Ministerium für Inneres und Europa Verfassungsschutzbericht 2017 Verfassungsschutzbericht 2017 Impressum Herausgeber: Ministerium für Inneres und Europa Mecklenburg-Vorpommern Redaktion: Abteilung Verfassungsschutz Postfach 11 05 52 19005 Schwerin 1. Auflage: 1000 Exemplare Herstellung: Produktionsbüro TINUS Titelbild: "Die wehrhafte Demokratie" Manfred Diekmann, 2009 Vorwort Sehr geehrte Bürgerinnen und Bürger, ist auf den Rechtsstaat und seine Institutionen noch Verlass? Und ist unsere Demokratie noch streitbar und wehrhaft? Viele von Ihnen werden sich diese Fragen in den vergangenen Monaten und Jahren gestellt haben. Häufig sind es politische oder religiöse Extremisten, die mit ihren Verbrechen das Vertrauen in den Staat als dem Inhaber des Gewaltmonopoles und Garanten der Sicherheit erschüttern - sei es die Mordserie des "NSU" in den Jahren 2000 bis 2007, sei es der islamistische Massenmordanschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt im Dezember 2016 oder sei es die mehrtägige Gewaltorgie militanter Linksautonomer während des G20-Gipfels 2017 in Hamburg. Fehlender Respekt vor dem demokratisch gesetzten Recht, gewaltsame Angriffe auf demokratisch legitimierte Amtsund Mandatsträger sowie die undemokratische Selbstermächtigung zivilgesellschaftlicher Akteure stellen sowohl eine Ursache als auch eine Folge jener gefährlichen Vertrauenskrise dar, von der vor allem Extremisten profitieren. Umso mehr gilt es, den Kern unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu verteidigen: die Menschenwürde, das Demokratieprinzip und den Rechtsstaat. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil im NPD-Verbotsverfahren diese Prinzipien als unentbehrlich für eine Demokratie bezeichnet. Sie dürfen daher von niemandem zur Disposition gestellt werden! Der Verantwortung, diese Werteordnung im Auftrage des Landesgesetzgebers zu schützen, ist der Verfassungsschutz des Landes auch im Jahr 2017 gerecht geworden. Dafür gebührt ihm unser aller Dank. Unsere Demokratie ist jedoch weiterhin vielfältigen Gefährdungen ausgesetzt. In Mecklenburg-Vorpommern bildet der Rechtsextremismus dabei trotz ausbleibender Wahlerfolge und des damit verbundenen Rückgangs der politischen Einflussmöglichkeiten weiterhin den Schwerpunkt extremistischer Umtriebe. Die Szene verfügt über ein stabiles Personenpotenzial und kann mit der "Nationaldemokratischen Partei Deutschlands" und der Kameradschaftsszene auf eine funktionierende Struktur zurückgreifen. Auch deswegen unterstützt das Land Mecklenburg-Vorpommern das Verfahren zum Ausschluss der NPD von der staatlichen Parteienfinanzierung. Besorgniserregend ist die weiterhin hohe Gewaltbereitschaft, die auch schwerste Straftaten bis hin zum Terrorismus befürchten lässt. Ziel der Gewalttaten sind überwiegend Menschen mit Migrationshintergrund. Dabei begünstigen Hasskommentare im Internet ein Klima der Aggression und Gewalt gegen Zuwanderer. Bei den Protesten gegen Flüchtlinge ist in jüngster Zeit eine Entwicklung zu beobachten, die Sorge bereitet. An asylfeindlichen Demonstrationen nahmen bundesweit nicht selten Menschen ohne einen erkennbar extremistischen Hintergrund zusammen mit Rechtsextremisten teil. Offenbar finden hier Entgrenzungsprozesse statt, die Berührungsängste schwinden lassen. An dieser Schnittstelle bewegen sich auch neue Strömungen, die zwar eine Nähe zum nationalsozialistischen Gedankengut ablehnen, um ihre Anschlussfähigkeit zu erhöhen, aber zugleich antidemokratische Tendenzen mit Bezug zur "Konservativen Revolution" in der Weimarer Republik erkennen lassen. Aktuelles Hauptagitationsfeld dieser sich "Identitäre" oder "Kontrakulturelle" nennenden Bewegungen ist zwar auch die Zuwanderung. Es besteht jedoch der Verdacht, dass sie langfristig einen grundsätzlichen Umbau der Gesellschaft zu einem elitären Herrschaftssystem anstreben. In den Blick zu nehmen sind auch die "Reichsbürger und Selbstverwalter", die - wenn es auch einzelne Überschneidungen mit dem Rechtsextremismus gibt - aufgrund der häufig kruden und nicht eindeutig zuzuordnenden Gedankenwelt ein eigenes Extremismusfeld bilden. Diese Szene birgt ein deutliches Gewaltpotenzial und zeigt eine hohe Affinität zu Waffen. Das Anwachsen dieser Bewegung lässt durchaus Fragen nach der Integrationskraft unserer Demokratie aufkommen. Die bundesweit größte Herausforderung für die Sicherheitsbehörden bleibt der islamistische Terrorismus. Die furchtbaren Anschläge in Deutschland und in den europäischen Nachbarländern haben in der Bevölkerung große Verunsicherung ausgelöst. In der Folge mussten Schutzmaßnahmen für Großveranstaltungen ergriffen werden, die als sichtbares Zeichen für die Einschränkung der persönlichen Freiheit wahrgenommen wurden. Der totalitäre Machtanspruch der Islamisten darf daher keineswegs unterschätzt werden. Sie werden auch weiterhin versuchen, ihr religiös unterlegtes politisches Machtkonzept umzusetzen. Es richtet sich eben in der Konsequenz gegen die westlichen Wertund Ordnungsvorstellungen, etwa durch das Nichtakzeptieren der gleichen Rechte von Mann und Frau oder des parlamentarischen Systems mit freien Wahlen. In diesem Spektrum gilt der Salafismus als besonders rückwärtsgewandte und teils gewaltbereite Form des Islams. Dabei ist der Salafismus bundesweit die zurzeit dynamischste islamistische Bewegung. Sie wächst von Jahr zu Jahr und hat auch in Mecklenburg-Vorpommern weiteren Zulauf. Zudem ist das Land nicht von terroristischen Aktivitäten verschont geblieben. Der Verdachtsfall in Güstrow, der zur Ausweisung zweier Islamisten geführt hat sowie die fortgeschrittenen Anschlagsvorbereitungen in Schwerin im Jahr 2017 zeigen, dass die Entwicklung des Islamismus auch hierzulande aufmerksam verfolgt werden muss. Dies auch vor dem Hintergrund der Zuwanderung aus muslimischen Ländern, da sich unter den Migranten Personen befinden, die offenbar dem "Islamischen Staat" oder anderen islamistischen Kampforganisationen angehören. Die Gewaltexzesse aus Anlass des G20-Gipfels im Juli 2017 in Hamburg haben eher kurzeitig den Blick auf ein verfassungsfeindliches Lager gerichtet, das in der öffentlichen Wahrnehmung regelmäßig kaum Aufmerksamkeit genießt, den Linksextremismus. Dies ist umso verwunderlicher, als dass die ideologischen Konzepte, die die Gewalttäter antreiben, mit dem Grundgesetz unvereinbar sind. Dies gilt gleichermaßen für den jeglichen Staat ablehnenden Anarchismus als auch für den Marxismus-Leninismus, dessen unheilvolle Geschichte nicht zu leugnen ist. Ursache für das fehlende Gefahrenbewusstsein dürften die Themen sein, die von Linksextremisten traditionell besetzt werden. So sind zentrale Aktionsfelder der "Antikapitalismus" und mit diesem ideologisch eng verbunden der "Antifaschismus". Bei oberflächlicher Betrachtung wird hier im Unterschied zum Rechtsextremismus oder zum Salafismus ein emanzipatorischer und fortschrittlicher Ansatz verfolgt, der die Welt "besser" machen soll. Bei näherer Betrachtung ist jedoch schnell festzustellen, dass wie in anderen Extremismusfeldern auch, eine hohe Gewaltbereitschaft, Intoleranz und die Unfähigkeit zum politischen Kompromiss vorherrschen. Dies zeigt sich besonders deutlich bei Gewalttaten gegenüber politisch Andersdenkenden und bei der beinahe rituellen Gewalt gegen die Polizei, die nicht selten Leib und Leben der Beamten gefährdet. Würde es den Protagonisten dieser Szene also gelingen, auf Dauer politische Macht zu erringen, so würden sie - wie die Geschichte ja zeigt - repressive Systeme errichten, in denen die Gleichheitsrechte, die Meinungsfreiheit oder die Eigentumsrechte abgeschafft sind. Von einer "besseren Welt" kann hier wohl kaum gesprochen werden. Umso erstaunlicher ist es, dass es dieser Szene immer wieder gelingt, gerade auf dem Aktionsfeld "Antifaschismus" weitreichende Bündnisse zu schließen. Akteure der nicht dem extremistischen Spektrum angehörenden Zivilgesellschaft zeigen hier weder Berührungsängste noch Abgrenzungsbemühungen. Neben jenen Ereignissen und Entwicklungen, die problemlos innerhalb der klassischen Phänomenbereiche des Extremismus verortet und beobachtet werden können, dürfen aber auch solche Bestrebungen nicht vernachlässigt werden, die sich einer eindeutigen Zuordnung entziehen, wie beispielsweise der - weiterhin zunehmende - Antisemitismus: Partielle ideologische Übereinstimmungen zwischen Rechtsund Linksextremisten sowie Islamisten, aber auch ideologische Überschneidungen und Kooperationen mit nicht-extremistischen zivilgesellschaftlichen Akteuren können und dürfen keinesfalls ignoriert werden. Vor diesem Hintergrund sind nicht nur die Sicherheitsbehörden gefordert, sondern die gesamte Gesellschaft. Dabei ist es für eine dauerhafte Stabilität unserer Demokratie unverzichtbar, dass alle Formen des Extremismus als Gefahr für unser Gemeinwesen wahrgenommen werden. Dem demokratischen Gedanken ver- pflichtete Menschen sollten sich daher gegenüber allen Formen verfassungsfeindlichen Handelns deutlich abgrenzen. Zugleich müssen Staat und Politik dafür Sorge tragen, dass das Vertrauen in den demokratischen Rechtsstaat nicht weiter schwindet, denn - wie die Geschichte zeigt - gibt es zu dieser Staatsform keine Alternative. Lorenz Caffier Minister für Inneres und Europa Mecklenburg-Vorpommern INHALTSVERZEICHNIS 1 "Wehrhafte Demokratie" - Auftrag und Verpflichtung des Verfassungsschutzes . . . . . . . . . . 10 1.1 Grundsätzliches/Zweck des Verfassungsschutzes . . . 10 1.2 Freiheitliche demokratische Grundordnung . . . . . . . . 12 1.3 Wesentliche gesetzliche Grundlagen im Überblick . . 13 1.4 Verfassungsschutzverbund von Bund und Ländern . 13 1.5 Aufgaben des Verfassungsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . 13 1.6 Informationsbeschaffung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 1.7 Kontrolle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 1.8 Verhältnis von Verfassungsschutz und Polizei . . . . . . . 16 2 Rechtsextremismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 2.1 Lageüberblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 2.2 Personenpotenzial . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 2.3 Straftatenaufkommen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 23 2.4 Rechtsterrorismus/ "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) . . . . . . . . . 23 2.5 Fortsetzung der "Antiasylkampagne" . . . . . . . . . . . . . . . 24 2.6 Trefforte der rechtsextremistischen Szene . . . . . . . . . . 26 2.7 Weitgehend unstrukturiertes rechtsextremistisches Personenpotenzial/ rechtsextremistische Subkulturen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 2.7.1 Rechtsextremistische Musikveranstaltungen . . . . . . . 29 2.7.2 Szeneläden/Versandhandel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 2.8 Parteiunabhängige bzw. parteiungebundene Strukturen/Neonazis . . . . . . . . . . 34 2.8.1 Wirtschaftliche Netzwerke von Rechtsextremisten . . 35 2.8.2 Einzelgruppierungen/regionale Entwicklungen . . . . . 36 2.9 Neonazistische Publikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 2.10 Neonazistisch geprägte Veranstaltungen und Aktivitäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 2.11 Rechtsextremistische Parteien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 2.11.1 "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD), Landesverband Mecklenburg-Vorpommern . . . . . . . . 49 2.11.1.1 NPD-Verbotsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 2.11.1.2 Aktivitäten der NPD im Jahr 2017 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 53 2.11.1.3 Einzelsachverhalte zum Wahlkampf der NPD für die Bundestagswahl 2017 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 2.11.1.4 Ergebnis der NPD bei der Bundestagswahl am 24. September 2017. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 62 2.11.1.5 Ideologie der NPD/Haltung zu aktuellen politischen Themen und Organisationen . . . . . . . . . . . 63 2.11.1.6 "Junge Nationaldemokraten" (JN) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 2.11.1.7 NPD-Frauenorganisation "Ring Nationaler Frauen" (RNF) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 2.11.2 Sonstige rechtsextremistische Parteien . . . . . . . . . . . . . 69 2.11.2.1 "Die Rechte" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 2.11.2.2 "Der Dritte Weg" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 69 3 "Identitäre Bewegung Deutschland" (IBD) und "Identitäre Bewegung Mecklenburg-Vorpommern" (IBMV) als rechtsextremistischer Verdachtsfall . . . . . . . . . . . . . . 70 4 "Reichsbürger und Selbstverwalter" . . . . . . . . . . . . . 74 4.1 Lageüberblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 4.2 Ideologie der "Reichsbürger und Selbstverwalter" . . . 75 4.3 Handlungsweisen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 4.4 Strukturen der "Reichsbürger und Selbstverwalter" in Mecklenburg-Vorpommern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 5 Linksextremismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 5.1 Lageüberblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 5.2 Linksextremismus in Mecklenburg-Vorpommern im Jahre 2017 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 79 5.2.1 Personenpotenzial . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 5.2.2 Linksextremistisch motivierte Straftaten . . . . . . . . . . . . 80 5.3 Gefahr durch gewaltbereite Linksextremisten - das Beispiel des G20-Gipfels in Hamburg . . . . . . . . . . . 81 5.3.1. Hintergrund: Ideologien, Strategien und Strukturen des autonomen und postautonomen Linksextremismus . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 5.3.2 Rolle der "Interventionistische Linke" und der "Roten Hilfe e.V." beim G20-Gipfel . . . . . . . . . . . . . . . . . . 85 5.4 Undogmatischer Linksextremismus . . . . . . . . . . . . . . . . 88 5.4.1 Aktionsfeld "Antifaschismus" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 5.4.2 Aktionsfeld "Antirepression" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 5.5 Dogmatischer Linksextremismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 6 Islamismus/Islamistischer Terrorismus . . . . . . . . . . . 99 6.1 Islamistische Bestrebungen - politischer Extremismus mit Rückgriff auf den Islam . . . . . . . . . . . . 99 6.2 Entwicklung des Islamismus und islamistischen Terrorismus 2017 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .100 6.2.1 Anschläge in Deutschland. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .101 6.2.2 Anschläge in Europa und den USA . . . . . . . . . . . . . . . . .101 6.2.3 Anschläge weltweit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .104 6.3 Staatliche Maßnahmen gegen islamistischen Extremismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .105 6.4 Salafismus - Hintergründe und aktuelle Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .107 6.5 Trends des islamistischen Terrorismus 2017 . . . . . . . .110 6.6 Islamistischer Extremismus in Mecklenburg-Vorpommern . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .113 7 Sonstiger Ausländerextremismus . . . . . . . . . . . . . . .118 7.1 Personenpotenzial . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .118 7.2 Arbeiterpartei Kurdistans (PKK)/Volkskongress Kurdistans (KONGRA GEL) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .119 7.2.1 Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .119 7.2.2 Aktivitäten der PKK in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . .120 7.2.3 Internetaktivitäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .123 7.2.4 Kooperation mit deutschen Linken und Linksextremisten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .123 8 Spionageabwehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .125 8.1 Aktuelle Entwicklungslinien und Tendenzen . . . . . . .125 8.2 Wirtschaftsschutz - Aufgabe der Spionageabwehr .127 8.3 Bedrohungen durch Cyberangriffe . . . . . . . . . . . . . . . .128 8.4 Spionageabwehr - Ihr Ansprechpartner vor Ort . . . .130 9 Öffentlichkeitsarbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .132 9.1 Aktivitäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .133 9.2 Informationsmaterialien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .135 9.3 Ausund Fortbildung/Praktika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .140 Abkürzungsverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .141 Glossar . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .145 Registeranhang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .158 Anlage 1 Politisch motivierte Kriminalität (PMK) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .163 Anlage 2 Landesverfassungsschutzgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .166 1 "Wehrhafte Demokratie" - Auftrag und Verpflichtung des Verfassungsschutzes 1.1 Grundsätzliches/Zweck des Verfassungsschutzes Der Verfassungsschutz ist eine entscheidende Säule der "Wehrhaften Demokratie". Darunter wird ein Bündel von verfassungsrechtlichen Grundentscheidungen zusammengefasst, die den Kernbestand und die Grundprinzipien unserer Verfassungsordnung (siehe Abschnitt 1.2), die freiheitliche demokratische Grundordnung, schützen sollen. Die "Wehrhafte Demokratie" ist durch folgende Wesensmerkmale gekennzeichnet: ** Die Wertegebundenheit, d. h. unser Staat bekennt sich zu Werten, denen er eine besondere Bedeutung beimisst und die deshalb nicht zur Disposition stehen, ** die Abwehrbereitschaft, d. h. der Staat ist gewillt, diese wichtigsten Werte gegenüber extremistischen Positionen zu verteidigen und ** die Vorverlagerung der Beobachtung, d. h. der Staat reagiert nicht erst dann, wenn Extremisten gegen gesetzliche Normen verstoßen. Diese "Wehrhaftigkeit" ist eine Lehre aus der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft, die auf legalistischem Wege durch Abschaffung der demokratischen Weimarer Republik entstanden ist. Politik und Staat sind daher aufgefordert, entschieden und entschlossen den unterschiedlichen totalitären Gefahren entgegenzutreten - bevor es zu spät ist! Als "Frühwarnsystem" soll der Verfassungsschutz in diesem Sinne aufklären, informieren, sensibilisieren und warnen und, soweit gesetzlich erlaubt, entsprechende Gefahren erforschen. Dabei wird er unterhalb der Schwelle der konkreten Gefahr und des Anfangsverdachts einer Straftat tätig. Ihm kommt also die Funktion -- 10 -- eines "Brandmelders" in Bezug auf politische Entwicklungen zu, die unsere freiheitliche demokratische Rechtsordnung und damit die Freiheit und Sicherheit der Menschen in diesem Land gefährden können. In diesem Sinne wird der Verfassungsschutz - anders als die Polizei - nur tätig, wenn ein politischer Bezug erkennbar ist. Seine Tätigkeit erstreckt sich in diesem Sinne auf entsprechende "Bestrebungen", die im Einzelnen als "Beobachtungsobjekte" festgelegt werden. Dies können rechtsextremistische Strukturen wie Parteien (z. B. die NPD) oder Neonazi-Kameradschaften, linksextremistische Strukturen wie gewalttätige Autonome oder islamistische Strukturen sein, die Freiheit und Sicherheit bedrohen. Dieser Handlungsauftrag des Verfassungsschutzes ist Verfassungssauftrag (vgl. insbesondere Artikel 73 Nummer 10 Buchstaben b) und c) Grundgesetz). Er wird insbesondere auf der Grundlage des Landesverfassungsschutzgesetzes (siehe Anlage 2), also dem Willen des Landesgesetzgebers als Vertretung des Volkes, wahrgenommen und kontrolliert. Der Zweck des Verfassungsschutzes ist in diesem Sinne gesetzlich geregelt und in SS 1 des LVerfSchG M-V festgeschrieben: "Der Verfassungsschutz dient dem Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, des Bestandes und der Sicherheit des Bundes und der Länder." Der Verfassungsschutz ist insoweit die maßgebliche Bewertungsinstanz für den politischen Extremismus in Deutschland. Er ist eine eigenständige Säule innerhalb der föderalen Sicherheitsarchitektur. Von der Tätigkeit des Verfassungsschutzes als Inlandsnachrichtendienst zu unterscheiden ist die Arbeit des Bundesnachrichtendienstes (BND). Dieser beschafft außenund sicherheitspolitisch relevante Informationen über das Ausland. Das Bundesamt für den Militärischen Abschirmdienst (BAMAD) nimmt Verfassungsschutzaufgaben im Bereich der Bundeswehr wahr. -- 11 -- 1.2 Freiheitliche demokratische Grundordnung Der Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung (kurz: fdGO) ist Kernaufgabe der Verfassungsschutzbehörden in Bund und Ländern. Damit ist aber nicht die Verfassung bzw. das Grundgesetz in seiner Gesamtheit gemeint, sondern die unabänderlichen obersten Wertprinzipien als Kernbestand der Demokratie. Diese fundamentalen Wertprinzipien bestimmen die Gesetzgebung des Bundes und der Länder, so auch die Verfassungsschutzgesetze. Zu diesen Grundsätzen gehören folgende Verfassungsprinzipien: ** das Recht des Volkes, die Staatsgewalt in Wahlen und Abstimmungen und durch Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung auszuüben und die Volksvertretung in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl zu wählen, ** die Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung und die Bindung der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an Gesetz und Recht, ** das Recht auf Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition, ** die Ablösbarkeit der Regierung und ihre Verantwortlichkeit gegenüber der Volksvertretung, ** die Unabhängigkeit der Gerichte, ** der Ausschluss jeder Gewaltund Willkürherrschaft sowie ** die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte. Mit dem am 17. Januar 2017 verkündeten Urteil im Verbotsverfahren gegen die "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (2 BvB 1/13) hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) erstmals seit über 60 Jahren die inhaltlichen Anforderungen an Parteiverbote bestimmt. Nach den Ausführungen des BVerfG umfasst der Begriff der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne des Artikel 21 Absatz 2 Grundgesetz (GG) nur jene zentralen Grundprinzipien, "die für den freiheitlichen Verfassungsstaat schlechthin unentbehrlich sind". Dazu zählen die Menschenwürde, das Demokratieprinzip und das Rechtsstaatsprinzip. Das BVerfG hat darüber hinaus klargestellt, dass neben der Verlet-- 12 -- zung der Menschenwürde, der Grundsätze der Demokratie und Rechtsstaatlichkeit auch eine Verächtlichmachung des Parlamentarismus sowie das Missachten des staatlichen Gewaltmonopols eine Beeinträchtigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung darstellen. 1.3 Wesentliche gesetzliche Grundlagen im Überblick Für die Arbeit des Verfassungsschutzes sind, neben dem Grundgesetz und der Verfassung des Landes Mecklenburg-Vorpommern insbesondere das ** Landesverfassungsschutzgesetz (LVerfSchG M-V), ** das Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses (Artikel 10-Gesetz) und ** das Sicherheitsüberprüfungsgesetz (SÜG) für die Gewährleistung des materiellen und personellen Geheimschutzes maßgebend. 1.4 Verfassungsschutzverbund von Bund und Ländern Der Verfassungsschutz in der Bundesrepublik Deutschland ist föderal organisiert. Dementsprechend existieren 17 Verfassungsschutzbehörden, ein Bundesamt (BfV) und 16 Landesbehörden für Verfassungsschutz (LfV). Die Verfassungsschutzbehörden der Länder sind entweder eine Abteilung des jeweiligen Innenressorts oder eine eigenständige Landesoberbehörde. In Mecklenburg-Vorpommern ist der Verfassungsschutz seit 1991 eine Abteilung des Ministeriums für Inneres und Europa (Abteilung 5), wie dies auch in elf weiteren Ländern der Fall ist. 1.5 Aufgaben des Verfassungsschutzes Das BfV und die LfV haben ihrem gesetzlichen Auftrag folgend Informationen, insbesondere sachund personenbezogene Auskünfte, Nachrichten und Unterlagen zu sammeln und auszuwerten über: -- 13 -- ** Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes und eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziel haben, ** sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten im Geltungsbereich des Grundgesetzes für eine fremde Macht, ** Bestrebungen, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden und ** Bestrebungen, die gegen den Gedanken der Völkerverständigung (Artikel 9 Absatz 2 des Grundgesetzes) oder gegen das friedliche Zusammenleben der Völker (Artikel 26 Absatz 1 des Grundgesetzes) gerichtet sind. Diese Bestrebungen werden als sogenannte Beobachtungsobjekte bezeichnet, die auf der Grundlage der gesetzlichen Voraussetzungen bestimmt werden. Ferner wirken das BfV und die LfV mit ** bei der Sicherheitsüberprüfung von Personen, denen im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftige Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse anvertraut werden, die Zugang dazu erhalten sollen oder ihn sich verschaffen können, ** bei der Sicherheitsüberprüfung von Personen, die an sicherheitsempfindlichen Stellen von lebensoder verteidigungswichtigen Einrichtungen beschäftigt sind oder werden sollen sowie bei der Überprüfung von Personen in sonstigen gesetzlich bestimmten Fällen und ** bei technischen Sicherheitsmaßnahmen zum Schutz von im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftigen Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen gegen die Kenntnisnahme durch Unbefugte ** bei Parteiund Vereinsverbotsverfahren. -- 14 -- 1.6 Informationsbeschaffung Den weitaus größten Teil ihrer Informationen (ca. 80 %) gewinnen die Verfassungsschutzbehörden aus offenen, allgemein zugänglichen Quellen - also aus Druckerzeugnissen wie Zeitungen, Flugblättern, Programmen, Aufrufen und aus dem Internet. Mitarbeiter der Verfassungsschutzbehörden besuchen öffentliche Veranstaltungen, und sie befragen auch Personen, die sachdienliche Hinweise geben können. Bei diesen Gesprächen auf freiwilliger Basis treten die Mitarbeiter des Verfassungsschutzes offen auf. Mit der Sammlung offenen Materials entsteht allerdings nicht immer ein vollständiges Bild. Gegenüber konspirativen Methoden versagen diese Mittel der Nachrichtengewinnung. Nicht alle Extremisten verfassen nach der Tat Bekennerschreiben oder nennen gar ihren wahren Namen. Spione veröffentlichen keine Programme und verteilen keine Flugblätter. Um auch getarnte oder geheim gehaltene Aktivitäten beobachten zu können, ist dem Verfassungsschutz im Rahmen gesetzlich festgelegter Befugnisse und unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit der Gebrauch nachrichtendienstlicher Mittel zur Informationsgewinnung gestattet. Zu diesen gesetzlich vorgesehenen Methoden der verdeckten Nachrichtenbeschaffung gehören insbesondere ** die Observation, ** der Einsatz von Vertrauensleuten (kurz: VP) und Gewährspersonen, ** Bildund Tonaufzeichnungen und ** die Überwachung des Brief-, Postund Fernmeldeverkehrs nach Maßgabe des Artikel 10-Gesetzes. 1.7 Kontrolle Für die Arbeit des Verfassungsschutzes gelten strenge rechtsstaatliche Maßstäbe. Eingriffe in die Privatund Freiheitsrechte der Bürger sind den Verfassungsschutzbehörden nur auf gesetzlicher Grundlage gestattet. Damit die Bürger darauf vertrauen können, dass die Verfassungsschutzbehörden sich an ihren gesetzlichen Auftrag und an die für die Tätigkeit geltenden Rechtsbestimmungen halten, unterliegen sie der Kontrolle auf mehreren Ebenen: -- 15 -- ** der allgemeinen parlamentarischen Kontrolle durch die Abgeordneten des Landtages Mecklenburg-Vorpommern aufgrund von Berichtspflichten des Ministers für Inneres und Europa im Rahmen von Aktuellen Stunden, Kleinen und Großen Anfragen oder Petitionen; ** einer besonderen parlamentarischen Kontrolle durch die Parlamentarische Kontrollkommission (PKK) des Landtages und ggf. durch einen Untersuchungsausschuss; ** Postkontrollen und Telefonüberwachungen müssen durch die G-10-Kommission des Landtages genehmigt werden; ** des Landesbeauftragten für den Datenschutz und Informationsfreiheit (LfDI M-V) in Bezug auf die Einhaltung von Datenschutzvorschriften und sein Recht zur Akteneinsicht; ** des Landesrechnungshofs Mecklenburg-Vorpommern (LRH M-V) in Bezug auf das Haushaltsrecht; ** der justiziellen Überprüfung seines Handelns, soweit es dafür einen Anlass gibt sowie ** der ständigen und intensiven Überwachung durch die Öffentlichkeit und Medien, die die Aufgaben und Arbeit des Verfassungsschutzes kritisch würdigen. Parlamentarische Kontrolle Kontrolle durch die PKK Justiz G-10-Kommission Verfassungsschutz M-V Innerbehördliche Kontrolle durch die Kontrolle Sonstige externe Öffentlichkeit Kontrolle Bürger LfDI M-V Medien LRH M-V 1.8 Verhältnis von Verfassungsschutz und Polizei Verfassungsschutz und Polizeibehörden sind organisatorisch voneinander getrennt (vgl. SS 2 Absatz 2 LVerfSchG M-V). Somit steht die Ausübung polizeilicher oder strafprozessualer Eingriffsbefugnisse, z. B. die Durchsuchung von Personen oder Sachen, die Beschlagnahme oder Festnahme von Personen, dem Verfas-- 16 -- sungsschutz nicht zu. Halten Mitarbeiter des Verfassungsschutzes ein polizeiliches Eingreifen für geboten, unterrichten sie die Polizei. Diese entscheidet, ob und ggf. wie sie in eigener Zuständigkeit tätig wird. Der Verfassungsschutz unterliegt - im Gegensatz zu Polizei und Staatsanwaltschaft - nicht dem Legalitätsprinzip, so dass er nicht in jedem Fall Strafverfolgungsmaßnahmen initiieren muss, wenn er Kenntnis von einer Straftat erlangt. Die Kompetenzverteilung lässt sich im Überblick wie folgt darstellen: Polizei Verfassungsschutz ** Legalitätsprinzip bei Straf** Opportunitätsprinzip verfolgungsmaßnahmen, Opportunitätsprinzip bei Gefahrenabwehr ** allgemeine Gefahrenab** Aufklärung von politiwehr und Strafverfolgung schem Extremismus durch durch offene und verdeckoffene und verdeckte Inforte Informationsgewinnung mationsgewinnung ** Eingriffsbefugnisse ** keine polizeilichen Eingriffsbefugnisse ** Einsatz von Zwangsmitteln ** keine Zwangsmittel Dieses organisatorische Trennungsgebot bedeutet jedoch nicht, dass Polizei, Strafverfolgungsbehörden und Verfassungsschutz nicht zusammenwirken dürfen. Im Gegenteil: Im Sinne eines notwendigen ganzheitlichen Aufklärungsund Bekämpfungsansatzes extremistischer Bedrohungen ist eine informationelle Zusammenarbeit von Polizei und Verfassungsschutz im Rahmen der gesetzlichen Grundlagen unverzichtbar. Diese findet sowohl in der alltäglichen Arbeit zwischen den zuständigen Dienststellen als auch institutionalisiert mit allen Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern in zwei gemeinsamen Zentren statt: Für den Bereich des islamistischen Terrorismus seit 2004 im Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ) in Berlin und für die Bereiche Rechtsund Linksextremismus seit 2012 im Gemeinsamen Extremismusund Terrorismusabwehrzentrum (GETZ) in Köln. Verfassungsschutz und Polizei aller Länder sind in den Zentren durch Verbindungsbeamte vertreten. -- 17 -- 2 Rechtsextremismus 2.1 Lageüberblick 2017 konnte im Unterschied zum Vorjahr ein leichter Anstieg des rechtsextremistischen Personenpotenzials beobachtet werden. Dieser ist jedoch nicht auf ein Erstarken von Strukturen zurückzuführen, sondern auf ermittelte Tatverdächtige bei rechtsextremistischen Straftaten, die vielfach keinen Vorlauf in der rechtsextremistischen Szene hatten. Dies gilt auch für die Gewalttäter unter ihnen. Dieser Personenkreis wird bis zum Vorliegen anderweitiger Erkenntnisse dem Spektrum des weitgehend unorganisierten Rechtsextremismus zugeordnet. Sorge bereitet nach wie vor die hohe Gewaltbereitschaft der Szene. Zwar wurde nicht das Niveau des Jahres 2015 erreicht, gegenüber 2016 war jedoch insgesamt ein Anstieg der rechtsextremistisch motivierten Gewalttaten zu verzeichnen. Insbesondere hat die Zahl der Gewalttaten mit fremdenfeindlichem Hintergrund 2017 im Vergleich mit den Jahren 2015 und 2016 deutlich zugenommen. Auf diesem Feld sind daher weiterhin schwerste Straftaten zu befürchten. Wie das Beispiel "Oldschool Society" zeigt, muss dabei stets auch mit der Herausbildung terroristischer Strukturen gerechnet werden. Im März 2017 wurden mehrere führende Mitglieder der Gruppierung wegen der Gründung einer terroristischen Vereinigung verurteilt. Darüber hinaus erhob der Generalbundesanwalt im April 2017 gegen weitere Mitglieder, darunter eine Person aus Mecklenburg-Vorpommern, ebenfalls Anklage. Die Gruppe hatte Anschläge, u. a. auf Moscheen und Asylbewerberunterkünfte, geplant. Im Mai 2015 wurde sie aufgrund von Hinweisen der Verfassungsschutzbehörden zerschlagen. Beunruhigend ist zudem die erneute Zunahme antisemitischer Straftaten. Hier kam es 2017 nach längerer Zeit auch zu einzelnen Gewalttaten. Hauptagitationsfeld der Szene war auch 2017 das Thema Zuwanderung, wenn auch das Demonstrationsgeschehen stark rückläufig war und die Übergriffe auf Flüchtlingsunterkünfte -- 18 -- deutlich zurückgegangen sind. In den sozialen Netzwerken wurde demgegenüber unvermindert die menschenverachtende Propaganda gegen Menschen mit Migrationshintergrund fortgesetzt. Der Landesverband der NPD zeigte sich nach der Urteilsverkündung im Parteiverbotsverfahren kämpferisch und verkündete ein Festhalten an den vom Bundesverfassungsgericht als verfassungsfeindlich eingestuften Zielen. Diese vom Gericht vorgenommene Bewertung1, der Rückgang der finanziellen Zuwendungen sowie der für die Partei negative Ausgang der Landtagswahl 2016 haben trotz der markigen Bekundungen offenbar zu einer deutlichen Verunsicherung der NPD-Kader geführt, die über Jahre die politische Agenda des Rechtsextremismus im Lande bestimmt haben. In der Folge waren sie weniger sichtbar. Auch der Bundestagswahlkampf wurde auf geringem Niveau geführt, so dass die Partei im Vergleich zu den vergangenen Wahlen nur ein schwaches Ergebnis erzielte. Parallel war zu beobachten, dass die politisch relevanten Aktivitäten und hier insbesondere die Kampagnenfähigkeit der rechtsextremistischen Szene im Berichtszeitraum auch im Ganzen zurückgegangen sind. Auch diese Entwicklung unterstreicht die bisherige Einschätzung der NPD als organisatorischer Kern der "Szene". Vor diesem Hintergrund versucht die Partei im Land nach wie vor, ihren Führungsanspruch innerhalb des rechtsextremistischen Spektrums im Land aufrechtzuerhalten und durch parteiinterne Treffen, Schulungsund Vortragsveranstaltungen ihre Anhänger weiter an sich zu binden. Offenbar geht sie davon aus, bei den kommenden Wahlen wieder bessere Ergebnisse zu erzielen und zu alter Stärke zurückfinden zu können. Auch setzen die NPD und ihre Teilorganisationen vermehrt auf eine Zusammenarbeit mit ausländischen europäischen Rechtsextremisten. Die parteiungebundene rechtsextremistische Szene organisierte die jahreszeitüblichen Veranstaltungen, wie den alljährlichen "Trauermarsch" am 8. Mai in Demmin. Auffällig waren die im 1 Vgl. Verfassungsschutzbericht Mecklenburg-Vorpommern 2016, S. 49 ff. -- 19 -- Vergleich zu den Vorjahren deutlich gestiegenen Aktivitäten im Zusammenhang mit dem Todestag des Hitlerstellvertreters Rudolf Heß. Dies dürfte auf dessen 30. Todestag und auf das Bestreben der Szene, Geschlossenheit zu demonstrieren, zurückzuführen sein. Bundesweite Aufmerksamkeit erregte eine am 28. August 2017 erfolgte Durchsuchungsaktion wegen des Verdachts der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat.2 Die entsprechenden Ermittlungen dauern an. Festnahmen sind bislang nicht erfolgt. Dieser besorgniserregende Fall hat in der Folge die Aufmerksamkeit auf ein Milieu gerichtet, das bislang nicht im Fokus der Sicherheitsbehörden stand, die sogenannten Prepper. Dieser Begriff leitet sich ab aus dem englischen Wort "preparedness" ("Bereitschaft") und bezeichnet Personen, die sich im Rahmen der persönlichen Notfallvorsorge auf verschiedene Krisenszenarien (Naturkatastrophen, technische Störungen, Wirtschaftskrisen oder Kriege) vorbereiten. Diese von der Bundesregierung durchaus erwünschten Vorsorgehandlungen sind für die Verfassungsschutzbehörden ohne Belang, da damit in aller Regel keine extremistischen Bestrebungen verbunden sind. Eine Zuständigkeit des Verfassungsschutzes liegt erst dann vor, wenn die Vorsorge Teil verfassungsfeindlicher Bestrebungen ist. Dies gilt etwa für den im vorliegenden Fall vorhandenen Verdacht der Vorbereitung staatsgefährdender Straftaten oder den bereits in den Verfassungsschutzberichten der Jahre 2015 und 2016 dargestellten Vorsorgeaktivitäten der rechtsextremistischen Szene, die auch 2017 fortgesetzt wurden. Beispielhaft steht dafür der Text "2017 - Wann kommt der totale Systemkollaps?", den die "Europäische Aktion" im Mai 2017 auf ihrer Internetseite veröffentlichte.3 Rechtsextremisten streben in diesem Zusammenhang auch durch Selbstversorgung eine Unabhängigkeit von dem politisch-wirtschaftlichen System an, das sie zutiefst ablehnen und letztlich beseitigen wollen. 2 Vgl. hierzu www.generalbundesanwalt.de, Pressemitteilung vom 28.08.2017 - 73/2017 3 Internetseite der "Europäischen Aktion": "2017 - Wann kommt der totale Systemkollaps?" vom 05.05.2017, abgerufen am 15.01.2018 -- 20 -- Als Konsequenz aus den Durchsuchungsmaßnahmen hat das Ministerium für Inneres und Europa im September 2017 eine Kommission eingerichtet4, die den Auftrag hat, das Wissen über die "Prepper" in Mecklenburg-Vorpommern zu verbessern. Ziel ist es dabei auch, mögliche Radikalisierungstendenzen zu erkennen. 2.2 Personenpotenzial Vor dem Hintergrund, dass die Akteure im rechtsextremistischen Spektrum Deutschlands ideologisch mehrheitlich einer völkisch-rassistischen und vielfach deutlich am Nationalsozialismus orientierten Ideologie folgen und daher die ideologische Zuordnung - von wenigen Ausnahmen abgesehen - kein echtes Unterscheidungsmerkmal ist, haben sich die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder dazu entschlossen, das rechtsextremistische Personenpotenzial neu zu kategorisieren. Dabei ist das zentrale Unterscheidungsmerkmal der jeweilige Organisationsgrad. Die statistische Erfassung erfolgt demgemäß erstmals für das Jahr 2017 und in der Zukunft nach folgenden Kategorien: * Personen in rechtsextremistischen Parteien, * Personen in parteiunabhängigen bzw. parteiungebundenen Strukturen und * weitgehend unstrukturiertes rechtsextremistisches Personenpotenzial. Während in der ersten Kategorie Mitglieder (auch passive) und Anhänger rechtsextremistischer Parteien gezählt werden, fallen unter die zweite Kategorie Kameradschaften, Vereine, Netzwerke, sonstige Strukturen (z. B. die "Hammerskins"), Nachfolgebestrebungen zu verbotenen Organisationen sowie Verlage und sonstige organisierte Rechtsextremisten. In der dritten Kategorie werden die Rechtsextremisten zusammengefasst, die nicht unter die ersten beiden Kategorien fallen, 4 Vgl. hierzu www.regierung-mv.de, Pressemitteilung des Ministeriums für Inneres und Europa Mecklenburg-Vorpommern vom 14.09.2017 - Nr. 156 -- 21 -- also insbesondere organisationsungebundene Subkulturelle, Gewalttäter, Konzertbesucher oder Internet-Aktivisten, die keiner Organisation zugeordnet werden können. Auch die meisten rechtsextremistischen Intellektuellen (Autoren) fallen in diese Kategorie. Ausgehend von dieser Zählweise ergibt sich für Mecklenburg-Vorpommern für das Jahr 2017 folgendes Bild: Rechtsextremismuspotenzial M-V M-V Bund Bund - nach Organisationsgrad 2016 2017 2016 2017 in Parteien: ca. 320 ca. 310 6.550 6.050 "Nationaldemokratische 310 300 5.000 4.500 Partei Deutschlands" (NPD) "Die Rechte" < 10 <5 700 650 "Der III. Weg" - <5 350 500 in parteiunabhängigen bzw. parteiungebundenen 500 5505 - 6.300 Strukturen weitgehend unstrukturiertes rechtsextremistisches 580 6406 - 12.900 Personenpotenzial Gesamt7 ca. 1.450 ca. 1.500 23.100 24.000 davon gewaltorientierte ca. 700 ca. 700 12.100 12.700 Rechtsextremisten 5 darunter 500 Neonazis und 20 Aktivisten der "Identitären Bewegung" (rechtsextremistischer Verdachtsfall) 6 darunter mehrheitlich Angehörige der subkulturellen rechtsextremistischen Szene 7 Zahl nach Abzug von Mehrfachmitgliedschaften. Darüber hinaus enthält die Aufstellung zu den Bundeszahlen nur die auch in M-V aktiven Strukturen. -- 22 -- 2.3 Straftatenaufkommen Im Jahre 2017 registrierte das Landeskriminalamt MecklenburgVorpommern im Bereich der politisch motivierten Kriminalität im Phänomenbereich "Rechts" 1.027 Straftaten (Vorjahr: 1.050). Davon wurden insgesamt 986 (Vorjahr: 955) als rechtsextremistisch klassifiziert, u. a. weil sie antisemitisch oder fremdenfeindlich motiviert waren. Den Schwerpunkt der Straftaten bildeten mit 702 Vorfällen (Vorjahr: 589) erneut die Propagandadelikte. Weiterhin wurden 84 (Vorjahr: 79) Gewalttaten mit rechtsextremistischer Motivation registriert, darunter 74 (Vorjahr: 53) mit einer fremdenfeindlichen Ausrichtung. Die Mehrzahl dieser Angriffe richtete sich gegen einzelne Personen oder Personengruppen. Die Zahl der Übergriffe auf Flüchtlingsunterkünfte ist im Berichtszeitraum auf vier gesunken (2016: 33). Die Anzahl rechtsextremistisch motivierter antisemitischer Straftaten hat sich im Jahr 2017 mit 44 gegenüber dem Vorjahr (37) erneut gesteigert. Darunter sind im Berichtsjahr auch drei Gewaltdelikte. 2.4 Rechtsterrorismus/ "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) Auch im Jahre 2017 wurde die Aufklärung des NSU-Geschehens fortgesetzt. Neben dem weiterhin laufenden NSU-Prozess vor dem Oberlandesgericht in München sind hier die zum NSU-Komplex von verschiedenen Landtagen eingesetzten Untersuchungsausschüsse sowie der bereits 2. Untersuchungsausschuss des Deutschen Bundestages zu nennen. Letzterer hat Ende Juni 2017 einen fast 1.800 Seiten umfassenden Abschlussbericht vorgelegt. Aus dem gesamten Bericht ergeben sich bezogen auf Mecklenburg-Vorpommern keine neuen Erkenntnisse. Bereits vor Veröffentlichung dieses Berichts hat der Landtag Mecklenburg-Vorpommern mit Beschluss vom 8. März 20178 dem Innenund Europaausschuss die Aufgabe übertragen, die NSU-Aktivitäten in Mecklenburg-Vorpommern zu untersuchen. Zu diesem Zweck 8 www.landtag-mv.de, Drucksache 7/291 -- 23 -- wurde ein Unterausschuss eingesetzt, der dem Innenund Europaausschuss bis zur Sommerpause 2019 Bericht erstatten sollte. Die Sicherheitsbehörden des Landes haben durch einen umfangreichen Bericht, die Übersendung von Akten und die Beantwortung zahlreicher Fragen die Aufklärungsarbeit des Unterausschusses unterstützt. 9 2.5 Fortsetzung der "Antiasylkampagne" Vor dem Hintergrund der anhaltenden Zuwanderungsdebatte und den damit verbundenen gesellschaftlichen Veränderungen, die auch durch Konflikte geprägt sind, haben die rechtsextremistischen Akteure des Landes ihre Aktivitäten gegen die Asylpolitik im Berichtszeitraum fortgesetzt. Verbinden sie damit doch die durchaus berechtigte Erwartung, dass dieses Thema den Anschluss an nicht dieser Szene zugehörige Bevölkerungsteile ermöglicht. Tatsächlich ist bundesweit zu beobachten, dass die Scheu, bei Demonstrationen gemeinsam mit Rechtsextremisten auf die Straße zu gehen, schwindet. Dies ist insbesondere dann zu beobachten, wenn Migranten für schwere Straftaten verantwortlich gemacht werden. Hierbei darf jedoch keineswegs übersehen werden, dass für die Rechtsextremisten der erreichte Propagandaeffekt nur vordergründig zählt. Ihnen kommt es vielmehr darauf an, die aktuelle politische Situation dafür zu nutzen, ihre auf konsequente Ausgrenzung des "Fremden" geprägte Weltanschauung breiteren Bevölkerungsschichten näher zu bringen. Diese Ausgrenzungsvorstellungen sind - wenn dies auch in der aktuellen Propaganda nicht so deutlich hervorgehoben wird - im Kern auf ein rassistisches Menschenbild zurückzuführen. Rechtsextremisten gehen nach wie vor davon aus, dass im Zentrum menschlicher Geschichte der Kampf "minderwertiger" gegen "höherwertige Rassen" steht. Ziel sei dabei die "Reinerhaltung der eigenen Rasse", die das Überleben sichere. Daher werden Flüchtlinge als Bedrohung für die biologische Substanz des eigenen Volkes wahr- 9 Der Landtag Mecklenburg-Vorpommern hat zwischenzeitlich mit Beschluss vom 26. April 2018 (Drucksache 7/2000) einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss zur Aufklärung der NSU-Aktivitäten in Mecklenburg-Vorpommern eingesetzt (www.landtag-mv.de). -- 24 -- genommen, der auch mit massiver Gewalt begegnet werden muss. Die nach wie vor hohe Zahl fremdenfeindlicher Gewalttaten im Lande spricht hier eine deutliche Sprache. Allerdings sind die Übergriffe in der Regel nicht organisiert, sondern situationsbezogen. Im Berichtszeitraum war auch hierzulande eine verstärkte direkte Bezugnahme auf die Bundeskanzlerin zu beobachten. Sie wird persönlich für die hohen Flüchtlingszahlen und die damit verbundenen Probleme verantwortlich gemacht. So nahmen an insgesamt drei Demonstrationen unter dem Motto "Merkel muss weg" in Berlin auch Rechtsextremisten aus Mecklenburg-Vorpommern teil. Im Zusammenhang mit dem Protest gegen Asylbewerber wurden hierzulande verstärkt Aktionen registriert, die sich gegen den Islam richten. Der Islam wird in der rechtsextremistischen Szene nicht als eine Religion wahrgenommen, ihm werden vielmehr pauschal politische Absichten unterstellt. Typisches Zielobjekt solcher Aktionen sind muslimische Gebetsräume, wie in Stralsund, vor dem Mitte Juli 2017 ein schwarzes Holzkreuz aufgestellt so10 wie eine Schweinenase Schmiererei am islamischen Gebetsabgelegt wurde. raum in Rostock-Evershagen Auch die geplante Einrichtung eines solchen Gebetsraumes in Rostock war im Berichtszeitraum Anlass für rechtsextremistische Aktivitäten. So nahmen Rechtsextremisten an Sitzungen des Ortsbeirates Rostock-Evershagen teil und störten diese teilweise. Anfang März 2017 wurde an das Gebäude, in dem der Gebetsraum eingerichtet werden soll, der durchgestrichene Schriftzug "ISLAM" sowie mehrere Kreuze gesprüht. 10 Facebook-Seite "Patrioten Rostock/Rügen/Stralsund" vom 07.03.2017, abgerufen am 10.03.2017 -- 25 -- 2.6 Trefforte der rechtsextremistischen Szene Von besonderer Relevanz waren im Jahr 2017 folgende Objekte: ** "Thinghaus" Grevesmühlen (Landkreis Nordwestmecklenburg) Das "Thinghaus" hat für die rechtsextremistische Szene weiterhin eine hohe Bedeutung, auch wenn die Öffnungszeiten des dort ansässigen NPD-Büros nach dem Ausscheiden der Partei aus dem Landtag deutlich eingeschränkt wurden. Das Objekt steht insbesondere der parteiungebundenen neonazistischen Szene für eine Vielzahl verschiedener, auch und gerade szeneinterner Veranstaltungen (Vorträge, Bücherbörsen, Szenefeiern), die durch die Abschottung des Gebäudes ohne Außenwirkung durchgeführt werden können, zur Verfügung. Das "Thinghaus" ist darüber hinaus Sitz mehrerer Firmen von Rechtsextremisten bzw. rechtsextremistischen Organisationen. Im "Thinghaus" ist beispielsweise die "Mecklenburg-Vorpommersche Strukturentwicklungs-Genossenschaft eG" (MVSE) ansässig, die dem Aufbau eigener Wirtschaftskreisläufe von Rechtsextremisten dient. Als Aufsichtsratsvorsitzender fungiert ein NPD-Funktionär. Mit dem "Thinghaus" eng verbunden ist die "Dorfgemeinschaft Jamel", die in dem kleinen Ort im Landkreis Nordwestmecklenburg auch 2017 wieder Veranstaltungen mit überregionaler Bedeutung durchgeführt hat. So fand dort am 30. April 2017 das "2. Maibaumfest" statt, zu dem etwa 250 Rechtsextremisten aus dem gesamten Bundesgebiet angereist waren. ** "Kulturraum" des NPD-Kreisverbandes Westmecklenburg in Lübtheen Der "Kulturraum" des NPD-Kreisverbandes Westmecklenburg diente auch im Jahr 2017 als Treffort von NPD-Mitgliedern und -Anhängern. Größere Veranstaltungen mit Außenwirkung fanden allerdings nicht statt. -- 26 -- ** "Ehemaliger Dorfkonsum" Klein Belitz (Landkreis Rostock) Der Treffort des NPD-Kreisverbandes Mecklenburg-Mitte wurde auch 2017 für szeneinterne Veranstaltungen genutzt. So fand dort am 11. Oktober 2017 eine rechtsextremistische Musikveranstaltung statt, die jedoch ohne Außenwirkung blieb. ** "Braunes Haus" Waren (Müritz) Im Objekt der NPD-Stadtvertreterin Doris Zutt, früher bezeichnet als "Zutts Patriotentreff", fanden im Jahr 2017 Stammtische der NPD-Ortsgruppe Waren (Müritz) und Vortragsveranstaltungen statt. Anders als die vorher benannten Trefforte war das Wohnhaus bereits mehrfach von Sachbeschädigungen betroffen. ** NPD-Landesgeschäftsstelle in Anklam ("Haus Jugendstil") Das "Nationale Begegnungszentrum" Anklam wurde zwischenzeitlich in "Haus Jugendstil" umbenannt. Es diente auch 2017 als überregionaler Anlaufpunkt für die rechtsextremistische Szene. Dort fanden Vorträge und Gesprächsrunden der rechtsextremistischen Szene statt. In dem Objekt sind auch weiterhin die "Pommersche Volksbücherei" sowie der Versandhandel "Pommerscher Buchdienst" angesiedelt. ** "Nationales Wohnprojekt" in Salchow Das im Landkreis Vorpommern-Greifswald liegende "Nationale Wohnprojekt" in Salchow diente 2017 neben seiner Rolle als Wohnsitz für Szeneangehörige auch als Austragungsort für rechtsextremistische Musikveranstaltungen. Es ist weiterhin im Eigentum eines NPD-Kaders. -- 27 -- 2.7 Weitgehend unstrukturiertes rechtsextremistisches Personenpotenzial/rechtsextremistische Subkulturen Diesem Personenkreis rechnen die Verfassungsschutzbehörden - wie bereits zuvor dargestellt - organisationsungebundene subkulturelle Rechtsextremisten, rechtsextremistisch motivierte Gewalttäter ohne Organisationsbezug, Konzertbesucher oder Internet-Aktivisten, die keiner Struktur zugeordnet werden können, zu. Auch die meisten rechtsextremistischen Intellektuellen (Autoren) fallen in diese Kategorie. Derartige Autoren sind in Mecklenburg-Vorpommern jedoch nicht bekannt. Das Personenpotenzial dieses Spektrums ist 2017 angestiegen, da im Zuge der Ermittlungen zu rechtsextremistisch motivierten Gewalttaten vermehrt Einzeltäter festgestellt wurden, die keine erkennbare Einbindung in rechtsextremistische Strukturen aufwiesen. Eine Ausnahme bei der üblicherweise fehlenden Strukturierung bilden die "Hammerskins" oder auch die "Brigade 8", die sich im Grenzbereich zwischen subkulturellem Rechtsextremismus und der Neonaziszene bewegen. Sie sind ähnlich einer Rockergruppierung hierarchisch organisiert und nehmen nur ausgesuchte Mitglieder auf. Allerdings sind sie als Struktur nicht an einer politischen Außenwirkung interessiert. Sie dienen vorrangig dem Szenezusammenhalt und übernehmen bei der Organisation von szeneinternen Veranstaltungen nicht selten eine zentrale Rolle. Darüber hinaus unterhalten einzelne subkulturelle Rechtsextremisten Kontakte in die gewaltbereite Fußballfanszene. Eine bedeutsame Rolle spielt im subkulturellen Rechtsextremismus auch der Kampfsport. So wurde im Mai 2017 durch den russischen Aktivisten Nikitin, Führungsperson der rassistischen Organisation "White Rex", in Vorpommern ein "Kampfsportseminar" mit 40 bis 50 Teilnehmern durchgeführt, darunter mehrere bekannte Rechtsextremisten aus dem gesamten Bundesland. Auch 2017 konnte ein Zusammenwirken zwischen der rechtsextremistischen Szene und dem Rockerclub "HUSKARLAR MC Stralsund" beobachtet werden. Zwischenzeitlich gibt es ein weiteres -- 28 -- Chapter dieses Clubs in Anklam, das in unmittelbarer Nähe zur NPD-Landesgeschäftsstelle "Haus Jugendstil" ein Clubhaus unterhält. Dort sind zumindest Kennverhältnisse zwischen den Szenen festzustellen. Ob sich daraus eine ähnliche Entwicklung wie in Stralsund ergibt, bedarf einer aufmerksamen Beobachtung. 2.7.1 Rechtsextremistische Musikveranstaltungen Im Jahr 2017 fanden in Mecklenburg-Vorpommern acht rechtsextremistische Konzerte mit Live-Auftritten statt (2016: 10). Zudem wurden zwei Liederabende festgestellt. Eine Veranstaltung konnte im Vorfeld verhindert werden.11 Gegenüber dem Vorjahr ist somit ein Rückgang zu verzeichnen. Für die Durchführung von Musikveranstaltungen ist die Möglichkeit der Nutzung szeneeigener Objekte weiterhin von hoher Bedeutung, da sie dort weitgehend abgeschottet von der Öffentlichkeit stattfinden können. So wurden die besucherstärksten Konzerte auch 2017 auf dem Grundstück eines bekannten NPD-Funktionärs in Salchow im Landkreis Vorpommern-Greifswald durchgeführt, darunter das landesweit größte Konzert am 14. Oktober 2017 mit ca. 250 Teilnehmern. Zu den dort stattfindenden Konzerten reisten Teilnehmer aus dem gesamten Bundesgebiet und dem Ausland an. Auch das "Thinghaus" in Grevesmühlen ist weiterhin Austragungsort für Konzerte. Dort liegt jedoch eine behördliche Nutzungsbeschränkung vor, die nur eine begrenzte Teilnehmerzahl zulässt. Am 3. November 2017 kam es hier zu einer Musikveranstaltung mit ca. 150 Personen. Die Besucherzahl bei den übrigen Veranstaltungen lag zwischen 75 und 200 Teilnehmern und damit über den durchschnittlichen Zahlen des Vorjahres. Das Publikum setzt sich regelmäßig aus allen Spektren des Rechtsextremismus zusammen. Es sind dort sowohl Funktionäre der NPD als auch Angehörige der weitgehend unorganisierten Szene zu finden. Insoweit spielen die Konzerte bei der szeneübergreifenden Kommunikation eine wichtige Rolle und stärken damit den Zusammenhalt. Zugleich dient die Musik der ideologischen Selbstvergewisserung. 11 Das LKA M-V weist in seiner Statistik zusätzlich 10 Szenepartys/Veranstaltungen (2016 : 10) ohne Livemusik aus. -- 29 -- In Mecklenburg-Vorpommern sind gegenwärtig 13 rechtsextremistische Bands bekannt, die mehr oder weniger regelmäßig öffentliche Auftritte im Inund Ausland absolvieren. Zu den bekanntesten zählen "Path of Resistance", "Painful Awakening", "Thrima" und die "Die Liebenfels Kapelle"/"Skalinger". Bei Auftritten im Ausland sind auch 2017 Verbindungen zur internationalen und in Deutschland seit 2000 verbotenen "Blood and Honour"-Bewegung (B&H) deutlich geworden, wie das Beispiel "Weiße Revolutionäre" zeigt. 12 Hier wird zudem deutlich, dass in Osteuropa trotz der ideologischen Schranken weiterhin regelmäßig rechtsextremistische Konzerte stattfinden, an denen sich Bands aus ganz Europa und eben auch aus Mecklenburg-Vorpommern beteiligen, wie etwa die Band "Ungebetene Gäste" am 10. Juli 2017 in der Tschechischen Republik. 13 12 Facebook-Seite von "Rac and Rall Records" vom 10. 09.2017, abgerufen am 20.12.2017 13 Facebook-Seite der Band "Ungebetene Gäste" vom 07.05.2017, abgerufen am 20.12.2017 -- 32 -- Zu beobachten waren neben den Auftritten einschlägiger Bands auch Aktivitäten von Bandprojekten mit Beteiligung von Musikern aus Mecklenburg-Vorpommern, wie "Ahnenblut". Zu den bundesund europaweit aktivsten rechtsextremistischen Musikern gehörte 2017 der Liedermacher "F.i.e.L." ("Fremde im eigenen Land") aus dem Raum Grevesmühlen. Er tritt meist als Solist auf, gelegentlich aber auch in einem gleichnamigen Bandrahmen. Im Oktober 2017 veröffentlichte er ein Video zum kommenden Album "Hautnah in Germany". 14 2.7.2 Szeneläden/Versandhandel In Mecklenburg-Vorpommern haben sich seit dem letzten Berichtsjahr keine wesentlichen Veränderungen ergeben. Allerdings hat sich das Anklamer Unternehmen "Leveler Records" mit dem Musikproduktionslabel "Glaube, Wille, Tat" (GWT-Produktionen)15 mit der Vermarktung entsprechender Szeneprodukte am einschlägigen Markt etabliert. So war "Leveler Records" auch bei der 2017 bundesweit größten Musikveranstaltung der Szene mit ca. 6.000 Teilnehmern am 29. Juli 2017 im thüringischen Themar präsent. Einer der Verantwortlichen von "GWT-Produktionen/Leveler Records" tritt auch als Solokünstler bei rechtsextremistischen Veranstaltungen auf und 14 Facebook-Seite des Sängers " F.i.e.L." vom 13.12.2017, abgerufen am 21.12.2017 15 Internetseite "Leveler Records" vom 08.12.2017, abgerufen am 21.12.2017 -- 33 -- unterstützt eine Vielzahl rechtsextremistischer Bands und Bandprojekte bundesweit mit Live-Auftritten. Diese Aktivitäten unterstützen insoweit ein enges Geflecht der Akteure im Konzertgeschehen, zu dem auch die "Hammerskins" zählen. 2.8 Parteiunabhängige bzw. parteiungebundene Strukturen/Neonazis Die bereits seit dem letzten Jahr zu beobachtende Neustrukturierung der neonazistischen Szene hat sich insbesondere in Rostock fortgesetzt. Diese Gruppierungen sind jedoch in sozialen Netzwerken weiterhin deutlich aktiver als in der Realwelt. Hierbei darf jedoch der Vernetzungsaspekt nicht unterschätzt werden. Derartige Internetstrukturen bieten sowohl Möglichkeiten der Absprache von Aktionen als auch des Austausches im propagandistischen Bereich. Ein weiterer Hinweis auf die Konsolidierung der Szene ist ein Rückgang der Fluktuation der Internet-Profile. Diese dienten auch im Berichtszeitraum dazu, die eigene ideologische Sichtweise auf die politische Entwicklung darzustellen. Zu diesem Zweck wurden häufig Presseberichte, aber auch verschwörungstheoretische Texte geteilt und entsprechend kommentiert. Dargestellt wurden eigene Aktionen, wie etwa Flugblattverteilungen oder "Gedenkaktionen" mit neonationalsozialistischem Hintergrund. Aufwändigere weltanschauliche Texte wurden demgegenüber deutlich weniger und dann nur von Gruppen veröffentlicht, die auch im öffentlichen Raum aktiv waren. Darüber hinaus beteiligte sich die hiesige Neonaziszene regelmäßig an rechtsextremistischen Veranstaltungen in anderen Bundesländern (s. u.) und unterhielt entsprechende Kontakte, etwa zur rechtsextremistischen Szene in Schleswig-Holstein, Niedersachsen oder Brandenburg. Darüber hinaus entwickelte sich diese Szene 2017 wie folgt: -- 34 -- 2.8.1 Wirtschaftliche Netzwerke von Rechtsextremisten Wesentlich für die Einkommenssituation führender Rechtsextremisten in Mecklenburg-Vorpommern waren zwischen 2006 und 2016 die Landtagsfraktionen der NPD. Neben den sechs bzw. fünf Abgeordneten wurde eine Vielzahl von Szenekadern als Mitarbeiter der Fraktion selbst oder der Abgeordneten in den Wahlkreisbüros beschäftigt. Neben der wirtschaftlichen Sicherheit, die die Abgeordneten und Mitarbeiter auf diese Weise genossen, waren die NPD-Fraktionen auch ein Ort, an dem die Arbeit der Szene, z. B. im Umgang mit Behörden oder der Vorbereitung größerer Veranstaltungen, professionalisiert wurde. Nachdem die NPD 2016 den Wiedereinzug in den Landtag verpasste, fehlt diese Einnahmequelle und zwingt zu Alternativen. Hierbei kann die Szene weiter auf das Netzwerk zurückgreifen, das durch die Strukturierung des rechtsextremistischen Lagers unter Führung der NPD in den vergangenen Jahren entstanden ist. So unterhält ein ehemaliger Mitarbeiter im Wahlkreisbüro des damaligen NPD-Landtagsabgeordneten Michael Andrejewski eine Internetseite, auf der Werbung für mehrere Handwerksfirmen veröffentlicht wird. Sie werden allesamt von Rechtsextremisten aus Mecklenburg-Vorpommern geführt. Bevorzugte Branche der selbstständig tätigen Rechtsextremisten ist der gesamte Baubereich. Auch das "Thinghaus" in Grevesmühlen ist Teil dieses Netzwerkes. Dort sind mehrere Firmen ansässig, die Rechtsextremisten gehören, darunter "Abriss Krüger", der "Levensboom-Versand" sowie die "Mecklenburg-Vorpommersche Strukturentwicklungsgenossenschaft eG" (MVSE). Die MVSE wurde bereits im Juli 2016 im "Thinghaus" gegründet. Diese Genossenschaft will primär Wohnund Gewerberaum zur Verfügung stellen, um der Abwanderung aus Mecklenburg-Vorpommern und sinkenden Geburtenraten entgegenzuwirken. Unterstützt werden sollen auch Firmengründungen oder der Erhalt von bestehenden Betrieben. Vorsitzender des Aufsichtsrates ist Torgai Klingebiel, ehemaliger Mitarbeiter im Wahlkreisbüro der damaligen NPD-Landtagsabgeordneten Udo Pastörs und Stefan Köster; ein weiteres Mitglied des Aufsichtsrates ist der ehemalige NPD-Landtagsabgeordnete David Petereit. -- 35 -- Die Gründung einer Genossenschaft ist ein Novum in der rechtsextremistischen Szene. Die damit geschaffenen Strukturen ermöglichen es, in diesem Rahmen eigene wirtschaftliche Strukturen und Wertschöpfungsketten zu etablieren. 2.8.2 Einzelgruppierungen/regionale Entwicklungen 2.8.2.1 Neonazistische Szene in Rostock Die "Nationalen Sozialisten Rostock" (NSR), die auch unter dem Namen "Aktionsblog" agieren, konnten ihre Struktur stabilisieren und sind aufgrund dessen wieder deutlich kampagnenfähiger als in den letzten Jahren. Zu Beginn des Jahres 2017 stand die Kampagne gegen die Einrichtung eines muslimischen Gebetsraumes im Vordergrund der Agitation. Dazu besuchten neben weiteren Rechtsextremisten aus Rostock auch Mitglieder der NSR wiederholt öffentliche Sitzungen des Ortsbeirates Rostock-Evershagen, der im Zuge des Genehmigungsverfahrens zuständig war. Die Berichterstattung der NSR über diese Aktionen war deutlich antiislamisch und wurde gleichzeitig dazu genutzt, demokratische Entscheidungsprozesse zu diskreditieren, da einerseits die Mehrzahl der Besucher gegen die Einrichtung des Gebetsraumes gewesen sei, der Ortsbeirat aber dennoch eine positive Entscheidung gefällt habe. Die Mitglieder des Ortsbeirates wurden als "antideutsche Demokraten" und demokratische Entscheidungen als "volksfeindliche Politik der Etablierten" verunglimpft16. Die Sitzung des Ortsbeirates am 14. Februar 2017 habe "die Sinnlosigkeit der Demokratie" gezeigt, da trotz aller Diskussionen und Debatten am Ende das Volk verliere.17 Bei den Protesten war auch ein Zusammenwirken der "freien Kräfte" mit der NPD festzustellen. Der NPD-Landesverband hatte in diesem Zusammenhang deutlich gemacht, dass es die Umsetzung entsprechender "Islamisierungspläne" mit der NPD nicht gegeben hätte. Die Volksvertreter des Stadtteils hätten gegen den Bürgerwillen entschieden. Die NPD sprach von einem "Ortsbeirat 16 Facebook-Seite "Infoflut Rostock" vom 11.01.2017, abgerufen am 11.01.2017 17 Facebook-Seite "Aktionsblog" vom 16.02.2017, abgerufen am 17.02.2017 -- 36 -- ohne Rückgrat" und wiederholte in diesem Zusammenhang die Forderung "Islamisierung stoppen".18 Im Verlauf des Jahres wurden zudem wieder einzelne Schulungsund Vortragsveranstaltungen durchgeführt, so eine "Sicherheits & Kiezschulung" am 21. Januar 2017 sowie eine Vortragsveranstaltung zum Thema "Schlachtfeld Osteuropa" am 3. März 2017 in der Nähe von Rostock. Den Jahrestag der Bombardierung Rostocks im Zweiten Weltkrieg durch die Alliierten nahmen die NSR im April 2017 zum Anlass für eine entsprechende Aktionswoche. Dabei wurden nach eigenen Angaben mehrere Sichttafeln im Rostocker Stadtgebiet aufgestellt. Am 29. April 2017 führte die Gruppe eine konspirative Gedenkveranstaltung auf dem Neuen Friedhof in Rostock durch, an der sich auch Angehörige der "Rostocker Division" sowie weitere Rechtsextremisten beteiligten. 19 Am 1. Mai 2017 demonstrierten Mitglieder der NSR am Rande einer Demonstration des "Deutschen Gewerkschaftsbundes" (DGB). Sie führten dabei ein Transparent mit der Aufschrift "Für Volk & Arbeit seid ihr schlecht in Schutzhaft gesteckt und zwar zu Recht" (sic) mit. Auf dem Facebook-Profil "Aktionsblog" wurde am 1. Mai ein Bild veröffentlicht, das rund 15 unkenntlich gemachte Personen mit dem Transparent zeigt. Veröffentlicht wurde dies 18 Internetseite des NPD-Landesverbandes: "Ortsbeirat ohne Rückgrat: Moschee-Filiale in Rostock-Evershagen geplant" vom 11.01.2017, abgerufen am 12.01.2017 19 Facebook-Seite "Aktionsblog" vom 26.04.2017, abgerufen am 08.05.2017 -- 37 -- mit dem Kommentar "DGB Arbeiterverräter!"20. In ihrer Diktion folgen die NSR damit ihrem historischen Vorbild. 21 Die "Rostocker Division" war überwiegend auf Facebook aktiv. Zwar beteiligte sich die Gruppe an einzelnen Veranstaltungen der rechtsextremistischen Szene und war über diesen Weg zumindest innerhalb der rechtsextremistischen Szene Rostocks vernetzt, sie war jedoch kaum in der Lage, eigene Akzente zu setzen. Unter der Bezeichnung "Patrioten Rostock/Rügen/Stralsund" (in verschiedenen Reihenfolgen) werden mehrere Facebook-Profile betrieben, die auf ein Netzwerk von Rechtsextremisten aus den genannten Regionen hindeuten. Abgesehen von den Aktivitäten auf Facebook, wo anlassbezogen Nachrichten geteilt wurden, fiel die Gruppe mit Mobilisierungsaufrufen und der Teilnahme an antiislamischen Mahnwachen in Stralsund auf. 2.8.2.2 Neonazistische Szene im Raum Güstrow Die Aktivitäten der neonazistischen Szene im Raum Güstrow bewegten sich in etwa auf dem Niveau des Vorjahres. Die "Kameradschaft Güstrow" und die "Aktionsgruppe Lalendorf" traten erneut mit verschiedenen Aktionen in Erscheinung. So veranstaltete die "Kameradschaft Güstrow" am 7. Januar 2017 eine "Mahnwache" unter dem Motto "Heimat schützen - Überfremdungswahn stoppen". Am 27. Januar, dem Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust, führten Angehörige der Kameradschaft eine Demonstration unter dem Motto "Schuldkult als Ersatzreligion? Nicht mit uns!" durch. Die "Aktionsgruppe Lalendorf" war offenbar auch an der Aktion "Schwarze Kreuze" am 13. Juli 2017 (vgl. Abschnitte 2.10, 2.11.1.6) beteiligt. 22 20 Facebook-Seite "Aktionsblog" vom 01.05.2017, abgerufen am 08.05.2017 21 Im Laufe des Jahres 1933 zerschlugen die Nationalsozialisten die Gewerkschaften in Deutschland. 22 Facebock-Seite "Aktionsgruppe Lalendorf" vom 13.07.2017, abgerufen am 17.07.2017 -- 38 -- Beide Gruppierungen haben im Berichtszeitraum im sozialen Netzwerk Facebook aktuell über ihre Aktionen berichtet und zugleich ihre neonazistischen Überzeugungen deutlich gemacht. 2.8.2.3 Neonazistische Szene im Raum Waren (Landkreis Mecklenburgische Seenplatte) Die neonazistische Szene im Raum Waren (Müritz) gehörte zu den aktivsten im Lande. Sie agierte eng mit der NPD-Funktionärin Doris Zutt und beteiligte sich an überregionalen Demonstrationen. Die "Nationalen Aktivisten MuP" und das "Kollektiv Seenplatte" führten am 5. April 2017 anlässlich einer Ausschusssitzung in Waren (Müritz) zur Erweiterung des Friedhofes um ein Gräberfeld für Muslime eine unangemeldete öffentliche Versammlung durch und zeigten dabei ein Plakat mit der Aufschrift "Keine Muslime auf unserem Friedhof". Nach polizeilichen Maßnahmen wurde in den Abendstunden eine wiederum unangemeldete "Mahnwache gegen Polizeiwillkür" abgehalten. Neben der zuwanderungsfeindlichen Propaganda folgte die dortige Szene auch 2017 den üblichen Ritualen. So rief das "Kollektiv Seenplatte" für den 23 19. November 2017 zum "Heldengedenken 2017" in Waren (Müritz) auf. Als Redner wurde jeweils eine Person des neonazistischen "Kollektivs Seenplatte", der "Kameradschaft Güstrow" sowie der NPD Waren angekündigt. Es handelte sich erneut um eine gemeinsame Veranstaltung der NPD-Ortsgruppe Waren und parteiungebundener Neonazis. 23 Facebook-Seite "Kollektiv Seenplatte" vom 12.11.2017, abgerufen am 13.11.2017 -- 39 -- Der Verein "Deutschland muss leben e.V." (DML) war ebenfalls organisatorisch eingebunden. Auffällig war, dass die bereits im Jahr 2016 zu beobachtende "antikapitalistische" Propaganda auch im Berichtszeitraum einen Schwerpunkt der dortigen Szene bildete. Das "Kollektiv Seenplatte" versteht sich als Teil des neonazistischen "Antikapitalistischen Kollektivs" (AKK). So wurden im Rahmen der Außendarstellung zuweilen auch die Namen "AKK Mecklenburgische Seenplatte" oder "Antikapitalistisches Kollektiv Seenplatte" genutzt. Das bundesweit agierende AKK sieht sich selbst als Bündnis bzw. Plattform, um verschiedene Gruppierungen und Organisationen zu vernetzen. Es möchte daher keine bestehenden Strukturen ersetzen, sondern vielmehr als eine Art Dachorganisation fungieren. Das AKK tritt auf Demonstrationen als "Schwarzer Block" in Erscheinung und orientiert sich insoweit an den Aktionsformen der "Autonomen Nationalisten". Die ideologische Grundlage bilden die nachfolgenden Thesen, die auch auf der Internetseite des "Kollektivs Seenplatte" zu finden sind: "1. Es gilt den Kapitalismus, seine Auswüchse und Folgen zu bekämpfen Als solche gelten u.a.: a. Armut und Ausbeutung b. Flucht und Vertreibung c. Krieg und Imperialismus d. Chauvinismus und Klassendenken e. Profitmaximierung auf Kosten von Lebewesen und deren Umwelt 2. Die Nation muss Lebensund Wirtschaftsraum des Volkes sein 3. Nur der Sozialismus innerhalb der Nation kann gerecht und nachhaltig sein 4. Die globalen Befreiungskämpfe müssen vernetzt werden um auch dem globalisierten Kapitalismus entgegen zu treten. [sic!]" 24 Allerdings hat das AKK zwischenzeitlich bundesweit an Bedeu24 Internetseite des "Kollektiv Seenplatte", abgerufen am 04.05.2017 -- 40 -- tung verloren, so dass abzuwarten bleibt, ob und inwieweit des "Kollektiv Seenplatte" zukünftig an dieser ideologischen Ausrichtung festhält, zumal sie nicht bei allen Szeneangehörigen auf ungeteilte Zustimmung stößt. Schließlich war auch das Verhältnis des historischen Nationalsozialismus zu einer marktwirtschaftlichen Wirtschaftsordnung durchaus zwiespältig. 2.8.2.4 Rechtsextremistische Einflussnahme auf die Fußballszene in der Landeshauptstadt Schwerin Bei den Bemühungen um den Erhalt der Sportstätte Paulshöhe in Schwerin waren Versuche der Einflussnahme durch die rechtsextremistische Szene zu beobachten. So beteiligten sich vereinzelt Rechtsextremisten an einer themenbezogenen Demonstration am 18. Juni 2017 in Schwerin, die keinen extremistischen Bezug aufwies. Im Vorfeld hatte die rechtsextremistische Organisationsebene der Bewegung "Mecklenburg-Vorpommern gegen die Islamisierung des Abendlandes" (MVGIDA) zur Teilnahme aufgerufen. Die Bundesvorsitzende des "Rings Nationaler Frauen" (RNF) und MVGIDA-Mitverantwortliche Antje Mentzel war als Ordnerin eingesetzt. Im Facebook-Auftritt des Schweriner Fußballvereins "SG Dynamo Schwerin" wurde im September 201725 die Wirtschaftsberatung eines NPD-Kreistagsmitglieds und -Gemeindevertreters als "neuer Partner im Sponsorenpool der SG Dynamo Schwerin" vorgestellt. Nach öffentlicher Kritik wurde die Zusammenarbeit offiziell beendet. 2.8.2.5 Vortragsveranstaltung zum Thema "Russland verstehen - ein Streifzug durch die russische Geschichte bis zur Gegenwart" in Anklam Auf der Facebook-Seite des rechtsextremistischen Treffobjektes "Haus Jugendstil" (NPD-Landesgeschäftsstelle) in Anklam wurde für den 19. November 2017 eine Vortragsveranstaltung zum Thema "Russland verstehen - ein Streifzug durch die russische Geschich25 Facebook-Seite SG Dynamo Schwerin vom 28.09.2017, abgerufen am 04.10.2017. -- 41 -- te bis zur Gegenwart" in Anklam angekündigt. Der Redner Denis Nikitin (vgl. Abschnitt 2.7) habe ausgeführt, dass die von deutschen Medien vermittelte angebliche nationale Politik Russlands mit dem Fokus auf das eigene Volk eine Fehleinschätzung sei. Auch in Russland seien "Multikulti und Repressionen gegen die so gut wie nicht vorhandene nationale Opposition" an der Tagesordnung. Vor diesem Hintergrund sei "White Rex" nicht als Organisation, sondern als "Ideal" mit der Intention gegründet worden, das eigene Volk "nicht kampflos aufzugeben und eine Generation von wehrfähigen jungen Leuten zu formen sowie eine europaweite Vernetzung zu erreichen". Es gelte, "die europäische Kultur und Identität der europäischen Völker zu wahren". Einigen Teilnehmern hätte die Veranstaltung, auch in persönlichen Gesprächen, eine "völlig neue Sichtweise vor Augen" geführt.26 Die Veranstaltung war geeignet, zu einer Radikalisierung und Stärkung der hiesigen Neonazis beizutragen, da zumindest subjektiv der Eindruck vermittelt wurde, über Verbündete in Russland zu verfügen, die zudem im Nahkampf ausgebildet sind ("White Rex" versteht sich auch als "Kampfsport-Netzwerk"). 2.8.2.6 Weitere neonazistische Strukturen auf regionaler Ebene Als organisatorischer Rückhalt der rechtsextremistischen Szene sind auch 2017 örtliche Kameradschaften und sonstige kleinere örtliche Personenzusammenschlüsse von Bedeutung gewesen. Allerdings entfalteten nicht alle der nachfolgend genannten Gruppierungen öffentliche oder gar kontinuierliche Aktivitäten. Insoweit werden hier nur die Strukturen genannt, die nicht in der sonstigen Berichterstattung Erwähnung finden: ** "Freie Kameradschaft Wismar" ** "Rostocker Widerstand" ** "Initiative Vereint für Stralsund" ** "Freies Kollektiv Parchim" ** "Germanisches Bollwerk Mecklenburg" ** "Kameradschaft Schwerin" 26 Internetseite der JN: "Vortragsveranstaltung in Anklam" vom 22.11.2017, abgerufen am 27.11.2017 -- 42 -- ** "Kameradschaft Bützow" ** "Nationale Offensive Gnoien" ** "Autonome Nationalisten Amt Goldberg-Mildenitz" ** "Arischer Widerstandsbund", Altentreptow ** "Freie Pommern", Raum Pasewalk ** "Freie Kräfte Greifswald/Nationale Sozialisten Greifswald" ** "Völkische Burschenschar Strasburg" ** "Kameradschaftsbund Anklam" ** "Kameradschaftsbund Bargischow" ** "Aryan Warriors", Ueckermünde ** "Kameradschaft Borken" ** "Nationales Bündnis Löcknitz" Darüber hinaus sind bundesweit verstärkt Strukturen zu beobachten, die sich "Divisionen" nennen und dabei sicherlich bewusst auf die militärische Bedeutung abstellen. Hinzu kommt eine regionale Bezeichnung wie etwa hierzulande die "Division Mecklenburg, die "Division Pommern" oder die bereits länger existierende "Pommern Division". Kontinuierliche und organisierte Aktivitäten sind damit meist nicht verbunden. Diese Bezeichnungen sollen eher ein "Gemeinschaftsgefühl" erzeugen. 27 27 Internetseite "Patriotic Store", abgerufen am 10.01.2018 -- 43 -- 2.8.2.7 Rechtsextremistische Strukturen auf überregionaler Ebene (ohne Parteien) Die Entwicklung überregionaler bzw. internationaler rechtsextremistischer Organisationen ohne Parteibezug stellte sich 2017 wie folgt dar: ** Die "Gefangenenhilfe Freundeskreis" setzte ihre Aktivitäten weiter fort. Sie unterhält ihren Sitz in Schweden und unterstützt rechtsextremistische Gefangene und deren Familien während der Haft. Offene Sympathien zeigte die Organisation für Ralf Wohlleben, einen der Angeklagten im NSU-Prozess. Dieser "Freundeskreis" hat auch Unterstützer in Mecklenburg-Vorpommern. ** Die zeitweilig auch in Mecklenburg-Vorpommern im Aufbau befindliche "Europäische Aktion" (EA) gab auf ihrer Internetseite am 26. September 2017 ihre Auflösung bekannt. Trotzdem verweist die EA darauf, dass die durch sie formulierten Ziele "[n]ach wie vor [...] das Werkzeug [bilden], um Europa als Heimat seiner autochthonen Völker zu erhalten und gegen die von aussen [sic!] einbrechenden Todesgefahren zu schützen."28 Auch war der Internetauftritt der EA weiterhin erreichbar. ** Die "Artgemeinschaft Germanische-Glaubens-Gemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung e. V." (AG GGG), kurz "Artgemeinschaft", ist der derzeit größte rechtsextremistische weltanschaulich-religiöse Personenzusammenschluss in Deutschland. Sie bildet damit eine wichtige Schnittstelle für die gesamtdeutsche Neonaziszene. Die AG GGG versteht sich weiterhin als "unabhängige religiöse Gemeinschaft außerhalb des Christentums."29. Ideologische Grundlage bildet nach wie vor das "Artbekenntnis" sowie ein "Sittengesetz unserer Art". Die daraus resultierende neu-heidnische Religiösität ist rassistisch und - damit verbunden - antisemitisch geprägt. Daher kann Mitglied der "Artgemeinschaft" nur werden, wer die "rassege28 Internetseite der "Europäischen Aktion", abgerufen am 03.01.2018 29 Internetseite des "Thule Seminars", "Die Artgemeinschaft stellt sich vor", S. 1, abgerufen am 04.01.2018 -- 44 -- mäßen" Voraussetzungen erfüllt, wie das nachfolgende Zitat zeigt: "Die Verhaltensbiologie hat gezeigt, daß bestimmten äußeren Erscheinungen oftmals auch unterschiedliche seelische Haltungen entsprechen. Mit Rücksicht darauf wollen wir nur Artverwandte nordisch-fälischen Menschentums gewinnen, wobei wir davon ausgehen, daß diese vorwiegend in Skandinavien, dem deutschsprachigen Raum, den Niederlanden einschließlich Flandern, England, Irland, den USA, Australien, Neuseeland und Südafrika zu finden sind, also in den Gebieten germanischer Sprachgruppe."30 Auch wenn die AG GGG im Jahr 2017 in Mecklenburg-Vorpommern keine unmittelbare Außenwirkung entfaltete, werden ihre Anhänger weiterhin versuchen, ihr unmittelbares soziales Umfeld im Sinne ihrer Ideologie zu beeinflussen (beispielsweise als Siedler im Raum Güstrow/Krakow/Koppelow). 2.9 Neonazistische Publikationen Die lokale Publikation "Der Anklamer Bote" wird seit dem Jahr 2008 herausgegeben. Als Verantwortlicher fungierte zunächst der eingetragene Verein "Initiative für Volksaufklärung e. V.", später erfolgte die Herausgabe der Publikation durch wechselnde NPD-Funktionäre. Für die zuletzt erschienene Ausgabe im Frühjahr 2017 trat der frühere NPD-Landtagsabgeordnete Michael Andrejewski als presserechtlich Verantwortlicher in Erscheinung. Diese sei in der Hansestadt Anklam verteilt worden und konnte auch im Internet eingesehen werden. 31 Eine Verbreitung anderer "Boten" als Druckerzeugnis konnte nicht mehr festgestellt werden. 30 Internetseite des "Thule Seminars", "Die Artgemeinschaft stellt sich vor", S. 2, abgerufen am 04.01.2018 31 Quelle: Internetseite issuu, abgerufen am 26.07.2017 -- 45 -- 2.10 Neonazistisch geprägte Veranstaltungen und Aktivitäten ** "Tollensemarsch" der rechtsextremistischen Szene am 4. März 2017 An dem seit dem Jahre 2004 alljährlich stattfindenden "Tollensemarsch" nahmen am 4. März 2017 ca. 30 Rechtsextremisten teil (Teilnehmer 2014: ca. 70, Teilnehmer 2015: ca. 20, Teilnehmer 2016: ca. 50). Neben lokalen Rechtsextremisten waren auch in diesem Jahr Neonazis aus anderen Bundesländern zu dem als "Sportveranstaltung" deklarierten Marsch angereist. ** Neonazistische Aktionen zum 8. Mai Auch 2017 veranstaltete die rechtsextremistische Szene am 8. Mai in Demmin ihren traditionellen "Trauermarsch"32 zum Jahrestag der deutschen Kapitulation 1945 und dem damit einhergehenden Ende des nationalsozialistischen Regimes. Angemeldet wird die Veranstaltung seit 2012 von einem früheren Mitglied des NPD-Landesvorstandes Mecklenburg-Vorpommern als Privatperson. Teilgenommen haben ca. 200 Personen. ** "Aktion Schwarze Kreuze" am 13. Juli 2017 Die "Aktion Schwarze Kreuze", die nun bereits zum vierten Mal am 13. Juli stattfand, hat sich in der rechtsextremistischen Szene offenbar zu einem festen Ritual entwickelt. Sie soll an die "Deutschen Opfer von Ausländergewalt" erinnern. So wurden auch 2017 an verschiedenen Orten im Land schwarze Holzkreuze mit Aufschriften wie "Für deutsche Opfer" oder "7500 Opfer durch Migranten" aufgestellt. Die Aktion konzentrierte sich im Jahr 2017 auf den Landkreis Rostock, insbesondere die Umgebung von Güstrow (vgl. Abschnitt 2.8.2.2) und 32 Der seit Jahren in Demmin stattfindende "Trauermarsch" zum 8. Mai hat für die rechtsextremistische Szene eine besonderen Symbolwert, da sich dort in den letzten Tagen des Zweiten Weltkrieges zahlreiche Zivilisten aus Angst und Panik vor der vorrückenden Roten Armee das Leben nahmen. -- 46 -- das Stadtgebiet von Parchim. Allerdings ging die Resonanz innerhalb der rechtsextremistischen Szene insgesamt zurück. ** Aktionen zum Todestag von Rudolf Heß am 17. August Im Unterschied zum Jahr 2016, in dem aus Anlass des Todestages von Rudolf Heß hierzulande kaum Aktivitäten der rechtsextremistischen Szene festgestellt wur33 den, zeigte sie 2017 deutlich mehr Engagement. Dies dürfte im Wesentlichen darauf zurückzuführen sein, dass sich 2017 der Todestag zum 30. Mal jährte. Aus diesem Grund wurde am 19. August 2017 unter dem Motto "Mord verjährt nicht! Gebt die Akten frei - Recht statt Rache" in Berlin eine Demonstration durchgeführt, an der ca. 750 Personen, darunter auch Rechtsextremisten aus Mecklenburg-Vorpommern, teilnahmen. Im Vorfeld der Veranstaltung wurde an der äußeren Umzäunung des "Thinghauses" in Grevesmühlen großflächig für die Veranstaltung geworben. Darüber hinaus wurden im August 2017 u. a. in Lalendorf, Boizenburg, Strasburg und Güstrow themenbezogene Plakate angebracht. ** "Heldengedenken" der rechtsextremistischen Szene Anhaltend hohe Bedeutung genießt in der rechtsextremistischen Szene weiterhin der Volkstrauertag, der in der Szene als "Heldengedenktag" begangen wird. Auch 2017 fanden im Land mehrere dezentrale Aktionen statt, bei denen Rechtsextremisten an verschiedenen Denkmalen, die an Kriegsopfer erinnern, Kränze ablegten und Schweigeminuten abhielten. In 33 Eigenaufnahme des Ministeriums für Inneres und Europa Mecklenburg-Vorpommern -- 47 -- Rostock beteiligten sich ortsansässige Rechtsextremisten wieder an der Gedenkveranstaltung der Stadt; im Anschluss daran führten sie eine eigene Veranstaltung durch. Eine größere Veranstaltung war in Bad Kleinen geplant. Dort wurden ca. 60 Personen kontrolliert und die Veranstaltung untersagt. Sie wurde jedoch am Folgetag durchgeführt. Dabei wurden mehrere Kränze niedergelegt, u. a. vom "Freundeskreis Thinghaus". In Stralsund gedachten nach eigenen Angaben "zahlreiche parteiunabhängige Nationalisten" gemeinsam mit dem NPD-Kreisverband Nordvorpommern "den toten Helden unseres Volkes" an den Kriegsgräberstätten der Hansestadt durch Kranzniederlegungen und Redebeiträge. Erinnert worden sei "an die Verbrechen der Vertreibung, Plünderung, des Mordes und der Vergewaltigung von Millionen deutscher Landsleute" und den "alliierten Bombenhagel".34 Vereinzelt wurden auch um den 16. März herum Gedenkveranstaltungen durchgeführt. Sie stellen ab auf den "Heldengedenktag" im Dritten Reich, der ab 1939 auf diesen Tag oder, 35 wenn dieser ein Werktag war, auf den davorliegenden Sonntag verlegt wurde. Hintergrund war die zum gleichen Zeitpunkt erfolgte Wiedereinführung der allgemeinen Wehrpflicht. Über diese meist mit dem Nationalsozialismus verbundenen Veranstaltungen hinaus konnten auch 2017 rechtsextremistische Veranstaltungen mit Bezug zum heidnisch-germanischen Brauchtum, wie "Ostarafeste", "Sonnenwendfeiern" oder "Julfeste" festgestellt werden.36 34 Facebook-Seite des NPD-Kreisverbandes Nordvorpommern vom 19.11.2017, abgerufen am 21.11.2017 35 Facebook-Seite "Thinghaus" vom 26.11.2017, abgerufen am 06.12.2017 36 Vgl. hierzu Ministerium für Inneres und Europa Mecklenburg-Vorpommern (Hrsg.); Rituale und Symbole der rechtsextremistischen Szene, Schwerin: 2015 -- 48 -- 2.11 Rechtsextremistische Parteien 2.11.1 "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD), Landesverband Mecklenburg-Vorpommern 37 38 Gründung 1990 Landesvorstand 38 Stefan Köster (Landesvorsitzender) David Petereit (stellv. Landesvorsitzender) Enrico Hamisch (stellv. Landesvorsitzender) Tino Müller (Beisitzer) Alexander Wendt (Beisitzer) Michael Grewe (Beisitzer) Publikationen "Blickpunkt VG" - Mitteilungsblatt der (soweit Ausgaben im NPD-Fraktion im Kreistag VorpommernJahr 2017 veröffentGreifswald licht wurden) Internet und soziale Internetseite des NPD-Landesverbandes Netzwerke Facebook-Seiten des NPD-Landesverbandes, der Kreistagsfraktion Vorpommern-Greifswald, der NPD in der Bürgerschaft Rostock, der NPD-Kreisverbände Westmecklenburg, Mecklenburgische Seenplatte, Mecklenburg-Mitte und Nordvorpommern, der "JN Mecklenburg und Pommern" und der "JN Pommern" 37 Facebook-Seite des NPD-Landesverbandes, abgerufen am 10.10.2017 38 Stand: 28.01.2017 -- 49 -- Kreisverbände NPD-Kreisverband Westmecklenburg NPD-Kreisverband Mecklenburgische Seenplatte NPD-Kreisverband Vorpommern-Greifswald NPD-Kreisverband Mecklenburg-Mitte NPD-Kreisverband Nordvorpommern Unterorganisationen Jugendorganisation "Junge Nationaldemokraten" (JN) Frauenorganisation "Ring Nationaler Frauen" (RNF) Interessenvertretung für kommunale Mandatsträger "Kommunalpolitische Vereinigung" (KPV) ohne Aktivitäten in Mecklenburg Vorpommern 2.11.1.1 NPD-Verbotsverfahren Das Bundesverfassungsgericht hat im Verfahren 2 BvB 1/13 am 17. Januar 2017 bekanntermaßen seine einstimmig ergangene Entscheidung verkündet, die NPD wegen fehlender Anhaltspunkte für eine erfolgreiche Durchsetzung ihrer verfassungsfeindlichen Ziele nicht zu verbieten. Das Gericht hat einerseits nach der materiellen Prozesslage festgestellt, dass das Handeln der NPD planmäßig auf die Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung gerichtet ist. Andererseits fehle es aber derzeit an konkreten Anhaltspunkten von Gewicht, die es möglich erscheinen lassen, dass das Handeln gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung zum Erfolg führt. Eine Durchsetzung des verfassungsfeindlichen politischen Konzepts der NPD mit parlamentarischen oder außerparlamentarischen demokratischen Mitteln erscheine ausgeschlossen. Die NPD verfüge weder über die Aussicht, bei Wahlen eigene Mehrheiten zu gewinnen noch über die Option, sich durch die Beteiligung an Koalitionen eigene Gestaltungsspielräume zu verschaffen. Auch durch die Beteiligung am Prozess der politischen Willensbildung bestehe wegen des eingeschränkten Mobilisierungsgrades und ihrer geringen Wirkkraft in die Gesellschaft in absehbarer Zeit keine Möglichkeit erfolgreicher Verfolgung ihrer verfassungsfeindlichen -- 50 -- Ziele. Die Präsenz der NPD und damit die vom Verhalten ihrer Mitglieder und Anhänger ausgehende einschüchternde Wirkung weise lediglich lokale oder - seltener - einige wenige regionale Schwerpunkte auf. Auf Einschüchterung und Bedrohung sowie den Aufbau von Gewaltpotentialen könne mit den Mitteln des präventiven Polizeirechts und des repressiven Strafrechts rechtzeitig und umfassend reagiert werden. Das "Nichtverbot" ist keineswegs als Scheitern zu bewerten. Alles in allem ist ein bedeutendes Urteil erwirkt worden. Das Bundesverfassungsgericht hat neue Maßstäbe für ein Parteiverbot implementiert. Dabei ist es zu einer Änderung der Rechtsprechung gegenüber den bisherigen Verbotsurteilen gekommen. Seinerzeit war der Nachweis hinreichender Wirkungsmöglichkeiten im Sinne der Parteiziele nicht erforderlich. Nunmehr kommt ein Parteiverbot nur dann in Betracht, wenn die Möglichkeit der Erreichung der verfassungsfeindlichen Parteiziele zumindest nicht völlig aussichtslos erscheint. Die Antragsschrift hatte sich auf drei Linien gestützt: ** Nachweis der Staatsfreiheit ** Nachweis der Verfassungsfeindlichkeit ** Nachweis des "darauf Ausgehens" (aktives und planvolles Handeln, das auf die planvolle Beeinträchtigung oder Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung gerichtet ist, Vorliegen konkreter Anhaltspunkte von Gewicht, die einen Erfolg dieses Handelns zumindest möglich erscheinen lassen). Das Gericht ist den Darlegungen und Bewertungen des Bundesrates unter den ersten beiden Punkten vollständig gefolgt. Die vorgelegten Argumente und Sachverhalte zum Nachweis der Gefährlichkeit der Partei für die freiheitliche demokratische Grundordnung sind jedoch vom Gericht anders bewertet worden. Mit Blick auf die Änderung der Rechtsprechung ist dies der Grund für das "Nichtverbot" gewesen. -- 51 -- Von Bedeutung ist zudem, dass das Gericht dieses Verfahren im Einklang mit der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte gesehen hat. Im Vorfeld zu diesem Punkt vorgenommene skeptische Bewertungen von verschiedenen Seiten sind damit widerlegt. * Reaktionen der NPD auf die Urteilsverkündung Die NPD führte zeitgleich zur Urteilsverkündung eine Mahnwache an der Siegessäule in Schwerin mit 26 Teilnehmern durch. Der ehemalige NPD-Fraktionsvorsitzende Udo Pastörs hatte sich dort mit dem Plakat "Widerstand lässt sich nicht verbieten! Wir kämpfen für Deutschland, komme was wolle!" präsentiert. Ein Plakat mit demselben Wortlaut war auch am "Nationalen Begegnungszentrum" Anklam, Sitz des NPD-Landesverbandes, aufgehängt worden. Der NPD-Landesvorsitzende Stefan Köster distanzierte sich auf seiner Facebook-Seite unmittelbar nach der Urteilsverkündung von der "politischen Wertung" des Bundesverfassungsgerichts bezüglich der NPD. Der Einsatz "für die Existenz und Zukunft unseres Volkes sowie Souveränität unserer Heimat" sei eine "natürliche Haltung" und keine "verfassungsfeindliche Einstellung".39 Die Aussagen zeigen, dass die NPD auch nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts an ihrem rassistischen Menschenbild festhält. Auf Kritik innerhalb des rechtsextremistischen Parteienspektrums stieß insbesondere die Feststellung des Gerichts, dass der ethnische Volksbegriff der Partei gegen die Menschenwürde aus Artikel 1 des Grundgesetzes verstoße. Damit habe das Gericht - so die Interpretation der NPD - das für die Partei nicht verhandelbare Bekenntnis zum deutschen Volkstum stigmatisiert und kriminalisiert. Hintergrund ist die Feststellung des Bundesverfassungsgerichts, dass das Grundgesetz einen ausschließlich an ethnischen Kategorien orientierten Begriff des Volkes nicht kennt. 39 Facebook-Seite Stefan Köster vom 17.01.2017, abgerufen am 18.01.2017 -- 52 -- Wer die deutsche Staatsangehörigkeit erwirbt, ist aus Sicht der Verfassung unabhängig von seiner ethnischen Herkunft Teil des Volkes. Die Garantie der Würde des Menschen aus Artikel 1 Abs. 1 des Grundgesetzes und die damit verbundene elementare Rechtsgleichheit unabhängig von Merkmalen wie ethnischer Herkunft, Lebensalter oder Geschlecht beinhaltet die Anerkennung als gleichberechtigtes Mitglied in der rechtlich verfassten - nicht "natürlich gewachsenen" - Gemeinschaft. Unter Zugrundelegung der nunmehr nochmals klar definierten Wesenselemente der freiheitlichen demokratischen Grundordnung - das Bundesverfassungsgericht hat sich ausdrücklich auf den "unantastbaren Kernbestand", die "unverzichtbaren Grundsätze" einer freiheitlichen Demokratie beschränkt, nämlich Menschenwürde, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit - sind politische Konzepte, die auf die strikte Exklusion und weitgehende Rechtlosstellung bzw. willkürliche Diskriminierung aller ethnisch Nichtdeutschen gerichtet sind, als verfassungsfeindlich anzusehen. 2.11.1.2 Aktivitäten der NPD im Jahr 2017 In Mecklenburg-Vorpommern ist seit dem Wegfall der NPD-Landtagsfraktion und ihrer finanziellen staatlichen Zuwendungen ein Rückgang der rechtsextremistischen Aktivitäten insgesamt zu verzeichnen, sowohl im Hinblick auf das Demonstrationsgeschehen und die Publikationen als auch auf die Propaganda im Internet. Der Rückgang bis hin zur Einstellung der Aktivitäten betrifft nicht nur die Partei und ihre Unterorganisationen RNF/JN, sondern auch ihre Anhängerschaft und die von ihr unmittelbar beeinflussten Strukturen (MVGIDA, "MUPINFO", "Ein Volk hilft sich selbst Mecklenburg-Vorpommern"). ** Landesparteitag der NPD am 28. Januar 2017 in Anklam Unter dem Motto "Unsere Heimat braucht uns!" fand der Landesparteitag der NPD am 28. Januar 2017 mit ca. 100 Teilnehmern in der NPD-Landesgeschäftsstelle in Anklam statt. Als Redner traten u. a. der NPD-Landesvorsitzende Stefan Köster, der in seinem Amt bestätigt wurde sowie der bisherige Prozessbevollmächtigte der NPD, Michael Andrejewski auf, der einen Bericht -- 53 -- zum Verlauf des NPD-Verbotsverfahrens vortrug.40 Es wurde außerdem die Landesliste der NPD für die bevorstehende Bundestagswahl gewählt, die von Udo Pastörs auf Platz 1 angeführt wurde. Pastörs ist darüber hinaus als Direktkandidat im Wahlkreis 15 (Wahlkreis der Bundeskanzlerin) angetreten. Der neu gewählte Landesvorstand besteht nicht mehr aus neun, sondern nur noch aus sieben Mitgliedern. Drei bisherige Beisitzer sind ausgeschieden. Dafür hat der frühere NPD-Fraktionsgeschäftsführer Michael Grewe erneut - wie schon von 2012 bis 2015 - das Amt eines Beisitzers übernommen. Bei den Funktionen des Vorsitzenden und der beiden Stellvertreter gab es keine Änderungen. Pastörs hat keine Funktion übernommen (in seiner Zeit als NPD-Fraktionsvorsitzender im Landtag gehörte er dem NPD-Landesvorstand kraft Amtes an). Zu den Aktivitäten in den einzelnen Landkreisen und kreisfreien Städten: ** Neujahrswanderung der NPD am 21. Januar 2017 in Lübtheen (Landkreis Ludwigslust-Parchim) Am 21. Januar 2017 fand die traditionelle Neujahrswanderung der NPD um Lübtheen statt. Startund Endpunkt der Wanderung war der rechtsextremistische Treffort "Kulturraum Lübtheen". Zu verzeichnen waren ca. 30 Teilnehmer des NPD-Kreisverbandes Westmecklenburg und der parteiungebundenen neonazistischen Szene. Szenetypische Symbole oder Kennzeichen wurden während der Wanderung nicht gezeigt. Die Veranstaltung verlief ohne Außenwirkung. Die NPD betont immer wieder die Bedeutung derartiger Veranstaltungen, um den Zusammenhalt der rechtsextremistischen Szene zu fördern. ** Protestkundgebung der NPD am 8. September 2017 in Wolgast (Landkreis Vorpommern-Greifswald) Ein ehemaliger NPD-Landtagsabgeordneter hatte im Namen 40 Internetseite des NPD-Landesverbandes: "Landesparteitag der NPD in Anklam: Stefan Köster als Landesvorsitzender bestätigt - Udo Pastörs führt die NPD in den Bundestagswahlkampf" vom 01.02.2017, abgerufen am 01.02.2017 -- 54 -- des NPD-Kreisverbandes Vorpommern-Greifswald am 4. September 2017 eine Protestkundgebung anlässlich des Besuchs der Bundeskanzlerin in Wolgast unter dem Motto "Schlepper-Merkel stoppen - Wir schaffen das!" angemeldet. Diese fand - mit weiteren Protesten aus dem nichtextremistischen Spektrum - direkt vor dem Gebäude statt, in dem die Bundeskanzlerin einen Wahlkampfauftritt absolvierte. Die Gesamtteilnehmerzahl lag bei ca. 150, die Anzahl der NPD-Anhänger dürfte in etwa bei 80 gelegen haben. Als offenbar einziger Redner trat der NPD-Spitzenkandidat Udo Pastörs auf. ** Demonstration der NPD am 1. Mai 2017 in Stralsund (Landkreis Vorpommern-Rügen) Trotz des Wegfalls der NPD-Landtagsfraktion ist es dem NPD-Landesverband gelungen, im Schulterschluss mit den "Freien Kräften" bei der Demonstration am 1. Mai 2017 in Stralsund unter dem Motto "Für Volk und Heimat - Sozial National Legal" mit etwa 250 Teilnehmern Geschlossenheit zu demonstrieren und eine durchaus beachtliche Anzahl von Szeneangehörigen zu mobilisieren, wenn auch deutlich weniger als in den letzten Jahren. Neben dem NPD-Landesvorsitzenden Stefan Köster und dem NPD-Spitzenkandidaten für die Bundestagswahl Udo Pastörs traten der Parteivorsitzende Frank Franz sowie ein Vertreter der rechtsextremistischen "Partei der Dänen" ("Danskernes Parti"), Daniel Carlsen und der Schwede Dan Eriksson, Vorsitzender der rechtsextremistischen Stiftung "Europa Terra Nostra", als Redner auf. Franz habe seine Aussage wiederholt, dass er "lieber ein Feind der Verfassung als ein Volksfeind" sei. Pastörs forderte "einen fundamentalen Systemwechsel, welcher nicht zuletzt durch den Schulterschluss aller gewachsenen Völker Europas gelingen könnte". Carlsen sprach sich ebenfalls für ein "Europa der Vaterländer" aus. Im Rahmen des Demonstrationszuges wurden Transparente mit den Aufschriften "Für Volk und Heimat - Sozial-National-Legal - Jetzt Mitglied werden!" (NPD), "Konsequent gegen die Islamisierung und Überfremdung unserer Heimat! www.npd-mv. de", "Für die Zukunft unserer Kinder! Für den Erhalt unserer Kul-- 55 -- tur! Darum reiht euch ein und lasst uns dafür auf die Straße gehen!", "Dieses System bringt uns den Volkstod! Nationaler Sozialismus Jetzt! Freiheit statt BRD", "1. Mai - Gemeinsam gegen Kapitalismus, Ausbeutung und Überfremdung - Tradition verpflichtet!" sowie "Kampf bis zum Endsieg - Für Volk und Vaterland" (beide von der "Rostocker Division"), "Volkstod stoppen - Die Zeit ist reif für unseren Widerstand - Volksgemeinschaft statt BRD-Gesellschaft" ("Müritzfunken") gezeigt. In dem Mobilisierungsaufruf war die Wichtigkeit der "Gemeinschaft" des deutschen Volkes aus Angehörigen "gleicher Abstammung, gleicher Sprache und gleicher Kultur" und die Bedrohung der "Identität" durch die Zuwanderung von "Millionen raumund kulturfremder Ausländer" betont worden. Dieser "große Austausch" werde bereits in wenigen Jahren zur "Vernichtung des europäischen Abendlandes" führen. Es folgt eine Bezugnahme auf das Urteil im NPD-Verbotsverfahren durch Bezeichnung des "Verstoßes gegen die Menschenwürde" als "sinnleeres Wortgebilde" sowie auf die bekannten 14 Wörter des amerikanischen Rechtsextremisten David Lane ("Einzig die NPD [...] setzt sich für die Zukunft unserer Kinder ein und will die Existenz unseres Volkes sichern").41 Der Ablauf der Demonstration, die vorgetragenen Reden und präsentierten Plakate sowie die anschließende Berichterstattung im sozialen Netzwerk Facebook waren von einem hohen Grad an Professionalität gekennzeichnet. Durch die Gewinnung der beiden ausländischen Rechtsextremisten als Teilnehmer bzw. Redner wurde zudem der Strategie einer Vernetzung auf europäischer Ebene erneut Ausdruck verliehen. ** 16. Kinderfest der NPD in Stralsund Der NPD-Kreisverband Nordvorpommern führte am 17. September 2017 unter dem Motto "Unsere Kinder sind unsere Zukunft und deshalb kümmern wir uns darum!" sein 16. Kinderfest 41 Internetseite des NPD-Landesverbandes: "Heraus zum 1. Mai: Für Volk und Heimat - Sozial National Legal!" vom 03.04.2017, abgerufen am 04.04.2017 -- 56 -- mit mehr als 100 Teilnehmern durch. Im Nachgang bedankte sich der NPD-Kreisverband Nordvorpommern u. a. dafür, dass mit Hilfe der Spender eine neue Hüpfburg angeschafft werden konnte. ** Kundgebungen der NPD am Rande der Wahlkampfauftritte der Bundeskanzlerin am 19. September 2017 in Wismar und Schwerin (Landkreis Nordwestmecklenburg und Hansestadt Wismar) Der NPD-Spitzenkandidat Udo Pastörs trat mit seinen Anhängern, maximal bis zu 15 Personen, jeweils in der Nähe der Veranstaltungsorte und mit diversen NPD-Plakaten auf. Zudem wurde NPD-Wahlwerbung aus einem Lautsprecherfahrzeug abgespielt. An den Veranstaltungsorten kam es jeweils zu "Merkel muss weg"-Rufen. Öffentlich waren die Mobilisierungen in erster Linie von den Facebook-Auftritten "Wismar wehrt sich" und MVGIDA gesteuert worden. Der NPD-Landesverband wollte nach eigenen Angaben "Schlepper-Merkel" zeigen, dass die Versammlungen der CDU "nicht nur bestellte Klatscher besuchen, sondern sich überall Widerstand gegen die Umvolkungspolitik" entfalte.42 2.11.1.3 Einzelsachverhalte zum Wahlkampf der NPD für die Bundestagswahl 2017 Einleitend ist anzumerken, dass die gegenwärtige Erfolglosigkeit von neonazistischen Parteien bei Wahlen voraussichtlich keine langfristigen Auswirkungen auf die rechtsextremistische Parteienlandschaft in Gänze haben wird. Entscheidend ist, dass das Parteimodell Vorteile gegenüber anderen Organisationsformen aufweist, weshalb Parteistrukturen auch in Zukunft attraktiv sein werden. Dazu gehören die Parteiorganisationsstruktur selbst, die eine effizientere Vernetzung als lose Zusammenschlüsse gewährleistet sowie die Aussicht auf staatliche finanzielle Zuschüsse, beispielsweise in Form von Aufwandsentschädigungen für kommunale Mandate. 42 Facebook-Seite des NPD-Landesverbandes vom 21.09.2017, abgerufen am 22.09.2017 -- 57 -- ** Bemühungen um die Sammlung von Unterstützungsunterschriften für die Teilnahme der NPD an der Bundestagswahl 2017 Der Bundesorganisationsleiter der NPD (Sebastian Schmidtke) hatte in der Publikation des NPD-Parteivorstandes "Nachrichten aus der Parteizentrale" (Ausgabe 18) bereits im Dezember 2016 den Vorwahlkampf der NPD für die Bundestagswahl 2017 eingeläutet und auf die notwendige Sammlung von Unterstützungsunterschriften hingewiesen. Für jedes Bundesland wurde die notwendige Anzahl von Unterschriften veröffentlicht, verbunden mit dem Aufruf, die NPD bei der Sammlung zu unterstützen und die jeweiligen Unterschriftenlisten beim Landesverband oder in der Parteizentrale in Berlin anzufordern. In Mecklenburg-Vorpommern wurden gemäß dieser Veröffentlichung 1.351 Unterschriften benötigt. Die NPD hatte auf ihrer FacebookSeite zur Unterstützung bei der Sammlung von Unterstützungsunterschriften aufgerufen und diese Bitte mit einem Video von 43 "Deutsche Stimme TV" mit dem Titel "Bundestagswahl ohne NPD?" unterlegt. Die "Altparteien" hätten bewusst hohe Hürden für Parteien gesetzt, um sich "künftige Konkurrenz auch ohne Wahlen vom Hals zu halten". Jede Partei, die nicht im Bundestag vertreten ist, müsse knapp 30.000 Unterstützungsunterschriften sammeln, um überhaupt auf dem Stimmzettel stehen zu dürfen. Hinzu käme, dass diese auch noch gleichmäßig über das gesamte Bundesgebiet verteilt sein müssen. Linke, Grüne, SPD, FDP und CDU/CSU hätten sich "von dieser schweren Hürde selbst 43 Facebook-Seite der NPD vom 13.05.2017, abgerufen am 15.05.2017 -- 58 -- ausgenommen", worin die NPD einen "schweren Verstoß gegen die Wahlgrundsätze der Demokratie" sah.44 Nach Ablauf der Abgabefrist für die Unterstützungsunterschriften am 17. Juli 2017 machte die NPD öffentlich bekannt, flächendeckend zur Bundestagswahl antreten zu können. Die vergleichsweise kleine NPD habe die "nicht zu unterschätzende Leistung" vollbracht, die Antrittshürde von rund 28.000 Unterschriften zu meistern und somit in allen 16 Bundesländern auf dem Stimmzettel zu stehen. Mit einem "kaum noch für möglich gehaltenen Kraftakt" sei es "im Endspurt" auch im letzten Bundesland Schleswig-Holstein noch gelungen, "unter erschwerten Bedingungen" Unterschriften zu sammeln.45 Nur der NPD-Landesverband Berlin wurde wegen eines Formfehlers nicht zur Wahl zugelassen. ** "Große Wahlkampfauftaktveranstaltung" der NPD in Riesa/Sachsen Bei der Wahlkampfauftaktveranstaltung der NPD am 22. Juli 2017 in Riesa mit - nach eigenen Angaben - etwa 450 Teilnehmern trat u. a. der hiesige NPD-Spitzenkandidat Udo Pastörs als Redner auf. In seiner Rede sagte er denen, "die unsere Existenz als Nation, als ethnische Gruppe, als kulturell gewachsene Einheit vernichten wollen", einen "harten Kampf" an, egal was gegen die NPD unternommen werde. Wenn das Volk als "Abstammungsgemeinschaft" überleben wolle, brauche es "wenn das deutsche Volk aufgewacht ist", Gesetze, zu denen es keine Alternative gebe. Es folgten die üblichen Ausführungen zu den "gleichgeschalteten Medien" ("Lügenpresse", "Schmeißfliegenpresse", "Versiffungsindustrie von ARD und ZDF") und zur Exekutive als "verbrecherische Elite". Als Strategie zeigte Pastörs auf, dass es gelte, herauszufiltern, welche Informationen dem "physischen biologischen Erhalt", der "identitären unendlich vererbbaren genetisch bedingten Fortpflanzungskette" der "euro44 Facebook-Seite des NPD-Bundesverbandes: "Hilf uns, an der Wahl teilzunehmen!" vom 13.04.2017, abgerufen am 18.04.2017 45 Internetseite der NPD: "Grandioser Endspurt: NPD tritt flächendeckend zur Bundestagswahl an" vom 17.07.2017, abgerufen am 18.07.2017 -- 59 -- päische Ethnie, der Weißen des Abendlandes" dienlich seien. Jedes Volk habe ein Recht auf Erhalt der Identität als "kultureller und ethnischer Eigenwert", ansonsten drohten die Völker durch "Überfremdung" unterzugehen.46 In einem Ausblick auf den anstehenden Wahlkampf wurden vom NPD-Parteivorsitzenden Frank Franz die neuen Plakatentwürfe vorgestellt, die von "NAFRI-Gewalt bis hin zum Lutherjahr und Asyllobby" über ein "hohes, aber wohl kalkuliertes Provokationspotential" verfügen würden.47 Die Rede von Pastörs zeigte, dass die NPD weiterhin an der vom Bundesverfassungsgericht als verfassungsfeindlich eingestuften Parteilinie festhält. ** Wahlkampf in Mecklenburg-Vorpommern Die NPD stellte im sozialen Netzwerk Facebook die Plakate zur Bundestagswahl mit den dahinterstehenden Forderungen (z. B. Rückführungsstatt Einwanderungsgesetze, Einführung einer Migrationsabgabe für Unternehmen, die nichteuropäische Ausländer in Deutschland beschäftigen, Wiedereinführung von Grenzkontrollen, verstärkte Überwachung von Moscheen und islamischen Vereinen) nochmals ausführlich vor. 46 "Udo Pastörs - Auftakt zur Bundestagswahl 2017", veröffentlicht auf www.youtube.com, abgerufen am 05.12.2017 47 Internetseite der NPD: "Wenn ihr Wind sät, werden wir Sturm sein!" vom 24.07.2017, abgerufen am 25.07.2017 -- 60 -- Im Rahmen einer Interviewreihe "3 Fragen - 1 Meinung" wurde die neugewählte Bundesvorsitzende der NPD-Frauenorganisation "Ring Nationaler Frauen" (RNF) aus Mecklenburg-Vorpommern befragt. Diese bezeichnete sich als "Gegnerin des Genders", da sie "neben der politischen Aktivistin auch noch Frau und Mutter" sei und dann gehöre - wie "Kultur, Heimat und Vaterland" - auch die "Hausfrauenrolle" dazu. Dies sei von der Natur so vorgesehen. Frauen müssten den "politischen Kampf und den 'Kampf' zu Hause zeitgleich führen". Der RNF, für den das Parteiprogramm der NPD an erster Stelle stehe, werde die NPD im Bundestagswahlkampf "tatkräftig und gewissenhaft" unterstützen und "aktiv Infotische betreuen, eigene Flugblätter verteilen" und sich an Demonstrationen bzw. öffentlichen Versammlungen beteiligen.48 Dies ist in dieser Form jedoch nicht eingetreten. Im Internet zeigten sich lediglich einzelne NPD-Funktionäre - nach eigenen Angaben "voll motiviert" - beim Aufhängen von Wahlplakaten der NPD, die teilweise bereits beim letzten Landtagswahlkampf verwendet worden waren. Zudem wurden in mehreren Landkreisen Wahlkampfzeitungen (Sonderausgabe der "Deutschen Stimme" zur Bundestagswahl) verteilt. Auch seitens des NPD-Kreisverbandes Nordvorpommern wurde zumindest behauptet, dass der Wahlkampf nunmehr "auf Hochtouren" laufe und Plakate aufgehängt sowie Sonderausgaben der "Deutsche Stimme" verteilt wurden.49 Die JN Pommern verteilten in der zweiten Augustwoche 2017 in den Gemeinden Usedoms nach eigenen Angaben "mehrere hundert Flugblätter" der Kampagne "Antikapitalismus von Rechts".50 Auch hierbei handelt es sich um eine ältere Kampagne der "Jungen Nationaldemokraten" (JN) aus dem Jahr 2015. Infostände der NPD in Mecklenburg-Vorpommern fanden zur Bundestagswahl 2017 nicht statt. Der Landesverband der NPD bot eine Woche vor der Wahl lediglich über seinen Mate48 Facebook-Seite der NPD vom 31.07.2017, abgerufen am 01.08.2017 49 Facebook-Seite des NPD-Kreisverbandes Nordvorpommern vom 28.08.2017, abgerufen am 29.08.2017 50 Facebook-Seite der JN Pommern vom 14.08.2017, abgerufen am 28.08.2017 -- 61 -- rialdienst "für alle Mecklenburger und Pommern" kostenfrei so genannte Nachbarschaftspakete an, bestehend aus 35 Sonderausgaben der "Deutschen Stimme" und diversen Aufklebern, um gegebenenfalls noch Wahlkampf zu betreiben. Diese waren zuletzt angeblich "restlos vergriffen".51 Über den Bundesverband der NPD konnte das Flugblatt "NPD wählen - Für ein Europa ohne EU" ausgedruckt werden, um in den letzten Tagen vor der Bundestagswahl noch einmal in der Nachbarschaft "für die Forderungen und Ziele der sozialen Heimatpartei" zu werben.52 Inhaltlich setzte der NPD-Bundesverband seinen Schwerpunkt, wie bereits erwähnt, auf den "Erhalt der deutschen Identität". Auch die Verschwörungstheorie des angeblichen "Hooton-Plans - Massenmigration als Waffe gegen das deutsche Volk" wurde wie schon im Jahr 2015 erneut bemüht: "1. Dem Deutschen das Nationalgefühl nehmen. 2. Die Geburtenzahl der Deutschen reduzieren. 3. Millionen von Ausländern nach Deutschland lassen. 4. Unter den Ausländern sollen möglichst viele Männer sein!"53 2.11.1.4 Ergebnis der NPD bei der Bundestagswahl am 24. September 2017 Die NPD kam bei der Bundestagswahl am 24. September 2017 bei den Zweitstimmen auf rund 0,4 % und verlor damit gegenüber der letzten Bundestagswahl im Jahr 2013 0,9 %. Selbst in Mecklenburg-Vorpommern war nur noch ein Ergebnis von 1,1 % (10.418 Stimmen gegenüber 23.728 Stimmen bei der letzten Bundestagswahl 2013) zu verzeichnen. Dies entspricht einem Minus von 1,6 %. Die in den letzten Jahren relativ stabile Stammwählerschaft von ca. 3 % hat sich damit mehr als halbiert. Das NPD-Parteipräsidium gab am 25. September 2017 im Inter51 Facebook-Seite des NPD-Landesverbandes vom 14. und 19.09.2017, abgerufen am 20.09.2017 52 Facebook-Seite der NPD vom 15.09.2017, abgerufen am 18.09.2017 53 Facebook-Seite der NPD vom 15.09.2017, abgerufen am 15.09.2017 -- 62 -- net eine Erklärung zum Ausgang der Bundestagswahl ab. Das Wahlergebnis sei enttäuschend und das Wahlziel "untertroffen" worden. Die AfD habe "alles aufgesogen, was möglich war", weil es momentan "angesagt" sei, "bei dem vor allem auch von den Medien inszenierten 'Hype' dabei zu sein". Zur zukünftigen Ausrichtung der NPD wurde angemerkt, dass sich die NPD im "Kampf um Wählerstimmen" als "radikal soziale und nationale außerparlamentarische Opposition präsentieren" müsse. Die NPD müsse "vor Ort", beispielsweise über die kommunalen Mandatsträger, "als politischer Faktor wirken". Das Projekt "Deutsche helfen Deutschen", das bereits in einzelnen Bundesländern umgesetzt werde, sei hier ein "guter Anfang". Die NPD müsse deutlicher ihre "politischen Alleinstellungsmerkmale herausarbeiten" und wolle - wahlstrategisch betrachtet - insbesondere das Jahr 2019 mit den Kommunalwahlen in acht Bundesländern, der Europawahl und den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg in den Blick nehmen. Der Rückgang des Stimmenanteils in Mecklenburg-Vorpommern, der im Vergleich mit anderen Bundesländern immer noch überdurchschnittlich ist, kann auf verschiedene Ursachen zurückgeführt werden. So war der NPD-Landesverband seit der Landtagswahl 2016 weitgehend inaktiv und damit kaum sichtbar. Schließlich könnte das Urteil des Bundesverfassungsgerichts im NPD-Verbotsverfahren, in dem die Partei als verfassungsfeindlich bezeichnet wurde, unsichere Wähler von einem Votum für die NPD abgehalten haben. Vorstellbar sind zudem Wahlverweigerungen und Stimmenverlagerungen innerhalb des "rechts" zu verortenden Wählerpotenzials. 2.11.1.5 Ideologie der NPD/Haltung zu aktuellen politischen Themen und Organisationen ** Haltung der NPD zur "Reichsbürgerszene" Der NPD-Parteivorstand, dem aus Mecklenburg-Vorpommern der NPD-Landesvorsitzende Stefan Köster angehört, äußerte sich in seiner Publikation "Nachrichten aus der Parteizentrale" in Ausgabe 18 zur "Reichsbürgerbewegung". Die Behauptung, -- 63 -- dass die Bundesrepublik Deutschland kein Staat, sondern eine eingetragene GmbH sei, werde von der NPD nicht geteilt. Die Bundesrepublik könne zwar nach Auffassung der NPD derzeit nicht als vollständig souveräner Staat bezeichnet werden, sei aber rechtlich gesehen ein Staat mit einem Staatsgebiet, einem Staatsvolk und einer wirksamen Staatsgewalt. Auch geltende Gesetze seien vorhanden und sollten beachtet werden. Die NPD empfahl, nicht auf Einflüsse von Personen hereinzufallen, "die sich ihr Rechtssystem selbst ausgedacht haben" und beispielsweise als "kommissarischer Reichskanzler" gegen Bezahlung Ersatzpapiere anbieten. Es sei sinnvoller, "sich tatkräftig für die Veränderung der bestehenden Verhältnisse und für die Wiederherstellung der vollen Souveränität Deutschlands einzusetzen".54 ** Haltung der NPD zur US-amerikanischen Politik und zu Russland In der Ausgabe 04/2017 der NPD-Publikation "Deutsche Stimme" wurde berichtet, dass die Versuche des US-Präsidenten zur Umsetzung der Wahlkampfversprechen per Dekret (Einreisestopp für mehrere Länder des islamischen Kulturkreises, Ausweisung von drei Millionen illegal eingereister Ausländer) "für deutsche Nationalisten gute Argumentationsmuster" böten. Wenn die USA als klassisches Einwanderungsland den Zuzug von Flüchtlingen aus Syrien komplett aussetzen würde, sei eine entsprechende Forderung für Deutschland nicht von der Hand zu weisen. Allerdings hätte die Aufhebung der Präsidenten-Dekrete durch "linksliberale Apologeten" in den Gerichten gezeigt, dass "ein grundlegender politischer Wandel in einem Land nur durch den breitangelegten Austausch der oberen und mittleren Führungsebenen in Justiz, Verwaltung und im Sicherheitsbereich möglich" sei. Im Weiteren kritisiert die NPD die pro-israelische Politik der US-Administration mit einer deutlich erkennbaren antisemitischen Argumentation.55 54 "Mitteilungen aus der Rechtsabteilung - 'Reichsbürgerbewegung'", Ausgabe 18 55 Safet Babic: "Welchen Weg geht Trump?", Deutsche Stimme Ausgabe 04/2017, Seite 9 -- 64 -- Dass Antisemitismus ein wesentliches Strukturelement der Parteiideologie der NPD ist, auch wenn er im Parteiprogramm nicht offen zutage tritt, wurde u. a. im Rahmen der Beweisführung und Urteilsbegründung zum NPD-Verbotsverfahren gezeigt (vgl. Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 17. Januar 2017, Az.: 2 BvB 1/13, Rz. 52, 598). Der von US-amerikanischen Kreisen vertretene "Konservatismus" dürfte zwar Befürworter auch in Reihen der NPD finden, die beschriebene pro-jüdische Haltung ist jedoch unvereinbar mit dem geschlossenen rechtsextremistischen Weltbild der NPD. Darüber hinaus wird die fehlende "nationale Souveränität" Deutschlands aufgrund einer "dauerhaften Abhängigkeit Europas von den USA" moniert, weshalb der "amerikanische Liberalismus" als Feindbild der NPD auch unter dem jetzigen Präsidenten bestehen bleibt. Gegenüber Russland und Osteuropa ("Eurasien") zeigte die NPD demgegenüber weiterhin eine positive Haltung.So äußerte sich der 56 Vorsitzende der NPD-Kreistagsfraktion Vorpommern-Greifswald Michael Andrejewski positiv über eine Gesetzesänderung in Russland, wonach sich ausländische Medien - besonders die US-amerikanischen - als Agenten registrieren lassen müssen. Andrejewski sieht diese Einschränkung der Pressefreiheit positiv und forderte ähnliche Einschränkungen für "israelische Medien" sowie "BRD-Medienhäuser, die nach 1945 dank alliierter Lizenzen, alliiertem Wohlwollen und alliiertem Geld groß geworden" seien. Auch diese seien nichts anderes als "ausländische Agenten".57 56 Ronny Zasowk: "Wir wollen nicht länger Vasallen fremder Mächte sein!" vom 12.06.2017, veröffentlicht auf www.npd.de, abgerufen am 13.06.2017 57 Facebook-Seite "Rechtsanwaltskanzlei Michael Andrejewski" vom 15.11.2017, abgerufen am 21.11.2017 -- 65 -- 2.11.1.6 "Junge Nationaldemokraten" (JN) Die Jugendorganisation der NPD "Junge Nationaldemokraten" (JN) nahm das Treffen der Regierungschefs der G20-Staaten in Hamburg zum Anlass, ihre Ablehnung der "internationalistischen Politik", die besonders in der "Einschleusung von Fremdländern, dem Schüren von antideutschem Hass und der grundsätzlichen Bekämpfung von Nationalstaaten" zum Ausdruck käme, deutlich zu machen. Um sich gegenüber den "Herrschenden, welche nur im Sinne der Wirtschaft und des Profits und nicht im Sinne des Volkes" handeln würden, Gehör zu verschaffen, hätte der Hamburger NPD-Landesvorstand beschlossen, "sich an geeigneten Demonstrationen erkennbar zu beteiligen". Geplant sei, so hieß es im Vorfeld, ein eigener Block des NPD-Landesverbandes Hamburg "mit NPD-Plakaten und den deutschen Farben". Es gelte, Stellung zu beziehen gegen die "Macht multinationaler Konzerne", die immer mehr die Richtlinien der Politik bestimmen würden und die Vorreiter einer "multinationalen Gesellschaft" seien. Erkenntnisse über die Beteiligung von NPD-Strukturen an den Protesten sind jedoch nicht angefallen. 58 Im Land Mecklenburg-Vorpommern haben nur die "Jungen Nationaldemokraten Pommern" (JN Pommern) Aktivitäten entfaltet. Sie nahmen nach eigenen Angaben an der jährlich am 13. Juli stattfindenden bundesweiten Aktion der neonazistischen Szene "Aktion schwarze Kreuze" teil, bei der den "deutschen Opfern ausländischer Täter" gedacht werden soll. In Ahlbeck auf Usedom stellten sie sechs schwarze Kreuze mit den Aufschriften "Deutsche 58 Internetseite der JN:"G20-Protest gegen Globalisierung und Ausbeutung" vom 01.07.2017, abgerufen am 03.07.2017 -- 66 -- Opfer - Fremde Täter - Wir gedenken 2017" auf und setzten damit "ein sichtbares Zeichen um an die tausenden Morde von Ausländern an deutschen Bürgern seit 1990 zu erinnern".59 Mitglieder der JN Pommern verteilten außerdem auf Usedom - u. a. in Ückeritz und Zempin - Infomaterial zur Bundestagswahl. In diesen Orten sei, so die JN, "keine Wahlwerbung der etablierten Versagerparteien oder diverser Scheinalternativen zu sehen" gewesen.60 Der Bundesverband der JN baute zudem die Zusammenarbeit auf europäischer Ebene aus. Die JN, die sich zeitweilig auch wieder "die identitäre Jugend" nannte bzw. darauf hinwies, "seit 1969 identitär"61 zu sein, hat nach einem erstinstanzlichen Verbot des finnischen Ablegers der "Nordischen Widerstandsbewegung" ("Nordic Resistance Movement") seine Solidarität mit den Betroffenen bekundet. 59 Facebook-Seite der JN Pommern vom 13.07.2017, abgerufen am 17.07.2017 60 Facebook-Seite der JN Pommern vom 29.08.2017, abgerufen am 05.09.2017 61 Facebook-Seite der JN Pommern vom 26.11.2017, abgerufen am 27.11.2017 -- 67 -- Eine JN-Delegation nahm nach eigenen Angaben an einer Demonstration der "Nordischen Widerstandsbewegung" am 6. Dezember 2017 in Helsinki/Finnland teil. An dieser Demonstration war u. a. auch "Blood & Honour Finnland" beteiligt, deren deutscher Ableger in Deutschland seit dem Jahr 2000 verboten ist. 62 2.11.1.7 NPD-Frauenorganisation "Ring Nationaler Frauen" (RNF) Am 27. Mai 2017 fand ab 13 Uhr in Pirmasens (Rheinland-Pfalz) der Bundeskongress des "Rings Nationaler Frauen" (RNF) mit Vorstandswahlen statt. Als neue RNF-Bundesvorsitzende wurde die hiesige RNF-Landesvorsitzende Antje Mentzel aus Lübtheen gewählt. Mentzel zählte in den letzten Jahren zu den aktivsten Rechtsextremistinnen im Land und übernahm in der Vergangenheit bereits maßgebliche Verantwortung für MVGIDA sowie die rechtsextremistische Facebookinitiative "Ein Volk hilft sich selbst". Abgesehen von vereinzelter Wahlkampfunterstützung (Verteilung von Wahlkampfmaterialien) zeigte der RNF im Land jedoch keine Aktivitäten. 62 Facebook-Seite der JN: "JN in Finnland! Solidarität ist mehr als ein Wort!" vom 08.12.2017, abgerufen am 11.12.2017 -- 68 -- 2.11.2 Sonstige rechtsextremistische Parteien 2.11.2.1 "Die Rechte" Im Rahmen eines bereits zum achten Mal seit Gründung am 28. Oktober 2017 durchgeführten turnusgemäßen Bundesparteitags der Partei "Die Rechte" in Dortmund wurde der bisherige Parteivorsitzende Christian Worch aus Mecklenburg-Vorpommern zwar als Bundesvorsitzender zunächst mit 78,4 % der gültigen Stimmen wiedergewählt. Aufgrund von programmatischen Auseinandersetzungen legte Worch jedoch kurze Zeit darauf zunächst das Tagungspräsidium und einen Tag später auch den Parteivorsitz nieder. "Die Rechte" hat nunmehr ihren Sitz nicht mehr in Parchim, sondern am Wohnsitz des Bundesvorsitzenden in Dortmund. 2.11.2.2 "Der Dritte Weg" Aktivitäten der Partei "Der III. Weg" in Mecklenburg-Vorpommern sind bislang nur vereinzelt bekannt geworden. Mittlerweile ist davon auszugehen, dass die Partei über Einzelmitglieder mit Wohnsitz in Mecklenburg-Vorpommern verfügt, die organisatorisch 2017 dem "Stützpunkt Uckermark" in Brandenburg angehörten. -- 69 -- 3 "Identitäre Bewegung Deutschland" (IBD) und "Identitäre Bewegung Mecklenburg-Vorpommern" (IBMV) als rechtsextremistischer Verdachtsfall Die "Identitäre Bewegung Deutschland" (IBD) wurde auch im Jahre 2017 bundesseitig weiterhin nur als Verdachtsfall beobachtet, da bislang nicht belastbar festgestellt werden konnte, dass die IBD eine Bestrebung darstellt, die zielgerichtet gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet und deshalb eine dauerhafte Beobachtung erforderlich ist. Insbesondere konnten auch in Mecklenburg-Vorpommern keine schwerwiegenden politischen Straftaten registriert werden. Festgestellt wurden verschiedene Aktionen, die allerdings grundsätzlich von den Grundrechten der Meinungsfreiheit und der Versammlungsfreiheit (Artikel 5 und Artikel 8 GG) gedeckt sind. Insofern sind die Verfassungsschutzbehörden entsprechend ihrem verfassungsmäßigen und gesetzlichen Auftrag verpflichtet, dies - auch gegen wiederkehrende anders lautende öffentliche Zuschreibungen - zu verdeutlichen. Die Kritik an der Zuwanderungspolitik und deren Folgen stellt jedenfalls per se keine beobachtungsfähige Verhaltensweise dar, solange damit nicht eine grundsätzliche gegen den demokratischen Verfassungsstaat gerichtete und auf dessen Beseitigung ausgelegte Ideologie und entsprechende Aktivitäten einhergehen.63 Dennoch darf nicht verkannt werden, dass die ideologische Ausrichtung der IBD durchaus auch Fragen aufwirft, die weiterhin eine Beobachtung durch die Verfassungsschutzbehörden in Bund und Ländern, zumindest bis zur Klärung der Verdachtssituation, rechtfertigen.64 Für Mecklenburg-Vorpommern kommt in diesem Zusammenhang hinzu, dass namhafte Mitglieder und Aktivisten der IBD hier beheimatet sind und von hier aus ihre Aktivitäten entfalten. Die IBD wurde im Oktober 2012 auf der Internetplattform Facebook gegründet und stellt sich als deutscher Ableger der franzö63 Dieser Maßstab gilt für alle Bereiche des politischen Extremismus. 64 Die IBD ist seit August 2016 bundesseitig und damit auch in Mecklenburg-Vorpommern als rechtsextremistischer Verdachtsfall eingestuft. -- 70 -- sischen "Generation Identitaire" dar. Während sie sich zu Beginn als ein rein virtuelles Phänomen zeigte, ist sie mittlerweile eine in der Öffentlichkeit auftretende aktionistisch geprägte Organisation, die sich primär als außerparlamentarische Opposition versteht. Seit Mai 2014 ist die IBD beim Amtsgericht Paderborn (Nordrhein-Westfalen) als eingetragener Verein registriert. Einen organisatorischen Schwerpunkt hat der Verein aktuell in Rostock. Von dort stammt der zweite Bundesvorsitzende der IBD, der auch verantwortlich für die Internetseite sowie den Facebook-Auftritt der IBD zeichnet. Die "Identitäre Bewegung Mecklenburg-Vorpommern" (IBMV) verfügt über Ortsgruppen in den Hansestädten Rostock, Stralsund und Greifswald. Dem festen Mitgliederstamm der IBMV sind etwa 20 Personen zuzurechnen. Aktivisten der IBMV sind mitverantwortlich für den Versandhandel der IBD und deren Kommunikationsinfrastruktur. Die IBMV nutzte für ihre Aktivitäten auch das Ideologieprojekt "Kontrakultur" und offenbar hauptsächlich für logistische Zwecke den Verein "Heimwärts e.V.", der seinen Sitz ebenfalls in Rostock hat. Die IBD stützt sich ideologisch auf die Gedankenwelt der "Konservativen Revolution"65, die ein elitäres Staatssystem anstrebt und die westlich-liberale Gesellschaftsform ablehnt. So bezieht sich die IBD aktuell auf den russischen Soziologen Alexander Dugin66 und dessen "Vierte Politische Ideologie". Dugin spricht sich in seinem gleichnamigen Werk für einen "globalen Feldzug gegen die USA, den Westen, die Globalisierung und deren politisch-ideologischen Ausdruck, den Liberalismus" aus.67 68 Auch Dugin reflektiert die ideologischen Vorstellungen der "Konservativen Revolution". Etwa wenn er den Vertreter dieser Denkrichtung Arthur Moeller van den Bruck (1876-1925) mit den Worten zitiert: "Frühere Konservative haben versucht die Revolution aufzuhalten, aber wir müssen sie führen".69 65 Vgl. hierzu den Verfassungsschutzbericht Mecklenburg-Vorpommern 2016, S. 79 ff. 66 Vgl. Internetseite der IBD: "Nationalismus revisited - Teil 4, abgerufen am 21.07.2017 und "Warum wir Identitäre nicht nationalistisch sind! - Liberalismus stoppen und der Globalisierung entgegentreten", abgerufen am 21.07.2017 67 Dugin, Alexander: Die Vierte Politische Theorie, London: Arktos Media 2013, S. 168 68 Vgl. hierzu auch Halbach, Uwe: Russland im Wertekampf gegen den "Westen", in: SWPAktuell 43, Juni 2014 69 a. a. O., S. 101 f. -- 71 -- Ein weiteres wichtiges Ideologem der IBD ist der "Ethnopluralismus". Darunter versteht die IBD eine "Vielfalt der Völker" die einer "One-World-Doktrin" entgegengestellt wird. Dieses Konstrukt postuliert ein "Recht auf Verschiedenheit" und das Recht, die eigene Kultur zu erhalten.70 Diese Feststellungen werden bei vielen Menschen kaum auf Widerspruch stoßen und die Frage aufwerfen, was daran mit den Werten unseres Grundgesetzes nicht vereinbar sein soll. Diese Frage ist in der Tat nicht leicht zu beantworten, da die IBD das "Deutschsein" nicht aus einer biologischen Wurzel herleitet, wie etwa die NPD, die eine eindeutig biologistische Position vertritt, die nach dem Urteil des Bundesverfassungsgericht im letzten NPD-Verbotsverfahren verfassungsfeindlich ist. Die IBD stellt auf eine kulturelle Basis ab. Sie verbindet die Begriffe "Ethnie" (griech.: Volksstamm) und Kultur zu einer "ethnokulturellen Identität", die eine Zuordnung von Menschen zu einem Kollektiv von einer ähnlich unveränderlichen Voraussetzung abhängig macht wie eine biologische Herkunft. So stellt die IBD Folgendes fest: "Ethnokulturell kann sich allerdings niemand per Unterschrift zum Deutschen machen lassen."71 Dabei geht die IBD davon aus, dass Gemeinschaften, die sich auf "ethnisch-kulturelle Voraussetzungen" gründen, stabiler sind als andere. Daher fordert sie eine "Kulturevolution", die den "Wert organischer Gemeinschaften"72 deutlich werden lässt. In der Konsequenz bedeutet dies, dass die IBD das Ideal einer kulturell homogenen Gesellschaft in Deutschland anstrebt. Vor diesem Hintergrund muss sich die IBD die Frage stellen lassen, wie sie ihr "Ideal" erreichen will, ohne Ausgrenzungsprozesse einleiten zu müssen, die mit dem Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes (Artikel 3 GG) kollidieren könnten. Insoweit ist eine weitere Beobachtung der IBD/IBMV als rechtextremistischer Verdachtsfall gerechtfertigt. Die IBD sieht sich jedoch zu Unrecht der Beobachtung durch die Sicherheitsbehörden ausgesetzt und hat im Oktober 2017 Klage 70 Internetseite der IBD: Was ist unter dem Begriff "Ethnopluralismus" zu verstehen?", abgerufen am 21.07.2017 71 Internetseite der IBD: Nationalismus vs. ethnokulturelle Identität, abgerufen am 21.07.2018 72 Ebd. -- 72 -- gegen den Bundesminister des Innern eingereicht, um zu erreichen, dass die Nennung der IBD im Verfassungsschutzbericht des Bundes unterbleibt und die Beobachtung eingestellt wird. Das Verfahren ist noch nicht abgeschlossen. In Mecklenburg-Vorpommern führte die IBD 2017 eine Reihe von Propagandaaktionen durch, die sich entsprechend ihrer Zielsetzung gegen die Zuwanderung richteten. Dabei kam es vereinzelt zu Rechtsverstößen, etwa gegen das Versammlungsrecht. In diesem Zusammenhang sind als plakative Aktionen mit entsprechender medialer Aufmerksamkeit zu nennen: ** "Defend Europe": Die IB charterte ein Schiff, mit dem Menschen in Not gerettet, aber an die afrikanische Küste zurückgebracht werden sollten. Der zweite Bundesvorsitzende aus Mecklenburg-Vorpommern trat hierbei zeitweise als Sprecher der Aktion öffentlich in Erscheinung. Der "Crew" des Schiffes gehörte mindestens ein weiterer IB-Aktivist aus Mecklenburg-Vorpommern an. Für die Kampagne im Mittelmeer konnte die IBD nach eigenen Angaben in relativ kurzer Zeit Spenden in Höhe von über 100.000 Euro generieren. Allerdings wurde die Aktion nach dem erwünschten Propagandaeffekt rasch wieder eingestellt. ** Am 17. Juli 2017 stellte die IB ein ausgebranntes Auto vor die Staatskanzlei in Schwerin. Damit sollte ein Bezug zu den linksextremistischen Ausschreitungen anlässlich des G20-Gipfels hergestellt werden. -- 73 -- 4 "Reichsbürger und Selbstverwalter" 4.1 Lageüberblick Im Berichtszeitraum wurde die Aufklärung des Extremismusfeldes "Reichsbürger und Selbstverwalter" durch den Verfassungsschutz des Landes fortgesetzt.73 Die dabei gewonnenen Erkenntnisse zeigen, dass diese Szene offenbar wächst und sich zunehmend organisiert. So wird für das Jahr 2017 von einem Personenpotenzial von etwa 350 ausgegangen. Auch war häufig eine erhebliche Aggressivität und insbesondere eine Affinität zu Waffen festzustellen. Jedoch ist weiterhin keine konsistente Ideologie erkennbar, so dass der Verfassungsschutzverbund trotz partieller Überschneidungen mit dem Rechtsextremismus unverändert von einem Extremismus eigener Art ausgeht. Fortgesetzt wurden auch die Bemühungen zur Eindämmung des von diesem Personenkreis ausgehenden Gefahrenpotenzials. Hierzu gehört insbesondere die von der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder (IMK) geforderte Unterbindung des legalen Waffenbesitzes. Zur Umsetzung dieses Beschlusses hat das Ministerium für Inneres und Europa Mecklenburg-Vorpommern am 18. Juli 2017 einen "Erlass zur waffenrechtlichen Unzuverlässigkeit von Reichsbürgern und Selbstverwaltern" herausgegeben. In diesem wird festgestellt, dass die für die Szene typische Ablehnung der Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland im Widerspruch zu den waffenrechtlichen Anforderungen an die Zuverlässigkeit steht. Daher muss eine nachgewiesene Zugehörigkeit zu dieser Szene zum Entzug einer waffenrechtlichen Erlaubnis führen. Daraufhin wurden entsprechende Entzugsverfahren eingeleitet. Darüber hinaus hat der Verfassungsschutz des Landes seine Schulungsmaßnahmen zum Umgang mit "Reichsbürgern und Selbstverwaltern" - insbesondere im behördlichen Bereich - in73 Vgl. Verfassungsschutzbericht Mecklenburg-Vorpommern 2016, S. 82 ff. -- 74 -- tensiv fortgesetzt. Dies dient ganz entscheidend der Handlungssicherheit vor Ort. 4.2 Ideologie der "Reichsbürger und Selbstverwalter" Die Ideologie der "Reichsbürger und Selbstverwalter" weist kein geschlossenes Weltbild auf und ist u. a. durch folgende Merkmale geprägt: ** die Bundesrepublik ist nicht Rechtsnachfolger des Deutschen Reiches, ** die Bundesrepublik ist nicht souverän, ** alle Deutschen sind "staatenlos", da nach der Abdankung des Kaisers 1918 kein neuer deutscher Staat gegründet worden ist, ** das Grundgesetz ist keine Verfassung, ** die Bundesrepublik ist kein Staat, sondern eine Firma ("BRDGmbH") und die Bürger sind das "Personal" dieser Firma und ** verschiedene andere Verschwörungstheorien (z. B. "Chemtrails" zur angeblich gezielten Bevölkerungsreduzierung). Die verschwörungstheoretischen Vorstellungen sind keiner rationalen Argumentation zugänglich. Eine inhaltliche Auseinandersetzung mit "Reichsbürgern und Selbstverwaltern" ist daher nicht ohne Weiteres möglich. 4.3 Handlungsweisen Typische Verhaltensweisen von "Reichsbürgern und Selbstverwaltern" sind u.a. ** Rückgabe von Ausweispapieren, ** Verweigerung von Abgaben, Gebühren, Steuern oder Bußgeldzahlungen, ** Beantragung von Staatsangehörigkeitsausweisen, ** zum Teil gewalttätige Widerstandshandlungen gegen staatliche Maßnahmen, ** Nachbildung staatlicher Strukturen ("Reichsregierungen", "Königreiche") inklusive der Vergabe fiktiver Ämter in diesem Zusammenhang, -- 75 -- ** Verkauf und Herstellung von Fantasiedokumenten (z.B. "Reichsführerschein"), ** "Überflutung" von Behörden mit einer Vielzahl von Dokumenten, wie das Versenden von "Erlassen" oder "Verfügungen" und ** die Einhegung des eigenen "Staatsgebietes" (z. B. das Umranden des eigenen Grundstückes mit einer gelben Linie, meist bei "Selbstverwaltern"). Vereinzelt sind mit den einschlägigen Aktivitäten auch Bereicherungsabsichten verbunden, etwa durch die Erhebung von hohen Vortragshonoraren, dem Angebot von Rechtsberatungen und "universitären" Ausbildungen, etwa zu "Standesbeamten". 4.4 Strukturen der "Reichsbürger und Selbstverwalter" in Mecklenburg-Vorpommern Auch in Mecklenburg-Vorpommern sind Tendenzen zu einer Organisierung der Szene erkennbar. Im Berichtszeitraum konnten Aktivitäten folgender Gruppierungen festgestellt werden: ** "Freistaat Preußen" (Provinzverwaltung Pommern) mit Sitz in Demmin Landkreis Mecklenburgische Seenplatte), ** "Staatenlos.Info - Comedian e.V." mit Landessitz in Püttelkow (Landkreis Ludwigslust-Parchim), ** "Geeinte deutsche Völker und Stämme" (GdVuSt) mit Haupt74 sitz in Berlin und Aktivisten in Mecklenburg-Vorpommern. Gerade die Vorstellungen von "Staatenlos.Info - Comedian e.V." zeigen, dass eine vielfach in der Öffentlichkeit vorgenommene pauschale Zuordnung dieses Phänomenbereichs zum Rechtsextremismus die notwendige Differenziertheit vermissen lässt. So 74 Quelle: Briefkopf eines Schreibens an eine Kommunalbehörde aus dem August 2017 -- 76 -- fordert diese Gruppierung u. a. "die Befreiung von Deutschland und Europa aus der faschistischen Gesinnungsdiktatur"75 und stellt dabei eine große Nähe zu Russland her, das 76 bei der Erreichung dieses speziellen Zieles offenbar als Verbündeter gesehen wird. Dabei geht die Gruppierung davon aus, dass die deutsche Staatsbürgerschaft schon lange beseitigt worden wäre und die Bundesrepublik sich nur alter faschistischer Staatsstrukturen bedienen, aber in der Konsequenz nicht bestehen würde Die Vielfältigkeit der ideologischen Ansätze zeigt sich auch bei den "GdVuST", die die die Existenz der Bundesrepublik im Unterschied zu den anderen "Reichsbürgern und Selbstverwaltern" nicht leugnen, diese aber abschaffen will. Sie gehen davon aus, dass die Bundesrepublik ein Staatengebilde unterer Wertigkeit ist und jederzeit durch ein Staatsgebilde höherer Wertigkeit ersetzt werden kann. Dafür "reaktivieren" sie die aus ihrer Sicht bestehenden alten "natürlichen" Gebietskörperschaften, um einen neuen Staat schaffen zu können. Vertreter dieser Gruppierung treten besonders aggressiv auf. 75 Flyer auf der Internetseite von "Staatenlos.Info", abgerufen am 06.03.2018 76 Foto: Christian Ohde, picture alliance -- 77 -- 5 Linksextremismus 5.1 Lageüberblick Linksextremisten sind bestrebt, unsere Staatsund Gesellschaftsordnung - und damit auch die freiheitliche demokratische Grundordnung - abzuschaffen und je nach Ausrichtung, durch ein kommunistisches oder herrschaftsfreies System zu ersetzen. Gemeinsame Grundlage ist die Ablehnung des Kapitalismus, welcher nach linksextremistischem Verständnis nicht nur als Wirtschaftsform, sondern als Wurzel von sozialer Ungerechtigkeit, Rassismus, Kriegen und Umweltzerstörung gilt. Gesellschaftliche Konflikte und Protestaktionen, die an sich keine typischen linksextremistischen Themen darstellen, werden häufig genutzt, um für linksextremistische Positionen zu werben. Aktionsschwerpunkt der linksextremistischen Szene im Jahr 2017 war das jährliche Treffen der Staatsund Regierungschefs der "Gruppe der 20 wichtigsten Industrieund Schwellenländer" (G20), welches am 7. und 8. Juli 2017 in Hamburg stattfand. Bundesweit mobilisierten nahezu sämtliche linksextremistische Gruppierungen der verschiedenen ideologischen Strömungen gegen den G20-Gipfel. Die Koordination der bundesweiten Mobilisierung und die Initialisierung der bundesweiten Kampagnen im G20-Kontext erfolgten maßgeblich durch das Aktionsbündnis "NoG20". Dieses Bündnis legte in speziellen Arbeitsgruppen die Grundzüge der Aktionsplanung und Protestchoreographie fest. In Mecklenburg-Vorpommern gründete sich dazu im März 2017 ein regionales "NoG20 MV"-Bündnis, das von der linksextremistischen Organisation "Interventionistische Linke Ortsgruppe Rostock" (IL Rostock) geführt wurde. Während der Proteste gegen den G20-Gipfel kam es zu gewalttätigen Ausschreitungen und Angriffen auf Polizeikräfte. Es wurden Barrikaden errichtet und angezündet sowie massive Sachbeschädigungen, unter anderem gegen Geschäfte und Fahrzeuge verübt; zudem fanden Plünderungen von Geschäften statt. -- 78 -- Die Reaktionen des linksextremistischen Spektrums auf die Gewaltexzesse bei den Protesten gegen den G20-Gipfel in Hamburg waren vielfältig. Insgesamt wurden die Proteste als Erfolg bewertet. Eine klare Distanzierung von der Gewalt erfolgte nur selten. Eine ausführliche Darstellung zur Rolle des gewaltbereiten Linksextremismus im Kontext des G20-Gipfels findet sich unter Abschnitt 5.3 dieses Jahresberichtes. Ein weiteres wichtiges Ereignis stellte die Bundestagswahl im September 2017 dar. Vor dem Hintergrund des Einzugs der "Alternative für Deutschland" (AfD) in den Deutschen Bundestag gab es zahlreiche Mobilisierungen gegen den AfD-Bundesparteitag am 2./3. Dezember 2017 in Hannover. In einem unmittelbar nach der Bundestagswahl veröffentlichten Aufruf der Kampagne "Nationalismus ist keine Alternative" (NIKA) wurden weitere Aktionen gegen die AfD angekündigt. Die AfD steht auch in Mecklenburg-Vorpommern bereits seit längerer Zeit aufgrund ihrer Positionierung zur Flüchtlingsthematik und ihrer aus linksextremistischer Sicht "rassistischen und faschistischen" Ausrichtung im Fokus linksextremistischer Agitation und Straftaten. 5.2 Linksextremismus in Mecklenburg-Vorpommern im Jahre 2017 Das Bild des deutschen Linksextremismus wird im Wesentlichen durch zwei Hauptströmungen geprägt: die aktionsorientierten Autonomen (= undogmatischer Linksextremismus) und die orthodoxen Kommunisten, die sich in Parteien und sonstigen Gruppierungen organisieren (= dogmatischer Linksextremismus). -- 79 -- 5.2.1 Personenpotenzial Personenpotenzial der linksextremistischen Organisationen 2017 in Mecklenburg-Vorpommern und bundesweit77 78 79 M-V M-V Bund Bund 2016 2017 2016 2017 Gewaltbereite Linksextremisten77 280 290 8.500 9.00078 Rote Hilfe e.V. 170 170 8.000 8.300 Deutsche Kommunistische Partei 40 40 3.000 3.000 (DKP) Marxistisch-Leninistische Partei 20 20 1.800 1.800 Deutschlands (MLPD) Sozialistische Alternative (SAV) 25 25 300 300 Sozialistische Deutsche Arbeiter10 10 750 750 jugend (SDAJ) Gesamt79 440 450 28.500 29.500 5.2.2 Linksextremistisch motivierte Straftaten Insgesamt wurden durch das Landeskriminalamt Mecklenburg-Vorpommern im Phänomenbereich "Links" 223 Straftaten (2016: 482) registriert. Dies entspricht einen Rückgang von 53,7 %.80 Die Zahl der linksextremistisch motivierten Straftaten ist dagegen von 64 im Jahre 2016 auf 76 im Jahr 2017 angestiegen. Den Schwerpunkt der politisch motivierten Straftaten "Links" bildeten in 2017 Sachbeschädigungen mit insgesamt 124 Fällen. Hier ist ein deutlicher Anstieg der Angriffe auf Parteibüros auffällig. Insgesamt wurden in diesem Zusammenhang 18 Straftaten registriert (2016: 3). 16 dieser Angriffe richteten sich gegen Büros der AfD. 77 Die Begriffe "gewaltbereite Linksextremisten" und "Autonome" werden weitgehend synonym verwendet. 78 Seit 2014 wird beim Bund die Anzahl gewaltorientierter Linksextremisten angegeben, in der die Zahl der gewaltbereiten Linksextremisten als Teilmenge enthalten ist. 79 Gesamtzahl von Mecklenburg-Vorpommern und Bund um Mehrfachmitgliedschaften bereinigt. Die Gesamtzahl des Bundes umfasst auch Organisationen, die in Mecklenburg-Vorpommern nicht vertreten sind bzw. nicht beobachtet werden. 80 Die deutlich höhere Zahl der politisch motivierten Straftaten in 2016 resultierte hauptsächlich aus den im September 2016 abgehaltenen Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern. -- 80 -- Im Jahr 2017 wurden 11 (2016: 24) linksextremistische Gewalttaten registriert. Dieser Rückgang ist insbesondere auf fehlende Konfrontationsmöglichkeiten im Rahmen von Demonstrationsveranstaltungen zurückzuführen. 5.3 Gefahr durch gewaltbereite Linksextremisten - das Beispiel des G20-Gipfels in Hamburg Vom 7. bis 8. Juli 2017 trafen sich die Staatsund Regierungschefs der zwanzig führenden Industrienationen (G20) in den Hamburger Messehallen zu ihrem jährlichen Gipfel. Das Treffen, aber auch die zahlreichen friedlichen Proteste und Gegenveranstaltungen, wurden durch eine Reihe massiver gewalttätiger Ausschreitungen deutscher und ausländischer Linksextremisten überschattet, die sich über den gesamten Zeitraum des Gipfeltreffens auf weite Teile des Hamburger Stadtgebietes erstreckten. 81 82 Die detailliert und langfristig geplanten Angriffe bundesweit und international vernetzter linksautonomer Strukturen gefährdeten in vielen Fällen nicht nur Leib und Leben der eingesetzten Polizeikräfte, sondern fügten auch den Bürgerinnen und Bürgern der Stadt und ihren Gästen immense materielle und immaterielle Schäden zu. Angesichts der nächtlichen Plünderungen von Ladengeschäften, der wahllosen Brandstiftungen an Kraftfahrzeugen jeglichen Typs und der willkürlichen Gewalt marodierender Schlägertrupps auf den Straßen und Plätzen der für ihre Weltof81 Foto: Bastian Schumacher, Wikimedia Common (CC BY-SA 4.0) 82 Foto: JouWatch, Wikimedia Commons (CC BY-SA 2.0) -- 81 -- fenheit geschätzten Hansestadt fühlten sich viele Bewohner nicht nur durch die Behauptung der Gewalttäter, für eine "bessere Welt" zu kämpfen, verhöhnt und provoziert, sondern faktisch auch wesentlicher Rechte und Freiheiten beraubt. Im Nachgang zu den Ereignissen leitete die Hamburger Polizei - unterstützt von Kollegen aus Bund und Ländern - über 3.000 Ermittlungsverfahren ein, u. a. wegen schweren Landfriedensbruchs und gefährlicher Körperverletzung. Der durch die dreitägige Gewaltorgie verursachte Gesamtschaden wird auf mehrere Millionen Euro geschätzt. Irritierend ist, dass die Gewaltexzesse von Hamburg in der Öffentlichkeit und in den Medien nicht in gleicher Weise wie beim Rechtsextremismus beurteilt werden und vielfach Protagonisten der linksextremistischen Szene eine oftmals nicht nachvollziehbare mediale Aufmerksamkeit genießen. 5.3.1. Hintergrund: Ideologien, Strategien und Strukturen des autonomen und postautonomen Linksextremismus Mit der gezielt herbeigeführten Eskalation der Gewalt konterkarierten die linksautonomen bzw. "postautonomen" Gewalttäter jedoch nicht nur ihren Anspruch, für eine "bessere Welt" und mehr "soziale Gerechtigkeit" zu kämpfen, sondern provozierten auch Kritik aus anderen Bereichen des linksextremistischen Spektrums: Es sei nicht nachvollziehbar, welchen Beitrag beispielsweise Plünderungen in einem "Szene-Kiez" wie dem Hamburger Schanzenviertel oder das "Abfackeln" von Fahrzeugen ambulanter Pflegedienste für die "revolutionäre Überwindung" der "herrschenden Verhältnisse" leisten würden. Tatsächlich teilen sogenannte Autonome und "Post-Autonome" zwar die meisten ideologischen Prämissen des traditionellen Linksextremismus und besetzen dieselben Themenfelder, wie z.B. "Anti-Kapitalismus", "Antiimperialismus", "Antifaschismus", "Antimilitarismus" und "Anti-Repression". Allerdings vertrauen sie weder -- 82 -- (wie etwa dogmatische Marxisten) auf die vermeintliche "historische Gesetzmäßigkeit" einer unausweichlichen Selbstzerstörung des "Kapitalismus" durch eine permanente systemimmanente "Zuspitzung der antagonistischen Klassenverhältnisse", noch auf die revolutionäre Avantgarde-Funktion einer hierarchisch organisierten leninistischen Kader-Partei als "Vorhut der Arbeiterklasse"83. Vielmehr gehen autonome und post-autonome Linksextremisten davon aus, dass "Kapitalismus" automatisch zu "Autoritarismus" und dieser wiederum zwangsläufig zu "Faschismus" führe. Daher sei jede "bürgerliche" bzw. "kapitalistische" Gesellschaft immer auch eine latent "faschistische" Gesellschaft. Als solche könne und müsse sie dadurch bekämpft werden, dass jeder einzelne sich ihren Regeln, Normen und Gesetzen widersetze und nur jenen "Gesetzen" folge, die er bzw. das autonome Kollektiv sich selbst gegeben habe (daher die Selbstbezeichnung "Autonome" = "Selbst-Gesetzgeber"). Rechtsbrüche (bis hin zu schwersten Gewaltstraftaten) seien daher nicht nur Akte der individuellen Selbstbefreiung, sondern stets auch ein Beitrag zum globalen "Befreiungskampf" gegen Kapitalismus, Faschismus, Imperialismus, Rassismus und (Neo-) Kolonialismus. Prominente Kämpfer für diese Ziele waren insbesondere die Vertreter der sogenannten ersten Generation der "Rote Armee Fraktion" (RAF) in den späten 1960er und ersten 1970er Jahren. Mit dem im weiteren Verlauf zunehmenden Einblick in das innere Gefüge dieser Organisation wurde jedoch allzu deutlich, dass die RAF mit ihrem hierarchischen Aufbau, ihrem Gruppenzwang und ihren rigiden Disziplinierungsritualen ihr angebliches Ziel einer "Befreiung des Menschen" ad absurdum führte. Es war diese Erkenntnis, die Teile des gewaltbereiten linksextremistischen Spektrums in den 1980er Jahren dazu veranlasste, neue Wege beim "Kampf gegen das Schweinesystem" zu beschreiten: 83 Der geistige Ursprung einer solchen Partei wird von Karl Marx bereits im "Manifest der kommunistischen Partei" von 1848 postuliert, wo es heißt: "Die Kommunisten sind aber praktisch der entschiedenste, immer weiter treibende Teil der Arbeiterparteien aller Länder; sie haben theoretisch vor der übrigen Masse des Proletariats die Einsicht in die Bedingungen, den Gang und die allgemeinen Resultate der proletarischen Bewegung voraus." (Vgl. Marx/Engels, Ausgewählte Schriften, Bd. 1, Berlin 1964, S. 38). -- 83 -- Sie verabschiedeten sich zwar nicht von ihrer perfiden Entmenschlichungsrhetorik ("Schweine", "Bullen") und der grundsätzlichen Bereitschaft, den Tod von Menschen bei ihren "Aktionen" billigend in Kauf zu nehmen, jedoch proklamierten sie nun die gruppeninterne Hierarchielosigkeit und Herrschaftsfreiheit zum neuen Ideal ihrer "autonomen" Bewegung. Dieses Ideal konnte zwar niemals wirklich erreicht werden - auch in "autonomen" Gruppen dominieren tendenziell die Älteren die Jüngeren, die Intelligenteren die weniger Begabten und die "Altgedienten" die Neuhinzugekommenen - allerdings bildet es bis zum heutigen Tag den Maßstab kollektiver "autonomer" Selbstreflektion und damit häufig auch Anlass für heftige gruppeninterne Auseinandersetzungen. Die extreme Selbstbezogenheit der "Selbst-Gesetzgeber", aber auch ihre Organisationsund Theoriefeindlichkeit führten jedoch dazu, dass diese sich nicht nur innerhalb der linksextremistischen Szene, sondern vor allem auch gesamtgesellschaftlich isolierten und damit an politischem Einfluss verloren. 84 Dies führte bereits in den 1990er Jahren zur Herausbildung der Bewegung der "Post-Autonomen": Deren Aktivisten streben zwar ebenfalls eine "revolutionäre Überwindung der herrschenden Verhältnisse" an und propagieren den Rechtsbruch als Befreiungsakt, allerdings verstehen sie sich als "Bindeglied" - nicht nur zum legalistischen Spektrum des Linksextremismus, sondern auch zu "progressiven" Kräften der politischen Mitte: Ihr strategisches Ziel ist die möglichst weitgehende Vereinnahmung linksliberaler bürgerlicher Milieus und die Ausnutzung der (z. T. auch staatlichen) Ressourcen, auf die sie zurückgreifen können - ohne dabei jedoch die eigene extremistische Zielsetzung und grund84 Foto: Polizei MV (polizeifeindliche Graffiti am Gebäude eines Treffortes der linksextremistischen Szene in Rostock) -- 84 -- sätzliche Gewaltbereitschaft aufgeben zu müssen. Die größte und einflussreichste Organisation des "post-autonomen" Spektrums ist die "Interventionistische Linke". 5.3.2 Rolle der "Interventionistische Linke" und der "Roten Hilfe e.V." beim G20-Gipfel ** Aktivitäten "Interventionistische Linke" (IL) Eines der generellen strategischen Ziele der IL besteht in einer kampagnenorientierten Zusammenführung linksextremistischer Akteure unterschiedlicher ideologischer Prägung, wobei sie selbst bewusst als Scharnier zwischen militanten Gruppierungen und nicht gewaltorientierten Linksextremisten sowie nichtextremistischen Initiativen fungiert. So tritt die IL regelmäßig bei der Organisierung von Großereignissen in Erscheinung und übernahm, wie schon zuvor bei den Protesten gegen die Neueröffnung der Zentrale der Europäischen Zentralbank (EZB) in Frankfurt/Main im Frühjahr 2015, auch bei der Mobilisierung gegen den G20-Gipfel eine maßgebliche und führende Rolle. Die von ihr koordinierte Zusammenarbeit unterschiedlicher ideologischer Akteure im Vorfeld des Großereignisses G20 kann als ein wesentlicher "Erfolgsfaktor" für die spätere Verwirklichung von spektakulären Aktionen gegen den Gipfel herausgestellt werden. Darüber hinaus ist bekannt, dass die IL eine zentrale Planungsund Koordinierungsfunktion in den Camps im Stadtpark Altona hatte. Die Rolle dieser Camps als Rückzugsort sowie zur Planung und logistischen Unterstützung von Straftaten ist Gegenstand weiterer Ermittlungen. Auch wenn die IL und ihre Vertreter sich während der Gipfeltage an ihre Aussage hielten, "dass von ihnen [selbst] keine Eskalation ausgehen werde", so wurde die eigentliche Strategie der IL doch dadurch erkennbar, dass sie über ihre Sprecher sowohl im Vorfeld als auch nach den Krawallen eine Distanzierung von den Ausschreitungen entschieden ablehnte und weiterhin ihren Anspruch betonte, für alle radikalen Kräfte zu sprechen. -- 85 -- In Mecklenburg-Vorpommern hat die in Rostock seit 2016 bestehende Ortsgruppe der IL maßgeblich die Organisation der Proteste gegen den G20-Gipfel bestimmt und bediente sich dabei des eigens gebildeten Aktionsbündnisses "NoG20 MV". Der nachfolgende Aufruf auf der Internetseite der IL Rostock verdeutlicht das übergreifende Ziel der IL, nämlich die Bündelung aller "systemkritischen" Kräfte, um die herrschende Gesellschaftsordnung zu überwinden. "Das hat weniger mit den G20 zu tun, als dass diese Proteste einen Raum ermöglichen, in dem wir uns alle treffen können. Die täglichen Kämpfe zur Überwindung von Kapitalismus, Ausbeu85 tung, Fremdbestimmung und Diskriminierung bündeln sich in den Protesten rund um solche Großereignisse.(...) Kommt mit uns nach Hamburg. Bildet Bezugsgruppen, join the Team. Blockiert den Gipfel. Habt Spaß!"86 Aufrufe dieser Art motivieren aktionsorientierte junge Erwachsene "zum Mitmachen" und sind dazu geeignet, die Bereitschaft zur Begehung gewaltsamer Aktionen zu erhöhen. Nach den Ausschreitungen im Umfeld des G20-Gipfels bediente sich die IL in ihren öffentlichen Bekundungen dann ihres üblichen Narrativs, demzufolge nicht die eigentlichen Täter ("Aktivisten"), sondern allein der verhasste Staat die Schuld an den Straftaten trägt, da erstere letztlich gezwungen wurden, auf bewusste Provokationen der Polizei zu reagieren. ** Aktivitäten "Rote Hilfe e.V." (RH) Die RH, die sich selbst als "parteiunabhängige strömungsübergreifende linke Schutzund Solidaritätsorganisation" de85 Facebook-Seite"Interventionistische Linke Rostock" vom 14.06.2017, abgerufen am 14.06.2017 86 Internetseite "Interventionistische Linke Rostock" vom 27.06.2017, abgerufen am 27.06.2017 -- 86 -- finiert, leistet - nach Maßgabe ihrer eigenen Bedingungen - politische und finanzielle Unterstützung für Strafund Gewalttäter bei anfallenden Anwaltsund Prozesskosten. Voraussetzung für eine Unterstützung der RH ist, dass die Betroffenen in der Regel strikt die Aussage verweigern. Die Unterstützungssätze der RH können gekürzt oder gestrichen werden, wenn sich der Beschuldigte entschuldigt oder gar Reue zeigt.87 Im Rahmen dieser sogenannten Antirepressionsarbeit war die RH auch beim G20-Gipfel schon frühzeitig in die Mobilisierung zu den Protesten eingebunden und kritisierte die Veranstaltung schon im Vorfeld als "Gipfel der Repression". Für potenzielle Teilnehmer der Protestveranstaltungen ist das Wissen um die bereitgehaltene juristische Betreuung sowie die Möglichkeit einer finanziellen Hilfe bei anschließenden Strafverfahren ein Faktor, der dazu geeignet ist, die Hemmschwelle für gewalttägige Formen des Protestes herabzusenken. Die RH übernahm nicht nur während des G20-Gipfels eine wesentliche Rolle bei der juristischen Betreuung von Personen, die mit Polizeiund Justizmaßnahmen konfrontiert wurden, sondern auch bei der anschließenden strafrechtlichen Aufarbeitung des Gipfelgeschehens. Gewalttätiges Verhalten von Demonstranten wird dabei von der RH gezielt verschwiegen und stattdessen ausschließlich die als "Repression" kritisierten Maßnahmen staatlicher Organe in den Vordergrund gestellt, welche in unverhältnismäßiger Weise "demokratische Proteste" unterdrücken würden. Auch in Mecklenburg-Vorpommern unterstützt die RH Personen, die im Zusammenhang mit der Mobilisierung zu Protesten gegen den G20-Gipfel mit den Sicherheitsbehörden in Konflikt geraten sind. So wird die Tatsache, dass in Rostock im Vorfeld des G20-Gipfels bei polizeilichen Durchsuchungsmaßnahmen diverse waffenähnliche und pyrotechnische 87 Internetseite "Rote Hilfe e.V./Rechtshilfeund Unterstützung/haeufige-fragen-faq", abgerufen am 26.01.2018 -- 87 -- Gegenstände sichergestellt wurden (vgl. Abschnitt 5.4.2, zweiter Anstrich) zum Anlass genommen, um für finanzielle Unterstützung zur Deckung der Prozessund Anwaltskosten des von den Maßnahmen Betroffenen zu werben(Verwendungs88 zweck: Feuerlöscher89). 5.4 Undogmatischer Linksextremismus Die aktionsorientierten Autonomen, die sich keinen festen Regeln und Lehren ("Dogmen") unterwerfen wollen, engagieren sich in zahlreichen typischen Aktionsfeldern, um die von ihnen gewünschte Umgestaltung der Gesellschaft zu erreichen. 5.4.1 Aktionsfeld "Antifaschismus" Der "Antifaschismus" verkörpert weiterhin das wichtigste Aktionsfeld der Linksextremisten in Mecklenburg-Vorpommern. Entsprechende Aktionen richten sich dabei vornehmlich gegen tatsächliche oder für solche gehaltene Rechtsextremisten. Die Taten reichen über Sachbeschädigungen an Parteigebäuden, studentischen Verbindungshäusern und Privathäusern über Brandstiftungen an Fahrzeugen bis hin zu tätlichen Angriffen auf Personen sowie Veröffentlichungen von privaten Daten, den sogenannten Outings. Beispielhaft seien die folgenden Ereignisse dargestellt: ** Sachbeschädigung am Gebäude einer Studentenverbindung in Greifswald Am Morgen des 24. Februar 2017 sprühten Unbekannte in Greifswald ein Flüssigkeitsgemisch auf die Hauswand eines Gebäudes der Burschenschaft "Markomannia" und schlugen 88 Internetseite "Rote Hilfe Rostock/Solikreis Feuerlöscher" vom Juli 2017, abgerufen am 26.01.2018 89 Internetseite "Rote Hilfe Rostock" vom 09.09.2017, abgerufen am 11.09.2017 -- 88 -- Fenster ein. In der Vergangenheit war es bereits mehrfach zu ähnlichen Aktionen an diesem Haus gekommen. Zu der Sachbeschädigung wurde auf der inzwischen verbotenen Internetseite "linksunten.indymedia" ein Selbstbekenner-Artikel veröffentlicht: "gestern nacht 90 haben wir die markomannia mit einem neuen anstrich versehen und die fenster der veranstaltungsräume entglast. gründe dafür hatten wir genug. von treffen der identitären bewegung greifswald über afd bis hin zu größen der neuen rechten wie dem institut für staatspolitik und der blauen narzisse hat die markomannia klar rechtsradikal position bezogen."91 ** Sachbeschädigungen an Partei-Büros der AfD Auch in 2017 gab es Sachbeschädigungen an Gebäuden, die von der AfD genutzt werden, wie beispielsweise in Greifswald (Schriftzug am Wahlkreisbüro der AfD: "AfD auf's Maul"), in Wolgast (Zerstörung der Fensterscheibe des Wahlkreisbüros) und in Schwerin. Das im Juni 2017 neu eröffnete Bürgerbüro der AfD in Schwerin war wiederholt Ziel von Sachbeschädigungen (u. a. zerkratzte Fensterscheiben, Graffiti-Schmierereien, Steinwürfe gegen mehrere Fensterscheiben). ** Sachbeschädigung am Wohngebäude eines AfD-Mitgliedes Ende Oktober 2017 sprühten unbekannte Täter mit roter Farbe unter anderem "FCK AFD" sowie Anarchiesymbole an die Hauswand und die Umfriedung eines Mehrfamilienhauses eines AfD-Bundestagsabgeordneten in Neubrandenburg. 90 Internetseite "linksunten.indymedia" vom 24.02.2017, abgerufen am 27.02.2017 91 Internetseite "linksunten.indymedia" vom 24.02.2017, abgerufen am 27.02.2017 -- 89 -- ** Angriffe auf Wahlhelfer der AfD Am 15. September 2017 bedrohten fünf unbekannte Personen in Rostock Wahlhelfer der AfD. Zunächst griffen die dunkel gekleideten und teilweise vermummten Personen die vierköpfige Wahlhelfergruppe mit Steinen an und beschädigten den AfD-Transporter. Anschließend wurden die Wahlhelfer auch an einem weiteren Ort in Rostock von 10 bis 15 Personen bedrängt, die vereinzelt gegen den Transporter traten. ** Sachbeschädigung an der Wohnung eines vermeintlichen Rechtsextremisten in Rostock Unter der Überschrift "Naziwohnung in Rostock Toitenwinkel belüftet" wurde am 22. Februar 2017 auf einem inzwischen verbotenen Internetportal über eine Sachbeschädigung an einer Wohnung in Rostock berichtet, bei der mehrere Scheiben zu Bruch gegangen sein sollen. Zur Tatmotivation schreiben die Verfasser: "Anlass des Angriffes war eine große Reichskriegsflagge, die an der Balkontür befestigt war. Dieser offensichtlichen Einladung konnte Mensch natürlich nicht widerstehen". Es werden weitere Aktionen angekündigt: "Wir werden nicht weiter zu sehen, wie Nazis in Rostock 'Nazi Kieze' ausrufen und freuen uns schon auf die nächsten Abendspaziergänge in Toitenwinkel, Lichtenhagen und CO."92 ** Brandstiftung an einem Fahrzeug in Rostock Im Internet ist ein Selbstbekenner-Artikel zu einer Brandstiftung am Fahrzeug eines mutmaßlichen Rechtsextremisten in Rostock veröffentlicht worden. Die sich "Autonome" nennenden Verfasser berichteten in dem Beitrag über ein Ereignis vom 17. Februar 2017, bei dem sich angeblich zwei Gruppen von Neonazis in Rostock getroffen hätten, um Angriffe gegen "Geflüchtete und Linke" auszuführen. Diese Absicht sei durch die Polizei vereitelt worden. Als Reaktion sei daraufhin ein Fahrzeug in Brand gesetzt worden, "in dem kurz zuvor Nazis gesichtet 92 Internetseite "linksunten.indymedia" vom 22.02.2017, abgerufen am 23.02.2017 -- 90 -- wurden (...), der Heckscheibe prankte ein großer Aufkleber mit der Aufschrift 'Deutsches Kulturgut': Auch in Rostock werden rechte Übergriffe weiterhin nicht unbeantwortet bleiben!" 93 ** Veröffentlichung von persönlichen Daten tatsächlicher oder vermeintlicher Rechtsextremisten Unter der Überschrift "Die Identitäre Bewegung in Norddeutschland" veröffentlichte ein sich "IB-Info" nennender Verfasser am 2. Februar 2017 einen umfangreichen Artikel zur "Identitären Bewegung" (IB)94. Dieser enthielt - weitestgehend nach Bundesländern sortiert - detaillierte Informationen über "Struktur & Organisation", mutmaßliche Mitglieder und Verbindungen zu Organisationen und Vereinen. 45 Portraitfotos, 23 weitere Fotos und eine Fundstellenübersicht der Quellen waren dem Artikel beigefügt. Für Mecklenburg-Vorpommern wurde Rostock als Schwerpunkt der politischen Arbeit der IB dargestellt. Der Artikel und die sich darauf beziehenden Kommentareinträge enthielten auch diverse personenbezogene Daten zu angeblich identifizierten Mitgliedern der hiesigen IB, wie auch des Ende 2016 gegründeten Rostocker Vereins "Heimwärts e.V." . Darüber hinaus wurde am 4. Februar 2017, ebenfalls auf der inzwischen verbotenen Internetseite "linksunten.indymedia", ein Artikel zu beruflichen Aktivitäten eines ehemaligen NPD-Landtagsabgeordneten veröffentlicht (angebliche Übernahme eines Gaststättenbetriebes in Rostock)95. Unter Verweis auf schon zuvor begangene Sachbeschädigungen gegenüber dem ehemaligen NPD-Abgeordneten erging auch ein erneuter Aufruf zu "antifaschistischen Aktionen". 93 Internetseite "linksunten.indymedia" vom 28.02.2017, abgerufen am 01.03.2017 94 Internetseite "linksunten.indymedia." vom 02.02.2017, abgerufen am 06.02.2017 95 Internetseite "linksunten.indymedia" vom 04.02.2017, abgerufen am 06.02.2017 -- 91 -- Neben den gezielten Einzelaktionen gegen tatsächliche oder vermeintliche Rechtsextremisten nahmen Linksextremisten auch an den gewalttätigen Auseinandersetzungen anlässlich der jährlichen Demonstrationen der NPD teil: ** Auseinandersetzungen bei NPD-Demonstration am 1. Mai 2017 in Stralsund An den von demokratischen Parteien und Bündnissen organisierten Gegenveranstaltungen zur NPD-Demonstration in Stralsund nahmen auch Linksextremisten aus ganz Mecklenburg-Vorpommern teil. Aufgrund der von Teilen der Gegendemonstranten versuchten Blockadeaktionen wurde eine Gruppe von etwa 150 Personen durch die Polizei umschlossen und erkennungsdienstlich behandelt. Während der polizeilichen Maßnahmen versuchten einzelne Gegendemonstranten, die Polizeiumschließung zu durchbrechen. ** Proteste gegen den "Trauermarsch" am 8. Mai 2017 in Demmin Die Proteste und Gegenveranstaltungen zum sogenannten Trauermarsch der rechtsex tre - mistischen Szene am 8. 96 Mai in DemProtestaktion gegen den "Trauermarsch" in Demmin min (vgl. Abschnitt 2.10) stellten für die linksextremistische Szene in Mecklenburg-Vorpommern auch in diesem Jahr einen Schwerpunkt im Aktionsfeld "Antifaschismus" dar. Am 8. Mai 2017 reisten etwa 330 Gegendemonstranten, darunter auch gewaltbereite Linksextre96 Foto: Polizei MV (Protest zum 08.05.2017 in Demmin) -- 92 -- misten, nach Demmin. Die Proteste gegen den Trauermarsch verliefen, anders als in den Jahren zuvor, weitestgehend friedlich - nicht zuletzt auch aufgrund des vorsorglich vorgehaltenen großen Polizeiaufgebotes. 97 5.4.2 Aktionsfeld "Antirepression" Als Antirepression bezeichnen Linksextremisten ihren Kampf gegen eine von ihnen behauptete, vielgestaltige Unterdrückung durch den (verhassten) Staat, welcher nicht nur jegliche revolutionäre Ansätze im Keim ersticken will, sondern bereits die bloße allgemeine Ausübung von staatsbürgerlichen Grundrechten beeinträchtige. Zu den bevorzugten Zielen der Antirepressionsaktionen gehören naturgemäß Polizeibeamte, aber auch Nachrichtendienste und andere staatliche Einrichtungen, wie Gerichte und Staatsanwaltschaften. Als bedeutendste linksextremistische Organisation im Themenfeld Antirepression tritt der bundesweit agierende Verein "Rote Hilfe e.V." (RH) auf, der in Mecklenburg-Vorpommern mit zwei Ortsgruppen in Rostock und Greifswald vertreten ist. Vorrangiges Aktionsfeld der RH ist die rechtliche und finanzielle Unterstützung Szeneangehöriger in gerichtlichen Verfahren, insbesondere bei Strafprozessen. Außerdem organisiert die RH Informationsabende und erstellt Broschüren zu verschiedenen Themen, wie beispielsweise dem Verhalten auf Demonstrationen, bei Festnahmen und Hausdurchsuchungen. 98 Den beiden Ortsgruppen werden in Mecklenburg-Vorpommern insgesamt etwa 170 Mitglieder zugerechnet; bundesweit gehören rund 8.300 Mitglieder/Anhänger dem linksextremistischen Verein RH an. 97 Quelle: Polizei MV (Protest zum 08.05.2017 in Demmin) 98 Internetseiten des "Rote Hilfe e.V.", Ortsgruppen Rostock und Greifswald, abgerufen am 11.01.2018 -- 93 -- Im Zuge von linksextremistischen Aktivitäten im Themenfeld "Antifaschismus" kommt es häufig zu der Konstellation, dass die Polizei eine ordnungsgemäß angemeldete Demonstration von Rechtsextremisten wegen des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit schützen muss, um deren Ausübung des Grundrechts auf Demonstrationsfreiheit zu sichern. Wenn Linksextremisten dann die Demonstration der Rechtsextremisten zu stören versuchen, führt dies mit steter Regelmäßigkeit zu Konfrontationen mit der Polizei, was daraufhin von linker Seite als gezielte staatliche Repression gegen Links und "gewollte staatliche Unterstützung rechtsextremer Umtriebe" gebrandmarkt sowie als "Beweis" für eine "faschistische Haltung" des deutschen Staates ins Feld geführt wird. In Mecklenburg-Vorpommern kam es im Jahr 2017 u. a. zu folgenden Einzelereignissen: ** Proteste gegen das Vorgehen der Polizei am 1. Mai 2017 in Stralsund Gegen den NPD-Aufmarsch am 1. Mai 2017 in Stralsund waren etwa 150 Gegendemonstranten nach versuchten Blockadeaktionen von der Polizei umschlossen und erkennungsdienstliche Maßnahmen veranlasst worden. Die Durchführung der Maßnahmen dauerte mehrere Stunden an. Die linksextremistische "Rote Hilfe Rostock" kündigte am 3. Mai 2017 an, dass es geplant sei, gegen diese "Freiheitsberaubung" zu klagen.99 Außerdem solle sich bei der "Roten Hilfe Rostock" melden, wer Post von der Polizei bekam - Vorladungen sollen ignoriert werden. "Keine Kooperation, keine Aussagen bei der Polizei und Staatsanwaltschaft!" ** Solidaritätsbekundungen für einen in Unterbindungs-Gewahrsam genommenen Linksextremisten aus Rostock Am Abend des 1. Juli 2017 erfolgte in Rostock im Rahmen der Gefahrenabwehr die Durchsuchung mehrerer Objekte durch 99 Internetseite der Roten Hilfe Rostock: "Klage gegen Kessel in Stralsund...", abgerufen am 03.05.2017 -- 94 -- Einsatzkräfte der Polizei. Dabei konnten zahlreiche Gegenstände sichergestellt werden, die als typische Tatmittel bei Demonstrationsstraftaten dienen, wie Präzisionszwillen, Schlagringe, ein Schlagstock, diverse "Polenböller", "Krähenfüße", ein Taser und mehrere für solche Verwendung manipulierte Feuerlöscher. Zwei Personen wurden erkennungsdienstlich behandelt, eine von ihnen wurde auf richterliche Anordnung zum Schutz des G20-Gipfels bis zum 10. Juli 2017 in Gewahrsam genommen. Am 4. Juli 2017 stellte die Hamburger Polizei die bei den Durchsuchungen in Rostock und Hamburg sichergestellten Gegenstände und deren Wirkung mittels eines Videos in einer Pressekonferenz vor. Zu den gezeigten Beweisstücken gehörten u. a. Feuerlöscher, die mit einem Bitumengemisch gefüllt waren. Würde diese Substanz auf Personen, mutmaßlich Polizisten, gesprüht werden und anschließend Feuer fangen, wäre eine Löschung massiv erschwert. Darüber hinaus wurde demonstriert, welche Wirkungen sich mit den ebenfalls sichergestellten Präzisionszwillen erzielen lassen, indem mit Stahlkugeln auf Styropor-Köpfe geschossen und dabei tiefe Löcher verursacht wurden. Die Pressegruppe des von der RH eigens eingesetzten Ermittlungsausschusses (G20 EA) hat zu dieser Polizeipräsentation einen Artikel mit dem Vorwurf der Verleumdung veröffentlicht: "Darin versucht die Polizei die bei der Hausdurchsuchung in Rostock gefundenen Gegenstände in einen Zusammenhang mit Protesten gegen den bevorstehenden G20-Gipfel zu setzen. (...) Obwohl laut der Polizeipressemitteilung der Polizei lediglich 'mit Farbe gefüllte Feuerlöscher' gefunden wurden, werden diese in dem Propaganda-Video als 'Flammenwerfer' präsentiert. (...) Tatsächlich jedoch hat die Polizei keine Beweise für eine geplante Beteiligung des Beschuldigten an Protesten gegen den G20-Gipfel vorgelegt."100 Darüber hinaus rief die Ortsgruppe Rostock der RH per Internet zu weiteren Solidaritätsaktionen für den "inhaftierten Ge100 Internetseite "linksunten.indymedia" vom 04.07.2017, abgerufen am 05.07.2017 -- 95 -- nossen" auf, damit "der Öffentlichkeit gezeigt (wird), dass diese restriktiven Methoden und Einschüchterungsmaßnahmen in keinster Weise tolerierbar sind."101 Als Reaktion auf die dargestellten Maßnahmen fanden am 2. Juli 2017 vor dem Gebäude des Polizeizentrums Rostock sowie am 4. und 8. Juli 2017 vor der Justizvollzugsanstalt Bützow Solidaritätskundgebungen zugunsten des o. g. Inhaftierten statt. Während der Versammlungen wurden Transparente mit der Forderung "SOLIDARITÄT mit ALLEN politischen GEFANGENEN" und "LOVE FLITZER - HATE COPS!" entrollt. 5.5 Dogmatischer Linksextremismus Linksextremistische Parteien und Gruppierungen bemühen sich nach wie vor mittels der bekannten Kritikmuster an den "herrschenden Verhältnissen" ihren sozialistischen und kommunistischen Zielen näher zu kommen. In Mecklenburg-Vorpommern ist es dem dogmatischen Linksextremismus auch in 2017 nicht gelungen, eine größere politische Bedeutung zu erlangen. Die "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP) verfügt zwar über Ortsgruppen in Schwerin, Greifswald, Neubrandenburg, Rostock, Stralsund und auf Rügen, jedoch ist das Personenpotenzial insgesamt gering. Die "Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend" (SDAJ)102 ist eine eigenständige Organisation, die der DKP nahe steht. Sie hat Ortsgruppen in Schwerin und Rostock. Die "Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands" (MLPD) verfügt über Ortsgruppen in Alt-Schwerin und Rostock. Der Jugendverband "REBELL" der MLPD ist mit einer Ortsgruppe in Rostock in Mecklenburg-Vorpommern vertreten, ebenso die "Sozialistische Alternative" (SAV). Daneben bestehen in Mecklenburg-Vorpommern einige Regionalgruppen des "RotFuchs-Fördervereins", der zum Bereich der orthodoxen Kommunisten zählt. 101 Internetseite "linksunten.indymedia" vom 03.07.2017, abgerufen am 05.07.2017 102 Die SDAJ ist die Jugendorganisation der DKP, von dieser aber organisatorisch unabhängig. -- 96 -- 103 104 105 Die Organisationen und Parteien des dogmatischen Linksextremismus entfalteten im Berichtszeitraum nur eine schwache Außenwirkung. Im Wesentlichen veranstalteten sie Mitgliedertreffen und interne Schulungen. Darüber hinaus beteiligten sie sich neben anderen parteipolitischen und zivilgesellschaftlichen Akteuren an jährlich wiederkehrenden Gedenkund Protestveranstaltungen, wie dem 1. Mai oder dem Ostermarsch. Insgesamt ist festzustellen, dass die politischen Ziele der dogmatischen Linksextremisten so gut wie keine nennenswerte Anziehungskraft auf die Bevölkerung ausüben, was sich nicht zuletzt auch in den Ergebnissen bei Wahlen widerspiegelt. Nachdem die DKP bei der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern im Jahr 2016 lediglich 1.315 Zweitstimmen erhalten hatte, was 0,2 % aller abgegebenen gültigen Stimmen entsprach, beabsichtigte die DKP Mecklenburg-Vorpommern, im September 2017 zur Bundestagswahl anzutreten. Dieses Vorhaben scheiterte jedoch an den für die Zulassung zur Bundestagswahl erforderlichen 1.351 Unterstützungsunterschriften. Die MLPD, die im Jahr 2016 nicht an der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern teilnahm, trat nun gemeinsam mit der "Interna103 Internetseite "Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands", abgerufen am 11.01.2018 104 Internetseite "Deutsche Kommunistische Partei", abgerufen am 11.01.2018 105 Internetseite "Sozialistische Alternative", abgerufen am 11.01.2018 -- 97 -- tionalistischen Liste"106 an und erfüllte in Mecklenburg-Vorpommern die Voraussetzungen für die Teilnahme an der Bundestagswahl. Bundesweit bekamen die Internationalistische Liste/MLPD 35.835 Erststimmen (0,1 %) sowie 29.928 Zweitstimmen (0,1 %).107 Darin enthalten sind 1.666 Erststimmen und 1.366 Zweitstimmen aus Mecklenburg-Vorpommern. 106 Hierbei handelt es sich um einen von der MLPD initiierten "gleichberechtigen Zusammenschluss antifaschistischer, klassenkämpferischer, internationalistischer und revolutionärer Organisationen und Einzelpersonen". Jahresbericht des Bundesamtes für Verfassungsschutz 2016, S. 136. 107 Internetseite "Bundestagswahlen 2017", abgerufen am 26.09.2017 -- 98 -- 6 Islamismus/Islamistischer Terrorismus 6.1 Islamistische Bestrebungen - politischer Extremismus mit Rückgriff auf den Islam Das Phänomen des Islamismus wird begrifflich und inhaltlich von dem des Islam unterschieden. Der Islam ist eine Religion, deren Ausübung durch das im Artikel 4 Grundgesetz festgehaltene Recht auf Religionsfreiheit garantiert und nicht von den Verfassungsschutzbehörden beobachtet wird. Der Islamismus ist hingegen dadurch gekennzeichnet, dass er einen explizit politischen Anspruch aus der Religion des Islam ableitet. Islamisten instrumentalisieren die Religion des Islam für politische und verfassungsfeindliche Zwecke. Sie verfolgen das Ziel, ihre gesellschaftspolitischen Vorstellungen in Staat und Gesellschaft durchzusetzen und dies sowohl in muslimischen wie auch in säkular geprägten Gesellschaften. Islamisten wollen eine "Ordnung des Islam" errichten, in der mittels Anwendung "islamischer Rechtsnormen" der Geltungsanspruch der Scharia durchgesetzt und damit wesentliche Elemente der freiheitlichen demokratischen Grundordnung außer Kraft gesetzt werden sollen. Der Verfassungsschutz beobachtet deshalb unter der Überschrift "Islamismus" religiös motivierte extremistische Bestrebungen, die sich gegen westliche Wertund Ordnungsvorstellungen, insbesondere gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung richten. Der islamistische Extremismus ist kein einheitliches Phänomen, sondern weist zahlreiche Facetten auf. Diese unterscheiden sich zum einen in ihrer Reichweite und ihrem Anspruch; das Spektrum reicht hierbei von lokalen islamistischen Vereinen bis zu global agierenden Organisationen wie den Terrororganisationen "Islamischer Staat" (IS) oder "al-Qaida". Daneben gibt es islamistische Gruppierungen, deren Agenda sich auf bestimmte Regionen bezieht. Die islamistische "Harakat al-Muqawama al-Islamiya" (HAMAS) etwa richtet ihre Aktivitäten auf eine Islamisierung Palästinas. HAMAS ist für dieses Ziel aber weit über die Grenzen Palästinas hinaus aktiv. -- 99 -- Zum anderen unterscheiden sich die Mittel, mit denen islamistische Gruppierungen ihre Ziele zu erreichen suchen. So gibt es islamistische Organisationen, die als legalistisch bezeichnet werden, weil ihre Zielsetzungen zwar extremistisch sind, sie sich aber bei ihren Aktionen innerhalb des vorgegebenen rechtlichen Rahmens bewegen. Andere islamistische Gruppierungen befürworten unter bestimmten Umständen den Einsatz von Gewalt als Mittel, um ihre Ziele durchzusetzen. Schließlich gibt es im Bereich des Islamismus terroristische Gruppierungen wie "al-Qaida" und den "IS", deren primäres Ziel die Propagierung, die Androhung und der Einsatz von Gewalt sind. Diese Vielfalt hat zur Folge, dass der islamistische Extremismus auch keine Bewegung ist, die nach außen hin geschlossen auftritt. Teile dieses Spektrums bekämpfen einander aufs Heftigste. 6.2 Entwicklung des Islamismus und islamistischen Terrorismus 2017 Der islamistische Terrorismus stellt weiterhin die größte Gefahr für die innere Sicherheit der Bundesrepublik dar. Die angespannte Bedrohungslage bleibt auch 2017 bestehen. Hatte es jedoch 2016 noch fünf islamistisch motivierte Anschläge in Deutschland gegeben108, war 2017 in Deutschland nur ein Anschlag mit Todesfolge zu verzeichnen. In zahlreichen europäischen Staaten, vor allem aber in islamisch geprägten Ländern, wie Afghanistan, Syrien und Irak waren auch 2017 wieder zahlreiche islamistische Anschläge zu beklagen. Das islamistisch-terroristische Personenpotenzial in Deutschland lag im Dezember 2017 bei 1.880 Personen. Dieses Potenzial stellt eine erhebliche und permanente Gefährdung dar. Infolgedessen muss grundsätzlich damit gerechnet werden, dass es in Deutschland zu einem Anschlag islamistischer Terroristen kommen kann. 108 Vgl. "Verfassungsschutzbericht Mecklenburg-Vorpommern 2016", S. 104-106 -- 100 -- 6.2.1 Anschläge in Deutschland ** Tödliche Verletzung durch Messerattacke am 28. Juli 2017 in Hamburg Am 28. Juli 2017 stach der 26-jährige palästinensische Flüchtling Ahmad A. in Hamburg-Barmbek auf einen Kunden in einem Supermarkt ein und verletzte ihn dabei tödlich. Sechs weitere Menschen verletzte er am Tatort teilweise schwer. Bei den polizeilichen Vernehmungen bezeichnete Ahmad A. seine Tat als islamistisch motiviert und als seinen persönlichen Beitrag zum weltweiten Jihad. Er gab an, nicht Mitglied der Terrororganisation IS zu sein. Sein Ziel sei es gewesen, eine möglichst große Zahl von deutschen Staatsangehörigen christlichen Glaubens zu töten, um für das Unrecht Vergeltung zu üben, dass aus seiner Sicht den Muslimen weltweit zugefügt werde. Im März 2018 verurteilte das Oberlandesgericht Hamburg den Attentäter wegen Mordes sowie versuchten Mordes und gefährlicher Körperverletzung in sechs Fällen zu lebenslanger Haft und stellte zudem die besondere Schwere der Schuld fest. 6.2.2 Anschläge in Europa und den USA ** Drei schwere Anschläge in Großbritannien In Großbritannien ereigneten sich 2017 drei schwere islamistisch motivierte Anschläge. Der schwerwiegendste Anschlag geschah am 22. Mai 2017 in Manchester im Rahmen eines Pop-Konzerts, der zum Tod von 22 Besuchern sowie des Täters führte. Der Attentäter von Manchester war ein Brite libyscher Abstammung. Er soll sich am Bürgerkrieg in Libyen auf Seiten der Islamisten beteiligt und dort Kontakt zu Vertretern des IS gehabt haben. Verschiedene Seiten hatten die britischen Sicherheitsbehörden in den zwei Jahren vor dem Anschlag vor der Person gewarnt. -- 101 -- Ein weiterer Anschlag ereignete sich auf der Westminster Bridge in London am 22. März 2017, bei der ein 52-Jähriger in eine Menschenmenge fuhr, dabei insgesamt vier Menschen tötete und anschließend noch einen Polizisten erstach. Am 3. Juni 2017 töteten drei islamistische Terroristen in London drei Fußgänger, indem sie die Passanten mit einem Kleinlaster auf der London Bridge gezielt überfuhren. Anschließend verließen sie das Fahrzeug und erstachen in einem nahegelegenen Markt fünf Menschen und verletzten weitere 48 Personen. Zu allen drei Attentaten bekannte sich der IS. ** Bombenanschlag in der St. Petersburger Metro am 3. April 2017 Ein Selbstmordattentäter zündete am 3. April 2017 in einer fahrenden Metro in Sankt Petersburg eine Bombe und tötete damit 14 Menschen und sich selbst. In einem später veröffentlichten Bekennerschreiben einer islamistischen Gruppierung wurde der Anschlag als Rache für das russische Engagement in Syrien deklariert. ** Anschlag mit Lastkraftwagen in Stockholm am 7. April 2017 Am 7. April 2017 verübte ein 39-jähriger Täter aus Usbekistan in der Stockholmer Innenstadt einen islamistisch motivierten Anschlag mit einem gestohlenen Lastkraftwagen, indem er in einer Fußgängerzone gezielt Passanten überfuhr, dadurch fünf Menschen tötete und weitere Personen verletzte. 109 109 Foto: Frankie Fouganthin, Wikimedia Common (CC BY-SA 4.0) -- 102 -- ** Anschläge in Barcelona und Umgebung am 17. und 18. August 2017 Bei einem islamistisch motivierten Anschlag im Zentrum von Barcelona kamen am 17. August 2017 fünfzehn Menschen ums Leben, als ein 22 Jahre alter Marokkaner mit einem gemieteten Lastkraftwagen durch eine Menschenmenge auf dem bekannten Boulevard La Rambla in der Innenstadt von Barcelona raste. Auf der Flucht tötete der Täter eine weitere Person. Insgesamt wurden 119 Menschen bei dem Anschlag verletzt. Der mutmaßliche Attentäter wurde am 21. August 2017 auf der Flucht erschossen. Am 18. August 2017 überfuhr ein Fahrzeug im 120 km westlich von Barcelona gelegenen Küstenort Cambrils bei der Flucht vor der Polizei absichtlich mehrere Menschen. Dabei wurden eine Person getötet und sechs verletzt. Beide Anschläge wurden von einer ca. zwölfköpfigen IS-Terrorzelle in Spanien geplant und durchgeführt. Auch hier erging ein Tatbekenntnis der Terrororganisation IS. Im Zuge der Ermittlungen zu einer Gasexplosion am 16. August 2017 in einem Wohnhaus in der unweit von Barcelona gelegenen Gemeinde Alcanar konnte nachgewiesen werden, dass jene IS-Terrorzelle dieses Haus als Vorbereitungsraum für geplante Anschläge genutzt hatte. Der mutmaßlich für die Radikalisierung der Terrorzelle verantwortliche Imam und eine weitere Person kamen bei dieser Explosion ums Leben. ** Angriff auf einen Nachtclub in Istanbul am Neujahrsmorgen 2017 Am frühen Neujahrsmorgen 2017 wurden bei einem Angriff auf einen der größten Nachtklubs Istanbuls insgesamt fast 40 Menschen getötet und rund 70 verletzt. Der Täter war mit Gewalt in den im Stadtteil Ortaköy gelegenen Nachtclub eingedrungen und hatte dort wahllos um sich geschossen. Der IS reklamierte die Tat kurz nach der Tat für sich. -- 103 -- ** Attentat in New York am 31. Oktober 2017 Ein 29-jähriger Usbeke fuhr mit einem Pick-up-Fahrzeug über mehrere Straßenblocks auf einem Fußund Radweg in Manhattan, tötete dabei acht Menschen und verletzte neun weitere, zum Teil schwer. Auf der anschließenden Flucht wurde der Attentäter von der Polizei angeschossen, überlebte jedoch den Vorfall. Bei ihm wurde eine schriftlich verfasste Sympathiebekundung für den IS gefunden. 6.2.3 Anschläge weltweit In Asien und Afrika war 2017 wieder eine große Zahl von Anschlägen zu verzeichnen, wobei Afghanistan auch in 2017 wieder besonders stark von islamistischen Anschlägen betroffen war. Hervorzuheben ist insbesondere der Anschlag am 21. April 2017 auf das Militärlager Shaheen in der Nähe von Masar-i-Sharif durch die islamistische Terrororganisation der Taliban, bei dem über 250 afghanische Soldaten ums Leben kamen. Auch im Irak und in Syrien waren 2017 zahlreiche gravierende Anschläge islamistischer Terrororganisationen zu verzeichnen. Der größte Anschlag im Irak fand am 14. September 2017 im Süden des Landes statt. Bei dem Doppelanschlag des IS kamen über siebzig Menschen ums Leben. Bei einem Anschlag der Terrororganisation al-Shabab, dem somalischen Ableger von al-Qaida, in der somalischen Hauptstadt Mogadishu wurden am 14. Oktober 2017 mehr als 350 Menschen getötet. Ein Novum bildeten die beiden zeitgleichen Anschläge in der iranischen Hauptstadt Teheran am 7. Juni 2017 auf das iranische Parlament und das Chomeini-Mausoleum, die dem Anschein nach auch auf die Terrororganisation IS zurückgehen. Insgesamt kamen hier mindestens 18 Menschen ums Leben, darunter fünf der Attentäter. -- 104 -- 6.3 Staatliche Maßnahmen gegen islamistischen Extremismus Auch in 2017 führte die deutsche Justiz eine erhebliche Zahl von Verfahren im Zusammenhang mit dem islamistischen Terrorismus. Bis Dezember wurden vom Generalbundesanwalt (GBA) Ermittlungsverfahren gegen 38 Personen wegen Straftaten nach SSSS 129 a/b Strafgesetzbuch (StGB) eingeleitet, die im Zusammenhang mit den Terrororganisationen IS, Jabhat al-Nusra und Junud al-Sham stehen.110 Eine weitere bedeutende Entscheidung auf dem Gebiet des islamistischen Terrorismus erging im April 2017 durch das Oberlandesgericht Düsseldorf gegen Marco G., welcher am 10. Dezember 2012 versucht hatte, mittels einer selbstgebauten Rohrbombe eine Explosion auf dem Bonner Hauptbahnhof herbeizuführen und dabei eine Vielzahl von Menschen zu töten111. Eine tatsächliche Explosion scheiterte, da die Zündvorrichtung der Bombe beschädigt war. Marco G. wurde wegen versuchten Mordes und versuchter Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion verurteilt. Gemeinsam mit drei weiteren Personen wurde Marco G. in dieser Gerichtsentscheidung auch wegen des geplanten Attentats auf den Vorsitzenden der Partei PRO Nordrhein-Westfalen im März 2013 abgeurteilt.112 In Mecklenburg-Vorpommern gelang es den Sicherheitsbehörden, 2017 zwei Personen aus Güstrow per Abschiebungsanordnung in ihr Heimatland abzuschieben, die im Verdacht standen, vom IS rekrutiert worden zu sein und Terroranschläge vorzubereiten. Ein Syrer konnte in Schwerin festgenommen und in Untersuchungshaft genommen werden, weil er im Verdacht steht, eine schwere staatsgefährdende Gewalttat vorbereitet zu haben (vgl. Abschnitt 6.6) 110 Vgl. Kleine Anfrage der Linksfraktion des Deutschen Bundestages zu "Umgang mit ISRückkehrern" vom 15.12.2017 (Drucksache 19/284), S. 5 111 Über diesen Vorfall wurde im Verfassungsschutzbericht Mecklenburg-Vorpommern 2013, S. 111, berichtet. 112 Vgl. Verfassungsschutzbericht Mecklenburg-Vorpommern 2013, S. 114 -- 105 -- Staatliche Maßnahmen gegen islamistischen Extremismus umfassen neben Repression verstärkt auch Präventionsansätze. Die Beratungsstelle Radikalisierung beim Bundesamt für Migra113 tion und Flüchtlinge (BAMF) ist Die Beratungsstelle Radikalisierung ein wichtiger Ansprechpartner beim BAMF ist über die Rufnummer für Fragen und Rat im Zusam0911-9434343 zu erreichen menhang mit Radikalisierung im privaten Umfeld. Ende 2017 hat auch eine Präventionsstelle gegen islamistische Radikalisierung in Mecklenburg-Vorpommern ihre Arbeit aufgenommen. 113 Daneben wurden auch 2017 in Deutschland wieder Verbote gegen islamistische Vereine ausgesprochen. Der Verein "Fussilet 33 e.V." und die vom Verein unterhaltene "Fussilet-Moschee" in Berlin-Moabit wurden am 8. Februar 2017 durch den Berliner Innensenator nach dem Vereinsgesetz verboten. Der tragende Grund für das Verbot waren die Verstrickungen des Vereinsvorstands und der Imame der Moschee mit terroristischen Gruppierungen im Ausland. Anis Amri, der das Attentat auf dem Berliner Weihnachtsmarkt am 19. Dezember 2016 verübte, hatte die Moschee 2016 regelmäßig besucht.114 Der Verein hatte für den IS und die Terrororganisation "Junud al-Sham" Spenden gesammelt und mit Spendengeldern Kämpfer unterstützt, die in der Moschee für den Einsatz dieser Organisationen in Syrien rekrutiert worden waren. Am 20. Juli 2017 verurteilte das Kammergericht Berlin unter anderem den ehemaligen Vorsitzenden des Vereins Ismet D. wegen Unterstützung der Terrororganisation "Junud al-Sham" zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren. Die schwerwiegendste Tat von Ismet D. war in diesem Zusammenhang die Schleusung von vier ausreisewilligen kaukasischen Kämpfern aus dem Umfeld der Moschee nach Syrien im September 2013. 113 www.bamf.de, heruntergeladen am 3.1.2018 114 Vgl. Verfassungsschutzbericht Mecklenburg-Vorpommern 2016, S. 106 -- 106 -- Am 14. März 2017 wurde der Moscheeverein "Deutschsprachiger Islamkreis Hildesheim e.V." (DIK Hildesheim) vom Niedersächsischen Ministerium für Inneres und Sport verboten. Der Iraker Abu Walaa war von 2014 bis zu seiner Festnahme am 8. November 2016 regelmäßig als Imam im DIK Hildesheim tätig. Abu Walaa ist zuzurechnen, dass der DIK Hildesheim ideologisch der verbotenen Terrororganisation "Islamischer Staat" (IS) zugeordnet wurde. Nicht öffentlich, aber in geschlossenen Kreisen hatte sich Abu Walaa dezidiert zum IS bekannt und zu dessen Unterstützung aufgerufen.115 Bei einer Durchsuchung der Moscheeräume im Sommer 2016 wurde Material sichergestellt, dessen Auswertung ergab, dass im DIK Hildesheim zielgerichtet islamistisch radikalisiert wurde und zahlreiche Personen aus dieser Organisation zur Jihad-Ausreise nach Syrien/Irak bewegt wurden, um sich dort dem IS anzuschließen. Das Hessische Innenministerium erließ im März 2017 ein Verbot des "Almedinah Islamischer Kulturverein e.V." in Kassel. Der Verein hatte ein jihadistisch-salafistisches Netzwerk gefördert und in der zum Verein gehörigen Medina-Moschee eine Plattform für den Aufruf zu Hass und Gewalt gegen andere Religionsgruppen, Staaten und Völker sowie ganz allgemein anders denkende Menschen geboten. Nach sicherheitsbehördlichen Erkenntnissen waren vor dem Verbot mehrere Besucher der Medina-Moschee nach Syrien ausgereist. Der Hauptverantwortliche der Moschee hatte fortlaufend salafistische Predigten gehalten und offen zum Jihad und zur Tötung Andersgläubiger aufgerufen. 6.4 Salafismus - Hintergründe und aktuelle Entwicklung Der Salafismus ist in Deutschland und zahlreichen anderen Ländern Europas nach wie vor die am dynamischsten wachsende islamistische Bewegung. Ihm werden in Deutschland derzeit rd. 10.800 Personen (Stand: Dezember 2017) zugerechnet, dies bedeutet einen Anstieg um 11 % im Verlauf des Jahres 2017 (9.600 Salafisten im Dezember 2016). 115 Vgl. Verfassungsschutzbericht Mecklenburg-Vorpommern 2016, S. 109 -- 107 -- Der Salafismus ist eine Ideologie und gleichzeitig eine besonders radikale Bewegung innerhalb des islamistischen Extremismus, die sich an den Ideen und Lebensweisen der ersten Muslime und der islamischen Frühzeit orientiert. Salafisten geben vor, ihre religiöse Praxis und Lebensführung ausschließlich an den Prinzipien des Koran und dem Vorbild des Propheten Muhammad und der frühen Muslime - der sogenannten rechtschaffenen Altvorderen (arabisch: al-salaf al-salih) - auszurichten. Um dies umzusetzen, streben Salafisten die bedingungslose Durchsetzung und Befolgung von islamischen Regeln an, die ihrer Auffassung nach in der frühislamischen Zeit gültig waren. Salafisten nehmen für sich eine alleinige Deutungsmacht über die islamischen Texte in Anspruch. Andere Meinungen und Positionen werden von ihnen systematisch unterbunden. Wer divergierende Positionen vertritt, wird gebannt, gegebenenfalls verfolgt oder sogar mit dem Tode bedroht. Für Salafisten ist der Islam deshalb nicht nur "Religion", sondern ein auf der wortgetreuen Befolgung des Koran und der Prophetentradition beruhendes System, welches sämtliche Lebensbereiche einschließlich Gesetzgebung und Politik regelt. In letzter Konsequenz streben Salafisten die Errichtung eines islamischen "Gottesstaates" an. Für Deutschland würde dieser Schritt bedeuten, dass wesentliche Grundrechte und Verfassungsprinzipien keine Geltung mehr hätten. Propaganda und Handlungsweisen von Salafisten zielen folglich nicht nur auf eine Beeinflussung religiöser Überzeugungen ab, sondern verfolgen einen totalitären Ansatz. Sie verwenden dabei zwar religiöse Begriffe, deuten sie jedoch politisch um und instrumentalisieren sie in ihrem Sinne. Die salafistische Ideologie ist daher mit Integration, religiöser Toleranz und den Grundlagen des demokratischen Rechtsstaates nicht vereinbar. Gleichwohl ist der Salafismus keine homogene Bewegung, sondern in verschiedene Unterkategorien zu gliedern. Der Verfassungsschutz unterscheidet zwischen den Strömungen des politischen und des jihadistischen Salafismus. Beide Strömungen teilen zwar grundsätzlich die gleichen Glaubensvorstellungen, unterscheiden sich jedoch in der Wahl der Methoden, mit denen diese Glaubensvorstellungen zur Anwendung gebracht werden -- 108 -- sollen. Politische Salafisten versuchen, ihre islamistische Ideologie durch intensive Propagandaaktivitäten zu verbreiten, welche sie als "Missionierung" (arabisch: da'wa) bezeichnen. Mit ihnen soll die Gesellschaft in einem langfristig angelegten Prozess nach salafistischen Vorstellungen verändert werden. Politische Salafisten veranstalten Kundgebungen in Innenstädten und "Islamseminare". Sie unterhalten ein umfangreiches Angebot im Internet, mit dem sie ihre Propaganda verbreiten. Nach außen wird dies als Informationsangebot zur korrekten Religionsausübung dargestellt, tatsächlich betreibt der politische Salafismus auf diesem Weg jedoch eine gezielte und systematische Indoktrination, die häufig den Anfangspunkt einer weiteren Radikalisierung bildet. Salafisten sind bei der Ansprache von Jugendlichen häufig erfolgreich, da sie eine jugendtypische Sprache sprechen und ihnen eine vermeintlich klare Orientierung in einer als unübersichtlich empfundenen Welt aufzeigen können. Zudem bieten sie ihnen das Zusammengehörigkeitsgefühl einer eingeschworenen Gemeinschaft, reduzieren Komplexität, indem sie Sachverhalte knapp und klar in Gut und Böse einteilen, stellen klare Gebote und Verbote für alle Bereiche des Lebens auf und entlasten den Jugendlichen davon, eigene Entscheidungen fällen zu müssen. Häufig nutzen sie auch den Idealismus der Jugendlichen und deren altersbedingte Protesthaltung, um sie für die Ziele des Salafismus einzuspannen. Auch der IS verfolgt einen jihadistischen Salafismus. Die Terrororganisation geht im Ursprung zurück auf den jordanischen Jihadisten Abu Mus'ab al-Zarqawi, der um das Jahr 2000 das jordanische Königshaus stürzen wollte. Nach kurzem Aufenthalt in Afghanistan floh er 2001 mit seinen Anhängern in den Irak. Nach dem Einmarsch der USA 2003 und dem folgenden Sturz der Regimes von Saddam Hussein formierte sich im Irak ein umfangreicher sunnitischer Widerstand. Al-Zarqawi stand dabei mit seinen Anhängern schnell an dessen Spitze. 2004 schloss er sich dem Netzwerk der Terrororganisation al-Qaida an und führte die Organisation "al-Qaida im Zweistromland", die für die schlimmsten Anschläge im Irak verantwortlich war und den Bürgerkrieg im Irak weiter entfesselte. Nach seinem Tod 2006 bekam die Terrorgruppe einen neuen Namen und firmierte dann unter dem Namen -- 109 -- "Islamischer Staat im Irak" (ISI). 2010 übernahm Abu Bakr al-Baghdadi die Führung; er expandierte 2011 nach Syrien, rief am 29. Juni 2014 in Mossul (Irak) das Kalifat aus und benannte die Organisation in der Folge in "Islamischer Staat" (IS) um. Insgesamt ist festzustellen, dass der politische Salafismus ein ambivalentes Verhältnis zur Gewalt als Mittel zur Durchsetzung seiner Ziele pflegt, da religiös legitimierte Gewalt häufig nicht prinzipiell ausgeschlossen wird (z. B. "zur Verteidigung des Islam"). Anhänger des politischen Salafismus positionieren sich zum Teil ostentativ gegen Terrorismus, heben den friedfertigen Charakter des Islam hervor und vermeiden offene Aufrufe zur Gewalt. Zwischen den unterschiedlichen salafistischen Strömungen besteht Uneinigkeit, unter welchen Voraussetzungen Gewalt angewendet werden darf. Die Grenzziehung zwischen politischem und jihadistischem Salafismus erweist sich somit häufig als unklar. Jihadistische Salafisten befürworten dagegen eine unmittelbare und sofortige Gewaltanwendung. Sie propagieren den bewaffneten Kampf auch gegen Machthaber in Ländern mit muslimischer Bevölkerungsmehrheit, denen sie vorwerfen, vom Islam abgefallen und Handlanger des verhassten "Westens" zu sein. Hervorzuheben ist hier, dass sämtliche Personen mit Deutschlandbezug, die den gewaltsamen Jihad befürworten, zuvor mit salafistischen Einrichtungen in Kontakt standen. Es kann somit als gesichert gelten, dass das von Salafisten verbreitete Gedankengut den Nährboden für eine islamistische Radikalisierung bis hin zur Rekrutierung für den militanten Jihad bildet. 6.5 Trends des islamistischen Terrorismus 2017 Die Zahl der Islamisten aus Deutschland, die 2017 in Richtung Syrien oder Irak ausgereist sind, um sich dort am Jihad zu beteiligen, ist zwar von 880 Personen in 2016 auf 970 Personen weiter angestiegen, jedoch dürfte dieser Anstieg sich vornehmlich auf Ausreisefälle beziehen, die nachträglich bekannt wurden und bereits vor längerer Zeit erfolgt waren. Die Zahl der 2017 tatsächlich ausgereisten Personen ist hingegen deutlich geringer. -- 110 -- Islamistisch motivierte Ausreisen nach Syrien und in den Irak waren für einige Jahre das zentrale Thema bei der Analyse des internationalen islamistischen Terrorismus. Bereits 2016 zeichnete sich hier eine deutliche Veränderung ab, welche sich in 2017 weiter verfestigte. Der IS musste 2017 in Syrien und Irak große territoriale Verluste hinnehmen. Ende 2017 kontrollierte er nur noch ein vergleichsweise kleines Territorium am syrischen Teil des Euphrats im Grenzgebiet zum Irak. Er verfügte zu diesem Zeitpunkt somit über kein Territorium mehr, das er propagandistisch als Gebiet eines Kalifats anpreisen konnte. Für viele Islamisten war jedoch die Vorstellung, in einem real existierenden Kalifat zu leben, der entscheidende Anreiz für die Ausreise nach Syrien oder in den Irak. Gleichzeitig setzte sich 2017 die Tendenz fort, dass der IS seine Anhänger ausdrücklich dazu aufrief, nicht mehr in das Kalifatsgebiet zu reisen, sondern stattdessen die "Ungläubigen" in ihren Heimatländern zu bekämpfen, d. h. Anschläge in westlichen Staaten zu verüben. Trotz seiner erheblichen territorialen Verluste, die vor allem auch 2017 zu verzeichnen waren, verfügt der IS über intakte Entscheidungsstrukturen, umfangreiche propagandistische Mittel und operative Möglichkeiten, um auch über das Jahr 2017 hinaus weltweit Anschläge zu verüben und neue Anhänger zu gewinnen. Der IS und andere islamistische Terrororganisationen nutzen vor allem das Internet für ihre propagandistischen Ziele. Sie betreiben u. a. "offizielle" Medienstellen, die hochprofessionelle Onlinemagazine produzieren und damit den Mediengewohnheiten junger Erwachsener entgegenkommen. An dieser online verbreiteten Propaganda, die vor allem auch der Werbung neuer Anhänger dient, lassen sich die Ziele der Terrororganisationen ablesen. Die Tatbekennungen, die über A'MAQ oder andere Kanäle des IS im Netz verbreitet werden, sind ein zentraler Bestandteil seiner PropagandakamLogo der IS-nahen pagnen. Nachrichtenagentur A'MAQ -- 111 -- Der IS will mit seiner Propaganda aber nicht nur auf seine politischen und religiösen Anliegen aufmerksam machen und neue Anhänger mobilisieren, sondern auch ganz gezielt Spannungen zwischen Muslimen und Nichtmuslimen erzeugen und damit die Gesellschaft spalten. Ein zentrales Element der IS-Propaganda ist die Veröffentlichung von Bekennungen zu Terroranschlägen, mit denen die vorgeblichen Erfolge der Terrororganisation herausgestellt werden sollen. 2017 ließ sich beobachten, dass der IS zwar die Verantwortung für Anschläge reklamierte, es jedoch keine Hinweise gab, dass die Tat tatsächlich unter Beteiligung der Terrororganisation verübt wurde. Daneben gibt es das Phänomen, dass der IS darum bemüht ist, Terroranschläge im Nachhinein als gezielte Aktionen des IS erscheinen zu lassen, ohne dass die Organisation tatsächlich an diesen Taten beteiligt war. Durch die Bekennung des Täters kann die Terrororganisation gleichwohl den Anschein eines propagandistischen Erfolges aus dem Anschlag erzeugen. Etwa ein Drittel der oben erwähnten 970 Personen, die bis Januar 2018 in Richtung Syrien und Irak ausgereist sind, befindet sich aktuell wieder in Deutschland. Trotz der massiven Gebietsverluste des IS zeichnet sich nach Einschätzung der Sicherheitsbehörden eine verstärkte Rückreisetendenz bislang nicht ab. Die Gruppe der Rückreisenden stellt in Bezug auf die Bundesrepublik ein großes Gefährdungspotential dar, da diese Personen mit einschlägigen Erfahrungen nach Europa zurückkehren und hier möglicherweise Anschläge verüben. Den Sicherheitsbehörden liegen aktuell zu über 80 Personen Erkenntnisse vor, wonach sie sich aktiv an Kämpfen in Syrien oder im Irak beteiligt oder hierfür eine Ausbildung absolviert haben. Personen, die im Ausland aktiv am Jihad teilgenommen haben, genießen darüber hinaus in salafistischen und jihadistischen Kreisen auch in Deutschland ein besonderes Ansehen, werden auf Grund dieser Erfahrungen häufig zu Vorbildern und tragen mit ihren Jihad-Erfahrungen zur Stärkung und Radikalisierung der salafistischen Szene in Deutschland bei. Eine zunehmend bedeutende Gruppe unter den Rückkehrern stellen Frauen und Kinder dar, die aus Syrien und dem Irak nach Deutschland reisen. -- 112 -- Nur ein Bruchteil der Flüchtlinge haben sich in ihren Heimatländern aktiv für islamistische Organisationen betätigt und setzen diese Aktivität in Deutschland teilweise fort (vgl. Abschnitt 6.6). Diese Personen stellen jedoch einen Teil des islamistisch-terroristischen Personenpotenzials dar, das die Sicherheitsbehörden vor besonders große Herausforderungen stellt, da Aktivitäten von Terroristen im Nahen Osten durch die deutschen Sicherheitsbehörden nur schwer aufzuklären sind. 6.6 Islamistischer Extremismus in MecklenburgVorpommern Auch 2017 waren zahlreiche Aktivitäten aus verschiedenen Bereichen des islamistischen Extremismus in Mecklenburg-Vorpommern festzustellen. Von besonderer Bedeutung waren erneut die Aktivitäten von Anhängern des Salafismus. Mit Stand Ende 2017 wurde für den Salafismus im Land ein Personenpotenzial von 130 ermittelt. Somit ist dieser Personenkreis im Jahr 2017 um rund 50 % angestiegen. 2016 betrug der Anstieg rund 30 %. Das Personenpotenzial der Salafisten umfasst sowohl politische als auch jihadistische Salafisten. 2017 waren keine Nachfolgeorganisation oder zurechenbare Aktivitäten der "Lies!"-Kampagne im Land auszumachen. Bis zum Verbot der salafistischen Organisation "Die wahre Religion" (DWR) am 15. November 2016 durch den Bundesinnenminister hatten 2016 in Rostock und Schwerin noch mehrere LIES!-Stände stattgefunden. Wie in Abschnitt 6.5 ausgeführt, befinden sich unter den Menschen, die aus dem Nahen und Mittleren Ostens nach Deutschland gekommen sind, auch Personen, bei denen Hinweise darauf vorliegen, dass sie zuvor in ihrem Herkunftsland in unterschiedlicher Weise in jihadistische Organisationen eingebunden waren - bis hin zu einer möglichen Beauftragung zu terroristischen Aktivitäten in Europa. Auch in 2017 war die Zahl der Hinweise auf solche Personen im Vergleich zu den Jahren vor 2015 hoch. Die Sicherheitsbehörden -- 113 -- des Landes gehen diesen Hinweisen konsequent nach. Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang die Aufschlüsselung des salafistischen Personenpotenzials nach Herkunftsländern: So kommen rund 44 % der Salafisten in Mecklenburg-Vorpommern aus dem Nordkaukasus und rund 37 % aus Syrien. ** Islamisten aus dem Nordkaukasus Die nordkaukasische Islamistenszene wird im überwiegenden Maße als salafistisch und gewaltbereit eingestuft. Ihre Anhänger wurden in den vergangenen Jahren überwiegend der Organisation "Kaukasisches Emirat" (KE) zugerechnet. Diese ursprünglich an al-Qaida angelehnte Separatistenbewegung im Nordkaukasus, die u. a. mit Terroranschlägen die russischen Sicherheitskräfte bekämpft und einen islamischen Gottesstaat auf Basis der Schari'a anstrebt, ist nach Entstehung der Terrororganisation IS sowohl im Kaukasus selbst als auch bei deren Anhängern in Deutschland zunehmend in den Hintergrund gedrängt worden. Das Erstarken der Terrororganisation IS, die Proklamation des Kalifats im Juni 2014 und die anschließenden Geländeeroberungen übten auf islamistisch ausgerichtete Nordkaukasier eine starke Anziehungskraft aus. Das Kaukasische Emirat verlor parallel dazu weiter an Bedeutung. Die Ideologie des IS ist wie keine andere für jihadistisch ausgerichtete Salafisten geeignet, diese in ihrem Weltbild einer gewaltbereiten Ausbreitung eines rückwärts gewandten Islam und in ihrem Ziel, der "Vernichtung der Ungläubigen", zu bestärken. Das Extremismuspotenzial der nordkaukasischen Szene in Deutschland ist ganz überwiegend salafistisch geprägt. Szeneangehörige sind zu einem großen Teil als gewaltbereit einzustufen. ** Abschiebung von zwei bosnischen Salafisten aus Güstrow wegen Terrorverdachts Am 17. August 2017 wurden die in Güstrow lebenden bosnischen Islamisten und Terrorverdächtigen Amir H. und Emir H. gemäß SS 58a Aufenthaltsgesetz (AufenthG) in ihr Heimatland abgeschoben. -- 114 -- Die Brüder Amir H. und Emir H. waren den Sicherheitsbehörden bereits seit mehreren Jahren als Angehörige der gewaltbereiten salafistischen Szene bekannt und hatten sich u. a. von Mitte 2014 bis 2016 als Verantwortliche und Organisatoren an der mittlerweile verbotenen Koranverteilaktion "LIES!" beteiligt (s. o.). Im Juli 2017 leitete die Generalbundesanwaltschaft in Karlsruhe gegen Amir H. und Emir H. ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat gemäß SS 89a Strafgesetzbuch (StGB) ein, da Hinweise vorlagen, dass die Beschuldigten in die Vorbereitung eines Terroranschlages verstrickt waren. Exkurs: SS 58a Aufenthaltsgesetz als ein Instrument der Terrorabwehr Im Jahre 2005 wurde in das Aufenthaltsgesetz die Regelung des SS 58a eingeführt, auf dessen Grundlage das Innenministerium eine Abschiebeanordnung erlassen kann. Voraussetzung hierfür ist, dass diese "auf Grund einer auf Tatsachen gestützten Prognose zur Abwehr einer besonderen Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder einer terroristischen Gefahr" basiert. Einer vorhergehenden Abschiebungsandrohung bedarf es nicht. Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 24. Juli 2017 dargelegt, dass eine solche Gefahrenprognose eine Bedrohungslage erfordere, bei der sich das vom Ausländer ausgehende Risiko einer sicherheitsgefährdenden oder terroristischen Tat jederzeit aktualisieren und in eine konkrete Gefahr umschlagen könne. Nicht erforderlich ist gemäß einer Entscheidung Bundesverwaltungsgerichts vom 21. März 2017, dass die vom Ausländer ausgehende Bedrohung bereits die Schwelle einer konkreten Gefahr im Sinne des Polizeirechts überschritten hat. -- 115 -- Das Instrument des SS 58a AufenthG stellt somit ein vergleichsweise "scharfes Schwert" im Spektrum der Vorschriften zur Aufenthaltsbeendigung dar, da sowohl die Kürze des Verwaltungsverfahrens wie auch der gerichtlichen Kontrollmöglichkeiten kombiniert mit der Rechtsgrundlage für einen sofortigen Abschiebegewahrsam ein ungewöhnlich schnelles und effektives staatliches Handeln ermöglichen. Die Rückführung der beiden terrorverdächtigen Brüder nach Bosnien-Herzegowina konnte daher nach Ablauf der siebentägigen Antragsfrist auf vorläufigen Rechtsschutz (SS 58a Abs. 4 AufenthG) am 17. August 2017 erfolgreich durchgeführt werden. ** Festnahme eines Syrers in Schwerin wegen des Verdachts der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat Am 31. Oktober 2017 wurde der syrische Staatsangehörige Yamen A. wegen des Verdachts der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat nach SS 89a Strafgesetzbuch in Schwerin 116 festgenommen. Er ist dringend verdächtig, die Begehung eines islamistisch motivierten Sprengstoffanschlags geplant und bereits konkret vorbereitet zu haben. Nach intensiven Ermittlungsmaßnahmen der Sicherheitsbehörden des Bundes und des Landes Mecklenburg-Vorpommern hatte sich abgezeichnet, dass der Beschuldigte spätestens im Juli 2017 den Entschluss gefasst hatte, in Deutschland 116 Foto: Bernd Wüstneck/dpa -- 116 -- einen Sprengsatz zu zünden und dadurch eine möglichst große Anzahl von Personen zu töten und zu verletzen. Bei den Durchsuchungsmaßnahmen am Tag der Festnahme wurden Beweismittel gefunden, die zu einer Untersuchungshaft des Beschuldigten führten. Zur Teilnahme von Personen aus dem Land Mecklenburg-Vorpommern am Bürgerkrieg in Syrien/Irak liegen auch für das Jahr 2017 keine belastbaren Erkenntnisse vor. Es gibt jedoch zahlreiche Hinweise zu Einzelpersonen, welche Bezüge zum Bürgerkrieg in Syrien/Irak aufweisen, etwa in Form von Ausreiseabsichten oder zu dortigen Aktivitäten vor ihrer Ersteinreise nach Deutschland. Da von einer mehr oder weniger großen Dunkelziffer auszugehen ist - jede Türkeireise kann zumindest theoretisch auch eine Weiterreise nach Syrien beinhalten - ist eine seriöse Zahlenangabe an dieser Stelle nicht möglich. Wie oben ausgeführt, hat sich die Zahl der Ausreisen aus Deutschland in den syrischen Bürgerkrieg 2017 deutlich verringert. Ein vorrangiges Risiko geht daher von Personen aus, die aus den Kampfgebieten Syriens zurückkehren. Auch 2017 gab es Hinweise darauf, dass sich Personen in Mecklenburg-Vorpommern aufhalten, die auf Seiten von islamistischen Organisationen in Syrien gekämpft haben. Dieser Kreis umfasst auch Personen, die nicht aus der Region Syrien/Irak stammen. -- 117 -- 7 Sonstiger Ausländerextremismus 7.1 Personenpotenzial Die Stärke der in Mecklenburg-Vorpommern agierenden - nicht islamistischen - linksextremistischen Ausländerorganisationen stellt sich im Einzelnen wie folgt dar:117 MV MV Bund Bund 2016 2017 2016 2017 Arbeiterpartei Kurdistans 250 250 14.000 14.500 (PKK) Revolutionäre Volksbefrei<10 <10 650 650 ungspartei-Front (DHKP-C) Ehemalige Türkische Kommunistische Partei/ Marxisten-Leninisten (TKP/ML) und Maoistische <10 <10 1.300 1.300 Kommunistische Partei (MKP) Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei (MLKP) <10 <10 600 600 Gesamt: < 280 < 280 16.550117 17.050 Von den meisten dieser Organisationen wird Deutschland als gesicherter Rückzugsraum betrachtet, jedoch ist die Zahl der Anhänger von DHKP-C, TKP/ML und MLKP - im Gegensatz zur Mitgliederzahl von PKK - im Land Mecklenburg-Vorpommern unbedeutend. 117 Die Gesamtzahl (hier: Bund) der Mitglieder-/Anhängerzahlen von nicht islamistischen - linksextremistischen Ausländerorganisationen weicht von der seitens des Bundesamtes für Verfassungsschutz veröffentlichten Gesamtstatistik insofern ab, als in der o.a. Tabelle ausschließlich die im Land Mecklenburg-Vorpommern agierenden Organisationen berücksichtigt worden sind. -- 118 -- 7.2 Arbeiterpartei Kurdistans (PKK)/Volkskongress Kurdistans (KONGRA GEL) n - r b ote -v e 118 7.2.1 Allgemeines Die im Jahr 1978 in der Türkei unter Führung von Abdullah Öcalan gegründete Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) kämpft seit Anfang der 1980er Jahre für die Unabhängigkeit und größere Autonomie der Kurdengebiete im Osten der Türkei. Seitdem sind bei Anschlägen und Gefechten mehrere zehntausend Menschen getötet worden, darunter auch viele Zivilisten. Die PKK ist in Deutschland, was Anhängerzahlen, Organisationsgrad und Mobilisierungspotenzial betrifft, nach wie vor die bedeutendste Kraft im Bereich des nicht religiös motivierten Extremismus mit Auslandsbezug. Sie wurde von der Europäischen Union in die Liste der terroristischen Vereinigungen aufgenommen und unterliegt in Deutschland unter allen von ihr benutzten Bezeichnungen wie KADEK, KONGRA GEL, KKK und KCK - einschließlich verschiedener Teilund Nebenorganisationen - seit 1993 einem vereinsrechtlichen Betätigungsverbot. Der Aktionsradius der PKK erstreckt sich über die Grenzen Deutschlands hinaus auf ganz Europa. Dabei verfolgt die PKK seit Jahren eine Doppelstrategie, die einerseits einen weitgehend gewaltfreien Kurs im westlichen Europa verfolgt, andererseits aber - insbesondere in der Türkei - auch den bewaffneten Kampf der Guerillaverbände sowie die Aktionen des terroristischen Arms, der "Freiheitsfalken Kurdistans" (TAK) umfasst. 118 Internetseite "wikipedia", abgerufen am 20.01.2016 -- 119 -- Die Aktivitäten der PKK in Deutschland waren im Jahr 2017 im Wesentlichen von folgenden Themen bestimmt: ** Dem Kampf der Kurden in Syrien und im Irak gegen die islamistische Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS), ** den bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen der PKK und dem türkischen Staat und ** der politischen Agitation zur Aufhebung des Betätigungsverbots der PKK in Deutschland. Im Rahmen der genannten Themen fanden auch im Jahr 2017 europaweit zahlreiche Resonanzaktionen der PKK-Anhängerschaft, wie Kundgebungen und Hungerstreiks, statt. In Mecklenburg-Vorpommern werden der PKK ca. 250 Personen zugerechnet. Obwohl diese auch im Jahr 2017 keine öffentlichkeitswirksamen politischen Aktivitäten im Land entfalteten, gelingt es der PKK immer wieder, eine relativ große Zahl von Kurden aus Mecklenburg-Vorpommern zur Teilnahme an überregionalen Veranstaltungen zu mobilisieren. 7.2.2 Aktivitäten der PKK in Deutschland Die PKK verfügt in Deutschland über einen konspirativ handelnden und streng hierarchisch organisierten Funktionärsapparat. Das gesamte Bundesgebiet ist dabei in Zuständigkeitsbereiche aufgeteilt, dem jeweils ein PKK-Führungsmitglied (sogenannter Gebietsverantwortlicher) vorsteht. Um sich der Verfolgung durch deutsche Sicherheitsbehörden zu entziehen, wechseln diese Führungskader regelmäßig und in kürzeren Zeitabständen europaweit ihr Zuständigkeitsgebiet. Mecklenburg-Vorpommern bildet zusammen mit dem größten Teil Schleswig-Holsteins das "Gebiet Kiel", das zum "Saha Nord" gehört und wiederum in einzelne Teilgebiete aufgeteilt ist. Eine der Hauptaufgaben dieser Führungskader ist die Beschaffung finanzieller Mittel zur Durchsetzung der Parteiziele und zur Verbreitung der PKK-Ideologie. Dies erfolgt überwiegend durch -- 120 -- den Verkauf von Publikationen und durch Einnahmen aus Veranstaltungen. Ein großer Teil der Gelder wird darüber hinaus durch mehr oder weniger freiwillige "Spendensammlungen" in der PKK-Anhängerschaft erzielt. Entsprechende monatliche Sammlungen sowie gesonderte jährliche "Spenden"-Kampagnen finden auch in Mecklenburg-Vorpommern statt. Die Geldmittel werden überwiegend zur Aufrechterhaltung der konspirativen wie auch der "offenen" Organisationsstrukturen der PKK, für die PKK-nahen Medien und für die Ausrüstung und den Lebensunterhalt der Guerillatruppen in den Kampfgebieten im Nahen Osten verwendet. Nicht zuletzt vor dem Hintergrund der angespannten Lage in den kurdischen Siedlungsgebieten in Syrien und im Irak setzt die PKK ihre Rekrutierungsaktivitäten in allen Teilen Deutschlands fort und fordert ihre Anhänger auf, sich den bewaffneten Einheiten der PKK anzuschließen. Überwiegend Jugendliche und junge Erwachsene werden nach einer erfolgreichen Rekrutierung und vor einem Einsatz auf ihre Tauglichkeit für entsprechende Aufgaben geprüft. Teilweise werden diese Personen im Nordirak ausgebildet und im Kampf eingesetzt. Solange die Kämpfe sowohl zwischen dem IS und der PKK als auch zwischen der PKK und den türkischen Sicherheitskräften andauern, dürften sich die Rekrutierungsbemühungen in ganz Europa fortsetzen. Trotz des seit 1993 bestehenden PKK-Verbots führten deren Anhänger auch im Jahr 2017 erneut europaweit zentrale Propagandaveranstaltungen mit teilweise mehreren zehntausend Teilnehmern durch, an denen ebenfalls Personen aus Mecklenburg-Vorpommern teilnahmen. Mittelpunkt der Veranstaltungen waren u. a. die Auseinandersetzungen in den kurdischen Siedlungsgebieten, das Schicksal des seit 1999 inhaftierten PKK-Führers Öcalan und das PKK-Betätigungsverbot in Deutschland. Wesentliche Elemente der Propaganda sind Podiumsdiskussionen, Unterschriftenkampagnen, Hungerstreiks und Mahnwachen. Darüber hinaus war auch aus den Reihen der PKK bzw. PKK-naher Verbände eine Mobilisierung zur Teilnahme an Protesten gegen den G20-Gipfel festzustellen. Insbesondere wurde hier zur Teil-- 121 -- nahme an der Großdemonstration "G20 - not welcome" am 8. Juli 2017 aufgerufen. Für die PKK-Jugendorganisation "Komalen Ciwan"/"Ciwanen Azad" war vorwiegend die Teilnahme des türkischen Staatspräsidenten Erdogan am G20-Gipfel ein Grund, ihre Anhänger dazu aufzufordern, bei G20-Demonstrationen auf die Lage des inhaftierten PKK-Führers Öcalan aufmerksam zu machen Organisiert wurden die Veranstaltungen in der Regel nicht unmittelbar durch die PKK, sondern stellvertretend durch die überwiegend örtlichen kurdischen Vereine und das "Demokratische Gesellschaftszentrum der Kurdinnen und Kurden in Deutschland" (NAV-DEM e. V.), welches als Dachverband dieser Vereine in Deutschland fungiert. Die Vereine haben den Auftrag, die Politik der PKK unter den Anhängern zu verbreiten und stellen sich in der Öffentlichkeit in der Regel als reine Kulturvereine dar. NAVDEM e. V. ist zur Zeit nicht vom Betätigungsverbot gegen die PKK und deren Nachfolgeorganisationen erfasst. Nach seinem Selbstverständnis vertritt er jedoch gleichwohl die politischen Interessen der PKK. Für eine Abkehr der PKK von ihrem sogenannten "Friedenskurs" im westlichen Teil Europas gibt es derzeit keine Hinweise. In diesem Aktionsraum versucht die PKK vielmehr, kurdische Demonstranten zu einem gewaltfreien Verhalten zu verpflichten, um die günstige öffentliche Wahrnehmung "der Kurden" nicht zu trüben und für eine Aufhebung des PKK-Verbots zu werben. Gleichwohl ist die PKK nach wie vor die mitgliederstärkste ausländerextremistische Organisation in Deutschland. Die aktuelle Lage in der Türkei und in den kurdischen Siedlungsgebieten ist dazu angetan, Auseinandersetzungen zwischen Anhängern der PKK und nationalistischen Türken beziehungsweise Islamisten zu entfachen. Ein Aufeinandertreffen dieser Gruppierungen kann insofern jederzeit zu Gewalteskalationen führen und stellt somit einen beständigen latenten Gefahrenherd für die innere Sicherheit in Deutschland dar. -- 122 -- 7.2.3 Internetaktivitäten Auch für die PKK spielt das Internet eine immer wichtigere Rolle. Insbesondere die PKK-Jugend nutzt vorwiegend Videoportale (z. B. YouTube) oder soziale Netzwerke (z. B. Facebook), um Propaganda für die Guerillaeinheiten der PKK zu verbreiten, kurzfristig für Demonstrationen oder sonstige Protestaktionen zu mobilisieren oder um Nachwuchs für ihre Guerillaeinheiten zu rekrutieren. 7.2.4 Kooperation mit deutschen Linken und Linksextremisten Im Verlauf des syrischen Bürgerkriegs und insbesondere seit Beginn der Kampfhandlungen zwischen dem "Islamischen Staat" (IS) und den syrisch-kurdischen "Volksverteidigungseinheiten"' (YPG) solidarisierten sich deutsche Linksextremisten verstärkt mit der kurdischen Autonomiebewegung. Diese Kurdistan-Solidarität deutscher Linksextremisten erhielt durch den Kampf der PKK gegen den IS erheblichen Auftrieb und nahm im Laufe der Zeit zunehmend konkretere Formen an. In der Folge haben sich nahezu bundesweit lose Aktionsbündnisse PKK-naher kurdischer, linker und linksextremistischer Gruppierungen sowie Solidaritätsgruppen mit linksextremistischer Beteiligung gebildet, die gegen den Fortbestand des PKK-Verbotes kämpfen. Bereits im Mai 2010 hatten PKK-nahe linksextremistische Gruppen ein bundesweites Aktionsbündnis unter der Bezeichnung "Tatort Kurdistan" gegründet. An dem Bündnis sind von PKK-Seite insbesondere die YEK-KOM, die sich im Juni 2014 in NAV-DEM umbenannte, sowie auf linksextremistischer Seite u. a. die "Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands" (MLPD) beteiligt. Die Kampagne zielt darauf ab, angebliche Verwicklungen deutscher Behörden sowie der Industrie in den "Krieg der Türkei gegen die kurdische Zivilbevölkerung" aufzuzeigen. 119 119 119 Internetseite "Indymedia.org", abgerufen am 23.01.2017 -- 123 -- Zudem fordert die Kampagne die Aufhebung des Betätigungsverbots gegen die PKK in Deutschland und die Freilassung des seit 1999 in der Türkei inhaftierten PKK-Führers Abdullah Öcalan. Die MLPD ist darüber hinaus maßgeblich in die Organisation der "Kobane-Solidaritätsbrigaden" eingebunden, einer Initiative der linksextremistischen "Internationa120 listischen Organisation revolutionärer Parteien und Organisationen" (ICOR), der weltweit 48 Gruppierungen angehören.120 So wirbt die MLPD um Freiwillige für die Mitwirkung an diesen "Solidaritätsbrigaden", deren Ziel u. a. die Errichtung eines Gesundheitszentrums in Nordsyrien ist. Zur Unterstützung dieses Projekts sind auch deutsche Linksextremisten in die kurdisch kontrollierten Kampfgebiete Syriens gereist. 120 Internetseite "rebell.info", abgerufen am 23.01.2017 -- 124 -- 8 Spionageabwehr 8.1 Aktuelle Entwicklungslinien und Tendenzen In der Bundesrepublik Deutschland erfolgt die Beobachtung von sicherheitsgefährdenden oder geheimdienstlichen Tätigkeiten anderer Staaten durch die Fachbereiche Spionageabwehr der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder und wird im Rahmen der gesetzlich normierten Aufgabenstellung als länderübergreifende Verbundaufgabe wahrgenommen. Kennzeichnend für die Aktivitäten ausländischer Nachrichtendienste ist ihr - durch politische Vorgaben der jeweiligen Regierungen definiertes - Interesse und Agieren zur Erlangung von Informationen aus allen Bereichen des politischen, wirtschaftlichen, militärischen und wissenschaftlichen Wirkungsfeldes unterschiedlicher Einzelpersonen, Behörden, Unternehmen und sonstiger Organisationen in Deutschland. Die in diesem Zusammenhang eingesetzten Mittel und Methoden reichen von der klassischen Anwerbung und Führung nachrichtdienstlich interessanter Zielpersonen bis hin zu offenen und/ oder verdeckt durchgeführten, hochwirksamen Cyberangriffen. Deutschland ist Standort einer Vielzahl von hochtechnologischwissenschaftlich ausgerichteten Firmen, Forschungseinrichtungen, Hochschulen und Universitäten und liegt somit im besonderen Aufklärungsinteresse anderer Staaten. Auf dem Feld der Spionage und sonstiger diesbezüglich als relevant einzustufenden Aktivitäten sind insbesondere die Russische Föderation, die Volksrepublik China und die Islamische Republik Iran tätig. Des Weiteren sind die Nachrichtendienste anderer Staaten, hier vor allem Pakistan, Nordkorea und Syrien, in vielfältigster Art und Weise in illegale Beschaffungsaktivitäten auf dem Gebiet der Proliferation, also der Weiterverbreitung atomarer, biologischer oder chemischer Massenvernichtungswaffen (ABC-Waffen) beziehungsweise der zu ihrer Herstellung erforderlichen Materialien sowie ent-- 125 -- sprechender Trägersysteme (z. B. Raketen) einschließlich des hierfür notwendigen Wissens, maßgeblich eingebunden. Im Zusammenwirken mit anderen Dienststellen liegt die Bearbeitung und Aufklärung von derartigen Sachverhalten ebenfalls im Zuständigkeitsbereich der Spionageabwehr. Neben den bereits skizzierten Spionageaktivitäten bildet die Ausspähung von in Deutschland lebenden Personen und Organisationen, die sich in politischer Opposition zu den jeweiligen Regierungen ihrer Heimatländer befinden, einen weiteren Schwerpunkt hier tätiger ausländischer Nachrichtendienste. So gibt es nach wie vor Hinweise und Verdachtsmomente, die auf eine mögliche Tätigkeit syrischer Nachrichtendienste im Umfeld der Flüchtlingsbewegungen schließen lassen. Darüber hinaus stehen die Aktivitäten türkischer Nachrichtendienste in Deutschland im Fokus der Spionageabwehr. Türkische Sicherheitsbehörden verfolgen seit dem Putschversuch in der Türkei im Juli 2016 diesbezüglich weltweit verstärkt vermeintlich Verantwortliche. Im Lichte der Gegebenheiten ist hierzulande von einer zunehmenden Aufklärungstätigkeit türkischer Nachrichtendienste auszugehen. Bei der staatlich gelenkten Einflussnahme auf die öffentliche Meinung und politische Entscheidungsträger in Deutschland bedient sich gerade Russland verschiedener Formen von Vorgehensweisen, denen nachrichtendienstliche Verhaltensmuster zugrunde liegen. Im Rahmen von derartigen Propagandaund Desinformationsaktivitäten kommen unter anderem sogenannte Internet-Trolle zum Einsatz, die in sozialen Medien pro-russische Sichtweisen platzieren. Auch verschiedene private Institute, Staatsmedien und soziale Netzwerke sind in die vorstehend angeführten Zwecke eingebunden. Zudem versuchen verschiedene, beauftragte Akteure, durch entsprechendes Handeln Gesprächspartner in ihrem Wirkungsfeld im Sinne Russlands gezielt zu beeinflussen. -- 126 -- Ferner nehmen weitere - auch westliche Staaten - eine verstärkte Rolle im Zusammenhang mit Spionageaktivitäten auf deutschem Boden ein. Auch diese unterliegen der Beobachtung durch die Verfassungsschutzbehörden. 8.2 Wirtschaftsschutz - Aufgabe der Spionageabwehr Unternehmen aus Deutschland zeichnen sich durch Innovationskraft und Wettbewerbsfähigkeit aus und gehören mit ihrer Produkten mitunter zu den Weltmarktführern in den jeweiligen Branchen. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass sich deutsche Firmen weiterhin und im hohen Maße im nachrichtendienstlichen Interessensfeld anderer Staaten befinden. Diese versuchen durch unterschiedlichste Vorgehensweisen, sensible Betriebsgeheimnisse zum Vorteil dortiger Volkswirtschaften gezielt abzuschöpfen. Eine funktionsund leistungsfähige Wirtschaft ist eine elementare Voraussetzung zur Gewährleistung eines modernen, staatlichen Gemeinwesens in Deutschland. Vor diesem Hintergrund wird der Schutz von heimischen Unternehmen gegen Sabotage und Spionage als gemeinsame Aufgabe von Staat und Wirtschaft betrachtet. Absicht eines präventiv ausgerichteten Wirtschaftsschutzes ist es, deutsche Unternehmen insgesamt vor jeglichen Formen schädigender Angriffshandlungen, die einen nachrichtendienstlichen, extremistischen und/oder terroristischen Hintergrund aufweisen, zu schützen. So hat das Bundesamt für Verfassungsschutz - diese Schutzverpflichtung staatlichen Handels aufgreifend - mit weiteren Sicherheitsbehörden und der Wirtschaft, mit der "Initiative Wirtschaftsschutz" eine Form der Zusammenarbeit gegründet, bei der unter Koordinierung des Bundesministeriums des Innern (BMI) verschiedene Bearbeitungsansätze und Möglichkeiten zur Optimierung entsprechender Belange gebündelt und einer sachdienlichen Umsetzung zugeführt werden. Auf der Internetplattform www.wirtschaftsschutz.info steht allen interessierten Nutzern die Bandbreite des diesbezüglich vorhandenen Wissens zur Verfügung. -- 127 -- 8.3 Bedrohungen durch Cyberangriffe Im Rahmen digitaler Globalisierung stellen Daten wertvolle Rohstoffe dar und sind dementsprechend auch Ziel ausländischer unberechtigter Zugriffe. Parallel dazu hat die Abhängigkeit unserer Gesellschaft von der Informationstechnologie (IT) ein kaum vorstellbares Maß erreicht. Cyberbzw. Hackerangriffe treten folglich mit steigender Tendenz in allen Bereichen des digitalen Datenverkehrs auf. Vorgehensweisen, Motive und Ziele der Angreifer sowie deren Herkunft sind vielfältig und zumeist aufgrund technischer Gegebenheiten nur schwer durchschaubar. Der Schutz von Daten vor Ausspähung oder Verfälschung durch ausländische Behörden muss daher auch für die Spionageabwehr als wichtige Aufgabe angesehen werden, zumal neben Wirtschaftsunternehmen und Forschungseinrichtungen zunehmende deutsche Regierungsstellen und Behörden im Fokus von Cyberangriffen stehen. Die gesetzlichen Grundlagen zum Schutz von Daten und IT-Systemen wurden in Deutschland an die skizzierten Entwicklungen angepasst und unterliegen einer fortwährenden Beurteilung. Cyberangriffe bieten für den Angreifer, im Gegensatz zu herkömmlichen Mitteln und Methoden der Spionage und Sabotage, erhebliche Vorteile. So erfolgen sie im Allgemeinen von beliebigen, "unbekannten" Orten aus und unterliegen einem wesentlich geringeren Enttarnungsund Gefährdungsrisiko für die handelnden Personen und Organisationen. Nicht wenige Staaten und mittlerweile auch terroristische Gruppierungen verfügen über eigene Fähigkeiten und Kapazitäten auf diesem Gebiet. Der Prävention gegenüber unberechtigten digitalen Zugriffen kommt überragende Bedeutung zu. Aufgrund der Vielfalt von Cyberangriffen sind einerseits breitflächige technische Vorkehrungen zu treffen, die ein unberechtigtes Eindringen in digitale Systeme verhindern. Andererseits ist durch allgemeine und spezifische Aufklärung der Bediener digitaler Systeme entgegenzuwirken, dass arglos potentiellen Angreifern durch Vortäuschen falscher Berechtigungen oder Autorität der Zugriff auf digitale Kommunikationssysteme gewährt wird. -- 128 -- Die Sammlung und Auswertung relevanter Erkenntnisse ermöglicht die bedarfsgerechte Unterrichtung möglicher Adressaten solcher Angriffe und trägt somit zu einer stetigen Optimierung bestehender Schutzmechanismen sowie strategischen Handlungsüberlegungen bei. Zu den Aufgaben ausländischer Nachrichtendienste gehört vielfach nicht nur die Ausforschung von Politik und Militär anderer Staaten, sondern auch deren Wirtschaft und Wissenschaft. Dabei nutzen sie zunehmend die Möglichkeiten von Cyberangriffen. Der jährlich in Deutschland verursachte wirtschaftliche Schaden bewegt sich in Milliardenhöhe. Arbeitsplätze und Firmen, nicht nur im Hochtechnologiebereich, sind gefährdet. Cyberangriffe waren in den letzten Jahren insbesondere der Russischen Föderation und der Volksrepublik China zuzuordnen. Auf Russland werden Angriffe gegen den Deutschen Bundestag und weitere Behörden sowie im französischen Wahlkampf im Jahr 2017 zurückgeführt. Hierbei werden mit den Angriffen zugleich Versuche der Destabilisierung und Beeinflussung der öffentlichen Meinung verbunden. China ist im Rahmen seiner zentralen industrie-politischen Planung, bis 2049 zum globalen Führer der vierten industriellen Revolution zu werden, an Spitzentechnologie interessiert, um zu einem Hochtechnologieland aufzusteigen. Hierzu dienen Cyberangriffe, um an die entsprechende Technologie zu gelangen. Allerdings ist erkennbar, dass mittlerweile auch erhebliche Mittel aufgewendet werden, um entsprechende Unternehmen zum Zweck des Technologietransfers zu erwerben. In der Folge steigender Abwehrbemühungen gegenüber Cyberangriffen stellt der Unternehmenserwerb ein legales Mittel zur Wissenserweiterung dar und entzieht sich somit dem Aufgabenbereich der deutschen Spionageabwehr. Weiterhin können intensive Anwerbeversuche, auch und gerade in sozialen Netzwerken, insbesondere Karrierenetzwerke, festgestellt werden. Daneben stehen oppositionelle Kräfte oder nach Unabhängigkeit strebende Volksgruppen auch im Ausland unter besonderer Beobachtung, wozu auch Cyberangriffe eingesetzt werden. -- 129 -- Neben den Aktivitäten der genannten Länder sind zunehmend auch Cyberaktivitäten zu verzeichnen, die politisch oder wirtschaftlich motiviert sind. Ein weiterer Aspekt, der zunehmend in den Fokus rückt, ist die digitale Vorbereitung von Sabotage. Hierzu werden IT-Systeme mit dem Ziel infiltriert, zu einem späteren Zeitpunkt bei einem entsprechenden Bedarf der Angreifer Systeme zu schädigen und damit außer Betrieb zu setzen. Aus diesem Grunde sind besonders wichtige Bereiche, unter anderem sogenannte kritische Infrastrukturen, auch besonders zu schützen. Damit sollen Angriffe auf diese Systeme erschwert und deren Auswirkungen möglichst verhindert werden. Auf diesem weiten Feld der Abwehr von möglichen Cyberangriffen ist auch der Verfassungsschutz im Rahmen seiner Spionageabwehr - in enger und vertraulicher Zusammenarbeit mit anderen Behörden - präventiv und repressiv im Rahmen seiner Aufgabenbeschreibung - dem Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung sowie des Bestandes und der Sicherheit des Bundes und der Länder - tätig. Die Verfassungsschutzbehörden informieren, sensibilisieren und beraten zur Vorbeugung und Abwehr der Gefahren von Cyberangriffen. Hierzu sammeln sie entsprechende Informationen und werten diese aus. 8.4 Spionageabwehr - Ihr Ansprechpartner vor Ort Der Verfassungsschutz bearbeitet Verdachtsfälle im Bereich der Spionage und unterstützt auf Wunsch bei der Klärung entsprechender Anhaltspunkte vor Ort. Zur Erfüllung unserer gesetzlichen Aufgaben sind wir jedoch auch auf die Unterstützung der Bevölkerung angewiesen. Sollten Sie daher Umstände oder Verdachtsmomente, die in Ihrem Wirkungsfeld auf einen nachrichtendienstlichen Hintergrund deuten können, erlangen, werden Sie gebeten, dies unverzüglich der zuständigen Verfassungsschutzbehörde mitzuteilen. -- 130 -- Auf der Grundlage einer vertraulichen Behandlung Ihrer Hinweise können wir Ihnen auch für den Fall einer eigenen, persönlichen Verstrickung ggf. individuelle Lösungsansätze aufzeigen. Bei der Wahrnehmung unserer Tätigkeit arbeiten wir nach dem sogenannten Opportunitätsprinzip, unterliegen also im Gegensatz zur Polizei nicht der Pflicht zur Verfolgung von möglichen Straftaten. Auch stehen wir Ihnen zur Klärung von Sachverhalten, die nicht unmittelbar in die Zuständigkeit der hiesigen Spionageabwehr fallen, auf Wunsch bei der Vermittlung von weiteren, kompetenten Ansprechpartnern anderer Dienststellen im Bundesgebiet selbstverständlich gern zur Verfügung. Wir sind für Sie da: Ministerium für Inneres und Europa Mecklenburg-Vorpommern Abteilung Verfassungsschutz Spionageabwehr Postfach 11 05 52 19005 Schwerin 121 Telefon: 0385/7420-0 Fax: 0385/714438 E-Mail: spionageabwehr@verfassungsschutz-mv.de 121 Foto: Silke Kaiser/pixelio.de -- 131 -- 9 Öffentlichkeitsarbeit Der Verfassungsschutz dient dem Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, des Bestandes und der Sicherheit des Bundes und der Länder. Eine Gefahr für diese Schutzgüter kann dabei aus vielen Strömungen wie politischem Extremismus, Terrorismus, Rassismus, Antisemitismus, Fremdenfeindlichkeit oder Gewalt hervorgehen. Beispielhaft sollen hier nur die gewalttätigen Proteste des linksextremistischen Spektrums gegen den G20-Gipfel in Hamburg im Juli 2017, die Demonstration der NPD am 1. Mai 2017 in Stralsund und die Festnahme eines Syrers am 31. Oktober 2017 in Schwerin wegen des Verdachts der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat genannt werden. Aus diesem Grund ist es Aufgabe des Verfassungsschutzes Mecklenburg-Vorpommern, die Bevölkerung und die zuständigen Stellen über Gefahren zu informieren, aufzuklären und Präventionsarbeit zu leisten. Diese Arbeit ermöglicht es der Öffentlichkeit, sich wehrhaft zu zeigen und den Bedrohungen der Demokratie entgegenzutreten. Im Rahmen der Umsetzung dieses Auftrages, der Verpflichtung und Selbstverständnis für den Verfassungsschutz Mecklenburg-Vorpommern zugleich ist und darüber hinaus im Landesverfassungsschutzgesetz Mecklenburg-Vorpommern verankert wurde, veröffentlicht der Verfassungsschutz Mecklenburg-Vorpommern zusammenfassende Berichte. Zu diesen zusammenfassenden Berichten zählt insbesondere der jährliche Verfassungsschutzbericht des Ministeriums für Inneres und Europa Mecklenburg-Vorpommern. Er informiert über die wesentlichen, während des Berichtsjahres gewonnenen Erkenntnisse des Verfassungsschutzes Mecklenburg-Vorpommern, bewertet diese und gibt eine Prognose über die weitere Entwicklung der Bedrohungslage in unserem Bundesland ab. Der Bericht steht allen Bürgerinnen und Bürgern sowohl als bestellbare gedruckte Broschüre als auch in elektronischer Form auf der Internetseite des Verfassungsschutzes Mecklenburg-Vorpommern zur Verfügung. -- 132 -- 9.1 Aktivitäten Zusätzlich zum Verfassungsschutzbericht informierten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Verfassungsschutzes Mecklenburg-Vorpommern die Öffentlichkeit im vergangenen Jahr aber auch auf zahlreichen landesund bundesweiten Fachtagungen und Veranstaltungen. Sie stellten sich dort den aktuellen Diskussionen über die Arbeit und die Aufgaben der Sicherheitsbehörden, über neue Entwicklungen im Verfassungsschutz sowie über die Entwicklungen in den unterschiedlichen Bereichen des politischen Extremismus und Terrorismus. Im Jahr 2017 hat der Verfassungsschutz Mecklenburg-Vorpommern unter anderem an den folgenden Veranstaltungen mitgewirkt: ** 1. Februar 2017 Vortrag mit anschließender Diskussion in Grevesmühlen zum Thema "Islamismus unter Flüchtlingen" für Mitarbeiter von Ausländerbehörden und Flüchtlingseinrichtungen. ** 3. März 2017 Vortrag mit anschließender Diskussion in Rostock zum Urteil im NPD-Verbotsverfahren und seine Auswirkungen auf Mecklenburg-Vorpommern vor Akteuren aus dem Bereich der politischen Bildung und der Presse. ** 4. April 2017 Vortrag zum Thema "Wirtschaftsschutz" in Schwerin im Rahmen einer Informationsveranstaltung des Patentinformationszentrum Schwerin vor Vertretern aus der Wirtschaft. ** 9. Mai 2017 Vortrag zum Thema "Reichsbürger und Selbstverwalter" in Wulkenzien vor Vertretern der Industrieund Handelskammer und des Bankenverbandes. -- 133 -- ** 16. Mai 2017 Durchführung von Workshops mit Schülern in Neustrelitz zu den Thematiken "Rechtsextremismus" sowie "Islamismus" im Rahmen des Jugendpolitiktages der Konrad-Adenauer-Stiftung. ** 7. Juni 2017 Vortrag mit anschließender Diskussion in Sternberg zum Thema "Innere Sicherheit". ** 12. Oktober 2017 Vortrag zum Thema "Reichsbürger und Selbstverwalter" in Schwerin vor Mitarbeitern der Agentur für Arbeit. ** 9. November 2017: Teilnahme am Symposium im Rahmen der Sicherheitskooperation der fünf neuen Bundesländer und Berlin in Dresden zum Thema "Verschwörungstheorien - Lackmustest für die Demokratie und Einfallstor für Extremisten?" ** 16. November 2017 Vortrag zum Thema "Reichsbürger und Selbstverwalter" in Hasenwinkel im Rahmen einer Fachtagung des Leitungsbereichs der ordentlichen Arbeitsund Sozialgerichtsbarkeit aus Mecklenburg-Vorpommern. Zur Aufklärung der Fachöffentlichkeit führte der Verfassungsschutz Mecklenburg-Vorpommern von Oktober bis Dezember 2017 zusammen mit den Polizeibehörden in den Landkreisen und kreisfreien Städten unseres Landes Sicherheitskonferenzen durch und informierte über die einzelnen Phänomenbereiche in der jeweiligen Region. Darüber hinaus setzte der Verfassungsschutz Mecklenburg-Vorpommern seine Informationsarbeit über das Auftreten der sogenannten "Reichsbürger und Selbstverwalter" (vgl. Abschnitt 4) im öffentlichen Raum fort. Im Berichtszeitraum nahmen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Verfassungsschutzes Mecklenburg-Vorpommern an neun Veranstaltungen teil, auf denen zahlreiche Be-- 134 -- darfsträger aus der öffentlichen Verwaltung oder Hoheitsträger mit Vollstreckungsaufgaben zum richtigen Umgang mit dem Phänomen informiert wurden. Die Verfassungsschutzbehörde Mecklenburg-Vorpommern ist Teil des Beratungsnetzwerks Demokratie und Toleranz Mecklenburg-Vorpommern (www.demokratie-mv.de). Dabei handelt es sich um einen Zusammenschluss aus staatlichen Behörden und nichtstaatlichen Beratungsorganisationen sowie Akteuren in freier Trägerschaft. Durch die Mitwirkung im landesweiten Beratungsnetzwerk sowie in den Regionalzentren für demokratische Kultur werden Einschätzungen zu extremistischen Entwicklungen in die Diskussionen eingebracht. Sofern Sie eine Vortrags-, Informationsveranstaltung oder eine Fachmesse vorbereiten, die Sachbezug zur Arbeit des Verfassungsschutzes aufweist, können Sie sich direkt an den Verfassungsschutz des Landes Mecklenburg-Vorpommern, unter der Telefon-Nummer 0385/7420-0, wenden oder hierzu Kontakt über die Internetseite www.verfassungsschutz-mv.de aufnehmen. 9.2 Informationsmaterialien Informationsmaterialien können kostenlos beim Verfassungsschutz Mecklenburg-Vorpommern angefordert oder im Internet unter der Adresse www.verfassungsschutz-mv.de herunter geladen werden. Für das Berichtsjahr 2017 ist festzustellen, dass der Verfassungsschutz Mecklenburg-Vorpommern mehr als 500 Publikationen kostenfrei an interessierte Bürger und Einrichtungen innerhalb und außerhalb der öffentlichen Verwaltung verschickt hat. ** Verfassungsschutzberichte der Jahre 2006 bis 2017 -- 135 -- ** Rituale und Symbole der rechtsextremistischen Szene (Historische und ideologische Hintergründe des Rechtsextremismus, Juli 2015) ** Infoflyer zu "Reichsbürger und Selbstverwalter" -- 136 -- ** Islamistische Aktivitäten erkennen (Kompaktinformation zu Salafismus und anderen Formen des Islamismus für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Flüchtlingseinrichtungen, April 2016) ** Proliferation - Wir haben Verantwortung (Gemeinschaftsproduktion der Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern, März 2014) -- 137 -- ** Wirtschaftsschutz - mehrteilige Faltblattserie (Gemeinschaftsproduktion der Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern, Februar 2017), zu den folgenden Einzelthemen: ** Unsere Themen: Das sollten Sie wissen ** Know-how-Schutz: Identifizieren, Bewerten, Schützen ** Geschäftsreisen: Sicherheit bei Auslandsreisen ** Personalauswahl: Loyalität als Sicherheitsgewinn ** Sicherheitslücke Mensch: Gefahr durch Innentäter ** Social Engineering: Informationsbeschaffung durch soziale Manipulation ** Social Media: Risiken durch soziale Netzwerke ** Besuchermanagement: Umgang mit Besuchern und Fremdpersonal ** Elektronische Angriffe: Gefahren für Informationsund Kommunikationstechnik ** Industrie 4.0: Herausforderungen neuer Technologien ** Fokus Wirtschaft: Gefahren für Forschung und Lehre -- 138 -- ** Wirtschaftsspionage - Risiko für Unternehmen, Wissenschaft und Forschung (Gemeinschaftsproduktion der Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern, Juli 2014) Darüber hinaus stellt das Ministerium für Inneres und Europa Mecklenburg-Vorpommern Broschüren und Information bereit, die kostenlos als Download unter der Adresse www.regierung-mv.de zur Verfügung stehen: ** Gegen Gewalt und Rassismus im Amateurfußball ** Runderlass des Ministers an die Kommunen zur Vermietung von öffentlichen Einrichtungen an rechtsoder linksextremistische Gruppen Abschließend soll an dieser Stelle auf das umfassende Publikationsangebot des Bundesamtes für Verfassungsschutz hingewiesen werden, das seine Publikationen unter der Internetadresse www.verfassungsschutz.de zum Download anbietet. -- 139 -- 9.3 Ausund Fortbildung/Praktika Im Rahmen von Ausund Fortbildungsveranstaltungen halten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Verfassungsschutzes Mecklenburg-Vorpommern an der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung, Polizei und Rechtspflege des Landes Mecklenburg-Vorpommern in Güstrow (FHöVPR) sowohl Vorträge mit fachlichem Bezug zu der Tätigkeit und den Aufgaben des Verfassungsschutzes als auch zu ausgesuchten, aktuellen sicherheitspolitischen Themen. Grundlage ist eine Kooperationsvereinbarung mit der FHöVPR, die seit 2010 Bestand hat. Im Jahr 2017 erfolgte ein Vortrag zum Thema "Politischer Extremismus - Herausforderung für den demokratischen Rechtsstaat", der vor Studentinnen und Studenten der FHöVPR gehalten wurde. Die Verfassungsschutzschutzbehörde MV ist auch regelmäßig Praktikumsstation für Studierende an der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung im Fachbereich Nachrichtendienste. Im Jahr 2017 haben drei Anwärter des Bundesamtes für Verfassungsschutz im Rahmen ihrer Laufbahnausbildung für den gehobenen Dienst ein Praktikum beim Verfassungsschutz Mecklenburg-Vorpommern für die Dauer von jeweils ca. drei Monaten absolviert. -- 140 -- Abkürzungsverzeichnis a.a.O. an angegebenen Ort Abs. Absatz AfD Alternative für Deutschland AG GGG Artgemeinschaft Germanische-Glaubens-Gemeinschaft AKK Antikapitalistisches Kollektiv AufenthG Aufenthaltsgesetz BAMAD Bundesamt für den Militärischen Abschirmdienst BAMF Bundesamt für Migration und Flüchtlinge BfV Bundesamt für Verfassungsschutz B&H Blood and Honour BKA Bundeskriminalamt BND Bundesnachrichtendienst BRD Bundesrepublik Deutschland BVerfG Bundesverfassungsgericht BVerfSchG Bundesverfassungsschutzgesetz DIK Deutscher Islamkreis DHKP-C Devrimci Halk Kurtulus Partisi/Cephesi (Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front) DKP Deutsche Kommunistische Partei DML Deutschland muss Leben e.V. DWR Die wahre Religion EA Europäische Aktion ebd. Ebenda e.G. eingetragene Genossenschaft e. V. eingetragener Verein EZB Europäische Zentralbank fdGO freiheitliche demokratische Grundordnung F.i.e.L. Fremde im eigenen Land -- 141 -- G10 Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses GBA Generalbundesanwalt GdVuST Geeinte deutsche Völker und Stämme GETZ Gemeinsames Extremismusund Terrorismusabwehrzentrum GG Grundgesetz griech. griechisch GTAZ Gemeinsames Terrorismusabwehrzentrum GWT Glaube, Wille, Tat HAMAS Harakat al-Muqawama al-Islamiya Hrsg. Herausgeber IBD Identitäre Bewegung Deutschland IBMV Identitäre Bewegung Mecklenburg-Vorpommern ICOR Internationalistische Organisation revolutionärer Parteien und Organisationen IL Interventionistische Linke IMK Ständige Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder - Innenministerkonferenz IS Islamischer Staat ISI Islamischer Staat im Irak IT Informationstechnologie JN Junge Nationaldemokraten KADEK Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistans KCK Koma Civaken Kurdistan KE Kaukasisches Emirat KKK Koma Komalen Kurdistan KONGRA GEL Kongra Gele Kurdistan (Arbeiterpartei Kurdistans) KPV Kommunalpolitische Vereinigung der NPD LfDI Landesbeauftragter für den Datenschutz und Informationsfreiheit -- 142 -- LfV Landesamt für Verfassungsschutz LKA M-V Landeskriminalamt Mecklenburg-Vorpommern LRH M-V Landesrechnungshof Mecklenburg-Vorpommern LVerfSchG M-V Landesverfassungsschutzgesetz MC Motorcycle Club MdL Mitglied des Landtages MKP Maoistische Kommunistische Partei MLKP Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei MLPD Marxistisch-Leninistische Partei Deutschland MuP Mecklenburg und Pommern MUPINFO von der NPD beeinflusste Internetplattform MVSE Mecklenburg-Vorpommersche Strukturentwicklungsgenossenschaft e.G. MVGIDA Mecklenburg-Vorpommern gegen die Islamisierung des Abendlandes NATO North Atlantic Treaty Organization (Nordatlantische Vertragsorganisation) NAV-DEM Demokratisches Gesellschaftszentrum der KurdInnen in Deutschland NBZ Nationales Begegnungszentrum NIAS Nachrichtendienstliche Informationsund Analysestelle NIKA Nationalismus ist keine Alternative NPD Nationaldemokratische Partei Deutschland NSDAP Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei NSR Nationale Sozialisten Rostock NSU Nationalsozialistischer Untergrund NRW Nordrhein-Westfalen o.a. oben angeführt OSS Oldschool Society PIAS Polizeiliche Informationsund Analysestelle -- 143 -- PMK Politisch motivierte Kriminalität PKK 1. Parlamentarische Kontrollkommission des Landtages Mecklenburg-Vorpommern 2. Partiya Karkeren Kurdistan (Arbeiterpartei Kurdistans) PYD Partei der demokratischen Union (Partiya YekitA(r)ya Demokrat) RAF Rote Armee Fraktion RED Rechtsextremismusdatei RH Rote Hilfe RNF Ring Nationaler Frauen Rz. Randziffer SAV Sozialistische Alternative SDAJ Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend StGB Strafgesetzbuch SS Schutzstaffel der NSDAP SÜG Sicherheitsüberprüfungsgesetz SWP Stiftung für Wissenschaft und Politik TAK Freiheitsfalken Kurdistans (deutsche Bezeichnung) TKP/ML Türkische Kommunistische Partei/Marxisten-Leninisten u.a. unter anderem VA Veranstaltung VP Vertrauensperson V. i. S. d. P. Verantwortlich im Sinne des Presserechts vs. versus YPG Volksverteidigungseinheiten (Yekineyen Parastina Gel) ZKA Zollkriminalamt z.T. Zum Teil -- 144 -- Glossar Anti-Antifa Unter dem Begriff "Anti-Antifa" verfolgen Neonazis in Anlehnung an Terminologie und Vorgehensweise von Linksextremisten ein Konzept zur Erfassung und Veröffentlichung von Daten über politische Gegner. Deutlich wird dabei eine Bereitschaft zur Gewaltanwendung. Antifaschismus "Antifaschismus" als Begriff wird auch von Demokraten verwendet, um ihre Ablehnung des Rechtsextremismus zum Ausdruck zu bringen. Mehrheitlich nehmen jedoch Linksextremisten diesen Begriff für sich in Anspruch. Sie behaupten, dass der kapitalistische Staat den Faschismus hervorbringe, zumindest aber toleriere. Daher richtet sich der Antifaschismus nicht nur gegen tatsächliche oder vermeintliche Rechtsextremisten, sondern immer auch gegen den Staat und seine Vertreter, insbesondere Angehörige der Sicherheitsbehörden. Anti-Terror-Datei (ATD) Die Anti-Terror-Datei (ATD) ist eine gemeinsame Datei des Bundes und der Länder zur Aufklärung und Bekämpfung des internationalen Terrorismus mit Bezug zur Bundesrepublik Deutschland. Ausländerextremismus Extremistische Ausländerorganisationen verfolgen in Deutschland Ziele, die typischerweise durch aktuelle Ereignisse und politische Entwicklungen in ihren Heimatländern bestimmt sind. Entsprechend ihrer politischen Ausrichtung handelt es sich dabei beispielsweise um linksextremistische Organisationen (z. B. die türkische "Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front (DHKP-C)), soweit sie in ihren Heimatländern ein sozialistisches bzw. kommunistisches Herrschaftssystem anstreben oder um nationalistische Organisationen, die ein überhöhtes Selbstverständnis von der eigenen Nation haben und die Rechte anderer Völker missachten. Daneben gibt es separatistische Organisationen, die eine Loslösung ihres Herkunftsgebietes aus einem bereits bestehenden Staatsgebilde und die Schaffung eines eigenen Staates -- 145 -- verfolgen. Die größte von den Verfassungsschutzbehörden beobachtete ausländerextremistische Organisation in Deutschland ist nach wie vor die unter der Bezeichnung PKK bekannte "Arbeiterpartei Kurdistans". Autonome Kennzeichnend für die Bewegung der Autonomen, die über kein einheitliches ideologisches Konzept verfügt, ist die Ablehnung staatlicher und gesellschaftlicher Normen und Zwänge, die Suche nach einem freien, selbstbestimmten Leben in herrschaftsfreien Räumen und der Widerstand gegen den demokratischen Staat und seine Institutionen, wobei Gewalt von Autonomen grundsätzlich als Aktionsmittel ("militante Politik") akzeptiert ist. Autonome bilden den weitaus größten Anteil des gewaltbereiten linksextremistischen Personenpotenzials. Das Selbstverständnis der heterogenen autonomen Bewegung ist geprägt von Anti-Einstellungen ("antikapitalistisch", "antifaschistisch", "antipatriarchal"). Diffuse anarchistische und kommunistische Ideologiefragmente ("Klassenkampf", "Revolution" oder "Imperialismus") bilden den Rahmen ihrer oftmals spontanen Aktivitäten. Eine klassische Form autonomer Gewalt ist die so genannte Massenmilitanz. Das sind Straßenkrawalle, die sich im Rahmen von Demonstrationen oder im Anschluss daran entwickeln. Hierbei kommt es regelmäßig auch zu Gewaltexzessen. Autonome Freiräume Als "autonome Freiräume" können vor allem besetzte Häuser, Wohnprojekte und selbstverwaltete Jugendund Kulturzentren gelten, deren Existenz und Erhalt Linksextremisten bedroht sehen, wenn sich die Besitzund Eigentumsverhältnisse ändern. Bestrebungen, extremistische Bestrebungen sind nach allgemeinem Sprachgebrauch alle auf ein Ziel gerichteten Aktivitäten. Extremistische Bestrebungen im Sinne der Verfassungsschutzgesetze sind im Wesentlichen politisch bestimmte, zielund zweckgerichtete Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluss gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, gegen den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes. Von Einzelper-- 146 -- sonen gehen solche Bestrebungen nur dann aus, wenn sie auf die Anwendung von Gewalt gerichtet sind oder eines der obigen Schutzgüter erheblich beschädigen können. Elektronische Angriffe Mit dem Begriff "Elektronische Angriffe" werden gezielte Maßnahmen mit und gegen IT-Infrastrukturen bezeichnet. Neben der Informationsbeschaffung fallen darunter auch Aktivitäten, die zur Schädigung bzw. Sabotage dieser Systeme geeignet sind. Dazu gehören das Ausspähen, Kopieren oder Verändern von Daten, die Übernahme einer fremden elektronischen Identität, der Missbrauch oder die Sabotage fremder IT-Infrastrukturen sowie die Übernahme von computergesteuerten, netzgebundenen Produktionsund Steuereinrichtungen. Die Angriffe können dabei sowohl von außen über Computernetzwerke, wie z. B. das Internet, erfolgen als auch durch einen direkten, nicht netzgebundenen Zugriff auf einen Rechner, z. B. mittels manipulierter Hardwarekomponenten wie Speichermedien (z. B. USB-Sticks). Fanzine Der Begriff setzt sich aus den Worten "Fan" und "Magazine" zusammen und bezeichnet Publikationen, die innerhalb einer subkulturellen Szene szeneinterne Informationen verbreiten. In der subkulturell geprägten rechtsextremistischen Szene informieren diese Publikationen über Musikgruppen, Tonträger, Konzerte sowie sonstige Szeneveranstaltungen. Aktivisten und rechtsextremistische Gruppierungen erhalten in Interviews Gelegenheit zur Selbstdarstellung und zur Verbreitung ihres extremistischen Gedankengutes. Gefährder Ein Gefährder ist eine Person, zu der bestimmte Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass sie politisch motivierte Straftaten von erheblicher Bedeutung, insbesondere solche im Sinne des SS 100 a StPO, begehen wird. Die Einstufung einer Person als Gefährder erfolgt durch die Polizei ( Relevante Person). -- 147 -- Gemeinsames Extremismusund Terrorismusabwehrzentrum (GETZ) Das GETZ hat am 15. November 2012 seine Arbeit aufgenommen. Ziel ist die Bekämpfung des Rechts-, Links-, Ausländerextremismus/-terrorismus, Spionage und Proliferation. Ziel ist es, die Fachexpertise aller Behörden unmittelbar zu bündeln und einen möglichst lückenlosen und schnellen Informationsfluss sicherzustellen. Gemeinsames Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ) Das 2004 eingerichtete "Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum" (GTAZ) in Berlin-Treptow mit einer "Nachrichtendienstlichen Informationsund Analysestelle" (NIAS) sowie einer "Polizeilichen Informationsund Analysestelle" (PIAS) konzentriert die Experten für Terrorismusabwehr der deutschen Sicherheitsbehörden an einem Ort. Im GTAZ sind die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder, das Bundeskriminalamt (BKA), die Landeskriminalämter und der Bundesnachrichtendienst (BND) eingebunden. Weitere Teilnehmer sind die Bundespolizei, das Zollkriminalamt (ZKA), das Bundesamt für den Militärischen Abschirmdienst (BAMAD), Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) und Vertreter der Generalbundesanwaltschaft. Die Abstimmung von Bewertungen und Maßnahmen bei sicherheitsrelevanten Sachverhalten mit Terrorismusbezug wird erleichtert und beschleunigt. Gentrifizierung Der Begriff beschreibt die Umstrukturierung ganzer Wohnviertel und Stadtteile zu hochwertigen Wohnquartieren und damit einhergehend die Veränderung der Wohnbevölkerung. Dieses Themenfeld kommt häufig in Ballungsräumen vor. Islamismus Der Begriff des Islamismus bezeichnet eine religiös motivierte Form des politischen Extremismus. Islamisten sehen in den Schriften und Geboten des Islam nicht nur Regeln für die Ausübung der Religion, sondern auch Handlungsanweisungen für eine islamistische Staatsund Gesellschaftsordnung. Ein Grundgedanke dieser islamistischen Ideologie ist die Behauptung, alle Staatsgewalt kön-- 148 -- ne ausschließlich von Gott (Allah) ausgehen. Damit richten sich islamistische Bestrebungen gegen die Vorschriften des Grundgesetzes, insbesondere gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung. Islamisten halten die Etablierung einer islamischen Gesellschaftsordnung für unabdingbar. Dieser Ordnung sollen letztlich sowohl Muslime als auch Nicht-Muslime unterworfen werden. Sonderformen des Islamismus sind der Salafismus () und der islamistische Terrorismus (). Islamistischer Terrorismus IMit dem Begriff "islamistischer Terrorismus" wird Terrorismus (), d.h. die Verübung schwerer Straftaten, wie sie in SS 129a Abs. 1 StGB genannt sind, oder andere Straftaten, die zur Vorbereitung solcher Straftaten dienen, bezeichnet, der sich unter Berufung auf den Islam bzw. dessen selektive Auslegung und politische Instrumentalisierung darauf abzielt, eine nach eigener Auffassung "islamische Ordnung" bzw. einen "islamischen Staat" zu errichten. Dem 'islamistischen Terrorismus' werden sunnitische Gruppierungen, hierunter sowohl salafistische (z.B. "al-Qaida") als auch nicht-salafistische (z.B. HAMAS), sowie schiitische Gruppierungen (z.B. "Hizb Allah") zugerechnet. Jihad Die wörtliche Übersetzung dieses Begriffs ist "Anstrengung" oder "Bemühung". Es gibt zwei Formen des Jihad: die geistig-spirituelle Bemühung des Gläubigen um das richtige religiöse und moralische Verhalten gegenüber Gott und den Mitmenschen (so genannter großer Jihad) oder der kämpferische Einsatz zur Verteidigung oder Ausdehnung des islamischen Herrschaftsgebiets (so genannter kleiner Jihad). Von militanten islamistischen ( Islamismus) Gruppen wird der Jihad häufig als religiöse Legitimation für Terroranschläge verwendet. Kameradschaften, rechtsextremistische Unter dem Begriff "Kameradschaften" werden i. d. R. neonazistische lokale Gruppierungen verstanden. Sie umfassen meist etwa 10 bis 20 Mitglieder und sind - im Gegensatz zu den Cliquen der -- 149 -- subkulturell geprägten gewaltbereiten rechtsextremistischen Szene - deutlich durch den Willen zu politischer Aktivität geprägt. Obwohl sie meist nur geringe vereinsähnliche Strukturen aufweisen, sind sie durch eine verbindliche Funktionsverteilung dennoch deutlich strukturiert. Mitglieder von Kameradschaften rechnen sich in der Regel den neonazistisch geprägten sog. "Freien Nationalisten" zu. Linksextremismus Mit diesem Begriff werden Bestrebungen von Personenzusammenschlüssen bezeichnet, für die alle oder einige der folgenden Merkmale charakteristisch sind: ** Bekenntnis zum Marxismus-Leninismus als "wissenschaftliche" Anleitung zum Handeln; daneben, je nach Ausprägung der Partei oder Gruppierung, Rückgriff auch auf Theorien weiterer Ideologen wie Stalin, Trotzki, Mao Zedong und andere, ** Bekenntnis zur sozialistischen oder kommunistischen Transformation der Gesellschaft mittels eines revolutionären Umsturzes oder langfristiger revolutionärer Veränderungen, ** Bekenntnis zur Diktatur des Proletariats oder zu einer herrschaftsfreien (anarchistischen) Gesellschaft, ** Bekenntnis zur revolutionären Gewalt als bevorzugte oder - je nach den konkreten Bedingungen - taktisch einzusetzende Kampfform. Linksextremistische Parteien und Gruppierungen lassen sich grob in zwei Hauptströmungen einteilen: ** dogmatische Marxisten-Leninisten und sonstige revolutionäre Marxisten: In Parteien oder anderen festgefügten Vereinigungen organisiert verfolgen sie die erklärte Absicht, eine sozialistische bzw. kommunistische Gesellschaftsordnung zu errichten, -- 150 -- ** Autonome, Anarchisten und sonstige Sozialrevolutionäre: In losen Zusammenhängen, seltener in Parteien oder formalen Vereinigungen agierend, streben sie ein herrschaftsfreies, selbstbestimmtes Leben frei von jeglicher staatlicher Autorität an. NADIS Das NAchrichtenDienstliche InformationsSystem und WissensNetz (NADIS WN) ist das zentrale Hinweisund Verbundsystem der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder für Personen und Objekte. Dieses System ist eine technische Plattform, auf der Amtsund Verbunddateien von Bund und Ländern unter einer einheitlichen Anwendungsoberfläche betrieben werden können. Neonationalsozialismus/Neonazismus Der Neonationalsozialismus bezieht sich auf die Weltanschauung des "Dritten Reiches" und macht diese zur Grundlage seiner politischen Zielvorstellungen. Elementare Bestandteile der neonationalsozialistischen Weltanschauung sind Rassismus und Nationalismus sowie die Forderung nach einem autoritären "Führerstaat" unter Ausschaltung der Gewaltenteilung. Proliferation Als Proliferation bezeichnet man die Weiterverbreitung von atomaren, biologischen oder chemischen Massenvernichtungswaffen und entsprechenden Waffenträgersystemen bzw. der zu deren Herstellung verwendeten Produkte einschließlich des dazu erforderlichen Know-how. Radikal Als radikal werden Bestrebungen bezeichnet, die zur Lösung politischer Probleme "bis auf die Wurzel gehen", diese jedoch ohne zielgerichteten Angriff auf die freiheitliche demokratische Grundordnung lösen wollen. Radikale politische Auffassungen haben in unserer pluralistischen Gesellschaftsordnung ihren legitimen Platz. So wäre z. B. eine etwaige Forderung nach Wiedereinführung der Todesstrafe durch das Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt. -- 151 -- Rechtsextremismus Der Rechtsextremismus ist eine Ideologie der Ungleichheit, deren Anhänger politisch bestimmte, zielund zweckgerichtete Verhaltensweisen zeigen, die darauf gerichtet sind, Grundsätze der freiheitlichen demokratischen Grundordnung außer Geltung zu setzen oder zu beseitigen (vgl. SS 6 LVerfSchG M-V). Als Gegenentwurf zu einer modernen Demokratie und einer offenen Gesellschaft wollen Rechtsextremisten - auch unter Anwendung von Gewalt - ein autoritäres oder gar totalitäres staatliches System errichten, in dem nationalistisches und rassistisches Gedankengut die Grundlage der Gesellschaftsordnung bilden soll. Dementsprechend finden sich im deutschen Rechtsextremismus in unterschiedlicher und gruppenspezifischer Ausprägung folgende ideologische Vorstellungen bzw. Handlungsmuster: ** Ein aggressiver, vielfach völkisch ausgerichteter Nationalismus, für den nur die deutschen Interessen als Richtschnur gelten und der andere Nationen als "minderwertig" betrachtet, ** die häufige Forderung nach der Neugründung eines "Reiches", das zum "mächtigen Mittelpunkt Europas" werden müsse, ** der Wunsch nach einer Volksgemeinschaft auf "rassischer" Grundlage, die die Rechte des Einzelnen beliebig einschränkt und der pluralistischen Gesellschaft das Modell des "Volkskollektivismus" ("Du bist nichts, Dein Volk ist alles") entgegensetzt (Antiindividualismus, Antipluralismus, Antiliberalismus), ** eine aggressive, extrem gewaltbereite Fremdenfeindlichkeit als Ergebnis rassistischen und damit verbunden antisemitischen Gedankenguts, ** der Wunsch nach einem "Führerstaat" mit militärischen Ordnungsprinzipien, ** eine Relativierung oder sogar Leugnung der Verbrechen des "Dritten Reiches" und damit verbunden eine Verharmlosung oder Verherrlichung des Nationalsozialismus und ** eine ständige Diffamierung der demokratischen Institutionen und ihrer Repräsentanten. -- 152 -- Rechtsextremismusdatei (RED) Die Rechtsextremismusdatei (RED) ist eine gemeinsame Datei des Bundes und der Länder zur Aufklärung und Bekämpfung des gewaltbereiten Rechtsextremismus. Mit der RED soll der Informationsaustausch zwischen den beteiligten Behörden intensiviert und beschleunigt werden. Rechtsextremistische Konzerte Die Kriterien zur Bewertung rechtsextremistischer Musikveranstaltungen lauten wie folgt: ** Live-Auftritt mindestens einer als rechtsextremistisch bewerteten Band, ** Szeneöffentlichkeit (z. B. überregionale Mobilisierung, Erhebung von Eintrittsgeldern, Werbung für die Veranstaltung), ** Vortrag rechtsextremistischer Liedtexte bzw. Feststellung rechtsextremistischer Aktivitäten der Interpreten anlässlich der Veranstaltungen (insbesondere Propagandadelikte), ** Organisation der Veranstaltung durch rechtsextremistische Gruppierungen oder Einzelpersonen. Es ist nicht erforderlich, dass Informationen zu allen Kriterien vorliegen. Mindestvoraussetzung sind der szeneöffentliche Live-Auftritt sowie Indizien für rechtsextremistische Inhalte, die sich insbesondere aus dem Auftritt einschlägiger Bands oder aus dem Vortrag entsprechender Lieder ergeben können. Reichsbürger Reichsbürger und Selbstverwalter sind Gruppierungen und Einzelpersonen, die aus unterschiedlichen Motiven und mit unterschiedlichen Begründungen, unter anderem unter Berufung auf das historische Deutsche Reich, verschwörungs-theoretische Argumentationsmuster oder ein selbst definiertes Naturrecht die Existenz der Bundesrepublik Deutschland und deren Rechtssystem ablehnen, den demokratisch gewählten Repräsentanten die Legitimation absprechen oder sich gar in Gänze als außerhalb -- 153 -- der Rechtsordnung stehend definieren und deshalb bereit sind, Verstöße gegen die Rechtsordnung zu begehen. Für die Verwirklichung ihrer Ziele treten sie aktiv ein, z. B. mit Werbeaktivitäten oder mit aggressiven Verhaltensweisen gegenüber den Gerichten und Behörden der Bundesrepublik Deutschland. Relevante Person Eine Person ist als relevant anzusehen, wenn sie innerhalb des extremistischen/terroristischen Spektrums die Rolle einer Führungsperson, eines Unterstützers/Logistikers oder eines Akteurs einnimmt und objektive Hinweise vorliegen, die die Prognose zulassen, dass sie politisch motivierte Straftaten von erheblicher Bedeutung, insbesondere solche im Sinne des SS 100 a StPO, fördert, unterstützt, begeht oder sich daran beteiligt, oder es sich um eine Kontaktoder Begleitperson eines Gefährders, eines Beschuldigten oder eines Verdächtigen einer politisch motivierten Straftat von erheblicher Bedeutung, insbesondere einer solchen im Sinne des SS 100 a StPO, handelt. Die Einstufung als relevante Person erfolgt durch die Polizei ( Gefährder). Salafismus Der "Salafismus" ist eine Strömung des sunnitischen Islamismus, die sich auf die Urzeit des Islam und die sogenannten "rechtschaffenen Altvorderen" (arab. al-salaf al-salih) bezieht und die Rückkehr zu den damaligen Herrschaftsund Rechtsformen anstrebt. Schwarzer Block Der so genannte Schwarze Block, vermummte Aktivisten in einheitlicher "Kampfausrüstung", ist eine Aktionsform, die ursprünglich im linksextremistischen autonomen Spektrum entwickelt wurde und vor allem bei Demonstrationen angewandt wird. Der "Schwarze Block" ist keine zentral organisierte und koordinierte Organisationsform, sondern ein punktueller Zusammenschluss gewaltorientierter Linksextremisten. Ziel dieses Auftretens ist die erschwerte Zuordnung von Strafund Gewalttaten zu Einzelpersonen durch die Polizei. Jeder "Schwarze Block" beinhaltet jedoch ein einzelfallbezogenes Gewaltpotenzial, das sich je nach Lageentwicklung ausleben kann. -- 154 -- Selbstverwalter Reichsbürger Spionage Als Spionage wird die Tätigkeit für den Nachrichtendienst einer fremden Macht bezeichnet, die auf die Mitteilung oder Lieferung von Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen gerichtet ist. Die Beschaffung von Informationen, vor allem aus den Bereichen Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Militär, erfolgt zumeist unter Anwendung geheimer Mittel und Methoden. Soweit Spionage gegen die Bundesrepublik Deutschland gerichtet ist, kommt eine Strafbarkeit gemäß SSSS 93 ff. StGB in Betracht. Spionageabwehr Die Spionageabwehr beschäftigt sich mit der Aufklärung und Abwehr bzw. Verhinderung von Spionageaktivitäten fremder Nachrichtendienste. Dazu sammelt sie Informationen über sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten fremder Nachrichtendienste in der Bundesrepublik Deutschland und wertet sie aus, mit dem Ziel, Erkenntnisse über Struktur, Aktivitäten, Arbeitsmethoden, nachrichtendienstliche Mittel und Zielobjekte dieser Nachrichtendienste zu gewinnen. Die Spionageabwehr gehört gemäß SS 3 Abs. 1, Nr. 2 BVerfSchG zu den Aufgaben der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder. Staatsfreiheit Der Begriff der "Staatsfreiheit" ist ein innerhalb des ersten NPD-Verbotsverfahren geprägter Begriff. Danach hat das BVerfG die Forderung aufgestellt, dass während eines laufenden Verbotsverfahrens keine Vertrauenspersonen (VP) und Verdeckten Ermittler (VE) auf den Führungsebenen einer Partei tätig sein dürfen. Damit wird sichergestellt, dass deren Willensbildung und Selbstdarstellung unbeobachtet und selbst bestimmt erfolgen kann. Die Begründung des Verbotsantrags darf nicht auf Beweismaterialien gestützt werden, deren Entstehung zumindest teilweise auf das Wirken von VP oder VE zurückzuführen ist. Die Beobachtung einer Partei während eines laufenden Verbotsverfahrens darf außerdem nicht dem Ausspähen ihrer Prozessstrategie dienen. Zudem ist die privilegierte Stellung der Verfahrensbevollmächtigten der betroffenen Partei zu beachten. -- 155 -- Terrorismus Der "Terrorismus" ist der nachhaltig geführte Kampf für politische Ziele, die mit Hilfe von Anschlägen auf Leib, Leben und Eigentum anderer Menschen durchgesetzt werden sollen, insbesondere durch schwere Straftaten, wie sie in SS 129 a Abs. 1 StGB genannt sind, oder durch andere Straftaten, die zur Vorbereitung solcher Straftaten dienen. "Vier-Säulen-Strategie" der NPD Die Strategie der NPD wurde auf dem Bundesparteitag 1998 im mecklenburgischen Stavenhagen zunächst als "Drei-Säulen-Strategie" konzipiert: Kampf um die Straße: Durchführung von Demonstrationen, Zeigen von Präsenz in der Öffentlichkeit, Massenmobilisierung, Kampf um die Köpfe: Ziel ist die Meinungsführerschaft in der rechtsextremistischen Szene, aber ganz wesentlich auch das Erreichen von Personen außerhalb ihrer politischen Klientel, Kampf um die Parlamente: Wahlerfolge konnte die NPD in Mecklenburg-Vorpommern 2006 und 2009 vorweisen. Auf dem Bundesparteitag 2004 in Leinefeld/Thüringen wurde eine vierte Säule ergänzt: Kampf um den organisierten Willen: Die NPD sieht sich als "Speerspitze der nationalen Erneuerung" und versucht, alle "nationalen Kräfte" zu einem Bündnis zu bewegen - natürlich unter ihrer Führung. -- 156 -- Wirtschaftsschutz Als Wirtschaftsschutz werden staatliche Maßnahmen bezeichnet, die dem Schutz deutscher Unternehmen und Forschungseinrichtungen vor einem durch Spionage betriebenen Know-how-Abfluss sowie vor Bedrohungen durch Rechtsund Linksextremisten, durch ausländische Extremisten sowie durch islamistische Terroristen dienen. Wirtschaftsspionage Wirtschaftsspionage ist Teil der Spionage, der die staatlich gelenkte oder gestützte, von fremden Nachrichtendiensten ausgehende Ausforschung von Wirtschaftsunternehmen und Forschungseinrichtungen beinhaltet. Betreibt hingegen ein konkurrierendes Unternehmen eine private Ausforschung, handelt es sich um Konkurrenzausspähung, die häufig auch Industriespionage genannt wird. In den Zuständigkeitsbereich der Verfassungsschutzbehörden fällt ausschließlich die Wirtschaftsspionage. -- 157 -- Registeranhang Extremistische Organisationen Seitenzahl A Ahnenblut 33 Aktionsblog 36-38 Aktionsgruppe Lalendorf 38 Almedinah Islamischer Kulturverein e.V. 107 al-Qaida 99-100, 104, 109, 114, 149 al-Shabab 104 A'maq 111 Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) / KONGRA 118-124, 142, GEL 144, 146 Arischer Widerstandsbund 43 Artgemeinschaft-Germanische 44-45, 141 Glaubens-Gemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung e. V. Aryan Warriors 43 Autonome 11, 40, 43, 79-80, 82-83, 88, 90, 146, 151 Autonome Nationalisten Amt Goldberg43 Mildenitz B Baltic Storm 31 Bataillon 500 31 Blood and Honour 32, 141 Brigade 8 28 D Demokratisches Gesellschaftszentrum der 122-123, 143 KurdInnen in Deutschland (NAV-DEM e. V.) Der III. Weg 22, 69 Deutsche Kommunistische Partei (DKP) 80, 96-97, 141 Deutschland muss leben e. V. (DML) 40, 141 Die Liebenfels-Kapelle/Skalinger 31-32 Die Rechte 22, 69 Die wahre Religon (DWR) 113, 141 Division Mecklenburg 43 Division Pommern 43 -- 158 -- E Europäische Aktion 20, 44, 141 F Freie Kameradschaft Wismar 42 Freie Pommern 43 Freies Kollektiv Parchim 42 Freistaat Preußen 76 Fremde im eigenen Land (F.i.e.L.) 33, 141 Freundeskreis Thinghaus 48 Fussilet-Moschee 106 G Geeinte deutsche Völker und Stämme 76-77, 142 (GdVuST) Gefangenenhilfe Freundeskreis 44 Germanisches Bollwerk Mecklenburg 42 Glaube, Wille, Tat (Musiklabel) 33, 142 H Hammerskins 21, 28, 34 Harakat al-Muqawama al-Islamiya (HAMAS) 99, 142, 149 HUSKARLAR MC Stralsund 28 I Identitäre Bewegung Deutschland (IBD) 70-73, 142 Identitäre Bewegung Mecklenburg70-72, 142 Vorpommern (IBMV) Infoflut Rostock 36 Initiative für Volksaufklärung e.V. 45 Initiative "Vereint für Stralsund" 42 Internationalistische Organisation 124, 142 revolutionärer Parteien und Organisationen (ICOR) Interventionistische Linke (IL) 78, 85-86, 142 Islamischer Staat im Irak (ISI) 110, 142 Islamischer Staat (IS) 99-112, 114, 120121, 123, 142, 160 J Jabhat al-Nusra 105 Junge Nationaldemokraten (JN) 42, 49-50, 53, 61, 66-68, 142 Junud al-Sham 105-106 -- 159 -- K Kameradschaft Borken 43 Kameradschaft Bützow 43 Kameradschaft Güstrow 38-39 Kameradschaftsbund Anklam 43 Kameradschaftsbund Bargischow 43 Kameradschaft Schwerin 42 Kaukasisches Emirat (KE) 114, 142 Kollektiv Seenplatte 39-41 L Leveler Records 33 Levensboom-Versand 35 M Maoistische Kommunistische Partei (MKP) 118, 143 Marxistisch-Leninistische Kommunistische 118, 143 Partei (MLKP) Marxistisch-Leninistische Partei 80, 96-98, 123Deutschlands (MLPD) 124, 143 Mecklenburg-Vorpommern gegen die 41, 53, 57, 68, Islamisierung des Abendlandes (MVGIDA) 143 Mecklenburg-Vorpommersche 26, 35, 143 Strukturentwicklungs-Genossenschaft eG (MVSE) Mit erhobener Stimme 31 Müritzfunken / Kollektiv Müritzfunken 56 N Nationaldemokratische Partei 11-12, 19, 22, 26Deutschlands (NPD) 27, 29, 35-37, 39, 41, 45-46, 48-66, 68, 72, 91-92, 94, 132-133, 143, 155, 156 Nationale Aktivisten MuP 39, 143 Nationale Offensive Gnoien 43 Nationales Bündnis Löcknitz 43 Nationale Sozialisten Greifswald 43 Nationale Sozialisten Rostock 36-38, 143 Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) 23-24, 44, 143 -- 160 -- P Painful Awakening 31-32 Path of Resistance 31-32 Patrioten Rostock / Rügen / Stralsund 25, 38 Pommernklang 31 Pommerscher Buchdienst 27 R Reichsbürger und Selbstverwalter 74-77, 133-134, 136, 153, 155, 164 Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front 118, 141, 145 (DHKP-C) Ring Nationaler Frauen (RNF) 41, 50, 53, 61, 68, 144 Rostocker Division 37-38, 56 Rostocker Widerstand 42 Rote Hilfe e. V. (RH) 80, 86-88, 93-95, 144 RotFuchs-Förderverein 96 S Schlachtruf Germania 31 Skalinger 31-32 Sozialistische Alternative (SAV) 80, 96-97, 144 Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend 80, 96, 144 (SDAJ) Staatenlos.Info - Comedian e.V. 76-77 Stimme der Vergeltung 31 T Thrima 31-32 U Ungebetene Gäste 31-32 V Völkische Burschenschar Strasburg 43 W Weiße Revolutionäre 31-32 White Rex 28, 42 Wiege des Schicksals / Motorhate 31 Y Yekineyen Parastina Gel (YPG) 123, 144 "Volksverteidigungseinheiten" -- 161 -- ANLAGEN -- 162 -- Anlage 1 Politisch motivierte Kriminalität (PMK) Jahresübersicht 2016/2017 (Quelle LKA M-V)1 Politisch motivierte Kriminalität -Rechts2016 2017 Straftaten Gesamt 1.050 1.027 davon extremistisch 955 986 Propagandadelikte 589 702 davon extremistisch 589 702 Gewaltdelikte 79 84 davon extremistisch 79 84 Fremdenfeindliche Straftaten 304 250 davon extremistisch 304 250 davon Gewaltdelikte 53 74 Antisemitische Straftaten 37 44 davon Gewaltdelikte 0 3 Politisch motivierte Kriminalität -Links2016 2017 Straftaten Gesamt 482 223 davon extremistisch 64 76 Propagandadelikte 8 8 davon extremistisch 8 8 Gewaltdelikte 24 11 davon extremistisch 24 11 Fremdenfeindliche Straftaten davon extremistisch 0 0 davon Gewaltdelikte Antisemitische Straftaten 0 0 1 Im Bereich der keinem Extremismusphänomen direkt zuzuordnenden politisch motivierten Straftaten wurden fünf Gewaltdelikte erfasst, die durch "Reichsbürger" verursacht wurden. -- 163 -- Politisch Politisch Politisch motivierte motivierte motivierte Kriminalität Kriminalität Kriminalität - Ausländer - religiöse - auslänIdeologie dische Ideologie 2016 2017119 2017 Straftaten Gesamt 22 6 4 davon extremistisch 19 6 4 Propagandadelikte 3 0 1 Gewaltdelikte 3 2 1 davon extremistisch 3 2 1 Fremdenfeindliche 1 2 2 Straftaten davon extremistisch 1 2 2 davon Gewaltdelikte 0 1 1 Antisemitische Straftaten 1 1 davon Gewaltdelikte 0 0 0 2 Ab dem 1.1.2017 wurde im polizeilichen Meldedienst "Politisch motivierte Kriminalität (PMK)" aufgrund der aktuellen Entwicklung das entsprechende Definitionssystem dahingehend präzisiert, dass der "Phänomenbereich der politisch motivierten Ausländerkriminalität" in die Bereiche "Politisch motivierte Kriminalität - religiöse Ideologie" und "Politisch motivierte Kriminalität - ausländische Ideologie" unterteilt wurde (vgl. hierzu auch die Pressemitteilung des Ministeriums für Inneres und Europa Mecklenburg-Vorpommern zur Entwicklung der Politisch motivierten Kriminalität 2017 Nr. 47 vom 23.04.2018). -- 164 -- -- 165 -- Anlage 2 Landesverfassungsschutzgesetz AmtlicheAbkürzung: Quelle: LVerfSchGM-V Ausfertigungsdatum: 11.07.2001 Textnachweisab: Fundstelle: 01.01.2005 GVOBl. M-V 2001,261 Dokumenttyp: Gliederungs-Nr: Gesetz 12-4 Gesetz über den Verfassungsschutz im Lande Mecklenburg-Vorpommern (Landesverfassungsschutzgesetz - LVerfSchG M-V) Vom 11. Juli 2001 Zum 28.02.2017 aktuellste verfügbare Fassung der Gesamtausgabe Stand: letzte berücksichtigte Änderung: SS 27 geändert durch Gesetz vom 13. Januar 2017 (GVOBl. M-V S. 2) Der Landtag hat das folgende Gesetz beschlossen: Inhaltsübersicht Abschnitt 1 Aufgaben und Befugnisse der Verfassungsschutzbehörde SS1 Zweck des Verfassungsschutzes SS2 Organisation SS3 Bedienstete SS4 Zusammenarbeit SS5 Aufgaben des Verfassungsschutzes SS6 Begriffsbestimmungen SS7 Rahmen für die Tätigkeit der Verfassungsschutzbehörde SS8 Funktionelle Trennung von Polizei und Verfassungsschutzbehörde SS9 Formen der Datenerhebung -- 166 -- SS 10 Informationsbeschaffung mit nachrichtendienstlichen Mitteln SS 10a Vertrauensleute und Verdeckte Mitarbeiter SS 11 Mitteilung an betroffene Personen SS 12 Registereinsicht durch die Verfassungsschutzbehörde Abschnitt 2 Datenverarbeitung SS 13 Begriff der Datei und der Akte SS 14 Dateianordnung SS 15 Voraussetzung der Speicherung SS 16 Erfassung personenbezogener Daten von Minderjährigen SS 17 Speichern, Berichtigen, Löschen und Sperren personenbezogener Daten Abschnitt 3 Informationsübermittlung und Auskunftserteilung SS 18 Informationsübermittlung zwischen den Verfassungsschutzbehörden SS 19 Informationsübermittlung an Bundesnachrichtendienst und Militärischen Abschirmdienst SS 20 Informationsübermittlung durch die Verfassungsschutzbehörde an Polizei, Staatsanwaltschaft und andere Stellen SS 20a Projektbezogene gemeinsame Dateien SS 21 Informationsübermittlung an ausländische Stellen SS 22 Informationsübermittlung an die Öffentlichkeit SS 23 Dokumentation und Grundlage der Informationsübermittlung durch die Verfassungsschutzbehörde SS 24 Informationsübermittlung durch öffentliche Stellen an die Verfassungsschutzbehörde SS 24a Informationsübermittlung durch nicht-öffentliche Stellen an die Verfassungsschutzbehörde SS 24b Weitere Auskunftsverlangen SS 25 Übermittlungsverbote, Nachberichtspflicht SS 26 Auskunft an betroffene Personen Abschnitt 4 Kontrolle der Verfassungsschutzbehörde SS 27 Parlamentarische Kontrollkommission SS 28 Geheimhaltung SS 29 Kontrollrechte der Parlamentarischen Kontrollkommission -- 167 -- Abschnitt 5 Schlussvorschriften SS 30 Geltung des Landesdatenschutzgesetzes SS 31 (weggefallen) SS 32 In-Kraft-Treten, Außer-Kraft-Treten Abschnitt 1 Aufgaben und Befugnisse der Verfassungsschutzbehörde SS 1 *) Zweck des Verfassungsschutzes Der Verfassungsschutz dient dem Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, des Bestandes und der Sicherheit des Bundes und der Länder. Fußnoten *) SS 1 geändert durch Artikel 3 des Gesetzes vom 16. April 2004. SS2 Organisation (1) Die Aufgaben des Verfassungsschutzes werden von der Verfassungsschutzbehörde wahrgenommen. Verfassungsschutzbehörde ist das Innenministerium. Es unterhält für diese Aufgaben eine besondere Abteilung. (2) Die Verfassungsschutzbehörde darf Dienststellen der Polizei, Dienststellen der Polizei dürfen der Verfassungsschutzbehörde nicht angegliedert werden. SS3 Bedienstete Mit Aufgaben der Verfassungsschutzbehörde dürfen nur Personen betraut werden, die nach ihrer Persönlichkeit und nach ihrem Verhalten die Gewähr dafür bieten, dass sie jederzeit für die Sicherung und Erhaltung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung eintreten. -- 168 -- SS4 Zusammenarbeit (1) Die Verfassungsschutzbehörde ist verpflichtet, mit Bund und Ländern in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes zusammenzuarbeiten. Die Zusammenarbeit besteht insbesondere in gegenseitiger Unterstützung und Information sowie in der Unterhaltung gemeinsamer Einrichtungen. (2) Die Verfassungsschutzbehörden anderer Länder dürfen im Geltungsbereich dieses Gesetzes nur im Einvernehmen, der Bund nach Maßgabe bundesrechtlicher Vorschriften nur im Benehmen mit der Verfassungsschutzbehörde Mecklenburg-Vorpommerns tätig werden. SS5 Aufgaben des Verfassungsschutzes (1) Zur Erfüllung ihrer Aufgabe sammelt und wertet die Verfassungsschutzbehörde sachund personenbezogene Daten, insbesondere Auskünfte, Nachrichten und Unterlagen aus über 1. Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziel haben, 2. sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten im Geltungsbereich des Grundgesetzes für eine fremde Macht im Geltungsbereich dieses Gesetzes, 3. Bestrebungen im Geltungsbereich des Grundgesetzes, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, 4. Bestrebungen, die gegen den Gedanken der Völkerverständigung (Artikel 9 Abs. 2 des Grundgesetzes) oder gegen das friedliche Zusammenleben der Völker (Artikel 26 Abs. 1 des Grundgesetzes) gerichtet sind. -- 169 -- (2) Die Verfassungsschutzbehörde informiert die zuständigen Stellen und die Öffentlichkeit über Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand und die Sicherheit des Bundes und der Länder. Sie kann dazu insbesondere Verfassungsschutzberichte veröffentlichen und Prävention im Rahmen von Öffentlichkeitsarbeit leisten. Den staatlichen Stellen soll ermöglicht werden, rechtzeitig die erforderlichen Maßnahmen zur Abwehr der Gefahren nach Satz 1 zu treffen. (3) Die Verfassungsschutzbehörde wirkt mit 1. bei der Sicherheitsüberprüfung von Personen nach Maßgabe des Sicherheitsüberprüfungsgesetzes vom 22. Januar 1998 (GVOBl. M-V S. 114, 195), zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 28. Januar 2009 (GVOBl. M-V S. 82), sowie bei Zuverlässigkeitsüberprüfungen in den übrigen gesetzlich bestimmten Fällen, 2. bei technischen Sicherheitsmaßnahmen zum Schutz von im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftigen Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen gegen die Kenntnisnahme durch Unbefugte. (4) Die Verfassungsschutzbehörde ist an die allgemeinen Rechtsvorschriften gebunden ( Artikel 20 des Grundgesetzes). SS6 Begriffsbestimmungen (1) Im Sinne dieses Gesetzes sind 1. Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung solche politisch bestimmten, zielund zweckgerichteten Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluss, die darauf gerichtet sind, einen der in Absatz 3 genannten Verfassungsgrundsätze zu beseitigen oder außer Geltung zu setzen, 2. Bestrebungen gegen den Bestand des Bundes oder eines Landes solche politisch bestimmten, zielund zweckgerichteten Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluss, die darauf gerichtet sind, die Freiheit des Bundes oder eines Landes von fremder Herrschaft aufzuheben, ihre staatliche Einheit zu beseitigen oder ein zu ihnen gehörendes Gebiet abzutrennen, -- 170 -- 3. Bestrebungen gegen die Sicherheit des Bundes oder eines Landes solche politisch bestimmten, zielund zweckgerichteten Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluss, die darauf gerichtet sind, den Bund, die Länder oder deren Einrichtungen in ihrer Funktionsfähigkeit erheblich zu beeinträchtigen. (2) Eine Bestrebung im Sinne des Gesetzes ist insbesondere dann gegeben, wenn sie auf Gewaltanwendung gerichtet ist oder sonst ein kämpferisches und aggressives Verhalten gegenüber den in Absatz 3 genannten Grundsätzen erkennen lässt. (3) Zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne dieses Gesetzes zählen: 1. das Recht des Volkes, die Staatsgewalt in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung auszuüben und die Volksvertretung in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl zu wählen, 2. die Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung und die Bindung der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an Gesetz und Recht, 3. das Recht auf Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition, 4. die Ablösbarkeit der Regierung und ihre Verantwortlichkeit gegenüber der Volksvertretung, 5. die Unabhängigkeit der Gerichte, 6. der Ausschluss jeder Gewaltund Willkürherrschaft und 7. die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte. (4) Für einen Personenzusammenschluss handelt, wer ihn in seinen Bestrebungen nachdrücklich unterstützt. Verhaltensweisen von Einzelpersonen, die nicht in einem oder für einen Personenzusammenschluss handeln, sind Bestrebungen im Sinne dieses Gesetzes, wenn sie auf Anwendung von Gewalt gerichtet sind oder aufgrund ihrer Wirkungsweise geeignet sind, ein Schutzgut dieses Gesetzes erheblich zu beschädigen. -- 171 -- (5) Betroffene Personen sind Personen, bei denen tatsächliche Anhaltspunkte für Tätigkeiten oder Bestrebungen gemäß SS 5 Abs. 1 vorliegen. Dritte sind Personen, bei denen keine derartigen Anhaltspunkte vorliegen. (6) Gewalt im Sinne dieses Gesetzes ist die Anwendung körperlichen Zwanges gegen Personen und die gewalttätige Einwirkung auf Sachen. SS7 Rahmen für die Tätigkeit der Verfassungsschutzbehörde (1) Die Verfassungsschutzbehörde darf sachund personenbezogene Daten nur erheben, verarbeiten und nutzen, soweit sie zur Erfüllung ihrer Aufgaben nach diesem Gesetz erforderlich sind. Voraussetzung für die Sammlung von Informationen im Sinne des SS 5 Abs. 1 ist das Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte, die, insgesamt betrachtet und unter Einbeziehung nachrichtendienstlicher Erfahrungen, den Verdacht einer der in SS 5 Abs. 1 genannten Bestrebungen oder Tätigkeiten rechtfertigen. Die Art und der Umfang des Umgangs mit Daten richtet sich nach den Vorschriften dieses Gesetzes. Soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, gilt das Landesdatenschutzgesetz von Mecklenburg-Vorpommern. (2) Zur Erfüllung ihrer Aufgaben darf die Verfassungsschutzbehörde nur die dazu erforderlichen Maßnahmen ergreifen; dies gilt insbesondere für den Umgang mit personenbezogenen Daten. Von mehre ren möglichen und geeigneten Maßnahmen hat sie diejenige zu treffen, die den einzelnen, insbesondere in seinen Grundrechten, und die Allgemeinheit voraussichtlich am wenigsten beeinträchtigt. Eine Maßnahme darf nicht zu einem Nachteil führen, der zu dem erstrebten Erfolg erkennbar außer Verhältnis steht. Sie ist nur so lange zulässig, bis ihr Zweck erreicht ist oder sich zeigt, dass er nicht erreicht werden kann. SS8 Funktionelle Trennung von Polizei und Verfassungsschutzbehörde Polizeiliche Befugnisse stehen der Verfassungsschutzbehörde nicht zu; sie darf die Polizei auch nicht im Wege der Amtshilfe um Maßnahmen ersuchen, zu denen sie selbst nicht befugt ist. -- 172 -- SS9 Formen der Datenerhebung (1) Die Verfassungsschutzbehörde darf personenbezogene Daten der betroffenen Person auch ohne deren Kenntnis bei ihr und bei Dritten erheben, wenn 1. tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht von Bestrebungen oder Tätigkeiten gemäß SS 5 Abs. 1 vorliegen, 2. dies für die Erforschung und Bewertung von gewalttätigen Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 5 Abs. 1 Nr. 2 erforderlich ist oder 3. dies zur Schaffung oder Erhaltung nachrichtendienstlicher Zugänge über Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 5 Abs. 1 erforderlich ist. Werden personenbezogene Daten bei der betroffenen Person mit ihrer Kenntnis erhoben, so ist sie über die Freiwilligkeit der Mitwirkung und den Verwendungszweck aufzuklären. Die Aufklärungspflicht umfasst bei einer beabsichtigten Übermittlung auch den Empfänger der Daten. Die Aufklärung kann unterbleiben, wenn die Tatsache, dass die Erhebung für Zwecke des Verfassungsschutzes erfolgt, aus besonderen Gründen nicht bekannt werden soll. (2) Personenbezogene Daten von Dritten dürfen ohne deren Kenntnis nur erhoben werden, wenn 1. dies für die Erforschung von Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 5 Abs. 1 vorübergehend erforderlich ist, 2. die Erforschung des Sachverhaltes auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre und 3. überwiegende schutzwürdige Belange der betroffenen Personen nicht entgegenstehen. Daten Dritter dürfen auch erhoben werden, wenn sie mit zur Aufgabenerfüllung erforderlichen Informationen untrennbar verbunden sind. Daten, die für das Verständnis der zu speichernden Informationen nicht erforderlich sind, sind unverzüglich zu löschen. Dies gilt nicht, wenn die Löschung nicht oder nur mit unvertretbarem Aufwand möglich ist. In diesem Fall sind die Daten zu sperren; die gesperrten Daten dürfen nicht mehr genutzt werden. -- 173 -- (3) Ist zum Zwecke der Sammlung von Informationen die Weitergabe personenbezogener Daten unerlässlich, so dürfen schutzwürdige Interessen der betroffenen Person oder Dritter nur im unvermeidbaren Umfang beeinträchtigt werden. SS 10 Informationsbeschaffung mit nachrichtendienstlichen Mitteln (1) Die Verfassungsschutzbehörde darf zur verdeckten Informationsbeschaffung, insbesondere zur verdeckten Erhebung personenbezogener Daten, nur folgende nachrichtendienstliche Mittel anwenden: 1. Inanspruchnahme von Vertrauensleuten nach Maßgabe des SS 10a, sonstigen Informanten und Gewährspersonen; 2. Einsatz von Verdeckten Mitarbeitern nach Maßgabe des SS 10a; 3. Observationen; 4. Bildaufzeichnungen (Fotografieren, Filmen und Videografieren) außerhalb des Schutzbereiches des Artikels 13 des Grundgesetzes; 5. verdeckte Ermittlungen und Befragungen; 6. verdecktes Mithören ohne Inanspruchnahme technischer Mittel; 7. verdecktes Mithören und Aufzeichnen des nicht öffentlich gesprochenen Wortes unter Einsatz technischer Mittel außerhalb des Schutzbereiches des Artikels 13 des Grundgesetzes; 8. Beobachtung des Funkverkehrs auf nicht für den allgemeinen Empfang bestimmten Kanälen; 9. Verwendung fingierter biographischer, beruflicher oder gewerblicher Angaben (Legenden) mit Ausnahme solcher beruflicher Angaben, die sich auf die in Satz 3 genannten Personen beziehen; 10. Beschaffung, Herstellung und Verwendung von Tarnpapieren und Tarnkennzeichen; -- 174 -- 11. Überwachung des Brief-, Postund Fernmeldeverkehrs nach Maßgabe des aufgrund von Artikel 10 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes erlassenen Bundesgesetzes; 12. verdecktes Beobachten und sonstiges Aufklären des Internets, ohne dass der Schutzbereich des Artikels 10 des Grundgesetzes (Brief-, Postund Fernmeldegeheimnis) berührt ist, insbesondere die verdeckte Teilnahme an den Kommunikationseinrichtungen des Internets sowie die Suche nach ihnen. (2) Die Mittel nach Absatz 1 dürfen nur angewendet werden, wenn 1. die Voraussetzungen des SS 9 Abs. 1 Nr. 1, 2 oder 3 vorliegen, 2. sich ihr Einsatz gegen Dritte richtet, deren Einbeziehung in eine solche Maßnahme unumgänglich ist, um auf diese Weise Erkenntnisse über sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten für eine fremde Macht oder Bestrebungen zu gewinnen, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen gegen die im SS 5 Abs. 1 Nr. 1 und 3 genannten Schutzgüter gerichtet sind oder 3. dies zur Abschirmung der Mitarbeiter, Einrichtungen, Gegenstände und Nachrichtenzugänge des Verfassungsschutzes gegen sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten erforderlich ist. Die Mittel nach Absatz 1 Satz 1 Nr. 9 und 10 dürfen auch für Vertrauensleute angewendet werden, wenn dies zur Erfüllung eines dienstlichen Auftrags oder zu ihrem Schutz erforderlich ist. (3) Die Anwendung nachrichtendienstlicher Mittel gemäß Absatz 1 ist unzulässig, wenn die Informationsbeschaffung auf andere, die betroffene Person weniger beeinträchtigende Weise möglich ist. Eine geringere Beeinträchtigung ist in der Regel anzunehmen, wenn die Daten aus allgemein zugänglichen Quellen oder durch Übermittlung nach SS 24 gewonnen werden können. Die Anwendung nachrichtendienstlicher Mittel darf nicht außer Verhältnis zur Bedeutung des aufzuklärenden Sachverhaltes stehen. Die Verfassungsschutzbehörde darf die mit nachrichtendienstlichen Mitteln erhobenen Daten nur für die in SS 9 Abs. 1 genannten Zwecke nutzen. Daten, die für diese Zwecke nicht erforderlich sind, sind unverzüglich zu löschen. Sind diese Daten mit anderen, für die in SS 9 Abs. 1 genannten Zwecke erforderlichen Daten derart verbun-- 175 -- den, dass sie nicht oder nur mit einem unverhältnismäßig großen Aufwand getrennt werden können, so sind diese Daten zu sperren; sie dürfen nicht mehr genutzt werden. (4) Wirkt die Verfassungsschutzbehörde an Sicherheitsüberprüfungen im Sinne des SS 5 Abs. 3 Nr. 1 mit, so darf sie nur das nachrichtendienstliche Mittel der Tarnung von Mitarbeitern anwenden. (5) Die Behörden des Landes sowie die Kommunalbehörden sind verpflichtet, der Verfassungsschutzbehörde Hilfe für Tarnungsmaßnahmen zu leisten. (6) Die Anwendung des nachrichtendienstlichen Mittels nach Absatz 1 Nr. 7 bedarf im Einzelfall der Zustimmung des Innenministers, im Falle seiner Verhinderung der des Staatssekretärs, und der Zustimmung der nach dem Ausführungsgesetz des Landes Mecklenburg-Vorpommern zu dem aufgrund von Artikel 10 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes erlassenen Bundesgesetzes gebildeten Kommission; bei Gefahr im Verzug ist unverzüglich die Genehmigung dieser Kommission nachträglich einzuholen. Die durch solche Maßnahmen erhobenen personenbezogenen Daten dürfen nur nach Maßgabe des aufgrund von Artikel 10 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes erlassenen Bundesgesetzes verwendet werden. (7) Die Verfassungsschutzbehörde darf unter den Voraussetzungen des SS 24a Abs. 2 technische Mittel zur Ermittlung des Standortes eines aktiv geschalteten Mobilfunkendgerätes und zur Ermittlung der Geräteoder Kartennummer einsetzen. Die Maßnahme ist nur zulässig, wenn ohne Einsatz technischer Mittel nach Satz 1 die Ermittlung des Standortes oder die Ermittlung der Geräteoder Kartennummer aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre. Sie darf sich nur gegen die in SS 24a Abs. 3 Nr. 1 und 2 Buchstabe b bezeichneten Personen richten. Für die Verarbeitung der Daten ist SS 4 des Artikel 10-Gesetzes entsprechend anzuwenden. Personenbezogene Daten eines Dritten dürfen anlässlich solcher Maßnahmen nur erhoben werden, wenn dies aus technischen Gründen zur Erreichung des Zweckes nach Satz 1 unvermeidbar ist. Sie unterliegen einem absoluten Verwendungsverbot und sind nach Beendigung der Maßnahme unverzüglich zu löschen. SS 24a Abs. 4 bis 6 gilt entsprechend. Das Grundrecht des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses (Artikel 10 des Grundgesetzes) wird insoweit eingeschränkt. -- 176 -- SS 10a Vertrauensleute und Verdeckte Mitarbeiter (1) Die Verfassungsschutzbehörde darf 1. Privatpersonen, deren planmäßige, dauerhafte Zusammenarbeit mit ihr Dritten nicht bekannt ist (Vertrauensleute), und 2. eigene Mitarbeiter unter einer ihnen verliehenen und auf Dauer angelegten Legende (Verdeckte Mitarbeiter) zur Aufklärung von Bestrebungen unter den Voraussetzungen des SS 10 Absatz 2 einsetzen. Ein dauerhafter Einsatz zur Aufklärung von Bestrebungen nach SS 5 Absatz 1 Nummer 1 und 4 ist nur bei Bestrebungen von erheblicher Bedeutung zulässig, insbesondere, wenn sie darauf gerichtet sind, Gewalt anzuwenden oder Gewalt vorzubereiten. (2) Vertrauensleute und Verdeckte Mitarbeiter dürfen weder zur Gründung von Bestrebungen nach SS 5 Absatz 1 Nr. 1, 3 oder 4 noch zur steuernden Einflussnahme auf derartige Bestrebungen eingesetzt werden. Sie dürfen in solchen Personenzusammenschlüssen oder für solche Personenzusammenschlüsse, einschließlich strafbarer Vereinigungen, tätig werden, um deren Bestrebungen aufzuklären. Im Übrigen ist im Einsatz eine Beteiligung an Bestrebungen nur zulässig, wenn sie 1. nicht in Individualrechte eingreift, 2. von den an den Bestrebungen Beteiligten derart erwartet wird, dass sie zur Gewinnung und Sicherung der Informationszugänge unumgänglich ist, und 3. nicht außer Verhältnis zur Bedeutung des aufzuklärenden Sachverhalts steht. Sofern zureichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass Vertrauensleute oder Verdeckte Mitarbeiter rechtswidrig einen Straftatbestand von erheblicher Bedeutung verwirklicht haben, soll der Einsatz unverzüglich beendet und die Strafverfolgungsbehörde unterrichtet werden. Über Ausnahmen nach Satz 4 entscheidet der Leiter der Verfassungsschutzabteilung oder sein Vertreter. -- 177 -- (3) Über die Verpflichtung von Vertrauensleuten entscheidet der Leiter der Verfassungsschutzabteilung oder sein Vertreter. Als Vertrauensleute dürfen Personen nicht angeworben und eingesetzt werden, die 1. nicht voll geschäftsfähig, insbesondere minderjährig sind, 2. von den Geldoder Sachzuwendungen für die Tätigkeit auf Dauer als alleinige Lebensgrundlage abhängen würden, 3. an einem Aussteigerprogramm teilnehmen, 4. im Bundeszentralregister mit einer Verurteilung wegen eines Verbrechens oder zu einer Freiheitsstrafe, deren Vollstreckung nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist, eingetragen sind, 5. Mitglied des Europäischen Parlaments, des Deutschen Bundestages, eines Landesparlaments oder Mitarbeiter eines solchen Mitglieds sind oder 6. berechtigt sind, in Strafsachen aus beruflichen Gründen das Zeugnis zu verweigern (SSSS 53 und 53a der Strafprozessordnung), wenn sie zur Beschaffung von Informationen über Sachverhalte eingesetzt werden sollen, auf die sich ihr Zeugnisverweigerungsrecht bezieht; Informationen, die diese Personen unter Verletzung des SS 203 des Strafgesetzbuches rechtswidrig an die Verfassungsschutzbehörde weiterzugeben beabsichtigen, dürfen von dieser nicht entgegengenommen werden. Der Leiter der Verfassungsschutzabteilung kann eine Ausnahme von Nummer 4 zulassen, wenn die Verurteilung nicht als Täter eines Totschlags (SSSS 212, 213 StGB) oder einer allein mit lebenslanger Haft bedrohten Straftat erfolgt ist und der Einsatz zur Aufklärung von Bestrebungen, die auf die Begehung von in SS 3 Absatz 1 des Artikel 10-Gesetzes bezeichneten Straftaten gerichtet sind, unerlässlich ist. Im Falle einer Ausnahme nach Satz 3 ist der Einsatz nach höchstens sechs Monaten zu beenden, wenn er zur Erforschung der in Satz 3 genannten Bestrebungen nicht zureichend gewichtig beigetragen hat. Auch im Weiteren ist die Qualität der gelieferten Informationen fortlaufend zu bewerten. Das Ministerium für Inneres und Sport trägt der Parlamentarischen Kontrollkommission mindestens einmal im Jahr einen Lagebericht zum Einsatz von Vertrauensleuten vor. -- 178 -- (4) Zum Absehen von der Verfolgung von im Einsatz begangenen Vergehen oder der Rücknahme einer bereits erhobenen Klage und der Verfahrenseinstellung durch die Staatsanwaltschaft findet SS 9a Absatz 3 des Bundesverfassungsschutzgesetzes Anwendung. SS 11 Mitteilung an betroffene Personen Betroffenen Personen sind Maßnahmen nach SS 10 Abs. 6 Satz 1 nach ihrer Beendigung mitzuteilen, sobald eine Gefährdung des Zweckes des Eingriffs ausgeschlossen werden kann. Lässt sich im Zeitpunkt der Beendigung der Maßnahme noch nicht abschließend beurteilen, ob diese Voraussetzung erfüllt ist, unterbleibt die Mitteilung so lange, bis eine Gefährdung des Zwecks der Maßnahme ausgeschlossen werden kann. Die nach dem Ausführungsgesetz zu dem aufgrund von Artikel 10 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes gebildete Kommission ist über die Gründe, die einer Mitteilung entgegenstehen, zu unterrichten; hält sie eine Mitteilung für geboten, so ist diese unverzüglich zu veranlassen. SS 12 Registereinsicht durch die Verfassungsschutzbehörde (1) Die Verfassungsschutzbehörde darf zur Aufklärung 1. von Bestrebungen, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind, 2. von Bestrebungen im Sinne des SS 5 Abs. 1 Nr. 2 bis 4 bei öffentlichen Stellen geführte Dateien, Akten und Register einsehen. (2) Eine solche Einsichtnahme ist nur zulässig, wenn 1. die Aufklärung auf andere Weise nicht möglich erscheint, insbesondere durch eine Übermittlung der Daten durch die registerführende Stelle der Zweck der Maßnahme gefährdet würde, 2. die betroffenen Personen durch eine anderweitige Aufklärung unverhältnismäßig beeinträchtigt werden würden und -- 179 -- 3. eine besondere gesetzliche Geheimhaltungsvorschrift oder ein Berufsgeheimnis der Einsichtnahme nicht entgegensteht. (3) Die auf diese Weise gewonnenen Erkenntnisse dürfen nur zu den in Absatz 1 genannten Zwecken verwendet werden. Daten, die für diese Zwecke nicht erforderlich sind, sind unverzüglich zu löschen. Sind diese Daten mit anderen, für die in Absatz 1 genannten Zwecke erforderlichen Daten derart verbunden, dass sie nicht oder nur mit unverhältnismäßig großem Aufwand getrennt werden können, so sind diese Daten zu sperren; sie dürfen nicht mehr genutzt werden. (4) Über die Einsichtnahme ist ein gesonderter Nachweis zu führen, aus dem ihr Zweck, die in Anspruch genommene Stelle sowie die Namen der betroffenen Person, deren Daten für eine weitere Verwendung erforderlich sind, hervorgehen. Diese Aufzeichnungen sind gesondert aufzubewahren, durch technische und organisatorische Maßnahmen zu sichern und am Ende des Kalenderjahres, das dem Jahr der Erstellung folgt, zu vernichten. Dieser Nachweis ist der Parlamentarischen Kontrollkommission auf Wunsch vorzulegen. Abschnitt 2 Datenverarbeitung SS 13 Begriff der Datei und der Akte (1) Eine Datei im Sinne dieses Gesetzes ist 1. eine Sammlung personenbezogener Daten, die durch automatisierte Verfahren verarbeitet und ausgewertet werden kann (automatisierte Datei) oder 2. jede sonstige Sammlung gleichartig aufgebauter personenbezogener Daten, die nach bestimmten Merkmalen geordnet und ausgewertet werden kann (nicht-automatisierte Datei). (2) Eine Akte ist jede sonstige Sammlung von amtlichen oder dienstlichen Zwecken dienenden Unterlagen, die in einem inhaltlichen Bezug zueinander stehen und auch personenbezogene Daten enthalten kön-- 180 -- nen. Dazu zählen auch Bildund Tonmedien. Akten oder Auszüge aus Akten dürfen auch in elektronischer Form geführt werden. Eine Abfrage personenbezogener Daten mittels automatisierter Verarbeitung ist nur zulässig, wenn für sie die Voraussetzungen der Speicherung nach SS 15 Absatz 1 oder SS 16 Absatz 1 vorliegen. Der automatisierte Abgleich dieser personenbezogenen Daten ist nur beschränkt auf Akten eng umgrenzter Anwendungsgebiete zulässig. Bei jeder Abfrage sind für Zwecke der Datenschutzkontrolle der Zeitpunkt, die Angaben, die die Feststellung der abgefragten Daten ermöglichen, sowie Angaben zur Feststellung des Abfragenden zu protokollieren. Die protokollierten Daten dürfen nur für Zwecke der Datenschutzkontrolle, der Datensicherung oder zur Sicherstellung eines ordnungsgemäßen Betriebs der Datenverarbeitungsanlage verwendet werden. Die Protokolldaten sind am Ende des Kalenderjahres, das dem Jahr der Protokollierung folgt, zu löschen. SS 14 Dateianordnung (1) Für jede automatisierte Datei der Verfassungsschutzbehörde sind in einer Dateianordnung durch die Verfassungsschutzbehörde festzulegen: 1. Bezeichnung der Datei, 2. Zweck der Datei, 3. Inhalt, Umfang, Voraussetzungen der Speicherung, Übermittlung und Nutzung, 4. Berechtigung zur Eingabe von Daten, 5. Zugangsberechtigung, 6. Überprüfungsfristen und Speicherungsdauer, 7. Protokollierung. (2) Der Landesbeauftragte für den Datenschutz ist vor Erlass der Dateianordnung anzuhören. -- 181 -- SS 15 Voraussetzung der Speicherung (1) Die Verfassungsschutzbehörde darf zur Erfüllung ihrer Aufgaben personenbezogene Informationen in Dateien nur speichern, wenn die Voraussetzungen ihrer Erhebung gemäß SS 9 Absatz 1 oder 2 vorliegen. (2) Unterlagen, die nach Absatz 1 gespeicherte Angaben belegen, dürfen auch gespeichert werden, wenn in ihnen weitere personenbezogene Daten Dritter enthalten sind. Eine Abfrage von Daten Dritter ist unzulässig. (3) Bundesgesetzliche Vorschriften über die Datenverarbeitung in gemeinsamen Dateien der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder bleiben unberührt. SS 16 Erfassung personenbezogener Daten von Minderjährigen (1) Personenbezogene Daten von Minderjährigen dürfen in Dateien und Akten nur erfasst werden, wenn 1. diese zu dem Zeitpunkt, auf den sich die Daten beziehen, das 16. Lebensjahr vollendet haben und 2. der Verdacht einer geheimdienstlichen Tätigkeit (SS 5 Absatz 1 Nummer 2) oder einer Bestrebung im Sinne des SS 5 Absatz 1 Nummer 1 oder 3 besteht, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen verfolgt wird. (2) Personenbezogene Daten über Minderjährige nach Vollendung des 16. und vor Vollendung des 18. Lebensjahres sind nach zwei Jahren auf die Erforderlichkeit der Erfassung zu überprüfen und spätestens nach fünf Jahren zu löschen, es sei denn, dass nach Eintritt der Volljährigkeit weitere Erkenntnisse nach SS 5 Absatz 1 angefallen sind. SS 17 Speichern, Berichtigen, Löschen und Sperren personenbezogener Daten (1) Umfang und Dauer der Speicherung personenbezogener Daten sind auf das für die Aufgabenerfüllung der Verfassungsschutzbehörde erforderliche Maß zu beschränken. -- 182 -- (2) Wird die Richtigkeit von personenbezogenen Daten von betroffenen Personen bestritten, so ist dies in der Akte und Datei zu vermerken oder auf sonstige Weise festzuhalten. Personenbezogene Daten sind zu berichtigen, wenn sie unrichtig sind. Dabei muss nachvollziehbar bleiben, in welchem Zeitraum und aus welchem Grund sie unrichtig waren. Die Daten sind zu ergänzen, wenn sie unvollständig sind und dadurch schutzwürdige Interessen der betroffenen Person beeinträchtigt sein können. (3) Personenbezogene Daten in Dateien sind zu löschen, wenn ihre Erhebung oder Speicherung unzulässig war oder ihre Kenntnis für die Aufgabenerfüllung nicht mehr erforderlich ist. Bei jeder Einzelfallbearbeitung und nach festgesetzten Fristen, spätestens aber nach fünf Jahren, sind die in Dateien gespeicherten personenbezogenen Daten auf ihre Erforderlichkeit zu überprüfen. Soweit die Daten Bestrebungen nach SS 5 Absatz 1 Nummer 1 betreffen, sind sie spätestens zehn Jahre, soweit sie Bestrebungen nach SS 5 Absatz 1 Nummer 3 oder 4 betreffen, spätestens fünfzehn Jahre nach dem Zeitpunkt der letzten gespeicherten relevanten Information zu löschen, es sei denn, der Leiter der Verfassungsschutzabteilung oder sein Vertreter trifft im Einzelfall ausnahmsweise eine andere Entscheidung. (4) Personenbezogene Daten sind in Dateien zu sperren, soweit durch ihre Löschung schutzwürdige Belange der betroffenen Person oder von Dritten beeinträchtigt würden. Ein schutzwürdiges Interesse liegt auch vor, wenn die betroffene Person einen Antrag nach SS 26 Absatz 1 Satz 1 gestellt hat. Anstelle der Löschung tritt auch dann eine Sperrung, wenn die nach Absatz 3 zu löschenden Daten mit anderen Daten derart verbunden sind, dass sie nicht oder nur mit einem unverhältnismäßig großen Aufwand getrennt werden können. Die gesperrten Daten dürfen ohne Einwilligung der betroffenen Person nicht mehr genutzt werden. (5) Eine Akte ist zu vernichten, wenn sie insgesamt zur Aufgabenerfüllung der Verfassungsschutzbehörde nicht oder nicht mehr erforderlich ist. Die Erforderlichkeit ist bei der Einzelfallbearbeitung und nach festgesetzten Fristen, spätestens nach fünf Jahren, zu prüfen. Eine Vernichtung unterbleibt, wenn Grund zu der Annahme besteht, dass durch sie schutzwürdige Interessen des Betroffenen beeinträchtigt würden. Dies ist auch dann gegeben, wenn eine betroffene Person einen Antrag nach SS 26 Absatz 1 Satz 1 gestellt hat. In diesen Fällen ist die Akte zu sperren und mit einem entsprechenden Vermerk zu versehen. Sie darf nur für den Zweck verwendet werden, für den sie gesperrt worden ist oder wenn es zur Abwehr einer erheblichen Gefahr unerlässlich ist. Eine Vernichtung der Akte erfolgt -- 183 -- nicht, wenn sie nach den Vorschriften des Landesarchivgesetzes dem Landesarchiv zur Übernahme anzubieten und zu übergeben ist. (6) Personenbezogene Daten, die ausschließlich zu Zwecken der Datenschutzkontrolle, der Datensicherung oder zur Sicherstellung eines ordnungsgemäßen Betriebes einer Datenverarbeitungsanlage gespeichert werden, dürfen nur für diesen Zweck verwendet werden. Abschnitt 3 Informationsübermittlung und Auskunftserteilung SS 18 Informationsübermittlung zwischen den Verfassungsschutzbehörden Die Verfassungsschutzbehörde unterrichtet das Bundesamt für Verfassungsschutz und die Verfassungsschutzbehörden der Länder über alle Angelegenheiten, deren Kenntnis zur Erfüllung der Aufgaben der empfangenden Stellen erforderlich ist. SS 19 Informationsübermittlung an Bundesnachrichtendienst und Militärischen Abschirmdienst Die Verfassungsschutzbehörde übermittelt dem Bundesnachrichtendienst und dem Militärischen Abschirmdienst die ihr bekannt gewordenen Informationen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Übermittlung für die Erfüllung der Aufgaben der empfangenden Stelle erforderlich ist. Handelt die Verfassungsschutzbehörde auf Ersuchen, so ist sie zur Übermittlung nur verpflichtet und berechtigt, wenn sich die tatsächlichen Anhaltspunkte aus den Angaben der ersuchenden Behörde ergeben. SS 20 Informationsübermittlung durch die Verfassungsschutzbehörde an Polizei, Staatsanwaltschaft und andere Stellen (1) Die im Rahmen der gesetzlichen Aufgaben gewonnenen Erkenntnisse der Verfassungsschutzbehörde, die nicht personenbezogen sind, können an andere Behörden und Stellen, insbesondere an die Polizei und Staatsanwaltschaften, übermittelt werden, wenn sie für die Aufgabenerfüllung der empfangenden Stellen erforderlich sein können. -- 184 -- (2) Personenbezogene Daten übermittelt die Verfassungsschutzbehörde von sich aus an die Staatsanwaltschaften und, vorbehaltlich der staatsanwaltschaftlichen Sachleitungsbefugnis, die Polizei, sofern aufgrund der bei der Verfassungsschutzbehörde vorliegenden Informationen tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Übermittlung zur Verhinderung oder Verfolgung von Staatsschutzdelikten erforderlich ist. Delikte nach Satz 1 sind die in SS 74a Abs. 1 und SS 120 Abs. 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 9. Mai 1975 (BGBl. I S. 1077), zuletzt geändert durch Artikel 2 des Gesetzes vom 19. Dezember 2000 (BGBl. I S. 1756), genannten Straftaten sowie sonstige Straftaten, bei denen aufgrund ihrer Zielsetzung, des Motivs des Täters oder dessen Verbindung zu einer Organisation tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie gegen die in Artikel 73 Nr. 10 Buchstabe b oder c des Grundgesetzes genannten Schutzgüter gerichtet sind. (3) Personenbezogene Daten darf die Verfassungsschutzbehörde vorbehaltlich des Absatzes 4 übermitteln 1. an die Staatsanwaltschaften und, vorbehaltlich der staatsanwaltschaftlichen Sachleitungsbefugnis, die Polizei, sofern aufgrund der bei der Verfassungsschutzbehörde vorliegenden Informationen tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass jemand eine Straftat plant oder begangen hat, die im Mindestmaß mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bedroht ist, oder wenn es zum Schutz vor Bestrebungen und Tätigkeiten nach SS 5 Abs. 1 erforderlich ist, 2. an andere staatliche Behörden und an die der Aufsicht des Landes unterstellten Gebietskörperschaften, wenn dies zum Schutz vor Bestrebungen und Tätigkeiten nach SS 5 Abs. 1 erforderlich ist, 3. an Stellen, die mit dem Überprüfungsverfahren nach SS 5 Absatz 3 Nummer 1 befasst sind, 4. an andere Stellen, wenn es zum Schutz vor Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes unverzichtbar ist. In den Fällen der Nummer 4 entscheidet der Leiter der Verfassungsschutzabteilung oder sein Vertreter. (4) Personenbezogene Daten, die mit den nachrichtendienstlichen Mitteln nach SS 10 Absatz 1 erhoben wurden, darf die Verfassungsschutz-- 185 -- behörde an die Staatsanwaltschaften, die Finanzbehörden nach SS 386 Absatz 1 der Abgabenordnung, die Polizei, die mit der Steuerfahndung betrauten Dienststellen der Landesfinanzbehörden, die Behörden des Zollfahndungsdienstes sowie anderer Zolldienststellen, soweit diese Aufgaben nach dem Bundespolizeigesetz wahrnehmen, nur übermitteln, soweit dies erforderlich ist zur 1. Erfüllung eigener Aufgaben der Informationsgewinnung, 2. Abwehr einer im Einzelfall bestehenden Gefahr für den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder für Leib, Leben, Gesundheit oder Freiheit einer Person oder für Sachen von erheblichem Wert, deren Erhaltung im öffentlichen Interesse geboten ist, 3. Verhinderung oder sonstigen Verhütung von Straftaten von erheblicher Bedeutung oder 4. Verfolgung von Straftaten von erheblicher Bedeutung. (5) Soweit es zur Verhinderung oder Verfolgung von Straftaten gemäß Absatz 2 erforderlich ist, können die Staatsanwaltschaften und, vorbehaltlich der staatsanwaltschaftlichen Sachleitungsbefugnis, die Polizei die Übermittlung personenbezogener Daten im Einzelfall verlangen. Das Ersuchen bedarf der Schriftform, ist zu begründen und zu dokumentieren. Eine Übermittlung unterbleibt, sofern übergeordnete Bedenken aus den Aufgaben des Verfassungsschutzes der Übermittlung entgegenstehen. Die Entscheidung trifft der Leiter der Verfassungsschutzabteilung oder sein Vertreter. Die Ablehnung ist zu dokumentieren und zu begründen. Nach Wegfall der Ablehnungsgründe ist die Auskunft auf Verlangen nachzuholen. (6) Die nach Absatz 2 bis 4 oder 5 übermittelten personenbezogenen Daten darf die empfangende Stelle nur zu dem Zweck verwenden, zu dessen Erfüllung sie ihr übermittelt wurden. Auf diese Einschränkung ist die empfangende Stelle hinzuweisen. SS 20a Projektbezogene gemeinsame Dateien (1) Die Verfassungsschutzbehörde kann für die Dauer einer befristeten projektbezogenen Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz, den übrigen Landesbehörden für Verfassungsschutz, dem Militä-- 186 -- rischen Abschirmdienst, dem Bundesnachrichtendienst, dem Zollkriminalamt sowie den Polizeibehörden des Bundes und der Länder eine gemeinsame Datei errichten. Die projektbezogene Zusammenarbeit soll nach Maßgabe der Aufgaben und Befugnisse der in Satz 1 genannten Behörden den Austausch und die gemeinsame Auswertung von Erkenntnissen zu Bestrebungen, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen gegen die in SS 5 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 bis 4 genannten Schutzgüter gerichtet sind, bewirken. Personenbezogene Daten zu Bestrebungen nach Satz 2 dürfen unter Einsatz der gemeinsamen Datei durch die an der projektbezogenen Zusammenarbeit beteiligten Behörden im Rahmen ihrer Befugnisse verwendet werden, soweit dies in diesem Zusammenhang zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlich ist. Bei der weiteren Verwendung der personenbezogenen Daten finden für die beteiligten Behörden die jeweils für sie geltenden Vorschriften über die Verwendung von Daten Anwendung. (2) SS 22a Absatz 2 bis 6 des Bundesverfassungsschutzgesetzes findet entsprechende Anwendung. SS 21 Informationsübermittlung an ausländische Stellen Die Verfassungsschutzbehörde darf personenbezogene Daten im Einvernehmen mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz an ausländische öffentliche Stellen sowie an überund zwischenstaatliche Stellen übermitteln, soweit die Übermittlung in einem Gesetz, einem Rechtsakt der Europäischen Gemeinschaften oder in einer internationalen Vereinbarung geregelt ist. Eine Übermittlung darf auch erfolgen, wenn sie 1. zum Schutz von Leib oder Leben erforderlich ist oder 2. zur Erfüllung eigener Aufgaben, insbesondere in Fällen grenzüberschreitender Tätigkeiten der Verfassungsschutzbehörde, unumgänglich ist und im Empfängerland gleichwertige Datenschutzregelungen gelten. Die Übermittlung unterbleibt, wenn ihr auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland oder überwiegende schutzwürdige Interessen der betroffenen Person, insbesondere deren Schutz vor einer rechtsstaatswidrigen Verfolgung, entgegenstehen. SS 20 Abs. 5 gilt entsprechend; die -- 187 -- empfangende Stelle ist darüber hinaus darauf hinzuweisen, dass sich die Verfassungsschutzbehörde vorbehält, Auskunft über die Verarbeitung der übermittelten Daten zu verlangen. SS 22 Informationsübermittlung an die Öffentlichkeit Bei der Unterrichtung der Öffentlichkeit, einschließlich der Medien, über Erkenntnisse der Verfassungsschutzbehörde ist die Übermittlung von personenbezogenen Daten nur zulässig, wenn es zu einer sachgemäßen Information erforderlich ist und schutzwürdige Interessen der betroffenen Person nicht entgegenstehen. Werden von der Verfassungsschutzbehörde personenbezogene Daten an die Öffentlichkeit gegeben, so ist im Einzelfall zu prüfen, ob vorab eine Benachrichtigung der betroffenen Person oder des Dritten geboten ist. SS 23 Dokumentation und Grundlage der Informationsübermittlung durch die Verfassungsschutzbehörde Die Übermittlung von personenbezogenen Daten ist zu dokumentieren. Vor der Datenübermittlung soll der Akteninhalt gewürdigt und der Datenübermittlung zugrunde gelegt werden. Erkennbar unvollständige Daten sind vor der Übermittlung im Rahmen der Verhältnismäßigkeit durch Einholung zusätzlicher Auskünfte zu vervollständigen, anderenfalls ist auf die Unvollständigkeit hinzuweisen. SS 24 *) Informationsübermittlung durch öffentliche Stellen an die Verfassungsschutzbehörde (1) Die Verfassungsschutzbehörde kann von den Behörden des Landes und den der Aufsicht des Landes unterstehenden juristischen Personen des öffentlichen Rechts nur die Übermittlung von Daten verlangen, die diesen Stellen im Rahmen ihrer Aufgaben vorliegen und die zur Erfüllung der Aufgaben des Verfassungsschutzes erforderlich sind. Voraussetzung hierfür ist, dass die betreffenden Daten nicht aus allgemein zugänglichen Quellen oder nur mit übermäßigem Aufwand oder nur durch eine die betroffene Person stärker belastende Maßnahme erhoben werden können. (2) Die Verfassungsschutzbehörde braucht Ersuchen nicht zu begründen, soweit dies dem Schutz der betroffenen Person dient oder eine Begründung den Zweck der Maßnahme gefährden würde. -- 188 -- (3) Die in Absatz 1 genannten Stellen übermitteln von sich aus der Verfassungsschutzbehörde alle ihnen im Rahmen ihrer Aufgaben vorliegenden Daten über Bestrebungen, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen verfolgt werden, und über geheimdienstliche Tätigkeiten. Die Staatsanwaltschaften und, vorbehaltlich der staatsanwaltschaftlichen Sachleitungsbefugnis, die Polizei übermitteln darüber hinaus auch andere ihnen im Rahmen ihrer Aufgabenerfüllung bekannt gewordene Daten über Bestrebungen im Sinne des SS 5 Abs. 1. Die Übermittlung personenbezogener Daten, die aufgrund einer Maßnahme nach SS 100a der Strafprozessordnung bekannt geworden sind, ist nur zulässig, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass jemand eine der im aufgrund von Artikel 10 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes erlassenen Bundesgesetz als Voraussetzung für eine Beschränkungsmaßnahme genannten Straftaten plant, begeht oder begangen hat. Die Übermittlung personenbezogener Daten, die aufgrund anderer strafprozessualer Zwangsmaßnahmen bekannt geworden sind, ist nur zulässig, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für geheimdienstliche oder sicherheitsgefährdende Tätigkeiten oder gewalttätige Bestrebungen bestehen. Auf die nach Satz 3 übermittelten Daten und die dazugehörenden Unterlagen finden die im aufgrund von Artikel 10 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes erlassenen Bundesgesetz enthaltenen Bestimmungen über die Nutzung, Übermittlung und Vernichtung von Daten entsprechende Anwendung. Die nach Satz 4 übermittelten Daten dürfen nur zur Erforschung geheimdienstlicher oder sicherheitsgefährdender Tätigkeiten oder gewalttätiger Bestrebungen genutzt werden. (4) Vorschriften zur Datenübermittlung an die Verfassungsschutzbehörde nach anderen Gesetzen bleiben unberührt. (5) Die Verfassungsschutzbehörde hat die übermittelten Daten nach ihrem Eingang unverzüglich darauf zu überprüfen, ob sie für die Erfüllung ihrer in SS 5 genannten Aufgaben erforderlich sind. Ergibt die Prüfung, dass sie nicht erforderlich sind, sind die Unterlagen unverzüglich zu vernichten. Die Vernichtung unterbleibt, wenn die Unterlagen von anderen Daten, die zur Erfüllung der Aufgaben erforderlich sind, nicht oder nur mit unvertretbarem Aufwand getrennt werden können; in diesem Fall sind die Daten gesperrt und entsprechend zu kennzeichnen. (6) Soweit andere gesetzliche Vorschriften nicht besondere Regelungen über die Dokumentation treffen, haben die Verfassungsschutzbehörde und die übermittelnde Stelle die Datenübermittlung zu dokumentieren. Fußnoten *) SS 24 Überschrift neu gefasst durch Artikel 3 des Gesetzes vom 16. April 2004. -- 189 -- SS 24a Informationsübermittlung durch nicht-öffentliche Stellen an die Verfassungsschutzbehörde (1) Die Verfassungsschutzbehörde darf im Einzelfall bei denjenigen, die geschäftsmäßig Postdienstleistungen oder Telemediendienste erbringen oder daran mitwirken, Auskunft über Daten einholen, die für die Begründung, inhaltliche Ausgestaltung, Änderung oder Beendigung eines Vertragsverhältnisses über Postdienstleistungen oder Telemediendienste (Bestandsdaten) gespeichert worden sind, soweit dies zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlich ist. (2) Die Verfassungsschutzbehörde darf im Einzelfall Auskunft einholen bei 1. Luftfahrtunternehmen zu Namen und Anschriften des Kunden sowie zur Inanspruchnahme und den Umständen von Transportleistungen, insbesondere zum Zeitpunkt von Abfertigung und Abflug und zum Buchungsweg, 2. Kreditinstituten, Finanzdienstleistungsinstituten und Finanzunternehmen zu Konten, Konteninhabern und sonstigen Berechtigten sowie weiteren am Zahlungsverkehr Beteiligten und zu Geldbewegungen und Geldanlagen, insbesondere über Kontostand und Zahlungseinund -ausgänge, 3. denjenigen, die geschäftsmäßig Postdienstleistungen erbringen oder daran mitwirken, zu den Umständen des Postverkehrs, 4. denjenigen, die geschäftsmäßig Telekommunikationsdienste erbringen oder daran mitwirken, zu Verkehrsdaten nach SS 96 Abs. 1 Nr. 1 bis 4 sowie SS 113a des Telekommunikationsgesetzes vom 22. Juni 2004 (BGBl. I S. 1190), das zuletzt durch Artikel 2 des Gesetzes vom 21. Dezember 2007 (BGBl. I S. 3198) geändert worden ist, und sonstigen zum Aufbau und zur Aufrechterhaltung der Telekommunikation notwendigen Verkehrsdaten und 5. denjenigen, die geschäftsmäßig Telemediendienste erbringen oder daran mitwirken, zu a) Merkmalen zur Identifikation des Nutzers eines Telemediums, b) Angaben über Beginn und Ende sowie über den Umfang der jeweiligen Nutzung und -- 190 -- c) Angaben über die vom Nutzer in Anspruch genommenen Telemediendienste, soweit dies zur Aufklärung von Bestrebungen oder Tätigkeiten erforderlich ist und tatsächliche Anhaltspunkte für schwerwiegende Gefahren für die in SS 5 Abs. 1 genannten Schutzgüter vorliegen. Im Falle des SS 5 Abs. 1 Nr. 1 gilt dies nur für Bestrebungen, die bezwecken oder aufgrund ihrer Wirkungsweise geeignet sind, 1. zu Hass oder Willkürmaßnahmen gegen Teile der Bevölkerung aufzustacheln oder deren Menschenwürde durch Beschimpfen, böswilliges Verächtlichmachen oder Verleumden anzugreifen und dadurch die Bereitschaft zur Anwendung von Gewalt zu fördern und den öffentlichen Frieden zu stören oder 2. Gewalt anzuwenden oder vorzubereiten einschließlich dem Befürworten, Hervorrufen oder Unterstützen von Gewaltanwendung, auch durch Unterstützen von Vereinigungen, die Anschläge gegen Personen oder Sachen veranlassen, befürworten oder androhen. (3) Anordnungen nach Absatz 2 dürfen sich nur gegen Personen richten, bei denen 1. tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie die schwerwiegenden Gefahren nach Absatz 2 nachdrücklich fördern oder 2. aufgrund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist a) bei Auskünften nach Absatz 2 Satz 1 Nr. 1, 2 und 5, dass sie die Leistung für eine Person nach Nummer 1 in Anspruch nehmen oder b) bei Auskünften nach Absatz 2 Satz 1 Nr. 3 und 4, dass sie für eine Person nach Nummer 1 bestimmte oder von ihr herrührende Mitteilungen entgegennehmen oder weitergeben oder im Falle des Absatzes 2 Satz 1 Nr. 4, dass eine Person nach Nummer 1 ihren Anschluss be-nutzt. (4) Die Zuständigkeit für Anordnungen nach Absatz 2 Satz 1 Nr. 1 ist in einer Dienstvorschrift zu regeln, die der Zustimmung des Innenministers bedarf. Anordnungen nach Absatz 2 Satz 1 Nr. 2 bis 5 werden vom Leiter der Verfassungsschutzbehörde oder seinem Vertreter schriftlich beantragt und begründet. Im Falle der Auskunft nach Nummer 2 kann der An-- 191 -- trag auch von einem Bediensteten der Verfassungsschutzbehörde gestellt werden, der die Befähigung zum Richteramt hat. Zuständig für Anordnungen nach Absatz 2 Satz 1 Nr. 2 bis 5 ist der Innenminister. Die Anordnung einer Auskunft über künftig anfallende Daten ist auf höchstens drei Monate zu befristen. Die Verlängerung dieser Anordnung um jeweils nicht mehr als drei Monate ist auf Antrag zulässig, soweit die Voraussetzungen der Anordnung fortbestehen. Anordnungen nach Absatz 2 Satz 1 Nr. 1 und 2 hat die Verfassungsschutzbehörde dem Betroffenen mitzuteilen, sobald eine Gefährdung des Zweckes des Eingriffs ausgeschlossen werden kann. (5) Über Anordnungen nach Absatz 2 Satz 1 Nr. 3 bis 5 unterrichtet der Innenminister monatlich die Kommission nach SS 2 Abs. 1 des Gesetzes zur Ausführung des Artikel 10-Gesetzes vom 17. Juli 1992 (GVOBl. M-V S. 486), das zuletzt durch das Gesetz vom 30. Juli 2007 (GVOBl. M-V S. 278) geändert worden ist, vor deren Vollzug. Bei Gefahr im Verzug kann er den Vollzug der Entscheidung auch bereits vor der Unterrichtung der Kommission anordnen. Die Kommission prüft von Amts wegen oder aufgrund von Beschwerden die Zulässigkeit und Notwendigkeit der Einholung von Auskünften. SS 15 Abs. 5 des Artikel 10-Gesetzes vom 26. Juni 2001 (BGBl. I S. 1254, 2298), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 18. Februar 2007 (BGBl. I S 106) geändert worden ist, ist mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden, dass die Kontrollbefugnis der Kommission sich auf die gesamte Erhebung, Verarbeitung und Nutzung der nach Absatz 2 Satz 1 Nr. 3 bis 5 erlangten personenbezogenen Daten erstreckt. Entscheidungen über Auskünfte, die die Kommission für unzulässig oder nicht notwendig erklärt, hat der Innenminister unverzüglich aufzuheben. Die Daten unterliegen in diesem Falle einem absoluten Verwendungsverbot und sind unverzüglich zu löschen. Für die Verarbeitung der nach Absatz 2 Satz 1 Nr. 3 bis 5 erhobenen Daten ist SS 4 des Artikel 10-Gesetzes entsprechend anzuwenden. SS 12 Abs. 1 und 3 des Artikel 10-Gesetzes findet entsprechend Anwendung. (6) Der Innenminister unterrichtet im Abstand von höchstens sechs Monaten die Parlamentarische Kontrollkommission über Anordnungen nach Absatz 2; dabei ist insbesondere ein Überblick über Anlass, Umfang, Dauer, Ergebnis und Kosten der im Berichtszeitraum durchgeführten Maßnahmen zu geben. (7) Anordnungen sind dem Verpflichteten insoweit schriftlich mitzuteilen, als dies erforderlich ist, um ihm die Erfüllung seiner Verpflichtung zu ermöglichen. Anordnungen und übermittelte Daten dürfen dem Betroffenen oder Dritten vom Verpflichteten nicht mitgeteilt werden. -- 192 -- (8) Der Innenminister unterrichtet das Parlamentarische Kontrollgremium des Bundes jährlich über Anordnungen nach Absatz 2 nach Maßgabe des SS 8b Absatz 3 Satz 1 des Bundesverfassungsschutzgesetzes. (9) Das Grundrecht des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses (Artikel 10 des Grundgesetzes) wird nach Maßgabe des Absatzes 2 Satz 1 Nr. 3 bis 5 und der Absätze 3 bis 5 eingeschränkt. SS 24b Weitere Auskunftsverlangen (1) Soweit dies zur Erfüllung der Aufgaben der Verfassungsschutzbehörde erforderlich ist, darf von demjenigen, der geschäftsmäßig Telekommunikationsdienste erbringt oder daran mitwirkt, im Einzelfall Auskunft über die nach den SSSS 95 und 111 des Telekommunikationsgesetzes vom 22. Juni 2004 (BGBl. I S. 1190), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 20. Juni 2013 (BGBl. I S. 1602) geändert worden ist, erhobenen Daten verlangt werden (SS 113 Absatz 1 Satz 1 des Telekommunikationsgesetzes). Bezieht sich das Auskunftsverlangen nach Satz 1 auf Daten, mittels derer der Zugriff auf Endgeräte oder auf Speichereinrichtungen, die in diesen Endgeräten oder hiervon räumlich getrennt eingesetzt werden, geschützt wird (SS 113 Absatz 1 Satz 2 des Telekommunikationsgesetzes), darf die Auskunft nur verlangt werden, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen für die Nutzung der Daten vorliegen. (2) Die Auskunft nach Absatz 1 darf auch anhand einer zu einem bestimmten Zeitpunkt zugewiesenen Internetprotokoll-Adresse verlangt werden (SS 113 Absatz 1 Satz 3 des Telekommunikationsgesetzes). (3) Von einer Beauskunftung nach Absatz 2 ist die betroffene Person zu benachrichtigen. Die Benachrichtigung erfolgt, soweit und sobald eine Gefährdung des Zwecks der Auskunft und der Eintritt übergreifender Nachteile für das Wohl des Bundes oder eines Landes ausgeschlossen werden können. Sie unterbleibt, wenn ihr überwiegende schutzwürdige Belange Dritter oder der betroffenen Person selbst entgegenstehen. Wird die Benachrichtigung nach Satz 2 zurückgestellt oder nach Satz 3 von ihr abgesehen, sind die Gründe aktenkundig zu machen. (4) Aufgrund eines Auskunftsverlangens nach Absatz 1 oder Absatz 2 hat derjenige, der geschäftsmäßig Telekommunikationsdienste erbringt oder daran mitwirkt, die zur Auskunftserteilung erforderlichen Daten unverzüglich, vollständig und richtig zu übermitteln. -- 193 -- (5) Die Verfassungsschutzbehörde hat für ihr erteilte Auskünfte eine Entschädigung zu gewähren, deren Umfang sich nach SS 23 und Anlage 3 des Justizvergütungsund -entschädigungsgesetzes vom 5. Mai 2004 (BGBl. I S. 718, 776), das zuletzt durch Artikel 13 des Gesetzes vom 5. Dezember 2012 (BGBl. I S. 2418) geändert worden ist, bemisst. Die Vorschriften über die Verjährung in SS 2 Absatz 1 und Absatz 4 des Justizvergütungsund -entschädigungsgesetzes finden entsprechend Anwendung. (6) Das Grundrecht des Fernmeldegeheimnisses (Artikel 10 des Grundgesetzes) wird nach Maßgabe des Absatzes 2 eingeschränkt. SS 25 Übermittlungsverbote, Nachberichtspflicht (1) Die Übermittlung von Daten unterbleibt, wenn 1. die Daten zu löschen oder für die empfangende Stelle nicht bedeutsam sind, 2. überwiegende Sicherheitsinteressen dies erfordern, 3. erkennbar ist, dass unter Berücksichtigung der Art der Daten und ihrer Erhebung die schutzwürdigen Interessen der betroffenen Person das Allgemeininteresse an der Übermittlung überwiegen, 4. es sich um personenbezogene Daten aus der engeren Persönlichkeitssphäre oder solche über Minderjährige unter 16 Jahren handelt, es sei denn, die empfangende Stelle der Daten benötigt diese zum Schutz vor Gewalt oder vor Vorbereitungshandlungen zur Gewalt oder vor geheimdienstlichen Tätigkeiten, 5. die Daten gesperrt sind und ihre Trennung nicht oder nur mit unverhältnismäßig hohem Aufwand von anderen zu übermittelnden Daten möglich ist oder 6. besondere gesetzliche Übermittlungsregelungen entgegenstehen; die Verpflichtung zur Wahrung gesetzlicher Geheimhaltungspflichten oder von Berufsoder besonderen Amtsgeheimnissen, die nicht auf gesetzlichen Vorschriften beruhen, bleibt unberührt. (2) Erweisen sich Daten nach ihrer Übermittlung als unrichtig, unvollständig, unzulässig gespeichert oder erhoben, so hat die übermittelnde -- 194 -- Stelle den Empfänger unverzüglich darauf hinzuweisen, es sei denn, dass dies für die Beurteilung eines Sachverhaltes ohne Bedeutung ist. Unrichtige oder unvollständige Daten sind durch die übermittelnde Stelle gegenüber dem Empfänger zu berichtigen oder zu ergänzen, wenn durch die unrichtige oder unvollständige Übermittlung schutzwürdige Interessen der betroffenen Person beeinträchtigt sein können. Die Benachrichtigung sowie Ergänzung sind aktenkundig zu machen und in der entsprechenden Datei zu vermerken. SS 26 Auskunft an betroffene Personen (1) Die Verfassungsschutzbehörde erteilt betroffenen Personen auf schriftlichen Antrag unentgeltlich Auskunft über zu ihrer Person gespeicherte Daten. Die Auskunftsverpflichtung erstreckt sich nicht auf die Herkunft der Daten und die Empfänger von Übermittlungen. Über Daten aus Akten, die nicht zu der betroffenen Person geführt werden, wird Auskunft nur erteilt, soweit Daten, namentlich aufgrund von Angaben der betroffenen Person, mit angemessenem Aufwand auffindbar sind. Die Verfassungsschutzbehörde bestimmt Verfahren und Form der Auskunftserteilung nach pflichtgemäßem Ermessen. (2) Die Auskunftserteilung kann nur abgelehnt werden, soweit 1. die Auskunft die öffentliche Sicherheit gefährden oder sonst dem Wohl des Bundes oder eines Landes Nachteile bereiten würde, 2. die Daten oder die Tatsache ihrer Speicherung nach einer Rechtsvorschrift oder wegen der berechtigten Interessen von Dritten geheimgehalten werden müssen oder 3. durch die Auskunftserteilung Informationsquellen gefährdet würden oder die Ausforschung des Erkenntnisstandes oder der Arbeitsweise der Verfassungsschutzbehörde zu befürchten ist. Die Entscheidung trifft der Leiter der Verfassungsschutzabteilung oder ein besonders von ihm beauftragter Mitarbeiter, der die Befähigung zum Richteramt besitzen soll. (3) Die Ablehnung der Auskunftserteilung bedarf keiner Begründung, soweit dadurch der Zweck der Auskunftsverweigerung gefährdet würde. Die Gründe der Auskunftsverweigerung sind zu dokumentieren. -- 195 -- (4) Wird die Auskunftserteilung abgelehnt, ist dem Antragsteller die Rechtsgrundlage dieser Ablehnung mitzuteilen. Die antragstellende Person ist auf ihr Recht hinzuweisen, sich an den Landesbeauftragten für den Datenschutz wenden zu können. Dem Landesbeauftragen für den Datenschutz ist auf sein Verlangen Auskunft zu erteilen. Stellt der Innenminister oder im Verhinderungsfall der Staatssekretär im Einzelfall fest, dass durch die Erteilung der Auskunft die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gefährdet würde, so darf die Auskunft nur dem Landesbeauftragten persönlich erteilt werden. Mitteilungen des Landesbeauftragten an die antragstellende Person dürfen keine Rückschlüsse auf den Kenntnisstand der Verfassungsschutzbehörde zulassen, sofern diese nicht einer weitergehenden Auskunft zustimmt. Abschnitt 4 Kontrolle der Verfassungsschutzbehörde SS 27 Parlamentarische Kontrollkommission (1) In Angelegenheiten des Verfassungsschutzes des Landes unterliegt die Landesregierung unbeschadet der Rechte des Landtages der Kontrolle durch die Parlamentarische Kontrollkommission. Die Kontrolle der Durchführung des aufgrund von Artikel 10 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes erlassenen Bundesgesetzes bleibt den aufgrund von Artikel 10 Abs. 2 des Grundgesetzes von dem Landtag bestellten Organen und Hilfsorganen vorbehalten. (2) Die Parlamentarische Kontrollkommission besteht aus fünf Mitgliedern, die zu Beginn jeder Wahlperiode vom Landtag aus seiner Mitte einzeln mit der Mehrheit seiner Mitglieder gewählt werden. Zwei Mitglieder sollen der parlamentarischen Opposition angehören. Die Mitglieder dürfen nicht der Landesregierung angehören. (3) Die Parlamentarische Kontrollkommission gibt sich eine Geschäftsordnung. Sie übt ihre Tätigkeit auch über das Ende der Wahlperiode des Landtages solange aus, bis der nachfolgende Landtag die Mitglieder neu gewählt hat. Der Parlamentarischen Kontrollkommission ist die für die Erfüllung ihrer Aufgaben notwendige Personalund Sachausstattung zur Verfügung zu stellen. -- 196 -- (4) Scheidet ein Mitglied aus dem Landtag oder aus der Fraktion, die ihn zur Wahl vorgeschlagen hat, aus, so verliert es seine Mitgliedschaft in der Parlamentarischen Kontrollkommission. Für dieses Mitglied ist unverzüglich ein neues Mitglied zu wählen; das Gleiche gilt, wenn ein Mitglied aus anderen Gründen aus der Parlamentarischen Kontrollkommission ausscheidet. (5) Die Parlamentarische Kontrollkommission tritt mindestens einmal im Vierteljahr zusammen. (6) Jedes Mitglied kann die Einberufung und die Unterrichtung der Parlamentarischen Kontrollkommission verlangen. SS 28 Geheimhaltung (1) Die Parlamentarische Kontrollkommission tagt in nichtöffentlicher Sitzung, über die jeweils ein Protokoll anzufertigen ist. Die Mitglieder sind zur Geheimhaltung der Angelegenheiten verpflichtet, die ihnen bei ihrer Tätigkeit in der Parlamentarischen Kontrollkommission bekannt geworden sind. Dies gilt auch für die Zeit nach ihrem Ausscheiden aus der Parlamentarischen Kontrollkommission. (2) Auf Antrag eines Mitgliedes beschließt die Parlamentarische Kontrollkommission über die Herstellung der Öffentlichkeit oder die Aufhebung der Vertraulichkeit nach Absatz 1, soweit öffentliche Geheimschutzinteressen, insbesondere die Aufrechterhaltung des Nachrichtenzuganges, oder berechtigte Interessen eines Einzelnen dem nicht entgegenstehen. Der Beschluss bedarf der Mehrheit der gesetzlichen Mitglieder der Kommission. Der Innenminister, im Falle seiner Verhinderung der Staatssekretär, kann einem Beschluss nach Satz 1 widersprechen, wenn die Voraussetzungen der Aufhebung der Vertraulichkeit gemäß Satz 1 nicht vorliegen. Der Innenminister, im Falle seiner Verhinderung der Staatssekretär, hat die Gründe hierfür darzulegen. Die Aufhebung der Vertraulichkeit von Beratungsgegenständen, die in die Verantwortlichkeit des Bundes oder eines Landes fallen, ist nur mit deren Zustimmung möglich. -- 197 -- (3) Sitzungsunterlagen und Protokolle verbleiben im Gewahrsam der Verfassungsschutzbehörde und können nur dort von den Mitgliedern der Kommission oder dem Innenminister, im Falle seiner Verhinderung dem Staatssekretär, eingesehen werden, es sei denn, der ordnungsgemäße Umgang mit diesen Unterlagen gemäß der Verschlusssachenanweisung für das Land Mecklenburg-Vorpommern ist nach Überzeugung der Parlamentarischen Kontrollkommission auf andere Weise gewährleistet. SS 29 Kontrollrechte der Parlamentarischen Kontrollkommission (1) Das Innenministerium hat die Parlamentarische Kontrollkommission umfassend über die allgemeine Tätigkeit der Verfassungsschutzbehörde, das Lagebild und über die Vorgänge von besonderer Bedeutung, insbesondere Einzelfälle, in denen eine Datenübermittlung gemäß SS 20 Abs. 4 Satz 3 unterblieben ist, sowie auf Verlangen der Kommission über sonstige Einzelfälle zu unterrichten. Ferner unterrichtet es über den Erlass und die Einhaltung von Verwaltungsvorschriften sowie über den Verfassungsschutz betreffende Eingaben einzelner Bürger (Petenten), sofern der Petent der Unterrichtung nicht widersprochen hat. (2) Die Parlamentarische Kontrollkommission kann von dem Innenministerium alle für ihre Kontrollaufgaben erforderlichen Auskünfte, Unterlagen, Aktenund Dateneinsicht, Stellungnahmen und den Zutritt zur Verfassungsschutzbehörde verlangen sowie bei besonderem Aufklärungsbedarf Bedienstete und Auskunftspersonen zum Sachverhalt befragen, sofern dem nicht überwiegende öffentliche (zum Beispiel Aufrechterhaltung des Nachrichtenzugangs) oder private Belange entgegenstehen; das Innenministerium hat dies vor der Parlamentarischen Kontrollkommission zu begründen. Die Parlamentarische Kontrollkommission kann ferner den Landesbeauftragten für den Datenschutzbeauftragen, die Rechtmäßigkeit einzelner Maßnahmen, welche die Verfassungsschutzbehörde durchgeführt hat, zu überprüfen und der Kommission das Ergebnis der Überprüfung mitzuteilen. Die Befugnisse des Landesbeauftragten für den Datenschutz richten sich nach dem Landesdatenschutzgesetz von Mecklenburg-Vorpommern. Wird der Landesbeauftragte für den Datenschutz nach SS 26 Abs. 4 tätig, so kann er von sich aus die Parlamentarische Kontrollkommission unterrichten, wenn sich Beanstandungen ergeben, eine Mitteilung an die betroffene Person aber aus Geheimhaltungsgründen unterbleiben muss. -- 198 -- (3) Die Parlamentarische Kontrollkommission kann mit der Mehrheit ihrer gesetzlichen Mitglieder nach Anhörung des Innenministeriums im Einzelfall einen Sachverständigen beauftragen, zur Wahrnehmung ihrer Kontrollaufgaben Untersuchungen durchzuführen. Der Sachverständige hat der Parlamentarischen Kontrollkommission über das Ergebnis seiner Untersuchungen zu berichten; SS 28 Abs. 1 und 2 gelten entsprechend. (4) Die Angaben über Ausgaben aus dem der Abteilung zugewiesenen Titel werden der Parlamentarischen Kontrollkommission im Ansatz vor Beratung des Haushaltsplanes zur Stellungnahme überwiesen. Das Innenministerium unterrichtet die Parlamentarische Kontrollkommission über den Vollzug des Haushaltsplanes, soweit es die der Verfassungsschutzbehörde zugewiesenen Titel betrifft. Abschnitt 5 Schlussvorschriften SS 30 Geltung des Landesdatenschutzgesetzes Bei der Erfüllung der Aufgaben nach SS 5 durch die Verfassungsschutzbehörde finden SS 3 Abs. 2 und 3, SSSS 9, 10 Abs. 1 bis 4, SSSS 11, 13 Abs. 1 bis 4, 6 und 7, SSSS 14, 15, 16, 18, 24 und 25 des Landesdatenschutzgesetzes keine Anwendung. SS 31 (aufgehoben) -- 199 -- SS 32 In-Kraft-Treten, Außer-Kraft-Treten (1) Dieses Gesetz tritt mit Ausnahme des SS 30 am Tag nach seiner Verkündung in Kraft. Gleichzeitig tritt das Landesverfassungsschutzgesetz vom 18. März 1992 (GVOBl. M-V S. 194) außer Kraft. (2) SS 30 tritt an dem Tag in Kraft, an dem das Landesdatenschutzgesetz in Kraft tritt. Der Tag des In-Kraft-Tretens ist vom Innenministerium im Gesetzund Verordnungsblatt für Mecklenburg-Vorpommern bekannt zu geben. Das vorstehende Gesetz wird hiermit verkündet. Schwerin, den 11. Juli 2001 Der Ministerpräsident Der Innenminister Dr. Harald Ringstorff Dr. Gottfried Timm (c) juris GmbH -- 200 --