Ministerium für Inneres und Sport Verfassungsschutzbericht 2015 Verfassungsschutzbericht 2015 Impressum Herausgeber: Ministerium für Inneres und Sport Mecklenburg-Vorpommern Redaktion: Abteilung Verfassungsschutz Postfach 11 05 52 19005 Schwerin 1. Auflage: 1000 Exemplare Layout, Gestaltung und Herstellung: Janner & Schöne Medien GmbH Titelbild: "Die wehrhafte Demokratie" Manfred Diekmann, 2009 Vorwort Sehr geehrte Bürgerinnen und Bürger, das Jahr 2015 war ein Jahr historischer Jubiläen: Mecklenburg-Vorpommern feierte den 25. Jahrestag seiner Neugründung und ganz Deutschland die Erfolge eines Vierteljahrhunderts gemeinsamer Anstrengungen in Frieden, Freiheit und nationaler Einheit - 70 Jahre nach der Befreiung von der nationalsozialistischen Terrorherrschaft. Das Jahr 2015 war aber auch ein Jahr beispielloser Veränderungen und unerwarteter Herausforderungen, die viele Menschen mit Sorge erfüllten. Während im Spätsommer und Frühherbst dieses Jahres an vielen Orten der Überwindung der kommunistischen Diktatur und politischen Teilung unseres Vaterlandes sowie der endgültigen Rückkehr Deutschlands in die Völkerfamilie in Folge der friedlichen Revolution des Jahres 1989 gedacht wurde, wurden wir alle Zeugen einer Massenflucht und Zuwanderung, die Europa in diesem Ausmaß zuletzt am Ende des Zweiten Weltkrieges erlebt hatte. Über eine Million Menschen, vor allem aus den Ländern der islamischen Welt, suchten 2015 in Deutschland Zuflucht vor politischer Verfolgung, Terror, Bürgerkrieg oder den katastrophalen Lebensbedingungen in ihrer Heimat. Auch für den Verfassungsschutz war das Jahr 2015 mit neuen Herausforderungen verbunden, die auch in den kommenden Jahren bestehen bleiben und zwangsläufig zu zusätzlichen Belastungen führen werden. Insgesamt musste der Verfassungsschutz im Jahr 2015 in Folge der Flüchtlingskrise eine deutliche Zunahme offener und verdeckter Aktivitäten in allen Extremismusbereichen verzeichnen. Während die öffentliche Wahrnehmung dieser Entwicklung in Mecklenburg-Vorpommern vor allem durch Aufmärsche und Straf- 5 taten von Rechtsund Linksextremisten bestimmt wurde, haben nicht zuletzt die Anschläge des "Islamischen Staates" vom 13. November 2015 in Paris mit 137 Todesopfern erneut vor Augen geführt, dass der islamistische Terrorismus weiterhin die mit Abstand größte Gefahr für die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland und der hier lebenden Menschen darstellt. So gehen die deutschen Sicherheitsbehörden davon aus, dass durch ihre Exekutivmaßnahmen an verschiedenen Orten Deutschlands auch 2015 mehrere Anschlagsplanungen islamistischer Terroristen vereitelt werden konnten. Auch in Mecklenburg-Vorpommern ging der Verfassungsschutz im Jahr 2015 mehreren Einzelhinweisen auf mutmaßliche islamistische Extremisten und Terroristen nach, die zum Teil als Flüchtlinge oder Asylbewerber getarnt in das Bundesgebiet eingereist waren. Die in diesem Zusammenhang gewonnenen Erkenntnisse verdeutlichen erneut die Notwendigkeit eines möglichst umfassenden Informationsaustausches der Sicherheitsbehörden auf europäischer Ebene - analog der Zusammenarbeit aller deutschen Polizeibehörden und Nachrichtendienste im Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum in Berlin, an der sich neben dem Landeskriminalamt auch der Verfassungsschutz Mecklenburg-Vorpommern beteiligt. Wo datenschutzrechtliche Vorschriften einer derartigen Kooperation auf internationaler Ebene entgegenstehen, bedürfen diese dringend einer grundgesetzkonformen Überarbeitung, denn jeder Akt des Terrors ist auch ein perfider Angriff auf die Menschenwürde - und diese zu schützen ist die wichtigste Aufgabe des freiheitlichen demokratischen Rechtsstaates! Auch die Angriffe von Rechtsextremisten auf Flüchtlinge und deren Unterkünfte sind Ausdruck einer tiefen Verachtung der Werteordnung des Grundgesetzes im Allgemeinen und der Idee der Menschenwürde im Besonderen. Ihre Zahl ist im Jahr 2015 auch in Mecklenburg-Vorpommern deutlich gestiegen. Mit Besorgnis registrierte der Verfassungsschutz zudem die Bemühungen von Rechtsextremisten - vor allem der NPD - legitime demokratische Bürgerproteste im Kontext der Flüchtlingszuwanderung für ihre ideologischen und parteipolitischen Zwecke zu vereinnahmen. Dadurch gelingt es ihnen nicht nur, nach innen und außen eine Stärke zu suggerieren, über die sie in Wirklichkeit gar nicht ver- 6 fügen. Vielmehr behindert die rechtsextremistische Vereinnahmung der Flüchtlingsthematik vielerorts eine angemessene und sachliche Auseinandersetzung mit jenen grundsätzlichen Fragen und Problemen, die spätestens seit dem Jahr 2015 die ganze Gesellschaft beschäftigen. Aber auch Linksextremisten sprechen ganzen Bevölkerungsgruppen systematisch die Menschenwürde ab. Neben Polizeibeamten, die 2015 in nochmals höherer Zahl Opfer tätlicher Angriffe wurden, betrifft dies vor allem den politischen Gegner - also tatsächliche oder auch nur vermeintliche Rechtsextremisten. Dabei bedienen sich Linksextremisten nicht nur häufig einer entwürdigenden Entmenschlichungsrhetorik sowie des Mittels der nur notdürftig kaschierten Aufforderung zu Straftaten (sogenannte "Outing-Aktionen"), sondern greifen den Gegner unter Berufung auf eine angeblich höhere Moral immer wieder auch tätlich an. Brandstiftungen an Kraftfahrzeugen von Demonstrationsteilnehmern, Sachbeschädigungen an Parteibüros und Wohnungen oder Angriffe auf Leib und Leben sind keine legalen oder auch nur legitimen Mittel der politischen Auseinandersetzung, sondern Straftaten! Mit ihrer aktiven Mitwirkung am NPD-Verbotsverfahren hat die Landesregierung bei der Bekämpfung des Rechtsextremismus einen Weg beschritten, der zwar lang und beschwerlich, dafür aber zweifelsfrei rechtsstaatlich ist und auch die Grundrechte der Gegner einer offenen Gesellschaft respektiert. Wer hingegen die eigene Moral über das geltende Recht stellt, unterminiert nicht nur die normativen und institutionellen Grundlagen unseres Zusammenlebens, sondern auch die - 1989 mühsam erkämpfte - Freiheit, die nur durch das Recht und den Rechtsstaat geschützt und verteidigt werden kann! Lorenz Caffier Minister für Inneres und Sport des Landes Mecklenburg-Vorpommern 7 Inhaltsverzeichnis 1 "Wehrhafte Demokratie" - Auftrag und Verpflichtung des Verfassungsschutzes .......................................................11 1.1 Der gesetzliche Auftrag des Verfassungsschutzes ................. 11 1.2 Freiheitliche demokratische Grundordnung............................ 13 1.3 Weitere Rechtsgrundlagen ............................................................. 14 1.4 Struktur ................................................................................................. 14 1.5 Informationsbeschaffung ............................................................... 14 1.6 Kontrolle ............................................................................................... 15 1.7 Verhältnis von Verfassungsschutz und Polizei ......................... 16 1.8 Änderung des Landesverfassungsschutzgesetzes ................ 17 2 Rechtsextremismus .................................................................18 2.1 Lageüberblick ..................................................................................... 18 2.2 Personenpotenzial ............................................................................ 20 2.3 Straftatenaufkommen ...................................................................... 20 2.4 Rechtsterrorismus / "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) ...................................................................................................... 21 2.5 Fortsetzung der "Antiasylkampagne" ......................................... 22 2.5.1 Einflussnahme der rechtsextremistischen Szene auf islamund asylgegnerische Bewegungen ......................... 25 2.6 Radikalisierungstendenzen in der rechtsextremistischen Szene ...................................................................................................... 27 2.7 Trefforte der rechtsextremistischen Szene ............................... 29 2.8 Subkultureller Rechtsextremismus.............................................. 31 2.8.1 Rechtsextremistische Musikveranstaltungen .......................... 32 2.8.2 Szeneläden/Versandhandel ........................................................... 38 2.9 Neonationalsozialismus (Neonazismus) .................................... 39 2.9.1 Neonazistische Publikationen ....................................................... 44 2.9.2 Neonazistische Veranstaltungen und Aktivitäten .................. 45 2.10 Rechtsextremistische Parteien /"Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD), Landesverband Mecklenburg-Vorpommern ............................................................................ 49 8 2.10.1 "Junge Nationaldemokraten" (JN) ............................................... 75 2.10.2 NPD-Frauenorganisation "Ring Nationaler Frauen" (RNF) ... 79 2.11 Sonstige rechtsextremistische Parteien/ "Die Rechte Kreisverband Schwerin" und "Der III. Weg" ....... 80 2.12 Nutzung des Internets durch Rechtsextremisten ................... 81 3 Linksextremismus ...................................................................83 3.1 Lageüberblick ..................................................................................... 83 3.2 Linksextremismus in Mecklenburg-Vorpommern im Jahre 2015 ...................................................................................... 85 3.2.1 Personenpotenzial ............................................................................ 86 3.2.2 Linksextremistisch motivierte Straftaten .................................. 86 3.3 Undogmatischer Linksextremismus............................................ 87 3.3.1 Aktionsfeld "Antifaschismus" ......................................................... 87 3.3.2 Aktionsfeld "Antirassismus" ............................................................ 91 3.3.3 Aktionsfeld "Antirepression" .......................................................... 92 3.4 Dogmatischer Linksextremismus ................................................. 94 4 Islamismus / Islamistischer Terrorismus ..............................96 4.1 Islamistische Bestrebungen - politischer Extremismus mit Rückgriff auf den Islam............................................................. 96 4.2 Übersicht über die Entwicklung des Islamismus und islamistischen Terrorismus 2015 ................................................... 97 4.3 Salafismus - Hintergründe und aktuelle Entwicklung........102 4.4 Der syrische Bürgerkrieg als Motor des islamistischen Terrorismus ........................................................................................106 4.5 Islamistischer Extremismus in MecklenburgVorpommern.....................................................................................108 4.6 Aktivitäten von Islamisten aus dem Nordkaukasus .............110 5 Sonstiger Ausländerextremismus ..................................... 111 5.1 Personenpotenzial ..........................................................................111 5.2 Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) / Volkskongress Kurdistans (KONGRA GEL) .............................................................112 5.2.1 Allgemeines .......................................................................................112 5.2.2 Aktivitäten der PKK in Deutschland ..........................................113 5.2.3 Unterstützung für die Kurden in Syrien ...................................115 9 5.2.4 Kooperation mit deutschen Linken und Linksextremisten..............................................................................116 6 Spionageabwehr .................................................................. 117 6.1 Deutschland im Fokus fremder Nachrichtendienste ...........117 6.2 Wirtschaftsschutz - eine Aufgabe der Spionageabwehr ...119 6.3 Was kann ich tun? ............................................................................120 7 Öffentlichkeitsarbeit ............................................................ 121 7.1 Aktivitäten ..........................................................................................121 7.2 Informationsmaterialien................................................................123 7.3 Ausund Fortbildung / Hospitationen .....................................128 Abkürzungsverzeichnis ................................................................... 130 Glossar ................................................................................................ 133 Registeranhang ................................................................................. 144 Anlage 1.............................................................................................. 148 Politisch motivierte Kriminalität (PMK) Jahresübersicht 2014/2015 ........................................................................148 Anlage 2.............................................................................................. 150 Gesetz über den Verfassungsschutz im Lande MecklenburgVorpommern ...................................................................................................150 10 1 "Wehrhafte Demokratie" - Auftrag und Verpflichtung des Verfassungsschutzes 1.1 Der gesetzliche Auftrag des Verfassungsschutzes Der Verfassungsschutz hat die Aufgabe, Informationen über "Bestrebungen" zu sammeln und auszuwerten, die sich zielgerichtet gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, also die Grundprinzipien unseres Staates, richten. Dies ist in allen Verfassungsschutzgesetzen des Bundes und der Länder entsprechend geregelt (vgl. SSSS 5, 6 LVerfSchG M-V). Als "Frühwarnsystem" soll der Verfassungsschutz aufklären, informieren, sensibilisieren und warnen. Dabei wird er bereits unterhalb der Schwelle der konkreten Gefahr und des Anfangsverdachts einer Straftat tätig, allerdings nur bei sogenannten Beobachtungsobjekten, die im Einzelnen festgelegt sind. Dies können rechtsextremistische Strukturen wie die NPD oder Neonazi-Kameradschaften, linksextremistische Gruppierungen wie gewalttätige Autonome oder islamistische Organisationen sein, die Freiheit und Sicherheit bedrohen. Damit zeigt sich der demokratische Rechtsstaat "wehrhaft", eine Lehre aus der auf legalistischem Wege erfolgten Abschaffung der Weimarer Republik durch die Nationalsozialisten. Es gilt, entschlossen den drohenden totalitären Gefahren entgegenzutreten - bevor es zu spät ist! Die "Wehrhafte Demokratie" hat folgende Wesensmerkmale: * Die Wertegebundenheit, d. h. unser Staat bekennt sich zu Werten, denen er eine besondere Bedeutung beimisst und die deshalb nicht zur Disposition stehen, * die Abwehrbereitschaft, d. h. der Staat ist gewillt, diese wichtigsten Werte gegenüber extremistischen Positionen zu verteidigen und * die Vorverlagerung des Verfassungsschutzes, d. h. der Staat reagiert nicht erst dann, wenn Extremisten gegen gesetzliche Normen verstoßen. Das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) und die Landesbehörden 11 für Verfassungsschutz (LfV) haben ihrem gesetzlichen Auftrag folgend also Informationen, insbesondere sachund personenbezogene Auskünfte, Nachrichten und Unterlagen zu sammeln und auszuwerten über: * Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes und eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziel haben, * sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten im Geltungsbereich des Grundgesetzes für eine fremde Macht, * Bestrebungen, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden und * Bestrebungen, die gegen den Gedanken der Völkerverständigung (Artikel 9 Absatz 2 des Grundgesetzes) oder gegen das friedliche Zusammenleben der Völker (Artikel 26 Absatz 1 des Grundgesetzes) gerichtet sind. Ferner wirken das BfV und die LfV mit * bei der Sicherheitsüberprüfung von Personen, denen im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftige Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse anvertraut werden, die Zugang dazu erhalten sollen oder ihn sich verschaffen können, * bei der Sicherheitsüberprüfung von Personen, die an sicherheitsempfindlichen Stellen von lebensoder verteidigungswichtigen Einrichtungen beschäftigt sind oder werden sollen sowie bei der Überprüfung von Personen in sonstigen gesetzlich bestimmten Fällen und * bei technischen Sicherheitsmaßnahmen zum Schutz von im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftigen Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen gegen die Kenntnisnahme durch Unbefugte. 12 Der Verfassungsschutz ist die maßgebliche Bewertungsinstanz für den politischen Extremismus in Deutschland. Er ist und bleibt eine eigenständige Säule innerhalb der förderalen Sicherheitsarchitektur. Vorstellungen, dem Verfassungsschutz diese Stellung streitig zu machen und die Bewertung für den politischen Extremismus außerhalb des Staates anzusiedeln, ist die ständige Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder (IMK) entschieden entgegen getreten. Der weiteren Erosion des staatlichen Gewaltmonopols als wesentlichem Bestandteil des Rechtsstaatsprinzips wurde damit Einhalt geboten. Von der Tätigkeit des Verfassungsschutzes als Inlandsnachrichtendienst zu unterscheiden ist die Arbeit des Bundesnachrichtendienstes (BND). Dieser beschafft außenund sicherheitspolitisch relevante Informationen über das Ausland. Der Militärische Abschirmdienst (MAD) nimmt Verfassungsschutzaufgaben im Bereich der Bundeswehr wahr. 1.2 Freiheitliche demokratische Grundordnung Der Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung ist Kernaufgabe der Verfassungsschutzbehörden. Damit ist aber nicht die Verfassung bzw. das Grundgesetz in seiner Gesamtheit gemeint, sondern die unabänderlichen obersten Wertprinzipien als Kernbestand der Demokratie. Diese fundamentalen Wertprinzipien bestimmen die Gesetzgebung des Bundes und der Länder, so auch die Verfassungsschutzgesetze. Zu diesen Grundsätzen gehören folgende Verfassungsprinzipien: * das Recht des Volkes, die Staatsgewalt in Wahlen und Abstimmungen und durch Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung auszuüben und die Volksvertretung in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl zu wählen, * die Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung und die Bindung der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an Gesetz und Recht, * das Recht auf Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition, 13 * die Ablösbarkeit der Regierung und ihre Verantwortlichkeit gegenüber der Volksvertretung, * die Unabhängigkeit der Gerichte, * der Ausschluss jeder Gewaltund Willkürherrschaft sowie * die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte. 1.3 Weitere Rechtsgrundlagen Für die Arbeit des Verfassungsschutzes sind neben dem Grundgesetz und der Verfassung des Landes Mecklenburg-Vorpommern insbesondere das Landesverfassungsschutzgesetz (LVerfSchG M-V), das Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses (Artikel 10-Gesetz) und das Sicherheitsüberprüfungsgesetz (SÜG) maßgebend. 1.4 Struktur Der Verfassungsschutz in der Bundesrepublik Deutschland ist föderal organisiert. Dementsprechend existieren 17 Verfassungsschutzbehörden, ein Bundesamt (BfV) und 16 Landesbehörden für Verfassungsschutz (LfV). Die Verfassungsschutzbehörden der Länder sind entweder eine Abteilung des jeweiligen Innenressorts oder eine eigenständige Landesoberbehörde. In Mecklenburg-Vorpommern ist der Verfassungsschutz seit 1991 eine Abteilung des Ministeriums für Inneres und Sport (Abteilung 5), wie dies auch in acht weiteren Ländern der Fall ist. 1.5 Informationsbeschaffung Den weitaus größten Teil ihrer Informationen gewinnen die Verfassungsschutzbehörden aus offenen, allgemein zugänglichen Quellen - also aus Druckerzeugnissen wie Zeitungen, Flugblättern, Programmen, Aufrufen und dem Internet. Mitarbeiter der Verfassungsschutzbehörden besuchen öffentliche Veranstaltungen und sie befragen auch Personen, die sachdienliche Hinweise geben können. Bei diesen Gesprächen auf freiwilliger Basis treten die Mitarbeiter des Verfassungsschutzes offen auf. Mit der Sammlung offenen Materials 14 entsteht allerdings nicht immer ein vollständiges Bild. Gegenüber konspirativen Methoden versagen diese Mittel der Nachrichtengewinnung. Nicht alle Extremisten verfassen nach der Tat Bekennerschreiben oder nennen gar ihren wahren Namen. Spione veröffentlichen keine Programme und verteilen keine Flugblätter. Um auch getarnte oder geheim gehaltene Aktivitäten beobachten zu können, ist dem Verfassungsschutz im Rahmen gesetzlich festgelegter Befugnisse und unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit der Gebrauch nachrichtendienstlicher Mittel zur Informationsgewinnung gestattet. Zu diesen Methoden der geheimen, verdeckten Nachrichtenbeschaffung gehören insbesondere: * die Observation, * der Einsatz von Vertrauenspersonen und Gewährspersonen, * Bildund Tonaufzeichnungen und * die Überwachung des Brief-, Postund Fernmeldeverkehrs nach Maßgabe des Artikel 10-Gesetzes. 1.6 Kontrolle Für die Arbeit des Verfassungsschutzes gelten strenge rechtsstaatliche Maßstäbe. Eingriffe in die Privatund Freiheitsrechte der Bürger sind den Verfassungsschutzbehörden nur auf gesetzlicher Grundlage gestattet. Damit die Bürger darauf vertrauen können, dass die Verfassungsschutzbehörden sich an ihren gesetzlichen Auftrag und an die für die Tätigkeit geltenden Rechtsbestimmungen halten, unterliegen sie der Kontrolle auf mehreren Ebenen: * der allgemeinen parlamentarischen Kontrolle durch die Abgeordneten des Landtages Mecklenburg-Vorpommern aufgrund von Berichtspflichten des Ministers für Inneres und Sport im Rahmen von Aktuellen Stunden, Kleinen und Großen Anfragen oder Petitionen; * einer besonderen parlamentarischen Kontrolle durch die Parlamentarische Kontrollkommission (PKK) des Landtages und ggf. durch einen Untersuchungsausschuss; * Postkontrollen und Telefonüberwachungen müssen durch die G-10-Kommission des Landtages genehmigt werden; 15 * des Landesbeauftragten für den Datenschutz und Informationsfreiheit (LfDI M-V) in Bezug auf die Einhaltung von Datenschutzvorschriften und sein Recht zur Akteneinsicht; * des Landesrechnungshofs Mecklenburg-Vorpommern (LRH M-V) in Bezug auf das Haushaltsrecht; * der justiziellen Überprüfung seines Handelns, soweit es dafür einen Anlass gibt sowie * der ständigen und intensiven Überwachung durch die Öffentlichkeit und Medien, die die Aufgaben und Arbeit des Verfassungsschutzes kritisch würdigen. Parlamentarische Kontrolle Kontrolle durch PKK die Justiz G-10-Kommission Verfassungsschutz M-V Innerbehördliche Kontrolle Kontrolle durch Sonstige externe die Öffentlichkeit Kontrolle Bürger LfDI M-V Medien LRH M-V 1.7 Verhältnis von Verfassungsschutz und Polizei Verfassungsschutz und Polizeibehörden sind organisatorisch voneinander getrennt (vgl. SS 2 Absatz 2 LVerfSchG M-V). Somit steht die Ausübung polizeilicher oder strafprozessualer Eingriffsbefugnisse, z.B. die Durchsuchung von Personen oder Sachen, die Beschlagnahme oder Festnahme von Personen, dem Verfassungsschutz nicht zu. Halten Mitarbeiter des Verfassungsschutzes ein polizeiliches Eingreifen für geboten, unterrichten sie die Polizei. Diese entscheidet, ob und ggf. wie sie in eigener Zuständigkeit tätig wird. Der Verfassungsschutz unterliegt - im Gegensatz zu Polizei und Staatsanwaltschaft - nicht dem Legalitätsprinzip, so dass er nicht in jedem Fall Strafverfolgungsmaßnahmen initiieren muss, wenn er Kenntnis von einer Straftat erlangt. Die Kompetenzverteilung lässt sich überblicksartig wie folgt darstellen: 16 Polizei Verfassungsschutz Legalitätsprinzip bei Strafverfolgungsmaßnahmen, Opportunitätsprinzip Opportunitätsprinzip bei Gefahrenabwehr allgemeine Gefahrenabwehr Aufklärung von politischem und Strafverfolgung durch offeExtremismus durch offene und ne und verdeckte verdeckte InformationsgewinInformationsgewinnung nung keine polizeilichen EingriffsEingriffsbefugnisse befugnisse Einsatz von Zwangsmitteln keine Zwangsmittel Dieses organisatorische Trennungsgebot bedeutet jedoch nicht, dass Polizei, Strafverfolgungsbehörden und Verfassungsschutz nicht zusammenwirken dürfen. Im Sinne eines notwendigen ganzheitlichen Aufklärungsund Bekämpfungsansatzes extremistischer Bedrohungen ist eine informationelle Zusammenarbeit von Polizei und Verfassungsschutz im Rahmen der gesetzlichen Grundlagen unverzichtbar. Die notwendige Zusammenarbeit der verschiedenen Sicherheitsbehörden des Bundes und der Länder wird über die tägliche Arbeit hinaus auch über gemeinsame Zentren gewährleistet: * Gemeinsames Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ) seit dem 14. Dezember 2004 * Gemeinsames Extremismusund Terrorismusabwehrzentrum (GETZ) seit dem 15. November 2012. 1.8 Änderung des Landesverfassungsschutzgesetzes Die Landesregierung hat im August 2015 einen Entwurf zur Änderung des Landesverfassungsschutzgesetzes und des Sicherheitsüberprüfungsgesetzes in den Landtag Mecklenburg-Vorpommern eingebracht. Der Gesetzentwurf setzt die bundesweite Reform des 17 Verfassungsschutzes entsprechend den Empfehlungen des NSU-Untersuchungsausschusses und der Innenministerkonferenz in Landesrecht um. Das Änderungsgesetz orientiert sich inhaltlich eng an das im November 2015 beschlossene "Gesetz zur Änderung des Bundesver fassungsschutzgesetzes". Es wurde am 20. April 2016 nach der zweiten Lesung vom Landtag beschlossen und ist am 14. Mai 2016 in Kraft getreten. 2 Rechtsextremismus 2.1 Lageüberblick Im Berichtszeitraum konnte im Vergleich zu den Vorjahren eine deutlich höhere Mobilisierung und zugleich Radikalisierung der rechtsextremistischen Szene beobachtet werden. Dies wird auch in dem angewachsenen rechtsextremistischen Personenpotenzial und dem drastischen Anstieg der rechtsextremistisch motivierten Gewalttaten deutlich. Das Gewaltgeschehen hat im Vergleich zu den letzten zehn Jahren einen Höchststand erreicht. Damit folgt die Entwicklung im Land dem Bundestrend. Schwerpunkt bildeten einmal mehr und im Hinblick auf die aktuelle Situation die Aktivitäten gegen Flüchtlinge und Asylbewerber. Wie in den Vorjahren stand dabei der NPD-Landesverband sowie die NPD-Landtagsfraktion im Zentrum der Entwicklung. Sie haben im Laufe des Jahres 2015 auch die Steuerung der Bewegung "Mecklenburg-Vorpommern gegen die Islamisierung des Abendlandes" (MVGIDA) übernommen. Dies unterstreicht erneut die politische Bedeutung der Partei für den Rechtsextremismus im Lande, die sich offenbar auf diese Weise zugleich für die kommende Landtagswahl aufstellt. Zu beobachten war darüber hinaus, dass die rechtsextremistische Szene ihre fremdenfeindlichen Aktivitäten nicht nur unter der eigenen Flagge oder als MVGIDA, sondern verstärkt unter Nutzung weiterer zuwanderungsfeindlicher Bewegungen, wie etwa "MV-Patrioten" oder "Deutschland wehrt sich" vorangetrieben hat. Offensichtlich 18 wurde damit das Ziel verfolgt, die Anschlussfähigkeit in der Bevölkerung zu erhöhen. Allerdings war der rechtsextremistische Bezug meist unverkennbar. Sicherlich auch daher blieb eine größere Resonanz aus. Die übergroße Mehrheit der hiesigen Bevölkerung hat sich entgegen mancher Befürchtungen eben nicht von der rechtsextremistischen Szene instrumentalisieren lassen. Nicht jeder Teilnehmer einer asylkritischen Demonstration, der sein Grundrecht nach Artikel 8 Grundgesetz wahrnimmt, darf pauschal als Rechtsextremist bezeichnet werden. Kritik an der Zuwanderung an sich ist - solange sie nicht extremistisch motiviert ist - ein demokratisch legitimiertes Protestverhalten. Hier bedarf es gerade mit Blick auf die gesetzlichen Grundlagen des Verfassungsschutzes einer differenzierten Sicht auf die Entwicklung, wie sie im Nachfolgenden beschrieben wird. Für die Mobilisierung des zuwanderungsfeindlichen Spektrums waren die sozialen Netzwerke von wachsender Bedeutung. Neben den üblichen rechtsextremistischen Internetauftritten wurden bis Ende 2015 etwa 40 asylfeindliche Facebook-Auftritte in Mecklenburg-Vorpommern festgestellt. Neben dem Hauptaktionsfeld "Antiasyl" führte die Szene auch 2015 jahreszeittypische Rituale oder aber Aktionen mit Bezug zum Geschehen während der Zeit des Nationalsozialismus durch. Sie sind offenbar identitätsstiftend und dienen der Selbstvergewisserung der eigenen Ideologie. Daher sind sie für Rechtsextremisten unverzichtbar. Die Entwicklung der Lage im Jahr 2015 muss insgesamt mit Sorge betrachtet werden. Sollte sich die Zuwanderungsdebatte nicht entspannen, wird für die Zukunft neben einer anhaltenden Agitation gegen Flüchtlinge ein * generelles Erstarken des Rechtsextremismus und * eine weitere Radikalisierung von Einzelpersonen bzw. Gruppen zu befürchten sein, die mit einer Absenkung der Hemmschwelle zur Anwendung von Gewalt, verbunden ist. Dies insbesondere dann, wenn friedliche Proteste allein als nicht mehr ausreichend angesehen werden. 19 Vor diesem Hintergrund muss die Gefahr des Rechtsterrorismus stets mit bedacht werden. Die im Frühjahr 2015 aufgrund von Hinweisen der Verfassungsschutzbehörden aufgelöste rechtsextremistische Gruppierung "Oldschool Society" (OSS), gegen die der Generalbundesanwalt Anfang 2016 Anklage wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung erhoben hat, ist in diesem Zusammenhang ein deutliches Warnzeichen. Bei dieser Gruppierung gab es auch Bezüge nach Mecklenburg-Vorpommern. 2.2 Personenpotenzial M-V M-V Bund Bund 2014 2015 2014 2015 Subkulturell geprägte 550 580 7.200 8.200 Rechtsextremisten Neonazis 480 500 5.600 5.800 in Parteien: "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" 340 340 5.200 5.200 (NPD) "Die Rechte" <10 <10 500 650 Sonstige rechtsextremisti20 30 2.500 3.200 sche Organisationen Gesamt 1 ca. 1.400 ca.1.450 21.000 22.600 davon gewaltorientierte ca. 650 ca. 680 10.500 11.800 Rechtsextremisten 2.3 Straftatenaufkommen Im Jahre 2015 registrierte das Landeskriminalamt Mecklenburg-Vorpommern im Bereich der politisch motivierten Kriminalität im Phänomenbereich "Rechts" 1032 Straftaten (Vorjahr: 689). Davon wurden insgesamt 952 (Vorjahr: 642) als rechtsextremistisch klassifiziert, 1 nach Abzug von Mehrfachmitgliedschaften 20 u.a. weil sie antisemitisch oder fremdenfeindlich motiviert waren. Den Schwerpunkt der Straftaten bildeten mit 565 Vorfällen (Vorjahr: 520) erneut die Propagandadelikte. Weiterhin wurden 93 (Vorjahr: 35) Gewalttaten mit rechtsextremistischer Motivation registriert, darunter 57 (Vorjahr: 16) mit einer fremdenfeindlichen Ausrichtung. Dies ist seit 10 Jahren die höchste Zahl an Gewaltdelikten. Im Jahre 2008 wurde mit 42 Gewaltstraftaten im 10-Jahresvergleich die bisher höchste Zahl registriert. Die Gesamtzahl der extremistisch motivierten fremdenfeindlichen Straftaten stieg von 62 auf 311. Auch dies ist im 10-Jahres-Vergleich ein Rekord. Angriffsziele waren dabei sowohl Einzelpersonen mit Migrationshintergrund als auch Asylbewerberunterkünfte. Gegenüber 2014 mit 10 wurden 2015 mit 48 Übergriffen auf Flüchtlingsunterkünfte fast fünf mal so viele gezählt. Die Palette reicht hier von Sachbeschädigungen über Bedrohungen bis hin zu Brandanschlägen, die sich sowohl gegen bewohnte wie auch unbewohnte Objekte richteten. Die Anzahl antisemitischer Straftaten war demgegenüber rückläufig. Hier wurden 2015 19 gegenüber 28 Straftaten im Vorjahr registriert. 2.4 Rechtsterrorismus/"Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) Auch 2015 sind bei den Sicherheitsbehörden des Landes und des Bundes keine Erkenntnisse angefallen, die eine Verflechtung des "NSU-Trios" mit der hiesigen rechtsextremistischen Szene belegen. Insoweit hat sich gegenüber den Vorjahren kein neuer Sachstand ergeben. Gleichwohl finden sich in den Medien regelmäßig anderslautende Aussagen. So wurde u. a. behauptet, es gebe "viele Indizien", die darauf hinweisen würden, "wie eng auch die NSU-Terroristen mit Kameraden im Nordosten vernetzt waren"2. Für die Ermittlungsbehörden haben sich daraus bislang keine Ansätze für eine weitere Aufklärung des Geschehens ergeben, so dass derartige Aussagen journalistisch geprägte Spekulationen bleiben. 2 Internetseite taz, Auszug aus einem Artikel vom 18./19.07.2015 unter der Überschrift "Zschäpe war gestern", abgerufen am 21.07.2015 21 Der als Folge des NSU-Geschehens vom Deutschen Bundestag eingesetzte Untersuchungsausschuss hat - wie bereits berichtet - in seinem Abschlussbericht vom August 2013 als Konsequenz seines Untersuchungsergebnisses 47 Empfehlungen für Justiz, Polizei und Verfassungsschutz abgeleitet, die insbesondere auf die Verbesserung des Informationsaustausches zwischen den Ermittlungsund Sicherheitsbehörden abzielen. Die Sicherheitsbehörden des Landes haben den in diesem Sinne notwendigen Reformprozess fortgesetzt und dem Landtag - dem entsprechenden Beschluss des Landtages Mecklenburg-Vorpommern vom 30. Oktober 2013 (Drucksache 6/2346) entsprechend - einen zweiten "Bericht zum Stand der Umsetzung der Empfehlungen des NSU-Untersuchungsausschusses des Deutschen Bundestages" vom Dezember 2015 vorgelegt. Der Bericht kann auf der Internetseite des Landtages eingesehen werden3. Er stellt gleichzeitig eine Ergänzung der kontinuierlichen Berichterstattung gegenüber der Parlamentarischen Kontrollkommission dar. Der Deutsche Bundestag hat im November 2015 die Einsetzung eines weiteren NSU-Untersuchungsausschusses beschlossen, der an die Arbeit des o. g. Untersuchungsausschusses anknüpfen und seither bekanntgewordene Fakten, die der frühere Ausschuss nicht behandeln konnte, aufarbeiten soll. 2.5 Fortsetzung der "Antiasylkampagne" Das Jahr 2015 stand im Zeichen eines stetig wachsenden Flüchtlingsstroms nach Westeuropa, der von Bürgerkriegen und religiös/sozialen Spannungen in Afrika sowie im vorderen und mittleren Orient ausgelöst wurde und eine seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges nicht mehr aufgetretene Dimension erreichte. Bevorzugte Ziele der Flüchtlinge waren wegen der großzügigen Aufnahmebereitschaft Schweden und Deutschland. Vor diesem Hintergrund steigerte die rechtsextremistische Szene nochmals die rassistisch motivierte Agitation gegen eine Zuwande- 3 www.landtag-mv.de, Drucksache 6/4876 22 rung. Sie verband dies mit der Hoffnung, ihre Anschlussfähigkeit in der Mitte der Gesellschaft zu erhöhen. Insgesamt scheint ihr dies bislang nicht im erwarteten Maße gelungen zu sein. Allerdings wuchs im Laufe des Jahres in der Bevölkerung die Skepsis, ob es der Politik gelingt, Lösungen für die vielfältigen Probleme zu finden.4 Insoweit könnte die weitere Entwicklung, die weder ein Ende des Flüchtlingsstroms noch eine Bewältigung der damit verbundenen Herausforderungen erkennen lässt, den Rechtsextremisten letztlich doch noch in die Hände spielen. In Mecklenburg-Vorpommern hat die rechtsextremistische Szene ihre Aktivitäten 2015 fast vollständig auf dieses Thema konzentriert. Für die Agitation nutzen die Rechtsextremisten verstärkt das Internet. Hier vor allem die sozialen Medien wie "Facebook", "vk.com" oder "Juppy". Dies eröffnet ihnen, im Unterschied zu statischen Internetseiten, die Möglichkeit der Interaktion. Ferner können hier geschlossene Bereiche gebildet werden, die der heimlichen Kommunikation und damit auch der Vorbereitung von Straftaten dienen. Oft ist auf den ersten Blick nicht immer zu erkennen, wer der Betreiber einer solchen Seite ist und welche ideologischen Ziele tatsächlich dahinter liegen. So werden z. B. unter der Bezeichnung "... wehrt sich" Demonstrationen gegen den Zuzug von Asylbewerbern organisiert, ohne dass eine konkrete Gruppierung als Urheber erkennbar wird. Tatsächlich verbergen sich dahinter etwa neonazistische Gruppierungen, die derartige Plattformen zusätzlich für Vernetzungsaktivitäten nutzen. Insgesamt kam es landesweit zu über 150 Demonstrationen gegen Asylbewerber. Diese wurden zu einem großen Teil von "...wehrt sich"-Gruppierungen durchgeführt. Nach den Terroranschlägen in Paris im November 2015 konnte allgemein eine deutliche Zunahme der Diskreditierung von Asylbewer- 4 Internetseite "FAZ", "Allensbach-Umfrage: Mehrheit besorgt über Folgen der Flüchtlingskrise", vom 20.10.2015, abgerufen am 29.12.2015, oder Internetseite "FOCUS online", INSAUmfrage: "Jeder zweite Deutsche will Grenzen schließen, um Flüchtlingsstrom zu stoppen", vom 21.10.2015, abgerufen am 29.12.2015 23 bern (die des Terrorismus verdächtig dargestellt wurden) beobachtet werden. Gezielt geschürt wurde auch der Sozialneid, etwa durch die rechtswidrige Veröffentlichung eines Leistungsbescheides für Asylbewerber oder aber indem Solidarität mit deutschen Obdachlosen gezeigt wurde, denen angeblich Nachteile durch die soziale Konkurrenz mit den Zuwanderern entstehen. Letzteres ist umso erstaunlicher, als dass sozial Benachteiligte von gewaltorientierten Rechtsextremisten bislang eher als Angriffsziel betrachtet wurden. 6 Neben den Asylbewerbern selbst standen auch Personen im Fokus der Agitation, die sich für Flüchtlinge einsetzen oder die als (auch vermeintlich) politisch Verantwortliche für den Zuzug von Asylbewerbern und Flüchtlingen wahrgenommen wurden. So wurden beispielsweise Anfang Oktober 2015 auf einer rechtsextremistischen Internet-Seite Personen namentlich genannt, die sich für Flüchtlinge einsetzen7 oder aber dem politischen Gegner zuzurechnen sind. 5 Internetseite "Landkreis Rostock", Beitrag vom 17.11.20105 "Veröffentlichung einer Entscheidung über den Bezug von Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz im Landkreis Rostock auf der Facebook-Seite der MVGIDA", abgerufen am 30.12.2015 6 Facebook-Seite der "Division Rostock" , abgerufen am 29.12.2015 7 Internet-Seite "Nationale Sozialisten Müritz" vom 02.10.2015, abgerufen am 02.10.2015 24 2.5.1 Einflussnahme der rechtsextremistischen Szene auf islamund asylgegnerische Bewegungen In der Folge der Aktivitäten der Bewegung "Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes" (PEGIDA) in Sachsen bildete sich in Mecklenburg-Vorpommern der Ableger "Mecklenburg-Vorpommern gegen die Islamisierung des Abendlandes" (MVGIDA). Im Unterschied zu PEGIDA war bei MVGIDA von Anfang an ein deutlicher Einfluss der rechtsextremistischen Szene festzustellen, der sich im Laufe des Jahres immer deutlicher herausstellte. Zuletzt war unverkennbar, dass MVGIDA maßgeblich von der NPD gesteuert wurde. Die MVGIDA-Aktivitäten waren nicht kontinuierlich über das ganze Jahr verteilt, sondern wiesen zwei Phasen auf. Das Demonstrationsgeschehen begann am 12. Januar 2015 mit zwei gleichzeitig in Schwerin und Stralsund durchgeführten Veranstaltungen. In Schwerin wurden ca. 350 Teilnehmer gezählt und in Stralsund nahmen ca. 300 Personen teil. Einen ersten Höhepunkt erlebten die MVGIDA-Demonstrationen am 26. Januar 2015, als in Schwerin ca. 500 Teilnehmer gezählt wurden. Anschließend nahmen abwechselnd in Schwerin und Stralsund jeweils zwischen 150 und 300 Personen teil. Am 1. März 2015 fand erstmals eine MVGIDA-Demonstration in Rostock statt, an der sich ca. 240 Personen beteiligten. Die vorerst letzte MVGIDA-Veranstaltung im ersten Halbjahr ereignete sich am 27. April 2015 mit ca. 140 Teilnehmern in Schwerin. Außerhalb von MVGIDA Demonstrationen gab es im ersten Halbjahr 2015 lediglich im Raum Güstrow/Bützow kleine Demonstrationen bzw. Mahnwachen, die durch die örtliche Kameradschaftsszene organisiert wurden8. Im ersten Quartal 2015 kam es zwischen den Organisatoren der Schweriner und der Stralsunder Demonstrationen zu Zerwürfnissen, die zur Abspaltung der heutigen "MV-Patrioten" führte. 8 vgl. Abschnitt 2.10 25 Nach einer mehrmonatigen Pause wurden die Demonstrationen der MVGIDA dann am 21. September 2015 in Boizenburg wieder aufgenommen. Ab diesem Zeitpunkt wurden die Demonstrationen nicht mehr in Schwerin und Stralsund, sondern in kleineren Städten im ganzen durchgeführt. Spätestens ab diesem Zeitpunkt war von einer Steuerung der MVGIDA durch die NPD auszugehen. Dies wird zum einen daran deutlich, dass Michael Grewe (Fraktionsgeschäftsführer der NPD-Landtagsfraktion des Landtags Mecklenburg-Vorpommerns) von nun an als Anmelder und regelmäßig auch als Versammlungsleiter fungierte, andererseits traten mit Andreas Theißen, Stefan Köster und Udo Pastörs regelmäßig NPD-Funktionäre als Redner auf. So kann davon ausgegangen werden, dass die Führungsstrukturen der MVGIDA seit September 2015 mit den Führungsstrukturen der NPD M-V identisch sind. Darüber hinaus wurden bei Demonstranten außerdem Plakate mitgeführt, die vorher bereits durch die NPD für Wahlkämpfe genutzt wurden, wobei jedoch das NPD-Logo entfernt wurde. Im Oktober 2015 kam es zu einem weiteren Anstieg der Teilnehmerzahlen, als am 12. Oktober 2015 in Sternberg ca. 360, am 19. Oktober 2015 in Parchim ca. 700 und am 26. Oktober 2015 in Neubrandenburg ca. 550 Personen teilnahmen. Danach gingen die Teilnehmerzahlen kontinuierlich auf ca. 75 bis ca. 200 Personen zurück. Für ihre Demonstrationen konnte die rechtsextremistische Szene in der Vergangenheit durchschnittlich ca. 300 Teilnehmer mobilisieren. Die Teilnehmerzahlen bei MVGIDA-Veranstaltungen haben gezeigt, dass das Thema Zuwanderung offenbar auch Menschen mobilisiert hat, die nicht dem engeren Kreis des rechtsextremistischen Spektrums zuzurechnen sind. Mit Blick auf den ideologischen Hintergrund der Rechtsextremisten in Mecklenburg-Vorpommern war überraschend, dass ab Mitte 2015 vereinzelt Versuche unternommen wurden, mit Rechtsextremisten aus Polen zu kooperieren. Offenbar sehen beide Lager im Islam einen gemeinsamen Feind, der die bisherigen Gegensätze zurücktreten lässt. Ob und inwieweit sich hier eine auf Dauer angelegte Zusammenarbeit entwickelt, bleibt abzuwarten. Sie erscheint jedoch eher unwahrscheinlich. 26 2.6 Radikalisierungstendenzen in der rechtsextremistischen Szene Die signifikant gestiegene Zahl von Straftaten mit rechtsextremistischem Hintergrund ist ein deutlicher Indikator für die im Berichtszeitraum zu beobachtende Radikalisierung der Szene. Hauptfeindbild ist in diesem Zusammenhang der "Zuwanderer". Er wird aus der rassistischen Weltanschauung der Rechts- 9 extremisten heraus als "Bedrohung" der von ihnen biologisch definierten "Volksgemeinschaft" gesehen. Aktuell genutzte Begriffe aus der Geschichte des Nationalsozialismus wie "Volkstod" oder "Umvolkung" zeigen die geistige Kontinuität der heutigen Akteure mit ihren Ideengebern im Dritten Reich. Allerdings konnte zumindest in Mecklenburg-Vorpommern keine übergeordnete (Gewalt-)Strategie auf regionaler oder überregionaler Ebene festgestellt werden.9 Dass eine solche grundsätzlich denkbar ist, zeigt das Beispiel der bereits erwähnten "Oldschool Society" 10. Besorgniserregend ist zudem der Umstand, dass ein Großteil der Übergriffe auf Migranten durch Personen erfolgte, die bislang keine rechtsextremistischen Bezüge in ihren Biografien aufweisen. Wie die (Selbst-)Radikalisierung dieser Personen erfolgte, muss sicher individuell betrachtet werden. Es ist aber davon auszugehen, dass das Internet hierbei eine wichtige Rolle spielt. Dort war im Verlaufe des Jahres ein deutlicher Grad an Verrohung festzustellen. 9 Zeichen der "OSS" 10 siehe auch Abschnitt 2.8 27 11 Neben dem Straftatengeschehen sind weitere Hinweise auf eine zunehmende Radikalisierung erkennbar. So gibt es Strömungen, die sich zunehmend von "Feinden" umgeben sehen und sich für den "Notstand" rüsten. Durch gezieltes Trainieren von Überlebenstechniken oder dem Anlegen von Vorräten erfolgt die Vorbereitung auf einen "Ernstfall". Im Internet werden verstärkt entsprechende Kurse und Waffen angeboten.12 13 11 Facebook-Seite "Dachverband Deutschland wehrt sich", Beitrag vom 25.12.2015 "Über Geschmack...", abgerufen am 30.12.2015 12 Facebook-Seite der "Rostocker Division", Beitrag "7 LEGALE WAFFEN FÜR DEINEN SCHUTZ IN DER KRISE", abgerufen am 30.12.2015 13 Facebook-Seite der "Rostocker Division", Beitrag "7 LEGALE WAFFEN FÜR DEINEN SCHUTZ IN DER KRISE", abgerufen am 30.12.2015 28 Neben diesen Aktivitäten, die der Herstellung der individuellen Abwehrbereitschaft dienen sollen, wird auch zum "Kampf" aufgerufen. Teilweise werden sogar "Bürgerkriegszustände" prognostiziert. So forderte der Mitbegründer und langjährige Vorsitzende der antisemitischen "Europäischen Aktion" (EA), Bernhard Schaub, im Oktober 2015 einen "europaweiten Volksaufstand". 14 Im Artikel "Auf ins Kampfjahr 2016", der ohne Autorenanagabe auf der Internetseite der EA veröffentlicht wurde, heißt es: "Der Kampf um die Wahrung unserer Existenz geht in die alles entscheidende Phase über und es obliegt uns, unsere Kräfte auch im neuen Jahr gemeinsam aus dem Vollen zu schöpfen."15 (Schreibweise wie im Original) All dies zeigt, dass die vom Rechtsextremismus ausgehenden Gefahren wachsen. Umso aufmerksamer muss die Entwicklung beobachtet werden. 2.7 Trefforte der rechtsextremistischen Szene Von besonderer Relevanz waren im Jahr 2015 folgende Objekte: * "Nationales Begegnungszentrum" (NBZ) Anklam (Landkreis Vorpommern-Greifswald) Das NBZ wird als Veranstaltungsort insbesondere für Parteiveranstaltungen der NPD und Vortragsveranstaltungen, als Buchhandlung und Bibliothek genutzt und verfügt mittlerweile auch über eine eigene Facebook-Seite. Dort wurde beispielweise als Veranstaltungshinweis für den 27. November 2015 auf einen Zeitzeugenvortrag mit einem "SS-Mann der 'Division Nordland'", welcher "von seiner bewegten Zeit als Verteidiger von Berlin 1945" berichten 14 Internetseite der EA, "Kommt es zum Volksaufstand?" vom 23.10.2015, abgerufen am 12.12.2015 15 Internetseite der EA, "Auf ins Kampfjahr 2016" vom 23.10.2015, abgerufen am 12.12.2015 29 werde, aufmerksam gemacht.16 Entsprechende Veranstaltungen dienen der Glorifizierung des Dritten Reiches sowie einer Relativierung der nationalsozialistischen Gewaltverbrechen. In dem Objekt ist weiterhin der NPD-Landesverband und das Bürgerbüro des NPD-Landtagsabgeordneten Andrejewski angesiedelt. * "Thinghaus" Grevesmühlen (Landkr. Nordwestmecklenburg) Das "Thinghaus" hatte als Treffort der rechtsextremistischen Szene auch 2015 überregionale Bedeutung. In der Öffentlichkeit trat wiederholt der "Freundeskreis Thinghaus" als Ausrichter verschiedener Veranstaltungen auf. 17 Inzwischen hat sich im "Thinghaus" ein regelmäßiger "Kneipenabend" etabliert, der ca. monatlich durchgeführt wird. Es werden aber auch Vorträge organisiert. Im Rahmen der dort am 1. März 2015 durchgeführten "2. Norddeutschen Bücherbörse" berichtete ein ehemaliges Mitglied der Waffen-SS in einem Zeitzeugenvortrag über seine Erlebnisse während des Zweiten Weltkrieges. Am 22. März 2015 wurde zum Strafprozess gegen die Neonazigruppierung "Aktionsgruppe Mittelrhein" vorgetragen. 16 Facebookseite des NBZ: "NBZ - Nationales Begegnungszentrum hat ein neues Foto hinzugefügt" vom 25.11.2015, abgerufen am 22.12.2015 17 Facebook-Seite des "Thinghauses" vom 09.04.2015, abgerufen am 08.03.2016 30 * "Kulturraum" und Bundesgeschäftsstelle der "Jungen Nationaldemokraten" (JN) in Lübtheen In Lübtheen finden nach wie vor rechtsextremistische Vortragsveranstaltungen und "Kampfsport"-Kurse statt, getarnt als "Selbstverteidigungsseminare". Der JN-Bundesvorsitzende Sebastian Richter hat dort beispielsweise am 30. Mai 2015 zum Thema "Der Staat und seine juristischen Mittel im Kampf gegen die nationalistische Bewegung" referiert.18 Neu hinzugekommen ist 2015 folgendes Objekt: * "Ehemaliger Dorfkonsum" Klein Belitz (Landkreis Rostock) In dem neuen Treffobjekt der rechtsextremistischen Szene in Klein Belitz wurde am 5. Dezember 2015 ein konspirativ vorbereitetes rechtsextremistisches Konzert polizeilich verboten. Bei dem Versuch, dagegen Protest zu erheben, stellten die eingesetzten Polizeibeamten bei dem Verantwortlichen ein nach dem Waffengesetz verbotenes Einhandmesser fest. Während der Kontrolle anreisender Konzertteilnehmer wurden darüber hinaus Tonträger sichergestellt, die auf Grund ihres verfassungsfeindlichen Inhalts indiziert sind. Es wurden 39 Platzverweise ausgesprochen. 2.8 Subkultureller Rechtsextremismus Gegenüber dem Berichtsjahr 2014 konnte in diesem Spektrum ein Anwachsen beobachtet werden. Dies dürfte im Zusammenhang mit dem deutlich erhöhten Aktionsniveau der rechtsextremistischen Szene insgesamt stehen. Erkenntnisse im Hinblick auf eine Erhöhung des Organisationsgrades sind jedoch nicht angefallen. Strukturen, die sich im Grenzbereich zwischen subkulturellem Rechtsextremismus und der Neonaziszene bewegen, wie etwa die "Hammerskins", konnten keinen Zulauf verzeichnen. Dem subkulturellen Rechtsextremismus rechnen die Verfassungs18 Facebook-Seite der JN vom 30.05.2015, abgerufen am 01.06.2015 31 schutzbehörden weiterhin die Personen zu, die ohne größeren Organisationsgrad zumeist auf örtlicher Ebene Aktivitäten entfalten. Subkulturelle Rechtsextremisten sind tendenziell gewaltund aktionsorientiert. Sie treten mit typisch rechtsextremistisch motivierten Straftaten, wie einschlägigen Propagandadelikten oder fremdenfeindlichen Gewalttaten in Erscheinung. Auch 2015 gehörte diese Szene zu den Besuchern rechtsextremistischer Konzerte. Ein Zusammenwirken mit dem organisierten Rechtsextremismus erfolgte im Rahmen des Demonstrationsgeschehens. So waren Angehörige dieser Szene regelmäßig bei den oben beschriebenen asylund islamfeindlichen Veranstaltungen zu beobachten. Nachdem 2014 im Zusammenhang mit den Demonstrationen der "Hooligans gegen Salafisten" (HOGESA) in Köln und Hannover die Überschneidungen der Hooliganszene mit der rechtsextremistischen Szene in das Blickfeld der Öffentlichkeit gerieten, konnten im Berichtszeitraum hierzulande keine über persönliche Kennverhältnisse hinausgehenden Verschränkungen der beiden Szenen festgestellt werden. 2.8.1 Rechtsextremistische Musikveranstaltungen Im Jahr 2015 fanden in Mecklenburg-Vorpommern wie im Jahr 2014 sieben rechtsextremistische Konzerte mit Live-Auftritten statt. Liederabende wurden nicht festgestellt (2014 : 1). Zwei Veranstaltungen konnten im Vorfeld verhindert werden (2014 : 4). 19 Gegenüber den Jahren bis 2013 ist damit insgesamt ein Rückgang zu verzeichnen. Eine Ursache für diesen rückläufigen Trend dürfte der anhaltende Verfolgungsdruck sein. Dieser stützt sich auf einen kontinuierlichen Informationsaustausch zwischen Polizei und Verfassungsschutz, der entsprechende Verhinderungsmaßnamen ermöglicht. Auch das Nutzungsverbot für den zeitweilig beliebten Austragungsort für Konzerte "Saustall" in Viereck im Landkreis Vorpommern-Greifswald hat die Möglichkeiten für die Durchführung von 19 Das LKA M-V weist in seiner Statistik zusätzlich 14 Szenepartys ohne Livemusik aus. 32 Konzerten verringert. Ähnliches gilt für das "Thinghaus" in Grevesmühlen. Auch dort gibt es eine behördliche Nutzungsbeschränkung. Gleichwohl ist die Möglichkeit der Nutzung szeneeigener Objekte für Musikveranstaltungen weiterhin von hoher Bedeutung, da sie dort abgeschottet von der Öffentlichkeit stattfinden können. So wurden drei der insgesamt sieben Konzerte auf dem Grundstück eines bekannten NPD-Vorstandsmitgliedes in Salchow im Landkreis Vorpommern-Greifswald durchgeführt, darunter am 1. August 2015 das landesweit größte mit 300-350 Teilnehmern. Ansonsten lag die Besucherzahl zwischen 50 und 250. In Mecklenburg-Vorpommern sind gegenwärtig ca. 10 aktive rechtsextremistische Bands bekannt. Zu den bekanntesten zählen "Path of Resistance" (Raum Rostock), "Painful Awakening" (Raum Güstrow), "Thrima" (Raum Niepars) und die "Liebenfels Kapelle"/"Skalinger" (Raum Wolgast). Auch 2015 traten diese Bands im Inund Ausland auf. Dabei wurden immer wieder Verbindungen zu internationalen und in Deutschland seit 2000 verbotenen "Blood and Honour"-Bewegung (B&H) deutlich. Die Band "Path of Resistance" wurde für ein Konzert am 21. Februar 2015 im nordwestlichen Frankreich angekündigt, das einen B&H-Bezug aufwies. Die Band "Painful Awakening" gehört zu den aktivsten Musikgruppen im Land. Sie beschreibt sich selbst wie folgt: 20 "Wir sind die nationale Musikformation, Painful Awakening aus dem Her20 Facebook-Seite der Band "Path of Resistance" vom 16.02.2015, abgerufen am 30. Dezember 2015 33 Salchow Stralsu1Knodnzert B1KRLVAoÜNOnD@SGKztRrEea3KlPNsItSuronsrndtzecrWL%ktANisDmKRaEMLIArSCcKNhDwPBULeRAGTErISiCnH (c)Greifswald (r) Neubrande burg Klein Steinhagen Belitz RLAONSDTKORCEIKS Grev s1KmoühnleznertVA1sonstige V2RMeucshik0tvxra1nesmtil5ucghen usNORPDMWESTN-GCRKLIFESWBAUDG LANDKREIS iLUADWeNIGSLUKTR-PAECIHSM Vergeltung OstKomando GKLS@itearbplsenuf ldderSsr/etifmswalde VORPMERN-GIFSWALB LANDKREIS desSWichieksgale' Mot rhate ofMiRecukhlntsnbixrg-eVmaopsnRPtSidecksheariltnhgcerO(r)NGRPDüMWESSMLsTERACcNtKN-hCrGDKowPLBEULIeRFwABGSUrTEIWSRiCnGAH N (r) Neubrandeburg VLORAPNMDEKRN-ÜGISEN Pom ernklang Rostock RLAONSDTKORCEIKS APwaiknefuinlg ErLUADWNIGSLUKTR-PAECIHSM Wi(r)smar LANDKREIS zen Mecklenburgs und setzen uns aus 6 wilden Gesellen zusammen. PA befindet sich mittlerweile schon im zehnten Jahr und wir schauen auf 2 Vollalben, einige Split - sowie Samplerbeiträge und 'nen Haufen Auftritte im Inund Ausland zurück."21 Nach wie vor unverkennbar ist die neonazistische Ausrichtung der Gruppe. Auf ihrer Facebook-Seite findet sich ein Bild des SS-Offiziers und verurteilten Kriegsverbrechers Erich Priebke in Uniform aus dem Jahre 1942 anlässlich seines Geburtstages (23. Juli 1913). Priebke hatte darauf offenbar folgende Widmung vorgenommen: "Für meine guten Freunde von der Musikgruppe Painful Awakening mit allen guten Wünschen! Rom, 21.07.2012".22 23 Priebke verstarb im Oktober 2013 in Italien. Im Facebookauftritt der Band findet sich auch eine Abbildung der "Blutzeugen". Dabei handelte es sich um die beim "Marsch auf die Feldherrnhalle" am 9. November 1923 in München getöteten Rechtsextremisten. Sie wurden im Dritten Reich als Märtyrer der nationalsozialistischen Bewegung besonders geehrt.24 21 Internetseite der "Nationalen Sozialisten Müritz" vom 30.05.2015, abgerufen am 29.12.2015 22 Facebook-Seite der Band "Painful Awakening" vom 29.07.2015, abgerufen am 30. Dezember 2015 23 Facebook-Seite der Band "Painful Awakening" vom 29.07.2015, abgerufen am 30. Dezember 2015 24 vgl. Schmitz-Berning, Cornelia: Vokabular des Nationalsozialismus, Berlin: Walter de Gruyter GmbH & Co KG 2000, S. 125 36 25 Vor diesem ideologischen Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass die Auftritte von "Painful Awakenig" im Ausland klare Bezüge zu B&H aufweisen. So warb die Band für ein Konzert "zu Ehren" des 1993 verstorbenen B&H-Gründers Ian Stuart Donaldson am 29. August in Polen unter dem Motto "Legends never die!" 26 27 Auch die Band "Thrima" war 2015 international engagiert. Auf ihrer Facebook-Seite hat sie z. B. einen Flyer veröffentlicht, der auf einen Auftritt bei einem Konzert am 4. April 2015 in Verona/Italien hinweist. 25 Facebook-Seite der Band "Painful Awakening" vom 29.07.2015, abgerufen am 30. November 2015 26 "Legenden sterben nie!" 27 Facebook-Seite der Band "Painful Awakening" vom 14.08.2015, abgerufen am 30. Dezember 2015 37 Veranstalter waren die der B&H-Szene nahestehenden italienischen "Veneto-Fronte-Skinheads". 28 Neben den einschlägigen Bands sind auch immer wieder Bandprojekte zu beobachten, wie z. B. das im Verfassungsschutzbericht 2014 bereits erwähnte Projekt "Ahnenblut" mit Beteiligung von Musikern aus Mecklenburg-Vorpommern. Die Gruppe trat im Rahmen der von Rechtsextremisten organisierten Veranstaltung "Rock für Meinungsfreiheit - Musik und Redebeiträge gegen staatliche Zensur" am 23. Mai 2015 in thüringischen Hildburghausen auf. Die Anzahl der Besucher beziffert die Polizei auf ca. 1.500 Personen. Damit war diese Veranstaltung eine der größten bundesweit. 2.8.2 Szeneläden/Versandhandel Im Bereich des rechtsextremistischen Versandhandels haben sich gegenüber 2014 kaum Veränderungen ergeben. Hier ist weiterhin das Internet die wichtigste Plattform für die Abwicklung von Geschäften. Es werden Musikprodukte, Bücher, Kleidungsstücke, Poster, Fahnen, und sonstige Szenedevotionalien zum Kauf angeboten. 28 Facebook-Seite der Band "Thrima" vom 17.02.2015, abgerufen am 30.12.2015 38 29 Mit "Leveler.Records" ist in der Vetriebsszene des Landes jedoch ein neuer Akteur in Erscheinung getreten, der unter dem Motto "Glaube, Wille, Tat"30 entsprechende Produkte anbietet, aber auch als Musikproduzent auftritt. Er firmiert unter der selben Adresse wie der "Pommersche Buchdienst" im "Nationalen Begegnungszentrum Anklam". 2.9 Neonationalsozialismus (Neonazismus) Im Berichtszeitraum konnte auch in dieser Szene ein Anwachsen des Personenpotenzials beobachtet werden. Offenbar hat die aktuelle Entwicklung, die insgesamt zu einer Mobilisierung der rechtsextremistischen Szene führt, in diesem Spektrum einen Motivationsschub ausgelöst. Diese äußerte sich jedoch nicht gleichzeitig in einem verstärkten eigenständigen Engagement. Abgesehen von vielfältigen propagandistischen Aktivitäten in sozialen Netzwerken tritt dieses Spektrum weiterhin meist im Zusammenwirken mit der NPD auf. Dies zeigte sich insbesondere im Demonstrationsgeschehen. So etwa beim Aufmarsch der NPD am 1. Mai in Neubrandenburg oder im Rahmen der von der NPD organisierten MVGIDA-Veranstaltungen. Neonazis waren aber auch anderen asylund islamfeindlichen Veranstaltungen beteiligt. 29 Facebook-Seite "Leveler.Records" vom 24.05.2015, abgerufen am 07.01.2016 30 Internetseite "Leveler.Records", abgerufen am 07.01.2016 39 31 Folgende regionale Entwicklungen sind hervorzuheben: In Rostock hat sich die neonazistische Szene in den vergangenen Jahren deutlich gewandelt. Eigenständige öffentlichkeitswirksame Aktivitäten entfaltete die Szene eher selten, eine Zusammenarbeit mit den JN - wie in den vorangegangenen Jahren - war im Berichtszeitraum nicht mehr zu beobachten. Dass die Szene dennoch weiter aktiv ist, belegen auch die Facebook-Auftritte. Besonders auffällig ist in diesem Zusammenhang die Facebook-Seite der "Rostocker Division", die eine aggressive Fremdenfeindlichkeit und eine deutliche Gewaltorientierung erkennen lässt. Angehörige dieser Gruppierung beteiligten sich auch an den bereits genannten asylund islamfeindlichen Demonstrationen. Insgesamt muss die Entwicklung dieser Gruppierung weiterhin aufmerksam beobachtet werden. Im Raum Güstrow ist seit längerem ein enges Zusammenwirken zwischen Neonazis und NPD-Aktivisten zu beobachten. Sie führten wiederholt kleinere Kundgebungen im Stadtgebiet Güstrows und in Krakow am See durch, mit denen gegen Asylbewerber demonstriert wurde. In Mühlengeez nahe Güstrow demonstrierten Angehörige dieser Szene am 15. September 2015 gegen die Unterbringung einer großen Zahl von Flüchtlingen. 31 Facebook-Seite der "Division Rostock" vom 29.09.2015 , abgerufen am 29.12.2015 40 Dass es in Güstrow einen harten Kern der rechtsextremistischen Szene gibt, der auch gewalttätige Auseinandersetzungen nicht scheut, zeigt exemplarisch ein Vorfall am 30. Mai 2015. An diesem Tag führten Flüchtlinge und Unterstützer eine Demonstration gegen Rassismus und für ein friedliches Zusammenleben in der Stadt durch. Am Rande der Veranstaltung kam es auf dem Marktplatz zu einem gewaltsamen Aufeinandertreffen von Angehörigen der linksautonomen sowie der lokalen rechtsextremistischen Szene. Die Polizei nahm Ermittlungen wegen des Verdachts des Landfriedensbruches auf. Aus dieser Szene heraus wird auch die Internetseite "Der Staatsstreich" betrieben. Dort werden Aktionen der Szene aufgegriffen und kommentiert. Großen Raum nimmt auch die Berichterstattung über die Flüchtlingssituation in Güstrow ein, wobei sowohl Flüchtlinge als auch deren Unterstützer verunglimpft werden. In Waren (Müritz) ist das Zusammenwirken der Neonaziszene mit der NPD besonders augenfällig. Die dortige NPD-Stadtvertreterin Doris Zutt agiert regelmäßig mit Neonazis aus der Gruppierung "Nationale Sozialisten Müritz". Diese will sich jedoch im November 2015 aufgelöst haben.32 Vielmehr hat hier offenbar lediglich eine Umbenennung in "Nationale Sozialisten Waren" stattgefunden. Deren Führungsperson Chris Henry Knaak gab sich im Jahre 2015 besonders radikal und fiel insbesondere mit zahlreichen asylfeindlichen Aktionen und Veranstaltungen auf, wobei diese sich auch gegen Personen richteten, die sich für Flüchtlinge engagieren. Neonazis aus dem Lande beteiligten sich 2015 zudem regelmäßig an rechtsextremistischen Veranstaltungen auch außerhalb des Landes.33 Kontakte waren z. B. zur Neonaziszene im Südosten Schleswig-Holsteins, nach Niedersachsen sowie nach Brandenburg festzustellen. Neben den bereits oben genannten Strukturen waren 2015 folgende "Kameradschaften"/Gruppen dem neonazistischen Spektrum zuzuordnen: 32 Internet-Seite "Nationale Sozialisten Müritz" vom 23.11.2015, abgerufen am 25.11.2015 33 vgl. Abschnitt 2.9.2 41 * "Freie Kameradschaft Wismar" * "Germanisches Bollwerk Mecklenburg" * "Kameradschaft Schwerin" * "Kameradschaft Bützow" * "Agitationsdistrikt Amt Goldberg-Mildenitz" * "Aktionsgruppe Güstrow" * "Nationale Offensive Gnoien" * "Arischer Widerstandsbund", Altentreptow * "Netzwerk Freies Pommern/Nationale Sozialisten Pommern" * "Freie Kräfte Greifswald/Nationale Sozialisten Greifswald" * "Völkische Burschenschar Strasburg" * "Kameradschaftsbund Anklam" * "Kameradschaftsbund Bargischow" * "Aryan Warriors", Ueckermünde * "Kameradschaft Borken" * "Pommern Division" * "Nationales Bündnis Löcknitz". Diese Gruppierungen bilden den strukturellen Kern der Neonaziszene und sind weiterhin mehrheitlich im Osten des Landes angesiedelt. Um eine überregionale oder gar internationale Vernetzung bemühen sich die folgenden Strukturen: * Der Verein "Deutschland muss leben" (DML) mit Sitz in Greifswald wurde im Februar 2015 offiziell beim Amtsgericht Greifswald eingetragen. Aus der Vereinssatzung ergeben sich zwar zunächst keine unmittelbaren Anhaltspunkte, dass der Verein Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung verfolgt. Allerdings belegen die Berufung des seit Jahren bekannten Rechtsextremisten Maik Spiegelmacher in den Vorstand wie auch das offen zugängliche Facebook-Profil des Vereins eine eindeutig rechtsextremistische Ausrichtung. Durch die in der Satzung beschriebene Vereinsarbeit soll offenbar insbesondere Einzelpersonen in Haft oder anderen Notlagen geholfen werden, wobei sich vor dem Hintergrund der ideologischen Ausrichtung die Haftunterstützung auf Rechtsextremisten 42 beschränken dürfte. Das verwendete Logo des Vereins ist direkt an die nationalsozialistische Symbolik angelehnt. Auf schwarzem Grund ist ein Reichsadler dargestellt, wobei das ursprünglich zwischen den Fängen des Adlers befindliche Hakenkreuz durch den Schriftzug "Dml" ersetzt wurde. Dem Verein gehören neben Spiegelmacher nach eigenem Bekunden aus Mecklenburg-Vorpommern auch die NPD-Stadtvertreterin Doris Zutt aus Waren34 an. Darüber hinaus ist dem Facebook-Auftritt des DML zu entnehmen, dass offenbar auch Personen aus mehreren anderen Bundesländern dem Verein angehören, so dass von einem überregionalen Ansatz des Vereins ausgegangen wird. * Die Aktivitäten der "Europäische Aktion" (EA) bleiben in Mecklenburg-Vorpommern weiterhin auf das Internet beschränkt. Ziel der EA ist es weiterhin, ein gesamteuropäisches Netzwerk von Rechtsextremisten zu knüpfen. Ein maßgeblicher Akteur der EA ist zwischenzeitlich in Mecklenburg-Vorpommern wohnhaft. * Die rechtsextremistische Hafthilfeorganisation "Gefangenenhilfe.info" stößt auch in der hiesigen Szene weiterhin auf Interesse. Die Internetseite wird regelmäßig aktualisiert, der Fokus liegt hierbei auf der Berichterstattung über Gerichtsverfahren und vermeintliche Repressionen gegen Rechtsextremisten in Deutschland und Österreich. Über Straftaten mit einem rechtsextremistischen bzw. mutmaßlich rechtsextremistischen Hintergrund wird in der Regel verharmlosend berichtet. * Die "Artgemeinschaft-Germanische Glaubens-Gemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung e. V." (AG GGG), kurz "Artgemeinschaft" verfolgte auch im Jahr 2015 ihre Strategie der regionalen Einflussnahme mit Schwerpunkt im Raum Güstrow/Krakow am See. Angehörige dieser Gruppierung sind im handwerklichen Bereich oder in der Landwirtschaft tätig, um ein möglichst autar34 Facebook-Seite "Deutschland muss leben" vom 08.10.2015, abgerufen am 10.06.2015 43 kes Leben führen zu können.35 Sie ist eng mit der "Gesellschaft für biologische Anthropologie und Verhaltensforschung e. V." (GfbAV) verbunden, von der jedoch im Berichtszeitraum keine Aktivitäten ausgegangen sind. Der "Artgemeinschaft" gehören auch Rechtsextremisten an, die in anderen Zusammenhängen aktiv sind. Insoweit dient sie der szeneinternen Vernetzung. 2.9.1 Neonazistische Publikationen Durch die rechtsextremistische Szene wurden wie in den Vorjahren "Boten" für jeweils verschiedene Regionen verteilt. Die Bedeutung von Schriftpublikationen ist jedoch auch 2015 weiter zurückgegangen, rechtsextremistische Propaganda wird - wie bereits mehrfach beschrieben wurde - zunehmend über die sozialen Netzwerke verbreitet. So ist der "Uecker-Randow-Bote" zwischenzeitlich über Facebook erreichbar. 2015 sind als Papierfassung folgende "Boten" mit mindestens einer Ausgabe bekannt geworden: * "Der Lassaner Bote" * "Der Anklamer Bote" * "Der Usedomer Bote" Presserechtlich verantwortlich für alle "Boten" waren regelmäßig NPD-Kader. Der "Usedomer Bote" aus dem Sommer 2015 ist jedoch mit einem fiktiven Herausgeber versehen. Ein ähnliches Ziel wie die "Boten" verfolgt auch der von der "Interessengemeinschaft Schöneres Strasburg" herausgegebene "Strasburger Beobachter", von dem im Jahre 2015 mehrere Ausgaben bekannt wurden. 35 vgl. Verfassungsschutzbericht M-V 2012, S. 28f. 44 2.9.2 Neonazistische Veranstaltungen und Aktivitäten * Rechtsextremistische Gedenkveranstaltung am 15. Februar 2015 in Dresden anlässlich des Jahrestages der Zerstörung der Stadt im Zweiten Weltkrieg Vor dem Hintergrund der Zerstörung der Stadt Dresden durch Luftangriffe der Alliierten während des Zweiten Weltkrieges, führt die rechtsextremistische Szene traditionell um den 13. Februar, dem Jahrestag der Ereignisse, in der Stadt eine Demonstration durch. Am 15. Februar 2015 versammelten sich in Dresden unter dem Motto "Wir gedenken" ca. 500 Personen der rechtsextremistischen Szene. Wie in der Vergangenheit üblich, dürften auch Personen aus Mecklenburg-Vorpommern angereist sein. Da die Veranstaltung jedoch erst kurz zuvor angemeldet wurde, kam es zu keiner langfristigen bundesweiten Mobilisierung. * "Tollensemarsch" der rechtsextremistischen Szene am 31. Januar 2015 in Neubrandenburg Der jährlich durchgeführte "Tollensemarsch" der rechtsextremistischen Szene fand am 31. Januar 2015 statt. Damit wurde von den in den vergangenen Jahren üblichen Veranstaltungszeitpunkten (Ende Februar bzw. Anfang März) abgewichen. An der Veranstaltung beteiligten sich ca. 20 Personen. Es handelt sich um die inzwischen bereits zwölfte Veranstaltung dieser Art, wobei die Teilnehmerzahl im Vergleich zu den Vorjahren deutlich zurückgegangen ist. Im Jahr 2014 hatten noch ca. 60 Personen an der Wanderung teilgenommen. Die geringe Teilnehmerzahl war möglicherweise der spontanen Terminverschiebung geschuldet. Mit dem in diesem Jahr vorgezogenen Veranstaltungstermin wollten die Rechtsextremisten offenbar Beobachtungen und etwaige Gegenaktionen gering halten. 45 * Demonstration gegen "Asylbetrug" am 7. März 2015 in Torgelow (Landkreis Vorpommern-Greifswald) Die aus dem neonazistischen Spektrum entstandene Bürgerinitiative "Schöner und sicherer Wohnen" hat am 7. März 2015 eine zuvor von Tino Müller (NPD-MdL), dem maßgeblichen Verantwortlichen für die o. g. Bürgerinitiative, angemeldete Demonstration unter dem Motto "Heimat und Identität bewahren - Asylbetrug stoppen!" in Torgelow durchgeführt. Obwohl im Vorfeld auf verschiedenen rechtsextremistischen Internetplattformen, so z. B. von der NPD-nahen Wählervereinigung "Alternative für Torgelow" (AfT) oder der Facebook-Seite des "Uecker-Randow-Boten", zur Teilnahme aufgerufen worden war und der Veranstaltungstermin auch über die Presseberichterstattung hinlänglich bekannt war, nahmen lediglich ca. 150 Personen an der Demonstration teil. Eine entsprechende Veranstaltung war bereits am 22. März 2014 in Torgelow mit ca. 200 Personen durchgeführt worden. Unter den Teilnehmern am 7. März 2015 wurden zahlreiche bekannte Rechtsextremisten, unter anderem auch NPDKader sowie Mitglieder von örtlichen rechtsextremistischen "Kameradschaften", festgestellt. Die Analogien zwischen dieser Veranstaltung in Torgelow und den seit Wochen vorher stattgefundenen "MVGIDA"-Demonstrationen in Schwerin, Stralsund und Rostock waren unverkennbar. Die Strategie der NPD, unter Nutzung anderer Organisationsbezeichnungen neue Anhänger für ihre Ziele zu mobilisieren, trat in Torgelow allerdings noch offenkundiger zu Tage. * Neonazistische Aktionen zum 8. Mai Zum Jahrestag der deutschen Kapitulation 1945 und dem damit einhergehenden Ende des nationalsozialistischen Regimes veranstaltet die rechtsextremistische Szene in Mecklenburg-Vorpommern jährlich einen "Trauermarsch" in Demmin. Michael GIELNIK, Mitglied des NPD-Landesvorstandes Mecklenburg-Vorpommern, hatte die Demonstration, an der sich im Jahr 2015 ca. 200 Personen beteiligten, als Privatperson angemeldet. Als Redner traten u. a. Stefan Köster, Landesvorsitzender der NPD und Udo Pastörs, 46 Vorsitzender der NPD-Landtagsfraktion, auf. Daneben gab es einige kleinere Aktionen. So wurden in Friedland, Heringsdorf, Neubrandenburg und Wolgast mehrere weiße Holzkreuze aufgestellt, die Aufschriften wie "Befreiungslüge", "Umerziehung", "Vertreibung" oder "Wir feiern nicht" trugen. * Bundesweite "Aktion schwarze Kreuze" am 13. Juli 2015 Für den 13. Juli 2015 wurde im Netz - wie bereits im Vorjahr - zu einer bundesweiten "Aktion Schwarze Kreuze" zum Gedenken an "Deutsche Opfer von Ausländergewalt" aufgerufen. In der Nacht vom 12. auf den 13. Juli 2015 stellten Rechtsextremisten an diversen Orten in Mecklenburg-Vorpommern, vorwiegend in den Landkreisen Nordwestmecklenburg und Mecklenburgische Seenplatte sowie der Hansestadt Rostock, ca. 120 entsprechende Holzkreuze auf; die Aktion fand damit eine ähnliche Resonanz wie im Vorjahr. * Aktionen zum Todestag von Rudolf HEß am 17. August Die Bedeutung des Todestages des HITLER-Stellvertreters Rudolf HEß hält sich innerhalb der rechtsextremistischen Szene auf einem niedrigen Niveau. Wie bereits im Vorjahr wurden auch 2015 nur wenige Aktionen mit Bezug zu diesem Datum registriert. So wurden in Heringsdorf, Güstrow und Boizenburg jeweils mehrere Plakate im öffentlichen Raum angebracht, wobei mehrere Rechtsextremisten als Tatverdächtige festgestellt wurden. 36 36 Internetseite "Der Staatsstreich" von "Helden und Schweinen" vom 23.08.2015, abgerufen am 07.09.2015 47 * Heldengedenken" der rechtsextremistischen Szene Die rechtsextremistische Szene führt ihr "Heldengedenken" sowohl um den 16. März ("Heldengedenktag" ab 1939 im Dritten Reich) als auch im Zusammenhang mit dem Volkstrauertag im November durch. Im Vergleich zum vergangenen Jahr ist jedoch ein Rückgang zu verzeichnen. Auch die Nachbereitung im Internet fiel deutlich geringer aus als im Vorjahr. Nichtsdestotrotz hat dieser Gedenktag weiterhin große Bedeutung für die rechtsextremistische Szene und die Veranstaltungen werden teilweise mit erheblichem Aufwand durchgeführt. So gab es beispielsweise im Landkreis Nordwestmecklenburg eine Veranstaltung, über die im Anschluss auf dem Facebook-Profil des "Thinghauses" berichtet wurde37. Die dazu veröffentlichten Fotos zeigen die Teilnehmer, die sich mit Fackeln an einem "Gedenkort" versammelt haben. 38 39 37 Facebook-Profil "Thinghaus": "Heldengedenken 2016" (sic!) vom 17. November 2015, abgerufen am 18. November 2015 38 Facebook-Profil "Thinghaus": Heldengedenken 2016 (sic!) vom 17. November 2015, abgerufen am 18. November 2015 39 Facebook-Profil "Thinghaus": Heldengedenken 2016 (sic!) vom 17. November 2015, abgerufen am 18. November 2015 48 2.10 Rechtsextremistische Parteien/"Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD), Landesverband Mecklenburg-Vorpommern 40 Gründung 1990 Landesvorstand Stefan Köster (Landesvorsitzender) David Petereit (stellv. Landesvorsitzender) Enrico Hamisch (stellv. Landesvorsitzender) Stefan Suhr (Schatzmeister) Norman Runge (Landesorganisationsleiter) Michael Gielnik (Beisitzer) Tino Müller (Beisitzer) Marko Müller (Beisitzer) Alexander Wendt (Beisitzer) Udo Pastörs (Mitglied kraft Amtes) Wahlkreisbüros Lübtheen (Udo Pastörs, Stefan Köster) der NPDGrevesmühlen, "Thinghaus" (Udo Pastörs, LandtagsabgeStefan Köster) ordneten Anklam, "Nationales Begegnungszentrum" (Michael Andrejewski) Ueckermünde (Tino Müller) David Petereit ohne Bürgerbüro im Jahr 2015 40 Facebook-Seite des NPD-Landesverbandes: Titelbild vom 18.03.2015, abgerufen am 18.12.2015 49 Publikationen "Der Ordnungsruf" (soweit Ausgaben "Kurz & Knapp, Informationen für Bürger der im Jahr 2015 veröfStadt Goldberg" fentlicht wurden) "Kurz & Knapp, Nachrichten aus der Eggesiner Stadtvertretung" "Kurz & Knapp, Nachrichten aus der Friedländer Stadtvertretung" "Kurz & Knapp, Nachrichten aus der Lassaner Stadtvertretung" "Blickpunkt VG - Mitteilungsblatt der NPD-Fraktion im Kreistag VorpommernGreifswald Internet und Internetseite des NPD-Landesverbandes, soziale Netzwerke der NPD-Landtagsfraktion sowie der NPD-Fraktion Kaiserbäder Facebook-Seiten des NPD-Landesverbandes, der NPD-Landtagsfraktion, der Kreistagsfraktion Vorpommern-Greifswald, der NPD in der Bürgerschaft Rostock, der NPD-Kreisverbände Westmecklenburg, Mecklenburgische Seenplatte, Mecklenburg-Mitte und Nordvorpommern Kreisverbände NPD-Kreisverband Westmecklenburg NPD-Kreisverband Mecklenburgische Seenplatte NPD-Kreisverband Ostvorpommern-Greifswald NPD-Regionalverband Uecker-Randow NPD-Kreisverband Mecklenburg-Mitte NPD-Kreisverband Nordwestmecklenburg NPD-Kreisverband Nordvorpommern 50 UnterJugendorganisation "Junge Nationaldemoorganisationen kraten" (JN) Frauenorganisation "Ring Nationaler Frauen" (RNF) Internetund Facebookauftritte: "JN Mecklenburg und Pommern", "JN Pommern", RNF (Bundesverband) * NPD-Verbotsverfahren Im NPD-Verbotsverfahren hat der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts am 19. März 2015 einen Hinweisbeschluss gefasst (2 BvB 1/13), der dem antragstellenden Bundesrat aufträgt, u. a. weitere Belege zur Abschaltung von Quellen auf der Führungsebene der NPD und zum Nachweis der Gewährleistung der Vermeidung der Ausspähung der Prozessstrategie vorzulegen. In der Antwort der Prozessbevollmächtigten auf diesen Hinweisbeschluss wurden in beispielloser Weise interne Aktenstücke der Sicherheitsbehörden des Bundes und der Länder offengelegt, die zum Teil bisher der Geheimhaltung unterlagen und nennt auch die Anzahl der abgeschalteten V-Personen in Bund und Ländern. Mit Schreiben vom 19. März 2015 gab der Berichterstatter des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts dem Antragsteller zudem auf, weitere Belege zum Nachweis der aggressivkämpferischen Haltung der NPD vorzulegen. Die Antwort erfolgte mit Schriftsatz vom 27. August 2015. Hierzu sind aus Mecklenburg-Vorpommern zahlreiche Sachverhalte und Belege zugearbeitet worden, die weitgehend übernommen wurden. Daneben haben die Prozessbevollmächtigten auch Aussagen von Zeugen aus dem kommunalen Bereich und der Zivilgesellschaft unmittelbar aufgenommen und im Schriftsatz berücksichtigt. Gemäß Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 2. Dezember 2015 fand die mündliche Verhandlung vom 1. bis 3. März 2016 statt. 51 * Aktivitäten der NPD M-V im Jahr 2015 Im Jahr 2015 legte der NPD-Landesverband seinen Schwerpunkt auf die Agitation gegen Flüchtlinge und Asylbewerber sowie gegen für die Flüchtlingspolitik verantwortliche Politiker und setzte im "Kampf um die Köpfe" verstärkt auf asylfeindliche Propaganda in den sozialen Netzwerken. Ziel war es offenbar, Personen durch die Flüchtlingskrise für fremdenfeindliches und letztlich rechtsextremistisches Gedankengut und so im nächsten Jahr auch als NPD-Wähler zu gewinnen. Bestehende Berührungsängste können aus Sicht der NPD möglicherweise überwunden werden, wenn der Einstieg zunächst über die Teilnahme an vermeintlich "bürgerlichen" Versammlungen erfolgt. In einem zweiten Schritt stellt sich die NPD als "einzige Alternative" dar. So betonte beispielsweise der NPD-Kreisverband Nordvorpommern auf seiner Facebook-Seite: "Es gibt viele Möglichkeiten unsere Arbeit zu unterstützen. Nimm teil an künftigen Mahnwachen und Demonstrationen gegen den herrschenden Asylwahnsinn, verteile mit uns Aufklärungsmaterial an viele Haushalte, werde Mitglied oder unterstütze uns mit einer Geldspende."41 "Die NPD ist als einzige deutsche Wahlpartei nicht bereit, die von allen etablierten Parteien verschuldete katastrophale Entwicklung im Bereich der Ausländerund Asylpolitik in Deutschland zu akzeptieren."42 Die Aussichten auf einen Verbleib der NPD im Landtag Mecklenburg-Vorpommern schätzte der NPD-Landesvorsitzende Stefan Köster in einer ersten Einschätzung als gut ein. Er begründete dies mit der "Überfremdungspolitik der Bundestagsparteien", die NPD sei "die Alternative zum Parteienkartell der Überfremdungsfanatiker". Die NPD sei außerdem die Partei, "die sich mit voller Energie 41 Facebook-Seite des NPD-Kreisverbandes Nordvorpommern: "Jetzt mitmachen, gemeinsam Veränderung schaffen!" vom 20.09.2015, abgerufen am 22.09.2015 42 Facebook-Seite des NPD-Kreisverbandes Nordvorpommern: "Identität: Überfremdung stoppen!" vom 22.09.2015, abgerufen am 22.09.2015 52 für die Freiheit unseres Volkes und die Souveränität unserer Nation" einsetze. Unterstützer wurden bereits frühzeitig aufgefordert, in der Urlaubsplanung einen Einsatz in Mecklenburg-Vorpommern von mindestens einer Woche zu berücksichtigen, insbesondere in den Monaten Juli und August 2016 werde Unterstützung benötigt.43 Neben der Antiasylkampagne waren weitere politische Themenfelder eher von untergeordneter Bedeutung. So versuchte die NPD wie in den Vorjahren auch im Jahr 2015 die Probleme der Freiwilligen Feuerwehren zu instrumentalisieren und Einfluss auf die Angehörigen der Wehren zu erlangen. Im Juli 2015 verschickte die NPD-Landtagsfraktion mit ihrem Vorsitzenden Udo Pastörs ein Schreiben an alle Feuerwehren in Mecklenburg-Vorpommern, um über die parlamentarischen Initiativen der NPD zur Verbesserung der Einsatzfähigkeit der Wehren im Land zu informieren. In einem gemeinsam von Herrn Minister Caffier und dem Vorsitzenden des Landesfeuerwehrverbandes Mecklenburg-Vorpommern e. V." mit Datum vom 17. August 2015 verfassten Schreiben mit dem Betreff "Die Freiwilligen Feuerwehren in unserer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft" wurde dies als durchsichtiger Versuch entlarvt, mit vorgeschobenem Interesse für die Belange und Probleme der Feuerwehren letztlich Unterstützer für die eigene extremistische Weltanschauung und Gleichgesinnte zu gewinnen. Die NPD-Landtagsfraktion veröffentlichte dieses Schreiben am 20. August 2015 auf ihrer Internetseite.44 Weiterhin galt das Engagement einer Kampagne, um zur Teilnahme am Volksentscheid über die Gerichtsstrukturreform am 6. September 2015 aufzurufen und die Bürger dazu zu bewegen, sich mit einem "Ja" gegen die Reform auszusprechen. Vielerorts wurden Plakate und Großaufsteller mit der Aufschrift "Ja zum Volksentscheid, zeigen Sie der Kahlschlag-Politik die rote Karte!" 43 Stefan KÖSTER in: "JA ZUM VOLK!", veröffentlicht in der "Deutschen Stimme", Ausgabe 09 / September 2015. 44 Internetseite der NPD-Landtagsfraktion: "Innenminister Caffier erklärt Feuerwehrverbänden 'wahre Demokratie'" vom 20.08.2015, abgerufen am 25.08.2015 53 aufgehängt bzw. aufgestellt. Ein Faltblatt mit entsprechender Bezeichnung war auf der Internetseite des NPD-Landesverbandes abrufbar. Darin hieß es gleich einleitend: "Tauscht die Politiker aus, bevor sie uns zu Tode reformieren!". Mit Blick auf den "angestammten Lebensraum" und die gleichbleibende besiedelte Fläche müsse nach Auffassung der NPD trotz schrumpfender Bevölkerung die Präsenz von Justiz-, Polizei-, Feuerwehr-, Gesundheitsund Schulwesen die gleiche bleiben. Für jedes geschlossene Amtsgericht würden zwei "Asylantenheime" eröffnet. Abschließend wurde dazu aufgerufen, den Volksentscheid "als Denkzettel für die reformwütigen Altparteien" zu nutzen.45 * Antiasylkampagne der NPD Im Rahmen ihrer asylfeindlichen Propagandaaktivitäten setzte die NPD folgende Schwerpunkte: Bekanntmachung von Flüchtlingsunterkünften Der NPD-Landesverband Mecklenburg-Vorpommern konzentrierte sich in seiner Berichterstattung im Jahr 2015 zunehmend auf die geplante und bestehende Unterbringung von Flüchtlingen. Dabei hat er möglicherweise beabsichtigt oder zumindest in Kauf genommen, dass entsprechende Veröffentlichungen gewaltbereite und aktionsorientierte Rechtsextremisten auf die Standorte von Gemeinschaftsunterkünften aufmerksam machen und zu möglichen strafbaren Handlungen animieren können. An eine Unterkunft in Friedland wurde durch Fotomontage ein NPD-Plakat mit der Aufschrift "Asylantenheim? Nein Danke! Wir sind nicht das Sozialamt der Welt!" angebracht. Zudem findet sich die Anschrift der Unterkunft durch ein Ortsschild mit der Bezeichnung "Friedland, Jahnstraße".46 45 Internetseite des NPD-Landesverbandes: "JA ZUM VOLKSENTSCHEID / Infrastruktur erhalten statt Asylantenheime errichten" vom 26.08.2015, abgerufen am 27.08.2015 46 Facebook-Seite des NPD-Kreisverbandes Mecklenburgische Seenplatte vom 31.08.2015, abgerufen am 31.08.2015 54 Im besonderen Fokus standen u. a. auch die Gemeinschaftsunterkunft bzw. die dezentrale Unterbringung von Flüchtlingen in Anklam. Die einzig verbliebene NPD-Kreistagsfraktion im Land betrieb mit den ihr zu Verfügung stehenden finanziellen Mitteln eine besonders aufwändige Kampagne, es wurden zahlreiche Filme und Flyer produziert. Aufklärung über tatsächliche oder vermeintliche Straftaten im Umfeld von Flüchtlingsunterkünften Eine weitere Strategie war die wiederholte Behauptung, dass es in oder im Umfeld von Flüchtlingsunterkünften vermehrt zu Straftaten komme, um Ängste vor Flüchtlingen zu schüren und Vorurteile zu bedienen. Dabei wurde die NPD nicht müde zu betonen, als einzige Institution über die "wahren Hintergründe" aufzuklären, wenn Behörden und "Lügenpresse" schweigen.47 Der NPD-Landtagsabgeordnete David Petereit wollte "Bürgerinformationen" entnommen haben, dass es "hinter der Asylbewerberunterkunft in Stern-Buchholz zu dem Verzehr zweier Pferde durch Asylanten gekommen" sei, "die zuvor, noch lebend, von einer Koppel in der Nähe gestohlen worden sein sollen.48 Da der Sachverhalt polizeilich nicht bekannt geworden ist, ist davon auszugehen, dass hier lediglich Vorurteile geschürt werden sollten. 47 Internetseite des NPD-Landesverbandes: "NPD deckt auf: Sexuelle Belästigung durch Asylant in Vorpommern!" vom 19.12.2015, abgerufen am 21.12.2015 48 Facebook-Seite von David PETEREIT: "Grillfest mit geklauten Pferden im Asylantenheim?" vom 14.09.2015, abgerufen am 15.09.2015 55 Warnung vor Überfremdung / Aufrufe zum Widerstand Insbesondere der NPD-Fraktionsvorsitzende Udo Pastörs äußerte sich regelmäßig im Internet und rief dabei zum "politischen Kampf gegen die Überfremdung des Abendlandes" auf. "Der Volksverrat an den Völkern Europas", so hofft Pastörs, werde "die EU-Diktatur zu Fall bringen". Gegenwärtig finde "eine von langer Hand geplante Umvolkung des Abendlandes, eine Orientalisierung" statt, die unumkehrbar sei. Die Amerikaner hätten "gezielt den ganzen nahen 'Osten' in Brand gesetzt, um Europa durch Überflutung von Fremdvölkern wirtschaftlich wie kulturell zu schwächen". Pastörs forderte zudem, die Bundeskanzlerin "aus ihrem Amt zu jagen". Er hoffe, "aus der Phase der Kritik in dieser schicksalhaften Frage ("Untergang des Abendlandes") in die Phase eines politischen Kampfes einzutreten".49 Hier wurde die offenbar vorhandene Hoffnung auf eine die Demokratie schädigende Entwicklung deutlich. Auch präsentierte sich der NPD-Fraktionsvorsitzende in einem Video vor der geplanten Flüchtlingsunterkunft in Sumte/Niedersachsen und sprach von "1.000 sogenannten Kriegsflüchtlingen", die dort untergebracht werden sollen. Deutschland werde, so Pastörs, "gezielt überfremdet", er sieht darin einen "Verrat am deutschen Volk". Er hat dazu aufgerufen "aufzustehen", sich politisch zu wehren gegen die "Überfremdung unseres Vaterlandes".50 Wie die vorgenannten Beispiele zeigen, gab sich der NPD-Fraktionsvorsitzende Pastörs besonders kämpferisch und versuchte noch nicht einmal, seine Aufrufe zur Überwindung des bestehenden politischen Systems zu verschleiern. Da es der NPD Mecklenburg-Vorpommern insbesondere im zweiten Halbjahr 2015 gelungen ist, sich entsprechend ihrer "Vier-Säulen-Strategie" an die Spitze der asylgegnerischen Bewegung zu setzen, richten sich diese Aufrufe wohl an die gesamte asylgegnerische Bewegung 49 Facebook-Seite von Udo Pastörs vom 06.10.2015, abgerufen am 08.10.2015 50 Facebook-Seite von Udo PASTÖRS vom 14.10.2015, abgerufen am 15.10.2015 56 und nicht lediglich an NPD-Anhänger. Verbale Anfeindungen gegen "verantwortliche" Politiker Einhergehend mit dem erheblichen Anwachsen zuwanderungsfeindlicher Proteste, die maßgeblich von NPD-Funktionären gesteuert wurden, versuchte die NPD, demokratische Politiker als unfähig zur Problemlösung darzustellen (Stichwort: "Volksverräter"). Die Anfeindungen äußerten sich im Berichtszeitraum lediglich in verbalen Attacken, konkrete Übergriffe auf Personen oder entsprechende Absichten sind nicht bekannt geworden. Allerdings zeigen die folgenden Beispiele, dass Landesund Kommunalpolitiker durchaus im Fokus der rechtsextremistischen Szene standen und diese auch gezielt eingeschüchtert werden sollten: * Der NPD-Fraktionsvorsitzende Udo Pastörs hat einen Aufruf zur Teilnahme an der MVGIDA-Veranstaltung am 2. November 2015 in Grevesmühlen mit den Worten geteilt: "Die Volksfeinde in Berlin und ihrer Unterstützer vor Ort müssen den Druck auf der Straße spüren" (sic).51 * Nach der Ankündigung des Bürgermeisters der Gemeinde Hohenbollentin Hans Schommer, gegen die markenrechtlich geschützte Bezeichnung "Demminer Bürgerwehr" im Rahmen der Demonstration am 7. November 2015 in Demmin vorgehen zu wollen, hat die NPD M-V den Veranstaltern geraten, "diesem dreisten Einschüchterungsversuch entschiedenen Widerstand entgegenzusetzen". Abschließend heißt es: "Besondere Aufmerksamkeit hat in Zukunft Schommers Wohnort Hohenbollentin verdient. Bei Verteilund sonstigen Aktionen sollte er ganz oben auf der Liste stehen".52 * In dem Beitrag der NPD M-V "CDU will Pflichtjahr für alle Jugendlichen zur Asylantenbetreuung" wurde der haushalts51 Facebook-Seite von Udo PASTÖRS: "Druck erhöhen - heute 19:00 Uhr in Grevesmühlen Demo gegen Überfremdung" vom 02.11.2015, abgerufen am 03.11.2015 52 Internetseite des NPD-Landesverbandes: "Massive Einschüchterungsversuche gegen asylkritische Demonstration in Demmin" vom 05.11.2015, abgerufen am 10.11.2015 57 politische Sprecher der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, Eckhardt Rehberg wörtlich zitiert. "In dieselbe Kerbe", so die NPD, "haut Innenminister Caffier". Der Beitrag schließt mit den Worten "Deutsche Jugendliche sollen also gezwungen werden, Asylanten zu bedienen. Willkommenskultur mit der Brechstange. Wenn das kein Grund zum Widerstand ist".53 * Einzelne Kommentatoren meinen hierzu: "Das Drecks pack der CDU CSU und SPD sowie die EUROPÄISCHE Union die der Meinung sind die EU muss das Sozialamt der Welt sein die haben doch echt keine anderen sorgen!"54 "Tankt auf die Güllebomber und zeigt unser Regierung, was sie uns wert ist. So wie in Frankreich"55 Die Berichterstattung der NPD M-V auf Facebook bietet, wie das vorgenannte Beispiel zeigt, insoweit regelmäßig Plattform für beleidigende oder sonstige strafrechtlich relevante Kommentare. Dabei hat der "Verbalradikalismus" deutlich zugenommen, im Fokus standen dabei neben der Bundeskanzlerin vor allem Oppositionsund Lokalpolitiker, die sich für Flüchtlinge einsetzen. * Publikationen und Flugblattverteilungen Aufkleber Beim NPD-Landesverband waren ab September 2015 die Aufkleber "Asylantenheim? Nein Danke!" und "Asylmissbrauch? Nein Danke!" wieder bestellbar, die oftmals für Sachbeschädigungen verwendet wurden. Verantwortlicher im Sinne des Presserechts ist der NPD-Landesvorsitzende Stefan Köster. 53 Facebook-Seite des NPD-Landesverbandes: "CDU will Pflichtjahr für alle Jugendlichen zur Asylantenbetreuung" vom 03.11.2015, abgerufen am 10.11.2015 54 Kommentar Ronald Hank zum Beitrag "CDU will Pflichtjahr für alle Jugendlichen zur Asylantenbetreuung" vom 03.11.2015, abgerufen am 10.11.2015 55 Kommentar Peter Niemann zum Beitrag "CDU will Pflichtjahr für alle Jugendlichen zur Asylantenbetreuung" vom 05.11.2015, abgerufen am 10.11.2015 58 Der NPD-Landtagsabgeordnete David Petereit hat den Beitrag, der auf diese Aufkleber aufmerksam machte, mit den Worten "Zeichen setzen!" geteilt.56 57 Beim NPD-Landesverband waren darüber hinaus als Werbemittel Aufkleber mit einem ausgestreckten Mittelfinger sowie der Aufschrift "Vorsicht! Gutmensch - Asylbesoffen & Inländerfeindlich" erhältlich, für die der stellvertretende NPD-Landesvorsitzende Enrico Hamisch verantwortlich zeichnet. Diese Aufkleber kamen beispielsweise bei einer Sachbeschädigung an einem SPD-Bürgerbüro in Torgelow in der Nacht vom 8. auf den 9. Dezember 2015 zum Einsatz. 56 Facebook-Seite von David PETEREIT: "Zeichen setzen!" vom 17.09.2015, abgerufen am 17.09.2015 57 Facebook-Seite des NPD-Landesverbandes: "Ab sofort wieder lieferbar!" vom 17.09.2015, abgerufen am 17.09.2015 59 58 Auffällig ist, dass beide Aufkleber ohne das NPD-Logo gefertigt wurden, auch hier trat also eine "Verschleierungsstrategie" zutage. Der NPD-Landesverband nutzt eingängige Symbole, Signalfarben und aussagekräftige Parolen, um dem Unmut gegen die befürchtete "Überfremdung" auf einfache Art und Weise - durch das Anbringen eines Aufklebers - Ausdruck verleihen zu können. Flugblätter Die Bedeutung von Schriftpublikationen ist in gleicher Weise, wie die Bedeutung der Propaganda in sozialen Netzwerken zugenommen hat, zurückgegangen, sowohl was die Anzahl von NPD-Publikationen als auch die Häufigkeit von Verteilungen anbelangt. Gleichwohl verzichtet die NPD Mecklenburg-Vorpommern noch nicht gänzlich auf die Herausgabe und Verteilung von Flugblättern, da sie möglicherweise davon ausgeht, dass das Internet noch nicht von allen potenziellen Unterstützern genutzt wird. Der NPD-Kreisverband Westmecklenburg hat am 8. September 2015 in Zahrensdorf bei Boizenburg Flugblätter verteilt, um über die Un58 Facebook-Seite des NPD-Landesverbandes: "Neue Aufkleber erhältlich" vom 16.10.2015, abgerufen am 19.10.2015 60 terbringung von Flüchtlingen in der dortigen Sporthalle zu informieren, die "in aller Heimlichkeit beschlagnahmt" worden sei. Diese sei zur "Erstaufnahmeeinrichtung, inklusive Wachschutz und Rotes Kreuz", umgebaut und der Sportbetrieb bis auf Weiteres eingestellt worden.59 Bereits Ende August/Anfang September wurde in Goldberg u. a. von der neonazistischen Gruppierung "Agitationsdistrikt Amt Goldberg-Mildenitz" zum Thema "Asyl" eine neue Publikation der NPD M-V verteilt, "Kurz & Knapp, Informationen für Bürger der Stadt Goldberg". Darin heißt es gleich auf der Titelseite: "Erst 1, 2, 3 und 4 - jetzt stehen die Asylanten auch vor deiner Tür!". Darin wurde u. a. zur Teilnahme an einer Informationsveranstaltung des Amtes Goldberg-Mildenitz am 7. September 2015 im dortigen Verwaltungsgebäude aufgerufen.60 Der NPD-Kreisverband Ostvorpommern hat zwei neue Publikationen in Lassan und Pinnow verteilt, eine Sonderausgabe von "Kurz & Knapp" Lassan sowie ein "Informationsflugblatt" für die Bürger um und in Pinnow bei Murchin / Landkreis Vorpommern-Greifswald mit der Bezeichnung "Die Asylantenflut erreicht Pinnow". Aus letzterem ergibt sich der NPD-Bezug nur mittelbar über einen abgedruckten Link der Internetseite der NPD M-V sowie den verantwortlichen Herausgeber, den Lassaner NPD-Stadtvertreter Christian Hilse. Beide Publikationen enthielten den im Jahr 2013 erstellten "Leitfaden zum Umgang mit Asylanten in der Nachbarschaft".61 Der vorgenannte "Leitfaden", der zunächst vom NPD-Landesverband und dem Verantwortlichen Michael Andrejewski und im Laufe des Jahres 2014 von verschiedenen NPD-Kreisverbänden herausgegeben worden war, lag im Jahr 2015 in gleichlautender Fassung, aber ohne das NPD-Logo vor. Verantwortlich zeichnete der NPD-Kreisvorsitzende Andreas Theißen. Auch dieses Beispiel zeigte die "Verschleierungsversuche" der NPD, rassistisches Gedankengut lieber 59 Facebook-Seite des NPD-Kreisverbandes Westmecklenburg: "NPD-Kreisverband Westmecklenburg hat 2 neue Fotos hinzugefügt" vom 08.09.2015, abgerufen am 11.09.2015 60 Facebook-Seite des Agitationsdistriktes Amts Goldberg-Mildenitz: "Verteilaktion zum Thema Asyl in Goldberg" vom 02.09.2015, abgerufen am 15.09.2015 61 Internetseite des NPD-Landesverbandes: "NPD vor Ort: Aufklärungswelle am Achterwasser über Asylirrsinn" vom 26.09.2015, abgerufen am 28.09.2015 61 ohne Organisationsbezug zu verbreiten. * Landtag als Bühne / Nutzen der Rechte als Abgeordnete Am 28. September 2015 haben die fünf Abgeordneten der NPD-Landtagsfraktion die Erstaufnahmeeinrichtung Mecklenburg-Vorpommerns für Asylbewerber in Horst besucht. Dabei wurden sie von Abgeordneten aller anderen Fraktionen flankiert, um der NPD keine alleinige Bühne zu bieten. Innenminister Lorenz Caffier hatte den Besuch zunächst mit der Begründung abgelehnt, dass in der wegen der hohen Belegung ohnehin angespannten Situation das friedliche Zusammenleben der Flüchtlinge beeinträchtigt werden könnte. Er bezog sich dabei auf ausländerfeindliche Äußerungen aus den Reihen der NPD und deren Positionen zur Asylpolitik. Das Landesverfassungsgericht ließ den Besuch jedoch zu. Das Gericht hat festgestellt, dass mit der Argumentation, die schließlich zur Ablehnung geführt hat, ein Anspruch der Antragsteller auf Zugang zu der Aufnahmeeinrichtung des Landes in Nostorf-Horst im Ergebnis generell und dauerhaft allein wegen der von ihnen inhaltlich vertretenen politischen Auffassungen ausgeschlossen wird. Dies sei mit dem Status eines gewählten Abgeordneten nicht vereinbar.62 Der NPD-Fraktionsvorsitzende Udo Pastörs hat am 19. November 2015 im Landtag zu TOP 24 - Beratung des Antrages der Fraktion der NPD "Asylbewerberbericht" - eine Rede gehalten, in der er u. a. die Inhaftierung "federführender Politiker" im Land und in Berlin gefordert hat. Auch finden sich in seiner Rede folgende Zitate: * "importierte Schmarotzer aus der ganzen Welt", * "verbrecherische Politik gegen die Interessen des deutschen Volkes" * "gezielte Überfremdung Europas" * "gewollte Umvolkung des alten Kontinents"63 62 Beschluss des Landesverfassungsgerichts vom 27.08.2015 LVerfG 4/15 e.A. 63 "NPD fordert Asylbericht - im Anschluß kam es zum Eklat!" vom 19.11.2015, veröffentlicht auf www.youtube.com, abgerufen am 23.11.2015 62 Zum Abschluss hat er zusammen mit Tino Müller am Rednerpult ein Transparent mit der Aufschrift "Paris mahnt - Asylflut stoppen - NPD" entrollt, woraufhin die Sitzung durch die Landtagspräsidentin unterbrochen wurde. Beide erhielten hierfür einen Ordnungsruf, zudem wurden vier der fünf NPD-Abgeordneten wegen gröblicher Verletzung der Ordnung von drei Landtagssitzungen ausgeschlossen.64 * Instrumentalisierung der kommunalen Vertretungen Weitere Strategie der NPD M-V war es, gegen Flüchtlinge insbesondere auch in den kommunalen Vertretungen zu agitieren. Das Problem der fehlenden Zuständigkeit der Kommunen wurde dahingehend gelöst, dass die Verwaltungsleiter jeweils lediglich aufgefordert werden sollten, sich gegenüber dem Landtag und der Landesregierung für einen Vorstoß auf Bundesebene einzusetzen. Zudem wurden themenbezogene Anfragen an die Verwaltung gestellt, deren Antworten dann entsprechend propagandistisch umgesetzt wurden. Oftmals wirken die Angehörigen der NPD-Landtagsfraktion und ihre Mitarbeiter auch in den kommunalen Vertretungen und nutzen diese als "Bühne" für ihre Antiasylkampagne. Letztlich soll "Druck von unten her" aufgebaut werden.65 Deutlich wurde dies im Berichtszeitraum anhand folgender Beispiele: * Mit Blick auf die geplante Unterbringung von Flüchtlingen in Breesen, Lohmen und Güstrow hat die NPD im Kreistag des Landkreises Rostock per Eilantrag gefordert, hierzu Bürgerentscheide durchzuführen. Die Bürger dieses Landes seien kein "Pack", über dessen Köpfe hinweg entschieden werden dürfe.66 * NPD-Bürgerschaftsmitglied Dirk Arendt hat einen Antrag mit der Bezeichnung "Keine weiteren Asylbewerber aufnehmen" in 64 "Landtag beendet zweiten Sitzungstag" vom 19.11.2015, veröffentlicht auf www.landtag-mv. de, abgerufen am 23.11.2015 65 Internetseite des NPD-Landesverbandes: "Australien nacheifern Kampagne gegen Schlepper und Wirtschaftsflüchtlinge starten!" vom 01.12.2015, abgerufen am 01.12.2015 66 Facebook-Seite des NPD-Kreisverbandes Mecklenburg-Mitte vom 02.09.2015, abgerufen am 14.09.2015 63 die Stralsunder Bürgerschaft eingebracht. Während der Sitzung am 17. September 2015 wurde er von "asylkritischen Bürgern" unterstützt, die ein Transparent mit den Worten "wir machen den Herrschenden Dampf" und "nein zum Asylheim" entrollt hatten. Zudem hätten sie gerufen: "Wir wollen keine Asylantenheime". wurden mehrere Ordnungsrufe und letztlich Hausverbot erteilt.67 Es * Das Mitglied der NPD-Kreistagsfraktion Vorpommern-Greifswald Tino Müller hat am 5. Oktober 2015 den Antrag in die Kreistagssitzung eingebracht: "Die Landrätin fragt bei allen Haushalten an, wer bereit ist, in seinem Privathaus und seiner Privatwohnung auf eigene Kosten und, wenn erforderlich, auf Dauer Asylbewerber oder als 'Flüchtlinge' eingestufte Personen aufzunehmen, und veröffentlicht das Ergebnis auf der Internetseite des Landkreises."68 * Der Heringsdorfer NPD-Gemeindevertreter Enrico Hamisch, gleichzeitig stellvertretender Landesvorsitzender, hat sich am 26. November 2015 an einer Informationsveranstaltung zum Thema "Flüchtlinge" in der dortigen "Pommernhalle" beteiligt und sich entsprechend zu Wort gemeldet, nachdem ihm die offizielle Teilnahme im Podium verwehrt worden war. Nach "zwei Sätzen" sei ihm das Mikrofon abgestellt worden. Die NPD bezeichnete die Veranstaltung als "Pure Volksverarsche" und "Asyl-Propaganda-Show" bzw. "Pro-Asyl-Show" des Bürgermeisters. Bei einem der Redner, einem gebürtigen Syrer mit deutscher Staatsangehörigkeit, der mit seiner Ehefrau seit ca. neun Jahren in Deutschland lebt, wurden kurz nach dieser Veranstaltung asylfeindliche Aufkleber an den Briefkästen des Einfamilienhauses festgestellt: 1. "Flüchtlinge" NEIN DANKE! (facebook.com/wir.sind.usedom)" 2. "ASYLANTENHEIM? NEIN DANKE! (V.i.S.d.P.: Stefan Köster, Pasewalker Str. 36, 17389 Anklam / "www.npd-mv.de)" 67 Facebook-Seite des NPD-Kreisverbandes Nordvorpommern: "Maulkorb statt Meinungsfreiheit" vom 17.09.2015, abgerufen am 21.09.2015 68 Internetseite des NPD-Landesverbandes: "Kreistag Vorpommern-Greifswald: Gutmenschen und Asylanten in einer Wohnung - das wäre wahre Willkommenskultur" vom 08.10.2015, abgerufen am 08.10.2015 64 * Asylfeindliche Demonstrationen im ersten Halbjahr 2015 Die NPD führte wie im Vorjahr im ersten Halbjahr 2015 eine Kundgebungstour durch Mecklenburg-Vorpommern mit asylfeindlicher Zielsetzung durch. Am 19. und 21. Mai 2015 begann der NPD-Kreisverband Mecklenburgische Seenplatte mit jeweils einer Kundgebung unter dem Motto "Wir sind nicht das Sozialamt der Welt - Unsere Dörfer und Städte haben eigene Probleme" in Waren (Müritz) und Stavenhagen, wobei jeweils lediglich ca. 10 Teilnehmer zu verzeichnen waren. Die NPD-Landtagsfraktion startete am 9. Juni 2015 ihre landesweite Kundgebungstour unter dem Motto "Konsequent für deutsche Interessen". Die Versammlungen mit direktem Bezug zur Asylpolitik wurden von den örtlich zuständigen NPD-Kreisverbänden angemeldet: * 9. Juni 2015 Pasewalk Kundgebung "Konsequent für deutsche Interessen" * 10. Juni 2015 Anklam Kundgebung "Asylbetrüger konsequent abschieben" * 11. Juni 2015 Torgelow Kundgebung "Konsequent für deutsche Interessen" * 24. Juni 2015 Boizenburg Kundgebung "Konsequent für deutsche Interessen" * 25. Juni 2015 Ludwigslust Kundgebung "Konsequent für deutsche Interessen" * 26. Juni 2015 Waren (Müritz) Kundgebung "Asylbetrug macht uns arm" * 16. Juli 2015 Grevesmühlen Kundgebung "Ausländer kosten uns Millionen - Asylrecht abschaffen" * 21. Juli 2015 Bergen Kundgebung "Konsequent für deutsche Interessen" * 22. Juli 2015 Grimmen Kundgebung "Konsequent für deutsche Interessen" Im zweiten Halbjahr 2015 folgte ein Strategiewechsel dahingehend, dass zahlreiche Versammlungen als "Bürgerproteste" ohne Organisationsbezug angemeldet und durchgeführt wurden. Es gab nur noch 65 zwei unmittelbar von der NPD angemeldete Versammlungen. Eine dieser Veranstaltungen, die Kundgebung des NPD-Kreisverbandes Westmecklenburg am 9. Oktober 2015 in Dabel, hatte nicht wie in der Anmeldung angegeben 10, sondern 120 Teilnehmer. Hier zeigte sich, dass von der Flüchtlingskrise und dem daraus folgenden Unmut in Teilen der Bevölkerung zumindest zeitweise entgegen anderslautender Behauptungen auch die NPD profitieren konnte, obwohl sie offen als Anmelder und mit Udo Pastörs als Redner auftrat. * Teilnahme an Informationsveranstaltungen zur Aufnahme von Asylbewerbern Bereits in der Vergangenheit haben Vertreter der NPD an Einwohnerversammlungen und sonstigen öffentlichen Veranstaltungen teilgenommen, um im Rahmen der "Wortergreifungsstrategie" vorhandene Vorurteile der Anwesenden zu verstärken und zu instrumentalisieren. Dabei wird Asylbewerbern zumeist pauschal unterstellt, nicht politisch verfolgt zu sein, sondern lediglich westlichen Wohlstand in Anspruch nehmen zu wollen. Auch im Jahr 2015 wurden seitens der NPD zahlreiche Aufrufe zur Beteiligung an Informationsveranstaltungen zum Thema "Flüchtlinge" veröffentlicht. Entsprechende Veranstaltungen wurden von NPD-Funktionären auch besucht. An einer Informationsveranstaltung zu Plänen für eine Außenstelle der Erstaufnahmeeinrichtung Horst in Stern Buchholz am 7. April 2015 mit ca. 300 Teilnehmern, darunter Herrn Ministerpräsident Sellering, Herrn Minister Caffier und der Schweriner Oberbürgermeisterin Frau Gramkow, beteiligten sich auch bekannte Rechtsextremisten. Der NPD-Fraktionsvorsitzende Udo Pastörs ergriff das Wort und prangerte die vermeintlich steigende Kriminalität im Umfeld von Gemeinschaftsunterkünften und den angeblichen Wertverlust von Immobilien in der Nähe entsprechender Einrichtungen an. Der NPD-Landesverband Mecklenburg-Vorpommern unterstellte in seiner Berichterstattung den "verantwortlichen Politikern", die Anwohner "mit ihren Sorgen und Ängsten" weitgehend allein zu las66 sen. Die "Asyl-Lobbyisten, insbesondere von rot bis grün" hätten ihre eigenen Fragesteller mitgebracht, um die Veranstaltung von Beginn an zu dominieren. Die Rede ist in diesem Zusammenhang von "Asylfanatikern" bzw. "Willkommensfanatikern".69 * Reaktionen der NPD Mecklenburg-Vorpommern auf die Anschläge von Paris vom 7. Januar und 13. November 2015 Die NPD hatte noch am Tag des Terroranschlags in Paris auf die Satirezeitschrift "Charlie Hebdo" am 7. Januar 2015 eine Eilkundgebung in Schwerin durchgeführt. An der Mahnwache beteiligten sich 25 Personen, darunter der Fraktionsvorsitzende Udo Pastörs, der als Redner auftrat. Dieser hatte zuvor im Internet eine Stellungnahme veröffentlicht, in der er auf die "islamistische Gefahr in Europa" hingewiesen hat, die von "interessierter Seite" herunter geredet werde. Der "politische Islam" sei und bleibe eine konkrete Bedrohung für Europa. Weiterhin rief er dazu auf, an den islamkritischen Veranstaltungen in Dresden oder Schwerin teilzunehmen, was bereits Indiz für die Einflussnahme der NPD auf MVGIDA war. In einem Kommentar auf Facebook äußerte die Warener NPD-Stadtvertreterin Doris Zutt, dass sich mit Blick darauf, wie Journalisten mit "Nationalisten" umgingen, ihre Trauer in Grenzen halte. Personen, die ihr Mitgefühl aussprächen, seien für die Misere mitverantwortlich, Ausländer sollen "in deren Urheimat" bleiben.70 Die erneuten Anschläge in Paris am 13. November 2015 haben zu einer weiteren Verschärfung der Agitation der rechtsextremistischen Szene gegen Flüchtlinge und Regierungsverantwortliche geführt. Der NPD-Landesvorsitzende Stefan Köster sah die Ursachen für "Terror, Tod und Gewalt" im "multikulturellen Wahnsinn" und der "katastrophalen Asylund Einwanderungspolitik der 'Willkommenskulturfanati69 Internetseite des NPD-Landesverbandes: "Bürgerinformationsveranstaltung nach Gutsherrenart!" 70 Facebook-Seite von Thomas Wulff: Kommentar zum Beitrag "Ich bin doch nicht Charlie...!" vom 12.01.2015, abgerufen am 16.01.2015 67 ker'", ohne dabei die Terroranschläge in Paris explizit zu benennen.71 Der NPD-Fraktionsvorsitzende Udo Pastörs vermischte die Terrorbekämpfung mit der Flüchtlingspolitik. Unter der Überschrift "Sie wollen und sie können uns nicht schützen!" kritisiert er, dass die "SPD/CDU-Regierungsspitze selbst nach den brutalen Terroranschlägen von Paris" nichts in der Asylpolitik ändern würde. "Frau Merkel und der Vizekanzler der SPD, Gabriel" würden "weiterhin so genannte Kriegsflüchtlinge ins Land strömen" lassen. "Die Regierenden" hätten sowohl die Polizei als auch die Bundeswehr "regelrecht 'kastriert'", so dass "ein Schutz der eigenen Bevölkerung in Notfällen mehr als zweifelhaft" erscheine. "Die Machthaber" hätten "ihr eigenes Volk verraten", die Deutschen würden "der treulosen Führungsspitze keine Treue mehr" schulden. Der Beitrag endete mit einem Aufruf zum "Aufstand der Anständigen".72 * Besondere Veranstaltungen des NPD-Landesverbandes und einzelner Kreisverbände Landesparteitag und Neujahrsempfang der NPD am 24. Januar 2015 in Anklam Am 24. Januar 2015 wurde im "Nationalen Begegnungszentrum" Anklam der Landesparteitag der NPD unter dem Motto "Organisierter Wille bedeutet Macht!" mit einer Neuwahl des Landesvorstandes durchgeführt. Stefan Köster wurde als Landesvorsitzender in seinem Amt bestätigt. Neu in den Vorstand gewählt wurden die NPD-Fraktionsmitarbeiter Stefan Suhr als Schatzmeister und Norman Runge als Beisitzer, die auch schon in NPD-Kreisvorständen vertreten sind. Des Weiteren gab es eine interne Verschiebung: Michael Gielnik wird nicht mehr als einer der beiden Stellvertreter, sondern als Beisitzer fungieren. An seine Stelle rückte der bisherige Beisitzer und NPD-Kreisvorsitzende Ostvorpommern Enrico Hamisch. Die übrigen Landesvorstandsmitglieder wurden in ihren Funktionen bestätigt: David Petereit als stellvertretender Vorsitzender und Marko und Tino Müller 71 Facebook-Seite von Stefan KÖSTER vom 14.11.2015, abgerufen am 18.11.2015 72 Facebook-Seite von Stefan KÖSTER vom 14.11.2015, abgerufen am 18.11.2015 68 sowie Alexander Wendt als Beisitzer. Neben der Wahl des neuen Landesvorstandes wurde auf Antrag des NPD-Kreisverbandes Westmecklenburg eine Erklärung mit der Überschrift "Für die Freiheit, Identität und Souveränität unseres Volkes!" verabschiedet, die die Haltung der NPD zu den "Bürgerbewegungen" beinhaltete. Bei den Angehörigen dieser Bündnisse handele es sich nach Auffassung der NPD um "aktive und wache Landsleute, die ihre Geschicke selbst in die Hand nehmen wollen und sich häufig erstmals ernsthaft politisch engagieren". Erstmals seit 20 Jahren gäbe es eine "entschlossene Massenbewegung gegen die Überfremdung und Ausbeutung unserer Heimat", die sich "von der Verunglimpfung und Diskriminierung durch Medien und Politik nicht mehr einschüchtern" lassen würde. Es folgten Darstellungen der Gründe, weshalb Bürger dem "Politikzirkus" aus Sicht der NPD ihr Vertrauen entziehen würden, die von "Ausländerbanden" über "Lügenpresse" und "Totalüberwachung" bis hin zu "illegaler Masseneinwanderung, Asylbetrug" und "korrupten und/oder volksfernen Politikern" reichen. Vor diesem Hintergrund sprach die NPD M-V "allen Veranstaltungen mit der Zielrichtung, ein deutliches Zeichen gegen Asylbetrug, Überfremdung sowie für das Recht auf Identität und Heimat zu setzen, ihre Solidarität aus". Für die NPD sei es eine Selbstverständlichkeit, sich den "Protestaktionen von MVGIDA, Pegida, HoGeSa" anzuschließen.73 Die hier beschriebene Solidarisierung wurde in der Folge auch umgesetzt, allerdings nicht nur dahingehend, sich den Protesten anzuschließen, sondern vielmehr eine führende Rolle bei Organisation und Durchführung zu übernehmen. Mahnwache und Gedenkveranstaltung der NPD am 6./7. März 2015 in Sassnitz/Landkreis Vorpommern-Rügen Am 6. März 1945 wurden durch einen Bombenangriff der britischen Luftwaffe ca. 1.300 Menschen getötet, Teile der Stadt zerstört und zahlreiche Kriegsund sonstige Schiffe versenkt. Die 73 Internetseite des NPD-Landesverbandes: "Für die Freiheit, Identität und Souveränität unseres Volkes!" vom 26.01.2015, veröffentlicht auf www.npd-mv.de, abgerufen am 27.01.2015 69 rechtsextremistische Szene nutzt die Bombardierung deutscher Städte im Zweiten Weltkrieg regelmäßig für propagandistische Zwecke, zur Erinnerung an das "alliierte Bombenmassaker" sowie zum Gedenken an die deutschen Opfer. Anlässlich des 70. Jahrestages der Bombardierung von Sassnitz führte der NPD-Kreisverband Nordvorpommern am 7. März 2015 eine vom Kreisvorsitzenden Dirk Arendt angemeldete Mahnwache in Sassnitz unter dem Motto "Im Gedenken an die Opfer des alliierten Bombenmassakers auf Sassnitz. Gegen Krieg und Völkermord-Nein zur Nato-Aggressionspolitik-Nein zum Krieg gegen Russland" durch. Zuvor waren bereits Flugblätter an Sassnitzer Haushalte verteilt worden. Mit Blick auf die vermeintliche "Nato-Aggressionspolitik gegen Russland" ist im Rahmen eines "Straßentheaters" eine als Bundeskanzlerin verkleidete Person mit dem Schild "US-KRIEGSTREIBER, BEFIEHL, WIR FOLGEN DIR!" aufgetreten. US-Präsident Obama wurde als "Gevatter Tod" mit dem Etikettenschild "Kriegstreiber" dargestellt. 74 Interessant ist, dass die neonazistische NPD Solidarität mit dem seinerzeitigen Hauptkriegsgegner (ehemals Sowjetunion, jetzt Russland) zeigt. Dies dürfte auch auf den deutlich antiwestlichen Kurs der russischen Regierung zurückzuführen sein, die dem "an74 Internetseite des NPD-Landesverbandes: "Mahnwache und Straßentheater in Sassnitz" vom 10.03.2015, abgerufen am 11.03.2015 70 gelsächsischen Liberalismus" aus Sicht der Rechtsextremisten ein ihren eigenen Vorstellungen nahestehenden nationalistischen "Wertekanon" entgegenstellt. Putin gilt daher zwischenzeitlich in der rechtsextremistischen Szene als Stichwortgeber. Demonstration zum 1. Mai Am 1. Mai, dem Tag der Arbeit, begehen Rechtsextremisten den von den Nationalsozialisten 1933 eingeführten "Tag der nationalen Arbeit". Es handelt sich um die bedeutsamste öffentliche Veranstaltung des NPD-Landesverbandes im Jahresverlauf. Mit Ausnahme des Jahres 2013 wurden in den letzten fünf Jahren regelmäßig entsprechende Versammlungen mit 300 bis 400 Teilnehmern durchgeführt. Im Jahr 2015 hat der Landesorganisationsleiter der NPD Norman Runge für den 1. Mai 2015 eine Demonstration in Neubrandenburg unter dem Motto "Gute Arbeit hat einen Wert! Gerechtigkeit erkämpfen - Ausbeutung beenden!" angemeldet. Der Aufzug der NPD mit etwa 350 Teilnehmern wurde durch Blockaden gestört und musste vorzeitig beendet werden. Als Redner traten der NPD-Landesvorsitzende Stefan Köster, der NPD-Fraktionsvorsitzende Udo Pastörs sowie der Bundesvorsitzende der JN Sebastian Richter in Erscheinung. Pastörs sprach u. a. von der "Fratze dieses BRD-kapitalistischen Unrechtssystems" sowie dem "faulen Parteiensystem", das beiseite gestoßen werden müsse. Richter thematisierte - entsprechend der von ihm vertretenden völkischen Ideologie - das "System", das das Leben für das eigene Volk erschwere, und betonte die sozialrevolutionäre Botschaft des 1. Mai. Seine Rede schloss mit den Worten "Nationaler Sozialismus" und der Antwort aus der Menge der Demonstrationsteilnehmer "jetzt, jetzt, jetzt". Während des Aufzuges kam es zu Sprechchören "frei, sozial und national".75 75 Internetseite des NPD-Landesverbandes: "Videobericht: 1. Mai Demonstration in Neubrandenburg" vom 02.05.2015, abgerufen am 05.05.2015 71 * Selbstdarstellung der NPD als "Kinderschutzpartei" Die Selbstdarstellung der NPD als "Kinderschutzpartei" äußert sich u. a. wie folgt: * Durchführung kostenloser Kinderfeste * Kampagne "Für die Zukunft unserer Kinder" Die Partei sieht hier neben der Zuwanderungsthematik offenbar eine weitere Möglichkeit propagandistisch in die Mehrheitsgesellschaft hineinzuwirken. Insoweit dürfte der "Kinderschutz" auch im kommenden Landtagswahlkampf der NPD eine Rolle spielen. Kinderfeste der NPD In der Durchführung von Kinderfesten sieht die NPD im Land eine geeignete Aktionsform, um ihre Akzeptanz in der Bevölkerung zu erhöhen und ihre "Kümmererstrategie" fortzusetzen. Die erneut eingesetzten "Maskottchen" sollen offenbar den Wiedererkennungswert erhöhen und gezielt jüngere Kinder ansprechen. Politische Botschaften stehen bei diesen Veranstaltungen zwar nicht im Vordergrund, werden jedoch unterschwellig gleichwohl vermittelt. Die Förderung ausschließlich "deutscher" Kinder ist untrennbar mit der Ausgrenzung "fremder" Volksgruppen verbunden. Das 8. Kinderfest des NPD-Regionalverbandes Uecker-Randow fand am 11. Juli 2015 in Eggesin statt. Hierzu wurde ein Videobericht mit dem NPD-Landesvorstandsmitglied und dem stellvertretenden Kreisvorsitzenden Marko Müller als Sprecher veröffentlicht. Es wurden Kinder bei verschiedenen Spielen und auf einer Hüpfburg gezeigt. Die Satirefigur "Fuchs Reinar" war ebenfalls zu sehen. Den Aufnahmen nach zu urteilen lag die Teilnehmerzahl in diesem Jahr im zweistelligen Bereich. Das vom NPD-Kreisverband Nordvorpommern alljährlich veranstaltete Kinderfest fand am 9. August 2015 bereits zum 14. Mal in 72 der Hansestadt Stralsund statt. Die Veranstaltung hatte mit 250 Teilnehmern regen Zulauf. Erneut wurden die Figuren "Fuchs Reinar", "Kinderfestbär Bruno" sowie "Clown Maex" eingesetzt. 76 Der NPD-Kreisverband Ostvorpommern mit dem NPD-Stadtvertreter und Landtagsabgeordneten Michael Andrejewski führte am 15. August 2015 in Anklam zum fünften Mal die Aktion "Diätenerhöhung für Kinder", ausgestaltet als Kinderfest, durch. Nach eigenen Angaben hätten sich mehr als 200 Personen beteiligt. Das 4. Kinderfest des NPD-Kreisverbandes Mecklenburgische Seenplatte mit dem Verantwortlichen Norman Runge wurde am 12. September 2015 in Neustrelitz mit ca. 40 Teilnehmern durchgeführt. Kampagne "Für die Zukunft unserer Kinder" Die NPD bzw. NPD-beeinflusste Organisationen verwenden häufig Bilder mit Kindern, um sich als Partei zu präsentieren, die sich in besonderem Maße für den Schutz von Kindern einsetzt. Auch trugen zahlreiche asylfeindliche Versammlungen das Motto "Für die Zukunft unserer Kinder". 76 Facebook-Seite des NPD-Kreisverbandes Nordvorpommern, Hinweis auf Kinderfest/Lichtbild veröffentlicht am 10.08.2015, abgerufen am 11.08.2015 73 77 Die Bezugnahme auf die "Zukunft unserer Kinder" spielt auf künftige Generationen an, denen eine - aus Sicht der NPD - lebenswerte Zukunft unter Wahrung der nationalen Identität erhalten bleiben soll. Bereits am 12. August 2015 gab Pastörs unter dem Stichwort "Zuwanderungsbombe" folgende Stellungnahme ab: "Es ist an der Zeit aufzustehen gegen diesen Volksbetrug, der uns nicht nur materiell, sondern auch kulturell massiv bedroht. Das Versteckspiel des deutschen Michels muß beendet werden. Wir wollen keine Asylantenheime! (...) Wer dazu schweigt und keinen politischen Widerstand leistet, macht sich schuldig an der Zukunft unserer Kinder!"78 Die Bezugnahme auf die "Zukunft unserer Kinder" könnte möglicherweise eine Anspielung auf die "legendären 14 Wörter" des amerikanischen Rechtsextremisten David Eden Lane sein: "Wir müssen den Erhalt unseres Volkes sichern und eine Zukunft für weiße Kinder".79 77 Facebook-Seite des NPD-Kreisverbandes Nordvorpommern: "Für die Zukunft unserer Kinder" vom 12.12.2015, abgerufen am 21.12.2015 78 Internetseite des NPD-Landesverbandes: "Die Zuwanderungsbombe tickt" vom 12.08.2015, abgerufen am 31.08.2015 79 vgl. Broschüre "Rituale und Symbole der rechtsextremistischen Szene", Hrsg.: Ministerium für Inneres und Sport Mecklenburg-Vorpommern, Abteilung Verfassungsschutz, 1. Auflage Juli 2015 74 2.10.1 "Junge Nationaldemokraten" (JN) Nach der Wahl des im Landkreis Ludwigslust-Parchim wohnhaften Sebastian Richter zum Bundesvorsitzenden wurde 80 das Büro der JN-Bundesführung nach Lübtheen im Landkreis Ludwigslust-Parchim verlegt. Von dort aus werde, so Richter, das Organisationsleben der JN gesteuert, bestehend aus dem "Dreiklang Bildung, Gemeinschaft und Aktivismus". Gemeinschaftsgefühl soll durch jugendgemäße Veranstaltungen - Zeltlager, Auslandsfahrten und Sportveranstaltungen - erzeugt werden. Die JN wolle durch Aufzeigen einer "ganzheitlichen "nationalistischen Weltanschauung" in alle Lebensbereiche eingreifen. Diesbezüglich würden Konzeptionen für ein bundesweites Angebot erarbeitet, was nach Aussage von Richter "keine Kameradschaft und keine Kleinstpartei" leisten könne. Die JN wolle den "wichtigen (NPD-)Landtagswahlkampf in Mecklenburg und Pommern" im Jahr 2016 zu unterstützen.81 * Aktivitäten im Jahr 2015 Die JN-Bundesführung hatte am 30. Januar 2015 auf ihrer Internetseite mitgeteilt, anlässlich des 70. Jahrestages der Bombardierung Dresdens im Jahr 1945 eine CD "Aufklärungsmaterial" an Schulen in ganz Deutschland versandt zu haben. Am 4. Februar 2015 wurde bekannt, dass eine CD und zwei Flugblätter der JN über die Post im Albert-Einstein-Gymnasium in Neubrandenburg eingegangen sind. Mit Schreiben vom 21. Januar 2015 ist auch dem Hansa-Gymnasium in Stralsund eine CD und ein dazugehöriger Flyer zugegangen. Im Anschreiben wies der Bundesvorsitzende Sebastian Richter darauf hin, dass beiliegende CD unabdingbar für einen objektiven Geschichtsunterricht sei. Ziel dieser Aktion sei es, Schüler über die Bombardierung Dresdens am 13. und 14. Februar 1945 aufzuklären. Denn der schulische Geschichtsunterricht be80 Facebook-Seite der "JN Mecklenburg und Pommern", abgerufen am 18.12.2015 81 "Deutsche Stimme", Ausgabe März 2015, Seite 4 75 handle die Ereignisse des 2. Weltkrieges nicht neutral und betrachte die Folgen des Krieges nur einseitig. Sowohl im Redebeitrag auf der CD als auch im Flyer wurde die im NS-Regime propagierte Volksgemeinschaft als lobenswert hervorgehoben und für die Gegenwart gefordert. Die Bundesführung der JN rief im Internet außerdem mehrfach zum "15. Selbstverteidigungsseminar", einem "Nervendruck-Seminar", am 24. Oktober 2015 in "Mitteldeutschland" auf. Dabei sollte laut Ankündigung u. a. "Wissenswertes rund um Schlag-, Hebel-, Trittund Nervendrucktechniken" vermittelt werden. Tatsächlich wurde die Schulung nach Angaben der JN vom rechtsextremistischen Verein "Sportfreunde Griese Gegend e.V." durchgeführt, da sich in den letzten Wochen "national eingestellte Menschen immer öfter Angriffen von Ausländern oder Antifaschisten ausgesetzt" sehen würden. 82 Der Verein "Sportfreunde Griese Gegend e.V." mit Sitz in Lübtheen ist bereits im März 2013 im Zusammenhang mit der Durchführung eines sogenannten "Nervendruck-Seminars" bekannt geworden. Es ist eine immer wieder feststellbare Strategie von Rechtsextremisten, Kampfausbildungen und Waffenbeschaffungen mit der Notwendigkeit einer Selbstverteidigung zu rechtfertigen. * "Antikapitalismuskampagne" Die JN-Bundesführung hat im April 2015 mit Blick auf das Gipfeltreffen der Finanzminister und Notenbankchefs der sieben führenden Industrienationen (G7) vom 27. bis 29. Mai 2015 in Dresden die bundesweite "Antikapitalismuskampagne 2015" ins Leben gerufen.83 Das gegenwärtige Wirtschaftssystem wurde in diesem Zusammenhang als "verbrecherisch" und "asozial" bezeichnet. Die Ursache für die "Ausbeutung von Mensch und Umwelt" sei aber nicht bei den "Besitzenden", sondern vor allem in der "Zirkulationsebene des Geldes", dem "Zinseszins," zu suchen. Das "Streben nach Privateigentum" sei hingegen 82 Internetseite des JN-Bundesverbandes: "JN trifft den Nerv der Zeit" vom 28.10.2015, abgerufen am 05.11.2015 83 Internetseite des JN-Bundesverbandes: "Sächsischer JN-Landeskongress im Zeichen der Gemeinschaft" vom 22.03.2015, abgerufen am 23.03.2015 76 "natürlich". Gefordert wurde von den JN ein "gerechtes Geldsystem innerhalb einer raumorientierten Volkswirtschaft".84 Im Rahmen dieser Kampagne haben sich einige JN-Stützpunkte hauptsächlich in Sachsen, aber auch Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern am 27. Juni 2015 an einem bundesweiten "antikapitalistischen Putzaktionstag" beteiligt. Es wurden Lichtbilder von Putzaktionen wie das Entfernen von Graffiti und das Einsammeln von Müll in verschiedenen Orten in Sachsen, Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern ins Internet gestellt. Die Aktionen haben gezeigt, dass der Schwerpunkt der JN-Aktivitäten offenbar nach wie vor in Sachsen liegt. * Haltung in der Flüchtlingsfrage Der Bundesverband der JN hat sich auf seiner Facebook-Seite zu den Hintergründen seiner Kritik am "Asyl-System der BRD" geäußert. Dabei hat er eingangs betont, dass "oberster Bezugspunkt nationalistischer Politik die Verantwortung für Überleben und Fortbestand des deutschen Volkes in seinem angestammten mitteleuropäischen Lebensraum" sei. "Massenzuwanderung und die Veränderung der ethnischen Mehrheiten in den urbanen Ballungsräumen" würden die JN als "Anschlag auf die Integrität und Identität" des deutschen Volkes konsequent ablehnen. Das "sichtbarste Zeichen der ungebremsten Überfremdung" sei die "expansive Ausbreitung des Islam". Anschließend wird auf die "überdurchschnittliche Kriminalitätsbelastung durch nichtdeutsche Tatverdächtige", die "durch Masseneinwanderung" verursachten den Sozialstaat gefährdenden Kosten sowie die - so die JN - "geringe schulische und berufliche Qualifikation der hier lebenden Ausländer" hingewiesen. Die "völlig verfehlte Zuwanderungspolitik der etablierten Parteien" bewirke in erster Linie eine "Zuwanderung in die deutschen Sozialsysteme und eine weitere unverantwortliche Belastung der deutschen Steuerzahler".85 Der JN-Bundesvorsitzende Sebastian Richter hat zudem Flüchtlinge als "Armee des Kapitals" bezeichnet und "nicht nur das Ende der Asylflut, 84 Internetseite des JN-Bundesverbandes: "Kapitalismus tötet!" vom 14.04.2015, abgerufen am 15.04.2015 85 Facebook-Seite des JN-Bundesverbandes: "Völkerwanderung und Identität" vom 24.08.2015, abgerufen am 25.08.2015 77 sondern eine radikale soziale und nationalistische Revolution" gefordert.86 Richter griff hier Themen auf, die sich auch in den an der Zahl zunehmenden asylgegnerischen Facebook-Auftritten wiederfinden, deren eindeutige Zuordnung zum Rechtsextremismus nicht immer möglich ist. Hinweise auf die Folgelasten des Flüchtlingsstromes und die Ängste vor den möglicherweise dadurch entstehenden sozialen Problemen finden sich dort zuhauf. Insoweit hat Richter hier durchaus Stimmungen in der Bevölkerung aufgenommen, auch wenn diese zumeist nicht so weit gehen, eine Revolution zu fordern. Der Beitrag Richters zeigte zugleich deutlich, dass die JN trotz der Verbotsdiskussion nicht von der nationalistisch/völkischen Ideologie abrücken. Dies ist wohl auch nicht zu erwarten. * Regionale Strukturen der JN 87 Der JN-Landesverband war im Jahr 2015 als eigene Struktur nicht öffentlich wahrnehmbar. Vereinzelt sind jedoch Aktivitäten der "JN Pommern" mit Sitz in Anklam bekannt geworden. So hatte sich die JN-Untergliederung bereits mit einem Transparent an der Demonstration der NPD am 1. Mai 2015 in Neubrandenburg beteiligt. Am 20. Juni 2015 veranstalteten die JN Pommern eine typisch rechtsextremistische Sonnenwendfeier. 86 Facebook-Seite des JN-Bundesverbandes: "Kapitalnomaden" vom 18.11.2015, abgerufen am 19.11.2015 87 Internetseite des NPD-Landesverbandes: "Der 1. Mai in Neubrandenburg (Stand: 18:30 Uhr)" vom 01.05.2015, abgerufen am 05.05.2015 78 2.10.2 NPD-Frauenorganisation "Ring Nationaler Frauen" (RNF) 88 Die im Jahr 2014 verstärkt festgestellten Aktivitäten des RNF, die wohl in erster Linie auf die neue RNF-Landesvorsitzende in Mecklenburg-Vorpommern Antje Mentzel zurückzuführen waren, wurden im Jahr 2015 nahezu vollständig eingestellt. Mentzel trat allerdings im Rahmen der Organisationsebene der MVGIDA in Erscheinung und war auch Verantwortliche des dortigen Facebook-Auftritts. Insofern ist sie als eine der wenigen Frauen innerhalb der rechtsextremistischen Szene mit Leitungsfunktion anzusehen. Beim Rechtsrock-Konzert "Rock für Meinungsfreiheit" am 23. Mai 2015 in Hildburghausen/Thüringen mit ca. 1.500 Teilnehmern wurde von Mentzel und einer weiteren Rechtsextremistin aus Mecklenburg-Vorpommern der RNF-Infotisch betreut. Mentzel habe in einem Redebeitrag u. a. die "Frühsexualisierung an Kitas und Schulen" kritisiert.89 88 Facebook-Seite der RNF vom 04.06.2015, abgerufen am 18.12.2015 89 Internetseite der RNF: "Erfolgreicher Infotisch auf dem Rock für Meinungsfreiheit" vom 01.06.2015, abgerufen am 03.06.2015 79 2.11 Sonstige rechtsextremistische Parteien/ "Die Rechte Kreisverband Schwerin" und "Der III. Weg" 90 Obwohl der Bundesvorsitzende der Partei "Die Rechte" Christian Worch in Mecklenburg-Vorpommern ansässig ist, existiert nach wie vor kein Landesverband. Ein im November 2015 festgestellter "Kreisverband Schwerin", der sich offensichtlich aus der Neonaziszene heraus bildete, löste sich kurze Zeit später wieder auf. Der damit verbundene kurzfristige Mitgliederaufwuchs fand damit ein rasches Ende. 91 Von einer weiteren rechtsextremistischen Partei, "Der III. Weg", gingen bislang in Mecklenburg-Vorpommern ebenfalls keine Aktivitäten aus. Diese Partei wurde am 28. September 2013 in Heidelberg/ Baden-Württemberg insbesondere von ehemaligen Angehörigen des rheinland-pfälzischen NPD-Landesvorstands gegründet. In Mecklenburg-Vorpommern hat sich die Partei weder an einer Landtagswahl, die zuletzt am 4. September 2011 stattfand, noch an den zuletzt am 25. Mai 2014 durchgeführten Kommunalwahlen beteiligt. Beim "Heldengedenken" am 14. November 2015 in Waren (Müritz) mit ca. 10 Teilnehmern, bei dem die NPD-Stadtvertreterin Doris Zutt als Rednerin auftrat, waren nach eigenen Angaben neben NPD-Mitgliedern und "Freien Aktivisten" allerdings erstmals auch Mitglieder Partei "Der III. Weg" zugegen. 90 Facebook-Seite "Die Rechte Kreisverband Schwerin" vom 24.11.2015, abgerufen am 18.12.2015 91 Facebook-Seite "Der III. Weg" vom 04.10.2014, abgerufen am 21.12.2015 80 2.12 Nutzung des Internets durch Rechtsextremisten * "MUPINFO - Nachrichten für Mecklenburg und Pommern" Der in den Vorjahren durch den NPD-Landtagsabgeordneten David PETEREIT verantwortete Internetauftritt MUPINFO-Nachrichten für Mecklenburg und Pommern, wurde im Frühjahr des Jahres 2015 abgeschaltet. Allerdings wird unter gleichem Namen noch ein Facebook-Auftritt gepflegt. Er verfügt jedoch nicht über die gleiche Aktualität wie der Internetauftritt und verweist häufig auf andere Internetseiten. * "THIAZI-Forum" Am 22. Oktober 2015 verurteilte das Landgericht Rostock einen 34-jährigen deutschen Staatsangehörigen wegen Rädelsführerschaft in einer kriminellen Vereinigung in Tateinheit mit Volksverhetzung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten. Darüber hinaus ordnete das Gericht u. a. den Verfall von Wertersatz in Höhe von insgesamt mehr als 11.000 EUR an. Die Richter sahen es als erwiesen an, dass er als hauptverantwortlicher Administrator dem Betreiberteam des ehemals größten deutschsprachigen rechtsextremistischen Forums angehörte. Drei weitere Mitglieder dieses Betreiberteams waren bereits am 12. Juni 2015 durch das Landgericht Rostock zu Haftstrafen auf Bewährung sowie zur Leistung gemeinnütziger Arbeit verurteilt worden. Da die Verurteilten und die Staatsanwaltschaft auf Rechtsmittel verzichteten, ist das Urteil rechtskräftig. Das "Thiazi-Forum" war das bedeutendste deutschsprachige rechtsextremistische Internetforum. Mit Stand Juni 2012 gab es dort etwa 30.000 registrierte Nutzer. Dort fanden sich unter anderem Liedtexte mit volksverhetzendem Inhalt sowie Beiträge, in denen zu gewalttätigen Übergriffen u. a. auf Ausländer, Juden und Menschen anderer Hautfarbe aufgestachelt wurde. Die Herausbildung einer neuen Internetplattorm in diesen Dimensionen konnte bislang nicht festgestellt werden. 81 * Facebook als fremdenfeindlicher Propagandaapparat Infolge der Gesamtentwicklung war im Berichtszeitraum die Erstellung einer Vielzahl von Facebook-Profilseiten, die sich vorrangig gegen die aktuelle Asylpolitik richteten, zu beobachten. Häufig firmieren sie unter dem Label "...wehrt sich". Inhaltlich wird hierbei vor allem die gegenseitige Verlinkung 92 genutzt, um Aktualität und Substanz zu suggerieren. Auffällig war eine relativ hohe Anzahl von "gefällt mir"-Angaben. Dies deutet auf einen größeren Sympathisantenkreis hin. Insgesamt hat sich die Nutzung sozialer Netzwerke innerhalb der rechtsextremistischen Szene mittlerweile etabliert. Klassische Internetseiten werden in aller Regel durch Facebook-Auftritte ergänzt, die für eine höchstmögliche Aktualität sorgen sollen. 92 Facebook-Auftritt vom 03.12.2015, abgerufen am 30.12.2015 82 3 Linksextremismus 3.1 Lageüberblick Das linksextremistische Spektrum ist in sich breit gefächert und vertritt im Einzelnen ideologisch voneinander abweichende Positionen. Gemeinsames Ziel aller Linksextremisten ist jedoch, die bestehende Staatsund Gesellschaftsordnung zu beseitigen. Ihre Bestrebungen richten sich letztlich gegen grundlegende Prinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, da sie entweder einen marxistisch-leninistischen Staat oder eine "herrschaftsfreie Gesellschaft" anstreben und bei tagespolitischen Auseinandersetzungen häufig auch zu gewalttätigen Formen des politischen Engagements greifen. Mit Blick auf die polizeilich festgestellte extremistische Gewaltkriminalität ist dabei festzuzuhalten, dass die Zahl der Straftaten zugenommen hat und der Modus der Begehung deutlich aggressiver wurde (vgl. 3.2.2). Eine Ursache für diese Zunahme an linksextremistisch motivierten Straftaten dürfte darin liegen, dass es im Zuge der aktuellen Flüchtlingssituation zahlreiche Demonstrationen, Aufmärsche und Protestkundgebungen gab, bei denen es zu so genannten Links-Rechts-Auseinandersetzungen kam. Da linksextremistische Bestrebungen im Lande mangels eigener Konzepte weitgehend darin bestehen, auf Aktivitäten rechtsextremistischer oder als solcher wahrgenommener Organisationen zu reagieren, bildeten im Berichtszeitraum Proteste gegen Anti-Flüchtlingsdemonstrationen und deren Teilnehmer ein Hauptbetätigungsfeld - wobei ausdrücklich hervorzuheben ist, dass entsprechende Proteste nicht pauschal als linksextremistisch eingestuft werden. Ein typisches Handlungsmuster von Linksextremisten besteht darin, sich zivilgesellschaftlichen Initiativen anzuschließen und zu versuchen, auf deren Zielsetzungen Einfluss zu nehmen. Zudem nutzen sie oftmals die größeren Menschenmengen solcher zivilgesellschaftlicher Initiativen oder allgemein von bürgerlichen Protestaktionen, um ihre gewalttätigen Handlungen weniger leicht vorhersehbar zu machen und deren Verfolgung zu erschweren. 83 Die Flüchtlingssituation nutzten Linksextremisten im Jahr 2015 propagandistisch, um zugleich mehrere linksextremistische Aktionsfelder abzudecken: Ursachen für Armut und Flucht werden pauschal "dem Kapitalismus" zugerechnet (= Aktionsfeld "Antikapitalismus"); Initiatoren von Demonstrationen gegen die Aufnahme von Flüchtlingen gelten als rechtsextremistisch (= Aktionsfeld "Antifaschismus"); deren Motivation wird als Rassismus gesehen (= Aktionsfeld "Antirassismus"); polizeiliche Einsätze gegen unfriedliche Gegendemonstranten sind nach linksextremistischer Lesart Ausdruck der als unangemessen empfundenen staatlichen Repression (= Aktionsfeld "Antirepression"). Ein "Aufruf zum Widerstand gegen MVGIDA" der aus Mecklenburg-Vorpommern betriebenen linksextremistischen Internetplattform "Kombinat Fortschritt"93 sieht entsprechend die Teilnehmer der Protestdemonstrationen gegen Flüchtlinge undifferenziert als Rechtsextremisten, deren Rassismus von Seiten des kapitalistischen Staates unterstützt und honoriert werde: "Die besorgten Anwohner_innen, privilegierten Wutbürger_innen, marginalisierten Sozialneider_innen, Verteidiger_innen des 'Abendlandes', Stammtischrassist_innen, geistige Brandstifter_innen und Neonazis liegen deshalb vereint in den Schützengräben ihres kulturellen Ghettos, zur Verteidigung vor allem was ihnen fremd scheint. [...] Politisch Verfolgten Asyl zu gewähren, sei zwar 'Menschenpflicht', die aber auch eine Obergrenze kennt. Besonders müsse aber zwischen Politischenund Wirtschaftsflüchtlingen unterschieden werden. [...] Denn die Unterscheidung [zwischen politischen und Wirtschaftsflüchtlingen] verschleiert die Zusammenhänge hinter Armut und Flucht. Schließlich kann es im Kapitalismus, Gewinnende nicht ohne Verlierende geben. So resultiert der Wohlstand Einiger aus der Ausbeutung Vieler. Während den vor Ausbeutung Flüchtenden klar 93 Internetseite von "Kombinat Fortschritt" vom 11. November 2015, abgerufen am 12. November 2015 84 gemacht wird, dass Boote voll und ein Staat nicht das 'Sozialamt der Welt' sei, garantiert der Staat den Fortbestand der Ausbeutungsverhältnisse. So ist die staatliche Einwanderungsgenehmigung kein humanistisches Zugeständnis sondern Ausdruck kapitalistischer Verwertungslogik." (Schreibweise wie im Original) Das vorstehende Zitat unterstreicht, inwieweit die Aktionsfelder im ideologischen Verständnis von Linksextremisten in einem unmittelbaren Zusammenhang stehen. Die Ursachen für Rassismus sehen diese gleichfalls in der von Klassengegensätzen, Ausbeutung und Unterdrückung geprägten kapitalistischen Gesellschaft. Dem demokratischen Rechtsstaat werfen sie hierbei vor, durch seine vermeintlich rassistische Grundausrichtung rechtsextremistische Strukturen zu fördern. 3.2 Linksextremismus in Mecklenburg-Vorpommern im Jahre 2015 Im Berichtszeitraum kam es im Lande wie in den Vorjahren zu Strafund Gewalttaten mit linksextremistischem Hintergrund, die gewaltbereiten Linksextremisten, insbesondere Autonomen, zuzurechnen sind. Angriffsziele waren, wie bereits angedeutet, nicht nur etablierte rechtsextremistische Personenzusammenschlüsse, wie NPD oder Neonationalsozialisten, sondern auch Anhänger von Organisationen, die sich gegen die Aufnahme von Flüchtlingen wandten und entsprechende Demonstrationen initiierten. 85 3.2.1 Personenpotenzial Personenpotenzial der linksextremistischen Organisationen 2015 in Mecklenburg-Vorpommern M-V M-V Bund Bund 2014 2015 2014 2015 Gewaltbereite Linksextre270 270 7.600 7.70095 misten94 Rote Hilfe e.V. 120 170 6.500 7.000 Deutsche Kommunistische 40 40 3.000 3.000 Partei (DKP) Marxistisch-Leninistische 20 20 1.800 1.800 Partei Deutschlands (MLPD) Sozialistische Alternative 20 25 350 300 (SAV) Sozialistische Deutsche 20 10 500 500 Arbeiterjugend (SDAJ) Gesamt96 410 430 27.200 28.000 949596 3.2.2 Linksextremistisch motivierte Straftaten Im Jahr 2015 wurden im Phänomenbereich "Links" der politisch motivierten Kriminalität insgesamt 165 Straftaten (Vorjahr: 190) durch das Landeskriminalamt Mecklenburg-Vorpommern festgestellt, darunter 76 (Vorjahr: 44) linksextremistische Taten und davon 63 Gewalttaten (Vorjahr: 34). Die wöchentlich stattfindenden Protestdemonstrationen gegen die weitere Aufnahme von Flüchtlingen boten dabei immer wieder die Möglichkeit, einzelne Teilnehmer anzugreifen. Dabei kam es zu Körperverletzungen, erheblichen Sachschäden und auch Brandan94 Die Begriffe "gewaltbereite Linksextremisten" und "Autonome" werden weitgehend synonym verwendet. 95 Seit 2014 wird beim Bund die Anzahl gewaltorientierter Linksextremisten angegeben, in der die Zahl der gewaltbereiten Linksextremisten als Teilmenge enthalten ist. 96 Gesamtzahl von Mecklenburg-Vorpommern und Bund um Mehrfachmitgliedschaften bereinigt. Die Gesamtzahl des Bundes umfasst auch Organisationen, die in Mecklenburg-Vorpommern nicht vertreten sind bzw. nicht beobachtet werden. 86 schlägen auf Pkw, in denen sich die besondere Qualität offenkundig vorbereiteter linksextremistischer Gewalt offenbarte. Insgesamt kann zudem die Tendenz festgestellt werden, dass die Hemmschwelle zur Begehung von Gewalt gegen Personen und deren Eigentum, die nicht zur rechtsextremistischen Szene zu zählen sind, gesunken ist. Als Beispiele sind insoweit die Übergriffe auf Mitglieder der Partei AfD zu nennen sowie auf Angehörige von Studentenverbindungen. Zu besonders erwähnenswerten Strafoder Gewalttaten im Einzelnen vgl. die nachfolgenden Darstellungen zu den linksextremistischen Aktionsfeldern. 3.3 Undogmatischer Linksextremismus 3.3.1 Aktionsfeld "Antifaschismus" Die Bekämpfung des "Faschismus" ist - nicht zuletzt aufgrund der Vermittelbarkeit des Themas gegenüber größeren Teilen der Bevölkerung - das Hauptaktionsfeld von Linksextremisten. Unter Rückgriff auf die von dem damaligen Vorsitzenden der Kommunistischen Internationale (Komintern) Georgi Dimitroff im August 1935 in Moskau aufgestellte These, wonach der Faschismus "die offene terroristische Diktatur der reaktionärsten, am meisten chauvinistischen, am meisten imperialistischen Elemente des Finanzkapitals"97 sei, ist der Faschismus nach linksextremistischem Verständnis dem Kapitalismus immanent. Demzufolge richtet sich die Bekämpfung des "Faschismus" nach Auffassung der Linksextremisten nicht nur "gegen Nazis", sondern den Kapitalismus, den bürgerlichen Staat, seine Institutionen und die bürgerliche Gesellschaft, also die kapitalistische Wirtschaftsund Gesellschaftsordnung. Einig sind sich die Linksextremisten in ihrem Ziel der gewaltsamen Zerschlagung des Staates und seiner Einrichtungen. Um diesem Ziel näher zu kommen, nutzen sie aktuelle politische Fragen für ihre Zwecke und versuchen durch geschickte Agitation, auch demokratische Protestbewegungen für 97 Georgi Dimitroff, Die Offensive des Faschismus und die Aufgaben der Kommunistischen Internationale im Kampf für die Einheit der Arbeiterklasse gegen den Faschismus, in: "Gegen Faschismus und Krieg. Ausgewählte Reden und Schriften, Leipzig 1982, Seite 52 87 ihren Kampf zu mobilisieren. Der Kampf gegen den Rechtsextremismus bietet dabei eine willkommene Gelegenheit, um sich unter die Teilnehmer von anderen bürgerlichen Gegenveranstaltungen zu mischen. Das Ziel der Autonomen, rechtsextremistische Veranstaltungen als "Antifaschistische Aktion" 98 zu verhindern oder wenigstens zu stören, stand auch im vergangenen Jahr bei den teilweise äußerst aggressiv geführten Gegenprotesten im Vordergrund. Dies ist auch ursächlich für die sprunghaft angestiegenen linksextremistischen Straftaten im Jahr 2015. Daher sind auch im Jahr 2015 wiederum die meisten linksextremistischen Vorfälle diesem Kontext zuzuordnen. Folgende Einzelsachverhalte sind hervorzuheben: * Proteste gegen NPD-Versammlung am 1. Mai 2015 in Neubrandenburg An den Protesten gegen eine vom NPD-Landesverband in Neubrandenburg angemeldete Demonstration beteiligten sich mehrere hundert Personen überwiegend friedlich. Seitens der beteiligten gewaltbereiten Linksextremisten kam es zu körperlichen Auseinandersetzungen mit Polizeibeamten, indem versucht wurde, die Polizeikette zu überwinden, um zu den Teilnehmern der rechtsextremistischen Versammlung zu gelangen. Zudem wurde die rechtsextremistische Versammlung mehrfach mit Feuerwerkskörpern beworfen. 98 Logo "Antifaschistische Aktion" aus Internetseite "wikipedia", abgerufen am 19.01.2016 88 * Ausschreitungen bei Protesten gegen Trauermarsch am 8. Mai 2015 in Demmin Gegen den von einem Mitarbeiter der NPD-Landtagsfraktion als Privatperson angemeldeten "Trauermarsch" am 8. Mai in Demmin demonstrierten mehrere hundert Personen aus dem zivilgesellschaftlichen Bereich friedlich. Unter den rund 500 Gegendemonstranten befanden sich jedoch auch gewaltbereite Linksextremisten, die den Straßenverkehr blockierten und versuchten, den von der Polizei abgesperrten Antreteplatz der rechtsextremistischen Versammlungsteilnehmer zu erreichen. Dabei kam es zu körperlichen Auseinandersetzungen mit Polizeibeamten, in deren Verlauf die Polizei Reizstoffgas und auch Schlagstöcke einsetzen musste. * Rechts-/Linksauseinandersetzung am 30. Mai 2015 in Güstrow Während einer angemeldeten Kundgebung gegen Rassismus wurden von Angehörigen des linken und des lokalen rechten Spektrums Stühle und Tische ansässiger Gastronomiebetriebe aufeinander geworfen. Der Vorfall führte zu Ermittlungen wegen Landfriedensbruchs. * Farbanschlag auf Wohnhaus am 14. Juli 2015 in Waren Auf das Haus einer NPD-Stadtvertreterin wurde ein massiver Farbanschlag verübt, indem mit Hilfe eines Wurfgeschosses und eines Feuerlöschers orange Farbe und eine dunkle Flüssigkeit auf große Teile der Fassade aufgebracht wurden. Das Gebäude dient auch der örtlichen rechtsextremistischen Szene als Treffort. Die Gesamtumstände der Tat deuten hier unmissverständlich auf einen linksextremistischen Tathintergrund hin. * Outingaktionen Zu den Schwerpunkten der "Antifaschismusarbeit" von Linksextremisten gehören die Veröffentlichungen von Recherchen zu tatsächlichen oder vermeintlichen Rechtsextremisten. Durch das 89 Veröffentlichen von Benutzernamen, unter denen die vermeintlichen Angehörigen der rechtsextremistischen Szene in sozialen Netzwerken zu finden sind, werden zugleich auch Kontakte verbreitet und wird möglicherweise zu militanten Aktionen animiert. Persönlichkeitsrechte werden den "Outing-Opfern" abgesprochen; Personen aus dem rechten Milieu hätten kein Recht auf Menschenwürde und Rechtsstaatlichkeit, lautet ein gängiges Argument der Rechercheteams. Einige Zielpersonen werden langfristig observiert oder heimlich bei Demonstrationen oder im sozialen Umfeld fotografiert. Derartige "Outingaktionen" wurden im Jahr 2015 u. a. im Raum Greifswald, in Waren und in Neubrandenburg durchgeführt. * Brandstiftungen an Kraftfahrzeugen des politischen Gegners * Brandstiftungen an zehn Fahrzeugen am 23. Oktober 2015 in Stralsund Wenige Stunden nach der Kundgebung der "MV Patrioten" unter dem Motto "MV wehrt sich" und einer Gegenversammlung des Aktionsbündnisses "Stralsund für alle" wurden am 23. Oktober 2015 in Stralsund zehn Kraftfahrzeuge in Brand gesetzt. Einige der zerstörten Fahrzeuge gehörten Teilnehmern der Kundgebung der "MV Patrioten". Bereits einen Tag nach dem Brandanschlag wurde auf einer von der linksextremistischen Szene als zentrales Info-Portal genutzten Internetseite unter der Überschrift "Zehn Nazikarren angezündet" der Brandanschlag begrüßt. Wörtlich heißt es dort: "Dies zeigt einmal mehr, dass antifaschistische Aktionen machbar, effektiv und notwendig sind! Wir sind dankbar und freuen uns sehr über die gelungene Aktion!" 90 99 Bemerkenswert ist nicht nur die Tat selbst, sondern auch die Tatsache, dass der Brandanschlag auf den entsprechenden Internetportalen als quasi vorbildliche Tat gelobt wurde. Die sehr wahrscheinliche Tatbeteiligung von Personen des linksextremistischen Spektrums kann dabei auch mit Blick auf die massive Schadenshöhe der Tat nicht als kleinkriminelle Handlung abgetan werden. * Weitere Brandstiftungen an Fahrzeugen Weitere Brandstiftungen mit politisch motiviertem Hintergrund wurden am 12. Januar 2015 am Fahrzeug eines AfD-Mitglieds in Stralsund sowie am 19. August 2015 am Kfz eines NPD-Mitglieds in Güstrow begangen. Darüber hinaus wurde am 28. Juni 2015 versucht, zwei Fahrzeuge auf dem Gelände des Polizeireviers in Rostock-Lichtenhagen anzuzünden. Täter konnten nicht ermittelt werden. 3.3.2 Aktionsfeld "Antirassismus" Linksextremisten widmen sich verstärkt dem Thema "Antirassismus". Insbesondere am Rande von asylkritischen Versammlungen, aber auch im Zuge von eigens veranstalteten antirassistischen Kundgebungen, kam es wiederholt zu körperlichen Auseinandersetzungen zwischen Linksund Rechtsextremisten. Die öffentliche Debatte zur Flüchtlingsproblematik wird auch von Linksextremisten genutzt, um 99 Internetseite "linksunten.indymedia", abgerufen am 24.10.2014 91 das Agitationsfeld "Antirassismus" aufzuwerten und in Verbindung mit anderen Aktionsfeldern für ihre eigenen politischen Ziele zu befördern. Die aktuelle Flüchtlingssituation sowie die damit einhergehende Debatte um die Integration von Asylbewerbern und mögliche Auswirkungen auf die Gesellschaft, werden genutzt, um staatliche Einrichtungen eines "institutionellen Rassismus" zu bezichtigen und der Gesellschaft insgesamt einen "strukturellen Rassismus" zu unterstellen, der quasi eine zwingende Folge des Kapitalismus darstelle. Letzterer sei die wesentliche Ursache für Armut, Elend, Hunger, Umweltzerstörung und Krieg und damit die ausschließliche Grundlage aller sozialen, ökologischen und politischen Probleme. Die aktuellen Sorgen hinsichtlich der Integration der Flüchtlinge sind nach Lesart der Linksextremisten "nur" kapitalistische Sorgen um den eigenen Wohlstand, den Arbeitsplatz oder z. B. die Wohnung. 3.3.3 Aktionsfeld "Antirepression" Innerhalb des Aktionsfeldes "Antirepression" kritisieren Linksextremisten den - aus ihrer Sicht - permanenten Ausbau des staatlichen Überwachungsapparates und die als unangemessen empfundenen staatlichen Maßnahmen gegen Angehörige der linksextremistischen Szene. Unterstützung in der (juristischen) Auseinandersetzung mit der "staatlichen Repression" erhalten die Betroffenen von politischen Hafthilfeorganisationen, wie z. B. dem "Rote Hilfe e. V." (RH): Der Verein "Rote Hilfe e. V." ist ein wichtiger Bestandteil der bundesweiten linksextremistischen Szene. Die nach eigenen Angaben "wichtigste und größte Antirepressionsorganisation in Deutschland" leistet dem linksextremistischen Spektrum als "parteiunabhängige, strömungsübergreifende linke Schutzund Solidaritätsorganisation" materielle und politische Hilfe in erheblichem Maße. Zu nennen sind hier in erster Linie Unterstützungsleistungen finanzieller, politischer und juristischer Art für vorwiegend linksextremistische Aktivisten, die mit dem Gesetz in Konflikt geraten sind. Aber auch die Durchführung entsprechender Informationsveranstaltungen und interner Gruppentreffen oder das Bereitstellen so genannter "Ermittlungs92 ausschüsse" bei einschlägigen Demonstrationen, gehören zu den wahrnehmbaren Agitationsfeldern der Organisation. Neben der Ortsgruppe Greifswald bildet die Ortsgruppe Rostock der RH die zweite Regionalorganisation in Mecklenburg-Vorpommern. Auf ihrer Internetseite hat die Ortsgruppe Rostock angekündigt, ab September 2015 einmal monatlich eine Informationsund Beratungsveranstaltung in Rostock durchzuführen. 100 101 Die Ortsgruppen Rostock und Greifswald der RH unterstützen öffentlich einen wegen versuchten Totschlags und gefährlicher Körperverletzung zum Nachteil eines Polizeibeamten angeklagten Rostocker Fußballfan, der dem linksextremistischen Personenspektrum zugerechnet wird. Im Zusammenhang mit diesem Prozess wurde im August 2015 eine so genannte "Soligruppe" gegründet, die den Ermittlungsund Justizbehörden "gezielte Repression" vorwerfen. In einer Erklärung zum Ende des Jahres heißt es: "Seitens der Staatsanwaltschaft, aber vor allem auf richterlicher Seite wird immer wieder ein starker Verurteilungswille erkennbar. Die oben benannten Versuche, Schubi zu kriminalisieren und aus ihm einen gewaltenthemmten Hooligan und vor allem Antifaschisten zu konstruieren, die Aussagen der Polizisten, die deutlich dem Videomaterial widersprechen und die Vorenthaltung von möglichem entlastendem Videomaterial zeigen, dass man von der Gel100 Internetseite "rotehilferostock", abgerufen am 04.01.2016 101 Internetseite "rotehilfegreifswald", abgerufen am 24.01.2014 93 tung der Unschuldsvermutung in diesem Prozess nicht ausgehen kann, gar von einer einseitigen Konstruktion von Beweisen ausgehen muss, die einer Vorverteilung dienlich sind. [...] Solidarisiert euch mit ihm. Zeigt ihm und allen anderen, dass er nicht alleine ist! Informiert andere über den Fall! Und denkt immer daran: Getroffen hat es einen - gemeint sind wir alle." 3.4 Dogmatischer Linksextremismus Linksextremistische Parteien und Gruppierungen bemühen sich weiterhin durch massive Kritik an den "herrschenden Verhältnissen" ihren sozialistischen und kommunistischen Zielen näher zu kommen. In Mecklenburg-Vorpommern ist der dogmatische Linksextremismus jedoch weiterhin nicht von größerer politischer Bedeutung. Die "Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands" (MLPD) und die "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP) verfügen über Ortsgruppen in Schwerin und Rostock. Die Jugendorganisation der DKP, die "Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend" (SDAJ), wird koordiniert durch den "SDAJ-Landesverband Waterkant". Daneben bestehen in Mecklenburg-Vorpommern einige Regionalgruppen des "RotFuchs-Fördervereins", die zum Bereich der orthodoxen Kommunisten zählen. 102 103 102 Internetseite "Deutsche Kommunistische Partei", abgerufen am 19.01.2016 103 Internetseite "Sozialistische Alternative", abgerufen am 19.01.2016 94 104 Die Organisationen und Parteien des dogmatischen Linksextremismus traten im Berichtszeitraum außenwirksam kaum in Erscheinung. Im Wesentlichen veranstalteten sie Mitgliedertreffen und interne Schulungen. Darüber hinaus beteiligten sie sich an Protestveranstaltungen gegen Versammlungen der NPD. Im Rahmen eines "Landesaktionstages" führte der Landesverband Mecklenburg-Vorpommern der DKP am 26. September 2015 in Schwerin eine friedlich verlaufende "Friedensdemonstration" unter dem Motto "Nein zum Krieg - gegen deutsche Kriegseinsätze" durch. Unter den nach DKP-Angaben 50 Teilnehmern waren auch Angehörige von "Rotfuchs" und der SDAJ, die ihrer "Ablehnung der Militarisierung der deutschen Außenpolitik und im besonderen der kriegstreiberischen Rolle Deutschlands gegenüber Russland und der Ukraine" Ausdruck verleihen wollten. 104 Internetseite "Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands", abgerufen am 19.01.2016 95 4 Islamismus / Islamistischer Terrorismus 4.1 Islamistische Bestrebungen - politischer Extremismus mit Rückgriff auf den Islam Das Phänomen des Islamismus wird begrifflich und inhaltlich von dem des Islam unterschieden. Während der Islam lediglich eine Religion verkörpert, ist der Islamismus dadurch gekennzeichnet, dass er einen explizit politischen Anspruch aus der Religion des Islam ableitet. Islamisten instrumentalisieren die Religion des Islam für politische und verfassungsfeindliche Zwecke. Sie verfolgen das Ziel, ihre gesellschaftspolitischen Vorstellungen in Staat und Gesellschaft durchzusetzen und dies sowohl in muslimischen wie auch in säkular geprägten Gesellschaften. Islamisten wollen eine "Ordnung des Islam" errichten, in der mittels Anwendung "islamischer Rechtsnormen" der Geltungsanspruch der Schari'a durchgesetzt und damit wesentliche Elemente der freiheitlichen demokratischen Grundordnung außer Kraft gesetzt werden sollen. Der Verfassungsschutz beobachtet deshalb unter der Überschrift "Islamismus" religiös motivierte extremistische Bestrebungen, die sich gegen westliche Wertund Ordnungsvorstellungen, insbesondere gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung richten. Der islamistische Extremismus ist kein einheitliches Phänomen, sondern weist verschiedene Facetten auf. Diese unterscheiden sich zum einen in ihrer Reichweite und ihrem Anspruch; das Spektrum reicht hier von lokal (ortsbezogene Vereine mit Islamismusbezug) bis zu global agierenden Organisationen ("al-Qaida"). Daneben gibt es islamistische Gruppierungen, deren Agenda sich auf bestimmte Regionen bezieht. Die islamistische "Harakat al-Muqawama al-Islamiya" (HAMAS) etwa richtet ihre Aktivitäten auf eine Islamisierung Palästinas, ist für dieses Ziel aber weit über die Grenzen Palästinas hinaus aktiv. Zum anderen differieren die Mittel, mit denen islamistische Gruppierungen ihre Ziele zu erreichen suchen. So gibt es legalistische islamistische Organisationen, die sich dabei innerhalb des vorgegebenen rechtlichen Rahmens bewegen. Andere befürworten 96 unter bestimmten Umständen den Einsatz von Gewalt als Mittel, um ihre Ziele durchzusetzen. Schließlich gibt es im Bereich des Islamismus terroristische Gruppierungen wie "al-Qaida" und den "Islamischen Staat" (IS), deren primäres Ziel die Propagierung, Androhung und der Einsatz von Gewalt ist. Diese Vielfalt hat zur Folge, dass der islamistische Extremismus auch keine Bewegung ist, die nach außen hin geschlossen auftritt. Teile dieses Spektrums bekämpfen einander aufs heftigste. Deutlich wird das beispielsweise in Angriffen von Salafisten (also Sunniten) gegen Schiiten. 4.2 Übersicht über die Entwicklung des Islamismus und islamistischen Terrorismus 2015 Deutschland steht weiterhin im Zielspektrum von islamistisch-terroristischen Bestrebungen. Trotz zahlreicher Fahndungserfolge stellt der islamistische Terrorismus im Bereich des politischen Extremismus weiterhin die größte Gefahr für die innere Sicherheit Deutschlands dar. Die zahlreichen vereitelten oder fehlgeschlagenen Anschläge im Inland seit dem Jahr 2000 belegen, dass deutsche und internationale Islamisten ihren vielfachen Anschlagsdrohungen gegen deutsche Interessen auch Taten folgen lassen. Das Anschlagsrisiko in Deutschland wurde 2015 auch in der Öffentlichkeit durch eine Reihe von konkreten Gefährdungen deutlich, die die Absage öffentlicher Veranstaltungen nach sich zogen. Genannt seien insoweit nur der Karnevalszug in Braunschweig am 15. Februar 2015 und das Fußballländerspiel am 17. November 2015 in Hannover wegen der möglichen Gefährdung durch einen islamistischen Anschlag. Zum Jahreswechsel 2015/2016 hatte die Polizei in München wegen einer Anschlagswarnung zwei Bahnhöfe zeitweise räumen lassen und dazu aufgerufen, öffentliche Versammlungen zu meiden. Ende Februar 2015 kam es in Bremen zu einem Großeinsatz von Sicherheitskräften, weil eine konkrete Gefährdung durch islamistische Terroristen im Raum stand. Die im Jahr 2015 deutlich angestiegenene Migrationsbewegungen insbesondere aus dem Nahen und Mittleren Osten nach Europa und 97 Deutschland wirken sich auch auf den Phänomenbereich Islamismus aus. Bundesweit erlangte der Verfassungsschutzverbund in diesem Zusammenhang mehrere hundert Hinweise zur Einreise mutmaßlicher Jihadisten unter den Migranten nach Deutschland. Ein Großteil dieser zumeist unspezifischen Meldungen lässt sich derzeit weder eindeutig verifizieren noch falsifizieren und bleibt Gegenstand nachrichtendienstlicher Ermittlungen. Weltweit gab es 2015 eine große Zahl von islamistischen Terroranschlägen, die größtenteils der Terrororganisation IS zuzurechnen waren. Zu nennen sind hier die zwei schweren Anschläge in Tunesien, am 18. März 2015 auf das Bardo-Museum in Tunis und am 26. Juni 2015 auf einen Badestrand nördlich von Sousse, die schweren Anschläge in der Türkei in Suruc (20. Juli 2015), Ankara (10. Oktober 2015) und Istanbul (12. Januar 2016) sowie der Anschlag in Beirut am 12. November 2015 mit 43 Todesopfern. Weitere islamistische Terroranschläge mit teilweise erheblichen Opferzahlen fanden 2015 in Bosnien-Herzegowina, Kuwait, Irak, Somalia, Kenia und Nigeria statt. Während Deutschland 2015 von islamistisch motivierten Anschlägen verschont blieb, galt dies umso weniger für andere westliche Staaten. Die Anzahl und die Schwere der Anschläge in Frankreich und Dänemark 2015 verdeutlichen die wachsende Gefährdung Europas durch den islamistischen Terrorismus in drastischer Weise: * Anschläge in Paris am 7./8. Januar 2015 Am 7. Januar 2015 drangen die zwei Islamisten Cherif und Said Kouachi mit Sturmgewehren in die Redaktionsräume des Satiremagazins "Charlie Hebdo" in Paris ein und töteten dabei zwölf Personen. Die Terrororganisation "al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel" (AQAH) übernahm kurz danach in einem veröffentlichten Video die Verantwortung für den Anschlag. Ein Attentäter soll ein Ausbildungslager der Organisation besucht haben. Auch die Terrororganisation "Islamischer Staat" nahm die Urheberschaft des Anschlags für sich in Anspruch. 98 Said Kouachi war einer der Attentäter auf die Redaktion der Zeitschrift Charlie Hebdo. Der Sohn algerischer Einwanderer war 2011 in den Jemen gereist und hatte dort eine Ausbildung durch die Terror-Organisation Al-Qaida erhalten. 105 Bei einem weiteren Anschlag im Pariser Vorort Montrouge schoss der Attentäter Amedy Coulibaly am 8. Januar 2015 auf mehrere Polizeibeamte und tötete dabei eine Polizistin. Am folgenden Tag überfiel er in Vincennes bei Paris einen jüdischen Supermarkt, nahm die Anwesenden als Geiseln und erschoss vier Personen. * Anschlag in Kopenhagen am 14. Januar 2015 In Kopenhagen gab am 14. Februar 2015 ein islamistischer Attentäter zahlreiche Schüsse auf ein Kulturzentrum ab. Dabei starb ein dänischer Filmregisseur, drei Polizeibeamte wurden verletzt. In der folgenden Nacht erschoss der Attentäter einen Wachmann vor einer Synagoge und verletzte zwei Polizeibeamte, bevor er bei einem anschließenden Schusswechsel mit Polizeikräften selbst getötet wurde. Wenige Stunden vor seinen Taten hatte er auf Facebook einen Treueeid auf den IS-Anführer Abu Bakr al-Baghdadi gepostet. * Anschläge in Paris am 13. November 2015 Am 13. November 2015 verübte die Terrororganisation IS in Paris die bis dato schwersten islamistischen Terroranschläge in Europa. Zunächst zündeten drei islamistische Terroristen in kurzen Abständen außerhalb des Stade de France, in dem an diesem Abend das Fußball-Länderspiel Frankreich-Deutschland stattfand, ihre Sprengstoff105 Laut Internet steht dieses Foto zur freien Verfügung; es wurde von der Pariser Polizei erstellt. Unter https://commons.wikimedia.org/wiki/File%3ASa%C3%AFd_Kouachi.jpg kann die Frage der Rechte zu diesem Foto nachvollzogen und ggf. eine andere Version heruntergeladen werden. 99 westen. Dabei wurde außer den Attentätern eine weitere Person getötet. Im gleichen Zeitraum griffen weitere islamistische Terroristen in der Pariser Innenstadt verschiedene Bars und Restaurants mit Handfeuerwaffen an, wodurch rund 40 Menschen ums Leben kamen. Ein Selbstmordanschlag auf ein Cafe im Stadtzentrum zog nur Verletzte nach sich. Der terroristische Angriff auf eine Konzertveranstaltung in der Pariser "Bataclan"-Halle forderte neben den drei Attentätern 88 weitere Opfer. Die Terrororganisation IS ist verantwortlich für die Anschläge am 13. November in Paris. Die Organisation ist in Deutschland am 12. Septem- N TE ber 2014 vom Bundesinnenministerium auf B O Grundlage des Vereinsrechts verboten worden. R VE Das Verbot umfasst jegliche Beteiligung an der Organisation, etwa über soziale Medien oder bei Demonstrationen, die Anwerbung von Geldern oder Kämpfern sowie die öffentliche Verwendung von Kennzeichen der Organisation. Insgesamt starben durch die Pariser Anschläge über 130 Personen, mehr als 350 Personen wurden teils schwer verletzt. Ein Teil der Attentäter hatte sich in Syrien aufgehalten und dort auf Seiten des IS gekämpft. Dies gilt auch für den mutmaßlichen Organisator der Anschläge, den 28 Jahre alten Belgier Abdelhamid Abaaoud. Die Anschläge von Paris markieren dezidiert eine neue Dimension terroristischer Bedrohungen in Europa. Die politischen Entwicklungen in der arabischen Welt haben weiterhin erhebliche Auswirkungen auf die Entwicklung des islamistischen Extremismus in Deutschland. So stieg 2015 die Zahl der Ausreisenden aus Deutschland, die eine Teilnahme am Krieg in Syrien anstrebten weiter an; die Gefährdung durch Islamisten, die nach einer Kriegsteilnahme in Syrien nach Deutschland zurückkehrten, nahm deutlich zu (vgl. Abschnitt 4.4). 100 * Verbote islamistischer Vereine in Deutschland Zu den wichtigsten Maßnahmen gegen die Bedrohung durch Islamisten zählen Vereinsverbote, die ein geeignetes Mittel sind, um die organisatorischen und finanziellen Möglichkeiten islamistischer Organisationen zu beschränken. Extremisten wird so die offene Werbung von Anhängern, die Finanzierung ihrer Aktivitäten und die Kommunikation erheblich erschwert. 2015 wurden "Tauhid Germany" (TG) und das "Islamische Bildungsund Kulturzentrum Mesdschid Sahabe e.V." verboten. 106 "Tauhid Germany" wurde als Nachfolgeorganisation von "Millatu Ibrahim" verboten. TG wurde am 26. März 2015 vom Bundesminister des Innern verboten und aufgelöst, da es sich hierbei um eine Nachfolgeorganisation der bereits im Jahr 2012 verbotenen "Millatu Ibrahim"-Vereinigung (MI) handelt. Nach dem Verbot von MI waren zahlreiche Mitglieder in den Nahen Osten ausgereist, darunter der Gründer von MI, der Österreicher Mohamed Mahmoud und der bekannte Berliner Jihadist Denis Cuspert. Einige in Deutschland verbliebene Anhänger von MI, wollten die Arbeit der Organisation fortführen und gründeten dazu im Mai 2013 TG. TG betrieb mehrere Internetplattformen und Informationsstände, über die Muslime zum Kampf gegen die verfas106 Internetseite www.verfassungsschutz.de, abgerufen am 05.01.2016 101 sungsmäßige Ordnung aufgerufen wurden. Daneben glorifizierte TG den gewaltsamen Jihad terroristischer Gruppen in Syrien und Irak. Am 17. Dezember 2015 verbot der Baden-Württembergische Innenminister das Islamische Bildungsund Kulturzentrum Mesdschid Sahabe e. V. aus Stuttgart, da der Verein die Terrororganisation "Islamischer Staat" unterstützte. Durch den Verein waren Spenden für terroristische Gruppierungen gesammelt und Kämpfer für den Konflikt in Syrien rekrutiert worden. 4.3 Salafismus - Hintergründe und aktuelle Entwicklung Der Salafismus ist in Deutschland und zahlreichen anderen Ländern nach wie vor die am stärksten wachsende islamistische Bewegung. Ihm werden in Deutschland derzeit ca. 8.350 Personen (Stand: Dezember 2015) zugerechnet. Im Januar 2015 veranschlagte der Verfassungsschutz die Zahl der Salafisten bundesweit noch auf 7.000. Unter dem Oberbegriff Salafismus versteht man eine besonders radikale und rückwärtsgewandte Strömung innerhalb des Islamismus, die sich an den Ideen und Lebensweisen der ersten Muslime und der islamischen Frühzeit orientiert. So geben Salafisten vor, ihre religiöse Praxis und Lebensführung ausschließlich an den Prinzipien des Koran und dem Vorbild des Propheten Muhammad und der frühen Muslime - der so genannten rechtschaffenen Altvorderen - auf Arabisch al-salaf al-salih - auszurichten. Die Orientierung an der frühislamischen Zeit drückt sich für Salafisten in der bedingungslosen Befolgung und Durchsetzung von islamischen Regeln aus, die sie als authentisch und maßgeblich ansehen. "Islam" im Sinne des Salafismus ist für sie eben nicht nur "Religion", sondern ein auf der wortgetreuen Befolgung des Koran und der Prophetentradition beruhendes System, welches sämtliche Lebensbereiche, einschließlich Gesetzgebung und Politik regelt. In letzter Konsequenz streben Salafisten die Errichtung eines islamischen "Gottesstaates" an. Für Deutschland würde dieser Schritt bedeuten, dass wesentliche Grundrechte und Verfassungsprinzipien keine Geltung mehr hätten. Propaganda und Handlungsweisen von Salafisten zielen folglich nicht nur auf eine Beeinflussung religiöser 102 Überzeugungen ab, sondern verfolgen einen totalitären Ansatz. Sie verwenden dabei zwar religiöse Begriffe, deuten sie jedoch politisch um und instrumentalisieren sie in ihrem Sinne. Die salafistische Ideologie ist daher mit Integration, religiöser Toleranz und den Grundlagen des demokratischen Rechtsstaates nicht vereinbar. Gleichwohl ist der Salafismus keine homogene Bewegung, sondern wiederum in verschiedene Unterkategorien zu gliedern. Der Verfassungsschutz unterscheidet zwischen den Strömungen des politischen und des jihadistischen Salafismus. Beide Strömungen teilen zwar die gleichen Glaubensvorstellungen, unterscheiden sich jedoch in der Wahl der Methoden, mit denen die Glaubensvorstellungen zur Anwendung gebracht werden sollen. Politische Salafisten versuchen, ihre islamistische Ideologie durch intensive Propagandaaktivitäten zu verbreiten, welche sie als "Missionierung" (arabisch da'wa) bezeichnen. Mit ihnen soll die Gesellschaft in einem langfristig angelegten Prozess nach salafistischen Vorstellungen verändert werden. Politische Salafisten veranstalten in zunehmend professioneller Weise "Islam-Infostände", Kundgebungen in Innenstädten und "Islamseminare". Sie unterhalten ein umfangreiches Angebot im Internet, mit dem sie ihre Propaganda verbreiten. Nach außen wird diese Propaganda als Informationsangebot zur korrekten Religionsausübung dargestellt, tatsächlich betreibt der politische Salafismus auf diesem Weg jedoch eine systematische Indoktrination, die in vielen Fällen den Anfangspunkt für eine Radikalisierung bildet. Salafisten sind bei der Ansprache von Jugendlichen häufig erfolgreich, da sie eine jugendtypische Sprache sprechen und ihnen eine vermeintlich klare Orientierung in einer als unübersichtlich empfundenen Welt aufzeigen können. Zudem bieten sie ihnen das Zusammengehörigkeitsgefühl einer eingeschworenen Gemeinschaft, reduzieren Komplexität, indem sie Sachverhalte knapp und klar in Gut und Böse einteilen, stellen klare Gebote und Verbote für alle Bereiche des Lebens auf und entlasten den Jugendlichen davon, eigene Entscheidungen fällen zu müssen. Häufig nutzen sie auch den Idealismus der Jugendlichen und deren altersbedingte Protesthaltung, um sie für die Ziele des Salafismus einzuspannen. 103 Der Berliner Denis Cuspert (*1975) gelangte 2010 in die salafistische Szene Berlins und entwickelte sich zu einem der prominentesten deutschsprachigen Propagandisten des bewaffneten Jihad. 2014 trat er dem sogenannten "Islamischen Staat" bei und rief Muslime in Deutschland auf, sich dem Kampf in Syrien anzuschließen. Cuspert soll im Oktober 2015 in Syrien getötet worden sein. Der Tod Cusperts ist bislang noch nicht bestätigt.107 Ein Beispiel für salafistische "Da'wa-Arbeit" ist die von der Missionierungsorganisation "Die wahre Religion" (DWR) betriebene Kampagne "LIES!" des salafistischen Predigers Ibrahim ABOU NAGIE. Mit ihr werden seit Oktober 2011 kostenlose Koranübersetzungen an Nicht-Muslime verteilt. Die Kampagne war seinerzeit mit dem erklärten Ziel gestartet, 25 Millionen Koranexemplare an Haushalte in Deutschland zu verteilen. Grundsätzlich verstößt die Verteilung von Koranen nicht gegen deutsches Recht, da Missionierungsaktivitäten durch die in Artikel 4 des Grundgesetzes verankerte Religionsfreiheit geschützt sind. Die genannten "LIES!-Stände" werden jedoch auch mit dem Ziel betrieben, Kontakte zu potenziellen neuen Anhängern anzubahnen, was in der Folge häufig zu deren Indoktrinierung und weiterer Radikalisierung führt. Das Gebrauch machen vom Grund107 https://twitter.com/artwendeley/status/518725741744488449 abgerufen am 7.1.2015 104 recht der Religionsfreiheit stellt sich in dieser Konstellation somit als eine aus staatlicher Sicht zumindest problematische Form der Rechtsausübung dar. Insgesamt ist festzustellen, dass der politische Salafismus ein ambivalentes Verhältnis zur Gewalt als Mittel zur Durchsetzung seiner Ziele pflegt, da religiös legitimierte Gewalt häufig nicht prinzipiell ausgeschlossen wird (z. B. "zur Verteidigung des Islam"). Anhänger des politischen Salafismus positionieren sich zum Teil ostentativ gegen Terrorismus, heben den friedfertigen Charakter des Islam hervor und vermeiden offene Aufrufe zur Gewalt. Zwischen den unterschiedlichen salafistischen Strömungen besteht Uneinigkeit, unter welchen Voraussetzungen Gewalt angewendet werden darf. Die Grenzziehung zwischen politischem und jihadistischem Salafismus erweist sich somit häufig als unklar. Jihadistische Salafisten befürworten dagegen eine unmittelbare und sofortige Gewaltanwendung. Sie propagieren den bewaffneten Kampf auch gegen Machthaber in Ländern mit muslimischer Bevölkerungsmehrheit, denen sie vorwerfen, vom Islam abgefallen und Handlanger des verhassten "Westens" zu sein. Hervorzuheben ist hier, dass sämtliche Personen mit Deutschlandbezug, die den gewaltsamen Jihad befürworten, zuvor mit salafistischen Einrichtungen in Kontakt standen. Es kann somit als gesichert gelten, dass das von Salafisten verbreitete Gedankengut den Nährboden für eine islamistische Radikalisierung bis hin zur Rekrutierung für den militanten Jihad bildet. 105 4.4 Der syrische Bürgerkrieg als Motor des islamistischen Terrorismus Der Krieg in Syrien ist weiterhin der wichtigste Anziehungspunkt für Jihadisten aus Deutschland. Nach Einschätzung der Bundessicherheitsbehörden liegen aktuell (Stand: Dezember 2015) Erkenntnisse zu mehr als 780 Islamisten aus Deutschland vor, die in Richtung Syrien ausgereist sind, um dort an Kampfhandlungen teilzunehmen oder den Widerstand gegen das Assad-Regime in sonstiger Weise zu unterstützen. Ein Fünftel dieser Personen ist weiblich. Im August 2014 lag die Zahl die Zahl der Ausgereisten noch bei 400. Rund ein Drittel der Ausgereisten ist mittlerweile nach Deutschland zurückgekehrt. In den meisten Fällen ist schwer einzuschätzen, ob diese Personen in Syrien bzw. im Irak als Islamisten an Kampfhandlungen teilgenommen haben. Gleichzeitig liegen zu mehr als 130 Personen Hinweise vor, dass sie im Rahmen von Kampfhandlungen in Syrien oder im Irak zu Tode gekommen sind. Im August 2014 lag diese Zahl noch bei 40 Personen. Die Sicherheitsbehörden sind in diesem Zusammenhang bestrebt, Ausreiseplanungen von Islamisten nach Syrien frühzeitig zu erkennen und Ausreisen zu unterbinden. So soll verhindert werden, dass Islamisten in Syrien weiter radikalisiert werden und dort Erfahrungen und Fertigkeiten erwerben, die ihr Gefahrenpotenzial nach einer Rückkehr nach Europa erheblich erhöhen würden. Die deutschen Sicherheitsbehörden haben 2015 einen Bericht zu den Radikalisierungshintergründen und -verläufen der Personen veröffentlicht, die aus islamistischer Motivation aus Deutschland in Richtung Syrien oder Irak ausgereist sind.108 Die Studie untersucht die Biographien von 677 Personen sowie die Gründe für ihre Radikalisierung und ihre Ausreise. Dabei kommt sie unter anderem zu dem 108 "Analyse der Radikalisierungshintergründe und -verläufe der Personen, die aus islamistischer Motivation aus Deutschland in Richtung Syrien oder Irak ausgereist sind. Fortschreibung 2015", Gemeinsame Auswertung durch: Bundeskriminalamt (BKA), Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), Hessisches Informationsund Kompetenzzentrum gegen Extremismus (HKE) (https://www.bka.de/nn_231072/SharedDocs/Downloads/DE/Publikationen/ Publikationsreihen/SonstigeVeroeffentlichungen/2015AnalyseRadikalisierungsgruendeSyrie nIrakAusreisende.html), abgerufen am 8. Januar 2015 106 Ergebnis, dass in 55 Prozent der Fälle das Internet bei der Radikalisierung eine Rolle gespielt hat. Bei der vorangehenden Studie zum gleichen Thema im Jahre 2014 lag dieser Anteil noch bei 38 Prozent. Gleichzeitig wurde festgestellt, dass der Einfluss von Freunden und der Clique auf den Radikalisierungsprozess gesunken ist.109 Islamisten nutzen zunehmend das Internet als Medium zur Verbreitung von Propaganda, zur Mobilisierung und Rekrutierung von Anhängern, in wachsendem Maße aber auch, um jihadistisch motivierte elektronische Angriffe auf die IT-Infrastruktur im Westen durchzuführen. Mittels sozialer Netzwerke, Video-Plattformen und Online-Magazinen wenden sie sich vorrangig an jüngere Menschen und machen sich deren Kommunikationsgewohnheiten für ihre Ziele nutzbar. Ein prominentes Beispiel hierfür ist das Mediencenter al-Hayat der Terrororganisation IS, welches Videos veröffentlicht, die hochprofessionell produziert sind und extreme Formen grausamer Gewalt verbreiten. Sie verherrlichen den Kampf der Terrororganisation und versuchen mit diesen Bildern junge Menschen für den Jihad in Syrien und Irak zu mobilisieren. Die o. g. Studie kommt auch zu dem Ergebnis, dass die Ausreiseaktivitäten von Jihadisten nach Syrien und in den Irak im Jahr 2015 zurückgegangen sind. In der Tendenz kann festgestellt werden, dass der Zenit jihadistischer Reisebewegungen in Richtung Syrien und Irak fürs erste überschritten ist110. Das große Gefährdungspotential des Syrien-Krieges resultiert in erster Line aus Personen, die dort zunächst eine Ausbildung an Waffen bekommen, anschließend Kampferfahrung gesammelt haben und mit diesem Erfahrungshintergrund nach Europa zurückgekehrt sind. Verschiedene islamistische Anschläge in Europa unterstreichen diesen Zusammenhang. Aus den 2015 stark angewachsenen Zuwanderungsbewegungen aus dem Nahen Osten nach Deutschland, welche zumindest in Teilen ohne staatliche Kontrolle erfolgte, erwächst zumindest die potenziel109 Ebenda, S. 31 110 Ebenda, S. 29 107 le Gefahr, dass sich unter den Einreisenden auch Personen befinden können, die jihadistischen Organisationen wie dem IS angehören. Den Sicherheitsbehörden in Deutschland liegen Hinweise auf entsprechende Personen vor. Zwei Attentäter der Anschläge in Paris vom 13. November 2015 sind im Flüchtlingsstrom unter Nutzung von Falschpersonalien nach Europa eingereist. Die Sicherheitsbehörden des Bundes und der Länder berücksichtigen diesen Umstand im Rahmen der Hinweisbearbeitung und der zu treffenden Maßnahmen. 4.5 Islamistischer Extremismus in Mecklenburg-Vorpommern Auch 2015 konnten wieder Aktivitäten aus verschiedenen Bereichen des islamistischen Extremismus und von verschiedenen Organisationen in Mecklenburg-Vorpommern festgestellt werden. Von besonderer Bedeutung waren erneut Aktivitäten von Anhängern des politischen Salafismus. So fanden 2015 in Rostock im Rahmen der "LIES!"-Kampagne (vgl. Abschnitt 4.3) regelmäßige Koranverteilungsaktionen statt. Diese erfolgten in der ersten Jahreshälfte zunächst in ambulanter Form ("Bauchläden"), in der zweiten Jahreshälfte dann als stationäre Infostände (s. u.). 111 Ibrahim Abu Nagie (2.v.r.), der Leiter der salafistischen Organisation "Die wahre Religion" war für den ersten "Lies!"-Stand in Rostock am 4. Juli 2015 aus Köln angereist. 111 Facebook "Die Wahre Religion", aufgerufen am 8.7.2015 108 Die "LIES!"-Kampagne in Rostock wird von Personen aus Mecklenburg-Vorpommern gemeinsam mit auswärtigen Aktivisten veranstaltet. Dieses Projekt zeigt deutlich, wie der Salafismus von bestimmten Zentren in einigen westdeutschen Großstädten und Berlin in die Fläche hineinwirkt. Die Protagonisten und Initiatoren des politischen Salafismus - seien es Autoren, Initiatoren von sozialen Netzwerken oder Prediger - wohnen ganz überwiegend außerhalb von Mecklenburg-Vorpommern. Entsprechend dem globalen Geltungsanspruch des Salafismus sind sie bestrebt, ihre Ideologie an möglichst jedem Ort zu verbreiten, um so ihren gesellschaftlichen und politischen Einfluss zu erweitern und neue Anhänger zu gewinnen. Bundesweit sind nach Einschätzung der Verfassungsschutzbehörden gegenwärtig etwa 8.350 Salafisten aktiv (s. o.). Die Zahl für Mecklenburg-Vorpommern bewegt sich im mittleren zweistelligen Bereich. Zur Teilnahme von Personen aus dem Land Mecklenburg-Vorpommern am Bürgerkrieg in Syrien liegen auch für das Jahr 2015 keine belastbaren Erkenntnisse vor. Es gibt jedoch Hinweise auf Einzelpersonen, welche Bezüge zum Bürgerkrieg in Syrien aufweisen, so etwa in Form von Ausreiseabsichten oder dortigen Aktivitäten vor der Einreise nach Deutschland. Da von einer mehr oder weniger großen Dunkelziffer auszugehen ist - jede Türkeireise kann zumindest theoretisch auch eine Weiterreise nach Syrien beinhalten - ist eine seriöse Zahlenangabe an dieser Stelle nicht möglich. Das Land Mecklenburg-Vorpommern ist auch von den 2015 stark angewachsenen Zuwanderungsbewegungen aus dem Nahen Osten betroffen. So ist die Gesamtzahl islamistischer Verdachtsfälle ist in 2015 signifikant angestiegen. Es gab auch Hinweise darauf, dass sich unter den einreisenden Flüchtlingen Personen befinden, die jihadistischen Organisationen wie dem IS angehören. Die Sicherheitsbehörden des Landes gehen diesen Hinweisen konsequent nach; die Verdachtsfälle haben sich bisher noch in keinem Fall bestätigt. Einzelne Personen in Mecklenburg-Vorpommern lassen sich darüber hinaus islamistischen Organisationen wie der HAMAS, der "Hizb Allah", den "Murabitun", und der "Türkischen Hizbollah" (TH), zuordnen. 109 4.6 Aktivitäten von Islamisten aus dem Nordkaukasus Die nordkaukasische Islamistenszene wird im überwiegenden Maße als salafistisch und gewaltbereit eingeschätzt. Ihre Anhänger sind zum Teil dem "Kaukasischen Emirat" (KE) zuzurechnen. Dabei handelt es sich um eine ursprünglich an al-Qaida angelehnte Separatistenbewegung im Nordkaukasus, die u. a. mit Terroranschlägen die russischen Sicherheitskräfte bekämpft und einen islamischen Gottesstaat auf Basis der Schari'a anstrebt. Zudem gibt es zahlreiche Bezüge von Anhängern des KE zum IS im syrischen Bürgerkrieg. Die Anhänger des KE bezeichnen sich selbst auch als "Wahabiten", was wiederum eine Unterart des Salafismus darstellt. Die Übergänge zwischen der nordkaukasischen Separatistenbewegung, dem Salafismus und dem IS sind somit zunehmend fließend. Eines der Kernprojekte der Salafisten in Deutschland, an der sich auch Nordkaukasier beteiligen, stellt die LIES!-Kampagne dar.112 Darüber hinaus wurde seit der zweiten Jahreshälfte 2013 eine Tendenz zur Radikalisierung von Nordkaukasiern innerhalb der Gemeinschaftsunterkünfte für Asylbewerber in Mecklenburg-Vorpommern festgestellt. Auffällig waren typische Veränderungen des äußeren Erscheinungsbildes nach salafistischem Vorbild und - in mehreren bekannt gewordenen Fällen - Versuche, insbesondere die muslimischen Mitbewohner religiös zu bevormunden und sie dabei psychisch und physisch unter Druck zu setzen. 112 vgl. Abschnitt 4.5 110 5 Sonstiger Ausländerextremismus 5.1 Personenpotenzial Die Stärke der in Mecklenburg-Vorpommern agierenden - nicht islamistischen - linksextremistischen Ausländerorganisationen stellt sich im Einzelnen wie folgt dar: M-V M-V Bund Bund 2014 2015 2014 2015 Arbeiterpartei Kurdistans 250 250 14.000 14.000 (PKK)/ KONGRA GEL Revolutionäre Volks<10 <10 650 650 befreiungspartei-Front (DHKP-C) Ehemalige Türkische <10 <10 1.300 1.300 Kommunistische Partei/ Marxisten-Leninisten (TKP/ML) und Maoistische Kommunistische Partei (MKP) Marxistisch-Leninistische <10 <10 600 600 Kommunistische Partei (MLKP) Gesamt: < 280 < 280 16.550113 16.550 113 Von den meisten dieser Organisationen wird Deutschland als gesicherter Rückzugsraum betrachtet, jedoch ist die Zahl der Anhänger von DHKP-C, TKP/ML und MLKP - im Gegensatz zur Mitgliederzahl von PKK / KONGRA GEL - im Land Mecklenburg-Vorpommern unbedeutend. 113 Die Gesamtzahl (hier: Bund) der Mitglieder-/Anhängerzahlen von nicht islamistischen - linksextremistischen Ausländerorganisationen weicht von der seitens des Bundesamtes für Verfassungsschutz veröffentlichten Gesamtstatistik insofern ab, als in der o. a. Tabelle ausschließlich die im Land Mecklenburg-Vorpommern agierenden Organisationen berücksichtigt worden sind 111 5.2 Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) / Volkskongress Kurdistans (KONGRA GEL) N TE R BO VE 114 5.2.1 Allgemeines Die im Jahr 1978 in der Türkei unter Führung von Abdullah Öcalan gegründete Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) kämpft seit Anfang der 1980er Jahre für die Unabhängigkeit und größere Autonomie der Kurdengebiete im Osten der Türkei. Seitdem sind bei Anschlägen und Gefechten mehrere zehntausend Menschen getötet worden, darunter auch viele Zivilisten. Die PKK ist in Deutschland, was Anhängerzahlen, Organisationsgrad und Mobilisierungspotenzial betrifft, immer noch die bedeutendste Kraft im Bereich des nicht religiös motivierten Extremismus mit Auslandsbezug. Sie wurde von der Europäischen Union in die Liste der terroristischen Vereinigungen aufgenommen und unterliegt in Deutschland unter allen von ihr benutzten Bezeichnungen wie KADEK, KONGRA GEL, KKK und KCK - einschließlich verschiedener Teilund Nebenorganisationen - seit 1993 einem vereinsrechtlichen Betätigungsverbot. Der Aktionsradius der PKK erstreckt sich über die Grenzen Deutschlands hinaus auf ganz Europa. Dabei verfolgt die PKK seit Jahren eine Doppelstrategie, die einerseits einen weitgehend gewaltfreien Kurs im westlichen Europa, andererseits aber terroristische Akte durch die PKK und ihre bewaffneten Guerillaver114 Internetseite www.wikipedia.de, abgerufen am 20.01.2016 112 bände, insbesondere in der Türkei umfasst. Als Reaktion auf die politische und militärische Lage in der Türkei sowie auf die Haftbedingungen ihres seit 1999 in der Türkei inhaftieren unangefochtenen Anführers Abdullah Öcalan fanden auch im Jahr 2015 europaweit zahlreiche Resonanzaktionen der PKK-Anhängerschaft, wie Kundgebungen und Hungerstreiks statt. In Mecklenburg-Vorpommern werden der PKK ca. 250 Personen zugerechnet. Obwohl diese auch im Jahr 2015 keine öffentlichkeitswirksamen politischen Aktivitäten im Land entfalteten, gelingt es der PKK immer wieder, eine relativ große Zahl von Kurden aus Mecklenburg-Vorpommern zur Teilnahme an überregionalen Veranstaltungen zu mobilisieren. 5.2.2 Aktivitäten der PKK in Deutschland Die PKK verfügt in Deutschland über einen konspirativ handelnden und streng hierarchisch organisierten Funktionärsapparat. Das gesamte Bundesgebiet ist dabei in Zuständigkeitsbereiche aufgeteilt, dem jeweils ein PKK-Führungsmitglied (so genannter Gebietsverantwortlicher) vorsteht. Um sich der Verfolgung durch deutsche Sicherheitsbehörden zu entziehen, wechseln diese Führungskader regelmäßig und in kürzeren Zeitabständen europaweit ihr Zuständigkeitsgebiet. Mecklenburg-Vorpommern bildet zusammen mit dem größten Teil Schleswig-Holsteins das "Gebiet Kiel", das zum "Saha Nord" gehört und wiederum in einzelne Teilgebiete aufgeteilt ist. Eine der Hauptaufgaben dieser Führungskader ist die Beschaffung finanzieller Mittel zur Durchsetzung der Parteiziele und der Verbreitung der Ideologie der PKK. Dies erfolgt überwiegend durch den Verkauf von Publikationen und durch Einnahmen aus Veranstaltungen. Ein großer Teil der Gelder wird darüber hinaus durch mehr oder weniger freiwillige "Spendensammlungen" in der PKK-Anhängerschaft erzielt. Entsprechende monatliche Sammlungen sowie gesonderte 113 jährliche "Spenden"-Kampagnen finden auch in Mecklenburg-Vorpommern statt. Die Geldmittel werden überwiegend zur Aufrechterhaltung der konspirativen wie auch der "offenen" Organisationsstrukturen der PKK, für die PKK-nahen Medien und für die Ausrüstung und den Lebensunterhalt der Guerillatruppen in den Kampfgebieten im Nahen Osten verwendet. Trotz des seit 1993 bestehenden PKK-Verbots führten deren Anhänger auch im Jahr 2015 erneut Großveranstaltungen mit teilweise mehreren zehntausend Teilnehmern durch, an denen ebenfalls Personen aus Mecklenburg-Vorpommern teilnahmen. Organisiert wurden diese Veranstaltungen in der Regel nicht unmittelbar durch die PKK, sondern durch das "Demokratische Gesellschaftszentrum der KurdInnen in Deutschland" (NAV-DEM e. V.). Teilnehmerzahlen von mehr als 20.000 Personen pro Veranstaltung, wie z. B. beim Kurdistan-Festival am 9. September 2015 in Düsseldorf und bei den jährlich stattfindenden "Newroz-Kundgebungen", welche auch als Symbol des Freiheitskampfes gefeiert werden, zeigen, dass die PKK nach wie vor in der Lage ist, eine große Anzahl von Kurden für die Bewegung in Deutschland zu mobilisieren. Für eine Abkehr der PKK von ihrem so genannten "Friedenskurs" im westlichen Teil Europas gibt es derzeit keine Hinweise. Die PKK versucht vielmehr, kurdische Demonstranten zu einem gewaltfreien Verhalten zu verpflichten, um die günstige öffentliche Wahrnehmung "der Kurden" nicht zu trüben und für eine Aufhebung des PKK-Verbots zu werben. Gleichwohl darf ein vorhandenes Aggressionspotenzial nicht unterschätzt werden. Ein solches findet sich insbesondere unter jugendlichen PKK-Anhängern gegenüber Personen, die als türkische Nationalisten angesehen werden und gegenüber türkischen Einrichtungen. Beim Aufeinandertreffen beider Gruppen sind spontane Gewalttaten nicht auszuschließen. 114 5.2.3 Unterstützung für die Kurden in Syrien Seit Beginn des Aufstandes in Syrien im Frühjahr 2011 richtete sich das Interesse der PKK darauf, die syrischen Kurden enger an die PKK zu binden. Als strategisches Fernziel der PKK zeichnet sich dabei die Einrichtung eines kurdischen Autonomiegebietes im Norden Syriens ab. In den kurdisch bewohnten Gebieten Syriens (im Sprachgebrauch der PKK als "Rojava" bzw. "Westkurdistan" bezeichnet), agiert zu diesem Zweck der syrische Ableger der PKK, die "Partei der demokratischen Union" (Partiya Yekitiya Demokrat, PYD). Deren militärischer Arm, die "Volksverteidigungseinheiten" (Yekineyen Parastina Gel, YPG), kämpfte im Berichtsjahr gegen die übrigen Bürgerkriegsparteien, insbesondere gegen die islamistischen Verbände "Jabhat al-Nusra" und den "Islamischen Staat". Die PKK beschuldigte dabei die türkische Regierung, die "islamistischen Banden" logistisch und finanziell zu unterstützen; den westeuropäischen Staaten unterstellte sie, die Ausreise islamistischer Glaubenskrieger absichtlich nicht zu verhindern. PKK-nahe Medien berichteten nahezu täglich über Menschenrechtsverletzungen der Islamisten an syrischen Kurden und lösten damit eine Welle der Solidarität unter den Kurden in Deutschland aus. Die PKK mobilisierte deutschlandweit zu Solidaritätskundgebungen und rief zu einer Sonderspendenkampagne für "Rojava" auf, in deren Zuge auch in Mecklenburg-Vorpommern Gelder gesammelt wurden. Die PKK-Anhängerschaft selbst ist überwiegend in örtlichen Vereinen organisiert, die dem "Demokratischen Gesellschaftszentrum der KurdInnen in Deutschland" (NAV-DEM e. V.) angegliedert sind. Diese Vereine haben die Bestimmung, die Politik der PKK unter den Anhängern zu verbreiten und stellen sich in der Öffentlichkeit in der Regel als reine Kulturvereine dar. NAV-DEM e. V. ist zur Zeit nicht vom Betätigungsverbot gegen die PKK und deren Nachfolgeorganisationen erfasst. Nach seinem Selbstverständnis vertritt er gleichwohl die politischen Interessen der PKK und war auch im Jahr 2015 regelmäßig an der Organisation von Veranstaltungen mit PKK-Bezug beteiligt. 115 Bis zum Jahr 2011 war dem NAV-DEM e. V. der am 18. Mai 2008 in Rostock gegründete Deutsch-Kurdische Freundschaftsverein "Hasankeyf" e. V. formal angegliedert, welcher trotz seiner anderslautenden Satzung als "Sammelund Betätigungsstelle" der PKK und ihrer Anhänger, wie auch als eine Finanzierungsquelle der PKK gewertet worden ist. Der auch im Jahr 2015 formal fortbestehende Verein entfaltete im Berichtszeitraum jedoch keine öffentlich wahrnehmbaren Aktivitäten. 5.2.4 Kooperation mit deutschen Linken und Linksextremisten Die Kurdistan-Solidarität erhielt durch den Kampf der PKK gegen den IS erheblichen Auftrieb. Letzterer verkörpert auch für deutsche Linksextremisten einen Teil ihres "faschistischen" Feindbildes. Zu der schon seit mehreren Jahren bestehenden "Kampagne Tatort Kurdistan", einem losen Aktionsbündnis PKK-naher kurdischer, linker und linksextremistischer Gruppierungen, bildeten sich nahezu bundesweit neue Solidaritätsgruppen mit linksextremistischer Beteiligung. So traten in jüngster Vergangenheit diverse Organisationen aus dem linken und linksextremistischen Spektrum mit Propaganda zur Aufhebung des PKK-Verbotes in Erscheinung. 116 6 Spionageabwehr 6.1 Deutschland im Fokus fremder Nachrichtendienste Die Bundesrepublik Deutschland steht aufgrund ihrer geopolitischen Lage, ihrer Einbindung und Rolle in verschiedenen internationalen Organisationen, wie etwa der Europäischen Union (EU) und der NATO, sowie als Wirtschaftsund Forschungsstandort weiterhin im Fokus fremder Nachrichtendienste. Die Beobachtung dieser illegalen, geheimdienstlichen Aktivitäten ist eine gesetzlich normierte Kernaufgabe der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder und wird im Rahmen der Spionageabwehr wahrgenommen. Insbesondere die personalstarken Nachrichtenund Sicherheitsdienste der Russischen Föderation, der Volksrepublik China und der Islamischen Republik Iran betrachten Deutschland nach wie vor als wichtiges Aufklärungsziel. In Umsetzung gesetzlicher und politischer Vorgaben sowie bestehender wirtschaftlicher Prioritäten richtet sich das nachrichtendienstliche Aufklärungsinteresse dabei auf die Bereiche Wirtschaft, Wissenschaft, Politik, Militär, Forschung, Entwicklung und Technik. Deutsche Unternehmen und Forschungseinrichtungen sind auf den unterschiedlichsten Gebieten als international führend zu bezeichnen und stehen weltweit für technologischen Fortschritt, Innovationskraft, Qualität und Erfolg. Insofern ist Know-how "Made in Germany" ein gefragtes Ausforschungsziel fremder Staaten. In diesem Zusammenhang dürften sicherlich auch Wirtschaftsunternehmen in Mecklenburg-Vorpommern sowie die Universitäten Rostock und Greifswald entsprechende Begehrlichkeiten wecken. Darüber hinaus versuchen einige Länder, wie etwa die Demokratische Volksrepublik Korea (Nordkorea), die Islamische Republik Pakistan, der Iran sowie - aufgrund des Bürgerkrieges - in beträchtlich redu117 ziertem Umfang auch die Arabische Republik Syrien weiterhin in den Besitz von Technologien für atomare, biologische oder chemische Massenvernichtungswaffen mit den entsprechenden Trägersystemen zu gelangen sowie das hierzu erforderliche Wissen zu erwerben. Auch vor diesem Hintergrund kommen hiesige Hochschulen, wissenschaftliche Institute und Forschungseinrichtungen sowie proliferationsrelevante Bereiche der Wirtschaft und Industrie - so z. B. im Rahmen des Austausches von Studenten und Wissenschaftlern - als Orte und Ziele möglicher Beschaffungsmaßnahmen in Betracht. Die hiesige Spionageabwehr arbeitet auch hier eng und vertrauensvoll mit den unterschiedlichsten Akteuren im Bund und Ländern zusammen und leistet so einen wichtigen Beitrag zur Bekämpfung illegaler Proliferationsaktivitäten. Darüber hinaus liegt ein weiterer Schwerpunkt des Interesses bzw. der Tätigkeit von Nachrichtendiensten fremder Staaten in der Informationsbeschaffung über in Deutschland ansässige Vereinigungen und Personen, die sich in verschiedenen, oppositionellen Handlungen zu ihren Regierungen in den jeweiligen Heimatländern engagieren. Ein weiteres Bedrohungspotenzial liegt in den über Jahre hinweg mit stark zunehmender Tendenz festgestellten "Elektronischen Angriffen" (auch "Cyber-Attacken" genannt) auf deutsche Wirtschaftsunternehmen, Forschungseinrichtungen und Behörden. Dies sind gezielt durchgeführte Handlungen mit und gegen bestehende IT-Infrastrukturen. Darunter fallen neben der Beschaffung von Informationen jedoch auch Aktivitäten, die zur Schädigung bzw. Sabotage entsprechender Systeme geeignet sind. Derartige Angriffe haben sich in den letzten Jahren als weitere wichtige Methode der Informationsgewinnung fremder Nachrichtendienste etabliert und fallen somit auch in die Zuständigkeit der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder. 118 6.2 Wirtschaftsschutz - eine Aufgabe der Spionageabwehr Die Ausforschung hiesiger Wirtschaftsunternehmen zählt neben der militärischen und politischen Aufklärung zu den "klassischen" Betätigungsfeldern der Nachrichtendienste fremder Staaten auf deutschem Boden und hat - vor dem Hintergrund zunehmend global ausgerichteter Handelsbeziehungen und wirtschaftlicher Interessen - seit den 1990er Jahren stetig zugenommen. Dabei bedienen sich die gegen Deutschland tätigen Nachrichtendienste insbesondere menschlicher Quellen sowie des Einsatzes verschiedener technischer Mittel und Methoden. In diesem Zusammenhang sind vor allem die Ausspähung und Überwachung der Telefonund Internetkommunikation sowie die Durchführung elektronischer Angriffe auf IT-Infrastrukturen hervorzuheben. Diese Art der Informationsbeschaffung gewinnt, wie bereits angeführt, zunehmend an Bedeutung, weil hierdurch ein nahezu umfänglicher Zugriff auf begehrte Informationen ermöglicht wird und zudem das Entdeckungsrisiko für den Angreifer als gering zu bezeichnen ist. Eine funktionierende Wirtschaft ist eine grundlegende Voraussetzung für die innere Stabilität von Staat und Gesellschaft. Insofern liegt es im besonderen staatlichen Interesse, geeignete Maßnahmen zum rechtswidrigen Abfluss von Wissen und Produkten "Made in Germany" zu ergreifen. Dies schließt auch die Betrachtung möglicher extremistischer und/oder terroristischer Handlungen mit ein. Im Rahmen des Wirtschaftsschutzes kommt der Spionageabwehr daher eine hohe Bedeutung zu, denn es gilt, durch Sensibilisierung und Aufklärung präventiv tätig zu werden und mögliche Spionageaktivitäten bereits im Vorfeld abzuwehren. In diesem Zusammenhang bieten wir Unternehmen, Forschungseinrichtungen und sonstigen Institutionen im Lande an, bei der Gestaltung und Entwicklung von konzeptionellen Überlegungen zur Abwehr von Spionageaktivitäten beratend zu unterstützen. Nutzen Sie daher unser Angebot und vereinbaren mit uns ein unverbindliches und vertrauliches Beratungsund Informationsgespräch, 119 denn oft ist nur ein geringer Aufwand notwendig, um schutzwürdige Informationen vor unberechtigtem Zugriff zu schützen. 6.3 Was kann ich tun? Die hiesige Verfassungsschutzbehörde steht interessierten Bürgerinnen und Bürgern, Wirtschaftsunternehmen, Hochschulen und sonstigen Einrichtungen in Mecklenburg-Vorpommern in allen Fragen rund um das Thema "Spionage und deren Abwehrmöglichkeiten" gern zur Verfügung und bietet zudem konkrete Unterstützung in Form von individuell abgestimmten Beratungsund Vortragsveranstaltungen an. Sofern Sie Kenntnis oder Hinweise zu Personen und/oder Sachverhalten haben, die einen möglichen nachrichtendienstlichen Hintergrund aufweisen könnten, bitten wir Sie, sich mit uns in Verbindung zu setzen. Bei der Wahrnehmung der gesetzlichen Aufgaben arbeitet die Spionageabwehr des Verfassungsschutzes nach dem sogenannten Opportunitätsprinzip, unterliegt also im Gegensatz zur Polizei nicht der Pflicht zur Verfolgung einer Straftat. Bei Bedarf bieten wir Ihnen zudem die Möglichkeit, Sie auch an Ansprechpartner anderer deutscher Sicherheitsbehörden vermitteln zu können. Wir sind für Sie da: Ministerium für Inneres und Sport Mecklenburg-Vorpommern Abteilung Verfassungsschutz - Spionageabwehr - Postfach 11 05 52 19005 Schwerin Telefon: 0385/7420-0 Fax: 0385/714438 E-Mail: spionageabwehr@verfassungsschutz-mv.de 120 7 Öffentlichkeitsarbeit 7.1 Aktivitäten Der Verfassungsschutz ist eine maßgebliche Bewertungsinstanz für extremistische Bestrebungen in Mecklenburg-Vorpommern. Innerhalb der Sicherheitsarchitektur der Bundesrepublik Deutschland ist es seine Aufgabe - ausschließlich auf der Grundlage von gesetzlichen Regelungen - extremistische politische Bestrebungen zu beobachten und die zuständigen Stellen darüber zu informieren und dadurch dazu beizutragen, dass rechtzeitig Maßnahmen gegen die Gefährdung unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung (vgl. Nr. 1.2) eingeleitet werden können. Mit den am 20. April 2016 vom Landtag verabschiedeten Änderungen des Landesverfassungsschutzgesetzes wurden aber auch die Regelungen für die Öffentlichkeitsarbeit auf neue Grundlagen gestellt. Die Veröffentlichung eines Jahresberichtes ist als Instrument der Öffentlichkeitsarbeit ausdrücklich genannt, genauso wie die Prävention als gesetzliche Aufgabe normiert wird115. Die Öffentlichkeit über die Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung zu informieren, ist der beste Schutz für die Demokratie. Die Veröffentlichung des jährlichen Verfassungsschutzberichts als gedruckte Broschüre oder als Online-Version dient der zeitgerechten und bedarfsgerechten Information der Bürgerinnen und Bürger. Zusätzlich zum Verfassungsschutzbericht informierten Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen der Verfassungsschutzbehörde Mecklenburg-Vorpommern die Öffentlichkeit im vergangenen Jahr aber auch auf zahlreichen Veranstaltungen. Sie stellten sich dort den aktuellen Diskussionen über die Arbeit und Aufgaben der Sicherheitsbehörden, über neue Entwicklungen im Verfassungsschutz sowie über Entwicklungen in den unterschiedlichen Bereichen des politischen Extremismus und Terrorismus. 115 vgl. SS 5 Absatz 2 Landesverfassungsschutzgesetz (LVerfSchG M-V) 121 Die Verfassungsschutzbehörde Mecklenburg-Vorpommern ist Teil des Beratungsnetzwerks Demokratie und Toleranz Mecklenburg-Vorpommern (www.demokratie-mv.de). Dabei handelt es sich um einen Zusammenschluss aus staatlichen Behörden und nichtstaatlichen Beratungsorganisationen sowie Akteuren in freier Trägerschaft. Durch die Mitwirkung im landesweiten Beratungsnetzwerk sowie in den Regionalzentren für demokratische Kultur werden Einschätzungen zu extremistischen Entwicklungen in die Diskussionen eingebracht. Zur Aufklärung führt die Verfassungsschutzbehörde zusammen mit den Polizeibehörden und Staatsanwaltschaften in den Landkreisen und kreisfreien Städten unseres Landes Sicherheitskonferenzen durch und tauscht sich über die Extremismuslage in der Region aus. Im Jahr 2015 wurden darüber hinaus insbesondere folgende Veranstaltungen mitgestaltet: 3. März Vortrag auf der Beratertagung der Polizeien der Norddeutschen Länder 12. Mai Vortrag und Projektgrupenarbeit im Rahmen des Jugendpolitiktages am Gymnasium Carolinum "Für Demokratie - Gegen Extremismus!" in Neustrelitz in Zusammenarbeit mit der Konrad-Adenauer-Stiftung 21. November Teilnahme an Workshops während der 7. Regionalkonferenz Rechtsextremismus der Städte Mölln und Ratzeburg 24. November Vortrag zum Thema Verfassungsrechtliche Kompetenzverteilung zwischen Polizei und Verfassungsschutzbehörden vor Absolventen des Masterstudiengangs öffentliche Verwaltung - Polizeimanagement an der Deutschen Hochschule der Polizei in Lübeck 122 Im Rahmen der Sicherheitskooperation der fünf neuen Bundesländer und Berlin war die Behörde am 28. Mai 2015 Mitausrichter einer gemeinsamen Fachtagung zum Thema "Unsere Jugend im Visier von Extremisten". Diese federführend durch das Land Brandenburg ausgerichtete Veranstaltung hat bei den Teilnehmern aus Sicherheitskreisen, Politik, Wissenschaft und Gesellschaft große Resonanz gefunden. Eine vergleichbare Gemeinschaftsveranstaltung wird 2016 in Thüringen stattfinden. Ferner war die Verfassungsschutzbehörde bei der Festveranstaltung "25 Jahre Landespolizei" am 26. September 2015 mit ihrem Informationsstand vertreten. Viele Bürgerinnen und Bürger nutzten die Möglichkeit, sich anhand von Broschüren oder im Gespräch über extremistische Bestrebungen zu informieren. Sofern Sie eine Vortrags-, Informationsveranstaltung oder eine Fachmesse vorbereiten, die Sachbezug zur Arbeit des Verfassungsschutzes aufweist, können Sie sich direkt an den Verfassungsschutz des Landes Mecklenburg-Vorpommern, unter der Telefon-Nummer 0385/7420-0, wenden oder hierzu Kontakt über die Internetseite www.verfassungsschutz-mv.de aufnehmen. 7.2 Informationsmaterialien Informationsmaterialien können kostenlos beim Verfassungsschutz Mecklenburg-Vorpommern angefordert oder im Internet unter der Adresse www.verfassungsschutz-mv.de herunter geladen werden: 123 * Verfassungsschutzberichte der Jahre 2006 bis 2015 * Rituale und Symbole der rechtsextremistischen Szene (Historische und ideologische Hintergründe des Rechtsextremismus, Juli 2015) * Proliferation - Wir haben Verantwortung (Gemeinschaftsproduktion der Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern, März 2014) 124 * Wirtschaftsspionage - 10-teilige Faltblattserie (Gemeinschaftsproduktion der Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern, August 2010), zu den folgenden Einzelthemen: * Sicherheitslücke Mensch - Der Innentäter als größte Bedrohung für die Unternehmen * Verfassungsschutz - Ihr Ansprechpartner für Wirtschaftsschutz * Sicherheit im Know-how-Transfer * Elektronische Attacken auf Informationsund Kommunikationstechnik * Wissenschaftsspionage - Gefahren für Forschung und Lehre * Schrankenlose Offenheit - "soziale Netzwerke" im Web * Personalauswahl - Sicherheitsaspekt im Unternehmen * Wirtschaftsspionage durch Diebstahl und Einbruchdiebstahl * Besuchermanagement - Umgang mit Besuchern und Fremdpersonal * Geschäftsreisen - Schützen Sie Ihr Know-how! 125 * Wirtschaftsspionage - Risiko für Unternehmen, Wissenschaft und Forschung (Gemeinschaftsproduktion der Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern, Juli 2014) * Wirtschaftsschutz - 9-teilige Faltblattserie (Gemeinschaftsproduktion der Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern, März 2016), zu den folgenden Einzelthemen: * Unsere Themen: Das sollten Sie wissen * Know-how-Schutz: Identifizieren, Bewerten, Schützen * Geschäftsreisen: Sicherheit bei Auslandsreisen * Personalauswahl: Loyalität als Sicherheitsgewinn * Sicherheitslücke Mensch: Gefahr durch Innentäter * Social Engineering: Informationsbeschaffung durch soziale Manipulation * Social Media: Risiken durch soziale Netzwerke * Besuchermanagement: Umgang mit Besuchern und Fremdpersonal * Elektronische Angriffe: Gefahren für Informationsund Kommunikationstechnik 126 * Islamistische Aktivitäten erkennen (Kompaktinformation des Ministeriums für Inneres und Sport zu Salafismus und anderen Formen des Islamismus für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Flüchtlingseinrichtungen, April 2016) 127 * Weiß ist keine Farbe (Comic des Ministeriums für Inneres und Sport über die Gefahren des Rechtsextremismus, Juli 2008) Darüber hinaus sind Informationsblätter erhältlich, die ebenfalls kostenlos als Download beim Ministerium für Inneres und Sport Mecklenburg-Vorpommern zum Thema Rechtsextremismus unter der Adresse www.regierung-mv.de zur Verfügung stehen: * Informationsblatt für Vermieter von Veranstaltungssälen * Merkblatt zum Kauf von Immobilien durch Rechtsextremisten 7.3 Ausund Fortbildung / Hospitationen Mit der Fachhochschule für öffentliche Verwaltung, Polizei und Rechtspflege Güstrow (FHöVPR) besteht seit 2010 eine Kooperationsvereinbarung. Auf dieser Grundlage werden durch Mitarbeiter der Verfassungsschutzbehörde im Rahmen von Ausund Fortbildungsveranstaltungen Vorträge mit fachlichem Bezug zu der Tätigkeit und den Aufgaben des Verfassungsschutzes als auch zu ausgesuchten, aktuellen sicherheitspolitischen Themen gehalten. 128 Die bereits 2014 durchgeführten mehrtägigen gegenseitigen Hospitationen in der Abteilung Verfassungsschutz und im Landeskriminalamt, Abteilung Staatsschutz, wurden auch 2015 fortgeführt. Dies trägt zweifelsfrei zu einer Verbesserung des Informationsaustausches zwischen den Behörden und zur Förderung des Verständnisses für ihre jeweiligen Aufgaben bei. Die Verfassungsschutzschutzbehörde MV ist auch regelmäßig Praktikumsstation für Studierende an der Hochschule des Bundes für öffentliche Verwaltung im Fachbereich Nachrichtendienste. Das Studium wird traditionell um Praktika in nationalen Sicherheitsbehörden ergänzt. 129 Abkürzungsverzeichnis Abs. Absatz AfD Alternative für Deutschland AfT Alternative für Torgelow AG GGG Artgemeinschaft Germanische-Glaubens-Gemeinschaft BAMF Bundesamt für Migration und Flüchtlinge BfV Bundesamt für Verfassungsschutz B&H Blood and Honour BKA Bundeskriminalamt BND Bundesnachrichtendienst BRD Bundesrepublik Deutschland DHKP-C Devrimci Halk Kurtulus Partisi/Cephesi (Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front) DKP Deutsche Kommunistische Partei DML Deutschland muss Leben DWR Die wahre Religion EA Europäische Aktion G-10 Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses GETZ Gemeinsames Extremismusund Terrorismusabwehrzentrum GfbAV Gesellschaft für biologische Anthropologie und Verhaltensforschung e. V. GTAZ Gemeinsames Terrorismusabwehrzentrum HAMAS Harakat al-Muqawama al-Islamiya (HAMAS - Islamische Widerstandsbewegung) HOGESA Hooligans gegen Salafisten Hrsg. Herausgeber IS Islamischer Staat JN Junge Nationaldemokraten KADEK Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistans KCK Koma Civaken Kurdistan KE Kaukasisches Emirat KKK Koma Komalen Kurdistan 130 KONGRA GEL Kongra Gele Kurdistan (Arbeiterpartei Kurdistans) LfDI Landesbeauftragter für den Datenschutz und Informationsfreiheit LfV Landesamt für Verfassungsschutz LRH M-V Landesrechnungshof Mecklenburg-Vorpommern LVerfSchG M-V Landesverfassungsschutzgesetz Mecklenburg-Vorpommern MAD Militärischer Abschirmdienst MdL Mitglied des Landtages MI Millatu Ibrahim MKP Maoistische Kommunistische Partei MLKP Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei MLPD Marxistisch-Leninistische Partei Deutschland MVGIDA Mecklenburg-Vorpommern gegen die Islamisierung des Abendlandes NATO North Atlantic Treaty Organization (Nordatlantische Vertragsorganisation) NAV-DEM e. V. Demokratisches Gesellschaftszentrum der KurdInnen in Deutschland NBZ Nationales Begegnungszentrum NIAS Nachrichtendienstliche Informationsund Analysestelle NPD Nationaldemokratische Partei Deutschland NSDAP Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei NSU Nationalsozialistischer Untergrund OSS Oldschool Society PEGIDA Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes PIAS Polizeiliche Informationsund Analysestelle PMK Politisch motivierte Kriminalität PKK 1. Parlamentarische Kontrollkommission des Landtages Mecklenburg-Vorpommern 2. Partiya Karkeren Kurdistan (Arbeiterpartei Kurdistans) PYD Partei der demokratischen Union (Partiya YekitA(r)ya Demokrat) RED Rechtsextremismusdatei 131 RH e. V. Rote Hilfe e. V. RNF Ring Nationaler Frauen SAV Sozialistische Alternative SDAJ Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend StGB Strafgesetzbuch SS Schutzstaffel der NSDAP TG Tauhid Germany TH Türkische Hizbollah TKP/ML Türkische Kommunistische Partei/ Marxisten-Leninisten YPG Volksverteidigungseinheiten (Yekineyen Parastina Gel) ZKA Zollkriminalamt 132 Glossar Anti-Antifa Unter dem Begriff "Anti-Antifa" verfolgen Neonazis in Anlehnung an Terminologie und Vorgehensweise von Linksextremisten ein Konzept zur Erfassung und Veröffentlichung von Daten über politische Gegner. Antifaschismus "Antifaschismus" als Begriff wird auch von Demokraten verwendet, um ihre Ablehnung des Rechtsextremismus zum Ausdruck zu bringen. Mehrheitlich nehmen jedoch Linksextremisten diesen Begriff für sich in Anspruch. Sie behaupten, dass der kapitalistische Staat den Faschismus hervorbringe, zumindest aber toleriere. Daher richtet sich der Antifaschismus nicht nur gegen tatsächliche oder vermeintliche Rechtsextremisten, sondern immer auch gegen den Staat und seine Vertreter, insbesondere Angehörige der Sicherheitsbehörden. Anti-Terror-Datei (ATD) Die Anti-Terror-Datei (ATD) ist eine gemeinsame Datei des Bundes und der Länder zur Aufklärung und Bekämpfung des internationalen Terrorismus mit Bezug zur Bundesrepublik Deutschland. Ausländerextremismus Extremistische Ausländerorganisationen verfolgen in Deutschland Ziele, die typischerweise durch aktuelle Ereignisse und politische Entwicklungen in ihren Heimatländern bestimmt sind. Entsprechend ihrer politischen Ausrichtung handelt es sich dabei beispielsweise um linksextremistische Organisationen (z. B. die türkische "Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front (DHKP-C)), soweit sie in ihren Heimatländern ein sozialistisches bzw. kommunistisches Herrschaftssystem anstreben oder um nationalistische Organisationen, die ein überhöhtes Selbstverständnis von der eigenen Nation haben und die Rechte anderer Völker missachten. Daneben gibt es separatistische Organisationen, die eine Loslösung ihres Herkunftsgebietes aus einem bereits bestehenden Staatsgebilde und die Schaffung 133 eines eigenen Staates verfolgen. Die größte von den Verfassungsschutzbehörden beobachtete ausländerextremistische Organisation in Deutschland ist nach wie vor die unter der Bezeichnung PKK bekannte "Arbeiterpartei Kurdistans". Autonome Kennzeichnend für die Bewegung der Autonomen, die über kein einheitliches ideologisches Konzept verfügt, ist die Ablehnung staatlicher und gesellschaftlicher Normen und Zwänge, die Suche nach einem freien, selbstbestimmten Leben in herrschaftsfreien Räumen und der Widerstand gegen den demokratischen Staat und seine Institutionen, wobei Gewalt von Autonomen grundsätzlich als Aktionsmittel ("militante Politik") akzeptiert ist. Autonome bilden den weitaus größten Anteil des gewaltbereiten linksextremistischen Personenpotenzials. Das Selbstverständnis der heterogenen autonomen Bewegung ist geprägt von Anti-Einstellungen ("antikapitalistisch", "antifaschistisch", "antipatriarchal"). Diffuse anarchistische und kommunistische Ideologiefragmente ("Klassenkampf", "Revolution" oder "Imperialismus") bilden den Rahmen ihrer oftmals spontanen Aktivitäten. Eine klassische Form autonomer Gewalt ist die so genannte Massenmilitanz. Das sind Straßenkrawalle, die sich im Rahmen von Demonstrationen oder im Anschluss daran entwickeln. Hierbei kommt es regelmäßig auch zu Gewaltexzessen. Autonome Freiräume Als "autonome Freiräume" können vor allem besetzte Häuser, Wohnprojekte und selbstverwaltete Jugendund Kulturzentren gelten, deren Existenz und Erhalt Linksextremisten bedroht sehen, wenn sich die Besitzund Eigentumsverhältnisse ändern. Bestrebungen, extremistische Bestrebungen sind nach allgemeinem Sprachgebrauch alle auf ein Ziel gerichteten Aktivitäten. Extremistische Bestrebungen im Sinne des Verfassungsschutzgesetzes sind politisch zielgerichtete Aktivitäten, die Grundwerte der freiheitlichen Demokratie zu beseitigen. Dazu gehören Vorbereitungshandlungen, Agitation und Gewaltakte. Es ist zu unterscheiden zwischen 134 Bestrebungen gegen den Bestand des Bundes oder eines Landes, Bestrebungen gegen die Sicherheit des Bundes oder eines Landes und Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung. Elektronische Angriffe Mit dem Begriff "Elektronische Angriffe" werden gezielte Maßnahmen mit und gegen IT-Infrastrukturen bezeichnet. Neben der Informationsbeschaffung fallen darunter auch Aktivitäten, die zur Schädigung bzw. Sabotage dieser Systeme geeignet sind. Dazu gehören das Ausspähen, Kopieren oder Verändern von Daten, die Übernahme einer fremden elektronischen Identität, der Missbrauch oder die Sabotage fremder IT-Infrastrukturen sowie die Übernahme von computergesteuerten, netzgebundenen Produktionsund Steuereinrichtungen. Die Angriffe können dabei sowohl von außen über Computernetzwerke, wie z. B. das Internet, erfolgen als auch durch einen direkten, nicht netzgebundenen Zugriff auf einen Rechner, z. B. mittels manipulierter Hardwarekomponenten wie Speichermedien (z. B. USB-Sticks). Fanzine Der Begriff setzt sich aus den Worten "Fan" und "Magazine" zusammen und bezeichnet Publikationen, die innerhalb einer subkulturellen Szene szeneinterne Informationen verbreiten. In der subkulturell geprägten rechtsextremistischen Szene informieren diese Publikationen über Musikgruppen, Tonträger, Konzerte sowie sonstige Szeneveranstaltungen. Aktivisten und rechtsextremistische Gruppierungen erhalten in Interviews Gelegenheit zur Selbstdarstellung und zur Verbreitung ihres extremistischen Gedankengutes. Gemeinsames Extremismusund Terrorismusabwehrzentrum (GETZ) Das GETZ hat am 15. November 2012 seine Arbeit aufgenommen. Ziel ist die Bekämpfung des Rechts-, Links-, Ausländerextremismus/-terrorismus, Spionage und Proliferation. Ziel ist es, die Fachexpertise aller Behörden unmittelbar zu bündeln und einen möglichst lückenlosen und schnellen Informationsfluss sicherzustellen. 135 Gemeinsames Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ) Das 2004 eingerichtete "Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum" (GTAZ) in Berlin-Treptow mit einer "Nachrichtendienstlichen Informationsund Analysestelle" (NIAS) sowie einer "Polizeilichen Informationsund Analysestelle" (PIAS) konzentriert die Experten für Terrorismusabwehr der deutschen Sicherheitsbehörden an einem Ort. Im GTAZ sind die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder, das Bundeskriminalamt (BKA), die Landeskriminalämter und der Bundesnachrichtendienst (BND) eingebunden. Weitere Teilnehmer sind Bundespolizei, Zollkriminalamt (ZKA), Militärischer Abschirmdienst (MAD), Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) und Vertreter der Generalbundesanwaltschaft. Die Abstimmung von Bewertungen und Maßnahmen bei sicherheitsrelevanten Sachverhalten mit Terrorismusbezug wird erleichtert und beschleunigt. Gentrifizierung Der Begriff beschreibt die Umstrukturierung ganzer Wohnviertel und Stadtteile zu hochwertigen Wohnquartieren und damit einhergehend die Veränderung der Wohnbevölkerung. Dieses Themenfeld kommt häufig in Ballungsräumen vor. Islamismus Der Begriff des Islamismus bezeichnet eine religiös motivierte Form des politischen Extremismus. Islamisten sehen in den Schriften und Geboten des Islam nicht nur Regeln für die Ausübung der Religion, sondern auch Handlungsanweisungen für eine islamistische Staatsund Gesellschaftsordnung. Ein Grundgedanke dieser islamistischen Ideologie ist die Behauptung, alle Staatsgewalt könne ausschließlich von Gott (Allah) ausgehen. Damit richten sich islamistische Bestrebungen gegen die Vorschriften des Grundgesetzes, insbesondere gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung. Islamisten halten die Etablierung einer islamischen Gesellschaftsordnung für unabdingbar. Dieser Ordnung sollen letztlich sowohl Muslime als auch Nicht-Muslime unterworfen werden. Sonderformen des Islamismus sind der Salafismus () und der islamistische Terrorismus (). 136 Islamistischer Terrorismus Islamistischer Terrorismus ist der nachhaltig geführte Kampf für islamistische ( Islamismus) Ziele, die mit Hilfe von Anschlägen auf Leib, Leben und Eigentum anderer Menschen durchgesetzt werden sollen, insbesondere durch schwere Straftaten, wie sie in SS 129 a Abs. 1 StGB genannt sind, oder durch andere Straftaten, die zur Vorbereitung solcher Straftaten dienen. Islamistische Terroristen nennen ihren Kampf Jihad (), sie legitimieren ihre Gewalt mit Vorschriften des Islam und argumentieren, dass Gott ihnen den Befehl gegeben hat, diesen Kampf zu führen. Die Ziele und Mittel des islamistischen Terrorismus sind unterschiedlich, gemein ist ihm ein Kampf gegen die vermeintlichen Gegner des Islam. Ein typisches Handlungsmuster islamistischer Terroristen ist der Selbstmordanschlag. Er ist nach Auffassung der islamitischen Terroristen eine gottgewollte Aktion, die den Selbstmordattentäter herausragende Anerkennung im Diesseits und einen privilegierten Zugang zum Jenseits ermöglichen soll. Handlungen und Argumentationsmuster der Protagonisten des islamistischen Terrorismus stehen in Widerspruch zu den Interpretationen und Überzeugungen der religiösen Autoritäten des lslam, die v. a. Mord und Selbstmord ablehnen und den religiös begründeten Kampf nur unter eng definierten Bedingungen erlauben, Terrorismus als schwere Gewalttaten jedoch ablehnen. Jihad Die wörtliche Übersetzung dieses Begriffs ist "Anstrengung" oder "Bemühung". Es gibt zwei Formen des Jihad: die geistig-spirituelle Bemühung des Gläubigen um das richtige religiöse und moralische Verhalten gegenüber Gott und den Mitmenschen (so genannter großer Jihad) oder der kämpferische Einsatz zur Verteidigung oder Ausdehnung des islamischen Herrschaftsgebiets (so genannter kleiner Jihad). Von militanten islamistischen ( Islamismus) Gruppen wird der Jihad häufig als religiöse Legitimation für Terroranschläge verwendet. Islamistische Terroristen ( Islamistischer Terrorismus) führen unter dem Leitprinzip dieses Jihad ihren gewalttätigen Kampf/ "heiligen Krieg" gegen die angeblichen Feinde des Islam. 137 "Kameradschaften", rechtsextremistische Unter dem Begriff "Kameradschaften" werden i. d. R. neonazistische lokale Gruppierungen verstanden. Sie umfassen meist etwa 10 bis 20 Mitglieder und sind - im Gegensatz zu den Cliquen der subkulturell geprägten gewaltbereiten rechtsextremistischen Szene - deutlich durch den Willen zu politischer Aktivität geprägt. Obwohl sie meist nur geringe vereinsähnliche Strukturen aufweisen, sind sie durch eine verbindliche Funktionsverteilung dennoch deutlich strukturiert. Mitglieder von Kameradschaften rechnen sich in der Regel den neonazistisch geprägten sog. "Freien Nationalisten" zu. Linksextremismus Mit diesem Begriff werden Bestrebungen von Personenzusammenschlüssen bezeichnet, für die alle oder einige der folgenden Merkmale charakteristisch sind: Bekenntnis zum Marxismus-Leninismus als "wissenschaftliche" Anleitung zum Handeln; daneben, je nach Ausprägung der Partei oder Gruppierung, Rückgriff auch auf Theorien weiterer Ideologen wie Stalin, Trotzki, Mao Zedong und andere, Bekenntnis zur sozialistischen oder kommunistischen Transformation der Gesellschaft mittels eines revolutionären Umsturzes oder langfristiger revolutionärer Veränderungen, Bekenntnis zur Diktatur des Proletariats oder zu einer herrschaftsfreien (anarchistischen) Gesellschaft, Bekenntnis zur revolutionären Gewalt als bevorzugte oder - je nach den konkreten Bedingungen - taktisch einzusetzende Kampfform. Linksextremistische Parteien und Gruppierungen lassen sich grob in zwei Hauptströmungen einteilen: dogmatische Marxisten-Leninisten und sonstige revolutionäre Marxisten: In Parteien oder anderen festgefügten Vereinigungen organisiert verfolgen sie die erklärte Absicht, eine sozialistische bzw. kommunistische Gesellschaftsordnung zu errichten, Autonome, Anarchisten und sonstige Sozialrevolutionäre: In losen Zusammenhängen, seltener in Parteien oder formalen Vereinigungen agierend, streben sie ein herrschaftsfreies, selbstbestimmtes Leben frei von jeglicher staatlicher Autorität an. 138 NADIS Das NAchrichtenDienstliche InformationsSystem und WissensNetz (NADIS WN) ist das zentrale Hinweisund Verbundsystem der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder für Personen und Objekte. Dieses System ist eine technische Plattform, auf der Amtsund Verbunddateien von Bund und Ländern unter einer einheitlichen Anwendungsoberfläche betrieben werden können. Neonationalsozialismus/Neonazismus Der Neonationalsozialismus bezieht sich auf die Weltanschauung des "Dritten Reiches" und macht diese zur Grundlage seiner politischen Zielvorstellungen. Elementare Bestandteile der neonationalsozialistischen Weltanschauung sind Rassismus und Nationalismus sowie die Forderung nach einem autoritären "Führerstaat" unter Ausschaltung der Gewaltenteilung. Proliferation Als Proliferation bezeichnet man die Weiterverbreitung von atomaren, biologischen oder chemischen Massenvernichtungswaffen und entsprechenden Waffenträgersystemen bzw. der zu deren Herstellung verwendeten Produkte einschließlich des dazu erforderlichen Know-how. Radikal Als radikal werden Bestrebungen bezeichnet, die zur Lösung politischer Probleme "bis auf die Wurzel gehen", diese jedoch ohne zielgerichteten Angriff auf die freiheitliche demokratische Grundordnung lösen wollen. Radikale politische Auffassungen haben in unserer pluralistischen Gesellschaftsordnung ihren legitimen Platz. So ist z. B. die Forderung nach Wiedereinführung der Todesstrafe durch das Recht auf freie Meinungsäußerung gedeckt. Rechtsextremismus Der Rechtsextremismus ist eine Ideologie der Ungleichheit, deren Anhänger politisch bestimmte, zielund zweckgerichtete Verhaltensweisen zeigen, die darauf gerichtet sind, Grundsätze der freiheitlichen demokratischen Grundordnung außer Geltung zu setzen oder zu beseitigen (vgl. SS 6 LVerfSchG M-V). 139 Als Gegenentwurf zu einer modernen Demokratie und einer offenen Gesellschaft wollen Rechtsextremisten - auch unter Anwendung von Gewalt - ein autoritäres oder gar totalitäres staatliches System errichten, in dem nationalistisches und rassistisches Gedankengut die Grundlage der Gesellschaftsordnung bilden soll. Dementsprechend finden sich im deutschen Rechtsextremismus in unterschiedlicher und gruppenspezifischer Ausprägung folgende ideologische Vorstellungen bzw. Handlungsmuster: * ein aggressiver, vielfach völkisch ausgerichteter Nationalismus, für den nur die deutschen Interessen als Richtschnur gelten und der andere Nationen als "minderwertig" betrachtet * häufige Forderung nach der Neugründung eines "Reiches", das zum "mächtigen Mittelpunkt Europas" werden müsse; * der Wunsch nach einer Volksgemeinschaft auf "rassischer" Grundlage, die die Rechte des Einzelnen beliebig einschränkt und der pluralistischen Gesellschaft das Modell des "Volkskollektivismus" ("Du bist nichts, Dein Volk ist alles") entgegensetzt (Antiindividualismus, Antipluralismus, Antiliberalismus) * eine aggressive, extrem gewaltbereite Fremdenfeindlichkeit als Ergebnis rassistischen und damit verbunden antisemitischen Gedankenguts * der Wunsch nach einem "Führerstaat" mit militärischen Ordnungsprinzipien * Relativierung oder sogar Leugnung der Verbrechen des "Dritten Reiches" und damit verbunden eine Verharmlosung oder Verherrlichung des Nationalsozialismus und * eine ständige Diffamierung der demokratischen Institutionen und ihrer Repräsentanten. Rechtsextremismusdatei (RED) Die Rechtsextremismusdatei (RED) ist eine gemeinsame Datei des Bundes und der Länder zur Aufklärung und Bekämpfung des gewaltbereiten Rechtsextremismus. Mit der RED soll der Informationsaustausch zwischen den beteiligten Behörden intensiviert und beschleunigt werden. 140 Rechtsextremistische Konzerte Die Kriterien zur Bewertung rechtsextremistischer Musikveranstaltungen lauten wie folgt: * Live-Auftritt mindestens einer als rechtsextremistisch bewerteten Band, * Szeneöffentlichkeit (z. B. überregionale Mobilisierung, Erhebung von Eintrittsgeldern, Werbung für die Veranstaltung), * Vortrag rechtsextremistischer Liedtexte bzw. Feststellung rechtsextremistischer Aktivitäten der Interpreten anlässlich der Veranstaltungen (insbesondere Propagandadelikte), * Organisation der Veranstaltung durch rechtsextremistische Gruppierungen oder Einzelpersonen. Es ist nicht erforderlich, dass Informationen zu allen Kriterien vorliegen. Mindestvoraussetzung sind der szeneöffentliche Live-Auftritt sowie Indizien für rechtsextremistische Inhalte, die sich insbesondere aus dem Auftritt einschlägiger Bands oder aus dem Vortrag entsprechender Lieder ergeben können. Salafismus Salafismus ist eine rückwärtsgewandte Strömung innerhalb des Islamismus (), die sich an der islamischen Frühzeit orientiert. Salafisten geben vor, ihre religiöse Praxis und Lebensführung ausschließlich an den Prinzipien des Koran und der Prophetentradition (arab. Sunna), d. h. den vom Propheten Muhammad überlieferten Aussagen und Handlungen, auszurichten. Dabei kommt bei der Bestimmung dessen, was "wahrhaft islamisch" ist, den so genannten"rechtschaffenen Altvorderen" (arab. Al-salaf al-salih, daher der Begriff Salafismus) eine entscheidende Rolle zu. Das Streben der Salafisten nach Wiederherstellung der "ursprünglichen" und "reinen" Religion nach dem Modell der islamischen Frühzeit geht mit der Forderung nach vollständiger Umsetzung der Scharia einher. Nach der salafistischen Ideologie ist die Scharia von Gott gesetztes Recht. Sie ist die Gesamtheit der Regeln und Bestimmungen, die im Koran und der Prophetenüberlieferung niedergelegt sind und nach salafistischer Ansicht das Leben der Muslime in allen Aspekten leiten und bestimmen sollen. 141 Schwarzer Block Der so genannte Schwarze Block, vermummte Aktivisten in einheitlicher "Kampfausrüstung", ist eine Aktionsform, die ursprünglich im linksextremistischen autonomen Spektrum entwickelt wurde und vor allem bei Demonstrationen angewandt wird. Der "Schwarze Block" ist keine zentral organisierte und koordinierte Organisationsform, sondern ein punktueller Zusammenschluss gewaltorientierter Linksextremisten. Ziel dieses Auftretens ist die erschwerte Zuordnung von Strafund Gewalttaten zu Einzelpersonen durch die Polizei. Jeder "Schwarze Block" beinhaltet jedoch ein einzelfallbezogenes Gewaltpotenzial, das sich je nach Lageentwicklung verändern kann. Wenngleich der "Schwarze Block" überwiegend ein Ausdruck linksextremistischer Massenmilitanz (Straßenkrawalle im Rahmen von Demonstrationen) ist, schließt die Teilnahme eines "Schwarzen Blocks" an einer Demonstration keinesfalls einen friedlichen Demonstrationsverlauf aus. Spionage Als Spionage wird die Tätigkeit für den Nachrichtendienst einer fremden Macht bezeichnet, die auf die Mitteilung oder Lieferung von Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen gerichtet ist. Die Beschaffung von Informationen, vor allem aus den Bereichen Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Militär, erfolgt zumeist unter Anwendung geheimer Mittel und Methoden. Soweit Spionage gegen die Bundesrepublik Deutschland gerichtet ist, kommt eine Strafbarkeit gemäß SSSS 93 ff. StGB in Betracht. Spionageabwehr Die Spionageabwehr beschäftigt sich mit der Aufklärung und Abwehr bzw. Verhinderung von Spionageaktivitäten fremder Nachrichtendienste. Dazu sammelt sie Informationen über sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten fremder Nachrichtendienste in der Bundesrepublik Deutschland und wertet sie aus, mit dem Ziel, Erkenntnisse über Struktur, Aktivitäten, Arbeitsmethoden, nachrichtendienstliche Mittel und Zielobjekte dieser Nachrichtendienste zu gewinnen. Die Spionageabwehr gehört gemäß SS 3 Abs. 1, Nr. 2 BVerfSchG zu den Aufgaben der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder. 142 "Vier-Säulen-Strategie" der NPD Die Strategie der NPD wurde auf dem Bundesparteitag 1998 im mecklenburgischen Stavenhagen zunächst als "Drei-Säulen-Strategie" konzipiert: Kampf um die Straße: Durchführung von Demonstrationen, Zeigen von Präsenz in der Öffentlichkeit, Massenmobilisierung, Kampf um die Köpfe: Ziel ist die Meinungsführerschaft in der rechtsextremistischen Szene, aber ganz wesentlich auch das Erreichen von Personen außerhalb ihrer politischen Klientel, Kampf um die Parlamente: Wahlerfolge konnte die NPD in Mecklenburg-Vorpommern 2006 und 2009 vorweisen. Auf dem Bundesparteitag 2004 in Leinefeld/Thüringen wurde eine vierte Säule ergänzt: Kampf um den organisierten Willen: Die NPD sieht sich als "Speerspitze der "nationalen Erneuerung" und versucht, alle "nationalen Kräfte" zu einem Bündnis zu bewegen - natürlich unter ihrer Führung. Wirtschaftsschutz Als Wirtschaftsschutz werden staatliche Maßnahmen bezeichnet, die dem Schutz deutscher Unternehmen und Forschungseinrichtungen vor einem durch Spionage betriebenen Know-how-Abfluss sowie vor Bedrohungen durch Rechtsund Linksextremisten, durch ausländische Extremisten sowie durch islamistische Terroristen dienen. Wirtschaftsspionage Wirtschaftsspionage ist Teil der Spionage, der die staatlich gelenkte oder gestützte, von fremden Nachrichtendiensten ausgehende Ausforschung von Wirtschaftsunternehmen und Forschungseinrichtungen beinhaltet. Betreibt hingegen ein konkurrierendes Unternehmen eine private Ausforschung, handelt es sich um Konkurrenzausspähung, die häufig auch Industriespionage genannt wird. In den Zuständigkeitsbereich der Verfassungsschutzbehörden fällt ausschließlich die Wirtschaftsspionage. 143 Registeranhang Extremistische Organisationen Gruppierungen/Versandhandel Seitenzahl A Agitationsdistrict Amt Goldberg-Mildenitz 42, 61 Ahnenblut 38 Aktionsgruppe Güstrow 42 Aktionsgruppe Mittelrhein 30 al-Qaida 96, 97, 99, 110 al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel (AQAH) 98 Alternative für Torgelow 46 Arbeiterpartei Kurdistans (PKK)/ KONGRA GEL 111, 112, 134 Arischer Widerstandsbund 42 Artgemeinschaft-Germanische Glaubens43, 44 Gemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung e. V. Aryan Warriors 42 B Blood and Honour 33 Bürgerinitiative Schöner und sicherer Wohnen 46 Bürgerinitiative Bützow wehrt sich 82 (rechtsextremistisch beeinflusst) D Dachverband Deutschland wehrt sich 28 (rechtsextremistisch beeinflusst) Der III. Weg 80 Demokratisches Gesellschaftszentrum der 114, 115, 116 KurdInnen in Deutschland (NAV-DEM e. V.) Deutsche Kommunistische Partei (DKP) 86, 94 Deutsch-Kurdischer 116 Freundschaftsverein "Hasankeyf" e.V 42, 43 Deutschland muss Leben (DML e. V.) 18, 28 Deutschland wehrt sich (rechtsextremistisch beeinflusst) 144 Die Rechte 20, 80 Die Liebenfels-Kapelle/Skalinger 33, 35 Die wahre Religon (DWR) 104, 108 E Europäische Aktion 43 F Freie Kameradschaft Wismar 42 Freie Kräfte Greifswald/Nationale Sozialisten 42 Greifswald Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistans 112 (KADEK) G Germanisches Bollwerk Mecklenburg 42 Gefangenenhilfe.info 43 Gesellschaft für biologische Anthropologie und 44 Verhaltensforschung e. V. H Hamas 96, 109 Hammerskins 31 Hizb Allah 109 Hooligans gegen Salafisten 32 I Interessengemeinschaft Schöneres Strasburg 44 Islamischer Staat (IS) 98, 112 Islamisches Bildungsund Kulturzentrum 101, 102 Mesdschid Sahabe e. V. J Junge Nationaldemokraten 51, 75 K Kameradschaft Borken 42 Kameradschaft Bützow 42 Kameradschaft Schwerin 42 Kameradschaftsbund Anklam 42 Kameradschaftsbund Bargischow 42 Kaukasisches Emirat (KE) 110 Koma Civaken Kurdistan (KCK) 112 145 Koma Komalen Kurdistan (KKK) 112 M Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei 111 (MLKP) Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands 86, 94 (MLPD) Millatu Ibrahim 101 Murabitun 109 MVGIDA (Organisationsebene) 18, 24-26, 39, 46, 57, 67, 69, 79, 84 MV-Patrioten (rechtsextremistisch beeinflusst) 18, 25, 90 N Nationaldemokratische Partei Deutschlands 6, 7, 11, 18, 20, 25, 26, 29, 30, 33, 3941, 43, 44, 46, 47, 49-81, 85, 88, 89, 91, 95, 143 Nationale Offensive Gnoien 42 Nationales Bündnis Löcknitz 42 Nationale Sozialisten Müritz/Nationale Sozialisten 24, 41 Waren Nationalsozialistischer Untergrund 8, 18, 21, 22 Netzwerk Freies Pommern/Nationale Sozialisten 42 Pommern O Oldschool Society 20, 27 P Painful Awakening 33, 35-37 Partei der demokratischen Union (Partiya YekitA(r)ya 115 Demokrat, PYD) Path of Resistance 33, 35 Pommern Division 42 Pommerscher Buchdienst 39 R Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front 111, 133 (DHKP-C) Ring Nationaler Frauen 51, 79 146 Rostocker Division 28, 40 Rote Hilfe e. V. (RH) 86, 92 RotFuchs-Förderverein 95 S Skalinger 33, 35 Sozialistische Alternative (SAV) 86, 94 Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend (SDAJ) 86, 94 T Tauhid Germany 101 Thrima 33, 35, 37, 38 Türkische Hizbollah 109 Ehemalige Türkische Kommunistische Partei/ 111 Marxisten-Leninisten (TKP/ML) und MKP V Völkische Burschenschar Strasburg 42 W Wiege des Schicksals/Motorhate 35 Y Yekineyen Parastina Gel (YPG) 115 "Volksverteidigungseinheiten" 147 Anlage 1 Politisch motivierte Kriminalität (PMK) Jahresübersicht 2014/2015 Politisch motivierte Kriminalität - Rechts - 2014 2015 Straftaten Gesamt 689 1032 davon extremistisch 642 952 Propagandadelikte 520 565 davon extremistisch 520 55 Gewaltdelikte 35 93 davon extremistisch 35 93 Fremdenfeindliche Straftaten 62 313 davon extremistisch 62 311 davon Gewaltdelikte 16 57 Antisemitische Straftaten 28 19 davon Gewaltdelikte 28 0 Politisch motivierte Kriminalität -Links2014 2015 Straftaten Gesamt 190 165 davon extremistisch 44 76 Propagandadelikte 3 2 davon extremistisch 3 2 Gewaltdelikte 34 63 davon extremistisch 34 63 Fremdenfeindliche Straftaten davon extremistisch 0 0 davon Gewaltdelikte Antisemitische Straftaten 0 0 148 Politisch motivierte Kriminalität -Ausländer2014 2015 Straftaten Gesamt 11 12 davon extremistisch 8 11 Propagandadelikte 0 0 Gewaltdelikte 2 4 davon extremistisch 2 4 Fremdenfeindliche Straftaten 0 0 Antisemitische Straftaten 1 0 davon Gewaltdelikte 0 149 Anlage 2 Amtliche Abkürzung: LVerfSchG M-V Fundstelle: GVOBl. M-V 2001, 261 Gesetz über den Verfassungsschutz im Lande Mecklenburg-Vorpommern (Landesverfassungsschutzgesetz - LVerfSchG M-V) Vom 11. Juli 2001 Stand: letzte berücksichtigte Änderung: mehrfach geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 25. April 2016 (GVOBl. M-V S. 203) Der Landtag hat das folgende Gesetz beschlossen: Inhaltsübersicht Abschnitt 1 Aufgaben und Befugnisse der Verfassungsschutzbehörde SS1 Zweck des Verfassungsschutzes SS2 Organisation SS3 Bedienstete SS4 Zusammenarbeit SS5 Aufgaben des Verfassungsschutzes SS6 Begriffsbestimmungen SS7 Rahmen für die Tätigkeit der Verfassungsschutzbehörde SS8 Funktionelle Trennung von Polizei und Verfassungsschutzbehörde SS9 Formen der Datenerhebung SS 10 Informationsbeschaffung mit nachrichtendienstlichen Mitteln SS 10a Vertrauensleute und Verdeckte Mitarbeiter SS 11 Mitteilung an betroffene Personen SS 12 Registereinsicht durch die Verfassungsschutzbehörde 150 Abschnitt 2 Datenverarbeitung SS 13 Begriff der Datei und der Akte SS 14 Dateianordnung SS 15 Voraussetzung der Speicherung SS 16 Erfassung personenbezogener Daten von Minderjährigen SS 17 Speichern, Berichtigen, Löschen und Sperren personenbezogener Daten Abschnitt 3 Informationsübermittlung und Auskunftserteilung SS 18 Informationsübermittlung zwischen den Verfassungsschutzbehörden SS 19 Informationsübermittlung an Bundesnachrichtendienst und Militärischen Abschirmdienst SS 20 Informationsübermittlung durch die Verfassungsschutzbehörde an Polizei, Staatsanwaltschaft und andere Stellen SS 20a Projektbezogene gemeinsame Dateien SS 21 Informationsübermittlung an ausländische Stellen SS 22 Informationsübermittlung an die Öffentlichkeit SS 23 Dokumentation und Grundlage der Informationsübermittlung durch die Verfassungsschutzbehörde SS 24 Informationsübermittlung durch öffentliche Stellen an die Verfassungsschutzbehörde SS 24a Informationsübermittlung durch nicht-öffentliche Stellen an die Verfassungsschutzbehörde SS 24b Weitere Auskunftsverlangen SS 25 Übermittlungsverbote, Nachberichtspflicht SS 26 Auskunft an betroffene Personen Abschnitt 4 Kontrolle der Verfassungsschutzbehörde SS 27 Parlamentarische Kontrollkommission SS 28 Geheimhaltung SS 29 Kontrollrechte der Parlamentarischen Kontrollkommission 151 Abschnitt 5 Schlussvorschriften SS 30 Geltung des Landesdatenschutzgesetzes SS 31 (weggefallen) SS 32 In-Kraft-Treten, Außer-Kraft-Treten Abschnitt 1 Aufgaben und Befugnisse der Verfassungsschutzbehörde SS 1 *) Zweck des Verfassungsschutzes Der Verfassungsschutz dient dem Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, des Bestandes und der Sicherheit des Bundes und der Länder. Fußnoten *) SS 1 geändert durch Artikel 3 des Gesetzes vom 16. April 2004. SS2 Organisation (1) Die Aufgaben des Verfassungsschutzes werden von der Ver fassungsschutzbehörde wahrgenommen. Verfassungsschutzbehörde ist das Innenministerium. Es unterhält für diese Aufgaben eine besondere Abteilung. (2) Die Verfassungsschutzbehörde darf Dienststellen der Polizei, Dienststellen der Polizei dürfen der Verfassungsschutzbehörde nicht angegliedert werden. SS3 Bedienstete Mit Aufgaben der Verfassungsschutzbehörde dürfen nur Personen betraut werden, die nach ihrer Persönlichkeit und nach ihrem Ver152 halten die Gewähr dafür bieten, dass sie jederzeit für die Sicherung und Erhaltung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung eintreten. SS4 Zusammenarbeit (1) Die Verfassungsschutzbehörde ist verpflichtet, mit Bund und Ländern in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes zusammenzuarbeiten. Die Zusammenarbeit besteht insbesondere in gegenseitiger Unterstützung und Information sowie in der Unterhaltung gemeinsamer Einrichtungen. (2) Die Verfassungsschutzbehörden anderer Länder dürfen im Geltungsbereich dieses Gesetzes nur im Einvernehmen, der Bund nach Maßgabe bundesrechtlicher Vorschriften nur im Benehmen mit der Verfassungsschutzbehörde Mecklenburg-Vorpommerns tätig werden. SS5 Aufgaben des Verfassungsschutzes (1) Zur Erfüllung ihrer Aufgabe sammelt und wertet die Verfassungsschutzbehörde sachund personenbezogene Daten, insbesondere Auskünfte, Nachrichten und Unterlagen aus über 1. Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziel haben, 2. sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten im Geltungsbereich des Grundgesetzes für eine fremde Macht im Geltungsbereich dieses Gesetzes, 3. Bestrebungen im Geltungsbereich des Grundgesetzes, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungs153 handlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, 4. Bestrebungen, die gegen den Gedanken der Völkerverständigung (Artikel 9 Abs. 2 des Grundgesetzes) oder gegen das friedliche Zusammenleben der Völker (Artikel 26 Abs. 1 des Grundgesetzes) gerichtet sind. (2) Die Verfassungsschutzbehörde informiert die zuständigen Stellen und die Öffentlichkeit über Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand und die Sicherheit des Bundes und der Länder. Sie kann dazu insbesondere Verfassungsschutzberichte veröffentlichen und Prävention im Rahmen von Öffentlichkeitsarbeit leisten. Den staatlichen Stellen soll ermöglicht werden, rechtzeitig die erforderlichen Maßnahmen zur Abwehr der Gefahren nach Satz 1 zu treffen. (3) Die Verfassungsschutzbehörde wirkt mit 1. bei der Sicherheitsüberprüfung von Personen nach Maßgabe des Sicherheitsüberprüfungsgesetzes vom 22. Januar 1998 (GVOBl. M-V S. 114, 195), zuletzt geändert durch Artikel 1 des Gesetzes vom 28. Januar 2009 (GVOBl. M-V S. 82), sowie bei Zuverlässigkeitsüberprüfungen in den übrigen gesetzlich bestimmten Fällen, 2. bei technischen Sicherheitsmaßnahmen zum Schutz von im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftigen Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen gegen die Kenntnisnahme durch Unbefugte. (4) Die Verfassungsschutzbehörde ist an die allgemeinen Rechtsvorschriften gebunden (Ar tikel 20 des Grundgesetzes). 154 SS6 Begriffsbestimmungen (1) Im Sinne dieses Gesetzes sind 1. Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung solche politisch bestimmten, zielund zweckgerichteten Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluss, die darauf gerichtet sind, einen der in Absatz 3 genannten Verfassungsgrundsätze zu beseitigen oder außer Geltung zu setzen, 2. Bestrebungen gegen den Bestand des Bundes oder eines Landes solche politisch bestimmten, zielund zweckgerichteten Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluss, die darauf gerichtet sind, die Freiheit des Bundes oder eines Landes von fremder Herrschaft aufzuheben, ihre staatliche Einheit zu beseitigen oder ein zu ihnen gehörendes Gebiet abzutrennen, 3. Bestrebungen gegen die Sicherheit des Bundes oder eines Landes solche politisch bestimmten, zielund zweckgerichteten Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluss, die darauf gerichtet sind, den Bund, die Länder oder deren Einrichtungen in ihrer Funktionsfähigkeit erheblich zu beeinträchtigen. (2) Eine Bestrebung im Sinne des Gesetzes ist insbesondere dann gegeben, wenn sie auf Gewaltanwendung gerichtet ist oder sonst ein kämpferisches und aggressives Verhalten gegenüber den in Absatz 3 genannten Grundsätzen erkennen lässt. (3) Zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne dieses Gesetzes zählen: 1. das Recht des Volkes, die Staatsgewalt in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung auszuüben und 155 die Volksvertretung in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl zu wählen, 2. die Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung und die Bindung der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an Gesetz und Recht, 3. das Recht auf Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition, 4. die Ablösbarkeit der Regierung und ihre Verantwortlichkeit gegenüber der Volksvertretung, 5. die Unabhängigkeit der Gerichte, 6. der Ausschluss jeder Gewaltund Willkürherrschaft und 7. die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte. (4) Für einen Personenzusammenschluss handelt, wer ihn in seinen Bestrebungen nachdrücklich unterstützt. Verhaltensweisen von Einzelpersonen, die nicht in einem oder für einen Personenzusammenschluss handeln, sind Bestrebungen im Sinne dieses Gesetzes, wenn sie auf Anwendung von Gewalt gerichtet sind oder aufgrund ihrer Wirkungsweise geeignet sind, ein Schutzgut dieses Gesetzes erheblich zu beschädigen. (5) Betroffene Personen sind Personen, bei denen tatsächliche Anhaltspunkte für Tätigkeiten oder Bestrebungen gemäß SS 5 Abs. 1 vorliegen. Dritte sind Personen, bei denen keine derartigen Anhaltspunkte vorliegen. (6) Gewalt im Sinne dieses Gesetzes ist die Anwendung körperlichen Zwanges gegen Personen und die gewalttätige Einwirkung auf Sachen. 156 SS7 Rahmen für die Tätigkeit der Verfassungsschutzbehörde (1) Die Verfassungsschutzbehörde darf sachund personenbezogene Daten nur erheben, verarbeiten und nutzen, soweit sie zur Erfüllung ihrer Aufgaben nach diesem Gesetz erforderlich sind. Voraussetzung für die Sammlung von Informationen im Sinne des SS 5 Abs. 1 ist das Vorliegen tatsächlicher Anhaltspunkte, die, insgesamt betrachtet und unter Einbeziehung nachrichtendienstlicher Erfahrungen, den Verdacht einer der in SS 5 Abs. 1 genannten Bestrebungen oder Tätigkeiten rechtfertigen. Die Art und der Umfang des Umgangs mit Daten richtet sich nach den Vorschriften dieses Gesetzes. Soweit dieses Gesetz nichts anderes bestimmt, gilt das Landesdatenschutzgesetz von Mecklenburg-Vorpommern. (2) Zur Erfüllung ihrer Aufgaben darf die Verfassungsschutzbehörde nur die dazu erforderlichen Maßnahmen ergreifen; dies gilt insbesondere für den Umgang mit personenbezogenen Daten. Von mehreren möglichen und geeigneten Maßnahmen hat sie diejenige zu treffen, die den einzelnen, insbesondere in seinen Grundrechten, und die Allgemeinheit voraussichtlich am wenigsten beeinträchtigt. Eine Maßnahme darf nicht zu einem Nachteil führen, der zu dem erstrebten Erfolg erkennbar außer Verhältnis steht. Sie ist nur so lange zulässig, bis ihr Zweck erreicht ist oder sich zeigt, dass er nicht erreicht werden kann. SS8 Funktionelle Trennung von Polizei und Verfassungsschutzbehörde Polizeiliche Befugnisse stehen der Verfassungsschutzbehörde nicht zu; sie darf die Polizei auch nicht im Wege der Amtshilfe um Maßnahmen ersuchen, zu denen sie selbst nicht befugt ist. 157 SS9 Formen der Datenerhebung (1) Die Verfassungsschutzbehörde darf personenbezogene Daten der betroffenen Person auch ohne deren Kenntnis bei ihr und bei Dritten erheben, wenn 1. tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht von Bestrebungen oder Tätigkeiten gemäß SS 5 Abs. 1 vorliegen, 2. dies für die Erforschung und Bewertung von gewalttätigen Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 5 Abs. 1 Nr. 2 erforderlich ist oder 3. dies zur Schaffung oder Erhaltung nachrichtendienstlicher Zugänge über Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 5 Abs. 1 erforderlich ist. Werden personenbezogene Daten bei der betroffenen Person mit ihrer Kenntnis erhoben, so ist sie über die Freiwilligkeit der Mitwirkung und den Verwendungszweck aufzuklären. Die Aufklärungspflicht umfasst bei einer beabsichtigten Übermittlung auch den Empfänger der Daten. Die Aufklärung kann unterbleiben, wenn die Tatsache, dass die Erhebung für Zwecke des Verfassungsschutzes erfolgt, aus besonderen Gründen nicht bekannt werden soll. (2) Personenbezogene Daten von Dritten dürfen ohne deren Kenntnis nur erhoben werden, wenn 1. dies für die Erforschung von Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 5 Abs. 1 vorübergehend erforderlich ist, 2. die Erforschung des Sachverhaltes auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre und 3. überwiegende schutzwürdige Belange der betroffenen Personen nicht entgegenstehen. 158 Daten Dritter dürfen auch erhoben werden, wenn sie mit zur Aufgabenerfüllung erforderlichen Informationen untrennbar verbunden sind. Daten, die für das Verständnis der zu speichernden Informationen nicht erforderlich sind, sind unverzüglich zu löschen. Dies gilt nicht, wenn die Löschung nicht oder nur mit unvertretbarem Aufwand möglich ist. In diesem Fall sind die Daten zu sperren; die gesperrten Daten dürfen nicht mehr genutzt werden. (3) Ist zum Zwecke der Sammlung von Informationen die Weitergabe personenbezogener Daten unerlässlich, so dürfen schutzwürdige Interessen der betroffenen Person oder Dritter nur im unvermeidbaren Umfang beeinträchtigt werden. SS 10 Informationsbeschaffung mit nachrichtendienstlichen Mitteln (1) Die Verfassungsschutzbehörde darf zur verdeckten Informationsbeschaffung, insbesondere zur heimlichen Erhebung personenbezogener Daten, nur folgende nachrichtendienstliche Mittel anwenden: 1. Inanspruchnahme von Vertrauensleuten nach Maßgabe des SS10a, sonstigen Informanten und Gewährspersonen; 2. Einsatz von Verdeckten Mitarbeitern nach Maßgabe des SS 10a; 3. Observationen; 4. Bildaufzeichnungen (Fotografieren, Filmen und Videografieren) außerhalb des Schutzbereiches des Artikels 13 des Grundgesetzes; 5. verdeckte Ermittlungen und Befragungen; 6. verdecktes Mithören ohne Inanspruchnahme technischer Mittel; 7. verdecktes Mithören und Aufzeichnen des nicht öffentlich gesprochenen Wortes unter Einsatz technischer Mittel außerhalb des Schutzbereiches des Artikels 13 des Grundgesetzes; 159 8. Beobachtung des Funkverkehrs auf nicht für den allgemeinen Empfang bestimmten Kanälen; 9. Verwendung fingierter biographischer, beruflicher oder gewerblicher Angaben (Legenden) mit Ausnahme solcher beruflicher Angaben, die sich auf die in Satz 3 genannten Personen beziehen; 10. Beschaffung, Herstellung und Verwendung von Tarnpapieren und Tarnkennzeichen; 11. Überwachung des Brief-, Postund Fernmeldeverkehrs nach Maßgabe des aufgrund von Artikel 10 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes erlassenen Bundesgesetzes; 12. verdecktes Beobachten und sonstiges Aufklären des Internets, ohne dass der Schutzbereich des Artikels 10 des Grundgesetzes (Brief-, Postund Fernmeldegeheimnis) berührt ist, insbesondere die verdeckte Teilnahme an den Kommunikationseinrichtungen des Internets sowie die Suche nach ihnen. (2) Die Mittel nach Absatz 1 dürfen nur angewendet werden, wenn 1. die Voraussetzungen des SS 9 Abs. 1 Nr. 1, 2 oder 3 vorliegen, 2. sich ihr Einsatz gegen Dritte richtet, deren Einbeziehung in eine solche Maßnahme unumgänglich ist, um auf diese Weise Erkenntnisse über sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten für eine fremde Macht oder Bestrebungen zu gewinnen, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen gegen die im SS 5 Abs. 1 Nr. 1 und 3 genannten Schutzgüter gerichtet sind oder 3. dies zur Abschirmung der Mitarbeiter, Einrichtungen, Gegenstände und Nachrichtenzugänge des Verfassungsschutzes gegen sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten erforderlich ist. 160 Die Mittel nach Absatz 1 Satz 1 Nr. 9 und 10 dürfen auch für Vertrauensleute angewendet werden, wenn dies zur Erfüllung eines dienstlichen Auftrags oder zu ihrem Schutz erforderlich ist. (3) Die Anwendung nachrichtendienstlicher Mittel gemäß Absatz 1 ist unzulässig, wenn die Informationsbeschaffung auf andere, die betroffene Person weniger beeinträchtigende Weise möglich ist. Eine geringere Beeinträchtigung ist in der Regel anzunehmen, wenn die Daten aus allgemein zugänglichen Quellen oder durch Übermittlung nach SS 24 gewonnen werden können. Die Anwendung nachrichtendienstlicher Mittel darf nicht außer Verhältnis zur Bedeutung des aufzuklärenden Sachverhaltes stehen. Die Verfassungsschutzbehörde darf die mit nachrichtendienstlichen Mitteln erhobenen Daten nur für die in SS 9 Abs. 1 genannten Zwecke nutzen. Daten, die für diese Zwecke nicht erforderlich sind, sind unverzüglich zu löschen. Sind diese Daten mit anderen, für die in SS 9 Abs. 1 genannten Zwecke erforderlichen Daten derart verbunden, dass sie nicht oder nur mit einem unverhältnismäßig großen Aufwand getrennt werden können, so sind diese Daten zu sperren; sie dürfen nicht mehr genutzt werden. (4) Wirkt die Verfassungsschutzbehörde an Sicherheitsüberprüfungen im Sinne des SS 5 Abs. 3 Nr. 1 mit, so darf sie nur das nachrichtendienstliche Mittel der Tarnung von Mitarbeitern anwenden. (5) Die Behörden des Landes sowie die Kommunalbehörden sind verpflichtet, der Verfassungsschutzbehörde Hilfe für Tarnungsmaßnahmen zu leisten. (6) Die Anwendung des nachrichtendienstlichen Mittels nach Absatz 1 Nr. 7 bedarf im Einzelfall der Zustimmung des Innenministers, im Falle seiner Verhinderung der des Staatssekretärs, und der Zustimmung der nach dem Ausführungsgesetz des Landes Mecklenburg-Vorpommern zu dem aufgrund von Artikel 10 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes erlassenen Bundesgesetzes gebildeten Kommission; bei Gefahr im Verzug ist unverzüglich die Genehmigung dieser Kommission nachträglich einzuholen. Die durch solche Maßnahmen erhobenen personenbezogenen Daten dürfen nur nach Maßgabe 161 des aufgrund von Artikel 10 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes erlassenen Bundesgesetzes verwendet werden. (7) Die Verfassungsschutzbehörde darf unter den Voraussetzungen des SS 24a Abs. 2 technische Mittel zur Ermittlung des Standortes eines aktiv geschalteten Mobilfunkendgerätes und zur Ermittlung der Geräteoder Kartennummer einsetzen. Die Maßnahme ist nur zulässig, wenn ohne Einsatz technischer Mittel nach Satz 1 die Ermittlung des Standortes oder die Ermittlung der Geräteoder Kartennummer aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre. Sie darf sich nur gegen die in SS 24a Abs. 3 Nr. 1 und 2 Buchstabe b bezeichneten Personen richten. Für die Verarbeitung der Daten ist SS 4 des Artikel 10-Gesetzes entsprechend anzuwenden. Personenbezogene Daten eines Dritten dürfen anlässlich solcher Maßnahmen nur erhoben werden, wenn dies aus technischen Gründen zur Erreichung des Zweckes nach Satz 1 unvermeidbar ist. Sie unterliegen einem absoluten Verwendungsverbot und sind nach Beendigung der Maßnahme unverzüglich zu löschen. SS 24a Abs. 4 bis 6 gilt entsprechend. Das Grundrecht des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses (Artikel 10 des Grundgesetzes) wird insoweit eingeschränkt. SS 10a Vertrauensleute und Verdeckte Mitarbeiter (1) Die Verfassungsschutzbehörde darf 1. Privatpersonen, deren planmäßige, dauerhafte Zusammenarbeit mit ihr Dritten nicht bekannt ist (Vertrauensleute), und 2. eigene Mitarbeiter unter einer ihnen verliehenen und auf Dauer angelegten Legende (Verdeckte Mitarbeiter) zur Aufklärung von Bestrebungen unter den Voraussetzungen des SS 10 Absatz 2 einsetzen. Ein dauerhafter Einsatz zur Aufklärung von Bestrebungen nach SS 5 Absatz 1 Nummer 1 und 4 ist nur bei Bestrebungen von erheblicher Bedeutung zulässig, insbesondere, wenn sie darauf gerichtet sind, Gewalt anzuwenden oder Gewalt vorzubereiten. 162 (2) Vertrauensleute und Verdeckte Mitarbeiter dürfen weder zur Gründung von Bestrebungen nach SS 5 Absatz 1 Nr. 1, 3 oder 4 noch zur steuernden Einflussnahme auf derartige Bestrebungen eingesetzt werden. Sie dürfen in solchen Personenzusammenschlüssen oder für solche Personenzusammenschlüsse, einschließlich strafbarer Vereinigungen, tätig werden, um deren Bestrebungen aufzuklären. Im Übrigen ist im Einsatz eine Beteiligung an Bestrebungen nur zulässig, wenn sie 1. nicht in Individualrechte eingreift, 2. von den an den Bestrebungen Beteiligten derart erwartet wird, dass sie zur Gewinnung und Sicherung der Informationszugänge unumgänglich ist, und 3. nicht außer Verhältnis zur Bedeutung des aufzuklärenden Sachverhalts steht. Sofern zureichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass Vertrauensleute oder Verdeckte Mitarbeiter rechtswidrig einen Straftatbestand von erheblicher Bedeutung verwirklicht haben, soll der Einsatz unverzüglich beendet und die Strafverfolgungsbehörde unterrichtet werden. Über Ausnahmen nach Satz 4 entscheidet der Leiter der Verfassungsschutzabteilung oder sein Vertreter. (3) Über die Verpflichtung von Vertrauensleuten entscheidet der Leiter der Verfassungsschutzabteilung oder sein Vertreter. Als Vertrauensleute dürfen Personen nicht angeworben und eingesetzt werden, die 1. nicht voll geschäftsfähig, insbesondere minderjährig sind, 2. von den Geldoder Sachzuwendungen für die Tätigkeit auf Dauer als alleinige Lebensgrundlage abhängen würden, 3. an einem Aussteigerprogramm teilnehmen, 163 4. im Bundeszentralregistermit einer Verurteilung wegen eines Verbrechens oder zu einer Freiheitsstrafe, deren Vollstreckung nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist, eingetragen sind, 5. Mitglied des Europäischen Parlaments, des Deutschen Bundestages, eines Landesparlaments oder Mitarbeiter eines solchen Mitglieds sind oder 6. berechtigt sind, in Strafsachen aus beruflichen Gründen das Zeugnis zu verweigern (SSSS 53 und 53a der Strafprozessordnung), wenn sie zur Beschaffung von Informationen über Sachverhalte eingesetzt werden sollen, auf die sich ihr Zeugnisverweigerungsrecht bezieht; Informationen, die diese Personen unter Verletzung des SS 203 des Strafgesetzbuches rechtswidrig an die Verfassungsschutzbehörde weiterzugeben beabsichtigen, dürfen von dieser nicht entgegengenommen werden. Der Leiter der Verfassungsschutzabteilung kann eine Ausnahme von Nummer 4 zulassen, wenn die Verurteilung nicht als Täter eines Totschlags (SSSS 212, 213 StGB) oder einer allein mit lebenslanger Haft bedrohten Straftat erfolgt ist und der Einsatz zur Aufklärung von Bestrebungen, die auf die Begehung von in SS 3 Absatz 1 des Artikel 10-Gesetzes bezeichneten Straftaten gerichtet sind, unerlässlich ist. Im Falle einer Ausnahme nach Satz 3 ist der Einsatz nach höchstens sechs Monaten zu beenden, wenn er zur Erforschung der in Satz 3 genannten Bestrebungen nicht zureichend gewichtig beigetragen hat. Auch im Weiteren ist die Qualität der gelieferten Informationen fortlaufend zu bewerten. Das Ministerium für Inneres und Sport trägt der Parlamentarischen Kontrollkommission mindestens einmal im Jahr einen Lagebericht zum Einsatz von Vertrauensleuten vor. (4) Zum Absehen von der Verfolgung von im Einsatz begangenen Vergehen oder der Rücknahme einer bereits erhobenen Klage und der Verfahrenseinstellung durch die Staatsanwaltschaft findet SS 9a Absatz 3 des Bundesverfassungsschutzgesetzes Anwendung. 164 SS 11 Mitteilung an betroffene Personen Betroffenen Personen sind Maßnahmen nach SS 10 Abs. 6 Satz 1 nach ihrer Beendigung mitzuteilen, sobald eine Gefährdung des Zweckes des Eingriffs ausgeschlossen werden kann. Lässt sich im Zeitpunkt der Beendigung der Maßnahme noch nicht abschließend beurteilen, ob diese Voraussetzung erfüllt ist, unterbleibt die Mitteilung so lange, bis eine Gefährdung des Zwecks der Maßnahme ausgeschlossen werden kann. Die nach dem Ausführungsgesetz zu dem aufgrund von Artikel 10 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes gebildete Kommission ist über die Gründe, die einer Mitteilung entgegenstehen, zu unterrichten; hält sie eine Mitteilung für geboten, so ist diese unverzüglich zu veranlassen. SS 12 Registereinsicht durch die Verfassungsschutzbehörde (1) Die Verfassungsschutzbehörde darf zur Aufklärung 1. von Bestrebungen, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind, 2. von Bestrebungen im Sinne des SS 5 Abs. 1 Nr. 2 bis 4 bei öffentlichen Stellen geführte Dateien, Akten und Register einsehen. (2) Eine solche Einsichtnahme ist nur zulässig, wenn 1. die Aufklärung auf andere Weise nicht möglich erscheint, insbesondere durch eine Übermittlung der Daten durch die registerführende Stelle der Zweck der Maßnahme gefährdet würde, 2. die betroffenen Personen durch eine anderweitige Aufklärung unverhältnismäßig beeinträchtigt werden würden und 165 3. eine besondere gesetzliche Geheimhaltungsvorschrift oder ein Berufsgeheimnis der Einsichtnahme nicht entgegensteht. (3) Die auf diese Weise gewonnenen Erkenntnisse dürfen nur zu den in Absatz 1 genannten Zwecken verwendet werden. Daten, die für diese Zwecke nicht erforderlich sind, sind unverzüglich zu löschen. Sind diese Daten mit anderen, für die in Absatz 1 genannten Zwecke erforderlichen Daten derart verbunden, dass sie nicht oder nur mit unverhältnismäßig großem Aufwand getrennt werden können, so sind diese Daten zu sperren; sie dürfen nicht mehr genutzt werden. (4) Über die Einsichtnahme ist ein gesonderter Nachweis zu führen, aus dem ihr Zweck, die in Anspruch genommene Stelle sowie die Namen der betroffenen Person, deren Daten für eine weitere Verwendung erforderlich sind, hervorgehen. Diese Aufzeichnungen sind gesondert aufzubewahren, durch technische und organisatorische Maßnahmen zu sichern und am Ende des Kalenderjahres, das dem Jahr der Erstellung folgt, zu vernichten. Dieser Nachweis ist der Parlamentarischen Kontrollkommission auf Wunsch vorzulegen. Abschnitt 2 Datenverarbeitung SS 13 Begriff der Datei und der Akte (1) Eine Datei im Sinne dieses Gesetzes ist 1. eine Sammlung personenbezogener Daten, die durch automatisierte Verfahren verarbeitet und ausgewertet werden kann (automatisierte Datei) oder 2. jede sonstige Sammlung gleichartig aufgebauter personenbezogener Daten, die nach bestimmten Merkmalen geordnet und ausgewertet werden kann (nicht-automatisierte Datei). 166 (2) Eine Akte ist jede sonstige Sammlung von amtlichen oder dienstlichen Zwecken dienenden Unterlagen, die in einem inhaltlichen Bezug zueinander stehen und auch personenbezogene Daten enthalten können. Dazu zählen auch Bildund Tonmedien. Akten oder Auszüge aus Akten dürfen auch in elektronischer Form geführt werden. Eine Abfrage personenbezogener Daten mittels automatisierter Verarbeitung ist nur zulässig, wenn für sie die Voraussetzungen der Speicherung nach SS 15 Absatz 1 oder SS 16 Absatz 1 vorliegen. Der automatisierte Abgleich dieser personenbezogenen Daten ist nur beschränkt auf Akten eng umgrenzter Anwendungsgebiete zulässig. Bei jeder Anfrage sind für Zwecke der Datenschutzkontrolle der Zeitpunkt, die Angaben, die die Feststellung der abgefragten Daten ermöglichen, sowie die Angaben zur Feststellung des Abfragenden zu protokollieren. Die protokollierten Daten dürfen nur für Zwecke der Datenschutzkontrolle, der Datensicherung oder zur Sicherstellung eines ordnungsgemäßen Betriebs der Datenverarbeitungsanlage verwendet werden. Die Protokolldaten sind am Ende des Kalenderjahres, das dem Jahr der Protokollierung folgt, zu löschen. SS 14 Dateianordnung (1) Für jede automatisierte Datei der Verfassungsschutzbehörde sind in einer Dateianordnung durch die Verfassungsschutzbehörde festzulegen: 1. Bezeichnung der Datei, 2. Zweck der Datei, 3. Inhalt, Umfang, Voraussetzungen der Speicherung, Übermittlung und Nutzung, 4. Berechtigung zur Eingabe von Daten, 5. Zugangsberechtigung, 167 6. Überprüfungsfristen und Speicherungsdauer, 7. Protokollierung. (2) Der Landesbeauftragte für den Datenschutz ist vor Erlass der Dateianordnung anzuhören. SS 15 Voraussetzung der Speicherung (1) Die Verfassungsschutzbehörde darf zur Erfüllung ihrer Aufgaben personenbezogene Informationen in Dateien nur speichern, wenn die Voraussetzungen ihrer Erhebung gemäß SS 9 Absatz 1 oder 2 vorliegen. (2) Unterlagen, die nach Absatz 1 gespeicherte Angaben belegen, dürfen auch gespeichert werden, wenn in ihnen weitere personenbezogene Daten Dritter enthalten sind. Eine Abfrage von Daten Dritter ist unzulässig. (3) Bundesgesetzliche Vorschriften über die Datenverarbeitung in gemeinsamen Dateien der Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder bleiben unberührt. SS 16 Erfassung personenbezogener Daten von Minderjährigen (1) Personenbezogene Daten von Minderjährigen dürfen in Dateien nur gespeichert werden, wenn 1. diese zu dem Zeitpunkt, auf den sich die Daten beziehen, das 16. Lebensjahr vollendet haben und 2. der Verdacht einer geheimdienstlichen Tätigkeit (SS 5 Absatz 1 Nummer 2) oder einer Bestrebung im Sinne des SS 5 Absatz 1 Nummer 1 oder 3 besteht, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen verfolgt wird. 168 (2) Personenbezogene Daten über Minderjährige nach Vollendung des 16. und vor Vollendung des 18. Lebensjahres sind nach zwei Jahren auf die Erforderlichkeit der Erfassung zu überprüfen und spätestens nach fünf Jahren zu löschen, es sei denn, dass nach Eintritt der Volljährigkeit weitere Erkenntnisse nach SS 5 Absatz 1 angefallen sind. SS 17 Speichern, Berichtigen, Löschen und Sperren personenbezogener Daten (1) Umfang und Dauer der Speicherung personenbezogener Daten sind auf das für die Aufgabenerfüllung der Verfassungsschutzbehörde erforderliche Maß zu beschränken. (2) Wird die Richtigkeit von personenbezogenen Daten von betroffenen Personen bestritten, so ist dies in der Akte und Datei zu vermerken oder auf sonstige Weise festzuhalten. Personenbezogene Daten sind zu berichtigen, wenn sie unrichtig sind. Dabei muss nachvollziehbar bleiben, in welchem Zeitraum und aus welchem Grund sie unrichtig waren. Die Daten sind zu ergänzen, wenn sie unvollständig sind und dadurch schutzwürdige Interessen der betroffenen Person beeinträchtigt sein können. (3) Personenbezogene Daten in Dateien sind zu löschen, wenn ihre Erhebung oder Speicherung unzulässig war oder ihre Kenntnis für die Aufgabenerfüllung nicht mehr erforderlich ist. Bei jeder Einzelfallbearbeitung und nach festgesetzten Fristen, spätestens aber nach fünf Jahren, sind die in Dateien gespeicherten personenbezogenen Daten auf ihre Erforderlichkeit zu überprüfen. Soweit die Daten Bestrebungen nach SS 5 Absatz 1 Nummer 1 betreffen, sind sie spätestens zehn Jahre, soweit sie Bestrebungen nach SS 5 Absatz 1 Nummer 3 oder 4 betreffen, spätestens fünfzehn Jahre nach dem Zeitpunkt der letzten gespeicherten relevanten Information zu löschen, es sei denn, der Leiter der Verfassungsschutzabteilung oder sein Vertreter trifft im Einzelfall ausnahmsweise eine andere Entscheidung. 169 (4) Personenbezogene Daten sind in Dateien zu sperren, soweit durch ihre Löschung schutzwürdige Belange der betroffenen Person oder von Dritten beeinträchtigt würden. Ein schutzwürdiges Interesse liegt auch vor, wenn die betroffene Person einen Antrag nach SS 26 Absatz 1 Satz 1 gestellt hat. An Stelle der Löschung tritt auch dann eine Sperrung, wenn die nach Absatz 3 zu löschenden Daten mit anderen Daten derart verbunden sind, dass sie nicht oder nur mit einem unverhältnismäßig großen Aufwand getrennt werden können. Die gesperrten Daten dürfen ohne Einwilligung der betroffenen Person nicht mehr genutzt werden. (5) Eine Akte ist zu vernichten, wenn sie insgesamt zur Aufgabenerfüllung der Verfassungsschutzbehörde nicht oder nicht mehr erforderlich ist. Die Erforderlichkeit ist bei der Einzelfallbearbeitung und nach gesetzten Fristen, spätestens nach fünf Jahren, zu prüfen. Eine Vernichtung unterbleibt, wenn Grund zu der Annahme besteht, dass durch sie schutzwürdige Interessen des Betroffenen beeinträchtigt würden. Dies ist auch dann gegeben, wenn eine betroffene Person einen Antrag nach SS 26 Absatz 1 Satz 1 gestellt hat. In diesen Fällen ist die Akte zu sperren und mit einem entsprechenden Vermerk zu versehen. Sie darf nur für den Zweck verwendet werden, für den sie gesperrt worden ist oder wenn es zur Abwehr einer erheblichen Gefahr unerlässlich ist. Eine Vernichtung der Akte erfolgt nicht, wenn sie nach den Vorschriften des Landesarchivgesetzes dem Landesarchivgesetz zur Übernahme anzubieten und zu übergeben ist. (6) Personenbezogene Daten, die ausschließlich zu Zwecken der Datenschutzkontrolle, der Datensicherung oder zur Sicherstellung eines ordnungsgemäßen Betriebes einer Datenverarbeitungsanlage gespeichert werden, dürfen nur für diesen Zweck verwendet werden. 170 Abschnitt 3 Informationsübermittlung und Auskunftserteilung SS 18 Informationsübermittlung zwischen den Verfassungsschutzbehörden Die Verfassungsschutzbehörde unterrichtet das Bundesamt für Verfassungsschutz und die Verfassungsschutzbehörden der Länder über alle Angelegenheiten, deren Kenntnis zur Er füllung der Aufgaben der empfangenden Stellen erforderlich ist. SS 19 Informationsübermittlung an Bundesnachrichtendienst und Militärischen Abschirmdienst Die Verfassungsschutzbehörde übermittelt dem Bundesnachrichtendienst und dem Militärischen Abschirmdienst die ihr bekannt gewordenen Informationen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Übermittlung für die Erfüllung der Aufgaben der empfangenden Stelle erforderlich ist. Handelt die Verfassungsschutzbehörde auf Ersuchen, so ist sie zur Übermittlung nur verpflichtet und berechtigt, wenn sich die tatsächlichen Anhaltspunkte aus den Angaben der ersuchenden Behörde ergeben. SS 20 Informationsübermittlung durch die Verfassungsschutzbehörde an Polizei, Staatsanwaltschaft und andere Stellen (1) Die im Rahmen der gesetzlichen Aufgaben gewonnenen Erkenntnisse der Verfassungsschutzbehörde, die nicht personenbezogen sind, können an andere Behörden und Stellen, insbesondere an die Polizei und Staatsanwaltschaften, übermittelt werden, wenn sie für die Aufgabenerfüllung der empfangenden Stellen erforderlich sein können. (2) Personenbezogene Daten übermittelt die Verfassungsschutzbehörde von sich aus an die Staatsanwaltschaften und, vorbehaltlich 171 der staatsanwaltschaftlichen Sachleitungsbefugnis, die Polizei, sofern aufgrund der bei der Verfassungsschutzbehörde vorliegenden Informationen tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Übermittlung zur Verhinderung oder Verfolgung von Staatsschutzdelikten erforderlich ist. Delikte nach Satz 1 sind die in SS 74a Abs. 1 und SS 120 Abs. 1 des Gerichtsverfassungsgesetzes in der Fassung der Bekanntmachung vom 9. Mai 1975 (BGBl. I S. 1077), zuletzt geändert durch Artikel 2 des Gesetzes vom 19. Dezember 2000 (BGBl. I S. 1756), genannten Straftaten sowie sonstige Straftaten, bei denen aufgrund ihrer Zielsetzung, des Motivs des Täters oder dessen Verbindung zu einer Organisation tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie gegen die in Artikel 73 Nr. 10 Buchstabe b oder c des Grundgesetzes genannten Schutzgüter gerichtet sind. (3) Personenbezogene Daten darf die Verfassungsschutzbehörde vorbehaltlich des Absatzes 4 übermitteln 1. an die Staatsanwaltschaften und, vorbehaltlich der staatsanwaltschaftlichen Sachleitungsbefugnis, die Polizei, sofern aufgrund der bei der Verfassungsschutzbehörde vorliegenden Informationen tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass jemand eine Straftat plant oder begangen hat, die im Mindestmaß mit Freiheitsstrafe von sechs Monaten bedroht ist, oder wenn es zum Schutz vor Bestrebungen und Tätigkeiten nach SS 5 Abs. 1 erforderlich ist, 2. an andere staatliche Behörden und an die der Aufsicht des Landes unterstellten Gebietskörperschaften, wenn dies zum Schutz vor Bestrebungen und Tätigkeiten nach SS 5 Abs. 1 erforderlich ist, 3. an Stellen, die mit dem Überprüfungsverfahren nach SS 5 Absatz 3 Nummer 1 befasst sind, 4. an andere Stellen, wenn es zum Schutz vor Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes unverzichtbar ist. 172 In den Fällen der Nummer 4 entscheidet der Leiter der Verfassungsschutzabteilung oder sein Vertreter. (4) Personenbezogene Daten, die mit den nachrichtendienstlichen Mitteln nach SS 10 Absatz 1 erhoben wurden, darf die Verfassungsschutzbehörde an die Staatsanwaltschaften, die Finanzbehörden nach SS 386 Absatz 1 der Abgabenordnung, die Polizei, die mit der Steuer fahndung betrauten Dienststellen der Landesfinanzbehörden, die Behörden des Zollfahndungsdienstes sowie anderer Zolldienststellen, soweit diese Aufgaben nach dem Bundespolizeigesetz wahrnehmen, nur übermitteln, soweit dies erforderlich ist zur 1. Erfüllung eigener Aufgaben der Informationsgewinnung, 2. Abwehr einer im Einzelfall bestehenden Gefahr für den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder für Leib, Leben, Gesundheit oder Freiheit einer Person oder für Sachen von erheblichen Wert, deren Erhaltung im öffentlichen Interesse geboten ist, 3. Verhinderung oder sonstigen Verhütung von Straftaten von erheblicher Bedeutung oder 4. Verfolgung von Straftaten von erheblicher Bedeutung. (5) Soweit es zur Verhinderung oder Verfolgung von Straftaten gemäß Absatz 2 erforderlich ist, können die Staatsanwaltschaften und, vorbehaltlich der staatsanwaltschaftlichen Sachleitungsbefugnis, die Polizei die Übermittlung personenbezogener Daten im Einzelfall verlangen. Das Ersuchen bedarf der Schriftform, ist zu begründen und zu dokumentieren. Eine Übermittlung unterbleibt, sofern übergeordnete Bedenken aus den Aufgaben des Verfassungsschutzes der Übermittlung entgegenstehen. Die Entscheidung trifft der Leiter der Ver fassungsschutzabteilung oder sein Vertreter. Die Ablehnung ist zu dokumentieren und zu begründen. Nach Wegfall der Ablehnungsgründe ist die Auskunft auf Verlangen nachzuholen. 173 (6) Die nach Absatz 2 bis 4 oder 5 übermittelten personenbezogenen Daten darf die empfangende Stelle nur zu dem Zweck verwenden, zu dessen Erfüllung sie ihr übermittelt wurden. Auf diese Einschränkung ist die empfangende Stelle hinzuweisen. SS 20a Projektbezogene gemeinsame Dateien (1) Die Verfassungsschutzbehörde kann für die Dauer einer befristeten projektbezogenen Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz, den übrigen Landesbehörden für Verfassungsschutz, dem Militärischen Abschirmdienst, dem Bundesnachrichtendienst, dem Zollkriminalamt sowie den Polizeibehörden des Bundes und der Länder eine gemeinsame Datei errichten. Die projektbezogene Zusammenarbeit soll nach Maßgabe der Aufgaben und Befugnisse der in Satz 1 genannten Behörden den Austausch und die gemeinsame Auswertung von Erkenntnissen zu Bestrebungen, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen gegen die in SS 5 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 bis 4 genannten Schutzgüter gerichtet sind, bewirken. Personenbezogene Daten zu Bestrebungen nach Satz 2 dürfen unter Einsatz der gemeinsamen Datei durch die an der projektbezogenen Zusammenarbeit beteiligten Behörden im Rahmen ihrer Befugnisse verwendet werden, soweit dies in diesem Zusammenhang zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlich ist. Bei der weiteren Verwendung der personenbezogenen Daten finden für die beteiligten Behörden die jeweils für sie geltenden Vorschriften über die Verwendung von Daten Anwendung. (2) SS 22a Absatz 2 bis 6 des Bundesverfassungsschutzgesetzes findet entsprechende Anwendung. SS 21 Informationsübermittlung an ausländische Stellen Die Verfassungsschutzbehörde darf personenbezogene Daten im Einvernehmen mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz an ausländische öffentliche Stellen sowie an überund zwischenstaatliche 174 Stellen übermitteln, soweit die Übermittlung in einem Gesetz, einem Rechtsakt der Europäischen Gemeinschaften oder in einer internationalen Vereinbarung geregelt ist. Eine Übermittlung darf auch erfolgen, wenn sie 1. zum Schutz von Leib oder Leben erforderlich ist oder 2. zur Erfüllung eigener Aufgaben, insbesondere in Fällen grenzüberschreitender Tätigkeiten der Verfassungsschutzbehörde, unumgänglich ist und im Empfängerland gleichwertige Datenschutzregelungen gelten. Die Übermittlung unterbleibt, wenn ihr auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland oder überwiegende schutzwürdige Interessen der betroffenen Person, insbesondere deren Schutz vor einer rechtsstaatswidrigen Verfolgung, entgegenstehen. SS 20 Abs. 5 gilt entsprechend; die empfangende Stelle ist darüber hinaus darauf hinzuweisen, dass sich die Verfassungsschutzbehörde vorbehält, Auskunft über die Verarbeitung der übermittelten Daten zu verlangen. SS 22 Informationsübermittlung an die Öffentlichkeit Bei der Unterrichtung der Öffentlichkeit, einschließlich der Medien, über Erkenntnisse der Verfassungsschutzbehörde ist die Übermittlung von personenbezogenen Daten nur zulässig, wenn es zu einer sachgemäßen Information erforderlich ist und schutzwürdige Interessen der betroffenen Person nicht entgegenstehen. Werden von der Verfassungsschutzbehörde personenbezogene Daten an die Öffentlichkeit gegeben, so ist im Einzelfall zu prüfen, ob vorab eine Benachrichtigung der betroffenen Person oder des Dritten geboten ist. 175 SS 23 Dokumentation und Grundlage der Informationsübermittlung durch die Verfassungsschutzbehörde Die Übermittlung von personenbezogenen Daten ist zu dokumentieren. Vor der Datenübermittlung soll der Akteninhalt gewürdigt und der Datenübermittlung zugrunde gelegt werden. Erkennbar unvollständige Daten sind vor der Übermittlung im Rahmen der Verhältnismäßigkeit durch Einholung zusätzlicher Auskünfte zu vervollständigen, anderenfalls ist auf die Unvollständigkeit hinzuweisen. SS 24 *) Informationsübermittlung durch öffentliche Stellen an die Verfassungsschutzbehörde (1) Die Verfassungsschutzbehörde kann von den Behörden des Landes und den der Aufsicht des Landes unterstehenden juristischen Personen des öffentlichen Rechts nur die Übermittlung von Daten verlangen, die diesen Stellen im Rahmen ihrer Aufgaben vorliegen und die zur Erfüllung der Aufgaben des Verfassungsschutzes erforderlich sind. Voraussetzung hier für ist, dass die betreffenden Daten nicht aus allgemein zugänglichen Quellen oder nur mit übermäßigem Aufwand oder nur durch eine die betroffene Person stärker belastende Maßnahme erhoben werden können. (2) Die Verfassungsschutzbehörde braucht Ersuchen nicht zu begründen, soweit dies dem Schutz der betroffenen Person dient oder eine Begründung den Zweck der Maßnahme gefährden würde. (3) Die in Absatz 1 genannten Stellen übermitteln von sich aus der Verfassungsschutzbehörde alle ihnen im Rahmen ihrer Aufgaben vorliegenden Daten über Bestrebungen, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen verfolgt werden, und über geheimdienstliche Tätigkeiten. Die Staatsanwaltschaften und, vorbehaltlich der staatsanwaltschaftlichen Sachleitungsbefugnis, die Polizei übermitteln darüber hinaus auch andere ihnen im Rahmen ihrer Aufgabenerfüllung bekannt gewordene Da176 ten über Bestrebungen im Sinne des SS 5 Abs. 1. Die Übermittlung personenbezogener Daten, die aufgrund einer Maßnahme nach SS100a der Strafprozessordnung bekannt geworden sind, ist nur zulässig, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass jemand eine der im aufgrund von Artikel 10 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes erlassenen Bundesgesetz als Voraussetzung für eine Beschränkungsmaßnahme genannten Straftaten plant, begeht oder begangen hat. Die Übermittlung personenbezogener Daten, die aufgrund anderer strafprozessualer Zwangsmaßnahmen bekannt geworden sind, ist nur zulässig, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für geheimdienstliche oder sicherheitsgefährdende Tätigkeiten oder gewalttätige Bestrebungen bestehen. Auf die nach Satz 3 übermittelten Daten und die dazugehörenden Unterlagen finden die im aufgrund von Artikel 10 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes erlassenen Bundesgesetz enthaltenen Bestimmungen über die Nutzung, Übermittlung und Vernichtung von Daten entsprechende Anwendung. Die nach Satz 4 übermittelten Daten dürfen nur zur Erforschung geheimdienstlicher oder sicherheitsgefährdender Tätigkeiten oder gewalttätiger Bestrebungen genutzt werden. (4) Vorschriften zur Datenübermittlung an die Verfassungsschutzbehörde nach anderen Gesetzen bleiben unberührt. (5) Die Verfassungsschutzbehörde hat die übermittelten Daten nach ihrem Eingang unverzüglich darauf zu überprüfen, ob sie für die Erfüllung ihrer in SS 5 genannten Aufgaben erforderlich sind. Ergibt die Prüfung, dass sie nicht erforderlich sind, sind die Unterlagen unverzüglich zu vernichten. Die Vernichtung unterbleibt, wenn die Unterlagen von anderen Daten, die zur Erfüllung der Aufgaben erforderlich sind, nicht oder nur mit unvertretbarem Aufwand getrennt werden können; in diesem Fall sind die Daten gesperrt und entsprechend zu kennzeichnen. (6) Soweit andere gesetzliche Vorschriften nicht besondere Regelungen über die Dokumentation treffen, haben die Verfassungsschutzbehörde und die übermittelnde Stelle die Datenübermittlung zu dokumentieren. 177 Fußnoten *) SS 24 Überschrift neu gefasst durch Artikel 3 des Gesetzes vom 16. April 2004. SS 24a Informationsübermittlung durch nicht-öffentliche Stellen an die Verfassungsschutzbehörde (1) Die Verfassungsschutzbehörde darf im Einzelfall bei denjenigen, die geschäftsmäßig Postdienstleistungen oder Telemediendienste erbringen oder daran mitwirken, Auskunft über Daten einholen, die für die Begründung, inhaltliche Ausgestaltung, Änderung oder Beendigung eines Vertragsverhältnisses über Postdienstleistungen oder Telemediendienste (Bestandsdaten) gespeichert worden sind, soweit dies zur Erfüllung ihrer Aufgaben erforderlich ist. (2) Die Verfassungsschutzbehörde darf im Einzelfall Auskunft einholen bei 1. Luftfahrtunternehmen zu Namen und Anschriften des Kunden sowie zur Inanspruchnahme und den Umständen von Transportleistungen, insbesondere zum Zeitpunkt von Abfertigung und Abflug und zum Buchungsweg, 2. Kreditinstituten, Finanzdienstleistungsinstituten und Finanzunternehmen zu Konten, Konteninhabern und sonstigen Berechtigten sowie weiteren am Zahlungsverkehr Beteiligten und zu Geldbewegungen und Geldanlagen, insbesondere über Kontostand und Zahlungseinund -ausgänge, 3. denjenigen, die geschäftsmäßig Postdienstleistungen erbringen oder daran mitwirken, zu den Umständen des Postverkehrs, 4. denjenigen, die geschäftsmäßig Telekommunikationsdienste erbringen oder daran mitwirken, zu Verkehrsdaten nach SS 96 Abs. 1 178 Nr. 1 bis 4 sowie SS 113a des Telekommunikationsgesetzes vom 22. Juni 2004 (BGBl. I S. 1190), das zuletzt durch Artikel 2 des Gesetzes vom 21. Dezember 2007 (BGBl. I S. 3198) geändert worden ist, und sonstigen zum Aufbau und zur Aufrechterhaltung der Telekommunikation notwendigen Verkehrsdaten und 5. denjenigen, die geschäftsmäßig Telemediendienste erbringen oder daran mitwirken, zu a) Merkmalen zur Identifikation des Nutzers eines Telemediums, b) Angaben über Beginn und Ende sowie über den Umfang der jeweiligen Nutzung und c) Angaben über die vom Nutzer in Anspruch genommenen Telemediendienste, soweit dies zur Aufklärung von Bestrebungen oder Tätigkeiten erforderlich ist und tatsächliche Anhaltspunkte für schwerwiegende Gefahren für die in SS 5 Abs. 1 genannten Schutzgüter vorliegen. Im Falle des SS 5 Abs. 1 Nr. 1 gilt dies nur für Bestrebungen, die bezwecken oder aufgrund ihrer Wirkungsweise geeignet sind, 1. zu Hass oder Willkürmaßnahmen gegen Teile der Bevölkerung aufzustacheln oder deren Menschenwürde durch Beschimpfen, böswilliges Verächtlichmachen oder Verleumden anzugreifen und dadurch die Bereitschaft zur Anwendung von Gewalt zu fördern und den öffentlichen Frieden zu stören oder 2. Gewalt anzuwenden oder vorzubereiten einschließlich dem Befürworten, Hervorrufen oder Unterstützen von Gewaltanwendung, auch durch Unterstützen von Vereinigungen, die Anschläge gegen Personen oder Sachen veranlassen, befürworten oder androhen. (3) Anordnungen nach Absatz 2 dürfen sich nur gegen Personen richten, bei denen 179 1. tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie die schwerwiegenden Gefahren nach Absatz 2 nachdrücklich fördern oder 2. aufgrund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist a) bei Auskünften nach Absatz 2 Satz 1 Nr. 1, 2 und 5, dass sie die Leistung für eine Person nach Nummer 1 in Anspruch nehmen oder b) bei Auskünften nach Absatz 2 Satz 1 Nr. 3 und 4, dass sie für eine Person nach Nummer 1 bestimmte oder von ihr herrührende Mitteilungen entgegennehmen oder weitergeben oder im Falle des Absatzes 2 Satz 1 Nr. 4, dass eine Person nach Nummer 1 ihren Anschluss benutzt. (4) Die Zuständigkeit für Anordnungen nach Absatz 2 Satz 1 Nr. 1 ist in einer Dienstvorschrift zu regeln, die der Zustimmung des Innenministers bedarf. Anordnungen nach Absatz 2 Satz 1 Nr. 2 bis 5 werden vom Leiter der Verfassungsschutzbehörde oder seinem Vertreter schriftlich beantragt und begründet. Im Falle der Auskunft nach Nummer 2 kann der Antrag auch von einem Bediensteten der Verfassungsschutzbehörde gestellt werden, der die Befähigung zum Richteramt hat. Zuständig für Anordnungen nach Absatz 2 Satz 1 Nr. 2 bis 5 ist der Innenminister. Die Anordnung einer Auskunft über künftig anfallende Daten ist auf höchstens drei Monate zu befristen. Die Verlängerung dieser Anordnung um jeweils nicht mehr als drei Monate ist auf Antrag zulässig, soweit die Voraussetzungen der Anordnung fortbestehen. Anordnungen nach Absatz 2 Satz 1 Nr. 1 und 2 hat die Verfassungsschutzbehörde dem Betroffenen mitzuteilen, sobald eine Gefährdung des Zweckes des Eingriffs ausgeschlossen werden kann. (5) Über Anordnungen nach Absatz 2 Satz 1 Nr. 3 bis 5 unterrichtet der Innenminister monatlich die Kommission nach SS 2 Abs. 1 des Gesetzes zur Ausführung des Artikel 10-Gesetzes vom 17. Juli 1992 180 (GVOBl. M-V S. 486), das zuletzt durch das Gesetz vom 30. Juli 2007 (GVOBl. M-V S. 278) geändert worden ist, vor deren Vollzug. Bei Gefahr im Verzug kann er den Vollzug der Entscheidung auch bereits vor der Unterrichtung der Kommission anordnen. Die Kommission prüft von Amts wegen oder aufgrund von Beschwerden die Zulässigkeit und Notwendigkeit der Einholung von Auskünften. SS 15 Abs. 5 des Artikel 10-Gesetzes vom 26. Juni 2001 (BGBl. I S. 1254, 2298), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 18. Februar 2007 (BGBl. I S 106) geändert worden ist, ist mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden, dass die Kontrollbefugnis der Kommission sich auf die gesamte Erhebung, Verarbeitung und Nutzung der nach Absatz 2 Satz 1 Nr. 3 bis 5 erlangten personenbezogenen Daten erstreckt. Entscheidungen über Auskünfte, die die Kommission für unzulässig oder nicht notwendig erklärt, hat der Innenminister unverzüglich aufzuheben. Die Daten unterliegen in diesem Falle einem absoluten Verwendungsverbot und sind unverzüglich zu löschen. Für die Verarbeitung der nach Absatz 2 Satz 1 Nr. 3 bis 5 erhobenen Daten ist SS 4 des Artikel 10-Gesetzes entsprechend anzuwenden. SS 12 Abs. 1 und 3 des Artikel 10-Gesetzes findet entsprechend Anwendung. (6) Der Innenminister unterrichtet im Abstand von höchstens sechs Monaten die Parlamentarische Kontrollkommission über Anordnungen nach Absatz 2; dabei ist insbesondere ein Überblick über Anlass, Umfang, Dauer, Ergebnis und Kosten der im Berichtszeitraum durchgeführten Maßnahmen zu geben. (7) Anordnungen sind dem Verpflichteten insoweit schriftlich mitzuteilen, als dies erforderlich ist, um ihm die Erfüllung seiner Verpflichtung zu ermöglichen. Anordnungen und übermittelte Daten dürfen dem Betroffenen oder Dritten vom Verpflichteten nicht mitgeteilt werden. (8) Der Innenminister unterrichtet das Parlamentarische Kontrollgremium des Bundes jährlich über Anordnungen nach Absatz 2 nach Maßgabe des SS 8b Absatz 3 Satz 1 des Bundesverfassungsschutzgesetzes. 181 (9) Das Grundrecht des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses (Artikel 10 des Grundgesetzes) wird nach Maßgabe des Absatzes 2 Satz 1 Nr. 3 bis 5 und der Absätze 3 bis 5 eingeschränkt. SS 24b Weitere Auskunftsverlangen (1) Soweit dies zur Erfüllung der Aufgaben der Verfassungsschutzbehörde erforderlich ist, darf von demjenigen, der geschäftsmäßig Telekommunikationsdienste erbringt oder daran mitwirkt, im Einzelfall Auskunft über die nach den SSSS 95 und 111 des Telekommunikationsgesetzes vom 22. Juni 2004 (BGBl. I S. 1190), das zuletzt durch Artikel 1 des Gesetzes vom 20. Juni 2013 (BGBl. I S. 1602) geändert worden ist, erhobenen Daten verlangt werden (SS 113 Absatz 1 Satz 1 des Telekommunikationsgesetzes). Bezieht sich das Auskunftsverlangen nach Satz 1 auf Daten, mittels derer der Zugriff auf Endgeräte oder auf Speichereinrichtungen, die in diesen Endgeräten oder hiervon räumlich getrennt eingesetzt werden, geschützt wird (SS 113 Absatz 1 Satz 2 des Telekommunikationsgesetzes), darf die Auskunft nur verlangt werden, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen für die Nutzung der Daten vorliegen. (2) Die Auskunft nach Absatz 1 darf auch anhand einer zu einem bestimmten Zeitpunkt zugewiesenen Internetprotokoll-Adresse verlangt werden (SS 113 Absatz 1 Satz 3 des Telekommunikationsgesetzes). (3) Von einer Beauskunftung nach Absatz 2 ist die betroffene Person zu benachrichtigen. Die Benachrichtigung erfolgt, soweit und sobald eine Gefährdung des Zwecks der Auskunft und der Eintritt übergreifender Nachteile für das Wohl des Bundes oder eines Landes ausgeschlossen werden können. Sie unterbleibt, wenn ihr überwiegende schutzwürdige Belange Dritter oder der betroffenen Person selbst entgegenstehen. Wird die Benachrichtigung nach Satz 2 zurückgestellt oder nach Satz 3 von ihr abgesehen, sind die Gründe aktenkundig zu machen. 182 (4) Aufgrund eines Auskunftsverlangens nach Absatz 1 oder Absatz 2 hat derjenige, der geschäftsmäßig Telekommunikationsdienste erbringt oder daran mitwirkt, die zur Auskunftserteilung erforderlichen Daten unverzüglich, vollständig und richtig zu übermitteln. (5) Die Verfassungsschutzbehörde hat für ihr erteilte Auskünfte eine Entschädigung zu gewähren, deren Umfang sich nach SS 23 und Anlage 3 des Justizvergütungsund -entschädigungsgesetzes vom 5. Mai 2004 (BGBl. I S. 718, 776), das zuletzt durch Artikel 13 des Gesetzes vom 5. Dezember 2012 (BGBl. I S. 2418) geändert worden ist, bemisst. Die Vorschriften über die Verjährung in SS 2 Absatz 1 und Absatz 4 des Justizvergütungsund -entschädigungsgesetzes finden entsprechend Anwendung. (6) Das Grundrecht des Fernmeldegeheimnisses (Artikel 10 des Grundgesetzes) wird nach Maßgabe des Absatzes 2 eingeschränkt. SS 25 Übermittlungsverbote, Nachberichtspflicht (1) Die Übermittlung von Daten unterbleibt, wenn 1. die Daten zu löschen oder für die empfangende Stelle nicht bedeutsam sind, 2. überwiegende Sicherheitsinteressen dies erfordern, 3. erkennbar ist, dass unter Berücksichtigung der Art der Daten und ihrer Erhebung die schutzwürdigen Interessen der betroffenen Person das Allgemeininteresse an der Übermittlung überwiegen, 4. es sich um personenbezogene Daten aus der engeren Persönlichkeitssphäre oder solche über Minderjährige unter 16 Jahren handelt, es sei denn, die empfangende Stelle der Daten benötigt diese zum Schutz vor Gewalt oder vor Vorbereitungshandlungen zur Gewalt oder vor geheimdienstlichen Tätigkeiten, 183 5. die Daten gesperrt sind und ihre Trennung nicht oder nur mit unverhältnismäßig hohem Aufwand von anderen zu übermittelnden Daten möglich ist oder 6. besondere gesetzliche Übermittlungsregelungen entgegenstehen; die Verpflichtung zur Wahrung gesetzlicher Geheimhaltungspflichten oder von Berufsoder besonderen Amtsgeheimnissen, die nicht auf gesetzlichen Vorschriften beruhen, bleibt unberührt. (2) Erweisen sich Daten nach ihrer Übermittlung als unrichtig, unvollständig, unzulässig gespeichert oder erhoben, so hat die übermittelnde Stelle den Empfänger unverzüglich darauf hinzuweisen, es sei denn, dass dies für die Beurteilung eines Sachverhaltes ohne Bedeutung ist. Unrichtige oder unvollständige Daten sind durch die übermittelnde Stelle gegenüber dem Empfänger zu berichtigen oder zu ergänzen, wenn durch die unrichtige oder unvollständige Übermittlung schutzwürdige Interessen der betroffenen Person beeinträchtigt sein können. Die Benachrichtigung sowie Ergänzung sind aktenkundig zu machen und in der entsprechenden Datei zu vermerken. SS 26 Auskunft an betroffene Personen (1) Die Verfassungsschutzbehörde erteilt betroffenen Personen auf schriftlichen Antrag unentgeltlich Auskunft über zu ihrer Person gespeicherte Daten. Die Auskunftsverpflichtung erstreckt sich nicht auf die Herkunft der Daten und die Empfänger von Übermittlungen. Über Daten aus Akten, die nicht zu der betroffenen Person geführt werden, wird Auskunft nur erteilt, soweit Daten, namentlich aufgrund von Angaben der betroffenen Person, mit angemessenem Aufwand auffindbar sind. Die Verfassungsschutzbehörde bestimmt Verfahren und Form der Auskunftserteilung nach pflichtgemäßem Ermessen. (2) Die Auskunftserteilung kann nur abgelehnt werden, soweit 184 1. die Auskunft die öffentliche Sicherheit gefährden oder sonst dem Wohl des Bundes oder eines Landes Nachteile bereiten würde, 2. die Daten oder die Tatsache ihrer Speicherung nach einer Rechtsvorschrift oder wegen der berechtigten Interessen von Dritten geheimgehalten werden müssen oder 3. durch die Auskunftserteilung Informationsquellen gefährdet würden oder die Ausforschung des Erkenntnisstandes oder der Arbeitsweise der Verfassungsschutzbehörde zu befürchten ist. Die Entscheidung trifft der Leiter der Verfassungsschutzabteilung oder ein besonders von ihm beauftragter Mitarbeiter, der die Befähigung zum Richteramt besitzen soll. (3) Die Ablehnung der Auskunftserteilung bedarf keiner Begründung, soweit dadurch der Zweck der Auskunftsverweigerung gefährdet würde. Die Gründe der Auskunftsverweigerung sind zu dokumentieren. (4) Wird die Auskunftserteilung abgelehnt, ist dem Antragsteller die Rechtsgrundlage dieser Ablehnung mitzuteilen. Die antragstellende Person ist auf ihr Recht hinzuweisen, sich an den Landesbeauftragten für den Datenschutz wenden zu können. Dem Landesbeauftragen für den Datenschutz ist auf sein Verlangen Auskunft zu erteilen. Stellt der Innenminister oder im Verhinderungsfall der Staatssekretär im Einzelfall fest, dass durch die Erteilung der Auskunft die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gefährdet würde, so darf die Auskunft nur dem Landesbeauftragten persönlich erteilt werden. Mitteilungen des Landesbeauftragten an die antragstellende Person dürfen keine Rückschlüsse auf den Kenntnisstand der Verfassungsschutzbehörde zulassen, sofern diese nicht einer weitergehenden Auskunft zustimmt. 185 Abschnitt 4 Kontrolle der Verfassungsschutzbehörde SS 27 Parlamentarische Kontrollkommission (1) In Angelegenheiten des Verfassungsschutzes des Landes unterliegt die Landesregierung unbeschadet der Rechte des Landtages der Kontrolle durch die Parlamentarische Kontrollkommission. Die Kontrolle der Durchführung des aufgrund von Artikel 10 Abs. 2 Satz 1 des Grundgesetzes erlassenen Bundesgesetzes bleibt den aufgrund von Artikel 10 Abs. 2 des Grundgesetzes von dem Landtag bestellten Organen und Hilfsorganen vorbehalten. (2) Die Parlamentarische Kontrollkommission besteht aus sechs Mitgliedern, die zu Beginn jeder Wahlperiode vom Landtag aus seiner Mitte einzeln mit der Mehrheit seiner Mitglieder gewählt werden. Zwei Mitglieder sollen der parlamentarischen Opposition angehören. Die Mitglieder dürfen nicht der Landesregierung angehören. (3) Die Parlamentarische Kontrollkommission gibt sich eine Geschäftsordnung. Sie übt ihre Tätigkeit auch über das Ende der Wahlperiode des Landtages solange aus, bis der nachfolgende Landtag die Mitglieder neu gewählt hat. Der Parlamentarischen Kontrollkommission ist die für die Erfüllung ihrer Aufgaben notwendige Personalund Sachausstattung zur Ver fügung zu stellen. (4) Scheidet ein Mitglied aus dem Landtag oder aus der Fraktion, die ihn zur Wahl vorgeschlagen hat, aus, so verliert es seine Mitgliedschaft in der Parlamentarischen Kontrollkommission. Für dieses Mitglied ist unverzüglich ein neues Mitglied zu wählen; das Gleiche gilt, wenn ein Mitglied aus anderen Gründen aus der Parlamentarischen Kontrollkommission ausscheidet. (5) Die Parlamentarische Kontrollkommission tritt mindestens einmal im Vierteljahr zusammen. 186 (6) Jedes Mitglied kann die Einberufung und die Unterrichtung der Parlamentarischen Kontrollkommission verlangen. SS 28 Geheimhaltung (1) Die Parlamentarische Kontrollkommission tagt in nichtöffentlicher Sitzung, über die jeweils ein Protokoll anzufertigen ist. Die Mitglieder sind zur Geheimhaltung der Angelegenheiten verpflichtet, die ihnen bei ihrer Tätigkeit in der Parlamentarischen Kontrollkommission bekannt geworden sind. Dies gilt auch für die Zeit nach ihrem Ausscheiden aus der Parlamentarischen Kontrollkommission. (2) Auf Antrag eines Mitgliedes beschließt die Parlamentarische Kontrollkommission über die Herstellung der Öffentlichkeit oder die Aufhebung der Vertraulichkeit nach Absatz 1, soweit öffentliche Geheimschutzinteressen, insbesondere die Aufrechterhaltung des Nachrichtenzuganges, oder berechtigte Interessen eines Einzelnen dem nicht entgegenstehen. Der Beschluss bedarf der Mehrheit der gesetzlichen Mitglieder der Kommission. Der Innenminister, im Falle seiner Verhinderung der Staatssekretär, kann einem Beschluss nach Satz 1 widersprechen, wenn die Voraussetzungen der Aufhebung der Vertraulichkeit gemäß Satz 1 nicht vorliegen. Der Innenminister, im Falle seiner Verhinderung der Staatssekretär, hat die Gründe hierfür darzulegen. Die Aufhebung der Vertraulichkeit von Beratungsgegenständen, die in die Verantwortlichkeit des Bundes oder eines Landes fallen, ist nur mit deren Zustimmung möglich. (3) Sitzungsunterlagen und Protokolle verbleiben im Gewahrsam der Verfassungsschutzbehörde und können nur dort von den Mitgliedern der Kommission oder dem Innenminister, im Falle seiner Verhinderung dem Staatssekretär, eingesehen werden, es sei denn, der ordnungsgemäße Umgang mit diesen Unterlagen gemäß der Verschlusssachenanweisung für das Land Mecklenburg-Vorpommern ist nach Überzeugung der Parlamentarischen Kontrollkommission auf andere Weise gewährleistet. 187 SS 29 Kontrollrechte der Parlamentarischen Kontrollkommission (1) Das Innenministerium hat die Parlamentarische Kontrollkommission umfassend über die allgemeine Tätigkeit der Verfassungsschutzbehörde, das Lagebild und über die Vorgänge von besonderer Bedeutung, insbesondere Einzelfälle, in denen eine Datenübermittlung gemäß SS 20 Abs. 4 Satz 3 unterblieben ist, sowie auf Verlangen der Kommission über sonstige Einzelfälle zu unterrichten. Ferner unterrichtet es über den Erlass und die Einhaltung von Verwaltungsvorschriften sowie über den Verfassungsschutz betreffende Eingaben einzelner Bürger (Petenten), sofern der Petent der Unterrichtung nicht widersprochen hat. (2) Die Parlamentarische Kontrollkommission kann von dem Innenministerium alle für ihre Kontrollaufgaben erforderlichen Auskünfte, Unterlagen, Aktenund Dateneinsicht, Stellungnahmen und den Zutritt zur Verfassungsschutzbehörde verlangen sowie bei besonderem Aufklärungsbedarf Bedienstete und Auskunftspersonen zum Sachverhalt befragen, sofern dem nicht überwiegende öffentliche (zum Beispiel Aufrechterhaltung des Nachrichtenzugangs) oder private Belange entgegenstehen; das Innenministerium hat dies vor der Parlamentarischen Kontrollkommission zu begründen. Die Parlamentarische Kontrollkommission kann ferner den Landesbeauftragten für den Datenschutzbeauftragen, die Rechtmäßigkeit einzelner Maßnahmen, welche die Verfassungsschutzbehörde durchgeführt hat, zu überprüfen und der Kommission das Ergebnis der Überprüfung mitzuteilen. Die Befugnisse des Landesbeauftragten für den Datenschutz richten sich nach dem Landesdatenschutzgesetz von Mecklenburg-Vorpommern. Wird der Landesbeauftragte für den Datenschutz nach SS 26 Abs. 4 tätig, so kann er von sich aus die Parlamentarische Kontrollkommission unterrichten, wenn sich Beanstandungen ergeben, eine Mitteilung an die betroffene Person aber aus Geheimhaltungsgründen unterbleiben muss. (3) Die Parlamentarische Kontrollkommission kann mit der Mehrheit ihrer gesetzlichen Mitglieder nach Anhörung des Innenministeriums 188 im Einzelfall einen Sachverständigen beauftragen, zur Wahrnehmung ihrer Kontrollaufgaben Untersuchungen durchzuführen. Der Sachverständige hat der Parlamentarischen Kontrollkommission über das Ergebnis seiner Untersuchungen zu berichten; SS 28 Abs. 1 und 2 gelten entsprechend. (4) Die Angaben über Ausgaben aus dem der Abteilung zugewiesenen Titel werden der Parlamentarischen Kontrollkommission im Ansatz vor Beratung des Haushaltsplanes zur Stellungnahme überwiesen. Das Innenministerium unterrichtet die Parlamentarische Kontrollkommission über den Vollzug des Haushaltsplanes, soweit es die der Verfassungsschutzbehörde zugewiesenen Titel betrifft. Abschnitt 5 Schlussvorschriften SS 30 Geltung des Landesdatenschutzgesetzes Bei der Erfüllung der Aufgaben nach SS 5 durch die Verfassungsschutzbehörde finden SS 3 Abs. 2 und 3, SSSS 9, 10 Abs. 1 bis 4, SSSS 11, 13 Abs. 1 bis 4,6 und 7, SSSS 14, 15, 16, 18, 24 und 25 des Landesdatenschutzgesetzes keine Anwendung. SS 31 (aufgehoben) SS 32 In-Kraft-Treten, Außer-Kraft-Treten (1) Dieses Gesetz tritt mit Ausnahme des SS 30 am Tag nach seiner Verkündung in Kraft. Gleichzeitig tritt das Landesverfassungsschutzgesetz vom 18. März 1992 (GVOBl. M-V S. 194) außer Kraft. (2) SS 30 tritt an dem Tag in Kraft, an dem das Landesdatenschutzgesetz in Kraft tritt. Der Tag des In-Kraft-Tretens ist vom Innenministeri189 um im Gesetzund Verordnungsblatt für Mecklenburg-Vorpommern bekannt zu geben. Das vorstehende Gesetz wird hiermit verkündet. Schwerin, den 11. Juli 2001 Der Ministerpräsident Der Innenminister Dr. Harald Ringstorff Dr. Gottfried Timm 190 194