Verfassungsschutzbericht 2020 Verfassungsschutzbericht 2020 Impressum Herausgeber: Ministerium für Inneres, Bau und Digitalisierung Mecklenburg-Vorpommern Redaktion: Abteilung Verfassungsschutz Postfach 11 05 52 19055 Schwerin 1. Auflage: 100 Exemplare Druck: LAiV Mecklenburg-Vorpommern Titelbild: "Die wehrhafte Demokratie" Manfred Diekmann, 2009 Diese Druckschrift ist Teil der Öffentlichkeitsarbeit des Ministeriums für Inneres und Europa MecklenburgVorpommern. Sie wird kostenlos abgegeben und ist nicht zum Verkauf bestimmt. Sie darf weder von Parteien noch von Wahlwerbern oder Wahlhelfern während eines Wahlkampfes zum Zwecke der Wahlwerbung verwendet werden. Dies gilt für Kommunal, Land tags, Bundestags und Europawahlen. Missbräuchlich sind insbesondere die Verteilung auf Wahlveranstaltungen, an Infor mationsständen sowie das Einlegen, Aufdrucken oder Aufkleben parteipolitischer Informationen oder Werbemittel. Unter sagt ist gleichfalls die Weitergabe an Dritte zum Zwecke der Wahlwerbung. Auch ohne zeitlichen Bezug zu einer bevorste henden Wahl darf die Druckschrift nicht in einer Weise verwendet werden, die als Parteinahme des Ministeriums für Inneres und Europa MecklenburgVorpommern zu Gunsten einzelner politischer Gruppen verstanden werden könnte. Den Parteien ist es jedoch gestattet, die Druckschrift zur Unterrichtung ihrer eigenen Mitglieder zu verwenden. Vorwort Sehr geehrte Bürgerinnen und Bürger, die Corona-Pandemie hat das Jahr 2020 erheblich geprägt und ist nach wie vor prägend für das politische Handeln und unseren Alltag. Das gesellschaftliche, politische, wirtschaftliche und kulturelle Zusammenleben hat sich dadurch stark verändert und wird vermutlich nicht mehr das gleiche sein, wie vor Ausbruch der Pandemie. Solch eine herausragende Situation, die sich auf die gesamte Gesellschaft auswirkt, birgt auch Gefahren für die freiheitliche Demokratie und hat damit Auswirkungen auf die Arbeit des Verfassungsschutzes. Hinzu kommt, dass sich die Diskussionen immer weiter aus der realen Welt zurückziehen und in das Internet verlagern. Der dortige Diskurs verlässt zu oft den angemessenen und sozialverträglichen Rahmen. Straftaten, die dabei begangen werden, sind nicht weniger schädlich als in der Realwelt und führen zu weiterer Spaltung und Verunsicherung in der Bevölkerung. Diese unsachlichen Auseinandersetzungen, die meistens anonym stattfinden, bilden einen Nährboden für Verschwörungsideologien und einen staatsgefährdenden, verfassungsschutzrelevanten Extremismus. Unsere wehrhafte Demokratie wird sich zukünftig verstärkt mit dieser Form der Einflussnahme auseinandersetzen müssen. Der Rechtsextremismus ist nach wie vor der Schwerpunkt in der Arbeit des Verfassungsschutzes Mecklenburg-Vorpommern. Die Grenzen der Toleranz und der Rechtsstaatlichkeit sind dann erreicht, wenn Anhänger des menschenverachtenden Gedankenguts Antisemitismus und Rassismus verherrlichen und versuchen, den freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat sowie die parlamentarische Demokratie abzuschaffen. Dabei wird unter anderem unter dem Deckmantel der Meinungsund Versammlungsfreiheit versucht das staatliche Handeln und insbesondere das Gewaltmonopol des Staates zu delegitimieren und Anschluss an die Mitte der Gesellschaft zu finden. Bestrebungen, die gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung handeln, haben bei Demonstrationen und in der Gesellschaft generell keinen Platz. Es ist einerseits Aufgabe der Sicherheitsbehörden dieser Form des Protests mit den Instrumenten des Rechtsstaates entgegenzutreten. Andererseits sind all jene zu schützen, die auf friedlichem Wege ihren Protest gegen staatliches Handeln kundtun. Auf diese Weise werden wir der Verantwortung aus der deutschen Geschichte gerecht. Antidemokratisches Handeln beginnt bereits weit vor der Begehung von Straftaten. Die klare Positionierung von Linksextremisten gegen staatliches Handeln wird nicht selten von einer Missachtung gegenüber den Grundrechten und Gewalt begleitet. Der Linksextremismus ist keine akzeptable Form der politischen Auseinandersetzung und hat auch in der Vergangenheit der Gesellschaft keinen Dienst erwiesen. Bewusst werden gesellschaftlich relevante Themen instrumentalisiert, um die Ideologie massentauglich zu machen und die Grenzen zwischen politischem Engagement und Extremismus zu verwischen. Die Politik und der Verfassungsschutz haben hier eine klare gemeinsame Botschaft: Auch der Einsatz für Menschenrechte, gegen den Klimawandel und Rassismus muss bedingungslos mit dem Grundgesetz vereinbar sein. Der gewaltorientierte Islamismus stellt nach wie vor eine zentrale Bedrohung für unser demokratisches Wertesystem sowie die innere und äußere Sicherheit Deutschlands dar. Die zunehmende Radikalisierung in diesem Phänomenbereich, die sich ebenso in das Internet und die sozialen Medien verlagert hat, ist eine weitere Herausforderung, die der Verfassungsschutz frühzeitig verhindern muss. Aufklärung und Prävention sind hier umso wichtiger damit Radikalisierungstendenzen rechtzeitig erkannt und unterbunden werden können. Im Bereich der Spionageabwehr trägt der Verfassungsschutz dazu bei, die Einflussnahme fremder Nachrichtendienste zu beurteilen und zu minimieren. Deutsche Unternehmen sind nicht selten Ziel von Ausspähversuchen, die den Abfluss von sensiblen Informationen und Know-How bedeuten. Gerade während der Corona-Zeit bieten das Homeoffice und mobiles Arbeiten eine Angriffsfläche für mögliche Cyberattacken und Hackerangriffe. Hier unterstützt der Verfassungsschutz und informiert die Wirtschaft über mögliche Sicherheitsrisiken. Somit fungiert der Verfassungsschutz in vielen Bereichen als Frühwarnsystem für die freiheitlich demokratische Grundordnung und klärt verfassungsfeindliche Tendenzen auf, bevor schwerwiegende Straftaten und Anschläge verwirklicht werden. Der Verfassungsschutz musste aufgrund eigener Missstände selbst internes Krisenmanagement betreiben und hat sich dadurch zusätzlich viel Arbeit verschafft. Fehlerhafte Strukturen und Arbeitsabläufe müssen benannt und bekannt gemacht werden, um die Ursachen erkennen und beheben zu können. Den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Verfassungsschutzes war die Aufarbeitung der Vorfälle sehr wichtig, um deutlich zu machen, dass das Fehlverhalten weniger nicht die Arbeitsmoral der gesamten Behörde widerspiegelt und das Vertrauen in den Verfassungsschutz wieder wachsen kann. Christian Pegel Minister für Inneres, Bau und Digitalisierung Mecklenburg-Vorpommern Inhaltsverzeichnis 1 "Wehrhafte Demokratie" - Auftrag und Verpflichtung des Verfassungsschutzes 6 1.1 Grundsätzliches/Zweck des Verfassungsschutzes 6 1.2 Freiheitliche demokratische Grundordnung 7 1.3 Wesentliche gesetzliche Grundlagen im Überblick 8 1.4 Verfassungsschutzverbund von Bund und Ländern 8 1.5 Aufgaben des Verfassungsschutzes 8 1.6 Informationsbeschaffung 9 1.7 Kontrolle 9 1.8 Verhältnis von Verfassungsschutz und Polizei 10 2 Rechtsextremismus/-terrorismus 12 2.1 Lageüberblick 12 2.2 Personenpotenzial 14 2.3 Straftatenaufkommen 14 2.4 Militanter Rechtsextremismus / Rechtsterrorismus 15 2.5 Trefforte der rechtsextremistischen Szene 16 2.6 Weitgehend unstrukturiertes rechtsextremistisches Personenpotenzial / rechtsextremistische Subkultur 16 2.6.1 Rechtsextremistische Musikveranstaltungen 17 2.6.2 Szeneläden/Versandhandel 19 2.7 Parteiunabhängige bzw. parteiungebundene Strukturen/Neonazis 19 2.7.1 Einzelgruppierungen/regionale Entwicklungen 20 2.8 Neonazistisch geprägte Veranstaltungen und Aktivitäten 25 2.9 Krisenvorsorge durch Rechtsextremisten 26 2.10 Kampfsport in der rechtsextremistischen Szene 27 2.11 Protestgeschehen gegen staatliche Maßnahmen in der Corona-Pandemie 28 2.12 Rechtsextremistische Parteien 28 2.12.1 "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD), Landesverband Mecklenburg-Vorpommern 28 2.12.2 Aktivitäten der NPD Mecklenburg-Vorpommern im Einzelnen 29 2.12.3 Zusammenarbeit mit ehemaligen Mitgliedern der "Alternative für Deutschland" (AfD) 31 2.12.4 Instrumentalisierung tagespolitischer Ereignisse für die Verbreitung der eigenen Weltsicht 32 2.12.5 Verfahren zum Ausschluss der NPD von der Parteienfinanzierung 36 2.12.6 "Junge Nationalisten" (JN) 36 2.12.7 "DIE RECHTE" 37 2.12.8 "Der III. Weg" 38 2.13 "Identitäre Bewegung Deutschland e. V." (IBD) und "Identitäre Bewegung Mecklenburg-Vorpommern" (IB MV) 39 2.13.1 Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung 39 2.13.2 Strategie/Ideologie 40 2.13.3 Aktivitäten von IB-Anhängern aus Mecklenburg-Vorpommern 41 2.14 "Der Flügel" 42 2.15 "Junge Alternative" (JA) 43 2.16 Rechtsextremisten im öffentlichen Dienst 44 3 "Reichsbürger und Selbstverwalter" 44 3.1 Lageüberblick 44 3.2 Personenpotenzial 45 3.3 Strukturen und Aktivitäten der "Reichsbürger und Selbstverwalter"-Szene in Mecklenburg-Vorpommern 46 3.3.1 "Preußisches Institut - Bismarcks Erben" 46 3.3.2 "Penzliner Runde" 47 3.3.3 "Freistaat Preußen" 48 3.3.4 "Staatenlos.Info - Comedian e.V." 48 3.3.5 "Großherzogtum Friedrich Maik" 48 3.3.6 Gruppierung "VD - Volldraht Deutschland" 48 3.3.7 "Geeinte deutsche Völker und Stämme" 49 3.3.8 Sonstige Aktivitäten von strukturierten sowie von strukturlosen "Reichsbürgern und Selbstverwaltern" 49 3.4 Prävention 49 4 Linksextremismus 50 4.1 Lageüberblick 50 4.2 Linksextremismus in Mecklenburg-Vorpommern im Jahre 2020 52 4.2.1 Personenpotenzial 52 4.2.2 Straftatenaufkommen 52 4.3 Corona-Krise 53 4.4 Versuch der Einflussnahme auf die Klimakampagne 53 4.5 Gewaltorientierte Linksextremisten 54 4.5.1 Aktionsfeld "Antifaschismus" 55 4.5.2 Aktionsfeld "Antirepression" 57 4.5.3 Aktionsfeld "Antimilitarismus" 58 4.5.4 Aktionsfeld "Kurdistansolidarität" 58 4.6 Dogmatischer Linksextremismus 60 5 Islamismus / Islamistischer Terrorismus 61 5.1 Islamistische Bestrebungen - politischer Extremismus mit Rückgriff auf den Islam 61 5.2 Entwicklung des Islamismus und islamistischen Terrorismus 2020 62 5.2.1 Anschläge in Europa 62 5.3 Staatliche Maßnahmen gegen islamistischen Extremismus 64 5.4 Salafismus - Hintergründe und aktuelle Entwicklung 64 5.5 Trends des islamistischen Terrorismus 2020 66 5.6 Islamistischer Extremismus in Mecklenburg-Vorpommern 67 5.6.1 Ausländische Islamisten und Aufenthaltsrecht 68 5.6.2 Islamismusprävention im Land 68 6 Sonstiger Ausländerextremismus 69 6.1 Personenpotenzial 69 6.2 Straftatenaufkommen 70 6.3 "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) 70 6.3.1 Allgemeines 70 6.3.2 Aktivitäten der PKK in Mecklenburg-Vorpommern 72 6.3.3 Kooperation mit deutschen Linksextremisten 72 7 Spionageabwehr 74 7.1 Aktivitäten fremder Nachrichtendienste - Gefährdungspotenzial 74 7.2 Bedrohungen durch Cyberangriffe 76 7.3 Wirtschaftsschutz - eine Aufgabe für Staat und Unternehmen 78 7.4 Spionageabwehr Mecklenburg-Vorpommern - Ihr Ansprechpartner vor Ort 79 8 Öffentlichkeitsarbeit 82 8.1 Aktivitäten 82 8.2 Informationsmaterialien 83 8.3 Ausund Fortbildung/Praktika 84 Abkürzungsverzeichnis 86 Glossar 89 Anlage 1 - Politisch motivierte Kriminalität (PMK) 102 Anlage 2 - Landesverfassungsschutzgesetz 104 1 "Wehrhafte Demokratie" - Auftrag und Verpflichtung des Verfassungsschutzes 1.1 Grundsätzliches/Zweck des Verfassungsschutzes Der Verfassungsschutz ist eine entscheidende Säule der "Wehrhaften Demokratie". Darunter wird ein Bündel von verfassungsrechtlichen Grundentscheidungen zusammengefasst, die den Kernbestand und die Grundprinzipien unserer Verfassungsordnung (siehe Abschnitt 1.2) - die freiheitliche demokratische Grundordnung - schützen sollen. Die "Wehrhafte Demokratie" ist durch folgende Wesensmerkmale gekennzeichnet: * Die Wertegebundenheit, d. h. unser Staat bekennt sich zu Werten, denen er eine besondere Bedeutung beimisst und die deshalb nicht zur Disposition stehen, * die Abwehrbereitschaft, d. h. der Staat ist gewillt, diese wichtigsten Werte gegenüber extremistischen Positionen zu verteidigen und * die Vorverlagerung der Beobachtung, d. h. der Staat reagiert nicht erst dann, wenn Extremisten gegen gesetzliche Normen verstoßen. Diese "Wehrhaftigkeit" ist eine Lehre aus der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft, die auf legalistischem Wege durch Abschaffung der demokratischen Weimarer Republik entstanden ist. Politik und Staat sind daher aufgefordert, entschieden und entschlossen den unterschiedlichen totalitären Gefahren entgegenzutreten - bevor es zu spät ist! Als "Frühwarnsystem" soll der Verfassungsschutz in diesem Sinne aufklären, informieren, sensibilisieren, warnen und - soweit gesetzlich erlaubt - entsprechende Gefahren erforschen. Dabei wird er unterhalb der Schwelle der konkreten Gefahr und des Anfangsverdachts einer Straftat tätig. Ihm kommt also die Funktion eines "Brandmelders" in Bezug auf politische Entwicklungen zu, die unsere freiheitliche demokratische Rechtsordnung und damit die Freiheit und Sicherheit der Menschen in diesem Land gefährden können. In diesem Sinne wird der Verfassungsschutz - anders als die Polizei - nur tätig, wenn ein politischer Bezug erkennbar ist. Seine Tätigkeit erstreckt sich daher auf entsprechende "Bestrebungen", die im Einzelnen als "Beobachtungsobjekte" festgelegt werden. Dies können rechtsextremistische Strukturen wie Parteien (z. B. die "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD)) oder Neonazi-Kameradschaften, linksextremistische Strukturen wie gewalttätige Autonome oder islamistische Strukturen sein, die Freiheit und Sicherheit bedrohen. Dieser Handlungsauftrag des Verfassungsschutzes ist verfassungsrechtlich normiert.1 Er wird auf der Grundlage des Landesverfassungsschutzgesetzes (LVerfSchG M-V)2, also mit dem Willen des Landesgesetzgebers als Vertretung des Volkes, wahrgenommen und kontrolliert. 1 Vgl. Artikel 73 Nummer 10 Buchstaben b) und c) Grundgesetz. 2 Siehe Anlage 2. 6 Der Zweck des Verfassungsschutzes ist dementsprechend gesetzlich geregelt und im SS 1 des LVerfSchG M-V festgeschrieben: "Der Verfassungsschutz dient dem Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, des Bestandes und der Sicherheit des Bundes und der Länder." Der Verfassungsschutz ist insoweit die maßgebliche Bewertungsinstanz für den politischen Extremismus in Deutschland. Er ist eine eigenständige Säule innerhalb der föderalen Sicherheitsarchitektur. Von der Tätigkeit des Verfassungsschutzes als Inlandsnachrichtendienst zu unterscheiden ist die Arbeit des Bundesnachrichtendienstes (BND). Dieser beschafft außenund sicherheitspolitisch relevante Informationen über das Ausland. Das Bundesamt für den Militärischen Abschirmdienst (BAMAD) nimmt Verfassungsschutzaufgaben im Bereich der Bundeswehr wahr. 1.2 Freiheitliche demokratische Grundordnung Der Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung (fdGO) ist Kernaufgabe der Verfassungsschutzbehörden in Bund und Ländern. Damit ist aber nicht die Verfassung bzw. das Grundgesetz (GG) in seiner Gesamtheit gemeint, sondern die unabänderlichen obersten Wertprinzipien als Kernbestand der Demokratie. Diese fundamentalen Wertprinzipien bestimmen die Gesetzgebung des Bundes und der Länder, so auch der Verfassungsschutzgesetze. Zu diesen Grundsätzen gehören folgende Verfassungsprinzipien: * das Recht des Volkes, die Staatsgewalt in Wahlen und Abstimmungen und durch Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung auszuüben und die Volksvertretung in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl zu wählen, * die Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung und die Bindung der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an Recht und Gesetz, * das Recht auf Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition, * die Ablösbarkeit der Regierung und ihre Verantwortlichkeit gegenüber der Volksvertretung, * die Unabhängigkeit der Gerichte, * der Ausschluss jeder Gewaltund Willkürherrschaft sowie * die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte. Nach den Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) 3 umfasst der Begriff der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Artikel 21 Absatz 2 Grundgesetz nur jene zentralen Grundprinzipien, "die für den freiheitlichen Verfassungsstaat schlechthin unentbehrlich sind". Dazu zählen die Menschenwürde, das Demokratieprinzip und das Rechtsstaatsprinzip. Das BVerfG hat darüber hinaus klargestellt, dass neben der Verletzung der Menschenwürde, der Grundsätze der Demokratie und Rechtsstaatlichkeit auch eine Verächtlichmachung des Parlamenta- 3 Vgl. Urteil im Verbotsverfahren gegen die "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (2 BvB 1/13) vom 17.01.2017. 7 rismus sowie das Missachten des staatlichen Gewaltmonopols eine Beeinträchtigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung darstellen. 1.3 Wesentliche gesetzliche Grundlagen im Überblick Für die Arbeit des Verfassungsschutzes sind, neben dem Grundgesetz und der Verfassung des Landes Mecklenburg-Vorpommern, insbesondere das * Landesverfassungsschutzgesetz Mecklenburg-Vorpommern (LVerfSchG M-V), * das Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses (Artikel 10-Gesetz) und * das Sicherheitsüberprüfungsgesetz Mecklenburg-Vorpommern (SÜG M-V) für die Gewährleistung des materiellen und personellen Geheimschutzes maßgebend. 1.4 Verfassungsschutzverbund von Bund und Ländern Der Verfassungsschutz in der Bundesrepublik Deutschland (BRD) ist föderal organisiert. Dementsprechend existieren 17 Verfassungsschutzbehörden, also ein Bundesamt (Bundesamt für Verfassungsschutz) und 16 Landesbehörden für Verfassungsschutz (LfV). Die Verfassungsschutzbehörden der Länder sind entweder eine Abteilung des jeweiligen Innenressorts (zwölf Bundesländer) oder eine eigenständige Landesoberbehörde (vier Bundesländer). Der Verfassungsschutz in MecklenburgVorpommern ist seit 1991 eine Abteilung des Ministeriums für Inneres, Bau und Digitalisierung (Abteilung 5) und gliedert sich in fünf Referate. Für weitere Informationen zum Verfassungsschutz Mecklenburg-Vorpommern wird auf die Internetseite www.verfassungsschutz-mv.de hingewiesen. 1.5 Aufgaben des Verfassungsschutzes Das Bundesamt für Verfassungsschutz und die LfV haben, ihrem gesetzlichen Auftrag folgend, Informationen, insbesondere sachund personenbezogene Auskünfte, Nachrichten und Unterlagen zu sammeln und auszuwerten über: * Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes und eines Landes gerichtet sind o- der eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziel haben, * sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten im Geltungsbereich des Grundgesetzes für eine fremde Macht, * Bestrebungen, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden und * Bestrebungen, die gegen den Gedanken der Völkerverständigung (Artikel 9 Absatz 2 GG) oder gegen das friedliche Zusammenleben der Völker (Artikel 26 Absatz 1 GG) gerichtet sind. Diese Bestrebungen werden als sogenannte Beobachtungsobjekte bezeichnet, die auf der Grundlage der gesetzlichen Voraussetzungen bestimmt werden. 8 Ferner wirken das Bundesamt für Verfassungsschutz und die LfV mit * bei der Sicherheitsüberprüfung von Personen, denen im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftige Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse anvertraut werden, die Zugang dazu erhalten sollen oder ihn sich verschaffen können, * bei der Sicherheitsüberprüfung von Personen, die an sicherheitsempfindlichen Stellen von lebensoder verteidigungswichtigen Einrichtungen beschäftigt sind oder werden sollen sowie bei der Überprüfung von Personen in sonstigen gesetzlich bestimmten Fällen, * bei technischen Sicherheitsmaßnahmen zum Schutz von im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftigen Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen gegen die Kenntnisnahme durch Unbefugte und * bei Parteiund Vereinsverbotsverfahren. 1.6 Informationsbeschaffung Den weitaus größten Teil ihrer Informationen (ca. 80 Prozent) gewinnen die Verfassungsschutzbehörden aus offenen, allgemein zugänglichen Quellen - also aus Druckerzeugnissen wie Zeitungen, Flugblättern, Programmen, Aufrufen und aus dem Internet. Die Beschäftigten der Verfassungsschutzbehörden besuchen öffentliche Veranstaltungen und befragen dort auch Personen, die sachdienliche Hinweise geben können. Bei diesen Gesprächen auf freiwilliger Basis treten die Beschäftigten des Verfassungsschutzes offen auf. Mit der Sammlung offenen Materials entsteht allerdings nicht immer ein vollständiges Bild. Gegenüber konspirativen Methoden versagen diese Mittel der Nachrichtengewinnung. Nicht alle Extremisten verfassen nach der Tat Bekennerschreiben oder nennen gar ihren wahren Namen. Spione veröffentlichen keine Programme und verteilen keine Flugblätter. Um auch getarnte oder geheim gehaltene Aktivitäten beobachten zu können, ist dem Verfassungsschutz im Rahmen gesetzlich festgelegter Befugnisse und unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit der Gebrauch nachrichtendienstlicher Mittel zur Informationsgewinnung gestattet. Zu diesen gesetzlich vorgesehenen Methoden der verdeckten Nachrichtenbeschaffung gehören insbesondere * die Observation, * der Einsatz von Vertrauenspersonen (VP) und Gewährspersonen, * Bildund Tonaufzeichnungen und * die Überwachung des Brief-, Postund Fernmeldeverkehrs nach Maßgabe des Artikel 10-Gesetzes. 1.7 Kontrolle Für die Arbeit des Verfassungsschutzes gelten strenge rechtsstaatliche Maßstäbe. Eingriffe in die Privatund Freiheitsrechte der Bürger sind den Verfassungsschutzbehörden nur auf gesetzlicher Grundlage gestattet. Damit die Bürgerinnen und Bürger darauf vertrauen können, dass die Verfassungsschutzbehörden sich an ihren gesetzlichen Auftrag und an die für die Tätigkeit geltenden Rechtsbestimmungen halten, unterliegen sie der Kontrolle auf mehreren Ebenen: 9 * der allgemeinen parlamentarischen Kontrolle durch die Abgeordneten des Landtages Mecklenburg-Vorpommern aufgrund von Berichtspflichten des Ministers für Inneres, Bau und Digitalisierung im Rahmen von Aktuellen Stunden, Kleinen und Großen Anfragen oder Petitionen, * einer besonderen parlamentarischen Kontrolle durch die Parlamentarische Kontrollkommission (PKK) des Landtages und ggf. durch einen Untersuchungsausschuss, * Postkontrollen und Telefonüberwachungen müssen durch die G 10Kommission des Landtages genehmigt werden, * des Landesbeauftragten für den Datenschutz und Informationsfreiheit Mecklenburg-Vorpommern (LfDI M-V) in Bezug auf die Einhaltung von Datenschutzvorschriften und sein Recht zur Akteneinsicht, * des Landesrechnungshofs Mecklenburg-Vorpommern (LRH M-V) in Bezug auf das Haushaltsrecht, * der justiziellen Überprüfung seines Handelns, soweit es dafür einen Anlass gibt sowie * der ständigen und intensiven Überwachung durch die Öffentlichkeit und Medien, die die Aufgaben und Arbeit des Verfassungsschutzes kritisch würdigen. 1.8 Verhältnis von Verfassungsschutz und Polizei Verfassungsschutz und Polizeibehörden sind organisatorisch voneinander getrennt 4. Somit steht die Ausübung polizeilicher oder strafprozessualer Eingriffsbefugnisse, zum Beispiel die Durchsuchung von Personen oder Sachen, die Beschlagnahme o- der Festnahme von Personen, dem Verfassungsschutz nicht zu. Halten Beschäftigte des Verfassungsschutzes ein polizeiliches Eingreifen für geboten, unterrichten sie die Polizei. Diese entscheidet, ob und ggf. wie sie in eigener Zuständigkeit tätig wird. Der Verfassungsschutz unterliegt - im Gegensatz zu Polizei und Staatsanwaltschaft - nicht dem Legalitätsprinzip, so dass er nicht in jedem Fall Strafverfolgungsmaßnahmen initiieren muss, wenn er Kenntnis von einer Straftat erlangt. Die Kompetenzverteilung lässt sich im Überblick wie folgt darstellen: 4 Vgl. SS 2 Absatz 2 LVerfSchG M-V. 10 Polizei Verfassungsschutz * Legalitätsprinzip bei Strafverfol- * Opportunitätsprinzip gungsmaßnahmen, Opportunitätsprinzip bei Gefahrenabwehr * allgemeine Gefahrenabwehr und * Aufklärung von politischem ExtreStrafverfolgung durch offene und mismus durch offene und verdeckte verdeckte Informationsgewinnung Informationsgewinnung * Eingriffsbefugnisse * keine polizeilichen Eingriffsbefugnisse * Einsatz von Zwangsmitteln * keine Zwangsmittel Dieses organisatorische Trennungsgebot bedeutet jedoch nicht, dass Polizei, Strafverfolgungsbehörden und Verfassungsschutz nicht zusammenwirken dürfen. Im Gegenteil: Im Sinne eines notwendigen ganzheitlichen Aufklärungsund Bekämpfungsansatzes extremistischer Bedrohungen ist eine informationelle Zusammenarbeit von Polizei und Verfassungsschutz im Rahmen der gesetzlichen Grundlagen unverzichtbar. Diese findet sowohl in der alltäglichen Arbeit zwischen den zuständigen Dienststellen als auch institutionalisiert mit allen Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern in zwei gemeinsamen Zentren statt: Für den Bereich des islamistischen Terrorismus seit 2004 im Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ) in Berlin und für die Bereiche Rechtsund Linksextremismus seit 2012 im Gemeinsamen Extremismusund Terrorismusabwehrzentrum (GETZ) in Köln. Verfassungsschutz und Polizei aller Länder sind in den Zentren durch Verbindungsbeamte vertreten. 11 2 Rechtsextremismus/-terrorismus 2.1 Lageüberblick Auch das Jahr 2020 zeigte auf erschreckende Weise die der rechtsextremistischen Ideologie innewohnende Gefahr und belegte mit dem Anschlagsgeschehen am 19. Februar 2020 in Hanau zugleich die fortwährend hohe rechtsterroristische Bedrohungslage. Vor diesem Hintergrund erfolgten Abstimmungen der Länder und des Bundes zur weiteren Intensivierung der Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden und der Justiz sowie der Anpassung der Sicherheitsbehörden an die neuen Herausforderungen. Daran beteiligt sich das Land Mecklenburg-Vorpommern intensiv. Als zentrale Punkte werden hierbei gesehen: - der Ausbau der Früherkennung, der vertieften Aufhellung und Bewertung der strategischen und operativen Auswertung im gewaltbereiten Personenpotential, - die Intensivierung der Aufklärungsarbeit und der Internet-Auswertung. Seit längerem ist festzustellen, dass rechtsextremistisch motivierten Agitationen und Straftaten an Häufigkeit und Intensität zunehmen. Sie verletzen Prinzipien des demokratischen Rechtsstaates und haben negative Auswirkungen auf das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung. Neben fremdenfeindlich motivierter Aggression richten sich die Angriffe rechtsextremistischer, zum Teil selbstradikalisierter Einzeltäter oder Gruppierungen gegen Angehörige anderer politischer Strömungen und Parteien, gesellschaftlich engagierte Vertreterinnen und Vertreter der Zivilgesellschaft sowie Amtsträgerinnen und Amtsträger staatlicher Institutionen. Besonderes Augenmerk ist auch auf Straftaten zu legen, die aus einer antisemitischen Motivation heraus begangen werden. Da jederzeit mit schweren Gewalttaten gerechnet werden muss, bedarf es einer frühzeitigen Vorfeldaufklärung, Beobachtung und Zerschlagung von sich bildenden terroristischen Gruppierungen innerhalb des rechtsextremistischen Spektrums. Die andauernde Bearbeitung des als Fallkomplex "Nordkreuz" bekannt gewordenen Sachverhaltes hat gezeigt, dass sich Personen, die durch den Verfassungsschutz Mecklenburg-Vorpommern als Rechtsextremisten eingestuft werden, in der Vergangenheit über die legale Beschaffung von Munition und Waffen ausgetauscht und an gemeinsamen Schießtrainings teilgenommen haben. Aus den strafrechtlichen Ermittlungen ergab sich auch ein hinreichender Tatverdacht hinsichtlich des illegalen Waffenund Munitionsbesitzes. Von den Ermittlungen um "Nordkreuz" waren auch aktive Polizeivollzugsbeamte betroffen, die zumindest bis zum Bekanntwerden der extremistischen Aktivitäten und den dann einsetzenden dienstrechtlichen Maßnahmen Zugriff auf polizeiliche Waffen gehabt haben. 5 Als Folge der damit einhergehenden Befassung zog das Thema "Extremisten im öffentlichen Dienst" auch in den gesellschaftlichen Diskurs ein. 5 Siehe dazu Verfassungsschutzbericht Mecklenburg-Vorpommern 2017, S. 20. 12 Im Jahr 2020 wurde die Lage auf dem Gebiet des Rechtsextremismus darüber hinaus weitgehend durch die coronabedingten Einschränkungen bestimmt. Hiesige Rechtsextremisten versuchten gezielt, diese Ausnahmesituation für sich zu nutzen. Die Pandemie wurde zum Anlass genommen, um die Bundesregierung über das legitime, auch polemische Maß hinaus, in hetzerischer Art zu kritisieren und anzugreifen. Darüber hinaus wurden dem Staat und seinen Institutionen das Handlungsrecht und das Gewaltmonopol abgesprochen. Dies mündete auch darin, dass Vertreter staatlicher und gesellschaftlicher Institutionen generell, aber auch individuell bedroht wurden. Beunruhigend war in diesem Zusammenhang auch das Zeichnen von Untergangsszenarien, die mit Vorstellungen eines radikalen Wandels von Staat und Gesellschaft im Sinne der eigenen Ideologie verbunden wurden. Dabei glaubte die Szene, mit ihren extremistischen Positionen Zustimmung in einer, insbesondere zu Beginn der Krise, durchaus verunsicherten Bevölkerung zu erzeugen. Wesentliche Medien der Kommunikation blieben dabei das Internet und die sozialen Netzwerke. Insgesamt war eine angespannte Lage zu verzeichnen, welche die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder, insbesondere mit Blick auf mögliche Gewalttaten, als Schwerpunkt ihrer Aufgaben sahen. An den Protesten und Demonstrationen gegen die Auflagen anlässlich der CoronaPandemie nahmen auch Personen aus dem rechtsextremistischen Spektrum Mecklenburg-Vorpommerns teil. Die Anreisen zum Beispiel zu Demonstrationen in Berlin wurden teilweise zentral organisiert. Eine mediale Verbreitung und Inszenierung einzelner Aktivitäten, wie die Besetzung der Treppe vor dem Reichstag, fand über die gesamte rechtsextremistische Szene wie auch bei "Reichsbürgern und Selbstverwaltern" statt. Im Berichtszeitraum war jedoch noch keine steuernde Funktion dieser Lager festzustellen. Rechtsextremisten sehen in der Teilnahme an derartigen Demonstrationen "revolutionäres Potential" und erhoffen sich, neue Mitglieder und Anhänger zu gewinnen. Bedenklich ist in diesem Zusammenhang auch die anscheinend wachsende Resonanz auf Verschwörungstheorien. Außerdem konnten jahreszeittypische Aktivitäten der Szene, wie "Sonnenwendfeiern", "Julfeste" und "Neujahrswanderungen", die Teilnahme am alljährlichen Gedenkmarsch der rechtsextremistischen Szene am 15. Februar 2020 in Dresden, der "Tollensemarsch", die Aktion "Schwarze Kreuze", Aktionen zum Todestag von Rudolf Heß und Heldengedenkfeiern festgestellt werden. Sie entfalteten jedoch, im Gegensatz zu den Corona-Protesten, nur eine geringe Außenwirkung. Sogenannte "Outing-Aktionen" durch die rechtsextremistische Szene wurden in 2020 nicht bekannt. Dennoch zeigen Erkenntnisse über Datensammlungen immer wieder, dass die rechtsextremistische Szene den politischen Gegner aufklärt und alleine dadurch Einschüchterungspotenzial entfaltet. Insbesondere die lokale Szene in und um Güstrow fokussiert sich dabei auf eine Landtagsabgeordnete der Partei Die LINKE, mit dem offensichtlichen Ziel, diese einzuschüchtern. Gleichwohl steht die Szene aber auch selbst im Fokus von Ausforschungsbemühungen gegnerischer politischer Akteure. Dazu zählt zunächst die klassische AntifaArbeit, bei der sich die linksextremistische Szene bemüht, (vermeintliche) Rechtsextremisten zu identifizieren und öffentlich bekannt zu machen. Mitunter wird dies auch unter Einsatz rechtswidriger Mittel durchgeführt und die Privatsphäre der betroffenen Personen verletzt. 13 2.2 Personenpotenzial Rechtsextremismuspotenzial6 M-V M-V Bund Bund - nach Organisationsgrad 2019 2020 2019 2020 in Parteien: ca. 410 ca. 400 13.330 13.250 "Nationaldemokratische Partei 200 170 3.600 3.500 Deutschlands" (NPD) "DIE RECHTE" <5 10 550 550 "Der III. Weg" <5 20 580 600 "Der Flügel" ca. 170 ca. 1707 "Junge Alternative" 30 30 8.6008 8.6009 in parteiunabhängigen bzw. par590 64010 6.600 7.800 teiungebundenen Strukturen weitgehend unstrukturiertes rechtsextremistisches Personen670 72011 13.500 13.700 potenzial Gesamt12 1.670 1.760 32.080 33.300 davon gewaltorientierte 700 700 13.000 13.300 Rechtsextremisten 2.3 Straftatenaufkommen Im Jahre 2020 registrierte das Landeskriminalamt Mecklenburg-Vorpommern (LKA M-V) im Bereich der politisch motivierten Kriminalität im Phänomenbereich "Rechts" 1.012 Straftaten (2019: 970). Davon wurden insgesamt 981 (2019: 930) als rechtsextremistisch klassifiziert, u. a. weil sie antisemitisch oder fremdenfeindlich motiviert waren. Den Schwerpunkt der Straftaten bildeten mit 698 Vorfällen (2019: 687) erneut die Propagandadelikte. Weiterhin wurden 53 (2019: 49) Gewalttaten mit rechtsextremistischer Motivation registriert, darunter 28 (2019: 24) mit einer fremdenfeindlichen Ausrichtung. Im Zusammenhang mit Flüchtlingsunterkünften wurden im Berichtszeitraum zwei Straftaten erfasst (2019: 6). Die Anzahl antisemitisch motivierter Straftaten ist im Jahr 2020 mit 72 gegenüber dem Vorjahr (51) angestiegen. Darunter sind im Berichtsjahr zwei Gewaltdelikte (2019:0). 6 Alle Zahlen sind Rundungswerte. 7 Die Schätzzahl für den "Flügel" leitet sich aus einer Aussage des AfD-Bundessprechers ab, der von etwa 20 Prozent "Flügel-Anhängern" in der AfD ausgeht. Diese Prozentangabe der Parteispitze wird unter Hinzuziehung zusätzlicher landesspezifischer Anhaltspunkte auch für den Landesverband Mecklenburg-Vorpommern als realistisch angesehen. 8 Sonstiges rechtsextremistisches Personenpotenzial in Parteien (u.a. Mitglieder der "Jungen Alternative" (JA) und des Personenzusammenschlusses "Der Flügel". 9 Sonstiges rechtsextremistisches Personenpotenzial in Parteien (u.a. Mitglieder der "Jungen Alternative" (JA) und des Personenzusammenschlusses "Der Flügel". 10 Darunter 570 Neonazis und 20 Aktivisten der "Identitären Bewegung". 11 Darunter mehrheitlich Angehörige der subkulturellen rechtsextremistischen Szene. 12 Zahl nach Abzug von Mehrfachmitgliedschaften. 14 Wie im Jahr 2020 kam es zu Übergriffen auf Partei/Wahlkreisbüros des politischen Gegners. 2.4 Militanter Rechtsextremismus / Rechtsterrorismus Mit der Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten Dr. Walter Lübcke im Juni 2019, dem Anschlag im Oktober 2019 in Halle (Saale) auf eine Synagoge und dem Anschlag im Februar 2020 in Hanau kam es in weniger als neun Monaten allein innerhalb Deutschlands zu drei rechtsterroristischen Gewalttaten. Diese sich verschärfende Lage bildete auch im Jahr 2020 einen Aufgabenschwerpunkt des Verfassungsschutzes des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Heterogene rechtsterroristische Tätertypen stellen als gefährdungserhöhenden Aspekt die bestimmende Herausforderung für die Sicherheitsbehörden dar. So lassen sich beispielsweise bei den oben angeführten Gewalttaten zwar gemeinsame rechtsextremistische Ideologiefragmente finden. Eine genaue Betrachtung zeigt allerdings unterschiedliche Ideenwelten der Täter, welche unabhängig voneinander im Ergebnis eines persönlichen Radikalisierungsprozesses autarke Tatlegitimierungen erschufen. Dieser Individualterrorismus, welcher vom Täter auf jede Situation und Lebenslage zugeschnitten und gerechtfertigt werden kann, ist - wenn überhaupt - nur sehr schwer frühzeitig zu identifizieren. In weiten Teilen kommt es dabei zur Abkehr von einer ganzheitlichen rechtsextremistischen Ideologie, welcher ein Täter sich anpassen müsste. Vielmehr wird ein Minimalkonsens aus entsprechenden Versatzstücken wie Rassismus oder Antisemitismus geschaffen, wodurch die Anschlussfähigkeit und Selbstradikalisierung als auch die globale Vernetzung erleichtert wird. In der Folge konnten, auch vor dem Hintergrund des sich weiter verrohenden Diskurses, Radikalisierungen festgestellt werden. Damit einher geht zugleich eine zunehmende Entmenschlichung potenzieller Opfer. Durch die Degradierung des zum Feind erklärten Menschen zum bloßen Objekt und einer Selbstverständlichkeit von damit verbundenen Vernichtungsfantasien entsteht ein besorgniserregendes Gewaltpotenzial. Beispielhaft ist hier die verstärkt auftretende - über die reine Leugnung hinausgehende - Verherrlichung des Holocaust. Die fortdauernde Propaganda - insbesondere auch in den "Echokammern" des Internets - kann dabei zu einer Senkung moralischer Hemmschwellen führen und in der Folge in terroristischen Gewalttaten münden. Doch obgleich - zumeist antisemitisch geprägte - Verschwörungstheorien schon immer fester Bestandteil der rechtsextremistischen Weltsicht waren, zeigte das Jahr 2020 in welchem dynamischen Prozess darüber hinausgehende verschwörungsideologische Aspekte in der Szene an Bedeutung gewinnen konnten. Dabei erwächst eine besondere Gefahr aus der Kombination weitgefasster Feindbilder (Politiker, Bankiers, Medien, sonstige staatliche Akteure) und einer dystopischen Weltsicht. Es lässt sich im Rückblick auf das Jahr 2020 und perspektivisch für das Jahr 2021 daher konstatieren, dass die terroristische Bedrohung durch Rechtsextremisten auf hohem Niveau anhält. Dies gilt auch für Mecklenburg-Vorpommern. 15 2.5 Trefforte der rechtsextremistischen Szene Auch wenn die Zahl rechtsextremistischer Veranstaltungen aufgrund der äußeren Umstände deutlich zurückgegangen ist, haben die Immobilien der Szene nichts von ihrer Bedeutung verloren. Sie dienen ihr als identitätsstiftender Rückzugsraum für Veranstaltungen, Konzerte und Treffen. Zu nennen sind hierbei insbesondere die Folgenden: * "Thinghaus", Grevesmühlen, Landkreis Nordwestmecklenburg * "Kulturraum", Lübtheen, Landkreis Ludwigslust-Parchim * "Ehemaliger Dorfkonsum", Klein Belitz, Landkreis Rostock * "Haus Jugendstil", Anklam, Landkreis Vorpommern-Greifswald sowie * "Nationales Wohnprojekt", Salchow, Landkreis Vorpommern-Greifswald. Beispielhaft für den Rückgang rechtsextremistischer Veranstaltungen im Jahr 2020 ist das "Thinghaus" in Grevesmühlen. Wurden in den vergangenen Jahren regelmäßig verschiedene Veranstaltungen wie Kampfsporttrainings, Kneipenabende oder das NPD-Sommerfest durchgeführt, fanden dort im Jahr 2020 lediglich eine Faschingsfeier und ein Konzert der Szene statt. Alle weiteren Veranstaltungen wurden wegen der Beschränkungen zur Eindämmung der Corona-Pandemie abgesagt oder verschoben. In enger Verbindung zum "Thinghaus" steht auch die "Dorfgemeinschaft Jamel", in der der Eigentümer des "Thinghauses" eine Führungsfunktion einnimmt. Wiederkehrende, schon "traditionelle" Veranstaltungen auf dessen Privatgrundstück, wie ein "Maifest" oder eine "Feier zur Sommersonnenwende", fanden ebenfalls nicht statt. Trotz des Ausfalls der Veranstaltungen dürfte die Vernetzung innerhalb der Szene aber nicht zurückgegangen sein. 2.6 Weitgehend unstrukturiertes rechtsextremistisches Personenpotenzial / rechtsextremistische Subkultur Die rechtsextremistische Subkultur zeichnet sich durch einzelne Personen und nur lose zusammengesetzte Gruppierungen ohne klare Strukturen aus. Es finden sich Personen zu lokalen realweltlichen Treffen in Kleinund Kleinstgruppen zusammen, bei denen jedoch keine eigenen politischen Ziele im Vordergrund stehen. Vielmehr stehen sie der strukturierten Szene als Mobilisierungspotenzial zur Verfügung. Für Angehörige der rechtsextremistischen Subkultur stehen Aktivitäten mit Erlebnischarakter im Vordergrund. Sie nehmen an regionalen und überregionalen rechtsextremistischen Musikund Sportveranstaltungen, wie Kampfsportevents oder Demonstrationen, teil und sind auch in der teils gewaltbereiten Fußballszene vertreten. Subkulturell geprägte Rechtsextremisten verfügen meist nicht über ein geschlossenes rechtsextremistisches Weltbild, sondern werden von einzelnen rechtsextremistischen Einstellungen und Argumentationsmustern beeinflusst und geprägt. Bei ihnen findet sich regelmäßig ein Weltbild mit rassistischen, Gewalt gegen Ausländer befürwortenden, antisemitischen und das demokratische System ablehnenden Ideologiebestandteilen. Öffentlich sichtbar wird die Szene zumeist durch rechtsextremistisch motivierte Straftaten. Dazu gehören fremdenfeindliche Straftaten und im überwiegenden Maße Pro16 pagandadelikte, wie das Schmieren von Hakenkreuzen und SS-Runen. Im Jahr 2020 bildeten diesbezüglich Burg Stargard und Stralsund besondere Schwerpunkte. 2.6.1 Rechtsextremistische Musikveranstaltungen Rechtsextremistische Konzerte dienen der Pflege des szeneinternen Milieus und der ideologischen Selbstvergewisserung. Hinzu kommen finanzielle Aspekte. Die Liedtexte fungieren als wichtiges Medium zur Verbreitung rechtsextremistischer Inhalte und haben darüber hinaus zum Teil gewaltbefürwortenden Charakter. Sie fördern damit nicht unwesentlich die zumindest latent vorhandene Gewaltbereitschaft, die ihren Ausdruck meist in spontan begangenen Strafund Gewalttaten finden kann. Im Berichtsjahr 2020 kam das Konzertgeschehen in Mecklenburg-Vorpommern aufgrund der Corona-Krise weitestgehend zum Erliegen. Es fanden im Berichtszeitraum lediglich vier rechtsextremistische Konzerte statt (2019: 10). Liederabende wurden nicht bekannt (2019: 5). Das LKA MecklenburgVorpommern weist in seiner Statistik zusätzlich eine Szeneparty (2019: 11) ohne Livemusik aus. Es ist davon auszugehen, dass nach Beendigung der einschränkenden Maßnahmen im Rahmen der Pandemiebekämpfung wieder eine Zunahme von Musikveranstaltungen und Liederabenden zu verzeichnen sein wird. Rechtsextremistische Konzerte fanden in den letzten Jahren überwiegend in Szeneobjekten statt. Soweit hiesige Bands im Ausland spielten, hatten diese Veranstaltungen nicht selten einen Bezug zu der in Deutschland verbotenen "Blood and Honour"Bewegung und zur neonazistischen "Combat 18" Organisation, die nun ebenfalls am 23. Januar 2020 bundesweit verboten wurde. An der Organisation der hiesigen Konzerte sind weiterhin auch "Hammerskins" beteiligt. Die Konzerte wurden in Banzin (Landkreis Ludwigslust-Parchim) mit ca. 40 bis 50 Teilnehmern, im "Thinghaus" in Grevesmühlen mit 30 Teilnehmern, in Gallentin mit ca. 25 Personen (Landkreis Nordwestwestmecklenburg) und in Stralsund (Landkreis Vorpommern-Rügen) mit unbekannter Teilnehmerzahl durchgeführt. 17 Die Zahl der regelmäßig öffentlich aktiven Bands aus Mecklenburg-Vorpommern lag 2020 bei zehn. Zu den bekanntesten zählten weiterhin "Path of Resistance", "Painful Awakening", "Thrima", "Ungebetene Gäste" und die "Die Liebenfels Kapelle"/"Skalinger". 13 Wie im letzten Jahr gehörte auch im Jahr 2020 der Liedermacher "F.i.e.L." ("Fremde im eigenen Land") aus dem Raum Grevesmühlen zu den bundesund europaweit aktivsten rechtextremistischen Musikern und absolvierte zahlreiche Liveauftritte. Erneut waren Verbindungen der hiesigen rechtsextremistischen Musikszene zur internationalen Musikszene festzustellen. So warb die Band "Ungebetene Gäste" für das jährliche Konzert unter dem Motto "Tag der Ehre" in Budapest am 8. Februar 2020. Zum "Tag der Ehre" veranstalten ungarische Neonazis jährlich eine Gedenkfeier, um an die, aus ihrer Sicht heldenhafte, Verteidigung Budapests durch deutsche und ungarische Truppen gegen die sowjetische Rote Armee zum Ende des Zweiten 13 Budapest, Facebook-Seite Ahnenblut vom 08.09.2019, abgerufen am 14.01.2020. 18 Weltkrieges zu erinnern. Auf ihrer Facebook-Seite im Dezember berichtet die Band u.a. von ihrem 10-jährigen Bestehen. Die Band "Painful Awakening" wies auf ihrer Facebook-Seite im Dezember 2020 auf ihr 15-jähriges Bestehen hin und auf die Erscheinung ihres dritten Albums "Survive". Bei dem jährlich stattfindenden Gedenkmarsch "Ausbruch 60" handelt es sich um den sogenannten Tag der Ehre ("Day of Honour"), der regelmäßig auch mit rechtsextremistischen Musikveranstaltungen verbunden wird und im Jahr 2020 bereits zum 14. Mal in Budapest stattfand. Er wird zur Erinnerung an den Ausbruchsversuch der Waffen-SS aus dem Budapester Kessel im Jahr 1945 durchgeführt und dient der Verherrlichung des Nationalsozialismus. 2.6.2 Szeneläden/Versandhandel In Mecklenburg-Vorpommern gibt es weiterhin aktive rechtsextremistische Vertriebe, die als Teil der subkulturellen Szene typische Musikprodukte, Bekleidungsstücke und Devotionalien anbieten. Aufgrund der Corona-Pandemie 2020 ist ein Auftreten mit Verkaufsständen in der Öffentlichkeit nicht bekannt geworden. Der "Pommersche Buchdienst" hat seinen Sitz in Anklam und bietet sowohl im Ladengeschäft als auch online unter anderem Militaria, antiquarische Bücher und Schriften oder auch Fahnen und Flaggen an. Mit dem "4uVinyl-Versand" ist ein weiterer rechtsextremistischer Versandhandel in Anklam ansässig. Über das "NordlichtGnoien-Weltnetzgeschäft" können Tonträger, Bücher oder einige der bei Rechtsextremisten beliebten Bekleidungsmarken erworben werden. Der Vertriebsdienst "Leveler Records_GWT Produktion" wandte sich zum Jahresende 2020 mit einer Botschaft an "Freunde und Weggefährten" und verbreitete in dieser verschwörungstheoretische Versatzstücke. Demnach würde eine seit 2015 stattfindende "Geostrategie" zum "Niedergang der westlichen Zivilisation" führen. "Kriegstreiberische Aktivitäten der globalen Politmafia" hätten eine "Zwangs-Umsiedlung" der Menschen zur Folge. Auch wenn es "etwas ruhiger" um "Leveler Records" geworden sei, wolle man von dort weiterhin den Fokus auf "moderne und dennoch traditionsbewusste Musik richten".14 Im Jahr 2020 wurden von dort unter anderem neue CDs von "Path of Resistance" sowie von "Artgerecht", dem neuen Projekt von "Stimme der Vergeltung", beworben. 2.7 Parteiunabhängige bzw. parteiungebundene Strukturen/Neonazis Grundlage und feste Bezugsgröße des neonazistischen Spektrums ist der historische Nationalsozialismus, dargelegt im 25-Punkte-Programm der NSDAP. Die prägenden Ideologieelemente sind dabei Rassismus, Antisemitismus, Nationalismus und Antipluralismus. Neonazis streben einen ethnisch homogenen Staat nach dem "Führerprinzip" an. Das Kernelement bildet die Schaffung der sogenannten "Volksgemeinschaft", die Menschen anderer Herkunft oder Kultur ausschließt. Rechte des Einzelnen, Meinungsvielfalt und Pluralismus haben in dieser angestrebten "Volksgemeinschaft" keinen Platz, da ethnische Vielfalt und eine pluralistische Gesellschaft aus Sicht der Neonazis die Existenz des eigenen Volkes bedrohen. Der demokratische Rechtsstaat in seiner Gesamtheit wird als "Besatzerregime" abgelehnt. Historische 14 Telegram-Seite "Leveler Records_GWT-Produktion" vom 31.12.2020, abgerufen am 14.02.2021. 19 Tatsachen werden in revisionistischer Weise bis hin zur Holocaustleugnung umgedeutet. Trotz gemeinsamer ideologischer Grundelemente ist die neonazistische Szene nicht homogen. Die verschiedenen Ideologieelemente innerhalb der Personenzusammenschlüsse sind unterschiedlich stark ausgeprägt. Insbesondere bei jüngeren Neonazis prägen auch antiamerikanische, antikapitalistische oder antiimperialistische Einstellungen das jeweilige Weltbild. Der Bereich des parteiungebundenen Rechtsextremismus, der im Wesentlichen die Neonazistrukturen umfasst, ist weiterhin dezentral strukturiert. Keine der aktuell aktiven neonazistischen Gruppierungen ist in der Lage, die gesamte neonazistische Szene des Landes zu führen oder entscheidend zu prägen. Dies ergibt sich aus der eher informellen Struktur der Gruppierungen, die regelmäßig nur über einen regionalen Wirkungskreis verfügen. Nichtsdestotrotz unterhalten diese Gruppen, auch über die Landesgrenzen hinaus, unterschiedlich enge Kontakte untereinander. Sie sind umso intensiver, je strukturierter und organisierter die beteiligten Gruppen sind. Öffentlich wahrnehmbar sind diese Gruppierungen hauptsächlich im Internet, namentlich in den sozialen Netzwerken. Dort werden etwaige Aktionen vorund nachbereitet und insbesondere weltanschauliche Nachrichten verfasst und geteilt. Hinzu kommen geschlossene Gruppen in Messengerdiensten, in denen teils strafrechtlich relevante Dateien und Nachrichten ausgetauscht werden. Mit Blick auf die mögliche Entstehung rechtsterroristischer Strukturen ist hier weiterhin besondere Aufmerksamkeit geboten. Darüber hinaus wurde auch die Vernetzung in der Realwelt fortgeführt. So verfolgten einzelne Akteure weiterhin ihre Bemühungen, eine "Allianz" neonazistischer Gruppen zu etablieren. Im Einzelnen entwickelte sich diese Szene 2020 wie folgt: 2.7.1 Einzelgruppierungen/regionale Entwicklungen * Neonazistische Szene in Rostock "Aktionsblog" Der "Aktionsblog", eine auch unter dem Namen "Nationale Sozialisten Rostock" (NSR)15 agierende Kameradschaft, hat sich von der CoronaPandemie in seinen Aktivitäten scheinbar nur wenig einschränken lassen. Die Pflege der Profile in den sozialen Netzwerken erfolgte auf einem anhaltend hohen Niveau. Teilweise waren die Inhalte während des Berichtszeitraumes nicht mehr öffentlich einsehbar. Im Mai veröffentlichte die Gruppe beispielsweise ein Video ihrer Teilorganisation "Baltik Korps", das Szenen der Kampfsportaktivitäten der Gruppe zeigt. Der "Aktionsblog" war im Berichtszeitraum die strukturierteste und aktivste neonazistische Gruppe in Mecklenburg-Vorpommern und überregional vernetzt. Beispielsweise wurden Angehörige der Gruppe im Zusammenhang mit 15 Die Nationalen Sozialisten Rostock wurden am 24. Juni 2021 durch das Ministerium für Inneres und Europa auf der Grundlage des Vereinsgesetzes verboten. 20 dem "Kampf der Nibelungen" (KdN), einer durch Rechtsextremisten organisierten Kampfsportveranstaltung, festgestellt, der im Jahr 2020 lediglich als Online-Stream stattfand. Auffällig war außerdem, dass während der Sendung neben der Werbung für rechtsextremistische Modelabels auch mindestens drei Mal ein Imagefilm des "Aktionsblog" ausgestrahlt wurde. Bereits im Jahr 2019 hatte es mindestens einen Besuch des für den "Kampf der Nibelungen" Verantwortlichen beim "Baltik Korps" gegeben. 16 17 16 Internetseite "Aktionsblog", ohne Datum, abgerufen am 14.03.2019. 17 Telegram-Kanal des "Aktionsblog", 24.10.2020, abgerufen am 26.10.2020. 21 "Nordlichter Rostock" Auch die neonazistische Kameradschaft "Nordlichter Rostock" war im Jahr 2020 weiterhin aktiv, was sich aber insbesondere auf die Pflege des Facebook-Profils beschränkte. Dort teilte die Gruppe hauptsächlich Nachrichten und Grafiken, die das eigene Weltbild bestärkten und dabei den politischen Gegner sowie demokratische Institutionen verunglimpften. Offenbar gab es aber auch zumindest einzelne realweltliche Treffen, die aber kaum über die Gruppe hinaus wirkten. So ließ sich dem Facebook-Profil entnehmen, dass am 1. März 2020 "an einem Gedenkstein in einem Dorf in unserer Nähe" eine Gedenkaktion für einen im Ersten Weltkrieg gefallenen Soldaten stattfand. 18 "Wolfsbrigade 44 / Sturmbrigade 44" Die - wie bereits im Vorjahr dargestellte - mit den "Nordlichtern Rostock" verbundene und überregional agierende "Wolfsbrigade 44 bzw. Sturmbrigade 44" wurde durch das Bundesministerium des Inneren am 27. Oktober 2020 verboten. Im Rahmen dessen erfolgten auch Durchsuchungsmaßnahmen in Rostock. Bei der Gruppierung handelte es sich um eine aktive neonazistische Gruppierung, die sich mit dem Zahlencode 44 auf die "Division Dirlewanger" beziehungsweise direkt auf den Kriegsverbrecher Oskar Dirlewanger bezog. Ihr erklärtes Ziel war die Wiedererrichtung einer nationalsozialistischen Ordnung. Dem Verbot liegt eine umfangreiche Materialsammlung der Verfassungsschutzbehörden, unter Zulieferung verschiedener Polizeibehörden, zu Grunde. * Neonazistische Szene im Raum Güstrow (Landkreis Rostock) Im Berichtszeitraum wurden eine Vielzahl rechtsmotivierter Straftaten, insbesondere Volksverhetzung und die Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen im Raum Güstrow festgestellt. Ein weiterer Ausbau der Strukturierung der rechtsextremistischen Szene war aber nicht erkennbar. Inwiefern das Fehlen einer rechtsextremistischen Führungspersönlichkeit ursächlich dafür war, wird die weitere Entwicklung zeigen. Die örtliche rechtsextremistische Szene konzentrierte sich auf wenige, für ihre Anhänger aber symbolische Aktionen. So wurde am 25. April 2020 der private Briefkasten einer Landtagsabgeordneten der Partei Die LINKE mittels Pyrotechnik zerstört. Außerdem wurden im September 2020 auf dem Facebook-Profil "Pro Bützow" Bilder veröffentlicht, die die Abgeordnete offenbar in einem dortigen Cafe zeigen. Diese wurden mit "Unsere Lieblingsgüstrowerin ist gerade in unserer Heimatstadt. Sie und ihre Genossen sind für alle Fragen offen! Seid lieb!" kommentiert.19 Insgesamt verfolgte die örtliche Szene das Ziel, eine Bedrohungssituation zu schaffen und insbesondere Personen, die sich gegen Rechtsextremismus engagieren, einzuschüchtern. 18 Facebook-Seite "Nordlichter Rostock", 02.03.2020, abgerufen am 02.03.2020. 19 Facebook-Seite "Pro Bützow" vom 02.09.2020, abgerufen am 03.09.2020. 22 * Neonazistische Szene im Raum Waren (Landkreis Mecklenburgische Seenplatte) In der Vergangenheit war die Szene in Waren (Müritz) sehr aktiv und wurde dabei durch die weit vernetzte ehemalige Stadtvertreterin der NPD geprägt. Rechtsextremistische Veranstaltungen im Jahr 2020 im Bereich Waren (Müritz) wurden aufgrund der staatlichen Beschränkungen gegen die CoronaPandemie auf ein Minimum reduziert. Wichtige jährlich wiederkehrende Aktivitäten wurden zum Teil im Verborgenen durchgeführt und entfalteten wenig Außenwirkung. Ein Zeichen für die regionale Vernetzung der neonazistischen Szene in Mecklenburg-Vorpommern war ein gemeinsamer Fackelmarsch von verschiedenen neonazistischen Gruppierungen aus dem Raum Waren, Rostock und Güstrow zum sogenannten Heldengedenken am 15. November 2020 in Röbel/Müritz. * Neonazistische Szene im Raum Stralsund (Landkreis VorpommernRügen) Die "Initiative Vereint für Stralsund" führte am 24. Januar 2020 eine eigene Veranstaltung unter dem Motto "Mahnwache Fridays gegen Altersarmut in Stralsund" durch. Mit Beginn der Corona-Pandemie warb die "Initiative Vereint für Stralsund" dann für die Teilnahme an den Demonstrationen gegen die staatlichen Maßnahmen zur Einschränkung der Corona-Pandemie. Sie versuchte in der Anfangsphase der Demonstrationen, die Organisation zu übernehmen. Nachdem dies misslang, beschränkte sich die Gruppierung auf die Teilnahme an den Protesten und deren medialer Aufarbeitung. * Die "Artgemeinschaft - Germanische Glaubens-Gemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung e.V." (AG-GGG) Die "Artgemeinschaft" ist die derzeit größte deutsche neonazistische Vereinigung mit völkischer, rassistischer, antisemitischer sowie antichristlicher Ausprägung. Damit fungiert sie als wichtige Schnittstelle der deutschen Neonaziszene. Von hoher Bedeutung für die AG-GGG sind die im thüringischen Ihlfeld stattfindenden "Gemeinschaftstage". Diese Veranstaltungen, welche im groben Ablauf Familienveranstaltungen ähneln, werden stets in geschlossener Gemeinschaft abgehalten und dienen der Vernetzung, der Ideologievermittlung und dem Ausbau der Siedlungsbestrebungen im gesamten Bundesgebiet. Im Berichtsjahr 2020 waren Verbindungen der rechtsextremistischen Szene in Mecklenburg-Vorpommern zur AG-GGG feststellbar. * Weitere neonazistische Strukturen auf regionaler Ebene Als organisatorischer Rückhalt der rechtsextremistischen Szene waren auch 2020 sonstige örtliche Personenzusammenschlüsse in unterschiedlicher Größe von Bedeutung. Allerdings entfalteten nicht alle der nachfolgend genannten Gruppierungen öffentliche oder gar kontinuierliche Aktivitäten. Insoweit werden hier nur die Strukturen genannt, die nicht in der sonstigen Be23 richterstattung Erwähnung finden und die im Berichtszeitraum aktiv geworden sind: Landkreis Nordwestmecklenburg * Aktionsgruppe "F.i.e.L." ("Fremde im eigenen Land") mit Unterorganisationen "Aktionsgruppe F.i.e.L. Pommern", und "Aktionsgruppe F.i.e.L. Mecklenburg" 20 * "Germanisches Bollwerk Mecklenburg" * "Brigade 8" Landkreis Mecklenburgische Seenplatte * Aktionsgruppe "F.i.e.L." ("Fremde im eigenen Land") mit Unterorganisationen "Aktionsgruppe F.i.e.L. Pommern", und "Aktionsgruppe F.i.e.L. Mecklenburg" 21 * "Freikorps Heimatschutz" * "Hammerskins" Landkreis Vorpommern-Greifswald * "Arischer Widerstandsbund" * "Völkische Burschenschar Strasburg" * "Kameradschaftsbund Anklam" (KBA) * "Kameradschaftsbund Bargischow" (KBB) * "Aryan Warriors" * "Kameradschaft Borken" * "Nationales Bündnis Löcknitz" * "Hammerskins" Hansestadt Rostock * "Brigade 8" * "Hammerskins" Landkreis Rostock * "Freiheitliches Bündnis Güstrow" * "Hammerskins" 20 Die Aktionsgruppe (Kameradschaft) "F.i.e.l." und der Liedermacher "F.i.e.l." sind mittlerweile organisatorisch getrennt. 21 Die Aktionsgruppe (Kameradschaft) "F.i.e.l." und der Liedermacher "F.i.e.l." sind mittlerweile organisatorisch getrennt. 24 Landkreis Vorpommern-Rügen * "Bruderschaft Grimmen" * "Greif e. V. * "Hammerskins" * "Huskarlar MC Stralsund" 2.8 Neonazistisch geprägte Veranstaltungen und Aktivitäten Im Jahr 2020 führte die neonazistische Szene trotz der Einschränkungen zur Bekämpfung der Corona Pandemie - zum Teil jährlich wiederkehrende - Veranstaltungen durch: * "Tag der Ehre" am 8. Februar 2020 in Budapest Die rechtsextremistische Szene in Ungarn organisiert jährlich im Februar den "Marsch der Ehre" in Budapest. Anlass für die europaweite Vernetzung ist das Gedenken an den Kampf deutscher und ungarischer Truppen gegen die Rote Armee im Zweiten Weltkrieg. Die Teilnahme von deutschen Rechtsextremisten, auch aus Mecklenburg-Vorpommern, scheint sich zu verstetigen. * "Tollensemarsch" der rechtsextremistischen Szene am 29. Februar 2020 An dem seit 2004 alljährlich stattfindenden "Tollensemarsch" nahmen am 29. Februar 2020 ca. 60 Personen (2019: 55) teil. * Neonazistische Aktionen zum 8. Mai In der rechtsextremistischen Szene wird der 8. Mai (offizieller Gedenktag in Mecklenburg-Vorpommern) nicht als Tag der Befreiung vom Nationalsozialismus gesehen, sondern als "dunkler Tag in der Geschichte des deutschen Volkes" oder gar als "Schande". Unter dem Motto "Wir feiern nicht" gedenken Rechtsextremisten ausschließlich der deutschen Opfer des Krieges. 22 Einen ursprünglich auch im Jahr 2020 geplanten Trauermarsch der NPD sagte der Anmelder, aufgrund der Coronabekämpfungsmaßnahmen, ab. Vor diesem Hintergrund fanden im Jahr 2020 lediglich dezentrale Gedenkaktionen zum 75. Jahrestag der Befreiung vom Nationalsozialismus und der Beendigung des Zweiten Weltkrieges statt und es wurden Kreuze mit themenbezogenen Aufschriften festgestellt. * "Aktion Schwarze Kreuze" am 13. Juli 2020 Seit mehreren Jahren wird szeneintern dazu aufgerufen am 13. Juli schwarze Kreuze aufzustellen, um an deutsche Opfer von Gewalttaten zu erinnern, die von der rechtsextremistischen Szene Migranten zugerechnet werden. 2020 wurden insgesamt 151 Kreuze festgestellt. Dies waren zwar deutlich weniger als im Jahr zuvor, als mit 195 Kreuzen ein Höchststand erreicht wur22 Vgl. Ministerium für inneres und Europa Mecklenburg-Vorpommern (Hrsg.); "Rituale und Symbole der rechtsextremistischen Szene", Schwerin: 2015, S. 48. 25 de. Dennoch konnte die Szene damit ihr vergleichsweise hohes Aktivitätsniveau halten. Schwerpunkte waren die Landkreise Vorpommern-Greifswald mit der Insel Usedom, Mecklenburgische Seenplatte mit Demmin, Neubrandenburg, Waren und Malchow sowie Vorpommern-Rügen mit Stralsund und Grimmen. Hinweise auf eine landesoder bundesweite Steuerung sind nicht erkennbar. * Aktionen mit Bezug zum Todestag von Rudolf Heß Das Gedenken an den Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß ist, auch verbunden mit Verschwörungsmythen, weiterhin von hoher Bedeutung. Die Aktionen der rechtsextremistischen Szene um seinen Todestag sind 2020 weiter zurückgegangen. Im Landkreis Vorpommern-Greifswald brachten Unbekannte mehrere Plakate mit Bezug zu Heß an, die den Straftatbestand der Volksverhetzung erfüllten. In Altentreptow waren an einem Kriegsdenkmal drei entsprechende Holzkreuze und an einer Brücke über die A14 entsprechende Plakate angebracht. * "Heldengedenken" der rechtsextremistischen Szene Die rechtsextremistische Szene Mecklenburg-Vorpommern legte auch im Jahr 2020 am 15. November an mehreren Kriegsopfer-Denkmälern des Landes, darunter in Teterow, Waren (Müritz), Burg Stargard sowie am TheodorKörner-Denkmal bei Lützow Kränze nieder, um dem "Heldengedenken" nachzukommen. Bei den Kranzniederlegungen werden zumeist Gedichte oder andere anlassbezogene Texte wiedergegeben und Schweigeminuten abgehalten. In Röbel/Müritz trafen sich nach den Kranzniederlegungen mehrere neonazistische Gruppierungen zu einem spontanen Fackelmarsch. Auf dem Marktplatz in Löcknitz führten mehrere Personen eine Versammlung durch. Die Teilnehmer waren dem "Nationalen Bündnis Löcknitz" zuzurechnen. * "Germanisch-heidnische" Rituale Die germanisch-heidnischen Rituale, wie etwa die "Ostarafeste", die "Sonnenwendfeiern" und die "Julfeste" fanden auch im Jahr 2020 statt. Sie wurden jedoch zum größten Teil im kleineren Kreis oder im Verborgenen durchgeführt, um die staatlichen Beschränkungen zur Eindämmung des CoronaVirus zu umgehen.23 2.9 Krisenvorsorge durch Rechtsextremisten Der Denkweise extremistischer Akteure liegt die Angst vor einem dystopischen Gesellschaftsoder Staatszustand zugrunde. Damit einher geht die Annahme, dass sich die Gesellschaft bereits in einem Umbruchprozess befindet, den es im Sinne der eigenen Ideologie zu gewinnen gilt. Dabei kann ein bevorstehender "Rassenkrieg", eine geplante "Umvolkung" oder eine andersartig gestaltete Verschwörungstheorie handlungsleitend sein. Gemein ist diesen Ideen zumeist ein Zukunftsszenario, an dessen entscheidender Stelle zwangsläufig ein "Tag X" (Tag des Umsturzes) steht, 23 Vgl. hierzu Ministerium für Inneres und Europa Mecklenburg-Vorpommern (Hrsg.); Rituale und Symbole der rechtsextremistischen Szene, Schwerin: 2015. 26 auf den es sich vorzubereiten gilt. Es verwundert daher nicht, dass sich insbesondere diese Akteure auch im heterogenen Feld der Krisenvorsorge respektive der "Persönlichen Notfallvorsorge" bewegen, wobei eine diesbezügliche Radikalisierung bereits im Jahr 2015 festgestellt werden konnte. Exemplarisch kann hier auf die rechtsextremistische Gruppierung "Atomwaffen Division Deutschland" abgestellt werden. So heißt es in einem im Jahr 2018 veröffentlichten Video: "Wir bereiten uns auf den langen, letzten Kampf in Trümmern vor, der bald kommen wird. [...] Also here we prepare for the last, long fight, soon to come Sieg Heil!" (sic!) 24 Derartige Aussagen können - wenn auch in unterschiedlicher inhaltlicher Form und Intensität - bei einer Vielzahl rechtsextremistischer Akteure, wie auch im Fallkomplex "Nordkreuz", beobachtet werden. 2.10 Kampfsport in der rechtsextremistischen Szene Kampfsportaktivitäten nahmen innerhalb der rechtsextremistischen Szene weiterhin einen hohen Stellenwert ein. Führend in Mecklenburg-Vorpommern war dabei "Baltik Korps", eine Teilorganisation des "Aktionsblog". Festzustellen war hier beispielsweise, dass während des Onlinestreams des "Kampf der Nibelungen" neben Werbung für Modemarken von Rechtsextremisten mindestens dreimal ein Imagefilm des "Baltik Korps" ausgestrahlt wurde. Überhaupt ist der "Kampf der Nibelungen" die prägende rechtsextremistische Kampfsportveranstaltung, die in den vergangenen Jahren jeweils mehrere hundert Zuschauer anzog. Bereits 2019 konnte die Veranstaltung aufgrund von Hinweisen aus den Sicherheitsbehörden verboten werden. Als Reaktion darauf und auch wegen der geltenden Corona-Einschränkungen entschloss sich der Veranstalter, die Kämpfe vorab aufzuzeichnen und sie am 10. Oktober 2020 per Stream über das Internet auszustrahlen. Die etwa zweistündige Sendung beinhaltete sechs aktuell aufgezeichnete Kämpfe, zwei weitere stellten Aufzeichnungen früherer Jahre dar. Insgesamt blieb der Veranstalter damit hinter seiner Ankündigung von 15 Kämpfen zurück. Auch Veranstaltungen zur Aufzeichnung der Kämpfe sind im Vorfeld verboten worden. Bei der Auflösung einer solchen Veranstaltung im September 2020 in SachsenAnhalt wurden auch Personen aus Mecklenburg-Vorpommern festgestellt. Aufgrund der staatlichen Maßnahmen zur Verhinderung des "Kampf der Nibelungen" kündigte der Veranstalter im Rahmen des Streams an, bis zur juristischen Klärung keine neu24 Screenshot aus einem Reupload des Videos vom 16.11.2019 auf www.bitchute.com, abgerufen am 13.02.2020. 27 en Veranstaltungen der Reihe mehr zu planen. Man wolle sich stattdessen auf den Ausbau der eigenen Modemarke konzentrieren. Die Institutionalisierung von Kampfsportaktivitäten, insbesondere in lokalen Gruppen, ist dabei auch ein Faktor für die Stabilisierung der Szene. 2.11 Protestgeschehen gegen staatliche Maßnahmen in der CoronaPandemie Die staatlichen Corona-Maßnahmen stellten für die rechtsextremistische Szene bundesweit eine Projektionsfläche für Kundgebungen und "Spaziergänge" mit dem Ziel dar, die sogenannten Verstöße gegen das Grundgesetz zu kritisieren und diese zu unterbinden. Sie versuchten auf diesem Weg eine Anschlussfähigkeit zur Mitte der Gesellschaft herzustellen. Ziel war dabei nicht die Teilnahme am demokratischen Willensbildungsprozess, sondern vielmehr die Instrumentalisierung des Protests für die eigene Idee eines "Systemumsturzes". In Mecklenburg-Vorpommern war im Berichtsjahr kein zentral gesteuertes rechtsextremistisches Demonstrationsgeschehen erkennbar und auch keine ausschließliche Durchführung der Versammlungen durch Ableger der "Querdenken"-Bewegung. Vielmehr traten auch Einzelpersonen ohne erkennbare organisatorische Anbindung als Anmelder auf, zudem fanden mehrere dezentrale Proteste mit einer Mehrheit von nichtextremistischen Teilnehmern statt. Die meisten der sogenannten "Hygienedemos" und "Spaziergänge" wurden von nichtextremistischen Personen sowohl organisiert als auch besucht und verliefen friedlich. Eine Vermischung nichtextremistischer und extremistischer Akteure konnte dennoch festgestellt werden. An den Protesten nahmen auch rechtsextremistische Parteien, Gruppierungen, Einzelpersonen, "Reichsbürger und Selbstverwalter" sowie Verschwörungsideologen teil. Sie mobilisierten und bereiteten die Proteste in den sozialen Medien propagandistisch auf und machten sie so einer breiten Öffentlichkeit zugänglich. 2.12 Rechtsextremistische Parteien 2.12.1 "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD), Landesverband Mecklenburg-Vorpommern 25 25 Facebook-Seite des NPD-Landesverbandes, abgerufen am 29.12.2020. 28 Seit dem aus Sicht der NPD schwerwiegenden Verlust der Landtagsmandate 2016 und einer geschwundenen politischen, organisatorischen und finanziellen Durchschlagskraft befindet sich die Partei in einem kontinuierlichen Niedergang. Dieser wurde durch die schlechten Wahlergebnisse der letzten Jahre noch beschleunigt. Der weitere Rückgang der Aktivitäten der NPD im Land Mecklenburg-Vorpommern im Jahr 2020 dürfte zum einen auf die coronabedingten Einschränkungen zurückzuführen sein, zum anderen aber auch auf den Zustand der Gesamtpartei bundesweit, die in Bezug auf ihre weitere Strategie im Berichtszeitraum zunehmend orientierungslos erschien. Damit fehlt der neonazistischen Szene ein landesweites organisatorisches Netzwerk. Anziehungskraft entwickelt die Partei, die am 28. November 1964 in Hannover gegründet wurde, lediglich dann, wenn wie im Facebook-Profil "Deutschland gegen den Corona-Wahnsinn" keine unmittelbaren Rückschlüsse auf die Partei möglich sind. Die verbliebenen NPD-Anhänger halten jedoch mit einem gewissen Stolz an dem "nationalen Widerstand mit Tradition" fest. So formulierte der NPD-Kreisverband Vorpommern-Rügen auf seiner Facebook-Seite: "Zwei Verbotsverfahren, eine unglaubliche Medienhetze, Ausgrenzung und Lügen konnten nicht verhindern, dass mit der NPD immer gerechnet werden muss. Sicherlich sind die nächsten großen Erfolge nur eine Frage der Zeit. Denn das einzige, was unsere NPD nicht kann, ist aufgeben. Auf die nächsten 56 Jahre und auf alle treuen Mitglieder, die wahrlich stolz auf sich und unsere Partei sein können." 26 2.12.2 Aktivitäten der NPD Mecklenburg-Vorpommern im Einzelnen * Die NPD-Ortsgruppe Waren legte an einem Denkmal in Waren (Müritz) am 13. Februar 2020 ein Blumengebinde ab mit der Aufschrift "13. Februar 1945 Dresden - Wir vergessen nicht! NPD Waren". In diesem Zusammenhang wurde behauptet, dass die "Systemparteien" eine "Märchenstunde der Besatzer" verbreiten würden.27 * Die alljährliche Versammlung in Demmin zum 8. Mai wurde seitens der NPD abgesagt. Der NPD-Landesvorsitzende Stefan Köster erklärte in einem offenen Brief gleichwohl die Hintergründe der jährlichen Veranstaltung: Die alljährlichen Versammlungen würden seit dem Jahr 2006 in Demmin durchgeführt, weil der 8. Mai für "viele Deutsche" kein Tag der Befreiung sei, sondern im Gegenteil "das größte Verbrechen am deutschen Volk". "Heimatverbundene Frauen und Männer" würden sich nicht aus Eigennutz an diesen Versammlungen beteiligen, sondern wollten ihren "Beitrag für eine würdige Erinnerung leisten". "Wahrhafte Deutsche" würden auch in Zukunft dafür Sorge tragen, dass die damaligen "Schandtaten" nicht aus dem Bewusstsein der Menschen verschwänden. 28 Im Nachgang wurden seitens des NPD-Landesverbandes MecklenburgVorpommern Lichtbilder "diverser Gedenkaktionen" zum 8. Mai auf der Face26 Facebook-Seite des NPD-Kreisverbandes Vorpommern-Rügen vom 05.12.2020, abgerufen am 07.12.2020. 27 Facebook-Seite einer ehemaligen NPD Stadtvertreterin, vom 13.02.2020, abgerufen am 14.02.2020. 28 Internetseite des NPD-Landesverbandes: "Trauermarsch in Demmin am 8. Mai: Unsere Antwort auf den 'Offenen Brief der AfD'" vom 30.04.2020, abgerufen am 04.05.2020. 29 book-Seite veröffentlicht. Auf diesen waren abgelegte Kränze an Kriegsdenkmälern zu erkennen. An verschiedenen Orten wurden Kreuze aufgestellt, die u. a. folgende Aufschriften trugen "8. Mai - Wir feiern nicht!", "8. Mai - Wir vergessen nicht!", "8. Mai - Unvergessenes Leid" sowie "8. Mai - Tod und Leid".29 Ein Gedenkkranz des NPD-Landesverbandes wurde in die Peene geworfen. Der NPD-Kreisverband Vorpommern-Rügen führte am 8. Mai 2020 nach eigenen Angaben "an mehreren Orten" in Stralsund Gedenken durch und monierte den "schändlichen Zustand" der "Erinnerungsstätten an deutsches Leid" in der Hansestadt Stralsund.30 * Der NPD-Landesverband M-V unterstützte die bundesweite rechtsextremistische "Aktion Schwarze Kreuze". Die Forderung der NPD dazu lautet, den 13. Juli zum offiziellen Gedenktag zu erklären.31 Auch der NPD-Kreisverband Vorpommern-Rügen veröffentlichte Lichtbilder von aufgestellten Kreuzen, aufgenommen bei Nacht.32 * Mitglieder des NPD-Kreisverbandes Vorpommern-Rügen führten am 7. September 2020 eine Reinigungsaktion an Soldatengräbern in der Hansestadt Stralsund durch. In diesem Zusammenhang wurde der "schändliche Zustand" der "Erinnerungsstätten an deutsches Leid" moniert, die "weder gepflegt noch gewürdigt" würden. Außer der NPD würde sich sonst niemand um diese Gräber kümmern.33 * Der NPD-Landesparteitag fand am 31. Oktober 2020 in der NPDLandesgeschäftsstelle in Anklam statt. Der NPD-Landesverband stellte unter der Überschrift "Wir halten Kurs" ein kurzes Video ins Internet. Der NPDLandesvorsitzende Stefan Köster erwähnte in seiner Rede seine neue Kreistagsfraktion "Heimat und Identität" im Landkreis Ludwigslust-Parchim. Personen, die innerhalb der AfD "kurz vor dem Absprung" stünden, könnten in der NPD, so Köster, "eine Heimat finden". "Gemeinsame Maßstäbe" würden eine Zusammenarbeit möglich machen. Köster sowie sein Stellvertreter wurden einstimmig wiedergewählt. Die fünf Beisitzer hätten mit 95 bis 97,5 Prozent ebenfalls sehr hohe Zustimmungswerte erhalten.34 * Ein NPD-Landesvorstandsmitglied nahm mit weiteren Unterstützern des NPDKreisverbandes Vorpommern-Rügen an der Demonstration gegen die "CovidMaßnahmen" am 2. November 2020 in Stralsund teil. Mit drei weiteren Personen präsentierte er ein Transparent der insbesondere in den sozialen Netzwer29 Facebook-Seite "NPD-Landesverband MuP" vom 09.05.2020, abgerufen am 11.05.2020. 30 Facebook-Seite "NPD-Kreisverband Vorpommern-Rügen" vom 08.05.2020, abgerufen am 11.05.2020. 31 Facebook-Seite "NPD-Landesverband MuP" vom 14.07.2020, abgerufen am 14.07.2020. 32 Facebook-Seite "NPD-Kreisverband Vorpommern-Rügen" vom 13.07.2020, abgerufen am 14.07.2020. 33 Facebook-Seite des NPD-Kreisverbandes Vorpommern-Rügen vom 08.09.2020, abgerufen am 10.09.2020. 34 Internetseite des NPD-Landesverbandes: "Wir halten Kurs für unser Land - NPD-Landesparteitag bestätigt Stefan Köster einstimmig als Landesvorsitzenden!" vom 06.11.2020, abgerufen am 09.11.2020. 30 ken aktiven Gruppe "Deutschland gegen den Corona-Wahnsinn" und veröffentlichte hierzu Bilder im Internet.35 2.12.3 Zusammenarbeit mit ehemaligen Mitgliedern der "Alternative für Deutschland" (AfD) Vier aus der AfD-Kreistagsfraktion Ludwigslust-Parchim ausgetretene Personen gründeten am 16. September 2020 die neue Kreistagsfraktion Ludwigslust-Parchim "Heimat und Identität". NPD-Kreistagsmitglied Stefan Köster hatte die Gründung der neuen Fraktion auf seiner Facebook-Seite zunächst als "Belebung" für den Kreistag bezeichnet. Am 4. Oktober 2020 teilte er mit, dass er der Fraktion seit dem 1. Oktober 2020 angehört, und veröffentlichte ein entsprechendes Lichtbild. 36 Dieses Vorgehen gewinnt an Gewicht, da es sich bei Stefan Köster nicht um ein einfaches NPD-Mitglied handelt, sondern um den NPD-Landesvorsitzenden und Bundesschatzmeister der Partei. Auch auf der Facebook-Seite des NPD-Bundesverbandes wurde auf den Auftritt "Heimat und Identität - Kreistagsfraktion Ludwigslust-Parchim" verlinkt. In letzterem hieß es: "Wir sind ein Zusammenschluss nationaler Politiker, die sich über Parteigrenzen hinweg für ihre geliebte Heimat und ihre nationale Identität einsetzen. Unsere originäre Aufgabe ist es, unserem Volk und seinen Interessen zu dienen."37 Die neue Kreistagsfraktion in Ludwigslust-Parchim "Heimat und Identität" hatte im Zusammenhang mit der Kreistagssitzung am 20. Oktober 2020 zu ihrer ersten Kundgebung unter dem Motto "Nein zur Aufnahme weiterer Flüchtlinge unter dem Deckmantel der Humanität!"38 aufgerufen. Als Anmelder fungierte ein NPDKreisvorstandsmitglied, das als Geschäftsführer eingesetzt wurde. Der NPDLandesverband empfahl auf seiner Facebook-Seite, die Versammlung der "überparteilichen Fraktion" zu besuchen.39 In der NPD-Publikation "Deutsche Stimme" (DS) fand sich ein Interview mit dem NPD-Landesvorsitzenden Stefan Köster sowie dem früheren AfD-Landessprecher Dennis Augustin, die beide der Kreistagsfraktion Ludwigslust-Parchim "Heimat und Identität" angehören. Darin machte Augustin deutlich, dass aus seiner Sicht die AfD ihre "historische Chance" verspielt habe und mehrheitlich den "Kurs der Frontalopposition" aufgegeben hätte. Zwar sei ihm bewusst gewesen, dass die Zusammenarbeit mit dem NPD-Landesvorsitzenden "einigen Staub aufwirbeln" würde. Allerdings seien die "Gemeinsamkeiten schnell klar" gewesen und "die Chemie habe von Anfang an gestimmt". Im AfD-Landesverband gäbe es laut Augustin eine "erhebliche Zahl" von Personen, die nur auf den "richtigen Moment für den Absprung" warten würden. 35 Facebook-Seite des NPD-Kreisverbandes Vorpommern-Rügen: "Montagsdemonstration in Stralsund" vom 03.11.2020, abgerufen am 05.11.2020. 36 Facebook-Seite Stefan Köster vom 03.10.2020, abgerufen am 05.10.2020. 37 Facebook-Seite "Heimat und Identität - Kreistagsfraktion Ludwigslust Parchim" vom 02.10.2020, abgerufen am 06.10.2020. 38 Facebook-Seite "Heimat und Identität - Kreistagsfraktion Ludwigslust-Parchim" vom 19.10.2020, abgerufen am 20.10.2020. 39 Facebook-Seite "NPD-Landesverband MuP" vom 19.10.2020, abgerufen am 20.10.2020. 31 Schon jetzt werde die Fraktion "von vielen Seiten" gebeten, "den nächsten Schritt zu gehen". Köster beschrieb die Zusammenarbeit in der Fraktion als "natürliche Notwendigkeit". Für ihn stünden nicht persönliche Belange im Vordergrund, sondern das "Fortbestehen des Volkes als Abstammungsgemeinschaft, sowohl biologisch als auch kulturell".40 2.12.4 Instrumentalisierung tagespolitischer Ereignisse für die Verbreitung der eigenen Weltsicht * Reaktionen auf die Corona-Pandemie und die damit verbundenen staatlichen Maßnahmen Die Bundes-NPD, die "Jungen Nationalisten" sowie "DIE RECHTE" verbreiteten am 26. April 2020 die Aufforderung, das Internet - genannt wurden in diesem Zusammenhang die sozialen Netzwerke Twitter, Facebook, Instagram, Whatsapp und Telegram - mit dem Hashtag "#Systemexit" zu "fluten". Aus M-V beteiligten sich u. a. der NPD-Kreisverband Vorpommern-Rügen und der NPD-Kreisverband MecklenburgMitte, die unter der Überschrift "#Systemexit Globalisierung bedeutet Volkstod!" den Aufruf teilten: "Darum rufen wir allen deutschen Männern und Frauen zu, wagt den Ausstieg aus der Globalisierung, organisiert euch im Kampf für unser Volk sowie dessen Fortbestand und besinnt euch auf Eure Herkunft und unser Erbe! Das System ist am Ende, wir sind die Wende!"41 42 Der NPD-Landesverband M-V veröffentlichte eine Stellungnahme zur "Globalisierungsseuche Corona", für die "Angela Merkel und ihre Mittäter" verantwortlich seien. Merkel habe zugelassen, dass Pharmakonzerne die Produktion von Medikamenten und Wirkstoffen "aus Profitgier" ins Ausland verlagert hätten, besonders nach Indien und China. Als "Netzfund" wurde hierzu eine Grafik verwendet, die bereits im Rahmen der Flüchtlingswelle ab 2015 vielfach zur Anwendung kam. Wie schon damals lastet die NPD der Bundeskanzlerin die persönliche Verantwortung für sämtliche Folgen der Corona-Pandemie an und verwendet dabei Begriffe des Strafrechts (Täter/Mittäter). 40 "Der Wille kann viel erreichen, wenn er sich auf einen Punkt richtet", veröffentlicht in DS Januar 2021, S. 44, 45. 41 Facebook-Seite "NPD-Kreisverband Vorpommern-Rügen" vom 26.04.2020, abgerufen am 27.04.2020. 42 Facebook-Seite "NPD - Die soziale Heimatpartei" vom 26.04.2020, abgerufen am 27.04.2020. 32 43 Die Landes-NPD brachte zudem eine Sonderausgabe ihrer Publikation "Kurz & Knapp" heraus. Nach Auffassung der NPD habe die Krise vor allem deutlich gemacht, dass die "EU ein künstlich installiertes Konstrukt ohne Substanz und Daseinsberechtigung" sei. "Naturgemäß" verteidige und regiere jedes Land "instinktiv für die eigenen Interessen und nach seinen Belangen". Es sei wichtiger denn je, "selbst vorbereitet zu sein und vorzusorgen".44 Der NPD-Landesvorsitzende Stefan Köster monierte auf der Internetseite des NPDLandesverbandes eine "Außerkraftsetzung der Grundrechte" und Unverhältnismäßigkeit der Mittel. Während für Bürger "Maskenzwang" herrsche, würden sich Politiker bei Terminen ohne Masken und Abstandswahrung zeigen. Der sich abzeichnende wirtschaftliche Niedergang sei nur teilweise "coronabedingt", Hauptursache sei die Globalisierung. Nach der Anti-Corona-Großdemonstration am 29. August 2020 in Berlin, an der sich Rechtsextremisten aus Mecklenburg-Vorpommern beteiligt hatten und bei der es zu einer kurzzeitigen Besetzung der Reichstagstreppe gekommen war, sprach Köster von einem "jämmerlichen Empörungstheater" der "politischen Klasse". Diese sei eigentlich "Diener des Volkes", würde jedoch die "Interessen des Volkes verkaufen und verraten". Die Politiker hätten dem "Volke nichts zu befehlen". Das deutsche Volk habe leider vergessen, "gemeinwohlorientiert und somit völkisch zu denken". Köster hoffe nun auf den "Beginn eines Erwachens".45 Nach dem zweiten Lockdown teilte der NPD-Kreisverband Vorpommern-Rügen einen Beitrag der NPD-nahen Facebook-Seite "Deutschland gegen den Corona-Wahnsinn", in dem von einer "Corona-Diktatur" die Rede war, die zu einem "neuen Kommunismus" werde. "Arbeiten und Steuerzahlen" seien, die Gastronomie ausgenommen, erlaubt, "Spaß, Kultur und Gemeinschaft" würden verboten.46 Der NPDLandesverband rief indirekt zum Widerstand auf: 43 Vgl. Verfassungsschutzbericht MV 2016, S. 56. 44 "Corona - eine notwendige Anmerkung!", veröffentlicht in "Kurz & Knapp - Sonderausgabe" S. 1. 45 Facebook-Seite "NPD-Landesverband MuP" vom 30.08.2020, abgerufen am 31.08.2020. 46 Facebook-Seite "NPD-Kreisverband Vorpommern-Rügen" vom 29.10.2020, abgerufen am 30.10.2020. 33 "Es liegt auch an uns, ob die Regierenden widerstandslos die Existenz vieler Unternehmen, Arbeitnehmer und letztlich Familien skrupellos vernichten können!" 47 Die vorgenannten Zitate belegen, dass es der NPD nicht lediglich darum geht, (legitimen) Protest gegen einzelne staatliche Maßnahmen im Rahmen der CoronaPandemie auszudrücken. Vielmehr soll die bestehende freiheitliche demokratische Grundordnung, die als Diktatur verunglimpft wird, überwunden und ein Systemwechsel herbeigeführt werden. Hier zeigt sich erneut deutlich die Verfassungsfeindlichkeit der NPD. * Kampagne der NPD "White Lives Matter" Nach dem Tod von George Floyd und der daraufhin entstandenen weltweiten "Black Lives Matter"-Bewegung ("Schwarze Leben zählen") teilten und kommentierten Rechtsextremisten in ihren Social-Media Profilen Presseberichte und Videos. Es wurde die Behauptung aufgestellt, dass die Spannungen, die sich dort Bahn brachen, auf den "multirassischen" Charakter der US-amerikanischen Gesellschaft zurückzuführen seien. Die Polizeigewalt wurde hingegen kaum thematisiert. Der NPDLandesverband MV bezeichnete den "schwarzen Amerikaner George Floyd" als "Gewaltverbrecher und Frauenfeind". In einem fairen Prozess hätten die Polizisten nach Auffassung der NPD freigesprochen werden müssen, aber die Staatsanwaltschaften würden "dem Mob" folgen.48 Der NPD-Kreisverband Mecklenburg-Mitte sah die Ausschreitungen in den USA als Beleg dafür, "wie fragil multikulturelle und multirassische Systeme" sind. Die "Vermischung von Völkern, Ethnien und Kulturen" habe "immer Zerstörung und Gewalt zur Folge".49 Es wurde prognostiziert, dass es in Deutschland zu ähnlichen Verhältnissen kommen werde. Die NPD rief als Reaktion zudem die Kampagne "White Lives Matter" ins Leben. Der NPD-Materialdienst verwendete in seinem Facebook-Profil ein themenbezogenes Plakat als Titelbild und bot dazu passende Bekleidungsstücke zum Kauf an. 47 Facebook-Seite "NPD-Landesverband MuP" vom 28.10.2020, abgerufen am 30.10.2020. 48 Internetseite des NPD-Landesverbandes: "Der neue Held und Martyrer der Linken - 'I can't breathe' - George Floyd: Ein Gewaltverbrecher und Frauenfeind!" vom 08.06.2020, abgerufen am 09.06.2020. 49 Facebook-Seite des NPD Kreisverbandes Mecklenburg-Mitte vom 01.06.2020, abgerufen am 02.06.2020. 34 50 Begründet wurde die Kampagne damit, dass "Schwarze den Tod von George Floyd zum Anlass" nehmen würden, "Einkaufsläden zu plündern, Kraftfahrzeuge zu zerstören und Jagd auf unschuldige Weiße" zu machen. Es handele sich nicht länger um "Protest", sondern um "Verbrechen". Darüber hinaus hieß es von der NPD erneut: "Multikulti tötet".51 Es handelt sich um die übliche Argumentation von Rechtsextremisten, die die bisherige privilegierte Stellung der weißen Bevölkerung erhalten wollen und bereits Kritik an einer Ungleichbehandlung zum Anlass nehmen, um von "Rassismus gegen Weiße" zu sprechen. Für Rechtsextremisten hängt der Wert eines Menschen von seiner Ethnie ab, und (weiße) Europäer gelten anderen Völkern als überlegen. * Reaktionen auf mutmaßlich islamistische Terroranschläge Die Enthauptung eines Lehrers in Frankreich durch einen 18-jährigen in Moskau geborenen Tschetschenen rief erwartungsgemäß zahlreiche Reaktionen der rechtsextremistischen Szene hervor. Dabei wurde die Tat instrumentalisiert, um die eigenen fremdenfeindlichen bzw. muslimenfeindlichen Positionen weiter zu untermauern. Der NPD-Kreisverband Mecklenburg-Mitte teilte eine Berichterstattung der NPDPublikation "Deutsche Stimme", die zu dem Schluss kam, dass es "mit Sicherheit nicht die letzte Tat dieser Art" gewesen sei, und kommentierte hierzu: "Der Import von Millionen wesensfremder Menschen aus aller Herren Länder führt zu solchen Taten. Ein Blick ins heutige Frankreich zeigt die Zukunft der BRD." 52 Auf einen weiteren mutmaßlichen terroristischen Anschlag am 2. November 2020 in Wien reagierte der NPD-Kreisverband Mecklenburg-Mitte unmittelbar nach der Tat wie folgt: "Wieder gibt es Tote und wieder waren es Islamisten. Die seit Jahren betriebene multikulturelle Einwanderungspolitik in Europa trägt immer wieder blutige Früchte. Beenden wir diesen Wahnsinn endlich."53 50 Titelbild der Facebook-Seite "NPD Materialdienst" vom 02.06.2020, abgerufen am 03.06.2020. 51 Facebook-Seite "NPD Materialdienst" vom 02.06.2020, abgerufen am 08.06.2020. 52 Facebook-Seite des NPD-Kreisverbandes Mecklenburg-Mitte vom 17.10.2020, abgerufen am 19.10.2020. 53 Facebook-Seite des NPD-Kreisverbandes Mecklenburg-Mitte, zuletzt abgerufen am 06.11.2020. 35 * Antisemitische Tendenzen in der Stellungnahme der NPD MecklenburgVorpommern zum "Kommando Spezialkräfte" der Bundeswehr Die NPD Mecklenburg-Vorpommern griff den Sachverhalt rund um den persönlichen Brief eines Hauptmanns des "Kommandos Spezialkräfte" auf, in dem dieser von "rechtsextremistischen Tendenzen" und einer "toxischen Verbandskultur" geschrieben hatte. Da dieser damit nach Auffassung der NPD "auf übelste Weise seine eigene Truppe angeschwärzt" habe, hätte man ihm "30 Silberlinge Judaslohn" in die Hand drücken und ihn dann "zum Teufel jagen" sollen. Hierzu wurde eine Grafik von A. Paul Weber ("Der Denunziant") gezeigt, die an die Abbildung von Juden während der Zeit des Nationalsozialismus erinnert. Die NPD empfahl, "diesem Armee-Imitat", wo Gewehre sowieso nicht funktionieren und Panzer nicht fahren würden, nicht beizutreten. Elitesoldaten würden in ihrer Ausbildung nunmehr "sicherlich mit gendergerechter Sprache, schwul-lesbischer Kultur und den Vorzügen des Islam bekannt gemacht".54 2.12.5 Verfahren zum Ausschluss der NPD von der Parteienfinanzierung Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung beantragten mit einer im Juli 2019 beim Bundesverfassungsgericht eingereichten 154-seitigen Antragsschrift, der NPD als Antragsgegnerin die staatliche Finanzierung und die parteispezifische Steuerprivilegierung abzuerkennen. Die Materialsammlung für das Verfahren zum Ausschluss der NPD von der staatlichen Parteienfinanzierung wird von den Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder fortlaufend aktualisiert. 2.12.6 "Junge Nationalisten" (JN) 55 Die NPD-Jugendorganisation "Junge Nationalisten" (JN) versteht sich als Bindeglied zwischen der Mutterpartei und "Freien Kräften" und will junge Menschen durch politischen Aktivismus für die Parteiarbeit gewinnen. Dabei orientieren sich die JN am historischen Nationalsozialismus. Folgende Einzelaktivitäten der JN wurden im Jahr 2020 in Mecklenburg-Vorpommern bekannt: 54 Internetseite des NPD-Landesverbandes: "Der neue Held des deutschen Militärs ist der Denunziant" vom 15.07.2020, abgerufen am 17.07.2020. 55 Twitter Profil der "Jungen Nationalisten", abgerufen am 29.12.2020. 36 * Die JN beteiligten sich am 30. Januar 2020 am jährlichen Gedenken anlässlich der Versenkung der "Wilhelm Gustloff" in Swinemünde. Die ins Internet eingestellten Lichtbilder zeigten ca. zehn Personen. Die JN betonten in diesem Zusammenhang ihre "Pflicht und Aufgabe, an diese Kriegsverbrechen zu erinnern, die deutsche Bevölkerung aus ihrem Dornröschenschlaf zu befreien und gegen die weiter zunehmende Geschichtsverklärung Flagge zu zeigen". 56 Dabei wurden, wie bei Rechtsextremisten üblich, das übrige Kriegsgeschehen des Zweiten Weltkrieges sowie die Verbrechen des NS-Regimes ausgeklammert, um der zugedachten Opferrolle Deutschlands im Rahmen des bestehenden geschichtsrevisionistischen Weltbildes Vorschub zu leisten. * Die JN hatten auch 2020 wie in jedem Jahr zu einem bundesweiten "Aktionstag 3. Oktober" aufgerufen. Die JN Pommern beteiligten sich an dem Aktionstag und nahmen an einer "historischen Rundfahrt über das gesamte Gelände der Heeresversuchsanstalt" in Peenemünde teil.57 Anders als das Historisch-Technische Museum sei dieser Teil nur durch eine Sondergenehmigung zugänglich und stehe unter Naturschutz. Auf besonderes Interesse seien die damalige Entwicklung und der Test verschiedener Raketen für den Krieg gestoßen. Wie veröffentlichte Lichtbilder zeigten, nahmen mindestens vier Personen an der Besichtigung teil. * Darüber hinaus berichteten die JN auf ihrer Telegram-Seite über den jährlichen Gedenkmarsch "Ausbruch 60" in Ungarn und die Hintergründe dieser Veranstaltung. Hier soll an den gemeinsamen Ausbruch deutscher und ungarischer Soldaten sowie Zivilisten aus dem "Kessel der roten Armee" in Budapest gedacht werden. Neben dem Marsch hätten auch eine Gedenkveranstaltung und weitere Veranstaltungen stattgefunden, "die einen gemeinsamen europäischen Geist der Völker" beschwören sollten. Die JN wollten "jedem diese Erfahrung ans Herz" legen.58 2.12.7 "DIE RECHTE" 59 Die Partei "DIE RECHTE" wurde am 27. Mai 2012 durch mehrheitlich ehemalige Mitglieder der "Deutschen Volksunion" (DVU) auf Initiative des bis zum 31. Oktober 2017 amtierenden Bundesvorsitzenden Christian Worch in Hamburg gegründet. Die Partei versucht immer wieder, mit bewussten positiven Bezugnahmen auf den Natio56 Internetseite der JN: "Pommern: Die Versenkung der 'Wilhelm Gustloff' unvergessen" vom 01.02.2020, abgerufen am 04.02.2020. 57 Internetseite der "Jungen Nationalisten": "Aktionstag 3. Oktober 2020" vom 05.10.2020, abgerufen am 06.10.2020. 58 Telegram-Seite "Die Rechte Forwarded from Junge Nationalisten" vom 09.02.2020, abgerufen am 10.02.2020. 59 Internetseite "Die Rechte", abgerufen am 29.12.2020. 37 nalsozialismus oder antisemitischen Aussagen im Stil der NS-Zeit zu provozieren und damit öffentliche Aufmerksamkeit zu erlangen. So erfolgte am 20. April 2020, dem Jahrestag des Geburtstags Adolf Hitlers, die öffentliche Aufforderung, Flaggen in den Reichsfarben des Deutschen Reiches schwarz, weiß und rot zu hissen. Bereits im Europawahlprogramm hatte "DIE RECHTE" nach eigenen Angaben gefordert, den 20. April zum deutschen Nationalfeiertag zu machen.60 Landeseigene Aktivitäten oder Strukturen der neonazistischen Partei waren im Jahr 2020 nicht feststellbar. 2.12.8 "Der III. Weg" 61 Die Partei "Der III. Weg" wurde am 28. September 2013 in Heidelberg gegründet. Das Parteiprogramm propagiert ein völkisch-antipluralistisches Menschenund Gesellschaftsbild. Es fordert u.a. die Erhaltung und Entwicklung der "biologischen Substanz des Volkes" und die Schaffung eines Deutschen Sozialismus. Die Aktivitäten der sich als "nationalrevolutionär" verstehenden Teilstruktur "Der III. Weg Pommern" haben sich in den letzten Jahren verfestigt, wenn auch nach wie vor auf einem niedrigen Niveau und mit nur wenigen Mitgliedern. Die meisten Aktivitäten waren im Berichtszeitraum auf der Insel Usedom feststellbar. Angehörige der rechtsextremistischen Partei "Der III. Weg", deren Parteizugehörigkeit aufgrund von Aufschriften auf ihren Jacken erkennbar war, besuchten im April 2020 auf Usedom einen landwirtschaftlichen Betrieb und veröffentlichten hierzu Lichtbilder im Internet. Nach kurzen Gesprächen "auf Distanz" habe man zur derzeitigen durch Corona geprägten Situation der Landwirte herausgehört, dass zwar Ängste wegen des Wegfalls tausender Saisonarbeiter bestünden, auf der anderen Seite die Krise jedoch auch als Chance gesehen werde, wieder verstärkt auf Regionalität zu setzen. Die Aktivisten des "Der III. Weg" hätten schon weit vor der Krise "hunderte Flugblätter" auf Usedom zum Thema "Der Bauernstand macht stark das Land" verteilt, um ihre Solidarität mit den deutschen Bauern auszudrücken. 62 Flugblätter mit der Überschrift "Das System ist gefährlicher als Corona" wurden im Juni 2020 ebenfalls auf der Insel Usedom von "Aktivisten" der Partei verteilt, um "Aufklärung zu betreiben und auf die Gefahren des sogenannten 'Lockdown' hinzu60 Telegram-Seite "Die Rechte" vom 20.04.2020, abgerufen am 21.04.2020. 61 Twitter-Profil "Der III. Weg", abgerufen am 29.12.2020. 62 Internetseite "Der III. Weg": "Usedom: Familie - Heimat - Tradition" vom 14.04.2020, abgerufen am 16.04.2020. 38 weisen". Die "tatsächliche Krise" bestünde in der "erheblichen Einschränkung des öffentlichen Lebens, Massenarbeitslosigkeit und zahllosen drohenden Firmenpleiten". Zudem wurden im Internet weitere Aktionen angekündigt, um "Öffentlichkeit herzustellen". Die erste Flugblattverteilung sei in Zinnowitz erfolgt. "Der III. Weg" erhofft sich auch auf der Insel "sichtbaren Protest", an dem man sich beteiligten wolle.63 Unter dem Motto "sozial aktiv in Wolgast" verteilte "Der III. Weg" im Oktober 2020 Flugblätter, die die Aufschrift "Mietwahnsinn stoppen! Soziale Gerechtigkeit für alle Deutschen!" trugen, womit auf die sozialen Missstände auf dem Wohnungsmarkt aufmerksam gemacht werden sollte. Gerade für Familien werde es immer schwieriger, bezahlbaren Wohnraum zu bekommen, auch weil es zunehmend mehr Ferienwohnungen gebe. Da in Zeiten von Corona die Tourismusbranche jedoch einbreche, werde die "soziale Schieflage" weiter verstärkt.64 Die gewählten Themen sind ein Beispiel für das Phänomen, eine Anschlussfähigkeit an breitere nichtextremistische Kreise zu erreichen und dabei zugleich Thesen eines "nationalen Sozialismus" publik zu machen. 2.13 "Identitäre Bewegung Deutschland e. V." (IBD) und "Identitäre Bewegung Mecklenburg-Vorpommern" (IB MV) 65 2.13.1 Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung Es liegen tatsächliche Anhaltspunkte dafür vor, dass der eingetragene Verein "Identitäre Bewegung Deutschland e. V." (IBD) Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung verfolgt. Insbesondere die zentrale Forderung nach dem Erhalt der ethnokulturellen Identität verstößt gegen die Menschenwürde, weil hierdurch einzelne Personen oder Personengruppen als Menschen zweiter Klasse behandelt werden. Dies wird unter anderem deutlich an einer von der IBD behaupteten und massiv kritisierten "Heterogenisierung von Gesellschaften durch fremdkulturelle Einwanderung". Die Gruppierung verletzt überdies auch deshalb die Menschenwürde, weil sie kontinuierlich gegen Ausländer, vornehmlich gegen solche muslimischen Glaubens, verbal agitiert und diese Personen pauschal verächtlich macht. Vor die63 Internetseite "Der III. Weg": "Das System ist gefährlicher als Corona!" vom 06.06.2020, abgerufen am 09.06.2020. 64 Internetseite "Der III. Weg": "Sozial aktiv in Wolgast" vom 21.10.2020, abgerufen am 23.10.2020. 65 Telegram-Seite "Identitäre Bewegung Mecklenburg-Vorpommern", abgerufen am 29.12.2020. 39 sem Hintergrund hat das Verwaltungsgericht Berlin die Einstufung der IBD als "gesichert rechtsextremistisch" als rechtmäßig angesehen.66 Neben dem regionalen Ableger "Identitäre Bewegung Mecklenburg-Vorpommern" (IB MV) weisen der der IBD zuzurechnende Verein "Heimwärts e. V." und die Unternehmen "Kohorte UG", "Schanze Eins", "Okzident Media" sowie der Internetversandhandel "Phalanx Europa" Bezüge zum hiesigen Bundesland auf. Es ist davon auszugehen, dass zumindest ein Teil der Einnahmen zur Finanzierung der Aktivitäten der IBD verwendet wird. 2.13.2 Strategie/Ideologie Die IBD widmete sich im Jahr 2020 stärker als zuvor wieder der theoretischen Grundlagenarbeit, unter anderem über die Internetseite "Originem". In den dort veröffentlichten Beiträgen, beispielsweise über "Ethnokulturelle Identität", fanden sich zahlreiche Bezugnahmen auf intellektuelle Vertreter der "Konservativen Revolution" bzw. der "Neuen Rechten", wie Carl Schmitt, Alain de Benoist und Henning Eichberg. Über den Telegram-Kanal des Theorieprojekts "Originem" wurde zudem auf eine Organisation "Junge Flamme" als "Plattform für konservative Kultur-, Bildungsund Jugendarbeit" hingewiesen und Verlinkungen auf verschiedene Auftritte der Organisation im Internet vorgenommen (Youtube, Instagram, Telegram). Dort wurde zum Beispiel unter dem Stichwort "Querfront" in einem Internetvideo eine "zweckgebundene Zusammenarbeit von linken und rechten Kräften" thematisiert. Ein zum Jahresende 2020 geschaffenes "Okzident Media Portal" namens "Feldzug Blog" beschäftigte sich mit dem "Superwahljahr 2021", mit linkem und rechtem Populismus sowie mit der "AfD und ihren Machtoptionen", ohne dass die Bezüge zur rechtsextremistischen Bestrebung IBD unmittelbar erkennbar waren. Die IBD stellte zudem am 20. November 2020 die Internetseite "GefährderMap" vor, mit der sie über "Islamisten, Hassprediger, Gefährder" informieren wolle. Es fand sich ein Aufruf insbesondere an die "Mitarbeiter von Polizei, Feuerwehr, Rettungsdienst, Bundeswehr, Ämtern und Geheimdiensten", es den Kollegen gleich zu tun und die "Gefährderdatenbank" der IBD aufzustocken. So solle Druck auf die Regierung ausgeübt werden. In einer "provisorischen 'Gefährderkarte'" wurden Informationen zusammengetragen, die nach eigenen Angaben aus "Profilen in sozialen Medien, Zeitungsartikeln, Fernsehberichten und Einzelfallinformationen von anonymen Quellen" stammen würden. Um die "Einreise islamistischer Gefährder zu verhindern", müssten "umgehend die Grenzen geschlossen werden".67 Es handelte sich um den Versuch der IBD, Ängste vor islamistischen Terroranschlägen zu schüren und anstelle des Staates hoheitliche Aufgaben zu übernehmen. Auch wenn in der Folge der Veröffentlichung keine schädigenden Ereignisse zum Nachteil der genannten Personen bekannt geworden sind, stellte diese Aktion doch eine erhebliche Bedrohungssituation dar und schürte darüber hinaus fremdenfeindliche Einstellungen. 66 Siehe Urteil: VG 1 L 188/20. 67 Internetseite "GefährderMap", abgerufen am 07.12.2020. 40 Die sozialen Netzwerke Facebook und Instagram hatten die Konten der IBD und ihrer Untergruppen bereits im Jahr 2018 gesperrt. Eine weitere Sperrung erfolgte im Jahr 2020 auch durch die Videoplattform "Youtube" sowie auf Twitter. 2.13.3 Aktivitäten von IB-Anhängern aus Mecklenburg-Vorpommern Im Berichtszeitraum führten Anhänger der IB MV erneut eine Reihe von Aktionen durch. Exemplarisch werden genannt: * Mindestens fünf Anhänger der IB MV unterstützten am Wochenende des 18./19. Januar 2020 die "Umweltsau"-Initiative der IBD. Hierfür stellten sie sich mit einem Transparent mit der Aufschrift "GEZ SABOTIEREN! NDR BOYKOTTIEREN!" sowie zwei Schildern mit der Aufschrift "ICH #UMWELTSAU ZAHLE JÄHRLICH 8 MRD EURO GEZ-GEBÜHR!" vor das Gebäude des NDR in Greifswald. 68 Gleichlautende Schilder waren auch schon vor der WDR-Zentrale in Köln und dem SWR-Gebäude in Ulm zum Einsatz gekommen. Zudem trugen einige Teilnehmer - wie auch zuvor in den vorgenannten Städten - Schweinsmasken. Anschließend wurden Flugblätter in der Fußgängerzone verteilt. * Die IB MV drückte im März 2020 ihren Protest gegen "Bestrebungen" der Partei "Die LINKE" (vermeintliche Forderungen nach "Arbeitslagern" und "Enteignungen", Feststellung, die DDR wäre eine Demokratie gewesen, Staatsgelder für die Antifa) aus und trieb "das Ganze auf die Spitze", indem an Parteibüros der "LINKEN" in Rostock, Stralsund und Neubrandenburg Plakate gehängt wurden, die offenbar den Eindruck erwecken sollten, sie stammten von der Partei selbst. In einem gefälschten Anschreiben an die Bürgerinnen und Bürger der jeweiligen Städte wurde mitgeteilt, dass nach dem Wahlsieg Bodo Ramelows in Thüringen dort angeblich "Taten folgen" würden, weil sich "das Potenzial der Worte erschöpft" habe.69 * Im Mai 2020 veröffentlichte die IB MV in den sozialen Netzwerken Lichtbilder des Fritz-Reuter-Denkmals in Neubrandenburg, das mit einem Mundschutz, einem Plakat mit dem Symbol der IBD sowie einem Zitat von Fritz Reuter ("Daß du die Nas' ins Gesicht behältst") versehen wurde. Damit wollte die IB MV nach eigenen Angaben auf die "fast vergessene Migrationskrise" aufmerksam machen.70 * Am 15. Mai 2020 stellte die Polizei vor dem Wahlkreisbüro von Bundeskanzlerin Merkel in Stralsund einen nachgebildeten Grabstein mit befestigtem Mundschutz fest. Die Inschrift lautete: "Pressefreiheit Meinungsfreiheit Bewegungsfreiheit Versammlungsfreiheit DEMOKRATIE 1990 - 2020". Auf dem Grabstein sowie mehreren Grablichtern war das Symbol der IBD erkennbar. Die Aktion wurde wie üblich von der IB MV in den sozialen Medien mit Lichtbildern aufbereitet, auch das "Compact"-Magazin veröffentlichte hierzu einen Beitrag. Darin wurde der Vorfall dahingehend bagatellisiert, dass es sich nicht um eine "Todesdrohung" gehandelt habe, sondern um einen "symbolischen Akt".71 68 Twitter-Profil "Identitäre MV" vom 19.01.2020, abgerufen am 20.01.2020. 69 Twitter-Profil "Identitäre MV" vom 13.03.2020, abgerufen am 16.03.2020. 70 Telegram-Seite der "Identitären Bewegung Mecklenburg-Vorpommern" vom 05.05.2020, abgerufen am 06.05.2020. 71 Paul Klemm: "Grabstein aufgestellt: Vor Merkels Büro stirbt die Freiheit" vom 16.05.2020, veröffentlicht auf compact-online.de, abgerufen am 18.05.2020. 41 * Die IB MV plakatierte am 3. Juli 2020 "an einer gut befahrenen Unterführung" in Stralsund zum Thema "White lives matter" in Reaktion auf die "Black lives matter" (BLM)-Bewegung. Mit der platzierten Aufschrift "I can't breathe" auf dem Foto eines von einem vermeintlich minderjährigen Flüchtling im Jahr 2016 getöteten Mädchens sollte die BLM-Bewegung in den Kontext von Zuwanderer-Gewalt gesetzt werden. * Mit Blick auf Diskussionen rund um die Aufnahme von Flüchtlingen aus dem griechischen Lager Moria plakatierten Aktivisten der IB MV im September 2020 in Stralsund bereits bekannte schwarz-gelbe Plakate der IBD mit der Aufschrift "Festung Europa - Macht die Grenzen dicht!" und stellten die entsprechenden Lichtbilder auf ihre Telegram-Seite. Die Aktion wurde unter das Motto "Steter Tropfen höhlt den Stein" gestellt und sollte daran erinnern, dass "eine rücksichtslose globalistische Entgrenzung durch die One-World-Doktrin der Vielfalt unserer europäischen Völker und Kulturen" schade.72 * Durch Unbekannte wurden in der Nacht des 23. November 2020 erneut Holzkreuze, Grablichter und Blumen vor dem Wahlkreisbüro der Bundeskanzlerin in Stralsund aufgestellt. Auf den Holzkreuzen befanden sich Zettel mit laminierten Bildern der IBD. Auf den Zetteln fanden sich die Namen von Opfern, die vermeintlich oder tatsächlich von Zuwanderern ermordet wurden. Die IB MV veröffentlichte auf ihrer Telegram-Seite Bilder der Aktion und sprach von "zahllosen Opfern zügelloser Einwanderung" und einer "globalistischen Agenda einer skrupellosen Elite, die kein Interesse am Wohl des eigenen Volkes" habe.73 Zudem beteiligten sich IB-Anhänger aus MV im August 2020 an dem "ersten bundesweiten Sommerlager" unter dem Motto "Spartas Mauern sind seine Männer" in Brandenburg, an dem nach eigenen Angaben "50 Aktivisten aus Deutschland, Österreich und der Schweiz" teilgenommen hätten.74 Die Teilnehmer trugen einheitliche Kleidung mit der Aufschrift "Defend Europe" und waren einerseits in militärisch anmutender Aufstellung, andererseits auch am Lagerfeuer und bei Kampfsportaktivitäten zu sehen. Die Aktivitäten der IB MV blieben damit im Jahr 2020 auf einem hohen Niveau. Sie sieht sich als außerparlamentarische Opposition und strebt an, die gesellschaftliche Diskussion in ihrem Sinne anzuregen und ihre Themen gesellschaftsfähig zu machen; dabei werden Ordnungswidrigkeiten und Straftaten im niedrigschwelligen Bereich in Kauf genommen. 2.14 "Der Flügel" Nachdem "Der Flügel" im Januar 2019 zum Verdachtsfall im Phänomenbereich Rechtsextremismus erhoben worden war, erfolgte am 12. März 2020 durch das zu72 Telegram-Seite der "Identitären Bewegung Mecklenburg-Vorpommern" vom 15.09.2020, abgerufen am 17.09.2020. 73 Telegram-Seite der "Identitären Bewegung Mecklenburg-Vorpommern" vom 23.11.2020, abgerufen am 24.11.2020. 74 Internetseite der "Identitären Bewegung": "Spartas Mauern sind seine Männer" vom 18.08.2020, abgerufen am 18.08.2020. 42 ständige Bundesamt für Verfassungsschutz die Einstufung als erwiesene extremistische Bestrebung. Gründe für die Entscheidung waren insbesondere folgende: * die nochmals gestiegene zentrale Bedeutung der rechtsextremistischen Führungspersonen des "Flügels", Björn Höcke (MdL TH) und Andreas Kalbitz (MdL BB), * fortlaufend neue Verstöße von Funktionären und Anhängern des "Flügels" gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung und deren Wesensmerkmale der Menschenwürde sowie des Demokratieund Rechtsstaatsprinzip im Erhebungszeitraum, * die verstärkte Vernetzung des "Flügels" im rechtsextremistischen bzw. neurechten Spektrum, * die Verunglimpfung jeder parteiinternen Kritik am "Flügel" mit dem Kampfbegriff "Feindzeuge" und dem Vorwurf der Parteispaltung, * die Reproduktion und Weiterverbreitung von zentralen Beweismitteln für die Verfassungsfeindlichkeit aus dem Vorgutachten vom Januar 2019. 75 Infolge dieser Erhebung wurde durch den AfD-Bundesvorstand die Auflösung des "Flügels" gefordert. Diese erfolgte schließlich zum 30. April 2020. Bis zu seiner formalen Selbstauflösung war der "Flügel" weder ein eingetragener Verein, noch verfügte er über eine ausgeprägte Organisationsstruktur. Die Richtungsund Flügelkämpfe innerhalb der Partei sowie das hinter dem "Flügel" stehende Personennetzwerk blieben danach gleichwohl bestehen und werden fortgesetzt. 2.15 "Junge Alternative" (JA) 76 Die 2013 gegründete "Junge Alternative für Deutschland" (JA) ist laut SS 17a der AfDBundessatzung die offizielle Jugendorganisation der Alternative für Deutschland (AfD). Sie ist als eigenständiger Verein konstituiert und verfügt über "Satzungs-, Programm-, Finanzund Personalautonomie". Der Verfassungsschutzverbund hatte im Jahr 2018 unter Federführung des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) einen ergebnisoffenen Prüfprozess hinsichtlich der Frage eingeleitet, ob tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung in der "Alternative für Deutschland" (AfD) 75 Pressemitteilung vom 12.03.2020: "Bundesamt für Verfassungsschutz stuft AfD-Teilorganisation "Der Flügel" als gesichert rechtsextremistische Bestrebung ein", in www.verfassungsschutz.de. 76 https://www.facebook.com/jafuer.de/photos/a.109335429257000/1677309852459542, abgerufen am 18.01.2022 43 und/oder ihren Teilorganisationen erkennbar sind. Das BfV gab mit Presseerklärung vom 15. Januar 2019 das Ergebnis seiner Prüfung bekannt. Danach wurde die offizielle Jugendorganisation JA zu einem rechtsextremistischen Verdachtsfall erklärt. 2.16 Rechtsextremisten im öffentlichen Dienst Die in den letzten Jahren bekanntgewordenen rechtsextremistischen Verdachtsfälle innerhalb des öffentlichen Dienstes, wie zum Beispiel die Aufdeckung der rechtsextremistischen Gruppierung "Nordkreuz", bei deren Mitgliedern es sich teilweise um Polizeibeamte handelte, verdeutlichen, dass dem Thema Rechtsextremisten im öffentlichen Dienst hohe Aufmerksamkeit zu schenken ist, wenngleich ein Generalverdacht gegen die Sicherheitsbehörden des Landes unbegründet ist. Die Verfassungsschutzbehörde trifft geeignete Maßnahmen, um rechtsextremistische Bestrebungen sowohl in den Sicherheitsbehörden des Landes als auch innerhalb des gesamten öffentlichen Dienstes frühzeitig zu detektieren. Vor diesem Hintergrund wurde im Jahr 2020 ein erster bundesweiter Lagebericht zu "Rechtsextremisten in Sicherheitsbehörden" erstellt. 77 Für das Land MecklenburgVorpommern wurden hierbei im Berichtszeitraum 01. Januar 2017 bis 31. März 2020 insgesamt 15 Verdachtsfälle erhoben. Der Lagebericht soll in den kommenden Jahren fortentwickelt und perspektivisch auf den gesamten öffentlichen Dienst ausgeweitet werden. 3 "Reichsbürger und Selbstverwalter" 3.1 Lageüberblick Wie im Vorjahr war auch 2020 die fundamentale Ablehnung der Bundesrepublik Deutschland und ihrer Institutionen die umfassende Gemeinsamkeit dieser heterogenen Szene. Diese setzte sich überwiegend aus Einzelpersonen ohne organisatorischen Hintergrund, Kleinund Kleinstgruppierungen sowie länderübergreifend handelnde Strukturen zusammen. Daneben bestanden wechselhafte virtuelle Verbindungen in den sozialen Medien. Hinter der Gemeinsamkeit der grundsätzlichen Ablehnung der Bundesrepublik stehen aber verschiedene ideologische Positionen, die sich stark voneinander unterscheiden und teils zum Ausschluss der Zusammenarbeit zwischen den verschiedenen Strukturen führen. Die strukturelle Ausdifferenzierung der einzelnen Gruppierungen war und ist sehr unterschiedlich und stark abhängig von der jeweiligen Führungsperson. Der Trend der Verstetigung der Szene sowie der Versuch, die vorhandenen Strukturen auszubauen, setzte sich auch im Berichtszeitraum fort. Die Mehrzahl der Reichsbürger war auch im Jahr 2020 nicht formal organisiert. Im Berichtszeitraum war erneut eine Zunahme des Personenpotentials festzustellen. Erklärbar ist dies zum einen mit der ideologischen Bandbreite der Szene, die ihre 77 Lagebericht abrufbar unter www.verfassungsschutz.de 44 Anschlussfähigkeit vergrößert, zum anderen mit der aktuellen gesellschaftlichen Herausforderung der Pandemiebekämpfung. Die, bei bestimmten Bevölkerungsgruppen auf Ablehnung stoßenden, politischen Entscheidungen zu den Corona-Maßnahmen führten dazu, dass vermehrt Menschen - auch über die Nutzung sog. alternativer Informationskanäle - mit den Denkmustern der "Reichsbürger und Selbstverwalter" in Berührung kamen. Einen Anknüpfungspunkt stellten hier die in der Szene der "Reichsbürger und Selbstverwalter" weit verbreiteten Verschwörungstheorien dar. "Reichsbürger und Selbstverwalter" nahmen auch aktiv an den Protesten gegen die staatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie teil und waren damit ebenso für Personen "sichtbar", die bisher keine Berührungspunkte mit der Szene hatten. Dies sowie eine zunehmende Resonanz auf Verschwörungstheorien führen auch zu einer weniger deutlichen Abgrenzung sowohl der legitimen Protestbewegung von der Szene der "Reichsbürger und Selbstverwalter" als auch von Rechtsextremisten zu sogenannten "Reichsbürgern". Traten 2019 zum Beispiel Rechtsextremisten der Szene der "Reichsbürger und Selbstverwalter" eher argwöhnisch entgegen, wurden 2020 merklich mehr übergreifende Kontakte geknüpft. Ein kleiner, aber in 2020 gewachsener, Kreis von "Reichsbürgern und Selbstverwaltern" hat eine Überschneidung mit dem rechtsextremistischen Personenpotenzial. Hierfür bilden, über das Dargestellte hinaus, vor allem gebietsund geschichtsrevisionistische Weltsichten oder auch völkische Ideen die Grundlage. 3.2 Personenpotenzial Personenpotenzial "ReichsM-V M-V Bund Bund bürger und Selbstverwalter"78 2019 2020 2019 2020 - nach Organisationsgrad Gesamt 550 600 19.000 20.000 davon unstrukturiert 460 500 16.500 16.800 in Strukturen organisiert 90 100 2.500 3.200 davon Rechtsextremisten 40 45 950 1.000 davon gewaltorientiert ca. 150 ca. 150 k.A. 2.000 78 Alle Zahlen sind Rundungswerte. 45 3.3 Strukturen und Aktivitäten der "Reichsbürger und Selbstverwalter"Szene in Mecklenburg-Vorpommern Die Szene der "Reichsbürger und Selbstverwalter" konzentrierte sich im Jahr 2020 verstärkt auf die Teilnahme an den Protesten gegen die Maßnahmen der Landesund Bundesregierung zur Eindämmung der Corona-Pandemie. In "Reichsbürger"typischer Art und Weise wurde versucht, diese Maßnahmen als Beweis für die eigene Vorhersage, dass der vermeintlich illegitime Staat die Menschen in deren Rechten immer mehr beschneidet, zu nutzen. Die Akteure versuchten, eine Anschlussfähigkeit über die Grenzen der eigenen Anhängerschaft zum nicht extremistischen Protestpotenzial herzustellen. Hierbei handelt es sich um einen nicht nur bei "Reichsbürgern und Selbstverwaltern" zu beobachtenden Trend. Rechtsextremisten lehnen eine Vernetzung mit "Reichsbürgern und Selbstverwaltern", im Zusammenhang mit Protesten gegen die Corona Maßnahmen, nicht mehr grundsätzlich ab. Deutlich wurde dies zum Beispiel an der gemeinsamen Teilnahme an verschiedenen Demonstrationen. Bei der Verbreitung ihrer Weltsicht setzte die Szene insbesondere auf die Verteilung von Flyern und eigenen Zeitungen. Die verteilten Printmedien wurden teilweise aufwändig produziert und sowohl an Privathaushalte als auch an Behörden verteilt. Aber auch über Social Media wurde vermeintliches Wissen vermittelt, wobei jede Gruppierung für sich das Recht beansprucht, als einzige die Wahrheit zu kennen und verbreiten zu dürfen. 3.3.1 "Preußisches Institut - Bismarcks Erben" Die Gruppierung "Preußisches Institut - Bismarcks Erben" tritt auch unter dem Namen "Ewiger Bund" auf und bezeichnet sich selbst als "Kultur-Organisation für das Staatsvolk Preußens". 79 Ziel der Gruppierung ist die Abschaffung der staatlichen Strukturen und des Hoheitsgebietes der Bundesrepublik. Danach sollen die rechtlichen Zustände des Deutschen Kaiserreiches unter der Führung des Oberhauptes des Hauses Hohenzollern wieder hergestellt werden. Die Grenzen richten sich, aus Sicht der Gruppierung, nach dem Staatenbund, der 1871 aus 26 einzelnen Staaten geschlossen wurde und dessen Rechtsordnung auch heute noch unverändert gelte. 79 VK-Seite "Preußisches Institut", abgerufen 16.02.2021. 46 Um dem vermeintlichen "Thronfolger" das Einnehmen seines "rechtmäßigen Platzes" zu ermöglichen, wurde die Unterorganisation "VHD - Vaterländischer Hilfsdienst" gegründet. 80 Der "Vaterländische Hilfsdienst" orientiert sich an der Armeekorpsstruktur des Deutschen Kaiserreiches im Jahr 1914 und soll als eine Art militärische Ersatzstruktur dienen. Erkenntnisse über tatsächliche militärische oder militante Aktivitäten liegen derzeit nicht vor. Der "Vaterländische Hilfsdienst" gab im Jahr 2020 eine Broschüre heraus, die einen "Leitfaden" bzw. einen "Rahmenplan zur Wiederherstellung der Handlungsfähigkeit des deutschen Gesamtstaates" darstellen soll. Die Aktivitäten der Gruppierungen "Preußisches Institut - Bismarcks Erben" und "Ewiger Bund" sowie "Vaterländischer Hilfsdienst haben sich im Jahr 2020 - auch überregional - deutlich gesteigert. 3.3.2 "Penzliner Runde" Die zuvor genannte Gruppierung "Preußisches Institut - Bismarcks Erben" ist aus der Gruppierung "Penzliner Runde" hervorgegangen. 81 Erklärtes Ziel der Mitglieder der "Penzliner Runde" war und ist es, "wirklich frei und absolut selbstbestimmt leben" zu können. Ideologisch vertritt die Gruppierung die Auffassung, dass die ehemals bestehenden Bundesstaaten des 2. Deutschen Reiches bis heute fortbestehen. Damit folgt sie der verfassungswidrigen Argumentation des "Preußischen Institut - Bismarcks Erben". 80 Internetseite "Vaterländischer Hilfsdienst", abgerufen 16.02.2021. 81 Internetseite "Penzliner Runde", abgerufen 16.02.2021. 47 3.3.3 "Freistaat Preußen" Die Gruppierung "Freistaat Preußen" bzw. "Deutsches Reich - Freistaat Preußen" hat seinen Hauptsitz in Rheinland-Pfalz, ist aber auch in Mecklenburg-Vorpommern aktiv. Die Anhänger dieser Gruppierung gehen davon aus, dass das ehemals bestehende Kaiserreich niemals untergegangen und die Verfassung vom 30. November 1920 bis zum heutigen Tage rechtsgültig sei. Seit der Bekanntgabe der "Wiederherstellung der Staatlichkeit des Freistaates Preußens" im Sommer 2013 sieht die Organisation die Bundesrepublik Deutschland als abgelöst an und sich selbst in der Regierungsverantwortung. Diese Gruppierung war 2020 hauptsächlich im Internet aktiv, öffentlichkeitswirksame Veranstaltungen konnten nicht festgestellt werden. 3.3.4 "Staatenlos.Info - Comedian e.V." Eine sehr aktive auch überregional agierende "Reichsbürger"-Gruppierung ist der Verein "Staatenlos.Info - Comedian e.V.". Sitz des Vereins ist Berlin. Der Schwerpunkt der Aktivitäten liegt aber in Mecklenburg-Vorpommern. Hier findet wöchentlich eine Veranstaltung in Wittenburg statt. Die Mitglieder des Vereins vertreten die Auffassung, dass die Bundesrepublik Deutschland das "Dritte Reich" fortsetze und eine faschistische Politik betreibe.82 Sowohl mehrere YouTube-Videos83 als auch der vermeintliche "Sturm auf den Reichstag" im August 2020 belegen, dass die Szene versucht, das Protestgeschehen für sich zu nutzen und zu vereinnahmen. 3.3.5 "Großherzogtum Friedrich Maik" Bereits im Verfassungsschutzbericht 2019 wurde eine relativ neue Gruppierung innerhalb der "Reichsbürger und Selbstverwalter"-Szene aufgeführt, die ihren Sitz in der Landeshauptstadt von Mecklenburg-Vorpommern hat. Der selbsternannte "Großherzog Friedrich Maik" entwickelte für sich - aus der Gruppe "Volldraht e. V." heraus - eine eigene Gruppierung. Er sieht sich als vermeintlich rechtmäßiger Monarch der "Großherzogtümer Mecklenburg-Strelitz, Mecklenburg-Schwerin und des Herzogtums Pommern". Ziel des "Großherzogs" und seiner Anhänger ist die Ablösung der Landesregierung Mecklenburg-Vorpommerns. 3.3.6 Gruppierung "VD - Volldraht Deutschland" Die Gruppierung "VD - Volldraht Deutschland"84 sowie dessen Publikationen (online und als Zeitschrift) waren schon in den Jahren 2018 und 2019 zunächst genutzt wor82 Internetseite "Wiki/Sonnenstaatenland", abgerufen 16.02.2021. 83 Internetseite von "Staatenlos", abgerufen am 16.02.2021. 84 Internetseite "Volldraht", abgerufen 16.02.2021. 48 den, um die Ziele und Ansichten des zuvor erwähnten "Großherzogs Friedrich Maik" als "offizieller Anzeiger für das Grhzgt. Mecklenburg-Strelitz und das Grhzgt. Mecklenburg-Schwerin und das Hzgt. Pommern"85 zu verkünden und zu verbreiten. Seit Ende des Jahres 2020 hat sich "Volldraht Deutschland" vom "Großherzog Friedrich Maik" abgewandt und widmet sich seitdem thematisch ebenfalls den Beschränkungen in Zusammenhang mit der Corona-Pandemie. "Volldraht Deutschland" nutzt diese als Propaganda gegen die deutsche Regierung. Der "Redaktionsleiter" will mit seinen Darstellungen und Kommentaren "etwas andere Nachrichten" verbreiten, die er als unzensiert und somit als einzig wahr darstellt. 86 3.3.7 "Geeinte deutsche Völker und Stämme" Die Gruppierung "Geeinte deutsche Völker und Stämme" wurde im März 2020 durch das Bundesministerium des Inneren, für Bau und Heimat verboten. 87 Die Gruppierung war in den vergangenen Jahren bundesweit aktiv und wollte die staatlichen Strukturen der Bundesrepublik abschaffen. Hierfür gründete sie eigene "staatliche" Institutionen, wie Polizei und Gerichte. Im Zuge der von den "Geeinten deutschen Völkern und Stämmen" angestrebten "Übernahme" von realweltlichen Strukturen kam es immer wieder auch zu Gewaltaufrufen. Die in der Vergangenheit festgestellten Strukturen der "Geeinten deutschen Völker und Stämme" in Mecklenburg-Vorpommern scheinen sich mittlerweile aufgelöst zu haben. Strukturierte Aktivitäten oder Veranstaltungen waren nicht feststellbar. Lediglich Einzelpersonen, mit Wohnsitz in M-V, fielen mit vereinzelten Schreiben an Behörden und Ämter, die sich auf die Gruppierung bezogen, auf. 3.3.8 Sonstige Aktivitäten von strukturierten sowie von strukturlosen "Reichsbürgern und Selbstverwaltern" Wie im vergangenen Jahr zeigten sich "Reichsbürger und "Selbstverwalter" gegenüber Verwaltungsund Polizeibehörden, Gerichten sowie in schriftlicher Konfrontation mit Politikern in ihrer Wortwahl zunehmend aggressiver. Nicht selten mündete der direkte Kontakt in Widerstandshandlungen. Polizeiliche Maßnahmen gegen einzelne Vertreter der "Reichsbürger und Selbstverwalter" führten einerseits zu Unsicherheiten, aber andererseits ebenso zu Solidaritätsbekundungen innerhalb der Szene. 3.4 Prävention Der Bund und das Land Mecklenburg-Vorpommern bieten verschiedene Präventionsund Informationsangebote zum Thema Rechtsextremismus an: Hinweistelefon Extremismus und Terrorismus des Bundesamtes für Verfassungsschutz Telefon: +49(0)228-99/792-6000 85 Internetseite "Volldraht", PDF-Zeitung 2020, abgerufen 16.02.2021. 86 Internetseite "Volldraht", PDF-Zeitung 2020, abgerufen 16.02.2021. 87 Pressemitteilung des BMI vom 19.03.2020, www.bmi.bund.de, abgerufen 04.01.2022. 49 Telefon: +49(0)30-18/792-6000 E-Mail: hinweise@bfv.bund.de Aussteigerprogramm aus der rechtsextremistischen Szene des Bundesamtes für Verfassungsschutz Telefon: 0228-99/792-62 Telefon: 030-18/792-62 E-Mail: aussteiger@bfv.bund.de Das Beratungsnetzwerk Demokratie und Toleranz Mecklenburg-Vorpommern bietet auf der Internetseite www.beratungsnetzwerk-mv.de weitere Beratungsund Informationsangebote an. 4 Linksextremismus 4.1 Lageüberblick Linksextremisten verfolgen das Ziel, die bestehende Staatsund Gesellschaftsordnung und damit auch die freiheitliche demokratische Grundordnung abzuschaffen, um an deren Stelle ein kommunistisches System beziehungsweise eine "herrschaftsfreie", anarchistische Gesellschaftsform zu errichten. Während nach klassischer marxistisch-leninistischer Lehre vor dem Kommunismus als Übergangsform ein sozialistisches System mit der Staatsform der Diktatur des Proletariats als Instrument der Machtsicherung der "Arbeiterklasse" notwendig ist, hängen Anarchisten vielfach der Vorstellung nach, dass es einen revolutionären Prozess geben kann, der unmittelbar in eine "herrschaftsfreie" Gesellschaft" mündet. Bei der Bewertung der Gefahren, die von diesen Ideologiemodellen ausgehen, ist ein Blick auf die Herrschaftspraxis in Geschichte und Gegenwart notwendig. Systeme, die sich auf die Lehren von Marx, Engels, Lenin, Trotzki, Stalin oder Mao Tse-tung berufen haben und heute noch berufen, sind antidemokratisch und missachten die Menschenrechte. Dabei war und ist der Einzelne einem Überwachungssystem unterworfen, das Individualität, wie sie in Demokratien verfassungsrechtlich garantiert ist, nicht zulässt. Zuerst kommt das "System", dann der Mensch. Es steht daher zu befürchten, dass eine solche Herrschaftspraxis auch hierzulande Platz greifen würde, wenn die heutigen Protagonisten linksextremistischer Ideologien an die Macht kämen. Das anarchistische Lager hatte bislang keine ausreichende Gelegenheit, die Funktionsfähigkeit der eigenen Denkmodelle in der Praxis über einen längeren Zeitraum und in einem gesamtgesellschaftlichen Rahmen zu beweisen. Was in einem "besetzten Haus" möglicherweise noch gelingen kann, ist sicherlich nicht auf die heutigen komplexen Gesellschaften zu übertragen. Insbesondere stellt sich die Frage, wie politische Entscheidungen legitimiert und letztlich auch gegen die unterschiedlichen Interessen der Menschen durchgesetzt werden. Hier bleiben viele grundsätzliche Fragen offen, wie etwa die nach der Stellung und den Rechten des Individuums. Lässt eine anarchistische Gesellschaftsform abweichendes Denken zu oder wird Konformität erwartet? Wie auch immer die Antworten in den einzelnen anarchistischen Denkmodellen ausfallen mögen, das Fehlen einer staatlichen Ordnung ist mit dem Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes nicht vereinbar. 50 Zentraler Ausgangspunkt linksextremistischer Ideologien ist die Bekämpfung des "Kapitalismus". Linksextremisten verbinden mit diesem Begriff in der heutigen Zeit marktwirtschaftliche Volkswirtschaften in demokratischen Rechtsstaaten. Diese Systeme seien verantwortlich für eine weltweite soziale Ungerechtigkeit, Rassismus, Kriege und Umweltzerstörung. Daher sei die Beseitigung dieser Verhältnisse durch einen revolutionären Prozess Voraussetzung für das Erreichen der eigenen Ziele, die eine Gesellschaft der "Freien und Gleichen" garantieren sollen. Auf dem Weg dorthin wird die Anwendung von Gewalt als legitimes Mittel angesehen. An dieser Vorstellung richten sich auch die Aktionsfelder der Szene aus. Im Berichtszeitraum standen in Mecklenburg-Vorpommern der "Antifaschismus", das Thema "Antirepression", die "Kurdistansolidarität" und - mit coronabedingten Einschränkungen - "der Klimaschutz" im Vordergrund. Zahlreiche demokratisch gesinnte Menschen engagieren sich gegen Rechtsextremismus und für Klimaschutz oder sehen Veränderungen im Bereich der Sicherheitsgesetzgebung skeptisch. Sie richten sich damit jedoch nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung, sondern wollen das demokratische Gemeinwesen für die Zukunft weiterentwickeln und Freiheitsrechte sichern. Dies ist Ausdruck einer lebendigen Demokratie. Demgegenüber betrachten Linksextremisten diese Aktionsfelder primär ideologisch und im Sinne einer marxistisch-leninistischen Bündnispolitik als Möglichkeit, über die eigene Klientel hinaus anschlussfähig zu werden. Ziel ist es dabei, den eigenen politischen Einfluss so zu verbreitern, dass aus ihrer Sicht revolutionäre Prozesse möglich werden. In der politischen Praxis schieben Linksextremisten ihre angeblich humanitären Anliegen daher deutlich in den Vordergrund. Die verfassungsfeindliche Strategie wird - wenn überhaupt - nur im Hintergrund sichtbar. Die Folge ist, dass in der Öffentlichkeit zumeist nur das scheinbar menschenfreundliche Engagement in den Aktionsfeldern wahrgenommen wird. Die von Linksextremisten ausgehenden Gefahren für unsere freiheitliche Gesellschaft werden daher regelmäßig übersehen. Umso notwendiger ist eine kritische Auseinandersetzung mit dieser Entwicklung. In Mecklenburg-Vorpommern konnten die linksextremistischen Strukturen im Berichtszeitraum keinen Zulauf verzeichnen. Das Personenpotenzial bewegte sich weiterhin bei knapp 500. Dies dürfte aber auch mit der Zusammensetzung dieser Szene zusammenhängen. Parteien mit marxistisch-leninistischer Ausrichtung sind auch aufgrund der Erfahrungen mit dem "real existierenden Sozialismus" bundesweit wenig attraktiv. Auch das Bedürfnis, sich in gewaltbereiten Szenen zu bewegen, ist wenig ausgeprägt und beschränkt sich zumeist auf junge Menschen in städtischen, universitären Milieus. Mecklenburg-Vorpommern mit seinen großen ländlichen Räumen ist daher allein schon strukturell kein Schwerpunktland für linksextremistische Militanz. Da Linksextremisten politische Macht nicht über die Parlamente, sondern primär durch einen revolutionären Prozess anstreben, messen sie demokratischen Wahlen nur eine geringe Bedeutung bei. Daher ist der außerparlamentarische Raum mit den dort agierenden "Bewegungen" für Linksextremisten von deutlich größerer Bedeutung. Genau hier setzen die Beeinflussungsversuche an. Besonders deutlich wird dies durch die auch in Mecklenburg-Vorpommern aktive "Interventionistische Linke" (IL). Vor diesem Hintergrund ist für die Beurteilung der Gefährlichkeit einer Bestrebung nicht allein ihr Personenpotenzial entscheidend, sondern die politische Wirkung insgesamt, d.h. ob und inwieweit es ihr gelingt, auch andere Personengruppen für ihre verfassungsfeindlichen Ziele zu instrumentalisieren. 51 4.2 Linksextremismus in Mecklenburg-Vorpommern im Jahre 2020 Das Bild des deutschen Linksextremismus wird im Wesentlichen von zwei Hauptströmungen geprägt: die aktionsorientierten Autonomen (= undogmatischer Linksextremismus) und die orthodoxen Kommunisten, die sich in Parteien und sonstigen Gruppierungen organisieren (= dogmatischer Linksextremismus). 4.2.1 Personenpotenzial Personenpotenzial der linksextremistischen Personenzusammenschlüsse 2020 in Mecklenburg-Vorpommern und bundesweit.88 M-V 2019 M-V 2020 Bund 2019 Bund 2020 Gewaltorientierte 260 245 89 9.200 9.600 Linksextremisten "Rote Hilfe e.V."(RH) 250 250 10.500 11.000 "Deutsche Kommunisti40 35 2.850 2.850 sche Partei"(DKP) "MarxistischLeninisti20 15 2.800 2.800 sche Partei Deutschlands"(MLPD) "Sozialistische Organi25 20 400 400 sation Solidarität"(SOL) "Sozialistische Deut10 10 670 670 sche Arbeiterjugend"(SDAJ)90 Gesamt91 500 480 33.500 34.300 4.2.2 Straftatenaufkommen Insgesamt wurden durch das Landeskriminalamt Mecklenburg-Vorpommern im Phänomenbereich "Links" der politisch motivierten Kriminalität 174 Straftaten erfasst. Davon wurden 69 Straftaten als extremistisch eingestuft. Den Schwerpunkt bildeten auch in 2020 Sachbeschädigungen. Von den 93 politisch linksmotivierten verzeichneten Sachbeschädigungen wurden 37 als linksextremistisch eingestuft. Im Vordergrund standen hier erneut Angriffe auf die AfD. Von insgesamt 27 Angriffen auf Parteibüros im Land entfielen 17 auf die AfD. 88 Alle Zahlen sind Rundungswerte 89 Darin enthalten sind auch die Mitglieder / Anhänger der "interventionistischen Linken"(IL). Die IL ist als gewaltunterstützend einzustufen. 90 Die Anzahl der Mitglieder der SDAJ in Mecklenburg-Vorpommern ist in der Gesamtzahl der gewaltorientierten Linksextremisten in Mecklenburg-Vorpommern mit enthalten. 91 Gesamtzahl von Mecklenburg-Vorpommern und Bund um Mehrfachmitgliedschaften bereinigt. Die Gesamtzahl des Bundes umfasst auch Organisationen, die in Mecklenburg-Vorpommern nicht vertreten sind oder nicht beobachtet werden. 52 Darüber hinaus wurden 2020 17 linksextremistisch motivierte Gewalttaten registriert. Sie richteten sich wiederum gegen den politischen Gegner und die Polizei, erfolgten also auf den Aktionsfeldern "Antifaschismus" und "Antirepression". Insgesamt ist eine deutliche Minderung der Fallzahlen für das Jahr 2020 im Vergleich zu den durchschnittlichen Zahlen der vergangenen Jahre zu verzeichnen. Die pandemiebedingten eingeschränkten Aktionsmöglichkeiten und der Ausfall von Großveranstaltungen bieten eine Erklärung für die gesunkenen Fallzahlen. Zudem fanden 2020 keine überregionalen Wahlen in Mecklenburg-Vorpommern statt, die sonst Anlass für Aktionen der linksextremistischen Szene sind und die Fallzahlen deutlich beeinflussen. 4.3 Corona-Krise Die Auswirkungen der Corona-Pandemie hatten auch in Mecklenburg-Vorpommern maßgeblichen Einfluss auf die Aktivitäten der hiesigen linksextremistischen Szene. Durch die immer wieder angepassten Maßnahmen gegen die Corona-Pandemie ist auch die linksextremistische Szene in ihren Handlungsmöglichkeiten erheblich eingeschränkt. Zudem ist die Krise aus linksextremistischer Sicht nicht geeignet, "die da Unten" dazu zu bewegen, sich gegen "die da Oben" zu erheben. Für Linksextremisten bedeutet das im Wesentlichen den Verzicht auf den "Kampf auf der Straße". So fanden denn auch im Jahr 2020 weitaus weniger Veranstaltungen und Demonstrationen der Szene statt als in den Vorjahren. Gleichwohl ist die Szene bestrebt, sich in die dennoch stattfindenden Veranstaltungen und Kampagnen des bürgerlichen Spektrums aktiv einzubringen und somit die Grenzen zwischen Bürgerprotest und extremistischer Agitation zu verwischen. Die Teilnahme von tatsächlichen oder vermeintlichen Rechtsextremisten - zu denen aus linksextremistischer Sicht auch Anhänger der AfD zählen - an den CoronaDemonstrationen führte innerhalb der linksextremistischen Szene bundesweit, wie auch in Mecklenburg-Vorpommern zur Mobilisierung von Gegenveranstaltungen und -aktionen. Neben den oben genannten Handlungsbeschränkungen aufgrund staatlicher Vorgaben wurden die Aktivitäten der Szene zusätzlich durch die anfängliche Schwierigkeit eingeschränkt, die Bedrohlichkeit eines Infektionsrisikos für den Einzelnen sowie die Tragweite der Pandemie zutreffend einzuschätzen. Dies löste innerhalb der linksextremistischen Szene zunächst Verunsicherung und Zurückhaltung aus. Im Zuge der weiteren Auseinandersetzung mit der Pandemie setzte die linksextremistische Szene im Ergebnis einerseits auf das gemeinsame Einstehen für die eigenen Interessen sowie andererseits darauf, autoritäre Maßnahmen des Staates nicht einfach hinzunehmen und angepasste Formen des Protestes und Widerstands zu finden. 4.4 Versuch der Einflussnahme auf die Klimakampagne Der Klimaschutz und die damit verbundenen Veränderungen für die Wirtschaft und die Lebensweise jedes Einzelnen nehmen in der gesamtgesellschaftlichen Diskussion über die Gestaltung der Zukunft einen zunehmend breiteren Raum ein. Linksextremisten sehen hier im Sinne der oben beschriebenen Strategie der Einflussnahme eine zentrale Möglichkeit, eigene ideologische Inhalte zu verbreiten. Ge53 rade die Debatten über die künftige Ausgestaltung marktwirtschaftlichen Handelns bieten hier günstige Möglichkeiten, sozialistisch-kommunistisches Denken wieder relevanter erscheinen zu lassen. Vor diesem Hintergrund versuchen Linksextremisten aus allen Lagern, sich in die "Klimaschutzbewegung" einzubringen. Vermutlich aus taktischen Erwägungen heraus rückte "Fridays for Future" (FFF) 2020 zunehmend in das Interesse der linksextremistischen Szene. Diese zivilgesellschaftliche, überwiegend von demokratischen Akteuren getragene und daher nicht unter den gesetzlichen Auftrag des Verfassungsschutzes fallende Bewegung besteht hauptsächlich aus jungen Menschen und spricht weite Teile der Bevölkerung an. Aus Sicht linksextremistischer Akteure entstand bzw. entsteht hier ein vielversprechender Resonanzraum für linksextremistisches Gedankengut. Entsprechend versuchten auch Linksextremisten in Mecklenburg-Vorpommern, sich in die im Vergleich zum Vorjahr wenigen Veranstaltungen von FFF einzubringen. Im Berichtszeitraum hervorzuheben ist hier eine zentrale Veranstaltung von FFF Rostock am 25. September 2020 unter dem Motto "Globaler Klimastreik", die gemeinsam mit den nicht extremistischen Organisationen "Ende Gelände Rostock" und "Anti Kohle Kidz Rostock" veranstaltet wurde. 92 Die noch im Jahr 2019 aktiv beteiligte "Interventionistische Linke Rostock" (IL Rostock) sowie "Limo - antifaschistische Jugendgruppe HRO" waren im Kontext von FFF und somit bei den Klimaprotesten nicht mehr medial wahrnehmbar. Dass die linksextremistische Szene auch in Corona-Zeiten nicht handlungsunfähig ist, zeigt eine Aktion vom 27. November 2020. An diesem Tag kam es zu einer Abseilaktion von sechs Personen auf der Autobahn A 20, in der Nähe von Tribsees, die zu einer mehrstündigen Sperrung der Autobahn führte. Während des durchgeführten Polizeieinsatzes trat ein bekannter Linksextremist als Hauptakteur in Erscheinung. Die Personen gaben an, sie wollten mit der Aktion Druck auf die Landesregierung ausüben und gesellschaftliche Diskurse anregen. Sie forderten eine sofortige Verkehrswende und den Schienenausbau in Mecklenburg-Vorpommern sowie ein Ende der Rodungen im Dannenröder Wald in Hessen für den Autobahnbau. Die Aktion steht, ohne sich eindeutig dazu zu bekennen, auffallend in einer Reihe mit mehreren bundesweit durchgeführten Abseilaktionen von Aktionsgruppen am selben Tag. 4.5 Gewaltorientierte Linksextremisten Der gewaltorientierten Szene gehören in Mecklenburg-Vorpommern im Wesentlichen die "Autonomen" an, die ideologisch dem Anarchismus zuzurechnen sind. Sie sind für die Mehrzahl der linksextremistisch motivierten Straftaten, insbesondere die Gewalttaten, verantwortlich. Lokale Schwerpunkte dieser Szene sind die Universitätsstädte Rostock und Greifswald. In diesem Spektrum finden sich zudem die Vertreter der sogenannten Postautonomen, die im Unterschied zum harten Kern der Autonomen Szene eine größere Einflussnahme auf politische Prozesse in der Gesamtgesellschaft anstreben. Zur Gewalt haben diese Gruppierungen - in Mecklenburg-Vorpommern zählt hierzu die "Interventionistische Linke" (IL) - ein taktisches Verhältnis: Gewalt wird zwar nicht selbst ausgeübt, deren Begehung durch Aktionsund Bündnispartner jedoch akzeptiert. 92 "Ende Gelände" wird bundesweit als linksextremistisch beeinflusst angesehen, deren Berliner Ortsgruppe wird von der dortigen Verfassungsschutzbehörde als gesichert extremistisch eingestuft. 54 4.5.1 Aktionsfeld "Antifaschismus" Eines der wichtigsten Themenfelder für Linksextremisten, bildet im Land Mecklenburg-Vorpommern nach wie vor der "Antifaschismus". Hervorzuheben ist dabei aus Sicht des Verfassungsschutzes stets, dass sich der Antifaschismus der Linksextremisten letztlich nur vordergründig gegen die Bekämpfung rechtsextremistischer Bestrebungen richtet. Eigentliches Ziel der Bekämpfung bleibt der "bürgerlichdemokratische" Staat, der in der Lesart von Linksextremisten den "Faschismus" als eine mögliche Herrschaftsform akzeptiert, fördert und ihn deshalb auch nicht ausreichend bekämpft. Letztlich, so wird argumentiert, wurzele der "Faschismus" in den gesellschaftlichen und politischen Strukturen des "Kapitalismus". Die "Antifa-Arbeit" verbindet auf diese Weise ihren "Kampf gegen Rechtsextremismus" mit dem (gesellschaftlich schwerer vermittelbaren) "Kampf gegen das kapitalistische System". Die konkreten Taten im Aktionsfeld des Antifaschismus reichen von der Veröffentlichung privater Daten, den sogenannten Outings, über Sachbeschädigungen an Parteibüros und -gebäuden, bis hin zu tätlichen Angriffen auf Personen. Opfer von gewaltsamen Aktionen wurden in der Vergangenheit auch Gaststättenbetreiber, die Veranstaltungen oder Zusammenkünfte der AfD zulassen wollten. Bei Demonstrationen suchen gewaltorientierte Linksextremisten in erster Linie die Konfrontation mit dem politischen Gegner. Sofern sie durch die Polizei an der direkten Konfrontation gehindert werden, richtet sich die Gewalt auch gegen diese. Im Jahr 2020 wurde das Spektrum des unter dem Deckmantel des "Antifaschismus" vermeintlich legitimierten Handelns durch neue Konstellationen im Zuge der CoronaKrise erweitert. Beispielhaft sei insoweit die szeneinterne Auseinandersetzung im Zusammenhang mit Corona-Demonstrationen angeführt, über die die Zeitschrift "Die Rote Hilfe" in ihrer Ausgabe 4.2020 berichtet: "(...) Im Verlauf der wöchentlichen "Querdenken 711" Kundgebungen kommt es durch unterschiedliche Aktionsformen zu antifaschistischer Intervention. Neben Aufklärungsarbeit, Gegenkundgebungen mit eigenen Antworten auf die durch Corona verschärfte kapitalistische Krise, Störaktionen und Outingplakate, hat vor allem die direkte Konfrontation dazu geführt, dass die Bewegung um "Querdenken 711" in der Form in Stuttgart nicht mehr stattfand. (...)". Zusammenfassend wird konstatiert: "(...) erfolgreicher Antifaschismus lebt immer von seiner Vielschichtigkeit. Aufklärungsarbeit, Gegenproteste mit linken Antworten auf gesellschaftliche Widersprüche, Blockaden, Störaktionen aber eben auch direkte Angriffe müssen Hand in Hand gehen und sich gegenseitig ergänzen, um langfristig erfolgreich zu sein."93 Das dargelegte Beispiel anhand von "Querdenken 711" lässt sich bezüglich der angewandten Argumentationen und Handlungsfelder ebenfalls auf MecklenburgVorpommern übertragen. 93 Internetseite www.rote-hilfe.de, PDF-Download der RHZ 2020/4, abgerufen am 04.02.2021, S. 4042. 55 Hervorzuhebende Einzelaktionen: * Sachbeschädigung am PKW eines Landtagsabgeordneten In der Nacht zum 31. Mai 2020 beschädigten unbekannte Tatverdächtige den nahe seiner Wohnung abgestellten PKW eines fraktionslosen Landtagsmitgliedes. Das Auto wurde mit einer dunkelbraunen Flüssigkeit übergossen und die Reifen des Fahrzeugs zerstochen. Aufgrund der vormaligen Mitgliedschaft des MdL in der AfD-Fraktion und -Partei sowie eines als authentisch eingeschätzten Selbstbezichtigungsschreibens auf der einschlägigen Internetseite Indymedia.org ist von einem linksextremistischen Hintergrund der Tat auszugehen. * Farbanschlag auf das Polizeihauptrevier in Rostock Auf das Polizeihauptrevier in der Kröpeliner-Tor-Vorstadt in Rostock wurde in der Nacht zum 2. Dezember 2020 ein Farbanschlag verübt, indem mit Bitumen gefüllte Behälter gegen die Fassade geworfen wurden. Auf der auch von Linksextremisten genutzten Internetseite Indymedia.org erschien ein anonymes Bekennerschreiben, in welchem versucht wird, den Farbanschlag mit bekannten und medial begleiteten Vorfällen innerhalb der Polizei in MecklenburgVorpommern zu rechtfertigen. Gleichzeitig wird Solidarität mit den Angeklagten des sog. Rondenbarg Prozesses bekundet, einem in Hamburg geführten Gerichtsverfahren im Zusammenhang mit linksextremistischen Gewaltdelikten während des G20Gipfels 2017. * Brandanschlag auf ein Kraftfahrzeug Am 21. Dezember 2020 wurde in Güstrow ein Brandanschlag auf das Kraftfahrzeug eines bekannten und führenden Rechtsextremisten aus Güstrow verübt. Auf einschlägigen linksextremistischen Internetseiten war im Vorfeld wiederholt über Aktivitäten dieses Rechtsextremisten berichtet worden. Im Nachgang zum Anschlag wurde auf der Internetseite Indymedia.org ein Bekennerschreiben veröffentlicht. * Veröffentlichung eines Antifaschistischen Archives Ebenfalls auf der einschlägigen Internetseite Indymedia.org wurde 2020 für das "Antifaschistische Archiv für Rostock und Umgebung" geworben. In dem Archiv wird eine Vielzahl von Artikeln über "linke Politik und rechte Umtriebe" in Rostock und Umgebung veröffentlicht. Berichte mit Informationen und Fotos über bekannte oder vermeintliche Rechtsextremisten sollen darin "recherchierbar" aufbereitet werden. Es muss davon ausgegangen werden, dass die Veröffentlichung dieser personenbezogenen Daten einerseits dazu dienen soll, die genannten Personen einzuschüchtern und andererseits aktionsbereiten Szeneangehörigen eine erleichterte "Zielauswahl" zu ermöglichen, so dass der Ansatz als klassisch bezeichnet werden kann. 56 4.5.2 Aktionsfeld "Antirepression" Als "Antirepression" bezeichnen Linksextremisten ihren Kampf gegen eine von ihnen behauptete, vielgestaltige Unterdrückung durch den (verhassten) Staat, welcher nicht nur jegliche revolutionären Ansätze im Keim ersticken wolle, sondern bereits die bloße allgemeine Ausübung von staatsbürgerlichen Grundrechten beeinträchtige. Zu den bevorzugten Zielen der Antirepressionsaktionen gehören naturgemäß Polizeibeamte, aber auch Nachrichtendienste und andere staatliche Einrichtungen, wie Gerichte und Staatsanwaltschaften. In diesem Aktionsfeld engagieren sich naturgemäß gewaltorientierte Linksextremisten, aber auch Strukturen wie etwa die "Rote Hilfe". "Rote Hilfe e.V." (RH) Als bedeutendste linksextremistische Organisation im Themenfeld "Antirepression" tritt der bundesweit agierende Verein "Rote Hilfe e.V." (RH) auf, der in MecklenburgVorpommern mit Ortsgruppen in Rostock und Greifswald vertreten ist. Vorrangiges Aktionsfeld der RH ist die rechtliche und finanzielle Unterstützung Szeneangehöriger in gerichtlichen Verfahren, insbesondere bei Strafprozessen. Sonst regelmäßig durchgeführte Informationsabende, die auch dem Ziel der Mitgliederwerbung dienen, konnten pandemiebedingt aufgrund der geschlossenen Szenetrefforte kaum stattfinden. Den beiden Ortsgruppen werden in Mecklenburg-Vorpommern etwa 250 Mitglieder zugerechnet. Bundesweit gehören ca. 11.000 Personen (2019: 10.500) dem linksextremistischen Verein RH an. 94 "Schwarz-Rote Hilfe" (SRH) Rostock Neben der RH versuchte in 2020 auch die linksextremistische Organisation "Schwarz-Rote-Hilfe Rostock" (SRH) Aktivitäten zu entfalten. Ähnlich wie bei der RH waren Aktionen pandemiebedingt kaum wahrnehmbar. Grundsätzlich verfolgt die SRH, anders als die RH, den Ansatz der aktionsorientierten, nach eigenem Bekunden "kreativen Antirepression". Damit will sie u.a. Linksextremisten ermutigen, die Arbeit von Behörden und Gerichten zu erschweren. Institutionen sollen so lächerlich gemacht und im Ergebnis diskreditiert werden. Laut Eigenangaben ist die SRH selbstorganisierte Anti-Repressions-Arbeit, die unter anderem rechtliche, finanzielle und menschliche Unterstützung im Repressionsfall biete. 94 Internetseiten der RH, Ortsgruppen Greifswald und Rostock, abgerufen am 23.02.2021. 57 95 4.5.3 Aktionsfeld "Antimilitarismus" Das Thema Antimilitarismus ist ebenfalls ein klassisches linksextremistisches Aktionsfeld, dessen Wurzeln bis in die Anfänge der kommunistischen Bewegung zurückreichen. Nach linksextremistischer Argumentation dient das Militär dazu, angebliche kapitalistische Expansionsbestrebungen nach außen durchzusetzen und im Inneren den Kapitalismus und dessen "Ausbeutungsstrukturen" zu stabilisieren. Antimilitaristische Aktionen der linksextremistischen Szene sind vordergründig gegen die Bundeswehr gerichtet. Die Auslandseinsätze der Bundeswehr sowie die Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland an Systemen kollektiver Sicherheit wie der NATO stehen dabei im Fokus. Zu Beginn des Jahres 2020 bereitete sich die Bundesrepublik auf das größte NATOMilitärmanöver der letzten 25 Jahre vor. Bei dem Manöver "Defender 2020" wurden Tausende Soldaten und Fahrzeuge von der Nordsee auf dem Landweg in Richtung Polen und ins Baltikum verlegt. Im Rahmen dieser Militärübung erreichten im Frühjahr 2020 die ersten US-Militärtransporte auch Mecklenburg-Vorpommern. Aufgrund der sich auch im Übungsgebiet rasch ausbreitenden Corona-Pandemie wurde die Großübung noch im März 2020 abgebrochen und die Truppen entsprechend wieder zurückverlegt. 4.5.4 Aktionsfeld "Kurdistansolidarität" Solidaritätsaktionen für die Autonomiebestrebungen der kurdischen Bevölkerung sind nach wie vor ein Agitationsfeld der linksextremistischen Szene. Straftaten in diesem Zusammenhang waren gegenüber dem Vorjahr im Berichtszeitraum nicht feststellbar. Die Internationale Kampagne zur Unterstützung kurdischer Autonomiebestrebungen "#riseup4rojava" wurde im Jahr 2020 von der antifaschistischen Jugendgruppe "Limo Rostock" sowie der IL Rostock unterstützt. So machten die Protagonisten von "Limo Rostock" auf ihrer Facebook-Seite am 30. Oktober und 1. November 2020 auf den Jahrestag der Verteidigung der kurdischen Stadt Kobane gegen den sogenannten Islamischen Staat im Jahr 2014 aufmerksam. 95 Internetseite SRH, zuletzt abgerufen am 23.02.2021. 58 Das Ereignis wurde in der Folge zu einem "Feiertag der Revolution". 96 Die Beiträge erörtern den Hintergrund und die Bedeutung der Kämpfe in der Region Rojava und fordern abschließend die Aufhebung des Verbotes der verbotenen "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK).97 98 99 Die IL in Mecklenburg-Vorpommern, die sich im Vorjahr eindeutig zur o.g. Kampagne bekannte und sie unterstützte, war kaum noch aktiv und auf Demonstrationen kaum wahrnehmbar. Bezüge lassen sich dennoch weiterhin auf der eigenen Facebookseite sowie bei vereinzelten Aktionen erkennen. 100 96 Facebook-Seite Limo Rostock vom 30.10.2020, abgerufen am 02.02.2021. 97 Facebook-Seite von Limo Rostock vom 30.10.2020, abgerufen am 02.02.2021. 98 Facebook-Seite von Limo Rostock vom 30.10.2020, abgerufen am 02.02.2021. 99 Facebook-Seite Limo Rostock vom 01.11.2020, abgerufen am 02.02.2021. 59 4.6 Dogmatischer Linksextremismus Linksextremistische Parteien und Gruppierungen bemühen sich nach wie vor, mittels der bekannten Kritikmuster an den "herrschenden Verhältnissen" ihren sozialistischen und kommunistischen Zielen näher zu kommen. In Mecklenburg-Vorpommern ist es dem dogmatischen Linksextremismus auch im Jahr 2020 nicht gelungen, eine größere politische Bedeutung zu erlangen. Die "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP) verfügt noch über Ansprechstellen in Stralsund, Schwerin und Rostock. 101 Insgesamt ist das Personenpotenzial eher gering. Die "Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend" (SDAJ)102 ist eine eigenständige Organisation, die der DKP nahesteht und mit Ortsgruppen in Schwerin und Rostock vertreten ist. Die "Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands" (MLPD) unterhält Ortsgruppen in Alt Schwerin, Rostock und Waren. Der Jugendverband "REBELL" der MLPD ist mit einer Ortsgruppe in Rostock in Mecklenburg-Vorpommern vertreten. 103 Daneben bestehen in Mecklenburg-Vorpommern einige Regionalgruppen des "RotFuchs-Fördervereins", der zum Bereich der orthodoxen Kommunisten zählt. Die "Sozialistische Organisation Solidarität Rostock" (SOL Rostock), die aus der Spaltung der "Sozialistischen Alternative" (SAV) hervorgegangen ist104, entwickelte 2020 kaum öffentlichkeitswirksame Aktionen. 105 Insgesamt ist festzustellen, dass die politischen Ziele der dogmatischen Linksextremisten so gut wie keine nen100 Der Wimpel ist auf der "antifaschistischen Neujahrsdemo am 05.01.2020 in Rostock mitgeführt worden. Das Foto wird mehrmals von der IL Rostock und auch von Limo Rostock verwendet. Facebook-Seite der IL Rostock vom 06.01.2020 und 02.03.2020, abgerufen am 02.02.2021 101 Logo der DKP, abgerufen auf der Internetseite Wikipedia, abgerufen am 23.02.2021. 102 Die SDAJ ist die Jugendorganisation der DKP, von dieser aber organisatorisch unabhängig. 103 Internetseite der MLPD, abgerufen am 23.02.2021. 104 Vgl. Verfassungsschutzbericht Mecklenburg-Vorpommern 2019, S.92. 105 Facebook-Seite SOL Rostock, abgerufen am 23.02.2021. 60 nenswerte Anziehungskraft auf die Bevölkerung im Jahr 2020 ausgeübt haben. Das Personenpotenzial in Mecklenburg-Vorpommern aller dogmatischen Organisationen wird auf unter 100 Personen geschätzt und bleibt im Vergleich zu 2019 unverändert. 5 Islamismus / Islamistischer Terrorismus 5.1 Islamistische Bestrebungen - politischer Extremismus mit Rückgriff auf den Islam Das Phänomen des Islamismus wird begrifflich und inhaltlich von dem des Islam unterschieden. Der Islam ist eine Religion, deren Ausübung durch das im Artikel 4 des Grundgesetzes festgehaltene Recht auf Religionsfreiheit garantiert und die als solche nicht von den Verfassungsschutzbehörden beobachtet wird. Der Islamismus ist hingegen dadurch gekennzeichnet, dass er einen explizit politischen Anspruch aus der Religion des Islam ableitet. Islamisten instrumentalisieren die Religion des Islam für politische und verfassungsfeindliche Zwecke. Sie verfolgen das Ziel, ihre gesellschaftspolitischen Vorstellungen in Staat und Gesellschaft durchzusetzen und dies sowohl in muslimischen wie auch in säkular geprägten Gesellschaften. Islamisten wollen eine "Ordnung des Islam" errichten, in der mittels Anwendung "islamischer Rechtsnormen" der Geltungsanspruch der Scharia durchgesetzt und damit wesentliche Elemente der freiheitlichen demokratischen Grundordnung außer Kraft gesetzt werden sollen. Der Verfassungsschutz beobachtet deshalb unter der Überschrift "Islamismus" religiös motivierte extremistische Bestrebungen, die sich gegen westliche Wertund Ordnungsvorstellungen, insbesondere gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung richten. Der islamistische Extremismus ist kein einheitliches Phänomen, sondern weist zahlreiche Facetten auf. Diese unterscheiden sich zum einen in ihrer Reichweite und ihrem Anspruch; das Spektrum reicht hierbei von lokalen islamistischen Vereinen bis zu global agierenden Organisationen wie den Terrororganisationen "Islamischer Staat" (IS) oder "al-Qaida". Logo der verbotenen Terrororganisation IS Daneben gibt es islamistische Gruppierungen, deren Agenda sich auf bestimmte Regionen bezieht. Die islamistische "Harakat al-Muqawama al-Islamiya" (HAMAS) etwa richtet ihre Aktivitäten auf eine Islamisierung Palästinas. HAMAS ist für dieses Ziel aber weit über die Grenzen Palästinas hinaus aktiv. Zum anderen unterscheiden sich die Mittel, die islamistische Gruppierungen einsetzen, um ihre Ziele zu erreichen. So gibt es islamistische Organisationen, die als legalistisch bezeichnet werden, weil ihre Zielsetzungen zwar extremistisch sind, sie sich aber bei ihren Aktionen innerhalb des vorgegebenen rechtlichen Rahmens bewegen. Andere islamistische Gruppierungen befürworten unter bestimmten Umständen den Einsatz von Gewalt als Mittel, um ihre Ziele durchzusetzen. Schließlich gibt es im 61 Bereich des Islamismus terroristische Gruppierungen wie "al-Qaida" und den IS, deren primäres Ziel die Propagierung, die Androhung und der Einsatz von Gewalt ist. Diese Vielfalt hat zur Folge, dass der islamistische Extremismus auch keine Bewegung ist, die nach außen hin geschlossen auftritt. Teile dieses Spektrums bekämpfen einander auf das Heftigste. Das Personenpotenzial im islamistischen Extremismus ist im Berichtsjahr 2020 konstant geblieben: M-V 2019 M-V 2020 Bund 2019 Bund 2020 Salafisten 160 160 12.150 12.150 Sonstige 30 30 15.870 16.565 Gesamt 190106 190107 28.020 28.715 Im Folgenden werden die "Entwicklung des Islamismus und islamistischen Terrorismus 2020" (Kapitel 5.2), die "staatlichen Maßnahmen gegen islamistischen Extremismus in Deutschland" (Kapitel 5.3), der "Salafismus in Deutschland" (Kapitel 5.4) und die "Trends des islamistischen Terrorismus" (Kapitel 5.5) behandelt. Zum Abschluss dieses Teiles wird die "Entwicklung des islamistischen Extremismus in Mecklenburg-Vorpommern im Jahre 2020" (Kapitel 5.6) beschrieben. 5.2 Entwicklung des Islamismus und islamistischen Terrorismus 2020 Der islamistische Terrorismus stellt nach dem Rechtsterrorismus die größte Gefahr für die innere Sicherheit der Bundesrepublik dar. Die angespannte Bedrohungslage blieb grundsätzlich auch 2020 bestehen. 2020 gab es in Deutschland, anders als 2018 und 2019, wieder einen islamistischen Anschlag mit Todesfolge. Zudem kam es im Herbst 2020 in mehreren mitteleuropäischen Staaten zu einer Serie von islamistischen Terroranschlägen. Diese Taten zeigen, wie stark und aktiv der islamistische Terrorismus in Europa nach wie vor ist. Auch und vor allem aber in islamisch geprägten Ländern wie Afghanistan, Syrien und Irak waren auch 2020 wieder zahlreiche islamistische Anschläge zu beklagen, bei denen noch erheblich mehr Menschen zu Schaden kamen als bei den Anschlägen in Europa. Das islamistisch-terroristische Personenpotenzial in Deutschland lag im Dezember 2020 bei rund 2.040 Personen (September 2019: rund 2.020 Personen). Dieses Potenzial spiegelt eine permanente und erhebliche Gefährdung wider. Infolgedessen muss grundsätzlich damit gerechnet werden, dass es in Deutschland zu einem Anschlag islamistischer Terroristen kommen kann. 5.2.1 Anschläge in Europa Messerangriff in Dresden am 4. Oktober 2020 Am 4. Oktober 2020 wurden in der Dresdener Innenstadt zwei Männer durch Messerstiche schwer verletzt, woraufhin einer der beiden kurz darauf seinen Verletzun106 Um Doppelmitgliedschaften bereinigt. 107 Um Doppelmitgliedschaften bereinigt. 62 gen erlag. Als Täter konnte in der Folge ein Abdullah al-H. aus Syrien ermittelt werden, der 2015 nach Deutschland eingereist war und die Tat wohl aus einem islamistischen Motiv heraus begangen hatte. Bereits 2018 hatte das Oberlandesgericht Dresden festgestellt, dass al-H. ein Anhänger der Terrororganisation IS sei und einen Anschlag in Dresden geplant habe, worauf er zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren und neun Monaten verurteilt wurde. Im Dezember 2019 erfolgte eine weitere Verurteilung von al-H. wegen tätlicher Angriffe auf Vollzugsbeamte und Körperverletzung. Fünf Tage vor dem Messerangriff in der Dresdener Innenstadt war al-H. aus der Haft entlassen worden. Mord an Samuel Paty am 16. Oktober 2020 Am 16. Oktober 2020 wurde der französische Lehrer Samuel Paty auf dem Nachhauseweg von seiner Schule im Pariser Vorort Conflans-Sainte-Honorine von Adullah A. einem islamistisch motivierten Täter ermordet, der zur Tatzeit 18 Jahre alt war. A. stach mehrfach auf das Opfer ein und enthauptete den Lehrer schließlich. Polizisten erschossen den Täter bei dem Versuch ihn festzunehmen. Samuel Paty hatte im Unterricht beim Thema Meinungsfreiheit auf die Mohammed-Karikaturen Bezug genommen, die im französischen Satiremagazin "Charlie Hebdo" veröffentlicht worden waren. Infolge dieses Unterrichtes gab es Proteste von radikalen Muslimen, die schnell die Grenzen von Conflans-Sainte-Honorine überschritten. Namhafte Islamisten aus Paris griffen das Thema auf und machten daraus eine Kampagne gegen Paty und den französischen Staat. In dieser radikalisierten Situation schritt A. zur Tat. Der Mord führte zu breiten Protesten in der französischen Bevölkerung und zu umfangreichen Maßnahmen gegen den Islamismus in Frankreich. Nachdem der französisch Präsident Emmanuel Macron das Zeigen der Mohammad-Karikaturen verteidigte und als einen Akt der freien Meinungsäußerung bezeichnete, kam es im Nahen und Mittleren Osten zu Protesten und Boykottaufrufen gegen französische Waren. Anschlag in Nizza am 29. Oktober 2020 Am 29. Oktober 2020 tötete der damals 21-jährige Tunesier Brahim A. mit einem Messer drei Personen in der größten katholischen Kirche der südfranzösischen Stadt Nizza. Brahim A. war erst am 20. September 2020 mit einem Boot aus Tunesien auf der italienischen Insel Lampedusa angelandet. Die italienischen Behörden schoben ihn nicht wieder zurück nach Tunesien, so dass Brahim A. kurz vor der Tat nach Nizza reisen konnte. Der Anschlag wird von französischen Stellen als islamistisch motiviert bewertet und in einen Zusammenhang mit dem Mord an Samuel Paty gestellt (s.o.). Anschlag in Wien am 2. November 2020 Bei einem schwer bewaffneten, rund zehnminütigen Amoklauf in der Wiener Innenstadt erschoss der seinerzeit 20-jährige Kujtim F. vier Menschen und verletzte mehr als zwanzig Personen zum Teil schwer. Der Amoklauf wurde schließlich durch eine Sondereinheit der österreichischen Polizei mit einem tödlichen Schuss auf den Täter gestoppt. F., der über die österreichische und nordmazedonische Staatsangehörigkeit verfügte, soll ein Sympathisant der Terrororganisation IS gewesen sein. Er soll geplant haben, nach Syrien auszureisen und sich dort am bewaffneten Jihad zu beteiligen. Im September 2018 war er in die Türkei gereist, um von dort nach Syrien zu gelangen. Nach 63 seiner Festnahme durch die türkischen Behörden wurde er nach Österreich zurückgebracht und dort im April 2019 unter anderem wegen der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung verurteilt. Im Dezember 2019 wurde er vorzeitig entlassen und musste dafür an einer Deradikalisierungsmaßnahme teilnehmen, welche Ende Oktober 2020, also wenige Tage vor seiner Tat, beendet war. Die Terrororganisation IS veröffentlichte einen Tag nach dem Anschlag über ihr nahestehende SocialMedia-Kanäle, dass sie für das Attentat des F. verantwortlich sei. 5.3 Staatliche Maßnahmen gegen islamistischen Extremismus Eine herausragende staatliche Maßnahme gegen den islamistischen Extremismus war 2020 der Erlass des Betätigungsverbots des Bundesinnenministeriums gegen die schiitisch-islamistische Terrororganisation "Hizb Allah" (deutsch: "Partei Gottes") am 30. April 2020. Begründet wurde das Verbot damit, dass die "Hizb Allah" offen zur gewaltsamen Vernichtung des Staates Israel aufruft und das Existenzrecht Israels in Frage stellt. Damit richtet sich die "Hizb Allah" in elementarer Weise gegen den Gedanken der Völkerverständigung. Der "Hizb Allah" wurden in Deutschland 2020 bis zu 1.050 Personen zugerechnet. Logo der "Hizb Allah" Wie schon in den Jahren zuvor, leitete der Generalbundesanwalt (GBA) auch 2020 zahlreiche Ermittlungsverfahren ein, die einen unmittelbaren oder mittelbaren Bezug zum islamistischen Terrorismus aufweisen, und brachte einen Großteil davon zur Anklage. Staatliche Maßnahmen gegen islamistischen Extremismus umfassen neben den erforderlichen Repressionsmaßnahmen verstärkt auch Ansätze der Prävention. Die Beratungsstelle Radikalisierung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) ist insoweit ein bundesweiter Ansprechpartner, insbesondere für das private Umfeld von radikalisierten Personen. Die "Beratungsstelle Radikalisierung" beim BAMF ist über die Rufnummer 0911/9434343 zu erreichen. 5.4 Salafismus - Hintergründe und aktuelle Entwicklung Nachdem die Anhängerzahl im Bereich Salafismus in Deutschland in den letzten Jahren deutlich und kontinuierlich gestiegen war, hat mittlerweile eine Konsolidierung stattgefunden. Insgesamt werden dem Salafismus in Deutschland mit Stand Dezember 2020 12.150 Personen zugerechnet. Diese Zahl hat sich gegenüber dem Vorjahr nicht verändert. Der Salafismus ist eine Ideologie und gleichzeitig eine besonders radikale Bewegung innerhalb des islamistischen Extremismus, die sich an den Ideen und Lebensweisen der ersten Muslime und der islamischen Frühzeit orientiert. Salafisten geben vor, ihre religiöse Praxis und Lebensführung ausschließlich an den Prinzipien des Koran und dem Vorbild des Propheten Mohammed und der frühen Muslime - der sogenannten rechtschaffenen Altvorderen (arabisch: al-salaf al-salih) - auszurichten. Um dies umzusetzen, streben Salafisten die bedingungslose Durchsetzung und Befolgung von 64 islamischen Regeln an, die ihrer Auffassung nach in der frühislamischen Zeit gültig waren. Salafisten nehmen für sich eine alleinige Deutungsmacht über die islamischen Texte in Anspruch. Andere Meinungen und Positionen werden von ihnen systematisch unterbunden. Wer divergierende Positionen vertritt, wird gebannt, gegebenenfalls verfolgt oder sogar mit dem Tode bedroht. Für Salafisten ist der Islam deshalb nicht nur "Religion", sondern ein auf der wortgetreuen Befolgung des Koran und der Prophetentradition beruhendes System, welches sämtliche Lebensbereiche einschließlich Gesetzgebung und Politik regelt. In letzter Konsequenz streben Salafisten die Errichtung eines islamischen "Gottesstaates" an. Für Deutschland würde dieser Schritt bedeuten, dass wesentliche Grundrechte und Verfassungsprinzipien keine Geltung mehr hätten. Propaganda und Handlungsweisen von Salafisten zielen folglich nicht nur auf eine Beeinflussung religiöser Überzeugungen ab, sondern verfolgen einen totalitären Ansatz. Sie verwenden dabei zwar religiöse Begriffe, deuten sie jedoch politisch um und instrumentalisieren sie in ihrem Sinne. Die salafistische Ideologie ist daher mit Integration, religiöser Toleranz und den Grundlagen des demokratischen Rechtsstaates nicht vereinbar. Gleichwohl ist der Salafismus keine homogene Bewegung, sondern teilt sich in verschiedene Unterkategorien auf. Der Verfassungsschutz unterscheidet zwischen den Strömungen des politischen und des jihadistischen Salafismus. Beide Strömungen teilen zwar grundsätzlich die gleichen Glaubensvorstellungen, unterscheiden sich jedoch in der Wahl der Methoden, mit denen diese Glaubensvorstellungen umgesetzt werden sollen. Politische Salafisten versuchen, ihre islamistische Ideologie durch intensive Propagandaaktivitäten zu verbreiten, welche sie als "Missionierung" (arabisch: da'wa) bezeichnen. Mit ihnen soll die Gesellschaft in einem langfristig angelegten Prozess nach salafistischen Vorstellungen verändert werden. Politische Salafisten veranstalten zu diesem Zweck z.B. Kundgebungen in Innenstädten und "Islamseminare". Sie unterhalten ein umfangreiches Angebot im Internet, mit dem sie ihre Propaganda verbreiten. Nach außen wird dies als Informationsangebot zur korrekten Religionsausübung dargestellt, tatsächlich betreibt der politische Salafismus auf diesem Weg jedoch eine gezielte und systematische Indoktrination, die häufig den Anfangspunkt einer weiteren Radikalisierung bildet. Salafisten sind bei der Ansprache von Jugendlichen häufig erfolgreich, da sie eine jugendtypische Sprache sprechen und ihnen eine vermeintlich klare Orientierung in einer als unübersichtlich empfundenen Welt aufzeigen können. Zudem bieten sie ihnen das Zusammengehörigkeitsgefühl einer eingeschworenen Gemeinschaft, reduzieren Komplexität, indem sie Sachverhalte knapp und klar in Gut und Böse einteilen, stellen klare Gebote und Verbote für alle Bereiche des Lebens auf und entlasten den Jugendlichen davon, eigene Entscheidungen fällen zu müssen. Häufig nutzen sie auch den Idealismus der Jugendlichen und deren altersbedingte Protesthaltung, um sie für die Ziele des Salafismus einzuspannen. Insgesamt ist festzustellen, dass der politische Salafismus ein ambivalentes Verhältnis zur Gewalt als Mittel zur Durchsetzung seiner Ziele pflegt, da religiös legitimierte Gewalt häufig nicht prinzipiell ausgeschlossen wird (z. B. "zur Verteidigung des Islam"). Anhänger des politischen Salafismus positionieren sich zum Teil in bewusst herausfordernder Weise gegen Terrorismus, heben den friedfertigen Charakter des 65 Islam hervor und vermeiden offene Aufrufe zur Gewalt. Zwischen den unterschiedlichen salafistischen Strömungen besteht Uneinigkeit, unter welchen Voraussetzungen Gewalt angewendet werden darf. Die Grenzziehung zwischen politischem und jihadistischem Salafismus erweist sich somit häufig als unklar. Jihadistische Salafisten befürworten dagegen eine unmittelbare und sofortige Gewaltanwendung. Sie propagieren den bewaffneten Kampf auch gegen Machthaber in Ländern mit muslimischer Bevölkerungsmehrheit, denen sie vorwerfen, vom Islam abgefallen und Handlanger des verhassten "Westens" zu sein. Bedeutendster Protagonist des jihadistischen Salafismus dürfte nach wie vor die Terrororganisation des IS sein. Hervorzuheben ist, dass sämtliche Personen mit Deutschlandbezug, die den gewaltsamen Jihad befürworten, zuvor mit salafistischen Einrichtungen in Kontakt standen. Es kann somit als gesichert gelten, dass das von Salafisten verbreitete Gedankengut den Nährboden für eine islamistische Radikalisierung bis hin zur Rekrutierung für den militanten Jihad bildet. 5.5 Trends des islamistischen Terrorismus 2020 Obwohl der IS sein Territorium und seine Führungsfigur, den "Kalifen" Abu Bakr al Baghdadi, verloren hat, setzten sich 2020 die Aktivitäten des IS im Osten Syriens fort, u.a. mit Morden, Bombenund Brandanschlägen. Nach dem Ende der militärischen Kämpfe werden Tausende von IS-Kämpfern in einigen Gefangenenlagern in Syrien gefangen gehalten. Gleichwohl ist die Terrororganisation in verschiedenen Regionen der Welt weiter aktiv. In Europa und auch in Deutschland zeigte sich auch 2020 weiterhin die anhaltende Relevanz der jihadistischen Ideologie. Im Zuge des Anschlags in Wien am 2. November 2020 wurde erneut deutlich, dass der IS weiterhin islamistische Anschläge propagandistisch für sich nutzt, u.a. um IS-Sympathisanten von seiner Schlagkraft zu überzeugen und auch um neue Anhänger zu gewinnen. Insgesamt kann weiterhin eine umfangreiche Internetpropaganda beobachtet werden, die auch in deutscher Sprache erfolgt, über die Kreise des IS hinausgeht und in der auch zu Anschlägen in Deutschland und Westeuropa aufgerufen wird. Ein wichtiger Faktor bei islamistischen Anschlägen kann die Nachahmung sein: So liegt der Schluss nahe, dass sich die Täter der Anschläge vom Oktober und November 2020 in Europa (Kapitel 5.2.1) möglicherweise von anderen islamistischen Anschlägen zusätzlich motiviert fühlten. Zudem ist es wahrscheinlich, dass der neuerliche Streit um die Veröffentlichung der Mohammed-Karikaturen, der in Frankreich seinen Ausgang nahm, die islamistische Szene in Deutschland und Europa stark emotionalisiert und die Hemmschwelle zur Ausübung von Gewalt gesenkt hat. Über mehrere Jahre hinweg wurde die Zahl der in Richtung Syrien und Irak ausgereisten Islamisten aus Deutschland erhoben. 2020 wurden nur noch sehr vereinzelt entsprechende Ausreisen festgestellt. Seit dem Beginn des Bürgerkrieges in Syrien sind insgesamt 1.060 Islamisten aus Deutschland in Richtung Syrien/Irak gereist. Zu etwa der Hälfte der gereisten Personen liegen konkrete Anhaltspunkte vor, dass sie auf Seiten des IS und der al-Qaida oder denen nahestehenden Gruppierungen sowie anderer terroristischer Gruppierungen an Kampfhandlungen teilgenommen haben oder diese in sonstiger Weise unterstützt haben. Dies bedeutet, dass zu einem Teil der ausgereisten Personen bislang keine hinreichenden tatsächlichen Anhaltspunkte 66 für die Einleitung von Ermittlungsverfahren durch die zuständigen Justizbehörden vorliegen. Für die Sicherheitslage in Deutschland stellt die Gruppe der Islamisten, die aus Syrien und dem Irak nach einer Beteiligung an den dortigen Kämpfen zurückkehren, ein erhebliches Gefährdungspotenzial dar. Diese Personen verfügen über umfangreiche Erfahrungen mit Krieg und Terrorismus und sind zudem stark ideologisch indoktriniert. Etwa ein Drittel der o.g. 1.060 Personen, die aus Deutschland in Richtung Syrien und Irak ausgereist sind, um sich dort am Jihad zu beteiligen, befindet sich mittlerweile wieder in Deutschland. Zu über hundert der bislang zurückgekehrten Personen liegen den Sicherheitsbehörden Erkenntnisse vor, wonach sie sich aktiv an Kämpfen in Syrien oder im Irak beteiligt oder hierfür eine Ausbildung absolviert haben. Diese Personen stehen unverändert im Fokus polizeilicher und justizieller Ermittlungen. Personen, die im Ausland aktiv am Jihad teilgenommen haben, genießen darüber hinaus in salafistischen und jihadistischen Kreisen - auch in Deutschland - oft ein besonderes Ansehen, werden auf Grund dieser Erfahrungen häufig zu Vorbildern und tragen mit ihren Jihad-Erfahrungen zur Stärkung und Radikalisierung der salafistischen Szene in Deutschland bei. An vielen islamistischen Terroranschlägen der letzten Jahre waren Personen beteiligt, die in Europa leben oder dort sogar geboren wurden, sich aber nicht im Ausland an terroristischen Aktivitäten beteiligt haben (sogenannter "homegrown terrorism"). Die meisten dieser Täter sind dabei ohne Anbindung bzw. den Auftrag einer Terrororganisation tätig geworden. Nur ein Bruchteil der Flüchtlinge, die zumeist als irreguläre Migranten 108 nach Deutschland gekommen sind, hatte sich zuvor in ihren Heimatländern aktiv für islamistische bzw. jihadistische Organisationen betätigt und setzte solche Aktivitäten auch in Deutschland fort. Diese Personen stellen einen Teil des o.g. islamistischterroristischen Personenpotenzials dar, das im besonderen Fokus der Sicherheitsbehörden steht. Als problematisch für letztere erweist sich hierbei die häufige Erkenntnis, dass vormalige Aktivitäten von Terroristen im Nahen Osten jedoch häufig durch die deutschen Behörden nicht oder nur schwer aufzuklären sind. 5.6 Islamistischer Extremismus in Mecklenburg-Vorpommern Auch im Jahr 2020 waren zahlreiche Aktivitäten aus verschiedenen Bereichen des islamistischen Extremismus in Mecklenburg-Vorpommern festzustellen. Im Land konnten auch 2020 wieder vor allem Aktivitäten von islamistisch motivierten Einzelpersonen beobachtet werden. Aktivitäten von islamistischen Organisationen spielen demgegenüber weiterhin eine deutlich geringere Rolle. Von besonderer Bedeutung waren erneut die Aktivitäten von Anhängern des Salafismus. Mit Stand Dezember 2020 wurde für den Salafismus im Land ein Personenpotenzial von 160 festgestellt. Dieses Potential bleibt gegenüber dem Vorjahr unverändert. Das Personenpotenzial der Salafisten umfasst sowohl politische als auch jihadistische Salafisten. Organisier108 "Der Begriff des "irregulären" bzw. unrechtmäßigen Aufenthalts wird im Hinblick auf Personen verwendet, die sich ohne Aufenthaltsrecht oder Duldung und ohne Kenntnis der Ausländerbehörden in Deutschland aufhalten. (...)", www.bamf.de. 67 te islamistische Strukturen haben sich im Land bisher nur wenig etabliert. Islamisten agieren in Mecklenburg-Vorpommern zumeist als Einzelpersonen oder im Rahmen von losen Personennetzwerken, die salafistische Aktivitäten entfalten. Diese Personen sind ganz überwiegend männlich. Rund 30% der Salafisten in MecklenburgVorpommern stammen aus dem Nordkaukasus und rund 50% aus Syrien. Die Landesregierung verfügt derzeit über keine bestätigten Informationen zu islamistischen "Ausreisefällen" aus Mecklenburg-Vorpommern nach Syrien oder in den Irak. 5.6.1 Ausländische Islamisten und Aufenthaltsrecht Die Landesregierung Mecklenburg-Vorpommern ist nachdrücklich bestrebt, islamistischen Aktivitäten keinen Raum zu geben und diese - so sie bekannt werden - zurückzudrängen und zu unterbinden. Die Verfassungsschutzbehörde wirkt im Verbund mit den Ausländerbehörden des Landes daran mit, ausländischen Islamisten möglichst keinen gefestigten Aufenthaltsstatus zu gewähren und sie bei Vorliegen der Voraussetzungen in ihre Herkunftsländer zurückzuführen. Zu diesem Zweck wirken Polizei und Verfassungsschutzbehörde des Landes gemeinsam mit dem Ausländerreferat des Innenministeriums an der beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) angesiedelten Arbeitsgruppe "Statusrechtliche Begleitmaßnahmen" (AG Status) mit. Ausdrückliches Ziel dieser AG ist es, Personen mit extremistischem/terroristischem Hintergrund zu erkennen und zu prüfen, inwieweit Maßnahmen wie * ein Widerruf bzw. die Rücknahme einer Asyl-/Flüchtlingsanerkennung, * Maßnahmen zur Aufenthaltsbeendigung, * Maßnahmen zur Überwachung gemäß SS 56 AufenthG * Maßnahmen zur Verhinderung der (Wieder-) Einreise, * Maßnahmen zur Verhinderung der Erteilung, bzw. des Widerrufs oder der Rücknahme einer Einbürgerung angezeigt sind. Die AG Status kann dabei für den Widerruf von Asylentscheidungen oder für die Empfehlung einer Ausweisungsverfügung auch auf solche Erkenntnisse der Sicherheitsbehörden zurückgreifen, die als solche nicht für eine strafrechtliche Verurteilung ausreichen. In diesem Zusammenhang ist jedoch hervorzuheben, dass islamistische Aktivitäten, die unterhalb der Schwelle von Straftaten, die eine Freiheitsstrafe nach sich ziehen, bleiben oder - gefahrenabwehrrechtlich - lediglich als abstrakte Gefahr klassifiziert werden können, für sich genommen regelmäßig nicht ausreichen, um darauf eine Aufenthaltsbeendigung zu stützen. Mit anderen Worten: Ein vom BAMF anerkannter Flüchtling kann ohne ausländerrechtliche Sanktionen befürchten zu müssen, beispielsweise den demokratischen Rechtsstaat offen ablehnen und sich für die Einführung der Scharia aussprechen. 5.6.2 Islamismusprävention im Land Zur Umsetzung des "Nationalen Präventionsprogramms gegen islamistischen Extremismus" war 2017 die Einrichtung einer interministeriellen Arbeitsgruppe "Islamismusprävention" und der Aufbau einer Fachstelle zur Prävention von religiös begrün68 detem Extremismus mit Mitteln des Bundesprogramms "Demokratie leben!" beschlossen worden. Die Koordinierung dieser Präventionsmaßnahmen wurde der "Landeszentrale für politische Bildung/Landeskoordinierungsstelle Demokratie und Toleranz" übertragen. Die Islamismusprävention im Land Mecklenburg-Vorpommern wird seitdem unter der Mitwirkung der Ministerien für Inneres, für Bildung, Soziales und des Justizministeriums umgesetzt. Seit dem Frühjahr 2018 ist die Fachstelle für Prävention von religiös begründetem Extremismus mit dem Namen "Bidaya" (arab. für Start, Anfang) in Waren (Müritz) eingerichtet. "Bidaya" steht staatlichen Stellen, zivilgesellschaftlichen Trägern und Einzelpersonen in Mecklenburg-Vorpommern als Beratungsstelle im Themenfeld Islamismus und Islamfeindlichkeit zur Verfügung. Neben der Beratung liegt ein Schwerpunkt auf der Fortbildung von Fachkräften. Die Fachstelle "Bidaya" ist sowohl im Internet unter www.bidaya-mv.de als auch telefonisch unter der Nummer 0160/ 8045287 erreichbar. 6 Sonstiger Ausländerextremismus 6.1 Personenpotenzial Die Stärke der in Mecklenburg-Vorpommern agierenden - nicht islamistischen - linksextremistischen Ausländerorganisationen stellt sich im Einzelnen wie folgt dar 109: MV MV Bund Bund 2019 2020 2019 2020 "Arbeiterpartei Kurdistans" 250 250 14.500 14.500 (PKK) Türkische Linksextremisten < 20 < 20 2.550 2.550 Gesamt110 < 270 < 270 17.050 17.050 Von den meisten dieser Organisationen wird Deutschland als gesicherter Rückzugsraum betrachtet, jedoch ist die Zahl der Anhänger der linksextremistischen Organisationen "Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front" (DHKP-C), "Türkische Kommunistische Partei/Marxisten-Leninisten" (TKP/ML) und "Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei" (MLKP) - im Gegensatz zur Mitgliederzahl der "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) - im Land Mecklenburg-Vorpommern unbedeutend. 109 Alle Zahlen sind Rundungswerte. 110 Die Gesamtzahl des Bundes der Mitglieder-/Anhängerzahlen von nicht islamistischen - linksextremistischen Ausländerorganisationen weicht von der seitens des Bundesamtes für Verfassungsschutz veröffentlichten Gesamtstatistik insofern ab, als in der o.a. Tabelle ausschließlich die im Land Mecklenburg-Vorpommern agierenden Organisationen berücksichtigt worden sind. 69 6.2 Straftatenaufkommen Im Bereich des sonstigen Ausländerextremismus registrierte das Landeskriminalamt 2020 (20) Straftaten mit politischer Motivation (2019: 2). Sie wurden wie 2019 insgesamt als extremistisch eingestuft. Die niedrige Zahl aus 2019 ist u.a. dem stark zurückgegangenen Demonstrationsgeschehen und der spürbaren Zurückhaltung der kurdischen Diaspora geschuldet. Bis zu den Kontaktbeschränkungen aufgrund der Corona-Pandemie, gab es 2020 ein erhöhtes Demonstrationsaufkommen und damit einhergehende "Szenedelikte". Darunter fallen Delikte wie Beleidigung, Bedrohung und Widerstandshandlungen mit Beteiligung von Ausländern, die teilweise als politisch motiviert und mit Extremismusbezug bewertet werden, wenn politische Meinungsäußerung oder rassistische Bezüge gegeben sind. 6.3 "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) 6.3.1 Allgemeines Die im Jahr 1978 in der Türkei unter Führung von Abdullah Öcalan gegründete "Arbeiterpartei Kurdistans (Partiya Karkeren Kurdistan - PKK)" kämpft seit Anfang der 1980er Jahre für die Unabhängigkeit bzw. größere Autonomie der Kurdengebiete im Osten der Türkei. Seitdem sind bei Anschlägen und Gefechten mehrere zehntausend Menschen getötet worden, darunter auch viele Zivilisten. Die PKK ist in Deutschland, was Anhängerzahlen, Organisationsgrad und Mobilisierungspotenzial betrifft, nach wie vor die bedeutendste Kraft im Bereich des nicht religiös motivierten Extremismus mit Auslandsbezug. Sie wurde von der Europäischen Union in die Liste der terroristischen Vereinigungen aufgenommen und unterliegt in Deutschland unter allen von ihr benutzten Bezeichnungen wie KADEK, KONGRA GEL, KKK und KCK - einschließlich ver111 schiedener Teilund Nebenorganisationen - seit 1993 einem vereinsrechtlichen Betätigungsverbot. Die Aktivitäten der PKK in Deutschland waren im Jahr 2020 im Wesentlichen von folgenden Themen bestimmt: * dem Kampf der Kurden in Syrien und im Irak gegen die islamistische Terrororganisation IS, * den bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen der PKK und dem türkischen Staat und der kurdischen KDP im Nordirak, * der politischen Agitation zur Aufhebung des Betätigungsverbots der PKK in Deutschland und zur Verbesserung der Haftbedingungen des PKK-Vor sitzenden Abdullah Öcalan. 111 Internetseite "wikipedia.de", abgerufen am 08.02.2021. 70 Die PKK verfügt in Deutschland über einen konspirativ handelnden und streng hierarchisch organisierten Funktionärsapparat. Das gesamte Bundesgebiet ist dabei in Zuständigkeitsbereiche aufgeteilt, dem jeweils ein PKK-Führungsmitglied (sogenannter Gebietsverantwortlicher) vorsteht. Um sich der Verfolgung durch deutsche Sicherheitsbehörden zu entziehen, wechseln diese Führungskader regelmäßig und in kürzeren Zeitabständen europaweit ihr Zuständigkeitsgebiet. Eine der Hauptaufgaben dieser Führungskader ist die Beschaffung finanzieller Mittel zur Durchsetzung der Parteiziele, zur Verbreitung der PKK-Ideologie und zur Ausstattung und Unterhaltung der Guerillaeinheiten. Dies erfolgt überwiegend durch den Verkauf von Publikationen und durch Einnahmen aus Veranstaltungen. Ein großer Teil der Gelder wird darüber hinaus durch "Spendensammlungen" in der PKKAnhängerschaft erzielt. Dabei gibt es auch deutliche Anzeichen, dass diese nicht immer freiwillig erfolgen. Entsprechende monatliche Sammlungen sowie gesonderte jährliche "Spenden"-Kampagnen finden auch in Mecklenburg-Vorpommern statt. Im Rahmen der genannten Themen fanden im Jahr 2020 europaund bundesweit zahlreiche Resonanzaktionen der PKK-Anhängerschaft, wie Kundgebungen, Hungerstreiks und Demonstrationsmärsche statt. Die insbesondere zu Beginn und Ende des Jahres im Zuge der Corona-Pandemie verhängten Kontaktund Veranstaltungsbeschränkungen haben diese PKK-Aktivitäten spürbar behindert. So wurden beispielsweise die alljährlich stattfindende Großveranstaltung zum Newroz-Fest im März 2020 (Frankfurt/Main) und die geplante Großkundgebung am 21. November 2020 in Köln zum jährlichen Aktionstag anlässlich des PKK-Verbots coronabedingt abgesagt.112 Stattdessen wurde an diesem Tag ein bundesweiter, dezentraler Aktionstag ausgerufen, in dessen Rahmen mehrere Kundgebungen und Aktionen stattgefunden haben.113 114 Die kleineren Demonstrationen zu der laufenden, eher allgemein gehaltenen Kampagne "Schluss mit Isolation, Faschismus und Besatzung - Zeit für Freiheit" verliefen, unter Einhaltung der Corona-Abstandregeln, störungsfrei und eher unauffällig. Dagegen hat der diesjährige "Lange Marsch" der kurdischen Jugend, der regelmäßig auch von Anhängern und Sympathisanten der PKK und ihrer Jugendorganisation besucht und durchgeführt wird, von Hannover nach Hamburg eine besondere Öffentlichkeitswirkung erzeugt. Da einige Aktivisten während einer Zugfahrt das Zeigen der Fahrausweise verweigerten und die Corona-Regeln nicht einhielten, löste der amtlich angeordnete Stopp des Zuges im niedersächsischen Bardowick am 10. September 2020 einen Großeinsatz der Polizei aus, bei dem es zu Gewaltund Widerstandshandlungen gegen die Polizei kam. 115 Auch am 6. September 2020 kam es in Berlin im Rahmen einer prokurdischen Demonstration zu einem 112 Vgl. "+++Keine Großdemo am 21.11.+++" vom 05.11.2020, in: https://unsereutopie.noblogs.org; abgerufen am 20.11.2020. 113 Vgl. "WEG MIT DEM VERBOT DER PKK!", in: https://kon-med.com; abgerufen am 23.11.2020. 114 Vgl. ebd. 115 https://www.ndr.de/nachrichten/niedersachsen/lueneburg/Bardowick-Jugendgruppe-greiftpolizisten-an, abgerufen am 11.09.2020. 71 Gewaltausbruch, als ein türkischer Passant, der mit einem türkischen Nationaltrikot bekleidet war, unvermittelt von einer größeren Gruppe der Demonstrationsteilnehmer attackiert wurde.116 Die legalistischen Organisationen der PKK gaben sich im Rahmen der CoronaPandemie kooperationsbereit gegenüber den deutschen Behörden und gerierten sich dabei als Ansprechpartner für die Angelegenheiten sämtlicher Kurden. Es war festzustellen, dass ein Großteil der Mitglieder und Anhänger der PKK in der Pandemie dem Gesundheitsschutz augenscheinlich einen hohen Stellenwert eingeräumt hat. 6.3.2 Aktivitäten der PKK in Mecklenburg-Vorpommern In Mecklenburg-Vorpommern werden der PKK ca. 250 Personen zugerechnet. Obwohl diese auch im Jahr 2020 grundsätzlich keine größeren öffentlichkeitswirksamen politischen Aktivitäten im Land entfalteten, gelingt es der PKK immer wieder, eine nicht unbedeutende Anzahl von Kurden aus Mecklenburg-Vorpommern zur Teilnahme an überregionalen Veranstaltungen zu mobilisieren. Auch 2020 ist - nicht nur coronabedingt - insoweit jedoch ein rückläufiger Trend zu verzeichnen; als Grund wird allgemein sowohl der bestehende und steigende Verfolgungsdruck durch deutsche und türkische Sicherheitsbehörden als auch eine wachsende Frustration der Kurden über den Status quo in den kurdischen Siedlungsgebieten vermutet. Allein der Beginn der türkischen Militäroffensive im Nordirak im Juni 2020 war geeignet, die hiesigen Kurden insgesamt zu einen und zu Demonstrationshandlungen zu mobilisieren. Eine besondere Dimension erlangte dieses Ereignis dadurch, dass sich hier ein möglicher "Bruderkrieg" abzeichnete, da sich die Türkei anlässlich der Militäroperationen "Adlerkralle" und "Tigerkralle" mit den nordirakischen Kampfverbänden der kurdischen Regierungspartei KDP (Partya Demokrata Kurdistane - Demokratische Partei Kurdistans) im Kampf gegen die PKK verbündet hatte und somit einen innerkurdischen Konflikt entfachte. So griff im weiteren Verlauf der monatelangen Kampfhandlungen diese Kurdenmiliz selbst das PKK-Hauptquartier im Nordirak an. 6.3.3 Kooperation mit deutschen Linksextremisten Im Verlauf des syrischen Bürgerkrieges und insbesondere seit Beginn der Kampfhandlungen zwischen dem IS und den PKK-nahen syrisch-kurdischen "Volksverteidigungseinheiten"' (YPG) solidarisierten sich deutsche Linksextremisten verstärkt mit der kurdischen Autonomiebewegung. Diese Kurdistan-Solidarität deutscher Linksextremisten erhielt durch den Kampf der PKK gegen den IS erheblichen Auftrieb und nahm im Laufe der Zeit zunehmend konkretere Formen an. In der Folge bildeten sich nahezu bundesweit Aktionsbündnisse PKK-naher kurdischer, linker und linksextremistischer Gruppierungen sowie Solidaritätsgruppen mit linksextremistischer Beteiligung, die gegen den Fortbestand des PKK-Verbotes kämpfen. Zentrum diesbezüglicher Bestrebungen in Mecklenburg-Vorpommern ist nach wie vor Rostock; auch in der Stadt Schwerin konnte eine zunehmende Resonanz festgestellt werden. Die diesbezüglichen Aktivitäten in Rostock gingen im Berichtszeitraum leicht zurück; ein Grund dürfte auch hier in den verschärften Corona-Bestimmungen ab März 2020 zu suchen sein (siehe Abschnitt 5.3). 116 Berlin - Kundgebung am Brandenburger Tor "Freiheit für Öcalan - Frieden in Kurdistan". 72 Schwerpunkt der spektrenübergreifenden Zusammenarbeit stellte im Rahmen mehrerer Aufrufe das Bemühen dar, deutsche Rüstungsfirmen, wie die Firma Rheinmetall, als Waffenexporteure in die Türkei und damit eine Mitverantwortung Deutschlands als Akteur gegen den "kurdischen Freiheitskampf" öffentlich zu brandmarken. Mitglieder der kurdischen PKK-nahen Studentenorganisationen übten darüber hinaus Solidarität mit den linksorientierten und linksextremistischen Besetzern im Hambacher und im Dannenröder Forst und beteiligten sich aufgrund ideologischer Überschneidungen der Themen Umweltund Klimaschutz und der "kurdischen Freiheitsbewegung" an den mehrwöchigen Waldbesetzungen. 117 Die dabei enge Vernetzung mit deutschen Linksextremisten zeigte sich vor allem bei der Besetzung des Hambacher Forstes (Nordrhein-Westfalen), wo es immer wieder zu gemeinsamen Aktionen kam. So fand dort zum Beispiel im Juli 2020 unter dem Motto "Green Resistance from Hambi to Rojava" ein "internationalistisches" Fest statt, um den "achten Jahrestag der Revolution in Rojava" zu feiern.118 119 117 Vgl. Eintrag auf dem Twitteraccount @JxkYxkGiessen vom 18.10.2020, https://twitter.com, abgerufen am 23.10.2020. 118 Vgl. "Rojava-Revolutionsfeier im Hambacher Wald" vom 22.07.2020, https://anfdeutsch.com, abgerufen am 23.10.2020. 119 Vgl. "Rojava-Revolutionsfeier im Hambacher Wald" vom 22.07.2020, https://anfdeutsch.com, abgerufen am 23.10.2020. 73 7 Spionageabwehr 7.1 Aktivitäten fremder Nachrichtendienste - Gefährdungspotenzial Die Beobachtung von sicherheitsgefährdenden oder geheimdienstlichen Tätigkeiten anderer Staaten in der Bundesrepublik Deutschland wird im Rahmen der Spionageabwehr wahrgenommen und ist eine gesetzlich normierte Aufgabe sowie eine Kernkompetenz der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder. Fremde Nachrichtendienste konzentrieren ihre rechtswidrigen Aktivitäten insbesondere auf die Beschaffung von Informationen aus den Bereichen Politik, Militär, Wissenschaft, Forschung und Entwicklung sowie Wirtschaft. Deutsche Unternehmen, Forschungseinrichtungen und wissenschaftliche Institute sind in ihren Branchen mitunter als weltweite Marktführer anzusehen und stehen insofern für technologischen Fortschritt, Innovationskraft, Qualität und Erfolg. Vor diesem Hintergrund sind Produkte und Wissen "Made in Germany" ein bevorzugtes Aufklärungsziel fremder Staaten. In diesem Zusammenhang dürften sicherlich auch entsprechende Einrichtungen und Unternehmen im Bundesland MecklenburgVorpommern im Fokus des Auslandes stehen. Darüber hinaus stehen in Deutschland ansässige Personen und Organisationen, die sich in Opposition zu den jeweiligen Regierungen ihrer Heimatländer befinden, im nachrichtendienstlichen Aufklärungsinteresse relevanter Staaten. Für Zwecke der verdeckten Informationsgewinnung werden global agierende, mitunter sehr personalstarke Nachrichtendienste eingesetzt, deren Aufgabenstellungen sich an den politisch festgelegten Vorgaben und strategischen Interessen orientieren. Gegen die Belange der Bundesrepublik Deutschland gerichtete Spionage und sonstige diesbezüglich als sicherheitsrelevant einzustufende Aktivitäten werden seit Jahren im Wesentlichen durch die Russische Föderation, die Volksrepublik China, die Islamische Republik Iran sowie die Republik Türkei ausgeübt. Im Rahmen eines methodischen Vorgehens kommen beispielhaft das Sammeln allgemein zugänglicher Informationen auf Messen und sonstigen Fachveranstaltungen, das Abhören bzw. Überwachen der Telefonund Internetkommunikationsverbindungen, die Ausforschung, Werbung und spätere Führung nachrichtendienstlich interessanter Personen in ausgesuchten Zielobjekten sowie hochwirksame Cyberangriffe zur Anwendung. Von Seiten der deutschen Spionageabwehr konnte in den letzten Jahren eine starke Verzahnung angewandter Mittel und Methoden mit der Ausübung wirtschaftlicher, militärischer und/oder außenpolitischer Druckmechanismen sowie der Durchführung von Desinformation bzw. Propagandamaßnahmen in staatlich gelenkten Medien und sozialen Netzwerken beobachtet werden. Die Charakteristik von hybriden Bedrohungsformen, die insgesamt zu neuen, modernen Konfliktszenarien geführt haben, zeichnet sich durch ein planmäßiges Vorgehen, eine Verschleierungstaktik, hohe Kreativität und Koordinierung sowie Unberechenbarkeit aus. In deren Fokus befinden sich vorwiegend demokratische Staaten. 74 Primäre Ziele gerade derartiger russischer Maßnahmen sind die Destabilisierung demokratischer Gesellschaften, die Beeinflussung der öffentlichen und politischen Meinung, die Schaffung bzw. der Erhalt entsprechender Einflusssphären sowie die Schwächung und letztendlich Auflösung westlicher Allianzen, hier zuvörderst des Nordatlantischen Verteidigungsbündnisses (NATO). Eingerahmt wird dieses Vorgehen von umfangreichen Spionageaktivitäten russischer Nachrichtendienste gegen die Interessen der Bundesrepublik Deutschland, die sich im Schwerpunkt nach wie vor auf alle deutschen Handlungsfelder der Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Militär konzentrieren, in denen mögliche Bezüge nach Russland bestehen. Mit Blick auf die Volksrepublik China liegt der Schwerpunkt des Wirkens dortiger Sicherheitsbehörden auch nach wie vor in der Absicherung des Machterhalts der "Kommunistischen Partei" (KPCh) und der massiven Unterstützung der Verwirklichung außen-, sicherheitsund wirtschaftspolitischer Ambitionen mit globalstrategischer Ausrichtung. In diesem Zusammenhang ist und bleibt es das eindeutig definierte Ziel der politischen Führung des Landes, bis zum 100. Jubiläum der Staatsgründung im Jahre 2049 die Position der weltweit führenden Wirtschaftsund Industrienation einnehmen zu wollen. Zur Umsetzung dieses Zieles bedient sich China eines stringent ausgerichteten, breit angelegten Vorgehens, in dem - unter staatspolitischer Koordinierung - eine Vielzahl von Initiativen, Maßnahmen und Einflussakteuren in den unterschiedlichsten Bereichen der Wirtschaft, des Handels, der Wissenschaft und Politik weltweit ihre Wirkung entfalten. In außenund wirtschaftspolitischer Hinsicht ist in diesem Kontext insbesondere die in Richtung Westen ausgerichtete "Neue Seidenstraße" bzw. "Belt and Road Initiative" (BRI) zu nennen. Eine ebenfalls zentrale Bedeutung für den Erhalt des staatlichen Machtapparates kommt den Nachrichtendiensten der Islamischen Republik Iran zu. Insofern ist deren Schwerpunkt weiterhin in der Überwachung und Bekämpfung der dort und im Ausland agierenden oppositionellen Parteien und Organisationen zu sehen. Darüber hinaus sind die iranischen Dienste maßgeblich in proliferationsrelevante Aktivitäten eingebunden. Zudem ist es in der jüngeren Vergangenheit zu einer Vielzahl von Vorkommnissen mit staatsterroristischem Hintergrund gekommen, die eindeutige Bezüge in den Iran aufweisen. Auch türkische Nachrichtendienste sehen Deutschland als vorrangig zu bearbeitendes Ausforschungsgebiet an. In diesem Zusammenhang stehen die Aufklärung der "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) sowie die Bewegung des islamischen Predigers Fethullah Gülen im Fokus des nachrichtendienstlichen Interesses. Türkische Sicherheitsbehörden verfolgen seit dem dortigen Putschversuch im Juli 2016 diesbezüglich weltweit verstärkt vermeintlich Verantwortliche. Ferner werden immer wieder Versuche und Bemühungen unternommen, die hier lebende türkischstämmige Diaspora für Zwecke der türkischen Regierungspolitik einzusetzen. Es ist davon auszugehen, dass die sicherheitsrelevanten Aktivitäten türkischer Nachrichtendienste in Deutschland weiterhin auf einem konstant hohen Niveau verbleiben. Ein weiteres Betätigungsfeld fremder Nachrichtendienste ist die Proliferation. Verschiedene Dienste ausländischer Staaten sind auf deutschem Boden in einem maß75 geblichen Umfang in die rechtswidrige Beschaffung von Materialien und Wissen zur Herstellung atomarer, biologischer oder chemischer Massenvernichtungswaffen (ABC-Waffen) bzw. entsprechender Trägersysteme (z. B. Raketen) und ihrer Weiterverbreitung involviert. Die Aufmerksamkeit liegt in diesem Feld vor allem bei den Ländern, von denen zu befürchten ist, dass diese ABC-Waffen in einer bewaffneten Auseinandersetzung einsetzen bzw. ein Einsatz zur Durchsetzung politischer Ziele angedroht werden könnte. In diesem Zusammenhang ist insbesondere das Wirken von Pakistan, Syrien, Nordkorea und des Irans zu beleuchten. Die Wahrnehmung der Spionageund Proliferationsabwehr in Deutschland erfolgt durch die Verfassungsschutzbehörden in sachdienlicher und partnerschaftlicher Kooperation gemeinsam mit anderen Behörden. Sie ist nicht ausschließlich auf bestimmte Länder festgelegt, berücksichtigt jedoch eine fachlich gebotene Priorisierung. 7.2 Bedrohungen durch Cyberangriffe Moderne Gesellschaften sind Informationsgesellschaften. Dies bedeutet, dass sie von Informationen abhängig sind. Insbesondere digital vorgehaltene Informationen müssen jederzeit verfügbar und korrekt sein, zugleich jedoch vor unberechtigter Kenntnisnahme geschützt werden. In Zeiten einer weltweiten massiven Vernetzung, also über alle Ländergrenzen hinweg, stellt dies eine enorme Herausforderung für jede einzelne Bürgerin und jeden einzelnen Bürger, aber auch für Firmen, Organisationen sowie Politik und Verwaltung dar. Die öffentlichen Diskussionen um Vorfälle rund um bekannt gewordene Datenskandale und Spionagefälle im Cyberraum in den letzten Jahren zeigen die Vielfältigkeit der Gefahren und die Bedeutung von Datensicherheit für die Gesellschaft insgesamt. Das Jahr 2020 war durch die aufkommende COVID-19-Pandemie geprägt. In der Folge wurden unter extremem Zeitdruck Systeme zum Zugriff vom Homeoffice auf die zentralen IT-Systeme zum Einsatz gebracht. Darüber hinaus mussten komplett neue Systeme, wie die viel diskutierte Corona-Warn-App, geschaffen werden. Den Datenschutz und die Sicherheit dieser Systeme zu gewährleisten, stellte eine enorme Herausforderung dar. Nicht selten kam auch die Forderung auf, hier Abstriche zu machen. Gleichzeitig wurde die unsichere Situation im Zusammenhang mit COVID19 von Angreifern für Phishing-Attacken genutzt. Aufsehen erregte auch der Cyberangriff auf die Europäische Arzneimittelbehörde, bei dem Daten zum BiontechImpfstoff erbeutet wurden. Die Bundesrepublik Deutschland mit ihrer Vielzahl von Forschungseinrichtungen und Unternehmen der Spitzentechnologie steht aufgrund ihrer weltweiten wirtschaftlichen und politischen Bedeutung besonders im Fokus ausländischer Nachrichtendienste und anderer sicherheitsrelevanter Organisationen. Die Bedeutung der digitalen Ausspähung von Informationen - mögen dies politische Angelegenheiten wie Verhandlungsstrategien oder Informationen über politische Gegner, militärische Geheimnisse oder auch Firmen-Knowhow wie Konstruktionen oder Technologien sein - ist augenfällig. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es in vielen Ländern zum gesetzlichen oder staatlichen Auftrag der Nachrichtendienste ge76 hört, die eigene Volkswirtschaft durch die Beschaffung solcher Informationen zu unterstützen. Der hierdurch in Deutschland entstehende Schaden in der Wirtschaft bewegt sich in Milliardenhöhe. Er kann im Einzelfall existenzgefährdend sein. Das Erlangen von Informationen ist - wie bereits angeführt - jedoch nicht das einzige Ziel von Cyberangriffen. In vielen Fällen geht es auch um das Einwirken auf die gesellschaftliche Meinungsbildung. Beispiele hierfür sind die Versuche der Manipulation von Wahlen durch das Veröffentlichen von falschen Informationen über Kandidatinnen bzw. Kandidaten oder die massenhafte Verbreitung von einseitigen Kommentaren und Meinungen in sozialen Medien mit dem Ziel der Diskreditierung einzelner Bewerberinnen bzw. Bewerber, um bestimmte politische Richtungen zu schädigen und damit andere zu fördern oder aber unsere Gesellschaft im Allgemeinen zu destabilisieren Ein weiteres Ziel solcher Angriffe stellt das Vorbereiten oder Durchführen von Sabotage dar. Hierbei wird beispielsweise Schadsoftware in industrielle Steuerungssysteme eingeschleust, um diese insgesamt zu zerstören oder zumindest etwaige Produktionsabläufe zu behindern. Im Zentrum der Beobachtungen stehen hier die sogenannten "Kritischen Infrastrukturen" (KRITIS). Alle diese Angriffe erfolgen auf unterschiedlichen Wegen und von beliebigen "unbekannten" Orten aus über die globale digitale Vernetzung. Das Enttarnungsund Gefährdungsrisiko ist hierbei gering. Dies macht es gerade auch für ausländische Nachrichtenund Sicherheitsdienste interessant, sich dieser Mittel zu bedienen. Cyberkampagnen haben sich zu einem Standardwerkzeug vieler Nachrichtendienste entwickelt. Mehrere Staaten haben in den letzten Jahren ihre entsprechenden Fähigkeiten im Cyberraum kontinuierlich ausgebaut. Der digitale Datenraum hat sich zu einem Hochrisikoraum entwickelt. Besonders in Erscheinung getreten sind in den letzten Jahren Cyberangriffskampagnen, die Russland, China und dem Iran, aber auch der Türkei, zugeordnet werden. Anzuführen ist hier die Russland zugeordnete Cyberangriffskampagne APT28, auch als FANCY BEAR bezeichnet, zu der auch der Angriff auf den Deutschen Bundestag im Mai 2015 oder gegen Parteistrukturen und Stiftungen im Mai 2016 in Deutschland gerechnet werden. Ebenso wird die Cyberangriffskampagne SNAKE - zu der auch der Cyberangriff auf den Rüstungsund Technologiekonzern RUAG zählt - Russland zugeordnet. Auch eine der spektakulärsten Attacken, die seit dem Frühjahr 2020 laufende Angriffswelle, die mit der Schadsoftware "SUNBURST" durch die Infiltration einer IT-Verwaltungssoftware Hintertüren einrichtete, wird Russland zugeschrieben. Das Aufklärungsinteresse gilt vor allem der Hochtechnologie, insbesondere in den von China für die Entwicklung als besonders wichtig eingestuften zehn Schlüsseltechnologien, wozu beispielsweise Medizintechnik, Materialforschung, Steuerungstechnik oder die Energietechnik zählen. Ein Beispiel hierfür ist die Cyberangriffskampagne APT10 - auch als STONE PANDA bezeichnet - , welche China zugerechnet wird. Mit Blick auf den Iran konnte - speziell nach dem "STUXNET-Schock" (spezielles Schadprogramm zum Angriff auf ein industrielles System zur Überwachung und 77 Steuerung) - seit 2010 beobachtet werden, dass die dortigen Cyberfähigkeiten ausgebaut wurden. Entsprechende Ziele sind es einerseits, die internetgebundene Kommunikation zu kontrollieren, um Gefahren für die öffentliche Sicherheit zu begegnen und die eigene Infrastruktur zu schützen. Die Fähigkeiten werden jedoch andererseits auch offensiv zur Spionage und Sabotage genutzt. Cybersecurity, die Abwehr von Gefahren aus dem Cyberraum ist generell Aufgabe eines jeden Unternehmens, jeder Behörde und jeder sonstigen Einrichtung. Zunehmende Bedeutung gewinnt jedoch auch die Cyber-Resilienz, also die Fähigkeit, auch in außergewöhnlichen Situationen weiterhin die Funktion aufrecht zu erhalten oder schnell wieder zu erlangen. Dieser allgemeine Schutz durch Technik muss jedoch durch umsichtiges Handeln jedes Einzelnen ergänzt werden. Systeme ohne technischen Grundschutz sind Angriffen gegenüber vollkommen schutzlos und stellen selbst eine Gefahr dar. Unbedachtes Handeln jedoch führt ebenso zu einer Gefährdung der eigenen Systeme und kann durch keine anderen Maßnahmen ausgeglichen werden. Mögliche Auswirkungen eines unbedachten Handelns zeigte die zuletzt in der Öffentlichkeit viel beachtete und diskutierte Angriffswelle mit der Schadsoftware EMOTET. Deren Infrastruktur konnte zwischenzeitlich in einer internationalen Aktion der zuständigen Behörden weitgehend zerschlagen werden. Die Infektion erfolgt hier typischerweise über speziell manipulierte Word-Dateien mit Makros. So musste etwa nach einer Infektion kürzlich die komplette Informationstechnik des Kammergerichtes Berlin mit entsprechenden Folgen für die Arbeitsfähigkeit außer Betrieb genommen werden. Im Jahr 2020 musste festgestellt werden, dass Unternehmen sich häufiger mit erfolgreichen Phishing-Angriffen konfrontiert sahen. In Folge der skizzierten Entwicklungen insgesamt stellt die Cyberabwehr daher einen wichtigen Bestandteil in der Aufgabenstellung der deutschen Sicherheitsbehörden dar. Während das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) technologische Unterstützung leistet und die Polizeibehörden für die Verfolgung von Straftaten zuständig sind, informieren, sensibilisieren und beraten die Verfassungsschutzbehörden im Rahmen ihrer gesetzlichen Zuständigkeiten zur Vorbeugung und Abwehr der skizzierten Gefahren. Hierzu sammeln sie entsprechende Informationen und werten diese aus. 7.3 Wirtschaftsschutz - eine Aufgabe für Staat und Unternehmen Eine funktionierende Wirtschaft ist grundlegende Voraussetzung für die innere Stabilität von Staat und Gesellschaft. Es liegt daher im Interesse des Staates, den ungewollten Wissensabfluss an unbefugte Dritte zu verhindern. Vor diesem Hintergrund wird der Schutz der heimischen Wirtschaft gegen Spionage und andere Bedrohungsformen als gemeinsame Aufgabe von Staat und Unternehmen betrachtet. Es gilt jedoch anzuführen, dass staatliche Maßnahmen nur ergänzend zu der bestehenden unternehmerischen Eigenverantwortung Anwendung finden können. Im Rahmen der staatlichen Vorsorge zum Schutz der Wirtschaft kommt der Spionageabwehr eine wesentliche Bedeutung zu. Wirtschaftsschutz als der präventive Teil der Spionageabwehr umfasst alle relevanten Maßnahmen, die geeignet sind, einen illegalen Know-how-Transfer durch fremde Nachrichtendienste aus deutschen Unternehmen und Forschungseinrichtungen zu 78 verhindern oder zumindest zu erschweren sowie jeglichen potenziellen Angriffen bzw. Bedrohungen für die Wirtschaft durch Extremisten und/ oder Terroristen möglichst rechtzeitig zu begegnen. Die Umsetzung dieser Aufgaben erfolgt in vertrauensvoller Zusammenarbeit zwischen den zuständigen deutschen Sicherheitsbehörden aus den Bereichen Nachrichtendienst und Strafverfolgung. Hierzu wird - unter Einbindung der Erkenntnisse ausländischer Partnerbehörden - ein enger Informationsaustausch angestrebt. So hat sich etwa die "Initiative Wirtschaftsschutz" von Staat und Wirtschaft zum Ziel gesetzt, zentrale Unternehmenswerte für Deutschland und seine Wirtschaft besser zu schützen. Dabei arbeiten unter Federführung des Bundesinnenministeriums von Seiten der Wirtschaft der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI), der Deutsche Industrieund Handelskammertag (DIHK), die Allianz für Sicherheit in der Wirtschaft (ASW-Bundesverband) und der Bundesverband der Sicherheitswirtschaft (BDSW) mit staatlichen Akteuren, wie dem Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), dem Bundeskriminalamt (BKA), dem Bundesnachrichtendienst (BND) sowie dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI), partnerschaftlich seit mehreren Jahren zusammen. Das Informationsportal Wirtschaftsschutz bündelt die Expertise aller Beteiligten im Internet auf neuartige Weise unter www.wirtschaftsschutz.info. Begleitet und ergänzt werden diese Aktivitäten durch eine länderspezifische Ausrichtung in den einzelnen Bundesländern im Rahmen verschiedener Möglichkeiten und Formen der Zusammenarbeit der Behörden für Verfassungsschutz und Polizei mit der Wirtschaft. 7.4 Spionageabwehr Mecklenburg-Vorpommern - Ihr Ansprechpartner vor Ort Die Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern warnen vor der zunehmenden Bedrohung durch die verstärkte Tätigkeit fremder Nachrichtendienste in Deutschland. Für die Wahrung unserer Hoheitsrechte und eines wirksamen Schutzes der hier lebenden Menschen ist es erforderlich, das gefährliche Wirken dieser Dienste aufzudecken und somit schädigende Einflüsse auf unseren Staat und Gesellschaft möglichst frühzeitig abwehren zu können. Bei der Wahrnehmung der gesetzlichen Aufgaben arbeitet die Spionageabwehr des Verfassungsschutzes nach dem sogenannten Opportunitätsprinzip, unterliegt also im Gegensatz zur Polizei nicht der Pflicht zur Verfolgung einer Straftat. Hier sind wir auch auf Ihre Mitarbeit und Aufmerksamkeit angewiesen und bitten Sie, sofern Sie Kenntnis oder Hinweise zu Personen und/oder Sachverhalten haben, die einen möglichen nachrichtendienstlichen Hintergrund aufweisen könnten, sich unverzüglich mit uns in Verbindung zu setzen. Auf Basis einer vertraulichen Behandlung der Angelegenheit bieten wir Ihnen zudem die Möglichkeit, Sie bei Bedarf ggf. auch an Ansprechpartner anderer deutscher Sicherheitsbehörden zu vermitteln. 79 Wir sind für Sie da: Ministerium für Inneres und Europa Mecklenburg-Vorpommern Abteilung Verfassungsschutz - Spionageabwehr - Postfach 11 05 52 19005 Schwerin Telefon: 0385/ 7420-0 120 Fax: 0385/ 714438 E-Mail: spionageabwehr@verfassungsschutz-mv.de 120 Foto: Silke Kaiser/pixelio.de. 80 8 Öffentlichkeitsarbeit Der Verfassungsschutz dient dem Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, des Bestandes und der Sicherheit des Bundes und der Länder. Wie zuvor aufgezeigt, ist diese verfassungsmäßige Ordnung vielfältigen Gefahren ausgesetzt. Auf Grundlage des Landesverfassungsschutzgesetzes M-V (LVerfSchG M-V)121 informiert der Verfassungsschutz Mecklenburg-Vorpommern die zuständigen Stellen, wie z. B. die Polizei und andere Behörden sowie die Öffentlichkeit über diese Gefahren. Auf diese Weise können - durch die zuständigen Stellen - rechtzeitig die erforderlichen Maßnahmen zur Abwehr dieser Gefahren getroffen werden und die Öffentlichkeit wird hinsichtlich der Bedrohungen der Demokratie aufgeklärt und sensibilisiert. Diese Aufgabe ist Verpflichtung aber zugleich auch Selbstverständnis für den Verfassungsschutz Mecklenburg-Vorpommern. Zur Erfüllung dieser Aufgabe veröffentlicht der Verfassungsschutz MecklenburgVorpommern den jährlichen Verfassungsschutzbericht und Broschüren. Der Verfassungsschutzbericht informiert über die wesentlichen, während des Berichtsjahres gewonnenen Erkenntnisse, bewertet diese und gibt eine Prognose über die weitere Entwicklung der Bedrohungslage in unserem Bundesland ab. Er stellt keine abschließende Aufzählung aller verfassungsschutzrelevanten Personenzusammenschlüsse des Landes Mecklenburg-Vorpommern dar. Der Verfassungsschutzbericht sowie weitere Broschüren mit Informationen aus den Arbeitsfeldern des Verfassungsschutzes stehen allen Bürgerinnen und Bürgern sowohl als bestellbare gedruckte Ausgaben als auch in elektronischer Form auf der Internetseite des Verfassungsschutzes Mecklenburg-Vorpommern unter www.verfassungsschutz-mv.de zur Verfügung (siehe Kapitel 8.2). 8.1 Aktivitäten Die Verfassungsschutzbehörde Mecklenburg-Vorpommern ist Teil des Beratungsnetzwerks Demokratie und Toleranz Mecklenburg-Vorpommern (www.beratungsnetzwerk-mv.de). Bei diesem Netzwerk handelt es sich um einen Zusammenschluss aus staatlichen Behörden und nichtstaatlichen Beratungsorganisationen sowie Akteuren in freier Trägerschaft. Durch die Mitwirkung im landesweiten Beratungsnetzwerk sowie in den Regionalzentren für demokratische Kultur werden Einschätzungen zu extremistischen Entwicklungen in die Diskussionen eingebracht. Sofern Sie eine Vortrags-, Informationsveranstaltung oder eine Fachmesse vorbereiten, die Sachbezug zur Arbeit des Verfassungsschutzes aufweist, können Sie sich direkt an den Verfassungsschutz des Landes Mecklenburg-Vorpommern, unter der Telefon-Nummer 0385/ 7420-0, wenden oder hierzu Kontakt über die Internetseite www.verfassungsschutz-mv.de aufnehmen. 121 Vgl. SS 5 Abs. 2 LVerfSchG M-V. 82 8.2 Informationsmaterialien Diese Informationsmaterialien können kostenlos beim Verfassungsschutz Mecklenburg-Vorpommern angefordert oder im Internet unter der Adresse www.verfassungsschutz-mv.de/publikationen heruntergeladen werden. Im Berichtsjahr 2020 wurden durch den Verfassungsschutz Mecklenburg-Vorpommern mehr als 300 Publikationen kostenfrei an interessierte Bürgerinnen und Bürger sowie an Einrichtungen im Land Mecklenburg-Vorpommern und über die Landesgrenzen hinaus versendet. * Verfassungsschutzberichte der Jahre 2006 bis 2019 * Rituale und Symbole der rechtsextremistischen Szene (Historische und ideologische Hintergründe des Rechtsextremismus, Juli 2015) * Infoflyer "Reichsbürger und Selbstverwalter" in Mecklenburg-Vorpommern (Behördenund Bürgerinformation) * Infoflyer "Informationen zum Thema Islamismus" auch in russischer und arabischer Version verfügbar (Allgemeiner Info-Flyer, Stand Januar 2020) * Islamistische Aktivitäten erkennen (Kompaktinformation zu Salafismus und anderen Formen des Islamismus für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Flüchtlingseinrichtungen, April 2016) 83 * Proliferation - Wir haben Verantwortung (Bundesamt für Verfassungsschutz für die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder, Juli 2018) * Wirtschaftsspionage - Risiko für Unternehmen, Wissenschaft und Forschung (Gemeinschaftsproduktion der Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern, Juli 2014) * Wirtschaftsschutz - mehrteilige Faltblattserie (Gemeinschaftsproduktion der Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern) Informationen zu den jeweiligen Einzelthemen der Faltblattserie stehen im Bereich Wirtschaftsschutz auf der Internetseite www.verfassungsschutz.de des Bundesamtes für Verfassungsschutz bereit. Darüber hinaus stellt das Ministerium für Inneres, Bau und Digitalisierung Mecklenburg-Vorpommern weitere Broschüren und Information bereit, die kostenlos als Download unter der Internetadresse www.regierungmv.de/Landesregierung/im/Sicherheit/ zur Verfügung stehen. Zusätzlich wird an dieser Stelle auch auf das umfassende Publikationsangebot des Bundesamtes für Verfassungsschutz zu allen verfassungsschutzrelevanten Themenbereichen hingewiesen, welches unter www.verfassungsschutz.de als Download abgerufen oder bestellt werden kann. 8.3 Ausund Fortbildung/Praktika Im Rahmen von Ausund Fortbildungsveranstaltungen halten Beschäftigte des Verfassungsschutzes Mecklenburg-Vorpommern an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung, Polizei und Rechtspflege des Landes Mecklenburg-Vorpommern in Güstrow (FHöVPR) sowohl Vorträge mit fachlichem Bezug zu der Tätigkeit und den 84 Aufgaben des Verfassungsschutzes als auch zu ausgesuchten, aktuellen sicherheitspolitischen Themen. Grundlage ist eine Kooperationsvereinbarung mit der FHöVPR, die seit 2010 Bestand hat. Um das gegenseitige Verständnis für die jeweiligen Aufgaben zu fördern und den Informationsaustausch zu verbessern, finden seit Juni 2014 gegenseitige mehrtägige Hospitationen zwischen dem Verfassungsschutz Mecklenburg-Vorpommern und dem Landeskriminalamt Mecklenburg-Vorpommern, Abteilung Staatsschutz, in verschiedenen Fachbereichen statt. Innerhalb der föderalen Strukturen des Verfassungsschutzverbundes besteht Einvernehmen, sich mit den unterschiedlichen Arbeitsweisen vertraut zu machen, um somit die Zusammenarbeit durch gegenseitiges Kennenlernen zu erleichtern oder auch, um seine eigenen Abläufe zu hinterfragen und gegebenenfalls zu verbessern. Die Verfassungsschutzschutzbehörde Mecklenburg-Vorpommern ist auch regelmäßig Praktikumsstation für Studierende des Bundesamtes für Verfassungsschutz am Zentrum für Nachrichtendienstliche Ausund Fortbildung. 85 9 Abkürzungsverzeichnis AfD Alternative für Deutschland AG GGG Artgemeinschaft Germanische-Glaubens-Gemeinschaft APT Advanced Persistent Threat BAMAD Bundesamt für den Militärischen Abschirmdienst BAMF Bundesamt für Migration und Flüchtlinge BfV Bundesamt für Verfassungsschutz BKA Bundeskriminalamt BMI Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat BND Bundesnachrichtendienst BRD Bundesrepublik Deutschland BRI Belt and Road Initiative BSI Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik BVerfG Bundesverfassungsgericht BVerfSchG Bundesverfassungsschutzgesetz B&H Blood and Honour DHKP-C Devrimci Halk Kurtulus Partisi/Cephesi (Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front) DKP Deutsche Kommunistische Partei fdGO freiheitliche demokratische Grundordnung FFF Fridays for future F.i.e.L. Fremde im eigenen Land G 10 Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses GBA Generalbundesanwalt GdVuST Geeinte deutsche Völker und Stämme GETZ Gemeinsames Extremismusund Terrorismusabwehrzentrum GG Grundgesetz GTAZ Gemeinsames Terrorismusabwehrzentrum HAMAS Harakat al-Muqawama al-Islamiya IBD Identitäre Bewegung Deutschland IB MV Identitäre Bewegung Mecklenburg-Vorpommern IL Interventionistische Linke IS Islamischer Staat IT Informationstechnik JA Junge Alternative, Jugendorganisation der AfD JN Junge Nationalisten KADEK Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistans (Arbeiterpartei Kurdistans) KCK Koma Civaken Kurdistan (Arbeiterpartei Kurdistans) KDP Partya Demokrata Kurdistane (Demokratische Partei Kurdis86 tans) KKK Koma Komalen Kurdistan (Arbeiterpartei Kurdistans) KONGRA GEL Kongra Gele Kurdistan (Arbeiterpartei Kurdistans) KPCh Kommunistische Partei Chinas KRITIS Kritische Infrastrukturen LfDI Landesbeauftragter für den Datenschutz und Informationsfreiheit LfV Landesbehörde für Verfassungsschutz LKA M-V Landeskriminalamt Mecklenburg-Vorpommern LRH M-V Landesrechnungshof Mecklenburg-Vorpommern LVerfSchG M-V Landesverfassungsschutzgesetz Mecklenburg-Vorpommern MC Motorcycle Club MLKP Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei MLPD Marxistisch-Leninistische Partei Deutschland MuP Mecklenburg und Pommern NATO North Atlantic Treaty Organization (Nordatlantische Vertragsorganisation) NIAS Nachrichtendienstliche Informationsund Analysestelle NPD Nationaldemokratische Partei Deutschland NS Nationalsozialistisch NSDAP Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei NSR Nationale Sozialisten Rostock OVG Oberverwaltungsgericht PIAS Polizeiliche Informationsund Analysestelle PMK Politisch motivierte Kriminalität PKK 1. Parlamentarische Kontrollkommission des Landtages Mecklenburg-Vorpommern 2. Partiya Karkeren Kurdistan (Arbeiterpartei Kurdistans) RED Rechtsextremismusdatei RH Rote Hilfe RNF Ring Nationaler Frauen SAV Sozialistische Alternative SDAJ Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend sic Sic erat scriptum - wird bei wörtlichen Zitaten verwendet, die Rechtschreibfehler oder andere Besonderheiten enthalten SOG M-V Sicherheitsund Ordnungsgesetz Mecklenburg-Vorpommern SOL Sozialistische Organisation Solidarität SOO Soldiers of Odin Germany Mecklenburg-Vorpommern SRH Schwarz-Rote-Hilfe SS Schutzstaffel der NSDAP StGB Strafgesetzbuch SÜG M-V Sicherheitsüberprüfungsgesetz Mecklenburg-Vorpommern 87 TKP/ML Türkische Kommunistische Partei/Marxisten-Leninisten VG Verwaltungsgericht VK vk.com - soziales Netzwerk aus Russland VP Vertrauensperson YPG Volksverteidigungseinheiten (Yekineyen Parastina Gel) 88 Glossar Anschlussfähigkeit Der Begriff Anschlussfähigkeit beschreibt politische Themen, die in der Gesellschaft breit diskutiert und akzeptiert sind, aber auch von extremistischen Gruppierungen mit dem strategischen Ziel aufgegriffen werden, sich als ernstzunehmender politischer Akteur im demokratischen Diskurs zu präsentieren und gleichzeitig die eigene extremistische Agenda zu verfolgen. Anti-Antifa Unter dem Begriff "Anti-Antifa" verfolgen Neonazis in Anlehnung an Terminologie und Vorgehensweise von Linksextremisten ein Konzept zur Erfassung und Veröffentlichung von Daten über politische Gegner. Deutlich wird dabei eine Bereitschaft zur Gewaltanwendung. Antifaschismus "Antifaschismus" als Begriff wird auch von Demokraten verwendet, um ihre Ablehnung des Rechtsextremismus zum Ausdruck zu bringen. Mehrheitlich nehmen jedoch Linksextremisten diesen Begriff für sich in Anspruch. Sie behaupten, dass der kapitalistische Staat den Faschismus hervorbringe, zumindest aber toleriere. Daher richtet sich der Antifaschismus nicht nur gegen tatsächliche oder vermeintliche Rechtsextremisten, sondern immer auch gegen den Staat und seine Vertreter, insbesondere Angehörige der Sicherheitsbehörden. Anti-Terror-Datei (ATD) Die Anti-Terror-Datei (ATD) ist eine gemeinsame Datei des Bundes und der Länder zur Aufklärung und Bekämpfung des internationalen Terrorismus mit Bezug zur Bundesrepublik Deutschland auf Grundlage des Antiterrordateigesetzes (ATDG). Advanced Persistent Threat (APT) Der Begriff "Advanced Persistent Threat" wird im Bereich der Cyber-Bedrohungen (Cyberangriff) für einen komplexen, zielgerichteten und effektiven Angriff auf ITInfrastrukturen und vertrauliche Daten von Behörden und Unternehmen verwendet. Vielfach werden Angriffskampagnen vereinfacht mit APT und einer Nummer (z. B. APT28) versehen, um damit die Angriffskampagne zu kennzeichnen. Das Ziel eines solchen Angriffes ist insbesondere, die lang anhaltende Handlungsfähigkeit des Angreifers sicherzustellen. Dazu versucht dieser sich nach erfolgreichem Eindringen entweder möglichst unauffällig zu verhalten oder sich möglichst schnell und umfassend in den angegriffenen Systemen auszubreiten und festzusetzen. Der Angreifer geht i. d. R. sehr gezielt vor und nimmt auch großen Aufwand in Kauf, um sein Ziel zu erreichen. Ausländerextremismus Extremistische Ausländerorganisationen verfolgen in Deutschland Ziele, die typischerweise durch aktuelle Ereignisse und politische Entwicklungen in ihren Heimatländern bestimmt sind. Entsprechend ihrer politischen Ausrichtung handelt es sich dabei beispielsweise um linksextremistische Organisationen (z. B. die türkische "Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front" (DHKP-C), soweit sie in ihren Heimatländern ein sozialistisches bzw. kommunistisches Herrschaftssystem anstreben oder um nationalistische Organisationen, die ein überhöhtes Selbstverständnis von der eigenen Nation haben und die Rechte anderer Völker missachten. Daneben gibt es sepa89 ratistische Organisationen, die eine Loslösung ihres Herkunftsgebietes aus einem bereits bestehenden Staatsgebilde und die Schaffung eines eigenen Staates verfolgen. Die größte von den Verfassungsschutzbehörden beobachtete ausländerextremistische Organisation in Deutschland ist nach wie vor die unter der Bezeichnung PKK bekannte "Arbeiterpartei Kurdistans". Autonome Kennzeichnend für die Bewegung der Autonomen, die über kein einheitliches ideologisches Konzept verfügt, ist die Ablehnung staatlicher und gesellschaftlicher Normen und Zwänge, die Suche nach einem freien, selbstbestimmten Leben in herrschaftsfreien Räumen und der Widerstand gegen den demokratischen Staat und seine Institutionen, wobei Gewalt von Autonomen grundsätzlich als Aktionsmittel ("militante Politik") akzeptiert ist. Autonome bilden den weitaus größten Anteil des gewaltbereiten linksextremistischen Personenpotenzials. Das Selbstverständnis der heterogenen autonomen Bewegung ist geprägt von Anti-Einstellungen ("antikapitalistisch", "antifaschistisch", "antipatriarchal"). Diffuse anarchistische und kommunistische Ideologiefragmente ("Klassenkampf", "Revolution" oder "Imperialismus") bilden den Rahmen ihrer oftmals spontanen Aktivitäten. Eine klassische Form autonomer Gewalt ist die sogenannte Massenmilitanz. Das sind Straßenkrawalle, die sich im Rahmen von Demonstrationen oder im Anschluss daran entwickeln. Hierbei kommt es regelmäßig auch zu Gewaltexzessen. Autonome Freiräume Als "autonome Freiräume" können vor allem besetzte Häuser, Wohnprojekte und selbstverwaltete Jugendund Kulturzentren gelten, deren Existenz und Erhalt Linksextremisten bedroht sehen, wenn sich die Besitzund Eigentumsverhältnisse ändern. Bestrebungen, extremistische Bestrebungen sind nach allgemeinem Sprachgebrauch alle auf ein Ziel gerichtet Aktivitäten. Extremistische Bestrebungen im Sinne der Verfassungsschutzgesetze sind im Wesentlichen politisch bestimmte, zielund zweckgerichtete Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluss gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, gegen den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes. Von Einzelpersonen gehen solche Bestrebungen nur dann aus, wenn sie auf die Anwendung von Gewalt gerichtet sind oder eines der obigen Schutzgüter erheblich beschädigen können.122 Cyberangriffe - Elektronische Angriffe Elektronische Angriffe Mit dem Begriff "Elektronische Angriffe" werden Maßnahmen mit und gegen ITInfrastrukturen bezeichnet. Neben der Informationsbeschaffung fallen darunter auch Aktivitäten, die zur Schädigung bzw. Sabotage dieser Systeme geeignet sind. Dazu gehören insbesondere das Ausspähen, Kopieren oder Verändern von Daten, die Übernahme einer fremden elektronischen Identität, der Missbrauch oder die Sabotage fremder IT-Infrastrukturen sowie die Übernahme von computergesteuerten, netzgebundenen Produktionsund Steuereinrichtungen. Die Angriffe können dabei sowohl von außen über Computernetzwerke, wie z. B. das Internet, erfolgen als auch 122 Vgl. SS 6 LVerfSchG M-V. 90 durch einen direkten, nicht netzgebundenen Zugriff auf einen Rechner, z. B. mittels manipulierter Hardwarekomponenten wie Speichermedien (z. B. USB-Sticks). Entgrenzung Der Begriff Entgrenzung beschreibt den Ansatz von Extremisten, ihre politischen Themen und Ziele so in das demokratische Spektrum der Gesellschaft zu transportieren, dass diese dort akzeptabel erscheinen und auf diese Weise die bestehende Abgrenzung der gesellschaftlichen Mitte gegenüber extremistischen Positionen einzuebnen. Fanzine Der Begriff setzt sich aus den Worten "Fan" und "Magazine" zusammen und bezeichnet Publikationen, die innerhalb einer subkulturellen Szene szeneinterne Informationen verbreiten. In der subkulturell geprägten rechtsextremistischen Szene informieren diese Publikationen über Musikgruppen, Tonträger, Konzerte sowie sonstige Szeneveranstaltungen. Aktivisten und rechtsextremistische Gruppierungen erhalten in Interviews Gelegenheit zur Selbstdarstellung und zur Verbreitung ihres extremistischen Gedankengutes. Gefährder Ein Gefährder ist eine Person, zu der bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie politisch motivierte Straftaten von erheblicher Bedeutung, insbesondere solche im Sinne des SS 100a StPO, begehen wird. Die Einstufung einer Person als Gefährder erfolgt durch die Polizei (- Relevante Person). Gemeinsames Extremismusund Terrorismusabwehrzentrum (GETZ) Das GETZ hat am 15. November 2012 seine Arbeit aufgenommen. Ziel ist die Bekämpfung des Rechts-, Links-, Ausländerextremismus/ -terrorismus, Spionage und Proliferation. Ziel ist es, die Fachexpertise aller Behörden unmittelbar zu bündeln und einen möglichst lückenlosen und schnellen Informationsfluss sicherzustellen. Gemeinsames Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ) Das 2004 eingerichtete "Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum" (GTAZ) in BerlinTreptow mit einer "Nachrichtendienstlichen Informationsund Analysestelle" (NIAS) sowie einer "Polizeilichen Informationsund Analysestelle" (PIAS) konzentriert die Experten für Terrorismusabwehr der deutschen Sicherheitsbehörden an einem Ort. Im GTAZ sind die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder, das Bundeskriminalamt (BKA), die Landeskriminalämter (LKÄ) und der Bundesnachrichtendienst (BND) eingebunden. Weitere Teilnehmer sind die Bundespolizei (BPOL), das Zollkriminalamt (ZKA), das Bundesamt für den Militärischen Abschirmdienst (BAMAD), das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) und Vertreter der Generalbundesanwaltschaft. Die Abstimmung von Bewertungen und Maßnahmen bei sicherheitsrelevanten Sachverhalten mit Terrorismusbezug wird erleichtert und beschleunigt. Gentrifizierung Der Begriff beschreibt die Umstrukturierung ganzer Wohnviertel und Stadtteile zu hochwertigen Wohnquartieren und damit einhergehend die Veränderung der Wohnbevölkerung. Dieses Themenfeld kommt häufig in Ballungsräumen vor. 91 Islamismus Der Begriff des Islamismus bezeichnet eine religiös motivierte Form des politischen Extremismus. Islamisten sehen in den Schriften und Geboten des Islam nicht nur Regeln für die Ausübung der Religion, sondern auch Handlungsanweisungen für eine islamistische Staatsund Gesellschaftsordnung. Ein Grundgedanke dieser islamistischen Ideologie ist die Behauptung, alle Staatsgewalt könne ausschließlich von Gott (Allah) ausgehen. Damit richten sich islamistische Bestrebungen gegen die Vorschriften des Grundgesetzes, insbesondere gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung. Islamisten halten die Etablierung einer islamischen Gesellschaftsordnung für unabdingbar. Dieser Ordnung sollen letztlich sowohl Muslime als auch Nicht-Muslime unterworfen werden. Sonderformen des Islamismus sind der Salafismus (-) und der islamistische Terrorismus (-). Islamistischer Terrorismus Mit dem Begriff "islamistischer Terrorismus" wird Terrorismus (-) bezeichnet, der sich unter Berufung auf den Islam bzw. dessen selektive Auslegung und politische Instrumentalisierung darauf abzielt, eine nach eigener Auffassung "islamische Ordnung" bzw. einen "islamischen Staat" zu errichten. Dem "islamistischen Terrorismus" werden sunnitische Gruppierungen, hierunter sowohl salafistische (z. B. "al-Qaida") als auch nicht-salafistische (z. B. HAMAS), sowie schiitische Gruppierungen (z. B. "Hizb Allah") zugerechnet. Jihad Die wörtliche Übersetzung dieses Begriffs ist "Anstrengung" oder "Bemühung". Es gibt zwei Formen des Jihad: die geistig-spirituelle Bemühung des Gläubigen um das richtige religiöse und moralische Verhalten gegenüber Gott und den Mitmenschen (sogenannter großer Jihad) und den kämpferischen Einsatz zur Verteidigung oder Ausdehnung des islamischen Herrschaftsgebiets (sogenannter kleiner Jihad). Von militanten islamistischen (- Islamismus) Gruppen wird der Jihad häufig als religiöse Legitimation für Terroranschläge verwendet. Kameradschaften, rechtsextremistische Unter dem Begriff "Kameradschaften" werden i. d. R. neonazistische lokale Gruppierungen verstanden. Sie umfassen meist etwa 10 bis 20 Mitglieder und sind - im Gegensatz zu den Cliquen der subkulturell geprägten gewaltbereiten rechtsextremistischen Szene - deutlich durch den Willen zu politischer Aktivität geprägt. Obwohl sie meist nur geringe vereinsähnliche Strukturen aufweisen, sind sie durch eine verbindliche Funktionsverteilung dennoch deutlich strukturiert. Mitglieder von Kameradschaften rechnen sich in der Regel den neonazistisch geprägten sogenannten "Freien Nationalisten" zu. Kritische Infrastrukturen (KRITIS) Kritische Infrastrukturen (KRITIS) sind Organisationen oder Einrichtungen mit wichtiger Bedeutung für das staatliche Gemeinwesen, bei deren Ausfall oder Beeinträchtigung nachhaltig wirkende Versorgungsengpässe, erhebliche Störungen der öffentlichen Sicherheit oder andere dramatische Folgen eintreten würden. 92 Linksextremismus Mit diesem Begriff werden Bestrebungen (-) von Personenzusammenschlüssen bezeichnet, für die alle oder einige der folgenden Merkmale charakteristisch sind: * Bekenntnis zum Marxismus-Leninismus als "wissenschaftliche" Anleitung zum Handeln; daneben - je nach Ausprägung der Partei oder Gruppierung - Rückgriff auch auf Theorien weiterer Ideologen wie Stalin, Trotzki, Mao Tsetung und andere, * Bekenntnis zur sozialistischen oder kommunistischen Transformation der Gesellschaft mittels eines revolutionären Umsturzes oder langfristiger revolutionärer Veränderungen, * Bekenntnis zur Diktatur des Proletariats oder zu einer herrschaftsfreien (anarchistischen) Gesellschaft, * Bekenntnis zur revolutionären Gewalt als bevorzugte oder - je nach den konkreten Bedingungen - taktisch einzusetzende Kampfform. Linksextremistische Parteien und Gruppierungen lassen sich grob in zwei Hauptströmungen einteilen: * dogmatische Marxisten-Leninisten und sonstige revolutionäre Marxisten: In Parteien oder anderen festgefügten Vereinigungen organisiert, verfolgen sie die erklärte Absicht, eine sozialistische bzw. kommunistische Gesellschaftsordnung zu errichten, * Autonome, Anarchisten und sonstige Sozialrevolutionäre (undogmatischer Linksextremismus): In losen Zusammenhängen, seltener in Parteien oder formalen Vereinigungen agierend, streben sie ein herrschaftsfreies, selbstbestimmtes Leben frei von jeglicher staatlicher Autorität an. NADIS Das NAchrichtenDienstliche InformationsSystem und WissensNetz (NADIS WN) ist das zentrale Hinweisund Verbundsystem der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder für Personen und Objekte. Dieses System ist eine technische Plattform, auf der Amtsund Verbunddateien von Bund und Ländern unter einer einheitlichen Anwendungsoberfläche betrieben werden können. Neonationalsozialismus/Neonazismus Der Neonationalsozialismus bezieht sich auf die Weltanschauung des "Dritten Reiches" und macht diese zur Grundlage seiner politischen Zielvorstellungen. Elementare Bestandteile der neonationalsozialistischen Weltanschauung sind Rassismus und Nationalismus sowie die Forderung nach einem autoritären "Führerstaat" unter Ausschaltung der Gewaltenteilung. Outing-Aktion Durch Outing-Aktionen werden politische Gegner extremistischer Gruppierungen mit ihren personenbezogenen Daten (z.B. Foto, Name, Wohnanschrift, Arbeitsstelle pp.) zumeist via Internet öffentlich bekannt gemacht, um sie zum einen an den "virtuellen Pranger" zu stellen, zum anderen aber auch, um sie damit einer erhöhten Gefahr 93 auszusetzen, zum Opfer einer politisch motivierten Straftat durch die gegnerische extremistische Gruppe zu werden. Proliferation Als Proliferation bezeichnet man die Weiterverbreitung von atomaren, biologischen oder chemischen Massenvernichtungswaffen und entsprechenden Waffenträgersystemen bzw. der zu deren Herstellung verwendeten Produkte einschließlich des dazu erforderlichen Know-how. Radikal Als radikal werden Bestrebungen bezeichnet, die zur Lösung politischer Probleme "bis auf die Wurzel gehen", diese jedoch ohne zielgerichteten Angriff auf die freiheitliche demokratische Grundordnung lösen wollen. Radikale politische Auffassungen haben in unserer pluralistischen Gesellschaftsordnung ihren legitimen Platz. Rechtsextremismus Der Rechtsextremismus ist eine Ideologie der Ungleichheit, deren Anhänger politisch bestimmte, zielund zweckgerichtete Verhaltensweisen zeigen, die darauf gerichtet sind, Grundsätze der freiheitlichen demokratischen Grundordnung außer Geltung zu setzen oder zu beseitigen (- Bestrebung). Als Gegenentwurf zu einer modernen Demokratie und einer offenen Gesellschaft wollen Rechtsextremisten - auch unter Anwendung von Gewalt - ein autoritäres oder gar totalitäres staatliches System errichten, in dem nationalistisches und rassistisches Gedankengut die Grundlage der Gesellschaftsordnung bilden soll. Dementsprechend finden sich im deutschen Rechtsextremismus in unterschiedlicher und gruppenspezifischer Ausprägung folgende ideologische Vorstellungen bzw. Handlungsmuster: * Ein aggressiver, vielfach völkisch ausgerichteter Nationalismus, für den nur die deutschen Interessen als Richtschnur gelten und der andere Nationen als "minderwertig" betrachtet, * die häufige Forderung nach der Neugründung eines "Reiches", das zum "mächtigen Mittelpunkt Europas" werden müsse, * der Wunsch nach einer Volksgemeinschaft auf "rassischer" Grundlage, die die Rechte des Einzelnen beliebig einschränkt und der pluralistischen Gesellschaft das Modell des "Volkskollektivismus" ("Du bist nichts, Dein Volk ist alles") entgegensetzt (Antiindividualismus, Antipluralismus, Antiliberalismus), * eine aggressive, extrem gewaltbereite Fremdenfeindlichkeit als Ergebnis rassistischen und damit verbunden antisemitischen Gedankenguts, * der Wunsch nach einem "Führerstaat" mit militärischen Ordnungsprinzipien, * eine Relativierung oder sogar Leugnung der Verbrechen des "Dritten Reiches" und damit verbunden eine Verharmlosung oder Verherrlichung des Nationalsozialismus und * eine ständige Diffamierung der demokratischen Institutionen und ihrer Repräsentanten. Rechtsextremismusdatei (RED) Die Rechtsextremismusdatei (RED) ist eine gemeinsame Datei des Bundes und der Länder zur Aufklärung und Bekämpfung des gewaltbereiten Rechtsextremismus auf Grundlage des Rechtsextremismus-Datei-Gesetzes (RED-G). Mit der RED soll der 94 Informationsaustausch zwischen den beteiligten Behörden intensiviert und beschleunigt werden. Rechtsextremistische Konzerte Die Kriterien zur Bewertung rechtsextremistischer Musikveranstaltungen lauten wie folgt: * Live-Auftritt mindestens einer als rechtsextremistisch bewerteten Band, * Szeneöffentlichkeit (z. B. überregionale Mobilisierung, Erhebung von Eintrittsgeldern, Werbung für die Veranstaltung), * Vortrag rechtsextremistischer Liedtexte bzw. Feststellung rechtsextremistischer Aktivitäten der Interpreten anlässlich der Veranstaltungen (insbesondere Propagandadelikte), * Organisation der Veranstaltung durch rechtsextremistische Gruppierungen oder Einzelpersonen. Es ist nicht erforderlich, dass Informationen zu allen Kriterien vorliegen. Mindestvoraussetzung sind der szeneöffentliche Live-Auftritt sowie Indizien für rechtsextremistische Inhalte, die sich insbesondere aus dem Auftritt einschlägiger Bands oder aus dem Vortrag entsprechender Lieder ergeben können. Reichsbürger Sogenannte Reichsbürger und Selbstverwalter sind Gruppierungen und Einzelpersonen, die aus unterschiedlichen Motiven und mit unterschiedlichen Begründungen, unter anderem unter Berufung auf das historische Deutsche Reich, verschwörungstheoretische Argumentationsmuster oder ein selbst definiertes Naturrecht, die Existenz der Bundesrepublik Deutschland und deren Rechtssystem ablehnen, den demokratisch gewählten Repräsentanten die Legitimation absprechen oder sich gar in Gänze als außerhalb der Rechtsordnung stehend definieren und deshalb bereit sind, Verstöße gegen die Rechtsordnung zu begehen. Für die Verwirklichung ihrer Ziele treten sie aktiv ein, z. B. mit Werbeaktivitäten oder mit aggressiven Verhaltensweisen gegenüber den Gerichten und Behörden der Bundesrepublik Deutschland. Relevante Person Eine Person ist als relevant anzusehen, wenn sie innerhalb des extremistischen/terroristischen Spektrums die Rolle einer Führungsperson, eines Unterstützers/Logistikers oder eines Akteurs einnimmt und objektive Hinweise vorliegen, die die Prognose zulassen, dass sie politisch motivierte Straftaten von erheblicher Bedeutung, insbesondere solche im Sinne des SS 100a Strafprozessordnung (StPO), fördert, unterstützt, begeht oder sich daran beteiligt, oder es sich um eine Kontaktoder Begleitperson eines Gefährders, eines Beschuldigten oder eines Verdächtigen einer politisch motivierten Straftat von erheblicher Bedeutung, insbesondere einer solchen im Sinne des SS 100a StPO, handelt. Die Einstufung als relevante Person erfolgt durch die Polizei (- Gefährder). Scharia Die Scharia bezeichnet die im Koran von Gott gesetzte Ordnung, eine Art juristische Grundlage. Die Scharia enthält neben rituellen Vorschriften privat-, strafund öffent95 lich-rechtliche Regelungen. Die Scharia ist kein ausformuliertes Regelwerk, sondern eine Quelle der Rechtsfindung. Verbindlichkeit und Handhabung der Scharia in den einzelnen islamischen Ländern sind bis heute sehr unterschiedlich. Innerhalb der islamischen Welt wird die Rolle der Scharia kontrovers beurteilt. Einig ist man sich aber darin, dass die Scharia eine für alle Bereiche wichtige Rechtsquelle darstellt. Salafismus Der "Salafismus" ist eine Strömung des sunnitischen Islamismus, die sich auf die Urzeit des Islam und die sogenannten "rechtschaffenen Altvorderen" (arab. al-salaf alsalih) bezieht und die Rückkehr zu den damaligen Herrschaftsund Rechtsformen anstrebt. Diese ist u.a. gekennzeichnet durch eine fundamentalistische Koranauslegung, die Ablehnung westlicher Wertevorstellungen und die Propagierung des Kampfes gegen die "Ungläubigen". Schwarzer Block Der sogenannte Schwarze Block, vermummte Aktivisten in einheitlicher "Kampfausrüstung", ist eine Aktionsform, die ursprünglich im linksextremistischen autonomen Spektrum entwickelt wurde und vor allem bei Demonstrationen angewandt wird. Der "Schwarze Block" ist keine zentral organisierte und koordinierte Organisationsform, sondern ein punktueller Zusammenschluss gewaltorientierter Linksextremisten. Ziel dieses Auftretens ist die erschwerte Zuordnung von Strafund Gewalttaten zu Einzelpersonen durch die Polizei. Jeder "Schwarze Block" beinhaltet jedoch ein einzelfallbezogenes Gewaltpotenzial, das sich je nach Lageentwicklung ausleben kann. Selbstverwalter - Reichsbürger Spionage Als Spionage wird die Tätigkeit für den Nachrichtendienst einer fremden Macht bezeichnet, die auf die Mitteilung oder Lieferung von Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen gerichtet ist. Die Beschaffung von Informationen, vor allem aus den Bereichen Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Militär, erfolgt zumeist unter Anwendung geheimer Mittel und Methoden. Soweit Spionage gegen die Bundesrepublik Deutschland gerichtet ist, kommt eine Strafbarkeit gemäß SSSS 93 ff. StGB in Betracht. Spionageabwehr Die Spionageabwehr beschäftigt sich mit der Aufklärung und Abwehr bzw. Verhinderung von Spionageaktivitäten fremder Nachrichtendienste. Dazu sammelt sie Informationen über sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten fremder Nachrichtendienste in der Bundesrepublik Deutschland und wertet sie mit dem Ziel aus, Erkenntnisse über Struktur, Aktivitäten, Arbeitsmethoden, nachrichtendienstliche Mittel und Zielobjekte dieser Nachrichtendienste zu gewinnen. Die Spionageabwehr gehört gemäß SS 3 Abs. 1 Nr. 2 Bundesverfassungsschutzgesetz (BVerfSchG) zu den Aufgaben der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder. Staatsfreiheit Der Begriff der "Staatsfreiheit" ist ein innerhalb des ersten NPD-Verbotsverfahren geprägter Begriff. Danach hat das BVerfSchG die Forderung aufgestellt, dass während eines laufenden Verbotsverfahrens keine Vertrauenspersonen (VP) und Verdeckten Ermittler (VE) auf den Führungsebenen einer Partei tätig sein dürfen. Damit wird sichergestellt, dass deren Willensbildung und Selbstdarstellung unbeobachtet 96 und selbst bestimmt erfolgen kann. Die Begründung des Verbotsantrags darf nicht auf Beweismaterialien gestützt werden, deren Entstehung zumindest teilweise auf das Wirken von VP oder VE zurückzuführen ist. Die Beobachtung einer Partei während eines laufenden Verbotsverfahrens darf außerdem nicht dem Ausspähen ihrer Prozessstrategie dienen. Zudem ist die privilegierte Stellung der Verfahrensbevollmächtigten der betroffenen Partei zu beachten. Terrorismus Der "Terrorismus" ist der nachhaltig geführte Kampf für politische Ziele, die mit Hilfe von Anschlägen auf Leib, Leben und Eigentum anderer Menschen durchgesetzt werden sollen, insbesondere durch schwere Straftaten, wie sie in SS 129a Abs. 1 StGB genannt sind, oder durch andere Straftaten, die zur Vorbereitung solcher Straftaten dienen. "Vier-Säulen-Strategie" der NPD Die Strategie der NPD wurde auf dem Bundesparteitag 1998 im mecklenburgischen Stavenhagen zunächst als "Drei-Säulen-Strategie" konzipiert: Kampf um die Straße: Durchführung von Demonstrationen, Zeigen von Präsenz in der Öffentlichkeit, Massenmobilisierung, Kampf um die Köpfe: Ziel ist die Meinungsführerschaft in der rechtsextremistischen Szene, aber ganz wesentlich auch das Erreichen von Personen außerhalb ihrer politischen Klientel, Kampf um die Parlamente: Wahlerfolge konnte die NPD in Mecklenburg-Vorpommern 2006 und 2009 vorweisen. Auf dem Bundesparteitag 2004 in Leinefeld/Thüringen wurde eine vierte Säule ergänzt: Kampf um den organisierten Willen: Die NPD sieht sich als "Speerspitze der nationalen Erneuerung" und versucht, alle "nationalen Kräfte" zu einem Bündnis zu bewegen - natürlich unter ihrer Führung. Wirtschaftsschutz Als Wirtschaftsschutz werden staatliche Maßnahmen bezeichnet, die dem Schutz deutscher Unternehmen und Forschungseinrichtungen vor einem durch Spionage betriebenen Know-how-Abfluss sowie vor Bedrohungen durch Rechtsund Linksextremisten, durch ausländische Extremisten sowie durch islamistische Terroristen dienen. Wirtschaftsspionage Wirtschaftsspionage ist Teil der Spionage, der die staatlich gelenkte oder gestützte, von fremden Nachrichtendiensten ausgehende Ausforschung von Wirtschaftsunternehmen und Forschungseinrichtungen beinhaltet. Betreibt hingegen ein konkurrierendes Unternehmen eine private Ausforschung, handelt es sich um Konkurrenzausspähung, die häufig auch Industriespionage genannt wird. In den Zuständigkeitsbereich der Verfassungsschutzbehörden fällt ausschließlich die Wirtschaftsspionage. 97 Registeranhang Im Textteil erwähnte Personenzusammenschlüsse Seitenzahl A Aktionsblog 20 f., 27 al-Qaida 62 f., 68, 92 Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) 59, 70-73 Arischer Widerstandsbund 24 Artgemeinschaft-Germanische Glaubens-Gemeinschaft we23 sensgemäßer Lebensgestaltung e. V. (AG-GGG) Aryan Warriors 24 Autonome 6, 55 B Blood and Honour 17 Brigade 8 24 Bruderschaft Grimmen 24 D Der III. Weg 14, 38 f. Der Flügel 14, 43 f. Deutsche Kommunistische Partei (DKP) 52, 60 f. Die Liebenfels-Kapelle/Skalinger 18 DIE RECHTE 14, 32, 38 F Freistaat Preußen 49 Fremde im eigenen Land (F.i.e.L.) 18, 24 Freikorps Heimatschutz 24 Freiheitliches Bündnis Güstrow 24 G Geeinte deutsche Völker und Stämme (GdVuST) 49 Germanisches Bollwerk Mecklenburg 24 Greif e.V. 24 Großherzogtum Friedrich Maik 49 H Hammerskins 17, 24 f. Harakat al-Muqawama al-Islamiya (HAMAS) 62 Hizb Allah 64 HUSKARLAR MC Stralsund 25 I Identitäre Bewegung Deutschland (IBD) 40, 45 Identitäre Bewegung Mecklenburg-Vorpommern (IB MV) 40-43 98 Initiative "Vereint für Stralsund" 23 Interventionistische Linke (IL) 52, 54 ff. Islamischer Staat (IS) 61-64, 66 f., 71 ff. J Junge Nationalisten (JN) 37 f. Junge Alternative (JA) 14, 44 K Kameradschaft Borken 24 Kameradschaftsbund Anklam 24 Kameradschaftsbund Bargischow 24 L Limo 54, 59 f. Leveler Records 19 M Mit erhobener Stimme 18 Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei (MLKP) 70 Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) 52, 60 N Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) 29-37 Nationales Bündnis Löcknitz 24 f. Nationale Sozialisten Rostock 20 Nordlichter Rostock 22 P Painful Awakening/Baltic Storm 18 f. Path of Resistance 18 f. Penzliner Runde 47 f. Pommerscher Buchdienst 19 Preußisches Institut - Bismarcks Erben 46 ff. R Reichsbürger und Selbstverwalter 13, 28, 45-50 Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front (DHKP-C) 70, 89 Rote Hilfe e. V. (RH) 52, 55, 57 f. REBELL 60 S Schwarz-Rote-Hilfe 58 Skalinger 18 Sozialistische Alternative (SAV) 61 Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend (SDAJ) 53, 61 Sozialistische Organisation Solidarität (SOL) 53, 61 99 Staatenlos.Info - Comedian e.V. 48 Stimme der Vergeltung 18 f. T Thinghaus 16 f. Thrima 18 f. Türkische Kommunistische Partei/Marxisten-Leninisten 70 (TKP/ML) U Ungebetene Gäste 18 V Völkische Burschenschar Strasburg 24 Vaterländischer Hilfsdienst 47 Volldraht 49 W Wiege des Schicksals/Motorhate 18 100 Anlagen 101 10 Anlage 1 - Politisch motivierte Kriminalität (PMK) Politisch motivierte Kriminalität -Rechts2019 2020 Straftaten Gesamt 907 1012 davon extremistisch 930 981 Propagandadelikte 687 698 davon extremistisch 687 698 Gewaltdelikte 49123 53124 davon extremistisch 49 53 Fremdenfeindliche Straftaten 216 258 davon extremistisch 216 258 davon Gewaltdelikte 24 28 Antisemitische Straftaten 51 72 davon Gewaltdelikte 0 2 Politisch motivierte Kriminalität -Links2019 2020 Straftaten Gesamt 279 174 davon extremistisch 92 69 Propagandadelikte 6 0 davon extremistisch 6 0 Gewaltdelikte 22 17 davon extremistisch 22 17 Fremdenfeindliche Straftaten 2 0 davon extremistisch 2 0 davon Gewaltdelikte 0 0 Antisemitische Straftaten 0 0 Politisch moPolitisch motiPolitisch Politisch tivierte Krimivierte Kriminamotivierte motivierte nalität - religilität - auslänKriminalität Kriminalität - öse Ideologie dische Ideolo- - religiöse ausländische gie Ideologie Ideologie 2019 2019 2020 2020 Straftaten Gesamt 5 2 8 20 davon extremistisch 5 2 8 20 Propagandadelikte 0 1 0 2 Gewaltdelikte 0 0 0 7 davon extremistisch 0 0 0 7 Fremdenfeindliche Strafta- 3 0 2 17 ten davon extremistisch 3 0 2 17 davon Gewaltdelikte 0 0 0 6 Antisemitische Straftaten 1 0 1 0 davon Gewaltdelikte 0 0 0 0 Quelle: LKA M-V 123 Zusätzlich 6 Gewalttaten durch "Reichsbürger und Selbstverwalter". 124 Zusätzlich 4 Gewalttaten durch "Reichsbürger und Selbstverwalter". 102 103 11 Anlage 2 - Landesverfassungsschutzgesetz Amtliche Abkürzung: LVerfSchG M-V Ausfertigungsdatum: 11.07.2001 Textnachweis ab: 01.01.2005 Dokumenttyp: Gesetz Quelle: Fundstelle: GVOBl. M-V 2001, 261 Gliederungs-Nr.: 12-4 Gesetz über den Verfassungsschutz im Lande Mecklenburg-Vorpommern (Landesverfassungsschutzgesetz - LVerfSchG M-V) Vom 11. Juli 2001 Fundstelle: GVOBl. M-V 2001, S. 261 Stand: letzte berücksichtigte Änderung: zuletzt geändert durch Gesetz vom 13. Januar 2017 (GVOBl. M-V S. 2) Der Landtag hat das folgende Gesetz beschlossen: Inhaltsübersicht Abschnitt 1 Aufgaben und Befugnisse der Verfassungsschutzbehörde SS1 Zweck des Verfassungsschutzes SS2 Organisation SS3 Bedienstete SS4 Zusammenarbeit SS5 Aufgaben des Verfassungsschutzes SS6 Begriffsbestimmungen SS7 Rahmen für die Tätigkeit der Verfassungsschutzbehörde SS8 Funktionelle Trennung von Polizei und Verfassungsschutzbehörde SS9 Formen der Datenerhebung SS 10 Informationsbeschaffung mit nachrichtendienstlichen Mitteln SS 10a Vertrauensleute und Verdeckte Mitarbeiter SS 11 Mitteilung an betroffene Personen SS 12 Registereinsicht durch die Verfassungsschutzbehörde Abschnitt 2 Datenverarbeitung SS 13 Begriff der Datei und der Akte SS 14 Dateianordnung SS 15 Voraussetzung der Speicherung SS 16 Erfassung personenbezogener Daten von Minderjährigen SS 17 Speichern, Berichtigen, Löschen und Sperren personenbezogener Daten 104 Abschnitt 3 Informationsübermittlung und Auskunftserteilung SS 18 Informationsübermittlung zwischen den Verfassungsschutzbehörden SS 19 Informationsübermittlung an Bundesnachrichtendienst und Militärischen Abschirmdienst SS 20 Informationsübermittlung durch die Verfassungsschutzbehörde an Polizei, Staatsanwaltschaft und andere Stellen SS 20a Projektbezogene gemeinsame Dateien SS 21 Informationsübermittlung an ausländische Stellen SS 22 Informationsübermittlung an die Öffentlichkeit SS 23 Dokumentation und Grundlage der Informationsübermittlung durch die Verfassungsschutzbehörde SS 24 Informationsübermittlung durch öffentliche Stellen an die Verfassungsschutzbehörde SS 24a Informationsübermittlung durch nicht-öffentliche Stellen an die Verfassungsschutzbehörde SS 24b Weitere Auskunftsverlangen SS 25 Übermittlungsverbote, Nachberichtspflicht SS 26 Auskunft an betroffene Personen Abschnitt 4 Kontrolle der Verfassungsschutzbebörde SS 27 Parlamentarische Kontrollkommission SS 28 Geheimhaltung SS 29 Kontrollrechte der Parlamentarischen Kontrollkommission Abschnitt 5 Schlussvorschriften SS 30 Geltung des Landesdatenschutzgesetzes SS 31 (weggefallen) SS 32 In-Kraft-Treten, Außer-Kraft-Treten Abschnitt 1 Aufgaben und Befugnisse der Verfassungsschutzbehörde SS1* Zweck des Verfassungsschutzes Der Verfassungsschutz dient dem Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, des Bestandes und der Sicherheit des Bundes und der Länder. Fußnoten *) SS 1 geändert durch Artikel 3 des Gesetzes vom 16. April 2004. SS2 Organisation (1) Die Aufgaben des Verfassungsschutzes werden von der Verfassungsschutzbehörde wahrgenommen. Verfassungsschutzbehörde ist das Innenministerium. Es unterhält für diese Aufgaben eine besondere Abteilung. (2) Die Verfassungsschutzbehörde darf Dienststellen der Polizei, Dienststellen der Polizei dürfen der Verfassungsschutzbehörde nicht angegliedert werden. SS3 Bedienstete Mit Aufgaben der Verfassungsschutzbehörde dürfen nur Personen betraut werden, die nach ihrer Per105 sönlichkeit und nach ihrem Verhalten die Gewähr dafür bieten, dass sie jederzeit für die Sicherung und Erhaltung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung eintreten. SS4 Zusammenarbeit (1) Die Verfassungsschutzbehörde ist verpflichtet, mit Bund und Ländern in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes zusammenzuarbeiten. Die Zusammenarbeit besteht insbesondere in gegenseitiger Unterstützung und Information sowie in der Unterhaltung gemeinsamer Einrichtungen. (2) Die Verfassungsschutzbehörden anderer Länder dürfen im Geltungsbereich dieses Gesetzes nur im Einvernehmen, der Bund nach Maßgabe bundesrechtlicher Vorschriften nur im Benehmen mit der Verfassungsschutzbehörde Mecklenburg-Vorpommerns tätig werden. SS5 Aufgaben des Verfassungsschutzes (1) Zur Erfüllung ihrer Aufgabe sammelt und wertet die Verfassungsschutzbehörde sachund personenbezogene Daten, insbesondere Auskünfte, Nachrichten und Unterlagen aus über 1. Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziel haben, 2. sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten im Geltungsbereich des Grundgesetzes für eine fremde Macht im Geltungsbereich dieses Gesetzes, 3. Bestrebungen im Geltungsbereich des Grundgesetzes, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, 4. Bestrebungen, die gegen den Gedanken der Völkerverständigung ( Artikel 9 Abs. 2 des Grundgesetzes ) oder gegen das friedliche Zusammenleben der Völker ( Artikel 26 Abs. 1 des Grundgesetzes ) gerichtet sind. (2) Die Verfassungsschutzbehörde informiert die zuständigen Stellen und die Öffentlichkeit über Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand und die Sicherheit des Bundes und der Länder. Sie kann dazu insbesondere Verfassungsschutzberichte veröffentlichen und Prävention im Rahmen von Öffentlichkeitsarbeit leisten. Den staatlichen Stellen soll ermöglicht werden, rechtzeitig die erforderlichen Maßnahmen zur Abwehr der Gefahren nach Satz 1 zu treffen. (3) Die Verfassungsschutzbehörde wirkt mit 1. bei der Sicherheitsüberprüfung von Personen nach Maßgabe des Sicherheitsüberprüfungsgesetzes vom 22. Januar 1998 (GVOBl. M-V S. 114, 195), zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 28. Januar 2009 (GVOBl. M-V S. 82), sowie bei Zuverlässigkeitsüberprüfungen in den übrigen gesetzlich bestimmten Fällen, 2. bei technischen Sicherheitsmaßnahmen zum Schutz von im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftigen Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen gegen die Kenntnisnahme durch Unbefugte. (4) Die Verfassungsschutzbehörde ist an die allgemeinen Rechtsvorschriften gebunden ( Artikel 20 des Grundgesetzes ). 106 SS6 Begriffsbestimmungen (1) Im Sinne dieses Gesetzes sind 1. Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung solche politisch bestimmten, zielund zweckgerichteten Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluss, die darauf gerichtet sind, einen der in Absatz 3 genannten Verfassungsgrundsätze zu beseitigen oder außer Geltung zu setzen, 2. Bestrebungen gegen den Bestand des Bundes oder eines Landes solche politisch bestimmten, zielund zweckgerichteten Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluss, die darauf gerichtet sind, die Freiheit des Bundes oder eines Landes von fremder Herrschaft aufzuheben, ihre staatliche Einheit zu beseitigen oder ein zu ihnen gehörendes Gebiet abzutrennen, 3. Bestrebungen gegen die Sicherheit des Bundes oder eines Landes solche politisch bestimmten, zielund zweckgerichteten Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluss, die darauf gerichtet sind, den Bund, die Länder oder deren Einrichtungen in ihrer Funktionsfähigkeit erheblich zu beeinträchtigen. (2) Eine Bestrebung im Sinne des Gesetzes ist insbesondere dann gegeben, wenn sie auf Gewaltanwendung gerichtet ist oder sonst ein kämpferisches und aggressives Verhalten gegenüber den in Absatz 3 genannten Grundsätzen erkennen lässt. (3) Zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne dieses Gesetzes zählen: 1. das Recht des Volkes, die Staatsgewalt in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung auszuüben und die Volksvertretung in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl zu wählen, 2. die Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung und die Bindung der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an Gesetz und Recht, 3. das Recht auf Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition, 4. die Ablösbarkeit der Regierung und ihre Verantwortlichkeit gegenüber der Volksvertretung, 5. die Unabhängigkeit der Gerichte, 6. der Ausschluss jeder Gewaltund Willkürherrschaft und 7. die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte. (4) Für einen Personenzusammenschluss handelt, wer ihn in seinen Bestrebungen nachdrücklich unterstützt. Verhaltensweisen von Einzelpersonen, die nicht in einem oder für einen Personenzusammenschluss handeln, sind Bestrebungen im Sinne dieses Gesetzes, wenn sie auf Anwendung von Gewalt gerichtet sind oder aufgrund ihrer Wirkungsweise geeignet sind, ein Schutzgut dieses Gesetzes erheblich zu beschädigen. (5) Betroffene Personen sind Personen, bei denen tatsächliche Anhaltspunkte für Tätigkeiten oder Bestrebungen gemäß SS 5 Abs. 1 vorliegen. Dritte sind Personen, bei denen keine derartigen Anhaltspunkte vorliegen. (6) Gewalt im Sinne dieses Gesetzes ist die Anwendung körperlichen Zwanges gegen Personen und die gewalttätige Einwirkung auf Sachen. 107 SS7 Rahmen für die Tätigkeit der Verfassungsschutzbehörde (1) Die Verfassungsschutzbehörde darf sachund personenbezogene Daten nur erheben, verarbeiten und nutzen, soweit sie zur Erfüllung ihrer Aufgaben nach diesem Gesetz erforderlich sind. Voraussetzung für die Sammlung von Informationen im Sinne des SS 5 Abs. 1 ist das Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte, die, insgesamt betrachtet und unter Einbeziehung nachrichtendienstlicher Erfahrungen, den Verdacht einer der in SS 5 Abs. 1 genannten Bestrebungen oder Tätigkeiten rechtfertigen. Die Art und der Umfang des Umgangs mit Daten richtet sich nach den Vorschriften dieses Gesetzes. Soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, gilt das Landesdatenschutzgesetz von MecklenburgVorpommern. (2) Zur Erfüllung ihrer Aufgaben darf die Verfassungsschutzbehörde nur die dazu erforderlichen Maßnahmen ergreifen; dies gilt insbesondere für den Umgang mit personenbezogenen Daten. Von mehreren möglichen und geeigneten Maßnahmen hat sie diejenige zu treffen, die den einzelnen, insbesondere in seinen Grundrechten, und die Allgemeinheit voraussichtlich am wenigsten beeinträchtigt. Eine Maßnahme darf nicht zu einem Nachteil führen, der zu dem erstrebten Erfolg erkennbar außer Verhältnis steht. Sie ist nur so lange zulässig, bis ihr Zweck erreicht ist oder sich zeigt, dass er nicht erreicht werden kann. SS8 Funktionelle Trennung von Polizei und Verfassungsschutzbehörde Polizeiliche Befugnisse stehen der Verfassungsschutzbehörde nicht zu; sie darf die Polizei auch nicht im Wege der Amtshilfe um Maßnahmen ersuchen, zu denen sie selbst nicht befugt ist. SS9 Formen der Datenerhebung (1) Die Verfassungsschutzbehörde darf personenbezogene Daten der betroffenen Person auch ohne deren Kenntnis bei ihr und bei Dritten erheben, wenn 1. tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht von Bestrebungen oder Tätigkeiten gemäß SS 5 Abs. 1 vorliegen, 2. dies für die Erforschung und Bewertung von gewalttätigen Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 5 Abs. 1 Nr. 2 erforderlich ist oder 3. dies zur Schaffung oder Erhaltung nachrichtendienstlicher Zugänge über Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 5 Abs. 1 erforderlich ist. Werden personenbezogene Daten bei der betroffenen Person mit ihrer Kenntnis erhoben, so ist sie über die Freiwilligkeit der Mitwirkung und den Verwendungszweck aufzuklären. Die Aufklärungspflicht umfasst bei einer beabsichtigten Übermittlung auch den Empfänger der Daten. Die Aufklärung kann unterbleiben, wenn die Tatsache, dass die Erhebung für Zwecke des Verfassungsschutzes erfolgt, aus besonderen Gründen nicht bekannt werden soll. (2) Personenbezogene Daten von Dritten dürfen ohne deren Kenntnis nur erhoben werden, wenn 1. dies für die Erforschung von Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 5 Abs. 1 vorübergehend erforderlich ist, 2. die Erforschung des Sachverhaltes auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre und 3. überwiegende schutzwürdige Belange der betroffenen Personen nicht entgegenstehen. Daten Dritter dürfen auch erhoben werden, wenn sie mit zur Aufgabenerfüllung erforderlichen Informationen untrennbar verbunden sind. Daten, die für das Verständnis der zu speichernden Informationen nicht erforderlich sind, sind unverzüglich zu löschen. Dies gilt nicht, wenn die Löschung nicht oder nur 108 mit unvertretbarem Aufwand möglich ist. In diesem Fall sind die Daten zu sperren; die gesperrten Daten dürfen nicht mehr genutzt werden. (3) Ist zum Zwecke der Sammlung von Informationen die Weitergabe personenbezogener Daten unerlässlich, so dürfen schutzwürdige Interessen der betroffenen Person oder Dritter nur im unvermeidbaren Umfang beeinträchtigt werden. SS 10 Informationsbeschaffung mit nachrichtendienstlichen Mitteln (1) Die Verfassungsschutzbehörde darf zur verdeckten Informationsbeschaffung, insbesondere zur verdeckten Erhebung personenbezogener Daten, nur folgende nachrichtendienstliche Mittel anwenden: 1. Inanspruchnahme von Vertrauensleuten nach Maßgabe des SS 10a , sonstigen Informanten und Gewährspersonen; 2. Einsatz von Verdeckten Mitarbeitern nach Maßgabe des SS 10a ; 3. Observationen; 4. Bildaufzeichnungen (Fotografieren, Filmen und Videografieren) außerhalb des Schutzbereiches des Artikels 13 des Grundgesetzes ; 5. verdeckte Ermittlungen und Befragungen; 6. verdecktes Mithören ohne Inanspruchnahme technischer Mittel; 7. verdecktes Mithören und Aufzeichnen des nicht öffentlich gesprochenen Wortes unter Einsatz technischer Mittel außerhalb des Schutzbereiches des Artikels 13 des Grundgesetzes ; 8. Beobachtung des Funkverkehrs auf nicht für den allgemeinen Empfang bestimmten Kanälen; 9. Verwendung fingierter biographischer, beruflicher oder gewerblicher Angaben (Legenden) mit Ausnahme solcher beruflicher Angaben, die sich auf die in Satz 3 genannten Personen beziehen; 10. Beschaffung, Herstellung und Verwendung von Tarnpapieren und Tarnkennzeichen; 11. Überwachung des Brief-, Postund Fernmeldeverkehrs nach Maßgabe des aufgrund von Artikel 10 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes erlassenen Bundesgesetzes; 12. verdecktes Beobachten und sonstiges Aufklären des Internets, ohne dass der Schutzbereich des Artikels 10 des Grundgesetzes (Brief-, Postund Fernmeldegeheimnis) berührt ist, insbesondere die verdeckte Teilnahme an den Kommunikationseinrichtungen des Internets sowie die Suche nach ihnen. (2) Die Mittel nach Absatz 1 dürfen nur angewendet werden, wenn 1. die Voraussetzungen des SS 9 Abs. 1 Nr. 1, 2 oder 3 vorliegen, 2. sich ihr Einsatz gegen Dritte richtet, deren Einbeziehung in eine solche Maßnahme unumgänglich ist, um auf diese Weise Erkenntnisse über sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten für eine fremde Macht oder Bestrebungen zu gewinnen, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen gegen die im SS 5 Abs. 1 Nr. 1 und 3 genannten Schutzgüter gerichtet sind oder 3. dies zur Abschirmung der Mitarbeiter, Einrichtungen, Gegenstände und Nachrichtenzugänge des Verfassungsschutzes gegen sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten 109 erforderlich ist. Die Mittel nach Absatz 1 Satz 1 Nr. 9 und 10 dürfen auch für Vertrauensleute angewendet werden, wenn dies zur Erfüllung eines dienstlichen Auftrags oder zu ihrem Schutz erforderlich ist. (3) Die Anwendung nachrichtendienstlicher Mittel gemäß Absatz 1 ist unzulässig, wenn die Informationsbeschaffung auf andere, die betroffene Person weniger beeinträchtigende Weise möglich ist. Eine geringere Beeinträchtigung ist in der Regel anzunehmen, wenn die Daten aus allgemein zugänglichen Quellen oder durch Übermittlung nach SS 24 gewonnen werden können. Die Anwendung nachrichtendienstlicher Mittel darf nicht außer Verhältnis zur Bedeutung des aufzuklärenden Sachverhaltes stehen. Die Verfassungsschutzbehörde darf die mit nachrichtendienstlichen Mitteln erhobenen Daten nur für die in SS 9 Abs. 1 genannten Zwecke nutzen. Daten, die für diese Zwecke nicht erforderlich sind, sind unverzüglich zu löschen. Sind diese Daten mit anderen, für die in SS 9 Abs. 1 genannten Zwecke erforderlichen Daten derart verbunden, dass sie nicht oder nur mit einem unverhältnismäßig großen Aufwand getrennt werden können, so sind diese Daten zu sperren; sie dürfen nicht mehr genutzt werden. (4) Wirkt die Verfassungsschutzbehörde an Sicherheitsüberprüfungen im Sinne des SS 5 Abs. 3 Nr. 1 mit, so darf sie nur das nachrichtendienstliche Mittel der Tarnung von Mitarbeitern anwenden. (5) Die Behörden des Landes sowie die Kommunalbehörden sind verpflichtet, der Verfassungsschutzbehörde Hilfe für Tarnungsmaßnahmen zu leisten. (6) Die Anwendung des nachrichtendienstlichen Mittels nach Absatz 1 Nr. 7 bedarf im Einzelfall der Zustimmung des Innenministers, im Falle seiner Verhinderung der des Staatssekretärs, und der Zustimmung der nach dem Ausführungsgesetz des Landes Mecklenburg-Vorpommern zu dem aufgrund von Artikel 10 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes erlassenen Bundesgesetzes gebildeten Kommission; bei Gefahr im Verzug ist unverzüglich die Genehmigung dieser Kommission nachträglich einzuholen. Die durch solche Maßnahmen erhobenen personenbezogenen Daten dürfen nur nach Maßgabe des aufgrund von Artikel 10 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes erlassenen Bundesgesetzes verwendet werden. (7) Die Verfassungsschutzbehörde darf unter den Voraussetzungen des SS 24a Abs. 2 technische Mittel zur Ermittlung des Standortes eines aktiv geschalteten Mobilfunkendgerätes und zur Ermittlung der Geräteoder Kartennummer einsetzen. Die Maßnahme ist nur zulässig, wenn ohne Einsatz technischer Mittel nach Satz 1 die Ermittlung des Standortes oder die Ermittlung der Geräteoder Kartennummer aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre. Sie darf sich nur gegen die in SS 24a Abs. 3 Nr. 1 und 2 Buchstabe b bezeichneten Personen richten. Für die Verarbeitung der Daten ist SS 4 des Artikel 10-Gesetzes entsprechend anzuwenden. Personenbezogene Daten eines Dritten dürfen anlässlich solcher Maßnahmen nur erhoben werden, wenn dies aus technischen Gründen zur Erreichung des Zweckes nach Satz 1 unvermeidbar ist. Sie unterliegen einem absoluten Verwendungsverbot und sind nach Beendigung der Maßnahme unverzüglich zu löschen. SS 24a Abs. 4 bis 6 gilt entsprechend. Das Grundrecht des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses ( Artikel 10 des Grundgesetzes ) wird insoweit eingeschränkt. SS 10a Vertrauensleute und Verdeckte Mitarbeiter (1) Die Verfassungsschutzbehörde darf 1. Privatpersonen, deren planmäßige, dauerhafte Zusammenarbeit mit ihr Dritten nicht bekannt ist (Vertrauensleute), und 2. eigene Mitarbeiter unter einer ihnen verliehenen und auf Dauer angelegten Legende (Verdeckte Mitarbeiter) zur Aufklärung von Bestrebungen unter den Voraussetzungen des SS 10 Absatz 2 einsetzen. Ein dauerhafter Einsatz zur Aufklärung von Bestrebungen nach SS 5 Absatz 1 Nummer 1 und 4 ist nur bei Bestrebungen von erheblicher Bedeutung zulässig, insbesondere, wenn sie darauf gerichtet sind, Gewalt anzuwenden oder Gewalt vorzubereiten. 110 (2) Vertrauensleute und Verdeckte Mitarbeiter dürfen weder zur Gründung von Bestrebungen nach SS 5 Absatz 1 Nr. 1, 3 oder 4 noch zur steuernden Einflussnahme auf derartige Bestrebungen eingesetzt werden. Sie dürfen in solchen Personenzusammenschlüssen oder für solche Personenzusammenschlüsse, einschließlich strafbarer Vereinigungen, tätig werden, um deren Bestrebungen aufzuklären. Im Übrigen ist im Einsatz eine Beteiligung an Bestrebungen nur zulässig, wenn sie 1. nicht in Individualrechte eingreift, 2. von den an den Bestrebungen Beteiligten derart erwartet wird, dass sie zur Gewinnung und Sicherung der Informationszugänge unumgänglich ist, und 3. nicht außer Verhältnis zur Bedeutung des aufzuklärenden Sachverhalts steht. Sofern zureichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass Vertrauensleute oder Verdeckte Mitarbeiter rechtswidrig einen Straftatbestand von erheblicher Bedeutung verwirklicht haben, soll der Einsatz unverzüglich beendet und die Strafverfolgungsbehörde unterrichtet werden. Über Ausnahmen nach Satz 4 entscheidet der Leiter der Verfassungsschutzabteilung oder sein Vertreter. (3) Über die Verpflichtung von Vertrauensleuten entscheidet der Leiter der Verfassungsschutzabteilung oder sein Vertreter. Als Vertrauensleute dürfen Personen nicht angeworben und eingesetzt werden, die 1. nicht voll geschäftsfähig, insbesondere minderjährig sind, 2. von den Geldoder Sachzuwendungen für die Tätigkeit auf Dauer als alleinige Lebensgrundlage abhängen würden, 3. an einem Aussteigerprogramm teilnehmen, 4. im Bundeszentralregister mit einer Verurteilung wegen eines Verbrechens oder zu einer Freiheitsstrafe, deren Vollstreckung nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist, eingetragen sind, 5. Mitglied des Europäischen Parlaments, des Deutschen Bundestages, eines Landesparlaments oder Mitarbeiter eines solchen Mitglieds sind oder 6. berechtigt sind, in Strafsachen aus beruflichen Gründen das Zeugnis zu verweigern ( SSSS 53 und 53a der Strafprozessordnung ), wenn sie zur Beschaffung von Informationen über Sachverhalte eingesetzt werden sollen, auf die sich ihr Zeugnisverweigerungsrecht bezieht; Informationen, die diese Personen unter Verletzung des SS 203 des Strafgesetzbuches rechtswidrig an die Verfassungsschutzbehörde weiterzugeben beabsichtigen, dürfen von dieser nicht entgegengenommen werden. Der Leiter der Verfassungsschutzabteilung kann eine Ausnahme von Nummer 4 zulassen, wenn die Verurteilung nicht als Täter eines Totschlags ( SSSS 212 , 213 StGB ) oder einer allein mit lebenslanger Haft bedrohten Straftat erfolgt ist und der Einsatz zur Aufklärung von Bestrebungen, die auf die Begehung von in SS 3 Absatz 1 des Artikel 10-Gesetzes bezeichneten Straftaten gerichtet sind, unerlässlich ist. Im Falle einer Ausnahme nach Satz 3 ist der Einsatz nach höchstens sechs Monaten zu beenden, wenn er zur Erforschung der in Satz 3 genannten Bestrebungen nicht zureichend gewichtig beigetragen hat. Auch im Weiteren ist die Qualität der gelieferten Informationen fortlaufend zu bewerten. Das Ministerium für Inneres und Sport trägt der Parlamentarischen Kontrollkommission mindestens einmal im Jahr einen Lagebericht zum Einsatz von Vertrauensleuten vor. (4) Zum Absehen von der Verfolgung von im Einsatz begangenen Vergehen oder der Rücknahme einer bereits erhobenen Klage und der Verfahrenseinstellung durch die Staatsanwaltschaft findet SS 9a Absatz 3 des Bundesverfassungsschutzgesetzes Anwendung. 111 SS 11 Mitteilung an betroffene Personen Betroffenen Personen sind Maßnahmen nach SS 10 Abs. 6 Satz 1 nach ihrer Beendigung mitzuteilen, sobald eine Gefährdung des Zweckes des Eingriffs ausgeschlossen werden kann. Lässt sich im Zeitpunkt der Beendigung der Maßnahme noch nicht abschließend beurteilen, ob diese Voraussetzung erfüllt ist, unterbleibt die Mitteilung so lange, bis eine Gefährdung des Zwecks der Maßnahme ausgeschlossen werden kann. Die nach dem Ausführungsgesetz zu dem aufgrund von Artikel 10 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes gebildete Kommission ist über die Gründe, die einer Mitteilung entgegenstehen, zu unterrichten; hält sie eine Mitteilung für geboten, so ist diese unverzüglich zu veranlassen. SS 12 Registereinsicht durch die Verfassungsschutzbehörde (1) Die Verfassungsschutzbehörde darf zur Aufklärung 1. von Bestrebungen, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind, 2. von Bestrebungen im Sinne des SS 5 Abs. 1 Nr. 2 bis 4 bei öffentlichen Stellen geführte Dateien, Akten und Register einsehen. (2) Eine solche Einsichtnahme ist nur zulässig, wenn 1. die Aufklärung auf andere Weise nicht möglich erscheint, insbesondere durch eine Übermittlung der Daten durch die registerführende Stelle der Zweck der Maßnahme gefährdet würde, 2. die betroffenen Personen durch eine anderweitige Aufklärung unverhältnismäßig beeinträchtigt werden würden und 3. eine besondere gesetzliche Geheimhaltungsvorschrift oder ein Berufsgeheimnis der Einsichtnahme nicht entgegensteht. (3) Die auf diese Weise gewonnenen Erkenntnisse dürfen nur zu den in Absatz 1 genannten Zwecken verwendet werden. Daten, die für diese Zwecke nicht erforderlich sind, sind unverzüglich zu löschen. Sind diese Daten mit anderen, für die in Absatz 1 genannten Zwecke erforderlichen Daten derart verbunden, dass sie nicht oder nur mit unverhältnismäßig großem Aufwand getrennt werden können, so sind diese Daten zu sperren; sie dürfen nicht mehr genutzt werden. (4) Über die Einsichtnahme ist ein gesonderter Nachweis zu führen, aus dem ihr Zweck, die in Anspruch genommene Stelle sowie die Namen der betroffenen Person, deren Daten für eine weitere Verwendung erforderlich sind, hervorgehen. Diese Aufzeichnungen sind gesondert aufzubewahren, durch technische und organisatorische Maßnahmen zu sichern und am Ende des Kalenderjahres, das dem Jahr der Erstellung folgt, zu vernichten. Dieser Nachweis ist der Parlamentarischen Kontrollkommission auf Wunsch vorzulegen. Abschnitt 2 Datenverarbeitung SS 13 Begriff der Datei und der Akte (1) Eine Datei im Sinne dieses Gesetzes ist 1. eine Sammlung personenbezogener Daten, die durch automatisierte Verfahren verarbeitet und ausgewertet werden kann (automatisierte Datei) oder 2. jede sonstige Sammlung gleichartig aufgebauter personenbezogener Daten, die nach be112 stimmten Merkmalen geordnet und ausgewertet werden kann (nicht-automatisierte Datei). (2) Eine Akte ist jede sonstige Sammlung von amtlichen oder dienstlichen Zwecken dienenden Unterlagen, die in einem inhaltlichen Bezug zueinander stehen und auch personenbezogene Daten enthalten können. Dazu zählen auch Bildund Tonmedien. Akten oder Auszüge aus Akten dürfen auch in elektronischer Form geführt werden. Eine Abfrage personenbezogener Daten mittels automatisierter Verarbeitung ist nur zulässig, wenn für sie die Voraussetzungen der Speicherung nach SS 15 Absatz 1 oder SS 16 Absatz 1 vorliegen. Der automatisierte Abgleich dieser personenbezogenen Daten ist nur beschränkt auf Akten eng umgrenzter Anwendungsgebiete zulässig. Bei jeder Abfrage sind für Zwecke der Datenschutzkontrolle der Zeitpunkt, die Angaben, die die Feststellung der abgefragten Daten ermöglichen, sowie Angaben zur Feststellung des Abfragenden zu protokollieren. Die protokollierten Daten dürfen nur für Zwecke der Datenschutzkontrolle, der Datensicherung oder zur Sicherstellung eines ordnungsgemäßen Betriebs der Datenverarbeitungsanlage verwendet werden. Die Protokolldaten sind am Ende des Kalenderjahres, das dem Jahr der Protokollierung folgt, zu löschen. SS 14 Dateianordnung (1) Für jede automatisierte Datei der Verfassungsschutzbehörde sind in einer Dateianordnung durch die Verfassungsschutzbehörde festzulegen: 1. Bezeichnung der Datei, 2. Zweck der Datei, 3. Inhalt, Umfang, Voraussetzungen der Speicherung, Übermittlung und Nutzung, 4. Berechtigung zur Eingabe von Daten, 5. Zugangsberechtigung, 6. Überprüfungsfristen und Speicherungsdauer, 7. Protokollierung. (2) Der Landesbeauftragte für den Datenschutz ist vor Erlass der Dateianordnung anzuhören. SS 15 Voraussetzung der Speicherung (1) Die Verfassungsschutzbehörde darf zur Erfüllung ihrer Aufgaben personenbezogene Informationen in Dateien nur speichern, wenn die Voraussetzungen ihrer Erhebung gemäß SS 9 Absatz 1 oder 2 vorliegen. (2) Unterlagen, die nach Absatz 1 gespeicherte Angaben belegen, dürfen auch gespeichert werden, wenn in ihnen weitere personenbezogene Daten Dritter enthalten sind. Eine Abfrage von Daten Dritter ist unzulässig. (3) Bundesgesetzliche Vorschriften über die Datenverarbeitung in gemeinsamen Dateien der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder bleiben unberührt. SS 16 Erfassung personenbezogener Daten von Minderjährigen (1) Personenbezogene Daten von Minderjährigen dürfen in Dateien und Akten nur erfasst werden, wenn 1. diese zu dem Zeitpunkt, auf den sich die Daten beziehen, das 16. Lebensjahr vollendet haben 113 und 2. der Verdacht einer geheimdienstlichen Tätigkeit ( SS 5 Absatz 1 Nummer 2 ) oder einer Bestrebung im Sinne des SS 5 Absatz 1 Nummer 1 oder 3 besteht, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen verfolgt wird. (2) Personenbezogene Daten über Minderjährige nach Vollendung des 16. und vor Vollendung des 18. Lebensjahres sind nach zwei Jahren auf die Erforderlichkeit der Erfassung zu überprüfen und spätestens nach fünf Jahren zu löschen, es sei denn, dass nach Eintritt der Volljährigkeit weitere Erkenntnisse nach SS 5 Absatz 1 angefallen sind. SS 17 Speichern, Berichtigen, Löschen und Sperren personenbezogener Daten (1) Umfang und Dauer der Speicherung personenbezogener Daten sind auf das für die Aufgabenerfüllung der Verfassungsschutzbehörde erforderliche Maß zu beschränken. (2) Wird die Richtigkeit von personenbezogenen Daten von betroffenen Personen bestritten, so ist dies in der Akte und Datei zu vermerken oder auf sonstige Weise festzuhalten. Personenbezogene Daten sind zu berichtigen, wenn sie unrichtig sind. Dabei muss nachvollziehbar bleiben, in welchem Zeitraum und aus welchem Grund sie unrichtig waren. Die Daten sind zu ergänzen, wenn sie unvollständig sind und dadurch schutzwürdige Interessen der betroffenen Person beeinträchtigt sein können. (3) Personenbezogene Daten in Dateien sind zu löschen, wenn ihre Erhebung oder Speicherung unzulässig war oder ihre Kenntnis für die Aufgabenerfüllung nicht mehr erforderlich ist. Bei jeder Einzelfallbearbeitung und nach festgesetzten Fristen, spätestens aber nach fünf Jahren, sind die in Dateien gespeicherten personenbezogenen Daten auf ihre Erforderlichkeit zu überprüfen. Soweit die Daten Bestrebungen nach SS 5 Absatz 1 Nummer 1 betreffen, sind sie spätestens zehn Jahre, soweit sie Bestrebungen nach SS 5 Absatz 1 Nummer 3 oder 4 betreffen, spätestens fünfzehn Jahre nach dem Zeitpunkt der letzten gespeicherten relevanten Information zu löschen, es sei denn, der Leiter der Verfassungsschutzabteilung oder sein Vertreter trifft im Einzelfall ausnahmsweise eine andere Entscheidung. (4) Personenbezogene Daten sind in Dateien zu sperren, soweit durch ihre Löschung schutzwürdige Belange der betroffenen Person oder von Dritten beeinträchtigt würden. Ein schutzwürdiges Interesse liegt auch vor, wenn die betroffene Person einen Antrag nach SS 26 Absatz 1 Satz 1 gestellt hat. Anstelle der Löschung tritt auch dann eine Sperrung, wenn die nach Absatz 3 zu löschenden Daten mit anderen Daten derart verbunden sind, dass sie nicht oder nur mit einem unverhältnismäßig großen Aufwand getrennt werden können. Die gesperrten Daten dürfen ohne Einwilligung der betroffenen Person nicht mehr genutzt werden. (5) Eine Akte ist zu vernichten, wenn sie insgesamt zur Aufgabenerfüllung der Verfassungsschutzbehörde nicht oder nicht mehr erforderlich ist. Die Erforderlichkeit ist bei der Einzelfallbearbeitung und nach festgesetzten Fristen, spätestens nach fünf Jahren, zu prüfen. Eine Vernichtung unterbleibt, wenn Grund zu der Annahme besteht, dass durch sie schutzwürdige Interessen des Betroffenen beeinträchtigt würden. Dies ist auch dann gegeben, wenn eine betroffene Person einen Antrag nach SS 26 Absatz 1 Satz 1 gestellt hat. In diesen Fällen ist die Akte zu sperren und mit einem entsprechenden Vermerk zu versehen. Sie darf nur für den Zweck verwendet werden, für den sie gesperrt worden ist oder wenn es zur Abwehr einer erheblichen Gefahr unerlässlich ist. Eine Vernichtung der Akte erfolgt nicht, wenn sie nach den Vorschriften des Landesarchivgesetzes dem Landesarchiv zur Übernahme anzubieten und zu übergeben ist. (6) Personenbezogene Daten, die ausschließlich zu Zwecken der Datenschutzkontrolle, der Datensicherung oder zur Sicherstellung eines ordnungsgemäßen Betriebes einer Datenverarbeitungsanlage gespeichert werden, dürfen nur für diesen Zweck verwendet werden. 114 Abschnitt 3 Informationsübermittlung und Auskunftserteilung SS 18 Informationsübermittlung zwischen den Verfassungsschutzbehörden Die Verfassungsschutzbehörde unterrichtet das Bundesamt für Verfassungsschutz und die Verfassungsschutzbehörden der Länder über alle Angelegenheiten, deren Kenntnis zur Erfüllung der Aufgaben der empfangenden Stellen erforderlich ist. SS 19 Informationsübermittlung an Bundesnachrichtendienst und Militärischen Abschirmdienst Die Verfassungsschutzbehörde übermittelt dem Bundesnachrichtendienst und dem Militärischen Abschirmdienst die ihr bekannt gewordenen Informationen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Übermittlung für die Erfüllung der Aufgaben der empfangenden Stelle erforderlich ist. Handelt die Verfassungsschutzbehörde auf Ersuchen, so ist sie zur Übermittlung nur verpflichtet und berechtigt, wenn sich die tatsächlichen Anhaltspunkte aus den Angaben der ersuchenden Behörde ergeben. SS 20 Informationsübermittlung durch die Verfassungsschutzbehörde an Polizei, Staatsanwaltschaft und andere Stellen (1) Die im Rahmen der gesetzlichen Aufgaben gewonnenen Erkenntnisse der Verfassungsschutzbehörde, die nicht personenbezogen sind, können an andere Behörden und Stellen, insbesondere an die Polizei und Staatsanwaltschaften, übermittelt werden, wenn sie für die Aufgabenerfüllung der empfangenden Stellen erforderlich sein können. (2) Personenbezogene Daten übermittelt die Verfassungsschutzbehörde von sich aus an die Staatsanwaltschaften und, vorbehaltlich der staatsanwaltschaftlichen Sachleitungsbefugnis, die Polizei, sofern aufgrund der bei der Verfassungsschutzbehörde vorliegenden Informationen tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Übermittlung zur Verhinderung oder Verfolgung von Staatsschutzdelikten erforderlich ist. Delikte nach Satz 1 sind die in SS 74a Abs. 1 und SS 120 Abs. 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 9. Mai 1975 (BGBl. I S. 1077), zuletzt geändert durch Artikel 2 des Gesetzes vom 19. Dezember 2000 (BGBl. I S. 1756), genannten Straftaten sowie sonstige Straftaten, bei denen aufgrund ihrer Zielsetzung, des Motivs des Täters oder dessen Verbindung zu einer Organisation tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie gegen die in Artikel 73 Nr. 10 Buchstabe b oder c des Grundgesetzes genannten Schutzgüter gerichtet sind. (3) Personenbezogene Daten darf die Verfassungsschutzbehörde vorbehaltlich des Absatzes 4 übermitteln 1. an die Staatsanwaltschaften und, vorbehaltlich der staatsanwaltschaftlichen Sachleitungsbefugnis, die Polizei, sofern aufgrund der bei der Verfassungsschutzbehörde vorliegenden Informationen tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass jemand eine Straftat plant oder begangen hat, die im Mindestmaß mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bedroht ist, oder wenn es zum Schutz vor Bestrebungen und Tätigkeiten nach SS 5 Abs. 1 erforderlich ist, 2. an andere staatliche Behörden und an die der Aufsicht des Landes unterstellten Gebietskörperschaften, wenn dies zum Schutz vor Bestrebungen und Tätigkeiten nach SS 5 Abs. 1 erforderlich ist, 3. an Stellen, die mit dem Überprüfungsverfahren nach SS 5 Absatz 3 Nummer 1 befasst sind, 4. an andere Stellen, wenn es zum Schutz vor Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes unverzichtbar ist. In den Fällen der Nummer 4 entscheidet der Leiter der Verfassungsschutzabteilung oder sein Vertre115 ter. (4) Personenbezogene Daten, die mit den nachrichtendienstlichen Mitteln nach SS 10 Absatz 1 erhoben wurden, darf die Verfassungsschutzbehörde an die Staatsanwaltschaften, die Finanzbehörden nach SS 386 Absatz 1 der Abgabenordnung , die Polizei, die mit der Steuerfahndung betrauten Dienststellen der Landesfinanzbehörden, die Behörden des Zollfahndungsdienstes sowie anderer Zolldienststellen, soweit diese Aufgaben nach dem Bundespolizeigesetz wahrnehmen, nur übermitteln, soweit dies erforderlich ist zur 1. Erfüllung eigener Aufgaben der Informationsgewinnung, 2. Abwehr einer im Einzelfall bestehenden Gefahr für den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder für Leib, Leben, Gesundheit oder Freiheit einer Person oder für Sachen von erheblichem Wert, deren Erhaltung im öffentlichen Interesse geboten ist, 3. Verhinderung oder sonstigen Verhütung von Straftaten von erheblicher Bedeutung oder 4. Verfolgung von Straftaten von erheblicher Bedeutung. (5) Soweit es zur Verhinderung oder Verfolgung von Straftaten gemäß Absatz 2 erforderlich ist, können die Staatsanwaltschaften und, vorbehaltlich der staatsanwaltschaftlichen Sachleitungsbefugnis, die Polizei die Übermittlung personenbezogener Daten im Einzelfall verlangen. Das Ersuchen bedarf der Schriftform, ist zu begründen und zu dokumentieren. Eine Übermittlung unterbleibt, sofern übergeordnete Bedenken aus den Aufgaben des Verfassungsschutzes der Übermittlung entgegenstehen. Die Entscheidung trifft der Leiter der Verfassungsschutzabteilung oder sein Vertreter. Die Ablehnung ist zu dokumentieren und zu begründen. Nach Wegfall der Ablehnungsgründe ist die Auskunft auf Verlangen nachzuholen. (6) Die nach Absatz 2 bis 4 oder 5 übermittelten personenbezogenen Daten darf die empfangende Stelle nur zu dem Zweck verwenden, zu dessen Erfüllung sie ihr übermittelt wurden. Auf diese Einschränkung ist die empfangende Stelle hinzuweisen. SS 20a Projektbezogene gemeinsame Dateien (1) Die Verfassungsschutzbehörde kann für die Dauer einer befristeten projektbezogenen Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz, den übrigen Landesbehörden für Verfassungsschutz, dem Militärischen Abschirmdienst, dem Bundesnachrichtendienst, dem Zollkriminalamt sowie den Polizeibehörden des Bundes und der Länder eine gemeinsame Datei errichten. Die projektbezogene Zusammenarbeit soll nach Maßgabe der Aufgaben und Befugnisse der in Satz 1 genannten Behörden den Austausch und die gemeinsame Auswertung von Erkenntnissen zu Bestrebungen, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen gegen die in SS 5 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 bis 4 genannten Schutzgüter gerichtet sind, bewirken. Personenbezogene Daten zu Bestrebungen nach Satz 2 dürfen unter Einsatz der gemeinsamen Datei durch die an der projektbezogenen Zusammenarbeit beteiligten Behörden im Rahmen ihrer Befugnisse verwendet werden, soweit dies in diesem Zusammenhang zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlich ist. Bei der weiteren Verwendung der personenbezogenen Daten finden für die beteiligten Behörden die jeweils für sie geltenden Vorschriften über die Verwendung von Daten Anwendung. (2) SS 22a Absatz 2 bis 6 des Bundesverfassungsschutzgesetzes findet entsprechende Anwendung. SS 21 Informationsübermittlung an ausländische Stellen Die Verfassungsschutzbehörde darf personenbezogene Daten im Einvernehmen mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz an ausländische öffentliche Stellen sowie an überund zwischenstaatliche Stellen übermitteln, soweit die Übermittlung in einem Gesetz, einem Rechtsakt der Europäischen Gemeinschaften oder in einer internationalen Vereinbarung geregelt ist. 116 Eine Übermittlung darf auch erfolgen, wenn sie 1. zum Schutz von Leib oder Leben erforderlich ist oder 2. zur Erfüllung eigener Aufgaben, insbesondere in Fällen grenzüberschreitender Tätigkeiten der Verfassungsschutzbehörde, unumgänglich ist und im Empfängerland gleichwertige Datenschutzregelungen gelten. Die Übermittlung unterbleibt, wenn ihr auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland oder überwiegende schutzwürdige Interessen der betroffenen Person, insbesondere deren Schutz vor einer rechtsstaatswidrigen Verfolgung, entgegenstehen. SS 20 Abs. 5 gilt entsprechend; die empfangende Stelle ist darüber hinaus darauf hinzuweisen, dass sich die Verfassungsschutzbehörde vorbehält, Auskunft über die Verarbeitung der übermittelten Daten zu verlangen. SS 22 Informationsübermittlung an die Öffentlichkeit Bei der Unterrichtung der Öffentlichkeit, einschließlich der Medien, über Erkenntnisse der Verfassungsschutzbehörde ist die Übermittlung von personenbezogenen Daten nur zulässig, wenn es zu einer sachgemäßen Information erforderlich ist und schutzwürdige Interessen der betroffenen Person nicht entgegenstehen. Werden von der Verfassungsschutzbehörde personenbezogene Daten an die Öffentlichkeit gegeben, so ist im Einzelfall zu prüfen, ob vorab eine Benachrichtigung der betroffenen Person oder des Dritten geboten ist. SS 23 Dokumentation und Grundlage der Informationsübermittlung durch die Verfassungsschutzbehörde Die Übermittlung von personenbezogenen Daten ist zu dokumentieren. Vor der Datenübermittlung soll der Akteninhalt gewürdigt und der Datenübermittlung zugrunde gelegt werden. Erkennbar unvollständige Daten sind vor der Übermittlung im Rahmen der Verhältnismäßigkeit durch Einholung zusätzlicher Auskünfte zu vervollständigen, anderenfalls ist auf die Unvollständigkeit hinzuweisen. SS 24 * Informationsübermittlung durch öffentliche Stellen an die Verfassungsschutzbehörde (1) Die Verfassungsschutzbehörde kann von den Behörden des Landes und den der Aufsicht des Landes unterstehenden juristischen Personen des öffentlichen Rechts nur die Übermittlung von Daten verlangen, die diesen Stellen im Rahmen ihrer Aufgaben vorliegen und die zur Erfüllung der Aufgaben des Verfassungsschutzes erforderlich sind. Voraussetzung hierfür ist, dass die betreffenden Daten nicht aus allgemein zugänglichen Quellen oder nur mit übermäßigem Aufwand oder nur durch eine die betroffene Person stärker belastende Maßnahme erhoben werden können. (2) Die Verfassungsschutzbehörde braucht Ersuchen nicht zu begründen, soweit dies dem Schutz der betroffenen Person dient oder eine Begründung den Zweck der Maßnahme gefährden würde. (3) Die in Absatz 1 genannten Stellen übermitteln von sich aus der Verfassungsschutzbehörde alle ihnen im Rahmen ihrer Aufgaben vorliegenden Daten über Bestrebungen, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen verfolgt werden, und über geheimdienstliche Tätigkeiten. Die Staatsanwaltschaften und, vorbehaltlich der staatsanwaltschaftlichen Sachleitungsbefugnis, die Polizei übermitteln darüber hinaus auch andere ihnen im Rahmen ihrer Aufgabenerfüllung bekannt gewordene Daten über Bestrebungen im Sinne des SS 5 Abs. 1 . Die Übermittlung personenbezogener Daten, die aufgrund einer Maßnahme nach SS 100a der Strafprozessordnung bekannt geworden sind, ist nur zulässig, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass jemand eine der im aufgrund von Artikel 10 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes erlassenen Bundesgesetz als Voraussetzung für eine Beschränkungsmaßnahme genannten Straftaten plant, begeht oder begangen hat. Die Übermittlung personenbezogener Daten, die aufgrund anderer strafprozessualer Zwangsmaßnahmen bekannt geworden sind, ist nur zulässig, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für geheimdienstliche oder sicherheitsgefährdende Tätigkeiten oder gewalttätige Bestrebungen bestehen. Auf die nach Satz 3 übermittelten Daten und die dazugehörenden Unterlagen finden die im aufgrund von Artikel 10 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes erlassenen Bundesgesetz enthaltenen Bestimmungen über die Nutzung, 117 Übermittlung und Vernichtung von Daten entsprechende Anwendung. Die nach Satz 4 übermittelten Daten dürfen nur zur Erforschung geheimdienstlicher oder sicherheitsgefährdender Tätigkeiten oder gewalttätiger Bestrebungen genutzt werden. (4) Vorschriften zur Datenübermittlung an die Verfassungsschutzbehörde nach anderen Gesetzen bleiben unberührt. (5) Die Verfassungsschutzbehörde hat die übermittelten Daten nach ihrem Eingang unverzüglich darauf zu überprüfen, ob sie für die Erfüllung ihrer in SS 5 genannten Aufgaben erforderlich sind. Ergibt die Prüfung, dass sie nicht erforderlich sind, sind die Unterlagen unverzüglich zu vernichten. Die Vernichtung unterbleibt, wenn die Unterlagen von anderen Daten, die zur Erfüllung der Aufgaben erforderlich sind, nicht oder nur mit unvertretbarem Aufwand getrennt werden können; in diesem Fall sind die Daten gesperrt und entsprechend zu kennzeichnen. (6) Soweit andere gesetzliche Vorschriften nicht besondere Regelungen über die Dokumentation treffen, haben die Verfassungsschutzbehörde und die übermittelnde Stelle die Datenübermittlung zu dokumentieren. Fußnoten*) SS 24 Überschrift neu gefasst durch Artikel 3 des Gesetzes vom 16. April 2004. SS 24a Informationsübermittlung durch nicht-öffentliche Stellen an die Verfassungsschutzbehörde (1) Die Verfassungsschutzbehörde darf im Einzelfall bei denjenigen, die geschäftsmäßig Postdienstleistungen oder Telemediendienste erbringen oder daran mitwirken, Auskunft über Daten einholen, die für die Begründung, inhaltliche Ausgestaltung, Änderung oder Beendigung eines Vertragsverhältnisses über Postdienstleistungen oder Telemediendienste (Bestandsdaten) gespeichert worden sind, soweit dies zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlich ist. (2) Die Verfassungsschutzbehörde darf im Einzelfall Auskunft einholen bei 1. Luftfahrtunternehmen zu Namen und Anschriften des Kunden sowie zur Inanspruchnahme und den Umständen von Transportleistungen, insbesondere zum Zeitpunkt von Abfertigung und Abflug und zum Buchungsweg, 2. Kreditinstituten, Finanzdienstleistungsinstituten und Finanzunternehmen zu Konten, Konteninhabern und sonstigen Berechtigten sowie weiteren am Zahlungsverkehr Beteiligten und zu Geldbewegungen und Geldanlagen, insbesondere über Kontostand und Zahlungseinund - ausgänge, 3. denjenigen, die geschäftsmäßig Postdienstleistungen erbringen oder daran mitwirken, zu den Umständen des Postverkehrs, 4. denjenigen, die geschäftsmäßig Telekommunikationsdienste erbringen oder daran mitwirken, zu Verkehrsdaten nach SS 96 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 sowie SS 113a des Telekommunikationsgesetzes vom 22. Juni 2004 (BGBl. I S. 1190), das zuletzt durch Artikel 2 des Gesetzes vom 21. Dezember 2007 (BGBl. I S. 3198) geändert worden ist, und sonstigen zum Aufbau und zur Aufrechterhaltung der Telekommunikation notwendigen Verkehrsdaten und 5. denjenigen, die geschäftsmäßig Telemediendienste erbringen oder daran mitwirken, zu a) Merkmalen zur Identifikation des Nutzers eines Telemediums, b) Angaben über Beginn und Ende sowie über den Umfang der jeweiligen Nutzung und c) Angaben über die vom Nutzer in Anspruch genommenen Telemediendienste, soweit dies zur Aufklärung von Bestrebungen oder Tätigkeiten erforderlich ist und tatsächliche Anhaltspunkte für schwerwiegende Gefahren für die in SS 5 Abs. 1 genannten Schutzgüter vorliegen. Im Falle des SS 5 Abs. 1 Nr. 1 gilt dies nur für Bestrebungen, die bezwecken oder aufgrund ihrer Wirkungsweise geeignet sind, 118 1. zu Hass oder Willkürmaßnahmen gegen Teile der Bevölkerung aufzustacheln oder deren Menschenwürde durch Beschimpfen, böswilliges Verächtlichmachen oder Verleumden anzugreifen und dadurch die Bereitschaft zur Anwendung von Gewalt zu fördern und den öffentlichen Frieden zu stören oder 2. Gewalt anzuwenden oder vorzubereiten einschließlich dem Befürworten, Hervorrufen oder Unterstützen von Gewaltanwendung, auch durch Unterstützen von Vereinigungen, die Anschläge gegen Personen oder Sachen veranlassen, befürworten oder androhen. (3) Anordnungen nach Absatz 2 dürfen sich nur gegen Personen richten, bei denen 1. tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie die schwerwiegenden Gefahren nach Absatz 2 nachdrücklich fördern oder 2. aufgrund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist a) bei Auskünften nach Absatz 2 Satz 1 Nr. 1, 2 und 5, dass sie die Leistung für eine Person nach Nummer 1 in Anspruch nehmen oder b) bei Auskünften nach Absatz 2 Satz 1 Nr. 3 und 4, dass sie für eine Person nach Nummer 1 bestimmte oder von ihr herrührende Mitteilungen entgegennehmen oder weitergeben oder im Falle des Absatzes 2 Satz 1 Nr. 4, dass eine Person nach Nummer 1 ihren Anschluss benutzt. (4) Die Zuständigkeit für Anordnungen nach Absatz 2 Satz 1 Nr. 1 ist in einer Dienstvorschrift zu regeln, die der Zustimmung des Innenministers bedarf. Anordnungen nach Absatz 2 Satz 1 Nr. 2 bis 5 werden vom Leiter der Verfassungsschutzbehörde oder seinem Vertreter schriftlich beantragt und begründet. Im Falle der Auskunft nach Nummer 2 kann der Antrag auch von einem Bediensteten der Verfassungsschutzbehörde gestellt werden, der die Befähigung zum Richteramt hat. Zuständig für Anordnungen nach Absatz 2 Satz 1 Nr. 2 bis 5 ist der Innenminister. Die Anordnung einer Auskunft über künftig anfallende Daten ist auf höchstens drei Monate zu befristen. Die Verlängerung dieser Anordnung um jeweils nicht mehr als drei Monate ist auf Antrag zulässig, soweit die Voraussetzungen der Anordnung fortbestehen. Anordnungen nach Absatz 2 Satz 1 Nr. 1 und 2 hat die Verfassungsschutzbehörde dem Betroffenen mitzuteilen, sobald eine Gefährdung des Zweckes des Eingriffs ausgeschlossen werden kann. (5) Über Anordnungen nach Absatz 2 Satz 1 Nr. 3 bis 5 unterrichtet der Innenminister monatlich die Kommission nach SS 2 Abs. 1 des Gesetzes zur Ausführung des Artikel 10-Gesetzes vom 17. Juli 1992 (GVOBl. M-V S. 486), das zuletzt durch das Gesetz vom 30. Juli 2007 (GVOBl. M-V S. 278) geändert worden ist, vor deren Vollzug. Bei Gefahr im Verzug kann er den Vollzug der Entscheidung auch bereits vor der Unterrichtung der Kommission anordnen. Die Kommission prüft von Amts wegen oder aufgrund von Beschwerden die Zulässigkeit und Notwendigkeit der Einholung von Auskünften. SS 15 Abs. 5 des Artikel 10-Gesetzes vom 26. Juni 2001 (BGBl. I S. 1254, 2298), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 18. Februar 2007 (BGBl. I S 106) geändert worden ist, ist mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden, dass die Kontrollbefugnis der Kommission sich auf die gesamte Erhebung, Verarbeitung und Nutzung der nach Absatz 2 Satz 1 Nr. 3 bis 5 erlangten personenbezogenen Daten erstreckt. Entscheidungen über Auskünfte, die die Kommission für unzulässig oder nicht notwendig erklärt, hat der Innenminister unverzüglich aufzuheben. Die Daten unterliegen in diesem Falle einem absoluten Verwendungsverbot und sind unverzüglich zu löschen. Für die Verarbeitung der nach Absatz 2 Satz 1 Nr. 3 bis 5 erhobenen Daten ist SS 4 des Artikel 10-Gesetzes entsprechend anzuwenden. SS 12 Abs. 1 und 3 des Artikel 10-Gesetzes findet entsprechend Anwendung. (6) Der Innenminister unterrichtet im Abstand von höchstens sechs Monaten die Parlamentarische Kontrollkommission über Anordnungen nach Absatz 2; dabei ist insbesondere ein Überblick über Anlass, Umfang, Dauer, Ergebnis und Kosten der im Berichtszeitraum durchgeführten Maßnahmen zu geben. (7) Anordnungen sind dem Verpflichteten insoweit schriftlich mitzuteilen, als dies erforderlich ist, um ihm die Erfüllung seiner Verpflichtung zu ermöglichen. Anordnungen und übermittelte Daten dürfen dem Betroffenen oder Dritten vom Verpflichteten nicht mitgeteilt werden. 119 (8) Der Innenminister unterrichtet das Parlamentarische Kontrollgremium des Bundes jährlich über Anordnungen nach Absatz 2 nach Maßgabe des SS 8b Absatz 3 Satz 1 des Bundesverfassungsschutzgesetzes . (9) Das Grundrecht des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses ( Artikel 10 des Grundgesetzes ) wird nach Maßgabe des Absatzes 2 Satz 1 Nr. 3 bis 5 und der Absätze 3 bis 5 eingeschränkt. SS 24b Weitere Auskunftsverlangen (1) Soweit dies zur Erfüllung der Aufgaben der Verfassungsschutzbehörde erforderlich ist, darf von demjenigen, der geschäftsmäßig Telekommunikationsdienste erbringt oder daran mitwirkt, im Einzelfall Auskunft über die nach den SSSS 95 und 111 des Telekommunikationsgesetzes vom 22. Juni 2004 (BGBl. I S. 1190), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 20. Juni 2013 (BGBl. I S. 1602) geändert worden ist, erhobenen Daten verlangt werden ( SS 113 Absatz 1 Satz 1 des Telekommunikationsgesetzes ). Bezieht sich das Auskunftsverlangen nach Satz 1 auf Daten, mittels derer der Zugriff auf Endgeräte oder auf Speichereinrichtungen, die in diesen Endgeräten oder hiervon räumlich getrennt eingesetzt werden, geschützt wird ( SS 113 Absatz 1 Satz 2 des Telekommunikationsgesetzes ), darf die Auskunft nur verlangt werden, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen für die Nutzung der Daten vorliegen. (2) Die Auskunft nach Absatz 1 darf auch anhand einer zu einem bestimmten Zeitpunkt zugewiesenen Internetprotokoll-Adresse verlangt werden ( SS 113 Absatz 1 Satz 3 des Telekommunikationsgesetzes ). (3) Von einer Beauskunftung nach Absatz 2 ist die betroffene Person zu benachrichtigen. Die Benachrichtigung erfolgt, soweit und sobald eine Gefährdung des Zwecks der Auskunft und der Eintritt übergreifender Nachteile für das Wohl des Bundes oder eines Landes ausgeschlossen werden können. Sie unterbleibt, wenn ihr überwiegende schutzwürdige Belange Dritter oder der betroffenen Person selbst entgegenstehen. Wird die Benachrichtigung nach Satz 2 zurückgestellt oder nach Satz 3 von ihr abgesehen, sind die Gründe aktenkundig zu machen. (4) Aufgrund eines Auskunftsverlangens nach Absatz 1 oder Absatz 2 hat derjenige, der geschäftsmäßig Telekommunikationsdienste erbringt oder daran mitwirkt, die zur Auskunftserteilung erforderlichen Daten unverzüglich, vollständig und richtig zu übermitteln. (5) Die Verfassungsschutzbehörde hat für ihr erteilte Auskünfte eine Entschädigung zu gewähren, deren Umfang sich nach SS 23 und Anlage 3 des Justizvergütungsund -entschädigungsgesetzes vom 5. Mai 2004 (BGBl. I S. 718, 776), das zuletzt durch Artikel 13 des Gesetzes vom 5. Dezember 2012 (BGBl. I S. 2418) geändert worden ist, bemisst. Die Vorschriften über die Verjährung in SS 2 Absatz 1 und Absatz 4 des Justizvergütungsund -entschädigungsgesetzes finden entsprechend Anwendung. (6) Das Grundrecht des Fernmeldegeheimnisses ( Artikel 10 des Grundgesetzes ) wird nach Maßgabe des Absatzes 2 eingeschränkt. SS 25 Übermittlungsverbote, Nachberichtspflicht (1) Die Übermittlung von Daten unterbleibt, wenn 1. die Daten zu löschen oder für die empfangende Stelle nicht bedeutsam sind, 2. überwiegende Sicherheitsinteressen dies erfordern, 3. erkennbar ist, dass unter Berücksichtigung der Art der Daten und ihrer Erhebung die schutzwürdigen Interessen der betroffenen Person das Allgemeininteresse an der Übermittlung überwiegen, 4. es sich um personenbezogene Daten aus der engeren Persönlichkeitssphäre oder solche über Minderjährige unter 16 Jahren handelt, es sei denn, die empfangende Stelle der Daten benötigt 120 diese zum Schutz vor Gewalt oder vor Vorbereitungshandlungen zur Gewalt oder vor geheimdienstlichen Tätigkeiten, 5. die Daten gesperrt sind und ihre Trennung nicht oder nur mit unverhältnismäßig hohem Aufwand von anderen zu übermittelnden Daten möglich ist oder 6. besondere gesetzliche Übermittlungsregelungen entgegenstehen; die Verpflichtung zur Wahrung gesetzlicher Geheimhaltungspflichten oder von Berufsoder besonderen Amtsgeheimnissen, die nicht auf gesetzlichen Vorschriften beruhen, bleibt unberührt. (2) Erweisen sich Daten nach ihrer Übermittlung als unrichtig, unvollständig, unzulässig gespeichert oder erhoben, so hat die übermittelnde Stelle den Empfänger unverzüglich darauf hinzuweisen, es sei denn, dass dies für die Beurteilung eines Sachverhaltes ohne Bedeutung ist. Unrichtige oder unvollständige Daten sind durch die übermittelnde Stelle gegenüber dem Empfänger zu berichtigen oder zu ergänzen, wenn durch die unrichtige oder unvollständige Übermittlung schutzwürdige Interessen der betroffenen Person beeinträchtigt sein können. Die Benachrichtigung sowie Ergänzung sind aktenkundig zu machen und in der entsprechenden Datei zu vermerken. SS 26 Auskunft an betroffene Personen (1) Die Verfassungsschutzbehörde erteilt betroffenen Personen auf schriftlichen Antrag unentgeltlich Auskunft über zu ihrer Person gespeicherte Daten. Die Auskunftsverpflichtung erstreckt sich nicht auf die Herkunft der Daten und die Empfänger von Übermittlungen. Über Daten aus Akten, die nicht zu der betroffenen Person geführt werden, wird Auskunft nur erteilt, soweit Daten, namentlich aufgrund von Angaben der betroffenen Person, mit angemessenem Aufwand auffindbar sind. Die Verfassungsschutzbehörde bestimmt Verfahren und Form der Auskunftserteilung nach pflichtgemäßem Ermessen. (2) Die Auskunftserteilung kann nur abgelehnt werden, soweit 1. die Auskunft die öffentliche Sicherheit gefährden oder sonst dem Wohl des Bundes oder eines Landes Nachteile bereiten würde, 2. die Daten oder die Tatsache ihrer Speicherung nach einer Rechtsvorschrift oder wegen der berechtigten Interessen von Dritten geheimgehalten werden müssen oder 3. durch die Auskunftserteilung Informationsquellen gefährdet würden oder die Ausforschung des Erkenntnisstandes oder der Arbeitsweise der Verfassungsschutzbehörde zu befürchten ist. Die Entscheidung trifft der Leiter der Verfassungsschutzabteilung oder ein besonders von ihm beauftragter Mitarbeiter, der die Befähigung zum Richteramt besitzen soll. (3) Die Ablehnung der Auskunftserteilung bedarf keiner Begründung, soweit dadurch der Zweck der Auskunftsverweigerung gefährdet würde. Die Gründe der Auskunftsverweigerung sind zu dokumentieren. (4) Wird die Auskunftserteilung abgelehnt, ist dem Antragsteller die Rechtsgrundlage dieser Ablehnung mitzuteilen. Die antragstellende Person ist auf ihr Recht hinzuweisen, sich an den Landesbeauftragten für den Datenschutz wenden zu können. Dem Landesbeauftragen für den Datenschutz ist auf sein Verlangen Auskunft zu erteilen. Stellt der Innenminister oder im Verhinderungsfall der Staatssekretär im Einzelfall fest, dass durch die Erteilung der Auskunft die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gefährdet würde, so darf die Auskunft nur dem Landesbeauftragten persönlich erteilt werden. Mitteilungen des Landesbeauftragten an die antragstellende Person dürfen keine Rückschlüsse auf den Kenntnisstand der Verfassungsschutzbehörde zulassen, sofern diese nicht einer weitergehenden Auskunft zustimmt. 121 Abschnitt 4 Kontrolle der Verfassungsschutzbehörde SS 27 Parlamentarische Kontrollkommission (1) In Angelegenheiten des Verfassungsschutzes des Landes unterliegt die Landesregierung unbeschadet der Rechte des Landtages der Kontrolle durch die Parlamentarische Kontrollkommission. Die Kontrolle der Durchführung des aufgrund von Artikel 10 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes erlassenen Bundesgesetzes bleibt den aufgrund von Artikel 10 Abs. 2 des Grundgesetzes von dem Landtag bestellten Organen und Hilfsorganen vorbehalten. (2) Die Parlamentarische Kontrollkommission besteht aus fünf Mitgliedern, die zu Beginn jeder Wahlperiode vom Landtag aus seiner Mitte einzeln mit der Mehrheit seiner Mitglieder gewählt werden. Zwei Mitglieder sollen der parlamentarischen Opposition angehören. Die Mitglieder dürfen nicht der Landesregierung angehören. (3) Die Parlamentarische Kontrollkommission gibt sich eine Geschäftsordnung. Sie übt ihre Tätigkeit auch über das Ende der Wahlperiode des Landtages solange aus, bis der nachfolgende Landtag die Mitglieder neu gewählt hat. Der Parlamentarischen Kontrollkommission ist die für die Erfüllung ihrer Aufgaben notwendige Personalund Sachausstattung zur Verfügung zu stellen. (4) Scheidet ein Mitglied aus dem Landtag oder aus der Fraktion, die ihn zur Wahl vorgeschlagen hat, aus, so verliert es seine Mitgliedschaft in der Parlamentarischen Kontrollkommission. Für dieses Mitglied ist unverzüglich ein neues Mitglied zu wählen; das Gleiche gilt, wenn ein Mitglied aus anderen Gründen aus der Parlamentarischen Kontrollkommission ausscheidet. (5) Die Parlamentarische Kontrollkommission tritt mindestens einmal im Vierteljahr zusammen. (6) Jedes Mitglied kann die Einberufung und die Unterrichtung der Parlamentarischen Kontrollkommission verlangen. SS 28 Geheimhaltung (1) Die Parlamentarische Kontrollkommission tagt in nichtöffentlicher Sitzung, über die jeweils ein Protokoll anzufertigen ist. Die Mitglieder sind zur Geheimhaltung der Angelegenheiten verpflichtet, die ihnen bei ihrer Tätigkeit in der Parlamentarischen Kontrollkommission bekannt geworden sind. Dies gilt auch für die Zeit nach ihrem Ausscheiden aus der Parlamentarischen Kontrollkommission. (2) Auf Antrag eines Mitgliedes beschließt die Parlamentarische Kontrollkommission über die Herstellung der Öffentlichkeit oder die Aufhebung der Vertraulichkeit nach Absatz 1, soweit öffentliche Geheimschutzinteressen, insbesondere die Aufrechterhaltung des Nachrichtenzuganges, oder berechtigte Interessen eines Einzelnen dem nicht entgegenstehen. Der Beschluss bedarf der Mehrheit der gesetzlichen Mitglieder der Kommission. Der Innenminister, im Falle seiner Verhinderung der Staatssekretär, kann einem Beschluss nach Satz 1 widersprechen, wenn die Voraussetzungen der Aufhebung der Vertraulichkeit gemäß Satz 1 nicht vorliegen. Der Innenminister, im Falle seiner Verhinderung der Staatssekretär, hat die Gründe hierfür darzulegen. Die Aufhebung der Vertraulichkeit von Beratungsgegenständen, die in die Verantwortlichkeit des Bundes oder eines Landes fallen, ist nur mit deren Zustimmung möglich. (3) Sitzungsunterlagen und Protokolle verbleiben im Gewahrsam der Verfassungsschutzbehörde und können nur dort von den Mitgliedern der Kommission oder dem Innenminister, im Falle seiner Verhinderung dem Staatssekretär, eingesehen werden, es sei denn, der ordnungsgemäße Umgang mit diesen Unterlagen gemäß der Verschlusssachenanweisung für das Land Mecklenburg-Vorpommern ist nach Überzeugung der Parlamentarischen Kontrollkommission auf andere Weise gewährleistet. SS 29 Kontrollrechte der Parlamentarischen Kontrollkommission (1) Das Innenministerium hat die Parlamentarische Kontrollkommission umfassend über die allgemeine Tätigkeit der Verfassungsschutzbehörde, das Lagebild und über die Vorgänge von besonderer Be122 deutung, insbesondere Einzelfälle, in denen eine Datenübermittlung gemäß SS 20 Abs. 4 Satz 3 unterblieben ist, sowie auf Verlangen der Kommission über sonstige Einzelfälle zu unterrichten. Ferner unterrichtet es über den Erlass und die Einhaltung von Verwaltungsvorschriften sowie über den Verfassungsschutz betreffende Eingaben einzelner Bürger (Petenten), sofern der Petent der Unterrichtung nicht widersprochen hat. (2) Die Parlamentarische Kontrollkommission kann von dem Innenministerium alle für ihre Kontrollaufgaben erforderlichen Auskünfte, Unterlagen, Aktenund Dateneinsicht, Stellungnahmen und den Zutritt zur Verfassungsschutzbehörde verlangen sowie bei besonderem Aufklärungsbedarf Bedienstete und Auskunftspersonen zum Sachverhalt befragen, sofern dem nicht überwiegende öffentliche (zum Beispiel Aufrechterhaltung des Nachrichtenzugangs) oder private Belange entgegenstehen; das Innenministerium hat dies vor der Parlamentarischen Kontrollkommission zu begründen. Die Parlamentarische Kontrollkommission kann ferner den Landesbeauftragten für den Datenschutzbeauftragen, die Rechtmäßigkeit einzelner Maßnahmen, welche die Verfassungsschutzbehörde durchgeführt hat, zu überprüfen und der Kommission das Ergebnis der Überprüfung mitzuteilen. Die Befugnisse des Landesbeauftragten für den Datenschutz richten sich nach dem Landesdatenschutzgesetz von MecklenburgVorpommern. Wird der Landesbeauftragte für den Datenschutz nach SS 26 Abs. 4 tätig, so kann er von sich aus die Parlamentarische Kontrollkommission unterrichten, wenn sich Beanstandungen ergeben, eine Mitteilung an die betroffene Person aber aus Geheimhaltungsgründen unterbleiben muss. (3) Die Parlamentarische Kontrollkommission kann mit der Mehrheit ihrer gesetzlichen Mitglieder nach Anhörung des Innenministeriums im Einzelfall einen Sachverständigen beauftragen, zur Wahrnehmung ihrer Kontrollaufgaben Untersuchungen durchzuführen. Der Sachverständige hat der Parlamentarischen Kontrollkommission über das Ergebnis seiner Untersuchungen zu berichten; SS 28 Abs. 1 und 2 gelten entsprechend. (4) Die Angaben über Ausgaben aus dem der Abteilung zugewiesenen Titel werden der Parlamentarischen Kontrollkommission im Ansatz vor Beratung des Haushaltsplanes zur Stellungnahme überwiesen. Das Innenministerium unterrichtet die Parlamentarische Kontrollkommission über den Vollzug des Haushaltsplanes, soweit es die der Verfassungsschutzbehörde zugewiesenen Titel betrifft. Abschnitt 5 Schlussvorschriften SS 30 Geltung des Landesdatenschutzgesetzes Bei der Erfüllung der Aufgaben nach SS 5 durch die Verfassungsschutzbehörde finden SS 3 Abs. 2 und 3 , SSSS 9 , 10 Abs. 1 bis 4 , SSSS 11 , 13 Abs. 1 bis 4,6 und 7 , SSSS 14 , 15 , 16 , 18 , 24 und 25 des Landesdatenschutzgesetzes keine Anwendung. SS 31 (aufgehoben) 123 SS 32 In-Kraft-Treten, Außer-Kraft-Treten (1) Dieses Gesetz tritt mit Ausnahme des SS 30 am Tag nach seiner Verkündung in Kraft. Gleichzeitig tritt das Landesverfassungsschutzgesetz vom 18. März 1992 (GVOBl. M-V S. 194) außer Kraft. (2) SS 30 tritt an dem Tag in Kraft, an dem das Landesdatenschutzgesetz in Kraft tritt. Der Tag des InKraft-Tretens ist vom Innenministerium im Gesetzund Verordnungsblatt für MecklenburgVorpommern bekannt zu geben. Das vorstehende Gesetz wird hiermit verkündet. Schwerin, den 11. Juli 2001 Der Ministerpräsident Der Innenminister Dr. Harald Ringstorff Dr. Gottfried Timm 124 125