Verfassungsschutzbericht 2019 Entwurf, Stand: 30.10.2020 Verfassungsschutzbericht 2019 Verfassungsschutzbericht 2019 Impressum Herausgeber: Ministerium für Inneres und Europa Mecklenburg-Vorpommern Redaktion: Abteilung Verfassungsschutz Postfach 11 05 52 19005 Schwerin 1. Auflage: 150 Exemplare Druck: LAiV Mecklenburg-Vorpommern Titelbild: "Die wehrhafte Demokratie" Manfred Diekmann, 2009 Diese Druckschrift ist Teil der Öffentlichkeitsarbeit des Ministeriums für Inneres und Europa MecklenburgVorpommern. Sie wird kostenlos abgegeben und ist nicht zum Verkauf bestimmt. Sie darf weder von Parteien noch von Wahlwerbern oder Wahlhelfern während eines Wahlkampfes zum Zwecke der Wahlwerbung verwendet werden. Dies gilt für Kommunal, Land tags, Bundestags und Europawahlen. Missbräuchlich sind insbesondere die Verteilung auf Wahlveranstaltungen, an Infor mationsständen sowie das Einlegen, Aufdrucken oder Aufkleben parteipolitischer Informationen oder Werbemittel. Unter sagt ist gleichfalls die Weitergabe an Dritte zum Zwecke der Wahlwerbung. Auch ohne zeitlichen Bezug zu einer bevorste henden Wahl darf die Druckschrift nicht in einer Weise verwendet werden, die als Parteinahme des Ministeriums für Inneres und Europa MecklenburgVorpommern zu Gunsten einzelner politischer Gruppen verstanden werden könnte. Den Parteien ist es jedoch gestattet, die Druckschrift zur Unterrichtung ihrer eigenen Mitglieder zu verwenden. Vorwort Sehr geehrte Bürgerinnen und Bürger, auch im 70. Jahr des Bestehens des Grundgesetzes war unsere freiheitliche demokratische Grundordnung vielfachen Angriffen durch politische Extremisten ausgesetzt. Eine besondere Gefährdung ging dabei vom Rechtsextremismus aus. Dessen zentrale Triebkraft war und ist der Rassismus. Er stellt eine tödliche Gefahr dar. Dies zeigen in erschreckender Weise der Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Dr. Walter Lübcke im Juni und der Angriff auf die Synagoge in Halle im Oktober, der - wenn er gelungen wäre - den Tod zahlreicher Menschen jüdischen Glaubens zur Folge gehabt hätte. Der Täter tötete in der Folge willkürlich zwei Menschen. Er filmte sich selbst während des Anschlags und übertrug die Tat live im Internet, wie es zuvor Attentäter in Neuseeland und den USA getan hatten. Vor diesem Hintergrund und mit Blick auf die zahlreichen Bedrohungsdelikte gegen Menschen, die politische Verantwortung in Bund, Ländern und Gemeinden übernommen haben, sich gegen den Rechtsextremismus engagieren und/oder sich für Flüchtlinge einsetzen, zeigt sich, dass die terroristische Bedrohung durch Rechtsextremisten auf hohem Niveau anhält. Dies gilt auch für MecklenburgVorpommern. Weitere Herausforderungen im Bereich des Rechtsextremismus ergaben sich aus Teilstrukturen der "Alternative für Deutschland" (AfD). Der zwischenzeitlich aufgelöste "Flügel" sowie die Jugendorganisation "Junge Alternative" (JA) wurden Anfang 2019 zu rechtsextremistischen Verdachtsfällen erklärt. Sie sind nicht Bestandteile einer Splitterpartei, sondern einer Partei, die auch in Mecklenburg-Vorpommern weiterhin Zustimmung in der Wählerschaft genießt. Besonders bedrückend ist die Tatsache, dass sich auch Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes rechtsextremistisch betätigen. Dies ist keineswegs hinnehmbar und muss entsprechende strafrechtliche und disziplinarrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen. Extremisten gehören nicht in öffentliche Ämter! Bedrohungen gingen aber auch aus den anderen Extremismusfeldern hervor, wobei der islamistische Terrorismus weiterhin eine besondere Gefahr darstellt. Im bundesweiten Maßstab war auch eine Radikalisierung der linksextremistischen Szene zu beobachten. Die Szene der "Reichsbürger und Selbstverwalter" ist weiter gewachsen und bemüht sich um einen höheren Organisationsgrad. Eine zentrale Rolle bei Radikalisierungsprozessen, der Verbreitung von Hassbotschaften, aber auch der Organisierung von extremistischen Aktivitäten nimmt weiterhin das Internet ein. Dieser Entwicklung muss konsequent entgegengetreten werden. Die Innenministerkonferenz hat hinsichtlich der Verstärkung der Aufklärungsaktivitäten im Internet 2019 entsprechende Beschlüsse gefasst. Die Entwicklung des politischen Extremismus im 70. Jahr unserer Republik lenkt zwangsläufig den Blick auf die Entstehungszeit des Grundgesetzes. Mit der staatlichen Verpflichtung, die Würde aller Menschen zu garantieren, dem Demokratieprinzip und dem Rechtsstaatprinzip haben die Mütter und Väter des Grundgesetzes das Fundament für eine stabile Demokratie geschaffen. In fortwährender Erinnerung an die menschenverachtende Schreckensherrschaft der NS-Diktatur und später mit Blick auf die "Diktatur des Proletariats" in der DDR sind wir verpflichtet, die Feinde der Demokratie zu bekämpfen, um Freiheit und Sicherheit für alle hier lebenden Menschen zu erhalten. Diesem Zweck dient auch das Prinzip der "wehrhaften Demokratie". Es soll unsere verfassungsmäßige Ordnung vor Angriffen schützen. Das Grundgesetz sieht hier als ein wesentliches Schutzinstrument die Verfassungsschutzbehörden vor, die als "Frühwarnsystem" rechtzeitig auf extremistische Gefahren hinweisen sollen. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Verfassungsschutzes haben diese wichtige Aufgabe auch 2019 engagiert wahrgenommen. Dafür gebührt ihnen unser Dank. Lorenz Caffier Minister für Inneres und Europa Mecklenburg-Vorpommern Inhaltsverzeichnis 1 "Wehrhafte Demokratie" - Auftrag und Verpflichtung des Verfassungsschutzes 6 1.1 Grundsätzliches/Zweck des Verfassungsschutzes 6 1.2 Freiheitliche demokratische Grundordnung 7 1.3 Wesentliche gesetzliche Grundlagen im Überblick 8 1.4 Verfassungsschutzverbund von Bund und Ländern 8 1.5 Aufgaben des Verfassungsschutzes 8 1.6 Informationsbeschaffung 9 1.7 Kontrolle 9 1.8 Verhältnis von Verfassungsschutz und Polizei 10 2 Rechtsextremismus/-terrorismus 12 2.1 Lageüberblick 12 2.2 Personenpotenzial 14 2.3 Straftatenaufkommen 14 2.4 Trefforte der rechtsextremistischen Szene 15 2.5 Weitgehend unstrukturiertes rechtsextremistisches Personenpotenzial/rechtsextremistische Subkulturen 16 2.5.1 Rechtsextremistische Musikveranstaltungen 17 2.5.2 Szeneläden/Versandhandel 19 2.6 Parteiunabhängige bzw. parteiungebundene Strukturen/Neonazis 20 2.6.1 Einzelgruppierungen/regionale Entwicklungen 21 2.6.2 Bedeutsame parteiunabhängige neonazistische Strukturen auf überregionaler Ebene 25 2.7 Neonazistisch geprägte Veranstaltungen und Aktivitäten 26 2.8 Krisenvorsorge durch Rechtsextremisten 27 2.9 Kampfsport in der rechtsextremistischen Szene 28 2.10 Rechtsextremistische Parteien 31 2.10.1 "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD), Landesverband Mecklenburg-Vorpommern 31 2.10.1.1 Aktivitäten der NPD Mecklenburg-Vorpommern im Einzelnen 32 2.10.1.2 Kommunalund Europawahlen 2019 33 2.11 Weitere Aktivitäten im Umfeld der NPD 37 2.12 Verfahren zum Ausschluss der NPD von der Parteienfinanzierung 39 2.13 "Junge Nationalisten" (JN) 39 2.14 Sonstige rechtsextremistische Parteien 40 3 2.14.1 "DIE RECHTE" 40 2.14.2 "Der III. Weg" 41 3 "Identitäre Bewegung Mecklenburg-Vorpommern" (IB MV) 43 3.1 Grundsätzliches 43 3.2 Strukturen 43 3.3 Aktionen von IB-Anhängern aus Mecklenburg-Vorpommern 44 4 Verdachtsfallbearbeitung im Rechtsextremismus - "Der Flügel"/"Junge Alternative" (JA) 46 5 "Reichsbürger und Selbstverwalter" 47 5.1 Lageüberblick 47 5.2 Strukturen und Aktivitäten der "Reichsbürger und Selbstverwalter" in Mecklenburg-Vorpommern 47 6 Linksextremismus 50 6.1 Lageüberblick 50 6.2 Linksextremismus in Mecklenburg-Vorpommern im Jahre 2019 52 6.2.1 Personenpotenzial 52 6.2.2 Straftatenaufkommen 52 6.3 Versuch der Einflussnahme auf die Klimaproteste 53 6.4 Gewaltorientierte Linksextremisten 54 6.4.1 Aktionsfeld "Antifaschismus" 54 6.4.2 Aktionsfeld "Antirepression" 56 6.4.2.1 "Rote Hilfe e.V." (RH) 57 6.4.2.2 "Schwarz-Rote Hilfe" (SRH) Rostock 58 6.4.2.3 Proteste gegen die Novellierung des Sicherheitsund Ordnungsgesetzes M-V (SOG M-V) 58 6.4.3 Aktionsfeld "Kurdistansolidarität" 59 6.5 Dogmatischer Linksextremismus 60 7 Islamismus/Islamistischer Terrorismus 62 7.1 Entwicklung des Islamismus und islamistischen Terrorismus 2019 62 7.1.1 Anschläge in Europa 62 7.1.2 Anschläge weltweit 62 7.2 Salafismus - Hintergründe und aktuelle Entwicklung 63 7.3 Islamistischer Extremismus in Mecklenburg-Vorpommern 64 7.3.1 Personenpotenzial 64 7.3.2 Straftatenaufkommen 64 7.3.3 Lageentwicklung 65 7.3.4 Einbindung von Nordkaukasiern in die international agierende Islamistenszene 65 4 7.3.5 Aufenthaltsverfestigung ausländischer Islamisten 66 7.3.6 Staatliche Maßnahmen gegen islamistischen Extremismus 66 8 Sonstiger Ausländerextremismus 68 8.1 Personenpotenzial 68 8.2 Straftatenaufkommen 68 8.3 "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) 68 8.3.1 Allgemeines 68 8.3.2 Aktivitäten der PKK in Mecklenburg-Vorpommern 69 8.3.3 Kooperation mit deutschen Linksextremisten 70 9 Spionageabwehr 71 9.1 Entwicklungslinien und Bedrohungslage 71 9.2 Bedrohungen durch Cyberangriffe 73 9.3 Wirtschaftsschutz - eine gemeinsame Aufgabenstellung 75 9.4 Spionageabwehr Mecklenburg-Vorpommern - Ihr Ansprechpartner vor Ort 75 10 Öffentlichkeitsarbeit 78 10.1 Aktivitäten 78 10.2 Informationsmaterialien 81 10.3 Ausund Fortbildung/Praktika 82 Abkürzungsverzeichnis 84 Glossar 87 Registeranhang 96 Anlage 1 - Politisch motivierte Kriminalität (PMK) 100 Anlage 2 - Landesverfassungsschutzgesetz 102 5 1 "Wehrhafte Demokratie" - Auftrag und Verpflichtung des Verfassungsschutzes 1.1 Grundsätzliches/Zweck des Verfassungsschutzes Der Verfassungsschutz ist eine entscheidende Säule der "Wehrhaften Demokratie". Darunter wird ein Bündel von verfassungsrechtlichen Grundentscheidungen zusammengefasst, die den Kernbestand und die Grundprinzipien unserer Verfassungsordnung (siehe Abschnitt 1.2) - die freiheitliche demokratische Grundordnung - schützen sollen. Die "Wehrhafte Demokratie" ist durch folgende Wesensmerkmale gekennzeichnet: * Die Wertegebundenheit, d. h. unser Staat bekennt sich zu Werten, denen er eine besondere Bedeutung beimisst und die deshalb nicht zur Disposition stehen, * die Abwehrbereitschaft, d. h. der Staat ist gewillt, diese wichtigsten Werte gegenüber extremistischen Positionen zu verteidigen und * die Vorverlagerung der Beobachtung, d. h. der Staat reagiert nicht erst dann, wenn Extremisten gegen gesetzliche Normen verstoßen. Diese "Wehrhaftigkeit" ist eine Lehre aus der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft, die auf legalistischem Wege durch Abschaffung der demokratischen Weimarer Republik entstanden ist. Politik und Staat sind daher aufgefordert, entschieden und entschlossen den unterschiedlichen totalitären Gefahren entgegenzutreten - bevor es zu spät ist! Als "Frühwarnsystem" soll der Verfassungsschutz in diesem Sinne aufklären, informieren, sensibilisieren, warnen und - soweit gesetzlich erlaubt - entsprechende Gefahren erforschen. Dabei wird er unterhalb der Schwelle der konkreten Gefahr und des Anfangsverdachts einer Straftat tätig. Ihm kommt also die Funktion eines "Brandmelders" in Bezug auf politische Entwicklungen zu, die unsere freiheitliche demokratische Rechtsordnung und damit die Freiheit und Sicherheit der Menschen in diesem Land gefährden können. In diesem Sinne wird der Verfassungsschutz - anders als die Polizei - nur tätig, wenn ein politischer Bezug erkennbar ist. Seine Tätigkeit erstreckt sich daher auf entsprechende "Bestrebungen", die im Einzelnen als "Beobachtungsobjekte" festgelegt werden. Dies können rechtsextremistische Strukturen wie Parteien (z. B. die "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) oder Neonazi-Kameradschaften, linksextremistische Strukturen wie gewalttätige Autonome oder islamistische Strukturen sein, die Freiheit und Sicherheit bedrohen. Dieser Handlungsauftrag des Verfassungsschutzes ist verfassungsrechtlich normiert.1 Er wird auf der Grundlage des Landesverfassungsschutzgesetzes (LVerfSchG M-V)2, also mit dem Willen des Landesgesetzgebers als Vertretung des Volkes, wahrgenommen und kontrolliert. 1 Vgl. Artikel 73 Nummer 10 Buchstaben b) und c) Grundgesetz. 2 Siehe Anlage 2. 6 Der Zweck des Verfassungsschutzes ist dementsprechend gesetzlich geregelt und im SS 1 des LVerfSchG M-V festgeschrieben: "Der Verfassungsschutz dient dem Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, des Bestandes und der Sicherheit des Bundes und der Länder." Der Verfassungsschutz ist insoweit die maßgebliche Bewertungsinstanz für den politischen Extremismus in Deutschland. Er ist eine eigenständige Säule innerhalb der föderalen Sicherheitsarchitektur. Von der Tätigkeit des Verfassungsschutzes als Inlandsnachrichtendienst zu unterscheiden ist die Arbeit des Bundesnachrichtendienstes (BND). Dieser beschafft außenund sicherheitspolitisch relevante Informationen über das Ausland. Das Bundesamt für den Militärischen Abschirmdienst (BAMAD) nimmt Verfassungsschutzaufgaben im Bereich der Bundeswehr wahr. 1.2 Freiheitliche demokratische Grundordnung Der Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung (fdGO) ist Kernaufgabe der Verfassungsschutzbehörden in Bund und Ländern. Damit ist aber nicht die Verfassung bzw. das Grundgesetz (GG) in seiner Gesamtheit gemeint, sondern die unabänderlichen obersten Wertprinzipien als Kernbestand der Demokratie. Diese fundamentalen Wertprinzipien bestimmen die Gesetzgebung des Bundes und der Länder, so auch die Verfassungsschutzgesetze. Zu diesen Grundsätzen gehören folgende Verfassungsprinzipien: * das Recht des Volkes, die Staatsgewalt in Wahlen und Abstimmungen und durch Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung auszuüben und die Volksvertretung in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl zu wählen, * die Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung und die Bindung der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an Recht und Gesetz, * das Recht auf Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition, * die Ablösbarkeit der Regierung und ihre Verantwortlichkeit gegenüber der Volksvertretung, * die Unabhängigkeit der Gerichte, * der Ausschluss jeder Gewaltund Willkürherrschaft sowie * die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte. Nach den Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) 3 umfasst der Begriff der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Artikel 21 Absatz 2 Grundgesetz nur jene zentralen Grundprinzipien, "die für den freiheitlichen Verfassungsstaat schlechthin unentbehrlich sind". Dazu zählen die Menschenwürde, das Demokratieprinzip und das Rechtsstaatsprinzip. Das BVerfG hat darüber hinaus klargestellt, dass neben der Verletzung der Menschenwürde, der Grundsätze der Demokratie und Rechtsstaatlichkeit auch eine Verächtlichmachung des Parlamenta- 3 Vgl. Urteil im Verbotsverfahren gegen die "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (2 BvB 1/13) vom 17.01.2017. 7 rismus sowie das Missachten des staatlichen Gewaltmonopols eine Beeinträchtigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung darstellen. 1.3 Wesentliche gesetzliche Grundlagen im Überblick Für die Arbeit des Verfassungsschutzes sind, neben dem Grundgesetz und der Verfassung des Landes Mecklenburg-Vorpommern, insbesondere das: * Landesverfassungsschutzgesetz Mecklenburg-Vorpommern (LVerfSchG M-V), * das Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses (Artikel 10-Gesetz) und * das Sicherheitsüberprüfungsgesetz Mecklenburg-Vorpommern (SÜG M-V) für die Gewährleistung des materiellen und personellen Geheimschutzes maßgebend. 1.4 Verfassungsschutzverbund von Bund und Ländern Der Verfassungsschutz in der Bundesrepublik Deutschland (BRD) ist föderal organisiert. Dementsprechend existieren 17 Verfassungsschutzbehörden, ein Bundesamt (Bundesamt für Verfassungsschutz) und 16 Landesbehörden für Verfassungsschutz (LfV). Die Verfassungsschutzbehörden der Länder sind entweder eine Abteilung des jeweiligen Innenressorts (zwölf Bundesländer) oder eine eigenständige Landesoberbehörde (vier Bundesländer). Der Verfassungsschutz in Mecklenburg-Vorpommern ist seit 1991 eine Abteilung des Ministeriums für Inneres und Europa (Abteilung 5) und gliedert sich in fünf Referate. Für weitere Informationen zum Verfassungsschutz Mecklenburg-Vorpommern wird auf die Internetseite www.verfassungsschutz-mv.de hingewiesen. 1.5 Aufgaben des Verfassungsschutzes Das Bundesamt für Verfassungsschutz und die LfV haben ihrem gesetzlichen Auftrag folgend Informationen, insbesondere sachund personenbezogene Auskünfte, Nachrichten und Unterlagen zu sammeln und auszuwerten über: * Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes und eines Landes gerichtet sind o- der eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziel haben, * sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten im Geltungsbereich des Grundgesetzes für eine fremde Macht, * Bestrebungen, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden und * Bestrebungen, die gegen den Gedanken der Völkerverständigung (Artikel 9 Absatz 2 GG) oder gegen das friedliche Zusammenleben der Völker (Artikel 26 Absatz 1 GG) gerichtet sind. Diese Bestrebungen werden als sogenannte Beobachtungsobjekte bezeichnet, die auf der Grundlage der gesetzlichen Voraussetzungen bestimmt werden. 8 Ferner wirken das Bundesamt für Verfassungsschutz und die LfV mit: * bei der Sicherheitsüberprüfung von Personen, denen im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftige Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse anvertraut werden, die Zugang dazu erhalten sollen oder ihn sich verschaffen können, * bei der Sicherheitsüberprüfung von Personen, die an sicherheitsempfindlichen Stellen von lebensoder verteidigungswichtigen Einrichtungen beschäftigt sind oder werden sollen sowie bei der Überprüfung von Personen in sonstigen gesetzlich bestimmten Fällen, * bei technischen Sicherheitsmaßnahmen zum Schutz von im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftigen Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen gegen die Kenntnisnahme durch Unbefugte und * bei Parteiund Vereinsverbotsverfahren. 1.6 Informationsbeschaffung Den weitaus größten Teil ihrer Informationen (ca. 80 Prozent) gewinnen die Verfassungsschutzbehörden aus offenen, allgemein zugänglichen Quellen - also aus Druckerzeugnissen wie Zeitungen, Flugblättern, Programmen, Aufrufen und aus dem Internet. Die Beschäftigten der Verfassungsschutzbehörden besuchen öffentliche Veranstaltungen und befragen dort auch Personen, die sachdienliche Hinweise geben können. Bei diesen Gesprächen auf freiwilliger Basis treten die Beschäftigten des Verfassungsschutzes offen auf. Mit der Sammlung offenen Materials entsteht allerdings nicht immer ein vollständiges Bild. Gegenüber konspirativen Methoden versagen diese Mittel der Nachrichtengewinnung. Nicht alle Extremisten verfassen nach der Tat Bekennerschreiben oder nennen gar ihren wahren Namen. Spione veröffentlichen keine Programme und verteilen keine Flugblätter. Um auch getarnte oder geheim gehaltene Aktivitäten beobachten zu können, ist dem Verfassungsschutz im Rahmen gesetzlich festgelegter Befugnisse und unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit der Gebrauch nachrichtendienstlicher Mittel zur Informationsgewinnung gestattet. Zu diesen gesetzlich vorgesehenen Methoden der verdeckten Nachrichtenbeschaffung gehören insbesondere * die Observation, * der Einsatz von Vertrauenspersonen (VP) und Gewährspersonen, * Bildund Tonaufzeichnungen und * die Überwachung des Brief-, Postund Fernmeldeverkehrs nach Maßgabe des Artikel 10-Gesetzes. 1.7 Kontrolle Für die Arbeit des Verfassungsschutzes gelten strenge rechtsstaatliche Maßstäbe. Eingriffe in die Privatund Freiheitsrechte der Bürger sind den Verfassungsschutzbehörden nur auf gesetzlicher Grundlage gestattet. Damit die Bürgerinnen und Bürger darauf vertrauen können, dass die Verfassungsschutzbehörden sich an ihren gesetzlichen Auftrag und an die für die Tätigkeit geltenden Rechtsbestimmungen halten, unterliegen sie der Kontrolle auf mehreren Ebenen: 9 * der allgemeinen parlamentarischen Kontrolle durch die Abgeordneten des Landtages Mecklenburg-Vorpommern aufgrund von Berichtspflichten des Ministers für Inneres und Europa im Rahmen von Aktuellen Stunden, Kleinen und Großen Anfragen oder Petitionen, * einer besonderen parlamentarischen Kontrolle durch die Parlamentarische Kontrollkommission (PKK) des Landtages und ggf. durch einen Untersuchungsausschuss, * Postkontrollen und Telefonüberwachungen müssen durch die G 10Kommission des Landtages genehmigt werden, * des Landesbeauftragten für den Datenschutz und Informationsfreiheit Mecklenburg-Vorpommern (LfDI M-V) in Bezug auf die Einhaltung von Datenschutzvorschriften und sein Recht zur Akteneinsicht, * des Landesrechnungshofs Mecklenburg-Vorpommern (LRH M-V) in Bezug auf das Haushaltsrecht, * der justiziellen Überprüfung seines Handelns, soweit es dafür einen Anlass gibt sowie * der ständigen und intensiven Überwachung durch die Öffentlichkeit und Medien, die die Aufgaben und Arbeit des Verfassungsschutzes kritisch würdigen. Parlamentarische Kontrolle Kontrolle durch die PKK Justiz G 10-Kommission Verfassungsschutz M-V Innerbehördliche Kontrolle durch die Kontrolle Sonstige externe Öffentlichkeit Kontrolle Bürger LfDI M-V Medien LRH M-V 1.8 Verhältnis von Verfassungsschutz und Polizei Verfassungsschutz und Polizeibehörden sind organisatorisch voneinander getrennt 4. Somit steht die Ausübung polizeilicher oder strafprozessualer Eingriffsbefugnisse, zum Beispiel die Durchsuchung von Personen oder Sachen, die Beschlagnahme o- der Festnahme von Personen, dem Verfassungsschutz nicht zu. Halten Beschäftigte des Verfassungsschutzes ein polizeiliches Eingreifen für geboten, unterrichten sie die Polizei. Diese entscheidet, ob und ggf. wie sie in eigener Zuständigkeit tätig wird. Der Verfassungsschutz unterliegt - im Gegensatz zu Polizei und Staatsanwaltschaft - nicht dem Legalitätsprinzip, so dass er nicht in jedem Fall Strafverfolgungsmaßnahmen initiieren muss, wenn er Kenntnis von einer Straftat erlangt. Die Kompetenzverteilung lässt sich im Überblick wie folgt darstellen: 4 Vgl. SS 2 Absatz 2 LVerfSchG M-V. 10 Polizei Verfassungsschutz * Legalitätsprinzip bei Strafverfol- * Opportunitätsprinzip gungsmaßnahmen, Opportunitätsprinzip bei Gefahrenabwehr * allgemeine Gefahrenabwehr und * Aufklärung von politischem ExtreStrafverfolgung durch offene und mismus durch offene und verdeckte verdeckte Informationsgewinnung Informationsgewinnung * Eingriffsbefugnisse * keine polizeilichen Eingriffsbefugnisse * Einsatz von Zwangsmitteln * keine Zwangsmittel Dieses organisatorische Trennungsgebot bedeutet jedoch nicht, dass Polizei, Strafverfolgungsbehörden und Verfassungsschutz nicht zusammenwirken dürfen. Im Gegenteil: Im Sinne eines notwendigen ganzheitlichen Aufklärungsund Bekämpfungsansatzes extremistischer Bedrohungen ist eine informationelle Zusammenarbeit von Polizei und Verfassungsschutz im Rahmen der gesetzlichen Grundlagen unverzichtbar. Diese findet sowohl in der alltäglichen Arbeit zwischen den zuständigen Dienststellen als auch institutionalisiert mit allen Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern in zwei gemeinsamen Zentren statt: Für den Bereich des islamistischen Terrorismus seit 2004 im Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ) in Berlin und für die Bereiche Rechtsund Linksextremismus seit 2012 im Gemeinsamen Extremismusund Terrorismusabwehrzentrum (GETZ) in Köln. Verfassungsschutz und Polizei aller Länder sind in den Zentren durch Verbindungsbeamte vertreten. 11 2 Rechtsextremismus/-terrorismus 2.1 Lageüberblick Das Jahr 2019 hat erneut die tödliche Gefahr aufgezeigt, die von der Ideologie des Rassismus ausgeht. Der Kasseler Regierungspräsident Dr. Walter Lübcke wurde im Juni des Jahres ermordet, weil er sich - so der bisherige Informationsstand - für Flüchtlinge eingesetzt und mit deutlichen Worten die fremdenfeindliche Szene kritisiert hatte. Ein offensichtlich antisemitisch motivierter Anschlagsversuch erfolgte im Oktober in Halle (Saale). Der nach der Tat gestellte Angreifer hatte offenbar die Absicht, am höchsten jüdischen Feiertag (Yom Kippur) in die dortige Synagoge einzudringen, um Menschen jüdischen Glaubens zu ermorden. Nachdem ihm dies nicht gelang, tötete er wahllos zwei Menschen. Beide Terrorakte können auf zentrale Elemente der nationalsozialistischen Ideologie zurückgeführt werden, nämlich den "Rassenbiologismus" und den eliminatorischen Antisemitismus. Diese Ideenwelt ist trotz ihrer Irrationalität weiterhin äußerst wirkmächtig. Sie wird daher auch in Zukunft den geistigen "Nährboden" für Gewalttäter aus der rechtsextremistischen Szene bilden. Wie auch die rechtsextremistischen Terrorakte in anderen Ländern (z.B. USA, Neuseeland) zeigen, spielt bei der Radikalisierung der Täter das Internet eine zentrale Rolle, etwa bei der Verbreitung von Tatmustern und ideologischen Versatzstücken für die Tatmotivation. Für die Herausbildung von "Feindbildern" und einem damit verbundenen Tatentschluss bedarf es also keiner vorherigen Szeneanbindung. Der sich in einer selbst gewählten Isolation herausbildende heterogene Tätertyp ist für die Sicherheitsbehörden - wenn überhaupt - nur sehr schwer zu erkennen. Damit vergrößert sich das Gefahrenspektrum erheblich. Vor diesem Hintergrund und mit Blick auf die zahlreichen Bedrohungsdelikte gegen Menschen, die politische Verantwortung in Bund, Ländern und Gemeinden übernommen haben, sich gegen den Rechtsextremismus engagieren und/oder sich für Flüchtlinge einsetzen, zeigen, dass die terroristische Bedrohung durch Rechtsextremisten auf hohem Niveau anhält. Dies gilt auch für MecklenburgVorpommern. Der öffentlich als Fallkomplex "Nordkreuz" bekannte Sachverhalt umfasst eine rechtsextremistische Gruppierung, die sich gezielt auf den Zusammenbruch der politischen Ordnung vorbereitet hat. Hierzu gehörte auch die Beschaffung von Waffen und Munition. Besorgniserregend ist der Umstand, dass unter den Mitgliedern auch Polizeibeamte waren. In diesem Zusammenhang führt der Generalbundesanwalt (GBA) ein Verfahren wegen des Verdachts der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat. Da die Informationshoheit beim GBA liegt, sind an dieser Stelle keine weiteren Ausführungen möglich.5 Die in diesem Zusammenhang von Innenminister Caffier eingesetzte unabhängige Expertenkommission zur Untersuchung der Spezialeinheiten der Landespolizei hat 5 Siehe dazu Verfassungsschutzbericht Mecklenburg-Vorpommern 2017, S. 20. 12 festgestellt, dass ein Generalverdacht gegen die Polizei des Landes im Hinblick auf rechtsextremistische Umtriebe unbegründet ist. Gleichwohl zeigen die bekannt gewordenen Einzelfälle, dass dem Thema Extremisten im öffentlichen Dienst hohe Aufmerksamkeit zu schenken ist. Weitere Herausforderungen im Bereich des Rechtsextremismus haben sich 2019 auch durch die rechtsextremistischen Verdachtsfälle "Der Flügel" und "Junge Alternative" (JA) in der "Alternative für Deutschland" (AfD) ergeben. Sie sind nicht Bestandteile einer Splitterpartei, sondern einer Partei, die in allen Landtagen und im Bundestag vertreten ist. Im Bundestag, in Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen und auch in Mecklenburg-Vorpommern ist sie sogar stärkste Oppositionskraft mit den entsprechenden politischen Möglichkeiten. Auch hier zeigt sich, dass rechtsextremistisches, auf eine "völkisch-homogene" Gesellschaft zielendes Gedankengut offenbar zunehmend anschlussfähig wird. Dieser Entgrenzungsprozess stellt eine erhebliche Gefahr für die liberale Demokratie dar. Zugleich dienen diese ideologischen Modelle der sogenannten Neuen Rechten, zu denen auch die "Identitäre Bewegung" zählt, Rechtsterroristen als Rechtfertigung für ihre Taten. Das rechtsextremistische Personenpotenzial ist gegenüber dem Vorjahr gestiegen. Diese Entwicklung ist auf einen leichten Zuwachs im neonazistischen Spektrum und die neu hinzugekommenen rechtsextremistischen Verdachtsfälle "Der Flügel" und JA in der Partei AfD zurückzuführen. Es muss jedoch ausdrücklich darauf hingewiesen werden, dass insbesondere das Anhängerpotenzial des "Flügels" - wie im Bund auch - maßgeblich durch Schätzungen ermittelt wurde. Gegenüber dem Vorjahr ist auch die Zahl der rechtsextremistischen Straftaten gestiegen, wobei sich die Gewaltdelikte erneut über dem Durchschnitt der letzten zehn Jahre bewegt haben. Der Szene fehlte auch 2019 ein organisatorisches Zentrum, so dass größere Veranstaltungen im öffentlichen Raum nur am 1. und 8. Mai stattfanden. Sie wurden bezeichnenderweise durch die NPD verantwortet. Insgesamt ist jedoch eine Diversifizierung zu verzeichnen, deren Auswirkungen auf die Entwicklung des Rechtsextremismus im Lande noch nicht abzuschätzen ist. Beherrschendes Thema des rechtsextremistischen Spektrums war weiterhin die Migration. Sowohl im öffentlichen Raum als auch im Internet wird in äußerst aggressiver Weise gegen Zuwanderer agitiert. Der Anschlag in Halle, aber auch die Propaganda lassen zudem befürchten, dass sich der Fokus gewaltbereiter Rechtsextremisten wieder verstärkt auf jüdisches Leben richtet. Hier ist erhöhte Aufmerksamkeit geboten. Die ideologische Ausrichtung des weit überwiegenden Teils der hiesigen Szene am Nationalsozialismus spiegelte sich auch 2019 in den jährlichen Ritualen wider. 13 Festzustellen waren wiederum "Heldengedenk"-Aktionen, Sonnenwendfeiern, "Julfeste" oder sonstige Rituale mit Bezug zum Dritten Reich (z. B. "Marsch der Ehre" in Budapest, Geburtstag Adolf Hitlers), wobei der Todestag von Rudolf Heß eine geringere Resonanz als in den Vorjahren erfuhr. Auffällig war ein deutlicher Anstieg der Musikveranstaltungen. Darüber hinaus waren Kampfsport und "Krisenvorsorge" weiterhin Themen mit besonderer Bedeutung für die Szene. 2.2 Personenpotenzial Rechtsextremismuspotenzial6 M-V M-V Bund Bund - nach Organisationsgrad 2018 2019 2018 2019 in Parteien: 260 410 5.510 13.330 "Nationaldemokratische Partei 250 200 4000 3.600 Deutschlands" (NPD) "DIE RECHTE" <5 <5 600 550 "Der III. Weg" <5 <5 530 580 Verdachtsfälle "Der Flügel" und "Junge Alternative" in ca. 2008 8.600 Mecklenburg-Vorpommern7 in parteiunabhängigen bzw. par570 5909 6.600 6.600 teiungebundenen Strukturen weitgehend unstrukturiertes rechtsextremistisches Personen670 67010 13.240 13.500 potenzial Gesamt11 1.500 1.670 24.100 32.080 davon gewaltorientierte 700 700 12.700 13.000 Rechtsextremisten 2.3 Straftatenaufkommen Im Jahre 2019 registrierte das Landeskriminalamt Mecklenburg-Vorpommern im Bereich der politisch motivierten Kriminalität im Phänomenbereich "Rechts" 970 Strafta- 6 Alle Zahlen sind Rundungswerte. 7 Das den rechtsextremistischen Verdachtsfällen "Der Flügel" und "Junge Alternative" zuzuordnende Personenpotenzial beruht auf Schätzzahlen, die auch die Basis der Berichterstattung des Bundes bilden. 8 Diese Zahl setzt sich aus einer geschätzten Anhängerzahl der rechtsextremistischen Verdachtsfälle "Der Flügel" und den der "JA" zuzuordnenden ca. 30 Personen zusammen. Die Schätzzahl für den "Flügel" leitet sich aus einer Aussage des AfD-Bundessprechers ab, der von etwa 20 Prozent "Flügel-Anhängern" in der AfD ausgeht. Die Partei verfügte in Mecklenburg-Vorpommern 2019 nach Eigenangaben über 845 Mitglieder. Die AfD ist selbst kein Beobachtungsobjekt des Verfassungsschutzes. Die für dieses Spektrum genannten Zahlen folgen der Zählweise des Bundes. 9 Darunter 570 Neonazis und 20 Aktivisten der "Identitären Bewegung". 10 Darunter mehrheitlich Angehörige der subkulturellen rechtsextremistischen Szene. 11 Zahl nach Abzug von Mehrfachmitgliedschaften. 14 ten (2018: 907). Davon wurden insgesamt 930 (2018: 872) als rechtsextremistisch klassifiziert, u. a. weil sie antisemitisch oder fremdenfeindlich motiviert waren. Den Schwerpunkt der Straftaten bildeten mit 687 Vorfällen (2018: 665) erneut die Propagandadelikte. Weiterhin wurden 49 (2018: 43) Gewalttaten mit rechtsextremistischer Motivation registriert, darunter 24 (2018: 39) mit einer fremdenfeindlichen Ausrichtung. Im Zusammenhang mit Flüchtlingsunterkünften wurden im Berichtszeitraum sechs Straftaten erfasst (2018: 9). Die Anzahl antisemitisch motivierter Straftaten ist im Jahr 2019 mit 51 gegenüber dem Vorjahr (54) kaum gesunken. Darunter ist im Berichtsjahr kein Gewaltdelikt (2018:1). Auch 2019 kam es zu Übergriffen auf Partei/Wahlkreisbüros des politischen Gegners. 2.4 Trefforte der rechtsextremistischen Szene Als Veranstaltungsorte waren im Berichtszeitraum wieder die szeneeigenen Objekte von zentraler Bedeutung. Zu nennen sind hier weiterhin folgende Immobilien: * "Thinghaus", Grevesmühlen, Landkreis Nordwestmecklenburg * "Kulturraum", Lübtheen, Landkreis Ludwigslust-Parchim * "Ehemaliger Dorfkonsum", Klein Belitz, Landkreis Rostock * "Braunes Haus", Waren, Landkreis Mecklenburgische Seenplatte * "Haus Jugendstil", Anklam, Landkreis Vorpommern-Greifswald sowie * "Nationales Wohnprojekt", Salchow, Landkreis Vorpommern-Greifswald. Besondere Bedeutung erlangte hier wiederum das "Thinghaus". Dort fanden im April und Juli "Kampfsporttrainings" statt. Sie wurden jeweils vom "Baltik Korps", dem "sportlichen Arm" des Rostocker "Aktionsblog" (vorher "Nationale Sozialisten Rostock", NSR) ausgerichtet und der Landesverband der NPD führte dort am 31. August sein Sommerfest ("Sömmerfier") mit ca. 100 Teilnehmern, darunter der NPD-Bundesvorsitzende Frank Franz, durch. Dabei traten mehrere rechtsextremistische Musiker auf, darunter der Sänger der Band "Oidoxie" aus Nordrhein-Westfalen. Da er jugendgefährdendes Liedgut spielte, wurde der Auftritt durch die Polizei abgebrochen und ein Auftrittsverbot für die weitere Versammlung ausgesprochen. Die Aktivitäten im "Thinghaus" werden deutlich von der "Dorfgemeinschaft Jamel" geprägt. Diese neonazistische "Dorfgemeinschaft" verantwortet regelmäßig überregional bedeutsame Veranstaltungen für die Szene. Sie finden auf einem Privatgrundstück in Jamel statt. Etabliert haben sich inzwischen das "Maifest" am 30. April, an dem 2019 ca. 100 Personen teilnahmen, das "Kinderfest" mit anschließender Sonnenwendfeier im Juni mit ca. 150 Teilnehmern, parallel zum Festival "Jamel rockt den Förster" das "Grillen gegen Links" mit ca. 65 Teilnehmern und das "Lichterfest" Ende Oktober mit ca. 50 Teilnehmern. Die Feiern sind jeweils nicht auf eine Außenwirkung angelegt, sie dienen vielmehr dazu, den inneren Zusammenhalt der Szene zu festigen und bestehende Netzwerke zu pflegen. 15 2.5 Weitgehend unstrukturiertes rechtsextremistisches Personenpotenzial/rechtsextremistische Subkulturen Auch wenn im Berichtsjahr 2019 erneut eine Reihe von Tätern im Bereich der rechtsextremistisch motivierten Kriminalität registriert wurden, die keinen erkennbaren Bezug zu entsprechenden Strukturen aufwiesen, konnte kein weiteres Anwachsen dieses Spektrums festgestellt werden. Diese Szene umfasst Personen, die sich, wenn überhaupt, in lokalen, lediglich losen Kleingruppen zusammenfinden. Eigenständige Impulse in der "politischen Arbeit" gehen von ihnen, im Unterschied zu neonazistischen Personenzusammenschlüssen, in der Regel nicht aus. Ein Symptom für die Existenz einer solchen Szene ist das regelmäßige Auftreten rechtextremistisch motivierter Straftaten. Neben fremdenfeindlichen Straftaten sind insbesondere Propagandadelikte zu nennen, wie etwa das Schmieren von Hakenkreuzen oder SS-Runen. Schwerpunkte bildeten hier im Berichtszeitraum u. a. Wismar und Stralsund. Darüber hinaus sind Propagandadelikte im Veranstaltungsgeschehen und hier insbesondere bei rechtsextremistischen Konzerten zu verzeichnen. Zwar ist auch weiterhin kein auf Dauer angelegtes organisatorisches Zusammenwirken von Rockern mit der rechtsextremistischen Szene festzustellen, sind doch die Interessen sehr unterschiedlich. Gleichwohl übt die Rockersubkultur mit ihrem streng hierarchischen Habitus und der nach außen gelebten "Bruderschaft" seit jeher eine Faszination und Anziehungskraft auf Teile des Rechtsextremismus aus. So gab es in Mecklenburg-Vorpommern vereinzelte Kontakte auf örtlicher Ebene, die in aller Regel auf persönlichen Kennverhältnissen beruhen. Sie sind häufig auf Szenewechsler zurückzuführen. Diese Personen - üblicherweise nicht mehr ganz so junge Rechtsextremisten - sind von Rockergruppierungen aufgenommen worden und bewegen sich fortan in deren Subkultur. Ein Gesinnungswandel dürfte damit jedoch nicht verbunden sein. Jedenfalls halten die alten Kontakte in die rechtsextremistische Szene. Unmittelbar rechtsextremistische Aktivitäten von Rockerclubs, wie sie beim "HUSKARLAR MC Stralsund" in den vergangenen Jahren zu beobachten waren, bleiben jedoch nach wie vor Einzelerscheinungen. Darüber hinaus orientieren sich einzelne rechtsextremistische Gruppierungen am Bekleidungsstil der Rocker, was sich insbesondere im Tragen von Kutten äußert. Beispielhaft genannt seien hier die "Gemeinschaft Recknitztal" sowie die "Aktionsgruppe F.i.e.L.". Dies gilt auch für das erstmals 2018 in Erscheinung getretene "Chapter Mecklenburg-Vorpommern" der "Soldiers of Odin" (SOO). Angehörige dieser Gruppierung beteiligten sich 2019 am rechtsextremistischen Demonstrationsgeschehen und fielen im April des Jahres durch eine Flyerverteilung in Rostock auf. Darüber hinaus bewegen sich Angehörige der rechtsextremistischen Subkultur auch im Bereich des Sportgeschehens. Sie sind in der Fußballfanszene zu finden, aber auch im Bereich des Kampfsportes (s. u.). 16 2.5.1 Rechtsextremistische Musikveranstaltungen Im Jahr 2019 fanden in Mecklenburg-Vorpommern zehn rechtsextremistische Konzerte mit Live-Auftritten statt (2018: 4). Davon wurde eine Veranstaltung aufgelöst. Zudem wurden fünf Liederabende festgestellt (2018: 2). Vier Veranstaltungen konnten im Vorfeld verhindert werden.12 Gegenüber dem Vorjahr ist somit ein deutlicher Anstieg zu verzeichnen. Erneut fanden die besucherstärksten Musikveranstaltungen in szeneeigenen Objekten, so im Juli und Oktober 2019 in Salchow (Landkreis Vorpommern-Greifswald) mit ca. 200 bzw. 300 Teilnehmern und im Oktober und November 2019 in Löcknitz (Landkreis Vorpommern-Greifswald) mit ca. 150 bzw. 200 Teilnehmern statt. Oftmals reisen zu größeren Musikveranstaltungen Teilnehmer aus dem gesamten Bundesgebiet an. Die Besucherzahl bei den übrigen Veranstaltungen lag zwischen 35 und 120 Teilnehmern und damit wieder über den durchschnittlichen Zahlen der Vorjahre. Das Publikum stammte auch im Berichtszeitraum aus allen Lagern des Rechtsextremismus. Es waren dort sowohl parteilich gebundene, nicht parteigebundene als auch Angehörige der weitgehend unorganisierten Szene zu finden. Insoweit waren die Konzerte weiterhin wichtige Plattformen für die Pflege gerade auch überregionaler Kontakte. 12 Das LKA Mecklenburg-Vorpommern weist in seiner Statistik zusätzlich 11 Szenepartys/Veranstaltungen (2018: 12) ohne Livemusik aus. 17 18 Die Zahl der regelmäßig öffentlich aktiven Bands aus Mecklenburg-Vorpommern lag weiterhin bei zehn. Zu den bekanntesten zählten weiterhin "Path of Resistance", "Painful Awakening", "Thrima" und die "Die Liebenfels Kapelle"/"Skalinger". Sie bestritten ihre Auftritte größtenteils außerhalb des Landes. Auch 2019 gehörte der Liedermacher "F.i.e.L." ("Fremde im eigenen Land") aus dem Raum Grevesmühlen zu den bundesund europaweit aktivsten rechtextremistischen Musikern. Neben zahlreichen Liveauftritten produzierte "F.i.e.L." bzw. die gleichnamige Band 2019 auch den Tonträger "2 x 18". 13 Erneut waren Verbindungen der hiesigen rechtsextremistischen Musikszene zur internationalen und in Deutschland seit 2000 verbotenen "Blood & Honour"-Bewegung (B&H) festzustellen. So warb das Bandprojekt "Ahnenblut" mit einem Flyer für ein Gedenk-Konzert des verstorbenen "Blood & Honour" Gründers Ian Stuart Donaldson im September in Budapest. Bei der Organisierung von Musikveranstaltungen spielten neben örtlichen Akteuren auch die "Hammerskins" und die "Brigade 8" eine Rolle. Die Band "Ungebetene Gäste" warb auf ihrer Facebook-Seite für ein neues "Skinzine" aus Mecklenburg-Vorpommern namens "De Kahle PlaatWaterkant". Es erinnert von der Aufmachung und vom Inhalt her an die "Skinzines/Fanzines" der 14 neunziger Jahre des vorigen Jahrhunderts. Ob und inwieweit dieses "Produkt" in der Szene auf Resonanz stößt, bleibt abzuwarten. 2.5.2 Szeneläden/Versandhandel Der bekannte Onlinevertrieb "Leveler Records" mit seinem Musikproduktionslabel "Glaube, Wille, Tat" aus Anklam war auch 2019 bei überregionalen Veranstaltungen mit einem Verkaufsstand, wie z. B. bei den "Tagen der Nationalen Bewegung" am 5./6. Juli 2019 in Themar (Thüringen) vertreten. Hinzu kamen vielfältige Aktivitäten im Bereich des rechtsextremistischen Musikgeschehens. Aktiv waren auch die Internetversandhändler in Hagenow ("Nordlicht-Gnoien-Weltnetzgeschäft")15 und Anklam ("4uVinyl-Versand" mit angeschlossenem Ladengeschäft). Sie boten für die subkulturelle Szene typische Musikprodukte, Bekleidungsstücke und Devotionalien an. Der "Pommersche Buchdienst" in Anklam hielt ein anderes Sortiment vor. Er vertrieb auch einschlägige Literatur aus Vergangenheit und Gegenwart. Ein Schwerpunkt lag 13 Facebook-Seite des Liedermachers F.i.e.l. vom 04.12.2019, abgerufen am 14.01.2019. 14 Budapest, Facebook-Seite Ahnenblut vom 08.09.2019, abgerufen am 14.01.2019. 15 Betriebsaufgabe 10.07.2018, jedoch weiterhin über Facebook abrufbar. 19 auf der Geschichte des Dritten Reiches, das in den Werken entsprechend tendenziös dargestellt wird. Auch fanden sich "esoterische" Werke zur germanisch-heidnischen Mythologie. Damit dürfte die Zielgruppe in der Tendenz etwas älter sein als bei den zuvor genannten Versandgeschäften. Fortgesetzt wurde der Vertrieb von Bekleidung oder "heimatbezogenen" Artikeln, die keinen erkennbaren Bezug zur rechtsextremistischen Ideologie aufweisen. 2.6 Parteiunabhängige bzw. parteiungebundene Strukturen/Neonazis Im Bereich des parteiungebundenen Rechtsextremismus, der im Wesentlichen die Neonazistrukturen umfasst, war in Mecklenburg-Vorpommern weiterhin kein zentraler Akteur erkennbar. Diese Szene setzte sich auch 2019 aus vielen Gruppierungen zusammen, die regional oder auch überregional agieren. Sie treten sowohl realweltlich wie auch virtuell in Erscheinung und vielfach auch in kombinierter Form. Von Relevanz sind hier die "klassischen" Kameradschaften. Die gegenwärtig fehlende Kampagnenfähigkeit darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass diese Strukturen für den Zusammenhalt der Szene, das Ausleben der neonazistischen Ideologie und letztlich auch bei Radikalisierungsprozessen eine wichtige Rolle spielen. Sie sind insbesondere Ankerpunkte für regionale Prozesse der Szenestrukturierung und für die Nachwuchsgewinnung. Auch dienen sie der Organisation von Veranstaltungen, wie etwa das Abhalten von germanischen Ritualen, Konzerte oder "sportliche" Wettkämpfe. Bedeutung kommt ihnen auch bei der Verbreitung des neonazistischen und von einem revolutionären Habitus getragenen Gedankenguts zu. Hierfür wird ein breites Spektrum genutzt. Es reicht von herkömmlichen Printpublikationen über digitale Angebote bis zu klandestin operierenden Chatgruppen. Die letzteren dienen insbesondere zur Verbreitung gewaltorientierter Inhalte oder auch zur Vorbereitung entsprechender Aktionen. Mit Blick auf die Entstehung rechtsterroristischer Strukturen ist hier besondere Aufmerksamkeit geboten. Trotz der wachsenden Bedeutung der digitalen Kommunikationskanäle war 2019 ein deutliches Bedürfnis nach einer überregionalen Vernetzung in der Realwelt festzustellen. So bildeten mehrere kleine, oft nur lokal aktive Gruppierungen und Einzelpersonen länderübergreifend eine "Allianz". Auf diese Weise sollte die eigene Wirksamkeit erhöht werden. Ob und inwieweit diese Bemühungen sich als nachhaltig erweisen, bleibt abzuwarten. Als stabil hat sich die Gruppierung "3-Länder-Jungs" erwiesen, die auch 2019 im Länderdreieck Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern und darüber hinaus Aktivitäten entfaltete. 20 Im Einzelnen entwickelte sich diese Szene 2019 wie folgt: 2.6.1 Einzelgruppierungen/regionale Entwicklungen * Neonazistische Szene in Rostock Die "Nationalen Sozialisten Rostock" (NSR), die inzwischen hauptsächlich unter der Bezeichnung "Aktionsblog" aktiv sind, haben auch 2019 ihre Aktivitäten fortgesetzt. Sie sind weiterhin die maßgeblichste und aktivste Struktur in der neonazistischen Szene Mecklenburg-Vorpommerns. 16 In den sozialen Medien präsentiert sich die Gruppe als Kameradschaft, die keinen Hehl daraus macht, dass sie eine am Nationalsozialismus orientierte politische Ordnung anstrebt. So wird der Wunsch nach einem Führerstaat deutlich, wenn es heißt: "Wir halten nicht viel vom demokratischen Palaber und sind der Meinung, dass innerhalb eines starken Volkes auch eine starke Führung an der Spitze stehen sollte."17 (sic) Die Aggressivität der Gruppierung zeigte sich einerseits im Aufbau von Drohkulissen, etwa als wiederholt Bilder des Leiters der Polizeiinspektion oder des Sozialsenators der Hansestadt Rostock mit dem Hinweis veröffentlicht wurden, sie seien "die wirklichen Problemkids" und andererseits in der fortgesetzten Durchführung von Kampfsportaktivitäten. Diese nahmen einen immer größeren Teil der Aktivitäten des "Aktionsblogs" ein. Hierfür wurde im Januar 2019 eigens das "Baltik Korps" als "sportlicher Arm" gegründet 18. Unter diesem Label wurden 2019 mehrere Kampfsporttrainings durchgeführt, darunter zwei Veranstaltungen im überregionalen Szenetreff "Thinghaus" in Grevesmühlen. Ein Höhepunkt dürfte aber ein Training Anfang September 2019 gewesen sein, an dem der Verantwortliche für die rechtsextremistische Kampfsportveranstaltung "Kampf der Nibelungen" teilnahm. Mehrmals mobilisierte die Gruppe für die Veranstaltung, die am 12. Oktober 2019 im sächsischen Ostritz stattfinden sollte, jedoch kurz vor Beginn verboten wurde. Die Kampfsportaktivitäten waren aber auch Bemühungen um eine "gesunde Lebensweise", der sich zumindest einige Mitglieder des "Aktionsblog" verschrieben haben. Wiederholt veröffentlichte die Gruppe Beiträge, in denen 16 Facebook-Seite "Aktionsblog", 08.08.2019, abgerufen am 01.09.2020. 17 Facebook-Seite "Aktionsblog", 25.11.2019, abgerufen am 26.11.2019; vk-Seite "Aktionsblog", 25.11.2019, abgerufen am 26.11.2019. 18 Internetseite "Aktionsblog", ohne Datum, abgerufen am 14.03.2019. 21 die hohe Bedeutung von Sport und einer "gesunden Ernährungsweise" betont wurden19. Wie im Nationalsozialismus ist mit der Körperertüchtigung auch ein politischer Anspruch verbunden. So hieß es auf den Profilseiten der Gruppe in den sozialen Netzwerken "Facebook" sowie "vk.com": "Stählerne Maßnahmen zum Erringen eines starken Körpers sind das Ziel unserer Kämpfer. [...] Wir wollen hervortreten und ausbrechen aus ihren Zwängen. Vorbilder sein für ein besseres Deutschland!" 20 (sic). Mitglieder des "Aktionsblogs" trainierten Kampfsport nicht nur innerhalb der Szene, sondern traten auch in unpolitische Vereine ein und nehmen in diesem Rahmen an Wettkämpfen teil. So trat ein Angehöriger der Gruppierung am 2. November 2019 im Rahmen der Rostocker "Fight Night" zu einem Boxkampf an, ein weiterer Angehöriger des "Aktionsblogs" ist als Trainer in einem Güstrower Verein aktiv. Damit verbunden ist die Gefahr, dass der Kampfsport als Möglichkeit der Nachwuchsgewinnung für die Szene genutzt wird. 21 Im Mai 2019 organisierte der "Aktionsblog" einen Zeitzeugenvortrag im Raum Rostock, der ihn in seinem nationalsozialistischen Weltbild und seinem "Kampf gegen die Mächte unserer Zeit" bestärkt habe. 22 Im August 2019 führte der "Aktionsblog", im Unterschied zu 2018, anlässlich der "Hanse Sail" in Rostock Propagandaaktionen durch. Auch 2019 verteilte der "Aktionsblog" wieder Flugblätter, brachte Transparente an mindestens einer Brücke sowie einem Baugerüst an und richtete einen "Tatort" her, um eine Verbindung von Einwanderung und Gewaltkriminalität herzustellen. Diese Aktionen waren Teil der bereits im Jahr 2018 begonnenen Kampagne "Deutsche Jugend in die Offensive". 19 Facebook-Seite "Aktionsblog", 30.08.2019, abgerufen am 02.09.2019; vk-Seite "Aktionsblog", 08.09.2019, abgerufen am 19.12.2019. 20 Facebook-Seite "Aktionsblog", 29.09.2019, abgerufen am 30.09.2019; vk-Seite "Aktionsblog", 29.09.2019, abgerufen am 30.09.2019. 21 Internetseite "Aktionsblog", ohne Datum, abgerufen am 14.03.2019. 22 Facebook-Seite "Aktionsblog" vom 29.05.2019, abgerufen am 03.06.2019; vk-Seite "Aktionsblog" vom 29.05.2019, abgerufen am 03.06.2019. 22 Der "Aktionsblog" bzw. die NSR waren seit ihrer Gründung führend in der Nutzung der neuen Medien in der rechtsextremistischen Szene Rostocks. Mittlerweile wurde hier eine weitere Professionalisierung erreicht. Neben dem Umstand, dass eigene Aktionen schon seit Längerem von vornherein so angelegt werden, dass sie in den sozialen Netzwerken mit der Veröffentlichung von Bildern und Texten nachbereitet werden können, wurden in jüngerer Zeit mehrere Videos erstellt, die offensichtlich aufwändiger produziert wurden. Dabei wurde Material verschiedener Sequenzen nicht lediglich aneinander gereiht, sondern einer Konzeption folgend zusammengeschnitten und mit Musik unterlegt. Die Präsenz der "Rostocker Division" ist im Vergleich zu den Vorjahren weiter zurückgegangen. Nachdem im Berichtszeitraum aufeinanderfolgend zwei Profile der Gruppe auf Facebook gelöscht wurden, wurde offenbar kein weiterer Auftritt angelegt. Hieß es zu Beginn des Jahres noch "2019 holen wir uns Stück für Stück die sogenannten linken Gebiete zurück"23, wurde diese Ankündigung augenscheinlich nicht umgesetzt. Allerdings nahmen Anhänger der "Division" an der NPD-Demonstration am 1. Mai in Wismar teil. Möglicherweise ist die "Rostocker Division" inzwischen komplett in der Struktur "Nordlichter Rostock" aufgegangen. Diese 2018 bekannt gewordene Gruppierung stand bereits von Anfang an mit der "Rostocker Division" nicht nur in Kontakt, sondern arbeitete offenbar eng zusammen. Die "Nordlichter Rostock" sind sowohl virtuell als auch realweltlich aktiv. Neben Veröffentlichungen auf ihrer Facebook-Seite führte die Gruppierung beispielsweise eine "Heldengedenkveranstaltung" durch. Die "Nordlichter Rostock" sind darüber hinaus - wie bereits im Vorjahr beschrieben - als lokaler Ableger mit der überregional agierenden "Sturm"bzw. "Wolfsbrigade 44" verbunden. In diesem Zusammenhang wurden Ende Juli 2019 wegen des Verdachts des Verstoßes gegen das Waffengesetz bei mehreren Angehörigen dieser Szene in Rostock und Umgebung Durchsuchungen durchgeführt. Möglicherweise hat diese Maßnahme dazu beigetragen, dass die Aktivitäten der Gruppe im Laufe des Jahres zurückgegangen sind. Die "Patrioten Rostock/Rügen/Stralsund" (in verschiedenen Reihenfolgen) waren 2019 lediglich mit dem Profil "Patrioten Rostock/Rügen/Stralsund 2.0" wahrnehmbar. Wie im vergangenen Jahr wurden dort Demonstrationsaufrufe, einzelne Veröffentlichungen anderer rechtsextremistischer FacebookProfile sowie Nachrichten geteilt und im Sinne der rechtsextremistischen Weltanschauung der Gruppe kommentiert. * Neonazistische Szene im Raum Güstrow (Landkreis Rostock) Die bis vor einigen Jahren noch maßgeblichen rechtsextremistischen Strukturen in Güstrow sind öffentlich kaum mehr wahrnehmbar. Aktiv ist das "Freiheitliche Bündnis Güstrow", das regelmäßig Mahnwachen durchführte. Hö23 Facebook-Seite R.D. Original, 01.01.2019, abgerufen am 02.01.2019. 23 hepunkt dieser Aktivitäten war die Demonstration "Sicherheit für Güstrow" am 12. Oktober 2019, zu der 40 Personen mobilisiert werden konnten. Auch wenn die "Kameradschaft Güstrow" als Struktur kaum mehr in Erscheinung tritt, sind deren Protagonisten weiterhin aktiv. So waren sie wiederholt als Teilnehmer rechtsextremistischer Demonstrationen im Land wahrnehmbar. Die Existenz einer neonazistischen Szene im Raum Güstrow wird auch durch das Aufstellen "Schwarzer Kreuze" am 13. Juli 2019 deutlich. Eine in Güstrow lebende Landtagsabgeordnete der Partei "Die LINKE" ist auch in 2019 wieder Ziel rechtsextremistischer Aktionen geworden. Im Januar wurde an der Privatwohnung der Abgeordneten augenscheinlich Buttersäure verteilt. Am Wahlkreisbüro und einem weiteren Bezugsobjekt fanden sich im April im zeitlichen Zusammenhang mit dem Geburtstag Adolf Hitlers rechtsextremistische Aufkleber. Darüber hinaus war Güstrow gelegentlich Schauplatz von Aktivitäten des "Aktionsblogs" aus Rostock. Hintergrund dürfte sein, dass einzelne Angehörige der Gruppe dort leben. Eine Öffentlichkeit wird hier jedoch eher vermieden. * Neonazistische Szene im Raum Waren (Landkreis Mecklenburgische Seenplatte) Im Unterschied zu anderen neonazistischen Kleinstgruppen war die neonazistische Szene in Waren sehr aktiv, Impulsgeberin war hier die ehemalige Stadtvertreterin der NPD Doris Zutt. Neben dem "Kollektiv Seenplatte" waren ebenfalls lokale NPD-Strukturen sowie der Verein "Deutschland muss leben e. V." bestimmende Strukturen, in denen die Protagonisten aktiv sind. Angehörige des "Kollektivs Seenplatte" nahmen 2019 an verschiedenen Demonstrationen der rechtsextremistischen Szene teil, so an der Demonstration der NPD am 1. Mai 2019 in Wismar oder am "Tag der deutschen Zukunft" am 1. Juni 2019 in Chemnitz. * Neonazistische Szene im Raum Stralsund (Landkreis VorpommernRügen) Die "Initiative Vereint für Stralsund" konnte das Niveau ihrer Aktivitäten halten. Sie organisierte mehrere Demonstrationen in Stralsund, die sich insbesondere gegen die Zuwanderung richteten. * Weitere neonazistische Strukturen auf regionaler Ebene Als organisatorischer Rückhalt der rechtsextremistischen Szene waren auch 2019 örtliche Kameradschaften und sonstige kleinere örtliche Personenzusammenschlüsse von Bedeutung. Allerdings entfalteten nicht alle der nachfolgend genannten Gruppierungen öffentliche oder gar kontinuierliche Aktivitäten. Insoweit werden hier nur die Strukturen genannt, die nicht in der sonstigen Berichterstattung Erwähnung finden: * "Fremde im eigenen Land" (F.i.e.L.), Landkreis Nordwestmecklenburg * "Germanisches Bollwerk Mecklenburg", Landkreis Nordwestmecklenburg 24 * "Arischer Widerstandsbund", Landkreis Vorpommern-Greifswald * "Völkische Burschenschar Strasburg", Landkreis VorpommernGreifswald * "Freie Pommern", Landkreis Vorpommern-Greifswald * "Freie Kräfte Greifswald/Nationale Sozialisten Greifswald", Landkreis Vorpommern-Greifswald * "Kameradschaftsbund Anklam", Landkreis Vorpommern-Greifswald * "Kameradschaftsbund Bargischow", Landkreis Vorpommern-Greifswald * "Aryan Warriors", Landkreis Vorpommern-Greifswald * "Kameradschaft Borken", Landkreis Vorpommern-Greifswald * "Nationales Bündnis Löcknitz", Landkreis Vorpommern-Greifswald * "Freikorps Heimatschutz", Landkreis Mecklenburgische Seenplatte. 2.6.2 Bedeutsame parteiunabhängige neonazistische Strukturen auf überregionaler Ebene 2019 konnten erneut Aktivitäten der weltweit vernetzten "Hammerskins" und der "Brigade 8" in Mecklenburg-Vorpommern beobachtet werden.24 Sie entfalteten keine Außenwirkung und konzentrierten sich auf die Durchführung interner Veranstaltungen, darunter auch Konzerte. Bei Veranstaltungen der rechtsextremistischen Szene im Lande wurde auch 2019 um Spenden für die "Gefangenenhilfe Freundeskreis" gebeten. Für die Öffentlichkeit kaum wahrnehmbar, aber für die szeneinterne Vernetzung und für die Ideologievermittlung wichtig, war die "Artgemeinschaft - Germanische Glaubens-Gemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung e. V." (AG GGG), kurz "Artgemeinschaft".25 Diese sich als "Religionsgemeinschaft" verstehende Gruppierung ist rassistisch, orientiert sich an der heidnisch-germanischen Götterwelt und führt entsprechende Rituale durch. Bundesweit von Bedeutung sind die regelmäßigen "Gemeinschaftstage" im thüringischen Ilfeld. Diese Veranstaltungen werden stets geschlossen abgehalten und ähneln dem äußeren Anschein nach "geselligen Familienveranstaltungen". Wie bereits in den vergangenen Jahren berichtet, war die "Artgemeinschaft" in der rechtsextremistischen Szene des Landes vernetzt und eine wesentliche Gruppierung in der "Siedlungsbewegung". Es ist davon auszugehen, dass die Bemühungen zur Umsetzung der "Idee gemeinsamer ländlicher Siedlungen" fortgesetzt und - wenn möglich - auch ausgeweitet werden.26 24 Vgl. hierzu auch Verfassungsschutzbericht Mecklenburg-Vorpommern 2018, S. 30 f.. 25 Vgl. hierzu auch den Verfassungsschutzbericht Mecklenburg-Vorpommern 2018, S. 38 f.. 26 Rieger, Jürgen: "Weg und Ziel der Artgemeinschaft-GGG - Werden und Wesen der Artreligion", 3800 nach Stonehenge, S. 125. 25 2.7 Neonazistisch geprägte Veranstaltungen und Aktivitäten Auch im Jahr 2019 führte die neonazistische Szene zahlreiche - z. T. jährlich wiederkehrende - Veranstaltungen durch: * "Tag der Ehre" am 9. Februar 2019 in Budapest Die rechtsextremistische Szene in Ungarn organisiert jährlich im Februar den "Marsch der Ehre" in Budapest, um dem Widerstand deutscher und ungarischer Truppen gegen die Rote Armee im Zweiten Weltkrieg zu gedenken. Wie bereits in den Vorjahren nahmen auch 2019 wieder mehrere Personen aus Mecklenburg-Vorpommern an der Veranstaltung teil. * "Tollensemarsch" der rechtsextremistischen Szene am 2. März 2019 An dem seit 2004 alljährlich stattfindenden "Tollensemarsch" nahmen am 2. März 2019 ca. 55 Personen (2018: 35, 2017: 30) teil. * Neonazistische Aktionen zum 8. Mai Am jährlichen und seit 2018 von der NPD zu verantwortenden "Trauermarsch" der rechtsextremistischen Szene in Demmin zum Jahrestag der deutschen Kapitulation 1945 und dem damit einhergehenden Ende des nationalsozialistischen Regimes haben wie im Vorjahr ca. 200 Personen teilgenommen (S. 31). Darüber hinaus kam es zu einzelnen Propagandaaktionen. * "Aktion Schwarze Kreuze" am 13. Juli 2019 Die "Aktion Schwarze Kreuze", die an deutsche Opfer von Gewalttaten erinnern soll, die von der rechtsextremistischen Szene Migranten zugerechnet werden, ist mittlerweile innerhalb der bundesdeutschen rechtsextremistischen Szene ein ständiges Ritual. 2019 wurden in MecklenburgVorpommern insgesamt 195 Kreuze festgestellt. Damit scheint sich die zunehmende Resonanz in der hiesigen Szene, die sich bereits 2018 mit 179 Kreuzen abzeichnete (2017: 68, 2016: 76), verstetigt zu haben. Ursächlich hierfür könnte das gestiegene Engagement der JN und der NPD sein. Regionale Schwerpunkte waren die Insel Usedom, Greifswald sowie der Raum Güstrow. * Aktionen mit Bezug zum Todestag von Rudolf Heß Auch wenn das Gedenken an den "Führerstellvertreter" Rudolf Heß innerhalb der rechtsextremistischen Szene seit Jahren einen hohen Stellenwert genießt, schwankt das Niveau des Gedenkens erheblich. Gab es 2018 noch eine Vielzahl von Plakatierungen, Sprühaktionen und eine Vortragsveranstaltung im "Haus Jugendstil" in Anklam sowie eine Demonstration in Berlin, wurden 2019 lediglich einige Plakatierungen festgestellt. Dass der Tod von Heß in der Szene jedoch nicht nur um den Jahrestag herum thematisiert wird, beweist ein Bild, das am 9. Dezember 2019 auf dem Facebook-Profil 26 "Thinghaus" im Zusammenhang mit einem Bericht über eine "Julfeier" veröffentlicht wurde. Im Hintergrund zeigt eines der Bilder eine Pinnwand mit einer Vielzahl rechtsextremistischer Plakate, darunter auch eines zum "Mord" an Heß.27 * "Heldengedenken" der rechtsextremistischen Szene Auch 2019 fanden an verschiedenen Denkmalen im Land, die an Kriegsopfer erinnern, Aktionen der rechtsextremistischen Szene statt. Dabei wurden Kränze niedergelegt, Gedichte oder andere anlassbezogene Texte vorgetragen und Schweigeminuten abgehalten. Entsprechende Veranstaltungen gab es in Rostock, Röbel, Tessin, Löcknitz, Waren sowie auf Usedom. * "Germanisch-heidnische" Rituale Fortgesetzt wurden auch die germanisch-heidnischen Rituale, wie etwa "Ostarafeste", "Sonnenwendfeiern" oder "Julfeste".28 2.8 Krisenvorsorge durch Rechtsextremisten Fester Bestandteil rechtsextremistischer Ideologie ist die Vorstellung eines "Kampfes um das Dasein", in dem der Stärkere gewinnt. Gesellschaftliche Veränderungen, wie etwa eine wachsende Zuwanderung, werden in diesem Zusammenhang verschwörungstheoretisch aufgeladen als "Umvolkung" und damit als existenzielle Bedrohung wahrgenommen, der es zu begegnen gelte. Rechtsextremisten sehen in diesem Zusammenhang einen "Rassenkrieg" heraufziehen. Andere Verschwörungstheorien, wie etwa die "jüdische Weltverschwörung", verstärken das Herausbilden irrationaler Weltbilder. Die damit verbundene Vorstellung von der unabweisbaren Notwendigkeit eines Kampfes lenkt den Blick auf dessen Beginn, der als "Tag X" bezeichnet wird. Auf diesen Zeitpunkt gelte es sich vorzubereiten. Hierzu gehört auch die persönliche Krisenvorsorge. Zu diesem Themenfeld gab es auch 2019 in der Szene entsprechende Vorträge. Die Krisenvorsorge in ihrer Gesamtheit wird damit auch zu einem politischen Instrument. Soziale Medien bilden dabei eine bevorzugte Kommunikationsplattform. Beispielhaft kann hier die im November 2019 in der Presse thematisierte - und zwischenzeitlich durch den Plattformbetreiber gesperrte - "Überlebensgruppe" im VKNetzwerk29 herangezogen werden. Neben allgemeinen Informationen zur Krisenvorsorge waren beispielsweise auch Themen wie "Bürgerkriege" oder "Schusswaffen" Teil des dortigen Austausches. Derartig ideologisch aufgeladene Vorsorgeaktivitäten dürfen jedoch nicht mit den von der Bundesregierung gewünschten Vorsorgehandlungen verwechselt werden. 27 Facebook-Seite "Thinghaus" vom 09.12.2019, abgerufen am 10.12.2019. 28 Vgl. hierzu Ministerium für Inneres und Europa Mecklenburg-Vorpommern (Hrsg.); Rituale und Symbole der rechtsextremistischen Szene, Schwerin: 2015. 29 VK (russisch: in Kontakt treten; mehrsprachiges soziales Netzwerk aus Russland). 27 2.9 Kampfsport in der rechtsextremistischen Szene Wie bereits im Zusammenhang mit dem Rostocker "Aktionsblog" und dem daran angeschlossenen "Baltik Korps" aufgezeigt wurde, kann auch im Jahr 2019 von einer steigenden Bedeutung des Kampfsports in der rechtsextremistischen Szene gesprochen werden. Dabei handelt es sich weder um eine landesnoch bundesspezifische Besonderheit. Vielmehr muss die Bedeutung des Kampfsports in seiner transnationalen Dimension Beachtung finden. Das "Propatria Fest" am 6. April in Griechenland kann hier als Beispiel für die - fast schon selbstverständliche - Vernetzung innerhalb der Szene herangezogen werden. So wurde auf der Facebook-Seite der deutschen "TIWAZ-Gemeinschaft" mittels eines Youtube-Videos der französischen Kampfsportmarke "Pride France" für die griechische Veranstaltung geworben und zugleich eine Teilnahme angekündigt. Daneben zeigt auch das entsprechende Werbeplakat, dass auf ein Netz verschiedener Unterstützergruppierungen zurückgegriffen werden kann, zum Beispiel: * "TIWAZ", * "Kampf der Nibelungen", * "2YT4U"30, * "Pride France" oder auch * "White REX". 31 32 30 Hierbei handelt es sich um einen rechtsextremistischen Versandhandel. Die Bezeichnung "2YT4U" ist eine Abkürzung und steht für den englischen Ausspruch "too white for you". 31 Facebook-Seite "TIWAZ" vom 22.03.2019, abgerufen am 19.02.2020. 32 Weblog "racskins" vom 09.03.2019, abgerufen am 19.02.2020. 28 Mit der fortschreitenden Professionalisierung rechtsextremistischer Kampfsportevents geht dabei zugleich auch eine Kommerzialisierung einher. Der oben benannte Versandhandel "2YT4U" bildet als internationaler Marktakteur folgerichtig nur einen weiteren Teil dieser in sich offenbar gut abgestimmten "Wirtschaftsgemeinschaft". 33 Auffällig ist dabei die Kontinuität zwischen international agierenden "Marken", "Kampfsport-Teams" und weiteren Strukturen. In Bezug auf die Feststellungen im Verfassungsschutzbericht des Jahres 2018 ist daher von besonderer Bedeutung, dass zumeist die gleichen Akteure als Unterstützer auftreten. Dies lässt die Schlussfolgerung zu, dass hier eine über einen längeren Zeitraum koordinierte Zusammenarbeit erfolgt, welche den "rechtsextremistischen Kampfsportmarkt" - sowohl hinsichtlich der Events als auch des Handels - dominiert und steuert. Doch obgleich versucht wird, damit eine weitere Einnahmequelle neben der Musik zu etablieren, darf der unterstützende Effekt für die rechtsextremistische Ideologie nicht verkannt werden. So ist das damit einhergehende Rekrutierungspotenzial aufgrund der reichweitenstarken Ausprägung des Kampfsports von besonderer Bedeutung und kann vor allem auch junge Menschen an die rechtsextremistische Szene binden. Zugleich fungiert die rechtsextremistische Kampfsportszene auch ideologieformend. 33 Internetseite "2YT4U", abgerufen am 19.02.2020. 29 Die - ursprünglich aus dem Hardcore Punk der 80er Jahre hervorgegangene - "Straight Edge"-Bewegung ist dafür beispielhaft. Propagierte diese zunächst ausschließlich im Kontext linker subkultureller Jugendbewegungen ein "Clean-Living"34,"I don't smoke, don't drink, [...]!"35 fand sie mit dem Aufstieg des sogenannten "NS-Hardcore" auch Einzug in die rechtsextremistische Szene. Dabei wird diese Art des "nüchternen" Lebens heute zumeist durch Akteure der rechtsextremistischen Kampfsportszene gefordert, wobei hier der rassistisch geprägte Volksgesundheitsgedanke im Sinne des Nationalsozialismus die Basis bildet. In dem ideologischen Konzept eines - wie bei der "Krisenvorsorge" - fortwährenden Kampfes bewegt sich die Szene dabei eng an den klassischen nationalsozialistischen Ideenbildern und versucht, diese in modernem Gewand zu transportieren: 36 "[...] denn in der Masse genommen wird sich ein gesunder, kraftvoller Geist auch nur in einem gesunden und kraftvollen Körper finden."37 34 Siehe hierzu beispielsweise Haenfler, Ross: Straight Edge: clean-living youth, hardcore punk, and social change, New Brunswick: Rutgers University Press 2006. 35 Mackaye, Ian: Out Step, Minor Threat, 1981. 36 Internetseite "Kampf der Nibelungen", abgerufen am 19.02.2020. 37 Hitler, Adolf: Mein Kampf, 17. Aufl., München: Zentralverlag der NSDAP 1943, S. 542. 30 2.10 Rechtsextremistische Parteien 2.10.1 "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD), Landesverband Mecklenburg-Vorpommern Das Aktivitätsniveau der NPD lag im Berichtszeitraum auf einem vergleichsweise niedrigen Niveau. Trotzdem blieb die Partei handlungsfähig. So gelang es der NPD bundesweit, die Unterschriftenhürde für den Antritt bei der Europawahl zu meistern und die erforderlichen mindestens 4.000 Unterstützungsunterschriften zu sammeln. In ihrem Wahlkampf konzentrierte sich die Partei auf die Projekte "Schutzzone" und "Deutsche helfen Deutschen", die nach eigenen Angaben dazu beitragen sollten, die NPD verstärkt als "Macherpartei" wahrzunehmen. Besonders be38 tont wurde im Rahmen des Wahlkampfes, dass die NPD als einzige Partei den "Dexit", den "Austritt Deutschlands aus der EU" fordere.39 Ein Wiedereinzug in das Europäische Parlament gelang jedoch nicht. Auch bei den Landtagswahlen in Sachsen, Brandenburg und Thüringen wurde deutlich, dass die NPD als Wahlpartei gegenwärtig keine Rolle spielt: In der einstigen NPD-Hochburg Sachsen lag das Zweitstimmenergebnis bei 0,6 Prozent, in Brandenburg trat die NPD gar nicht erst an. Bei der Landtagswahl in Thüringen erreichte die NPD 6.093 Stimmen, dies entspricht einem Wahlergebnis von 0,55 Prozent. Damit verlor die Partei - wie schon zuvor in Sachsen - auch in Thüringen ihren Anspruch auf staatliche Parteienfinanzierung. Der NPD-Landesverband Mecklenburg-Vorpommern betonte im Zusammenhang mit den AfD-Wahlsiegen die "Nützlichkeit" der AfD, die die "tragenden Säulen des BRDSystems" beschädige, indem sie die CDU und SPD schwäche, die ihre "systemerhaltende Funktion immer weniger ausüben" könnten. Die AfD zersetze nach Auffassung der NPD das "linksliberale Meinungsklima", spalte so die Gesellschaft und schrumpfe CDU und SPD, sie demoliere das Parteiensystem. Die Balance "zwischen Rebellentum und Angepasstheit" könne jedoch kippen: Nähere sich die AfD "zu sehr den Etablierten an", werde rechts von ihr Raum frei; bewege sie sich noch weiter nach rechts, werde sie vielleicht tatsächlich zu einer zweiten NPD. Die NPD werde abwarten, was passiert und sich derweil um die Kommunalpolitik kümmern. 40 Die Haltung der NPD zur AfD schwankte nach wie vor zwischen Unterstützung, dem Wunsch nach Zusammenarbeit und einer klaren Ablehnung. So sprach der NPDBundesverband auf der einen Seite auf seiner Facebook-Seite "Schutzzone" unter der Überschrift "Wahltag ist Zahltag" Wahlempfehlungen für die Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen aus: Für die Wahl in Brandenburg wurde empfohlen, beide Stimmen "der einzigen wählbaren Alternative" AfD zu geben. Empfehlung für 38 Facebook-Seite des NPD-Landesverbandes vom 09.05.2019, abgerufen am 09.12.2019. 39 Facebook-Seite Stefan Köster vom 22.02.2019, abgerufen am 25.02.2019. 40 Internetseite des NPD-Landesverbandes: "Kommunalpolitik machen und zusehen, wie die AfD das Parteiensystem demoliert - das ist es, was die NPD im Augenblick tun kann" vom 02.09.2019, abgerufen am 03.09.2019. 31 Sachsen: Erststimme AfD, Zweitstimme NPD. 41 Offenbar geht die NPD davon aus, dass eigene Ziele auch innerhalb der AfD verwirklicht werden können. Auf der anderen Seite herrscht Unverständnis darüber, dass die AfD "vom System besser behandelt" werde und die NPD mit solchen "Vorzugsbedingungen" genauso weit gekommen wäre. Auch wird der AfD vorgeworfen, "mit NPD-Inhalten Wahlkampf zu machen".42 2.10.1.1 Aktivitäten der NPD Mecklenburg-Vorpommern im Einzelnen * Demonstration am 1. Mai 2019 An dem vom NPD-Landesverband angemeldeten öffentlichen Aufzug zum "Tag der Arbeit" in Wismar nahmen ca. 250 Personen teil. Die NPD zeigte ein Fronttransparent "100 % National - 0% Asylbetrug" sowie weitere Transparente mit den Aufschriften "ARBEIT entlohnen statt ausbeuten!", "ZUKUNFT erkämpfen und gestalten!" sowie "HEIMAT schützen und bewahren!". Es wurden zudem u. a. Transparente der NPD-Jugendorganisation "Junge Nationalisten Pommern" (JN Pommern) und der "Rostocker Division" (Aufschrift "1. Mai - Gemeinsam gegen Kapitalismus, Ausbeutung und Überfremdung - Tradition verpflichtet") präsentiert.43 Weitere Neonazis waren anhand ihrer Kleidung einzelnen Strukturen zurechenbar (z. B. den "Aryan Warriors Pommern" oder dem szeneübergreifenden Label "White Nation MV"). Der ehemalige NPD-Fraktionsvorsitzende Udo Pastörs trat nach längerer Pause wieder öffentlich als Redner in Mecklenburg-Vorpommern in Erscheinung. Die NPD bezeichnete die Versammlung nach Beendigung auf ihrer Facebook-Seite als "erfolgreich".44 Weitere Versammlungen der NPD am 1. Mai fanden in Dresden, Guben und Eisenhüttenstadt statt. * "Trauermarsch" der NPD am 8. Mai 2019 Der "Trauermarsch" der NPD anlässlich des Jahrestages des 8. Mai 1945 unter dem Motto "8. Mai 1945 - Kein Grund zum Feiern. Vergessen wir Tod, Leid und Besatzung nicht" fand wie in jedem Jahr in Demmin mit ca. 200 Teilnehmern statt. Neben den üblichen schwarzen Flaggen als Zeichen der Trauer wurden u. a. NPDund JN-Fahnen sowie Mecklenburgund Pommern-Flaggen mitgeführt. Szeneangehörige trugen einen Gedenkkranz, der später in die Peene geworfen wurde. Nach Einbruch der Dunkelheit wurden auch Fackeln verwendet. Die Versammlungen belegten, dass es der NPD im Land zumindest punktuell gelingt, die neonazistische 45 Szene für ihre jahrestypischen Veranstaltungen zu mobilisieren. 41 Facebook-Seite "Schutzzone" vom 01.09.2019, abgerufen am 06.09.2019. 42 Internetseite des NPD-Landesverbandes: "Schonbehandlung der AfD geht zu Ende" vom 12.09.2019, abgerufen am 16.09.2019. 43 Flickr-Album "1. Mai - NPD-Aufmarsch Wismar" von "Endstation Rechts". 44 Facebook-Seite "NPD-Landesverband MuP" vom 01.05.2019, abgerufen am 02.05.2019. 45 Flyer Trauermarsch 8. Mai 2019 Demmin. 32 2.10.1.2 Kommunalund Europawahlen 2019 * Wahlkampfaktivitäten des NPD-Landesverbandes In einer Frühjahrs-Ausgabe der NPD-Publikation "Der Anklamer Bote - Unabhängiges Mitteilungsblatt für die Hansestadt Anklam", für die sich der NPDFraktionsvorsitzende im Kreistag Vorpommern-Greifswald verantwortlich zeichnet, wurde auf der Titelseite unter der Überschrift "Asylanten vergraulen - Am 26. Mai bei der Kommunalwahl NPD wählen!" Kommunalwahlkampf betrieben. In dem Artikel wurde in einem Rückblick auf den Herbst 2015, "als Angela Merkel die Grenzen öffnete und alle Welt einlud, nach Deutschland zu kommen", dargestellt, dass die NPD seinerzeit den "Widerstand" organisiert und im Rahmen von zwei Demonstrationen mit bis zu 350 Teilnehmern den "angeblichen 'Flüchtlingen'" klar gemacht habe, "dass sie beim Volk nicht willkommen waren".47 Der NPD-Landesverband präsentierte auf seiner Facebook-Seite verschiedene Wahlplakate mit der Aufforderung, am 26. Mai 2019 mit allen Stimmen NPD zu wählen. Diese trugen die Aufschriften "Wir glauben an unsere Jugend! CDU/SPD/Linke/Grüne an Einwanderung", "Die Richtung stimmt! NPD", "Sturmfest - Heimattreu - Von hier! NPD", "Wir halten Kurs - Für unsere Gemein46 de", "Sind wir nicht alle ein wenig NPD". Ein veröffentlichtes Flugblatt der NPD trug die Bezeichnung "Ehrlich - Direkt - Unzensiert - Warum NPD?". Darin wurde u. a. über "5 Jahre NPD-Fraktion im KreistagVG" berichtet und die acht NPD-Kandidaten für den Kreistag vorgestellt. Anlässlich der anstehenden Wahlen wurde zudem eine neue Ausgabe der NPDPublikation "Kurz & Knapp - Nachrichten aus der Gemeindevertretung Heringsdorf" mit den Kandidaten der NPD für die Wahl der Gemeindevertretung herausgegeben. Einer der wenigen Infostände der NPD wurde vom NPD-Kreisverband Westmecklenburg am 18. Mai 2019 in Wismar veranstaltet. Nach einer Pressemitteilung der Landeswahlleiterin Mecklenburg-Vorpommrtn stellte die NPD insgesamt 35 Bewerberinnen und Bewerber (1,5 Prozent) für alle Kreistage sowie für die Bürgerschaft der kreisfreien Stadt Rostock. Die im Europawahlkampf bundesweit feststellbare NPD-Kampagne "Migration tötet" führte vielerorts zu Rechtsstreitigkeiten. Der NPD-Landesverband verwendete, wie auch die Bundes-NPD, im Zusammenhang mit den Wahlen am 26. Mai 2019 folgendes Titelbild: "MIGRATION TÖTET! AM 26. MAI LEBEN RETTEN NPD WÄHLEN!" 46 Facebook-Seite des NPD-Landesverbandes vom 17.05.2019, abgerufen am 17.05.2019. 47 Facebook-Seite "NPD-Landesverband MuP": "HINWEIS! NEUER ANKLAMER BOTE ERSCHIENEN!" vom 21.04.2019, abgerufen am 23.04.2019. 33 48 Das ZDF lehnte die Ausstrahlung eines Wahlwerbespots der NPD zur Europawahl zu dieser Thematik in den dafür vorgesehenen Sendezeiten am 29. April und 15. Mai 2019 ab, da der Verdacht der Volksverhetzung bestand. Das Verwaltungsgericht Mainz und das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz bestätigten die Auffassung des ZDF und wiesen den Antrag der NPD auf Eilrechtsschutz ebenso wie das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 27. April 2019 zurück. Nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts war nicht erkennbar, dass die Fachgerichte den Schutzgehalt der Meinungsfreiheit der Antragstellerin aus Artikel 5 Absatz 1 Satz 1 GG verkannt hätten.49 Auch bezüglich der in den Landkreisen im Land festgestellten Wahlplakaten der NPD mit dem Inhalt "Stoppt die Invasion: Migration TÖTET!" mit deutschen Städtenamen im Hintergrund wurde der Verdacht der Volksverhetzung nach SS 130 Abs. 1 Nr. 2 Strafgesetzbuch (StGB) erhoben. Die NPD wurde von verschiedenen Kommunen aufgefordert, diese an allen Standorten im jeweiligen Landkreis abzuhängen und nicht weiter zu 50 verbreiten. Soweit die Plakate seitens der NPD nicht fristgerecht entfernt wurden, erfolgte eine kostenpflichtige Entfernung der Plakate durch die örtlichen Ordnungsbehörden. Die NPD sah trotz der Untersagung, ihre in Rede stehenden Plakate im öffentlichen Raum aufzuhängen, den Zweck, "Aufmerksamkeit zu erregen", als erfüllt an, und bezeichnete die "Gegenseite" als "unfreiwillige Wahlhelfer".51 Das Verwaltungsgericht Schwerin bestätigte auf der Grundlage eines Eilantrages der NPD mit dem Ziel, die Entfernung der Plakate in Parchim zu verhindern, die ordnungsbehördliche Entscheidung. Das Gericht sah den Straftatbestand der Volksverhetzung als erfüllt an und ging von einer rechtmäßigen Gefahrenabwehr aus. 48 Internetseite des NPD-Bundesverbandes, abgerufen am 14.10.2020. 49 Facebook-Seite "NPD-Landesverband MuP": vom 15.04.2019, abgerufen am 16.04.2019. 50 Facebook-Seite "NPD - Die soziale Heimatpartei" vom 11.05.2019, abgerufen am 13.05.2019. 51 Internetseite des NPD-Landesverbandes: "Landkreis Vorpommern-Greifswald hat Angst vor weiteren 'Migration tötet'-Plakaten der NPD" vom 20.05.2019, abgerufen am 21.05.2019. 34 Andere Verfahren, wie ein Rechtsstreit vor dem Verwaltungsgericht Gießen, gingen zugunsten der NPD aus. Von dort wurde der Vorwurf der Volksverhetzung als "nicht nachvollziehbar" eingestuft. Ein weiterer Rechtsstreit betraf den entsprechenden Hörfunkspot der NPD zur Europawahl. Sowohl der abgeänderte Fernsehwahlwerbespot als auch der Hörfunkspot der NPD mussten nach einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts letztlich gesendet werden, da ein Angriff auf die Menschenwürde in der überarbeiteten Fassung nicht mehr erkennbar gewesen sei. * Ergebnisse der NPD bei der Europawahl und den Kommunalwahlen in Mecklenburg-Vorpommern Die NPD verpasste erwartungsgemäß mit 0,3 Prozent, einem Minus von 0,7 Prozentpunkten gegenüber der letzten Europawahl 2014, ihren Wiedereinzug in das Europäische Parlament. In Mecklenburg-Vorpommern lag das Ergebnis für die NPD mit 1,1 Prozent über diesem Wert. Bei den Kommunalwahlen in MecklenburgVorpommern erreichte die NPD auf der Ebene der Landkreise und kreisfreien Städte landesweit 1,3 Prozent der Stimmen (2014: 3,2 Prozent; 2011: 5,4 Prozent), dies entspricht insgesamt sechs Sitzen in den Kreistagen (2014: 17 Sitze, 2011: 25 Sitze). Der Negativtrend der letzten Wahlen setzte sich damit fort. Im Einzelnen wurden folgende Ergebnisse erzielt: * Landkreis Mecklenburgische Seenplatte: 1,0 Prozent, 1 Sitz (vorher 2 Sitze), * Landkreis Rostock: 1,1 Prozent, 1 Sitz (vorher 2 Sitze), * Landkreis Vorpommern-Rügen: 0,8 Prozent, kein Sitz für die NPD (vorher 2 Sitze), * Landkreis Nordwestmecklenburg: 1,3 Prozent, 1 Sitz (vorher 2 Sitze), * Landkreis Vorpommern-Greifswald: 2,8 Prozent, 2 Sitze (vorher 5 Sitze), * Landkreis Ludwigslust-Parchim: 1,7 Prozent, 1 Sitz (vorher 3 Sitze). In der Bürgerschaft Rostock (Ergebnis 0,6 Prozent, bislang 1 Sitz) und im Landkreis Vorpommern-Rügen (Ergebnis 0,8 Prozent, bislang zwei Sitze) ist die NPD nicht mehr vertreten, genauso wenig wie in der Stadtvertretung Schwerin, wo bereits 2014 kein Wahlantritt erfolgte. Der NPD-Landesverband stellte jedoch fest, dass dort, wo die AfD nicht angetreten war, etwa in Anklam, die Bereitschaft NPD zu wählen, nach wie vor vorhanden sei. Die NPD habe in Anklam etwa 11 Prozent erzielt und auch in weiteren Orten habe die NPD bis zu drei Sitzen erlangt. Die NPD habe damit noch "Substanz" und "starke Standorte".52 Im Ergebnis konnte festgestellt werden, dass die NPD als Wahlpartei - von ihren wenigen verbliebenen "Hochburgen" abgesehen - in Mecklenburg-Vorpommern wie auch bundesweit so gut wie keine Rolle mehr spielt und allenfalls davon profitiert, dass die ehemaligen NPD-Landtagsabgeordneten noch auf kommunaler Ebene aktiv sind und dort eine gewisse Bekanntheit erlangt haben. Das frühere UnterstützerUmfeld scheint weitgehend abhanden gekommen zu sein. So verlief der Wahlkampf der NPD sehr schleppend und selbst die eher starken NPD-Kreisverbände Vorpom52 Facebook-Seite des NPD-Landesverbandes: "Wir halten Kurs - Für Volk und Heimat!" vom 27.05.2019, abgerufen am 28.05.2019. 35 mern-Greifswald und Westmecklenburg hatten Probleme, Freiwillige zur Verteilung ihrer Werbematerialien zu finden. Infostände fanden nicht statt bzw. mussten wegen Personalmangels abgesagt werden. Hinzu kamen die bekannten juristischen Probleme im Zusammenhang mit der "Migration tötet"-Kampagne zur Europawahl. Die NPD hat zwar in ihren ehemaligen Hochburgen noch immer - gemessen am Landesergebnis - überdurchschnittliche Ergebnisse erzielt, jedoch an vielen Orten etwa die Hälfte ihrer bisherigen Wählerschaft verloren. Die NPD hat erwartungsgemäß auf kommunaler Ebene - verglichen mit ihren Europawahlergebnissen - bessere Ergebnisse erzielt. * Umsetzung des "Bürgerwehr"-Konzeptes durch die NPD Der Begriff der "Bürgerwehr" ist innerhalb des Verfassungsschutzverbundes nicht einheitlich definiert, da diese ohne das Vorliegen eines manifesten Bestrebungscharakters und extremistischer Zielsetzungen auch nicht dem gesetzlichen Beobachtungsauftrag unterliegen. Eine Bürgerwehr kann jedoch als Gruppe von Personen verstanden werden, die sich abseits staatlicher Strukturen und ohne gesetzliche Legitimation (abgesehen von einzelnen Regelungen des Strafund Strafprozessrechtes wie der Nothilfe oder des Jedermann-Festnahmerechts) formiert, um für die Wahrung von "Sicherheit und Ordnung" nach eigenen Maßstäben einzutreten und diese punktuell im öffentlichen Raum durchzusetzen. Eine dezidierte politische Motivation muss damit grundsätzlich nicht verbunden sein. Aus rechtsextremistischer Perspektive ist jedoch offenkundig, dass sich Bürgerwehren vor allem gegen politische Feindbilder wie (vermeintliche) Migranten oder Angehörige des linken politischen Spektrums betätigen sollen. Vom NPD-Landesverband Mecklenburg-Vorpommern wird die Bildung von Bürgerwehren grundsätzlich unterstützt, und es wurde auch im Jahr 2019 zur Bildung von Bürgerwehren aufgerufen. Nachdem Anfang des Jahres in Torgelow der Tatverdächtige einer Kindstötung zunächst fliehen konnte, sprach der NPD-Landesverband Mecklenburg-Vorpommern von "totalem Staatsund Polizei-versagen". Weiter hieß es: "In einer von jedem akzeptablen Polizeischutz verlassenen Region ist es Zeit, an Bürgerwehren zu denken. Die sind legal und vom Grundgesetz gedeckt - Artikel 9, Vereinigungsfreiheit. Solche Bürgerwehren haben alle Rechte, die jedem einzelnen Bürger auch zustehen. Wer den flüchtigen Mörder sieht, darf ihn selber festnehmen. Leistet der Mörder gegen die Festnahme gewaltsam Widerstand, hat der Bürger das Notwehrrecht. Er darf dann im selben Maße Gewalt anwenden wie der Täter. Das kann auch tödliche Gewalt sein, wenn der Mörder etwa ein Messer einsetzt."53 Hier bestätigte sich erneut die schon in der Vergangenheit festgestellte Infragestellung des im Rechtsstaatsprinzip wurzelnden staatlichen Gewaltmonopols durch die NPD. In diesem Kontext ist auch die "Schutzzonen-Kampagne" der NPD zu verstehen. Die Bundes-NPD richtete bereits im Juni 2018 eine eigene Internetund Facebook-Seite "Schutzzone" ein und schuf ein eigenes Symbol. Folgende Beispiele für "Schutzzo53 Internetseite des NPD-Landesverbandes: "Torgelower Kindermörder: Nach totalem Polizeiversagen ist es Zeit für Bürgerwehren!" vom 17.01.2019, abgerufen am 18.01.2019. 36 nen" wurden im Internetauftritt genannt: "Telefonkette, Bürgerwehr, Rückzugsraum, Schulwegwache, S-Bahn Streife". Bürgerwehren seien, so die NPD, ein "geeignetes Mittel, um für mehr Sicherheit zu sorgen", wobei das Gewaltmonopol des Staates "natürlich" nicht berührt werden dürfe.54 Der NPD-Kreisverband Vorpommern-Rügen teilte ebenfalls auf seiner FacebookSeite mit, für die Hansestadt Stralsund und Umgebung im Rahmen der deutschlandweiten NPD-Aktion eine neue "Schutzzone" ins Leben gerufen zu haben. Künftig solle durch "Streifen in entsprechenden Gebieten, die zum Beispiel aufgrund vermehrter Raubüberfälle nicht mehr sicher" seien oder auch in Gartenanlagen für "etwas mehr Sicherheit" gesorgt werden.55 Im Facebook-Auftritt "Schutzzone" wurde regelmäßig über bundesweite Aktionen berichtet. Anfang Oktober zeigten sich zum wiederholten Male mehrere männliche Personen in den orangefarbenen "Schutzzonen"-Westen in Güstrow. Diese wurde von der RNF-Bundesvorsitzenden, diese allerdings ohne Weste, begleitet.57 Auf einem Lichtbild zu einem Beitrag, der sich mit der Bildung einer "Schutzzonen56 Ortsgruppe" in Güstrow befasste, waren sechs männliche Personen mit orangefarbenen "Schutzzonen"-Westen zu sehen. Entsprechende "Schutzzonen"-Trupps wurden auch in anderen Bundesländern eingerichtet. Im Rahmen eines "1. Schutzzonen-Tages" unter Verantwortung des NPDBundesvorsitzenden wurde am Wochenende des 23./24. November 2019 das Konzept der "Schutzzone" erörtert, eine Rechtsschulung abgehalten und verschiedene Kampfsporttechniken, bezeichnet von der NPD als "professionelles Selbstverteidigungstraining", trainiert. Auf einem Gruppenfoto waren insgesamt 14 Teilnehmer zu erkennen, darunter auch Neonazis aus Mecklenburg-Vorpommern. 2.11 Weitere Aktivitäten im Umfeld der NPD * Wahlantritt einer rechtsextremistischen Wählergemeinschaft "Heimat" der "Dorfgemeinschaft Jamel" Besonders auf dem Grundstück des bekannten Rechtextremisten Sven Krüger in Jamel haben sich mit dem "Maifest" und der Sommersonnenwendfeier feste Veranstaltungen etabliert (s. o.). Im Februar 2019 wurde bekannt, dass eine neue, bislang nicht bekannte "Wählergemeinschaft Heimat", vertreten durch drei bekannte Rechtsextremisten aus Jamel, einen Wahlvorschlag für die bevorstehende Kommunalwahl der Gemeindevertretung Gägelow eingereicht habe. Diese führte einige öffentliche 54 Facebook-Seite der NPD: "NPD - die soziale Heimatpartei hat einen Beitrag geteilt" vom 27.06.2018, abgerufen am 28.06.2018. 55 Facebook-Seite des NPD-Kreisverbandes Vorpommern-Rügen vom 16.10.2019, abgerufen am 18.10.2019. 56 Facebook-Seite "Schutzzone" vom 30.03.2019, abgerufen am 01.04.2019. 57 Facebook-Seite "Schutzzone" vom 10.10.2019, abgerufen am 21.10.2019. 37 Wahlkampfaktivitäten durch. Zwei Kandidaten zeigten sich beispielsweise beim "Frühjahrsputz" auf der Strecke Gressow-Jamel. Da alle drei Kandidaten eine NPDVergangenheit aufweisen, verwunderte es nicht, dass der Wahlkampf sowohl inhaltlich als auch strategisch auf ähnliche Art und Weise geführt wurde. Am 9. Mai 2019 druckte die "Wählergemeinschaft Heimat" ein Interview ihres Schriftführers mit einer Journalistin der Tageszeitung "DIE WELT" ab. Darin räumte dieser ein, dass er selbst zwar seit 2015 kein Mitglied der NPD mehr sei, seine beiden Mitstreiter jedoch sehr wohl. Wegen der in der Vergangenheit erlebten Ausgrenzung während der Zeit als NPD-Kreistagsmitglieder sei eine Kandidatur unter dem Namen der NPD nicht förderlich, um politisch wirksam zu sein. Sven Krüger von der "Wählergemeinschaft Heimat" gelang letztlich der Einzug in die Gemeindevertretung Gägelow. Die "Wählergemeinschaft Heimat" in Jamel sorgte bereits für Schlagzeilen, indem in der Gemeindevertretersitzung vom 19. November 2019 keine Mehrheit für einen Antrag zustande kam, eine Wiese in Jamel, die an einen Rechtsextremisten verpachtet sei, an jemand anderen zu verpachten und den derzeitigen Pachtvertrag zu kündigen. Bei der Abstimmung dazu hätte es gleichviele Jaund Nein-Stimmen gegeben, so dass der Rechtsextremist aus Jamel die Wiese weiterhin pachten könne. * Bezüge der NPD zum "Thinghaus" Grevesmühlen Vortragsveranstaltungen der NPD mit einer Buchvorstellung eines bekannten Rechtsextremisten "Werde unsterblich - Rechte Metapolitik als Lebensphilosophie" fanden am 22. und 23. Februar 2019 in Anklam und Grevesmühlen statt. Es wurden jeweils ca. 80 bzw. 100 Teilnehmer festgestellt. Der "Freundeskreis Thinghaus" bezeichnete die Veranstaltung im Nachgang als gelungen und verlinkte die Möglichkeit der Buchbestellung über das Internet. Der NPD-Landesverband Mecklenburg-Vorpommern und einzelne NPD-Funktionäre unterstützten am 7. März 2019 eine Spendensammlung des "Thinghauses" für ein erforderliches Schallgutachten, das erhebliche Kosten verursache. Nunmehr hoffe man auf "breite Unterstützung, sei es durch Sachoder Geldspenden" oder auch politische Literatur, Musik oder sonstiges Material. Es wurde die Hoffnung geäußert, dass im "Thinghaus" bald wieder Konzerte mit "lauter Livemusik" veranstaltet werden können.58 Das Sommerfest des NPDLandesverbandes fand am 31. August 2019 im "Thinghaus" in Grevesmühlen mit 114 Teilnehmern statt. Der ehemalige NPD-Fraktionsvorsitzende Udo Pastörs referierte über "Rassen und Rassentrennung am Beispiel der DDR" und "das Volk im biologischen Sinne". Zudem gab es Musikdarbietungen. 59 58 Facebook-Seite des NPD-Landesverbandes vom 07.03.2019, abgerufen am 07.03.2019. 59 Facebook-Seite "Ungebetene Gäste" vom 01.09.2019, abgerufen am 02.09.2019. 38 2.12 Verfahren zum Ausschluss der NPD von der Parteienfinanzierung Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung beantragten mit einer im Juli 2019 beim Bundesverfassungsgericht eingereichten 154-seitigen Antragsschrift, der NPD als Antragsgegnerin die staatliche Finanzierung und die parteispezifische Steuerprivilegierung abzuerkennen. Der Antrag zeigt, dass die Partei weiterhin einem "völkischen" Denken folgt, das die Zugehörigkeit zum deutschen Volk an "biologistisch/rassische" Kriterien bindet. Dabei tritt die Partei bestimmten ethnischen Gruppen mit aggressiver Verachtung entgegen. Das Material belegt zudem eine unvermindert deutliche Ablehnung der Institutionen der parlamentarischen Demokratie und eine fehlende Anerkennung des sich aus dem Rechtsstaatsgebot ergebenden staatlichen Gewaltmonopols. Auch zeigt die NPD weiterhin eine deutliche Nähe zum Nationalsozialismus. Mit Blick auf das vorangegangene NPD-Verbotsverfahren musste in der Antragsschrift nur noch begründet werden, dass die NPD auch nach dem 17. Januar 2017 verfassungsfeindliche Ziele verfolgt und handlungsfähig ist. Eine mündliche Verhandlung wurde bislang nicht anberaumt. 2.13 "Junge Nationalisten" (JN) Die Jugendorganisation der NPD "Junge Nationalisten" (JN) entfaltete im Berichtszeitraum erneut Einzelaktivitäten in Mecklenburg Vorpommern, ohne an das Aktivitätsniveau früherer Jahre anknüpfen zu können: So wurde über eine Gedenkveranstaltung am 12. März 2019 auf dem "Swinemünder Golm" anlässlich der Bombardierung der ehemals deutschen Hafenstadt Swinemünde berichtet, an der "zahlreiche junge Aktivisten, bestehend aus freien Kameradschaften, NPD und JN Pommern" teilgenommen hätten.60 Wenige Tage vor den Europaund Kommunalwahlen versandte die Bundesführung der JN bundesweit Anschreiben mit Flyern und Downloadmöglichkeiten der Kampagne SCHUELERSPRECHER.INFO, auch bezeichnet als "Schulhof-CD 2.0", an Schülervertretungen. Mindestens eine solche Briefsendung ist auch an einer Schule in Mecklenburg-Vorpommern festgestellt worden. In dem Schreiben behauptete der JN-Bundesvorsitzende, dass sich "aktuell überall Jugendliche vor den Karren des von Greta Thunberg angeführten Protestes gegen den sogenannten 'globalen Klimawandel' spannen lassen" würden, während sich "im politischen Europa derweil eine viel größere Katastrophe" anbahne, wenn der Kontinent an der "Utopie eines multikulturellen Einheitsbreis" zugrunde gehe. Wie die frühere Schulhof-CD der NPD war die Kampagne direkt auf Kinder und Jugendliche zugeschnitten, die als potentielle Sympathisanten und als künftiger Nachwuchs der rechtsextremistischen Szene umworben werden sollen. Die "JN Nord" führten am 19. Oktober 2019 einen "Kulturtag" in der NPDLandesgeschäftsstelle in Anklam mit ca. 15 Teilnehmern durch. Die Teilnehmer posierten für ein Gruppenfoto in der Öffentlichkeit mit gezündeten Bengalos. Die Veranstaltung war ein Beleg dafür, dass die JN sich zunehmend über Ländergrenzen hin60 Internetseite der JN: "Swinemünde: Opfer alliierten Bombenterrors unvergessen" vom 12.03.2019, abgerufen am 18.03.2019. 39 weg vernetzen, da auch Teilnehmer aus Schleswig-Holstein und Niedersachsen zugegen waren. Am 3. Oktober 2019, dem Tag der Deutschen Einheit, waren auf der Halbinsel Kampenwerder in Zarrentin am Schaalsee ca. 20 bis 25 Personen festgestellt worden, die eine Gedenkveranstaltung vor einer Gedenkeiche durchführten und dabei Fahnen der "Jungen Nationalisten" (JN) mitführten. Eine spätere Internetberichterstattung zeigte, dass es sich um ein Teilereignis des bundesweiten Aktionstages der JN zum 61 3. Oktober handelte. Da die JN den Polizeieinsatz nach eigenen Angaben als "vollkommen überzogen" ansah, erfolgten am 20. Oktober 2019 in Zarrentin Flugblattverteilungen "inklusive dazugehörigen Passierschein" einer selbsternannten "Stasi 2.0 Dienststelle".62 * Politische Aktivitäten des ehemaligen JN-Bundesvorsitzenden Sebastian Richter in Groß Krams Die beiden als Einzelbewerber angetretenen und neu gewählten Gemeindevertreter aus Groß Krams Sebastian Richter (12,96 Prozent, zweitbestes Ergebnis) und der weitere Einzelbewerber (7,72 Prozent) gaben mit dem "Gross Kramser Blättchen" im Eigendruck mit einer Auflage von 100 Exemplaren ein neues "Infoblatt für die Gemeinde" heraus, das stark an frühere NPD-Publikationen wie "Kurz&Knapp" bzw. die "Boten" erinnert. So wurde beispielsweise der NPD-Wahlkampfspruch aus dem Jahr 2014 "Aus Liebe zur Heimat" verwendet. Richter warb in der neu erschienenen Publikation u. a. für die Durchführung von "Selbstverteidigungs"-Seminaren und stellte gleich auf der ersten Seite eine Anwältin an den Pranger, die sich offenbar gegen den Wahlkampf "heimattreuer Parteien (AfD und NPD)" (sic) engagiert hatte.63 2.14 Sonstige rechtsextremistische Parteien 2.14.1 "DIE RECHTE" Die rechtsextremistische Partei "DIE RECHTE" führte am 5. Januar 2019 ihren 10. Bundesparteitag in Dortmund durch und wählte einen neuen Bundesvorstand. Unter den fünf Beisitzern befand sich erneut der in Parchim wohnhafte Christian Worch, der nunmehr gleichzeitig Bundesschatzmeister ist. Worch war vor einiger Zeit zwar als Bundesvorsit64 zender zurückgetreten, hatte sich jedoch 61 Twitter-Profil "Junge Nationalisten" vom 25.10.2019, abgerufen am 25.10.2019. 62 Internetseite des NPD-Landesverbandes Schleswig-Holstein: "Alles Stasi oder was?" vom 22.10.2019, abgerufen am 25.10.2019. 63 "Gross Kramser Blättchen" Ausgabe 1/2019. 64 Internetseite "DIE RECHTE", abgerufen am 09.12.2019. 40 weiterhin für die Partei engagiert, beispielsweise über seine Kandidatur für die Europawahlliste 2019. "DIE RECHTE" bezeichnete es auch als "besonders erfreulich, mit Christian Worch den Gründer der Partei nach einer Auszeit erneut für eine Vorstandsposition gewonnen zu haben".65 Die Partei "DIE RECHTE" berichtet auf ihrer Internetseite 66 und bei Twitter67 über den Europawahlkampf in Mecklenburg-Vorpommern. In den Städten Parchim, Goldberg und Grimmen sollen offizielle Flugzettel zur Europawahl verteilt worden sein. Aufgrund von Unregelmäßigkeiten bei den persönlichen Daten einer in der Gemeinde Crivitz eingereichten Liste mit 13 Unterschriften wurden die Angaben überprüft und festgestellt, dass diese in Teilen gefälscht waren. Nach der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens der Staatsanwaltschaft Schwerin wegen Urkundenfälschung und Wahlbetrugs gegen den Bundesgeschäftsführer der Partei "DIE RECHTE" wurde am 2. Mai 2019 die Bundesgeschäftsstelle in Dortmund durchsucht und umfangreiches Beweismaterial sichergestellt. Auf ihrer Internetseite nahm die Partei Stellung und bezeichnet die erfolgten Maßnahmen als rechtswidrig, da der Beschuldigte lediglich eine Verwaltungstätigkeit ausgeführt habe und nicht für die einzelnen Unterschriften auf der Liste verantwortlich sei. 2.14.2 "Der III. Weg" Die sich als "nationalrevolutionär" verstehende Partei "Der III. Weg", die in Mecklenburg-Vorpommern nicht über eigene Strukturen, aber Einzelmitglieder verfügt, veranstaltete erneut lediglich Flugblattverteilungen, die ohne jede Außenwirkung blieben. In der ersten Februarwoche wurden Flugblätter mit der Über68 schrift "Kein deutsches Blut für fremde Interessen" unter anderem in Rostock und auf der Insel Usedom in private Briefkästen verteilt. 69 Im Zusammenhang mit dem Europawahlkampf in Mecklenburg-Vorpommern sollen hunderte Flugblätter in Neustrelitz und mehreren Gemeinden auf Usedom verteilt worden sein. Ein häufig aufgegriffenes Thema des "III. Wegs" ist der Umweltschutz. So wurden unter anderem Bilder von einer Flugblattverteilung im Umkreis von Wismar veröffentlicht. In dem Artikel "Aktiv für eine saubere Umwelt auf Usedom" vom 12. September 2019 berichtete "Der III. Weg" über weitere Flugblattverteilungen in den Orten Bansin, Heringsdorf und Ahlbeck auf der Insel Usedom. Die Thematik "Umweltschutz ist Heimatschutz" findet sich auch im "Zehn-Punkte-Programm" des "III. Wegs" als Punkt 7 wieder. Dort heißt es, dass "heimatverbundene Politik" von jeher auch Umweltpolitik sei und ohne eine umweltfreundliche Politik jedes Volk "in seiner Substanz ge65 Internetseite "DIE RECHTE": "DIE RECHTE: Bundesparteitag wählt neue Doppelspitze und stellt Weichen für die nächsten Jahre!" vom 05.01.2019, abgerufen am 08.01.2019. 66 Internetseite "DIE RECHTE" vom 08.04. 2019, abgerufen am 10.04.2019. 67 Twitter-Profil "DIE RECHTE" vom 08.04.2019, abgerufen am 10.04.2019. 68 Internetseite "Der III. Weg", abgerufen am 09.12.2019. 69 Internetseite "Der III. Weg": "Verteilungen in Pommern", abgerufen am 11.02.2019. 41 fährdet" sei. Dem Naturschutz müssten daher wirtschaftliche Interessen untergeordnet werden. Ziel der Partei sei in diesem Zusammenhang die Schaffung bzw. Wiederherstellung einer lebenswerten Umwelt, die Erhaltung und Entwicklung der "biologischen Substanz des Volkes und die Förderung seiner Gesundheit". Auch seitens der NPD wurde die Parole "Umweltschutz ist Heimatschutz" in der Vergangenheit immer wieder verwendet. Neonazistische Parteien folgen damit der völkischen Blutund Boden-Ideologie mit der Verknüpfung von "Rasse" mit dem angestammten Raum. Dabei zielen diese Parteien, wie schon die NSDAP, im Sinne eines völkischen Kollektivismus auf die "Volksgesundheit" im Ganzen und verbinden den Umweltschutz mit ihren biologistischen Vorstellungen. Zum Volkstrauertag am 17. November 2019 führte der "Der III. Weg" ein "Heldengedenken" in Bölkow bei Güstrow im "familiären Kreis" durch.70 Auf einem Lichtbild war ein Angehöriger des "III. Wegs" vor einem Denkmal der Gefallenen beider Weltkriege zu sehen. Ein weiteres Gesteck wurde von "Aktivisten" aus dem Bereich Kaiserbäder Bansin-Heringsdorf-Ahlbeck in Garz nahe der Gedenkstätte Golm abgelegt. 70 Internetseite "Der III. Weg": "Heldengedenken in Mecklenburg und Pommern" vom 18.11.2019, abgerufen am 19.11.2019. 42 3 "Identitäre Bewegung Mecklenburg-Vorpommern" (IB MV) 3.1 Grundsätzliches Im Juli 2019 stufte das Bundesamt für Verfassungsschutz die "Identitäre Bewegung Deutschlands" (IBD) als erwiesen rechtsextremistisch ein.72 Dieser Bewertung schloss sich das Ministerium für Inneres und Europa an. Damit gilt auch die IB MV als erwiesen rechtsextremistische Bestrebung. Ihr ist die ideologische Ausrichtung der IBD zuzurechnen. Dies wurde exemplarisch deutlich, als der langjährige Leiter der IBD, Daniel Fiß, erklärte, was er unter einem "homogenen Volk" versteht. Dies hat er Anfang Mai 71 2019 in einem Interview mit der "Jungen Freiheit" erläutert. Darin gestand er "einzelnen Einwanderern und auch Gruppen" die Möglichkeit einer "Assimilation" zu, wenn es sich beispielsweise um "Dänen, Friesen, Sorben, Hugenotten oder Ruhr-Polen" handele und bezeichnete vor diesem Hintergrund "ethnische Exklusivität" als zentralen, wenn auch nicht absoluten oder totalen Wert der IBD. 73 Diese Klassifizierung von Einwanderern nach deren ethnischer Herkunft sowie die Forderung nach einer "Assimilation" im Sinne einer "geistige[n] Verwandlung, bei der der Einzelne in einem symbolischen Akt nicht nur Sprache, Kulturformen und Rechtsregeln der Gemeinschaft, sondern auch ihre gesamte Vergangenheit und Geschichte kollektiv als die seine annimmt", wie sie von dem russischen Ideologen Alexander Dugin beschrieben und von der IBD übernommen wurde,74 ist mit der Menschenwürdegarantie aus Artikel 1 des Grundgesetzes nicht vereinbar. 3.2 Strukturen Neben der IB MV weisen der der IBD zuzurechnende Verein "Heimwärts e. V." sowie die Unternehmen "Schanze Eins", "IB-Laden" und "Okzident Media" Bezüge zum hiesigen Bundesland auf. Bei "Schanze Eins - Identitäre Strukturprojekte" handelt es sich um ein seit 2018 bestehendes "Großprojekt" der IBD zum Erwerb und zur Finanzierung von Immobilien, welches "erfolgversprechende Investitionsmöglichkeiten" biete. Sobald eine Person Fördermitglied geworden sei, könne diese mit dem Unternehmen zu einzelnen Objekten "individuelle Darlehensverträge" schließen. Auf der Internetseite des IBD-Projekts "Schanze Eins" wurden das Beteiligungssowie das Investitionskonzept des Unternehmens veröffentlicht. Diese Struktur soll es anonymen Geldgebern ermöglichen, über Tarnvereine, die Darlehen an die Schanze Eins UG & Co. KG vergeben, in Immobilienprojekte der IBD zu investieren. Als erstes Beispiel wurde der Verein "Heimwärts e.V." aus Rostock genannt, der als Tarnverein 71 Twitter-Profil "Identitäre MV", abgerufen am 09.12.2019. 72 Zur Frage der Rechtmäßigkeit der Beobachtung der IBD durch das Bundesamt für Verfassungsschutz, der Darstellung in dessen Verfassungsschutzbericht 2016 sowie der öffentlichen Verlautbarung der Einstufung der IBD als gesichert rechtextremistische Bestrebung durch das Bundesamt für Verfassungsschutz sind zurzeit Gerichtsverfahren vor dem VG Köln und dem OVG Münster rechtshängig. 73 "Extremismus ist falsch", veröffentlicht in der "Jungen Freiheit" Nr. 19/19, S. 3. 74 Vgl. Internetseite der IBD: "Integration und Selbsthass I" von Redaktion, Text im Original von Martin Sellner, abgerufen am 27.05.2019. 43 für das geplante Investitionsprojekt "Konservatives Zentrum" in Rostock dienen soll. Dieses sei ab dem Jahr 2020 mit einem Investitionsvolumen von ca. 400.000 Euro und Mieteinnahmen von zunächst ca. 6.000 Euro geplant. Das "Konservative Zentrum" soll u. a. folgenden Zwecken dienen: "Schaffung eines unabhängigen Anlaufpunktes für alle Interessierten, Einflussnahme auf die öffentliche Meinung durch regionale Kampagnen". 75 3.3 Aktionen von IB-Anhängern aus Mecklenburg-Vorpommern Im Berichtszeitraum führten Anhänger der IB MV eine Reihe von Aktionen durch: * In der ersten Februarwoche 2019 führte die IBD in mehr als 15 Städten eine bundesweite Kampagne gegen die Entstehung sogenannter No-Go-Areas durch. Im Zuge dieser Aktionswoche verteilten Anhänger der IB MV in Neubrandenburg und Greifswald Flugblätter mit der Aufschrift "Lebst du wirklich in einem sicheren Land?", um "auf zunehmend rechtsfreie Räume" 76 bzw. "die zugespitzte (Un)Sicherheitslage"77 aufmerksam zu machen. In Rostock wurden gleichlautende Plakate aufgehängt, in Stralsund sogar falsche Verkehrsschilder angebracht: So wurde unter dem Ortseingangsschild von Stralsund ein identisches Schild mit einem arabischen Schriftzug befestigt. * Die IBD startete dann am 9. März 2019 ihre Aktionswoche "Remigration" mit einem "Protestflashmob" vor dem Bundesinnenministerium und im Stadtteil Berlin-Neukölln vor der Zentralen Moschee Berlin. Die IB MV beteiligte sich an der Aktionswoche, indem am 13. März 2019 in Rostock Ortseingangsschilder mit arabischen Schriftzeichen unter den regulären Straßenschildern angebracht wurden. Damit sollte insbesondere gegen den Bau einer Moschee in Rostock protestiert werden. Darüber hinaus erfolgten in Rostock, Neubrandenburg und Stralsund Plakatierungen zum Thema "Remigration".78 In Stralsund wurde zudem ein behördlich aussehendes Schild mit der Aufschrift "Remigrationsbehörde Landkreis Vorpommern-Rügen" an der Hauswand der Ausländerbehörde angebracht, um diese entsprechend "umzubenennen". Die Aktion sei "Teil einer Werbekampagne für eine entsprechende Petition" gewesen.79 * Die Ortsgruppe der IB MV aus Stralsund hängte in der Nacht vom 19. auf den 20. April 2019 am Stadthafen und an zwei Brücken im Stadtgebiet von Stralsund Spruchbanner mit der Aufschrift "Remigration.net", eine Internetseite der IBD, welche sich mit der "Rückführung der Migrantenmassen" befasse.80 In der dazugehörigen Berichterstattung hieß es, dass "eine konsequente Politik der Remigration und Schaffung von Ausreisezentren echte Entwicklungshilfe" sei.81 75 Internetseite "Schanze Eins": "Konservatives Zentrum Rostock", abgerufen am 29.04.2019. 76 Twitter-Profil "Identitäre MV" vom 15.02.2019, abgerufen am 19.02.2019. 77 Twitter-Profil "Identitäre MV" vom 16.02.2019, abgerufen am 19.02.2019. 78 Twitter-Profil "Identitäre MV" vom 14.03.2019, abgerufen am 15.03.2019. 79 Facebook-Seite "Aktionsgruppe Nord-Ost" vom 18.03.2019, abgerufen am 19.03.2019. 80 Facebook-Seite "Aktionsgruppe Nord-Ost" vom 20.04.2019, abgerufen am 23.04.2019. 81 Twitter-Profil "Identitäre MV" vom 20.04.2019, abgerufen am 23.04.2019. 44 * In der Hansestadt Rostock öffneten unbekannte Täter am 6. Juni 2019 an insgesamt fünf Standorten mehrere sogenannte City-Light-Schaukästen und entfernten die darin befindlichen Plakate, um im Anschluss Plakate der "Identitären Bewegung" mit der Aufschrift "go home. Der Krieg ist vorbei. Syrien braucht Dich. Mit dem Fall der letzten IS-Hochburg braucht Syrien junge Männer und Frauen, die ihr Land nach dem jahrelangen Krieg beim Wiederaufbau unterstützen" aufzuhängen. Diese Plakate wurden professionell und passgenau gefertigt, so dass der Eindruck vermittelt wurde, die Forderung an die Syrer, dass Land zu verlassen, habe amtlichen Charakter. Die IB MV bekannte sich in ihrem Twitter-Profil zu der Aktion und stellte entsprechende Lichtbilder ins Internet. * Der seinerzeit amtierende Rostocker Oberbürgermeister Methling geriet ebenfalls in den Fokus rechtsextremistischer Agitation: Am 6. August 2019 erschienen Personen in typisch arabischen Gewändern mit einem selbst gefertigten sogenannten Präsentationsscheck mit der Aufschrift "Gewinnbeteiligung über 12.000 Euro für die Abnahme von 20 Transitkunden, zu Händen Roland Methling", gez. Berufsverband Nordafrikanischer Schlepper."82 in dessen Büro. Die Aktion wurde von einem der Aktivisten videografisch dokumentiert. Die Gruppe verließ nach Aufforderung die Räumlichkeiten, die IB MV publizierte die Aktion auf Twitter. * Anlässlich des Todestages (Hinrichtung am 18. August 1944) des Vorsitzenden der stalinistischen "Kommunistischen Partei Deutschlands" Ernst Thälmann brachte die IB MV in Stralsund eine Gedenktafel mit einem Zitat von Ernst Thälmann an dessen Denkmal an: "Mein Volk, dem ich angehöre und das ich liebe, ist das deutsche Volk, und meine Nation, die ich mit großem Stolz verehre, ist die deutsche Nation. Eine ritterliche, stolze und harte Nation."83 Damit wollte die IB MV nach eigenen Angaben darauf aufmerksam machen, dass Linke früher mehr Rechte für ihr Volk erkämpfen wollten, während sie heute nur noch "das Fußvolk globalistischer Eliten" seien.84 * Am Wochenende des 19./20. Oktober 2019 wurden in Stralsund mehrere Plakate der IBD mit der Aufschrift "Festung Europa - Macht die Grenzen dicht!" festgestellt. In ihrem Twitter-Profil bekannte sich die IB MV zu der Aktion und begründete diese damit, dass Deutschland über die Balkanroute eine neue Migrationswelle drohe und sich 2015 wiederholen würde. 82 Twitter-Profil "Identitäre MV", abgerufen am 07.08.2019. 83 Facebook-Seite der "Aktionsgruppe Nord-Ost" vom 18.08.2019, abgerufen am 19.08.2019. 84 Twitter-Profil "Identitäre MV" vom 18.08.2019, abgerufen am 19.08.2019. 45 4 Verdachtsfallbearbeitung im Rechtsextremismus - "Der Flügel"/"Junge Alternative" (JA) Der Verfassungsschutzverbund hatte 2018 unter Federführung des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) einen ergebnisoffenen Prüfprozess hinsichtlich der Frage eingeleitet, ob tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung in der "Alternative für Deutschland" (AfD) und/oder ihren Teilorganisationen erkennbar sind. Das BfV gab mit Presseerklärung vom 15. Januar 2019 das Ergebnis seiner Prüfung bekannt. Danach wurden der parteiinterne Personenzusammenschluss "Der Flügel" sowie die offizielle Jugend85 organisation "Junge Alternative für Deutschland" (JA) zu rechtsextremistischen Verdachtsfällen erklärt. Wesentliche Argumente für die Einstufung sind: * ein ethnisch homogener Volksbegriff, der dem Grundgesetz fremd ist * Fremdenfeindlichkeit/Muslimfeindlichkeit sowie * geschichtsrevisionistische Tendenzen (Relativierung des Nationalsozialismus). In das Gutachten des BfV sind auch einzelne Zitate und Sachverhalte von Personen und Teilstrukturen der AfD aus Mecklenburg-Vorpommern eingeflossen. Auch vor diesem Hintergrund beteiligte sich die Landesbehörde für Verfassungsschutz im Berichtszeitraum im Rahmen seiner gesetzlichen Vorschriften an der Verdachtsfallbearbeitung. Von besonderer Bedeutung war das "1. Königsstuhltreffen" des "AfD-Flügels", das am 23. November 2019 in Binz mit ca. 220 Teilnehmern aus verschiedenen Bundesländern stattfand. Darunter waren die "Flügel"-Verantwortlichen aus Thüringen und Brandenburg Björn Höcke und Andreas Kalbitz. Auf öffentlich zugänglichen Lichtbildern aus dem Internet wurden aus Mecklenburg-Vorpommern Unterstützer des "Flügels" identifiziert, darunter auch Mitglieder der "Jungen Alternative MecklenburgVorpommern" (JA M-V) und der IB MV. 85 Facebook-Seite "Der Flügel", abgerufen am 09.12.2019. 46 5 "Reichsbürger und Selbstverwalter" 5.1 Lageüberblick Die Szene der "Reichsbürger und Selbstverwalter" unterlag auch im Jahr 2019 Veränderungen. So stieg das Personenpotenzial entgegen dem Bundestrend (2018: 19.000, 2019: 19.000) auf etwa 550 (2018: 450). Zudem konnte beobachtet werden, dass insbesondere der organisierte Teil der Szene weiterhin bemüht ist, sich mit anderen Gruppen (auch bundesweit) zu vernetzen. Überschneidungen mit dem rechtsextremistischen Spektrum finden sich bei ca. 40 Personen (2018: 30). Neben der stetigen Leugnung der Existenz der Bundesrepublik Deutschland als Gemeinsamkeit wurden weiterhin sehr unterschiedliche ideologische Ansätze deutlich. Insbesondere zielte die Agitation der Szene 2019 verstärkt auf das Feststellen vermeintlich illegitimer Maßnahmen des Staates ab und darauf, wie solchen entgegengewirkt werden kann. Um die bewährte Zusammenarbeit mit den Kommunalbehörden des Landes zu verstetigen, wurde der Erlass zu Vorkommnissen mit "Reichsbürgern und Selbstverwaltern" im Januar 2019 durch das Ministerium für Inneres und Europa angepasst und verlängert. Danach bleibt der Verfassungsschutz des Landes zentrale Sammelstelle für Informationen aus diesem Spektrum. Er ist weiterhin als alleinige Behörde dazu befugt, eine Zuordnung von Personen zu diesem Extremismusfeld vorzunehmen. Die Bemühungen, den legalen Besitz von Waffen bei "Reichsbürgern und Selbstverwaltern" einzudämmen, wurden ebenso fortgesetzt. Hierbei hat sich die intensive Zusammenarbeit mit den Waffenbehörden der Landkreise und kreisfreien Städte bewährt. 5.2 Strukturen und Aktivitäten der "Reichsbürger und Selbstverwalter" in Mecklenburg-Vorpommern Die Szene versuchte auch 2019, eine Anschlussfähigkeit herzustellen. Mit dem Aufgreifen tagesaktueller Themen auf den einschlägigen Internetseiten, der Verteilung von Flyern und sogar durch die Verbreitung einer gedruckten Zeitung namens "Volldraht", die eine Nähe zum selbst ernannten "Großherzog von Mecklenburg-Schwerin Maik Friedrich" aufweist, wurde versucht, reichsbürgertypische "Welterklärungen" zu verbreiten. Zielgruppen waren neben der allgemeinen Bevölkerung insbesondere auch öffentlich Bedienstete. Ob und wie diese kruden Theorien auf Resonanz stoßen, ist nicht bekannt. Das steigende Personenpotenzial im Land zeigt zumindest, dass sich weitere Personen derartigen Ideologien verschrieben haben. 86 86 Internetseite der Zeitung "Volldraht" vom 27.08.2019, abgerufen am 14.09.2020. 47 Im Berichtszeitraum entfalteten die nachfolgenden Gruppierungen regelmäßige - auch überregionale - Aktivitäten: * "Freistaat Preußen" - Provinzverwaltung Pommern, Landkreis Mecklenburgische Seenplatte * "Staatenlos.Info - Comedian e.V.", Landkreis Ludwigslust-Parchim * "Penzliner Runde", Landkreis Mecklenburgische Seenplatte * "Preußisches Institut - Bismarcks Erben", Landkreis Mecklenburgische Seenplatte. Die Anhänger der zuvor jahrelang auch hier aktiven Gruppierung "Geeinte deutsche Völker und Stämme" (GdVuSt) aus Mecklenburg-Vorpommern haben ihre Aktivitäten im Land eingestellt und sich umstrukturiert. Die Gruppierung war 2019 jedoch außerhalb von Mecklenburg-Vorpommern weiterhin bundesweit aktiv. Sie wurde im März 2020 durch den Bundesinnenminister verboten. Bemerkenswert widersprüchlich zur eigenen Weltsicht erwies sich die Kandidatur der "Wählergemeinschaft Penzliner Runde" bei den Kommunalwahlen am 26. Mai 2019 in Penzlin. Die Wählergemeinschaft ging aus der Reichsbürgerstruktur "Penzliner Runde" hervor, die grundsätzlich das Bestehen der Bundesrepublik abstreitet, aber sich gleichwohl in dieser zur Wahl stellt. Das Hauptanliegen war die Motivation der "Penzliner Bürger zu einer aktiven 87 Gestaltung des Lebens"88 in der Stadt. Ein Wahlerfolg blieb jedoch aus. Im Berichtszeitraum war das Spektrum der "Reichsbürger und Selbstverwalter" nicht nur propagandistisch aktiver, sondern zeigte sich auch aggressiver. Szeneangehörige suchten insbesondere bei Verwaltungsbehörden, Gerichten und der Polizei verstärkt den direkten und teilweise sehr konfrontativen Kontakt. So kam es zum Beispiel zu Widerstandshandlungen, sofern staatliche Maßnahmen (z.B. Zwangsvollstreckungen) bei "Reichsbürgern" durchgesetzt werden sollten. Bemerkenswert waren hierbei das sehr hohe Mobilisierungspotenzial sowie die gruppierungsübergreifende Unterstützungsbereitschaft innerhalb der Szene. Dies zeigte sich insbesondere auch bei Gerichtsverhandlungen gegen Anhänger der Szene, die zum Teil nur mit erheblichem Einsatz von Sicherheitspersonal durchgeführt werden konnten. Darüber hinaus stellten Anhänger der "Reichsbürger und Selbstverwalter"-Szene im Berichtszeitraum Daten von Personen zusammen, die von ihnen als "feindlich" betrachtet wurden. Sie wurden dann im Internet veröffentlicht. Dabei handelte es sich mehrheitlich um Behördenangehörige. Ziel dieser "Outings" war die Diffamierung und Einschüchterung der genannten Personen. 87 Internetseite der Gruppierung "Penzliner Runde", abgerufen am 05.02.2020. 88 Ebd. 48 Zudem konnte ein stetig wachsender Informationsaustausch innerhalb der Szene wahrgenommen werden. So entwickelten sich regelrechte Netzwerke in den Gruppierungen, die darauf abzielten, sich gegenseitig über die erfolgreichsten Methoden zur "Bekämpfung" der Bundesrepublik Deutschland zu unterrichten. Entsprechende "Seminare" wurden von bundesweit bedeutsamen Gruppierungen auch in Mecklenburg-Vorpommern durchgeführt. 49 6 Linksextremismus 6.1 Lageüberblick Linksextremisten verfolgen das Ziel, die bestehende Staatsund Gesellschaftsordnung und damit auch die freiheitliche demokratische Grundordnung abzuschaffen, um an deren Stelle ein kommunistisches System beziehungsweise eine "herrschaftsfreie", anarchistische Gesellschaftsform zu errichten. Während nach klassischer marxistisch-leninistischer Lehre vor dem Kommunismus als Übergangsform ein sozialistisches System mit der Staatsform der Diktatur des Proletariats als Instrument der Machtsicherung der "Arbeiterklasse" notwendig ist, hängen Anarchisten vielfach der Vorstellung nach, dass es einen revolutionären Prozess geben kann, der unmittelbar in eine "herrschaftsfreie" Gesellschaft" mündet. Bei der Bewertung der Gefahren, die von diesen Ideologiemodellen ausgehen, ist ein Blick auf die Herrschaftspraxis in Geschichte und Gegenwart notwendig. Systeme, die sich auf die Lehren von Marx, Engels, Lenin, Trotzki, Stalin oder Mao Tse-tung berufen haben und heute noch berufen, sind antidemokratisch und missachten die Menschenrechte. Dabei war und ist der Einzelne einem Überwachungssystem unterworfen, das Individualität, wie sie in Demokratien verfassungsrechtlich garantiert ist, nicht zulässt. Zuerst kommt das "System", dann der Mensch. Es steht daher zu befürchten, dass eine solche Herrschaftspraxis auch hierzulande Platz greifen würde, wenn die heutigen Protagonisten linksextremistischer Ideologien an die Macht kämen. Das anarchistische Lager hatte bislang keine ausreichende Gelegenheit, die Funktionsfähigkeit der eigenen Denkmodelle in der Praxis über einen längeren Zeitraum und in einem gesamtgesellschaftlichen Rahmen zu beweisen. Was in einem "besetzten" Haus" möglicherweise noch gelingen kann, ist sicherlich nicht auf die heutigen komplexen Gesellschaften zu übertragen. Insbesondere stellt sich die Frage, wie politische Entscheidungen legitimiert und letztlich auch gegen die unterschiedlichen Interessen der Menschen durchgesetzt werden. Bedarf es da nicht doch eines irgendwie gearteten Apparates, und wer bestimmt über dessen Handlungen? Hier bleiben viele grundsätzliche Fragen offen, wie etwa die nach der Stellung und den Rechten des Individuums. Lässt eine anarchistische Gesellschaftsform abweichendes Denken zu oder wird Konformität erwartet? Wie auch immer die Antworten in den einzelnen anarchistischen Denkmodellen ausfallen mögen, das Fehlen einer staatlichen Ordnung ist mit dem Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes nicht vereinbar. Zentraler Ausgangspunkt linksextremistischer Ideologien ist die Bekämpfung des "Kapitalismus". Linksextremisten verbinden mit diesem Begriff in der heutigen Zeit marktwirtschaftliche Volkswirtschaften in demokratischen Rechtsstaaten. Diese Systeme seien verantwortlich für eine weltweite soziale Ungerechtigkeit, Rassismus, Kriege und Umweltzerstörung. Daher sei die Beseitigung dieser Verhältnisse durch einen revolutionären Prozess Voraussetzung für das Erreichen der eigenen Ziele, die eine Gesellschaft der "Freien und Gleichen" garantieren sollen. Auf dem Weg dorthin wird die Anwendung von Gewalt als legitimes Mittel angesehen. An dieser Vorstellung richten sich auch die Aktionsfelder der Szene aus. Im Berichtszeitraum standen in Mecklenburg-Vorpommern der "Antifaschismus", das Thema "Antirepression", der Klimaschutz und die "Kurdistansolidarität" im Vordergrund. 50 Auch demokratisch gesinnte Menschen engagieren sich vielfach gegen Rechtsextremismus und für Klimaschutz oder sehen Veränderungen im Bereich der Sicherheitsgesetzgebung skeptisch. Die handelnden Personen richten sich jedoch nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung, sondern wollen das demokratische Gemeinwesen für die Zukunft weiterentwickeln und Freiheitsrechte sichern. Dies ist Ausdruck einer lebendigen Demokratie. Demgegenüber betrachten Linksextremisten diese Aktionsfelder primär ideologisch und im Sinne der klassischen marxistisch-leninistischen Bündnispolitik als Möglichkeit, über die eigene Klientel hinaus anschlussfähig zu werden. Ziel ist es dabei, den eigenen politischen Einfluss so zu verbreitern, dass perspektivisch revolutionäre Prozesse möglich werden. In der politischen Praxis stellen Linksextremisten ihre angeblich humanitären Anliegen daher deutlich in den Vordergrund. Die verfassungsfeindliche Strategie wird - wenn überhaupt - nur im Hintergrund sichtbar. Die Folge ist, dass in der Öffentlichkeit zumeist nur das scheinbar menschenfreundliche Engagement in den Aktionsfeldern wahrgenommen wird. Die von Linksextremisten ausgehenden Gefahren für unsere freiheitliche Gesellschaft werden daher regelmäßig übersehen. Umso notwendiger ist eine kritische Auseinandersetzung mit dieser Entwicklung. In Mecklenburg-Vorpommern konnten die linksextremistischen Strukturen im Berichtszeitraum trotz der "Bündnispolitik" keinen Zulauf verzeichnen. Das Personenpotenzial bewegte sich weiterhin bei 500. Dies dürfte aber auch mit der Zusammensetzung dieser Szene zusammenhängen. Parteien mit marxistisch-leninistischer Ausrichtung sind auch aufgrund der Erfahrungen mit dem "real existierenden Sozialismus" bundesweit wenig attraktiv. Auch das Bedürfnis, sich in gewaltbereiten Szenen zu bewegen, ist wenig ausgeprägt und beschränkt sich zumeist auf junge Menschen in städtischen Milieus. Mecklenburg-Vorpommern mit seinen großen ländlichen Räumen ist daher allein schon strukturell kein Schwerpunktland für linksextremistische Militanz. Bei den Kommunalund Europawahlen 2019 erreichten die linksextremistischen Parteien daher auch nur marginale Ergebnisse. Hierbei ist jedoch zu berücksichtigen, dass Linksextremisten demokratischen Wahlen ohnehin eine geringe Bedeutung beimessen, da die politische Macht nicht über die Parlamente, sondern durch einen revolutionären Prozess gewonnen werden soll. Daher ist der außerparlamentarische Raum mit den dort agierenden "Bewegungen" für Linksextremisten von deutlich größerer Bedeutung. Genau hier setzen die Beeinflussungsversuche an. Besonders deutlich wird dies durch die auch in Mecklenburg-Vorpommern aktive "Interventionistische Linke" (IL). Vor diesem Hintergrund ist für die Beurteilung der Gefährlichkeit einer Bestrebung nicht allein das Personenpotenzial entscheidend, sondern die politische Wirkung insgesamt. Wenn auch die Zahl der Gewalttaten gegenüber 2018 gesunken ist, so ist im Vergleich zur Szenegröße weiterhin eine deutliche Gewaltbereitschaft zu erkennen. 51 6.2 Linksextremismus in Mecklenburg-Vorpommern im Jahre 2019 6.2.1 Personenpotenzial Personenpotenzial der linksextremistischen Organisationen 2019 in MecklenburgVorpommern und bundesweit:89 M-V M-V Bund Bund 2018 2019 2018 2019 Gewaltorientierte Linksextre280 26091 9.000 9.20092 misten90 "Rote Hilfe e.V." (RH) 250 250 9.200 10.500 "Deutsche Kommunistische 40 40 2.850 2.850 Partei" (DKP) "Marxistisch-Leninistische 20 20 2.800 2.800 Partei Deutschlands" (MLPD) "Sozialistische Alternative" 25 25 300 400 (SAV) "Sozialistische Deutsche Ar10 10 670 670 beiterjugend" (SDAJ) Gesamt93 520 500 32.000 33.500 6.2.2 Straftatenaufkommen Insgesamt wurden durch das Landeskriminalamt Mecklenburg-Vorpommern im Phänomenbereich "Links" der politisch-motivierten Kriminalität 279 (2018: 249) Straftaten erfasst. Davon wurden 92 Straftaten als extremistisch eingestuft (2018: 89). Den Schwerpunkt bildeten auch in 2019 Sachbeschädigungen, von den 129 (2018: 115) politisch linksmotivierten verzeichneten Sachbeschädigungen wurden 43 (2018: 43) als linksextremistisch eingeschätzt. Im Vordergrund standen hier erneut Angriffe auf die AfD. Von insgesamt 32 Angriffen auf Parteibüros im Land entfielen allein 22 (2018: 28) auf die AfD. Darüber hinaus wurden 2019 22 linksextremistisch motivierte Gewalttaten registriert (2018: 26). Sie richteten sich wiederum gegen den politischen Gegner und die Polizei, erfolgten also auf den Aktionsfeldern "Antifaschismus" und "Repression". Hier sehen Linksextremisten ohnehin einen deutlichen Zusammenhang. 89 Alle Zahlen sind Rundungswerte. 90 Die Begriffe "gewaltbereite Linksextremisten" und "Autonome" werden weitgehend synonym verwendet. 91 Darunter befinden sich auch Mitglieder/Anhänger der "Interventionistischen Linken" (IL) im unteren zweistelligen Bereich. Die IL ist als gewaltunterstützend einzustufen. 92 Seit 2014 wird beim Bund die Anzahl gewaltorientierter Linksextremisten angegeben, in der die Zahl der gewaltbereiten Linksextremisten als Teilmenge enthalten ist. 93 Gesamtzahl von Mecklenburg-Vorpommern und Bund um Mehrfachmitgliedschaften bereinigt. Die Gesamtzahl des Bundes umfasst auch Organisationen, die in MecklenburgVorpommern nicht vertreten sind bzw. nicht beobachtet werden. 52 6.3 Versuch der Einflussnahme auf die Klimaproteste Der Klimaschutz und die damit verbundenen Veränderungen für die Wirtschaft und die Lebensweise jedes Einzelnen nehmen in der gesamtgesellschaftlichen Diskussion über die Gestaltung der Zukunft einen immer breiteren Raum ein. Linksextremisten sehen hier im Sinne der oben beschriebenen Strategie der Einflussnahme eine zentrale Möglichkeit, eigene ideologische Inhalte zu verbreiten. Gerade die Debatten über die künftige Ausgestaltung marktwirtschaftlichen Handels bieten hier günstige Möglichkeiten, sozialistisch-kommunistisches Denken wieder relevanter werden zu lassen. Vor diesem Hintergrund versuchen Linksextremisten aus allen Lagern sich, in die "Klimaschutzbewegung" einzubringen. Daher und wegen der Bedeutung des Themas für die künftige Entwicklung des Linksextremismus erfolgt die Darstellung gesondert an dieser Stelle. Vermutlich aus taktischen Erwägungen heraus rückte die öffentlich immer bedeutsamer werdende "Fridays For Future"-Bewegung (FFF) 2019 zunehmend in das Interesse der linksextremistischen Szene. FFF besteht hauptsächlich aus jungen Menschen und spricht weite Teile der Bevölkerung an. Aus Sicht linksextremistischer Akteure entstand bzw. entsteht hier ein idealer Resonanzraum für linksextremistisches Gedankengut. Entsprechend versuchten auch Linksextremisten in Mecklenburg-Vorpommern, sich in das Demonstrationsgeschehen von FFF einzubringen. Im Zusammenhang mit dem "ersten weltweiten Klimastreik" am 15. März 2019 äußerte die IL Rostock in den sozialen Medien, dass sich der "VS" [Anmerkung: vermutlich Verfassungsschutz] gerade richtig beliebt mache, da er Keile in die Umweltbewegung treibe, deren Teil die IL mit voller Überzeugung sei. Natürlich handele die IL innerhalb dieser Bewegung strategisch, weil sie möchte, dass sie erfolgreich werde. Die IL Rostock und andere "linksradikale Genoss*innen" seien auf der Demonstration am 15. März 2019 dabei gewesen. 94 Die IL mobilisierte auch für die FFF-Demonstration am 20. September in Rostock und sprach dabei von einer Unterstützung der "Genoss*innen" von "fridaysforfuture Rostock".95 Allerdings wurden im Anschluss an die Demonstration Konflikte zwischen FFF und der linksextremistischen Szene deutlich. In einem offenen Brief96 kritisierte die linksextremistische Gruppe "Limoantifaschistische Jugendgruppe HRO" (Limo) die Geschehnisse während der FFFAktion am 20. September 2019 in Rostock und beschwerte sich über eine unfaire und unsolidarische Behandlung durch FFF. Demnach habe FFF Rostock ihr verboten, einen "antikapitalistischen Block" auf der Demonstration zu organisieren und auch einen zuvor abgesprochenen Redebeitrag verhindert. Außerdem habe FFF Rostock durch die Polizei übermitteln lassen, dass "Limo" eine eigene Veranstaltung machen solle, wenn diese ihre Parolen rufen wollten. 94 Facebook-Seite der IL Rostock vom 15. April 2019, zuletzt abgerufen am 18.12.2019. 95 Facebook-Seite der IL Rostock vom 18.09.2019, zuletzt abgerufen am 18.12.2019. 96 Facebook-Seite Limo vom 26.09.2019, zuletzt abgerufen am 18.12.2019. 53 Gleichwohl beteiligte sich diese Gruppierung an den Klimaprotesten von FFF Rostock am 29. November 2019. "Limo" rief im Vorfeld dazu auf, einen "antikapitalistischen Block" zu bilden. Im Aufruf heißt es: "Kommt zum antikapitalistischen Block! [...] denn die Ursachen der drohenden Klimakrise liegen in unserer Produktionsweise [...] Die Parteien im Bundestag vertreten durchweg die Interessen des Kapitals, die das Gegenteil sind von effektivem Klimaschutz und sozialer Sicherheit." 97 "Limo" machte des Weiteren deutlich, dass die Klimabewegung eine politische Bewegung sein müsse und forderte FFF auf, sich dazu politisch eindeutig zu positionieren. Im Demonstrationszug lief eine Gruppe schwarz gekleideter Personen mit, die ein Transparent mit der Aufschrift: "SYSTEM CHANGE NOT CLIMATE CHANGE - SMASH CAPITALISM" trugen. Es liegt nahe, dass es sich auf dem abgebildeten Foto um den "antikapitalistischen Block" handelt. Unten, mittig auf dem Transparent, ist der Urheber "Limo" ausgewiesen. "Limo" kommentierte das Transparent mit den Worten: "Nicht aufs Parlament vertrauen, auf Widerstand von unten baun [sic!]! Stabiler, antikapitalistischer Block auf der Klimademo in Rostock."99 An der Demonstration beteiligten sich auch Personen mit einer Fahne der MLPD. FFF Rostock distanzierte sich gleich zu Beginn der Veranstaltung ausdrücklich von der 98 MLPD. 6.4 Gewaltorientierte Linksextremisten Dieser Szene gehören in Mecklenburg-Vorpommern im Wesentlichen die "Autonomen" an, die ideologisch dem Anarchismus zuzurechnen sind. Sie sind für die Mehrzahl der linksextremistisch motivierten Straftaten, insbesondere die Gewalttaten verantwortlich. Lokale Schwerpunkte dieser Szene sind die Universitätsstädte Rostock und Greifswald. In diesem Spektrum finden sich zudem die Vertreter der sogenannten Postautonomen, die im Unterschied zum harten Kern der Autonomenszene eine größere Einflussnahme auf politische Prozesse in der Gesamtgesellschaft anstreben. Zur Gewalt haben diese Gruppierungen - in Mecklenburg-Vorpommern zählt hierzu die "Interventionistische Linke" (IL) - ein taktisches Verhältnis. 6.4.1 Aktionsfeld "Antifaschismus" Der "Antifaschismus" verkörpert weiterhin das wichtigste Aktionsfeld der gewaltorientierten Linksextremisten in Mecklenburg-Vorpommern. Entsprechende Aktionen richten sich dabei vornehmlich gegen tatsächliche oder für solche gehaltene Rechtsextremisten. 97 Ebd. 98 Facebook-Seite "Limo" vom 29.11.2019, zuletzt abgerufen am 18.12.2019. 99 Ebd. 54 Die Taten reichen von der Veröffentlichung privater Daten, den sogenannten Outings, über Sachbeschädigungen an Parteibüros und -gebäuden, bis hin zu tätlichen Angriffen auf Personen. Opfer von Straftaten werden auch Gaststättenbetreiber, die AfD-Treffen zulassen oder zulassen wollten. Bei Demonstrationen suchen gewaltorientierte Linksextremisten die Konfrontation mit dem politischen Gegner oder der Polizei. Dies geschieht insbesondere dann, wenn die Polizei die Linksextremisten daran hindert, gewaltsam gegen ihren politischen Gegner vorzugehen. Beispielhaft seien die folgenden Ereignisse genannt: * Einschüchterung eines Rostocker Lokalbetreibers mittels Outing Im Internet berichtete der Absender "Antifa", dass am 16. Mai 2019 eine Veranstaltung der "faschistischen AfD" im Stadthafen geplant sei. 100 Hierfür habe sich der AfD-Kreisverband Rostock in der Örtlichkeit [Name und Adresse des Lokals wurden benannt] eingemietet. In dem veröffentlichten Artikel forderte der Absender die Absage der Veranstaltung mit dem Hinweis, dass "in dem Viertel der Antifa"101 weder rechte Veranstaltungen noch Unternehmen geduldet werden, die rechten Hetzern eine Bühne bieten. Um dies deutlich zu machen, habe die Antifa das Lokal sowie die Privatund Geschäftsadresse des Betreibers großflächig mit Plakaten "verschönert". Außerdem waren in dem Artikel der Name des Betreibers, dessen Adresse, E-Mailadresse, Festnetzund Mobilfunknummer veröffentlicht, versehen mit dem Kommentar, dass sich dieser bestimmt über weitere Nachrichten, Briefe, Gespräche, Mails, Anrufe und Klingelstreiche freue. Die Verfasser fordern ausdrücklich: "Werdet aktiv! [...] Antifa bleibt Handarbeit!."102 Für den Fall, dass die AfDVeranstaltung trotzdem stattfinden sollte, wurden Gegenaktionen angekündigt. Der Betreiber der Räumlichkeiten sagte daraufhin den geplanten Bürgerdialog der AfD ab.103,104 * Anschlag auf eine Gaststätte in Stralsund In der Nacht vom 20. auf den 21. Mai 2019 wurde in eine Gaststätte in Stralsund eingebrochen und dabei innen und außen am Gebäude großflächige Schriftzüge (2 m x 10 m), wie "FCK NZ"; "ACAB", "FCK AFD", "No Heart for Nation" und "No Nazis", angebracht. Am 22. Mai 2019 sollte in der Gaststätte eine Wahlkampfveranstaltung der AfD stattfinden, was zuvor öffentlich bekannt war. Zeitgleich wurde das Bürgerbüro der AfD in Stralsund ebenfalls großflächig beschmiert. 100 Internetseite de.indymedia.org: "[HRO] KEIN RAUM DER AFD - Veranstaltung am 16.05. in Rostock absagen!" vom 13.05.2019, abgerufen am 13.05.2019. 101 Ebd. 102 Ebd. 103 Schweriner Volkszeitung online: "AfD sagt Bürgerdialog in Rostock ab" vom 13.05.2019, abgerufen am 14.05.2019. 104 Facebook-Seite der AfD vom 13.05.2019. 55 * Gefährliche Körperverletzung und Diebstahl in Greifswald Am 26. Mai 2019 kam es vor dem Jugendclub "KLEX" in Greifswald zum Diebstahl einer Studentenmütze und einer anschließenden gefährlichen Körperverletzung an zwei Mitgliedern einer studentischen Burschenschaft. Zuerst stahlen die Täter einem der beiden Studenten die Mütze und flüchteten vom Tatort. Einige Minuten später wurden die Geschädigten von einer ca. zehnköpfigen Gruppe tätlich angegriffen. Einem der beiden wurde von hinten auf den Kopf geschlagen, der andere zu Boden gerissen und dort liegend noch mit Fußtritten attackiert. * Outingaktion mit anschließendem Brandanschlag im Dezember 2019 Am 1. Dezember 2019 wurde im Internet ein "Nazi-Adventskalender" vorgestellt und angekündigt, dass nun täglich ein neues Foto zu sehen sei, es handele sich um "Nazis aus Rostock und Umgebung". 105 Insgesamt wurden im Zuge dieser Aktion 23 Personen mit Foto und Namen, Gruppenzugehörigkeit und Wohnort geoutet. In diesem Zusammenhang folgte dann am 27. Dezember 2019 im Internet die Veröffentlichung eines anonymen Bekennerschreibens zu einem Brandanschlag, in dem auf den "Nazi-Adventskalender M-V" Bezug genommen wurde. 106 In dem Beitrag war auch die Abbildung des 1. Adventstürchens mit Foto und Namen veröffentlicht, kommentiert mit den Worten: "Advent Advent 'ne Karre brennt, erst eine, dann zwei, dann drei, dann vier, dann steht die Antifa vor der Tür." 107 Außerdem führten die Absender aus, dass sie am 24. Dezember 2019 dem "Rostocker Fascho [Name ist benannt]" vor seiner Wohnung sein Auto angezündet haben. Nazi sein, bedeute Probleme zu bekommen und wer sich in Rostock in rechten Kreisen rumtreibe, müsse jeder Zeit damit rechnen, "Besuch" zu bekommen. Der Bericht schloss mit den Worten: "Wir kennen euch, wir hassen euch! Antifa heißt Angriff!"108 Neben den gezielten Einzelaktionen gegen tatsächliche oder vermeintliche Rechtsextremisten nahmen Linksextremisten auch an den Gegenprotesten anlässlich der jährlichen Demonstration der NPD in Demmin teil. 6.4.2 Aktionsfeld "Antirepression" Als "Antirepression" bezeichnen Linksextremisten ihren Kampf gegen eine von ihnen behauptete, vielgestaltige Unterdrückung durch den (verhassten) Staat, welcher nicht nur jegliche revolutionären Ansätze im Keim ersticken wolle, sondern bereits die bloße allgemeine Ausübung von staatsbürgerlichen Grundrechten beeinträchtige. Zu den bevorzugten Zielen der Antirepressionsaktionen gehören naturgemäß Polizeibeamte, aber auch Nachrichtendienste und andere staatliche Einrichtungen, wie Ge105 Internetseite de.indymedia.org: "Adventskalender MV: Euer Nazi-Adventskalender aus Mecklenburg-Vorpommern" vom 01.12.2019, zuletzt abgerufen am 04.12.2019. 106 Internetseite de.indymedia.org: "[HRO] Brandanschlag auf Auto von Nazi ...", vom 27.12.2019, abgerufen am 02.01.2020. 107 Ebd. 108 Ebd. 56 richte und Staatsanwaltschaften. In diesem Aktionsfeld engagieren sich naturgemäß gewaltorientierte Linksextremisten, aber auch Strukturen wie etwa die "Rote Hilfe". 6.4.2.1 "Rote Hilfe e.V." (RH) Als bedeutendste linksextremistische Organisation im Themenfeld "Antirepression" tritt der bundesweit agierende Verein RH auf, der in Mecklenburg-Vorpommern mit Ortsgruppen in Rostock und Greifswald vertreten ist. Vorrangiges Aktionsfeld der RH ist die rechtliche und finanzielle Unterstützung Szeneangehöriger in gerichtlichen Verfahren, insbesondere bei Strafprozessen. Durch diesen Rückhalt können potenzielle Straftä109 ter in ihren Vorhaben bestärkt werden. Voraussetzung für die Unterstützung durch die RH ist die Verweigerung jeglicher Zusammenarbeit der Beschuldigten mit Vertretern des Staates, wie der Polizei und der Justiz. In der hierzu erstellten RH-Broschüre mit dem Titel "Aussageverweigerung" wird unter der bekannten Überschrift "Anna und Arthur halten's Maul" ausgeführt, dass es einzig sinnvoll sei, den Umgang mit den "Repressionsbehörden" abzulehnen.110 Geständnisse oder Entschuldigungen zur vorgeworfenen Tat führen regelmäßig zur Ablehnung der Unterstützung durch die RH. Außerdem organisiert die RH Informationsabende, erstellt Broschüren zu verschiedenen Einzelthemen, wie beispielsweise dem Verhalten auf Demonstrationen, bei Festnahmen und Hausdurchsuchungen und gibt eine vierteljährliche Zeitschrift mit dezidiert linksextremistischen Themensetzungen heraus. Im übergeordneten Sinn strebt die RH mit ihrer Arbeit an, die Täter linksmotivierter Gewalt zu "politischen Gefangenen" zu stilisieren, somit aus Tätern Opfer zu machen und damit die Strategie zu verfolgen, die Bundesrepublik als diktatorischen Staat darzustellen und zu diskreditieren. Im Berichtsjahr 2019 wurden den beiden Ortsgruppen in Mecklenburg-Vorpommern insgesamt etwa 250 Mitglieder zugerechnet; bundesweit hat die RH einen deutlichen Zuwachs erfahren. Die Zahl der Mitglieder ist von 9.200 im Jahr 2018 auf 10.500 Mitglieder im Jahr 2019 angewachsen. Am 1. Oktober 2019 startete die neue bundesweite Kampagne der RH unter dem Motto: "Solidarität verbindet". In der Kampagne wirbt die RH damit, dass es sich bei ihr um einen "Solidaritätsverein für alle Linken"112 handele. Die RH stelle sich gegen die Einschränkung "linker" Politik und sei solidarisch mit betroffenen Personen und Organisationen - unabhängig von deren politischen Einstellungen und angewandten Aktionsformen.113 111 109 Internetseiten der RH, Ortsgruppen Rostock und Greifswald, abgerufen am 16.12.2019. 110 RH: Broschüre "Aussageverweigerung", 2016. 111 Internetseite Solidarität-verbindet: "Solidarität", zuletzt abgerufen am 08.10.2019. 112 Ebd. 113 Ebd. 57 6.4.2.2 "Schwarz-Rote Hilfe" (SRH) Rostock Neben der RH war in 2019 auch die linksextremistische Organisation SRH Rostock aktiv. Laut Eigenangaben ist die SRH "selbstorganisierte Anti-Repressions-Arbeit", die unter anderem rechtliche, finanzielle und menschliche Unterstützung im Repressionsfall biete.115 Anders als die RH verfolgt die SRH den Ansatz der "kreativen Antirepression". Im Vergleich zum Jahr 2018 ist es im Berichtsjahr 2019 um die SRH wieder ruhiger 114 geworden, es fanden kaum Aktionen statt. Jeden ersten Donnerstag im Monat organisierte die SRH ein "Anti Knast Cafe" in Rostock. Die Veranstaltung soll dem Kennenlernen und Gedankenaustausch dienen sowie dem gemeinsamen Schreiben von Briefen und Postkarten an Gefangene.116 6.4.2.3 Proteste gegen die Novellierung des Sicherheitsund Ordnungsgesetzes M-V (SOG M-V) Die oben genannten Organisationen IL Rostock, RH Rostock und die SRH Rostock haben sich im Berichtszeitraum auch in dem Bündnis "SOGenannte Sicherheit - Bündnis gegen die Verschärfung des SOG in M-V" (kurz: "Bündnis SOGenannte Sicherheit MV") engagiert. Darüber hinaus wurde das Bündnis durch "Antifa"Gruppierungen, die "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP) und die "Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend" (SDAJ) unterstützt.117 Das zivilgesellschaftliche und überwiegend von demokratischen Akteuren getragene und daher nicht unter den gesetzlichen Auftrag des Verfassungsschutzes fallende "Bündnis SOGenannte Sicherheit MV" kritisierte die Novellierung des Sicherheits-und Ordnungsgesetzes als zu weitgehend. Dieses Anliegen wurde von linksextremistischer Seite als eine weitere Möglichkeit gesehen, im Rahmen der angestrebten Bündnisse mit aus linksextremistischer Sicht geeigneten Bewegungen eigene ideologische Ziele zu verfolgen. Hier ging es primär um die für Linksextremisten typische Diskreditierung rechtsstaatlichen Handelns. Im Rahmen von Demonstrationen, die vom "Bündnis SOGenannte Sicherheit MV" organisiert wurden, zeigte sich dann auch, dass die linksextremistischen Akteure deutlich weitergehende Ziele verfolgen als das Bündnis selbst. Bei einer Veranstaltung am 16. Juni 2019 in Schwerin spannten offensichtlich Linksextremisten ein großflächiges Plakat mit der Aufschrift "NOT OUR FRIENDS - POLIZEI AUFLÖSEN" auf. 114 Internetseite SRH, zuletzt abgerufen am 17.12.2019. 115 Internetseite SRH: "Über die SRH", abgerufen am 20.12.2019. 116 Internetseite SRH: "Anti Knast Cafe in Rostock", abgerufen am 20.12.2019. 117 Internetseite SOGenannte Sicherheit: "Unterstützerinnen", abgerufen am 20.12.2019. 58 Offen bleibt hier stets die Frage, auf welche Weise in politischen Systemen, die nach den Vorstellungen der linksextremistischen Akteure durch linksextremistische Ideologien geprägt sein sollen, Recht und Ordnung aufrechterhalten werden. Die Staaten, die sich aktuell auf den Marxismus-Leninismus berufen, zeigen hier ein abschreckendes Bild. Deren Machtapparat ist menschenverachtend und mit rechtsstaatlichen Grundsätzen unvereinbar. 118 6.4.3 Aktionsfeld "Kurdistansolidarität" Die "Kurdistansolidarität" ist bundesweit ein klassisches Agitationsfeld der linksextremistischen Szene. In Mecklenburg-Vorpommern waren Aktionen, die in diesem Zusammenhang stattfanden, bisher kaum in der Öffentlichkeit wahrnehmbar. Dies änderte sich mit der Brandstiftung an vier Transportern der Deutschen Bahn AG (DB) im Januar 2019 in Rostock. Auf dem Gelände einer Reparaturwerkstatt der DB wurden vier Transporter der DB mit Hilfe von Brandbeschleunigern in Brand gesetzt, wodurch ein Sachschaden von ca. 100.000 Euro entstand. Im Internet erschien im Nachgang zur Tat ein anonymes Bekennerschreiben mit dem Titel: "[HRO] Deutsche Bahn Logistik abgefackelt!"119. Als Gründe für die Brandstiftung nannten die Verfasser die Solidarität mit von Räumung bedrohten linksradikalen Projekten sowie das Motto "Krieg dem Krieg", da die Deutsche Bahn AG ein führender Logistikpartner der NATO sei und somit verantwortlich für den Transport von Kriegsnachschub an deutsche Truppen und deren Partner, das "faschistische türkische Regime". Außerdem werde an alle gedacht, die nicht mehr dabei sein können, weil sie vom Staat verfolgt würden. Die Brandstifter forderten: "Freiheit für alle!".120 Zur Unterstützung kurdischer Autonomiebestrebungen wurde im Frühjahr 2019 die internationale Kampagne "#riseup4rojava" gegründet. Sie verfolgt das Ziel, die "Solidarität mit der Revolution in Kurdistan" weiterzuentwickeln."122 Dabei stellen die Protagonisten dieser Kampagne die Entwicklungen im Kurdengebiet in eine Reihe mit der "Oktoberrevolution" in Russland und der "kubanischen Revolution".123 Vor diesem Hintergrund zeigte auch die IL in Mecklen121 burg-Vorpommern ihre Solidarität, indem sie im Oktober 2019 unter dem Eindruck eines eskalierenden Konfliktes zwischen der Türkei und den Kurden ihr Profilbild auf Facebook an die Farben der in Deutschland verbotenen 118 Foto: Ministerium für Inneres und Europa Mecklenburg-Vorpommern. 119 Internetseite de.indymedia.org: "[HRO] Deutsche Bahn Logistik abgefackelt!" vom 31.01.2019, zuletzt abgerufen am 04.02.2019. 120 Ebd.. 121 Facebook-Seite der IL Rostock vom 10.10.2019, abgerufen am 15.10.2019. 122 Internetseite von #riseup4rojava: "Über uns", abgerufen am 14.10.2019. 123 Internetseite von #riseup4rojava: "Aufruf", abgerufen am 14.10.2019. 59 "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) und der YPG (kurdische "Volksverteidigungseinheiten") anpasste.124 Darüber hinaus kam es zu folgenden Aktionen: * Unangemeldete Demonstration in Rostock Am 12. Oktober 2019 stellte die Polizei einen nicht angemeldeten Aufzug in Rostock mit ca. 40 zum Teil vermummten Personen fest. Die Gruppe zeigte Transparente mit den Aufschriften "Rojava verteidigen" und "Kämpfen Afrin" sowie Fahnen der YPG. 125 * Graffiti-Aktion am Firmengebäude der Rheinmetall AG in Rostock Durch die Polizei wurden am 28. Oktober 2019 am Rostocker Firmengebäude der Rheinmetall AG ein 15 Meter langer Schriftzug "BIJI ROJAVA" sowie gelbe und grüne Farbkreise festgestellt. Im Nachgang zu der Aktion fand sich im Internet eine Taterklärung126, die einen Zusammenhang zwischen deutschen Rüstungsfirmen und den militärischen Aktionen der Türkei gegen die Kurden herstellt. * Graffiti-Aktion an einer Rostocker Straßenbahn Am 5. November 2019 wurde eine Rostocker Straßenbahn mit themenbezogenen Graffiti (Fahne der YPG und Schriftzug "Defend Rojava") versehen. In der Folge wurde eine entsprechende Taterklärung veröffentlicht.128 Auf dem gleichzeitig eingestellten Video waren drei dunkel gekleidete und vermummte Personen 127 zu sehen, die die Graffitis auf die Straßenbahn sprühten. 6.5 Dogmatischer Linksextremismus Dem dogmatischen Linksextremismus sind Parteien und Strukturen zuzurechnen, die unverbrüchlich an der Ideologie des Marxismus-Leninismus oder gar des Stalinismus festhalten und als Endziel eine kommunistische Gesellschaftsordnung anstreben. Wie auch die unten aufgezeigten Wahlergebnisse zeigen, findet dieses Spektrum in der Wählerschaft keinen Rückhalt. Diese Gruppierungen versuchen daher, im außerparlamentarischen Raum Einfluss auf politische Entwicklungen zu nehmen, so aktuell in der Klimaschutzbewegung. 124 Facebook-Seite der IL Rostock vom 10.10.2019, abgerufen am 15.10.2019. 125 Facebook-Seite Limo vom 13.10.2019, abgerufen am 15.10.2019. 126 Internetseite de.indymedia.org: "[HRO] Rheinmetall Büro mit Farbe angegriffen" vom 29.10.2019, abgerufen am 04.11.2019. 127 Ebd. 128 Internetseite de.indymedia.org: "[HRO] Defend Rojava - Backjump Graffiti Action - Rostocker Straßenbahn (Video)" vom 05.11.2019, abgerufen am 05.11.2019. 60 In Mecklenburg-Vorpommern ist es dem dogmatischen Linksextremismus auch in 2019 nicht gelungen, eine größere politische Bedeutung zu erlangen. Bei den Europawahlen erreichte die "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP) 0,2 Prozent und bei der Kommunalwahl landesweit 0,0 Prozent der Wählerstimmen. Die "MarxistischLeninistische Partei Deutschlands" (MLPD) konnte bei der Europawahl 0,1 Prozent der Stimmen auf sich vereinigen. Diese fehlende politische Zustimmung darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass die genannten Parteien aufgrund ihrer Mitgliederstärke, ihrer Jugendorganisationen und den vorhandenen Finanzmitteln zumindest im bundesweiten Maßstab eine relevante Größe im linksextremistischen Spektrum darstellen. In Mecklenburg-Vorpommern ist der Organisationsgrad weiterhin eher schwach. Die DKP verfügt zwar über Ortsgruppen in Schwerin, Greifswald, Neubrandenburg, Rostock, Stralsund und auf Rügen, jedoch ist das Personenpotenzial insgesamt gering. Die "Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend" (SDAJ)130 ist eine eigenständige Organisation, 129 die der DKP nahe steht und über Ortsgruppen in Schwerin und Rostock verfügt. Die "Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands" (MLPD) unterhält Ortsgruppen in Alt-Schwerin und Rostock. Der Jugendverband "REBELL" der MLPD ist mit einer Ortsgruppe in Rostock vertreten. 131 Daneben bestehen in Mecklenburg-Vorpommern einige Regionalgruppen des "RotFuchs-Fördervereins", der zum Bereich der "DDR-nostalgischen", orthodoxen Kommunisten zählt. Mit Blick auf die in den letzten Verfassungsschutzberichten erwähnte "Soziale Alternative" (SAV) ist im Be132 richtsjahr 2019 festzustellen, dass es zu einer Umorganisation bzw. Spaltung kam, die am 8. September 2019 auf der Bundeskonferenz in Berlin vollzogen wurde. Die bisherige Mehrheit des SAV-Vorstandes gründete eine neue Organisation mit dem Namen "Sozialistische Organisation Solidarität" (SOL). Die SOL ist in zwölf deutschen Städten mit Ortsgruppen vertreten. In MecklenburgVorpommern gibt es eine Ortsgruppe in Rostock. 129 Internetseite der DKP, abgerufen am 15.01.2019. 130 Die SDAJ ist die Jugendorganisation der DKP, von dieser aber organisatorisch unabhängig. 131 Internetseite der MLPD, abgerufen am 15.01.2019. 132 Facebook-Seite SOL Rostock, abgerufen am 16.12.2019. 61 7 Islamismus/Islamistischer Terrorismus 7.1 Entwicklung des Islamismus und islamistischen Terrorismus 2019 Der islamistische Terrorismus stellt weiterhin eine sehr große Gefahr für die innere Sicherheit der Bundesrepublik dar. Allerdings gab es auch 2019 keinen islamistischen Anschlag mit Todesfolge in Deutschland. Gleichwohl bildet das islamistischterroristische Spektrum von etwa 2.200 Personen (2018: ca. 2.240) ein permanentes und erhebliches Gefährdungspotenzial. Der Islamismus mit seinem religiös begründeten politischen Machtanspruch darf jedoch nicht als regionales Phänomen betrachtet werden. Vielmehr bedarf seine Entwicklung einer transnationalen Betrachtung, die auch die vielgestaltigen Facetten und die zum Teil destabilisierenden Auswirkungen außerhalb Europas einbezieht. So ist es im europäischen Ausland, vor allem aber in islamisch geprägten Ländern, wie Afghanistan, Syrien, Irak und in Afrika 2019 wieder zu zahlreichen islamistischen Anschlägen gekommen. 7.1.1 Anschläge in Europa * Anschlag auf die Polizeipräfektur von Paris am 3. Oktober 2019 Am 3. Oktober 2019 tötete ein Polizeimitarbeiter in seiner Dienststelle in der Pariser Innenstadt vier Kollegen durch Messerstiche. Der Täter hatte in Frankreich beim polizeilichen Nachrichtendienst gearbeitet und war im Bereich der Bekämpfung des islamistischen Terrorismus eingesetzt. Nach seiner Tat stellte sich heraus, dass er in seinem Wohngebiet regelmäßig eine islamistische Moschee besucht hatte und im Kontakt zur salafistischen Szene stand. Die Tat erregte in Frankreich insbesondere deshalb Aufsehen, weil die Polizei verschiedenen Hinweisen auf die islamistische Orientierung des Täters im Vorfeld der Tat nicht ausreichend nachgegangen war. * Anschlag in London am 29. November 2019 Am frühen Nachmittag des 29. November 2019 griff ein 28-jähriger Mann in der britischen Hauptstadt mehrere Menschen mit einem Messer an. Zwei von ihnen erlitten tödliche Verletzungen. Der Attentäter war ein verurteilter Terrorist, der 2018 aus der Haft entlassen worden war. Vor dem Anschlag hatte er an einer Veranstaltung zur Resozialisierung von Ex-Häftlingen teilgenommen und trug währenddessen eine elektronische Fußfessel. Er starb durch Schüsse der Polizei am Tatort. Die Terrororganisation IS reklamierte die Tat für sich. 7.1.2 Anschläge weltweit In Asien und Afrika war auch im Jahr 2019 wieder eine große Zahl von islamistischen Anschlägen zu verzeichnen, deren Opferzahlen die der vorstehend geschilderten Anschläge in Europa um ein Vielfaches überstiegen. Die Anschläge mit den meisten Opfern wurden - wie auch schon in den letzten Jahren - in Syrien, Afghanistan, Pakistan, Nigeria und Somalia verübt. Das gravierendste Ereignis war im Jahr 2019 al62 lerdings eine Anschlagsserie in Sri Lanka am 21. April 2019. Selbstmordattentäter hatten drei Kirchen und drei Hotels angegriffen und dabei 259 Menschen getötet. Die Terrororganisation IS reklamierte anschließend die Tat für sich. Bei einem Anschlag auf Einrichtungen von afghanischen Spezialkräften in Maidan Shar in der Provinz Wardak kamen am 21. Januar 2019 über 120 Menschen ums Leben. Als Verantwortliche für diesen Anschlag werden die Taliban vermutet. Ebenfalls in der afghanischen Hauptstadt Kabul kamen bei einem Anschlag auf eine Hochzeitsfeier am 17. August 2019 über 90 Menschen ums Leben. Viele dieser Anschläge richteten sich gezielt gegen andere Muslime, welche lediglich einen anderen Islam vertreten als die jihadistischen Attentäter. 7.2 Salafismus - Hintergründe und aktuelle Entwicklung Der Salafismus ist in Deutschland und zahlreichen anderen Ländern Europas nach wie vor die am dynamischsten wachsende islamistische Bewegung. Ihm werden in Deutschland mit Stand Dezember 2019 ca. 12.150 Personen zugerechnet, was einen Anstieg von ca. 7,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahr bedeutet (September 2018: ca. 11.300). Der Salafismus ist eine Ideologie und gleichzeitig eine besonders radikale Bewegung innerhalb des islamistischen Extremismus, die sich an den Ideen und Lebensweisen der ersten Muslime und der islamischen Frühzeit orientiert. Die Zahl der Islamisten aus Deutschland, die in Richtung Syrien oder Irak ausgereist sind, um sich dort am Jihad zu beteiligen, beträgt nach Einschätzungen der Sicherheitsbehörden des Bundes wie bereits 2018 1.050 Personen. Im Kampf gegen den IS konnten im Berichtsjahr 2019 zwei große Erfolge verzeichnet werden. Zum einen wurde in diesem Jahr der Einflussbereich des IS gegenüber dem Jahr 2018 nochmals verringert. Anfang des Jahres 2019 waren für den IS von seinem umfangreichen Gebiet in Syrien nur noch wenige Flecken in der Provinz Deir azZoor im Osten des Landes übrig geblieben. Durch den Einsatz kurdischer Truppen der "Syrian Democratic Forces" (SDF) und der USA gelang es bis Ende März 2019, auch das restliche Gebiet vollständig vom IS zu befreien. Der zweite bedeutsame Schlag richtete sich gegen den Anführer und selbsternannten Kalifen des IS, Abu Bakr alBaghdadi. Bevor US-Spezialeinheiten gegen ihn im Oktober 2019 vorgehen konnten, sprengte er sich in seinem Quartier gemeinsam mit zweien seiner Kinder mittels einer Sprengstoffweste in die Luft. Obwohl der IS sein Territorium und seinen 133 Kalifen verloren hatte, setzten sich Ende 2019 die Aktivitäten des IS im Osten Syriens fort, unter anderem mit Morden, Bombenund Brandanschlägen. Nach dem Ende der militärischen Kämpfe werden Tau133 Foto: picture alliance/dpa. 63 sende von IS-Kämpfern in einigen Gefangenenlagern in Syrien gefangen gehalten. Gleichwohl ist die Terrororganisation in verschiedenen Regionen der Welt weiter aktiv (siehe Abschnitt 7.3.4). Für die Sicherheitslage in Deutschland stellt die Gruppe der Islamisten, die aus Syrien und dem Irak nach einer Beteiligung an den dortigen Kämpfen zurückkehren, ein erhebliches Gefährdungspotenzial dar. Diese Personen verfügen über umfangreiche Erfahrungen aus Krieg und Terrorismus und sind zudem stark ideologisch indoktriniert. Rund ein Drittel der oben genannten 1.050 Personen, die aus Deutschland in Richtung Syrien und Irak ausgereist sind, um sich dort am Jihad zu beteiligen, befindet sich mittlerweile wieder in Deutschland. Zu über 110 der bislang zurückgekehrten Personen liegen den Sicherheitsbehörden Erkenntnisse vor, wonach sie sich aktiv an Kämpfen in Syrien oder im Irak beteiligt oder hierfür eine Ausbildung absolviert haben. Diese Personen stehen unverändert im Fokus polizeilicher und justizieller Ermittlungen. Die Zahl der Verurteilungen von Personen, die aus Syrien/Irak zurückgekehrt sind, bewegt sich im mittleren zweistelligen Bereich. Personen, die im Ausland aktiv am Jihad teilgenommen haben, genießen darüber hinaus in salafistischen und jihadistischen Kreisen - auch in Deutschland - oft ein besonderes Ansehen, werden auf Grund dieser Erfahrungen häufig zu Vorbildern und tragen mit ihren Jihad-Erfahrungen zur Stärkung und Radikalisierung der salafistischen Szene in Deutschland bei. Wie auch schon im Berichtsjahr 2018 stellen Frauen und Kleinkinder eine zahlenmäßig bedeutende Gruppe unter den Jihad-Rückkehrern dar. Ob und inwieweit die jihadistische Sozialisierung auf die weitere Entwicklung der Kinder Einfluss nimmt, kann nicht prognostiziert werden. Hier sind besondere Präventionsmaßnahmen mit dem Ziel der Integration in eine demokratische Gesellschaft notwendig. 7.3 Islamistischer Extremismus in Mecklenburg-Vorpommern 7.3.1 Personenpotenzial134 M-V M-V Bund Bund 2018 2019 2018 2019 Salafisten 135 160 11.300 12.150 Sonstige - 30 15.260 15.870 Gesamt 135 190135 26.560 28.020 7.3.2 Straftatenaufkommen Im Bereich der religiös motivierten Kriminalität registrierte das Landeskriminalamt 2019 fünf Straftaten (2018: 6), die sämtlich als extremistisch eingestuft wurden. In einem Fall handelte es sich um ein Verfahren wegen des Verdachts der Terrorfinanzierung (SS 89 c StGB). 134 Alle Zahlen sind Rundungswerte. 135 Um Doppelmitgliedschaften bereinigt. 64 7.3.3 Lageentwicklung Wie bereits im Jahr 2018 waren im Berichtsjahr 2019 Aktivitäten aus verschiedenen Bereichen des islamistischen Extremismus in Mecklenburg-Vorpommern festzustellen. Von besonderer Bedeutung waren erneut die Aktivitäten von Anhängern des Salafismus. Das Personenpotenzial der Salafisten umfasst sowohl politische als auch jihadistische Salafisten. Organisierte islamistische Strukturen haben sich im Land bisher nur wenig etabliert. Islamisten agieren in Mecklenburg-Vorpommern zumeist als Einzelpersonen oder im Rahmen von losen Personennetzwerken, die salafistische Aktivitäten entfalten. Diese Personen sind ganz überwiegend männlich. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang die Aufschlüsselung des salafistischen Personenpotenzials nach Herkunftsländern. So stammen ca. 32 Prozent der Salafisten in Mecklenburg-Vorpommern aus dem Nordkaukasus und rund 47 Prozent aus Syrien. Die Landesregierung verfügt derzeit über keine bestätigten Informationen zu islamistischen "Ausreisefällen" aus Mecklenburg-Vorpommern nach Syrien oder in den Irak. Vom sonstigen islamistischen Personenpotenzial gingen im Berichtszeitraum keine nennenswerten Aktivitäten aus. 7.3.4 Einbindung von Nordkaukasiern in die international agierende Islamistenszene Im Phänomenbereich Islamismus/ islamistischer Terrorismus sind auch nordkaukasische Netzwerke in Deutschland aktiv, welche sich durch eine weitgehende Abschottung nach außen auszeichnen. Das Land Mecklenburg-Vorpommern ist zwar kein Hotspot dieser extremistisch-terroristisch agierenden Netzwerke - so sind beispielsweise hier keine islamistisch motivierten Aktivitäten im Hinblick auf den Betrieb von eigenen Kulturzentren oder die Einrichtung von eigenen Moscheen bekannt geworden - gleichwohl umfasst der Aktionsraum dieser europaweit aufgestellten islamistischen Netzwerke auch das hiesige Bundesland, wie oben für den Anteil der Nordkaukasier an den Salafisten beschrieben. Nach dem faktischen Ende des IS-Kalifats in Syrien im März 2019 drängt sich zunehmend die Frage nach dem Verbleib und dem Umgang der Heimatstaaten mit den vormaligen Kämpfern in den Vordergrund. Die russischen Behörden haben mehrere hundert Nordkaukasier zur internationalen Fahndung wegen deren Aktivitäten als sogenannte Foreign Fighters, zur Unterstützung islamistisch-terroristischer Strukturen in Syrien/ Irak, ausgeschrieben. Bei einer Rückkehr nach Russland drohen den Jihadisten dort Ermittlungsverfahren wegen der Unterstützung einer ausländischen Terrororganisation. Insofern stellt für diesen Personenkreis eine Ausreise nach Deutschland oder in andere EU-Staaten eine attraktive Alternative zum Heimatland Russland dar, da sie zum einen auf vorhandene Vernetzungsstrukturen in Europa zurückgreifen können und zum anderen die Erwartung haben dürften, dort einer zumindest weniger rigorosen Strafverfolgung als im Heimatstaat ausgesetzt zu sein. Auch wenn nur ein kleinerer Teil der (russischen) Rückkehrer nach Deutschland oder Westeuropa kommen würde, würden kampferfahrene, gut ausgebildete und motivierte Einzeltäter oder Kleingruppen ein erhebliches Gefahrenpotenzial darstellen. 65 7.3.5 Aufenthaltsverfestigung ausländischer Islamisten Die Landesregierung Mecklenburg-Vorpommern ist nachdrücklich bestrebt, islamistischen Aktivitäten keinen Raum zu geben und diese - so sie bekannt werden - zurückzudrängen und zu unterbinden. Die Verfassungsschutzbehörde wirkt im Verbund mit den Ausländerbehörden des Landes daran mit, ausländischen Islamisten wenn möglich keinen gefestigten Aufenthaltsstatus zu gewähren und sie bei Vorliegen der Voraussetzungen in ihre Herkunftsländer zurückzuführen. In diesem Zusammenhang ist jedoch hervorzuheben, dass islamistische Aktivitäten, die unterhalb der Schwelle von bedeutsameren Straftaten bleiben oder - gefahrenabwehrrechtlich - lediglich als abstrakte Gefahr klassifiziert werden können, für sich genommen regelmäßig nicht ausreichen, um darauf eine Aufenthaltsbeendigung zu stützen. Mit anderen Worten: Ein vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) anerkannter Flüchtling kann ohne ausländerrechtliche Sanktionen befürchten zu müssen, den demokratischen Rechtsstaat offen ablehnen und sich für die Einführung der Scharia aussprechen. 7.3.6 Staatliche Maßnahmen gegen islamistischen Extremismus Der Bund und die Länder haben im Jahr 2019 keine Verbote islamistischer Vereine ausgesprochen. Wie aber schon in den Jahren zuvor, leitete der Generalbundesanwalt (GBA) auch 2019 zahlreiche Ermittlungsverfahren ein, die einen unmittelbaren oder mittelbaren Bezug zum islamistischen Terrorismus aufweisen und brachte einen Großteil davon zur Anklage. Staatliche Maßnahmen gegen den islamistischen Extremismus umfassen neben den landläufigen Repressionsmaßnahmen verstärkt auch Ansätze der Prävention. Die Beratungsstelle Radikalisierung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) ist ein wichtiger zentraler Ansprechpartner, insbesondere für das private Umfeld von radikalisierten Personen. 136 Islamismusprävention im Land Zur Umsetzung des "Nationalen Präventionsprogramms gegen islamistischen Extremismus" wurde im Juli 2017 die Einrichtung einer interministeriellen Arbeitsgruppe "Islamismusprävention" und der Aufbau einer Fachstelle zur Prävention von religiös begründetem Extremismus mit Mitteln des Bundesprogramms "Demokratie leben!" beschlossen. Die Koordinierung dieser Präventionsmaßnahmen ist der "Landeszentrale für politische Bildung/Landeskoordinierungsstelle Demokratie und Toleranz" übertragen. Die Islamismusprävention im Land Mecklenburg-Vorpommern wird seitdem unter der Mitwirkung des Ministeriums für Bildung, Wissenschaft und Kultur, des 136 Die Beratungsstelle Radikalisierung beim BAMF ist über die abgebildete Rufnummer 0911 / 9434343 zu erreichen. 66 Ministeriums für Inneres und Europa, des Ministeriums für Soziales, Integration und Gleichstellung sowie des Justizministeriums umgesetzt. Seit dem Frühjahr 2018 ist die Fachstelle für Prävention von religiös begründetem Extremismus mit dem Namen "Bidaya" (arab. für Start, Anfang) in Waren (Müritz) eingerichtet. "Bidaya" steht staatlichen Stellen, zivilgesellschaftlichen Trägern und Einzelpersonen in Mecklenburg-Vorpommern als Beratungsstelle im Themenfeld Islamismus und Islamfeindlichkeit zur Verfügung. Neben der Beratung liegt ein Schwerpunkt auf der Fortbildung von Fachkräften. Die Fachstelle "Bidaya" ist sowohl im Internet unter www.bidaya-mv.de als auch telefonisch unter der Nummer 0160/8045287 erreichbar. 67 8 Sonstiger Ausländerextremismus 8.1 Personenpotenzial Die Stärke der in Mecklenburg-Vorpommern agierenden - nicht islamistischen - linksextremistischen Ausländerorganisationen stellt sich im Einzelnen wie folgt dar: 137 MV MV Bund Bund 2018 2019 2018 2019 "Arbeiterpartei Kurdistans" 250 250 14.500 14.500 (PKK) Türkische Linksextremisten < 30 < 20 2.550 2.550 Gesamt138 < 280 < 270 17.050 17.050 Von den meisten dieser Organisationen wird Deutschland als gesicherter Rückzugsraum betrachtet, jedoch ist die Zahl der Anhänger der linksextremistischen Organisationen "Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front" (DHKP-C), Türkische Kommunistische Partei/Marxisten-Leninisten (TKP/ML) und "Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei" (MLKP) - im Gegensatz zur Mitgliederzahl von "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) - im Land Mecklenburg-Vorpommern unbedeutend. 8.2 Straftatenaufkommen Im Bereich des sonstigen Ausländerextremismus registrierte das Landeskriminalamt 2019 zwei Straftaten mit politischer Motivation (2018: 13). Sie wurden wie 2018 gesamt als extremistisch eingestuft. 8.3 "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) 8.3.1 Allgemeines Die im Jahr 1978 in der Türkei unter Führung von Abdullah Öcalan gegründete "Arbeiterpartei Kurdistans (Partiya Karkeren Kurdistan - PKK)" kämpft seit Anfang der 1980er Jahre für die Unabhängigkeit bzw. größere Autonomie der Kurdengebiete im Osten der Türkei. Seitdem sind bei Anschlägen und Gefechten mehrere zehntausend Menschen getötet worden, darunter auch viele Zivi139 listen. Die PKK ist in Deutschland, was Anhängerzahlen, Organisationsgrad und Mobilisierungspotenzial betrifft, nach wie vor die bedeutendste Kraft im Bereich des nicht religiös motivierten Extremismus mit Auslandsbezug. Sie wurde von der Europäischen 137 Alle Zahlen sind Rundungswerte. 138 Die Gesamtzahl des Bundes der Mitglieder-/Anhängerzahlen von nicht islamistischen - linksextremistischen Ausländerorganisationen weicht von der seitens des Bundesamtes für Verfassungsschutz veröffentlichten Gesamtstatistik insofern ab, als in der o.a. Tabelle ausschließlich die im Land Mecklenburg-Vorpommern agierenden Organisationen berücksichtigt worden sind. 139 Internetseite "wikipedia.de". 68 Union in die Liste der terroristischen Vereinigungen aufgenommen und unterliegt in Deutschland unter allen von ihr benutzten Bezeichnungen wie KADEK, KONGRA GEL, KKK und KCK - einschließlich verschiedener Teilund Nebenorganisationen - seit 1993 einem vereinsrechtlichen Betätigungsverbot. Die Aktivitäten der PKK in Deutschland waren im Jahr 2019 im Wesentlichen von folgenden Themen bestimmt: * dem Kampf der Kurden in Syrien und im Irak gegen die islamistische Terrororganisation IS, * den bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen der PKK und dem türkischen Staat, * der politischen Agitation zur Aufhebung des Betätigungsverbots der PKK in Deutschland und zur Verbesserung der Haftbedingungen des PKKVorsitzenden Abdullah Öcalan. Die PKK verfügt in Deutschland über einen konspirativ handelnden und streng hierarchisch organisierten Funktionärsapparat. Das gesamte Bundesgebiet ist dabei in Zuständigkeitsbereiche aufgeteilt, dem jeweils ein PKK-Führungsmitglied (sogenannter Gebietsverantwortlicher) vorsteht. Um sich der Verfolgung durch deutsche Sicherheitsbehörden zu entziehen, wechseln diese Führungskader regelmäßig und in kürzeren Zeitabständen europaweit ihr Zuständigkeitsgebiet. Eine der Hauptaufgaben dieser Führungskader ist die Beschaffung finanzieller Mittel zur Durchsetzung der Parteiziele und zur Verbreitung der PKK-Ideologie. Dies erfolgt überwiegend durch den Verkauf von Publikationen und durch Einnahmen aus Veranstaltungen. Ein großer Teil der Gelder wird darüber hinaus durch mehr oder weniger freiwillige "Spendensammlungen" in der PKK-Anhängerschaft erzielt. Entsprechende monatliche Sammlungen sowie gesonderte jährliche "Spenden"-Kampagnen finden auch in Mecklenburg-Vorpommern statt. Im Rahmen der genannten Themen fanden im Jahr 2019 europaweit zahlreiche Resonanzaktionen der PKK-Anhängerschaft, wie Kundgebungen, Hungerstreiks und Demonstrationsmärsche statt. 8.3.2 Aktivitäten der PKK in Mecklenburg-Vorpommern In Mecklenburg-Vorpommern werden der PKK ca. 250 Personen zugerechnet. Obwohl diese auch im Jahr 2019 grundsätzlich keine größeren öffentlichkeitswirksamen politischen Aktivitäten im Land entfalteten, gelingt es der PKK immer wieder, eine nicht unbedeutende Anzahl von Kurden aus Mecklenburg-Vorpommern zur Teilnahme an überregionalen Veranstaltungen zu mobilisieren. Auch 2019 ist insoweit jedoch ein rückläufiger Trend zu verzeichnen; als Grund wird allgemein sowohl der bestehende und steigende Verfolgungsdruck durch deutsche und türkische Sicherheitsbehörden als auch eine wachsende Frustration der Kurden über den Status quo in den kurdischen Siedlungsgebieten vermutet. Allein der Beginn der türkischen Militäroffensive in Nordostsyrien im Oktober 2019 war geeignet, die Kurden insgesamt zu einen und zu spontanen Demonstrationshandlungen zu mobilisieren. 69 8.3.3 Kooperation mit deutschen Linksextremisten Im Verlauf des syrischen Bürgerkrieges und insbesondere seit Beginn der Kampfhandlungen zwischen dem IS und den PKK-nahen syrisch-kurdischen "Volksverteidigungseinheiten"' (YPG) solidarisierten sich deutsche Linksextremisten verstärkt mit der kurdischen Autonomiebewegung. Diese Kurdistan-Solidarität deutscher Linksextremisten erhielt durch den Kampf der PKK gegen den IS erheblichen Auftrieb und nahm im Laufe der Zeit zunehmend konkretere Formen an. In der Folge bildeten sich nahezu bundesweit Aktionsbündnisse PKK-naher kurdischer, linker und linksextremistischer Gruppierungen sowie Solidaritätsgruppen mit linksextremistischer Beteiligung, die gegen den Fortbestand des PKK-Verbotes kämpfen. Zentrum diesbezüglicher Bestrebungen in Mecklenburg-Vorpommern ist Rostock (siehe Abschnitt 6.4.3). 70 9 Spionageabwehr 9.1 Entwicklungslinien und Bedrohungslage Im Rahmen zunehmend global ausgerichteter politischer Handlungsmechanismen bilden Informationen über in diesem Wirkungsfeld mitagierende Staaten einen entscheidenden Vorteil für die unterschiedlichsten Prozesse nationaler Entscheidungsfindungen - denn Wissen ist Macht. Die Regierungen fast aller Staaten dieser Welt sind an genauen und umfangreichen Informationen aus dem Ausland interessiert, wobei die begehrten Erkenntnisse insbesondere in ausgesuchten Themenfeldern der Wirtschaft, der Forschung, der Umwelt, des Militärs und der Politik liegen. In diesem Zusammenhang weckt die Bundesrepublik Deutschland eine Vielzahl an Begehrlichkeiten, nimmt sie aufgrund ihres wissenschaftlich-technologischen Potenzials, ihrer geostrategischen Lage sowie ihrer außenpolitischen Rolle doch einen international bedeutsamen Raum ein. Insgesamt hat dies seit vielen Jahren zu kontinuierlich hohen Aufklärungstätigkeiten ausländischer Nachrichtendienste in Deutschland geführt, wobei derzeit im Wesentlichen die Russische Föderation, die Volksrepublik China, die Islamische Republik Iran und die Republik Türkei als Hauptakteure entsprechender sicherheitserheblicher Aktivitäten zu bezeichnen sind. Die Schwerpunkte für die Informationsgewinnung der einzelnen Dienste werden durch die jeweiligen Regierungen definiert und sind auf die Erreichung der innen-, außenund wirtschaftspolitischen Zielvorgaben ausgerichtet. In Bezug auf Russland gilt es anzuführen, dass dort alle nationalen und internationalen deutschen Politikfelder von Interesse sind, die einen Bezug zur Russischen Föderation aufweisen. Dies sind vor allem Handlungsgebiete der Außen-, Sicherheits-, Bündnisund Wirtschaftspolitik. Zudem entfalten russische Akteure vielfältige Propagandaund Desinformationsaktivitäten, versuchen also, verdeckten Einfluss auf den öffentlichen politischen Meinungsund Willensbildungsprozess in Deutschland zu nehmen. Heterogene Bedrohungen, bei denen auch von einer Einbindung russischer Nachrichtendienste ausgegangen werden kann, zielen auf die Destabilisierung demokratischer Gesellschaften, die Schaffung bzw. den Erhalt von Einflusssphären sowie die Schwächung westlicher Allianzen. Für die chinesischen Dienste liegt der Fokus ihrer Tätigkeit unverkennbar in der Absicherung des Machterhalts der dortigen "Kommunistischen Partei" (KPCh) sowie in der Unterstützung des weiteren Ausbaus geostrategischer Ambitionen der Volksrepublik China. Klar definiertes Ziel der politischen Führung in Peking ist es, bis zum Jahr 2049, dem 100. Jubiläum der Staatsgründung, die Position der weltweit führenden Industrienation einzunehmen. Hierfür wird durch den zielgerichteten Einsatz von global agierenden Einflussakteuren auf den unterschiedlichsten Feldern der internationalen Politik, Gesellschaft, 71 Wissenschaft und Wirtschaft versucht, ein insgesamt zuträgliches Umfeld zu generieren. Für den wirtschaftspolitischen Sektor ist in diesem Zusammenhang die "Neue Seidenstraße" bzw. "Belt and Road Initiative" (BRI) anzuführen. In der Islamischen Republik Iran kommt den dortigen Nachrichtendiensten eine gewichtige Rolle bei der Bekämpfung und Ausspähung von im Inund Ausland lebenden bzw. tätigen oppositionellen Personen und Gruppierungen zu. In diesem Zusammenhang mehren sich seit einigen Jahren Hinweise auf staatsterroristische Aktivitäten in europäischen Ländern, die ihren Ursprung im Iran haben. Neben den angeführten Ländern ist auch ein verstärktes Agieren der Türkei im Zusammenhang mit nachrichtendienstlich relevanten Vorgängen auf deutschem Boden zu vernehmen. Hauptziel der türkischen Dienste ist die Aufklärung der sogenannten Gülen-Bewegung. Der islamische Prediger Fethullah Gülen und dessen Anhänger werden durch türkische Stellen für den gescheiterten Putschversuch im Sommer 2016 verantwortlich gemacht. Darüber hinaus verfolgen türkische Nachrichtendienste weltweit weitere Personen und Organisationen, die aus dortiger Sicht als extremistisch oder terroristisch angesehen werden. Auch andere Staaten sehen den nachrichtendienstlichen Aufgabenschwerpunkt in der Beobachtung von Personen oder Organisationen aus den eigenen Ländern, die sich in Deutschland politisch gegen die Interessen ihrer jeweiligen Heimatländer betätigen. So steht etwa - insbesondere im Kontext der Flüchtlingsbewegungen - Deutschland weiterhin im Blickfeld syrischer Sicherheitsbehörden. Darüber hinaus sind ausländische Nachrichtendienste maßgeblich in die illegale Beschaffung von Materialien und Wissen zur Herstellung atomarer, biologischer oder chemischer Massenvernichtungswaffen (ABC-Waffen) bzw. entsprechender Trägersysteme (z. B. Raketen) und ihrer Weiterverbreitung eingebunden. Eine Relevanz für diese - als Proliferation bezeichneten - Aktivitäten wird bei Staaten gesehen, von denen zu befürchten ist, dass sie ABC-Waffen in einem militärischen Konflikt einsetzen bzw. ein Einsatz zur Durchsetzung politischer Ziele angedroht werden könnte. In diesem Kontext sind insbesondere die Islamische Republik Pakistan, die Islamische Republik Iran, die Demokratische Volksrepublik Korea (Nordkorea) und die Arabische Republik Syrien zu betrachten. Bei den dargestellten, umfangreichen Aktivitäten ausländischer Nachrichtendienste in unserem Land gelangen - neben der klassischen Vorgehensweise der Anwerbung und Führung interessanter Zielpersonen, der offenen und verdeckten Informationsgewinnung, dem Abhören unterschiedlicher Kommunikationsverbindungen und verschiedene Maßnahmen - auch zielgerichtete Angriffe im Cyberraum zur Anwendung. Die Bearbeitung der dargestellten nachrichtendienstlichen bzw. sicherheitsrelevanten Aktivitäten fremder Staaten in Deutschland ist eine Kernkompetenz des Verfassungsschutzes und erfolgt im Rahmen von gesetzlich normierten Aufgabenstellungen durch die jeweils zuständigen Organisationsbereiche der Spionageabwehr in Bund und Ländern. 72 Diese Aufgabenwahrnehmung erfolgt im engen und vertrauensvollen Zusammenwirken mit weiteren Dienststellen der deutschen Sicherheitslandschaft und ist nicht auf einen abschließenden Kreis bestimmter Staaten beschränkt. 9.2 Bedrohungen durch Cyberangriffe Cyberangriffe stellen bekanntlich einerseits ein spezielles Mittel der Spionage, andererseits aber auch ein eigenständiges Bedrohungsphänomen dar. Sie werden ferner auch von extremistischen und kriminellen Organisationen zu deren Zwecken durchgeführt. Eine Unterscheidung nach Zielen und Verursachern ist zumeist erst nach intensiver Aufklärung möglich. Cyberangriffe setzen dort an, wo unsere heutigen Gesellschaften besonders verwundbar geworden sind. Moderne Gesellschaften sind Informationsgesellschaften. Dies bedeutet zugleich, dass sie von Informationen abhängig sind. Insbesondere digital vorgehaltene Informationen müssen jederzeit verfügbar und korrekt sein, zugleich jedoch vor unberechtigter Kenntnisnahme geschützt werden. In Zeiten einer weltweiten massiven Vernetzung - also über alle Ländergrenzen hinweg - stellt dies eine enorme Herausforderung für jede einzelne Bürgerin und jeden einzelnen Bürger, aber auch für Firmen, Organisationen sowie Politik und Verwaltung dar. Die öffentlichen Diskussionen um Vorfälle rund um bekannt gewordene Datenskandale und Spionagefälle im Cyberraum in den letzten Jahren zeigen die Vielfältigkeit der Gefahren und die Bedeutung von Datensicherheit für die Gesellschaft insgesamt. Die Bundesrepublik Deutschland steht aufgrund ihrer weltweiten wirtschaftlichen und politischen Bedeutung - unter anderem durch eine Vielzahl von Forschungseinrichtungen und Unternehmen der Spitzentechnologie - besonders im Fokus ausländischer Nachrichtendienste und anderer sicherheitsrelevanter Organisationen. Die Bedeutung der digitalen Ausspähung von Informationen - mögen dies politische Angelegenheiten wie Verhandlungsstrategien oder Informationen über politische Gegner, militärische Geheimnisse oder auch Firmen-Knowhow wie Konstruktionen oder Technologien sein - ist augenfällig. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es in vielen Ländern zum gesetzlichen oder staatlichen Auftrag der Nachrichtendienste gehört, die eigene Volkswirtschaft durch die Beschaffung solcher Informationen zu unterstützen. Der hierdurch in Deutschland entstehende Schaden in der Wirtschaft bewegt sich in Milliardenhöhe und kann im Einzelfall existenzgefährdend sein. Das Erlangen von Informationen ist - wie bereits angeführt - jedoch nicht das einzige Ziel von Cyberangriffen. In vielen Fällen geht es auch um das Einwirken auf die gesellschaftliche Meinungsbildung. Beispiele hierfür sind die Versuche der Manipulation von Wahlen durch das Veröffentlichen von falschen Informationen über Kandidatinnen bzw. Kandidaten oder die massenhafte Verbreitung von einseitigen Kommentaren und Meinungen in sozialen Medien mit dem Ziel der Diskreditierung einzelner Bewerberinnen bzw. Bewerber, um bestimmte politische Richtungen zu schädigen und damit andere zu fördern oder aber unsere Gesellschaft im Allgemeinen zu destabilisieren. Ein weiteres Ziel solcher Angriffe stellt das Vorbereiten oder Durchführen von Sabotage dar. Hierbei wird beispielsweise Schadsoftware in industrielle Steuerungssysteme eingeschleust, um diese insgesamt zu zerstören oder zumindest etwaige Produk73 tionsabläufe zu behindern. Im Zentrum der Beobachtungen stehen hier die sogenannten "Kritischen Infrastrukturen" (KRITIS). Alle diese Angriffe erfolgen auf unterschiedlichen Wegen und von beliebigen "unbekannten" Orten aus über die globale digitale Vernetzung. Das Enttarnungsund Gefährdungsrisiko ist hierbei gering. Dies macht es auch für ausländische Nachrichtenund Sicherheitsdienste interessant, sich dieser Mittel zu bedienen. Cyberkampagnen haben sich zu einem Standardwerkzeug vieler Nachrichtendienste entwickelt. Mehrere Staaten haben in den letzten Jahren ihre entsprechenden Fähigkeiten im Cyberraum kontinuierlich ausgebaut. Der digitale Datenraum hat sich zu einem Hochrisikoraum entwickelt. Besonders in Erscheinung getreten sind in den letzten Jahren Cyberangriffskampagnen, die Russland, China und dem Iran zugeordnet werden. Anzuführen ist hier die Russland zugeordnete Cyberangriffskampagne APT28, auch als FANCY BEAR bezeichnet, zu der auch der Angriff auf den Deutschen Bundestag im Mai 2015 oder gegen Parteistrukturen und Stiftungen im Mai 2016 in Deutschland gerechnet werden. Ebenso wird die Cyberangriffskampagne SNAKE - zu der auch der Cyberangriff auf den Rüstungsund Technologiekonzern RUAG zählt - Russland zugeordnet. China wird die Cyberangriffskampagne APT10 - auch als STONE PANDA bezeichnet - zugerechnet. Das Aufklärungsinteresse gilt vor allem der Hochtechnologie, insbesondere in den von China für die Entwicklung als besonders wichtig eingestuften zehn Schlüsseltechnologien, wozu beispielsweise Medizintechnik, Materialforschung, Steuerungstechnik oder die Energietechnik zählen. Mit Blick auf den Iran konnte - speziell nach dem "STUXNET-Schock" (spezielles Schadprogramm zum Angriff auf ein industrielles System zur Überwachung und Steuerung) - in 2010 beobachtet werden, dass die dortigen Cyberfähigkeiten ausgebaut wurden. Entsprechende Ziele sind es einerseits, die internetgebundene Kommunikation zu kontrollieren, um Gefahren für die öffentliche Sicherheit zu begegnen und die eigene Infrastruktur zu schützen. Die Fähigkeiten werden jedoch andererseits auch offensiv zur Spionage und Sabotage genutzt. Die Abwehr von Gefahren aus dem Cyberraum ist generell Aufgabe eines jeden Unternehmens, jeder Behörde und jeder sonstigen Einrichtung. Dieser allgemeine Schutz durch Technik muss jedoch durch umsichtiges Handeln jedes Einzelnen ergänzt werden. Systeme ohne technischen Grundschutz sind Angriffen gegenüber vollkommen schutzlos und stellen selbst eine Gefahr dar. Unbedachtes Handeln jedoch führt ebenso zu einer Gefährdung der eigenen Systeme und kann durch keine anderen Maßnahmen ausgeglichen werden. Mögliche Auswirkungen eines unbedachten Handelns zeigte die zuletzt in der Öffentlichkeit viel beachtete und diskutierte Angriffswelle mit der Schadsoftware EMOTET. Die Infektion erfolgt hier typischerweise über speziell manipulierte Word-Dateien mit Makros. So musste etwa nach einer Infektion kürzlich die komplette Informationstechnik des Kammergerichtes Berlin mit entsprechenden Folgen für die Arbeitsfähigkeit außer Betrieb genommen werden. 74 In Folge der skizzierten Entwicklungen insgesamt stellt die Cyberabwehr daher einen wichtigen Bestandteil in der Aufgabenstellung der deutschen Sicherheitsbehörden dar. Während das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) technologische Unterstützung leistet und die Polizeibehörden für die Verfolgung von Straftaten zuständig sind, informieren, sensibilisieren und beraten die Verfassungsschutzbehörden im Rahmen ihrer gesetzlichen Zuständigkeiten zur Vorbeugung und Abwehr der skizzierten Gefahren. Hierzu sammeln sie entsprechende Informationen und werten diese aus. 9.3 Wirtschaftsschutz - eine gemeinsame Aufgabenstellung Eine funktionsfähige Wirtschaft stellt ein grundlegendes Fundament für die innere Stabilität von Staat und Gesellschaft sowie deren Zusammenhalt dar. Insoweit ist es ein besonderes Anliegen staatlicher Akteure, zielführende Maßnahmen zum Schutz vor nachrichtendienstlichen Angriffen auf deutsche Unternehmen, Forschungseinrichtungen und vergleichbare Institutionen zu ergreifen. In diesem Kontext ist die Betrachtung extremistischer und/ oder terroristischer Handlungen mit anzuführen. Die Ausforschung hiesiger Firmen nimmt einen Schwerpunkt in den Aktivitäten ausländischer Nachrichtendienste auf deutschem Boden ein und gewinnt im Rahmen wirtschaftspolitisch global ausgerichteter Handelsmechanismen und Interessen seit Jahren zunehmend an Bedeutung. Die in diesem Zusammenhang eingesetzten Mittel und Methoden reichen von der offenen Informationsabschöpfung, dem Abhören der betrieblichen Telefonund Internetkommunikation, der gezielten Anwerbung sowie konspirativen Führung von Personen bis hin zu verdeckt durchgeführten, hochwirksamen Cyberangriffen auf ITInfrastrukturen in den jeweiligen Unternehmen. Vor diesem Hintergrund ist ein gemeinsames Handeln von Staat und Wirtschaft unabdingbar. Die Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern nehmen diese Herausforderung an und leisten im Rahmen der bestehenden Eigenverantwortung von Unternehmen durch geeignete Maßnahmen auf den Gebieten Sensibilisierung und Prävention einen effektiven Beitrag zum Wirtschaftsschutz und damit letztendlich auch zur Sicherung des Standortes Deutschland. Seit dem Jahr 2016 bündelt die Initiative Wirtschaftsschutz - unter Koordinierung des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat (BMI) - eine Vielzahl von Aktivitäten verschiedener Behörden, Verbände sowie Unternehmen und führt Möglichkeiten des Handelns im partnerschaftlichen Zusammenwirken strategischen Bearbeitungsansätzen zu. Für Zwecke einer vertiefenden, weiterführenden Informationsvermittlung wird auf die Internetplattform www.wirtschaftsschutz.info hingewiesen. 9.4 Spionageabwehr Mecklenburg-Vorpommern - Ihr Ansprechpartner vor Ort Zur Erfüllung unserer Aufgaben sind wir auf Ihre Mithilfe angewiesen und würden uns freuen, wenn die Ausführungen zum Themenfeld Spionage Ihr Interesse geweckt haben. 75 Für die Wahrung deutscher Hoheitsrechte und eines wirksamen Schutzes der hier lebenden Menschen gegen rechtswidrige Aktivitäten ausländischer Nachrichtendienste ist es erforderlich, deren Agieren möglichst rechtzeitig aufzudecken und damit schädigende Ereignisse und weitere widrige Folgen auf unser Gemeinwesen abzuwehren. Wie dargestellt, bedienen sich fremde Staaten in Deutschland einer breiten und vielschichtigen Vorgehensweise, um an für sie wichtige und nutzbringende Informationen über Personen, Wirtschaftsunternehmen, Behörden und sonstige relevante Institutionen zu gelangen. Die bestehende Erkenntnislage gibt insgesamt einen berechtigten Anlass zu einer erhöhten Aufmerksamkeit sowie einem sensiblen Umgang mit der in Rede stehenden Thematik. Vor diesem Hintergrund bitten wir Sie, die Gegebenheiten Ihres täglichen, beruflichen Wirkungsfeldes im Kontext der skizzierten Darstellungen zu betrachten und sich auch persönlich der Frage nach einem richtigen Verhalten im Umgang mit vertraulichen, beruflichen Sachverhalten bzw. Informationen zu widmen. Eine präventive Sicherheitsvorsorge entfaltet ihre größte Schutzwirkung, wenn sie stets nach innen und außen gedacht sowie gelebt wird. Sofern Sie Kenntnis von Ereignissen haben, die einen möglichen nachrichtendienstlich relevanten Bezug aufweisen könnten, wären wir Ihnen sehr verbunden, wenn Sie sich nach Möglichkeit zeitnah mit uns in Verbindung setzen würden. Auf Grundlage einer vertraulichen Behandlung von Informationen können wir Ihnen, auch für den Fall einer möglichen eigenen, persönlichen Verstrickung, gegebenenfalls individuelle Lösungsansätze aufzeigen. Wir arbeiten nach dem sogenannten Opportunitätsprinzip, unterliegen also im Gegensatz zur Polizei nicht der Pflicht zur Strafverfolgung. Wir sind für Sie da: Ministerium für Inneres und Europa Mecklenburg-Vorpommern Abteilung Verfassungsschutz - Spionageabwehr - Postfach 11 05 52 19005 Schwerin Telefon: 0385/ 7420-0 140 Fax: 0385/ 714438 E-Mail: spionageabwehr@verfassungsschutz-mv.de 140 Foto: Silke Kaiser/pixelio.de. 76 10 Öffentlichkeitsarbeit Der Verfassungsschutz dient dem Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, des Bestandes und der Sicherheit des Bundes und der Länder. Wie oben aufgezeigt, ist diese verfassungsmäßige Ordnung vielfältigen Gefahren ausgesetzt. Auf Grundlage des LVerfSchG M-V141 informiert der Verfassungsschutz Mecklenburg-Vorpommern die zuständigen Stellen, wie z. B. die Polizei und andere Behörden sowie die Öffentlichkeit über diese Gefahren. Auf diese Weise können - durch die zuständigen Stellen - rechtzeitig die erforderlichen Maßnahmen zur Abwehr dieser Gefahren getroffen werden und die Öffentlichkeit wird hinsichtlich der Bedrohungen der Demokratie aufgeklärt und sensibilisiert. Diese Aufgabe ist Verpflichtung aber zugleich auch Selbstverständnis für den Verfassungsschutz MecklenburgVorpommern. Zur Erfüllung dieser Aufgabe veröffentlicht der Verfassungsschutz MecklenburgVorpommern den jährlichen Verfassungsschutzbericht und Broschüren. Der Verfassungsschutzbericht informiert über die wesentlichen, während des Berichtsjahres gewonnenen Erkenntnisse, bewertet diese und gibt eine Prognose über die weitere Entwicklung der Bedrohungslage in unserem Bundesland ab. Er stellt keine abschließende Aufzählung aller verfassungsschutzrelevanten Personenzusammenschlüsse des Landes Mecklenburg-Vorpommern dar. Der Verfassungsschutzbericht sowie weitere Broschüren mit Informationen aus den Arbeitsfeldern des Verfassungsschutzes stehen allen Bürgerinnen und Bürgern sowohl als bestellbare gedruckte Ausgaben als auch in elektronischer Form auf der Internetseite des Verfassungsschutzes Mecklenburg-Vorpommern unter www.verfassungsschutz-mv.de zur Verfügung (siehe Abschnitt 10.2). 10.1 Aktivitäten Im Berichtsjahr 2019 informierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Verfassungsschutzes Mecklenburg-Vorpommern das Fachpublikum und die Öffentlichkeit auf zahlreichen landesund bundesweiten Veranstaltungen. Sie stellten sich dort den aktuellen Diskussionen über die Arbeit und die Aufgaben der Sicherheitsbehörden, über neue Entwicklungen im Verfassungsschutz sowie über die Entwicklungen in den unterschiedlichen Bereichen des politischen Extremismus und Terrorismus. Einen besonderen Höhepunkt stellte, am Tag des Grundgesetzes, dem 23. Mai 2019, die Durchführung des 6. Gemeinsamen Symposiums der Verfassungsschutzbehörden der ostdeutschen Länder und Berlins dar. Namhafte Experten aus unterschiedlichen politischen und gesellschaftlichen Bereichen befassten sich mit der Rolle des Verfassungsschutzes in Staat und Gesellschaft. Sie gingen der Frage nach: "Ist unsere Demokratie noch wehrhaft?" und machten deutlich, wie aktuell das Thema ist. An der Veranstaltung nahmen mehr als 150 Vertreterinnen und Vertreter aus Politik, Wissenschaft, den Medien, Kirchen, Ministerien, Behörden, Gewerkschaften, Schulen und der Zivilgesellschaft teil. Weitere Informationen zu dieser Veranstaltung können unter www.verfassungsschutz-mv.de abgerufen werden. (Bild einfügen) 141 Vgl. SS 5 Abs. 2 LVerfSchG M-V. 78 Ferner wirkte der Verfassungsschutz Mecklenburg-Vorpommern unter anderem bei den folgenden Veranstaltungen mit: * 24. Januar 2019 Vortrag mit anschließender Diskussion vor dem 1. Studienjahr des 8. Gemeinsamen Ratsanwärterlehrgangs der Bundespolizei und des Bundeskriminalamtes zum Thema "Verfassungsrechtliche Kompetenzverteilung zwischen Polizei und Verfassungsschutzbehörden" an der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung in Lübeck * 18. März 2019 Vortrag zu den Themen "Cyberangriffe", "Fremde Mächte und Dienst" und Darstellung der aktuellen Bedrohungslage vor dem Unternehmerverband Norddeutschland; Regionalgeschäftsstelle Mecklenburg und Schwerin * 15. bis 16. Mai 2019 Teilnahme an den 20. "Danziger Gesprächen" zum Thema: "Innere Sicherheit. Aktuelle Herausforderungen." Mit inund ausländischen Vertreterinnen und Vertretern aus Politik, Sicherheitsbehörden, Militär, Wirtschaft, Wissenschaft, und Medien * 18. Juni 2019 Vortrag zu den Aufgaben und zu den aktuellen Herausforderungen des Verfassungsschutzes vor Mitgliedern des Rotary Clubs in Heiligendamm * 9. September 2019 Teilnahme am 17. Symposium des Verfassungsschutzes Thüringen und der Industrieund Handelskammer Erfurt mit dem Thema: "Digitale Wirtschaftsspionage - Thüringens Wirtschaft im Fokus fremder Staaten" mit Gästen aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik * 10. September 2019 Vortrag zum Thema: "Cyberangriffe/Cyberabwehr" im Rahmen der "BlücherRunde" des Landeskommandos Mecklenburg-Vorpommern * 28. November 2019 Vortrag auf der Fachtagung des Leitungsbereichs der ordentlichen Arbeitsund Sozialgerichtsbarkeit Mecklenburg-Vorpommerns Wie in den vorangegangenen Jahren auch, fanden im Berichtszeitraum Sicherheitskonferenzen in den Landkreisen und kreisfreien Städten unter der Teilnahme des Verfassungsschutzes Mecklenburg-Vorpommern und in Zusammenarbeit mit den Polizeibehörden statt. Die Veranstaltungen wurden im Zeitraum Oktober bis Dezem79 ber durchgeführt und dienten zur Information über die einzelnen Phänomenbereiche in der jeweiligen Region. Die Informationsarbeit des Verfassungsschutzes Mecklenburg-Vorpommern über das Auftreten der sogenannten Reichsbürger und Selbstverwalter (siehe Abschnitt 5) im öffentlichen Raum wurde ebenfalls fortgesetzt. Im Berichtszeitraum nahmen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Verfassungsschutzes Mecklenburg-Vorpommern an insgesamt drei Veranstaltungen teil, die zahlreiche Bedarfsträger aus der öffentlichen Verwaltung oder Hoheitsträger mit Vollstreckungsaufgaben zum richtigen Umgang mit dem Phänomen informierten. Die Verfassungsschutzbehörde Mecklenburg-Vorpommern ist Teil des Beratungsnetzwerks Demokratie und Toleranz Mecklenburg-Vorpommern (www.beratungsnetzwerk-mv.de). Bei diesem Netzwerk handelt es sich um einen Zusammenschluss aus staatlichen Behörden und nichtstaatlichen Beratungsorganisationen sowie Akteuren in freier Trägerschaft. Durch die Mitwirkung im landesweiten Beratungsnetzwerk sowie in den Regionalzentren für demokratische Kultur werden Einschätzungen zu extremistischen Entwicklungen in die Diskussionen eingebracht. Sofern Sie eine Vortrags-, Informationsveranstaltung oder eine Fachmesse vorbereiten, die Sachbezug zur Arbeit des Verfassungsschutzes aufweist, können Sie sich direkt an den Verfassungsschutz des Landes Mecklenburg-Vorpommern, unter der Telefon-Nummer 0385/ 7420-0, wenden oder hierzu Kontakt über die Internetseite www.verfassungsschutz-mv.de aufnehmen. 80 10.2 Informationsmaterialien Informationsmaterialien können kostenlos beim Verfassungsschutz MecklenburgVorpommern angefordert oder im Internet unter der Adresse www.verfassungsschutz-mv.de heruntergeladen werden. Im Berichtsjahr 2019 wurden durch den Verfassungsschutz Mecklenburg-Vorpommern mehr als 1.100 Publikationen kostenfrei an interessierte Bürgerinnen und Bürger sowie an Einrichtungen im Land Mecklenburg-Vorpommern und über die Landesgrenzen hinaus versendet. * Verfassungsschutzberichte der Jahre 2006 bis 2019 * Rituale und Symbole der rechtsextremistischen Szene (Historische und ideologische Hintergründe des Rechtsextremismus, Juli 2015) * Infoflyer "Reichsbürger und Selbstverwalter" in Mecklenburg-Vorpommern (Behördenund Bürgerinformation) * Infoflyer "Informationen zum Thema Islamismus" auch in russischer und arabischer Version verfügbar (Allgemeiner Info-Flyer, Stand Januar 2020) * Islamistische Aktivitäten erkennen (Kompaktinformation zu Salafismus und anderen Formen des Islamismus für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Flüchtlingseinrichtungen, April 2016) 81 * Proliferation - Wir haben Verantwortung (Bundesamt für Verfassungsschutz für die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder, Juli 2018) * Wirtschaftsspionage - Risiko für Unternehmen, Wissenschaft und Forschung (Gemeinschaftsproduktion der Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern, Juli 2014) * Wirtschaftsschutz - mehrteilige Faltblattserie (Gemeinschaftsproduktion der Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern) Informationen zu den jeweiligen Einzelthemen der Faltblattserie stehen im Bereich Wirtschaftsschutz auf der Internetseite www.verfassungsschutz.de des Bundesamtes für Verfassungsschutz bereit. Darüber hinaus stellt das Ministerium für Inneres und Europa MecklenburgVorpommern weitere Broschüren und Information bereit, die kostenlos als Download unter der Internetadresse www.regierung-mv.de/Landesregierung/im/Sicherheit/ zur Verfügung stehen. Zusätzlich wird an dieser Stelle auch auf das umfassende Publikationsangebot des Bundesamtes für Verfassungsschutz zu allen verfassungsschutzrelevanten Themenbereichen hingewiesen, welches unter www.verfassungsschutz.de als Download abgerufen oder bestellt werden kann. 10.3 Ausund Fortbildung/Praktika Im Rahmen von Ausund Fortbildungsveranstaltungen halten Beschäftigte des Verfassungsschutzes Mecklenburg-Vorpommern an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung, Polizei und Rechtspflege des Landes Mecklenburg-Vorpommern in Güstrow (FHöVPR) sowohl Vorträge mit fachlichem Bezug zu der Tätigkeit und den Aufgaben des Verfassungsschutzes als auch zu ausgesuchten, aktuellen sicher82 heitspolitischen Themen. Grundlage ist eine Kooperationsvereinbarung mit der FHöVPR, die seit 2010 Bestand hat. Im Jahr 2019 wurde ein Vortrag vor angehenden Polizeivollzugsbeamtinnen und -beamten sowie Verwaltungsbeamtinnen undbeamten im Rahmen von Qualifizierungsmaßnahmen zu den Themen Organisation und Aufgaben des Verfassungsschutzes und Schnittstellen zum polizeilichen Staatsschutz, zum Phänomen der sogenannten Reichsbürger und Selbstverwalter sowie zum Islamismus gehalten. Um das gegenseitige Verständnis für die jeweiligen Aufgaben zu fördern und den Informationsaustausch zu verbessern, finden seit Juni 2014 gegenseitige mehrtägige Hospitationen zwischen dem Verfassungsschutz Mecklenburg-Vorpommern und dem Landeskriminalamt Mecklenburg-Vorpommern, Abteilung Staatsschutz, in verschiedenen Fachbereichen statt. Innerhalb der föderalen Strukturen des Verfassungsschutzverbundes besteht Einvernehmen, sich mit den unterschiedlichen Arbeitsweisen vertraut zu machen, um somit die Zusammenarbeit durch gegenseitiges Kennenlernen zu erleichtern oder auch, um seine eigenen Abläufe zu hinterfragen und gegebenenfalls zu verbessern. Im Jahr 2019 haben drei Beschäftigte mehrere Tage beim Bundesamt für Verfassungsschutz hospitiert. Im Gegenzug wurde einem Beschäftigten des Bundesamtes für Verfassungsschutz die Hospitation in Mecklenburg-Vorpommern ermöglicht. 83 Abkürzungsverzeichnis AfD Alternative für Deutschland AG GGG Artgemeinschaft Germanische-Glaubens-Gemeinschaft APT Advanced Persistent Threat BAMAD Bundesamt für den Militärischen Abschirmdienst BAMF Bundesamt für Migration und Flüchtlinge BfV Bundesamt für Verfassungsschutz BKA Bundeskriminalamt BMI Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat BND Bundesnachrichtendienst BRD Bundesrepublik Deutschland BRI Belt and Road Initiative BSI Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik BVerfG Bundesverfassungsgericht BVerfSchG Bundesverfassungsschutzgesetz B&H Blood and Honour DHKP-C Devrimci Halk Kurtulus Partisi/Cephesi (Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front) DKP Deutsche Kommunistische Partei fdGO freiheitliche demokratische Grundordnung FFF Fridays for future F.i.e.L. Fremde im eigenen Land G 10 Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses GBA Generalbundesanwalt GdVuST Geeinte deutsche Völker und Stämme GETZ Gemeinsames Extremismusund Terrorismusabwehrzentrum GG Grundgesetz GTAZ Gemeinsames Terrorismusabwehrzentrum HAMAS Harakat al-Muqawama al-Islamiya IBD Identitäre Bewegung Deutschland IB MV Identitäre Bewegung Mecklenburg-Vorpommern IL Interventionistische Linke IS Islamischer Staat IT Informationstechnik JA Junge Alternative, Jugendorganisation der AfD JN Junge Nationalisten KADEK Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistans (Arbeiterpartei Kurdistans) KCK Koma Civaken Kurdistan (Arbeiterpartei Kurdistans) KKK Koma Komalen Kurdistan (Arbeiterpartei Kurdistans) 84 KONGRA GEL Kongra Gele Kurdistan (Arbeiterpartei Kurdistans) KPCh Kommunistische Partei Chinas KRITIS Kritische Infrastrukturen LfDI Landesbeauftragter für den Datenschutz und Informationsfreiheit LfV Landesbehörde für Verfassungsschutz LKA M-V Landeskriminalamt Mecklenburg-Vorpommern LRH M-V Landesrechnungshof Mecklenburg-Vorpommern LVerfSchG M-V Landesverfassungsschutzgesetz Mecklenburg-Vorpommern MC Motorcycle Club MLKP Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei MLPD Marxistisch-Leninistische Partei Deutschland MuP Mecklenburg und Pommern NATO North Atlantic Treaty Organization (Nordatlantische Vertragsorganisation) NIAS Nachrichtendienstliche Informationsund Analysestelle NPD Nationaldemokratische Partei Deutschland NS Nationalsozialistisch NSDAP Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei NSR Nationale Sozialisten Rostock OVG Oberverwaltungsgericht PIAS Polizeiliche Informationsund Analysestelle PMK Politisch motivierte Kriminalität PKK 1. Parlamentarische Kontrollkommission des Landtages Mecklenburg-Vorpommern 2. Partiya Karkeren Kurdistan (Arbeiterpartei Kurdistans) RED Rechtsextremismusdatei RH Rote Hilfe RNF Ring Nationaler Frauen SAV Sozialistische Alternative SDAJ Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend sic Sic erat scriptum - wird bei wörtlichen Zitaten verwendet, die Rechtschreibfehler oder andere Besonderheiten enthalten SOG M-V Sicherheitsund Ordnungsgesetz Mecklenburg-Vorpommern SOL Sozialistische Organisation Solidarität SOO Soldiers of Odin Germany Mecklenburg-Vorpommern SRH Schwarz-Rote-Hilfe SS Schutzstaffel der NSDAP StGB Strafgesetzbuch SÜG M-V Sicherheitsüberprüfungsgesetz Mecklenburg-Vorpommern TKP/ML Türkische Kommunistische Partei/Marxisten-Leninisten VG Verwaltungsgericht 85 VP Vertrauensperson YPG Volksverteidigungseinheiten (Yekineyen Parastina Gel) 86 Glossar Anti-Antifa Unter dem Begriff "Anti-Antifa" verfolgen Neonazis in Anlehnung an Terminologie und Vorgehensweise von Linksextremisten ein Konzept zur Erfassung und Veröffentlichung von Daten über politische Gegner. Deutlich wird dabei eine Bereitschaft zur Gewaltanwendung. Antifaschismus "Antifaschismus" als Begriff wird auch von Demokraten verwendet, um ihre Ablehnung des Rechtsextremismus zum Ausdruck zu bringen. Mehrheitlich nehmen jedoch Linksextremisten diesen Begriff für sich in Anspruch. Sie behaupten, dass der kapitalistische Staat den Faschismus hervorbringe, zumindest aber toleriere. Daher richtet sich der Antifaschismus nicht nur gegen tatsächliche oder vermeintliche Rechtsextremisten, sondern immer auch gegen den Staat und seine Vertreter, insbesondere Angehörige der Sicherheitsbehörden. Anti-Terror-Datei (ATD) Die Anti-Terror-Datei (ATD) ist eine gemeinsame Datei des Bundes und der Länder zur Aufklärung und Bekämpfung des internationalen Terrorismus mit Bezug zur Bundesrepublik Deutschland auf Grundlage des Antiterrordateigesetzes (ATDG). Advanced Persistent Threat (APT) Der Begriff "Advanced Persistent Threat" wird im Bereich der Cyber-Bedrohungen (Cyberangriff) für einen komplexen, zielgerichteten und effektiven Angriff auf ITInfrastrukturen und vertrauliche Daten von Behörden und Unternehmen verwendet. Vielfach werden Angriffskampagnen vereinfacht mit APT und einer Nummer (z. B. APT28) versehen, um damit die Angriffskampagne zu kennzeichnen. Das Ziel eines solchen Angriffes ist insbesondere, die lang anhaltende Handlungsfähigkeit des Angreifers sicherzustellen. Dazu versucht dieser sich nach erfolgreichem Eindringen entweder möglichst unauffällig zu verhalten oder sich möglichst schnell und umfassend in den angegriffenen Systemen auszubreiten und festzusetzen. Der Angreifer geht i. d. R. sehr gezielt vor und nimmt auch großen Aufwand in Kauf, um sein Ziel zu erreichen. Ausländerextremismus Extremistische Ausländerorganisationen verfolgen in Deutschland Ziele, die typischerweise durch aktuelle Ereignisse und politische Entwicklungen in ihren Heimatländern bestimmt sind. Entsprechend ihrer politischen Ausrichtung handelt es sich dabei beispielsweise um linksextremistische Organisationen (z. B. die türkische "Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front" (DHKP-C), soweit sie in ihren Heimatländern ein sozialistisches bzw. kommunistisches Herrschaftssystem anstreben oder um nationalistische Organisationen, die ein überhöhtes Selbstverständnis von der eigenen Nation haben und die Rechte anderer Völker missachten. Daneben gibt es separatistische Organisationen, die eine Loslösung ihres Herkunftsgebietes aus einem bereits bestehenden Staatsgebilde und die Schaffung eines eigenen Staates verfolgen. Die größte von den Verfassungsschutzbehörden beobachtete ausländerextremistische Organisation in Deutschland ist nach wie vor die unter der Bezeichnung PKK bekannte "Arbeiterpartei Kurdistans". 87 Autonome Kennzeichnend für die Bewegung der Autonomen, die über kein einheitliches ideologisches Konzept verfügt, ist die Ablehnung staatlicher und gesellschaftlicher Normen und Zwänge, die Suche nach einem freien, selbstbestimmten Leben in herrschaftsfreien Räumen und der Widerstand gegen den demokratischen Staat und seine Institutionen, wobei Gewalt von Autonomen grundsätzlich als Aktionsmittel ("militante Politik") akzeptiert ist. Autonome bilden den weitaus größten Anteil des gewaltbereiten linksextremistischen Personenpotenzials. Das Selbstverständnis der heterogenen autonomen Bewegung ist geprägt von Anti-Einstellungen ("antikapitalistisch", "antifaschistisch", "antipatriarchal"). Diffuse anarchistische und kommunistische Ideologiefragmente ("Klassenkampf", "Revolution" oder "Imperialismus") bilden den Rahmen ihrer oftmals spontanen Aktivitäten. Eine klassische Form autonomer Gewalt ist die sogenannte Massenmilitanz. Das sind Straßenkrawalle, die sich im Rahmen von Demonstrationen oder im Anschluss daran entwickeln. Hierbei kommt es regelmäßig auch zu Gewaltexzessen. Autonome Freiräume Als "autonome Freiräume" können vor allem besetzte Häuser, Wohnprojekte und selbstverwaltete Jugendund Kulturzentren gelten, deren Existenz und Erhalt Linksextremisten bedroht sehen, wenn sich die Besitzund Eigentumsverhältnisse ändern. Bestrebungen, extremistische Bestrebungen sind nach allgemeinem Sprachgebrauch alle auf ein Ziel gerichtet Aktivitäten. Extremistische Bestrebungen im Sinne der Verfassungsschutzgesetze sind im Wesentlichen politisch bestimmte, zielund zweckgerichtete Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluss gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, gegen den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes. Von Einzelpersonen gehen solche Bestrebungen nur dann aus, wenn sie auf die Anwendung von Gewalt gerichtet sind oder eines der obigen Schutzgüter erheblich beschädigen können.142 Cyberangriffe Elektronische Angriffe Elektronische Angriffe Mit dem Begriff "Elektronische Angriffe" werden Maßnahmen mit und gegen ITInfrastrukturen bezeichnet. Neben der Informationsbeschaffung fallen darunter auch Aktivitäten, die zur Schädigung bzw. Sabotage dieser Systeme geeignet sind. Dazu gehören insbesondere das Ausspähen, Kopieren oder Verändern von Daten, die Übernahme einer fremden elektronischen Identität, der Missbrauch oder die Sabotage fremder IT-Infrastrukturen sowie die Übernahme von computergesteuerten, netzgebundenen Produktionsund Steuereinrichtungen. Die Angriffe können dabei sowohl von außen über Computernetzwerke, wie z. B. das Internet, erfolgen als auch durch einen direkten, nicht netzgebundenen Zugriff auf einen Rechner, z. B. mittels manipulierter Hardwarekomponenten wie Speichermedien (z. B. USB-Sticks). 142 Vgl. SS 6 LVerfSchG M-V. 88 Fanzine Der Begriff setzt sich aus den Worten "Fan" und "Magazine" zusammen und bezeichnet Publikationen, die innerhalb einer subkulturellen Szene szeneinterne Informationen verbreiten. In der subkulturell geprägten rechtsextremistischen Szene informieren diese Publikationen über Musikgruppen, Tonträger, Konzerte sowie sonstige Szeneveranstaltungen. Aktivisten und rechtsextremistische Gruppierungen erhalten in Interviews Gelegenheit zur Selbstdarstellung und zur Verbreitung ihres extremistischen Gedankengutes. Gefährder Ein Gefährder ist eine Person, zu der bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie politisch motivierte Straftaten von erheblicher Bedeutung, insbesondere solche im Sinne des SS 100a StPO, begehen wird. Die Einstufung einer Person als Gefährder erfolgt durch die Polizei ( Relevante Person). Gemeinsames Extremismusund Terrorismusabwehrzentrum (GETZ) Das GETZ hat am 15. November 2012 seine Arbeit aufgenommen. Ziel ist die Bekämpfung des Rechts-, Links-, Ausländerextremismus/ -terrorismus, Spionage und Proliferation. Ziel ist es, die Fachexpertise aller Behörden unmittelbar zu bündeln und einen möglichst lückenlosen und schnellen Informationsfluss sicherzustellen. Gemeinsames Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ) Das 2004 eingerichtete "Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum" (GTAZ) in BerlinTreptow mit einer "Nachrichtendienstlichen Informationsund Analysestelle" (NIAS) sowie einer "Polizeilichen Informationsund Analysestelle" (PIAS) konzentriert die Experten für Terrorismusabwehr der deutschen Sicherheitsbehörden an einem Ort. Im GTAZ sind die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder, das Bundeskriminalamt (BKA), die Landeskriminalämter (LKÄ) und der Bundesnachrichtendienst (BND) eingebunden. Weitere Teilnehmer sind die Bundespolizei (BPOL), das Zollkriminalamt (ZKA), das Bundesamt für den Militärischen Abschirmdienst (BAMAD), das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) und Vertreter der Generalbundesanwaltschaft. Die Abstimmung von Bewertungen und Maßnahmen bei sicherheitsrelevanten Sachverhalten mit Terrorismusbezug wird erleichtert und beschleunigt. Gentrifizierung Der Begriff beschreibt die Umstrukturierung ganzer Wohnviertel und Stadtteile zu hochwertigen Wohnquartieren und damit einhergehend die Veränderung der Wohnbevölkerung. Dieses Themenfeld kommt häufig in Ballungsräumen vor. Islamismus Der Begriff des Islamismus bezeichnet eine religiös motivierte Form des politischen Extremismus. Islamisten sehen in den Schriften und Geboten des Islam nicht nur Regeln für die Ausübung der Religion, sondern auch Handlungsanweisungen für eine islamistische Staatsund Gesellschaftsordnung. Ein Grundgedanke dieser islamistischen Ideologie ist die Behauptung, alle Staatsgewalt könne ausschließlich von Gott (Allah) ausgehen. Damit richten sich islamistische Bestrebungen gegen die Vorschriften des Grundgesetzes, insbesondere gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung. Islamisten halten die Etablierung einer islamischen Gesellschaftsordnung für unabdingbar. Dieser Ordnung sollen letztlich sowohl Muslime als auch 89 Nicht-Muslime unterworfen werden. Sonderformen des Islamismus sind der Salafismus () und der islamistische Terrorismus (). Islamistischer Terrorismus Mit dem Begriff "islamistischer Terrorismus" wird Terrorismus () bezeichnet, der sich unter Berufung auf den Islam bzw. dessen selektive Auslegung und politische Instrumentalisierung darauf abzielt, eine nach eigener Auffassung "islamische Ordnung" bzw. einen "islamischen Staat" zu errichten. Dem "islamistischen Terrorismus" werden sunnitische Gruppierungen, hierunter sowohl salafistische (z. B. "al-Qaida") als auch nicht-salafistische (z. B. HAMAS), sowie schiitische Gruppierungen (z. B. "Hizb Allah") zugerechnet. Jihad Die wörtliche Übersetzung dieses Begriffs ist "Anstrengung" oder "Bemühung". Es gibt zwei Formen des Jihad: die geistig-spirituelle Bemühung des Gläubigen um das richtige religiöse und moralische Verhalten gegenüber Gott und den Mitmenschen (sogenannter großer Jihad) und den kämpferischen Einsatz zur Verteidigung oder Ausdehnung des islamischen Herrschaftsgebiets (sogenannter kleiner Jihad). Von militanten islamistischen ( Islamismus) Gruppen wird der Jihad häufig als religiöse Legitimation für Terroranschläge verwendet. Kameradschaften, rechtsextremistische Unter dem Begriff "Kameradschaften" werden i. d. R. neonazistische lokale Gruppierungen verstanden. Sie umfassen meist etwa 10 bis 20 Mitglieder und sind - im Gegensatz zu den Cliquen der subkulturell geprägten gewaltbereiten rechtsextremistischen Szene - deutlich durch den Willen zu politischer Aktivität geprägt. Obwohl sie meist nur geringe vereinsähnliche Strukturen aufweisen, sind sie durch eine verbindliche Funktionsverteilung dennoch deutlich strukturiert. Mitglieder von Kameradschaften rechnen sich in der Regel den neonazistisch geprägten sogenannten "Freien Nationalisten" zu. Kritische Infrastrukturen (KRITIS) Kritische Infrastrukturen (KRITIS) sind Organisationen oder Einrichtungen mit wichtiger Bedeutung für das staatliche Gemeinwesen, bei deren Ausfall oder Beeinträchtigung nachhaltig wirkende Versorgungsengpässe, erhebliche Störungen der öffentlichen Sicherheit oder andere dramatische Folgen eintreten würden. 90 Linksextremismus Mit diesem Begriff werden Bestrebungen () von Personenzusammenschlüssen bezeichnet, für die alle oder einige der folgenden Merkmale charakteristisch sind: * Bekenntnis zum Marxismus-Leninismus als "wissenschaftliche" Anleitung zum Handeln; daneben - je nach Ausprägung der Partei oder Gruppierung - Rückgriff auch auf Theorien weiterer Ideologen wie Stalin, Trotzki, Mao Tsetung und andere, * Bekenntnis zur sozialistischen oder kommunistischen Transformation der Gesellschaft mittels eines revolutionären Umsturzes oder langfristiger revolutionärer Veränderungen, * Bekenntnis zur Diktatur des Proletariats oder zu einer herrschaftsfreien (anarchistischen) Gesellschaft, * Bekenntnis zur revolutionären Gewalt als bevorzugte oder - je nach den konkreten Bedingungen - taktisch einzusetzende Kampfform. Linksextremistische Parteien und Gruppierungen lassen sich grob in zwei Hauptströmungen einteilen: * dogmatische Marxisten-Leninisten und sonstige revolutionäre Marxisten: In Parteien oder anderen festgefügten Vereinigungen organisiert, verfolgen sie die erklärte Absicht, eine sozialistische bzw. kommunistische Gesellschaftsordnung zu errichten, * Autonome, Anarchisten und sonstige Sozialrevolutionäre: In losen Zusammenhängen, seltener in Parteien oder formalen Vereinigungen agierend, streben sie ein herrschaftsfreies, selbstbestimmtes Leben frei von jeglicher staatlicher Autorität an. NADIS Das NAchrichtenDienstliche InformationsSystem und WissensNetz (NADIS WN) ist das zentrale Hinweisund Verbundsystem der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder für Personen und Objekte. Dieses System ist eine technische Plattform, auf der Amtsund Verbunddateien von Bund und Ländern unter einer einheitlichen Anwendungsoberfläche betrieben werden können. Neonationalsozialismus/Neonazismus Der Neonationalsozialismus bezieht sich auf die Weltanschauung des "Dritten Reiches" und macht diese zur Grundlage seiner politischen Zielvorstellungen. Elementare Bestandteile der neonationalsozialistischen Weltanschauung sind Rassismus und Nationalismus sowie die Forderung nach einem autoritären "Führerstaat" unter Ausschaltung der Gewaltenteilung. Proliferation Als Proliferation bezeichnet man die Weiterverbreitung von atomaren, biologischen oder chemischen Massenvernichtungswaffen und entsprechenden Waffenträgersystemen bzw. der zu deren Herstellung verwendeten Produkte einschließlich des dazu erforderlichen Know-how. 91 Radikal Als radikal werden Bestrebungen bezeichnet, die zur Lösung politischer Probleme "bis auf die Wurzel gehen", diese jedoch ohne zielgerichteten Angriff auf die freiheitliche demokratische Grundordnung lösen wollen. Radikale politische Auffassungen haben in unserer pluralistischen Gesellschaftsordnung ihren legitimen Platz. Rechtsextremismus Der Rechtsextremismus ist eine Ideologie der Ungleichheit, deren Anhänger politisch bestimmte, zielund zweckgerichtete Verhaltensweisen zeigen, die darauf gerichtet sind, Grundsätze der freiheitlichen demokratischen Grundordnung außer Geltung zu setzen oder zu beseitigen ( Bestrebung). Als Gegenentwurf zu einer modernen Demokratie und einer offenen Gesellschaft wollen Rechtsextremisten - auch unter Anwendung von Gewalt - ein autoritäres oder gar totalitäres staatliches System errichten, in dem nationalistisches und rassistisches Gedankengut die Grundlage der Gesellschaftsordnung bilden soll. Dementsprechend finden sich im deutschen Rechtsextremismus in unterschiedlicher und gruppenspezifischer Ausprägung folgende ideologische Vorstellungen bzw. Handlungsmuster: * Ein aggressiver, vielfach völkisch ausgerichteter Nationalismus, für den nur die deutschen Interessen als Richtschnur gelten und der andere Nationen als "minderwertig" betrachtet, * die häufige Forderung nach der Neugründung eines "Reiches", das zum "mächtigen Mittelpunkt Europas" werden müsse, * der Wunsch nach einer Volksgemeinschaft auf "rassischer" Grundlage, die die Rechte des Einzelnen beliebig einschränkt und der pluralistischen Gesellschaft das Modell des "Volkskollektivismus" ("Du bist nichts, Dein Volk ist alles") entgegensetzt (Antiindividualismus, Antipluralismus, Antiliberalismus), * eine aggressive, extrem gewaltbereite Fremdenfeindlichkeit als Ergebnis rassistischen und damit verbunden antisemitischen Gedankenguts, * der Wunsch nach einem "Führerstaat" mit militärischen Ordnungsprinzipien, * eine Relativierung oder sogar Leugnung der Verbrechen des "Dritten Reiches" und damit verbunden eine Verharmlosung oder Verherrlichung des Nationalsozialismus und * eine ständige Diffamierung der demokratischen Institutionen und ihrer Repräsentanten. Rechtsextremismusdatei (RED) Die Rechtsextremismusdatei (RED) ist eine gemeinsame Datei des Bundes und der Länder zur Aufklärung und Bekämpfung des gewaltbereiten Rechtsextremismus auf Grundlage des Rechtsextremismus-Datei-Gesetzes (RED-G). Mit der RED soll der Informationsaustausch zwischen den beteiligten Behörden intensiviert und beschleunigt werden. 92 Rechtsextremistische Konzerte Die Kriterien zur Bewertung rechtsextremistischer Musikveranstaltungen lauten wie folgt: * Live-Auftritt mindestens einer als rechtsextremistisch bewerteten Band, * Szeneöffentlichkeit (z. B. überregionale Mobilisierung, Erhebung von Eintrittsgeldern, Werbung für die Veranstaltung), * Vortrag rechtsextremistischer Liedtexte bzw. Feststellung rechtsextremistischer Aktivitäten der Interpreten anlässlich der Veranstaltungen (insbesondere Propagandadelikte), * Organisation der Veranstaltung durch rechtsextremistische Gruppierungen oder Einzelpersonen. Es ist nicht erforderlich, dass Informationen zu allen Kriterien vorliegen. Mindestvoraussetzung sind der szeneöffentliche Live-Auftritt sowie Indizien für rechtsextremistische Inhalte, die sich insbesondere aus dem Auftritt einschlägiger Bands oder aus dem Vortrag entsprechender Lieder ergeben können. Reichsbürger Sogenannte Reichsbürger und Selbstverwalter sind Gruppierungen und Einzelpersonen, die aus unterschiedlichen Motiven und mit unterschiedlichen Begründungen, unter anderem unter Berufung auf das historische Deutsche Reich, verschwörungstheoretische Argumentationsmuster oder ein selbst definiertes Naturrecht, die Existenz der Bundesrepublik Deutschland und deren Rechtssystem ablehnen, den demokratisch gewählten Repräsentanten die Legitimation absprechen oder sich gar in Gänze als außerhalb der Rechtsordnung stehend definieren und deshalb bereit sind, Verstöße gegen die Rechtsordnung zu begehen. Für die Verwirklichung ihrer Ziele treten sie aktiv ein, z. B. mit Werbeaktivitäten oder mit aggressiven Verhaltensweisen gegenüber den Gerichten und Behörden der Bundesrepublik Deutschland. Relevante Person Eine Person ist als relevant anzusehen, wenn sie innerhalb des extremistischen/terroristischen Spektrums die Rolle einer Führungsperson, eines Unterstützers/Logistikers oder eines Akteurs einnimmt und objektive Hinweise vorliegen, die die Prognose zulassen, dass sie politisch motivierte Straftaten von erheblicher Bedeutung, insbesondere solche im Sinne des SS 100a Strafprozessordnung (StPO), fördert, unterstützt, begeht oder sich daran beteiligt, oder es sich um eine Kontaktoder Begleitperson eines Gefährders, eines Beschuldigten oder eines Verdächtigen einer politisch motivierten Straftat von erheblicher Bedeutung, insbesondere einer solchen im Sinne des SS 100a StPO, handelt. Die Einstufung als relevante Person erfolgt durch die Polizei ( Gefährder). Scharia Die Scharia bezeichnet die im Koran von Gott gesetzte Ordnung, eine Art juristische Grundlage. Die Scharia enthält neben rituellen Vorschriften privat-, strafund öffentlich-rechtliche Regelungen. Die Scharia ist kein ausformuliertes Regelwerk, sondern eine Quelle der Rechtsfindung. Verbindlichkeit und Handhabung der Scharia in den einzelnen islamischen Ländern sind bis heute sehr unterschiedlich. Innerhalb der 93 islamischen Welt wird die Rolle der Scharia kontrovers beurteilt. Einig ist man sich aber darin, dass die Scharia eine für alle Bereiche wichtige Rechtsquelle darstellt. Salafismus Der "Salafismus" ist eine Strömung des sunnitischen Islamismus, die sich auf die Urzeit des Islam und die sogenannten "rechtschaffenen Altvorderen" (arab. al-salaf alsalih) bezieht und die Rückkehr zu den damaligen Herrschaftsund Rechtsformen anstrebt. Diese ist u.a. gekennzeichnet durch eine fundamentalistische Koranauslegung, die Ablehnung westlicher Wertevorstellungen und die Propagierung des Kampfes gegen die "Ungläubigen". Schwarzer Block Der sogenannte Schwarze Block, vermummte Aktivisten in einheitlicher "Kampfausrüstung", ist eine Aktionsform, die ursprünglich im linksextremistischen autonomen Spektrum entwickelt wurde und vor allem bei Demonstrationen angewandt wird. Der "Schwarze Block" ist keine zentral organisierte und koordinierte Organisationsform, sondern ein punktueller Zusammenschluss gewaltorientierter Linksextremisten. Ziel dieses Auftretens ist die erschwerte Zuordnung von Strafund Gewalttaten zu Einzelpersonen durch die Polizei. Jeder "Schwarze Block" beinhaltet jedoch ein einzelfallbezogenes Gewaltpotenzial, das sich je nach Lageentwicklung ausleben kann. Selbstverwalter Reichsbürger Spionage Als Spionage wird die Tätigkeit für den Nachrichtendienst einer fremden Macht bezeichnet, die auf die Mitteilung oder Lieferung von Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen gerichtet ist. Die Beschaffung von Informationen, vor allem aus den Bereichen Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Militär, erfolgt zumeist unter Anwendung geheimer Mittel und Methoden. Soweit Spionage gegen die Bundesrepublik Deutschland gerichtet ist, kommt eine Strafbarkeit gemäß SSSS 93 ff. StGB in Betracht. Spionageabwehr Die Spionageabwehr beschäftigt sich mit der Aufklärung und Abwehr bzw. Verhinderung von Spionageaktivitäten fremder Nachrichtendienste. Dazu sammelt sie Informationen über sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten fremder Nachrichtendienste in der Bundesrepublik Deutschland und wertet sie mit dem Ziel aus, Erkenntnisse über Struktur, Aktivitäten, Arbeitsmethoden, nachrichtendienstliche Mittel und Zielobjekte dieser Nachrichtendienste zu gewinnen. Die Spionageabwehr gehört gemäß SS 3 Abs. 1 Nr. 2 Bundesverfassungsschutzgesetz (BVerfSchG) zu den Aufgaben der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder. Staatsfreiheit Der Begriff der "Staatsfreiheit" ist ein innerhalb des ersten NPD-Verbotsverfahren geprägter Begriff. Danach hat das BVerfSchG die Forderung aufgestellt, dass während eines laufenden Verbotsverfahrens keine Vertrauenspersonen (VP) und Verdeckten Ermittler (VE) auf den Führungsebenen einer Partei tätig sein dürfen. Damit wird sichergestellt, dass deren Willensbildung und Selbstdarstellung unbeobachtet und selbst bestimmt erfolgen kann. Die Begründung des Verbotsantrags darf nicht auf Beweismaterialien gestützt werden, deren Entstehung zumindest teilweise auf das Wirken von VP oder VE zurückzuführen ist. Die Beobachtung einer Partei wäh94 rend eines laufenden Verbotsverfahrens darf außerdem nicht dem Ausspähen ihrer Prozessstrategie dienen. Zudem ist die privilegierte Stellung der Verfahrensbevollmächtigten der betroffenen Partei zu beachten. Terrorismus Der "Terrorismus" ist der nachhaltig geführte Kampf für politische Ziele, die mit Hilfe von Anschlägen auf Leib, Leben und Eigentum anderer Menschen durchgesetzt werden sollen, insbesondere durch schwere Straftaten, wie sie in SS 129a Abs. 1 StGB genannt sind, oder durch andere Straftaten, die zur Vorbereitung solcher Straftaten dienen. "Vier-Säulen-Strategie" der NPD Die Strategie der NPD wurde auf dem Bundesparteitag 1998 im mecklenburgischen Stavenhagen zunächst als "Drei-Säulen-Strategie" konzipiert: Kampf um die Straße: Durchführung von Demonstrationen, Zeigen von Präsenz in der Öffentlichkeit, Massenmobilisierung, Kampf um die Köpfe: Ziel ist die Meinungsführerschaft in der rechtsextremistischen Szene, aber ganz wesentlich auch das Erreichen von Personen außerhalb ihrer politischen Klientel, Kampf um die Parlamente: Wahlerfolge konnte die NPD in Mecklenburg-Vorpommern 2006 und 2009 vorweisen. Auf dem Bundesparteitag 2004 in Leinefeld/Thüringen wurde eine vierte Säule ergänzt: Kampf um den organisierten Willen: Die NPD sieht sich als "Speerspitze der nationalen Erneuerung" und versucht, alle "nationalen Kräfte" zu einem Bündnis zu bewegen - natürlich unter ihrer Führung. Wirtschaftsschutz Als Wirtschaftsschutz werden staatliche Maßnahmen bezeichnet, die dem Schutz deutscher Unternehmen und Forschungseinrichtungen vor einem durch Spionage betriebenen Know-how-Abfluss sowie vor Bedrohungen durch Rechtsund Linksextremisten, durch ausländische Extremisten sowie durch islamistische Terroristen dienen. Wirtschaftsspionage Wirtschaftsspionage ist Teil der Spionage, der die staatlich gelenkte oder gestützte, von fremden Nachrichtendiensten ausgehende Ausforschung von Wirtschaftsunternehmen und Forschungseinrichtungen beinhaltet. Betreibt hingegen ein konkurrierendes Unternehmen eine private Ausforschung, handelt es sich um Konkurrenzausspähung, die häufig auch Industriespionage genannt wird. In den Zuständigkeitsbereich der Verfassungsschutzbehörden fällt ausschließlich die Wirtschaftsspionage. 95 Registeranhang Im Textteil erwähnte Personenzusammenschlüsse Seitenzahl A Aktionsblog 15, 21ff, 28 al-Qaida 90 Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) 60, 68 ff., 85, 87 Arischer Widerstandsbund 25 Artgemeinschaft-Germanische Glaubens-Gemeinschaft we25, 84 sensgemäßer Lebensgestaltung e. V. (AG-GGG) Aryan Warriors 25, 32 Autonome 6, 54, 88, 91 B Bataillon 500 18 Blood and Honour 19, 84 Brigade 8 19, 25 D Der III. Weg 14, 41 f. Deutsche Kommunistische Partei (DKP) 52, 58, 61, 84 Deutschland muss leben e. V. (DML) 24 Die Liebenfels-Kapelle/Skalinger 18, 19 DIE RECHTE 14, 40f 3-Länder-Jungs 20 F Freie Kräfte Greifswald/Nationale Sozialisten Greifswald 25 Freie Pommern 25 Freistaat Preußen 48 Fremde im eigenen Land (F.i.e.L.) 19, 24, 84 Freundeskreis Thinghaus 38 Freikorps Heimatschutz 25 G Geeinte deutsche Völker und Stämme (GdVuST) 48, 84 Gefangenenhilfe Freundeskreis 25 Gemeinschaft Recknitztal 16 Germanisches Bollwerk Mecklenburg 24 Glaube, Wille, Tat (Musiklabel) 19 H Hammerskins 19, 25 Harakat al-Muqawama al-Islamiya (HAMAS) 84, 90 96 Hizb Allah 90 HUSKARLAR MC Stralsund 16 I Identitäre Bewegung Deutschland (IBD) 13, 43ff., 84 Identitäre Bewegung Mecklenburg-Vorpommern (IB MV) 43 ff., 84 Initiative "Vereint für Stralsund" 24 Interventionistische Linke (IL) 51ff., 58ff., 84 Islamischer Staat (IS) 45, 62-65, 69 f., 84 J Junge Nationalisten (JN) 26, 32, 39 f., 40, 84 K Kameradschaft Borken 25 Kameradschaftsbund Anklam 25 Kameradschaftsbund Bargischow 25 Kollektiv Seenplatte 24 L Limo 53 f. Leveler Records 19 M Mit erhobener Stimme 18 Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei (MLKP) 68, 85 Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) 52, 61, 85 N Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) 6 f., 14, 31-40, 85 Nationales Bündnis Löcknitz 25 Nationale Sozialisten Rostock 15, 21, 85 Nordlichter Rostock 23 P Painful Awakening/Baltic Storm 18, 19 Path of Resistance 18, 19 Patrioten Rostock/Rügen/Stralsund 23 Penzliner Runde 48 Pommerscher Bismarck 19 Preußisches Institut - Bismarcks Erben 48 R Reichsbürger und Selbstverwalter 47 f., 80 f., 83, 93 f. 100 Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front (DHKP-C) 68, 84, 87 97 Ring Nationaler Frauen (RNF) 37, 85 Rostocker Division 23, 32 Rote Hilfe e. V. (RH) 52, 57, 85 RotFuchs-Förderverein 61 REBELL 61 S Schlachtruf Germania 18 Schwarz-Rote-Hilfe 58, 85 Skalinger 18, 19 Soldiers of Odin Germany Mecklenburg-Vorpommern (SOO) 16, 85 Sozialistische Alternative (SAV) 52, 61, 85 Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend (SDAJ) 52, 58, 61, 85 Sozialistische Organisation Solidarität (SOL) 61, 85 Staatenlos.Info - Comedian e.V. 48 Stimme der Vergeltung 18 T Taliban 63 Thrima 18, 19 Türkische Kommunistische Partei/Marxisten-Leninisten 68, 85 (TKP/ML) U Ungebetene Gäste 18, 19, 38 V Völkische Burschenschar Strasburg 25 W White Rex 28 Wiege des Schicksals/Motorhate 18 98 Anlagen 99 Anlage 1 - Politisch motivierte Kriminalität (PMK) Politisch motivierte Kriminalität -Rechts2018 2019 Straftaten Gesamt 907 970 davon extremistisch 872 930 Propagandadelikte 665 687 davon extremistisch 665 687 143 Gewaltdelikte 43 49 davon extremistisch 43 49 Fremdenfeindliche Straftaten 231 216 davon extremistisch 231 216 davon Gewaltdelikte 39 24 Antisemitische Straftaten 54 51 davon Gewaltdelikte 1 0 Politisch motivierte Kriminalität -Links2018 2019 Straftaten Gesamt 249 279 davon extremistisch 89 92 Propagandadelikte 7 6 davon extremistisch 7 6 Gewaltdelikte 26 22 davon extremistisch 26 22 Fremdenfeindliche Straftaten 0 2 davon extremistisch 2 davon Gewaltdelikte 0 Antisemitische Straftaten 0 0 Politisch moPolitisch motiPolitisch Politisch tivierte Krimivierte Kriminamotivierte motivierte nalität - religilität - auslänKriminalität Kriminalität - öse Ideologie dische Ideolo- - religiöse ausländische gie Ideologie Ideologie 2018 2018 2019 2019 Straftaten Gesamt 6 13 5 2 davon extremistisch 6 13 5 2 Propagandadelikte 1 2 0 1 Gewaltdelikte 3 4 0 0 davon extremistisch 3 4 0 0 Fremdenfeindliche Strafta- 4 6 3 0 ten davon extremistisch 4 6 3 0 davon Gewaltdelikte 3 3 0 0 Antisemitische Straftaten 2 1 0 0 davon Gewaltdelikte 0 0 0 Quelle: LKA M-V 143 Zusätzlich 6 Gewalttaten durch "Reichsbürger und Selbstverwalter". 100 101 Anlage 2 - Landesverfassungsschutzgesetz Amtliche Abkürzung: LVerfSchG M-V Ausfertigungsdatum: 11.07.2001 Textnachweis ab: 01.01.2005 Dokumenttyp: Gesetz Quelle: Fundstelle: GVOBl. M-V 2001, 261 Gliederungs-Nr.: 12-4 Gesetz über den Verfassungsschutz im Lande Mecklenburg-Vorpommern (Landesverfassungsschutzgesetz - LVerfSchG M-V) Vom 11. Juli 2001 Fundstelle: GVOBl. M-V 2001, S. 261 Stand: letzte berücksichtigte Änderung: zuletzt geändert durch Gesetz vom 13. Januar 2017 (GVOBl. M-V S. 2) Der Landtag hat das folgende Gesetz beschlossen: Inhaltsübersicht Abschnitt 1 Aufgaben und Befugnisse der Verfassungsschutzbehörde SS1 Zweck des Verfassungsschutzes SS2 Organisation SS3 Bedienstete SS4 Zusammenarbeit SS5 Aufgaben des Verfassungsschutzes SS6 Begriffsbestimmungen SS7 Rahmen für die Tätigkeit der Verfassungsschutzbehörde SS8 Funktionelle Trennung von Polizei und Verfassungsschutzbehörde SS9 Formen der Datenerhebung SS 10 Informationsbeschaffung mit nachrichtendienstlichen Mitteln SS 10a Vertrauensleute und Verdeckte Mitarbeiter SS 11 Mitteilung an betroffene Personen SS 12 Registereinsicht durch die Verfassungsschutzbehörde Abschnitt 2 Datenverarbeitung SS 13 Begriff der Datei und der Akte SS 14 Dateianordnung SS 15 Voraussetzung der Speicherung SS 16 Erfassung personenbezogener Daten von Minderjährigen SS 17 Speichern, Berichtigen, Löschen und Sperren personenbezogener Daten 102 Abschnitt 3 Informationsübermittlung und Auskunftserteilung SS 18 Informationsübermittlung zwischen den Verfassungsschutzbehörden SS 19 Informationsübermittlung an Bundesnachrichtendienst und Militärischen Abschirmdienst SS 20 Informationsübermittlung durch die Verfassungsschutzbehörde an Polizei, Staatsanwaltschaft und andere Stellen SS 20a Projektbezogene gemeinsame Dateien SS 21 Informationsübermittlung an ausländische Stellen SS 22 Informationsübermittlung an die Öffentlichkeit SS 23 Dokumentation und Grundlage der Informationsübermittlung durch die Verfassungsschutzbehörde SS 24 Informationsübermittlung durch öffentliche Stellen an die Verfassungsschutzbehörde SS 24a Informationsübermittlung durch nicht-öffentliche Stellen an die Verfassungsschutzbehörde SS 24b Weitere Auskunftsverlangen SS 25 Übermittlungsverbote, Nachberichtspflicht SS 26 Auskunft an betroffene Personen Abschnitt 4 Kontrolle der Verfassungsschutzbebörde SS 27 Parlamentarische Kontrollkommission SS 28 Geheimhaltung SS 29 Kontrollrechte der Parlamentarischen Kontrollkommission Abschnitt 5 Schlussvorschriften SS 30 Geltung des Landesdatenschutzgesetzes SS 31 (weggefallen) SS 32 In-Kraft-Treten, Außer-Kraft-Treten Abschnitt 1 Aufgaben und Befugnisse der Verfassungsschutzbehörde SS1* Zweck des Verfassungsschutzes Der Verfassungsschutz dient dem Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, des Bestandes und der Sicherheit des Bundes und der Länder. Fußnoten *) SS 1 geändert durch Artikel 3 des Gesetzes vom 16. April 2004. SS2 Organisation (1) Die Aufgaben des Verfassungsschutzes werden von der Verfassungsschutzbehörde wahrgenommen. Verfassungsschutzbehörde ist das Innenministerium. Es unterhält für diese Aufgaben eine besondere Abteilung. (2) Die Verfassungsschutzbehörde darf Dienststellen der Polizei, Dienststellen der Polizei dürfen der Verfassungsschutzbehörde nicht angegliedert werden. SS3 Bedienstete Mit Aufgaben der Verfassungsschutzbehörde dürfen nur Personen betraut werden, die nach ihrer Per103 sönlichkeit und nach ihrem Verhalten die Gewähr dafür bieten, dass sie jederzeit für die Sicherung und Erhaltung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung eintreten. SS4 Zusammenarbeit (1) Die Verfassungsschutzbehörde ist verpflichtet, mit Bund und Ländern in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes zusammenzuarbeiten. Die Zusammenarbeit besteht insbesondere in gegenseitiger Unterstützung und Information sowie in der Unterhaltung gemeinsamer Einrichtungen. (2) Die Verfassungsschutzbehörden anderer Länder dürfen im Geltungsbereich dieses Gesetzes nur im Einvernehmen, der Bund nach Maßgabe bundesrechtlicher Vorschriften nur im Benehmen mit der Verfassungsschutzbehörde Mecklenburg-Vorpommerns tätig werden. SS5 Aufgaben des Verfassungsschutzes (1) Zur Erfüllung ihrer Aufgabe sammelt und wertet die Verfassungsschutzbehörde sachund personenbezogene Daten, insbesondere Auskünfte, Nachrichten und Unterlagen aus über 1. Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziel haben, 2. sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten im Geltungsbereich des Grundgesetzes für eine fremde Macht im Geltungsbereich dieses Gesetzes, 3. Bestrebungen im Geltungsbereich des Grundgesetzes, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, 4. Bestrebungen, die gegen den Gedanken der Völkerverständigung ( Artikel 9 Abs. 2 des Grundgesetzes ) oder gegen das friedliche Zusammenleben der Völker ( Artikel 26 Abs. 1 des Grundgesetzes ) gerichtet sind. (2) Die Verfassungsschutzbehörde informiert die zuständigen Stellen und die Öffentlichkeit über Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand und die Sicherheit des Bundes und der Länder. Sie kann dazu insbesondere Verfassungsschutzberichte veröffentlichen und Prävention im Rahmen von Öffentlichkeitsarbeit leisten. Den staatlichen Stellen soll ermöglicht werden, rechtzeitig die erforderlichen Maßnahmen zur Abwehr der Gefahren nach Satz 1 zu treffen. (3) Die Verfassungsschutzbehörde wirkt mit 1. bei der Sicherheitsüberprüfung von Personen nach Maßgabe des Sicherheitsüberprüfungsgesetzes vom 22. Januar 1998 (GVOBl. M-V S. 114, 195), zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 28. Januar 2009 (GVOBl. M-V S. 82), sowie bei Zuverlässigkeitsüberprüfungen in den übrigen gesetzlich bestimmten Fällen, 2. bei technischen Sicherheitsmaßnahmen zum Schutz von im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftigen Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen gegen die Kenntnisnahme durch Unbefugte. (4) Die Verfassungsschutzbehörde ist an die allgemeinen Rechtsvorschriften gebunden ( Artikel 20 des Grundgesetzes ). 104 SS6 Begriffsbestimmungen (1) Im Sinne dieses Gesetzes sind 1. Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung solche politisch bestimmten, zielund zweckgerichteten Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluss, die darauf gerichtet sind, einen der in Absatz 3 genannten Verfassungsgrundsätze zu beseitigen oder außer Geltung zu setzen, 2. Bestrebungen gegen den Bestand des Bundes oder eines Landes solche politisch bestimmten, zielund zweckgerichteten Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluss, die darauf gerichtet sind, die Freiheit des Bundes oder eines Landes von fremder Herrschaft aufzuheben, ihre staatliche Einheit zu beseitigen oder ein zu ihnen gehörendes Gebiet abzutrennen, 3. Bestrebungen gegen die Sicherheit des Bundes oder eines Landes solche politisch bestimmten, zielund zweckgerichteten Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluss, die darauf gerichtet sind, den Bund, die Länder oder deren Einrichtungen in ihrer Funktionsfähigkeit erheblich zu beeinträchtigen. (2) Eine Bestrebung im Sinne des Gesetzes ist insbesondere dann gegeben, wenn sie auf Gewaltanwendung gerichtet ist oder sonst ein kämpferisches und aggressives Verhalten gegenüber den in Absatz 3 genannten Grundsätzen erkennen lässt. (3) Zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne dieses Gesetzes zählen: 1. das Recht des Volkes, die Staatsgewalt in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung auszuüben und die Volksvertretung in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl zu wählen, 2. die Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung und die Bindung der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an Gesetz und Recht, 3. das Recht auf Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition, 4. die Ablösbarkeit der Regierung und ihre Verantwortlichkeit gegenüber der Volksvertretung, 5. die Unabhängigkeit der Gerichte, 6. der Ausschluss jeder Gewaltund Willkürherrschaft und 7. die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte. (4) Für einen Personenzusammenschluss handelt, wer ihn in seinen Bestrebungen nachdrücklich unterstützt. Verhaltensweisen von Einzelpersonen, die nicht in einem oder für einen Personenzusammenschluss handeln, sind Bestrebungen im Sinne dieses Gesetzes, wenn sie auf Anwendung von Gewalt gerichtet sind oder aufgrund ihrer Wirkungsweise geeignet sind, ein Schutzgut dieses Gesetzes erheblich zu beschädigen. (5) Betroffene Personen sind Personen, bei denen tatsächliche Anhaltspunkte für Tätigkeiten oder Bestrebungen gemäß SS 5 Abs. 1 vorliegen. Dritte sind Personen, bei denen keine derartigen Anhaltspunkte vorliegen. (6) Gewalt im Sinne dieses Gesetzes ist die Anwendung körperlichen Zwanges gegen Personen und die gewalttätige Einwirkung auf Sachen. 105 SS7 Rahmen für die Tätigkeit der Verfassungsschutzbehörde (1) Die Verfassungsschutzbehörde darf sachund personenbezogene Daten nur erheben, verarbeiten und nutzen, soweit sie zur Erfüllung ihrer Aufgaben nach diesem Gesetz erforderlich sind. Voraussetzung für die Sammlung von Informationen im Sinne des SS 5 Abs. 1 ist das Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte, die, insgesamt betrachtet und unter Einbeziehung nachrichtendienstlicher Erfahrungen, den Verdacht einer der in SS 5 Abs. 1 genannten Bestrebungen oder Tätigkeiten rechtfertigen. Die Art und der Umfang des Umgangs mit Daten richtet sich nach den Vorschriften dieses Gesetzes. Soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, gilt das Landesdatenschutzgesetz von MecklenburgVorpommern. (2) Zur Erfüllung ihrer Aufgaben darf die Verfassungsschutzbehörde nur die dazu erforderlichen Maßnahmen ergreifen; dies gilt insbesondere für den Umgang mit personenbezogenen Daten. Von mehreren möglichen und geeigneten Maßnahmen hat sie diejenige zu treffen, die den einzelnen, insbesondere in seinen Grundrechten, und die Allgemeinheit voraussichtlich am wenigsten beeinträchtigt. Eine Maßnahme darf nicht zu einem Nachteil führen, der zu dem erstrebten Erfolg erkennbar außer Verhältnis steht. Sie ist nur so lange zulässig, bis ihr Zweck erreicht ist oder sich zeigt, dass er nicht erreicht werden kann. SS8 Funktionelle Trennung von Polizei und Verfassungsschutzbehörde Polizeiliche Befugnisse stehen der Verfassungsschutzbehörde nicht zu; sie darf die Polizei auch nicht im Wege der Amtshilfe um Maßnahmen ersuchen, zu denen sie selbst nicht befugt ist. SS9 Formen der Datenerhebung (1) Die Verfassungsschutzbehörde darf personenbezogene Daten der betroffenen Person auch ohne deren Kenntnis bei ihr und bei Dritten erheben, wenn 1. tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht von Bestrebungen oder Tätigkeiten gemäß SS 5 Abs. 1 vorliegen, 2. dies für die Erforschung und Bewertung von gewalttätigen Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 5 Abs. 1 Nr. 2 erforderlich ist oder 3. dies zur Schaffung oder Erhaltung nachrichtendienstlicher Zugänge über Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 5 Abs. 1 erforderlich ist. Werden personenbezogene Daten bei der betroffenen Person mit ihrer Kenntnis erhoben, so ist sie über die Freiwilligkeit der Mitwirkung und den Verwendungszweck aufzuklären. Die Aufklärungspflicht umfasst bei einer beabsichtigten Übermittlung auch den Empfänger der Daten. Die Aufklärung kann unterbleiben, wenn die Tatsache, dass die Erhebung für Zwecke des Verfassungsschutzes erfolgt, aus besonderen Gründen nicht bekannt werden soll. (2) Personenbezogene Daten von Dritten dürfen ohne deren Kenntnis nur erhoben werden, wenn 1. dies für die Erforschung von Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 5 Abs. 1 vorübergehend erforderlich ist, 2. die Erforschung des Sachverhaltes auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre und 3. überwiegende schutzwürdige Belange der betroffenen Personen nicht entgegenstehen. Daten Dritter dürfen auch erhoben werden, wenn sie mit zur Aufgabenerfüllung erforderlichen Informationen untrennbar verbunden sind. Daten, die für das Verständnis der zu speichernden Informationen nicht erforderlich sind, sind unverzüglich zu löschen. Dies gilt nicht, wenn die Löschung nicht oder nur 106 mit unvertretbarem Aufwand möglich ist. In diesem Fall sind die Daten zu sperren; die gesperrten Daten dürfen nicht mehr genutzt werden. (3) Ist zum Zwecke der Sammlung von Informationen die Weitergabe personenbezogener Daten unerlässlich, so dürfen schutzwürdige Interessen der betroffenen Person oder Dritter nur im unvermeidbaren Umfang beeinträchtigt werden. SS 10 Informationsbeschaffung mit nachrichtendienstlichen Mitteln (1) Die Verfassungsschutzbehörde darf zur verdeckten Informationsbeschaffung, insbesondere zur verdeckten Erhebung personenbezogener Daten, nur folgende nachrichtendienstliche Mittel anwenden: 1. Inanspruchnahme von Vertrauensleuten nach Maßgabe des SS 10a , sonstigen Informanten und Gewährspersonen; 2. Einsatz von Verdeckten Mitarbeitern nach Maßgabe des SS 10a ; 3. Observationen; 4. Bildaufzeichnungen (Fotografieren, Filmen und Videografieren) außerhalb des Schutzbereiches des Artikels 13 des Grundgesetzes ; 5. verdeckte Ermittlungen und Befragungen; 6. verdecktes Mithören ohne Inanspruchnahme technischer Mittel; 7. verdecktes Mithören und Aufzeichnen des nicht öffentlich gesprochenen Wortes unter Einsatz technischer Mittel außerhalb des Schutzbereiches des Artikels 13 des Grundgesetzes ; 8. Beobachtung des Funkverkehrs auf nicht für den allgemeinen Empfang bestimmten Kanälen; 9. Verwendung fingierter biographischer, beruflicher oder gewerblicher Angaben (Legenden) mit Ausnahme solcher beruflicher Angaben, die sich auf die in Satz 3 genannten Personen beziehen; 10. Beschaffung, Herstellung und Verwendung von Tarnpapieren und Tarnkennzeichen; 11. Überwachung des Brief-, Postund Fernmeldeverkehrs nach Maßgabe des aufgrund von Artikel 10 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes erlassenen Bundesgesetzes; 12. verdecktes Beobachten und sonstiges Aufklären des Internets, ohne dass der Schutzbereich des Artikels 10 des Grundgesetzes (Brief-, Postund Fernmeldegeheimnis) berührt ist, insbesondere die verdeckte Teilnahme an den Kommunikationseinrichtungen des Internets sowie die Suche nach ihnen. (2) Die Mittel nach Absatz 1 dürfen nur angewendet werden, wenn 1. die Voraussetzungen des SS 9 Abs. 1 Nr. 1, 2 oder 3 vorliegen, 2. sich ihr Einsatz gegen Dritte richtet, deren Einbeziehung in eine solche Maßnahme unumgänglich ist, um auf diese Weise Erkenntnisse über sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten für eine fremde Macht oder Bestrebungen zu gewinnen, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen gegen die im SS 5 Abs. 1 Nr. 1 und 3 genannten Schutzgüter gerichtet sind oder 3. dies zur Abschirmung der Mitarbeiter, Einrichtungen, Gegenstände und Nachrichtenzugänge des Verfassungsschutzes gegen sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten 107 erforderlich ist. Die Mittel nach Absatz 1 Satz 1 Nr. 9 und 10 dürfen auch für Vertrauensleute angewendet werden, wenn dies zur Erfüllung eines dienstlichen Auftrags oder zu ihrem Schutz erforderlich ist. (3) Die Anwendung nachrichtendienstlicher Mittel gemäß Absatz 1 ist unzulässig, wenn die Informationsbeschaffung auf andere, die betroffene Person weniger beeinträchtigende Weise möglich ist. Eine geringere Beeinträchtigung ist in der Regel anzunehmen, wenn die Daten aus allgemein zugänglichen Quellen oder durch Übermittlung nach SS 24 gewonnen werden können. Die Anwendung nachrichtendienstlicher Mittel darf nicht außer Verhältnis zur Bedeutung des aufzuklärenden Sachverhaltes stehen. Die Verfassungsschutzbehörde darf die mit nachrichtendienstlichen Mitteln erhobenen Daten nur für die in SS 9 Abs. 1 genannten Zwecke nutzen. Daten, die für diese Zwecke nicht erforderlich sind, sind unverzüglich zu löschen. Sind diese Daten mit anderen, für die in SS 9 Abs. 1 genannten Zwecke erforderlichen Daten derart verbunden, dass sie nicht oder nur mit einem unverhältnismäßig großen Aufwand getrennt werden können, so sind diese Daten zu sperren; sie dürfen nicht mehr genutzt werden. (4) Wirkt die Verfassungsschutzbehörde an Sicherheitsüberprüfungen im Sinne des SS 5 Abs. 3 Nr. 1 mit, so darf sie nur das nachrichtendienstliche Mittel der Tarnung von Mitarbeitern anwenden. (5) Die Behörden des Landes sowie die Kommunalbehörden sind verpflichtet, der Verfassungsschutzbehörde Hilfe für Tarnungsmaßnahmen zu leisten. (6) Die Anwendung des nachrichtendienstlichen Mittels nach Absatz 1 Nr. 7 bedarf im Einzelfall der Zustimmung des Innenministers, im Falle seiner Verhinderung der des Staatssekretärs, und der Zustimmung der nach dem Ausführungsgesetz des Landes Mecklenburg-Vorpommern zu dem aufgrund von Artikel 10 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes erlassenen Bundesgesetzes gebildeten Kommission; bei Gefahr im Verzug ist unverzüglich die Genehmigung dieser Kommission nachträglich einzuholen. Die durch solche Maßnahmen erhobenen personenbezogenen Daten dürfen nur nach Maßgabe des aufgrund von Artikel 10 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes erlassenen Bundesgesetzes verwendet werden. (7) Die Verfassungsschutzbehörde darf unter den Voraussetzungen des SS 24a Abs. 2 technische Mittel zur Ermittlung des Standortes eines aktiv geschalteten Mobilfunkendgerätes und zur Ermittlung der Geräteoder Kartennummer einsetzen. Die Maßnahme ist nur zulässig, wenn ohne Einsatz technischer Mittel nach Satz 1 die Ermittlung des Standortes oder die Ermittlung der Geräteoder Kartennummer aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre. Sie darf sich nur gegen die in SS 24a Abs. 3 Nr. 1 und 2 Buchstabe b bezeichneten Personen richten. Für die Verarbeitung der Daten ist SS 4 des Artikel 10-Gesetzes entsprechend anzuwenden. Personenbezogene Daten eines Dritten dürfen anlässlich solcher Maßnahmen nur erhoben werden, wenn dies aus technischen Gründen zur Erreichung des Zweckes nach Satz 1 unvermeidbar ist. Sie unterliegen einem absoluten Verwendungsverbot und sind nach Beendigung der Maßnahme unverzüglich zu löschen. SS 24a Abs. 4 bis 6 gilt entsprechend. Das Grundrecht des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses ( Artikel 10 des Grundgesetzes ) wird insoweit eingeschränkt. SS 10a Vertrauensleute und Verdeckte Mitarbeiter (1) Die Verfassungsschutzbehörde darf 1. Privatpersonen, deren planmäßige, dauerhafte Zusammenarbeit mit ihr Dritten nicht bekannt ist (Vertrauensleute), und 2. eigene Mitarbeiter unter einer ihnen verliehenen und auf Dauer angelegten Legende (Verdeckte Mitarbeiter) zur Aufklärung von Bestrebungen unter den Voraussetzungen des SS 10 Absatz 2 einsetzen. Ein dauerhafter Einsatz zur Aufklärung von Bestrebungen nach SS 5 Absatz 1 Nummer 1 und 4 ist nur bei Bestrebungen von erheblicher Bedeutung zulässig, insbesondere, wenn sie darauf gerichtet sind, Gewalt anzuwenden oder Gewalt vorzubereiten. 108 (2) Vertrauensleute und Verdeckte Mitarbeiter dürfen weder zur Gründung von Bestrebungen nach SS 5 Absatz 1 Nr. 1, 3 oder 4 noch zur steuernden Einflussnahme auf derartige Bestrebungen eingesetzt werden. Sie dürfen in solchen Personenzusammenschlüssen oder für solche Personenzusammenschlüsse, einschließlich strafbarer Vereinigungen, tätig werden, um deren Bestrebungen aufzuklären. Im Übrigen ist im Einsatz eine Beteiligung an Bestrebungen nur zulässig, wenn sie 1. nicht in Individualrechte eingreift, 2. von den an den Bestrebungen Beteiligten derart erwartet wird, dass sie zur Gewinnung und Sicherung der Informationszugänge unumgänglich ist, und 3. nicht außer Verhältnis zur Bedeutung des aufzuklärenden Sachverhalts steht. Sofern zureichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass Vertrauensleute oder Verdeckte Mitarbeiter rechtswidrig einen Straftatbestand von erheblicher Bedeutung verwirklicht haben, soll der Einsatz unverzüglich beendet und die Strafverfolgungsbehörde unterrichtet werden. Über Ausnahmen nach Satz 4 entscheidet der Leiter der Verfassungsschutzabteilung oder sein Vertreter. (3) Über die Verpflichtung von Vertrauensleuten entscheidet der Leiter der Verfassungsschutzabteilung oder sein Vertreter. Als Vertrauensleute dürfen Personen nicht angeworben und eingesetzt werden, die 1. nicht voll geschäftsfähig, insbesondere minderjährig sind, 2. von den Geldoder Sachzuwendungen für die Tätigkeit auf Dauer als alleinige Lebensgrundlage abhängen würden, 3. an einem Aussteigerprogramm teilnehmen, 4. im Bundeszentralregister mit einer Verurteilung wegen eines Verbrechens oder zu einer Freiheitsstrafe, deren Vollstreckung nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist, eingetragen sind, 5. Mitglied des Europäischen Parlaments, des Deutschen Bundestages, eines Landesparlaments oder Mitarbeiter eines solchen Mitglieds sind oder 6. berechtigt sind, in Strafsachen aus beruflichen Gründen das Zeugnis zu verweigern ( SSSS 53 und 53a der Strafprozessordnung ), wenn sie zur Beschaffung von Informationen über Sachverhalte eingesetzt werden sollen, auf die sich ihr Zeugnisverweigerungsrecht bezieht; Informationen, die diese Personen unter Verletzung des SS 203 des Strafgesetzbuches rechtswidrig an die Verfassungsschutzbehörde weiterzugeben beabsichtigen, dürfen von dieser nicht entgegengenommen werden. Der Leiter der Verfassungsschutzabteilung kann eine Ausnahme von Nummer 4 zulassen, wenn die Verurteilung nicht als Täter eines Totschlags ( SSSS 212 , 213 StGB ) oder einer allein mit lebenslanger Haft bedrohten Straftat erfolgt ist und der Einsatz zur Aufklärung von Bestrebungen, die auf die Begehung von in SS 3 Absatz 1 des Artikel 10-Gesetzes bezeichneten Straftaten gerichtet sind, unerlässlich ist. Im Falle einer Ausnahme nach Satz 3 ist der Einsatz nach höchstens sechs Monaten zu beenden, wenn er zur Erforschung der in Satz 3 genannten Bestrebungen nicht zureichend gewichtig beigetragen hat. Auch im Weiteren ist die Qualität der gelieferten Informationen fortlaufend zu bewerten. Das Ministerium für Inneres und Sport trägt der Parlamentarischen Kontrollkommission mindestens einmal im Jahr einen Lagebericht zum Einsatz von Vertrauensleuten vor. (4) Zum Absehen von der Verfolgung von im Einsatz begangenen Vergehen oder der Rücknahme einer bereits erhobenen Klage und der Verfahrenseinstellung durch die Staatsanwaltschaft findet SS 9a Absatz 3 des Bundesverfassungsschutzgesetzes Anwendung. 109 SS 11 Mitteilung an betroffene Personen Betroffenen Personen sind Maßnahmen nach SS 10 Abs. 6 Satz 1 nach ihrer Beendigung mitzuteilen, sobald eine Gefährdung des Zweckes des Eingriffs ausgeschlossen werden kann. Lässt sich im Zeitpunkt der Beendigung der Maßnahme noch nicht abschließend beurteilen, ob diese Voraussetzung erfüllt ist, unterbleibt die Mitteilung so lange, bis eine Gefährdung des Zwecks der Maßnahme ausgeschlossen werden kann. Die nach dem Ausführungsgesetz zu dem aufgrund von Artikel 10 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes gebildete Kommission ist über die Gründe, die einer Mitteilung entgegenstehen, zu unterrichten; hält sie eine Mitteilung für geboten, so ist diese unverzüglich zu veranlassen. SS 12 Registereinsicht durch die Verfassungsschutzbehörde (1) Die Verfassungsschutzbehörde darf zur Aufklärung 1. von Bestrebungen, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind, 2. von Bestrebungen im Sinne des SS 5 Abs. 1 Nr. 2 bis 4 bei öffentlichen Stellen geführte Dateien, Akten und Register einsehen. (2) Eine solche Einsichtnahme ist nur zulässig, wenn 1. die Aufklärung auf andere Weise nicht möglich erscheint, insbesondere durch eine Übermittlung der Daten durch die registerführende Stelle der Zweck der Maßnahme gefährdet würde, 2. die betroffenen Personen durch eine anderweitige Aufklärung unverhältnismäßig beeinträchtigt werden würden und 3. eine besondere gesetzliche Geheimhaltungsvorschrift oder ein Berufsgeheimnis der Einsichtnahme nicht entgegensteht. (3) Die auf diese Weise gewonnenen Erkenntnisse dürfen nur zu den in Absatz 1 genannten Zwecken verwendet werden. Daten, die für diese Zwecke nicht erforderlich sind, sind unverzüglich zu löschen. Sind diese Daten mit anderen, für die in Absatz 1 genannten Zwecke erforderlichen Daten derart verbunden, dass sie nicht oder nur mit unverhältnismäßig großem Aufwand getrennt werden können, so sind diese Daten zu sperren; sie dürfen nicht mehr genutzt werden. (4) Über die Einsichtnahme ist ein gesonderter Nachweis zu führen, aus dem ihr Zweck, die in Anspruch genommene Stelle sowie die Namen der betroffenen Person, deren Daten für eine weitere Verwendung erforderlich sind, hervorgehen. Diese Aufzeichnungen sind gesondert aufzubewahren, durch technische und organisatorische Maßnahmen zu sichern und am Ende des Kalenderjahres, das dem Jahr der Erstellung folgt, zu vernichten. Dieser Nachweis ist der Parlamentarischen Kontrollkommission auf Wunsch vorzulegen. Abschnitt 2 Datenverarbeitung SS 13 Begriff der Datei und der Akte (1) Eine Datei im Sinne dieses Gesetzes ist 1. eine Sammlung personenbezogener Daten, die durch automatisierte Verfahren verarbeitet und ausgewertet werden kann (automatisierte Datei) oder 2. jede sonstige Sammlung gleichartig aufgebauter personenbezogener Daten, die nach be110 stimmten Merkmalen geordnet und ausgewertet werden kann (nicht-automatisierte Datei). (2) Eine Akte ist jede sonstige Sammlung von amtlichen oder dienstlichen Zwecken dienenden Unterlagen, die in einem inhaltlichen Bezug zueinander stehen und auch personenbezogene Daten enthalten können. Dazu zählen auch Bildund Tonmedien. Akten oder Auszüge aus Akten dürfen auch in elektronischer Form geführt werden. Eine Abfrage personenbezogener Daten mittels automatisierter Verarbeitung ist nur zulässig, wenn für sie die Voraussetzungen der Speicherung nach SS 15 Absatz 1 oder SS 16 Absatz 1 vorliegen. Der automatisierte Abgleich dieser personenbezogenen Daten ist nur beschränkt auf Akten eng umgrenzter Anwendungsgebiete zulässig. Bei jeder Abfrage sind für Zwecke der Datenschutzkontrolle der Zeitpunkt, die Angaben, die die Feststellung der abgefragten Daten ermöglichen, sowie Angaben zur Feststellung des Abfragenden zu protokollieren. Die protokollierten Daten dürfen nur für Zwecke der Datenschutzkontrolle, der Datensicherung oder zur Sicherstellung eines ordnungsgemäßen Betriebs der Datenverarbeitungsanlage verwendet werden. Die Protokolldaten sind am Ende des Kalenderjahres, das dem Jahr der Protokollierung folgt, zu löschen. SS 14 Dateianordnung (1) Für jede automatisierte Datei der Verfassungsschutzbehörde sind in einer Dateianordnung durch die Verfassungsschutzbehörde festzulegen: 1. Bezeichnung der Datei, 2. Zweck der Datei, 3. Inhalt, Umfang, Voraussetzungen der Speicherung, Übermittlung und Nutzung, 4. Berechtigung zur Eingabe von Daten, 5. Zugangsberechtigung, 6. Überprüfungsfristen und Speicherungsdauer, 7. Protokollierung. (2) Der Landesbeauftragte für den Datenschutz ist vor Erlass der Dateianordnung anzuhören. SS 15 Voraussetzung der Speicherung (1) Die Verfassungsschutzbehörde darf zur Erfüllung ihrer Aufgaben personenbezogene Informationen in Dateien nur speichern, wenn die Voraussetzungen ihrer Erhebung gemäß SS 9 Absatz 1 oder 2 vorliegen. (2) Unterlagen, die nach Absatz 1 gespeicherte Angaben belegen, dürfen auch gespeichert werden, wenn in ihnen weitere personenbezogene Daten Dritter enthalten sind. Eine Abfrage von Daten Dritter ist unzulässig. (3) Bundesgesetzliche Vorschriften über die Datenverarbeitung in gemeinsamen Dateien der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder bleiben unberührt. SS 16 Erfassung personenbezogener Daten von Minderjährigen (1) Personenbezogene Daten von Minderjährigen dürfen in Dateien und Akten nur erfasst werden, wenn 1. diese zu dem Zeitpunkt, auf den sich die Daten beziehen, das 16. Lebensjahr vollendet haben 111 und 2. der Verdacht einer geheimdienstlichen Tätigkeit ( SS 5 Absatz 1 Nummer 2 ) oder einer Bestrebung im Sinne des SS 5 Absatz 1 Nummer 1 oder 3 besteht, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen verfolgt wird. (2) Personenbezogene Daten über Minderjährige nach Vollendung des 16. und vor Vollendung des 18. Lebensjahres sind nach zwei Jahren auf die Erforderlichkeit der Erfassung zu überprüfen und spätestens nach fünf Jahren zu löschen, es sei denn, dass nach Eintritt der Volljährigkeit weitere Erkenntnisse nach SS 5 Absatz 1 angefallen sind. SS 17 Speichern, Berichtigen, Löschen und Sperren personenbezogener Daten (1) Umfang und Dauer der Speicherung personenbezogener Daten sind auf das für die Aufgabenerfüllung der Verfassungsschutzbehörde erforderliche Maß zu beschränken. (2) Wird die Richtigkeit von personenbezogenen Daten von betroffenen Personen bestritten, so ist dies in der Akte und Datei zu vermerken oder auf sonstige Weise festzuhalten. Personenbezogene Daten sind zu berichtigen, wenn sie unrichtig sind. Dabei muss nachvollziehbar bleiben, in welchem Zeitraum und aus welchem Grund sie unrichtig waren. Die Daten sind zu ergänzen, wenn sie unvollständig sind und dadurch schutzwürdige Interessen der betroffenen Person beeinträchtigt sein können. (3) Personenbezogene Daten in Dateien sind zu löschen, wenn ihre Erhebung oder Speicherung unzulässig war oder ihre Kenntnis für die Aufgabenerfüllung nicht mehr erforderlich ist. Bei jeder Einzelfallbearbeitung und nach festgesetzten Fristen, spätestens aber nach fünf Jahren, sind die in Dateien gespeicherten personenbezogenen Daten auf ihre Erforderlichkeit zu überprüfen. Soweit die Daten Bestrebungen nach SS 5 Absatz 1 Nummer 1 betreffen, sind sie spätestens zehn Jahre, soweit sie Bestrebungen nach SS 5 Absatz 1 Nummer 3 oder 4 betreffen, spätestens fünfzehn Jahre nach dem Zeitpunkt der letzten gespeicherten relevanten Information zu löschen, es sei denn, der Leiter der Verfassungsschutzabteilung oder sein Vertreter trifft im Einzelfall ausnahmsweise eine andere Entscheidung. (4) Personenbezogene Daten sind in Dateien zu sperren, soweit durch ihre Löschung schutzwürdige Belange der betroffenen Person oder von Dritten beeinträchtigt würden. Ein schutzwürdiges Interesse liegt auch vor, wenn die betroffene Person einen Antrag nach SS 26 Absatz 1 Satz 1 gestellt hat. Anstelle der Löschung tritt auch dann eine Sperrung, wenn die nach Absatz 3 zu löschenden Daten mit anderen Daten derart verbunden sind, dass sie nicht oder nur mit einem unverhältnismäßig großen Aufwand getrennt werden können. Die gesperrten Daten dürfen ohne Einwilligung der betroffenen Person nicht mehr genutzt werden. (5) Eine Akte ist zu vernichten, wenn sie insgesamt zur Aufgabenerfüllung der Verfassungsschutzbehörde nicht oder nicht mehr erforderlich ist. Die Erforderlichkeit ist bei der Einzelfallbearbeitung und nach festgesetzten Fristen, spätestens nach fünf Jahren, zu prüfen. Eine Vernichtung unterbleibt, wenn Grund zu der Annahme besteht, dass durch sie schutzwürdige Interessen des Betroffenen beeinträchtigt würden. Dies ist auch dann gegeben, wenn eine betroffene Person einen Antrag nach SS 26 Absatz 1 Satz 1 gestellt hat. In diesen Fällen ist die Akte zu sperren und mit einem entsprechenden Vermerk zu versehen. Sie darf nur für den Zweck verwendet werden, für den sie gesperrt worden ist oder wenn es zur Abwehr einer erheblichen Gefahr unerlässlich ist. Eine Vernichtung der Akte erfolgt nicht, wenn sie nach den Vorschriften des Landesarchivgesetzes dem Landesarchiv zur Übernahme anzubieten und zu übergeben ist. (6) Personenbezogene Daten, die ausschließlich zu Zwecken der Datenschutzkontrolle, der Datensicherung oder zur Sicherstellung eines ordnungsgemäßen Betriebes einer Datenverarbeitungsanlage gespeichert werden, dürfen nur für diesen Zweck verwendet werden. 112 Abschnitt 3 Informationsübermittlung und Auskunftserteilung SS 18 Informationsübermittlung zwischen den Verfassungsschutzbehörden Die Verfassungsschutzbehörde unterrichtet das Bundesamt für Verfassungsschutz und die Verfassungsschutzbehörden der Länder über alle Angelegenheiten, deren Kenntnis zur Erfüllung der Aufgaben der empfangenden Stellen erforderlich ist. SS 19 Informationsübermittlung an Bundesnachrichtendienst und Militärischen Abschirmdienst Die Verfassungsschutzbehörde übermittelt dem Bundesnachrichtendienst und dem Militärischen Abschirmdienst die ihr bekannt gewordenen Informationen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Übermittlung für die Erfüllung der Aufgaben der empfangenden Stelle erforderlich ist. Handelt die Verfassungsschutzbehörde auf Ersuchen, so ist sie zur Übermittlung nur verpflichtet und berechtigt, wenn sich die tatsächlichen Anhaltspunkte aus den Angaben der ersuchenden Behörde ergeben. SS 20 Informationsübermittlung durch die Verfassungsschutzbehörde an Polizei, Staatsanwaltschaft und andere Stellen (1) Die im Rahmen der gesetzlichen Aufgaben gewonnenen Erkenntnisse der Verfassungsschutzbehörde, die nicht personenbezogen sind, können an andere Behörden und Stellen, insbesondere an die Polizei und Staatsanwaltschaften, übermittelt werden, wenn sie für die Aufgabenerfüllung der empfangenden Stellen erforderlich sein können. (2) Personenbezogene Daten übermittelt die Verfassungsschutzbehörde von sich aus an die Staatsanwaltschaften und, vorbehaltlich der staatsanwaltschaftlichen Sachleitungsbefugnis, die Polizei, sofern aufgrund der bei der Verfassungsschutzbehörde vorliegenden Informationen tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Übermittlung zur Verhinderung oder Verfolgung von Staatsschutzdelikten erforderlich ist. Delikte nach Satz 1 sind die in SS 74a Abs. 1 und SS 120 Abs. 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 9. Mai 1975 (BGBl. I S. 1077), zuletzt geändert durch Artikel 2 des Gesetzes vom 19. Dezember 2000 (BGBl. I S. 1756), genannten Straftaten sowie sonstige Straftaten, bei denen aufgrund ihrer Zielsetzung, des Motivs des Täters oder dessen Verbindung zu einer Organisation tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie gegen die in Artikel 73 Nr. 10 Buchstabe b oder c des Grundgesetzes genannten Schutzgüter gerichtet sind. (3) Personenbezogene Daten darf die Verfassungsschutzbehörde vorbehaltlich des Absatzes 4 übermitteln 1. an die Staatsanwaltschaften und, vorbehaltlich der staatsanwaltschaftlichen Sachleitungsbefugnis, die Polizei, sofern aufgrund der bei der Verfassungsschutzbehörde vorliegenden Informationen tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass jemand eine Straftat plant oder begangen hat, die im Mindestmaß mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bedroht ist, oder wenn es zum Schutz vor Bestrebungen und Tätigkeiten nach SS 5 Abs. 1 erforderlich ist, 2. an andere staatliche Behörden und an die der Aufsicht des Landes unterstellten Gebietskörperschaften, wenn dies zum Schutz vor Bestrebungen und Tätigkeiten nach SS 5 Abs. 1 erforderlich ist, 3. an Stellen, die mit dem Überprüfungsverfahren nach SS 5 Absatz 3 Nummer 1 befasst sind, 4. an andere Stellen, wenn es zum Schutz vor Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes unverzichtbar ist. In den Fällen der Nummer 4 entscheidet der Leiter der Verfassungsschutzabteilung oder sein Vertre113 ter. (4) Personenbezogene Daten, die mit den nachrichtendienstlichen Mitteln nach SS 10 Absatz 1 erhoben wurden, darf die Verfassungsschutzbehörde an die Staatsanwaltschaften, die Finanzbehörden nach SS 386 Absatz 1 der Abgabenordnung , die Polizei, die mit der Steuerfahndung betrauten Dienststellen der Landesfinanzbehörden, die Behörden des Zollfahndungsdienstes sowie anderer Zolldienststellen, soweit diese Aufgaben nach dem Bundespolizeigesetz wahrnehmen, nur übermitteln, soweit dies erforderlich ist zur 1. Erfüllung eigener Aufgaben der Informationsgewinnung, 2. Abwehr einer im Einzelfall bestehenden Gefahr für den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder für Leib, Leben, Gesundheit oder Freiheit einer Person oder für Sachen von erheblichem Wert, deren Erhaltung im öffentlichen Interesse geboten ist, 3. Verhinderung oder sonstigen Verhütung von Straftaten von erheblicher Bedeutung oder 4. Verfolgung von Straftaten von erheblicher Bedeutung. (5) Soweit es zur Verhinderung oder Verfolgung von Straftaten gemäß Absatz 2 erforderlich ist, können die Staatsanwaltschaften und, vorbehaltlich der staatsanwaltschaftlichen Sachleitungsbefugnis, die Polizei die Übermittlung personenbezogener Daten im Einzelfall verlangen. Das Ersuchen bedarf der Schriftform, ist zu begründen und zu dokumentieren. Eine Übermittlung unterbleibt, sofern übergeordnete Bedenken aus den Aufgaben des Verfassungsschutzes der Übermittlung entgegenstehen. Die Entscheidung trifft der Leiter der Verfassungsschutzabteilung oder sein Vertreter. Die Ablehnung ist zu dokumentieren und zu begründen. Nach Wegfall der Ablehnungsgründe ist die Auskunft auf Verlangen nachzuholen. (6) Die nach Absatz 2 bis 4 oder 5 übermittelten personenbezogenen Daten darf die empfangende Stelle nur zu dem Zweck verwenden, zu dessen Erfüllung sie ihr übermittelt wurden. Auf diese Einschränkung ist die empfangende Stelle hinzuweisen. SS 20a Projektbezogene gemeinsame Dateien (1) Die Verfassungsschutzbehörde kann für die Dauer einer befristeten projektbezogenen Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz, den übrigen Landesbehörden für Verfassungsschutz, dem Militärischen Abschirmdienst, dem Bundesnachrichtendienst, dem Zollkriminalamt sowie den Polizeibehörden des Bundes und der Länder eine gemeinsame Datei errichten. Die projektbezogene Zusammenarbeit soll nach Maßgabe der Aufgaben und Befugnisse der in Satz 1 genannten Behörden den Austausch und die gemeinsame Auswertung von Erkenntnissen zu Bestrebungen, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen gegen die in SS 5 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 bis 4 genannten Schutzgüter gerichtet sind, bewirken. Personenbezogene Daten zu Bestrebungen nach Satz 2 dürfen unter Einsatz der gemeinsamen Datei durch die an der projektbezogenen Zusammenarbeit beteiligten Behörden im Rahmen ihrer Befugnisse verwendet werden, soweit dies in diesem Zusammenhang zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlich ist. Bei der weiteren Verwendung der personenbezogenen Daten finden für die beteiligten Behörden die jeweils für sie geltenden Vorschriften über die Verwendung von Daten Anwendung. (2) SS 22a Absatz 2 bis 6 des Bundesverfassungsschutzgesetzes findet entsprechende Anwendung. SS 21 Informationsübermittlung an ausländische Stellen Die Verfassungsschutzbehörde darf personenbezogene Daten im Einvernehmen mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz an ausländische öffentliche Stellen sowie an überund zwischenstaatliche Stellen übermitteln, soweit die Übermittlung in einem Gesetz, einem Rechtsakt der Europäischen Gemeinschaften oder in einer internationalen Vereinbarung geregelt ist. 114 Eine Übermittlung darf auch erfolgen, wenn sie 1. zum Schutz von Leib oder Leben erforderlich ist oder 2. zur Erfüllung eigener Aufgaben, insbesondere in Fällen grenzüberschreitender Tätigkeiten der Verfassungsschutzbehörde, unumgänglich ist und im Empfängerland gleichwertige Datenschutzregelungen gelten. Die Übermittlung unterbleibt, wenn ihr auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland oder überwiegende schutzwürdige Interessen der betroffenen Person, insbesondere deren Schutz vor einer rechtsstaatswidrigen Verfolgung, entgegenstehen. SS 20 Abs. 5 gilt entsprechend; die empfangende Stelle ist darüber hinaus darauf hinzuweisen, dass sich die Verfassungsschutzbehörde vorbehält, Auskunft über die Verarbeitung der übermittelten Daten zu verlangen. SS 22 Informationsübermittlung an die Öffentlichkeit Bei der Unterrichtung der Öffentlichkeit, einschließlich der Medien, über Erkenntnisse der Verfassungsschutzbehörde ist die Übermittlung von personenbezogenen Daten nur zulässig, wenn es zu einer sachgemäßen Information erforderlich ist und schutzwürdige Interessen der betroffenen Person nicht entgegenstehen. Werden von der Verfassungsschutzbehörde personenbezogene Daten an die Öffentlichkeit gegeben, so ist im Einzelfall zu prüfen, ob vorab eine Benachrichtigung der betroffenen Person oder des Dritten geboten ist. SS 23 Dokumentation und Grundlage der Informationsübermittlung durch die Verfassungsschutzbehörde Die Übermittlung von personenbezogenen Daten ist zu dokumentieren. Vor der Datenübermittlung soll der Akteninhalt gewürdigt und der Datenübermittlung zugrunde gelegt werden. Erkennbar unvollständige Daten sind vor der Übermittlung im Rahmen der Verhältnismäßigkeit durch Einholung zusätzlicher Auskünfte zu vervollständigen, anderenfalls ist auf die Unvollständigkeit hinzuweisen. SS 24 * Informationsübermittlung durch öffentliche Stellen an die Verfassungsschutzbehörde (1) Die Verfassungsschutzbehörde kann von den Behörden des Landes und den der Aufsicht des Landes unterstehenden juristischen Personen des öffentlichen Rechts nur die Übermittlung von Daten verlangen, die diesen Stellen im Rahmen ihrer Aufgaben vorliegen und die zur Erfüllung der Aufgaben des Verfassungsschutzes erforderlich sind. Voraussetzung hierfür ist, dass die betreffenden Daten nicht aus allgemein zugänglichen Quellen oder nur mit übermäßigem Aufwand oder nur durch eine die betroffene Person stärker belastende Maßnahme erhoben werden können. (2) Die Verfassungsschutzbehörde braucht Ersuchen nicht zu begründen, soweit dies dem Schutz der betroffenen Person dient oder eine Begründung den Zweck der Maßnahme gefährden würde. (3) Die in Absatz 1 genannten Stellen übermitteln von sich aus der Verfassungsschutzbehörde alle ihnen im Rahmen ihrer Aufgaben vorliegenden Daten über Bestrebungen, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen verfolgt werden, und über geheimdienstliche Tätigkeiten. Die Staatsanwaltschaften und, vorbehaltlich der staatsanwaltschaftlichen Sachleitungsbefugnis, die Polizei übermitteln darüber hinaus auch andere ihnen im Rahmen ihrer Aufgabenerfüllung bekannt gewordene Daten über Bestrebungen im Sinne des SS 5 Abs. 1 . Die Übermittlung personenbezogener Daten, die aufgrund einer Maßnahme nach SS 100a der Strafprozessordnung bekannt geworden sind, ist nur zulässig, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass jemand eine der im aufgrund von Artikel 10 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes erlassenen Bundesgesetz als Voraussetzung für eine Beschränkungsmaßnahme genannten Straftaten plant, begeht oder begangen hat. Die Übermittlung personenbezogener Daten, die aufgrund anderer strafprozessualer Zwangsmaßnahmen bekannt geworden sind, ist nur zulässig, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für geheimdienstliche oder sicherheitsgefährdende Tätigkeiten oder gewalttätige Bestrebungen bestehen. Auf die nach Satz 3 übermittelten Daten und die dazugehörenden Unterlagen finden die im aufgrund von Artikel 10 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes erlassenen Bundesgesetz enthaltenen Bestimmungen über die Nutzung, 115 Übermittlung und Vernichtung von Daten entsprechende Anwendung. Die nach Satz 4 übermittelten Daten dürfen nur zur Erforschung geheimdienstlicher oder sicherheitsgefährdender Tätigkeiten oder gewalttätiger Bestrebungen genutzt werden. (4) Vorschriften zur Datenübermittlung an die Verfassungsschutzbehörde nach anderen Gesetzen bleiben unberührt. (5) Die Verfassungsschutzbehörde hat die übermittelten Daten nach ihrem Eingang unverzüglich darauf zu überprüfen, ob sie für die Erfüllung ihrer in SS 5 genannten Aufgaben erforderlich sind. Ergibt die Prüfung, dass sie nicht erforderlich sind, sind die Unterlagen unverzüglich zu vernichten. Die Vernichtung unterbleibt, wenn die Unterlagen von anderen Daten, die zur Erfüllung der Aufgaben erforderlich sind, nicht oder nur mit unvertretbarem Aufwand getrennt werden können; in diesem Fall sind die Daten gesperrt und entsprechend zu kennzeichnen. (6) Soweit andere gesetzliche Vorschriften nicht besondere Regelungen über die Dokumentation treffen, haben die Verfassungsschutzbehörde und die übermittelnde Stelle die Datenübermittlung zu dokumentieren. Fußnoten*) SS 24 Überschrift neu gefasst durch Artikel 3 des Gesetzes vom 16. April 2004. SS 24a Informationsübermittlung durch nicht-öffentliche Stellen an die Verfassungsschutzbehörde (1) Die Verfassungsschutzbehörde darf im Einzelfall bei denjenigen, die geschäftsmäßig Postdienstleistungen oder Telemediendienste erbringen oder daran mitwirken, Auskunft über Daten einholen, die für die Begründung, inhaltliche Ausgestaltung, Änderung oder Beendigung eines Vertragsverhältnisses über Postdienstleistungen oder Telemediendienste (Bestandsdaten) gespeichert worden sind, soweit dies zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlich ist. (2) Die Verfassungsschutzbehörde darf im Einzelfall Auskunft einholen bei 1. Luftfahrtunternehmen zu Namen und Anschriften des Kunden sowie zur Inanspruchnahme und den Umständen von Transportleistungen, insbesondere zum Zeitpunkt von Abfertigung und Abflug und zum Buchungsweg, 2. Kreditinstituten, Finanzdienstleistungsinstituten und Finanzunternehmen zu Konten, Konteninhabern und sonstigen Berechtigten sowie weiteren am Zahlungsverkehr Beteiligten und zu Geldbewegungen und Geldanlagen, insbesondere über Kontostand und Zahlungseinund - ausgänge, 3. denjenigen, die geschäftsmäßig Postdienstleistungen erbringen oder daran mitwirken, zu den Umständen des Postverkehrs, 4. denjenigen, die geschäftsmäßig Telekommunikationsdienste erbringen oder daran mitwirken, zu Verkehrsdaten nach SS 96 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 sowie SS 113a des Telekommunikationsgesetzes vom 22. Juni 2004 (BGBl. I S. 1190), das zuletzt durch Artikel 2 des Gesetzes vom 21. Dezember 2007 (BGBl. I S. 3198) geändert worden ist, und sonstigen zum Aufbau und zur Aufrechterhaltung der Telekommunikation notwendigen Verkehrsdaten und 5. denjenigen, die geschäftsmäßig Telemediendienste erbringen oder daran mitwirken, zu a) Merkmalen zur Identifikation des Nutzers eines Telemediums, b) Angaben über Beginn und Ende sowie über den Umfang der jeweiligen Nutzung und c) Angaben über die vom Nutzer in Anspruch genommenen Telemediendienste, soweit dies zur Aufklärung von Bestrebungen oder Tätigkeiten erforderlich ist und tatsächliche Anhaltspunkte für schwerwiegende Gefahren für die in SS 5 Abs. 1 genannten Schutzgüter vorliegen. Im Falle des SS 5 Abs. 1 Nr. 1 gilt dies nur für Bestrebungen, die bezwecken oder aufgrund ihrer Wirkungsweise geeignet sind, 116 1. zu Hass oder Willkürmaßnahmen gegen Teile der Bevölkerung aufzustacheln oder deren Menschenwürde durch Beschimpfen, böswilliges Verächtlichmachen oder Verleumden anzugreifen und dadurch die Bereitschaft zur Anwendung von Gewalt zu fördern und den öffentlichen Frieden zu stören oder 2. Gewalt anzuwenden oder vorzubereiten einschließlich dem Befürworten, Hervorrufen oder Unterstützen von Gewaltanwendung, auch durch Unterstützen von Vereinigungen, die Anschläge gegen Personen oder Sachen veranlassen, befürworten oder androhen. (3) Anordnungen nach Absatz 2 dürfen sich nur gegen Personen richten, bei denen 1. tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie die schwerwiegenden Gefahren nach Absatz 2 nachdrücklich fördern oder 2. aufgrund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist a) bei Auskünften nach Absatz 2 Satz 1 Nr. 1, 2 und 5, dass sie die Leistung für eine Person nach Nummer 1 in Anspruch nehmen oder b) bei Auskünften nach Absatz 2 Satz 1 Nr. 3 und 4, dass sie für eine Person nach Nummer 1 bestimmte oder von ihr herrührende Mitteilungen entgegennehmen oder weitergeben oder im Falle des Absatzes 2 Satz 1 Nr. 4, dass eine Person nach Nummer 1 ihren Anschluss benutzt. (4) Die Zuständigkeit für Anordnungen nach Absatz 2 Satz 1 Nr. 1 ist in einer Dienstvorschrift zu regeln, die der Zustimmung des Innenministers bedarf. Anordnungen nach Absatz 2 Satz 1 Nr. 2 bis 5 werden vom Leiter der Verfassungsschutzbehörde oder seinem Vertreter schriftlich beantragt und begründet. Im Falle der Auskunft nach Nummer 2 kann der Antrag auch von einem Bediensteten der Verfassungsschutzbehörde gestellt werden, der die Befähigung zum Richteramt hat. Zuständig für Anordnungen nach Absatz 2 Satz 1 Nr. 2 bis 5 ist der Innenminister. Die Anordnung einer Auskunft über künftig anfallende Daten ist auf höchstens drei Monate zu befristen. Die Verlängerung dieser Anordnung um jeweils nicht mehr als drei Monate ist auf Antrag zulässig, soweit die Voraussetzungen der Anordnung fortbestehen. Anordnungen nach Absatz 2 Satz 1 Nr. 1 und 2 hat die Verfassungsschutzbehörde dem Betroffenen mitzuteilen, sobald eine Gefährdung des Zweckes des Eingriffs ausgeschlossen werden kann. (5) Über Anordnungen nach Absatz 2 Satz 1 Nr. 3 bis 5 unterrichtet der Innenminister monatlich die Kommission nach SS 2 Abs. 1 des Gesetzes zur Ausführung des Artikel 10-Gesetzes vom 17. Juli 1992 (GVOBl. M-V S. 486), das zuletzt durch das Gesetz vom 30. Juli 2007 (GVOBl. M-V S. 278) geändert worden ist, vor deren Vollzug. Bei Gefahr im Verzug kann er den Vollzug der Entscheidung auch bereits vor der Unterrichtung der Kommission anordnen. Die Kommission prüft von Amts wegen oder aufgrund von Beschwerden die Zulässigkeit und Notwendigkeit der Einholung von Auskünften. SS 15 Abs. 5 des Artikel 10-Gesetzes vom 26. Juni 2001 (BGBl. I S. 1254, 2298), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 18. Februar 2007 (BGBl. I S 106) geändert worden ist, ist mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden, dass die Kontrollbefugnis der Kommission sich auf die gesamte Erhebung, Verarbeitung und Nutzung der nach Absatz 2 Satz 1 Nr. 3 bis 5 erlangten personenbezogenen Daten erstreckt. Entscheidungen über Auskünfte, die die Kommission für unzulässig oder nicht notwendig erklärt, hat der Innenminister unverzüglich aufzuheben. Die Daten unterliegen in diesem Falle einem absoluten Verwendungsverbot und sind unverzüglich zu löschen. Für die Verarbeitung der nach Absatz 2 Satz 1 Nr. 3 bis 5 erhobenen Daten ist SS 4 des Artikel 10-Gesetzes entsprechend anzuwenden. SS 12 Abs. 1 und 3 des Artikel 10-Gesetzes findet entsprechend Anwendung. (6) Der Innenminister unterrichtet im Abstand von höchstens sechs Monaten die Parlamentarische Kontrollkommission über Anordnungen nach Absatz 2; dabei ist insbesondere ein Überblick über Anlass, Umfang, Dauer, Ergebnis und Kosten der im Berichtszeitraum durchgeführten Maßnahmen zu geben. (7) Anordnungen sind dem Verpflichteten insoweit schriftlich mitzuteilen, als dies erforderlich ist, um ihm die Erfüllung seiner Verpflichtung zu ermöglichen. Anordnungen und übermittelte Daten dürfen dem Betroffenen oder Dritten vom Verpflichteten nicht mitgeteilt werden. 117 (8) Der Innenminister unterrichtet das Parlamentarische Kontrollgremium des Bundes jährlich über Anordnungen nach Absatz 2 nach Maßgabe des SS 8b Absatz 3 Satz 1 des Bundesverfassungsschutzgesetzes . (9) Das Grundrecht des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses ( Artikel 10 des Grundgesetzes ) wird nach Maßgabe des Absatzes 2 Satz 1 Nr. 3 bis 5 und der Absätze 3 bis 5 eingeschränkt. SS 24b Weitere Auskunftsverlangen (1) Soweit dies zur Erfüllung der Aufgaben der Verfassungsschutzbehörde erforderlich ist, darf von demjenigen, der geschäftsmäßig Telekommunikationsdienste erbringt oder daran mitwirkt, im Einzelfall Auskunft über die nach den SSSS 95 und 111 des Telekommunikationsgesetzes vom 22. Juni 2004 (BGBl. I S. 1190), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 20. Juni 2013 (BGBl. I S. 1602) geändert worden ist, erhobenen Daten verlangt werden ( SS 113 Absatz 1 Satz 1 des Telekommunikationsgesetzes ). Bezieht sich das Auskunftsverlangen nach Satz 1 auf Daten, mittels derer der Zugriff auf Endgeräte oder auf Speichereinrichtungen, die in diesen Endgeräten oder hiervon räumlich getrennt eingesetzt werden, geschützt wird ( SS 113 Absatz 1 Satz 2 des Telekommunikationsgesetzes ), darf die Auskunft nur verlangt werden, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen für die Nutzung der Daten vorliegen. (2) Die Auskunft nach Absatz 1 darf auch anhand einer zu einem bestimmten Zeitpunkt zugewiesenen Internetprotokoll-Adresse verlangt werden ( SS 113 Absatz 1 Satz 3 des Telekommunikationsgesetzes ). (3) Von einer Beauskunftung nach Absatz 2 ist die betroffene Person zu benachrichtigen. Die Benachrichtigung erfolgt, soweit und sobald eine Gefährdung des Zwecks der Auskunft und der Eintritt übergreifender Nachteile für das Wohl des Bundes oder eines Landes ausgeschlossen werden können. Sie unterbleibt, wenn ihr überwiegende schutzwürdige Belange Dritter oder der betroffenen Person selbst entgegenstehen. Wird die Benachrichtigung nach Satz 2 zurückgestellt oder nach Satz 3 von ihr abgesehen, sind die Gründe aktenkundig zu machen. (4) Aufgrund eines Auskunftsverlangens nach Absatz 1 oder Absatz 2 hat derjenige, der geschäftsmäßig Telekommunikationsdienste erbringt oder daran mitwirkt, die zur Auskunftserteilung erforderlichen Daten unverzüglich, vollständig und richtig zu übermitteln. (5) Die Verfassungsschutzbehörde hat für ihr erteilte Auskünfte eine Entschädigung zu gewähren, deren Umfang sich nach SS 23 und Anlage 3 des Justizvergütungsund -entschädigungsgesetzes vom 5. Mai 2004 (BGBl. I S. 718, 776), das zuletzt durch Artikel 13 des Gesetzes vom 5. Dezember 2012 (BGBl. I S. 2418) geändert worden ist, bemisst. Die Vorschriften über die Verjährung in SS 2 Absatz 1 und Absatz 4 des Justizvergütungsund -entschädigungsgesetzes finden entsprechend Anwendung. (6) Das Grundrecht des Fernmeldegeheimnisses ( Artikel 10 des Grundgesetzes ) wird nach Maßgabe des Absatzes 2 eingeschränkt. SS 25 Übermittlungsverbote, Nachberichtspflicht (1) Die Übermittlung von Daten unterbleibt, wenn 1. die Daten zu löschen oder für die empfangende Stelle nicht bedeutsam sind, 2. überwiegende Sicherheitsinteressen dies erfordern, 3. erkennbar ist, dass unter Berücksichtigung der Art der Daten und ihrer Erhebung die schutzwürdigen Interessen der betroffenen Person das Allgemeininteresse an der Übermittlung überwiegen, 4. es sich um personenbezogene Daten aus der engeren Persönlichkeitssphäre oder solche über Minderjährige unter 16 Jahren handelt, es sei denn, die empfangende Stelle der Daten benötigt 118 diese zum Schutz vor Gewalt oder vor Vorbereitungshandlungen zur Gewalt oder vor geheimdienstlichen Tätigkeiten, 5. die Daten gesperrt sind und ihre Trennung nicht oder nur mit unverhältnismäßig hohem Aufwand von anderen zu übermittelnden Daten möglich ist oder 6. besondere gesetzliche Übermittlungsregelungen entgegenstehen; die Verpflichtung zur Wahrung gesetzlicher Geheimhaltungspflichten oder von Berufsoder besonderen Amtsgeheimnissen, die nicht auf gesetzlichen Vorschriften beruhen, bleibt unberührt. (2) Erweisen sich Daten nach ihrer Übermittlung als unrichtig, unvollständig, unzulässig gespeichert oder erhoben, so hat die übermittelnde Stelle den Empfänger unverzüglich darauf hinzuweisen, es sei denn, dass dies für die Beurteilung eines Sachverhaltes ohne Bedeutung ist. Unrichtige oder unvollständige Daten sind durch die übermittelnde Stelle gegenüber dem Empfänger zu berichtigen oder zu ergänzen, wenn durch die unrichtige oder unvollständige Übermittlung schutzwürdige Interessen der betroffenen Person beeinträchtigt sein können. Die Benachrichtigung sowie Ergänzung sind aktenkundig zu machen und in der entsprechenden Datei zu vermerken. SS 26 Auskunft an betroffene Personen (1) Die Verfassungsschutzbehörde erteilt betroffenen Personen auf schriftlichen Antrag unentgeltlich Auskunft über zu ihrer Person gespeicherte Daten. Die Auskunftsverpflichtung erstreckt sich nicht auf die Herkunft der Daten und die Empfänger von Übermittlungen. Über Daten aus Akten, die nicht zu der betroffenen Person geführt werden, wird Auskunft nur erteilt, soweit Daten, namentlich aufgrund von Angaben der betroffenen Person, mit angemessenem Aufwand auffindbar sind. Die Verfassungsschutzbehörde bestimmt Verfahren und Form der Auskunftserteilung nach pflichtgemäßem Ermessen. (2) Die Auskunftserteilung kann nur abgelehnt werden, soweit 1. die Auskunft die öffentliche Sicherheit gefährden oder sonst dem Wohl des Bundes oder eines Landes Nachteile bereiten würde, 2. die Daten oder die Tatsache ihrer Speicherung nach einer Rechtsvorschrift oder wegen der berechtigten Interessen von Dritten geheimgehalten werden müssen oder 3. durch die Auskunftserteilung Informationsquellen gefährdet würden oder die Ausforschung des Erkenntnisstandes oder der Arbeitsweise der Verfassungsschutzbehörde zu befürchten ist. Die Entscheidung trifft der Leiter der Verfassungsschutzabteilung oder ein besonders von ihm beauftragter Mitarbeiter, der die Befähigung zum Richteramt besitzen soll. (3) Die Ablehnung der Auskunftserteilung bedarf keiner Begründung, soweit dadurch der Zweck der Auskunftsverweigerung gefährdet würde. Die Gründe der Auskunftsverweigerung sind zu dokumentieren. (4) Wird die Auskunftserteilung abgelehnt, ist dem Antragsteller die Rechtsgrundlage dieser Ablehnung mitzuteilen. Die antragstellende Person ist auf ihr Recht hinzuweisen, sich an den Landesbeauftragten für den Datenschutz wenden zu können. Dem Landesbeauftragen für den Datenschutz ist auf sein Verlangen Auskunft zu erteilen. Stellt der Innenminister oder im Verhinderungsfall der Staatssekretär im Einzelfall fest, dass durch die Erteilung der Auskunft die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gefährdet würde, so darf die Auskunft nur dem Landesbeauftragten persönlich erteilt werden. Mitteilungen des Landesbeauftragten an die antragstellende Person dürfen keine Rückschlüsse auf den Kenntnisstand der Verfassungsschutzbehörde zulassen, sofern diese nicht einer weitergehenden Auskunft zustimmt. 119 Abschnitt 4 Kontrolle der Verfassungsschutzbehörde SS 27 Parlamentarische Kontrollkommission (1) In Angelegenheiten des Verfassungsschutzes des Landes unterliegt die Landesregierung unbeschadet der Rechte des Landtages der Kontrolle durch die Parlamentarische Kontrollkommission. Die Kontrolle der Durchführung des aufgrund von Artikel 10 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes erlassenen Bundesgesetzes bleibt den aufgrund von Artikel 10 Abs. 2 des Grundgesetzes von dem Landtag bestellten Organen und Hilfsorganen vorbehalten. (2) Die Parlamentarische Kontrollkommission besteht aus fünf Mitgliedern, die zu Beginn jeder Wahlperiode vom Landtag aus seiner Mitte einzeln mit der Mehrheit seiner Mitglieder gewählt werden. Zwei Mitglieder sollen der parlamentarischen Opposition angehören. Die Mitglieder dürfen nicht der Landesregierung angehören. (3) Die Parlamentarische Kontrollkommission gibt sich eine Geschäftsordnung. Sie übt ihre Tätigkeit auch über das Ende der Wahlperiode des Landtages solange aus, bis der nachfolgende Landtag die Mitglieder neu gewählt hat. Der Parlamentarischen Kontrollkommission ist die für die Erfüllung ihrer Aufgaben notwendige Personalund Sachausstattung zur Verfügung zu stellen. (4) Scheidet ein Mitglied aus dem Landtag oder aus der Fraktion, die ihn zur Wahl vorgeschlagen hat, aus, so verliert es seine Mitgliedschaft in der Parlamentarischen Kontrollkommission. Für dieses Mitglied ist unverzüglich ein neues Mitglied zu wählen; das Gleiche gilt, wenn ein Mitglied aus anderen Gründen aus der Parlamentarischen Kontrollkommission ausscheidet. (5) Die Parlamentarische Kontrollkommission tritt mindestens einmal im Vierteljahr zusammen. (6) Jedes Mitglied kann die Einberufung und die Unterrichtung der Parlamentarischen Kontrollkommission verlangen. SS 28 Geheimhaltung (1) Die Parlamentarische Kontrollkommission tagt in nichtöffentlicher Sitzung, über die jeweils ein Protokoll anzufertigen ist. Die Mitglieder sind zur Geheimhaltung der Angelegenheiten verpflichtet, die ihnen bei ihrer Tätigkeit in der Parlamentarischen Kontrollkommission bekannt geworden sind. Dies gilt auch für die Zeit nach ihrem Ausscheiden aus der Parlamentarischen Kontrollkommission. (2) Auf Antrag eines Mitgliedes beschließt die Parlamentarische Kontrollkommission über die Herstellung der Öffentlichkeit oder die Aufhebung der Vertraulichkeit nach Absatz 1, soweit öffentliche Geheimschutzinteressen, insbesondere die Aufrechterhaltung des Nachrichtenzuganges, oder berechtigte Interessen eines Einzelnen dem nicht entgegenstehen. Der Beschluss bedarf der Mehrheit der gesetzlichen Mitglieder der Kommission. Der Innenminister, im Falle seiner Verhinderung der Staatssekretär, kann einem Beschluss nach Satz 1 widersprechen, wenn die Voraussetzungen der Aufhebung der Vertraulichkeit gemäß Satz 1 nicht vorliegen. Der Innenminister, im Falle seiner Verhinderung der Staatssekretär, hat die Gründe hierfür darzulegen. Die Aufhebung der Vertraulichkeit von Beratungsgegenständen, die in die Verantwortlichkeit des Bundes oder eines Landes fallen, ist nur mit deren Zustimmung möglich. (3) Sitzungsunterlagen und Protokolle verbleiben im Gewahrsam der Verfassungsschutzbehörde und können nur dort von den Mitgliedern der Kommission oder dem Innenminister, im Falle seiner Verhinderung dem Staatssekretär, eingesehen werden, es sei denn, der ordnungsgemäße Umgang mit diesen Unterlagen gemäß der Verschlusssachenanweisung für das Land Mecklenburg-Vorpommern ist nach Überzeugung der Parlamentarischen Kontrollkommission auf andere Weise gewährleistet. SS 29 Kontrollrechte der Parlamentarischen Kontrollkommission (1) Das Innenministerium hat die Parlamentarische Kontrollkommission umfassend über die allgemeine Tätigkeit der Verfassungsschutzbehörde, das Lagebild und über die Vorgänge von besonderer Be120 deutung, insbesondere Einzelfälle, in denen eine Datenübermittlung gemäß SS 20 Abs. 4 Satz 3 unterblieben ist, sowie auf Verlangen der Kommission über sonstige Einzelfälle zu unterrichten. Ferner unterrichtet es über den Erlass und die Einhaltung von Verwaltungsvorschriften sowie über den Verfassungsschutz betreffende Eingaben einzelner Bürger (Petenten), sofern der Petent der Unterrichtung nicht widersprochen hat. (2) Die Parlamentarische Kontrollkommission kann von dem Innenministerium alle für ihre Kontrollaufgaben erforderlichen Auskünfte, Unterlagen, Aktenund Dateneinsicht, Stellungnahmen und den Zutritt zur Verfassungsschutzbehörde verlangen sowie bei besonderem Aufklärungsbedarf Bedienstete und Auskunftspersonen zum Sachverhalt befragen, sofern dem nicht überwiegende öffentliche (zum Beispiel Aufrechterhaltung des Nachrichtenzugangs) oder private Belange entgegenstehen; das Innenministerium hat dies vor der Parlamentarischen Kontrollkommission zu begründen. Die Parlamentarische Kontrollkommission kann ferner den Landesbeauftragten für den Datenschutzbeauftragen, die Rechtmäßigkeit einzelner Maßnahmen, welche die Verfassungsschutzbehörde durchgeführt hat, zu überprüfen und der Kommission das Ergebnis der Überprüfung mitzuteilen. Die Befugnisse des Landesbeauftragten für den Datenschutz richten sich nach dem Landesdatenschutzgesetz von MecklenburgVorpommern. Wird der Landesbeauftragte für den Datenschutz nach SS 26 Abs. 4 tätig, so kann er von sich aus die Parlamentarische Kontrollkommission unterrichten, wenn sich Beanstandungen ergeben, eine Mitteilung an die betroffene Person aber aus Geheimhaltungsgründen unterbleiben muss. (3) Die Parlamentarische Kontrollkommission kann mit der Mehrheit ihrer gesetzlichen Mitglieder nach Anhörung des Innenministeriums im Einzelfall einen Sachverständigen beauftragen, zur Wahrnehmung ihrer Kontrollaufgaben Untersuchungen durchzuführen. Der Sachverständige hat der Parlamentarischen Kontrollkommission über das Ergebnis seiner Untersuchungen zu berichten; SS 28 Abs. 1 und 2 gelten entsprechend. (4) Die Angaben über Ausgaben aus dem der Abteilung zugewiesenen Titel werden der Parlamentarischen Kontrollkommission im Ansatz vor Beratung des Haushaltsplanes zur Stellungnahme überwiesen. Das Innenministerium unterrichtet die Parlamentarische Kontrollkommission über den Vollzug des Haushaltsplanes, soweit es die der Verfassungsschutzbehörde zugewiesenen Titel betrifft. Abschnitt 5 Schlussvorschriften SS 30 Geltung des Landesdatenschutzgesetzes Bei der Erfüllung der Aufgaben nach SS 5 durch die Verfassungsschutzbehörde finden SS 3 Abs. 2 und 3 , SSSS 9 , 10 Abs. 1 bis 4 , SSSS 11 , 13 Abs. 1 bis 4,6 und 7 , SSSS 14 , 15 , 16 , 18 , 24 und 25 des Landesdatenschutzgesetzes keine Anwendung. SS 31 (aufgehoben) 121 SS 32 In-Kraft-Treten, Außer-Kraft-Treten (1) Dieses Gesetz tritt mit Ausnahme des SS 30 am Tag nach seiner Verkündung in Kraft. Gleichzeitig tritt das Landesverfassungsschutzgesetz vom 18. März 1992 (GVOBl. M-V S. 194) außer Kraft. (2) SS 30 tritt an dem Tag in Kraft, an dem das Landesdatenschutzgesetz in Kraft tritt. Der Tag des InKraft-Tretens ist vom Innenministerium im Gesetzund Verordnungsblatt für MecklenburgVorpommern bekannt zu geben. Das vorstehende Gesetz wird hiermit verkündet. Schwerin, den 11. Juli 2001 Der Ministerpräsident Der Innenminister Dr. Harald Ringstorff Dr. Gottfried Timm 122 123