Innenministerium Mecklenburg-Vorpommern Extremismusbericht 2002 Inhaltsverzeichnis Seite Inhaltsverzeichnis 2 Vorbemerkung 6 I. Ausländerextremismus I.1 Personenpotenzial 7 I.2 Lageüberblick 7 I.3 Islamismus 7 I.3.1 Transnationaler / panislamischer Fundamentalismus 8 I.3.1.1 "Bin-Ladin-Netzwerk": al-Qa'ida, Internationale Islamische 8 Kampffront und "non-aligned Mujahedin" I.3.1.2 Islamische Befreiungspartei 14 I.3.2 National-islamistische Organisationen 16 I.3.2.1 Islamische Widerstandsbewegung HAMAS 16 I.3.2.2 Hizb Allah 16 I.4 "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) / "Freiheitsund Demo17 kratiekongress Kurdistans" (KADEK) Extremismusbericht 2002 2 Seite II. Rechtsextremismus II.1 Personenpotenzial 19 II.2 Lageüberblick 19 II.3 Rechtsextremistische Skinheads und sonstige gewaltbereite 20 Rechtsextremisten / Neonazis / "Kameradschaften" II.3.1 Herausragende rechtsextremistisch motivierte Straftaten 22 II.3.2 Aktivitäten anlässlich des 15. Todestages von Rudolf HEß 24 II.3.3 Veranstaltungen anlässlich des 08. Mai 25 II.3.4 Aktivitäten von Rechtsextremisten anlässlich des Volkstrauer25 tages II.3.5 Weitere Demonstrationen 26 II.3.6 Rechtsextremistische Musikveranstaltungen 27 II.3.7 Szeneläden / Versandhandel 28 II.3.8 Kommunikationsmedien 28 II.4 Rechtsextremistische Parteien 30 II.4.1 Wahlergebnisse rechtsextremistischer Parteien am 22.9.2002 30 II.4.2 "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) 31 II.4.2.1 NPD-Verbotsverfahren 31 II.4.2.2 Entwicklung auf Bundesebene 32 II.4.2.3 Entwicklung in Mecklenburg-Vorpommern 33 II.4.2.4 Öffentliche Veranstaltungen der NPD im Lande 33 Extremismusbericht 2002 3 II.4.3 "Junge Nationaldemokraten" (JN) 35 II.4.4 Sonstige NPD-beeinflusste Zusammenschlüsse 36 II.4.5 "Deutsche Volksunion" (DVU) 37 II.4.6 "Die Republikaner" (REP) 37 III. Linksextremismus III.1 Personenpotenzial 38 III.2 Lageüberblick 38 III.3 Militanter Linksextremismus/"Autonome" 39 III.4 "Deutsche Kommunistische Partei (DKP)" 39 III.5 "Sozialistische Alternative (SAV)" 40 III.6 "Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD)" 40 IV. Öffentlichkeitsarbeit 42 V. Strukturdaten 43 Extremismusbericht 2002 4 Seite Lagebild Staatsschutz 2002 - Statistiken des Landeskriminalamtes Mecklenburg-Vorpommern (LKA MV) 1. Allgemeines 44 2. Die Gesamtlage im Überblick 45 3. Tatverdächtige 47 4. Phänomenbereich "Rechts" 48 5. Phänomenbereich "Links" 50 6. Politisch motivierte Ausländerkriminalität 51 7. Propagandadelikte (SSSS 86 ff. StGB) 52 8. Zusammenfassung 52 Anlagen (Tabellen) Extremismusbericht 2002 5 Vorbemerkung Im Extremismusbericht werden die wesentlichen Strukturen des Ausländerextremismus, des Rechtsund des Linksextremismus aufgezeigt. Der laufende Irakkrieg führt bei allen extremistischen Organisationen zu erhöhten Aktivitäten, dies betrifft die rechts-, die linksals auch die ausländerextremistischen Beobachtungsobjekte. Die Antikriegsdemonstrationen in Mecklenburg-Vorpommern verlaufen friedlich. Rechtsund linksextremistische Organisationen führen eigene Aktionen zu diesem Themenfeld durch, beteiligen sich aber auch an Demonstrationen, die vom demokratischen Spektrum organisiert werden. Die abstrakte terroristische Gefährdungslage für die Bundesrepublik Deutschland und damit auch für Mecklenburg-Vorpommern ist nach übereinstimmender Einschätzung aller Sicherheitsbehörden unverändert hoch, gleichwohl liegen konkrete Hinweise auf eine terroristische Bedrohung im Lande nicht vor. Extremismusbericht 2002 6 I. Ausländerextremismus I.1 Personenpotenzial1 Jahr MV MV Bund Bund Gruppierung 2001 2002 2001 2002 Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) / 213 211 12.000 11.500 KADEK Revolutionäre Volksbefreiungspartei<10 <10 ca. 850 750 Front (DHKP-C) Türkische Kommunistische Partei / <10 <10 1.600 1.500 Marxisten-Leninisten (TKP / ML) Marxistisch-Leninistische Kommunis<10 <10 ca. 600 600 tische Partei (MLKP) Islamische Widerstandsbewegung <10 <10 250 300 (HAMAS) I.2 Lageüberblick Der Ausländerextremismus in Mecklenburg-Vorpommern teilt sich in die Bearbeitung islamistischer Verdachtsfälle und die Beobachtung von Anhängern der verbotenen PKK ("Arbeiterpartei Kurdistan") / KADEK (Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistans). Das dem Phänomenbereich zuzuordnende Personenpotenzial beläuft sich auf ca. 300 Anhänger extremistischer Organisationen. I.3 Islamismus Nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 wurde die Beobachtung islamistischer Bestrebungen durch die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder deutlich intensiviert und systematisiert, so auch in Mecklenburg-Vorpommern. 1 Dargestellt sind nur die in MV relevanten Organisationen. Extremismusbericht 2002 7 Die folgenden Ausführungen sollen einen kurzen Überblick über Ideologien, Strategien und Strukturen islamischer Extremisten und Terroristen verschaffen und so zu einem besseren Verständnis entsprechender tagesaktueller Ereignisse beitragen. I.3.1 Transnationaler / panislamischer Fundamentalismus I.3.1.1 "Bin-Ladin-Netzwerk": al-Qa'ida, Internationale Islamische Kampffront und "non-aligned Mujahedin" Die Entwicklungen im Bereich des transnationalen islamistischen Terrorismus waren im Berichtszeitraum wesentlich beeinflusst durch die weltweiten konzertierten Bemühungen zu seiner Bekämpfung, die auch den verstärkten Einsatz militärischer, polizeilicher und nachrichtendienstlicher Mittel umfassten. Das von Usama BIN LADIN gegründete und von ihm wahrscheinlich bis heute geführte globale islamistische Terrornetzwerk ist immer noch existent, seine Operationsfähigkeit konnte bis dato noch nicht nachhaltig geschwächt werden. Der Verlust des sicheren Vorbereitungsund Ruheraumes in Afghanistan erzwang jedoch offensichtlich eine Modifizierung der bisherigen Ideologien, Strategien und Strukturen des "Bin-Ladin-Netzwerkes". Entstehung Den Mittelpunkt dieses Netzwerkes bildet die 1988 gegründete Organisation al-Qa'ida ("die Basis"). Deren Vorläuferorganisation, der ebenfalls von BIN LADIN in den achtziger Jahren gegründete Maktab al-Khidmat ("Service-Büro"), diente vor allem der Rekrutierung und Ausbildung arabischer Freiwilliger, die gemeinsam mit afghanischen Mujahedin2 nach der sowjetischen Invasion von 1979 gegen Truppenverbände der Sowjetarmee und der damaligen kommunistischen Regierung in Kabul kämpften. Nach dem Rückzug der sowjetischen Truppen (1989) und dem Sturz des Najibullah-Regimes (1992) änderte sich unter dem Eindruck der Operation "Desert Storm" (1991) jedoch das Feindbild BIN LADINs und der al-Qa'ida: An die Stelle der (mittlerweile untergegangenen) 2 Mujahedin ( Singular: Mujahed): "jemand, der den Jihad betreibt". Im traditionellen Islam wird zwischen dem "großen" und dem "kleinen" Jihad (wörtlich: "Anstrengung" für den Islam) unterschieden. Als "großer Jihad" gelten die Bemühungen des einzelnen Muslims, sich möglichen Anfechtungen der eigenen Glaubensfestigkeit zu widersetzen. Er zielt auf die Unterdrückung bestimmter menschlicher Triebregungen ab, die als unvereinbar mit dem Islam gelten. Der "kleine Jihad" dient hingegen der (bewaffneten) Verteidigung der "islamischen Gemeinschaft" (arab.: umma) gegen innere und äußere Feinde sowie der Ausweitung des Geltungsbereiches des islamischen Rechts (arab.: shari'a). Die Attribute "groß" und "klein" spiegeln die ursprüngliche Rangordnung beider Formen des Jihads wider. Der Begriff des "Mujahed" wird jedoch ausschließlich im Zusammenhang mit der Teilnahme am bewaffneten "kleinen Jihad" verwendet; insofern ist seine sinngemäße Übersetzung mit "islamischer Glaubenskämpfer" durchaus zutreffend. Extremismusbericht 2002 8 Sowjetunion traten nun die Vereinigten Staaten von Amerika bzw. ganz allgemein "der Westen". Mit ihrer Präsenz in Saudi-Arabien würden die US-Truppen die "heiligen Stätten" in Mekka und Medina "entweihen" und die islamische Gemeinschaft als Ganze "demütigen". Auch die Regierungen arabischer Staaten wurden als "unislamisch", "dekadent" und "usurpatorisch" denunziert. In der Folge wurde BIN LADIN, der nach dem Ende des Afghanistan-Krieges zunächst in sein Heimatland zurück gekehrt war, von Saudi-Arabien 1994 ausgebürgert und des Landes verwiesen. Er ging zunächst in den Sudan, wo er neue Ausbildungslager errichtete, bevor er sich 1996 erneut nach Afghanistan begab, wo er den Schutz der Taliban3 genoss, welche die Rivalitäten zwischen den verschiedenen afghanischen Mujahedin-Fraktionen ausnutzten und letztlich deren Regierung stürzten. Zu dieser Zeit fungierte al-Qa'ida vor allem als logistische Basis für diverse islamistische Gruppen, die Anschläge gegen US-Interessen planten, vorbereiteten und durchführten. Daneben trainierte und unterstützte die Organisation jedoch auch islamische Kämpfer in Tschetschenien und auf dem Balkan. Dafür nutzte man u.a. die Infrastruktur lokaler und internationaler islamischer Wohlfahrtsorganisationen sowie ein nahezu undurchdringliches Geflecht global operierender Tarnfirmen. Einer breiten Öffentlichkeit ist al-Qa'ida jedoch erst seit dem Doppelanschlag auf die USBotschaften in Kenia und Tansania (August 1998) bekannt, bei dem fast 300 Menschen ihr Leben verloren. Bei diesem Terrorakt zeigte sich deutlich das operative Profil der Terror-Organisation: Ihre Anschläge sind vorzugsweise synchronisiert und gegen (amerikanische) Ziele gerichtet, die über einen hohen Symbolwert verfügen und ein Maximum an menschlichen Opfern garantieren. Die Ausführung erfolgt meist durch Selbstmordattentäter, die nur in den seltensten Fällen technisch hochentwickelte Tatmittel (z.B. Schnellboote) verwenden. Die vernichtende Wirkung der Anschläge resultiert vielmehr aus der Beschaffenheit der angegriffenen Ziele (z.B. Hochhäuser, Flugzeuge, Schiffe). 3 Taliban (Kollektivum von arab. talib: "Schüler, Student"): "Schülerschaft" bzw. "Studentenschaft". Gruppe meist paschtunisch-stämmiger Religionsstudenten, die 1996 die von den rivalisierenden MujahedinFraktionen des radikalen Paschtunen Gulbuddin HEKMATYAR (Hizb-i Islami) und des gemäßigten Tadschiken Burhanuddin RABBANI (Jamiyat-i Islami) gebildete afghanische Regierung stürzte und auf der Grundlage ihrer äußerst rigiden Interpretation der Sharia ein "Islamisches Fürstentum (Emirat) Afghanistan" errichtete. Das Taliban-Regime unter der Führung von Mullah OMAR kontrollierte mit außergewöhnlicher Brutalität und beispiellosem, teils absurdem Rigorismus (z.B. "Erschießung" von mehreren hundert Fernsehgeräten nach der Einnahme Kabuls) das gesamte Land mit Ausnahme einiger nördlicher Provinzen, welche den entmachteten afghanischen Mujahedin unter der Führung u.a. von Ahmad Schah MASSUD und Raschid DOSTUM als Rückzugsraum und Operationsbasis dienten. Extremismusbericht 2002 9 Die Anschläge von Dar as-Salam und Nairobi offenbarten jedoch auch eine neue Qualität in der Zusammenarbeit islamistischer Terror-Organisationen: Ihre Planung und Vorbereitung erfolgte unter der gemeinsamen Federführung von Khaled SCHEICH MOHAMMED, dem "Operationschef" der al-Qa'ida, und Aiman AZ-ZAWAHIRI, dem Exil-Führer des Ägyptischen Islamischen Jihad. Wenige Monate zuvor, im Februar 1998, hatten sich diese beiden Organisationen in einer Internationalen islamischen Front für den Kampf gegen Juden und Kreuzfahrer (kurz: "Internationale islamische Kampffront") zusammengeschlossen, zu deren Gründungsmitgliedern außerdem noch die al-Gamaa al-Islamiya ("Islamische Gruppe" / Ägypten), die Harakat al-Mujahedin ("Mujahedin-Bewegung" / Pakistan) und die Harakat al-Jihad al-Islami ("Bewegung des Islamischen Jihads" / Bangladesch und Malaysia) gehören. Bereits vor diesem formellen Zusammenschluss hatten Kontakte zwischen diesen Gruppen auf der Ebene der "Waffenträger" bestanden; durch die Gründung einer Dachorganisation wurde nun jedoch eine Kooperation zwischen allen Ebenen der beteiligten Organisationen (z.B. Logistik und Propaganda) ermöglicht. Als gemeinsames Gremium wurde ein von BIN LADIN geleiteter Konsultationsrat (Majlis ash-Shura) eingerichtet. Neben diesen formalen Beziehungen knüpfte al-Qa'ida jedoch auch relativ lose Kontakte zu weiteren islamistischen Terrorgruppen, mit denen sie sowohl die pan-islamische (d.h. nicht an nationalstaatlichen Grenzen orientierte) Zielsetzung als auch die Fixierung auf den bewaffneten Jihad als einer "religiösen Pflicht" verband. Etliche Mitglieder dieser Organisationen durchliefen in den neunziger Jahren Ausbildungscamps der al-Qa'ida in Afghanistan; einzelne Gruppen erhielten aber auch finanzielle und logistische Unterstützung bei der Vorbereitung und Durchführung von Terroranschlägen, so z.B. die jemenitische Islamische Arme von Aden (Anschlag auf die USS "Cole" im Jahr 2000). Weitere derartige "lose Verbündete" der al-Qa'ida sind u.a. Asbat ul-Ansar ("Bund der Anhänger", palästinensisch / Libanon), die Islamische Bewegung Usbekistans, die Jemaah Islamia ("Islamische Gruppe", Indonesien), die afghanische Taliban-Bewegung, al-Itihad al-Islamiyah ("Islamische Vereinigung", Somalia), Ansar ul-Islam ("Anhänger des Islam", kurdisch / Nordirak), die GSPC ("Salafistische Gruppe für Verkündigung und Kampf" / Algerien), tschetschenische Islamisten sowie die pakistanischen Gruppierungen Jaish-e-Mohammad ("Armee Mohammads"), Lashkar-e-Jhangvi ("Armee des [Maulana Haq Nawaz] JHANGVI") und Lashkar-e-Tayiba ("Armee der Reinen"). Extremismusbericht 2002 10 Im Gegensatz zur al-Qa'ida richten sich die Anschläge dieser Organisationen nicht primär und unmittelbar gegen die "westliche Welt" bzw. die Vereinigten Staaten, sondern gegen die "unislamischen" Regime ihrer Heimatländer und deren "Verwestlichung" bzw. "Amerikanisierung", denen sie das Ideal eines (die nationalstaatlichen Grenzen sprengenden und auf der Shari'a aufbauenden) Kalifats entgegensetzen. Ein weitere Kategorie im "Bin-Ladin-Netzwerk" bilden die sogenannten "ungebundenen" ("non-aligned") Mujahedin: Hierbei handelt es sich um relativ kleine, schwach hierarchisierte Personenzusammenschlüsse mit einer gemischten Struktur, die sowohl Merkmale terroristischer Zellen als auch Eigenschaften von Netzwerken aufweisen. Angehörige dieser Gruppen haben sich in der Regel einem entsprechendem Training in Afghanistan unterzogen und dort Kontakte zu Gleichgesinnten geknüpft, die nach der Rückkehr (z.B. nach Europa) weiter aufrecht erhalten bzw. ausgebaut wurden. Die "non-aligned Mujahedin" operieren bei der Planung und Vorbereitung von Anschlägen relativ autonom, vergewissern sich z.T. jedoch vor deren Ausführung der Zustimmung der al-Qa'ida-Führung, die sie als politisch-religiöse Autorität respektieren. Erstmalig wurde in Deutschland eine derartige Gruppierung im Jahre 2000 bekannt, als durch Festnahmen vermutlich ein Anschlag der Frankfurter "Meliani-Gruppe" auf den Weihnachtsmarkt in Straßburg (Frankreich) bzw. die dortige Synagoge vereitelt werden konnte. Deren Mitglieder wurden wegen Verabredung zum Mord am 10. März 2003 durch das Oberlandesgericht Frankfurt a.M. zu langjährigen Haftstrafen verurteilt. Veränderungen seit dem 11. September 2001 Besonders schwerwiegende Konsequenzen ergaben sich in der Startphase der internationalen Anti-Terror-Operation "Enduring Freedom" nicht nur für das Taliban-Regime, sondern vor allem für das Führungspersonal der al-Qa'ida: Im Laufe des Jahres 2002 wurden zahlreiche ranghohe Mitglieder dieses Zirkels festgenommen oder getötet, so. z.B. Mohammad ATTEF ("Militärchef" der al-Qa'ida"), ABU ZUBAIDA (al-Qa'ida-"Beauftragter für auswärtige Beziehungen"), Ramzi BINALSHIBH (BIN LADIN-Vertrauter und Logistiker der Hamburger Terrorzelle um Mohammed ATTA) sowie die al-Qa'ida-"Regionalkommandeure" für SaudiArabien und den Jemen, AN-NASHIRI und AL-HARITHI. Das Hauptaugenmerk der verbliebenen Führer der al-Qa'ida und der "Internationalen Islamischen Kampffront" gilt seitdem vermutlich vorrangig der eigenen Sicherheit, die vor allem durch einen ständigen Wechsel der Aufenthaltsorte, die Minimierung der Binnenund AußenExtremismusbericht 2002 11 kontakte sowie den weitestgehenden Verzicht auf moderne elektronische Kommunikationsmittel gewährleistet werden soll. Diese erzwungene Selbstisolierung führte zumindest zeitweilig zu einer Einschränkung der Handlungsund Steuerungsfähigkeit des Bin-Ladin-Netzwerkes. Zeitgleich lastete jedoch nach dem militärischen Eingreifen der Anti-Terror-Koalition in Afghanistan ein hoher Erwartungsdruck seitens der Sympathisanten und Aktivisten des Netzwerkes auf dessen Führung. In dieser Situation erfolgte offenbar eine "Aufwertung" ursprünglich peripherer Gruppen des Netzwerkes, welche sich auch am Anschlagsgeschehen des Jahres 2002 ablesen lässt: Die ersten Ermittlungsergebnisse zu den Selbstmordanschlägen auf deutsche Touristen in der Synagoge von Djerba / Tunesien, auf einen französischen Tanker vor der jemenitischen Küste, auf französische Ingenieure in Pakistan sowie auf Diskotheken und Botschaftsgebäude in Indonesien (Bali) weisen eindeutig auf die Tatbeteiligung lokaler bzw. regionaler islamistischer Terror-Organisationen hin (z.B. der Jemaah Islamiyah und der Islamischen Armee A- den). All diesen Anschlägen ist gemeinsam, dass sie in Tonband-Botschaften BIN LADINs durch diesen entweder widerspruchslos für sein Netzwerk vereinnahmt wurden oder entsprechenden Aufrufen BIN LADINs in kurzem zeitlichem Abstand folgten. Entgegen der ursprünglichen Strategie der al-Qa'ida (Angriffe auf das "Herz des Feindes", d.h. auf "harte" amerikanische Ziele) richteten sich diese Anschläge ihrer "losen Verbündeten" aber gegen ungesicherte ("weiche") Ziele in solchen Staaten, welche von Islamisten seit langem als "unislamisch" und "usurpatorisch" denunziert werden. Der in diesen Ländern durch den Rückgang des Tourismus bezweckte und verursachte volkswirtschaftliche Schaden soll die dortigen politischen Systeme nachhaltig destabilisieren. Auch die non-aligned Mujahedin (s.o.) haben ihre Aktivitäten im Laufe des Jahres 2002 intensiviert und offensichtlich an Bedeutung innerhalb des Bin-Ladin-Netzwerkes gewonnen. Im Dezember 2002 wurden bei Razzien in Frankreich und Großbritannien zahlreiche Personen aus dem Maghreb festgenommen, die verdächtigt wurden, Terroranschläge geplant und vorbereitet zu haben. Ebenso wie bei vorangegangen Durchsuchungen in London wurden auch hier z.T. Utensilien gefunden, die auf die Absicht des Einsatzes von chemischen Kampfstoffen durch non-aligned Mujahedin hindeuten. Die darauffolgenden Untersuchungen lieferten außerdem weitere Anhaltspunkte für zellenübergreifende Kontakte festgenommener Verdachtspersonen, so z.B. zu Angehörigen der o.g. ehemaligen "Meliani-Gruppe" in Frankfurt am Main. Extremismusbericht 2002 12 Eine der in Frankreich im Dezember 2002 zerschlagenen Zellen plante offenbar in Kooperation mit tschetschenischen Islamisten einen Anschlag gegen die russische Botschaft in Paris. Diese Zelle gehörte mit hoher Wahrscheinlichkeit zum Netzwerk des Abu Musab AZZARQAWI. AZ-ZARQAWI, ein Jordanier palästinensischer Abstammung und enger Vertrauter BIN LADINs, unterhielt in der Vergangenheit eigene Ausbildungslager in Afghanistan, die u.a. auf chemische Kriegsführung spezialisiert gewesen sein sollen. AZ-ZARQAWIs Netzwerk erstreckt sich vom Nahen Osten und Vorderasien bis nach Europa; unklar ist jedoch z.Zt., ob AZ-ZARQAWI mittlerweile zu einem al-Qa'ida-"Regionalkommandeur" für Europa avanciert ist. Zumindest gilt als sicher, dass AZ-ZARQAWIs Netzwerk in Zusammenarbeit mit der palästinensisch-libanesischen Asbat ul-Ansar die Schleusung zahlreicher al-Qa'idaAngehöriger aus Afghanistan in den Libanon organisierte. Auch eine in Deutschland beheimatete Zelle des Netzwerkes war mit hoher Wahrscheinlichkeit in derartige Aktivitäten eingebunden, indem sie AZ-ZARQAWI mit Falschpapieren belieferte. Da außerdem gegen diese Gruppierung (die zunächst unter dem Namen "at-Tauhid" bekannt wurde) der dringende Verdacht auf Planung und Vorbereitung von Attentaten in Deutschland bestand, wurden im April 2002 gegen Mitglieder dieser mutmaßlich terroristischen Vereinigung entsprechende Haftbefehle des Generalbundesanwalts vollstreckt. Auch in diesem Fall wurden im Zuge des Ermittlungsverfahrens zahlreiche Kontakte von Gruppenmitgliedern zu diversen Schlüsselfiguren des Bin-Ladin-Netzwerkes bekannt. Die in diesem und anderen Ermittlungsverfahren gewonnen Erkenntnisse korrespondieren in beunruhigender Weise mit Tonbandbotschaften Usama BIN LADINs und Aiman AZ-ZAWAHIRs, die im Herbst 2002 vom qatarischen Sender al-Jazira ausgestrahlt wurden und in beiden Fällen explizite Anschlagsdrohungen gegen die Bundesrepublik bzw. deutsche Interessen beinhalten. Dabei ist zu bedenken, dass in der Vergangenheit entsprechende Ankündigungen BIN LADINs im Abstand von mehreren Wochen oder Monaten auch in die Tat umgesetzt wurden. Die bislang vorliegenden Informationen zu dem Doppelanschlag auf israelische Ziele in Mombasa / Kenia im Dezember 2002 (versuchter Abschuss einer israelischen Passagiermaschine / Selbstmord-Autobombenanschlag auf eine vorwiegend von Israelis genutzte Ferienanlage) lassen eine unmittelbare Tatbeteiligung der al-Qa'ida glaubhaft erscheinen. In diesem Fall hätte die Kern-Organisation des Bin-Ladin-Netzwerkes einerseits ihre erneute OperatiExtremismusbericht 2002 13 onsfähigkeit unter Beweis gestellt. Andererseits würde dies auf eine Modifizierung der eigenen Ideologie und Strategie hinweisen: Zwar verfügt die Ideologie der Organisation seit jeher über stark antisemitische Züge, jedoch konnten bis dato keine tatsächlichen Bezüge zum israelisch-arabischen Konflikt festgestellt werden. In seinen Videound Tonbandbotschaften hatte sich BIN LADIN im Jahr 2002 allerdings in zunehmendem Maße verbal mit den Bestrebungen palästinensischer Extremisten solidarisiert und den "Kampf um Palästina" bzw. um die Jerusalemer al-Aqsa-Moschee zur Pflicht eines jeden Moslems erklärt. Allgemein wurde zunächst davon ausgegangen, dass mit diesen Äußerungen lediglich von der eigenen zwischenzeitlichen Handlungsunfähigkeit abgelenkt werden sollte. Zugleich wollte man offensichtlich vom hohen Ansehen palästinensischer "Märtyrer" in der islamischen Welt profitieren. Sollte sich der Verdacht eines al-Qa'ida-Hintergrundes beim Doppelanschlag von Mombasa erhärten, würde dies auf einen Übergang vom ausschließlichen "Frontalangriff" auf US-amerikanische Ziele hin zum Angriff auf die "weichen Flanken" der gesamten "westlichen Welt" sowie auf eine Ausweitung des Zielspektrums des "Jihads" seitens der Kernorganisation des BIN-LADIN-Netzwerkes hindeuten. In diesem Fall wären zukünftig nicht nur die USA, sondern ebenso deren Verbündete in aller Welt unmittelbar durch Anschläge der al-Qa'ida bedroht. I.3.1.2 Islamische Befreiungspartei Im Oktober 2002 führte das Polizeipräsidium Frankfurt / Main eine bundesweite Durchsuchungsmaßnahme gegen die islamistisch-extremistische Organisation Hizb ut-Tahrir al-Islami ("Islamische Befreiungspartei" / kurz: Hizb ut-Tahrir) durch. Im Bundesgebiet verbreitet die Hizb ut-Tahrir vor allem an Universitäten und Moscheen Flugblätter, Broschüren sowie die Zeitschrift "Explizit", die als Verlautbarungsorgan der "Hizb ut-Tahrir" angesehen werden kann. In der Öffentlichkeit aufgefallen ist die Organisation u.a. durch eine öffentliche Veranstaltung an der Technischen Universität Berlin am 27. Oktober 2002, bei der der Hauptredner durch antiamerikanische Äußerungen und der Forderung nach der Wiedereinführung des Kalifats in der islamischen Welt auffiel. Im Publikum befand sich auch der NPD-Bundesvorsitzende Udo VOIGT, der sich bei diesem Anlass offen mit der Organisation solidarisierte und die ideologischen Gemeinsamkeiten betonte. Vor Redaktionsschluss dieses Berichtes wurde durch den Bundesinnenminister am 15. Januar 2003 der "Hizb ut-Tahrir" die Betätigung in Deutschland verboten, da sich ihre Extremismusbericht 2002 14 Tätigkeit gegen den Gedanken der Völkerverständigung richtet und sie Gewaltanwendung als Mittel zur Durchsetzung politischer Belange befürwortet. Die Organisation spreche dem Staat Israel das Existenzrecht ab, verbreite antijüdische und antizionistische Propaganda und agitiere in hetzerischer Weise gegen die USA und Staaten der islamischen Welt. Ihre Publikationen beinhalten Aufforderungen zum bewaffneten Kampf gegen den Staat Israel, die Juden und die Regierungen islamischer Staaten. Die Hizb ut-Tahrir wurde 1953 im (damals jordanisch besetzten) Jerusalem von einem Mitglied der Muslimbruderschaft (Ikhwan al-Muslimin) gegründet, dem diese zu gemäßigt und isolationistisch erschien. Die Organisation ist heute in zahlreichen arabischen Staaten vertreten, wo sie in den sechziger und siebziger Jahren an einigen Putschversuchen teilgenommen haben soll. Daneben ist sie unter anderem in Pakistan, Indonesien und einigen zentralasiatischen Turkrepubliken aktiv. Sie lehnt den Nationalstaat grundsätzlich ab, da er säkularen Ursprungs ist. Ihr Ziel ist die Schaffung eines islamischen Staates in dem die Gemeinschaft der Muslime ("Umma") unter der Führung eines Kalifen geeint wird (Kalifat). Die Hizb ut-Tahrir will dieses Ziel durch einen "aktiven Jihad" erreichen, d.h. durch einen ideologischen, wirtschaftlichen, politischen und militärischen Kampf, den die Organisation mit der Berufung auf islamische Quellen (Koran und Sunna) legitimiert. Dieser Kampf richtet sich zum einen gegen den in ihren Augen "kolonialistischen Westen", zum anderen gegen die Regime in den Staaten der islamischen Welt, die sie als blasphemisch bezeichnet. In der Vergangenheit hatte die Hizb ut-Tahrir auch in Greifswald entsprechende propagandistische Aktivitäten entfaltet. Extremismusbericht 2002 15 I.3.2 National-islamistische Organisationen I.3.2.1 Islamische Widerstandsbewegung HAMAS Die HAMAS ist eine (1987 gegründete) palästinensische sunnitisch-extremistische Organisation unter der Leitung Scheich Ahmed YASSINs, deren bewaffnete und konspirativ operierende "Izz ad-Din al-Kassam - Brigaden" auch im Jahr 2002 für zahlreiche Attentate und Selbstmordanschläge in Israel sowie in der Westbank und dem Gazastreifen verantwortlich waren. Auch zur (meist besonders grausamen) Ermordung zahlreicher Palästinenser, die durch die Organisation der "Kollaboration" mit Israel beschuldigt wurden, hat sich die HAMAS bekannt. Ziel der HAMAS (Akronym für "Harakat al-Muqawama al-Islamiya" - "Islamische Widerstandbewegung" / wörtliche Bedeutung: "Eifer") ist die Vernichtung des Staates Israels und die Errichtung eines Islamischen Staates Palästina auf dem gesamten Territorium zwischen dem Jordan und dem Mittelmeer. Sie steht in der ideologischen Tradition der ägyptischen Muslimbruderschaft (Ikhwan al-Muslimin). Am 05. August 2002 verbot der Bundesminister des Innern den Verein "Al-Aqsa e.V." mit der Begründung, er unterstütze mit Spendengeldern Aktivitäten der HAMAS und somit eine Vereinigung außerhalb des Bundesgebietes, die Terroranschläge veranlasst und sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung richtet. Inoffizieller deutscher Ableger der HAMAS ist der 1981 in München gegründete Islamische Bund Palästina. I.3.2.2 Hizb Allah Die schiitische libanesische Hizb Allah ("Partei Gottes") wurde 1982 mit Unterstützung der Islamischen Republik Iran gegründet und 1985 als Partei im Libanon anerkannt. Sie beteiligte sich seit ihrer Gründung äußerst aktiv am bis 1990 andauernden innerlibanesischen Bürgerkrieg. Nach dessen Beendigung wurde ihr im sog. "Taif-Abkommen" das Privileg zugesprochen, als einzige der am Bürgerkrieg beteiligten Milizen weiterhin über Waffen verfügen zu dürfen, um als "Speerspitze der Befreiung des (damals israelisch kontrollierten) Süd-Libanons" fungieren zu können. Seitdem agiert die Hizb Allah im Libanon einerseits als Interessen-Vertretung eines Teils der schiitischen Bevölkerung (in Konkurrenz zur ebenfalls schiitisch - fundamentalistischen Amal ("Hoffnung"). Andererseits setzte die Hizb Allah entgegen ihren ursprünglichen Ankündigungen auch nach dem Rückzug der Israelischen VerteidiExtremismusbericht 2002 16 gungsstreitkräfte im Jahr 2000 ihr Angriffe auf die israelische Zivilbevölkerung fort. Ihr Bewaffneter Arm al-Muqawamah al-Islamiyah ("Islamischer Widerstand") wurde in der Vergangenheit auch für Anschläge im Ausland verantwortlich gemacht, so u.a. für den Bombenanschlag auf das jüdische Gemeindezentrum in Buenos Aires / Argentinien, bei dem 1994 knapp 100 Menschen ihr Leben verloren. Die deutsche Zentrale der Hizb Allah hat ihren Sitz in Münster. Sowohl zu HAMAS als auch Hizb Allah sind keine unmittelbaren Bezüge zu MV erkennbar. I.4 "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) / "Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistans" (KADEK) Die PKK hat sich auf ihrem 8. Kongress vom 4. bis 10. April 2002 in KADEK umbenannt und gleichzeitig erklärt, alle Aktivitäten unter dem Namen PKK einzustellen. Als Hintergrund der Umbenennung müssen die Bemühungen der kurdischen Organisation angesehen werden, sich nach außen von ihrer terroristischen Vergangenheit zu lösen und als politischer Akteur akzeptiert zu werden. Die KADEK ist allerdings keine Neugründung. Ihre Satzungen sind mit denen der PKK weitgehend identisch, die Führungsriege der PKK verblieb im Amt. Verändert wurden lediglich die Namen der zahlreichen Frontund Volksorganisationen der PKK, die in ihrem Aufbau und ihren Funktionen jedoch gleich blieben. Vor allem ist auch nach der Umfirmierung der PKK ihr Verhältnis zu Gewalt kritisch. Dies gilt insbesondere, solange die PKK / KADEK noch über militärische Strukturen verfügt, die seit 1999 dem Namen nach zwar defensiv sind ("Kurdische Volksverteidigungseinheit"), gemäß ihrer Struktur jedoch noch immer offensiven Charakter haben. Gewaltbereitschaft signalisierte die PKK / KADEK etwa im November 2002, als Osman ÖCALAN als ein Mitglied des Generalpräsidialrates im Zusammenhang mit einer Protestkampagne gegen die Haftbedingungen seines Bruders Abdullah ÖCALAN drohte, dass die KADEK gezwungen sei, "für die Freiheit Öcalans und des kurdischen Volkes jede Art der Auseinandersetzung vorzusehen". Krieg und Gewalt sind also weiterhin Handlungsoptionen der PKK / KADEK. Zu einer ähnlichen Einschätzung kam der Rat der Europäischen Union, der bereits am 02. Mai 2002 beschloss, die PKK in die Liste der terroristischen Organisationen aufzunehExtremismusbericht 2002 17 men. Diese Entscheidung wurde europaweit von PKK-Anhängern mit Demonstrationen quittiert, die aber friedlich verliefen. Friedlich waren auch die Kundgebungen anlässlich des dritten Jahrestages der Verhaftung Abdullah ÖCALANs am 15. Februar 2002 und das Newroz-Fest, das erstmals in einer zentralen Veranstaltung von den europäischen Kurden mit knapp 40.000 Teilnehmern in Düsseldorf gefeiert wurde. Die Veranstaltung fand unter geringer Beteiligung von PKK-Mitgliedern aus MV statt. Veranstaltet wurde das Newroz-Fest von der PKK-nahen "Kurdisch-Demokratischen Volksunion". In MV selbst fanden keine Demonstrationen der PKK statt. Extremismusbericht 2002 18 II. Rechtsextremismus II.1 Personenpotenzial4 Jahr MV MV Bund Bund Gruppierung 2001 2002 2001 2002 Rechtsextr. Skinheads und sonstige ge900 800 10.400 10.700 waltbereite Rechtsextremisten Neonationalsozialisten 350 280 2.800 2.600 Nationaldemokratische 220 200 6.500 6.100 Partei Deutschlands (NPD) Deutsche Volksunion (DVU) <100 <100 15.000 13.000 Die Republikaner (REP) <100 <100 11.500 9.000 II.2 Lageüberblick Das gesamte rechtsextremistische Spektrum in Mecklenburg-Vorpommern musste im Jahr 2002 einen Rückgang der Anhängerzahlen verzeichnen. Dies betrifft die rechtsextremistischen Skinheads und sonstigen gewaltbereiten Rechtsextremisten ebenso wie die Neonationalsozialisten. Auch die rechtsextremistischen Parteien mussten erneut Mitgliederverluste hinnehmen. Dies blieb nicht ohne Auswirkungen auf die Mobilisierungsfähigkeit der Szene, die ebenfalls zurückging. Die Ursachen hierfür sind vielfältig. Neben einem momentan erkennbaren Verlust an Attraktivität der rechtsextremistischen Subkultur für junge Menschen spielen hier sicherlich auch 4 Dargestellt sind nur die in MV relevanten Organisationen. Extremismusbericht 2002 19 die vielfältigen Präventionsbemühungen auf kommunaler Ebene sowie der Repressionsdruck des Staates eine wesentliche Rolle. Allerdings kann gegenwärtig nicht sicher abgeschätzt werden, ob es sich bei der Rückentwicklung um eine temporäre Erscheinung handelt oder ob sich hier bereits ein dauerhafter Trend abzeichnet. Dies hängt sicherlich auch von der gesamtgesellschaftlichen Entwicklung in der Bundesrepublik ab. II.3 Rechtsextremistische Skinheads und sonstige gewaltbereite Rechtsextremisten / Neonazis / "Kameradschaften" Der Rückgang der Anhängerzahlen gegenüber 2001 lässt sich gerade in diesem Spektrum an der mangelnden Mobilisierung für rechtsextremistische Aktivitäten, insbesondere Demonstrationen, ablesen. Lediglich Neubrandenburg (vgl. Kapitel II.3.5) bildet hier mit 360 Teilnehmern bei der letzten rechtsextremistischen Demonstration eine Ausnahme. Feste Organisationsstrukturen sind außer für den Bereich der "Kameradschaften5" im Skinheadund Neonazispektrum weiterhin kaum zu erkennen. Auch wenn die Gesamtzahl der unorganisierten Rechtsextremisten zurückgegangen ist, zeigt sich doch an der fortwirkenden Existenz einiger "Kameradschaften" oder kameradschaftsähnlicher Zusammenhänge, dass deren Anhänger offensichtlich der ansonsten üblichen hohen Fluktuation im rechtsextremistischen Milieu widerstanden haben. Auch sind diese Gruppen in der Tendenz ideologisch gefestigter, wie u.a. die Ereignisse anlässlich des Volkstrauertages oder des Todestages von Rudolf Heß zeigen (vgl. Kapitel II.3.5). Folgende Kameradschaften sind derzeit im Lande aktiv: Ö "Freier Kameradschaftsbund Bad Doberan" (FKBD) Ö "Kameradschaftsbund Usedom" (KBU) Ö "Kameradschaftsbund Anklam" (KBA) Ö "National-Germanische Bruderschaft" (NGB) Ö "Kameradschaftsbund Mecklenburg" (KBM) Ö "Kameradschaft Stralsund" 5 Nach bundesweit einheitlichen Kriterien zeichnet sich eine "Kameradschaft" durch einen abgegrenzten Aktivistenstamm, regional begrenzte Ausdehnung, eine gewisse Struktur und die Bereitschaft zu gemeinsamer politischer Arbeit im rechtsextremistischen Sinne aus. Extremismusbericht 2002 20 Daneben organisieren sich Skinheads und Neonazis auf örtlicher Ebene häufig als "Freie Nationalisten" bzw. "Nationaler Widerstand". Zu den Propagandafeldern "Freier Nationalisten" gehören u.a. die Ablehnung einer multikulturellen Gesellschaftsform, der internationalen Globalisierung und die Bekämpfung des Drogenhandels. Auch wenn die einzelnen Auffassungen nicht per se als extremistisch eingestuft werden können, beruhen diese jedoch auf einem rechtsextremistischen Weltbild, das im Wesentlichen durch folgende Kernüberzeugungen getragen wird: * ein aggressiver Nationalismus, für den nur deutsche Interessen als Richtschnur gelten und der andere Nationen als "minderwertig" betrachtet, * der Wunsch nach der Bildung einer Volksgemeinschaft auf "rassischer" Grundlage, in der die Rechte des Einzelnen beliebig eingeschränkt und der pluralistischen Gesellschaft das Modell des "Volkskollektivismus" ("Du bist nichts, Dein Volk ist alles") entgegensetzt wird (Antipluralismus), * eine aggressive, gewaltbereite Fremdenfeindlichkeit, * das Ideal eines "Führerstaats" mit militärischen Ordnungsprinzipien (Militarismus), * Relativierung bzw. Leugnung der Verbrechen des "Dritten Reiches" und damit verbunden eine Verharmlosung oder Verherrlichung des Nationalsozialismus und * eine ständige Diffamierung der demokratischen Institutionen und ihrer Repräsentanten. Entsprechend haben die Aktivitäten der rechtsextremistischen Szene i.d.R. einen Bezug zum Dritten Reich, wenn z.B. Gedenktage wie der 13. Februar (Jahrestag der Bombardierung Dresdens durch Alliierte im Jahr 1945) oder der 08. Mai (Kriegsende als "Tag der Ehre") begangen und "Freie Nationalisten" aufgefordert werden, Gräber und Ehrenmale der deutschen gefallenen Soldaten zu pflegen. Die Schwerpunkte der Strukturen "Freier Nationalisten" lagen im Jahr 2002 in Rostock und den Landkreisen Ostvorpommern, Uecker-Randow und Ludwigslust. Besonders zu erwähnen sind die Aktivitäten der Bewohner des Gutshauses in Teldau, Ortsteil Amholz, sowie sonstiger aus den westlichen Bundesländern in den Landkreis Ludwigslust zugezogener Neonazis, die eine Vielzahl von Demonstrationen und andere Aktionen initiierten und organisierten. Der zwischenzeitliche Sanierungsstand des Gutshauses in Amholz dürfExtremismusbericht 2002 21 te eine überwiegende Nutzung als Mehrfamilienwohnobjekt zulassen - die oftmals geäußerte Befürchtung, es könne in Anlehnung an die Anlage in Hetendorf als überregionales Schulungsobjekt genutzt werden, hat sich bislang nicht bewahrheitet. Auch wenn im Jahr 2002 die Mobilisierungsfähigkeit der Szene insgesamt nachgelassen hat6, zeigt doch die hohe Teilnehmerzahl bei einer Demonstration in Neubrandenburg am 19. Oktober 2002 (s.u.), dass die Szene zumindest im Ostteil des Landes weiterhin intakt und aktiv ist. Hierfür spricht auch die regelmäßige Herausgabe neonazistischer Periodika wie "Der Insel Bote" und "Der Fahnenträger - Rundbrief für nationale Sozialisten" auf der Insel Usedom sowie des "Lassaner Rundbriefes" bzw. der Zeitschrift "avanti", die an Stralsunder Schulen zur Verteilung kommt und der "Kameradschaft Stralsund" zuzurechnen ist. II.3.1 Herausragende rechtsextremistisch motivierte Straftaten7 Neben verschiedenen fremdenfeindlich und antisemitisch motivierten Einzeltaten kam es im Berichtsjahr erneut zu Serienaktionen in Form von Schändungen überwiegend jüdischer Friedhöfe und Brandanschlägen auf Asia-Geschäfte. Die nachfolgend nur beispielhaft aufgeführten schwereren Straftaten belegen erneut die nach wie vor vorhandene Bereitschaft der rechtsextremistischen Szene, Gewalt gegen Personen und Sachen auszuüben: Ö Unbekannte Täter schändeten um den 24. und 25. Februar 2002 die KZ-Gedenkstätte in Wöbbelin, das Ehrenmal "Die Mutter" in Raben Steinfeld bei Schwerin und den jüdischen Friedhof in Boizenburg mit Hakenkreuzen und abgelegten Schweineköpfen. Ö Von Oktober 2001 bis März 2002 kam es in Rostock zu rund 40 großflächigen rechtsextremistischen Wandschmierereien mit überwiegend aggressiven antisemitischen Inhalten. Ö Während einer Geburtstagsfeier vom 19. auf den 20. Juli 2002 entschlossen sich vier Rostocker Skinheads, von vietnamesischen Geschäftsleuten betriebene Asia-Geschäfte und das Büro einer karitativen Organisation im sogenannten Sonnenblumenhaus im Rostocker Stadtteil Lichtenhagen mit Molotowcocktails anzugreifen und in Brand zu 6 Einem Aufruf eines bekannten Hamburger Neonazis, am 08. Mai einen Ehrendienst zu leisten und Ehrenmale und Gräber in beiden Weltkriegen gefallener deutscher Soldaten zu reinigen, folgten nur wenige Rechtsextremisten. Aktionen fanden in Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern statt. 7 Zum extremistischen Straftatengeschehen insgesamt vgl. die Statistik des Landeskriminalamtes Extremismusbericht 2002 22 setzten. Der offensichtlich fremdenfeindlich motivierte Brandanschlag auf das bereits im August 1992 durch die spektakulären ausländerfeindliche Krawalle bekannt gewordene Sonnenblumenhaus erregte bundesweites Aufsehen. Anfang September kam es zu erneuten rechtsextremistisch motivierten Schändungen von Gedenkstätten und Ehrenmalen in Mecklenburg-Vorpommern und bei Wittstock im Land Brandenburg: Ö Am 04. September 2002 wurde auf eine neu angebrachte Gedenktafel der KZ-Gedenkstätte Wöbbelin, die auf die letzte Schändung im Februar hinwies, mit hellroter Farbe ein Hakenkreuz angebracht. Ö In das Gebäude der Belower8 Gedenkstätte für die Opfer des Todesmarsches von Sachsenhausen wurden am 05. September 2002 Brandsätze geworfen und der Gedenkstein mit einem Hakenkreuz, SS-Runen und einer antisemitischen Aufschrift geschändet. Ö Am 06. September 2002 beschmierten Unbekannte den Gedenkstein auf dem jüdischen Friedhof in Grevesmühlen mit einem Hakenkreuz, sägten zwei davor stehende Tannen ab und stießen eine Holztafel mit einer Gedenkschrift um. Ö Auf dem jüdischen Friedhof in Bützow wurden am 07. September 2002 ungefähr zehn Grabsteine beschädigt und teilweise zerschlagen. Auf einen Grabstein wurde mit roter Farbe ein ca. 30 cm großes Hakenkreuz geschmiert. Ö Zu einem versuchten Brandanschlag auf einen Asia-Imbiss kam es am 04. November 2002 in Wismar durch zwei Jugendliche, die nach Einschätzung der Strafverfolgungsbehörden der rechtsextremistischen Szene angehören. Die Täter drangen in das Gebäude ein und vergossen mitgeführtes Benzin. Als sie versuchten, den Brandbeschleuniger zu entzünden, konnten sie von einer Polizeistreife ergriffen werden. Als dritter Tatverdächtiger wurde ein in Wismar wohnhafter Gymnasiallehrer ermittelt. 8 Die Ortschaft Below liegt noch in MecklenburgVorpommern, die Gedenkstätte nur wenige Meter weiter im Land Brandenburg. Extremismusbericht 2002 23 II.3.2 Aktivitäten anlässlich des 15. Todestages von Rudolf HEß Herausragendes Ereignis war 2002 - wie bereits im Vorjahr - die zentrale Veranstaltung anlässlich des Todestages von Hitler-Stellvertreter Rudolf HEß in Wunsiedel / Bayern. Der Veranstaltung waren die üblichen juristischen Auseinandersetzungen vorausgegangen (Bestätigung des Versammlungsverbots der Ordnungsbehörde durch das Verwaltungsgericht, Aufhebung durch den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof). Nach Polizeiangaben beteiligten sich schätzungsweise 2.500 Personen an einem "Trauermarsch", dessen Teilnehmerzahl deutlich über der des Vorjahres lag (900). Vertreten waren auch Delegationen aus Schweden, Dänemark, Italien, Frankreich, Finnland, Österreich, Niederlande und der Schweiz. Rostocker Neonazis traten mit einem Transparent auf, das die Aufschrift "Wer mit der Lüge lebt, hat die Wahrheit zu fürchten - Rostocker Widerstandsbund" trug. Da die Veranstaltung in Wunsiedel einen Großteil des Neonazi-Potenzials in MV gebunden haben dürfte, kam es hier nur zu kleineren Aktionen9: Ö Im Vorfeld des Todestages von Rudolf HEß wurden in Waren / Müritz, Anklam, Ueckermünde, Wolgast, Karlshagen, Ahlbeck, Neustrelitz und Bad Doberan sowie auf der Insel Poel Flugblätter plakatiert und verteilt, auf denen der ehemalige HITLERStellvertreter bzw. sein "Friedensflug" nach England thematisiert wurde. In Bad Doberan und Kirchdorf auf der Insel Poel wurden Straßenschilder mit Aufklebern überklebt und in "Rudolf-HEß-Straße" umbenannt. Ö Im Stadtgebiet von Bützow kam es in der Nacht zum 17. August 2002 zu einer nicht angemeldeten HEß-Demonstration, die sogleich von der Polizei aufgelöst wurde. Die 20 Teilnehmer führten eine Reichskriegsflagge mit und skandierten Parolen wie "Blut und Ehre für Rudolf HEß". Mehrere der Teilnehmer hatten sich bereits an einer HEß-Veranstaltung im Jahr 2000 in Rostock beteiligt bzw. sind als Angehörige der gewaltbereiten Szene in Bützow und Umgebung bekannt. Ö Eine angemeldete Mahnwache veranstaltete ein örtlicher Rechtsextremist mit zehn Personen am 17. August 2002 im Ostseebad Bansin auf der Insel Usedom. Zwei Teilnehmer hielten ein schwarzes Stofftransparent hoch, das die Aufschrift 9 Die im Lande initiierten Aktionen erreichten nicht das Ausmaß der Aktivitäten des Vorjahres, als flächendeckend in mindestens 54 Städten und Gemeinden des Landes plakatiert worden war. Extremismusbericht 2002 24 "Zu Ehren Rudolf Hess; wir werden dich nie vergessen Ewig lebe der Toten Tatenruhm" trug. Ferner wurden Flugblätter verteilt sowie das Gespräch mit Passanten gesucht. II.3.3 Veranstaltungen anlässlich des 08. Mai Das Ende des 2. Weltkrieges am 08. Mai 1945 wird von Rechtsextremisten regelmäßig als Thema aufgegriffen, wobei die Szene den gleichzeitigen Beginn einer erneuten Diktatur in der damaligen Sowjetischen Besatzungszone herausstreicht. Im Einzelnen kam es zu folgenden Veranstaltungen: Ö Im Vorfeld des 08. Mai hatte ein bekannter Rechtsextremist von der Insel Usedom beim Landkreis Ostvorpommern eine Mahnwache in Ahlbeck angemeldet. Die Genehmigung erfolgte unter der Auflage, die Aktion erst zwei Tage später durchzuführen. Während einer PDS-Veranstaltung am 08. Mai 2002 wurden dennoch von insgesamt 12 Rechtsextremisten - darunter einige der Führungsfiguren der regionalen Szene - Prospekte verteilt. Der Aufforderung, ein Transparent mit der Aufschrift: "8. Mai, Tag der Befreiung? vom Leben, von der Heimat, vom Hab und Gut? Schluss mit den Befreiungslügen!" zu entfernen, kamen die Rechtsextremisten nicht nach, woraufhin es von der Polizei sichergestellt wurde. Ö In Rostock-Warnemünde versammelten sich ungefähr 35 Angehörige der örtlichen rechtsextremistischen Szene, marschierten zum örtlichen Friedhof und legten einen Kranz ab, dessen Schleife den Aufdruck "8. Mai, Tag der Niederlage" trug. II.3.4 Aktivitäten von Rechtsextremisten anlässlich des Volkstrauertages Wie in den Vorjahren begingen Angehörige der rechtsextremistischen Szene den Volkstrauertag als "Heldengedenktag". Die größte Veranstaltung in Mecklenburg-Vorpommern fand mit über 200 Teilnehmern, die überwiegend der rechtsextremistischen Szene aus MV, Berlin und Brandenburg zuzuordnen waren, auf dem Golm / Insel Usedom statt. Anmelder war wiederum ein bekannter Rechtsextremist aus der Region. II.3.5 Weitere Demonstrationen Extremismusbericht 2002 25 In Neubrandenburg fanden im Jahr 2002 zwei jeweils von einem Rechtsextremisten aus Ostvorpommern angemeldete Demonstrationen statt: Ö An der ersten Veranstaltung am 23. März 2002 unter dem Motto "Deutscher Widerstand gegen linke Gewalt und rot-rote Politik" beteiligten sich etwa 150 bis 180 Personen - in der Mehrzahl aus der Region kommend. Während der Demonstration kam es von Seiten der Gegendemonstranten immer wieder zu Steinund Flaschenwürfen sowohl auf die Polizei wie auf die Teilnehmer. Um eine weitere Eskalation zu vermeiden, wurde die Demonstration in Absprache mit dem Anmelder nach einer kurzen Rede seitens der Rechtsextremisten beendet. Ö Die zweite Veranstaltung fand am 19. Oktober 2002 unter dem Motto "Während das Bürgertum schläft, kämpfen wir um die Zukunft" mit ca. 360 Teilnehmern statt. Auch hier kam es wieder zu Ausschreitungen durch linke Gegendemonstranten. Zur Teilnahme aufgerufen hatten neben der NPD mehrere Kameradschaften und "Freie Nationalisten", darunter auch der "Märkische Heimatschutz" aus Brandenburg. Es wurde ein Transparent mit der Aufschrift "Organisiert den Nationalen Schwarzen Block", unterzeichnet mit "Autonome Nationalisten Berlin"10, festgestellt. Weitere Transparente waren: - "Pommersche Aktionsfront: Antifa-Banden gemeinsam bekämpfen" - "Rostocker Widerstand: Wer mit der Lüge lebt, hat die Wahrheit zu fürchten" - "Mecklenburger Aktionsfront: Wer mit Gewalt beherrscht wird, wird sich gewaltig wehren" - "Smash Z.O.G."11 Ö Am 11. Mai 2002 demonstrierten ca. 70 Rechtsextremisten in Ludwigslust unter dem Motto "Stoppt die Kumpanei zwischen Staat und Antifa-Banditen" gegen angebliche Übergriffe von Linksextremisten auf "nationale Deutsche". Obwohl neben namhaften "Freien Nationalisten" aus Hamburg und Ludwigslust auch führende NPD-Funktionäre des Landesverbandes auftraten, war die Resonanz im Lande nur gering. Die meisten Teilnehmer kamen aus anderen Bundesländern. 10 Die Verwendung des aus dem Bereich des Linksextremismus entlehnten Begriffs "Autonome" durch Rechtsextremisten zeigt, dass sich diese immer wieder inhaltlich und strukturell an den Konzepten des politischen Gegners orientieren. 11 "Zerschlagt die zionistisch besetzte Regierung" ("ZOG" = "zionist occupied government") Extremismusbericht 2002 26 Ö Am 31. August 2002 veranstaltete die in Lübeck ansässige rechtsextremistische Vereinigung "Bündnis Rechts" (BR) in Rostock einen angemeldeten Aufzug. Unter dem Motto "Gegen politische Verfolgung - Freiheit für Manfred ROEDER" demonstrierten ca. 80 Rechtsextremisten ihre Solidarität mit dem rechtskräftig verurteilten bekannten Neonazi, der - als "politisch Verfolgter" -zu Unrecht in Haft sei. Auch bei dieser Veranstaltung blieb die Beteiligung trotz prominenter Szeneredner weit hinter den Erwartungen der Veranstalter zurück. II.3.6 Rechtsextremistische Musikveranstaltungen Die Skinhead-Musik, bisweilen auch "White Power"12 Musik genannt, spielt nach Einschätzung der Verfassungsschutzbehörden nach wie vor eine bedeutende Rolle bei der Verbreitung rechtsextremistischen Gedankenguts. Texte, die den Nationalsozialismus verherrlichen sowie zu Gewalt und Fremdenhass aufrufen, gehören zum gängigen Repertoire. Darüber hinaus finden über die Skinhead-Musik weiterhin viele Jugendliche den Einstieg in die rechtsextremistische Subkultur. Gegenüber dem Vorjahr ist die Zahl der rechtsextremistischen Musikveranstaltungen 2002 in Mecklenburg-Vorpommern allerdings fast um ein Drittel zurückgegangen, wobei die Zahl der Skinkonzerte konstant geblieben ist. Im Berichtszeitraum wurden 17 rechtsextremistische Musikveranstaltungen festgestellt (2001: 24), davon 14 Skinkonzerte (2001: 14), ein Liederabend (2001: 1) und zwei Partys (2001: 9). Abschließende Zahlen zu den bundesweit durchgeführten Skinkonzerten liegen dem Bundesamt für Verfassungsschutz bislang nicht vor. Es ist aber mit einem leichten Anstieg der Konzertveranstaltungen zu rechnen (2001: 80). Am 06. Juli 2002 führte die Polizei in Scharbow /Landkreis Ludwigslust anlässlich eines geplanten Skinkonzerts mit ca. 200-250 Personen Vorkontrollen auf den Zufahrtsstraßen durch und wies potenzielle Teilnehmer ab. Am Abend hatten sich ca. 100 Personen am Veranstaltungsort eingefunden, das Konzert wurde von der Polizei aufgelöst. Ca. 50 verbliebene Teilnehmer unternahmen Widerstandshandlungen. Mehrere Personen wurden in Gewahrsam genommen. Zu einem überregionalen Szenetreffpunkt und Austragungsort für Musikveranstaltungen hatte sich im Berichtszeitraum der "Club 18" in Sassnitz entwickelt. Im Jahr 2002 fanden dort acht rechtsextremistische Musikveranstaltungen mit bis zu 250 Teilnehmern statt. Nach Interven12 "White Power" = Weiße Macht Extremismusbericht 2002 27 tion von Landesund Kommunalbehörden wurde der Club Ende Mai 2002 geschlossen. Seitdem fanden dort keine rechtsextremistischen Musikveranstaltungen mehr statt. Im Berichtszeitraum wurden Indizierungen von insgesamt sechs rechtsextremistischen CD mit volksverhetzenden, antisemitischen und gewaltverherrlichenden Textinhalten eingeleitet. Die CD "Ihre Ehre hieß Treue" der in Mecklenburg-Vorpommern bekannten Skinband "Nordmacht" wurde bereits im Jahr 2001 in die Indizierungsliste der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften aufgenommen. II.3.7 Szeneläden / Versandhandel Das Angebot an rechtsextremistischen Büchern, CDs und Skinheadutensilien (Anstecker, Aufnäher, Kleidung) entnehmen Rechtsextremisten vornehmlich in der Szene kursierenden Versandkatalogen. Vertriebsdienste für derartiges Material sind in Zarrentin, Parchim und Boizenburg, Szeneläden in Anklam, Rostock, Waren und Wismar ansässig. Der "V7 Versand Hamburg" mit Geschäftsadresse in Grevesmühlen sowie der "TTV Versand" in Zarrentin verfügen über Kontaktseiten im Internet. II.3.8 Kommunikationsmedien Die bereits konstatierte nachlassende Mobilisierungsfähigkeit der rechtsextremistischen Szene muss auch vor dem Hintergrund ideologischer Streitigkeiten gesehen werden, die seit einiger Zeit u.a. via Internet ausgetragen werden. Dabei geht es in erster Linie um den Umgang mit einer von verschiedenen Seiten konstatierten "allgemeinen Demonstrationsmüdigkeit" der Szene. Nach Einschätzung des "Aktionsbüro Norddeutschland" sei viel wichtiger als "Demotourismus" eine "Demokultur", die sich im "Kampf an der Basis vor Ort" sowie einer "inhaltliche[n] Vorund Nachbereitung durch die lokale Basis" zeige. Die teilweise heftigen Wortgefechte sind aber beileibe kein neues Phänomen, sondern seit geraumer Zeit in Mecklenburg-Vorpommern zu beobachten. Erhebliche Differenzen zwischen dem maßgeblich Verantwortlichen des rechtsextremistischen "Störtebeker-Netzes", einem "Freien Nationalisten", und der örtlichen rechtsextremistischen Szene, insbesondere dem Kreisverband Greifswald der "Nationaldemokratischen Partei Deutschlands" (NPD) und verschiedenen "Kameradschaften", wurden bereits im Jahr 2001 offenbar. Diverse ironische Extremismusbericht 2002 28 Kommentare im "Störtebeker-Netz" zu Aktivitäten der "Kameraden" führten dazu, dass der Verantwortliche als "Unperson", "Denunziant" bzw. "Lügenmaul" tituliert wurde. Vermutlich aufgrund dieser Querelen und wegen des schlechten Abschneidens der rechtsextremistischen Parteien bei den Wahlen im Jahr 2002 wurde die Internet-Seite Ende 2002 vorläufig eingestellt, da es - so die Verfasser -an jeglicher politischer Motivation fehle, die für einen nationalen Journalismus immerhin Voraussetzung bilden sollte. Die selbstverordnete Abstinenz wurde indes nicht lange durchgehalten, so dass auf der Seite nach einigen Wochen nur sporadischer Berichterstattung mittlerweile wieder täglich die Sicht der Neonazis auf die Tagespolitik nachzulesen ist. Neben dem "Störtebeker-Netz" nutzt insbesondere die "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) das Internet für offizielle Verlautbarungen und Mobilisierungen für Veranstaltungen. Außer dem Landesverband sind auch einige Kreisverbände im, so der rechtsextremistische Jargon, "Weltnetz" vertreten. Das einzige noch verbliebene Infotelefon in Mecklenburg-Vorpommern, das "Freie Infotelefon Norddeutschland" (FIT), unterhält einen "Anschluss Mecklenburg" in Rostock.13 Gleichzeitig können die Stellungnahmen der FIT-Betreiber zum Weltgeschehen auf der entsprechenden Internet-Seite nachgelesen werden, denn man versteht sich selbst als "Freier Informationsdienst der Nationalen Opposition". Die Zahl der von Rechtsextremisten aus dem Lande betriebenen Internet-Seiten stagniert insgesamt bei etwa zehn. Oftmals werden diese nur sporadisch aktualisiert bzw. nach kurzer Zeit wieder eingestellt. Das Internet als Kommunikationsund Informationsmedium wird (wie in der Gesamtbevölkerung) natürlich auch von der rechtsextremistischen Szene zunehmend genutzt. Von dem angestrebten Ziel, eine informationelle Vernetzung zu erreichen, ist man aber - zumindest in Mecklenburg-Vorpommern - noch weit entfernt. 13 Ein weiterer Anschluss ist in Hamburg geschaltet. Extremismusbericht 2002 29 II.4 Rechtsextremistische Parteien II.4.1 Wahlergebnisse rechtsextremistischer Parteien am 22.9.2002 Gemäß dem amtlichen Endergebnis konnte die NPD bei der Bundestagswahl 0,4% der Zweitstimmen erzielen und damit gegenüber 1998 um 0,2% zulegen. Bei der Bundestagswahl in Mecklenburg-Vorpommern erreichte die NPD mit 0,8% der Zweitstimmen ein Ergebnis, das sich gegenüber 1998 um 0,2% verschlechterte. Lediglich im Wahlkreis 13 (Schwerin-Ludwigslust) gelang es der NPD, bei den Zweitstimmen mit 0,8% um 0,2% zuzulegen. Bei der Landtagswahl erzielte die NPD 0,8% der Zweitstimmen und verschlechterte sich damit gegenüber dem Ergebnis von 1998 um 0,3 %. In zehn Wahlkreisen gelang es der NPD, die 1%-Marke zu überschreiten, das beste Wahlergebnis erreichte sie im Wahlkreis UeckerRandow I mit 2%. Keiner der Direktkandidaten konnte ein Mandat erlangen.. "Die Republikaner" (REP) verloren bei der Bundestagswahl 1,3% der 1998 erzielten Zweitstimmen und erreichten nur noch 0,6%. Hinsichtlich des Bundestagswahlergebnisses gaben die REP auch im Land 0,3% der Zweitstimmen ab und erreichten nur noch 0,3%. Bei der Landtagswahl erreichten die REP ebenfalls 0,3% und verloren damit gegenüber der Landtagswahl von 1998 0,3 %. Die "Deutsche Volksunion" (DVU) war weder zur Bundesnoch zur Landtagswahl in MV angetreten. Extremismusbericht 2002 30 II.4.2 "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD) II.4.2.1 NPD-Verbotsverfahren Das Jahr 2002 war für die NPD geprägt durch das beim Bundesverfassungsgericht anhängige und von drei Verfassungsorganen angestrengte Verbotsverfahren. Während des Erörterungstermins zur V-Mann (VM)-Problematik am 8. Oktober 2002 vor dem Bundesverfassungsgericht vertrat die NPD die Ansicht, dass Umstände, die ihr im Verbotsverfahren vorgeworfen werden, zumindest teilweise durch VM des Verfassungsschutzes initiiert worden seien ("agent-provocateur"-These). Die Kläger stellten jedoch klar, dass die Informanten der Geheimdienste "Fleisch vom Fleische der NPD" und "in der Partei herangewachsen" seien. Die Verfassungswidrigkeit der NPD sei auch ohne die Meldungen der VM gegeben. Das Verbotsverfahren wurde am 18. März 2003 durch das Bundesverfassungsgericht eingestellt. Zur Begründung gab das Bundesverfassungsgericht im Wesentlichen an, dass die Beobachtung einer politischen Partei durch V-Leute staatlicher Behörden, die als Mitglieder des Bundesvorstandes oder eines Landesvorstandes fungieren - und zwar unmittelbar vor bzw. während eines Parteiverbotsverfahrens - in der Regel unvereinbar mit den Anforderungen an ein rechtsstaatliches Verfahren ist. Eine Minderheit von drei Richtern ist der Auffassung, dass eine "mangelnde Staatsfreiheit" der NPD hinsichtlich ihrer Führungsebene und hinsichtlich des zur Antragsbegründung ausgebreiteten Bildes ein nicht behebbares Verfahrenshindernis darstellt. Das Gericht hat zwar die potenzielle Notwendigkeit des Einsatzes von V-Leuten vor und während eines Verbotsverfahrens bestätigt, diesen jedoch im Hinblick auf das Parteienprivileg unter den Vorbehalt einer besonders strikten Einhaltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes gestellt. Zur Einschätzung eines reellen Lagebildes der Partei hat das Gericht zudem ausgeführt, dass auch Informationen aus dem Führungskreis der Partei erlangt werden dürfen, hat andererseits aber auch betont, dass V-Leute ausschließlich zur Informationsbeschaffung eingesetzt werden dürfen, nicht aber steuernd auf die Partei einwirken dürfen. Die Entscheidung des Gerichtes ist eine verfahrensrechtliche, die nicht die Prüfung der Verfassungswidrigkeit der NPD einschloss. Für die NPD ist mit dem Urteil daher nicht der Vorwurf entkräftet, eine verfassungswidrige Partei zu sein. Extremismusbericht 2002 31 Die NPD im Lande Mecklenburg-Vorpommern hat bereits vor dem Urteil des Bundesverfassungsgerichtes erhebliche personelle und strukturelle Defizite gezeigt. Niederschmetternde Wahlergebnisse, ein rückläufiger Mitgliederbestand und eine eingeschränkte politische Aktionsfähigkeit sowie Desinteresse bei der Bevölkerung sind die Eindrücke aus dem abgelaufenen Jahr. Die fortbestehenden personellen und strukturellen Defizite in der NPD unter Einbeziehung des Urteils, durch welches die NPD weder entlastet noch gar reingewaschen wurde, lassen nicht erwarten, dass sich an dem desolaten Zustand der NPD auf absehbare Zeit etwas ändert. Darüber täuscht auch nicht der Demonstrationsaktionismus der NPD zur Irak-KriegsProblematik hinweg, der jedoch weder Teilnehmer von außerhalb der NPD bzw. der rechtsextremen Szene anzuziehen vermag, noch sonst auf Interesse oder Zustimmung der Bevölkerung trifft. II.4.2.2 Entwicklung auf Bundesebene Die NPD hielt auch im Berichtszeitraum an ihrem "Drei-Säulen-Konzept" ("Kampf um die Straße, die Köpfe und die Parlamente") fest, wenn auch unter ihrem Bundesvorsitzenden kein stringenter politisch-ideologischer Kurs auszumachen war. Vielmehr wurde versucht, unterschiedliche Strömungen innerhalb der Partei zu bündeln. Man sieht sich als Speerspitze einer "sozialrevolutionären Erneuerungsbewegung", die das Ziel eines "deutschen Sozialismus" mit bestimmten antikapitalistischen Elementen verfolgt. Im Januar 2002 beschloss die innerparteiliche Oppositionsgruppe "Revolutionäre Plattform - Aufbruch 2000" (RPF) ihre Auflösung, da sie ihre Aufgabe in der Partei, soweit möglich, erfüllt habe. Die RPF hatte die Nähe der "Freien Nationalisten" gesucht in der Hoffnung, mit deren Hilfe den Kurs der NPD beeinflussen zu können. Noch im Laufe des Jahres 2001 hatte der NPD-Parteivorstand den Mitgliedern der RPF eine integrierte Mitarbeit in Gestalt einer Arbeitsgemeinschaft in Aussicht gestellt. Dieses wurde wegen andauernder Querelen zwischen der Partei und den Protagonisten der RPF jedoch nicht realisiert. Die NPD-Parteizentrale hatte den Einsatz von NPD-Nichtmitgliedern auf NPD-Demonstrationen unter einen Genehmigungsvorbehalt gestellt. Da sich maßgebliche Vertreter der "Freien Nationalisten" auch aus einem Konkurrenzdenken heraus weder generell von öffentlichen Auftritten verabschieden noch sich durch die NPD vorschreiben lassen wollten, wann und wo sie dies geschehen soll, kam es teilweise zu Paralleldemonstrationen von NPD-Anhängern und "Freien Nationalisten" und im Anschluss zu gegenseitigen Vorwürfen, "man betreibe die Extremismusbericht 2002 32 Spaltung des nationalen Lagers". Der NPD wurde seitens der "Freien Nationalisten" ihre bisherige Erfolglosigkeit und ihr laxer Umgang mit enttarnten Spitzeln vorgehalten. Das wiederum führte (auch in Mecklenburg-Vorpommern) dazu, dass Skinheads und Mitglieder von rechtsextremistischen "Kameradschaften" vermehrt eine kritische Distanz zur NPD einnehmen und sich nicht mehr so leicht wie früher für NPD-Demonstrationen mobilisieren lassen. II.4.2.3 Entwicklung in Mecklenburg-Vorpommern In Mecklenburg-Vorpommern gingen im Berichtszeitraum kontinuierliche und öffentlich wahrnehmbare Aktivitäten von den Kreisverbänden (KV) der NPD in Greifswald, Stralsund und Ostvorpommern aus; der KV Neubrandenburg wurde nach Angaben der Partei neu gegründet. Eine besondere Stellung nahm wiederum der KV Greifswald ein, welcher auch 2002 eine Vielzahl von Demonstrationen meist unter unverfänglichen Parolen veranstaltete (vgl. Kapitel II.4.3.1). Daneben etablierten sich verschiedene von der NPD dominierte, themenund anlassbezogene "Initiativen", die - nach außen neutral auftretend - zahlreiche öffentlichkeitswirksame Aktivitäten entfalteten (vgl. Kapitel II.4.3.1). Der KV Stralsund veranstaltete im Berichtszeitraum 17 und damit die Hälfte aller im Land durchgeführten Informationsstände. Der KV Ludwigslust ist weiterhin aktiv, auch wenn hier weniger eigene öffentlichkeitswirksame Aktionen stattfinden - er ist jedoch organisatorisch an landesweit stattfindenden Demonstrationen beteiligt und unterhält nach wie vor funktionierende Beziehungen zur örtlichen Szene der "Freien Nationalisten". Beherrschendes Thema im Wahlkampf war der Hinweis auf die Globalisierungsund Kriegsgefahren sowie damit verbundene Solidaritätsbekundungen für Palästina und den Irak. II.4.2.4 Öffentliche Veranstaltungen der NPD im Lande Die NPD trat mit insgesamt ca. 80 Veranstaltungen im Jahr 2002 öffentlich in Erscheinung, darunter 19 im Rahmen des Wahlkampfes. Die Wahlkampfveranstaltungen standen unter dem Motto "Gegen Korruption und Globalisierung - für nationale Solidarität". Obwohl der NPD-Bundesvorsitzende und führende Vertreter der Landes-NPD beteiligt waren, zogen die einzelnen Auftritte (mit Ausnahme der Wahlabschlussveranstaltung am Extremismusbericht 2002 33 21. September 2002 in Schwerin mit 60 Teilnehmern) nur zwischen fünf und dreißig Interessierte an. Auch die Teilnehmerzahlen bei Demonstrationen sind gegenüber den Vorjahren rückläufig. Die durch die Veranstaltungen erhoffte Resonanz in der Bevölkerung blieb aus. Daneben führte die NPD im Jahr 2002 acht sonstige Demonstrationen durch: Datum Ort Motto der Veranstaltung Teilnehmerzahl 09.02.2002 Demmin Arbeitsplätze für Millionen statt Geld für 200 Teilnehmer Kanonen 30.03.2002 Rostock Für die Umbenennung der Ilja-Ehrenburg120 Teilnehmer Straße 19.04.2002 Greifswald Friede und Freiheit für Palästina - Gegen 120 Teilnehmer (aGewalt im nahen Osten rabische Studenten und NPD); 27.04.2002 Wismar Wismars Zukunft liegt auf dem Wasser 100 Teilnehmer 15.06.2002 Stralsund Volksgemeinschaft statt Familienfeindlich77 Teilnehmer keit und soziale Missstände 27.07.2002 Greifswald 1. Nationale Frauendemonstration, Motto: 15 Frauen Gegen Kindesmissbrauch und Abtreibung 10.08.2002 Sassnitz Gegen Schließung Club 18 - Denn wenn 60 Teilnehmer (NPD Recht zu Unrecht wird, wird Widerstand und Freie Nationazur Pflicht listen) 01.09.2002 Greifswald Nie wieder Krieg - Gegen militärischen 125 Teilnehmer Größenwahn Vier Mahnwachen in Stralsund und eine in Greifswald (durchschnittliche Teilnehmerzahlen zwischen acht und zwanzig Personen) beschäftigten sich mit folgenden Themen: Ö "Kein Deutsches Blut für fremde Interessen - Kriege ächten, Frieden bewahren"; Ö "Gedenket der Opfer von Krieg und Gewaltherrschaft, Flucht und Vertreibung"; Ö "Kriege ächten - Frieden bewahren"; Extremismusbericht 2002 34 Ö "Gegen Lügen, Intrigen und Gesinnungsterror" (anlässlich eines Urteils gegen Mitglieder der Schülerinitiative); Ö "Wer Unrecht duldet, ohne sich zu wehren, macht sich mitschuldig - Freiheit für Maik Spiegelmacher" (anlässlich einer Verhandlung gegen den NPD - Kreisvorsitzenden von Greifswald). Das NPD-Pressefest fand unter der Beteiligung von 75 Personen am 14. September 2002 in Rostock statt unter dem Motto "Volk statt Multikultiwahn". Daneben führte die NPD 34 Informationsstände durch, deren örtlicher und organisatorischer Schwerpunkt mit 17 Veranstaltungen Stralsund war. Jeweils fünf Stände wurden durch die NPD-Kreisverbände Greifswald und Ostvorpommern in Greifswald bzw. Anklam und auf der Insel Usedom durchgeführt, drei durch den Kreisverband Ludwigslust, zwei in Demmin und je einer in Neubrandenburg und Ribnitz-Damgarten. Die Stände waren jeweils mit zwei bis zwölf Personen besetzt. Folgende Parolen wurden verwendet: Ö "Argumente statt Verbote" (im Hinblick auf das NPD-Verbotsverfahren); Ö "Soziale Gerechtigkeit statt Zweiklassengesellschaft"; Ö "Ja zu Deutschland - raus aus der EU"; Ö "Für ein Europa der Vaterländer"; Ö "USA internationale Völkermordzentrale - keine deutschen Soldaten für die Interessen der Vereinigten Staaten"; Ö "Gegen Sozialabbau und Rentenklau"; Ö Arbeit zuerst für Deutsche - Einwanderungsstopp". II.4.3 "Junge Nationaldemokraten" (JN) Aktivitäten der NPD-Jugendorganisation "Junge Nationaldemokraten" (JN) waren auch im Jahr 2002 in MV nicht feststellbar. Der im November neu gewählte Bundesvorsitzende stammt jedoch laut einer Pressemitteilung der "Deutschen Stimme" ursprünglich aus Mecklenburg-Vorpommern. Extremismusbericht 2002 35 II.4.4 Sonstige NPD-beeinflusste Zusammenschlüsse Eine Anfang 2001 gegründete und vom NPD-Kreisverband Greifswald beeinflusste "Bürgerinitiative zur Wahrung der Grundrechte" veranstaltete 2002 lediglich zwei Informationsveranstaltungen. Zur Strategie insbesondere der Greifswalder NPD gehört es, durch Hilfsangebote und verschiedene soziale Dienste bestimmte Bevölkerungsgruppen für sich zu gewinnen und sich als "Ordnungsfaktor" in der Region zu etablieren. Mittels populärer Aktionen versucht man, Jugendliche und sogar Kinder an sich zu binden. Zu diesem Konzept passt die - nach Eigenangaben - von Schülern der verbundenen "Hauptund Realschule Friedrich Engels" in Greifswald gegründete "Schülerinitiative für freie Meinungsbildung und -äußerung". Tatsächlich handelt es sich aber um eine NPD-dominierte Vereinigung, die sich gegen die "Diskriminierung politisch unkorrekter" Meinungen wendet. Sie führte eine Reihe von Demonstrationen z.B. "Gegen Drogen und Gewalt an Schulen" oder "Für freie Meinungsbildung und - äußerung an unseren Schulen" und mehrere Informationsstände durch (s.u.). Ähnliche "Schülerinitiativen", die auch in Stralsund, Waren, Demmin und auf der Insel Usedom existieren sollen, fielen jedoch 2002 nicht durch selbstständige Aktionen auf. Die Zweimonatspublikation "Norddeutsches Sprachrohr", die sich als Zeitung der o.g. NPDbeeinflussten "Schülerinitiative(n)" versteht, erschien auch im Jahr 2002 bis zur 8. Ausgabe im November / Dezember 2002. Das Blatt begreift sich als "Stimme der deutschen Jugend, die sich gegen die Meinungsdiktatur an den Bildungseinrichtungen in Mecklenburg-Vorpommern richtet". Die rechtsextremistische Zielrichtung des Blattes unterstreicht auch, dass u.a. "Der InselBote", das Mitteilungsblatt des "Kameradschaftsbundes Usedom" (KBU), die in Verden (Niedersachsen) ansässige grenzrevisionistische Zeitung "Der Preuße" sowie "Zutt's Patriotentreff" in Waren als "Unterstützer" für dieses Periodikum werben. Die NPD-beeinflusste "Schülerinitiative für freie Meinungsbildung und -äußerung" führte im Berichtszeitraum vier Demonstrationen und fünf Informationsstände durch. Extremismusbericht 2002 36 Folgende Demonstrationen der "Schülerinitiative" aus Greifswald fanden statt: Datum Ort Motto der Veranstaltung Teilnehmerzahl 12.01.2002 Wolgast Verbesserung der Lernsituation - gegen Dro100 Teilnehmer gen und Gewalt 01.06.2002 Greifswald Gegen Medienhetze und politische Verfolgung 60 Teilnehmer 29.06.2002 Greifswald Gegen linke Gewalt und Intoleranz 24 Teilnehmer 16.11.2002 Demmin Gegen Drogen und Gewalt und politische Ver75 Teilnehmer folgung Daneben wurden fünf Informationsstände (am 14. Januar, 22. August, 03. Oktober, 29. Oktober und 4. Dezember 2002) jeweils in Greifswald durchgeführt. Die "Bürgerinitiative zur Wahrung der Grundrechte" hatte lediglich am 11. und 18. Juli 2002 in Greifswald einen Informationsstand betrieben. II.4.5 "Deutsche Volksunion" (DVU) Bei der DVU im Lande sind kaum Aktivitäten festzustellen. Die Mitgliederzahl beträgt unter 100 Personen. DVU-"Stammtische" existieren nach Darstellung der Partei in Schwerin-Ludwigslust, Wismar und Neubrandenburg. Selbst innerhalb der rechtsextremistischen Szene des Landes erfährt die Partei keine Akzeptanz. Die DVU nahm weder an der Bundesnoch an der Landtagswahl teil. II.4.6 "Die Republikaner" (REP) "Die Republikaner" (REP) sind weiterhin inaktiv und ihre Mitgliederzahl liegt bei unter 100 Personen. Während des Bundesund Landtagswahlkampfes war die Partei kaum wahrnehmbar. Sie musste deutliche Stimmenverluste hinnehmen. Extremismusbericht 2002 37 III. Linksextremismus III.1 Personenpotenzial14 Jahr MV MV Bund Bund Gruppierung 2001 2002 2001 2002 Autonome 20015 150 6.000 5.000 Deutsche Kommunistische Partei 40 20 >4.500 4.700 (DKP) Marxistisch-Leninistische Partei 20 20 ca. 2.000 <2.000 Deutschlands (MLPD) Sozialistische Alternative (SAV) 20 20 300 350 III.2 Lageüberblick Die linksextremistische Szene in Mecklenburg-Vorpommern trat auch im Jahr 2002 nur vereinzelt in Erscheinung und ist damit weiterhin nur von geringer Bedeutung. Öffentlich trat sie vor allem mit Aktionen gegen Rechtsextremisten und gegen einen Krieg im Irak in Erscheinung. So beteiligte sie sich u.a. an Demonstrationen gegen den Besuch des USPräsidenten George W. Bush in Berlin. Ein weiterer Bereich, in dem sich die linksextremistische Szene im letzten Jahr engagierte, ist die Antiglobalisierungskampagne. So gingen z.B. in Schwerin und Rostock Mitglieder der SAV zusammen mit ATTAC-Globalisierungskritikern16 unter dem Motto "Eine andere Welt ist möglich" auf die Straße. ATTAC wurde 1998 in Frankreich gegründet und bezeichnet sich als Initiative und nicht als Partei. Sie wird bei ihren Aktivitäten in Mecklenburg-Vorpommern regelmäßig durch SAV-Mitglieder unterstützt. Im Jahr 2002 gehörten in MV rund 250 Personen dem linksextremistischen Spektrum an. 14 Dargestellt sind nur die in MV relevanten Organisationen. 15 Schätzung 16 "Association pour une taxation des transactions financieres pour l'aide aux citoyens", übersetzt: "Vereinigung für eine Besteuerung finanzieller Transaktionen zum Nutzen der Bürger". Extremismusbericht 2002 38 III.3 Militanter Linksextremismus/"Autonome" Besondere Aufmerksamkeit erregte im Berichtszeitraum ein versuchter Brandanschlag, der in der Nacht vom 23. auf den 24. September 2002 auf Fahrzeuge der Bereitschaftspolizei in Schwerin verübt wurde. Er schlug fehl, es entstand kein Sachschaden. In einem Bekennerschreiben, das bei der örtlichen Presse einging, zeichnete eine "Kämpfende Brigade Wolfgang Grams" dafür verantwortlich. Der Generalbundesanwalt hat das Verfahren an sich gezogen und das Landeskriminalamt mit den Ermittlungen beauftragt. Die Taterklärung stellt den Anschlag in einen weltweiten Kontext mit der so genannten "antiimperialistischen" Bewegung, polemisiert gegen die neue Sicherheitsgesetzgebung in der Bundesrepublik und fordert eine Organisierung des Widerstandes für einen gemeinsamen Kampf "gegen den imperialistischen Krieg". Nach hiesiger Einschätzung ist von einer Täterschaft aus der autonomen Szene auszugehen. Eine nahezu textgleiche Erklärung wurde Ende 2001 bereits aus der Düsseldorfer Szene bekannt, so dass die Schweriner Täter offenbar keine eigene geistige Reflexion der Tat vorgenommen haben. Dies spricht somit eher für eine regional agierende Gruppe ohne tiefere Kenntnis der Argumentationsmuster autonomer Gruppen. Autonome zeigten auch im Jahr 2002 bei Demonstrationen gegen Veranstaltungen von Rechtsextremisten ihre Gewaltbereitschaft. Insbesondere in Neubrandenburg kam es zu Ausschreitungen: Im März 2002 befanden sich unter rund 500 Gegendemonstranten ca. 20 vermummte Störer, die Polizeibeamte mit Flaschen und Steinen bewarfen. Im Oktober 2002 kam es während einer durch Neonazis angemeldeten Veranstaltung zu erheblichen Störungen durch Sitzblockaden und Gewaltaktionen gegen Polizeibeamte. Im Vorfeld hatten sowohl die "autonome antifa schwerin (aas)" als auch die "Antifaschistische Aktion Neubrandenburg" mit Flugblättern und via Internet zu Gegenaktionen aufgerufen. III.4 "Deutsche Kommunistische Partei (DKP)" Aktivitäten der DKP waren in Mecklenburg-Vorpommern im letzten Jahr praktisch nicht wahrnehmbar. Die im Land vertretenen Ortsgruppen werden durch einen Koordinierungsrat vertreten. Eine Landesoder Bezirksorganisation der Partei existiert in MV nicht. Extremismusbericht 2002 39 III.5 "Sozialistische Alternative (SAV)" Die SAV in Mecklenburg-Vorpommern ist hauptsächlich in Rostock mit zwei Ortsgruppen aktiv. Ihr selbst gestecktes Ziel für 2002, die Mitgliederzahl zu erhöhen und eine dritte Ortsgruppe in Rostock zu gründen, konnte nicht erreicht werden. Die Anzahl der Mitglieder liegt nach wie vor bei rund 20 Personen. Die der SAV angeschlossene Jugendorganisation "Jugend gegen Rassismus in Europa (JRE)" wurde Ende 2001 in Kassel aufgelöst und schloss sich der Organisation "Widerstand International (WI)" an. Dabei handelt es sich um die deutsche Sektion von "International Socialist Resistance (ISR), die im Dezember 2001 in Brüssel gegründet wurde. Die Initiative zur Gründung der WI ging von der SAV aus. Sie ist personell und programmatisch eng mit der SAV verflochten. Im Laufe des Jahres hat die SAV u.a. zu Protestaktionen gegen EU-Gipfel, den Einsatz der Bundeswehr bei Kriegseinsätzen sowie gegen den Besuch des US-Präsidenten George W. Bush in Berlin aufgerufen. Bei der Oberbürgermeisterwahl im April 2002 in Rostock erhielt die Kandidatin der SAV 538 (= 0,7 %), als Direktkandidatin bei der Bundestagswahl in Rostock im September 2002 insgesamt 255 Stimmen (= 0,2 %). Die SAV war unter dem Motto "Gegen den Einheitsbrei der Etablierten - für eine sozialistische Alternative" angetreten. III.6 "Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD)" Wie jedes Jahr lud die MLPD zum Teil zusammen mit ihrem Jugendverband REBELL auch im Jahr 2002 zu einem Sommercamp in den Sommerferien sowie zu einer Weihnachtsund Silvesterfeier ins "Arbeiterbildungszentrum e.V." in Alt Schwerin ein. Auch die bereits üblichen Seminare fanden hier wieder statt. Die MLPD versucht auf diese Weise, neue Mitglieder insbesondere in der jungen Bevölkerungsschicht zu gewinnen und damit im Land MV stärker vertreten zu sein. Die Anzahl der MLPD-Mitglieder in Mecklenburg-Vorpommern stagnierte 2002 jedoch bei ca. 20. Während der Bundestagswahl rief die MLPD mit dem Slogan: "Neue Politiker braucht das Land" zum Wahlboykott auf. Auf ihrer Homepage war zu lesen, dass sie, anstatt sich an der Bundestagswahl zu beteiligen, sich lieber mit "systematischer Kleinarbeit unter den Industriearbeitern und den breiten Massen auf die kommenden verschärften Klassenauseinandersetzungen vorbereiten" wolle. Sie spricht sich gegen die Pläne der Hartz-Kommission aus und fordert die 30-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich. Extremismusbericht 2002 40 Im Dezember 2002 wurde eine neue Gruppe des Jugendverbands REBELL in Neubrandenburg gegründet. Auch die MLPD ist im zurückliegenden Berichtszeitraum außer bei Antikriegsdemonstrationen und Aktionen gegen den Bush-Besuch kaum in der Öffentlichkeit in Erscheinung getreten. Extremismusbericht 2002 41 IV. ÖFFENTLICHKEITSARBEIT Im Rahmen der präventiven Extremismusbekämpfung hat der Bereich Öffentlichkeitsarbeit der Verfassungsschutzbehörde auch im Jahr 2002 wieder schwerpunktmäßig themenbezogene Vorträge und Fortbildungsveranstaltungen an den unterschiedlichsten Institutionen und Bildungseinrichtungen des Landes durchgeführt. Zudem hat die Verfassungsschutzabteilung die folgende Publikation veröffentlicht: 3/4 Verfassungsschutz Journal 2002 mit dem Thema "Terrorismus - Lebensgefahr für die Demokratie?". Die Homepage der Verfassungsschutzabteilung www.verfassungsschutz-mv.de wurde rege besucht. Darüber hinaus wurde die Wanderausstellung des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) zum Thema "Demokratie ist verletzlich - Rechtsextremismus in Deutschland" begleitend unterstützt. Der Extremismusbericht 2001, der öffentlich über die Lage im Arbeitsbereich des politischen Extremismus berichtet, wurde erneut gemeinsam mit dem Landeskriminalamt erstellt. Publikationen können bei der Verfassungsschutzabteilung (auch über die E-Mail-Adresse info@verfassungsschutz-mv.de) oder über die Pressestelle des Innenministeriums bestellt werden. Extremismusbericht 2002 42 V. STRUKTURDATEN Im Haushaltsjahr 2002 standen der Verfassungsschutzbehörde Haushaltsmittel in Höhe von 738.300.EUR zur Verfügung. Die anteiligen Kosten des Landes M-V an der Schule für Verfassungsschutz (als gemeinsame Bund/Länder-Einrichtung) betrugen 18.400.EUR. Extremismusbericht 2002 43 Lagebild Staatsschutz 2002 - Statistiken des Landeskriminalamtes MecklenburgVorpommern (LKA MV) 1. Allgemeines Grundlage des Lagebildes "Politisch motivierte Kriminalität" (PMK) sind die dem LKA MV im Rahmen des "Kriminalpolizeilichen Meldedienstes - Politisch motivierte Kriminalität" (KPMD-PMK) gemeldeten Straftaten. Dieser Meldedienst wurde mit Wirkung vom 01.01.2001 neu eingeführt und lässt daher im Jahr 2002 erstmals aufgrund eines zum Vorjahr einheitlichen Definitionssystems wieder eine vergleichbare Gegenüberstellung zu. Unter die "Politisch motivierte Kriminalität" werden auch Straftaten erfasst, bei denen ein rechtsbzw. linksextremistischer Hintergrund vorliegt und die der politisch motivierten Ausländerkriminalität zuzuordnen sind. Darüber hinaus werden auch die Fälle erfasst, die zwar objektiv einen entsprechenden Straftatbestand (sog. "echte" Staatsschutzdelikte) erfüllen, das Vorliegen einer politischen Motivation jedoch nicht festgestellt werden kann. Dazu zählen etwa die Hakenkreuzschmierereien eines Zehnjährigen aus Langeweile. Der extremistischen Kriminalität - als Teilmenge der Politisch motivierten Kriminalität - werden Straftaten zugeordnet, bei denen tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung gerichtet sind; d.h., darauf, einen der folgenden Verfassungsgrundsätze zu beseitigen oder außer Geltung zu setzen: * das Recht des Volkes, die Staatsgewalt in Wahlen und Abstimmung und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung auszuüben und die Volksvertretung in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl zu wählen * die Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung und die Bindung der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an Gesetz und Recht * das Recht auf Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition * die Ablösbarkeit der Regierung und ihrer Verantwortlichkeit gegenüber der Volksvertretung Extremismusbericht 2002 44 * die Unabhängigkeit der Gerichte * der Ausschluss jeglicher Gewaltund Willkürherrschaft * die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte. 2. Die Gesamtlage im Überblick Im Jahre 2002 wurden insgesamt 877 (2001: 949) Straftaten der politisch motivierten Kriminalität registriert. Gegenüber dem Vorjahr ist damit ein Rückgang der erfassten Fälle von 7,6 % zu verzeichnen. Bei 370 dieser Taten (2001: 335), also einem Anteil von 42,2 %, wurde eine politische Motivation festgestellt, bei 148 dieser Taten (2001: 65) muss von einem extremistischen Hintergrund ausgegangen werden. Die extremistischen Straftaten stellen somit einen Anteil von 16,9 % (2001: 6,9 %) an der Gesamtzahl der gemeldeten Fälle dar. Von den 877 insgesamt gemeldeten Straftaten wurden 655 (2001: 722) als Propagandadelikte (SSSS 86 ff. StGB) erfasst. Dreiviertel aller Fälle (74,7 %) sind damit diesen Straftaten zuzuordnen. Der politisch motivierten Gewaltkriminalität sind in der Addition der Gewaltdelikte in den Phänomenbereichen "Rechts", "Links" und "Politisch motivierte Ausländerkriminalität" insgesamt 67 Straftaten (7,6 %) zuzuordnen (vgl. Tabelle 1). Gegenüber dem Vorjahr (2001: 78) ist damit ein Rückgang um elf Straftaten zu verzeichnen. Aufgrund des Rückgangs der Politisch motivierten Kriminalität insgesamt hat sich ihr Anteil an der Gesamtzahl der erfassten Staatsschutzdelikte (2002: 7,6 %; 2001: 8,1 %) jedoch nicht wesentlich verändert. Bei 20 Gewaltdelikten war eine fremdenfeindliche, bei einem Gewaltdelikt eine antisemitische Einstellung des Täters tatauslösendes Element. 18 der gemeldeten Gewaltdelikte (26,9 %) wurden als extremistisch eingestuft. Während die Aufklärungsquote bei den PMK-Delikten einschließlich der Propagandadelikte insgesamt 32,8 % (2001: 33,8%) beträgt, liegt sie bei den Gewaltdelikten bei 82,1 %. Die Verteilung der Gewaltdelikte auf die Bereiche der Polizeidirektionen wird aus der nachfolgenden Tabelle ersichtlich. Extremismusbericht 2002 45 Tabelle 1: Politisch motivierte Gewaltkriminalität nach PD-Bereichen PD PD PD PD PD Schwerin Rostock Stralsund NeubranAnklam Gesamt denburg PMK Rechts 8 11 10 6 4 39 PMK - 4 - 19 5 28 Links Gesamt 8 15 10 25 9 67 Extremismusbericht 2002 46 3. Tatverdächtige Von den 877 gemeldeten Fällen konnten 288 (2001: 321) Straftaten aufgeklärt und 545 (2001: 547) Tatverdächtige ermittelt werden. Dabei beträgt der Anteil der unter 21jährigen an der Gesamtzahl der ermittelten Tatverdächtigen 65,9 % (2001: 66,9%). Tabelle 2: Altersstruktur der ermittelten Tatverdächtigen gesamt17 250 212 2002 2001 200 182 167 150 142 109 92 100 47 46 50 34 35 10 12 1 3 0 bi s 7 0 4 9 ab A -1 -2 -2 -2 lte 13 14 18 21 25 30 . J. J. J. J. J. .b J. rn Tabelle 3: Alterstruktur nach Phänomenbereichen (2002) Altersgruppe Rechts Links Nicht zuzuAusländer ordnen bis 13 Jahre 0 0 10 0 14 bis 17 Jahre 111 17 54 0 18 bis 20 Jahre 128 20 19 0 21 bis 24 Jahre 70 13 9 0 25 bis 29 Jahre 32 5 9 1 ab 30 Jahre 28 0 14 4 Alter nicht bekannt 0 0 1 0 Extremismusbericht 2002 47 Tabelle 4: Verteilung nach Geschlecht der Tatverdächtigen und Phänomenbereichen 350 334 2002 300 250 200 männlich 150 weiblich 101 100 53 35 50 2 15 5 0 0 Rechts Links Nicht Ausländer zuzuordnen 4. Phänomenbereich "Rechts" (ohne Propagandadelikte) 18 Im Jahr 2002 wurden im Phänomenbereich "Rechts" 158 (2001: 140) politisch motivierte Straftaten (ohne Propagandadelikte) und damit 18 Fälle mehr als im Vorjahr (+ 12,9 %) gemeldet. Von den 158 rechtsmotivierten Straftaten wurden 93 (2001: 48) als extremistisch eingestuft. Dies entspricht einem Anteil von 58,8% in diesem Deliktsbereich (2001: 34,3%). Von den 158 Delikten des Phänomenbereichs "Rechts" wiesen 51 Fälle (2001: 67) eine fremdenfeindliche und 68 Fälle (2001: 44) eine antisemitische Motivation auf. Der Anteil fremdenfeindlich motivierter Straftaten an der Gesamtzahl der Straftaten im Phänomenbereich "Rechts" sank damit gegenüber dem Vorjahr von 47,9 % auf 32,2 %. Dem gegenüber stieg der Anteil antisemitischer Straftaten von 31,4 % auf 43 %. 17 Alter n.b.: Alter nicht bekannt 18 Propagandadelikte werden aufgrund ihrer Deliktsspezifik einer gesonderten Betrachtung unterzogen, vgl. Punkt 7 Extremismusbericht 2002 48 Insgesamt ist damit ein Rückgang der fremdenfeindlichen Straftaten um 23,9 % und ein Anstieg der antisemitischen Straftaten um 54,5 % zu verzeichnen. Ursächlich für diese Entwicklung sind neben der Serie von Anschlägen auf jüdische Friedhöfe und Gedenkstätten auch Sachbeschädigungen im Zusammenhang mit der Bundesbzw. Landtagswahl. Allein in diesem Zusammenhang wurden sieben Sachbeschädigungen mit antisemitischem Bezug gemeldet. In der Regel werden antisemitische Straftaten jedoch, wie in den Vorjahren, in Form von volksverhetzenden Äußerungen und Darstellungen begangen. Anschläge auf jüdische Friedhöfe und Gedenkstätten Auf die Entwicklung antisemitischer Straftaten in Mecklenburg-Vorpommern zeigte insbesondere der Brandanschlag auf eine Gedenkstätte für die Opfer des Todesmarsches von Sachsenhausen und Farbschmierereien mit roter Signalfarbe im brandenburgischen Below im September 2002 Auswirkungen. Im gleichen Tatzeitraum wurden an Gedenkstätten in Mecklenburg-Vorpommern ebenfalls 10 Farbschmierereien mit der gleichen Farbe festgestellt. Aufgrund der erwiesenen Tatzusammenhänge wurde die gemeinsame Ermittlungsgruppe "Gedenkstätten" des Polizeipräsidiums Potsdam und des LKA MV eingerichtet. Die Ermittlungen sind noch nicht abgeschlossen. Eine besondere Empörung rief das Ablegen von Schweineköpfen an Gedenkstätten in Wöbbelin und Raben Steinfeld bzw. auf dem jüdischen Friedhof in Boizenburg im Februar 2002 hervor. Täter konnten bisher nicht ermittelt werden. Insgesamt wurden im Jahr 2002 34 Vorkommnisse auf jüdischen Friedhöfen und Gedenkstätten mit politisch motiviertem Hintergrund registriert, wobei es sich hauptsächlich um volksverhetzende Schmierereien handelte. Gewaltdelikte im Phänomenbereich "Rechts" 39 der 158 gemeldeten Straftaten (24,7 %) wurden als Gewaltdelikte (2001: 40) eingestuft. Von diesen waren 20 (2001: 24) fremdenfeindlich und eine Straftat (2001: 0) antisemitisch motiviert. Tabelle 5: Herausragende Beispiele im Phänomenbereich "Gewaltdelikte Rechts" Extremismusbericht 2002 49 Straftat Beispiele Brandstiftung 10.01.-16.01.02: gem. SS 306 StGB Durch eine Mitarbeiterin des Max-Samuel-Hauses in Rostock, in dem sich eine jüdische Begegnungsstätte befindet, wurde auf der Rasenfläche vor dem Gebäude eine Bierflasche mit angebrannter Lunte festgestellt. Die kriminaltechnische Untersuchung ergab, dass sich Reste einer brennbaren Flüssigkeit darin befanden. Die Täter sind unbekannt. 21.01.02: Bekannte Täter warfen zunächst einen brennenden Molotowcocktail auf das Wachgebäude der Kürassierkaserne in Stallberg. Während der Löscharbeiten durch die Wachsoldaten wurden diese durch die Täter mit "Scheiß Bundeswehr" und "Nazis raus!" beschimpft. Gefährliche Kör20.07.02: perverletzung gem. Der Mitarbeiter eines Dönerstandes in Göhren wurde aus nicht beSS 224 StGB kannten Gründen geschlagen. Bei Eintreffen der Polizei rief der Tatverdächtige "Sieg Heil, der Krieg war geil!". Dem Geschädigten drohte der Tatverdächtige ihn anzuzünden. 05.08.02: Die Tatverdächtigen traten gegen die Wohnungstür einer türkischen Familie. Beim Öffnen wurde mit einer Schreckschusspistole auf einen Bewohner geschossen. Die Tatverdächtigen riefen "Ausländer raus!" sowie "Komm raus, du alte Türkensau, du bist tot." Körperverletzung 02.03.02: gem. SS 223 StGB Die Tatverdächtigen standen in Zirkow an der Bushaltestelle, als zwei Passanten vorübergingen. Die Tatverdächtigen zeigten den "Hitlergruß", riefen dazu "Heil Hitler!". Einem Zeugen wurde mit der Faust ins Gesicht geschlagen. 28.03.02: Der Tatverdächtige beschimpfte in Rostock den türkischen Besitzer eines Gemüsestandes mit "Schwarze Sau", "Schwarzes Schwein", "Kanaker", "Türkensau" und schlug mit Fäusten auf ihn ein. Landfriedensbruch 15.12.02: gem. SS 125 StGB Nach einer verbalen Auseinandersetzung zwischen drei Schwarzafrikanern und zwei Deutschen in Pasewalk wurden die Deutschen der Gaststätte verwiesen. Daraufhin sammelten sich mehrere der rechten Szene zugehörige Personen und schlugen auf die Schwarzafrikaner ein. Mord (Versuch) 04.11.02: gem. SSSS 211, 22 In Wismar schlugen Tatverdächtige, die noch vor Vollendung der StGB Tat festgenommen werden konnten, die Scheibe der Eingangstür eines Asia-Imbisses ein und legten im Hausflur einen 5-LiterBenzinkanister ab. 20.07.02: Tatverdächtige warfen einen Molotowcocktail in einen Asia-Markt in Rostock-Lichtenhagen. Im Bereich des Lagers kam es zum Extremismusbericht 2002 50 Brand. Ein weiterer Molotowcocktail wurde in das darüber liegende Büro geworfen. Widerstand gegen 22.08.02: VollstreckungsIn Stralsund wurde wegen lautstarken Abspielens von Musik in beamte einer Wohnung die Polizei gerufen. Bei der Personalienfeststellung gem. SS 113 StGB stellte sich der Tatverdächtige vor die Polizeibeamten, rief "Heil Hitler", zeigte den "Hitlergruß" und leistete aktiven Widerstand. 08.09.02: Im Zusammenhang mit einer Sachbeschädigung in Bad Doberan konnte der flüchtende Tatverdächtige durch Polizeibeamte gestellt werden. Er leistete aktiven Widerstand, bedrohte und beleidigte die Polizeivollzugsbeamten und zeigte den "Hitlergruß". 5. Phänomenbereich "Links" (ohne Propagandadelikte) Im Jahr 2002 wurden 5919 (2001: 81) Straftaten für den Phänomenbereich "Links" erfasst. Gegenüber dem Vorjahr ist damit ein Rückgang um 22 Fälle (27,2%) zu verzeichnen. Darin enthalten sind 28 Gewaltdelikte (2001: 38). Das bedeutet in diesem Phänomenbereich einen Rückgang von 26,3 %. Aufgrund der rückläufigen Tendenz der Anzahl der Straftaten im Phänomenbereich "Links" hat sich ihr Anteil insgesamt (2002: 47,5 %; 2001: 46,9 %) jedoch nicht wesentlich verändert. Sechs Delikte (2001: 0) wurden als extremistisch eingestuft, ein Fall als terroristische Straftat: In der Nacht zum 24.09.2002 deponierten unbekannte Täter an Dienstkraftfahrzeugen der Bereitschaftspolizei in Schwerin Kanister mit brennbaren Flüssigkeiten, die jedoch nicht in Brand gerieten. Zu diesem versuchten Brandanschlag ging bei der Deutschen Presseagentur in Schwerin ein Selbstbezichtigungsschreiben ein, dass mit "Kämpfende Brigade - Wolfgang Grams" unterzeichnet war. Im Wesentlichen richtet sich der Inhalt des Schreibens gegen den "deutschen Repressionsapparat", der sich durch "Übergriffe auf die radikale Linke" und den Abbau von Bürgerrechten schuldig mache und den Aufbau eines Polizeistaates anstrebe. 19 davon 20 Delikte anlässlich einer Demonstration gegen eine NPD-Veranstaltung am 23.03.2002 in Neubrandenburg Extremismusbericht 2002 51 6. Politisch motivierte Ausländerkriminalität (ohne Propagandadelikte) Im Berichtszeitraum wurden lediglich zwei (2001: 1) Straftaten aus dem Bereich der politisch motivierten Ausländerkriminalität gemeldet. Bei beiden Delikten handelt es sich um extremistische Verstöße gegen das Vereinsgesetz im Zusammenhang mit Spendengeldaktionen der Organisation "Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistans" (KADEK) - früher "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK). 7. Propagandadelikte (SSSS 86 ff. StGB) Für das Jahr 2002 wurden dem LKA MV insgesamt 655 (2001: 722) Propagandadelikte und damit 9,3 % weniger als im Vorjahr gemeldet. Bei 151 (2001: 108) dieser Straftaten war ein politisch motivierter Hintergrund erkennbar (23,1 %), davon wurden 47 (2001: 15) als extremistisch eingestuft. Bei 19 Delikten (2001: 25) war eine fremdenfeindliche Motivation festzustellen, zwei Fälle (2001: 0) wiesen einen antisemitischen Hintergrund auf. Bei 504 der gemeldeten Propagandadelikte (77 %) konnte eine explizite politische Motivation nicht festgestellt werden. Sie lassen sich daher nicht einem bestimmten Phänomenbereich zuordnen. Tabelle 6: Aufteilung nach Phänomenbereichen Rechts Links Nicht zuzuordnen Ausländer 146 5 504 0 8. Zusammenfassung Die Gesamtzahl der erfassten Fälle im Bereich der "Politisch motivierten Kriminalität" ist in Mecklenburg-Vorpommern 2002 im Vergleich zum Vorjahr rückläufig (- 7,6 %). Dies entspricht auch dem bundesweiten Trend. Extremismusbericht 2002 52 Bei den antisemitischen Straftaten ist zwar eine Zunahme der Fälle um 54,5 % (2002: 68; 2001: 44) zu verzeichnen, gleichwohl hat sich die Schwere der Delikte nicht geändert. In diesem Bereich ist lediglich ein Gewaltdelikt gemeldet worden. Die Zahl der Propagandadelikte als Teilmenge der Staatsschutzkriminalität ist um 9,3 % (2002: 655; 2001: 722) zurückgegangen. Der Anteil der als extremistisch bewerteten Straftaten ist von 6,9 % im Jahr 2001 (65 Fälle) auf 16,9 % im Jahr 2002 (148 Fälle) gestiegen. Den örtlichen Brennpunkt bei der politisch motivierten Kriminalität bildet die Polizeidirektion Schwerin mit 283 gemeldeten Fällen. Die Aufteilung nach Zuständigkeitsbereichen ergibt sich aus der folgenden Tabelle: Tabelle 7: PD PD PD PD PD Schwerin Rostock Stralsund NeubranAnklam Gesamt denburg Fälle gesamt 283 215 137 147 95 877 davon Propagan236 138 118 93 70 655 dadelikte Ursächlich hierfür könnte der Zuzug von langjährig aktiven Rechtsextremisten aus den alten Bundesländern in den Zuständigkeitsbereich der PD Schwerin sein. Von diesen Personen dürfte eine besondere Mobilisierungswirkung, insbesondere auf die jugendliche Klientel, ausgehen. Extremismusbericht 2002 53