Ministerium für Inneres und Europa Verfassungsschutzbericht 2018 Verfassungsschutzbericht 2018 Impressum Herausgeber: Ministerium für Inneres und Europa Mecklenburg-Vorpommern Redaktion: Abteilung Verfassungsschutz Postfach 11 05 52 19005 Schwerin 1. Auflage: 1500 Exemplare Herstellung: Produktionsbüro TINUS Titelbild: "Die wehrhafte Demokratie" Manfred Diekmann, 2009 Diese Druckschrift ist Teil der Öffentlichkeitsarbeit des Ministeriums für Inneres und Europa Mecklenburg-Vorpommern. Sie wird kostenlos abgegeben und ist nicht zum Verkauf bestimmt. Sie darf weder von Parteien noch von Wahlwerbern oder Wahlhelfern während eines Wahlkampfes zum Zwecke der Wahlwerbung verwendet werden. Dies gilt für Kommunal-, Landtags-, Bundestagsund Europawahlen. Missbräuchlich sind insbesondere die Verteilung auf Wahlveranstaltungen, an Informationsständen sowie das Einlegen, Aufdrucken oder Aufkleben parteipolitischer Informationen oder Werbemittel. Untersagt ist gleichfalls die Weitergabe an Dritte zum Zwecke der Wahlwerbung. Auch ohne zeitlichen Bezug zu einer bevorstehenden Wahl darf die Druckschrift nicht in einer Weise verwendet werden, die als Parteinahme des Ministerium für Inneres und Europa Mecklenburg-Vorpommern zu Gunsten einzelner politischer Gruppen verstanden werden könnte. Den Parteien ist es jedoch gestattet, die Druckschrift zur Unterrichtung ihrer eigenen Mitglieder zu verwenden. Vorwort Sehr geehrte Bürgerinnen und Bürger, es freut mich, dass ich Ihnen den Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2018 deutlich früher als die Berichte in den vergangenen Jahren vorlegen kann. Der Verfassungsschutz war auch im Jahre 2018 vor eine Vielzahl herausfordernder und arbeitsintensiver Maßnahmen gestellt. Neben der eigentlichen Arbeit - der Bearbeitung des politischen Extremismus in unserem Land - musste der Verfassungsschutz eine Reihe zusätzlicher Aufgaben bewältigen. Hinweisen möchte ich insoweit vor allem auf die zahlreichen Beweisbeschlüsse des Parlamentarischen Untersuchungsausschusses zur Aufklärung der NSU-Aktivitäten in Mecklenburg-Vorpommern und die Fortsetzung der Materialsammlung zum Ausschluss der NPD aus der staatlichen Parteienfinanzierung. In allen Phänomenbereichen waren wichtige Entwicklungen zu beobachten: Obwohl die rechtsextremistische Szene im Jahr 2018 nicht an das Aktionsniveau früherer Jahre anknüpfen konnte, bleibt sie weiterhin eine zentrale Herausforderung für die Sicherheitsbehörden. Das stabile Personenpotenzial, die Propagandaaktivitäten und auch die zumindest latent hohe Gewaltbereitschaft stellen nach wie vor eine deutliche Gefahr für die innere Sicherheit dar. Hinzu kommt, dass auch die Gefahr von Terroranschlägen durch sich selbst radikalisierende Einzeltäter ohne vorherige kriminelle oder extremistische Karriere grundsätzlich nicht ausgeschlossen werden kann, wie uns der Anschlag in Neuseeland im März 2019 erschreckend vor Augen geführt hat. Darüber hinaus hat sich der Verfassungsschutz auch weiterhin mit der Verdachtsfallbeobachtung der "Identitären Bewegung" sowie dem sehr heterogenen Spektrum der "Reichsbürger und Selbstverwalter" als Sonderform des Extremismus zu beschäftigen. Auch wenn letztere nur zu einem kleinen Teil klassische Rechtsextremisten sind bzw. über Waffenerlaubnisse verfügen, verlangt dies die ganze Aufmerksamkeit der Sicherheitsbehörden. Auch der gewaltorientierte Linksextremismus bereitet den Verfassungsschutzbehörden wachsende Sorgen. Das Geschehen um den G20-Gipfel in Hamburg im Jahre 2017 und den "Hambacher Forst" hat gezeigt, wie es Linksextremisten bei einem anschlussfähigen Thema gelingen kann, Teile des demokratischen Spektrums und der Zivilgesellschaft gegen Staat und Gesellschaft aufzubringen. Es bleibt dabei: Es gibt keinen "guten" Linksextremismus; für alle gilt gleichermaßen Recht und Gesetz. Der im Bereich des Linksextremismus verbreiteten Auffassung, man müsse neben und anstelle des Staates den politischen Gegner mit einer Selbstermächtigung zur Gewalt bekämpfen, weist auf eine bedenkliche Entwicklung hin und ist im Sinne eines friedlichen Zusammenlebens entschieden zu verurteilen. Die größte Herausforderung und Bedrohung für Staat und Gesellschaft in Deutschland geht nach wie vor vom Islamismus und dem islamistischen Terrorismus aus. Darüber darf auch die Tatsache nicht hinwegtäuschen, dass der "Islamische Staat" (IS) vordergründig militärisch besiegt ist. Die Islamisten und ihre menschenverachtende Ideologie sind nach wie vor unter uns; die zahlreichen Rückkehrer/innen - mit deutscher Staatsangehörigkeit - werden diese Gefahren eher noch erhöhen. Das Jahr 2019 erinnert uns an bedeutende Daten deutscher Geschichte: 100 Jahre Weimarer Republik, 70 Jahre Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland und 30 Jahre "Mauerfall". Vor diesem Hintergrund wollen wir uns am diesjährigen Verfassungstag, am 23. Mai 2019, anlässlich des 6. Symposiums der ostdeutschen Verfassungsschutzbehörden und Berlins in Schwerin mit einer grundsätzlichen Thematik und der Frage nach der Rolle des Verfassungsschutzes in Staat und Gesellschaft befassen: "Ist unsere Demokratie noch wehrhaft?" Das Konzept des Grundgesetzes der "Wehrhaften Demokratie" für Freiheit und Sicherheit als "Geschäftsgrundlage des Verfassungsschutzes" soll verdeutlicht und der Frage nachgegangen werden, ob und inwieweit dieser Anspruch heute gelebt wird und welchen Gefährdungen die "Wehrhafte Demokratie" ausgesetzt ist. Allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Verfassungsschutzes danke ich herzlich für ihre engagierte Arbeit zur Gewährleistung von Freiheit und Sicherheit. Lorenz Caffier Minister für Inneres und Europa Mecklenburg-Vorpommern INHALTSVERZEICHNIS 1 "Wehrhafte Demokratie" - Auftrag und Verpflichtung des Verfassungsschutzes . . . . . . . . . . . 8 1.1 Grundsätzliches/Zweck des Verfassungsschutzes . . . . 8 1.2 Freiheitliche demokratische Grundordnung . . . . . . . . 10 1.3 Wesentliche gesetzliche Grundlagen im Überblick . . 11 1.4 Verfassungsschutzverbund von Bund und Ländern . 11 1.5 Aufgaben des Verfassungsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . 12 1.6 Informationsbeschaffung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 1.7 Kontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 1.8 Verhältnis von Verfassungsschutz und Polizei . . . . . . . 15 2 Rechtsextremismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 2.1 Lageüberblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 2.2 Personenpotenzial . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 2.3 Straftatenaufkommen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 2.4 Rechtsterrorismus/ "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) . . . . . . . . . 20 2.5 Trefforte der rechtsextremistischen Szene . . . . . . . . . . 21 2.6 Wirtschaftliche Netzwerke von Rechtsextremisten . . 22 2.7 Weitgehend unstrukturiertes rechtsextremistisches Personenpotenzial/ rechtsextremistische Subkulturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 2.7.1 Rechtsextremistische Musikveranstaltungen . . . . . . . 25 2.7.2 Szeneläden/Versandhandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 2.8 Parteiunabhängige bzw. parteiungebundene Strukturen/Neonazis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 30 2.8.1 Einzelgruppierungen/regionale Entwicklungen . . . . . 30 2.8.2 Parteiunabhängige neonazistische Strukturen auf überregionaler Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 2.9 Neonazistisch geprägte Veranstaltungen und Aktivitäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 2.10 Krisenvorsorge durch Rechtsextremisten . . . . . . . . . . . 43 2.11 Kampfsport in der rechtsextremistischen Szene . . . . . 45 2.12 Rechtsextremistische Parteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 2.12.1 "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD), Landesverband Mecklenburg-Vorpommern. . 47 2.12.1.1 Aktivitäten der NPD Mecklenburg-Vorpommern im Jahr 2018 im Einzelnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 2.12.1.2 Waffenrechtliche Unzuverlässigkeit von NPD-Mitgliedern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 2.12.1.3 Publikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 2.12.1.4 Ausbau der "Schutzzonen"-Kampagne durch die NPD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 2.12.1.5 Ideologie der NPD/Haltung zu aktuellen politischen Themen und Organisationen . . . . . . . . . . . 56 2.12.1.6 Verfahren zum Ausschluss verfassungsfeindlicher Parteien von der Parteienfinanzierung . . . . . . . . . . . . . . 62 2.12.1.7 "Junge Nationalisten" (JN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 2.12.1.8 NPD-Frauenorganisation "Ring Nationaler Frauen" (RNF) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 64 2.12.2 Sonstige rechtsextremistische Parteien . . . . . . . . . . . . . 65 2.12.2.1 "DIE RECHTE" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 2.12.2.2 "Der III. Weg". . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 3 Verdachtsfallbearbeitung im Rechtsextremismus - "Identitäre Bewegung Deutschland" (IBD) und "Identitäre Bewegung Mecklenburg-Vorpommern" (IB MV) . . . . . . . . . . . . . 69 3.1 Beobachtung durch die Verfassungsschutzbehörde . 69 3.2 Strukturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 3.3 Aktivitäten in Mecklenburg-Vorpommern . . . . . . . . . . 70 3.4 Beteiligung von Angehörigen der IBD bzw. IB MV an Aktionen im europäischen Ausland . . . . . . . . . . . . . . 70 3.5 Nutzung alternativer Nachrichtenkanäle . . . . . . . . . . . . 70 3.6 Finanzierung und Nutzung von Immobilien. . . . . . . . . 71 4 "Reichsbürger und Selbstverwalter" . . . . . . . . . . . . . 73 4.1 Lageüberblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 4.2 Strukturen und Aktivitäten der "Reichsbürger und Selbstverwalter" in Mecklenburg-Vorpommern 74 5 Linksextremismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 5.1 Lageüberblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 77 5.2 Linksextremismus in Mecklenburg-Vorpommern im Jahre 2018 . . . . . . . . . . 79 5.2.1 Personenpotenzial . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 5.2.2 Linksextremistisch motivierte Straftaten . . . . . . . . . . . . 80 5.3 Proteste in Rostock anlässlich der Urteilsverkündung im NSU-Prozess . . . . . . . . . . . . . . . . 81 5.4 Undogmatischer Linksextremismus . . . . . . . . . . . . . . . . 83 5.4.1 Aktionsfeld "Antifaschismus" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 5.4.2 Aktionsfeld "Antirepression" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 86 5.5 Dogmatischer Linksextremismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 6 Islamismus / Islamistischer Terrorismus . . . . . . . . . . 93 6.1 Islamistische Bestrebungen - politischer Extremismus mit Rückgriff auf den Islam . . . . . . . . . . . . 93 6.2 Entwicklung des Islamismus und islamistischen Terrorismus 2018 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 6.2.1 Anschläge in Europa . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95 6.2.2 Anschläge weltweit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 6.3 Staatliche Maßnahmen gegen islamistischen Extremismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 6.4 Salafismus - Hintergründe und aktuelle Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 6.5 Trends des islamistischen Terrorismus 2018 . . . . . . . .102 6.6 Islamistischer Extremismus in Mecklenburg-Vorpommern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .104 6.6.1 Islamisten aus dem Nordkaukasus . . . . . . . . . . . . . . . . .104 6.6.2 Verurteilung von Yamen A. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .106 6.6.3 Islamismusprävention im Land . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .107 6.6.4 Islamistische Radikalisierung unter Minderjährigen 108 7 Sonstiger Ausländerextremismus . . . . . . . . . . . . . . .109 7.1 Personenpotenzial . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .109 7.2 "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) . . . . . . . . . . . . . . . . . .110 7.2.1 Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .110 7.2.2 Aktivitäten der PKK in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . .112 7.2.3 Internetaktivitäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .115 7.2.4 Kooperation mit deutschen Linksextremisten . . . . . .116 8 Spionageabwehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .119 8.1 Deutschland im Fokus ausländischer Nachrichtendienste . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .119 8.2 Vorsicht: nachrichtendienstliche Kontaktaufnahme über Soziale Netzwerke . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .122 8.3 Bedrohungen durch Cyberangriffe . . . . . . . . . . . . . . . .123 8.4 Wirtschaftsschutz - Herausforderung für Staat und Unternehmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .127 8.5 Spionageabwehr Mecklenburg-Vorpommern - Ihr Ansprechpartner vor Ort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .128 9 Öffentlichkeitsarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .131 9.1 Aktivitäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .131 9.2 Informationsmaterialien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .135 9.3 Ausund Fortbildung/Praktika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .138 Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .139 Glossar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .143 Registeranhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .156 Anlage 1 Politisch motivierte Kriminalität (PMK)) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .161 Anlage 2 Landesverfassungsschutzgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .164 1 "Wehrhafte Demokratie" - Auftrag und Verpflichtung des Verfassungsschutzes 1.1 Grundsätzliches/Zweck des Verfassungsschutzes Der Verfassungsschutz ist eine entscheidende Säule der "Wehrhaften Demokratie". Darunter wird ein Bündel von verfassungsrechtlichen Grundentscheidungen zusammengefasst, die den Kernbestand und die Grundprinzipien unserer Verfassungsordnung (siehe Abschnitt 1.2) - die freiheitliche demokratische Grundordnung - schützen sollen. Die "Wehrhafte Demokratie" ist durch folgende Wesensmerkmale gekennzeichnet: * Die Wertegebundenheit, d. h. unser Staat bekennt sich zu Werten, denen er eine besondere Bedeutung beimisst und die deshalb nicht zur Disposition stehen, * die Abwehrbereitschaft, d. h. der Staat ist gewillt, diese wichtigsten Werte gegenüber extremistischen Positionen zu verteidigen und * die Vorverlagerung der Beobachtung, d. h. der Staat reagiert nicht erst dann, wenn Extremisten gegen gesetzliche Normen verstoßen. Diese "Wehrhaftigkeit" ist eine Lehre aus der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft, die auf legalistischem Wege durch Abschaffung der demokratischen Weimarer Republik entstanden ist. Politik und Staat sind daher aufgefordert, entschieden und entschlossen den unterschiedlichen totalitären Gefahren entgegenzutreten - bevor es zu spät ist! Als"Frühwarnsystem" soll der Verfassungsschutz in diesem Sinne aufklären, informieren, sensibilisieren, warnen und - soweit gesetzlich erlaubt - entsprechende Gefahren erforschen. Dabei wird er unterhalb der Schwelle der konkreten Gefahr und des Anfangsverdachts -- 8 -- einer Straftat tätig. Ihm kommt also die Funktion eines "Brandmelders" in Bezug auf politische Entwicklungen zu, die unsere freiheitliche demokratische Rechtsordnung und damit die Freiheit und Sicherheit der Menschen in diesem Land gefährden können. In diesem Sinne wird der Verfassungsschutz - anders als die Polizei - nur tätig, wenn ein politischer Bezug erkennbar ist. Seine Tätigkeit erstreckt sich daher auf entsprechende "Bestrebungen", die im Einzelnen als "Beobachtungsobjekte" festgelegt werden. Dies können rechtsextremistische Strukturen wie Parteien (z. B. die "Nationaldemokratische Partei Deutschland" (NPD)) oder Neonazi-Kameradschaften, linksextremistische Strukturen wie gewalttätige Autonome oder islamistische Strukturen sein, die Freiheit und Sicherheit bedrohen. Dieser Handlungsauftrag des Verfassungsschutzes ist Verfassungssauftrag1. Er wird auf der Grundlage des Landesverfassungsschutzgesetzes (LVerfSchG M-V)2, also mit dem Willen des Landesgesetzgebers als Vertretung des Volkes, wahrgenommen und kontrolliert. Der Zweck des Verfassungsschutzes ist in diesem Sinne gesetzlich geregelt und im SS 1 des LVerfSchG M-V festgeschrieben: "Der Verfassungsschutz dient dem Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, des Bestandes und der Sicherheit des Bundes und der Länder." Der Verfassungsschutz ist insoweit die maßgebliche Bewertungsinstanz für den politischen Extremismus in Deutschland. Er ist eine eigenständige Säule innerhalb der föderalen Sicherheitsarchitektur. Von der Tätigkeit des Verfassungsschutzes als Inlandsnachrichtendienst zu unterscheiden ist die Arbeit des Bundesnachrichtendienstes (BND). Dieser beschafft außenund sicherheitspolitisch relevante Informationen über das Ausland. Das Bundesamt für den Militärischen Abschirmdienst (BAMAD) nimmt Verfassungsschutzaufgaben im Bereich der Bundeswehr wahr. 1 Vgl. Artikel 73 Nummer 10 Buchstaben b) und c) Grundgesetz. 2 Siehe Anlage 2. -- 9 -- 1.2 Freiheitliche demokratische Grundordnung Der Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung (kurz: fdGO) ist Kernaufgabe der Verfassungsschutzbehörden in Bund und Ländern. Damit ist aber nicht die Verfassung bzw. das Grundgesetz (GG) in seiner Gesamtheit gemeint, sondern die unabänderlichen obersten Wertprinzipien als Kernbestand der Demokratie. Diese fundamentalen Wertprinzipien bestimmen die Gesetzgebung des Bundes und der Länder, so auch die Verfassungsschutzgesetze. Zu diesen Grundsätzen gehören folgende Verfassungsprinzipien: * das Recht des Volkes, die Staatsgewalt in Wahlen und Abstimmungen und durch Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung auszuüben und die Volksvertretung in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl zu wählen, * die Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung und die Bindung der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an Gesetz und Recht, * das Recht auf Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition, * die Ablösbarkeit der Regierung und ihre Verantwortlichkeit gegenüber der Volksvertretung, * die Unabhängigkeit der Gerichte, * der Ausschluss jeder Gewaltund Willkürherrschaft sowie * die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte. Nach den Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG)3 umfasst der Begriff der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Artikel 21 Absatz 2 Grundgesetz nur jene zentralen Grundprinzipien, "die für den freiheitlichen Verfassungsstaat schlechthin unentbehrlich sind". Dazu zählen die Menschenwürde, das Demokratieprinzip und das Rechtsstaatsprinzip. Das BVerfG hat darüber hinaus klargestellt, dass neben 3 Vgl. Urteil im Verbotsverfahren gegen die "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (2 BvB 1/13) vom 17.01.2017. -- 10 -- der Verletzung der Menschenwürde, der Grundsätze der Demokratie und Rechtsstaatlichkeit auch eine Verächtlichmachung des Parlamentarismus sowie das Missachten des staatlichen Gewaltmonopols eine Beeinträchtigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung darstellen. 1.3 Wesentliche gesetzliche Grundlagen im Überblick Für die Arbeit des Verfassungsschutzes sind, neben dem Grundgesetz und der Verfassung des Landes Mecklenburg-Vorpommern insbesondere das * Landesverfassungsschutzgesetz (LVerfSchG M-V), * das Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses (Artikel 10-Gesetz) und * das Sicherheitsüberprüfungsgesetz (SÜG M-V) für die Gewährleistung des materiellen und personellen Geheimschutzes maßgebend. 1.4 Verfassungsschutzverbund von Bund und Ländern Der Verfassungsschutz in der Bundesrepublik Deutschland (BRD) ist föderal organisiert. Dementsprechend existieren 17 Verfassungsschutzbehörden, ein Bundesamt (BfV) und 16 Landesbehörden für Verfassungsschutz (LfV). Die Verfassungsschutzbehörden der Länder sind entweder eine Abteilung des jeweiligen Innenressorts oder eine eigenständige Landesoberbehörde. In Mecklenburg-Vorpommern ist der Verfassungsschutz seit 1991 eine Abteilung des Ministeriums für Inneres und Europa (Abteilung 5), wie dies auch in zwölf weiteren Ländern der Fall ist. -- 11 -- 1.5 Aufgaben des Verfassungsschutzes Das BfV und die LfV haben ihrem gesetzlichen Auftrag folgend Informationen, insbesondere sachund personenbezogene Auskünfte, Nachrichten und Unterlagen zu sammeln und auszuwerten über: * Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes und eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziel haben, * sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten im Geltungsbereich des Grundgesetzes für eine fremde Macht, * Bestrebungen, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden und * Bestrebungen, die gegen den Gedanken der Völkerverständigung (Artikel 9 Absatz 2 des Grundgesetzes) oder gegen das friedliche Zusammenleben der Völker (Artikel 26 Absatz 1 des Grundgesetzes) gerichtet sind. Diese Bestrebungen werden als sogenannte Beobachtungsobjekte bezeichnet, die auf der Grundlage der gesetzlichen Voraussetzungen bestimmt werden. Ferner wirken das BfV und die LfV mit * bei der Sicherheitsüberprüfung von Personen, denen im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftige Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse anvertraut werden, die Zugang dazu erhalten sollen oder ihn sich verschaffen können, * bei der Sicherheitsüberprüfung von Personen, die an sicherheitsempfindlichen Stellen von lebensoder verteidigungswichtigen Einrichtungen beschäftigt sind oder werden sollen sowie bei der Überprüfung von Personen in sonstigen gesetzlich bestimmten Fällen und -- 12 -- * bei technischen Sicherheitsmaßnahmen zum Schutz von im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftigen Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen gegen die Kenntnisnahme durch Unbefugte, * bei Parteiund Vereinsverbotsverfahren. 1.6 Informationsbeschaffung Den weitaus größten Teil ihrer Informationen (ca. 80 %) gewinnen die Verfassungsschutzbehörden aus offenen, allgemein zugänglichen Quellen - also aus Druckerzeugnissen wie Zeitungen, Flugblättern, Programmen, Aufrufen und aus dem Internet. Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Verfassungsschutzbehörden besuchen öffentliche Veranstaltungen, und sie befragen auch Personen, die sachdienliche Hinweise geben können. Bei diesen Gesprächen auf freiwilliger Basis treten die Beschäftigten des Verfassungsschutzes offen auf. Mit der Sammlung offenen Materials entsteht allerdings nicht immer ein vollständiges Bild. Gegenüber konspirativen Methoden versagen diese Mittel der Nachrichtengewinnung. Nicht alle Extremisten verfassen nach der Tat Bekennerschreiben oder nennen gar ihren wahren Namen. Spione veröffentlichen keine Programme und verteilen keine Flugblätter. Um auch getarnte oder geheim gehaltene Aktivitäten beobachten zu können, ist dem Verfassungsschutz im Rahmen gesetzlich festgelegter Befugnisse und unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit der Gebrauch nachrichtendienstlicher Mittel zur Informationsgewinnung gestattet. Zu diesen gesetzlich vorgesehenen Methoden der verdeckten Nachrichtenbeschaffung gehören insbesondere * die Observation, * der Einsatz von Vertrauenspersonen (kurz: VP) und Gewährspersonen, * Bildund Tonaufzeichnungen und * die Überwachung des Brief-, Postund Fernmeldeverkehrs nach Maßgabe des Artikel 10-Gesetzes. -- 13 -- 1.7 Kontrolle Für die Arbeit des Verfassungsschutzes gelten strenge rechtsstaatliche Maßstäbe. Eingriffe in die Privatund Freiheitsrechte der Bürger sind den Verfassungsschutzbehörden nur auf gesetzlicher Grundlage gestattet. Damit die Bürgerinnen und Bürger darauf vertrauen können, dass die Verfassungsschutzbehörden sich an ihren gesetzlichen Auftrag und an die für die Tätigkeit geltenden Rechtsbestimmungen halten, unterliegen sie der Kontrolle auf mehreren Ebenen: * der allgemeinen parlamentarischen Kontrolle durch die Abgeordneten des Landtages Mecklenburg-Vorpommern aufgrund von Berichtspflichten des Ministers für Inneres und Europa im Rahmen von Aktuellen Stunden, Kleinen und Großen Anfragen oder Petitionen; * einer besonderen parlamentarischen Kontrolle durch die Parlamentarische Kontrollkommission (PKK) des Landtages und ggf. durch einen Untersuchungsausschuss; * Postkontrollen und Telefonüberwachungen müssen durch die G 10-Kommission des Landtages genehmigt werden; * des Landesbeauftragten für den Datenschutz und Informationsfreiheit (LfDI M-V) in Bezug auf die Einhaltung von Datenschutzvorschriften und sein Recht zur Akteneinsicht; * des Landesrechnungshofs Mecklenburg-Vorpommern (LRH M-V) in Bezug auf das Haushaltsrecht; Parlamentarische Kontrolle Kontrolle durch die PKK Justiz G-10-Kommission Verfassungsschutz M-V Innerbehördliche Kontrolle durch die Kontrolle Sonstige externe Öffentlichkeit Kontrolle Bürger LfDI M-V Medien LRH M-V -- 14 -- * der justiziellen Überprüfung seines Handelns, soweit es dafür einen Anlass gibt sowie * der ständigen und intensiven Überwachung durch die Öffentlichkeit und Medien, die die Aufgaben und Arbeit des Verfassungsschutzes kritisch würdigen. 1.8 Verhältnis von Verfassungsschutz und Polizei Verfassungsschutz und Polizeibehörden sind organisatorisch voneinander getrennt (vgl. SS 2 Absatz 2 LVerfSchG M-V). Somit steht die Ausübung polizeilicher oder strafprozessualer Eingriffsbefugnisse, z. B. die Durchsuchung von Personen oder Sachen, die Beschlagnahme oder Festnahme von Personen, dem Verfassungsschutz nicht zu. Halten Beschäftigte des Verfassungsschutzes ein polizeiliches Eingreifen für geboten, unterrichten sie die Polizei. Diese entscheidet, ob und ggf. wie sie in eigener Zuständigkeit tätig wird. Der Verfassungsschutz unterliegt - im Gegensatz zu Polizei und Staatsanwaltschaft - nicht dem Legalitätsprinzip, so dass er nicht in jedem Fall Strafverfolgungsmaßnahmen initiieren muss, wenn er Kenntnis von einer Straftat erlangt. Die Kompetenzverteilung lässt sich im Überblick wie folgt darstellen: Polizei Verfassungsschutz ** Legalitätsprinzip bei Straf** Opportunitätsprinzip verfolgungsmaßnahmen, Opportunitätsprinzip bei Gefahrenabwehr ** allgemeine Gefahrenab** Aufklärung von politiwehr und Strafverfolgung schem Extremismus durch durch offene und verdeckoffene und verdeckte Inforte Informationsgewinnung mationsgewinnung ** Eingriffsbefugnisse ** keine polizeilichen Eingriffsbefugnisse ** Einsatz von Zwangsmitteln ** keine Zwangsmittel Dieses organisatorische Trennungsgebot bedeutet jedoch nicht, dass Polizei, Strafverfolgungsbehörden und Verfassungsschutz nicht zusammenwirken dürfen. Im Gegenteil: Im Sinne eines -- 15 -- notwendigen ganzheitlichen Aufklärungsund Bekämpfungsansatzes extremistischer Bedrohungen ist eine informationelle Zusammenarbeit von Polizei und Verfassungsschutz im Rahmen der gesetzlichen Grundlagen unverzichtbar. Diese findet sowohl in der alltäglichen Arbeit zwischen den zuständigen Dienststellen als auch institutionalisiert mit allen Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern in zwei gemeinsamen Zentren statt: Für den Bereich des islamistischen Terrorismus seit 2004 im Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ) in Berlin und für die Bereiche Rechtsund Linksextremismus seit 2012 im Gemeinsamen Extremismusund Terrorismusabwehrzentrum (GETZ) in Köln. Verfassungsschutz und Polizei aller Länder sind in den Zentren durch Verbindungsbeamte vertreten. -- 16 -- 2 Rechtsextremismus 2.1 Lageüberblick Auch 2018 konnte die rechtsextremistische Szene nicht an das Aktionsniveau früherer Jahre und insbesondere des Jahres 2015 anknüpfen. Ihr fehlte mit der weiterhin schwächelnden "Nationaldemokratischen Partei Deutschlands" (NPD) ein organisatorischer Kern, der über Jahre die Kampagnenfähigkeit der Szene garantierte. Erst im letzten Quartal des Jahres waren zaghafte Versuche der Partei erkennbar, wieder politisch sichtbarer zu werden. Hierbei nutzte sie die von ihr gesteuerte Bewegung "Mecklenburg-Vorpommern gegen die Islamisierung des Abendlandes" (MVGIDA) nach längerer Zeit erstmals wieder für Mobilisierungszwecke. Hintergrund dieser Entwicklung dürfte die 2019 anstehende Kommunalwahl sein, die offenbar als Startbasis für die Wiedererringung politischen Einflusses dienen soll. Das im rechtsextremistischen Spektrum aktive Personenpotenzial bewegte sich auf dem Niveau des Vorjahres. Allerdings war ein weiteres Abschmelzen des parteigebundenen Lagers festzustellen, während im Bereich des parteiungebundenen und des weitgehend unstrukturierten Spektrums leichte Anstiege zu verzeichnen waren. Damit folgt die hiesige Entwicklung weitgehend dem Bundestrend. Im Berichtszeitraum war ein Rückgang der rechtsextremistisch motivierten Gewalttaten festzustellen. Die Zahl liegt jedoch erneut über dem Durchschnitt des letzten 10-Jahreszeitraums. Mit 94 Gewalttaten wurde 2015 der in diesem Zeitraum höchste Stand erreicht. Der Rückgang kann jedoch angesichts der anhaltenden Hasspropaganda gegen Migranten und den politischen Gegner nicht beruhigen. Vor diesem Hintergrund muss weiterhin mit schweren Straftaten gegen Zuwanderer und der Herausbildung terroristischer Strukturen gerechnet werden. Alarmierend ist zudem die weitere Zunahme antisemitischer Straftaten. -- 17 -- Darüber hinaus waren erneut Straftaten zu verzeichnen, die beim politischen Gegner - auch im persönlichen Bereich - Verunsicherung und Ängste auslösen sollten. Bereits das Straftatenaufkommen zeigt, dass die Zuwanderung weiterhin das Hauptaktionsfeld der rechtsextremistischen Szene bildet. Deutlich wird dies auch bei der Propaganda im Internet sowie im allerdings weiterhin eher schwach ausgeprägten Demonstrationsgeschehen und an der Beteiligung hiesiger Rechtsextremisten an bundesweiten Großveranstaltungen mit entsprechendem thematischen Bezug. Zusätzlich mobilisierend wirkten hier mutmaßliche oder erwiesene Straftaten von Migranten, etwa in Kandel, Chemnitz, Köthen und hierzulande in Wittenburg (Landkreis Ludwigslust-Parchim). Einzelne Rechtsextremisten beteiligten sich zudem an Demonstrationen und Mahnwachen der Alternative für Deutschland (AfD), die sich allgemein gegen die "Islamisierung" richteten. Hier scheinen die in der Vergangenheit stets zu beobachtenden Abgrenzungen des nichtextremistischen Lagers zur rechtsextremistischen Szene zu schwinden - eine bedenkliche Entwicklung. Darüber hinaus führte die Szene auch im Jahr 2018 ihre typischen Rituale aus Anlass der Sonnenwenden, zum "Heldengedenken", zum "Julfest" oder im Zusammenhang mit dem Dritten Reich durch. Der alljährliche "Trauermarsch" am 8. Mai 2018 in Demmin wurde erstmals unter der direkten Verantwortung der NPD organisiert. Wie im Vorjahr fanden im Zusammenhang mit dem Todestag des Stellvertreters des "Führers" Rudolf Heß beachtlich viele Aktionen statt, ein deutliches Zeichen für das unverbrüchliche Festhalten der hiesigen Szene an der nationalsozialistischen Ideologie. Dies zeigen auch die "Zeitzeugenvorträge" (siehe Abschnitt 2.9). Ein weiteres bedeutsames Thema in der Szene war im Berichtszeitraum die Vorbereitung auf einen angeblich durch den Migrationsdruck ausgelösten herannahenden "Untergang des Systems" und dem damit verbundenen Kontrollverlust staatlicher Organe. Zu diesem Zweck wurden Schulungsveranstaltungen zur Krisen-- 18 -- vorsorge und Eigenversorgung durchgeführt. Darüber hinaus haben Kampfsportveranstaltungen bundesweit deutlich an Bedeutung gewonnen. Sie sollen angeblich auch der Vorbereitung der im Krisenfall notwendigen Selbstverteidigung dienen. 2.2 Personenpotenzial Rechtsextremismuspotenzial4 M-V M-V Bund Bund - nach Organisationsgrad 2017 2018 2017 2018 in Parteien: 310 260 6.050 5.510 "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) 300 250 4.500 4.000 "DIE RECHTE" <5 <5 650 600 "Der III. Weg" <5 <5 500 530 in parteiunabhängigen bzw. parteiungebundenen Struk550 5705 6.300 6.600 turen weitgehend unstrukturiertes rechtsextremistisches Perso640 6706 12.900 13.240 nenpotenzial Gesamt7 1.500 1.500 24.000 24.100 davon gewaltorientierte 700 700 12.700 12.700 Rechtsextremisten 2.3 Straftatenaufkommen Im Jahre 2018 registrierte das Landeskriminalamt Mecklenburg-Vorpommern (LKA M-V) im Bereich der politisch motivierten Kriminalität im Phänomenbereich "Rechts" 907 Strafta- 4 Alle Zahlen sind Rundungswerte. 5 Darunter 500 Neonazis und 20 Aktivisten der "Identitären Bewegung" (rechtsextremistischer Verdachtsfall). 6 Darunter mehrheitlich Angehörige der subkulturellen rechtsextremistischen Szene. 7 Zahl nach Abzug von Mehrfachmitgliedschaften. Darüber hinaus enthält die Aufstellung zu den Bundeszahlen nur die auch in Mecklenburg-Vorpommern aktiven Strukturen. -- 19 -- ten (2017: 1.027). Davon wurden insgesamt 872 (2017: 986) als rechtsextremistisch klassifiziert, u. a. weil sie antisemitisch oder fremdenfeindlich motiviert waren. Den Schwerpunkt der Straftaten bildeten mit 665 Vorfällen (2017: 702) erneut die Propagandadelikte. Weiterhin wurden 43 (2017: 84) Gewalttaten mit rechtsextremistischer Motivation registriert, darunter 39 (2017: 74) mit einer fremdenfeindlichen Ausrichtung. Die Mehrzahl dieser Angriffe richtete sich gegen einzelne Personen oder Personengruppen. Die Zahl der Übergriffe auf Flüchtlingsunterkünfte ist im Berichtszeitraum jedoch auf neun gestiegen (2017: 4). Die Anzahl rechtsextremistisch motivierter antisemitischer Straftaten hat sich im Jahr 2018 mit 54 gegenüber dem Vorjahr (44) erneut gesteigert. Darunter ist im Berichtsjahr auch ein Gewaltdelikt (2017: 3). Beispielsweise wurde im April 2018 in Lalendorf (Landkreis Rostock) ein Graffiti "Israel tötet und Deutschland hilft" angebracht. Am Jüdischen Friedhof in Boizenburg wurden am 11. September 2018 und am 9. November 2018 Hakenkreuze gesprüht. Ziele rechtsextremistisch motivierter Straftaten sind auch immer wieder Wahlkreisbüros von Parteien oder Abgeordneten des politischen Gegners, etwa in Güstrow. Meist handelt es sich hier um Propagandadelikte. 2.4 Rechtsterrorismus/"Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) Das Oberlandesgericht (OLG) München hat am 11. Juli 2018 die Urteile im Prozess gegen ein Mitglied und vier Unterstützer des rechtsterroristischen "Nationalsozialistischen Untergrunds" (NSU) gesprochen und den damit - gemessen an der Zahl der Verhandlungstage - längsten Strafprozess in Deutschland seit der Wiedervereinigung vorläufig abgeschlossen. Das OLG München befand in seinem Urteil alle fünf Angeklagten wegen unterschiedlicher Tatvorwürfe im Zusammenhang mit der Mordserie des NSU für schuldig. Der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung wurde allein die Hauptangeklagte Beate Zschäpe -- 20 -- schuldig gesprochen. Sie bildete danach mit den bereits sich selbst getöteten Rechtsextremisten Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos den NSU. Die übrigen Mitangeklagten wurden wegen Beihilfe zum Mord sowie wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung für schuldig befunden. Auch nach dem genannten Urteil befassen sich die Sicherheitsbehörden im Lande weiter mit dem Gesamtkomplex des NSU. Der Landtag Mecklenburg-Vorpommern hat sich im Frühjahr 2018 dazu entschlossen, einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss (PUA) zur "Aufklärung der NSU-Aktivitäten in Mecklenburg-Vorpommern" einzurichten. Die seit der Konstituierung des PUA beschlossenen Beweisbeschlüsse sollen einerseits der weiteren Aufhellung des Tatgeschehens in Bezug auf die vom NSU in Mecklenburg-Vorpommern begangenen Straftaten und andererseits der Analyse des Umfelds und der Unterstützer der Terrorgruppe NSU im Lande dienen. Im Rahmen der Arbeit des PUA soll auch die Ausstattung und Struktur der Sicherheitsund Strafverfolgungsbehörden des Landes Mecklenburg-Vorpommern analysiert und die angemessene Aufgabenwahrnehmung geprüft werden. Die bereits gewonnenen Erkenntnisse der beim Deutschen Bundestag und in anderen Bundesländern eingesetzten Parlamentarischen Untersuchungsausschüsse werden ebenso in die Arbeit des hiesigen PUA einbezogen, wie die unter Mitwirkung der Verfassungsschutzbehörde bereits zum NSU-Komplex erstellten Informationsberichte der Sicherheitsbehörden in Mecklenburg-Vorpommern. 2.5 Trefforte der rechtsextremistischen Szene Auch im Jahr 2018 hat die rechtsextremistische Szene bei ihren Veranstaltungen vorrangig auf Objekte zurückgegriffen, die in ihrer weitgehend ungehinderten Verfügungsgewalt stehen. Derartige Immobilien werden als Rückzugsräume betrachtet, in denen Störungen durch den politischen Gegner oder staatliche Maßnahmen zumindest erschwert werden. Dort finden z. T. die bereits genannten szenetypischen Rituale statt. Zudem werden dort Vortragsoder Musikveranstaltungen durchgeführt. Inso-- 21 -- weit spielen solche Örtlichkeiten für den Zusammenhalt der Szene eine wichtige Rolle. Zugleich sollen sie Ausgangspunkt für eine politische Einflussnahme auf das Umfeld sein. Auch dienen sie als Basis für wirtschaftliches Handeln. Im Berichtszeitraum waren in diesem Kontext folgende Objekte von Bedeutung: * "Thinghaus" Grevesmühlen im Landkreis Nordwestmecklenburg * "Kulturraum" des NPD-Kreisverbandes Westmecklenburg in Lübtheen im Landkreis Ludwigslust-Parchim * "Ehemaliger Dorfkonsum" Klein Belitz im Landkreis Rostock * "Braunes Haus" Waren (Müritz) im Landkreis Mecklenburgische Seenplatte * NPD-Landesgeschäftsstelle in Anklam ("Haus JugendStil") * und das "Nationale Wohnprojekt" in Salchow im Landkreis VorpommernGreifswald 8 2.6 Wirtschaftliche Netzwerke von Rechtsextremisten Weiterhin sind Rechtsextremisten bemüht, ihren Lebensunterhalt durch selbstständige Arbeit zu bestreiten. Schwerpunkte liegen im Bereich des Handwerks und des Internetversandhandels. Weiterhin ist ein Bestreben erkennbar, wirtschaftliches Handeln zu vernetzen, wenn etwa das von einem NPD-Kader betriebene "Versand- & Handelshaus Nord-Ost" in Anklam Unterstützung für "regionale Unternehmen und Dienstleister" anbietet. Auf der einschlägigen Internetseite werden dann auch Betriebe verlinkt, 8 Facebook-Seite "Haus JugendStil" vom 09.10.2018, abgerufen am 25.03.2019 -- 22 -- u. a. aus dem Baugewerbe oder der Vermietung von Ferienwohnungen.9 Auch im Vertrieb von Bekleidung mit heimatlichen Bezügen, die jedoch keine rechtsextremistischen Botschaften vermittelt, und im Bereich der Mediengestaltung haben Rechtsextremisten ein Betätigungsfeld gefunden. Die Bemühungen der rechtsextremistischen Szene, mit der "Mecklenburg-Vorpommerschen Strukturentwicklungsgenossenschaft eG" (MVSE), die bereits 2016 gegründet wurde, Wohnund Gewerberaum zu schaffen, Firmengründungen zu unterstützen und bestehende Unternehmen zu erhalten, haben offenbar einen Rückschlag erlitten. Nachdem die Genossenschaft und der für sie zuständige Prüfungsverband Ende Juni 2018 ihre Zusammenarbeit beendet haben, musste sich die MVSE eine andere Rechtsform geben. 2.7 Weitgehend unstrukturiertes rechtsextremistisches Personenpotenzial/rechtsextremistische Subkulturen Das Personenpotenzial dieses Spektrums ist 2018 erneut angestiegen. Eine Ursache hierfür ist wie zuvor die Ermittlung von Einzeltätern im Zusammenhang mit rechtsextremistisch motivierten Gewalttaten, die keine erkennbare Einbindung in rechtsextremistische Strukturen aufwiesen. Die Existenz subkultureller Szenen wurde auch durch rechtsextremistisch motivierte Straftaten, insbesondere Propagandadelikten deutlich, die keiner Struktur unmittelbar zuzuordnen sind. Schwerpunkte bildeten im Berichtszeitraum u. a. Wismar und Stralsund. Dem subkulturellen Spektrum ist auch der "HUSKARLAR MC Stralsund" zuzurechnen. Dessen Mitglieder, auch solche in Führungspositionen, bewegen sich in der Rockerszene und in der rechts- 9 Internetseite "Pommerscher Buchdienst" vom 30.12.2018, abgerufen am 02.01.2019 -- 23 -- extremistischen Szene. Dieses Verhalten ist für Rockerclubs eher ungewöhnlich, da diese es in der Regel vermeiden, öffentlich mit rechtsextremistischen Bestrebungen in Erscheinung zu treten. Auch der Ableger des Clubs in Anklam, der sein Clubhaus direkt neben dem "Haus JugendStil" (siehe Abschnitt 2.5) betreibt, pflegt Kontakte zur örtlichen rechtsextremistischen Szene. Darüber hinaus weisen einzelne Rechtsextremisten Verbindungen zu Rockern und Rockerclubs auf. Gelegentlich ist auch ein Übertritt von Einzelpersonen aus der rechtsextremistischen Szene zu einem Rockerclub zu beobachten, womit in aller Regel aber auch die Aktivitäten in der rechtsextremistischen Szene aufgegeben werden. Dieser Prozess kann sich jedoch, auch vor dem Hintergrund, dass vor der Vollmitgliedschaft bei einem Rockerclub eine Probezeit zu durchlaufen ist, über einen längeren Zeitraum erstrecken. Rockerähnliche Kennzeichen zeigten die "Soldiers of Odin Germany Mecklenburg-Vorpommern" (SOO), die 2018 hierzulande erstmals mit Aktivitäten in Erscheinung getreten sind. Sie waren mit entsprechender Kleidung im Demonstrationsgeschehen feststellbar. Die SOO bilden ein Netzwerk lokaler Gruppen, 10 die in ihrem jeweiligen örtlichen Bereich "Streifengänge" durchführen wollen, um angeblich das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung zu verbessern. Ursprünglich wurden die SOO von Rechtsextremisten in Finnland gegründet. Ob und inwieweit sich die Strukturen stabilisieren und sich die Aktivitäten verstetigen, bleibt abzuwarten. Konfliktpotenzial ist in der gewaltbereiten Fußballfanszene erkennbar. Die Szene lässt sich weiterhin nicht eindeutig verorten. Dort sind rechtsextremistische Bezüge erkennbar, aber auch - vorrangig in Rostock - Versuche einer linksextremistischen Ein10 Internetseite "encrypted.com" vom 06.02.2019, abgerufen am 06.02.2019. -- 24 -- flussnahme. Gemeinsames Feindbild ist hier die Polizei. Diese problematische Gemengelage mit der hohen Gewaltaffinität bedarf erhöhter Aufmerksamkeit. 2.7.1 Rechtsextremistische Musikveranstaltungen Im Jahr 2018 fanden in Mecklenburg-Vorpommern vier rechtsextremistische Konzerte mit Live-Auftritten statt (2017: 8). Zudem wurden zwei Liederabende festgestellt (2017: 2). Des Weiteren fand im Rahmen einer NPD-Veranstaltung eine Musikdarbietung statt (siehe Abschnitt 2.9).11 Gegenüber dem Vorjahr ist somit ein deutlicher Rückgang zu verzeichnen. Auch im Jahr 2018 fanden die besucherstärksten Musikveranstaltungen in szeneeigenen Objekten, so im Juli 2018 in Salchow (Landkreis Vorpommern-Greifswald) mit ca. 150 Teilnehmern und im Oktober 2018 in Löcknitz (Landkreis Vorpommern-Greifswald) mit ca. 100 Teilnehmern statt. Hierzu reisten Teilnehmer aus dem gesamten Bundesgebiet an. Die Besucherzahl bei den übrigen Veranstaltungen lag zwischen 20 und 30 Teilnehmern und damit weit unter den durchschnittlichen Zahlen der Vorjahre. Das Publikum stammte auch im Berichtszeitraum aus allen Lagern des Rechtsextremismus. Es sind dort sowohl parteilich gebundene, nicht parteigebundene und Angehörige der weitgehend unorganisierten Szene zu finden. Insoweit sind die Konzerte weiterhin wichtige Plattformen für die Pflege gerade auch überregionaler Kontakte. 11 Das LKA Mecklenburg-Vorpommern weist in seiner Statistik zusätzlich 12 Szenepartys/Veranstaltungen (2017: 10) ohne Livemusik aus. -- 25 -- DR ee, am au8yßsn1eiwa0uxsn2yaw Dua MIRecukhltsnnbixrg-eVmaopsntidcher Die Zahl der regelmäßig öffentlich aktiven Bands aus Mecklenburg-Vorpommern ist leicht zurückgegangen und liegt gegenwärtig bei 10. Zu den bekanntesten zählen weiterhin "Path of Resistance", "Painful Awakening", "Thrima" und die "Die Liebenfels Kapelle"/ "Skalinger". Sie bestreiten ihre Auftritte größtenteils außerhalb des Landes. Die lange Zeit öffentlich nicht auftretende Band "Bataillon 500" absolvierte im Berichts12 zeitraum wieder Livekonzerte. Ein Höhepunkt war sicherlich der Auftritt mehrerer Bands aus Mecklenburg-Vorpommern auf dem "Schildund Schwert Festival" am 20./ 21. April 2018 in Ostritz (Sachsen) mit etwa 1.300 Teilnehmern aus dem Inund Ausland. Zu den bundesund europaweit aktivsten rechtextremistischen Musikern gehörte 2018 erneut der Liedermacher "F.i.e.L." ("Fremde im eigenen Land") aus dem Raum Grevesmühlen. Er tritt meist als Solist auf, gelegentlich aber auch in einem gleichnamigen Bandrahmen. Seine szeneinterne Bedeutung wird durch den vorgesehenen Auftritt bei der rechtsextremistischen 13 12 Flyer Schild & Schwert - Festival am 20. und 21.04.2018. 13 Facebook-Seite des Sängers " F.i.e.L." vom 13.12.2017, abgerufen am 21.12.2017. -- 28 -- Großveranstaltung "Rock gegen Überfremdung III" im Oktober 2018 in Thüringen deutlich. Aufgrund behördlicher Verfügungen konnte dieses Konzert jedoch nicht wie geplant stattfinden. Zu einem Auftritt von "F.i.e.L." kam es daher offenbar nicht. Neben zahlreichen Liveauftritten produzierte "F.i.e.L." bzw. die gleichnamige Band 2018 den Tonträger "Hautnah in Germania". Erneut waren Verbindungen der hiesigen rechtsextremistischen Musikszene zur internationalen und in Deutschland seit 2000 verbotenen "Blood and Honour"Bewegung (B&H) festzustellen, etwa bei der Band "Ungebetene Gäste", die auf ihrer Facebook-Seite ein Bild eingestellt hatte, das auf eine Teilnahme zumindest eines ihrer Mitglieder an einem der "B&H"-Bewegung sowie der Hammerskinszene zuzurechnenden Konzerts in Finnland am 27./28. Juli 2018 hindeutet. 14 2.7.2 Szeneläden/Versandhandel Der bekannte Onlinevertrieb "Leveler Records" mit seinem Musikproduktionslabel "Glaube, Wille, Tat" aus Anklam hat 2018 bundesweit erneut an Bedeutung gewonnen. So war "Leveler Records" mit einem Verkaufsstand bei dem "Schild & Schwert-Festival" am 2./3. November 2018" in Ostritz vertreten. Hinzu kommen vielfältige Aktivitäten im Bereich des rechtsextremistischen Musikgeschehens. Hierbei ist die neonazistische Ausrichtung unverkennbar. 14 Facebook-Seite der Band "Ungebetene Gäste" vom 29.07.2018, abgerufen am 19.12.2018. -- 29 -- 2.8 Parteiunabhängige bzw. parteiungebundene Strukturen/Neonazis Im Berichtszeitraum konnte sich die neonazistische Szene weiter konsolidieren, allerdings waren regional unterschiedliche Entwicklungen zu beobachten. Insbesondere in Rostock waren verstärkt neonazistische Aktivitäten zu verzeichnen. Gleichwohl war auch für 2018 festzustellen, dass die neonazistische Szene in den sozialen Netzwerken deutlich aktiver ist als in der Realwelt. Dies dürfte eher einem taktischen Kalkül geschuldet sein, denn die Reichweite internetbasierter Propaganda ist deutlich höher als die Wirkung regionaler Einzelaktionen. Soweit solche stattfinden, werden diese gezielt für die Veröffentlichung in den sozialen Netzwerken aufbereitet oder gar bereits in der Vorbereitungsphase entsprechend angelegt. Darüber hinaus beteiligte sich die hiesige Neonaziszene regelmäßig an rechtsextremistischen Veranstaltungen in anderen Bundesländern und unterhielt entsprechende Kontakte, etwa zur rechtsextremistischen Szene in Schleswig-Holstein, Niedersachsen oder Brandenburg. Zu nennen ist hier die Gruppierung "3-Länder-Jungs", der Rechtsextremisten aus Mecklenburg-Vorpommern, Schleswig-Holstein und Niedersachsen angehören. Im Einzelnen entwickelte sich diese Szene 2018 wie folgt: 2.8.1 Einzelgruppierungen/regionale Entwicklungen * Neonazistische Szene in Rostock Die "Nationalen Sozialisten Rostock" (NSR), die inzwischen hauptsächlich unter dem Namen "Aktionsblog" agieren, konnten im Berichtszeitraum an das Aktionsniveau der Vorjahre anknüpfen. Dabei besetzten sie neben ideologischen Themen, die einen deutlich antikapitalistischen Anklang haben auch Felder, die -- 30 -- offenbar auf eine Anschlussfähigkeit zielen, etwa Tierund Umweltschutz oder das Kleingartenwesen. Beherrschend war jedoch eine aggressive Propaganda gegen den 15 politischen Gegner und Migranten. Unter dem Motto "Deutsche Jugend geht in die Offensive" wurde zu mehr Aktionsbereitschaft aufgerufen. In den letzten Tagen des Jahres 2018 wird von einem "brachialen Gegenschlag" gesprochen. Weiter heißt es: "Ein rauer Wind wird von der Ostseeküste hinüber über unser geliebtes Deutschland fegen, der auch den letzten Dreck beiseite schaffen wird."16 Derartige Ankündigungen sind auch deshalb beunruhigend, da Gruppenmitglieder verstärkt Kampfsportaktivitäten entfalten. So beteiligten sich Aktivisten der NSR am 12. Mai 2018 an einem Kampfsporttraining mit dem ukrainischen Rechtsextremisten Denis Nikitin im "Thinghaus" in Grevesmühlen. Dabei sei u. a. "der aktive Straßenkampf auf dem Boden und mit dem Messer [...] beleuchtet" worden. Auch während eines Besuchs mehrerer Gruppenmitglieder in Güstrow am 15. September 2018 soll es "eine kleine sportliche Einheit, in der sich der ein oder andere unter Beweis stellen konnte, um bei der nächsten Ak17 15 Facebook-Seite "Aktionsblog" vom 09.08.2018, abgerufen 25.03.2019. 16 Facebook-Seite "Aktionsblog" vom 28.12.2018, abgerufen am 03.01.2019. 17 Facebook-Seite "Aktionsblog" vom 16.09.2018, abgerufen am 17.09.2018. -- 31 -- tion wieder bereit sein kann, seinen Nebenmann, als auch sein Volk zu schützen"18 gegeben haben. Dazu veröffentlichte Fotos legen nahe, dass auch hier Kampfsport trainiert wurde. Darüber hinaus war die Gruppierung am 2./3. November 2018 auf dem "Schild & Schwert Festival" in Ostritz (Sachsen) mit einem Infostand vertreten. Diese Veranstaltung beinhaltete auch einen Kampfsportteil. Zudem zeigt die Präsenz auf diesem für die rechtsextremistischen Szenen europaweit bedeutsamen "Festival" den Wunsch nach einer überregionalen oder gar internationalen Vernetzung.19 Dem Interesse am Kampfsport wohnt aber nicht nur ein revolutionärer Impetus inne, sondern ist sicher auch der äußerst angespannten Situation zwischen den extremistischen Lagern in Rostock geschuldet. Nach der Demonstration der rechtsextremistischen Szene am 8. Mai 2018 in Demmin wurde ein Mitglied der Gruppe auf dem Heimweg mutmaßlich von Linksextremisten überfallen und erheblich verletzt. In der Folge riefen die NSR selbst sowie der NPD-Landesverband und die NPD-Kreisverbände Mecklenburg-Mitte und Vorpommern-Rügen zu Spenden für das Opfer auf. Die NSR selbst führten am 13. Mai 2018 einen "Sonntagssowie einen Abendspaziergang" zu Anlaufpunkten der linksextremistischen Szene durch. Dort wurden demonstrativ Gruppenfotos vor den Objekten angefertigt und veröffentlicht. Zu einer direkten Konfrontation mit dem politischen Gegner kam es jedoch nicht. Gleichwohl bleibt die Gefahr direkter körperlicher Auseinandersetzungen hoch. Auch 2018 führten die NSR wieder eine eigene "Heldengedenkveranstaltung" auf dem Neuen Friedhof in Rostock durch. Daran beteiligt war eine bis dahin unbekannte "Gemeinschaft Recknitztal", die eine Woche später eine ähnliche Veranstaltung in Tessin durchführte, an der sich wiederum die NSR beteiligten. 18 Facebook-Seite "Aktionsblog" vom 16.09.2018, abgerufen am 17.09.2018. 19 Vk.com-Seite vom 01.11.2018, abgerufen am 03.01.2019. -- 32 -- Zum wiederholten Male führten die NSR eine "Weihnachtsaktion" durch. Dabei wurde Ende November das Flugblatt "Deutsche Weihnacht" verteilt. Darin heißt es u. a.: "Auch wenn die heutige Gesellschaft versucht, diese Feierlichkeit für ihre multikulturelle Kaste zu benutzen, Weihnachtsfeste aus Kitas, Schulen und dem Straßenbild immer mehr verschwinden, solltet ihr standhaft bleiben und Euch dieses Stück Kultur nicht nehmen lassen. Die Volksgemeinschaft ist für uns als junge NSler oberstes Ziel und keinen Schritt dichter als zur besinnlichen Zeit."20 Die "Rostocker Division" war 2018 weit weniger präsent als die NSR. Sie zeigte sich hauptsächlich auf Facebook und nahm nur vereinzelt an Veranstaltungen teil, ist aber in der rechtsextremistischen Szene vernetzt. Verbindungen gibt es augenscheinlich zu dem oder den Betreibern des Anfang Oktober 2018 eingerichteten Facebook-Profils "Nordlichter Rostock". Das dort eingestellte Titelbild zeigt neben einem Logo "Nordlichter Rostock" auch das der "Rostocker Division". Auf dem Profil wurden einige Bilder zu Aktionen veröffentlicht, die mehrere Personen zeigen, die hinter selbst gefertigten Holzkreuzen posieren. Am 18. November 2018 wurde kommentarlos ein Bild eingestellt, dass offenbar an die Darstellung von Rockerclubs angelehnt ist. Es zeigt in der Mitte als "Center Patch" einen Totenkopf vor zwei Schwertern mit einem Eisernen Kreuz, darüber als "Top Rocker" den Schriftzug "Sturmbrigade 44" und als "Bottom Rocker" den Schriftzug "Rostock". Ob hiermit eine eigene Gruppierung benannt werden soll oder sich die "Nordlichter Rostock" als Teil der überregional organisierten Neonazigruppierung "Sturmbrigade 44"21 sehen, ist nicht bekannt. Von den verschiedenen Facebook-Profilen der "Patrioten Rostock/Rügen/Stralsund" (in verschiedenen Reihenfolgen) war 2018 nur noch das Profil "Patrioten Rostock/Rügen/Stralsund 1.0" aktiv. Auf der Seite wurden verschiedene Demons20 Facebook-Seite "Aktionsblog" vom 04.12.2018, abgerufen am 05.12.2018. 21 Die Bezeichnung "Sturmbrigade" soll offensichtlich einen Bezug zu Einheitsbezeichnungen der Waffen-SS herstellen, etwa zur "Sturmbrigade Langemarck". -- 33 -- trationsaufrufe, Nachrichten sowie Inhalte anderer rechtsextremistischer Facebook-Profile geteilt. Die Mobilisierung für die Demonstrationen legt nahe, dass Angehörige der Gruppe an diesen teilgenommen haben, so z. B. an verschiedenen Demonstrationen der AfD in Rostock oder an der Demonstration "Heimatliebe ist kein Verbrechen" der rechtsextremistischen Szene am 9. November 2018 in Stralsund. * Neonazistische Szene im Raum Güstrow Die neonazistische Szene in Güstrow konnte an das Aktivitätsniveau der Vorjahre anschließen. Vorrangig ist hier die "Kameradschaft Güstrow" zu nennen. Diese "Kameradschaft" trat als Veranstalter der Demonstration "Für die Sicherheit unserer Kinder" am 10. November 2018 in Güstrow in Erscheinung, an der sich 35 Personen beteiligten. Außerdem zeigte sich die Gruppe an einem Infotisch, den die NSR am 7. Juli 2018 in Güstrow durchführten sowie bei der "Heldengedenkveranstaltung" der rechtsextremistischen Szene am 18. November 2018 in Tessin. Dieses Spektrum dürfte auch für die wiederholten Übergriffe auf Parteibüro und Wohnobjekt einer Landtagsabgeordneten der Partei DIE LINKE in Güstrow verantwortlich sein. * Neonazistische Szene im Raum Waren Die neonazistische Szene im Raum Waren (Müritz) ist trotz ihrer geringen personellen Stärke eine der aktivsten des Landes. Eine entscheidende Rolle spielt hier die NPD-Funktionärin Doris Zutt, die die Szene strukturiert und mobilisiert. Trat die neonazistische Szene Warens in den vergangenen Jahren noch unter mehreren Eigennamen (u. a. "Kollektiv Müritzfunken", "Nationale Aktivisten MuP") in Erscheinung, wurde 2018 das "Kollektiv Seenplatte" in den Vordergrund geschoben. Angehörige der Gruppe sind aber gleichzeitig in lokalen NPD-Strukturen sowie im Verein "Deutschland muss leben e. V." (DML) aktiv. -- 34 -- Die Szene entfaltete auch 2018 ihre typischen Aktivitäten wie kleinere Mahnwachen in Waren und gruppeninterne Veranstaltungen. Die Gruppe beteiligte sich aber auch an überregionalen rechtsextremistischen Aktivitäten, so an der Demonstration am 13. Februar 2018 in Dresden oder an der Demonstration am 8. Mai 2018 in Demmin. Dass der Antisemitismus ein wesentlicher Bestandteil der Ideologie der Gruppe ist, beweist eine Kundgebung am 27. Januar 2018 in Waren gegen den Holocaustgedenktag. Die Gruppe führte dabei ein Transparent mit der Aufschrift "Antisemiten kann man nicht verbieten" mit.22 * Neonazistische Szene im Raum Stralsund Die "Initiative 'Vereint für Stralsund'" organisierte mehrere Demonstrationen in Stralsund um gegen die Zuwanderung oder den politischen Gegner zu protestieren. An den Veranstaltungen beteiligten sich bis zu 150 Personen. Auffällig ist in Stralsund eine Häufung von Propagandadelikten, wie etwa Graffiti mit rechtsextremistischem Hintergrund. So brachten Unbekannte am 22. Oktober 2018 am Außenschild der Geschäftsstelle der Partei DIE LINKE ein Hakenkreuz sowie den Schriftzug "Ein Volk, Ein Reich, Ein Führer" an. Vereinzelt wurden auch ausländerfeindlich motivierte Körperverletzungsdelikte registriert. Die Vorfälle zeigen, dass in Stralsund eine aktive neonazistische Szene existiert, die aber nicht durchweg organisatorischen Zusammenhängen zugeordnet werden kann. * Weitere neonazistische Strukturen auf regionaler Ebene Als organisatorischer Rückhalt der rechtsextremistischen Szene waren auch 2018 örtliche "Kameradschaften" und sonstige kleinere örtliche Personenzusammenschlüsse von Bedeutung. Allerdings entfalteten nicht alle der nachfolgend genannten 22 Facebook-Seite "Antikapitalistisches Kollektiv Seenplatte" vom 27.01.2018, abgerufen am 30.01.2018. -- 35 -- Gruppierungen öffentliche oder gar kontinuierliche Aktivitäten. Insoweit werden hier nur die Strukturen genannt, die nicht in der sonstigen Berichterstattung Erwähnung finden: * "Fremde im eigenen Land" (F.i.e.L.), Raum Grevesmühlen (siehe Abschnitt 2.7.1) * "Freie Kameradschaft Wismar" * "Germanisches Bollwerk Mecklenburg" * "Arischer Widerstandsbund", Altentreptow * "Völkische Burschenschar Strasburg" * "Freie Pommern", Raum Pasewalk * "Freie Kräfte Greifswald/Nationale Sozialisten Greifswald" * "Kameradschaftsbund Anklam" * "Kameradschaftsbund Bargischow" * "Aryan Warriors", Ueckermünde * "Kameradschaft Borken" * "Nationales Bündnis Löcknitz" * "Freikorps Heimatschutz" (östliches Mecklenburg). Im rechtsextremistischen Veranstaltungsgeschehen waren erneut Kleidungsstücke mit "Divisionsaufdruck (Mecklenburg oder Pommern)" zu beobachten. Ein Beleg dafür, dass diese Bezeichnungen weiterhin dem szeneinternen Zusammenhalt dienen sollen. 2.8.2 Parteiunabhängige neonazistische Strukturen auf überregionaler Ebene Nachfolgend werden neonazistische Gruppierungen beschrieben, die überregional aktiv sind und auch in Mecklenburg-Vorpommern über Mitglieder/Sympathisanten verfügen: * Bundesund weltweit vernetzt sind die "Hammerskins". Sie verstehen sich nach wie vor als eine Art Szeneelite, die ihre Herkunft aus der subkulturellen Skinheadszene bewusst pflegt, aber gleichzeitig über eine klare Struktur verfügt. Die Mitglieder der "Hammerskinnation" (HSN) müssen sich einem Verhaltenskodex unterwerfen, der für eine gruppeninterne -- 36 -- Disziplin sorgen soll. Die Aktivitäten der "Hammerskins" sind jedoch weiterhin nicht darauf angelegt, öffentliche Wirkung zu entfalten. Die Mitglieder verhalten sich im Zusammenhang mit der Hammerskinstruktur sehr konspirativ, zeigen aber in anderen rechtsextremistischen Zusammenhängen durchaus Präsenz, etwa bei der Organisierung rechtsextremistischer Konzerte. Unterstützt wird die Kernstruktur durch "Supporter", die die Zahl 38 als Zeichen nut23 zen. Sie steht für "Crossed Hammers", also für den dritten und achten Buchstaben im Alphabet. Mitglieder dieser Struktur streben eine Vollmitgliedschaft bei den "Hammerskins" an. * Einen konspirativen Habitus pflegt auch die "Brigade 8". Sie kopiert in gewisser Weise das Verhalten 24 der "Hammerskins" und will sich damit ebenfalls einen elitären Anstrich geben. Eine politische Außenwirkung steht nicht im Zentrum der Aktivitäten. Auch diese Gruppierung hat ein "Supporter-Umfeld" und engagiert sich im rechtsextremistischen Konzertgeschehen.24 * Auch die "Aryan Warriors", eine überregionale Neonazistruktur, entfalteten hierzulande vereinzelte Aktivitäten. * Die "Gefangenenhilfe Freundeskreis" setzte ihre Aktivitäten weiter fort. Sie unterhält ihren Sitz in Schweden und unterstützt rechtsextremistische Gefangene und deren Familien 23 Internetseite der Hammerskins vom 07.02.2019, abgerufen am 07.02.2019. 24 Facebook-Seite "Brigade 8" vom 26.10.2018, abgerufen am 03.01.2019. -- 37 -- während der Haft. Offene Sympathien zeigte die Organisation für Ralf Wohlleben, der im NSU-Prozess im Juli 2018 wegen Beihilfe zum Mord verurteilt wurde. Dieser "Freundeskreis" hat auch Unterstützer in Mecklenburg-Vorpommern. * Von nicht zu unterschätzender Bedeutung für den internen Zusammenhalt und die ideologische Verfasstheit der rechtsextremistischen Szene ist weiterhin die "Artgemeinschaft - Germanische Glaubens-Gemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung e. V." (AG-GGG).25 Sie wurde als nichtrechtsfähiger Verein im Jahr 1951 (3751 n. St. nach der eigenen Zeitrechnung, der "Jahreszählung nach Stonehenge") gegründet. Wer das "Artbekenntnis und das Sittengesetz unserer Art" voll bejahe, könne einen Antrag auf Aufnahme als Mitglied der "Artgemeinschaft" stellen.26 Das "heidnische Artbekenntnis" enthält gemäß Ziffer 3 der Satzung der AG-GGG zwölf Regeln, die die Bedeutung des "germanischen Kulturerbes" betonen, "Kampf als Teil des Lebens" ansehen und allgemein von einer Verehrung der Natur und der Ahnen geprägt sind. Die Mitgliederversammlung der AG-GGG heiße "Thing" und sei das "eigentliche Entscheidungsgremium der Gemeinschaft" (Ziffer 7 der Satzung). Mindestens sieben "Gefährten" der AG-GGG können sich bei regionaler Nähe zu einer "Gefährtschaft" zusammenschließen (Ziffer 13 der Satzung). Der "Freundeskreis" sei die "Vorstufe zur Gefährtschaft".27 Das nach wie vor geltende "Standardwerk" des inzwischen verstorbenen Neonazis Jürgen Rieger "Weg und Ziel der Artgemeinschaft-GGG" enthält alle theoretischen Grundlagen dieser Gemeinschaft und unterscheidet dabei zwischen den "Großrassen Europiden, Mongoliden und Negriden", zwischen denen es "geistige und seelische Unterschiede" gebe. Die "Religion für unsere Menschenart" richte sich ausdrücklich an die "nordischen und fälischen Menschen dieser Welt" und knüpfe an die "heidni25 Vgl. hierzu auch den Verfassungsschutzbericht Mecklenburg-Vorpommern 2012, S. 45f. 26 Facebook-Seite "Die Artgemeinschaft-GGG e.V." vom 17.09.2018, abgerufen am 23.10.2018. 27 Rieger, Jürgen: "Weg und Ziel der Artgemeinschaft-GGG - Werden und Wesen der Artreligion", 3800 n. St., S. 65. -- 38 -- sche germanische Religion" an. Wenn das "Germanentum" eine Zukunft haben solle, müsse eine Lebensordnung geschaffen werden, "wo seine biologische Substanz erhalten bleibt, die Fähigkeiten gefördert werden und die Unfähigen soweit zurückgedrängt werden, daß sie der Allgemeinheit nicht gefährlich werden können".28 Diese Vorstellungen sind eindeutig rassistisch und erinnern an die ideologischen Vorstellungen Heinrich Himmlers und seiner SS.29 Regelmäßig stattfindende Veranstaltungen der AG-GGG sind die sogenannten Gemeinschaftstage, zu denen unter anderem das "Frühlingsfest", das "Julfest" und die Sonnenwendfeiern im Sommer und Winter gehören. Vierteljährlich erscheint die Publikation der AG-GGG "Nordische Zeitung" (NZ). Auch Rechtsextremisten, die sich selbst als "völkische Siedler" bzw. "Artamanen"30 verstehen, sind Mitglieder dieser "Religionsgemeinschaft", etwa im Raum Güstrow. Rieger widmete ein Kapitel seines vorgenannten Werkes den "Artamanen in der Artgemeinschaft" und betonte darin Gemeinsamkeiten mit dem "Bund Artam". Es sei die "Idee gemeinsamer ländlicher Siedlung" entstanden. Die "eigene Art" brauche "sowohl biologisch wie kulturell Keimzellen, wo sie sich ungestört entfalten" könne.31 Schlagzeilen machte der Verein, als Ralf Wohlleben nach Beendigung des NSU-Prozesses beim Bundesvorsitzenden der AGGGG in Sachsen-Anhalt seinen Wohnsitz nahm. 28 Ebd., S. 8. 29 Vgl. Longerich, Peter: Heinrich Himmler - Biographie, München: Pantheon Verlag 2010, S. 265ff. 30 Diese Bezeichnung geht zurück auf den "Bund Artam", einem völkischen Jugendbund in den zwanziger Jahren des 20. Jahrhunderts, der der "Blut-und-Boden-Ideologie" folgte und zur Landarbeit aufrief. Deutlich war eine personelle Verquickung mit der NSDAP, vgl. hierzu Longerich, Peter: Heinrich Himmler - Biographie, München: Pantheon Verlag 2010, S. 109 ff. Die Bedeutung des Wortes ist nicht gesichert, meint aber in etwa "Hüter der Scholle". 31 Rieger, Jürgen: "Weg und Ziel der Artgemeinschaft-GGG - Werden und Wesen der Artreligion", 3800 n. St., S. 125. -- 39 -- 2.9 Neonazistisch geprägte Veranstaltungen und Aktivitäten Auch im Jahr 2018 führte die neonazistische Szene zahlreiche - z. T. jährlich wiederkehrende - Veranstaltungen durch: * "Tollensemarsch" der rechtsextremistischen Szene am 17. Februar 2018 Der seit 2004 stattfindende "Tollensemarsch" ist zwischenzeitlich zu einem feststehenden Ritual geworden und dient neonazistischen Kadern als Gemeinschaftserlebnis. Am 17. Februar 2018 nahmen ca. 35 Personen (2017: 30) an der Veranstaltung teil. * Neonazistische Aktionen zum 8. Mai 2018 Der traditionelle "Trauermarsch" der rechtsextremistischen Szene in Demmin des Landes zum Jahrestag der deutschen Kapitulation 1945 und dem damit einhergehenden Ende des nationalsozialistischen Regimes fand 2018 erstmals unter direkter Führung der NPD statt. Wurde die Veranstaltung seit 2012 von einem früheren Mitglied des NPD-Landesvorstandes Mecklenburg-Vorpommern als Privatperson angemeldet, wurde die versammlungsrechtliche Verantwortung 2018 durch ein aktives Mitglied des Landesvorstandes wahrgenommen. Teilgenommen haben wie im Vorjahr ca. 200 Personen. * "Aktion Schwarze Kreuze" am 13. Juli 2018 Mittlerweile zum fünften Mal durchgeführt, entwickelt sich die "Aktion Schwarze Kreuze" ebenfalls zu einem festen Termin innerhalb der rechtsextremistischen Szene. Mit dem Aufstellen von schwarzen Kreuzen beabsichtigen Rechtsextremisten, an die "Deutschen Opfer von Ausländergewalt" zu erinnern. Ging die Beteiligung der rechtsextremistischen Szene Mecklenburg-Vorpommerns in den vergangenen Jahren noch stetig zurück, wurden 2018 bislang die meisten Kreuze -- 40 -- festgestellt. Regionale Schwerpunkte waren die Landkreise Ludwigslust-Parchim, Rostock und Vorpommern-Greifswald. 32 * Aktionen mit Bezug zum Todestag von Rudolf Heß Für die rechtsextremistische Szene ist das Gedenken an den "Führerstellvertreter" Rudolf Heß ein identitätsstiftendes Moment, das auch dem Zusammenhalt der Szene dient. Die Neonazis glauben nicht an einen Selbstmord und feiern Heß als Märtyrer. In der Szene hat sich der 17. August damit als "Pflichttermin" etabliert, zu dem alljährlich dezentrale Aktionen durchgeführt werden. An seinem 30. Todestag im Jahr 2017 fand in Berlin unter dem Motto "Mord verjährt nicht! Gebt die Akten frei - Recht statt Rache!" erstmals seit mehreren Jahren wieder eine zentrale Demonstration der rechtsextremistischen Szene statt, die am 18. August 2018 wiederholt wurde und an der sich auch Rechtsextremisten aus Mecklenburg-Vorpommern beteiligten. Aber auch in Mecklenburg-Vorpommern wurde der Termin vielfältig aufgegriffen. So gab es Sprühaktionen und Plakatierungen mit Bezug zu Rudolf Heß, im "Haus JugendStil" in Anklam führte ein NPD-Funktionär am 11. August 2018 eine Saalveranstaltung zum Thema "Mord verjährt nicht!" mit ca. 50 Teilnehmern durch. Als Zeitzeuge war ein Tunesier geladen, der als ehemaliger "Pfleger und Vertrauter von Rudolf Heß" regelmäßig bundesweit entsprechende Vorträge hält und Autor des Buches "Ich sah seinen Mördern in die Augen" ist. In seinem Vortrag habe dieser eingeräumt, dass in dem Spandauer Gefängnis "aus einer bloßen Pfleger-Patient-Beziehung eine Freund32 Facebook-Seite "Schwarze Kreuze 2.0" vom 03.05.2018, abgerufen am 25.03.2019. -- 41 -- schaft wurde". Den Vorwurf, mit Heß' Überzeugungen zu sympathisieren, weise er von sich. "In der demokratischen Welt" könne er darüber nicht sprechen.33 Mit den Vorträgen bestärkte der Redner die Verschwörungstheorie der Ermordung des Stellvertreters Hitlers. Im Anschluss trat der Brandenburger Liedermacher "Fylgien" auf. * "Heldengedenken" der rechtsextremistischen Szene Auch 2018 fanden an verschiedenen Denkmalen im Land, die an Kriegsopfer erinnern, Aktionen der rechtsextremistischen Szene statt. Dabei wurden Kränze niedergelegt, Gedichte oder andere anlassbezogene Texte vorgetragen und Schweigeminuten abgehalten. Die rechtsextremistische Szene Rostocks führte z. B. am 10. November 2018 auf dem Neuen Friedhof in Rostock eine Veranstaltung durch und verwies dabei auf die Facebook-Seite "Gemeinschaft Recknitztal"34. Diese Gruppe zeichnete für eine Heldengedenkveranstaltung am 18. November 2018 in Tessin verantwortlich, an der sich wiederum Rostocker Rechtsextremisten beteiligten35. Weitere Veranstaltungen gab es in Röbel, Teterow, Waren, Bützow sowie auf Usedom. * "Germanisch-heidnische" Rituale Fortgesetzt wurden auch die germanisch-heidnischen Rituale, wie etwa "Ostarafeste", "Sonnenwendfeiern" oder "Julfeste".36 Eine besondere Bedeutung nimmt dabei die Sommersonnenwendfeier der Szene im Jamel ein, die von der "Dorfgemeinschaft Jamel" ausgerichtet und regelmäßig mit einem Kinderfest kombiniert wird und in dieser Form nun schon zum 14. Mal durchgeführt wurde. 2018 nahmen an der Veranstaltung, die nicht darauf angelegt ist, eine öffentliche Wirkung zu 33 Facebook-Seite "Haus JugendStil" vom 14.08.2018, abgerufen am 15.08.2018. 34 Facebook-Seite "Aktionsblog" vom 11.11.2018, abgerufen am 12.11.2018. 35 Facebook-Seite "Aktionsblog" vom 18.11.2018, abgerufen am 19.11.2018. 36 Vgl. hierzu Ministerium für Inneres und Europa Mecklenburg-Vorpommern (Hrsg.); Rituale und Symbole der rechtsextremistischen Szene, Schwerin, 2015. -- 42 -- entfalten, ca. 200 Personen teil. Sie dient damit nicht nur der Brauchtumspflege innerhalb der rechtsextremistischen Szene, sondern ist auch ein Forum, sich zu vernetzen und bestehende Kontakte zu pflegen. * "Zeitzeugenvorträge" Im Jahr 2018 wurden in Mecklenburg-Vorpommern vier Zeitzeugenvorträge der rechtsextremistischen Szene bekannt. Sie fanden mehrheitlich in Malchow statt und lösten dort eine öffentliche Diskussion aus. Bei den Vortragenden handelte es sich um ehemalige Angehörige der Teilstreitkräfte der Wehrmacht und der Waffen-SS. Die Veranstaltungsteilnehmer rekrutierten sich aus verschiedenen Spektren der rechtsextremistischen Szene. Die beachtliche Resonanz auf derartige Vorträge speist sich aus verschiedenen Quellen. So spielt hier das für Rechtsextremisten typische Interesse an militärischen Ereignissen im Zweiten Weltkrieg sicherlich eine Rolle. Allerdings darf auch die ideologische Bedeutung nicht unterschätzt werden, sehen heutige Rechtsextremisten die Vortragenden doch als Vorbilder für den eigenen rassistisch motivierten "Kampf". Insoweit ziehen die Veranstaltungsteilnehmer eine ideologisch bruchfreie Linie in die Vergangenheit. Dies belegt erneut die weiterhin hohe Wirkmächtigkeit der nationalsozialistischen Ideologie für die rechtsextremistische Szene in Mecklenburg-Vorpommern. Gleichzeitig dienen diese Veranstaltungen dem Szenezusammenhalt und der Vernetzung. 2.10 Krisenvorsorge durch Rechtsextremisten Das Thema "Krisenvorsorge", welches spätestens in der Folge der am 28. August 2017 erfolgten Durchsuchungsmaßnahmen wegen des Verdachts der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat37 unter dem Stichwort "Prepper" auch in das Zentrum einer breiten Öffentlichkeit rückte, war in der rechtsextremistischen Szene auch im Jahr 2018 weiterhin präsent. 37 Siehe www.generalbundesanwalt.de, Pressemitteilung vom 28.08.2017 - 73/2017. -- 43 -- Rechtsextremisten sehen dieses Thema im Wesentlichen unter zwei Gesichtspunkten: * eigene Vorbereitung auf die kommende "Krise" oder gar den "Umsturz des Systems" und * als Agitationsplattform. Rechtsextremisten streben mit Blick auf ihre verschwörungstheoretischen Untergangsszenarien durch Selbstver38 sorgung eine Unabhängigkeit von dem politisch-wirtschaftlichen System an, das sie zutiefst ablehnen und letztlich beseitigen wollen. Informationen zu Themen wie "Selbstversorgung am Rande der Großstadt"39 oder "Vorsorge für den Zusammenbruch"40 finden sich daher auch regelmäßig in einschlägigen Medien. Als Beispiel für die Nutzung zu Propagandazwecken kann hier ein Antrag der NPD in der Bürgerschaft der Hansestadt Rostock zum Thema "Krisenvorsorge" angeführt werden. Darin heißt es: "Infolge einer nahezu ungebremsten Zuwanderung [...] hat der Terror auch die Bundesrepublik Deutschland erreicht. [...] Vermehrte Zeichen von inneren Unruhen gibt es bereits in Frankreich, Belgien und Schweden, ansatzweise aber auch schon in der BRD. Wenn der Staat schon nicht willens ist, seine Bürgerinnen und Bürger durch stringente Grenzkontrollen zu schützen, hat er die Bevölkerung wenigstens auf Krisensituationen vorzubereiten." 41 An dieser Stelle muss aber noch einmal betont werden, dass die von der Bundesregierung durchaus erwünschten Vorsorgehandlungen für die Verfassungsschutzbehörden ohne Relevanz sind. 38 Blickpunkt VG, Mitteilungsblatt der NPD-Fraktion im Kreistag Vorpommern-Greifswald, November 2017. 39 N.S. Heute, Nr. 8, März/April 2018, Dortmund, 2018. 40 N.S. Heute, Nr. 9, Mai/Juni 2018, Dortmund, 2018. 41 Antrag vom 10.01.2018, Bürgerschaft der Hansestadt Rostock, 2018/AN/3375. -- 44 -- Eine Zuständigkeit des Verfassungsschutzes liegt erst dann vor, wenn die Vorsorge - wie oben dargestellt - Teil verfassungsfeindlicher Bestrebungen ist. 2.11 Kampfsport in der rechtsextremistischen Szene Nicht zuletzt im Rahmen verschiedener rechtsextremistischer Großveranstaltungen im Jahr 2018 zeigt sich, welchen besonderen Stellenwert der Kampfsport innerhalb der rechtsextremistischen Szene einnimmt. Die wachsende 42 Bedeutung konnte in den letzten Jahren insbesondere daran abgelesen werden, dass entsprechende Kampfsportaktivitäten durch Rechtsextremisten offensiv nach außen propagiert wurden. Ziel ist es offenbar, auf diesem Wege über das eigene Lager hinaus Interesse zu erwecken und insbesondere jugendlichen Nachwuchs zu gewinnen. Verbunden wird damit eine ideologische Botschaft, die unmittelbar an den Nationalsozialismus anknüpft, nämlich die Herausbildung eines "gestählten" Menschen, der zum Kampf mit dem "Feind" bereit ist.43 Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang die auch von hiesigen Rechtsextremisten frequentierte Facebook-Seite "WARDON". "WARDON steht für die Vereinigung erwachter Deutscher, welche es sich zum Ziel gesetzt haben, dem Ideal wahrer Volksgesundheit zuzustreben. [...] Daher lautet unser Auftrag die Wiederherstellung der Volksgesundheit durch Sport und sportliche Erziehung, das Erschaffen einer Wehrhaftigkeit zur Abwehr aller inneren und äußeren Feinde [...] und eine Abkehr vom dekadenten Konsumverhalten, 42 Facebook-Seite Aktionsblog vom 16.09.2018, abgerufen am 17.09.2018. 43 Vgl. Rede Adolf Hitlers an die deutsche Jugend in Nürnberg 1935, zitiert nach von Schirach, Baldur: Die Hitler -Jugend - Idee und Gestalt, Leipzig: Koehler und Amelang 1936, S. 197ff.. -- 45 -- welches unser Volk in die materielle Abhängigkeit geführt und [...] zu geistlosen Systemerhaltern gemacht hat."44 Neben der ideologischen Komponente und der Rekrutierungsfunktion darf die szeneformende Rolle des Kampfsports keineswegs unterschätzt werden. Sie führt sowohl innerhalb Deutschlands als auch international zu einer verstärkten Vernetzung der verschiedenen Akteure. Dies zeigte sich beispielsweise an entsprechenden Kampfsporttrainings wie am 12. Mai 2018 mit dem ukrainischen Rechtsextremisten Denis Nikitin im 45 "Thinghaus" in Grevesmühlen oder aber strukturübergreifend zuletzt beim "Kampf der Nibelungen" am 13. Oktober 2018 in Sachsen. Die im abgebildeten Plakat erkennbaren Veranstalter bzw. Unterstützer46 zeigen eine internationale Organisationsbreite auf, die über den Kampfsport hinaus Kontakte eröffnet. Letztlich dienen derartige Veranstaltungen auch der Gewinnerzielung. In der Gesamtbetrachtung besteht die berechtigte Sorge, dass sich das rechtsextremistische Gewaltpotenzial auf diese Weise professionalisiert, so dass der "Kampf um die Straße" in einer neuen - noch brutaleren - Intensität umgesetzt werden könnte. 44 Facebook-Seite "Wardon" vom 10.10.2017, abgerufen am 06.12.2018. 45 Internetseite "Kampf der Nibelungen", abgerufen am 06.12.2018. 46 Z. B. "White Rex" (Russland), "Pride France" (Frankreich), "Greifvogel Wear", "WARDON". -- 46 -- 2.12 Rechtsextremistische Parteien 2.12.1 "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD), Landesverband Mecklenburg-Vorpommern 47 Gründung 1990 Publikationen - "Blickpunkt VG - Mitteilungsblatt der NPD-Fraktion im Kreistag (soweit Ausgaben Vorpommern-Greifswald" im Jahr 2018 veröf- - "Kurz & Knapp, Nachrichten aus der fentlicht wurden) Gemeindevertretung der Kaiserbäder" Internet und soziale - Internetseite des NPDNetzwerke Landesverbandes - Facebook-Seiten des NPDLandesverbandes - der Kreistagsfraktion VorpommernGreifswald - der NPD in der Bürgerschaft Rostock - der NPD-Kreisverbände Westmecklenburg, Mecklenburg-Mitte und Vorpommern-Rügen - sowie der "JN Mecklenburg und Pommern" 47 Facebook-Seite des NPD-Landesverbandes vom 02.10.2018, abgerufen am 05.10.2018. -- 47 -- Kreisverbände - NPD-Kreisverband Westmecklenburg - NPD-Kreisverband Mecklenburgische Seenplatte - NPD-Kreisverband VorpommernGreifswald - NPD-Kreisverband Mecklenburg-Mitte - NPD-Kreisverband VorpommernRügen Unterorganisationen - Jugendorganisation "Junge Nationalisten" (JN) - Frauenorganisation "Ring Nationaler Frauen" (RNF) - Interessenvertretung für kommunale Mandatsträger "Kommunalpolitische Vereinigung" (KPV) ohne Aktivitäten in Mecklenburg Vorpommern Der Negativtrend bei den Mitgliederzahlen der einzelnen NPD-Kreisverbände in Mecklenburg-Vorpommern setzte sich auch im Jahr 2018 fort. Der Verlust der NPD-Landtagsfraktion im Jahr 2016 konnte durch die Partei nicht kompensiert werden. Auch von der Jugendorganisation "Junge Nationalisten" (JN) gingen im Berichtszeitraum nur wenige Impulse aus. Es bestehen noch einzelne "Hochburgen" der Partei beispielsweise in Anklam (Sitz der NPD-Kreistagsfraktion Vorpommern-Greifswald) und Lübtheen, wo der NPD-Kreisverband Westmecklenburg angesiedelt ist. Im Berichtszeitraum entfaltete die NPD trotz ihres derzeitigen Aktionstiefs und des selbstkritisch bemängelten fehlenden Nachwuchses zumindest Einzelaktivitäten. So veranstaltete sie erstmals offiziell den alljährlichen "Trauermarsch" zum 8. Mai 2018 in Demmin mit ca. 250 Teilnehmern (siehe Abschnitt 2.9). Vermutlich will die Partei mit Blick auf die Kommunalwahlen in Mecklenburg-Vorpommern im Mai 2019 wieder sichtbarer werden. So veröffentlichte der NPD-Landesverband Mecklenburg-Vorpommern im Internet einen Hinweis auf neue -- 48 -- Aufkleber, die über den Materialdienst des Landesverbandes bezogen werden können. Unter dem programmatischen Dreiklang "Wille - Gemeinschaft - Tat" wolle die NPD bundesweit künftig neue Impulse setzen. Die NPD wolle, wohl auch mit Blick auf die desaströsen Wahlergebnisse der letzten Monate und 48 Jahre, nicht nur als Wahlpartei, sondern auch außerparlamentarisch als "echte Alternative" wahrgenommen werden. Die Partei kündigte an, dass mit der NPD und JN auch künftig gerechnet werden müsse.49 Der NPD-Bundesverband begann im Dezember 2018 in den sozialen Netzwerken auch schon mit seinem Wahlkampf für die Europawahl 2019. Mit dem Titelbild "Dexit jetzt - Schluss mit der Bevormundung aus Brüssel" wurde bei Facebook eine Veranstaltung mit dem Titel "Europawahl 2019 - NPD wählen!" erstellt, die unter anderem vom "Uecker-Randow Boten" verbreitet wurde. Da sich, so die NPD, "die politische Landschaft in Europa mit den Wahlen am 26. Mai 2019 deutlich nach rechts verschieben" werde, wolle auch die NPD "ihr Ergebnis im Vergleich zu 2014 nochmals steigern".50 Zudem wurden Listen verlinkt, mit denen die erforderlichen mindestens 4.000 Unterstützungsunterschriften gesammelt werden können, beispielsweise von den NPD-Kreisverband Mecklenburg-Mitte, Mecklenburgische Seenplatte und Vorpommern-Rügen. Unter den Kandidaten der NPD für die Europawahl 2019 befand sich auf Listenplatz 6 die RNF-Bundesvorsitzende aus Lübtheen Antje Mentzel. Sie forderte die "Todesstrafe für Kinderschänder" und die Verhinderung "weiterer Inklusionsexperimente in Schulen".51 48 Facebook-Seite des NPD-Landesverbandes vom 08.10.2018, abgerufen am 09.10.2018. 49 Internetseite des NPD-Landesverbandes: "Wohin gehst du Deutschland? - Wohin steuert die NPD?" vom 16.04.2018, abgerufen am 16.04.2018. 50 Facebook-Veranstaltungsseite "Europawahl 2019 - NPD wählen!", abgerufen am 03.12.2018. 51 Facebook-Seite "RNF - Ring Nationaler Frauen" vom 18.11.2018, abgerufen am 03.12.2018. -- 49 -- 2.12.1.1 Aktivitäten der NPD Mecklenburg-Vorpommern im Jahr 2018 im Einzelnen * Regionalkonferenzen/Saalveranstaltungen der NPD am 13. und 14. April 2018 in Anklam und Grevesmühlen 52 Der NPD-Bundesvorsitzende Frank Franz führte bundesweit Regionalkonferenzen durch, um den Mitgliedern die künftige Ausrichtung der NPD zu erläutern. Diese wurden unter dem Motto "Wohin gehst du Deutschland? - Wohin steuert die NPD?" in Form von Saalveranstaltungen am 13. April 2018 in der NPD-Landesgeschäftsstelle in Anklam und am 14. April 2018 im "Thinghaus" in Grevesmühlen mit jeweils ca. 50 Teilnehmern durchgeführt. Es wurden die neuen Projekte der NPD "Deutsche helfen Deutschen" sowie die "Schutzzonen"-Kampagne vorgestellt (siehe Abschnitt 2.12.1.4)53 Das Projekt "Deutsche helfen Deutschen" folgt vergleichbaren Aktionen der nicht parteigebundenen Neonaziszene und der Partei "Der III. Weg". Offenbar will die NPD diesen Szenetrend, der letztlich auf die "Nationalsozialistische Volkswohlfahrt" zurückgeht, für sich propagandistisch nutzbar machen. Die Aktion "Schutzzonen" reflektiert auf das Konzept der "befreiten Zonen", in denen der "Deutsche" frei von Einflüssen anderer Kulturen und ohne Zuwanderer sein "völkisches" Leben führen kann. 52 Facebook-Seite des NPD-Kreisverbandes Vorpommern-Rügen vom 01.10.2018, abgerufen am 08.10.2018. 53 Facebook-Seite Frank Franz vom 15.04.2018, abgerufen am 16.04.2018. -- 50 -- * Demonstration zum 1. Mai 2018 Im Jahr 2018 führten die einzelnen NPD-Landesverbände nicht mehr, wie in den Vorjahren, Versammlungen in mehreren Bundesländern gleichzeitig durch, sondern zusammen mit der Partei "DIE RECHTE" nur noch eine zentrale 1. Mai-Demonstration der NPD/JN in Erfurt, an der sich ca. 700 Rechtsextremisten (Eigenangabe: 850 bis 1.000) beteiligten. Die Zahl überstieg wohl auch deshalb nicht die 1.000-Teilnehmer-Marke, weil ein Teil der für derartige Veranstaltungen mobilisierbaren Rechtsextremisten zu der Demonstration der Partei "Der III. Weg" nach Chemnitz fuhr, insgesamt etwa 600 Personen (Eigenangabe: 800). Der NPD-Landesverband Mecklenburg-Vorpommern mit dem ehemaligen NPD-Fraktionsvorsitzenden Udo Pastörs, der nur noch selten öffentlich in Erscheinung trat, war in Erfurt hinter dem Banner "Wir fordern Arbeit mit gerechten Löhnen vor Ort - Leben und arbeiten in der Heimat! als eigener Block erkennbar. Der NPD-Kreisverband Vorpommern-Greifswald lief davon abgesetzt schwarz gekleidet hinter dem Transparent "Für die Zukunft unserer Kinder! Für den Erhalt unserer Kultur! Darum reiht euch ein und lasst uns dafür auf die Straße gehen". Die entsprechenden Lichtbilder wurden in Bildergalerien im Internet veröffentlicht. Die Strategie, statt vieler dezentraler Demonstrationen bundesweit nur eine Großdemonstration durchzuführen, dürfte für die NPD zwar nicht gänzlich aufgegangen sein, da sich die Partei sicherlich eine höhere Mobilisierung erhofft hatte. Werden jedoch beide rechtsextremistischen Großdemonstrationen gemeinsam betrachtet, konnten insgesamt weit über 1.000 Rechtsextremisten für die Teilnahme an den Aufmärschen zum 1. Mai mobilisiert werden. Somit bleibt der "Arbeiterkampftag" für die rechtsextremistische Szene eines der wichtigsten Ereignisse bundesweit. -- 51 -- * Trauermarsch der NPD am 8. Mai 2018 in Demmin In Jahr 2018 wurde der Trauermarsch unter dem Motto "Wir feiern nicht - Wir vergessen nicht!" erstmals unter dem Parteilogo der NPD/JN beworben (siehe Abschnitt 2.9). Es handele sich nach eigenen Angaben um den "Ehrendienst der NPD für die Opfer der stalinistischen Verbrechen in Demmin".54 55 Die Veranstaltung mit ca. 200 Teilnehmern zeigte, dass der 8. Mai für die rechtsextremistische Szene weiterhin von hoher Bedeutung ist (vgl. z. B. auch Veröffentlichung "Aktionsblog"56). Mobilisiert wurde u. a. von den JN Pommern und "Aktionsblog". Die Aufschriften auf den Jacken von Teilnehmern wiesen auf die Teilnahme u. a. der "Aryan Warriors" sowie der "identitären Jugend" (vermutlich JN) hin. Die Versammlung und Gegenversammlungen verliefen im Wesentlichen störungsfrei. Dass annähernd die gleiche Teilnehmerzahl erreicht wurde wie in den Vorjahren, ist vor dem Hintergrund, dass die NPD Mecklenburg-Vorpommern sich weiterhin zum Ziel gesetzt hat, primär den Zusammenhalt der rechtsextremistischen Szene zu fördern, als Erfolg für die Partei zu werten. Dies belegte zudem einmal mehr, wie wichtig die Partei für die Mobilisierung der rechtsextremistischen Szene im Lande bleibt. 54 Facebook-Seite des NPD-Landesverbandes vom 25.04.2018, abgerufen am 26.08.2018. 55 Facebook-Seite "NPD-Landesverband MuP" vom 08.04.2018, abgerufen am 10.04.2018. 56 Facebook-Seite "Aktionsblog" vom 02.05.2018, abgerufen am 03.05.2018. -- 52 -- * 17. Kinderfest der NPD am 26. August 2018 in der Hansestadt Stralsund An dem nunmehr - neben Jamel - einzigen offiziellen Kinderfest der NPD im Lande nahmen im Laufe des Tages ca. 200 Personen (einschl. Kinder) teil. Durch mehrere Banner war das Kin57 derfest für jedermann als NPD-Veranstaltung erkennbar. Es war auch der aus dem Wahlkampf bekannte Transporter des NPD-Landesverbandes mit Lautsprecheranlage vor Ort. Als Sprecher fungierte der Stralsunder NPD-Kreisvorsitzende. 2.12.1.2 Waffenrechtliche Unzuverlässigkeit von NPD-Mitgliedern Nachdem sich das BVerfG in seinem Urteil vom 17. Januar 2017, 2 BvB 1/13, mit dem Verbotsantrag gegen die NPD befasst und festgestellt hatte, dass die NPD ihren Zielen und dem Verhalten ihrer Anhänger nach die Beseitigung der freiheitlich demokratischen Grundordnung anstrebt und dass auf Einschüchterung und Bedrohung sowie den Aufbau von Gewaltpotentialen mit den Mitteln des präventiven Polizeirechts und des repressiven Strafrechts rechtzeitig und umfassend reagiert werden muss, wurden die örtlichen Waffenbehörden der Landkreise und kreisfreien Städte - als die für die Einzelfallprüfung zuständigen Stellen - aufgefordert, unverzüglich in aktuelle waffenrechtliche Zuverlässigkeitsprüfungen zu NPD-Mitgliedern einzutreten. 57 Facebook-Seite "NPD-Kreisverband Vorpommern Rügen" vom 07.08.2018, abgerufen am 25.03.2019. -- 53 -- Von der Verfassungsschutzbehörde wurden zu einzelnen NPD-Funktionären gemäß SS 20 Absatz 3 VerfSchG in Verbindung mit Nummer 5.5 der WaffVwV Erkenntnisse über deren Einbindung in die NPD und weitere rechtsextremistische Strukturen an die zuständigen Waffenbehörden übersandt. In allen Fällen wurden waffenrechtliche Zuverlässigkeitsprüfungen eingeleitet und teilweise Widerrufsbescheide bzw. Untersagungen erlassen. Die gegen die Untersagung des Erwerbs und des Besitzes jeglicher (auch erlaubnisfreier) Art von Waffen und Munition im Sinne des Waffengesetzes für einen stellvertretenden NPD-Landesvorsitzenden beim Oberverwaltungsgericht Mecklenburg-Vorpommern eingelegte Beschwerde wurde unter Berücksichtigung der durch diesen Kader übernommenen verschiedenen Ämter und Mandate für die NPD und dessen aktives Vertreten von deren Anschauungen und Zielen zurückgewiesen. Das Handeln dieses Aktivisten erfülle den Regeltatbestand des SS 5 Absatz 2 Nummer 3 Buchstabe a WaffG, nämlich eine waffenrechtliche Annahme der Unzuverlässigkeit, soweit Personen einzeln oder als Mitglied einer Vereinigung Bestrebungen verfolgen oder unterstützen oder in den letzten fünf Jahren verfolgt oder unterstützt haben, die gegen die verfassungsmäßige Ordnung gerichtet sind. Der NPD-Landesverband bezeichnete in einem Internetbeitrag den Entzug des Kleinen Waffenscheins "wegen mangelnder politischer Zuverlässigkeit" als eine von "vielen Schikanen", "die sich der Überwachungsstaat für Bürger mit nationaler Gesinnung einfallen" ließe. In den entsprechenden Bescheiden der Waffenbehörden würde auch das Verbot ausgesprochen werden, "an sich erlaubnisfreie Waffen überhaupt besitzen zu dürfen". Sowohl in Hessen als auch in Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern seien Urteile für die Betroffenen ungünstig ausgefallen. Die NPD regte vor diesem Hintergrund an, eine Gaspistole zu kaufen und zu Hause aufzubewahren, ohne den Kleinen Waffenschein zu beantragen - diesen benötige man nur, um die Gaspistole auch außerhalb der eigenen Wohnung beziehungsweise des eigenen Grundstücks führen zu dürfen. Ohne dieses Dokument sei es immerhin gestattet, eine solche erlaubnisfreie Waffe zu Hause zu haben.58 58 Internetseite des NPD-Landesverbandes: "Achtung, nationale Bürger - bloß nicht den Kleinen Waffenschein beantragen!" vom 12.04.2018, abgerufen am 12.04.2018. -- 54 -- 2.12.1.3 Publikationen Die der NPD zuzurechnende Facebook-Seite "Der Uecker-Randow Bote" rief unter der Parole "Dein Land braucht Dich!" dazu auf, die "Landsleute in unserem Landkreis Vorpommern-Greifswald politisch aufzuklären" und die Sonderausgabe der "Deutschen Stimme" im jeweiligen Wohnort zu verteilen oder an Bekannte, Verwandte, Freunde und Arbeitskollegen weiter zu geben. Diese Sonderausgabe, die sich mit der "Schutzzonen"-Kampagne der NPD befasst, stehe zur Selbstabholung in der NPD-Landesgeschäftsstelle in Anklam bereit.59 Landeseigene Schriftpublikationen wurden von der NPD - abgesehen von der o. g. Fraktionszeitung "Blickpunkt VG - Mitteilungsblatt der NPD-Fraktion im Kreistag Vorpommern-Greifswald" sowie der "Kurz & Knapp" der NPD-Fraktion Kaiserbäder im Jahr 2018 nicht herausgegeben. 2.12.1.4 Ausbau der "Schutzzonen"-Kampagne durch die NPD Die Bundes-NPD richtete zu der bereits zum Jahresanfang 2018 angekündigten "Schutzzonen"-Kampagne eine eigene Internetund Facebook-Seite ein und schuf ein eigenes Symbol. Als Begründung wurde angeführt, dass "die massive Zunahme von Gewaltkriminalität und Einbrüchen 60 und der gleichzeitige Abbau von Polizeistellen zur weitgehenden Kapitulation des Rechtsstaats geführt" habe. Deshalb müssten Bürger sich durch "Schutzzonen" selbst schützen.61 Folgende Beispiele für Schutzzonen wurden genannt: Telefonkette, Bürgerwehr, Rückzugsraum, Schulwegwache, S-Bahn Streife. Mit der Kampagne versuchte die NPD in typischer Art und Weise, Flüchtlinge und Migranten pauschal abzuwer59 Facebook-Seite "Der Uecker-Randow Bote" vom 17.09.2018, abgerufen am 17.09.2018. 60 Facebook-Seite "Schutzzone" vom 20.06.2018, abgerufen am 22.06.2018. 61 Facebook-Seite "Schutzzone" vom 20.06.2018, abgerufen am 22.06.2018. -- 55 -- ten und als gravierende Gefahr für die öffentliche Sicherheit und existenzielle Bedrohung für das deutsche Volk zu diffamieren. Sie zielte dabei auf eine größtmögliche Außenwirkung mit zugleich möglichst geringem personellem Aufwand. Durch provokante Einzelaktionen sollte eine mediale 62 Präsenz hergestellt werden, die - angesichts begrenzter personeller Ressourcen der NPD - das defizitäre Mobilisierungspotenzial für kontinuierliche und größere öffentlichkeitswirksame Aktionen zu kompensieren versuchte. Sichtbar wurde die Kampagne im Zusammenhang mit dem Demonstrationsgeschehen im Zusammenhang mit dem Tötungsdelikt an einem Rentner in Wittenburg im November 2018. 2.12.1.5 Ideologie der NPD/Haltung zu aktuellen politischen Themen und Organisationen * Haltung des NPD-Landesverbandes zur AfD Äußerungen innerhalb des NPD-Landesverbandes aus dem Jahr 2018 zeigten, dass die Haltung der NPD zur AfD äußerst kritisch, aber zugleich auch ambivalent war. Positiv wurde gesehen, dass von den Medien im Zuge der Berichterstattung über die AfD Themen angesprochen würden, die aus Sicht der NPD von zentraler Bedeutung sind, wie etwa die Zuwanderung und daraus entstehende Problemlagen. Die NPD verstieg sich in diesem Zusammenhang sogar zu der Bewertung, dass ihre Ausgrenzung nicht gelingen könne, wenn die "nationale Ideologie" auf diese Weise "enttabuisiert" werde.63 Im Übrigen sei die Personaldecke der AfD sehr dünn, so dass die NPD dort 62 Facebook-Seite "Schutzzone" vom 12.09.2018, abgerufen am 01.11.2018. 63 Internetseite des NPD-Landesverbandes: "Beachtliche NPD-Erfolge in Thüringen!" vom 17.04.2018, abgerufen am 18.04.2018. -- 56 -- antreten könne, wo die AfD "Lücken" lasse, wie kürzlich bei der Kommunalwahl in Neumünster (Schleswig-Holstein) geschehen. So entstehe "im Rücken der AfD eine echte nationale Front".64 Diese taktischen Überlegungen der NPD bedeuteten jedoch nicht unbedingt eine Annäherung an die politische Konkurrenz. Vielmehr ist teilweise eine deutliche Ablehnung der AfD seitens der NPD erkennbar. So führte die Befürwortung eines Ausschlusses der NPD von der Parteienfinanzierung durch die AfD im Bundestag zu harschen Reaktionen von NPD-Funktionären. Nachdem ein Bundestagsabgeordneter der AfD bei der entsprechenden Debatte am 26. April 2018 die NPD als "zutiefst widerliche Partei" bezeichnet hatte, nannte der NPD-Landesvorsitzende Stefan Köster die AfD und ihre Abgeordneten u. a. "Alternativ-Leuchte" und "Möchtegern-Volksvertreter" sowie eine "höchst suspekte Partei, die mit Volksverrätern gemeinsame Sache" mache. Die AfD sei, so Köster anspielend auf den Migrationshintergrund einzelner AfD-Mitglieder, "auch nur eine multikulturelle Ansammlung", während für die NPD "der ethnische Volksbegriff und somit die Naturgesetze Gültigkeit besitzen".65 Auch die Haltung zum Existenzrecht Israels innerhalb der AfD wird von der NPD kritisiert und als "Opportunismus" bezeichnet.66 Zudem sorgte regional ein Vorfall für Unmut, als eine Wahlkampfveranstaltung mit einem AfD-Bundestagsabgeordneten in einem Anklamer Lokal, 67 64 Facebook-Seite des NPD-Landesverbandes: "NPD-Taktik geht auf - Jetzt Fraktionsstärke in Neumünster" vom 08.05.2018, abgerufen am 09.05.2018. 65 Facebook-Seite Stefan Köster vom 27.04.2018, abgerufen am 29.05.2018. 66 Facebook-Seite des NPD-Landesverbandes vom 26.04.2018, abgerufen am 29.05.2018. 67 Z. B. Facebook-Seite Adrian Wasner vom 07.05.2018, abgerufen am 29.05.2018. -- 57 -- nachdem der Betreiber in einem Pressebericht als Rechtsextremist bezeichnet worden war, von der AfD abgesagt wurde. Daraufhin wurde von NPD-Mitgliedern im Internet die Grafik "Keine! Alternative für Deutschland" verbreitet. Die vorgenannten Äußerungen belegten, dass die NPD sich zwar erhoffte, vom Erfolg der AfD mittelbar profitieren zu können, die AfD als Gesamtpartei aber grundsätzlich als politischen Gegner und Teil des Systems wahrnahm, die die Themen der NPD nur benutzen würde, ohne eine echte "Systemalternative" zu sein. Offenbar hatte sich die NPD erhofft, dass die AfD öfter für die NPD Partei ergreifen würde, wie es beispielsweise anfänglich bei der Ablehnung des so genannten Schweriner Weges durch AfD-Mandatsträger in verschiedenen kommunalen Vertretungen der Fall war. * Solidaritätsbekundungen aus Anlass der Verhaftung von Ursula Haverbeck-Wetzel Gegen Ursula Haverbeck-Wetzel wurde am 7. Mai 2018 ein Haftbefehl zur Durchsetzung des Haftantrittes vollstreckt. Haverbeck-Wetzel ist wiederholt wegen Volksverhetzung strafrechtlich verurteilt worden und verbüßt aktuell ihre Haftstrafe in der JVA Bielefeld-Brackwede. Als beharrliche Leugnerin des Holocaust genießt sie im rechtsextremistischen Spektrum einen besonderen Stellenwert. Die Inhaftierung führte bundesweit zu zahlreichen Solidaritätsbekundungen der rechtsextremistischen Szene in den sozialen Netzwerken. Der hiesige NPD-Landesvorsitzende Stefan Köster teilte einen Beitrag der Publikation "Ein Fähnlein", der mit einem abgelichteten Transparent "Freiheit für Ursula Haverbeck" forderte.68 Die Facebook-Seite des "Ring Nationaler Frauen" (RNF) verwies auf einen eigens eingerichteten Facebook-Auftritt "Freiheit für Ursula Haverbeck". Dort wurde u. a. dazu aufgefordert, Solidaritätsbekundungen an die JVA-Bielefeld-Senne, einer Anstalt des offenen Vollzugs, zu richten, in der sich Haverbeck befinde. Zudem 68 Facebook-Seite Stefan Köster vom 07.05.2018, abgerufen am 08.05.2018. -- 58 -- wurde zur Organisation "deutschlandweiter Solidaritätsaktionen" aufgerufen. Es sei ein "Armutszeugnis für ein System, das eine alte Dame zur Staatsfeindin Nr. 1 erklärt" werde (sic).69 Der NPD-Landesverband äußerte zudem, dass "wer 89-jährige Frauen wegen unbequemen Meinungsäußerungen einkerkert, sich aus der zivilisierten Menschheit verabschiedet" habe.70 * Reaktionen auf die Vorfälle in Chemnitz Der NPD-Landesverband Mecklenburg-Vorpommern vertrat die Auffassung, dass nach Chemnitz auch "der letzte Gutmensch" verstanden haben müsse, warum überall im Land "Schutzzonen für unsere Landsleute" eingerichtet würden. Außerdem behauptete die NPD im Zusammenhang mit den Demonstrationen in Chemnitz und den dort auftretenden Pressevertretern, dass sich diese an "nationale Demonstranten heranmachen" würden, diese fotografieren und filmen und "ihren Gesprächspartnern vielleicht den Namen und die Adresse entlocken" würden. Die Daten würden später bei "Antifa-Schlägern oder bei der Justiz" landen. Da sich - so die NPD - "nicht wenige Journalisten allzu gerne als Denunzianten betätigen" würden, sei es angebracht, diese "allesamt vorsichtshalber als Verfassungsschutzund Antifa-Helfer zu behandeln". Der Hass, der den "Presshetzern" (sic) in Chemnitz entgegenschlage, sei "völlig verdient".71 Die entsprechenden Berichterstattungen der NPD Mecklenburg-Vorpommern wurden unter den Hashtags "#CHEMNITZ #MULTIKULTITÖTET #DEFENDEUROPE" verbreitet. Der NPD-Landesvorsitzende Stefan Köster veröffentlichte in seinem Facebook-Profil weitere Aussagen, Bilder und Videos, die seine Sichtweise auf die Dinge belegen: Die Aussage, dass 69 Facebook-Seite "Freiheit für Ursula Haverbeck" vom 07.05.2018, abgerufen am 08.05.2018. 70 Internetseite des NPD-Landesverbandes: "Vor Krawall-Asylanten weglaufen, aber die 89-jährige Ursula Haverbeck verhaften - so mutig ist die BRD-Polizei" vom 07.05.2018, abgerufen am 09.05.2018. 71 Internetseite des NPD-Landesverbandes: "Pressehetzer wagen sich nur noch mit Leibwächtern zu Chemnitzer Demos" vom 03.09.2018, abgerufen am 04.09.2018. -- 59 -- es die "Hetzjagd auf Muslime, offenbar in Chemnitz" tatsächlich gegeben habe, wurde mit einem Video "belegt", das eine arabisch aussehende Person in traditioneller Kleidung in Flucht vor ei72 nem Laufvogel zeigt, was offenbar lächerlich wirken soll. Zudem stellte Köster fest, dass "zunehmend die Gesundheit und das Leben deutscher Bürger durch importierte Messermänner gefährdet" sei. Die etablierten Parteien und Medien würden durch das "Gespenst der 'Fremdenfeindlichkeit' von den eigenen Taten, die sich gegen uns Europäer und insbesondere gegen das deutsche Volk richten" würden, ablenken. Hierin sah Köster ein "sehr kriminelles Verhalten, welches hoffentlich in Zukunft mit rechtsstaatlichen Mitteln beantwortet wird".73 Veröffentlichte Bilder zeigten zusätzlich eine Gutheißung von Ausschreitungen und revolutionärer Widerstandshandlungen. Die NPD-Stadtvertreterin Doris Zutt präsentierte sich bereits am 9. September 2018 mit einem themenbezogenen Plakat.74 Die der NPD zuzurechnende Facebook-Seite "Der Uecker-Randow Bote" stellte die Frage, warum alle zum Kampf gegen "rechts" aufrufen, aber nicht "zum Kampf gegen Mörder, Vergewaltiger und Messerstecher".75 Nachdem die Gruppe "Revolution Chemnitz" unter Terrorverdacht geraten war, wünschte der NPD-Landesverband Mecklenburg-Vorpommern den wegen Terrorverdachts verhafteten 72 Facebook-Seite Stefan Köster vom 11.09.2018, abgerufen am 14.09.2018. 73 Facebook-Seite Stefan Köster vom 13.09.2018, abgerufen am 14.09.2018. 74 Facebook-Seite "Freie Kräfte Mecklenburgische Seenplatte" vom 10.09.2018, abgerufen am 18.09.2018. 75 Facebook-Seite "Der Uecker-Randow Bote" vom 17.09.2018, abgerufen am 17.09.2018. -- 60 -- Angehörigen der Gruppe "Revolution Chemnitz" "Durchhaltevermögen und Zusammenhalt" gegen die "'Verhörspezialisten' des Systems". Mit einer "Hysterie um angebliche Rechtsterroristen", die beabsichtigt hätten, "Ausländer und Andersdenken76 de anzugreifen, womöglich sogar Unschuldslämmer vom AntifaSchwarzen Block" (sic) und sich hierfür darum bemüht hätten, an halbautomatische Schusswaffen zu gelangen, solle von "kriminellen Araberclans" abgelenkt werden. "Jahrzehntelang" habe der Staat "tatenlos" zugesehen, "wie sich diese Bedrohung (bezüglich arabischer Verbrecherclans) aufbaute".77 Hier wurde erneut die Haltung der NPD deutlich, dass im Rahmen des "nationalen Widerstandes" das staatliche Gewaltmonopol des Staates untergraben werden könne. Im Rahmen dieser Widerstandshandlungen werden Strafund Gewalttaten gegenüber Zuwanderern, demokratischen Politikern, dem politischen Gegner und letztlich jedem "Andersdenkenden" offensichtlich gebilligt. 76 Facebook-Seite "Freie Kräfte Mecklenburgische Seenplatte" vom 10.09.2018, abgerufen am 18.09.2018. 77 Internetseite des NPD-Landesverbandes: "Hysterie um angebliche Rechtsterroristen: Wunderbar zur Ablenkung von kriminellen Araberclans" vom 02.10.2018, abgerufen am 02.10.2018. -- 61 -- 2.12.1.6 Verfahren zum Ausschluss verfassungsfeindlicher Parteien von der Parteienfinanzierung Der Bundesrat fasste am 2. Februar 2018 den Beschluss, beim BVerfG gemäß Artikel 21 Absatz 3 GG in Verbindung mit SS 13 Nummer 2 a, SSSS 43 ff. Bundesverfassungsgerichtsgesetz (BVerfGG) eine Entscheidung über den Ausschluss der NPD für sechs Jahre von der staatlichen Parteifinanzierung nach SS 18 PartG zu beantragen (Drucksache 30/18). Ob die von den Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern gemäß Beschluss der Innenministerkonferenz (IMK) vom 12. bis 14. Juni 2017 zusammengetragenen Beweismittel ausreichen, das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen nach Artikel 21 Absatz 3 GG zu belegen, ist offen. Anders als beim NPD-Verbotsverfahren schlossen sich sowohl die Bundesregierung als auch der Bundestag dem Antrag an. 2.12.1.7 "Junge Nationalisten" (JN) Am 13. Januar 2018 fand der ursprünglich für 2017 vorgesehene Bundeskongress der NPD-Jugendorganisation "Junge Nationaldemokraten" (JN) statt, bei dem die Delegierten einen neuen Bundesvorstand wählten sowie die Umbenennung in "Junge Nationalisten" beschlossen. Dieser Schritt sollte nach personellen und strukturellen Problemen der letzten Jahre offensichtlich einen Neustart markieren. Neuer JN-Vorsitzender wurde ein langjähriger Aktivist der Neonazi-Szene, Gründungsmitglied und Führungsfigur der ehemaligen rechtsextremistischen kriminellen Vereinigung "Aktionsbüro Mittelrhein", gegen dessen Mitglieder beim Landgericht Koblenz ein Verfahren anhängig ist. Dieser hatte zeitweise seinen melderechtlichen Hauptwohnsitz in Mecklenburg-Vorpommern. Am 11. und 12. Mai 2018 führten die JN im sächsischen Riesa unter dem Motto "[RE]generation.Europa" einen sogenannten Europakongress durch, den sie nach einer strukturellen und personellen Schwächephase mit bis zu 350 Besuchern und 14 vertretenen ausländischen Organisationen durchaus als Erfolg verbuchen konnten. -- 62 -- Darüber hinaus wurde über die Internetseite SCHUELERSPRECHER.INFO der JN, die vermutlich mit Blick auf die Landtagswahl in Hessen aktualisiert wurde, ein Angebot kostenfreier Musik "für die Rückeroberung unserer Heimat" unter dem Motto "[RE] GENERATION:EUROPA" zur Verfügung gestellt. Dies richtete sich offenbar vornehmlich an junge Erwachsene im wahlfähigen Alter. Der unmittelbar abrufbare Rechtsrock "Muttersprache&Vaterland" stammte von einer Band "Handstreich". "Einer Jugend, die immer mehr vernachlässigt, stets weiter verblödet oder zu Opfern erzogen" werde, stünden "zehntausende gewaltbereite Islamisten und ein sich immer weitere Macht sichernder Herrschaftsapparat gegenüber". Dies könne verhindert werden, indem die NPD gewählt werde. Hierzu hieß es "Wir wählen deutsch! Was sonst?"78 Die Idee, Erstwähler über Musikangebote zu einer Stimmenabgabe für die NPD zu bewegen, ist bereits von früheren "Schulhof-CDs" bekannt. Berücksichtigt wurde hier der Umstand, dass Jugendliche ihre Musik mittlerweile vornehmlich aus dem Internet beziehen. Bei der Wortwahl wurde eher auf moderne Begrifflichkeiten gesetzt, die an ähnliche Formulierungen der "Identitären Bewegung" erinnern ("Rückeroberung" statt "Reconquista"). * Aktivitäten in Mecklenburg-Vorpommern Die "JN Pommern" führten aus Anlass des alliierten Bombenangriffs auf Swinemünde am 12. März 1945 eine "Gedenkveranstaltung" mit Kranzniederlegung durch.79 Es ist davon auszugehen, dass diese auf dem Golm bei Kamminke (Insel Usedom) veranstaltet wurde. Darüber hinaus beteiligten sich die JN Pommern an einem "Frühjahrsputz" an der NPD-Landesgeschäftsstelle in Anklam und führten dort am 7. Juli 2018 einen "Gemeinschaftstag" durch. "Mitglieder, Interessenten und Sympathisanten" [sic!] sollten sich besser kennenlernen, um die Zusammenarbeit zu intensivieren. Man wollte auch einfach mal vom "täglichen BRD-Irrsinn" abschalten. In Anklam habe man zudem "staatlich geförderte demokratische Objekte", 78 Internetseite "Schülersprecher", abgerufen am 23.10.2018. 79 Internetseite der JN: "Das Massaker von Swinemünde - unvergessen" vom 13.03.2018, abgerufen am 19.03.2018. -- 63 -- wie den "Demokratiebahnhof" und "Schlomi-Treff", "besucht".80 Außerdem erfolgten mehrere Flugblattverteilungen auf der Insel Usedom. * Beteiligung der JN an bundesweiten Aktivitäten Die "JN Mecklenburg und Pommern" beteiligte sich an dem bundesweiten Aktionsund Wandertag anlässlich des "Tages der deutschen Einheit" am 3. Oktober 2018 unter dem Motto "Stärke durch Einheit!" und führten eine Wanderung ins polnische Swinemünde, zum Fort Zachodni und Fort Engelsburg durch. Beide Anlagen seien nach Aussage der JN "für kulturhistorische Ausflüge sehr zu empfehlen".81 2.12.1.8 NPD-Frauenorganisation "Ring Nationaler Frauen" (RNF) Die NPD-Frauenorganisation "Ring Nationaler Frauen" (RNF) wurde im September 2006 gegründet und soll als Sprachrohr und Ansprechpar tner für alle "nationalen" Frauen, unabhän82 gig von einer Parteimitgliedschaft in der NPD, dienen. Im Jahr 2018 trat der RNF bei den "Tagen der nationalen Bewegung" am 9. Juni 2018 in Themar/ Thüringen mit einem Infostand öffentlich in Erscheinung. Am 28. Juli 2018 führte die Bundesvorsitzende des RNF Antje Mentzel in Umsetzung der bundesweiten NPD-Initiative "Deut80 Internetseite aktion-widerstand.de, abgerufen am 13.07.2018. 81 Internetseite der JN: "Stärke durch Einheit!" vom 07.10.2018, abgerufen am 19.10.2018. 82 Facebook-Seite "RNF - Ring Nationaler Frauen" vom 09.06.2018, abgerufen am 25.03.2019. -- 64 -- sche helfen Deutschen" auf dem Pferdemarkt in Güstrow eine Spendenaktion durch. Dabei wurden Sachspenden wie Spielzeuge, Kleidung sowie Leseund Malbücher an Kinder und Eltern verteilt. Zudem wurde mittels einer Broschüre über die weitere NPD-Kampagne "Schafft Schutzzonen" (siehe Abschnitt 2.12.1.4) informiert. Mentzel stand zudem als einzige Frau auf der Rednerliste des sogenannten Eichsfeldtages des NPD-Kreisverbandes Eichsfeld am 1. September 2018 in Leinefelde/Thüringen. Sie trat auch darüber hinaus außerhalb des hiesigen Bundeslandes als Rednerin in Erscheinung, beispielsweise am 30. September 2018 bei einer Veranstaltung des NPD-Landesverbandes Hessen. Außerdem wurde sie auf dem Bundesparteitag der NPD vom 17. bis 18. November 2018 in Büdingen (Hessen) auf Listenplatz 6 der Liste für die Europawahl 2019 gewählt. Zu dem Parteitag waren mehrere teilweise als Rechtsextremisten bekannte Gastredner aus dem europäischen Ausland angekündigt worden. Der Fortbestand des RNF in Mecklenburg-Vorpommern ist insofern vor allem auf das persönliche Engagement von Mentzel, die daneben auch weiterhin für MVGIDA die Verantwortung trägt, zurückzuführen. Ansonsten waren Aktivitäten des RNF im hiesigen Bundesland nicht wahrnehmbar. 2.12.2 Sonstige rechtsextremistische Parteien 2.12.2.1 "DIE RECHTE" "DIE RECHTE" gliedert sich in sieben Landesverbände (Baden-Württemberg, Bayern, Bremen, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt) sowie den Gebietsverband Südwest (umfasst die Bundesländer Rheinland-Pfalz und Saarland) mit insgesamt ca. 20 Kreisverbänden bzw. sogenannten "Stützpunkten". Der Bundesparteitag im April 2018 beschloss auf Antrag des Bundesvorstands, zur Europawahl im Jahr 2019 mit einer eige-- 65 -- nen Liste anzutreten. Diese setzt sich überwiegend aus Neonazis zusammen, die wegen einschlägiger Delikte in der Vergangenheit bereits Haftstrafen verbüßten. Spitzenkandidatin ist die Holocaust-Leugnerin Ursula Haverbeck-Wetzel, die als "Deutschlands bekannteste Dissidentin" in ihrer Kandidatenrede ankündigte, für die Abschaffung des "Volksverhetzungs-Paragraphen" (SS 130 StGB) eintreten zu wollen. Auf Platz zwei tritt der Neonazi Sven Skoda an, seinerzeit Hauptangeklagter im Prozess gegen Funktionäre und Mitglieder des "Aktionsbüros Mittelrhein" vor dem Landgericht Koblenz. Auf dem dritten Listenplatz folgt der frühere Parteivorsitzende Worch. Worch sprach sich im Zusammenhang mit seiner Kandidatur für eine "fundamentale Opposition" gegen die Europäische Union aus, in der die Entfremdung zwischen dem eigentlichem Souverän, dem Volk, einerseits und Regierung und Parlament andererseits noch größer als in den einzelnen Nationalstaaten sei. Mit dem "bürokratischen Moloch EU" hätten die politischen Führungen einen "supra-nationalen Quasi-Staat mit einer bunt gemischten Bevölkerung" geschaffen, "den sie wie aus dem luftleeren Raum heraus mit Bürokratie und einem Kommissarunwesen geradezu bolschewistischen Ausmaßes beherrschen". Es sei kein Widerspruch, mit dieser Auffassung für das Europäische Parlament und das nominell höchste beschlussfassende Gremium der EU zu kandidieren, da der "Kampf auch in das Herz des Feindes" getragen werden müsse, "in die Institutionen des Molochs EU hinein".83 Die Wahl der Kandidaten zur Europawahl 2019 dürfte in erster Linie eine rein provokatorische Intention verfolgen um eine möglichst große Öffentlichkeitswirksamkeit zu erzeugen. 83 Internetseite "DIE RECHTE": "Christian Worch: Warum ich für DIE RECHTE zur Europawahl kandidiere" vom 24.04.2018, abgerufen am 26.04.2018. -- 66 -- 2.12.2.2 "Der III. Weg" Die neonazistische Kleinstpartei "Der III. Weg" versteht sich als "ganzheitliche Organisation" mit den drei Betätigungsfeldern "Politischer Kampf", "Kultureller Kampf" und "Gemeinschaft". Zum "politischen Kampf" gehören u. a. der Aufbau von Strukturen, Demonstrationen, Kundgebungen, Verteilaktionen 84 sowie der "Antritt als wahlpolitische Initiative". Der "kulturelle Kampf" bezieht sich auf die Brauchtumspflege. Der "Kampf um die Gemeinschaft" beinhaltet die Aspekte "gelebte Gemeinschaft", "Nachbarschaftshilfe", "gemeinsame Freizeitgestaltung" und "sportliche Zusammenkünfte" bei denen u. a. auch Kampfsport ausgeübt wird. "Der III. Weg" konnte in Mecklenburg-Vorpommern bislang, ohne über örtliche Strukturen zu verfügen, lediglich Einzelaktionen in Form verschiedener Flugblattverteilungen in Mecklenburg-Vorpommern durchführen. So verteilten Anhänger - wie schon im letzten Jahr - im Juli 2018 in Zinnowitz anlässlich von Vorstellungen des Zirkus "Berolina" 3.000 Flugblätter zum Thema "Kein Applaus für Tierquälerei". Es sollte über die "unsägliche Wildtierhaltung" aufgeklärt und "unnötige Attraktion in der Manege" öffentlich angegriffen werden. Die Partei "Der III. Weg" setze sich für ein Verbot von Wildtieren im Zirkus ein.85 Flugblattverteilungen und Demonstrationen "gegen Tierquälerei" führt die Partei im gesamten Bundesgebiet durch. Vermutlich will die Partei mit diesem Thema, das andere rechtsextremistische Parteien bislang nicht aufgegriffen haben, eigene Akzente setzen. 84 Internetseite "Der III. Weg", abgerufen am 25.03.2019. 85 Internetseite "Der III. Weg": "'Kein Applaus für Tierquälerei' auf Usedom" vom 17.07.2018, abgerufen am 23.07.2018. -- 67 -- Eine weitere Flugblattverteilung erfolgte am 6. August zum Thema Umweltschutz in Koserow (Landkreis Vorpommern-Greifswald). Die Umweltverschmutzung stelle das "größte Armutszeugnis" der "BRD Konsumund Wegwerfgesellschaft" dar. Die Partei "Der III. Weg" vertritt die Auffassung, dass Umweltschutz "Heimatschutz" und "Heimatschutz" Nationalismus sei.86 "Der III. Weg" verteilte darüber hinaus Flugblätter u. a. auch in Wolgast.87 Weitere Verteilungen erfolgten Ende Oktober/Anfang November in Usedom und in der Gemeinde Kronskamp im Landkreis Rostock mit Forderungen nach einer europäischen Eidgenossenschaft bzw. gegen die "Überfremdung unserer Heimat".88 Im Hinblick auf die EU-Wahl im Mai 2019 sei dies schon ein "Vorwahlkampf in Vorpommern", weitere Aktionen würden folgen.89 Zudem hätte auf Usedom die "Deutsche Winterhilfe" gestartet und bei "Aktivisten vor Ort" wären die ersten Kleiderund Sachspenden für die "bundesweite Unterstützung bedürftiger und mittelloser deutscher Landsleute" eingetroffen.90 Es zeichnet sich damit zunehmend ein Aktivitätsschwerpunkt des "III. Wegs" im Landkreis Vorpommern-Greifswald ab, wobei sich die Aktivitäten weiterhin auf einem niedrigen Niveau bewegen. 86 Internetseite "Der III. Weg": "Heimat und Umweltschutz in Koserow" vom 06.08.2018, abgerufen am 09.08.2018. 87 Internetseite "Der III. Weg": "Umweltschutz ist Heimatschutz in Wolgast" vom 13.09.2018, abgerufen am 17.09.2018. 88 Internetseite "Der III. Weg": "Aktiv im Landkreis Rostock" vom 31.10.2018, abgerufen am 07.11.2018. 89 Internetseite "Der III. Weg": "Verteilung in der Kleinstadt Usedom" vom 05.11.2018, abgerufen am 07.11.2018. 90 Internetseite "Der III. Weg" vom 31.10.2018, abgerufen am 07.11.2018. -- 68 -- 3 Verdachtsfallbearbeitung im Rechtsextremismus - "Identitäre Bewegung Deutschland" (IBD) und "Identitäre Bewegung Mecklenburg-Vorpommern" (IB MV) 3.1 Beobachtung durch die Verfassungsschutzbehörde Die Einstufung der "Identitären Bewegung Deutschland e. V." (IBD) als bundesweiter rechtsextremistischer Verdachtsfall besteht fort. Vor diesem Hintergrund wurden die IBD und IB MV im Berichtszeitraum ebenfalls als rechtsextremistische Verdachtsfälle bearbeitet. Der Rechtsstreit zwischen dem 91 Bund und der IBD hinsichtlich der Nennung im Verfassungsschutzbericht des Bundes und der Frage der Beobachtung durch den Verfassungsschutz ist noch nicht abgeschlossen. 3.2 Strukturen Auf der Internetseite der IBD wurde im Berichtszeitraum Daniel Fiß als Verantwortlicher der "IBD e.V." genannt, die offizielle Bezeichnung laut Vereinsregister lautet "zweiter Bundesvorsitzender". Als Sitz des Vereins und des Vertriebes "IB-Laden" war der Wohnsitz von Fiß in der Hansestadt Rostock angegeben. Fiß zeichnet auch für den Internetauftritt der IB MV verantwortlich. Regionalleiter der IB war jedoch zeitweilig ein anderer IB-Aktivist. Die Anzahl der Mitglieder der IBD wird bundesweit auf ca. 500 Personen geschätzt. In Mecklenburg-Vorpommern liegt die Zahl der Aktivisten bei etwa 20. Die IBD verfügt über enge Beziehungen zur "Identitären Bewegung Österreich" (IBÖ). 91 VK-Seite "Identitäre Bewegung Deutschland" vom 02.06.2018, abgerufen am 25.03.2019 -- 69 -- 3.3 Aktivitäten in Mecklenburg-Vorpommern Die IBD und die IB MV führten im Berichtszeitraum wiederum eine Reihe von Propagandaaktivitäten durch. Sie richteten sich der ideologischen Ausrichtung folgend unter dem Motto "Remigration - der große Austausch" hautsächlich gegen die Zuwanderung nichteuropäischer Menschen.92 Themen waren aber auch die Auseinandersetzung mit dem politischen Gegner und die Diskussion um Ernst Moritz Arndt als Namensgeber der Universität Greifswalds. In wenigen Einzelfällen wurden Ermittlungsverfahren wegen versammlungstypischer Straftaten eingeleitet. 3.4 Beteiligung von Angehörigen der IBD bzw. IB MV an Aktionen im europäischen Ausland "Identitäre" u. a. aus Frankreich, Deutschland, und Österreich starteten am 21. April 2018 die "Defend Europe Mission Alpen" in Frankreich. 100 Aktivisten errichteten am Col de l'Echelle eine symbolische Blockade gegen die weitere illegale Zuwanderung aus Italien nach Frankreich. Eine vergleichbare Aktion erfolgte an einem "Aktivistenwochenende" bzw. "Grenzcamp" unter dem Motto "Grenzschützer - Pro Border - Pro Nation" der IBD, das vom 28. bis 30. September 2018 in Schneizlreuth/Oberbayern stattfand, an dem Aktivisten aus Baden-Württemberg, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt teilnahmen, darunter der Bundesleiter Daniel Fiß. 3.5 Nutzung alternativer Nachrichtenkanäle Ende Mai 2018 wurden die Facebook-Profile der IBD schrittweise durch Facebook abgeschaltet. Die Hintergründe sind hier nicht bekannt. In der Folge wies die IBD über ihren Twitter-Account auf 92 Vgl. Verfassungsschutzberichte 2016, S. 79ff. und 2017, S. 70ff.. -- 70 -- ihre alternativen Kanäle hin und bat Unterstützer, diese zu verbreiten. Im Berichtszeitraum bestanden - neben dem klassischen Internetauftritt - Profile im russischen Netzwerk "V-Kontakte" (vk. com) sowie auf der Video-Plattform YouTube. Darüber hinaus wurde der Messenger-Dienst Telegram genutzt. Als weiteren Ausgleich richtete die IB eine eigene Nachrichtenapplikation mit dem Namen "Okzident News" ein, die "inmitten des Infokrieges" u. a. dem "Aufbau eigener Nachrichtenseiten" dienen soll.93 Die dort als "das Team" angegebenen Verantwortlichen haben beide ihren Wohnsitz in Rostock. Die für diese Informationsplattform verantwortliche Firma wurde bereits im Dezember 2017 unter dem Namen "Okzident Media UG" in das Handelsregister eingetragen. Dieser Firma gelang es, als Sponsor für eine kostenlos zur Verteilung an Schulen herausgegebene "Fahrradfibel" aufzutreten und prominent auf der Rückseite dieses Heftes Werbung, einschließlich IBD-Logo und Kontaktdaten, zu platzieren. 12.000 Exemplare waren mit dieser Werbung bereits in Mecklenburg-Vorpommern an Schulen verteilt worden. Die Verfassungsschutzbehörde des Landes hat das Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur Mecklenburg-Vorpommern entsprechend unterrichtet. Die weitere Verteilung wurde dadurch verhindert und die bereits verteilten Schulbücher wurden wieder eingezogen. 3.6 Finanzierung und Nutzung von Immobilien Zum Jahresende 2018 wurde ein neues Unternehmen "Schanze Eins UG & Co. KG" bekannt, das zu diesem Zeitpunkt noch nicht in das Handelsregister eingetragen war, aber bereits über einen Internetauftritt verfügte: "SCHANZE EINS - IDENTITÄRE STRUKTURPROJEKTE". Die Gründer sind bekannten IBD-Aktivisten aus Papendorf und Rostock. Durch eine anonyme Investition bei "SCHANZE EINS" sollen Hausprojekte (Ferienhäuser, Flächen für Veranstaltungen, Gastronomiebertiebe als Treffpunkte und 93 Internetseite "okzident.news". -- 71 -- "Identitäre Zentren") finanziert und Kontrolle sowie Mitspracherecht durch Hausvereine erreicht werden. Aus der inoffiziellen IBD-Zentrale (Büroetage in einem Gewerbeobjekt) in Rostock, welche ein IB-Aktivist angemietet hatte, erfolgte Ende Oktober 2018 ein Auszug, da der Vermieter den Mietvertrag offenbar gekündigt hatte. Die Aktivitäten wurden zwischenzeitlich in ein neues Objekt im Raum Rostock verlegt. -- 72 -- 4 "Reichsbürger und Selbstverwalter" 4.1 Lageüberblick Die Szene der "Reichsbürger und Selbstverwalter" hat sich im Berichtszeitraum erneut weiterentwickelt.95 2018 stieg das Personenpotenzial auf etwa 450. Zudem konnten weitere Strukturierungsbemühungen beobachtet werden. Allerdings waren außer einer Leugnung der Existenz der Bundesrepublik Deutschland als Gemeinsamkeit weiterhin sehr unterschiedliche 94 ideologische Ansätze erkennbar. Sie reichten von "antifaschistischen" Zielsetzungen bis hin zu Phantasien hinsichtlich der Errichtung eines Königreiches in Deutschland. Der Anteil der Rechtsextremisten lag bei ca. 30 Personen. Insoweit bleibt die Einschätzung aufrechterhalten, dass es sich bei diesem Phänomen um eine eigene Form des Extremismus handelt, die aufgrund der weit verbreiteten Irrationalität hinsichtlich ihres Gefahrenpotenzials auch künftig keinesfalls unterschätzt werden darf. Vor diesem Hintergrund wurden die Bemühungen, den legalen Besitz von Waffen bei "Reichsbürgern und Selbstverwaltern" einzudämmen, fortgesetzt. Hierbei hat sich die intensive Zusammenarbeit mit den Waffenbehörden der Landkreise und kreisfreien Städte bewährt. Gemäß des Erlasses des Ministeriums für Inneres und Europa Mecklenburg-Vorpommern vom 18. Juli 2017 zur waffenrechtlichen Unzuverlässigkeit von "Reichsbürgern und Selbstverwaltern" wurden durch den Verfassungsschutz des Landes auch 2018 alle bekannt gewordenen Fälle legalen Waffenbesitzes an die zuständigen Waffen94 Foto: Sascha Steinbach/dpa/pictur alliance. 95 Vgl. Verfassungsschutzbericht Mecklenburg-Vorpommern 2017, S. 74 ff. -- 73 -- behörden gemeldet, die im Rahmen ihrer Zuständigkeit die nötigen Maßnahmen zu ergreifen haben.96 Allerdings darf hier nicht übersehen werden, dass ein Entzug waffenrechtlicher Erlaubnisse auch in diesen Fällen rechtsstaatlichen Regeln zu folgen hat. Die Betroffenen können Rechtsmittel einlegen und vor den Verwaltungsgerichten klagen, so dass sich die Verfahren in vielen Fällen hinziehen. Unabhängig davon findet auch während der laufenden Bearbeitung stets ein enger Austausch zwischen den Waffenbehörden und dem Verfassungsschutz des Landes statt. Darüber hinaus haben auch die Schulungsmaßnahmen des Verfassungsschutzes zu mehr Handlungssicherheit im Umgang mit "Reichsbürgern und Selbstverwaltern" geführt. 4.2 Strukturen und Aktivitäten der "Reichsbürger und Selbstverwalter" in Mecklenburg-Vorpommern Auch im aktuellen Berichtszeitraum war die Szene nicht einheitlich organisiert. Sie war geprägt durch verschiedene Gruppierungen mit unterschiedlichen ideologischen Vorstellungen. Deren Anhänger waren weiterhin mehrheitlich männlich. Allerdings ist vor diesem Hintergrund auffällig, dass insbesondere größere Personenzusammenschlüsse, die zudem eine gewisse Gewaltorientierung aufweisen, durch Frauen gegründet und dominiert werden. Offenbar spielen sie bei der Herausbildung und Umsetzung reichsbürgertypischer Ideologien eine nicht zu unterschätzende Rolle. 96 Ebd. -- 74 -- Im Jahr 2018 konnten Aktivitäten folgender Gruppierungen festgestellt werden: * "Freistaat Preußen" (Provinzverwaltung Pommern) mit Sitz in Demmin (Landkreis Mecklenburgische Seenplatte) * "Staatenlos.Info - Comedian e.V." mit Landessitz in Püttelkow (Landkreis Ludwigslust-Parchim) * "Geeinte deutsche Völker und Stämme" (GdVuSt) mit Hauptsitz in Berlin und Aktivisten in Mecklenburg-Vorpommern * "Penzliner Runde" mit regelmäßigem Treffort in der Gaststätte "Buddelscheune" in Penzlin (Landkreis Mecklenburgische Seenplatte) * "Preußisches Institut - Bismarcks Erben" mit Aktivitäten vorrangig in Mecklenburg-Vorpommern, aber auch in Sachsen-Anhalt. 97 Im Vorjahr beschränkte sich der Kontakt von "Reichsbürgern und Selbstverwaltern" zu Behörden meist auf einen umfangreichen Schriftverkehr. Im Berichtszeitraum trat dieser Personenkreis jedoch verstärkt öffentlich in Erscheinung. Die durchgeführten Aktionen erreichten dabei z. T. eine neue Qualität in Agitation und Bedrohung. So nahmen "Reichsbürger und Selbstverwalter" an Gerichtsverhandlungen teil, die sich gegen Anhänger der Szene richteten, um diese jeweils zu "unterstützen". Polizeidienststellen und andere Behörden mussten sich vermehrt mit "Reichsbürgern und Selbstverwaltern" auseinandersetzen. Sie traten organisiert und z. T. in erheblicher Anzahl in Erscheinung. Dabei argumentierten sie sehr selbstbewusst und konnten auf diese Weise mit pseudojuristischen "Argumenten" eine Drohkulisse aufbauen. In der Folge kam es zu entsprechenden Strafanzeigen gegen Szeneangehörige. 97 Internetseite der Gruppierung "Bismarcks Erben" vom 25.03.2019, abgerufen am 25.03.2019. -- 75 -- Darüber hinaus haben Anhänger der "Reichsbürger und Selbstverwalter"-Szene im Berichtszeitraum Zusammenstellungen von Daten von Personen erstellt, die von ihnen als "feindlich" betrachtet werden. Sie wurden dann im Internet veröffentlicht. Dabei handelte es sich mehrheitlich um Behördenangehörige. Ziel dieser "Outings" war eine Diffamierung der genannten Personen, aber zugleich auch der Versuch, eine Einschüchterung zu erreichen. Das strukturierte Personenpotenzial der "Reichsbürger und Selbstverwalter" versuchte zudem, die Anschlussfähigkeit in der Bevölkerung zu erhöhen, indem z. B. einschlägige Flyer verteilt werden. Zielgruppen waren dabei nicht nur Privathaushalte, sondern auch öffentlich Bedienstete. Des Weiteren zeigten sich verschiedene Gruppierungen im öffentlichen Raum. Der Verein "Staatenlos. Info" warb sowohl regional im Raum Wittenburg (Landkreis Ludwigslust-Parchim) 98 als auch überregional, etwa in Berlin, für seine kruden Ziele. Das "Preußische Institut - Bismarcks Erben" führte eine öffentliche "Heldengedenkveranstaltung" im Oktober 2018 und eine "Gedenkveranstaltung" aus Anlass des 100. Jahrestages des Endes des Ersten Weltkriegs im November 2018 durch. Beide Veranstaltungen wurden vorab szeneintern im Internet beworben. Die Gruppierung "Freistaat Preußen" rief zu wöchentlichen Veranstaltungen auf dem Marktplatz in Pasewalk auf. Dort sollten "Aufklärungsveranstaltungen zur deutschen Kultur" stattfinden. Hier wurden auch Kennverhältnisse in die regionale rechtsextremistische Szene deutlich. 98 Internetseite der Gruppierung "Staatenlos. info" vom 25.03.2019, abgerufen am 25.03.2019. -- 76 -- 5 Linksextremismus 5.1 Lageüberblick Linksextremisten sind bestrebt, unsere Staatsund Gesellschaftsordnung - und damit auch die freiheitliche demokratische Grundordnung - abzuschaffen und je nach Ausrichtung, durch ein kommunistisches oder herrschaftsfreies System zu ersetzen. Gemeinsame Grundlage ist die Ablehnung des Kapitalismus, welcher nach linksextremistischem Verständnis nicht nur als Wirtschaftsform, sondern als Wurzel von sozialer Ungerechtigkeit, Rassismus, Kriegen und Umweltzerstörung gilt. Gesellschaftliche Konflikte und Protestaktionen, die an sich keine typischen linksextremistischen Themen darstellen, werden häufig genutzt, um für linksextremistische Positionen zu werben. Aktionsschwerpunkt der linksextremistischen Szene im Jahr 2018 bildete der "Kampf gegen Rechts" und hier insbesondere der gegen die AfD. Auch in Mecklenburg-Vorpommern steht die AfD bereits seit längerer Zeit aufgrund ihrer Positionierung zur Flüchtlingsthematik und ihrer aus linksextremistischer Sicht "rassistischen und faschistischen" Ausrichtung im Fokus linksextremistischer Agitation und Straftaten. Infolgedessen kam es zu zahlreichen Sachbeschädigungen an Parteibüros der AfD und sog. Outings von AfD-Mitgliedern im Internet. Der G20-Gipfel, welcher 2017 in Hamburg stattfand, war auch noch in 2018 ein wesentlicher Diskussionsgegenstand in der linksextremistischen Szene. Themen waren insbesondere die eingeleiteten Verfahren gegen Protestteilnehmer und die Freilassung der bereits in diesem Zusammenhang inhaftierten Personen sowie eine mögliche Verschärfung des Polizeirechts, von der Szene als Aufbau eines "Überwachungsstaates" kritisiert. Zum Jahrestag des G20-Gipfels lud die "Interventionistische Linke" (IL) Hamburg vom 5. bis 8. Juli 2018 zu einem "Festival der Solidarität" nach Hamburg ein. Auch die Aktionsbündnisse "BlockG20" und "G20-Demo - Grenzenlose Solidarität statt G20" riefen zu Veranstaltungen auf, wie beispielsweise zu den Aktionen: "Massencornern - ein Jahr nach G20 in Hamburg" und "Demo-Rave - Ein Jahr nach G20". -- 77 -- Das Gerichtsverfahren, in dem fünf Personen der Beteiligung an den Taten der rechtsextremen Terrorgruppe NSU angeklagt waren, fand nach nunmehr fünf Jahren seinen Abschluss. Als Reaktion auf die Verkündung der Urteile im NSU-Prozess am 11. Juli 2018 kam es bundesweit zu angemeldeten sowie spontanen Demonstrationen und Aktionen, an denen sich auch Linksextremisten beteiligten. Zu den Aktionen in Rostock wird auf Abschnitt 5.3 dieses Berichtes verwiesen. Kritisiert wurde insbesondere eine angeblich mangelhafte Aufklärung der Taten sowie eine unzureichende Beleuchtung der Rolle des Staates, insbesondere des Verfassungsschutzes. Außerdem habe eine "rassistische Einstellung der Ermittlungsbehörden" eine Aufklärung der Taten aktiv verhindert und dadurch eine Mitschuld des Staates an den Morden begründet. Das Land Mecklenburg-Vorpommern hat im Mai 2018 einen PUA des Landtages eingerichtet, dessen Arbeit zur weiteren Aufklärung der Aktivitäten des NSU in Mecklenburg-Vorpommern beitragen soll. Ein weiteres Thema, welches Linksextremisten aufgriffen, war der Klimaund Umweltschutz. Eine besondere Bedeutung kam in diesem Zusammenhang der Kampagne "Ende Gelände" zu. Im Fokus des nach der Kampagne benannten linksextremistisch beeinflussten Bündnisses standen die ab Oktober 2018 geplanten Rodungsmaßnahmen im Hambacher Forst durch die Betreibergesellschaft des Rheinischen Braunkohlereviers RWE. Für den 25. bis 29. Oktober 2018 rief "Ende Gelände" zu Massenaktionen des zivilen Ungehorsams im Hambacher Forst auf, um ein klares Zeichen für den sofortigen Ausstieg aus der Braunkohle und für "Klimagerechtigkeit" zu setzen. Bis zur Entscheidung des Verwaltungsgerichtes Köln über die Klage des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND) gegen den Hauptbetriebsplan 2018 bis 2020 für den Braunkohletagebau Hambach gilt der vom Oberverwaltungsgericht Münster verfügte vorläufige Rodungsstopp. -- 78 -- 5.2 Linksextremismus in Mecklenburg-Vorpommern im Jahre 2018 Das Bild des deutschen Linksextremismus wird im Wesentlichen durch zwei Hauptströmungen geprägt: die aktionsorientierten Autonomen (= undogmatischer Linksextremismus) und die orthodoxen Kommunisten, die sich in Parteien und sonstigen Gruppierungen organisieren (= dogmatischer Linksextremismus). 5.2.1 Personenpotenzial Personenpotenzial der linksextremistischen Organisationen 2018 in Mecklenburg-Vorpommern und bundesweit: 99 M-V M-V Bund Bund 2017 2018 2017 2018 Gewaltbereite 290 280 9.000 9.000101 Linksextremisten100 "Rote Hilfe e.V." (RH) 170 250102 8.300 9.240 "Deutsche Kommunistische 40 40 3.000 2.850 Partei" (DKP) "Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands" 20 20 1.800 2.800 (MLPD) "Sozialistische Alternative" 25 25 300 314 (SAV) "Sozialistische Deutsche 10 10 750 670 Arbeiterjugend" (SDAJ) Gesamt103 450 520 29.500 32.000 99 Alle Zahlen sind Rundungswerte. 100 Die Begriffe "gewaltbereite Linksextremisten" und "Autonome" werden weitgehend synonym verwendet. 101 Seit 2014 wird beim Bund die Anzahl gewaltorientierter Linksextremisten angegeben, in der die Zahl der gewaltbereiten Linksextremisten als Teilmenge enthalten ist. 102 Der deutliche Anstieg des Personenpotenzials der RH steht vermutlich im Zusammenhang mit den Straftaten und Ermittlungen im Kontext des G20-Gipfels 2017 in Hamburg. 103 Gesamtzahl von Mecklenburg-Vorpommern und Bund um Mehrfachmitgliedschaften bereinigt. Die Gesamtzahl des Bundes umfasst auch Organisationen, die in Mecklenburg-Vorpommern nicht vertreten sind bzw. nicht beobachtet werden. -- 79 -- 5.2.2 Linksextremistisch motivierte Straftaten Insgesamt wurden durch das LKA M-V im Phänomenbereich "Links" der politisch-motivierten Kriminalität 249 Straftaten zugeordnet. Im Vorjahr waren in diesem Bereich 223 Straftaten aufgenommen worden. Von den 249 politisch linksmotivierten Straftaten werden 89 Straftaten als extremistisch eingestuft (2017: 76). Dies entspricht einem Anstieg von ca. 17,1 Prozent. Den Schwerpunkt bildeten auch in 2018 Sachbeschädigungen. Von den 115 politisch linksmotivierten Sachbeschädigungen werden 43 als linksextremistisch eingestuft. Wie bereits in 2017 waren Angriffe auf Parteibüros auffällig, insbesondere auf solche der AfD. Hier gab es mit 28 Fällen sogar noch eine weitere deutliche Steigerung (2016: 1, 2017: 16). Nachdem die Gewaltdelikte der politisch-motivierten Kriminalität "Links" in den letzten Jahren rückläufig waren (2015: 63, 2016: 24 und 2017: 11), gab es in 2018 einen Wendepunkt. In der politisch-motivierten Kriminalität "Links" 2018, in der alle Gewaltdelikte auch als extremistisch eingestuft sind, wurden 26 Gewaltdelikte festgestellt. Im Vergleich zum Vorjahr haben sich die Gewaltdelikte damit in diesem Bereich mehr als verdoppelt und liegen noch über dem Niveau des Jahres 2016. Dies ist insbesondere deshalb bemerkenswert, da es für die linksextremistische Szene in Mecklenburg-Vorpommern im Berichtsjahr keine besonders herausragenden Ereignisse gab, wie beispielsweise Landtagswahlen oder ein in räumlicher Nähe stattfindendes Großereignis, vergleichbar dem G20-Gipfel 2017. Die meisten Gewaltdelikte ereigneten sich im Zusammenhang mit Demonstrationen gegen den politischen Gegner. Dies war vornehmlich die AfD, die 2018 unter anderem neun Mal in Rostock demonstrierte. Bei den festgestellten Gewaltdelikten im Kontext von Demonstrationen handelte es sich ganz überwiegend um einfache und gefährliche Körperverletzungen zu Lasten der politischen Gegner sowie um Widerstandshandlungen gegen die Polizei. -- 80 -- 5.3 Proteste in Rostock anlässlich der Urteilsverkündung im NSU-Prozess Am 11. Juli 2018 verkündete das Oberlandesgericht München die Urteile im NSU-Prozess. Neben der Hauptangeklagten, Beate Zschäpe, die wegen zehnfachen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt wurde, ergingen auch zu den vier Mitangeklagten Urteile mit Haftstrafen. Bereits im Vorfeld der Urteilsverkündung gab es in den sozialen Medien Aufrufe, am "Tag X" auf die Straße zu gehen. Am 11. Juli 2018 kam es dann, als Reaktion auf die Verkündung der Urteile im NSU-Prozess, bundesweit zu angemeldeten sowie spontanen Demonstrationen und Aktionen, an denen sich auch zahlreiche Linksextremisten beteiligten. Bereits in der Nacht vom 10. auf den 11. Juli 2018 überklebten Unbekannte mehrere Straßenschilder in Rostock. Über die "Straßenumbenennung" wurde auf mehreren einschlägigen Seiten in den sozialen Medien berichtet und in diesem Zusammenhang nochmals zur Teilnahme an der angekündigten Demonstration zum "Tag X" am 11. Juli 2018 in Rostock aufgerufen.104 Auf der Internetseite "de.indymedia.org" veröffentlichte eine sogenannte "Initiative verschiedener Gruppen aus Rostock" einen Artikel zu dieser Aktion105. Demnach erfolgte die Aktion in Gedenken an die Opfer des NSU. Im weiteren Text wird dem Staat ein Versagen bei den Ermittlungen und eine Tatbeteiligung staatlicher Stellen vorgeworfen, welche nicht ausreichend aufgeklärt worden sei. Von einem Staat müsse Aufklärung verlangt werden, aber von einem rassistischen Staat könne keine Aufklärung erwartet werden. Die Konsequenz könne deshalb nur sein, gemeinsam für eine andere Gesellschaft zu kämpfen. 104 Bspw. Facebook-Seite der IL Rostock vom 11.07.2018 und Facebook-Seite der Bad Kids Rostock vom 11.07.2018, abgerufen am 11.07.2018. 105 Internetseite "de.indymedia.org": "Kein Schlussstrich - Straßenumbenennungen in Rostock" vom 11.07.2018, abgerufen am 04.01.2019. -- 81 -- Im Anschluss an die angemeldete Kundgebung formierte sich ein neuer Demonstrationszug, der sich durch die Kröpeliner-Tor-Vorstadt bewegte. Einige Teilnehmer dieses Zuges trugen 106 Masken mit dem Konterfei des Ministers für Inneres und Europa. Dabei wurden Transparente gezeigt, u. a. mit der Aufschrift "Nazis morden, der Staat macht mit, der NSU war nicht zu dritt!". Auf der Internetseite "de.indymedia.org" wurden zwei weitere Artikel zu den mit der Urteilsverkündung im NSU-Prozess im Zusammenhang stehenden Aktionen in Rostock veröffentlicht107. Die Absicht der Spontandemo war demnach, die Gesichter und Namen der Ermordeten sichtbar in die Öffentlichkeit zu tragen. Begründet wurde die Aktion mit einer geradezu verschwörungstheoretischen Sicht auf das NSU-Geschehen. Ziel der Kundgebung sei demnach das Polizeirevier Rostock Reutershagen in der Ulmenstraße gewesen, da der NSU auch in Rostock gemordet und die Polizei aufgrund rassistischer Motive in die falsche Richtung ermittelt habe. Das "Unterstützer*innennetzwerk" reiche bis in den Schweriner Landtag. So sei es kein Wunder, dass es bis heute keine vollständige Aufklärung der Tat, der Rolle der "Unterstützer*innen", des Verfassungsschutzes und der Polizeibehörden gäbe. 106 Internetseite "de.indymedia.org": "Kein Schlussstrich - Sponti in Rostock" vom 12.07.2018, abgerufen am 04.01.2019. 107 Ebd. -- 82 -- 5.4 Undogmatischer Linksextremismus Die aktionsorientierten Autonomen, die sich keinen festen Regeln und Lehren ("Dogmen") unterwerfen wollen, engagieren sich in zahlreichen typischen Aktionsfeldern, um die von ihnen gewünschte Umgestaltung der Gesellschaft zu erreichen. Lokale Schwerpunkte der undogmatischen linksextremistischen Szene in Mecklenburg-Vorpommern sind die Universitätsstädte Rostock und Greifswald. 5.4.1 Aktionsfeld "Antifaschismus" Der "Antifaschismus" verkörpert weiterhin das wichtigste Aktionsfeld der Linksextremisten in Mecklenburg-Vorpommern. Entsprechende Aktionen richten sich dabei vornehmlich gegen tatsächliche oder für solche gehaltene Rechtsextremisten. Die Taten reichen von Sachbeschädigungen an Parteigebäuden und studentischen Verbindungshäusern über tätliche Angriffe auf Personen bis hin zu Veröffentlichungen von privaten Daten, den sogenannten 108 Outings. Bei Demonstrationen suchen gewaltorientierte Linksextremisten die Konfrontation mit dem politischen Gegner oder der Polizei, insbesondere dann, wenn diese die Linksextremisten daran hindert, gewaltsam gegen ihren politischen Gegner vorzugehen. 108 Facebook-Seite "Bad Kids Rostock" vom 13.11.2018, abgerufen am 15.01.2019. -- 83 -- Beispielhaft seien die folgenden Ereignisse genannt: * Sachbeschädigungen am AfD-Büro in Schwerin Auch im Jahr 2018 kam es wiederholt zu Sachbeschädigungen am Büro der AfD in Schwerin. Die Sachbeschädigungen bestanden vorrangig aus Graffiti und Beschädigungen des Briefkastens. * Sachbeschädigungen am AfD-Büro in Wolgast In Wolgast kam es ebenfalls mehrfach zu Sachbeschädigungen am Büro der AfD. Hier wurden die Fenster und die Eingangstür beschädigt sowie Graffiti und Aufkleber angebracht. * Angriff auf ein Mitglied der AfD in Wolgast Am Vormittag des 8. August 2018 betrat ein Mann das Wahlkreisbüro der AfD in Wolgast und beleidigte das dort angetroffene AfD-Mitglied mehrfach als "Nazi". Im weiteren Verlauf der Konfrontation schlug und bespuckte der Angreifer den Mann und verletzte ihn im Gesicht. * Angriff auf einen Verbindungsstudenten in Greifswald In der Nacht zum 10. Juni 2018 griffen drei Männer aus einer Gruppe von etwa 40 bis 50 Personen heraus ein Mitglied der katholischen Studentenverbindung "KDStV Alemannia" in Greifswald körperlich an, beschimpften ihn und entrissen ihm gewaltsam das Verbindungsband. * Graffiti am Gebäude einer Burschenschaft in Greifswald Am 11. Februar 2018 wurde die Hauseingangstür der Burschenschaft "Markomannia Aachen" mit dem Schriftzug "Nazis Pack Hate" beschmiert. -- 84 -- * Anonyme Outingaktion zur "Identitären Bewegung" (IB) Am 29. Mai 2018 wurden in den Hörsälen der Universität Greifswald sowie in der neuen und der alten Mensa Flyer verteilt. Auf den Flyern stand die Überschrift: "Schaut nicht weg. Bei Greifswalder Identitären und ihrer rassistischen Ideologie". Unter der Überschrift waren mehrere Personen mit Namen und Foto abgebildet. Darunter stand der Aufruf: "Werdet aktiv gegen völkischen Nationalismus an eurer Uni! Schaut nicht weg bei Rassismus/Antisemitismus/Homophobie/Sexismus." * Anonyme Outingaktion - "Die AfD überall und jederzeit angreifen" Anonyme Verfasser veröffentlichten im Vorfeld des vom 30. Juni bis 1. Juli 2018 stattgefundenen Bundesparteitages der AfD in Augsburg im Internet unter der Überschrift "Die AfD überall und jederzeit angreifen"109 zahlreiche Adressen von AfD-Parteibüros sowie Daten (Name, AfD-Mitgliedsnummer, Geburtsdatum, Wohnanschrift, E-Mail-Adresse und Telefonnummer) von AfD-Abgeordneten110 mit dem Kommentar: "Viel Spaß damit!"111 Neben den gezielten Einzelaktionen gegen tatsächliche oder vermeintliche Rechtsextremisten nahmen Linksextremisten auch an den Gegenprotesten anlässlich der jährlichen Demonstration der NPD in Demmin teil. * Proteste gegen den "Trauermarsch" am 8. Mai 2018 in Demmin Die Proteste und Gegenveranstaltungen zum sogenannten Trauermarsch der rechtsextremistischen Szene am 8. Mai in Demmin stellten für die linksextremistische Szene in Mecklen109 Internetseite "de.indymedia.org": "Die AfD überall und jederzeit angreifen - Adressen von Parteibüros und Mitgliedern" vom 28.06.2018, abgerufen am 02.07.2018. 110 Internetseite "Augsburg für Krawalltouristen": "Adressen der AfD in Deutschland", abgerufen am 02.07.2018. 111 Internetseite "de.indymedia.org": "Die AfD überall und jederzeit angreifen - Adressen von Parteibüros und Mitgliedern" vom 28.06.2018, abgerufen am 02.07.2018. -- 85 -- burg-Vorpommern auch im Jahr 2018 einen Schwerpunkt im Aktionsfeld "Antifaschismus" dar. Am 8. Mai 2018 reisten etwa 900 (2017: 330) Gegendemonstranten, darunter auch gewaltbereite Linksextremisten, nach Demmin. Der deutliche Anstieg der Gegendemonstranten im Vergleich zum Vorjahr resultierte höchstwahrscheinlich aus der Ankündigung eines kostenlosen Konzertes der Band "Feine Sahne Fischfilet" (FSF), die mit dem Aufruf verbunden war, am 8. Mai 2018 nach Demmin zu kommen: "Gegen den Aufmarsch der Nazis! Wir feiern den Tag der Befreiung! [....] Vorpommern noch nicht komplett im Arsch!"112 Die Proteste gegen den Trauermarsch verliefen weitestgehend friedlich - nicht zuletzt auch aufgrund des vorsorglich vorgehaltenen großen Polizeiaufgebotes. 5.4.2 Aktionsfeld "Antirepression" Als Antirepression bezeichnen Linksextremisten ihren Kampf gegen eine von ihnen behauptete, vielgestaltige Unterdrückung durch den (verhassten) Staat, welcher nicht nur jegliche revolutionäre Ansätze im Keim ersticken will, sondern bereits die bloße allgemeine Ausübung von staatsbürgerlichen Grundrechten beeinträchtige. Zu den bevorzugten Zielen der Antirepressionsaktionen gehören naturgemäß Polizeibeamte, aber auch Nach112 Internetseite von "Feine Sahne Fischfilet", abgerufen am 03.05.2018. -- 86 -- richtendienste und andere staatliche Einrichtungen, wie Gerichte und Staatsanwaltschaften. Als bedeutendste linksextremistische Organisation im Themenfeld Antirepression tritt der bundesweit agierende Verein "Rote Hilfe e.V." (RH) auf, der in Mecklenburg-Vorpommern mit Ortsgruppen in Rostock und Greifswald vertreten ist. Vorrangiges Aktions113 feld der RH ist die rechtliche und finanzielle Unterstützung Szeneangehöriger in gerichtlichen Verfahren, insbesondere bei Strafprozessen. Außerdem organisiert die RH Informationsabende und erstellt Broschüren zu verschiedenen Themen, wie beispielsweise dem Verhalten auf Demonstrationen, bei Festnahmen und Hausdurchsuchungen. Den beiden Ortsgruppen werden in Mecklenburg-Vorpommern insgesamt etwa 250 Mitglieder zugerechnet; bundesweit gehören ca. 9.240 Personen dem linksextremistischen Verein RH an. Im Zuge von linksextremistischen Aktivitäten im Themenfeld "Antifaschismus" kommt es häufig zu der Konstellation, dass die Polizei eine rechtmäßig angemeldete Demonstration von Rechtsextremisten schützen muss, um deren Ausübung des Grundrechts auf Demonstrationsfreiheit zu sichern. Wenn Linksextremisten dann die Demonstration der Rechtsextremisten zu stören versuchen, führt dies mit steter Regelmäßigkeit zu Konfrontationen mit der Polizei, was daraufhin von linker Seite als gezielte staatliche Repression gegen Links und "gewollte staatliche Unterstützung rechtsextremer Umtriebe" gebrandmarkt sowie als "Beweis" für eine "faschistische Haltung" des deutschen Staates ins Feld geführt wird. Im Jahr 2018 wirkten noch die Ereignisse im Zusammenhang mit dem G20-Gipfel 2017 in Hamburg nach. Mit Bezug zum 113 Internetseiten der RH, Ortsgruppen Rostock und Greifswald, abgerufen am 28.12.2018. -- 87 -- G20-Gipfel wurden 2017 bundesweit 1.783 linksextremistisch motivierte Straftaten registriert, darunter 1.023 Gewalttaten. Die meisten dieser Straftaten standen im engen zeitlichen und räumlichen Zusammenhang mit dem G20-Gipfel in Hamburg. Zum Schutz des G20-Gipfels waren mehr als 30.000 Polizeibeamte im Einsatz. Im Verlauf der Proteste gegen den G20-Gipfel war es zu schweren Konfrontationen mit Polizeikräften, zu Blockaden und Brandanschlägen gekommen. In der Zeit des Einsatzes vom 6. bis 9. Juli 2017 wurden über 230 Polizisten verletzt. Die RH verurteilt den Einsatz der Polizei und die sich anschließenden Ermittlungen und Verfahren gegenüber Straftätern. In der Kampagne "United we stand" wird regelmäßig zur Solidarität mit den Straftätern ("eingesperrten Genoss*innen"114) und zu Spenden für die zu erwartenden Prozesskosten an die RH aufgerufen. In Mecklenburg-Vorpommern kam es im Jahr 2018 u. a. zu folgenden Einzelereignissen: * Aufruf zur "Antirepressions-Demo" am 17. März 2018 in Hamburg Im Rahmen der Kampagne "United we stand!" wurde bundesweit zur Teilnahme an einer "Antirepressionsdemo" am 17. März 2018 in Hamburg aufgerufen. Die Demonstration stand unter dem Motto "Gemeinsam gegen Repression und autoritäre Formierung" und richtete sich gegen das Handeln der Sicherheitsbehörden während und nach dem G 20-Gipfel 2017. In dem Aufruf zu der Demonstration hieß es unter anderem: "Die verschiedenen Repressionsmaßnahmen der vergangenen Monate haben offenbart, dass für Politik und Repressionsorgane das Feindbild "links" steht. Es wird versucht, uns als antagonistische Bewegung in Angst zu versetzen. In eine Angst, die uns daran hindern soll, sich zu organisieren und widerständig gegen die 114 Internetseite "unitedwestand": "Nach G20 Repression überwinden", S. 6, abgerufen am 02.01.2019. -- 88 -- herrschenden Verhältnisse zu agieren. Die Repression gegen linke Bewegungen hat in Deutschland Tradition." 115 Der Demonstrationsaufruf wurde auch von den in Mecklenburg-Vorpommern vertretenen Ortsgruppen der RH Greifswald und Rostock verbreitet. 116 * Solidaritätsaktion für einen verurteilten gewalttätigen Linksextremisten Die linksextremistische Organisation "Bad Kids Rostock" forderte am 29. November 2018 "FREE SCHUBI!" in den sozialen Medien 117 und berichtete von der gescheiterten Revision ihres Freundes, welche zur Folge habe, dass das erstinstanzliche Urteil von vier Jahren und fünf Monaten Haft somit rechtskräftig sei. Die "Bad Kids Rostock" riefen zur Unterstützung und Solidarität auf, Karten und Briefe an den Verurteilten können an die Ortsgruppe der RH in Rostock geschickt werden. Bei dem benannten "Schubi" handelt es sich um einen Fußballrowdy und gewalttätigen Linksextremisten aus Rostock, der wegen gefährlicher Körperverletzung an Polizeivollzugsbeamten vom Landgericht Rostock zu der vorgenannten Haftstrafe verurteilt wurde. Neben der RH war in 2018 auch die linksextremistische Organisation "Schwarz-Rote-Hilfe Rostock" (SRH) wieder aktiv. Laut Eigenangaben ist die SRH "selbstorganisierte Anti-Repressions-Arbeit", die unter anderem rechtliche, finanzielle und menschliche Unterstützung im Repressionsfall biete. 118 119 115 Internetseiten der RH Rostock und RH Greifswald: "United we stand! Gemeinsam gegen Repression und autoritäre Formierung!, abgerufen am 28.12.2018. 116 Ebd. 117 Facebook-Seite Bad Kids Rostock vom 29.11.2018, abgerufen am 03.12.2018. 118 Internetseite der SRH: "Über die SRH", abgerufen am 28.12.2018. 119 Internetseite der SRH, abgerufen am 28.12.2018. -- 89 -- Im Zuge dessen bewarb die SRH ihre Veranstaltungen zum Thema "Antirepression", wie beispielsweise: * Ausweiskontrollen und juristische Konsequenzen von Personalienverweigerungen bei Demonstrationen und Aktionen, * "Workshop zum Verhörtraining" mit Einführung in das Polizeiund Vernehmungsrecht und praktische Übungen, * Informationsveranstaltung zum Thema "Was tun bei böser Post?". Anders als die RH verfolgt die SRH den Ansatz der "kreativen Antirepression". Damit will sie (u. a. Linksextremisten) ermutigen, die Arbeit von Behörden und Gerichten zu erschweren, sie lächerlich zu machen und im Ergebnis zu diskreditieren. So warb die SRH Rostock beispielsweise unter dem Motto "Von wegen Ruhe im Gericht" für eine Kundgebung am 5. Juli 2018 vor und im Amtsgericht Rostock mit Brunch und sogenannter kreativer Aktion wie "witzigen Anträgen, Mitmach-Aktionen, aber auch Platz für Konfetti und individuelle Ideen". Mit der Aktion wollte die SRH Rostock laut eigenen Angaben der Repression begegnen, welche sie Staat, Justiz und Polizei unterstellt. 120 Die dann im Zuge des Gerichtstermins durchgeführten Störaktionen fanden nicht spontan statt, sondern waren das Ergebnis einer, zuvor bei einem von der SRH Rostock öffentlich beworbenen Vorbereitungstreffen, abgesprochenen Planung. 121 5.5 Dogmatischer Linksextremismus Linksextremistische Parteien und Gruppierungen bemühen sich nach wie vor mittels der bekannten Kritikmuster an den "herrschenden Verhältnissen" ihren sozialistischen und kommunistischen Zielen näher zu kommen. In Mecklenburg-Vorpommern ist es dem dogmatischen Linksextremismus auch im Jahr 2018 nicht gelungen, eine größere politische Bedeutung zu erlangen. Die "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP) verfügt zwar über 120 Internetseite der SRH: "Von wegen Ruhe im Gericht" abgerufen am 29.06.2018. 121 Ebd. -- 90 -- Ortsgruppen in Schwerin, Greifswald, Neubrandenburg, Rostock, Stralsund und auf Rügen, jedoch ist das Personenpotenzial insgesamt gering. Die "Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend" (SDAJ)122 123 ist eine eigenständige Organisation, die der DKP nahe steht und über Ortsgruppen in Schwerin und Rostock verfügt. Die "Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands" (MLPD) unterhält Ortsgrup124 pen in Alt-Schwerin und Rostock. Der Jugendverband "REBELL" der MLPD ist mit einer Ortsgruppe in Rostock in Mecklenburg-Vorpommern vertreten, ebenso die "Sozi125 alistische Alternative" (SAV). Daneben bestehen in Mecklenburg-Vorpommern einige Regionalgruppen des "RotFuchs-Fördervereins", der zum Bereich der orthodoxen Kommunisten zählt. Die Organisationen und Parteien des dogmatischen Linksextremismus entfalteten im Berichtszeitraum nur eine schwache Außenwirkung. Im Wesentlichen veranstalteten sie Mitgliedertreffen und interne Schulungen. Darüber hinaus beteiligten sie sich neben anderen parteipolitischen und zivilgesellschaftlichen Akteuren an jährlich wiederkehrenden Gedenkund Protestveranstaltungen, wie dem 1. Mai oder dem Ostermarsch sowie an Gegenprotestveranstaltungen zu Demonstrationen der AfD. 122 Die SDAJ ist die Jugendorganisation der DKP, von dieser aber organisatorisch unabhängig. 123 Internetseite der DKP, abgerufen am 15.01.2019. 124 Internetseite der MLPD, abgerufen am 15.01.2019. 125 Internetseite der SAV, abgerufen am 15.01.2019. -- 91 -- Insgesamt ist festzustellen, dass die politischen Ziele der dogmatischen Linksextremisten so gut wie keine nennenswerte Anziehungskraft auf die Bevölkerung ausüben. Hinsichtlich gemeinsamer Aktivitäten von deutschen Linksextremisten mit Gruppierungen aus dem (nicht islamistischen) Ausländerextremismus wird auf den Abschnitt 7.2.4 dieses Berichtes mit dem Titel "Kooperation mit deutschen Linksextremisten" verwiesen. -- 92 -- 6 Islamismus / Islamistischer Terrorismus 6.1 Islamistische Bestrebungen - politischer Extremismus mit Rückgriff auf den Islam Das Phänomen des Islamismus wird begrifflich und inhaltlich von dem des Islam unterschieden. Der Islam ist eine Religion, deren Ausübung durch das im Artikel 4 des Grundgesetzes festgehaltene Recht auf Religionsfreiheit garantiert und nicht von den Verfassungsschutzbehörden beobachtet wird. Der Islamismus ist hingegen dadurch gekennzeichnet, dass er einen explizit politischen Anspruch aus der Religion des Islam ableitet. Islamisten instrumentalisieren die Religion des Islam für politische und verfassungsfeindliche Zwecke. Sie verfolgen das Ziel, ihre gesellschaftspolitischen Vorstellungen in Staat und Gesellschaft durchzusetzen und dies sowohl in muslimischen wie auch in säkular geprägten Gesellschaften. Islamisten wollen eine "Ordnung des Islam" errichten, in der mittels Anwendung "islamischer Rechtsnormen" der Geltungsanspruch der Scharia durchgesetzt und damit wesentliche Elemente der freiheitlichen demokratischen Grundordnung außer Kraft gesetzt werden sollen. Der Verfassungsschutz beobachtet deshalb unter der Überschrift "Islamismus" religiös motivierte extremistische Bestrebungen, die sich gegen westliche Wertund Ordnungsvorstellungen, insbesondere gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung richten. Der islamistische Extremis- n - e mus ist kein einheitliches Phänomen, sondern weist o t b zahlreiche Facetten auf. Diese unterscheiden sich zum einen e r v in ihrer Reichweite und ihrem Anspruch; das Spektrum reicht hierbei von lokalen isla- - 126 mistischen Vereinen bis zu global agierenden Organisationen wie den Terrororganisationen "Islamischer Staat" (IS) oder "al-Qaida". 126 Logo der verbotenen Terrororganisation IS. -- 93 -- Daneben gibt es islamistische Gruppierungen, deren Agenda sich auf bestimmte Regionen bezieht. Die islamistische "Harakat al-Muqawama al-Islamiya" (HAMAS) etwa richtet ihre Aktivitäten auf eine Islamisierung Palästinas. HAMAS ist für dieses Ziel aber weit über die Grenzen Palästinas hinaus aktiv. Zum anderen unterscheiden sich die Mittel, mit denen islamistische Gruppierungen ihre Ziele zu erreichen suchen. So gibt es islamistische Organisationen, die als legalistisch bezeichnet werden, weil ihre Zielsetzungen zwar extremistisch sind, sie sich aber bei ihren Aktionen innerhalb des vorgegebenen rechtlichen Rahmens bewegen. Andere islamistische Gruppierungen befürworten unter bestimmten Umständen den Einsatz von Gewalt als Mittel, um ihre Ziele durchzusetzen. Schließlich gibt es im Bereich des Islamismus terroristische Gruppierungen wie "al-Qaida" und den IS, deren primäres Ziel die Propagierung, die Androhung und der Einsatz von Gewalt ist. Diese Vielfalt hat zur Folge, dass der islamistische Extremismus auch keine Bewegung ist, die nach außen hin geschlossen auftritt. Teile dieses Spektrums bekämpfen einander aufs Heftigste. 6.2 Entwicklung des Islamismus und islamistischen Terrorismus 2018 Der islamistische Terrorismus stellt weiterhin die größte Gefahr für die innere Sicherheit der Bundesrepublik dar. Die angespannte Bedrohungslage blieb grundsätzlich auch 2018 bestehen. Hatte es 2017 in Deutschland noch einen islamistischen Anschlag mit Todesfolge gegeben, blieben derartige Anschläge in 2018 in Deutschland aus. Nach Angaben der Bundesregierung wurden 2018 jedoch im Bereich des islamistischen Terrorismus zwei Anschläge verhindert127, einer in Hessen und einer in Nordrhein-Westfalen (siehe Abschnitt 6.2.1). 127 Deutscher Bundestag, 19. Wahlperiode, Drucksache 19/6684, 21.12.2018, Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Stephan Thomae, Renata Alt, Jens Beeck, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP, S. 2. -- 94 -- Anzumerken ist in diesem Zusammenhang, dass seit 2015 in der EU etwa 40 schwere islamistische Anschläge mit insgesamt mehr als 350 Toten verübt wurden. Auffällig dabei ist, dass viele Täter - so auch der Attentäter vom Berliner Weihnachtsmarkt Anis Amri - zuvor wegen anderer allgemeinkrimineller Delikte in Erscheinung getreten waren. In zahlreichen europäischen Staaten, vor allem aber in islamisch geprägten Ländern, wie Afghanistan, Syrien und Irak waren auch 2018 wieder zahlreiche islamistische Anschläge zu beklagen. Das islamistisch-terroristische Personenpotenzial in Deutschland lag im letzten Quartal 2018 bei 2.240 (2017: 1.880) Personen. Dieses Potenzial stellt eine erhebliche und permanente Gefährdung dar. Infolgedessen muss grundsätzlich damit gerechnet werden, dass es in Deutschland zu einem Anschlag islamistischer Terroristen kommen kann. 6.2.1 Anschläge in Europa * Geiselnahme und Schießerei in Carcassonne und Trebes (Frankreich) am 23. März 2018 Am 23. März 2018 schoss ein 26 Jahre alter Marokkaner in der südfranzösischen Stadt Carcassonne auf die Insassen eines Autos, tötete dabei den Beifahrer und verletzte den Fahrer schwer. Anschließend nahm er in einem Supermarkt mehrere Geiseln und erschoss dort zwei Menschen. Ein Polizist, der sich gegen eine der Geiseln hatte eintauschen lassen, wurde durch einen Schuss des Täters so schwer verletzt, dass er später seinen Verletzungen erlag. Der Täter hatte sich bei der Tat selbst als Soldat des Kalifats, d. h. als Angehöriger der Terrororganisation IS bezeichnet, welche sich später ihrerseits zu der Tat bekannte. -- 95 -- * Anschlag in Paris am 12. Mai 2018 Am 12. Mai 2018 griff ein in Tschetschenien geborener Zwanzigjähriger in der Pariser Innenstadt mehrere Menschen mit einem Messer an, tötete einen Mann und verletzte vier weitere Personen zum Teil schwer. Als der Täter auch die angerückte Polizei attackierte, wurde er von einem Polizisten erschossen. Die Terrororganisation IS bekannte sich kurz nach der Tat über die Medienstelle A'MAQ zu der Tat. * Festnahme in Köln im Juni 2018 und Hinweis auf jihadistisch motivierte Herstellung von Biowaffen Am 12. Juni 2018 wurden in der Kölner Wohnung eines 29 Jahre alten Tunesiers und seiner deutschen Ehefrau das Gift Rizin in großem Umfang sichergestellt. Der Mann steht unter Verdacht, mit einem selbsthergestellten Sprengsatz unter Einsatz des Giftes Rizin einen Anschlag geplant zu haben. Der Generalbundesanwalt (GBA) ermittelt wegen des Vorwurfs der Herstellung biologischer Waffen und des Verdachts auf Verstoß gegen SS 20 Absatz 1 Nummer. 1 Variante 2 des Kriegswaffenkontrollgesetzes. Es liegen Hinweise darauf vor, dass die Anschlagsplanungen des Verdächtigen jihadistisch motiviert waren. Er soll Kontakt zur Terrororganisation IS gesucht und einen Treueid auf den Anführer der Organisation geleistet haben. * Islamistisch motivierte Messerattacke in Amsterdam am 31. August 2018 Ein neunzehnjähriger afghanischer Asylbewerber attackierte am 31. August 2018 am Hauptbahnhof von Amsterdam zwei US-Amerikaner mit einem Messer und verletzte sie dabei schwer. Der Täter war im Besitz einer deutschen Aufenthaltsgestattung, lebte vor der Tat in Rheinland-Pfalz und war am Tattag mit der Bahn nach Amsterdam gereist. Nach der Tat wurde er von der niederländischen Polizei niedergeschossen. In Vernehmungen gab er als Motiv für die Tat an, dass in den Niederlanden der Prophet Mohammed und der Islam insgesamt beleidigt würden. -- 96 -- * Anschlag in Straßburg am 11. Dezember 2018 Am Abend des 11. Dezember 2018 feuerte der neunundzwanzigjährige Franzose Cherif C. nahe des Straßburger Weihnachtsmarktes auf einige Passanten und stach mit einem Mes128 ser auf weitere Personen ein. Dabei wurden vier Menschen getötet und zahlreiche Menschen teilweise schwer verletzt. Er war vor der Tat bereits der Polizei in Frankreich, der Schweiz, in Luxemburg sowie in Deutschland wegen unterschiedlicher allgemeinkrimineller Taten bekannt und bereits mehrfach verurteilt worden. Zwei Tage nach dem Anschlag wurde er bei einem Schusswechsel mit Spezialeinheiten der Polizei in Straßburg getötet, nachdem er auf eine sich ihm nähernde Streife geschossen hatte. Die französischen Ermittlungsbehörden gehen von einer islamistisch motivierten Tat des Cherif C. aus. So soll er auf einem Video der Terrororganisation IS die Treue geschworen haben. 6.2.2 Anschläge weltweit In Asien und Afrika war auch im Jahr 2018 wieder eine große Zahl von islamistischen Anschlägen zu verzeichnen, deren Opferzahlen die der vorstehend geschilderten Anschläge in Europa um ein Vielfaches überstiegen. Die Anschläge mit den meisten Opfern wurden - wie auch schon in den letzten Jahren - in Syrien, Afghanistan, Pakistan, Nigeria und Somalia verübt. Der gravierendste Anschlag fand am 28. Juli 2018 in der südsyrischen Stadt Suwaida statt, die hauptsächlich von der religiösen Minderheit der Drusen bewohnt wird. Durch Angriffe der Terrororganisation IS kamen zwischen 200 und 250 Menschen ums Leben. In Nigeria gab es am 128 Foto: Jean-Marc loos/MAXPPP/dpa/Picture alliance -- 97 -- 1. Mai und am 18. November 2018 Anschläge der Terrororganisation "Boko Haram", bei denen 86 bzw. 118 Menschen ums Leben kamen. Sehr hohe Opferzahlen waren auch bei verschiedenen Anschlägen im Rahmen des Wahlkampfes in Pakistan zu beklagen. Der gravierendste dieser Anschläge, am 13. Juli 2018 in der Provinz Belutschistan, für den verschiedene islamistische Terrororganisationen die Verantwortung reklamierten, forderte mindestens 128 Menschenleben. Viele dieser Anschläge richteten sich gezielt gegen andere Muslime, die lediglich einen anderen Islam vertreten als die jihadistischen Gruppierungen, die diese Anschläge verüben. 6.3 Staatliche Maßnahmen gegen islamistischen Extremismus Der GBA leitete im Jahr 2018129 855 Ermittlungsverfahren ein, die einen unmittelbaren oder mittelbaren Bezug zum islamistischen Terrorismus aufweisen (2017: 1.052). Diese 855 Ermittlungsverfahren richteten sich gegen 905 Beschuldigte (2017: 1.173). In zehn Verfahren (2017: 17) mit unmittelbarem oder mittelbarem Bezug zum islamistischen Terrorismus hat der GBA gegen zwölf Personen (2017: 29) Anklage erhoben.130 Bis Dezember 2018 kam es in neunzehn der vom GBA angeklagten Fällen mit unmittelbarem Bezug zum islamistischen Terrorismus zu einer rechtskräftigen Verurteilung (2017: 21).131 Zu den herausragenden Verurteilungen zählte in diesem Zusammenhang die des Syrers Yamen A., der bis zu seiner Verhaftung am 31. Oktober 2017 in Schwerin lebte (siehe Abschnitt 6.6.2). Der Bund und die Länder haben im Jahr 2018 keine Verbote islamistischer Vereine ausgesprochen. Staatliche Maßnahmen gegen islamistischen Extremismus um129 Stand, 10.12.2018. 130 Deutscher Bundestag, 19. Wahlperiode, Drucksache 19/6684, 21.12.2018, Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Stephan Thomae, Renata Alt, Jens Beeck, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der FDP, S. 12, 13. 131 Ebd., S. 17,18. -- 98 -- fassen neben den landläufigen Repressionsmaßnahmen verstärkt auch Ansätze der Prävention. Die Beratungsstelle Radikalisierung beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) ist insoweit ein wichtiger 132 Ansprechpartner, insbesondere für das private Umfeld von radikalisierten Personen. Im Jahr 2018 hat auch die Ende 2017 gegründete Präventionsstelle gegen islamistische Radikalisierung in Mecklenburg-Vorpommern ihre Arbeit aufgenommen (siehe Abschnitt 6.6.3). 6.4 Salafismus - Hintergründe und aktuelle Entwicklung Der Salafismus ist in Deutschland und zahlreichen anderen Ländern Europas nach wie vor die am dynamischsten wachsende islamistische Bewegung. Ihm werden in Deutschland mit Stand September 2018 ca. 11.300 Personen zugerechnet, dies bedeutet einen Anstieg von ca. 4,6 % im Vergleich zum Vorjahr (Ende 2017: 10.800). Der Salafismus ist eine Ideologie und gleichzeitig eine besonders radikale Bewegung innerhalb des islamistischen Extremismus, die sich an den Ideen und Lebensweisen der ersten Muslime und der islamischen Frühzeit orientiert. Salafisten geben vor, ihre religiöse Praxis und Lebensführung ausschließlich an den Prinzipien des Koran und dem Vorbild des Propheten Muhammad und der frühen Muslime - der sogenannten rechtschaffenen Altvorderen (arabisch: al-salaf al-salih) - auszurichten. Um dies umzusetzen, streben Salafisten die bedingungslose Durchsetzung und Befolgung von islamischen Regeln an, die ihrer Auffassung nach in der frühislamischen Zeit gültig waren. Salafisten nehmen für sich eine alleinige Deutungsmacht über 132 Die Beratungsstelle Radikalisierung beim BAMF ist über die abgebildete Rufnummer 0911 / 9434343 zu erreichen. -- 99 -- die islamischen Texte in Anspruch. Andere Meinungen und Positionen werden von ihnen systematisch unterbunden. Wer divergierende Positionen vertritt, wird gebannt, gegebenenfalls verfolgt oder sogar mit dem Tode bedroht. Für Salafisten ist der Islam deshalb nicht nur "Religion", sondern ein auf der wortgetreuen Befolgung des Koran und der Prophetentradition beruhendes System, welches sämtliche Lebensbereiche einschließlich Gesetzgebung und Politik regelt. In letzter Konsequenz streben Salafisten die Errichtung eines islamischen "Gottesstaates" an. Für Deutschland würde dieser Schritt bedeuten, dass wesentliche Grundrechte und Verfassungsprinzipien keine Geltung mehr hätten. Propaganda und Handlungsweisen von Salafisten zielen folglich nicht nur auf eine Beeinflussung religiöser Überzeugungen ab, sondern verfolgen einen totalitären Ansatz. Sie verwenden dabei zwar religiöse Begriffe, deuten sie jedoch politisch um und instrumentalisieren sie in ihrem Sinne. Die salafistische Ideologie ist daher mit Integration, religiöser Toleranz und den Grundlagen des demokratischen Rechtsstaates nicht vereinbar. Gleichwohl ist der Salafismus keine homogene Bewegung, sondern in verschiedene Unterkategorien zu gliedern. Der Verfassungsschutz unterscheidet zwischen den Strömungen des politischen und des jihadistischen Salafismus. Beide Strömungen teilen zwar grundsätzlich die gleichen Glaubensvorstellungen, unterscheiden sich jedoch in der Wahl der Methoden, mit denen diese Glaubensvorstellungen zur Anwendung gebracht werden sollen. Politische Salafisten versuchen, ihre islamistische Ideologie durch intensive Propagandaaktivitäten zu verbreiten, welche sie als "Missionierung" (arabisch: da'wa) bezeichnen. Mit ihnen soll die Gesellschaft in einem langfristig angelegten Prozess nach salafistischen Vorstellungen verändert werden. Politische Salafisten veranstalten Kundgebungen in Innenstädten und "Islamseminare". Sie unterhalten ein umfangreiches Angebot im Internet, mit dem sie ihre Propaganda verbreiten. Nach außen wird dies als Informationsangebot zur korrekten Religionsausübung dargestellt, tatsächlich betreibt der politische Salafismus auf diesem Weg jedoch eine gezielte und systematische Indoktrination, die häufig den Anfangspunkt einer weiteren Radikalisierung bildet. Salafisten sind -- 100 -- bei der Ansprache von Jugendlichen häufig erfolgreich, da sie eine jugendtypische Sprache sprechen und ihnen eine vermeintlich klare Orientierung in einer als unübersichtlich empfundenen Welt aufzeigen können. Zudem bieten sie ihnen das Zusammengehörigkeitsgefühl einer eingeschworenen Gemeinschaft, reduzieren Komplexität, indem sie Sachverhalte knapp und klar in Gut und Böse einteilen, stellen klare Gebote und Verbote für alle Bereiche des Lebens auf und entlasten den Jugendlichen davon, eigene Entscheidungen fällen zu müssen. Häufig nutzen sie auch den Idealismus der Jugendlichen und deren altersbedingte Protesthaltung, um sie für die Ziele des Salafismus einzuspannen. Insgesamt ist festzustellen, dass der politische Salafismus ein ambivalentes Verhältnis zur Gewalt als Mittel zur Durchsetzung seiner Ziele pflegt, da religiös legitimierte Gewalt häufig nicht prinzipiell ausgeschlossen wird (z. B. "zur Verteidigung des Islam"). Anhänger des politischen Salafismus positionieren sich zum Teil in bewusst herausfordernder Weise gegen Terrorismus, heben den friedfertigen Charakter des Islam hervor und vermeiden offene Aufrufe zur Gewalt. Zwischen den unterschiedlichen salafistischen Strömungen besteht Uneinigkeit, unter welchen Voraussetzungen Gewalt angewendet werden darf. Die Grenzziehung zwischen politischem und jihadistischem Salafismus erweist sich somit häufig als unklar. Jihadistische Salafisten befürworten dagegen eine unmittelbare und sofortige Gewaltanwendung. Sie propagieren den bewaffneten Kampf auch gegen Machthaber in Ländern mit muslimischer Bevölkerungsmehrheit, denen sie vorwerfen, vom Islam abgefallen und Handlanger des verhassten "Westens" zu sein. Bedeutendster Protagonist des jihadistischen Salafismus dürfte nach wie vor die Terrororganisation des IS sein. Hervorzuheben ist, dass sämtliche Personen mit Deutschlandbezug, die den gewaltsamen Jihad befürworten, zuvor mit salafistischen Einrichtungen in Kontakt standen. Es kann somit als gesichert gelten, dass das von Salafisten verbreitete Gedankengut den Nährboden für eine islamistische Radikalisierung bis hin zur Rekrutierung für den militanten Jihad bildet. -- 101 -- 6.5 Trends des islamistischen Terrorismus 2018 Die Zahl der Islamisten aus Deutschland, die 2018 in Richtung Syrien oder Irak ausgereist sind, um sich dort am Jihad zu beteiligen, ist zwar von 970 Personen in 2017 auf 1.050 Personen weiter angestiegen, jedoch dürfte dieser Anstieg sich fast ausschließlich auf Ausreisefälle beziehen, die erst nachträglich bekannt geworden sind und bereits längere Zeit zuvor stattgefunden hatten. Das politische Thema der "Islamistisch motivierten Ausreisen" in den Jihad ist damit im Jahr 2018 durch das Thema "Rückkehrer" aus diesen Ländern nach Deutschland abgelöst worden. Etwa ein Drittel der ausgereisten Personen befand sich 2018 wieder in Deutschland. Zu mehr als 110 dieser Personen liegen den Sicherheitsbehörden Erkenntnisse vor, dass sie sich aktiv am islamistisch motivierten Kampf in Syrien oder im Irak beteiligt oder dort eine entsprechende Ausbildung absolviert haben. Polizei und Justiz ermitteln umfangreich zu diesen Personen. Die Terrororganisation IS kontrollierte 2018 nur noch ein unbedeutendes Restterritorium in Syrien. Im Irak hatte die Organisation ihr Gebiet bereits Ende 2017 verloren. Trotz der großen Gebietsverluste und der faktischen Verlagerung ihrer Aktivitäten in den Untergrund, zeichnet sich nach Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden bislang noch keine verstärkte Rückreisetendenz ab. Gleichwohl stellt die Gruppe der potenziellen Rückkehrer ein erhebliches Gefährdungspotenzial für die Bundesrepublik dar, da diese Personen über massive Erfahrungen aus Krieg und Terrorismus verfügen und zudem stark ideologisch indoktriniert sind. Personen, die im Ausland aktiv am Jihad teilgenommen haben, genießen darüber hinaus in salafistischen und jihadistischen Kreisen - auch in Deutschland - ein besonderes Ansehen, werden auf Grund dieser Erfahrungen häufig zu Vorbildern und tragen mit ihren Jihad-Erfahrungen zur Stärkung und Radikalisierung der salafistischen Szene in Deutschland bei. Eine zunehmend bedeutende Gruppe unter den Rückkehrern stellen Frauen und Kinder dar, die aus Syrien und dem Irak nach Deutschland zurückreisen. Die Mehrheit der Kinder, die in Syrien -- 102 -- und im Irak in jihadistischen Familien geboren bzw. aufgewachsen ist, ist gegenwärtig jünger als acht Jahre. Insofern werden die Auswirkungen solcher jihadistischen Sozialisierungen wahrscheinlich erst in einigen Jahren offen zu Tage treten. Der IS und andere islamistische Terrororganisationen nutzen vor allem das Internet für ihre propagandistischen Ziele. Sie betreiben u. a. offizielle Medienstellen, die hochprofessionelle Onlinemagazine produzieren und damit den Mediengewohnheiten junger Erwachsener entgegenkommen. An dieser online verbreiteten Propaganda, die vor allem auch der Werbung neuer Anhänger dient, lassen sich die Ziele der Terrororganisationen ablesen. Tatbekennungen zu islamistischen Anschlägen, die über A'MAQ oder andere Kanäle des IS im Netz verbreitet werden, sind ein zentraler Bestandteil seiner Propagandakampagnen. An vielen islamistischen Terroranschlägen der letzten Jahre waren Personen beteiligt, die in Europa leben oder dort sogar geboren wurden, sich aber nicht im Ausland an terroristischen Aktivitäten beteiligt haben (sogenannter "homegrown terrorism"). Die meisten dieser Täter sind dabei ohne Anbindung bzw. den Auftrag einer Terrororganisation tätig. In den letzten Jahren wurde insbesondere deutlich, dass viele islamistisch motivierte Attentäter vor ihrer Tat mit Eigentums-, Drogenoder Körperverletzungsdelikten aufgefallen sind. Aus unterschiedlichen Gründen war es bei diesen Personen zu einer islamistischen Radikalisierung und im Anschluss danach zu einem Anschlag gekommen. Ein Bruchteil der Flüchtlinge, die zumeist als irreguläre Migranten nach Deutschland gekommen sind, hat sich in ihren Heimatländern aktiv für islamistische bzw. jihadistischen Organisationen betätigt und setzte eine solche Aktivität auch in Deutschland fort (siehe Abschnitt 6.6). Diese Personen stellen jedoch einen Teil des islamistisch-terroristischen Personenpotenzials dar, das die Sicherheitsbehörden vor besonders große Herausforderungen stellt, da vormalige Aktivitäten von Terroristen im Nahen Osten durch die deutschen Sicherheitsbehörden nur schwer aufzuklären sind. -- 103 -- 6.6 Islamistischer Extremismus in MecklenburgVorpommern Im Jahr 2018 waren weiterhin zahlreiche Aktivitäten aus verschiedenen Bereichen des islamistischen Extremismus in Mecklenburg-Vorpommern festzustellen. Von besonderer Bedeutung waren erneut die Aktivitäten von Anhängern des Salafismus. Mit Stand September 2018 wurde für den Salafismus im Land ein Personenpotenzial von 135 (2017: 130) ermittelt. Somit ist dieser Personenkreis im Jahr 2018 um ca. 4 % angestiegen. Das Personenpotenzial der Salafisten umfasst sowohl politische als auch jihadistische Salafisten. Im Land haben sich islamistische Strukturen bisher nur wenig etabliert. Islamisten agieren in Mecklenburg-Vorpommern zumeist als Einzelpersonen oder im Rahmen von losen Personennetzwerken, die salafistische Aktivitäten entfalten. Diese Personen sind ganz überwiegend männlich. Wie in Abschnitt 6.5 ausgeführt, gehörte ein Bruchteil der irregulären Migranten, die aus dem Nahen und Mittleren Osten nach Deutschland gekommen sind, in der Heimat islamistischen bzw. jihadistischen Organisationen an. Im Jahr 2018 waren, wie in den Vorjahren, eine Reihe von Hinweisen auf solche Personen zu verzeichnen, deren Zahl nach wie vor erheblich höher ist als in den Jahren vor 2015. Die Sicherheitsbehörden des Landes gehen diesen Hinweisen konsequent nach. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang die Aufschlüsselung des salafistischen Personenpotenzials nach Herkunftsländern. So stammen rund 34 % der Salafisten in Mecklenburg-Vorpommern aus dem Nordkaukasus und rund 40 % aus Syrien. Die Landesregierung verfügt derzeit über keine bestätigten Informationen zu islamistischen "Ausreisefällen" aus Mecklenburg-Vorpommern nach Syrien oder in den Irak. 6.6.1 Islamisten aus dem Nordkaukasus Die nordkaukasische Islamistenszene wird im überwiegenden Maße als salafistisch und gewaltbereit eingestuft. Ihre Anhänger wurden in den vergangenen Jahren vorwiegend der Or-- 104 -- ganisation "Kaukasisches Emirat" (KE) zugerechnet. Diese ursprünglich an "al-Qaida" angelehnte Separatistenbewegung im Nordkaukasus, die u. a. mit Terroranschlägen die russischen Sicherheitskräfte bekämpft und einen islamischen Gottesstaat auf Basis der Schari'a anstrebt, ist nach Entstehung der Terrororganisation IS sowohl im Kaukasus selbst als auch bei deren Anhängern in Deutschland zunehmend in den Hintergrund gedrängt worden. Das Erstarken der Terrororganisation IS, ihre Proklamation des Kalifats im Juni 2014 und die anschließenden Geländeeroberungen übten auf islamistisch ausgerichtete Nordkaukasier eine starke Anziehungskraft aus. Das KE verlor parallel dazu weiter an Bedeutung. Die Ideologie des IS ist wie keine andere dazu geeignet, jihadistisch ausgerichtete Salafisten in ihrem Weltbild zu bestärken, welches auf eine gewaltbereite Ausbreitung eines rückwärts gewandten Islam und eine "Vernichtung der Ungläubigen" gerichtet ist. Das territoriale Verschwinden des IS in weiten Teil der zuvor von ihm beherrschten Gebiete in Syrien und im Irak hat nicht nur einen weitgehenden Stopp der jihadistisch motivierten Ausreisen aus Deutschland zum IS bewirkt, sondern auch zu einem Umschwenken der nordkaukasischen IS-Sympathisanten geführt, hin zu einer virtuellen Begleitung dieser Terrororganisation im Internet. Insofern trägt die Ideologie des IS auch aktuell nach wie vor dazu bei, dass Nordkaukasier in Deutschland sich radikalisieren und in extremen Fällen zumindest die Bereitschaft erkennen lassen, terroristische Aktivitäten im Namen des IS auch in Deutschland zu entfalten. Auch vor diesem Hintergrund ist die Landesregierung von Mecklenburg-Vorpommern bestrebt, islamistischen Aktivitäten keinen Raum zu geben bzw. diese - so sie bekannt werden - zurückzudrängen und zu unterbinden. Die Verfassungsschutzbehörde wirkt im Verbund mit den Ausländerbehörden des Landes daran mit, ausländischen Salafisten keinen gefestigten Aufenthaltsstatus zu gewähren und sie wo immer möglich, in ihre Herkunftsländer zurückzuführen. -- 105 -- 6.6.2 Verurteilung von Yamen A. Der syrische Flüchtling Yamen A. war am 31. Oktober 2017 wegen des Verdachts der Vorbereitung eines islamistisch motivierten Sprengstoffanschlags durch Beamte des Bundeskriminalamtes im Auftrag der Generalbundesanwaltschaft in Schwerin festgenommen worden. Yamen A. wurde vorgeworfen, spätestens im Sommer 2017 den Entschluss gefasst zu haben, in Deutschland inmitten einer größeren Menschenansammlung einen Sprengsatz zünden zu wollen. Zur Umsetzung 133 seines Vorhabens hatte er sich über das Internet die notwendigen Kenntnisse zum Bau eines Zünders, einer Fernauslösung sowie zur Herstellung des Sprengstoffes Triacetontriperoxid (TATP) besorgt. Bereits Ende Juli 2017 hatte er damit begonnen, sich die notwendigen Chemikalien und Komponenten zum Bau der Bombe über einen Internetversandhandel zu beschaffen. In der Wohnung von A. wurden am Tag der Festnahme nahezu sämtliche hierfür erforderliche Chemikalien und Utensilien aufgefunden. Darunter befand sich auch ein Videomitschnitt, der Yamen A. bei der Herstellung von TATP in seiner Küche zeigt. Im März 2018 erhob die Bundesanwaltschaft vor dem Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichtes Hamburg Anklage wegen des Tatvorwurfs gemäß SS 89a StGB - der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat. Die Bundesanwaltschaft konnte in dem von August bis November 2018 geführten Prozess gegenüber dem Strafsenat aufgrund der zahlreichen durch das Bundeskriminalamt gesicherten Chatprotokolle und der aufgefundenen Asservate, die Vorbereitung eines 133 Foto: Bernd Wüsteneck/dpa -- 106 -- Anschlags durch Yamen A. überzeugend und belastbar belegen. Dies führte schlussendlich zur Verurteilung von Yamen A. am 30. November 2018. Der Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichtes Hamburg verhängte eine Freiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten. Das Oberlandesgericht ging mit seiner Entscheidung damit sogar noch über den Strafantrag der Bundesanwaltschaft, die fünfeinhalb Jahre Haft gefordert hatte, hinaus. 6.6.3 Islamismusprävention im Land Zur Umsetzung des "Nationalen Präventionsprogramms gegen islamistischen Extremismus" war im Juli 2017 die Einrichtung einer interministeriellen Arbeitsgruppe "Islamismusprävention" und der Aufbau einer Fachstelle zur Prävention von religiös begründetem Extremismus mit Mitteln des Bundesprogramms "Demokratie leben!" beschlossen worden. Die Koordinierung dieser Präventionsmaßnahmen wurde der "Landeszentrale für politische Bildung/Landeskoordinierungsstelle Demokratie und Toleranz" übertragen. Die Islamismusprävention im Land Mecklenburg-Vorpommern wird seitdem unter der Mitwirkung des Ministeriums für Bildung, Wissenschaft und Kultur, des Ministeriums für Inneres und Europa, dem Ministerium für Soziales, Integration und Gleichstellung sowie dem Justizministerium umgesetzt. Am 6. April 2018 wurde die landesweite Fachstelle für Prävention von religiös begründetem Extremismus mit dem Namen "Bidaya" (arab.: Start, Anfang) durch die Ministerin für Bildung, Wissenschaft und Kultur eröffnet. Sie hat ihren Sitz in Waren (Müritz) und steht staatlichen Stellen, zivilgesellschaftlichen Trägern und Einzelpersonen in Mecklenburg-Vorpommern als Beratungsstelle im Themenfeld Islamismus und Islamfeindlichkeit zur Verfügung. Neben der Beratung liegt ein Schwerpunkt auf der Fortbildung von Fachkräften. Die Fachstelle "Bidaya" ist sowohl im Internet unter www.bidaya-mv.de als auch telefonisch unter der Nummer 0160/ 8045287 erreichbar. -- 107 -- 6.6.4 Islamistische Radikalisierung unter Minderjährigen Im Jahr 2018 wurden Fälle von Kindern und Jugendlichen im Land bekannt, die durch islamistische Verhaltensweisen aufgefallen waren. Die Handlungsmöglichkeiten des Verfassungsschutzes sind in solchen Fällen gegenwärtig beschränkt. Gemäß SS 16 LVerfSchG M-V dürfen die Daten von Minderjährigen nur in Dateien und Akten erfasst werden, wenn sie zum einen das 16. Lebensjahr vollendet haben und zum anderen extremistische Bestrebungen verfolgen, die auch die Anwendung von Gewalt oder die auf Anwendung von Gewalt gerichtete Vorbereitungshandlungen umfassen. -- 108 -- 7 Sonstiger Ausländerextremismus 7.1 Personenpotenzial Die Stärke der in Mecklenburg-Vorpommern agierenden - nicht islamistischen - linksextremistischen Ausländerorganisationen stellt sich im Einzelnen wie folgt dar:134 MV MV Bund Bund 2017 2018 2017 2018 "Arbeiterpartei Kurdistans" 250 250 14.500 14.500 (PKK) "Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front" <10 <10 650 650 (DHKP-C) "Ehemalige Türkische Kommunistische Partei/ Marxisten-Leninisten" <10 <10 1.300 1.300 (TKP/ML) und "Maoistische Kommunistische Partei" (MKP) "Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei" <10 <10 600 600 (MLKP) Gesamt135: < 280 < 280 17.050 17.050 Von den meisten dieser Organisationen wird Deutschland als gesicherter Rückzugsraum betrachtet, jedoch ist die Zahl der Anhänger von DHKP-C, TKP/ML und MLKP - im Gegensatz zur Mitgliederzahl von PKK - im Land Mecklenburg-Vorpommern unbedeutend. 134 Alle Zahlen sind Rundungswerte. 135 Die Gesamtzahl des Bundes der Mitglieder-/Anhängerzahlen von nicht islamistischen - linksextremistischen Ausländerorganisationen weicht von der seitens des Bundesamtes für Verfassungsschutz veröffentlichten Gesamtstatistik insofern ab, als in der o.a. Tabelle ausschließlich die im Land Mecklenburg-Vorpommern agierenden Organisationen berücksichtigt worden sind. -- 109 -- 7.2 "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) 7.2.1 Allgemeines Die im Jahr 1978 in der Türkei unter Führung von n - Abdullah Öcalan gegrünte dete "Arbeiterpartei Kur- b o r distans (Partiya Karkeren Kurdistan - PKK)" kämpft seit Anfang der 1980er ve Jahre für die Unabhängigkeit bzw. größere - 136 Autonomie der Kurdengebiete im Osten der Türkei. Seitdem sind bei Anschlägen und Gefechten mehrere zehntausend Menschen getötet worden, darunter auch viele Zivilisten. Die PKK ist in Deutschland, was Anhängerzahlen, Organisationsgrad und Mobilisierungspotenzial betrifft, nach wie vor die bedeutendste Kraft im Bereich des nicht religiös motivierten Extremismus mit Auslandsbezug. Sie wurde von der Europäischen Union in die Liste der terroristischen Vereinigungen aufgenommen und unterliegt in Deutschland unter allen von ihr benutzten Bezeichnungen wie KADEK, KONGRA GEL, KKK und KCK - einschließlich verschiedener Teilund Nebenorganisationen - seit 1993 einem vereinsrechtlichen Betätigungsverbot. Der Aktionsradius der PKK erstreckt sich über die Grenzen Deutschlands hinaus auf ganz Europa. Dabei verfolgt die PKK seit Jahren eine Doppelstrategie, die einerseits einen weitgehend gewaltfreien Kurs im westlichen Europa umfasst, andererseits aber - insbesondere in der Türkei und zuletzt auch in Teilen Syriens und des Iraks - auch den bewaffneten Kampf der Guerillaverbände sowie die Aktionen des terroristischen Arms, der "Freiheitsfalken Kurdistans" (TAK) umfasst. 136 Internetseite "wikipedia.de". -- 110 -- Die Aktivitäten der PKK in Deutschland waren im Jahr 2018 im Wesentlichen von folgenden Themen bestimmt: * Dem Kampf der Kurden in Syrien und im Irak gegen die islamistische Terrororganisation IS, * den bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen der PKK und dem türkischen Staat, * der politischen Agitation zur Aufhebung des Betätigungsverbots der PKK in Deutschland und zur Verbesserung der Haftbedingungen des PKK-Vorsitzenden Abdullah Öcalan, * Unterstützung des Wahlkampfes der prokurdischen HDP bei den türkischen Präsidentschaftsund Parlamentswahlen sowie Protest gegen den Besuch des türkischen Staatspräsidenten in Deutschland und * Protestund Demonstrationsgeschehen nebst Gewaltund Widerstandshandlungen aufgrund der türkischen Militäroperation "Olivenzweig" im kurdischen Siedlungsgebiet Afrin/ Nordsyrien. Im Rahmen der genannten Themen fanden auch im Jahr 2018 europaweit zahlreiche Resonanzaktionen der PKK-Anhängerschaft, wie Kundgebungen und Hungerstreiks, statt. In Mecklenburg-Vorpommern werden der PKK ca. 250 Personen zugerechnet. Obwohl diese auch im Jahr 2018 grundsätzlich keine größeren öffentlichkeitswirksamen politischen Aktivitäten im Land entfalteten, gelingt es der PKK immer wieder, eine nicht unbedeutende Anzahl von Kurden aus Mecklenburg-Vorpommern zur Teilnahme an überregionalen Veranstaltungen zu mobilisieren. Aktuell ist insoweit jedoch ein rückläufiger Trend zu verzeichnen; als Grund wird allgemein sowohl der steigende Verfolgungsdruck durch deutsche und türkische Sicherheitsbehörden als auch eine wachsende Frustration der Kurden über den Status quo in den kurdischen Siedlungsgebieten vermutet. -- 111 -- 7.2.2 Aktivitäten der PKK in Deutschland Die PKK verfügt in Deutschland über einen konspirativ handelnden und streng hierarchisch organisierten Funktionärsapparat. Das gesamte Bundesgebiet ist dabei in Zuständigkeitsbereiche aufgeteilt, dem jeweils ein PKK-Führungsmitglied (sogenannter Gebietsverantwortlicher) vorsteht. Um sich der Verfolgung durch deutsche Sicherheitsbehörden zu entziehen, wechseln diese Führungskader regelmäßig und in kürzeren Zeitabständen europaweit ihr Zuständigkeitsgebiet. Mecklenburg-Vorpommern bildet zusammen mit dem größten Teil Schleswig-Holsteins das "Gebiet Kiel", das zum "Saha Nord" gehört und wiederum in einzelne Teilgebiete aufgeteilt ist. Eine der Hauptaufgaben dieser Führungskader ist die Beschaffung finanzieller Mittel zur Durchsetzung der Parteiziele und zur Verbreitung der PKK-Ideologie. Dies erfolgt überwiegend durch den Verkauf von Publikationen und durch Einnahmen aus Veranstaltungen. Ein großer Teil der Gelder wird darüber hinaus durch mehr oder weniger freiwillige "Spendensammlungen" in der PKK-Anhängerschaft erzielt. Entsprechende monatliche Sammlungen sowie gesonderte jährliche "Spenden"-Kampagnen finden auch in Mecklenburg-Vorpommern statt. Die Geldmittel werden überwiegend zur Aufrechterhaltung der konspirativen wie auch der "offenen" Organisationsstrukturen der PKK, für die PKK-nahen Medien und für die Ausrüstung und den Lebensunterhalt der Guerillatruppen in den Kampfgebieten im Nahen Osten verwendet. Aufgrund der in 2018 in Nordsyrien begonnenen und im Nordirak fortgesetzten türkischen Militäroperationen gegen die PKK und damit einhergehenden Verwicklung in Kampfhandlungen, ist deren Finanzbedarf im Jahr 2018 stark gestiegen. Nicht zuletzt vor dem Hintergrund der angespannten Lage in den kurdischen Siedlungsgebieten in Syrien und im Irak setzt die PKK ihre Rekrutierungsaktivitäten in allen Teilen Deutschlands fort und fordert ihre Anhänger auf, sich den bewaffneten Einheiten der PKK anzuschließen. Überwiegend Jugendliche und junge Er-- 112 -- wachsene werden nach einer erfolgreichen Rekrutierung und vor einem Einsatz auf ihre Tauglichkeit für entsprechende Aufgaben geprüft. Teilweise werden diese Personen im Nordirak ausgebildet und im Kampf in Syrien, der Türkei oder auch im Irak eingesetzt. Solange die vereinzelten Kämpfe zwischen dem IS und der PKK und die verstärkten Kampfhandlungen zwischen der PKK und den türkischen Sicherheitsund Militäreinsatzkräften andauern, dürften sich die Rekrutierungsbemühungen in ganz Europa fortsetzen. Trotz des seit 1993 bestehenden PKK-Verbots führten deren Anhänger auch im Jahr 2018 erneut europaweit zentrale Propagandaveranstaltungen, wie Podiumsdiskussionen, Hungerstreiks, Mahnwachen und massive Großdemonstrationen mit teilweise mehreren zehntausend Teilnehmern durch, an denen ebenfalls Personen aus Mecklenburg-Vorpommern teilnahmen. Neben den üblichen Themen, wie dem Schicksal des seit 1999 inhaftierten PKK-Führers Öcalan, dem PKK-Betätigungsverbot in Deutschland und den Auseinandersetzungen in den kurdischen Siedlungsgebieten stellte der Einmarsch türkischer Truppen in die nordsyrische Provinz Afrin Ende Januar 2018 einen besonderen Schwerpunkt dar.137 In vielen deutschen Städten fanden sich bis Anfang April 2018 hunderte bis tausende meist kurdische Demonstranten zu angemeldeten und spontanen Kundgebungen zusammen, um auf das Schicksal der syrischen Kurden aufmerksam zu machen und gegen die türkische Militärintervention zu protestieren. Dabei blieb 137 es nicht immer bei friedlichen Aktionen, wiederholt kam es auch zu gewalttätigen Attacken und Brandanschlägen gegen inländische türkische Einrichtungen und Moscheen, Parteizentralen von CDU und SPD, deutsche Rüs137 Internetseite "de.indymedia.org", abgerufen am 10.09.2018. -- 113 -- tungsfirmen und Banken. Deutsche Einrichtungen waren ins Ziel der PKK geraten, nachdem die Bundesregierung Waffenlieferungen in die Türkei genehmigt hatte. Die größten Demonstrationen fanden am 27. Januar 2018 in Köln mit ca. 15.000 und am 3. März 2018 in Berlin mit ca. 7.000 Teilnehmern statt. Darüber hinaus war auch aus den Reihen der PKK, PKK-naher und linksorientierter Verbände eine Mobilisierung zur Teilnahme an Protesten gegen den Staatsbesuch des türkischen Staatspräsidenten vom 27. bis 29. September 2018 in Berlin und Köln und den 25. Jahrestag des PKK-Verbotes am 1. Dezember 2018 in Berlin festzustellen. Insbesondere wurde hier in Zusammenarbeit mit linksgerichteten Organisationen zur Teilnahme an der Großdemonstration "ERDOGAN - NOT WELCOME" am 28. September 2018 und "Der Wunsch nach Freiheit lässt sich nicht verbieten-Demo gegen Polizeigesetze, PKK-Verbot und Nationalismus" in Berlin aufgerufen.138 Der Beginn der türkischen Militäroperation in Afrin/Syrien am 20. Januar 2018 war auch für die PKK-Jugendorganisation "Tevgera Ciwanen Soresger" (frühere Bezeichnung "Komalen Ciwan"/ "Ciwanen Azad") der Anlass, im Rahmen von prokurdischen Demonstrationen auf die Lage im nordsyrischen kurdischen Siedlungsgebiet aufmerksam zu machen. Einige der o. g. Gewaltaktionen gegen türkische Einrichtungen und inländische Parteizentralen gingen dabei auf das Konto der PKK-Jugend. Im Dezember 2018 fanden europaund bundesweit konzertierte Hungerstreikaktionen mit dem Ziel der Lockerung der Haftbedingungen des PKK-Vorsitzenden Öcalan statt. Organisiert wurden die Veranstaltungen in der Regel nicht unmittelbar durch die PKK, sondern überwiegend durch die örtlichen kurdischen Vereine und das "Demokratische Gesellschaftszentrum der Kurdinnen und Kurden in Deutschland" (NAV-DEM e. V.), welches als Dachverband dieser Vereine in Deutschland fungiert. Die Vereine haben den Auftrag, die Politik der PKK unter den Anhängern zu verbreiten und stellen sich in der Öffentlichkeit in der Regel als reine Kulturvereine dar. NAV-DEM e. V. ist zurzeit nicht vom Betätigungsverbot gegen die PKK und deren Nachfolgeor138 Ebd. -- 114 -- ganisationen erfasst. Nach seinem Selbstverständnis vertritt der Verein jedoch gleichwohl die politischen Interessen der PKK. Für eine Abkehr der PKK von ihrem so bezeichneten "Friedenskurs" im westlichen Europa gibt es derzeit keine Hinweise. In diesem Aktionsraum versucht die PKK vielmehr, kurdische Demonstranten zu einem gewaltfreien Verhalten zu verpflichten, um eine günstige öffentliche Wahrnehmung "der Kurden" nicht zu trüben und für eine Aufhebung des PKK-Verbots zu werben. Gleichwohl ist die PKK nach wie vor die mitgliederstärkste ausländerextremistische Organisation in Deutschland. Die aktuelle Lage in der Türkei und in den kurdischen Siedlungsgebieten ist dazu angetan, Auseinandersetzungen zwischen Anhängern der PKK und nationalistischen Türken und Islamisten zu entfachen. Ein Aufeinandertreffen dieser Gruppierungen kann insofern jederzeit zu Gewalteskalationen führen und bildet somit einen beständigen latenten Gefahrenherd für die innere Sicherheit in Deutschland. Wie in anderen deutschen Städten fanden ebenfalls in Mecklenburg-Vorpommern anlässlich des Beginns der türkischen Militäroperation in Afrin/Syrien prokurdische Demonstrationen statt, die insgesamt friedlich verliefen. Die größte Kundgebung wurde dabei am 27. Januar 2018 in Rostock mit ca. 400 Teilnehmern abgehalten. Weitere Veranstaltungen fanden am 27. Januar 2018 in Neubrandenburg mit ca. 70, am 28. Januar 2018 in Schwerin mit ca. 200, am 30. Januar 2018 in Greifswald mit ca. 20, am 24. März 2018 in Rostock mit ca. 200 und am 7. April 2018 in Wismar mit ca. 80 Teilnehmern statt. 7.2.3 Internetaktivitäten Für die PKK spielt das Internet eine immer wichtigere Rolle. Insbesondere die PKK-Jugend nutzt vorwiegend Videoportale (z. B. YouTube) oder soziale Netzwerke (z. B. Facebook), um Propaganda für die Guerillaeinheiten der PKK zu verbreiten, kurzfristig für Demonstrationen oder sonstige Protestaktionen zu mobilisieren oder um Nachwuchs für ihre Guerillaeinheiten zu rekrutieren. Die kurdische und PKK-nahe Nachrichtenagentur ANF NEWS (Firat-- 115 -- news Agency) berichtet im Internet regelmäßig über die verbotene PKK, den Guerillakampf gegen den türkischen Staat und stellt Einzelschicksale von Guerillakämpfern vor. 7.2.4 Kooperation mit deutschen Linksextremisten Im Verlauf des syrischen Bürgerkrieges und insbesondere seit Beginn der Kampfhandlungen zwischen dem IS und den PKK-nahen syrisch-kurdischen "Volksverteidigungseinheiten" (YPG) solidarisierten sich deutsche Linksextremisten verstärkt mit der kurdischen Autonomiebewegung. Diese Kurdistan-Solidarität deutscher Linksextremisten erhielt durch den Kampf der PKK gegen den IS erheblichen Auftrieb und nahm im Laufe der Zeit zunehmend konkretere Formen an. In der Folge haben sich nahezu bundesweit lose Aktionsbündnisse PKK-naher kurdischer, linker und linksextremistischer Gruppierungen sowie Solidaritätsgruppen mit linksextremistischer Beteiligung gebildet, die gegen den Fortbestand des PKK-Verbotes kämpfen. Bereits im Mai 2010 hatten PKK-nahe linksextremistische Gruppen ein bundesweites Aktionsbündnis unter der Bezeichnung "Tatort Kurdistan" gegründet. An dem Bündnis sind von PKK-Seite insbesondere die YEK-KOM, die sich im Juni 2014 in NAV-DEM umbenannte, sowie auf linksextremistischer Seite u. a. die MLPD beteiligt.139 Die Kampagne zielt darauf ab, angebliche Verwicklungen deutscher Behörden sowie der Industrie in den "Krieg der Türkei gegen die kurdische Zivilbevölkerung" aufzuzeigen. Zudem for139 dert die Kampagne die Aufhebung des Betätigungsverbots gegen die PKK in Deutschland und die Freilassung des seit 1999 in der Türkei inhaftierten PKK-Führers Abdullah Öcalan. 139 Internetseite "de.indymedia.org", abgerufen am 23.01.2017. -- 116 -- Die MLPD ist darüber hinaus maßgeblich in die Organisation der "Kobane-Solidaritätsbrigaden" eingebunden, einer Initiative der linksextremistischen "Internationalistischen Organisation revolutionärer Parteien 140 und Organisationen" (ICOR), der weltweit 48 Gruppierungen angehören. So wirbt die MLPD um Freiwillige für die Mitwirkung an diesen "Solidaritätsbrigaden", deren Ziel u. a. die Errichtung eines Gesundheitszentrums in Nordsyrien ist. Zur Unterstützung dieses Projekts sind auch deutsche Linksextremisten in die kurdisch kontrollierten Kampfgebiete Syriens gereist.140 Der Einmarsch der türkischen Truppen in die nordsyrische Kurdenprovinz Afrin zu Jahresbeginn 2018 hatte auch den Effekt, dass sich die bereits bestehenden ideologischen Überschneidungen zwischen Linksextremisten und Aktivisten und Sympathisanten der PKK weiter verfestigt haben. Beide Lager sehen ihre Ideale und Ziele, wie z. B. die Gleichberechtigung der Frau, Demilitarisierung, Sozialismus/Kommunismus und Antiimperialismus durch die türkische Intervention im Nachbarland gefährdet. Aus diesen Gründen haben sich die jeweiligen Protagonisten und Anhänger z. B. bei gemeinsam durchgeführten Demonstrationen gegenseitig unterstützt. Aufgrund der bestehenden Flüchtlingssituation und der besonderen Motivation infolge des syrischen Bürgerkrieges waren auf Seiten der PKK-Anhänger dort insbesondere syrische Kurden aktiv. Gewaltbereite Mitglieder der PKK-Jugendorganisation haben allem Anschein nach zusammen mit Linksextremisten im Rahmen der Proteste gegen die türkische Militäroperation in Afrin zu Gewaltoder Besetzungsaktionen gegen türkische und deutsche in140 Internetseite "rebell.info", abgerufen am 23.01.2017. -- 117 -- ländische Einrichtungen, Parteizentralen und Banken aufgerufen, solche Aktionen durchgeführt und entsprechende anonyme Bekennerschreiben zu den begangenen Straftaten verfasst und im Internet, z. B. 141 unter dem Blog "FIGHT4AFRIN"142 aufgelistet und veröffentlicht. Die zahlreichen schweren Straftaten, die bei diesen Aktionen begangen wurden (z. B. versuchter Mord, Brandstiftung), zogen entsprechende strafrechtliche Ermittlungs143 verfahren nach sich, die zu einer Reihe von Verurteilungen geführt haben. 141 Brandanschlag auf ein Vereinsgebäude der türkisch-ultranationalistischen "Grauen Wölfe" in Meschede am 11.03.2018, Internetseite "rojaciwan.eu", abgerufen am 11.03.2018. 142 Internetseite des Blogs "FIGHT4AFRIN" vom 08.03.2018 und 18.03.2018, abgerufen am 10.01.2019. 143 Internetseite "nuceciwan10.com", abgerufen am 18.03.2018. -- 118 -- 8 Spionageabwehr 8.1 Deutschland im Fokus ausländischer Nachrichtendienste Die Bundesrepublik Deutschland stellt mit ihrer Vielzahl an technologisch-wissenschaftlich hoch entwickelten und ausgerichteten Wirtschaftsunternehmen und Forschungseinrichtungen sowie ihrer Hochschullandschaft einen pulsierenden Produktionsund Innovationsraum dar. Zudem nimmt unser Land aufgrund seiner geostrategischen Lage und Mitgliedschaften in verschiedenen internationalen Einrichtungen, hier insbesondere in der Nordatlantischen Verteidigungsorganisation (NATO) und in der Europäischen Union (EU), die Rolle eines im politischen Wirkungsfeld verschiedener Staaten handelnden, bedeutsamen Akteurs ein. Insgesamt weckt dies kontinuierlich das Interesse und die Aufmerksamkeit weiterer international agierender Player und führt seit Jahren und mit anhaltend hoher Intensität zu Aufklärungsaktivitäten von Nachrichtendiensten verschiedener Staaten auf 144 deutschem Boden. Die Abwehr derartiger Tätigkeiten in Deutschland ist eine Kernkompetenz des Verfassungsschutzes und erfolgt im Rahmen einer gesetzlich normierten Aufgabenstellung durch die jeweiligen Fachbereiche Spionageabwehr im länderübergreifenden Verbund. Die Regierungen fast aller Staaten dieser Welt befinden sich im ständigen Wettlauf um wichtige und präzise Informationen aus dem Ausland, die insbesondere mit wirtschaftlichen, politischen und/oder militärischen Bezügen in nationale Entscheidungsprozesse einfließen und dortige Handlungsvorteile begründen sollen. 144 Foto: pixabay.com. -- 119 -- Insbesondere die Russische Föderation, die Volksrepublik China und die Islamische Republik Iran sind auch weiterhin als Hauptträger nachrichtendienstlicher bzw. in diesem Kontext als sicherheitsrelevant einzustufender Aktivitäten anzusehen. Diesbezüglich angewandte methodische Vorgehensweisen sind etwa die Abschöpfung öffentlich zugänglicher Informationen, das Abhören bzw. Überwachen der Telefonund Internetkommunikationsverbindungen, die klassische Anwerbung und Steuerung nachrichtendienstlich bedeutsamer Personen sowie die Durchführung verdeckter, hochkomplexer Angriffe im Cyberraum. Auch wenn die letztgenannte Methode in den vergangenen Jahren eine - auch der medialen Berichterstattung geschuldete - zunehmende Aufmerksamkeit bzw. Bedeutung erlangt hat, dürften Einsatz und Steuerung menschlicher Erkenntnisquellen in einem Zielobjekt aus Sicht eines Nachrichtendienstes nach wie vor als bevorzugt anzustreben und höchstwirksam zu betrachten sein. Darüber hinaus stehen jedoch auch die Aktivitäten weiterer ausländischer Nachrichtendienste, etwa die der Türkei, unter Beobachtung der deutschen Spionageabwehr. Kernaufgabe türkischer Dienste in Deutschland ist die Aufklärung von hier tätigen oppositionellen Organisationen. In diesem Zusammenhang wird der Bewegung des islamischen Predigers Fethullah Gülen eine besondere Bedeutung beigemessen. Diese Organisation wird aus Sicht der türkischen Regierung für den Putschversuch im Juli 2016 in der Türkei verantwortlich gemacht. Türkische Sicherheitsbehörden verfolgen seitdem weltweit vermeintlich Verantwortliche. Weitere Staaten, z. B. Syrien und Indien, legen ihr nachrichtendienstliches Augenmerk ebenfalls besonders auf im deutschen Exil lebende Oppositionsgruppen aus dem eigenen Land und sind bestrebt, diese zu infiltrieren bzw. deren Wirken in Deutschland einzudämmen. Die Bekämpfung der Proliferation, also die illegale Weiterverbreitung atomarer, biologischer oder chemischer Massenvernich-- 120 -- tungswaffen (ABC-Waffen) beziehungsweise der zu ihrer Herstellung erforderlichen Materialien sowie entsprechender Trägersysteme (z. B. Raketen) einschließlich des hierfür notwendigen Wissens, liegt im Zusammenwirken mit anderen Behörden auch im Zuständigkeitsbereich der Spionageabwehr. Unter diesen Gesichtspunkten sind im Wesentlichen die Islamische Republik Pakistan, die Islamische Republik Iran, die Demokratische Volksrepublik Korea (Nordkorea) und die Arabische Republik Syrien anzuführen. Deren Nachrichtendienste sind in vielfältigster Hinsicht in rechtswidrige Beschaffungsaktivitäten auf dem Gebiet der Proliferation eingebunden und bedienen sich dabei weltweit ausgerichteter, konspirativ agierender Geschäftsund Handelsstrukturen. Auf dem Feld der sicherheitsrelevanten Propagandaund Desinformationsaktivitäten, also der staatlich gesteuerten Manipulation der öffentlichen Meinungsbildung sowie entsprechender Einflussnahmen auf politische Entscheidungsträger in Deutschland, ist als maßgeblicher Akteur ebenfalls die Russische Föderation anzuführen. Hier gelangen umfangreiche Mittel und Methoden zur Anwendung, die unter dem vermeintlichen Deckmantel einer objektiven Berichterstattung, gezielt prorussische Sichtweisen und Argumentationsmuster platzieren und somit insgesamt den politischen Interessen Russlands dienen sollen. In diese Aktivitäten sind mehrere staatliche Einrichtungen, eine Vielzahl von Organisationen und Institutionen privater Trägerschaften sowie soziale Medien eingebunden. Die Tätigkeit der Spionageabwehr ist auf die Beobachtung aller rechtswidrigen nachrichtendienstlichen Aktivitäten auf deutschem Boden bzw. gegen Deutschland zielende Spionage und in diesem Kontext als sicherheitsgefährdend zu bezeichnenden Bestrebungen ausgerichtet und unterliegt insoweit keiner Festlegung auf einzelne Staaten. -- 121 -- 8.2 Vorsicht: nachrichtendienstliche Kontaktaufnahme über Soziale Netzwerke Soziale Netzwerke wie Facebook, LinkedIn und Xing bieten viele Möglichkeiten, mit interessanten Leuten Kontakte zu knüpfen, sich zu vernetzen oder einen neuen Job zu finden. Daher interessieren sich auch ausländische Nachrichtendienste in besonderem Maße für Soziale Netzwerke, denn sie enthalten eine Fülle von wichtigen Informationen: Details zur Biografie einer Person, zur Ausbildung, zur aktuellen Tätigkeit, zu Freunden und Kollegen. Hier werden Informationen zu persönlichen Gewohnheiten und Hobbys usw. herausgefiltert, wie etwa Lieblingsrestaurants, Reiseländer, politische Interessen ("Likes") und mehr. Gerade chinesische Nachrichtendienste waren in den letzten Jahren in Netzwerken wie LinkedIn und Facebook aktiv und dürften auch zukünftig bestrebt sein, sich über diesen Weg geeignete Zugänge zu erschließen bzw. geeignete Quellen zu werben. Zu diesem Zweck haben sie Fake-Profile geschaffen, über die entsprechende Anbahnungen erfolgen. Es werden häufig Personen ausgewählt, die sich mit für China wichtigen Themen befassen (z. B. Außenpolitik, EU, G7/G20-Gipfel, Wirtschaftsund Währungspolitik, Terrorismus, Uiguren, Tibet, Territorialkonflikte im Südchinesischen Meer etc.). Auch gehen chinesische Nachrichtendienste bevorzugt auf Personen zu, die schon einmal in China waren, oder die die Landessprache beherrschen. Oftmals sind dies Beschäftigte deutscher und europäischer Behörden, Diplomaten, Offiziere der Bundeswehr, Wissenschaftler, Studenten, Angestellte von Entwicklungshilfeorganisationen und sonstigen Institutionen sowie freie Politikberater mit Zugängen zu Ministerien oder anderen Behörden. Dabei treten die chinesischen Nachrichtendienste nicht offen auf, sondern tarnen sich als Mitarbeiter von Denkfabriken (Think Tanks), als Wissenschaftler (Research Fellow) oder Angehörige chinesischer Dienststellen (z. B. Stadtverwaltungen). Manchmal geben sie auch vor, als Personalvermittler (Headhunter) oder Manager von Consulting Firmen tätig zu sein. Diese Mitarbeiter füh-- 122 -- ren ihr Interesse hinsichtlich eines speziellen Arbeitsgebietes an und fragen nach Möglichkeiten eines diesbezüglichen Austausches. Auch wird mitgeteilt, dass ein "wichtiger Kunde" in China Interesse an Analysen aus diesem Arbeitsgebiet habe. Sobald die angesprochenen Personen dann Interesse zeigen, verläuft die Anbahnung typischerweise wie folgt: Die Personen werden im nächsten Schritt um ihren Lebenslauf und eine Probearbeit gebeten, für die eine Bezahlung erfolgt. Wenn diese Arbeit zur Zufriedenheit ausgefallen ist, wird eine Einladung nach China ausgesprochen, um sich mit dem "wichtigen Kunden" zu treffen. Dieser tritt jedoch niemals in Erscheinung und wird namentlich auch nicht benannt. Entstehende Kosten werden von der chinesischen Seite übernommen. Im weiteren Verlauf werden die Personen aufgefordert, gegen Bezahlung Berichte zu verfassen und/ oder interne, sensible Informationen aus ihrem Arbeitsbereich weiterzugeben. Unabhängig von der dargestellten Vorgehensweise erfolgen Anbahnung und Werbung häufig im Land selbst. Mitarbeiter dortiger Nachrichtendienste treten unter Verwendung der bereits skizzierten Legenden an die entsprechenden Personen heran. Hier wird versucht, eine scheinbar freundschaftliche Beziehung aufzubauen, aus dieser dann z. B. Vorschläge zur Mitarbeit an bestimmten Forschungsprojekten an die Betroffenen gerichtet werden. In der Folgezeit nehmen diese Aufträge immer konkretere Formen an, werden brisanter und die gezahlten finanziellen Beträge steigen. 8.3 Bedrohungen durch Cyberangriffe Moderne Gesellschaften sind Informationsgesellschaften. Dies bedeutet zugleich, dass sie von Informationen abhängig sind. Informationen müssen jederzeit verfügbar und korrekt sein, zugleich jedoch vor unberechtigter Kenntnisnahme geschützt werden. In Zeiten einer weltweiten massiven Vernetzung, also über alle Ländergrenzen hinweg, stellt dies eine enorme Herausforderung für jeden einzelnen Bürger, aber auch für Firmen, Organisa-- 123 -- tionen sowie Politik und Verwaltung dar. Die öffentlichen Diskussionen um Vorfälle rund um bekannt gewordene Datenskandale und Spionagefälle in den letzten Jahren zeigen die Vielfältigkeit der Gefahren und die Bedeutung von Datensicherheit für die Gesellschaft insgesamt. Wie einleitend im Abschnitt 8.1 dargestellt steht die Bundesrepublik Deutschland im Fokus ausländischer Nachrichtendienste. Die Bedeutung der Ausspähung von Informationen, mögen dies politische Angelegenheiten, wie Ver145 handlungsstrategien oder Informationen über politische Gegner, militärische Geheimnisse oder auch Firmen-Know-how, wie Konstruktionen oder Technologien sein, ist augenfällig. Dabei ist zu berücksichtigen, dass es in vielen Ländern zum gesetzlichen oder staatlichen Auftrag der Nachrichtendienste gehört, die eigene Volkswirtschaft durch die Beschaffung solcher Informationen zu unterstützen. Der hierdurch in Deutschland entstehende Schaden in der Wirtschaft bewegt sich in Milliardenhöhe und kann im Einzelfall existenzgefährdend sein. Das Beschaffen von Informationen ist jedoch nicht das einzige Ziel von Cyberangriffen. In vielen Fällen geht es auch um das Einwirken auf die gesellschaftliche Meinungsbildung. Beispiele hierfür sind die Versuche der Manipulation von Wahlen durch das Veröffentlichen von falschen Informationen über Bewerber oder die massenhafte Verbreitung von einseitigen Kommentaren und Meinungen in sozialen Medien mit dem Ziel der Diskreditierung einzelner Bewerber, um bestimmte politische Richtungen zu schädigen und damit andere zu fördern, oder aber einer politischen Destabilisierung unserer Gesellschaft im Allgemeinen. 145 Foto: Ministerium für Inneres und Europa Mecklenburg-Vorpommern. -- 124 -- Ein weiteres Ziel solcher Angriffe stellt das Vorbereiten oder Durchführen von Sabotage dar. Hierbei wird beispielsweise Schadsoftware in industrielle Steuerungssysteme eingeschleust, um diese insgesamt zu zerstören oder zumindest etwaige Produktionsabläufe zu behindern. Im Zentrum der Beobachtungen stehen hier die sogenannten Kritischen Infrastrukturen (kurz: KRITIS). Darunter werden Anlagen, Systeme oder Teile davon verstanden, die von wesentlicher Bedeutung für die Aufrechterhaltung wichtiger gesellschaftlicher Funktionen, der Gesundheit, der Sicherheit und des wirtschaftlichen oder sozialen Wohlergehens der Bevölkerung sind und deren Störung oder Zerstörung erhebliche Auswirkungen hätte, da ihre Funktion nicht aufrechterhalten werden könnten. Aufgrund der globalen digitalen Vernetzung erfolgen diese Angriffe auf unterschiedlichen Wegen von beliebigen unbekannten Orten. Das Enttarnungsund Gefährdungsrisiko ist hierbei gering. Dies macht es auch für ausländische Nachrichtenund Sicherheitsdienste interessant, sich dieser Mittel zu bedienen. Cyberkampagnen haben sich zu einem Standardwerkzeug vieler Nachrichtendienste entwickelt. Mehrere Staaten haben in den letzten Jahren ihre entsprechenden Fähigkeiten im Cyberraum kontinuierlich ausgebaut. Der digitale Datenraum hat sich zu einem Hochrisikoraum entwickelt. Besonders in Erscheinung getreten sind in den letzten Jahren Cyberangriffskampagnen, die Russland, China und dem Iran zugeordnet werden. Erinnert sei hier an die Russland zugeordnete Cyberangriffskampagne APT28, auch als FANCY BEAR bezeichnet, zu der auch der Angriff auf den Deutschen Bundestag im Mai 2015 oder gegen Parteistrukturen und Stiftungen im Mai 2016 in Deutschland gerechnet werden. Ebenso wird die Cyberangriffskampagne SNAKE, zu der auch der Cyberangriff auf den Rüstungsund Technologiekonzern RUAG zählt, Russland zugeordnet. China wird die Cyberangriffskampagne APT10, auch als STONE PANDA bezeichnet, zugerechnet. Das Aufklärungsinteresse gilt vor allem der Hochtechnologie, insbesondere in den von China -- 125 -- für die Entwicklung als besonders wichtig eingestuften zehn Schlüsseltechnologien, wozu beispielsweise Medizintechnik, Materialforschung, Steuerungstechnik oder die Energietechnik zählen. Speziell nach dem STUXNET-Schock (spezielles Schadprogramm zum Angriff auf ein industrielles System zur Überwachung und Steuerung) in 2010 konnte beobachtet werden, dass die iranischen Cyberfähigkeiten ausgebaut wurden. Dortiges Ziel ist es einerseits zwar, die internetgebundene Kommunikation zu kontrollieren, um Gefahren für die öffentliche Sicherheit zu begegnen und die eigene Infrastruktur zu schützen. Die Fähigkeiten werden jedoch andererseits auch offensiv zur Spionage und Sabotage genutzt. Die Abwehr von Gefahren aus dem Cyberraum ist ganz generell Aufgabe eines jeden Unternehmens, jeder Behörde und jeder sonstigen Einrichtung. Dieser allgemeine Schutz durch Technik muss jedoch durch umsichtiges Handeln jedes Einzelnen ergänzt werden. Systeme ohne technischen Grundschutz sind Angriffen gegenüber vollkommen ausgeliefert und stellen selbst eine Gefahr dar. Unbedachtes Handeln jedoch führt ebenso zu einer Gefährdung der eigenen Systeme und kann durch keine anderen Maßnahmen ausgeglichen werden. Darüber hinaus ist die Cyberabwehr eine Aufgabe der Sicherheitsbehörden. Während das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) technologische Unterstützung leistet und die Polizeibehörden für die Verfolgung von Straftaten zuständig sind, informieren, sensibilisieren und beraten die Verfassungsschutzbehörden im Rahmen ihrer gesetzlichen Zuständigkeiten zur Vorbeugung und Abwehr der skizzierten Gefahren. Hierzu sammeln sie entsprechende Informationen und werten diese aus. -- 126 -- 8.4 Wirtschaftsschutz - Herausforderung für Staat und Unternehmen Eine funktionsund leistungsfähige Wirtschaft ist eine wichtige und grundlegende Voraussetzung zur Gewährleistung eines modernen, staatlichen Gemeinwesens. Wie bereits ausgeführt, stellen deutsche Unternehmen und Forschungseinrichtungen seit vielen Jahren "Objekte der Begehrlichkeiten" für eine Vielzahl ausländischer Nachrichtendienste dar und sind somit permanent und in hoher Intensität entsprechenden Angriffen mit unterschiedlichster Ausprägung und Zielsetzung ausgesetzt. In diesem Lichte ist der Schutz der heimischen Wirtschaft gegen schädigende Handlungen und Entwicklungen mit Bezügen zur Spionage, Sabotage, Extremismus oder Terrorismus als gemeinsame Herausforderung für Staat und Unternehmen anzusehen. Die Verfassungsschutzbehörden von Bund und Länder stellen sich dieser Aufgabe und leisten im Rahmen der bestehenden Eigenverantwortung von Unternehmen durch Sensibilisierung und Aufklärung einen wirkungsvollen Beitrag zum Wirtschaftsschutz und somit letztendlich auch zur Sicherung des Standortes Deutschland. So erarbeiten und bündeln im Rahmen der Initiative Wirtschaftsschutz seit 2016 verschiedene Sicherheitsbehörden, Verbände und Unternehmen unter Koordinierung des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat (BMI) verschiedene Möglichkeiten eines zielführenden Handelns und führen diese durch partnerschaftliches Zusammenwirken optimierten Bearbeitungslinien zu. Für eine weiterführende, vertiefende Informationsvermittlung zu diesem Themenfeld steht Interessenten insbesondere die Internetplattform www.wirtschaftsschutz.info zur Verfügung. -- 127 -- 8.5 Spionageabwehr Mecklenburg-Vorpommern - Ihr Ansprechpartner vor Ort Die Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern können vor den drohenden Gefahren der zunehmenden Ausspähung von hier ansässigen und nachrichtendienstlich interessanten Personen, Unternehmen, Behörden sowie Organisationen nur warnen. Ausländische Nachrichtendienste versuchen etwa Personen, die in entsprechend relevanten politischen oder wirtschaftlichen Institutionen oder Firmen in Deutschland tätig sind, anzuwerben bzw. auf andere Weise an begehrte Betriebsgeheimnisse und Unterlagen zu gelangen. So kann es während der Aufenthalte von insbesondere chinesischen Besuchergruppen in Betrieben immer wieder zu Auffälligkeiten kommen, die auch unter Aspekten der Wirtschaftsspionage zu betrachten sind. In diesem Kontext sind etwa das scheinbar versehentliche Entwenden von technischen Gerätschaften (wie Laptops, Smartphones usw.) des gastgebenden Unternehmens, der Einsatz von elektronischen Speichermedien zur verdeckten Aufzeichnung, das vermeintliche Verlaufen einzelner Besucher in Sicherheitsbereiche der jeweiligen Institutionen oder die Übergabe von mit Schadsoftware infizierten USB-Sticks als Gastgeschenke anzuführen. Daher sollte in verantwortungsbewusster Vorbereitung von derartigen Besuchsaufenthalten grundsätzlich die oder der zuständige Sicherheitsbeauftragte des Unternehmens (oder auch der Behörde) unterrichtet und in Überlegungen zur Umsetzung geeigneter Präventionsmaßnahmen einbezogen werden. In diesem Zusammenhang wird z. B. angemerkt, dass es ggf. einzelnen Personen nicht gestattet sein sollte, sich frei bzw. abgesetzt von der jeweiligen Besuchergruppe ohne Beaufsichtigung bzw. Begleitung in Büroräumlichkeiten oder Produktionsräumen aufzuhalten. Auch wenn mit den vorstehenden Ausführungen insgesamt kein Generalverdacht über chinesische oder generell ausländische Staatsbürger ausgesprochen wird, geben vorliegende Erkennt-- 128 -- nisse doch berechtigten Anlass zu einer erhöhten Aufmerksamkeit sowie einem sensiblen Umgang mit der Thematik. Insgesamt sollten Einzelpersonen, Unternehmen, Behörden und sonstige Institutionen ein besonderes Interesse am Schutz ihrer vertraulichen, betriebsinternen Informationen haben 146 und durch ein angemessenes Verhalten im persönlichen und beruflichen Umfeld jederzeit den erforderlichen Sicherheitsinteressen Rechnung tragen. Im Kern einer kritischen Betrachtung geht es hier um die Frage, welche Informationen wirklich für außenstehende Dritte zur Verfügung gestellt werden müssen bzw. können, ohne dass hierdurch ein schädigender, ungewollter Datenabfluss - auch gerade mittels technischer Kommunikationsmöglichkeiten - eintritt. Zur Erfüllung unserer Aufgaben sind wir auch auf Ihre Mithilfe angewiesen. Insofern würden wir uns freuen, wenn unsere Ausführungen Ihr Interesse geweckt haben. Möglicherweise sehen Sie Gegebenheiten des täglichen, persönlichen Wirkens, etwa als Privatperson, beruflich Selbständiger oder Beschäftigter in der Wirtschaft oder dem öffentlichen Dienst, im Kontext vorstehender Ausführungen mitunter in einem anderen, neuen Licht und Ihnen fallen Erlebnisse bzw. Umstände ein, die Sie bislang nicht genau einordnen konnten und die ggf. einen nachrichtendienstlichen Hintergrund aufweisen. Spionage ist ein sehr reales, weitverbreitetes Phänomen mit vielfältigen Facetten und Ausprägungen, mit dem auch "ganz normale Menschen" in Berührung kommen können. Sollten Sie daher Hinweise haben bzw. erlangen, die auf eine mögliche 146 Foto: pixabay.com. -- 129 -- Spionagerelevanz deuten können, möchten wir Sie bitten, sich schnellstmöglich mit uns in Verbindung zu setzen. Im Rahmen einer vertraulichen Behandlung Ihrer Verdachtsmomente können wir Ihnen auch für den Fall einer eigenen persönlichen Verstrickung ggf. individuelle Lösungsansätze aufzeigen. Bei der Wahrnehmung unserer Tätigkeit arbeiten wir nach dem Opportunitätsprinzip, unterliegen also im Gegensatz zur Polizei nicht der Pflicht zur Verfolgung von möglichen Straftaten. Darüber hinaus stehen wir Ihnen auch zur Klärung von Sachverhalten, die nicht unmittelbar in die Zuständigkeit der hiesigen Spionageabwehr fallen, auf Wunsch bei der Vermittlung von weiteren kompetenten Ansprechpartnern anderer Dienststellen im Bundesgebiet selbstverständlich gern zur Verfügung. Wir sind für Sie da: Ministerium für Inneres und Europa Mecklenburg-Vorpommern Abteilung Verfassungsschutz -Spionageabwehr - Postfach 11 05 52 19005 Schwerin 147 Telefon: 0385 / 7420-0 Fax: 0385 / 714438 E-Mail: spionageabwehr@verfassungsschutz-mv.de 147 Foto: Silke Kaiser/pixelio.de. -- 130 -- 9 Öffentlichkeitsarbeit Der Verfassungsschutz soll die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand und die Sicherheit des Bundes sowie der Länder vor Gefahren schützen, die beispielsweise aus politischem Extremismus, Terrorismus, Rassismus, Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit oder Gewalt hervorgehen können. Dazu informiert er die zuständigen Stellen, wie z. B. die Polizei und andere Behörden sowie die Öffentlichkeit. Auf diese Weise können - durch die zuständigen Stellen - rechtzeitig die erforderlichen Maßnahmen zur Abwehr dieser Gefahren getroffen werden und die Öffentlichkeit wird hinsichtlich der Bedrohungen der Demokratie aufgeklärt und sensibilisiert. Diese Aufgabe ist im Landesverfassungsschutzgesetz Mecklenburg-Vorpommern gesetzlich festgelegt. Sie ist somit Verpflichtung aber auch Selbstverständnis für den Verfassungsschutz Mecklenburg-Vorpommern zugleich. Zur Erfüllung dieser Aufgabe veröffentlicht der Verfassungsschutz Mecklenburg-Vorpommern zusammenfassende Berichte und Broschüren. Der Verfassungsschutzbericht informiert über die wesentlichen während des Berichtsjahres gewonnenen Erkenntnisse, bewertet diese und gibt eine Prognose über die weitere Entwicklung der Bedrohungslage in unserem Bundesland ab. Der Bericht steht allen Bürgerinnen und Bürgern sowohl als bestellbare gedruckte Broschüre als auch in elektronischer Form auf der Internetseite des Verfassungsschutzes Mecklenburg-Vorpommern zur Verfügung. 9.1 Aktivitäten Im vergangenen Jahr informierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Verfassungsschutzes Mecklenburg-Vorpommern auf zahlreichen landesund bundesweiten Veranstaltungen das Fachpublikum und die Öffentlichkeit. Sie gaben Auskunft über die Arbeit und die Aufgaben der Sicherheitsbehörden, über neue -- 131 -- Entwicklungen im Verfassungsschutz sowie über die Entwicklungen in den unterschiedlichen Bereichen des politischen Extremismus und Terrorismus und stellten sich Diskussionen zu aktuellen Themen. Bei dem im Jahr 2018 veranstalteten Mecklenburg-Vorpommern-Tag vom 18. bis 20. Mai in der Hanseund Universitätsstadt Rostock war der Verfassungsschutz Mecklenburg-Vorpommern mit einem Infostand als ein Bestandteil des Gesamtauftritts des Ministeriums für Inneres und Europa Mecklenburg-Vorpommern vertreten. Eine Vielzahl von interessierten Bürgerinnen und Bürgern nutzte diese Möglichkeit, um Fragen zu stellen und sich zu informieren. Ferner wirkte der Verfassungsschutz Mecklenburg-Vorpommern im Jahr 2018 unter anderem bei den folgenden Veranstaltungen mit: * 17. Januar 2018 Teilnahme an der AG der Ordnungsämter im Landkreis Nordwestmecklenburg in Grevesmühlen mit Informationsund Erfahrungsaustausch zur aktuellen Situation beim Umgang mit "Reichsbürgern und Selbstverwaltern". * 25. Januar 2018 Vortrag mit anschließender Diskussion vor dem 1. Studienjahr des 7. Gemeinsamen Ratanwärterlehrgangs der Bundespolizei und des Bundeskriminalamtes zum Thema "Verfassungsrechtliche Kompetenzverteilung zwischen Polizei und Verfassungsschutzbehörden" an der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung in Lübeck. * 5. März 2018 Durchführung des bundesweiten Workshops zum SS 58a des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) mit Vertretern von Sicherheitsund Ausländerbehörden in der Vertretung des Landes Mecklenburg-Vorpommern beim Bund in Berlin. -- 132 -- * 18. und 19. April 2018 Teilnahme an den Danziger Gesprächen in Heringsdorf auf der Insel Usedom mit Vortrag zum Thema "Abwehr von Wirtschaftsspionage" vor Vertretern von Sicherheitsbehörden, Militär, Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Medien. * 15. Mai 2018 Durchführung von Workshops mit Schülern in Neustrelitz zu den Thematiken "Rechtsextremismus" sowie "Islamismus" im Rahmen des Jugendpolitiktages der Konrad-Adenauer-Stiftung. * 28. Mai 2018 Teilnahme am Gespräch über die Sicherheit bei der Digitalisierung in der Wirtschaft vor Präsidenten und Hauptgeschäftsführern der Wirtschaftsverbände in Schwerin. * 31. Mai 2018 Teilnahme am Symposium im Rahmen der Sicherheitskooperation der ostdeutschen Länder und Berlins in Magdeburg zum Thema "Provokation und Propaganda - Neue Dynamiken antisemitischer Agitation". * 10. und 11. September 2018 Teilnahme am Fachkongress Deutschlands für ITund Cybersicherheit bei Staat und Verwaltung (PITS) in Berlin mit Vortrag und Teilnahme an der Expertenrunde zum Thema "Wirtschaftsspionage". * 14. November 2018 Vortrag zum Thema "Reichsbürger und Selbstverwalter" bei der Industrieund Handelskammer Schwerin vor Vertretern der Gewerbeämtern Mecklenburg-Vorpommerns. -- 133 -- Die Sicherheitskonferenzen in den Landkreisen und kreisfreien Städten wurden im Jahr 2018 unter der Teilnahme des Verfassungsschutzes Mecklenburg-Vorpommern und in Zusammenarbeit mit den Polizeibehörden fortgesetzt. Die Veranstaltungen fanden im Zeitraum Oktober bis Dezember statt und dienten zur Information über die einzelnen Phänomenbereiche in der jeweiligen Region. Darüber hinaus setzte der Verfassungsschutz Mecklenburg-Vorpommern seine Informationsarbeit über das Auftreten der sogenannten "Reichsbürger und Selbstverwalter" (siehe Abschnitt 4) im öffentlichen Raum fort. Im Berichtszeitraum nahmen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Verfassungsschutzes Mecklenburg-Vorpommern an insgesamt zehn Veranstaltungen teil, die zahlreiche Bedarfsträger aus der öffentlichen Verwaltung oder Hoheitsträger mit Vollstreckungsaufgaben zum richtigen Umgang mit dem Phänomen informierten. Die Verfassungsschutzbehörde Mecklenburg-Vorpommern ist Teil des Beratungsnetzwerks Demokratie und Toleranz Mecklenburg-Vorpommern (www.demokratie-mv.de). Bei diesem Netzwerk handelt es sich um einen Zusammenschluss aus Behörden und nichtstaatlichen Beratungsorganisationen sowie Akteuren in freier Trägerschaft. Durch die Mitwirkung im landesweiten Beratungsnetzwerk sowie in den Regionalzentren für demokratische Kultur werden Einschätzungen zu extremistischen Entwicklungen in die Diskussionen eingebracht. Sofern Sie eine Vortrags-, Informationsveranstaltung oder eine Fachmesse vorbereiten, die Sachbezug zur Arbeit des Verfassungsschutzes aufweist, können Sie sich direkt an den Verfassungsschutz des Landes Mecklenburg-Vorpommern, unter der Telefon-Nummer 0385/ 7420-0, wenden oder hierzu Kontakt über die Internetseite www.verfassungsschutz-mv.de aufnehmen. -- 134 -- 9.2 Informationsmaterialien Informationsmaterialien können kostenlos beim Verfassungsschutz Mecklenburg-Vorpommern angefordert oder auf der Internetseite www.verfassungsschutz-mv.de herunter geladen werden. Im Jahr 2018 hat der Verfassungsschutz Mecklenburg-Vorpommern mehr als 650 Publikationen kostenfrei an interessierte Bürgerinnen und Bürger sowie Einrichtungen des Landes Mecklenburg-Vorpommern und über die Landesgrenzen hinaus versendet. * Verfassungsschutzberichte der Jahre 2006 bis 2018 * Rituale und Symbole der rechtsextremistischen Szene Rituale und Symbole der rechtsextremistischen Szene (Historische und ideologische Hintergründe des Rechtsextremismus, Juli 2015) Ministerium für Inneres und Sport Mecklenburg-Vorpommern Abteilung Verfassungsschutz 1 * Infoflyer "Reichsbürger und Selbstverwalter" in Mecklenburg-Vorpommern (Behördenund Bürgerinformation) "Reichsbürger und Selbstverwalter" "Reichsbürger und Selbstverwalter" in Mecklenburg-Vorpommern in Mecklenburg-Vorpommern Behördeninformation Bürgerinformation WEHRHAFTE DEMOKRATIE FÜR FREIHEIT UND SICHERHEIT WEHRHAFTE DEMOKRATIE FÜR FREIHEIT UND SICHERHEIT -- 135 -- * Islamistische Aktivitäten erkennen (Kompaktinformation zu Salafismus Ministerium für Inneres und Sport Abteilung Verfassungsschutz und anderen Formen des Islamismus Islamistische Aktivitäten erkennen für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Flüchtlingseinrichtungen, April 2016) Kompaktinformation zu Salafismus und anderen Formen des Islamismus für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Flüchtlingseinrichtungen 1 * Wirtschaftsschutz - mehrteilige Faltblattserie (Gemeinschaftsproduktion der Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern) zu den folgenden Einzelthemen: * Unsere Themen: Das sollten Sie wissen * Know-how-Schutz: Identifizieren, Bewerten, Schützen * Geschäftsreisen: Sicherheit bei Auslandsreisen * Personalauswahl: Loyalität als Sicherheitsgewinn * Sicherheitslücke Mensch: Gefahr durch Innentäter * Social Engineering: Informationsbeschaffung durch soziale Manipulation * Social Media: Risiken durch soziale Netzwerke * Besuchermanagement: Umgang mit Besuchern und Fremdpersonal * Elektronische Angriffe: Gefahren für Informationsund Kommunikationstechnik * Industrie 4.0: Herausforderungen neuer Technologien * Fokus Wirtschaft: Gefahren für Forschung und Lehre * Cloud Computing: Was KMU wissen und beachten sollten -- 136 -- * Proliferation - Wir haben Verantwortung (Bundesamt für Verfassungsschutz für die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Ländern, Juli 2018) * Wirtschaftsspionage - Telekommunikationsanlagen Drahtlose Verbindungen Verfassungsschutz Fotokopierer Soziale Netzwerke Risiko für Unternehmen, Cloud Computing Cyberangriffe Konkurrenzausspähung Sicherheitsvorfall Kryptierung Know-how-Schutz Competitive-Intelligence Wissenschaft und Forschung Schnittstellen Informationsschutz Produktionsanlagen Social Engineering Russland Abfotografieren Rootkits Sicherheit Satellitenaufklärung (Gemeinschaftsproduktion der Wirtschaftsschutz Proliferation Trojaner China Legalresidentur Mobile Geräte Verfassungsschutzbehörden von Personalauswahl Spionageabwehr Sicherheitslücken Wirtschaftsspionage Bund und Ländern, Juli 2014) Praktikanten Mittelstand Joint-Venture Kritis Risiko für Unternehmen, Outsourcing Sensible Informationen geheim DDoS Wissenschaft und Botnetze Würmer Industrie Forschung Kompromat Gastwissenschaftler Kronjuwelen Innentäter Quellen Ausforschung Einbruchsdiebstahl Messen Nachrichtendienste Smart-Meter Besuchermanagement BYOD VISA-Bestimmungen Sensibilisierung Zertifizierung Gesprächsabschöpfung Bund Dumpster Diving Länder Darüber hinaus stellt das Ministerium für Inneres und Europa Mecklenburg-Vorpommern weitere Broschüren und Information bereit, die kostenlos als Download unter der Adresse www.regierung-mv.de zur Verfügung stehen. Zusätzlich wird an dieser Stelle auch auf das umfassende Publikationsangebot des Bundesamtes für Verfassungsschutz zu allen Themenbereichen (z.B. Cyberangriffe, Spionage, Linksextremismus, Ausländerextremismus, "Reichsbürger") hingewiesen. Die Publikationen können unter www.verfassungsschutz.de als Download abgerufen oder bestellt werden. -- 137 -- 9.3 Ausund Fortbildung/Praktika Im Rahmen von Ausund Fortbildungsveranstaltungen halten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Verfassungsschutzes Mecklenburg-Vorpommern an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung, Polizei und Rechtspflege des Landes Mecklenburg-Vorpommern in Güstrow (FHöVPR) sowohl Vorträge mit fachlichem Bezug zu der Tätigkeit und den Aufgaben des Verfassungsschutzes als auch zu ausgesuchten, aktuellen sicherheitspolitischen Themen. Grundlage ist eine Kooperationsvereinbarung mit der FHöVPR, die seit 2010 Bestand hat. Im Jahr 2018 erfolgten Vorträge vor angehenden Polizeibeamten zu den Themen Organisation und Aufgaben des Verfassungsschutzes und Schnittstellen zum polizeilichen Staatsschutz, zum Phänomen der sogenannten Reichsbürger und Selbstverwalter sowie zum Islamismus. Um das gegenseitige Verständnis für die jeweiligen Aufgaben zu fördern und den Informationsaustausch zu verbessern, finden seit Juni 2014 gegenseitige mehrtägige Hospitationen zwischen dem Verfassungsschutz Mecklenburg-Vorpommern und dem Landeskriminalamt Mecklenburg-Vorpommern, Abteilung Staatsschutz, in verschiedenen Fachbereichen statt. Im Jahr 2018 haben neun Mitarbeiterinnen bzw. Mitarbeiter des LKA M-V an Hospitationen in verschiedenen Fachbereichen des Verfassungsschutzes teilgenommen. Die Fortsetzung dieser Hospitationen wird auch für die Zukunft angestrebt. -- 138 -- Abkürzungsverzeichnis AfD Alternative für Deutschland AG GGG Artgemeinschaft Germanische-Glaubens-Gemeinschaft AKK Antikapitalistisches Kollektiv APT Advanced Persistent Threat AufenthG Aufenthaltsgesetz BAMAD Bundesamt für den Militärischen Abschirmdienst BAMF Bundesamt für Migration und Flüchtlinge BfV Bundesamt für Verfassungsschutz BKA Bundeskriminalamt BMI Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat BND Bundesnachrichtendienst BRD Bundesrepublik Deutschland BSI Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik BUND Bund für Umwelt und Naturschutz BVerfG Bundesverfassungsgericht BVerfSchG Bundesverfassungsschutzgesetz B&H Blood and Honour DHKP-C Devrimci Halk Kurtulus Partisi/Cephesi (Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front) DKP Deutsche Kommunistische Partei DML Deutschland muss Leben e.V. fdGO freiheitlich demokratische Grundordnung FDP Freie Demokratische Partei FSF Feine Sahne Fischfilet F.i.e.L. Fremde im eigenen Land G 10 Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses G20 Gruppe der Zwanzig GBA Generalbundesanwalt -- 139 -- GdVuST Geeinte deutsche Völker und Stämme GETZ Gemeinsames Extremismusund Terrorismusabwehrzentrum GG Grundgesetz GTAZ Gemeinsames Terrorismusabwehrzentrum HAMAS Harakat al-Muqawama al-Islamiya HDP Halklarin Demokratik Partisi IBD Identitäre Bewegung Deutschland IB MV Identitäre Bewegung Mecklenburg-Vorpommern IBÖ Identitäre Bewegung Östereich ICOR Internationalistische Organisation revolutionärer Parteien und Organisationen IL Interventionistische Linke IMK Innenministerkonferenz IS Islamischer Staat IT Informationstechnologie JN Junge Nationalisten KADEK Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistans KCK Koma Civaken Kurdistan KDStV Katholische Deutsche Studentenverbindung KE Kaukasisches Emirat KKK Koma Komalen Kurdistan KONGRA Kongra Gele Kurdistan (Arbeiterpartei Kurdistans) GEL KPV Kommunalpolitische Vereinigung der NPD KRITIS Kritische Infrastrukturen LfDI Landesbeauftragter für den Datenschutz und Informationsfreiheit LfV Landesbehörde für Verfassungsschutz LKA M-V Landeskriminalamt Mecklenburg-Vorpommern LRH M-V Landesrechnungshof Mecklenburg-Vorpommern LVerfSchG Landesverfassungsschutzgesetz Mecklenburg-VorM-V pommern -- 140 -- MC Motorcycle Club MKP Maoistische Kommunistische Partei MLKP Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei MLPD Marxistisch-Leninistische Partei Deutschland MuP Mecklenburg und Pommern MVGIDA Mecklenburg-Vorpommern gegen die Islamisierung des Abendlandes MVSE Mecklenburg-Vorpommersche Strukturentwicklungsgenossenschaft eG NATO North Atlantic Treaty Organization (Nordatlantische Vertragsorganisation) NAV-DEM Demokratisches Gesellschaftszentrum der Kurdinnen und Kurden in Deutschland NIAS Nachrichtendienstliche Informationsund Analysestelle NPD Nationaldemokratische Partei Deutschland NSDAP Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei NSR Nationale Sozialisten Rostock NSU Nationalsozialistischer Untergrund OLG Oberlandesgericht PartG Gesetz über die politischen Parteien (Parteiengesetz) PIAS Polizeiliche Informationsund Analysestelle PMK Politisch motivierte Kriminalität PKK 1. Parlamentarische Kontrollkommission des Landtages Mecklenburg-Vorpommern 2. Partiya Karkeren Kurdistan (Arbeiterpartei Kurdistans) PUA Parlamentarischer Untersuchungsausschuss RAF Rote Armee Fraktion RED Rechtsextremismusdatei RH Rote Hilfe RNF Ring Nationaler Frauen RWE Rheinisch-Westfälisches Elektrizitätswerk AG SAV Sozialistische Alternative -- 141 -- SDAJ Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend SOO Soldiers of Odin Germany Mecklenburg-Vorpommern SRH Schwarz-Rote-Hilfe SS Schutzstaffel der NSDAP StGB Strafgesetzbuch SÜG M-V Sicherheitsüberprüfungsgesetz Mecklenburg-vorpommern TAK Freiheitsfalken Kurdistans (deutsche Bezeichnung) TATP Triacetontriperoxid TKP/ML Türkische Kommunistische Partei/Marxisten-Leninisten VP Vertrauensperson WaffVwV Allgemeine Verwaltungsvorschrift zum Waffengesetz YPG Volksverteidigungseinheiten (Yekineyen Parastina Gel) -- 142 -- Glossar Anti-Antifa Unter dem Begriff "Anti-Antifa" verfolgen Neonazis in Anlehnung an Terminologie und Vorgehensweise von Linksextremisten ein Konzept zur Erfassung und Veröffentlichung von Daten über politische Gegner. Deutlich wird dabei eine Bereitschaft zur Gewaltanwendung. Antifaschismus "Antifaschismus" als Begriff wird auch von Demokraten verwendet, um ihre Ablehnung des Rechtsextremismus zum Ausdruck zu bringen. Mehrheitlich nehmen jedoch Linksextremisten diesen Begriff für sich in Anspruch. Sie behaupten, dass der kapitalistische Staat den Faschismus hervorbringe, zumindest aber toleriere. Daher richtet sich der Antifaschismus nicht nur gegen tatsächliche oder vermeintliche Rechtsextremisten, sondern immer auch gegen den Staat und seine Vertreter, insbesondere Angehörige der Sicherheitsbehörden. Anti-Terror-Datei (ATD) Die Anti-Terror-Datei (ATD) ist eine gemeinsame Datei des Bundes und der Länder zur Aufklärung und Bekämpfung des internationalen Terrorismus mit Bezug zur Bundesrepublik Deutschland auf Grundlage des Antiterrordateigesetzes (ATDG). Advanced Persistent Threat (APT) Der Begriff "Advanced Persistent Threat" wird im Bereich der Cyber-Bedrohungen (Cyberangriff) für einen komplexen, zielgerichteten und effektiven Angriff auf IT-Infrastrukturen und vertrauliche Daten von Behörden und Unternehmen verwendet. Vielfach werden Angriffskampagnen vereinfacht mit APT und einer Nummer (z. B. APT28) versehen um damit die Angriffskampagne zu kennzeichnen. Das Ziel eines solchen Angriffes ist insbesondere die lang anhaltende Handlungsfähigkeit des Angreifers sicherzustellen. Dazu versucht dieser sich nach erfolgreichem Eindringen entweder möglichst unauffällig zu verhalten oder sich möglichst schnell und umfassend in den angegriffenen Systemen auszubreiten und festzusetzen. Der Angreifer geht i. d. R. sehr gezielt vor und nimmt auch großen Aufwand in Kauf um sein Ziel zu erreichen. -- 143 -- Ausländerextremismus Extremistische Ausländerorganisationen verfolgen in Deutschland Ziele, die typischerweise durch aktuelle Ereignisse und politische Entwicklungen in ihren Heimatländern bestimmt sind. Entsprechend ihrer politischen Ausrichtung handelt es sich dabei beispielsweise um linksextremistische Organisationen (z. B. die türkische "Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front (DHKP-C)), soweit sie in ihren Heimatländern ein sozialistisches bzw. kommunistisches Herrschaftssystem anstreben oder um nationalistische Organisationen, die ein überhöhtes Selbstverständnis von der eigenen Nation haben und die Rechte anderer Völker missachten. Daneben gibt es separatistische Organisationen, die eine Loslösung ihres Herkunftsgebietes aus einem bereits bestehenden Staatsgebilde und die Schaffung eines eigenen Staates verfolgen. Die größte von den Verfassungsschutzbehörden beobachtete ausländerextremistische Organisation in Deutschland ist nach wie vor die unter der Bezeichnung PKK bekannte "Arbeiterpartei Kurdistans". Autonome Kennzeichnend für die Bewegung der Autonomen, die über kein einheitliches ideologisches Konzept verfügt, ist die Ablehnung staatlicher und gesellschaftlicher Normen und Zwänge, die Suche nach einem freien, selbstbestimmten Leben in herrschaftsfreien Räumen und der Widerstand gegen den demokratischen Staat und seine Institutionen, wobei Gewalt von Autonomen grundsätzlich als Aktionsmittel ("militante Politik") akzeptiert ist. Autonome bilden den weitaus größten Anteil des gewaltbereiten linksextremistischen Personenpotenzials. Das Selbstverständnis der heterogenen autonomen Bewegung ist geprägt von Anti-Einstellungen ("antikapitalistisch", "antifaschistisch", "antipatriarchal"). Diffuse anarchistische und kommunistische Ideologiefragmente ("Klassenkampf", "Revolution" oder "Imperialismus") bilden den Rahmen ihrer oftmals spontanen Aktivitäten. Eine klassische Form autonomer Gewalt ist die so genannte Massenmilitanz. Das sind Straßenkrawalle, die sich im Rahmen von Demonstrationen oder im Anschluss daran entwickeln. Hierbei kommt es regelmäßig auch zu Gewaltexzessen. -- 144 -- Autonome Freiräume Als "autonome Freiräume" können vor allem besetzte Häuser, Wohnprojekte und selbstverwaltete Jugendund Kulturzentren gelten, deren Existenz und Erhalt Linksextremisten bedroht sehen, wenn sich die Besitzund Eigentumsverhältnisse ändern. Bestrebungen, extremistische Bestrebungen sind nach allgemeinem Sprachgebrauch alle auf ein Ziel gerichteten Aktivitäten. Extremistische Bestrebungen im Sinne der Verfassungsschutzgesetze sind im Wesentlichen politisch bestimmte, zielund zweckgerichtete Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluss gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, gegen den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes. Von Einzelpersonen gehen solche Bestrebungen nur dann aus, wenn sie auf die Anwendung von Gewalt gerichtet sind oder eines der obigen Schutzgüter erheblich beschädigen können. Cyberangriffe Elektronische Angriffe Elektronische Angriffe Mit dem Begriff "Elektronische Angriffe" werden Maßnahmen mit und gegen IT-Infrastrukturen bezeichnet. Neben der Informationsbeschaffung fallen darunter auch Aktivitäten, die zur Schädigung bzw. Sabotage dieser Systeme geeignet sind. Dazu gehören insbesondere das Ausspähen, Kopieren oder Verändern von Daten, die Übernahme einer fremden elektronischen Identität, der Missbrauch oder die Sabotage fremder IT-Infrastrukturen sowie die Übernahme von computergesteuerten, netzgebundenen Produktionsund Steuereinrichtungen. Die Angriffe können dabei sowohl von außen über Computernetzwerke, wie z. B. das Internet erfolgen, als auch durch einen direkten, nicht netzgebundenen Zugriff auf einen Rechner, z. B. mittels manipulierter Hardwarekomponenten wie Speichermedien (z. B. USB-Sticks). -- 145 -- Fanzine Der Begriff setzt sich aus den Worten "Fan" und "Magazine" zusammen und bezeichnet Publikationen, die innerhalb einer subkulturellen Szene szeneinterne Informationen verbreiten. In der subkulturell geprägten rechtsextremistischen Szene informieren diese Publikationen über Musikgruppen, Tonträger, Konzerte sowie sonstige Szeneveranstaltungen. Aktivisten und rechtsextremistische Gruppierungen erhalten in Interviews Gelegenheit zur Selbstdarstellung und zur Verbreitung ihres extremistischen Gedankengutes. Gefährder Ein Gefährder ist eine Person, zu der bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie politisch motivierte Straftaten von erheblicher Bedeutung, insbesondere solche im Sinne des SS 100a StPO, begehen wird. Die Einstufung einer Person als Gefährder erfolgt durch die Polizei ( Relevante Person). Gemeinsames Extremismusund Terrorismusabwehrzentrum (GETZ) Das GETZ hat am 15. November 2012 seine Arbeit aufgenommen. Ziel ist die Bekämpfung des Rechts-, Links-, Ausländerextremismus/-terrorismus, Spionage und Proliferation. Ziel ist es, die Fachexpertise aller Behörden unmittelbar zu bündeln und einen möglichst lückenlosen und schnellen Informationsfluss sicherzustellen. Gemeinsames Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ) Das 2004 eingerichtete "Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum" (GTAZ) in Berlin-Treptow mit einer "Nachrichtendienstlichen Informationsund Analysestelle" (NIAS) sowie einer "Polizeilichen Informationsund Analysestelle" (PIAS) konzentriert die Experten für Terrorismusabwehr der deutschen Sicherheitsbehörden an einem Ort. Im GTAZ sind die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder, das Bundeskriminalamt (BKA), die Landeskriminalämter und der Bundesnachrichtendienst (BND) eingebunden. Weitere Teilnehmer sind die Bundespolizei, das Zollkriminalamt (ZKA), das Bundesamt für den Militärischen Abschirmdienst (BAMAD), das Bundesamt für Migration und Flücht-- 146 -- linge (BAMF) und Vertreter der Generalbundesanwaltschaft. Die Abstimmung von Bewertungen und Maßnahmen bei sicherheitsrelevanten Sachverhalten mit Terrorismusbezug wird erleichtert und beschleunigt. Gentrifizierung Der Begriff beschreibt die Umstrukturierung ganzer Wohnviertel und Stadtteile zu hochwertigen Wohnquartieren und damit einhergehend die Veränderung der Wohnbevölkerung. Dieses Themenfeld kommt häufig in Ballungsräumen vor. Islamismus Der Begriff des Islamismus bezeichnet eine religiös motivierte Form des politischen Extremismus. Islamisten sehen in den Schriften und Geboten des Islam nicht nur Regeln für die Ausübung der Religion, sondern auch Handlungsanweisungen für eine islamistische Staatsund Gesellschaftsordnung. Ein Grundgedanke dieser islamistischen Ideologie ist die Behauptung, alle Staatsgewalt könne ausschließlich von Gott (Allah) ausgehen. Damit richten sich islamistische Bestrebungen gegen die Vorschriften des Grundgesetzes, insbesondere gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung. Islamisten halten die Etablierung einer islamischen Gesellschaftsordnung für unabdingbar. Dieser Ordnung sollen letztlich sowohl Muslime als auch Nicht-Muslime unterworfen werden. Sonderformen des Islamismus sind der Salafismus () und der islamistische Terrorismus (). Islamistischer Terrorismus Mit dem Begriff "islamistischer Terrorismus" wird Terrorismus (), d. h. die Verübung schwerer Straftaten, wie sie in SS 129a Abs. 1 StGB genannt sind, oder andere Straftaten, die zur Vorbereitung solcher Straftaten dienen, bezeichnet, der sich unter Berufung auf den Islam bzw. dessen selektive Auslegung und politische Instrumentalisierung darauf abzielt, eine nach eigener Auffassung "islamische Ordnung" bzw. einen "islamischen Staat" zu errichten. Dem "islamistischen Terrorismus" werden sunnitische Gruppierungen, hierunter sowohl salafistische (z. B. "al-Qaida") als auch nicht-salafistische (z. B. HAMAS), sowie schiitische Gruppierungen (z. B. "Hizb Allah") zugerechnet. -- 147 -- Jihad Die wörtliche Übersetzung dieses Begriffs ist "Anstrengung" oder "Bemühung". Es gibt zwei Formen des Jihad: die geistig-spirituelle Bemühung des Gläubigen um das richtige religiöse und moralische Verhalten gegenüber Gott und den Mitmenschen (so genannter großer Jihad) oder der kämpferische Einsatz zur Verteidigung oder Ausdehnung des islamischen Herrschaftsgebiets (so genannter kleiner Jihad). Von militanten islamistischen ( Islamismus) Gruppen wird der Jihad häufig als religiöse Legitimation für Terroranschläge verwendet. Kameradschaften, rechtsextremistische Unter dem Begriff "Kameradschaften" werden i. d. R. neonazistische lokale Gruppierungen verstanden. Sie umfassen meist etwa 10 bis 20 Mitglieder und sind - im Gegensatz zu den Cliquen der subkulturell geprägten gewaltbereiten rechtsextremistischen Szene - deutlich durch den Willen zu politischer Aktivität geprägt. Obwohl sie meist nur geringe vereinsähnliche Strukturen aufweisen, sind sie durch eine verbindliche Funktionsverteilung dennoch deutlich strukturiert. Mitglieder von Kameradschaften rechnen sich in der Regel den neonazistisch geprägten sog. "Freien Nationalisten" zu. Kritische Infrastrukturen (KRITIS) Unter dem Begriff "Kritische Infrastrukturen" werden Organisationen und Einrichtungen mit hoher Bedeutung für das staatliche Gemeinwesen verstanden, bei deren Ausfall oder wesentlicher Beeinträchtigung nachhaltig wirkende Versorgungsengpässe oder andere dramatische Folgen eintreten würden. Linksextremismus Mit diesem Begriff werden Bestrebungen von Personenzusammenschlüssen bezeichnet, für die alle oder einige der folgenden Merkmale charakteristisch sind: * Bekenntnis zum Marxismus-Leninismus als "wissenschaftliche" Anleitung zum Handeln; daneben - je nach Ausprägung der Partei oder Gruppierung -Rückgriff auch auf Theorien weiterer Ideologen wie Stalin, Trotzki, Mao Zedong und andere, -- 148 -- * Bekenntnis zur sozialistischen oder kommunistischen Transformation der Gesellschaft mittels eines revolutionären Umsturzes oder langfristiger revolutionärer Veränderungen, * Bekenntnis zur Diktatur des Proletariats oder zu einer herrschaftsfreien (anarchistischen) Gesellschaft, * Bekenntnis zur revolutionären Gewalt als bevorzugte oder - je nach den konkreten Bedingungen - taktisch einzusetzende Kampfform. Linksextremistische Parteien und Gruppierungen lassen sich grob in zwei Hauptströmungen einteilen: * dogmatische Marxisten-Leninisten und sonstige revolutionäre Marxisten: In Parteien oder anderen festgefügten Vereinigungen organisiert, verfolgen sie die erklärte Absicht, eine sozialistische bzw. kommunistische Gesellschaftsordnung zu errichten, * Autonome, Anarchisten und sonstige Sozialrevolutionäre: In losen Zusammenhängen, seltener in Parteien oder formalen Vereinigungen agierend, streben sie ein herrschaftsfreies, selbstbestimmtes Leben frei von jeglicher staatlicher Autorität an. NADIS Das NAchrichtenDienstliche InformationsSystem und Wissens Netz (NADIS WN) ist das zentrale Hinweisund Verbundsystem der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder für Personen und Objekte. Dieses System ist eine technische Plattform, auf der Amtsund Verbunddateien von Bund und Ländern unter einer einheitlichen Anwendungsoberfläche betrieben werden können. Neonationalsozialismus/Neonazismus Der Neonationalsozialismus bezieht sich auf die Weltanschauung des "Dritten Reiches" und macht diese zur Grundlage seiner politischen Zielvorstellungen. Elementare Bestandteile der neonationalsozialistischen Weltanschauung sind Rassismus und Nationalismus sowie die Forderung nach einem autoritären "Führerstaat" unter Ausschaltung der Gewaltenteilung. -- 149 -- Proliferation Als Proliferation bezeichnet man die Weiterverbreitung von atomaren, biologischen oder chemischen Massenvernichtungswaffen und entsprechenden Waffenträgersystemen bzw. der zu deren Herstellung verwendeten Produkte einschließlich des dazu erforderlichen Know-how. Radikal Als radikal werden Bestrebungen bezeichnet, die zur Lösung politischer Probleme "bis auf die Wurzel gehen", diese jedoch ohne zielgerichteten Angriff auf die freiheitliche demokratische Grundordnung lösen wollen. Radikale politische Auffassungen haben in unserer pluralistischen Gesellschaftsordnung ihren legitimen Platz. Rechtsextremismus Der Rechtsextremismus ist eine Ideologie der Ungleichheit, deren Anhänger politisch bestimmte, zielund zweckgerichtete Verhaltensweisen zeigen, die darauf gerichtet sind, Grundsätze der freiheitlichen demokratischen Grundordnung außer Geltung zu setzen oder zu beseitigen (vgl. SS 6 LVerfSchG M-V). Als Gegenentwurf zu einer modernen Demokratie und einer offenen Gesellschaft wollen Rechtsextremisten - auch unter Anwendung von Gewalt - ein autoritäres oder gar totalitäres staatliches System errichten, in dem nationalistisches und rassistisches Gedankengut die Grundlage der Gesellschaftsordnung bilden soll. Dementsprechend finden sich im deutschen Rechtsextremismus in unterschiedlicher und gruppenspezifischer Ausprägung folgende ideologische Vorstellungen bzw. Handlungsmuster: * Ein aggressiver, vielfach völkisch ausgerichteter Nationalismus, für den nur die deutschen Interessen als Richtschnur gelten und der andere Nationen als "minderwertig" betrachtet, * die häufige Forderung nach der Neugründung eines "Reiches", das zum "mächtigen Mittelpunkt Europas" werden müsse, * der Wunsch nach einer Volksgemeinschaft auf "rassischer" Grundlage, die die Rechte des Einzelnen beliebig einschränkt -- 150 -- und der pluralistischen Gesellschaft das Modell des "Volkskollektivismus" ("Du bist nichts, Dein Volk ist alles") entgegensetzt (Antiindividualismus, Antipluralismus, Antiliberalismus), * eine aggressive, extrem gewaltbereite Fremdenfeindlichkeit als Ergebnis rassistischen und damit verbunden antisemitischen Gedankenguts, * der Wunsch nach einem "Führerstaat" mit militärischen Ordnungsprinzipien, * eine Relativierung oder sogar Leugnung der Verbrechen des "Dritten Reiches" und damit verbunden eine Verharmlosung oder Verherrlichung des Nationalsozialismus und * eine ständige Diffamierung der demokratischen Institutionen und ihrer Repräsentanten. Rechtsextremismusdatei (RED) Die Rechtsextremismusdatei (RED) ist eine gemeinsame Datei des Bundes und der Länder zur Aufklärung und Bekämpfung des gewaltbereiten Rechtsextremismus auf Grundlage des Rechtsextremismus-Datei-Gesetzes (RED-G). Mit der RED soll der Informationsaustausch zwischen den beteiligten Behörden intensiviert und beschleunigt werden. Rechtsextremistische Konzerte Die Kriterien zur Bewertung rechtsextremistischer Musikveranstaltungen lauten wie folgt: * Live-Auftritt mindestens einer als rechtsextremistisch bewerteten Band, * Szeneöffentlichkeit (z. B. überregionale Mobilisierung, Erhebung von Eintrittsgeldern, Werbung für die Veranstaltung), * Vortrag rechtsextremistischer Liedtexte bzw. Feststellung rechtsextremistischer Aktivitäten der Interpreten anlässlich der Veranstaltungen (insbesondere Propagandadelikte), * Organisation der Veranstaltung durch rechtsextremistische Gruppierungen oder Einzelpersonen. Es ist nicht erforderlich, dass Informationen zu allen Kriterien vorliegen. Mindestvoraussetzung sind der szeneöffentliche Live-Auftritt sowie Indizien für rechtsextremistische Inhalte, die -- 151 -- sich insbesondere aus dem Auftritt einschlägiger Bands oder aus dem Vortrag entsprechender Lieder ergeben können. Reichsbürger Sogenannte Reichsbürger und Selbstverwalter sind Gruppierungen und Einzelpersonen, die aus unterschiedlichen Motiven und mit unterschiedlichen Begründungen, unter anderem unter Berufung auf das historische Deutsche Reich, verschwörungstheoretische Argumentationsmuster oder ein selbst definiertes Naturrecht die Existenz der Bundesrepublik Deutschland und deren Rechtssystem ablehnen, den demokratisch gewählten Repräsentanten die Legitimation absprechen oder sich gar in Gänze als außerhalb der Rechtsordnung stehend definieren und deshalb bereit sind, Verstöße gegen die Rechtsordnung zu begehen. Für die Verwirklichung ihrer Ziele treten sie aktiv ein, z. B. mit Werbeaktivitäten oder mit aggressiven Verhaltensweisen gegenüber den Gerichten und Behörden der Bundesrepublik Deutschland. Relevante Person Eine Person ist als relevant anzusehen, wenn sie innerhalb des extremistischen/terroristischen Spektrums die Rolle einer Führungsperson, eines Unterstützers/Logistikers oder eines Akteurs einnimmt und objektive Hinweise vorliegen, die die Prognose zulassen, dass sie politisch motivierte Straftaten von erheblicher Bedeutung, insbesondere solche im Sinne des SS 100a StPO, fördert, unterstützt, begeht oder sich daran beteiligt, oder es sich um eine Kontaktoder Begleitperson eines Gefährders, eines Beschuldigten oder eines Verdächtigen einer politisch motivierten Straftat von erheblicher Bedeutung, insbesondere einer solchen im Sinne des SS 100a StPO, handelt. Die Einstufung als relevante Person erfolgt durch die Polizei ( Gefährder). Salafismus Der "Salafismus" ist eine Strömung des sunnitischen Islamismus, die sich auf die Urzeit des Islam und die sogenannten "rechtschaffenen Altvorderen" (arab. al-salaf al-salih) bezieht und die Rückkehr zu den damaligen Herrschaftsund Rechtsformen anstrebt. -- 152 -- Schwarzer Block Der so genannte Schwarze Block, vermummte Aktivisten in einheitlicher "Kampfausrüstung", ist eine Aktionsform, die ursprünglich im linksextremistischen autonomen Spektrum entwickelt wurde und vor allem bei Demonstrationen angewandt wird. Der "Schwarze Block" ist keine zentral organisierte und koordinierte Organisationsform, sondern ein punktueller Zusammenschluss gewaltorientierter Linksextremisten. Ziel dieses Auftretens ist die erschwerte Zuordnung von Strafund Gewalttaten zu Einzelpersonen durch die Polizei. Jeder "Schwarze Block" beinhaltet jedoch ein einzelfallbezogenes Gewaltpotenzial, das sich je nach Lageentwicklung ausleben kann. Selbstverwalter Reichsbürger Spionage Als Spionage wird die Tätigkeit für den Nachrichtendienst einer fremden Macht bezeichnet, die auf die Mitteilung oder Lieferung von Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen gerichtet ist. Die Beschaffung von Informationen, vor allem aus den Bereichen Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Militär, erfolgt zumeist unter Anwendung geheimer Mittel und Methoden. Soweit Spionage gegen die Bundesrepublik Deutschland gerichtet ist, kommt eine Strafbarkeit gemäß SSSS 93 ff. StGB in Betracht. Spionageabwehr Die Spionageabwehr beschäftigt sich mit der Aufklärung und Abwehr bzw. Verhinderung von Spionageaktivitäten fremder Nachrichtendienste. Dazu sammelt sie Informationen über sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten fremder Nachrichtendienste in der Bundesrepublik Deutschland und wertet sie mit dem Ziel aus, Erkenntnisse über Struktur, Aktivitäten, Arbeitsmethoden, nachrichtendienstliche Mittel und Zielobjekte dieser Nachrichtendienste zu gewinnen. Die Spionageabwehr gehört gemäß SS 3 Abs. 1 Nr. 2 BVerfSchG zu den Aufgaben der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder. -- 153 -- Staatsfreiheit Der Begriff der "Staatsfreiheit" ist ein innerhalb des ersten NPD-Verbotsverfahren geprägter Begriff. Danach hat das BVerfG die Forderung aufgestellt, dass während eines laufenden Verbotsverfahrens keine Vertrauenspersonen (VP) und Verdeckten Ermittler (VE) auf den Führungsebenen einer Partei tätig sein dürfen. Damit wird sichergestellt, dass deren Willensbildung und Selbstdarstellung unbeobachtet und selbst bestimmt erfolgen kann. Die Begründung des Verbotsantrags darf nicht auf Beweismaterialien gestützt werden, deren Entstehung zumindest teilweise auf das Wirken von VP oder VE zurückzuführen ist. Die Beobachtung einer Partei während eines laufenden Verbotsverfahrens darf außerdem nicht dem Ausspähen ihrer Prozessstrategie dienen. Zudem ist die privilegierte Stellung der Verfahrensbevollmächtigten der betroffenen Partei zu beachten. Terrorismus Der "Terrorismus" ist der nachhaltig geführte Kampf für politische Ziele, die mit Hilfe von Anschlägen auf Leib, Leben und Eigentum anderer Menschen durchgesetzt werden sollen, insbesondere durch schwere Straftaten, wie sie in SS 129a Abs. 1 StGB genannt sind, oder durch andere Straftaten, die zur Vorbereitung solcher Straftaten dienen. "Vier-Säulen-Strategie" der NPD Die Strategie der NPD wurde auf dem Bundesparteitag 1998 im mecklenburgischen Stavenhagen zunächst als "Drei-Säulen-Strategie" konzipiert: Kampf um die Straße: Durchführung von Demonstrationen, Zeigen von Präsenz in der Öffentlichkeit, Massenmobilisierung, Kampf um die Köpfe: Ziel ist die Meinungsführerschaft in der rechtsextremistischen Szene, aber ganz wesentlich auch das Erreichen von Personen außerhalb ihrer politischen Klientel, -- 154 -- Kampf um die Parlamente: Wahlerfolge konnte die NPD in Mecklenburg-Vorpommern 2006 und 2009 vorweisen. Auf dem Bundesparteitag 2004 in Leinefeld/Thüringen wurde eine vierte Säule ergänzt: Kampf um den organisierten Willen: Die NPD sieht sich als "Speerspitze der nationalen Erneuerung" und versucht, alle "nationalen Kräfte" zu einem Bündnis zu bewegen - natürlich unter ihrer Führung. Wirtschaftsschutz Als Wirtschaftsschutz werden staatliche Maßnahmen bezeichnet, die dem Schutz deutscher Unternehmen und Forschungseinrichtungen vor einem durch Spionage betriebenen Know-how-Abfluss sowie vor Bedrohungen durch Rechtsund Linksextremisten, durch ausländische Extremisten sowie durch islamistische Terroristen dienen. Wirtschaftsspionage Wirtschaftsspionage ist Teil der Spionage, der die staatlich gelenkte oder gestützte, von fremden Nachrichtendiensten ausgehende Ausforschung von Wirtschaftsunternehmen und Forschungseinrichtungen beinhaltet. Betreibt hingegen ein konkurrierendes Unternehmen eine private Ausforschung, handelt es sich um Konkurrenzausspähung, die häufig auch Industriespionage genannt wird. In den Zuständigkeitsbereich der Verfassungsschutzbehörden fällt ausschließlich die Wirtschaftsspionage. -- 155 -- Registeranhang Extremistische Organisationen Seitenzahl A Aktionsblog 30-33, 42, 45, 52 al-Qaida 93-94, 105, 147 A'MAQ 96, 103 Antikapitalistisches Kollektiv (AKK), auch 35, 139 AKK Seenplatte Arbeiterpartei Kurdistans (PKK)/ KONGRA 109, 110-117, 140, 141, GEL 144 Arischer Widerstandsbund 36 Artamanen 39 Artgemeinschaft-Germanische 38-39, 138 Glaubens-Gemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung e. V. (AG-GGG) Aryan Warriors 36-37, 52 Autonome 79, 83, 144, 149 B Bad Kids Rostock 81, 83, 89 Bataillon 500 27-28 Blood and Honour 29, 139 Boko Haram 98 Brigade 8 37 D Demokratisches Gesellschaftszentrum der 114, 116, 141 KurdInnen in Deutschland (NAV-DEM e. V.) Der III. Weg 19, 50-51, 67-68 Deutsche Kommunistische Partei (DKP) 79, 90-91, 139 Deutschland muss leben e. V. (DML) 34, 139 Die Liebenfels-Kapelle/Skalinger 27-28 DIE RECHTE 19, 51, 65 3-Länder-Jungs 30 F Freie Kameradschaft Wismar 36 -- 156 -- Freie Kräfte Greifswald/Nationale Sozialisten 36 Greifswald Freie Pommern 36 Freikorps Heimatschutz 36 Freistaat Preußen 75-76 Fremde im eigenen Land (F.i.e.L.) 28, 36, 139 G Geeinte deutsche Völker und Stämme 75, 140 (GdVuST) Gefangenenhilfe Freundeskreis 37 Gemeinschaft Recknitztal 32, 42 Germanisches Bollwerk Mecklenburg 36 Glaube, Wille, Tat (Musiklabel) 29 H Hammerskins 36-37 Harakat al-Muqawama al-Islamiya (HAMAS) 94, 140, 147 HUSKARLAR MC Stralsund 23 I Identitäre Bewegung Deutschland (IBD) 69-72, 140 Identitäre Bewegung Mecklenburg69-70, 85, 140 Vorpommern (IB MV) Initiative "Vereint für Stralsund" 35 Internationalistische Organisation 117, 140 revolutionärer Parteien und Organisationen (ICOR) Interventionistische Linke (IL) 77, 81, 140 Islamischer Staat (IS) 93-97, 101-103, 105, 111, 113, 116 140 J Junge Nationalisten (JN) 47-49, 51-52, 62-64, 140 K Kameradschaft Borken 36 Kameradschaft Güstrow 34 Kameradschaftsbund Anklam 36 Kameradschaftsbund Bargischow 36 Kaukasisches Emirat (KE) 105, 140 Kollektiv Seenplatte 34 -- 157 -- L Leveler Records 29 M Maoistische Kommunistische Partei (MKP) 109, 141 Marxistisch-Leninistische Kommunistische 109, 141 Partei (MLKP) Marxistisch-Leninistische Partei 79, 91, 116-117, 141 Deutschlands (MLPD) Mecklenburg-Vorpommern gegen die 17, 65, 141 Islamisierung des Abendlandes (MVGIDA) Mecklenburg-Vorpommersche 23, 141 Strukturentwicklungs-Genossenschaft eG (MVSE) Mit erhobener Stimme 27 Müritzfunken/Kollektiv Müritzfunken 34 N Nationaldemokratische Partei 9, 10, 1719, 22, 25, 32, Deutschlands (NPD) 34, 40-41, 44, 47-65, 85, 140, 141, 154-155 Nationale Aktivisten MuP 34 Nationales Bündnis Löcknitz 36 Nationale Sozialisten Greifswald 36 Nationale Sozialisten Rostock 30-34, 141 Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) 20-21, 38-39, 78, 81-82, 141 Nordlichter Rostock 33 P Painful Awakening/Baltic Storm 27-28 Path of Resistance 27-28 Patrioten Rostock/Rügen/Stralsund 33 Penzliner Runde 75 Pommerscher Buchdienst 23 Preußisches Institut - Bismarcks Erben 75-76 R REBELL 91, 117 Reichsbürger und Selbstverwalter 73-76, 133-135, 138, 152-153 -- 158 -- Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front 109, 139, 144 (DHKP-C) Ring Nationaler Frauen (RNF) 48-49, 58, 64-65, 141 Rostocker Division 33 Rote Hilfe e. V. (RH) 79, 87-90, 141 RotFuchs-Förderverein 91 S Schlachtruf Germania 27 Schwarz-Rote-Hilfe 89-90, 142 Skalinger 27-28 Soldiers of Odin Germany Mecklenburg24, 142 Vorpommern (SOO) Sozialistische Alternative (SAV) 79, 91, 141 Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend 79, 91, 142 (SDAJ) Staatenlos.Info - Comedian e.V. 75-76 Stimme der Vergeltung 27 Sturmbrigade 44 33 T Tevgera Ciwanen Soresger 114 Thrima 28 Türkische Kommunistische Partei/ 109, 142 Marxisten-Leninisten (TKP/ML) U Ungebetene Gäste 27, 29 V Völkische Burschenschar Strasburg 36 W WARDON 45-46 White Rex 46 Wiege des Schicksals/Motorhate 27 -- 159 -- ANLAGEN -- 160 -- Anlage 1 Politisch motivierte Kriminalität (PMK)1 Politisch motivierte Kriminalität - Rechts - 2017 2018 Straftaten Gesamt 1.027 907 davon extremistisch 986 872 Propagandadelikte 702 665 davon extremistisch 702 665 Gewaltdelikte 84 43 davon extremistisch 84 43 Fremdenfeindliche Straftaten 250 231 davon extremistisch 250 231 davon Gewaltdelikte 74 39 Antisemitische Straftaten 44 54 3 1 Politisch motivierte Kriminalität -Links2017 2018 Straftaten Gesamt 223 249 davon extremistisch 76 89 Propagandadelikte 8 7 davon extremistisch 8 7 Gewaltdelikte 11 26 davon extremistisch 11 26 Fremdenfeindliche Straftaten davon extremistisch 0 0 davon Gewaltdelikte Antisemitische Straftaten 0 0 1 Im Bereich der keinem Extremismusphänomen direkt zuzuordnenden politisch motivierten Straftaten wurden sieben Gewaltdelikte erfasst, die durch "Reichsbürger" verursacht wurden. -- 161 -- Politisch motivierte Politisch motivierte Politisch motivierte Politisch motivierte Kriminalität - Kriminalität - Kriminalität - Kriminalität - religiöse Ideologie religiöse Ideologie ausländische Ideologie ausländische Ideologie 2017 2017 2018 2018 Straftaten Gesamt 6 4 6 13 davon extremistisch 6 4 6 13 Propagandadelikte 0 1 1 2 Gewaltdelikte 2 1 3 4 davon extremistisch 2 1 3 4 Fremdenfeindliche 4 7 2 2 Straftaten davon extremistisch 2 2 4 7 davon Gewaltdelikte 1 1 3 3 Antisemitische Straftaten 1 2 0 0 davon Gewaltdelikte 0 0 Quelle: LKA M-V -- 162 -- -- 163 -- Anlage 2 Landesverfassungsschutzgesetz AmtlicheAbkürzung: Quelle: LVerfSchGM-V Ausfertigungsdatum: 11.07.2001 Textnachweis ab: Fundstelle: 01.01.2005 GVOBl. M-V 2001,261 Dokumenttyp: Gliederungs-Nr: Gesetz 12-4 Gesetz über den Verfassungsschutz im Lande Mecklenburg-Vorpommern (Landesverfassungsschutzgesetz - LVerfSchG M-V) Vom 11. Juli 2001 Zum 24.04.2019 aktuellste verfügbare Fassung der Gesamtausgabe Stand: letzte berücksichtigte Änderung: SS 27 geändert durch Gesetz vom 13. Januar 2017 (GVOBl. M-V S. 2) Der Landtag hat das folgende Gesetz beschlossen: Inhaltsübersicht Abschnitt 1 Aufgaben und Befugnisse der Verfassungsschutzbehörde SS1 Zweck des Verfassungsschutzes SS2 Organisation SS3 Bedienstete SS4 Zusammenarbeit SS5 Aufgaben des Verfassungsschutzes SS6 Begriffsbestimmungen SS7 Rahmen für die Tätigkeit der Verfassungsschutzbehörde SS8 Funktionelle Trennung von Polizei und Verfassungsschutzbehörde SS9 Formen der Datenerhebung -- 164 -- SS 10 Informationsbeschaffung mit nachrichtendienstlichen Mitteln SS 10a Vertrauensleute und Verdeckte Mitarbeiter SS 11 Mitteilung an betroffene Personen SS 12 Registereinsicht durch die Verfassungsschutzbehörde Abschnitt 2 Datenverarbeitung SS 13 Begriff der Datei und der Akte SS 14 Dateianordnung SS 15 Voraussetzung der Speicherung SS 16 Erfassung personenbezogener Daten von Minderjährigen SS 17 Speichern, Berichtigen, Löschen und Sperren personenbezogener Daten Abschnitt 3 Informationsübermittlung und Auskunftserteilung SS 18 Informationsübermittlung zwischen den Verfassungsschutzbehörden SS 19 Informationsübermittlung an Bundesnachrichtendienst und Militärischen Abschirmdienst SS 20 Informationsübermittlung durch die Verfassungsschutzbehörde an Polizei, Staatsanwaltschaft und andere Stellen SS 20a Projektbezogene gemeinsame Dateien SS 21 Informationsübermittlung an ausländische Stellen SS 22 Informationsübermittlung an die Öffentlichkeit SS 23 Dokumentation und Grundlage der Informationsübermittlung durch die Verfassungsschutzbehörde SS 24 Informationsübermittlung durch öffentliche Stellen an die Verfassungsschutzbehörde SS 24a Informationsübermittlung durch nicht-öffentliche Stellen an die Verfassungsschutzbehörde SS 24b Weitere Auskunftsverlangen SS 25 Übermittlungsverbote, Nachberichtspflicht SS 26 Auskunft an betroffene Personen Abschnitt 4 Kontrolle der Verfassungsschutzbehörde SS 27 Parlamentarische Kontrollkommission SS 28 Geheimhaltung SS 29 Kontrollrechte der Parlamentarischen Kontrollkommission -- 165 -- Abschnitt 5 Schlussvorschriften SS 30 Geltung des Landesdatenschutzgesetzes SS 31 (weggefallen) SS 32 In-Kraft-Treten, Außer-Kraft-Treten Abschnitt 1 Aufgaben und Befugnisse der Verfassungsschutzbehörde SS 1 *) Zweck des Verfassungsschutzes Der Verfassungsschutz dient dem Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, des Bestandes und der Sicherheit des Bundes und der Länder. Fußnoten *) SS 1 geändert durch Artikel 3 des Gesetzes vom 16. April 2004. SS2 Organisation (1) Die Aufgaben des Verfassungsschutzes werden von der Verfassungsschutzbehörde wahrgenommen. Verfassungsschutzbehörde ist das Innenministerium. Es unterhält für diese Aufgaben eine besondere Abteilung. (2) Die Verfassungsschutzbehörde darf Dienststellen der Polizei, Dienststellen der Polizei dürfen der Verfassungsschutzbehörde nicht angegliedert werden. -- 166 -- SS3 Bedienstete Mit Aufgaben der Verfassungsschutzbehörde dürfen nur Personen betraut werden, die nach ihrer Persönlichkeit und nach ihrem Verhalten die Gewähr dafür bieten, dass sie jederzeit für die Sicherung und Erhaltung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung eintreten. SS4 Zusammenarbeit (1) Die Verfassungsschutzbehörde ist verpflichtet, mit Bund und Ländern in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes zusammenzuarbeiten. Die Zusammenarbeit besteht insbesondere in gegenseitiger Unterstützung und Information sowie in der Unterhaltung gemeinsamer Einrichtungen. (2) Die Verfassungsschutzbehörden anderer Länder dürfen im Geltungsbereich dieses Gesetzes nur im Einvernehmen, der Bund nach Maßgabe bundesrechtlicher Vorschriften nur im Benehmen mit der Verfassungsschutzbehörde Mecklenburg-Vorpommerns tätig werden. SS5 Aufgaben des Verfassungsschutzes (1) Zur Erfüllung ihrer Aufgabe sammelt und wertet die Verfassungsschutzbehörde sachund personenbezogene Daten, insbesondere Auskünfte, Nachrichten und Unterlagen aus über 1. Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziel haben, 2. sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten im Geltungsbereich des Grundgesetzes für eine fremde Macht im Geltungsbereich dieses Gesetzes, -- 167 -- 3. Bestrebungen im Geltungsbereich des Grundgesetzes, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, 4. Bestrebungen, die gegen den Gedanken der Völkerverständigung (Artikel 9 Abs. 2 des Grundgesetzes) oder gegen das friedliche Zusammenleben der Völker (Artikel 26 Abs. 1 des Grundgesetzes) gerichtet sind. (2) Die Verfassungsschutzbehörde informiert die zuständigen Stellen und die Öffentlichkeit über Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand und die Sicherheit des Bundes und der Länder. Sie kann dazu insbesondere Verfassungsschutzberichte veröffentlichen und Prävention im Rahmen von Öffentlichkeitsarbeit leisten. Den staatlichen Stellen soll ermöglicht werden, rechtzeitig die erforderlichen Maßnahmen zur Abwehr der Gefahren nach Satz 1 zu treffen. (3) Die Verfassungsschutzbehörde wirkt mit 1. bei der Sicherheitsüberprüfung von Personen nach Maßgabe des Sicherheitsüberprüfungsgesetzes vom 22. Januar 1998 (GVOBl. M-V S. 114, 195), zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 28. Januar 2009 (GVOBl. M-V S. 82), sowie bei Zuverlässigkeitsüberprüfungen in den übrigen gesetzlich bestimmten Fällen, 2. bei technischen Sicherheitsmaßnahmen zum Schutz von im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftigen Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen gegen die Kenntnisnahme durch Unbefugte. (4) Die Verfassungsschutzbehörde ist an die allgemeinen Rechtsvorschriften gebunden ( Artikel 20 des Grundgesetzes). -- 168 -- SS6 Begriffsbestimmungen (1) Im Sinne dieses Gesetzes sind 1. Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung solche politisch bestimmten, zielund zweckgerichteten Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluss, die darauf gerichtet sind, einen der in Absatz 3 genannten Verfassungsgrundsätze zu beseitigen oder außer Geltung zu setzen, 2. Bestrebungen gegen den Bestand des Bundes oder eines Landes solche politisch bestimmten, zielund zweckgerichteten Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluss, die darauf gerichtet sind, die Freiheit des Bundes oder eines Landes von fremder Herrschaft aufzuheben, ihre staatliche Einheit zu beseitigen oder ein zu ihnen gehörendes Gebiet abzutrennen, 3. Bestrebungen gegen die Sicherheit des Bundes oder eines Landes solche politisch bestimmten, zielund zweckgerichteten Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluss, die darauf gerichtet sind, den Bund, die Länder oder deren Einrichtungen in ihrer Funktionsfähigkeit erheblich zu beeinträchtigen. (2) Eine Bestrebung im Sinne des Gesetzes ist insbesondere dann gegeben, wenn sie auf Gewaltanwendung gerichtet ist oder sonst ein kämpferisches und aggressives Verhalten gegenüber den in Absatz 3 genannten Grundsätzen erkennen lässt. (3) Zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne dieses Gesetzes zählen: 1. das Recht des Volkes, die Staatsgewalt in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung auszuüben und die Volksvertretung in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl zu wählen, 2. die Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung und die Bindung der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an Gesetz und Recht, -- 169 -- 3. das Recht auf Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition, 4. die Ablösbarkeit der Regierung und ihre Verantwortlichkeit gegenüber der Volksvertretung, 5. die Unabhängigkeit der Gerichte, 6. der Ausschluss jeder Gewaltund Willkürherrschaft und 7. die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte. (4) Für einen Personenzusammenschluss handelt, wer ihn in seinen Bestrebungen nachdrücklich unterstützt. Verhaltensweisen von Einzelpersonen, die nicht in einem oder für einen Personenzusammenschluss handeln, sind Bestrebungen im Sinne dieses Gesetzes, wenn sie auf Anwendung von Gewalt gerichtet sind oder aufgrund ihrer Wirkungsweise geeignet sind, ein Schutzgut dieses Gesetzes erheblich zu beschädigen. (5) Betroffene Personen sind Personen, bei denen tatsächliche Anhaltspunkte für Tätigkeiten oder Bestrebungen gemäß SS 5 Abs. 1 vorliegen. Dritte sind Personen, bei denen keine derartigen Anhaltspunkte vorliegen. (6) Gewalt im Sinne dieses Gesetzes ist die Anwendung körperlichen Zwanges gegen Personen und die gewalttätige Einwirkung auf Sachen. SS7 Rahmen für die Tätigkeit der Verfassungsschutzbehörde (1) Die Verfassungsschutzbehörde darf sachund personenbezogene Daten nur erheben, verarbeiten und nutzen, soweit sie zur Erfüllung ihrer Aufgaben nach diesem Gesetz erforderlich sind. Voraussetzung für die Sammlung von Informationen im Sinne des SS 5 Abs. 1 ist das Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte, die, insgesamt betrachtet und unter Einbeziehung nachrichtendienstlicher Erfahrungen, den Verdacht einer der in SS 5 Abs. 1 genannten Bestrebungen oder Tätigkeiten rechtfertigen. Die Art und der Umfang des Umgangs mit Daten richtet sich nach den Vorschriften dieses Gesetzes. Soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, gilt das Landesdatenschutzgesetz von Mecklenburg-Vorpommern. -- 170 -- (2) Zur Erfüllung ihrer Aufgaben darf die Verfassungsschutzbehörde nur die dazu erforderlichen Maßnahmen ergreifen; dies gilt insbesondere für den Umgang mit personenbezogenen Daten. Von mehre ren möglichen und geeigneten Maßnahmen hat sie diejenige zu treffen, die den einzelnen, insbesondere in seinen Grundrechten, und die Allgemeinheit voraussichtlich am wenigsten beeinträchtigt. Eine Maßnahme darf nicht zu einem Nachteil führen, der zu dem erstrebten Erfolg erkennbar außer Verhältnis steht. Sie ist nur so lange zulässig, bis ihr Zweck erreicht ist oder sich zeigt, dass er nicht erreicht werden kann. SS8 Funktionelle Trennung von Polizei und Verfassungsschutzbehörde Polizeiliche Befugnisse stehen der Verfassungsschutzbehörde nicht zu; sie darf die Polizei auch nicht im Wege der Amtshilfe um Maßnahmen ersuchen, zu denen sie selbst nicht befugt ist. SS9 Formen der Datenerhebung (1) Die Verfassungsschutzbehörde darf personenbezogene Daten der betroffenen Person auch ohne deren Kenntnis bei ihr und bei Dritten erheben, wenn 1. tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht von Bestrebungen oder Tätigkeiten gemäß SS 5 Abs. 1 vorliegen, 2. dies für die Erforschung und Bewertung von gewalttätigen Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 5 Abs. 1 Nr. 2 erforderlich ist oder 3. dies zur Schaffung oder Erhaltung nachrichtendienstlicher Zugänge über Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 5 Abs. 1 erforderlich ist. Werden personenbezogene Daten bei der betroffenen Person mit ihrer Kenntnis erhoben, so ist sie über die Freiwilligkeit der Mitwirkung und den Verwendungszweck aufzuklären. Die Aufklärungspflicht umfasst bei einer beabsichtigten Übermittlung auch den Empfänger der Daten. Die Aufklärung kann unterbleiben, wenn die Tatsache, dass die Erhebung für Zwecke des Verfassungsschutzes erfolgt, aus besonderen Gründen nicht bekannt werden soll. -- 171 -- (2) Personenbezogene Daten von Dritten dürfen ohne deren Kenntnis nur erhoben werden, wenn 1. dies für die Erforschung von Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 5 Abs. 1 vorübergehend erforderlich ist, 2. die Erforschung des Sachverhaltes auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre und 3. überwiegende schutzwürdige Belange der betroffenen Personen nicht entgegenstehen. Daten Dritter dürfen auch erhoben werden, wenn sie mit zur Aufgabenerfüllung erforderlichen Informationen untrennbar verbunden sind. Daten, die für das Verständnis der zu speichernden Informationen nicht erforderlich sind, sind unverzüglich zu löschen. Dies gilt nicht, wenn die Löschung nicht oder nur mit unvertretbarem Aufwand möglich ist. In diesem Fall sind die Daten zu sperren; die gesperrten Daten dürfen nicht mehr genutzt werden. (3) Ist zum Zwecke der Sammlung von Informationen die Weitergabe personenbezogener Daten unerlässlich, so dürfen schutzwürdige Interessen der betroffenen Person oder Dritter nur im unvermeidbaren Umfang beeinträchtigt werden. SS 10 Informationsbeschaffung mit nachrichtendienstlichen Mitteln (1) Die Verfassungsschutzbehörde darf zur verdeckten Informationsbeschaffung, insbesondere zur verdeckten Erhebung personenbezogener Daten, nur folgende nachrichtendienstliche Mittel anwenden: 1. Inanspruchnahme von Vertrauensleuten nach Maßgabe des SS 10a, sonstigen Informanten und Gewährspersonen; 2. Einsatz von Verdeckten Mitarbeitern nach Maßgabe des SS 10a; 3. Observationen; -- 172 -- 4. Bildaufzeichnungen (Fotografieren, Filmen und Videografieren) außerhalb des Schutzbereiches des Artikels 13 des Grundgesetzes; 5. verdeckte Ermittlungen und Befragungen; 6. verdecktes Mithören ohne Inanspruchnahme technischer Mittel; 7. verdecktes Mithören und Aufzeichnen des nicht öffentlich gesprochenen Wortes unter Einsatz technischer Mittel außerhalb des Schutzbereiches des Artikels 13 des Grundgesetzes; 8. Beobachtung des Funkverkehrs auf nicht für den allgemeinen Empfang bestimmten Kanälen; 9. Verwendung fingierter biographischer, beruflicher oder gewerblicher Angaben (Legenden) mit Ausnahme solcher beruflicher Angaben, die sich auf die in Satz 3 genannten Personen beziehen; 10. Beschaffung, Herstellung und Verwendung von Tarnpapieren und Tarnkennzeichen; 11. Überwachung des Brief-, Postund Fernmeldeverkehrs nach Maßgabe des aufgrund von Artikel 10 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes erlassenen Bundesgesetzes; 12. verdecktes Beobachten und sonstiges Aufklären des Internets, ohne dass der Schutzbereich des Artikels 10 des Grundgesetzes (Brief-, Postund Fernmeldegeheimnis) berührt ist, insbesondere die verdeckte Teilnahme an den Kommunikationseinrichtungen des Internets sowie die Suche nach ihnen. (2) Die Mittel nach Absatz 1 dürfen nur angewendet werden, wenn 1. die Voraussetzungen des SS 9 Abs. 1 Nr. 1, 2 oder 3 vorliegen, 2. sich ihr Einsatz gegen Dritte richtet, deren Einbeziehung in eine solche Maßnahme unumgänglich ist, um auf diese Weise Erkenntnisse über sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten für eine fremde Macht oder Bestrebungen zu gewinnen, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen gegen die im SS 5 Abs. 1 Nr. 1 und 3 genannten Schutzgüter gerichtet sind oder -- 173 -- 3. dies zur Abschirmung der Mitarbeiter, Einrichtungen, Gegenstände und Nachrichtenzugänge des Verfassungsschutzes gegen sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten erforderlich ist. Die Mittel nach Absatz 1 Satz 1 Nr. 9 und 10 dürfen auch für Vertrauensleute angewendet werden, wenn dies zur Erfüllung eines dienstlichen Auftrags oder zu ihrem Schutz erforderlich ist. (3) Die Anwendung nachrichtendienstlicher Mittel gemäß Absatz 1 ist unzulässig, wenn die Informationsbeschaffung auf andere, die betroffene Person weniger beeinträchtigende Weise möglich ist. Eine geringere Beeinträchtigung ist in der Regel anzunehmen, wenn die Daten aus allgemein zugänglichen Quellen oder durch Übermittlung nach SS 24 gewonnen werden können. Die Anwendung nachrichtendienstlicher Mittel darf nicht außer Verhältnis zur Bedeutung des aufzuklärenden Sachverhaltes stehen. Die Verfassungsschutzbehörde darf die mit nachrichtendienstlichen Mitteln erhobenen Daten nur für die in SS 9 Abs. 1 genannten Zwecke nutzen. Daten, die für diese Zwecke nicht erforderlich sind, sind unverzüglich zu löschen. Sind diese Daten mit anderen, für die in SS 9 Abs. 1 genannten Zwecke erforderlichen Daten derart verbunden, dass sie nicht oder nur mit einem unverhältnismäßig großen Aufwand getrennt werden können, so sind diese Daten zu sperren; sie dürfen nicht mehr genutzt werden. (4) Wirkt die Verfassungsschutzbehörde an Sicherheitsüberprüfungen im Sinne des SS 5 Abs. 3 Nr. 1 mit, so darf sie nur das nachrichtendienstliche Mittel der Tarnung von Mitarbeitern anwenden. (5) Die Behörden des Landes sowie die Kommunalbehörden sind verpflichtet, der Verfassungsschutzbehörde Hilfe für Tarnungsmaßnahmen zu leisten. (6) Die Anwendung des nachrichtendienstlichen Mittels nach Absatz 1 Nr. 7 bedarf im Einzelfall der Zustimmung des Innenministers, im Falle seiner Verhinderung der des Staatssekretärs, und der Zustimmung der nach dem Ausführungsgesetz des Landes Mecklenburg-Vorpommern zu dem aufgrund von Artikel 10 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes erlassenen Bundesgesetzes gebildeten Kommission; bei Gefahr im Verzug ist unverzüglich die Genehmigung dieser Kommission nachträglich einzuholen. Die durch solche Maßnahmen erhobenen personenbezogenen Daten dürfen nur nach Maßgabe des aufgrund von Artikel 10 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes erlassenen Bundesgesetzes verwendet werden. -- 174 -- (7) Die Verfassungsschutzbehörde darf unter den Voraussetzungen des SS 24a Abs. 2 technische Mittel zur Ermittlung des Standortes eines aktiv geschalteten Mobilfunkendgerätes und zur Ermittlung der Geräteoder Kartennummer einsetzen. Die Maßnahme ist nur zulässig, wenn ohne Einsatz technischer Mittel nach Satz 1 die Ermittlung des Standortes oder die Ermittlung der Geräteoder Kartennummer aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre. Sie darf sich nur gegen die in SS 24a Abs. 3 Nr. 1 und 2 Buchstabe b bezeichneten Personen richten. Für die Verarbeitung der Daten ist SS 4 des Artikel 10-Gesetzes entsprechend anzuwenden. Personenbezogene Daten eines Dritten dürfen anlässlich solcher Maßnahmen nur erhoben werden, wenn dies aus technischen Gründen zur Erreichung des Zweckes nach Satz 1 unvermeidbar ist. Sie unterliegen einem absoluten Verwendungsverbot und sind nach Beendigung der Maßnahme unverzüglich zu löschen. SS 24a Abs. 4 bis 6 gilt entsprechend. Das Grundrecht des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses (Artikel 10 des Grundgesetzes) wird insoweit eingeschränkt. SS 10a Vertrauensleute und Verdeckte Mitarbeiter (1) Die Verfassungsschutzbehörde darf 1. Privatpersonen, deren planmäßige, dauerhafte Zusammenarbeit mit ihr Dritten nicht bekannt ist (Vertrauensleute), und 2. eigene Mitarbeiter unter einer ihnen verliehenen und auf Dauer angelegten Legende (Verdeckte Mitarbeiter) zur Aufklärung von Bestrebungen unter den Voraussetzungen des SS 10 Absatz 2 einsetzen. Ein dauerhafter Einsatz zur Aufklärung von Bestrebungen nach SS 5 Absatz 1 Nummer 1 und 4 ist nur bei Bestrebungen von erheblicher Bedeutung zulässig, insbesondere, wenn sie darauf gerichtet sind, Gewalt anzuwenden oder Gewalt vorzubereiten. (2) Vertrauensleute und Verdeckte Mitarbeiter dürfen weder zur Gründung von Bestrebungen nach SS 5 Absatz 1 Nr. 1, 3 oder 4 noch zur steuernden Einflussnahme auf derartige Bestrebungen eingesetzt werden. Sie dürfen in solchen Personenzusammenschlüssen oder für solche Personenzusammenschlüsse, einschließlich strafbarer Vereinigungen, tätig werden, um deren Bestrebungen aufzuklären. Im Übrigen ist im Einsatz eine Beteiligung an Bestrebungen nur zulässig, wenn sie -- 175 -- 1. nicht in Individualrechte eingreift, 2. von den an den Bestrebungen Beteiligten derart erwartet wird, dass sie zur Gewinnung und Sicherung der Informationszugänge unumgänglich ist, und 3. nicht außer Verhältnis zur Bedeutung des aufzuklärenden Sachverhalts steht. Sofern zureichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass Vertrauensleute oder Verdeckte Mitarbeiter rechtswidrig einen Straftatbestand von erheblicher Bedeutung verwirklicht haben, soll der Einsatz unverzüglich beendet und die Strafverfolgungsbehörde unterrichtet werden. Über Ausnahmen nach Satz 4 entscheidet der Leiter der Verfassungsschutzabteilung oder sein Vertreter. (3) Über die Verpflichtung von Vertrauensleuten entscheidet der Leiter der Verfassungsschutzabteilung oder sein Vertreter. Als Vertrauensleute dürfen Personen nicht angeworben und eingesetzt werden, die 1. nicht voll geschäftsfähig, insbesondere minderjährig sind, 2. von den Geldoder Sachzuwendungen für die Tätigkeit auf Dauer als alleinige Lebensgrundlage abhängen würden, 3. an einem Aussteigerprogramm teilnehmen, 4. im Bundeszentralregister mit einer Verurteilung wegen eines Verbrechens oder zu einer Freiheitsstrafe, deren Vollstreckung nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist, eingetragen sind, 5. Mitglied des Europäischen Parlaments, des Deutschen Bundestages, eines Landesparlaments oder Mitarbeiter eines solchen Mitglieds sind oder 6. berechtigt sind, in Strafsachen aus beruflichen Gründen das Zeugnis zu verweigern (SSSS 53 und 53a der Strafprozessordnung), wenn sie zur Beschaffung von Informationen über Sachverhalte eingesetzt werden sollen, auf die sich ihr Zeugnisverweigerungsrecht bezieht; Informationen, die diese Personen unter Verletzung des SS 203 des Strafgesetzbuches rechtswidrig an die Verfassungsschutzbehörde weiterzugeben beabsichtigen, dürfen von dieser nicht entgegengenommen werden. -- 176 -- Der Leiter der Verfassungsschutzabteilung kann eine Ausnahme von Nummer 4 zulassen, wenn die Verurteilung nicht als Täter eines Totschlags (SSSS 212, 213 StGB) oder einer allein mit lebenslanger Haft bedrohten Straftat erfolgt ist und der Einsatz zur Aufklärung von Bestrebungen, die auf die Begehung von in SS 3 Absatz 1 des Artikel 10-Gesetzes bezeichneten Straftaten gerichtet sind, unerlässlich ist. Im Falle einer Ausnahme nach Satz 3 ist der Einsatz nach höchstens sechs Monaten zu beenden, wenn er zur Erforschung der in Satz 3 genannten Bestrebungen nicht zureichend gewichtig beigetragen hat. Auch im Weiteren ist die Qualität der gelieferten Informationen fortlaufend zu bewerten. Das Ministerium für Inneres und Sport trägt der Parlamentarischen Kontrollkommission mindestens einmal im Jahr einen Lagebericht zum Einsatz von Vertrauensleuten vor. (4) Zum Absehen von der Verfolgung von im Einsatz begangenen Vergehen oder der Rücknahme einer bereits erhobenen Klage und der Verfahrenseinstellung durch die Staatsanwaltschaft findet SS 9a Absatz 3 des Bundesverfassungsschutzgesetzes Anwendung. SS 11 Mitteilung an betroffene Personen Betroffenen Personen sind Maßnahmen nach SS 10 Abs. 6 Satz 1 nach ihrer Beendigung mitzuteilen, sobald eine Gefährdung des Zweckes des Eingriffs ausgeschlossen werden kann. Lässt sich im Zeitpunkt der Beendigung der Maßnahme noch nicht abschließend beurteilen, ob diese Voraussetzung erfüllt ist, unterbleibt die Mitteilung so lange, bis eine Gefährdung des Zwecks der Maßnahme ausgeschlossen werden kann. Die nach dem Ausführungsgesetz zu dem aufgrund von Artikel 10 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes gebildete Kommission ist über die Gründe, die einer Mitteilung entgegenstehen, zu unterrichten; hält sie eine Mitteilung für geboten, so ist diese unverzüglich zu veranlassen. -- 177 -- SS 12 Registereinsicht durch die Verfassungsschutzbehörde (1) Die Verfassungsschutzbehörde darf zur Aufklärung 1. von Bestrebungen, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind, 2. von Bestrebungen im Sinne des SS 5 Abs. 1 Nr. 2 bis 4 bei öffentlichen Stellen geführte Dateien, Akten und Register einsehen. (2) Eine solche Einsichtnahme ist nur zulässig, wenn 1. die Aufklärung auf andere Weise nicht möglich erscheint, insbesondere durch eine Übermittlung der Daten durch die registerführende Stelle der Zweck der Maßnahme gefährdet würde, 2. die betroffenen Personen durch eine anderweitige Aufklärung unverhältnismäßig beeinträchtigt werden würden und 3. eine besondere gesetzliche Geheimhaltungsvorschrift oder ein Berufsgeheimnis der Einsichtnahme nicht entgegensteht. (3) Die auf diese Weise gewonnenen Erkenntnisse dürfen nur zu den in Absatz 1 genannten Zwecken verwendet werden. Daten, die für diese Zwecke nicht erforderlich sind, sind unverzüglich zu löschen. Sind diese Daten mit anderen, für die in Absatz 1 genannten Zwecke erforderlichen Daten derart verbunden, dass sie nicht oder nur mit unverhältnismäßig großem Aufwand getrennt werden können, so sind diese Daten zu sperren; sie dürfen nicht mehr genutzt werden. (4) Über die Einsichtnahme ist ein gesonderter Nachweis zu führen, aus dem ihr Zweck, die in Anspruch genommene Stelle sowie die Namen der betroffenen Person, deren Daten für eine weitere Verwendung erforderlich sind, hervorgehen. Diese Aufzeichnungen sind gesondert aufzubewahren, durch technische und organisatorische Maßnahmen zu sichern und am Ende des Kalenderjahres, das dem Jahr der Erstellung folgt, zu vernichten. Dieser Nachweis ist der Parlamentarischen Kontrollkommission auf Wunsch vorzulegen. -- 178 -- Abschnitt 2 Datenverarbeitung SS 13 Begriff der Datei und der Akte (1) Eine Datei im Sinne dieses Gesetzes ist 1. eine Sammlung personenbezogener Daten, die durch automatisierte Verfahren verarbeitet und ausgewertet werden kann (automatisierte Datei) oder 2. jede sonstige Sammlung gleichartig aufgebauter personenbezogener Daten, die nach bestimmten Merkmalen geordnet und ausgewertet werden kann (nicht-automatisierte Datei). (2) Eine Akte ist jede sonstige Sammlung von amtlichen oder dienstlichen Zwecken dienenden Unterlagen, die in einem inhaltlichen Bezug zueinander stehen und auch personenbezogene Daten enthalten können. Dazu zählen auch Bildund Tonmedien. Akten oder Auszüge aus Akten dürfen auch in elektronischer Form geführt werden. Eine Abfrage personenbezogener Daten mittels automatisierter Verarbeitung ist nur zulässig, wenn für sie die Voraussetzungen der Speicherung nach SS 15 Absatz 1 oder SS 16 Absatz 1 vorliegen. Der automatisierte Abgleich dieser personenbezogenen Daten ist nur beschränkt auf Akten eng umgrenzter Anwendungsgebiete zulässig. Bei jeder Abfrage sind für Zwecke der Datenschutzkontrolle der Zeitpunkt, die Angaben, die die Feststellung der abgefragten Daten ermöglichen, sowie Angaben zur Feststellung des Abfragenden zu protokollieren. Die protokollierten Daten dürfen nur für Zwecke der Datenschutzkontrolle, der Datensicherung oder zur Sicherstellung eines ordnungsgemäßen Betriebs der Datenverarbeitungsanlage verwendet werden. Die Protokolldaten sind am Ende des Kalenderjahres, das dem Jahr der Protokollierung folgt, zu löschen. -- 179 -- SS 14 Dateianordnung (1) Für jede automatisierte Datei der Verfassungsschutzbehörde sind in einer Dateianordnung durch die Verfassungsschutzbehörde festzulegen: 1. Bezeichnung der Datei, 2. Zweck der Datei, 3. Inhalt, Umfang, Voraussetzungen der Speicherung, Übermittlung und Nutzung, 4. Berechtigung zur Eingabe von Daten, 5. Zugangsberechtigung, 6. Überprüfungsfristen und Speicherungsdauer, 7. Protokollierung. (2) Der Landesbeauftragte für den Datenschutz ist vor Erlass der Dateianordnung anzuhören. SS 15 Voraussetzung der Speicherung (1) Die Verfassungsschutzbehörde darf zur Erfüllung ihrer Aufgaben personenbezogene Informationen in Dateien nur speichern, wenn die Voraussetzungen ihrer Erhebung gemäß SS 9 Absatz 1 oder 2 vorliegen. (2) Unterlagen, die nach Absatz 1 gespeicherte Angaben belegen, dürfen auch gespeichert werden, wenn in ihnen weitere personenbezogene Daten Dritter enthalten sind. Eine Abfrage von Daten Dritter ist unzulässig. (3) Bundesgesetzliche Vorschriften über die Datenverarbeitung in gemeinsamen Dateien der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder bleiben unberührt. -- 180 -- SS 16 Erfassung personenbezogener Daten von Minderjährigen (1) Personenbezogene Daten von Minderjährigen dürfen in Dateien und Akten nur erfasst werden, wenn 1. diese zu dem Zeitpunkt, auf den sich die Daten beziehen, das 16. Lebensjahr vollendet haben und 2. der Verdacht einer geheimdienstlichen Tätigkeit (SS 5 Absatz 1 Nummer 2) oder einer Bestrebung im Sinne des SS 5 Absatz 1 Nummer 1 oder 3 besteht, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen verfolgt wird. (2) Personenbezogene Daten über Minderjährige nach Vollendung des 16. und vor Vollendung des 18. Lebensjahres sind nach zwei Jahren auf die Erforderlichkeit der Erfassung zu überprüfen und spätestens nach fünf Jahren zu löschen, es sei denn, dass nach Eintritt der Volljährigkeit weitere Erkenntnisse nach SS 5 Absatz 1 angefallen sind. SS 17 Speichern, Berichtigen, Löschen und Sperren personenbezogener Daten (1) Umfang und Dauer der Speicherung personenbezogener Daten sind auf das für die Aufgabenerfüllung der Verfassungsschutzbehörde erforderliche Maß zu beschränken. (2) Wird die Richtigkeit von personenbezogenen Daten von betroffenen Personen bestritten, so ist dies in der Akte und Datei zu vermerken oder auf sonstige Weise festzuhalten. Personenbezogene Daten sind zu berichtigen, wenn sie unrichtig sind. Dabei muss nachvollziehbar bleiben, in welchem Zeitraum und aus welchem Grund sie unrichtig waren. Die Daten sind zu ergänzen, wenn sie unvollständig sind und dadurch schutzwürdige Interessen der betroffenen Person beeinträchtigt sein können. (3) Personenbezogene Daten in Dateien sind zu löschen, wenn ihre Erhebung oder Speicherung unzulässig war oder ihre Kenntnis für die Aufgabenerfüllung nicht mehr erforderlich ist. Bei jeder Einzelfallbearbeitung und nach festgesetzten Fristen, spätestens aber nach fünf Jahren, sind die in Dateien gespeicherten personenbezogenen Daten auf ihre -- 181 -- Erforderlichkeit zu überprüfen. Soweit die Daten Bestrebungen nach SS 5 Absatz 1 Nummer 1 betreffen, sind sie spätestens zehn Jahre, soweit sie Bestrebungen nach SS 5 Absatz 1 Nummer 3 oder 4 betreffen, spätestens fünfzehn Jahre nach dem Zeitpunkt der letzten gespeicherten relevanten Information zu löschen, es sei denn, der Leiter der Verfassungsschutzabteilung oder sein Vertreter trifft im Einzelfall ausnahmsweise eine andere Entscheidung. (4) Personenbezogene Daten sind in Dateien zu sperren, soweit durch ihre Löschung schutzwürdige Belange der betroffenen Person oder von Dritten beeinträchtigt würden. Ein schutzwürdiges Interesse liegt auch vor, wenn die betroffene Person einen Antrag nach SS 26 Absatz 1 Satz 1 gestellt hat. Anstelle der Löschung tritt auch dann eine Sperrung, wenn die nach Absatz 3 zu löschenden Daten mit anderen Daten derart verbunden sind, dass sie nicht oder nur mit einem unverhältnismäßig großen Aufwand getrennt werden können. Die gesperrten Daten dürfen ohne Einwilligung der betroffenen Person nicht mehr genutzt werden. (5) Eine Akte ist zu vernichten, wenn sie insgesamt zur Aufgabenerfüllung der Verfassungsschutzbehörde nicht oder nicht mehr erforderlich ist. Die Erforderlichkeit ist bei der Einzelfallbearbeitung und nach festgesetzten Fristen, spätestens nach fünf Jahren, zu prüfen. Eine Vernichtung unterbleibt, wenn Grund zu der Annahme besteht, dass durch sie schutzwürdige Interessen des Betroffenen beeinträchtigt würden. Dies ist auch dann gegeben, wenn eine betroffene Person einen Antrag nach SS 26 Absatz 1 Satz 1 gestellt hat. In diesen Fällen ist die Akte zu sperren und mit einem entsprechenden Vermerk zu versehen. Sie darf nur für den Zweck verwendet werden, für den sie gesperrt worden ist oder wenn es zur Abwehr einer erheblichen Gefahr unerlässlich ist. Eine Vernichtung der Akte erfolgt nicht, wenn sie nach den Vorschriften des Landesarchivgesetzes dem Landesarchiv zur Übernahme anzubieten und zu übergeben ist. (6) Personenbezogene Daten, die ausschließlich zu Zwecken der Datenschutzkontrolle, der Datensicherung oder zur Sicherstellung eines ordnungsgemäßen Betriebes einer Datenverarbeitungsanlage gespeichert werden, dürfen nur für diesen Zweck verwendet werden. -- 182 -- Abschnitt 3 Informationsübermittlung und Auskunftserteilung SS 18 Informationsübermittlung zwischen den Verfassungsschutzbehörden Die Verfassungsschutzbehörde unterrichtet das Bundesamt für Verfassungsschutz und die Verfassungsschutzbehörden der Länder über alle Angelegenheiten, deren Kenntnis zur Erfüllung der Aufgaben der empfangenden Stellen erforderlich ist. SS 19 Informationsübermittlung an Bundesnachrichtendienst und Militärischen Abschirmdienst Die Verfassungsschutzbehörde übermittelt dem Bundesnachrichtendienst und dem Militärischen Abschirmdienst die ihr bekannt gewordenen Informationen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Übermittlung für die Erfüllung der Aufgaben der empfangenden Stelle erforderlich ist. Handelt die Verfassungsschutzbehörde auf Ersuchen, so ist sie zur Übermittlung nur verpflichtet und berechtigt, wenn sich die tatsächlichen Anhaltspunkte aus den Angaben der ersuchenden Behörde ergeben. SS 20 Informationsübermittlung durch die Verfassungsschutzbehörde an Polizei, Staatsanwaltschaft und andere Stellen (1) Die im Rahmen der gesetzlichen Aufgaben gewonnenen Erkenntnisse der Verfassungsschutzbehörde, die nicht personenbezogen sind, können an andere Behörden und Stellen, insbesondere an die Polizei und Staatsanwaltschaften, übermittelt werden, wenn sie für die Aufgabenerfüllung der empfangenden Stellen erforderlich sein können. (2) Personenbezogene Daten übermittelt die Verfassungsschutzbehörde von sich aus an die Staatsanwaltschaften und, vorbehaltlich der staatsanwaltschaftlichen Sachleitungsbefugnis, die Polizei, sofern aufgrund der bei der Verfassungsschutzbehörde vorliegenden Informationen tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Übermittlung zur Verhinderung oder Verfolgung von Staatsschutzdelikten erforderlich ist. -- 183 -- Delikte nach Satz 1 sind die in SS 74a Abs. 1 und SS 120 Abs. 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 9. Mai 1975 (BGBl. I S. 1077), zuletzt geändert durch Artikel 2 des Gesetzes vom 19. Dezember 2000 (BGBl. I S. 1756), genannten Straftaten sowie sonstige Straftaten, bei denen aufgrund ihrer Zielsetzung, des Motivs des Täters oder dessen Verbindung zu einer Organisation tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie gegen die in Artikel 73 Nr. 10 Buchstabe b oder c des Grundgesetzes genannten Schutzgüter gerichtet sind. (3) Personenbezogene Daten darf die Verfassungsschutzbehörde vorbehaltlich des Absatzes 4 übermitteln 1. an die Staatsanwaltschaften und, vorbehaltlich der staatsanwaltschaftlichen Sachleitungsbefugnis, die Polizei, sofern aufgrund der bei der Verfassungsschutzbehörde vorliegenden Informationen tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass jemand eine Straftat plant oder begangen hat, die im Mindestmaß mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bedroht ist, oder wenn es zum Schutz vor Bestrebungen und Tätigkeiten nach SS 5 Abs. 1 erforderlich ist, 2. an andere staatliche Behörden und an die der Aufsicht des Landes unterstellten Gebietskörperschaften, wenn dies zum Schutz vor Bestrebungen und Tätigkeiten nach SS 5 Abs. 1 erforderlich ist, 3. an Stellen, die mit dem Überprüfungsverfahren nach SS 5 Absatz 3 Nummer 1 befasst sind, 4. an andere Stellen, wenn es zum Schutz vor Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes unverzichtbar ist. In den Fällen der Nummer 4 entscheidet der Leiter der Verfassungsschutzabteilung oder sein Vertreter. (4) Personenbezogene Daten, die mit den nachrichtendienstlichen Mitteln nach SS 10 Absatz 1 erhoben wurden, darf die Verfassungsschutzbehörde an die Staatsanwaltschaften, die Finanzbehörden nach SS 386 Absatz 1 der Abgabenordnung, die Polizei, die mit der Steuerfahndung betrauten Dienststellen der Landesfinanzbehörden, die Behörden des Zollfahndungsdienstes sowie anderer Zolldienststellen, soweit diese Aufgaben nach dem Bundespolizeigesetz wahrnehmen, nur übermitteln, soweit dies erforderlich ist zur -- 184 -- 1. Erfüllung eigener Aufgaben der Informationsgewinnung, 2. Abwehr einer im Einzelfall bestehenden Gefahr für den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder für Leib, Leben, Gesundheit oder Freiheit einer Person oder für Sachen von erheblichem Wert, deren Erhaltung im öffentlichen Interesse geboten ist, 3. Verhinderung oder sonstigen Verhütung von Straftaten von erheblicher Bedeutung oder 4. Verfolgung von Straftaten von erheblicher Bedeutung. (5) Soweit es zur Verhinderung oder Verfolgung von Straftaten gemäß Absatz 2 erforderlich ist, können die Staatsanwaltschaften und, vorbehaltlich der staatsanwaltschaftlichen Sachleitungsbefugnis, die Polizei die Übermittlung personenbezogener Daten im Einzelfall verlangen. Das Ersuchen bedarf der Schriftform, ist zu begründen und zu dokumentieren. Eine Übermittlung unterbleibt, sofern übergeordnete Bedenken aus den Aufgaben des Verfassungsschutzes der Übermittlung entgegenstehen. Die Entscheidung trifft der Leiter der Verfassungsschutzabteilung oder sein Vertreter. Die Ablehnung ist zu dokumentieren und zu begründen. Nach Wegfall der Ablehnungsgründe ist die Auskunft auf Verlangen nachzuholen. (6) Die nach Absatz 2 bis 4 oder 5 übermittelten personenbezogenen Daten darf die empfangende Stelle nur zu dem Zweck verwenden, zu dessen Erfüllung sie ihr übermittelt wurden. Auf diese Einschränkung ist die empfangende Stelle hinzuweisen. SS 20a Projektbezogene gemeinsame Dateien (1) Die Verfassungsschutzbehörde kann für die Dauer einer befristeten projektbezogenen Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz, den übrigen Landesbehörden für Verfassungsschutz, dem Militärischen Abschirmdienst, dem Bundesnachrichtendienst, dem Zollkriminalamt sowie den Polizeibehörden des Bundes und der Länder eine gemeinsame Datei errichten. Die projektbezogene Zusammenarbeit soll nach Maßgabe der Aufgaben und Befugnisse der in Satz 1 genannten Behörden den Austausch und die gemeinsame Auswertung von Erkenntnissen zu Bestrebungen, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf ge-- 185 -- richtete Vorbereitungshandlungen gegen die in SS 5 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 bis 4 genannten Schutzgüter gerichtet sind, bewirken. Personenbezogene Daten zu Bestrebungen nach Satz 2 dürfen unter Einsatz der gemeinsamen Datei durch die an der projektbezogenen Zusammenarbeit beteiligten Behörden im Rahmen ihrer Befugnisse verwendet werden, soweit dies in diesem Zusammenhang zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlich ist. Bei der weiteren Verwendung der personenbezogenen Daten finden für die beteiligten Behörden die jeweils für sie geltenden Vorschriften über die Verwendung von Daten Anwendung. (2) SS 22a Absatz 2 bis 6 des Bundesverfassungsschutzgesetzes findet entsprechende Anwendung. SS 21 Informationsübermittlung an ausländische Stellen Die Verfassungsschutzbehörde darf personenbezogene Daten im Einvernehmen mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz an ausländische öffentliche Stellen sowie an überund zwischenstaatliche Stellen übermitteln, soweit die Übermittlung in einem Gesetz, einem Rechtsakt der Europäischen Gemeinschaften oder in einer internationalen Vereinbarung geregelt ist. Eine Übermittlung darf auch erfolgen, wenn sie 1. zum Schutz von Leib oder Leben erforderlich ist oder 2. zur Erfüllung eigener Aufgaben, insbesondere in Fällen grenzüberschreitender Tätigkeiten der Verfassungsschutzbehörde, unumgänglich ist und im Empfängerland gleichwertige Datenschutzregelungen gelten. Die Übermittlung unterbleibt, wenn ihr auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland oder überwiegende schutzwürdige Interessen der betroffenen Person, insbesondere deren Schutz vor einer rechtsstaatswidrigen Verfolgung, entgegenstehen. SS 20 Abs. 5 gilt entsprechend; die empfangende Stelle ist darüber hinaus darauf hinzuweisen, dass sich die Verfassungsschutzbehörde vorbehält, Auskunft über die Verarbeitung der übermittelten Daten zu verlangen. -- 186 -- SS 22 Informationsübermittlung an die Öffentlichkeit Bei der Unterrichtung der Öffentlichkeit, einschließlich der Medien, über Erkenntnisse der Verfassungsschutzbehörde ist die Übermittlung von personenbezogenen Daten nur zulässig, wenn es zu einer sachgemäßen Information erforderlich ist und schutzwürdige Interessen der betroffenen Person nicht entgegenstehen. Werden von der Verfassungsschutzbehörde personenbezogene Daten an die Öffentlichkeit gegeben, so ist im Einzelfall zu prüfen, ob vorab eine Benachrichtigung der betroffenen Person oder des Dritten geboten ist. SS 23 Dokumentation und Grundlage der Informationsübermittlung durch die Verfassungsschutzbehörde Die Übermittlung von personenbezogenen Daten ist zu dokumentieren. Vor der Datenübermittlung soll der Akteninhalt gewürdigt und der Datenübermittlung zugrunde gelegt werden. Erkennbar unvollständige Daten sind vor der Übermittlung im Rahmen der Verhältnismäßigkeit durch Einholung zusätzlicher Auskünfte zu vervollständigen, anderenfalls ist auf die Unvollständigkeit hinzuweisen. SS 24 *) Informationsübermittlung durch öffentliche Stellen an die Verfassungsschutzbehörde (1) Die Verfassungsschutzbehörde kann von den Behörden des Landes und den der Aufsicht des Landes unterstehenden juristischen Personen des öffentlichen Rechts nur die Übermittlung von Daten verlangen, die diesen Stellen im Rahmen ihrer Aufgaben vorliegen und die zur Erfüllung der Aufgaben des Verfassungsschutzes erforderlich sind. Voraussetzung hierfür ist, dass die betreffenden Daten nicht aus allgemein zugänglichen Quellen oder nur mit übermäßigem Aufwand oder nur durch eine die betroffene Person stärker belastende Maßnahme erhoben werden können. (2) Die Verfassungsschutzbehörde braucht Ersuchen nicht zu begründen, soweit dies dem Schutz der betroffenen Person dient oder eine Begründung den Zweck der Maßnahme gefährden würde. -- 187 -- (3) Die in Absatz 1 genannten Stellen übermitteln von sich aus der Verfassungsschutzbehörde alle ihnen im Rahmen ihrer Aufgaben vorliegenden Daten über Bestrebungen, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen verfolgt werden, und über geheimdienstliche Tätigkeiten. Die Staatsanwaltschaften und, vorbehaltlich der staatsanwaltschaftlichen Sachleitungsbefugnis, die Polizei übermitteln darüber hinaus auch andere ihnen im Rahmen ihrer Aufgabenerfüllung bekannt gewordene Daten über Bestrebungen im Sinne des SS 5 Abs. 1. Die Übermittlung personenbezogener Daten, die aufgrund einer Maßnahme nach SS 100a der Strafprozessordnung bekannt geworden sind, ist nur zulässig, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass jemand eine der im aufgrund von Artikel 10 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes erlassenen Bundesgesetz als Voraussetzung für eine Beschränkungsmaßnahme genannten Straftaten plant, begeht oder begangen hat. Die Übermittlung personenbezogener Daten, die aufgrund anderer strafprozessualer Zwangsmaßnahmen bekannt geworden sind, ist nur zulässig, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für geheimdienstliche oder sicherheitsgefährdende Tätigkeiten oder gewalttätige Bestrebungen bestehen. Auf die nach Satz 3 übermittelten Daten und die dazugehörenden Unterlagen finden die im aufgrund von Artikel 10 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes erlassenen Bundesgesetz enthaltenen Bestimmungen über die Nutzung, Übermittlung und Vernichtung von Daten entsprechende Anwendung. Die nach Satz 4 übermittelten Daten dürfen nur zur Erforschung geheimdienstlicher oder sicherheitsgefährdender Tätigkeiten oder gewalttätiger Bestrebungen genutzt werden. (4) Vorschriften zur Datenübermittlung an die Verfassungsschutzbehörde nach anderen Gesetzen bleiben unberührt. (5) Die Verfassungsschutzbehörde hat die übermittelten Daten nach ihrem Eingang unverzüglich darauf zu überprüfen, ob sie für die Erfüllung ihrer in SS 5 genannten Aufgaben erforderlich sind. Ergibt die Prüfung, dass sie nicht erforderlich sind, sind die Unterlagen unverzüglich zu vernichten. Die Vernichtung unterbleibt, wenn die Unterlagen von anderen Daten, die zur Erfüllung der Aufgaben erforderlich sind, nicht oder nur mit unvertretbarem Aufwand getrennt werden können; in diesem Fall sind die Daten gesperrt und entsprechend zu kennzeichnen. (6) Soweit andere gesetzliche Vorschriften nicht besondere Regelungen über die Dokumentation treffen, haben die Verfassungsschutzbehörde und die übermittelnde Stelle die Datenübermittlung zu dokumentieren. Fußnoten *) SS 24 Überschrift neu gefasst durch Artikel 3 des Gesetzes vom 16. April 2004. -- 188 -- SS 24a Informationsübermittlung durch nicht-öffentliche Stellen an die Verfassungsschutzbehörde (1) Die Verfassungsschutzbehörde darf im Einzelfall bei denjenigen, die geschäftsmäßig Postdienstleistungen oder Telemediendienste erbringen oder daran mitwirken, Auskunft über Daten einholen, die für die Begründung, inhaltliche Ausgestaltung, Änderung oder Beendigung eines Vertragsverhältnisses über Postdienstleistungen oder Telemediendienste (Bestandsdaten) gespeichert worden sind, soweit dies zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlich ist. (2) Die Verfassungsschutzbehörde darf im Einzelfall Auskunft einholen bei 1. Luftfahrtunternehmen zu Namen und Anschriften des Kunden sowie zur Inanspruchnahme und den Umständen von Transportleistungen, insbesondere zum Zeitpunkt von Abfertigung und Abflug und zum Buchungsweg, 2. Kreditinstituten, Finanzdienstleistungsinstituten und Finanzunternehmen zu Konten, Konteninhabern und sonstigen Berechtigten sowie weiteren am Zahlungsverkehr Beteiligten und zu Geldbewegungen und Geldanlagen, insbesondere über Kontostand und Zahlungseinund -ausgänge, 3. denjenigen, die geschäftsmäßig Postdienstleistungen erbringen oder daran mitwirken, zu den Umständen des Postverkehrs, 4. denjenigen, die geschäftsmäßig Telekommunikationsdienste erbringen oder daran mitwirken, zu Verkehrsdaten nach SS 96 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 sowie SS 113a des Telekommunikationsgesetzes vom 22. Juni 2004 (BGBl. I S. 1190), das zuletzt durch Artikel 2 des Gesetzes vom 21. Dezember 2007 (BGBl. I S. 3198) geändert worden ist, und sonstigen zum Aufbau und zur Aufrechterhaltung der Telekommunikation notwendigen Verkehrsdaten und 5. denjenigen, die geschäftsmäßig Telemediendienste erbringen oder daran mitwirken, zu a) Merkmalen zur Identifikation des Nutzers eines Telemediums, b) Angaben über Beginn und Ende sowie über den Umfang der jeweiligen Nutzung und -- 189 -- c) Angaben über die vom Nutzer in Anspruch genommenen Telemediendienste, soweit dies zur Aufklärung von Bestrebungen oder Tätigkeiten erforderlich ist und tatsächliche Anhaltspunkte für schwerwiegende Gefahren für die in SS 5 Abs. 1 genannten Schutzgüter vorliegen. Im Falle des SS 5 Abs. 1 Nr. 1 gilt dies nur für Bestrebungen, die bezwecken oder aufgrund ihrer Wirkungsweise geeignet sind, 1. zu Hass oder Willkürmaßnahmen gegen Teile der Bevölkerung aufzustacheln oder deren Menschenwürde durch Beschimpfen, böswilliges Verächtlichmachen oder Verleumden anzugreifen und dadurch die Bereitschaft zur Anwendung von Gewalt zu fördern und den öffentlichen Frieden zu stören oder 2. Gewalt anzuwenden oder vorzubereiten einschließlich dem Befürworten, Hervorrufen oder Unterstützen von Gewaltanwendung, auch durch Unterstützen von Vereinigungen, die Anschläge gegen Personen oder Sachen veranlassen, befürworten oder androhen. (3) Anordnungen nach Absatz 2 dürfen sich nur gegen Personen richten, bei denen 1. tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie die schwerwiegenden Gefahren nach Absatz 2 nachdrücklich fördern oder 2. aufgrund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist a) bei Auskünften nach Absatz 2 Satz 1 Nr. 1, 2 und 5, dass sie die Leistung für eine Person nach Nummer 1 in Anspruch nehmen oder b) bei Auskünften nach Absatz 2 Satz 1 Nr. 3 und 4, dass sie für eine Person nach Nummer 1 bestimmte oder von ihr herrührende Mitteilungen entgegennehmen oder weitergeben oder im Falle des Absatzes 2 Satz 1 Nr. 4, dass eine Person nach Nummer 1 ihren Anschluss be-nutzt. (4) Die Zuständigkeit für Anordnungen nach Absatz 2 Satz 1 Nr. 1 ist in einer Dienstvorschrift zu regeln, die der Zustimmung des Innenministers bedarf. Anordnungen nach Absatz 2 Satz 1 Nr. 2 bis 5 werden vom Leiter der Verfassungsschutzbehörde oder seinem Vertreter schriftlich beantragt und begründet. Im Falle der Auskunft nach Nummer 2 kann der An-- 190 -- trag auch von einem Bediensteten der Verfassungsschutzbehörde gestellt werden, der die Befähigung zum Richteramt hat. Zuständig für Anordnungen nach Absatz 2 Satz 1 Nr. 2 bis 5 ist der Innenminister. Die Anordnung einer Auskunft über künftig anfallende Daten ist auf höchstens drei Monate zu befristen. Die Verlängerung dieser Anordnung um jeweils nicht mehr als drei Monate ist auf Antrag zulässig, soweit die Voraussetzungen der Anordnung fortbestehen. Anordnungen nach Absatz 2 Satz 1 Nr. 1 und 2 hat die Verfassungsschutzbehörde dem Betroffenen mitzuteilen, sobald eine Gefährdung des Zweckes des Eingriffs ausgeschlossen werden kann. (5) Über Anordnungen nach Absatz 2 Satz 1 Nr. 3 bis 5 unterrichtet der Innenminister monatlich die Kommission nach SS 2 Abs. 1 des Gesetzes zur Ausführung des Artikel 10-Gesetzes vom 17. Juli 1992 (GVOBl. M-V S. 486), das zuletzt durch das Gesetz vom 30. Juli 2007 (GVOBl. M-V S. 278) geändert worden ist, vor deren Vollzug. Bei Gefahr im Verzug kann er den Vollzug der Entscheidung auch bereits vor der Unterrichtung der Kommission anordnen. Die Kommission prüft von Amts wegen oder aufgrund von Beschwerden die Zulässigkeit und Notwendigkeit der Einholung von Auskünften. SS 15 Abs. 5 des Artikel 10-Gesetzes vom 26. Juni 2001 (BGBl. I S. 1254, 2298), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 18. Februar 2007 (BGBl. I S 106) geändert worden ist, ist mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden, dass die Kontrollbefugnis der Kommission sich auf die gesamte Erhebung, Verarbeitung und Nutzung der nach Absatz 2 Satz 1 Nr. 3 bis 5 erlangten personenbezogenen Daten erstreckt. Entscheidungen über Auskünfte, die die Kommission für unzulässig oder nicht notwendig erklärt, hat der Innenminister unverzüglich aufzuheben. Die Daten unterliegen in diesem Falle einem absoluten Verwendungsverbot und sind unverzüglich zu löschen. Für die Verarbeitung der nach Absatz 2 Satz 1 Nr. 3 bis 5 erhobenen Daten ist SS 4 des Artikel 10-Gesetzes entsprechend anzuwenden. SS 12 Abs. 1 und 3 des Artikel 10-Gesetzes findet entsprechend Anwendung. (6) Der Innenminister unterrichtet im Abstand von höchstens sechs Monaten die Parlamentarische Kontrollkommission über Anordnungen nach Absatz 2; dabei ist insbesondere ein Überblick über Anlass, Umfang, Dauer, Ergebnis und Kosten der im Berichtszeitraum durchgeführten Maßnahmen zu geben. (7) Anordnungen sind dem Verpflichteten insoweit schriftlich mitzuteilen, als dies erforderlich ist, um ihm die Erfüllung seiner Verpflichtung zu ermöglichen. Anordnungen und übermittelte Daten dürfen dem Betroffenen oder Dritten vom Verpflichteten nicht mitgeteilt werden. -- 191 -- (8) Der Innenminister unterrichtet das Parlamentarische Kontrollgremium des Bundes jährlich über Anordnungen nach Absatz 2 nach Maßgabe des SS 8b Absatz 3 Satz 1 des Bundesverfassungsschutzgesetzes. (9) Das Grundrecht des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses (Artikel 10 des Grundgesetzes) wird nach Maßgabe des Absatzes 2 Satz 1 Nr. 3 bis 5 und der Absätze 3 bis 5 eingeschränkt. SS 24b Weitere Auskunftsverlangen (1) Soweit dies zur Erfüllung der Aufgaben der Verfassungsschutzbehörde erforderlich ist, darf von demjenigen, der geschäftsmäßig Telekommunikationsdienste erbringt oder daran mitwirkt, im Einzelfall Auskunft über die nach den SSSS 95 und 111 des Telekommunikationsgesetzes vom 22. Juni 2004 (BGBl. I S. 1190), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 20. Juni 2013 (BGBl. I S. 1602) geändert worden ist, erhobenen Daten verlangt werden (SS 113 Absatz 1 Satz 1 des Telekommunikationsgesetzes). Bezieht sich das Auskunftsverlangen nach Satz 1 auf Daten, mittels derer der Zugriff auf Endgeräte oder auf Speichereinrichtungen, die in diesen Endgeräten oder hiervon räumlich getrennt eingesetzt werden, geschützt wird (SS 113 Absatz 1 Satz 2 des Telekommunikationsgesetzes), darf die Auskunft nur verlangt werden, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen für die Nutzung der Daten vorliegen. (2) Die Auskunft nach Absatz 1 darf auch anhand einer zu einem bestimmten Zeitpunkt zugewiesenen Internetprotokoll-Adresse verlangt werden (SS 113 Absatz 1 Satz 3 des Telekommunikationsgesetzes). (3) Von einer Beauskunftung nach Absatz 2 ist die betroffene Person zu benachrichtigen. Die Benachrichtigung erfolgt, soweit und sobald eine Gefährdung des Zwecks der Auskunft und der Eintritt übergreifender Nachteile für das Wohl des Bundes oder eines Landes ausgeschlossen werden können. Sie unterbleibt, wenn ihr überwiegende schutzwürdige Belange Dritter oder der betroffenen Person selbst entgegenstehen. Wird die Benachrichtigung nach Satz 2 zurückgestellt oder nach Satz 3 von ihr abgesehen, sind die Gründe aktenkundig zu machen. (4) Aufgrund eines Auskunftsverlangens nach Absatz 1 oder Absatz 2 hat derjenige, der geschäftsmäßig Telekommunikationsdienste erbringt oder daran mitwirkt, die zur Auskunftserteilung erforderlichen Daten unverzüglich, vollständig und richtig zu übermitteln. -- 192 -- (5) Die Verfassungsschutzbehörde hat für ihr erteilte Auskünfte eine Entschädigung zu gewähren, deren Umfang sich nach SS 23 und Anlage 3 des Justizvergütungsund -entschädigungsgesetzes vom 5. Mai 2004 (BGBl. I S. 718, 776), das zuletzt durch Artikel 13 des Gesetzes vom 5. Dezember 2012 (BGBl. I S. 2418) geändert worden ist, bemisst. Die Vorschriften über die Verjährung in SS 2 Absatz 1 und Absatz 4 des Justizvergütungsund -entschädigungsgesetzes finden entsprechend Anwendung. (6) Das Grundrecht des Fernmeldegeheimnisses (Artikel 10 des Grundgesetzes) wird nach Maßgabe des Absatzes 2 eingeschränkt. SS 25 Übermittlungsverbote, Nachberichtspflicht (1) Die Übermittlung von Daten unterbleibt, wenn 1. die Daten zu löschen oder für die empfangende Stelle nicht bedeutsam sind, 2. überwiegende Sicherheitsinteressen dies erfordern, 3. erkennbar ist, dass unter Berücksichtigung der Art der Daten und ihrer Erhebung die schutzwürdigen Interessen der betroffenen Person das Allgemeininteresse an der Übermittlung überwiegen, 4. es sich um personenbezogene Daten aus der engeren Persönlichkeitssphäre oder solche über Minderjährige unter 16 Jahren handelt, es sei denn, die empfangende Stelle der Daten benötigt diese zum Schutz vor Gewalt oder vor Vorbereitungshandlungen zur Gewalt oder vor geheimdienstlichen Tätigkeiten, 5. die Daten gesperrt sind und ihre Trennung nicht oder nur mit unverhältnismäßig hohem Aufwand von anderen zu übermittelnden Daten möglich ist oder 6. besondere gesetzliche Übermittlungsregelungen entgegenstehen; die Verpflichtung zur Wahrung gesetzlicher Geheimhaltungspflichten oder von Berufsoder besonderen Amtsgeheimnissen, die nicht auf gesetzlichen Vorschriften beruhen, bleibt unberührt. -- 193 -- (2) Erweisen sich Daten nach ihrer Übermittlung als unrichtig, unvollständig, unzulässig gespeichert oder erhoben, so hat die übermittelnde Stelle den Empfänger unverzüglich darauf hinzuweisen, es sei denn, dass dies für die Beurteilung eines Sachverhaltes ohne Bedeutung ist. Unrichtige oder unvollständige Daten sind durch die übermittelnde Stelle gegenüber dem Empfänger zu berichtigen oder zu ergänzen, wenn durch die unrichtige oder unvollständige Übermittlung schutzwürdige Interessen der betroffenen Person beeinträchtigt sein können. Die Benachrichtigung sowie Ergänzung sind aktenkundig zu machen und in der entsprechenden Datei zu vermerken. SS 26 Auskunft an betroffene Personen (1) Die Verfassungsschutzbehörde erteilt betroffenen Personen auf schriftlichen Antrag unentgeltlich Auskunft über zu ihrer Person gespeicherte Daten. Die Auskunftsverpflichtung erstreckt sich nicht auf die Herkunft der Daten und die Empfänger von Übermittlungen. Über Daten aus Akten, die nicht zu der betroffenen Person geführt werden, wird Auskunft nur erteilt, soweit Daten, namentlich aufgrund von Angaben der betroffenen Person, mit angemessenem Aufwand auffindbar sind. Die Verfassungsschutzbehörde bestimmt Verfahren und Form der Auskunftserteilung nach pflichtgemäßem Ermessen. (2) Die Auskunftserteilung kann nur abgelehnt werden, soweit 1. die Auskunft die öffentliche Sicherheit gefährden oder sonst dem Wohl des Bundes oder eines Landes Nachteile bereiten würde, 2. die Daten oder die Tatsache ihrer Speicherung nach einer Rechtsvorschrift oder wegen der berechtigten Interessen von Dritten geheimgehalten werden müssen oder 3. durch die Auskunftserteilung Informationsquellen gefährdet würden oder die Ausforschung des Erkenntnisstandes oder der Arbeitsweise der Verfassungsschutzbehörde zu befürchten ist. Die Entscheidung trifft der Leiter der Verfassungsschutzabteilung oder ein besonders von ihm beauftragter Mitarbeiter, der die Befähigung zum Richteramt besitzen soll. -- 194 -- (3) Die Ablehnung der Auskunftserteilung bedarf keiner Begründung, soweit dadurch der Zweck der Auskunftsverweigerung gefährdet würde. Die Gründe der Auskunftsverweigerung sind zu dokumentieren. (4) Wird die Auskunftserteilung abgelehnt, ist dem Antragsteller die Rechtsgrundlage dieser Ablehnung mitzuteilen. Die antragstellende Person ist auf ihr Recht hinzuweisen, sich an den Landesbeauftragten für den Datenschutz wenden zu können. Dem Landesbeauftragen für den Datenschutz ist auf sein Verlangen Auskunft zu erteilen. Stellt der Innenminister oder im Verhinderungsfall der Staatssekretär im Einzelfall fest, dass durch die Erteilung der Auskunft die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gefährdet würde, so darf die Auskunft nur dem Landesbeauftragten persönlich erteilt werden. Mitteilungen des Landesbeauftragten an die antragstellende Person dürfen keine Rückschlüsse auf den Kenntnisstand der Verfassungsschutzbehörde zulassen, sofern diese nicht einer weitergehenden Auskunft zustimmt. Abschnitt 4 Kontrolle der Verfassungsschutzbehörde SS 27 Parlamentarische Kontrollkommission (1) In Angelegenheiten des Verfassungsschutzes des Landes unterliegt die Landesregierung unbeschadet der Rechte des Landtages der Kontrolle durch die Parlamentarische Kontrollkommission. Die Kontrolle der Durchführung des aufgrund von Artikel 10 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes erlassenen Bundesgesetzes bleibt den aufgrund von Artikel 10 Abs. 2 des Grundgesetzes von dem Landtag bestellten Organen und Hilfsorganen vorbehalten. (2) Die Parlamentarische Kontrollkommission besteht aus fünf Mitgliedern, die zu Beginn jeder Wahlperiode vom Landtag aus seiner Mitte einzeln mit der Mehrheit seiner Mitglieder gewählt werden. Zwei Mitglieder sollen der parlamentarischen Opposition angehören. Die Mitglieder dürfen nicht der Landesregierung angehören. -- 195 -- (3) Die Parlamentarische Kontrollkommission gibt sich eine Geschäftsordnung. Sie übt ihre Tätigkeit auch über das Ende der Wahlperiode des Landtages solange aus, bis der nachfolgende Landtag die Mitglieder neu gewählt hat. Der Parlamentarischen Kontrollkommission ist die für die Erfüllung ihrer Aufgaben notwendige Personalund Sachausstattung zur Verfügung zu stellen. (4) Scheidet ein Mitglied aus dem Landtag oder aus der Fraktion, die ihn zur Wahl vorgeschlagen hat, aus, so verliert es seine Mitgliedschaft in der Parlamentarischen Kontrollkommission. Für dieses Mitglied ist unverzüglich ein neues Mitglied zu wählen; das Gleiche gilt, wenn ein Mitglied aus anderen Gründen aus der Parlamentarischen Kontrollkommission ausscheidet. (5) Die Parlamentarische Kontrollkommission tritt mindestens einmal im Vierteljahr zusammen. (6) Jedes Mitglied kann die Einberufung und die Unterrichtung der Parlamentarischen Kontrollkommission verlangen. SS 28 Geheimhaltung (1) Die Parlamentarische Kontrollkommission tagt in nichtöffentlicher Sitzung, über die jeweils ein Protokoll anzufertigen ist. Die Mitglieder sind zur Geheimhaltung der Angelegenheiten verpflichtet, die ihnen bei ihrer Tätigkeit in der Parlamentarischen Kontrollkommission bekannt geworden sind. Dies gilt auch für die Zeit nach ihrem Ausscheiden aus der Parlamentarischen Kontrollkommission. (2) Auf Antrag eines Mitgliedes beschließt die Parlamentarische Kontrollkommission über die Herstellung der Öffentlichkeit oder die Aufhebung der Vertraulichkeit nach Absatz 1, soweit öffentliche Geheimschutzinteressen, insbesondere die Aufrechterhaltung des Nachrichtenzuganges, oder berechtigte Interessen eines Einzelnen dem nicht entgegenstehen. Der Beschluss bedarf der Mehrheit der gesetzlichen Mitglieder der Kommission. Der Innenminister, im Falle seiner Verhinderung der Staatssekretär, kann einem Beschluss nach Satz 1 widersprechen, wenn die Voraussetzungen der Aufhebung der Vertraulichkeit gemäß Satz 1 nicht vorliegen. Der Innenminister, im Falle seiner Verhinderung der Staatssekretär, hat die Gründe hierfür darzulegen. -- 196 -- Die Aufhebung der Vertraulichkeit von Beratungsgegenständen, die in die Verantwortlichkeit des Bundes oder eines Landes fallen, ist nur mit deren Zustimmung möglich. (3) Sitzungsunterlagen und Protokolle verbleiben im Gewahrsam der Verfassungsschutzbehörde und können nur dort von den Mitgliedern der Kommission oder dem Innenminister, im Falle seiner Verhinderung dem Staatssekretär, eingesehen werden, es sei denn, der ordnungsgemäße Umgang mit diesen Unterlagen gemäß der Verschlusssachenanweisung für das Land Mecklenburg-Vorpommern ist nach Überzeugung der Parlamentarischen Kontrollkommission auf andere Weise gewährleistet. SS 29 Kontrollrechte der Parlamentarischen Kontrollkommission (1) Das Innenministerium hat die Parlamentarische Kontrollkommission umfassend über die allgemeine Tätigkeit der Verfassungsschutzbehörde, das Lagebild und über die Vorgänge von besonderer Bedeutung, insbesondere Einzelfälle, in denen eine Datenübermittlung gemäß SS 20 Abs. 4 Satz 3 unterblieben ist, sowie auf Verlangen der Kommission über sonstige Einzelfälle zu unterrichten. Ferner unterrichtet es über den Erlass und die Einhaltung von Verwaltungsvorschriften sowie über den Verfassungsschutz betreffende Eingaben einzelner Bürger (Petenten), sofern der Petent der Unterrichtung nicht widersprochen hat. (2) Die Parlamentarische Kontrollkommission kann von dem Innenministerium alle für ihre Kontrollaufgaben erforderlichen Auskünfte, Unterlagen, Aktenund Dateneinsicht, Stellungnahmen und den Zutritt zur Verfassungsschutzbehörde verlangen sowie bei besonderem Aufklärungsbedarf Bedienstete und Auskunftspersonen zum Sachverhalt befragen, sofern dem nicht überwiegende öffentliche (zum Beispiel Aufrechterhaltung des Nachrichtenzugangs) oder private Belange entgegenstehen; das Innenministerium hat dies vor der Parlamentarischen Kontrollkommission zu begründen. Die Parlamentarische Kontrollkommission kann ferner den Landesbeauftragten für den Datenschutzbeauftragen, die Rechtmäßigkeit einzelner Maßnahmen, welche die Verfassungsschutzbehörde durchgeführt hat, zu überprüfen und der Kommission das Ergebnis der Überprüfung mitzuteilen. Die Befugnisse des Landesbeauftragten für den Datenschutz richten sich nach dem Landesdatenschutzgesetz von Mecklenburg-Vorpommern. Wird der Landesbeauftragte für den Datenschutz nach SS 26 Abs. 4 tätig, so kann er von sich aus die Parla-- 197 -- mentarische Kontrollkommission unterrichten, wenn sich Beanstandungen ergeben, eine Mitteilung an die betroffene Person aber aus Geheimhaltungsgründen unterbleiben muss. (3) Die Parlamentarische Kontrollkommission kann mit der Mehrheit ihrer gesetzlichen Mitglieder nach Anhörung des Innenministeriums im Einzelfall einen Sachverständigen beauftragen, zur Wahrnehmung ihrer Kontrollaufgaben Untersuchungen durchzuführen. Der Sachverständige hat der Parlamentarischen Kontrollkommission über das Ergebnis seiner Untersuchungen zu berichten; SS 28 Abs. 1 und 2 gelten entsprechend. (4) Die Angaben über Ausgaben aus dem der Abteilung zugewiesenen Titel werden der Parlamentarischen Kontrollkommission im Ansatz vor Beratung des Haushaltsplanes zur Stellungnahme überwiesen. Das Innenministerium unterrichtet die Parlamentarische Kontrollkommission über den Vollzug des Haushaltsplanes, soweit es die der Verfassungsschutzbehörde zugewiesenen Titel betrifft. Abschnitt 5 Schlussvorschriften SS 30 Geltung des Landesdatenschutzgesetzes Bei der Erfüllung der Aufgaben nach SS 5 durch die Verfassungsschutzbehörde finden SS 3 Abs. 2 und 3, SSSS 9, 10 Abs. 1 bis 4, SSSS 11, 13 Abs. 1 bis 4, 6 und 7, SSSS 14, 15, 16, 18, 24 und 25 des Landesdatenschutzgesetzes keine Anwendung. SS 31 (aufgehoben) -- 198 -- SS 32 In-Kraft-Treten, Außer-Kraft-Treten (1) Dieses Gesetz tritt mit Ausnahme des SS 30 am Tag nach seiner Verkündung in Kraft. Gleichzeitig tritt das Landesverfassungsschutzgesetz vom 18. März 1992 (GVOBl. M-V S. 194) außer Kraft. (2) SS 30 tritt an dem Tag in Kraft, an dem das Landesdatenschutzgesetz in Kraft tritt. Der Tag des In-Kraft-Tretens ist vom Innenministerium im Gesetzund Verordnungsblatt für Mecklenburg-Vorpommern bekannt zu geben. Das vorstehende Gesetz wird hiermit verkündet. Schwerin, den 11. Juli 2001 Der Ministerpräsident Der Innenminister Dr. Harald Ringstorff Dr. Gottfried Timm (c) juris GmbH