich verschärft. Für das Berichtsjahr 2024 ist das starke Interesse sowie die Berichterstattung des Nachrichtenportals "Voice of Europe" im Zusammenhang mit einem Polizeieinsatz an einem Gymnasium in Ribnitz-Damgarten hervorzuheben. Dabei wurden gezielt Desinformationen verbreitet. 137 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern 11 Spionageabwehr und hybride Bedrohungen Seit Juni 2023 war "Voice of Europe" aktiv an der Verbreitung pro-russischer Propaganda und Desinformation beteiligt, trat nach außen jedoch als legitimes internationales Nachrichtenportal auf. Es veröffentlichte Inhalte in mehreren Sprachen, die überwiegend Narrative und politische Forderungen transportierten, die mit der russischen Außenpolitik übereinstimmten. 1 Darüber hinaus wurden Geldflüsse an amtierende Mitglieder des Europäischen Parlaments bekannt, um die öffentliche Meinung zugunsten Russlands zu beeinflussen.2 Die gezielte Desinformationskampagne im Zusammenhang mit dem Polizeieinsatz kann als Beispiel für illegitime Einflussnahmeversuche im Rahmen hybrider Bedrohungen gewertet werden. Eine Abwehr hybrider Bedrohungen kann nur auf breiter gesamtstaatlicher Basis erfolgen und stellt darüber hinaus auch eine gemeinsame Aufgabe von Staat, Gesellschaft, Wirtschaft und Medien dar. Angesichts der oben genannten Ausführungen und der daraus resultierenden Notwendigkeit einer intensiveren Zusammenarbeit von Bund und Ländern einschließlich der Kommunen wurde Ende 2023 im Rahmen der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder (IMK) beschlossen, dass auf Bundesund Landesebene jeweils ein Single Point of Contact (SPOC) für das Thema der hybriden Bedrohungen einzurichten ist. Ein solcher SPOC wurde durch das Innenministerium Mecklenburg-Vorpommern in der Landesbehörde für Verfassungsschutz im ersten Halbjahr 2024 eingerichtet. Er ist in Mecklenburg-Vorpommern die zentrale Stelle für den Informationsaustausch zwischen Bund und Ländern sowie zur ressortund ebenenübergreifenden Kommunikation und Vernetzung. In diesem Zusammenhang wurde seitens der Landesbehörde für Verfassungsschutz auch das "MV-Forum Hybrid" initiiert und eingerichtet. Das Forum hat sich erfolgreich als umfassendes Austauschformat für die Landesressorts und die kommunalen Gebietskörperschaften etabliert und fand im Jahr 2024 bereits vier Mal (einmal pro Quartal) statt. Dieser Turnus soll auch zukünftig beibehalten werden. In bestimmten Fällen ist es möglich, dass durch den Verfassungsschutz eine sogenannte "Ad-hoc-Gruppe" mit Verantwortlichen aus den betroffenen Ressorts und anderen Sicherheitsoder Strafverfolgungsbehörden ins Leben gerufen wird, um konkret bestehenden und herausgehobenen hybriden Bedrohungsszenarien angemessen begegnen zu können. Insgesamt wird gegenüber dem Phänomenbereich hybrider Bedrohungen seitens des SPOC ein präventiver Ansatz verfolgt, der - in enger Kooperation mit den Bereichen Wirtschaftsund Geheimschutz sowie Cyberabwehr - durch Beratungen und Informationsveranstaltungen die Abwehrfähigkeit aller öffentlichen und nichtöffentlichen Einrichtungen stärken soll. INFOBOX Ziele hybrider Bedrohungen: Beeinflussung politischer Willensbildungsprozesse Lenkung von öffentlichen Diskursen im Sinne des Angreifers Schüren von Ängsten und Verunsicherung in der Bevölkerung Beschädigung von Vertrauen in den demokratischen Rechtsstaat und seine Institutionen Beeinträchtigung der Funktionsfähigkeit des Staates selbst und seiner Infrastruktur Kontakt SPOC hybride Bedrohungen: Wir E-Mail: spoc_hybrid@im.mv-regierung.de sind für Sie da! Telefon: 0385/7420-0 1 Quelle: https://www.verfassungsschutz.de/SharedDocs/hintergruende/DE/spionage-und-proliferationsabwehr/ gefaehrdung-der-bundestagswahl-2025-durch-unzulaessige-auslaendische-einflussnahme.html, abgerufen am 27.05.2025 2 Quelle: https://www.europarl.europa.eu/doceo/document/B-9-2024-0264_DE.html 138 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern 11 Spionageabwehr und hybride Bedrohungen 11.4 Bedrohungen durch Cyberangriffe Neben der "klassischen" Spionage - bei der reale Personen im Auftrag eines Nachrichtendienstes vor Ort tätig werden, um beispielsweise Aufklärungsoder Sabotageoperationen durchzuführen - stellt auch das illegale Eindringen fremder Nachrichtendienste in informationstechnische Systeme (Cyberangriffe) eine ernstzunehmende Gefahr für Staat und Gesellschaft dar. Cyberangriffe haben sich zu einem Standardinstrument vieler Nachrichtendienste entwickelt und die entsprechenden Fähigkeiten werden kontinuierlich ausgebaut. Für die Angreifer bieten sich dabei zahlreiche Vorteile gegenüber den traditionellen Methoden der nachrichtendienstlichen Arbeit. In der vernetzten Welt von heute ist nahezu jede Organisation und jede Einzelperson umfassend an das Internet angebunden. Diese Kommunikationsund Informationstechnologien können - mit entsprechendem Know-how und technischer Ausrüstung - potenziell und in der Praxis, aufgrund unzureichender Absicherung, allzu oft real infiltriert werden. Dadurch werden unbemerkter Informationsabfluss, Manipulation und technische Sabotage möglich. Der Angreifer kann all dies bequem von einem im Ausland gelegenen Arbeitsplatz aus steuern. Der personelle Aufwand ist gering, ein Einsatz vor Ort ist nicht erforderlich, und im Falle einer Entdeckung gestaltet sich die Rückverfolgung äußerst schwierig, wenn nicht gar unmöglich. Persönliche Risiken für die handelnden Akteure bestehen praktisch nicht. Vor diesem Hintergrund nehmen Bedeutung und Umfang von Cyberangriffen und Cyberspionage weiterhin zu. Die Ziele solcher Operationen sind vielfältig: Einerseits geht es darum, an sensible Informationen zu gelangen, andererseits werden Systeme gezielt manipuliert, um sie bei Bedarf sabotieren oder für weitere Zwecke nutzen zu können. Soweit diese Angriffe nachrichtendienstlich motiviert oder von extremistischen Organisationen ausgehen (und nicht lediglich kriminellen Zielen dienen), fällt ihre Erkennung und Abwehr in den Aufgabenbereich des Verfassungsschutzes. Während kriminelle Angriffe meist auf kurzfristige Erpressung zum Zweck der Bereicherung abzielen, legen nachrichtendienstliche Angreifer großen Wert darauf, möglichst lange unentdeckt zu bleiben. Diese Akteure sind technisch hochversiert und verfügen über erhebliche Ressourcen. Die Ziele von Cyberangriffen sind breit gestreut. Ausländische Nachrichtendienste interessieren sich für alle gesellschaftlichen Bereiche. Während klassische Spionage insbesondere Forschung, Wissenschaft, Wirtschaft, Politik und Verwaltung ins Visier nimmt, richten sich Cyberangriffe mittlerweile auch gegen andere Bereiche. So werden Systeme nicht nur zur Informationsgewinnung angegriffen, sondern auch, um sie zu kapern und für weitere Cyberangriffe zu nutzen. Ein Beispiel für einen großangelegten Cyberangriff stellt der Angriff auf das IT-Netzwerk der CDU dar, der eine Woche vor der Europawahl 2024 erfolgte. Auch Privatpersonen können Opfer solcher Angriffe werden, ohne es zu bemerken. Darüber hinaus ist die Beeinflussung der Gesellschaft durch vielfältige Aktionen - einschließlich Cyberangriffen - eine zunehmende Bedrohung (siehe Abschnitte "Hybride Bedrohungen"). Zu den wichtigsten Akteuren im Cyberraum zählen die Russische Föderation, die Volksrepublik China, die Islamische Republik Iran und die Republik Türkei. Die jeweiligen Ziele dieser Staaten unterscheiden sich teils erheblich und sind in deren übergeordnete nachrichtendienstliche Strategien eingebettet. So ist China vor allem an der Abschöpfung technologischer Informationen interessiert, während die Türkei schwerpunktmäßig die Überwachung oppositioneller Gruppen und die Einflussnahme auf türkischstämmige Gemeinschaften in Deutschland verfolgt. Russland hingegen konzentriert sich auf die Ausspähung deutscher Aktivitäten im Zusammenhang mit dem Angriffskrieg gegen die Ukraine und setzt Cyberangriffe gezielt im Rahmen hybrider Bedrohungen ein. Die Abwehr von Cybergefahren kann nicht als rein staatliche Aufgabe verstanden werden, die allein von zentralen Behörden geleistet wird. Nur durch ein gesamtgesellschaftliches Bewusstsein für Verantwortung - angefangen beim einzelnen Bürger über Unternehmen und Organisationen bis hin zu staatlichen Einrichtungen - und durch konsequente Abwehrmaßnahmen lässt sich dem hohen Stellenwert der Cybersicherheit gerecht werden. Cybersicherheit ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, deren Bedeutung weiter zunimmt. Dazu gehören einerseits die flächendeckende Umsetzung technischer Grundschutzmaßnahmen und andererseits ein um139 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern 11 Spionageabwehr und hybride Bedrohungen sichtiges Verhalten im Alltag. Gerade diese ständige Achtsamkeit im Handeln ist eine Grundvoraussetzung, denn unbedachtes Verhalten lässt sich nur begrenzt durch technische Vorkehrungen kompensieren. Neben dem Schutz vor Cyberangriffen gewinnt die Cyber-Resilienz zunehmend an Bedeutung. Da Angriffe trotz bester Sicherheitsvorkehrungen nie völlig ausgeschlossen werden können, ist es unerlässlich, Vorsorge zu treffen, um die Folgen erfolgreicher Angriffe zu minimieren und sicherzustellen, dass deren Ziele nicht erreicht werden. Angriffe lassen sich nicht vollständig verhindern, und mit Erfolgen einzelner Angreifer muss trotz aller Maßnahmen gerechnet werden. Daher ist es entscheidend, auch für diesen Fall gewappnet zu sein. Die Verfassungsschutzbehörden sind neben der Abwehr und Aufklärung konkreter Cyberangriffe auch präventiv tätig. Sie geben bei Bedarf gezielte Hinweise und integrieren Informationen über Cybergefahren in ihre allgemeine Aufklärungsarbeit, etwa in den Bereichen hybride Bedrohungen und Wirtschaftsschutz. 11.5 Wirtschaftsschutz - eine Aufgabe der Spionageabwehr Eine funktionierende und leistungsfähige Wirtschaft ist die Grundlage für einen starken und stabilen Staat. Gerade die Bundesrepublik Deutschland, als technologieund exportorientierte Nation, ist in besonderem Maße auf Wissen angewiesen, das auf Forschung und Erfahrung beruht. Dieses Wissen ist die wertvollste Ressource unserer Volkswirtschaft. Wirtschaftsspionage verursacht jährlich Schäden in Milliardenhöhe und gefährdet damit nicht nur den wirtschaftlichen Erfolg, sondern auch Arbeitsplätze. Auch Sabotageakte gegen Unternehmen - insbesondere gegen Betriebe der Kritischen Infrastruktur (KRITIS) - können neben erheblichen wirtschaftlichen Schäden die Funktionsfähigkeit unseres Gemeinwesens insgesamt beeinträchtigen und im Extremfall sogar eine konkrete Gefahr für Leib und Leben darstellen. In Mecklenburg-Vorpommern sind verschiedene Akteure aus Wirtschaft und Wissenschaft potenzielle Ziele für illegale Aktivitäten fremder Staaten. Besonders betroffen sind Unternehmen der maritimen Wirtschaft, KRITISBetriebe sowie Hochschulen und Forschungseinrichtungen. Nicht zuletzt durch den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine hat sich auch in Mecklenburg-Vorpommern die Gefahr erhöht, Opfer von Ausspähoder Sabotageaktionen zu werden - sowohl durch reale als auch durch cyberbasierte Angriffe, die von russischen Nachrichtendiensten initiiert oder gesteuert werden. Der Verfassungsschutz Mecklenburg-Vorpommern unterstützt gefährdete Akteure aus Wirtschaft und Wissenschaft beim Schutz vor solchen Bedrohungen. Dieser Aufgabenbereich wird unter dem Begriff "Wirtschaftsschutz" zusammengefasst. Der Fachbereich Wirtschaftsschutz berät Unternehmen und Einrichtungen gezielt durch Sensibilisierungsund Informationsgespräche vor Ort sowie durch Vorträge im Rahmen verschiedener Veranstaltungen im Land. Angesichts der angespannten internationalen Sicherheitslage infolge des Ukrainekrieges und der zunehmenden hybriden Bedrohungen hat der Verfassungsschutz Mecklenburg-Vorpommern seinen Bereich Wirtschaftsschutz im Jahr 2024 neu aufgestellt und personell wie inhaltlich ausgebaut. Ziel ist es, die Themen des Wirtschaftsschutzes und die damit verbundenen Beratungsangebote noch stärker in die Fläche zu tragen. Akteure aus Wirtschaft und Wissenschaft werden dazu proaktiv angesprochen und - bei Interesse - sowohl grundlegend als auch einzelfallbezogen über Gefahren durch Spionage und Sabotage informiert. Dabei wird - soweit keine Geheimschutzbelange entgegenstehen - auch das Vorgehen fremder Nachrichtendienste erläutert und es werden konkrete Handlungsempfehlungen zum besseren Schutz eigener Daten und Informationen gegeben. Darüber hinaus wird gezielt der Kontakt zu relevanten Verbänden gesucht, um die Zusammenarbeit zu intensivieren. Im Mittelpunkt des Beratungsangebots steht dabei stets das Prinzip "Hilfe zur Selbsthilfe". Neben diesem präventiven Ansatz verfolgt der Verfassungsschutz zugleich das Ziel, frühzeitig Hinweise auf mögliche Spionageoder Sabotageaktivitäten im Land zu erhalten, um diese gegebenenfalls in die operative Spionageabwehr überführen zu können. Hierfür ist eine vertrauensvolle Zusammenarbeit mit Unternehmen, Wissenschaftseinrichtungen und anderen Hinweisgebern unerlässlich. Diese können sich darauf verlassen, dass 140 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern 11 Spionageabwehr und hybride Bedrohungen der Verfassungsschutz Hinweise und Gesprächsinhalte absolut vertraulich behandelt. Zudem ist er nicht verpflichtet, Informationen zwingend an Strafverfolgungsbehörden weiterzuleiten, sondern entscheidet darüber nach dem Opportunitätsprinzip. INFOBOX Kritische Infrastrukturen (KRITIS) sind Organisationen oder Einrichtungen mit wichtiger Bedeutung für das staatliche Gemeinwesen, bei deren Ausfall oder Beeinträchtigung nachhaltig wirkende Versorgungsengpässe, erhebliche Störungen der öffentlichen Sicherheit oder andere dramatische Folgen eintreten können. KRITIS-Sektoren sind zum Beispiel: Strom, Wasser und Energie Medien Informationstechnik und Telekommunikation Finanzund Versicherungswesen Transport und Verkehr Staat und Verwaltung Kontakt Wirtschaftsschutz: Wir E-Mail: wirtschaftsschutz@im.mv-regierung.de sind für Telefon: 0385/7420-0 Sie da! 11.6 Ansprechpartner vor Ort - Spionageabwehr Mecklenburg-Vorpommern Warum benötigt der Verfassungsschutz Informationen über nachrichtendienstliche Aktivitäten fremder Staaten in Deutschland? Um die Hoheitsrechte der Bundesrepublik Deutschland zu wahren und die Menschen, die hier leben, wirksam vor den Aktivitäten ausländischer Nachrichtendienste zu schützen, ist es notwendig, deren verdeckt operierende Agenten frühzeitig zu enttarnen und an weiteren Spionageaktivitäten zu hindern. Zur Erfüllung dieser gesetzlichen Aufgabe ist der Verfassungsschutz auch auf Ihre Mithilfe angewiesen! Sollten Sie Hinweise auf mögliche nachrichtendienstliche Aktivitäten oder auf Agenten fremder Nachrichtendienste haben oder solche Informationen erlangen, bitten wir Sie, sich vertrauensvoll mit uns in Verbindung zu setzen. Ihre Hinweise werden selbstverständlich streng vertraulich behandelt. Auch wenn Sie sich persönlich in eine Situation verstrickt sehen, die einen Bezug zu ausländischen Nachrichtendiensten hat, können wir Ihnen auf Wunsch Lösungswege aufzeigen. Der Verfassungsschutz handelt nach dem sogenannten Opportunitätsprinzip. Das bedeutet, anders als die Polizei besteht für uns keine Pflicht, jeden Verdacht auf eine Straftat zwingend strafrechtlich zu verfolgen. Sie können sich also sicher sein, dass Ihre Informationen diskret und mit Augenmaß behandelt werden. Sollten Ihre Hinweise Sachverhalte betreffen, die nicht unmittelbar in die Zuständigkeit der Spionageabwehr fallen, unterstützen wir Sie selbstverständlich gern dabei, den richtigen Ansprechpartner bei anderen zuständigen Stellen zu finden. Wir Ministerium für Inneres, Bau und Digitalisierung Postfach 11 05 52, 19005 Schwerin sind für Mecklenburg-Vorpommern Telefon: 0385/7420-0 Sie da! Abteilung Verfassungsschutz Fax: 0385/714438 - Spionageabwehr - E-Mail: spionageabwehr@verfassungsschutz-mv.de 141 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern Die "Wehrhafte Demokratie" - KAPITELÜBERSICHT Auftrag und Verpflichtung des 11 Verfassungsschutzes VERFASSUNGSSCHUTZBERICHT 2024 KAPITEL 1 Auf einen Blick Radikalisierung im digitalen Zeitalter: Junge Zielgruppen im 23 Visier extremistischer Akteure 33 KAPITEL 2 KAPITEL 3 Rechtsextremismus Reichsbürger und und -terrorismus Selbstverwalter 39 77 KAPITEL 4 KAPITEL 5 Verfassungsschutzrelevante Linksextremismus Delegitimierung des Staates 87 93 KAPITEL 6 KAPITEL 7 Islamismus / Islamistischer Auslandsbezogener Terrorismus Extremismus 105 115 KAPITEL 8 KAPITEL 9 Mitwirkungsangelegenheiten, Spionageabwehr und Waffenrechtliche Erlaubnisse und hybride Bedrohungen Extremisten im öffentlichen Dienst 125 133 KAPITEL 10 KAPITEL 11 Presseund Anlagen Öffentlichkeitsarbeit 143 149 KAPITEL 12 KAPITEL 13 Kapitel 12 Presseund Öffentlichkeitsarbeit Verfassungsschutz Mecklenburg-Vorpommern 12 Presseund Öffentlichkeitsarbeit 12 Presseund Öffentlichkeitsarbeit Der Verfassungsschutz hat die Aufgabe, die freiheitliche demokratische Grundordnung sowie den Bestand und die Sicherheit von Bund und Ländern zu schützen. Wie zuvor dargestellt, ist diese verfassungsmäßige Ordnung vielfältigen Gefahren ausgesetzt. Der Verfassungsschutzbericht informiert über die im Berichtsjahr gewonnenen wesentlichen Erkenntnisse und ordnet diese ein. Darüber hinaus gibt er eine Einschätzung zur möglichen künftigen Entwicklung der Bedrohungslage in Mecklenburg-Vorpommern. Der Bericht erhebt dabei keinen Anspruch auf Vollständigkeit aller verfassungsschutzrelevanten Gruppierungen im Land. Auf Grundlage des Landesverfassungsschutzgesetzes (LVerfSchG M-V)1 informiert der Verfassungsschutz die zuständigen Stellen - wie etwa Polizei und weitere Behörden - sowie die Öffentlichkeit über festgestellte Gefahren. So können rechtzeitig geeignete Maßnahmen zur Gefahrenabwehr eingeleitet und die Bevölkerung für Bedrohungen der Demokratie sensibilisiert werden. Diese Aufgabe ist nicht nur gesetzlicher Auftrag, sondern auch Ausdruck des Selbstverständnisses des Verfassungsschutzes Mecklenburg-Vorpommern. Um diesem Anspruch gerecht zu werden, veröffentlicht die Behörde jährlich den Verfassungsschutzbericht sowie ergänzende Informationsmaterialien. Der Verfassungsschutzbericht sowie weitere Broschüren mit Informationen aus den Arbeitsfeldern des Verfassungsschutzes stehen allen Bürgerinnen und Bürgern sowohl als bestellbare gedruckte Ausgaben als auch in elektronischer Form auf der Internetseite des Verfassungsschutzes Mecklenburg-Vorpommern unter www.verfassungsschutz-mv.de zur Verfügung. Auch im Jahr 2024 wurde der Verfassungsschutz Mecklenburg-Vorpommern regelmäßig von Medienvertreterinnen und -vertretern zu verschiedenen Themen angefragt. Insgesamt wurden im Berichtszeitraum 85 Pressenanfragen beantwortet. Zum Vergleich: Im Jahr 2023 waren es 78 Anfragen, im Jahr 2022 insgesamt 89. 12.1 Aktivitäten Die Verfassungsschutzbehörde Mecklenburg-Vorpommern ist Teil des Beratungsnetzwerks Demokratie und Toleranz Mecklenburg-Vorpommern (www.beratungsnetzwerk-mv.de). Bei diesem Netzwerk handelt es sich um einen Zusammenschluss aus staatlichen Behörden und nichtstaatlichen Beratungsorganisationen sowie Akteuren in freier Trägerschaft. Durch die Mitwirkung im landesweiten Beratungsnetzwerk sowie in den Regionalzentren für demokratische Kultur werden Einschätzungen zu extremistischen Entwicklungen in die Diskussionen eingebracht. Mitarbeiter des Verfassungsschutzes nahmen im Jahr 2024 an ca. 20 Veranstaltungen teil und stellten dort die Phänomenbereiche sowie die Arbeit des Verfassungsschutzes vor. Hervorzuheben sind in diesem Zusammenhang die Feierlichkeiten zum Tag der Deutschen Einheit 2024 in Schwerin. Der Verfassungsschutz MecklenburgVorpommern war dort gemeinsam mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz mit einem Informationsstand vertreten. Interessierte Bürgerinnen und Bürger konnten dabei direkt mit Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Verfassungsschutzes ins Gespräch kommen. Sofern Sie eine Vortrags-, Informationsveranstaltung oder eine Fachmesse vorbereiten, die Sachbezug zur Arbeit des Verfassungsschutzes aufweist, können Sie sich direkt an den Verfassungsschutz des Landes MecklenburgVorpommern unter der Telefon-Nummer 0385/7420-0 wenden oder hierzu Kontakt über die Internetseite www.verfassungsschutz-mv.de aufnehmen. 1 Vgl. SS 5 Abs. 2 LVerfSchG M-V. 144 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern 12 Presseund Öffentlichkeitsarbeit 12.2 Informationsmaterialien Im Berichtsjahr 2024 wurden durch den Verfassungsschutz Mecklenburg-Vorpommern mehr als 250 Publikationen kostenfrei an interessierte Bürgerinnen und Bürger sowie an Einrichtungen im Land Mecklenburg-Vorpommern und über die Landesgrenzen hinaus versendet. Diese Informationsmaterialien können kostenlos beim Verfassungsschutz Mecklenburg-Vorpommern angefordert oder im Internet heruntergeladen werden: Download Informationsmaterial: www.verfassungsschutz-mv.de/publikationen Verfassungsschutzberichte der Jahre 2006 bis 2024 Flyer: Verfassungsschutz MV - Gemeinsam die Verfassung schützen Allgemeine Informationen über die Arbeit des Verfassungsschutzes Rituale und Symbole der rechtsextremistischen Szene Historische und ideologische Hintergründe des Rechtsextremismus (Juli 2015) Infoflyer "Reichsbürger und Selbstverwalter" in Mecklenburg-Vorpommern Behördenund Bürgerinformation Infoflyer "Informationen zum Thema Islamismus" Auch in russischer und arabischer Version verfügbar (Allgemeiner Info-Flyer, Stand Januar 2020) Islamistische Aktivitäten erkennen Kompaktinformation zu Salafismus und anderen Formen des Islamismus für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Flüchtlingseinrichtungen (April 2016) 145 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern 12 Presseund Öffentlichkeitsarbeit SPOC Magazin Nr. 2 (2023) Wirtschaftsschutz - mehrteilige Infoblattserie Gemeinschaftsproduktion der Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern Informationen zu den jeweiligen Einzelthemen der Faltblattserie stehen im Bereich Wirtschaftsschutz auf der Internetseite: www.verfassungsschutz.de des Bundesamtes für Verfassungsschutz bereit. Proliferation - Wir haben Verantwortung Bundesamt für Verfassungsschutz für die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder (Juli 2018) Wirtschaftsspionage - Risiko für Unternehmen, Wissenschaft und Forschung Gemeinschaftsproduktion der Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern (Juli 2014) Rechtsextremistisch genutzte Immobilien in Ostdeutschland Lagebild und Handlungsempfehlungen für Kommunen und Immobilienbesitzer (Juni 2024) Darüber hinaus stellt das Ministerium für Inneres, Bau und Digitalisierung Mecklenburg-Vorpommern weitere Broschüren und Information bereit, die kostenlos unter folgender Internetadresse abgerufen werden können: Download Informationsmaterial: www.regierung-mv.de/Landesregierung/im/Sicherheit Zusätzlich wird an dieser Stelle auch auf das umfassende Publikationsangebot des Bundesamtes für Verfassungsschutz zu allen verfassungsschutzrelevanten Themenbereichen hingewiesen, welches als Download abgerufen oder bestellt werden kann: Download Informationsmaterial: www.verfassungsschutz.de 146 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern 12 Presseund Öffentlichkeitsarbeit 12.3 Ausund Fortbildung/Praktika Im Rahmen von Ausund Fortbildungsveranstaltungen halten Beschäftigte des Verfassungsschutzes Mecklenburg-Vorpommern an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung, Polizei und Rechtspflege des Landes Mecklenburg-Vorpommern in Güstrow (FHöVPR) regelmäßig Vorträge. Diese behandeln sowohl die Aufgaben und Tätigkeiten des Verfassungsschutzes als auch ausgewählte aktuelle sicherheitspolitische Themen. Grundlage hierfür ist eine seit 2010 bestehende Kooperationsvereinbarung mit der FHöVPR. Zur Förderung des gegenseitigen Verständnisses für die jeweiligen Aufgaben und zur Verbesserung des Informationsaustausches finden seit Juni 2014 regelmäßige mehrtägige Hospitationen zwischen dem Verfassungsschutz Mecklenburg-Vorpommern und der Abteilung Staatsschutz des Landeskriminalamts Mecklenburg-Vorpommern statt. Diese erfolgen in verschiedenen Fachbereichen. Im Jahr 2022 konnte der Verfassungsschutz Mecklenburg-Vorpommern erstmals zwei Anwärter einstellen. Diese absolvieren derzeit ihr Studium beim Bundesamt für Verfassungsschutz. Für das Jahr 2025 sind zwei weitere Anwärterstellen vorgesehen. Innerhalb der föderalen Strukturen des Verfassungsschutzverbundes besteht ein gemeinsames Verständnis darüber, sich mit den unterschiedlichen Arbeitsweisen vertraut zu machen. Ziel ist es, die Zusammenarbeit durch gegenseitiges Kennenlernen zu erleichtern und die eigenen Abläufe zu reflektieren und bei Bedarf weiterzuentwickeln. Zudem dient die Verfassungsschutzbehörde Mecklenburg-Vorpommern regelmäßig als Praktikumsstation für Studierende des Bundesamtes für Verfassungsschutz am Zentrum für Nachrichtendienstliche Ausund Fortbildung. Werde Teil unseres Teams - Gemeinsam die Verfassung schützen! Unsere aktuellen Ausschreibungen finden Sie unter: Karriereportal Homepage des der Landesverwaltung Verfassungsschutzes Mecklenburg-Vorpommern Mecklenburg-Vorpommern www.karriere-in-mv.de www.verfassungsschutz-mv.de 147 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern Die "Wehrhafte Demokratie" - KAPITELÜBERSICHT Auftrag und Verpflichtung des 11 Verfassungsschutzes VERFASSUNGSSCHUTZBERICHT 2024 KAPITEL 1 Auf einen Blick Radikalisierung im digitalen Zeitalter: Junge Zielgruppen im 23 Visier extremistischer Akteure 33 KAPITEL 2 KAPITEL 3 Rechtsextremismus Reichsbürger und und -terrorismus Selbstverwalter 39 77 KAPITEL 4 KAPITEL 5 Verfassungsschutzrelevante Linksextremismus Delegitimierung des Staates 87 93 KAPITEL 6 KAPITEL 7 Islamismus / Islamistischer Auslandsbezogener Terrorismus Extremismus 105 115 KAPITEL 8 KAPITEL 9 Mitwirkungsangelegenheiten, Spionageabwehr und Waffenrechtliche Erlaubnisse und hybride Bedrohungen Extremisten im öffentlichen Dienst 125 133 KAPITEL 10 KAPITEL 11 Presseund Anlagen Öffentlichkeitsarbeit 143 149 KAPITEL 12 KAPITEL 13 Kapitel 13 Anlagen Verfassungsschutz Mecklenburg-Vorpommern 13 Anlagen 13. Anlagen 13.1 Abkürzungsverzeichnis Abkürzung Bedeutung AfD Alternative für Deutschland APT Advanced Persistent Threat BAMAD Bundesamt für den Militärischen Abschirmdienst BAMF Bundesamt für Migration und Flüchtlinge BfV Bundesamt für Verfassungsschutz BKA Bundeskriminalamt BMI Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat BND Bundesnachrichtendienst BRD Bundesrepublik Deutschland BSI Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik BVerfG Bundesverfassungsgericht BVerfSchG Bundesverfassungsschutzgesetz DKP Deutsche Kommunistische Partei EB Ewiger Bund fdGO freiheitliche demokratische Grundordnung F.i.e.L. Fremde im eigenen Land G 10 Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses GBA Generalbundesanwalt GETZ Gemeinsames Extremismusund Terrorismusabwehrzentrum GG Grundgesetz GTAZ Gemeinsames Terrorismusabwehrzentrum HAMAS Harakat al-Muqawama al-Islamiya IBD Identitäre Bewegung Deutschland IB MV Identitäre Bewegung Mecklenburg-Vorpommern IL Interventionistische Linke IS Islamischer Staat IT Informationstechnik JN Junge Nationalisten KCK Koma Civaken Kurdistan (Arbeiterpartei Kurdistans) KDP Partya Demokrata Kurdistane (Demokratische Partei Kurdistans) KKK Koma Komalen Kurdistan (Arbeiterpartei Kurdistans) 150 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern 13 Anlagen KONGRA GEL Kongra Gele Kurdistan (Arbeiterpartei Kurdistans) KPCh Kommunistische Partei Chinas KRITIS Kritische Infrastrukturen LfDI Landesbeauftragter für den Datenschutz und Informationsfreiheit LfV Landesbehörde für Verfassungsschutz LKA MV Landeskriminalamt Mecklenburg-Vorpommern LRH MV Landesrechnungshof Mecklenburg-Vorpommern LVerfSchG MV Landesverfassungsschutzgesetz Mecklenburg-Vorpommern MLKP Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei MLPD Marxistisch-Leninistische Partei Deutschland NATO North Atlantic Treaty Organization (Nordatlantische Vertragsorganisation) NIAS Nachrichtendienstliche Informationsund Analysestelle NPD Nationaldemokratische Partei Deutschland NS Nationalsozialistisch NSDAP Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei NSP Neue Stärke Partei OVG Oberverwaltungsgericht PIAS Polizeiliche Informationsund Analysestelle PMK Politisch motivierte Kriminalität PI-BE Preußisches Institut - Bismarcks Erben Parlamentarische Kontrollkommission des Landtages Mecklenburg-Vorpommern PKK Partiya Karkeren Kurdistan (Arbeiterpartei Kurdistans) PR Penzliner Runde RED Rechtsextremismusdatei RH Rote Hilfe SDAJ Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend sic Sic erat scriptum - wird bei wörtlichen Zitaten verwendet, die Rechtschreibfehler oder andere Besonderheiten enthalten SOG M-V Sicherheitsund Ordnungsgesetz Mecklenburg-Vorpommern SOL Sozialistische Organisation Solidarität SRH Schwarz-Rote-Hilfe StGB Strafgesetzbuch SÜG M-V Sicherheitsüberprüfungsgesetz Mecklenburg-Vorpommern TKP/ML Türkische Kommunistische Partei/Marxisten-Leninisten VG Verwaltungsgericht VHD Vaterländischer Hilfsdienst VP Vertrauensperson YPG Volksverteidigungseinheiten (Yekineyen Parastina Gel) 151 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern 13 Anlagen 13.2 Glossar Anschlussfähigkeit Der Begriff Anschlussfähigkeit beschreibt politische Themen, die in der Gesellschaft breit diskutiert und akzeptiert sind, aber auch von extremistischen Gruppierungen mit dem strategischen Ziel aufgegriffen werden. Diese präsentieren sich auf diese Weise als ernstzunehmender politischer Akteur in der demokratischen Debatte und verfolgen gleichzeitig die eigene extremistische Agenda. Anti-Antifa Unter dem Begriff "Anti-Antifa" verfolgen Neonazis in Anlehnung an Terminologie und Vorgehensweise von Linksextremisten ein Konzept zur Erfassung und Veröffentlichung von Daten über politische Gegner. Deutlich wird dabei eine Bereitschaft zur Gewaltanwendung. Antifaschismus "Antifaschismus" als Begriff wird auch von Demokraten verwendet, um ihre Ablehnung des Rechtsextremismus zum Ausdruck zu bringen. Mehrheitlich nehmen jedoch Linksextremisten diesen Begriff für sich in Anspruch. Sie behaupten, dass der kapitalistische Staat den Faschismus hervorbringe, zumindest aber toleriere. Daher richtet sich der Antifaschismus nicht nur gegen tatsächliche oder vermeintliche Rechtsextremisten, sondern immer auch gegen den Staat und seine Vertreter, insbesondere Angehörige der Sicherheitsbehörden. Anti-Terror-Datei (ATD) Die Anti-Terror-Datei (ATD) ist eine gemeinsame Datei des Bundes und der Länder zur Aufklärung und Bekämpfung des internationalen Terrorismus mit Bezug zur Bundesrepublik Deutschland auf Grundlage des Antiterrordateigesetzes (ATDG). Advanced Persistent Threat (APT) Der Begriff "Advanced Persistent Threat" wird im Bereich der Cyber-Bedrohungen (Cyberangriff) für einen komplexen, zielgerichteten und effektiven Angriff auf IT-Infrastrukturen und vertrauliche Daten von Behörden und Unternehmen verwendet. Vielfach werden Angriffskampagnen vereinfacht mit APT und einer Nummer (z. B. APT28) versehen, um damit die Angriffskampagne zu kennzeichnen. Das Ziel eines solchen Angriffes ist insbesondere, die lang anhaltende Handlungsfähigkeit des Angreifers sicherzustellen. Dazu versucht dieser sich nach erfolgreichem Eindringen entweder möglichst unauffällig zu verhalten oder sich möglichst schnell und umfassend in den angegriffenen Systemen auszubreiten und festzusetzen. Der Angreifer geht i. d. R. sehr gezielt vor und nimmt auch großen Aufwand in Kauf, um sein Ziel zu erreichen. Ausländerextremismus Extremistische Ausländerorganisationen verfolgen in Deutschland Ziele, die typischerweise durch aktuelle Ereignisse und politische Entwicklungen in ihren Heimatländern bestimmt sind. Entsprechend ihrer politischen Ausrichtung handelt es sich dabei beispielsweise um linksextremistische Organisationen (z. B. die türkische "Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front" (DHKP-C), soweit sie in ihren Heimatländern ein sozialistisches bzw. kommunistisches Herrschaftssystem anstreben oder um nationalistische Organisationen, die ein überhöhtes Selbstverständnis von der eigenen Nation haben und die Rechte anderer Völker missachten. Daneben gibt es separatistische Organisationen, die eine Loslösung ihres Herkunftsgebietes aus einem bereits bestehenden 152 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern 13 Anlagen Staatsgebilde und die Schaffung eines eigenen Staates verfolgen. Die größte von den Verfassungsschutzbehörden beobachtete ausländerextremistische Organisation in Deutschland ist nach wie vor die unter der Bezeichnung PKK bekannte "Arbeiterpartei Kurdistans". Autonome Kennzeichnend für die Bewegung der Autonomen, die über kein einheitliches ideologisches Konzept verfügt, ist die Ablehnung staatlicher und gesellschaftlicher Normen und Zwänge, die Suche nach einem freien, selbstbestimmten Leben in herrschaftsfreien Räumen und der Widerstand gegen den demokratischen Staat und seine Institutionen, wobei Gewalt von Autonomen grundsätzlich als Aktionsmittel ("militante Politik") akzeptiert ist. Autonome bilden den weitaus größten Anteil des gewaltbereiten linksextremistischen Personenpotenzials. Das Selbstverständnis der heterogenen autonomen Bewegung ist geprägt von Anti-Einstellungen ("antikapitalistisch", "antifaschistisch", "antipatriarchal"). Diffuse anarchistische und kommunistische Ideologiefragmente ("Klassenkampf", "Revolution" oder "Imperialismus") bilden den Rahmen ihrer oftmals spontanen Aktivitäten. Eine klassische Form autonomer Gewalt ist die sogenannte Massenmilitanz. Das sind Straßenkrawalle, die sich im Rahmen von Demonstrationen oder im Anschluss daran entwickeln. Hierbei kommt es regelmäßig auch zu Gewaltexzessen. Autonome Freiräume Als "autonome Freiräume" können vor allem besetzte Häuser, Wohnprojekte und selbstverwaltete Jugendund Kulturzentren gelten, deren Existenz und Erhalt Linksextremisten bedroht sehen, wenn sich die Besitzund Eigentumsverhältnisse ändern. Bestrebungen, extremistische Bestrebungen sind nach allgemeinem Sprachgebrauch alle auf ein Ziel gerichteten Aktivitäten. Extremistische Bestrebungen im Sinne der Verfassungsschutzgesetze sind im Wesentlichen politisch bestimmte, zielund zweckgerichtete Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluss gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, gegen den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes. Von Einzelpersonen gehen solche Bestrebungen nur dann aus, wenn sie auf die Anwendung von Gewalt gerichtet sind oder eines der obigen Schutzgüter erheblich beschädigen können.1 Cyberangriffe - Elektronische Angriffe Elektronische Angriffe Mit dem Begriff "Elektronische Angriffe" werden Maßnahmen mit und gegen IT-Infrastrukturen bezeichnet. Neben der Informationsbeschaffung fallen darunter auch Aktivitäten, die zur Schädigung bzw. Sabotage dieser Systeme geeignet sind. Dazu gehören insbesondere das Ausspähen, Kopieren oder Verändern von Daten, die Übernahme einer fremden elektronischen Identität, der Missbrauch oder die Sabotage fremder IT-Infrastrukturen sowie die Übernahme von computergesteuerten, netzgebundenen Produktionsund Steuereinrichtungen. Die Angriffe können dabei sowohl von außen über Computernetzwerke, wie z. B. das Internet, erfolgen als auch durch einen direkten, nicht netzgebundenen Zugriff auf einen Rechner, z. B. mittels manipulierter Hardwarekomponenten wie Speichermedien (z. B. USB-Sticks). 1 Vgl. SS 6 LVerfSchG M-V. 153 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern 13 Anlagen Entgrenzung Der Begriff Entgrenzung beschreibt den Ansatz von Extremisten, ihre politischen Themen und Ziele so in das demokratische Spektrum der Gesellschaft zu transportieren, dass diese dort akzeptabel erscheinen und auf diese Weise die bestehende Abgrenzung der gesellschaftlichen Mitte gegenüber extremistischen Positionen einzuebnen. Fanzine Der Begriff setzt sich aus den Worten "Fan" und "Magazine" zusammen und bezeichnet Publikationen, die innerhalb einer subkulturellen Szene szeneinterne Informationen verbreiten. In der subkulturell geprägten rechtsextremistischen Szene informieren diese Publikationen über Musikgruppen, Tonträger, Konzerte sowie sonstige Szeneveranstaltungen. Aktivisten und rechtsextremistische Gruppierungen erhalten in Interviews Gelegenheit zur Selbstdarstellung und zur Verbreitung ihres extremistischen Gedankengutes. Gefährder Ein Gefährder ist eine Person, zu der bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie politisch motivierte Straftaten von erheblicher Bedeutung, insbesondere solche im Sinne des SS 100 a StPO, begehen wird. Die Einstufung einer Person als Gefährder erfolgt durch die Polizei (- Relevante Person). Gemeinsames Extremismusund Terrorismusabwehrzentrum (GETZ) Das GETZ hat am 15. November 2012 seine Arbeit aufgenommen. Ziel ist die Bekämpfung des Rechts-, Links-, Ausländerextremismus/ -terrorismus, der Spionage und Proliferation. Ziel ist es, die Fachexpertise aller Behörden unmittelbar zu bündeln und einen möglichst lückenlosen und schnellen Informationsfluss sicherzustellen. Gemeinsames Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ) Das 2004 eingerichtete "Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum" (GTAZ) in Berlin-Treptow mit einer "Nachrichtendienstlichen Informationsund Analysestelle" (NIAS) sowie einer "Polizeilichen Informationsund Analysestelle" (PIAS) konzentriert die Experten für Terrorismusabwehr der deutschen Sicherheitsbehörden an einem Ort. Im GTAZ sind die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder, das Bundeskriminalamt (BKA), die Landeskriminalämter (LKÄ) und der Bundesnachrichtendienst (BND) eingebunden. Weitere Teilnehmer sind die Bundespolizei (BPOL), das Zollkriminalamt (ZKA), das Bundesamt für den Militärischen Abschirmdienst (BAMAD), das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) und Vertreter der Generalbundesanwaltschaft. Die Abstimmung von Bewertungen und Maßnahmen bei sicherheitsrelevanten Sachverhalten mit Terrorismusbezug wird erleichtert und beschleunigt. Gentrifizierung Der Begriff beschreibt die Umstrukturierung ganzer Wohnviertel und Stadtteile zu hochwertigen Wohnquartieren und damit einhergehend die Veränderung der Wohnbevölkerung. Dieses Themenfeld kommt häufig in Ballungsräumen vor. Gulag Russische Abkürzung für "Hauptverwaltung der Erziehungsund Arbeitslager". Bezeichnung für stalinistische Strafund Zwangsarbeitslager in der Sowjetunion, in denen so genannte politische Häftlinge und Kriminelle im Zuge der Massenrepressionen interniert wurden. 154 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern 13 Anlagen Holodomor Ukrainisch für "Tötung durch Hunger" - große Hungersnot in der Sowjetrepublik Ukraine in den Jahren 1932/33 mit 6 bis 7 Mio. Todesopfern in Folge der Zerstörung der Landwirtschaft durch die Zwangskollektivierung, gezielt überhöhte Abgabepflichten für die Bauern und Verhinderung von Hilfsmaßnahmen unter der Regierung Stalins. Islamismus Der Begriff des Islamismus bezeichnet eine religiös motivierte Form des politischen Extremismus. Islamisten sehen in den Schriften und Geboten des Islam nicht nur Regeln für die Ausübung der Religion, sondern auch Handlungsanweisungen für eine islamistische Staatsund Gesellschaftsordnung. Ein Grundgedanke dieser islamistischen Ideologie ist die Behauptung, alle Staatsgewalt könne ausschließlich von Gott (Allah) ausgehen. Damit richten sich islamistische Bestrebungen gegen die Vorschriften des Grundgesetzes, insbesondere gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung. Islamisten halten die Etablierung einer islamischen Gesellschaftsordnung für unabdingbar. Dieser Ordnung sollen letztlich sowohl Muslime als auch Nicht-Muslime unterworfen werden. Sonderformen des Islamismus sind der Salafismus (-) und der islamistische Terrorismus (-). Islamistischer Terrorismus Mit dem Begriff "islamistischer Terrorismus" wird Terrorismus (-) bezeichnet, der unter Berufung auf den Islam bzw. dessen selektive Auslegung und politische Instrumentalisierung darauf abzielt, eine nach eigener Auffassung "islamische Ordnung" bzw. einen "islamischen Staat" zu errichten. Dem "islamistischen Terrorismus" werden sunnitische Gruppierungen, hierunter sowohl salafistische (z. B. "al-Qaida") als auch nicht-salafistische (z. B. HAMAS) sowie schiitische Gruppierungen (z. B. "Hizb Allah") zugerechnet. Jihad Die wörtliche Übersetzung dieses Begriffs ist "Anstrengung" oder "Bemühung". Es gibt zwei Formen des Jihad: die geistig-spirituelle Bemühung des Gläubigen um das richtige religiöse und moralische Verhalten gegenüber Gott und den Mitmenschen (sogenannter großer Jihad) und den kämpferischen Einsatz zur Verteidigung oder Ausdehnung des islamischen Herrschaftsgebiets (sogenannter kleiner Jihad). Von militanten islamistischen (- Islamismus) Gruppen wird der Jihad häufig als religiöse Legitimation für Terroranschläge verwendet. Kameradschaften, rechtsextremistische Unter dem Begriff "Kameradschaften" werden i.d.R. neonazistische lokale Gruppierungen verstanden. Sie umfassen meist etwa 10 bis 20 Mitglieder und sind - im Gegensatz zu den Cliquen der subkulturell geprägten gewaltbereiten rechtsextremistischen Szene - deutlich durch den Willen zu politischer Aktivität geprägt. Obwohl sie meist nur gering ausgeprägte vereinsähnliche Strukturen aufweisen, sind sie durch eine verbindliche Funktionsverteilung dennoch deutlich strukturiert. Mitglieder von Kameradschaften rechnen sich in der Regel den neonazistisch geprägten sogenannten "Freien Nationalisten" zu. Kritische Infrastrukturen (KRITIS) Kritische Infrastrukturen (KRITIS) sind Organisationen oder Einrichtungen mit zentraler Bedeutung für das staatliche Gemeinwesen, bei deren Ausfall oder Beeinträchtigung nachhaltig wirkende Versorgungsengpässe, erhebliche Störungen der öffentlichen Sicherheit oder andere dramatische Folgen eintreten würden. 155 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern 13 Anlagen Linksextremismus Mit diesem Begriff werden Bestrebungen (-) von Personenzusammenschlüssen bezeichnet, für die alle oder einige der folgenden Merkmale charakteristisch sind: * Bekenntnis zum Marxismus-Leninismus als "wissenschaftliche" Anleitung zum Handeln; daneben - je nach Ausprägung der Partei oder Gruppierung -Rückgriff auch auf Theorien weiterer Ideologen wie Stalin, Trotzki, Mao Tse-tung und andere, * Bekenntnis zur sozialistischen oder kommunistischen Transformation der Gesellschaft mittels eines revolutionären Umsturzes oder langfristiger revolutionärer Veränderungen, * Bekenntnis zur Diktatur des Proletariats oder zu einer herrschaftsfreien (anarchistischen) Gesellschaft, * Bekenntnis zur revolutionären Gewalt als bevorzugte oder - je nach den konkreten Bedingungen - taktisch einzusetzender Kampfform. Linksextremistische Parteien und Gruppierungen lassen sich grob in zwei Hauptströmungen einteilen: * dogmatische Marxisten-Leninisten und sonstige revolutionäre Marxisten: In Parteien oder anderen festgefügten Vereinigungen organisiert, verfolgen sie die erklärte Absicht, eine sozialistische bzw. kommunistische Gesellschaftsordnung zu errichten, * Autonome, Anarchisten und sonstige Sozialrevolutionäre (undogmatischer Linksextremismus): In losen Zusammenhängen, seltener in Parteien oder formalen Vereinigungen agierend, streben sie ein herrschaftsfreies, selbstbestimmtes Leben frei von jeglicher staatlichen Autorität an. NADIS Das NAchrichtenDienstliche InformationsSystem und WissensNetz (NADIS WN) ist das zentrale Hinweisund Verbundsystem der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder für Personen und Objekte. Dieses System ist eine technische Plattform, auf der Amtsund Verbunddateien von Bund und Ländern unter einer einheitlichen Anwendungsoberfläche betrieben werden können. Neonationalsozialismus/Neonazismus Der Neonationalsozialismus bezieht sich auf die Weltanschauung des "Dritten Reiches" und macht diese zur Grundlage seiner politischen Zielvorstellungen. Elementare Bestandteile der neonationalsozialistischen Weltanschauung sind Rassismus und Nationalismus sowie die Forderung nach einem autoritären "Führerstaat" unter Ausschaltung der Gewaltenteilung. Neue Rechte Unter der Bezeichnung Neue Rechte wird ein informelles Netzwerk von Gruppierungen, Einzelpersonen und Organisationen gefasst, in dem nationalkonservative bis rechtsextremistische Kräfte zusammenwirken, um anhand unterschiedlicher Strategien teilweise antiliberale und antidemokratische Positionen in Gesellschaft und Politik durchzusetzen. Hierfür werden parlamentarische und außerparlamentarische Bewegungen, metapolitische Theoriebildung und Praxis - also die Einflussnahme auf den vorpolitischen Raum, die den Boden für die erfolgreiche politische Verwirklichung dieser antidemokratischen Positionen bereiten soll - mit Protestund Demonstrationsinitiativen eng verzahnt. Die Akteure füllen innerhalb dieses Netzwerks unterschiedliche und teils komplementäre Funktionen und Rollen aus, die dem gemeinsamen Ziel einer "Kulturrevolution von rechts" dienen sollen und sich jeweils an unterschiedliche Zielgruppen richten. Rechtsextremistische Bezüge ergeben sich aus Verstößen gegen die Menschenwürde, das Rechtsstaatsund/oder das Demokratieprinzip in unterschiedlicher Ausformung. 156 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern 13 Anlagen Outing-Aktion Durch Outing-Aktionen werden politische Gegner extremistischer Gruppierungen mit ihren personenbezogenen Daten (z. B. Foto, Name, Wohnanschrift, Arbeitsstelle etc.) zumeist via Internet öffentlich bekannt gemacht, um sie zum einen an den "virtuellen Pranger" zu stellen, zum anderen aber auch, um sie damit einer erhöhten Gefahr auszusetzen, zum Opfer einer politisch motivierten Straftat durch die gegnerische extremistische Gruppe zu werden. Proliferation Als Proliferation bezeichnet man die Weiterverbreitung von atomaren, biologischen oder chemischen Massenvernichtungswaffen und entsprechenden Waffenträgersystemen bzw. der zu deren Herstellung verwendeten Produkte einschließlich des dazu erforderlichen Know-how. Radikal Als radikal werden Bestrebungen bezeichnet, die zur Lösung politischer Probleme "bis auf die Wurzel gehen", diese jedoch ohne zielgerichteten Angriff auf die freiheitliche demokratische Grundordnung lösen wollen. Radikale politische Auffassungen haben in unserer pluralistischen Gesellschaftsordnung ihren legitimen Platz. Rechtsextremismus Der Rechtsextremismus ist eine Ideologie der Ungleichheit, deren Anhänger politisch bestimmte, zielund zweckgerichtete Verhaltensweisen zeigen, die darauf gerichtet sind, Grundsätze der freiheitlichen demokratischen Grundordnung außer Geltung zu setzen oder zu beseitigen (- Bestrebung). Als Gegenentwurf zu einer modernen Demokratie und einer offenen Gesellschaft wollen Rechtsextremisten - auch unter Anwendung von Gewalt - ein autoritäres oder gar totalitäres staatliches System errichten, in dem nationalistisches und rassistisches Gedankengut die Grundlage der Gesellschaftsordnung bilden soll. Dementsprechend finden sich im deutschen Rechtsextremismus in unterschiedlicher und gruppenspezifischer Ausprägung folgende ideologische Vorstellungen bzw. Handlungsmuster: * Ein aggressiver, vielfach völkisch ausgerichteter Nationalismus, für den nur die deutschen Interessen als Richtschnur gelten und der andere Nationen als "minderwertig" betrachtet, * die häufige Forderung nach der Neugründung eines "Reiches", das zum "mächtigen Mittelpunkt Europas" werden müsse, * der Wunsch nach einer Volksgemeinschaft auf "rassischer" Grundlage, die die Rechte des Einzelnen beliebig einschränkt und der pluralistischen Gesellschaft das Modell des "Volkskollektivismus" ("Du bist nichts, Dein Volk ist alles") entgegensetzt (Antiindividualismus, Antipluralismus, Antiliberalismus), * eine aggressive, extrem gewaltbereite Fremdenfeindlichkeit als Ergebnis rassistischen und damit verbunden antisemitischen Gedankenguts, * der Wunsch nach einem "Führerstaat" mit militärischen Ordnungsprinzipien, * eine Relativierung oder sogar Leugnung der Verbrechen des "Dritten Reiches" und damit verbunden eine Verharmlosung oder Verherrlichung des Nationalsozialismus und * eine ständige Diffamierung der demokratischen Institutionen und ihrer Repräsentanten. 157 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern 13 Anlagen Rechtsextremismusdatei (RED) Die Rechtsextremismusdatei (RED) ist eine gemeinsame Datei des Bundes und der Länder zur Aufklärung und Bekämpfung des gewaltbereiten Rechtsextremismus auf Grundlage des Rechtsextremismus-Datei-Gesetzes (RED-G). Mit der RED soll der Informationsaustausch zwischen den beteiligten Behörden intensiviert und beschleunigt werden. Rechtsextremistische Konzerte Die Kriterien zur Bewertung rechtsextremistischer Musikveranstaltungen lauten wie folgt: * Live-Auftritt mindestens einer als rechtsextremistisch bewerteten Band, * Szeneöffentlichkeit (z. B. überregionale Mobilisierung, Erhebung von Eintrittsgeldern, Werbung für die Veranstaltung), * Vortrag rechtsextremistischer Liedtexte bzw. Feststellung rechtsextremistischer Aktivitäten der Interpreten anlässlich der Veranstaltungen (insbesondere Propagandadelikte), * Organisation der Veranstaltung durch rechtsextremistische Gruppierungen oder Einzelpersonen. Es ist nicht erforderlich, dass Informationen zu allen Kriterien vorliegen. Mindestvoraussetzung sind der szeneöffentliche Live-Auftritt sowie Indizien für rechtsextremistische Inhalte, die sich insbesondere aus dem Auftritt einschlägiger Bands oder aus dem Vortrag entsprechender Lieder ergeben können. Reichsbürger Sogenannte Reichsbürger und Selbstverwalter sind Gruppierungen und Einzelpersonen, die aus unterschiedlichen Motiven und mit unterschiedlichen Begründungen, unter anderem unter Berufung auf das historische Deutsche Reich, verschwörungstheoretische Argumentationsmuster oder ein selbst definiertes Naturrecht, die Existenz der Bundesrepublik Deutschland und deren Rechtssystem ablehnen. Sie sprechen den demokratisch gewählten Repräsentanten die Legitimation ab oder definieren sich als in Gänze außerhalb der Rechtsordnung stehend. Deshalb sind sie bereit, Verstöße gegen diese zu begehen. Für die Verwirklichung ihrer Ziele treten sie aktiv ein, z. B. mit Werbeaktivitäten oder mit aggressiven Verhaltensweisen gegenüber den Gerichten und Behörden der Bundesrepublik Deutschland. Zwischen Reichsbürgern und Selbstverwaltern fällt eine trennscharfe Unterscheidung schwer. Reichsbürger lehnen die Bundesrepublik Deutschland unter Berufung auf ein wie auch immer geartetes Deutsches Reich ab. Selbstverwalter hingegen fühlen sich dem Staat gänzlich nicht zugehörig. Sie behaupten, sie könnten durch eine Erklärung aus dem Staat austreten und seien deshalb nicht an dessen Gesetze gebunden. Oftmals berufen sie sich auf eine UN-Resolution, die es angeblich ermögliche, aus der Bundesrepublik Deutschland ausund in eine Selbstverwaltung einzutreten. Manche markieren ihr Wohnanwesen zum Beispiel durch Grenzziehungen, Schilder und Wappen, um ihren angeblich souveränen Verwaltungsraum zu kennzeichnen. Mitunter wird dieser unter Berufung auf ein Widerstandsrecht gewaltsam verteidigt. Relevante Person Eine Person ist als relevant anzusehen, wenn sie innerhalb des extremistischen/terroristischen Spektrums die Rolle einer Führungsperson, eines Unterstützers/Logistikers oder eines Akteurs einnimmt und objektive Hinweise vorliegen, die die Prognose zulassen, dass sie politisch motivierte Straftaten von erheblicher Bedeutung, insbesondere solche im Sinne des SS 100 a Strafprozessordnung (StPO), fördert, unterstützt, begeht oder sich daran beteiligt oder es sich um eine Kontaktoder Begleitperson eines Gefährders, eines Beschuldigten oder eines Verdächtigen einer politisch mo 158 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern 13 Anlagen tivierten Straftat von erheblicher Bedeutung, insbesondere einer solchen im Sinne des SS 100 a StPO, handelt. Die Einstufung als relevante Person erfolgt durch die Polizei (- Gefährder). Scharia Die Scharia bezeichnet die im Koran von Gott gesetzte Ordnung, eine Art juristische Grundlage. Die Scharia enthält neben rituellen Vorschriften privat-, strafund öffentlich-rechtliche Regelungen. Die Scharia ist kein ausformuliertes Regelwerk, sondern eine Quelle der Rechtsfindung. Verbindlichkeit und Handhabung der Scharia in den einzelnen islamischen Ländern sind bis heute sehr unterschiedlich. Innerhalb der islamischen Welt wird die Rolle der Scharia kontrovers beurteilt. Einig ist man sich aber darin, dass die Scharia eine für alle Bereiche wichtige Rechtsquelle darstellt. Salafismus Der "Salafismus" ist eine Strömung des sunnitischen Islamismus, die sich auf die Urzeit des Islam und die sogenannten "rechtschaffenen Altvorderen" (arab. al-salaf al-salih) bezieht und die Rückkehr zu den damaligen Herrschaftsund Rechtsformen anstrebt. Diese ist u. a. gekennzeichnet durch eine fundamentalistische Koranauslegung, die Ablehnung westlicher Wertevorstellungen und die Propagierung des Kampfes gegen die "Ungläubigen". Schwarzer Block Der sogenannte Schwarze Block, vermummte Aktivisten in einheitlicher "Kampfausrüstung", ist eine Aktionsform, die ursprünglich im linksextremistischen autonomen Spektrum entwickelt wurde und vor allem bei Demonstrationen angewandt wird. Der "Schwarze Block" ist keine zentral organisierte und koordinierte Organisationsform, sondern ein punktueller Zusammenschluss gewaltorientierter Linksextremisten. Ziel dieses Auftretens ist die erschwerte Zuordnung von Strafund Gewalttaten zu Einzelpersonen durch die Polizei. Jeder "Schwarze Block" beinhaltet jedoch ein einzelfallbezogenes Gewaltpotenzial, das sich je nach Lageentwicklung ausleben kann. Selbstverwalter - Reichsbürger Spionage Als Spionage wird die Tätigkeit für den Nachrichtendienst einer fremden Macht bezeichnet, die auf die Mitteilung oder Lieferung von Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen gerichtet ist. Die Beschaffung von Informationen, vor allem aus den Bereichen Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Militär, erfolgt zumeist unter Anwendung geheimer Mittel und Methoden. Soweit Spionage gegen die Bundesrepublik Deutschland gerichtet ist, kommt eine Strafbarkeit gemäß SSSS 93 ff. StGB in Betracht. Spionageabwehr Die Spionageabwehr beschäftigt sich mit der Aufklärung und Abwehr bzw. Verhinderung von Spionageaktivitäten fremder Nachrichtendienste. Dazu sammelt sie Informationen über sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten fremder Nachrichtendienste in der Bundesrepublik Deutschland und wertet sie mit dem Ziel aus, Erkenntnisse über Struktur, Aktivitäten, Arbeitsmethoden, nachrichtendienstliche Mittel und Zielobjekte dieser Nachrichtendienste zu gewinnen. Die Spionageabwehr gehört gemäß SS 3 Abs. 1 Nr. 2 Bundesverfassungsschutzgesetz (BVerfSchG) zu den Aufgaben der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder. 159 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern 13 Anlagen Staatsfreiheit Der Begriff der "Staatsfreiheit" ist ein innerhalb des ersten NPD-Verbotsverfahren geprägter Begriff. Danach hat das BVerfSchG die Forderung aufgestellt, dass während eines laufenden Verbotsverfahrens keine Vertrauenspersonen (VP) und Verdeckten Ermittler (VE) auf den Führungsebenen einer Partei tätig sein dürfen. Damit wird sichergestellt, dass deren Willensbildung und Selbstdarstellung unbeobachtet und selbst bestimmt erfolgen kann. Die Begründung des Verbotsantrags darf nicht auf Beweismaterialien gestützt werden, deren Entstehung zumindest teilweise auf das Wirken von VP oder VE zurückzuführen ist. Die Beobachtung einer Partei während eines laufenden Verbotsverfahrens darf außerdem nicht dem Ausspähen ihrer Prozessstrategie dienen. Zudem ist die privilegierte Stellung der Verfahrensbevollmächtigten der betroffenen Partei zu beachten. Terrorismus Der "Terrorismus" ist der nachhaltig geführte Kampf für politische Ziele, die mit Hilfe von Anschlägen auf Leib, Leben und Eigentum anderer Menschen durchgesetzt werden sollen, insbesondere durch schwere Straftaten, wie sie in SS 129 a Abs. 1 StGB genannt sind, oder durch andere Straftaten, die zur Vorbereitung solcher Straftaten dienen. "Vier-Säulen-Strategie" der NPD Die Strategie der NPD wurde auf dem Bundesparteitag 1998 im mecklenburgischen Stavenhagen zunächst als "Drei-Säulen-Strategie" konzipiert: Kampf um die Straße: Durchführung von Demonstrationen, Zeigen von Präsenz in der Öffentlichkeit, Massenmobilisierung, Kampf um die Köpfe: Ziel ist die Meinungsführerschaft in der rechtsextremistischen Szene, aber ganz wesentlich auch das Erreichen von Personen außerhalb ihrer politischen Klientel, Kampf um die Parlamente: Wahlerfolge konnte die NPD in Mecklenburg-Vorpommern 2006 und 2009 vorweisen. Auf dem Bundesparteitag 2004 in Leinefeld/Thüringen wurde eine vierte Säule ergänzt: Kampf um den organisierten Willen: Die NPD sieht sich als "Speerspitze der nationalen Erneuerung" und versucht, alle "nationalen Kräfte" zu einem Bündnis zu bewegen - natürlich unter ihrer Führung. Wirtschaftsschutz Als Wirtschaftsschutz werden staatliche Maßnahmen bezeichnet, die dem Schutz deutscher Unternehmen und Forschungseinrichtungen vor einem durch Spionage betriebenen Know-how-Abfluss sowie vor Bedrohungen durch Rechtsund Linksextremisten, durch ausländische Extremisten sowie durch islamistische Terroristen dienen. Wirtschaftsspionage Wirtschaftsspionage ist Teil der Spionage, der die staatlich gelenkte oder gestützte, von fremden Nachrichtendiensten ausgehende Ausforschung von Wirtschaftsunternehmen und Forschungseinrichtungen beinhaltet. Betreibt hingegen ein konkurrierendes Unternehmen eine private Ausforschung, handelt es sich um Konkurrenzausspähung, die häufig auch Industriespionage genannt wird. In den Zuständigkeitsbereich der Verfassungsschutzbehörden fällt ausschließlich die Wirtschaftsspionage. 160 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern 13 Anlagen 13.3 Registeranhang A Kameradschaft Güstrow ...................................................................... 47, 50 Aktionsgruppe F.i.e.L. Mecklenburg .......................................................47 Kameradschaftsbund Anklam ..................................................................47 Aktionsgruppe Nord-Ost .............................................................................71 Kameradschaftsbund Bargischow ..................................................46, 47 al-Qaida ..................................................................................................106, 155 KCK ............................................................................................................117, 150 Alternative für Deutschland............................................................73, 150 Kohorte UG .........................................................................................................68 Arbeiterpartei Kurdistans ...................6, 27, 116, 117, 150, 151, 153 Kollektiv Seenplatte........................................................................................47 Aryan Warriors..........................................................................................46, 47 Kongress der Kurdisch-Demokratischen Gesellschaft ............... 117 Küstenwende - Freiheitliches Forum e. V. ...........................................72 B M Bismarcks Erben .................................................................................... 83, 151 Bruderschaft Grimmen.................................................................46, 47, 50 Marxistisch-Leninistischen Kommunistischen Partei ................ 116 Bützower Jungs ................................................................................................47 Marxistisch Leninistische Partei Deutschlands ................................99 D N Der III. Weg ................................................42, 44, 48, 55, 56, 61, 62, 63 Nationaldemokratische Partei Deutschlands....................13, 14, 57 Deutsche Kommunistische Partei ...........................................................98 Nationales Bündnis Löcknitz .....................................................................47 Deutsches Reich ...............................................................................................78 Neue Stärke Partei .......................................................................42, 64, 151 Die Heimat ..........................................................................................................58 Neustart Kranichland RDG e. V. .............................................. 67, 70, 71 DIE RECHTE ............................................................................. 42, 55, 56, 65 New Dawn Streetwear ..................................................................................54 Dorfgemeinschaft Jamel..............................................................................47 O E Okzident Media UG........................................................................................68 Ewiger Bund ....................................................................................83, 84, 150 Orga-Team Wolgast .......................................................................................89 F P F.i.e.L. .................................................................................................. 47, 52, 150 Path of Resistance ...........................................................................................52 Freiheitliches Bündnis Güstrow ................................................................47 Penzliner Runde ....................................................................................84, 151 Freistaat Preußen ............................................................................................84 R G Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front ....................................152 GegenUni UG .....................................................................................................68 Rostocker Division...........................................................................................47 Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans................................. 117 Rote Hilfe e.V. ................................................................................... 95, 96, 97 Generalversammlung Volkskongress Kurdistans .......................... 117 Rote Jugend Rostock ..................................................................................100 Großherzogtum Friedrich Maik ................................................................81 S H Salafisten .................................................................................... 107, 108, 109 HAMAS .....................................................16, 27, 30, 121, 122, 150, 155 Schanze Eins UG & Co. KG ..........................................................................68 Huskarlar MC Stralsund ...............................................................................47 Schwarz-Rote Hilfe .........................................................................................98 Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend ...............................................99 I staatenlos.info ...................................................................................................85 Identitäre Bewegung Deutschland ..................................... 66, 68, 150 T Instituts für Staatspolitik .....................................................................74, 75 Interventionistische Linke .............................................................102, 150 Türkische Kommunistische Partei/Marxisten-Leninisten........ 151 Islamischer Staat ..............................................................27, 107, 109, 150 V Islamische Zentrum Hamburg e. V. ..................................................... 110 Vaterländischer Hilfsdienst......................................................83, 84, 151 J Voice of Europe ............................................................................69, 137, 138 Junge Alternative ............................................. 42, 67, 68, 69, 73, 74, 75 Volksverteidigungseinheiten ........................................................ 120, 151 Junge Nationalisten.....................................................................42, 58, 150 W K Wählergruppe "Heimat und Identität" .................................................59 Kameradschaft Borken .................................................................................47 Wehrmacht1945.de........................................................................................54 161 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern 13 Anlagen 13.4 Politisch motivierte Kriminalität (Statistik)1 2023 2024 Veränderung in Prozent Trend Straftaten gesamt 1.902 3.317 +74,4 aufgeklärte Fälle 1.043 1.497 +43,5 Aufklärungsquote in % 54,8 45,1 -9,7Pp Gewaltdelikte 109 157 +44,0 Propagandadelikte 979 1.554 +58,7 Terrorismus 2 1 -50,0 Sonstige 812 1.605 +97,7 davon extremistisch 1.526 2.236 +46,5 PMK -rechts1.369 2.184 +59,5 Gewaltdelikte 79 113 +43,0 Propagandadelikte 933 1.476 +58,2 Terrorismus 0 0 0,0 Sonstige 357 595 +66,7 davon extremistisch 1.318 2.048 +55,4 PMK -links168 361 +114,9 Gewaltdelikte 7 19 +171,4 Propagandadelikte 2 3 +50,0 Terrorismus 0 0 0,0 Sonstige 159 339 +113,2 davon extremistisch 51 57 +11,8 PMK -religiöse Ideologie28 16 -42,9 Gewaltdelikte 0 1 +100,0 Propagandadelikte 1 1 0,0 Terrorismus 1 1 0,0 Sonstige 26 13 -50,0 davon extremistisch 27 14 -48,1 PMK -ausländische Ideologie33 22 -33,3 Gewaltdelikte 3 7 +133,3 Propagandadelikte 3 2 -33,3 Terrorismus 0 0 0,0 Sonstige 27 13 -51,9 davon extremistisch 30 16 -46,7 PMK -sonstige Zuordnung304 734 +141,4 Gewaltdelikte 20 17 -15,0 Propagandadelikte 40 72 +80,0 Terrorismus 1 0 -100,0 Sonstige 243 645 +165,4 davon extremistisch 100 101 +1,0 1 Quelle: Lagebild der politisch motivierten Kriminalität 2024 (LKA M-V) 162 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern 13 Anlagen 13.5 Landesverfassungsschutzgesetz Amtliche Abkürzung: LVerfSchG M-V Ausfertigungsdatum: 11.07.2001 Textnachweis ab: 01.01.2005 Dokumenttyp: Gesetz Quelle: Fundstelle: GVOBl. M-V 2001, 261 Gliederungs-Nr.: 12-4 Gesetz über den Verfassungsschutz im Lande Mecklenburg-Vorpommern (Landesverfassungsschutzgesetz - LVerfSchG M-V) Vom 11. Juli 2001 Zum 01.07.2025 aktuellste verfügbare Fassung der Gesamtausgabe Stand: letzte berücksichtigte Änderung: Inhaltsübersicht, SSSS 2, 10a, 24a und 29 geändert sowie SS 24b neu gefasst durch Artikel 1 des Gesetzes vom 25. Oktober 2022 (GVOBl. M-V S. 547) 163 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern 13 Anlagen Der Landtag hat das folgende Gesetz beschlossen: Inhaltsübersicht Abschnitt 1 - Aufgaben und Befugnisse der Verfassungsschutzbehörde SS1 Zweck des Verfassungsschutzes SS2 Organisation SS3 Bedienstete SS4 Zusammenarbeit SS5 Aufgaben des Verfassungsschutzes SS6 Begriffsbestimmungen SS7 Rahmen für die Tätigkeit der Verfassungsschutzbehörde SS8 Funktionelle Trennung von Polizei und Verfassungsschutzbehörde SS9 Formen der Datenerhebung SS 10 Informationsbeschaffung mit nachrichtendienstlichen Mitteln SS 10a Vertrauensleute und Verdeckte Mitarbeiter SS 11 Mitteilung an betroffene Personen SS 12 Registereinsicht durch die Verfassungsschutzbehörde Abschnitt 2 - Datenverarbeitung SS 13 Begriff der Datei und der Akte SS 14 Dateianordnung SS 15 Voraussetzung der Speicherung SS 16 Erfassung personenbezogener Daten von Minderjährigen SS 17 Speichern, Berichtigen, Löschen und Sperren personenbezogener Daten Abschnitt 3 - Informationsübermittlung und Auskunftserteilung SS 18 Informationsübermittlung zwischen den Verfassungsschutzbehörden SS 19 Informationsübermittlung an Bundesnachrichtendienst und Militärischen Abschirmdienst SS 20 Informationsübermittlung durch die Verfassungsschutzbehörde an Polizei, Staatsanwaltschaft und andere Stellen SS 20a Projektbezogene gemeinsame Dateien SS 21 Informationsübermittlung an ausländische Stellen SS 22 Informationsübermittlung an die Öffentlichkeit SS 23 Dokumentation und Grundlage der Informationsübermittlung durch die Verfassungsschutzbehörde SS 24 Informationsübermittlung durch öffentliche Stellen an die Verfassungsschutzbehörde SS 24a Informationsübermittlung durch nicht-öffentliche Stellen an die Verfassungsschutzbehörde SS 24b Auskunftsverlangen zu Bestandsdaten SS 25 Übermittlungsverbote, Nachberichtspflicht SS 26 Auskunft an betroffene Personen Abschnitt 4 - Kontrolle der Verfassungsschutzbebörde SS 27 Parlamentarische Kontrollkommission SS 28 Geheimhaltung SS 29 Kontrollrechte der Parlamentarischen Kontrollkommission Abschnitt 5 - Schlussvorschriften SS 30 Geltung des Landesdatenschutzgesetzes SS 31 (weggefallen) SS 32 In-Kraft-Treten, Außer-Kraft-Treten 164 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern 13 Anlagen Abschnitt 1 - Aufgaben und Befugnisse der Verfassungsschutzbehörde SS 1* Zweck des Verfassungsschutzes Der Verfassungsschutz dient dem Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, des Bestandes und der Sicherheit des Bundes und der Länder. Fußnoten *) SS 1 geändert durch Artikel 3 des Gesetzes vom 16. April 2004. SS2 Organisation (1) Die Aufgaben des Verfassungsschutzes werden von der Verfassungsschutzbehörde wahrgenommen. Verfassungsschutzbehörde ist das Ministerium für Inneres, Bau und Digitalisierung. Es unterhält für diese Aufgaben eine besondere Abteilung. (2) Die Verfassungsschutzbehörde darf Dienststellen der Polizei, Dienststellen der Polizei dürfen der Verfassungsschutzbehörde nicht angegliedert werden. SS3 Bedienstete Mit Aufgaben der Verfassungsschutzbehörde dürfen nur Personen betraut werden, die nach ihrer Persönlichkeit und nach ihrem Verhalten die Gewähr dafür bieten, dass sie jederzeit für die Sicherung und Erhaltung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung eintreten. SS4 Zusammenarbeit (1) Die Verfassungsschutzbehörde ist verpflichtet, mit Bund und Ländern in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes zusammenzuarbeiten. Die Zusammenarbeit besteht insbesondere in gegenseitiger Unterstützung und Information sowie in der Unterhaltung gemeinsamer Einrichtungen. (2) Die Verfassungsschutzbehörden anderer Länder dürfen im Geltungsbereich dieses Gesetzes nur im Einvernehmen, der Bund nach Maßgabe bundesrechtlicher Vorschriften nur im Benehmen mit der Verfassungsschutzbehörde Mecklenburg-Vorpommerns tätig werden. SS5 Aufgaben des Verfassungsschutzes (1) Zur Erfüllung ihrer Aufgabe sammelt und wertet die Verfassungsschutzbehörde sachund personenbezogene Daten, insbesondere Auskünfte, Nachrichten und Unterlagen aus über 1. Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziel haben, 2. sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten im Geltungsbereich des Grundgesetzes für eine fremde Macht im Geltungsbereich dieses Gesetzes, 3. Bestrebungen im Geltungsbereich des Grundgesetzes, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, 4. Bestrebungen, die gegen den Gedanken der Völkerverständigung (Artikel 9 Abs. 2 des Grundgesetzes) oder gegen das friedliche Zusammenleben der Völker (Artikel 26 Abs. 1 des Grundgesetzes) gerichtet sind. 165 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern 13 Anlagen (2) Die Verfassungsschutzbehörde informiert die zuständigen Stellen und die Öffentlichkeit über Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand und die Sicherheit des Bundes und der Länder. Sie kann dazu insbesondere Verfassungsschutzberichte veröffentlichen und Prävention im Rahmen von Öffentlichkeitsarbeit leisten. Den staatlichen Stellen soll ermöglicht werden, rechtzeitig die erforderlichen Maßnahmen zur Abwehr der Gefahren nach Satz 1 zu treffen. (3) Die Verfassungsschutzbehörde wirkt mit 1. bei der Sicherheitsüberprüfung von Personen nach Maßgabe des Sicherheitsüberprüfungsgesetzes vom 22. Januar 1998 (GVOBl. M-V S. 114, 195), zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 28. Januar 2009 (GVOBl. M-V S. 82), sowie bei Zuverlässigkeitsüberprüfungen in den übrigen gesetzlich bestimmten Fällen, 2. bei technischen Sicherheitsmaßnahmen zum Schutz von im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftigen Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen gegen die Kenntnisnahme durch Unbefugte. (4) Die Verfassungsschutzbehörde ist an die allgemeinen Rechtsvorschriften gebunden (Artikel 20 des Grundgesetzes). SS6 Begriffsbestimmungen (1) Im Sinne dieses Gesetzes sind 1. Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung solche politisch bestimmten, zielund zweckgerichteten Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluss, die darauf gerichtet sind, einen der in Absatz 3 genannten Verfassungsgrundsätze zu beseitigen oder außer Geltung zu setzen, 2. Bestrebungen gegen den Bestand des Bundes oder eines Landes solche politisch bestimmten, zielund zweckgerichteten Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluss, die darauf gerichtet sind, die Freiheit des Bundes oder eines Landes von fremder Herrschaft aufzuheben, ihre staatliche Einheit zu beseitigen oder ein zu ihnen gehörendes Gebiet abzutrennen, 3. Bestrebungen gegen die Sicherheit des Bundes oder eines Landes solche politisch bestimmten, zielund zweckgerichteten Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluss, die darauf gerichtet sind, den Bund, die Länder oder deren Einrichtungen in ihrer Funktionsfähigkeit erheblich zu beeinträchtigen. (2) Eine Bestrebung im Sinne des Gesetzes ist insbesondere dann gegeben, wenn sie auf Gewaltanwendung gerichtet ist oder sonst ein kämpferisches und aggressives Verhalten gegenüber den in Absatz 3 genannten Grundsätzen erkennen lässt. (3) Zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne dieses Gesetzes zählen: 1. das Recht des Volkes, die Staatsgewalt in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung auszuüben und die Volksvertretung in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl zu wählen, 2. die Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung und die Bindung der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an Gesetz und Recht, 3. das Recht auf Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition, 4. die Ablösbarkeit der Regierung und ihre Verantwortlichkeit gegenüber der Volksvertretung, 5. die Unabhängigkeit der Gerichte, 166 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern 13 Anlagen 6. der Ausschluss jeder Gewaltund Willkürherrschaft und 7. die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte. (4) Für einen Personenzusammenschluss handelt, wer ihn in seinen Bestrebungen nachdrücklich unterstützt. Verhaltensweisen von Einzelpersonen, die nicht in einem oder für einen Personenzusammenschluss handeln, sind Bestrebungen im Sinne dieses Gesetzes, wenn sie auf Anwendung von Gewalt gerichtet sind oder aufgrund ihrer Wirkungsweise geeignet sind, ein Schutzgut dieses Gesetzes erheblich zu beschädigen. (5) Betroffene Personen sind Personen, bei denen tatsächliche Anhaltspunkte für Tätigkeiten oder Bestrebungen gemäß SS 5 Abs. 1 vorliegen. Dritte sind Personen, bei denen keine derartigen Anhaltspunkte vorliegen. (6) Gewalt im Sinne dieses Gesetzes ist die Anwendung körperlichen Zwanges gegen Personen und die gewalttätige Einwirkung auf Sachen. SS7 Rahmen für die Tätigkeit der Verfassungsschutzbehörde (1) Die Verfassungsschutzbehörde darf sachund personenbezogene Daten nur erheben, verarbeiten und nutzen, soweit sie zur Erfüllung ihrer Aufgaben nach diesem Gesetz erforderlich sind. Voraussetzung für die Sammlung von Informationen im Sinne des SS 5 Abs. 1 ist das Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte, die, insgesamt betrachtet und unter Einbeziehung nachrichtendienstlicher Erfahrungen, den Verdacht einer der in SS 5 Abs. 1 genannten Bestrebungen oder Tätigkeiten rechtfertigen. Die Art und der Umfang des Umgangs mit Daten richtet sich nach den Vorschriften dieses Gesetzes. Soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, gilt das Landesdatenschutzgesetz von Mecklenburg-Vorpommern. (2) Zur Erfüllung ihrer Aufgaben darf die Verfassungsschutzbehörde nur die dazu erforderlichen Maßnahmen ergreifen; dies gilt insbesondere für den Umgang mit personenbezogenen Daten. Von mehreren möglichen und geeigneten Maßnahmen hat sie diejenige zu treffen, die den einzelnen, insbesondere in seinen Grundrechten, und die Allgemeinheit voraussichtlich am wenigsten beeinträchtigt. Eine Maßnahme darf nicht zu einem Nachteil führen, der zu dem erstrebten Erfolg erkennbar außer Verhältnis steht. Sie ist nur so lange zulässig, bis ihr Zweck erreicht ist oder sich zeigt, dass er nicht erreicht werden kann. SS8 Funktionelle Trennung von Polizei und Verfassungsschutzbehörde Polizeiliche Befugnisse stehen der Verfassungsschutzbehörde nicht zu; sie darf die Polizei auch nicht im Wege der Amtshilfe um Maßnahmen ersuchen, zu denen sie selbst nicht befugt ist. SS9 Formen der Datenerhebung (1) Die Verfassungsschutzbehörde darf personenbezogene Daten der betroffenen Person auch ohne deren Kenntnis bei ihr und bei Dritten erheben, wenn 1. tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht von Bestrebungen oder Tätigkeiten gemäß SS 5 Abs. 1 vorliegen, 2. dies für die Erforschung und Bewertung von gewalttätigen Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 5 Abs. 1 Nr. 2 erforderlich ist oder 3. dies zur Schaffung oder Erhaltung nachrichtendienstlicher Zugänge über Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 5 Abs. 1 erforderlich ist. Werden personenbezogene Daten bei der betroffenen Person mit ihrer Kenntnis erhoben, so ist sie über die Freiwilligkeit der Mitwirkung und den Verwendungszweck aufzuklären. 167 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern 13 Anlagen Die Aufklärungspflicht umfasst bei einer beabsichtigten Übermittlung auch den Empfänger der Daten. Die Aufklärung kann unterbleiben, wenn die Tatsache, dass die Erhebung für Zwecke des Verfassungsschutzes erfolgt, aus besonderen Gründen nicht bekannt werden soll. (2) Personenbezogene Daten von Dritten dürfen ohne deren Kenntnis nur erhoben werden, wenn 1. dies für die Erforschung von Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 5 Abs. 1 vorübergehend erforderlich ist, 2. die Erforschung des Sachverhaltes auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre und 3. überwiegende schutzwürdige Belange der betroffenen Personen nicht entgegenstehen. Daten Dritter dürfen auch erhoben werden, wenn sie mit zur Aufgabenerfüllung erforderlichen Informationen untrennbar verbunden sind. Daten, die für das Verständnis der zu speichernden Informationen nicht erforderlich sind, sind unverzüglich zu löschen. Dies gilt nicht, wenn die Löschung nicht oder nur mit unvertretbarem Aufwand möglich ist. In diesem Fall sind die Daten zu sperren; die gesperrten Daten dürfen nicht mehr genutzt werden. (3) Ist zum Zwecke der Sammlung von Informationen die Weitergabe personenbezogener Daten unerlässlich, so dürfen schutzwürdige Interessen der betroffenen Person oder Dritter nur im unvermeidbaren Umfang beeinträchtigt werden. SS 10 Informationsbeschaffung mit nachrichtendienstlichen Mitteln (1) Die Verfassungsschutzbehörde darf zur verdeckten Informationsbeschaffung, insbesondere zur verdeckten Erhebung personenbezogener Daten, nur folgende nachrichtendienstliche Mittel anwenden: 1. Inanspruchnahme von Vertrauensleuten nach Maßgabe des SS 10a, sonstigen Informanten und Gewährspersonen; 2. Einsatz von Verdeckten Mitarbeitern nach Maßgabe des SS 10a 3. Observationen; 4. Bildaufzeichnungen (Fotografieren, Filmen und Videografieren) außerhalb des Schutzbereiches des Artikels 13 des Grundgesetzes; 5. verdeckte Ermittlungen und Befragungen; 6. verdecktes Mithören ohne Inanspruchnahme technischer Mittel; 7. verdecktes Mithören und Aufzeichnen des nicht öffentlich gesprochenen Wortes unter Einsatz technischer Mittel außerhalb des Schutzbereiches des Artikels 13 des Grundgesetzes; 8. Beobachtung des Funkverkehrs auf nicht für den allgemeinen Empfang bestimmten Kanälen; 9. Verwendung fingierter biographischer, beruflicher oder gewerblicher Angaben (Legenden) mit Ausnahme solcher beruflicher Angaben, die sich auf die in Satz 3 genannten Personen beziehen; 10. Beschaffung, Herstellung und Verwendung von Tarnpapieren und Tarnkennzeichen; 11. Überwachung des Brief-, Postund Fernmeldeverkehrs nach Maßgabe des aufgrund von Artikel 10 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes erlassenen Bundesgesetzes; 12. verdecktes Beobachten und sonstiges Aufklären des Internets, ohne dass der Schutzbereich des Artikels 10 des Grundgesetzes (Brief-, Postund Fernmeldegeheimnis) berührt ist, insbesondere die verdeckte Teilnahme an den Kommunikationseinrichtungen des Internets sowie die Suche nach ihnen. 168 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern 13 Anlagen (2) Die Mittel nach Absatz 1 dürfen nur angewendet werden, wenn 1. die Voraussetzungen des SS 9 Abs. 1 Nr. 1, 2 oder 3 vorliegen, 2. sich ihr Einsatz gegen Dritte richtet, deren Einbeziehung in eine solche Maßnahme unumgänglich ist, um auf diese Weise Erkenntnisse über sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten für eine fremde Macht oder Bestrebungen zu gewinnen, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen gegen die im SS 5 Abs. 1 Nr. 1 und 3 genannten Schutzgüter gerichtet sind oder 3. dies zur Abschirmung der Mitarbeiter, Einrichtungen, Gegenstände und Nachrichtenzugänge des Verfassungsschutzes gegen sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten erforderlich ist. Die Mittel nach Absatz 1 Satz 1 Nr. 9 und 10 dürfen auch für Vertrauensleute angewendet werden, wenn dies zur Erfüllung eines dienstlichen Auftrags oder zu ihrem Schutz erforderlich ist. (3) Die Anwendung nachrichtendienstlicher Mittel gemäß Absatz 1 ist unzulässig, wenn die Informationsbeschaffung auf andere, die betroffene Person weniger beeinträchtigende Weise möglich ist. Eine geringere Beeinträchtigung ist in der Regel anzunehmen, wenn die Daten aus allgemein zugänglichen Quellen oder durch Übermittlung nach SS 24 gewonnen werden können. Die Anwendung nachrichtendienstlicher Mittel darf nicht außer Verhältnis zur Bedeutung des aufzuklärenden Sachverhaltes stehen. Die Verfassungsschutzbehörde darf die mit nachrichtendienstlichen Mitteln erhobenen Daten nur für die in SS 9 Abs. 1 genannten Zwecke nutzen. Daten, die für diese Zwecke nicht erforderlich sind, sind unverzüglich zu löschen. Sind diese Daten mit anderen, für die in SS 9 Abs. 1 genannten Zwecke erforderlichen Daten derart verbunden, dass sie nicht oder nur mit einem unverhältnismäßig großen Aufwand getrennt werden können, so sind diese Daten zu sperren; sie dürfen nicht mehr genutzt werden. (4) Wirkt die Verfassungsschutzbehörde an Sicherheitsüberprüfungen im Sinne des SS 5 Abs. 3 Nr. 1 mit, so darf sie nur das nachrichtendienstliche Mittel der Tarnung von Mitarbeitern anwenden. (5) Die Behörden des Landes sowie die Kommunalbehörden sind verpflichtet, der Verfassungsschutzbehörde Hilfe für Tarnungsmaßnahmen zu leisten. (6) Die Anwendung des nachrichtendienstlichen Mittels nach Absatz 1 Nr. 7 bedarf im Einzelfall der Zustimmung des Innenministers, im Falle seiner Verhinderung der des Staatssekretärs, und der Zustimmung der nach dem Ausführungsgesetz des Landes Mecklenburg-Vorpommern zu dem aufgrund von Artikel 10 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes erlassenen Bundesgesetzes gebildeten Kommission; bei Gefahr im Verzug ist unverzüglich die Genehmigung dieser Kommission nachträglich einzuholen. Die durch solche Maßnahmen erhobenen personenbezogenen Daten dürfen nur nach Maßgabe des aufgrund von Artikel 10 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes erlassenen Bundesgesetzes verwendet werden. (7) Die Verfassungsschutzbehörde darf unter den Voraussetzungen des SS 24a Abs. 2 technische Mittel zur Ermittlung des Standortes eines aktiv geschalteten Mobilfunkendgerätes und zur Ermittlung der Geräteoder Kartennummer einsetzen. Die Maßnahme ist nur zulässig, wenn ohne Einsatz technischer Mittel nach Satz 1 die Ermittlung des Standortes oder die Ermittlung der Geräteoder Kartennummer aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre. Sie darf sich nur gegen die in SS 24a Abs. 3 Nr. 1 und 2 Buchstabe b bezeichneten Personen richten. Für die Verarbeitung der Daten ist SS 4 des Artikel 10-Gesetzes entsprechend anzuwenden. Personenbezogene Daten eines Dritten dürfen anlässlich solcher Maßnahmen nur erhoben werden, wenn dies aus technischen Gründen zur Erreichung des Zweckes nach Satz 1 unvermeidbar ist. Sie unterliegen einem absoluten Verwendungsverbot und sind nach Beendigung der Maßnahme unverzüglich zu löschen. SS 24a Abs. 4 bis 6 gilt entsprechend. Das Grundrecht des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses (Artikel 10 des Grundgesetzes) wird insoweit eingeschränkt. 169 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern 13 Anlagen SS 10a Vertrauensleute und Verdeckte Mitarbeiter (1) Die Verfassungsschutzbehörde darf 1. Privatpersonen, deren planmäßige, dauerhafte Zusammenarbeit mit ihr Dritten nicht bekannt ist (Vertrauensleute), und 2. eigene Mitarbeiter unter einer ihnen verliehenen und auf Dauer angelegten Legende (Verdeckte Mitarbeiter) zur Aufklärung von Bestrebungen unter den Voraussetzungen des SS 10 Absatz 2 einsetzen. Ein dauerhafter Einsatz zur Aufklärung von Bestrebungen nach SS 5 Absatz 1 Nummer 1 und 4 ist nur bei Bestrebungen von erheblicher Bedeutung zulässig, insbesondere, wenn sie darauf gerichtet sind, Gewalt anzuwenden oder Gewalt vorzubereiten. (2) Vertrauensleute und Verdeckte Mitarbeiter dürfen weder zur Gründung von Bestrebungen nach SS 5 Absatz 1 Nr. 1, 3 oder 4 noch zur steuernden Einflussnahme auf derartige Bestrebungen eingesetzt werden. Sie dürfen in solchen Personenzusammenschlüssen oder für solche Personenzusammenschlüsse, einschließlich strafbarer Vereinigungen, tätig werden, um deren Bestrebungen aufzuklären. Im Übrigen ist im Einsatz eine Beteiligung an Bestrebungen nur zulässig, wenn sie 1. nicht in Individualrechte eingreift, 2. von den an den Bestrebungen Beteiligten derart erwartet wird, dass sie zur Gewinnung und Sicherung der Informationszugänge unumgänglich ist, und 3. nicht außer Verhältnis zur Bedeutung des aufzuklärenden Sachverhalts steht. Sofern zureichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass Vertrauensleute oder Verdeckte Mitarbeiter rechtswidrig einen Straftatbestand von erheblicher Bedeutung verwirklicht haben, soll der Einsatz unverzüglich beendet und die Strafverfolgungsbehörde unterrichtet werden. Über Ausnahmen nach Satz 4 entscheidet der Leiter der Verfassungsschutzabteilung oder sein Vertreter. (3) Über die Verpflichtung von Vertrauensleuten entscheidet der Leiter der Verfassungsschutzabteilung oder sein Vertreter. Als Vertrauensleute dürfen Personen nicht angeworben und eingesetzt werden, die 1. nicht voll geschäftsfähig, insbesondere minderjährig sind, 2. von den Geldoder Sachzuwendungen für die Tätigkeit auf Dauer als alleinige Lebensgrundlage abhängen würden, 3. an einem Aussteigerprogramm teilnehmen, 4. im Bundeszentralregister mit einer Verurteilung wegen eines Verbrechens oder zu einer Freiheitsstrafe, deren Vollstreckung nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist, eingetragen sind, 5. Mitglied des Europäischen Parlaments, des Deutschen Bundestages, eines Landesparlaments oder Mitarbeiter eines solchen Mitglieds sind oder 6. berechtigt sind, in Strafsachen aus beruflichen Gründen das Zeugnis zu verweigern (SSSS 53 und 53a der Strafprozessordnung), wenn sie zur Beschaffung von Informationen über Sachverhalte eingesetzt werden sollen, auf die sich ihr Zeugnisverweigerungsrecht bezieht; Informationen, die diese Personen unter Verletzung des SS 203 des Strafgesetzbuches rechtswidrig an die Verfassungsschutzbehörde weiterzugeben beabsichtigen, dürfen von dieser nicht entgegengenommen werden. Der Leiter der Verfassungsschutzabteilung kann eine Ausnahme von Nummer 4 zulassen, wenn die Verurteilung nicht als Täter eines Totschlags (SSSS 212, 213 StGB) oder einer allein mit lebenslanger Haft bedrohten Straftat erfolgt ist und der Einsatz zur Aufklärung von Bestrebungen, die auf die Begehung 170 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern 13 Anlagen von in SS 3 Absatz 1 des Artikel 10-Gesetzes bezeichneten Straftaten gerichtet sind, unerlässlich ist. Im Falle einer Ausnahme nach Satz 3 ist der Einsatz nach höchstens sechs Monaten zu beenden, wenn er zur Erforschung der in Satz 3 genannten Bestrebungen nicht zureichend gewichtig beigetragen hat. Auch im Weiteren ist die Qualität der gelieferten Informationen fortlaufend zu bewerten. Das Ministerium für Inneres, Bau und Digitalisierung trägt der Parlamentarischen Kontrollkommission mindestens einmal im Jahr einen Lagebericht zum Einsatz von Vertrauensleuten vor. (4) Zum Absehen von der Verfolgung von im Einsatz begangenen Vergehen oder der Rücknahme einer bereits erhobenen Klage und der Verfahrenseinstellung durch die Staatsanwaltschaft findet SS 9a Absatz 3 des Bundesverfassungsschutzgesetzes Anwendung. SS 11 Mitteilung an betroffene Personen Betroffenen Personen sind Maßnahmen nach SS 10 Abs. 6 Satz 1 nach ihrer Beendigung mitzuteilen, sobald eine Gefährdung des Zweckes des Eingriffs ausgeschlossen werden kann. Lässt sich im Zeitpunkt der Beendigung der Maßnahme noch nicht abschließend beurteilen, ob diese Voraussetzung erfüllt ist, unterbleibt die Mitteilung so lange, bis eine Gefährdung des Zwecks der Maßnahme ausgeschlossen werden kann. Die nach dem Ausführungsgesetz zu dem aufgrund von Artikel 10 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes gebildete Kommission ist über die Gründe, die einer Mitteilung entgegenstehen, zu unterrichten; hält sie eine Mitteilung für geboten, so ist diese unverzüglich zu veranlassen. SS 12 Registereinsicht durch die Verfassungsschutzbehörde (1) Die Verfassungsschutzbehörde darf zur Aufklärung 1. von Bestrebungen, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind, 2. von Bestrebungen im Sinne des SS 5 Abs. 1 Nr. 2 bis 4 bei öffentlichen Stellen geführte Dateien, Akten und Register einsehen. (2) Eine solche Einsichtnahme ist nur zulässig, wenn 1. die Aufklärung auf andere Weise nicht möglich erscheint, insbesondere durch eine Übermittlung der Daten durch die registerführende Stelle der Zweck der Maßnahme gefährdet würde, 2. die betroffenen Personen durch eine anderweitige Aufklärung unverhältnismäßig beeinträchtigt werden würden und 3. eine besondere gesetzliche Geheimhaltungsvorschrift oder ein Berufsgeheimnis der Einsichtnahme nicht entgegensteht. (3) Die auf diese Weise gewonnenen Erkenntnisse dürfen nur zu den in Absatz 1 genannten Zwecken verwendet werden. Daten, die für diese Zwecke nicht erforderlich sind, sind unverzüglich zu löschen. Sind diese Daten mit anderen, für die in Absatz 1 genannten Zwecke erforderlichen Daten derart verbunden, dass sie nicht oder nur mit unverhältnismäßig großem Aufwand getrennt werden können, so sind diese Daten zu sperren; sie dürfen nicht mehr genutzt werden. (4) Über die Einsichtnahme ist ein gesonderter Nachweis zu führen, aus dem ihr Zweck, die in Anspruch genommene Stelle sowie die Namen der betroffenen Person, deren Daten für eine weitere Verwendung erforderlich sind, hervorgehen. Diese Aufzeichnungen sind gesondert aufzubewahren, durch technische und organisatorische Maßnahmen zu sichern und am Ende des Kalenderjahres, das dem Jahr der Erstellung folgt, zu vernichten. Dieser Nachweis ist der Parlamentarischen Kontrollkommission auf Wunsch vorzulegen. 171 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern 13 Anlagen Abschnitt 2 - Datenverarbeitung SS 13 Begriff der Datei und der Akte (1) Eine Datei im Sinne dieses Gesetzes ist 1. eine Sammlung personenbezogener Daten, die durch automatisierte Verfahren verarbeitet und ausgewertet werden kann (automatisierte Datei) oder 2. jede sonstige Sammlung gleichartig aufgebauter personenbezogener Daten, die nach bestimmten Merkmalen geordnet und ausgewertet werden kann (nicht-automatisierte Datei). (2) Eine Akte ist jede sonstige Sammlung von amtlichen oder dienstlichen Zwecken dienenden Unterlagen, die in einem inhaltlichen Bezug zueinander stehen und auch personenbezogene Daten enthalten können. Dazu zählen auch Bildund Tonmedien. Akten oder Auszüge aus Akten dürfen auch in elektronischer Form geführt werden. Eine Abfrage personenbezogener Daten mittels automatisierter Verarbeitung ist nur zulässig, wenn für sie die Voraussetzungen der Speicherung nach SS 15 Absatz 1 oder SS 16 Absatz 1 vorliegen. Der automatisierte Abgleich dieser personenbezogenen Daten ist nur beschränkt auf Akten eng umgrenzter Anwendungsgebiete zulässig. Bei jeder Abfrage sind für Zwecke der Datenschutzkontrolle der Zeitpunkt, die Angaben, die die Feststellung der abgefragten Daten ermöglichen, sowie Angaben zur Feststellung des Abfragenden zu protokollieren. Die protokollierten Daten dürfen nur für Zwecke der Datenschutzkontrolle, der Datensicherung oder zur Sicherstellung eines ordnungsgemäßen Betriebs der Datenverarbeitungsanlage verwendet werden. Die Protokolldaten sind am Ende des Kalenderjahres, das dem Jahr der Protokollierung folgt, zu löschen. SS 14 Dateianordnung (1) Für jede automatisierte Datei der Verfassungsschutzbehörde sind in einer Dateianordnung durch die Verfassungsschutzbehörde festzulegen: 1. Bezeichnung der Datei, 2. Zweck der Datei, 3. Inhalt, Umfang, Voraussetzungen der Speicherung, Übermittlung und Nutzung, 4. Berechtigung zur Eingabe von Daten, 5. Zugangsberechtigung, 6. Überprüfungsfristen und Speicherungsdauer, 7. Protokollierung. (2) Der Landesbeauftragte für den Datenschutz ist vor Erlass der Dateianordnung anzuhören. SS 15 Voraussetzung der Speicherung (1) Die Verfassungsschutzbehörde darf zur Erfüllung ihrer Aufgaben personenbezogene Informationen in Dateien nur speichern, wenn die Voraussetzungen ihrer Erhebung gemäß SS 9 Absatz 1 oder 2 vorliegen. (2) Unterlagen, die nach Absatz 1 gespeicherte Angaben belegen, dürfen auch gespeichert werden, wenn in ihnen weitere personenbezogene Daten Dritter enthalten sind. Eine Abfrage von Daten Dritter ist unzulässig. (3) Bundesgesetzliche Vorschriften über die Datenverarbeitung in gemeinsamen Dateien der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder bleiben unberührt. 172 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern 13 Anlagen SS 16 Erfassung personenbezogener Daten von Minderjährigen (1) Personenbezogene Daten von Minderjährigen dürfen in Dateien und Akten nur erfasst werden, wenn 1. diese zu dem Zeitpunkt, auf den sich die Daten beziehen, das 16. Lebensjahr vollendet haben und 2. der Verdacht einer geheimdienstlichen Tätigkeit (SS 5 Absatz 1 Nummer 2) oder einer Bestrebung im Sinne des SS 5 Absatz 1 Nummer 1 oder 3 besteht, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen verfolgt wird. (2) Personenbezogene Daten über Minderjährige nach Vollendung des 16. und vor Vollendung des 18. Lebensjahres sind nach zwei Jahren auf die Erforderlichkeit der Erfassung zu überprüfen und spätestens nach fünf Jahren zu löschen, es sei denn, dass nach Eintritt der Volljährigkeit weitere Erkenntnisse nach SS 5 Absatz 1 angefallen sind. SS 17 Speichern, Berichtigen, Löschen und Sperren personenbezogener Daten (1) Umfang und Dauer der Speicherung personenbezogener Daten sind auf das für die Aufgabenerfüllung der Verfassungsschutzbehörde erforderliche Maß zu beschränken. (2) Wird die Richtigkeit von personenbezogenen Daten von betroffenen Personen bestritten, so ist dies in der Akte und Datei zu vermerken oder auf sonstige Weise festzuhalten. Personenbezogene Daten sind zu berichtigen, wenn sie unrichtig sind. Dabei muss nachvollziehbar bleiben, in welchem Zeitraum und aus welchem Grund sie unrichtig waren. Die Daten sind zu ergänzen, wenn sie unvollständig sind und dadurch schutzwürdige Interessen der betroffenen Person beeinträchtigt sein können. (3) Personenbezogene Daten in Dateien sind zu löschen, wenn ihre Erhebung oder Speicherung unzulässig war oder ihre Kenntnis für die Aufgabenerfüllung nicht mehr erforderlich ist. Bei jeder Einzelfallbearbeitung und nach festgesetzten Fristen, spätestens aber nach fünf Jahren, sind die in Dateien gespeicherten personenbezogenen Daten auf ihre Erforderlichkeit zu überprüfen. Soweit die Daten Bestrebungen nach SS 5 Absatz 1 Nummer 1 betreffen, sind sie spätestens zehn Jahre, soweit sie Bestrebungen nach SS 5 Absatz 1 Nummer 3 oder 4 betreffen, spätestens fünfzehn Jahre nach dem Zeitpunkt der letzten gespeicherten relevanten Information zu löschen, es sei denn, der Leiter der Verfassungsschutzabteilung oder sein Vertreter trifft im Einzelfall ausnahmsweise eine andere Entscheidung. (4) Personenbezogene Daten sind in Dateien zu sperren, soweit durch ihre Löschung schutzwürdige Belange der betroffenen Person oder von Dritten beeinträchtigt würden. Ein schutzwürdiges Interesse liegt auch vor, wenn die betroffene Person einen Antrag nach SS 26 Absatz 1 Satz 1 gestellt hat. Anstelle der Löschung tritt auch dann eine Sperrung, wenn die nach Absatz 3 zu löschenden Daten mit anderen Daten derart verbunden sind, dass sie nicht oder nur mit einem unverhältnismäßig großen Aufwand getrennt werden können. Die gesperrten Daten dürfen ohne Einwilligung der betroffenen Person nicht mehr genutzt werden. (5) Eine Akte ist zu vernichten, wenn sie insgesamt zur Aufgabenerfüllung der Verfassungsschutzbehörde nicht oder nicht mehr erforderlich ist. Die Erforderlichkeit ist bei der Einzelfallbearbeitung und nach festgesetzten Fristen, spätestens nach fünf Jahren, zu prüfen. Eine Vernichtung unterbleibt, wenn Grund zu der Annahme besteht, dass durch sie schutzwürdige Interessen des Betroffenen beeinträchtigt würden. Dies ist auch dann gegeben, wenn eine betroffene Person einen Antrag nach SS 26 Absatz 1 Satz 1 gestellt hat. In diesen Fällen ist die Akte zu sperren und mit einem entsprechenden Vermerk zu versehen. Sie darf nur für den Zweck verwendet werden, für den sie gesperrt worden ist oder wenn es zur Abwehr einer erheblichen Gefahr unerlässlich ist. Eine Vernichtung der Akte erfolgt nicht, wenn sie nach den Vorschriften des Landesarchivgesetzes dem Landesarchiv zur Übernahme anzubieten und zu übergeben ist. (6) Personenbezogene Daten, die ausschließlich zu Zwecken der Datenschutzkontrolle, der Datensicherung oder zur Sicherstellung eines ordnungsgemäßen Betriebes einer Datenverarbeitungsanlage gespeichert werden, dürfen nur für diesen Zweck verwendet werden. 173 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern 13 Anlagen Abschnitt 3 - Informationsübermittlung und Auskunftserteilung SS 18 Informationsübermittlung zwischen den Verfassungsschutzbehörden Die Verfassungsschutzbehörde unterrichtet das Bundesamt für Verfassungsschutz und die Verfassungsschutzbehörden der Länder über alle Angelegenheiten, deren Kenntnis zur Erfüllung der Aufgaben der empfangenden Stellen erforderlich ist. SS 19 Informationsübermittlung an Bundesnachrichtendienst und Militärischen Abschirmdienst Die Verfassungsschutzbehörde übermittelt dem Bundesnachrichtendienst und dem Militärischen Abschirmdienst die ihr bekannt gewordenen Informationen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Übermittlung für die Erfüllung der Aufgaben der empfangenden Stelle erforderlich ist. Handelt die Verfassungsschutzbehörde auf Ersuchen, so ist sie zur Übermittlung nur verpflichtet und berechtigt, wenn sich die tatsächlichen Anhaltspunkte aus den Angaben der ersuchenden Behörde ergeben. SS 20 Informationsübermittlung durch die Verfassungsschutzbehörde an Polizei, Staatsanwaltschaft und andere Stellen (1) Die im Rahmen der gesetzlichen Aufgaben gewonnenen Erkenntnisse der Verfassungsschutzbehörde, die nicht personenbezogen sind, können an andere Behörden und Stellen, insbesondere an die Polizei und Staatsanwaltschaften, übermittelt werden, wenn sie für die Aufgabenerfüllung der empfangenden Stellen erforderlich sein können. (2) Personenbezogene Daten übermittelt die Verfassungsschutzbehörde von sich aus an die Staatsanwaltschaften und, vorbehaltlich der staatsanwaltschaftlichen Sachleitungsbefugnis, die Polizei, sofern aufgrund der bei der Verfassungsschutzbehörde vorliegenden Informationen tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Übermittlung zur Verhinderung oder Verfolgung von Staatsschutzdelikten erforderlich ist. Delikte nach Satz 1 sind die in SS 74a Abs. 1 und SS 120 Abs. 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 9. Mai 1975 (BGBl. I S. 1077), zuletzt geändert durch Artikel 2 des Gesetzes vom 19. Dezember 2000 (BGBl. I S. 1756), genannten Straftaten sowie sonstige Straftaten, bei denen aufgrund ihrer Zielsetzung, des Motivs des Täters oder dessen Verbindung zu einer Organisation tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie gegen die in Artikel 73 Nr. 10 Buchstabe b oder c des Grundgesetzes genannten Schutzgüter gerichtet sind. (3) Personenbezogene Daten darf die Verfassungsschutzbehörde vorbehaltlich des Absatzes 4 übermitteln 1. an die Staatsanwaltschaften und, vorbehaltlich der staatsanwaltschaftlichen Sachleitungsbefugnis, die Polizei, sofern aufgrund der bei der Verfassungsschutzbehörde vorliegenden Informationen tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass jemand eine Straftat plant oder begangen hat, die im Mindestmaß mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bedroht ist, oder wenn es zum Schutz vor Bestrebungen und Tätigkeiten nach SS 5 Abs. 1 erforderlich ist, 2. an andere staatliche Behörden und an die der Aufsicht des Landes unterstellten Gebietskörperschaften, wenn dies zum Schutz vor Bestrebungen und Tätigkeiten nach SS 5 Abs. 1 erforderlich ist, 3. an Stellen, die mit dem Überprüfungsverfahren nach SS 5 Absatz 3 Nummer 1 befasst sind, 4. an andere Stellen, wenn es zum Schutz vor Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes unverzichtbar ist. In den Fällen der Nummer 4 entscheidet der Leiter der Verfassungsschutzabteilung oder sein Vertreter. 174 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern 13 Anlagen (4) Personenbezogene Daten, die mit den nachrichtendienstlichen Mitteln nach SS 10 Absatz 1 erhoben wurden, darf die Verfassungsschutzbehörde an die Staatsanwaltschaften, die Finanzbehörden nach SS 386 Absatz 1 der Abgabenordnung, die Polizei, die mit der Steuerfahndung betrauten Dienststellen der Landesfinanzbehörden, die Behörden des Zollfahndungsdienstes sowie anderer Zolldienststellen, soweit diese Aufgaben nach dem Bundespolizeigesetz wahrnehmen, nur übermitteln, soweit dies erforderlich ist zur 1. Erfüllung eigener Aufgaben der Informationsgewinnung, 2. Abwehr einer im Einzelfall bestehenden Gefahr für den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder für Leib, Leben, Gesundheit oder Freiheit einer Person oder für Sachen von erheblichem Wert, deren Erhaltung im öffentlichen Interesse geboten ist, 3. Verhinderung oder sonstigen Verhütung von Straftaten von erheblicher Bedeutung oder 4. Verfolgung von Straftaten von erheblicher Bedeutung. (5) Soweit es zur Verhinderung oder Verfolgung von Straftaten gemäß Absatz 2 erforderlich ist, können die Staatsanwaltschaften und, vorbehaltlich der staatsanwaltschaftlichen Sachleitungsbefugnis, die Polizei die Übermittlung personenbezogener Daten im Einzelfall verlangen. Das Ersuchen bedarf der Schriftform, ist zu begründen und zu dokumentieren. Eine Übermittlung unterbleibt, sofern übergeordnete Bedenken aus den Aufgaben des Verfassungsschutzes der Übermittlung entgegenstehen. Die Entscheidung trifft der Leiter der Verfassungsschutzabteilung oder sein Vertreter. Die Ablehnung ist zu dokumentieren und zu begründen. Nach Wegfall der Ablehnungsgründe ist die Auskunft auf Verlangen nachzuholen. (6) Die nach Absatz 2 bis 4 oder 5 übermittelten personenbezogenen Daten darf die empfangende Stelle nur zu dem Zweck verwenden, zu dessen Erfüllung sie ihr übermittelt wurden. Auf diese Einschränkung ist die empfangende Stelle hinzuweisen. SS 20a Projektbezogene gemeinsame Dateien (1) Die Verfassungsschutzbehörde kann für die Dauer einer befristeten projektbezogenen Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz, den übrigen Landesbehörden für Verfassungsschutz, dem Militärischen Abschirmdienst, dem Bundesnachrichtendienst, dem Zollkriminalamt sowie den Polizeibehörden des Bundes und der Länder eine gemeinsame Datei errichten. Die projektbezogene Zusammenarbeit soll nach Maßgabe der Aufgaben und Befugnisse der in Satz 1 genannten Behörden den Austausch und die gemeinsame Auswertung von Erkenntnissen zu Bestrebungen, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen gegen die in SS 5 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 bis 4 genannten Schutzgüter gerichtet sind, bewirken. Personenbezogene Daten zu Bestrebungen nach Satz 2 dürfen unter Einsatz der gemeinsamen Datei durch die an der projektbezogenen Zusammenarbeit beteiligten Behörden im Rahmen ihrer Befugnisse verwendet werden, soweit dies in diesem Zusammenhang zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlich ist. Bei der weiteren Verwendung der personenbezogenen Daten finden für die beteiligten Behörden die jeweils für sie geltenden Vorschriften über die Verwendung von Daten Anwendung. (2) SS 22a Absatz 2 bis 6 des Bundesverfassungsschutzgesetzes findet entsprechende Anwendung. SS 21 Informationsübermittlung an ausländische Stellen Die Verfassungsschutzbehörde darf personenbezogene Daten im Einvernehmen mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz an ausländische öffentliche Stellen sowie an überund zwischenstaatliche Stellen übermitteln, soweit die Übermittlung in einem Gesetz, einem Rechtsakt der Europäischen Gemeinschaften oder in einer internationalen Vereinbarung geregelt ist. 175 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern 13 Anlagen Eine Übermittlung darf auch erfolgen, wenn sie 1. zum Schutz von Leib oder Leben erforderlich ist oder 2. zur Erfüllung eigener Aufgaben, insbesondere in Fällen grenzüberschreitender Tätigkeiten der Verfassungsschutzbehörde, unumgänglich ist und im Empfängerland gleichwertige Datenschutzregelungen gelten. Die Übermittlung unterbleibt, wenn ihr auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland oder überwiegende schutzwürdige Interessen der betroffenen Person, insbesondere deren Schutz vor einer rechtsstaatswidrigen Verfolgung, entgegenstehen. SS 20 Abs. 5 gilt entsprechend; die empfangende Stelle ist darüber hinaus darauf hinzuweisen, dass sich die Verfassungsschutzbehörde vorbehält, Auskunft über die Verarbeitung der übermittelten Daten zu verlangen. SS 22 Informationsübermittlung an die Öffentlichkeit Bei der Unterrichtung der Öffentlichkeit, einschließlich der Medien, über Erkenntnisse der Verfassungsschutzbehörde ist die Übermittlung von personenbezogenen Daten nur zulässig, wenn es zu einer sachgemäßen Information erforderlich ist und schutzwürdige Interessen der betroffenen Person nicht entgegenstehen. Werden von der Verfassungsschutzbehörde personenbezogene Daten an die Öffentlichkeit gegeben, so ist im Einzelfall zu prüfen, ob vorab eine Benachrichtigung der betroffenen Person oder des Dritten geboten ist. SS 23 Dokumentation und Grundlage der Informationsübermittlung durch die Verfassungsschutzbehörde Die Übermittlung von personenbezogenen Daten ist zu dokumentieren. Vor der Datenübermittlung soll der Akteninhalt gewürdigt und der Datenübermittlung zugrunde gelegt werden. Erkennbar unvollständige Daten sind vor der Übermittlung im Rahmen der Verhältnismäßigkeit durch Einholung zusätzlicher Auskünfte zu vervollständigen, anderenfalls ist auf die Unvollständigkeit hinzuweisen. SS 24* Informationsübermittlung durch öffentliche Stellen an die Verfassungsschutzbehörde (1) Die Verfassungsschutzbehörde kann von den Behörden des Landes und den der Aufsicht des Landes unterstehenden juristischen Personen des öffentlichen Rechts nur die Übermittlung von Daten verlangen, die diesen Stellen im Rahmen ihrer Aufgaben vorliegen und die zur Erfüllung der Aufgaben des Verfassungsschutzes erforderlich sind. Voraussetzung hierfür ist, dass die betreffenden Daten nicht aus allgemein zugänglichen Quellen oder nur mit übermäßigem Aufwand oder nur durch eine die betroffene Person stärker belastende Maßnahme erhoben werden können. (2) Die Verfassungsschutzbehörde braucht Ersuchen nicht zu begründen, soweit dies dem Schutz der betroffenen Person dient oder eine Begründung den Zweck der Maßnahme gefährden würde. (3) Die in Absatz 1 genannten Stellen übermitteln von sich aus der Verfassungsschutzbehörde alle ihnen im Rahmen ihrer Aufgaben vorliegenden Daten über Bestrebungen, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen verfolgt werden, und über geheimdienstliche Tätigkeiten. Die Staatsanwaltschaften und, vorbehaltlich der staatsanwaltschaftlichen Sachleitungsbefugnis, die Polizei übermitteln darüber hinaus auch andere ihnen im Rahmen ihrer Aufgabenerfüllung bekannt gewordene Daten über Bestrebungen im Sinne des SS 5 Abs. 1. Die Übermittlung personenbezogener Daten, die aufgrund einer Maßnahme nach SS 100a der Strafprozessordnung bekannt geworden sind, ist nur zulässig, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass jemand eine der im aufgrund von Artikel 10 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes erlassenen Bundesgesetz als Voraussetzung für eine Beschränkungsmaßnahme genannten Straftaten plant, begeht oder begangen hat. 176 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern 13 Anlagen Die Übermittlung personenbezogener Daten, die aufgrund anderer strafprozessualer Zwangsmaßnahmen bekannt geworden sind, ist nur zulässig, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für geheimdienstliche oder sicherheitsgefährdende Tätigkeiten oder gewalttätige Bestrebungen bestehen. Auf die nach Satz 3 übermittelten Daten und die dazugehörenden Unterlagen finden die im aufgrund von Artikel 10 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes erlassenen Bundesgesetz enthaltenen Bestimmungen über die Nutzung, Übermittlung und Vernichtung von Daten entsprechende Anwendung. Die nach Satz 4 übermittelten Daten dürfen nur zur Erforschung geheimdienstlicher oder sicherheitsgefährdender Tätigkeiten oder gewalttätiger Bestrebungen genutzt werden. (4) Vorschriften zur Datenübermittlung an die Verfassungsschutzbehörde nach anderen Gesetzen bleiben unberührt. (5) Die Verfassungsschutzbehörde hat die übermittelten Daten nach ihrem Eingang unverzüglich darauf zu überprüfen, ob sie für die Erfüllung ihrer in SS 5 genannten Aufgaben erforderlich sind. Ergibt die Prüfung, dass sie nicht erforderlich sind, sind die Unterlagen unverzüglich zu vernichten. Die Vernichtung unterbleibt, wenn die Unterlagen von anderen Daten, die zur Erfüllung der Aufgaben erforderlich sind, nicht oder nur mit unvertretbarem Aufwand getrennt werden können; in diesem Fall sind die Daten gesperrt und entsprechend zu kennzeichnen. (6) Soweit andere gesetzliche Vorschriften nicht besondere Regelungen über die Dokumentation treffen, haben die Verfassungsschutzbehörde und die übermittelnde Stelle die Datenübermittlung zu dokumentieren. Fußnoten *) SS 24 Überschrift neu gefasst durch Artikel 3 des Gesetzes vom 16. April 2004. SS 24a Informationsübermittlung durch nicht-öffentliche Stellen an die Verfassungsschutzbehörde (1) Die Verfassungsschutzbehörde darf im Einzelfall Auskunft einholen bei 1. Luftfahrtunternehmen zu Namen und Anschriften des Kunden sowie zur Inanspruchnahme und den Umständen von Transportleistungen, insbesondere zum Zeitpunkt von Abfertigung und Abflug und zum Buchungsweg, 2. Kreditinstituten, Finanzdienstleistungsinstituten und Finanzunternehmen zu Konten, Konteninhabern und sonstigen Berechtigten sowie weiteren am Zahlungsverkehr Beteiligten und zu Geldbewegungen und Geldanlagen, insbesondere über Kontostand und Zahlungseinund -ausgänge, 3. denjenigen, die geschäftsmäßig Postdienstleistungen erbringen oder daran mitwirken, zu den Umständen des Postverkehrs, 4. denjenigen, die geschäftsmäßig Telekommunikationsdienste erbringen oder daran mitwirken, zu Verkehrsdaten nach SS 9 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 bis 4 des Telekommunikation-TelemedienDatenschutz-Gesetzes und sonstigen zum Aufbau und zur Aufrechterhaltung der Telekommunikation notwendigen Verkehrsdaten und 5. denjenigen, die geschäftsmäßig Telemediendienste erbringen oder daran mitwirken, zu a) Merkmalen zur Identifikation des Nutzers eines Telemediums, b) Angaben über Beginn und Ende sowie über den Umfang der jeweiligen Nutzung und c) Angaben über die vom Nutzer in Anspruch genommenen Telemediendienste, soweit dies im Einzelfall zur Aufklärung von Bestrebungen oder Tätigkeiten erforderlich ist und tatsächliche Anhaltspunkte für schwerwiegende Gefahren für die in SS 5 Abs. 1 genannten Schutzgüter vorliegen. Im Falle des SS 5 Abs. 1 Nr. 1 gilt dies nur für Bestrebungen, die bezwecken oder aufgrund ihrer Wirkungsweise geeignet sind, 177 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern 13 Anlagen 1. zu Hass oder Willkürmaßnahmen gegen Teile der Bevölkerung aufzustacheln oder deren Menschenwürde durch Beschimpfen, böswilliges Verächtlichmachen oder Verleumden anzugreifen und dadurch die Bereitschaft zur Anwendung von Gewalt zu fördern und den öffentlichen Frieden zu stören oder 2. Gewalt anzuwenden oder vorzubereiten einschließlich dem Befürworten, Hervorrufen oder Unterstützen von Gewaltanwendung, auch durch Unterstützen von Vereinigungen, die Anschläge gegen Personen oder Sachen veranlassen, befürworten oder androhen. (2) Anordnungen nach Absatz 1 dürfen sich nur gegen Personen richten, bei denen 1. tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie die schwerwiegenden Gefahren nach Absatz 1 nachdrücklich fördern oder 2. aufgrund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist a) bei Auskünften nach Absatz 1 Satz 1 Nr. 1, 2 und 5, dass sie die Leistung für eine Person nach Nummer 1 in Anspruch nehmen oder b) bei Auskünften nach Absatz 1 Satz 1 Nr. 3 und 4, dass sie für eine Person nach Nummer 1 bestimmte oder von ihr herrührende Mitteilungen entgegennehmen oder weitergeben oder im Falle des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 4, dass eine Person nach Nummer 1 ihren Anschluss benutzt. (3) Die Zuständigkeit für Anordnungen nach Absatz 1 Satz 1 Nr. 1 ist in einer Dienstvorschrift zu regeln, die der Zustimmung des Innenministers bedarf. Anordnungen nach Absatz 1 Satz 1 Nr. 2 bis 5 werden vom Leiter der Verfassungsschutzbehörde oder seinem Vertreter schriftlich beantragt und begründet. Im Falle der Auskunft nach Nummer 2 kann der Antrag auch von einem Bediensteten der Verfassungsschutzbehörde gestellt werden, der die Befähigung zum Richteramt hat. Zuständig für Anordnungen nach Absatz 1 Satz 1 Nr. 2 bis 5 ist der Innenminister. Die Anordnung einer Auskunft über künftig anfallende Daten ist auf höchstens drei Monate zu befristen. Die Verlängerung dieser Anordnung um jeweils nicht mehr als drei Monate ist auf Antrag zulässig, soweit die Voraussetzungen der Anordnung fortbestehen. Anordnungen nach Absatz 1 Satz 1 Nr. 1 und 2 hat die Verfassungsschutzbehörde dem Betroffenen mitzuteilen, sobald eine Gefährdung des Zweckes des Eingriffs ausgeschlossen werden kann. (4) Über Anordnungen nach Absatz 1 Satz 1 Nr. 3 bis 5 unterrichtet der Innenminister monatlich die Kommission nach SS 2 Abs. 1 des Gesetzes zur Ausführung des Artikel 10-Gesetzes vom 17. Juli 1992 (GVOBl. M-V S. 486), das zuletzt durch das Gesetz vom 30. Juli 2007 (GVOBl. M-V S. 278) geändert worden ist, vor deren Vollzug. Bei Gefahr im Verzug kann er den Vollzug der Entscheidung auch bereits vor der Unterrichtung der Kommission anordnen. Die Kommission prüft von Amts wegen oder aufgrund von Beschwerden die Zulässigkeit und Notwendigkeit der Einholung von Auskünften. SS 15 Abs. 5 des Artikel 10-Gesetzes vom 26. Juni 2001 (BGBl. I S. 1254, 2298), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 18. Februar 2007 (BGBl. I S 106) geändert worden ist, ist mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden, dass die Kontrollbefugnis der Kommission sich auf die gesamte Erhebung, Verarbeitung und Nutzung der nach Absatz 1 Satz 1 Nr. 3 bis 5 erlangten personenbezogenen Daten erstreckt. Entscheidungen über Auskünfte, die die Kommission für unzulässig oder nicht notwendig erklärt, hat der Innenminister unverzüglich aufzuheben. Die Daten unterliegen in diesem Falle einem absoluten Verwendungsverbot und sind unverzüglich zu löschen. Für die Verarbeitung der nach Absatz 1 Satz 1 Nr. 3 bis 5 erhobenen Daten ist SS 4 des Artikel 10-Gesetzes entsprechend anzuwenden. SS 12 Abs. 1 und 3 des Artikel 10-Gesetzes findet entsprechend Anwendung. (5) Der Innenminister unterrichtet im Abstand von höchstens sechs Monaten die Parlamentarische Kontrollkommission über Anordnungen nach Absatz 1; dabei ist insbesondere ein Überblick über Anlass, Umfang, Dauer, Ergebnis und Kosten der im Berichtszeitraum durchgeführten Maßnahmen zu geben. 178 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern 13 Anlagen (6) Anordnungen sind dem Verpflichteten insoweit schriftlich mitzuteilen, als dies erforderlich ist, um ihm die Erfüllung seiner Verpflichtung zu ermöglichen. Anordnungen und übermittelte Daten dürfen dem Betroffenen oder Dritten vom Verpflichteten nicht mitgeteilt werden. (7) Der Innenminister unterrichtet das Parlamentarische Kontrollgremium des Bundes jährlich über Anordnungen nach Absatz 1 nach Maßgabe des SS 8b Absatz 3 Satz 1 des Bundesverfassungsschutzgesetzes. (8) Das Grundrecht des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses (Artikel 10 des Grundgesetzes) wird nach Maßgabe des Absatzes 1 Satz 1 Nr. 3 bis 5 und der Absätze 2 bis 4 eingeschränkt. SS 24b Auskunftsverlangen zu Bestandsdaten (1) Soweit dies aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte im Einzelfall zur Aufklärung bestimmter Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 5 Absatz 1 erforderlich ist, darf die Verfassungsschutzbehörde unter Angabe dieser Vorschrift im Einzelfall Auskunft verlangen von demjenigen, der geschäftsmäßig 1. Telekommunikationsdienste erbringt oder daran mitwirkt, über Bestandsdaten nach SS 3 Nummer 6 und SS 172 des Telekommunikationsgesetzes, 2. Telemediendienste erbringt oder daran mitwirkt, über Bestandsdaten nach SS 2 Absatz 2 Nummer 2 des Telekommunikation-Telemedien-Datenschutz-Gesetzes. (2) Die Auskunft nach Absatz 1 darf auch anhand einer zu einem bestimmten Zeitpunkt zugewiesenen Internetprotokoll-Adresse verlangt werden. Die Rechtsgrundlage und die tatsächlichen Anhaltspunkte, die das Auskunftsverlangen veranlassen, sind aktenkundig zu machen. (3) Die Auskunft zu Daten, mittels derer der Zugriff auf Endgeräte oder auf Speichereinrichtungen, die in diesen Endgeräten oder hiervon räumlich getrennt eingesetzt werden, geschützt wird, darf nur im Falle des Absatzes 1 Nummer 1 und nur dann verlangt werden, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen für die Nutzung der Daten im Einzelfall vorliegen. Für diese Auskunftsverlangen gilt SS 24a Absatz 3 Satz 2 und 4 sowie Absatz 4 entsprechend. (4) Von einer Auskunftserteilung nach Absatz 2 und 3 ist die betroffene Person zu benachrichtigen. Die Benachrichtigung erfolgt, sobald und soweit eine Gefährdung des Zwecks der Auskunft und der Eintritt übergreifender Nachteile für das Wohl des Bundes oder eines Landes ausgeschlossen werden können. Sie unterbleibt, wenn ihr überwiegende schutzwürdige Belange Dritter oder der betroffenen Person selbst entgegenstehen. Wird die Benachrichtigung nach Satz 2 zurückgestellt oder nach Satz 3 von ihr abgesehen, sind die Gründe aktenkundig zu machen. (5) Der aufgrund eines Auskunftsverlangens Verpflichtete hat die zur Auskunftserteilung erforderlichen Daten unverzüglich, vollständig und richtig zu übermitteln. (6) Die Verfassungsschutzbehörde hat für ihr erteilte Auskünfte eine Entschädigung zu gewähren, deren Umfang sich nach SS 23 und Anlage 3 des Justizvergütungsund -entschädigungsgesetzes bemisst. Die Vorschriften über die Verjährung in SS 2 Absatz 1 und Absatz 4 des Justizvergütungsund -entschädigungsgesetzes finden entsprechend Anwendung. (7) Das Grundrecht des Fernmeldegeheimnisses (Artikel 10 des Grundgesetzes) wird nach Maßgabe des Absatzes 2 Satz 1 eingeschränkt. 179 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern 13 Anlagen SS 25 Übermittlungsverbote, Nachberichtspflicht (1) Die Übermittlung von Daten unterbleibt, wenn 1. die Daten zu löschen oder für die empfangende Stelle nicht bedeutsam sind, 2. überwiegende Sicherheitsinteressen dies erfordern, 3. erkennbar ist, dass unter Berücksichtigung der Art der Daten und ihrer Erhebung die schutzwürdigen Interessen der betroffenen Person das Allgemeininteresse an der Übermittlung überwiegen, 4. es sich um personenbezogene Daten aus der engeren Persönlichkeitssphäre oder solche über Minderjährige unter 16 Jahren handelt, es sei denn, die empfangende Stelle der Daten benötigt diese zum Schutz vor Gewalt oder vor Vorbereitungshandlungen zur Gewalt oder vor geheimdienstlichen Tätigkeiten, 5. die Daten gesperrt sind und ihre Trennung nicht oder nur mit unverhältnismäßig hohem Aufwand von anderen zu übermittelnden Daten möglich ist oder 6. besondere gesetzliche Übermittlungsregelungen entgegenstehen; die Verpflichtung zur Wahrung gesetzlicher Geheimhaltungspflichten oder von Berufsoder besonderen Amtsgeheimnissen, die nicht auf gesetzlichen Vorschriften beruhen, bleibt unberührt. (2) Erweisen sich Daten nach ihrer Übermittlung als unrichtig, unvollständig, unzulässig gespeichert oder erhoben, so hat die übermittelnde Stelle den Empfänger unverzüglich darauf hinzuweisen, es sei denn, dass dies für die Beurteilung eines Sachverhaltes ohne Bedeutung ist. Unrichtige oder unvollständige Daten sind durch die übermittelnde Stelle gegenüber dem Empfänger zu berichtigen oder zu ergänzen, wenn durch die unrichtige oder unvollständige Übermittlung schutzwürdige Interessen der betroffenen Person beeinträchtigt sein können. Die Benachrichtigung sowie Ergänzung sind aktenkundig zu machen und in der entsprechenden Datei zu vermerken. SS 26 Auskunft an betroffene Personen (1) Die Verfassungsschutzbehörde erteilt betroffenen Personen auf schriftlichen Antrag unentgeltlich Auskunft über zu ihrer Person gespeicherte Daten. Die Auskunftsverpflichtung erstreckt sich nicht auf die Herkunft der Daten und die Empfänger von Übermittlungen. Über Daten aus Akten, die nicht zu der betroffenen Person geführt werden, wird Auskunft nur erteilt, soweit Daten, namentlich aufgrund von Angaben der betroffenen Person, mit angemessenem Aufwand auffindbar sind. Die Verfassungsschutzbehörde bestimmt Verfahren und Form der Auskunftserteilung nach pflichtgemäßem Ermessen. (2) Die Auskunftserteilung kann nur abgelehnt werden, soweit 1. die Auskunft die öffentliche Sicherheit gefährden oder sonst dem Wohl des Bundes oder eines Landes Nachteile bereiten würde, 2. die Daten oder die Tatsache ihrer Speicherung nach einer Rechtsvorschrift oder wegen der berechtigten Interessen von Dritten geheimgehalten werden müssen oder 3. durch die Auskunftserteilung Informationsquellen gefährdet würden oder die Ausforschung des Erkenntnisstandes oder der Arbeitsweise der Verfassungsschutzbehörde zu befürchten ist. Die Entscheidung trifft der Leiter der Verfassungsschutzabteilung oder ein besonders von ihm beauftragter Mitarbeiter, der die Befähigung zum Richteramt besitzen soll. (3) Die Ablehnung der Auskunftserteilung bedarf keiner Begründung, soweit dadurch der Zweck der Auskunftsverweigerung gefährdet würde. Die Gründe der Auskunftsverweigerung sind zu dokumentieren. (4) Wird die Auskunftserteilung abgelehnt, ist dem Antragsteller die Rechtsgrundlage dieser Ablehnung 180 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern 13 Anlagen mitzuteilen. Die antragstellende Person ist auf ihr Recht hinzuweisen, sich an den Landesbeauftragten für den Datenschutz wenden zu können. Dem Landesbeauftragen für den Datenschutz ist auf sein Verlangen Auskunft zu erteilen. Stellt der Innenminister oder im Verhinderungsfall der Staatssekretär im Einzelfall fest, dass durch die Erteilung der Auskunft die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gefährdet würde, so darf die Auskunft nur dem Landesbeauftragten persönlich erteilt werden. Mitteilungen des Landesbeauftragten an die antragstellende Person dürfen keine Rückschlüsse auf den Kenntnisstand der Verfassungsschutzbehörde zulassen, sofern diese nicht einer weitergehenden Auskunft zustimmt. Abschnitt 4 - Kontrolle der Verfassungsschutzbehörde SS 27 Parlamentarische Kontrollkommission (1) In Angelegenheiten des Verfassungsschutzes des Landes unterliegt die Landesregierung unbeschadet der Rechte des Landtages der Kontrolle durch die Parlamentarische Kontrollkommission. Die Kontrolle der Durchführung des aufgrund von Artikel 10 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes erlassenen Bundesgesetzes bleibt den aufgrund von Artikel 10 Abs. 2 des Grundgesetzes von dem Landtag bestellten Organen und Hilfsorganen vorbehalten. (2) Die Parlamentarische Kontrollkommission besteht aus fünf Mitgliedern, die zu Beginn jeder Wahlperiode vom Landtag aus seiner Mitte einzeln mit der Mehrheit seiner Mitglieder gewählt werden. Zwei Mitglieder sollen der parlamentarischen Opposition angehören. Die Mitglieder dürfen nicht der Landesregierung angehören. (3) Die Parlamentarische Kontrollkommission gibt sich eine Geschäftsordnung. Sie übt ihre Tätigkeit auch über das Ende der Wahlperiode des Landtages solange aus, bis der nachfolgende Landtag die Mitglieder neu gewählt hat. Der Parlamentarischen Kontrollkommission ist die für die Erfüllung ihrer Aufgaben notwendige Personalund Sachausstattung zur Verfügung zu stellen. (4) Scheidet ein Mitglied aus dem Landtag oder aus der Fraktion, die ihn zur Wahl vorgeschlagen hat, aus, so verliert es seine Mitgliedschaft in der Parlamentarischen Kontrollkommission. Für dieses Mitglied ist unverzüglich ein neues Mitglied zu wählen; das Gleiche gilt, wenn ein Mitglied aus anderen Gründen aus der Parlamentarischen Kontrollkommission ausscheidet. (5) Die Parlamentarische Kontrollkommission tritt mindestens einmal im Vierteljahr zusammen. (6) Jedes Mitglied kann die Einberufung und die Unterrichtung der Parlamentarischen Kontrollkommission verlangen. SS 28 Geheimhaltung (1) Die Parlamentarische Kontrollkommission tagt in nichtöffentlicher Sitzung, über die jeweils ein Protokoll anzufertigen ist. Die Mitglieder sind zur Geheimhaltung der Angelegenheiten verpflichtet, die ihnen bei ihrer Tätigkeit in der Parlamentarischen Kontrollkommission bekannt geworden sind. Dies gilt auch für die Zeit nach ihrem Ausscheiden aus der Parlamentarischen Kontrollkommission. (2) Auf Antrag eines Mitgliedes beschließt die Parlamentarische Kontrollkommission über die Herstellung der Öffentlichkeit oder die Aufhebung der Vertraulichkeit nach Absatz 1, soweit öffentliche Geheimschutzinteressen, insbesondere die Aufrechterhaltung des Nachrichtenzuganges, oder berechtigte Interessen eines Einzelnen dem nicht entgegenstehen. Der Beschluss bedarf der Mehrheit der gesetzlichen Mitglieder der Kommission. Der Innenminister, im Falle seiner Verhinderung der Staatssekretär, kann einem 181 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern 13 Anlagen Beschluss nach Satz 1 widersprechen, wenn die Voraussetzungen der Aufhebung der Vertraulichkeit gemäß Satz 1 nicht vorliegen. Der Innenminister, im Falle seiner Verhinderung der Staatssekretär, hat die Gründe hierfür darzulegen. Die Aufhebung der Vertraulichkeit von Beratungsgegenständen, die in die Verantwortlichkeit des Bundes oder eines Landes fallen, ist nur mit deren Zustimmung möglich. (3) Sitzungsunterlagen und Protokolle verbleiben im Gewahrsam der Verfassungsschutzbehörde und können nur dort von den Mitgliedern der Kommission oder dem Innenminister, im Falle seiner Verhinderung dem Staatssekretär, eingesehen werden, es sei denn, der ordnungsgemäße Umgang mit diesen Unterlagen gemäß der Verschlusssachenanweisung für das Land Mecklenburg-Vorpommern ist nach Überzeugung der Parlamentarischen Kontrollkommission auf andere Weise gewährleistet. SS 29 Kontrollrechte der Parlamentarischen Kontrollkommission (1) Das Ministerium für Inneres, Bau und Digitalisierung hat die Parlamentarische Kontrollkommission umfassend über die allgemeine Tätigkeit der Verfassungsschutzbehörde, das Lagebild und über die Vorgänge von besonderer Bedeutung, insbesondere Einzelfälle, in denen eine Datenübermittlung gemäß SS 20 Abs. 4 Satz 3 unterblieben ist, sowie auf Verlangen der Kommission über sonstige Einzelfälle zu unterrichten. Ferner unterrichtet es über den Erlass und die Einhaltung von Verwaltungsvorschriften sowie über den Verfassungsschutz betreffende Eingaben einzelner Bürger (Petenten), sofern der Petent der Unterrichtung nicht widersprochen hat. (2) Die Parlamentarische Kontrollkommission kann von dem Ministerium für Inneres, Bau und Digitalisierung alle für ihre Kontrollaufgaben erforderlichen Auskünfte, Unterlagen, Aktenund Dateneinsicht, Stellungnahmen und den Zutritt zur Verfassungsschutzbehörde verlangen sowie bei besonderem Aufklärungsbedarf Bedienstete und Auskunftspersonen zum Sachverhalt befragen, sofern dem nicht überwiegende öffentliche (zum Beispiel Aufrechterhaltung des Nachrichtenzugangs) oder private Belange entgegenstehen; das Ministerium für Inneres, Bau und Digitalisierung hat dies vor der Parlamentarischen Kontrollkommission zu begründen. Die Parlamentarische Kontrollkommission kann ferner den Landesbeauftragten für den Datenschutzbeauftragen, die Rechtmäßigkeit einzelner Maßnahmen, welche die Verfassungsschutzbehörde durchgeführt hat, zu überprüfen und der Kommission das Ergebnis der Überprüfung mitzuteilen. Die Befugnisse des Landesbeauftragten für den Datenschutz richten sich nach dem Landesdatenschutzgesetz von Mecklenburg-Vorpommern. Wird der Landesbeauftragte für den Datenschutz nach SS 26 Abs. 4 tätig, so kann er von sich aus die Parlamentarische Kontrollkommission unterrichten, wenn sich Beanstandungen ergeben, eine Mitteilung an die betroffene Person aber aus Geheimhaltungsgründen unterbleiben muss. (3) Die Parlamentarische Kontrollkommission kann mit der Mehrheit ihrer gesetzlichen Mitglieder nach Anhörung des Ministeriums für Inneres, Bau und Digitalisierung im Einzelfall einen Sachverständigen beauftragen, zur Wahrnehmung ihrer Kontrollaufgaben Untersuchungen durchzuführen. Der Sachverständige hat der Parlamentarischen Kontrollkommission über das Ergebnis seiner Untersuchungen zu berichten; SS 28 Abs. 1 und 2 gelten entsprechend. (4) Die Angaben über Ausgaben aus dem der Abteilung zugewiesenen Titel werden der Parlamentarischen Kontrollkommission im Ansatz vor Beratung des Haushaltsplanes zur Stellungnahme überwiesen. Das Ministerium für Inneres, Bau und Digitalisierung unterrichtet die Parlamentarische Kontrollkommission über den Vollzug des Haushaltsplanes, soweit es die der Verfassungsschutzbehörde zugewiesenen Titel betrifft. 182 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern 13 Anlagen Abschnitt 5 - Schlussvorschriften SS 30 Geltung des Landesdatenschutzgesetzes Bei der Erfüllung der Aufgaben nach SS 5 durch die Verfassungsschutzbehörde finden SS 3 Abs. 2 und 3, SSSS 9, 10 Abs. 1 bis 4, SSSS 11, 13 Abs. 1 bis 4,6 und 7, SSSS 14, 15, 16, 18, 24 und 25 des Landesdatenschutzgesetzes keine Anwendung. SS 31 (aufgehoben) SS 32 In-Kraft-Treten, Außer-Kraft-Treten (1) Dieses Gesetz tritt mit Ausnahme des SS 30 am Tag nach seiner Verkündung in Kraft. Gleichzeitig tritt das Landesverfassungsschutzgesetz vom 18. März 1992 (GVOBl. M-V S. 194) außer Kraft. (2) SS 30 tritt an dem Tag in Kraft, an dem das Landesdatenschutzgesetz in Kraft tritt. Der Tag des In-KraftTretens ist vom Innenministerium im Gesetzund Verordnungsblatt für Mecklenburg-Vorpommern bekannt zu geben. 183 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern Bemerkungen und Notizen Bemerkungen und Notizen 184 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern Bemerkungen und Notizen Bemerkungen und Notizen 185 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern Bemerkungen und Notizen Bemerkungen und Notizen 186 Verfassungsschutzbericht 2024 | Mecklenburg-Vorpommern Gemeinsam die Verfassung schützen Verfassungsschutz Mecklenburg-Vorpommern Hier finden Sie unsere Publikationen zum Herunterladen www.verfassungsschutz-mv.de/publikationen Besuchen Sie uns Verfassungsschutz Mecklenburg-Vorpommern www.verfassungsschutz-mv.de