Hessisches Ministerium des Innern und für Sport \ VERFASSUNGSSCHUTZ IN HESSEN Bericht 2021 Hessisches Ministerium des Innern und für Sport VERFASSUNGSSCHUTZ IN HESSEN Bericht 2021 INHALTSVERZEICHNIS ZU DIESEM BERICHT 5 VERFASSUNGSSCHUTZ IN HESSEN 13 Freiheitliche demokratische Grundordnung 14 Aufgaben, Befugnisse, Mitwirkungsaufgaben 15 Methoden 17 Kontrolle 18 Strukturen, Organisation, Haushalt 20 Wesentliche institutionelle Elemente der Sicherheitsarchitektur auf Bundesebene und in Hessen 23 Öffentlichkeitsund Präventionsarbeit 28 EXTREMISMUS IN HESSEN - EIN ÜBERBLICK 39 Wesentliche Eckpunkte 40 Rechtsextremismus 42 Reichsbürger und Selbstverwalter 51 Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates 52 Linksextremismus 53 Islamismus 57 Extremismus mit Auslandsbezug 61 Organisierte Kriminalität (OK) 64 Spionageund Cyberabwehr/Wirtschaftsschutz 64 RECHTSEXTREMISMUS 67 Merkmale 68 Rechtsextremistisches Personenpotenzial 69 Rechtsterrorismus und schwere Gewaltstraftaten 70 Parteiunabhängige bzw. parteiungebundene Strukturen 71 Lose strukturierter Rechtsextremismus 86 Parteigebundene Strukturen bzw. Parteien 97 Kommunikationsstrategien von Rechtsextremisten 123 Flüchtlinge im Visier von Rechtsextremisten 125 Rechtsextremistische Strafund Gewalttaten 128 REICHSBÜRGER UND SELBSTVERWALTER 129 VERFASSUNGSSCHUTZRELEVANTE DELEGITIMIERUNG DES STAATES 139 Ereignisse/Entwicklungen 140 Ideologie/Ziele 142 Bewertung/Ausblick 143 2- Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 INHALTSVERZEICHNIS LINKSEXTREMISMUS 145 Merkmale 146 Linksextremistisches Personenpotenzial 148 Autonome und Anarchisten 149 Sonstige Beobachtungsobjekte 171 Linksextremistische Strafund Gewalttaten 181 ISLAMISMUS 183 Merkmale 184 Islamistisches Personenpotenzial 187 Salafismus 188 Legalistischer Islamismus 207 Sonstige Beobachtungsobjekte 231 Islamistische Strafund Gewalttaten 236 EXTREMISMUS MIT AUSLANDSBEZUG 237 Merkmale 238 Extremistisches Personenpotenzial mit Auslandsbezug 239 Kurdischer Extremismus 240 Türkischer Linksextremismus 252 Extremistische Strafund Gewalttaten mit Auslandsbezug 259 ORGANISIERTE KRIMINALITÄT 261 SPIONAGEUND CYBERABWEHR/ WIRTSCHAFTSSCHUTZ 265 GEHEIMSCHUTZ 277 Aufgaben/Ziele 278 MITWIRKUNGSAUFGABEN DES LFV 283 ANHANG 289 Abkürzungsverzeichnis 290 Glossar 299 Extremistische Organisationen und Gruppierungen 335 Register 339 Gesetz zur Neuausrichtung des Verfassungsschutzes in Hessen 349 Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 -3 ZU DIESEM BERICHT 4- Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 ZU DIESEM BERICHT Liebe Bürgerinnen und Bürger, der Verfassungsschutzbericht des Landes Hessen 2021 gibt Ihnen erneut einen umfassenden Überblick über aktuelle Bestrebungen und Gefahren, die sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung in unserem Land richten. Gerade das vergangene Jahr hat einmal mehr aufgezeigt, dass unsere Demokratie sowohl von außen als auch von innen Gefahren und Entwicklungen ausgesetzt ist, denen wir uns als Staat und Gesellschaft mit ganzer Kraft entgegenstellen müssen. Als Hüter der wehrhaften Demokratie in unserem Land nahm das Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) Hessen im zweiten Pandemiejahr erneut eine / elementare Rolle für unser Gemeinwesen ein. So versammelten sich im Rahmen der sogenannten "Montagsspaziergänge" auch in Hessens Städten und Gemeinden dezentral Tausende Menschen zu Protesten gegen die notwendig gewordenen Corona-Maßnahmen. Auch wenn diese Versammlungen und Ansammlungen der sehr heterogenen Protestszene überwiegend ruhig und friedlich verliefen, beobachteten die Sicherheitsbehörden unter den Teilnehmern in Hessen auch Personen und Gruppierungen diverser verschwörungsideologischer Narrative, Esoteriker, CoronaLeugner sowie vereinzelt Extremisten und extremistische Gruppierungen, insbesondere Rechtsextremisten sowie Reichsbürger und Selbstverwalter, die das Protestgeschehen offenbar als lohnenswerten Agitationsund Aktionsraum für sich erkannten. Es sind gerade jene Entwicklungen, die in jüngster Zeit aufgezeigt haben, wie wichtig die fortwährende Aufklärungsarbeit des LfV Hessen als Frühwarnsystem unserer Gesellschaft ist. Um dieses neue Phänomen zu erfassen, richtete das LfV Hessen den neuen Phänomenbereich "Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates" ein. Die Beobachtungen und Analysen des LfV sind in einer Zeit, in der die Verächtlichmachung des Staates leider Hochkonjunktur hat, von hoher Relevanz. Denn im zweiten Corona-Jahr versuchten Staatsfeinde mehr denn je ihre kruden Verschwörungsnarrative, Falschmeldungen sowie Hass und Hetze in der Mitte der Gesellschaft zu platzieren. Hessen stellt sich diesen wirren Internetmythen aktiv und ganz bewusst entgegen. Mit der etablierten "Meldestelle Hessen gegen Hetze" können die Bürgerinnen und Bürger bereits selbst menschenverachtenden Hass melden. Mit dem neuen "Netzwerk gegen Verschwörungsideologien Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 -5 ZU DIESEM BERICHT und Desinformation" wird das Land künftig über antisemitische Stereotypen aufklären und die Entstehungsgeschichten abwegiger Verschwörungsnarrative für jedermann offenlegen. Denn diese kruden Verschwörungsnarrative, der Hass gegen den Staat und seine Repräsentanten sind DER "Radikalisierungsbeschleuniger" unserer Zeit. Dass Hass und Hetze oftmals insbesondere im virtuellen Raum von Einzelpersonen mithin als Legitimation schwerster Gewaltstraftaten herangezogen werden, belegte zuletzt in seiner schlimmsten Ausprägung die fürchterliche Gewalttat von Idar-Oberstein 2021 in Rheinland-Pfalz. Mit unserem Engagement im Netz widmen wir uns der zunehmenden Problematik daher ganz bewusst, auch um auf mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwartende künftige Krisen und Entwicklungen gut vorbereitet zu sein. Nicht zuletzt zeigt der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine, dass Staat und Gesellschaft gegen äußere Einflussnahme, Kriegspropaganda und Fake News noch stärker gewappnet sein müssen. Der Verfassungsschutzbericht 2021 zeigt erneut klar auf, dass der Rechtsextremismus weiterhin und unvermindert die größte Gefahr für unsere Demokratie darstellt, die Hessen mit größter Intensität und einem nicht endenden Verfolgungsdruck bekämpft. Einerseits wurde der Fahndungsdruck auf die rechte Szene in den vergangenen Jahren durch die bereits im Juli 2019 ins Leben gerufene polizeiliche Besondere Aufbauorganisation BAO Hessen R massiv erhöht. Die engagierten Kolleginnen und Kollegen der hessischen Polizei haben seither über hunderte konzentrierte polizeiliche Einsatzmaßnahmen, tausende Kontrollen und Sicherstellungen durchgeführt und mehr als 150 Haftbefehle vollstreckt. Andererseits schöpft das LfV Hessen konsequent alle operativen und rechtlichen Möglichkeiten aus, um das rechtsextremistische Personenpotenzial weiter aufzuhellen und Vernetzungsstrukturen schneller ans Licht zu bringen. Dabei steht für uns fest, dass wir den Legalwaffenbesitz von Extremisten sowie von Reichsbürgern und Selbstverwaltern weiter konsequent unterbinden müssen. Um der Waffenaffinität und Bewaffnung von Reichsbürgern und Selbstverwaltern wirksam entgegenzutreten und auf eine Entziehung von Waffenerlaubnissen hinzuwirken, arbeitet das LfV Hessen mit den hessischen Waffenbehörden, der Polizei und dem hessischen Innenministerium eng zusammen. Der vertrauensvolle Austausch der Sicherheitsbehörden in Hessen erfolgt hierbei über alle Extremismusphänomene und damit auch in Bezug auf den Linksextremismus, in dem das Personenpotenzial im Berichtszeitraum ebenfalls zugenommen hatte. So intensivierte die 6- Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 ZU DIESEM BERICHT autonome/anarchistische Szene vor allem den "Antifaschismus", von ihr verstanden als Kampf gegen Staat und Gesellschaft, was sich unter anderem bei einer Demonstration am 1. Mai in Frankfurt am Main in wiederholten gewalttätigen Übergriffen auf Polizeibeamte zeigte. Gewalt, aber auch nur Blockaden dürfen niemals ein legitimes Mittel zur Durchsetzung politischer Ziele sein. Der Schutz jüdischen Lebens und der konsequente Kampf gegen Antisemitismus sind nicht zuletzt eine permanente Verpflichtung der Hessischen Landesregierung, die jüngst um einen wichtigen Baustein erweitert wurde. Seit dem 1. April 2022 können antisemitische Angriffe, Bedrohungen und Beleidigungen der Rechercheund Informationsstelle Antisemitismus Hessen (RIAS Hessen, www.riashessen.de) unterschwellig gemeldet werden. Die Landesregierung hat damit ihr Engagement gegen Diskriminierung, Hass und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit einmal mehr untermauert. Die Hessische Landesregierung setzt sich zudem unvermindert weiter mit umfangreichen Mitteln für Demokratie und gegen Extremismus in Hessen ein. Mit dem Ziel der Koordinierung und Vernetzung der landesweiten Bemühungen zur Prävention und Intervention gegen verfassungsfeindliche Bestrebungen hat das Land Hessen im Hessischen Ministerium des Innern und für Sport das "Hessische Informationsund Kompetenzzentrum gegen Extremismus" (HKE) eingerichtet. Dieses führt erfolgreich das bereits 2015 ins Leben gerufene Landesprogramm "Hessen - aktiv für Demokratie und gegen Extremismus" durch, welches mit finanziellen Mitteln in Rekordhöhe von mehr als zehn Millionen Euro (inklusive Bundesmitteln) unterstützt wird. Hierüber werden landesweit mittlerweile so viele Präventionsprojekte wie noch nie in unserem Land gefördert. Das Berichtsjahr 2021 war für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Landesamts erneut herausfordernd. Ich danke Präsident Robert Schäfer und den Frauen und Männern des LfV, dass sie unermüdlich für unsere Sicherheit gearbeitet haben und die freiheitliche demokratische Grundordnung entschlossen verteidigen. Hessen ist und Hessen bleibt ein sicheres, wachsames und wehrhaftes Bundesland, insbesondere dank seines operativen Nachrichtendienstes, den wir in den vergangenen Jahren weiter personell gestärkt haben. Peter Beuth Hessischer Minister des Innern und für Sport Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 -7 ZU DIESEM BERICHT 8- Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 ZU DIESEM BERICHT Liebe Bürgerinnen und Bürger, seit mehr als 70 Jahren informiert der Verfassungsschutz über Gefahren, die unserer Demokratie vor allem durch verschiedene Formen des Extremismus, aber auch durch die Destabilisierungsversuche fremder Nachrichtenund Geheimdienste drohen. Dass insbesondere Jihadisten, Rechtsund Linksextremisten als Feinde der Demokratie agieren und dabei auch schwerste Gewalttaten verüben, steht uns Verfassungsschützern dabei stets deutlich vor Augen. In ihrem Lebensnerv existenziell bedroht war unsere freiheitliche demokratische Grundordnung bislang aber nie. Die Bestimmung des Extremismus gestaltet sich jedoch seit einiger / Zeit schwieriger und anspruchsvoller. Immer wieder treten neue extremistische Phänomene auf den Plan. Dies gilt besonders für das Lager derjenigen "Corona-Leugner", deren antidemokratische Proteste überraschender Weise direkt aus unserer Mitte kommen und die Distanz zu Extremisten vermissen lassen. In diesem Kontext offenbaren sich tiefe Risse in unserer Gesellschaft, die sich bei anderen Anlässen bereits seit längerer Zeit andeuteten und von interessierter Seite - auch außerhalb Deutschlands - beharrlich vorangetrieben werden: Politikund Geschichtsvergessenheit, Diffamierung unserer Gedächtniskultur in Bezug auf den Umgang mit dem Nationalsozialismus, Wahrnehmungstrübungen hinsichtlich eines in Deutschland nach wie vor virulenten Antisemitismus sowie eine Entgrenzung von Teilen der "bürgerlichen" Mitte insbesondere gegenüber Reichsbürgern und Selbstverwaltern sowie Rechtsextremisten. Hinzu kommen das Verbreiten von Fake News, Hass und Hetze im Internet und in den sozialen Medien, ein mehr und mehr um sich greifender Glaube an zum Teil völlig abstruse Verschwörungsnarrative, das Entstehen gruppenbezogener Identitäten, die sich von den Wertvorstellungen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung distanzieren und sich in einem eigenen, abgeschotteten Ideenkokon verkapseln. All diese Aktivitäten zielen darauf, mittels einer entsprechenden Sprache eine eigene, extremistische Deutungshoheit über politisch-gesellschaftliche Ereignisse zu erringen, um letztlich die freiheitliche demokratische Grundordnung zu überwinden. Diese Tendenzen der Spaltung unserer Gesellschaft - die obige Auflistung ließe sich verlängern - vollziehen sich nicht in einem materielosen Vakuum. Dies gilt insbesondere für die rechtsterroristischen Attentäter von Halle und Hanau, die keineswegs aus dem Nichts kamen und nur scheinbar keine Berührung mit uns als Gesamtgesellschaft haben. Diese Verwerfungen resultieren aus negativen individuellen Erfahrungen der Handelnden mit der sie umgebenden Welt, die mit Brüchen in den persönlichen Biographien einhergehen können. All Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 -9 ZU DIESEM BERICHT dies vollzieht sich inmitten einer zum Teil raschen, komplexen und mitunter kompliziert miteinander verwobenen Abfolge verschiedener (krisenhafter) Ereignisse und Entwicklungen, die auf globaler und europäischer Bühne, aber auch nur in Deutschland, spielen. Wenn der Verfassungsschutz die Öffentlichkeit über seine Beobachtungen informiert, schlägt offenbar ein Teil der Gesellschaft die damit verknüpften Warnungen in den Wind. Das ist ein bedenklicher Befund, der unter anderem mit den Ergebnissen einer im Dezember 2021 veröffentlichten Studie der Körber-Stiftung ("Demokratie in der Krise") korreliert. Diese gipfeln darin, dass nur 50 Prozent der Bundesbürger Vertrauen in die Demokratie haben, wogegen 30 Prozent ihr sogar weniger bis gar nicht vertrauen. Nur 54 Prozent glauben, dass man in Deutschland seine Meinung jederzeit frei äußern kann. Ebenso ist in Bezug auf öffentliche Einrichtungen und Institutionen, so die Körber-Stiftung, das Vertrauen nicht sonderlich stark ausgeprägt. Die von der Friedrich-Ebert-Stiftung im Juni 2021 herausgegebene Studie "Die geforderte Mitte. Rechtsextreme und demokratiegefährdende Einstellungen in Deutschland 2020/21" stellt sogar fest, dass die gesellschaftliche Mitte mit einem neuen antidemokratischen Populismus konfrontiert ist, der sich zum "Türöffner für Rechtsextremismus entwickelt hat. [...] Mehr als jeder Fünfte zweifelt daran, dass Demokratie zu sachgerechten Entscheidungen führt, und meint, sie führe eher zu faulen Kompromissen. [...] Fast 23% stimmen zu: ,Es ist Zeit, mehr Widerstand gegen die aktuelle Politik zu zeigen'". Auch ein weiterer Befund sollte uns Demokraten nachdenklich stimmen: Die Wahlbeteiligung bei der Bundestagswahl 2021 betrug nur 76,6 Prozent, bei den letzten Landtagswahlen 2022 fiel sie sogar deutlich geringer aus: 61,4 Prozent im Saarland, 60,3 Prozent in SchleswigHolstein und 55,5 Prozent in Nordrhein-Westfalen. Die aus diesen Feststellungen zu ziehende Schlussfolgerung lautet: Demokratie ist keine Selbstverständlichkeit, sie ist kein Selbstläufer: Die bislang für unzerreißbar gehaltene Verankerung der Demokratie in der Bevölkerung scheint - wie dies auch Entwicklungen in anderen demokratischen Staaten zeigen - lockerer zu werden. Der Historiker, Politikund Verwaltungswissenschaftler Prof. Dr. Michael W. Bauer (2022) sprach sogar von einem "Demokratierückbau im Innern" der Europäischen Union (EU). Darüber hinaus besteht seit dem 24. Februar 2022 eine neue Gefahr, die sich in einer seit 1945 in Europa nicht gekannten Dramatik Bahn bricht: Der russische Überfall auf die Ukraine. Diese Aggression zielt nicht nur auf die Vernichtung des östlichen Nachbarn der EU als Staat und Gesellschaft, sondern ist ein frontaler menschenverachtender 10 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 ZU DIESEM BERICHT Angriff auf das gesamte "westliche" demokratische Wertesystem. Dabei ist allen Feinden der Demokratie, die sowohl von außen als auch von innen versuchen, unsere freie Gesellschaftsordnung zu destabilisieren und durch ein Regime der Unfreiheit bzw. des Totalitarismus zu ersetzen, eine Triebfeder gemeinsam: Der unbändige Hass auf unsere freiheitlich-pluralistische Demokratie und deren Errungenschaften. Woher rührt dieser Hass, der sich mit einer entsprechenden öffentlichen Hetze verbindet? In seinem Film Modern Times (1936) zeigt Charlie Chaplin in Gestalt des Tramps einen Menschen, der in einer Fabrik unter anderem als Versuchskaninchen missbraucht wird, in einer Szene in das Räderwerk einer riesigen, komplizierten Maschine gerät und Gefahr läuft, dabei verletzt zu werden. Knapp 90 Jahre später wähnen sich viele Extremisten, vor allem extremistische "CoronaLeugner", unvermindert als Opfer eines weiterhin komplexer werdenden und undurchschaubaren Räderwerks in Politik und Gesellschaft. Um dieses komplizierte Geschehen zu begreifen, bemühen Extremisten zum Beispiel Verschwörungsnarrative, welche die Welt mit Hilfe von Freund-Feind-Mustern in einer höchst vereinfachenden Art und Weise "erklären". Dabei verwenden sie immer wieder antisemitische Stereotype. Traditionelle gesellschaftlich-politische Institutionen wie etwa Vereine, Kirchen, Parteien, Schulen und Universitäten treten dahinter als integrative Formen des gesellschaftlichen Miteinanders zurück und verlieren ihre soziale und demokratische Bindungskraft. Stattdessen kommunizieren Extremisten verstärkt über das Internet und die sozialen Medien, wodurch sie weniger zur verbindlichen, mitunter auch anstrengenden institutionellen Arbeit verpflichtet sind. Extremisten nehmen in ihrer vermeintlichen Opferrolle tatsächliche Opfer ins Visier, gegen die sie ihren Hass und ihre Hetze schleudern. Den Hass und die Gewaltbereitschaft dieser häufig von diffusen Verlustängsten getriebenen Extremisten kennzeichnen unter anderem, so der Psychiater, Psychotherapeut und Neurologe Prof. Dr. Reinhard Haller (2022), Faktoren wie diese: Entwürdigung und Dämonisierung des Opfers, Überhöhung der eigenen Meinung und Intoleranz gegenüber Andersdenkenden. Dies geht einher mit Empathieverweigerung und mitunter sogar Gewalt gegenüber anderen. Diese Faktoren münden in die Entmenschlichung der Opfer von Extremismus, die sich vor allem in einer rohen und herabwürdigenden Sprache ausdrückt, die wiederum geeignet ist, andere aufzuhetzen und zu radikalisieren. Im schlimmsten Falle wird diese Entmenschlichung - wie bei der russischen Aggression gegen die Ukraine - in "totalitären Regimen und in Kriegszeiten [...] zur Vorbereitung von Verfolgung [...] und Pogromen gezielt eingesetzt" (Haller). Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 11 ZU DIESEM BERICHT Diesen Entwicklungen müssen sich nicht nur unsere freiheitliche demokratische Gesellschaft, sondern jeder einzelne von uns mit aller Entschiedenheit rechtzeitig entgegenstellen. Was sich in der Ukraine als letztes Stadium einer solchen hasserfüllten Entmenschlichung unter dem euphemistischen Tarnbegriff "Entnazifizierung" vollzieht, sollte uns allen eine ernsthafte Mahnung sein. Vor diesem Hintergrund erinnere ich an den Appell der Auschwitz-Überlebenden Hedi Fried, den wir bereits in unserem Verfassungsschutzbericht für das Jahr 2019 zitiert hatten: "Gewöhne dich nie an Ungerechtigkeiten. Eine Ungerechtigkeit ist wie ein Sandkorn in der Hand, man spürt ihr Gewicht nicht. Doch Ungerechtigkeiten neigen dazu, sich zu vermehren [...], und bald werden sie so schwer, dass du sie nicht länger tragen kannst". Den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des LfV danke ich herzlich, dass sie - angesichts der in vielerlei Hinsicht sich schnell ändernden und zunehmenden Herausforderungen - unermüdlich und entschlossen ihren Beitrag zum Wohl der Menschen und zum Schutz unserer freiheitlichen und demokratischen Werte leisten. Hierbei ist es unsere Aufgabe, den Extremismus in seiner gesellschaftlichen Einbettung vom frühesten Anfang an zu erkennen und ihm zusammen mit anderen Institutionen entschieden entgegenzutreten. Diese Aufgabe wird in Zukunft wahrscheinlich auf lange Sicht umso dringlicher und anspruchsvoller sein, da Deutschland und der demokratische "Westen" nun auch von außen in nie gekannter Weise bedroht werden. Wir lassen uns als Demokraten aber weder von äußeren noch von inneren Feinden in Angst und Schrecken versetzen. Robert Schäfer Präsident des Landesamts für Verfassungsschutz Hessen 12 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 VERFASSUNGSSCHUTZ IN HESSEN - FREIHEITLICHE DEMOKRATISCHE GRUNDORDNUNG - AUFGABEN, BEFUGNISSE, MITWIRKUNGSAUFGABEN - METHODEN - KONTROLLE - STRUKTUREN, ORGANISATION, HAUSHALT - WESENTLICHE INSTITUTIONELLE ELEMENTE DER SICHERHEITSARCHITEKTUR AUF BUNDESEBENE UND IN HESSEN - ÖFFENTLICHKEITSUND PRÄVENTIONSARBEIT VERFASSUNGSSCHUTZ IN HESSEN FREIHEITLICHE DEMOKRATISCHE GRUNDORDNUNG Den Kern der Demokratie in der Bundesrepublik Deutschland bildet die freiheitliche demokratische Grundordnung. In ihr sind tragende Grundprinzipien festgeschrieben, die absolute Werte und unverzichtbare Schutzgüter sind. Resultierend aus den Erkenntnissen über das Scheitern der Weimarer Republik (1918 bis 1933) und aus den furchtbaren Erfahrungen mit dem nationalsozialistischen Terrorund Unrechtsregime (1933 bis 1945) ist die Demokratie in Deutschland heute streitbar und abwehrbereit. Die Demokratie ist willens und fähig, sich gegen Angriffe ihrer Feinde zu verteidigen. Der Verfassungsschutz hat hierbei die wichtige Funktion eines "Frühwarnsystems". AUF EINEN BLICK * Demokratie und Rechtsstaatlichkeit * Werteprinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung * Garantie der Menschenwürde als Ausgangspunkt Demokratie und Rechtsstaatlichkeit | Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist unsere Demokratie eine rechtsstaatliche Herrschaftsordnung. In ihr sind die Grundrechte der Bürger garantiert; es ist jedem Bürger möglich, staatliche Entscheidungen durch unabhängige Gerichte nachprüfen zu lassen. Das bedeutet, dass staatliche Willkür ausgeschlossen und das Handeln der Behörden an Recht und Gesetz gebunden ist. Jeder Bürger genießt Rechtssicherheit. Diese Ordnung gründet sich auf dem Selbstbestimmungsrecht des Volkes nach dem Willen der jeweiligen Mehrheit, auf der Freiheit und Gleichheit aller Menschen, auf der Gewaltenteilung und der Unabhängigkeit der Gerichte. Werteprinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung | Zu der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, die unabänderliche oberste Werteprinzipien als Kernbestand unserer Demokratie enthält, zählen: * die im Grundgesetz (GG) konkretisierten Menschenrechte, * das Recht des Volkes, die Staatsgewalt in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung auszuüben und die Volksvertretung in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl zu wählen, * die Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung und die Bindung der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an Gesetz und Recht, 14 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 VERFASSUNGSSCHUTZ IN HESSEN * das Recht auf Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition, * die Ablösbarkeit der Regierung und ihre Verantwortlichkeit gegenüber der Volksvertretung, * die Unabhängigkeit der Gerichte und * der Ausschluss jeder Gewaltund Willkürherrschaft. Garantie der Menschenwürde als Ausgangspunkt | Darüber hinaus hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 17. Januar 2017 (2 BvB 1/13) auf den Antrag des Bundesrates, die Nationaldemokratische Partei Deutschlands einschließlich ihrer Teilorganisationen als verfassungswidrig einzustufen und aufzulösen, Folgendes erklärt: "Der Begriff der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne von Art. 21 Abs. 2 GG beinhaltet die zentralen Grundprinzipien, die für den freiheitlichen Verfassungsstaat schlechthin unentbehrlich sind. Ihren Ausgangspunkt findet die freiheitliche demokratische Grundordnung in der Würde des Menschen (Art. 1 Abs. 1 GG). Die Garantie der Menschenwürde umfasst insbesondere die Wahrung personaler Individualität, Identität und Integrität sowie die elementare Rechtsgleichheit. Auf rassistische Diskriminierung zielende Konzepte sind damit nicht vereinbar. Daneben sind im Rahmen des Demokratieprinzips die Möglichkeit gleichberechtigter Teilhabe aller Bürgerinnen und Bürger am Prozess der politischen Willensbildung und die Rückbindung der Ausübung aller Staatsgewalt an das Volk (Art. 20 Abs. 1 und 2 GG) konstitutive Bestandteile der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Hinsichtlich des Rechtsstaatsprinzips gilt dies für die Rechtsbindung der öffentlichen Gewalt, die Kontrolle dieser Bindung durch unabhängige Gerichte und das staatliche Gewaltmonopol". AUFGABEN, BEFUGNISSE, MITWIRKUNGSAUFGABEN Aufgabe des Landesamts für Verfassungsschutz (LfV) ist, es den zuständigen Stellen zu ermöglichen, rechtzeitig die erforderlichen Maßnahmen zur Abwehr von Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung sowie den Bestand und die Sicherheit von Bund und Ländern zu treffen. Darüber hinaus erstellt das LfV Lageberichte und Analysen. Zu diesem Zweck sammelt es Informationen - insbesondere von sachund personenbezogenen Auskünften, Nachrichten und Unterlagen - über extremistische Bestrebungen und sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten und wertet sie aus. Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 15 VERFASSUNGSSCHUTZ IN HESSEN AUF EINEN BLICK * Aufgaben - Definition des Begriffs "extremistische Bestrebungen" * Befugnisse - Kein Einsatz von Zwangsmitteln * Mitwirkungsaufgaben des LfV Aufgaben - Definition des Begriffs "extremistische Bestrebungen" | Extremistische Bestrebungen im Sinne des Hessischen Verfassungsschutzgesetzes (HVSG) sind politisch bestimmte zielund zweckgerichtete Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluss, die auf die Überwindung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zielen. Darüber hinaus können unter bestimmten Voraussetzungen auch Verhaltensweisen von Einzelpersonen, die nicht in einem oder für einen Personenzusammenschluss handeln, extremistische Bestrebungen im Sinne des HVSG sein. Nicht extremistisch ist die kritische Auseinandersetzung mit Elementen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, ohne dass diese Auseinandersetzung das Ziel der Überwindung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung verfolgt. Neben extremistischen Bestrebungen, die auf die Überwindung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zielen, beobachtet das LfV * sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten im Geltungsbereich des Grundgesetzes für eine fremde Macht, * Bestrebungen im Geltungsbereich des Grundgesetzes, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, * Bestrebungen im Geltungsbereich des Grundgesetzes, die gegen den Gedanken der Völkerverständigung (Art. 9 Abs. 2 GG), insbesondere gegen das friedliche Zusammenleben der Völker (Art. 26 Abs. 1 GG), gerichtet sind, und * Bestrebungen und Tätigkeiten der Organisierten Kriminalität (OK) im Geltungsbereich des Grundgesetzes. Befugnisse - Kein Einsatz von Zwangsmitteln | Das LfV hat keine exekutiven Befugnisse. Es darf zum Beispiel Personen weder vorladen noch festnehmen oder Durchsuchungen durchführen. Die Zusammenarbeit mit dem LfV beruht für Privatpersonen auf Freiwilligkeit. Um Maßnahmen, zu denen es selbst nicht befugt ist, darf das LfV die Polizei nicht ersuchen, was eine der Ausprägungen des Trennungsgebots zwischen Verfassungsschutz und Polizei darstellt. Mitwirkungsaufgaben des LfV | Neben den oben beschriebenen Aufgaben unterstützt das LfV im Bereich des Geheimund Wirt16 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 VERFASSUNGSSCHUTZ IN HESSEN schaftsschutzes Behörden und Unternehmen mit seinen Erkenntnissen und seinem Wissen. Ebenso wirkt das LfV mit bei * Aufenthalts-/Einbürgerungsverfahren und * Zuverlässigkeitsüberprüfungen (unter anderem für die Bereiche Luftsicherheit, Atomkraftanlagen und nach dem Waffenund Sprengstoffrecht). Die Aufgaben und Befugnisse des Verfassungsschutzes sind gesetzlich festgelegt. In allen Ländern bestehen hierfür eigene gesetzliche Grundlagen. In Hessen sind die Aufgaben und Befugnisse im HVSG geregelt. Darüber hinaus regelt das Bundesverfassungsschutzgesetz die Aufgaben und die Rechtsstellung des Bundesamts für Verfassungsschutz (BfV) sowie die Zusammenarbeit der Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern. METHODEN Um mittels kontinuierlicher Beobachtung verfassungsschutzrelevante Bestrebungen und Tätigkeiten zu erkennen und in fundierten Analysen zu beschreiben, bedient sich das LfV verschiedener Methoden. Sie reichen von der Informationsgewinnung aus allgemein zugänglichen Quellen über das Verwenden technischer Mittel bis hin zum Einsatz von Vertrauensleuten. AUF EINEN BLICK * Informationserhebung auf der Grundlage allgemein zugänglicher Quellen * Informationserhebung mit nachrichtendienstlichen Mitteln Informationserhebung auf der Grundlage allgemein zugänglicher Quellen | Die zur Erfüllung seiner Aufgaben notwendigen Informationen gewinnt das LfV vornehmlich aus allgemein zugänglichen Quellen. Dazu gehören unter anderem * Publikationen, * Internetinhalte sowie * öffentliche Veranstaltungen. Informationserhebung mit nachrichtendienstlichen Mitteln | Verfassungsfeinde und andere Personen bzw. Gruppierungen, die dem Beobachtungsauftrag des LfV unterliegen, arbeiten oft konspirativ, das heißt, sie versuchen ihre wahren Ziele und Aktivitäten zu verschleiern oder geheim zu halten. Das Sammeln allgemein zugänglichen Materials durch das LfV und der Informationsaustausch mit anderen Behörden und anderen Stellen genügen deshalb zuweilen nicht, um ein vollHessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 17 VERFASSUNGSSCHUTZ IN HESSEN ständiges und sachgerechtes Bild von verfassungsfeindlichen und sicherheitsgefährdenden Bestrebungen sowie von Spionagetätigkeiten und Aktivitäten der OK zu erhalten. Daher ist das LfV befugt, nachrichtendienstliche Mittel einzusetzen. Dazu gehören zum Beispiel: * die Überwachung des Brief-, Postund Fernmeldeverkehrs, * der Einsatz technischer Mittel zur Fahrzeuginnenraum und Wohnraumüberwachung, * der Einsatz technischer Mittel zur Ortung von Mobilfunkendgeräten, * die kurzund langfristige Observation, * das Fertigen von Bildund Tonaufzeichnungen, * die Beobachtung des Internets, dies enthält die verdeckte Teilnahme an der im Internet geführten Kommunikation, sowie * der Einsatz von verdeckten Mitarbeitern sowie von Vertrauensleuten. Die Vertrauensleute gehören nicht dem Verfassungsschutz an, liefern aber Informationen über extremistische Bestrebungen. Nachrichtendienstliche Mittel dürfen in Bezug auf personenbezogene Daten nur dann angewendet werden, wenn hierfür bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind. Die entsprechenden Regelungen sind in SS 5 HVSG festgelegt. Der Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel unterliegt gesetzlichen Schranken (SS 14 HVSG), wobei insbesondere der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten ist. KONTROLLE Die Tätigkeit des LfV wird auf vielfältige Weise kontrolliert. Dies geschieht insbesondere durch die Parlamentarische Kontrollkommission Verfassungsschutz (PKV) des Hessischen Landtags. Die Regularien, welche die parlamentarische Kontrolle und die PKV als Institution betreffen, sind im Gesetz zur parlamentarischen Kontrolle des Verfassungsschutzes in Hessen (Verfassungsschutzkontrollgesetz) festgeschrieben. AUF EINEN BLICK * Wahl der PKV-Mitglieder aus der Mitte des Hessischen Landtags * Pflichten der Hessischen Landesregierung * Befugnisse der PKV * G-10-Kommission * Rechtsund Fachaufsicht * Weitere Kontrollen 18 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 VERFASSUNGSSCHUTZ IN HESSEN Wahl der PKV-Mitglieder aus der Mitte des Hessischen Landtags | Die PKV besteht aus sieben Mitgliedern, die der Hessische Landtag gemäß SS 1 Abs. 2 Verfassungsschutzkontrollgesetz aus seiner Mitte wählt. Demnach bestimmt die Volksvertretung die Zahl der Mitglieder, die Zusammensetzung und die Arbeitsweise der PKV. Die Beratungen der PKV sind geheim. Pflichten der Hessischen Landesregierung | Die Pflicht der Hessischen Landesregierung zur Unterrichtung der PKV sowie deren Befugnisse sind durch das im Juni 2018 in Kraft getretene Gesetz zur Neuausrichtung des Verfassungsschutzes in Hessen (Art. 2 - Gesetz zur parlamentarischen Kontrolle des Verfassungsschutzes in Hessen) präzisiert und erweitert worden. Neben der umfassenden Unterrichtung der PKV durch das für das LfV zuständige Hessische Ministerium des Innern und für Sport über die allgemeine Tätigkeit des LfV und über Vorgänge von besonderer Bedeutung wird die PKV über weitere Sachverhalte informiert: so etwa über besondere Auskunftsersuchen, den verdeckten Einsatz technischer Mittel zur Wohnraumüberwachung, die Ortung von Mobilfunkendgeräten und ObservaKONTROLLE DES LFV Parlamentarische Kontrolle Parlamentarische Kontrolle Parlamentarische Kontrolle Parlamentarische Hessischer Landtag G-10-Kommission Kontrollkommission LfV-Intern Behördenleitung Dezernatsund Abteilungsleitungen Fachprüfgruppen Verwaltungskontrolle Gerichtliche Kontrolle Öffentliche Kontrolle - Hessisches Ministerium des Verwaltungsgerichtlicher - Bürger (Auskunftsrecht) Innern und für Sport Rechtsschutz - Öffentliche Medien - Hessischer Beauftragter für Datenschutz und Informationsfreiheit - Hessischer Rechnungshof Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 19 VERFASSUNGSSCHUTZ IN HESSEN tionen sowie den Einsatz von verdeckten Mitarbeitern und Vertrauensleuten (SSSS 10, 7, 9, 11, 12 u. 13 HVSG). Befugnisse der PKV | Jedes Mitglied der PKV kann die Einberufung einer Sitzung und die Unterrichtung der PKV verlangen. Darüber hinaus hat jedes Mitglied das Recht der Akteneinsicht; falls erforderlich, ist dabei auch Zutritt zu den Dienststellen des LfV zu gewähren. Mit Zwei-Drittel-Mehrheit kann die PKV einen Sachverständigen mit der Durchführung von Untersuchungen beauftragen, welcher der PKV über das Ergebnis berichten muss. Darüber hinaus hat die PKV das Recht, den Haushaltsplan des LfV mitzuberaten. G-10-Kommission | Maßnahmen, die mit einem Eingriff in Art. 10 GG (Brief-, Postund Fernmeldegeheimnis) verbunden sind, bedürfen der Genehmigung der G-10-Kommission des Hessischen Landtags. Rechtsund Fachaufsicht | Das Hessische Ministerium des Innern und für Sport nimmt die Rechtsund Fachaufsicht über das LfV wahr, das heißt, es prüft die Rechtund Zweckmäßigkeit des Handelns des LfV, indem es dessen Aufgabenerledigung kontrolliert. Dies geschieht etwa mittels Strategieund Programmplanungen, Zielvereinbarungen, wöchentliche Besprechungen, Weisungen und Erlassen. Weitere Kontrollen | Darüber hinaus kontrollieren der Hessische Beauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit, der Hessische Rechnungshof und - mittelbar auf dem Wege der Berichterstattung und Kommentierung - die öffentlichen Medien die Tätigkeit des LfV. Die Speicherung personenbezogener Daten, Auskunftserteilungen und die Erwähnung im Verfassungsschutzbericht, die das LfV zu Lasten Betroffener trifft, unterliegen darüber hinaus der vollständigen gerichtlichen Kontrolle. STRUKTUREN, ORGANISATION, HAUSHALT Der Verfassungsschutz ist als Inlandsnachrichtendienst der Bundesrepublik Deutschland föderal organisiert. Der Bund und die 16 Länder unterhalten jeweils eigene Verfassungsschutzbehörden. AUF EINEN BLICK * Organisation * Anzahl der Planstellen - Ausgabenbudget Organisation | Als obere Landesbehörde untersteht das LfV dem Hessischen Ministerium des Innern und für Sport. Das LfV hat seinen 20 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 Personalrat Geheimschutzbeauftragte PRÄSIDENT DMS-Koordination STAB Schwerbehindertenvertretung Datenschutzbeauftragte VIZE-PRÄSIDENT NADIS-Koordination HSG 1 - Leitungsunterstützung, Gremienarbeit und Qualitätssicherung Gleichstellungsbeauftragte Interne Revision HSG 2 - Pressestelle HETAZ (Geschäftsstelle) HSG 3 - Sonderaufgaben Zentrale Dienste Fachprüfgruppe ABTEILUNG 1 ABTEILUNG 2 ABTEILUNG 3 ABTEILUNG 4 ABTEILUNG 5 ABTEILUNG 6 Zentrale Dienste Rechtsextremismus/ Operative Fachdienste Islamismus und islamistischer Linksextremismus/-terrorismus Prävention und phänomen-terrorismus Terrorismus/Salafismus und Extremismus/Terrorismus übergreifende Analyse mit Auslandsbezug DEZERNAT 30 DEZERNAT 50 DEZERNAT 61 DEZERNAT 11 DEZERNAT 20 Organisierte Kriminalität, DEZERNAT 40 Beschaffung Kompetenzzentrum Verwaltung Beschaffung Spionageabwehr und Beschaffung Koordinierung von BeschaffungsRechtsextremismus (KOREX) Wirtschaftsschutz grundsätzen DEZERNAT 62 DEZERNAT 12 DEZERNAT 21 DEZERNAT 31 DEZERNAT 41 DEZERNAT 51 Islamismus, Salafismus/LinksexStrukturanalyse und Strukturanalyse und strategische Strukturanalyse und strategische tremismus/Extremismus mit AusITund Sondertechnik Observation strategische Auswertung Auswertung Auswertung landsbezug DEZERNAT 22 DEZERNAT 32 DEZERNAT 42 DEZERNAT 52 DEZERNAT 13 Fallbezogene und DEZERNAT 63 Personeller und materieller Fallbezogene und operative Fallbezogene und operative Berichtswesen Datenschutz und Grundsatz operative Auswertung Geheimschutz Auswertung Auswertung (BIAREX und FOBAREX) DEZERNAT 33 DEZERNAT 64 DEZERNAT 14 Wissenschaftliche Analyse, Online-Recherche-Team Mitwirkungsaufgaben phänomenübergreifende Extremismus, Terrorismus - ORTET Analysestelle Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit (PAAF) VERFASSUNGSSCHUTZ DEZERNAT 34 Zentrale Ermittlungen Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 AUSSENSTELLEN Phänomenübergreifende regionalisierte Extremismusbearbeitung IN HESSEN - 21 VERFASSUNGSSCHUTZ IN HESSEN Sitz in Wiesbaden und gliedert sich in sechs der Amtsleitung unterstehende Abteilungen. An die Amtsleitung angebunden sind ebenso der Stab, die Interne Revision, der Geheimschutzbeauftragte sowie die Datenschutzbeauftragte. Darüber hinaus verfügt das LfV in Hessen über Außenstellen. Wie in jeder Behörde gibt es einen Personalrat, eine Schwerbehindertenvertretung und eine Gleichstellungsbeauftragte. Anzahl der Planstellen - Ausgabenbudget | Die Personalmittel sowie die Finanzmittel für Personalund Sachausgaben sind im Haushaltsplan des Landes Hessen ausgewiesen. Für das Jahr 2021 standen dem LfV 381 Planstellen zur Verfügung. Das Ausgabenbudget für das Jahr 2021 belief sich auf 33.216.900,Euro. AUSGABENBUDGET DES LFV (2017 BIS 2021) 35 Mio. 32.559.500 32.535.200 33.216.900 29.658.500 25 Mio. 27.542.300 15 Mio. 5 Mio. 2017 2018 2019 2010 2021 ANZAHL DER PLANSTELLEN DES LFV (2017 BIS 2021) 400 375 375 381 352 350 332 300 250 200 150 100 50 0 2017 2018 2019 2020 2021 22 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 VERFASSUNGSSCHUTZ IN HESSEN WESENTLICHE INSTITUTIONELLE ELEMENTE DER SICHERHEITSARCHITEKTUR AUF BUNDESEBENE UND IN HESSEN Die Sicherheitsstruktur in der Bundesrepublik Deutschland wurde in den letzten Jahren ausgebaut und modifiziert. Die Zielsetzung war hierbei, auf Gefahren und Bedrohungen flexibler und schneller reagieren zu können sowie Wissen und Kompetenzen verschiedener Sicherheitsbehörden zu bündeln. Relevante Informationen sollen unter Beachtung der jeweiligen Zuständigkeiten und gesetzlichen Vorgaben zusammengeführt und bewertet werden, ohne die organisatorische Trennung der Sicherheitsbehörden in Frage zu stellen. AUF EINEN BLICK * Abschlussbericht zum Attentat vom Berliner Breitscheidplatz * Kernelemente der bundesweiten Sicherheitsarchitektur * Hessisches Extremismusund Terrorismusabwehrzentrum (HETAZ) Abschlussbericht zum Attentat vom Berliner Breitscheidplatz | Der vom Deutschen Bundestag 2018 eingesetzte Untersuchungsausschuss zum islamistisch motivierten Terroranschlag in Berlin vom 19. Dezember 2016 kam in seinem Abschlussbericht, den er am 21. Juni 2021 dem Bundestagspräsidenten übergab, zu dem Ergebnis, dass sowohl individuelle Fehleinschätzungen und Versäumnisse als auch strukturelle Probleme in den zuständigen Behörden dafür verantwortlich waren, dass der Terroranschlag nicht verhindert wurde. Hierfür führte der Untersuchungsausschuss laut eines vom Deutschen Bundestag auf seiner Internetseite veröffentlichten Beitrag als Gründe an: "Die mit den Herausforderungen nicht Schritt haltenden Ressourcen der für islamistische Gefährder zuständigen Einheiten der Sicherheitsbehörden, die völlige Überlastung aller mit Geflüchteten befassten Stellen im Sommer und Herbst 2015, die Zersplitterung staatsanwaltschaftlicher Zuständigkeiten auch bei als Gefährder eingestuften Tatverdächtigen sowie Mängel beim Informationsaustausch und der Koordination des Vorgehens zwischen Sicherheitsbehörden des Bundes und der Länder im Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum GTAZ. Keine der individuellen Fehleinschätzungen und Versäumnisse habe für sich genommen besonders schwer gewogen. Doch im Zusammenwirken hätten sie dazu geführt, dass niemand [dem Attentäter] Amri in den Arm fiel und der Anschlag nicht verhindert wurde. Nach Überzeugung des Ausschusses hat es in allen Bereichen inzwischen Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 23 VERFASSUNGSSCHUTZ IN HESSEN erhebliche Verbesserungen gegeben, um die strukturellen Probleme zu beheben. Die Ressourcen der Sicherheitsbehörden zur Bekämpfung islamistischen Terrors seien ausgebaut worden, sie könnten nun Gefährder zielgenauer erkennen. Die für die Anwendung des Asylund Aufenthaltsrechts zuständigen Stellen hätten neue Befugnisse und mehr Personal und Ressourcen erhalten. Staatsschutzstaatsanwaltschaften können heute leichter alle Verfahren gegen Gefährder konzentriert aus einer Hand führen. Nötiges sei zu lange nicht umgesetzt worden. Auch in der Gesetzgebung habe es Verzögerungen und Versäumnisse gegeben [...]. Auch wenn für die Sicherheitsbehörden heute die wachsende terroristische Bedrohung durch Rechtsextremisten vielerorts im Vordergrund stehe, bedürfe die Bedrohung durch islamistische Extremisten - auch mit Blick auf die große Zahl von Gefährdern in diesem Bereich - weiterhin höchster Aufmerksamkeit [... ]. Mit den Reformen sei die föderale Sicherheitsarchitektur heute viel robuster aufgestellt, um diesen Herausforderungen zu trotzen". Darüber hinaus gab es jeweils ein gemeinsames Sondervotum der Freien Demokratischen Partei, von Bündnis 90/Die Grünen und der Partei die LINKE. Sowie ein Votum der Alternative für Deutschland. Kernelemente der bundesweiten Sicherheitsarchitektur | Die bundesweite Sicherheitsarchitektur besteht im Wesentlichen aus folgenden Einrichtungen: * dem Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ) zur Abwehr und Bekämpfung des islamistischen Terrorismus, * dem Gemeinsamen Internetzentrum (GIZ) und * dem Gemeinsamen Extremismusund Terrorismusabwehrzentrum (GETZ). Am GTAZ in Berlin sind Vertreter folgender Behörden beteiligt: * Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern, * Bundeskriminalamt (BKA), * Bundesnachrichtendienst (BND), * Generalbundesanwaltschaft (GBA), * Bundespolizei (BPol), * Generalzolldirektion (GZD), * Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), * Bundesamt für den Militärischen Abschirmdienst (BAMAD) und die * Landeskriminalämter. Im GTAZ gibt es darüber hinaus zwei voneinander institutionell getrennte Einrichtungen: Die Nachrichtendienstliche (NIAS) und die Polizeiliche Informationsund Analysestelle (PIAS). NIASund PIASMitglieder kooperieren in verschiedenen Arbeitsgruppen eng mit24 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 VERFASSUNGSSCHUTZ IN HESSEN AUFBAU DES GEMEINSAMEN TERRORISMUSABWEHRZENTRUMS Bundesamt für Migration und Bundesamt Flüchtlinge Generalfür bundesanwalt Verfassungsschutz 16 BundesLandesämter kriminalamt für Verfassungsschutz GTAZ NIAS 16 LandesBundesnachkriminalrichtenämter dienst Bundesamt für den Militärischen AS Bundespolizei PI Abschirmdienst Generalzolldirektion einander, um bestimmte Fälle aktuell zu bearbeiten sowie Gefahrenprognosen und mittelbzw. längerfristige Analysen zu erstellen. Nach dem Vorbild des GTAZ arbeiten im GIZ Vertreter des * BfV, * BKA, * BND, * BAMAD und * der GBA eng zusammen. Darüber hinaus steht das GIZ in ständigem Austausch mit den zuständigen Landesbehörden. Aufgabe der Vertreter der am GIZ mitwirkenden Behörden ist die Beobachtung, Auswertung und Analyse von Veröffentlichungen mit islamistischen und jihadistischen Inhalten im Internet, um frühzeitig extremistische und terroristische Strukturen und Aktivitäten zu identifizieren. Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 25 VERFASSUNGSSCHUTZ IN HESSEN AUFBAU DES GEMEINSAMEN EXTREMISMUSUND TERRORISMUSABWEHRZENTRUMS Bundesamt für Migration und Bundesamt GeneralFlüchtlinge für Wirtschaft bundesanwalt und Ausfuhrkontrolle Bundesamt Generalfür zolldirektion Verfassungsschutz NIAS 16 Bundeskriminalamt GETZ Landesämter für Verfassungsschutz BundesnachBundespolizei richtendienst PIAS 16 LandesBundesamt für kriminalden Militärischen ämter Abschirmdienst Europol Das GETZ ist als "Dachorganisation" für die Bekämpfung folgender Phänomenbereiche zuständig: * Rechtsextremismus/-terrorismus, * Linksextremismus/-terrorismus, * Extremismus mit Auslandsbezug und * Spionageabwehr und Proliferation. Die Federführung obliegt dem BfV und dem BKA. Die Koordinierte Internetauswertung (KIA) erfolgt beim BfV in Köln (NordrheinWestfalen). Am GETZ als Informationsund Kommunikationsplattform beteiligen sich - analog zu den Aufgaben des GTAZ - zur Bündelung der Fachexpertise und der Sicherstellung eines möglichst lückenlosen und schnellen Informationsflusses folgende Behörden: * Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern, * BKA, 26 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 VERFASSUNGSSCHUTZ IN HESSEN * BPol, * das Europäische Polizeiamt (Europol), * GBA, * GZD, * BND, * BAMAD, * BAMF, * Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) und * die Landeskriminalämter. Hessisches Extremismusund Terrorismusabwehrzentrum (HETAZ) | Das in Hessen am 11. März 2019 konstituierte HETAZ hat seine Geschäftsstelle im LfV. Es fungiert als anlassbezogene Kommunikations-, Informationsund Kooperationsplattform unter ständiger Beteiligung des Hessischen Landeskriminalamts (HLKA), der Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main - Abteilung Staatsschutz, der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main sowie des LfV. Seit Juli 2020 ist zudem der AUFBAU DES HESSISCHEN EXTREMISMUSUND TERRORISMUSABWEHRZENTRUMS Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt StaatsanwaltPolizeischaft Frankfurt präsidien Landeskriminalamt Kommunen - Landesamt für HETAZ VerfassungsHMdIS schutz (LPP, Abt. II) Sonderermittler der Hessischen Prävention Polizei (HKE, VPN) weitere Behörden Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 27 VERFASSUNGSSCHUTZ IN HESSEN Sonderermittler der Hessischen Polizei in das HETAZ eingebunden. Abhängig von konkreten Gefährdungsund Bedrohungssachverhalten werden Vertreter weiterer Behörden, wie zum Beispiel von Polizeipräsidien, Ausländerbehörden und Jugendämtern im Rahmen ihres jeweiligen Aufgabenbereichs und ihrer Zuständigkeit hinzugezogen. Ziel ist es unter anderem, einen abgestimmten, fortlaufenden und nachhaltigen Informationsaustausch mit kurzen Kommunikationswegen unter Berücksichtigung der gesetzlichen Übermittlungsvorschriften und des für den Verfassungsschutz und die Polizei gültigen informationellen Trennungsgebots zu gewährleisten. Durch Bündelung, Verdichtung und Bewertung der Informationen soll die Erkenntnislage der zuständigen Behörden verbessert und der Austausch über operative Maßnahmen in enger Kooperation erleichtert werden. Hieraus soll auch eine noch effektiver und effizienter als bisher gestaltete Strafverfolgung resultieren. Im Berichtsjahr fanden sechs Sitzungen des HETAZ statt. Thematisch befasste es sich unter anderem mit rechtsextremistischen Bestrebungen, dem gewaltorientierten Linksextremismus und der islamistischen Bedrohungslage. ÖFFENTLICHKEITSUND PRÄVENTIONSARBEIT Extremisten verfolgen das Ziel, die Werte unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu beseitigen. Eine erfolgreiche gesellschaftliche Auseinandersetzung mit extremistischen Positionen und Aktivitäten kann jedoch nur dann gelingen, wenn die Bürger und die Medien über sachgerechte Informationen verfügen. Um die Öffentlichkeit über extremistische Bestrebungen zu informieren und für deren Gefahren zu sensibilisieren, hat das LfV seine Öffentlichkeitsund Präventionsarbeit in den letzten Jahren auf einem konstant hohen Niveau etabliert. AUF EINEN BLICK * Pressearbeit * Herbstgespräch * Präventionsarbeit im Allgemeinen * Hessischer Verfassungsschutzbericht * Aufklärende Prävention * Beratende Prävention * Zielgruppen 28 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 VERFASSUNGSSCHUTZ IN HESSEN * Kooperationspartner * Prävention für Justiz und Polizei * Prävention während der COVID-19-Pandemie * Meldestelle Hessen gegen Hetze * Informationsangebote des LfV * Präventionsarbeit in Zahlen * Prävention für die Wirtschaft * Kontakt und Internetpräsenz Pressearbeit | Im Berichtsjahr wandten sich etwa 80 Journalisten von mehr als 35 verschiedenen Medien an die Pressestelle des LfV. Insgesamt lag die Anzahl der Presseanfragen im dreistelligen Bereich. Das stärkste Interesse galt dem neuen Phänomenbereich "Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates" im Zuge der andauernden COVID-19-Pandemie. Im Hinblick auf die übrigen extremistischen Phänomenbereiche war - gemessen an der Zahl der Anfragen - das Interesse am Rechtsextremismus am größten, es folgten der Islamismus und der Linksextremismus. Die Pressestelle des LfV ist per E-Mail unter folgender Adresse erreichbar: pressestelle@lfv.hessen.de. Herbstgespräch | Wegen der Pandemie fand das traditionelle Herbstgespräch des LfV am 14. November im Hessischen Ministerium des Innern und für Sport erstmals als Streaming-Veranstaltung statt. Das Thema der Podiumsdiskussion lautete "Feindbild: Staat - Radikalisierung und Verschwörungsglaube in pandemischen Zeiten". Der Präsident des LfV, Robert Schäfer, betonte in seiner Begrüßung, dass Rechtsextremisten sowie Reichsbürger und Selbstverwalter versuchten, die Pandemie für ihre verfassungsfeindlichen Bestrebungen zu nutzen. Auch Personen, die zuvor mit Extremismus nicht in Berührung gekommen seien, hätten gegen unsere freiheitliche Demokratie agitiert. Der Verfassungsschutz habe sich diesem neuen Phänomen differenziert genähert und die Voraussetzungen für die Beobachtung des neuen Bereichs "Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates" geschaffen. Angesichts der dynamischen Entwicklung der Proteste gegen die "Corona-Maßnahmen" sei das ein wichtiger und unerlässlicher Schritt gewesen. Darüber hinaus warnte Robert Schäfer vor dem Erstarken des Antisemitismus in Deutschland, der sich auch im Kontext der "Corona-Proteste" gezeigt habe. Der Hessische Minister des Innern und für Sport, Peter Beuth, betonte in seinem Vortrag, dass es völlig legitim und Ausdruck unserer freien Gesellschaft sei, staatliches Handeln zu hinterfragen. "Corona-Leugner" verbreiteten aber auch Verschwörungsnarrative und riefen zum Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 29 VERFASSUNGSSCHUTZ IN HESSEN Widerstand gegen "Corona-Regeln" auf. Die teils aggressive Agitation könne wie ein Radikalisierungsbeschleuniger wirken. Der feige Mord von Idar-Oberstein in Rheinland-Pfalz habe gezeigt, dass aus der heterogenen "Protest-Szene" heraus schwerste Straftaten begangen werden könnten. In der anschließenden Podiumsdiskussion sagte der Kabarettist und Autor Florian Schröder, dass es in der Szene der Kritiker der "CoronaMaßnahmen" kein geschlossenes, ideologisches Weltbild gebe. Was die Angehörigen dieser Szene trotz aller Unterschiede eine, sei das große gemeinsame Ziel, den Staat als "korrumpiert, als nicht heilbar und als ausschließlich zerstörenswert" zu brandmarken und letztlich zu vernichten. Justus Bender, Politikredakteur bei der Sonntagsausgabe der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, verwies auf die "ungeheure Geschwindigkeit, mit der Radikalisierung heutzutage" stattfinde und plädierte dafür, dass Verfassungsschutz und Gesellschaft im Fall neuer Entwicklungen "sehr früh" hinschauten. Der Vizepräsident des BfV, Michael Niemeier, betonte, dass der Verfassungsschutz zwar ein "Frühwarnsystem, aber keine Gesinnungspolizei" sei: "Wir sind an Recht und Gesetz gebunden und die Eingriffsschwellen, insbesondere für den Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel, sind relativ hoch". Problematisch werde es, so Niemeier, wenn eine Bestrebung gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung entstehe. Die Publizistin Dr. Liane Bednarz führte aus, dass sie eine "gezielte Verächtlichmachung des Staates" und Vergleiche unserer liberalen Demokratie mit einer Diktatur schon seit der Zeit der Eurokrise (2010) wahrnehme und auf dem Höhepunkt der Flüchtlingskrise (2015) eine weitere Verschärfung festgestellt habe. Es gebe eine Art "große, rechte Widerstandserzählung", an die auch der Begriff "Corona-Diktatur" anschlussfähig sei. Dieses Widerstandsnarrativ vereine verschiedene Milieus; Unterschiede beständen lediglich in der Wahl der Mittel, die jeweils für den "Widerstand" gewählt würden: Die gravierendste Eskalationsstufe, so Dr. Liane Bednarz, sei der Rechtsterrorismus. Präventionsarbeit im Allgemeinen | Die hohe Zahl der Anfragen nach Präventionsveranstaltungen belegt deutlich die Notwendigkeit der Extremismusprävention des LfV, die seit 2018 im HVSG explizit als Aufgabe des LfV gesetzlich geregelt ist. Das LfV wurde dadurch in seiner Funktion als "Frühwarnsystem" und Dienstleister der Demokratie gestärkt. Zu den bereits seit langem etablierten Präventionsangeboten, wie zielgruppenorientierten Sensibilisierungsveranstaltungen (aufklärende Prävention) und Beratungsleistungen in konkreten Fällen (beratende Prävention), hat das LfV zahlreiche auf langfristige Zusam30 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 VERFASSUNGSSCHUTZ IN HESSEN menarbeit angelegte Kooperationen forciert, um für die Gesellschaft ein aktiver Partner und Dienstleister für die Bekämpfung des Extremismus zu sein. So beteiligt sich das LfV an öffentlichen Veranstaltungen wie Podiumsdiskussionen, um am gesellschaftlichen Diskurs teilzunehmen und als direkter Ansprechpartner zu fungieren. In der 2020 neu geschaffenen Abteilung 6 des LfV (Prävention und phänomenübergreifende Analyse) ist außerdem die seit 2016 bestehende Phänomenbereichsübergreifende wissenschaftliche Analysestelle Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit (PAAF) angesiedelt. Diese initiiert regelmäßig eigene wissenschaftliche Forschungsprojekte, die nicht nur der internen Beratung dienen, sondern deren Ergebnisse auch für eine breitere Öffentlichkeit publiziert werden sowie in die Präventionsveranstaltungen des LfV einfließen. Hessischer Verfassungsschutzbericht | Im Mittelpunkt der Unterrichtung der Öffentlichkeit steht der vom Hessischen Ministerium des Innern und für Sport herausgegebene jährliche Verfassungsschutzbericht. Er informiert über die wesentlichen während des Berichtsjahrs gewonnenen Erkenntnisse des LfV und bewertet diese. Aufklärende Prävention | Um die Gesellschaft gegen Extremismus zu immunisieren, versucht das LfV, möglichst viele Menschen sowohl in staatlichen als auch nichtstaatlichen Stellen über Gefahren, die von extremistischen Bestrebungen ausgehen, aufzuklären. Das LfV bietet zu sämtlichen extremistischen Phänomenbereichen Fortbildungen an, bei denen es über Ideologiemerkmale, Erscheinungsformen, (Verschwörungs-)Narrative, Strategien und Anhaltspunkte für Radikalisierung informiert. Die Veranstaltungsteilnehmer sollen damit in die Lage versetzt werden, extremistische Bestrebungen, die ihnen möglicherweise im Alltag begegnen, zu erkennen. Beratende Prävention | Um den Bedarfsträgern Handlungssicherheit im Erkennen von und im Umgang mit extremistischen Bestrebungen zu vermitteln, bietet die beratende Prävention ergänzend zur aufklärenden Prävention einzelfallbezogene Beratungsleistungen an. Mit dieser Zielrichtung geht das LfV je nach Einzelfall insbesondere eigeninitiativ auf Schulen zu, die von einem extremistischen Sachverhalt betroffen sind, und bietet Aufklärung, Beratung und Unterstützung an. Zielgruppen | Eine der wichtigsten Zielgruppen der Präventionsarbeit des LfV sind Multiplikatoren im Bereich der (Jugend-)Bildung, wie zum Beispiel Lehrkräfte. Seit 2009 ist das LfV durch die Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 31 VERFASSUNGSSCHUTZ IN HESSEN Hessische Lehrkräfteakademie als Anbieter von Fortbildungen für Lehrer akkreditiert. Das Fortbildungsangebot kann über die Staatlichen Schulämter oder auch von einzelnen Schulen wahrgenommen werden. Darüber hinaus sind besonders die hessischen Kommunen wichtige Partner bei der Extremismusprävention. So ist das LfV - zusätzlich zu den angebotenen Vorträgen für und mit Kommunen - in zahlreichen kommunalen Präventionsgremien vertreten bzw. arbeitet eng mit diesen zusammen und steht den Gremien als direkter Ansprechpartner zur Verfügung. Ein besonderer Schwerpunkt der Fortbildungsmaßnahmen liegt weiterhin in den Bereichen Schule, Polizei, Kommunen und Justiz. Weitere Adressaten sind Bildungseinrichtungen, zivilgesellschaftliche Träger, religiöse Träger sowie Unternehmen und Wirtschaftsverbände. Das LfV informiert darüber hinaus bestimmte Bedarfsträger - zum Beispiel den Kultusbereich oder Kommunen - anlassbezogen über aktuelle Entwicklungen wie Kampagnen und Aktionsformen in den verschiedenen extremistischen Phänomenbereichen. Neben den bereits etablierten Bedarfsträgern hat das LfV im Berichtsjahr immer wieder neue Zielgruppen angesprochen und das Präventionsangebot proaktiv erweitert. Im Zentrum der Präventionsbemühungen des LfV steht die Nachhaltigkeit. So stehen die Mitarbeiter der Prävention den Bedarfsträgern auch im Anschluss an Sensibilisierungsveranstaltungen oder Projekte als Ansprechpartner zur Verfügung. Der Erfolg der vertrauensvollen Zusammenarbeit hat sich in den letzten Jahren in vielen Folgeveranstaltungen und aufgrund von Weiterempfehlungen des Angebots gezeigt. Kooperationspartner | Das LfV ist bei der Bekämpfung von extremistischen Bestrebungen eng mit dem Hessischen Informationsund Kompetenzzentrum gegen Extremismus (HKE) und den zivilgesellschaftlichen Trägern vernetzt. Das 2013 eingerichtete HKE übernimmt die zentrale Steuerung und Koordinierung der Maßnahmen zur Extremismusprävention und -intervention in Hessen. Das LfV ist im Rahmen des organisationsund ressortübergreifenden Ansatzes in der Lenkungsgruppe des HKE vertreten. Das HKE ist über www.hke.hessen.de erreichbar. Das LfV gehört außerdem dem Expertenpool des landesweiten beratungsNetzwerks hessen - Mobile Intervention gegen Rechtsextre32 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 VERFASSUNGSSCHUTZ IN HESSEN mismus an. In dem Expertenpool sind staatliche Institutionen und zivilgesellschaftliche Initiativen miteinander vernetzt. Das beratungsNetzwerk hessen - Mobile Intervention gegen Rechtsextremismus ist über www.beratungsnetzwerk-hessen.de erreichbar. Zudem ist das LfV Mitglied im Fachbeirat des Hessischen Präventionsnetzwerks gegen Salafismus. Das 2014 gegründete Netzwerk war damals das erste landesweite Präventionsprojekt gegen Salafismus in Deutschland. Im Mittelpunkt des Präventionsnetzwerks steht die Beratungsstelle Hessen - Religiöse Toleranz statt Extremismus, die beim zivilgesellschaftlichen Träger Violence Prevention Network (VPN) angebunden wurde. Die Ausstiegshilfe und -begleitung von islamistisch Radikalisierten sowie die Beratung des sozialen Umfelds stehen im Zentrum der Arbeit der Beratungsstelle Hessen. Das VPN ist über www.violence-prevention-network.de erreichbar. Über das Landesprogramm "Hessen - aktiv für Demokratie und gegen Extremismus" wurden seit 2020 in Landkreisen, kreisfreien Städten und Sonderstatus-Städten Fachstellen für Demokratieförderung und phänomenübergreifende Extremismusprävention (DEXT) eingerichtet. Die DEXT-Fachstellen sind auf lokaler und regionaler Ebene Ansprechpartner in Bezug auf alle extremistischen Phänomenbereiche. Die Schwerpunkte der Arbeit orientieren sich am jeweils örtlichen Bedarf. In Zusammenarbeit mit den DEXT-Fachstellen führte das LfV Fortbildungen und Veranstaltungen insbesondere für Mitarbeiter kommunaler öffentlicher Stellen durch. Die DEXT-Fachstellen wirken zudem als Multiplikatoren für anlassbezogene Informationen des LfV über extremistische Entwicklungen und dienen der regionalen präventiven Vernetzung. Die Ansprechpartner der DEXT-Fachstellen sind über die Homepage des HKE (www.hke.hessen.de) erreichbar. Prävention für Justiz und Polizei | Im Justizressort führt das LfV regelmäßig Sensibilisierungsmaßnahmen durch. Das LfV bildet dabei auch Justizvollzugsbeamte fort. Zudem veranstaltet das LfV jährlich Justizseminare zu den Phänomenbereichen Rechtsextremismus, Reichsbürger und Selbstverwalter sowie Islamismus für Richter, Staatsanwälte und Bewährungshelfer in Zusammenarbeit mit der Justizakademie des Justizministeriums. Das LfV ist regelmäßig und anlassbezogen in die Ausund Fortbildung der Hessischen Polizei eingebunden und hält auf Anfrage VorHessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 33 VERFASSUNGSSCHUTZ IN HESSEN träge an der Hessischen Hochschule für öffentliches Management und Sicherheit (HöMS) vor Studiengruppen und beteiligt sich mit Vorträgen an den Staatsschutzmodulen der Hessischen Polizeiakademie (HPA), die der HöMS angehört, für Staatsschützer. Seit 2020 führt das LfV ein eigenes Wahlpflichtmodul an der HöMS in Kassel für das jeweilige Abschlusssemester zum Thema "Extremismus" durch. Seit 2019 hat das Kompetenzzentrum gegen Rechtsextremismus (KOREX) des LfV eine mittlere dreistellige Zahl an Führungskräften mehrerer hessischer Polizeibehörden sensibilisiert. Bei einer Vielzahl von Terminen informierte das KOREX über Erscheinungsformen, Verschwörungsnarrative, Strategien und Ideologieelemente des Rechtsextremismus. Auch bei der BPol führt das KOREX zahlreiche Fortbildungen für Führungskräfte der Direktion Flughafen Frankfurt am Main sowie für die Anwärter des Ausund Fortbildungszentrums in Eschwege (Werra-Meißner-Kreis) durch. Prävention während der COVID-19-Pandemie | Pandemiebedingt führte das LfV seine Präventionsarbeit nicht in gewohntem Format und Umfang, sondern vor allem in digitaler Form durch und ergänzte so seine Präsenzveranstaltungen. In diesem Zusammenhang produzierte das LfV zwei Videos zu den Themen "Die Neue Rechte" und "Extremistische Beeinflussung des Corona-Protestgeschehens", um vor allem an Jugendliche und junge Erwachsene ein zusätzliches modernes Bildungsangebot zu richten. Die Videos werden außerdem in die Präventionsarbeit des LfV eingebunden und für Lehrkräfte im Kultusbereich zur selbständigen Extremismusprävention unterstützend angeboten. Nachdem 2020 das LfV erstmals ein zweitägiges Seminar zu den verschiedenen extremistischen Phänomenbereichen für die Zentrale Fortbildung (ZF) des Landes Hessen angeboten hatte, wurde dieses im Berichtsjahr fortgesetzt und dauerhaft in das ZF-Programm aufgenommen. Führungskräfte und Beschäftigte des Landes Hessen haben nunmehr jährlich die Möglichkeit, sich in einem interdisziplinären Teilnehmerfeld auszutauschen und zu einem breiten Themenspektrum fortzubilden. Im Bereich der Prävention gegen Rechtsextremismus führte das KOREX eine Veranstaltung mit Omas gegen Rechts - Wetterau (OGRWetterau) durch. So nahm ein KOREX-Vertreter im August an einer Podiumsdiskussion in Karben (Wetteraukreis) zum Thema "Die Neue Rechte, ihre Sprache und unsere Erfahrungen" teil, unter anderem mit Benno Hafenegger, Emeritus am Institut für Erziehungswissen34 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 VERFASSUNGSSCHUTZ IN HESSEN schaft der Philipps-Universität Marburg, sowie Vertretern der Zivilgesellschaft. Im Berichtszeitraum wurde die Präventionsarbeit im Kultusbereich insbesondere durch eine Kooperation mit der Schulpsychologie der Staatlichen Schulämter vor allem in Bezug auf das Krisenund Bedrohungsmanagement verstärkt. Insgesamt wurde somit eine Vielzahl von Fortbildungen zu verschiedenen extremistischen Phänomenbereichen und unterschiedlichen Zielgruppen schulamtsübergreifend und schulamtsbezogen durchgeführt. Nach einer Fortbildungsreihe zu den einzelnen extremistischen Phänomenbereichen für das Staatliche Schulamt Fulda wurde das Fortbildungsformat durch das LfV erweitert und das Austauschforum Extremismus gegründet, das fortlaufend aus Verfassungsschützern und Lehrkräften tagen soll. Das Forum ist als Fortsetzungsmodul für die Basisfortbildungen des Staatlichen Schulamts Fulda zu extremistischen Phänomenbereichen gedacht. Im Forum wurden aktuelle Themen, wie zum Beispiel die extremistische Einflussnahme auf die "Corona-Proteste", behandelt. Mit dem Austauschforum soll eine regelmäßige Kommunikationsund Kooperationsplattform geschaffen werden, um interdisziplinär an Lösungsstrategien zur Bekämpfung von Extremismus im schulischen Bereich zu arbeiten. Zudem besteht die Möglichkeit, konkrete extremistische Sachverhalte zu erörtern und hierfür Best-Practice-Beispiele zu deren Erkennung und Prävention zu entwickeln. Da das LfV sein Präventionsangebot für den Kultusbereich grundsätzlich an Lehrkräfte richtet, finden Präventionsveranstaltungen für Schüler nur auf Anfrage von Schulen und im Rahmen anlassbezogener Ausnahmen statt. Die Veranstaltungen des LfV sind dabei in das pädagogische Konzept der jeweiligen Schulen eingebettet. Nach diesem Prinzip hat das LfV seit einigen Jahren für das Wolfgang-Ernst-Gymnasium (WEG) in Büdingen (Wetteraukreis) Workshops für Oberstufenschüler durchgeführt. Im Juli fanden am WEG erneut jeweils drei Workshops zu den Themen "Rechtsextremismus", "Islamismus" und "Linksextremismus" für die gesamte Qualifikationsphase 2 in der Oberstufe statt. Das Ernst-Ludwig-Gymnasium in Bad Nauheim (Wetteraukreis) übernahm das Format für ihre Oberstufe und veranstaltete gemeinsam mit dem LfV im November jeweils drei Workshops zu denselben Themen für die gesamten Qualifikationsphasen 2 und 3. Im Oktober beteiligte sich das LfV an dem Seminar "Krisenbegleitung in Schulen" für Lehrkräfte, veranstaltet durch das Haus am Dom in Frankfurt am Main, zu den Themen Themen "RechtsHessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 35 VERFASSUNGSSCHUTZ IN HESSEN extremismus" und "Islamismus". Daran nahmen Vertreter der Katholischen Kirche als Kooperationspartner der Extremismusprävention des LfV teil. Darüber hinaus führte das LfV im November eine ganztägige Fortbildung für die Seelsorge der Hessischen Polizei zu den Themen "Rechtsextremismus", "Islamismus" und "Radikalisierungsursachen" durch. Meldestelle Hessen gegen Hetze | Mit der 2020 gegründeten Meldestelle Hessen gegen Hetze unterhält das LfV eine engere Kooperation, mehrere Schulungen zu verschiedenen extremistischen Phänomenbereichen wurden für die Mitarbeiter durchgeführt und Präventionstermine gemeinsam wahrgenommen. Die Meldestelle wird durch das Hessen CyberCompetenceCenter (Hessen3C) des Hessischen Ministeriums des Innern und für Sport betrieben. Ziel ist es, Bürgern die Möglichkeit zu bieten, potenzielle Hassrede (Hate Speech) einfach und schnell zu melden. Die Meldestelle ist erreichbar unter: www.hessengegenhetze.de. Informationsangebote des LfV | Damit sich die Bürger gezielt mit verschiedenen extremistischen Phänomenbereichen auseinandersetzen können, gibt das LfV Informationsbroschüren heraus. Folgende Publikationen können beim LfV Hessen angefordert bzw. über dessen Internetpräsenz abgerufen werden (siehe unten Kontakt und Internetpräsenz): * Verfassungsschutz in Hessen - Beobachten, analysieren und informieren. * Extremismus erkennen - Handreichung für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Flüchtlingshilfe. * Salafismus: Extremistische Bestrebungen in Hessen. * Die "Neue Rechte" - Eine Gefahr für unsere Demokratie. * Kennzeichen und Symbole der Rechtsextremisten. * Gedenkund Jahrestage von Rechtsextremisten. * Rechtsextremismus und Sonnwendfeiern. * Verfassungsfeindliche Bestrebung: "Reichsbürger" und "Selbstverwalter". * Mit Militanz zur Errichtung einer "herrschaftsfreien Gesellschaft". * PAAF Analysen 1 - "... und diese Gerüchte stammen nicht von irgendwelchen Nazis!" Eine Studie zu Erscheinungsformen und ideologischen Hintergründen antisemitischer Agitation in den sozialen Netzwerken. * PAAF Analysen 1 - In aller Kürze. 36 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 VERFASSUNGSSCHUTZ IN HESSEN * PAAF Analysen 2 - Filter ohne Blase. Wie die rechtsextremistische Szene sich über das politische Tagesgeschehen informiert. * PAAF Analysen 2 - In aller Kürze. Weitere Informationen veröffentlicht das LfV auf seiner Homepage unter Presse/Aktuelles, Pressemitteilungen. Darüber hinaus finden interessierte Bürger weitere Informationsmaterialien auch auf den Internetseiten des BfV und der anderen LfV (www.verfassungsschutz.de/ de/oeffentlichkeitsarbeit/publikationen). Präventionsarbeit in Zahlen | Im Vergleich zum Vorjahr nahm die Anzahl der Präventionstermine des LfV deutlich von 162 (2020) auf 199 zu, pandemiebedingt wurde jedoch der bisherige Höchstwert von 335 Veranstaltungen im Jahr 2019 nicht erreicht. PRÄVENTIONSTERMINE 2011 BIS 2021 350 335 292 300 264 243 250 202 199 200 189 162 150 127 92 100 79 50 0 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 2021 Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 37 VERFASSUNGSSCHUTZ IN HESSEN Im Bericht 2020 wurden in der Tabelle für das Jahr 2020 241 Veranstaltungen angegeben, wobei darin die Zahl der pandemiebedingt ausgefallenen Veranstaltungen (79) enthalten war. Im vorliegenden Bericht 2021 wurde lediglich die Anzahl der tatsächlich stattgefundenen Veranstaltungen berücksichtigt. Termine zum Thema "Rechtsextremismus" bildeten erneut einen deutlichen Schwerpunkt noch vor den Veranstaltungen zum "Islamismus". Die Thematik "Reichsbürger und Selbstverwalter" gewann an Bedeutung, was mit der Involvierung dieser Szene in die "CoronaProteste" zu erklären ist. Das im Berichtsjahr vom BfV neu eingerichtete Beobachtungsobjekt "Demokratiefeindliche und/oder sicherheitsgefährdende Delegitimierung des Staates" löste ähnlich viele Nachfragen bei der Präventionsarbeit des LfV aus. Kontakt und Internetpräsenz | Alle Bürgerinnen und Bürger können sich an das LfV Hessen wenden. Die Homepage des LfV ist unter www.lfv.hessen.de aufrufbar. Auf der Homepage steht auch ein Kontaktformular zur Verfügung. Zu Fragen zur Prävention ist das LfV unter der Telefonnummer 0611-720/1966 und der E-Mail-Adresse praevention@lfv.hessen.de zu erreichen. Fragen zum Thema Wirtschaftsschutz können an die E-Mail-Adresse wirtschaftsschutz@lfv.hessen.de gerichtet werden. Spezielle Informationen über die Aktivitäten und Dienstleistungen des LfV zum Thema Wirtschaftsschutz finden Sie im Kapitel "Spionageund Cyberabwehr/Wirtschaftsschutz". 38 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 EXTREMISMUS IN HESSEN - EIN ÜBERBLICK - WESENTLICHE ECKPUNKTE - RECHTSEXTREMISMUS - REICHSBÜRGER UND SELBSTVERWALTER - VERFASSUNGSSCHUTZRELEVANTE DELEGITIMIERUNG DES STAATES - LINKSEXTREMISMUS - ISLAMISMUS - EXTREMISMUS MIT AUSLANDSBEZUG - ORGANISIERTE KRIMINALITÄT (OK) - SPIONAGEUND CYBERABWEHR/ WIRTSCHAFTSSCHUTZ EXTREMISMUS IN HESSEN WESENTLICHE ECKPUNKTE Extremistisches Personenpotenzial in Hessen - Gewaltorientierung | Mit 13.680 Personen stieg das gesamte extremistische Personenpotenzial in Hessen gegenüber dem Vorjahr (13.475) um 205 Personen (= 1,5 Prozent) an. Dies resultierte vor allem aus einer Zunahme des linksextremistischen Personenpotenzials (2021: 2.770, 2020: 2.600) und des Personenpotenzials im Extremismus mit Auslandsbezug (2021: 4.350, 2020: 4.195). Das Personenpotenzial im Rechtsextremismus nahm von 1.660 (2020) auf 1.710 (2021) zu (= plus 3 Prozent), dabei blieb die Anzahl der Gewaltorientierten mit 860 Personen unverändert hoch, sodass deren Anteil am gesamten rechtsextremistischen Personenpotenzial weiterhin bei etwas mehr als der Hälfte lag. Die Anzahl der als gewaltorientiert einzustufenden Linksextremisten nahm von 580 (2020) leicht auf 590 (2021) zu, wogegen eine valide Quantifizierung der Gewaltorientierung in den Phänomenbereichen Islamismus und Extremismus mit Auslandsbezug nicht möglich war, da die klandestinen Verhaltensweisen - insbesondere von Anhängern des gewaltorientierten Salafismus/Jihadismus - und die Anonymisierungsmöglichkeiten sozialer Netzwerke nicht immer die entsprechende Zuordnung zu einer bestimmten Person ermöglichten. EXTREMISTISCHES PERSONENPOTENZIAL IN HESSEN (2017 BIS 2021) 15.000 13.530 13.395 13.435 13.475 13.680 12.000 Gesamtzahl der Extremisten (Zahlen gerundet) 9.000 Extremismus mit Auslandsbezug 6.000 Islamismus Linksextremismus 3.000 Rechtsextremismus Reichsbürger und 0 Selbstverwalter1 2017 2018 2019 2020 2021 1 In der Grafik sind die Reichsbürger und Selbstverwalter, die zugleich Rechtsextremisten sind, nur bei den Rechtsextremisten gezählt worden. 40 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 EXTREMISMUS IN HESSEN Die Zahl der Islamisten reduzierte sich von 4.170 (2020) auf 4.000 (2021) (= minus 4 Prozent), wofür der Rückgang des salafistischen Personenpotenzials verantwortlich war. Das Personenpotenzial der Reichsbürgerund Selbstverwalterszene blieb wie in den Vorjahren mit 1.000 unverändert. In Bezug auf das Personenpotenzial des neuen Phänomenbereichs "Demokratiefeindliche und/oder sicherheitsgefährdende Delegitimierung des Staates" lagen noch keine validen Angaben vor. Entwicklung der Gesamtzahl der extremistischen Strafund Gewalttaten | Gegenüber dem Vorjahr ging im Berichtszeitraum die Gesamtzahl der extremistischen Strafund Gewalttaten von 1.393 (2020) auf 1.172 zurück (= minus 16 Prozent). Innerhalb des Fünfjahreszeitraums 2017 bis 2021 erreichte die Gesamtzahl der extremistischen Strafund Gewalttaten des Berichtsjahrs damit ihren zweithöchsten Stand, sodass der Rückgang zwar positiv zu bewerten ist, eine "Entwarnung" aber keineswegs gegeben werden kann. Am deutlichsten reduzierten sich die Strafund Gewalttaten im Phänomenbereich Rechtsextremismus: Sie gingen von 1.216 auf 946 zurück, was einem Minus von 22 Prozent entspricht. Eine Abnahme war auch in den Phänomenbereichen Extremismus mit Auslandsbezug und Islamismus zu verzeichnen: von 32 (2020) auf 28 (2021) bzw. von 35 (2020) auf 22 (2021). Dagegen stiegen die Strafund Gewalttaten im Phänomenbereich Linksextremismus von 110 (2020) auf 131 (2021) an. Erneute Zunahme der Gewalttaten | Besorgniserregend ist die Zunahme der Gesamtzahl der extremistischen Gewalttaten in Hessen um 15 Prozent von 79 (2020) auf 91 (2021) Delikte, wobei allein auf die Phänomenbereiche Rechtsextremismus und Linksextremismus zusammen 84 Delikte (für jeden Phänomenbereich jeweils 42 Gewalttaten) entfielen. Blieben die rechtsextremistisch motivierten Gewalttaten im Unterschied zum Vorjahr gleich, so stiegen sie im Linksextremismus von 34 (2020) auf 42 (2021) an. Die übrigen Gewalttaten waren den Phänomenbereichen Islamismus (2021: 2, 2020: 2) und Extremismus mit Auslandsbezug (2021: 5, 2020: 1) zuzuordnen. Die Zunahme der Gesamtzahl der Gewalttaten im Berichtsjahr - der höchste Wert im Fünfjahreszeitraum 2017 bis 2021 - und deren möglichen Ursachen gilt es mehr denn je im Linksextremismus, aber ebenso unverändert intensiv im Rechtsextremismus sorgsam zu beobachten. Dabei darf auch die Beobachtung des Phänomenbereichs Extremismus mit Auslandsbezug nicht außer Acht gelassen werden, selbst wenn die dortige Zunahme der Gewalttaten sich auf einem vergleichsweise niedrigen Niveau vollzog. Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 41 EXTREMISMUS IN HESSEN GESAMTZAHL EXTREMISTISCHER STRAFUND GEWALTTATEN IN HESSEN (2017 BIS 2021) 1.500 1.393 1.172 1.200 1.060 Gesamtzahl der Strafund Gewalttaten 900 818 698 Rechtsextremismus Linksextremismus 600 Extremismus mit Auslandsbezug 300 Islamismus NZ 0 2017 2018 2019 2020 2021 Enthielt die Statistik der politisch motivierten Kriminalität (PMK) in der Vergangenheit die Kategorie "nicht zuzuordnen" (NZ), so wurde diese zum ersten Mal auch in der Statistik der extremistisch motivierten Strafund Gewalttaten in Hessen aufgeführt. In diese Kategorie entfielen 45 Delikte. RECHTSEXTREMISMUS Personenund Gewaltpotenzial - anhaltende rechtsterroristische Gefahr | Das rechtsextremistische Personenpotenzial wuchs im Berichtsjahr um 50 auf etwa 1.710 Personen an, womit die Gesamtzahl der Rechtsextremisten in Hessen im Rahmen einer kontinuierlichen Steigerung erneut den höchsten Wert im zurückliegenden Fünfjahreszeitraum erreichte. Die Zunahme resultierte aus einem Anwuchs in allen Kategorien, das heißt bei "Parteien", "parteiunabhängigen bzw. parteiungebundenen Strukturen" und bei dem "weitgehend unstrukturierten rechtsextremistischen Personenpotenzial". Mit 860 blieb die Anzahl der Gewaltorientierten gegenüber dem Vorjahr gleich, damit besteht unverändert die Gefahr, dass Szeneangehörige aufgrund ihrer persönlichen Situation, ihres sozialen Umfelds, ihrer Beeinflussung durch außen und ihres 42 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 EXTREMISMUS IN HESSEN Radikalisierungsgrads zu Handlungen neigen, die in tatsächliche Gewalt münden. Die Festnahme eines Bundeswehrsoldaten und zwei weiterer Personen im Februar sowie eines 20-Jährigen im September durch die hessische Polizei - in beiden Fällen unter anderem wegen des Verdachts der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat - verdeutlichen die nach wie vor bestehende Gefahr eines rechtsextremistisch motivierten Terroranschlags. Ziel solcher Taten ist es, mittels der Verbreitung von Angst und Schrecken die Grundfesten unserer freiheitlichen Demokratie zu erschüttern und letztlich die freiheitliche demokratische Grundordnung zu überwinden. So wollte der festgenommene 20-Jährige einen vor allem gegen Juden und Muslime gerichteten "Rassen"und Bürgerkrieg vom Zaun brechen, um die angebliche Verdrängung der "weißen Bevölkerung" zu verhindern. Damit bezog sich der 20-Jährige offenbar - ebenso wie zum Beispiel der Attentäter von Christchurch (Neuseeland) - auf das im Rechtsextremismus weitverbreitete Verschwörungsnarrativ des "Great Replacement". Am 29. April 2020 hatte der Generalbundesanwalt beim Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main Anklage gegen die Tatverdächtigen im Fall des ermordeten Dr. Walter Lübcke erhoben. Mit Urteil vom 28. Januar 2021 wurde der Angeklagte durch das OLG Frankfurt wegen Mordes an Dr. Walter Lübcke zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. Das Gericht stellte darüber hinaus die besondere Schwere der Schuld des Angeklagten fest. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. RECHTSEXTREMISTISCHES PERSONENPOTENZIAL IN HESSEN (2017 BIS 2020) 2.000 Gesamtzahl der Rechtsextremisten 1.500 davon 1.000 gewaltorientiert in parteiunabhängigen bzw. parteiungebundenen Strukturen weitgehend unstruk500 turiertes Personenpotenzial in Parteien 0 2017 2018 2019 2020 2021 Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 43 EXTREMISMUS IN HESSEN RECHTSEXTREMISTISCHE STRAFUND GEWALTTATEN IN HESSEN (2017 BIS 2021) 1.500 1.216 1.200 946 886 900 540 539 600 Strafund Gewalttaten insgesamt 300 16 25 31 42 42 0 Gewalttaten 2017 2018 2019 2020 2021 Lose strukturierter Rechtsextremismus: Neonazis und subkulturell orientierte Rechtsextremisten | Der lose strukturierte Rechtsextremismus setzte sich aus dem neonazistischen Spektrum und subkulturell orientierten Rechtsextremisten zusammen. Beide Bereiche bildeten eine Schnittmenge aus den Kategorien parteiunabhängige/parteiungebundene Strukturen und weitgehend unstrukturiertes Personenpotenzial. Ist der Neonazismus im engeren Sinne mit dem Bekenntnis zum Nationalsozialismus gleichzusetzen, so werden dem Neonazismus darüber hinaus Personen und Gruppierungen zugerechnet, die vor allem rassistische und nationalistische Positionen vertreten, ohne dass sie dem rechtsextremistischen Parteienspektrum angehören. Dies hängt besonders damit zusammen, dass Neonazis ihre Freizeit eher wie subkulturell orientierte Rechtsextremisten verbringen oder teilweise gemeinsam mit ihnen bei Demonstrationen auftreten. Pandemiebedingt agierte die Neonaziszene im Berichtszeitraum im virtuellen Raum zunehmend mittels Imageboards, Videound Gamingportalen und Messengerdiensten, um ihre Ideologie unter einer hohen Zahl von Empfängern zu verbreiten. Darunter befanden sich auch Personen, die bisher keine Berührung mit dem Neonazismus hatten. In der "realen Welt" kam es in Hessen nur zu wenigen Aktionen von Neonazis, wobei Akteure aus Hessen auch an "CoronaProtesten" teilnahmen. Angesichts der wegen der COVID-19-Pandemie beschränkten Aktionsmöglichkeiten versuchten maßgebliche Neonazis, die Szene in Hessen effektiver zu vernetzen und weniger gut integrierte Szeneangehörige weiterhin in das neonazistische Spektrum einzubinden. Außerdem versuchten diese Neonazis, Anschluss an das bundesweite neonazistische Vernetzungsgeflecht zu bewahren. Wie im Vorjahr fanden in Hessen lediglich zwei rechtsextremistische Musikveranstaltungen statt. Dabei handelte es um den Auftritt eines 44 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 EXTREMISMUS IN HESSEN rechtsextremistischen Liedermachers bei einer Wahlkampfveranstaltung der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands in Altenstadt (Wetteraukreis) sowie um den eines weiteren Liedermachers im Rahmen einer anderen Veranstaltung. Da rechtsextremistische Musik als jugendorientiertes Medium unvermindert eine bedeutende Rolle für subkulturell orientierte Rechtsextremisten spielte, stand diese Szene weiterhin im Fokus des LfV. Ziel war es, rechtsextremistische Musikveranstaltungen unter Ausschöpfen aller rechtlichen Möglichkeiten zu verhindern oder aufzulösen. Rechtsextremistische Musik bietet Jugendlichen verschiedene Identifikationsmöglichkeiten: das Pflegen eines stark emotionalisierten Gemeinschaftsverständnisses, das Beschwören von Feindbildern ("Migranten", "Muslime", "Juden", "Staat" und dessen Repräsentanten), das Verherrlichen von Gewalt sowie das Verharmlosen und Glorifizieren des Nationalsozialismus. Diesen Bestrebungen gilt es, mittels der rechtlich gebotenen Instrumentarien auch künftig einen Riegel vorzuschieben. Bearbeitung integrierter bzw. abgetauchter Rechtsextremisten (BIAREX) | In Anbetracht der Erkenntnisse im Mordfall Dr. Walter Lübcke wurde am 23. Juli 2019 in der Abteilung 2 des LfV (Rechtsextremismus/-terrorismus) die Organisationseinheit BIAREX geschaffen. Sie unterzieht Rechtsextremisten, die in der Vergangenheit zwar einschlägig rechtsextremistisch in Erscheinung getreten sind, in der Gegenwart aber - womöglich bereits seit vielen Jahren - eine unauffällige Biographie aufweisen, sukzessive einer vertieften Einzelfallanalyse. Dabei wird insbesondere überprüft, ob aktuell Radikalisierungspotenziale feststellbar sind oder ob eine Loslösung von der rechtsextremistischen Szene plausibel erscheint. Durch die fokussierte Analyse von Einzelpersonen sollen Radikalisierungspotenziale frühzeitig erkannt werden, sodass Gegenmaßnahmen eingeleitet werden können. Der Ansatz einer vertieften Individualanalyse mit standardisierten Betrachtungsebenen stellt eine Ergänzung der bisherigen Methoden der Auswertung und einen weiteren Schritt im Ausbau der Analysekompetenz des LfV dar. Die vertiefte Einzelfallanalyse durch BIAREX erfolgt auf Grundlage aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse aus den Bereichen der Extremismusforschung, Kriminologie und Soziologie unter Anwendung eines standardisierten Mehraugenprinzips. Von besonderer Bedeutung ist für die Analyse die Betrachtung des individuellen Verhaltens, eingebettet in die biographischen und sozialen Rahmenbedingungen der jeweiligen Person. Hierbei soll die jedem Einzelfall inhärente individuelle Einstellung aufgedeckt und hieraus individuelle Handlungsmuster abgeleitet werden. Hierzu werden Erkenntnisse biographisch aufbereitet und durch geeignete Maßnahmen - wie die Informationserhebung bei anderen Behörden, Ermittlungen oder die Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 45 EXTREMISMUS IN HESSEN Recherche im Internet nach (Selbst-)Darstellungen der Person - ergänzt. Es wird somit der Rückgriff auf generalisierende und simplifizierende Muster vermieden. Im Rahmen einer datenschutzrechtlichen Sonderprüfung wurden bislang rund 2.750 Datensätze des LfV aus dem Phänomenbereich Rechtsextremismus einer retrograden Prüfung unterzogen. Sie hat das Ziel, die beim LfV aufgrund des seit Juli 2012 bestehenden "Lösch-Moratoriums" gesperrten Datensätze aus dem Phänomenbereich Rechtsextremismus einer kritischen Nachprüfung zu unterziehen. Bei etwa 1.200 dieser Datensätze wurden anhand einer technischen Vorselektion mögliche Anhaltspunkte für erhöhte Gefährdungsaspekte festgestellt. Im Rahmen einer darauf aufbauenden manuellen Einzelfallprüfung konnten in rund 450 Fällen diese Anhaltspunkte verifiziert werden. In der Folge wurde bei den entsprechenden Datensätzen eine erneute inhaltliche fachliche Befassung zur weiteren Aufklärung bzw. zur Erkenntnisverdichtung durch BIAREX angestrengt. Davon wurden bislang rund 200 Datensätze abschließend bewertet und hiervon 60 Datensätze nach Neubewertung der vorliegenden Informationen in die aktive Befassung überführt. Erstmals werden durch diese Vorgehensweise vorliegende Erkenntnisse aus mehreren Jahrzehnten aufbereitet, mit aktuellen Erkenntnissen zusammengeführt sowie in ihrem Zusammenwirken analysiert und zu einem Gutachten verdichtet. Fokussierte operative Bearbeitung herausragender Akteure im Rechtsextremismus (FOBAREX) | Außerdem wurde im LfV am 1. September 2020 die Einheit FOBAREX geschaffen, um die Bearbeitung des personenbezogenen Ansatzes im Phänomenbereich Rechtsextremismus zu intensivieren. Dabei nahm FOBAREX Rechtsextremisten in den Fokus, die als besonders relevant eingestuft werden. FOBAREX unterzog Rechtsextremisten, auf die folgende Merkmale zutrafen, einer engmaschigen qualitativen personenspezifischen Analyse: * Vorhandensein eines vergleichsweise hohen Radikalisierungspotenzials, * Tätigkeit als Vernetzungsakteure, wobei sie in besonderem Maße zur Vernetzung innerhalb der rechtsextremistischen Szene beitragen oder * ihren Schwerpunkt im Bereich rechtsextremistischer Aktivitäten (etwa als Initiatoren von Veranstaltungen) haben. Zudem wurde durch FOBAREX die Analysekompetenz besonders für den Bereich des Internet gestärkt, da in den letzten Jahren eine immer stärker werdende Verschiebung von Aktivitäten von Rechts46 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 EXTREMISMUS IN HESSEN extremisten in den virtuellen Raum bzw. in soziale Netzwerke festzustellen ist. Die hierbei gewonnenen Erkenntnisse wurden verwendet, um ein stets aktuelles Lagebild zu Personenkonstellationen, Strukturen und Gefährdungspotenzialen in Hessen zu erstellen. Identitäre Bewegung Deutschland e. V. (IBD)/Identitäre Bewegung Hessen (IBH) | Die Aktivitäten der IBH gingen im Vergleich zum Vorjahr leicht zurück, im Internet kritisierte sie nach wie vor die Migrationsund Asylpolitik und führte in Wiesbaden, Frankfurt am Main und Darmstadt Veranstaltungen zum "Gedenken" an von "Migranten" ermordete Menschen durch. Aktivisten der IBH waren darüber hinaus während des "Alpenlagers 2021" der Identitären Bewegung (IB) anwesend, wo man sich auf die "Suche nach den kulturellen Wurzeln Europas" begeben wollte: Auf YouTube wurde ein Video veröffentlicht, in dem die überwiegend einheitlich gekleideten Teilnehmer Ganzkörperund Kampfsportübungen durchführten sowie Vortragsveranstaltungen und einen Fahnenapell abhielten. Sowohl im virtuellen Raum als auch in der "realen Welt" beteiligte sich die IBH an Protesten in Frankreich gegen das Verbot der Generation Identitaire, aus der die IB hervorgegangen war. Ferner nahmen IBH-Angehörige an einer von der Identitären Bewegung Österreich (IBÖ) organisierten Demonstration in Wien gegen das Verbot von IBÖ-Symbolen teil. Vor dem Hintergrund dieser Verbote sowie des an die IBÖ gerichteten Vorwurfs, in Verbindung mit dem Attentäter von Christchurch (Neuseeland) gestanden zu haben, erschien im August auf einer der Neuen Rechten zuzurechnenden Internetseite ein wegweisender Artikel. Darin wurde eine strategische Neuausrichtung der IB gefordert, da der "Höhenflug der Jahre nach 2015" vorüber sei. Es sei notwendig, der IB ein neues Gesicht und eine neue Struktur zu geben. In der Folge gründeten sich in den sozialen Medien Gruppierungen wie Aktives Hessen und Hessenbande. Entsprechend der in dem Artikel vorgegebenen Handlungsmaxime waren auf Bildern einheitlich gekleidete und mit Gesichtsmasken vermummte Personen zu sehen. Die IBD änderte zudem ihr Logo auf ihrem Telegram-Kanal von dem schwarzen Lambda V ( ) auf gelbem Hintergrund hin zu einem weißen Lambda auf einer schwarzen Fläche. Inwieweit sich diese Strukturen verfestigen, die IBH ersetzen oder parallel zu ihr existieren werden, wird seitens des LfV sorgfältig beobachtet. Junge Alternative (JA) - Der Flügel | Die JA Hessen warb für "virtuelle Stammtische" und Gamingabende, führte unter anderem eine "Gedenkveranstaltung" zum Volkstrauertag sowie eine Wanderung in Kassel durch und beteiligte sich in Berlin an einer von der JA-Bundesorganisation organisierten Demonstration gegen die "CoronaHessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 47 EXTREMISMUS IN HESSEN Maßnahmen". Einer der beiden im April in Volkmarsen (Landkreis Waldeck-Frankenberg) während eines JA-Bundeskongresses neu gewählten Bundesvorsitzenden trat wenig später von seinem Amt zurück und verließ die Jugendorganisation, da bekannt geworden war, dass er fremdenfeindliche und rassistische Tweets verfasst hatte. Außerdem hatte er sich selbst als Anhänger der Neuen Rechten bezeichnet. Darüber hinaus lassen, so die Bewertung des BfV im vom Bundesministerium des Innern und für Heimat herausgegebenen Verfassungsschutzbericht 2021, hinreichend gewichtige tatsächliche Anhaltspunkte darauf schließen, dass es Fortsetzungsaktivitäten von Anhängern des zum 30. April 2020 formal aufgelösten Personenzusammenschlusses Der Flügel auch im Jahr 2021 gab. In seiner Entscheidung vom 8. März 2022 stellte das Verwaltungsgericht (VG) Köln fest, dass das BfV den Flügel als Verdachtsfall einstufen durfte. Die - über die Einstufung als Verdachtsfall hinausgehende - Einstufung als "gesichert extremistische Bestrebung" sei heute - nach der formalen Auflösung des Flügels - unzulässig. Eine solche Einstufung erfordere wegen ihrer Intensität Gewissheit über die Existenz des Beobachtungsobjekts. Daran fehle es auf der Grundlage der vom BfV vorgelegten Erkenntnisquellen jedoch. Das BfV wolle insoweit nach seinem Vorbringen durch die Beobachtung gerade klären, inwiefern der Flügel weiter fortbestehe und Einfluss habe. Das VG untersagte dem BfV auch, weiterhin öffentlich mitzuteilen, der Flügel sei als "gesichert extremistische Bestrebung" eingestuft worden. Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) - Junge Nationalisten (JN) | Die NPD in Hessen konzentrierte sich vor allem auf die hessische Kommunalwahl und die Bundestagswahl, wobei ihr beide Male kein Erfolg beschieden war. Bei der Kommunalwahl erhielt die NPD 1.799 Stimmen (= 0,1 Prozent) und damit elf kommunale Mandate. Im Vergleich zur letzten Kommunalwahl verlor die NPD 4.205 Stimmen (= 0,2 Prozentpunkte) und somit zehn Mandate. Die NPD führte dies unter anderem auf ein "völliges Totschweigen" ihrer Arbeit, eine "bewusste Verdrehung der Tatsachen oder gar eine Verunglimpfung der heimattreuen Opposition in der Presse" zurück. Bei der Bundestagswahl kam die NPD insgesamt auf 64.574 Zweitstimmen (= 0,1 Prozent), was einem Minus von 111.446 Zweistimmen entspricht, in Hessen erreichte sie 4.511 Zweitstimmen (= 0,1 Prozent). Damit verlor sie in Hessen 7.393 Zweitstimmen und 0,3 Prozentpunkte gegenüber 2017 und verfehlte deutlich die Marke von 48 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 EXTREMISMUS IN HESSEN mindestens 0,5 Prozent, deren Erreichen ihr die Teilnahme an der staatlichen Teilfinanzierung ermöglich hätte. In zum Teil diffamierender und fremdenfeindlicher Art und Weise kritisierte die NPD Hessen vor allem im Internet und in den sozialen Medien die nach ihrer Auffassung wegen der COVID-19-Pandemie entstandene "Krise". Bei "Corona-Protesten" zeigte die NPD Transparente mit den Slogans "Deutschland gegen den CoronaWahnsinn. Zwangsmaßnahmen beenden - Normalität herstellen" und "Kontrolliert die Grenzen - nicht euer Volk". Die NPD Hessen rief dazu auf, die "Corona-Proteste" zu unterstützen, Parteiangehörige beteiligten sich nach eigener Verlautbarung an verschiedenen Demonstrationen in Hessen. Um sich hierbei nach außen "bürgernah" zu gerieren und um Anschluss an andere Teilnehmer zu finden, gab sich die NPD auf den Protestkundgebungen weitestgehend nicht zu erkennen, wobei die Anzahl der Teilnahmen von NPD-Aktivisten an "Corona-Protesten" grundsätzlich gering war. Die JN unterstützten die Mutterpartei NPD, was sowohl für den Kommunalwahlkampf als auch die "Corona-Proteste" galt, insgesamt gingen ihre öffentlichkeitswirksamen Aktivitäten sowie die Zahl der von ihnen im Internet und in den sozialen Medien veröffentlichten Beiträge im Vergleich zum Vorjahr erneut zurück. Hervorzuheben sind lediglich ein "Leistungsmarsch", den die JN in Mittelhessen durchführten, sowie die Fortsetzung der Kampagne "schuelersprecher.info", für die sie einen Telegram-Kanal einrichteten und nach wie vor die Homepage www.schuelersprecher.info nutzten. Als Zielgruppen standen Schüler und Studierende im Visier der JN, wobei ihre Urheberschaft der Kampagne - zumindest auf den ersten Blick - nicht zu erkennen war. Zudem wurde auf der Homepage eine "SchulhofCD 2.0" mit einschlägigen Liedern aus der rechtsextremistischen Musikszene zum kostenlosen Download angeboten. Der Dritte Weg/Der III. Weg | Die neonazistische Partei konzentrierte sich vor allem auf ihre Agitation im Rahmen der "Corona-Proteste" und rief zur Teilnahme an entsprechenden Demonstrationen und "Spaziergängen" auf. Dabei versuchte Der Dritte Weg etwa mit der bereits im März 2020 gestarteten Kampagne "Das System ist gefährlicher als Corona" das Vertrauen der Bevölkerung in die Demokratie und deren Repräsentanten zu untergraben. Vor diesem Hintergrund beteiligten sich Aktivisten des Dritten Wegs nach eigenen Angaben auch an "Spaziergängen" in Hessen, instrumentalisierten die "Corona-Proste" aber auch, um ihre islamfeindliche Agitation zu forcieren. So verteilten Aktivisten in Mittelhessen im Umfeld von Moscheegemeinden Flugblätter, um unter anderem auf den angeblichen "Ausländerbonus im Bundes-Lockdown" im Zusammenhang Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 49 EXTREMISMUS IN HESSEN mit dem Ende des Ramadans aufmerksam zu machen. Darüber hinaus führte Der Dritte Weg wie in den letzten Jahren eine Reihe von "Gedenkveranstaltungen" in Bayern und Sachsen, aber auch in Hessen durch. Obwohl die Partei Der Dritte Weg im Rahmen ihres Bundestagswahlkampfs mit dem Plakat "Hängt die Grünen!" bundesweite und sogar internationale Aufmerksamkeit gefunden hatte, gelang es ihr nicht, dies in einen Erfolg umzumünzen (0,0 Prozent der Zweitstimmen). Gerichte in Sachsen und Bayern, wo die Partei mit Landeslisten zur Wahl antrat, sahen in dem Plakat den "objektiven Tatbestand der Volksverhetzung" und des Störens des "öffentlichen Friedens durch Aufstacheln zum Hass sowie durch einen Angriff auf die Menschenwürde" als erfüllt an. Recht und Wahrheit | Der in Wesertal (Landkreis Kassel) in einem ehemaligen Hotel wohnhafte Rechtsextremist Meinolf Schönborn gab nach wie vor die Publikation Recht und Wahrheit heraus, wobei im Rahmen der Veröffentlichung dieser Zeitschrift ein "Arbeitskreis" tätig war und "Lesertreffen" stattfanden. Beide Zirkel setzten sich aus Angehörigen des neonazistischen Spektrums, der rechtsextremistischen Parteien sowie der Reichsbürgerund Selbstverwalterszene zusammen. Darüber hinaus rief Schönborn die Veranstaltungsreihe "Kulturtage" ins Leben und führte in diesem Zusammenhang Veranstaltungen mit verschiedenen Referenten durch. Neben den Vorträgen bot Schönborn ein Rahmenprogramm an, das unter anderem aus "Kameradschaftsabenden" bestand. Eine Sommersonnwendfeier auf dem Anwesen Schönborns diente in erster Linie der Vernetzung und Kommunikation innerhalb der rechtsextremistischen Szene. Flüchtlinge im Visier von Rechtsextremisten | Die Gesamtzahl der Straftaten der PMK - rechts - im Kontext des Themas "Asyl-/Flüchtlinge" nahm im Berichtsjahr gegenüber dem Vorjahr deutlich ab. Die Gesamtzahl reduzierte sich von 70 (2020) auf 28 Delikte (= minus 60 Prozent) und erreichte damit innerhalb des Fünfjahreszeitraums von 2017 bis 2021 den niedrigsten Wert. Die Zahl der speziell gegen Asylbewerber/Flüchtlinge gerichteten Straftaten nahm im Bereich der PMK - rechts - um 41 Delikte (2020: 66) ab, was einem Rückgang um 62 Prozent entsprach. Im Berichtsjahr kam es erneut zu einem Gewaltdelikt: In Kassel wurde ein syrischer Asylbewerber rassistisch beleidigt, wobei ihm der Täter mit einem gefährlichen Gegenstand ins Gesicht schlug. Wie im Vorjahr gab es drei gegen Asyl-/Flüchtlingsheime gerichtete Delikte, jedoch im Berichtsjahr keine gegen Hilfsorganisationen und Helfer gerichteten Straftaten (2020: 1). 50 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 EXTREMISMUS IN HESSEN STRAFTATEN DER PMK -RECHTSIN DER GESAMTKATEGORIE ASYL (2017 BIS 2021) 100 80 60 Gesamtzahl PMK -rechts40 gegen Asylbewerber/ Flüchtlinge 20 gegen Asyl-/Flüchtlingsunterkünfte 0 gegen Hilfsorganisationen und Helfer 2017 2018 2019 2020 2021 REICHSBÜRGER UND SELBSTVERWALTER Angebliches Fortbestehen eines Deutschen Reichs - Fantasiestaaten | Mit etwa 1.000 Personen, von denen rund 150 auch dem Rechtsextremismus zuzurechnen sind, blieb das Personenpotenzial der Reichsbürger und Selbstverwalter in den letzten fünf Berichtsjahren konstant. Reichsbürger propagierten das Fortbestehen eines Deutschen Reichs, Selbstverwalter erfanden Fantasiestaaten und beanspruchten für sich ein von der Bundesrepublik Deutschland unabhängiges Territorium. Insgesamt erkannten Reichsbürger und Selbstverwalter, unter denen sich auch Anhänger von Verschwörungsnarrativen befanden, die Bundesrepublik nicht als Staat an. Sie verstanden sich als außerhalb der Rechtsordnung stehend und forderten Behörden sowie Gerichte auf, geltendes Recht nicht anzuwenden; außerdem leisteten Reichsbürger und Selbstverwalter mitunter Widerstand gegen gerichtlich angeordnete Zwangsvollstreckungen oder gaben amtliche Identitätsnachweise zurück. Das Gros der Szene wandte sich jedoch mit schriftlichen Eingaben an Behörden und deren Mitarbeiter, um etwa die eigene Weltsicht - oft in pseudojuristischer Sprache und Argumentation - als die einzig richtige kundzutun. Das Internet diente Reichsbürgern und Selbstverwaltern als bevorzugtes Medium zur Verbreitung ihrer Weltanschauung sowie zu ihrer Kommunikation und Vernetzung. Mittels Webseiten, YouTubeKanälen oder Präsenzen auf Social-Media-Plattformen prangerte die Szene angebliche Missstände an und diskutierte bzw. verbreitete vermeintliche Lösungsund Argumentationshilfen. Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 51 EXTREMISMUS IN HESSEN Affinität zu Waffen - Entzug waffenrechtlicher Erlaubnisse | In Linden (Landkreis Gießen) bedrohte und beschoss ein Angehöriger der Reichsbürgerund Selbstverwalterszene Anfang September bei der Durchsuchung seiner Wohnung Polizeibeamte mit einer Armbrust, ohne dass die Polizisten verletzt wurden. Vor allem aufgrund der für die Reichsbürgerund Selbstverwalterszene typischen Waffenaffinität und des ihr eigenen Aggressionspotenzials gilt seitens der hessischen Behörden in Bezug auf waffenrechtliche Erlaubnisse und Schusswaffenbesitz - wie auch für andere extremistische Phänomenbereiche - eine Nulltoleranzstrategie. Zahlreichen Reichsbürgern und Selbstverwaltern wurden bislang die waffenrechtlichen Erlaubnisse entzogen und Schusswaffen sichergestellt. Zum Ende des Berichtsjahrs war 17 Reichsbürgern die waffenrechtliche Erlaubnis entzogen worden. Vermehrte Aktivitäten - vermehrtes Aggressionspotenzial | Obwohl das Personenpotenzial der Reichsbürger und Selbstverwalterszene unverändert blieb, versuchten Gruppierungen dieses Spektrums in wachsendem Maße, ihre Weltbilder und (Verschwörungs-)Narrative in die Mitte der Gesellschaft zu tragen, sich zu vernetzen und neue Anhänger zu gewinnen. In dieser Beziehung sind für Hessen vor allem das Königreich Deutschland, der Vaterländische Hilfsdienst und die Verfassunggebende Versammlung zu nennen. Vermehrt nahmen Reichsbürger und Selbstverwalter an "Corona-Protesten" teil. Entsprechende szenetypische Veröffentlichungen häuften sich, wobei deren Inhalte teilweise einen aggressiveren Ausdruck als in der Vergangenheit annahmen, sodass insgesamt eine fortschreitende Radikalisierung und anhaltend hohe Bereitschaft der Szene, die Souveränität und das Gewaltmonopol des Staates in Frage zu stellen, festzustellen waren. VERFASSUNGSSCHUTZRELEVANTE DELEGITIMIERUNG DES STAATES Aus Protest gegen die staatlichen "Corona-Maßnahmen" fanden seit 2020 zahlreiche Veranstaltungen statt, die größtenteils nicht als extremistisch zu bewerten waren. Am Protestgeschehen beteiligten sich - neben Rechtsextremisten sowie Reichsbürgern und Selbstverwaltern - einige lose strukturierte Personenzusammenschlüsse, die dem im April 2021 eingerichteten Phänomenbereich "Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates" zuzuordnen sind. 52 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 EXTREMISMUS IN HESSEN In diesen Phänomenbereich fallen unter anderem Aktionen gegen staatliche Einrichtungen, gegen die staatliche Infrastruktur oder gegen staatliche Repräsentanten und demokratisch gewählte Entscheidungsträger, welche die Funktionsfähigkeit des Staats erheblich beeinträchtigen wollen. Dazu gehören auch Bestrebungen, die durch ein aktives, glaubhaftes und nachdrückliches Vorgehen auf die Beseitigung oder Beeinträchtigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zielen, sowie extremistische Bestrebungen, die sich gegen das Demokratieprinzip richten, die aufgrund ihrer Demokratiefeindlichkeit zu extremistisch motivierten Strafund Gewalttaten aufrufen oder sich auf ein vermeintliches Widerstandsrecht berufen und sich dabei gegen das Rechtsstaatsprinzip richten. Einige Gegner der "Corona-Maßnahmen" trugen darüber hinaus bei Demonstrationen das von den Nationalsozialisten 1941 im Deutschen Reich eingeführte Zwangskennzeichen des "Judensterns", wobei hierauf jetzt "ungeimpft" stand. Das öffentliche Tragen dieses Zeichens, so die aktuelle Rechtsprechung, ist als Verharmlosung der nationalsozialistischen Judenverfolgung und damit des Holocausts zu werten. LINKSEXTREMISMUS Personenpotenzial | Das linksextremistische Personenpotenzial nahm von 2.600 (2020) auf 2.770 Personen zu, wobei sich die Steigerung in allen drei Einzelbereichen Autonome, Anarchisten und sonstige Linksextremisten widerspiegelte. Die Anzahl der Gewaltorientierten belief sich auf etwa 590 (2020: 580), was einem Anteil von 21 Prozent entsprach. Die Anzahl der linksextremistischen Gewalttaten erhöhte sich von 34 (2020) auf 42 Delikte, wobei sich insbesondere die Zahl der Körperverletzungen mehr als verdreifachte (2020: sieben, 2021: 23). Unverändert bildete Frankfurt am Main - sowohl personell als auch strukturell - den Schwerpunkt der autonomen Szene in Hessen. Aufgrund des spätestens seit 2019 erkennbaren Trends der zunehmenden (gewalttätigen) Konfrontation mit dem politischen Gegner klärte das LfV verstärkt sogenannte aufständische anarchistische Strukturen im autonomen Spektrum auf. Anhänger dieser anarchistischen Strömung zeichneten sich durch eine kompromisslose Opposition und permanente Attacken auf den gesellschaftlichen und politischen Gegner aus. Außerhalb Hessens fielen aufständische Anarchisten durch "Aktionen" auf, sie führten auch Gewaltund Sabotageaktionen durch, um ihre Ziele zu erreichen. In Hessen war das Personenpotenzial der aufständischen anarchistischen Strukturen bislang nicht zu beziffern. Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 53 EXTREMISMUS IN HESSEN LINKSEXTREMISTISCHES PERSONENPOTENZIAL IN HESSEN (2017 BIS 2021) 3.000 Gesamtzahl der Linksextremisten 2.500 2.000 1.500 1.000 Sonstige Linksextremisten 500 Autonome 0 Anarchisten 2017 2018 2019 2020 2021 Szenebeherrschende Themen | Im Berichtszeitraum stand in Hessen für die autonome und anarchistische Szene das Thema "Antifaschismus" im Vordergrund, gefolgt von offensichtlichen Bemühungen, mehr Einfluss auf die nichtextremistische Klimaund Umweltschutzbewegung zu gewinnen. Themen wie "Antimilitarismus" und "Antigentrifizierung" verloren dagegen im Unterschied zum Vorjahr an Bedeutung. Allen Themen und entsprechenden linksextremistischen Bestrebungen lag jedoch das Kernanliegen zugrunde, den "Kapitalismus", der in der Szene mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung bzw. unserer demokratischen Staatsund Gesellschaftsordnung gleichgesetzt wird, zu überwinden. Im Kontext "Antifaschismus" häuften sich - insbesondere in Frankfurt am Main und im Raum Kassel - entsprechende Aktivitäten, die von Outings gegen tatsächliche oder angebliche Rechtsextremisten bis hin zu Demonstrationen reichten. Dabei befand sich unter anderem die Alternative für Deutschland (AfD) im Fokus der Linksextremisten, aber auch ein Schützenverein in Frankfurt am Main. Das Abbrennen des dortigen Schießstands wurde auf der linksextremistischen Internetplattform de.indymedia.org mit Bezug auf den Attentäter von Hanau (Main-Kinzig-Kreis), der dort Mitglied gewesen war, gerechtfertigt. In dem Bekennerschreiben hieß es, dass "Dutzende oder hunderte Rassisten in Deutschland in ihren Vereinen an den Schießständen den nächsten Mord" trainierten: "Jedes abgebrannte Schützenheim in diesem Land bedeutet ein klein wenig mehr Schutz für Betroffene von Rassismus". 54 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 EXTREMISMUS IN HESSEN Die Radikalisierung in Wort und Tat zeigte sich auch bei anderen Gelegenheiten, am deutlichsten artikulierte sie sich bei den Ausschreitungen am "revolutionären" 1. Mai in Frankfurt am Main ("Tag der Wut - Kampftag der Arbeiter:innenklasse"). Im Rahmen einer von Beginn aggressiven Grundstimmung kam es bei der Demonstration zu den meisten in Hessen in der Statistik PMK - links - erfassten linksextremistisch motivierten (und gegen Polizeibeamte gerichteten) Körperverletzungen. Daher ist davon auszugehen, dass ein Teil der autonomen und anarchistischen Szene in Hessen für eine "Militanzdebatte", wie sie in anderen Ländern geführt und teilweise in Gewalt umgesetzt wird, zugänglich ist. Eine Gesamtradikalisierung mit entsprechenden "militanten Aktionen" ist in Hessen jedoch weiterhin (noch) nicht zu beobachten. Das noch 2020 virulente Thema "Dannenröder Wald" stand nur indirekt über die allgemeine Thematisierung der Klimaund Umweltschutzpolitik im Fokus der linksextremistischen Szene. Dieser gelang es, sich bei dem "Klimastreik" am 13. August in Frankfurt am Main als Partner der Fridays-For-Future-Ortsgruppe Frankfurt am Main zu inszenieren. Dabei war zu beobachten, dass in der nichtextremistischen Klimaund Umweltschutzbewegung Diskussionen über eine Radikalisierung Einzug hielten. Es war zwar nicht, wie es in der Medienberichterstattung hieß, von der Notwendigkeit einer "grünen RAF" die Rede, wohl aber von dem Erfordernis, "selbst zu handeln", "aktiv in die materielle Infrastruktur" einzugreifen, "Sabotage" zu begehen und "Blockaden" zu errichten. Strafund Gewalttaten | Vor diesem breiten thematischen und aktionsbezogenen Hintergrund - insbesondere der Forcierung des Themas "Antifaschismus" - erhöhte sich nicht nur die Zahl der linksextremistisch motivierten Strafund Gewalttaten in Hessen von 110 (2020) auf 131, sondern auch die Zahl der Gewalttaten von 34 (2020) auf 42 LINKSEXTREMISTISCHE STRAFUND GEWALTTATEN IN HESSEN (2017 BIS 2021) 150 131 110 120 90 61 65 60 48 42 34 Strafund Gewalttaten 30 insgesamt 13 5 5 0 Gewalttaten 2017 2018 2019 2020 2021 Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 55 EXTREMISMUS IN HESSEN (2021). Dabei schwächte sich die Stetigkeit der fortlaufenden Progression zwar ab, die aktuelle Zahl der Strafund Gewalttaten kletterte aber im Phänomenbereich Linksextremismus im Fünfjahreszeitraum 2017 bis 2021 auf ihren bislang höchsten Wert. Angesichts der grundsätzlichen Gewaltaffinität der sogenannten aufständischen anarchistischen Strukturen im Kontext der Autonomen in Hessen räumt das LfV daher der Beobachtung dieser Szene und den damit verbundenen Entwicklungen eine hohe Priorität ein. Deutsche Kommunistische Partei (DKP) | Neben der Herausgabe von Kleinzeitungen - in Kassel erschien erstmalig die Zeitung Der rote Waschbär - konzentrierte sich die DKP in Hessen auf die hessische Kommunalwahl und die Bundestagswahl. Abgesehen von sehr wenigen lokalen Mandatsgewinnen gelangen der DKP bei der Kommunalwahl keine Erfolge. Bei der Bundestagswahl erzielte sie bundesweit 14.925 Zweitstimmen (= 0,0 Prozent) und steigerte ihr Ergebnis somit gegenüber 2017 um 3.367 Stimmen. In Hessen erhielt die DKP 1.294 Zweitstimmen (= 0,0 Prozent) und verlor damit entgegen dem Bundestrend 156 Stimmen. Daraus zog die Partei den Schluss: "Die DKP ist zu schwach, um sich den Menschen, die nach Alternativen suchen, als solche zu präsentieren". Darüber hinaus gelang es der Partei im Unterschied zur autonomen und anarchistischen Szene weiterhin nicht, sich innerhalb der Klimaund Umweltschutzbewegung als Bündnispartnerin zu etablieren. Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend (SDAJ) - Kommunistische Organisation (KO) | Die eng mit der DKP verbundene SDAJ nahm ihre "Informationskampagne" vor Schulen in Marburg (Landkreis Marburg-Biedenkopf) und Kassel verstärkt auf, indem sie Flyer und eine eigene Schülerzeitung verteilte. Dabei rückte die SDAJ die angebliche "Verwertbarkeit" der Schüler "für das Kapital" in das Zentrum ihrer Agitation. Offensichtlich versuchte die Jugendorganisation neue Mitglieder zu werben, das sozialistische und damit nichtdemokratische Bildungssystem der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) als Alternative darzustellen und den Charakter der DDR als Unrechtsstaat zu leugnen. So verurteilte die SDAJ den heutigen angeblichen "Antikommunismus in der Schule" und die bei Schulbesuchen der Gedenkstätte der ehemaligen Haftuntersuchungsanstalt des Ministeriums für Staatssicherheit verbreiteten "typischen Hohenschönhausen-Mythen". Die von der SDAJ abgespaltene KO gründete zwei Ortsgruppen in Frankfurt am Main und in Gießen (Landkreis Gießen). Ebenso wie die SDAJ bezog sie sich positiv auf die DDR und bezeichnete die Wiedervereinigung 1989/90 als "Konterrevolution" und "Mythos der friedlichen Revolution". 56 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 EXTREMISMUS IN HESSEN Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) | Ähnlich wie die DKP konzentrierte sich die maoistisch-stalinistisch ausgerichtete MLPD auf die Bundestagswahl, wobei sie im Vergleich zu 2017 11.791 Zweitstimmen verlor und 17.994 Zweitstimmen (= 0,0 Prozent) erreichte. Dieser Trend zeigte sich auch in Hessen, wo das Ergebnis von 1.627 auf 912 Zweitstimmen zurückging. Trotz dieser Stimmenverluste sprach die MLPD von einer "erfolgreiche[n] taktische[n] Offensive", mit der sie eine "intensive Bewusstseinsbildung, besonders der Arbeiterklasse" entgegen eines ausgeprägten "Antikommunismus" vorangetrieben habe. Rote Hilfe e. V. (RH) | Die RH nahm in Hessen nach wie vor eine wichtige Rolle in der linksextremistischen Szene ein und genoss eine entsprechende Reputation. So begleitete die Ortsgruppe Frankfurt am Main Angeklagte bei Strafprozessen und wies auf ihrer Homepage auf anstehende Prozesse hin. Außerdem rief die Ortsgruppe Kassel zu einer Mahnwache auf, um unter anderem "Freiheit für Abdullah Öcalan", den inhaftierten Anführer der terroristischen Partiya Karkeren Kurdistan (Arbeiterpartei Kurdistans), zu fordern. Im Zusammenhang mit den Verhaftungen während der Räumung des Dannenröder Walds im November 2020 organisierten beide RHOrtsgruppen darüber hinaus regelmäßige Kundgebungen unter dem Motto "Stay with friends. Freiheit für alle politischen Gefangenen" vor zwei hessischen Justizvollzugsanstalten. Da Linksextremisten beharrlich propagieren, die staatliche "Repression" würde zunehmen, wird die RH auch weiterhin für die linksextremistische Szene in Hessen eine hohe Bedeutung haben. ISLAMISMUS Jihadistischer und politischer Salafismus | Wie im Vorjahr kam es in Hessen zu Exekutivmaßnahmen und Verurteilungen im Bereich des jihadistischen Salafismus. Nach außen verlor die salafistische Ideologie offenbar jedoch an Strahlkraft und Attraktivität, was insbesondere für jüngere Personen galt. Langfristige Ursachen hierfür waren vornehmlich die territoriale Zurückdrängung des sogenannten Islamischen Staats (IS), die militärische Zerschlagung seiner quasi-staatlichen Strukturen und das massive Erschweren von Ausreisen in das noch vorhandene Jihadgebiet im Nahen Osten durch staatliche Maßnahmen. Vor diesem Hintergrund ging die Zahl der Salafisten in Hessen im Fünfjahreszeitraum von 2017 bis 2021 erstmals zurück, das heißt von 1.650 (2020) auf 1.450 (= minus 12 Prozent), während sich die GeHessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 57 EXTREMISMUS IN HESSEN ISLAMISTISCHES PERSONENPOTENZIAL IN HESSEN (2017 BIS 2021) 5.000 Gesamtzahl 4.000 der Islamisten 3.000 2.000 1.000 Salafisten 2017 2018 2019 2020 2021 samtzahl der Islamisten im selben Zeitraum von 4.170 (2020) auf 4.000 reduzierte (= minus 4 Prozent). Die Zahl der in Europa verübten jihadistisch motivierten Anschläge nahm deutlich ab, doch gelang es jihadistischen Gruppen nach wie vor, über das Internet ihre Propaganda und ihr "Lehrmaterial" für Anschläge weltweit zu verbreiten. Vor diesem Hintergrund kam es im Berichtsjahr zu einer Reihe von Anschlägen in Mosambik, Indonesien, Mali und Neuseeland, bei denen etliche Menschen getötet oder schwer verletzt wurden. Die Gefahr eines jihadistischen Terroranschlags war in Europa und damit auch in Deutschland weiterhin unvermindert hoch. Das zeigen ein in Nordrhein-Westfalen im September verhinderter, mutmaßlich jihadistisch motivierter Anschlag und ein Terrorakt in Großbritannien, bei dem nur der Attentäter ums Leben kam. Sowohl die jihadistische Propaganda als auch tatsächliche Anschläge können allein handelnde Personen oder Kleingruppen weltweit zunehmend radikalisieren und sie zu einem Treueschwur auf jihadistische Organisationen und zu entsprechenden Taten motivieren. Dabei stellen allein handelnde Täter die Sicherheitsbehörden weiterhin vor große Herausforderungen, weil sie unvermittelt, spontan und ohne vorhergehende Kommunikation mit jihadistischen Netzwerken Anschlagsvorhaben umsetzen können. 58 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 EXTREMISMUS IN HESSEN Da die in die ehemaligen Jihadgebiete ausgereisten Frauen und deren Kinder bei ihrer Rückkehr nach Deutschland eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellen können, beschäftigte sich der Verfassungsschutz weiterhin intensiv mit der Rückkehrerproblematik. Es bestand die Gefahr, dass die Radikalisierung der Frauen und ihrer Kinder in den prekären Umständen der Camps auch nach ihrer Rückkehr wirksam war bzw. andauerte. In Deutschland riefen Angehörige der salafistischen Szene zur Unterstützung ihrer "Glaubensschwestern" in den syrischen Camps auf, sodass diese mittels einzelner Spendenprojekte finanziell unterstützt wurden. Im Bereich des politischen Salafismus bemühten sich Prediger vermehrt, mittels einer modern anmutenden Präsentation ihrer Veröffentlichungen eine breite Öffentlichkeit zu erreichen. Aufgrund ihrer subtilen Aufmachung waren diese Formate nicht immer als salafistisch zu erkennen. Dabei beschäftigte sich die entsprechende Propaganda, die vornehmlich über das Internet lief, mit allgemeinreligiösen Themen und Diskussionen, um - scheinbar unverfänglich - bereits Kinder und Jugendliche anzusprechen. Das Ziel der Prediger war es einerseits, ihr Publikum an die salafistische Szene und deren Lehre heranzuführen, andererseits als religiöse, weltanschauliche und moralische Autoritäten respektiert zu werden. Für Eltern boten salafistische Prediger spezielle Vorträge zum Thema "Kindererziehung" an. Darüber hinaus kam es in der "realen Welt" in Frankfurt am Main und Wiesbaden zu Street-Da'wa-Aktionen, wobei die Akteure islamistische Literatur an Passanten verteilten. Strafund Gewalttaten | Mit 22 Delikten gab es im Phänomenbereich Islamismus gegenüber 2020 (35) einen deutlichen Rückgang auf insgesamt niedrigem Niveau, wobei die Anzahl der Gewalttaten mit zwei Delikten im Vergleich zum Vorjahr unverändert blieb. ISLAMISTISCHE STRAFUND GEWALTTATEN IN HESSEN (2017 BIS 2021) 99 100 80 60 36 35 40 27 22 Strafund Gewalttaten 20 insgesamt 1 1 1 2 2 0 Gewalttaten 2017 2018 2019 2020 2021 Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 59 EXTREMISMUS IN HESSEN Hizb ut-Tahir (HuT, Partei der Befreiung) - Realität Islam (RI) | Vor dem Hintergrund der "Corona-Maßnahmen" fanden die meisten Aktivitäten der HuT-nahen Gruppierung RI im Internet und in den sozialen Medien statt. Dabei sprach sich RI dafür aus, dass gegen den Islam gerichtete Reformbemühungen "intellektuell bekämpft" werden müssten. RI kommentierte nicht nur in Deutschland, sondern auch in Frankreich, Österreich und in der Schweiz virulente gesellschaftlich-politische Ereignisse aus islamistischer Perspektive. So sprach sich RI dezidiert gegen das in Frankreich verabschiedete Gesetz zur "Stärkung der Prinzipien der Republik aus", da es die Muslime angeblich in ihrer Existenz bedrohe. Den angeblichen Versuch, "Muslime mundtot zu machen", witterte RI auch bei der Berichterstattung deutscher Medien über palästinensische Raketenangriffe auf Israel und sprach von der "Antisemitismus-Keule", die gegen die Muslime verwendet werde. Muslimbruderschaft (MB) | Wie in der Vergangenheit war es das Ziel von Anhängern der MB und der ihr nahestehende Organisationen, im Rahmen einer auf lange Frist angelegten Unterwanderungsstrategie ihre Ideologie gesellschaftsfähig zu machen und ihren ideologischen Vorstellungen Geltung zu verschaffen. Vor dem Hintergrund der COVID-19-Pandemie geschah dies besonders im virtuellen Raum. So bot ein der MB nahestehender Verein online ein Bildungsprogramm in deutscher Sprache an, um offensichtlich vermehrt Personen ohne Arabischkenntnisse anzusprechen. Darüber hinaus distanzierte sich die Deutsche Muslimische Gemeinschaft e. V. (DMG) in bestimmten Bereichen von Aussagen des MB-Ideologen Yusuf alQaradawi, hielt aber grundsätzlich an dessen Expertise fest. Dies resultierte offenbar aus dem Bemühen, der Öffentlichkeit gegenüber ein grundgesetzkonformes Bild der DMG zu zeichnen. Saadet Partisi (SP, Partei der Glückseligkeit) | Die unter anderem im Saadet Deutschland Regionalverein Hessen e. V. (SP Hessen) organisierten Anhänger der islamistischen Milli-Görüs-Bewegung versuchten durch Informationsstände und das Verteilen von Flugblättern neue Mitglieder zu gewinnen. Dabei sagte ein Funktionär, dass sich die SP um die Belange türkischer Staatsbürger in Europa kümmere. Pandemiebedingt richtete die SP Hessen darüber hinaus ihre Veranstaltungsund Bildungsangebote größtenteils online an ihre Anhänger. Die Milli Gazete, das Sprachrohr der Milli-Görüs-Bewegung, veröffentlichte im Berichtsjahr eine Reihe antisemitischer Artikel und beklagte unter anderem, dass angeblich jede Kritik am "zionistischen Staat" als Antisemitismus diffamiert werde: "Palästina sei die letzte Bastion der Menschheit, die keineswegs fallen dürfe, da die Zionisten ansonsten Muslime noch stärker angreifen würden". Dagegen sei die 60 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 EXTREMISMUS IN HESSEN SP die Partei, die den "rassistischen Imperialismus" des "Westens" und den "Zionismus" offen als Gefahr benenne. EXTREMISMUS MIT AUSLANDSBEZUG Personenpotenzial | Das seit 2019 konstant hohe Niveau des Personenpotenzials im Bereich Extremismus mit Auslandsbezug stieg gegenüber 2020 (4.195 Personen) um 155 Personen an (= plus 3,6 Prozent) und erreichte innerhalb des zurückliegenden Fünfjahreszeitraums mit 4.350 Personen den zweithöchsten Wert. Dabei blieb das der Partiya Karkeren Kurdistan (PKK, Arbeiterpartei Kurdistans) zuzuordnende Personenpotenzial mit 1.500 Personen wie in den Vorjahren gleich, während dasjenige mit türkischem Ursprung anstieg. PKK | Mehr denn je rückten PKK-Anhänger den Gesundheitszustand ihres in der Türkei inhaftierten Anführers Abdullah Öcalan und dessen Haftbedingungen in den Mittelpunkt ihrer Veranstaltungen, die dazu dienen sollten, hierüber "Klarheit" zu erlangen. Pandemiebedingt fand keine bundesweite zentrale Newroz-Feier statt, zu dezentralen Veranstaltungen in Hessen kam es in Frankfurt am Main und in Darmstadt. Die Veranstaltungen von PKK-Anhängern in Hessen verliefen insgesamt ohne Störungen und - wohl aufgrund der "Corona-Maßnahmen - mit einer relativ geringen Teilnehmerzahl im unEXTREMISTISCHES PERSONENPOTENZIAL MIT AUSLANDSBEZUG IN HESSEN (2017 BIS 2021) 5.000 Gesamtzahl der Extremisten mit Auslandsbezug 4.000 3.000 2.000 Türkischer Ursprung 1.000 Kurdischer Ursprung 0 Sonstige 2017 2018 2019 2020 2021 Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 61 EXTREMISMUS IN HESSEN teren und mittleren zweistelligen Bereich, sieht man von den lokalen Newroz-Feiern in Frankfurt am Main (800 Teilnehmer) und Darmstadt (500) ab. Die Ortsgruppe Frankfurt am Main der PKK-nahen YekA(r)tiya Xwendekaren Kurdistan (Verband der Studierenden aus Kurdistan) "besuchte" im Juni zwei Medienhäuser und die Büros dreier Parteien, um auf die "aktuelle Situation in Kurdistan" aufmerksam zu machen, wobei die gesamte "Aktion" friedlich verlief. Bei nahezu allen Veranstaltungen versuchten PKK-Anhänger, das über die Terrororganisation verhängte Betätigungsverbot zu unterminieren und öffentlich für die Streichung der PKK von der Terrorliste der Europäischen Union (EU) zu werben. Während PKK-Anhänger in den letzten Jahren vor allem bei Demonstrationen verbotene Symbole der Yekineyen Parastina Gel (Volksverteidigungseinheiten) und der Yekineyen Parastina Jin (Frauenverteidigungseinheiten) zeigten, waren dies im Berichtsjahr häufig nicht an Auflagen geknüpfte Abbildungen ihres Anführers Abdullah Öcalan. Er fungierte trotz seiner Inhaftierung als unverkennbare ideologische Größe und "Vorbild" und stand für das Weltbild und die damit einhergehenden Aktivitäten der Terrororganisation und ihrer Anhänger. Linksextremistische Organisationen mit türkischem Ursprung | In diesem Segment des Phänomenbereichs Extremismus mit Auslandsbezug waren vor allem folgenden Organisationen im Berichtszeitraum aktiv: die Devrimci Halk Kurtulus Partisi-Cephesi (DHKP-C, Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front), die Türkiye Komünist Partisi/Marksist-Leninist (TKP/ML, Türkische Kommunistische Partei/Marxisten-Leninisten), die Marksist Leninist Komünist Parti (MLKP, Marxistische-Leninistische Kommunistische Partei) und die Demokratik Isci Dernekleri Federasyonu e. V. (DIDF, Föderation Demokratischer Arbeitervereine e. V.). Die DHKP-C verstärkte ihre Aktivitäten im Rhein-Main-Gebiet und führte regelmäßig Solidaritätskundgebungen für "politische Gefangene" durch, bei einer Kundgebung in Darmstadt spielten Angehörige des der DHKP-C zuzurechnenden Musikerkollektivs Grup Yorum. In Wiesbaden feierte die DHKP-C-Jugendorganisation Dev Genc ihr 52-jähriges Jubiläum, wobei sie der "Märtyrer", die für die Ziele der Dev Genc starben, gedachte. Insgesamt versuchte die DHKP-C unter dem Deckmantel gesellschaftspolitisch konsensfähiger Themen, ihre Anhänger zu mobilisieren und neue zu gewinnen. Umfeldorganisationen der TKP/ML und der MLKP beteiligten sich an mehreren Gedenkveranstaltungen für die Opfer des rassistischen 62 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 EXTREMISMUS IN HESSEN EXTREMISTISCHE STRAFUND GEWALTTATEN MIT AUSLANDSBEZUG IN HESSEN (2017 BIS 2021) 118 120 100 84 80 73 60 40 32 28 Strafund Gewalttaten insgesamt 20 12 1 4 5 1 0 Gewalttaten 2017 2018 2019 2020 2021 Anschlags in Hanau (Main-Kinzig-Kreis), ansonsten konzentrierten sie sich auf die Themenfelder "Antifaschismus" und "Rechte der Frauen". Dabei ist bemerkenswert, dass ein Aktivist der MLKP-Jugendorganisation Young Struggle die 1.-Mai-Demonstration in Frankfurt am Main ("Revolutionärer 1. Mai - Tag der Wut - Kampftag der Arbeiter:innenklasse") anmeldete, bei der es zu zahlreichen gewalttätigen Übergriffen auf die Polizei kam. Vor allem die DIDF und die DIDF-Jugend führten eine Vielzahl von Veranstaltungen unter Beteiligung von Gewerkschaften, Parteien, Bündnissen und Initiativen durch: Diskussionsrunden, Gedenkund Protestveranstaltungen, Kundgebungen und Demonstrationen. Im Unterschied zu anderen Gruppierungen im Phänomenbereich Extremismus mit Auslandsbezug vernetzte sich die DIDF überwiegend mit der deutschen linksextremistischen Szene (vor allem mit der SDAJ und der DKP), wobei es ihre Absicht war, "alle antifaschistischen Kräfte" zu bündeln. Vor diesem Hintergrund arbeitete die DIDF anlassbezogen sowohl mit Extremisten als auch mit Nichtextremisten zusammen. Strafund Gewalttaten | Die Gesamtzahl der Strafund Gewalttaten im Phänomenbereich Extremismus mit Auslandsbezug ging von 32 (2020) auf 28 zurück. Allerdings stieg die Zahl der Gewalttaten, wenn auch auf vergleichsweise niedrigem Niveau von einem (2020) auf fünf Delikte an. Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 63 EXTREMISMUS IN HESSEN ORGANISIERTE KRIMINALITÄT (OK) OK-Gruppierungen bedrohen die Grundlagen unserer Gesellschaft, indem sie auf verschiedenen Gebieten in vielfacher Weise die Macht einer kriminellen Organisation durch Gewalt, Geld und Bestechung und massive Einflussnahme auf Politik, Verwaltung, Justiz, Medien und Wirtschaft durchsetzen wollen. Im Bereich der Rockerkriminalität konzentrierte sich das LfV auf die Beobachtung von Outlaw Motorcycle Gangs (OMCG) und rockerähnlichen Gruppierungen. OMCG waren Hauptakteure bei Gebietsaufund verteilungen, Menschenhandel und Zwangsprostitution, bei denen auch Schusswaffen eingesetzt wurden. Ebenso beobachtete das LfV die russisch-eurasische und die italienische OK. SPIONAGEUND CYBERABWEHR/ WIRTSCHAFTSSCHUTZ Ziel der Aktivitäten fremder Staaten vor allem im Cyberraum war es, in Deutschland die öffentliche Meinung zu manipulieren, die Gesellschaft zu spalten und insgesamt die Demokratie zu destabilisieren. In diesem Sinne agierte der russische Cyberakteur Ghostwriter im Rahmen der Bundestagswahl, sodass der Generalbundesanwalt Ermittlungen wegen des Verdachts der geheimdienstlichen Agententätigkeit einleitete. Darüber hinaus instrumentalisierte Russland in seinen staatsnahen Medien wie etwa RT DE (ehemals Russia Today) verschiedene Themen, wozu unter anderem die Flutkatastrophe im Ahrtal und die COVID-19-Pandemie gehörten. Die Anzahl der Meldungen über nachrichtendienstliche Verdachtsfälle im Bereich der Spionage mit russischen Hintergrund nahm zu, auch in den Bereichen der Proliferation und der Ausspähung in Deutschland lebender Oppositioneller entfaltete Russland mehr Aktivitäten als in der Vergangenheit. Insgesamt ging das LfV allen Hinweisen auf nachrichtendienstliche Aktivitäten fremder Staaten nach, die sich gegen deutsche Interessen richteten, wobei es keine Rolle spielte, wer sich hinter diesen Aktivitäten zu verbergen suchte. In diesem Kontext beobachtete das LfV chinesische, iranische, türkische, vietnamesische, nordkoreanische, pakistanische, indische und syrische Aktivitäten. Vor diesem Hintergrund bildete der Wirtschaftsschutz als präventiver Teil der Spionageabwehr einen festen Bestandteil der Aufgaben des LfV. Dies galt insbesondere, seitdem sich bereits im Berichtsjahr die 64 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 EXTREMISMUS IN HESSEN militärischen Drohgebärden Moskaus gegenüber der Ukraine verschärften, die schließlich am 24. Februar 2022 in den Überfall Russlands auf das Nachbarland mündeten. Fortlaufend führte das LfV Sensibilisierungen der hessischen Wirtschaft und relevanter Behörden durch, da Russland drohte, auf die umfangreichen Sanktionen des "Westens" unter anderem mit "asymmetrischen Maßnahmen", das heißt auch Cyberangriffen", zu reagieren. Darunter hinaus bildeten die anhaltende COVID-19-Pandemie und ihre wirtschaftlichen Folgen einen Schwerpunkt der Präventionsarbeit des Wirtschaftsschutzes. Hierbei waren insbesondere die Themenfelder "Informationstechnik (IT) und Homeoffice" sowie "Social Engineering" relevant. Vor dem Hintergrund der pandemiebedingten Verlagerung etlicher Arbeitsplätze ins Private und der vermehrten Kommunikation mittels sozialer Medien wurde deutlich, wie wichtig es ist, dass IT-Infrastrukturen funktionstüchtig und vor Cyberangriffen geschützt sind. Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 65 EXTREMISMUS IN HESSEN 66 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 RECHTSEXTREMISMUS - MERKMALE - RECHTSEXTREMISTISCHES PERSONENPOTENZIAL - RECHTSTERRORISMUS UND SCHWERE GEWALTSTRAFTATEN - PARTEIUNABHÄNGIGE BZW. PARTEIUNGEBUNDENE STRUKTUREN - LOSE STRUKTURIERTER RECHTSEXTREMISMUS - PARTEIGEBUNDENE STRUKTUREN BZW. PARTEIEN - KOMMUNIKATIONSSTRATEGIEN VON RECHTSEXTREMISTEN - FLÜCHTLINGE IM VISIER VON RECHTSEXTREMISTEN - RECHTSEXTREMISTISCHE STRAFUND GEWALTTATEN RECHTSEXTREMISMUS MERKMALE Rechtsextremisten lehnen die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland ab und bekämpfen sie zum Teil mit Gewalt. Sie verfolgen extremistische Bestrebungen in unterschiedlichen Formen. AUF EINEN BLICK * Das deutsche Volk als höchster Wert * "Ethnopluralismus" * Ideologie der Ungleichheit * "Kampf um die Parlamente" - "Kampf um die Straße" Das deutsche Volk als höchster Wert | Das deutsche Volk stellt für alle Rechtsextremisten den höchsten Wert dar. Sie ordnen die Rechte und Freiheiten anderer Völker und Nationen wie auch die des einzelnen Menschen diesem Nationalismus unter. Nach den Vorstellungen von Rechtsextremisten hat der Einzelne im Sinne eines völkischen Kollektivismus seinen Wert nur durch die Zugehörigkeit zum Volk, das heißt durch eine bestimmte Herkunft. "Ethnopluralismus" | Teile des Rechtsextremismus, vor allem die Identitäre Bewegung, propagieren das Konzept des "Ethnopluralismus" und behaupten in einer verschleiernden Sprache, dass sie für die Vielfalt der Völker einstehen würden. In Wirklichkeit zielt dieses Konzept auf einen strikten Nationalismus, der "fremde" Menschen ausgrenzt und dadurch Fremdenfeindlichkeit provoziert. Der "Ethnopluralismus" beschreibt die Unterschiede zwischen den Völkern und meint damit letztlich die homogene nationale Identität der eigenen Ethnie. Ideologie der Ungleichheit | Rechtsextremisten vertreten somit eine Ideologie der Ungleichheit, die in vielfacher Hinsicht den Prinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung widerspricht. An die Stelle demokratischer Entscheidungsprozesse wollen Rechtsextremisten einen autoritären (Führer-)Staat setzen, in dem nur der angeblich in sich einheitliche Wille der "Volksgemeinschaft" herrscht. "Kampf um die Parlamente" - "Kampf um die Straße" | Ihre Ziele verfolgen Rechtsextremisten auf unterschiedliche Art und Weise. Rechtsextremistische Parteien treten zu Wahlen an und versuchen, sich der demokratischen Strukturen zu bedienen, um diese letztlich abzuschaffen. Demgegenüber setzen Neonazis vor allem auf den "Kampf um die Straße". Sie versuchen, durch öffentlichkeitswirksame Aktionen sowohl im Internet als auch in der "realen" Welt Aufmerksamkeit zu erzielen. 68 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 RECHTSEXTREMISMUS RECHTSEXTREMISTISCHES PERSONENPOTENZIAL1 | 2021 2020 2019 2018 2017 in Parteien Hessen 350 340 340 285 275 Bund 11.800 13.250 13.330 5.510 6.050 davon in der Partei NPD Hessen 260 260 260 260 250 Bund 3.150 3.500 3.600 4.000 4.500 Der Dritte Weg Hessen 30 20 20 15 15 Bund 650 600 580 530 500 DIE RECHTE Hessen 10 10 10 10 10 Bund 500 550 550 600 650 Junge Alternative Hessen 50 50 50 - - Bund 1.600 1.600 1.600 - - in parteiunabhängigen bzw. parteiungebundenen Strukturen 2 Hessen 745 710 680 640 650 Bund 8.500 7.800 6.600 6.600 6.300 weitgehend unstrukturiertes rechtsextremistisches Personenpotenzial 3 Hessen 615 610 600 550 540 Bund 15.000 13.700 13.500 13.240 12.900 Gesamtzahl der Rechtsextremisten Hessen 1.710 1.660 1.620 1.475 1.465 Bund 4 33.900 33.300 32.080 24.100 24.000 davon gewaltorientiert 5 Hessen 860 860 840 680 670 Bund 13.500 13.300 13.000 12.700 12.700 1 Die Zahlen sind teilweise geschätzt und gerundet. 2 Im Jahr 2017 wurde das Personenpotenzial bundesweit neu kategorisiert. Unter parteiunabhängigen bzw. parteiungebundenen Strukturen wurden in Bezug auf Hessen vor allem Neonazis sowie die Identitäre Bewegung erfasst. 3 Unter weitgehend unstrukturiertes rechtsextremistisches Personenpotenzial fallen unter anderem Anhänger der subkulturellen Musikszene. 4 Nach Abzug von Mehrfachmitgliedschaften. 5 Der Oberbegriff gewaltorientiert umfasst die Begriffe gewalttätig, gewaltbereit, gewaltunterstützend und gewaltbefürwortend. Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 69 RECHTSEXTREMISMUS Im Berichtsjahr war ein Anstieg des rechtsextremistischen Personenpotenzials um 50 Personen gegenüber dem Vorjahr (1.660) zu verzeichnen. Der Zuwachs resultierte aus einer Steigerung in den Kategorien "Parteien", "parteiunabhängige bzw. parteiungebundene Strukturen" und "weitgehend unstrukturiertes rechtsextremistisches Personenpotenzial". (Siehe im Glossar auch die Erläuterung zum Begriff Personenpotenzial.) RECHTSTERRORISMUS UND SCHWERE GEWALTSTRAFTATEN Rechtsterroristische Anschläge und Gewalttaten stellen in der Bundesrepublik Deutschland seit Jahrzehnten eine stete und reale Gefahr dar. Nicht zuletzt der rechtsterroristisch motivierte Mord an dem Kasseler Regierungspräsidenten Dr. Walter Lübcke im Jahr 2019 sowie die rassistisch motivierten Morde an Gökhan Gültekin, Sedat Gürbüz, Said Nesar Hashemi, Mercedes Kierpacz, Hamza Kurtovic, Vili Viorel Paun, Fatih Saracoglu, Ferhat Unvar und Kaloyan Velkov ein Jahr darauf in Hanau (Main-Kinzig-Kreis) belegen dies eindrücklich. AUF EINEN BLICK * Terrorverdacht gegen einen Bundeswehrsoldaten * Festnahme eines mutmaßlichen Rechtsterroristen Terrorverdacht gegen einen Bundeswehrsoldaten | Spezialkräfte der hessischen Polizei nahmen am 27. Februar einen 21-jährigen Bundeswehrsoldaten sowie dessen Vater und Bruder fest. Hintergrund waren Hinweise der früheren Freundin des Soldaten und der anschließende Fund eines größeren Waffenlagers sowie eines rechtsextremistischen Manifests. Die Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main ermittelte wegen des Verdachts der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat, der Volksverhetzung, des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen sowie wegen möglicher Verstöße gegen das Waffengesetz, das Kriegswaffenkontrollgesetz und das Sprengstoffgesetz. Alle drei Personen befanden sich seitdem in Untersuchungshaft. Die ermittelnde Staatsanwaltschaft erhob mittlerweile bei der Staatsschutzkammer des Landgerichts (LG) Frankfurt am Main Anklage gegen die drei Beschuldigten. Festnahme eines mutmaßlichen Rechtsterroristen | Am 16. September nahm die Polizei in Spangenberg (Schwalm-Eder-Kreis) den 20jährigen Marvin E. fest. Bei einer Durchsuchung stellte die Polizei rund 600 selbstgebaute Kleinsprengkörper sowie sechs unkonven70 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 RECHTSEXTREMISMUS tionelle Sprengund Brandvorrichtungen (USBV) sicher. Auf der Festplatte des Festgenommenen befand sich eine Art Manifest, in dem er sich gegen den Bestand der Bundesrepublik Deutschland wendete und zum totalen "Rassenkrieg" aufrief. Am 31. März 2022 erhob die Bundesanwaltschaft vor dem Staatsschutzsenat des OLG Frankfurt am Main Anklage gegen Marvin E. Er wurde des Versuchs beschuldigt, eine terroristische Vereinigung zu gründen und eine schwere staatsgefährdende Gewalttat vorzubereiten. Zudem soll er gegen das Waffenund das Sprengstoffgesetz verstoßen haben. Marvin E. habe, so die Bundesanwaltschaft, die Ideologie der Atomwaffendivision (AWD) geteilt. Die in den Vereinigten Staaten von Amerika (USA) gegründete Gruppierung habe weltweit Ableger, wobei deren Anhänger eine rassistische, antisemitische und nationalsozialistische Weltanschauung verträten. Ziel sei es, einen "Rassen"und Bürgerkrieg zu beginnen, um die angebliche Verdrängung der "weißen Bevölkerung" zu verhindern. Alle in der "westlichen" Welt lebenden Juden, Muslime - allgemein Personen, die nicht dem Weltbild der AWD entsprächen - sollten getötet werden. Durch Anschläge und Morde auf diese Bevölkerungsgruppen sowie Politiker, Amtsträger oder staatliche Einrichtungen solle die freiheitliche demokratische Grundordnung destabilisiert und so das Ziel einer rechtsextremistischen Herrschaftsform erreicht werden. PARTEIUNABHÄNGIGE BZW. PARTEIUNGEBUNDENE STRUKTUREN Identitäre Bewegung Deutschland e. V. (IBD)/Identitäre Bewegung Hessen (IBH) DEFINITION/KERNDATEN Logo der Die IBD präsentiert sich "modern", "intellektuell" und aktionsIdentitären Bewegung orientiert und ahmt in ihrer Bildsprache und in ihren AktionsDeutschland formen den Stil "linker" Protestbewegungen nach. Hierzu verwendet die IBD Elemente der Popkultur und führt Flashmobs, Bundesvorsitzender: Philip Thaler Besetzungen sowie Sprüh-, Banner und Stickeraktionen durch. Ty(Sachsen-Anhalt) pisch rechtsextremistische bzw. nationalsozialistische Begriffe wie etwa "Volksgemeinschaft" und "Rasse" gehören nicht zum VokabuMitglieder: lar der IBD. Stattdessen verwendet sie Chiffren wie "Identität" und In Hessen etwa 60, bundesweit etwa 500 "Ethnie". Damit versucht die IBD mittels ihrer Selbstdarstellung in den sozialen Medien und mit Hilfe medienwirksamer Aktionen, insMedien: besondere internetaffine Jugendliche und junge Erwachsene zu geInternetpräsenzen winnen, um eine neue völkische Jugendkultur bzw. politische Strö- \ Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 71 RECHTSEXTREMISMUS mung zu etablieren. Vor allem über die direkte Kommunikation in den sozialen Medien, die nicht auf die traditionelle Berichterstattung und Kommentierung von Fernsehen, Radio und Printmedien (auch im Internet) angewiesen ist, versucht die Identitäre Bewegung (IB), Begriffe und Inhalte neu und scheinbar unverfänglich zu definieren und damit auch Personen außerhalb der rechtsextremistischen Szene anzusprechen. So sagte ein Vertreter der IB: "Wir haben die Gesetze des Marketings, der Sozialen Medien, und des Gesellschaftsspektakels verstanden. Wir gießen diese Erkenntnisse in überraschende, aber verständliche Aktionen. Wir sprechen die Sprache der Jugend und erzeugen die Bilder, die die Mediengesellschaft versteht". (Schreibweise wie im Original.) EREIGNISSE/ENTWICKLUNGEN Hatten die Aktivitäten der IBH 2020 deutlich zugenommen, so gingen sie im Berichtsjahr leicht zurück. Über einzelne Aktionen veröffentlichte die IBH Berichte mit Fotos auf ihrem Telegram-Kanal. Auf diese Weise versuchte sie nicht nur, neue Angehörige zu werben, sondern auch die eigenen Aktivisten zu motivieren. Im Berichtsjahr gab es zudem Hinweise auf eine mögliche strategische Neuausrichtung der IB. So wurde in einem Online-Artikel einer österreichischen Publikation aus dem Spektrum der Neuen Rechten gefordert, die IB solle sich künftig in Form von anonym agierenden, lokalen Aktionsgruppen organisieren. Im Berichtszeitraum wurden bereits erste Ansätze für ein derartiges Vorgehen bei der IBD und der IBH festgestellt. AUF EINEN BLICK * "Great Reset stoppen" * Asylund Migrationspolitik als Agitationsschwerpunkte * "Gedenkaktion" zum Volkstrauertag * Proteste gegen Verbote in Frankreich und Österreich * "Grenzgänger"-Kampagne * Strategische Neuausrichung * "Alpenlager 2021" * Publikationen "Great Reset stoppen" | Die IBD teilte am 5. Februar auf Telegram einen Beitrag der IB-Regionalgruppe Rheinland-Pfalz, wonach Aktivisten eine Flyerund Banneraktion in Neuwied (Rheinland-Pfalz) durchgeführt hatten. Die Flyer und das Banner trugen die Aufschrift "Great Reset stoppen". In dem Beitrag warnte die IB vor einem vom World Economic Forum (WEF) angeblich erdachten Plan, der bald "finstere Realität" werde: Durch eine "Gesetzgebung von oben" sollen "glo72 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 RECHTSEXTREMISMUS bale Gleichheit" und "Gerechtigkeit" hergestellt und durch "Umverteilung und Migration" die "ungleichen" Menschen "gleich" gemacht werden. Der "Great Reset" strebe, so die IBD, einen "Transhumanismus mittels der Verschmelzung körperlicher, physischer und digitaler Identität" an. Die IBD als "freiheitsliebende Patrioten" und "Verfechter des ethnopluralistischen Gedankens" würden solche "Bestrebungen" entschieden ablehnen. Weitere Aktionen von Regionalgruppen der IB gegen den "Great Reset" fanden im Berichtszeitraum auch in Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern statt, eine Beteiligung der IBH wurde nicht bekannt. Beim "Great Reset" handelt es sich um ein im Zuge der COVID-19Pandemie entstandenes und bei Teilen der Gegner der "CoronaMaßnahmen" populäres Verschwörungsnarrativ, das auf dem gleichnamigen Buch des WEF-Vorsitzenden Klaus Schwab basiert. Dieser sah in der Pandemie eine Gelegenheit, um soziale, wirtschaftliche und umweltpolitische Missstände zu beheben. Die Aussagen im Buch sowie weitere Verlautbarungen führender Persönlichkeiten aus Politik, Gesellschaft und Wirtschaft führten Anhänger des Verschwörungsnarrativs "The Great Reset" im Berichtsjahr als vermeintlichen Beweis dafür an, dass "Eliten" die Pandemie entweder erfunden oder zumindest instrumentalisiert haben, um eine globalisierte Diktatur zu errichten, in welcher der Bevölkerung die Freiheitsrechte entzogen werden sollen. Neben der Ideologie des "Ethnopluralismus" waren weitere von der IB propagierte Verschwörungsnarrative wie "Der Große Austausch" potenziell anschlussfähig an die Erzählung vom "Great Reset". So zeigten IB-Angehörige bei einer Demonstration gegen die "CoronaMaßnahmen" in Chemnitz (Sachsen) ein Transparent mit der Aufschrift "Großer Austausch, Great Reset - Stoppt den Globalistendreck". Die IBH beteiligte sich im Kontext der "Corona-Proteste" mit einer Banneraktion unter dem Motto "Heimatschutz statt Mundschutz" an einer Demonstration am 27. November in Frankfurt am Main. Weitere Aktionen, Veranstaltungen und Teilnahmen an Demonstrationen der IBH im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie wurden im Berichtszeitraum nicht festgestellt. Asylund Migrationspolitik als Agitationsschwerpunkte | Auf ihren Internetpräsenzen konzentrierte sich die IBH weiterhin auf den Protest gegen die Migrationsund Asylpolitik und führte wie in den Vorjahren entsprechende Flyerund Plakataktionen sowie "Gedenkveranstaltungen" durch, so etwa am 23. Mai in Wiesbaden, wo eine Jugendliche 2018 durch einen Flüchtling ermordet worden war. In Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 73 RECHTSEXTREMISMUS Trauerbekleidung brachten IBH-Aktivisten in der Nähe des Tatorts eine "Gedenktafel" und ein Plakat an und stellten ein Kreuz sowie Kerzen auf. Die an einem Baum befestigte "Gedenktafel" trug die Überschrift "Wann haften Politiker für ihre Flüchtlinge? Euer Versagen kostet Leben!" Ein darunter aufgehängtes Plakat hatte die Aufschrift "Drei Schritte für unsere Sicherheit - Sichere Grenzen, Hilfe vor Ort, Remigration". In dem auf ihrem Telegram-Kanal veröffentlichten Beitrag schrieb die IBH, dass der Täter unter falschem Namen und ohne Ausweispapiere nach Deutschland gekommen sei: "Im selben Jahr [2016] wurde sein Asylgesuch negativ entschieden, wogegen er klagte und seinen Aufenthalt somit verlängern konnte. [...] Während Medien und Politik Vorfälle dieser Art verharmlosen und zu vergessen versuchen, gedenken wir den Opfern der desaströsen Migrationspolitik". Vom Bundesgerichtshof (BGH) letztinstanzlich 2020 bestätigt, hatte das LG Wiesbaden den Flüchtling 2019 zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe wegen Mordes und Vergewaltigung verurteilt und dabei die besondere Schwere der Schuld festgestellt, womit eine vorzeitige Entlassung frühestens nach 15 Jahren ausgeschlossen und eine Sicherheitsverwahrung vorbehalten sind. Eine weitere "Gedenkveranstaltung" führten Aktivisten der IBH am 29. Juli in Frankfurt am Main durch, wo sie im Hauptbahnhof eine "Gedenktafel" anbrachten und Blumen niederlegten. Ein Mann aus Eritrea, der seit vielen Jahren in der Schweiz lebte, hatte 2019 einen Jungen und dessen Mutter vor einen einfahrenden Zug gestoßen. Während sich die Mutter retten konnte, starb der Junge. Das LG Frankfurt am Main bewertete die Tat als Mord, versuchten Mord mit gefährlicher Körperverletzung sowie als gefährliche Körperverletzung, hielt den Täter aber wegen einer Erkrankung für schuldunfähig und ordnete dessen dauerhafte Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an. Auf dem Telegram-Kanal der IBH hieß es: "Trotz aller Ignoranz seitens der verantwortlichen Politiker sind die Opfer migrantischer Gewalt nach wie vor unvergessen!" Zum Jahrestag des islamistischen Terroranschlags vom 13. November 2015 in Paris (Frankreich) führten IBH-Aktivisten eine "Gedenkaktion" in Darmstadt durch, über die sie ein Video mit dem Titel "Nie wieder 2015" auf ihrem Telegram-Kanal veröffentlichten. In dem Beitrag waren sechs Personen zu sehen, die Bilder der Opfer verteilten. "Nie wieder 2015" war eine bundesweite Kampagne der IBD aus dem Jahr 2020, in der sie versuchte, die aus Erfahrungen mit der Flüchtlingskrise 2015 in Teilen der Bevölkerung entstandenen 74 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 RECHTSEXTREMISMUS Ängste in Bezug auf Migration weiter zu schüren und für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. "Gedenkaktion" zum Volkstrauertag | Am 14. November legten Aktivisten der IBH zu Ehren der "gefallenen Soldaten des Zweiten Weltkrieges" einen Kranz mit der Aufschrift "Unvergessen IB Hessen" auf einem nicht näher bekannten Friedhof nieder, reinigten nach eigenen Angaben Gräber und zündeten Kerzen an. Über die Aktion veröffentlichte die IBH einen bebilderten Beitrag auf ihrem TelegramKanal. Proteste gegen Verbote in Frankreich und Österreich | Die IBH veröffentlichte am 20. Februar einen Beitrag auf ihrem Telegram-Kanal, wonach "Identitäre Aktivisten aus Hessen" in Paris (Frankreich) an einer Protestkundgebung gegen das Verbot der französischen Generation Identitaire, der Ursprungsgruppierung der IB, teilgenommen hatten. Ferner beteiligten sich IBH-Angehörige an einer von Aktivisten der IBÖ organisierten Demonstration am 31. Juli in Wien gegen die Änderung des Symbole-Gesetzes und des damit einhergehenden Verbots der Symbole der IBÖ. Auf ihrem Telegram-Kanal hatte die IBH zuvor einen Demonstrationsaufruf verbreitet und geschrieben, den "Widerstand vor Ort tatkräftig [...] unterstützen" zu wollen. "Grenzgänger"-Kampagne | Vor dem Hintergrund der von Belarus an der Grenze zu Polen verursachten Flüchtlingskrise rief die IBD seit Oktober unter dem Motto "Wir halten Wacht!" dazu auf, "Grenzwanderungen" an der deutsch-polnischen Grenze durchzuführen und "verdächtige Entwicklungen" in Form von illegalen Grenzübertritten der "Polizei und lokalen Politikern" zu melden. Dabei stellte die BPol in Sachsen einen Aktivisten der IBH im November bei einer solchen "Grenzwanderung" an der deutsch-polnischen Grenze fest. Strategische Neuausrichung | In einem am 25. August auf einer österreichischen Internetseite erschienenen Artikel ("Identitäre Bewegung: Rückblick, Kritik, Ausblick"), welcher der Neuen Rechten zuzuordnen ist, wurde gefordert, dass sich die IB ein neues Gesicht und neue Strukturen geben müsse. Im Berichtszeitraum wurde die in dem Beitrag angemahnte strategische Neuausrichtung der IB in Hessen und in anderen Bundesländern bereits partiell umgesetzt. Der Artikel wollte die Gründe analysieren, warum es der IB derzeit nicht gelinge, an den "Höhenflug der Jahre nach 2015" anzuknüpfen. Als "erste aktive Jugendbewegung" habe die IB einen "Bruch mit dem historisch gescheiterten und politisch verbrannten NS-Erbe" vollzogen und sich - so die Sichtweise des Verfassers - mit dem "naHessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 75 RECHTSEXTREMISMUS tionalkonservativen Lager", das heißt dem Spektrum der Neuen Rechten, verbündet. Dabei habe man den "unverzichtbare[n] Kern rechter Ideen und Forderungen - Volk und Nation als die zentralen gemeinschaftsbildende[n] Kategorien der menschlichen Existenz und Ausdruck der ethnokulturellen Identität" bewahrt. Diese ",kopernikanische Wende' im rechten Widerstand" habe einer "patriotischen Widerstandsbewegung erstmals den Zugang zum Volk" eröffnet, so der Artikel, unter anderem durch "aufwändig geplante, herausfordernde und spektakuläre Aktionen, die immens zur Popularisierung und damit zur Gewinnung neuer Aktivisten" beigetragen hätten. Die IBÖ sei dagegen vor allem wegen des an sie gerichteten Vorwurfs des Rechtsterrorismus im Zusammenhang mit dem Attentat in Christchurch (Neuseeland), ihres Verhaltens während der staatlichen "Repression" in Österreich sowie wegen ihrer zentralen und starren Strukturen "fast ausgemerzt" worden. Vor diesem Hintergrund forderte der Autor des Artikels eine drei Punkte umfassende Reform der IB, die in Österreich bereits erste Formen annehme und auch in Deutschland greifen müsse, wenn hier die ",Repressions-Akzeleration' ihre Geschwindigkeit" beibehalte: * Die Identitäre Bewegung benötige einen neuen Stil: "Einheitliche Kleidung mit Wiedererkennungswert", um "dynamisch, schneidig und urban", nicht aber "militant oder subkulturell" zu wirken. Damit sei man "provokant und anschlussfähig zugleich". Die Aktionen und Videos sollten weniger spektakulär ausfallen und sich zu ",mob-artigen', präzise geplanten Interventionen" entwickeln. * Die Aktivisten sollten bei ihren Aktionen Masken tragen, um das "Outing, ebenso aber auch die schikanöse und ungerechtfertigte Strafverfolgung" zu erschweren: "Auch ohne Lambdafahnen und offenen Visagen rechnet die Presse, sofern man ihr Schweige-Embargo durchdringt, die unverkennbaren Aktionen ,den Identitären' zu". * Die zentrale Struktur und "durchnummerierte Ortsgruppen" sollten zugunsten lokaler Bewegungen ohne Namen und ohne "konkrete Gruppenidentität" aufgegeben werden. So könnten "gegenkulturelle lokale Zentren" entstehen: "Der Aufbau eigener Freiräume, die Schulung, der Sport und die Gemeinschaftsbildung sind der Nährboden für eine rechte Gegenkultur [...]. Das notwendige seriöse, teils biedere Auftreten und die Vereinsmeierei ist Gift für Gegenkultur und die Geburt eines Mythos. Die unverzichtbaren Aufgaben einer Bürgerbewegung -- Infotische, Demos, Massenorganisation, Fundraising, - werden von anderen Bewegungen, Zentren und Vereinen erfüllt". Vor dem Hintergrund dieser strategischen Neuausrichtung gründeten sich im Berichtszeitraum in den sozialen Medien Gruppierungen 76 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 RECHTSEXTREMISMUS wie Aktives Hessen und Hessenbande. Entsprechend der in dem Artikel "Identitäre Bewegung: Rückblick, Kritik, Ausblick" vorgegebenen Handlungsmaxime waren auf den durch diese Gruppierungen veröffentlichten Bildern einheitlich gekleidete und mit Gesichtsmasken vermummte Personen zu sehen. Dies traf auch auf IBHAktivisten bei einer Demonstration gegen die "Corona-Maßnahmen" am 27. November in Frankfurt am Main zu. Darüber hinaus trugen die Personen ein Banner mit der Aufschrift "Heimatschutz statt Mundschutz" mit sich. Die IBH bekannte sich zu der "Aktion" auf ihrem Telegram-Kanal, allerdings gab es in den sozialen Medien auch Beiträge, in denen ein Aktivist selbst die Teilnehmer als "Hessenbande" bezeichnete. Die IBD änderte zudem am 17. September ihr Logo auf ihrem Tele- V gram-Kanal von dem schwarzen Lambda ( ) auf gelbem hin zu einem weißen Lambda auf schwarzem Hintergrund. Außerdem stand unter dem Logo "Identitäre Generation" statt zuvor "Identitäre Bewegung", wenngleich der Telegram-Kanal weiterhin "Identitäre Bewegung Deutschland" hieß. "Alpenlager 2021" | Anfang August veranstaltete die IBD wie im Vorjahr ein Sommerlager, das dieses Mal als "Alpenlager" bezeichnet wurde und an dem gemäß eigenen Angaben etwa 50 Personen - darunter auch Aktivisten der IBH - teilnahmen. Laut einer Einstellung auf Telegram hätten sie sich unter dem Motto "Immer nach vorn" und mit Bezug auf das Leitthema "Indoeuropa" auf die "Suche nach den kulturellen Wurzeln Europas" begeben. Veröffentlicht wurde der Bericht auf den Internetpräsenzen der Plattform Aktionsmelder, für die wiederum über die IB-Internetseiten geworben wurde. Gemäß Eigenangaben handelte es sich bei der Plattform um eine "journalistische Ergänzung zu klassischen Infoseiten, Online-Zeitungen und Videoportalen". Man biete an, "Mißstände[n] im gesellschaftlichen Leben friedlich und gewaltfrei" ein Bild zu geben sowie "Berichte, Bilder und Videos zu veröffentlichen". Dabei publizierte die Plattform Aktionsmelder ausschließlich Beiträge über Aktionen der IB und ihr zuzurechnende Aktionen. Das Verfahren, Berichte über dezentrale, anonyme Aktionsblogs zu verbreiten, entspricht wiederum den im Artikel "Identitäre Bewegung: Rückblick, Kritik, Ausblick" empfohlenen Handlungsanweisungen. Auf dem YouTube-Kanal der Plattform Aktionsmelder wurde zudem ein Video zum "Alpenlager 2021" veröffentlicht, in dem die überwiegend einheitlich bekleideten Teilnehmer Ganzkörperund Kampfsportübungen durchführten sowie Vortragsveranstaltungen und einen Fahnenapell abhielten. Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 77 RECHTSEXTREMISMUS Publikationen | Hatte die IBD im August 2018, im Juli 2019 und im Oktober 2020 insgesamt drei Ausgaben ihres Magazins "Das Sind Wir" veröffentlicht, war im Berichtszeitraum keine weitere Ausgabe festzustellen. ENTSTEHUNG/GESCHICHTE Die IBD betrachtet sich als Ableger der IBÖ, die wiederum aus dem 2003 in Frankreich entstandenen Bloc Identitaire - Le mouvement social europeen, der späteren Generation Identitaire (GI), hervorgegangen war. In der IBÖ sieht die IBD ein "Vorbild". AUF EINEN BLICK * Ursprung in Frankreich * IB in Deutschland Ursprung in Frankreich | Die "erste größere Aktion" der GI - so ihre eigene Einschätzung - fand im Oktober 2012 statt, als rund 70 Jugendliche in Poitiers (Frankreich) eine Moschee im "Kampf für unsere Identität" besetzten und dies in einem später im Internet verbreiteten Video wie folgt rechtfertigten: "Es ist fast 1300 Jahre her, als Karl Martell die Araber bei Poitiers nach einem heroischen Kampf aufhalten konnte und so unser Land vor den muslimischen Invasoren gerettet hat. Es war der 25. Oktober 732. Heute sind wir im Jahr 2012 und die Wahl ist immer noch die gleiche: Frei zu leben oder zu sterben. Unsere Generation weigert sich, seine Menschen und seine Identität in Gleichgültigkeit aufzugeben, wir werden nie zu den Indianern Europas werden". Ebenfalls im Oktober 2012 erschien auf YouTube das GI-Video "Kriegserklärung - Identitäre Generation". Darin hieß es unter anderem: "Wir sind die Generation der ethnischen Spaltung, des totalen Scheiterns des Zusammenlebens und der erzwungenen Mischung der Rassen. Wir sind die doppelt bestrafte Generation: dazu verdammt in ein Sozialsystem einzuzahlen, das so großzügig zu Fremden ist, dass es für die eigenen Leute nicht mehr reicht. Unsere Generation ist das Opfer der 68er, die sich selbst befreien wollten von Tradition, von Wissen und autoritärer Erziehung. [...] Unser Erbe ist unser Blut, unsere Identität". IB in Deutschland | Nach der Veröffentlichung des Videos, das sich europaweit rasch in verschiedenen Sprachen (mit Untertiteln) ver78 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 RECHTSEXTREMISMUS breitete, wurden auch in Deutschland Anhänger der IB aktiv, zunächst "virtuell" im Internet, dann aber auch zunehmend "real", indem sich regionale Gruppen bildeten. Anfang Dezember 2012 fanden sich deutsche Anhänger der IB zu ihrem ersten bundesweiten, konstituierenden Treffen in Frankfurt am Main zusammen, unter ihnen auch Vertreter aus Österreich und Italien. In Hessen trat die IB seit Ende 2012 mit Plakatund Aufkleberaktionen öffentlich in Erscheinung. Im April 2014 fand in Fulda (Landkreis Fulda) ein Treffen statt, das der weiteren Vernetzung diente. In der Folge gründete sich im Mai 2014 in Nordrhein-Westfalen der Verein Identitäre Bewegung Deutschland e. V. mit dem Ziel, die "Identität des deutschen Volkes als eine eigenständige unter den Identitäten der anderen Völker der Welt zu erhalten und zu fördern". IDEOLOGIE/ZIELE Indem die IB von "Ethnopluralismus" spricht, stellt sie - in ihrem Kampf gegen den vermeintlichen "großen Austausch" - "kulturelle Eigenheiten" und die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Ethnie über die in der freiheitlichen demokratischen Grundordnung verankerten Werte. AUF EINEN BLICK * "Ethnopluralismus" - "Ethnokulturelle Identität" * "Der große Austausch" * Symbolik des griechischen Buchstabens Lambda ( ) V * Angebliches Recht auf "Widerstand" "Ethnopluralismus" - "Ethnokulturelle Identität" | Die IBD betont die dominierende Bedeutung von Abstammung und Identität und steht damit in der Nähe zur völkischen Ideologie von Rechtsextremisten. Den Menschen nimmt die IBD nicht primär in seiner Individualität, sondern vorrangig in Bezug auf seine ethnische Herkunft wahr. Hierzu hieß es auf der Homepage der IBD: "Die entscheidenden Fragen des 21. Jahrhunderts werden vor allem auf dem Feld der Identitätspolitik gestellt werden. Dabei müssen wir als patriotische Europäer unweigerlich zur Kenntnis nehmen, dass sich die demographischen Verhältnisse zu Ungunsten der einheimischen Bevölkerung entwickeln und uns ohne ein politisches Umdenken zahlreiche ethnische, kulturelle und religiöse Konflikte erwarten". Die IBD rekurriert mit ihrem Konzept des "Ethnopluralismus" nicht auf die Vordenker des "klassischen" Rechtsextremismus. Im Gegensatz zu diesen vertritt die IBD die Auffassung, dass es auf die UnterHessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 79 RECHTSEXTREMISMUS schiedlichkeit der Ethnien im kulturellen Sinne ankomme. Diese "kulturellen" Eigenarten - im Jargon der IBD die "Identität" - gelte es durch eine größtmögliche Trennung der verschiedenen Ethnien zu erhalten. Ethnopluralisten geben vor, dabei keine Unterscheidung nach der Wertigkeit einer Ethnie vorzunehmen, was sie vordergründig von den im Rechtsextremismus vorherrschenden rassistischen Ideologien abhebt. Nach eigenen Worten erteilt die IBD "Rassismus und Chauvinismus eine klare Absage, da es uns stets um die Betonung des Rechts auf Bewahrung der Identität für jedes Volk und jede Kultur geht und wir eine qualitative Aufoder Abwertung einer bestimmten ethnokulturellen Gemeinschaft klar ablehnen". Es gelte gleichwohl, so die IBD, die eigene Kultur zu bewahren, da sie das eigene Dasein maßgeblich ausmache. In dem mehrteiligen Artikel "Nationalismus revisited" wird hierzu aufgeführt: "Ja, wir stehen für den Erhalt unserer ethnokulturellen Identität, gegen Masseneinwanderung, gegen die Lüge von ,Menschheit und Weltstaat', für den Erhalt der Völker, der Wurzeln, der Herkunft und der Heimat, aber Nein, wir sind keine Nationalisten". (Schreibweise wie im Original.) "Der große Austausch" | Mit dem Begriff "Der große Austausch" bezeichnet die IBD den angeblichen "Prozess, durch den die einheimische Bevölkerung durch außereuropäische Einwanderer verdrängt und ausgetauscht werde". Nach Ansicht der IBD wird diese schrittweise Verdrängung durch die "Selbstabschaffungsideologie von Multikulti, die einen Großteil des gesellschaftlichen Entscheidungsbereichs einnimmt", hervorgerufen, wodurch die einheimischen europäischen Bevölkerungen zur "Minderheit in den eigenen Ländern" würden und letztlich "völlig verschwunden sein werden". V Symbolik des griechischen Buchstabens Lambda ( ) | In ihrer Bildsprache verwendete die IBD im Internet, bei Veranstaltungen sowie auf Flyern, Aufklebern und Merchandiseartikeln den griechischen Buchstaben Lambda, der durch die Comicverfilmung "300" aus dem Jahr 2006 einem breiten Publikum bekannt geworden ist. Der Film glorifiziert das antike Sparta und den letztlich aussichtlosen Verteidigungskampf von 300 Spartanern (Lakedaimoniern) gegen die Übermacht der Perser in der Schlacht bei den Thermopylen (480 v. Chr.). In vielfachen Variationen zeigt der Film bewaffnete und kämpferischentschlossene Spartaner im Kampf gegen persische Angreifer. Die IBD identifiziert sich mit dieser Bildsprache und sieht sich in ihrem "Abwehrkampf" in der Tradition der Spartaner. In einem mittlerweile im Internet gelöschten Video erklärte die IBD in Bezug auf den Buch80 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 RECHTSEXTREMISMUS staben Lamdba, der in der Comicverfilmung "300" das Schild der Spartaner schmückt: "Das Lambda, gemalt auf den Schildern stolzer Spartaner, ist unser Symbol. [...] Wir werden nie zurückweichen, niemals aufgeben! Glaubt nicht, das hier wäre einfach nur ein Manifest, es ist eine Kampfansage an diejenigen, welche ihr Volk, ihr Erbe, ihre Identität und ihr Vaterland hassen und bekämpfen! Ihr seid von gestern, wir sind von Morgen!" Die Orientierung der IBD an Sparta, das "bis heute [...] als Inbegriff eines schon in der Frühzeit gesetzlich streng regulierten und rein militärisch ausgerichteten Staates" (Lukas Thommen, 2017) gilt, ist daher keine vordergründige Symbolik. Die Bildsprache, insbesondere die Verwendung des Buchstabens Lambda, steht für Anschauungen der IB, die nicht mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung vereinbar sind. Angebliches Recht auf "Widerstand" | Nach Auffassung der IBD sei aufgrund der derzeitigen Lage in Deutschland "eindeutig" der Widerstandsfall nach Art. 20 Abs. 4 GG eingetreten. Das Recht auf Widerstand rechtfertige in der jetzigen Situation zivilen Ungehorsam, jedoch keine Gewalt. In diesem Kontext scheut die IBD nicht davor zurück, an die Akteure der Weißen Rose als vermeintlich historische Vorbilder zu erinnern. Dabei hebt die IBD insbesondere auf den gewaltfreien Widerstand der Weißen Rose gegen das nationalsozialistische Gewaltund Terrorregime ab, der sich 1942/43 unter anderem mittels Flugblattaktionen artikuliert hatte, eine Aktionsform, auf die auch die IBD immer wieder zurückgreift. STRUKTUREN Die IBD gliedert sich laut ihrer Homepage bundesweit in 16 Regionalgruppen, wobei nicht jede Gruppe sowohl im Internet als auch "real" existierte. Eine dieser Regionalgruppen war die IBH. In Hessen gab es mehrere Ortsgruppen der IB, die unter anderem in Frankfurt am Main, Gießen (Landkreis Gießen), Kassel, Marburg (Landkreis Marburg-Biedenkopf), Darmstadt und Fulda (Landkreis Fulda) aktiv waren. BEWERTUNG/AUSBLICK Die IBH versuchte ihre fremdenfeindliche und volksbezogene Ideologie weiter in die Mitte der Gesellschaft zu tragen. Hierbei bediente sie sich der dramatischen Inszenierung von "GedenkveranHessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 81 RECHTSEXTREMISMUS staltungen", um diese für die eigenen Belange zu instrumentalisieren. Diese Aktionen zielten darauf ab, Stimmung gegen Flüchtlinge und Migranten zu machen, diese pauschal als mordende und integrationsunfähige Invasoren zu verunglimpfen und dadurch Ressentiments innerhalb von Teilen der Bevölkerung zu schüren und den gesellschaftlichen Diskurs zu emotionalisieren. Ferner versuchte die IBH, staatliche Vertreter und Organe sowie die Medien als die eigentlich Schuldigen für die Taten zu brandmarken. Gemäß der Darstellung der IBH habe die "desaströse" Migrationspolitik der Regierenden die Taten erst ermöglicht, während die Strafverfolgungsbehörden und die Medien die Täter angeblich schützten bzw. die Taten verharmlosten. Ziel der IBH ist es, auf diese Weise das Vertrauen der Bevölkerung in die staatlichen Institutionen und die Medien nachhaltig zu erschüttern und dadurch eine Anschlussfähigkeit für ihre rechtsextremistische Ideologie zu ermöglichen. Wie bereits im Vorjahr propagierte die IBD mittels des Videos zum "Alpenlager 2021" das Ideal des "archaischen Kämpfers". Erneut legte der Beitrag den Fokus auf Kampfund Selbstverteidigungstrainings und nahm Anleihen an der martialischen und pathetischen Bildsprache des Nationalsozialismus. Die IBD versteht sich zwar weiterhin als gewaltlose Jugendbewegung, allerdings legt die schwerpunktmäßige Darstellung der Kampfsportübungen nahe, dass sie gegenüber dem politischen Gegner eine gewisse Wehrhaftigkeit zur Schau stellen will. Neben dem Löschen von Präsenzen der IB in den sozialen Medien (wie letztmalig 2020 durch Twitter geschehen), waren die staatlichen Verbotsmaßnahmen in Frankreich und Österreich einen Rückschlag für die IB. Daraus leitete ein im Internet erschienener, offenbar dem Spektrum der Neuen Rechten zuzuordnender Beitrag tiefgreifende Überlegungen hinsichtlich einer Umgestaltung der IBÖ ab. Aufgrund des Vorbildcharakters der IBÖ für die IBD ist davon auszugehen, dass diese Neuausrichtung auch in Deutschland umgesetzt werden wird. In Hessen gab es hierfür im Berichtszeitraum erste Anzeichen. Inwieweit sich diese Strukturen verfestigen, die IBH ersetzen oder parallel zur IBH existieren werden, wird seitens des LfV genau beobachtet. Während andere Regionalgruppen der IBD versuchten, die Protestdynamik in Bezug auf die "Corona-Maßnahmen" für ihre Zwecke - insbesondere durch die Verbreitung des Verschwörungsnarrativs des "Great Reset" zu nutzen, konnte dies in Bezug auf die IBH nur vereinzelt festgestellt werden. Die von der IBD ausgehende Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung besteht unverändert, insbesondere da sie sich 82 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 RECHTSEXTREMISMUS nach wie vor als elitär-intellektuelle Impulsgeberin versteht und dementsprechend präsentiert, wodurch sie auch weiterhin eine Anziehungskraft auf Jugendliche und junge Erwachsene entfaltet. Dadurch, dass die IBD behauptet, der "letzten Generation" anzugehören, die den "Untergang Europas" aufhalten könne, und sie in diesem Zusammenhang von einer "Kampfansage" spricht, will sie ein Klima des vermeintlich legitimen Widerstands schaffen. Der Fall des australischen Rechtsterroristen, der sich bei seinem Anschlag in Christchurch (Neuseeland) in seinem "Manifest" unter anderem auf das von der IBD propagierte Verschwörungsnarrativ des "Großen Austauschs" berufen hatte und Kontakte zur IBÖ unterhalten haben soll, zeigt, dass die von der IBD verbreitete Ideologie dazu geeignet ist, Radikalisierungsprozesse zu fördern und schwerste Gewalttaten zu legitimieren. Sonstige parteiunabhängige Strukturen Thule-Seminar e. V. Das 1980 von dem Rechtsextremisten Dr. Pierre Krebs gegründete Thule-Seminar e. V. mit Sitz in Kassel versteht sich als "Forschungsund Lehrgemeinschaft für die indoeuropäische Kultur". Der Vereinsname orientiert sich an der historischen Thule-Gesellschaft, einem im August 1918 gegründeten "Geheimbund". Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs und dem Untergang des Kaiserreichs (November 1918) existierte dieser bis zu seiner Löschung aus dem Vereinsregister im Jahr 1932. Ähnlich dem heutigen Thule-Seminar e. V. sollte die Thule-Gesellschaft zur "Erforschung deutscher Geschichte und Förderung deutscher Art" dienen und vertrat einen aggressiven Antisemitismus. Ihre Mitglieder setzten sich überwiegend aus Akademikern, Aristokraten und Geschäftsleuten zusammen, darunter auch führende Nationalsozialisten wie etwa Rudolf Heß und Alfred Rosenberg. Als Zeichen der Thule-Gesellschaft fungierte ein Hakenkreuz mit Schwert. AUF EINEN BLICK * Ideologische Denkschule mit elitärem Selbstverständnis * "Ethnopluralismus" - "genetisches Reservoir" Ideologische Denkschule mit elitärem Selbstverständnis | Vergleichbar mit seinem historischen Vorbild ist es das Ziel des Thule-Seminars e. V., eine "geistig-geschichtliche Ideenschmiede für eine künftige Neuordnung aller europäischer Völker unter besonderer Berücksichtigung ihres biokulturellen und heidnisch-religiösen Erbes" zu sein. Dabei begreift sich das Thule-Seminar e. V. als ideologische DenkHessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 83 RECHTSEXTREMISMUS schule mit elitärem Selbstverständnis und verbreitete wie in den vorangegangenen Jahren insbesondere im Internet völkisch-rassistisches Gedankengut. Als Ideologe, Ideengeber und Vortragsredner versuchte Krebs, Wirkung in rechtsextremistischen Kreisen zu erzielen. So veröffentlichte er am 18. September auf der Homepage des Dritten Wegs einen Gastbeitrag mit dem Thema "Die Frau ist die Zukunft des Mannes". Ferner gab Krebs am 31. Oktober im Rahmen des vom Dritten Weg betriebenen Internetradios Revolution auf Sendung ein Interview. Die Ideologie des Thule-Seminars e. V. ist auf die Überwindung der bestehenden politischen Ordnung ohne das Aufzeigen demokratischer Alternativen gerichtet. So schrieb Krebs auf seiner Homepage: "Was sollten wir heute eigentlich bewahren? Die Werte und Denkhaltungen des Systems? Das hieße gerade das aufrechtzuerhalten, wogegen wir kämpfen! Wie lässt sich aber ein Diskurs, der eine radikale Abkoppelung vom System fordert, mit einem Diskurs vereinbaren, der die Quintessenz dieses Systems bestehen lassen will?" Im Rahmen einer durch den Dritten Weg veranstalteten Parteivorstellung im Oktober in Nordhessen trat Krebs als Redner auf und betonte in seinem etwa einstündigen Vortrag, dass "der Kampf gegen das Judäo-Christentum Aufgabe unserer Völker durch alle Zeiten hinweg bleibt. Mögen unsere Feinde auch viele Schlachten gewonnen haben, die Letzte gewinnen sie nicht". "Ethnopluralismus" - "genetisches Reservoir" | Bereits Anfang der 1980er Jahre hatte Krebs den gegenwärtig vor allem von der IB genutzten Begriff "Ethnopluralismus" verwendet. Im Hinblick auf den "Extremfall, dass Westeuropa durch den mörderischen Globalismus und die rassische Durchmischung zur Auflösung gebracht" werde, strebte Krebs das rein biologistisch-rassistische und an der nationalsozialistischen Ideologie orientierte Ziel an, ein "genetisches Reservoir zu schaffen". Dabei orientiert sich das Thule-Seminar e. V. in seiner ideologischen Ausrichtung an der Nouvelle Droite, einem Theoriezirkel französischer Rechtsextremisten, der ebenso wie die Mitglieder des Thule-Seminars e. V. ein "indogermanisches Heidentum" propagiert. Der Einfluss und die Anschlussfähigkeit des ThuleSeminars e. V. insbesondere an die Neue Rechte in Deutschland blieben jedoch gering. Das Thule-Seminar e. V. betrieb - neben seiner umfangreichen Homepage - unter anderem den Eigenverlag Ahnenrad der Moderne sowie den Buchund Kunstversand Ariadne. In diesem Zusammen84 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 RECHTSEXTREMISMUS hang mussten sich Krebs sowie zwei weitere Mitarbeiter wegen eines 2016 veröffentlichten Taschenkalenders vor Gericht verantworten. Darin war zu einem "Rachefeldzug" gegen die angeblich durch Masseneinwanderung und "Multikulturalismus" angestrebte "Ausrottung der Deutschen" aufgerufen worden. Ferner wurden Geflüchtete als "tödliche Bedrohung des schon in akute Gefahr geratenen Erbgutes unseres Volkes" sowie Mitglieder der Bundesregierung als "Rasseverächter und Rassevernichter" bezeichnet. Weiterhin fanden sich in dem Kalender den Nationalsozialismus verherrlichende sowie die deutsche Schuld in Bezug auf den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs leugnende Passagen. Das Verfahren war im Berichtsjahr noch anhängig. Recht und Wahrheit Die von dem Rechtsextremisten Meinolf Schönborn herausgegebene Zeitschrift Recht und Wahrheit, die dem intellektuellen Rechtsextremismus zuzuordnen ist, widmet sich laut eigener Aussage der "geistigen Pflege des deutschen Freiheitsgedankens" und will für das Recht des "deutschen Volkes auf freie Selbstbestimmung" eintreten. AUF EINEN BLICK * "Lesertreffen" * Veranstaltungsreihe "Kulturtage" - Sonnwendfeier "Lesertreffen" | Die in Recht und Wahrheit publizierten Artikel behandelten hauptsächlich gesellschaftliche, politische und historische Themen, wobei rechtextremistische, antisemitische und gebietsrevisionistische Thesen vertreten und propagiert wurden. Darüber hinaus fanden regelmäßig "Lesertreffen" statt. Daneben wirkte ein "Arbeitskreis" an der Gestaltung und Verbreitung der Zeitschrift mit. Sowohl die Teilnehmer der "Lesertreffen" als auch die Mitglieder des "Arbeitskreises" waren dem neonazistischen Spektrum, rechtsextremistischen Parteien sowie der Reichsbürgerund Selbstverwalterszene zuzurechnen. So strebten der Herausgeber und Angehörige der "Lesertreffen" die Wiederherstellung der Handlungsfähigkeit eines wie auch immer gearteten Deutschen Reichs an. Veranstaltungsreihe "Kulturtage" - Sonnwendfeier | Seit Ende 2020 bewohnte Schönborn ein ehemaliges Hotel in Wesertal (Landkreis Kassel), dessen Ausbau zu einem überregionalen und szeneübergreifenden Veranstaltungsort er auch im Berichtsjahr vorantrieb. So sollen inzwischen ein Versammlungsraum und Übernachtungsmöglichkeiten für die Veranstaltungsteilnehmer zur Verfügung stehen. Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 85 RECHTSEXTREMISMUS Dadurch könnte sich das Objekt als überregionale und über Hessen hinausgreifende Szeneörtlichkeit etablieren. Trotz der auch im Berichtsjahr bestehenden pandemiebedingten Einschränkungen etablierte Schönborn die Veranstaltungsreihe "Kulturtage" und führte in deren Rahmen Veranstaltungen mit verschiedenen, auch außerhessischen Referenten durch. So fanden im Juli und August Vorträge zu den Themen "Der Verfassungsschutz - Fälle, Muster und Methoden aus der Geschichte bundesrepublikanischen Schlapphutunwesens" sowie zur Geschichte der "Rechtsparteien" in Deutschland statt. Die "Kulturtage" erstreckten sich in der Regel über ein Wochenende, wobei die eigentliche Vortragsveranstaltung samstags stattfand. Neben den Vorträgen bot Schönborn ein Rahmenprogramm an, das unter anderem aus "Kameradschaftsabenden" bestand. Darüber hinaus führte Schönborn am 21. Juni auf seinem Anwesen eine Sommersonnwendfeier durch, was in erster Linie der Vernetzung und Kommunikation innerhalb der rechtsextremistischen Szene diente und die ideologische Schulung der Teilnehmer zum Ziel hatte. LOSE STRUKTURIERTER RECHTSEXTREMISMUS Neonazis DEFINITION/KERNDATEN Rechtsextremisten, die nach der Überwindung der GewaltAktivisten /Anhänger: In Hessen etwa 375 diktatur des Nationalsozialismus (1933-1945) dessen Ideologie in ihren inhaltlichen Zielsetzungen oder im Rahmen ihrer AktiMedien : vitäten zu verwirklichen versuchen, werden als Neonazis Internetpräsenzen bezeichnet. Zahlreiche neonazistische Organisationen sind verbo- / ten, Neonazis finden sich aber immer wieder in neuen Gruppierungen, Bündnissen und Plattformen zusammen. Zu rechtsextremistischen Parteien und zu subkulturell orientierten Rechtsextremisten und Skinheads unterhalten Neonazis, denen grundsätzlich eine Gewaltorientierung zuzuschreiben ist, enge Kontakte. Nahezu gleichmäßig erstreckte sich die Neonaziszene über ganz Hessen. 86 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 RECHTSEXTREMISMUS EREIGNISSE/ENTWICKLUNGEN Im Kontext der "Corona-Maßnahmen" führte die Neonaziszene deutlich weniger öffentlichkeitswirksame Propagandaaktionen als in den Jahren vor der COVID-19-Pandemie durch. Auch im Berichtsjahr nahmen Neonazis an Protesten gegen die "Corona-Maßnahmen" teil. In einzelnen Fällen bemühten sich Neonazis, Funktionen beim Organisieren von Protesten einzunehmen. Strukturell war die Szene wie in der Vergangenheit mehrheitlich durch lose miteinander verbundene Personen und einzelne regionale Gruppierungen geprägt. Nach wie vor bildeten das Internet und die sozialen Medien einen wichtigen Aktionsraum für die Neonaziszene, insbesondere indem sie auf anstehende "Corona-Proteste" hinwies. AUF EINEN BLICK * Gesamtüberblick * Combat 18 Deutschland (C 18 Deutschland) Gesamtüberblick | Vor dem Hintergrund der COVID-19-Pandemie und der damit einhergehenden "Corona-Maßnahmen" kam im Berichtsjahr den zentralen, organisationsübergreifenden Vernetzungsprotagonisten der Neonaziszene in Hessen eine in ihrer Bedeutung noch fundamentalere Schlüsselposition als in der Vergangenheit zu. Insbesondere galt es seitens dieser Akteure, die weniger gut integrierten Szeneangehörigen weiterhin an die Szene zu binden und Anschluss an das bundesweite Vernetzungsgeflecht aufrechtzuerhalten. Aufgrund der anhaltenden Pandemie fanden nur wenige Aktionen der Neonaziszene in der "realen Welt" statt. Im Rahmen von "CoronaProtesten" wurden auch im Berichtsjahr Teilnahmen von Neonazis aus Hessen festgestellt bzw. Versuche, nichtextremistische Proteste für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. Angesichts der "Corona-Maßnahmen" verlagerten sich im Berichtsjahr wie in den letzten Jahren die Aktivitäten der Neonaziszene zunehmend in den virtuellen Raum. So bedienten sich Neonazis vermehrt der Instrumentarien von Imagebords, Videound Gaming-Portalen, aber auch Messengerdiensten wie etwa Telegram. Aufgrund ihrer hohen Anonymität und teilweise fehlender inhaltlicher Regulation seitens der Betreiber dienten diese der Verbreitung rechtsextremistischer Ideologie. Entsprechende Nachrichten, Bilder, Memes und Videobotschaften wurden in kürzester Zeit einer hohen Anzahl von Empfängern zugänglich gemacht, darunter auch Personen, die bisher keine Berührungspunkte mit Rechtsextremismus hatten. Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 87 RECHTSEXTREMISMUS Combat 18 Deutschland (C 18 Deutschland) | Ursprünglich 1992 in England gegründet, setzt sich die Bezeichnung der Gruppierung aus dem Wort combat (dt. Kampf) sowie aus der Zahlenkombination 18, die für den ersten und achten Buchstaben des Alphabets steht, zusammen. Der Name Combat 18 kann demnach mit Kampf(truppe) Adolf Hitler übersetzt werden. Angehörige von C 18 Deutschland waren in mehreren Ländern - darunter Hessen - wohnhaft. Wie in der Vergangenheit beobachteten die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder C 18 Deutschland mit besonderer Aufmerksamkeit - auch vor dem Hintergrund der gewalttätigen Historie der englischen Gruppe in ihrer Anfangszeit. Vergleichbares war in Deutschland bislang nicht festzustellen. Dennoch setzte das LfV die intensive Beobachtung der grundsätzlich gewaltbereiten und waffenaffinen rechtsextremistischen Organisation fort, um mögliche Radikalisierungstendenzen frühzeitig zu erkennen und die Strafverfolgungsbehörden rechtzeitig einzubinden. Am 23. Januar 2020 verbot der Bundesminister des Innern, für Bau und Heimat C 18 Deutschland. Am 6. April 2022 kam es im Zusammenhang mit C 18 Deutschland bundesweit zu polizeilichen Durchsuchungsmaßnahmen gegen 21 Rechtsextremisten. Anlass hierfür war ein Ermittlungsverfahren des Generalbundesanwalts, dem der Verdacht der Fortführung einer verbotenen Organisation zugrunde lag. Den betroffenen Personen wurde vorgeworfen, trotz des bestandskräftigen Verbots den organisatorischen Zusammenhalt von C 18 Deutschland aufrechterhalten zu haben und Rädelsführer, Mitglied oder Unterstützer der verbotenen Vereinigung zu sein. Der dem Ermittlungsverfahren zugrundeliegende Verdacht stützte sich unter anderem darauf, dass nach dem Vereinsverbot bis zum Zeitpunkt der Durchsuchungsmaßnahmen mehrere Zusammenkünfte der Beschuldigten festgestellt wurden, die als eine Art "Pflichttreffen" von C 18 Deutschland anzusehen sind. Anlässlich solcher Treffen absolvierten die Teilnehmer zum Beispiel "Leistungsmärsche" und führten Aufnahmeverfahren von "Supportern" durch, die neben einer praktischen Aufnahmeprüfung eine Art theoretische Prüfung mit Fragen zum Nationalsozialismus vorsahen. ENTSTEHUNG/GESCHICHTE Als Sammelbecken für ehemalige Nationalsozialisten gründete sich 1949 die Sozialistische Reichspartei (SRP), die 1951 etwa 10.300 Mitglieder hatte und bei den Landtagswahlen in Niedersachsen und 88 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 RECHTSEXTREMISMUS Bürgerschaftswahlen in Bremen Erfolge erzielte und in die Parlamente einzog. Nachdem das Bundesverfassungsgericht im darauffolgenden Jahr die SRP auf Antrag der Bundesregierung verbot und es in den 1950er Jahren vor allem auf Länderebene zu zahlreichen Vereinsverboten kam, erzielte erst die 1964 gegründete NPD wieder Wahlerfolge, bis sie mit ihrem Scheitern bei der Bundestagswahl 1969 in eine länger andauernde Krise geriet. AUF EINEN BLICK * Entstehung einer neuen rechtsextremistischen Szene * Personenund Gewaltpotenzial * Erstarken der Szene - Vereinsverbote - Kameradschaften * Parteigründungen - weitere Vereinsverbote Entstehung einer neuen rechtsextremistischen Szene | Seit den 1970er Jahren traten in der rechtsextremistischen Szene - im Unterschied zu Parteien wie der NPD und Deutschen Volksunion (DVU) - vor allem aktionsorientierte Personen auf, von denen die meisten den Nationalsozialismus nicht miterlebt hatten, sich aber dennoch mit der entsprechenden Ideologie (insbesondere der nationalsozialistischen "Kampfzeit" vor 1933) identifizierten und daher allgemein Neonazis genannt wurden. Ausnahmen hiervon waren führende Protagonisten der neuen Szene wie Thies Christophersen, ehemals Mitglied der Schutzstaffel (SS), und der in einer Nationalpolitischen Erziehungsanstalt erzogene Manfred Roeder, die beide den Nationalsozialismus noch aus eigener Anschauung kannten. Roeder, unter anderem wegen Terrorismus und mehrfacher Volksverhetzung zu langjährigen Haftstrafen verurteilt, trat mit dem Anspruch auf, als "Reichsverweser" für die nicht mehr existente nationalsozialistische Regierung zu fungieren. Er scharte eine größere Anhängerschaft um sich, bewohnte in Nordhessen ein als "Reichshof" bezeichnetes Anwesen und versandte regelmäßig Rundbriefe an seine Anhänger. Personenund Gewaltpotenzial | Das Personenpotenzial der Neonaziszene betrug in den 1980er Jahren bundesweit zwischen 1.000 bis 2.000 Personen und verdreifachte sich bis 2016 auf nahezu 6.000. In den 1970er und 1980er Jahren kristallisierten sich einzelne Gruppierungen und Personen als führend in der Szene heraus, zum Beispiel Gruppierungen im Umfeld von Michael Kühnen, die Freiheitliche Arbeiterpartei Deutschlands (FAP) um Friedhelm Busse, die Nationalistische Front (FP) und die Wehrsportgruppe Hoffmann. Vor allem interne Konflikte, Neugründungen nach dem Zerfall von Gruppierungen und seit Anfang der 1980er Jahre verstärkt einsetzende Vereinsverbote von Bund und Ländern führten dazu, dass die Neonaziszene keine dauerhaften und szeneübergreifenden Strukturen entwickelte. Allerdings gelang es der Neonaziszene bis in die GeHessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 89 RECHTSEXTREMISMUS genwart, junge, aktionsorientierte und teils auch gewaltaffine Männer anzusprechen und zum Beispiel für nicht angemeldete "Gedenkmärsche" am Todestag des Hitler-Stellvertreters Rudolf Heß zu interessieren. Durch die Indoktrination mit (neo)nationalsozialistischer Ideologie steigerte sich das Gewaltpotenzial der Szene; fast alle späteren rechtsextremistischen Gewalttäter wiesen einen Vorlauf in der Neonaziszene auf, wobei die Tathandlungen selbst individuell motiviert und von außen schwer vorhersagbar waren. Erstarken der Szene -Vereinsverbote - Kameradschaften | Seit 1991 stieg die Zahl der fremdenfeindlichen Ausschreitungen an, die Zahl der Neonazis erreichte Mitte der 1990er Jahre mit bundesweit 2.740 Personen den bis dahin höchsten Stand, wobei mehr als die Hälfte der Neonazis in den ostdeutschen Bundesländern ansässig war. Dem Erstarken der Neonaziszene begegnete der Staat seit 1992 unter anderem mit etlichen Vereinsverboten, worauf die Szene zunächst überrascht und planlos reagierte. Maßgeblich von den Neonazis Christian Worch und Thomas Wulff beeinflusst und in Bezug auf Aktion und Organisation angelehnt an das "Vorbild" linksextremistischer Autonomer, entstanden seit 1995 vermehrt Kameradschaften, um Vereinsverbote zu erschweren: kleine, selbstständige und regional verankerte Gruppierungen mit losen Verbindungen zu anderen Neonazis, wobei man sich bemühte, die Kameradschaften in einem übergreifenden Netzwerk über Aktionsbüros zu koordinieren. So bildete etwa der Thüringer Heimatschutz (THS) ein Sammelbecken für Neonazis, zu dem auch die drei späteren Rechtsterroristen des Nationalsozialistischen Untergrunds (NSU) gehörten, der bis 2011 neun Menschen mit Migrationshintergrund und eine Polizistin ermordete sowie weitere Strafund Gewalttaten beging. Zunehmend lösten sich seit 2000 die Grenzen zwischen Neonazis, rechtsextremistischen Parteien - vor allem der NPD - und rechtsextremistischen Skinheads zugunsten eines Milieus auf, das von Aktionen, Gewaltorientierung und einer mitunter bedrohlichen Alltagspräsenz an bestimmten Orten geprägt war. Nach dem Verbot der deutschen Division von Blood and Honour (2000), einem ursprünglich in Großbritannien tätigen Skinheadnetzwerk mit neonazistischer Ausrichtung, kam seit 2002 mit den Autonomen Nationalisten (AN) in den Ballungsräumen und Großstädten eine neue Gruppierung auf. Sie imitierte den Aktionsstil und das Gehabe (Kleidung) der linksextremistischen Autonomen, gab dem aber inhaltlich ein neonazistisches Gepräge, kombiniert mit "Anti-Antifa"Arbeit. So bildeten die AN bei Demonstrationen einen schwarzen Block und propagierten "antikapitalistische" Inhalte. Insgesamt durchlief die Neonaziszene eine "Modernisierung" und versuchte sich den Charakter einer "sozialen Bewegung" zu geben. Gleichzeitig 90 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 RECHTSEXTREMISMUS erhöhte sich das von den Kameradschaften ausgehende Gefahrenpotenzial, da deren hohe Aktionsorientierung, die latente bis offene Gewaltaffinität und die stetige Indoktrinierung der Mitglieder eine Basis für eine tatsächliche Eskalation schufen. Parteigründungen - weitere Vereinsverbote | Auf das Verbot der Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige e. V. (HNG) im Jahr 2011, des letzten bedeutsamen, fest organisierten neonazistischen Vereins, und die seit 2012 - auch in Hessen (Sturm 18, 2015) - verstärkt gegen Kameradschaften gerichteten Verbotsmaßnahmen reagierten Neonazis unter anderem mit zwei Parteigründungen: 2012 rief Christian Worch die Partei DIE RECHTE ins Leben, ein Jahr darauf gründete sich Der Dritte Weg. Über das grundgesetzlich verbürgte Parteienprivileg versuchte man so, staatliche Verbotsmaßnahmen zu umgehen bzw. verhindern. Auch wenn beide Parteien nicht verboten sind, sind sie bei Wahlen bislang unbedeutend. Kameradschaften und andere neonazistische Organisationen unterlagen hingegen weiterhin staatlichen Verboten: So wurden 2020 Combat 18 Deutschland, Nordadler und Sturm-/ Wolfsbrigade 44 verboten. In den letzten Jahren gelang es Neonazis immer wieder, zu aktuellen Themen wie "Flüchtlinge" und "Corona-Proteste" zu mobilisieren und Anknüpfungspunkte für potenziell neue Szeneangehörige zu finden. So gaben zum Beispiel 2020 führende Protagonisten der Neonaziszene im Rahmen der Kampfsportveranstaltung "Kampf der Nibelungen" (KdN) Interviews, die unter anderem auf einem wöchentlichen KdN-Livestream auf Facebook zu verfolgen waren. Damit versuchten Neonazis offensichtlich, insbesondere aktionsorientierte junge Männer für die Szene zu interessieren. IDEOLOGIE/ZIELE Neonazis orientieren sich, wenn auch in unterschiedlicher Ausprägung, an der Ideologie des Nationalsozialismus (unter anderem an Rassismus, Antisemitismus, Sozialdarwinismus, Nationalismus, Antipluralismus) und idealisieren Adolf Hitler, den "Führer" des nationalsozialistischen Unrechtsund Terrorregimes. AUF EINEN BLICK * "Volksgemeinschaft" - Revisionismus * Uneinheitlichkeit der Neonaziszene * Zahlencodes * Kampf gegen das "System" Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 91 RECHTSEXTREMISMUS "Volksgemeinschaft" - Revisionismus | Das Ziel von Neonazis ist die Schaffung eines ethnisch homogenen, diktatorischen Staats. Die Rechte des Einzelnen, Meinungsfreiheit und Meinungsvielfalt - insgesamt Pluralismus - haben in der von Neonazis angestrebten deutschen "Volksgemeinschaft" keinen Platz. Die "Volksgemeinschaft" schließt Menschen anderer Kulturen und auch solche "Deutsche" aus, die Neonazis aufgrund von Behinderungen, sexueller Orientierung und sozialer Marginalisierung als "unwert" einstufen. Das Individuum soll sich dem angeblichen Gesamtwillen des Volks unterordnen. Historische Tatsachen deuten Neonazis in revisionistischer Manier um und leugnen dabei auch den Holocaust. Uneinheitlichkeit der Neonaziszene | Die neonazistische Szene ist in sich nicht homogen. Zum einen wird das "Dritte Reich" als Vorbild betrachtet und eine Wiederherstellung des Nationalsozialismus angestrebt, zum anderen wird die nationalsozialistische "Weltanschauung" neu interpretiert oder "antikapitalistisch" mit Bezügen zum Linksextremismus und entsprechenden Aktionsformen "modernisiert". Die überwiegende Zahl der Neonazis befürwortet jedoch die Kernelemente des Nationalsozialismus: "Führerprinzip", Antisemitismus und die Ideologie der "Volksgemeinschaft". Zahlencodes | Intern bekennen sich Neonazis zu ihrer Ideologie, indem sie zum Beispiel nationalsozialistische Grußformeln ("Sieg Heil", "Heil Hitler") verwenden und den "Hitler-Geburtstag" feiern. Nach außen bekennen sich Neonazis wegen der Strafbarkeit eher in verklausulierter Form zum Nationalsozialismus, etwa in der Form der Selbstbezeichnung von Gruppierungen. So stand etwa bei dem 2015 durch das Hessische Ministerium des Innern und für Sport verbotenen Verein Sturm 18 e. V. die Zahl 18 für den ersten und achten Buchstaben im Alphabet (AH), also für Adolf Hitler. Entsprechend steht 88 für "Heil Hitler". Kampf gegen das "System" | An die Stelle der freiheitlichen demokratischen Grundordnung wollen Neonazis einen autoritären Führerstaat sowie eine ethnisch einheitliche "Volksgemeinschaft" setzen. Unsere freiheitliche Demokratie bezeichnen Neonazis als "System", das es abzuschaffen gelte. Bereits die Nationalsozialisten hatten die Weimarer Republik mit dieser Bezeichnung diffamiert. Der Aufruf zum Kampf gegen das "System" ist ein Grundpfeiler neonazistischer Propaganda. Zielgruppe sind vor allem junge Menschen, die früh an die neonazistische Szene herangeführt und an sie gebunden werden sollen. 92 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 RECHTSEXTREMISMUS STRUKTUREN Die Neonaziszene befand sich auch im Berichtsjahr in einem fortlaufenden Wandel. Sowohl im Hinblick auf Gruppierungen als auch auf Szeneangehörige gab es eine stetige Fluktuation. In der Vergangenheit wurden Gruppierungen verboten, während andere ihre Aktivitäten einstellten. Die Szene war strukturell - wie bereits im Vorjahr - mehrheitlich durch lose miteinander verbundene Personen und einzelne regionale Gruppierungen geprägt. AUF EINEN BLICK * Verbot strukturierter neonazistischer Personenzusammenschlüsse * Jüngste Verbote Verbot strukturierter neonazistischer Personenzusammenschlüsse | Wie in der Vergangenheit bereits praktiziert, wirkt das LfV im Rahmen von gegen neonazistische Organisationen initiierte Verbotsverfahren aktiv mit, indem es der zuständigen Verbotsbehörde Erkenntnisse zur Verfügung stellt. Jüngste Verbote | Zu strukturierten und verbotenen Personenzusammenschlüssen zählten in der Vergangenheit unter anderem die am 21. September 2011 vom Bundesminister des Innern verbotene HNG sowie der am 27. Oktober 2015 verbotene Sturm 18 e. V. Gleichfalls verbot der Bundesminister des Innern am 16. März 2016 die neonazistische Weisse Wölfe Terrorcrew, da sie offen und aggressiv gegen Staat, Gesellschaft, Migranten und Andersdenkende agierte, sich durch ein erhebliches Maß an Gewaltbereitschaft auszeichnete und eine fremdenfeindliche und menschenverachtende Ideologie verbreitete. Am 23. Januar 2020 verbot der Bundesminister des Innern, für Bau und Heimat die Gruppierung C 18 Deutschland und ein knappes Jahr später am 1. Dezember 2020 die Organisation Sturmbrigade 44/Wolfsbrigade 44, die auch Personenbezüge nach Hessen aufwiesen. BEWERTUNG/AUSBLICK Im Fall des Abklingens der COVID-19-Pandemie und des damit verbundenen Auslaufens der "Corona-Maßnahmen" ist wieder mit einem Anstieg öffentlichkeitswirksamer propagandistischer Aktionen der Neonaziszene zu rechnen. Die in den letzten Jahren zu beobachtende Entwicklung, dass sich Neonazis zur Verbreitung ihrer menschenverachtenden Ideologie immer stärker auf das Internet und verschiedene soziale Medien fokussieren, wird anhalten und an Dynamik gewinnen. Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 93 RECHTSEXTREMISMUS Die Zahl der allein handelnden Personen, die sich ausschließlich über das Internet radikalisieren, wird auch künftig das Erscheinungsbild des Rechtsextremismus in der Öffentlichkeit - insbesondere des Neonazismus - maßgeblich prägen. Diese Personen sind nicht in der "realen Welt" in eine regionale Szene eingebunden und weisen somit keinen "klassischen" Radikalisierungsverlauf auf. Radikalisieren sich jedoch allein handelnde Personen in der "virtuellen Welt", verlassen sie diese zu einem bestimmten emotionalen Umschlagpunkt (Transgression) und begehen in der "realen Welt", so wie 2019 in Halle (Sachsen-Anhalt) und 2020 in Hanau (Main-Kinzig-Kreis) geschehen, schwerste Gewalttaten. Da im Berichtsjahr die Anzahl der Gewalttaten unvermindert hoch war (42 Delikte wie 2020) wird das LfV neonazistische Gruppierungen und Einzelpersonen weiterhin intensiv beobachten. Subkulturell orientierte Rechtsextremisten - rechtsextremistische Musik DEFINITION/KERNDATEN Weitgehende Strukturund Organisationslosigkeit ist kennAktivisten /Anhänger: zeichnend für subkulturell orientierte Rechtsextremisten. In Hessen etwa 455 Hinzu kommt eine in der Regel nur oberflächliche weltanschauliche Prägung, verbunden mit rassistischem, antisemitischem und fremMusikgruppen und Liedermacher in Hessen: denfeindlichem Gedankengut. Für diese oftmals in informellen loFaust und Nordglanz (National kalen oder regionalen Gruppen zusammengeschlossenen RechtsSocialist Black Metal, NSBM), extremisten stehen erlebnisorientierte Aktivitäten in der Regel im Reichstrunkenbold (LiederVordergrund. Dabei spielt der Besuch rechtsextremistischer Musikmacher), Streitmacht, Sturmveranstaltungen eine herausgehobene Rolle. Im Unterschied zu Anrebellen / gehörigen der früheren rechtsextremistischen Skinheadszene sind subkulturell orientierte Rechtsextremisten heutzutage fast nicht mehr anhand eines einheitlichen Erscheinungsbildes erkennbar. EREIGNISSE/ENTWICKLUNGEN Soweit rechtlich möglich, unterbinden die Sicherheitsbehörden rechtsextremistische Musikveranstaltungen in Hessen. Aufgrund dieser Vorgehensweise und der staatlichen "Corona-Maßnahmen" fanden im Berichtsjahr in Hessen lediglich zwei rechtsextremistische Musikveranstaltungen statt. Rechtsextremistische Musik und Musikveranstaltungen verloren im Berichtsjahr für die entsprechende Szene in Hessen keineswegs ihre Bedeutung, das Veranstaltungsgeschehen war jedoch nach wie vor 94 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 RECHTSEXTREMISMUS deutlich durch die Auswirkungen der Pandemie geprägt. Aufgrund von behördlichen Untersagungen und Pandemieschutzauflagen wurden viele Musikveranstaltungen abgesagt oder auf einen späteren Zeitpunkt verschoben. Lediglich in Altenstadt (Wetteraukreis) trat vom 27. bis 28. Februar ein rechtsextremistischer Liedermacher bei einer Wahlkampfveranstaltung der NPD auf. Darüber hinaus kam es in Hessen im Rahmen einer weiteren Veranstaltung zu einem Auftritt eines rechtsextremistischen Liedermachers. FUNKTIONEN RECHTSEXTREMISTISCHER MUSIK Rechtsextremistische Musik spielte trotz der im Berichtsjahr anhaltenden Pandemie nach wie vor eine wichtige Rolle für die rechtsextremistische Szene und war ein bedeutendes, jugendorientiertes Medium, um entsprechende Botschaften zu transportieren. Für die Sicherheitsbehörden ist die intensive Beobachtung der rechtsextremistischen Musikszene obligatorisch, um Inhalte auf strafrechtliche Relevanz zu prüfen und gegebenenfalls einer strafrechtlichen Verfolgung zuzuführen. AUF EINEN BLICK * Niedrige Hürde für den Einstieg in den Rechtsextremismus * Diffuse rechtsextremistische Einstellungen * Musikveranstaltungen - Musik im Internet Niedrige Hürde für den Einstieg in den Rechtsextremismus | Musik ermöglicht es als emotionaler "Türöffner", ideologische Vorstellungen einem breiten Personenkreis - überwiegend Jugendlichen und jungen Erwachsenen - zugänglich zu machen. Musik stellt eine besonders niedrige Hürde für den Einstieg in den Rechtsextremismus dar. Oft stehen zunächst nicht die rechtsextremistischen Inhalte im Vordergrund des Musikerlebnisses, sondern die für die Hörer einprägsame Melodien und einfachen Rhythmen. Musik ist nahezu jederzeit und überall konsumierbar. Sie dient der Selbstdarstellung und der szeneinternen Kommunikation über "Werte" und Feindbilder und ist Ausdruck eines subkulturellen Zusammengehörigkeitsgefühls. Dabei wirkt der Konsum von rechtsextremistischer Musik oft als Katalysator von Gefühlen und Aggressionen. Besonders in Verbindung mit Alkohol kann dies zu Gewaltausbrüchen führen. Diffuse rechtsextremistische Einstellungen | Subkulturell orientierte Rechtsextremisten sind gekennzeichnet durch eher diffuse rechtsextremistische Einstellungen, die sich an das Gedankengut von Neonazis anlehnen. Eine vertiefte "weltanschauliche" und politische Auseinandersetzung findet dabei nicht statt. Im Vordergrund steht eine Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 95 RECHTSEXTREMISMUS erlebnisund aktionsorientierte Lebensgestaltung vor allem in Form des Konsumierens von Musik. Musikveranstaltungen - Musik im Internet | Musikveranstaltungen spielen für subkulturell orientierte Rechtsextremisten eine wichtige Rolle. In der eher strukturlosen Szene sind Musikveranstaltungen identitätsstiftende Ereignisse und dienen der Kommunikation und Vernetzung. Zudem üben die in der Regel konspirativ organisierten Veranstaltungen gerade auf junge Rechtsextremisten eine große Faszination aus. Eine wachsende Bedeutung haben für subkulturell orientierte Rechtsextremisten, Neonazis und rechtsextremistische Parteien Liederabende. Auftritte überwiegend einzelner rechtsextremistischer Interpreten dienen als Treffpunkt und Plattform, wobei politische Botschaften über die Liedtexte mit Zwischenmoderationen verknüpft und zur Anwerbung potenzieller Interessenten genutzt werden. Eines der bedeutsamsten Medien zur Verbreitung rechtsextremistischer Musik ist das Internet mit seinen nahezu unbegrenzten Möglichkeiten und Reichweiten. So finden sich unter anderem auf verschiedenen Musikund Videoplattformen, wie zum Beispiel YouTube rechtsextremistische Videos von deutschen und internationalen rechtsextremistischen Bands mit teilweise gewaltverherrlichenden Texten. Auch im Berichtszeitraum kam es in der bundesweiten rechtsextremistischen Musikszene zu zahlreichen Neuveröffentlichungen. So brachte die Band Sturmrebellen das Album "C'Neunzehn" heraus. In den Liedern finden sich unter anderem klassische Themen wie "Treue", "Kameradschaft", "alte Werte", teilweise mit Anspielungen auf den Nationalsozialismus, wieder. BEWERTUNG/AUSBLICK Unabhängig von der Form rechtsextremistischer Musikveranstaltungen - es fanden in Hessen lediglich zwei statt - und der im Berichtsjahr im Kontext der COVID-19-Pandemie häufigen Absagen bleibt die große Gefahr, die von rechtsextremistischer Musik ausgeht, bestehen. Da aus dem Besuch von Musikveranstaltungen und dem damit vielfach verbundenen Einstieg in den Rechtsextremismus für Jugendliche vielerlei Gefahren resultieren, bildet die Szene der subkulturell orientierten Rechtsextremisten ein wichtiges Beobachtungsfeld für den Verfassungsschutz in Hessen. Unter Ausschöpfung der rechtlichen Möglichkeiten unterbinden die hessischen Sicherheits96 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 RECHTSEXTREMISMUS behörden konsequent rechtsextremistische Konzerte und Balladenabende. Mit jeder verhinderten Musikveranstaltung verliert die rechtsextremistische Szene eine zentrale Anlaufstelle und ein wichtiges Bindeglied zu Jugendlichen, die noch außerhalb des Rechtsextremismus stehen. PARTEIGEBUNDENE STRUKTUREN BZW. PARTEIEN Junge Alternative (JA) DEFINITION/KERNDATEN Die 2013 gegründete JA ist die Jugendorganisation der AfD, wobei der Landesverband Hessen der AfD im BerichtsBundesvorsitzender: Damian Lohr (Rheinland-Pfalz) zeitraum nicht vom LfV beobachtet wurde. Die JA Hessen stellte sich bis 18. April 2021, Marvin Neuals demokratische und "patriotische" Parteijugend dar, die auf dem mann (Brandenburg) 18. April bis Boden der freiheitlichen demokratischen Grundordnung stehe und 3. Mai 2021, und Carlo Clemens Teil der Mitte der Gesellschaft sei. Tatsächlich handelte es sich bei (Nordrhein-Westfalen) seit 18. April 2021 der JA Hessen um eine fest in rechtsextremistische Strukturen eingebundene Gruppierung, die versuchte, ihre rassistischen AnschauLandesvorsitzender: ungen im sozialen und kulturellen Raum sowie im politischen Michael Werl Diskurs zu verankern und zu verbreiten. Mitglieder: In Hessen etwa 50, bundesweit etwa 1.600 EREIGNISSE/ENTWICKLUNGEN Im Gegensatz zum Vorjahr, in dem die JA Hessen in ihrer Außenwir- \ kung stark begrenzt war, erhöhte sie im Berichtszeitraum ihr Aktivitätsniveau deutlich. Sie veranstaltete von Januar bis Mitte April regelmäßig virtuelle Stammtische und Gaming-Abende, für die sie vorab in den sozialen Medien geworben hatte. Mitglieder der JA Hessen unterstützten die Wahlkämpfe der Mutterpartei für die Landtagswahlen in Sachsen-Anhalt und Brandenburg sowie für die Bundestagswahl, betrieben Informationsstände auf den Landesparteitagen der AfD Hessen in Frankfurt am Main und beteiligten sich an einer Demonstration der JA in Berlin gegen die "Corona-Maßnahmen". Beim Bundeskongress der JA wurde ein Mitglied des Landesvorstands Hessen in den Bundesvorstand gewählt. AUF EINEN BLICK * Virtuelle Stammtische und Gaming-Abende * JA-Bundeskongress * Klausurtagung in Kassel * Unterstützung bei Wahlkämpfen * "Gedenkveranstaltung" zum Volkstrauertag Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 97 RECHTSEXTREMISMUS * Teilnahme an Landesparteitagen der AfD * Demonstration "Jugend steht auf" * Wanderung in Kassel Virtuelle Stammtische und Gaming-Abende | Neben der ablehnenden Kommentierung der Asylund Migrationspolitik der Bundesregierung sowie der "Corona-Maßnahmen" nutzte die JA Hessen die sozialen Medien, um für ihre virtuellen Stammtische und GamingAbende zu werben. Erstmalig wurde ein solcher Stammtisch für den 20. Januar angekündigt. Das neue virtuelle Stammtischformat "Hessen Gebabbel" sollte im zweiwöchigen Turnus auf einem Server des Sprachkonferenz-Programms Discord stattfinden. Auf dem Stammtisch sollten die COVID-19-Pandemie, weitere aktuelle politische Themen sowie "patriotische Pläne" diskutiert werden. Zuletzt warb die JA Hessen am 13. April für einen virtuellen Stammtisch, auf dem über den anstehenden JA-Bundeskongress diskutiert werden sollte. Darüber hinaus warb die JA Hessen unter dem Motto "Hessen Gebabbel" auch für Gaming-Abende, auf denen die Teilnehmer gemeinsam Computerspiele spielen sollten. JA-Bundeskongress | An dem Bundeskongress, der vom 17. bis 18. April in Volkmarsen (Landkreis Waldeck-Frankenberg) stattfand, nahmen rund 270 JA-Mitglieder, darunter auch mehrere des Landesverbands Hessen, teil. Sie wählten einen neuen 15-köpfigen Bundesvorstand, dem als Beisitzerin ein Mitglied des Landesvorstands der JA Hessen angehörte. Zu den beiden Bundesvorsitzenden wurden Carlo Clemens und Marvin Neumann bestimmt, wobei letzterer zwei Wochen später von seinem Amt zurückund aus der AfD austrat. Grund waren öffentlich bekanntgewordene fremdenfeindliche und rassistische Tweets Neumanns. So hatte er geschrieben: "Es gibt keine ,Schwarze Deutsche und Europäer'. Sie sind bestenfalls Teil der Gesellschaft und besitzen bestimmte Staatsbürgerschaften, aber sie sind nicht Teil einer tradierten authentischen ,europäische[n] Identität'. Das wissen, trotz linksliberaler Propaganda, die meisten". ",Wenn die europäische Zivilisation sich nicht selbst zerstören will, nur um die Komplexe einer degenerierten Oberschicht in den Medienhäusern, Unis und Konzernen zu befrieden, muss früher oder später auch mal in aller Schärfe gesagt werden: "Weiße Vorherrschaft" ist okay'". Ferner hatte sich Neumann im Vorfeld der Bundesvorstandswahl öffentlich als Vertreter der Neuen Rechten in der JA bezeichnet. 98 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 RECHTSEXTREMISMUS Klausurtagung in Kassel | Am 17./18. Juli führte der Landesvorstand der JA Hessen mit Unterstützung eines Mitglieds des Bundesvorstands eine Klausurtagung in Kassel durch. Dabei wurden der Ist-Zustand der JA Hessen und die Frage besprochen, wie man eine "rechte Jugendorganisation attraktiv für junge Menschen" machen könne. Zudem gab der Landesvorstand bekannt, dass die Mitglieder sich auf einen "spannenden Wahlkampf, Präsenzveranstaltungen und neuen Merchandise der JA Hessen" freuen könnten. Unterstützung bei Wahlkämpfen | Angehörige der JA Hessen, darunter Mitglieder des Landesvorstands, führten im Rahmen des Bundestagswahlkampfs eine Briefkastenflyerverteilung am 9. September in Kassel durch. Darüber hinaus nahmen bundesweit Mitglieder des Landesvorstands zusammen mit weiteren Landesverbänden an Wahlkampfveranstaltungen am 29./30. Mai in Sachsen-Anhalt und am 21./22. August in Brandenburg teil, worüber auf dem FacebookProfil der JA Hessen berichtet wurde. "Gedenkveranstaltung" zum Volkstrauertag | Zum Volkstrauertag am 14. November gedachte die JA Hessen, darunter der Landesvorsitzende Michael Werl, "unseren gefallen[en] Soldaten sowie den Opfern beider Weltkriege" und legte einen Trauerkranz an einem nicht näher bekannten Grabmal in Kassel nieder. Teilnahme an Landesparteitagen der AfD | Die JA Hessen war auf den Landesparteitagen der AfD in Frankfurt am Main am 9. Oktober und 20. November jeweils mit einem Informationsstand vertreten. In einem auf Facebook am 22. November veröffentlichten Beitrag gratulierte die JA Hessen dem neuen Landesvorstand der AfD zur Wahl und schrieb: "Auch wenn die Medien und junge Liberale in Hessen schon den nächsten Dammbruch und Rechtsruck wittern, freuen wir uns auf eine erfolgreiche Zusammenarbeit mit dem neugewählten Landesvorstand". Demonstration "Jugend steht auf" | Am 11. Dezember fand in Berlin eine von der JA organisierte Demonstration gegen die "Corona-Maßnahmen" unter dem Motto "Jugend steht auf" statt, dabei waren - so die Angaben der JA Hessen - "zahlreiche Hessen dem Ruf des Bundesvorstands der JA [gefolgt] und reisten [...] nach Berlin, um gegen eine Impfpflicht zu demonstrieren". Auch die JA Hessen hatte dazu aufgerufen, sich den Protesten anzuschließen und gegen "diese Regierung [zu] demonstrieren, [welche] die Grundrechte außer Kraft setzen möchte". Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 99 RECHTSEXTREMISMUS Wanderung in Kassel | Ende Dezember berichtete die JA Hessen über eine in der Vorweihnachtszeit durchgeführte Wanderung im Kasseler Bergpark Wilhelmshöhe mit anschließender Besichtigung eines Bismarcksturms, wobei die Aktivisten mehrere Fahnen der JA Hessen mit sich führten. IDEOLOGIE/ZIELE Die JA Hessen vertritt in ihrer Programmatik eine völkische Ideologie und ist aufgrund ihres Weltbilds und personeller Überschneidungen in die rechtsextremistische Szene in Hessen integriert. Auch wenn die JA dem Rechtsextremismus zuzurechnen ist, versucht sie nach außen in der Öffentlichkeit ein gemäßigtes und bürgerliches Image zu pflegen und somit eine Anschlussfähigkeit für ihre rechtsextremistische Ideologie in der Gesellschaft zu erreichen. AUF EINEN BLICK * Ethnisch homogener Volksbegriff * "Herangezüchtete neue Mehrheitsbevölkerung" * Verschwörungstheoretische Argumentationsmuster Ethnisch homogener Volksbegriff | Die JA propagiert einen ethnisch homogenen Volksbegriff, der mit der Würde des Menschen als dem obersten Wert der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht vereinbar ist. Wenn der ehemalige Vorsitzende der JA Hessen, vom "langsame[n] Austausch der Deutschen durch muslimische Einwanderer" spricht und behauptet, dass Politiker, die das "Volk, das sie finanziert, mit seinem Blut für ein wahnsinniges Bevölkerungsexperiment bezahlen lassen", eine Schande seien, handelt es sich um eine diffamierende Aussage gegenüber dem vermeintlichen Kollektiv der "muslimische[n] Einwanderer". "Herangezüchtete neue Mehrheitsbevölkerung" | Mit der Verwendung eines ethnisch homogenen Volksbegriffs einher geht bei der JA Hessen eine Herabwürdigung derjenigen Menschen, die ihrer Vorstellung nach nicht zu der Gruppe der "autochthonen Deutschen" gehören. Diesen Teilen der Gesellschaft - im Sprachgebrauch der JA Hessen der "herangezüchteten neuen Mehrheitsbevölkerung" - wird die Fähigkeit bzw. der Wille zur Aufrechterhaltung und Einhaltung wesentlicher Werte der freiheitlichen demokratischen Grundordnung (wie der Religionsund Meinungsfreiheit) abgesprochen. Stattdessen attestiert die JA Hessen diesen Bevölkerungsgruppen generell eine "um sich greifende Eroberer-Mentalität" und lastet ihnen eine "gesundheitliche Gefährdung unserer Kinder" sowie eine 100 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 RECHTSEXTREMISMUS Steigerung von Infektionskrankheiten an und befeuert die Sorge vor einem "wirtschaftlichen Niedergang". Verschwörungsideologische Argumentationsmuster | Die JA Hessen vertritt nicht nur ein rassistisches Weltbild, sondern sie verbindet dieses zugleich mit Verschwörungsnarrativen, so wie sie von Rechtsextremisten in ihre Argumentationsmuster eingebettet werden. Nach Ansicht der JA Hessen wird ein "Bevölkerungsaustausch" vorgenommen, sodass es eine "neue herangezüchtete Mehrheitsbevölkerung" in Deutschland geben werde. Auf diese Weise versucht die JA Hessen eine Emotionalisierung des politischen Diskurses zu erreichen, in dem nicht länger das sachliche Argument zählt. Die Verschwörungsideologie des "Bevölkerungsaustausches" oder des "Großen Austauschs" stellt ein zentrales Narrativ innerhalb des Spektrums der Neuen Rechten dar. Die Vermischung der angeblichen Ethnien und die fortwährende Veränderung von Gruppenidentitäten ist nach Ansicht von Akteuren der Neuen Rechten keine genuine Folge der ständigen Veränderung der Welt und Gesellschaft, sondern ist auf einen Plan geheimer Eliten, den "Großen Austausch", zurückzuführen. Aus Sicht der Neuen Rechten ist damit der "Prozess, durch den die einheimische Bevölkerung durch außereuropäische Einwanderer verdrängt und ausgetauscht" werde, gemeint. Diese Veränderung geschehe nicht zufällig, sondern sei Teil eines aktiven Prozesses zur Zerstörung der Identitäten der Völker Europas. STRUKTUREN Die 2013 in Darmstadt im Rahmen eines ersten Bundeskongresses gegründete JA bestand aus 16 Landesverbänden. In Hessen war die JA, die als Verein organisiert ist, die offizielle Jugendorganisation der AfD Hessen. Die JA Hessen setzte sich aus mehreren Kreisund Ortsverbänden zusammen, wies jedoch keine flächendeckenden Strukturen auf. Ein struktureller und organisatorischer Schwerpunkt ließ sich in Hessen für die Region Nordhessen im Bereich Kassel beobachten. Dem Vorstand der JA Hessen gehörten im Berichtszeitraum zunächst neun und Ende September noch acht Personen an. Nach der Neuwahl setzte sich der Landesvorstand aus neun Mitgliedern zusammen. Das Ende April als Beisitzerin in den Bundesvorstand gewählte Mitglied des Landesvorstands der JA Hessen wurde spätestens seit Juli nicht mehr auf der Homepage der JA als Mitglied des Bundesvorstands geführt. Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 101 RECHTSEXTREMISMUS BEWERTUNG/AUSBLICK Die JA Hessen war im Berichtszeitraum sichtlich darum bemüht, sich als aktive und "bürgerliche" Parteijugend zu inszenieren. Während im Vorjahr kaum Aktivitäten in Form von Veranstaltungen/Aktionen festzustellen waren, führte die JA Hessen im Berichtsjahr mehrere öffentlichkeitswirksame Veranstaltungen durch, über die sie in den sozialen Medien berichtete. Neben eigenen Veranstaltungen nahmen Mitglieder der JA Hessen zum Teil bundesweit an Wahlkampfveranstaltungen der Mutterpartei AfD zu Landtagswahlen und zu der Bundestagswahl sowie an einer Demonstration der Bundesorganisation der JA gegen die "Corona-Maßnahmen" teil. Gerade in diesem Kontext versuchte sich die JA als "Wächterin des Grundgesetzes" zu inszenieren und zeichnete von sich das Bild einer "patriotischen" Parteijugend, die angeblich für Demokratie und Freiheitsrechte eintritt. Vor dem Hintergrund der Pandemie versuchte die JA Hessen mit ihrem virtuellen Stammtischformat "Hessen Gebabbel" nicht nur eine Kommunikationsplattform für die eigene Anhängerschaft zu etablieren, sondern auch - adressiert an politisch interessierte junge Menschen - sich neue Personenpotenziale zu erschließen. Dass es sich bei der "bürgerlichen" Inszenierung der JA nur um die Außendarstellung einer rechtsextremistischen Gruppierung handelte, wurde deutlich, als mit Marvin Neumann eine Person zu einem der beiden Bundesvorsitzenden gewählt wurde, die sich im Vorfeld der Wahl klar als ein Vertreter der Neuen Rechten bezeichnet und öffentlich rechtsextremistische Tweets verbreitet hatte. Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) DEFINITION/KERNDATEN Die NPD vertritt nationalistische, völkische und revisionistische Positionen. Insgesamt weist ihre Programmatik eine ideologische und sprachliche Nähe zur Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) im "Dritten Reich" auf. Den verfassungsfeindlichen Charakter der NPD stellte das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 17. Januar 2017 fest. Während die NPD in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre in bis zu sieben westdeutschen Landesparlamenten vertreten war, verlor sie in der folgenden Zeit an Bedeutung. Seit der Wiedervereinigung 1989/90 nahm ihre lokale und regionale Verankerung, vor allem in damals wirtschaftlich schlechter gestellten Gebieten im Osten Deutschlands, teilweise wieder zu. Nachdem sie zuletzt in den Land102 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 RECHTSEXTREMISMUS tagen von Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern vertreten war, errang sie in den vergangenen vier Jahren kein Mandat mehr in einem Landesparlament. Allerdings wechselte im November 2020 ein wegen Volksverhetzung verurteilter Mandatsträger der AfD im BerLogo der NPD liner Abgeordnetenhaus zur NPD, sodass sie bis zum Ende der Legislaturperiode im Jahr 2021 wieder in einem Landesparlament vertreten war. Logo der JN EREIGNISSE/ENTWICKLUNGEN Die NPD in Hessen war wie in den Vorjahren im Kontext der "CoronaLandesvorsitzender Maßnahmen" nur eingeschränkt handlungsfähig. Lediglich einige Daniel Lachmann Bezirksverbände waren aktiv und traten - wie etwa die BezirksverBundesvorsitzender: bände Mittelhessen und Wetterau-Kinzig - öffentlich in Erscheinung. Frank Franz (Saarland) Ein Großteil der öffentlichen NPD-Auftritte fand im Vorfeld der hessischen Kommunalwahl am 14. März statt. Darüber hinaus kritisierte Mitglieder: In Hessen etwa 260, die NPD in Hessen die "Corona-Maßnahmen" und die mit dem entbundesweit etwa 3.150 sprechenden Krisenmanagement betrauten Politiker. Jugendorganisation: AUF EINEN BLICK Junge Nationalisten (JN) * "Digitale Neujahrsempfänge" - Kommunalwahlkampf Medien (Auswahl): * Bundestagswahl Deutsche Stimme (DS), * Reaktionen auf die COVID-19-Pandemie Internetpräsenzen "Digitale Neujahrsempfänge" - Kommunalwahlkampf | Am 23. Januar führte die NPD Lahn-Dill einen "digitalen Neujahrsempfang" mit / 20 bis 25 Personen durch, der zweite folgte am 7. Februar mit 15 bis 20 Teilnehmern. Als Redner waren Parteifunktionäre aus Hessen, der stellvertretende Bundesvorsitzende Udo Voigt und ein überregional bekannter rechtsextremistischer Videoblogger anwesend. Beide Veranstaltungen fanden auch vor dem Hintergrund des Kommunalwahlkampfs der NPD statt und wurden dazu genutzt, kommunalpolitische Themen zu erörtern und entsprechende Aufmerksamkeit zu wecken. Insgesamt trat die NPD im Lahn-Dill-Kreis, Main-Kinzig-Kreis und Wetteraukreis zu zehn kommunalen Wahlen an. Entsprechende Wahlkampfveranstaltungen führten NPD-Mitglieder vornehmlich im LahnDill-Kreis und im Wetteraukreis mittels Informationsständen und Verteilaktionen durch. Dabei war der NPD-Bezirksverband Wetteraukreis besonders aktiv, so stellte er etwa in Büdingen, Altenstadt, Karben, Nidda, Butzbach und Bad Nauheim Informationsstände auf. Lautsprecherfahrten wurden unter anderem in Reichelsheim und Nidda durchgeführt. Dabei agitierte die NPD mit - für das Selbstverständnis der Partei zentralen - Slogans wie "Heimat erhalten und Zukunft gestalten" und "Mit Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 103 RECHTSEXTREMISMUS uns gegen die Asylmafia!" Auch nutzte die NPD Parolen populistischen Inhalts wie "Wo Recht zu Unrecht wird, wird NPD-Wählen zur Pflicht" und "Schnauze voll? Am 14. März: Lügner abstrafen". Darüber hinaus instrumentalisierte die NPD einen Vorfall in Ranstadt (Wetteraukreis), bei dem am 20. Januar ein 18-Jähriger während einer Auseinandersetzung ums Leben gekommen war, für ihre politische Arbeit. Unter dem Slogan "Migration tötet! Messerstecher konsequent abschieben" versuchte die NPD zweimal erfolglos, eine Mahnwache in Ranstadt abzuhalten. Bei der Kommunalwahl errang die NPD 1.799 Stimmen (= 0,1 Prozent) und damit elf Mandate, davon vier im Lahn-Dill-Kreis und sieben im Wetteraukreis. Im Vergleich zur letzten Kommunalwahl verlor die NPD 4.205 Stimmen (= 0,2 Prozentpunkte) und damit zehn Mandate. Der Landesvorstand bewertete das Wahlergebnis als nicht zufriedenstellend und führte in einer am 22. März veröffentlichten Stellungnahme mehrere Gründe für die "mageren Ergebnisse" an. So beklagte er ein "völliges Totschweigen der NPD-Arbeit, eine bewusste Verdrehung der Tatsachen oder gar eine Verunglimpfung der heimattreuen Opposition in der Presse", wohingegen die Medien der AfD eine "Bühne" gegeben hätten. Leider sei auch festzustellen, so der Landesvorstand, "dass viele patriotische Wähler bei dieser Wahl zuhause geblieben sind und damit den (politischen) Selbstmord auf Raten für unser Volk gewählt haben. Denn Nichtwählen hilft nur den Altparteien". Den Gewinn eines weiteren Mandats im Ortsbeirat der Gemeinde Altenstadt, Ortsteil Waldsiedlung, wertete der Landesvorstand hingegen als Erfolg und Vertrauensbeweis. Bundestagswahl | Einen weiteren Agitationsschwerpunkt bildete für die NPD in Hessen der Wahlkampf anlässlich der Bundestagswahl am 26. September, wobei der regionale Schwerpunkt vor allem in Büdingen (Wetteraukreis) lag. Jedoch fielen die entsprechenden Aktivitäten im Vergleich zum Kommunalwahlkampf eher gering aus. Bundesweit gewann die NPD 64.574 Zweitstimmen (= 0,1 Prozent) und in Hessen 4.511 (= 0,1 Prozent). Damit verlor sie im Bund 111.446 Zweitstimmen (= 0,3 Prozentpunkte) und in Hessen 7.393 Zweitstimmen (= 0,3 Prozentpunkte). Angesichts dieses Ergebnisses kündigte der NPD-Bundesvorsitzende Frank Franz eine Umstrukturierung der Bundespartei an, die auf einem im Frühjahr 2022 stattfindenden Bundesparteitag verabschiedet werden solle. Neben 104 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 RECHTSEXTREMISMUS einer möglichen Umbenennung sollen dabei auch die Parteistrukturen verschlankt und die Partei generell aktionistischer ausgerichtet werden. Dabei sei auch ein Zusammenschluss mit anderen Parteien aus dem rechtsextremistischen Spektrum möglich. Reaktionen auf die COVID-19-Pandemie | Unablässig griff die NPD die mit der Pandemie einhergehende Berichterstattung in den Medien und die entsprechenden gesellschaftlichen Diskussionen auf und versuchte, diese auch im Sinne ihrer parteipolitischen Ideologie zu instrumentalisieren. Insbesondere im Internet und in den sozialen Medien kritisierte die NPD Hessen in teils diffamierender und fremdenfeindlicher Art und Weise die nach ihrer Auffassung wegen der Pandemie entstandene landesweite "Krise". Damit machte die NPD die Asyl-, Grenzund Globalisierungspolitik sowie das Krisenmanagement der Bundesregierung als Krisenursachen aus. Bei Veranstaltungen, die gegen die "Corona-Maßnahmen" gerichtet waren, benutzte die NPD zum Beispiel Transparente mit den Slogans "Deutschland gegen den Corona-Wahnsinn. Zwangsmaßnahmen beenden - Normalität herstellen" und "Kontrolliert die Grenzen - nicht euer Volk". Neben dieser anhaltenden Kritik versuchte die NPD Hessen Einfluss auf das "Corona-Protestgeschehen" zu nehmen. Mittels Aufrufen forderte sie zur Unterstützung von Veranstaltungen gegen die "CoronaMaßnahmen" in und außerhalb von Hessen auf, Parteiaktivisten beteiligten sich nach eigener Verlautbarung unter anderem an Protestkundgebungen in Wetzlar (Lahn-Dill-Kreis), Wiesbaden, Nidda (Wetteraukreis) und Hanau (Main-Kinzig-Kreis). Um sich hierbei "bürgernah" zu inszenieren und Anschluss an andere Teilnehmer zu finden, gab sich die NPD auf den Protestkundgebungen weitestgehend nicht zu erkennen. Soweit bekannt, meldete die NPD Hessen selbst keine Veranstaltungen gegen die "Corona-Maßnahmen" an, sodass die Anzahl an Teilnahmen von NPD-Aktivisten an "Corona-Protesten" im oberen einstelligen bis unteren zweistelligen Bereich lag und sich die NPD Hessen daher verstärkt auf die Agitation im virtuellen Raum konzentrierte. Ein Anstieg der Teilnahme an den Protesten war erst gegen Ende des Berichtsjahrs festzustellen. Regionale Schwerpunkte bildeten hier erneut Protestkundgebungen im Wetteraukreis sowie im Lahn-Dill-Kreis. Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 105 RECHTSEXTREMISMUS JUNGE NATIONALISTEN (JN) Die JN Hessen traten nur vereinzelt mit öffentlichkeitswirksamen Aktionen in Erscheinung und verhielten sich - auch vor dem Hintergrund der in der Gesellschaft und in den Medien geführten Diskussionen über die "Corona-Maßnahmen" - passiv. Bundesweit versuchten die JN ebenso wie die NPD weiterhin, die Pandemie für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. AUF EINEN BLICK * Kommunalwahlkampf * Proteste gegen "Corona-Maßnahmen" * Kampagne "schuelersprecher.info" * "Leistungsmarsch" Kommunalwahlkampf | Die JN unterstützten den Kommunalwahlkampf der Mutterpartei in Hessen mit vereinzelten Aktionen. So versendeten Aktivisten gemäß eigenen Angaben rund 5.000 Schreiben an Erstwähler zwischen 18 und 24 Jahren im Lahn-Dill-Kreis, verteilten 150.000 Wahlzeitungen und Flugblätter und hängten 2.000 Wahlplakate auf. Weiterhin führten Aktivisten in "verschiedenen Landkreisen öffentlichkeitswirksame Aktionen", so eine Einstellung auf Twitter, durch. Dabei war auf einem Bild zu sehen, wie mehrere Aktivisten ein Banner unter anderem mit der Aufschrift "NPD wählen" zeigten. Proteste gegen "Corona-Maßnahmen" | Nach wie vor kritisierte der JN-Bundesverband die angeblich verfehlte Politik der Bundesregierung in Bezug auf die COVID-19-Pandemie. Wie im Vorjahr versuchten JN-Aktivisten in diesem Kontext die eigene rechtsextremistische Ideologie zu verbreiten und Anschluss an die Protestbewegung zu erlangen. So nahmen JN-Angehörige unter anderem an den Protesten in Leipzig (Sachsen) am 11. Oktober und in München (Bayern) am 25. Dezember teil. Auch aus Hessen beteiligten sich einzelne Aktivisten an entsprechenden Veranstaltungen. Kampagne "schuelersprecher.info" | Die 2018 begonnene Kampagne "schuelersprecher.info" führten die JN fort und richteten hierfür einen entsprechenden Telegram-Kanal ein, wobei sie nach wie vor die Homepage www.schuelersprecher.info als zentrales Medium nutzten. Die Homepage bot Interessenten die Möglichkeit, sich über die Kampagne und die bundesweit durchgeführten Aktionen zu informieren. Ziel der Kampagne war es, JNund NPD-typische Inhalte und Ideolgieelemente in einen Kontext zu setzen, der auf die spezifischen Be106 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 RECHTSEXTREMISMUS lange von Schülern und Studierenden als Zielgruppen zugeschnitten war, ohne explizit rechtsextremistische Inhalte zu transportieren und die Urheberschaft der JN - zumindest auf den ersten Blick - zu offenbaren. Zudem wurde auf der Homepage eine "Schulhof-CD 2.0" mit einschlägigen Liedern aus der rechtsextremistischen Musikszene zum kostenlosen Download angeboten. Bundesweit fanden im Rahmen der Kampagne nur wenige Aktionen in der "realen Welt" statt. In Hessen kam es, soweit bekannt, zu keinen Veranstaltungen. Raum entfaltete die Kampagne vornehmlich im Internet und in den sozialen Medien. "Leistungsmarsch" | Nach eigenen Angaben unternahmen JN-Aktivisten am 26./27. Juni einen "Leistungsmarsch" in Mittelhessen, woran gemäß einer Videoveröffentlichung sechs Personen teilnahmen. Dabei mussten die Aktivisten mit mindestens 15 Kilogramm Gepäck versehen eine Strecke von insgesamt 50 Kilometern in 48 Stunden bewältigen. Ein Bericht über den Marsch wurde auf einem YouTube-Kanal veröffentlicht, der einem JN-Aktivisten zuzurechnen ist. Zudem verwiesen die JN darauf, dass Märsche dieser Art auch für Nichtmitglieder "offen" seien. ENTSTEHUNG/GESCHICHTE Mit der Gründung der NPD 1964 in Hannover (Niedersachsen) sollten die zersplitterten Kräfte des rechtsextremistischen Lagers in der Bundesrepublik in einer Partei gebündelt werden. Der Großteil des Führungskaders der NPD bestand zunächst aus ehemaligen Mitgliedern der NSDAP. AUF EINEN BLICK * Anschein von Legalität * Krise der NPD * "Drei-Säulen-Konzept" - Erfolge in Ostdeutschland * Konzept der "seriösen Radikalität" * Wahlergebnisse * Erarbeitung eines neuen Konzepts zur künftigen Strategie der Partei Anschein von Legalität | Aus dem Verbot der SRP 1952 durch das Bundesverfassungsgericht zog die NPD den Schluss, sich um den Anschein von Legalität zu bemühen und eine öffentliche Verherrlichung des Nationalsozialismus weitgehend zu unterlassen. Diese Strategie trug dazu bei, dass die NPD bei der Bundestagswahl 1965 zwei Prozent (= 664.193 der Zweitstimmen) erreichte. Zwischen 1966 Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 107 RECHTSEXTREMISMUS und 1968 zog die NPD in die Landtage von Baden-Württemberg, Bayern, Bremen, Hessen, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein ein. Die Mitgliederanzahl stieg, wobei auf sämtlichen Parteiebenen etwa 20 Prozent der Mitglieder eine NSDAP-Vergangenheit aufwiesen. Ursache für den damaligen Auftrieb für die NPD waren zum Beispiel das Bestehen einer nur kleinen Opposition gegenüber der ersten Großen Koalition (1966 bis 1969), die konjunkturelle Schwäche in Deutschland und damit verbundene Verlustängste in der Bevölkerung. Krise der NPD | Bei der Bundestagswahl 1969 scheiterte die NPD mit 4,3 Prozent (= 1.422.010 der Zweitstimmen) relativ knapp an der Fünf-Prozent-Hürde. In der Folge führten unter anderem die innere Zerstrittenheit der Partei, eine sich allmählich bessernde wirtschaftliche Lage sowie die kritische Berichterstattung in den Medien über Ausschreitungen im Zusammenhang mit NPD-Mitgliedern zu einer langjährigen Krise der Partei. Weitere interne Streitigkeiten über die programmatische Ausrichtung, der starke Rückgang der Mitgliederzahlen, der öffentliche Skandal um die Leugnung des Holocausts durch den damaligen NPD-Vorsitzenden Günter Deckert (1991 bis 1995) und das Auftauchen konkurrierender rechtsextremistischer Parteien zementierten die Krise der NPD bis in die 1990er Jahre hinein. "Drei-Säulen-Konzept" - Erfolge in Ostdeutschland | Mit der Wahl Udo Voigts zum Bundesvorsitzenden im Jahr 1996 steigerte die NPD vor allem in den neuen Ländern ihre Mitgliederzahl und erneuerte neben Organisation und Strategie ihre Programmatik. Das neue "Drei-Säulen-Konzept" enthielt folgende Punkte: "Kampf um die Köpfe", "Kampf um die Straße" und "Kampf um die Parlamente". 2004 kam der "Kampf um den organisierten Willen" hinzu. Im Zuge ihres "Kampfs um die Straße" öffnete sich die NPD vor allem gegenüber Neonazis und rechtsextremistischen Skinheads; umgekehrt näherten sich diese der NPD an. Nach dem Scheitern des NPDVerbotsverfahrens 2003 setzte die Partei ihre Politik der Annäherung an die Neonazi-szene fort und konzentrierte ihre Aktivitäten zunehmend auf Ostdeutschland. 2004, 2006, 2009 und 2011 zog die NPD in die Landtage von Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern ein, in denen sie inzwischen nicht mehr vertreten ist. Konzept der "seriösen Radikalität" | Holger Apfel, der 2011 gewählte Nachfolger Udo Voigts als Bundesvorsitzender, wollte mit seinem Konzept der "seriösen Radikalität" die NPD aus der Krise führen, in die sie unter anderem durch eine Reihe von Niederlagen bei Land108 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 RECHTSEXTREMISMUS tagswahlen sowohl im Osten als auch im Westen Deutschlands geraten war. Offensichtlich aus persönlichen Gründen legte Apfel 2013 sein Amt als Bundesvorsitzender nieder und trat aus der Partei aus. Vorübergehend übernahm sein Stellvertreter Udo Pastörs die Führung, bis 2014 Frank Franz, vorher Pressesprecher der Partei, zum neuen Bundesvorsitzenden gewählt wurde. Zuvor war die NPD bei den Landtagswahlen in Thüringen, Brandenburg und Sachsen an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert. Mit dem Verlust der staatlichen Teilfinanzierung nach dem Ausscheiden aus dem Sächsischen Landtag und der damit verbundenen Einbuße von Mitarbeitern verlor die NPD eine wesentliche Grundlage ihrer bundesweiten politischen Arbeit. Wahlergebnisse | Seit der Landtagswahl in Sachsen verlor die NPD bei weiteren Wahlen auf Landesund Bundesebene kontinuierlich Stimmen. 2017 erhielt sie bei den Landtagswahlen im Saarland 0,7 Prozent, was einem Minus von 0,5 Prozentpunkten entspricht, sowie in Nordrhein-Westfalen 0,3 Prozent (= minus 0,3 Prozentpunkte). In Hessen erreichte die NPD bei der Landtagswahl 2018 0,2 Prozent der Stimmen (= minus 0,9 Prozentpunkte). Erarbeitung eines neuen Konzepts zur künftigen Strategie der Partei | Ohne Gegenkandidaten wurde Frank Franz auf dem NPD-Bundesparteitag (Motto "Wir setzen uns durch - für unsere Heimat") 2019 in Riesa (Sachsen) erneut zum Bundesvorsitzenden gewählt. Einem von Franz zur Diskussion gestellten Entschließungsantrag über die künftige Strategie der Partei stimmten 80 von 122 Delegierten zu. Damit wurde der Parteivorstand beauftragt, bis zum 31. März 2020 ein Konzept für die Zukunft der NPD zu erarbeiten, wobei auch eine Umbenennung der Partei geprüft werden sollte. Im Berichtszeitraum wurde jedoch keine Erklärung in Bezug auf das zu erarbeitende Strategiepapier veröffentlicht. Dies geschah erst im Mai 2022 auf dem Bundesparteitag in Altenstadt (Wetteraukreis). IDEOLOGIE/ZIELE Die NPD steht für Antiparlamentarismus und Antipluralismus. Mit ihrer fremdenfeindlichen, rassistischen und antisemitischen Programmatik wendet sie sich offen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung. AUF EINEN BLICK * Überwindung des "Systems" * "Solidargemeinschaft aller Deutschen" - Islamfeindlichkeit - Antisemitismus Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 109 RECHTSEXTREMISMUS Überwindung des "Systems" | Die NPD will die parlamentarische Demokratie von innen heraus, das heißt mittels Parteiarbeit, abschaffen. Die NPD will die politische und gesellschaftliche Ordnung der Bundesrepublik Deutschland, von ihr in Anlehnung an die Sprache des Nationalsozialismus als rein machtorientierte Herrschaft der "Systemparteien" diffamiert, durch eine ethnisch homogene "Volksgemeinschaft" ersetzen. Solidarität soll nur "ethnischen Deutschen" zuteilwerden. So heißt es im Parteiprogramm: "Der ethnischen Überfremdung Deutschlands durch Einwanderung ist genauso entschieden entgegenzutreten wie der kulturellen Überfremdung durch Amerikanisierung und Islamisierung". Diejenigen, die in den Augen der NPD "Fremde" sind, grenzt sie aus. So seien "Ausländer [...] aus dem deutschen Sozialversicherungswesen auszugliedern und einer gesonderten Ausländersozialgesetzgebung zuzuordnen. In ihrer Ausgestaltung von Pflichten und Ansprüchen hat sie auch dem Rückführungsgedanken Rechnung zu tragen. [...] Asylbewerber haben keinen Anspruch auf Sozialleistungen". "Solidargemeinschaft aller Deutschen" - Islamfeindlichkeit - Antisemitismus | Der Globalisierung will die NPD begegnen, indem sie das bestehende "System" durch eine "Solidargemeinschaft aller Deutschen" ersetzt. Darüber hinaus werden Muslime diffamiert. Auch antisemitische Positionen sind in der NPD verbreitet. Die Partei vertritt zwar keine offen antisemitische Programmatik, sie streut aber entsprechende Vorurteile. STRUKTUREN Die 2010 vorgenommene Neugliederung des Landesverbands in zwei Unterbezirke und elf Kreisverbände erforderte 2015 eine erneute Modifizierung, indem sechs Bezirksverbände (Nordhessen, Osthessen, Mittelhessen, Wetterau-Kinzig, Rhein-Main und Südhessen) geschaffen wurden. Auf den ersten Blick scheint die NPD flächendeckend in Hessen vertreten zu sein. Die Umstrukturierung in größere Bezirksverbände macht jedoch deutlich, dass für feingliedrige Strukturen das notwendige Personal fehlte. Die tatsächlich vorhandenen Strukturen waren in weiten Teilen Hessens nur schwach ausgeprägt. 110 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 RECHTSEXTREMISMUS BEWERTUNG/AUSBLICK NPD Hessen | In Anbetracht der "Corona-Maßnahmen" war die NPD nur bedingt in der Lage, ihre rechtsextremistische Ideologie im Rahmen von öffentlichkeitswirksamen Aktionen auf die "Straße" zu tragen. Um dennoch eine Wirkung zu erzielen, versuchte sich die NPD Hessen mittels anhaltender Kritik an den "Corona-Maßnahmen" als "Kümmererin" zu präsentieren. Dies geschah sowohl im virtuellen Raum (Internet, soziale Medien) als auch vereinzelt bei Protestkundgebungen, wobei sie weitestgehend einen sichtbaren Bezug zu ihr als Partei vermied. Absicht war es, das Stigma Verfassungsfeindlichkeit zu umgehen und dadurch seriös zu erscheinen, um mit protestierenden Bürgern ins Gespräch zu kommen und auf diese Weise als Partei anschlussfähig zu werden. Dies gelang der NPD jedoch nur bedingt. Die Zahl der an Protestkundgebungen beteiligten NPD-Aktivisten bewegte sich im oberen einstelligen bis unteren zweistelligen Bereich, wobei diese über das gesamte Berichtsjahr hinweg nur bei wenigen Veranstaltungen anwesend waren. Erst gegen Jahresende nahmen Anhänger der NPD Hessen vermehrt an Protesten teil, wobei die regionalen Schwerpunkte im Wetteraukreis sowie im Lahn-DillKreis lagen. Die Ergebnisse der NPD sowohl bei der hessischen Kommunalwahl als auch bei der Bundestagswahl zeigen, dass ihre Bedeutung als Wahlpartei sehr gering ist. Indem sie bei der Bundestagswahl lediglich 0,1 Prozent erreichte, lag sie deutlich unter der Marke von mindestens 0,5 Prozent, die der NPD die Teilnahme an der staatlichen Teilfinanzierung ermöglicht hätte. Somit fehlt der Partei weiterhin eine wichtige Einnahmequelle. JN Hessen | Im Kontext der "Corona-Maßnahmen" gingen die öffentlichkeitswirksamen Aktivitäten der JN sowie die Zahl der von ihnen im Internet und in den sozialen Medien veröffentlichten Beiträge im Vergleich zum Vorjahr nochmals zurück. Zwar unterstützten die JN Hessen die Mutterpartei vereinzelt im Wahlkampf anlässlich der hessischen Kommunalwahl, darüber hinaus entfalteten sie jedoch nur in einem sehr geringen Maß wahrnehmbare Aktivitäten. Der wichtigste Grund hierfür lag augenfällig in den weiterhin bestehenden strukturellen und personellen Problemen der Jugendorganisation. Es ist nicht zu erwarten, dass es den JN Hessen gelingen könnte, diese Probleme nachhaltig zu überwinden. Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 111 RECHTSEXTREMISMUS Der Dritte Weg/Der III. Weg DEFINITION/KERNDATEN Die Partei Der Dritte Weg propagiert ein völkisch-antipluralisLogo der Partei tisches Menschenund Gesellschaftsbild. Unter den SchlagDer Dritte Weg worten "national", "revolutionär" und "sozialistisch" formuliert Der Bundesvorsitzender: Dritte Weg in seiner gleichnamigen Broschüre mit dem Begriff "ReKlaus Armstroff (Rheinlandvolution" einen "grundlegenden, allumfassenden, systematischen Pfalz) bis zum 13. November und nachhaltigen Wandel" sowie die "Durchdringung der Politik und 2021, Matthias Fischer Gesellschaft mit unserer Weltanschauung" als Ziele. Eine solche Re(Brandenburg) seit dem 13. volution sei nicht mit Waffengewalt zu erzwingen, wenngleich es notNovember 2021 wendig sein dürfte, dass "einige Scheiben" zerbrächen, wenn es Sitz: gelte, das deutsche Volk "in seiner ethnischen Existenz zu sichern" Weidenthal (Rheinland-Pfalz) und eine "Jahrtausende umfassende Hochkultur zu retten". Unter den Mitgliedern der Partei, die überwiegend aus dem neonazistiMitglieder: In Hessen etwa 30, schen Spektrum stammten, befanden sich im Berichtszeitraum Perbundesweit etwa 650 sonen aus dem Umfeld des verbotenen Freien Netzes Süd (FNS), der völkisch geprägten Neonaziszene sowie frühere Mitglieder der NPD. Medien: Internetpräsenzen, Publikationen EREIGNISSE/ENTWICKLUNGEN / Wie in den Vorjahren legte die Partei Der Dritte Weg großen Wert auf Agitation und Propaganda im Zuge öffentlichkeitswirksamer Auftritte. Einen Schwerpunkt bildete - wie bereits im vergangenen Jahr - die COVID-19-Pandemie sowie deren gesellschaftlichen, politischen und wirtschaftlichen Auswirkungen. Die Partei versuchte hierbei, die Pandemie als Projektionsfläche im Sinne der eigenen Ideologie zu nutzen und sich als "Kümmererin in der Krise" zu stilisieren. Daneben spielte wie auch in den vorherigen Jahren die Agitation in den Themenbereichen "Asylund Flüchtlingspolitik" und Revisionismus eine wichtige Rolle, wobei Der Dritte Weg sowohl auf typische fremdenfeindliche als auch auf rechtsextremistische Narrative zurückgriff. Des Weiteren war die Agitation im Zusammenhang mit dem Wahlkampf zur Bundestagswahl von großer Bedeutung für die Partei. AUF EINEN BLICK * Agitation im Kontext der COVID-19-Pandemie * "Revolution auf Sendung" - "Nationalrevolutionäre Schriftenreihe" * "Gedenkveranstaltungen" * Weitere Veranstaltungen * Teilnahme an Wahlen * Neuer Parteivorsitzender 112 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 RECHTSEXTREMISMUS Agitation im Kontext der COVID-19-Pandemie | Sowohl in der virtuellen als auch in der "realen Welt" setzte Der Dritte Weg die Diffamierung der "Corona-Maßnahmen" und der entsprechend handelnden Politiker fort. Die von der Bundespartei im März 2020 gestartete deutschlandweite Kampagne "Das System ist gefährlicher als Corona" wurde auch im Berichtsjahr weitergeführt. In deren Zentrum standen die Kritik an den angeblich ungerechtfertigten Grundrechtseingriffen der Bundesregierung und das angeblich eigene "Kümmern" des Dritten Wegs. Die Kampagne richtete sich insbesondere an nichtextremistische Teile der Bevölkerung, um so anschlussfähig zu werden und gegebenenfalls eine weitere Anhängerschaft für die Partei zu erschließen. Im Berichtsjahr wurde die Kampagne durch den Aufruf "Auf die Straße - Impfpflicht verhindern! Zwangsmaßnahmen beenden!" ergänzt. Hierbei rief der Dritte Weg dazu auf, sich aktiv an den sogenannten Spaziergängen zu beteiligen und gegen die "Zwangsmaßnahmen" der Regierung zu demonstrieren. Auf der Homepage der Partei wurden dazu Termine und Örtlichkeiten deutschlandweit veröffentlicht. Nach eigenen Angaben beteiligten sich Aktivisten des Dritten Wegs aus Hessen regelmäßig an den "Spaziergängen", wie zum Beispiel in Limburg, Weilburg (beide Landkreis Limburg-Weilburg), Groß-Gerau (Kreis Groß-Gerau) und Wetzlar (Lahn-Dill-Kreis). Teilweise traten die Aktivisten öffentlich mit Parteikleidung auf und trugen Plakate mit der Aufschrift "Das System ist gefährlicher als Corona", etwa bei einer Demonstration am 4. Dezember in Frankfurt am Main. In Hessen nutzte Der Dritte Weg die Pandemie und die "Corona-Maßnahmen" auch, um seine islamfeindliche Agitation voranzutreiben. So verteilten Aktivisten in Mittelhessen im Umfeld von Moscheegemeinden Flyer, um auf den angeblichen "Ausländerbonus im Bundes-Lockdown" im Zusammenhang mit dem Ende des Ramadans aufmerksam zu machen. Zudem wurde dazu aufgerufen, "staatliche Ungleichbehandlung" direkt an die Partei zu melden, um zu "weiteren Recherchen bzw. geeigneten Maßnahmen zur politischen Aufklärung" anzusetzen: "Melden Sie [...], wenn die Behörden trotz Schließungsanordnung bei weiterhin geöffneten Geschäften bzw. offensichtlichen Verstößen bei deren Betrieb und bei beschränkungswidrigen Versammlungen von Ausländer, wie Hochzeiten oder Familienfeiern, nicht eingreifen bzw. es zu keinen Sanktionen kommt. Melden Sie uns auch, wenn mit zweierlei Maß gemessen wird, etwa bei Kontrollen von kirchlichen Gottesdiensten bei gleichzeitiger Nichtkontrolle von Moscheen". "Revolution auf Sendung" - "Nationalrevolutionäre Schriftenreihe" | Vor dem Hintergrund des Pandemiegeschehens führte Der Dritte Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 113 RECHTSEXTREMISMUS Weg sein Internetradio "Revolution auf Sendung" fort. Um ihre Ideologie zu verbreiten nutzte die Partei im Rahmen der "Nationalrevolutionären Schriftenreihe" auch klassische Medien wie etwa Bücher und Broschüren. "Gedenkveranstaltungen" | Verbunden mit der Forderung nach einem "zentralen Gedenktag" für die Opfer der alliierten Bombenangriffe des Zweiten Weltkriegs führte Der Dritte Weg zum wiederholten Male seinen traditionellen "Gedenkmarsch" unter dem Motto "Wir tragen das Licht für Dresden weiter" durch. Der Marsch startete in Bamberg (Bayern), dem Endpunkt der letztjährigen Kampagne. Das "Licht für Dresden" wurde vom 29. Januar bis 7. Februar in zwölf Etappen nach Dresden (Sachsen) getragen, wo am 13. Februar die zentrale "Gedenkveranstaltung" stattfand. Auf der Homepage des Dritten Wegs hieß es hierzu: "Anläßlich der Luftangriffe alliierter Terrorverbände vom 13. - 15. Februar 1945 gedachten unter schikanösen behördlichen (Corona-)Auflagen rund 700 Nationalisten der Bombenopfer von Dresden. [...] Weit über Hundert Aktivisten unserer nationalrevolutionären Partei reihten sich diszipliniert bei der Trauerkundgebung ein, ein Trauermarsch wurde seitens der Behörden untersagt. Am Ende der Veranstaltung übergaben die Organisatoren das 'Licht für Dresden' zurück an unseren Parteivorsitzenden Klaus Armstroff". In Zusammenhang mit der "Darmstädter Brandnacht", die sich in der Nacht vom 11. auf den 12. September zum 77. Mal jährte, führten Aktivisten des Dritten Wegs aus Hessen Flyerverteilungen und "Gedenkaktionen" in Darmstadt durch. Auf dem Waldfriedhof gedachten die Aktivisten der Opfer und entzündeten nach eigenen Angaben Kerzen mit dem Parteilogo und legten Kränze nieder. Darüber hinaus führten im Berichtsjahr Aktivisten des Dritten Wegs weitere "Gedenkveranstaltungen" durch. Anlässe waren unter anderem der 8. Mai 1945, der Hessische Gedenktag für die Opfer von Flucht, Vertreibung und Deportation sowie der Volkstrauertag. Gemäß eigener Berichterstattung reinigten Aktivisten dabei Kriegsdenkmäler, stellten Grablichter mit dem Logo der Partei auf und legten Kränze nieder. "Gedenkveranstaltungen" dieser Art fanden im Taunus und Westerwald, in Weilburg (Landkreis Limburg-Weilburg), Wiesbaden und Bad Wildungen (Landkreis Waldeck-Frankenberg) sowie im Kreis Groß-Gerau und im Landkreis Darmstadt-Dieburg statt. Die zentrale Veranstaltung bildete für den Dritten Weg nach wie vor das "traditionelle Heldengedenken", das jährlich zum Volkstrauertag am 13. November in Wunsiedel (Bayern) unter dem Motto "Tot sind 114 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 RECHTSEXTREMISMUS nur jene, die vergessen werden" abgehalten wird. Nachdem das "Heldengedenken" 2020 aufgrund der COVID-19-Pandemie abgesagt worden war, fand es im Berichtsjahr wieder statt. Laut eigener Berichterstattung kamen über 200 "Nationalrevolutionäre" nach Wunsiedel. Dabei hielten maßgebliche Funktionäre des Dritten Wegs wie Matthias Fischer und Klaus Armstroff Reden, darüber hinaus fand ein "Gedenkmarsch" statt. Weitere Veranstaltungen | Zu den Veranstaltungen, die in erster Linie eine Stärkung des Gemeinschaftsgefühls in der Partei zum Ziel hatten, gehörten regelmäßig stattfindende Stammtische. Neben den "Gedenkveranstaltungen" beschränkten sich im Kontext der "Corona-Maßnahmen" die Aktivitäten des Stützpunkts Westerwald/Taunus auf Wanderungen und Flyerverteilungen, über die auf der parteieigenen Homepage berichtet wurde. Außerdem fand eine Sommerund Wintersonnwendfeier statt. Zudem gab es in Nordhessen eine Veranstaltung, bei der Interessenten über das Programm und die Aktivitäten der Partei informiert wurden. Außerdem erhielten die Teilnehmer eine Rechtsschulung, um zu lernen, wie man sich verhält, wenn man mit dem "herrschenden Staatssystem in Berührung" kommt. Die "goldene Grundregel" sei: "Keine Aussage bei Polizei bzw. Staatsschutz!" Weiterhin berichtete Der Dritte Weg über umfangreiche Flyerverteilaktionen im Lahn-DillKreis und die eigens dazu erstellte Lahn-Dill-Depesche über die "katastrophalen Folgen der Asylflut". Teilnahme an Wahlen | Zur Bundestagswahl trat Der Dritte Weg mit Landeslisten in Bayern und Sachsen an. Mit einem Plakat, auf dem in Großbuchstaben "Hängt die Grünen!" (und darunter in wesentlich kleineren Buchstaben "Macht unsere nationalrevolutionäre Bewegung durch Plakatwerbung in unseren Parteifarben in Stadt und Land bekannt!") stand, erzielte die Partei bundesweites Aufsehen. Die Plakate wurden in München (Bayern) und Zwickau (Sachsen) durch entsprechende Gerichtsurteile verboten. Als Begründung führte das Oberverwaltungsgericht (OVG) Bautzen an, dass das Plakat den "objektiven Tatbestand der Volksverhetzung" erfüllt. Das LG München hatte bereits vorher entschieden, dass das Plakat geeignet ist, den "öffentlichen Frieden durch Aufstacheln zum Hass sowie durch einen Angriff auf die Menschenwürde der Mitglieder [der Partei Bündnis 90/DIE GRÜNEN] zu stören". Nach eigenen Angaben unterstützten Aktivisten aus Hessen den Wahlkampf im Rahmen von Plakatierungen in Miltenberg (Bayern), wogegen Wahlkampfwerbung in Hessen nicht stattfand. In Bayern Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 115 RECHTSEXTREMISMUS erzielte Der Dritte Weg 3.544 Zweitstimmen (= 0,0 Prozent) und in Sachsen 515 Erststimmen sowie 4.288 Zweitstimmen (= jeweils 0,0 Prozent). Mandate wurden nicht erlangt. Bereits im Vorfeld der Bundestagswahl hatte der Dritte Weg damit gerechnet, dass für die "nationalrevolutionäre Bewegung bei dieser Wahl kein Erdrutschsieg zu erzielen sein würde". Trotzdem erreichte die Partei durch ihren Wahlantritt und insbesondere aufgrund ihres vielfach erörterten Plakats "Hängt die Grünen!" eine höhere Bekanntheit als zuvor. Auf ihrer Homepage behauptete die Partei, durch die Teilnahme an der Bundestagwahl eine große Zahl an neuen Interessenten gewonnen zu haben. Daher sei der Wahlkampf ein Erfolg gewesen, auch wenn dieser nicht direkt in Stimmen gezählt werden könne. Neuer Parteivorsitzender | Am 13. November wurde Matthias Fischer zum neuen Parteivorsitzenden gewählt. Klaus Armstroff, der bisherige Parteivorsitzende, hatte sich aus persönlichen Gründen nicht mehr zur Wahl aufstellen lassen und wurde zum stellvertretenden Parteivorsitzenden gewählt. Laut Satzung der Partei gehörte eine Person aus Hessen als Beisitzer dem Bundesvorstand an. Des Weiteren gehörte ein weiterer Rechtsextremist aus Hessen dem Vorstand des Landesverbands West als Beisitzer an. ENTSTEHUNG/GESCHICHTE Die Partei Der Dritte Weg wurde 2013 in Heidelberg (BadenWürttemberg) gegründet. Nach und nach entstanden verschiedene länderübergreifende Stützpunkte, unter anderem auch der Stützpunkt Westerwald/Taunus, der im Wesentlichen den Landkreis Limburg-Weilburg und den Lahn-Dill-Kreis sowie angrenzende Landkreise in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen umfasst. Seit ihrer Gründung führte die Partei vor allem Demonstrationen, "Heldengedenken" und gegen Flüchtlinge und die Flüchtlingspolitik gerichtete Flugblattverteilaktionen durch bzw. veröffentlichte entsprechende Verlautbarungen im Internet. IDEOLOGIE/ZIELE Das "Zehn-Punkte-Programm" der Partei der Dritte Weg bezieht sich sowohl von der Bezeichnung als auch vom Inhalt her auf das 25Punkte-Programm der NSDAP und enthält dessen rechtsextremistische - im Detail nationalsozialistische - Programmatik. In diesem Programm verdeutlicht sich die damit verbundene antidemokratische Ausrichtung des Dritten Wegs, die auf die Überwindung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zielt. 116 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 RECHTSEXTREMISMUS AUF EINEN BLICK * "Zehn-Punkte-Programm" * "National, revolutionär, sozialistisch" * Das Volk als "Blutund Schicksalsgemeinschaft" - Liberalismus als "geistige Immunschwächekrankheit" "Zehn-Punkte-Programm" | In seinem Parteiprogramm benennt Der Dritte Weg einen "Deutschen Sozialismus, fernab von ausbeuterischem Kapitalismus sowie gleichmacherischem Kommunismus" als sein Ziel. Das deutsche Volk wird als "naturgesetzliche Gemeinschaft" gesehen. Eine Forderung der Partei besteht in der Förderung kinderreicher deutscher Familien zur "Abwendung des drohenden Volkstodes". Daneben gibt Der Dritte Weg die "Erhaltung und Entwicklung der biologischen Substanz des Volkes" als ein weiteres Ziel an. Darüber hinaus vertritt die Partei in ihrem "Zehn-Punkte-Programm" ein geschichtsrevisionistisches Deutschlandbild. So wird eine "friedliche [...] Wiederherstellung Gesamtdeutschlands in seinen völkerrechtlichen Grenzen" gefordert. Weitere Forderungen sind sowohl die Verstaatlichung sämtlicher Schlüsselindustrien als auch die Einführung der Todesstrafe für Kindermord und andere Kapitalverbrechen. "National, revolutionär, sozialistisch" | Die Partei Der Dritte Weg begreift sich, gemäß ihres im Jahre 2015 veröffentlichten Selbstverständnisses, als "nationalrevolutionär" und propagiert einen "deutschen Sozialismus" als "dritten Weg" abseits von Kommunismus und "Kapitalismus". Die Partei knüpft damit zumindest in Teilen an die Programmatik des sogenannten linken Flügels der NSDAP an. Der Programmatik des Dritten Wegs liegt ein völkisches Menschenbild, das sich eng am Nationalsozialismus und der rechtsextremistischen Kameradschaftsszene orientiert, zugrunde. So heißt es in der im Jahr 2017 erschienenen Broschüre "National, Revolutionär, Sozialistisch" in Bezug auf die drei Kernbegriffe "national, revolutionär, sozialistisch": "Nur diese drei Begriffe zusammengefasst ergeben eine ganzheitliche Wirkung, welche das politische, das wirtschaftliche, das soziale und das geistige Leben zu einer Synthese zusammenführt". Das Volk als "Blutund Schicksalsgemeinschaft" - Liberalismus als "geistige Immunschwächekrankheit" | Gemäß seines völkischen Menschenbilds definiert Der Dritte Weg den Nationalismus als die "politische Idee, die die Interessen und das Überleben des eigenen Volkes in den Mittelpunkt aller Betrachtungen und Entscheidungen" Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 117 RECHTSEXTREMISMUS rücke. So komme der "echte Nationalismus" nicht ohne eine "völkische Komponente" aus, wobei das Blut der "Schlüssel zum Verständnis der volkseigenen Kultur und der Seele des völkischen Lebens" sei. Das Volk sei nicht nur eine "Blut-, sondern auch eine Schicksalsgemeinschaft", aus deren "übergeordnete[m] Willen" sich die Nation bilde. Im Liberalismus hingegen verkörpere der "Einzelne den wichtigsten Wert" und habe den "europäische[n] Mensche[n]" einer Immunschwächekrankheit gleich "auf seine Existenz als Einzelwesen reduziert und seiner Kultur, Heimat und Identität beraubt". In diesem Kontext sieht sich Der Dritte Weg "unseren kulturund blutsverwandten Völkern in Europa verbunden". In Bezug auf ihre Feindbilder beschränkt sich die Partei keinesfalls nur auf Deutschland: "Egal ob Westoder Ost-, Süd[-] oder Nordeuropa, es sitzen überall die gleichen Verräter, die gleichen Vertreter des feigen Bürgertums und die gleichen Geldempfänger des Kapitals in den Parlamenten. Daher können wir sie gar nicht anders als gleichsam hassen und verachten. Wir fiebern jedem Schlag, ja jedem Nadelstich, den die verschiedenen europäischen Bewegungen den volksfeindlichen Systemen beibringen, entgegen, begeistern uns über jeden Erfolg und verneigen uns vor jedem Toten und jedem Verletzten des gesamteuropäischen Kampfes". STRUKTUREN Die im Jahr 2020 veränderten Parteistrukturen, bei denen Gebietsverbände aufgelöst und Landesverbände gegründet wurden, dienten dazu, an Wahlen teilzunehmen. Im Berichtsjahr wurden die zwei Stützpunkte Magdeburg/Altmark und Erfurt/Gotha neu gegründet, sodass Der Dritte Weg im Berichtsjahr über insgesamt 20 Stützpunkte verfügte. Der in Hessen aktive Stützpunkt Westerwald/Taunus ist dem Landesverband West zugeordnet und umfasst den Landkreis Limburg-Weilburg und den Lahn-Dill-Kreis. Insgesamt versuchte Der Dritte Weg im Berichtsjahr seine Strukturen in Hessen weiter auszubauen und berichtete im Internet über viele Interessentenanfragen im Zuge der Bundestagswahl. BEWERTUNG/AUSBLICK Wie in der Vergangenheit bestand der Schwerpunkt der Tätigkeit des Dritten Wegs in der Agitation und Propaganda. Hierzu führte die Partei etliche Veranstaltungen und Aktionen durch, wobei der Fokus weiterhin auf den Themenfeldern "Corona-Politik" sowie "Asyl und Zuwanderung" lag. Durch die Teilnahme an der Bundestagwahl und das im Wahlkampf verwendete Plakat "Hängt die Grünen!" erlangte 118 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 RECHTSEXTREMISMUS Der Dritte Weg deutschlandweite Aufmerksamkeit und versuchte dies auszunutzen, um seine Strukturen weiter auszubauen und neue Mitglieder zu gewinnen. Obwohl Der Dritte Weg das Parteiensystem ablehnt, ist seine Teilnahme an Wahlen als Versuch zu werten, auf Teile der Bevölkerung offensiver zuzugehen und die Mechanismen und Vorteile der repräsentativen Demokratie zum Zweck der Überwindung der freiheitlich demokratischen Grundordnung für sich zu nutzen. Außerdem bemühte sich die Partei weiterhin, die COVID-19-Pandemie für die eigenen Ziele zu instrumentalisieren. So stellte Der Dritte Weg die "Corona-Maßnahmen" auf europäischer und deutschlandweiter Ebene negativ dar und attestierte Politik und Institutionen ein generelles Versagen. Die Partei lehnte die behördlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie sowie eine "Impfpflicht" strikt ab. Die aktive Teilnahme von Aktivisten an den "Spaziergängen" in ganz Deutschland unterstreicht dies deutlich. Auch in Hessen war eine fortgesetzte Teilnahme von Aktivisten an entsprechenden Veranstaltungen festzustellen. Nach wie vor bediente sich Der Dritte Weg zur Verbreitung seiner Propaganda im Internet und in sozialen Medien. Vor allem auf ihrer Homepage propagierte die Partei die Notwendigkeit einer völkischen Politik und einer damit verbundenen restriktiven Flüchtlingspolitik. Mit ihrer Nationalrevolutionären Schriftenreihe bediente sich die Partei jedoch auch klassischer Medien zur Verbreitung ihrer Ideologie. Einen Schwerpunkt der Aktivitäten des Dritten Wegs stellten weiterhin "Gedenkveranstaltungen" dar. Diese sollten zum einen der besseren Anschlussfähigkeit der Partei an die Mitte der Gesellschaft dienen und zum anderen einen Gegenentwurf zur allgemein gesellschaftlich akzeptierten und praktizierten Erinnerungskultur entwerfen. Nach innen dienten die "Gedenkveranstaltungen" auch der Stärkung des Gemeinschaftsgefühls in der Partei. Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 119 RECHTSEXTREMISMUS DIE RECHTE DEFINITION/KERNDATEN Die Partei DIE RECHTE vertritt neonationalsozialistische, antiLogo der Partei semitische und fremdenfeindliche Standpunkte. Sie lehnt den DIE RECHTE Parlamentarismus zwar grundsätzlich ab, versucht jedoch die Organisationsform als Partei als "Mittel zum Zweck" zu nutzen, um den Landesvorsitzender: Nicht bekannt von ihr angestrebten fundamentalen Systemwechsel zu erreichen. Mutmaßlich auch, um einer Aberkennung des Parteienprivilegs zu Bundesvorsitzende: entgehen, bemühte sich DIE RECHTE, formale Parteiaktivitäten zu Christian Worch entfalten. Neben dem Abhalten von Parteitagen tritt DIE RECHTE regelmäßig zu Wahlen an und errang dabei bundesweit mehrere Mitglieder: In Hessen etwa zehn, Kommunalmandate. Signifikante Erfolge bei überregionalen bundesweit etwa 500 Wahlen blieben bislang aber aus. Medien: Internetpräsenzen EREIGNISSE/ENTWICKLUNGEN / Der in der Vergangenheit mehrfach von der Partei DIE RECHTE angekündigte Ausbau ihrer Strukturen in Hessen fand auch im Berichtsjahr offensichtlich nicht statt. Insgesamt hatte der Landesverband weiterhin mit strukturellen und personellen Schwächen zu kämpfen, was mutmaßlich auch dazu führte, dass die Partei entgegen der Ankündigungen im Vorjahr nicht zur hessischen Kommunalwahl 2021 antrat. Ebenso waren - im Unterschied zu den vorherigen Jahren - keine öffentlichkeitswirksamen Aktivitäten des Landesverbands Hessen festzustellen. Dagegen griff der Bundesverband der Partei die Thematisierung der "Corona-Maßnahmen" in Politik, Gesellschaft und Medien auf und versuchte, sowohl im Internet als auch in der "realen Welt" die COVID-19-Pandemie und die entsprechenden staatlichen Maßnahmen sowie dagegen gerichtete Protestkundgebungen für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. AUF EINEN BLICK * Reaktionen auf die COVID-19-Pandemie * "Trauermarsch" für Siegfried Borchardt * Mitglied des Landesvorstands verurteilt Reaktionen auf die COVID-19-Pandemie | Der Bundesverband der Partei thematisierte weiterhin im Internet und in den sozialen Medien die COVID-19-Pandemie und übte Kritik an den damit einhergehenden "CoronaMaßnahmen" sowie an dem Krisenmanagement der Bundesregierung. Dabei bemühte die Partei immer wieder zwei Narrative: Die Politik würde einerseits im Zusammenspiel mit den Medien die Pandemie dazu nutzen, die Bevölkerung bewusst zu verunsichern und zu ängstigen, um sukzessive demokratische Prinzipien 120 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 RECHTSEXTREMISMUS auszuhebeln und Freiheitsrechte nachhaltig zu beschneiden; andererseits würde durch die staatlichen Maßnahmen die Spaltung der Gesellschaft befördert. Entsprechend hieß es am 24. September auf der Internetseite der Partei DIE RECHTE über den Mord an einem Tankstellenmitarbeiter in Idar-Oberstein (Rheinland-Pfalz): "Die Eskalation findet von beiden Seiten statt. Zumindest verbal. (Immerhin ist bisher noch niemand erschossen worden, weil er k e i n e Maske getragen hat. Was nicht heißt, daß das nicht möglicherweise auch eines Tages noch passieren könnte...) Die Spaltung findet in der gesamten Gesellschaft statt. Und da kann es - auch wenn das traurig ist und nicht sein sollte! - in Einzelfällen sogar zu tödlichen Exzessen kommen". (Schreibweise wie im Original.) Darüber hinaus behauptete DIE RECHTE auf ihrer Internetseite, dass auf "Intensivstationen ungewöhnlich viele Corona-Patienten liegen, die Migranten sind. Die Rede ist von so ungefähr 50 Prozent". Die Ursache sah die Partei vor allem in "kulturelle[n] Angewohnheiten" von Migranten, nicht aber in "Sprachbarriere", so wie die "offizielle Sprachregelung" angeblich lautete: "Menschen aus den Regionen, aus denen die meisten Migranten kommen, leben oftmals in Großfamilien (und dann teilweise unter engen räumlichen Verhältnissen). Und sie lassen ungern davon ab, ihre Familienfeiern in großem Kreis durchzuführen. Dabei geht es wohl weniger darum, daß sie die Corona-Vorschriften aus sprachlichen Gründen nicht verstehen, sondern mehr, daß sie ihnen völlig egal sind". (Schreibweise wie im Original.) Darüber hinaus nahmen Aktivisten der Partei DIE RECHTE an Demonstrationen - etwa in Düsseldorf und Köln (Nordrhein-Westfalen) - gegen die "Corona-Maßnahmen" teil, worüber auf der Homepage der Bundespartei berichtet wurde. Eine entsprechende Teilnahme im Berichtsjahr in Hessen war nicht festzustellen. "Trauermarsch" für Siegfried Borchardt | Aus Anlass des Todes des in der rechtsextremistischen Szene einflussreichen Neonazis und Mitglieds der Partei DIE RECHTE fand am 9. Oktober in Dortmund (Nordrhein-Westfalen) ein "Gedenkmarsch" mit etwa 500 Personen - darunter Rechtsextremisten aus Hessen - statt. Der "Gedenkmarsch", zu dem bundesweit mobilisiert worden war, verlief ohne besondere Vorkommnisse, wobei es zu mehreren Gegenveranstaltungen kam. Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 121 RECHTSEXTREMISMUS Mitglied des Landesvorstands verurteilt | Im September wurde ein Mitglied des Landesvorstands der Partei DIE RECHTE unter anderem wegen gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren auf Bewährung verurteilt. Das Urteil ist rechtskräftig. Hintergrund war eine am 30. Dezember 2018 gemeinschaftlich begangene gefährliche Körperverletzung und Sachbeschädigung in einer Gaststätte in Kirchhain (Landkreis Marburg-Biedenkopf). ENTSTEHUNG/GESCHICHTE Die Partei DIE RECHTE gründete sich 2012 zunächst als Auffangbecken für Mitglieder der ehemaligen rechtsextremistischen DVU, an deren Auffassungen sich das Programm der neuen Partei anfangs orientierte. Kurz danach traten Neonazis und frühere NPD-Mitglieder in die Partei ein. Die Parteigründung stand auch im Kontext von strategischen Erwägungen der rechtsextremistischen Szene. So suchten Rechtsextremisten aufgrund verschiedener Verbote von Kameradschaften nach einer neuen, weniger "verbotsanfälligen" Organisationsform. Im August 2017 gründete sich der Landesverband Hessen. Ein solcher hatte zuvor bereits von November 2012 bis März 2014 bestanden. IDEOLOGIE/ZIELE Neben dem Neonazismus bilden Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit die ideologischen Schwerpunkte der Partei. Darüber hinaus vertritt DIE RECHTE maßgeblich revisionistische Einstellungen. Dies wurde nicht zuletzt durch die Wahl der wegen Volksverhetzung (Leugnen des Holocausts) verurteilten Ursula Haverbeck, mit der sich auch der Landesverband Hessen solidarisch zeigte, als Spitzenkandidatin für die Europawahl im Jahr 2019 deutlich. STRUKTUREN Im Vergleich zu Gliederungen der Partei in anderen Ländern verfügte der Landesverband Hessen nur über rudimentär ausgeprägte Strukturen. Unterhalb der Ebene des Landesverbands gab es keine Kreisverbände oder sogenannte Stützpunkte. Innerhalb Hessens lag der Aktivitätsschwerpunkt der Partei DIE RECHTE in den vergangenen Jahren im Schwalm-Eder-Kreis. Flächendeckend war die Partei in Hessen nicht vertreten. Darüber hinaus stellte der Landesverband die Kommunikation über die eigene Homepage in der zweiten Jahreshälfte 2020 gänzlich ein. 122 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 RECHTSEXTREMISMUS BEWERTUNG/AUSBLICK Da der Landesverband Hessen der Partei DIE RECHTE seine Kommunikation über seine Homepage im Jahr 2020 einstellte und auch darüber hinaus keine Aktivitäten im Berichtszeitraum festzustellen waren, ist weiterhin davon auszugehen, dass er seine personellen und strukturellen Probleme nicht lösen konnte. Ein Anzeichen hierfür ist, dass die Partei - entgegen anderslautender Vorankündigungen - nicht zur hessischen Kommunalwahl antrat. Vor diesem Hintergrund und der im Berichtsjahr zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe gegen einen Führungskader des Landesverbands Hessen ist ein Wiederanstieg des Aktivitätsniveaus des hessischen Landesverbands der Partei DIE RECHTE vorerst nicht abzusehen. Im Gegensatz zum Landesverband Hessen versuchten der Bundesverband und einzelne Kreisverbände unter dem Deckmantel der COVID-19-Pandemie unter anderem mittels Einflussnahmen auf die "Corona-Proteste" Anschlussfähigkeit zu erlangen und neue Anhänger zu gewinnen. Auf diesem Wege versucht die Partei DIE RECHTE ihre fremdenfeindliche Ideologie in Teile der Gesellschaft zu tragen. Weiterhin verfolgte die Bundespartei das Ziel, ihre neonazistische Ideologie zu verbreiten und dabei sowohl Anschluss an weitere Teile der rechtsextremistischen Szene als auch der Mitte der Gesellschaft zu finden. Es ist zu erwarten, dass DIE RECHTE diesen Weg auch in Zukunft beschreiten wird. KOMMUNIKATIONSSTRATEGIEN VON RECHTSEXTREMISTEN Durch die stetige Entwicklung des Internets und die daraus resultierenden Möglichkeiten der Kommunikation verändern sich immer wieder die Strategien und Taktiken der Rechtsextremisten. Soziale Netzwerke wie etwa Facebook, Blogs, Videoplattformen (zum Beispiel YouTube) sowie eigene Internetauftritte wie Homepages, Nachrichtenportale oder Foren sind für Rechtsextremisten wichtige Hilfsmittel für die digitale Verbreitung ihrer Propaganda, da sie mit wenig Aufwand ein breites Publikum erreichen können. AUF EINEN BLICK * Offene und versteckte Propaganda * Erhöhte Sensibilisierung * Online-Radikalisierung * Intensivierung der Bekämpfungsansätze Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 123 RECHTSEXTREMISMUS Offene und versteckte Propaganda | Die fortschreitende Digitalisierung hat die rechtsextremistische Szene nachhaltig verändert und das Entstehen einer Reihe von neuen Anlaufpunkten, Akteuren und Aktionsformen bewirkt. Rechtsextremisten bzw. rechtsextremistische Organisationen nutzen das Internet einerseits, um offen für ihre Ideen und Aktivitäten zu werben und um Gleichgesinnte zu gewinnen; andererseits gehen sie konspirativ vor und rufen zum Beispiel Initiativen ins Leben, die auf den ersten Blick keinen rechtsextremistischen Hintergrund vermuten lassen, sondern Themen ansprechen, die beim Großteil der Bevölkerung auf Ablehnung stoßen (zum Beispiel Kindesmissbrauch). Hierüber suchen Rechtsextremisten besonders den Kontakt zu Menschen, die bisher keinen Bezug zum Rechtsextremismus hatten. Neben den Internetplattformen nutzen Rechtsextremisten verschiedene Messengerdienste wie WhatsApp, Threema, Telegram oder Signal, um untereinander zu kommunizieren, Veranstaltungen zu planen oder Absprachen zu treffen. Gleiches gilt auch für den Bereich des sogenannten Gamings, wobei über die Hälfte der Bevölkerung zumindest gelegentlich Videospiele spielt. Weiterhin stieg im Berichtsjahr vor dem Hintergrund der COVID-19-Pandemie die Zahl der Nutzer von Videospielen erneut an. Auch die Akteure der rechtsextremistischen Szene nutzten die vorhandenen Möglichkeiten und erschlossen sich auf Gaming-Plattformen eine neue Öffentlichkeit. Dabei ging es ihnen sowohl um das Verbreiten rechtsextremistischer Inhalte und Propaganda als auch um das Anwerben neuer Mitglieder. So können unter dem Vorwand des Gamings Gelegenheiten für einen vermeintlich unbefangenen Dialog geschaffen werden, da die Mehrheit der Nutzer nicht erwartet, beim Spielen mit rechtsextremistischen Aussagen und Haltungen konfrontiert zu werden. Somit erhielten Akteure der rechtsextremistischen Szene im Bereich des Gamings die Möglichkeit der Propaganda und Kontaktaufnahme, die ihnen in klassischen sozialen Netzwerken oder bei direkten Begegnungen verwehrt würden. Erhöhte Sensibilisierung | Die Möglichkeit eines Zugriffs staatlicher Sicherheitsbehörden auf persönliche Daten und die interne Kommunikation sorgt bei Rechtsextremisten für eine erhöhte Sensibilisierung. So werden Leitfäden erstellt und Sicherheitsschulungen durchgeführt, um Anleitungen für konspirative Verhaltensweisen bei der Kommunikation in der rechtsextremistischen Szene zu verbreiten. Diese sollen dazu dienen, nicht in den Fokus von Sicherheitsbehörden zu geraten bzw. sich diesem Zugriff zu entziehen. Weiterhin nutzen Rechtsextremisten geschlossene Gruppen in sozialen Netzwerken und Messengerdiensten, zu denen nur bestimmte - meist im Vorfeld ausgewählte - Szeneangehörige Zugang erhalten. 124 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 RECHTSEXTREMISMUS Online-Radikalisierung | Es besteht die Gefahr, dass Rechtsextremisten sich im Rahmen derartiger internetgestützter "Echokammern" oder "Filterblasen" gegenseitig in ihrer Radikalisierung bestärken, ohne dass in der "realen Welt" ein Kennverhältnis zueinander besteht. Für die nachrichtendienstliche Arbeit der Verfassungsschutzbehörden resultiert hieraus das Problem der Aufklärung dieser digitalen Räume, wobei es gilt, Informationsfragmente der virtuellen und "realen Welt" miteinander zu verbinden und zu analysieren. Intensivierung der Bekämpfungsansätze | Vor diesem Hintergrund wurde neben den bereits bestehenden operativen und analytischen Maßnahmen die Internetbearbeitung weiterhin intensiviert, um insbesondere gewaltorientierte Gruppierungen und Einzeltäter sowie deren Kennverhältnisse und Kommunikationswege frühzeitig zu identifizieren. Gleiches gilt für die intensivere Bekämpfung von rechtsextremistischer Hate Speech sowie von anderen rechtsextremistischen digitalen Inhalten. Diese Arbeit des LfV steht im Kontext des 2019 durch die Hessische Landesregierung vorgestellten Aktionsprogramms "Hessen gegen Hetze". FLÜCHTLINGE IM VISIER VON RECHTSEXTREMISTEN Flüchtlinge und die Flüchtlingspolitik bildeten nach wie vor relevante Themen in der rechtsextremistischen Agitation in Hessen, allerdings ging die Anzahl der entsprechenden Delikte deutlich von 70 (2020) auf 28 zurück, was einem Minus von 60 Prozent entspricht. Der Rückgang darf jedoch nicht darüber hinwegtäuschen, dass Rechtsextremisten auch im Berichtsjahr versuchten, mit der Angst vor angeblicher "kultureller Überfremdung" Ressentiments und Ängste in der Bevölkerung zu schüren. Die fremdenfeindliche Agitation von Rechtsextremisten barg auch im Kontext der COVID-19-Pandemie weiterhin das Risiko, dass sich Einzelpersonen und Gruppierungen radikalisieren, was zum Begehen schwerster Straftaten - unter anderem gegen Flüchtlinge - führen kann. In Hessen kam es im Berichtsjahr zu einem Übergriff auf einen syrischen Asylbewerber in Kassel. Sämtliche im Berichtsjahr im Kontext Flüchtlinge/Flüchtlingspolitik begangenen Straftaten waren der Kategorie PMK - rechts - zuzuordnen. Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 125 RECHTSEXTREMISMUS | 2021 2020 2019 2018 2017 gegen Asyl-/Flüchtlingsunterkünfte PMK insgesamt 3 5 4 10 7 PMK - rechts - 3 3 4 10 7 gegen Asylbewerber/Flüchtlinge PMK insgesamt 25 68 37 26 50 PMK - rechts - 25 66 36 26 46 gegen Hilfsorganisationen und Helfer PMK insgesamt - 1 - 2 2 PMK - rechts - - 1 - 2 1 Summe PMK insgesamt 28 74 41 38 59 PMK - rechts - 28 70 40 38 54 Straftaten gegen Asylund Flüchtlingsunterkünfte | In Hessen kam es im Berichtszeitraum insgesamt zu drei (2020: fünf) Straftaten, die sich gegen Asylund Flüchtlingsunterkünfte richteten. Alle drei Straftaten fielen in die Kategorie der PMK - rechts -. Zu den aufgeführten Straftaten zählten keine Gewaltdelikte. Gegenüber dem Vorjahr blieb die Anzahl der rechtsextremistischen Delikte gegen Asylund Flüchtlingsunterkünfte gleich. Straftaten gegen Asylbewerber und Flüchtlinge | Die Anzahl der Straftaten gegen Asylbewerber und Flüchtlinge ging im Berichtsjahr in Hessen mit 25 Straftaten (2020: 68) deutlich zurück. Die Zahl der Gewaltdelikte stieg jedoch im Vergleich zum Vorjahr auf zwei (2020: STRAFTATEN GEGEN ASYL-/FLÜCHTLINGSUNTERKÜNFTE 30 20 10 10 10 7 7 gegen Asyl-/Flüchtlings- 5 4 4 unterkünfte insgesamt 3 3 3 davon PMK -rechts- 0 2017 2018 2019 2020 2021 126 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 RECHTSEXTREMISMUS STRAFTATEN GEGEN ASYLBEWERBER/FLÜCHTLINGE 80 68 66 60 50 46 40 37 36 26 26 25 25 20 gegen Asylbewerber/ Flüchtlinge insgesamt davon PMK -rechts- 0 2017 2018 2019 2020 2021 1) an. Hierbei waren alle Straftaten dem Bereich der PMK - rechts - zuzuordnen. So kam es in Kassel im August zu einem Übergriff auf einen syrischen Asylbewerber. Das Opfer wurde durch den Täter rassistisch beleidigt und ihm wurde mit einem gefährlichen Gegenstand ins Gesicht geschlagen. Straftaten gegen Hilfsorganisationen und Helfer | Gegen HilfsorgaSTRAFTATEN GEGEN nisationen sowie ehrenamtliche und freiwillige Helfer wurde im BeHILFSORGANISATIONEN richtsjahr in Hessen keine Straftat verübt (2020: 1). UND HELFER 2 Bewertung | Insgesamt war im Berichtszeitraum ein deutlicher Rück2017 1 gang der Straftaten (28) im Bereich PMK - rechts - gegenüber dem 2 Vorjahr (2020: 70) festzustellen. Vor dem Hintergrund der Zunahme 2018 2 der Anzahl der nach Deutschland eingereisten Flüchtlinge im Be- 0 2019 0 richtszeitraum im Vergleich zum Vorjahr ist davon auszugehen, dass 1 die entsprechende rechtsextremistische Agitation anhalten wird. Die 2020 1 Anti-Asyl-Agitation ist ein klassisches rechtsextremistisches Thema 0 und bietet Rechtsextremisten traditionell ein großes Mobilisierungs2021 0 potenzial. gegen Hilfsorganisationen und Helfer Unverändert besteht die Gefahr, dass Rechtsextremisten Gewalt befürworten, den Anstoß zu Gewalttaten geben bzw. selbst schwerwiedavon PMK -rechtsgende Straftaten gegen Flüchtlinge und/oder Flüchtlingsunterkünfte begehen. Es ist damit zu rechnen, dass die Themen "Flüchtlinge" und "Flüchtlingspolitik" vor dem Hintergrund der internationalen Entwicklung auf unbestimmte Zeit Gegenstand des in Teilen kontrovers geführten gesellschaftlichen und medialen Diskurses bleiben werden. Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 127 RECHTSEXTREMISMUS RECHTSEXTREMISTISCHE STRAFUND GEWALTTATEN Im Berichtszeitraum wiesen 946 politisch motivierte Strafund Gewalttaten einen rechtsextremistischen Hintergrund auf. Dies bedeutet im Vergleich zum Jahr 2020 (1.216 Delikte) einen Rückgang um etwa 22 Prozent. Die Abnahme resultierte insbesondere aus der um etwa 23 Prozent gesunkenen Zahl der Delikte in der Kategorie "andere Straftaten" (insbesondere Propagandadelikte). Die rechtsextremistischen Gewalttaten stagnierten im Berichtsjahr auf dem Vorjahresniveau (42) und erreichten damit innerhalb des zurückliegenden Fünfjahreszeitraums unverändert ihren höchsten Wert. Vor diesem Hintergrund gilt es, die Gesamtentwicklung der rechtsextremistischen Delikte und deren mögliche Ursachen - insbesondere die der Gewalttaten - seitens der Sicherheitsbehörden genau im Blick zu behalten. (Siehe im Glossar unter dem Stichwort Politisch motivierte Kriminalität zur Erfassung politisch motivierter Strafund Gewalttaten mit extremistischem Hintergrund.) | 2021 2020 2019 2018 2017 Deliktart Tötung 1 1 Versuchte Tötung 1 1 1 Körperverletzung 40 40 29 24 13 Brandstiftung/Sprengstoffdelikte 2 Landfriedensbruch 1 Gefährliche Eingriffe in den Bahn-, Schiffs-, Luftund Straßenverkehr Freiheitsberaubung, Raub, Erpressung, 1 1 Widerstandsdelikte Gewalttaten insgesamt 42 42 31 25 16 Sonstige Straftaten Sachbeschädigung 20 29 33 26 22 Nötigung/Bedrohung 26 30 19 7 6 Andere Straftaten (insbesondere Propagan858 1.115 803 481 496 dadelikte) Strafund Gewalttaten insgesamt 946 1.216 886 539 540 128 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 REICHSBÜRGER UND SELBSTVERWALTER REICHSBÜRGER UND SELBSTVERWALTER Unter der Bezeichnung Reichsbürger und Selbstverwalter fasst der Angehörige: Verfassungsschutz Gruppierungen und Einzelpersonen zusammen, In Hessen etwa 1.000, die aus unterschiedlichen Motiven und mit unterschiedlichen Bebundesweit etwa 21.000 gründungen das Grundgesetz, die Bundesrepublik Deutschland Medien: und deren Rechtssystem, die Staatsorgane und die demokratisch Internetpräsenzen gewählten Repräsentanten nicht anerkennen und ihnen die Legiti- \ mation absprechen. Reichsbürger propagieren das Fortbestehen eines historischen Deutschen Reichs, Selbstverwalter erfinden Fantasiestaaten und beanspruchen für sich ein von der Bundesrepublik Deutschland unabhängiges Territorium. Insgesamt erkennen Reichsbürger und Selbstverwalter die Staatlichkeit und die Souveränität der Bundesrepublik Deutschland nicht an. Sie definieren sich als außerhalb der Rechtsordnung stehend und fordern Behörden sowie Gerichte auf, ihr Handeln einzustellen. Darüber hinaus können sich Bestrebungen von Reichsbürgern und Selbstverwaltern auch gegen den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes richten. Wenn solche Aktivitäten mit gebietsrevisionistischen Forderungen verbunden sind, steht dies nicht mit dem Gedanken der Völkerverständigung in Einklang. Insgesamt sind Reichsbürger und Selbstverwalter in hohem Maße bereit, gegen Gesetze zu verstoßen. Um die eigene Weltanschauung zu verbreiten, sich auszutauschen und sich zu vernetzen, ist das Internet das vornehmliche Medium der Reichsbürger und Selbstverwalter. Mittels Internetseiten, Videoportalen oder Präsenzen auf Social-Media-Plattformen prangert die Szene angebliche Missstände sowie deren angebliche Verursacher an und verbreitet, teilt und diskutiert vermeintliche Lösungsund Argumentationsstrategien. Auch außerhalb des virtuellen Raums versucht die Szene ihre Ideologie zu verfestigen, in die Öffentlichkeit zu tragen und Stellung zu einzelnen Sachverhalten zu beziehen. Dabei umfasst das Handlungsspektrum unter anderem Demonstrationen, Kundgebungen, Schulungsveranstaltungen, Vernetzungstreffen, Flyer-Aktionen und Rundschreiben. Die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder beobachten die Reichsbürger und Selbstverwalter seit dem 22. November 2016 in Gänze. AUF EINEN BLICK * Heterogene Szene * Rechtsextremistische Positionen innerhalb der Szene * Szenestrukturen * Personenpotenzial * Entzug waffenrechtlicher Erlaubnisse * Widerstand gegen Staat und Verwaltung: zunehmende Aggressivität * "Malta-Masche" 130 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 REICHSBÜRGER UND SELBSTVERWALTER * Deliktsfelder * Gefährdungsbewertung Heterogene Szene | Die Szene der Reichsbürger und Selbstverwalter weist einen hohen Grad an Heterogenität auf, die sich sowohl in einer Vielzahl an Gruppierungen und Einzelpersonen als auch in einem breiten Spektrum an Weltanschauungen widerspiegelt. So umfasst die Szene Protagonisten von Verschwörungsnarrativen, Rechtsextremisten, Leichtgläubige, finanziell Gescheiterte und sogenannte Milieumanager, die vornehmlich kommerzielle Ziele verfolgen. Anhänger von Verschwörungsnarrativen sind davon überzeugt, dass die Bundesrepublik Deutschland kein souveräner Staat, sondern lediglich eine fremdbestimmte Kolonie respektive ein kommerziell ausgerichtetes Wirtschaftskonstrukt sei. Kontrolliert würden diese Gebilde von den Alliierten, Einzelpersonen oder Geheimlogen. Neben Verschwörungsnarrativen finden sich geschichtsrevisionistische, fremdenfeindliche, rassistische, antisemitische sowie fundamentalistisch-christliche und esoterische Positionen wieder. Personen, die durch den Vertrieb von Fantasiedokumenten oder durch das Anbieten von Rechtsberatungen, Seminaren und Schulungen vornehmlich versuchen, aus der Szene der Reichsbürger und Selbstverwalter finanziellen Profit zu schlagen, werden innerhalb des Phänomenbereichs den "Milieumanagern" zugerechnet. Rechtsextremistische Positionen innerhalb der Szene | In der Szene der Reichsbürger und Selbstverwalter wird sichtbar, wie verschiedene Versatzstücke einzelner Verschwörungsnarrative für die eigene Weltsicht herangezogen und nutzbar gemacht werden. Zwar ist die Szene ihrem Wesen nach nicht originär rechtsextremistisch, dort, wo jedoch antisemitische, rassistische und nationalistische Argumentationsmuster aufeinandertreffen, sind die Anhänger entsprechender Positionen als rechtsextremistisch zu bewerten. Szenestrukturen | Aufgrund der Fülle der unterschiedlichen Ansichten und Beweggründe in der Szene der Reichsbürger und Selbstverwalter wies diese keine allgemein anerkannten Strukturen oder Organisationen auf. So war das Gros des der Szene in Hessen zuzurechnenden Personenpotenzials nicht organisiert oder strukturell eingebunden. Zugleich nahmen die für bzw. durch Szenegruppierungen durchgeführten Aktionen zu. Darunter fielen Bemühungen, das eigene verschwörungsnarrative Weltbild und szenetypische Narrative zu verbreiten sowie Schulungsund Vernetzungsveranstaltungen. Außerdem gab es Aktivitäten, deren vorrangiges Ziel es war, neue Mitglieder für bestimmte Gruppierungen zu gewinnen. Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 131 REICHSBÜRGER UND SELBSTVERWALTER In diesem Kontext sind insbesondere die Aktivitäten folgender Gruppierungen zu nennen: Königreich Deutschland (KRD), Vaterländischer Hilfsdienst (VHD) und Verfassunggebende Versammlung (VV). Das KRD wurde 2009 zunächst als Verein NeuDeutschland von Peter Fitzek gegründet. Seit 2012 trat er als "König" bzw. "Oberster Souverän" des sektenähnlichen KRD in Erscheinung. Gemeinsam mit seinen Anhängern negierte Fitzek die hoheitlichen Befugnisse und die Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland auf dem "Hoheitsgebiet" des KRD. Als Alternative zu den herkömmlichen Strukturen der Bundesrepublik versuchte das KRD eigene staatsähnliche Strukturen zu etablieren. Als Ziel dieser Bestrebungen wurde der "Gemeinwohlstaat" beschrieben. Dazu sollen Unternehmen geworben, "Gemeinwohlkassen" gegründet und "Dorfprojekte" umgesetzt werden. Im Berichtszeitraum gab es in Hessen mehrere Unternehmen, die dem eigenen Bekunden nach dem KRD angehören. Der VHD als eine Untergruppierung der 2018 gegründeten Organisation Bismarcks Erben (auch Ewiger Bund oder Preußisches Institut) behauptete, das Deutsche Kaiserreich würde fortbestehen und sich noch immer in einem "Kriegsund Belagerungszustand" befinden. Ziel der Gruppierung war die Wiederherstellung der rechtlichen Zustände des Deutschen Kaiserreichs unter der Führung des Oberhaupts des Hauses Hohenzollern. Infolgedessen versuchte der sich in 24 "Armeekorpsbezirke" aufgliedernde VHD dem "Thronfolger" das Einnehmen seines "rechtmäßigen Platzes" zu ermöglichen, da nur der "deutsche Kaiser [..] zur Beendigung des Kriegsund Belagerungszustandes berechtigt" sei. Veranstaltungen des VHD wurden auch in Hessen abgehalten. So fanden zum Beispiel Treffen des "XVIII. Armeekorpsbezirks" auf der Ronneburg in der gleichnamigen Gemeinde im Main-Kinzig-Kreis statt, an denen - trotz pandemiebedingter Einschränkungen - mehrere Dutzend Personen teilnahmen. Die VV hielt die Staatlichkeit der Bundesrepublik Deutschland aufgrund der angeblich nicht stattgefundenen Wiedervereinigung im Jahr 1990 für nichtig. Vielmehr sei die Bundesrepublik ein "US-amerikanisches Unternehmen" bzw. eine "privatwirtschaftliche Organisation im Seeund Handelsrecht". Ziel der VV ist es, einen neuen deutschen Bundesstaat im Rahmen einer Verfassunggebenden Versammlung zu konstituieren. Zu diesem Zweck unterhielt die Gruppierung verschiedene Arbeitskreise, in denen Gesetze erdacht und erlassen werden, wodurch ein pseudostaatliches Engagement nachgestellt wird. Auch die VV führte im Berichtsjahr mehrere Veranstaltungen, sogenannte Bürgertreffs, in Hessen durch. 132 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 REICHSBÜRGER UND SELBSTVERWALTER Personenpotenzial | Wie in den Jahren zuvor betrug das den Sicherheitsbehörden bekannte Personenpotenzial der Reichsbürger und Selbstverwalter in Hessen etwa 1.000. Davon war für Hessen eine untere dreistellige Anzahl an Personen bekannt, die sowohl als Reichsbürger/Selbstverwalter als auch als Rechtsextremisten einzustufen sind. Insgesamt unterschied sich das Personenpotenzial der Reichsbürger und Selbstverwalter in Hessen von dem anderer extremistischer Phänomenbereiche auch durch seine Zusammensetzung. Waren andere Extremisten häufig junge Erwachsene oder befanden sie sich im Übergang zum Erwachsenenalter, lag das Durchschnittsalter bei Reichsbürgern und Selbstverwaltern zwischen 45 und 60 Jahren. Knapp 75 Prozent der Szeneangehörigen waren männlich. Im Vergleich zur Gesamtbevölkerung wies die Szene zudem einen unterdurchschnittlichen Anteil an Akademikern auf. Entzug waffenrechtlicher Erlaubnisse | Der Szene der Reichsbürger und Selbstverwalter ist eine hohe Waffenaffinität zu eigen. In Bezug auf waffenrechtliche Erlaubnisse und Schusswaffenbesitz gilt für Reichsbürger und Selbstverwalter - wie auch für andere extremistische Phänomenbereiche - eine Nulltoleranzstrategie der hessischen Sicherheitsbehörden. So konnte durch die enge Zusammenarbeit der Sicherheitsund Waffenbehörden zahlreichen Reichsbürgern und Selbstverwaltern die waffenrechtlichen Erlaubnisse entzogen und deren Schusswaffen sichergestellt werden. Zum Ende des Berichtsjahrs war 17 Personen, die diesem Spektrum zuzurechnen sind, die waffenrechtliche Erlaubnis entzogen worden. Auch in Zukunft ist es das ausgewiesene Ziel der Hessischen Landesregierung und der Sicherheitsbehörden, dass kein ihnen bekannter Reichsbürger oder Selbstverwalter waffenrechtliche Erlaubnisse oder Legalwaffen besitzt bzw. Legalwaffen im Fall des Besitzes entzogen werden. Widerstand gegen Staat und Verwaltung: zunehmende Aggressivität | Reichsbürger und Selbstverwalter bringen ihre Gesinnung auf unterschiedlichste Art und Weise zum Ausdruck: verbale Äußerungen gegenüber Polizisten und anderen Behördenmitarbeitern, sich einer Personenkontrolle entziehen, Widerstand gegen gerichtlich angeordnete Zwangsvollstreckungen oder etwa die Rückgabe von amtlichen Identitätsnachweisen. Das Gros der Reichsbürger und Selbstverwalter wendet sich aber mit schriftlichen Eingaben an Behörden und deren Mitarbeiter, um die eigene Weltsicht argumentativ zu verdeutlichen, etwaige Strafen zu vermeiden und Ämter an ihrem rechtmäßigen Handeln zu hindern. Dieses Vorgehen ist auch unter dem Begriff paper terrorism bekannt. Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 133 REICHSBÜRGER UND SELBSTVERWALTER Der hohe Grad der Heterogenität der Szene spiegelt sich auch in der Art und in dem Umfang solcher Eingaben wider. Während ein Teil auf Vordrucke aus dem Internet zurückgreift, verfasst ein anderer Teil der Szene mitunter umfangreiche Schriftstücke, Pamphlete oder "Rechtsgutachten". Im Berichtsjahr nahmen die Szeneaktivitäten zu, was sich etwa neben der vermehrten Teilnahme an Protesten gegen die "Corona-Maßnahmen" in der Häufung szenetypischer Schreiben artikulierte, wobei sich deren Tonfall in einigen Fällen verschärfte: eine aggressivere Ausdrucksweise, Gewaltund konkrete Todesdrohungen. Hierdurch lässt sich eine fortschreitende Radikalisierung von Teilen der Reichsbürgerund Selbstverwalterszene sowie eine anhaltend hohe Bereitschaft, die Souveränität und das Gewaltmonopol des Staats in Frage zu stellen, ableiten. Vor diesem Hintergrund ist exemplarisch auf die versuchte Tötung von Polizeibeamten Anfang September in Linden (Landkreis Gießen) hinzuweisen. Dabei bedrohte und beschoss ein Angehöriger der Reichsbürgerund Selbstverwalter-Szene im Rahmen einer Wohnungsdurchsuchung die Polizeibeamten mit einer Pistolenarmbrust, ohne dass es zu Verletzungen kam. Verschwörungsnarrative wirken häufig als Brandbeschleuniger und können Radikalisierungsprozesse von Gruppierungen und Einzelpersonen begünstigen. Zudem sind Verschwörungsnarrative aus Sicht ihrer Anhänger dazu geeignet, selbst schwerste (Gewalt-)Straftaten zu legitimieren. Entsprechende Erklärungsmuster fanden sich zunehmend in Schreiben wieder, mit denen sich Reichsbürger und Selbstverwalter an Behörden, Amtsträger oder Mandatsträger wandten, zum Beispiel: "Wertgeschätzter [...], wertgeschätzte [...], in Ihrer noch privaten Funktion als Angestellter 'Tiergesundheitsaufseher (Hilfsarbeiter)' der privaten USAmerikanischen Firma Kreis [... ], ohne Hoheitsrechte auf deutschem Boden nehme ich sie für die o. b. Straftaten in die persönliche private Haftung und mache einen Schadensersatz in Höhe von 500.000.000,XDR (EUR) (Wert 500 Millionen EUR) geltend. Der Anspruch auf Schadensersatz basiert auf internationalen UCC/Admirality Law. Es wird gegen Ihre Natürliche Rechtsperson [...] ein Strafantrag mit Strafverfolgung beim zuständigen Militär-Staatsanwalt der alliierten Streitkräfte S.H.A.E.F./SMAD wegen des Verdachts eine Einleitung rechtswidriger Strafverfolgung wegen Hausfriedensbruch, Bewaffneter Raub, Einbruch, Diebstahl, Tierquälerei, Betrug, Hehlerei, Terror, Freiheitsberaubung, Nötigung, Geisel134 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 REICHSBÜRGER UND SELBSTVERWALTER nahme, Amtsanmaßung, Versuchte Körperverletzung, Hochverrat, Anwendung von verbotenen Nazi-Gesetzen [...] u. v. m. im aktiven Kriegsrecht erstattet. [...] Eins kann man dir sagen du Hosenpisser man hört sehr viel in dem Kreis [...] von dem geistigen durchgeknallten [...], auch das du ab und zu richtig verprügelt worden bist, du kannst von Glück reden, das man sich noch nicht Begegnet ist, du erbärmlicher Feigling, Abschaum von einer Sumpfkreatur, den eine und diese Abreibung hast du die redlich verdient, du Mistkerl bist verantwortlich für viele Schandtaten die du in deinen Leben den Menschen angetan hast, du wirst vor ein Militär-Tribunal stehen dürfen ein Urteil das lautet Tod durch den Strick". (Schreibweise wie im Original.) Dieser Auszug steht beispielhaft für eine Vielzahl an Schreiben, die Angehörige der Reichsbürger und Selbstverwalter an Behörden und Behördenvertreter schickten. Zudem fügten Szeneangehörige ihren Schreiben häufig sogenannte Lebendoder Willenserklärungen hinzu, mittels derer sie sich in Gänze außerhalb der geltenden Rechtsordnung stehend definierten: "Hochgeschätzte Exzellenz [...], als Vertragspartner von [GERMANY/BUND] meldet der/die Kontengläubiger(in)/Treugeber(in)/Investor(in)/Verfahrensgläubiger(in)/Stifter(in) hiermit mit den verlängerten Eigentumsvorbehalt an und macht es geltend, durch beigelegte Willenserklärung unter Eid unter unbegrenzter privater Haftung und Lebenderklärung unter Eid. [...] Lebenderklärung unter Eid Hiermit erkläre ich [...], das mit Verstand und Sprachvermögen begabte Lebewesen, [...], aus der Sippe [...], wiedergekommen im Deutschen Reich in der Nähe von [...], am [...] Tag des [...] Monats [...] (in Zahlen: [...]) um [...] Uhr Geburtsfallnummer: [...]; unter Eid mit unbegrenzter Haftung, nunc pro tunc, zum Tag der Geburt zu keinem Zeitpunkt auf hoher See verschollen oder verloren gegangen ist. Der [...] erlässt die Anordnung, dass alle Rechtsgeschäfte, die unter Annahme des todes von [...] abgewickelt wurden, nunc pro tunc zum Tag, Annahme des Todes, wieder rückabgewickelt werden müssen. Dies gilt auch für alle Unterkonten". (Schreibweise wie im Original.) Reichsbürger und Selbstverwalter reichern ihre "Argumentationsketten" häufig mit tatsächlich vorhandenen Rechtsnormen an. Dadurch sollen ihre Schreiben eine juristische Anmutung erhalten sowie die Behörden beschäftigt und die Adressaten eingeschüchtert werden. Klassische Szeneschreiben entfalten allerdings keine RechtsHessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 135 REICHSBÜRGER UND SELBSTVERWALTER gültigkeit, da die aufgeführten Rechtsnormen zum überwiegenden Teil aus dem Zusammenhang gerissen sind und in Verbindung mit fiktiven oder mittlerweile historischen Gesetzen verwendet werden. Mitunter beauftragen Reichsbürger und Selbstverwalter auch Organisationen oder Einzelpersonen, die behaupten rechtsgültige Gutachten ausstellen zu können, wie das nachfolgend aufgeführte Schreiben der Reichsbürgergruppierung Reichsverband Deutscher Rechts-Konsulenten veranschaulicht: "Betrifft: Sofortige weitere Beschwerde - mein Zeichen: [...] nach geltendem Staatsrecht, unter dem Tatbestand von StGB SSSS 81 Abs. 2 u. 4, 84, 87, 88, 89, 90 Abs. 3, 5, und 6, zum rechtsstaatlichen Schutz meiner Mandantin [...] Werter Herr [...], bezogen auf die Schreiben betreffend Das Schreiben des Landratsamtes [...], betreffend 'Mahnung zum Zwangsgeldbescheid' vom [...] einer Frau ohne Vornamen mit Nachname [...], handeln in der Kreiskasse-Vollstreckungsstelle (Kassenzeichen: [...]), 'Ankündigung der Vollstreckung' vom [...] (Kassenzeichen: [...]) lege ich im Namen meiner Mandantin die sofortige weitere Beschwerde gegen die bisherigen Handlungen des unten aufgeführten Personenkreises wie folgt ein: Herr [...], geb. am [...] in [...] handelnd als Landrat des Landkreises [...], Eine Frau ohne Vornamen mit Nachname [...], handelnd in der Kreiskasse-Vollstreckungsstelle und Alle im Gebäude des Landratsamt [...] handelnden Privatpersonen Wegen Verstoß gegen nachfolgend aufgeführte geltende Reichsgesetze (vgl. Art. 50 BRD-EGBG): StGB SS 3: 'Die Strafgesetze des Deutschen Reichs finden Anwendung auf alle im Gebiet desselben begangenen strafbaren Handlungen, auch wenn der Täter ein Ausländer ist.' StGB SSSS 47, 48, 49, 49a - Beihilfe, gemeinschaftliche Täterschaft, Anstiftung, StGB SSSS 132, 234 - Amtsanmaßung, StGB SS 153 - Meineid, [...] Daraus ergibt sich der Tatbestand : StGB SSSS 81 Abs. 2 u. 4, 84, 87, 88, 89, 90 - Landesverrat, Hochverrat Daraus folgt auch, daß Rechtsmittelbelehrungen, Fristen, Beschlüsse und Urteile des betreffenden Personenkreises keine Rechtskraft erlangen können und somit 'de jure' nichtig sind. Bei Nichtbeachtung dieser Tatsache bleibt auch durch Dritte in Folge, der Tatbestand des Landesverrates erhalten. 136 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 REICHSBÜRGER UND SELBSTVERWALTER Verletzung und Überschreitung von internationalen Gesetzen: Besatzungsgesetzen (Kontrollratsgesetze, Kontrollratsdirektiven, SHAEFund SMAD Gesetze) Völkerstrafrecht, Völkerstrafgesetzbuch Haager Landkriegsordnung Protokoll Nr. 4 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten Europäische Menschenrechtskonvention Art. 6 II EMRK [...]. Aus allem Vorgetragenen resultiert eine damit verbundene privatrechtliche Strafanzeige mit Schadensersatzklage auf 350.000,00 Euro gegen jeden Einzelnen des genannten Personenkreises, die nicht verjährt oder verwirkt. Alle zur Sache gehörenden Unterlagen habe ich dem Beweissicherungsamt sowie der Oberreichsanwaltschaft des Deutschen Reichs übergeben". (Schreibweise wie im Original) "Malta-Masche" | Reichsbürger und Selbstverwalter versuchten mitunter, sich nicht nur dem behördlichen Zugriff zu entziehen, sondern ihrerseits Behördenmitarbeiter widerrechtlich zu belangen. Hierfür erfanden Reichsbürger und Selbstverwalter im Zuge der "MaltaMasche" Schulden eines Behördenmitarbeiters und trugen diese in das amerikanische Online-Register Uniform Commercial Code (UCC) ein. Anschließend wurden die Forderungen an ein maltesisches Inkassounternehmen abgetreten, um einen vollstreckbaren Titel nach dem europäischen Mahnverfahren zu erreichen. Nach Ansicht des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz und des Auswärtigen Amts stellt dieses missbräuchliche Verfahren einen Betrugsversuch dar. Eine Durchsetzung ihrer erfundenen Forderungen gelang Szeneangehörigen bislang nicht. Deliktsfelder | Zu den szenetypischen strafrechtlich relevanten Deliktsfeldern gehörten Betrug, Hausfriedensbruch, Nötigung und Sachbeschädigung, aber auch Gewaltund Drohdelikte. Da Reichsbürger und Selbstverwalter beanspruchen, Repräsentanten eines wie auch immer gearteten Deutschen Reiches bzw. einer eigenen Staatlichkeit zu sein, kam es zudem regelmäßig zu Amtsanmaßungen, Urheberrechtsverletzungen sowie Urkundenund Kfz-Kennzeichenfälschungen. Gefährdungsbewertung | Aufgrund der hohen Heterogenität der Szene der Reichbürger und Selbstverwalter ist eine pauschale Bewertung ihrer Gefährlichkeit nur eingeschränkt möglich. Gemein ist der Szene die Negierung der Bundesrepublik Deutschland. Dies führt zur grundsätzlichen Ablehnung jeglicher hoheitlicher Handlungen, von denen Szeneangehörige betroffen sind. Staatliche MaßnahHessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 137 REICHSBÜRGER UND SELBSTVERWALTER men nimmt die Szene als illegitim wahr, weshalb sich aus ihrer Sicht ein selbstdeklariertes, vermeintliches "Recht auf Notwehr" ergibt. Reichsbürger und Selbstverwalter sind bereit, dieses "Recht auf Notwehr" auch gegenüber Gerichtsvollziehern oder Polizisten durchzusetzen. In diesem Kontext kommt es immer wieder zu Widerstandshandlungen, in einigen Fällen sogar zum Gebrauch von (Schuss-)Waffen durch Szeneangehörige, wie das versuchte Tötungsdelikt in Linden (Landkreis Gießen) veranschaulicht. Bezieht man den zusehends aggressiveren Tonfall von Schreiben aus der Szene in diesen Befund ein, so lässt sich eine fortschreitende Radikalisierung sowie eine anhaltend hohe Bereitschaft, die Souveränität und das Gewaltmonopol des Staates bis hin zu Umsturzplänen in Frage zu stellen, konstatieren. Zugleich war vor dem Hintergrund der "Corona-Maßnahmen" eine weiterhin zunehmende Vernetzung und Durchmischung von Teilen der Reichsbürger und Selbstverwalter sowie von Anhängern verschiedener Verschwörungsnarrative zu beobachten. Angetrieben von der Motivation, die eigene häufig als Randerscheinung wahrgenommene Ideologie bis tief in die Mitte der Gesellschaft zu tragen, wurden eigene Positionen zu Gunsten einer erweiterten Anschlussfähigkeit partiell aufgeweicht. Diese Anschlussfähigkeit spiegelt sich zurück in die von einer Verschwörungsmentalität geprägte Reichsbürgerund Selbstverwalterszene und ermöglicht die Entstehung gemeinsamer Schnittmengen unterschiedlicher Milieus. Trotz eines zu vermutenden begrenzten Wachstumspotenzials stellt diese neuartige Eigendynamik der Vernetzung und der Durchmischung sowie das sich daraus ergebende Risiko nicht nur Politik und Gesellschaft, sondern auch die Sicherheitsbehörden vor neue Herausforderungen. 138 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 VERFASSUNGSSCHUTZRELEVANTE DELEGITIMIERUNG DES STAATES - EREIGNISSE/ ENTWICKLUNGEN - IDEOLOGIE/ZIELE - BEWERTUNG/AUSBLICK VERFASSUNGSSCHUTZRELEVANTE DELEGITIMIERUNG Im April 2021 richtete der Verfassungsschutzverbund den neuen Phänomenbereich "Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates" ein. "Es ist Aufgabe des Verfassungsschutzes", so das BfV, "Bestrebungen, die gegen die Sicherheit des Bundes oder der Länder oder gegen unsere freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind, zu identifizieren und aufzuklären. Im Zuge dessen nehmen die Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern sehr aufmerksam Phänomene, Gruppierungen und Einzelpersonen in den Blick, bei denen tatsächliche Anhaltspunkte dafür sprechen, dass ihre Verhaltensweisen darauf gerichtet sind, wesentliche Verfassungsgrundsätze außer Geltung zu setzen oder die Funktionsfähigkeit des Staates oder seiner Einrichtungen erheblich zu beeinträchtigen". In diesem Kontext richtete das LfV - unabhängig von der Beobachtung des Rechtsextremismus sowie der Reichbürger und Selbstverwalter das Sammelbeobachtungsobjekt "Demokratiefeindliche und/oder sicherheitsgefährdende Delegitimierung des Staates" ein. Das LfV ordnet diesem Sammelbeobachtungsobjekt Einzelpersonen und Personenzusammenschlüsse zu, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie zu Aktionen gegen staatliche Einrichtungen, gegen die staatliche Infrastruktur oder gegen staatliche Repräsentanten und demokratisch gewählte Entscheidungsträger in ihrer Funktion als Amtsträger ernsthaft und nachdrücklich aufrufen oder sich an solchen Aktionen beteiligen, um die Funktionsfähigkeit des Staats erheblich zu beeinträchtigen. Dem Sammelbeobachtungsobjekt werden auch Bestrebungen zugeordnet, die durch ein aktives, glaubhaftes und nachdrückliches Vorgehen auf die Beseitigung oder Beeinträchtigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zielen. Dazu gehören extremistische Bestrebungen, die sich - durch eine agitatorische Verächtlichmachung des Staats sowie dessen Repräsentanten - gegen das Demokratieprinzip richten, die aufgrund ihrer Demokratiefeindlichkeit zu Strafund Gewalttaten aufrufen oder sich auf ein vermeintliches Widerstandsrecht berufen und sich dabei gegen das Rechtsstaatsprinzip richten. EREIGNISSE/ENTWICKLUNGEN Aus Protest gegen die staatlichen "Corona-Maßnahmen" fanden seit 2020 zahlreiche Protestveranstaltungen statt. Das LfV stellte dabei fest, dass sich in Hessen fortlaufend auch Rechtsextremisten sowie Reichsbürger und Selbstverwalter an den Protesten beteiligten. Gleichzeitig nahmen am Protestgeschehen verschiedene lose struk140 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 VERFASSUNGSSCHUTZRELEVANTE DELEGITIMIERUNG turierte Zusammenschlüsse von Personen teil, wobei hervorzuheben ist, dass diese größtenteils nicht als extremistisch zu bewerten sind, einige aber dem Phänomenbereich "Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates" zugeordnet wurden. AUF EINEN BLICK * Rechtsextremisten - Reichsbürger und Selbstverwalter * Radikalisierungsprozesse * Antisemitismus Rechtsextremisten - Reichsbürger und Selbstverwalter | Besonders das parteigebundene rechtsextremistische Spektrum sah in dem Protestgeschehen ein lohnenswertes Aktionsfeld, um seine Ideologie und Verschwörungsnarrative zu verbreiten. So stellte das LfV Angehörige der NPD und des Dritten Wegs bei Versammlungen fest. Manchmal war auch eine Teilnahme von Anhängern der Reichsbürgerund Selbstverwalterszene zu beobachten. In Frankfurt am Main beteiligten sich etwa an einer Kundgebung am 27. November (2.600 Personen) einige Angehörige der IBH und zeigten ein Banner der IB. Ebenso waren am 5. Dezember in der Mainmetropole bei einer Demonstration Aktivisten des Dritten Wegs anwesend. Auf Plakaten, Mützen und Jacken waren das Logo und Slogans der Partei ("Das System ist gefährlicher als Corona!") zu sehen. Insgesamt waren am 5. Dezember etwa 2.500 Personen anwesend, dabei grenzten sich die Angehörigen des Lagers der Gegner der "Corona-Maßnahmen" nicht wahrnehmbar von den Rechtsextremisten ab und skandierten Parolen wie "Freiheit" oder "Wir sind das Volk". Radikalisierungsprozesse | Dass sich ein Teil des Lagers der Gegner der "Corona-Maßnahmen" zunehmend radikalisierte und dem Phänomenbereich "Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates" zuzuordnen ist, zeigen beispielhaft der Mord an einem Kassierer in einer Tankstelle in Idar-Oberstein (Rheinland-Pfalz) im Oktober und die zahlreichen Reaktionen hierauf in den sozialen Medien. Vor diesem Hintergrund war phasenweise - auch bei Demonstrationen - eine gestiegene Gewaltbereitschaft einzelner Akteure zu beobachten. So brach in Wiesbaden in der Nacht vom 1. auf den 2. Dezember ein bislang unbekannter Täter in ein COVID-19-Testzentrum ein, verteilte mehrere Flyer, in denen die "Corona-Maßnahmen" kritisiert wurden und versuchte das Testzentrum in Brand zu setzen. Bei "Corona-Protesten" in Frankfurt am Main wurden vereinzelt Polizeibeamte angegriffen, wobei die Polizei Personen festnahm und Identitätsfeststellungen durchführte. Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 141 VERFASSUNGSSCHUTZRELEVANTE DELEGITIMIERUNG Antisemitismus | Im Verlauf des Berichtsjahrs trugen Gegner der "Corona-Maßnahmen" bei Demonstrationen das von den Nationalsozialisten 1941 im Deutschen Reich eingeführte Zwangskennzeichen des "Judensterns", wobei hierauf jetzt "ungeimpft" stand. Das öffentliche Tragen des "Judensterns", so die aktuelle Rechtsprechung, ist dabei als Verharmlosung der nationalsozialistischen Judenverfolgung und damit des Holocausts zu werten. IDEOLOGIE/ZIELE Der Minimalkonsens des im Phänomenbereich "Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates" erfassten heterogenen Personenpotenzials besteht darin, sich gegen die "Corona-Maßnahmen" zur Wehr zu setzen und hierüber unter anderem ihre Ablehnung und Verachtung in Bezug auf den demokratischen Rechtsstaat zu artikulieren. Dabei unterscheiden sich sowohl die Motive als auch die Instrumentarien und die dabei verwendeten Narrative. Vor allem über im Internet und in den sozialen Medien verbreitete Desinformation wird versucht, die demokratiefeindliche und/oder sicherheitsgefährdende Delegitimierung des Staates gesellschaftsfähig zu machen. AUF EINEN BLICK * Delegitimierung des Staates * Verschwörungsnarrative - Antisemitismus Delegitimierung des Staates | Gleichsetzungen der aktuellen politischen Situation mit Diktaturen oder anderen Unrechtsregimen zielten darauf ab, den öffentlichen Diskurs und somit das Vertrauen der Bevölkerung in die verfassungsmäßige Ordnung und in die demokratisch legitimierte Regierung zu erschüttern. Die agitatorische Verächtlichmachung des Staates sowie seiner Repräsentanten sollen die entsprechend demokratisch legitimierten Entscheidungen und Gesetze delegitimieren und kennzeichnen die ideologische Basis der Personen, die dem Phänomenbereich "Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates" zuzurechnen sind. Diese Akteure sprechen demokratisch getroffenen Entscheidungen die Legitimation ab und sehen sich fälschlicherweise oft in einer angeblich gerechtfertigten Widerstandssituation. So hieß es in einem Beitrag: "Gemäß Artikel 20 Abs. 4 des Grundgesetzes müssen wir aktiven Widerstand gegen die Corona-Diktatur in Deutschland leisten". 142 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 VERFASSUNGSSCHUTZRELEVANTE DELEGITIMIERUNG Verschwörungsnarrative - Antisemitismus | Personen, die dem Phänomenbereich zuzuordnen sind, haben eine hohe Affinität zu Verschwörungsnarrativen, die sie im Rahmen von Redebeiträgen, Äußerungen im Internet und in Chatbeiträgen in den sozialen Medien verbreiten. So hieß es etwa "Sie wollen uns loswerden und vernichten! 7 Milliarden Menschen sollen sterben", "Wir wehren uns gegen Propaganda. Wir wehren uns gegen den Great Reset". Neben dem Verschwörungsnarrativ des "Great Reset" (siehe das Kapitel "Identitäre Bewegung, Ereignisse/Entwicklungen") werden im Phänomenbereich "Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates" weitere Verschwörungsnarrative - wie zum Beispiel der QAnon-Anhänger - verbreitet. Dabei handelt es sich um kurze Texte in zumeist kryptischer Form ("Q-Drops"). Darin wird behauptet, dass eine geheime Elite mit Hilfe eines "tiefen Staats" die USA kontrollieren würde, wobei manchmal auch versteckte antisemitische Äußerungen getätigt werden. Die "Q-Drops" beziehen sich häufig auf das aktuelle Weltgeschehen und werden durch eine entsprechende Interpretation vermeintlich argumentativ untermauert. Diese Interpretationen sind oftmals mit antisemitischen Elementen versehen. Darüber hinaus sprechen Personen, die dem Phänomenbereich zuzuordnen sind, in Bezug auf die Bundesrepublik Deutschland unter anderem von einer "Corona-Diktatur" und setzen die heutige Zeit mit der des nationalsozialistischen Unrechtsregimes gleich, sodass die nationalsozialistischen Verbrechen - insbesondere die Unterdrückung, Verfolgung und Ermordung jüdischer Menschen - verharmlost werden. BEWERTUNG/AUSBLICK Es besteht die Gefahr, dass Verschwörungsnarrative innerhalb der Szene der Gegner der "Corona-Maßnahmen" zunehmend an Akzeptanz gewinnen. Durch die fortlaufende Verbreitung dieser Narrative kann sowohl die Radikalisierung von allein handelnden Personen als auch von Gruppen gefördert werden. Verschwörungsnarrative sind dazu geeignet, als Legitimation schwerster Gewaltstraftaten und als Legitimation zum "aktiven Widerstand" zu dienen. In diesem Kontext spielen auch antisemitische Tendenzen eine Rolle. Zum Beispiel unterstreicht das Tragen des nationalsozialistischen Zwangskennzeichens des "Judensterns" mit dem Wort "ungeimpft" die Gefahr, dass insbesondere Verschwörungsnarrative auch den Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 143 VERFASSUNGSSCHUTZRELEVANTE DELEGITIMIERUNG Weg für antisemitische Bestrebungen öffnen. Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass solche Narrative (in Verbindung mit Antisemitismus) als "Vorbilder" für gewaltorientierte Akteure im Phänomenbereich "Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates" dienen, was ebenso für Rechtsextremisten sowie Angehörige der Reichsbürgerund Selbstverwalterszene gilt. Insgesamt ist zu erwarten, dass die innerhalb der Szene der Gegner der "Corona-Maßnahmen" artikulierte Staatsferne und Demokratiefeindlichkeit mit dem Abebben der Pandemie nicht verschwinden wird. Hierfür ist die Zahl der mit Staat und Demokratie Unzufriedenen, die meinen, etwa in Verschwörungsnarrativen Lösungen zu finden, zu groß. Daher ist davon auszugehen, dass das Personenpotenzial weiterhin bestehen und sich andere Themenfelder suchen wird. Eine Gesamtschau der Entwicklungen und Ereignisse im neu eingerichteten Phänomenbereich unterstreicht das Erfordernis einer differenzierten Einzelfallbetrachtung, um zu bewerten, ob jeweils tatsächliche Anhaltspunkte für extremistische Bestrebungen vorliegen. Diese Einzelfallbetrachtung ist jedoch auch zur Analyse etwaiger Überschneidungen und Vernetzung mit weiteren Phänomenbereichen und Milieus erforderlich. Derartige Überschneidungen und Vernetzungsbestrebungen gilt es als besondere Herausforderung für Sicherheitsbehörden im Blick zu behalten und fortwährend aufzuklären. 144 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 LINKSEXTREMISMUS - MERKMALE - LINKSEXTREMISTISCHES PERSONENPOTENZIAL - AUTONOME UND ANARCHISTEN - SONSTIGE BEOBACHTUNGSOBJEKTE - LINKSEXTREMISTISCHE STRAFUND GEWALTTATEN LINKSEXTREMISMUS MERKMALE Die Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und die Errichtung eines totalitären, sozialistisch-kommunistischen Systems oder einer angeblich "herrschaftsfreien Gesellschaft" sind Ziele linksextremistischer Bestrebungen. AUF EINEN BLICK * Orthodoxer Kommunismus * Maoismus * Anarchismus * Autonome Vorstellungen Orthodoxer Kommunismus | Protagonisten dieses Teils des Linksextremismus, so etwa die Deutsche Kommunistische Partei, orientieren sich an den Lehren von Karl Marx und Friedrich Engels. Marx und Engels teilten Gesellschaften in Klassen ein und behaupteten, es gebe einen andauernden "Klassenkampf". Auf der Ausbeutung der Klasse der Arbeiter ("Proletariat") durch die Klasse der "Kapitalisten" fußt nach Auffassung orthodoxer Kommunisten der "Kapitalismus": Dieser führe zwangsläufig zu immer mehr Elend und Gewalt in der Gesellschaft. Der "Kapitalismus" könne nur durch eine Revolution, die eine Änderung der Eigentumsverhältnisse einschließe, beseitigt werden. Durch Umverteilung des Besitzes werde die alte Ordnung absterben und sich nach und nach eine kommunistische Gesellschaft entwickeln. Neben Marx und Engels berufen sich orthodoxe Kommunisten auf Wladimir Iljitsch Uljanow, genannt Lenin. Dieser glaubte, die Arbeiter könnten nur durch eine elitäre Kaderpartei zum richtigen "Klassenbewusstsein" und zu einer erfolgreichen Revolution geführt werden. Nach der Erringung der Macht sei es Aufgabe dieser Partei, mittels einer "Diktatur des Proletariats" die kommunistische Gesellschaft zu errichten und gewaltsam alle "konterrevolutionären" Elemente zu bekämpfen. Maoismus | Organisationen wie die Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands orientieren sich an der chinesischen Variante des Kommunismus, dem Maoismus, der auf den Revolutionär Mao Zedong zurückgeht. Die von ihm verfassten Schriften sowie seine Politik der Ablehnung der damaligen Sowjetunion bilden die Grundlage der maoistischen Ideologie. Im Unterschied zum orthodoxen Kommunismus setzt sich für Maoisten die Revolution auch nach Erringung der Macht fort und kann sich gegen eigene kommunistische Strukturen und deren Repräsentanten richten. Darüber hinaus definiert 146 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 LINKSEXTREMISMUS der Maoismus nicht die Arbeiter, sondern - vor allem in Ländern der Dritten Welt - die Bauern als Träger der proletarischen Revolution. Anarchismus | Anarchisten lehnen - im Unterschied zu kommunistischen Organisationen - jegliche Herrschaft ab. Sie sehen den Staat als unterdrückerische Zwangsinstanz an, die zerschlagen werden müsse, wobei es - im Unterschied zu Marxisten-Leninisten - keiner Kaderpartei bedürfe. Anarchisten wenden sich gegen jegliche Institutionen, insbesondere gegen Parteien und Parlamente; sie selbst organisieren sich in nur wenig strukturierten Gruppen. Von diesen in festeren Strukturen agierenden "syndikalistischen Anarchisten" sind "aufständische" oder auch "insurrektionalistische Anarchisten" zu unterscheiden, die in jüngerer Zeit durch verschiedene "Aktionen" auffällig wurden. Für Anhänger der Strömung des "aufständischen/insurrektionalistischen Anarchismus" sind eine kompromisslose Opposition und permanente Attacken auf den sozialen und politischen Gegner zentrale Anliegen. Das bedeutet, dass diese Anarchisten gezielt auch Gewalttaten und Sabotageaktionen durchführen, um auf ihr Ziel, den Aufbau eines "antikapitalistischen", völlig freien Systems hinzuarbeiten. Anhänger dieser Strömung des Anarchismus agieren für gewöhnlich alleine oder in informellen Kleinstgruppen. Autonome Vorstellungen | Die Positionen von Autonomen verfolgen - verglichen mit denjenigen orthodox-kommunistischer Parteien - kein starres Dogma. Sie vermischen verschiedene Ideologiefragmente zu einem mitunter brüchigen Gesamtbild, das von Gruppe zu Gruppe variieren kann. Nicht die Partei, sondern das selbstbestimmte Individuum steht bei Autonomen im Mittelpunkt ("Politik der ersten Person"). Nach autonomer Auffassung muss der Einzelne ständig um seine Befreiung von "strukturellen Zwängen" kämpfen. Mit orthodoxen Kommunisten verbindet Autonome aber die Vorstellung von einer Welt, in der jeder im Rahmen einer kommunistischen Gesellschaft nach seinen Bedürfnissen leben und sich selbst verwirklichen kann: Dazu müssten alle "Systeme", die dem Individuum Pflichten und Zwänge auferlegen, beseitigt werden. Zu diesen "Systemen" gehören nach dem Verständnis von Autonomen unter anderem Demokratie und rechtsstaatliches Handeln. Die Vorgehensweisen und die Zusammensetzung autonomer Zusammenschlüsse sind heterogen. Einige Autonome versuchen, Ideen anarchistischer Prägung in die Realität umzusetzen, zum Beispiel durch die Errichtung "gewaltund herrschaftsfreier Räume" in Form von Besetzungen von Gebäuden. Andere Autonome engagieren Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 147 LINKSEXTREMISMUS sich weiterhin in der Bündnisund Netzwerkarbeit, wobei sie zunehmend nichtextremistische Unterstützer zu gewinnen versuchen. Um ihre jeweiligen Ziele zu erreichen, halten Autonome generell die Anwendung von Gewalt für ein legitimes Mittel. Insbesondere auf Grund ihrer "militanten Aktionen" stellen Autonome eine konstante Bedrohung für die Innere Sicherheit in Deutschland dar. LINKSEXTREMISTISCHES PERSONENPOTENZIAL1 Das linksextremistische Personenpotenzial in Hessen erhöhte sich im Vergleich zu den Vorjahren trotz der geringeren öffentlichkeitswirksamen Aktionsmöglichkeiten im Zuge der "Corona-Maßnahmen" von 2.600 (2020) auf 2.770, was eine Zunahme um sechs Prozent ent- | 2021 2020 2019 2018 2017 Autonome Hessen 480 420 420 400 400 Bund 8.000 7.500 7.400 7.400 7.000 Anarchisten Hessen 100 80 80 70 70 Bund 1.400 1.200 900 800 800 Sonstige Linksextremisten (Marxisten-Leninisten, Trotzkisten u. a.) Hessen 2.500 2.400 2.400 2.400 2.400 Bund 25.500 25.800 25.300 24.000 21.400 Gesamtzahl der Linksextremisten (nach Abzug von Mehrfachmitgliedschaften) Hessen 2.770 2.600 2.600 2.570 2.570 Bund 34.700 34.300 33.500 32.000 29.500 Gewaltorientierte Linksextremisten Hessen2 590 580 520 Bund 10.300 9.600 9.200 9.000 9.000 1 Die Zahlen sind teilweise geschätzt und gerundet. 2 Was die zahlenmäßige Zuschreibung der Gewaltorientierung in Bezug auf das linksextremistische Personenpotenzial in Hessen betrifft, so wurde diese für die Jahre 2017 und 2018 in Prozentangaben beziffert. 148 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 LINKSEXTREMISMUS spricht. So traten insbesondere beim Themenfeld "Klimaund Umweltschutz" verstärkt neue Gruppierungen, die den entsprechenden Protest des demokratischen Lagers für ihre linksextremistische Agitation nutzten, in Erscheinung. Darüber hinaus führte ein neuer Rückgriff auf kommunistische Denkmuster ebenfalls zum Entstehen von Gruppierungen, die im Berichtsjahr aber pandemiebedingt weitgehend nicht öffentlich agierten. Die Zahl der als gewaltorientiert zu bewertenden Linksextremisten erhöhte sich im Vergleich zum Vorjahr auf 590 (2020: 580, 2019: 520). Einige Gruppierungen distanzierten sich nicht von gewalttätigen Aktionen - auch klandestin agierender - Kleingruppen, die diese im Zusammenhang mit größeren Aktivitäten verübten. (Siehe im Glossar auch die Erläuterung zum Begriff Personenpotenzial.) AUTONOME UND ANARCHISTEN DEFINITION/KERNDATEN Autonome sind undogmatische und organisationskritische Autonome: Linksextremisten, die sich zum Teil diffus an verschiedenen In Hessen etwa 480, kommunistischen und anarchistischen Deutungsmustern orienbundesweit etwa 8.000 tieren. Das staatliche Gewaltmonopol lehnen Autonome ab und sehen eigene Gewaltanwendung ("Militanz") zur Durchsetzung ihrer Anarchisten: politischen Ziele als legitim bzw. berechtigt an. Starren OrganisatiIn Hessen etwa 100, bundesweit etwa 1.400 onsstrukturen stehen "klassische" Autonome kritisch bis ablehnend gegenüber und beharren stattdessen auf ihrer Selbstbestimmtheit. Regionale Schwerpunkte: Autonome organisieren sich überwiegend in losen Gruppen, zwiFrankfurt am Main, Marburg, schen denen oft nur aktionsund anlassbezogene lockere Gießen, Kassel und Darmstadt Netzwerke bestehen. Medien : Swing (Erscheinungsweise Teile der autonomen Szene sind seit einigen Jahren allerdings von mehrmals jährlich), Internetdiesem Selbstverständnis abgerückt. Die mangelnde Strategie sopräsenzen wie die Organisationsund Theoriefeindlichkeit "klassischer" Autonomer erachten sie als wenig zielführend: Anstelle der Revolution bevorzugt dieser Teil der Szene, der als postautonom bezeichnet / wird, eine langfristige Veränderung der bestehenden Verhältnisse. Hierfür greifen Postautonome gesamtgesellschaftlich relevante Themen auf und setzen auf eine auch das gesamte linksextremistische Spektrum umfassende Bündnispolitik, die eine Zusammenarbeit mit nichtextremistischen Akteuren ausdrücklich einschließt. Dementsprechend vermeiden Postautonome in der Regel ein offenes BeHessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 149 LINKSEXTREMISMUS kenntnis zur Gewalt. Stattdessen verwenden sie eher unbestimmte Begriffe wie "ziviler Ungehorsam" oder sprechen davon, "Polizeiketten durchfließen" zu wollen. Damit bieten Postautonome für ihre "Aktionen" einen weiten Interpretationsspielraum, der sowohl gewaltorientierten als auch gewaltablehnenden Personen eine Teilnahme ermöglicht. Die bundesweit bedeutendste postautonome Organisation war im Berichtszeitraum die Interventionistische Linke (IL). Die IL zeigte sich in Hessen in den Ortsgruppen Frankfurt am Main, Darmstadt und Marburg aktiv. Im Kontext der autonomen Szene beobachtet das LfV sogenannte aufständische anarchistische Strukturen wegen ihrer grundsätzlichen Gewaltaffinität. Entsprechende Zusammenhänge wurden in jüngerer Zeit außerhalb Hessens durch "Aktionen" auffällig. Kennzeichnend für Anhänger dieser Strömung im Anarchismus sind eine kompromisslose Opposition und permanente Attacken auf den gesellschaftlichen und politischen Gegner. Das bedeutet, dass aufständische Anarchisten gezielt auch Gewaltund Sabotageaktionen durchführen, um auf ihr Ziel des Aufbaus eines "antikapitalistischen" Systems bzw. einer von allen Zwängen völlig freien Gesellschaft hinzuarbeiten. Anhänger dieser Strömung agieren gewöhnlich allein oder in informellen Kleinstgruppen. Da diese Strukturen derzeit aufgeklärt werden, können keine Zahlenangaben hinsichtlich des Personenpotenzials gemacht oder regionale Schwerpunkte in Hessen benannt werden. EREIGNISSE/ENTWICKLUNGEN Im zweiten Pandemiejahr 2021 waren die autonome und die anarchistische Szene in Hessen im Vergleich zum Vorjahr wieder aktiver. Nachdem im Vorjahr vor allem "Aktionen" und Angriffe im Zusammenhang mit dem Ausbau der A49 im Vordergrund gestanden hatten, rückten im Berichtsjahr vermehrt altbekannte Themenfelder in den Fokus, insbesondere der "Antifaschismus". Zudem griff die linksextremistische Szene pandemiebedingt Gesundheitsthemen auf und verknüpfte diese mit "antikapitalistischen" Forderungen und der "Systemfrage". AUF EINEN BLICK * "Antifaschismus": Outings, Drohschreiben und Demonstrationen * Ausschreitungen am 1. Mai in Frankfurt am Main * "Antifaschismus" und "Antikaptalismus" * "Antimilitarismus" 150 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 LINKSEXTREMISMUS * Linksextremistische Beeinflussung der Klimaund Umweltschutzbewegung * "Antigentrifizierung": Angriffe auf Immobilienfirmen * "Antirepression": Solidaritätsaktionen für Lina E. * Solidarität mit dem Anarchisten Dimitris Koufontinas "Antifaschismus": Outings, Drohschreiben und Demonstrationen | Im Berichtsjahr führten Autonome in unregelmäßigen zeitlichen Abständen hessenweit Outings in Bezug auf Personen durch, die sie als "Feinde" bzw. als Rechtsextremisten ansahen. Entsprechende (gewalttätige) "Aktionen" richteten sich sowohl gegen die politischen Gegner selbst als auch gegen deren Besitz. Ziel war es, den Betroffenen einen erheblichen individuellen Schaden zuzufügen sowie ihre gesellschaftliche und mitunter berufstangierende Reputation zu beschädigen. Vor allem im Raum Kassel häuften sich "antifaschistische Aktionen". Folgende Ereignisse waren erwähnenswert: * Frankfurt am Main, 17./18. Januar: Autonome outeten einen AfD-Kommunalpolitiker aus Frankfurt am Main in seinem Wohnumfeld, indem sie ein Flugblatt mit dessen Adresse und einer Darstellung seiner politischen Aktivitäten verteilten. Zudem wurde ein Bericht über das Outing auf der linksextremistischen Internetplattform de.indymedia.org veröffentlicht. * Kassel, 24. Januar: Auf der linksextremistischen Internetplattform de.indymedia.org veröffentlichten bislang Unbekannte ein Schreiben über ein "Nazi-Outing", worin es hieß, dass das betroffene Ehepaar dem "NPD-Kader Thorsten Heise" nahe stehe, der "maßgeblich für rechte Strukturen und Großveranstaltungen in Deutschland verantwortlich" sei. Entsprechend plakatierte Blätter mit der Überschrift "!!! Achtung Nazischwein !!!" fanden sich an Haltestellen mit Namen, Foto, Wohnanschrift und Hinweis auf den Arbeitgeber der geouteten Person. * Frankfurt am Main, 28. Januar: Im besonderen Fokus der linksextremistischen Szene stand der Gerichtsprozess gegen die Angeklagten im Mordfall des Kasseler Regierungspräsidenten Dr. Walter Lübcke, der am 16. Juni 2020 vor dem OLG Frankfurt am Main begonnen hatte. Am Tag der Urteilsverkündung führte das Bündnis gegen rechten Terror Hessen eine Kundgebung an der Konstabler Wache in Frankfurt am Main durch, nachdem zuvor unter anderen das antifaschistische kollektiv (ak.069), die IL Frankfurt und das Offene Antifaschistische Treffen (OAT) Frankfurt am Main hierfür in den sozialen Medien geworben hatten. Weitere Mobilisierungsaufrufe fanden sich auf der Internetplattform de.indymedia.org. In einem im Internet veröffentlichten Redebeitrag des OAT Frankfurt am Main hieß es: "Für eine grundlegende Veränderung der Verhältnisse braucht es Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 151 LINKSEXTREMISMUS eine kollektive und solidarische Praxis, deswegen organisiert euch gegen rechten Terror und Nazistrukturen in Behörden und der Gesellschaft! Beim OAT oder in anderen Strukturen, denn nur gemeinsam sind wir stark!" * Frankfurt am Main, 14. Februar: Das OAT Frankfurt am Main warf in der Mainmetropole Flugblätter in Briefkästen ein. Das Motto lautete: "Keine Stimme den Rechten". Damit wollten die Linksextremisten unter anderem über die Kandidatur der AfD bei den Kommunalwahlen "aufklären". Entsprechende Flugblätter wurden auf der Straße auch an Passanten verteilt. * Offenbach am Main, 4. März: Das OAT Frankfurt, das ak.069 und die Antifa United Frankfurt (AUF) beteiligten sich an einer Demonstration gegen eine AfD-Wahlkampfveranstaltung ("Höcke spricht"). An dem von dem Bündnis Bunt statt braun organisierten Protest nahmen laut Angaben der Polizei etwa 800 Personen teil, darunter etwa 200 Linksextremisten. Auf Twitter verbreitete ak.069 die Losung "Höcke die Show stehlen". Vereinzelt kam es zu Rangeleien mit der Polizei, als Demonstranten erfolglos versuchten, zu der AfD-Veranstaltung durchzubrechen. In einem Redebeitrag verwies ein Aktivist darauf, dass der Attentäter von Hanau (Main-Kinzig-Kreis) zuvor eine Rede von Höcke angesehen habe. Letzterer schmücke sich unter anderem mit Relativierungen des Holocaust und "verloren geglaubter Männlichkeit". * Frankfurt am Main, 9. April: Mit Bezug auf den Anschlag in Hanau am 19. Februar 2020, dem neun Menschen zum Opfer gefallen waren, berichteten einige Medien über die Mitgliedschaft des Attentäters in einem Schützenverein. Als Reaktion auf die Meldungen verübten bislang unbekannte Täter einen Brandanschlag auf den Schießstand des Vereins. In dem auf de.indymedia.org veröffentlichten Selbstbezichtigungsschreiben, das auch die AUF auf ihrer Facebook-Seite verbreitete, hieß es: ",Wenn niemand Verantwortung übernimmt, dass Rassisten und Faschisten sich in diesem Land auf Attentate und Tag X vorbereiten, tun wir das. [...] In Schützenvereinen fällt ein Rassist [...] nicht weiter auf. Nach jedem Anschlag das gleiche Muster: Bloß keine Konsequenzen. Bloß keine Verantwortung. Und währenddessen trainieren Dutzende oder hunderte Rassisten in Deutschland in ihren Vereinen an den Schießständen den nächsten Mord. [...] Jedes abgebrannte Schützenheim in diesem Land bedeutet ein klein wenig mehr Schutz für Betroffene von Rassismus". * Frankfurt am Main, 7. Mai: Das "hundertjährige Bestehen der antifaschistischen Bewegung" - gemeint sind die Barrikadenkämpfe der Arditi del Populo 1922 in Parma (Italien) gegen Benito Mussolini und dessen Faschisten -, sowie der 76. Jahrestag der Befreiung vom Nationalsozialismus standen im Mittelpunkt einer Demonstration, an der die AUF, das OAT Frankfurt am 152 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 LINKSEXTREMISMUS Main, die Gruppierung ökologisch radikal links - ffm, die IL Frankfurt und Linksextremisten aus den benachbarten Ländern teilnahmen. Verschiedene Redner beschäftigten sich unter anderem mit der "Geschichte des organisierten, autonomen Antifaschismus in Frankfurt seit den 1960er Jahren" und dem Polizeieinsatz am 1. Mai. Die von der Polizei begleitete Veranstaltung, zu der laut Eigenangabe der Organisatoren etwa 3.000 Personen kamen, verlief trotz einer emotionalisierten Grundstimmung friedlich. In dem im Internet veröffentlichten Aufruf "07.05.21 - Wir sind 100 Jahre Antifa!" hieß es: "Wir leisten Widerstand gegen den alltäglichen und strukturellen Rassismus dieser Gesellschaft, der den rechten Mördern zur Legitimation dient. [...] Wir wissen, dass die Faschist*innen auch in der Polizei und den Geheimdiensten sitzen. Nazis in deutschen Behörden sind eine historische Kontinuität. Entnazifizierung darf für uns deshalb keine leere Parole sein, sondern muss antifaschistische Praxis werden. Wir wollen den Verfassungsschutz abschaffen und den NSU-Komplex auflösen. [...] Die Vernichtung des Faschismus mit seinen Wurzeln ist unsere Losung". * Kassel, 15. August: Bislang unbekannte Täter sprühten das Symbol für Hammer und Sichel sowie das Wort "Antifa" auf ein Fahrzeug, das in unmittelbarer Nähe zu einer Burschenschaft geparkt war. Außerdem zerstachen sie mehrere Reifen. * Oberursel (Hochtaunuskreis), 28. August: Die AUF und das Anarchistische Kollektiv Wiesbaden riefen zur Teilnahme an einer von demokratischen Organisationen initiierten Demonstration gegen eine AfD-Wahlkampfveranstaltung und "Für einen bunten HTK" auf. * Eschborn (Main-Taunus-Kreis), 21. September: Das OAT Frankfurt am Main beteiligte sich an einer Kundgebung gegen eine Wahlkampfveranstaltung der AfD. Dabei wurde ein Banner mit folgender Aufschrift gezeigt: "Weil uns keine Wahl bleibt: Antifaschistisch kämpfen! Gegen rechte Krisenlösungen". Laut Angaben des OAT Frankfurt nahmen knapp 70 Personen aus seinen Reihen an der Veranstaltung teil. * Frankfurt am Main, 25. September: Im Zuge der bundesweiten autonomen Kampagne "antifascist action!" riefen in Hessen die Gruppierungen AUF, ak.069 und OAT Frankfurt am Main zu einer Demonstration vor der Bundestagswahl auf (Motto "Weil uns keine Wahl bleibt: Antifaschistisch kämpfen! Antifaschistische Demo am Vorabend der Wahlen"). In verschiedenen Medien erklärte die AUF: "Wenn wir eine solidarische Gesellschaft wollen, müssen wir sie selbst erkämpfen: Auf der Straße, in unseren Vierteln, auf der Arbeit und zu Hause. Wenn wir ein gutes Leben für alle wollen, müssen wir uns wehren: gegen die Rechten, ihre Hetze und die droHessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 153 LINKSEXTREMISMUS hende Faschisierung von Staat und Gesellschaft. Uns bleibt keine Wahl: Wir müssen antifaschistisch kämpfen! [...] Die Militarisierung der Außengrenzen findet ihr Ebenbild in der verschärften Repression nach Innen: Aufrüstung der Polizei, präventive Eingriffsbefugnisse und Einschränkung der Freiheitsrechte - hier ziehen die Parteien von Grünen bis AfD an einem Strang. [...] Die Sicherheitsbehörden sind durchzogen von mörderischem Rassismus, rechten Netzwerken und immer offener auftretenden Faschisten. Nur wir selbst können uns vor dieser Polizei schützen! [...] Hier geht der antifaschistische Kampf weiter: Bis der Verfassungsschutz aufgelöst, die Sicherheitsbehörden entnazifiziert und alle rechten Netzwerke zerschlagen sind". An der Demonstration nahmen etwa 450 Personen teil, wobei diese immer wieder gegen die Auflagenverfügung verstießen, indem sie sich zum Beispiel vermummten und verschiedene Banner miteinander verknoteten. Jedes Mal forderte die Polizei den Leiter der Versammlung auf, diese Verstöße zu unterlassen, was tatsächlich geschah, sodass die Demonstration friedlich verlief. * Kassel, 26. November: Bislang unbekannte Täter warfen sowohl Farbbeutel auf die Fassade einer Burschenschaft als auch einen Stein durch eine Fensterscheibe. In einem Selbstbezichtigungsschreiben, veröffentlicht auf der linksextremistischen Internetplattform de.indymedia.org, hieß es, dass die Burschenschaft als eine "Schlüsselgruppierung in der Neonaziszene" agiere: "Diese gilt es dauerhaft zu stören und ihnen zu zeigen, dass sie nicht willkommen sind. [...] Mit kaputten Scheiben ist es nicht getan! Wir dulden euch nicht!" Ausschreitungen am 1. Mai in Frankfurt am Main | Anlässlich des 1. Mai führte das Bündnis Revolutionärer Erster Mai Frankfurt eine Demonstration unter dem Motto "Revolutionärer 1. Mai - Tag der Wut - Kampftag der Arbeiter:innenklasse" durch. Teil dieses Bündnisses waren die trotzkistische Gruppe ArbeiterInnenmacht (GAM) und das autonome OAT Frankfurt am Main. Für die Demonstration mobilisierten unter anderem Gruppen aus dem Phänomenbereich Extremismus mit Auslandsbezug - darunter Young Struggle - sowie autonome Gruppierungen aus Frankfurt am Main, wie etwa ökologisch radikal links - ffm, die sich in dem "Enteignen-Block" zusammenfinden wollten. Dabei war das Thema weit gespannt, so hieß es in einem Aufruf: "Wir haben Enteignungsbedarf[.] Klimakrise, Mietenwahnsinn, Gesundheitsnotstand - am 1. Mai die Eigentumsfrage stellen!" Bereits die öffentliche Mobilisierung deutete darauf hin, dass es während der Demonstration zu Strafund Gewalttaten seitens der Teilnehmer kommen würde. Es kursierten Parolen, wie etwa "1. Mai - Straße frei - nieder mit der Polizei", in einem Aufruf hieß es: 154 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 LINKSEXTREMISMUS "Die Widersprüche des Kapitalismus sind menschgemacht, also von Menschen überwindbar - lasst uns unsere Wut kollektiv auf die Straße tragen, um endlich mit dem System zu brechen, das uns unterdrückt und ausbeutet. Lasst uns klar machen, dass wir nicht für die Krise zahlen, die mit unserer Gesundheit, unserer Arbeit, unseren Körpern, unserer Miete sowie mit der Zerstörung unserer Umwelt Profit macht! Lasst uns deutlich machen, dass wir nicht länger bereit sind, für Unternehmen zu schuften, deren Reichtum auf Nazikapital; deren Profit auf Antisemitismus, Sexismus, Ausbeutung und Spaltung der Arbeiter_innen beruht. Lasst uns den Tag der Arbeit zum Tag der Wut machen!" (Schreibweise wie im Original.) Während des Demonstrationszugs wuchs die Teilnehmerzahl von rund 2.200 auf etwa 3.500 an, wobei von Anfang an eine aggressive Grundstimmung gegenüber der Polizei herrschte. Im weiteren Verlauf wurden pyrotechnische Gegenstände gezündet und auf Polizeikräfte geworfen. Ein Demonstrant schlug mit einer Fahnenstange auf den Helm eines Polizisten, andere Teilnehmer versuchten, mit Fahnenstangen gezielt unter die Visiere der Helme zu stoßen. Obwohl die Polizei den Aufzug anhielt und mittels Lautsprecherdurchsagen zu einem friedlichen Verhalten aufforderte, entzündeten die Demonstranten weiterhin pyrotechnische Gegenstände. Während der Abschlusskundgebung warfen Demonstranten immer wieder Flaschen, Steine, Fahnenstangen und pyrotechnische Gegenstände auf die Polizei und setzten sogar den sich zwecks einer Deeskalation zurückziehenden Polizeikräften in aggressiver Weise nach. Schließlich löste die Polizei die Versammlung auf. Die Polizei kontrollierte insgesamt 51 Personen und fertigte 17 Strafanzeigen unter anderem wegen des Verdachts der versuchten gefährlichen Körperverletzung, des tätlichen Angriffs auf sowie des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte. 15 Personen wurden vorübergehend festgenommen. Als Reaktion auf die angebliche "Polizeigewalt" nahmen wenige Tage später unbekannte Täter - so der Wortlaut einer auf der linksextremistischen Internetplattform de.indymedia.org veröffentlichten Erklärung - "Rache für die Verletzten des 1. Mai": "Dazu habe wir ein Fenster ihrer Büroräume [i. e. der Polizei] eingeschlagen und Buttersäure darin verteilt. [...] Es ist die Gleiche Gewalt, durch die Günter Sare 1985 von den Bullen ermordet wurde. Genau an der Stelle, wo Günter Sare von einem Wasserwerfer ermordet wurde, ließen die Bullen diesmal blutende Menschen mit Schädelbasisbruch zurück. [...] Es ist immer das gleich! Das ist nur ein Grund der zeigt, dass ein Kampf gegen die Bullen auch antifaschistisch ist. [...] PS: Peter Beuth ist ein Schwein!" (Schreibweise wie im Original.) Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 155 LINKSEXTREMISMUS Auf Instagram bekannten sich Linksextremisten zu der von ihnen ausgehenden Gewalt: "Als Revolutionäre kämpfen wir jeden Tag [...] gegen dieses kranke System und den Staat, der es stützt. Am 1. Mai haben wir uns militant gegen die Angriffe der Bullen zur Wehr gesetzt. Auf unsere Demonstration haben sie mit Knüppeln, Reizgas und Wasserwerfer geantwortet. Und doch waren sie überrascht wie viele unserer Fahnen ihre Helme getroffen haben und wie viele Flaschen ihnen entgegen geworfen wurden". (Schreibweise wie im Original.) Als Reaktion auf die gegen einzelne Demonstrationsteilnehmer eingeleiteten Ermittlungsverfahren führte die linksextremistische Szene "Solidaritätsaktionen" durch. So fand am 6. November in Frankfurt am Main eine nicht angemeldete Demonstration mit etwa 150 Personen statt, wobei ein Banner mit der Aufschrift "Wir entschuldigen uns für nichts. Gegen Klassenjustiz und Polizei" mit dem Bild eines brennenden Polizeifahrzeugs gezeigt wurde. Die nach dem 1. Mai gegen Staatsminister Peter Beuth geäußerten Schmähungen lebten im Oktober wieder auf. So schrieb unter anderem das ak.069 auf Twitter: "es bleibt dabei: peter beuth ist ein schwein". "Antifaschismus" und "Antikapitalismus" | Vor dem Hintergrund der anhaltenden COVID-19-Pandemie mobilisierten unter anderem das OAT Frankfurt am Main, die Gruppierung ökologisch radikal links - ffm, kritik&praxis - radikale Linke [f]rankfurt, CAT - Communist Action & Theory und das ak.069 gegen "Corona-Leugner" und Angehörige der Querdenken-Bewegung. In diesem Kontext übten autonome und postautonome Gruppierungen Kritik am "Kapitalismus" und Impfstoffherstellern. Folgende Ereignisse waren erwähnenswert: * Mainz (Rheinland-Pfalz), 23. Januar: Nachdem die IL Darmstadt und Frankfurt bundesweit zu Protesten gegen Pharmakonzerne aufgerufen hatten, kam es vor der BioNTech-Zentrale zu einer Demonstration für die Freigabe der Impfstoffpatente. Im Fokus standen auch andere Pharmakonzerne in Berlin, Leipzig (Sachsen) und Hannover (Niedersachsen). Unter dem Motto "Impfstoff für alle! Grenzenlose Solidarität statt Impfstoffnationalismus!" mobilisierte das OAT Frankfurt am Main zum Protest vor der BioNTech-Niederlassung in Marburg (Landkreis MarburgBiedenkopf), die am 6. Juni stattfand. * Frankfurt am Main, 24. April: Anlässlich der nächtlichen Ausgangsperre fand unter linksextremistischer Beteiligung eine Demonstration zu dem Thema "Das Virus geht nicht nachts spazieren, sondern tagsüber arbeiten!" statt. Das OAT Frankfurt am 156 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 LINKSEXTREMISMUS Main, die Gruppierungen ak.069 sowie kritik&praxis - radikale Linke [f]rankfurt und die AUF hatten über die sozialen Medien zur Teilnahme aufgefordert. In ihrem Aufruf hieß es: "Die nächtliche Ausgangssperre ist Sinnbild einer staatlichen Pandemiepolitik, die alle Verantwortung dem einzelnen Individuum aufbürdet, aber die Produktionsstätten nicht anrührt. [...] Gegen autoritären Populismus und neoliberale Seuchenverwaltung! Gegen rechte Krisenlösungen und autoritäre Maßnahmen! Gegen Antisemitismus und Verschwörungsideologien! Lockdown für das Kapital!" Die Demonstranten kritisierten die "Corona-Politik" der Bundesregierung und machten in ihren Reden unter anderem auf die prekäre Situation bestimmter Berufsgruppen während der Pandemie aufmerksam. Dabei grenzten sich die rund 500 Demonstrationsteilnehmer klar von Positionen der QuerdenkerBewegung ab. * Marburg, 12. Juni: Als Reaktion auf die Veranstaltung der Initiative Weiterdenken Marburg fand eine Gegendemonstration ("Kein Platz für Verschwörungstheorien - für ein solidarisches Mittelhessen") mit rund 150 Teilnehmern unter erheblicher Beteiligung von Linksextremisten statt. Zu dem Protest Veranstaltung hatten unter anderem die Gruppierungen CAT - Communist Action & Theory und kritik&praxis - radikale Linke [f]rankfurt sowie das OAT Frankfurt am Main aufgerufen. * Frankfurt am Main, 4. Dezember: Nachdem die Polizei einen Autokorso von "Corona-Leugnern" wegen Verstößen gegen die behördlichen Auflagen aufgelöst hatte, fanden sich die Teilnehmer zu einem nicht angemeldeten Aufzug zusammen. Als die Polizei diesen stoppte, versammelten sich in dessen Nähe etwa 50 Linksextremisten, die überwiegend schwarze Kleidung trugen. Daraus lösten sich rund 15 Personen, die versuchten einem "Corona-Leugner" ein Pappschild zu entreißen. Daraufhin kam es zu einem Gerangel, wobei ein schließlich auf dem Boden liegender "Corona-Leugner" getreten wurde. "Antimilitarismus" | Vor dem Amtsgericht (AG) Frankfurt am Main waren im Berichtsjahr verschiedene Verfahren gegen Teilnehmer einer Besetzung des BAFA im Februar 2020 anhängig. Damals hatten sich etwa 40 Personen widerrechtlich Zugang zum BAFA verschafft und den Eingangsbereich verbarrikadiert. Die "Aktion" diente dem Protest gegen Krieg und Rüstungsexporte und wurde von etwa 50 weiteren Personen, die sich vor dem Gebäude aufhielten, unterstützt. Vor diesem Hintergrund startete die linksextremistischen Szene eine "Solidaritätskampagne" für die Angeklagten, so sammelte die RH Spenden. Des Weiteren organisierte unter anderem das OAT Frankfurt am Main Kundgebungen, um die Gerichtsverfahren zu "begleiHessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 157 LINKSEXTREMISMUS ten". Die maximale Teilnehmerzahl, die während einer Veranstaltung erreicht wurde, belief sich auf etwa 45. Die Kundgebungen verliefen friedlich. Linksextremistische Beeinflussung der Klimaund Umweltschutzbewegung | Mit einem sogenannten Finger, also einer speziellen Personenformation innerhalb einer Demonstration, nahmen unter anderem das OAT Frankfurt am Main, die Gruppierung kritik&praxis - radikale [f]rankfurt sowie die Ortsgruppen Frankfurt am Main und Darmstadt der IL und die Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend (SDAJ) am "Klimastreik" am 13. August in Frankfurt am Main teil. Mehrheitlich beteiligten sich allerdings Aktivisten von Fridays for Future an der Veranstaltung, die aus einem zentralen Aufzug sowie sechs Sternmärschen zum Opernplatz in Frankfurt am Main bestand. Darüber hinaus fand in unmittelbarer Nähe zur Europäischen Zentralbank (EZB) ein "Klimacamp" statt. Zu der Veranstaltung hatte die Ortsgruppe Frankfurt am Main der nichtextremistischen Fridays-for-Future-Bewegung unter dem Motto "Our future is not for sale" aufgerufen. In dem entsprechenden Internetbeitrag vom 27. Mai hieß es: "Diesen Zustand [i. e. die Behauptung, dass die Klimakrise noch weit entfernt sei und dass klimaschädliche Unternehmen in den Parlamenten Gehör fänden,] können wir nicht länger hinnehmen. Zusammen wollen wir einen Moment der Vielfalt inmitten des grauen Finanzviertels schaffen und damit beginnen, Demokratie und Solidarität von unten aufzubauen. Legen wir den Grundstein für eine klimagerechte Zukunft!" Im Vorfeld des "Klimastreiks" kündigte die Ortsgruppe Frankfurt am Main von Fridays for Future auf der eigens für die Demonstration initiierten Website streikmituns.de an, dass sie mit verschiedenen Gruppen zusammenarbeiten wolle, um "gemeinsam gegen den Finanzsektor" zu demonstrieren und ein "buntes Aktionsbild zu ermöglichen". Auf Twitter hieß es unter anderem: "Marktwirtschaft ist Barbarei[.] Antikapitalistisch zum Fridays for Future Zentralstreik". An der Spitze des vom OAT Frankfurt am Main und von kritik&praxis - radikale [f]rankfurt organisierten "Fingers" zeigten die Teilnehmer ein Banner mit den Logos ihrer Gruppierungen sowie von der Ortsgruppe Frankfurt am Main von Fridays for Future. Darauf stand auch "Kapitalismus zerschlagen". Eine Angehörige des OAT Frankfurt am Main hielt eine Rede, kritik&praxis - radikale [f]rankfurt stellte ein Lautsprecherfahrzeug. Auch die IL führte einen eigenen "Sternmarsch" durch, an dessen Spitze das Banner der Organisation gezeigt wurde. Während der Veranstaltung berichteten die Gruppie158 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 LINKSEXTREMISMUS rungen in den sozialen Medien über das Geschehen. Trotz der im Vorfeld angekündigten "ungehorsamen Aktionen" verlief der "Klimastreik" weitgehend friedlich. Laut Polizei nahmen etwa 4.500 Personen daran teil. Sowohl während der Mobilisierung als auch bei der Veranstaltung gelang es Linksextremisten, sich als Partner der Ortsgruppe Frankfurt am Main von Fridays for Future zu inszenieren. So warb die Ortsgruppe etwa damit, dass "Mobimaterial" im autonomen Szeneobjekt Klapperfeld ausläge. Dagegen hatte die Ortsgruppe noch 2019 versucht, die Teilnahme linksextremistischer Gruppen an ihren "Klimastreiks" zu verhindern. Diese "Entgrenzung" bzw. womöglich linkextremistische Einflussnahme zeichnete sich insgesamt in Teilen der bundesweiten Klimaund Umweltschutzbewegung ab. So erklärte eine Aktivistin mit Bezug auf ein im Spiegel am 21. November veröffentlichtes Interview mit einem Klimaschutzaktivisten ("Radikalisierung der Klimabewegung. ,Wer Klimaschutz verhindert, schafft die grüne RAF'") im Onlinemagazin ze.tt: "Intern gibt es diese Diskussionen [über eine Radikalisierung] schon länger. Wir sehen mittlerweile eine Notwendigkeit, selbst zu handeln, [...] zum Beispiel, indem man aktiv in die materielle Infrastruktur eingreift. Wir sehen das durchaus als legitimes Mittel des Protestes [...]: Sabotage, zum Beispiel von Kohlebahngleisen [...] oder Blockaden mit Hilfsmitteln oder dem eigenen Körper". Linksextremisten werteten solche Positionierungen vermutlich als Erfolg ihrer eigenen Beeinflussung. Allerdings schränkte die Aktivistin ein, dass es noch immer das Ziel sei, einen gesamtgesellschaftlichen Konsens zu erreichen. "Antigentrifizierung": Angriffe auf Immobilienfirmen | Nach wie vor standen angeblich "antisoziale Stadtstrukturen" und der Kampf für selbstbestimmte "Freiräume" im Fokus von Autonomen. Im Rahmen einer linksextremistisch geprägten "Antigentrifizierungs"-Kampagne, die 2020 begonnen hatte, kam es auch im Berichtsjahr in Frankfurt am Main erneut zu Angriffen auf Immobilienfirmen in Form von Sachbeschädigungen und Brandstiftungen auf deren Fahrzeuge und Gebäude. So kam es im März durch das Werfen mit Farbbeuteln zu Sachschäden an einem Neubauprojekt. "Antirepression": Solidaritätsaktionen für Lina E. | Die höchste Aufmerksamkeit in der linksextremistischen Szene erhielt im Berichtsjahr Lina E., die sich seit dem 8. September zusammen mit drei anderen Beschuldigten vor dem Staatsschutzsenat des OLG Dresden verantworten musste. Laut der Anklage der Bundesanwaltschaft bestand Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 159 LINKSEXTREMISMUS der hinreichende Tatverdacht, dass die Studentin und ihre Mitangeklagten gewalttätige Angriffe auf Personen begangen hatten, die sie der rechtsextremistischen Szene zurechneten. Insbesondere gegen Lina E., die in der Gruppe eine herausgehobene Stellung einnahm, bestand der hinreichende Tatverdacht der Beihilfe zur gefährlichen Körperverletzung, der gemeinschaftlichen gefährlichen Körperverletzung, des besonders schweren Landfriedensbruchs, des räuberischen Diebstahls, der Sachbeschädigung und der Urkundenfälschung. Vor dem Hintergrund der Festnahme von Lina E. am 5. November 2020 und des Prozesses führte die autonome Szene in Hessen verschiedene Solidaritätsaktionen durch. Dabei sind folgende Ereignisse erwähnenswert: * 29. Juli: Unter dem Titel "Wir sind alle Antifa! Wir sind alle LinX!" richtete die RH eine Online-Veranstaltung aus, um mit verschiedenen Solidaritätsgruppen zu diskutieren, "die zu [SS] 129 [Bildung krimineller Vereinigungen], [SS] 129a [Bildung terroristischer Vereinigungen] und Repression gegen Antifaschist*innen in Leipzig, Frankfurt und Stuttgart arbeiten". Die Veranstaltung war Teil einer bundesweiten Kampagne, die sich gegen "die Herrschenden" und deren "antif[a]schistische[n] Aktionen mit Repression und Verfolgung von Genoss:innen" richtete. In einem Internetaufruf der RH hieß es: "In Frankfurt wird aktuell gegen Genoss:innen mit Hilfe des Konstruktes einer terroristischen Vereinigung nach SS 129a StGB ermittelt. Dabei kam es zu zahlreichen Hausdurchsuchungen. [...] Dem gilt es etwas entgegen zu setzen. Wir müssen uns stärker organisieren, besser vernetzen und gemeinsam auf die politische Verfolgung von Antifaschist:innen aufmerksam [machen]". * Frankfurt am Main, 21. August: Die RH-Ortsgruppe Frankfurt am Main und das OAT Frankfurt am Main führten auf dem Campus Bockenheim eine "Soli-Party" bzw. einen "Soli-Barabend für Lina" unter dem Motto "Solidarität ist der Hammer" durch. Dabei bezog sich der Slogan offensichtlich darauf, dass die Gruppe um Lina E., so die Anklage der Bundesanwaltschaft, bei ihren Taten teilweise Hämmer verwendet hatte. * Kassel, 4. September: Die etwa 180 Personen demonstrierten unter dem Motto "Gegen die Kriminalisierung von Antifaschismus" für die Freiheit für Lina E. Während der Veranstaltung formierte sich ein schwarzer Block, aus dem heraus ein Rauchtopf entzündet wurde. Unter anderem die RH-Ortsgruppe Kassel sowie die Gruppierungen New Kids Antifa Kassel (NKAKS) und T.A.S.K. hatten zu der Demonstration mobilisiert. In einem Internetbeitrag von T.A.S.K. hieß es: "Der Öffentlichkeit wurde Lina bisher als vermeintliche Terroristin vorgeführt. Dazu inszenieren Bundesanwaltschaft und sächsische 160 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 LINKSEXTREMISMUS Polizei bewusst ein groteskes Schauspiel, das in weiten Teilen der deutschen Medienlandschaft einfach aufgegriffen, unhinterfragt wiedergegeben und selbst weitergesponnen wird. Dabei werden einerseits sexistische Stereotype bedient, andererseits unsere Freundin und Genossin als ,Deutschlands gefährlichste Linksextremistin' hingestellt". * Frankfurt am Main, 11. September: Bei einer vom OAT Frankfurt am Main initiierte Solidaritätsaktion ("Soli Waffeln & Shirts") wurden unter anderem T-Shirts und Bustickets für die gemeinsame Anreise zur "Wir-sind-alle-Linx"-Demonstration am 18. September in Leipzig (Sachsen) verkauft. Anlass war der Prozessbeginn gegen Lina E. und deren Mitangeklagte. Linksextremistische Gruppierungen wie die Antifaschistische Revolutionäre Aktion Gießen (A.R.A.G.), sowie die Gruppierungen T.A.S.K. und ak.069 mobilisierten hessenweit für die Demonstration in Leipzig. Solidarität mit dem Anarchisten Dimitris Koufontinas | Nachdem Dimitris Koufontinas, der führende Kopf der 2002 zerschlagenen griechischen Terrorgruppe Revolutionäre Organisation 17. November, im Januar 2021 einen Hungerstreik begonnen hatte, solidarisierten sich Angehörige der linksextremistischen Szene in Hessen mit dem zu lebenslanger Haft verurteilten Terroristen. Zwischen dem 14. und 27. Februar kam es zu verschiedenen Sachbeschädigungen, unter anderem am griechischen Generalkonsulat in Frankfurt am Main. In einem auf der linksextremistischen Internetplattform de.indymedia.org veröffentlichten Selbstbezichtigungsschreiben verknüpften die unbekannten Autoren den Hungerstreik Koufontinas' mit den staatlichen "Repressalien" zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie: "Im Fall des kommunistischen Revolutionärs Dimitris Koufontinas entfaltet der griechische Staat deutlich erkennbar seine rachsüchtigen Strategien gegen einen ideologisch und praktisch unbeirrbaren, reuelosen Revolutionär. [...] Im Zuge der Pandemie zeigen alle Staaten weltweit ihre höchste Form von Autorität, und, dass Profit an erster Stelle steht. Lockdowns, omnipräsente Polizei, prekäre Arbeitsverhältnisse und rassistische Bedingungen sind bloß ein paar Beispiele ihrer politischen Strategien. [...] In diesen Momenten ist unsere Solidarität wichtiger denn je. Durch dezentrale Aktionen, Kundgebungen und in kollektiven Momenten zeigen wir unsere Solidarität mit Dimitris Koufontinas - und allen, die von Repression betroffen sind". Zu einer Demonstration ("Solidarität mit dem hungerstreikenden Dimitris Koufontinas") vor dem griechischen Konsulat in Frankfurt am Main kamen - unter Beteiligung der AUF - am 12. März etwa 70 Personen. Die Veranstaltung verlief ohne besondere Vorkommnisse. Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 161 LINKSEXTREMISMUS ENTSTEHUNG/GESCHICHTE Die autonome Bewegung wurzelt in den europaweiten Studentenprotesten der späten 1960er und der 1970er Jahre. In dieser Zeit entstand die Selbstbezeichnung Autonome. AUF EINEN BLICK * Gewalttätige Auseinandersetzungen mit der Polizei * "Anti"-Haltungen Gewalttätige Auseinandersetzungen mit der Polizei | Für die große Öffentlichkeit zum ersten Mal erkennbar agierten Autonome gewalttätig, als sie 1980 in Bremen gegen die Vereidigung von Bundeswehrrekruten demonstrierten. Dabei kam es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen mit der Polizei. Als breite eigenständige Bewegung waren Autonome seit Anfang der 1980er Jahre auszumachen. Sie waren zunächst vor allem in der Friedensund in der Anti-Atomkraftbewegung sowie bei Hausbesetzungen aktiv. Gewalttätig agierten Autonome zum Beispiel gegen die in Wackersdorf (Bayern) geplante Wiederaufbereitungsanlage für Kernbrennstoffe; gleichfalls lieferten sich Autonome an der Startbahn West am Frankfurter Flughafen gewalttätige Auseinandersetzungen mit der Polizei, wobei während einer Demonstration am 2. November 1987 zwei Polizeibeamte erschossen wurden. Zuletzt waren Autonome hauptverantwortlich für die massiven Ausschreitungen bei den Protesten gegen die Eröffnung der neuen Zentrale der EZB 2015 in Frankfurt am Main und bei den Protesten gegen den G20-Gipfel 2017 in Hamburg. Seitdem gab es - zum Beispiel bei Demonstrationen - bundesweit immer wieder teilweise auch sehr gezielte gewalttätige Angriffe, die sich insbesondere bei Veranstaltungen nicht nur gegen Polizeikräfte, sondern regelmäßig gegen tatsächliche oder vermeintliche "Faschisten" bzw. Rechtsextremisten richteten, wobei bei gezielten Attacken davon auszugehen ist, dass es im Vorfeld eine umfängliche Recherche zu der Person einschließlich ihrer Lebensumstände gegeben hatte. "Anti"-Haltungen | Mit der Zeit erschlossen sich die Autonomen weitere Aktionsfelder, die in der Regel durch eine "Anti"-Haltung gekennzeichnet sind: "Antifaschismus", "Antirepression", "Antirassismus", "Antigentrifizierung" und "Antimilitarismus". "Antikapitalistische" Einstellungen von Autonomen, die im "Kapitalismus" die Wurzel allen Übels sehen, bilden die Grundlage für diese Aktionsfelder. Angepasst an sozial-politische oder wirtschaftliche Entwicklungen können Autonome jederzeit neue Aktionsfelder schaffen. Dabei arbeiten Linksextremisten mit radikalen oder demokratischen Gruppierungen im Rah162 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 LINKSEXTREMISMUS men eines "Aktionskonsenses" zusammen, der Linksextremisten dennoch Spielraum für eigene, auch gewalttätige Aktionsformen lässt. IDEOLOGIE/ZIELE Das Ziel der Autonomen ist die Abschaffung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und des "kapitalistischen Systems" zugunsten einer "herrschaftsfreien" Gesellschaft. In ihr sollen sich unabhängige Individuen freiwillig vereinen und gemeinsam und gleichberechtigt handeln. Nach der Ansicht von Autonomen werden die Menschen durch "Kapitalismus", "Rassismus" und "Patriarchat" unterdrückt und ausgebeutet. Als Ursache hierfür betrachten Autonome die bürgerliche demokratische Gesellschaft und das freie Wirtschaftssystem im "Kapitalismus". "Imperialismus" und vor allem "Faschismus" sind in den Augen von Autonomen die maßgeblichen Werkzeuge dieser dreifachen Unterdrückung. AUF EINEN BLICK * "Anti"-Haltungen und Feindbilder * "Antikapitalismus" * "Antifaschismus" * "Antirassismus" * "Antigentrifizierung" - "selbstverwaltete Freiräume" * Klimaund Umweltschutzaktionen * Frage der Gewalt * Hauptströmungen der (post-)autonomen Szene in Hessen * Antiimperialisten * Antideutsche * Antinationale "Anti"-Haltungen und Feindbilder | Ihren "Anti"-Haltungen und Feindbildern entsprechend definieren Autonome ihre politischen Aktivitäten. So wird mittels des "Antifaschismus" gegen Personen, Gruppen und Institutionen agitiert, die als "Rechte" bzw. "Nazis" ausgemacht werden. Unter dem Label "Antirepression" wird insbesondere gegen Polizisten als öffentlich wahrnehmbare Vertreter des "staatlichen Repressionsapparats" vorgegangen. Sämtliche Feindbilder sind dabei auf eine "antikapitalistische" Grundhaltung zurückzuführen. Um ihre Bündnisund Mobilisierungsfähigkeit zu erhöhen, versuchen vor allem Postautonome mehrere Themenfelder bei ihren Aktivitäten zu verknüpfen. "Antikapitalismus" | Dieses Themenfeld bildet den Kern der Vorstellungen der autonomen Szene bzw. des gesamten linksextremistischen Spektrums. Dem Marxismus zufolge ist die "kapitalistische" Wirtschaftsform das alles dominierende Element des menschlichen Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 163 LINKSEXTREMISMUS Daseins und bestimmt alle Lebensbereiche. Linksextremisten setzen auf dieser Basis die freiheitliche demokratische Grundordnung mit dem "Kapitalismus" gleich und bekämpfen diese, indem sie unter anderem soziale Themen für ihre Zwecke instrumentalisieren. "Antifaschismus" | Vor allem das Themenfeld "Antifaschismus" zeichnet sich für Autonome bzw. Linksextremisten dadurch aus, dass es eine hohe Anschlussfähigkeit an nichtextremistische Organisationen und Gruppierungen ermöglicht. Im Unterschied zur demokratischen Bekämpfung des Rechtsextremismus ist das linksextremistische "Antifaschismus"-Verständnis von Demokratiefeindlichkeit geprägt. In kommunistischer Tradition unterstellen Autonome bzw. Linksextremisten der Demokratie der Bundesrepublik Deutschland, selbst "faschistisch" oder "faschistoid" zu sein. Demnach bezeichnen sie auch Personen aus dem demokratischen Spektrum als "Faschisten". Sobald die Bewertung "Faschist" vergeben ist, ist der Betroffene, unabhängig von seinen tatsächlichen Überzeugungen, nach autonomem bzw. linksextremistischem Urteil legitime Zielscheibe von Diffamierungen und Gewalttaten. Unter "Antifaschismus" verstehen Autonome bzw. Linksextremisten also nicht nur die konsequente Ablehnung rechtsextremistischer Bestrebungen, vielmehr setzen sie den offensiven "Kampf gegen Rechts" mit dem "Kampf gegen das Ganze", das heißt gegen das "bürgerlich-kapitalistische System", gleich: Erst mit der Beseitigung des "Kapitalismus" sei die Gefahr des "Faschismus" als Form bürgerlicher Herrschaft gebannt. "Antirassismus" | Vor dem Hintergrund der europäischen Flüchtlingspolitik akzentuieren Autonome seit mehreren Jahren wieder stärker die Beschäftigung mit rassistisch begründeten Verhältnissen der Ungleichheit und staatlicher Unterdrückung. Insbesondere "Aktionen", bei denen es zu schweren Gewalttaten gegen Menschen mit Migrationshintergrund oder anderer Hautfarbe kam, erhielten hohe öffentliche Aufmerksamkeit. Das linksextremistische Spektrum war bislang bemüht, mit ideologisierten "Aktionen" in die Debatte einzugreifen. Entsprechend der autonomen bündnispolitischen Zielrichtung soll das szeneeigene Verständnis von "Antirassismus" möglichst langfristig und breit in der Mehrheitsgesellschaft etabliert werden. Dieses Verständnis konzentriert sich nicht nur auf die Thematisierung der Flüchtlingsproblematik: Autonome wollen vor allem der Öffentlichkeit vermeintliche Belege darlegen, wonach Staat und Gesellschaft selbst "rassistisch" seien und daher im linksextremistischen Sinne bekämpft und überwunden werden müssten. Rechtmäßiges Handeln von Behörden gilt für Autonome in dieser Diktion als "rassistisch" und 164 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 LINKSEXTREMISMUS wird entsprechend kommentiert: "Nazis morden, der Staat schiebt ab - das ist das gleiche Rassistenpack". Durch verschiedene Ereignisse, die teilweise auch international hohe Aufmerksamkeit in den Medien fanden - wie etwa die seit 2018 bekannt gewordenen Drohmails NSU 2.0 oder der Tod des amerikanischen Staatsbürgers George Floyd und der rechtsextremistisch motivierte Anschlag in Hanau (Main-Kinzig-Kreis) 2020 - sahen sich Linksextremisten in ihren Wahrnehmungen bestätigt. Entsprechend versahen Teile der linksextremistischen Szene die Polizei in Hessen und insbesondere in Frankfurt am Main mit dem Schlagwort "Nazis", die IL schlug sogar eine "Entnazifizierungs"-Kampagne vor. "Antigentrifizierung" - "selbstverwaltete Freiräume" | Autonome bzw. Linksextremisten schließen sich "Antigentrifizierungs"-Initiativen aus mehreren Gründen an: Indem sie sich für bezahlbaren Wohnraum einsetzen, können sie sich als sozialpolitische Akteure profilieren und gesellschaftliche Akzeptanz erreichen. Weiterhin ist es Autonomen auf diese Weise möglich, anschaulich ihre "antikapitalistische" Grundhaltung zu vermitteln. Schließlich sind sie oft selbst von Gentrifizierung betroffen, da die von ihnen genutzten "selbstverwalteten Freiräume" - also autonome Szeneund Treffobjekte - mitunter ebenso für entsprechende sogenannte Luxussanierungen vorgesehen sind. Insofern richten sich linksextremistische Aktionen in diesem Themenfeld gerade auch gegen Immobilienfirmen und Städtebaugesellschaften, die Eigentümer der Objekte sind. Klimaund Umweltschutzaktionen | Vor dem Hintergrund des fortschreitenden Klimawandels und der damit einhergehenden Auswirkungen auf Mensch und Umwelt sowie im Rahmen des Strebens nach einem sozialverträglichen ökologischen Miteinander gewinnt dieses Themenfeld zunehmend an Bedeutung für das autonome bzw. linksextremistische Spektrum. Hierin lassen sich mehrheitsfähige gesellschaftliche Anliegen - wie etwa der Kampf gegen den Klimawandel (zum Beispiel in Form der Forderung nach einem Ausstieg aus der Atomenergie oder aus dem Kohleabbau sowie nach einer Verkehrswende) - mit linksextremistischen Forderungen nach einem "selbstbestimmten Leben" durch das Schaffen "selbstverwalteter Freiräume" verbinden. Vor allem bietet sich für Autonome bzw. Linksextremisten die Möglichkeit, ihre "antikapitalistischen" Forderungen gegen angebliche "klimaschädliche" Unternehmen in Stellung zu bringen und in den gesellschaftlichen Diskurs mittels der Parole "system change not climate change" einzubringen. Mit ihren Versuchen, die Klimaund Umweltschutzbewegung zu instrumentalisieren, wollen Autonome bzw. Linksextremisten ein Scharnier zwischen ihren Bestrebungen und nichtextremistischen Forderungen herstellen. Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 165 LINKSEXTREMISMUS Frage der Gewalt | Seit jeher versuchen Autonome ihre Ziele auch mit Gewalt zu erreichen. In der Anwendung von Gewalt sehen Autonome nicht nur ein "Mittel zum Zweck", sondern ebenso einen Akt der "individuellen Selbstbefreiung". Die phasenweise in der Szene geführte "Militanzdebatte" beschäftigt sich daher nicht mit der Legitimität von Gewaltanwendung, sondern mit der kontrovers diskutierten Frage, ob sich Gewalt "nur" gegen Sachen oder auch gegen Menschen richten darf. Dabei nehmen es Autonome billigend in Kauf, dass Menschen im Rahmen ihrer "Aktionen" verletzt oder sogar getötet werden. Zuletzt kam es bundesweit vor allem mit Bezug zu dem Themenfeld "Antifaschismus" immer wieder zu Gewalttaten: Zwischen 2018 und 2020 überfiel eine Gruppe um die Linksextremistin Lina E., so die Anklageschrift der Bundesanwaltschaft, in Thüringen und Sachsen mehrere Rechtsextremisten, die dabei zum Teil schwer verletzt wurden. In Stuttgart (Baden-Württemberg) griffen im Mai 2020 Linksextremisten an verschiedenen Orten sowohl Gewerkschaftsangehörige als auch Mitglieder der IBD an, auch hierbei gab es Verletzte, in einem Fall bestand Lebensgefahr. In dem auf der linksextremistischen Internetplattform de.indymedia.org am 5. März 2020 veröffentlichten Beitrag "Antifa und Militanz - Warum militantes Vorgehen gegen AfD und Co. notwendig ist" hieß es: "Als die Meldungen von Hanau kamen war der Schock bei vielen groß. [...] Auch uns hat die Tat geschockt, auch wenn sie sicherlich nicht überraschend ist. [...] Der bürgerliche Staat und seine Institutionen haben mitnichten ein Interesse an der effektiven Bekämpfung von Faschisten. Und das aus gutem Grund. Einerseits stellen Faschisten - im Gegensatz zu Linken - nicht die kapitalistischen Eigentumsverhältnissen in Frage und sind somit keine existentielle Gefahr für die herrschende Klasse. Im Gegenteil: der Faschismus war immer ein Mittel der Herrschenden, um im Notfall die bestehenden Verhältnisse gewaltsam gegen die Lohnabhängigen zu verteidigen. Andererseits hat die jüngere Vergangenheit immer wieder gezeigt wie eng an vielen Stellen das Verhätlnis von Behörden und organisierter rechter Bewegung ist. [...] Wir müssen AfDler und andere Faschisten angreifen. Ganz direkt, immer und überall. Ob bei ihnen zu Hause, auf der Straße oder bei ihren Veranstaltungen. Wir dürfen sie nie in Ruhe lassen. Sie sollen sich nicht sicher fühlen und dürfen keine Gelegenheit haben sich einzunisten und ihre Strukturen zu festigen. [...] Was wir machen können ist, den politischen Verantwortlichen, die, die durch ihre geistige Brandstiftung den Tätern erst den Nährboden geschaffen haben, die Konsequenzen für ihr Handeln aufzuzeigen. [...] Eine durch und durch gewalttätige Ideologie lässt sich nicht durch Worte oder Lichterketten stoppen". (Schreibweise wie im Original) 166 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 LINKSEXTREMISMUS Linksextremisten in Hessen, vor allem gewaltbereite Autonome, zielen mit ihren "Aktionen" grundsätzlich auf Sachbeschädigungen ab oder kalkulieren diese ein. Bei diesen "aktionsorientierten" Handlungen kann es entsprechend spontan oder beabsichtigt zu gewaltsamen Angriffen auf Polizeibeamte oder ausgemachte "Feinde", also Anhänger des anderen politischen Lagers - in erster Linie Rechtsextremisten - kommen. In der Gesamttendenz treten diese konfrontativen, offenen Gewalthandlungen im Vergleich zu konspirativ durchgeführten Beschädigungsaktionen an Sachen, wie Fahrzeugen und Gebäuden, in Hessen deutlich zurück. Hauptströmungen der (post-)autonomen Szene in Hessen | Es sind tendenziell drei Hauptströmungen zu unterscheiden: Antiimperialisten, Antideutsche und Antinationale. Sie stehen sich inhaltlich zum Teil diametral gegenüber. Nur über "antikapitalistische" und "antifaschistische" Grundhaltungen erzielen die drei Strömungen häufig einen Minimalkonsens. Zuletzt sind szeneinterne Konfliktlinien schwieriger auszumachen, da "klassische" Ideologieansätze zunehmend zugunsten aktionistischen Vorgehens und frei interpretierter Denkmuster aufweichen. Antiimperialisten | Antiimperialisten machen die vorgeblich durch den "Kapitalismus" bedingte "imperialistische" Politik "westlicher" Staaten, vorrangig der USA und Israels, für weltpolitische Konflikte verantwortlich. Diese Linksextremisten stehen daher fest an der Seite von "antiimperialistischen Befreiungsbewegungen" etwa in Südamerika oder in der arabischen Welt. Im Unterschied zu den Antideutschen solidarisieren sich Antiimperialisten besonders mit dem von der Palestine Liberation Organization (PLO, Palästinensische Befreiungsorganisation) im Jahr 1988 ausgerufenen Staat Palästina und agitieren gegen Israel. Antideutsche | Antideutsche zeigen sich dagegen wegen der deutschen Verantwortung am Holocaust uneingeschränkt solidarisch mit Israel, aber auch mit den USA als dessen militärischer Schutzmacht. Arabische Regimes und islamistische Organisationen bezeichnen die Antideutschen als "rechtsradikal" oder "islamfaschistisch". Militärische Aktionen gegen eine mögliche Bedrohung Israels sehen Antideutsche grundsätzlich als positiv an. Damit widersprechen Antideutsche dem "antimilitaristischen" und gegen den Krieg gerichteten Selbstverständnis anderer autonomer Strömungen. Einige Autonome werfen Antideutschen daher "Kriegstreiberei" vor. Ferner sprechen Antideutsche der deutschen Nation mit Verweis auf den Holocaust die Existenzberechtigung ab. Den Antiimperialisten Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 167 LINKSEXTREMISMUS unterstellen sie - ebenso wie dem deutschen Volk im Allgemeinen - antizionistische und antisemitische Einstellungen. Antinationale | Mit den Antinationalen entwickelte sich spätestens seit 2006 bundesweit eine dritte ideologische Ausrichtung, die phasenweise in der autonomen Szene in Hessen prägend war und weiterhin präsent ist. Die Positionen der Antinationalen liegen zwischen Antiimperialisten und Antideutschen, sind jedoch den letzteren näher. Aus Sicht der Antinationalen ist jeder Staat im "Kapitalismus" zwangsläufig "imperialistisch". Kriege seien nur "Ausdruck der notwendigen Konflikte" im "kapitalistischen System", da die jeweiligen staatlichen Interessen gegenüber der globalen Konkurrenz durchgesetzt werden müssten. Die Antinationalen lehnen jedoch die einseitig positive Bezugnahme der Antiimperialisten auf revolutionäre "Befreiungsbewegungen" in der Dritten Welt ab, da diese letztlich auch nur nationalistische Ziele verfolgten und häufig reaktionäre Ideologien verträten, die es aus "antifaschistischer" Perspektive zu bekämpfen gelte. Dies trifft aus Sicht der Antinationalen insbesondere auf islamistische Gruppen zu. Den Antideutschen wiederum werfen Antinationale eine zu starke Fixierung auf den "historischen Sonderweg" Deutschlands und den daraus nach dem Zweiten Weltkrieg entstandenen Staat Israel sowie eine Gleichsetzung von Islam und Islamismus vor. Zwar räumen Antinationale "Israel als Staat der Holocaustüberlebenden und als Schutzraum für die weltweit vom Antisemitismus bedrohten Jüdinnen und Juden" eine Sonderstellung ein, andererseits sehen sie in Israel - bei aller Solidarität mit dessen Volk - einen "kapitalistischen" Staat, der letztlich ebenso wie das gesamte Staatensystem abzuschaffen sei. 168 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 LINKSEXTREMISMUS STRUKTUREN Wie in der Vergangenheit war Frankfurt am Main sowohl personell als auch strukturell der autonome Szeneschwerpunkt in Hessen. Weitere autonome Szenen gab es in den Universitätsstädten Kassel, Marburg (Landkreis Marburg-Biedenkopf), Gießen (Landkreis Gießen) und Darmstadt. AUF EINEN BLICK * Szeneschwerpunkt Frankfurt am Main * Regionale Szenen Szeneschwerpunkt Frankfurt am Main | Etwa die Hälfte aller Autonomen in Hessen war in Frankfurt am Main oder in den unmittelbar angrenzenden Kommunen (zum Beispiel Offenbach am Main) ansässig. Bundesweit betrachtet, gehörte Frankfurt am Main zu den Großstadtregionen mit einer kontinuierlichen Präsenz autonomer Zusammenhänge. Von anderen Szenen in Hessen unterschied sich der "harte Kern" der Szene in Frankfurt am Main durch seine bundesweite Vernetzung, das hohe Personenpotenzial auf engem Raum und eine weiterhin hohe Gewaltbereitschaft. Besonders relevante Gruppen in Frankfurt am Main waren die AUF, das AK.069, die IL Frankfurt, kritik&praxis - radikale Linke [f]rankfurt, das OAT Frankfurt und ökologisch radikal links - ffm. Mit dem autonomen Szeneobjekt und ehemaligen Polizeigefängnis Klapperfeld verfügte die Szene in Frankfurt am Main über den bedeutendsten autonomen Anlaufpunkt in Hessen. Einige an der Außenfassade des Gebäudes angebrachte Symbole und Banner vermittelten im Gesamtbild überwiegend eine Tendenz zu linksextremistischem Gedankengut. Dabei sind die entsprechenden Symbole als Ausdruck der inneren Haltung und des aktiv-politischen Vorgehens der Nutzer und Betreiber des Klapperfelds zu werten. Maßgeblich für die Träger des Klapperfelds waren daher nicht "die da draußen", sondern "wir, die Gegenkultur, hier drin". Ein Zweck des gesamten Gebäudes bestand in dem Errichten eines Symbols der Abgrenzung und der Gegenkultur in einem zentralen Frankfurter Stadtteil. Darüber hinaus fungierten in Frankfurt am Main das Cafe ExZess, das Cafe KoZ und das Centro als wichtige Treffpunkte. Regionale Szenen | Die regionalen autonomen Szenen waren weiterhin aktiv und in örtlichen Gruppierungen und Strukturen organisiert. Erwähnenswert sind die Gruppierungen T.A.S.K. aus Kassel und A.R.A.G. in Gießen (Landkreis Gießen). Die drei Ortsgruppen der IL in Hessen (Darmstadt, Frankfurt und Marburg) waren trotz der pandemiebedingten beschränkten Möglichkeiten auch im Berichtsjahr aktiv. Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 169 LINKSEXTREMISMUS BEWERTUNG/AUSBLICK Der spätestens seit 2019 erkennbare Trend einer zunehmenden (gewalttätigen) Konfrontation mit dem politischen Gegner setzte sich im Berichtsjahr fort. So intensivierte die autonome/anarchistische Szene vor allem ihren "antifaschistischen Kampf", was sich unter anderem bei einer Demonstration am 1. Mai in Frankfurt am Main in wiederholten gewalttätigen Übergriffen auf Polizeibeamte zeigte. Vor allem Polizei und Verfassungsschutz galten in der autonomen/anarchistischen Szene zunehmend als Repräsentanten eines "faschistischen Systems", das entnazifiziert und vernichtet werden müsse. Vor diesem Hintergrund nahm die Gesamtzahl der Strafund Gewalttaten (131) gegenüber dem Vorjahr (110) deutlich zu, die Zahl der Gewalttaten stieg von 34 auf 42. Darüber hinaus radikalisierte sich die Sprache in der autonomen/anarchistischen Szene. So war in einem auf der linksextremistischen Internetplattform de.indymedia.org publizierten Schreiben zu lesen, dass "hunderte Rassisten in Deutschland in ihren Vereinen an den Schießständen den nächsten Mord" trainierten. Jedes abgebrannte Schützenheim bedeute, so die Verfasser, "ein klein wenig mehr Schutz für Betroffene von Rassismus". Die im Unterschied zu den vergangenen Jahren offensichtlich positivere Einstellung zur Gewalt spiegelte sich auch in den "Solidaritätskampagnen" für (mutmaßliche) Gewalttäter wider: Die Szene bekannte sich nicht nur zu der unter anderem wegen gefährlicher Körperverletzung angeklagten Lina E. ("Wir sind alle Antifa! Wir sind alle LinX!"), sondern auch zu dem wegen elffachen Mordes, Raubüberfällen und Sprengstoffanschlägen in Griechenland verurteilten Linksterroristen Dimitris Koufontinas. So wurde Koufontinas in einem ebenfalls auf de.indymedia.org veröffentlichen Text glorifizierend als "kommunistischer Revolutionär" bezeichnet. Angesichts der Intensivierung des "antifaschistischen Kampfs" traten in der autonomen/linksextremistischen Szene andere Themenfelder wie "Antimilitarismus" und "Antigentrifizierung" in den Hintergrund. Allerdings gewann die Szene offensichtlich mehr Einfluss auf die Klimaund Umweltschutzbewegung. So waren das OAT Frankfurt, die Gruppierung kritik&praxis - radikale [f]rankfurt sowie die Ortsgruppen Frankfurt am Main und Darmstadt der IL und die SDAJ gleichberechtigte Partner des von Fridays for Future organisierten "Klimastreiks" am 13. August in Frankfurt am Main. Im Gegenzug näherte sich die Ortsgruppe Frankfurt von Fridays for Future anscheinend der linksextremistischen Szene an. Sie legte nicht nur "Mobimaterial" im autonomen Szenetreffpunkt Klapperfeld aus, sondern bekannte sich zu der "Notwendigkeit", in die "materielle Infrastruktur" einzugreifen, mithin gegen Sachen gerichtete "Sabotage" zu begehen. 170 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 LINKSEXTREMISMUS Ein kleiner Teil der autonomen/anarchistischen Szene könnte in Hessen für eine "Militanzdebatte", wie sie in anderen Ländern geführt und teilweise in Gewalt umgesetzt wird, zugänglich sein. Eine Gesamtradikalisierung mit entsprechenden "militanten Aktionen" ist in Hessen jedoch weiterhin (noch) nicht zu beobachten. Vor diesem Hintergrund ist jedoch bei der Bewertung und Prognose zu berücksichtigen, dass sich die Szene bundesweit teilweise radikalisiert und die Zahl direkter "Aktionen" gegen Personen und Sachen zunimmt. Die Qualität der Angriffe zeigt, dass sich die Täter teilweise über einen längeren Zeitraum mit ihren Angriffszielen und verschiedenen Tatoptionen beschäftigt haben müssen. Autonome und Anarchisten halten die für sie relevanten Themenfelder nicht nur kontinuierlich besetzt, sondern sie spitzen sich daraus ergebende Konflikte bei günstiger Gelegenheit bewusst zu, um vermeintlich "revolutionäre Momente" herbeizuführen. Entsprechend werden Autonome und Anarchisten auch in Zukunft politisch und in den Medien bedeutsame Themen aufgreifen und in ihrem Sinne instrumentalisieren. Dabei ist davon auszugehen, dass die autonome/anarchistische Szene vor allem den "antifaschistischen Kampf" weiterhin nutzen wird, um politische Gegner anzugreifen und ihnen physischen und materiellen Schaden zuzufügen. SONSTIGE BEOBACHTUNGSOBJEKTE Neben autonomen Gruppierungen gab es in Hessen linksextremistische Parteien sowie Organisationen mit parteiähnlichem Charakter, die einen bedeutenden Teil des linksextremistischen Spektrums bildeten. Die wichtigsten von ihnen sind unten aufgeführt. AUF EINEN BLICK * Deutsche Kommunistische Partei (DKP) Gründung in kommunistischer Tradition Strukturen - Mitgliederzahlen Hessische Kommunalwahl Bundestagswahl Bewertung/Ausblick * Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend (SDAJ) Jugendorganisation der DKP Strukturen - Mitgliederzahlen Schulkampagne Bewertung/Ausblick Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 171 LINKSEXTREMISMUS * Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) Ziele Mitgliederzahl - Strukturen Hessische Kommunalwahl Bundestagswahl Bewertung/Ausblick * Rote Hilfe e. V. (RH) Ideologie - Strukturen - Mitgliederzahlen "Rechtsberatung" für politisch motivierte Straftäter Veranstaltungen Bewertung/Ausblick DEUTSCHE KOMMUNISTISCHE PARTEI (DKP) Gründung in kommunistischer Tradition | Die 1968 gegründete DKP versteht sich als "revolutionäre Partei der Arbeiterklasse" in der Tradition der 1956 vom Bundesverfassungsgericht verbotenen Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD). Das Ziel der DKP ist die Überwindung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung in einem revolutionären Bruch, um - als erste Stufe auf dem Weg zur klassenlosen kommunistischen Gesellschaft - den Sozialismus zu verwirklichen. Dabei setze, so die Auffassung der DKP, die "sozialistische Gesellschaftsordnung [...] die Erringung der politischen Macht durch die Arbeiterklasse im Bündnis mit den anderen Werktätigen voraus". Strukturen - Mitgliederzahlen | Die DKP in Hessen gliederte sich offiziell in 15 Kreisorganisationen, denen rund 300 Personen zuzurechnen waren (bundesweit etwa 2.850). Der Schwerpunkt der Aktivitäten der DKP Hessen lag in Mörfelden-Walldorf (Kreis Groß-Gerau), Gießen (Landkreis Gießen) und Kassel. Diese Ortsverbände und die DKP Marburg-Biedenkopf publizierten ihre eigenen Kleinzeitungen. Die DKP Gießen veröffentlichte monatlich den Gießener Echo, ebenso die DKP Mörfelden-Walldorf die Monatszeitung blickpunkt. Dagegen gab die DKP Marburg-Biedenkopf im Berichtszeitraum nur eine Ausgabe des Marburger Echos heraus. Hatte die DKP Kassel 2020 erstmals eine eigene Zeitung mit dem Titel Der rote Waschbär publiziert, so veröffentlichte sie im Berichtsjahr eine weitere Ausgabe. Die DKP-Ortsverbände nutzten diese Kleinzeitungen, um über die eigenen Aktivitäten zu berichten sowie kommunale und überregionale politische Themen zu kommentieren. Daneben sollten die Kleinzeitungen mögliche Interessierte auf die Partei aufmerksam machen. Hessische Kommunalwahl | Bei der Kommunalwahl kandidierten DKP-Mitglieder zum Teil auf offenen Listen der Partei DIE LINKE. oder stellten eigene offene Listen - unter anderem in Reinheim (Landkreis 172 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 LINKSEXTREMISMUS MITGLIEDERENTWICKLUNG DER DKP IN HESSEN UND IM BUND (2017 BIS 2021) 3.000 3000 2.850 2.850 2.850 2.850 2500 2000 1500 1000 500 350 350 Hessen 300 300 300 Bund 0 2017 2018 2019 2020 2021 Darmstadt-Dieburg) - auf. War die vorangegangene Wahl vor allem durch den Straßenwahlkampf geprägt gewesen, agitierte die DKP im Berichtszeitraum pandemiebedingt vor allem im Internet und in den sozialen Medien. Dabei setzte sie zumeist auf lokale Themen, unter anderem forderte sie "Abrüstung", "mehr Entspannungspolitik und weniger Militarisierung der Außenpolitik" sowie mehr Geld für die Kommunen und den Klimaschutz. In ihrer traditionellen Hochburg Mörfelden-Walldorf (Kreis GroßGerau) bildeten die Ortsverbände der DKP und der Partei DIE LINKE. eine Wählergemeinschaft unter der Bezeichnung DKP/Linke Liste (DKP/LL). In Gießen kandidierten einige Vertreter der DKP auf der Liste Gießener LINKE, der DIE LINKE., das Linke Bündnis und die DKP angehörten. In Mörfelden-Walldorf (Kreis Groß-Gerau) erzielte die DKP/LL 11,4 Prozent (2016: 13,8 Prozent), wobei die DKP/LL in der Stadtverordnetenversammlung einen Sitz verlor und nunmehr fünf von insgesamt 45 Sitzen innehatte. In Reinheim (Landkreis DarmstadtDieburg) erhielt die DKP 8,4 Prozent (2016: 11,1 Prozent), auch hier verlor sie einen Sitz in der Stadtverordnetenversammlung und verfügte nun über drei von 37 Sitzen. Im Reinheimer Ortsteil Ueberau, einer ihrer seit Jahren bestehenden Hochburgen, gewann die DKP 38,88 Prozent und damit zwei von fünf Sitzen im Ortsbeirat. Wegen nur geringer Stimmenverluste behielt die Gießener LINKE ihre fünf Sitze in der Stadtverordnetenversammlung, wobei die DKP einen Sitz (2016: zwei) errang. Bundestagswahl | Die DKP trat zur Bundestagswahl mit Landeslisten in elf Bundesländern und mit insgesamt 23 Direktkandidaten an. In Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 173 LINKSEXTREMISMUS Hessen stellte die Partei eine Landesliste mit 17 Personen sowie einem Direktkandidaten im Wahlkreis 173 (Gießen) auf. Die DKP führte ihren Wahlkampf in Hessen vor allem mit Wahlplakaten und Informationsständen. Inhaltlich konzentrierte sie sich auf ihre traditionellen Themenfelder: "Runter mit der Rüstung", "Deutschland raus aus der NATO" und "Verstaatlichung des Gesundheitssektors". Am 8. Juni ließ der Bundeswahlausschuss die DKP nicht zur Wahl zu und begründete dies damit, dass sie ihren Status als Partei verloren habe, da sie es seit sechs Jahren versäumt habe, Rechenschaftsberichte innerhalb der vorgeschriebenen Fristen einzureichen. Die DKP verglich die Entscheidung mit dem KPD-Verbot: "Was hier versucht wird, ist ein kaltes Parteiverbot. Damit kennen wir Kommunistinnen und Kommunisten uns aus. 1933 wurde die kommunistische Partei von den Faschisten verboten. 1956 von der Adenauer-Justiz". Das linksextremistische Spektrum reagierte auf die Entscheidung mit zahlreichen Solidaritätsbekundungen. In einer gemeinsamen Erklärung mehrerer linksextremistischer Gruppen hieß es: "Aus unserer Sicht steht es [i. e. die Nichtzulassung zur Wahl] in einem Zusammenhang mit anderen Versuchen des bürgerlichen Staatsapparates gegen Revolutionär:innen, Antifaschist:innen, und Linke im Allgemeinen [...] vorzugehen. [...] Wir, die wir uns in anderen Gruppen als der DKP organisiert haben, erklären unsere Solidarität mit den Kommunistinnen und Kommunisten der DKP". Aufgrund einer Beschwerde der DKP beim Bundesverfassungsgericht wurde die Nichtzulassung Ende Juli aufgehoben. Das Gericht war der Auffassung, dass allein die verspätete Einreichung eines Rechenschaftsberichts nicht genüge, um den Parteienstatus zu verlieren. Zweck der Rechenschaftsberichte sei es, den Wählern zu ermöglichen, etwaige finanzielle Einflussnahmen auf eine Partei zu erkennen, was aber auch bei einer verspäteten Einreichung noch möglich sei. Die DKP gewann bei der Bundestagswahl 14.925 Zweitstimmen (= 0,0 Prozent) und steigerte ihr Ergebnis somit gegenüber 2017 um 3.367 Stimmen. In Hessen erhielt die DKP 1.294 Zweitstimmen (= 0,0 Prozent) und verlor damit entgegen dem Bundestrend 156 Stimmen. Ihr bestes Ergebnis in Hessen erreichte sie im Wahlkreis 173 (Gießen). Ihr einziger Direktkandidat erlangte hier 242 Erststimmen, auf die Landesliste entfielen 116 Stimmen. In einer Stellungnahme hieß es seitens der DKP, dass das Abschneiden nicht zufriedenstel174 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 LINKSEXTREMISMUS lend sei: "Die DKP ist zu schwach, um sich den Menschen, die nach Alternativen suchen, als solche zu präsentieren". Dennoch habe sich der Wahlkampf gelohnt: "Er hat die Partei und ihre Inhalte in hohem Maße nach außen geführt und gestärkt". Bewertung/Ausblick | Der DKP Hessen gelingt es seit Jahren nicht, der allgemeinen, strukturellen Schwächung und Überalterung der Gesamtpartei entgegenzuwirken. Zudem schaffte sie es nicht, sich als Bündnispartnerin von Gruppierungen der Klimaschutzbewegung zu etablieren. Allenfalls bei Wahlen auf kommunaler Ebene erzielte die Partei vereinzelte Erfolge, blieb jedoch bei der Bundestagswahl erfolglos. SOZIALISTISCHE DEUTSCHE ARBEITERJUGEND (SDAJ) Jugendorganisation der DKP | Die dogmatisch-kommunistische Jugendorganisation war formal unabhängig, jedoch eng mit der DKP verbunden und fungierte als deren Jugendorganisation. So unterstützte die SDAJ Hessen die DKP regelmäßig bei Veranstaltungen und war bei einigen entsprechenden Veranstaltungen mit vor Ort. Ihre Ziele ("unser Weg zum Sozialismus ist der Kampf zur Überwindung des Imperialismus in Deutschland") versuchte die SDAJ vor allem durch die Zusammenarbeit mit extremistischen und nichtextremistischen Organisationen zu verwirklichen, um eine breitere Öffentlichkeit zu erreichen. Strukturen - Mitgliederzahlen | Der SDAJ in Hessen waren rund 70 Personen zuzurechnen, bundesweit etwa 670. Eigenen Angaben zufolge war die SDAJ in Hessen mit Ortsgruppen in den Regionen Darmstadt/Odenwald, Frankfurt am Main, Gießen (Landkreis Gießen), Marburg (Landkreis Marburg-Biedenkopf) und Kassel aktiv. MITGLIEDERENTWICKLUNG DER SDAJ IN HESSEN UND IM BUND (2017 BIS 2021) 800 750 670 670 670 670 600 400 200 Hessen 80 70 70 70 70 Bund 0 2017 2018 2019 2020 2021 Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 175 LINKSEXTREMISMUS Die KO, eine Abspaltung der SDAJ, reduzierte pandemiebedingt ihre Aktivitäten, nutzte die Zeit aber, um den internen Aufbau voranzutreiben. Das Ziel der KO ist es, eine Partei nach dem Vorbild der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU) aufzubauen. So gründeten sich Anfang 2021 eigenständige Ortsgruppen in Gießen (Landkreis Gießen) und Frankfurt am Main. Weiterhin würdigte die KO die DDR und bezeichnete die Wiedervereinigung Deutschlands als "Mythos der friedlichen Revolution" und "Konterrevolution". Schulkampagne | Bereits im Jahr 2019 startete die SDAJ eine Kampagne vor Schulen in Hessen, die sie im Berichtsjahr fortsetzte. Der Schwerpunkt der Aktionen lag bislang in Marburg (Landkreis Marburg-Biedenkopf) und Kassel, wobei die SDAJ zumeist Flyer oder die eigene Schülerzeitung Flurgeflüster direkt vor oder auf dem Gelände von Schulen verteilte. In Marburg wurden seit 2019 17 Aktionen der SDAJ bekannt, die fast ausschließlich vor einem Gymnasium stattfanden. Zum Jahresende 2021 verlagerten sich die Aktionen vor eine Berufsschule. Begleitet wurde die Kampagne durch Informationsveranstaltungen, die sich explizit an Schüler richteten. In Marburg bot die SDAJ wie auch im Jahr zuvor unregelmäßig offene Schülertreffen an, in Kassel fand am 6. Juli ein Treffen statt. Im Juli organisierte die SDAJ in Kassel zudem ein "Schüligrillen" und einen Informationsstand zum Thema "Schule und Corona". Nach linksextremistischem Verständnis haben im "Kapitalismus" Bildungseinrichtungen nicht die Aufgabe, die Schüler zu mündigen und zu selbstständigen Mitgliedern der Gesellschaft zu erziehen, sondern sie möglichst früh "für das Kapital verwertbar" zu machen. Im Grundsatzpapier der SDAJ heißt es dazu: "Bildung in einem umfassenden Sinne ist nicht im Interesse des Kapitals. Der Staat sorgt durch seine Bewirtschaftung der 'Ressource' Bildung dafür, dass wir für das Kapital verwertbar werden. Wir sollen den Unternehmen möglichst früh und vorselektiert zur Verfügung stehen". Um die vermeintlichen Vorzüge eines sozialistischen Bildungssystems zu vermitteln, führte die SDAJ Marburg zum Beispiel im März eine Veranstaltung unter dem Titel "Welche Alternativen zum BRD-Bildungssystem gab und gibt es?" durch. Dabei lag ein besonderer Fokus auf dem Thema "Wie war Schule und Bildung in der DDR organisiert? Was war anders, was war besser?". Eine ähnliche Veranstaltung zum Thema "DDR" fand auch Mitte Dezember in Kassel statt, wobei die SDAJ unter anderem den "Antikommunismus in der Schule" und die "typischen Hohenschönhausen-Mythen" thematisierte. 176 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 LINKSEXTREMISMUS Bewertung/Ausblick | Infolge der jahrelangen internen Auseinandersetzungen in der DKP verlor auch die SDAJ zahlreiche Mitglieder. Daher war das öffentliche Aktionspotenzial der SDAJ bis etwa 2019 rückläufig. Um diese Verluste auszugleichen, versucht die SDAJ in Hessen seit 2019 durch gezielte Schulaktionen wieder neue Mitglieder zu werben. Dabei will sich die SDAJ die häufige politische Unerfahrenheit junger Heranwachsender zunutze machen, um diese für sich zu gewinnen und zu indoktrinieren. Sollte es der SDAJ mit dieser Kampagne gelingen, junge Heranwachsende an sich zu binden, ist zu erwarten, dass die Organisation ihre Schulaktionen fortsetzen wird. MARXISTISCH-LENINISTISCHE PARTEI DEUTSCHLANDS (MLPD) Ziele | Die maoistisch-stalinistisch orientierte MLPD versteht sich als "politische Vorhutorganisation der Arbeiterklasse in Deutschland". Sie sieht sich als Teil der internationalen marxistisch-leninistischen Arbeiterbewegung, als Erbe der revolutionären Tradition der KPD, der deutschen Arbeiterklasse und ihrer Führer Karl Marx, Friedrich Engels, Karl Liebknecht, Rosa Luxemburg und Ernst Thälmann. Die MLPD bezeichnet sich als radikal linke und revolutionäre Alternative zu allen anderen politischen Kräften in Deutschland. Ihre grundlegenden Ziele sind der "Sturz der Diktatur des allein herrschenden internationalen Finanzkapitals und die Errichtung der Diktatur des Proletariats in Deutschland". Als Teil einer "internationalen sozialistischen Revolution" soll die "Diktatur des Proletariats" in den Aufbau der "vereinigten sozialistischen Staaten der Welt als Übergangsstadium zur weltweiten klassenlosen kommunistischen Gesellschaft" münden. Anhängerzahl - Strukturen | Der MLPD waren in Hessen etwa 80 Personen (rund 2.800 bundesweit) zuzurechnen. Anhänger der Partei beteiligten sich vereinzelt an Aktivitäten der Szene. Die MLPD hatte MITGLIEDERENTWICKLUNG DER MLPD IN HESSEN UND IM BUND 3000 2.800 2.800 2.800 2.800 2500 2000 1.800 1500 1000 500 Hessen 80 80 80 80 80 Bund 0 2017 2018 2019 2020 2021 Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 177 LINKSEXTREMISMUS Vertretungen in über 450 Städten in Deutschland. Der MLPD-Landesverband Rheinland-Pfalz/Hessen/Saarland (RHS) hatte seinen Sitz in Frankfurt am Main. In Hessen war die MLPD in Darmstadt, Frankfurt am Main, Kassel, Rüsselsheim (Kreis Groß-Gerau) und Wiesbaden aktiv. Der MLPD-Jugendverband REBELL war in Hessen mit Ortsgruppen in Darmstadt, Kassel und Wiesbaden vertreten. Hessische Kommunalwahl | Das der MLPD nahestehende Wahlbündnis AUF-Kassel ("alternativ, unabhängig, fortschrittlich") kandidierte wie bereits 2016 nicht mehr zur dortigen Stadtverordnetenversammlung, sondern nur noch zum Ortsbeirat (mit acht Kandidaten) im Stadtteil Rothenditmold. In dieser Hochburg behauptete die AUFKassel mit 2.300 Stimmen (= 27,40 Prozent) ihre Stellung im Ortsbeirat; erneut stellte ein MLPD-Mitglied den Ortsvorsteher. Bundestagswahl | Zur Bundestagswahl trat die MLPD mit Landeslisten in allen Ländern an und stellte 111 Direktkandidaten (2017: 109) auf. In Hessen trat die MLPD mit einer eigenen, elf Kandidaten umfassenden Landesliste sowie fünf Direktkandidaten an. Auf Platz eins der Landesliste kandidierte ein Mitglied des Zentralkomitees der MLPD. Wie 2017 setzte die MLPD auf das von ihr ins Leben gerufene Bündnis Internationalistische Liste, in dem sie sich mit ihrem Jugendverband REBELL und weiteren Organisationen zusammengeschlossen hatte, wovon einige dem Linksextremismus und dem Extremismus mit Auslandsbezug zuzurechnen waren. Ihren Wahlkampf bestritt die MLPD in Hessen vor allem mit Wahlplakaten und Informationsständen. Größere Veranstaltungen fanden vor allem im Ruhrgebiet statt, wo die MLPD traditionell stark vertreten ist. Inhaltlich setzte die MLPD in ihrem Wahlprogramm auf den Sozialismus als angeblich notwendige Alternative zur Bundesrepublik unter den Slogans "Nur noch Krisen, eine Lösung: Sozialismus!" und "1000 Lügen, eine Quelle: Antikommunismus!" Im Vergleich zur Bundestagswahl 2017 verlor die MLPD zahlreiche Wähler. Hatte sie damals bundesweit 29.785 Zweitstimmen (= 0,1 Prozent) erhalten, so erreichte sie 2021 17.994 Zweitstimmen (= 0,0 Prozent). Dieser Trend zeigte sich auch in Hessen. Hier ging das Ergebnis der MLPD bei den Zweitstimmen von 1.627 auf 912 (= jeweils 0,0 Prozent) zurück. Ihr bestes Ergebnis erreichte die MLPD im Wahlkreis 186 (Darmstadt), wo sie 186 Zweitstimmen gewann. Trotz dieser Stimmenverluste äußerte sich die MLPD positiv. Der Wahlkampf sei dominiert gewesen von einem "fortschrittlichen Stimmungsumschwung", der allerdings durch eine "nicht gekannte Ma178 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 LINKSEXTREMISMUS nipulation der Meinung und die Mobilisierung der kleinbürgerlichparlamentarischen Denkweise" negiert worden sei. In der Folge, so die MLPD, "verloren alle Parteien, die von den Massen links von der SPD eingeordnet werden, erheblich an Stimmen". Die Partei habe dennoch eine "erfolgreiche taktische Offensive" geführt und eine "intensive Bewusstseinsbildung, besonders der Arbeiterklasse" vorangetrieben. Diesen angeblich erfolgreichen Kurs will die MLPD gegen einen ausgeprägten Antikommunismus durchgesetzt haben: "Die MLPD hat polarisiert und war die von den Herrschenden am meisten bekämpfte Kraft im Wahlkampf mit mindestens 30 Polizeieinsätzen und wieder deutlich ausgeweiteten Medienzensur". Bewertung/Ausblick | Die MLPD ist innerhalb der deutschen linksextremistischen Szene weitgehend isoliert. In Hessen erzielt die Partei trotz vereinzelter Teilnahmen an Szeneaktivitäten nahezu keine Aufmerksamkeit. Diese Entwicklung bestätigten auch die Ergebnisse der Bundestagswahl sowohl auf Bundesals auch auf Landesebene, wo die MLPD erhebliche Stimmenverluste zu verzeichnen hatte. Der Partei gelang es mit ihrer Wahlkampagne für den Sozialismus und gegen einen vermeintlichen Antikommunismus nicht, die Wähler zu überzeugen. ROTE HILFE E. V. (RH) Ideologie - Strukturen - Mitgliederzahlen | In Anlehnung an die 1924 in der Weimarer Republik von der KPD initiierte Rote Hilfe Deutschlands (RHD) versteht sich die RH laut ihrer Satzung als "parteiunabhängige, strömungsübergreifende linke Schutzund Solidaritätsorganisation". Sie bezeichnet die Bundesrepublik Deutschland als ein "nationalstaatlich fixiertes, bürgerlich kapitalistisches Herrschaftssystem, das von unterschiedlichen Unterdrückungsmechanismen (wie Rassismus oder Sexismus) strukturiert und geprägt" werde. In Hessen verfügte die RH über Ortsgruppen in Darmstadt, Frankfurt am Main, Kassel, Marburg (Landkreis Marburg-Biedenkopf), Gießen (Landkreis Gießen) und Wiesbaden. Ihr gehörten in Hessen etwa 700 Personen an, bundesweit rund 12.100. "Rechtsberatung" für politisch motivierte Straftäter | Die maßgeblich von Linksextremisten verschiedener Richtungen getragene RH unterstützt seit den 1970er Jahren inhaftierte bzw. inzwischen aus der Haft entlassene Straftäter. Neben politischer und finanzieller Hilfe versuchte die RH mittels "Rechtsberatung" Personen, die politisch motivierte Straftaten begingen, der staatlichen Strafverfolgung zu entziehen oder sie bei ihren Verfahren zu unterstützen. Die RH empfahl daHessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 179 LINKSEXTREMISMUS MITGLIEDERENTWICKLUNG DER RH IN HESSEN UND IM BUND 14.000 12.100 12.000 11.000 10.500 10.000 8.300 8.300 8.000 6.000 4.000 Hessen 2.000 600 600 700 700 700 Bund 0 2017 2018 2019 2020 2021 her den "Genoss_innen" die "konsequente Aussageverweigerung" als "beste Strategie im Umgang mit Repressionsbehörden". Die RH-Ortsgruppe Frankfurt am Main begleitete im Berichtsjahr bei Strafprozessen vorwiegend Angeklagte, die "linken" und linksextremistischen Gruppierungen zuzurechnen waren. Auf ihrer Homepage wies die RH auf anstehende Prozesse hin und rief Sympathisanten zur "kritischen Prozessbegleitung" auf, um sich solidarisch mit den Angeklagten zu zeigen. Veranstaltungen | Die RH-Ortsgruppe Kassel rief vom 1. bis zum 11. Februar zu einer Mahnwache unter dem Motto "Solidarität mit dem Hungerstreik in den türkischen Gefängnissen, Freiheit für Abdullah Öcalan!" in Kassel auf. Die Ortsgruppen Frankfurt am Main und Kassel organisierten darüber hinaus regelmäßige Kundgebungen unter dem Motto "Stay with friends. Freiheit für alle politischen Gefangenen" vor den Justizvollzugsanstalten (JVA) in Gießen (Landkreis Gießen) und Frankfurt am Main-Preungesheim. Diese Veranstaltungen standen im Zusammenhang mit den Verhaftungen während der Räumung des Dannenröder Walds im November 2020. Anlässlich des "Jahrestags" der Räumung, die am 1. Oktober 2020 begonnen hatte, wurde unter anderem vor der JVA Preungesheim der Film "Ella - von Lügen einer Staatsmacht, die einschüchtern will" gezeigt. Der Film enthielt sowohl Originalaufnahmen der Räumung als auch nachgestellte Szenen. In einer Pressemitteilung der RH, die anlässlich des Prozessauftakts gegen eine Klimaaktivistin veröffentlicht wurde, erklärte ein Angehöriger des Bundesvorstands: "Prozess nach sechs Monaten Erzwingungshaft[.] Nach der gewaltsamen Räumung des Dannenröder Waldes steht am Dienstag eine weitere Aktivistin vor Gericht. Ella wird vorgeworfen[,] sich auf einem Bau 180 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 LINKSEXTREMISMUS in 15 Meter Höhe gegen das Herabziehen an ihren Beinen gewehrt zu haben. [...] ,Die Polizei hat bei der Räumung überaus brutal agiert und Menschenleben aufs Spiel gesetzt. [...] Der brutale Polizeieinsatz muss vor dem Hintergrund einer in Hessen regierenden grünen Partei betrachtet werden, die alles daransetzte, die für sie schädlichen Bilder einer Rodung eines Waldes für eine Autobahn schnell aus der Öffentlichkeit zu bringen'". Des Weiteren führte die RH-Ortsgruppe Kassel im Oktober eine Online-Veranstaltungsreihe zu dem Thema "Unter Beobachtung" durch. Dabei ging es um die Themen "Was dürfen die? - Gesetzliche Regelungen für staatliche Zugriffe auf digitale Endgeräte", "Was können die? - Einschätzungen zur tatsächlichen Gefahr, die von Sicherheitsbehörden ausgeht", "Und was können wir tun? - Technische Möglichkeiten, um uns vor digitaler Überwachung zu schützen". Bewertung/Ausblick | Die RH nimmt nach wie vor eine wichtige Rolle innerhalb der linksextremistischen Szene ein. Sowohl durch ihre "Solidaritätsund Antirepressionsarbeit" als auch durch ihre juristischen und finanziellen Unterstützungsleistungen verfügt die RH über eine hohe Reputation im gesamten Spektrum und ist damit ein die Szene verbindendes Element. Angesichts der unablässigen Behauptung von Linksextremisten, die staatliche "Repression" würde zunehmen, wird die RH auch weiterhin für die Szene eine hohe Bedeutung haben. LINKSEXTREMISTISCHE STRAFUND GEWALTTATEN Die Zahl der linksextremistischen Strafund Gewalttaten erhöhte sich von 110 (2020) auf 131, was einem Anstieg um 16 Prozent entspricht. Dies resultierte aus einer Zunahme insbesondere bei Körperverletzungen von sieben (2020) auf 23 und bei Sachbeschädigungen von 52 (2020) auf 66. Insgesamt stieg die Zahl der Gewalttaten von 34 (2020) auf 42 an, was einer Zunahme um 19 Prozent entspricht. Die linksextremistisch motivierten Körperverletzungen sind hauptsächlich während des Protestgeschehens am 1. Mai in Frankfurt am Main begangen worden, wo Polizisten von Demonstranten mit Fahnenstangen geschlagen und mit Gegenständen beworfen worden waren. Linksextremisten begingen vor allem dann Gewalttaten, wenn sie diese relativ einfach und weitgehend ohne strafrechtliche Konsequenzen verüben konnten. Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 181 LINKSEXTREMISMUS Generell erzielen Linksextremisten die von ihnen erwünschte Wirkung mittels Strafund Gewalttaten, wenn es ihnen gelingt, hohe Schäden anzurichten oder sich medienwirksam als "Opfer" staatlicher, insbesondere polizeilicher "Repression" darzustellen. Sofern Bekennungen zu den Taten folgen, werden die Taten oft in aktuelle Themenzusammenhänge gestellt, auch um für sich Akzeptanz in der Bevölkerung zu gewinnen. Zudem versuchten Linksextremisten mittels ihrer Strafund Gewalttaten ihre Handlungsfähigkeit zu dokumentieren. In der öffentlichmedialen Darstellung nehmen Linksextremisten hingegen eine "Opferrolle" ein und legitimieren ihr Handeln als "Gegenwehr", wodurch sie staatliches Handeln diskreditieren. Zugleich zeigen die Angriffe auf die Polizei, dass etliche Linksextremisten - entgegen der in der Szene mehrheitlich nicht akzeptierten Gewalt gegen Personen - auch vor dieser Aggression nicht zurückschrecken. | 2021 2020 2019 2018 2017 Deliktart Tötung Versuchte Tötung 1 Körperverletzung 23 7 3 8 1 Brandstiftung/Sprengstoffdelikte 6 4 1 2 2 Landfriedensbruch 6 6 1 1 2 Gefährliche Eingriffe in den Bahn-, Schiffs-, 1 1 Luftund Straßenverkehr Freiheitsberaubung, Raub, Erpressung, 7 15 1 Widerstandsdelikte Gewalttaten insgesamt 42 34 5 13 5 Sonstige Straftaten Sachbeschädigung 66 52 31 21 44 Nötigung/Bedrohung 2 3 2 1 Andere Straftaten 21 21 29 12 11 (insbesondere Propagandadelikte) Strafund Gewalttaten insgesamt 131 110 65 48 61 182 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 ISLAMISMUS - MERKMALE - ISLAMISTISCHES PERSONENPOTENZIAL - SALAFISMUS - LEGALISTISCHER ISLAMISMUS - SONSTIGE BEOBACHTUNGSOBJEKTE - ISLAMISTISCHE STRAFUND GEWALTTATEN ISLAMISMUS MERKMALE Der Islam als Religion wird vom Verfassungsschutz nicht beobachtet. Muslime genießen - wie Anhänger aller anderen Religionen auch - in Deutschland das Grundrecht auf Religionsfreiheit nach Art. 4 GG. Unter Islamismus wird eine politische Ideologie verstanden, deren Zweck es ist, die bestehende Gesellschaftsordnung nach islamischen Vorstellungen vollständig zu verändern und deren Rechtsgrundlagen, Werte und Herrschaftsordnungen entscheidend umzugestalten oder gänzlich abzuschaffen. Um islamistische Bestrebungen handelt es sich, wenn das Handeln von Personen in einem oder für einen Personenzusammenschluss zielund zweckgerichtet danach ausgerichtet ist, gesellschaftliche und institutionalisierte Bereiche in einer Weise grundlegend und nachhaltig gemäß islamischen Prinzipien umzugestalten. Auf diese Weise zielen islamistische Bestrebungen darauf ab, einen oder mehrere zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung gehörende Verfassungsgrundsätze zu beseitigen oder außer Geltung zu setzen. Dies kann mittels Gewaltanwendung oder Nutzung "legaler" Möglichkeiten geschehen. Diese Bestrebungen gründen sich auf einem Islamverständnis, das islamische Glaubensquellen und andere bedeutsame Überlieferungen in eigener Weise interpretiert. Dieses Verständnis repräsentiert daher nicht eine unabdingbar gültige Auslegung des Islams und seiner Praktizierung, vielmehr erheben islamistische Lesarten den Anspruch, eine allgemeinverbindliche Form des Islams erkannt zu haben und dessen Einhaltung diktieren zu können. AUF EINEN BLICK * Verfassungsfeindlichkeit des Islamismus * Entstehung des Islamismus * Ziele des Islamismus * Formen des Islamismus Verfassungsfeindlichkeit des Islamismus | Die totalitäre Veränderung einer Gesellschaft nach islamistischen Vorstellungen widerspricht elementar den Prinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und dem demokratischen Gefüge generell: Rechtsstaatlichkeit sowie unveräußerliche Menschenund Bürgerrechte sollen vollständig überwunden werden. Das politische System einer demokratisch legitimierten Volksvertretung würde durch eine totalitär agierende Theokratie ersetzt werden, die von der 184 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 ISLAMISMUS rechtmäßig gewählten Legislative verabschiedeten Gesetze müssten einem sogenannten göttlichen Recht weichen. Islamisten sind nicht auf Reformen bedacht, um im Einklang mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung friedlich in einer pluralistischen Gesellschaft zu leben, sondern streben nach einer grundlegenden Veränderung der Verhältnisse. Dabei verüben gewaltbereite Islamisten auch terroristische Gewalttaten. Die Mehrheit der Islamisten in Hessen, oft in Vereinen organisiert, nutzt weitaus subtilere Mittel: Sie strebt nach einflussreichen Positionen und versucht, ihre Interessen durch das Eindringen in relevante Bereiche von Politik und Gesellschaft zu vertreten. Entstehung des Islamismus | Der Islamismus nach heutigem Verständnis entwickelte sich im Nahen und Mittleren Osten des späten 18. und 19. Jahrhunderts als Gegenreaktion auf lokale Herrschaftsverhältnisse und als Reaktion auf den europäischen Kolonialismus: In zahlreichen islamisch geprägten Ländern versuchten Gruppierungen unterschiedlichsten Herkommens, sich gegen Benachteiligungen und Repressionen der Kolonialmächte zu wehren. Aus einer Wiederbelebung der islamischen Identität, hierbei gab es durchaus Unterschiede in der ideologischen Auslegung, erhofften sich insbesondere Islamisten das Erstarken ihrer Religion. Sie verbanden damit eine Universallösung für sämtliche gesellschaftlichen Probleme. Despoten sollten nicht länger die muslimische Gemeinschaft und den Islam unterdrücken. Nach islamistischer Auffassung würde erst das Überwinden "unislamischer" Herrscher den Weg ebnen, an "glorreiche Zeiten" des Frühislams anzuknüpfen, die Machtverhältnisse neu zu bestimmen und alle Muslime in eine Weltgemeinde zu führen. Ziele des Islamismus | Obwohl sich islamistische Bewegungen im Laufe der Zeit in zum Teil deutlich unterschiedliche Richtungen entwickelten, ist ihnen ein ideologischer Kern gemeinsam: Die Vorstellung, sämtliche Probleme der Gegenwart durch eine Rückkehr zu einer idealisierten, längst vergangenen islamischen Frühzeit zu heilen und auf diese Weise eine universelle Ordnung zu schaffen, die dem Islam und seiner Glaubensgemeinschaft den höchsten Stellenwert einräumt. Für Gegenwart und Zukunft soll der Islam die allein gültige gesellschaftliche und rechtliche Norm bilden. Islamisten akzeptieren in der Regel somit nur den Koran und die überlieferte Prophetentradition (Sunna) als Grundlage für islamrechtliche Entscheidungen und Regelungen. Darüber hinaus brandmarken Islamisten die Standpunkte der etablierten islamischen Rechtsschulen als ungültige Veränderungen des Islams oder interHessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 185 ISLAMISMUS pretieren diese Positionen zugunsten der eigenen islamistischen Auffassungen. Dabei reduzieren sich die Mittel und Methoden vieler Islamisten zur Rechtsfindung auf wenige frühislamische Prinzipien. Diese lassen keinen Spielraum für theologische Auslegungen außerhalb des Islams zu Zeiten des Propheten Muhammad zu. Nach der Auffassung von Islamisten soll der Rückgriff auf ursprüngliche islamische Quellen Antworten auf Probleme der Moderne geben. Fragen der Zukunft soll mit Antworten aus der Vergangenheit begegnet werden. Dies bildet den Ausgangspunkt für islamistische Aktivitäten. Würden die islamistischen Ziele konsequent umgesetzt werden, hätte dies die weltweite Islamisierung, abhängig von der jeweiligen Ausprägung des Islamismus, zur Folge. Am Ende dieses - in islamistischer Perspektive - "Erweckungsprozesses" stünde ein religiös institutionalisierter Machtbereich, der als staatsähnliche Ordnung dem Kalifat vergangener Zeiten gleichen würde. Formen des Islamismus | Alle Islamisten eint das Ziel, einen islamistischen Gottesstaat zu errichten. Die Wahl der Mittel und die zugrundeliegende Strategie zur Erreichung dieses Ziels unterscheiden sich allerdings. Vor diesem Hintergrund zeigt sich der Islamismus auch in Deutschland - abhängig von Zeit und Ort - in vielfältigen Formen. Häufig übernehmen Islamisten die ideologischen Grundlagen der Kernbewegungen aus dem Ausland. Das Nutzen legaler Mittel in einer Demokratie, die aus islamistischer Sicht keine Gültigkeit besitzt, ist ein Wesensmerkmal dieser Form des Islamismus. Das hierzu gehörende Personenpotenzial wird mit der Bezeichnung "Legalisten" beschrieben, der Phänomenbereich selbst wird als "legalistischer Islamismus" bezeichnet. "Legalisten" wie etwa die Anhänger der Muslimbruderschaft versuchen im Einklang mit den Gesetzen ihren Einflussraum durch politische Teilhabe auszudehnen. Mittels kommunaler, regionaler, aber auch landespolitischer Aktivitäten sollen Schutzgüter der freiheitlichen demokratischen Grundordnung unterminiert und auf lange Sicht überwunden werden, um den eigenen islamistischen Interessen Rechnung zu tragen. Extremismusvorwürfe weisen "Legalisten" konsequent und selbstbewusst zurück und versehen sie mit dem Etikett "Islamfeindlichkeit". Eine besondere Form des Islamismus stellt der Salafismus dar. Salafisten sehen sich als Verfechter eines ursprünglichen, unverfälschten Islams. Sie geben vor, ihre religiöse Praxis und Lebensführung bis in das letzte Detail ausschließlich an den Prinzipien des Korans, an dem Vorbild des Propheten Muhammad und an den ersten drei muslimischen Generationen, den sogenannten rechtschaffenen Altvorderen 186 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 ISLAMISMUS (arab. al-salaf al-salih), auszurichten. Das Handeln nach dem Vorbild der Altvorderen betrifft dabei nicht nur religiöse Fragen, sondern ebenso Politik, Wirtschaft und so gut wie alle Lebensbereiche. Folglich versuchen Salafisten, einen Gottesstaat nach ihrer Auslegung der Regeln der Scharia zu errichten, in dem die freiheitliche demokratische Grundordnung keine Geltung mehr hätte. Zur Umsetzung ihrer Ziele greifen Salafisten auf unterschiedliche Mittel bis hin zur Gewaltanwendung zurück, wobei zwischen dem politischen und jihadistischen Salafismus zu differenzieren ist. Der weltweite gewaltorientierte Jihadismus überzeugt seine Anhänger in erster Linie durch seine klare Ideologie, die sowohl moralische als auch politische Feinde zum Schutz des "wahren" Islams und der gesamten islamischen Gemeinschaft (arab. umma) gnadenlos bekämpft. Zwar bilden ideologisierte Anhänger die überwiegende Mehrheit der jihadistischen Gefolgschaft, jedoch spricht die Idee einer gemäß salafistischen Prinzipien konzipierten Gesellschaft auch Menschen an, die glauben, in diesen Strukturen besser zurechtkommen zu können als andernorts, wo sie sich unterdrückt fühlen. Auch andere islamistische Gruppen schrecken zwecks Durchsetzung ihrer Ziele nicht vor der Anwendung von Gewalt zurück. Sie nutzen Deutschland in der Regel als Rückzugsraum oder auch als Operationsfeld für logistische und finanzielle Zwecke, um die jeweilige Gruppierung im Herkunftsland zu unterstützen. ISLAMISTISCHES PERSONENPOTENZIAL1 Gegenüber dem vorherigen Berichtsjahr reduzierte sich das islamistische Personenpotenzial in Hessen von 4.170 auf 4.000 Personen, | 2021 2020 2019 2018 2017 Islamisten gesamt Hessen 4.000 4.170 4.170 4.170 4.170 Bund 28.290 28.715 28.020 26.560 25.810 davon Salafisten Hessen 1.450 1.650 1.650 1.650 1.650 Bund 11.900 12.150 12.150 11.300 10.800 1 Die Zahlen sind teilweise geschätzt und gerundet. Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 187 ISLAMISMUS was aus einem Rückgang (etwa zwölf Prozent) im Bereich des Salafismus resultierte. Im Bereich der übrigen Islamisten war eine geringe Zunahme um etwa 30 Personen zu verzeichnen. (Siehe im Glossar auch die Erläuterung zum Begriff Personenpotenzial.) Nach außen verlor die salafistische Ideologie offenbar an Strahlkraft und Attraktivität, was insbesondere für jüngere Personen galt. Ursachen für diese Entwicklung waren vornehmlich die territoriale Zurückdrängung des IS, die militärische Zerschlagung seiner quasistaatlichen Strukturen und das massive Erschweren von Ausreisen in das Jihadgebiet durch staatliche Maßnahmen. Die strafrechtlichen Konsequenzen einer verhinderten Ausreise wirkten offensichtlich ebenso abschreckend wie die zahlreichen Berichte über den Tod oder die Inhaftierung von ausgereisten Personen in Syrien und im Irak. Auch die Zahl der öffentlichen Auftritte, die neue Anhänger an die Szene binden könnten, nahm ab. SALAFISMUS DEFINITION/KERNDATEN Der Salafismus setzt sich ideologisch aus einer politischen und einer jihadistischen Bewegung zusammen, die beide in ihrem ideologischen Kern nicht von anderen islamischen Erweckungsbewegungen abweichen. Anhänger eines salafistischen Islamverständnisses streben nach der Rückkehr zu den angeblich einzig gültigen Glaubensprinzipien, wie sie Überlieferungen zufolge in der Frühzeit im Umfeld Muhammads entstanden waren und praktiziert wurden. Anstatt ihre Religionsauffassung und -praxis an die Gegenwart anzupassen, propagieren Salafisten die idealisierte Re-Islamisierung gemäß angeblich unverfälschter Werte im Einklang mit den Geboten Allahs. Das salafistische Ziel liegt in der Wiederentdeckung des "reinen Islams", seiner Erhaltung und universellen Ausdehnung. Im Diesseits ist nach salafistischer Auffassung eine gottgefällige Lebensweise nur möglich, wenn die Lebensweise des Propheten Muhammad eine Nachahmung erfährt und die göttlichen Regeln und Prinzipien beachtet werden. Ein Kalifat nach historischem Vorbild wird in diesem Zusammenhang häufig als geeignete Option für ein solches Gesellschaftsmodell angesehen. 188 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 ISLAMISMUS AUF EINEN BLICK * Formen des Salafismus * Politischer Salafismus * Jihadistischer Salafismus Formen des Salafismus | Die Anhänger des Salafismus lassen sich in zwei Strömungen einteilen: Politische Salafisten sind missionarisch aktiv, indem sie die Bekehrung zum Islam und die Verbreitung des islamischen Glaubens (arab. da'wa) betreiben. Jihadistische Salafisten rücken hingegen den gewaltsamen Kampf, den sie mit der Einhaltung göttlicher Regeln und Prinzipien rechtfertigen, in das Zentrum ihrer ideologischen Auffassung und bilden damit den Ausgangspunkt für ihre islamistischen und gewaltorientierten Bestrebungen. Mit einem Personenpotenzial von etwa 1.450 sank im Berichtsjahr in Hessen die Gesamtzahl der Salafisten im Vergleich zu den letzten fünf Jahren (1.650), blieb aber weiterhin besorgniserregend hoch. In Hessen führte insbesondere der hohe Verfolgungsdruck der Sicherheitsbehörden - gerade auch im Hinblick auf IS-Rückkehrer - zu einem Rückgang der Aktivitäten. Durch die "Corona-Schutzmaßnahmen" wurde dieser Effekt verstärkt, da auch öffentliche Treffpunkte wegfielen. Indem öffentliche Bekenntnisse von Salafisten weitgehend ausblieben, ging zwar die Wahrnehmbarkeit des Salafismus zurück, der große Teil seiner Anhänger hielt jedoch an dessen Ideologie fest. Der Übergang zwischen dem politischen und jihadistischen Salafismus kann fließend sein. In Hessen wurde etwas mehr als die Hälfte der Salafisten dem Spektrum des jihadistischen Salafismus zugerechnet. Insgesamt zeigte sich eine steigende Gewaltaffinität beim "harten Kern" der Szene, deren Anhänger Gewalt unterstützen oder gewaltbereit sind. Politischer Salafismus | Der politische Salafismus ist in der Regel von gewaltlosen Aktivitäten gekennzeichnet. Das salafistische Islamverständnis verlangt, die Reinheit des Islams zu bewahren und seine Authentizität wiederherzustellen, wo es notwendig erscheint. Daher nutzen politische Salafisten Formen der religiösen Erziehung und der im Hintergrund - ohne politisches Aufsehen - tätigen Beratung (arab. nasiha). Auf diese Weise wollen politische Salafisten ihr Umfeld auf den angeblich wahren Weg Allahs zurückführen und zum Übertritt zum Islam nach ihrem Verständnis bekehren. Grundsätzlich meiden Salafisten das politische Engagement, um die Reinheit der Doktrin des tauhid (Monotheismus) zu erhalten und vor angeblich islamfremHessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 189 ISLAMISMUS den Einflüssen zu schützen. Salafisten sind daher in Deutschland weder parteipolitisch noch in vergleichbarer Form im öffentlichen Diskurs im Rahmen gesamtgesellschaftlicher Gestaltungsprozesse aktiv. Dennoch kann die salafistische Doktrin auf gesellschaftliche Bereiche einwirken und somit politischen Einfluss entwickeln. Der Einsatz von Gewalt ist bei politischen Salafisten nicht kategorisch auszuschließen, stellt jedoch im Unterschied zu den Anhängern des globalen Jihadismus nicht per se ihr bevorzugtes Mittel zur Veränderung der Verhältnisse dar. Jihadistischer Salafismus | Jihadistische Salafisten teilen zentrale Glaubensprinzipien des politischen Salafismus, leiten daraus jedoch Legitimationen für eigene Handlungsmuster ab. Ein wesentliches Unterscheidungsmerkmal ergibt sich aus dem Verhältnis zur Gewalt. Der "Anstrengung für Allah" (arab. jihad) messen Jihadisten eine gewaltorientierte, aktiv kämpferische Komponente bei, die zur individuellen Glaubenspflicht erhoben wird und dadurch in ihrer Perspektive die Durchsetzung revolutionärer Zwecke rechtfertigt. Entgegen der Agenda des politischen Salafismus sehen Jihadisten primär in der Gewaltanwendung die Möglichkeit, "Tyrannen" und "Ungläubige" zu bekämpfen. Verhaftet in den islamischen Überlieferungen vom Tag des Jüngsten Gerichts, streben Jihadisten nach der Auslöschung aller "unislamischen" und "ungläubigen" Elemente, die sie in Regierungen, anderen Religionen und auch anderen islamischen Glaubensgemeinschaften verkörpert sehen. Der gewaltsame "kleine Jihad" besitzt in den ideologischen Auffassungen der verschiedenen Gruppen, die insgesamt den globalen Jihadismus bilden, unterschiedliche Formen und wird entsprechend vielfältig legitimiert und angewendet. Während der "kleine Jihad" den kämpferischen Einsatz zur Verteidigung oder Ausdehnung des islamischen Herrschaftsgebiets beschreibt, bezeichnet der "große Jihad" das geistig-spirituelle Bemühen der Gläubigen, das richtige religiöse und moralische Verhalten gegenüber Allah und den Mitmenschen einzulösen. Jihadistische Salafisten zielen im Gegensatz zu politischen Salafisten auf die gewaltsame Beseitigung bzw. Überwindung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder nehmen bewusst deren Schädigung in Kauf. 190 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 ISLAMISMUS EREIGNISSE/ENTWICKLUNGEN IM POLITISCHEN SALAFISMUS Örtlich begrenzt versuchten einige wenige politische Salafisten mittels Street-Da'wa, einschlägige Literatur an Passanten zu verteilen. Salafistisch beeinflusste Moscheen fungierten weiterhin als Treffund Kontaktorte für Personen aus dem salafistischen Spektrum. Darüber hinaus erreichten salafistische Prediger vor allem über Internetauftritte ihr Publikum. Erfolgreiche Maßnahmen und der hohe Verfolgungsdruck der Sicherheitsbehörden - vor allem auch im Hinblick auf IS-Rückkehrer - führten in Hessen jedoch zu einem Rückgang der Aktivitäten in der salafistischen Szene. Allerdings waren die Akteure insgesamt zunehmend national und international vernetzt. AUF EINEN BLICK * Da'wa-Aktionen * Prediger und Moscheen * Salafistische Sozialisation Da'wa-Aktionen | Mit dem Street-Da'wa-Projekt "Was ist Islam?" zeigten einige wenige Akteure in Frankfurt am Main regelmäßig Präsenz und verteilten auf der belebten Einkaufsstraße Zeil islamistische Literatur an Passanten. In den in sozialen Medien veröffentlichten Videos versuchte die Street-Da'wa-Gruppe, sich authentisch zu inszenieren. Dies entsprach dabei stark den Veröffentlichungen früherer Da'wa-Aktionen wie "LIES!" und "We Love Muhammad". Darüber hinaus kam es am Ende des Berichtsjahrs in Wiesbaden zu StreetDa'wa-Aktionen einer weiteren Gruppe. Prediger und Moscheen | Salafistische Prediger erreichten vornehmlich über das Internet ihr Publikum, vor allem über soziale Medien und Videoplattformen, aber auch über Onlinekurse. Die islamistische Propaganda setzte dabei auf allgemeinreligiöse Themen und Diskussionen, auch um Kinder und Jugendliche zu erreichen. Viele salafistische Prediger bemühten sich zusehends darum, ihre Veröffentlichungen durch eine moderne Gestaltung einer breiten Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Aufgrund ihrer subtilen Aufmachung waren die Formate allerdings nicht immer leicht als islamistisch zu erkennen. So konsumierten Personen islamistische Inhalte teilweise ungewollt, was sie möglicherweise an die salafistische Lehre und Szene heranführte. Islamisten wiederum versuchten dabei, eigene "Marken" durch Logos, markante Farbkombinationen oder sonstige stilistische Mittel als Wiedererkennungswerte zu etablieren. Zusammen mit der professionellen Gestaltung der Inhalte sollten Bekanntheit und Vertrautheit des Designs den Eindruck von Seriosität und Vertrauenswürdigkeit erzeugen. Vor allem aber traten diese AkHessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 191 ISLAMISMUS teure des politischen Salafismus als religiöse, weltanschauliche und moralische Autoritäten auf. Insgesamt fehlten jedoch im Berichtsjahr identitätsstiftende und damit gemeinschaftsfördernde ideologische Führungsfiguren bzw. überregional tätige Hauptakteure, sodass es - unter anderem pandemiebedingt - keine größeren Veranstaltungen gab, die Salafisten gemeinsam besuchen konnten. Auch wenn sich die Aktivitäten politischer Salafisten immer mehr in den privaten Raum verlagerten, fungierten salafistisch beeinflusste Moscheen weiterhin als Treffund Kontaktorte für Personen aus dem entsprechenden Spektrum. Salafistische Sozialisation | Verschiedene Angebote aus dem salafistischen Spektrum boten Kindern und Jugendlichen eine Möglichkeit, scheinbar unverfänglich mehr über den Islam zu erfahren: Auf Blogs, mittels Apps oder auf Social-Media-Kanälen wurden Geschichten und Lernmodule angeboten, deren Inhalte meistens keinen islamistischen Bezug aufwiesen. Ziel der Salafisten war es, einen Zugang zu Kindern und Jugendlichen zu gewinnen. Zum Beispiel war es möglich, LiveVideos in Echtzeit zu kommentieren und damit in eine Interaktion zu treten. Die Betrachter wurden somit zu aktiven Usern, deren Meinungen angeblich geschätzt wurden. Dadurch sollten Seriosität und Vertrauenswürdigkeit geschaffen werden. Indem salafistische Prediger als religiöse, weltanschauliche und moralische Autoritäten auftraten, versuchten sie mittels ihrer Ansprache an Kinder und Jugendliche, den Grundstein für eine Erweiterung ihres Anhängerkreises und die Verbreitung ihrer islamistischen Ideologie zu legen. Auch für Eltern boten salafistische Prediger spezielle Vorträge zum Thema "Kindererziehung" an. Das Angebot umfasste unter anderem Bücher in Form von Erziehungsratgebern, welche die Eltern zu einer - in der salafistischen Szene verbreiteten, strengen Normen entsprechenden - Kindererziehung befähigen sollten. Dabei wurde den Kindern und Jugendlichen ein dualistisches Weltbild mit der Einteilung der Gesellschaft in "Gläubige" und "Ungläubige" vermittelt. EREIGNISSE/ENTWICKLUNGEN IM JIHADISTISCHEN SALAFISMUS Die Terrororganisation IS baute ihre Untergrundstrukturen in ihren ehemaligen Einflussgebieten im Mittleren Osten weiter aus und nutzte diese für Anschläge auf lokale Machthaber und staatliche Strukturen. Seit der Machtübernahme der Taleban in Afghanistan verübte der dortige IS-Ableger vermehrt Anschläge, da zwischen beiden Gruppierungen sowohl eine ideologische als auch eine 192 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 ISLAMISMUS machtpolitische Konkurrenz bestand. Auch in Nordund Westafrika sowie in Asien waren Ableger des IS weiterhin aktiv, wobei sie einschlägige Propaganda verbreiteten und Anschläge begingen. Versuchte der IS nach wie vor, sich im Nahen Osten und in Asien neu zu organisieren, war im Berichtsjahr kein koordiniertes Vorgehen in Westeuropa mit konkreten Planungen und dem Aufbau von Terrorstrukturen festzustellen. IS-Propaganda, aber auch in der Vergangenheit verübte Anschläge waren jedoch geeignet, radikalisierte, allein handelnde Täter weiterhin zu schwersten Straftaten sowie zu Bekenntnissen zum IS zu motivieren. Nachdem Afghanistan am 15. August aufgrund des Rückzugs der North Atlantic Treaty Organization (NATO) komplett in die Hände der Taleban gefallen war und diese das "Islamische Emirat Afghanistan" proklamierten, gratulierten ihnen andere Terrororganisationen zu ihrem "Sieg", unter anderem die salafistisch orientierten Organisationen al-Qaida (AQ) und Hai'at Tahrir al-Sham (HTS). Insgesamt versuchten nahezu alle jihadistischen Gruppierungen, diesen "Erfolg" propagandistisch für sich zu nutzen. AUF EINEN BLICK * Exekutivmaßnahmen * Verurteilungen * Bundesweite Anzahl der jihadistisch motivierten Ausreisefälle * Hessenweite Anzahl der jihadistisch motivierten Ausreisefälle * Frauen und Kinder im IS * Propaganda jihadistischer Gruppierungen * Jihadistisch motivierte Anschläge * Entwicklungen in Afghanistan - Auswirkungen auf die Sicherheitslage in Deutschland Exekutivmaßnahmen | Am 7. Januar durchsuchte die Polizei in mehreren Städten, darunter Wiesbaden, die Wohnungen von insgesamt 14 Personen. Hintergrund waren der Verdacht der Terrorismusfinanzierung, der Unterstützung der HTS als einer terroristischen Vereinigung im Ausland sowie der Verstoß gegen das Außenwirtschaftsgesetz. In Baden-Württemberg, Niedersachsen, Bayern und in Hessen wurden vier Personen festgenommen. Sie sollen Spenden gesammelt und für Spenden geworben haben, um diese an die HTS weiterzuleiten. Die Beschuldigten gehörten mutmaßlich einem internationalen Netzwerk an, das die terroristischen Aktivitäten der HTS in Syrien von Europa aus durch finanzielle Spenden förderte. Die Gelder flossen wohl von Deutschland aus über einen Mittelsmann in der Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 193 ISLAMISMUS Türkei an ein HTS-Mitglied in Syrien. Für die Spenden wurde öffentlich auf einer Internetplattform der HTS geworben, die zur Finanzierung des bewaffneten Kampfes und des Lebensunterhalts der Kämpfer aufrief, sodass den Spendern die Verwendung des Geldes bekannt war. Die in Wiesbaden festgenommene Person soll Spenden in Empfang genommen und direkt an einen zentralen Kopf des Spendennetzwerks in Syrien weitergeleitet haben. Zudem soll sie eine Anleitung zur Verschleierung von Geldströmen zur Verfügung gestellt haben. In Kassel und Osnabrück (Niedersachsen) wurden am 7. Juli die Wohnungen zweier Personen durchsucht, die offensichtlich in Kontakt mit dem Attentäter standen, der am 2. November 2020 in Wien (Österreich) einen islamistischen Anschlag (vier Tote, mehr als 20 zum Teil schwer Verletzte) verübt hatte. Es gab Hinweise, dass beide Personen Kenntnis von der Planung des Attentats hatten, sodass sie wegen der Nichtanzeige einer geplanten Straftat beschuldigt wurden. Wegen des Verdachts der Terrorismusfinanzierung und der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat wurden am 14. Juli in Hessen die Wohnungen von zehn Personen durchsucht und dabei zahlreiche Beweismittel wie Bargeld und Datenträger sichergestellt. Eine konkrete Anschlagsgefahr bestand nicht. Verurteilungen | Am 18. Februar begann am LG Frankfurt am Main der Prozess gegen ein Ehepaar aus Raunheim (Kreis Groß-Gerau) wegen des Vorwurfs der Terrorismusfinanzierung und der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat. Zum Prozessauftakt gestand das Ehepaar, 2016 Spendengelder für den IS gesammelt zu haben. Mit seinen Kindern wollte es über die Türkei nach Syrien ausreisen, um sich der Terrororganisation anzuschließen. Das Ehepaar war 2016 in der Türkei festgenommen und nach Deutschland abgeschoben worden. Der 29-jährige Ehemann wurde zu einem Jahr und elf Monaten, die 28 Jahre alte Ehefrau wegen Beihilfe zu 16 Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt. Das Urteil ist rechtskräftig. Am 28. Mai verurteilte das OLG Frankfurt am Main eine 22-Jährige wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung im Ausland, wegen Kriegsverbrechens an Eigentum sowie wegen Verstoßes gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren auf Bewährung. Das Urteil ist rechtskräftig. Die Verurteilte war 2014 als Minderjährige nach Syrien ausgereist, um sich dem IS anzuschließen. Dort heiratete sie nach islamischem Ritus einen aus Dinslaken (Nordrhein-Westfalen) stammenden IS-Kämpfer. Ihre Aufgabe war es, den Ehemann bei Kampfeinsätzen im Jihadgebiet zu unterstützen, den Haushalt zu führen 194 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 ISLAMISMUS und ihn zu versorgen. Nachdem ihr Ehemann verwundet worden war, pflegte sie ihn. Im Irak bezog das Ehepaar ein Haus, das ihnen der IS zugewiesen hatte und dessen rechtmäßige Eigentümer zuvor vertrieben worden waren. Zudem besaß die Frau zumindest zeitweise ein Sturmgewehr. Im März 2019 begab sie sich in kurdische Gefangenschaft und setzte sich nach neun Monaten in die Türkei ab. Bei ihrer Abschiebung nach Deutschland im November 2019 wurde sie festgenommen. Am 29. Oktober verurteilte das OLG Frankfurt am Main eine 32-Jährige zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren wegen Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung in neun Fällen. In sechs Fällen stellte das Gericht die Tateinheit mit der Begehung von Kriegsverbrechen gegen Eigentum und gegen sonstige Rechte sowie in zwei weiteren Fällen eine Tateinheit mit einem Verstoß gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz fest. Das Urteil ist rechtskräftig. Die Verurteilte war seit 2009 Angehörige der salafistischen Szene im Rhein-Main-Gebiet sowie im Raum Bonn/Solingen (Nordrhein-Westfalen). 2014 reiste sie gemeinsam mit ihrem nach islamischem Ritus verheirateten Ehemann über die Türkei nach Syrien, um sich dem IS anzuschließen. Dort kämpfte ihr Ehemann für die Terrororganisation; sie führte den Haushalt, unterstützte und versorgte ihn. Das Ehepaar lebte von Zuwendungen des IS - unter anderem in Bezug auf Geld und Wohnraum -, wobei die Terrororganisation die früheren Bewohner vertrieben, inhaftiert oder getötet hatte. Zudem besaß die Frau zwei Sturmgewehre, mit denen sie sich im Angriffsfall verteidigen wollte. In Chatgruppen, welche die Frau betrieb und an denen sich auch Frauen aus Deutschland beteiligten, pries sie das Leben im "Kalifat" und teilte Anleitungen für eine Ausreise dorthin. Nachdem der IS ihren Mann inhaftiert hatte, verließ die Frau 2016 mittels Schleusern das "Kalifat" und kehrte nach Deutschland zurück. Am 30. November verurteilte das OLG Frankfurt am Main einen 29Jährigen zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe und einer Zahlung von Schadenersatz in Höhe von 50.000 Euro. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Der Mann wurde des Völkermordes in Tateinheit mit einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit mit Todesfolge, einem Kriegsverbrechen gegen Personen mit Todesfolge, Beihilfe zu einem Kriegsverbrechen gegen Personen in zwei tateinheitlichen Fällen sowie mit Körperverletzung mit Todesfolge schuldig gesprochen. Von 2013 bis 2019 war er in Syrien, im Irak und in der Türkei Mitglied des IS. Er "kaufte" 2015 eine der Glaubensgemeinschaft der Jesiden angehörende Frau und deren fünfjährige Tochter als Sklavinnen. Neben Annehmlichkeiten in seinem Haushalt beabsichtigte er damit, die religiöse Minderheit der Jesiden - im Einklang mit den Zielen des IS - zu vernichten. Bei einer "Strafaktion" fesselte der Verurteilte das Kind Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 195 ISLAMISMUS ungeschützt vor der Sonne an ein Fenster, in Folge dessen es verstarb. Bundesweite Anzahl der jihadistisch motivierten Ausreisefälle | Zum Ende des Berichtzeitraums lagen zu mehr als 1.150 deutschen Islamisten bzw. Islamisten aus Deutschland, die in Richtung Syrien/Irak gereist waren, Erkenntnisse vor. Zu etwa 65 Prozent der gereisten Personen lagen konkrete Anhaltspunkte vor, dass sie auf Seiten des IS, der al-Qaida oder ihnen nahestehender Gruppierungen sowie anderer terroristischer Gruppierungen an Kampfhandlungen teilgenommen oder diese in sonstiger Weise unterstützt hatten. Die meisten Ausreisen bzw. Ausreiseversuche waren in den Jahren 2013 bis 2015 zu verzeichnen. In den Folgejahren gingen die Zahlen sukzessive zurück. Seit 2019 wurden Ausreisen bzw. Ausreiseversuche nur noch sehr vereinzelt registriert. So wurden im Berichtsjahr fünf Ausreisen bzw. Ausreiseversuche in Richtung Syrien/Irak registriert. Bis Ende 2021 hielten sich noch 39 Prozent der gereisten Personen im Ausland auf. Von diesen befand sich etwa ein Viertel im Ausland in Haft bzw. in Gewahrsam. Die Mehrzahl dieser Personen beabsichtigte, nach Deutschland zurückzukehren. 37 Prozent der gereisten Personen kehrte bis Ende 2021 nach Deutschland zurück, hiervon war etwa ein Fünftel weiblich. Mindestens 22 Personen verließen Deutschland nach ihrer Rückkehr aufgrund behördlicher Maßnahmen (zum Beispiel Abschiebung) zwischenzeitlich wieder bzw. reisten freiwillig in einen Drittstaat aus. Zu über 140 der bislang zurückgekehrten Personen lagen den Sicherheitsbehörden Erkenntnisse vor, wonach diese sich aktiv an Kämpfen in Syrien oder im Irak beteiligten oder hierfür eine Ausbildung absolvierten. Gegen 268 der zurückgekehrten Personen wurde ein Ermittlungsverfahren aufgrund von Straftaten, die im Zusammenhang mit deren Ausreise in Richtung Syrien/Irak stehen, eingeleitet; hiervon waren 56 weiblich. Hessenweite Anzahl der jihadistisch motivierten Ausreisefälle | Den hessischen Sicherheitsbehörden lagen bis Ende 2021 Erkenntnisse zu etwa 160 Islamisten aus Hessen vor, die in Richtung Syrien oder Irak gereist waren, um dort auf Seiten des IS und anderer terroristischer Gruppierungen an Kampfhandlungen teilzunehmen oder diese in sonstiger Weise zu unterstützen. Einzelne Ausreisesachverhalte wurden erst nachträglich bekannt. Neue Ausreisen in Richtung 196 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 ISLAMISMUS Syrien/Irak wurden im Berichtszeitraum nur noch sehr vereinzelt registriert. Etwa ein Viertel der ausgereisten Personen war weiblich. Der überwiegende Teil der insgesamt 160 ausgereisten Personen war zum Zeitpunkt der Ausreise jünger als 30 Jahre. Nicht in allen Fällen lagen Erkenntnisse vor, dass sich diese Personen tatsächlich in Syrien bzw. im Irak aufhalten oder aufhielten. Etwa ein Viertel der Ausgereisten kehrte bis Ende 2021 nach Hessen zurück. Zur Hälfte der Rückkehrer lagen den Behörden keine belastbaren Informationen vor, dass sich diese aktiv an Kampfhandlungen in Syrien/im Irak beteiligt hatten. Als Ergebnis der kontinuierlichen Ausund Bewertung der Erkenntnislage zu den Rückkehrern lagen den Sicherheitsbehörden in Hessen zu etwa 15 Personen Informationen vor, wonach sie sich aktiv an Kämpfen in Syrien oder im Irak beteiligten oder hierfür eine Ausbildung absolvierten. Ferner lagen zu mehr als 50 Personen Hinweise vor, dass diese mit hoher Wahrscheinlichkeit in Syrien oder im Irak ums Leben gekommen waren. Die hessischen Sicherheitsbehörden sind bestrebt, islamistisch motivierte Ausreiseplanungen frühzeitig zu erkennen, um deren Verwirklichung zu unterbinden. Die Anzahl der behördlich verhängten Ausreiseverbotsverfügungen bewegte sich im mittleren zweistelligen Bereich. Nach dem vollständigen Verlust des Herrschaftsgebiets des IS lagen Erkenntnisse zu aus Hessen ausgereisten Personen im niedrigen zweistelligen Bereich vor, die sich in Syrien bzw. im Irak in Haft bzw. in Gewahrsam befanden. Mehrheitlich handelte es sich um Frauen, der Großteil von ihnen war in Begleitung von (Klein-)Kindern. Zu etwa einem Viertel der Personen lagen keine Erkenntnisse zum konkreten Aufenthaltsort vor. Es ist davon auszugehen, dass sich einzelne Personen zwischenzeitlich in anderen Drittstaaten/Staaten außerhalb von Syrien/vom Irak aufhielten und ein nicht unerheblicher Teil der Personen bei Kampfhandlungen starb. Frauen und Kinder im IS | Zahlreiche Kinder und Jugendliche, die zum Teil im ehemaligen Herrschaftsgebiet des IS geboren worden oder dorthin mit ihren Eltern ausgereist waren, gerieten im Zuge der Zerschlagung des "Kalifats" in Gefangenschaft der Anti-IS-Allianz. Es ist davon auszugehen, dass zahlreiche dieser Personen mit hoher Wahrscheinlichkeit Traumatisierungen erlitten bzw. psychisch belastende Erfahrungen mit Krieg und Gewalt gemacht haben und teilweise unverändert durch die Ideologie des IS indoktriniert sind. Da diese Personen bei einer Rückkehr nach Deutschland eine Gefahr für Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 197 ISLAMISMUS die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellen können, beschäftigt sich der Verfassungsschutzverbund intensiv mit der Rückkehrer-Problematik insbesondere von jihadistischen Frauen und deren Kindern, die sich in Gefangenschaft befinden. Dass ausgereiste radikalisierte Personen in Verbindung mit weiterhin fortschreitenden Radikalisierungsprozessen innerhalb der salafistischen Szene in Hessen andere Personen weiterhin stark ideologisieren, war im Berichtsjahr nicht erkennbar, ist aber nicht ausgeschlossen. Im Oktober kehrten acht Frauen und 22 (Klein-)Kinder sowie ein Jugendlicher unter Beteiligung deutscher Sicherheitsbehörden nach Deutschland zurück. Darunter befand sich eine 35-Jährige mit deutscher Staatsangehörigkeit aus Hessen, die 2017 mit ihrem Ehemann und den drei gemeinsamen Kindern über die Türkei in das Krisengebiet Syrien/Irak ausgereist war. Der größere Teil der Frauen befand sich weiterhin in von kurdischen Kräften kontrollierten Camps, wobei unklar war, welche Strukturen sich möglicherweise unter den Frauen gebildet hatten. Es bestand die Gefahr, dass sich die Frauen in den Camps weiterhin radikalisierten, wovon eventuell auch Kinder - zumal in den prekären Umständen eines Gefangenenlagers - betroffen waren. Angehörige der salafistischen Szene riefen zur solidarischen Unterstützung dieser "Glaubensschwestern" in den Camps in Nordostsyrien auf, sodass diese mittels einzelner Spendenprojekte finanziell unterstützt wurden. Aufgrund der im Internet und in den sozialen Medien beschriebenen Lebensbedingungen in den Camps fanden diese Aktionen auch außerhalb der salafistischen Szene Unterstützung und trugen so zur Verbreitung salafistischer Inhalte bei. Propaganda jihadistischer Gruppierungen | Die Nutzung des Internets ermöglichte es jihadistischen Gruppierungen, ihr Propagandamaterial mit geringem logistischen Aufwand weltweit zu verbreiten. Dies vereinfachte auch die Rekrutierung und Mobilisierung von (potenziellen) Kämpfern, Anhängern und Unterstützern. Eine effektive Propaganda blieb daher für die Mobilisierung, Rekrutierung und Moral von Terrororganisationen ein zentrales Thema. Jihadistische Online-Magazine wandten sich auch gezielt an Personen außerhalb der organisationsgebundenen Strukturen und Netzwerke und versuchten, sie für Anschläge zu gewinnen. Weltweit konnten sich Sympathisanten des globalen Jihads mit "Lehrmaterial" aus dem Internet selbst ausbilden und sich in ihren Heimatländern betätigen, ohne unmittelbar in eine Terrororganisation eingebunden zu sein. Dies konnte sämtliche jihadistische Aktionsformen 198 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 ISLAMISMUS umfassen: Propaganda, Anwerbung, Spendenakquise, Spenden usw. bis hin zu Anschlägen. Durch Online-Magazine und -Propaganda war es al-Qaida und dem IS möglich, sich unabhängig von regionalen Strukturen zu vernetzen und weitere Zellen in der ganzen Welt auszubilden. Hatten Anschläge stattgefunden, waren die schnelle Vereinnahmung der Attentäter und deren professionell aufbereitete Verehrung als Märtyrer durch al-Qaida und des IS im besonderen Maße geeignet, eventuelle Nachahmer zu befeuern. Durch die Verbreitung von Propaganda in verschiedenen Sprachen wie Deutsch, Englisch und Französisch erreichten die Terrorgruppen einen wesentlich größeren Adressatenkreis als bei einer alleinigen Veröffentlichung auf Arabisch. Zudem stellten sie einen Bezug zu den jeweiligen Staaten der "Ungläubigen" her. Im Berichtsjahr thematisierte der IS zum Beispiel in seiner wöchentlichen Online-Publikation al-Naba (die Nachrichten) die Befreiung und Unterstützung von ISAnhängern, die in Syrien, im Irak oder in anderen Ländern inhaftiert waren. Zudem sollte Rache an den "Ungläubigen" für das angeblich begangene "Unrecht" verübt werden. Auch die al-Qaida nahe Medienstelle Jaish al-Malahim al-iliktruni (Digitalarmee der Schlachten) rief zum Jihad gegen "Ungläubige" auf. Zudem erschien das OnlineMagazin Wolves of Manhattan, das an "einsame Wölfe" in den "Kreuzzüglerstaaten" adressiert war und in dem ebenfalls zu Anschlägen im Westen, teils mit detaillierter Anleitung, aufgerufen wurde. Es wurden vor allem allein handelnde Täter angesprochen. Im April erschien die zweite, im September die dritte Ausgabe. Die Messerattacke in Würzburg am 26. Juni wurde in dem Magazin gelobt und der Attentäter als Held dargestellt. Al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel veröffentlichte über die Medienstelle al-Malahim Media im Juni die inzwischen sechste Ausgabe ihres Propagandamagazins Inspire Guide und wandte sich darin vor allem an Anhänger und Sympathisanten in "westlichen" Ländern und rief dazu auf, Anschläge zu begehen. Des Weiteren thematisierte die jihadistische Propaganda den zwanzigsten Jahrestag der Anschläge auf das World Trade Center am 11. September in New York (USA). Die al-Qaida-Medienstelle al-Sahab veröffentlichte eine Videobotschaft des al-Qaida-Anführers Aiman al-Zawahiri, worin er unter anderem an einige in den letzten Jahren getötete Anführer und Kämpfer al-Qaidas erinnerte und die Angriffe von al-Qaida-Ablegern weltweit lobte. Das Onlinemagazin Wolves of Manhattan enthielt einen Aufruf al-Qaidas, Flugzeuge zu entführen und in geeignete symbolträchtige Ziele zu steuern. Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 199 ISLAMISMUS Jihadistisch motivierte Anschläge | Europa und damit auch Deutschland befand sich unverändert im Zielspektrum jihadistischer Attentäter und terroristischer Organisationen: * Hagen (Nordrhein-Westfalen), 15. September: In Hagen konnte ein mutmaßlicher Anschlag auf eine Synagoge vereitelt werden. Die Polizei nahm eine Person fest, die Kontakt zu einem Islamisten im Ausland gehabt und sich mit Möglichkeiten des Bombenbaus beschäftigt haben soll. * Liverpool (Großbritannien), 15. November: Bei der Ankunft vor einer Frauenklinik detonierte in einem Taxi ein Sprengsatz. Der Fahrgast, der den Sprengsatz bei sich getragen hatte, verstarb noch vor Ort, während es dem Taxifahrer gelang, sich aus dem brennenden Fahrzeug zu retten. Die Polizei stufte den Vorfall als Terrorakt ein. Auch außerhalb Europas kam es im Berichtsjahr zu Anschlägen und Angriffen durch islamistische Gruppen oder Einzeltäter. Unter anderem sind folgende Attentate erwähnenswert: * 24. März, Palma (Mosambik): Islamisten griffen die Stadt im Norden des Landes (etwa 100.000 Bewohner) vom Hafen aus an und rissen zeitweise die Kontrolle an sich. Tagelang kam es zu Gefechten zwischen den Islamisten und staatlichen Sicherheitskräften, wobei zahlreiche Menschen starben. Später bekannte sich der IS zu dem Angriff. * Makassar (Indonesien), 28. März: Bei einem Selbstmordanschlag auf eine Kirche wurden mindestens 14 Menschen verletzt. Die beiden Attentäter hatten zunächst versucht, auf einem Motorrad durch das Kirchentor zu fahren, wurden aber von Sicherheitskräften gestoppt, woraufhin ein Attentäter einen Sprengsatz zündete. Beide bei dem Attentat ums Leben gekommene Angreifer waren laut Polizeiangaben Mitglieder einer jihadistischen Gruppierung, die dem IS die Treue geschworen hat. Bei einem erneuten Anschlag auf der indonesischen Insel Sulawesi wurden im Mai vier Christen getötet. * Ichagara (Mali), 25. Juni: In einem Fahrzeug in der Nähe einer Bundeswehrpatrouille zündete ein Selbstmordattentäter einen Sprengsatz, wobei zwölf deutsche Soldaten und ein belgischer Soldat zum Teil schwer verletzt wurden. Der Anschlag wurde von einem al-Qaida-Ableger ausgeführt. * Auckland (Neuseeland), 3. September: In einem Supermarkt attackierte ein 32-Jähriger wahllos Menschen mit einem Messer und verletzte dabei sechs Personen. Die Polizei erschoss den Angreifer, der offensichtlich mit dem IS sympathisierte und bereits zuvor wegen des Besitzes von Propaganda mit IS-Bezug verurteilt worden war. 200 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 ISLAMISMUS Entwicklungen in Afghanistan - Auswirkungen auf die Sicherheitslage in Deutschland | Die Machtübernahme durch die Taleban im August in Afghanistan führte zu einer Vielzahl von Stellungnahmen islamistischer Gruppierungen im Ausland und ihrer Unterstützer. Je nach Standpunkt reichten die Verlautbarungen von einer Glorifizierung der Taleban bis hin zu Kritik. Der IS und ihm nahestehende Gruppierungen, welche die Glaubensauslegung der Taleban als nicht strikt genug bemängelten, warfen diesen Kooperation mit den "Ungläubigen", Verrat am Jihad und einen zu milden Umgang mit den afghanischen Schiiten vor. So verübte die Terrorgruppe Islamischer Staat Provinz Khorasan (ISPK) seit der Machtübernahme der Taleban vermehrt Anschläge in Afghanistan, um deren Macht zu schwächen und den durch den Abzug der NATO-Truppen vorerst gewonnenen Bewegungsraum für sich zu nutzen. Insgesamt war die Machtübernahme der Taleban jedoch ein propagandistischer Erfolg für die gesamte globale Jihad-Bewegung. Anhänger verschiedener jihadistischer Gruppen sahen sich in ihrer Ansicht bestätigt, durch Standhaftigkeit über den "ungläubigen Westen" siegen zu können. Da die Taleban ein breites Netzwerk an Internetseiten betrieben und dabei Plattformen wie Twitter und Telegram nutzten, um ihre Propaganda weit zu streuen, waren für sie auch Personen außerhalb Afghanistans erreichbar. Dies galt etwa für Jihadisten, die mit den Entwicklungen in Afghanistan sympathisierten. ENTSTEHUNG/ENTWICKLUNG Salafisten glorifizieren die Ära des Propheten Muhammad und der ersten drei Generationen der Muslime (etwa 610 bis 850) als Zeitalter des unverfälschten Islams ("goldene Epoche"). In rigider Form stellen Salafisten Allah als Ursprung und Zentrum aller rechtlichen und moralischen Fragen in den Mittelpunkt ihres Glaubens. Dabei ist die salafistische Szene durch zum Teil erhebliche Differenzen im Auslegen und Ausleben ihres Islamverständnisses kennzeichnet. AUF EINEN BLICK * Wahhabitische Lesart des Islams * Salafisten ohne "klassische" Ausbildung Wahhabitische Lesart des Islams | In Deutschland waren salafistische Prediger etwa seit 2002 aktiv und bauten überregionale Missionierungsnetzwerke auf. Einige Prediger dieser ersten Generation erhielten ihre religiöse Ausbildung an Universitäten in Saudi-Arabien. Dies spiegelte sich teilweise in ihrer Interpretation der islamischen GlauHessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 201 ISLAMISMUS benslehre nach wahhabitischer Lesart wider, was allerdings nicht bedeutet, dass sie gegenüber dem saudischen Königshaus Loyalität zeigten. Salafistische Akteure in Deutschland beriefen sich vielmehr auf verschiedene Gelehrte und vertraten daher unterschiedliche Positionen, etwa in Bezug auf die Frage, ob und unter welchen Bedingungen die Anwendung von Gewalt erlaubt ist. Salafisten ohne "klassische" Ausbildung | Anders als einige Prediger der ersten Generation erhielt die wachsende Anzahl der gegenwärtigen Unterstützer und Sympathisanten des Salafismus oft keine religiöse Ausbildung an Universitäten, sondern schöpft ihr "Wissen" aus Islamseminaren in Deutschland und aus dem Internet. Mittlerweile haben es einige dieser Salafisten ohne "klassische" Ausbildung geschafft, auch überregional als wichtige religiöse Instanzen wahrgenommen zu werden. In Teilen der salafistischen Szene sind diese Personen jedoch wegen ihrer fehlenden formalen Bildung umstritten. IDEOLOGIE/ZIELE Der Salafismus stellt innerhalb des Islamismus eine Strömung dar, die sich insbesondere durch ihre doktrinäre Auffassung des Islams hervorhebt. Die regional verhaftete, streng konservative sunnitische Islamauslegung des Wahhabismus beeinflusste die zeitgenössische salafistische Doktrin nachhaltig. Die salafistische Glaubenslehre (arab. 'aqida) absorbierte etliche wahhabitische Glaubensgrundsätze und ergänzte diese um eigene theologische Elemente. AUF EINEN BLICK * Selbsternannte Bewahrer eines reinen Islams * Strikter Monotheismus im Zentrum der salafistischen Doktrin * Verfassungsfeindliche Prinzipien der salafistischen Glaubenslehre Selbsternannte Bewahrer eines reinen Islams | Kulturelle Einflüsse, die den Islam seit seiner Verbreitung im 8. Jahrhundert fortwährend geprägt haben, werden in der salafistischen Islamauslegung als schädigende und gleichermaßen als unerlaubte Neuerung (arab. bid'a) stigmatisiert, da sie nicht der normativen bzw. islamrechtlich verbindlichen Vorbildfunktion der Prophetentradition entsprächen. Im Salafismus orientiert sich der Handlungsspielraum menschlicher Entfaltungsmöglichkeiten an der "goldenen Epoche", das heißt an den ersten drei Generationen der Muslime. Der Salafismus begreift sich gleichzeitig als ewige Bastion gegen verschiedene theologische und kulturelle Entwicklungen im Islam. Das Zeitalter der Prophetentradition bildet für Salafisten somit den theologisch verbindlichen Bezugs202 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 ISLAMISMUS punkt zum uneingeschränkten Monotheismus (arab. tauhid), den es unter allen Umständen vor Unglauben (arab. kufr) und Polytheismus (arab. shirk) zu schützen gelte. Dieses "goldene Zeitalter" ist gleichzeitig auch der moralische und rechtliche Maßstab für das menschliche Dasein und Handeln in der Gegenwart zur Erfüllung des göttlichen Willens. Auch weltliche Institutionen wie Gerichtsbarkeiten, die nicht vollständig der salafistischen Auslegung der islamischen Rechtsund Verhaltensnormen (arab. shari'a) unterworfen sind, lehnen Salafisten als Götzendienst (arab. taghut) ab. Strikter Monotheismus im Zentrum der salafistischen Doktrin | Im Mittelpunkt der salafistischen Glaubenslehre steht das unerschütterliche Bekenntnis zu einem einzigen Gott. Nahezu identisch mit wahhabitischen Auslegungen fassen Salafisten die in den islamischen Glaubensquellen benannten Attribute Allahs wortwörtlich und nicht metaphorisch auf. Im Islam bezeichnet der Begriff tauhid die Lehre von der absoluten "Einheit und Einzigartigkeit Gottes" (Monotheismus). Salafisten leiten aus dem tauhid-Prinzip jedoch ab, dass Allah der alleinige Herrscher und die Scharia das einzig erlaubte Gesetz sei. Folglich lehnen Salafisten das Volk als Träger der Staatsgewalt und von Menschen gemachte Gesetze als "unislamisch" ab. Dieses tauhid-Verständnis als Wesenskern der salafistischen Doktrin gilt es nach Auffassung ihrer Anhänger unter allen Umständen vor inneren wie äußeren Verzerrungen der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu schützen. Verfassungsfeindliche Prinzipien der salafistischen Glaubenslehre | Salafisten verstehen sich als Bestandteil der sogenannten erretteten bzw. auserwählten Gruppe (arab. at-ta'ifa-al-mansura und al-firqa-annajiya). Aus der Überzeugung, einer elitären Gruppe "wahrer Muslime" anzugehören, resultiert das moralische Überlegenheitsgefühl der Salafisten gegenüber Andersdenkenden. Aus diesem Grund fühlen sich Salafisten dazu berufen, ihr soziales Umfeld gemäß ihrer Überzeugung zu missionieren und nachhaltig zu verändern. Besonders deutlich wird der soziale Verhaltenskodex im Salafismus anhand der Forderung der Einhaltung islamischer Prinzipien, die gemäß der salafistischen Doktrin einen Leitmotivcharakter aufweisen. Salafisten streben danach, den Islam von angeblich schädigendem Einfluss zu bereinigen. Dementsprechend versuchen sie, sowohl die theologische Lehre im Islam als auch die Gesellschaft als Ganzes gemäß ihrer Doktrin zu gestalten. Salafisten folgen dem Prinzip der Loyalität und Lossagung (arab. al-wala'-wa-l-bara'), um sich durch das klare Bekenntnis zu ihrer Glaubensauslegung demonstrativ von allen anderen Glaubensformen oder angeblich "Ungläubigen" zu distanzieren. Die Nähe zu anderen Glaubensgemeinschaften sehen Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 203 ISLAMISMUS Salafisten als Gefahr, den eigenen Glauben im engeren Sinne zu verzerren und den Islam im weiteren Sinne zu verderben. Das Abgrenzungsprinzip al-wala'-wa-l-bara' bietet somit den Platzhalter für viele Formen der Fremdenfeindlichkeit und mündet oftmals in der islamtheologisch umstrittenen Praxis, einen Muslim für ungläubig zu erklären (arab. takfir), wenn Salafisten andere Muslime aufgrund angeblich frevelhafter Religionsausübung oder anderer Verfehlungen als Nichtmuslime brandmarken. Darüber hinaus vertieft dies auch den Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten. Aus dem bedingungslosen Befolgen der salafistischen Doktrin können somit verfassungsfeindliche Bestrebungen gegen die Werte der freiheitlichen demokratischen Grundordnung resultieren. Der Bestrebungscharakter im Salafismus ist prinzipiell totalitär, da das Diesseits nach seinen normativen Maßstäben zur Wahrung des Islams zu formen ist. Diese salafistische Doktrin enthält die idealisierte Vorstellung einer Welt, die den Anforderungen des "wahren Islams" vollumfänglich gerecht werden will: gesamtgesellschaftlich, global und konsequent gelebt bis zum Tag des Jüngsten Gerichts. Jedoch lässt sich innerhalb des Salafismus keine synchronisierte, homogene Bestrebung zu diesem Ziel hin feststellen. Da jihadistische Gruppierungen danach streben, eine islamische Gesellschaft ("Emirat"/"Kalifat") zu etablieren, haben Syrien und weite Teile der Levante (Länder am östlichen Mittelmeer) nach wie vor eine unvermindert große ideologische Bedeutung für sie. Nach jihadistischer Lesart erfüllen sich hier die apokalyptischen Verheißungen und Voraussagen islamischer Überlieferungen, das heißt die Voraussagen in Bezug auf den Tag des Jüngsten Gerichts. BEWERTUNG/AUSBLICK Politischer Salafismus | Die Verbotsverfahren auf Bundesund Länderebene sowie die präventiven Maßnahmen schränkten in den letzten Jahren für die salafistische Szene wichtige Ressourcen und die Aktivitäten ihrer Akteure und Strukturen ein. Die Zahl der öffentlichen Auftritte von Salafisten war rückläufig, seit 2018 gab es in der Szene in Hessen keine Großveranstaltungen mehr. Zwar versuchten einzelne Akteure mittels Street-Da'wa auch im Berichtsjahr Aufmerksamkeit für ihre Vorhaben zu erreichen und islamistische Literatur an Passanten zu verteilen, doch im Vergleich zu vorherigen StreetDa'wa-Projekten wie "LIES!" und "We love Muhammad" unterschieden sich diese Da'wa-Projekte erheblich im Hinblick auf Umfang und Resonanz. Insgesamt zogen sich die Angehörigen der salafistischen 204 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 ISLAMISMUS Szene ins Private zurück; auch Prediger der Szene wichen weiterhin auf private Bereiche und die Nutzung sozialer Medien für ihre Aktivitäten aus, sodass salafistische Aktivitäten in der Öffentlichkeit kaum noch wahrnehmbar waren. Trotz dieser Entwicklungen und eines geringeren Personenpotenzials hielt die große Mehrzahl der Salafisten an ihrer Ideologie fest. Es ist davon auszugehen, dass sich der Rückzug ins Private fortsetzen wird. Private Treffen finden in einem kleineren Kreis als bei öffentlichen Auftritten statt, der Austausch und der Kontakt sind enger, die Bindung an die Gruppe größer. Dadurch wird in höherem Maße ein konspiratives Agieren möglich und das Vorgehen der Sicherheitsbehörden erschwert. Da die Erziehung heranwachsender Generationen in der salafistischen Szene eine herausragende Rolle spielt, sollen künftige Szenemitglieder möglichst früh indoktriniert werden, um ihr Leben nach der salafistischen Ideologie auszurichten. Dadurch soll der Grundstein für die Anbindung an die salafistische Szene und die Verbreitung der Ideologie gelegt werden. Jihadistischer Salafismus | Die Gefahr eines jihadistischen Terroranschlags war in Europa und damit auch in Deutschland weiterhin unvermindert hoch. Sowohl die jihadistische Propaganda als auch Anschläge können allein handelnde Personen oder Kleingruppen weltweit weiter radikalisieren und diese zu einem Treuschwur auf jihadistische Organisationen und zu entsprechenden Taten motivieren. Dabei stellen allein handelnde Täter die Sicherheitsbehörden weiterhin vor große Herausforderungen, weil sie unvermittelt, spontan und ohne vorhergehende Kommunikation mit jihadistischen Netzwerken Anschlagsvorhaben umsetzen können. Trotz der militärischen Zerschlagung seiner quasistaatlichen Strukturen war es dem IS weiterhin möglich, jihadistische Propaganda über die sozialen Medien zu verbreiten. Seine Kernbotschaft drang stets zu (potenziellen) Anhängern und Sympathisanten durch. Von erheblicher Bedeutung war die Vervielfältigung der Propaganda durch diese Sympathisanten, die ohne Verbindung zum IS jihadistische Inhalte individuell verfassten und aus eigenem Antrieb über das Internet verbreiteten. Solange es dem IS und anderen Terrorgruppen gelingt, ihre Botschaften und Ideologien insbesondere über die sozialen Medien weltweit und zielgruppenspezifisch zu verbreiten, ist auch in Zukunft nicht mit einer abnehmenden Anschlagsgefahr zu rechnen. Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 205 ISLAMISMUS Sowohl der IS als auch mit ihm konkurrierende Terrorgruppen zeigten weiterhin Präsenz und suchten fortlaufend neue Mittel, um ihre (potenzielle) Klientel zu mobilisieren und damit für die eigenen Zwecke zu nutzen. Verschärfen sich politische und gesellschaftliche Konflikte im Ausland, kann dies im Rahmen der propagandistischen "Aufbereitung" durch die salafistische/jihadistische Szene dazu führen, dass die Bereitschaft von allein handelnden Personen und/oder Kleingruppen zunimmt, den "Brüdern" und "Schwestern" zur Seite zu stehen. Aufgrund seiner propagandistisch-ideologischen Überzeugungskraft wird der Jihadismus in Zukunft fortbestehen; er wird weiterhin eine breite Anhängerschaft anziehen und sowohl Gruppen formieren als auch allein handelnde Personen mobilisieren. Bedingt durch seinen territorialen Niedergang in Syrien und im Irak erlebte der IS einen Rückschlag und steht nun wieder in einem stärkeren Konkurrenzverhältnis zu anderen Terrorgruppen wie al-Qaida. Vor diesem Hintergrund versuchte der IS weiterhin, sich neu zu organisieren, wobei noch kein koordiniertes Vorgehen in Westeuropa mit konkreten Planungen und Strukturen festzustellen war. Möglicherweise gewinnen andere Staaten und Regionen - zum Beispiel Afghanistan und Afrika - für die jihadistische Szene (mindestens propagandistisch) an Bedeutung. Selbst wenn es im jihadistischen Lager Kritik gab, war die Machtübernahme der Taleban in Afghanistan ein propagandistischer Erfolg für die gesamte globale Jihadbewegung. Anhänger verschiedener jihadistischer Gruppen sahen sich in ihrer Ansicht bestätigt, durch Standhaftigkeit über den "ungläubigen Westen" siegen zu können. Es ist wahrscheinlich, dass die Terrorgruppe al-Qaida, die traditionell enge Beziehungen zu den Taleban pflegt, versucht, Afghanistan als Rückzugsraum zu nutzen, um sich zu restrukturieren und in der Folge wieder zu erstarken. Dies ist allerdings davon abhängig, welchen Freiraum die Taleban alQaida hierfür gewähren werden. Wie in der Vergangenheit ist davon auszugehen, dass sich die Entwicklungen des weltweiten Jihad auf Deutschland und somit auf Hessen auswirken und die hiesige Szene beeinflussen werden. Die Restrukturierung des IS im Untergrund und die Aktivitäten seiner Ableger - vor allem des ISPK in Afghanistan - zeigen beispielhaft, wie anpassungsund widerstandsfähig jihadistische Terrorgruppen sind und über welches Maß an (propagandistischer) Wirkungsund Schlagkraft sie verfügen. Die Sicherheitsbehörden beobachten daher die weltweiten und regionalen Ereignisse und deren Auswirkungen im Inland weiterhin sehr genau, um rechtzeitig und zielgerichtet Maßnahmen treffen zu können. 206 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 ISLAMISMUS LEGALISTISCHER ISLAMISMUS Hizb ut-Tahrir (HuT, Partei der Befreiung) DEFINITION/KERNDATEN Weltweit ist die HuT in über 40 Staaten mit etwa einer Million Führung : Mitgliedern präsent. Ziel der panislamischen Organisation ist Ata Abu al-Rashta die "Befreiung" aller Muslime von "Unterdrückung" und deren Ver(alias Abu Yasin) einigung in einem weltweiten "Kalifat" mit islamischer Rechtsordnung. Aus Sicht der HuT haben "unterdrückte Muslime" das Recht Anhänger: auf "Selbstverteidigung" mit allen Mitteln. Als Konsequenz billigt In Hessen etwa 100, bundesweit etwa 700 die HuT oftmals Gewalttaten anderer islamistischer Gruppierungen. 2003 sprach der Bundesminister des Innern ein Betätigungsverbot Medien : gegen die HuT aus, das der Europäische Gerichtshof für MenschenMehrsprachige Internetpräsenzen rechte 2012 bestätigte. Dennoch setzen Anhänger der Organisation ihre Rekrutierungsbemühungen im Untergrund fort. Insbesondere in den sozialen Medien gibt es zahlreiche Gruppierungen mit Be- / zügen nach Hessen, die eine ideologische Nähe zur HuT aufweisen. Hierzu gehört die in Mörfelden-Walldorf (Kreis Groß-Gerau) ansässige Gruppierung Realität Islam (RI). EREIGNISSE/ENTWICKLUNGEN Wie in den vergangenen Jahren war RI unter dem Leitmotto "Für die Bewahrung der islamischen Identität" schwerpunktmäßig in den sozialen Medien aktiv. Bis zum Ende des Berichtszeitraums abonnierten etwa 44.500 Personen die RI-Facebook-Seite, der YouTubeKanal mit etwa 555 Videos zählte rund 17.800 Abonnenten und wurde seit seiner Gründung im November 2015 etwa 1,4 Millionen Mal aufgerufen. Der Instagram-Account hatte rund 21.400 Follower. AUF EINEN BLICK * Auftritte in den sozialen Medien * 100. Jahrestag des Untergangs des letzten islamischen Kalifats * Stellungnahmen zu Ereignissen im Ausland * "Antisemitismus-Keule" * Reaktionen auf das Vereinsverbot von Ansaar International e. V. Auftritte in den sozialen Medien | Ebenso wie im Vorjahr lag der Fokus von RI wegen der staatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie auf Auftritten in den sozialen Medien. Entsprechende Beiträge der RI-Verantwortlichen konzentrierten sich auf Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 207 ISLAMISMUS Handyvideos mit Stellungnahmen, die in der Öffentlichkeit oder in Fahrzeugen aufgenommen und kurz darauf veröffentlicht wurden. Des Weiteren kamen im Frühjahr drei mehr als 90-minütige Liveauftritte auf YouTube hinzu, die in Echtzeit gestreamt wurden. RI griff aktuelle und gesellschaftlich relevante Themen auf, um diese für seine Zwecke zu instrumentalisieren, eine hohe Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit und in den sozialen Netzwerken zu erzielen und so die eigene Reichweite zu erhöhen. "Deswegen ist es auch sehr wichtig für uns, jegliche Reformbemühungen, egal von wem sie kommen, aus Deutschland oder aus der islamischen Welt - sie muss bekämpft werden. Sie muss intellektuell bekämpft werden. Man muss ihre Falschheit darlegen, man muss sie widerlegen, man darf es nicht [...] abtun". 100. Jahrestag des Untergangs des letzten islamischen Kalifats | Am 3. März jährte sich - nach islamischer Zeitrechnung - der Zerfall des letzten islamischen Kalifats, das zur Zeit des Osmanischen Reichs bestanden hatte. Da Anhänger der HuT mit diesem Datum einen großen Verlust für ihre islamische Identität verbinden, gestalteten sie ihre Hintergrundbilder auf Facebook mit Collagen nahöstlicher und asiatischer HuT-Propaganda-Seiten und bekundeten somit ihre Solidarität mit der Organisation. Stellungnahmen zu Ereignissen im Ausland | Aufmerksam verfolgte RI politisch und gesellschaftlich relevante Ereignisse mit Islambezug in Frankreich, Österreich und in der Schweiz. So bezeichnete RI etwa neue Gesetze, die in diesen Staaten diskutiert oder verabschiedet wurden, als "Wertediktatur", "Strafbarkeit des politischen Islam", "Assimilationsrausch" und "Verlust islamischer Identität". Dabei nutzte RI die Ereignisse in den europäischen Nachbarländern, um die eigene Ideologie vorrangig in die muslimische Community zu transportieren. So verglich RI Frankreichs Umgang mit den Menschenrechtsverletzungen Chinas in Bezug auf die Minderheit der Uiguren mit angeblich gegen Muslime gerichtete Repressionen: "Möglicherweise könnten auch hier in Europa bald Muslime durch staatlich tiefgreifende Maßnahmen umerzogen werden", so RI in einem Video. Hintergrund war ein im April eingebrachter Änderungsantrag des Senats der Nationalversammlung für den Gesetzesentwurf "Stärkung der Prinzipien der Republik". Der Antrag umfasste unter anderem das Kopftuchverbot für Minderjährige und deren Begleitpersonen auf Schulausflügen sowie das Verbot der Verschleierung in Form von Burkinis in Schwimmhallen. Nachdem die französische Nationalversammlung im Juli das Gesetz angenommen hatte, veröffentlichte RI 208 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 ISLAMISMUS mehrere Videos, in denen ein für Muslime vermeintlich existenzbedrohendes Szenario hinsichtlich der alltäglichen Ausgestaltung der islamischen Riten und Glaubensgrundsätze ausgemalt wurde. Hintergrund des Gesetzes waren die in den letzten Jahren verübten islamistisch motivierten Anschläge in Frankreich. Den österreichischen Bundeskanzler Sebastian Kurz betrachtete RI als Personifizierung einer "islamfeindlichen Politik". Dabei bezog sich die Gruppierung auf die Präsentation einer im Internet abrufbaren "Islamkarte" durch die österreichische Bundesregierung im Mai. Die Karte, die unter anderem die Namen von mehr als 600 muslimischen Organisationen, Verbänden und Moscheen enthielt, war ein Projekt der Dokumentationsstelle Politischer Islam sowie der Universität Wien. So hieß es am 28. Mai auf der RI-Facebook-Seite: "Was für den oberflächlichen Betrachter, nur als eine praktische Hilfestellung wirkt, wo die nächste Moschee ist um sein Gebet zu verrichten, ist für den genaueren Betrachter nur ein neues Werkzeug in der österreichischen Assimilationspolitik. [...] Unter der Überschrift ,Ausrichtung' findet sich die Einordnung der jeweiligen Moschee in das altbekannte Assimilationsmuster der ,guten' oder ,schlechten' Muslime. Dort steht beispielsweise ob die Demokratie angepriesen wird oder ob man an der Scharia festhalte, aber auch wie säkular die dortigen Muslime sind, wie sie sich bereits der Assimilationsagenda der Regierung angepasst haben und zu welchen Regierungen der Welt sie eventuelle Kontakte haben". (Schreibweise wie im Original.) Nachdem sich in der Schweiz im März 51,2 Prozent der Wähler bei einer Volksabstimmung für ein landesweites Verhüllungsverbot im öffentlichen Raum ausgesprochen hatten, sah RI in dem Ergebnis den ersten Schritt für weitere "repressive Maßnahmen" gegen Muslime. So hieß es in den sozialen Medien: "Wer glaubt, dass das Verhüllungsverbot etwas Einmaliges war und dass wir nun von den Islamhassern in Ruhe gelassen werden, irrt sich gewaltig". Man sehe in der Schweiz, dass die politische Agenda gegen die islamische Identität weiter voranschreite. "Antisemitismus-Keule" | Vor dem Hintergrund der Raketenangriffe aus dem palästinensischen Gazastreifen auf Israel und der gewalttätigen palästinensischen Proteste in israelischen Städten warf der RIFunktionär Raimund Hoffmann am 16. Mai in einem YouTube-Video deutschen Medien vor, dass sie versuchten, "Muslime mundtot zu machen". Sobald Muslime sich zum Nahostkonflikt äußerten, werde die "Antisemitismuskeule" geschwungen. Dabei hätten nicht die Muslime ein Antisemitismusproblem, so Hoffmann, sondern einzig Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 209 ISLAMISMUS und allein die Europäer. Er forderte alle Muslime auf, nicht auf Vorwürfe "vermeintlicher Nahostexperten" einzugehen und sich als Muslim von nichts zu distanzieren, was die "deutschen Medienschaffenden den Muslimen anzulasten versuchen": "Distanziert euch nicht von etwas, wie dem Antisemitismus, das wir [Muslime] gar nicht haben". Reaktionen auf das Vereinsverbot von Ansaar International e. V. | Anfang Mai äußerte sich RI zu den Durchsuchungsmaßnahmen und zum sich anschließenden Vereinsverbot des islamistischen Spendenvereins Ansaar International e. V. (siehe Kapitel Sonstige Beobachtungsobjekte). RI führte an, dass das Vereinsverbot ein weiterer logischer Baustein in der "Assimilationspolitik" der Bundesregierung sei, um unliebsame Vereine zu verbieten. Außerdem könne dieses Vorgehen als Blaupause für zukünftige Verbote muslimischer Organisationen angesehen werden: "Wer sich engagiert, wird vom deutschen Staat bekämpft". Dabei wurde auch der betroffene Funktionär "Abu Rahma" erwähnt. Die persönliche Beziehung zu diesem Funktionär wurde offengelegt, indem RI verlautbarte, man habe erfolglos versucht, diesen während der Durchsuchungsmaßnahmen telefonisch zu kontaktieren. Exemplarisch zeigt sich daran die Vernetzung von RI innerhalb der islamistischen Szene. ENTSTEHUNG/ENTWICKLUNG Die HuT wurde 1953 im damals von Jordanien besetzten Ostteil Jerusalems von dem palästinensischen Politiker Taqi ad-Din an-Nabhani, der auch der MB nahestand, gegründet. AUF EINEN BLICK * Gründung in Ost-Jerusalem * Betätigungsverbot in Deutschland Gründung in Ost-Jerusalem | Der Entschluss zur Gründung der HuT erwuchs aus der Unzufriedenheit an-Nabhanis und seiner Anhänger über die fehlende Unterstützung der MB für das palästinensische Volk im Kampf gegen Israel. Nach dem Tod an-Nabhanis trat in der HuT der Palästina-Bezug zugunsten der Forderung nach einem alle Muslime umfassenden "Kalifat" in den Hintergrund. In Deutschland verbreiteten HuT-Anhänger vor allem in Universitätsstädten Flugblätter und Zeitschriften mit antiisraelischen und "antiwestlichen" Inhalten. Betätigungsverbot in Deutschland | Am 25. Januar 2006 bestätigte das Bundesverwaltungsgericht das am 10. Januar 2003 vom Bun210 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 ISLAMISMUS desminister des Innern erlassene Betätigungsverbot gegen die HuT. In dem Urteil hieß es unter anderem, dass die HuT zur gewaltsamen Beseitigung des Staates Israel und zur Tötung von Menschen aufgerufen und dadurch der friedlichen Lösung der israelisch-palästinensischen Interessensgegensätze entgegengewirkt hat. In seiner Begründung verwies das Bundesverwaltungsgericht auch auf Art. 9 Abs. 2 GG, wonach Organisationen verboten werden, die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten. IDEOLOGIE/ZIELE Ziel der HuT ist die Vereinigung der weltweiten Gemeinschaft der Muslime (arab. umma) in einem Gottesstaat ohne nationale Grenzen unter der Führung eines Kalifen. Er soll die göttliche Rechtsordnung, das heißt die Scharia als Grundlage und Maßstab staatlichen Handelns, im Kalifat verbindlich durchsetzen. Islam und Demokratie sind für die HuT nicht miteinander vereinbar. AUF EINEN BLICK * Verschweigen extremistischer Ziele * Die Verwirklichung eines HuT-Manifests Verschweigen extremistischer Ziele | Die Gruppierung RI weist eine ideologische Nähe zur HuT auf. Die islamistischen Ziele von RI und ihr ideologischer Hintergrund werden jedoch bei öffentlichen Aktivitäten verschwiegen. Erst die Lektüre der Publikation "Realität Islam[.] Eine Einführung[.] Gemeinsam für eine starke und bewusst agierende Gemeinschaft" offenbart das von RI propagierte Weltbild und die Widersprüche zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Die Verwirklichung eines HuT-Manifests | Die HuT gab in den vergangenen Jahren zahlreiche Manifeste auf ihrer Webseite für den deutschsprachigen Raum bekannt, die sich aufgrund ihrer islamistischen Programmatik eindeutig im Widerspruch zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung befinden und diese überwinden wollen. Verlautbarungen von RI belegen, dass zwischen RI und HuT nicht nur eine ideologische Nähe besteht, sondern RI aktiv die tatsächliche Umsetzung einiger HuT-Leitlinien betreibt. Die HuT-Programmatik sieht eine klare Abgrenzung der muslimischen Gemeinschaft gegenüber angeblich frevelhaften und moralisch verkommenen Regierungssystemen vor. Der aktiven Arbeit gegen diese Systeme - gemeint sind hier in erster Linie säkular geprägte Demokratien - müsse Überzeugungsarbeit vorausgehen, die Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 211 ISLAMISMUS den Muslimen die vermeintlichen Schwächen und Fehler der Regierungen aufzeigt, in denen sie lebten: "Die intellektuelle Auseinandersetzung bzw. das Ringen mit den Überzeugungsfundamenten des Kufr, seinen Systemen und Ideen sowie mit den verdorbenen Glaubensgrundlagen, den falschen Ideen und fehlerhaften Konzeptionen der Menschen. Ihre Fehlerhaftigkeit, ihre Falschheit und ihr Widerspruch zum Islam werden dargelegt, um die Umma von ihnen und ihrem Einfluss zu befreien". (Schreibweise wie im Original.) Auch RI-Verantwortliche kritisierten regelmäßig "Regierungssysteme", "Medienschaffende" und das demokratisch verfasste Wertesystem. RI-Protagonisten prangern in ihren Videobotschaften die deutsche Politik und Gesellschaft an und kritisieren, dass "Muslime systematisch kriminalisiert und marginalisiert" würden. "Wertediktatur" und "Assimilierungspolitik" seien Falschheiten und stünden im Widerspruch zu ihren islamischen Vorstellungen, wie es das HuT-Manifest diktiert. So proklamiert RI: "Die Regierungs-, die Wirtschaftsund Bildungssysteme, die Außenpolitik und die zivilen Gesetze [...] sind Systeme und Gesetze des Unglaubens". Darüber hinaus übertragen die Verantwortlichen von RI die aus dem HuT-Manifest vorgesehene Funktion eines Multiplikators und Propagandisten auf sich, um die entsprechende Ideologie an die muslimische Zielgruppe zu verbreiten. Im Manifest heißt es dazu: "Ziel ist es, islamische Persönlichkeiten [auszubilden], welche in der Lage sind, die islamische Botschaft zu tragen und die intellektuelle Auseinandersetzung sowie den politischen Kampf zu führen". In einer Art Stufenplan legt die HuT "Befreiungsstrategien" fest, die sich an ihre erfolgreiche Indoktrinierung der Muslime anschließen sollen: "Der politische Kampf, der sich wie folgt darstellt: Die Bekämpfung der ungläubigen Kolonialmächte, die Macht und Einfluss in der islamischen Welt besitzen. Die Bekämpfung des Kolonialismus in all seinen gedanklichen, politischen, wirtschaftlichen und militärischen Erscheinungsformen sowie die Aufdeckung seiner Strategien und Machenschaften, um die Umma von seiner Hegemonie und jeder Form seiner Einflussnahme zu befreien". RI greift diese Strategien auf und legt die in ihren Augen von Herrschern in der arabischen bzw. islamischen Welt verübten (Misse-)Taten offen. In sprachstilistischer Anlehnung an das HuT-Manifest benennt RI den französischen Präsidenten Emmanuel Macron als "aktiv 212 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 ISLAMISMUS handelnde[n] Kolonialisten". Die Bekämpfung "westlicher", vermeintlicher Erbkolonien konzentriert sich bei RI hingegen auf einen rein intellektuell ausgerichteten Angriff, anstelle einer Bekämpfung im gewalttätigen Sinne. Dem Stufenplan der HuT folgend sind anschließend Ausbildungsund Lehrmethoden notwendig: "Die gemeinschaftliche Ausbildung der Massen der Umma mit den Ideen und Rechtssprüchen des Islam, die sich die Partei angeeignet hat. Dies erfolgt im Moschee-Unterricht, in Podiumsveranstaltungen, in Vorträgen, an öffentlichen Versammlungsplätzen, in Zeitungen und Zeitschriften sowie in Büchern und Flugblättern, um ein allgemeines Bewusstsein bei der Umma zu erzeugen, um mit ihr zu interagieren und sie mit dem Islam zu verschmelzen. Dadurch soll eine breite Volksbasis entstehen, die die Partei in die Lage versetzt, die Umma zur Gründung des Kalifats zu führen und die Regentschaft nach dem, was Allah herabgesandt hat, wiederherzustellen". RI wendet verschiedene (Lehrund) Lernmethoden an: Die Gruppierung betreibt Da'wa und Ausbildung in Lehrkreisen, bietet Unterricht und Podiumsveranstaltungen an, verbreitet Flugblätter und zielt auf die Vergrößerung ihrer Anhängerschaft ab, um dem Stufenplan der HuT gerecht zu werden. RI vertritt in der andauernden Diskussion um die "Wertediktatur" die Meinung, "westliche" und nichtislamische Werte in Deutschland nicht anerkennen zu müssen. Eine "breite Volksbasis" soll durch die Plattformen in den sozialen Medien Facebook, YouTube oder Instagram erreicht werden. STRUKTUREN HuT-Angehörige treten in Deutschland wegen des Betätigungsverbots nicht offen in Erscheinung. Die Ideologie der HuT wird indes durch Gruppierungen in die Gesellschaft lanciert, die nicht mit der HuT gleichzusetzen sind, dieser jedoch zumindest nahestehen. AUF EINEN BLICK * "Virtuelle Welt" - "Realwelt" * Kontakte außerhalb Hessens "Virtuelle Welt" - "Realwelt" | RI war zunächst eine auf Facebook aktive Gruppierung, die eine ideologische Nähe zur HuT aufwies. Im Gegensatz zu anderen HuT-nahen Facebook-Gruppierungen erweiterte RI ihr digitales Medienangebot auf Plattformen wie Instagram, YouTube und Twitter Jahr für Jahr. Dagegen fanden Auftritte in der "Realwelt" wie im Vorjahr nicht statt, was offenbar mit den "CoronaHessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 213 ISLAMISMUS Schutzmaßnahmen" zusammenhing. Vielmehr zeigte die Gruppierung eine erhöhte Präsenz auf virtuellen Plattformen. Kontakte außerhalb Hessens | Es gab zahlreiche ideologische Überschneidungen zu HuT-nahen Gruppierungen außerhalb Hessens in Nordrhein-Westfalen, Hamburg, Berlin und Niedersachsen. Regelmäßig wurden inhaltliche Parallelen zu anderen HuT-nahen Gruppierungen sichtbar, die ihre Ideologie verbreiteten, indem sie gesellschaftlich relevante und emotionalisierende Themen nutzten. Gemeinsame Auftritte oder Aktionen fanden öffentlich allerdings nicht statt. BEWERTUNG/AUSBLICK RI nutzte im Berichtsjahr überwiegend die sozialen Medien, um eine möglichst hohe Wirkung ihrer Ideologie in der muslimischen - insbesondere der sunnitischen - Religionsgemeinschaft zu erzielen. Dabei beanspruchte die Gruppierung weiterhin, alleinige Vertreterin und ausschließliches Sprachrohr "der Muslime" in Deutschland zu sein. Dies manifestierte sich insbesondere im Zuge der Kommentierung von Ereignissen in europäischen Nachbarländern. Dabei behauptete RI, dass die politische Agenda der "Assimilation" die Muslime europaweit zwinge, ihre Identität und Lebensweise vollständig aufzugeben. Die Sehnsucht nach einer islamischen Staatsform zeigte sich anlässlich des Gedenkens an das Ende des Kalifats in der Türkei, wobei ein solcher nach religiösen Vorstellungen ausgerichteter Gottesstaat mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung unvereinbar ist. Die Reaktionen von RI auf die palästinensischen Ausschreitungen in Israel weisen typisch islamistische Argumentationsmuster auf. So lautet ein Pauschalvorwurf gegenüber Politik, Medien und Gesellschaft, dass diese gezielt Hass auf den Islam und die Muslime verbreiteten. Islamische Werte würden durch "Assimilation" und politische Fehlentscheidungen diskreditiert, sodass der Islam generell zum "Feindbild" geworden sei. Hieraus resultierten, so RI, Anschläge gegen Muslime. Die RI-Erklärung in Bezug auf Ansaar International e. V. legt eine persönliche Beziehung zu einem Funktionär des nunmehr verbotenen Vereins offen, indem die Gruppierung verlautbarte, man habe erfolglos versucht, diesen während der Durchsuchungsmaßnahmen telefonisch zu kontaktieren. Exemplarisch zeigt sich daran die Vernetzung von RI innerhalb der islamistischen Szene. 214 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 ISLAMISMUS Es ist zu erwarten, dass RI sich auch weiterhin zu politischen Themen äußern wird, da die Gruppierung hiermit ihre Klientel in den sozialen Medien leicht erreichen und emotionalisieren kann. Muslimbruderschaft (MB)/Deutsche Muslimische Gemeinschaft e. V. (DMG) DEFINITION/KERNDATEN Die MB ist in zahlreichen Staaten der Welt, dabei in nahezu allen Ländern des Nahen Ostens, vertreten. Sie ist die einflussreichste und älteste islamistische Bewegung unter den Sunniten. Ziel der MB ist die Errichtung eines weltumspannenden GemeinLogo der MB wesens als Gottesstaat auf der Grundlage von Koran und Sunna. In Führung : Deutschland ist die DMG die größte Organisation, welche die IdeoMuhammad Badi (Ägypten) logie der MB vertritt. In Anlehnung an ihre ägyptische MutterorgaAnhänger: nisation versucht die DMG, durch soziales und religiöses EngageIn Hessen etwa 300, ment sowie durch Dialogangebote Akzeptanz in der Gesellschaft bundesweit etwa 1.450 zu finden. Letztlich zielen diese Versuche darauf ab, die Ideologie der MB in Deutschland gesellschaftsfähig zu machen. Der DMG sind Zuzurechnende Organisationen: bundesweit verschiedene Moscheegemeinden und sogenannte IsHarakat al-Muqawama allamische Zentren zuzuordnen, die formal von ihr unabhängig sind, Islamiya (HAMAS, Islamische aber Kontakte zu ihr unterhalten. In Hessen befinden sich solche Widerstandsbewegung) in den Zentren in Frankfurt am Main und Marburg (Landkreis Marburg-Biepalästinensischen Autonomiegebieten (Gazastreifen) in Israel, denkopf). In Deutschland ist die DMG, ehemals Islamische Gemeinal-Nahda (Tunesien), al-Ikhwan schaft in Deutschland e. V. (IGD), mit Hauptsitz in Berlin die mitglieal-Muslimun fi Suriya (Die derstärkste Organisation von MB-Anhängern in Deutschland. Die Muslimbrüder in Syrien) DMG repräsentiert den ägyptischen Zweig der MB und ist seit ihrer Gründung als IGD Mitglied der Federation of Islamic Organizations / in Europe (FIOE, Föderation islamischer Organisationen), nunmehr Council of European Muslims (CEM). EREIGNISSE/ENTWICKLUNGEN Im November startete das in Frankfurt am Main ansässige Europäische Institut für Humanwissenschaften e. V. (EIHW), das der MB zuzurechnen ist, sein islamisches Bildungsprogramm in deutscher Sprache. Im Rahmen der "Corona-Schutzmaßnahmen" führten MBAngehörige in Hessen ihre legalistische, dialogorientierte Unterwanderungsstrategie in Bezug auf Politik und Gesellschaft zwar konsequent fort, verlagerten die persönliche Kontaktpflege aber in den virtuellen Raum. Ihre Klage gegen das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat wegen der Erwähnung im Verfassungsschutzbericht nahm die DMG zurück. Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 215 ISLAMISMUS AUF EINEN BLICK * Start eines islamischen Bildungsprogramms in deutscher Sprache * Klagerücknahme der DMG * Internationaler Kongress für Gebetszeiten Start eines islamischen Bildungsprogramms in deutscher Sprache | Am 13. November begann am EIHW ein islamisches Bildungsprogramm in deutscher Sprache als kostenpflichtiger Online-Studiengang, für den öffentlich auf der Facebook-Seite des EIHW geworben wurde. Die insgesamt acht Kurse zu je 20 Unterrichtseinheiten verteilten sich über zwei Semester und fanden an den Wochenenden statt. Die Prüfungen zu den Kursen waren optional. Klagerücknahme der DMG | Am 30. August zog die DMG ihre 2019 beim LG Berlin eingereichte Klage gegen das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat wegen ihrer Nennung in den Verfassungsschutzberichten des Bundes zurück. Auf ihrer Internetseite erklärte die DMG gleichwohl, dass sie ihre Erwähnung weiterhin als rechtswidrig erachte, sie wolle aber ihre "ohnehin limitierten Ressourcen [...] aktuell lieber zielgerichteter für integrative zivilgesellschaftliche Projekte der Gemeinschaft einsetzen". "Bei einer zu erwartenden überwiegend formal-juristischen Betrachtung von Zuschreibungen" wäre, so die DMG, die "inhaltliche Auseinandersetzung um die vorgebliche Verfassungsfeindlichkeit von Handelnden und Positionen der DMG zu kurz" gekommen. Laut des DMG-Präsidenten werde man "zunächst nach anderen Wegen suchen, Missverständnisse und Fehlzuschreibungen zu korrigieren". Internationaler Kongress für Gebetszeiten | Vom 26. bis 27. September veranstaltete der European Council for Fatwa and Research (ECFR, Europäischer Rat für Fatwa und Forschung) zusammen mit dem türkischen Diyanet Isleri Baskanligi (Präsidium für Religionsangelegenheiten) in Istanbul (Türkei) den Internationalen Kongress für Gebetszeiten. In dessen Abschlusserklärung wurde festgelegt, wie die weltweiten Gebetszeiten der Muslime nach den dort festgelegten Grundsätzen zu berechnen sind. An dem Kongress nahmen mehrere Funktionäre und Aktivisten der MB - unter anderem aus Hessen - teil. ENTSTEHUNG/GESCHICHTE In einer Phase des sozialen Umbruchs in Ägypten, in der sich ein neuer Mittelstand herausbildete, gründete 1928 der Volksschullehrer Hasan al-Banna die MB als Reaktion auf die zunehmende Europäisierung des Landes. Als Wohlfahrtsorganisation islamischer Prä216 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 ISLAMISMUS gung, die unter anderem Krankenhäuser und Schulen unterhielt, entwickelte sich die streng hierarchisch aufgebaute MB zunehmend zum Staat im Staat. Unter der Führung al-Bannas verfolgte die MB nach und nach im Wesentlichen folgende Ziele: Die Eliminierung des britischen Einflusses in Ägypten, die Islamisierung von Staat und Gesellschaft sowie die Errichtung eines weltweiten Kalifats. Vor allem mit ihrer karitativen Arbeit gewannen die MB und ihre in anderen Ländern gegründeten Ableger immer mehr Anhänger. AUF EINEN BLICK * Vom Verbot zur Regierung * Die MB in Deutschland Vom Verbot zur Regierung | In den 1940er und 1950er Jahren waren die Beziehungen zwischen der MB und dem ägyptischen Staat von gewalttätigen Auseinandersetzungen geprägt. 1948 wurde der ägyptische Ministerpräsident Mahmud Fahmi an-Nuqrashi ermordet, 1949 fiel Hasan al-Banna einem Attentat zum Opfer. 1954 verbot die Regierung die MB; ihr maßgeblicher Ideologe, Sayyid Qutb, wurde 1966 zum Tode verurteilt und hingerichtet. Ungeachtet der Generalamnestie für führende MB-Funktionäre 1971 dauerten die Gewalttaten militanter islamistischer Gruppen, die ihre Aktionen unter Berufung auf die Schriften Sayyid Qutbs rechtfertigten, an. Eine militante Abspaltung der MB ermordete 1981 den ägyptischen Präsidenten Anwar as-Sadat. Sein Nachfolger Husni Mubarak gewährte der MB den Status als religiöse Bewegung, nicht aber den einer politischen Partei. Als Konsequenz entsandte die MB vermeintlich unabhängige Bewerber und Kandidaten auf Wahllisten anderer Parteien in die Parlamentswahlen. Bei den Wahlen im Jahr 2005 vervierfachte die MB die Zahl ihrer Abgeordneten auf 88 und errang damit etwa ein Fünftel der Sitze im ägyptischen Parlament. Nach dem von Massenprotesten der Opposition erzwungenen Rücktritt Mubaraks 2011 erlangten die MB und andere Islamisten bei den Wahlen etwa 70 Prozent der Abgeordnetenmandate. Als politischer Arm der MB gründete sich 2011 die Hizb al-Hurriya wa-l-Adala (Partei der Freiheit und Gerechtigkeit). Ihr Vorsitzender Mohammed Mursi, zugleich ein führender MB-Funktionär, wurde 2012 zum ägyptischen Staatspräsidenten gewählt. Aufgrund der angespannten Wirtschaftslage und anhaltender Proteste gegen die Partei der Freiheit und Gerechtigkeit setzte das ägyptische Militär Mohammad Mursi im Juli 2013 ab. Im September 2013 verbot ein ägyptisches Gericht die MB nebst allen ihr zugehörigen Organisationen. Seit dem Dezember 2013 ist die MB in Ägypten als Terrororganisation eingestuft. 2019 verstarb Mursi, der sich seit seiner AbHessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 217 ISLAMISMUS setzung in Haft befand, während einer Gerichtsverhandlung. Der MBAnführer Muhammad Badi sowie sein Stellvertreter und neun weitere führende MB-Angehörige wurden 2019 zu lebenslanger Haft verurteilt. Die MB in Deutschland | 1960 gründete Said Ramadan, ein Schwiegersohn al-Bannas und hoher MB-Funktionär, in München (Bayern) die Moscheebau-Kommission e. V. Zusammen mit Sayyid Qutb hatte er in den 1950er Jahren Ägypten verlassen und Ableger der MB in Jordanien, Syrien, Saudi-Arabien und im Libanon ins Leben gerufen. Durch Umbenennungen gingen aus der Moscheebau-Kommission e. V. 1962 die Islamische Gemeinschaft in Süddeutschland e. V. und 1982 die IGD hervor, die sich 2018 in die DMG umbenannte. IDEOLOGIE/ZIELE Der ideologische Ursprung der MB geht auf ihren Gründer Hasan al-Banna zurück. Zentrale Elemente der MB-Ideologie sind bis heute im Selbstverständnis zahlreicher islamistischer und islamistisch-terroristischer Organisationen präsent. In dem von der MB angestrebten System bilden Islam und Politik eine unauflösbare Einheit, in der weder die Volkssouveränität noch die Freiheit und Gleichheit der Menschen einen demokratisch legitimierten und geschützten Raum finden. AUF EINEN BLICK * Durchsetzung der Scharia * "Der Koran ist unsere Verfassung" Durchsetzung der Scharia | Die Ideologie der MB zielt auf die Errichtung einer islamischen Staatsund Gesellschaftsordnung, deren Grundlage Koran und Sunna sowie die Scharia bilden. Statt Begriffen wie "islamischer Staat" oder "Anwendung der Scharia" verwendet die MB teils neue, aber inhaltsgleiche Begriffe wie "Zivilstaat" und "islamischer Referenzrahmen". Dabei ist die umfassende Durchsetzung der Scharia oberstes Leitund Ordnungsprinzip und ein wesentlicher Bestandteil der MB-Ideologie, da sie die Rechtsund Gesellschaftsordnung bestimmt und somit die wichtigste Grundlage des politischen und sozialen Lebens ist. Ein schariakonformer Staat geht mit der Begrenzung der Rechte von Frauen und religiösen Minderheiten sowie mit Einschränkungen der Pressefreiheit, des Rechts auf freie Meinungsäußerung und des Rechts auf freie Religionsausübung einher. Damit zusammenhängend werden bestimmte Gewaltformen wie der militante Jihad befürwortet. Vor allem hinsichtlich des israelisch-palästinensischen 218 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 ISLAMISMUS Konflikts werden militärische und terroristische Mittel als legitim angesehen. Einige MB-Akteure sprechen sich zudem für hadd-Strafen (Körperstrafen) aus. Offiziell lehnt die MB Gewalt jedoch ab. Yusuf al-Qaradawi, ein wichtiger Ideologe der MB, sieht den Islam als eine untrennbare Einheit von Gesetz, Macht, Staat und Jihad an. Ein Glauben ohne Scharia oder eine Trennung zwischen religiöser und politischer Macht ist für ihn nicht möglich. Sein wasatiyya-Konzept (Mittelweg) gilt für die MB global als Referenzrahmen, wobei das Konzept als gemäßigter und konservativer Islam, als "Islam der Mitte" deklariert wird, tatsächlich aber eine islamistische Ideologie umfasst. "Der Koran ist unsere Verfassung" | Das Motto der MB lautet: "Allah ist unser Ziel. Der Prophet ist unser Führer. Der Koran ist unsere Verfassung. Der Jihad ist unser Weg. Der Tod für Allah ist unser nobelster Wunsch." Ebenso wie sein Vorgänger Muhammad Mahdi Akif gehörte Muhammad Badi, der "oberste Führer" (arab. murshid amm) der MB, dem konservativen Lager der Organisation an. Er forderte von der arabischen Welt, die Verhandlungen mit Israel einzustellen und sie durch den "heiligen Jihad" zu ersetzen. 2012 eröffnete ein maßgeblicher Prediger und wichtiger Angehöriger der MB den Wahlkampfauftritt des späteren Präsidenten Mursi mit den Sätzen: "Wir stehen knapp davor zu erleben, dass das Islamische Kalifat durch die Hände Mohammed Mursis Realität wird. Und mit Gottes Willen wird die Hauptstadt des vereinigten Reiches Jerusalem sein". STRUKTUREN In Europa, das heißt auch in Deutschland, besteht ein weit verästeltes Netzwerk der MB, mit dessen Hilfe deren Sympathisanten und Angehörige versuchen, Ideologie und Ziele der Organisation zu verbreiten. Dabei tritt die MB in Deutschland nicht offen in Erscheinung. AUF EINEN BLICK * CEM * ECFR * European Council of Imams (Europäischer Rat der Imame) * Rat der Imame und Gelehrten e. V. (RIG)/Rat der Imame und Gelehrten in Deutschland (RIGD) * Fatwa-Ausschuss in Deutschland * EIHW Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 219 ISLAMISMUS CEM | In Europa wurde die streng hierarchisch organisierte MB durch den CEM, einen europäischen Dachverband MB-naher Organisationen mit Sitz in Brüssel (Belgien), vertreten. Bis 2020 hieß der Verband Federation of Islamic Organizations in Europe. Eigenen Angaben zufolge vereinigte der CEM Organisationen aus 28 Staaten, darunter viele nationale Dachverbände. ECFR | Der in Dublin (Irland) ansässige ECFR, der bis 2018 unter dem Vorsitz des MB-Ideologen Yusuf al-Qaradawi stand, gehörte dem europäischen Netzwerk der MB an und erließ regelmäßig Rechtsgutachten für die in Europa lebenden Muslime. Maßgebliche Aufgabe des ECFR war es, sich als religiöse Instanz in Europa zu etablieren. Hierfür veröffentlichte er 2019 die "Euro-Fatwa"-App, mit der die Nutzer die seit 1997 getroffenen ECFR-Fatwas und -Entscheidungen in den Sprachen Arabisch, Englisch und Spanisch thematisch sortiert abrufen konnten. European Council of Imams (Europäischer Rat der Imame) | 2019 trat in Paris (Frankreich) erstmals der Europäische Rat der Imame zusammen. Das Gremium bestand laut eigener Aussage aus rund 50 Mitgliedern aus etwa 20 europäischen Ländern. Darunter befanden sich Personen aus Hessen mit Bezug zum MB-/DMG-Netzwerk. Ziel der Organisation war es unter anderem, die Aktivitäten verschiedener islamischer Organisationen zu koordinieren, als Interessenvertretung zu fungieren, die islamische Präsenz im politischen und gesellschaftlichen Bereich zu fördern sowie die islamische Identität zu festigen. Rat der Imame und Gelehrten e. V. (RIG)/Rat der Imame und Gelehrten in Deutschland (RIGD) | Ähnlich wie der ECFR auf europäischer Ebene erhob der RIGD für Deutschland den Anspruch, als wissenschaftliche Autorität in Fragen der Koranauslegung für hier lebende Muslime zu fungieren. Der RIGD - seit 2004 mit Sitz in Frankfurt am Main - stand sowohl organisatorisch als auch ideologisch der DMG nahe. Fatwa-Ausschuss in Deutschland | Die Mitglieder des 2016 gegründeten Fatwa-Ausschusses in Deutschland waren mehrheitlich Mitglieder des ECFR. Der Fatwa-Ausschuss in Deutschland übernahm die Fatwas des ECFR, übersetzte sie ins Deutsche und veröffentlichte sie auf der eigenen Internetseite sowie in sozialen Medien. Die Fatwas basierten zum Teil auf islamrechtlichen und islamisch-rituellen Vorgaben der Scharia, die nicht mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu vereinbaren sind. 220 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 ISLAMISMUS EIHW | 2012 wurde das EIHW mit Sitz in Frankfurt am Main nach dem Vorbild der Europäischen Institute für Humanwissenschaften in Großbritannien (European Institute of Human Sciences, EIHS) und in Frankreich (Institut Europeen des Sciences Humaines, IESH) als Verein gegründet. Im darauffolgenden Jahr nahm das EIHW seinen Lehrbetrieb auf. Als Schulungsstätte diente das EIHW der Verbreitung der MB-Ideologie und war eine Kaderschmiede für MBund DMG-Funktionäre. BEWERTUNG/AUSBLICK Nach wie vor bemühten sich MB-Anhänger und der MB nahestehende Organisationen, ihre Ideologie gesellschaftsfähig zu machen und ihr breite Akzeptanz zu verschaffen. Dies geschah im Rahmen ihrer auf lange Frist angelegten Unterwanderungsstrategie und vor dem Hintergrund der Verlagerung ihrer Kontaktpflege in den virtuellen Raum wegen der COVID-19-Pandemie. Da die MB nicht unter ihrem Namen agierte, sondern aus einem weitverzweigten Netzwerk von Organisationen und Vereinen heraus operierte, fiel es ihren Protagonisten oft leicht, als unbefangene Partner von Politik und Zivilgesellschaft aufzutreten. Um die Gesellschaft sukzessiv zu durchdringen, bedienen sich die MB und die ihr nahestehenden Vereine verschiedener Bildungsangebote. Ein Beispiel hierfür ist das islamische Bildungsprogramm des EIHW. Vor diesem Hintergrund besteht die Gefahr, dass die MB-Ideologie weiterhin verbreitet wird. Da dies online in deutscher Sprache geschieht, ist davon auszugehen, dass das EIHW - im Unterschied zur Vergangenheit - nunmehr auch vermehrt Personen ohne Arabischkenntnisse ansprechen will. Im Bemühen, der Öffentlichkeit gegenüber ein grundgesetzkonformes Bild von sich zu zeichnen, distanzierte sich die DMG in bestimmten Bereichen von Aussagen des MB-Ideologen Yusuf al-Qaradawi, hielt aber grundsätzlich an dessen Expertise fest. Nach der Klagerücknahme stand eine Rehabilitation der DMG aus. So ruhte ihre Mitgliedschaft im Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD) nach wie vor; am 2. Dezember 2019 hatte die Vollversammlung des ZMD die vorübergehende Aussetzung der Mitgliedschaft beschlossen, bis vor dem LG Berlin geklärt sei, ob die DMG zu Recht in den Verfassungsschutzberichten des Bundes erwähnt werde. Eine Reaktion des ZMD auf die Klagerücknahme gab es bislang nicht. Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 221 ISLAMISMUS Milli-Görüs-Bewegung DEFINITION/KERNDATEN Unter der Bezeichnung Milli-Görüs-Bewegung fasst das LfV bestimmte islamistische Bestrebungen türkischen Ursprungs zusammen. Ihr verbindendes Element liegt in der grundlegenden Orientierung an der Ideologie der türkischen Bewegung Milli Görüs (dt. nationale Sicht). Diese Bewegung geht im Wesentlichen auf den Politiker Necmettin Erbakan zurück, der den Laizismus in der Türkei zugunsten einer islamischen Staatsund Gesellschaftsordnung auf dem Fundament von Koran, Sunna und Scharia überwinden wollte. Erbakans Vision war es, eine "Großtürkei" nach dem Vorbild des Osmanischen Reiches zu errichten. Zur Milli-Görüs-Bewegung (etwa 1.450 Anhänger in Hessen, bundesweit etwa 10.000) gehörten * die Saadet Partisi (SP, Partei der Glückseligkeit) - in Hessen repräsentiert durch den Saadet Deutschland Regionalverein Hessen e. V. und im Folgenden als SP Hessen bezeichnet, * die Ismail Aga Cemaati (IAC), * die Erbakan Vakfi (Erbakan-Stiftung), * die Milli Gazete (Nationale Zeitung) und * Teile der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs e. V. (IGMG). EREIGNISSE/ENTWICKLUNGEN Im zehnten Todesjahr Necmettin Erbakans rückte die Erinnerung an ihn und an die Bedeutung seines Lebens und Wirkens unverändert in den besonderen Fokus der Anhänger der Milli-Görüs-Bewegung. Nach wie vor wird Erbakan als universales Vorbild und geistiger Führer verehrt. Vielfältige Angebote der SP Hessen banden im Berichtsjahr sowohl langjährige Mitglieder als auch den Nachwuchs weiterhin fest an die Organisation. Die Tageszeitung MillA(r) Gazete fungierte als Sprachrohr und Bindeglied innerhalb der Milli-GörüsBewegung und verbreitete mit ihrer Berichterstattung mehrfach antisemitische Propaganda aus der Türkei. AUF EINEN BLICK * Necmettin Erbakan: "Lehrer und Vorbild" * Aktivitäten der SP Hessen * Enge Bindung an die SP in der Türkei * Milli Gazete als Sprachrohr der Milli-Görüs-Bewegung Necmettin Erbakan: "Lehrer und Vorbild" | Anlässlich des zehnten Todestags Necmettin Erbakans am 27. Februar berichtete die MillA(r) Gazete über die zentrale Gedenkveranstaltung in der Türkei, die in 222 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 ISLAMISMUS diesem Jahr unter dem Motto "Erbakan verstehen heißt Auferstehen" stand. In der Onlineausgabe vom 27. Februar hieß es: "Unser Lehrer Erbakan widmete sein Leben seiner Nation und der islamischen Welt. [...] Er lehrte die islamische Welt, was der Zionismus ist[,] und das wahre Gesicht der westlichen Zivilisation. Er hat mit den Idealen einer lebenswerten Türkei, einer wieder größeren Türkei und einer neuen Welt einen auf hohen Werten basierenden Idealismus in die türkische Politik gebracht". Die Gedenkveranstaltung in Istanbul (Türkei) fand pandemiebedingt mit einer begrenzten Teilnehmerzahl statt und wurde live im Internet übertragen. In einem Bericht zitierte die Milli Gazete den Parteivorsitzenden der SP mit den Worten, dass die Partei "der Kitt der Türkei" sei. Im Kontext der Gedenkveranstaltung führte die europäische Jugendorganisation der SP einen Essay-Wettbewerb mit dem Titel "Prof. Dr. Necmettin Erbakan und das gegenwärtige globale System" durch. Mittels Preisverleihungen sollten die jugendlichen SP-Anhänger animiert werden, sich mit dem Leben Erbakans zu beschäftigen, dabei erhielten alle Teilnehmer einschlägige Literatur. Der IGMG-Landesverband Hessen lud für den 28. Februar zu der wiederkehrenden Gedenkveranstaltung für - so dessen Bezeichnung - bedeutende islamische "Vorreiter" und "Wegbereiter" ein. Auf dem im Vorfeld veröffentlichten Flyer wurde Necmettin Erbakan prominent ins Zentrum dieser Protagonisten gerückt. Auch dieses Gedenken fand nicht als Präsenzveranstaltung statt und wurde ebenso wie andere live im Internet übertragen. Am Todestag Erbakans selbst beschränkte sich das Gedenken in den Reihen der IGMG auf Einzelbeiträge in den sozialen Medien. Aktivitäten der SP Hessen | Die SP Hessen setzte ihre Aktivitäten auch unter Pandemiebedingungen fort, das heißt, sie konzentrierte sich auf ihre üblichen Veranstaltungsund Bildungsangebote. Dabei wich die SP Hessen wie im Vorjahr größtenteils auf Onlineangebote aus. Zum Jahresende hin fanden die Veranstaltungen auch wieder in Präsenz statt. Die "Zentrale" der SP Hessen befand sich weiterhin in Hanau (Main-Kinzig-Kreis). Soweit es die pandemiebedingten Auflagen zuließen, suchten Funktionäre und Anhänger die Räumlichkeiten für turnusgemäße und wiederkehrende Veranstaltungen auf. Darüber hinaus bemühte sich die SP Hessen, neue Mitglieder zu gewinnen. In Hanau verteilten Aktivisten im Juli Flyer der SP Europa in private Briefkästen. Ende August und Anfang September betrieben Vertreter der SP Hessen in Offenbach am Main Informationsstände, Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 223 ISLAMISMUS um mit interessierten Passanten ins Gespräch zu kommen und einschlägige Druckerzeugnisse zu verbreiten. Über diese Aktionen berichtete die Milli Gazete, indem sie unter anderem einen Funktionär dahingehend zitierte, dass sich die SP um die Belange türkischer Staatsbürger in Europa kümmere und Lösungen vorschlage. Derartige Aktionen sollten nach Aussage des SP-Vertreters künftig vermehrt durchgeführt werden. Enge Bindung an die SP in der Türkei | Um sich vollständig für die Belange der SP engagieren zu können, bedurfte es regelmäßiger interner Abstimmung, auch mit der politischen Führung der Partei in der Türkei. Mehrfach nahmen Funktionäre aus Hessen daher an entsprechenden Online-Schulungen und ähnlichen Veranstaltungen teil. Vereinzelt waren diese Akteure Teil von Delegationen und kamen in der Türkei persönlich mit der Parteiführung zusammen, so zum Beispiel Ende Juni bei einem Besuch bei dem Parteivorsitzenden Temel Karamollaoglu. Anfang Oktober reiste eine größere Abordnung von Funktionären aus Hessen in die Türkei, da ein hochrangiger SP-Funktionär und langjähriger Weggefährte Erbakans - und somit bedeutender Protagonist der Milli-Görüs-Bewegung - verstorben war. Milli Gazete als Sprachrohr der Milli-Görüs-Bewegung | Die unverändert enge Verbindung zwischen Milli Gazete und Milli-GörüsBewegung in der Türkei und in Europa war in der täglichen Berichterstattung allgegenwärtig. Auf diese Weise konsumierten die Leser auch die in den Artikeln regelmäßig verbreitete antisemitische Propaganda aus der Türkei. Am 25. März berichtete die Milli Gazete über ein Treffen zwischen einem hochrangigen Vertreter der türkischen SP und dem Anführer der palästinensischen HAMAS, Ismail Haniyya, anlässlich des Todestags des Gründers der Terrororganisation. Dabei habe sich der Repräsentant der SP für den "Widerstand" der HAMAS gegen den "Zionismus" bedankt und seine entsprechende Unterstützung zugesichert. Im Mai flammte der Konflikt zwischen Palästinensern und israelischen Sicherheitsbehörden aufs Neue auf; einen wesentlichen Anlass bildete die Sperrung des Tempelbergs in Jerusalem, womit die Behörden das störungsfreie Feiern des israelischen Jerusalem-Tags, das heißt die israelische Eroberung des Ostteils der Stadt während des Sechstagekriegs 1967, gewährleisten wollten. Es kam zu Raketenangriffen aus dem palästinensischen Gazastreifen auf Israel und zu gewalttätigen palästinensischen Protesten in israelischen Städten. Vor diesem Hintergrund enthielt die MillA(r)-Gazete-Ausgabe vom 6. Mai einen Artikel über einen Vortrag des SP-Vorsitzenden in der Türkei, wonach dieser mit Bezug auf eine Offenbarung des Korans gefordert habe, dass sich die gesamte islamische Welt zusammenschließen 224 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 ISLAMISMUS müsse, um die Probleme der islamischen Welt gemeinsam zu lösen und die Stadt Quds (i. e. Jerusalem) von der "zionistischen Besatzung" zu befreien. Am 21. Mai veröffentlichte die Milli Gazete eine gemeinsame Erklärung verschiedener Organisationen innerhalb der türkischen MilliGörüs-Bewegung, worin Israel verurteilt wurde. Darin hieß es, "dass für Juden der Tod aller Nicht-Juden keineswegs ein Problem darstelle. Jede Kritik am zionistischen Staat würde hingegen als Antisemitismus diffamiert werden. Palästina sei die letzte Bastion der Menschheit, die keineswegs fallen dürfe, da die Zionisten ansonsten Muslime noch stärker angreifen würden". Einen Tag später schrieb die Milli Gazete, dass die Israelis nur die Sprache der Gewalt verstünden, und zitierte am 18. Juni den Vorsitzenden einer SP-nahen türkischen Jugendorganisation mit den Worten, dass der "Einsatz für Jerusalem keine Wahl, sondern die Aufgabe eines jeden Muslims sei". In der MillA(r)-Gazete-Ausgabe vom 11. August gratulierte ein hochrangiger Vertreter der türkischen SP einem hochrangigen HAMAS-Funktionär zu dessen Wiederwahl und versicherte ihm, dass die MilliGörüs-Bewegung "stets an der Seite des berechtigten Kampfes" stehe und ihn unterstütze. Am 23. November berichtete die Milli Gazete über einen Kongress einer lokalen SP-Vertretung in der Türkei, der unter dem Motto "Die SP ist die einzige Partei, die der Zionismus als Gefahr ansieht" stand. Der Vorsitzende der türkischen SP-Jugendorganisation erklärte in seiner Rede, dass die SP und die Milli-GörüsBewegung für die Errichtung einer auf Recht und Gerechtigkeit basierenden Weltordnung kämpften. Wenn es heute eine Partei gäbe, "die der rassistische Imperialismus, stellvertretend für den Westen des 21. Jahrhunderts, und der Zionismus, der seine perfiden Pläne willfährig umsetzt, als eine Gefahr ansehen, dann gibt es keine andere Partei als die SP". ENTSTEHUNG/GESCHICHTE 1969 gründete Necmettin Erbakan in der Türkei die Milli-GörüsBewegung und stellte sich damit gegen die vom Gründer der modernen Republik Türkei, Mustafa Kemal Atatürk, eingeführte Trennung von Staat und Religion. Auf diese Weise wollte Erbakan die Säkularisierung des Landes rückgängig machen und das politische, wirtschaftliche und kulturelle Leben erneut islamisieren. Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 225 ISLAMISMUS AUF EINEN BLICK * Milli-Görüs-Bewegung in der Türkei * Milli-Görüs-Bewegung in Deutschland * SP als Repräsentantin der Milli-Görüs-Bewegung * Rolle der IAC in der Türkei Milli-Görüs-Bewegung in der Türkei | 1970 wurde als politische Vertretung der Milli-Görüs-Bewegung die Milli Nizam Partisi (MNP, Nationale Ordnungspartei) gegründet. 1973 verfasste Erbakan das für die Ideologie der Bewegung noch immer wegweisende Buch "Milli Görüs". Über Parteiverbote und Parteineugründungen sowie ein zweimal verhängtes Politikverbot für Erbakan führte der Weg der Milli-Görüs-Bewegung in der Türkei bis zur 2001 gegründeten und noch heute existenten SP. Erbakan war in der Türkei mehrere Male stellvertretender Ministerpräsident und bekleidete 1996/97 das Amt des Ministerpräsidenten. Milli-Görüs-Bewegung in Deutschland | 1976 entstand in Köln (Nordrhein-Westfalen) als Ableger der Milli-Görüs-Bewegung die Türkische Union Europa e. V. Sie benannte sich 1982 in Islamische Union Europa e. V. (IUE) um. 1984 kam es innerhalb der IUE zu Auseinandersetzungen über die politische Ausrichtung des Vereins. Als Folge gründete sich 1985 in Köln die Avrupa Milli Görüs Teskilatlari (AMGT, Vereinigung der neuen Weltsicht in Europa e. V.) als Nachfolgeorganisation der mittlerweile bedeutungslos gewordenen IUE. Aus der AMGT gingen 1995 die Europäische Moscheebau und Unterstützungsgemeinschaft (EMUG) und die IGMG hervor. Organisatorisch waren beide in einen wirtschaftlichen und einen ideellen Bereich getrennt. Aufgabe der EMUG war die umfangreiche Grundstücksverwaltung und Betreuung der AMGTund IGMG-Vereine. Die IGMG war auf die religiösen Belange ihrer Mitgliedsvereine ausgerichtet. Viele Moscheevereine änderten in der Folge den Namenszusatz AMGT in IGMG. Die Zugehörigkeit zur Milli-GörüsBewegung blieb jedoch teilweise bis in die Gegenwart erhalten und zeigte sich oftmals auch in personellen Überschneidungen von AMGT und IGMG. SP als Repräsentantin der Milli-Görüs-Bewegung | Auf politischer Ebene vertritt die von Necmettin Erbakan im Jahr 2001 gegründete SP die Milli-Görüs-Bewegung in der Türkei. Die SP ging aus der verbotenen Fazilet Partisi (FP, Tugendpartei) Erbakans hervor, aus der damals auch die jetzige türkische Regierungspartei Adalet ve Kalkinma Partisi (AKP, Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung) entstand. Obwohl sich die AKP mit der Zeit von der ursprünglichen Ideologie der Milli-Görüs-Bewegung distanzierte, verbinden sie 226 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 ISLAMISMUS identische konservative Wurzeln mit der SP. Der Einfluss der SP auf die politische Willensbildung in der Türkei ist aufgrund ihres begrenzten Wählerpotenzials sehr gering. Rolle der IAC in der Türkei | Die IAC ist der Bruderschaft der Naqshbandiya zuzuordnen, die im 14. Jahrhundert in Zentralasien entstand. Ihr Gründer, Bahaud-Din Naqshband aus Buchara (heutiges Usbekistan), steht in einer Reihe sogenannter Meister in Zentralasien, die mystische Gemeinschaften gründeten. Die sunnitische Naqshbandiya entwickelte sich in den folgenden Jahrhunderten zur bedeutendsten Bruderschaft und ist heute weltweit verbreitet. Ihr Handeln beruht auf einer religiös geprägten Lebensführung, wobei eine enge emotionale Bindung zwischen Schüler und Meister besteht. Unter anderem mithilfe spezieller Meditationstechniken wird die unmittelbare mystische Gotteserfahrung angestrebt, durch schweigendes Denken an Allah (arab. dhikr) suchen die Gläubigen diesem so nahe wie möglich zu kommen. Obwohl 1925 durch Atatürk verboten, spielte die NaqshbandiyaBruderschaft im religiösen Leben in der Türkei eine bedeutende Rolle. Necmettin Erbakan und das in der Türkei lebende spirituelle Oberhaupt der Bruderschaft, Scheich Mahmud Ustaosmanoglu, pflegten engen Kontakt zu dem einflussreichen türkisch-sunnitischen Naqshbandiya-Scheich Mehmet Zaid Kotku und wurden durch ihn geprägt. Kotku war eine der führenden Personen des NaqshbandiyaOrdens. IDEOLOGIE/ZIELE Ebenso wie andere islamistische Bewegungen will die Milli-GörüsBewegung eine auf den Rechtsvorschriften der Scharia beruhende islamische Ordnung realisieren. Da in der früher streng laizistisch orientierten Türkei das Propagieren eines entsprechenden Konzepts gravierende rechtliche Konsequenzen nach sich gezogen hätte, führte Erbakan neue Begrifflichkeiten ein. AUF EINEN BLICK * "Gerechte" und "nichtige" Ordnung * "Neue Welt für die gesamte Menschheit" * Alleinvertretungsanspruch und Antisemitismus in der Milli-Görüs-Bewegung "Gerechte" und "nichtige" Ordnung | Gemäß Erbakans Grundsätzen gibt es in der Welt eine gerechte (türk. adil düzen) und eine nichtige Ordnung (türk. batil düzen). Ziel müsse es sein, die schlechte, tyrannische, auf menschlicher Willkür sich gründende und daher vergängHessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 227 ISLAMISMUS liche Ordnung durch die gute, von Allah vorgegebene und angeblich auf Wahrheit fußende Ordnung zu überwinden. Dies sei allein durch die Milli-Görüs-Bewegung zu erreichen. "Neue Welt für die gesamte Menschheit" | Die Verwirklichung dieser Gedanken propagiert die Milli-Görüs-Bewegung insbesondere in der Türkei, wo eine islamische Staatsund Gesellschaftsordnung nach den Grundlagen von Koran und Sunna geschaffen werden soll. Die Milli-Görüs-Bewegung verbindet in ihrer Gesamtheit einen universalen türkisch-nationalistischen mit einem islamistischen Ansatz. So hielt der Generalsekretär der türkischen SP 2019 einen Vortrag in Dortmund (Nordrhein-Westfalen), wobei er laut der MillA(r) Gazete sagte, dass es die Partei für ihre Aufgabe halte, sich um die Probleme der Landsleute zu kümmern sowie eine "lebenswerte Türkei", eine "neue Großtürkei" und eine "neue Welt für die gesamte Menschheit" zu schaffen. Alleinvertretungsanspruch und Antisemitismus in der Milli-GörüsBewegung | In einem Interview nahm Erbakan im Jahr 2010 für sich und die SP in Anspruch: "Wir sind das Volk, deswegen verändern wir die Türkei". Darüber hinaus erklärte er: "Wir werden eine neue Welt schaffen, auf der Basis von Wissenschaft und Vernunft, auf den Grundlagen der gerechten Ordnung, die uns die Osmanen hinterließen. Darin bekommt jeder sein Recht, auf den ihm angemessenen Platz. Auch den Juden und Christen würde so Recht zuteil, auch sie würden befreit." Offen artikulierte Erbakan in Bezug auf Juden und die territoriale Integrität des Staats Israel: "Seit 5700 Jahren regieren Juden die Welt. Es ist eine Herrschaft des Unrechts, der Grausamkeit und der Gewalt. Sie haben einen starken Glauben, eine Religion, die ihnen sagt, dass sie die Welt beherrschen sollen. Sehen Sie sich diese Ein-Dollar-Note an. Darauf ist ein Symbol, eine Pyramide von 13 Stufen, mit einem Auge in der Spitze. Es ist das Symbol der zionistischen Weltherrschaft. Die Stufen stellen vier ,offene' und andere geheime Gesellschaften dar, dahinter gibt es ein ,Parlament der 300' und 33 Rabbinerparlamente, und dahinter noch andere, unsichtbare Lenker. Sie regieren die Welt über die kapitalistische Weltordnung. [...] Wenn die Israelis in Frieden leben wollen, wäre es vielleicht besser, wenn sie zum Beispiel in Amerika lebten". 228 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 ISLAMISMUS STRUKTUREN Die Milli-Görüs-Bewegung setzt sich aus verschiedenen, grundsätzlich türkischstämmigen Gruppierungen zusammen. Ihre gemeinsame Basis bildet - in unterschiedlich starker Ausprägung - die Orientierung an den ideologischen und religiösen Vorstellungen Necmettin Erbakans, gepaart mit der fortwährenden Verehrung seiner Person und vielfältigen Aktivitäten zur Verbreitung seiner Botschaften. AUF EINEN BLICK * SP * Erbakan Vakfi (Erbakan Stiftung) * Milli Gazete * IGMG SP | Seit einigen Jahren treten deutschlandweit Ableger der europäischen SP-Vertretung in Erscheinung, die Anhängerund Wählerpotenzial in Deutschland zu aktivieren versuchen und so die Mutterpartei in der Türkei unterstützen. Dabei repräsentierten die SP-Strukturen in Deutschland die politische Ausrichtung der Ideologie Necmettin Erbakans innerhalb der Milli-Görüs-Bewegung. In Hessen war dies der Saadet Deutschland Regionalverein Hessen e. V. einschließlich aller zugehörigen Gruppierungen. Erbakan Vakfi (Erbakan-Stiftung) | Das Ziel der laut eigenen Angaben im Jahr 2013 in der Türkei von Vertretern der Milli-GörüsBewegung, Angehörigen der türkischen SP sowie Weggefährten Necmettin Erbakans gegründeten Erbakan Vakfi ist es, dessen Ideologie zu vertreten und die Erinnerung an ihn aufrechtzuerhalten. Dabei sollen sich Aktivitäten der Erbakan Vakfi weltweit entfalten und auf den Prinzipien der Milli-Görüs-Bewegung beruhen. Vorsitzender der Erbakan Vakfi war der Sohn Necmettin Erbakans, Fatih Erbakan. In Deutschland wurde ebenfalls im Jahr 2013 die Europavertretung der Stiftung gegründet. Milli Gazete | Die türkische Tageszeitung Milli Gazete, deren Europaausgabe in Frankfurt am Main verlegt wurde, informierte ursprünglich über die IGMG. Inzwischen berichtete sie vornehmlich über die Aktivitäten der SP im Inund Ausland. In ihrem Selbstverständnis sah sich die MillA(r) Gazete als einzige und konstante Vertreterin der MillA(r)Görüs-Ideologie unter den Printmedien. Immer wieder hob die Zeitung in ihren Artikeln Erbakan als den Retter der Welt hervor und rühmte dessen Ideologie der Errichtung einer neuen Welt, in welcher der Islam wiederbelebt werde und über allen anderen Ordnungen stehe. Die Milli Gazete nahm für die verschiedenen Gruppierungen innerhalb der Milli-Görüs-Bewegung die Rolle eines wichtigen, verbindenden Mediums ein. Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 229 ISLAMISMUS IGMG | Die IGMG ist laut ihrer Selbstdarstellung eine staatenübergreifend vernetzte Religionsgemeinschaft, die sich in Regionalverbände, Moscheegemeinden und weitere Zweigstellen aufgliedert. Die IGMG ist nicht in der Gesamtheit ihrer Mitglieder der islamistischen Milli-Görüs-Bewegung zuzurechnen. Teile der IGMG befinden sich in einem fortwährenden Prozess des Abwendens von der islamistischen Ideologie Erbakans. Im Berichtsjahr lagen jedoch tatsächliche Anhaltspunkte vor, dass einige Strukturen der IGMG in Hessen weiterhin der Ideologie Erbakans folgten und bestrebt waren, dessen Ziele umzusetzen. In Hessen gehörten weiterhin der IGMGLandesverband mit seinen angegliederten Verbänden der Frauen, Jugend und Studierenden sowie einzelne IGMG-Ortsvereine der Milli-Görüs-Bewegung an. BEWERTUNG/AUSBLICK Im Berichtsjahr waren einzelne Gruppierungen der Milli-GörüsBewegung in Hessen trotz der pandemiebedingten Einschränkungen mit vielfältigen Veranstaltungsund Freizeitangeboten aktiv. Ohne größeren Aufwand reagierte die Bewegung kurzfristig auf geänderte Rahmenbedingungen und war mithilfe verschiedener Online-Angebote weiterhin für ihre Anhänger und für Interessierte präsent, um diese an die Bewegung zu binden. Es ist davon auszugehen, dass die einzelnen Gruppierungen nach dem Ende der "Corona-Schutzmaßnahmen" ihren Aktivitäten wieder vermehrt in zuvor gewohnter Weise nachgehen werden. Der persönliche Kontakt untereinander hat einen hohen Stellenwert und kann durch virtuelle Treffen nicht adäquat ersetzt werden. Dennoch ist nicht auszuschließen, dass auch in Zukunft die organisatorischen Vorteile virtueller Treffen genutzt werden. Nach wie vor ist Necmettin Erbakan die vereinende Figur der MillA(r)Görüs-Bewegung und hat weiterhin einen hohen Stellenwert als geistiger Führer und Vorbild. Die Vernetzung mit Akteuren und Strukturen in die Türkei zeigt sich am deutlichsten anhand der SP. Auch Funktionäre aus Hessen sind bei Schulungen und Treffen präsent und vereinzelt Teil von Delegationen, die in der Türkei mit der Parteiführung zusammenkommen. Der Milli Gazete kommt weiterhin eine wichtige Rolle für die Verbreitung der Ideologie und Propaganda der Milli-Görüs-Bewegung zu, wobei auch antisemitische Aussagen veröffentlicht wurden. 230 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 ISLAMISMUS SONSTIGE BEOBACHTUNGSOBJEKTE Harakat al-Shabab al-Mujahidin (al-Shabab, Bewegung der Mujahidin-Jugend) | 2012 schwor in Somalia die Terrororganisation al-Shabab dem Nachfolger des al-Qaida-Anführers Osama bin Laden, Aiman al-Zawahiri, die Gefolgschaft. Seitdem ist al-Shabab ein gefährlicher regionaler al-Qaida-Ableger, der über Strukturen verfügt, die auch in andere Länder - wie zum Beispiel Kenia - hineinreichen und dort ein Agieren ermöglichen. Ziele al-Shababs sind die Errichtung eines islamischen Gottesstaats am Horn von Afrika, der Sturz der somalischen Regierung sowie die Beteiligung am weltweiten gewaltsamen Jihad. Die Terrormiliz kontrollierte Teile Südsomalias und setzte dort die Scharia in strenger Form durch. Aufgrund des militärischen Engagements der Afrikanischen Union (AU) wurde al-Shabab mithilfe des internationalen Truppenkontingents African Mission in Somalia (AMISOM) zwar 2012 aus Mogadischu und weiteren Gebieten verdrängt, dennoch verübte die Terrormiliz in den vergangenen Jahren in Somalia und im Nachbarland Kenia schwere Anschläge, die zahlreichen Menschen das Leben kosteten. Bevorzugte Anschlagsziele waren Hotels, Militärstützpunkte und Regierungsgebäude. Auch im Berichtsjahr wurden bei Terroranschlägen in Afrika zahlreiche Menschen verletzt und getötet. Dabei kamen bei Angriffen auf zwei Militärstützpunkte in Somalia im April mehr als hundert Menschen ums Leben. In der Hauptstadt Mogadischu sprengte sich ein Selbstmordattentäter vor einem belebten Geschäft in die Luft und tötete mindestens sechs Menschen. Bei einem weiteren Selbstmordanschlag im Mai auf eine Polizeiwache starben mindestens sieben Menschen, zehn wurden verletzt. Al-Shabab bekannte sich zu den Anschlägen. In Deutschland verfügte al-Shabab über keine organisierte Unterstützungsstruktur, einzelne Sympathisanten und ehemalige Mitglieder der Terrormiliz gab es jedoch auch in Hessen. Ansaar International e. V. | Nachdem das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat 2019 ein vereinsrechtliches Ermittlungsverfahren gegen Ansaar International e. V. eingeleitet hatte, verbot der Bundesminister am 29. April den in Düsseldorf (NordrheinWestfalen) ansässigen Verein einschließlich acht seiner Teilorganisationen. Hiervon war in Hessen das Somalische Komitee Information und Beratung in Darmstadt und Umgebung e. V. (SKIB) betroffen. Dieses trat in den letzten Jahren mehrfach als Organisator von SpenHessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 231 ISLAMISMUS densammlungen für Somalia und Syrien in Erscheinung. Auf seiner Internetseite informierte das SKIB über in Kooperation mit Ansaar International e. V. durchgeführte und geplante Spendenprojekte. Dabei behauptete der Verein, die weibliche somalische Diaspora durch Bildungsangebote und Integrationshilfe zu unterstützen. Ansaar International e. V. verfolgte gegen die Strafgesetze gerichtete Zwecke und Tätigkeiten und richtete sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung sowie die verfassungsmäßige Ordnung. Die Vereinigung einschließlich ihrer Teilorganisationen nutzte ein Geflecht aus Vereinen und Einzelpersonen, um Spenden zu erheben, die sie entgegen ihrer Verlautbarungen nicht nur für humanitäre Zwecke, sondern insbesondere zur Unterstützung terroristischer Organisationen wie den syrischen al-Qaida-Ableger Jabhat al-Nusra, die HAMAS und al-Shabab verwendete. Zudem betrieb Ansaar International e. V. salafistische Missionierung und verbreitete in diesem Zusammenhang islamistische Inhalte. Im Rahmen des Verbots fanden im Mai Durchsuchungsund Beschlagnahmemaßnahmen in insgesamt zehn Ländern statt. Die Vereine Ansaar International e. V., WorldWide Resistance-Help e. V. und SKIB erhoben vor dem Bundesverwaltungsgericht Klage gegen das Verbot. Hizb Allah ("Partei Gottes") im Spektrum des schiitischen Islamismus | Die Anfang der 1980er Jahre im Libanon gegründete Hizb Allah fungierte zunächst als Miliz und operierte überwiegend im Verborgenen, wobei sie behauptete, den Libanon gegen Israel zu "verteidigen". Gleichzeitig formulierte die Terrororganisation politische Forderungen, sodass sich ihre politische Vertretung als feste Größe in der libanesischen Parteienlandschaft etablierte. Dessen ungeachtet rückte die Hizb Allah nicht von ihrem erklärten Ziel ab, eine islamische Herrschaftsordnung im Libanon nach dem Vorbild der iranischen Theokratie zu errichten. Die iranische Staatsführung ist bis heute ein gewichtiger Faktor, der Einfluss auf die Terrororganisation nimmt. Unverändert bestritt die Hizb Allah das Existenzrecht Israels und propagierte den bewaffneten, mit terroristischen Mitteln geführten Kampf als "legitimen Widerstand" gegen die "unrechtmäßigen Besatzer palästinensischen Bodens". Das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat erließ im April 2020 ein Betätigungsverbot für die Hizb Allah, da sich die Tätigkeit der Organisation gegen den Gedanken der Völkerverständigung richtet und Strafgesetzen zuwiderläuft. Hessen bildete in den vergangenen Jahren keinen Schwerpunkt von Aktivitäten der Hizb Allah. Die Zahl der Anhänger bewegte sich nach 232 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 ISLAMISMUS wie vor im mittleren zweistelligen Bereich; sie waren nicht einheitlich organisiert, sondern trafen sich in einzelnen örtlichen Moscheevereinen. Ein Hizb-Allah-Bezug wurde häufig durch bewusst konspirative Verhaltensweisen und Abschottung vermieden. Zum Teil bekundeten jedoch auf Internetseiten vor allem jüngere Anhänger offen ihre Sympathien mit der Terrororganisation und vernetzten sich untereinander über die sozialen Medien. Der Bundesminister des Innern, für Bau und Heimat verbot am 19. Mai drei Vereine, welche die Hizb Allah finanziell unterstützten. Die Vereine Deutsch-Libanesische Familie e. V. (DLF), Menschen für Menschen e. V. und Gib Frieden e. V. fungierten als Ersatzorganisationen des 2014 aufgelösten und verbotenen Spendensammelvereins Waisenkinderprojekt Libanon e.V. (WKP), später umbenannt in Farben für Waisenkinder. Das WKP hatte über mehrere Jahre hinweg Spendengelder in Millionenhöhe gesammelt, um die in Beirut (Libanon) ansässige Shahid Stiftung (Märtyrer-Stiftung) zu unterstützen. Diese zielte als Teil des Sozialnetzwerks der Hizb Allah darauf ab, durch die Absicherung der Hinterbliebenen von im Kampf gefallenen "Märtyrern" die Bereitschaft zur gewaltsamen Beseitigung des Staates Israel zu stärken. Durch das Sammeln und Bereitstellen von Spendengeldern für die Shahid Stiftung unterstützte und förderte das WKP den Kampf der Hizb Allah gegen Israel und verstieß damit gegen den Gedanken der Völkerverständigung. Im Rahmen des Verbots der WKP-Nachfolgeorganisationen kam es in mehreren Ländern - schwerpunktmäßig in Rheinland-Pfalz - in 20 Objekten zu Durchsuchungsund Beschlagnahmemaßnahmen. Hessen war an den Exekutivmaßnahmen im Rahmen der Auflösung des DLF durch eine Durchsuchung im Raum Wiesbaden beteiligt. Jährliche al-Quds-Demonstration in Frankfurt am Main | Jährlich findet der sogenannte al-Quds-Tag (Jerusalem-Tag) statt, der vom iranischen Revolutionsführer Ruhollah Musawi Khomeini ausgerufen wurde, um Jerusalem von den "zionistischen Besatzern zu befreien". Regelmäßig äußert sich Hassan Sayyed Nasrallah, Generalsekretär der Hizb Allah, anlässlich des al-Quds-Tags. In Deutschland fanden al-Quds-Demonstrationen bis 1995 in Bonn (Nordrhein-Westfalen) und seitdem in Berlin statt. Bis 2004 unterstützte das Islamische Zentrum Hamburg (IZH) die Veranstaltungen; seit 2003 werden diese in Berlin von einem dem IZH nahestehenden Verein organisiert. Auf den dortigen al-Quds-Demonstrationen wurden immer wieder Flaggen und Symbole der Hizb Allah gezeigt, was seit 2016 verboten ist. Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 233 ISLAMISMUS Seit 2015 fanden al-Quds-Demonstrationen auch in Frankfurt am Main statt, wobei aufgrund der hierbei verwendeten Plakate und Flaggen Bezüge zur Hizb Allah erkennbar waren. Nachdem sich 2020 wegen der COVID-19-Pandemie die al-Quds-Aktivitäten ins Internet verlagert hatten, fand im Berichtsjahr die Demonstration als Autokorso in Frankfurt am Main statt. Unter dem Motto "Palästina. Niemals vergessen!" fuhren etwa 60 Autos durch die Innenstadt. Zuvor hatten die Veranstalter im Internet und in sozialen Medien für die Demonstrationen in verschiedenen europäischen Städten geworben. Islamische Gemeinschaft der schiitischen Gemeinden Deutschland e. V. (IGS) | Die 2009 in den Räumlichkeiten des IZH gegründete und seit 2017 als gemeinnützig anerkannte IGS strebt eine Gleichstellung und Gleichbehandlung mit anderen Religionsgemeinschaften, die den Status der Körperschaft des öffentlichen Rechts besitzen, an. Der Dachverband IGS umfasst eigenen Angaben zufolge etwa 140 Mitgliedsvereine und versteht sich als Interessensvertretung der schiitischen Vereine in Deutschland. Nach Einschätzung der Verfassungsschutzbehörden instrumentalisiert der Iran die IGS über das IZH, das in Deutschland den Gedanken der iranischen Revolution verbreitet. Das IZH steht unter der direkten Kontrolle des Büros des iranischen Revolutionsführers Ali Chamenei - somit des iranischen Regimes - und wird von dort gesteuert. Offizielles Ziel der IGS ist die Einigung aller schiitischen Vereine in einer gemeinsamen Organisation, um die Interessen der Mitgliedsvereine nach innen und außen vertreten und fördern zu können. Im Unterschied zu früheren Jahren ging die IGS im Berichtsjahr dazu über, den Einfluss und die Führungsrolle des IZH offen einzuräumen und die unbedingte Loyalität ihm gegenüber öffentlich zu bekunden. So berichtete die IGS als Zeichen der Solidarität auf ihrem FacebookProfil ausführlich von einem "Solidaritätstreffen" von IGS-Gemeinden am 31. Juli im IZH. Der IGS-Vorstand besuchte am 14. November das IZH als Zeichen der Anerkennung der Lehrautorität des IZH-Leiters, der gleichzeitig Vorsitzender des IGS-"Gelehrtenrats", eines Kontrollgremiums mit weitreichender Befugnis, ist. In seiner Rede sagte der Vorstandsvorsitzende der IGS zu dem IZH-Leiter: "Die Bedeutung des Islamischen Zentrums Hamburg für das Leben der Muslime in Deutschland, für Sunniten und Schiiten gleichermaßen, ist nicht zu verkennen. Als Gründungsmitglied des Zentralrats der Muslime, der Schura Hamburg und der IGS spielt das IZH als spirituelle Heimat der Muslime in Deutschland und Europa eine tragende Rolle". 234 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 ISLAMISMUS Neben der Nähe zum IZH lässt sich in der IGS aber auch eine grundsätzliche Befürwortung des iranischen Regimes und seiner Vertreter erkennen. So veröffentlichte die IGS im Januar eine "Kondolenzbotschaft zum Ableben von Ayatullah Misbah Yazdi". Damit würdigte der Dachverband ein Mitglied des "Expertenrats" des Iran und einen in seiner aktiven Zeit maßgeblichen Akteur des iranischen Regimes. Anlässlich des al-Quds-Tags bezog die IGS Stellung gegen Israel und schrieb am 12. Mai in einem Facebook-Beitrag unter der Überschrift "Nie wieder Apartheid: Die Vertreibung und Besetzung Palästinas muss ein Ende haben": "Es darf nicht sein, dass es einer Gruppe von Menschen erlaubt wird zu vertreiben, zu besetzen, zu plündern und zu morden, während anderen nicht nur das Recht auf Selbstverteidigung versagt wird, sondern sie meisterhaft medial orchestriert als Täter dargestellt und geächtet werden". Zudem rief die IGS zu antiisraelischen Demonstrationen und zu Solidaritätsbekundungen mit "Palästina" in den sozialen Netzwerken auf. Auch in Hessen war der langjährige Einfluss des IZH belegbar: In Frankfurt am Main erwarb das IZH 2012 das Grundstück für die bedeutsamste schiitische IGS-Moschee in Hessen, das Zentrum der Islamischen Kultur (ZIK), wobei es sich um eine gezielte Investition des iranischen Regimes handelte. Im Berichtsjahr war das IZH nach wie vor Eigentümer der Moschee. Der langjährige ZIK-Leiter war bis November 2020 zudem Vorsitzender der IGS. Bereits in den Eigentumsverhältnissen des ZIK zeigt sich damit eine direkte Abhängigkeit des (ehemaligen) IGS-Vorsitzenden und des Moscheevereins vom IZH. Wie sehr das ZIK im Sinne der iranischen Staatsdoktrin agierte, zeigte sich zum Beispiel darin, dass es - ebenso wie das IZH - 2020 eine Gedenkveranstaltung für Qassem Soleimani, den vom amerikanischen Militär getöteten Anführer der iranischen Revolutionsgarden, durchführte. Der Leiter des ZIK, damals auch IGS-Vorsitzender, trat dabei als Redner auf. Regelmäßig wurden im ZIK Veranstaltungen mit positivem Bezug zum iranischen Regime abgehalten, vor allem zum Todestag Ayatollah Khomeinis, des Gründers der Islamischen Republik Iran. Im Berichtsjahr veröffentlichte das ZIK auf seiner Internetseite eine Kondolenzbotschaft, in der Khomeini als großes Vorbild für die Menschheit dargestellt wurde. Darüber hinaus beteiligte sich das ZIK an den Online-Veranstaltungen zum al-Quds-Tag am 8. Mai: Die ReHessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 235 ISLAMISMUS zitation der traditionell bei diesem Anlass verlesenen Koransuren fand in der Gebetsnische des ZIK statt und wurde live aus Frankfurt am Main übertragen. Der seit langem im ZIK aktive Koranrezitator war in der Vergangenheit bereits bei den al-Quds-Demonstrationen in Berlin aufgetreten. Im Berichtsjahr war das ZIK außerdem erstmals mit einem Stand bei der Frankfurter Buchmesse präsent. ISLAMISTISCHE STRAFUND GEWALTTATEN Im Vergleich zum Berichtsjahr 2020 sank die Anzahl der islamistischen Strafund Gewalttaten, wobei es wie im Vorjahr zwei Körperverletzungen gab. Insgesamt fiel der überwiegende Teil der Delikte in den Bereich "andere Straftaten", wobei im Berichtsjahr vermehrt Fälle von Terrorismusfinanzierung und der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat zu verzeichnen waren. Vier Propagandadelikte wurden 2021 festgestellt. (Siehe im Glossar unter dem Stichwort Politisch motivierte Kriminalität zur Erfassung politisch motivierter Strafund Gewalttaten mit extremistischem Hintergrund.) | 2021 2020 2019 2018 2017 Deliktart Tötung Versuchte Tötung Körperverletzung 2 2 1 1 Brandstiftung/Sprengstoffdelikte Landfriedensbruch Gefährliche Eingriffe in den Bahn-, Schiffs, Luftund Straßenverkehr Freiheitsberaubung, Raub, Erpressung, 1 Widerstandsdelikte Gewalttaten insgesamt 2 2 1 1 1 Sonstige Straftaten Sachbeschädigung 2 3 1 Nötigung/Bedrohung 1 2 1 3 5 Andere Straftaten 19 29 34 20 92 (insbesondere Propagandadelikte) Strafund Gewalttaten insgesamt 22 35 36 27 99 236 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 EXTREMISMUS MIT AUSLANDSBEZUG - MERKMALE - EXTREMISTISCHES PERSONENPOTENZIAL MIT AUSLANDSBEZUG - KURDISCHER EXTREMISMUS - TÜRKISCHER LINKSEXTREMISMUS - EXTREMISTISCHE STRAFUND GEWALTTATEN MIT AUSLANDSBEZUG EXTREMISMUS MIT AUSLANDSBEZUG MERKMALE Der nichtreligiös motivierte Extremismus mit Auslandsbezug umfasst sicherheitsgefährdende extremistische und terroristische Bestrebungen in Deutschland, die im Zusammenhang mit politischgesellschaftlichen Entwicklungen im Ausland stehen und überwiegend von Menschen mit Bezug zu den politischen Verhältnissen in einem anderen Staat getragen werden. AUF EINEN BLICK * Gegen Völkerverständigung und friedliches Zusammenleben der Völker * Breites Spektrum von Bestrebungen mit Auslandsbezug Gegen Völkerverständigung und friedliches Zusammenleben der Völker | Extremistische Bestrebungen mit Auslandsbezug richten sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung bzw. das friedliche Zusammenleben der Völker. Diese Bestrebungen gefährden die auswärtigen Belange der Bundesrepublik Deutschland, indem ihre Urheber Gewalt anwenden oder darauf ausgerichtete Handlungen vorbereiten. Obwohl diese Bestrebungen nicht in erster Linie auf die Abschaffung oder Beeinträchtigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zielen, können sie die Sicherheit des Bundes oder der Länder gefährden. Breites Spektrum von Bestrebungen mit Auslandsbezug | Die Art der politischen Agitation zur Umsetzung dieser extremistischen Aktivitäten ist vielfältig. Sie reicht von Demonstrationen und Kundgebungen mit zum Teil gewalttätigem Verlauf bis hin zu "Spendensammelaktionen" und zur logistischen Unterstützung von Konfliktparteien im Herkunftsland. Das schließt die Unterstützung ausländischer terroristischer Gruppierungen ein. Die unterschiedlichen Zielrichtungen von Organisationen mit Auslandsbezug lassen sich im Wesentlichen unterteilen in * nationalistische, rechtsextremistische Bestrebungen, * linksextremistische Bestrebungen sowie * ethnisch motivierte Autonomiebzw. Unabhängigkeitsbestrebungen. Die Übergänge sind dabei oft fließend. 238 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 EXTREMISMUS MIT AUSLANDSBEZUG EXTREMISTISCHES PERSONENPOTENZIAL MIT AUSLANDSBEZUG1 Das Personenpotenzial im Bereich der PKK befindet seit Jahren auf einem konstant hohen Niveau. Dessen Bemessung orientiert sich vor allem an den regelmäßigen Demonstrationslagen in Hessen und bildet die tatsächlich aktiven PKK-nahen Kurden ab. Dagegen fällt das - auch sehr kurzfristig aktivierbare - Mobilisierungspotenzial der PKK deutlich höher aus, was insbesondere für Großveranstaltungen mit Bezug zu Abdullah Öcalan oder bei Angriffen der türkischen Armee auf die PKK gilt. Wegen der Ausweitung des Beobachtungsfelds im Bereich des türkischen Extremismus mit Auslandsbezug erhöhte sich das entsprechende Personenpotenzial gegenüber dem Vorjahr um etwa 155, das gesamte Personenpotenzial des Extremismus nahm von 4.195 (2020) auf 4.350 zu, was eine Steigerung von knapp vier Prozent entspricht. Da Extremisten mit Auslandsbezug öffentlich kaum auf sich aufmerksam machten - Ausnahmen bildeten lediglich die PKK und die DIDF - und vorrangig interne Veranstaltungen durchführten, ist eine valide Quantifizierung der Gewaltorientierung dieser Personen nicht möglich. Hinzu kommt, dass es einen unbestimmbaren Anteil nichtorganisierter Jugendlicher gibt, der häufig in der virtuellen Welt des In- | 2021 2020 2019 2018 2017 Kurdischer Ursprung Hessen 1.500 1.500 1.500 1.500 1.500 Bund 14.500 14.500 14.500 14.500 14.500 Türkischer Ursprung Hessen 2.810 2.655 2.655 2.700 2.725 Bund 13.550 13.550 13.550 13.550 13.550 Sonstige Hessen 40 40 40 130 250 Bund 600 600 770 1.000 2.500 Gesamtzahl der Extremisten mit Auslandsbezug Hessen 4.350 4.195 4.195 4.330 4.475 Bund 28.650 28.650 28.820 30.350 30.550 1 Die Zahlen sind teilweise geschätzt und gerundet. Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 239 EXTREMISMUS MIT AUSLANDSBEZUG ternets und der sozialen Medien aktiv ist und somit nicht verlässlich personenscharf erfasst werden kann. Vor diesem Hintergrund werden sowohl auf Bundesals auch auf Länderebene übereinstimmend keine Angaben hinsichtlich der Anzahl der gewaltorientierten Personen im Phänomenbereich Extremismus mit Auslandsbezug ausgewiesen. (Siehe im Glossar auch die Erläuterung zum Begriff Personenpotenzial.) KURDISCHER EXTREMISMUS Partiya Karkeren Kurdistan (PKK, Arbeiterpartei Kurdistans) DEFINITION/KERNDATEN Ursprüngliches Ziel der PKK war es, einen sozialistisch geprägten Staat ("Kurdistan") zu schaffen. Nachdem die strikt hierarLogo der PKK chisch aufgebaute Kaderpartei 1984 zur Erreichung dieses Ziels einen blutigen Guerillakrieg gegen die Türkei begonnen hatte, rückte Führung: Abdullah Öcalan (seit 1999 in sie seit 1999 zunehmend davon ab. Inzwischen fordert die PKK die der Türkei inhaftiert) Anerkennung der kurdischen Identität und Autonomie. Laut eigenen Aussagen will die PKK dies vor allem auf politischem Wege Anhänger/Mitglieder: erreichen. Seit November 1993 (bestandskräftig seit März 1994) ist In Hessen etwa 1.500, bundesweit etwa 14.500 die PKK in Deutschland mit einem Betätigungsverbot belegt. Die EU stuft die PKK seit 2002 als terroristische Organisation ein. Bewaffnete Gruppen: Hezen Parastina Gel (HPG, Volksverteidigungseinheiten), EREIGNISSE/ENTWICKLUNGEN Teyrebazen Azadiya Kurdistan (TAK, Freiheitsfalken Kurdistans) Pandemiebedingt führten PKK-Anhänger keine größeren Demonstrationen, Festivals und Konzerte durch, wobei es trotzdem zu einer Syrischer Ableger: Vielzahl von Veranstaltungen, wenn auch mit geringeren TeilnehPartiya YekA(r)tiya Demokrat (PYD, Partei der Demokratischen merzahlen als im Vorjahr - oft im mittleren zweistelligen Bereich -, Union), deren militärischer Arm kam. Lediglich an den regionalen Newroz-Feiern in Frankfurt am bestehend aus den Yekineyen PaMain und Darmstadt nahmen mehrere hundert Personen teil. rastina Gel (YPG, Volksverteidigungseinheiten) und den Yekineyen Parastina Jin (YPJ, Unverändert diente der PKK-Gründer Abdullah Öcalan als charisFrauenverteidigungseinheiten) matisches Vorbild des "Freiheitskampfes" der Terrororganisation, sodass PKK-Anhänger noch mehr als früher die zahlreichen Medien (Auswahl): kleineren Kundgebungen, Informationsveranstaltungen und MahnYeni Özgür Politika (YÖP, Neue wachen nutzten, um ihren inhaftierten Anführer in den Mittelpunkt Freie Politik) als Sprachrohr der PKK, Serxwebun (Unabhängigdes Geschehens und in den Blickpunkt der Öffentlichkeit zu rücken. keit), Internetpräsenzen, Sterk Dabei zeigten PKK-Anhänger unterschiedlich gestaltete Plakate TV/ NUCE-TV und Banner mit dem Konterfei Öcalans. Diese Abbilder standen \ nicht nur gleichgewichtig neben den angestammten PKK-Zeichen, 240 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 EXTREMISMUS MIT AUSLANDSBEZUG sondern hatten einen erheblichen Emotionalisierungseffekt und waren in besonderer Weise geeignet, den Zusammenhalt der PKKStrukturen in Deutschland zu fördern. Weiterhin waren PKK-Anhänger bestrebt, die Aufhebung des Betätigungsverbots und die Streichung der PKK von der EU-Terrorliste zu erreichen. Vor diesem Hintergrund loteten PKK-Anhänger aus, ob und wie staatliche Stellen auf Verstöße gegen das Betätigungsverbot reagierten. Mit jeder Nichtahndung des Zeigens von Öcalan-Abbildern erhöhte sich deren Anzahl bei nachfolgenden Veranstaltungen. Waren es in den vergangenen Jahren die Symbole der YPG und der YPJ, welche die eigentlichen PKK-Zeichen bei Demonstrationen ersetzten, war es im Berichtsjahr das Konterfei Öcalans. AUF EINEN BLICK * Abdullah Öcalan: Nach wie vor Kristallisationspunkt der PKK * Newroz-Feiern * Mahnwache in Strasbourg (Frankreich) * "Lebende Schutzschilde" * Aktionen der PKK-nahen Studierendenverbände * Spendenkampagne * Exekutivmaßnahmen * Rückkehrer Abdullah Öcalan: Nach wie vor Kristallisationspunkt der PKK | Intensiver als in den Vorjahren stellten PKK-Anhänger ihren Anführer Abdullah Öcalan und ihre Bedenken hinsichtlich dessen Haftbedingungen und dessen Gesundheitszustand in den Mittelpunkt ihrer Proteste. Im Februar fand eine bundesweite Aktionswoche für die Freilassung des PKK-Anführers statt, im März kam es aus Sorge um den Gesundheitszustand bzw. ein angebliches Ableben Öcalans bundesweit zu nicht angemeldeten Kundgebungen und Aufzügen. In Hessen führten PKK-Anhänger Solidaritätsbekundungen in Kassel, Gießen (Landkreis Gießen), Frankfurt am Main und Darmstadt mit Teilnehmerzahlen im mittleren zweistelligen Bereich durch, wobei die Veranstaltungen friedlich verliefen. In diesem Zusammenhang veröffentlichte die PKK-nahe Nachrichtenagentur Ajansa Nuceyan a Firate (ANF, Firatnews Agency) am 15. März einen Artikel mit dem Titel "Öcalan ist unsere rote Linie". Darin hieß es mit Bezug auf einen "dringenden Appell" des Kongreya Civaken Demokratik li Kurdistaniyen Ewropa (KCDK-E, Kurdischer Demokratischer Gesellschaftskongress in Europa), der zu "Eilaktionen" für Abdullah Öcalan aufgerufen hatte: Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 241 EXTREMISMUS MIT AUSLANDSBEZUG "Hintergrund sind besorgniserregende Nachrichten über die gesundheitliche Situation des PKK-Begründers, der sich seit 1999 auf der türkischen Gefängnisinsel Imrali in politischer Geiselhaft befindet. [...] ,Angesichts dieser Situation ist es unabdingbar, Klarheit in dieser Frage zu erlangen und Öcalans Rechtsbeistand sowie seinen Angehörigen ihr grundlegendes Recht einzuräumen, über seine gesundheitliche Situation Informationen zu erhalten'". Im Jahresverlauf nutzten PKK-Anhänger weitere Anlässe, um auf die Situation Öcalans hinzuweisen: Den 22. Jahrestag seiner Festnahme im Februar 1999 aufgrund eines angeblich "internationalen Komplotts", seinen Geburtstag im April und andere wichtige PKKEckdaten wie das PKK-Gründungsdatum, den Tag der "Aufnahme des bewaffneten Kampfes" und die Verhängung des Betätigungsverbots. Da das Bundesministerium des Innern und für Heimat 2018 die Liste der verbotenen PKK-Symbole um sämtliche Abbilder Öcalans erweitert hatte, versuchten PKK-Anhänger auch im Berichtsjahr das Thema "Öcalan" in nahezu jede Veranstaltung einzubeziehen. In Hessen duldeten die zuständigen Behörden mitunter das Zeigen von ÖcalanAbbildungen, wenn explizit auf dessen Gesundheit und dessen Haftbedingungen hingewiesen wurde und diese Themen als einziges Motto der Veranstaltung angemeldet waren. Dabei verstießen PKKAnhänger gegen die behördlichen Auflagen, wenn etwa in Kassel, Gießen (Landkreis Gießen), Frankfurt am Main und Darmstadt "Freiheit für Öcalan und Frieden in Kurdistan" skandiert wurde. Bei einer Demonstration am 9. Oktober in Darmstadt anlässlich des "internationalen Komplotts" und der "Besorgnis über den Gesundheitszustand" Öcalans - verbunden mit der "Forderung nach seiner Freilassung" - zeigten Teilnehmer zahlreiche Banner und Flaggen mit dem Konterfei des PKK-Anführers. Darüber hinaus skandierten Demonstranten wiederholt die verbotene PKK-Parole "Biji Serok Apo" (Es lebe der Vorsitzende). Daher hielt die Polizei den Aufzug mehrfach an und forderte den Veranstalter, das heißt das PKK-nahe Demokratische Gesellschaftszentrum der KurdInnen in Darmstadt e. V., auf, dafür zu sorgen, dass die Teilnehmer das Rufen der Parole unterließen. Newroz-Feiern | Aufgrund der COVID-19-Pandemie fanden im Berichtsjahr bundesweit nur wenige dezentrale Newroz-Feiern statt, die sich in Hessen auf Frankfurt am Main und Darmstadt konzentrierten. So versammelten sich unter dem Motto "Newroz - das Fest der Freiheit" am 20. März in Frankfurt am Main etwa 800 PKK-Sympathisanten zu einem Demonstrationszug, wobei es vereinzelt zu verbotenen 242 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 EXTREMISMUS MIT AUSLANDSBEZUG "Biji-Serok-Apo"-Rufen kam. Der Versammlungsleiter unterband die Rufe, nachdem die Polizei ihn hierzu aufgefordert hatte. Vertreter der kurdischen Studierendenverbände Jinen Xwendekaren Kurdistan (JXK, Studierende Frauen aus Kurdistan) und Yekitiya Xwendekaren Kurdistan (YXK, Verband der Studierenden aus Kurdistan) sowie der Federasyona Civaken Demokratik ya Kurdistaniyen li Saarland u Hessen (FCDK/KAWA, Föderation der demokratischen Vereine Kurdistans im Saarland und in Hessen e. V.) und des örtlichen PKKnahen Vereins hielten Reden. In Darmstadt demonstrierten am selben Tag etwa 500 PKK-Anhänger unter dem Motto "Newroz - Mit dem Newrozfeuer den Faschismus besiegen" und gaben dem ursprünglich traditionell kulturellen Fest der Kurden - wie auch in Frankfurt am Main - einen dezidiert politischen Anstrich. Auch in Darmstadt forderte die Polizei den Versammlungsleiter auf, für die Unterbindung des Skandierens der Parole "Biji Serok Apo" zu sorgen. Im Rahmen der Kampagne "Alle zusammen gegen den Faschismus" hieß es am 10. April auf der ANF-Internetseite: "Während die EU es vorzieht, sich über die Sitzordnung im Palast von Ankara zu empören, weil von der Leyen [i. e. die Präsidentin der Europäischen Kommission] auf ein Sofa verbannt wurde, formiert sich auf der Straße der Widerstand gegen das Abdriften der Türkei in eine islamo-faschistische Diktatur und das Schweigen der EU dazu". Mahnwache in Strasbourg (Frankreich) | Anhänger der PKK-nahen Vereine in Frankfurt am Main, Gießen (Landkreis Gießen) und Darmstadt übernahmen für jeweils eine Woche im April, September und Oktober die Mahnwache vor dem Gebäude des European Committee for the Prevention of Torture and Inhuman or Degrading Treatment or Punishment (CPT, Europäisches Komitees für die Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe). Die Mahnwache bestand seit Juni 2012 und wurde in regelmäßigen Abständen von PKK-Gruppen aus ganz Europa betreut. In Frankreich können PKK-Anhänger die Symbole der Terrororganisation bzw. ihres Anführers Öcalan offen zeigen. "Lebende Schutzschilde" | Als Reaktion auf die im April gestartete türkische Militäroffensive gegen Stellungen der PKK im Nordirak rief die PKK die Aktion "lebende Schutzschilde" ins Leben. Vor diesem Hintergrund reisten vor allem im Juni Anhänger und Unterstützer der PKK in kurdische Siedlungsgebiete in den Nordirak, darunter Angehörige von "Friedensdelegationen". Eine deutsche Linksextremistin aus Hessen gab nach ihrer Rückkehr der Nachrichtenagentur ANF Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 243 EXTREMISMUS MIT AUSLANDSBEZUG ein Interview, in dem sie sich als Mitarbeiterin des PKK-nahen Frauenbüros für Frieden CENI e. V. zu erkennen gab. Bei einer Grenzkontrolle stellte die BPol am Flughafen Düsseldorf am 12. Juni verschiedene Personengruppen fest, die nach Erbil (Irak) reisen wollten. Da die Beamten diese der PKK-Aktion "lebende Schutzschilde" zuordneten, wurden 19 Personen einer erweiterten Ausreisekontrolle und einer Ausreisebefragung unterzogen. 15 Personen wurde bis zum 12. Juli die Ausreise in den Irak untersagt, vier Personen, darunter zwei Vertreter der Partei DIE LINKE., die Weiterreise gestattet. Die PKK-nahe Nachrichtenagentur ANF wertete die zum Teil verhinderte Ausreise als Ermunterung der Bundesregierung an die Türkei, ihre "völkerrechtswidrige Besatzungsoperation in Kurdistan fortzuführen". In weiteren Veröffentlichungen bezeichneten PKK-nahe Medien ausreisende Personen regelmäßig als "Friedensdelegation" oder "#Delegation4Peace". Aufrufe zur Begrüßung der Rückkehrer und zu einer entsprechenden Kundgebung am Flughafen Frankfurt am Main wurden über die sozialen Medien geteilt. So kam es am 13. Juni am Terminal 1 zu einer nicht angemeldeten Demonstration mit etwa 60 Personen. Aktionen der PKK-nahen Studierendenverbände | Die Studierendenverbände YXK und JXK traten mehrmals öffentlichkeitswirksam in Erscheinung und verwendeten verbotene Symbole. Dabei fiel das Logo des YXK unter das Kennzeichenverbot des Bundesministeriums des Innern und für Heimat, während das Logo der JXK hiervon nicht betroffen war. Im Juni berichtete die PKK-nahe Nachrichtenagentur ANF über "Besuche" der YXK-Ortsgruppe Frankfurt am Main bei "Parteien und Medienhäusern" in Frankfurt am Main. Dabei seien der Frankfurter Rundschau und der Frankfurter Allgemeinen Zeitung Dossiers über die "aktuelle Situation in Kurdistan" übergeben worden. Auch die Büros der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD), von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der Partei DIE LINKE. seien aufgesucht worden. Im Internet zu dieser Aktion veröffentlichte Bilder zeigten Aktivisten der YXK mit der verbotenen Fahne ihrer Organisation. Bei dem "Besuch" wendeten die Aktivisten keine Gewalt an, die Betroffenen erstatteten keine Anzeige. Am 4. September führten JXK und YXK ihren "24. YXK Kongress" im PKK-nahen Verein in Darmstadt durch. Auf Instagram veröffentlichte die YXK-Ortsgruppe Frankfurt am Main später entsprechende Bilder, auf denen unter anderem Fahnen und Flyer zu sehen waren. 244 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 EXTREMISMUS MIT AUSLANDSBEZUG Im November fand im Rahmen der vom Allgemeinen Studierendenausschuss (AStA) veranstalteten "kritischen Orientierungswochen" im Studierendenhaus der Universität Kassel eine Vortragsveranstaltung mit dem Titel "Initiative Verbot aufheben" zum PKK-Betätigungsverbot statt. Das Thema des Vortrags lautete "Zwischen Kriminalisierung und Freiheitskampf: 30 verbotene Fahnen und immer noch kein Frieden". Als Organisator trat unter anderen der örtliche PKK-nahe Verein auf. Der Vortragsraum war mit mehreren Fahnen, darunter auch die verbotene Fahne der PKK, dekoriert. Darüber hinaus warben die JXK sowie die YXK-Ortsgruppen Gießen und Frankfurt am Main für "Kennenlernabende" im Dezember. Als Veranstaltungsort wählten sie in Gießen (Landkreis Gießen) den örtlichen PKK-nahen Verein. In Frankfurt am Main luden JXK und YXK in das Studierendenhaus auf dem Campus Bockenheim der Universität ein. Spendenkampagne | Außerhalb der Türkei war die jährliche Spendenkampagne nach wie vor ein zentrales Anliegen der PKK, da sie der logistischen und finanziellen Unterstützung der Gesamtorganisation diente. PKK-Anhänger reagierten vor allem sehr emotional auf die türkischen Militäroffensiven, sodass die Spendenbereitschaft für die PKK in der kurdischen Diaspora nach wie vor hoch war. Exekutivmaßnahmen | Im September verhaftete die Polizei einen 22jährigen PKK-Funktionär aus Hessen in Frankfurt am Main auf der Grundlage eines Haftbefehls des Ermittlungsrichters des OLG Stuttgart. Danach war der Festgenommene seit 2020 als PKK-Jugendfunktionär im deutsch-schweizerischen Grenzgebiet, in Wien (Österreich) und in Berlin tätig gewesen. Schwerpunkt seiner Arbeit war die Werbung junger, überwiegend kurdisch-stämmiger Personen, die an die PKK herangeführt werden sollten. Des Weiteren war der Funktionär für das Organisieren regionaler und überregionaler Veranstaltungen sowie das Sammeln von Spendengeldern verantwortlich gewesen. Auf einschlägigen Plattformen solidarisierten sich PKK-Anhänger mit dem Festgenommenen. So berichtete die Nachrichtenagentur ANF im Oktober und November über ihn und andere in Deutschland inhaftierte PKK-Kader. Im August verurteilte das OLG Koblenz einen PKK-Funktionär aus Hessen zu einer Freiheitstrafe von zweieinhalb Jahren wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung in einer terroristischen Vereinigung im Ausland. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass der Mann 2018 und 2019 das PKK-Gebiet Mainz, das sich zum Teil auch auf Hessen erstreckt, geleitet hatte. Seine Aufgabe war es gewesen, mittels Organisieren sowie Überwachen von Spendenkampagnen und VeranHessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 245 EXTREMISMUS MIT AUSLANDSBEZUG staltungen Gelder für die PKK zu beschaffen. Das Urteil ist rechtskräftig. Rückkehrer | Im Berichtszeitraum kehrten zwei deutsche Staatsbürger mit türkischem Migrationshintergrund aus türkischer und syrischer Haft nach Hessen zurück. Beiden - einer Frau aus Frankfurt am Main (seit 2019 in der Türkei inhaftiert) und einem Mann aus Offenbach am Main (seit 2020 in Syrien in Haft) - war die Unterstützung von Terrorgruppen vorgeworfen worden. Die Frau hatte vor ihrer Türkeireise 2019 in Deutschland öffentlich ihre Sympathie für die PKK bekundet und war deshalb - bislang ohne Verurteilung - angeklagt worden; der Mann hatte wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung eine Haftstrafe in Syrien verbüßt. Beide Personen wurden nach ihrer Rückkehr durch die örtlichen Polizeidienststellen befragt. Ein gegen den Mann seitens des Generalbundesanwalts eingeleitetes Verfahren wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland wurde vorläufig eingestellt. ENTSTEHUNG/GESCHICHTE 1978 als eine Partei mit marxistisch-leninistischer Ausrichtung gegründet, suchte die PKK mit ihren bewaffneten Einheiten seit dem 15. August 1984 die Auseinandersetzung mit dem türkischen Militär. Den Kampfhandlungen fielen seitdem mehrere zehntausend Menschen zum Opfer. AUF EINEN BLICK * Wandlungen der PKK * Verurteilung Öcalans * Umbenennungen Wandlungen der PKK | Die ursprünglich marxistisch-leninistisch orientierte Terrororganisation wurde am 27. November 1978 gegründet und strebte danach, durch einen Guerillakrieg einen revolutionären Umbruch zu erreichen und anschließend einen eigenen kurdischen Staat zu gründen. Im Laufe der Jahre veränderte sich diese Forderung hin zu einer konföderalen Vorstellung, die den Kurden in ihren Gebieten weitgehende kulturelle und politische Autonomie und Selbstbestimmung bringen soll. Hierzu sollen zum Beispiel ein eigenes Parlament, eigene Wirtschaftsund Finanzstrukturen, eine anerkannte eigene Sprache und eine eigene Fahne gehören. Vor allem die beiden letzten Punkte sind für die PKK besonders symbolträchtig. Von Beginn an sah die PKK Gewalt als ein wichtiges Mittel im revolutionären Kampf an. Gewalt wurde innerhalb der Terrororganisation 246 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 EXTREMISMUS MIT AUSLANDSBEZUG - zum Beispiel gegen Abweichler - ebenso angewendet wie im Rahmen bewaffneter Aktionen und Anschläge insbesondere in der Türkei. Dabei gab es, abhängig von der jeweiligen innenpolitischen Entwicklung, immer wieder Phasen eines von der PKK verkündeten "Waffenstillstands" gegenüber der türkischen Regierung. In Europa und Deutschland versuchte die PKK seit Jahren - zumindest nach außen hin - den Eindruck einer politischen Neuorientierung zu erwecken und sich vor allem durch ihren Kampf gegen den IS in Syrien als zuverlässigen Partner europäischer Staaten darzustellen. Dies geschah auch deshalb, um eine Streichung von der EU-Terrorliste bzw. die Aufhebung des Betätigungsverbots in Deutschland zu erreichen. Verurteilung Öcalans | 1998 entzog Syrien auf massiven Druck der Türkei dem PKK-Anführer Abdullah Öcalan die Unterstützung und veranlasste ihn, sein dortiges Exil aufzugeben. Nach verschiedenen Aufenthalten in Europa und Afrika wurde Öcalan am 15. Februar 1999 in Kenia festgenommen und in die Türkei gebracht. Am 29. Juni 1999 vom Staatssicherheitsgericht in Ankara zum Tode verurteilt - die Strafe wurde mit Abschaffung der Todesstrafe am 3. Oktober 2002 in lebenslange Haft umgewandelt -befand sich Öcalan seitdem auf der Gefängnisinsel Imrali in Haft. Für die PKK gilt der 15. Februar als "schwarzer Tag in der Geschichte des kurdischen Volkes". Sie spricht in diesem Zusammenhang von einem "internationalen Komplott". Umbenennungen | 2002 benannte sich die PKK in Kongreya AzadA(r) A" Demokrasiya Kurdistane (KADEK, Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistans) um. 2003 folgte die Umbenennung in Kongreya Gele Kurdistane (KONGRA GEL, Volkskongress Kurdistans). Damit versuchte die PKK, sich von der "Stigmatisierung" als Terrororganisation zu befreien und sich als politisch neu ausgerichtete Organisation zu präsentieren. Die unterschiedlichen Bezeichnungen der letzten Jahre hinsichtlich der Struktur und personellen Zusammensetzung führten zu keinen grundsätzlichen Umgestaltungen der PKK. Die Ursprungsorganisation bestand im Wesentlichen fort. 2005 gründete sich die Koma Civaken Kurdistan (KCK, Gemeinschaft der Kommunen Kurdistans), die sich die Verwirklichung des "demokratischen Konföderalismus" zum Ziel setzte. Darunter versteht die PKK einen nichtstaatlichen Verbund aller Kurden in der Türkei, in Syrien, im Iran und Irak, den sie mit eigenen Regierungsorganen und mit dem Anspruch einer eigenen Staatsbürgerschaft versieht. Die staatlichen Grenzen der Länder, in denen Kurden leben, sollen in diesem virtuellen Verbund unangetastet bleiben. Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 247 EXTREMISMUS MIT AUSLANDSBEZUG PKK und KCK sind im Wesentlichen strukturell identisch. In der Binnenkommunikation sprechen Funktionäre, Mitglieder und Anhänger - unbeschadet aller jeweils aktuellen Bezeichnungen der Organisation - seit jeher von PKK. Im Außenverkehr tituliert sich die PKK hingegen, wenn sie ihr organisatorisches Ganzes meint, als KCK. IDEOLOGIE/ZIELE Ziel der terroristischen PKK war ursprünglich die staatliche Unabhängigkeit der auf mehrere Staaten im Nahen Osten zersplitterten kurdischen Siedlungsgebiete. Der kurdische Staat ("Kurdistan") sollte in der Türkei aus Südostanatolien, Regionen im Nordosten Syriens ("Rojava"), Gebieten im Norden des Iraks und Gebieten im Westiran bestehen. AUF EINEN BLICK * Autonomie in der Türkei * Öcalan als ideologische Führungsfigur Autonomie in der Türkei | Die PKK behauptet, ihr Ziel der staatlichen kurdischen Unabhängigkeit zugunsten eines einheitlichen länderübergreifenden Siedlungsverbunds aller Kurden aufgegeben zu haben, in dessen Rahmen die Grenzen der betroffenen Staaten Bestand haben sollen. Was die in der Türkei lebenden Kurden betrifft, kämpft die PKK für die staatliche Anerkennung ihrer kulturellen und politischen Identität, die in Südostanatolien mittels eines Autonomiestatus - ähnlich der Autonomen Region Kurdistan im Nordirak - verwirklicht werden soll. Im Zuge des syrischen Bürgerkriegs und der nach wie vor nicht beendeten Auseinandersetzungen mit dem IS streben die PKK und ihr syrischer Ableger PYD auch im Norden Syriens nach Autonomie. Dabei beansprucht die PKK, die Interessen aller Kurden zu vertreten. Öcalan als ideologische Führungsfigur | Der in der Türkei inhaftierte Abdullah Öcalan fungiert weiterhin als ideologische Führungsfigur der Terrororganisation, da er einer der Gründer der PKK war und damals sogleich zum Vorsitzenden gewählt wurde. Darüber hinaus verfasste Öcalan Schriften, die noch heute als Material bei der Kaderschulung dienen. Auch nach seiner Inhaftierung hatte Öcalan jahrelang wichtige Entscheidungen der PKK inhaltlich mitgeprägt, so etwa die Zielsetzung der kulturellen und politischen Autonomie, die an die Stelle der Etablierung eines eigenen "Kurdenstaats" trat. Seit mehreren Jahren ist allerdings nicht mehr bekannt, dass Öcalan die inhaltliche Ausrichtung der PKK mitbestimmt. 248 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 EXTREMISMUS MIT AUSLANDSBEZUG Vor diesem Hintergrund hat Öcalan innerhalb der Terrororganisation weiterhin eine absolut herausgehobene Stellung inne. Im Laufe der Zeit wurde er immer stärker verklärt, sowohl seine Verhaftung 1999 als auch seine Einzelhaft auf der Gefängnisinsel Imrali wurden im Sinne der PKK historisiert. Insgesamt wird Öcalan schon heute als lebender Märtyrer verehrt, der wegen seines Engagements für eine "richtige und gute Sache" zu Unrecht verfolgt, inhaftiert und isoliert werde. Angesichts fehlender Informationen über Öcalan und seine Situation wird bei PKK-Veranstaltungen immer wieder die Forderung erhoben, dass über seinen Gesundheitszustand und seine Haftbedingungen berichtet und ein glaubhaftes Lebenszeichen von ihm gegeben wird. Bei Gerüchten über eine Verschlechterung seines Lebensumfelds oder seines Tods organisieren PKK-Anhänger sofort Solidaritätsaktionen. STRUKTUREN Die Strukturen der PKK in Europa sind weder organisatorisch selbstständig noch sind sie, gleich wo die Führung der Terrororganisation ihren Sitz in der Türkei oder angrenzenden Staaten hat, unabhängig. Zum einen sind diese Strukturen vollständig in den PKK-Aufbau eingegliedert, zum anderen werden auch politisch-ideologische Ziele und die Art und Weise ihrer Umsetzung seitens der PKK-Führung vorgegeben. AUF EINEN BLICK * Regionen und Gebiete * Dachverbände PKK-naher Vereine * Weitere Teilorganisationen * PKK-nahe Medien * Weiteres Umfeld der PKK im Nahen Osten Regionen und Gebiete | Die PKK teilt Deutschland in neun Regionen mit insgesamt 31 Gebieten ein, wobei jede Region von einem konspirativ tätigen Führungskader geleitet wird, dessen Verwendung meistens zeitlich begrenzt ist. Mittels örtlicher kurdischer Vereine steuert die PKK sowohl Informationen als auch verschiedene Vorgaben an ihre Anhänger. Dachverbände PKK-naher Vereine | Als Dachverband der PKK-nahen Vereine in Deutschland fungiert die Almanya'daki Mezopotamya Topluluklar Konfederasyonu (KON-MED, Konföderation der Gemeinschaften Mesopotamiens in Deutschland). Ihr gehören fünf Föderationen an, darunter die FCDK/KAWA mit Sitz in Darmstadt. Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 249 EXTREMISMUS MIT AUSLANDSBEZUG Gemessen am Mobilisierungspotenzial befand sich in Frankfurt am Main und in Darmstadt die größte kurdische Community in Hessen mit Bezug zur PKK. Im Unterschied zu Kassel, Gießen, Marburg und Frankfurt am Main agierten die PKK-Anhänger in Darmstadt weitgehend autark. Eine signifikante Vermischung oder Unterwanderung mit bzw. durch deutsche und türkische Linksextremisten war hier seltener zu beobachten. Als Dachorganisation für Europa fungiert der KCDK-E. Weitere Teilorganisationen | Darüber hinaus trugen weitere Teilorganisationen die Aktivitäten der PKK: * Propagandabzw. Frontorganisation (politischer Arm): Koordinasyona Civaka DemokratA(r)k a Kurdistan (CDK, Koordination der kurdisch-demokratischen Gesellschaft), Sitz unbekannt. * Tevgera Ciwanen Soresger (TCS, Bewegung der revolutionären Jugend). * Jinen Ciwanen Azad (Bewegung junger Frauen). * Kurdisches Zentrum für Öffentlichkeitsarbeit e. V. (Civika Azad). * Heyva Sor a Kurdistane (HSK, Kurdischer Roter Halbmond). * Yekitiya Xwendekaren Kurdistan (YXK, Verband der Studierenden aus Kurdistan). * Jinen Xwendekaren Kurdistan (JXK, Studierende Frauen aus Kurdistan). Als Studierendenverbände waren die JXK und der YXK an hessischen Universitäten in Kassel, Gießen (Landkreis Gießen), Marburg (Landkreis Marburg-Biedenkopf), Frankfurt am Main und Darmstadt aktiv. PKK-nahe Medien | PKK-Positionen werden insbesondere über eigene Medienstrukturen umgesetzt. Neben einem PKKFernsehsender (Sterk-TV/NUCE-TV) gibt es die PKK-nahe Nachrichtenagentur ANF (Sitz in den Niederlanden) sowie verschiedene Zeitungen und Zeitschriften (unter anderem die vom Betätigungsverbot nicht betroffene YÖP, die in Neu-Isenburg im Landkreis Offenbach erscheint, sowie Serxwebun und Ciwanen Azad). Weiteres Umfeld der PKK im Nahen Osten | Mit der PKK verbunden sind die PYD in Syrien sowie die Partiya Jiyana Azad a Kurdistane (PJAK, Partei für ein freies Leben in Kurdistan) und die Partiya Careseriya Demokratik a Kurdistane (PCDK, Partei für eine politische Lösung in Kurdistan) im Irak. Als Schwesterparteien wollen auch sie die Interessen von Kurden vertreten. 250 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 EXTREMISMUS MIT AUSLANDSBEZUG BEWERTUNG/AUSBLICK Die Veranstaltungen von PKK-Anhängern in Hessen verliefen insgesamt ohne Störungen und - wohl aufgrund der mit der COVID-19Pandemie verbundenen Umstände - mit einer relativ geringen Teilnehmerzahl im unteren und mittleren zweistelligen Bereich, sieht man von den Newroz-Feiern in Frankfurt am Main (800 Teilnehmer) und Darmstadt (500) ab. Da die Haftbedingungen Abdullah Öcalans und dessen Gesundheitszustand einen eminent wichtigen Schwerpunkt in der politischen Wahrnehmung der PKK-Anhänger bilden, ist es stets möglich, dass es bei deren Verschlechterung zu gewalttätigen Ausschreitungen bei Demonstrationen und zu anderen "militanten Aktionen" kommt. Dies gilt auch für weitere türkische Militäroperationen gegen bewaffnete PKK-Einheiten in der Türkei, in Syrien und im Irak. Vor diesem Hintergrund sind in Deutschland Auseinandersetzungen zwischen PKK-Anhängern und Nationalisten bzw. Rechtsextremisten mit türkischem Hintergrund (Ülkücü-Bewegung) möglich. Dabei ist mit "Hit-and-run"-Aktionen kurdischer Jugendlicher zu rechnen, die in der Vergangenheit von Sachbeschädigungen gegen türkische Einrichtungen über Straßenblockaden bis hin zu Besetzungen von Parteibüros und Medienanstalten reichten. Dies geschah zum Teil in Zusammenarbeit mit deutschen Linksextremisten, mitunter sogar unter deren Federführung. Da die PKK nach wie vor bestrebt ist, die Aufhebung des Betätigungsverbots und die Streichung von der EU-Terrorliste zu erreichen, ist davon auszugehen, dass sie weiterhin ausloten wird, inwieweit sie das Betätigungsverbot unterminieren kann. Während PKK-Anhänger in den letzten Jahren vor allem bei Demonstrationen verbotene Symbole der YPG und YPJ verwendeten, zeigten sie im Berichtsjahr häufig nicht an Auflagen geknüpfte Abbildungen ihres Anführers Abdullah Öcalan. Er verkörpert nach wie vor die PKK und fungiert trotz seiner Inhaftierung als unverkennbare ideologische Größe, die für das Weltbild und die damit einhergehenden Aktivitäten der Terrororganisation und ihrer Anhänger steht. Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 251 EXTREMISMUS MIT AUSLANDSBEZUG TÜRKISCHER LINKSEXTREMISMUS Sonstige Beobachtungsobjekte Neben der PKK gab es in Hessen weitere Organisationen, die einen bedeutenden Teil des Spektrums im Phänomenbereich Extremismus mit Auslandsbezug bildeten. Die wichtigsten von ihnen sind unten aufgeführt. AUF EINEN BLICK * Devrimci Halk Kurtulus Partisi-Cephesi (DHKP-C, Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front) Gründung und Ideologie Strukturen - Anhängerpotenzial Verstärkte Aktivitäten im Rhein-Main-Gebiet Veranstaltungen Bewertung/Ausblick * Türkiye Komünist Partisi/Marksist-Leninist (TKP/ML, Türkische Kommunistische Partei/Marxisten-Leninisten) Entstehung und Ideologie Strukturen Gedenkveranstaltungen "Antifaschismus" - "Rechte der Frauen" - Spendenkampagne Bewertung/Ausblick * Marksist Leninist Komünist Parti (MLKP, MarxistischeLeninistische Kommunistische Partei) Entstehung und Ideologie Strukturen - Anhängerpotenzial Veranstaltungen Bewertung/Ausblick * Demokratik Isci Dernekleri Federasyonu e. V. (DIDF, Föderation Demokratischer Arbeitervereine e. V.) Entstehung und Ideologie - Anhängerpotenzial Strukturen Veranstaltungen Bewertung/Ausblick Devrimci Halk Kurtulus Partisi-Cephesi (DHKP-C, Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front) Gründung und Ideologie | Die DHKP-C wurde 1994 als Nachfolgeorganisation der seit 1983 in Deutschland verbotenen Devrimci Sol (Dev Sol, Revolutionäre Linke) gegründet. Von der EU ist die in Deutschland seit 1998 verbotene Organisation seit 2002 - wie auch die PKK - als terroristische Organisation eingestuft. Ähnlich wie Yürüyüs (Marsch), das Publikationsorgan der DHKP-C, dessen Verbrei252 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 EXTREMISMUS MIT AUSLANDSBEZUG tung seit 2015 durch das Bundesministerium des Innern und für Heimat verboten ist, ist auch die Musikband Grup Yorum ein integraler Bestandteil der Terrororganisation. Auf der Grundlage des Marxismus-Leninismus strebt die DHKP-C einen revolutionären Umsturz der bestehenden Staatsund Gesellschaftsordnung und die Errichtung einer klassenlosen, sozialistischen Gesellschaft in der Türkei an. Die DHKP-C propagiert einen bewaffneten Volkskampf unter ihrer Führung und ist in der Türkei immer wieder auch für Selbstmordanschläge verantwortlich. Zuletzt fand ein solcher Anschlag auf einen Bus der Bereitschaftspolizei in Istanbul 2017 statt. Strukturen - Anhängerpotenzial | Die DHKP-C gliederte sich in einen politischen und einen militärischen Arm: die Devrimci Halk Kurtulus Partisi (DHKP, Revolutionäre Volksbefreiungspartei) und die Devrimci Halk Kurtulus Cephesi (DHKC, Revolutionäre Volksbefreiungsfront). An deren Spitze stand das Zentralkomitee, dem wiederum Regionalund Gebietsleiter untergeordnet waren. In Deutschland trat die DHKP-C vornehmlich als Volksfront (Halk Cephesi) und als Anatolische Föderation (Anadolu Federasyonu) auf. Die Jugendorganisation Devrimci Genclik (Dev-Genc, Revolutionäre Jugend) arbeitete eng mit der Führung auf den jeweiligen Ebenen zusammen. In Hessen verfügte die DHKP-C etwa über 70 Anhänger, bundesweit rund 650. Verstärkte Aktivitäten im Rhein-Main-Gebiet | Nachdem sich die DHKP-C zu einer Neuordnung im Rhein-Main-Gebiet zurückgezogen hatte, nahmen ihre Aktivitäten im Frühjahr des Berichtsjahrs zu. In Rüsselsheim (Kreis Groß-Gerau) kam es über das Jahr hinweg zu mehreren Farbschmierereien mit DHKP-C-Bezug. Einige waren mit "Avrupa Dev-Genc" unterschrieben, was für die europäische Jugendorganisation der DHKP-C steht. Des Weiteren kam es in Frankfurt am Main regelmäßig zu Solidaritätskundgebungen für "politische Gefangene" in Griechenland und der Türkei vor den entsprechenden Generalkonsulaten. Die Veranstaltungen verliefen friedlich, die Teilnehmerzahl lag meistens im einstelligen Bereich. In Frankfurt am Main und Darmstadt kam es zu thematisch ähnlichen Kundgebungen. Ferner berichtete die Dev Genc in den sozialen Medien über die Verteilung von Handzetteln in Briefkästen und Flyern vor dem Opel-Werk in Rüsselsheim. Veranstaltungen | Am 20. Juni fand in Darmstadt eine Kundgebung ("Eine Stimme gegen Rassismus") zum Thema Rassismus und Drogen statt, auf der einige Mitglieder des Musikerkollektivs Grup Yorum spielten. Für den Auftritt war hessenweit in den sozialen Medien, mit Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 253 EXTREMISMUS MIT AUSLANDSBEZUG Plakaten, in der eigenen Zeitung und auf der eigenen Homepage geworben worden. In der Spitze nahmen etwa 80 Personen an der Veranstaltung teil. Im Oktober feierte die Dev Genc in Wiesbaden ihr 52-jähriges Jubiläum, zu dem bundesweit im Internet und im Wiesbadener Westend mit Megaphonen und Flyern aufgerufen worden war. Bei der Feier wurden Reden zur Geschichte der Jugendorganisation und zur Bedeutung ihrer Arbeit gehalten. Zudem gedachten die Anwesenden der "Märtyrer", die für die Ziele der Dev Genc starben. Ende Oktober kam es zu europaweiten Hungerstreiks in Solidarität mit Elif Ersoy, der in der Türkei inhaftierten Chefredakteurin der DHKP-C-Zeitschrift Yürüyüs. Daran beteiligten sich auch Aktivisten aus Darmstadt. Bewertung/Ausblick | Trotz des Verbots der DHKP-C gilt Deutschland in der EU als deren wichtiger finanzieller und logistischer Rückzugsraum. Neben den jährlichen Spendenkampagnen dienen unter anderem die Einnahmen aus den Grup-Yorum-Konzerten zur Finanzierung der Organisation. Deutschland wird als Vorbereitungsraum für terroristische Anschläge in der Türkei genutzt, ist aber selbst bisher nicht zum Ziel von Gewaltaktionen geworden. Ferner versucht die DHKP-C unter dem Deckmantel gesellschaftspolitisch konsensfähiger Themen, neue Anhänger zu gewinnen und zu mobilisieren, wobei im Zusammenhang mit politischen Ereignissen in der Türkei eine hohe Emotionalisierung innerhalb der Organisation besteht. Türkiye Komünist Partisi/Marksist-Leninist (TKP/ML, Türkische Kommunistische Partei/Marxisten-Leninisten) Entstehung und Ideologie - Mitgliederpotenzial | Die TKP/ML wurde von Ibrahim Kaypakkaya 1972 in der Türkei als kommunistische Kaderorganisation gegründet. 1994 führte eine Spaltung der Partei zur Bildung zweier miteinander konkurrierender Fraktionen: der TKP/MLPartizan und der Maoist Komünist Partisi (MKP, Maoistisch-Kommunistische Partei). 2019 spaltete sich die TKP/ML erneut, sodass sich zwei neue Organisationen bildeten, die sich im Namen nur durch ein Schriftzeichen unterscheiden: die TKP/ML und die TKP-ML. In Hessen waren überwiegend die TKP-ML bzw. deren Umfeldorganisationen aktiv, die über etwa 90 Anhänger verfügten, wobei es bundesweit rund 150 Anhänger der TKP/ML und etwa 650 der TKP-ML waren. In der Türkei sind die TKP/ML und die aus ihr hervorgegangenen beiden Gruppierungen als Terrororganisationen verboten. 254 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 EXTREMISMUS MIT AUSLANDSBEZUG Sowohl die ursprüngliche TKP/ML als auch die beiden neuen Organisationen waren und sind ideologisch vom Marxismus-Leninismus geprägt, folgen aber auch einer maoistischen Linie. Ihr Ziel ist der revolutionäre Umsturz des politischen Systems in der Türkei und die Schaffung eines "demokratischen Volksstaats" unter der Herrschaft des "Proletariats". Daher führte die TKP/ML von Beginn an einen bewaffneten Kampf gegen den türkischen Staat. Um Anschläge in der Türkei verüben zu können, unterhält die heutige TKP/ML die militante Türkiye Isci Köylü Kurtulus Ordusu (TIKKO, Türkische Arbeiterund Bauernbefreiungsarmee) in der Türkei. Im Verlauf bewaffneter Auseinandersetzungen getötete Organisationsangehörige werden als "Märtyrer" und "Vorbilder" verehrt. Strukturen | In Deutschland agierte die TKP-ML unter der Dachorganisation Avrupa Türkiyeli Isciler Konfederasyonu (ATIK, Konföderation der Arbeiter aus der Türkei in Europa) mit der ihr angehörenden Almanya Türkiyeli Isciler Federasyonu (ATIF, Föderation der Arbeiter aus der Türkei in Deutschland e. V.). Diese Umfeldorganisationen waren in lokalen Vereinen organisiert und leisteten in erster Linie propagandistische Unterstützungsarbeit. Durch eine alljährliche Spendenkampagne trugen sie außerdem zur Finanzierung der Partei bei. Die Yeni Demokratik Genclik (YDG, Neue demokratische Jugend) fungierte als Jugendorganisation der ATÄdegK, die an die ATÄdegF-Ortsvereine angegliedert war. Zu den Umfeldorganisationen gehörte zudem die Yeni Kadin (Neue Frau), die in mehreren Städten - unter anderem in Frankfurt am Main - aktiv war. ATIF-Vereine existierten in OberRamstadt (Landkreis Darmstadt-Dieburg), Darmstadt, Frankfurt am Main und Wiesbaden. Der Verein in Frankfurt am Main betrieb das Jugendzentrum KAGEF, das als Vereinstreff und für Veranstaltungen innerhalb der türkisch-linksextremistischen Szene genutzt wurde. Gedenkveranstaltungen | Sowohl die ATÄdegF als auch die YDG beteiligten sich an mehreren Gedenkveranstaltungen für die Opfer des rassistischen Anschlags in Hanau (Main-Kinzig-Kreis) im Februar 2020, die seitdem bundesweit regelmäßig stattfanden. Da für diese Veranstaltungen explizit darum gebeten wurde, keine organisationszugehörigen Symbole zu zeigen, um den Fokus auf dem Gedenken zu belassen, ist nicht zu beurteilen, wie groß der Anteil aus dem extremistischen Spektrum insgesamt war. "Antifaschismus" - "Rechte der Frauen" - Spendenkampagne | Den Schwerpunkt ihrer Arbeit legten die Umfeldorganisationen ATÄdegF, ATIK, YDG und Yeni Kadin auf die Themenfelder "Antifaschismus" und "Rechte der Frauen". Damit protestierten diese Organisationen gegen das in ihrer Sicht strukturelle, auch staatlich bedingte Problem Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 255 EXTREMISMUS MIT AUSLANDSBEZUG der klaren Abgrenzung und Bekämpfung von Rassismus, das sich auch in Polizeigewalt gegen Migranten äußere. Im Rahmen der Kampagne "Rassismus ist keine Meinung, sondern ein Verbrechen" führten die Umfeldorganisationen mehrere Kundgebungen durch, die auch von Nichtextremisten besucht wurden. Darüber hinaus nahmen ATÄdegF, ATÄdegK, YDG und Yeni Kadin an Protestveranstaltungen gegen die türkische Politik teil bzw. organisierten diese selbst. Im Dezember sammelte die YDG Sachspenden für Kinder in den nordirakischen Städten Shingal und Machmur, die sie dann in die Region Kurdistan brachte. Bewertung/Ausblick | Durch die Aufspaltungen der Mutterpartei in der Türkei verlieren die einzelnen Fraktionen immer stärker an Mitgliedern und Einfluss. Die Beteiligung des ATÄdegF-Verein in Frankfurt am Main an vielen Aktionen und Veranstaltungen von anderen türkischen und deutschen Linksextremisten führte - besonders durch die YDG gefördert - zu einer stärkeren Vernetzung mit anderen Extremisten und Nichtextremisten. Da die ATÄdegF ihr Spektrum der anschlussfähigen Themen erweiterte, gelang es ihr, langjährige Aktivisten verstärkt anzusprechen und neue Mitglieder zu gewinnen. Auch eine häufige Beteiligung in den sozialen Medien und in Bündnissen führte zu größerer und breitgefächerter Aufmerksamkeit sowohl in der türkischen als auch der deutschen linksextremistischen Szene, was wiederum potenzielle Interessenten anlockte und Mitglieder zu mehr Engagement verleitete. Marksist Leninist Komünist Parti (MLKP, Marxistische-Leninistische Kommunistische Partei) Entstehung und Ideologie | 1994 entstand aus dem Zusammenschluss der Türkiye Komünist Partisi/Marksist Leninist Hareketi (TKP/ML-H, Türkische Kommunistische Partei/Marxisten-Leninisten-Bewegung) mit der Türkiye Komünist Isci Hareketi (TKIH, Türkische Kommunistische Arbeiterbewegung) die Marksist Leninist Komünist Parti-Kurulus (MLKP-Kurulus, Marxistische-Leninistische Kommunistische Partei-Aufbau). Seit 1995 nennt sich die Partei nur noch MLKP, wobei sie in der Türkei als Terrororganisation eingestuft ist. 2016 unterzeichneten die MLKP und die PKK eine Deklaration, in der sie gemeinsam mit anderen Gruppen dem türkischen Staat den Kampf ansagten. Die MLKP will in der Türkei eine kommunistische Gesellschaft nach den Lehren von Karl Marx und Friedrich Engels unter Ergänzung leninistischer Leitlinien aufbauen. Durch einen Volksaufstand soll die Revolution "aus dem Herzen des Volkes" ausgelöst und die "Diktatur des Proletariats" in der Türkei eingeführt werden. 256 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 EXTREMISMUS MIT AUSLANDSBEZUG Strukturen - Anhängerpotenzial | In Deutschland war die MLKP hauptsächlich über ihre Umfeldorganisationen tätig: die Avrupa Ezilen Göcmenler Konfederasyonu (AvEG-Kon, Konföderation der unterdrückten Immigranten in Europa) und die Almanya Göcmen Isciler Federasyonu (AGIF, Föderation der ArbeitsimmigrantInnen aus der Türkei in Deutschland e. V.). Beide stehen der MLKP ideologisch nahe, indem sie dieselben Themen besetzten. Die Jugendorganisation Young Struggle, bei der sich nicht nur türkische, sondern auch deutsche Jugendliche engagierten, beschäftigt sich vor allem mit den Themen "Klassenkampf" und "Antirassismus". Die Anzahl der MLKP-Anhänger in Hessen ist unbekannt, bundesweit waren es rund 600. Veranstaltungen | Die AGÄdegF und vor allem Young Struggle beteiligten sich an Gedenkund Protestveranstaltungen zum rassistisch motivierten Anschlag in Hanau (Main-Kinzig-Kreis). So meldete Young Struggle in Frankfurt am Main für den 18. Februar die "antifaschistische Vorabenddemonstration zum Jahrestag des Anschlags" an. An der Veranstaltung, für die auch auf der deutschen linksextremistischen Internetplattform de.indymedia.org geworben wurde, nahmen etwa 3.000 Personen teil. Demonstranten an der Spitze des Zugs waren vermummt, es wurden pyrotechnische Gegenstände gezündet und die Parole "ACAB" (= All cops are bastards) skandiert. Des Weiteren meldete ein Aktivist von Young Struggle die 1.-Mai-Demonstration in Frankfurt am Main unter dem Motto "Revolutionärer 1. Mai - Tag der Wut - Kampftag der Arbeiter:innenklasse" an. Dabei kam es zu zahlreichen gewalttätigen Übergriffen auf die Polizei (siehe Kapitel Autonome). Außerdem beteiligte sich Young Struggle an bundesweiten Nakba-Demonstrationen (arab. nakba für Unglück oder Katastrophe), um sich mit den Palästinensern solidarisch zu zeigen. Bewertung/Ausblick | In Deutschland war die MLKP über ihre Umfeldorganisationen tätig und maßgeblich an der Organisation zweier "antifaschistischer" Demonstrationen beteiligt, die jeweils unfriedlich verliefen. Besonders der Jugendorganisation Young Struggle ist es durch anlassbezogene Kooperationen mit anderen deutschen und türkischen linksextremistischen Gruppen gelungen, sich vor allem in der deutschen linksextremistischen Szene bekannt zu machen und zu etablieren. Auch die Außendarstellung lässt eher auf eine Vorortung im deutschen als im türkischen linksextremistischen Spektrum schließen. Diese inhaltliche und personelle Verknüpfung stellt eine Besonderheit und neue Entwicklung dar. Außerdem griff die MLKP sowohl nationale als auch internationale - in der Regel die Türkei betreffende - Themen auf und machte diese zu zentralen Punkten ihrer öffentlichen Darstellung. Da Deutschland Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 257 EXTREMISMUS MIT AUSLANDSBEZUG ein wichtiger Rückzugsort der MLKP ist, ist es unwahrscheinlich, dass sie in Deutschland gewalttätige oder terroristische Aktionen durchführen wird. Demokratik Isci Dernekleri Federasyonu e. V. (DIDF, Föderation Demokratischer Arbeitervereine e. V.) Entstehung und Ideologie - Anhängerpotenzial | Die DIDF wurde 1980 in Deutschland als Dachverband von Arbeitervereinen aus der Türkei gegründet. Ideologisch ist sie dem dogmatischen Linksextremismus verhaftet und beschreibt sich als "Teil der antifaschistischen Bewegung in Deutschland". Faschismus begreift die DIDF dabei im marxistischen Sinne und sieht eine enge Verknüpfung zwischen "Kapitalismus" und Faschismus. Die DIDF stellt die Wirtschaftsordnung in Deutschland und damit auch die politische Ordnung in Frage. Behörden, Justiz, Politik, Polizei und Medien wirft die DIDF einen strukturellen Rassismus vor, der dazu diene, die "Arbeiterklasse" zu spalten und die gegenwärtigen Besitzverhältnisse zu zementieren. In Hessen verfügte die DIDF etwa über 350 Anhänger. Strukturen | In Hessen bestanden Vereine der DIDF in Darmstadt, Frankfurt am Main, Hanau (Main-Kinzig-Kreis), Kassel und Rüsselsheim (Kreis Groß-Gerau). Die DIDF-Jugend war der Mutterorganisation zwar strukturell angegliedert, agierte jedoch unabhängig von den lokalen Vereinen. Jugendvertretungen existierten neben den bereits genannten Vereinen außerdem in Marburg (Landkreis Marburg-Biedenkopf) und Gießen (Landkreis Gießen). Dabei lag der Schwerpunkt der Tätigkeit der DIDF in Hessen bei Vereinen und Gruppen in Frankfurt am Main, Hanau und in Mittelhessen. Veranstaltungen | Die DIDF, besonders die DIDF-Jugend, führte im Berichtsjahr eine Vielzahl von Veranstaltungen durch. Diese reichten von Diskussionsrunden, Gedenkund Protestveranstaltungen bis hin zu Kundgebungen und Demonstrationen, wobei diese vermehrt unter Beteiligung von Gewerkschaften, Parteien, Bündnissen und Initiativen stattfanden. Ziel der DIDF war es, "alle antifaschistischen Kräfte" zu bündeln. Vor diesem Hintergrund arbeitete die DIDF anlassbezogen sowohl mit Extremisten als auch mit Nichtextremisten zusammen. Um die Intensität dieser Kooperation zu dokumentieren, wurden - jeweils unter Beteiligung der DIDF - die folgenden Veranstaltungen durchgeführt: * Marburg, 9. Januar: Kundgebung zum Gedenken an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht, Beteiligung von SDAJ und DKP. * Frankfurt am Main und Marburg, 19. Februar: Demonstration anlässlich des Jahrestags des Anschlags in Hanau ("Kein Vergeben, 258 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 EXTREMISMUS MIT AUSLANDSBEZUG kein Vergessen!"), Beteiligung von DKP und SDAJ in Frankfurt am Main und von IL Marburg und SDAJ in Marburg. * Gießen, 8. März: Demonstration zum Internationalen Frauenkampftag, Beteiligung von SDAJ, DKP, A.R.A.G. und KO. * Frankfurt am Main, 23. März: Kundgebung wegen des Austritts der Türkei aus der Istanbul Konvention, Beteiligung der DKP. * Marburg, 5. April: Ostermarsch, Beteiligung von SDAJ und DKP. * Frankfurt am Main und Marburg, 1. Mai: 1.-Mai-Demonstration, Beteiligung der SDAJ. * Marburg, 8. Mai: Kundgebung und Demonstration anlässlich des 76. Jahrestags der Befreiung vom Nationalsozialismus und des Endes des Zweiten Weltkrieges, Beteiligung von DKP und SDAJ. * Frankfurt an Main, 9. Juli: Kundgebung zum Thema "Rechte Polizeistrukturen auflösen!", Beteiligung der SDAJ. * Marburg, 16. Juli: Kundgebung "Lass mal über Bafög reden", Beteiligung der SDAJ. * Frankfurt am Main, 19. August: Kundgebung wegen des Anschlags in Hanau ("Kein Vergeben! Kein Vergessen - Gemeinsam gegen Rassismus!"), Beteiligung von SDAJ und DKP. * Frankfurt am Main, 29. Oktober: Kundgebung "Für einen fairen Wandel - sozial, ökologisch, demokratisch", Beteiligung der SDAJ. * Marburg, 14. Dezember: Demonstration "Corona-Profiteure zur Kasse bitten - Gewerbesteuersenkung in Marburg verhindern", Beteiligung von SDAJ und IL Marburg. Bewertung/Ausblick | Die sehr aktive DIDF ist zwar eine dogmatische, linksextremistische Gruppierung mit Wurzeln in der Türkei, doch ist für ihre Mitglieder diese Herkunft weniger bestimmend als die Ideologie. So vernetzte sich die DIDF im Gegensatz zu anderen Gruppierungen im Phänomenbereich Extremismus mit Auslandsbezug überwiegend mit der deutschen linksextremistischen Szene. Wiederkehrende Kontakte und Verbindungen waren vor allem zur SDAJ und DKP zu beobachten, was sich insbesondere an der gemeinsamen Teilnahme an szenetypischen Demonstrationen und Kundgebungen zeigte. Darüber hinaus ist die DIDF durch eigene Stellungnahmen öffentlich wirksam tätig. EXTREMISTISCHE STRAFUND GEWALTTATEN MIT AUSLANDSBEZUG Die Strafund Gewalttaten in diesem Phänomenbereich resultierten zum einen aus Auseinandersetzungen zwischen linksund rechtsextremistischen Gruppierungen mit Auslandsbezug, zum anderen aus Konflikten am Rande von Demonstrationen. Hier adaptieren ExtreHessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 259 EXTREMISMUS MIT AUSLANDSBEZUG misten mit Auslandsbezug auch die Vorgehensweise deutscher Linksextremisten, die oft an PKK-nahen Kundgebungen und Kundgebungen des türkisch-linksextremistischen Spektrums teilnahmen. So werden z.B. PKW "politischer Gegner" gezielt beschädigt oder Fassaden an frequentierten Stellen im öffentlichen Raum mit politischen Parolen beschmiert. In diesem Kontext erhöhte sich die Zahl der Gewalttaten von einer (2020) auf fünf, während die Gesamtzahl der Strafund Gewalttaten von 32 (2020) auf 28 zurückging. (Siehe im Glossar unter dem Stichwort Politisch motivierte Kriminalität den Eintrag zur Erfassung politisch motivierter Strafund Gewalttaten mit extremistischem Hintergrund.) | 2021 2020 2019 2018 2017 Deliktart Tötung Versuchte Tötung Körperverletzung 3 1 3 5 1 Brandstiftung/Sprengstoffdelikte 1 3 Landfriedensbruch 1 Gefährliche Eingriffe in den Bahn-, Schiffs-, Luftund Straßenverkehr Freiheitsberaubung, Raub, Erpressung, 1 1 3 Widerstandsdelikte Gewalttaten insgesamt 5 1 4 12 1 Sonstige Straftaten Sachbeschädigung 6 6 1 25 8 Nötigung/Bedrohung 1 2 Andere Straftaten 16 25 68 47 107 (insbesondere Propagandadelikte) Strafund Gewalttaten insgesamt 28 32 73 84 118 260 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 ORGANISIERTE KRIMINALITÄT ORGANISIERTE KRIMINALITÄT In Hessen ist neben der Polizei auch der Verfassungsschutz für die Bekämpfung der OK zuständig. Die Schwerpunkte in der Bearbeitung waren im Berichtsjahr die Phänomenbereiche Rockerkriminalität sowie die russische und italienische OK. In seiner Funktion als "Frühwarnsystem" klärt das LfV entsprechende Aktivitäten auf und arbeitet eng mit der Polizei zusammen. Um bereits im Vorfeld von Straftaten Anhaltspunkte für OK-Aktivitäten festzustellen, können nachrichtendienstliche Mittel eingesetzt werden. Ziel ist es, personelle, logistische, organisatorische, finanzielle und deliktische Strukturen zu erforschen. AUF EINEN BLICK * OK-Definition * Missbrauch der freiheitlichen demokratischen Grundordnung - Tätigkeit der Sicherheitsbehörden * Rockerkriminalität * Russisch-eurasische OK * Italienische OK OK-Definition | Als Rechtsgrundlage der Beobachtung der OK durch das LfV dient SS 2 Abs. 2 Nr. 5 HVSG. Damit bildet die entsprechende Beobachtung einen wichtigen Bestandteil der Sicherheitsarchitektur in Hessen im Kampf gegen die OK. Laut der 1990 von der bundesweiten Gemeinsamen Arbeitsgruppe Justiz/Polizei (GAG) verabschiedeten Arbeitsdefinition ist die OK die von Gewinnund Machtstreben bestimmte planmäßige Begehung von Straftaten, die einzeln oder in ihrer Gesamtheit von erheblicher Bedeutung für die Rechtsordnung sind, durch mehr als zwei Beteiligte, die auf längere oder unbestimmte Dauer arbeitsteilig tätig werden * unter Verwendung gewerblicher oder geschäftsähnlicher Strukturen, * unter Anwendung von Gewalt oder durch entsprechende Drohung oder * unter Einflussnahme auf Politik, Verwaltung, Justiz, Medien oder Wirtschaft. Missbrauch der freiheitlichen demokratischen Grundordnung - Tätigkeit der Sicherheitsbehörden | Die OK missbraucht die freiheitliche demokratische Grundordnung, um allein in Deutschland seit Jahren einen Schaden im Millionenbereich zu verursachen (laut des Bundeslagebilds Organisierte Kriminalität des BKA für das Jahr 2020 837 Millionen Euro, was gegenüber 2019 einer Zunahme um 34 Millionen Euro entspricht). OK-Gruppierungen bedrohen die Grundlagen unserer Gesellschaft, indem sie die Macht einer kriminellen Organisation durch Gewalt (Körperverletzung, Bedrohung, Mord), Geld (Bestechung, Firmenbeteiligungen, Immobilienerwerb) und massive 262 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 ORGANISIERTE KRIMINALITÄT Einflussnahme (Politik, Verwaltung, Justiz, Medien, Wirtschaft) durchsetzen wollen. Rockerkriminalität | Das Phänomen der Rockerkriminalität bildet seit vielen Jahren im Bereich der OK einen Beobachtungsschwerpunkt des LfV. Das LfV stellt dabei in Zusammenarbeit mit anderen Behörden auch Erkenntnisse zur Verfügung, um Vereinsverbote im Bereich der OK zu ermöglichen. Wie in den Vorjahren waren OMCG - etwa die Hells Angels - und rockerähnliche Gruppierungen Gegenstand der Beobachtung. Einzelne Führungspersonen der OMCG stellten dabei einen Hochrisikofaktor im Hinblick auf mögliche Gewalteskalationen dar. OMCG waren Hauptakteure von Machtansprüchen (Gebietsaufund -verteilungen) im "Rotlichtsektor" (Menschenhandel, Zwangsprostitution). In den vergangenen Jahren kam es immer wieder zu gewalttätigen Auseinandersetzungen, bei denen auch Schusswaffen eingesetzt wurden. Dabei erlitten OMCG-Mitglieder schwerste Verletzungen oder wurden tödlich verletzt. Russisch-eurasische OK | Zur russisch-eurasischen OK gehören alle OK-Strukturen, die von Personen dominiert werden, die in den Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion geboren wurden und eine entsprechende kulturelle Prägung (zum Beispiel durch Tradition, Sprache und Geschichte) erfahren haben. Von Bedeutung in der OKBeobachtung durch das LfV waren insbesondere die sogenannten Diebe im Gesetz. Italienische OK | Das Rhein-Main-Gebiet war nach wie vor Rückzugsund Aktionsraum der italienischen OK. Deliktische Schwerpunkte waren - neben der Geldwäsche - der internationale Kokainhandel/schmuggel sowie die Schutzgelderpressung bei italienischen Restaurantbetreibern. Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 263 ORGANISIERTE KRIMINALITÄT 264 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 SPIONAGEUND CYBERABWEHR/ WIRTSCHAFTSSCHUTZ SPIONAGEABWEHR Die Verfassungsschutzbehörden überprüfen im Bereich der Spionageabwehr alle Hinweise auf nachrichtendienstliche Aktivitäten, die gegen deutsche Interessen gerichtet sind, unabhängig von welchem Staat sie ausgehen. Dabei bildet der Wirtschaftsschutz als präventiver Teil der Spionageabwehr seit jeher einen festen Bestandteil der Aufgaben des Verfassungsschutzes. Die Schwerpunkte der Spionageabwehr des LfV lagen auf der Beobachtung entsprechender russischer, chinesischer, iranischer und türkischer Aktivitäten. Darüber hinaus gab es in Hessen im Berichtszeitraum indische, syrische, pakistanische, vietnamesische und nordkoreanische Spionageaktivitäten. AUF EINEN BLICK * Aufgaben * Angriffe im Cyberraum - hybride Bedrohung * Klassische Agententätigkeit * Proliferation * Oppositionellenausspähung und -verfolgung * Nachrichtenund Sicherheitsdienste der Russischen Föderation * Nachrichtenund Sicherheitsdienste der Volksrepublik China * Nachrichtendienste der Islamischen Republik Iran * Einflussnahme der Türkei * Sozialistische Republik Vietnam * Demokratische Volksrepublik Korea (Nordkorea) * Nachrichtendienste der Islamischen Republik Pakistan * Republik Indien * Arabische Republik Syrien * Abwehr von Cyberangriffen * Wirtschaftsschutz Aufgaben | Die Spionageabwehr befasst sich mit dem folgenden Aufgabenspektrum: * Aufklärung von geheimdienstlicher Agententätigkeit und Ausspähung von Personen, die in Opposition zu den Verhältnissen im Herkunftsland stehen, * Proliferationsabwehr, * Cyberabwehr, * Aufklärung von Einflussnahmen fremder Staaten auf die Meinungsbildung und die Politik in Deutschland mittels Desinformation, Propaganda und hybrider Bedrohung, * Aufklärung von Staatsterrorismus und * Wirtschaftsschutz. 266 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 SPIONAGEABWEHR Angriffe im Cyberraum - hybride Bedrohung | Im Berichtsjahr beobachtete das LfV insbesondere auf dem Feld der hybriden Bedrohung eine Zunahme der Aktivitäten. So wurden zum Beispiel mittels Hackand-publishund/oder Hack-and-leak-Operationen bei Cyberangriffen gestohlene Daten manipuliert und in einem falschen Kontext im Internet veröffentlicht, um Einzelpersonen oder Institutionen zu diskreditieren. Ziel der Angriffe war es, die öffentliche Meinung zu beeinflussen, die Gesellschaft zu spalten und insgesamt die Demokratie zu destabilisieren. Offene, pluralistische und demokratische Gesellschaften bieten hierfür große Angriffsflächen. Der Cyberraum ist dabei für Spionage und Sabotage sowie für Desinformation und Propaganda ein bevorzugter Operationsraum hybrider Akteure. Hybride Kampagnen sind ein neuer Standard geopolitischer Konflikte in den weltweiten Auseinandersetzungen zwischen einzelnen Staaten. Im Berichtsjahr stellten die Verfassungsschutzbehörden entsprechende Vorbereitungshandlungen des russischen Cyberakteurs Ghostwriter fest. Hack-and-publishund/oder Hack-and-leak-Desinformationskampagnen zielten auf Politiker verschiedener Parteien auf Bundes-, Landesund kommunaler Ebene. Aufgrund der frühen Detektion konnten die Betroffenen zeitnah informiert werden. Eine Beeinträchtigung der Bundestagswahl durch fremde Cyberakteure war nicht festzustellen. Am 6. September erklärte eine Sprecherin des Auswärtigen Amts, dass der Bundesregierung verlässliche Erkenntnisse vorliegen, aufgrund derer die Ghostwriter-Aktivitäten Cyberakteuren des russischen Staats - konkret dem russischen Militärgeheimdienst Glawnoje Raswedywatelnoje Uprawlenije (GRU, Hauptverwaltung beim Generalstab der Streitkräfte der Russischen Föderation) - zugeordnet werden können. Am 9. September teilte ein Sprecher der Bundesanwaltschaft mit, dass der Generalbundesanwalt Ermittlungen wegen des Verdachts der geheimdienstlichen Agententätigkeit eingeleitet hat. Darüber hinaus instrumentalisierte Russland in seinen staatsnahen Medien wie etwa RT DE (ehemals Russia Today) verschiedene Themen, um die öffentliche Meinung in Deutschland zu beeinflussen und damit letztlich die politische Stabilität unseres Landes zu unterminieren. Dazu gehörten etwa die Flutkatastrophe im Ahrtal, die COVID19-Pandemie, der Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan und die politische Instrumentalisierung von Flüchtlingen und Migranten an der Grenze zwischen Belarus und der EU. Gleichzeitig setzte sich die Erosion der Grenze zwischen Cyberkriminalität und staatlich gesteuerten Cyberangriffen fort, sodass eine Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 267 SPIONAGEABWEHR trennscharfe Unterscheidung häufig nicht mehr möglich war. Eine Cyberattacke auf ein Unternehmen der Kritischen Infrastruktur (KRITIS) konnte durchaus staatlich gesteuert sein und das Ziel der Sabotage und/oder Spionage verfolgen, gleichzeitig aber auch unter dem Deckmantel eines Ransomware-Angriffs und einer damit verbundenen Lösegelderpressung getarnt werden. Für den angreifenden Staat war es somit ein leichtes, sich öffentlich von dem Angriff zu distanzieren. Zwischen Cyberkriminalität und staatlich gesteuerten Cyberangriffen ist bei entsprechenden Aktivitäten mit russischer, iranischer, chinesischer und nordkoreanischer Herkunft inzwischen eine Art Symbiose entstanden. Klassische Agententätigkeit | In diesem Bereich nutzten fremde Staaten für ihre geheimdienstlichen Operationen neben amtlichen Einrichtungen (zum Beispiel Botschaften, Generalkonsulate) nach wie vor halbamtliche Vertretungen wie etwa Presseagenturen und Fluggesellschaften, aber auch Wirtschaftsunternehmen. Einfache Gesprächsaufklärung und Anbahnungen fanden dabei oft im Rahmen eines vermeintlich unverfänglichen Austauschs im wirtschaftlichen oder diplomatischen Umfeld statt. Im Verlauf der COVID-19-Pandemie verschoben sich diese Aktivitäten in den virtuellen Raum. Ansprachen und Anbahnungen fanden über Social-Media-Plattformen, Business-Netzwerke und per E-Mail statt. Proliferation | Auch die Abwehr der Proliferation blieb ein Aufgabengebiet, dem sich das LfV aufgrund einer Vielzahl von proliferationsrelevanten Unternehmen und Forschungseinrichtungen in Hessen zuwandte. Unter Proliferation versteht man im nachrichtendienstlichen Zusammenhang die Weiterverbreitung bzw. die Weitergabe von Massenvernichtungswaffen sowie den Erwerb passender Trägersysteme und entsprechender Technologien an Staaten, die bislang nicht über solche Waffen verfügen. Neben dem Import kompletter Waffensysteme umfasst Proliferation die illegale Beschaffung von Komponenten, relevanten Technologien und Herstellungsverfahren sowie die Abwerbung wissenschaftlich-technischen Personals. Um diese Aktivitäten zu verschleiern, nutzten fremde Staaten unter anderem * gefälschte Exportdokumente, * Zwischenhändler in Drittländern oder im eigenen Land, * Tarnfirmen, Scheinfirmen, Briefkastenfirmen sowie * unwahre Angaben über den Endverbleib. Oppositionellenausspähung und -verfolgung | Fremde Nachrichtendienste spähten fortgesetzt in Deutschland ansässige Organisationen und Volksgruppen aus, die im Herkunftsland als Op268 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 SPIONAGEABWEHR positionelle politisch verfolgt oder beobachtet wurden. Häufig geschah dies im Rahmen von Demonstrationen und Kundgebungen. Dabei sank die Hemmschwelle fremder Nachrichtendienste, entsprechende Personen auch in Deutschland auszuforschen, zu bedrohen oder sogar zu verschleppen. Nachrichtenund Sicherheitsdienste der Russischen Föderation | Russland betrieb nach wie vor Spionage gegen Institutionen in Politik, Wirtschaft, Wissenschaft, Militär und Verwaltung. Der Slushba Wneschnej Raswedki (SWR, Dienst der Außenaufklärung der Russischen Föderation) ist für zivile Objekte und Themen - speziell für Politik, Wirtschaft und Wissenschaft/Technologien - zuständig. Die GRU interessiert sich für das gesamte militärische Spektrum, insbesondere für neue Technologien in der Entwicklung und im Einsatz. Auch die Aktivitäten des russischen Inlandsnachrichtendiensts Federalnaja Slushba Besopasnosti (FSB, Föderaler Dienst für Sicherheit der Russischen Föderation) hielten weiterhin auf hohem Niveau an. Vor allem die Reisen von Ausländern nach Russland ließen auf eigenem Territorium eine risikolose Ansprache von Personen zu. Dem FSB sind alle Grenztruppen angeschlossen, sodass bereits bei der Einreise "Vorabkontrollen" möglich waren. Im Berichtszeitraum gab es ein verstärktes Aufkommen von nachrichtendienstlichen Verdachtsfällen im Bereich der Spionage, die aus Meldungen anderer Behörden und Hinweisen aus der Bevölkerung resultierten. Das LfV ging diesen Verdachtsfällen nach, was häufig auch zum Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel führte. Auch in den Bereichen der Proliferation und der Oppositionellenausspähung und -verfolgung entfaltete Russland mehr Aktivitäten als in der Vergangenheit. Russische staatliche Cyberangriffe wurden weiterhin auf einem konstant hohen Niveau beobachtet. Wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit für die GRU verurteilte das Kammergericht (KG) Berlin am 28. Oktober einen 56-Jährigen zu einer zweijährigen Bewährungsstrafe und der Zahlung von 15.000 Euro. Der Mann hatte dem Verteidigungsattache der russischen Botschaft in Berlin eine CD-ROM mit 385 Grundrissdateien der vom Deutschen Bundestag in der Hauptstadt genutzten Liegenschaften per Brief zugeschickt. Das Urteil ist rechtskräftig. In einem weiteren Urteil vom 15. Dezember stellte das KG Berlin fest, dass ein 56-jähriger russischer Staatsangehöriger 2019 in Berlin im Auftrag staatlicher russischer Stellen einen Georgier erschossen hatte, der in Russland als "Terrorist" eingestuft war. Der Verurteilte erhielt eine lebenslange Freiheitsstrafe. Das KG sah es als erwiesen an, dass der 56-Jährige im Auftrag Russlands gehandelt hatte. Das KG Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 269 SPIONAGEABWEHR stellte darüber hinaus fest: ",Die Tat war durch in Berlin stationierte Helfer akribisch vorbereitet'". Das Urteil ist rechtskräftig. Nachrichtenund Sicherheitsdienste der Volksrepublik China | Das von der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) autoritär regierte Land hat sich - auch unter Einsatz seiner Nachrichtendienste - als wirtschaftliche und militärische Großmacht etabliert. Wirtschaftsspionage, Einflussnahme und Beobachtung sowie Kontrolle der Oppositionsbewegungen im Ausland - etwa im Zusammenhang mit der Demokratiebewegung in Hongkong - waren nach wie vor Schwerpunkte der Tätigkeit chinesischer Dienste. Strategische Masterpläne wie "Made in China 2025" und die "Neue-Seidenstraße-Initiative" beschreiben die langfristigen Ziele Chinas. Unternehmen, die im Umfeld der beiden Strategien für China wichtig sind, standen unverändert im Fokus entsprechender Wirtschaftsspionage und Cyberangriffe. Im Sinne eines langfristigen Know-how-Schutzes betrachtete das LfV daher auch strategische Investments chinesischer Unternehmen in Hessen. Diese Investments folgten oft nicht privatwirtschaftlichen Interessen, sondern waren Teil der Masterpläne. Um die politische, wirtschaftliche und militärische Informationsbeschaffung der chinesischen Dienste bei Besuchen von Unternehmen und Behörden in China abzuwehren, kam insbesondere hinsichtlich der vielfältigen technischen Überwachungsmöglichkeiten des chinesischen Staats der Prävention sowie der Sensibilisierung eine große Bedeutung zu. Chinesische Cyberangriffe und Ausspähungen richteten sich zudem weiterhin gegen Oppositionelle. Dabei standen die als "Fünf Gifte" bezeichneten Bewegungen nach wie vor im Fokus: * Mitglieder der regimekritischen Meditationsbewegung Falun Gong, * Organisationen von Angehörigen der muslimischen Uiguren, * Organisationen von Unterstützern eines autonomen Tibets, * Organisationen von Anhängern der Demokratiebewegung und * Organisationen von Befürwortern der Eigenstaatlichkeit Taiwans. Nachrichtendienste der Islamischen Republik Iran | Aus den Präsidentschaftswahlen am 18. Juni 2021 ging der als ultrakonservativ geltende Ebrahim Raisi, der zuvor das Amt des Obersten Richters bekleidet hatte, als Sieger hervor. Er löste damit Hassan Rohani, der eine relativ gemäßigte Politik verfolgt hatte, ab. Mit dem Wahlsieg des "Hardliners" Raisi verschärfte sich die Gefährdungslage in Bezug auf iranische staatsterroristische Aktivitäten in Deutschland und damit auch in Hessen. Eine Folge hiervon war eine 270 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 SPIONAGEABWEHR Intensivierung der Ausspähungsaktivitäten des iranischen Nachrichtendiensts Vezarat-e Ettela' at Jomhuri-ye Eslami-ye Iran (VAJA, Ministry of Intelligence, MOIS) sowie des Auslandsaufklärungsdiensts der Islamic Revolutionary Guard Corps (IRGC, Revolutionsgarden) gegenüber iranischen Oppositionellen sowie projüdischen bzw. proisraelischen Einrichtungen. Das primäre Aufklärungsinteresse des VAJA und der IRGC im Berichtszeitraum galt weiterhin den Modjahedin-e-Khalq (MEK, Volksmojahedin), die zu den militantesten und aktivsten Oppositionsgruppen gehören. Ein Beleg für das generelle Ausspähungsinteresse des VAJA ist die Verurteilung eines ehemaligen iranischen Diplomaten sowie seiner drei Unterstützer von einem Gericht in Antwerpen (Belgien) im Februar wegen versuchten Mordes und Beteiligung an einer terroristischen Vereinigung. Die Verurteilten hatten als Zelle für den VAJA Informationen gesammelt, um Ziele auszukundschaften und einen Anschlag auf eine Veranstaltung der Oppositionsorganisation Nationaler Widerstandsrat Iran (NWRI) durchzuführen. Es ist zu befürchten, dass der Iran seine Nachrichtendienste zunehmend nicht nur für Ausspähungsaktivitäten, sondern auch für Maßnahmen gegen Leib und Leben im Fokus stehender Zielpersonen einsetzt. Neben der MEK standen auch Monarchisten, Republikaner sowie "linke" Organisationen im Focus des Ausspähungsinteresses. Durch die Anwerbung aktiver oder ehemaliger Mitglieder dieser Organisationen im Inund Ausland als Agenten versuchte der VAJA weiterhin, Informationen über deren Aktivitäten zu gewinnen. Einflussnahme der Türkei | Die Aufgabe türkischer Nachrichtendienste im Ausland war es, Oppositionelle auszuspähen sowie die Meinungsbildung zu beeinflussen und Einfluss auf gesellschaftlicher und politischer Ebene auszuüben. Bei ihrem Tätigwerden konnten die türkischen Nachrichtendienste auf eine breite Infrastruktur der türkischen Diaspora in Deutschland zurückgreifen. Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 271 SPIONAGEABWEHR Sozialistische Republik Vietnam | Der vietnamesische Nachrichtendienst Tong cuc 2 (TC2) war im Inund Ausland tätig. Dabei gab es Anhaltspunkte, dass die Advanced-Persistent-Threat-Kampagne (APT) Ocean Lotus, die dem TC2 zugeschrieben wurde und die Möglichkeit der Cyberspionage auf allen nachrichtendienstlichen Feldern barg, erweitert werden wird. Insbesondere auf dem Feld der Oppositionellenausspähung setzte Vietnam das Mittel der Cyberspionage mithilfe von Spear-Phishing-Angriffen gegen Einzelpersonen und Verbände ein. Demokratische Volksrepublik Korea (Nordkorea) | Die Aktivitäten der nordkoreanischen APT-38-Kampagne, auch bekannt als Lazarus oder Hidden Cobra, betrafen wie im Jahr 2020 Unternehmen in den Branchen Rüstung sowie Luftund Raumfahrtindustrie. Darüber hinaus versuchten nordkoreanische Cyberakteure, sich vor dem Hintergrund der COVID-19-Pandemie Zugang zu Informationen im Zusammenhang mit der Impfstoffproduktion zu verschaffen. Neben Aktivitäten im Rahmen der Wirtschaftsspionage zielten nordkoreanische Cyberangriffe auch auf die Devisenbeschaffung. Nordkorea machte sich hierbei Cybercrime-Methoden zunutze. Auch proliferationsrelevante Dual-User-Güter, die der nordkoreanische Staat für Antriebsund Stabilisierungskomponenten von Langstreckenraketen verwendet, befanden sich in dessen Spionagefokus. Nachrichtendienste der Islamischen Republik Pakistan | Die Military Intelligence (MI), der Geheimdienst der pakistanischen Armee, arbeitete mit der Air Intelligence der pakistanischen Luftwaffe und der Naval Intelligence der pakistanischen Marine zusammen. Hauptaufgabe des MI ist es, Informationen in Bezug auf die Streitkräfte feindlicher Länder zu gewinnen. Dazu gehören auch die Spionageabwehr im Inland, die Identifizierung und Eliminierung feindlicher Agenten sowie die Überwachung der Offiziere der pakistanischen Armee. Neben dem MI, der sein Personal ausschließlich aus Militärangehörigen rekrutiert und vornehmlich im Inland operiert, gibt es den Inter-Services Intelligence (ISI), der aus militärischen und zivilen Kräften besteht und sowohl im Inals auch im Ausland aktiv ist. Der ISI ist der führende und wichtigste Geheimdienst Pakistans und ist operativ fürdie Erfassung, Verarbeitung und Analyse von Daten weltweit zuständig. Er war unter anderem verantwortlich für das Ausforschen pakistanischer Oppositioneller im Ausland. Neben der Beeinflussung der Medien und der öffentlichen Meinung betrieb der ISI Gegenpropaganda und unterstützte antiindische Gruppierungen in Hessen. Republik Indien | Weiterhin sammelte der indische Auslandsgeheimdienst Research & Analysis Wing (R&AW) Informationen über Ange272 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 SPIONAGEABWEHR hörige und Veranstaltungen von Sikh-Gruppierungen, die für ein unabhängiges Khalistan eintraten, sowie über Angehörige der oppositionellen Kaschmir-Bewegung. Der Sikh-Tempel in Frankfurt am Main war eine der größten Gemeindeeinrichtungen der Sikh in Deutschland und befand sich daher im Fokus indischer Spionageaktivitäten. Arabische Republik Syrien | Die syrischen Geheimdienste wurden vom Nationalen Sicherheitsbüro des Regionalkommandos der syrischen Ba'ath-Partei koordiniert und bildeten eine tragende Säule des Regimes von Baschar al-Assad. Neben den klassischen Aufgabenfeldern waren die syrischen Dienste in der Überwachung nationaler und internationaler Medien, Oppositioneller, Dissidenten und Ausländer tätig. Die Dienste beeinflussten in Syrien die öffentliche Meinung, forschten systematisch Regimegegner aus und unterhielten eigene Haftanstalten für politische Gefangene. Als Hauptaufnahmeland syrischer Flüchtlinge in Europa stand Deutschland im Fokus syrischer Nachrichtendienste, wobei es auch in Hessen erneut Hinweise auf entsprechende Aktivitäten gab. Abwehr von Cyberangriffen | Auf den Überfall Russlands auf die Ukraine am 24. Februar 2022 - vorausgegangen waren im Berichtsjahr sich stetig verschärfende militärische Drohungen Moskaus -, reagierte die "westliche" Staatengemeinschaft mit einem umfangreichen Maßnahmenbündel, das von umfangreichen Sanktionen unterschiedlichster Art bis hin zu Waffenlieferungen an die Ukraine reichte. Russland wiederum kündigte an, darauf mit "symmetrischen und asymmetrischen Gegenmaßnahmen" zu antworten. Zu diesen "asymmetrische Gegenmaßnahmen" gehören russische Cyberangriffe, wobei Unternehmen im Bereich der KRITIS ein "Hochwertziel" sein können. Das LfV führte daher fortlaufend entsprechende Sensibilisierungen der hessischen Wirtschaft sowie relevanter Behörden durch. Wirtschaftsschutz | Ziel des Wirtschaftsschutzes ist es, die Spionage fremder Staaten zu verhindern sowie Wirtschaft und Wissenschaft durch Beratung und Aufklärung vor entsprechenden Aktivitäten zu schützen. Hierzu ist es notwendig, die Sensibilität von Unternehmen Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 273 SPIONAGEABWEHR und wissenschaftlichen Einrichtungen gegenüber Gefahren, die durch Angriffe drohen, weiterhin zu erhöhen, Kenntnisse über Methoden und Ziele fremder Nachrichtendienste zu vermitteln und Hilfestellung beim Einsatz geeigneter Schutzmaßnahmen ("Prävention durch Information") zu leisten. Im LfV obliegt dem Dezernat 30 (Organisierte Kriminalität, Spionageabwehr und Wirtschaftsschutz) zudem die operative Bearbeitung von Spionageverdachtsfällen in Unternehmen sowie eine sich anschließende, zielgerichtete Beratung und vertrauensvolle Kommunikation in der weiteren Abstimmung. Wie im Vorjahr bestimmten die anhaltende COVID-19-Pandemie und ihre wirtschaftlichen Folgen den Schwerpunkt der Präventionsarbeit des Wirtschaftsschutzes im Dezernat 30. Hierbei sind insbesondere die Themenfelder "Informationstechnik (IT) und Homeoffice" sowie "Social Engineering" zu nennen. Vor dem Hintergrund der pandemiebedingten Verlagerung etlicher Arbeitsplätze ins Private und der vermehrten Kommunikation mittels sozialer Medien wurde deutlich, wie wichtig es ist, dass IT-Infrastrukturen funktionieren und vor Cyberangriffen geschützt sind. Der Wirtschaftsschutz des LfV führte einige Vortragsveranstaltungen in Präsenz und Sensibilisierungsgespräche bei Unternehmen vor Ort durch; aufgrund der weithin geltenden Kontaktbeschränkungen wurde aber nicht die Veranstaltungszahl der Vorjahre erreicht. Vielfach stellte die auf telefonischen Austausch oder E-Mail reduzierte Kommunikation den Wirtschaftsschutz vor besondere Herausforderungen. Die Übermittlung des Katalogs der Indicators of Compromise (IoCs), das heißt der Merkmale und Daten, die auf einen Cyberangriff (Kompromittierung eines Computersystems) hinweisen, an potenziell betroffene Unternehmen sowie zu Präventionszwecken wurde nahezu uneingeschränkt fortgeführt. Bei Sachverhalten mit extremistischen Bezügen (zum Beispiel Angriffe und Bedrohungen sowie Radikalisierungen von Mitarbeitern) vermittelte der Wirtschaftsschutz auch im Berichtsjahr den betroffenen Unternehmen einen Kontakt zu Experten der Abteilung 6 des LfV (Prävention und phänomenübergreifende Analyse). Bei Fragen und Hinweisen zum Wirtschaftsschutz wenden Sie sich an: Telefonnummer: 0611/7203600 E-Mail-Adresse: wirtschaftsschutz@lfv.hessen.de Für die Kommunikation und Datenübermittlung in sensiblen Sachverhalten bietet das LfV verschlüsselte und vertrauliche Übertra274 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 SPIONAGEABWEHR gungswege an (unter anderem personifizierte Uploadund Downloadlinks). Weitere Informationen hierzu sind auf der Homepage des LfV unter www.lfv.hessen.de/presse/anfragen-oder-beratung-zumthema-wirtschaftsschutz erhältlich. Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 275 SPIONAGEABWEHR 276 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 GEHEIMSCHUTZ GEHEIMSCHUTZ AUFGABEN/ZIELE Das Arbeitsfeld des LfV umfasst nicht nur die Beobachtung extremistischer Bestrebungen, sondern erstreckt sich auch auf den sogenannten Geheimschutz. In diesen Bereich fällt insbesondere die Mitwirkung des Verfassungsschutzes im Rahmen von Sicherheitsüberprüfungen nach dem Hessischen Sicherheitsüberprüfungsund Verschlusssachengesetz (HSÜVG). Auf dieser Grundlage unterstützt das LfV Behörden und Unternehmen, die mit staatlichen Verschlusssachen umgehen müssen, bei der Bewältigung dieser Sicherheitsaufgaben. AUF EINEN BLICK * Definition und Aufgabe des Geheimschutzes * Personeller Geheimschutz * Materieller Geheimschutz * Geheimschutzverfahren des Bundes und der Länder Definition und Aufgabe des Geheimschutzes | Informationen, deren Bekanntwerden den Bestand, die Sicherheit oder die Interessen des Bundes oder eines Landes gefährden können (Verschlusssachen), bedürfen bei ihrer Bearbeitung und Aufbewahrung eines besonderen Schutzes. Dies gilt für öffentliche Stellen und die Privatwirtschaft gleichermaßen. Verschlusssachen sind je nach dem Schutz, dessen sie bedürfen, in folgende Geheimhaltungsgrade einzustufen: * VS - Nur für den Dienstgebrauch, wenn die Kenntnisnahme durch Unbefugte für die Interessen der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder nachteilig sein kann, * VS - Vertraulich, wenn die Kenntnisnahme durch Unbefugte für die Interessen der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder schädlich sein kann, * Geheim, wenn die Kenntnisnahme durch Unbefugte die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder gefährden oder ihren Interessen schweren Schaden zufügen kann, * Streng geheim, wenn die Kenntnisnahme durch Unbefugte den Bestand oder lebenswichtige Interessen der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder gefährden kann. Maßnahmen zum Schutz von Verschlusssachen richten sich nach dem HSÜVG und der Verschlusssachenanweisung (VSA) für das Land Hessen. Dabei regelt die VSA unter anderem die Herstellung, Aufbewahrung, Weitergabe und Vernichtung von Verschlusssachen. 278 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 GEHEIMSCHUTZ Das Dezernat 32 im LfV (personeller und materieller Geheimschutz) berät alle Behörden und Unternehmen in Hessen, die Umgang mit Verschlusssachen haben. Es informiert, wie Verschlusssachen durch geeignete personelle und materielle Maßnahmen vor unberechtigtem Zugriff geschützt werden können. Staatliche Verschlusssachen werden durch eine Vielzahl von Maßnahmen personeller und organisatorisch-technischer Natur geschützt (personeller und materieller Geheimschutz). Personeller Geheimschutz | Zweck des personellen Geheimschutzes ist es, zu verhindern, dass mit einem Sicherheitsrisiko behaftete Personen Zugang zu Verschlusssachen erhalten oder an sicherheitsempfindlicher Stelle innerhalb von lebensoder verteidigungswichtigen Einrichtungen beschäftigt werden. Ein Sicherheitsrisiko besteht zum Beispiel bei: * Unzuverlässigkeit, * fehlender Verfassungstreue, * Erpressbarkeit durch Überschuldung oder * bei besonderer Gefährdung durch Werbungsversuche ausländischer Nachrichtendienste, insbesondere bei Reisen in entsprechende Länder. Das HSÜVG regelt, dass ab dem Geheimhaltungsgrad VS - Vertraulich nur Personen Zugang zu Verschlusssachen erhalten, die zuvor eine Sicherheitsüberprüfung erfolgreich durchlaufen haben. Das LfV ist mitwirkende Behörde bei den Sicherheitsüberprüfungen und wird auf Ersuchen der zuständigen Stelle (Behörde oder sonstige öffentliche Stelle, die eine Person mit einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit betrauen oder eine Verschlusssache an eine nicht öffentliche Stelle weitergeben will) tätig. Sicherheitsüberprüfungen im Rahmen des Geheimschutzes in der Wirtschaft veranlasst das Hessische Ministerium für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Wohnen. Im Bereich des personellen Geheimschutzes werden entsprechend der vorgesehenen sicherheitsempfindlichen Tätigkeit und des damit verbundenen Zugangs zu Verschlusssachen drei Arten von Sicherheitsüberprüfungen unterschieden: * Einfache Sicherheitsüberprüfung nach SS 7 HSÜVG (Ü1) bei Zugang zu als VS - Vertraulich eingestuften Verschlusssachen oder bei Tätigkeiten in einem Sicherheitsbereich, * erweiterte Sicherheitsüberprüfung nach SS 8 HSÜVG (Ü2) bei Zugang zu als Geheim eingestuften Verschlusssachen oder Zugang zu einer hohen Anzahl als VS - Vertraulich eingestufter Verschlusssachen oder einer Tätigkeit an einer sicherheitsempfindlichen Stelle sowie Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 279 GEHEIMSCHUTZ * erweiterte Sicherheitsüberprüfung mit Sicherheitsermittlungen nach SS 9 HSÜVG (Ü3) bei Zugang zu als Streng geheim eingestuften Verschlusssachen oder Zugang zu einer hohen Anzahl als Geheim eingestufter Verschlusssachen oder bei Personen, die beim LfV tätig sind. Eine Überprüfung findet nur mit Einwilligung des Betroffenen statt. Im Rahmen der Mitwirkung an Sicherheitsüberprüfungen wurden im Jahr 2021 durch das LfV 458 Überprüfungen abgeschlossen. Lebensund verteidigungswichtige Einrichtungen können - insbesondere aus terroristischen Motiven oder im Verteidigungsfall - Ziel von Sabotagehandlungen werden. Die Mitwirkung bei Sicherheitsüberprüfungen von Beschäftigten an sicherheitsempfindlichen Stellen innerhalb einer lebensoder verteidigungswichtigen Einrichtung (vorbeugender personeller Sabotageschutz) ist daher ebenfalls Aufgabe des LfV. In diesem Zusammenhang schloss das LfV als mitwirkende Behörde im Berichtsjahr 2021 weitere 542 Sicherheitsüberprüfungen ab. Materieller Geheimschutz | Geheimschutzvorschriften zur Handhabung und zum Umgang mit Verschlusssachen gewährleisten Vertraulichkeit und schaffen unter anderem die Grundlage für eine vertrauensvolle nationale und internationale Zusammenarbeit. Daher ist es auch die Aufgabe des materiellen Geheimschutzes, bei allen Fragen rund um eine Verschlusssache - angefangen von der Entstehung und Einstufung mit einem bestimmten Verschlusssachengrad, über die korrekte Aufbewahrung und den Transport bis hin zur effektiven Vernichtung - zu beraten und zu unterstützen. Um einen einheitlichen Standard mit Verschlusssachen hinsichtlich Vertraulichkeit, Verfügbarkeit und Integrität zu gewährleisten, erarbeitet der materielle Geheimschutz organisatorische und technische Maßnahmen zum Schutz von Verschlusssachen und von räumlichen Sicherheitsbereichen. Dies bedeutet, dass bereits durch bauliche Maßnahmen ein ausreichend hohes Schutzniveau erreicht werden soll. Zum Beispiel wird durch die Einrichtung von Zutrittsbeschränkungen zu einem Sicherheitsbereich, als einem von vielen Prinzipien des Geheimschutzes, dem Grundsatz "Kenntnis, nur wenn nötig" entsprochen. Bei der Realisierung von Schutzmaßnahmen, die sich mit der Erhöhung des Verschlusssachengrades und/oder der Anzahl der Verschlusssachen verstärken, muss dabei erforderlichenfalls eine sinnvolle Abwägung zwischen den dadurch entstehenden Kosten und dem zu erreichenden Schutzziel vorgenommen werden. 280 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 GEHEIMSCHUTZ Das LfV hat auch hier eine mitwirkende Funktion, das heißt, es berät und unterstützt Dienststellen, die Verschlusssachen erstellen und bearbeiten. Im Rahmen der Mitwirkung an Maßnahmen zum materiellen Geheimschutz beriet das LfV im Jahr 2021 15 hessische Behörden. Zum Bereich des materiellen Geheimschutzes gehört auch der ITGeheimschutz. Die Nutzung von IT-Systemen bei der Verarbeitung von Verschlusssachen birgt besondere Risiken für die zu verarbeitenden Daten, das heißt zum Beispiel die kompromittierende Abstrahlung von Computern. Im Rahmen des IT-Geheimschutzes werden daher, ergänzend zum allgemeinen materiellen Geheimschutz, durch weitere Sicherheitsvorkehrungen die Schutzziele Vertraulichkeit, Verfügbarkeit und Integrität (Unversehrtheit) bei der Datenverarbeitung gesichert. Aufgrund der Komplexität und zunehmenden Bedeutung wird hierfür ein Verantwortlicher für den IT-Geheimschutz bestimmt, der den Geheimschutzbeauftragten bei der Umsetzung der VSA unterstützt. Die zunehmende Verzahnung von IT-Infrastrukturen sowie die Verschiebung der analogen bzw. papiernen Welt hin zur Digitalisierung stellen den IT-Geheimschutz fortlaufend vor neue Herausforderungen. Geheimschutzverfahren des Bundes und der Länder | Die materiellen und formellen Voraussetzungen für Unternehmen, die dem Geheimschutz unterliegende Aufträge von staatlichen Stellen erhalten, sind im Geheimschutzverfahren des Bundes und der Länder geregelt. Die Fachaufsicht über dieses Verfahren, das auch als Geheimschutzbetreuung bezeichnet wird, obliegt dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie oder dem jeweils auf Landesebene zuständigen Ministerium, das heißt in Hessen dem Hessischen Ministerium für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Wohnen. Das Hessische Ministerium für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Wohnen ist gemäß SS 24 HSÜVG zuständig für den Geheimschutz in der Wirtschaft. Es arbeitet auf der Basis öffentlich-rechtlicher Verträge mit hessischen Unternehmen zusammen, denen ein dem Geheimschutz unterliegender Auftrag erteilt wurde. Befindet sich die staatliche Stelle hingegen außerhalb Hessens oder handelt es sich um eine Bundesbehörde, ist die Zuständigkeit des Bundesministeriums für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Wohnen gegeben. Für die Durchführung der Sicherheitsüberprüfungen von zu ermächtigenden Personen - also denjenigen Mitarbeitern im Unternehmen, die zur Erfüllung des dem Geheimschutz unterliegenden Auftrags eingesetzt werden sollen - ist der Verfassungsschutz des Landes zuständig, in dem das Unternehmen angesiedelt ist. Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 281 GEHEIMSCHUTZ 282 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 MITWIRKUNGSAUFGABEN DES LFV MITWIRKUNGSAUFGABEN DES LFV Mitwirkungsaufgaben sind der bedeutende und umfassende Auftrag an den Verfassungsschutz, Extremisten zum Beispiel von sicherheitsempfindlichen Infrastrukturen fernzuhalten, ihren Besitz von legalen Waffen und die Verfestigung ihres Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland zu verhindern. AUF EINEN BLICK * Gesetzlicher Auftrag * Überprüfung der Zuverlässigkeit * Änderung des Waffengesetzes * Erteilung von Aufenthaltstiteln * Einbürgerung * Visumverfahren * Konsultationsverfahren im Asylprozess * Statistik Gesetzlicher Auftrag | Um ihren Stellenwert als integralen Bestandteil der Sicherheitsarchitektur hervorzuheben, wurden die Mitwirkungsangelegenheiten des LfV ausdrücklich in SS 20 Abs. 1 Nr. 2 HVSG aufgeführt. Dem LfV kommt dabei die wesentliche Aufgabe zu, auf Ersuchen von Behörden bei der Überprüfung von Antragstellern mitzuwirken (SS 2 Abs. 3 HVSG): Das LfV wertet im Rahmen seiner Mitwirkungsangelegenheiten die ihm vorliegenden Erkenntnisse aus (SS 4 Abs. 5 HVSG), wobei der Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel dabei nicht in Betracht kommt. Überprüfung der Zuverlässigkeit | Die maßgebliche Mitwirkung des LfV ist in vielen gesetzlich geregelten Verfahren vorgeschrieben, so etwa nach dem * Waffengesetz (WaffG), * Bundesjagdgesetz (BJagdG), * Luftsicherheitsgesetz (LuftSiG), * Gesetz über explosionsgefährliche Stoffe (SprengG), * sowie der Gewerbeordnung (GewO) und * dem Gesetz über die friedliche Verwendung der Kernenergie und den Schutz gegen ihre Gefahren (AtG). Werden dem LfV nach Beantwortung einer Anfrage Erkenntnisse bekannt, die für die Beurteilung der Zuverlässigkeit von Bedeutung sind, hat das LfV die zuständige Behörde über die Erkenntnisse zu informieren (Nachberichtspflicht). Änderung des Waffengesetzes | Im vergangenen Jahr hat der Bundestag das Waffengesetz umfassend reformiert. Mit dem Dritten Gesetz zur Änderung des Waffengesetzes und weiterer Vorschriften (3. WaffRÄndG) wird es Extremisten erschwert, legalen Zugang zu er284 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 MITWIRKUNGSAUFGABEN DES LFV laubnispflichtigen Waffen und Munition zu erhalten bzw. in deren Besitz zu bleiben. SS 5 Abs. 5 WaffG begründet in der neuen Nr. 4 eine verpflichtende Regelanfrage der Waffenbehörden bei den Verfassungsschutzbehörden. Die Regelanfrage wird von einer Nachberichtspflicht der Verfassungsschutzbehörden flankiert, das heißt letztere unterrichten die Waffenbehörden, wenn nachträglich Erkenntnisse erlangt werden, die Zweifel an der Zuverlässigkeit des Erlaubnisinhabers wecken. Aus der Erweiterung des SS 5 WaffG wird auch eine Zuverlässigkeitsüberprüfung nach dem BJagdG abgeleitet. So haben die Jagdbehörden nach SS 17 Abs. 1 Satz 2 BJagdG vor Erteilung eines Jagdscheins auch die waffenrechtlichen Anforderungen an die Zuverlässigkeit im Sinne des SS 5 WaffG zu prüfen. Mit dem 3. WaffRÄndG wurde auch das SprengG geändert. Mit der Neufassung des SS 8a Abs. 2 Nr. 3 SprengG begründet auch die Mitgliedschaft in einer verfassungsfeindlichen Vereinigung die Regelvermutung der sprengstoffrechtlichen Unzuverlässigkeit. SS 8a Abs. 5 Nr. 4 SprengG erweitert die Verpflichtung der Sprengstoffbehörden bei jeder Zuverlässigkeitsprüfung die Verfassungsschutzbehörde zu beteiligen. Beschränkte sich die Regelanfrage bislang auf Erlaubnisse nach SS 7 SprengG für den gewerblichen Bereich, wurde die Zuverlässigkeitsüberprüfung um die Erlaubnisse nach SS 27 SprengG für den nicht gewerblichen Bereich erweitert. Auch Personen, die ein Bewachungsgewerbe betreiben oder als Wachperson arbeiten wollen, unterliegen einer Zuverlässigkeitsüberprüfung (SS 34a GewO). Werden diese Personen bei der Bewachung von Aufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünften sowie bei der Bewachung von zugangsgeschützten Großveranstaltungen eingesetzt, wirkt das LfV mit. SS 20 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. l) HVSG regelt die Übermittlungsbefugnis des LfV auch für die Fälle gesetzlich an anderer Stelle normierter Überprüfungen. Dies betrifft zum Beispiel die für den Bereich der Polizei geltenden SSSS 13a und 13b des Hessischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (HSOG). Das LfV wird nur dann in die Überprüfungen einbezogen, wenn dies im Einzelfall erforderlich ist und die betroffene Person einwilligt. So wirkt das LfV etwa bei der Überprüfung von Personen mit, die eine Tätigkeit als Bedienstete einer Behörde mit Vollzugsaufgaben anstreben oder einen unbegleiteten Zutritt zu staatlichen Einrichtungen erhalten sollen. Gleiches gilt bei Personen, für die ein privilegierter Zutritt zu einer VeranstalHessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 285 MITWIRKUNGSAUFGABEN DES LFV tung einer Behörde oder öffentlichen Stelle oder zu einer besonders gefährdeten Veranstaltung in nicht öffentlicher Trägerschaft beantragt wird. Auf Grundlage des SS 13a HSOG wirkt das LfV bei der Überprüfung von Personen mit, die im sicherheitssensiblen Bereich von Veranstaltungen, wie etwa dem Hessentag, eingesetzt werden sollen. Schließlich wirkt das LfV auch bei der Zuverlässigkeitsüberprüfung von an der Hessischen Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge und ihren Außenstellen (HEAE) beschäftigten Dolmetschern mit (SS 20 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. h) HVSG). Erteilung von Aufenthaltstiteln | Die Ausländerbehörden übermitteln vor erstmaliger Erteilung oder Verlängerung von Aufenthaltstiteln die personenbezogenen Daten der Antragsteller an das LfV, um zu prüfen, ob Versagungsgründe vorliegen (SS 73 Abs. 2 AufenthG, Gesetz über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet). Werden dem LfV nachträglich sicherheitsrelevante Informationen bekannt, ist es verpflichtet, diese mitzuteilen (Nachberichtspflicht nach SS 73 Abs. 3 AufenthG). Seit 2009 besteht in Hessen eine regelmäßig tagende Arbeitsgruppe, an der unter anderem Vertreter des Hessischen Ministeriums des Innern und für Sport, der Polizei und des LfV teilnehmen. Die Arbeitsgruppe beschäftigt sich mit in Hessen lebenden Personen ohne deutsche Staatsbürgerschaft, die aus Sicht von Polizei und LfV dem extremistischen, terroristischen Spektrum oder der OK zuzuordnen sind. Ziel ist eine enge behördenübergreifende Zusammenarbeit bei Einzelfällen, die eine besondere Sicherheitsrelevanz aufweisen und bei denen aufenthaltsbeendende oder aufenthaltsbeschränkende Maßnahmen geboten sind. Einbürgerung | Auch bei Einbürgerungsbewerbern, die das 16. Lebensjahr vollendet haben, fragen die zuständigen Regierungspräsidien vor ihrer Entscheidung im Einbürgerungsverfahren beim LfV nach Erkenntnissen an (SSSS 32 u. 37 Abs. 2 StAG, Staatsangehörigkeitsgesetz). Visumverfahren | Beantragt ein Ausländer aus einem konsultationspflichtigen Staat bei einer Auslandsvertretung ein Visum zur Einreise nach Deutschland bzw. in das Gebiet der Schengener Staaten, ist eine Vielzahl inländischer Stellen, wie etwa die nationalen Sicherheitsbehörden, zu beteiligen. Zur Feststellung eventueller Versagungsgründe oder sonstiger Sicherheitsbedenken ist dabei eine Übermittlung von personenbezogenen Daten über das Bundesverwaltungsamt (BVA) als technischen Dienstleister an das BfV möglich. 286 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 MITWIRKUNGSAUFGABEN DES LFV Ergibt sich bei einem automatisierten Datenabgleich mit dem Nachrichtendienstlichen Informationssystem (NADIS) eine Eintragung des LfV, wird es an dem Verfahren beteiligt (SS 73 Abs. 1 AufenthG). Konsultationsverfahren im Asylprozess | Seit 2017 wird bei unerlaubt eingereisten bzw. aufhältigen Personen sowie bei Asylund Schutzsuchenden mit der Erstregistrierung im Ausländerzentralregister ein automatisierter Sicherheitsabgleich initiiert, an dem das LfV - dem Visumverfahren vergleichbar - beteiligt wird (SS 73 Abs. 1a u. 3a AufenthG). Statistik | 2021 wurden 213.333 Anfragen (2020: 189.707) an das LfV gerichtet. Zu den anfragestärksten Mitwirkungsaufgaben zählten insbesondere die Beteiligung bei Aufenthaltstiteln, Einbürgerungen, Visa und die Zuverlässigkeitsüberprüfungen nach dem WaffG, BJagdG und LuftSiG. Die anfragestärksten Prüfungsbereiche wurden statistisch erfasst. Die mit der COVID-19-Pandemie verbundenen Reisebeschränkungen wirkten sich auf die Zahl der Visumerteilungen und das im Bereich der Luftsicherheit eingesetzte Personal aus. Im Bereich Sonstige sind unter anderem enthalten: Konsultationsverfahren im Asylprozess, SprengG, AtG, GewO, Veranstaltungen und HEAE. PROZENTUALER ANTEIL AM ANFRAGEAUFKOMMEN IM BERICHTSJAHR Sonstige 4% BJagdG 10% Aufenthalt 43% WaffG 20% LuftSiG 7% VISA Einbürgerung 7% 9% Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 287 MITWIRKUNGSAUFGABEN DES LFV ANZAHL DER ANFRAGEN NACH VERFAHREN 91.733 83.696 100000 80000 60000 41.743 40000 28.439 29.603 19.583 21.357 17.753 14.747 16.010 13.385 20000 8.639 8.192 8.160 2020 2021 0 AufentEinbürVISA LuftSiG WaffG BJagdG Sonstige halt gerung 288 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 ANHANG - ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS - GLOSSAR - EXTREMISTISCHE ORGANISATIONEN UND GRUPPIERUNGEN - REGISTER - GESETZ ZUR NEUAUSRICHTUNG DES LFV ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS A.R.A.G. APT Antifaschistische Revolutionäre Advanced Persistent Threat Aktion Gießen (fortgeschrittene andauernde Bedrohung) Abs. Absatz arab. arabisch ACAB All cops are bastards Art. Artikel AfD Alternative für Deutschland AStA Allgemeiner StudierendenausAG schuss Amtsgericht AtG AGÄdegF Gesetz über die friedliche VerAlmanya Göcmen Isciler Fedewendung der Kernenergie und rasyonu (Föderation der Arden Schutz gegen ihre GefahbeitsimmigrantInnen aus der ren Türkei in Deutschland) ATÄdegF ak.069 Almanya Türkiyeli Isciler Fedeantifaschistisches Kollektiv 069 rasyonu (Föderation der ArbeiAKP ter aus der Türkei in DeutschAdalet ve Kalkinma Partisi (Parland e. V.) tei für Gerechtigkeit und AufATÄdegK schwung) Avrupa Türkiyeli Isciler Konfeal-Shabab derasyonu (Konföderation der Harakat al-Shabab al-Mujahidin Arbeiter aus der Türkei in (Bewegung der Mujahidin-JuEuropa) gend) AU AMGT Afrikanische Union Avrupa Milli Görüs Teskilatlari AUF (Vereinigung der neuen WeltAntifa United Frankfurt sicht in Europa e. V.) AufenthG AMISOM Gesetz über den Aufenthalt, African Mission in Somalia die Erwerbstätigkeit und die InAN tegration von Ausländern im Autonome Nationalisten Bundesgebiet ANF AvEG-Kon Ajansa Nuceyan a Firate (FiratAvrupa Ezilen Göcmenler Konnews Agency) federasyonu (Konföderation 290 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS der unterdrückten ImmigranCEM ten in Europa) Council of European Muslims AWD Co. Atomwaffendivision Kompanie BAFA CPT Bundesamt für Wirtschaft und European Committee for the Ausfuhrkontrolle Prevention of Torture and Inhuman or Degrading Treatment BAMAD or Punishment (Europäisches Bundesamt für den MilitäriKomitees für die Verhütung schen Abschirmdienst von Folter und unmenschlicher BAMF oder erniedrigender BehandBundesamt für Migration und lung oder Strafe) Flüchtlinge DDR BfV Deutsche Demokratische ReBundesamt für Verfassungspublik schutz Dev Sol BGH Devrimci Sol (Revolutionäre Bundesgerichtshof Linke) BIAREX DEXT Bearbeitung integrierter bzw. Fachstellen für Demokratieförabgetauchter Rechtsextremisderung und phänomenüberten greifende ExtremismusprävenBJagdG tion Bundesjagdgesetz DHKC BKA Devrimci Halk Kurtulus CeBundeskriminalamt phesi (Revolutionäre Volksbefreiungsfront) BND Bundesnachrichtendienst DHKP Devrimci Halk Kurtulus Partisi BPol (Revolutionäre VolksbefreiBundespolizei ungspartei) BVA DHKP-C Bundesverwaltungsamt Devrimci Halk Kurtulus Partisi- C 18 Deutschland Cephesi (Revolutionäre VolksCombat 18 Deutschland befreiungspartei-Front) CDK DIDF Koordinasyona Civaka DemoDemokratik Isci Dernekleri Fekratik a Kurdistan (Koordination derasyonu e. V. (Föderation Deder kurdisch-demokratischen mokratischer Arbeitervereine Gesellschaft) e. V.) Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 291 ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS DKP FAP Deutsche Kommunistische ParFreiheitliche Arbeiterpartei tei Deutschlands DLF FAU Deutsch-Libanesische Familie Freie Arbeiterinnenund Arbeie. V. ter-Union DMG FCDK/KAWA Deutsche Muslimische GeFederasyona Civaken Demomeinschaft e. V. kratik ya Kurdistaniyen li Saarland u Hessen (Föderation der DS demokratischen Vereine KurDeutsche Stimme distans im Saarland und in Hesdt. sen e. V.) deutsch FIOE DVU Federation of Islamic OrganizaDeutsche Volksunion tions in Europe (Föderation Ise. V. lamischer Organisationen) eingetragener Verein FNS ECFR Freies Netz Süd European Council for Fatwa FOBAREX and Research (Europäischer Fokussierte operative BearbeiRat für Fatwa und Forschung) tung herausragender Akteure EIHS im Rechtsextremismus European Institute of Human FP Sciences (Institut für HumanFazilet Partisi (Tugendpartei) wissenschaften) FP EIHW Nationalistische Front Europäisches Institut für HuFSB manwissenschaften e. V. Federalnaja Slushba BesopasEMUG nosti (Föderaler Dienst für SiEuropäische Moscheebau und cherheit der Russischen FödeUnterstützungsgemeinschaft ration) engl. GAG englisch Gemeinsame Arbeitsgruppe EU Justiz/Polizei Europäische Union Europol Europäisches Polizeiamt EZB Europäische Zentralbank 292 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS GAM HETAZ Gruppe ArbeiterInnenmacht Hessisches Extremismusund (GAM) Terrorismusabwehrzentrum GETZ HKE Gemeinsames ExtremismusHessisches Informationsund und TerrorismusabwehrzenKompetenzzentrum gegen Extrum tremismus GewO HLKA Gewerbeordnung Hessisches Landeskriminalamt GG HNG Grundgesetz Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deGI ren Angehörige e. V. Generation Identitaire HöMS GIZ Hessische Hochschule für öfGemeinsames Internetzentrum fentliches Management und SiGmbH cherheit Gesellschaft mit beschränkter HPA Haftung Hessische Polizeiakademie GRU HPG Glawnoje Raswedywatelnoje Hezen Parastina Gel (VolksverUprawlenije (Hauptverwaltung teidigungseinheiten) beim Generalstab der Streitkräfte der Russischen Föderahrsg. tion) herausgegeben GTAZ v. Gemeinsames Terrorismusabvon/vom wehrzentrum HSK GZD Heyva Sor a Kurdistane (KurdiGeneralzolldirektion scher Roter Halbmond) HAMAS HSOG Harakat al-Muqawama al-IslaGesetz über die öffentliche Simiya (Islamische Widerstandscherheit und Ordnung bewegung) HSÜVG HEAE Hessisches SicherheitsüberprüHessische Erstaufnahmeeinfungsund Verschlusssachenrichtung gesetz Hessen3C HTS Hessen Cyber Competence Hai'at Tahrir al-Sham Center Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 293 ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS HuT IL Hizb ut-Tahrir (Partei der BefreiInterventionistische Linke ung) IoCs HVSG Indicators of Compromise Hessisches VerfassungsschutzIRGC gesetz Islamic Revolutionary Guard i. e. Corps (Iranische Revolutionsid est (lat., dt. das ist) garden) IAC IS Ismail Aga Cemaati Islamischer Staat IB ISI Identitäre Bewegung Inter-Services Intelligence IBD ISPK Identitäre Bewegung DeutschIslamischer Staat Provinz Kholand e. V. rasan IBH IT Identitäre Bewegung Hessen Informationstechnik IBÖ IUE Identitäre Bewegung ÖsterIslamische Union Europa e. V. reich IZH IESH Islamisches Zentrum Hamburg Institut Europeen des Sciences JA Humaines (Institut für HumanJunge Alternative wissenschaften) JN IfS Junge Nationalisten Institut für Staatspolitik JVA IGD Justizvollzugsanstalt Islamische Gemeinschaft in Deutschland e. V. JXK Jinen Xwendekaren Kurdistan IGMG (Studierende Frauen aus KurIslamische Gemeinschaft MillA(r) distan) Görüs e. V. KADEK IGS Kongreya AzadA(r) A" Demokrasiya Islamische Gemeinschaft der Kurdistane (Freiheitsund Deschiitischen Gemeinden mokratiekongress Kurdistans) Deutschland e. V. KCDK-E IHRA Kongreya Civaken Demokratik International Holocaust Remeli Kurdistaniyen Ewropa (Kurdibrance Alliance scher Demokratischer Gesellschaftskongress in Europa) 294 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS KCK lat. Koma Civaken Kurdistan (Gelateinisch meinschaft der Kommunen LfV Kurdistans) Landesamt für VerfassungsKdN schutz Kampf der Nibelungen LG KG Landgericht Kammergericht lS KIA Islamischer Staat Koordinierte InternetauswerLuftSiG tung Luftsicherheitsgesetz KO MB Kommunistische Organisation Muslimbruderschaft KONGRA GEL MEK Kongreya Gele Kurdistane Modjahedin-e-Khalq (Volksmo(Volkskongress Kurdistans) jahedin) KON-MED MI Almanya'daki Mezopotamya Military Intelligence (MilitäriTopluluklar Konfederasyonu sche Aufklärung) (Konföderation der Gemeinschaften Mesopotamiens in MKP Deutschland) Maoist Komünist Partisi (Maoistisch-Kommunistische Partei) KOREX Kompetenzzentrum gegen MLKP Rechtsextremismus Marksist Leninist Komünist Parti (Marxistische-Leninistische KPCh Kommunistische Partei) Kommunistische Partei Chinas MLKP-K KPD Marksist Leninist Komünist Kommunistische Partei Parti-Kurulus (Marxistische-LeDeutschlands ninistische Kommunistische KPdSU Partei-Aufbau) Kommunistische Partei der MLPD Sowjetunion Marxistisch-Leninistische Partei KRD Deutschlands Königreich Deutschland MNP KRITIS MillA(r) Nizam Partisi (Nationale Kritische Infrastruktur Ordnungspartei) kurd. MOIS kurdisch Ministry of Intelligence Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 295 ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS NADIS PAAF Nachrichtendienstliches InforPhänomenbereichsübergreimationssystem fende wissenschaftliche Analysestelle Antisemitismus und NATO Fremdenfeindlichkeit North Atlantic Treaty Organization PCDK Partiya Careseriya Demokratik NIAS a Kurdistane (Partei für eine poNachrichtendienstliche Inforlitische Lösung in Kurdistan) mationsund Analysestelle PIAS NKAKS Polizeiliche Informationsund New Kids Antifa Kassel Analysestelle NPD PJAK Nationaldemokratische Partei Partiya Jiyana Azad a KurdisDeutschlands tane (Partei für ein freies Leben Nr. in Kurdistan) Nummer PKK NS Partiya Karkeren Kurdistan (ArNationalsozialismus beiterpartei Kurdistans) NSBM PKV National Socialist Black Metal Parlamentarische KontrollkomNSDAP mission Verfassungsschutz Nationalsozialistische DeutPLO sche Arbeiterpartei Palestine Liberation OrganizaNSU tion (Palästinensische BefreiNationalsozialistischer Unterungsorganisation) grund PMK NWRI Politisch motivierte Kriminalität Nationaler Widerstandsrat Iran PYD OAT Partiya YekA(r)tiya Demokrat (ParOffenes Antifaschistisches Treftei der Demokratischen Union) fen R&AW OK Research & Analysis Wing Organisierte Kriminalität RAF OLG Rote Armee Fraktion Oberlandesgericht RH OMCG Rote Hilfe e. V. Outlaw Motorcycle Gangs RHD OVG Rote Hilfe Deutschlands Oberverwaltungsgericht 296 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS RI TAK Realität Islam Teyrebazen Azadiya Kurdistan (Freiheitsfalken Kurdistans) RIG/RIGD Rat der Imame und Gelehrten TC2 e. V./Rat der Imame und GeTong cuc 2 lehrten in Deutschland TCS S. Tevgera Ciwanen Soresger SoSeite resger (Bewegung der revolutionären Jugend) s. siehe THS Thüringer Heimatschutz SDAJ Sozialistische Deutsche ArbeiTÄdegKKO terjugend Türkiye Isci Köylü Kurtulus Ordusu (Türkische Arbeiterund SKIB Bauernbefreiungsarmee) Somalisches Komitee Information und Beratung in DarmTKÄdegH stadt und Umgebung e. V. Türkiye Komünist Isci Hareketi (Türkische Kommunistische ArSP beiterbewegung) Saadet Partisi (Partei der Glückseligkeit) TKP/ML Türkiye Komünist Partisi/MarkSPD sist-Leninist - Partizan (TürkiSozialdemokratische Partei sche Kommunistische Deutschlands (SPD) Partei/Marxisten-Leninisten) SprengG TKP/ML-H Gesetz über explosionsgefährTürkiye Komünist Partisi/Markliche Stoffe sist Leninist Hareketi (Türkische SRP Kommunistische Partei/MarxisSozialistische Reichspartei ten-Leninisten-Bewegung) SS türk. Schutzstaffel Türkisch StAG u. Staatsangehörigkeitsgesetz und StGB u. a. Strafgesetzbuch und andere SWR UCC Slushba Wneschnej Raswedki Uniform Commercial Code (Dienst der Außenaufklärung (einheitliches Handelsgesetzder Russischen Föderation) buch) Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 297 ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS UN YDG United Nations (Vereinte Yeni Demokratik Genclik (Neue Nationen) demokratische Jugend) USA YÖP United States of America (VerYeni Özgür Politika (Neue Freie einigte Staaten von Amerika, Politik) USA) YPG USBV Yekineyen Parastina Gel (VolksSprengund Brandvorrichtunverteidigungseinheiten) gen YPJ VAJA/MOIS Yekineyen Parastina Jin (FrauVezarat-e ettela'at jomhuri-ye enverteidigungseinheiten) eslami-ye iran/Ministry of IntelYXK ligence Yekitiya Xwendekaren KurdisVG tan (Verband der Studierenden Verwaltungsgericht aus Kurdistan) vgl. ZIK vergleiche Zentrum der Islamischen Kultur VHD ZMD Vaterländischer Hilfsdienst Zentralrat der Muslime in Deutschland VPN Violence Prevention Network VS Verschlussache VSA Verschlusssachenanweisung VV Verfassunggebende Versammlung WaffG Waffengesetz WaffRÄndG Gesetz zur Änderung des Waffengesetzes und weiterer Vorschriften WEF World Economic Forum WKP Waisenkinderprojekt Libanon e. V. 298 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 GLOSSAR ... bedeutet "hoch entwickelter, anhaltender Angriff". Nicht autoriAdvanced Persistent Threat sierte Personen (Hacker) bedienen sich langfristig angelegter, aus(APT) geklügelter Praktiken, die sehr lange unentdeckt bleiben und deshalb extreme Schäden anrichten. Die Ziele von ATPs sind in aller Regel wichtige Organisationen, Unternehmen, Ministerien oder ganze Staatsapparate. Da es ausgeklügelter Techniken bedarf und die Anstrengungen für solch einen Netzwerkangriff sehr hoch sind, nehmen die Hacker vor allem Ziele ins Visier, bei denen sie über längere Zeit wertvolle Informationen stehlen und möglichst große Schäden anrichten können. Manchmal dienen den APT-Angreifern auch kleinere, weniger gut geschützte Unternehmen als Einstiegspunkte, von denen aus sie sich Zugang zu den Großunternehmen verschaffen. Deshalb ist Advanced Persistent Threat eine Hackermethode, der sich alle Organisationen und Unternehmen bewusst sein sollten. Im Gegensatz zum "Hit-and-Run-Angriff", nutzen APTs zumeist unverdächtige Malware. Diese ist so konzipiert, dass sie über Schwachstellen unbemerkt in das Netzwerk eindringt und dort lange Zeit unentdeckt verbleibt. Hat sich der Angreifer erst einmal heimlichen Zugang verschafft, kann er beliebig Daten überwachen, ausspähen und/oder stehlen. Um unentdeckt zu bleiben, muss der Eindringling fortlaufend Codes umschreiben und spezielle Ausweichtechniken planvoll einsetzen. (Vgl. https://www.it-business.de/was-ist-ein-apt-a-936578/, unter dieser Adresse die komplette Fassung des oben gekürzten Glossareintrags, abgerufen im Mai 2022.) ... sind Personen, die sich selbst radikalisiert haben, wobei im PhäAllein handelnde Täter nomenbereich Rechtsextremismus ihre Motive unter anderem von Fremdenfeindlichkeit, Rassismus, Frauenfeindlichkeit (Antifeminismus) und Antisemitismus bis hin zu Verschwörungsnarrativen reichen. Dabei kommen zahlreiche Studien zu dem Ergebnis, dass sich unter den Tätern ein signifikant höherer Anteil an Personen mit psychischen Auffälligkeiten findet als im Bevölkerungsdurchschnitt bzw. unter anderen Tätern schwerer Gewalttaten. Dass Täter allein handeln, beruht oft nicht auf einer strategischen Entscheidung, um etwa eine frühzeitige Entdeckung des Tatplans zu verhindern, sondern ist durch ihre Persönlichkeit bedingt. Mit dem Begriff allein handelnde Täter soll verdeutlicht werden, dass diese Personen nicht abgeschottet bzw. isoliert von der Welt, die sie umgibt, leben bzw. agieren, sondern sich in einem Kontext bewegen, von dem sie sich maßgeblich beeinflussen lassen. Die Zugehörigkeit zu einem extremistischen Personenzusammenschluss ist somit keine zwingende Voraussetzung für eine Radikalisierung zum Terrorismus. Die Radikalisierung kann sich auch ausschließlich über den virtuellen Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 299 GLOSSAR Konsum extremistischer Propaganda vollziehen, ein kommunikativer Austausch mit anderen Personen ist nicht notwendig. Eine besondere Rolle für die Radikalisierung spielt das Internet, das den Zugang zu extremistischen und gewaltverherrlichenden Ideologien und Botschaften, darunter auch Verschwörungsnarrative, wesentlich erleichtert. So spricht Hendrik Puls mit Bezug auf eine Studie von Maik Fielitz davon, dass diese Täter - etwa die von Christchurch (Neuseeland) und Halle (Sachsen-Anhalt) - in einer "digitalen Hasskultur" verwurzelt waren und "großen Aufwand betrieben, um ihre politische Botschaft über das Internet an ein globales Publikum zu kommunizieren". Darüber hinaus lassen sich allein handelnden Täter von früheren Gewalttaten "inspirieren". Die Täter definieren die Opfer als Repräsentanten einer Feindgruppe - etwa Migranten und "Linke" -, wobei sie mittels der Veröffentlichung von Manifesten oder Videos im Internet (auch per Live-Stream) eine extremistische Botschaft von hohem symbolischen Stellenwert an die Feindgruppe richten wollen. (Vgl. Maik Fielitz: Christchurch als bitterböses Meme, https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/christchurch-als-bitterboeses-meme, Hendrik Puls: Rechtsmotivierte "Einzeltäter" in Deutschland, https://www.idz-jena.de/wsddet/wsd6-13/, u. Chris Allen: Nur "einsame Wölfe"? Rechtsterrorismus als transnationales Phänomen, https://www.bpb.de/apuz/301134/nur-einsamewoelfe-rechtsterrorismus-als-transnationales-phaenomen, jeweils abgerufen im Mai 2022.) Anarchismus Im Gegensatz zu anderen linksextremistischen Richtungen fehlt es dem Anarchismus an verbindlichen Theorien und gemeinsamen Organisationsstrukturen. Anarchismus ist vielmehr eine Sammelbezeichnung für politische Auffassungen und Bestrebungen, die auf die Abschaffung jeglicher Herrschaft von Menschen über Menschen abzielen. Das Feindbild aller anarchistischen Strömungen ist der Staat. Die Institution des Staats gilt im anarchistischen Selbstverständnis als repressive Zwangsinstanz, die zugunsten einer herrschaftsfreien Gesellschaft aufgelöst oder zerschlagen werden muss. Dabei differenzieren Anarchisten nicht zwischen demokratisch und diktatorisch organisierten Staaten. Nach anarchistischer Vorstellung soll sich die Gesellschaft auf Basis völliger Freiwilligkeit selber organisieren. Häufig schließt eine solche Auffassung einen grundsätzlichen Antiinstitutionalismus mit ein. So gelten auch Parlamente, Parteien, Kirchen und Vereine als Einrichtungen, die einer freiwilligen Assoziation von emanzipierten und mündigen Menschen entgegenstehen. Im Mittelpunkt stehen Freiheit, Freizeit, Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung. 300 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 GLOSSAR Die Ablehnung von Hierarchie und Unterordnung führt zu einer generellen Skepsis gegenüber politischen Organisationsformen. Anarchisten bilden deshalb zumeist nur lose strukturierte Gruppierungen. Gegenwärtig bestehen nur wenige Kleinorganisationen, die sich dezidiert dem Anarchismus verschrieben haben wie zum Beispiel die Freie Arbeiterinnenund Arbeiter-Union (FAU). Daneben sind jedoch auch die meisten autonomen Gruppierungen durch anarchistische Theoriefragmente beeinflusst. (Vgl. http://www.verfassungsschutz.bayern.de/linksextremismus/definition/ideologie/anarchismus/index.html, abgerufen im Mai 2022.) ... wird als Begriff auch von Demokraten verwendet, um ihre Ableh"Antifaschismus" nung des Rechtsextremismus zum Ausdruck zu bringen. Antifaschismus ist nicht generell linksextremistisch. Es kommt vielmehr darauf an, wer die jeweiligen Akteure sind, was sie konkret unter "Faschismus" verstehen und welche Forderungen sie daraus ableiten. Linksextremisten versuchen den breiten gesellschaftlichen Konsens gegen den Rechtsextremismus zu nutzen, um von Demokraten als Partner akzeptiert zu werden. Im linksextremistischen Sinn ist "Antifaschismus" weit mehr als das Engagement gegen Rechtsextremismus. Er steht für eine grundsätzliche Ablehnung von Parlamentarismus und demokratischem Verfassungsstaat. "Antifaschismus" im linksextremistischen Sinn behauptet, dass die bürgerliche Gesellschaftsordnung mit "Kapitalismus", Parlamentarismus und Rechtsstaat die Ursache von "Faschismus" und Rechtsextremismus sei. Demokratischen Staaten wie der Bundesrepublik Deutschland wird unterstellt, sich unausweichlich in Richtung eines neuen "Faschismus" zu entwickeln. Das politische Ziel linksextremistischer "Antifaschisten" ist deshalb die Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Der Begriff "Antifaschismus" geht zurück auf die inneritalienische Opposition gegen die Herrschaft Benito Mussolinis zwischen 1922 und 1943. Die Wurzeln des deutschen Antifaschismus liegen im Widerstand gegen die Diktatur des "Dritten Reichs". Neben dem bürgerlich-liberal geprägten Antifaschismus, der für den Erhalt bzw. die Wiederherstellung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit eintrat, entwickelte sich ein kommunistisch orientierter, der alle nichtmarxistischen Systeme als potenziell faschistisch oder zumindest als Vorstufe zum Faschismus betrachtet. Der Faschismus gilt dabei als die reaktionärste, chauvinistischste und imperialistischste Form des "Kapitalismus". Nur wenn das Privateigentum an Produktionsmitteln abgeschafft und ein sozialistisches System errichtet werde, könne der Faschismus zerstört werden. Die Forderung nach der Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung ist die folgerichtige Konsequenz. Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 301 GLOSSAR Linksextremistische Parteien streben im Rahmen ihrer Bündnispolitik die Übernahme von Leitungsund Steuerungsfunktionen in "antifaschistischen" Organisationen und Bündnissen an. Zur "Legitimation" ihres Führungsanspruchs verweisen sie häufig auf den Kampf kommunistischer Widerstandskämpfer gegen Hitler und die Verfolgung von Kommunisten zur Zeit des deutschen Nationalsozialismus. Daneben nutzen gewaltbereite Autonome den "antifaschistischen Kampf" seit Jahren zur Mobilisierung ihrer Anhänger und zur Legitimierung ihrer militanten "Aktionen" gegen Staat und Polizei mit dem Argument, diese schützten Rechtsextremisten. Die sogenannten Faschos gelten bei den Autonomen als Feindbild schlechthin. Nach dem klar extremistischen Motto "Schlagt die Nazis, wo ihr sie trefft!" wird offen zur Gewaltanwendung aufgerufen. (Vgl. https://www.verfassungsschutz.bayern.de/linksextremismus/ definition/aktionsfelder/antifaschismus/index.html, unter dieser Adresse die komplette Fassung des oben gekürzten Glossareintrags, abgerufen im Mai 2022.) "Antigentrifizierung" Die Stadt gilt insbesondere gewaltorientierten Linksextremisten traditionell als zentraler Ort des Klassenkampfs, als Ort der Zuspitzung der Klassengegensätze. Durch die Verbindung mit anderen Gruppen erhoffen sich Linksextremisten Möglichkeiten der Massenmilitanz, die in Städten leichter organisierbar ist als in bevölkerungsschwachen Räumen. Ziel gewaltorientierter Linksextremisten ist insbesondere der Erhalt sogenannter Freiräume, die von der Szene als notwendige Widerstandsstrukturen angesehen werden. Mit dem Thema "Antigentrifizierung" versuchen Linksextremisten ihre eigenen Interessen in eine aktuelle stadtund gesellschaftspolitische Diskussion einzubetten und damit in größeren Bevölkerungskreisen politisch Akzeptanz zu finden. Der Begriff "Gentrifizierung" kommt ursprünglich aus der Stadtsoziologie und bezeichnet soziale Umstrukturierungsprozesse in Stadtteilen, die zu steigenden Mieten und einer Verdrängung der bisherigen Bewohner führen. Viele Bewohner von Großstädten beschäftigt dieses Thema. Es bilden sich Initiativen, die in aller Regel von demokratischen Kräften getragen werden. Linksextremisten versuchen, sich diesen Initiativen anzuschließen bzw. im gleichen Themenfeld eigene Aktionen zu entwickeln, um damit ihre gesellschaftliche Akzeptanz zu steigern und sich vordergründig als sozialpolitische Akteure zu profilieren, wobei sie extremistische Ziele verfolgen, die deutlich über die Sozialpolitik hinausreichen. Autonome Linksextremisten entwickeln im Zusammenhang mit dem Themenfeld "Antigentrifizierung" auch gewalttätige Aktivitäten: Insbesondere Immobilienmakler werden von ihnen als Mitverantwortliche für die "Gentrifizierung" und damit als Feindbild wahrgenom302 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 GLOSSAR men. Büros und Fuhrpark von Immobilienfirmen sind immer wieder Ziel militanter Attacken aus der linksextremistischen Szene. (Vgl. https://www.verfassungsschutz.bayern.de/linksextremismus/ definition/aktionsfelder/antigentrifizierung/index.html, abgerufen im Mai 2022.) Der Imperialismus, bei dem russischen revolutionären Politiker Lenin "Antiimperialismus" als "höchstes Stadium des Kapitalismus" definiert, ist für Linksextremisten ein Gegenstand heftigster Ablehnung. Nach der klassischen marxistisch-leninistischen Imperialismus-Theorie neigen "kapitalistische" Ökonomien und Staaten dazu, sich zur Maximierung des Profits Märkte für Rohstoffe, Arbeitskräfte und den Absatz von Produkten notfalls gewaltsam zu erschließen, was zu Kolonialismus und Kriegen zwischen "kapitalistischen" Staaten führe. Diese Analyse legt für Linksextremisten eine "antiimperialistische" und "internationalistische" Ausrichtung nahe: Sie verstehen sich als solidarisch mit den "um ihre nationale Befreiung von kolonialistischer Ausbeutung kämpfenden Völkern", falls letztere ein "sozialistisches" Regime errichten wollen. (Vgl. van Hüllen: "Antiimperialistische" und "antideutsche" Strömungen im deutschen Linksextremismus, https://www.bpb.de/ politik/extremismus/linksextremismus/33626/antideutsche-undantiimperialisten, unter dieser Adresse die komplette Fassung des oben gekürzten Glossareintrags, abgerufen im Mai 2022.) Die wichtigsten Mitglieder der Koalition waren die USA, GroßbritanAnti-IS-Koalition nien, Dänemark, Belgien und Kanada. Partner im Nahen Osten waren Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate, Bahrain, Qatar und Jordanien. (Vgl. https://www.srf.ch/news/international/das-sind-die-wichtigstenmitglieder-der-anti-is-allianz, unter dieser Adresse die komplette Fassung des oben gekürzten Glossareintrags abgerufen im Mai 2022.) Aus linksextremistischer Sicht kennzeichnen den "Kapitalismus" nicht "Antikapitalismus" nur soziale Missstände, sondern auch gesellschaftspolitische Phänomene wie Faschismus, Rechtsextremismus, Rassismus, Repression, Gentrifizierung und Militarismus. Umso wichtiger erscheint Linksextremisten folglich der "antikapitalistische Kampf". Insbesondere die globale Wirtschaftsund Finanzkrise bildet vor diesem Hintergrund den Bezugsrahmen für verschiedene Protestaktionen unter Beteiligung von Linksextremisten. Im Fokus der sogenannten Krisenproteste steht dabei Frankfurt am Main, deutsche Finanzmetropole und zugleich Sitz der EZB, die unter Linksextremisten gleichHessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 303 GLOSSAR sam als Symbol der "kapitalistischen Gesellschaft" gilt ("Haut den Banken auf die Pranken"). (Vgl. Linksextremismus. Erscheinungsformen und Gefährdungspotenziale. Hrsg. v. Bundesamt für Verfassungsschutz. Köln 2016, S. 26.) "Antimilitarismus" ... ist ein klassisches linksextremistisches Aktionsfeld, dessen Wurzeln bis in die Anfänge der kommunistischen Bewegung zurückreichen. Im Gegensatz zum Pazifismus geht es Linksextremisten nicht nur um die Abschaffung des Militärs, sondern darüber hinaus um die Beseitigung der parlamentarischen Demokratie. Aus linksextremistischer Perspektive dient das Militär dazu, angebliche kapitalistische Expansionsbestrebungen nach außen durchzusetzen und im Inneren den "Kapitalismus" und dessen "Ausbeutungsstrukturen" zu stabilisieren. Eine klassenlose Gesellschaft kann demzufolge nur erreicht werden, wenn neben der "kapitalistischen" Wirtschaftsordnung und der sie tragenden bürgerlichen parlamentarischen Demokratie auch das Militär abgeschafft wird. Die linksextremistische Szene in der Bundesrepublik Deutschland wendet den "Antimilitarismus" auf die Bundeswehr an. Die Auslandseinsätze der Bundeswehr sowie die Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland an Systemen kollektiver Sicherheit wie der NATO stehen dabei im Fokus. Der "antimilitaristischen" Ideologie zufolge dient die Bundeswehr nur der Durchsetzung imperialer Politik und kapitalistischer Interessen. Ignoriert wird dabei, dass es sich bei der Bundeswehr um ein so genanntes "Parlamentsheer" handelt, dessen bewaffnete Streitkräfte auf der Grundlage einer Entscheidung des Bundestags bzw. auf Basis der Charta der Vereinten Nationen (UN) ins Ausland entsandt werden. Im Rahmen ihrer Bündnispolitik versuchen Linksextremisten Einfluss auf Initiativen zu nehmen, die die Rolle und Aufgabe einer Armee in einem demokratischen Staat kritisch hinterfragen. Insbesondere das autonome linksextremistische Spektrum geht in seinen "antimilitaristischen" Aktionen weit über friedliche Proteste hinaus. In szeneinternen Publikationen finden sich offene Aufrufe zur Gewaltanwendung gegen Bundeswehrangehörig. Auch Brandanschläge gegen Fahrzeuge und Material der Bundeswehr sowie gegen Unternehmen, die mit der Bundeswehr zusammenarbeiten, gehören zur militanten Praxis der Autonomen. (Vgl. https://www.verfassungsschutz.bayern.de/linksextremismus/ definition/aktionsfelder/antimilitarismus/index.html, unter dieser Adresse die komplette Fassung des oben gekürzten Glossareintrags, abgerufen am 4. Februar 2022.) 304 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 GLOSSAR ... "ist eine bestimmte Wahrnehmung von Juden, die im Hass auf JuAntisemitismus den Ausdruck finden kann. Rhetorische und physische Manifestationen von Antisemitismus richten sich gegen jüdische oder nicht-jüdische Individuen und/oder ihr Eigentum, gegen Institutionen jüdischer Gemeinden und religiöse Einrichtungen". Diese Arbeitsdefinition der International Holocaust Remebrance Alliance (IHRA) wurde am 26. Mai 2016 in Bukarest (Rumänien) beschlossen. Die IHRA nennt praktische Beispiele, die im Folgenden in veränderter und ergänzter Form dargestellt werden: Menschen oder Gruppen rufen zur Tötung/Schädigung von Juden im Namen einer radikalen/extremistischen Ideologie oder einer radikalen/extremistischen Religionsanschauung auf. Menschen oder Gruppen fordern zur Beihilfe zu solchen Taten auf oder versuchen, diese zu rechtfertigen. Menschen oder Gruppen bringen falsche, entmenschlichende, dämonisierende oder stereotype Anschuldigungen gegen einzelne Juden oder die Macht von Juden als Kollektiv vor; dazu können Mythen über eine jüdische Weltverschwörung oder über die Kontrolle von Medien, Wirtschaft, Regierung oder gesellschaftlicher Institutionen zählen. Dabei werden Nichtjuden als "Handlanger" von Juden dargestellt oder als "Kryptojuden" (geheime Juden). Juden werden als Volk für tatsächliches oder unterstelltes Fehlverhalten einzelner Juden, einzelner jüdischer Gruppen oder sogar Nichtjuden (vgl. Punkt 3) verantwortlich gemacht. Leugnung von Tatsachen, des Ausmaßes, der Mechanismen (zum Beispiel von Gaskammern) oder der Vorsätzlichkeit des Völkermordes an den Juden durch das nationalsozialistische Regime und seine Unterstützer und Komplizen während des Zweiten Weltkriegs. Der Vorwurf gegenüber Juden als Volk oder dem Staat Israel, den Holocaust zu erfinden oder übertrieben darzustellen. Der Vorwurf, Juden fühlten sich dem Staat Israel oder angeblich bestehenden weltweiten jüdischen Interessen (vgl. Punkt 3) stärker verpflichtet als den Interessen ihrer jeweiligen Heimatländer. Das Aberkennen des Rechts des jüdischen Volkes auf Selbstbestimmung, zum Beispiel durch die Behauptung, die Existenz des Staates Israel sei ein rassistisches Unterfangen. Der Vorwurf, Juden fühlten sich dem Staat Israel oder angeblich bestehenden weltweiten jüdischen Interessen (vgl. Punkt 3) stärker verpflichtet als den Interessen ihrer jeweiligen Heimatländer. Die Anwendung doppelter Standards bei der Beurteilung des Staates Israel. Das Verwenden von Symbolen und Bildern, die mit traditionellem Antisemitismus oder christlichem Antijudaismus in Verbindung stehen, um Israel, Bürger Israels oder Juden zu beschreiben. Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 305 GLOSSAR Vergleiche der aktuellen israelischen Politik mit der Politik des nationalsozialistischen Regimes. Das kollektive Verantwortlichmachen von Juden für Handlungen der Regierung, öffentlicher Institutionen oder Parteien des Staates Israel. Die Behauptung, Juden seien am Antisemitismus aufgrund ihrer Verhaltensweise (vgl. Punkte 3-4, 6-7, 9), bestimmter Stereotypen (3, 6- 9, 11) oder Handlungen (vgl. Punkt 10, 12-13) selbst verantwortlich. Die Europäische Kommission, das Europäische Parlament und der Rat erkennen die Definition der IHRA an, und die Zivilgesellschaft, die Strafverfolgungsbehörden und die Bildungseinrichtungen orientieren sich daran für eine wirksame Erkennung und Bekämpfung aller Formen von Antisemitismus. So wie andere internationale Organisationen macht die Europäische Kommission in ihrer Arbeit aktiven Gebrauch von dieser Definition, insbesondere auf dem Gebiet der allgemeinen und der beruflichen Bildung. (Vgl https://www.land.nrw/antisemitismusbeauftragte/antisemitismus u. https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/de/ MEMO_19_542, jeweils abgerufen am 4. Februar 2022.) Apo ... ist die in der PKK übliche Bezeichnung für ihren inhaftierten Anführer Abdullah Öcalan. Cyberkriminalität ... umfasst grundsätzlich alle Straftaten, die unter Ausnutzung der Informationsund Kommunikationstechnik oder gegen diese begangen werden. Angreifer haben sich in den letzten Jahren flexibel an technische Entwicklungen angepasst. Das originäre Ziel eines kriminellen Cyberangriffs ist es, einen möglichst hohen finanziellen Betrag zu erbeuten. Die Täter gehen bei den Angriffen ein verhältnismäßig niedriges Risiko ein, da die Anonymität des Internets die Strafverfolgung erheblich erschwert. Des Weiteren sind die häufig global agierenden Täter schwer zur Verantwortung zu ziehen. Sie können für Wirtschaftsunternehmen existenzbedrohend sein und haben bei Angriffen auf Kritische Infrastrukturen wie Krankenhäuser oder Energieversorger schnell dramatische Auswirkungen auf die Bevölkerung und auf das Vertrauen in den Staat. da'wa Salafisten versuchen, ihre Ideologie durch intensive Propagandaaktivitäten zu verbreiten. Dadurch wollen sie Staat und Gesellschaft in einem langfristigen Prozess nach salafistischen Normen umgestalten. Diese sogenannte da'wa-Arbeit (arab. für Missionierung) betreiben sie insbesondere im Internet. Da'wa-Aktivitäten im öffentlichen Raum finden immer seltener statt. Die zunehmend professionelle Verbreitung der salafistischen Ideologie übt eine beträchtliche Anziehungs306 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 GLOSSAR kraft aus auf vor allem junge, emotional und sozial noch nicht gefestigte Muslime, darunter auch Konvertiten. Für eine Reihe von Personen aus dem salafistisch-jihadistischen Bereich sind die Da'wa-Aktivitäten ein wesentlicher Baustein in ihrer Radikalisierungsbiographie. Staatliche Maßnahmen, zum Beispiel Vereinsund Moscheeverbote, diverse Durchsuchungsaktionen, Ermittlungsund Strafverfahren gegen jihadistische Protagonisten und konsequente Abschiebungen führten zu einer Verhaltensänderung der salafistischen Szene: Es ist ein Trend zum Rückzug aus der Öffentlichkeit ins Private feststellbar. Szeneangehörige agieren vermehrt in geschlossenen Internetgruppen und vernetzen sich durch klandestine Treffen, zum Beispiel in Wohnungen (Home-Da'wa). (Vgl. https://www.verfassungsschutz.bayern.de/islamismus/ definition/strategie/dawaarbeit/index.html, unter dieser Adresse die komplette Fassung des oben gekürzten Glossareintrags, abgerufen im Mai 2022.) Die Cyberabwehr des Verfassungsschutzes beobachtet und Detektion, Attribution, analysiert kontinuierlich und präventiv die gegen Deutschland gePrävention richteten Aktivitäten von fremden Staaten oder von ihnen gesteuerten APT-Gruppierungen und unterstützt gefährdete Stellen und Opfer von Cyberangriffen. Sie wird ferner auch dann aktiv, wenn zum Beispiel in Deutschland gehostete Infrastruktur von fremden Akteuren für Cyberangriffe gegen Ziele im Ausland genutzt wird. In einem ersten Schritt geht es darum, Cyberangriffe frühzeitig zu erkennen. Diese Detektion wird nicht selten dadurch erschwert, dass viele der nachrichtendienstlichen Akteure auf einem hohen technischen Niveau operieren und teils äußerst verdeckt agieren. Ist ein Angriff erkannt, wird er auf Anhaltspunkte für seine Urheberschaft untersucht (Attribution). Erst aufgrund der gesammelten Erkenntnisse können dann in einem letzten Schritt Präventionsmaßnahmen wirkungsvoll vorangetrieben werden. Diese können beispielsweise die Zusammenstellung technischer Indikatoren eines Angriffs oder die Schärfung von Schadsoftwareerkennungssystemen umfassen. Durch die Kombination aus unterschiedlichen Informationsquellen werden gefährdete deutsche Stellen in die Lage versetzt, eine eigene Betroffenheit festzustellen. Zudem können sie potenzielle Zugriffe von maliziösen IT-Infrastrukturen im Vorfeld sperren und erreichen so ein höheres Schutzniveau. (Vgl. https://www.verfassungsschutz.de/DE/themen/cyberabwehr/ begriff-und-auftrag/begriff-und-auftrag_node.html, unter dieser Adresse die komplette Fassung des oben gekürzten Glossareintrags, abgerufen im Mai 2022.) Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 307 GLOSSAR Diebe im Gesetz Ein maßgeblicher Bestandteil der russisch-eurasischen OK ist die Ideologie der traditionell als Diebe im Gesetz bezeichneten kriminellen Autoritäten. Diese orientieren sich an einem eigenen Normenund Wertesystem und sehen sich einem selbst auferlegten Kodex verpflichtet. Mit dieser Ideologie sind die aus den lokalen Banden des postsowjetischen Russlands der 1990er Jahre hervorgegangenen kriminellen Organisationen, die sogenannten Syndikate, eng assoziiert. Das Phänomen der russisch-eurasischen OK umfasst alle kriminellen und damit zusammenhängenden legalen und illegalen wirtschaftlichen Aktivitäten, die unter diesem "Leitbild" subsumiert werden können. Ein zentrales Element stellt die sogenannte Diebeskasse - der "Obshyak" - dar. Hierbei handelt es sich um eine aus inkriminierten Geldern gespeiste Gemeinschaftskasse, auf die von den Gruppenmitgliedern je nach Hierarchie und besonderen Umständen zurückgegriffen werden kann. Alle Mitglieder bzw. Ebenen der streng hierarchisch aufgebauten und nach innen und außen abgeschotteten Organisationen sind verpflichtet, in diese Gemeinschaftskasse einzuzahlen. (Vgl. https://www.bka.de/DE/UnsereAufgaben/Deliktsbereiche/ OrganisierteKriminalitaet/organisiertekriminalitaet_node.html, abgerufen im Mai 2022.) Dual-Use-Güter Mit der Verordnung (EU) 2021/821 (EU-Dual-Use-VO) hat die EU für alle EU-Mitgliedstaaten gemeinsame Genehmigungspflichten und Verfahrensweisen bei der Ausfuhr, der Vermittlung, der technischen Unterstützung, der Durchfuhr und der Verbringung von Gütern mit doppeltem Verwendungszweck festgelegt. Hierbei handelt es sich um Güter, die sowohl zivil als auch militärisch nutzbar sind (zum Beispiel bestimmte Chemikalien, Maschinen, Technologien und Werkstoffe, aber insbesondere auch Software oder Technologien). (Vgl. https://www.zoll.de/DE/Fachthemen/AussenwirtschaftBargeldverkehr/Warenausfuhr/Waren/Dual-Use-Gueter/dual-usegueter_node.html, undatiert, abgerufen im Januar 2022.) Faschismus vgl. "Antifaschismus" Fremdenfeindlichkeit ... richtet sich gegen Menschen, die sich durch Herkunft, Nationalität, (vgl. auch Rassismus) Religion oder Hautfarbe von der als "normal" erachteten Umwelt unterscheiden. Die mit dieser Zuweisung typischerweise verbundenen vermeintlich minderwertigen Eigenschaften werden als Rechtfertigung für einschlägige Straftaten missbraucht. Insbesondere das rechtsextremistische Weltbild ist geprägt von einer Überbewertung 308 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 GLOSSAR ethnischer Zugehörigkeit, aus der unter anderem Fremdenfeindlichkeit resultiert. (Vgl. https://www.verfassungsschutz.bremen.de/oeffentlichkeitsarbeit/ detail.php?gsid=bremen77.c.11578.de&template=20_glossar_d& lang=de&begriff=F, abgerufen am 4. Februar 2022.) ... galt als das Grundgesetz nationalsozialistischer Weltanschauung. "Führerprinzip" Es verpflichtete nach dem Motto "Führer befiehl, wir folgen" zu blindem Gehorsam und bedingungsloser Treue gegenüber Adolf Hitler als dem obersten "Führer" sowie die jeweilige Gefolgschaft zu Gehorsam gegenüber den Befehlen der Führer auf mittlerer und unterer Ebene. Das Führerprinzip war unter Berufung auf Hitlers Buch "Mein Kampf" als Gegensatz zu jeder Art von demokratischer Entscheidung und Mitbestimmung formuliert und fand im Kult um die Person Hitlers seinen höchsten Ausdruck. Im Willen des Diktators war alle hoheitliche Gewalt des Reichs verkörpert. Nach der damals gültigen Definition war die "Führergewalt" nicht durch Kontrollen gehemmt, sie war ausschließlich und unbeschränkt. Mit der Anerkennung des nationalsozialistischen "Führerprinzips" verzichteten die Deutschen auf alle bürgerlichen Rechte der Gestaltung ihrer Verhältnisse und damit auch auf rationale Strukturen der Politik, die nun ausschließlich vom Willen der "Führer" gesteuert wurde. Das "Führerprinzip" galt nicht nur im politischen und sozialen Bereich, auch die Wirtschaft wurde nach dem Prinzip von Befehl und Gehorsam gelenkt. Das "Führerprinzip" war Inbegriff der Selbstaufgabe des Individuums im nationalsozialistischen Staat. Als Anspruch ist das "Führerprinzip" auch für den modernen Rechtsextremismus typisch und kennzeichnender Ausdruck antidemokratischer Gesinnung. (Vgl. https://www.bpb.de/politik/extremismus/antisemitismus/ 37986/argumente-gegen-rechte-vorurteile?p=9, hier die komplette Fassung des oben gekürzten Glossareintrags, abgerufen im Mai 2022.) Der "Führerabsolutismus" gründete sich nicht allein auf Hitlers "Führerstaat" Machtwillen oder besondere persönliche Qualitäten, sondern auch und vor allem auf die Zustimmungsund Unterordnungsbereitschaft in Verwaltung und Gesellschaft sowie auf die besondere Herrschaftsmechanik im nationalsozialistischen Führerstaat. Der "Führer"-Mythos wurde zum gemeinsamen Nenner der inneren Herrschaftsmechanik sowie der Legitimation durch die Gesellschaft. Bereits während der Aufstiegsphase der NSDAP war Hitler zum machtpolitischen und ideologischen Bezugspunkt der nationalsozialistischen Bewegung geworden. Er hatte zudem diese Machtstellung durch die "Führer"Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 309 GLOSSAR Erwartung innerhalb der NSDAP sowie durch den "Führer"-Kult propagandistisch verstärken bzw. überhöhen können. Nach der Machtübernahme 1933 übertrug sich dieser Prozess der wechselseitigen Verstärkung von allgemeiner Erwartung einer charismatischen Erlöserund Retterfigur und von dem nunmehr staatlichen Kult um den "Führer" auf die gesamte Gesellschaft. (Vgl. Hans-Ulrich Thamer: Ausbau des Führerstaates, http://www.bpb.de/geschichte/nationalsozialismus/dossiernationalsozialismus/39550/ausbau-des-fuehrerstaates?p=all, hier die komplette Fassung des oben gekürzten Glossareintrags, abgerufen im Mai 2022.) s. "Antigentrifizierung" Gentrifizierung Hack-and-Publish-/ Im Fokus von Cyberangriffen stehen - vor allem im Zusammenhang Hack-and-Leakmit Parlamentswahlen - immer wieder insbesondere private E-MailDesinformationskampagnen Adressen von Abgeordneten des Deutschen Bundestages und der Landtage und deren Mitarbeitenden. Hierbei erlangte persönliche Informationen können in selektiver oder irreführender Weise veröffentlicht und auch durch manipulierte Informationen verfälscht werden, um Personen oder Parteien zu diskreditieren (Hack-and-publishOperationen). Diese Angriffe können Vorbereitungshandlungen für Hack-and-Leak-Operationen in sozialen Netzwerken darstellen. Das Konto einer Person wird gleichsam gekapert und mit gestohlenen Daten bestückt. Desinformation kann außerdem über weitere Verbreitungswege in Umlauf gebracht werden. Hierzu gehören die Hack-and-Publish-Operationen, bei denen häufig "echte" und damit grundsätzlich glaubwürdige Nachrichtenseiten im ersten Schritt angegriffen und dann kompromittiert werden, um in einem zweiten Schritt Desinformation auf diesen Nachrichtenkanälen zu veröffentlichen. (https://www.verfassungsschutz.de/SharedDocs/reden/DE/2021/ statement-haldenwang-zur-sicherheit-der-bundestagswahl.html, hier die komplette Fassung des oben gekürzten Glossareintrags, abgerufen im Mai 2022.) hadd Gewalt spielt im Salafismus auch als religiös legitimierte Gewalt bei der Vollstreckung des islamischen Rechts eine Rolle. Nach salafistischer Auffassung ist das islamische Recht uneingeschränkt anzuwenden. Das umfasst auch die Verhängung von Körperstrafen für bestimmte Vergehen. Körperstrafen werden im islamischen Strafrecht für zahlreiche Delikte verhängt, so zum Beispiel für die sogenannten 310 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 GLOSSAR Grenzvergehen (von arab. hadd, dt. Grenze) sowie für Mord und Totschlag. Als Grenzvergehen werden diejenigen Verbrechen bezeichnet, die der Koran und die Überlieferungen des Propheten als Kapitalverbrechen benennen und die mit einem bestimmten Strafmaß belegt sind. Sie heißen Grenzvergehen, da sie nicht menschliches Recht, sondern das Recht Allahs verletzen. Es muss daher genau die im Koran bzw. der Überlieferung vorgesehene Strafe vollstreckt werden, das heißt die irdische Justiz besitzt bei der Festlegung der Strafe keinen Ermessensspielraum. Islamische Juristen schreiben strenge Voraussetzungen für die Tatfeststellung vor, sodass historisch betrachtet solche Strafen sehr selten ausgesprochen wurden. Salafisten ignorieren die islamischen Rechtstraditionen; für sie sind die im Koran verankerten Grenzstrafen gottgewollt und unbedingt anzuwenden. Zu den Grenzvergehen gehören: Ehebruch und Unzucht, Verleumdung/falsche Beschuldigung wegen illegalen Geschlechtsverkehrs, schwerer Diebstahl, schwerer Straßenraub und Raubmord sowie Alkoholgenuss. Die für die Grenzvergehen verhängten Körperstrafen reichen vom Auspeitschen über das Abtrennen von Hand und/oder Fuß bis hin zur Steinigung und Enthauptung. (Vgl. Salafistische Bestrebungen in Deutschland. Hrsg. v. Bundesamt für Verfassungsschutz und Landesbehörden für Verfassungsschutz. Köln 2012, S. 10f.) Der Nationalsozialismus ist nach wie vor Vorbild für große Teile der "Heldengedenken" rechtsextremistischen Szene. Die Verbrechen der nationalsozialistischen Diktatur werden dabei ausgeblendet. Vor allem die militärische Komponente des Nationalsozialismus übt auf heutige Rechtsextremisten nach wie vor eine hohe Faszination aus. Dies zeigt sich sowohl in der Verehrung der im Zweiten Weltkrieg kämpfenden Verbände wie auch in der Leugnung der durch deutsche Soldaten begangenen Verbrechen. Viele Rechtsextremisten sammeln Gegenstände mit Bezug zum "Dritten Reich". Dazu zählen neben Fahnen und militärischen Gegenständen auch Bilder und Büsten von maßgeblichen nationalsozialistischen Protagonisten. Darüber hinaus interessieren sich viele Rechtsextremisten für Liedgut, Literatur und Filme des "Dritten Reichs". Die positive Bezugnahme auf den Nationalsozialismus äußert sich auch in der Verehrung, die Rechtsextremisten bis heute nationalsozialistischen Führungspersonen entgegenbringen. Eine besondere Rolle nimmt dabei der Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß ein, der in der neonazistischen Szene als Märtyrer verehrt wird. Heß, der in den Nürnberger Prozessen zu lebenslanger Haft verurteilt worden war, saß bis zu seinem Selbstmord am 17. August 1987 im Kriegsverbrechergefängnis in Berlin-Spandau. Gerade dieses Datum wird von Rechtsextremisten und Neonazis zum Anlass genommen, im Rahmen von DeHessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 311 GLOSSAR monstrationen und Gedenkveranstaltungen der ehemaligen nationalsozialistischen Größen zu erinnern und hierbei revisionistische Geschichtsbilder und Verschwörungstheorien zu den Todesumständen von Heß zu propagieren. Im Kern der rechtsextremistischen Theorien zum Tod von Rudolf Heß steht die Behauptung, dass Heß nicht Selbstmord begangen habe, sondern durch die Alliierten ermordet worden sei. Das Grab von Rudolf Heß befand sich bis 2011 auf dem städtischen Friedhof der Stadt Wunsiedel (Bayern). Der Ort hat für Rechtsextremisten bis heute einen hohen Symbolwert und dient nach wie vor einmal jährlich als Veranstaltungsort für die Partei Der Dritte Weg und ihre "Heldengedenken"-Veranstaltung. Seit 2005 steht in Deutschland die Verherrlichung des nationalsozialistischen Regimes unter Strafe. Auf Grundlage der entsprechenden Strafvorschrift sind seither Rudolf-Heß-Gedenkmärsche in Wunsiedel verboten. Die "Heldengedenken" des Dritten Wegs finden nur noch unter strengen behördlichen Auflagen statt. Unter anderem werden die namentliche Nennung von Rudolf Heß oder andere direkte Bezugnahmen zu seiner Person im Rahmen von öffentlichen Veranstaltungen regelmäßig untersagt. Rechtsextremisten sind daher bestrebt, ihre Verehrung möglichst indirekt auszudrücken bzw. auf andere von konkreten Verbotsauflagen unberührte Personen mit Bezug zum Nationalsozialismus zu beziehen. (Vgl. https://www.verfassungsschutz.bayern.de/rechtsextremismus/ definition/ideologie/nationalsozialismus/index.html, hier die komplette Fassung des oben gekürzten Glossareintrags abgerufen im Mai 2022.) Holocaust Seit den 1970ern ist Holocaust eine nahezu weltweit gebräuchliche Bezeichnung für den Mord an den Juden Europas durch das nationalsozialistische Deutschland im Zweiten Weltkrieg. Holocaust stammt vom griechischen Wort holocauston ab und bedeutet "Brandopfer" (wörtlich übersetzt ganz verbrannt). Das Symbol des Brandoder Sühneopfers macht den Begriff jedoch insofern zwiespältig, weil die Massenvernichtung keine religiöse oder kultische Handlung war, sondern ein systematisch geplanter und durchgeführter Mord. In Deutschland setzte sich der Begriff ab 1979 durch, nach der Ausstrahlung der gleichnamigen TV-Serie im deutschen Fernsehen. Das Wort Holocaust stellt für viele jüdische Überlebende wegen des ursprünglich christlichen Hintergrunds ein Problem dar, weshalb von Juden auch oft der Begriff Shoah verwendet wird. (Vgl. https://www.yadvashem.org/de/holocaust/lexicon.html, abgerufen im Mai 2022.) 312 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 GLOSSAR Unter hybriden Bedrohungen versteht man die illegitime EinflussHybride Bedrohung nahme durch staatliche oder nichtstaatliche Akteure unter koordiniertem Einsatz verschiedener Methoden (diplomatischer, militärischer, wirtschaftlicher oder technologischer Natur) zur Durchsetzung eigener Interessen, ohne jedoch die Schwelle eines offiziell erklärten Kriegs zu erreichen. Dazu gehört auch die Verbreitung von Desinformation, die deutlich an Umfang zunehmen und immer ausgefeilter werden. Das Internet bietet ideale Voraussetzungen für Angriffe in Form von Desinformationskampagnen: Sie sind leicht zu tarnen - häufig ist der Akteur nicht nachvollziehbar und bleibt anonym. Sie sind verhältnismäßig kostengünstig umzusetzen und sie können sich enorm schnell und weit verbreiten. Wenn Diskussionen in sozialen Netzwerken gezielt gesteuert werden, wenn Nachrichten manipuliert oder aus dem Kontext gerissen werden, sodass Verwirrung entsteht und öffentliche Debatten beeinflusst werden, können diese Angriffe durch Desinformation zur echten Gefahr werden. Offene, pluralistische und demokratische Gesellschaften sind anfällig für illegitime Einflussoperationen, weil sie Akteuren viele Angriffsflächen für offene und verdeckte Aktivitäten bieten. Oft dient Desinformation dazu, das Vertrauen in staatliche Stellen zu untergraben und durch das Befeuern kontroverser Themen gesellschaftliche Konflikte zu vertiefen. Werden beispielsweise Verschwörungsund Untergangserzählungen im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie von fremden Staaten aufgegriffen und verstärkt, kann dies die öffentliche Sicherheit und Ordnung erheblich gefährden. Auch mittels Cyberangriffen können fremde Staaten Desinformationskampagnen vorbereiten (vgl. auch oben Hack-and-Publish-/Hack-and-Leak-Desinformationskampagnen). (Vgl. https://www.bmi.bund.de/SharedDocs/pressemitteilungen/ DE/2020/12/hybride-bedrohungen.html, u. https://www.bundesregierung.de/breg-de/themen/umgang-mitdesinformation/cybersicherheit-desinformation-1872752, hier die kompletten Fassungen des oben gekürzten Glossareintrags abgerufen im Mai 2022.) ... (griechisch für Wissenschaft der Anschauungen) sind identitätsIdeologie stiftende Ideensysteme, die Wertund Handlungsorientierungen prägen. Der Begriff ist bis heute mehrdeutig und vielschichtig. Er wird deskriptiv und negativ-wertend gebraucht. Nebeneinander stehen seine sozialkritische und seine erkenntniskritische Verwendung. Die Unbestimmtheit des Begriffs wird auch in seiner Geschichte deutlich. Die im deutschen Sprachgebrauch vorherrschende negativwertende Bedeutung sagt aus, dass Ideologien zur Verabsolutierung des Partiellen neigen, dass sie Vorurteile und Ressentiments durch Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 313 GLOSSAR einseitige Wahrnehmungsmuster fördern, dass sie illusionäre und realitätsferne Weltdeutungen propagieren. (Vgl. https://www.ezw-berlin.de/publikationen/lexikon/ideologie-/ -ideologiekritik/ideologie, unter dieser Adresse die komplette Fassung des oben gekürzten Glossareintrags, abgerufen im Mai 2022.) Imperialismus ... seit dem 19. Jahrhundert gebräuchlicher Begriff für ungleiche regionale Beziehungen, die mit direkten oder indirekten Formen der Beherrschung bzw. der Abhängigkeit zwischen Staaten/Regionen verbunden sind. Als formelle Gebietsherrschaft ist der Imperialismus besonders in seiner klassischen Phase (etwa 1880-1914) durch häufig gewaltsam herbeigeführte Kolonialisierung in Erscheinung getreten. Im 20. Jahrhundert wurde der Begriff mit informellen Herrschaftsformen politisch, wirtschaftlich oder militärisch mächtiger Staaten oder auch großer, multinationaler Unternehmen in Verbindung gebracht. Für die Anthropogeographie, besonders für die Entwicklungsforschung und für die radical geography, haben die marxistischen Interpretationen des Imperialismus große Bedeutung. Sie begründen einen kapitalismuskritischen Antiimperialismus, der das globale Kräftespiel und seine Folgen für abhängige Regionen zum Gegenstand hat. (Vgl. https://www.spektrum.de/lexikon/geographie/imperialismus/ 3701, abgerufen im Mai 2022.) jihad ... meint wörtlich Bemühung oder auch Anstrengung. Die islamische Tradition kennt sowohl den "kleinen Jihad" als auch den "großen Jihad". Der "große Jihad" ist friedlich. Er bezeichnet das geistig-spirituelle Bemühen der Gläubigen um das richtige religiöse und moralische Verhalten gegenüber Gott und den Mitmenschen. Der "kleine Jihad" ist kriegerisch. Er beschreibt den kämpferischen Einsatz zur Verteidigung oder Ausdehnung des islamischen Herrschaftsgebiets. Von militanten Gruppen wird der Jihad häufig als religiöse Legitimation für Terroranschläge oder Befreiungskämpfe verwendet. (Vgl. https://antworten-auf-salafismus.de/salafismus/jihad-dschihad/ index.php, unter dieser Adresse die komplette Fassung des oben gekürzten Glossareintrags, abgerufen im Mai 2022.) Kalifat ... ist eine autokratische Herrschaftsform, in der sowohl die politische als auch die religiöse Herrschaft durch eine Person, das heißt den Kalifen, ausgeübt wird. (Vgl. Lexikon des Dialogs. Grundbegriffe aus Christentum und Islam, Bd. 1. Hrsg. v. Richard Heinzmann in Zusammenarbeit mit Pe314 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 GLOSSAR ter Antes, Martin Thurner, Mualla Selcuk u. Halis Albayrak. Freiburg, Basel u. Wien 2013, S. 392f.) Unter dem Begriff "Kameradschaften" werden in der Regel neonaKameradschaften zistische lokale Gruppierungen verstanden. Sie umfassen meist etwa zehn bis 20 Mitglieder und sind - im Gegensatz zu den Cliquen der subkulturell geprägten gewaltbereiten rechtsextremistischen Szene - deutlich durch den Willen zu politischer Aktivität geprägt. Obwohl sie meist keine oder nur geringe vereinsähnliche Strukturen aufweisen, sind sie durch eine verbindliche Funktionsverteilung dennoch deutlich strukturiert. Mitglieder von Kameradschaften rechnen sich in der Regel den neonazistisch geprägten sogenannten Freien Nationalisten zu. (Vgl. https://mdi.rlp.de/fileadmin/isim/Unsere_Themen/Sicherheit/ Verfassungsschutz/Dokumente/Glossar.pdf, S. 18, abgerufen im Mai 2022.) Linksextremisten wollen die bestehende Staatsund Gesellschafts"Kapitalismus" ordnung und damit die freiheitliche demokratische Grundordnung beseitigen. Je nach ideologischer Ausrichtung soll diese durch ein kommunistisches System oder eine "herrschaftsfreie", anarchistische Gesellschaft ersetzt werden. Einigkeit besteht darüber, dass der "Kapitalismus" als "Wurzel allen Übels" bekämpft und beseitigt werden muss. Unter "Kapitalismus" verstehen Linksextremisten die untrennbare Einheit von marktwirtschaftlicher Eigentumsordnung und demokratischem Rechtsstaat. Diese diene allein dazu, Ausbeutungsund Unterdrückungsverhältnisse zu manifestieren. Daher sei der "Kapitalismus" unvereinbar mit der Vorstellung einer auf Freiheit und Gleichheit aller Menschen beruhenden Gesellschaft. (Vgl. https://www.verfassungsschutz.de/DE/themen/linksextremismus/ begriff-und-erscheinungsformen/begriff-und-erscheinungsformen_ node.html, unter dieser Adresse die komplette Fassung des oben gekürzten Glossareintrags, abgerufen im Mai 2022.) ... ist ein politisch-ideologischer Sammelbegriff, häufig synonym für Kommunismus Sozialismus verwendet, für Vorstellungen von einer durch vollständige Gütergemeinschaft geprägten Gesellschaftsform. Sieht man von den kommunistischen Ideen und Praktiken urchristlicher Gemeinden und späterer Sekten, von den Utopien des Thomas Morus und Tomaso Campanella und den französischen Gesellschaftsutopisten des 18. Jahrhunderts ab, so ist die von Karl Marx und Friedrich Engels im Rahmen ihrer Geschichtsund Gesellschaftstheorie entwickelte Zukunftsgesellschaft der bekannteste Entwurf einer kommuHessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 315 GLOSSAR nistischen Lebensform. Beide gehen von der Vorstellung einer klassenlosen Gesellschaft mit einem "gänzlich gewandelten Menschen" aus, in der die Produktionsmittel sozialisiert sind, die Produktivkräfte ein Niveau erreicht haben, das es erlaubt, die für die Reproduktion der Arbeitskraft notwendige Arbeit erheblich zu reduzieren und das Mehrprodukt für eine reichhaltige Bedürfnisbefriedigung aller zu nutzen, der Arbeitsprozess sich - unter Verzicht auf die Zwänge der Arbeitsteilung, von Leistungsanreizen und -kontrollen - als ein Feld der Selbstverwirklichung erweist, der Zusammenhang zwischen individueller Produktivität und Konsumtionsmöglichkeit aufgehoben ist. Fraglich bleibt bei dieser Zukunftsvision, wie die Produktivkräfte das für das Endstadium des Kommunismus erforderliche Leistungsniveau erreichen. Ferner bleibt offen, unter welchen Ordnungsbedingungen dieser Zustand - im Falle seines Erreichens - erhalten werden kann. Bei Marx und Engels ist die Rede vom "Absterben des Staates", von der "Gesamtheit der Genossenschaften" und dem "Verein freier Menschen", die sich mit Hilfe einer zentralen, gleichwohl freiwilligen Planwirtschaft organisieren. Aus solchen vagen Hinweisen lassen sich sowohl die Ordnungsvorstellungen einer Rätedemokratie oder Arbeiterselbstverwaltung als auch die einer Zentralverwaltungswirtschaft als Wegweiser zum Kommunismus ableiten. Fraglich bleibt auch, wie die "gänzlich gewandelten Menschen", die Marx für den Zustand des Kommunismus unterstellt, hervorgebracht werden können. Die von Wladimir I. Lenin begründete Konzeption einer Erziehung zum "neuen Menschen" geht offensichtlich von der Vorstellung aus, dass die Menschen - mangels "richtiger" Ordnungsbedingungen - zu den "richtigen" Verhaltensweisen erzogen werden können. "Sollen Fehler der Ordnung durch Erziehung behoben werden, dann wird Erziehung zur pädagogischen Tyrannei und zum politischen Terror". (Vgl. http://www.wirtschaftslexikon24.com/d/kommunismus/ kommunismus.htm unter dieser Adresse die komplette Fassung des oben gekürzten Glossareintrags, abgerufen im Mai 2022.) Koran ... ist das heilige Buch des Islam, das die vom Propheten Mohammed verkündeten Offenbarungen Allahs enthält. Der Koran ist in 114 Abschnitte (Suren) unterteilt, die Erzählungen über Propheten, Weissagungen, Belehrungen, Vorschriften, Predigten und die Auseinandersetzungen mit "heidnischen" Mekkanern, Juden und Christen umfassen. Die islamische Welt betrachtet den Koran als Gesetzbuch und als religiöse Unterrichtung. (Vgl. Der Brockhaus. Religionen. Glauben, Riten, Heilige. Hrsg. v. der Lexikonredaktion des Verlags F. A. Brockhaus, Mannheim. Leipzig u. Mannheim 2004, S. 370-372, hier die komplette Fassung des oben gekürzten Glossareintrags.) 316 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 GLOSSAR ... bedeutet Unglaube oder etwas zu leugnen - im koranischen Kufr Sprachgebrauch ist es die Leugnung der Offenbarung des Korans und des Gesandten Muhammad und bezog sich ursprünglich auf die Polytheisten in Mekka. Dabei kann auch das Vertreten bestimmter, als unislamisch verstandenen Positionen als kufr bezeichnet werden. Dabei gilt es zwischen dem größeren, kufr akbar, und dem kleineren Unglauben, kufr asghar, zu unterscheiden: Ersterer führt zur Aberkennung des Muslimseins und Ausgrenzung aus der islamischen Gemeinschaft (Umma), letzterer kann vergeben werden. Ein Ungläubiger ist ein kafir (Plural kuffar), und die Handlung, einem Muslim sein Muslimsein abzusprechen, heißt takfir. Die Unterteilung der Welt in zwei Pole - Muslime und Nichtgläubige, Islam und Unglaube - ist ein zentraler Bestandteil islamistischer Strömungen. (Vgl. https://www.kas.de/de/web/extremismus/islamismus/kufr, abgerufen im Mai 2022.) ... ist eine Mitte des 19. Jahrhunderts in Frankreich entstandene BeLaizismus zeichnung für eine politische Bewegung, die sich gegen jeden Einfluss des Klerus auf Staat, Kultur und Erziehung wendet, sich für die Trennung von Staat und Kirche ausspricht und die Kirchen in den rein sakralen Bereich zurückdrängen will. (Vgl. https://www.wissen.de/lexikon/laizismus, hier die komplette Fassung des oben gekürzten Glossareintrags, abgerufen im Mai 2022.) ... ist die außerhalb Chinas gebräuchlich Bezeichnung für die GeMaoismus samtheit der Lehren Mao Zedongs sowie für die von ihm maßgeblich bestimmte Theorie und Praxis des chinesischen Kommunismus. Der Maoismus ist kein geschlossenes Gedankensystem. Er verbindet Gedanken des Marxismus-Leninismus mit traditionell chinesischen Elementen. Das im Westen verbreitete Bild des Maoismus wurde besonders durch die Art und Weise geprägt, wie er in den Jahren der "Kulturrevolution" (1966-1969) in Erscheinung trat: * die betont nationale Ausrichtung, * die Ablehnung einer zentralen Führung der kommunistischen Weltbewegung, * die Verbundenheit mit der Dritten Welt im Kampf gegen die Supermächte, * die Auffassung, dass die armen Bauern (und nicht das Proletariat) die Hauptkraft der Revolution bilden, * die Konzeption der Machteroberung durch Guerillakrieg von ländlichen Stützpunkten aus, * die Auffassung, dass Klassenkampf und Revolution auch unter sozialistischen Verhältnissen fortdauern. Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 317 GLOSSAR Der Maoismus ist verantwortlich für Millionen von Opfern unter der chinesischen Bevölkerung (so etwa während der Zeit des "Großen Sprungs nach vorn", 1958-1961, und während der "Kulturrevolutionen" 1966-1969 und 1972-1974). (Vgl. https://www.wissen.de/lexikon/maoismus, unter dieser Adresse die komplette Fassung des oben gekürzten Glossareintrags, abgerufen im Mai 2022.) Marxismus ... ist eine von Karl Marx und Friedrich Engels begründete Gesellschaftslehre und Theorie der politischen Ökonomie, zu deren Kernpunkt die von Marx kritisierten kapitalistischen Produktionsverhältnisse in seiner Zeit gehören. Danach wird die Gesellschaft nicht durch die politischen, rechtlichen oder moralischen Vorstellungen bestimmt, sondern durch den Fortschritt der materiellen Produktionstechnik. Die kapitalistischen Produktionsverhältnisse bewirken nach marxistischer Auffassung, dass sich die gesellschaftliche Arbeitsteilung vertieft und der wirtschaftliche Reichtum nur von der Arbeiterklasse (Proletariat) geschaffen wird, während sich der Reichtum und das Eigentum an den Produktionsmitteln in den Händen immer weniger Kapitalisten konzentriert. Dieser, von Marx als Grundwiderspruch der kapitalistischen Produktion bezeichnete Gegensatz zwischen gesellschaftlicher Produktion durch die Arbeiterklasse und der privaten Aneignung der Gewinne durch die Kapitalisten, kann nur durch die revolutionäre Erhebung der Arbeiterklasse beseitigt werden. Die Arbeiterklasse enteignet dabei die Kapitalisten, und das Eigentum an den Produktionsmitteln wird in Gesellschaftseigentum überführt. Der Kapitalismus wird vom Sozialismus abgelöst. Letztlich wird aber die Schaffung einer klassenlosen Gesellschaft im Kommunismus angestrebt. (Vgl. https://www.bpb.de/nachschlagen/lexika/lexikon-der-wirtschaft/ 20092/marxismus, abgerufen im Mai 2022.) Monotheismus ... ist im Unterschied zum Polytheismus das Bekenntnis und die Verehrung nur eines einzigen Gottes, der im Glauben als personales Gegenüber verstanden wird und im Verständnis der Gläubigen als Schöpfer und Erhalter der Welt gilt. Theologisch zeichnet sich der Monotheismus somit durch den Ausschließlichkeitscharakter und Universalitätsanspruch Gottes aus. (Vgl. Der Brockhaus. Religionen. Glauben, Riten, Heilige. Hrsg. v. d. Lexikonredaktion des Verlags F. A. Brockhaus, Mannheim. Leipzig u. Mannheim 2004, S. 442f.) 318 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 GLOSSAR ... sammeln Informationen über die innere oder äußere Sicherheit Nachrichtendienste eines Staats gefährdende Bestrebungen und werten sie aus. Hierbei können die Nachrichtendienste verdeckt arbeiten. Die Ergebnisse der Analyse werden in Berichtsform zusammengefasst und den politischen Entscheidungsträgern sowie den Kontrollgremien zur Verfügung gestellt. In der Bundesrepublik Deutschland gibt es drei Nachrichtendienste: den Inlandsnachrichtendienst in Gestalt der Verfassungsschutzbehörden (BfV und LfV), den Auslandsnachrichtendienst BND sowie das BAMAD. Der Verfassungsschutz in der Bundesrepublik Deutschland ist föderal organisiert. Dementsprechend existieren 17 Verfassungsschutzbehörden, ein Bundesamt (BfV) und 16 LfV. Sie arbeiten auf gesetzlicher Grundlage in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes zusammen. Die Verfassungsschutzbehörden der Länder können als untergeordnete Abteilung unmittelbar im jeweiligen Innenministerium angesiedelt sein oder sind als eigenständige Landesoberbehörde dem jeweiligen Innenministerium nachgeordnet. (Vgl. https://mdi.rlp.de/fileadmin/isim/Unsere_Themen/Sicherheit/ Verfassungsschutz/Dokumente/Glossar.pdf, S. 20, unter dieser Adresse die komplette Fassung des oben gekürzten Glossareintrags, abgerufen im Mai 2022.) ... ist ein übersteigertes Bewusstsein vom Wert und der Bedeutung Nationalismus der eigenen Nation. Im Gegensatz zum Nationalbewusstsein und zum Patriotismus (Vaterlandsliebe) glorifiziert der Nationalismus die eigene Nation und setzt andere Nationen herab. Zugleich wird ein Sendungsbewusstsein entwickelt, möglichst die ganze Welt nach den eigenen Vorstellungen zu formen. (Vgl. https://www.bpb.de/nachschlagen/lexika/pocket-politik/ 16503/nationalismus, abgerufen im Mai 2022.) ... s. Ülkücü-Bewegung. Nationalistische Türken ... ist die völkisch-antisemitisch-nationalrevolutionäre Bewegung, die Nationalsozialismus sich in Deutschland als NSDAP organisierte und die unter der Führung Adolf Hitlers von 1933 bis 1945 eine totalitäre Diktatur errichtete. Der Nationalsozialismus gehört überdies in den Zusammenhang der europäischen faschistischen Bewegungen der Zwischenkriegszeit, die außer in Deutschland nur in Italien aus eigener Kraft und ohne ausländische militärische Unterstützung an die Macht kamen. Der Nationalsozialismus stellt innerhalb der europäischen Faschismen aufgrund seines Rassenantisemitismus und seiner Vernichtungspolitik die radikalste Variante dar. Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 319 GLOSSAR (Vgl. http://www.bpb.de/nachschlagen/lexika/handwoerterbuchpolitisches-system/202075/nationalsozialismus?p=all, hier die komplette Fassung des oben gekürzten Glossareintrags, abgerufen im Mai 2022.) Neue Rechte Unter dieser Bezeichnung wird ein informelles Netzwerk von Gruppierungen, Einzelpersonen und Organisationen gefasst, in dem rechtsextremistische bis rechtskonservative Kräfte zusammenwirken, um anhand unterschiedlicher Strategien teilweise antiliberale und antidemokratische Positionen in Gesellschaft und Politik durchzusetzen. Hierfür werden parlamentarische und außerparlamentarische Bewegungen, metapolitische Theoriebildung und Praxis - also die Einflussnahme auf den vorpolitischen Raum, die den Boden für die erfolgreiche politische Verwirklichung dieser antidemokratischen Positionen bereiten soll - mit Protestund Demonstrationsinitiativen eng verzahnt. Die Akteure füllen innerhalb dieses Netzwerks unterschiedliche und teils komplementäre Funktionen und Rollen aus, die dem gemeinsamen Ziel einer "Kulturrevolution von rechts" dienen sollen und sich jeweils an unterschiedliche Zielgruppen richten. Rechtsextremistische Bezüge sind nicht immer offensichtlich. Diese ergeben sich aber häufig aus Verstößen gegen die Menschenwürde sowie das Rechtsstaatsund Demokratieprinzip in unterschiedlicher Ausformung. Zu der Neuen Rechten gehören unter anderem die IBD und das von der Compact-Magazin GmbH (Verdachtsfall des BfV) publizierte Compact-Magazin. Als neurechte Denkfabrik mit intellektueller Fassade wirkt das in Schnellroda (Sachsen-Anhalt) angesiedelte Institut für Staatspolitik (IfS, Verdachtsfall des BfV). Hier wird insbesondere das Ziel verfolgt, ideologische und strategische Konzepte fortzuentwickeln und beispielsweise solche politischen Positionen im Sinne von Politikberatung argumentativ zu unterfüttern und zu legitimieren, die Menschen mit anderen ethnischen Hintergründen die Zugehörigkeit zum deutschen Staatsvolk versagen. Verschiedene Gruppierungen innerhalb der Neuen Rechten werden als rechtsextremistische Verdachtsfälle bzw. als gesichert rechtsextremistische Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung eingestuft. (Vgl. Verfassungsschutzbericht 2020. Hrsg. v. Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat. [Berlin 2021], S. 74-76, hier die komplette Fassung des oben gekürzten Glossareintrags.) Newroz Das alljährliche von den Kurden begangene Newroz-Fest bedeutet neuer Tag und wird als Beginn eines neuen Jahres und des Frühlings gefeiert. Newroz geht historisch auf die Legende eines kurdischen Schmieds (kurd. Kawa) zurück, der zum Widerstand gegen einen Ty320 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 GLOSSAR rannen aufgerufen und diesen in der Nacht vom 20. auf den 21. März im Jahre 612 v. Chr. erschlagen und dessen Palast in Brand gesetzt haben soll. Eine große Rolle spielt daher beim Newroz-Fest die Feuersymbolik und die in diesem Kontext häufig durchgeführten Fackelzüge. Die alljährlichen Newroz-Feierlichkeiten stellen nach wie vor einen der Höhepunkte der regelmäßigen Großveranstaltungen aus dem kurdischen und dem PKK-nahen Spektrum dar. ... genießen in der linksextremistischen Szene hohe Akzeptanz. Outings Damit soll der politische Gegner aus der Anonymität geholt und mit seinen Unterstützernetzwerken dem unmittelbaren Umfeld sowie einer breiteren Öffentlichkeit bekannt gemacht werden. Ziele sind die Diffamierung der Person(en) und die Schwächung von Strukturen des Gegners. Dafür werden in einem ersten Schritt Daten zur Herkunft, zu Freunden, Aktivitäten in den sozialen Netzwerken, Arbeitgebern, Freizeitbeschäftigungen, Privatfahrzeugen oder Bilder recherchiert. In einem zweiten Schritt folgt die Weitergabe der Daten zunächst innerhalb der Szene, anschließend in der Öffentlichkeit zum Beispiel auf Online-Portalen oder im Wohnumfeld des Outing-Opfers. Mit Outings wird die Grundlage für zielgerichtete "Aktionen" gegen die betroffenen Personen, gelegt. Dabei werden Straftaten - auch Gewalttaten - zumindest billigend in Kauf genommen. (Vgl. Linksextremismus in Sachsen. Die Autonomen. Hrsg. v. Landesamt für Verfassungsschutz Sachsen. Dresden [2020], S. 25f.) ... ist ein verfassungsschutzspezifischer Begriff, unter dem die BezifPersonenpotenzial, ferung der Menge all jener Personen verstanden wird, die einem exextremistisches tremistischen Phänomenbereich, zum Beispiel dem Rechtsextremismus, zugerechnet wird. Das Personenpotenzial eines Phänomenbereichs setzt sich aus dem Personenpotenzial der einzelnen Beobachtungsobjekte zusammen. Die kontinuierliche Beobachtung des Personenpotenzials seitens des Verfassungsschutzes dient der Einschätzung der personellen Entwicklung und somit der Reichweite und Handlungsfähigkeit der jeweiligen extremistischen Gruppierungen. Grundsätzlich werden einem Personenzusammenschluss bzw. einem Beobachtungsobjekt alle jene Personen zugerechnet, die ihm entweder erkennbar angehören oder dessen Ziele nachhaltig unterstützen. Ein Beobachtungsobjekt kann jedwede Gruppierung sein, von einer Partei bis hin zu einem losen Personenzusammenschluss. In der Folge ist auch die Art der Bindung der Personen an die jeweilige Gruppierung unterschiedlich. Zum Personenpotenzial zählen daher unter anderem Funktionäre, Mitglieder, Angehörige oder Aktivisten, aber auch solche Personen, die eine Gruppierung offen oder Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 321 GLOSSAR verdeckt unterstützen, etwa durch die Teilnahme an Veranstaltungen oder Spenden. Da nicht alle Personen über längere Zeiträume kontinuierlich in einer oder für eine Gruppierung aktiv sind, muss die Angabe eines Personenpotenzials unter Einbeziehung und sorgfältiger Abwägung nachrichtendienstlicher Erkenntnisse geschätzt werden. Politisch motivierte Zum 1. Januar 2001 wurden mit Beschluss der InnenministerkonfeKriminalität (PMK) renz das Definitionssystem PMK sowie die Richtlinien für den Kriminalpolizeilichen Meldedienst in Fällen Politisch motivierter Kriminalität eingeführt, um für politisch motivierte Straftaten eine einheitliche polizeiliche Datenerhebung, -erfassung und -auswertung zu ermöglichen. Der PMK werden alle Straftaten zugeordnet, die einen oder mehrere Straftatbestände der sogenannten klassischen Staatsschutzdelikte erfüllen, dies unabhängig davon, ob eine politische Motivation im Einzelfall festgestellt werden kann. Zu den Staatsschutzdelikten zählen unter anderem: Hochverrat und Gefährdung des demokratischen Rechtsstaates, Landesverrat und Gefährdung der äußeren Sicherheit, Straftaten gegen ausländische Staaten, Straftaten gegen Verfassungsorgane sowie bei Wahlen und Abstimmungen, Bildung terroristischer Vereinigungen, Bildung krimineller oder terroristischer Vereinigungen im Ausland sowie Volksverhetzung. Neben den Staatsschutzdelikten fallen unter die PMK auch diejenigen Straftaten, die in der Allgemeinkriminalität begangen werden können (wie zum Beispiel Tötungsund Körperverletzungsdelikte, Brandstiftungen, Widerstandsdelikte, Sachbeschädigungen), wenn in Würdigung der gesamten Umstände der Tat und/oder der Einstellung des Täters Anhaltspunkte für eine politische Motivation gegeben sind. Die von der PMK erfassten Straftaten werden folgenden staatsschutzrelevanten Phänomenbereichen zugeordnet: PMK - rechts: Straftaten, bei denen Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie einer rechten Orientierung zuzurechnen sind, ohne dass die Tat bereits die Außerkraftsetzung oder Abschaffung eines Elements der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zum Ziel haben muss, insbesondere wenn Bezüge zum völkischen Nationalismus, Rassismus, Sozialdarwinismus oder Nationalsozialismus ganz oder teilweise ursächlich für die Tatbegehung waren. PMK - links: Straftaten, bei denen Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie einer linken Orientierung zuzurechnen sind, ohne dass die Tat bereits die Außerkraftsetzung oder Abschaffung eines Elements der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zum Ziel haben muss, insbesondere wenn Bezüge zu Anarchismus oder Kommunismus einschließlich Marxismus ganz oder teilweise ursächlich für die Tatbegehung waren. 322 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 GLOSSAR PMK - ausländische Ideologie: Straftaten, bei denen Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass eine aus dem Ausland stammende nichtreligiöse Ideologie entscheidend für die Tatbegehung war, insbesondere wenn die Tat darauf gerichtet ist, Verhältnisse und Entwicklungen im Inund Ausland zu beeinflussen. PMK - religiöse Ideologie: Straftaten, bei denen Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass eine religiöse Ideologie entscheidend für die Tatbegehung war und die Religion zur Begründung der Tat instrumentalisiert wird. Wichtig ist: Im Rahmen der PMK wird zwischen politisch und extremistisch motivierten Straftaten unterschieden, das heißt, extremistisch politisch motivierte Straftaten sind Delikte, bei denen Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie auf die Beeinträchtigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung abzielen. Sie werden als extremistisch motiviert eingestuft und stellen als solche lediglich eine Teilmenge der PMK dar. (Vgl. https://www.bundestag.de/resource/blob/579832/ %E2%80%A6/WD-7-194-18-pdf-data.pdf, unter dieser Adresse die komplette Fassung des oben gekürzten Glossareintrags, abgerufen im Mai 2022.) Allen Rechtsextremisten gemeinsam ist die Auffassung, die ZugehöRassismus/ rigkeit zu einer Ethnie, Nation oder "Rasse" entscheide über den Wert Fremdenfeindlichkeit eines Menschen. Rassisten gehen von nicht oder kaum veränderbaren "Rassen" aus. Sie leiten daraus "naturbedingte" Besonderheiten und Verhaltensweisen von Menschen ab und unterscheiden zwischen "höherwertigen" und "minderwertigen" Menschen. Mit der Bezeichnung als "Rasse" werden Menschen nach ethnischen Besonderheiten in Gruppen aufgeteilt. Ab Ende des 17. Jahrhunderts bis ins 20. Jahrhundert versuchten zahlreiche Wissenschaftler dies zu belegen. Sie scheiterten allesamt. Dennoch fand der Rassismus weite Verbreitung. Über die Kriterien zur trennscharfen Definition von "Rassen" bestand keine Einigkeit. Die Anhänger des "Rasse"-Konzepts benannten die verschiedensten Unterscheidungsmerkmale. Mal war von nur zwei, mal von über 60 "Rassen" die Rede. Bis heute sind menschliche "Rassen" biologisch nicht belegt. Belegt sind dagegen soziologische Funktionen des Rassismus: "Rassen" werden bemüht, um Menschen auszugrenzen und Zugehörigkeit zu erzeugen. Das "Rasse"-Modell bietet einfache Erklärungen. Rechtsextremisten finden es daher attraktiv. Rassisten meinen, "Rassen" optisch unterscheiden zu können. Äußere Merkmale werden dadurch zum entscheidenden Kriterium, ob einer Person bestimmte Rechte zustehen oder nicht. Rassisten in Deutschland werten die "weiße" bzw. "arische Rasse" auf und sehen alle anderen "Rassen" als minderwertig an. Dabei haben sie keine einheitHessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 323 GLOSSAR liche Vorstellung einer "weißen" oder "arischen Rasse": Die einen denken dabei an "Deutsche" und Skandinavier, andere meinen alle Europäer, einige verstehen darunter alle optisch als "Weiße" erkennbare Menschen. Nach der Vorstellung von Rechtsextremisten soll das deutsche Volk vor der Integration "rassisch minderwertiger Ausländer" und vor einer "Völkervermischung" bewahrt werden. Rechtsextremisten befürchten den Untergang der "Rasse" des deutschen Volkes infolge einer "Durchmischung mit fremdem Blut". Der Rassismus verstößt gegen elementare Menschenrechte und damit gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung. Die Ausgrenzung jener Menschen, die nicht dem rassischen Ideal der Rechtsextremisten entsprechen, widerspricht dem Grundsatz der Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetz. Die Würde des Menschen ist bedingungsund voraussetzungslos jedem Menschen eigen und nicht von der biologisch-genetischen Teilhabe an der Volksgemeinschaft abhängig (Art. 1 GG). (Vgl. https://www.verfassungsschutz.bayern.de/rechtsextremismus/ definition/ideologie/rassismus/index.html, abgerufen im Mai 2022.) Residentur ... ist die Bezeichnung der deutsche Nachrichtendienste für einen Stützpunkt fremder Nachrichtendienste in der Bundesrepublik. Es gibt "Legalresidenturen" (Konsulate und Botschaften) sowie "illegale Residenturen, wie zum Beispiel Handelsvertretungen und Tarnfirmen. (Vgl. https://www.verfassungsschutz.bremen.de/oeffentlichkeitsarbeit/ detail.php?gsid=bremen77.c.11578.de&template=20_glossar_d&l ang=de&begriff=R, abgerufen im Mai 2022.) Revisionismus, Der das Bestreben nach einer kritischen Überprüfung von Erkenntrechtsextremistischer nissen beschreibende Begriff Revisionismus wird von Rechtsextremisten zur Umdeutung der Vergangenheit verwendet. Ihnen geht es dabei nicht um eine wissenschaftlich objektive Erforschung der Geschichte, sondern um die Manipulation des Geschichtsbilds, um insbesondere den Nationalsozialismus in einem günstigen Licht erscheinen zu lassen. Man kann unterscheiden zwischen einem Revisionismus im engeren Sinn, der den Holocaust leugnet, und einem Revisionismus im weiteren Sinn, der etwa die deutsche Schuld am Ausbruch des Zweiten Weltkrieges bestreitet. Der zeitgeschichtliche Revisionismus bedient sich unterschiedlicher Aussagen und Methoden. So enthält die Leugnung des Holocausts das Ausmaß der Ermordung von Millionen europäischer Juden durch das nationalsozialistische Regime zu verharmlosen oder sogar abzustreiten. Dabei werden vorhandene Dokumente auf unseriöse Weise 324 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 GLOSSAR fehlinterpretiert oder fadenscheinige Vorwände zur Leugnung der Ereignisse gesucht. Forschungsergebnisse seriöser Historiker, die eindeutig belegen, dass die "Endlösung der Judenfrage" unzweifelhaft stattgefunden hat, werden durch rechtsextremistische Revisionisten bewusst ignoriert. (Vgl. https://www.verfassungsschutz.bremen.de/oeffentlichkeitsarbeit/ detail.php?gsid=bremen77.c.11578.de&template=20_glossar_d&l ang=de&begriff=R, abgerufen im Mai 2022.) ... ist das religiös begründete, auf Offenbarung zurückgeführte Recht Scharia des Islam. Es regelt nicht nur Rechtsfragen (zum Beispiel Eheoder Strafrecht), sondern enthält der Idee nach die Gesamtheit der aus der Offenbarung zu gewinnenden Normen für das Handeln des Menschen im Verhältnis zu Gott und zu den Mitmenschen. Nach traditioneller, heute jedoch nicht mehr von allen Muslimen geteilter Überzeugung ist die Verwirklichung der Scharia ein zentraler, unverzichtbarer Bestandteil der islamischen Religion. (Vgl. Der Brockhaus. Religionen. Glauben, Riten, Heilige. Hrsg. v. der Lexikonredaktion des Verlags F. A. Brockhaus, Mannheim. Leipzig u. Mannheim 2004, S. 289.) Mit Ausnahme von Irland und Zypern sind alle EU-Staaten dem Schengen-Raum Schengener Abkommen beigetreten und gelten daher als "Schengener Staaten"; die EU-Mitgliedsländer Bulgarien, Rumänien und Kroatien wenden den Schengen-Acquis bislang nur teilweise an. Bis zu der von diesen drei Ländern angestrebten vollständigen Anwendung des Schengen-Acquis bleiben die Personenkontrollen an den Binnengrenzen einstweilen noch bestehen. Zuzüglich zu den oben genannten EU-Mitgliedsländern gehören auch Island, Norwegen, die Schweiz und Liechtenstein zu den Schengener Staaten. Inhaber eines gültigen Schengenvisums können sich im gesamten Schengen-Raum bis zu 90 Tage je Zeitraum von 180 Tagen aufhalten, soweit dies durch die zulässige Nutzungsdauer des Visums abgedeckt ist. Das gleiche gilt für Inhaber der meisten nationalen Aufenthaltstitel sowie nationaler Visa der Kategorie "D", die von den jeweiligen SchengenStaaten für längerfristige Aufenthalte von über drei Monaten ausgestellt werden. Für die anderen EU-Staaten, die keine Schengen-Staaten sind, wird gegebenenfalls ein gesondertes Visum benötigt. (Vgl. https://www.auswaertiges-amt.de/de/service/fragenkatalognode/17-schengenstaaten/606502, abgerufen im 7. Mai 2022.) ... ist eine Aktionsform, die ursprünglich im linksextremistischen auSchwarzer Block tonomen Spektrum entwickelt wurde und vor allem bei DemonstraHessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 325 GLOSSAR tionen angewandt wird. Der schwarze Block, der aus vermummten Aktivisten in einheitlich schwarzer Kleidung besteht, ist keine zentral organisierte und koordinierte Organisationsform, sondern ein punktueller Zusammenschluss gewaltorientierter Linksextremisten. Ziel dieses Auftretens ist die erschwerte Zuordnung von Strafund Gewalttaten zu Einzelpersonen durch die Polizei. Jeder schwarze Block enthält jedoch ein einzelfallbezogenes, spezifisch bestimmendes Gewaltpotenzial, das sich je nach Lageentwicklung dynamisch und auch kurzfristig noch verändern kann. Wenngleich der schwarze Block überwiegend ein Ausdruck linksextremistischer Massenmilitanz (Straßenkrawalle im Rahmen von Demonstrationen) ist, schließt die Teilnahme eines schwarzen Blocks an einer Demonstration keinesfalls einen friedlichen Demonstrationsverlauf aus. (Vgl. https://www.verfassungsschutz.bremen.de/oeffentlichkeitsarbeit/ detail.php?gsid=bremen77.c.11578.de&template=20_glossar_d&l ang=de&begriff=R, abgerufen im Mai 2022.) "Selbstverwaltete Freiräume" ... sind linksextremistische autonome Zentren, denen häufig Infoläden angeschlossen sind. Hier finden unter anderem Gruppentreffen, Vorträge und Mobilisierungsveranstaltungen vor dem Beginn von Demonstrationen statt. Meist von einer Vielzahl von Gruppen und Einzelpersonen frequentiert, sind linksextremistische autonome Zentren zudem ein Ort der Vernetzung der Szene. Darüber hinaus stellen solche Räumlichkeiten den meist nur locker organisierten autonomen Gruppen eine Infrastruktur für deren politische Arbeit zur Verfügung. Hier können Informationen aus Archiven beschafft werden, und es existiert eine umfangreiche Büroausstattung. Infoläden dienen außerdem häufig als Postadressen für konspirativ agierende Gruppen. Separatismus ... kommt als Begriff vom lateinischen Wort separare (dt. trennen) und beschreibt die Absicht eines Teils der Bevölkerung, sich von dem Staat, in dem er lebt, zu trennen und einen eigenen Staat zu gründen. Manchmal wollen sich Separatisten nicht nur vom eigenen Staat trennen, sondern auch einem anderen Staat anschließen. (Vgl. https://www.bpb.de/nachschlagen/lexika/das-junge-politiklexikon/321121/separatismus-sezession, unter dieser Adresse die komplette Fassung des oben gekürzten Glossareintrags, abgerufen im Mai 2022.) Sozialdarwinismus ... ist die Übertragung der von Charles Darwin beschriebenen Mechanismen der "Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl" auf Sozialbeziehungen des Menschen. Insbesondere Herbert Spen326 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 GLOSSAR cer, der auch die Formel vom "Überleben der Tüchtigsten" (engl. survival of the fittest) prägte, legt die Grundsteine des Sozialdarwinismus. Letzterer geht davon aus, dass eine übergroße Population nur diejenigen überleben lässt, die sich im "Kampf ums Dasein" überlegen zeigen. Selektion ist damit der Motor jeden Fortschritts. Bejahung umfassender sozialer Auslese und Legitimation der vorhandenen gesellschaftlichen Ungleichheiten leitet der Sozialdarwinismus aus dieser Biologisierung sozialer Verhältnisse ab. Als rational kann danach nur eine Politik gelten, die den schon vorhandenen Selektionsdruck ungehindert walten lässt, bzw. noch verstärkt. Wirkungsmächtig wurden sozialdarwinistische Konzepte vor allem im ausgehenden 19. und im 20. Jahrhundert. In diesem Zusammenhang ist auf zwei folgenreiche Ausformungen hinzuweisen. So greifen Rassenlehren Kampfsemantik und Ausmerzungsvokabular des Sozialdarwinismus auf. Er diente zur Begründung des kolonialistischen Ausgreifens europäischer Staaten und der USA. Binnengesellschaftlich entwickelt sich eine sozialdarwinistische Eugenik, die in der Existenz von körperlich und geistig "Minderwertigen" eine Bedrohung für den "Überlebenskampf" der jeweiligen Gesellschaft, des "Volkes", sieht. Faschismus und Nationalsozialismus griffen diese Ideen auf und legitimierten mit den wissenschaftlich unhaltbaren Vereinfachungen des Sozialdarwinismus ihre Ausrottungspolitik. (Vgl. https://www.spektrum.de/lexikon/philosophie/sozialdarwinismus/ 1903, unter dieser Adresse die komplette Fassung des oben gekürzten Glossareintrags, abgerufen im Mai 2022.) ... ist die Gesamtheit der vom Propheten Muhammed überlieferten Sunna Aussprüche, Entscheidungen und Verhaltensweisen. Die Sunna ist neben dem Koran eine der Hauptquellen des islamischen Rechts. Die Muslime, die sich an die Sunna halten, werden Sunniten genannt. Die Schiiten haben ihre eigene Sunna, die auf einer gesonderten, auf Ali und seine Angehörigen zurückgeführten, Tradition beruht. (Vgl. Der Brockhaus. Religionen. Glauben, Riten, Heilige. Hrsg. v. der Lexikonredaktion des Verlags F. A. Brockhaus, Mannheim. Leipzig u. Mannheim 2004, S. 618.) Terroristische Straftaten stellen die extremste Ausprägung der PoliTerroristische Vereinigung/ tisch motivierten Kriminalität dar. Der Begriff des Terrorismus ist über Terrororganisation die terroristische Vereinigung (SSSS 129a, 129b Strafgesetzbuch, StGB) gesetzlich definiert. Jedes Delikt, das in Verfolgung der Ziele einer terroristischen Vereinigung oder zu deren Aufrechterhaltung begangen wird, ist eine (eigene) terroristische Straftat. Als Terrorismus werden darüber hinaus schwerwiegende politisch motivierte Gewaltdelikte (Katalogtaten des SS 129a StGB) angesehen, die im Rahmen Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 327 GLOSSAR eines nachhaltig geführten Kampfes planmäßig begangen werden, in der Regel durch arbeitsteilig organisierte und verdeckt operierende Gruppen. Weiterhin werden die SSSS 89a, 89b, 89c und 91 StGB dem Terrorismus zugeordnet. Terroristische Straftaten können, soweit sie Katalogstraftraten des SS 129a StGB sind, auch durch Einzeltäter begangen werden, wenn deren Ziele bei der Tatbegehung darauf gerichtet sind, die Bevölkerung auf schwerwiegende Weise einzuschüchtern oder öffentliche Stellen oder internationale Organisationen rechtswidrig zu einem Tun oder Unterlassen zu zwingen oder die politischen, verfassungsrechtlichen, wirtschaftlichen oder sozialen Grundstrukturen des Bundes, eines Landes oder einer internationalen Organisation ernsthaft zu destabilisieren oder zu zerstören. Terroristische Straftaten durch ausländische Gruppierungen, die über keine eigenständige Teilorganisation in der Bundesrepublik Deutschland verfügen, werden von SS 129b StGB erfasst. (Vgl. https://www.bka.de/DE/UnsereAufgaben/Deliktsbereiche/ PMK/pmk_node.html unter dieser Adresse die komplette Fassung des oben gekürzten Glossareintrags, abgerufen im Mai 2022.) Theokratie ... ist ein Gottesstaat bzw. eine Gottesherrschaft und bezeichnet ein geistliches Regiment, das in Vertretung der Gottheit ausgeübt wird. Die Regierungsgewalt dieser Staatsform geht unmittelbar von Gott aus und wird durch einen von ihm erwählten Stellvertreter ausgeübt. Charakteristisch ist ein priesterliches Verhältnis des Regenten zur Gottheit. Im Laufe der Geschichte hat es zahlreiche Theokratien gegeben. Heute gibt es nur wenige Theokratien, in denen Kirche und Staat eng verbunden gemeinsam regieren. Der Vatikan, regiert vom Papst als Oberhaupt der Katholischen Kirche, ist ein völlig unabhängiger Staat. Theokratische Ordnungen finden sich in Staaten des Islam. So wurden zum Beispiel Iran und Pakistan auf der Basis der Religionen gegründet und religiöse Lehren sind in staatliche Gesetze eingeflossen. (Vgl. https://www.spektrum.de/lexikon/geographie/theokratie/8053, unter dieser Adresse die komplette Fassung des oben gekürzten Glossareintrags, abgerufen im Mai 2022.) Totalitarismus Totalitäre Regime und Bewegungen sind hermetisch abgeschlossene "Weltanschauungen" und rationaler Kritik nicht zugänglich. Es gibt zahlreiche Beispiele für Extremismen, die, einmal an die politische Macht gekommen, durch besonders brutale, menschenverachtende Praktiken ein System der Gewaltherrschaft errichteten. Für diesen Prozess kennt die Politikwissenschaft den Begriff 328 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 GLOSSAR des Totalitarismus, entstanden aus der Selbstdarstellung des italienischen Faschismus unter Benito Mussolini. Darunter versteht sie gemäß dem von Klaus Schubert und Martina Klein herausgegebenen Politiklexikon (2006) den zur staatlichen Herrschaft gekommenen Extremismus: "Totalitarismus bezeichnet eine politische Herrschaft, die die uneingeschränkte Verfügung über die Beherrschten und ihre völlige Unterwerfung unter ein (diktatorisch vorgegebenes) politisches Ziel verlangt. Totalitäre Herrschaft, erzwungene Gleichschaltung und unerbittliche Härte werden oft mit existenzbedrohenden (inneren oder äußeren) Gefahren begründet, wie sie zunächst vom Faschismus und vom Nationalsozialismus, nicht zuletzt auch im Sowjetkommunismus Stalins von den Herrschenden behauptet wurden. Insofern stellt der Totalitarismus das krasse Gegenteil des modernen freiheitlichen Verfassungsstaates und des Prinzips einer offenen, pluralen Gesellschaft dar". Totalitäre Bewegungen erheben einen Alleinvertretungsanspruch. Sie verstehen sich als alleinige und ausschließliche Besitzer politischer, religiöser oder sonstiger weltanschaulicher "Wahrheiten". Konkurrierende Bewegungen werden als Verirrungen oder Abweichungen aufgefasst, die es zu bekämpfen gilt. Totalitäre Regime und Bewegungen sind hermetisch abgeschlossene "Weltanschauungen". Sie sind, von innen betrachtet, rationaler Kritik nicht zugänglich. Ihre Ideologie entwickelt sich nicht in der permanenten, rationalen, diskussionsund lernbereiten Auseinandersetzung mit der Geistesund Ideengeschichte, sondern sie beruft sich auf die angeblich ,ewige' und unverrückbare Wahrheit bestimmter Lehrsätze. Totalitäre Regime und Bewegungen verfügen über eine antiaufklärerische, absolutistische Legitimationsbasis. Nicht die Vernunft des aufgeklärten Subjekts, sondern die prophetischen, charismatischen Gaben des die Weltanschauung in idealer und absoluter Weise verkörpernden Führers gelten als einzige Quelle der Legitimation. Der Führer wird verehrt und mystifiziert und gilt als der messianische, charismatische und vom Schicksal ausersehene "Leader", der jeder Kritik unzugänglich ist. Interne demokratische Willensbildung im Rahmen eines Primats des besseren Arguments läuft dem Führer-Prinzip zuwider und könnte die Allmacht der Führer-Ideologie relativieren und delegitimieren. Aus diesem Grund kann es keine demokratische Willensbildung in totalitären Bewegungen geben. (Vgl. Hans-Gerd Jasche: Totalitarismus, https://www.bpb.de/ politik/extremismus/linksextremismus/33699/totalitarismus, unter dieser Adresse die komplette Fassung des oben gekürzten Glossareintrags, abgerufen im Mai 2022.) ... gibt eine organisatorische Trennung von Verfassungsschutz und Trennungsgebot Polizei vor. Dies ist für das LfV in SS 1 Abs. 1 HVSG geregelt. Was den Informationsaustausch zwischen Verfassungsschutz und Polizei sowie Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 329 GLOSSAR Verschlusssachen anderen Behörden betrifft, hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 26. April 2022 (1 BvR 1619/17) Folgendes in zwei Leitsätzen formuliert: "Dass Verfassungsschutzbehörden nach geltendem Recht spezifische Aufgaben der Beobachtung und Vorfeldaufklärung wahrnehmen und dabei nicht wie Polizeibehörden über operative Anschlussbefugnisse verfügen, rechtfertigt es grundsätzlich, Überwachungsbefugnisse einer Verfassungsschutzbehörde an modifizierte Eingriffsschwellen zu binden. Dann muss aber eine Übermittlung der daraus erlangten personenbezogenen Daten und Informationen strengen Voraussetzungen unterliegen" (Leitsatz 1.) "Die Übermittlung personenbezogener Daten und Informationen durch eine Verfas-sungsschutzbehörde an eine andere Stelle begründet einen erneuten Grundrechtseingriff. Dessen Rechtfertigung ist jedenfalls, wenn die Daten mit nachrichtendienstlichen Mitteln erhoben wurden, nach dem Kriterium der hypothetischen Neuerhebung zu beurteilen. Danach kommt es darauf an, ob der empfangenden Behörde zu dem jeweiligen Übermittlungszweck eine eigene Datenerhebung und Informationsgewinnung mit vergleichbar schwerwiegenden Mitteln wie der vorangegangenen Überwachung durch die Verfassungsschutzbehörde erlaubt werden dürfte. Eine Übermittlung durch eine Verfassungsschutzbehörde setzt stets voraus, dass dies dem Schutz eines besonders gewichtigen Rechtsguts dient. Die Anforderungen an die Übermittlungsschwelle unterscheiden sich hingegen danach, an welche Stelle übermittelt wird". (Leitsatz 2.) (Vgl. https://www.bundesverfassungsgericht.de/SharedDocs/ Entscheidungen/DE/2022/04/rs20220426_1bvr161917.html, abgerufen im Mai 2022.) Trotzkismus ... ist als das auf Leo Trotzki zurückgehende Modell des Sozialismus keine in sich geschlossene eigenständige Lehre, sondern eine Modifikation des Marxismus-Leninismus. Wesentliche Elemente des Trotzkismus sind die Theorie der "permanenten Revolution", der Glaube an die Weltrevolution (im Unterschied zu Stalins "Sozialismus in einem Lande"), das Ziel der Errichtung einer "Diktatur des Proletariats" in Form einer Rätedemokratie und das Festhalten am "proletarischen Internationalismus". Dem Trotzkismus zufolge reicht eine einmalige Revolution nicht aus. Proklamiert wird stattdessen eine weltweite "permanente Revolution", die von einer "proletarischen Internationalen" getragen werden soll. Charakteristische Strategie für trotzkistische Vereinigungen ist der Entrismus. Darunter versteht man die taktische, meist verdeckte Unterwanderung einer demokratischen Organisation oder Partei. 330 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 GLOSSAR (Vgl. https://www.verfassungsschutz.bayern.de/linksextremismus/ definition/ideologie/trotzkismus/index.html, unter dieser Adresse die komplette Fassung des oben gekürzten Glossareintrags, abgerufen im Mai 2022.) Die rechtsextremistische türkische ülkücü-Bewegung (Idealisten-BeÜlkücü-Bewegung wegung) entstand Mitte des 20. Jahrhunderts in der Türkei. Sie fußt auf einer nationalistischen, antisemitischen und rassistischen rechtsextremistischen Ideologie, deren Wurzeln im Panturkismus/Turanismus liegen. Die ideologische Bandbreite der Bewegung reicht von neuheidnischen Elementen über einen nationalistischen Kemalismus bis in den Randbereich des Islamismus. Das Ziel der Bewegung ist die Verteidigung und Stärkung des Türkentums. Als Idealvorstellung gilt den ülkücü-Anhängern die Errichtung von "Turan" - einem ethnisch homogenen Staat aller Turkvölker unter Führung der Türken. Für die Gründung dieses Staates sollen "Turan" die Siedlungsgebiete aller Turkvölker einverleibt werden. Je nach ideologischer Lesart erstrecken sich diese vom Balkan bis nach Westchina oder Japan. Die ülkücü-Bewegung sieht die türkische Nation sowohl politisch-territorial als auch ethnisch-kulturell als höchsten Wert an. Die so unterstellte kulturelle und religiöse überlegenheit äußert sich in der überhöhung der eigenen türkischen Identität und resultiert in einer - auch völkerverständigungswidrigen - Herabwürdigung anderer Volksgruppen, die zu "Feinden des Türkentums" erklärt werden. Symbol und bekanntestes Erkennungszeichen der ülkücü-Bewegung ist der "Graue Wolf" und der daraus abgeleitete sogenannte Wolfsgruß, bei dem die Finger der rechten Hand am ausgestreckten Arm den Kopf eines Wolfs formen. Oft werden Anhänger der ülkücü-Bewegung daher auch als "Graue Wölfe" bezeichnet. Die ülkücü-Bewegung ist eine heterogene Bewegung. Zum einen sind ihre Anhänger in drei großen Dachverbänden organisiert, zum anderen gibt es unorganisierte Anhänger, die ihre meist rassistischen oder antisemitischen Feindbilder unterschiedlich ausleben, häufig in den sozialen Medien, aber auch beim öffentlichen Aufeinandertreffen mit ihren politischen Gegnern, vor allem den Kurden. Hierbei zeigt sich immer wieder das in der unorganisierten Ülkücü-Szene vorherrschende hohe Gewaltpotenzial. (Vgl. Verfassungsschutzbericht 2020. Hrsg. v. Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat. [Berlin 2021], S. 279-287, hier die komplette Fassung des oben gekürzten Glossareintrags.) ... bezeichnet allgemein die Gemeinschaft der Muslime. Umma Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 331 GLOSSAR ... sind laut dem HSÜVG im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftige Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse unabhängig von ihrer Darstellungsform. Sie werden entsprechend ihrer Schutzbedürftigkeit von einer amtlichen Stelle oder auf deren Veranlassung eingestuft. Eine Verschlusssache wird entsprechend ihrer Schutzbedürftigkeit in folgender aufsteigender Wichtigkeit eingestuft: VS - Nur für den Dienstgebrauch, VS - Vertraulich, Geheim, Streng Geheim. Die Verschlusssachenanweisung (VS-Anweisung, VSA) für das Land Hessen regelt als Verwaltungsvorschrift den materiellen und organisatorischen Schutz von Verschlusssachen sowie deren Kennzeichnung und Aufbewahrung. Völkischer Kollektivismus/ Das rechtsextremistische Motto "Du bist nichts, dein Volk ist alles!" "Volksgemeinschaft" verdeutlicht die Ideologie des völkischen Kollektivismus, die in vielen Ausprägungen rechtsextremistischer Ideologie eine zentrale Rolle spielt. "Volksgemeinschaft" war ein zentraler Begriff im Nationalsozialismus. Nationalsozialisten verstanden darunter eine Schicksalsgemeinschaft, in der die Interessen des Einzelnen bedingungslos der Gemeinschaft der "Volksgenossen" untergeordnet wurden. Das Wohl der so definierten "Volksgemeinschaft" ging allen anderen Interessen vor. Die pauschale Überbewertung der Interessen der "Volksgemeinschaft" zu Lasten der Interessen und Rechte des Einzelnen führt zu einer Aushöhlung der Grundrechte. Daher steht der völkische Kollektivismus im Widerspruch zum Menschenbild des Grundgesetzes, das die Würde jedes einzelnen Menschen und die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit in den Mittelpunkt stellt. Der Staat wird im völkischen Kollektivismus als "ethnisch-rassisch" homogene "Volksgemeinschaft" angesehen. Der vermeintlich einheitliche Wille des Volks soll dabei von staatlichen Führern intuitiv umgesetzt werden. In einem so verstandenen autoritären Staat würden damit wesentliche Kontrollelemente der freiheitlichen demokratischen Grundordnung fehlen, zum Beispiel das Recht des Volks, die Staatsgewalt in Wahlen auszuüben oder das Recht auf Bildung und Ausübung einer Opposition. (Vgl. http://www.verfassungsschutz.bayern.de/rechtsextremismus/ definition/ideologie/voelkischer_kollekivismus/index.html, unter dieser Adresse die komplette Fassung des oben gekürzten Glossareintrags, abgerufen im Mai 2022.) Weiße Rose In den Jahren 1942/43 verbreitete die Münchner Gruppe Weiße Rose sechs Flugblätter gegen das nationalsozialistische Regime. Den Kern der Gruppe bildeten die Studenten Hans und Sophie Scholl, Alexander Schmorell, Christoph Probst, Willi Graf und der Professor Kurt Huber. Weitere Studenten, Schüler, Lehrer, Professoren, Ärzte, 332 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 GLOSSAR Schriftsteller und Buchhändler hatten losen Kontakt zur Weißen Rose. In einer ersten Aktionsphase im Juni/Juli 1942 veröffentlichte die Gruppe vier "Flugblätter der Weißen Rose" in einer Auflage von jeweils etwa 100 Exemplaren. Verteilt wurden diese Flugblätter an einen kleinen Kreis ausgesuchter Adressaten, von denen die meisten Akademiker in München und Umgebung waren. Im Januar 1943 entstand ein fünftes Flugblatt. Es erschien in einer Auflage von 6.000 bis 9.000 und tauchte in mehreren Städten Süddeutschlands und in Österreich auf. Ab Februar 1943 unternahm die Gruppe nächtliche Aktionen, bei denen sie verschiedene Gebäude in München mit Parolen wie "Nieder mit Hitler", "Hitler Massenmörder" und "Freiheit" beschrifteten. Ebenfalls im Februar 1943 entstand das sechste Flugblatt der Gruppe. Es richtete sich an die Münchner Studentenschaft und forderte vor dem Hintergrund der Schlacht um Stalingrad dazu auf, sich vom nationalsozialistischen System zu befreien. Bei der Verteilung dieses Flugblatts wurden die Geschwister Scholl am 18. Februar 1943 in der Münchner Universität beobachtet und verhaftet. Sie wurden am 22. Februar zusammen mit Christoph Probst vom Volksgerichtshof unter Roland Freisler zum Tode verurteilt und noch am selben Tag hingerichtet. In einem weiteren Prozess wurden Graf, Schmorell und Huber am 19. April 1943 ebenfalls zum Tode verurteilt; auch sie wurden hingerichtet. Bis Mitte Oktober 1944 fanden noch fünf Prozesse statt, bei denen Freiheitsstrafen bis zu zwölf Jahren ausgesprochen wurden. (Vgl. https://www.dhm.de/lemo/kapitel/der-zweite-weltkrieg/ widerstand-im-zweiten-weltkrieg/die-weisse-rose.html, unter dieser Adresse die komplette Fassung des oben gekürzten Glossareintrags, abgerufen im Mai 2022.) Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 333 GLOSSAR 334 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 EXTREMISTISCHE ORGANISATIONEN EXTREMISTISCHE ORGANISATIONEN UND GRUPPIERUNGEN In der untenstehenden Übersicht sind die in diesem Verfassungsschutzbericht genannten Organisationen und Gruppierungen aufgeführt, bei denen die hier bekannten Bestrebungen und Tätigkeiten nach SS 2 Abs. 2 HVSG oder tatsächliche Anhaltspunkte hierfür in ihrer Gesamtschau zu der Bewertung geführt haben, dass die Organisation/Gruppierung verfassungsfeindliche Ziele verfolgt, es sich mithin um eine verfassungsfeindliche Organisation/Gruppierung handelt. Organisationen/Gruppierungen aus den Phänomenbereichen Organisierte Kriminalität und Spionageabwehr wurden nicht in die Übersicht aufgenommen. Rechtsextremismus Nationaldemokratische Partei Vaterländischer Hilfsdienst Deutschlands (NPD) (VHD) Atomwaffendivision (AWD) Nationalsozialistischer UnterVerfassunggebende VerCombat 18 Deutschland (C grund (NSU) sammlung (VV) 18 Deutschland) Nordglanz Der Dritte Weg/Der III. Weg Recht und Wahrheit (RuW) - Der Flügel Politik und Zeitgeschichte Linksextremismus DIE RECHTE aus deutscher Sicht antifaschistisches kollektiv Faust Reichstrunkenbold 069 (AK.069) Freies Netz Süd (FNS) Streitmacht Antifaschistische Revolutionäre Aktion Gießen Hilfsorganisation für natioSturm 18 e.V. (A.R.A.G.) nale politische Gefangene Sturmbrigade 44/Wolfsbriund deren Angehörige e.V. Antifa United Frankfurt (AUF) gade 44 (HNG) CAT - Communist Action & Sturmrebellen Identitäre Bewegung (IB) Theory Thule-Seminar e. V. Identitäre Bewegung Deutsche Kommunistische Deutschland (IBD) Weisse Wölfe Terrorcrew Partei (DKP) Identitäre Bewegung Hessen Freie Arbeiterinnenund (IBH) Arbeiter-Union (FAU) Junge Alternative (JA) Reichsbürger und SelbstGruppe ArbeiterInnenmacht verwalter (GAM) Junge Alternative Hessen (JA Hessen) Bismarcks Erben (auch EwiInterventionistische Linke (IL) ger Bund oder Preußisches Junge Nationalisten (JN) Kommunistische OrganisaInstitut) tion (KO) Junge Nationalisten Hessen Königreich Deutschland (JN Hessen) Kommunistische Partei (KRD) Deutschlands (KPD) Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 335 EXTREMISTISCHE ORGANISATIONEN kritik&praxis - radikale Linke Council of European Muslims Islamische Gemeinschaft der [f]rankfurt (CEM) schiitischen Gemeinden Deutschland e. V. (IGS) Marxistisch-Leninistische ParDeutsch-Libanesische Famitei Deutschland (MLPD) lie e. V. (DLF) Islamischer Staat (IS) New Kids Antifa Kassel (NKAKS) Deutsche Muslimische GeIslamischer Staat Provinz meinschaft e. V. (DMG) Khorasan (ISPK) Offenes Antifaschistisches Treffen (OAT) Frankfurt am Erbakan Vakfi Hessen (ErbaIslamisches Zentrum HamMain kan-Stiftung) burg (IZH) Ökologisch Radikal Links - ffm Europäisches Institut für HuIsmail Aga Cemaati (IAC) manwissenschaften in REBELL Deutschland e. V. Jabhat al-Nusra (JaN) Rote Hilfe e. V. (RH) European Council for Fatwa Jaish al-Malahim al-iliktruni Sozialistische Deutsche Arand Research (ECFR) (Digitalarmee der Schlachbeiterjugend (SDAJ) ten) European Council of Imams T.A.S.K. (Europäischer Rat der "LIES!" Imame) Menschen für Menschen e. V. Islamismus Fatwa-Ausschuss in Deutschland MillA(r) Gazete (Nationale ZeiAfghanische Taleban tung) Federation of Islamic Organial-Ikhwan al-Muslimun fi Suzations in Europe (FIOE, FöMuslimbruderschaft (MB) riya (Die Muslimbrüder in Syderation Islamischer Organirien) sationen in Europa) Rat der Imame und Gelehrten e. V. (RIG)/Rat der Imame al-Malahim Media Gib Frieden e. V. und Gelehrten in Deutschland (RIGD) al-Naba Hai'at Tahrir al-Sham (HTS) Realität Islam (RI) al-Nahda Harakat al-Muqawama al-Islamiya (HAMAS, Islamische WiSaadet Deutschland Regioal-Qaida derstandsbewegung) nalverein Hessen e. V. (SP Hessen) al-Qaida auf der arabischen Harakat al-Shabab al-MujahiHalbinsel din (al-Shabab, Bewegung Saadet Partisi (SP, Partei der der Mujahidin-Jugend) Glückseligkeit) al-Sahab-Media Hizb Allah (Partei Gottes) Shahid-Stiftung (MärtyrerAnsaar International e. V. Stiftung) Hizb ut-Tahrir (HuT, Partei der Befreiung) 336 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 EXTREMISTISCHE ORGANISATIONEN Somalisches Komitee InforAvrupa Ezilen Göcmenler Koma Civaken Kurdistan mation und Beratung in Konfederasyonu (AvEG-Kon, (KCK, Gemeinschaft der Darmstadt und Umgebung e. Konföderation der unterKommunen Kurdistans) V. (SKIB) drückten Immigranten in Kongreya AzadA(r) A" DemokraEuropa) siya Kurdistane (KADEK, FreiTeilstrukturen der IslamiAvrupa Türkiyeli Isciler Konfeheitsund Demokratiekonschen Gemeinschaft Milli Göderasyonu (ATIK, Konföderagress Kurdistans) rüs e. V. (IGMG) tion der Arbeiter aus der TürKongreya Civaken Demokrakei in Europa) Waisenkinderprojekt Libanon tik a Kurdistaniyen Ewropa e. V. (WKP) Demokratik Isci Dernekleri (KCDK-E, Kurdischer DemoFederasyonu e. V. (DIDF, Fökratischer Gesellschaftskon"Was ist Islam?" deration Demokratischer Argress in Europa) beitervereine e. V.) "We-Love-Muhammad"-ProKongreya Gele Kurdistane jekt Devrimci Genclik (Dev Genc, (KONGRA GEL, VolkskonRevolutionäre Jugend) gress Kurdistans) WorldWide Resistance-Help Devrimci Halk Kurtulus CeMarksist Leninist Komünist e. V. phesi (DHKC, Revolutionäre Parti (MLKP, Marxistische-LeVolksbefreiungsfront) ninistische Kommunistische Zentrum der Islamischen KulPartei ) tur (ZIK) Devrimci Halk Kurtulus Partisi (DHKP, Revolutionäre VolksMaoist Komünist Partisi (MKP, befreiungspartei) Maoistisch Kommunistischen Partei) Devrimci Halk Kurtulus ParExtremismus mit Auslandstisi-Cephesi (DHKP-C, RevoPartiya Karkeren Kurdistan bezug lutionäre Volksbefreiungspar(PKK, Arbeiterpartei KurdisAlmanya'daki Mezopotamya tei-Front) tans) Topluluklar Konfederasyonu Federasyona Civaken DemoPartiya Yekitiya Demokrat (KON-MED, Konföderation kratik ya Kurdistaniyen li (PYD, Partei der Demokratider Gemeinschaften MesoSaarland A" Hessen (FCDKschen Union) potamiens in Deutschland) KAWA, Föderation der deTevgera Ciwanen Soresger Almanya Göcmen Isciler Femokratischen Vereine Kurdis(TCS, Bewegung der revoluderasyonu (AGIF, Föderation tans e. V.) tionären Jugend) der ArbeitsimmigrantInnen Heyva Sor a Kurdistane (HSK, aus der Türkei in Deutschland Türkiye Komünist Kurdischer Roter Halbmond) e. V.) Partisi/Marksist-Leninist Jinen Ciwanen Azad (Bewe(TKP/ML, Türkische KommuAlmanya Türkiyeli Isciler Fegung junger Frauen) nistische Partei/Marxisten-Lederasyonu (ATIF, Föderation ninisten) der Arbeiter aus der Türkei in Jinen Xwendekaren KurdisDeutschland e. V.) tan (JXK, Studierende Frauen Türkiye Komünist Partisi - aus Kurdistan) Marksist-Leninist (TKP-ML, Anadolu Federasyonu (AnaTürkische Kommunistische tolische Föderation) Partei - Marxisten-Leninisten) Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 337 ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS Halk Cephesi (Volksfront) Yekitiya Xwendekaren Kurdistan (YXK, Verband der Studierenden aus Kurdistan) Yeni Demokratik Genclik (YDG, Neue demokratische Jugend) Yeni Kadin (Neue Frau) Young Struggle 338 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 REGISTER REGISTER A Almanya Türkiyeli Isciler Federasyonu as-Sadat, Anwar (1918-1981) 217 (ATIF, Föderation der Arbeiter aus der Adalet ve Kalkinma Partisi (AKP, Partei für Türkei in Deutschland e. V.) Atomwaffendivision (AWD) 71, 291, 335 Gerechtigkeit und Aufschwung) 255, 256, 290, 337 Auckland (Neuseeland) 200 226,271, 290 Almanya'daki Mezopotamya Topluluklar Aufständische anarchistische Strukturen Adenauer, Konrad (1876-1967) 174 Konfederasyonu (KON-MED, Konföderation 53, 150 der Gemeinschaften Mesopotamiens in Afghanistan 192, 193, 201, 206, 267 Deutschland) 249, 295, 337 Auswärtiges Amt 137 African Mission in Somalia (AMISOM) Altenstadt (Wetteraukreis) Autonome 3, 53, 54, 145, 146, 147, 231, 290 45, 95, 103, 104, 109 148, 149, 150, 151, 153, 154, 156, 159, Afrikanische Union (AU) 290 160, 162, 163, 164, 165, 166, 167, 168, Alternative für Deutschland (AfD) 169, 170, 171, 257, 302, 304, 326 Ägypten 215, 216, 217, 218 24, 54, 97, 98, 99, 101, 102, 103, 104, 151, 152, 153, 154, 166, 290 Autonome Nationalisten (AN) 90, 290 Ahnenrad der Moderne 84 Amtsgericht Frankfurt am Main 157 Avrupa Ezilen Göcmenler Konfederasyonu Air Intelligence [Pakistan] 272 (AvEG-Kon, Konföderation der unterdrückten an-Nabhani, Taqi ad-Din (1909-1977) 210 Immigranten in Europa) 257, 290, 337 Ajansa Nuceyan a Firate (ANF, Firatnews Agency) 241, 243, 244, 245, 250, 290 an-Nuqrashi, Mahmud Fahmi (1888-1948) Avrupa Milli Görüs Teskilatlari (AMGT, Ver217 einigung der neuen Weltsicht in Europa Akif, Muhammad Mahdi (1928-2017) 219 Anarchisten 53, 54, 147, 148 e. V.) 226, 290 Aktionsmelder [Internetplattform] 77 149, 150,151, 161, 171, 300, 301 Avrupa Türkiyeli Isciler Konfederasyonu Aktives Hessen 47, 77 Anarchistisches Kollektiv Wiesbaden 153 (ATIK, Konföderation der Arbeiter aus der Türkei in Europa) 255,256, 290, 337 al-Assad, Baschar 273 Anatolische Föderation (Anadolu Federasyonu) 253, 337 al-Banna, Hasan (1906-1949) 216,217, 218 Ansaar International e. V. B 207, 210, 214, 231, 232, 336 al-Ikhwan al-Muslimun fi Suriya Ba'ath-Partei 273 (Die Muslimbrüder in Syrien) 215, 336 Anti-IS-Koalition 303 Bad Nauheim (Wetteraukreis) 35, 103 al-Malahim Media 199, 336 Antideutsche 163, 167, 168, 303 Bad Wildungen (Landkreis Waldeckal-Naba (Die Nachrichten) 199, 336 Antifa United Frankfurt (AUF) Frankenberg) 114 152, 153, 157, 161, 169, 290, 335 al-Nahda 215, 336 Baden-Württemberg 108, 116, 166, 193 Antifaschistische Revolutionäre Aktion al-Qaida 193, 196, 199, 200, Badi, Muhammad 215, 218, 219 Gießen (A.R.A.G.) 161, 169, 259, 290,335 206, 231,232, 336 antifaschistisches kollektiv 069 (ak.069) Bahrain 303 al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel 151, 152, 153, 156, 157, 161, 169, 290, Bayern 50, 106, 108, 114, 115, 162, 199, 336 335 193, 218, 312 al-Qaradawi, Yusuf 60, 219, 220, 221 Antiimperialisten 163, 167, 168, 303 Beirut (Libanon) 233 al-Rashta, Ata Abu (alias Abu Yasin) 207 Antinationale 163, 167, 168 Belarus 75, 267 al-Sahab 199, 336 Antwerpen (Belgien) 271 Belgien 220, 271, 303 al-Zawahiri, Dr. Aiman 199, 231 Apfel, Holger 108, 109 Berlin 23, 24, 47, 97, 99, 156, 214, 215, Allgemeiner Studierendenausschuss 216, 221, 233, 236, 245, 269, 270, 311 Arabische Republik Syrien s. Syrien (AStA) der Universität Kassel 245 Arditi del Populo 152 Berliner Abgeordnetenhaus 103 Almanya Göcmen Isciler Federasyonu (AGIF, Föderation der ArbeitsimmigrantInAriadne 84 Beuth, Peter 7,29, 155, 156 nen aus der Türkei in Deutschland) Armstroff, Klaus 112, 114, 115, 116 bin Laden, Osama (1957-2011) 231 257,290, 337 Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 339 REGISTER BioNTech 156 Bundesverfassungsgericht Darmstadt 47, 61, 62, 74, 81, 101, 114, 14, 15, 89, 102, 107, 172, 174, 330 149, 150, 156, 158, 169, 170, 173, 175, Bismarcks Erben 132, 335 178, 179, 231, 240, 241, 242, 243, 244, Bundesverwaltungsamt (BVA) 286, 291 249, 250, 251, 253, 254, 255, 258, 297, 337 Blickpunkt 172, 240 Bundesverwaltungsgericht 210, 211, 232 Darwin, Charles (1809-1882) 326 Bloc Identitaire - Le mouvement social europeen 78 Bundeswahlausschuss 174 Das sind wir [Publikation] 78 Blood and Honour 90 Bundeswehr 43, 70, 162, 200, 267, 304 de.indymedia.org [Internetplattform] Bonn (Nordrhein-Westfalen) 195, 233 BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN 54, 151, 152, 154, 155, 161, 166, 170, 257 24, 50, 115, 116, 118, 244 Deckert, Günter 108 Borchardt, Siegfried 120, 121 Busse, Friedhelm 89 Demokratiefeindliche und/oder sicherBrandenburg 97, 99, 109, 112 Butzbach (Wetteraukreis) 103 heitsgefährdende Delegitimierung des Bremen 89, 108, 162 Staates 38, 41, 140, 142 Brüssel (Belgien) 220 Demokratik Isci Dernekleri Federasyonu C e. V. (DIDF, Föderation Demokratischer Buchara (Usbekistan) 227 Arbeitsvereine e. V.) Büdingen (Wetteraukreis) 35, 103, 104 Cafe ExZess 169 62, 63, 239, 252, 258, 259, 291, 337 Bukarest (Rumänien) 305 Cafe KoZ 169 Demokratische Volksrepublik Korea s. Nordkorea Bulgarien 325 Campanella, Tomaso (1568-1639) 315 Der Dritte Weg/Der III. Weg Bundesamt für den Militärischen AbschirmCAT - Communist Action & Theory 49, 50, 69, 91, 112, 113, 114, 115, 116, dienst (BAMAD) 24, 25, 27, 291, 319 156, 157, 335 117, 118, 119, 312, 335 Bundesamt für Migration und Flüchtlinge Centro 169 Der Flügel 47, 48, 335 (BAMF) 24, 27, 291 Chamenei, Ali 234 Der rote Waschbär 56, 172 Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) Chemnitz (Sachsen) 73 17, 25, 26, 30, 37, 38, 48, 140, 286, 291, 319, Der Spiegel 159 320 China 208, 266, 270, 317 Deutsch-Libanesische Familie e. V. (DLF) Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkon233, 292, 336 Christchurch (Neuseeland) trolle (BAFA) 27, 157, 291 43, 47, 76, 83, 300 Deutsche Demokratische Republik (DDR) Bundesanwaltschaft 71, 159, 160, 56, 176, 291 Christophersen, Thies 89 166, 267 Deutsche Kommunistische Partei (DKP) Ciwanen Azad 250 Bundesgerichtshof (BGH) 74, 291 56, 57, 63, 171, 172, 173, 174, 175, 177, Clemens, Carlo 97, 98 258, 259, 292, 335 Bundeskriminalamt (BKA) 24, 25, 26, 262, 291 Combat 18 Deutschland (C 18 DeutschDeutsche Muslimische Gemeinschaft e. V. land) 87, 88, 91, 93, 291, 335 (DMG) 60, 215, 216, 218, 220, Bundesminister des Innern 221, 292, 336 88, 93, 207, 233 Compact-Magazin GmbH 320 Deutsche Stimme (DS) 103, 292 Bundesministerium der Justiz und für VerCouncil of European Muslims (CEM) braucherschutz 137 215, 219, 220, 291, 336 Deutsche Volksunion (DVU) 89, 122, 292 Bundesministerium des Innern, für Bau Deutscher Bundestag 269, 284, 304, 310 und Heimat 215, 216, 231, 232 Dev-Genc (Revolutionäre Jugend) 253, 337 D Bundesnachrichtendienst (BND) Devrimci Halk Kurtulus Cephesi (DHKC, 24, 25, 27, 291, 319 Dänemark 303 Revolutionäre Volksbefreiungsfront) Bundespolizei (BPol) 24, 25, 26, 27, Dannenröder Wald 55, 57, 180 253, 291, 337 34, 75, 244, 291 Devrimci Halk Kurtulus Partisi (DHKP, ReBundesrat 15 volutionäre Volksbefreiungspartei) 253, 291, 337 340 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 REGISTER Devrimci Halk Kurtulus Partisi-Cephesi Europäische Zentralbank (EZB) Federalnaja Slushba Besopasnosti (FSB, (DHKP-C, Revolutionäre Volksbefreiungs158, 162, 292, 303 Föderaler Dienst für Sicherheit der Russipartei-Front) 62, 252, 253, 254, 291, 337 schen Föderation) 269, 292 Europäischer Gerichtshof für MenschenDevrimci Sol (Revolutionäre Linke, rechte 207 Federasyona Civaken Demokratik ya Dev Sol) 252, 291 Kurdistaniyen li Saarland u Hessen Europäischer Rat 306 (FCDK/KAWA, Föderation der demokratiDIDF-Jugend 63, 258 schen Vereine Kurdistans im Saarland und Europäisches Institut für HumanwissenDIE LINKE. 24, 172, 173, 244 schaften e. V. (EIHW) in Hessen e. V.) 243, 249, 292, 337 215, 216, 219, 221, 292 Federation of Islamic Organizations in DIE RECHTE 69, 91, 92, 120, 121, 122,123, 335 Europäisches Parlament 306 Europe (FIOE, Föderation Islamischer Organisationen) 215, 292, 336 Diebe im Gesetz 263, 308 Europäisches Polizeiamt (Europol) 27, 292 Fielitz, Maik 300 Dinslaken (Nordrhein-Westfalen) 194 European Committee for the Prevention of Fischer, Matthias 112, 115, 116 Diyanet Isleri Baskanligi (Präsidium für ReTorture and Inhuman or Degrading Treatligionsangelegenheiten) 216 Fitzek, Peter 132 ment or Punishment (CPT, Europäisches DKP/Linke Liste (DKP/LL) 173 Komitees für die Verhütung von Folter und Floyd, George 165 unmenschlicher oder erniedrigender BeDortmund (Nordrhein-Westfalen)121, 228 handlung oder Strafe) 243, 291 Flurgeflüster 176 Dresden (Sachsen) 114, 159 European Council for Fatwa and Research Frankfurt am Main 7, 27, 34, 35, 43, 47, (ECFR, Europäischer Rat für Fatwa und For53, 54, 55, 56, 57, 59, 61, 62, 63, 70, 71, Dublin (Irland) 220 schung) 216, 219, 220, 292, 336 73, 74, 77, 79, 81, 97, 99, 113, 141, 149, 150, 151, 152, 153, 154, 156, 157, 158, Düsseldorf (Nordrhein-Westfalen) European Council of Imams (Europäischer 159, 160, 161, 162, 165, 169, 170, 175, 121,231, 244 Rat der Imame) 219, 220, 336 176, 178, 179, 180, 181, 191, 194, 195, 215, 220, 221, 229, 233, 234, 235, 236, European Institute of Human Sciences 240, 241, 242, 243, 244, 245, 246, 250, (EIHS, Institut für Humanwissenschaften) 251, 253, 255, 256, 257, 258, 259, 273, E 221, 292 303, 336 E., Lina 151, 159, 160, 161, 166, 170 Ewiger Bund s. Bismarcks Erben Frankfurter Allgemeine Zeitung 30, 244 E., Marvin 70, 71 Frankfurter Rundschau 244 Engels, Friedrich (1820-1895) 146, 177, 256, 315,316, 318 F Frankreich 47, 60, 72, 74, 75, 78, 82, 208, 209, 220, 221, 241, 243, 317 Erbakan Vakfi (Erbakan-Stiftung) Facebook 91, 99, 123, 152, 207, 208, 209, 213, 216, 234, 235 Franz, Frank 103, 104, 109 222,229, 336 Fachstellen für Demokratieförderung und Frauenbüro für Frieden CENI e. V. 244 Erbakan, Fatih 229 phänomenübergreifende Extremismusprävention (DEXT) 33, 291 Freie Arbeiterinnenund Arbeiter-Union Erbakan, Necmettin (1926-2011) (FAU) 292, 301, 335 222, 223, 225, 226, 227,229, 230 Falun Gong 270 Freie Nationalisten 315 Erbil (Irak) 244 Farben für Waisenkinder 233 Freies Netz Süd (FNS) 112, 292, 335 Eritrea 74 Fatwa-Ausschuss in Deutschland 219, 220, 336 Freiheitliche Arbeiterpartei Deutschlands Ersoy, Elif 254 (FAP) 89, 292 Eschborn (Main-Taunus-Kreis) 153 Faust 94, 335 Freisler, Roland (1893-1945) 333 Europäische Kommission 306 Fazilet Partisi (FP, Tugendpartei) 226, 292 Fridays for Future 158, 159, 170 Europäische Moscheebau und UnterstütFridays for Future, Ortgruppe Frankfurt am zungsgemeinschaft (EMUG) 226, 292 Main 55, 158, 159 Europäische Union (EU) 10, 62, 240, Fulda (Landkreis Fulda) 35, 79, 81 241, 243, 247, 251, 252, 254, 267, 292, 308, 325 Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 341 REGISTER G H Hessisches Informationsund Kompetenzzentrum gegen Extremismus (HKE) G-10-Kommission des Hessischen LandHagen (Nordrhein-Westfalen) 200 7, 27, 32, 33, 293 tags 18, 19, 20 Hai'at Tahrir al-Sham (HTS) Hessisches Landeskriminalamt (HLKA) Gazastreifen 209, 215, 224 193, 194, 293, 336 27, 293 Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen Halle an der Saale (Sachsen-Anhalt) Hessisches Ministerium des Innern und 56, 176 9, 94, 300 für Sport 1, 19, 20 Gemeinsame Arbeitsgruppe Justiz/Polizei Hamburg 162, 214, 233, 234, 294, 336 Hessisches Präventionsnetzwerk (GAG) 262, 292 gegen Salafismus 33 Hanau (Main-Kinzig-Kreis) Gemeinsames Extremismusund Terroris9, 54, 63, 70, 94, 105, 152, 165, Heß, Rudolf (1894-1987) 83, 90, 311, 312 musabwehrzentrum (GETZ) 24, 26, 293 166, 223, 255, 257, 258, 259 Heyva Sor a Kurdistane (HSK, Kurdischer Gemeinsames Internetzentrum (GIZ) Haniyya, Ismail 224 Roter Halbmond) 250, 293, 337 24, 25, 293 Hannover (Niedersachsen) 107, 156 Hezen Parastina Gel (HPG, VolksverteidiGemeinsames Terrorismusabwehrzentrum gungseinheiten) 240, 293 (GTAZ) 23, 24, 25, 26, 293 Harakat al-Muqawama al-Islamiya (HAMAS, Islamische Widerstandsbewegung) Hilfsorganisation für nationale politische Generalbundesanwalt 215, 224, 225, 232, 293, 336 Gefangene und deren Angehörige e. V. 43, 64, 88, 246, 267 (HNG) 91, 93, 293, 335 Harakat al-Shabab al-Mujahidin (al-ShaGeneralbundesanwaltschaft (GBA) bab, Bewegung der Mujahidin-Jugend) Hitler, Adolf (1889-1945) 24, 25, 27 231, 232, 336, 290 88, 90, 91, 92, 302, 309, 311, 319, 333 Generalzolldirektion (GZD) 24, 27, 293 Hashemi, Said Nesar 70 Hizb al-Hurriya wa-l-Adala (Partei der Freiheit und Gerechtigkeit) 217 Generation Identitaire (GI) 47, 75, 78, 293 Haverbeck, Ursula 122 Hizb Allah (Partei Gottes) Gib Frieden e. V. 233, 336 Heidelberg (Baden-Württemberg) 116 232, 233, 234, 336 Gießen (Landkreis Gießen) Heise, Thorsten 151 Hizb ut-Tahrir (HuT, Partei der Befreiung) 52, 56, 81, 134, 138, 149, 161, 169, 172, Hells Angels 263 60, 207, 208, 210, 211, 212, 213, 173, 174, 175, 176, 179, 180, 241, 242, 214, 294, 336 243, 245, 250, 258, 259, 290, 335 Hessen Cyber Competence Center (Hessen3C) 36, 293 Hochtaunuskreis 153 Gießener Echo 172 Hessen gegen Hetze 5, 29, 36, 125 Höcke, Björn 152 Gießener LINKE 173 Hessenbande 47, 77 Hoffmann, Raimund 209 Glawnoje Raswedywatelnoje Uprawlenije (GRU, Hauptverwaltung beim Generalstab Hessische Erstaufnahmeeinrichtungen Hohenzollern 132 der Streitkräfte der Russischen Föderation) (HEAE) 286, 287, 293 267, 269, 293 Hongkong 270 Hessische Hochschule für öffentliches MaGraf, Willi (1918-1943) 332, 333 Huber, Kurt (1893-1943) 332, 333 nagement und Sicherheit (HöMS) Graue Wölfe 331 34, 293 Griechenland 170, 253 Hessische Lehrkräfteakademie 32 I Groß-Gerau (Kreis Groß-Gerau) Hessische Polizeiakademie (HPA) 34, 293 Ichagara (Mali) 200 113, 114, 172, 173, 178, 194, 207, 253, 258 Hessischer Beauftragter für Datenschutz Idar-Oberstein (Rheinland-Pfalz) Großbritannien 58, 90, 200, 221, 303 und Informationsfreiheit 19, 20 6, 30, 121, 141 Grup Yorum 62, 253, 254 Hessischer Landtag 19, 20 Identitäre Bewegung (IB) Hessischer Rechnungshof 19, 20 47, 68, 69, 72, 73, 75, 76, 77, 78, 79, 81, 82, Gruppe ArbeiterInnenmacht (GAM) 84, 141, 294, 335 154, 293, 335 Hessisches Extremismusund Terrorismusabwehrzentrum (HETAZ) Identitäre Bewegung Deutschland e. V. (IBD) Gültekin, Gökhan 70 21, 23, 27, 28, 293 47, 71, 72, 73, 74, 75, 77, 78, 79, 80, 81, 82, Gürbüz, Sedat 70 83, 166, 294, 320, 335 342 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 REGISTER Identitäre Bewegung Hessen (IBH) Islamische Union Europa e. V. (IUE) Kanada 303 47, 71, 72, 73, 74, 75, 77, 81, 82, 141, 226, 294 294, 335 Karamollaoglu, Temel 224 Islamische Zentren 215 Identitäre Bewegung Österreich (IBÖ) Karben (Wetteraukreis) 34, 103 47, 75, 76, 78, 82, 83, 294 Islamischer Staat (IS) 57, 188, 189, 191, 192, 193, 194, 195, 196, 197, 199, Kaschmir-Bewegung 273 Identitäre Generation 77, 78 200, 201, 205, 206, 247, 248, 294, 303, Kassel 34, 47, 50, 54, 56, 57, 70, 81, 83, 336 85, 97, 98, 99, 100, 101, 125, 127, 149, Imrali (Türkei) 242, 247, 249 Islamischer Staat Provinz Khorasan (ISPK) 151, 153, 154, 160, 169, 172, 175, 176, Indien 266, 273 201, 206, 294, 336 178, 179, 180, 181, 194, 241, 242, 245, 250, 258, 296, 336 Indonesien 58, 200 Islamisches Zentrum Hamburg (IZH) 233, 234, 235, 294, 336 Kaypakkaya, Ibrahim 254 Initiative Weiterdenken Marburg 157 Ismail Aga Cemaati (IAC) Kemal, Mustafa Atatürk (1881-1938) 225 Inspire Guide 199 222, 226, 227, 294, 336 Kenia 231, 247 Instagram 156, 207, 213, 244 Israel 60, 167, 168, 209, 210, Khalistan 273 Institut Europeen des Sciences Humaines 211, 214, 215, 219, 224, 225, 228, 232, (IESH, Institut für Humanwissenschaften) 233, 235, 305, 306 Khomeini, Ruhollah Musawi 233, 235 221, 294 Istanbul (Türkei) 216, 223, 253, 259 Kierpacz, Mercedes 70 Institut für Staatspolitik (IfS) 294, 320 Italien 79, 152, 262, 263, 319 Kirchhain (Landkreis Marburg-Biedenkopf) Inter-Services Intelligence (ISI) 122 272,273, 294 Klapperfeld 159, 169, 170 International Holocaust Remebrance Alli- J ance (IHRA) 294, 305, 306 Köln (Nordrhein-Westfalen) Jabhat al-Nusra 232, 336 26, 48, 121, 226 Interventionistische Linke (IL) 150, 151, 153, 156, 158, 165, 169, Jaish al-Malahim al-iliktruni (Digitalarmee Koma Civaken Kurdistan (KCK, Gemein170, 259,294, 335 der Schlachten) 199, 336 schaft der Kommunen Kurdistans) 247, 248, 295, 337 Interventionistische Linke Frankfurt Jerusalem (Israel) 210, 219, 224, 225, 233 151, 153, 169 Kommunistische Organisation (KO) Jihadisten 9, 190, 201 56, 176, 259, 295, 335 Irak 188, 195, 196, 197, 198, 199, Jinen Ciwanen Azad (Bewegung junger 206, 244, 247,250, 251 Kommunistische Partei Chinas (KPCh) Frauen) 250, 337 270, 295 Iran 234, 235, 247, 266, 270, 271, Jinen Xwendekaren Kurdistan (JXK, Stu296,298, 328 Kommunistische Partei der Sowjetunion dierende Frauen aus Kurdistan) (KPdSU) 176, 295 Irland 220, 325 243, 244, 245, 250, 294, 337 Kommunistische Partei Deutschlands Islamic Revolutionary Guard Corps (IRGC, Jordanien 210, 218, 303 (KPD) 172, 174, 177, 179, 295, 335 Iranische Revolutionsgarden) 271, 294 Junge Alternative (JA) 47, 48, 69, Kompetenzzentrum gegen RechtsextreIslamische Gemeinschaft der schiitischen 97, 98, 99, 100, 101, 102, 294, 335 mismus (KOREX) 21, 34, 295 Gemeinden Deutschland e. V. (IGS) Junge Nationalisten (JN) 234, 235,294, 336 Kongreya Azadi u Demokrasiya Kurdistane 48, 49, 103, 106, 107, 111, 294, 335 (KADEK, Freiheitsund DemokratiekonIslamische Gemeinschaft in SüddeutschJustizakademie des Hessischen Minisgress Kurdistans) 247, 294, 337 land e. V. 218 teriums der Justiz 33 Kongreya Civaken Demokratik li KurdistaIslamische Gemeinschaft Milli Görüs e. V. niyen Ewropa (KCDK-E, Kurdischer Demo(IGMG) 222, 223, 226, 229, 230, 294, 337 kratischer Gesellschaftskongress in Europa) 241, 250, 294, 337 Islamische Republik Iran s. Iran K Kongreya Gele Kurdistane (KONGRA GEL, Islamische Republik Pakistan s. Pakistan KAGEF 255 Volkskongress Kurdistans) 247, 295, 337 Kammergericht Berlin 269 Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 343 REGISTER Königreich Deutschland (KRD) Landkreis Marburg-Biedenkopf Marksist Leninist Komünist Parti (MLKP, 132, 295, 335 56, 81, 122, 156, 169, 175, 176, 179, Marxistische-Leninistische Kommunis215, 250, 258 tische Partei) KoordA(r)nasyona Civaka DemokratA(r)k a Kur62, 63, 252, 256, 257, 258, 295, 337 distan (CDK, Koordination der kurdisch-deLandkreis Offenbach 250 mokratischen Gesellschaft) 250, 291 Marksist Leninist Komünist Parti-Kurulus Landkreis Waldeck-Frankenberg (MLKP-K, Marxistische-Leninistische KomKoordinierte Internetauswertung (KIA) 48, 98, 114 munistische Partei-Aufbau) 256, 295 26, 295 Leipzig (Sachsen) 106, 156, 160, 161 Martell, Karl (688/691-741) 78 Kotku, Zaid Mehmet (1897-1980) 227 Lenin s. Uljanow, Wladimir Iljitsch Martina, Klein 329 Koufontinas, Dimitris 151, 161, 170 Libanon 218, 232, 233, 298, 337 Marx, Karl (1818-1883) Krebs, Dr. Pierre 83, 84, 85 146, 177, 256, 315, 316, 318 Liebknecht, Karl (1871-1919) 177, 258 Kreis Groß-Gerau 113, 114, 172, 173, Marxistisch-Leninistische Partei Deutsch178, 194, 207, 253, 258 Liechtenstein 325 lands (MLPD) kritik&praxis - radikale Linke [f]rankfurt LIES! 191, 204, 336 57, 172, 177, 178, 179, 295, 336 156, 157, 158, 169, 170, 336 Limburg (Landkreis Limburg-Weilburg) Mecklenburg-Vorpommern 73, 103, 108 Kroatien 325 113 Mekka (Saudi-Arabien) 317 Kühnen, Michael 89 Linden (Landkreis Gießen) 52, 134, 138 Menschen für Menschen e. V. 233, 336 Kurdisches Zentrum für ÖffentlichkeitsLinkes Bündnis 173 Military Intelligence (MI, Militärische Aufarbeit e. V. (Civika Azad) 250 Liverpool (Großbritannien) 200 klärung) [Pakistan] 272, 295 Kurdistan 57, 61, 62, 240, 242, Lohr, Damian 97 MillA(r) Gazete (Nationale Zeitung) 243, 244, 247, 248, 250, 256, 291, 294, 60, 222, 223, 224, 225, 228, 229, 230, 336 295, 296, 297, 298, 337, 338 Lübcke, Dr. Walter (1953-2019) 43, 45, 70, 151 MillA(r) Nizam Partisi (MNP, Nationale OrdKurtovic, Hamza 70 nungspartei) 226, 295 Luxemburg, Rosa (1870-1919) 177, 258 Kurz, Sebastian 209 Milli-Görüs-Bewegung 60, 222, 224, 225, 226, 227, 228, 229, 230 M Miltenberg (Bayern) 115 L Machmur (Irak) 256 Modjahedin-e-Khalq (MEK, VolksmojaheLachmann, Daniel 103 din) 271, 295 Macron, Emmanuel 212 Lahn-Dill-Kreis 103, 104, 105, 106, 111, Mogadischu (Somalia) 231 113, 115, 116, 118 Main-Kinzig-Kreis 54, 63, 70, 94, 103, 105, 132, 152, 165, 223, 255, 257, 258 Mörfelden-Walldorf (Kreis Groß-Gerau) Landgericht Berlin 216, 221 172, 173, 207 Main-Taunus-Kreis 153 Landgericht Frankfurt am Main 70, 74, 194 Morus, Thomas (1478-1535) 315 Mainz (Rheinland-Pfalz) 156, 245 Landgericht Wiesbaden 74 Mosambik 58, 200 Makassar (Indonesien) 200 Landkreis Darmstadt-Dieburg 114, 172, Moscheebau-Kommission e. V. 218 173, 255 Mali 58, 200 Mubarak, Husni (1928-2020) 217 Landkreis Fulda 79, 81 Malta 130, 137 München (Bayern) 106, 115, 218, 333 Landkreis Gießen 52, 56, 81, 134, Mao Zedong (1893-1976) 146, 317 138, 169, 172, 175, 176, 179, 180, 241, Mursi, Mohammed (1951-2019) 217, 219 242, 243, 245, 250, 258 Maoist Komünist Partisi (MKP, MaoistischKommunistische Partei) 254, 295, 337 Muslimbruderschaft (MB) 60, 186, 210, Landkreis Kassel 50, 85 215, 216, 217, 218, 219, 220, 221, 295, 336 Marburg (Landkreis Marburg-Biedenkopf) Landkreis Limburg-Weilburg 35, 56, 81, 149, 150, 156, 157, 169, 172, Mussolini, Benito (1883-1945) 113, 114, 116, 118 175, 176, 179, 215, 250, 258, 259 152, 301, 329 Marburger Echo 172 344 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 REGISTER N Nordadler 91 P Nachrichtendienstliche Informationsund Nordglanz 94, 335 Pakistan 266, 272, 328 Analysestelle (NIAS) 24, 25, 26, 296 Nordkorea 266, 272 Palästinensische Autononomiegebiete 215 Naqshbandi, Baha' ad-Din (1318-1389) Nordrhein-Westfalen 10, 26, 58, 79, Palestine Liberation Organization (PLO, 227 97, 109, 116, 121, 194, 195, 200, 214, 226, Palästinensische Befreiungsorganisation) Naqshbandiya-Bruderschaft 227 228, 231, 233 167, 296 Nasrallah, Hassan Sayyed 233 North Atlantic Treaty Organization (NATO) Palma (Mosambik) 200 174, 193, 201, 296, 304 National Socialist Black Metal (NSBM) Paris (Frankreich) 74, 75, 220 94, 296 Norwegen 325 Parlamentarische Kontrollkommission VerNationaldemokratische Partei DeutschNouvelle Droite 84 fassungsschutz (PKV) 18, 19, 20, 296 lands (NPD) 48, 49, 69, 89, 90, 95, 102, 103, 104, 105, 106, 107, 108, 109, Parma (Italien) 152 110, 111, 112, 122, 141, 151, 296, 335 Partiya Careseriya Demokratik a Kurdistane O Nationaler Widerstandsrat Iran (NWRI) (PCDK, Partei für eine politische Lösung in 271, 296 Oberlandesgericht Dresden 159 Kurdistan) 250, 296 Nationales Sicherheitsbüro des RegionalOberlandesgericht Koblenz 245 Partiya Jiyana Azad a Kurdistane (PJAK, kommandos der Ba'ath-Partei 273 Partei für ein freies Leben in Kurdistan) Oberlandesgericht Stuttgart 245 250, 296 Nationalistische Front (FP) Oberursel (Hochtaunuskreis) 153 89, 103,104, 109 Partiya Karkeren Kurdistan (PKK, ArbeiterOberverwaltungsgericht Bautzen 115 partei Kurdistans) 61, 62, 239, 240, 241, Nationalpolitische Erziehungsanstalt 89 242, 243, 244, 245, 246, 247, 248, 249, 250, Öcalan, Abdullah 57, 61, 62, 180, 251, 252, 256, 260, 296, 306, 321, 337 Nationalsozialistische Deutsche Arbeiter239, 240, 241, 242, 243, 247, 248, 249, partei (NSDAP) 102, 107, 108, 251, 306 Partiya YekA(r)tiya Demokrat (PYD, Partei der 116, 117, 296, 309,310, 319 Demokratischen Union) Offenbach am Main 152, 169, 223, 246 240, 248, 250, 296, 337 Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) 90, 153, 165,296, 335 Offenes Antifaschistisches Treffen (OAT) Pastörs, Udo 109 296 Naval Intelligence [Pakistan] 272 Paun, Vili Viorel 70 Offenes Antifaschistisches Treffen Frankfurt Neonazis 44, 49, 50, 68, 69, 85, 86, 87, (OAT Frankfurt) Phänomenbereichsübergreifende wissen89, 90, 91, 92, 93, 95, 96, 108, 112, 113, 151, 152, 153, 154, 156, 157, 158, 160, schaftliche Analysestelle Antisemitismus 121,122, 154,311, 315 161, 169, 170, 336 und Fremdenfeindlichkeit (PAAF) 21, 31, 36, 37, 296 Neu-Isenburg (Landkreis Offenbach) 250 ökologisch radikal links - ffm 153, 154, 156, 169, 336 Poitiers (Frankreich) 78 NeuDeutschland 132 Opel-Werk Rüsselsheim 253 Polen 75 Neue Rechte 34, 36, 84, 320 Organisierte Kriminalität (OK) 2, 3, 16, Polizeiliche Informationsund AnalyseNeumann, Marvin 97, 98, 102 stelle (PIAS) 24, 25, 26, 296 18, 21, 39, 64, 261, 262, 263, 286, Neuseeland 43, 47, 58, 76, 83, 200, 300 274, 296, 335 Postautonome 149, 150, 156, 163 Neuwied (Rheinland-Pfalz) 72 Osmanisches Reich 208, 222 Preußisches Institut s. Bismarcks Erben New Kids Antifa Kassel (NKAKS) Osnabrück (Niedersachsen) 194 Probst, Christoph (1919-1943) 332, 333 160,296, 336 Österreich 47, 60, 72, 75, 76, New York (USA) 199 79, 82, 194, 208, 209, 245, 294, 333 Nidda (Wetteraukreis) 103, 105 Outlaw Motorcycle Gangs (OMCG) Q 64, 263, 296 Qatar 303 Niederlande 250 Querdenker-Bewegung 157 Niedersachsen 88, 107, 108, 156, 193, 194, 214 Qutb, Sayyid (1906-1966) 217, 218 Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 345 REGISTER R Russische Föderation s. Russland Slushba Wneschnej Raswedki (SWR, Dienst der Außenaufklärung der RussiRahma, Abu 210 Russland 64, 65, 267, 269, 273 schen Föderation) 269, 297 Raisi, Ebrahim 270 Soleimani, Qasem (1957-2020) 235 Ramadan, Said (1926-1995) 218 S Solingen (Nordrhein-Westfalen) 195 Ranstadt (Wetteraukreis) 104 Saadet Deutschland Regionalverein HesSomalia 231, 232, 290 sen e. V. (SP Hessen) 60, 222, 223, 336 Rat der Imame und Gelehrten e. V. Somalisches Komitee Information und Be(RIG)/Rat der Imame und Gelehrten in Saadet Partisi (SP, Partei der Glückseligkeit) ratung in Darmstadt und Umgebung e. V. Deutschland (RIGD) 219, 220, 297, 336 60, 61, 222, 223, 224, 225, 226, 227, 228, (SKIB) 231, 232, 297, 337 229, 230, 336, 297 Raunheim (Kreis Groß-Gerau) 194 Sowjetunion 146, 176, 263, 295 Saarland 103, 109, 178, 243, 292, 337 Realität Islam (RI) 60, 207, 208, 209, 210, Sozialdemokratische Partei Deutschlands 211, 212, 213, 214, 215, 297, 336 Sachsen 50, 73, 75, (SPD) 179, 244, 297 103, 106, 108, 109, 114, 115, 116, REBELL 178, 336 Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend 156, 161, 166 (SDAJ) 56, 63, 158, 170, Recht und Wahrheit 50, 85, 335 Sachsen-Anhalt 71, 94, 97, 99, 300, 320 171, 175, 176, 177, 258, 259, 297, 336 Reichelsheim (Wetteraukreis) 103 Salafisten 57, 186, 187, 188, 189, Sozialistische Reichspartei (SRP) Reichsbürger und Selbstverwalter 190, 191, 192, 201, 202, 203, 204, 205, 88, 89, 107, 297 2, 5, 29, 33, 38, 40, 51, 52, 129, 130, 131, 306, 311 Spangenberg (Schwalm-Eder-Kreis) 70 132, 133, 134, 135, 136, 137, 138, 140, 141 Saracoglu, Fatih 70 Sparta 80, 81 Reichstrunkenbold 94, 335 Saudi-Arabien 201, 218, 303 Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main Reinheim (Landkreis Darmstadt-Dieburg) Schleswig-Holstein 10, 108 27, 70 172, 173 Schmorell, Alexander (1917-1943) Sterk TV/NUCE-TV 240, 250 Research & Analysis Wing (R&AW)273, 296 332, 333 Strasbourg (Frankreich) 241, 243 Revolutionäre Organisation 161 Schnellroda (Sachsen-Anhalt) 320 Streitmacht 94, 335 Rheinland-Pfalz 6, 30, 72, 97, 108, Scholl, Hans (1918-1943) 332, 333 112, 116, 121, 141, 156, 178, 233 Sturm 18 e. V. 91, 92, 93, 335 Scholl, Sophie (1921-1943) 332, 333 Riesa (Sachsen) 109 Sturmbrigade 44/Wolfsbrigade 44 93, 335 Schönborn, Meinolf 50, 85, 86 Roeder, Manfred (1929-1914) 89 Sturmrebellen 96, 335 Schubert, Klaus 329 Rohani, Hassan 270 Stuttgart (Baden-Württemberg) Schutzstaffel (SS) 89, 297 160, 166, 245 Rojava 248 Schwab, Klaus 73 Subkulturell orientierte Rechtsextremisten Ronneburg (Main-Kinzig-Kreis) 132 44, 45, 86, 94, 95, 96 Schwalm-Eder-Kreis 70, 122 Rosenberg, Alfred (1893-1946) 83 Swing 149 Schweiz 60, 74, 208, 209, 325 Rote Armee Fraktion (RAF) 55, 159, 296 Syrien 188, 193, 194, 195, 196, 197, Serxwebun (Unabhängigkeit) 240, 250 198, 199, 204, 206, 215, 218, 232, 246, Rote Hilfe Deutschlands (RHD) 179, 296 Shahid Stiftung (Märtyrer-Stiftung) 247, 248, 336, 250, 251, 266, 273 Rote Hilfe e. V. (RH) 233, 336 57, 157, 160, 172, 179, 180, 181, 296, 336 Shingal (Irak) 256 RT DE 64, 267 T Signal 124 Rumänien 305, 325 T.A.S.K. 160, 161, 169, 336 Sikhs 273 Rüsselsheim (Kreis Groß-Gerau) Taiwan 270 178, 253, 258 Skinheads, rechtsextremistische 86, 90, 94, 108 Taleban 192, 193, 201, 206, 336 Russia Today s. RT DE 346 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 REGISTER Telegram Twitter 82, 106, 152, 156, 158, 201, 213 W 47, 49, 72, 74, 75, 77, 87, 106, 124, 201 Wackersdorf (Bayern) 162 Tevgera Ciwanen Soresger (TCS, Bewegung der revolutionären Jugend) U Waisenkinderprojekt Libanon e. V. (WKP) 250,297, 337 233, 298, 337 Uiguren 208, 270 Teyrebazen Azadiya Kurdistan (TAK, FreiWe Love Muhammad 191, 204, 337 heitsfalken Kurdistans) 240, 297 Uljanow, Wladimir Iljitsch (i. e. Lenin, 1870-1924) 146 Wehrsportgruppe Hoffmann 89 Thaler, Philip 71 Ülkücü-Bewegung (Idealisten-Bewegung) Weidenthal (Rheinland-Pfalz) 112 Thälmann, Ernst (1886-1944) 177 251, 319, 331 Weilburg (Landkreis Limburg-Weilburg) Thommen, Lukas 81 Universität Kassel 245 113, 114 Threema 124 Universität Wien 209 Weiße Rose 332 Thule-Gesellschaft 83 Unvar, Ferhat 70 Weisse Wölfe Terrorcrew 93, 335 Thule-Seminar e. V. 83, 84, 335 Ustaosmanoglu, Mahmud 227 Werl, Michael 97, 99 Thüringen 109, 166 Wesertal (Landkreis Kassel) 50, 85 Thüringer Heimatschutz (THS) 90, 297 Wetteraukreis 34, 35, 45, 95, 103, V 104, 105, 109, 111 Tibet 270 Vaterländischer Hilfsdienst (VHD) Wetzlar (Lahn-Dill-Kreis) 105, 113 Tong cuc 2 (TC2) 272, 297 132, 298, 335 WhatsApp 124 Trotzki, Leo (1879-1940) 330 Vatikan 328 Wien (Österreich) 47, 75, 194, 209, 245 Trotzkisten 148 Velkov, Kaloyan 70 Wiesbaden 22, 47, 59, 62, 73, 74, Tunesien 215 Vereinigte Arabische Emirate 303 105, 114, 141, 153, 178, 179, 191, 193, Vereinigte Staaten von Amerika (United 194, 233, 254, 255 Türkei 61, 194, 195, 198, 214, 216, 222, 223, 224, 225, 226, 227, 228, 229, States of America, USA) 298 Wolves of Manhattan 199 230, 240, 243, 244, 245, 246, 247, 248, Vereinte Nationen (United Nations, UN) Worch, Christian 90, 91, 120 249, 251, 253, 254, 255, 256, 257, 258, 298 259, 266, 271, 272, 290,331, 337 World Economic Forum (WEF) 72, 73, 298 Verfassunggebende Versammlung (VV) Türkische Union Europa e. V. 226 52, 132, 298 WorldWide Resistance-Help e. V. 232, 337 Türkiye Isci Köylü Kurtulus Ordusu (TIKKO, Verwaltungsgericht Köln 48 Wulff, Thomas 90 Türkische Arbeiterund Bauernbefreiungsarmee) 255, 297 Vezarat-e ettela'at jomhuri-ye eslami-ye Wunsiedel (Bayern) 114, 115, 312 iran/Ministry of Intelligence (VAJA/MOIS) Türkiye Komünist Isci Hareketi (TKIH, TürkiWürzburg (Bayern) 199 271, 298 sche Kommunistische Arbeiterbewegung) 256, 297 Vietnam 266, 272 Türkiye Komünist Partisi/Marksist Leninist Violence Prevention Network (VPN) Y Hareketi (TKP/ML-H, Türkische Kommunis27, 33, 298 tische Partei/Marxisten-Leninisten-BeweYasin, Abu s. al-Rashta, Ata Abu (alias Abu gung) 256, 297 Voigt, Udo 103, 108 Yasin) Türkiye Komünist Partisi/Marksist-Leninist Volkmarsen (Landkreis Waldeck-FrankenYazdi, Misbah 235 - Partizan (TKP/ML, Türkische Kommunistiberg) 48, 98 Yekineyen Parastina Gel (YPG, Volksverteidische Partei/Marxisten-Leninisten) 254 Volksfront (Halk Cephesi) 253, 338 gungseinheiten) 62, 240, 241, 251, 298 Türkiye Komünist Partisi/Marksist-Leninist Volksgerichtshof 333 Yekineyen Parastina Jin (YPJ, Frauenvertei(TKP/ML, Türkische Kommunistische Pardigungseinheiten) 62, 240, 241, 251, tei/Marxisten-Leninisten) Volksrepublik China s. China 298 62, 252, 254, 255, 256, 297, 337 von der Leyen, Ursula 243 Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 347 REGISTER Yekitiya Xwendekaren Kurdistan (YXK, Verband der Studierenden aus Kurdistan) 243, 244, 245, 250, 298, 338 Yeni Demokratik Genclik (YDG, Neue demokratische Jugend) 255, 256, 298, 338 Yeni Kadin (Neue Frau) 255, 256, 338 Yeni Özgür Politika (YÖP, Neue Freie Politik) 240, 250, 298 Young Struggle 63, 154, 257, 338 YouTube 47, 51, 77, 78, 96, 107, 123, 207, 208, 209, 213 Yürüyüs (Marsch) 252, 254 Z Zentralrat der Muslime in Deutschland in Deutschland (ZMD) 221, 234, 298 Zentrum der Islamischen Kultur (ZIK) 235, 236, 298, 337 Zwickau (Sachsen) 115 348 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 GESETZ ZUR NEUAUSRICHTUNG DES LFV GESETZ ZUR NEUAUSRICHTUNG DES VERFASSUNGSSCHUTZES IN HESSEN Vom 25. Juni 2018 - veröffentlicht am 3. Juli 2018 im Gesetzund Verordnungsblatt für das Land Hessen, Nr. 13, S. 302ff. Artikel 1) Hessisches Verfassungsschutzgesetz (HVSG) PRÄAMBEL Der Verfassungsschutz dient dem Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Er ist Dienstleister der Demokratie und hält insbesondere die analytischen Kompetenzen zur Beurteilung jener Gefahren vor, die Demokratie und Menschenrechten durch extremistische Bestrebungen drohen. Er tauscht sich mit Wissenschaft und Gesellschaft aus. Hierzu gehört auch der öffentliche Diskurs. Er berücksichtigt gesellschaftliche Vielfalt und gesellschaftliche Entwicklungen. ERSTER TEIL Organisation und Aufgaben des Landesamts SS1 ORGANISATION DES LANDESAMTS (1) Das Landesamt für Verfassungsschutz (Landesamt) untersteht als obere Landesbehörde dem für den Verfassungsschutz zuständigen Ministerium. Es darf mit Polizeidienststellen organisatorisch nicht verbunden werden. (2) Verfassungsschutzbehörden anderer Länder dürfen in Hessen nur im Einvernehmen, das Bundesamt für Verfassungsschutz nur im Benehmen mit dem Landesamt tätig werden. Das Landesamt darf in anderen Ländern nur tätig werden, soweit die Rechtsvorschriften der anderen Länder dies zulassen. SS2 AUFGABEN DES LANDESAMTS (1) Das Landesamt ist zuständig für die Zusammenarbeit Hessens mit dem Bund und den anderen Ländern in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes. Aufgabe des Landesamts ist es, es den zuständigen Stellen zu ermöglichen, rechtzeitig die erforderlichen Maßnahmen zur Abwehr von Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand und die Sicherheit des Bundes und der Länder zu treffen. Das Landesamt hat auch die Aufgabe, den in Abs. 2 genannten Bestrebungen und Tätigkeiten durch Information, Aufklärung und Beratung entgegenzuwirken und vorzubeugen (Prävention). Zur Aufklärung der Öffentlichkeit erstellt das Landesamt mindestens einmal jährlich einen Bericht über Bestrebungen und Tätigkeiten nach Abs. 2 oder tatsächliche Anhaltspunkte hierfür. Der Bericht wird von dem für den Verfassungsschutz zuständigen Ministerium herausgegeben und auf der Internetseite des Landesamts für fünf Jahre bereitgestellt. (2) Aufgabe des Landesamts ist die Sammlung und Auswertung von Informationen, insbesondere von sachund personenbezogenen Auskünften, Nachrichten und Unterlagen, über 1. Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder die eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziel haben, Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 349 GESETZ ZUR NEUAUSRICHTUNG DES LFV 2. sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten im Geltungsbereich des Grundgesetzes für eine fremde Macht, 3. Bestrebungen im Geltungsbereich des Grundgesetzes, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, 4. Bestrebungen im Geltungsbereich des Grundgesetzes, die gegen den Gedanken der Völkerverständigung (Art. 9 Abs. 2 des Grundgesetzes), insbesondere gegen das friedliche Zusammenleben der Völker (Art. 26 Abs. 1 des Grundgesetzes), gerichtet sind, 5. Bestrebungen und Tätigkeiten der Organisierten Kriminalität im Geltungsbereich des Grundgesetzes. (3) Das Landesamt wirkt mit bei Sicherheitsüberprüfungen und Überprüfungen nach SS 3 Abs. 2 Satz 1 des Bundesverfassungsschutzgesetzes vom 20. Dezember 1990 (BGBl. I S. 2954, 2970), zuletzt geändert durch Gesetz vom 16. Juni 2017 (BGBl. I S. 1634). (4) Das Landesamt ist zuständig für Sicherheitsüberprüfungen nach SS 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 des Gesetzes zur Beschränkung des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses (Artikel 10-Gesetz) vom 26. Juni 2001 (BGBl. I S. 1254, 2998), zuletzt geändert durch Gesetz vom 17. August 2017 (BGBl. I S. 3202). SS3 BEGRIFFSBESTIMMUNGEN (1) Die Begriffsbestimmungen des SS 4 Abs. 1 Satz 1, 2 und 4 sowie Abs. 2 des Bundesverfassungsschutzgesetzes finden Anwendung. (2) Organisierte Kriminalität im Sinne dieses Gesetzes ist die von Gewinnoder Machtstreben bestimmte planmäßige Begehung von Straftaten, die einzeln oder in ihrer Gesamtheit von erheblicher Bedeutung für die Rechtsordnung sind, durch mehr als zwei Beteiligte, die auf längere oder unbestimmte Dauer arbeitsteilig tätig werden 1. unter Verwendung gewerblicher oder geschäftsähnlicher Strukturen, 2. unter Anwendung von Gewalt oder durch entsprechende Drohung oder 3. unter Einflussnahme auf Politik, Verwaltung, Justiz, Medien oder Wirtschaft. ZWEITER TEIL Befugnisse des Landesamts SS4 INFORMATIONSERHEBUNG (1) Das Landesamt darf die zur Erfüllung seiner Aufgaben nach SS 2 Abs. 1 und 2 erforderlichen Informationen erheben und verarbeiten. Einzelheiten zum Umgang mit den erhobenen Informationen regelt eine von dem für den Verfassungsschutz zuständigen Ministerium zu erlassende Dienstvorschrift. (2) Das Landesamt darf personenbezogene Daten aus allgemein zugänglichen Quellen erheben und verarbeiten, um zu prüfen, ob tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 2 Abs. 2 vorliegen. (3) Liegen bei der betroffenen Person tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 2 Abs. 2 vor oder wird das Landesamt nach SS 2 Abs. 3 oder 4 tätig, darf es Auskünfte bei öffentlichen Stellen oder Dritten einholen, wenn die Daten 1. nicht aus allgemein zugänglichen Quellen, 2. nur mit übermäßigem Aufwand oder 3. nur durch eine die betroffene Person stärker belastende Maßnahme erhoben werden können. Würde durch die Erhebung von Auskünften nach Satz 1 der Zweck der Maßnahme gefährdet oder die betroffene Person unverhältnismäßig beeinträchtigt, darf das Landesamt Akten und Register öffentlicher Stellen einsehen. Im Übrigen gilt SS 18. 350 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 GESETZ ZUR NEUAUSRICHTUNG DES LFV (4) Das Landesamt muss Ersuchen auf Auskunft oder Einsicht nicht begründen, soweit dies dem Schutz der betroffenen Person dient oder eine Begründung den Zweck der Maßnahme gefährden würde. Es hat die Ersuchen aktenkundig zu machen. Über die Einsichtnahme nach Abs. 3 Satz 2 hat das Landesamt einen Nachweis zu führen, aus dem der Zweck, die ersuchte Behörde und die Aktenfundstelle hervorgehen. Der Nachweis ist gesondert aufzubewahren, gegen unberechtigten Zugriff zu sichern und am Ende des Kalenderjahres, das dem Jahr seiner Erstellung folgt, zu vernichten. (5) Zur Beantwortung von Übermittlungsersuchen nach SS 20 Abs. 1 Nr. 2 darf das Landesamt personenbezogene Daten nur erheben, soweit dies zur Überprüfung der dem Landesamt bereits vorliegenden Informationen erforderlich ist. Abs. 3 bleibt unberührt. (6) Werden Daten bei der betroffenen Person oder bei Dritten außerhalb des öffentlichen Bereichs offen erhoben, so sind die Befragten auf die Freiwilligkeit ihrer Angaben hinzuweisen. Gegenüber der betroffenen Person ist der Erhebungszweck anzugeben. Die Befragten sind bei einer Sicherheitsüberprüfung nach SS 2 Abs. 3 oder 4 auf eine dienst-, arbeitsrechtliche oder sonstige vertragliche Mitwirkungspflicht hinzuweisen. (7) Ein Ersuchen des Landesamts um Übermittlung personenbezogener Daten darf nur diejenigen personenbezogenen Daten enthalten, die für die Erteilung der Auskunft unerlässlich sind. Schutzwürdige Interessen der betroffenen Person dürfen nur in unvermeidbarem Umfang beeinträchtigt werden. (8) Zur Aufgabenerfüllung nach SS 2 dürfen personenbezogene Daten von Personen, bei denen keine tatsächlichen Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie selbst Bestrebungen oder Tätigkeiten im Sinne des SS 2 Abs. 2 nachgehen (Unbeteiligte), nur erhoben, verarbeitet oder genutzt werden, wenn 1. dies für die Erforschung von Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 2 Abs. 2 vorübergehend erforderlich ist, 2. die Erforschung des Sachverhalts auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre und 3. überwiegende schutzwürdige Belange der betroffenen Personen nicht entgegenstehen. Personenbezogene Daten Unbeteiligter dürfen auch erhoben werden, wenn sie mit zur Aufgabenerfüllung erforderlichen Informationen untrennbar verbunden sind. (9) Daten, die für das Verständnis der zu speichernden Informationen nicht erforderlich sind, sind unverzüglich zu löschen. Dies gilt nicht, wenn die Löschung nicht oder nur mit unvertretbarem Aufwand möglich ist; in diesem Fall dürfen die Daten nicht verwertet werden. SS5 INFORMATIONSERHEBUNG MIT NACHRICHTENDIENSTLICHEN MITTELN (1) Das Landesamt darf Informationen mit nachrichtendienstlichen Mitteln erheben. Für personenbezogene Daten gilt dies nur, wenn 1. bei der betroffenen Person tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 2 Abs. 2 vorliegen und anzunehmen ist, dass auf diese Weise zusätzliche Erkenntnisse erlangt werden können, 2. tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass auf diese Weise die zur Erforschung von Bestrebungen und Tätigkeiten nach SS 2 Abs. 2 erforderlichen Quellen gewonnen werden können, 3. dies zum Schutz der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Einrichtungen, Gegenstände und Informationsquellen des Landesamts gegen sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten erforderlich ist oder 4. dies zur Überprüfung der Nachrichtenehrlichkeit und der Eignung von Vertrauensleuten erforderlich ist. Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 351 GESETZ ZUR NEUAUSRICHTUNG DES LFV (2) Nachrichtendienstliche Mittel sind Mittel und Methoden, die mittelbar oder unmittelbar dem von der betroffenen oder außenstehenden Person nicht erkennbaren Erheben von Daten dienen. Als nachrichtendienstliche Mittel darf das Landesamt einsetzen: 1. Überwachung des Brief-, Postund Fernmeldeverkehrs im Sinne des Art. 10 des Grundgesetzes einschließlich notwendiger Begleitmaßnahmen nach SS 6, 2. technische Mittel zur Wohnraumüberwachung nach SS 7, 3. technische Mittel zur Ortung von Mobilfunkendgeräten nach SS 9, 4. besondere Auskunftsersuchen nach SS 10 zu a) den Umständen des Postverkehrs bei Unternehmen, die geschäftsmäßig Postdienstleistungen erbringen oder daran mitwirken, b) Telekommunikationsverbindungsund Teledienstenutzungsdaten bei Unternehmen, die geschäftsmäßig Telekommunikationsdienste und Teledienste erbringen oder daran mitwirken, c) Daten bei Verkehrsunternehmen, Betreibern von Computerreservierungssystemen und globalen Distributionssystemen sowie bei Kreditinstituten, Finanzdienstleistungsinstituten und Finanzunternehmen, 5. Observation nach SS 11, 6. Verdeckte Mitarbeiterinnen, Verdeckte Mitarbeiter und Vertrauensleute nach den SSSS 12 und 13, 7. verdeckte Ermittlungen und Befragungen, 8. Tonund Bildaufzeichnungen außerhalb der Schutzbereiche der Art. 10 und 13 des Grundgesetzes mit und ohne Inanspruchnahme technischer Mittel, 9. Tarnmittel, 10. Funkbeobachtungen, 11. Beobachtung des Internets; dies beinhaltet auch die verdeckte Teilnahme an der im Internet geführten Kommunikation, insbesondere in Foren und elektronischen Kommunikationsplattformen. (3) In den Fällen des Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 3 dürfen nachrichtendienstliche Mittel nicht gezielt gegen Unbeteiligte eingesetzt werden; im Übrigen gilt SS 4 Abs. 8 Satz 2 und Abs. 9. Einzelheiten regelt das für den Verfassungsschutz zuständige Ministerium durch Dienstvorschrift, insbesondere die organisatorische Zuständigkeit für die Anordnung von Informationserhebungen mit nachrichtendienstlichen Mitteln. Die Dienstvorschrift ist der Parlamentarischen Kontrollkommission nach SS 1 des Verfassungsschutzkontrollgesetzes vom 25. Juni 2018 (GVBl. S. 302, 317) zu übersenden. (4) Gemeinden, Gemeindeverbände und die sonstigen der Aufsicht des Landes unterstehenden Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts sowie die Gerichte und Staatsanwaltschaften und das Landesamt leisten sich gegenseitig Amtsund Rechtshilfe. Dies gilt insbesondere für die technische Hilfe bei Tarnmaßnahmen. Polizeiliche Befugnisse oder Weisungsbefugnisse stehen dem Landesamt nicht zu. Das Landesamt darf auch nicht im Wege der Amtshilfe Polizeibehörden um Maßnahmen ersuchen, zu denen es selbst nicht befugt ist. (5) Zur Erfüllung von Aufgaben aufgrund eines Gesetzes nach Art. 73 Nr. 10 Buchst. b und c des Grundgesetzes stehen dem Landesamt die Befugnisse zu, die es zur Erfüllung der entsprechenden Aufgaben nach diesem Gesetz hat. SS6 ÜBERWACHUNG DES BRIEF-, POSTUND FERNMELDEVERKEHRS UND DER TELEKOMMUNIKATION Die Überwachung des Brief-, Postund Fernmeldeverkehrs im Sinne des Art. 10 des Grundgesetzes richtet sich nach dem Artikel 10-Gesetz mit den in Satz 2 bis 6 bestimmten Maßgaben und dem Hessischen Ausführungsgesetz zum Artikel 10-Gesetz vom 16. Dezember 1969 (GVBl. I S. 303), zuletzt geändert durch Gesetz vom 27. September 2012 (GVBl. I S. 290), in der jeweils geltenden Fassung. Dabei ist SS 3a Satz 12 des Artikel 10-Gesetzes mit der Maßgabe anzuwenden, dass die Dokumentation sechs Monate nach der Mitteilung oder nach der Feststellung der endgültigen Nichtmitteilung nach SS 12 Abs. 1 Satz 1 oder 5 des Artikel 10-Gesetzes zu löschen ist. Ist eine laufende Kontrolle nach SS 4 Abs. 1 Satz 2 des Hessischen Ausführungsge352 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 GESETZ ZUR NEUAUSRICHTUNG DES LFV setzes zum Artikel 10-Gesetz durch die G 10-Kommission noch nicht beendet, ist die Dokumentation bis zum Abschluss der laufenden Kontrolle aufzubewahren. SS 3b des Artikel 10-Gesetzes ist mit der Maßgabe anzuwenden, dass sich SS 3b Abs. 1 des Artikel 10-Gesetzes auch auf Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte erstreckt, die in anderen Mandatsverhältnissen als der Strafverteidigung tätig sind, auf Kammerrechtsbeistände sowie auf deren Berufshelfer nach SS 53a der Strafprozessordnung. SS 4 Abs. 1 Satz 5 des Artikel 10-Gesetzes ist mit der Maßgabe anzuwenden, dass die Protokolldaten sechs Monate nach der Mitteilung oder nach der Feststellung der endgültigen Nichtmitteilung nach SS 12 Abs. 1 Satz 1 oder 5 des Artikel 10-Gesetzes zu löschen sind. SS 4 Abs. 1 Satz 6 des Artikel 10-Gesetzes ist mit der Maßgabe anzuwenden, dass die Löschung der Daten auch unterbleibt, soweit die Daten für eine Nachprüfung der Rechtmäßigkeit der Beschränkungsmaßnahme nach SS 4 Abs. 1 Satz 2 des Hessischen Ausführungsgesetzes zum Artikel 10-Gesetz durch die G 10-Kommission von Bedeutung sein können. SS7 VERDECKTER EINSATZ TECHNISCHER MITTEL ZUR WOHNRAUMÜBERWACHUNG (1) Das Landesamt darf bei der Erhebung personenbezogener Daten in einer Wohnung verdeckt technische Mittel einsetzen, um das nichtöffentlich gesprochene Wort abzuhören und aufzuzeichnen sowie Bildaufnahmen und Bildaufzeichnungen herzustellen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen für eine konkretisierte dringende Gefahr für 1. den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes, 2. Leib, Leben oder Freiheit einer Person oder 3. solche Güter der Allgemeinheit, deren Bedrohung die Grundlagen oder den Bestand des Bundes oder eines Landes oder die Grundlagen der Existenz der Menschen berührt. (2) Die Anordnung einer Wohnraumüberwachung ist nur zulässig, wenn die Erforschung des Sachverhalts auf andere Weise aussichtlos oder wesentlich erschwert wäre. Die Maßnahme darf sich nur gegen eine Person richten, von der aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte anzunehmen ist, dass sie für die Gefahr verantwortlich ist (Zielperson), und nur in deren Wohnung durchgeführt werden. In der Wohnung einer anderen Person ist die Maßnahme nur zulässig, wenn tatsächliche Anhaltspunkte bestehen, dass sich die Zielperson dort zur Zeit der Maßnahme aufhält, sich dort für die Erforschung des Sachverhalts relevante Informationen ergeben werden und der Zweck der Maßnahme nicht allein unter Beschränkung auf die Wohnung der Zielperson zu erreichen ist. Die Maßnahme darf auch durchgeführt werden, wenn andere Personen unvermeidbar betroffen werden. (3) Im Antrag auf eine richterliche Anordnung nach SS 8 Abs. 1 sind anzugeben: 1. die Person, gegen die sich die Maßnahme richtet, soweit möglich, mit Name und Anschrift, 2. die zu überwachende Wohnung oder die zu überwachenden Wohnräume, 3. Art, Umfang und Dauer der Maßnahme, 4. der Sachverhalt sowie 5. eine Begründung. (4) Die Maßnahme ist unzulässig, soweit tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass durch sie allein Erkenntnisse gewonnen werden würden 1. aus dem Kernbereich privater Lebensgestaltung oder 2. bei einer Rechtsanwältin, einem Rechtsanwalt, einem Kammerrechtsbeistand, einer der in SS 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 2 oder 4 der Strafprozessordnung genannten Person oder einer diesen nach SS 53a Abs. 1 Satz 1 der Strafprozessordnung gleichstehenden Person, über die der Berufsgeheimnisträger das Zeugnis verweigern dürfte. Erfolgen Maßnahmen bei einem der im Übrigen in SS 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 bis 3b oder 5 der Strafprozessordnung genannten Berufsgeheimnisträger oder einer diesen Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 353 GESETZ ZUR NEUAUSRICHTUNG DES LFV nach SS 53a Abs. 1 Satz 1 der Strafprozessordnung gleichstehenden Person, sind das öffentliche Interesse an den von dem Berufsgeheimnisträger wahrgenommenen Aufgaben und das Interesse an der Geheimhaltung der diesem anvertrauten oder bekannt gewordenen Tatsachen besonders zu berücksichtigen. Satz 1 Nr. 2 und Satz 2 gelten nicht bei Maßnahmen zur Aufklärung von eigenen Bestrebungen oder Tätigkeiten der genannten zeugnisverweigerungsberechtigten Personen. (5) Ergeben sich während der Überwachung tatsächliche Anhaltspunkte im Sinne von Abs. 4 Satz 1, ist die Maßnahme unverzüglich zu unterbrechen, sobald dies ohne Gefährdung eingesetzter Personen möglich ist. Bestehen insoweit Zweifel, darf nur eine automatische Aufzeichnung fortgesetzt werden. Sind das Abhören und Beobachten nach Satz 1 unterbrochen worden, so darf die Maßnahme fortgeführt werden, wenn keine Anhaltspunkte nach Abs. 4 Satz 1 vorliegen. Erkenntnisse, die durch eine Maßnahme nach Abs. 1 erlangt worden sind, sind dem für die Anordnung zuständigen Gericht unverzüglich vorzulegen. Das Gericht entscheidet unverzüglich über die Verwertbarkeit oder Löschung. Soweit Erkenntnisse im Sinne von Abs. 4 Satz 1 durch eine Maßnahme nach Abs. 1 erlangt worden sind, dürfen sie nicht verwertet werden. Aufzeichnungen hierüber sind unverzüglich zu löschen. Die Tatsachen der Erfassung der Daten und der Löschung sind zu dokumentieren. Die Dokumentation darf ausschließlich für Zwecke der Datenschutzkontrolle verwendet werden. Die Dokumentation ist sechs Monate nach der Mitteilung oder nach Erteilung der gerichtlichen Zustimmung zur Feststellung der endgültigen Nichtmitteilung nach SS 8 Abs. 4 zu löschen. (6) Bei Gefahr im Verzug können die Erkenntnisse, die durch eine Maßnahme nach Abs. 1 erlangt worden sind, unter Aufsicht einer oder eines Bediensteten, die oder der die Befähigung zum Richteramt hat, gesichtet werden. Die oder der Bedienstete entscheidet im Benehmen mit der oder dem Datenschutzbeauftragten des Landesamts über eine vorläufige Verwertung der Erkenntnisse. Die Bediensteten sind zur Verschwiegenheit über die ihnen bekannt gewordenen Erkenntnisse, die nicht verwertet werden dürfen, verpflichtet. Die gerichtliche Entscheidung nach Abs. 5 Satz 4 und 5 ist unverzüglich nachzuholen. SS8 VERFAHREN BEI MASSNAHMEN NACH SS 7 (1) Der Einsatz technischer Mittel nach SS 7 bedarf einer richterlichen Anordnung. Die Anordnung ergeht schriftlich. Bei Gefahr im Verzug kann die Behördenleitung oder ihre Vertretung die Anordnung treffen; eine richterliche Entscheidung ist unverzüglich nachzuholen. Die Anordnung ist auf höchstens einen Monat zu befristen. Verlängerungen um jeweils nicht mehr als einen weiteren Monat sind zulässig, soweit die Voraussetzungen der Anordnung fortbestehen. (2) Das Landesamt prüft unverzüglich und sodann in Abständen von höchstens sechs Monaten, ob die erhobenen personenbezogenen Daten für seine Aufgaben nach SS 2 Abs. 1 und 2 erforderlich sind. Soweit die Daten für diese Zwecke nicht erforderlich sind und nicht für eine Übermittlung an andere Stellen benötigt werden, sind sie unverzüglich unter Aufsicht einer oder eines Bediensteten, die oder der die Befähigung zum Richteramt hat, zu löschen. Die Löschung ist zu protokollieren. Die Protokolldaten dürfen ausschließlich zur Durchführung der Datenschutzkontrolle verwendet werden. Die Protokolldaten sind sechs Monate nach der Mitteilung oder nach Erteilung der gerichtlichen Zustimmung zur Feststellung der endgültigen Nichtmitteilung nach Abs. 4 zu löschen. Die Löschung der Daten unterbleibt, soweit die Daten für eine Mitteilung nach Abs. 4 oder für eine gerichtliche Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Maßnahme von Bedeutung sein können. In diesem Fall sind die Daten in der Verarbeitung einzuschränken; sie dürfen nur zu diesen Zwecken verwendet werden. (3) Die verbleibenden Daten sind zu kennzeichnen. Die Behördenleitung oder ihre Stellvertretung kann anordnen, dass bei der Übermittlung auf die Kennzeichnung verzichtet wird, wenn dies unerlässlich ist, um die Geheimhaltung einer Maßnahme nicht zu gefährden, und das für die Anordnung zuständige Gericht zugestimmt hat. 354 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 GESETZ ZUR NEUAUSRICHTUNG DES LFV Bei Gefahr im Verzug kann die Anordnung bereits vor der Zustimmung getroffen werden. Wird die Zustimmung versagt, ist die Kennzeichnung durch den Übermittlungsempfänger unverzüglich nachzuholen; die übermittelnde Behörde hat ihn hiervon zu unterrichten. Nach einer Übermittlung ist die Kennzeichnung durch den Empfänger aufrechtzuerhalten. (4) Eine Maßnahme nach SS 7 ist der betroffenen Person nach ihrer Einstellung mitzuteilen. Die Mitteilung unterbleibt, solange eine Gefährdung des Zwecks der Beschränkung nicht ausgeschlossen werden kann oder solange der Eintritt übergreifender Nachteile für das Wohl des Bundes oder eines Landes absehbar ist. Erfolgt die nach Satz 2 zurückgestellte Mitteilung nicht binnen zwölf Monaten nach Beendigung der Maßnahme, bedarf die weitere Zurückstellung der Zustimmung des für die Anordnung zuständigen Gerichts. Das Gericht bestimmt die Dauer der weiteren Zurückstellung. Einer Mitteilung bedarf es nicht, wenn das Gericht festgestellt hat, dass 1. eine der Voraussetzungen in Satz 2 auch nach fünf Jahren nach Beendigung der Maßnahme noch vorliegt, 2. sie mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch in Zukunft vorliegt und 3. die Voraussetzungen für eine Löschung sowohl beim Landesamt als auch beim Empfänger vorliegen. Eine Mitteilung kann auch auf Dauer unterbleiben, wenn überwiegende Interessen einer betroffenen Person entgegenstehen oder wenn die Identität oder der Aufenthaltsort einer betroffenen Person nur mit unverhältnismäßigem Aufwand zu ermitteln ist. Die Mitteilung obliegt dem Landesamt. Wurden personenbezogene Daten übermittelt, erfolgt die Mitteilung im Benehmen mit dem Empfänger. (5) Die aus der Anordnung sich ergebenden Maßnahmen sind unter Verantwortung des Landesamts und unter Aufsicht einer oder eines Bediensteten vorzunehmen, die oder der die Befähigung zum Richteramt hat. Die Maßnahmen sind unverzüglich zu beenden, wenn sie nicht mehr erforderlich sind oder die Voraussetzungen der Anordnung nicht mehr vorliegen. Die Beendigung ist dem für die Anordnung zuständigen Gericht anzuzeigen. (6) Personenbezogene Daten aus Maßnahmen nach SS 7 dürfen nur verwendet werden 1. zur Abwehr einer drohenden Gefahr im Sinne von SS 7 Abs. 1, 2. wenn tatsächliche Anhaltspunkte für die dringende Gefahr der Begehung von besonders schweren Straftaten im Sinne von SS 100b Abs. 2 der Strafprozessordnung vorliegen oder 3. zur Verfolgung von Straftaten, zu deren Aufklärung eine solche Maßnahme nach den entsprechenden Befugnissen der Strafprozessordnung angeordnet werden könnte. Personenbezogene Daten aus Maßnahmen nach SS 7, die durch Herstellung von Bildaufnahmen oder Bildaufzeichnungen erlangt wurden, dürfen nicht zu Strafverfolgungszwecken weiterverarbeitet werden. (7) Dient der Einsatz technischer Mittel nach SS 7 ausschließlich dem Schutz der für den Verfassungsschutz bei einem Einsatz in Wohnungen tätigen Personen, erfolgt die Anordnung abweichend von Abs. 1 durch die Behördenleitung oder ihre Vertretung. Eine anderweitige Verwendung der hierbei erlangten Erkenntnisse ist nur zulässig, wenn zuvor richterlich festgestellt wurde, dass die Maßnahme rechtmäßig ist und die Voraussetzungen des SS 7 Abs. 1 vorliegen; Abs. 1 Satz 3 gilt entsprechend. Im Übrigen sind die Daten unverzüglich zu löschen. (8) Zuständig für die richterlichen Entscheidungen ist das Amtsgericht am Sitz des Landesamts; über Beschwerden entscheidet das in SS 120 Abs. 4 Satz 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes bezeichnete Gericht. Für das Verfahren gelten die Vorschriften des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit vom 17. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2586, 2587), zuletzt geändert durch Gesetz vom 20. Juli 2017 (BGBl. I S. 2780), in der jeweils geltenden Fassung entsprechend; die Rechtsbeschwerde ist ausgeschlossen. Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 355 GESETZ ZUR NEUAUSRICHTUNG DES LFV SS9 ORTUNG VON MOBILFUNKENDGERÄTEN (1) Das Landesamt darf technische Mittel zur Ermittlung des Standorts eines aktiv geschalteten Mobilfunkendgeräts oder zur Ermittlung der Geräteoder Kartennummer einsetzen, soweit tatsächliche Anhaltspunkte für eine schwerwiegende Gefahr für die von SS 2 umfassten Schutzgüter vorliegen. (2) SS 3 Abs. 2 Satz 1 und 2 und die SSSS 9 und 10 Abs. 1 bis 3 des Artikel 10-Gesetzes gelten entsprechend. SS10 BESONDERE AUSKUNFTSERSUCHEN (1) Das Landesamt darf im Einzelfall, soweit dies zur Erfüllung seiner Aufgaben nach SS 2 erforderlich ist, bei denjenigen, die geschäftsmäßig Postdienstleistungen erbringen oder Telemedien anbieten oder daran mitwirken, Auskünfte über Daten, die für die Begründung, inhaltliche Ausgestaltung, Änderung oder Beendigung eines Vertragsverhältnisses über Postdienstleistungen oder Telemedien gespeichert worden sind, einholen. (2) Das Landesamt darf im Einzelfall zur Erfüllung seiner Aufgaben nach SS 2, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen und Tätigkeiten nach SS 2 Abs. 2 vorliegen, bei 1. Verkehrsunternehmen sowie Betreibern von Computerreservierungssystemen und Globalen Distributionssystemen für Flüge zu Namen und Anschriften von Kunden sowie zu Inanspruchnahme und Umständen von Transportleistungen, insbesondere zum Zeitpunkt von Abfertigung und Abflug und zum Buchungsweg, 2. Kreditinstituten, Finanzdienstleistungsinstituten und Finanzunternehmen zu Konten, Konteninhabern und sonstigen Berechtigten sowie weiteren am Zahlungsverkehr Beteiligten und über Geldbewegungen und Geldanlagen, insbesondere über Kontostand und Zahlungseinund -ausgänge, einholen. Im Fall des SS 2 Abs. 2 Nr. 1 gilt dies nur für Bestrebungen, die bezwecken oder aufgrund ihrer Wirkungsweise geeignet sind, 1. zu Hassoder Willkürmaßnahmen gegen Teile der Bevölkerung aufzustacheln oder deren Menschenwürde durch Beschimpfen, böswilliges Verächtlichmachen oder Verleumden anzugreifen und dadurch die Bereitschaft zur Anwendung von Gewalt zu fördern und den öffentlichen Frieden zu stören oder 2. Gewalt anzuwenden oder vorzubereiten, einschließlich des Befürwortens, Hervorrufens oder Unterstützens von Gewaltanwendung, auch durch Unterstützen von Vereinigungen, die Anschläge gegen Personen oder Sachen veranlassen, befürworten oder androhen. (3) Das Landesamt darf im Einzelfall, soweit dies zur Erfüllung seiner Aufgaben nach SS 2 erforderlich ist, von denjenigen, die geschäftsmäßig Telekommunikationsdienste erbringen oder daran mitwirken, Auskünfte über die nach den SSSS 95 und 111 des Telekommunikationsgesetzes vom 22. Juni 2004 (BGBl. I S. 1190), zuletzt geändert durch Gesetz vom 30. Oktober 2017 (BGBl. I S. 3618), in der jeweils geltenden Fassung erhobenen Daten verlangen (SS 113 Abs. 1 Satz 1 des Telekommunikationsgesetzes). Dies gilt auch für Daten, mittels derer der Zugriff auf Endgeräte oder auf Speichereinrichtungen, die in diesen Endgeräten oder hiervon räumlich getrennt eingesetzt werden, geschützt wird (SS 113 Abs. 1 Satz 2 des Telekommunikationsgesetzes). Die Auskunft darf auch anhand einer zu einem bestimmten Zeitpunkt zugewiesenen Internetprotokoll-Adresse verlangt werden (SS 113 Abs. 1 Satz 3 des Telekommunikationsgesetzes). Die Auskunft darf nur verlangt werden, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen für das Nutzen der Daten vorliegen. (4) Das Landesamt darf im Einzelfall zur Erfüllung seiner Aufgaben nach SS 2 unter den Voraussetzungen des SS 3 Abs. 1 des Artikel 10-Gesetzes bei Personen und Unternehmen, die geschäftsmäßig 1. Postdienstleistungen erbringen oder daran mitwirken, Auskünfte zu Namen, Anschriften und Postfächern und sonstigen Umständen des Postverkehrs, 2. Telekommunikationsdienste erbringen oder daran mitwirken, Auskünfte zu Verkehrsdaten nach SS 96 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 5 des Telekommunikationsgesetzes 356 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 GESETZ ZUR NEUAUSRICHTUNG DES LFV 3. Telemedien anbieten oder daran mitwirken, Auskünfte über a) Merkmale zur Identifikation des Nutzers von Telemedien, b) Beginn und Ende sowie über den Umfang der jeweiligen Nutzung und c) die vom Nutzer in Anspruch genommenen Telemedien einholen. (5) Auskünfte nach Abs. 3, soweit Daten nach SS 113 Abs. 1 Satz 2 und 3 des Telekommunikationsgesetzes betroffen sind, und Auskünfte nach Abs. 4 dürfen nur auf Anordnung des für den Verfassungsschutz zuständigen Ministeriums eingeholt werden. Die Anordnung ist durch die Behördenleitung schriftlich zu beantragen. Der Antrag ist zu begründen. Das Ministerium unterrichtet unverzüglich die G 10-Kommission nach SS 2 Abs. 1 des Hessischen Ausführungsgesetzes zum Artikel 10-Gesetz über die Anordnung vor deren Vollzug und holt deren Zustimmung ein. Bei Gefahr im Verzug kann das Ministerium den Vollzug der Anordnung auch bereits vor Unterrichtung der G 10-Kommission anordnen. Die G 10-Kommission prüft von Amts wegen oder aufgrund von Beschwerden die Zulässigkeit und Notwendigkeit der Einholung von Auskünften. SS 15 Abs. 5 des Artikel 10-Gesetzes ist entsprechend anzuwenden. Anordnungen, welche die G 10-Kommission für unzulässig erklärt, hat das Ministerium unverzüglich aufzuheben. (6) Bei Maßnahmen nach Abs. 2 bis 4 ist SS 4 des Artikel 10-Gesetzes mit der Maßgabe nach SS 6 Satz 5 und 6 dieses Gesetzes anzuwenden, die SSSS 9, 10, 11 Abs. 1 und 2, SS 12 Abs. 1 und 3, SS 17 Abs. 3 des Artikel 10-Gesetzes sowie SS 2 des Hessischen Ausführungsgesetzes zum Artikel 10-Gesetz sind entsprechend anzuwenden. Abweichend von SS 10 Abs. 3 des Artikel 10-Gesetzes genügt eine räumlich und zeitlich hinreichende Bezeichnung der Telekommunikation, sofern anderenfalls die Erreichung des Zwecks der Maßnahme aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre. Soweit dem Verpflichteten keine Entschädigung nach besonderen Bestimmungen zusteht, findet SS 20 des Artikel 10-Gesetzes entsprechende Anwendung. Im Übrigen hat der Verpflichtete die Auskunft unentgeltlich zu erteilen. (7) Die zur Erteilung der Auskunft erforderlichen Daten müssen unverzüglich, vollständig und richtig übermittelt werden. Das Auskunftsersuchen und die übermittelten Daten dürfen der betroffenen Person oder Dritten vom Verpflichteten nicht mitgeteilt werden. (8) Auf Auskünfte nach Abs. 4 Nr. 2 sind die Vorgaben des SS 8b Abs. 8 Satz 4 und 5 des Bundesverfassungsschutzgesetzes anzuwenden. Für die Erteilung von Auskünften nach Abs. 1, 2 und 4 Nr. 3 gilt die Nachrichtendienste-Übermittlungsverordnung vom 11. Oktober 2012 (BGBl. I S. 2117), zuletzt geändert durch Gesetz vom 23. Dezember 2016 (BGBl. I S. 3346), in der jeweils geltenden Fassung. (9) Dem Verpflichteten ist es verboten, allein aufgrund eines Auskunftsersuchens einseitige Handlungen vorzunehmen, die für die betroffene Person nachteilig sind und die über die Erteilung der Auskunft hinausgehen, insbesondere bestehende Verträge oder Geschäftsverbindungen zu beenden, ihren Umfang zu beschränken oder ein Entgelt zu erheben oder zu erhöhen. Die Anordnung ist mit dem ausdrücklichen Hinweis auf dieses Verbot und darauf zu verbinden, dass das Auskunftsersuchen nicht die Aussage beinhaltet, dass sich die betroffene Person rechtswidrig verhalten hat oder ein darauf gerichteter Verdacht bestehen müsse. SS11 OBSERVATION (1) Das Landesamt darf zur Aufklärung von Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 2 Abs. 2 außerhalb der Schutzbereiche der Art. 10 und 13 des Grundgesetzes Personen verdeckt mit oder ohne Inanspruchnahme technischer Mittel planmäßig observieren, insbesondere das nichtöffentlich gesprochene Wort mithören, abhören und aufzeichnen sowie Bildaufnahmen und Bildaufzeichnungen anfertigen. (2) Die Maßnahme ist im Einzelfall länger als 48 Stunden oder an mehr als drei Tagen innerhalb einer Woche (langfristige Observation) nur zur Aufklärung von Bestrebungen oder Tätigkeiten mit erheblicher Bedeutung zulässig, insbesondere, Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 357 GESETZ ZUR NEUAUSRICHTUNG DES LFV wenn sie darauf gerichtet sind, Gewalt anzuwenden oder Gewaltanwendung vorzubereiten. (3) Die Maßnahme darf sich nur gegen Personen richten, bei denen tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass sie 1. an den Bestrebungen oder Tätigkeiten beteiligt sind, oder 2. im Zusammenhang mit einer Person nach Nr. 1 stehen und durch die Maßnahme Erkenntnisse, die nicht gleichermaßen nach Nr. 1 zu gewinnen sind, über die Bestrebungen oder Tätigkeiten gewonnen werden können. Die Maßnahme darf auch durchgeführt werden, wenn andere Personen unvermeidbar betroffen werden. (4) Über die Anordnung einer langfristigen Observation nach Abs. 2 entscheidet die Behördenleitung oder ihre Vertretung. Die Anordnung ergeht schriftlich. Bei Gefahr im Verzug kann die zuständige Abteilungsleitung oder deren Vertretung die Anordnung treffen; die Entscheidung nach Satz 1 ist unverzüglich nachzuholen. Die Anordnung ist auf höchstens drei Monate zu befristen. Verlängerungen um jeweils nicht mehr als drei weitere Monate sind zulässig, soweit die Voraussetzungen der Anordnung fortbestehen. (5) In der Anordnung einer langfristigen Observation nach Abs. 2 sind anzugeben: 1. die Person, gegen die sich die Maßnahme richtet, soweit möglich, mit Name und Anschrift, 2. Art, Umfang und Dauer der Maßnahme sowie 3. die wesentlichen Gründe. (6) Die Maßnahme ist unzulässig, soweit tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass durch sie allein Erkenntnisse gewonnen werden würden 1. aus dem Kernbereich privater Lebensgestaltung oder 2. bei einer Rechtsanwältin, einem Rechtsanwalt, einem Kammerrechtsbeistand, einer der in SS 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 2 oder 4 der Strafprozessordnung genannten Person oder einer diesen nach SS 53a Abs. 1 Satz 1 der Strafprozessordnung gleichstehenden Person, über die der Berufsgeheimnisträger das Zeugnis verweigern dürfte. Erfolgen Maßnahmen bei einem der im Übrigen in SS 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 bis 3b oder 5 der Strafprozessordnung genannten Berufsgeheimnisträger oder einer diesen nach SS 53a Abs. 1 Satz 1 der Strafprozessordnung gleichstehenden Person, sind das öffentliche Interesse an den von dem Berufsgeheimnisträger wahrgenommenen Aufgaben und das Interesse an der Geheimhaltung der diesem anvertrauten oder bekannt gewordenen Tatsachen besonders zu berücksichtigen. Satz 1 Nr. 2 und Satz 2 gelten nicht bei Maßnahmen zur Aufklärung von eigenen Bestrebungen oder Tätigkeiten der genannten zeugnisverweigerungsberechtigten Personen. (7) Ergeben sich während der Maßnahme tatsächliche Anhaltspunkte im Sinne von Abs. 6 Satz 1, ist die Maßnahme unverzüglich zu unterbrechen, sobald dies ohne Gefährdung eingesetzter Personen möglich ist. Bestehen insoweit Zweifel, darf nur eine automatische Aufzeichnung fortgesetzt werden. Sind das Abhören und Beobachten nach Satz 1 unterbrochen worden, so darf die Maßnahme fortgeführt werden, wenn keine Anhaltspunkte nach Abs. 6 Satz 1 vorliegen. Automatische Aufzeichnungen nach Satz 2 sind dem Amtsgericht am Sitz des Landesamts unverzüglich vorzulegen. Das Gericht entscheidet unverzüglich über die Verwertbarkeit oder Löschung; SS 8 Abs. 8 Satz 2 gilt entsprechend. Soweit Erkenntnisse im Sinne von Abs. 6 Satz 1 durch die Maßnahme erlangt worden sind, dürfen sie nicht verwertet werden. Aufzeichnungen hierüber sind unverzüglich zu löschen. Die Tatsachen der Erfassung der Daten und der Löschung sind zu dokumentieren. Die Dokumentation darf ausschließlich für Zwecke der Datenschutzkontrolle verwendet werden. Die Dokumentation ist sechs Monate nach der Mitteilung oder nach Zustimmung der Behördenleitung zur endgültigen Nichtmitteilung nach Abs. 9 zu löschen. (8) Bei Gefahr im Verzug können Aufzeichnungen nach Abs. 7 Satz 2 unter Aufsicht einer oder eines Bediensteten, die oder der die Befähigung zum Richteramt hat, gesichtet werden. Die oder der Bedienstete entscheidet im Benehmen mit der oder dem 358 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 GESETZ ZUR NEUAUSRICHTUNG DES LFV Datenschutzbeauftragten des Landesamts über eine vorläufige Verwertung der Erkenntnisse. Die Bediensteten sind zur Verschwiegenheit über die ihnen bekannt gewordenen Erkenntnisse, die nicht verwertet werden dürfen, verpflichtet. Die gerichtliche Entscheidung nach Abs. 7 Satz 4 und 5 ist unverzüglich nachzuholen. (9) Dauert eine langfristige Observation nach Abs. 2 durchgehend länger als eine Woche oder findet sie an mehr als 14 Tagen innerhalb eines Monats statt, ist die Maßnahme der betroffenen Person nach ihrer Einstellung mitzuteilen. Die Mitteilung unterbleibt, solange eine Gefährdung des Zwecks der Beschränkung nicht ausgeschlossen werden kann oder solange der Eintritt übergreifender Nachteile für das Wohl des Bundes oder eines Landes absehbar ist. Erfolgt die nach Satz 2 zurückgestellte Mitteilung nicht binnen zwölf Monaten nach Beendigung der Maßnahme, bedarf die weitere Zurückstellung der Zustimmung der Behördenleitung. Die Behördenleitung bestimmt die Dauer der weiteren Zurückstellung. Einer Mitteilung bedarf es nicht, wenn 1. eine der Voraussetzungen in Satz 2 auch nach fünf Jahren nach Beendigung der Maßnahme noch vorliegt, 2. sie mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch in Zukunft vorliegt und 3. die Voraussetzungen für eine Löschung vorliegen. Eine Mitteilung kann auch auf Dauer unterbleiben, wenn überwiegende Interessen einer betroffenen Person entgegenstehen oder wenn die Identität oder der Aufenthaltsort einer betroffenen Person nur mit unverhältnismäßigem Aufwand zu ermitteln ist. Die Mitteilung obliegt dem Landesamt. SS12 VERDECKTE MITARBEITERINNEN UND VERDECKTE MITARBEITER (1) Das Landesamt darf eigene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unter einer ihnen verliehenen und auf Dauer angelegten Legende (Verdeckte Mitarbeiterinnen und Verdeckte Mitarbeiter) einsetzen. (2) Verdeckte Mitarbeiterinnen und Verdeckte Mitarbeiter dürfen weder zur Gründung von Bestrebungen nach SS 2 Abs. 2 noch zur steuernden Einflussnahme auf derartige Bestrebungen eingesetzt werden. Sie dürfen in Personenzusammenschlüssen oder für diese tätig werden, auch wenn dadurch ein Straftatbestand verwirklicht wird. Im Übrigen dürfen Verdeckte Mitarbeiterinnen und Verdeckte Mitarbeiter im Einsatz bei der Beteiligung an Bestrebungen solche Handlungen vornehmen, die 1. nicht in Individualrechte eingreifen, 2. von den an den Bestrebungen Beteiligten derart erwartet werden, dass sie zur Gewinnung und Sicherung der Informationszugänge unumgänglich sind, und 3. nicht außer Verhältnis zur Bedeutung des aufzuklärenden Sachverhalts stehen. Sofern zureichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass eine Verdeckte Mitarbeiterin oder ein Verdeckter Mitarbeiter rechtswidrig einen Straftatbestand von erheblicher Bedeutung verwirklicht hat, wird ihr oder sein Einsatz unverzüglich beendet und die Strafverfolgungsbehörde unterrichtet. Über Ausnahmen von Satz 4 entscheidet die Behördenleitung oder ihre Vertretung. (3) Bei Einsätzen zur Erfüllung der Aufgabe nach SS 2 Abs. 2 Nr. 5 gilt SS 9a Abs. 3 des Bundesverfassungsschutzgesetzes entsprechend. (4) Für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die verdeckt Informationen in sozialen Netzwerken und sonstigen Kommunikationsplattformen im Internet erheben, gelten Abs. 2 und 3 sowie SS 9a Abs. 3 des Bundesverfassungsschutzgesetzes entsprechend, auch wenn sie nicht unter einer auf Dauer angelegten Legende tätig werden. SS13 VERTRAUENSLEUTE (1) Für den Einsatz von Privatpersonen, deren planmäßige, dauerhafte Zusammenarbeit mit dem Landesamt Dritten nicht bekannt ist (Vertrauensleute), gilt SS 12 Abs. 1 bis 3 entsprechend. Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 359 GESETZ ZUR NEUAUSRICHTUNG DES LFV (2) Über die Verpflichtung von Vertrauensleuten entscheidet die Behördenleitung oder ihre Vertretung. Vertrauensleute müssen nach ihren persönlichen und charakterlichen Voraussetzungen für die Zusammenarbeit mit dem Verfassungsschutz geeignet sein. Diese Eignung ist fortlaufend durch das Landesamt zu überprüfen. Als Vertrauensleute dürfen Personen nicht angeworben und eingesetzt werden, die 1. nicht voll geschäftsfähig, insbesondere minderjährig sind, 2. von den Geldoder Sachzuwendungen für die Tätigkeit auf Dauer als alleinige Lebensgrundlage abhängen würden, 3. an einem Aussteigerprogramm teilnehmen, 4. Mitglied des Europäischen Parlaments, des Deutschen Bundestages, eines Landesparlaments oder Mitarbeiterin oder Mitarbeiter eines solchen Mitglieds sind oder 5. im Bundeszentralregister mit einer Verurteilung wegen eines Verbrechens oder zu einer Freiheitsstrafe, deren Vollstreckung nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist, eingetragen sind. Die Behördenleitung oder ihre Vertretung kann eine Ausnahme von Satz 4 Nr. 5 zulassen, wenn die Verurteilung nicht als Täter eines Totschlags (SSSS 212, 213 des Strafgesetzbuchs) oder einer allein mit lebenslanger Haft bedrohten Straftat erfolgt ist und der Einsatz zur Aufklärung von Bestrebungen unerlässlich ist, die auf die Begehung von in SS 3 Abs. 1 des Artikel 10-Gesetzes oder SS 100b Abs. 2 der Strafprozessordnung bezeichneten Straftaten gerichtet sind. Im Falle einer Ausnahme nach Satz 5 ist der Einsatz nach höchstens sechs Monaten zu beenden, wenn er zur Erforschung der in Satz 5 genannten Bestrebungen nicht zureichend gewichtig beigetragen hat. Auch im Weiteren ist die Qualität der gelieferten Informationen fortlaufend zu bewerten. SS14 SCHRANKEN NACHRICHTENDIENSTLICHER MITTEL (1) Von mehreren möglichen und geeigneten Maßnahmen hat das Landesamt diejenige zu treffen, die den Einzelnen und die Allgemeinheit am wenigsten beeinträchtigt. (2) Eine Maßnahme darf nicht zu einem Nachteil führen, der zu dem erstrebten Erfolg erkennbar außer Verhältnis steht. (3) Eine Maßnahme ist nur zulässig, bis ihr Zweck erreicht ist oder sich zeigt, dass er nicht erreicht werden kann. (4) Eine Maßnahme ist unzulässig, soweit tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass durch sie allein Erkenntnisse gewonnen werden würden 1. aus dem Kernbereich privater Lebensgestaltung oder 2. bei einer Rechtsanwältin, einem Rechtsanwalt, einem Kammerrechtsbeistand, einer der in SS 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 2 oder 4 der Strafprozessordnung genannten Person oder einer diesen nach SS 53a Abs. 1 Satz 1 der Strafprozessordnung gleichstehenden Person, über die der Berufsgeheimnisträger das Zeugnis verweigern dürfte. Erfolgen Maßnahmen bei einem der im Übrigen in SS 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 bis 3b oder 5 der Strafprozessordnung genannten Berufsgeheimnisträger oder einer diesen nach SS 53a Abs. 1 Satz 1 der Strafprozessordnung gleichstehenden Person, sind das öffentliche Interesse an den von dem Berufsgeheimnisträger wahrgenommenen Aufgaben und das Interesse an der Geheimhaltung der diesem anvertrauten oder bekannt gewordenen Tatsachen besonders zu berücksichtigen. Satz 1 Nr. 2 und Satz 2 gelten nicht bei Maßnahmen zur Aufklärung von eigenen Bestrebungen oder Tätigkeiten der genannten zeugnisverweigerungsberechtigten Personen. (5) Ergeben sich während einer Maßnahme tatsächliche Anhaltspunkte im Sinne von Abs. 4 Satz 1, ist die Maßnahme unverzüglich zu unterbrechen, sobald dies ohne Gefährdung oder Enttarnung eingesetzter Personen möglich ist. Die Maßnahme darf fortgeführt werden, wenn keine Anhaltspunkte nach Abs. 4 Satz 1 mehr vorliegen. Soweit Erkenntnisse im Sinne von Abs. 4 Satz 1 durch eine Maßnahme erlangt worden sind, dürfen sie nicht verwertet werden. Aufzeichnungen hierüber sind unverzüglich zu löschen. Die Tatsachen der Erfassung der Daten und der Löschung sind zu doku360 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 GESETZ ZUR NEUAUSRICHTUNG DES LFV mentieren. Die Dokumentation darf ausschließlich für Zwecke der Datenschutzkontrolle verwendet werden. Die Dokumentation ist am Ende des Kalenderjahres, das der Protokollierung folgt, zu löschen. DRITTER TEIL Verarbeitung personenbezogener Daten SS15 GELTUNG DATENSCHUTZRECHTLICHER VORSCHRIFTEN Bei der Erfüllung der Aufgaben nach SS 2 durch das Landesamt findet das Hessische Datenschutzund Informationsfreiheitsgesetz vom 3. Mai 2018 (GVBl. S. 82) in der jeweils geltenden Fassung wie folgt Anwendung: 1. SS 1 Abs. 8, die SSSS 4, 14 Abs. 1 und 3, SS 19 sowie der Zweite Teil finden keine Anwendung, 2. die SSSS 41, 46 Abs. 1 bis 4 und die SSSS 47 bis 49, 57, 59, 78 und 79 sind entsprechend anzuwenden. SS16 SPEICHERUNG, BERICHTIGUNG, LÖSCHUNG UND VERARBEITUNGSEINSCHRÄNKUNG (1) Das Landesamt darf zur Erfüllung seiner Aufgaben personenbezogene Daten in Dateien speichern, verändern und nutzen, wenn 1. tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 2 Abs. 2 vorliegen, 2. dies für die Erforschung und Bewertung von Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 2 Abs. 2 erforderlich ist oder 3. das Landesamt nach SS 2 Abs. 3 tätig wird. Unterlagen, die nach Satz 1 gespeicherte Angaben belegen, dürfen auch gespeichert werden, wenn in ihnen weitere personenbezogene Daten Dritter enthalten sind. Eine Abfrage von Daten Dritter ist unzulässig. (2) Umfang und Dauer der Speicherung personenbezogener Daten sind auf das für die Aufgabenerfüllung des Landesamts erforderliche Maß zu beschränken. (3) Das Landesamt darf Daten über eine minderjährige Person unter 14 Jahren in Dateien und zu ihrer Person geführten Akten nur speichern, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sie eine der in SS 3 Abs. 1 und 1a des Artikel 10-Gesetzes genannten Straftaten plant, begeht oder begangen hat. (4) In Dateien oder zu ihrer Person geführten Akten gespeicherte Daten über eine minderjährige Person sind nach zwei Jahren auf die Erforderlichkeit der Speicherung zu überprüfen und spätestens nach fünf Jahren zu löschen, es sei denn, dass nach Eintritt der Volljährigkeit weitere Erkenntnisse angefallen sind, die eine Fortdauer der Speicherung rechtfertigen. Nicht erforderliche Daten sind zu löschen. (5) Personenbezogene Daten, die erhoben worden sind, um zu prüfen, ob Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 2 Abs. 2 vorliegen, dürfen in Dateien erst gespeichert werden, wenn sich tatsächliche Anhaltspunkte für derartige Bestrebungen oder Tätigkeiten ergeben haben. Bis zu diesem Zeitpunkt dürfen auch keine zur Person geführten Akten angelegt werden. (6) Unrichtige personenbezogene Daten sind zu berichtigen. Wird bei personenbezogenen Daten in Akten festgestellt, dass sie unrichtig sind, oder wird ihre Richtigkeit von der betroffenen Person bestritten, so ist dies zu vermerken oder auf sonstige Weise festzuhalten. (7) Das Landesamt prüft bei der Einzelfallbearbeitung und im Übrigen nach von ihm festgesetzten angemessenen Fristen, spätestens jedoch nach fünf Jahren, ob Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 361 GESETZ ZUR NEUAUSRICHTUNG DES LFV gespeicherte personenbezogene Daten zur Aufgabenerfüllung noch erforderlich sind. Gespeicherte personenbezogene Daten über Bestrebungen nach SS 2 Abs. 2 Nr. 1 und 3 bis 5 sind spätestens 15 Jahre nach dem Zeitpunkt der letzten gespeicherten relevanten Information zu löschen, es sei denn, die Behördenleitung trifft im Einzelfall ausnahmsweise eine andere Entscheidung. Enthalten Sachakten oder Akten zu anderen Personen personenbezogene Daten, die nach Satz 2 zu löschen sind, dürfen sie nicht mehr verwendet werden. Soweit Daten automatisiert verarbeitet oder Akten automatisiert erschlossen werden, ist auf den Ablauf der Fristen nach Satz 1 und 2 hinzuweisen. Nicht erforderliche Daten sind zu löschen. (8) Personenbezogene Daten sind nicht zu löschen, sondern nur in der Verarbeitung einzuschränken, wenn 1. Grund zu der Annahme besteht, dass schutzwürdige Belange der betroffenen Person beeinträchtigt würden, 2. die Daten zur Behebung einer bestehenden Beweisnot unerlässlich sind oder 3. die Verwendung der Daten zu wissenschaftlichen Zwecken erforderlich ist. In den Fällen des Satz 1 Nr. 3 sind die Daten zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu anonymisieren. (9) Die Verpflichtung nach SS 8 Abs. 1 und 2 des Hessischen Archivgesetzes vom 26. November 2012 (GVBl. S. 458), geändert durch Gesetz vom 5. Oktober 2017 (GVBl. S. 294), in der jeweils geltenden Fassung bleibt unberührt. (10) Zum Zweck der gegenseitigen Information über den Einsatz von Vertrauenspersonen darf das Landesamt zusammen mit den Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der anderen Länder eine Übersicht als gemeinsame Datei führen. Die Übersicht kann Angaben über wesentliche Eigenschaften der Vertrauenspersonen und deren Einsatzbereiche enthalten. Das Landesamt und das Hessische Landeskriminalamt koordinieren den jeweiligen Einsatz von Vertrauenspersonen; Näheres regeln gemeinsame Richtlinien. SS17 ZWECKBINDUNG (1) Das Landesamt darf personenbezogene Daten nur zum Zweck der Aufgabenerfüllung des Verfassungsschutzes im Sinne des SS 2 übermitteln. Zu anderen Zwecken dürfen personenbezogene Daten nur nach Maßgabe der SSSS 20 bis 23 übermittelt werden. (2) Personenbezogene Daten dürfen auch zur Ausübung von Aufsichtsund Kontrollbefugnissen übermittelt und in dem dafür erforderlichen Umfang verwendet werden. SS18 INFORMATIONSÜBERMITTLUNG DURCH ÖFFENTLICHE STELLEN AN DAS LANDESAMT (1) Die Behörden, Gerichte hinsichtlich der dort geführten Register, sonstigen öffentlichen Stellen des Landes Hessen sowie die Gemeinden, Gemeindeverbände und sonstigen der Aufsicht des Landes Hessen unterstehenden juristischen Personen des öffentlichen Rechts haben dem Landesamt die ihnen bei Erfüllung ihrer Aufgaben bekanntgewordenen Informationen einschließlich personenbezogener Daten auch ohne vorheriges Ersuchen des Landesamts zu übermitteln, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Informationen für die Erfüllung der Aufgaben des Landesamts erforderlich sein können. SS 18 Abs. 1a und 1b des Bundesverfassungsschutzgesetzes bleibt unberührt. Die Übermittlung kann auch durch Einsichtnahme des Landesamts in Akten und Dateien der jeweiligen öffentlichen Stelle erfolgen, soweit die Übermittlung in sonstiger Weise den Zweck der Maßnahme gefährden oder einen übermäßigen Aufwand erfordern würde. Über die Einsichtnahme in amtlich geführte Dateien führt das Landesamt einen Nachweis, aus dem der Zweck und die eingesehene Datei hervorgehen; die Nachweise sind gesondert aufzubewahren, gegen unberechtigten Zugriff zu sichern und am Ende des Kalenderjahres, das dem Jahr 362 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 GESETZ ZUR NEUAUSRICHTUNG DES LFV ihrer Erstellung folgt, zu löschen. Unter den Voraussetzungen von Satz 1 übermitteln die Staatsanwaltschaften außerdem Anklageschriften und Urteile. (2) Das Landesamt überprüft die übermittelten Informationen nach ihrem Eingang unverzüglich darauf, ob sie für die Erfüllung seiner Aufgaben erforderlich sind. Ergibt die Prüfung, dass die Informationen nicht erforderlich sind, werden sie unverzüglich gelöscht. Die Löschung kann unterbleiben, wenn die Trennung von anderen Informationen, die zur Erfüllung der Aufgaben erforderlich sind, nicht oder nur mit unvertretbarem Aufwand erfolgen kann; in diesem Fall dürfen die nicht erforderlichen Informationen nicht verwendet werden. (3) Die Übermittlung personenbezogener Daten nach Abs. 1, die aufgrund einer Maßnahme nach SS 100a der Strafprozessordnung bekannt geworden sind, ist nur zulässig, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass jemand eine der in SS 3 Abs. 1 und 1a des Artikel 10-Gesetzes genannten Straftaten plant, begeht oder begangen hat. Auf die dem Landesamt nach Satz 1 übermittelten Kenntnisse und Unterlagen findet SS 4 Abs. 1 und 4 bis 6 des Artikel 10-Gesetzes entsprechende Anwendung. (4) Die in Abs. 1 genannten Stellen sind zur Übermittlung verpflichtet, wenn im Einzelfall ein Ersuchen des Landesamts nach SS 4 Abs. 3 vorliegt. Hält die ersuchte Stelle das Verlangen nach Auskunft oder Einsichtnahme nach SS 4 Abs. 3 nicht für rechtmäßig, so teilt sie dies dem Landesamt mit. 3Besteht dieses auf dem Verlangen nach Auskunft oder Einsichtnahme, so entscheidet die für die ersuchte Stelle zuständige oberste Aufsichtsbehörde, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist. SS19 INFORMATIONSÜBERMITTLUNG DURCH DAS LANDESAMT AN ÜBERGEORDNETE BEHÖRDEN (1) Das Landesamt unterrichtet die Ministerien und die Staatskanzlei über Bestrebungen und Tätigkeiten nach SS 2 Abs. 2 oder tatsächliche Anhaltspunkte hierfür, die für deren Zuständigkeitsbereich von Bedeutung sind. Dabei dürfen auch personenbezogene Daten übermittelt werden. (2) Das für den Verfassungsschutz zuständige Ministerium und das Landesamt dürfen personenbezogene Daten zum Zweck der Aufklärung der Öffentlichkeit über Bestrebungen und Tätigkeiten nach SS 2 Abs. 2 oder tatsächliche Anhaltspunkte hierfür öffentlich bekanntgeben, wenn die Bekanntgabe für das Verständnis des Zusammenhangs oder der Darstellung von Organisationen erforderlich ist und das Allgemeininteresse das schutzwürdige Interesse der betroffenen Person überwiegt. SS20 INFORMATIONSÜBERMITTLUNG DURCH DAS LANDESAMT INNERHALB DES ÖFFENTLICHEN BEREICHS (1) Das Landesamt darf Informationen einschließlich personenbezogener Daten, auch wenn sie mit nachrichtendienstlichen Mitteln erhoben wurden, an inländische öffentliche Stellen übermitteln, wenn der Empfänger die Informationen benötigt 1. zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder sonst für Zwecke der öffentlichen Sicherheit oder der Strafverfolgung, soweit die Übermittlung nicht nach Abs. 2 beschränkt ist, oder 2. zur Erfüllung anderer ihm zugewiesener Aufgaben, sofern er dabei auch zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung beizutragen oder Gesichtspunkte der öffentlichen Sicherheit oder auswärtige Belange zu würdigen hat, insbesondere bei a) der Sicherheitsüberprüfung von Personen, denen im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftige Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse anvertraut werden, die Zugang dazu erhalten sollen oder ihn sich verschaffen können, b) der Sicherheitsüberprüfung von Personen, die an sicherheitsempfindlichen Stellen von lebensoder verteidigungswichtigen Einrichtungen beschäftigt sind oder beschäftigt werden sollen, Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 363 GESETZ ZUR NEUAUSRICHTUNG DES LFV c) der Überprüfung der Verfassungstreue von Personen, die sich um Einstellung in den öffentlichen Dienst bewerben, mit deren Einwilligung, d) der sicherheitsbehördlichen Überprüfung von Einbürgerungsbewerberinnen und Einbürgerungsbewerbern, e) der sicherheitsbehördlichen Überprüfung von Ausländerinnen und Ausländern im Rahmen der Bestimmungen des Ausländerrechts, f ) der Überprüfung der Zuverlässigkeit von Personen nach dem Luftsicherheits-, Atom-, Waffen-, Jagdund Sprengstoffrecht, g) der Überprüfung der Zuverlässigkeit von Personen nach den bewachungsund gewerberechtlichen Vorschriften, insbesondere aa) der Zulassung von Personen für den zugangsgeschützten Sicherheitsbereich von Veranstaltungen, bb) von an der Hessischen Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge und ihren Außenstellen beschäftigtem Sicherheitspersonal, cc) von an kommunalen Flüchtlingsunterkünften eingesetztem Wachpersonal, h) der Überprüfung der Zuverlässigkeit von an der Hessischen Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge und ihren Außenstellen beschäftigten Dolmetscherinnen und Dolmetschern, i) der anlassbezogenen Überprüfung der Zuverlässigkeit von Personen und Organisationen, mit denen die Landesregierung zusammenarbeitet aa) in begründeten Einzelfällen, bb) anlässlich der erstmaligen Förderung von Organisationen mit Landesmitteln, sofern diese in Arbeitsbereichen zur Bekämpfung von verfassungsfeindlichen Bestrebungen tätig werden sollen, mit deren Einwilligung und der Möglichkeit zur Stellungnahme, j) der Zuverlässigkeitsüberprüfung von anstaltsfremden Personen nach den hessischen Vollzugsgesetzen, soweit im Einzelfall erforderlich, k) Ordensverfahren zur Verleihung des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland - mit Ausnahme der Verdienstmedaille - und des Hessischen Verdienstordens, l) sonstigen Zuverlässigkeitsüberprüfungen und Überprüfungen von Personen, soweit dies gesetzlich vorgesehen ist, m) im besonderen öffentlichen Interesse liegenden sonstigen Überprüfungen von Personen mit deren Einwilligung. (2) Informationen, die mit nachrichtendienstlichen Mitteln erhoben wurden, dürfen an die Staatsanwaltschaften, die Finanzbehörden nach SS 386 Abs. 1 der Abgabenordnung, die Polizeien, die mit der Steuerfahndung betrauten Dienststellen der Landesfinanzbehörden, die Behörden des Zollfahndungsdienstes sowie andere Zolldienststellen, soweit diese Aufgaben nach dem Gesetz über die Bundespolizei vom 19. Oktober 1994 (BGBl. I S. 2978, 2979), zuletzt geändert durch Gesetz vom 5. Mai 2017 (BGBl. I S. 1066) wahrnehmen, nur übermittelt werden 1. zur Abwehr einer im Einzelfall bestehenden Gefahr für den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder für Leib, Leben, Gesundheit oder Freiheit einer Person oder für solche Güter der Allgemeinheit, deren Bedrohung die Grundlagen oder den Bestand des Bundes oder eines Landes oder die Grundlagen der Existenz der Menschen berührt, 2. wenn tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, dass der Empfänger die Informationen zur Verhinderung, sonstigen Verhütung oder Verfolgung von Straftaten von erheblicher Bedeutung benötigt oder 3. wenn der Empfänger die Informationen auch mit eigenen Befugnissen in gleicher Weise hätte erheben können. Unter Straftaten von erheblicher Bedeutung nach Satz 1 Nr. 2 fallen Verbrechen im Sinne des SS 12 Abs. 1 des Strafgesetzbuchs und schwerwiegende Vergehen im Sinne des SS 12 Abs. 2 des Strafgesetzbuchs, wenn die Straftat im Einzelfall mindestens dem Bereich der mittleren Kriminalität zuzurechnen ist, sie den Rechtsfrieden empfindlich stört und dazu geeignet ist, das Gefühl der Rechtssicherheit der Bevölkerung erheblich zu beeinträchtigten. Unter den Voraussetzungen des SS 20 Abs. 1 Satz 1 und 2 sowie Abs. 2 Satz 1 des Bundesverfassungsschutzgesetzes ist das Landesamt zur Übermittlung verpflichtet. 364 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 GESETZ ZUR NEUAUSRICHTUNG DES LFV (3) Soweit Informationen übermittelt werden, die mit Maßnahmen nach SS 7 gewonnen wurden, gilt SS 8 Abs. 1 entsprechend. Der Empfänger darf die Informationen nur zu dem Zweck verwenden, zu dem sie ihm übermittelt worden sind. Der Empfänger ist auf die Verwendungsbeschränkung hinzuweisen. (4) Zur Übermittlung nach den Abs. 1 und 2 ist auch das für den Verfassungsschutz zuständige Ministerium befugt; Abs. 3 gilt entsprechend. SS21 INFORMATIONSÜBERMITTLUNG DURCH DAS LANDESAMT AN STATIONIERUNGSSTREITKRÄFTE UND AN AUSLÄNDISCHE ÖFFENTLICHE STELLEN (1) Das Landesamt darf Informationen einschließlich personenbezogener Daten, auch wenn sie mit nachrichtendienstlichen Mitteln erhoben wurden, an Dienststellen der Stationierungsstreitkräfte übermitteln, soweit die Bundesrepublik Deutschland dazu im Rahmen des Art. 3 des Zusatzabkommens zu dem Abkommen zwischen den Parteien des Nordatlantikvertrages über die Rechtsstellung ihrer Truppen hinsichtlich der in der Bundesrepublik Deutschland stationierten ausländischen Truppen vom 3. August 1959 (BGBl. 1961 II S. 1183, 1218) in der jeweils geltenden Fassung verpflichtet ist. (2) Das Landesamt darf Informationen im Sinne des Abs. 1 auch übermitteln an ausländische öffentliche Stellen sowie an überund zwischenstaatliche Stellen, wenn die Übermittlung zur Wahrung erheblicher Sicherheitsinteressen des Empfängers erforderlich ist, es sei denn, auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland stehen der Übermittlung entgegen. (3) Die Übermittlung hat zu unterbleiben, wenn im Einzelfall ein datenschutzrechtlich angemessener und die elementaren Menschenrechte wahrender Umgang mit den Daten beim Empfänger nicht hinreichend gesichert ist. (4) Soweit Informationen übermittelt werden, die mit Maßnahmen nach SS 7 gewonnen wurden, gilt SS 8 Abs. 1 entsprechend. Der Empfänger darf die Informationen nur zu dem Zweck verwenden, zu dem sie ihm übermittelt worden sind. Der Empfänger ist auf die Verwendungsbeschränkung und darauf hinzuweisen, dass das Landesamt sich vorbehält, Auskunft über die Verwendung der Daten zu verlangen. (5) Zur Übermittlung nach Abs. 1 und 2 ist auch das für den Verfassungsschutz zuständige Ministerium befugt; Abs. 3 und 4 gelten entsprechend. SS22 INFORMATIONSÜBERMITTLUNG DURCH DAS LANDESAMT AN STELLEN AUSSERHALB DES ÖFFENT LICHEN BEREICHS (1) Das Landesamt darf personenbezogene Daten an Personen oder Stellen außerhalb des öffentlichen Bereichs nicht übermitteln, es sei denn, dass dies zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, des Bestandes oder der Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder zur Gewährleistung der Sicherheit von lebensoder verteidigungswichtigen Einrichtungen nach SS 20 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b erforderlich ist und das für den Verfassungsschutz zuständige Ministerium im Einzelfall seine Zustimmung erteilt hat. Das Landesamt führt über die Auskunft nach Satz 1 einen Nachweis, aus dem der Zweck der Übermittlung, die Fundstelle und der Empfänger hervorgehen; die Nachweise sind gesondert aufzubewahren, gegen unberechtigten Zugriff zu sichern und am Ende des Kalenderjahres, das dem Jahr seiner Erstellung folgt, zu vernichten. Der Empfänger darf die übermittelten personenbezogenen Daten nur für den Zweck verwenden, zu dem sie ihm übermittelt wurden. Der Empfänger ist auf die Verwendungsbeschränkung und darauf hinzuweisen, dass das Landesamt sich vorbehält, Auskunft über die Verwendung der Daten zu verlangen. Satz 1 bis 4 finden keine Anwendung, wenn personenbezogene Daten zum Zwecke von Datenerhebungen nach SS 4 übermittelt werden. Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 365 GESETZ ZUR NEUAUSRICHTUNG DES LFV (2) Soweit Informationen übermittelt werden, die mit Maßnahmen nach SS 7 gewonnen wurden, gilt SS 8 Abs. 1 entsprechend. Der Empfänger darf die Informationen nur zu dem Zweck verwenden, zu dem sie ihm übermittelt worden sind. Der Empfänger ist auf die Verwendungsbeschränkung und darauf hinzuweisen, dass das Landesamt sich vorbehält, Auskunft über die Verwendung der Daten zu verlangen. (3) Zur Übermittlung nach Abs. 1 ist auch das für den Verfassungsschutz zuständige Ministerium befugt; Abs. 2 gilt entsprechend. SS23 ÜBERMITTLUNGSVERBOTE (1) Die Übermittlung von Informationen nach diesem Teil unterbleibt, wenn 1. erkennbar ist, dass unter Berücksichtigung der Art der Informationen und ihrer Erhebung die schutzwürdigen Interessen der betroffenen Person das Interesse der Allgemeinheit oder des Empfängers an der Übermittlung überwiegen, 2. überwiegende Sicherheitsinteressen, insbesondere Gründe des Quellenschutzes oder des Schutzes operativer Maßnahmen, dies erfordern oder 3. besondere gesetzliche Regelungen entgegenstehen; die Verpflichtung zur Wahrung gesetzlicher Geheimhaltungspflichten oder von Berufsoder besonderen Amtsgeheimnissen, die nicht auf gesetzlichen Vorschriften beruhen, bleibt unberührt. (2) Ein Überwiegen im Sinne von Abs. 1 Nr. 1 und 2 liegt nicht vor, soweit die Übermittlung von Informationen erforderlich ist zur 1. Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr für den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder für Leib, Leben oder Freiheit einer Person oder für solche Güter der Allgemeinheit, deren Bedrohung die Grundlagen oder den Bestand des Bundes oder eines Landes oder die Grundlagen der Existenz der Menschen berührt, oder 2. Verfolgung einer besonders schweren Straftat im Sinne von SS 100b Abs. 2 der Strafprozessordnung, es sei denn, dass durch die Übermittlung eine unmittelbare Gefährdung von Leib oder Leben einer Person zu besorgen ist und diese Gefährdung nicht abgewendet werden kann. Die Entscheidung trifft in den Fällen von Satz 1 die Behördenleitung oder ihre Vertretung, die unverzüglich das für den Verfassungsschutz zuständige Ministerium unterrichtet. Das für den Verfassungsschutz zuständige Ministerium unterrichtet die Parlamentarische Kontrollkommission. SS24 MINDERJÄHRIGENSCHUTZ (1) Personenbezogene Daten minderjähriger Personen dürfen nach den Vorschriften dieses Gesetzes übermittelt werden, solange die Voraussetzungen ihrer Speicherung nach SS 16 Abs. 3 erfüllt sind. Liegen diese Voraussetzungen nicht mehr vor, bleibt eine Übermittlung nur zulässig, wenn sie zur Abwehr einer erheblichen Gefahr oder zur Verfolgung einer der in SS 100a der Strafprozessordnung genannten Straftaten erforderlich ist. (2) Personenbezogene Daten minderjähriger Personen dürfen nach den Vorschriften dieses Gesetzes nicht an ausländische oder überoder zwischenstaatliche Stellen übermittelt werden. SS25 NACHBERICHTSPFLICHT Erweisen sich personenbezogene Daten nach ihrer Übermittlung nach den Vorschriften dieses Gesetzes als unvollständig oder unrichtig, sind sie unverzüglich gegenüber dem Empfänger zu berichtigen, wenn dies zu einer anderen Bewertung der Daten führen könnte oder zur Wahrung schutzwürdiger Interessen der betroffenen Person erforderlich ist. 366 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 GESETZ ZUR NEUAUSRICHTUNG DES LFV SS26 AUSKUNFT (1) Das Landesamt erteilt der betroffenen Person über zu ihrer oder seiner Person gespeicherte Daten auf Antrag unentgeltlich Auskunft, soweit die betroffene Person hierzu auf einen konkreten Sachverhalt hinweist und ein besonderes Interesse an einer Auskunft darlegt. Legt die betroffene Person nach Aufforderung ein besonderes Interesse nicht dar, entscheidet das Landesamt nach pflichtgemäßem Ermessen. Die Auskunft erstreckt sich nicht auf 1. die Herkunft der Daten und die Empfänger von Übermittlungen und 2. Daten, die nicht strukturiert in automatisierten Dateien gespeichert sind, es sei denn, die betroffene Person macht Angaben, die das Auffinden der Daten ermöglichen, und der für die Erteilung der Auskunft erforderliche Aufwand steht nicht außer Verhältnis zu dem von der betroffenen Person dargelegten Auskunftsinteresse. Das Landesamt bestimmt das Verfahren, insbesondere die Form der Auskunftserteilung, nach pflichtgemäßem Ermessen. (2) Die Auskunftserteilung unterbleibt, soweit durch sie 1. eine Gefährdung der Erfüllung der Aufgaben zu besorgen ist, 2. Nachrichtenzugänge gefährdet sein können oder die Ausforschung des Erkenntnisstandes oder der Arbeitsweise des Landesamts zu befürchten ist, 3. die öffentliche Sicherheit gefährdet oder sonst dem Wohl des Bundes oder eines Landes ein Nachteil bereitet würde oder 4. Daten oder die Tatsache ihrer Speicherung preisgegeben werden, die nach einer Rechtsvorschrift oder ihrem Wesen nach, insbesondere wegen der überwiegenden berechtigten Interessen eines Dritten, geheim gehalten werden müssen. Die Entscheidung trifft die Behördenleitung oder eine von ihr besonders beauftragte Mitarbeiterin oder ein von ihr besonders beauftragter Mitarbeiter. (3) Die Ablehnung der Auskunftserteilung bedarf keiner Begründung. Sie enthält einen Hinweis auf die Rechtsgrundlage für das Fehlen der Begründung und darauf, dass sich die betroffene Person an die Hessische Datenschutzbeauftragte oder den Hessischen Datenschutzbeauftragten wenden kann. Mitteilungen der oder des Hessischen Datenschutzbeauftragten an die betroffene Person dürfen ohne Zustimmung des Landesamts keine Rückschlüsse auf den Kenntnisstand des Landesamts zulassen. SS27 DATEIANORDNUNGEN (1) Für den erstmaligen Einsatz einer automatisierten Datei nach SS 16 trifft das Landesamt in einer Dateianordnung, die der Zustimmung des für den Verfassungsschutz zuständigen Ministeriums bedarf, die in SS 14 Abs. 1 Satz 1 des Bundesverfassungsschutzgesetzes genannten Festlegungen. Die oder der Hessische Datenschutzbeauftragte ist vor Erlass einer Dateianordnung anzuhören. Das Gleiche gilt für wesentliche Änderungen von Dateianordnungen. Das Landesamt führt ein Verzeichnis der geltenden Dateianordnungen. (2) Das Landesamt hat in angemessenen Abständen die Notwendigkeit der Weiterführung oder Änderung der Dateien zu überprüfen. (3) Ist im Hinblick auf die Dringlichkeit der Aufgabenerfüllung die vorherige Mitwirkung der in Abs. 1 genannten Stellen nicht möglich, so kann das Landesamt eine Sofortanordnung treffen. Das Verfahren nach Abs. 1 ist unverzüglich nachzuholen. Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 367 GESETZ ZUR NEUAUSRICHTUNG DES LFV VIERTER TEIL Schlussvorschriften SS28 EINSCHRÄNKUNG VON GRUNDRECHTEN Aufgrund dieses Gesetzes können die Grundrechte auf Versammlungsfreiheit (Art. 8 Abs. 1 des Grundgesetzes, Art. 14 Abs. 1 der Verfassung des Landes Hessen), Brief-, Postund Fernmeldegeheimnis (Art. 10 Abs. 1 des Grundgesetzes, Art. 12 der Verfassung des Landes Hessen) und Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 Abs. 1 des Grundgesetzes, Art. 8 der Verfassung des Landes Hessen) eingeschränkt werden. SS29 AUFHEBUNG BISHERIGEN RECHTS Das Gesetz über das Landesamt für Verfassungsschutz vom 19. Dezember 1990 (GVBl. I S. 753)2), zuletzt geändert durch Gesetz vom 3. Mai 2018 (GVBl. S. 82), wird mit Ausnahme der SSSS 20 bis 22 aufgehoben; die SSSS 20 bis 22 werden mit Ablauf des 17. Januar 2019 aufgehoben. SS30 INKRAFTTRETEN Dieses Gesetz tritt am Tag nach der Verkündung in Kraft. Artikel 2) Gesetz zur parlamentarischen Kontrolle des Verfassungsschutzes in Hessen (Verfassungsschutzkontrollgesetz) SS1 PARLAMENTARISCHE KONTROLLE (1) Die Landesregierung unterliegt hinsichtlich der Tätigkeit des Landesamts für Verfassungsschutz der parlamentarischen Kontrolle. Sie wird von der Parlamentarischen Kontrollkommission ausgeübt. (2) Der Landtag wählt zu Beginn jeder Wahlperiode die Mitglieder der Parlamentarischen Kontrollkommission aus seiner Mitte. (3) Er bestimmt die Zahl der Mitglieder, die Zusammensetzung und die Arbeitsweise der Parlamentarischen Kontrollkommission. (4) Gewählt ist, wer die Stimmen der Mehrheit der Mitglieder des Landtags auf sich vereint. (5) Scheidet ein Mitglied aus dem Landtag oder seiner Fraktion aus oder wird es Mitglied der Landesregierung, so verliert es seine Mitgliedschaft in der Parlamentarischen Kontrollkommission. Für dieses Mitglied ist unverzüglich ein neues Mitglied zu wählen; das Gleiche gilt, wenn ein Mitglied aus der Parlamentarischen Kontrollkommission ausscheidet. (6) Die Parlamentarische Kontrollkommission wählt eine Vorsitzende oder einen Vorsitzenden aus ihrer Mitte und gibt sich eine Geschäftsordnung. Sie oder er wird durch eine bei der Präsidentin oder dem Präsidenten des Landtags eingerichtete Geschäftsstelle unterstützt. (7) Im Übrigen bleiben die Rechte des Landtags unberührt. 368 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 GESETZ ZUR NEUAUSRICHTUNG DES LFV SS2 GEHEIMHALTUNG, PROTOKOLLIERUNG, VERWENDUNG VON MOBILEN GERÄTEN (1) Die Beratungen der Parlamentarischen Kontrollkommission sind geheim; das Sicherstellen der Geheimhaltung obliegt jedem Mitglied der Parlamentarischen Kontrollkommission. Hierauf weist die oder der Vorsitzende vor Beginn jeder Sitzung hin. Die Mitglieder sind zur Geheimhaltung der Angelegenheiten verpflichtet, die ihnen bei ihrer Tätigkeit in der Parlamentarischen Kontrollkommission bekannt geworden sind. Dies gilt auch für die Zeit nach ihrem Ausscheiden. (2) Die Sitzungen werden durch die Kanzlei des Landtags protokolliert. Zum Zwecke der Protokollierung werden die Sitzungen aufgezeichnet. Die Aufzeichnung ist spätestens zwei Wochen nach Fertigstellung des Protokolls zu löschen. Die Vorschriften der Verschlusssachenanweisung bleiben unberührt. Die oder der Vorsitzende leitet das Protokoll nach Fertigstellung der von der Präsidentin oder dem Präsidenten des Landtags bestimmten Stelle zur Registrierung und Verwaltung zu. Je eine Ausfertigung des Protokolls wird beim Landesamt für Verfassungsschutz sowie bei der Präsidentin oder dem Präsidenten des Landtags als Verschlusssache archiviert. (3) Den Mitgliedern ist gestattet, sich für die Beratungen während der Sitzungen handschriftliche Notizen anzufertigen. Aus Gründen des Geheimschutzes stellt die oder der Vorsitzende im Anschluss an jede Sitzung die Einziehung und Vernichtung der handschriftlichen Notizen mit Sitzungsbezug sicher, soweit von der Erstellerin oder dem Ersteller der Notizen eine Verwahrung durch die Landtagsverwaltung nicht gewünscht wird. Wird Verwahrung gewünscht, übergibt das Mitglied der oder dem Vorsitzenden die Unterlagen in einem verschlossenen Umschlag. Die von der Präsidentin oder dem Präsidenten des Landtags bestimmte Stelle zur Registrierung und Verwaltung von Verschlusssachen verwahrt die handschriftlichen Notizen mit dem Protokoll der Sitzung. Jedem Mitglied ist auf Verlangen Einsicht in seine Notizen zu gewähren. (4) Der Gebrauch von Mobiltelefonen, tragbaren elektronischen Datenverarbeitungsgeräten oder sonstigen Geräten zur Aufzeichnung von Bildund Tondaten während der Sitzung ist nicht gestattet. Die oder der Vorsitzende stellt vor Beginn der Sitzung sicher, dass keine der in Satz 1 genannten Geräte eingesetzt werden können. PFLICHT DER LANDESREGIERUNG ZUR UNTERRICHTUNG (1) Das für den Verfassungsschutz zuständige Ministerium unterrichtet die Parlamentarische Kontrollkommission umfassend über die allgemeine Tätigkeit des Landesamts für Verfassungsschutz und über Vorgänge von besonderer Bedeutung, insbesondere SS3 über wesentliche Änderungen im Lagebild der inneren Sicherheit, behördeninterne Vorgänge mit erheblichen Auswirkungen auf die Aufgabenerfüllung und Einzelvorkommnisse, die Gegenstand politischer Diskussionen oder öffentlicher Berichterstattung sind. Das für den Verfassungsschutz zuständige Ministerium berichtet zu einem konkreten Thema aus dem Aufgabenbereich des Landesamts für Verfassungsschutz, sofern die Parlamentarische Kontrollkommission dies wünscht. (2) Zeit, Art und Umfang der Unterrichtung der Parlamentarischen Kontrollkommission werden unter Beachtung des notwendigen Schutzes der Quellen durch die politische Verantwortung der Landesregierung bestimmt. (3) Das für den Verfassungsschutz zuständige Ministerium unterrichtet die Parlamentarische Kontrollkommission 1. im Abstand von höchstens sechs Monaten über Auskunftsersuchen nach SS 10 des Hessischen Verfassungsschutzgesetzes vom 25. Juni 2018 (GVBl. S. 302), insbesondere durch einen Überblick über Anlass, Umfang, Dauer, Ergebnis und Kosten der im Berichtszeitraum durchgeführten Maßnahmen, 2. in jährlichem Abstand durch einen Lagebericht zu a) Maßnahmen nach den SSSS 7, 9 und 11 des Hessischen Verfassungsschutzgesetzes und Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 369 GESETZ ZUR NEUAUSRICHTUNG DES LFV b) dem Einsatz von Verdeckten Mitarbeiterinnen und Verdeckten Mitarbeitern sowie Vertrauensleuten nach den SSSS 12 und 13 des Hessischen Verfassungsschutzgesetzes, 3. über die Dienstvorschrift des Landesamts für Verfassungsschutz für die Zusammenarbeit mit und insbesondere die Führung von Verdeckten Mitarbeiterinnen und Verdeckten Mitarbeitern sowie Vertrauensleuten nach den SSSS 12 und 13 des Hessischen Verfassungsschutzgesetzes. (4) Das für den Verfassungsschutz zuständige Ministerium erstattet dem Parlamentarischen Kontrollgremium des Bundes im Abstand von höchstens sechs Monaten einen Bericht nach SS 8b Abs. 10 Satz 1 des Bundesverfassungsschutzgesetzes vom 20. Dezember 1990 (BGBl. I S. 2954, 2970), zuletzt geändert durch Gesetz vom 16. Juni 2017 (BGBl. I S. 1634), über die Durchführung von Maßnahmen nach SS 10 Abs. 4 Nr. 2 und 3 des Hessischen Verfassungsschutzgesetzes; dabei ist insbesondere ein Überblick über Anlass, Umfang, Dauer, Ergebnis und Kosten der im Berichtszeitraum durchgeführten Maßnahmen zu geben. (5) Das für den Verfassungsschutz zuständige Ministerium unterrichtet die Parlamentarische Kontrollkommission über den Vollzug des Wirtschaftsplans im Haushaltsjahr. SS4 BEFUGNISSE DER PARLAMENTARISCHEN KONTROLLKOMMISSION (1) Jedes Mitglied der Parlamentarischen Kontrollkommission kann die Einberufung einer Sitzung und die Unterrichtung der Parlamentarischen Kontrollkommission verlangen. Diese hat Anspruch auf entsprechende Unterrichtung durch die Landesregierung. (2) Jedem Mitglied der Parlamentarischen Kontrollkommission ist Akteneinsicht zu gewähren. Die Akteneinsicht erstreckt sich auch auf vom Landesamt für Verfassungsschutz amtlich verwahrte Schriftstücke sowie die Einsicht in Daten des Landesamts für Verfassungsschutz. Soweit im Rahmen der Akteneinsicht erforderlich, ist den Mitgliedern der Parlamentarischen Kontrollkommission Zutritt zu den Dienststellen des Landesamts für Verfassungsschutz zu gewähren. (3) Die Parlamentarische Kontrollkommission kann im Einzelfall zur Wahrnehmung ihrer Kontrollaufgaben mit der Mehrheit von zwei Dritteln ihrer Mitglieder nach Anhörung der Landesregierung beschließen, eine sachverständige Person mit der Durchführung von Untersuchungen zu beauftragen. Die sachverständige Person hat der Parlamentarischen Kontrollkommission über das Ergebnis der Untersuchungen zu berichten. Die Landesregierung ist der sachverständigen Person gegenüber in gleicher Weise zur Auskunft und Mitwirkung verpflichtet wie der Parlamentarischen Kontrollkommission. Insbesondere ist der sachverständigen Person auf Verlangen Akteneinsicht zu gewähren. SS 2 Abs. 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend für die sachverständige Person. (4) Die Parlamentarische Kontrollkommission kann der oder dem Hessischen Datenschutzbeauftragten Gelegenheit zur Stellungnahme in Fragen des Datenschutzes geben. (5) Der Haushaltsplan des Landesamts für Verfassungsschutz wird der Parlamentarischen Kontrollkommission zur Mitberatung überwiesen. SS5 UNTERSTÜTZUNG DER MITGLIEDER DER PARLAMENTARISCHEN KONTROLLKOMMISSION (1) Die Mitglieder der Parlamentarischen Kontrollkommission haben das Recht, zur Unterstützung ihrer Arbeit je eine Mitarbeiterin oder einen Mitarbeiter ihrer Fraktion nach Anhörung der Landesregierung mit Zustimmung der Parlamentarischen Kontrollkommission zu benennen. Voraussetzung für diese Tätigkeit sind die Ermächtigung zum Umgang mit Verschlusssachen und die förmliche Verpflichtung zur Geheimhaltung. 370 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 GESETZ ZUR NEUAUSRICHTUNG DES LFV (2) Die benannten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind befugt, die Beratungsgegenstände der Parlamentarischen Kontrollkommission mit den Mitgliedern der Parlamentarischen Kontrollkommission zu erörtern. Sie haben grundsätzlich keinen Zutritt zu den Sitzungen der Parlamentarischen Kontrollkommission. Die Parlamentarische Kontrollkommission kann im Einzelfall mit der Mehrheit von zwei Dritteln ihrer Mitglieder beschließen, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Fraktionen an bestimmten Sitzungen teilnehmen können. (3) Die Mitglieder der Parlamentarischen Kontrollkommission haben auch das Recht, die Beratungsgegenstände der Parlamentarischen Kontrollkommission mit der Parlamentarischen Geschäftsführerin oder dem Parlamentarischen Geschäftsführer ihrer Fraktion zu erörtern. Für diese gilt SS 2 Abs. 1 entsprechend. SS6 BERICHTERSTATTUNG Die Parlamentarische Kontrollkommission erstattet dem Landtag mindestens in der Mitte und am Ende jeder Wahlperiode einen Bericht über ihre Kontrolltätigkeit. Dabei nimmt sie insbesondere dazu Stellung, ob die Landesregierung ihrer Unterrichtungspflicht zu Vorgängen von besonderer Bedeutung nachgekommen ist. Die Parlamentarische Kontrollkommission erstattet dem Landtag jährlich einen Bericht über die Durchführung sowie Art, Umfang und Anordnungsgründe der Auskunftsersuchen und Maßnahmen nach den SSSS 7, 9, 10 und 11 Abs. 2 des Hessischen Verfassungsschutzgesetzes; dabei sind die Grundsätze des SS 2 Abs. 1 zu beachten. SS7 INKRAFTTRETEN Dieses Gesetz tritt am 18. Januar 2019 in Kraft. Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 - 371 IMPRESSUM Herausgeber Hessisches Ministerium des Innern und für Sport Friedrich-Ebert-Allee 12 65185 Wiesbaden Redaktionsschluss: August 2022 Gestaltungskonzept & Artwork Nina Faber de.sign, Wiesbaden Bildnachweise S. 5: (c) HMdIS | S. 9 +13: (c) Landesamt für Verfassungsschutz Hessen, Wiesbaden | S. 39: (c) picture alliance/Arne Dedert, (c) picture alliance/Andreas Arnold, (c) picture alliance/Markus Scholz, (c) picture alliance/Arne Dedert, (c) picture alliance/Andrea DiCenzo, (c) picture alliance/Boris Roessler | S. 67: (c) picture alliance/Markus Scholz | S. 129: (c) picture alliance/Patrick Seege | S. 139: (c) Pixabay/InstagramFOTOGRAFIN | S. 145: (c) picture alliance/Arne Dedert | S. 183: (c) picture alliance/Andrea DiCenzo, (c) picture alliance/Boris Roessler | S. 237: (c) picture alliance/Andreas Arnold | S. 261: (c) picture alliance/Boris Roessler | S. 265: (c) picture alliance/Ulrich Baumgarten | S. 277: (c) picture alliance/Matthias Balk | S. 283: (c) picture alliance/Thoralf Plath, (c) picture alliance/Jochen Zick, (c) picture alliance/Andreas Arnold, (c) picture alliance/Julian Stratenschulte Kontakt Landesamt für Verfassungsschutz Hessen Konrad-Adenauer-Ring 49 65187 Wiesbaden Tel.: 0611-7200 Fax: 0611-7201139 Internet: www.verfassungsschutz.hessen.de Druck AC Medienhaus GmbH, Wiesbaden Diese Druckschrift wird im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit der Hessischen Landesregierung herausgegeben. 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Den Parteien ist es jedoch gestattet, die Druckschrift zur Unterrichtung ihrer einzelnen Mitglieder zu verwenden. 372 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2021 Hessisches Ministerium des Innern und für Sport Friedrich-Ebert-Allee 12 65185 Wiesbaden www.hessen.de