Hessisches Ministerium des Innern und für Sport \ VERFASSUNGSSCHUTZ IN HESSEN Bericht 2020 Hessisches Ministerium des Innern und für Sport VERFASSUNGSSCHUTZ IN HESSEN Bericht 2020 INHALTSVERZEICHNIS ZU DIESEM BERICHT 5 VERFASSUNGSSCHUTZ IN HESSEN 13 Freiheitliche demokratische Grundordnung 14 Aufgaben, Befugnisse, Mitwirkungsaufgaben 15 Methoden 17 Kontrolle 18 Strukturen, Organisation, Haushalt 20 Wesentliche institutionelle Elemente der Sicherheitsarchitektur auf Bundesebene und in Hessen 23 Öffentlichkeitsund Präventionsarbeit 28 EXTREMISMUS IN HESSEN - EIN ÜBERBLICK 37 Wesentliche Eckpunkte 38 Rechtsextremismus 40 Reichsbürger und Selbstverwalter 49 Linksextremismus 50 Islamismus 54 Extremismus mit Auslandsbezug 58 Organisierte Kriminalität (OK) 59 Spionageund Cyberabwehr/Wirtschaftsschutz 60 RECHTSEXTREMISMUS 63 Merkmale 64 Rechtsextremistisches Personenpotenzial 65 Rechtsterrorismus und schwere Gewaltstraftaten 66 Parteiunabhängige bzw. parteiungebundene Strukturen 68 Lose strukturierter Rechtsextremismus 82 Parteigebundene Strukturen bzw. Parteien 90 Kommunikationsstrategien von Rechtsextremisten 124 Flüchtlinge im Visier von Rechtsextremisten 126 Rechtsextremistische Strafund Gewalttaten 129 REICHSBÜRGER UND SELBSTVERWALTER 131 2- Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 INHALTSVERZEICHNIS LINKSEXTREMISMUS 139 Merkmale 140 Linksextremistisches Personenpotenzial 142 Autonome 142 Sonstige Beobachtungsobjekte 161 Linksextremistische Strafund Gewalttaten 170 ISLAMISMUS 173 Merkmale 174 Islamistisches Personenpotenzial 177 Salafismus 177 Hizb ut-Tahrir (HuT, Partei der Befreiung) 194 Muslimbruderschaft (MB)/ Deutsche Muslimische Gemeinschaft e. V. (DMG) 201 Milli-Görüs-Bewegung 208 Sonstige Beobachtungsobjekte 217 Islamistische Strafund Gewalttaten 220 EXTREMISMUS MIT AUSLANDSBEZUG 221 Merkmale 222 Extremistisches Personenpotenzial mit Auslandsbezug 223 Partiya Karkeren Kurdistan (PKK, Arbeiterpartei Kurdistans) 223 Extremistische Strafund Gewalttaten mit Auslandsbezug 237 ORGANISIERTE KRIMINALITÄT 239 SPIONAGEABWEHR 243 GEHEIMSCHUTZ 255 Aufgaben/Ziele 256 MITWIRKUNGSAUFGABEN DES LFV 259 ANHANG 265 Abkürzungsverzeichnis 266 Glossar 274 Extremistische Organisationen und Gruppierungen 306 Register 308 Gesetz zur Neuausrichtung des Verfassungsschutzes in Hessen 317 Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 -3 ZU DIESEM BERICHT 4- Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 ZU DIESEM BERICHT Liebe Bürgerinnen und Bürger, innerhalb von nur fünf Tagen wurden im Februar 2020 neun unschuldige Menschen in Hanau ermordet und mehr als 120 Kinder, Frauen und Männer beim Anschlag von Volkmarsen verletzt. Wenige Tage zuvor, am 11. Februar 2020, gab die Weltgesundheitsorganisation einer sich rasch ausbreitenden hochansteckenden Atemwegserkrankung den Namen COVID-19. Mehr als vier Millionen Menschen sind dem Virus seitdem weltweit zum Opfer gefallen. Die Bürgerinnen und Bürger unseres Bundeslandes wurden von der Pandemie nicht härter getroffen als der Rest der Bundesrepublik. Aber der beispiellose rassistisch motivierte Terroranschlag von / Hanau wie auch die Amokfahrt von Volkmarsen haben die Menschen in Hessen in der größten Krise seit Ende des Zweiten Weltkriegs darüber hinaus tief erschüttert. Und dies geschah in einer Zeit, in der sich - nach der Ermordung des unvergessenen Demokraten Dr. Walter Lübcke - Rechtsextremisten bereits im Aufwind fühlten. Schnell hatten sie die Pandemie als neues Betätigungsfeld für sich entdeckt, um die Bevölkerung mit einem alten Virus in neuen Varianten zu infizieren. Die Opfer und Hinterbliebenen von Hanau leiden bis heute. Sie verlangen Antworten auf allzu berechtigte Fragen und sehen sich dabei mit Mechanismen eines Rechtsstaats konfrontiert, der selbst seinen eigenen Regeln unterworfen ist. Das Land Hessen wird nach Abschluss der Ermittlungen des Generalbundesanwalts sein Versprechen nach umfassender Aufklärung einhalten und den Betroffenen weiter in ihrer unvergleichlich schweren Situation zur Seite stehen. Nach wie vor stehen hessische Polizisten im Verdacht die Bürgerinnen und Bürger dieses Landes nicht ihrem Eid entsprechend zu schützen, sondern gegen Menschen alleine aufgrund ihrer Herkunft oder ihres Glaubens in geschlossenen Chaträumen hasserfüllt zu hetzen; zum Teil in einer rechtsextremistischen Rohheit und abgründigen Boshaftigkeit, dass es sprachlos macht. Jeder weitere rechtsextremistische Verdachtsfall in den Reihen unserer Schutzleute trägt zu einer schleichenden Vertrauenserosion in den Staat und seine Institutionen bei und lastet zugleich auf den Schultern der großen Mehrheit unbescholtener Polizistinnen und Polizisten, die jeden Tag ihr Bestes geben, um ihrem schwierigen Auftrag gerecht zu werden. Um die freiheitliche demokratische Grundordnung heute und in Zukunft vor ihren Feinden zu bewahren, müssen ihre Beschützer die Werte unseres Gemeinwesens vorbehaltlos und uneingeschränkt vertreten. In einer grenzenlos digitalen Welt, die Extremisten und Kriminellen nie dagewesene Gelegenheiten bieten, um mit minimalem Aufwand maximale Schäden zu verursachen, muss die Integrität der Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 -5 ZU DIESEM BERICHT Frauen und Männer, die sich ihnen entgegenstellen, den allerhöchsten Ansprüchen genügen. Extremisten müssen vor Einstellung in den Staatsdienst erkannt und bedingungslos für ungeeignet erklärt werden. Fehlverhalten - ob im Dienst oder privat - muss bei Staatsdienern rasch und transparent zu Konsequenzen führen, in jedem einzelnen Fall. Wer unsere Demokratie nach oder sogar bei seiner Arbeit bekämpft, verwirkt das Privileg im Dienste der Gemeinschaft zu stehen. Das muss für die Polizei und für jede andere staatliche Institution gleichermaßen gelten. Der Staat ist zugleich in der Pflicht, den Sicherheitsbehörden die notwendigen Instrumente bereitzustellen, die Polizei und Verfassungsschutz benötigen, um Extremisten mit aller Härte zu bekämpfen. Dafür müssen immer wieder neue Wege beschritten werden. Das ist dem Inlandsnachrichtendienst zum Beispiel angesichts der offenkundig ungenießbaren, aber zunächst schwer zu fassenden Mixtur aus Rechtsextremisten, Reichsbürgern, Verschwörungstheoretikern und Antisemiten, die sich bei vermeintlichen Corona-Protesten in der Realität und Virtualität formierten, gelungen. Wer sich unter dem Deckmantel von Meinungsund Demonstrationsfreiheit positioniert, um den Staat zu delegitimieren, ist ein Staatsfeind und muss als solcher auch mit allen Mitteln der wehrhaften Demokratie bekämpft werden. Die größte Bedrohung für unsere freiheitliche demokratische Grundordnung geht weiterhin vom Rechtsextremismus aus. Die hessischen Sicherheitsbehörden führen den Kampf gegen dieses Virus mit der größten Intensität und einem nicht endenden Fahndungsdruck. Die polizeiliche Besondere Aufbauorganisation R erschüttert die rechtsextremistische und Reichsbürgerszene mit Durchsuchungen, bei denen immer wieder Waffen sichergestellt und Straftaten geahndet werden können. Das Landesamt für Verfassungsschutz schöpft alle operativen und rechtlichen Möglichkeiten aus, um das rechtsextreme Personenpotential weiter aufzuhellen, Vernetzungsstrukturen ans Licht zu bringen und so der Demokratie als Frühwarnsystem zu dienen. Weil jüdisches Leben in Hessen immer unter dem besonderen Schutz des Staates steht, wird der Antisemitismus im engen Schulterschluss mit aller Konsequenz bekämpft. Dank einer engen Sicherheitspartnerschaft sorgt das Land gemeinsam mit den jüdischen Gemeinden für Schutz, Aufklärung und Prävention. Um den Kampf gegen Hass und Hetze - ob im Internet oder auf unseren Straßen und Plätzen - noch effektiver zu führen, wird das Hessische Innenministerium noch in diesem Jahr ein neues Sicherheitsportal an den Start bringen. Im Rahmen der Initiative "Gemeinsam sicher in Hessen" wird es jedem Bürger ermöglicht, sich jederzeit ein6- Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 ZU DIESEM BERICHT fach, schnell und digital direkt an die Sicherheitsbehörden zu wenden. Nach dem erfolgreichen Prinzip der Meldestelle "hessengegenhetze" können so die wachsamen Augen und Ohren der Bevölkerung auch im Kampf gegen Extremisten noch gezielter zum Schutz unserer gemeinsamen Werte beitragen. Dieser Kampf muss gegen alle Extremismusphänomene, ob von rechts, links oder aus dem Bereich des Islamismus, weiter entschlossen geführt werden. Die Gefahr eines jihadistischen Terroranschlags ist auch in Hessen nach wie vor hoch. Im Berichtsjahr zeigte dies der tödliche Messerangriff in Sachsen, aber auch in Frankreich und Österreich verloren Menschen bei Attentaten, die weltweit große Bestürzung auslösten, ihr Leben. Im Zuge des Protests gegen die Rodungsarbeiten im Dannenröder Wald radikalisierte sich ein Teil der Waldbesetzerszene, sodass die Zahl der linksextremistischen Strafund Gewalttaten deutlich anstieg. Ob sich der in anderen Bundesländern festzustellende Trend zu einer signifikanten gewaltorientierten Radikalisierung der linksextremistischen Szene auch in Hessen niederschlägt, beobachtet der hiesige Verfassungsschutz wachsam und akribisch. Eine nicht zu unterschätzende Gefahr droht zudem von anderen Staaten: Mittels gezielter Desinformationskampagnen wurde im Kontext des Pandemiegeschehens versucht, das Vertrauen der Bürgerinnen und Bürger in die Funktionstüchtigkeit unserer Demokratie zu erschüttern. Der Spionageabwehr und ihrer präventiven Komponente des Wirtschaftsschutzes - unter anderem in Form der vertraulichen Beratung von Firmen - kommt daher eine immer größere Bedeutung zu. Das Berichtsjahr 2020 war über die erschütternden Anschläge hinaus für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Landesamts für Verfassungsschutz unter Pandemiebedingungen von vielen weiteren Herausforderungen geprägt. Ich danke Präsident Robert Schäfer und den Frauen und Männern des LfV, dass sie unermüdlich für unsere Sicherheit gearbeitet haben und die freiheitliche demokratische Grundordnung entschlossen verteidigen. Peter Beuth Hessischer Minister des Innern und für Sport Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 -7 ZU DIESEM BERICHT 8- Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 ZU DIESEM BERICHT Liebe Bürgerinnen und Bürger, hat das COVID-19-Virus das Immunsystem unserer Demokratie geschwächt? Bedrohen Extremisten und andere, äußere Feinde unsere Sicherheit und unser friedliches Zusammenleben, so wie wir es seit vielen Jahrzehnten auf dem Fundament unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung gewohnt sind? Diese vielfach in der Öffentlichkeit, aber auch in der Wissenschaft gestellten Fragen regen zum Nachdenken an. Immerhin bilden wir als Verfassungsschützer zusammen mit Polizei und Justiz ein unverzichtbares Element dieses Immunsystems. Da wir im Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) sehr bewusst unsere Selbstkritik und Fehlerkultur leben, müssen wir uns mit der freilich unbequemen Frage "Sind wir ge- / schwächt?" beschäftigen. Wiederholte rechtsextremistische Verdachtsfälle in staatlichen Institutionen geben hierzu ebenso immer wieder Grund und Anlass. Gemäß unserem Auftrag stellen wir uns umso intensiver folgende Fragen: "Ist die gesamtgesellschaftliche Resilienz gegen Extremismus geschwächt? Nehmen wir als Verfassungsschützer gesellschaftliche Änderungen in adäquater Weise wahr? Ziehen wir hieraus die richtigen Schlüsse?" Die letzte Frage möchte ich hier aufgreifen. Nach den Verbrechen des Nationalsozialistischen Untergrunds und nach dem Mord an Dr. Walter Lübcke sind wir im LfV sehr viel problembewusster geworden. Beginnend mit dem Projekt "Neuausrichtung des Verfassungsschutzes" haben wir in den letzten Jahren einen deutlichen Perspektivwechsel in Bezug auf die Relevanz des Rechtsextremismus/-terrorismus vollzogen. Dies haben wir aufgrund der teils akuten Bedrohung getan und gerade weil wir ein aktiver Teil unserer freiheitlichen Gesellschaft sind. Insbesondere aufgrund unserer historischen Verantwortung sind wir verpflichtet, vor allem den Extremismus von rechts außen entschieden zu bekämpfen. Seit dem Beginn meiner Amtszeit 2015 haben wir im LfV die Anzahl der Planstellen von 265,5 auf aktuell 381 erhöht. Das ist ein beträchtlicher Zuwachs, der vor allem wegen der priorisierten Beobachtung des Rechtsextremismus und -terrorismus erforderlich war. Wir haben hierfür eine eigene Abteilung geschaffen und unsere Analysefähigkeit verbessert, wobei es unser Anspruch ist, diese weiterhin zu optimieren. Stärker als in der Vergangenheit berücksichtigen wir, dass Extremismus nicht im luftleeren Raum entsteht, sondern eine Reaktion auf politische und sozial-ökonomische Prozesse ist und sich darin individuelle menschliche Entwicklungen und Biographien abbilden. Um ein solches komplexes Geschehen zu beschreiben, zu verstehen und zuHessischer Verfassungsschutzbericht 2020 -9 ZU DIESEM BERICHT kunftsorientiert zu bewerten, setzen wir gezielt auf versierte wissenschaftliche Experten wie Politologen, Soziologen, Religionswissenschaftler oder Historiker. Mehr denn je ist unsere Arbeit operativ ausgerichtet. Wenn Frustration sich in Wut und Hass aufstaut, Menschen sich vor allem mittels des Internets und der sozialen Medien radikalisieren, sich entsprechend in Andeutungen oder gar offen artikulieren, müssen wir mehr vor Ort sein, die entsprechenden Verhältnisse und Umstände besser kennen, um solche Entwicklungen frühzeitig sehen und einschätzen zu können. Dies betrifft sowohl allein handelnde Personen als auch Extremisten, die sich im virtuellen und realen Raum vernetzen, gegenseitig unterstützen und eventuell zu schwersten Verbrechen motivieren, und gilt natürlich weiterhin auch für Gruppierungen und Organisationen. Darüber hinaus haben wir nach dem Mord an Dr. Walter Lübcke, der entschieden für die freiheitlichen und demokratischen Grundwerte unseres Zusammenlebens eintrat, die Arbeitsweise und die Analyse im LfV erneut verändert. Es kommt darauf an zu ergründen, ob unter einer scheinbar ruhigen gesellschaftlichen Oberfläche ein schlummerndes Radikalisierungspotenzial existiert, ob es sich und zu welchen Anlässen regt und wie es sich in solchen Situationen eventuell entwickelt. Das können wir nur leisten, wenn wir die politisch-sozialen Verhältnisse und deren mögliche Auswirkungen auf die Menschen - natürlich auch die Wechselwirkungen - beobachten und verstehen. Die Prinzipien "mehr Präsenz vor Ort" und "Analyse von extremistischen Tiefenstrukturen" gilt es auch anzuwenden, wenn sich verfassungsfeindliche Organisationen wandeln, sich in einer Szene Strukturen ändern, Übergänge zwischen verschiedenen Bereichen - darunter auch nichtextremistische - zerfließen und neue Extremismusformen entstehen. So bereitet gegenwärtig große Sorge, dass Menschen bei ihren Protesten gegen die staatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie im Zuge ihrer allgemeinen Unzufriedenheit Verschwörungsnarrative und extremistische Parolen verinnerlichen und sich nicht scheuen, gemeinsam mit Extremisten zu demonstrieren. Zu befürchten ist, dass etliche Menschen nicht mehr den Weg zurück in die demokratische Mehrheitsgesellschaft finden. Um unser Gemeinwesen vor dieser möglichen Bedrohung zu schützen, müssen wir verstehen, was diese Menschen bewegt und wie sie künftig agieren könnten. Deshalb hat der Verfassungsschutz das neue Beobachtungsobjekt "Verfassungsschutzrelevante Delegitimierung des Staates" eingerichtet. Da wir in einer Zeit des mannigfachen Umbruchs leben, in dem alte Gewissheiten immer wieder auf die Probe gestellt werden, besteht die Gefahr, dass noch mehr Men10 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 ZU DIESEM BERICHT schen aus Verunsicherung und Protest der Demokratie den Rücken kehren könnten. Andererseits müssen wir als Demokraten gegenüber traditionellen und neuen Formen des Extremismus unmissverständlich deutliche Ansagen machen und den entsprechenden Protagonisten ihre Grenzen aufzeigen. Brücken, die aus dem extremistischen Lager - insbesondere von der Neuen Rechten - in die Mitte der Gesellschaft gebaut werden, müssen entschieden zerstört werden. Werden Extremismus und Gewalt bagatellisiert und damit legitimiert, jüdische Mitbürgerinnen und Mitbürger als vermeintliche Sündenböcke gesucht und ins Visier genommen, so gerät die Demokratie in Gefahr, was im Zusammenwirken mit anderen krisenhaften Erscheinungen rasch in den Abgrund führen kann. Unsere Entschlossenheit drückt sich unter anderem darin aus, dass Extremisten keine legalen Waffen besitzen dürfen. Unser Anspruch ist es, alle relevanten Informationen mit den Waffenbehörden zu teilen. Mit einer transparenten und aktiven Öffentlichkeitsund Präventionsarbeit klären wir nicht nur staatliche Institutionen, sondern die Gesellschaft über die Gefahren des Extremismus auf. Daher ist es konsequent, dass wir im vergangenen Jahr nunmehr auch eine eigene Abteilung für Prävention und phänomenübergreifende Analyse geschaffen haben. Den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des LfV danke ich für Ihre unermüdliche Arbeit, insbesondere dafür, dass sie neuen Herausforderungen aufgeschlossen begegnen, neue Ideen einbringen und diese effizient umsetzen. Der Mord an Dr. Walter Lübcke und an unseren neun Hanauer Mitbürgern ist uns ein beständiges Memento, dass der Verfassungsschutz eine höchst wichtige Aufgabe erfüllt und dies keine Nachlässigkeiten duldet. Es ist unsere herausragende Pflicht, für das Wohl der Menschen in Hessen und damit zum Schutz unserer freiheitlichen demokratischen Werte zu arbeiten. Robert Schäfer Präsident des Landesamts für Verfassungsschutz Hessen Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 11 ZU DIESEM BERICHT 12 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 VERFASSUNGSSCHUTZ IN HESSEN - FREIHEITLICHE DEMOKRATISCHE GRUNDORDNUNG - AUFGABEN, BEFUGNISSE, MITWIRKUNGSAUFGABEN - METHODEN - KONTROLLE - STRUKTUREN, ORGANISATION, HAUSHALT - WESENTLICHE INSTITUTIONELLE ELEMENTE DER SICHERHEITSARCHITEKTUR AUF BUNDESEBENE UND IN HESSEN - ÖFFENTLICHKEITSUND PRÄVENTIONSARBEIT VERFASSUNGSSCHUTZ IN HESSEN FREIHEITLICHE DEMOKRATISCHE GRUNDORDNUNG Den Kern der Demokratie in der Bundesrepublik Deutschland bildet die freiheitliche demokratische Grundordnung. In ihr sind tragende Grundprinzipien festgeschrieben, die absolute Werte und unverzichtbare Schutzgüter sind. Resultierend aus den Erkenntnissen über das Scheitern der Weimarer Republik und aus den furchtbaren Erfahrungen mit dem nationalsozialistischen Terrorund Unrechtsregime (1933 bis 1945) ist die Demokratie in Deutschland heute streitbar und abwehrbereit. Die Demokratie ist willens und fähig, sich gegen Angriffe ihrer Feinde zu verteidigen. Der Verfassungsschutz hat hierbei die wichtige Funktion eines "Frühwarnsystems". AUF EINEN BLICK * Demokratie und Rechtsstaatlichkeit * Werteprinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung * Garantie der Menschenwürde als Ausgangspunkt Demokratie und Rechtsstaatlichkeit | Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist unsere Demokratie eine rechtsstaatliche Herrschaftsordnung. In ihr sind die Grundrechte der Bürger garantiert; es ist jedem Bürger möglich, staatliche Entscheidungen durch unabhängige Gerichte nachprüfen zu lassen. Das bedeutet, dass staatliche Willkür ausgeschlossen und das Handeln der Behörden an Recht und Gesetz gebunden ist. Jeder Bürger genießt Rechtssicherheit. Diese Ordnung gründet sich auf dem Selbstbestimmungsrecht des Volkes nach dem Willen der jeweiligen Mehrheit, auf der Freiheit und Gleichheit aller Menschen, auf der Gewaltenteilung und der Unabhängigkeit der Gerichte. Werteprinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung | Zu der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, die unabänderliche oberste Werteprinzipien als Kernbestand unserer Demokratie enthält, zählen: * die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte, * das Recht des Volkes, die Staatsgewalt in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung auszuüben und die Volksvertretung in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl zu wählen, * die Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung und die Bindung der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an Gesetz und Recht, 14 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 VERFASSUNGSSCHUTZ IN HESSEN * das Recht auf Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition, * die Ablösbarkeit der Regierung und ihre Verantwortlichkeit gegenüber der Volksvertretung, * die Unabhängigkeit der Gerichte und * der Ausschluss jeder Gewaltund Willkürherrschaft. Garantie der Menschenwürde als Ausgangspunkt | Darüber hinaus hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 17. Januar 2017 (2 BvB 1/13) auf den Antrag des Bundesrates, die Nationaldemokratische Partei Deutschlands einschließlich ihrer Teilorganisationen als verfassungswidrig einzustufen und aufzulösen, Folgendes erklärt: "Der Begriff der freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne von Art. 21 Abs. 2 GG beinhaltet die zentralen Grundprinzipien, die für den freiheitlichen Verfassungsstaat schlechthin unentbehrlich sind. Ihren Ausgangspunkt findet die freiheitliche demokratische Grundordnung in der Würde des Menschen (Art. 1 Abs. 1 GG). Die Garantie der Menschenwürde umfasst insbesondere die Wahrung personaler Individualität, Identität und Integrität sowie die elementare Rechtsgleichheit. Auf rassistische Diskriminierung zielende Konzepte sind damit nicht vereinbar. Daneben sind im Rahmen des Demokratieprinzips die Möglichkeit gleichberechtigter Teilhabe aller Bürgerinnen und Bürger am Prozess der politischen Willensbildung und die Rückbindung der Ausübung aller Staatsgewalt an das Volk (Art. 20 Abs. 1 und 2 GG) konstitutive Bestandteile der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Hinsichtlich des Rechtsstaatsprinzips gilt dies für die Rechtsbindung der öffentlichen Gewalt, die Kontrolle dieser Bindung durch unabhängige Gerichte und das staatliche Gewaltmonopol". AUFGABEN, BEFUGNISSE, MITWIRKUNGSAUFGABEN Aufgabe des LfV ist, es den zuständigen Stellen zu ermöglichen, rechtzeitig die erforderlichen Maßnahmen zur Abwehr von Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung sowie den Bestand und die Sicherheit von Bund und Ländern zu treffen. Darüber hinaus erstellt das LfV Lageberichte und Analysen. Zu diesem Zweck sammelt es Informationen - insbesondere von sachund personenbezogenen Auskünften, Nachrichten und Unterlagen - über extremistische Bestrebungen und sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten und wertet sie aus. Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 15 VERFASSUNGSSCHUTZ IN HESSEN AUF EINEN BLICK * Aufgaben - Definition extremistische Bestrebungen * Befugnisse - Kein Einsatz von Zwangsmitteln * Mitwirkungsaufgaben des LfV Aufgaben - Definition extremistische Bestrebungen | Extremistische Bestrebungen im Sinne des Hessischen Verfassungsschutzgesetzes (HVSG) sind politisch bestimmte zielund zweckgerichtete Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluss, die auf die Überwindung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zielen. Nicht extremistisch ist die kritische Auseinandersetzung mit Elementen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, ohne dass diese Auseinandersetzung das Ziel der Überwindung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung verfolgt. Neben extremistischen Bestrebungen, die auf die Überwindung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zielen, beobachtet das LfV * sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten im Geltungsbereich des Grundgesetzes für eine fremde Macht, * Bestrebungen im Geltungsbereich des Grundgesetzes, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, * Bestrebungen im Geltungsbereich des Grundgesetzes, die gegen den Gedanken der Völkerverständigung (Art. 9 Abs. 2 GG), insbesondere gegen das friedliche Zusammenleben der Völker (Art. 26 Abs. 1 GG), gerichtet sind, * Bestrebungen und Tätigkeiten der Organisierten Kriminalität im Geltungsbereich des Grundgesetzes. Befugnisse - Kein Einsatz von Zwangsmitteln | Das LfV hat keine exekutiven Befugnisse. Es darf zum Beispiel Personen weder vorladen noch festnehmen oder Durchsuchungen durchführen. Die Zusammenarbeit mit dem LfV beruht für Privatpersonen auf Freiwilligkeit. Um Maßnahmen, zu denen es selbst nicht befugt ist, darf das LfV die Polizei nicht ersuchen, was eine der Ausprägungen des Trennungsgebots zwischen Verfassungsschutz und Polizei darstellt. Mitwirkungsaufgaben des LfV | Neben den oben beschriebenen Aufgaben unterstützt das LfV im Bereich des Geheimund Wirtschaftsschutzes Behörden und Unternehmen mit seinen Erkenntnissen und seinem Wissen. Ebenso wirkt das LfV mit bei: * Aufenthalts-/Einbürgerungsverfahren von Ausländern und * Sicherheitsund Zuverlässigkeitsüberprüfungen (unter anderem für die Bereiche Luftsicherheit, Atomkraftanlagen und den Umgang bzw. Verkehr mit Waffen und Sprengstoff). 16 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 VERFASSUNGSSCHUTZ IN HESSEN Die Aufgaben und Befugnisse des Verfassungsschutzes sind gesetzlich festgelegt. In allen Ländern bestehen hierfür eigene gesetzliche Grundlagen. In Hessen sind die Aufgaben und Befugnisse im HVSG geregelt. Darüber hinaus regelt das Bundesverfassungsschutzgesetz die Aufgaben und die Rechtsstellung des Bundesamts für Verfassungsschutz (BfV) sowie die Zusammenarbeit der Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern. METHODEN Um mittels kontinuierlicher Beobachtung verfassungsschutzrelevante Bestrebungen und Tätigkeiten zu erkennen und in fundierten Analysen zu beschreiben, bedient sich das LfV verschiedener Methoden. Sie reichen von der Informationsgewinnung aus allgemein zugänglichen Quellen über das Verwenden technischer Mittel bis hin zum Einsatz von Vertrauensleuten. AUF EINEN BLICK * Informationserhebung auf der Grundlage allgemein zugänglicher Quellen * Informationserhebung mit nachrichtendienstlichen Mitteln Informationserhebung auf der Grundlage allgemein zugänglicher Quellen | Die zur Erfüllung seiner Aufgaben notwendigen Informationen gewinnt das LfV vornehmlich aus allgemein zugänglichen Quellen. Dazu gehören unter anderem * Publikationen, * Internetinhalte sowie * öffentliche Veranstaltungen. Informationserhebung mit nachrichtendienstlichen Mitteln | Verfassungsfeinde und andere Personen bzw. Gruppierungen, die dem Beobachtungsauftrag des LfV unterliegen, arbeiten aber oft konspirativ, das heißt, sie versuchen ihre wahren Ziele und Aktivitäten zu verschleiern oder geheim zu halten. Das Sammeln allgemein zugänglichen Materials durch das LfV und der Informationsaustausch mit anderen Behörden und anderen Stellen genügen deshalb zuweilen nicht, um ein vollständiges und sachgerechtes Bild von verfassungsfeindlichen und sicherheitsgefährdenden Bestrebungen sowie von Spionagetätigkeiten und Aktivitäten der Organisierten Kriminalität zu erhalten. Daher ist das LfV befugt, nachrichtendienstliche Mittel einzusetzen. Dazu gehören zum Beispiel: * die Überwachung des Brief-, Post und Fernmeldeverkehrs, * der Einsatz technischer Mittel zur Wohnraumüberwachung, Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 17 VERFASSUNGSSCHUTZ IN HESSEN * der Einsatz technischer Mittel zur Ortung von Mobilfunkendgeräten, * die Observation, * das Fertigen von Bildund Tonaufzeichnungen, * die Beobachtung des Internets, dies beinhaltet die verdeckte Teilnahme an der im Internet geführten Kommunikation, sowie * der Einsatz von verdeckten Mitarbeitern sowie Vertrauensleuten. Die Vertrauensleute gehören nicht dem Verfassungsschutz an, liefern aber Informationen über extremistische Bestrebungen. Nachrichtendienstliche Mittel dürfen in Bezug auf personenbezogene Daten nur dann angewendet werden, wenn hierfür bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind. Die entsprechenden Regelungen sind in SS 5 HVSG festgelegt. Der Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel unterliegt gesetzlichen Schranken (SS 14 HVSG), wobei insbesondere der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten ist. KONTROLLE Die Tätigkeit des LfV wird auf vielfältige Weise kontrolliert. Dies geschieht insbesondere durch die Parlamentarische Kontrollkommission Verfassungsschutz (PKV) des Hessischen Landtags. Die Regularien, welche die parlamentarische Kontrolle und die PKV als Institution betreffen, sind im Gesetz zur parlamentarischen Kontrolle des Verfassungsschutzes in Hessen (Verfassungsschutzkontrollgesetz) festgeschrieben. AUF EINEN BLICK * Wahl der PKV-Mitglieder aus der Mitte des Hessischen Landtags * Pflichten der Hessischen Landesregierung * Befugnisse der PKV * G-10-Kommission * Rechtsund Fachaufsicht * Weitere Kontrollen Wahl der PKV-Mitglieder aus der Mitte des Hessischen Landtags | Die PKV besteht aus sieben Mitgliedern, die der Hessische Landtag gemäß SS 1 Abs. 2 Verfassungsschutzkontrollgesetz aus seiner Mitte wählt. Demnach bestimmt die Volksvertretung die Zahl der Mitglieder, die Zusammensetzung und die Arbeitsweise der PKV. Die Beratungen der PKV sind geheim. 18 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 VERFASSUNGSSCHUTZ IN HESSEN Pflichten der Hessischen Landesregierung | Die Pflicht der Hessischen Landesregierung zur Unterrichtung der PKV sowie deren Befugnisse sind durch das im Juni 2018 in Kraft getretene Gesetz zur Neuausrichtung des Verfassungsschutzes in Hessen (Art. 2 - Gesetz zur parlamentarischen Kontrolle des Verfassungsschutzes in Hessen) präzisiert und erweitert worden. Neben der umfassenden Unterrichtung der PKV durch das für das LfV zuständige Hessische Ministerium des Innern und für Sport über die allgemeine Tätigkeit des LfV und über Vorgänge von besonderer Bedeutung wird die Kontrollkommission über weitere Sachverhalte informiert: so etwa über besondere Auskunftsersuchen, den verdeckten Einsatz technischer Mittel zur Wohnraumüberwachung, die Ortung von Mobilfunkendgeräten und Observationen sowie den Einsatz von verdeckten Mitarbeitern und Vertrauensleuten (SSSS 10, 7, 9, 11, 12 u. 13 HVSG). Befugnisse der PKV | Jedes Mitglied der PKV kann die Einberufung einer Sitzung und die Unterrichtung der PKV verlangen. Darüber hinaus hat jedes Mitglied das Recht der Akteneinsicht; falls erforderlich, ist dabei auch Zutritt zu den Dienststellen des LfV zu gewähren. Mit Zwei-Drittel-Mehrheit kann die PKV einen SachverstänKONTROLLE DES LFV Parlamentarische Kontrolle Parlamentarische Kontrolle Parlamentarische Kontrolle Parlamentarische Hessischer Landtag G-10-Kommission Kontrollkommission LfV Hessen Verwaltungskontrolle Gerichtliche Kontrolle Öffentliche Kontrolle - Hessisches Ministerium des Verwaltungsgerichtlicher - Bürger (Auskunftsrecht) Innern und für Sport Rechtsschutz - Öffentliche Medien - Hessischer Beauftragter für Datenschutz und Informationsfreiheit - Hessischer Rechnungshof Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 19 VERFASSUNGSSCHUTZ IN HESSEN digen mit der Durchführung von Untersuchungen beauftragen, welcher der PKV über das Ergebnis berichten muss. Darüber hinaus hat die PKV das Recht, den Haushaltsplan des LfV mitzuberaten. G-10-Kommission | Maßnahmen, die mit einem Eingriff in Art. 10 GG (Brief-, Postund Fernmeldegeheimnis) verbunden sind, bedürfen der Genehmigung der G-10-Kommission des Hessischen Landtags. Rechtsund Fachaufsicht | Das Hessische Ministerium des Innern und für Sport nimmt die Rechtsund Fachaufsicht über das LfV wahr, das heißt, es prüft die Rechtund Zweckmäßigkeit des Handelns des LfV, indem es dessen Aufgabenerledigung kontrolliert. Dies geschieht etwa mittels Strategieund Programmplanungen, Zielvereinbarungen, Besprechungen, Weisungen und Erlassen. Weitere Kontrollen | Darüber hinaus kontrollieren der Hessische Beauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit, der Hessische Rechnungshof und - mittelbar auf dem Wege der Berichterstattung und Kommentierung - die öffentlichen Medien die Tätigkeit des LfV. Die Speicherung personenbezogener Daten, Auskunftserteilungen und die Erwähnung im Verfassungsschutzbericht, die das LfV zu Lasten Betroffener trifft, unterliegen darüber hinaus der vollständigen gerichtlichen Kontrolle. STRUKTUREN, ORGANISATION, HAUSHALT Der Verfassungsschutz ist als Inlandsnachrichtendienst der Bundesrepublik Deutschland föderal organisiert. Der Bund und die 16 Länder unterhalten jeweils eigene Verfassungsschutzbehörden. AUF EINEN BLICK * Organisation * Anzahl der Planstellen - Ausgabenbudget Organisation | Als obere Landesbehörde untersteht das LfV dem Hessischen Ministerium des Innern und für Sport. Das LfV hat seinen Sitz in Wiesbaden und gliedert sich in sechs der Amtsleitung unterstehende Abteilungen. An die Amtsleitung angebunden sind ebenso der Stab, die Interne Revision, die Geheimschutzbeauftragte sowie die Datenschutzbeauftragte. Darüber hinaus verfügt das LfV in Hessen über Außenstellen. Wie in jeder Behörde gibt es einen Personalrat, eine Schwerbehindertenvertretung und eine Gleichstellungsbeauftragte. 20 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 Personalrat Geheimschutzbeauftragte PRÄSIDENT DMS-Koordination STAB Schwerbehindertenvertretung Datenschutzbeauftragte VIZE-PRÄSIDENT NADIS-Koordination HSG 1 - Leitungsunterstützung, Gremienarbeit und Qualitätssicherung Gleichstellungsbeauftragte Interne Revision HSG 2 - Pressestelle HETAZ (Geschäftsstelle) HSG 3 - Sonderaufgaben Zentrale Dienste Fachprüfgruppe ABTEILUNG 1 ABTEILUNG 2 ABTEILUNG 3 ABTEILUNG 4 ABTEILUNG 5 ABTEILUNG 6 Zentrale Dienste Rechtsextremismus/ Operative Fachdienste Islamismus und islamistischer Linksextremismus/-terrorismus Prävention und phänomen-terrorismus Terrorismus/Salafismus und Extremismus/Terrorismus übergreifende Analyse mit Auslandsbezug DEZERNAT 30 DEZERNAT 50 DEZERNAT 61 DEZERNAT 11 DEZERNAT 20 Organisierte Kriminalität, DEZERNAT 40 Beschaffung Kompetenzzentrum Verwaltung Beschaffung Spionageabwehr und Beschaffung Koordinierung von BeschaffungsRechtsextremismus (KOREX) Wirtschaftsschutz grundsätzen DEZERNAT 62 DEZERNAT 12 DEZERNAT 21 DEZERNAT 31 DEZERNAT 41 DEZERNAT 51 Islamismus, Salafismus/LinksexStrukturanalyse und Strukturanalyse und strategische Strukturanalyse und strategische tremismus/Extremismus mit AusITund Sondertechnik Observation strategische Auswertung Auswertung Auswertung landsbezug DEZERNAT 22 DEZERNAT 32 DEZERNAT 42 DEZERNAT 52 DEZERNAT 13 Fallbezogene und DEZERNAT 63 Personeller und materieller Fallbezogene und operative Fallbezogene und operative Berichtswesen Datenschutz und Grundsatz operative Auswertung Geheimschutz Auswertung Auswertung (BIAREX und FOBAREX) DEZERNAT 33 DEZERNAT 64 DEZERNAT 14 Wissenschaftliche Analyse, Online-Recherche-Team Mitwirkungsaufgaben phänomenübergreifende Extremismus, Terrorismus - ORTET Analysestelle Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit (PAAF) VERFASSUNGSSCHUTZ DEZERNAT 34 Zentrale Ermittlungen Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 AUSSENSTELLEN Phänomenübergreifende regionalisierte Extremismusbearbeitung IN HESSEN - 21 VERFASSUNGSSCHUTZ IN HESSEN ANZAHL DER PLANSTELLEN DES LFV (2016 BIS 2020) 400 375 375 352 350 332 312 300 250 200 150 100 50 0 2016 2017 2018 2019 2020 Anzahl der Planstellen - Ausgabenbudget | Die Personalmittel sowie die Finanzmittel für Personalund Sachausgaben sind im Haushaltsplan des Landes Hessen ausgewiesen. Für das Jahr 2020 standen dem LfV 375 Planstellen zur Verfügung. Das Ausgabenbudget für das Jahr 2020 belief sich auf 32.535.200.Euro. AUSGABENBUDGET DES LFV (2016 BIS 2020) 35 Mio. 32.559.500 32.535.200 30 Mio. 29.658.500 27.542.300 25 Mio. 26.094.200 20 Mio. 15 Mio. 10 Mio. 5 Mio. 2016 2017 2018 2019 2020 22 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 VERFASSUNGSSCHUTZ IN HESSEN WESENTLICHE INSTITUTIONELLE ELEMENTE DER SICHERHEITSARCHITEKTUR AUF BUNDESEBENE UND IN HESSEN Die Sicherheitsstruktur in der Bundesrepublik Deutschland wurde in den letzten Jahren ausgebaut und modifiziert. Die Zielsetzung war hierbei, auf Gefahren und Bedrohungen flexibler und schneller reagieren zu können sowie Wissen und Kompetenzen verschiedener Sicherheitsbehörden zu bündeln. Relevante Informationen sollen unter Beachtung der jeweiligen Zuständigkeiten und gesetzlichen Vorgaben zusammengeführt und bewertet werden, ohne die organisatorische Trennung der Sicherheitsbehörden in Frage zu stellen. AUF EINEN BLICK * Sicherheitsarchitektur auf dem Prüfstand * Kernelemente der bundesweiten Sicherheitsarchitektur * Hessisches Extremismusund Terrorismusabwehrzentrum (HETAZ) Sicherheitsarchitektur auf dem Prüfstand | Nach wie vor unterlagen Organisation und Effizienz der Sicherheitsstruktur in der Bundesrepublik Deutschland, insbesondere das Zusammenwirken ihrer einzelnen Elemente, einem Prüfungsprozess. Der vom Deutschen Bundestag 2018 eingesetzte Untersuchungsausschuss zum islamistisch motivierten Terroranschlag auf dem Breitscheidplatz in Berlin vom 19. Dezember 2016 sollte sich unter anderem ein Urteil bilden zu der Frage, "ob die Sicherheits-, Strafverfolgungsund Strafvollzugsbehörden und die Nachrichtendienste des Bundes und der Länder sowie die für den Vollzug des Asylund Aufenthaltsrechts zuständigen Behörden unter Ausschöpfung der rechtlichen Möglichkeiten sachgerechte Maßnahmen ergriffen haben, ob Informationen zwischen den einzelnen Behörden zeitund sachgerecht ausgetauscht wurden und ob mit Nachrichtendiensten und Sicherheitsund Strafverfolgungsbehörden im europäischen und außereuropäischen Ausland sachgerecht zusammengearbeitet beziehungsweise Informationen ausgetauscht wurden". Auf der Grundlage der gewonnenen Erkenntnisse soll der Untersuchungsausschuss unter anderem "weitere Schlussfolgerungen für Befugnisse, Organisation, Arbeit und Kooperation der Sicherheits-, Strafverfolgungsund Strafvollzugsbehörden und der Nachrichtendienste von Bund und Ländern sowie der für den Vollzug des Asylund Aufenthaltsrechts zuständigen Behörden von Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 23 VERFASSUNGSSCHUTZ IN HESSEN Bund, Ländern und Kommunen ziehen und gegebenenfalls Empfehlungen für weitere Maßnahmen aussprechen". Kernelemente der bundesweiten Sicherheitsarchitektur | Die bundesweite Sicherheitsarchitektur besteht im Wesentlichen aus folgenden Einrichtungen: * dem Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ) zur Abwehr und Bekämpfung des islamistischen Terrorismus, * dem Gemeinsamen Internetzentrum (GIZ) und * dem Gemeinsamen Extremismusund Terrorismusabwehrzentrum (GETZ). Am GTAZ in Berlin sind Vertreter folgender Behörden beteiligt: * Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern, * Bundeskriminalamt (BKA), * Bundesnachrichtendienst (BND), * Generalbundesanwaltschaft (GBA), * Bundespolizei (BPol), * Generalzolldirektion (GZD), AUFBAU DES GEMEINSAMEN TERRORISMUSABWEHRZENTRUMS Bundesamt für Migration und Bundesamt Flüchtlinge Generalfür bundesanwalt Verfassungsschutz 16 BundesLandesämter kriminalamt für Verfassungsschutz GTAZ NIAS 16 LandesBundesnachkriminalrichtenämter dienst Bundesamt für den Militärischen AS Bundespolizei PI GeneralAbschirmdienst zolldirektion 24 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 VERFASSUNGSSCHUTZ IN HESSEN * Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF), * Bundesamt für den Militärischen Abschirmdienst (BAMAD) und die * Landeskriminalämter. Im GTAZ gibt es darüber hinaus zwei voneinander institutionell getrennte Einrichtungen: Die Nachrichtendienstliche (NIAS) und die Polizeiliche Informationsund Analysestelle (PIAS). NIASund PIASMitglieder kooperieren in verschiedenen Arbeitsgruppen eng miteinander, um bestimmte Fälle aktuell zu bearbeiten sowie Gefahrenprognosen und mittelbzw. längerfristige Analysen zu erstellen. Nach dem Vorbild des GTAZ arbeiten im GIZ Vertreter des * BfV, * BKA, * BND, * BAMAD und * der GBA AUFBAU DES GEMEINSAMEN EXTREMISMUSUND TERRORISMUSABWEHRZENTRUMS Bundesamt für Migration und Bundesamt GeneralFlüchtlinge für Wirtschaft bundesanwalt und Ausfuhrkontrolle Bundesamt Generalfür zolldirektion Verfassungsschutz NIAS 16 Bundeskriminalamt GETZ Landesämter für Verfassungsschutz BundesnachBundespolizei richtendienst PIAS 16 LandeskriminalBundesamt für den Militärischen ämter Abschirmdienst Europol Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 25 VERFASSUNGSSCHUTZ IN HESSEN eng zusammen. Darüber hinaus steht das GIZ in ständigem Austausch mit den zuständigen Landesbehörden. Aufgabe der Vertreter der am GIZ mitwirkenden Behörden ist die Beobachtung, Auswertung und Analyse von Veröffentlichungen mit islamistischen und jihadistischen Inhalten im Internet, um frühzeitig extremistische und terroristische Strukturen und Aktivitäten zu identifizieren. Das GETZ ist als "Dachorganisation" für die Bekämpfung folgender Phänomenbereiche zuständig: * Rechtsextremismus/-terrorismus, * Linksextremismus/-terrorismus, * Extremismus mit Auslandsbezug und * Spionageabwehr und Proliferation. Die Federführung obliegt dem BfV und dem BKA. Die Koordinierte Internetauswertung (KIA) erfolgt beim BfV in Köln (NordrheinWestfalen). Am GETZ als Informationsund Kommunikationsplattform beteiligen sich - analog zu den Aufgaben des GTAZ - zur Bündelung der Fachexpertise und der Sicherstellung eines möglichst lückenlosen und schnellen Informationsflusses folgende Behörden: Verfassungsschutzbehörden von Bund und Ländern, * BKA, * BPol, * das Europäische Polizeiamt (Europol), * GBA, * GZD, * BND, * BAMAD, * BAMF, * Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) und * die Landeskriminalämter. Hessisches Extremismusund Terrorismusabwehrzentrum (HETAZ) | Das in Hessen am 11. März 2019 konstituierte HETAZ hat seine Geschäftsstelle im LfV. Es fungiert als anlassbezogene Kommunikations-, Informationsund Kooperationsplattform unter ständiger Beteiligung des Hessischen Landeskriminalamts (HLKA), der Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main - Abteilung Staatsschutz, der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main sowie des LfV. Seit Juli 2020 ist zudem der Sonderermittler der Hessischen Polizei in das HETAZ eingebunden. Abhängig von konkreten Gefährdungsund Bedrohungssachverhal26 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 VERFASSUNGSSCHUTZ IN HESSEN AUFBAU DES HESSISCHEN EXTREMISMUSUND TERRORISMUSABWEHRZENTRUMS Generalstaatsanwaltschaft StaatsanwaltFrankfurt Polizeischaft Frankfurt präsidien Landeskriminalamt Kommunen Landesamt für - VerfassungsHMdIS HETAZ schutz (LPP, Abt. II) Sonderermittler Prävention der Hessischen (HKE, VPN) Polizei ... weitere Behörden ten werden Vertreter weiterer Behörden, wie zum Beispiel von Polizeipräsidien, Ausländerbehörden und Jugendämtern im Rahmen ihres jeweiligen Aufgabenbereichs und ihrer Zuständigkeit hinzugezogen. Ziel ist es unter anderem, einen abgestimmten, fortlaufenden und nachhaltigen Informationsaustausch mit kurzen Kommunikationswegen unter Berücksichtigung der gesetzlichen Übermittlungsvorschriften und des für den Verfassungsschutz und die Polizei gültigen informationellen Trennungsgebots zu gewährleisten. Durch Bündelung, Verdichtung und Bewertung der Informationen soll die Erkenntnislage der zuständigen Behörden verbessert und der Austausch über operative Maßnahmen in enger Kooperation erleichtert werden. Hieraus soll auch eine noch effektiver und effizienter als bisher gestaltete Strafverfolgung resultieren. Im Berichtsjahr fanden vier Sitzungen des HETAZ statt. Thematisch befasste es sich unter anderem mit rechtsextremistischen Bestrebungen, dem gewaltorientierten Linksextremismus und der islamistischen Bedrohungslage. Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 27 VERFASSUNGSSCHUTZ IN HESSEN ÖFFENTLICHKEITSUND PRÄVENTIONSARBEIT Extremisten verfolgen das Ziel, die Werte unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu beseitigen. Eine notwendige gesellschaftliche Auseinandersetzung mit extremistischen Positionen und Aktivitäten kann jedoch nur dann erfolgen, wenn die Bürger über sachgerechte Informationen verfügen. Um die Öffentlichkeit über extremistische Bestrebungen zu unterrichten und für deren Gefahren zu sensibilisieren, verankerte das LfV seine Präventionsarbeit in den letzten Jahren auf einem konstant hohen Niveau. Die Präventionsinhalte werden dabei stets an den aktuellen Entwicklungen in den verschiedenen extremistischen Phänomenbereichen ausgerichtet. Um die konsequente Stärkung der Prävention auch organisatorisch sicherzustellen, wurde im September die Abteilung 6 "Prävention und phänomenübergreifende Analyse" geschaffen. Dies diente auch dazu, das Selbstverständnis des LfV in Bezug auf Offenheit und Präsenz des Verfassungsschutzes noch mehr im öffentlichen Raum sichtbar machen. AUF EINEN BLICK * Dienstleister der Demokratie * Hessischer Verfassungsschutzbericht * Aufklärende Prävention * Beratende Prävention * Zielgruppen * Kooperationspartner * Abteilung "Prävention und phänomenübergreifende Analyse" * Etablierte Maßnahmen * Präventionsarbeit in Zeiten der COVID-19-Pandemie * Informationsbroschüren des LfV * Präventionsarbeit in Zahlen * Kontakt und Internetpräsenz * Prävention für die Wirtschaft Dienstleister der Demokratie | Die seit Jahren stetig anwachsende Zahl der Präventionstermine belegt sowohl die Notwendigkeit und als auch den Bedarf von Extremismusprävention. Daher wurde diese Aufgabe auch im 2018 neugefassten HVSG gesetzlich verankert. Das LfV wurde dadurch in seiner Funktion als Frühwarnsystem und Dienstleister der Demokratie gestärkt. Zusätzlich zu den bereits bestehenden Präventionsangeboten, wie zielgruppenorientierte Sensibilisierungsveranstaltungen aufklärende Prävention) und Beratungsleistungen in konkreten Fällen (beratende 28 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 VERFASSUNGSSCHUTZ IN HESSEN Prävention), beschritt das LfV in den letzten Jahren zahlreiche andere, auf langfristige Zusammenarbeit angelegte Wege. Damit soll es für die Gesellschaft ein aktiver Partner und Dienstleister der Demokratie sein. Neben der Präsenz auf dem Hessentag beteiligte sich das LfV zum Beispiel an kommunalen Präventionstagen oder Tagen der offenen Tür mit einem Informationsstand, um als kompetenter, transparenter und direkter Ansprechpartner wahrgenommen zu werden. Des Weiteren wurden neue Veranstaltungsformate wie Fachtage, Podiumsdiskussionen oder langfristige Projekte angestoßen oder unterstützt. Hessischer Verfassungsschutzbericht | Im Mittelpunkt der Unterrichtung der Öffentlichkeit steht der vom Hessischen Ministerium des Innern und für Sport herausgegebene jährliche Verfassungsschutzbericht. Er informiert über die wesentlichen während des Berichtsjahrs gewonnenen Erkenntnisse des LfV und bewertet diese. Aufklärende Prävention | Oberstes Ziel der Präventionsarbeit ist es, Menschen gegen Extremismus zu immunisieren. Daher ist das LfV, bestrebt möglichst viele Menschen sowohl in staatlichen als auch nichtstaatlichen Stellen über Gefahren, die von extremistischen Bestrebungen ausgehen, aufzuklären. Das LfV bietet zu verschiedenen extremistischen Phänomenbereichen Fortbildungen an, bei denen es über Ideologien, Erscheinungsformen, Strategien sowie Anhaltspunkte für Radikalisierung informiert. Die Veranstaltungsteilnehmer werden somit in die Lage versetzt, extremistische Bestrebungen, die ihnen möglicherweise im Alltag begegnen, zu erkennen. Im Zuge der aufklärenden Prävention informiert das LfV darüber hinaus relevante gesellschaftliche Akteure anlassbezogen über aktuelle Entwicklungen in den verschiedenen Phänomenbereichen. Sollten dem LfV zum Beispiel extremistische Bestrebungen im Umfeld von Schulen bekannt werden, so geht es aktiv auf die entsprechende Schule zu und bietet Beratung und Unterstützung an. Bei hessenweiten Kampagnen informiert das LfV die jeweiligen Bedarfsträger anlassbezogen über geeignete Kanäle (etwa den Kommunalbrief des Hessischen Ministeriums des Innern und für Sport). Beratende Prävention | Um den Bedarfsträgern Handlungssicherheit im Erkennen von und im Umgang mit extremistischen Bestrebungen zu vermitteln, bietet die beratende Prävention ergänzend zur aufklärenden Prävention einzelfallbezogene Beratungen an. Zielgruppen | Eine der wichtigsten Zielgruppen der Präventionsarbeit sind Multiplikatoren im Bereich der (Jugend-)Bildung, wie zum Beispiel Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 29 VERFASSUNGSSCHUTZ IN HESSEN Lehrkräfte. Seit 2009 ist das LfV durch die Hessische Lehrkräfteakademie als Anbieter von Fortbildungen für hessische Lehrerinnen und Lehrer akkreditiert. Das Fortbildungsangebot kann über die Staatlichen Schulämter, aber auch von einzelnen Schulen in Anspruch genommen werden. Darüber hinaus sind besonders die hessischen Kommunen wichtige Partner bei der Extremismusprävention. So ist das LfV - zusätzlich zu den angebotenen Vorträgen für und mit Kommunen - in zahlreichen kommunalen Präventionsgremien vertreten bzw. arbeitet eng mit diesen zusammen und steht den Gremien als direkter Ansprechpartner zur Verfügung. Weitere Adressaten sind Bildungseinrichtungen, Justiz, Polizei, zivilgesellschaftliche Träger, religiöse Träger sowie Unternehmen und Wirtschaftsverbände. Um der Ausbreitung extremistischer Bestrebungen präventiv entgegenzuwirken, spricht das LfV - neben den bereits etablierten Bedarfsträgern - immer wieder neue Zielgruppen an und wirbt für das Präventionsangebot. Ein besonderer Schwerpunkt der Fortbildungsmaßnahmen liegt jedoch weiterhin in den Bereichen Kommunen, Polizei, Schule und Justiz. Hier baute das LfV seine Angebote aus. Die Nachhaltigkeit nimmt bei der Prävention des LfV eine zentrale Stelle ein. So stehen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter den Bedarfsträgern auch im Anschluss an Sensibilisierungsveranstaltungen oder Projekte als Ansprechpartner zur Verfügung. Der Erfolg der vertrauensvollen Zusammenarbeit spiegelte sich in den letzten Jahren in vielen Folgeveranstaltungen und Weiterempfehlungen des Angebots wider. Kooperationspartner | Bei der Bekämpfung extremistischer Bestrebungen ist das LfV eng mit dem Hessischen Informationsund Kompetenzzentrum gegen Extremismus (HKE) und zivilgesellschaftlichen Trägern vernetzt. Das 2013 eingerichtete HKE übernimmt die zentrale Steuerung und Koordinierung der Maßnahmen zur Extremismusprävention und -intervention in Hessen. Das LfV ist im Rahmen des organisationsund ressortübergreifenden Ansatzes in der Lenkungsgruppe des HKE vertreten. Das HKE ist über www.hke.hessen.de erreichbar. Darüber hinaus gehört das LfV folgenden Institutionen an: * Expertenpool des landesweiten beratungsNetzwerks hessen - Mobile Intervention gegen Rechtsextremismus. In dem Expertenpool sind staatliche Institutionen und zivilgesellschaftliche Initiativen miteinander vernetzt. * Fachbeirat des Hessischen Präventionsnetzwerks gegen Salafismus. Das 2014 gegründete Netzwerk war das erste landesweite 30 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 VERFASSUNGSSCHUTZ IN HESSEN Präventionsprojekt gegen Salafismus in Deutschland. In dessen Mittelpunkt steht die Beratungsstelle Hessen - Religiöse Toleranz statt Extremismus, die beim zivilgesellschaftlichen Träger Violence Prevention Network (VPN) angebunden ist. Die Ausstiegshilfe und -begleitung von islamistisch Radikalisierten sowie die Beratung des sozialen Umfelds stehen im Zentrum der Arbeit der Beratungsstelle Hessen. Abteilung 6 "Prävention und phänomenübergreifende Analyse" | Seit September 2020 konzentriert sich die Präventionsarbeit des LfV in der neuen Abteilung 6 "Prävention und phänomenbereichsübergreifende Analyse". Die Aufgaben der aufklärenden und beratenden Prävention werden in zwei Dezernaten wahrgenommen: Das Dezernat 61 (das heißt, das bereits 2008 eingerichtete Kompetenzzentrum gegen Rechtsextremismus, KOREX) und das Dezernat 62 (Islamismus, Salafismus/Linksextremismus/Extremismus mit Auslandsbezug). Kernaufgabe beider Dezernate ist die Aufklärungsarbeit durch Aufbereitung des Fachwissens des LfV für bestimmte Zielgruppen sowie für die breite Öffentlichkeit. Ein weiteres Dezernat bildet das Berichtswesen, in dem unter anderem der jährlich erscheinende Hessische Verfassungsschutzbericht erstellt wird. Darüber hinaus befindet sich nun auch die Phänomenbereichsübergreifende wissenschaftliche Analysestelle Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit (PAAF) in der Abteilung 6. Etablierte Maßnahmen | Gerade in Zusammenarbeit mit öffentlichen Stellen etablierte das LfV in den letzten Jahren viele Formate, die sich bewährt haben. Im Justizressort führt das LfV regelmäßig Sensibilisierungsmaßnahmen durch und bildet dabei vor allem auch Justizvollzugsbeamtinnen und Justizvollzugsbeamte fort. Zudem veranstaltet das LfV jährlich ein jeweils dreitägiges Justizseminar zu den Phänomenbereichen Rechtsextremismus und Islamismus für Richterinnen und Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte sowie Bewährungshelferinnen und Bewährungshelfer in Zusammenarbeit mit dem Hessischen Ministerium der Justiz. Das LfV ist regelmäßig und anlassbezogen in die Ausund Fortbildung der Hessischen Polizei eingebunden und beteiligt sich traditionell mit Vorträgen an den Staatsschutz-Aufbaumodulen der Hessischen Polizeiakademie (HPA) für Staatsschützerinnen und Staatsschützer; außerdem hält das LfV auf Anfrage Vorträge an der Hessischen Hochschule für Polizei und Verwaltung (HfPV) vor Studiengruppen. 2020 führte das LfV erstmals ein eigenes WahlpflichtHessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 31 VERFASSUNGSSCHUTZ IN HESSEN modul an der HfPV in Kassel zum Thema "Extremismus" unter besonderer Berücksichtigung des Rechtsextremismus durch. Seit 2019 informierte und sensibilisierte das KOREX eine mittlere dreistellige Zahl an Führungskräften mehrerer Polizeibehörden bei einer Vielzahl von Einzelterminen über Erscheinungsformen, Strategien und Ideologieelemente des Rechtsextremismus. Ebenso führte das KOREX bei der Bundespolizei zahlreiche Fortbildungen für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Frankfurter Flughafens sowie für die Anwärterinnen und Anwärter des Ausund Fortbildungszentrums in Eschwege (Werra-Meißner-Kreis) durch. 2017 wurde in Zusammenarbeit mit dem Regierungspräsidium Gießen, dem HKE und dem VPN eine landesweite Abfolge von Präventionsveranstaltungen für kommunale Bedienstete mit dem Titel "Salafismusprävention in den Kommunen" auf den Weg gebracht. Für das Berichtsjahr war eine inhaltliche Weiterentwicklung der Veranstaltung, die seit 2017 regelmäßig angeboten wurde, geplant, musste aber aufgrund der COVID-19-Pandemie verschoben werden. Präventionsarbeit in Zeiten der COVID-19-Pandemie | Im Kontext der staatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie fanden die Präventionsarbeit des LfV seit März nicht in gewohntem Maß statt. Wurden viele geplante Formate abgesagt, war es dennoch möglich, im Laufe des Jahres aufgrund der Umstellung auf digitale Formate einige Veranstaltung nachzuholen oder neu zu initiieren. Am 27. Januar (Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus/Internationaler Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust) fand in der Modellschule Obersberg in Bad Hersfeld (Landkreis Hersfeld-Rotenburg) die Abschlussveranstaltung des Projekts "Begegnungen gegen Antisemitismus" statt. Gemeinsam mit dem Landkreis Hersfeld-Rotenburg und weiteren Partnern hatte das LfV das Projekt im Rahmen des Hessentags 2019 initiiert; es ermöglichte intensive Begegnungen zwischen jüdischen und nichtjüdischen Schülerinnen und Schülern, indem diese die Veranstaltungen - überwiegend Podiumsdiskussionen, eine historische Stadtführung und eine Filmvorführung - gemeinsam vorbereiteten und moderierten. Im Mittelpunkt der Abschlussveranstaltung stand der Dokumentarfilm "Jetzt - nach so viel' Jahren". Er beschäftigt sich mit dem Trauma der während des Nationalsozialismus aus dem osthessischen Dorf Rhina vertriebenen Jüdinnen und Juden, vor allem aber mit dem Umgang der Rhinaer Bevölkerung mit diesem Teil der Geschichte ihres Dorfes zu Beginn der 1980er Jahre: Vergessen, Verdrängen und Relativieren. Im Gespräch mit den Filmemachern Pavel 32 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 VERFASSUNGSSCHUTZ IN HESSEN Schnabel und Harald Lüders wurde deutlich, dass der Umgang mit den nationalsozialistischen Verbrechen seitdem zwar offener geworden ist, aber auch, dass beide nach wie vor mitunter als "Volksverräter" beschimpft werden. Vor dem ersten "Lockdown" im März führte das LfV die ersten Schulungen für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Meldeplattform Hessen gegen Hetze zu verschiedenen Phänomenbereichen durch. Eine Fortsetzung der Veranstaltungsreihe ist geplant. Die Meldeplattform wird durch das Hessen Cyber Competence Center (Hessen3C) des Hessischen Ministeriums des Innern und für Sport betrieben. Ziel ist es, Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit zu bieten, potenzielle Hassrede (Hate Speech) einfach und schnell zu melden. Die Meldestelle ist wie folgt erreichbar: www.hessengegenhetze.de Ein weiterer wichtiger Baustein der Öffentlichkeitsund Präventionsarbeit des LfV, die diesjährige Präsenz auf dem Hessentag in Bad Vilbel (Wetteraukreis) in der Landesausstellung, fand aufgrund der allgemeinen Absage pandemiebedingt nicht statt. An künftigen Hessentagen wird das LfV den Besucherinnen und Besucher wieder die Möglichkeit geben, mit Expertinnen und Experten des LfV über dessen Arbeit ins Gespräch zu kommen und sich durch entsprechende Publikationen und Schautafeln am Stand des LfV über die freiheitliche demokratische Grundordnung und die sie bedrohenden extremistischen Phänomene zu informieren. Im September bot das LfV erstmals ein zweitägiges Seminar im Rahmen der Zentralen Fortbildung des Landes Hessen an. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter wurden schwerpunktmäßig über das Thema "Rechtsextremismus" (mit Schwerpunkt auf der Neuen Rechten) informiert. Darüber hinaus wurden die Bereiche Islamismus, Linksextremismus und Antisemitismus thematisiert. Das phänomenbereichsübergreifende Seminar wird dauerhaft im Programm der Zentralen Fortbildung angeboten. Das traditionelle jährliche Herbstgespräch fand pandemiebedingt nicht statt. Informationsbroschüren des LfV | Damit sich die Bürgerinnen und Bürger gezielt mit verschiedenen extremistischen Phänomenbereichen auseinandersetzen können, gibt das LfV Informationsbroschüren heraus. Folgende Publikationen können derzeit beim LfV direkt angefordert bzw. über dessen Internetpräsenz abgerufen werden (siehe unten Kontakt und Internetpräsenz): * Verfassungsschutz in Hessen - Beobachten, analysieren und informieren. Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 33 VERFASSUNGSSCHUTZ IN HESSEN * Extremismus erkennen - Handreichung für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Flüchtlingshilfe. * Salafistische Bestrebungen in Hessen. * Kennzeichen und Symbole der Rechtsextremisten. * Gedenk-und Jahrestage von Rechtsextremisten. * Rechtsextremismus und Sonnenwendfeiern. * Verfassungsfeindliche Bestrebung: "Reichsbürger" und "Selbstverwalter". * Mit Militanz zur Errichtung einer "herrschaftsfreien Gesellschaft". * PAAF Analysen 1 - "... und diese Gerüchte stammen nicht von irgendwelchen Nazis!" Eine Studie zu Erscheinungsformen und ideologischen Hintergründen antisemitischer Agitation in den sozialen Netzwerken. * PAAF Analysen 1 - In aller Kürze. * PAAF Analysen 2 - Filter ohne Blase. Wie die rechtsextremistische Szene sich über das politische Tagesgeschehen informiert. * PAAF Analysen 2 - In aller Kürze. Darüber hinaus sind weitere Informationsmaterialien auch auf den Internetseiten des BfV und der anderen Verfassungsschutzbehörden zu finden: www.verfassungsschutz.de/de/oeffentlichkeitsarbeit/ publikationen. Präventionsarbeit in Zahlen | Pandemiebedingt führte das LfV weniger Termine als in der Vergangenheit durch, wobei die große Nachfrage nach den Präventionsdienstleistungen anhielt. Von 241 fest geplanten Terminen wurden 79 abgesagt. Auf die Extremismusprävention entfielen etwa vier Fünftel der geplanten Termine und erreichten annährend die Zahl des Vorjahres. Termine zum Rechtsextremismus bildeten einen deutlichen Schwerpunkt, gefolgt von Veranstaltungen zum Islamismus und mit phänomenbereichsübergreifendem Charakter. Da sich die Präventionsveranstaltungen des LfV direkt an den Anforderungen der Bedarfsträger ausrichten, spiegeln die Zahlen die entsprechenden Bedürfnisse wider. Kontakt und Internetpräsenz | Alle Bürgerinnen und Bürger können sich an das LfV wenden. Die Homepage des LfV ist unter www.lfv.hessen.de erreichbar. Auf der Homepage ist auch ein Kontaktformular verfügbar. Für Fragen zur Prävention ist das LfV unter der Telefonnummer 0611720/1966 und der E-Mail-Adresse praevention@lfv.hessen erreichbar. 34 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 VERFASSUNGSSCHUTZ IN HESSEN PRÄVENTIONSTERMINE 2009 BIS 2020 350 335 300 292 264 250 243 241 202 200 189 150 127 100 92 79 46 50 25 0 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 Spezielle Fragen zum Thema Wirtschaftsschutz können an die E-MailAdresse wirtschaftsschutz@lfv.hessen.de gerichtet werden. Prävention für die Wirtschaft | Informationen über die Aktivitäten und Dienstleistungen des LfV zum Thema Wirtschaftsschutz finden Sie im Kapitel "Spionageund Cyberabwehr/Wirtschaftsschutz". Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 35 VERFASSUNGSSCHUTZ IN HESSEN 36 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 EXTREMISMUS IN HESSEN - EIN ÜBERBLICK - WESENTLICHE ECKPUNKTE - RECHTSEXTREMISMUS - REICHSBÜRGER UND SELBSTVERWALTER - LINKSEXTREMISMUS - ISLAMISMUS - EXTREMISMUS MIT AUSLANDSBEZUG - ORGANISIERTE KRIMINALITÄT (OK) - SPIONAGEUND CYBERABWEHR/ WIRTSCHAFTSSCHUTZ EXTREMISMUS IN HESSEN WESENTLICHE ECKPUNKTE Extremistisches Personenpotenzial in Hessen - Gewaltorientierung | Mit 13.475 Personen stieg das gesamte extremistische Personenpotenzial in Hessen gegenüber dem Vorjahr (13.435) leicht um 0,3 Prozent an. Dies resultierte erneut aus einer Zunahme des rechtsextremistischen Personenpotenzials (2020: 1.660, 2019: 1.620) dort in den parteiunabhängigen bzw. parteiungebundenen Strukturen und im weitgehend unstrukturierten Bereich. Gleichfalls nahm im Phänomenbereich Rechtsextremismus die Anzahl der gewaltorientierten Personen um 20 auf nunmehr 860 zu, allerdings fiel der Zuwachs um ein Drittel geringer als im Vorjahr aus, als er bei 60 lag. Im Phänomenbereich Linksextremismus - die Gesamtzahl blieb unverändert bei 2.600 Personen - wurden etwa 20 Prozent des Personenpotenzials dem gewaltorientierten Spektrum zugeordnet. Dagegen war eine valide Bezifferung des gewaltorientierten Personenpotenzials in den Phänomenbereichen Islamismus und Extremismus mit Auslandsbezug nicht möglich, wofür folgende Faktoren verantwortlich waren: Die fortschreitenden klandestinen Verhaltensweisen - insbesondere von Anhängern des gewaltorientierten Salafismus/Jihadismus - und die Anonymisierungsmöglichkeiten sozialer Netzwerke ermöglichten nicht immer die Zuordnung zu einer bestimmten Person. EXTREMISTISCHES PERSONENPOTENZIAL IN HESSEN (2016 BIS 2020) 15.000 13.530 13.395 13.435 13.475 13.060 12.000 Gesamtzahl der Extremisten (Zahlen gerundet) 9.000 Extremismus mit Auslandsbezug 6.000 Islamismus Linksextremismus 3.000 Rechtsextremismus Reichsbürger und 0 Selbstverwalter 2016 2017 2018 2019 2020 38 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 EXTREMISMUS IN HESSEN Im Unterschied zum Rechtsextremismus blieb das Personenpotenzial in den Phänomenbereichen Linksextremismus (2.600), Islamismus (4.170), Extremismus mit Auslandsbezug (4.195) sowie Reichsbürger und Selbstverwalter (1.000) gegenüber 2019 unverändert. Entwicklung der Gesamtzahl der extremistischen Strafund Gewalttaten | Gegenüber dem Vorjahr stieg im Berichtszeitraum die Gesamtzahl der extremistischen Strafund Gewalttaten ein weiteres Mal signifikant an. Sie erhöhte sich von 1.060 (2019) um 333 auf 1.393, was einer Zunahme um 31 Prozent entspricht. Innerhalb des FünfJahreszeitraums 2016 bis 2020 erreichte die Gesamtzahl der extremistischen Strafund Gewalttaten damit ihren Höchststand. Im Phänomenbereich Extremismus mit Auslandsbezug ging die Zahl der Delikte um mehr als die Hälfte auf 32 zurück, im Islamismus nahm sie um eine Tat ab und lag bei 35, während sie sich im Rechtsextremismus um 330 Delikte (= 37 Prozent) erhöhte und im Linksextremismus um 45 Taten (= 69 Prozent) auf 110 zunahm. Diese Entwicklung und deren mögliche Ursachen gilt es sowohl im Rechtsals auch im Linksextremismus sorgsam zu beobachten. Signifikante Zunahme der Gewalttaten | Besorgniserregend ist der starke Anstieg der Gesamtzahl der extremistischen Gewaltdelikte. Letztere verdoppelten sich gegenüber 2019 nahezu von 41 auf 79. Dabei fällt auf, dass sich die Zahl der linksextremistisch motivierten Taten von einem relativ niedrigen Niveau (2019: fünf) um das nahezu Siebenfache auf 34 erhöhte. Aber auch die Zahl der rechtsextremistisch motivierten Delikte stieg an - von 31 (2019) auf 42. In beiden Phänomenbereichen erreichte die Zahl der Gewalttaten im Fünf-Jahreszeitraum von 2016 bis 2020 damit ihren jeweiligen Höchststand. Nachdem im Juni 2019 der Kasseler Regierungspräsident Dr. Walter Lübcke einem rechtsextremistisch motivierten Mordanschlag zum Opfer gefallen war, tötete am 19. Februar in Hanau (Main-KinzigKreis) ein Attentäter aus rassistischen Motiven neun Menschen (der Anschlag wird aufgrund der polizeilichen Erhebungsmethodik in der Statistik der rechtsextremistischen Strafund Gewalttaten als ein Delikt gewertet). Hatte sich der noch nicht rechtskräftig verurteilte Mörder Dr. Walter Lübckes nicht direkt zu seiner Tat bekannt, stellte der Hanauer Attentäter kurz vor seiner Tat - ähnlich wie der norwegische Attentäter Anders Breivik - ein "Manifest" ("Botschaft an das gesamte deutsche Volk") ins Internet. Darin legte er seine offensichtlich über einen längeren Zeitraum hinweg entwickelte Weltanschauung dar, die sich aus einzelnen Versatzstücken wie Antisemitismus, Islamfeindlichkeit, Rassismus und verschiedenen Verschwörungsnarrativen zusammensetzte. Ebenso wie bei dem Mörder von Dr. Walter Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 39 EXTREMISMUS IN HESSEN STRAFUND GEWALTTATEN IN HESSEN (2016 BIS 2020) 1.500 1.393 1.200 1.022 1.060 900 818 698 Gesamtzahl 600 der Strafund Gewalttaten Rechtsextremisten 300 Extremismus mit Auslandsbezug Linksextremisten davon Gewalttaten Islamismus 0 2016 2017 2018 2019 2020 Lübcke ein Verschwörungsnarrativ ("Der große Austausch") als Motiv eine Rolle spielte, galt dies für den Attentäter von Hanau. Äußerst besorgniserregend ist, dass Verschwörungsnarrative auch im Berichtsjahr im Kontext der (extremistischen) Proteste gegen die staatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie von Belang waren. Sie wurden in einer großen Vielzahl und in einem zuvor nicht gekannten Ausmaß verbreitet und entwickelten ein für die Demokratie gefährliches Potenzial. Dabei ist bedenklich, dass sich auch Teile der nichtextremistischen Bevölkerung von diesen Narrativen angesprochen fühlten. RECHTSEXTREMISMUS Personenpotenzial - Gewaltpotenzial | Das rechtsextremistische Personenpotenzial wuchs im Berichtsjahr um 40 auf ein Potenzial von 1.660 Personen. Damit erreichte die Gesamtzahl der Rechtsextremisten in Hessen den höchsten Wert im Fünf-Jahreszeitraum von 2016 40 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 EXTREMISMUS IN HESSEN bis 2020. Von diesem Personenpotenzial waren 51,8 (vorher 52%, Text kann daher so bleiben) Prozent (860 Personen) gewaltorientiert, damit änderte sich diese Quote nicht gegenüber dem Vorjahr, da auch das gewaltorientierte Spektrum einen Zuwachs verzeichnete. Die Steigerung des rechtsextremistischen Personenpotenzials beruhte auf einem Zuwachs in den parteiunabhängigen bzw. parteiungebundenen Strukturen und im Bereich des lose strukturierten Personenpotenzials, während die Zahl bei den parteigebundenen Strukturen bzw. Parteien konstant (340) blieb. Lose strukturierter Rechtsextremismus: Neonazis und subkulturell orientierte Rechtsextremisten | Der lose strukturierte Rechtsextremismus setzte sich aus dem neonazistischen Spektrum und subkulturell orientierten Rechtsextremisten zusammen, wobei beide Bereiche eine Schnittmenge aus den Kategorien parteiunabhängige/parteiungebundene Strukturen und weitgehend unstrukturiertes Personenpotenzial bildeten. Ist der Bereich Neonazismus im engeren Sinne mit dem Bekenntnis zum Nationalsozialismus und dessen maßgeblichen Protagonisten gleichzusetzen, so werden ihm darüber hinaus Personen und Gruppierungen zugerechnet, die insbesondere rassistische und nationalistische Positionen vertreten, ohne dass sie dem legalistischen Rechtsextremismus angehören. Dies hängt vor allem damit zusammen, dass Neonazis ihre Freizeit eher wie subkulturell orientierte Rechtsextremisten verbringen oder teilweise gemeinsam mit ihnen bei Demonstrationen auftreten. Allerdings gingen im Zusammenhang mit der COVID-19-Pandemie die öffentlichkeitswirksamen Aktionen der Neonaziszene in Hessen deutlich zurück, wobei RECHTSEXTREMISTISCHES PERSONENPOTENZIAL IN HESSEN (2016 BIS 2020) 2.000 Gesamtzahl der Rechtsextremisten 1.500 davon 1.000 gewaltorientiert in parteiunabhängigen bzw. parteiungebundenen Strukturen weitgehend unstruk500 turiertes Personenpotenzial in Parteien 0 2016 2017 2018 2019 2020 Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 41 EXTREMISMUS IN HESSEN sich Rechtsextremisten aus Hessen - darunter Neonazis - an überregionalen "Anti-Corona-Protesten" beteiligten. Im September durchsuchte die Polizei in Wiesbaden die Wohnung eines Rechtsextremisten, nachdem zuvor in der Landeshauptstadt Aufkleber und Graffitis mit Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen und volksverhetzenden Inhalten aufgetaucht waren. Der Rechtsextremist hatte im Internet eine deutsche Chatgruppe der amerikanischen Gruppierung National Socialist Club - Anti Communist Action (NSC 131) eröffnet. In der Wohnung stellte die Polizei unter anderem Stich-/Hiebund Schusswaffen sicher. Anfang Dezember verbot der Bundesminister des Innern, für Bau und Heimat die in mehreren Ländern aktive Sturmbrigade 44/Wolfsbrigade 44, da sie sich unter anderem gegen die verfassungsmäßige Ordnung und den Gedanken der Völkerverständigung richtete. In Hessen durchsuchte die Polizei im Zuge der Vollstreckung des Verbots 20 Objekte und stellte Waffen, Munition sowie nationalsozialistische Devotionalien sicher. Acht führende Mitglieder der Gruppierung wohnten in Hessen. Offensichtlich im Zusammenhang mit den staatlichen COVID-19-Bekämpfungsmaßnahmen ging in Hessen im Berichtszeitraum die Zahl der rechtsextremistischen Musikveranstaltungen zurück: Es fand lediglich ein Liederabend statt (2019: vier Musikveranstaltungen). In Leun (Lahn-Dill-Kreis) sorgte ein Liedermacher für das musikalische Begleitprogramm beim Neujahrsempfang der Fraktionen Leun und Wetzlar der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD). Mit dem Ziel, rechtsextremistische Musikveranstaltungen unter Ausschöpfen aller rechtlichen Möglichkeiten zu verhindern oder aufzulösen, stand die Szene der subkulturell orientierten Rechtsextremisten nach wie vor im Fokus des LfV. Aufgrund ihres Erlebnischarakters bietet Musik für Jugendliche verschiedene Identifikationsmöglichkeiten: das Pflegen eines stark emotionalisierten Gemeinschaftsverständnisses, das Beschwören von Feindbildern ("Migranten", "Juden", "Staat" und dessen Repräsentanten), das Verherrlichen von Gewalt sowie das Verharmlosen und Glorifizieren des Nationalsozialismus. Affinität zu verbaler und körperlicher Gewalt | Die Anzahl der gewaltorientierten Rechtsextremisten in Hessen (860) erreichte ebenso wie die Zahl der rechtsextremistischen Gewalttaten (42) den höchsten Wert im Fünf-Jahreszeitraum. Besorgniserregend ist, dass nicht nur die Zahl der Gewaltdelikte um 35 Prozent stieg, sondern die Gesamtzahl der rechtsextremistischen Strafund Gewalttaten um 37 Prozent 42 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 EXTREMISMUS IN HESSEN zunahm. Erstmals überschritt die Gesamtzahl im Fünf-Jahreszeitraum 2016 bis 2020 mit 1.216 Delikten (2019: 886) die Tausender-Marke. Unverändert besteht die Gefahr, dass einzelne Szeneangehörige aufgrund ihrer persönlichen Situation, ihres sozialen Umfelds, ihrer Beeinflussung durch außen und ihres Radikalisierungsgrads zu Kurzschlusshandlungen neigen, die in Gewalt münden. Die im Rahmen der "Anti-Corona-Proteste" entstandenen Emotionalisierungen - oft im Verbund mit Verschwörungsnarrativen - verstärken diese vom Rechtsextremismus ausgehende Gefahr offenbar nicht nur, sondern begünstigen auch in anderen Teilen der Gesellschaft ein Klima des "Widerstands", das einen Radikalisierungsfaktor darstellen kann. In einem nicht zu erwartenden Ausmaß fielen im Rahmen der "Anti-Corona-Proteste" beleidigende und hetzerische Äußerungen gegenüber Migranten sowie gegenüber demokratischen Institutionen und deren Repräsentanten. Diese Aggression wurde darüber hinaus von Menschen akzeptiert, die sich bislang nicht dafür empfänglich zeigten und/oder sich nicht im Umfeld von Extremisten bewegten. Sonderauswertungsgruppe (SAW) | Umgehend nach der Festnahme des dringend Tatverdächtigen Stephan E. im Mordfall Dr. Walter Lübcke wurde im LfV eine Sonderauswertungsgruppe (SAW) gebildet, deren zentrale Aufgabe darin bestand, nachrichtendienstliche Ermittlungen hinsichtlich der Existenz möglicher rechtsextremistischer/-terroristischer Bestrebungen durchzuführen. Dabei hatte die SAW auch die Reaktionen der rechtsextremistischen Szene auf den Mord sowie auf die Inhaftierung der Tatverdächtigen im Blick. Aufgabe der SAW war es, die Ermittlungen des zuständigen Generalbundesanwalts am Bundesgerichtshof bestmöglich zu unterstützen. Hierfür stand das LfV im stetigen und engen Austausch mit dem RECHTSEXTREMISTISCHE STRAFUND GEWALTTATEN IN HESSEN (2016 BIS 2020) 1.216 1.200 1.000 886 799 800 540 539 600 Strafund Gewalttaten 400 insgesamt 200 23 31 42 16 25 0 Gewalttaten 2016 2017 2018 2019 2020 Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 43 EXTREMISMUS IN HESSEN Generalbundesanwalt. In diesem Kontext wurden die im LfV vorhandenen Erkenntnisse zu den Tatverdächtigen dem Generalbundesanwalt vollumfänglich übermittelt. Darüber hinaus fungierte die SAW im Zusammenhang mit dem Ermittlungsverfahren des Generalbundesanwalts als Informationsschnittstelle zwischen der hessischen Polizei und dem Verfassungsschutzverbund. Am 29. April 2020 erhob der Generalbundesanwalt beim Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main Anklage gegen die Tatverdächtigen. Der Prozess wurde am 16. Juni 2020 eröffnet. Mit Urteil vom 28. Januar 2021 wurde der Angeklagte durch das OLG Frankfurt wegen Mordes an Dr. Walter Lübcke zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. Durch das Gericht wurde darüber hinaus die besondere Schwere der Schuld des Angeklagten festgestellt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Bearbeitung integrierter bzw. abgetauchter Rechtsextremisten (BIAREX) | In Anbetracht der Erkenntnisse im Mordfall Dr. Lübcke wurde am 23. Juli 2019 in der Abteilung 2 des LfV (Rechtsextremismus/-terrorismus) die Organisationseinheit BIAREX geschaffen. Sie unterzieht Rechtsextremisten, die in der Vergangenheit zwar einschlägig rechtsextremistisch in Erscheinung getreten sind, in der Gegenwart aber - womöglich bereits seit vielen Jahren - eine unauffällige Biographie aufweisen, sukzessive einer vertieften Einzelfallanalyse. Dabei wird insbesondere überprüft, ob aktuell Radikalisierungspotenziale feststellbar sind oder ob eine Loslösung von der rechtsextremistischen Szene plausibel erscheint. Durch die fokussierte Analyse von Einzelpersonen sollen Radikalisierungspotenziale frühzeitig erkannt werden, sodass Gegenmaßnahmen eingeleitet werden können. Der Ansatz einer vertieften Individualanalyse mit standardisierten Betrachtungsebenen stellt eine Ergänzung der bisherigen Methoden der Auswertung und einen weiteren Schritt im Ausbau der Analysekompetenz des LfV dar. Die vertiefte Einzelfallanalyse durch BIAREX erfolgt auf Grundlage aktueller wissenschaftlicher Erkenntnisse aus den Bereichen der Extremismusforschung, Kriminologie und Soziologie unter Anwendung eines standardisierten Mehraugenprinzips. Von besonderer Bedeutung ist für die Analyse die Betrachtung des individuellen Verhaltens, eingebettet in die biographischen und sozialen Rahmenbedingungen der jeweiligen Person. Hierbei soll die jedem Einzelfall inhärente individuelle Einstellung aufgedeckt und hieraus individuelle Handlungsmuster abgeleitet werden. Hierzu werden Erkenntnisse biographisch aufbereitet und durch geeignete Maßnahmen - wie die Informationserhebung bei anderen Behörden, Ermittlungen oder die Recherche im Internet nach (Selbst-)Darstellungen der Person - ergänzt. Es wird somit der Rückgriff auf generalisierende und simplifizierende Muster vermieden. 44 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 EXTREMISMUS IN HESSEN Im Rahmen einer datenschutzrechtlichen Sonderprüfung wurden bislang rund 2.750 Datensätze des LfV aus dem Phänomenbereich Rechtsextremismus einer retrograden Prüfung unterzogen. Sie hat das Ziel, die beim LfV aufgrund des seit Juli 2012 bestehenden "Lösch-Moratoriums" gesperrten Datensätze aus dem Phänomenbereich Rechtsextremismus einer kritischen Nachprüfung zu unterziehen. Bei etwa 1.200 dieser 2.750 Datensätze wurden Anhaltspunkte für möglicherweise erhöhte Gefährdungsaspekte festgestellt. Im Rahmen einer darauf aufbauenden Einzelfallprüfung wurde bislang bei rund 450 Datensätzen eine erneute inhaltliche fachliche Befassung zur weiteren Aufklärung bzw. zur Erkenntnisverdichtung durch BIAREX angestrengt. Davon wurden bislang rund 150 Datensätze abschließend bewertet und hiervon 50 Datensätze nach Neubewertung der vorliegenden Informationen in die aktive Befassung überführt. Fokussierte operative Bearbeitung herausragender Akteure im Rechtsextremismus (FOBAREX) | Außerdem wurde im LfV am 1. September 2020 die Einheit FOBAREX geschaffen, um die Bearbeitung des personenbezogenen Ansatzes im Phänomenbereich Rechtsextremismus zu intensivieren. Dabei nahm FOBAREX Rechtsextremisten in den Fokus, die als besonders relevant eingestuft werden. FOBAREX unterzog Rechtsextremisten, auf die folgende Merkmale zutrafen, einer engmaschigen qualitativen personenspezifischen Analyse: * Vorhandensein eines vergleichsweise hohen Radikalisierungspotenzials, * Tätigkeit als Vernetzungsakteure, wobei sie in besonderem Maße zur Vernetzung innerhalb der rechtsextremistischen Szene beitragen, * oder ihren Schwerpunkt im Bereich rechtsextremistischer Aktivitäten (etwa als Initiatoren von Veranstaltungen) haben. Die hierbei gewonnenen Erkenntnisse werden verwendet, um ein stets aktuelles Lagebild zu Personenkonstellationen, Strukturen und Gefährdungspotenzialen in Hessen zu erstellen. Identitäre Bewegung Deutschland e. V. (IBD)/Identitäre Bewegung Hessen (IBH) | Nachdem 2019 die Aktivitäten der IBH zurückgegangen waren, nahmen sie im Berichtsjahr wieder zu. So verteilte die IBH im Rahmen der IBD-Kampagne "4 Millionen - die Migrationswaffe" in verschiedenen hessischen Orten entsprechende Flyer, um sich als letzte Verteidigungslinie des "Abendlandes" zu präsentieren. Als Reaktion auf die Entfernung des Begriffs "Identitäre Bewegung" aus dem Suchindex von Google und der Löschungen aus Facebook, Instagram und Twitter rief die IBD dazu auf, nunmehr Telegram zu benutzen und den IBD-Newsletter zu beziehen. Mit ihrer "Identitären Sommertour" wollte die Identitäre Bewegung (IB) gegen diesen Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 45 EXTREMISMUS IN HESSEN "sanften Totalitarismus" des Löschens in "100 Städten in ganz Deutschland" protestieren. Die IBH beteiligte sich, indem sie in etlichen hessischen Orten Infostände aufbaute. Die 2019 verlorene Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit versuchte die IB durch spektakuläre Aktionen zurückzugewinnen. So besetzte sie in Köln (Nordrhein-Westfalen) das Dach des WDR-Gebäudes, veröffentlichte im Internet als Warnung vor der "Gefahr [des] islamistischen Terrors" eine "Gefährder-Map" und schuf als Reaktion auf eine fiktive Gruppierung in einer Folge der Krimireihe Tatort zeitweise tatsächlich aktive Strukturen der Gruppierung "Junge Bewegung". Hervorzuheben ist, dass sich die IB in einem über ihr "Identitäres Sommerlager" gedrehtes Video neuerdings gewaltorientiert darstellte. Unter ausdrücklichem Bezug auf den antiken Kriegerstaat Sparta waren in dem Beitrag einheitlich bekleidete Personen bei Lauf-, Schwimm, Kletterund Kampfsportübungen zu sehen. Daher beobachtet das LfV fortan vor allem, ob in Hessen die IB diesen militanten Bezug forcieren und ob sich hieraus eventuell eine Änderung in ihrer Ideologie und Zielsetzung ergeben wird. Der Flügel - Junge Alternative (JA) | Als Reaktion auf die Einstufung des Flügels als gesichert rechtsextremistische Bestrebung durch das BfV forderte der Bundesvorstand der Alternative für Deutschland (AfD), dass sich der parteiinterne Flügel bis zum 30. April 2020 aufzulösen hat. Dabei wurde die Gesamtpartei AfD im Berichtsjahr vom Verfassungsschutz nicht als rechtsextremistisch bewertet und somit auch nicht beobachtet. Sowohl bundesals auch hessenweit kamen die Angehörigen des Flügels der Aufforderung der Parteiführung nach. Die JA, die Jugendorganisation der AfD, war in Hessen vor allem in den sozialen Medien aktiv, wobei sie sich auf Beiträge zur Asylund Migrationspolitik fokussierte. Patrick Pana, Mitglied des Landesvorstands der JA Hessen und Angehöriger des mittlerweile aufgelösten Flügels, bekannte sich zu Inhalten, Gruppierungen und Personen aus dem Spektrum der Neuen Rechten. Die Schriften des marxistischen Philosophen Antonio Gramsci bezeichnete er als unabdingbar für eine "fundierte Theoriebildung". NPD - Junge Nationalisten (JN) | Vor dem Hintergrund der COVID19-Pandemie und der gegen sie ergriffenen staatlichen Maßnahmen konzentrierte sich die NPD auf die Verbreitung entsprechender Kommentare in den sozialen Medien und im Internet. Die Partei forderte "dauerhafte Einreisekontrollen" und die "ökonomische Deglobalisierung", außerdem verunglimpfte sie migrantisch geprägte Bevölke46 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 EXTREMISMUS IN HESSEN rungsteile als "Invasoren", die es "mit der Hygiene nicht allzu genau nähmen". Die NPD, der das Bundesverfassungsgericht 2017 bescheinigte, dass sie darauf aus ist, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu überwinden, rief dazu auf, "für unsere Grundrechte auf die Straße [zu] gehen": "Aufstehen, Rausgehen, die Faust heben! Widerstand!" Die NPD sprach von "Corona-Schwindel" und "CoronaWahnsinn" und forderte dazu auf, in Berlin für die "Freiheit, ein selbstbestimmtes Leben und gegen die Willkür von Politik und staatsdienender Presse" zu demonstrieren. In Hessen führte die NPD nur wenige Veranstaltungen durch. Auf dem Landesparteitag bestätigten die Delegierten der NPD Hessen im Oktober Daniel Lachmann als Landesvorsitzenden. In seiner Rede nannte er es als Ziel, bei der hessischen Kommunalwahl im März 2021 "zu möglichst vielen Stadtund Gemeindeparlamentswahlen [...] mit Listen anzutreten, damit auch dem Wähler die Chance zur Stimmabgabe für die nationale Oppositionspartei gegeben wird". Allerdings büßte die NPD im Vergleich zur letzten Kommunalwahl 4.205 Stimmen (= 0,2 Prozentpunkte) ein und erhielt 1.799 Stimmen (= 0,1 Prozent). Auch die JN kritisierten im Zuge der COVID-19-Pandemie die Globalisierung: "Sie importiert Unsicherheit, Terror und Kriminalität!" Um ihrem Protest Ausdruck zu verleihen, organisierten die JN die "Internet-Demo" "#SystemExit", bei der Bilder von JN-Angehörigen bei Bannerund Klebeaktionen - vorwiegend in Nordund Ostdeutschland - gezeigt wurden. In Hessen führten die JN die Kampagne "schülersprecher.info" fort. Dabei wurden mindestens an zwei Schulen in Wetzlar (Lahn-Dill-Kreis) und an einer Schule in Bruchköbel (Main-Kinzig-Kreis) Aufkleber bzw. Plakate angebracht. Der Dritte Weg/Der III. Weg - DIE RECHTE | Im Rahmen ihrer deutschlandweiten Kampagne "Das System ist gefährlicher als Corona" kritisierte auch die neonazistische Partei Der Dritte Weg die staatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie als ungerechtfertigte Grundrechtseingriffe. Die Partei DIE RECHTE sprach sogar von einer "Seuchen-Diktatur". Der Dritte Weg bot auf seiner Homepage in einer bundesweiten Aktion "Nachbarschaftshilfe" an; regional begrenzt - allerdings nicht in Hessen - tat dies auch DIE RECHTE. Insbesondere Der Dritte Weg instrumentalisierte die Pandemie, um Stimmung gegen die angebliche "zunehmende Überfremdung" und die damit vermeintlich einhergehende "Islamisierung Deutschlands" zu machen. So sprach die Partei verächtlich von "Steinzeit-Muslimen" und veranstaltete im Mai in Haiger (Lahn-Dill-Kreis) eine Kundgebung unter dem Motto "Ja zum Verbot des MuezzinRufs! Corona[-]Sonderregelungen sind keine Türöffner für ÜberfremHessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 47 EXTREMISMUS IN HESSEN dung!" Noch vor dem Ausbruch der Pandemie führte Der Dritte Weg seinen traditionellen "Gedenkmarsch" ("Wir tragen das Licht für Dresden") durch, der dieses Mal in Fulda (Landkreis Fulda) startete. Seine Kandidatur für die Bürgermeisterwahl in Neukirchen (SchwalmEder-Kreis) zog der Landesvorsitzende der Partei DIE RECHTE, Mike Guldner, Mitte Februar zurück. Am Anfang des Monats hatte die Polizei seine Wohnung wegen des Verdachts des Verstoßes gegen das Waffengesetz durchsucht. Darüber hinaus verurteilte im November das Amtsgericht (AG) Schwalmstadt Guldner rechtskräftig wegen einer gemeinschaftlich begangenen gefährlichen Körperverletzung und einer Sachbeschädigung zu einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe. Der Tat hatte eine fremdenfeindliche Motivation zugrunde gelegen. Flüchtlinge im Visier von Rechtsextremisten | Die Gesamtzahl der Straftaten der PMK -rechtsim Zusammenhang mit dem Thema "Asyl/Flüchtlinge" nahm im Berichtsjahr gegenüber dem Vorjahr deutlich zu. Sie erhöhte sich um 75 Prozent von 40 (2019) auf 70 Delikte und erreichte damit innerhalb des Fünf-Jahreszeitraums von 2016 bis 2020 den zweithöchsten Wert (Höchststand 2016 mit 91 Delikten). Die Zahl der gegen Asylbewerber/Flüchtlinge gerichteten Straftaten nahm im Bereich der PMK -rechtsum 30 Delikte (2019: 36) zu, was einer Steigerung um 83 Prozent entsprach. Auch im Berichtsjahr kam es wieder zu einem Gewaltdelikt: In der S-Bahn in Frankfurt am Main beleidigte ein unbekannter Täter eine Asylbewerberin aus Syrien in STRAFTATEN DER PMK -RECHTSIN DER GESAMTKATEGORIE ASYL (2016 BIS 2020) 100 80 Gesamtzahl PMK -rechts60 40 gegen Asylbewerber/ Flüchtlinge 20 gegen Asyl-/Flüchtlingsunterkünfte 0 gegen Hilfsorganisationen und Helfer 2016 2017 2018 2019 2020 48 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 EXTREMISMUS IN HESSEN rassistischer Weise, bedrohte sie und trat ihr in den Bauch. Auch kam es im Gegensatz zum Vorjahr wieder zu einer gegen Hilfsorganisationen und Helfer gerichteten Straftat (2019: keine). Der deutliche Anstieg (75 Prozent) der Gesamtzahl der Straftaten der PMK -rechtsim Zusammenhang mit dem Thema "Asyl-/Flüchtlinge" resultierte offenbar zu einem Teil aus der "Corona-Krise", für die Rechtsextremisten unter anderem Migranten verantwortlich machten und versuchten, eine entsprechende feindselige Stimmung gegen sie in der Bevölkerung zu entfachen. REICHSBÜRGER UND SELBSTVERWALTER Angebliches Fortbestehen eines Deutschen Reichs - Fantasiestaaten | Mit etwa 1.000 Personen, von denen etwa 150 auch dem Rechtsextremismus zugerechnet werden, blieb das Personenpotenzial der Reichsbürger und Selbstverwalter in den letzten vier Berichtsjahren konstant. Reichsbürger propagieren das Fortbestehen eines historischen Deutschen Reichs, Selbstverwalter erfinden Fantasiestaaten und beanspruchen für sich ein von der Bundesrepublik Deutschland unabhängiges Territorium. Insgesamt erkennen Reichsbürger und Selbstverwalter, unter denen sich auch Anhänger von Verschwörungsnarrativen befanden, die Bundesrepublik nicht als Staat an. Sie verstehen sich als außerhalb der Rechtsordnung stehend und fordern Behörden sowie Gerichte auf, geltendes Recht nicht anzuwenden. Diese Verweigerungshaltung kommt durch entsprechende verbale Äußerungen gegenüber Polizisten und anderen Behördenmitarbeitern zum Ausdruck; außerdem leisten Reichsbürger und Selbstverwalter mitunter Widerstand gegen gerichtlich angeordnete Zwangsvollstreckungen oder die Rückgabe von amtlichen Identitätsnachweisen. Das Gros der Szene wendet sich jedoch mit schriftlichen Eingaben an Behörden und deren Mitarbeiter, um etwa die eigene Weltsicht - oft in pseudojuristischer Sprache und Argumentation - als die einzig richtige kundzutun. Das Internet dient Reichsbürgern und Selbstverwaltern als bevorzugtes Medium zur Verbreitung ihrer Weltanschauung sowie zu ihrer Kommunikation und Vernetzung. Mittels Webseiten, YouTube-Kanälen oder Präsenzen auf Social-Media-Plattformen prangert die Szene angebliche Missstände an und diskutiert bzw. verbreitet vermeintliche Lösungsund Argumentationshilfen. Affinität zu Waffen - Entzug waffenrechtlicher Erlaubnisse | Da der Reichsbürgerund Selbstverwalterszene eine hohe Waffenaffinität zu eigen ist, gilt für sie seitens der hessischen Behörden in Bezug auf waffenrechtliche Erlaubnisse und Schusswaffenbesitz - wie auch für Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 49 EXTREMISMUS IN HESSEN andere extremistische Phänomenbereiche - eine Nulltoleranzstrategie. Zahlreichen Reichsbürgern und Selbstverwaltern wurden bislang die waffenrechtlichen Erlaubnisse entzogen und Schusswaffen sichergestellt. Zum Ende des Berichtsjahrs lag die Anzahl entsprechender personenbezogener waffenrechtlicher Erlaubnisse im mittleren zweistelligen Bereich. Entwicklungen im Rahmen der COVID-19-Pandemie | In Betracht der COVID-19-Pandemie und aus Protest gegen die staatlichen Bekämpfungsmaßnahmen vernetzte sich die Reichsbürgerund Selbstverwalterszene zusehends mit Anhängern verschiedener Verschwörungsnarrative, dabei vermischten sich beide Phänomenbereiche zunehmend miteinander. LINKSEXTREMISMUS Personenpotenzial | Das linksextremistische Personenpotenzial blieb - auch in den einzelnen Bereichen Autonome, Anarchisten und sonstige Linksextremisten - mit 2.600 Personen auf dem Niveau des Vorjahres. Dabei belief sich die Anzahl der Gewaltorientierten auf etwa 520 (= 20 Prozent). Unverändert bildete Frankfurt am Main - sowohl personell als auch strukturell - den Schwerpunkt der autonomen Szene in Hessen, allerdings konzentrierten sich etliche Aktivitäten nunmehr auch auf den Raum Nordhessen/Kassel sowie auf den Dannenröder Wald. Szenebeherrschende Themen | Die Themen "Antifaschismus", "Antimilitarismus" sowie "Klimaund Umweltschutzpolitik" bildeten die Kernanliegen der autonomen Szene in Hessen. Trotz ihrer Unterschiedlichkeit zielten sie alle auf eine Kritik des "Kapitalismus", mit der in der linksextremistischen Ideologie letztlich die Überwindung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung angestrebt wird. Im Kontext "antifaschistischer" Aktivitäten outeten Autonome nicht nur tatsächliche oder vermeintliche Rechtsextremisten, sondern nahmen auch sogenannte Querdenker sowie Angehörige von Burschenschaften und Mitglieder der AfD ins Visier. So veröffentlichte die Gruppe T.A.S.K. mehrere Berichte über Personen und Strukturen, die sie im Raum Nordhessen der "rechten Szene" zuordnete. Aber auch andere Kampagnen waren Bestandteil des autonomen "Antifaschismus": Anlässlich des 75. Jahrestags des 8. Mai 1945 lautete das Motto "Frankfurt am Main entnazifizieren!" Den Prozessauftakt gegen die Angeklagten im Zusammenhang mit dem Mord an Dr. Walter Lübcke bedachten Autonome mit der Parole "Keine Einzeltäter". Vor 50 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 EXTREMISMUS IN HESSEN LINKSEXTREMISTISCHES PERSONENPOTENZIAL IN HESSEN (2016 BIS 2020) 3.000 Gesamtzahl 2.500 der Linksextremisten 2.000 1.500 1.000 Sonstige Linksextremisten 500 Autonome 0 Anarchisten 2016 2017 2018 2019 2020 diesem Hintergrund demonstrierte die Szene aus verschiedenen Anlässen (unter anderem wegen Drohschreiben des NSU 2.0 und eines Polizeieinsatzes vor dem Szenetreff Klapperfeld in Frankfurt am Main) gegen den polizeilichen "Repressionsapparat": Es reiche nicht aus, einzelne Rechtsterroristen zu verurteilen, sondern es gelte, "ihre Verbindungen in die Sicherheitsbehörden aufzudecken sowie Strukturen zu bekämpfen, die den Nährboden schaffen für Naziterror". Linksextremistische Proteste in Frankfurt am Main ("Solidarität statt Antisemitismus und Verschwörungsideologie") gegen eine Demonstration der Querdenken-Bewegung schlugen im November in Gewalt um, sodass vier Polizeibeamte verletzt wurden. Zu Gewalt kam es auch, als im Februar in Eschborn (Main-TaunusKreis) etwa 40 Personen in das Gebäude des Bundesamts für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) eindrangen. Insgesamt unterstützten rund 100 Personen die Blockade der Behörde, im Anschluss kam es zu Auseinandersetzungen mit der Polizei. Mit der Aktion, die dem autonomen Themenfeld "Antimilitarismus" zuzuordnen ist, sollte gegen Krieg und Rüstungsexporte demonstriert werden. Eine ähnliche Aktion - dieses Mal friedlich - fand im August in Kassel statt, als Aktivisten die Werkszufahrt der Krauss-Maffei Wegmann GmbH & Co. KG blockierten. Die meisten und schwerwiegendsten Gewalttaten ereigneten sich im Rahmen der Besetzungsund Blockadeaktionen im Dannenröder Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 51 EXTREMISMUS IN HESSEN Wald, mit denen Aktivisten den Ausbau der A 49 verhindern wollten. Der versuchte Brandanschlag auf fünf Baustellenfahrzeuge, zu dem sich auf der linksextremistischen Internetplattform de.indymedia.org eine "Autonome Kleingruppe in Solidarität mit dem Kampf gegen die A 49" bekannte, war ein erster Versuch gewaltorientierter Aktivisten, die Situation eskalieren zu lassen. Als die erhoffte Unterstützung - etwa seitens der linksextremistisch beeinflussten Klimaund Umweltschutzbewegung Ende Gelände - ausblieb, radikalisierte sich die Waldbesetzerszene zusehends: Vermehrt tauchten linksextremistische Symbole auf, linksextremistische Begriffe fanden Eingang in ihre Sprache, sodass der Protest eine entsprechende programmatische Ausrichtung "gegen Staat und Kapitalinteressen" nahm. Vermehrt wurden Polizeibeamte angegriffen, im November kam es innerhalb von zwei Wochen zu vier Brandanschlägen auf Baufahrzeuge und Unternehmen, Aktivisten seilten sich von Autobahnbrücken ab und legten damit den Verkehr lahm. Bemerkenswert ist, dass - ähnlich wie im Bereich der Proteste gegen die staatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19Pandemie - eine Distanzierung von Extremisten fehlte. In Teilen gab es sogar keine klare Distanzierung von Strafund Gewalttaten. So erklärte eine Sprecherin der Waldbesetzer: "Auf Aktionen autonomer Gruppen, die ihrer Wut Ausdruck verleihen, haben wir keinen Einfluss. Daher haben wir dazu als Waldbesetzung keinen Kommentar". Strafund Gewalttaten | Vor diesem Hintergrund - insbesondere der Proteste im Dannenröder Wald - erhöhte sich nicht nur die Gesamtzahl der Strafund Gewalttaten von 65 (2019) auf 110 (= 69 Prozent), sondern auch die Zahl der Gewalttaten um das nahezu Siebenfache von fünf (2019) auf 34. Sowohl die Gesamtzahl als auch die Zahl der Gewalttaten lag damit im Fünf-Jahreszeitraum von 2016 bis 2020 an höchster Stelle. Zu einer der schwerwiegendsten Gewalttaten kam es, als im Dannenröder Wald Aktivisten ein Halteseil einer Baumstammkonstruktion durchtrennten, um es auf Polizeibeamte stürzen zu lassen. Deutsche Kommunistische Partei (DKP) | Der seit Jahren geführte Streit über die politische Ausrichtung der Partei (Reformer gegen Marxisten-Leninisten) und die Diskussionen über tagesaktuelle Fragen wie etwa die Klimaund Umweltschutzpolitik wurden aus dem Parteivorstand heraus wie folgt kommentiert: Die DKP mache "Fortschritte im Ringen um die Wiederverankerung in der Klasse". Die seit Jahren anhaltende Krise der Partei setzte sich im Berichtsjahr fort und es gelang ihr bisher nicht, sich innerhalb der Klimaund Umweltschutzbewegung als Bündnispartnerin zu etablieren. 52 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 EXTREMISMUS IN HESSEN LINKSEXTREMISTISCHE STRAFUND GEWALTTATEN IN HESSEN (2016 BIS 2020) 120 110 100 90 80 65 61 60 48 34 40 Strafund Gewalttaten 25 insgesamt 20 5 13 5 0 Gewalttaten 2016 2017 2018 2019 2020 Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend (SDAJ) | Die eng mit der DKP verbundene SDAJ verknüpfte die aus der COVID-19-Pandemie resultierenden wirtschaftlichen Herausforderungen mit der Parole "Gesundheit statt Profite". Ihre Versuche, Anschluss an die Klimaund Umweltschutzbewegung zu finden, reduzierte die SDAJ sehr stark, so war sie auch bei den Protesten im Dannenröder Wald nicht präsent. Ebenso gingen die Aktionen der SDAJ zurück, was Flugblattverteilungen an Schulen in Hessen betraf. Im Zusammenhang mit den staatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie verlagerte die SDAJ ihre Aktivitäten stattdessen vermehrt ins Internet. In diesem Rahmen versuchte sie, von dem Pandemiegeschehen betroffene Schüler für ihre politische Zwecke zu beeinflussen und zu instrumentalisieren. Kommunistische Organisation (KO) | Die KO, die sich 2017 in Frankfurt am Main von der SDAJ abgespalten hatte, war weiterhin im Aufbau begriffen und trat im Berichtsjahr zum ersten Mal öffentlich in Erscheinung. Bei einer Demonstration in Gießen (Landkreis Gießen) soll ein KO-Angehöriger laut Medienberichterstattung geäußert haben, dass die Novemberpogrome von 1938 eine "Inszenierung der Eliten" gewesen seien, wogegen die deutsche Bevölkerung keinen Hass gegen Juden gehegt hätte. Im Internet wehrte sich die KO gegen den Vorwurf des "antisemitischen Geschichtsrevisionismus": "Gerade ein Antifaschismus als Massenbewegung soll im Keim erstickt werden, um das herrschende System zu schützen". Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) | Mittels ihrer Kampagne "Gib Antikommunismus keine Chance!" kritisierte die Partei die angebliche "Gleichsetzung von links und rechts" und die "Verharmlosung des Faschismus": "Denn die Faschisten ziehen ihre wesentliche Rechtfertigung aus dem Antikommunismus". Darüber hinaus arbeitete die MLPD im Rahmen ihres Protests gegen die türkische Politik mit kurdischen Gruppierungen zusammen. Ihre AblehHessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 53 EXTREMISMUS IN HESSEN nung der staatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19Pandemie verknüpfte sie mit einer Kritik am "Kapitalismus", indem sie von einer "freie[n] Fahrt für die Monopole und [einer] Abwälzung der Krisenlasten auf die Arbeiterklasse und die Massen" sprach. Rote Hilfe e. V. (RH) | Die RH-Ortsgruppe Frankfurt am Main rief zusammen mit dem RH-Bundesvorstand zu einer Spendenkampagne für die fünf Angeklagten des sogenannten Elbchaussee-Prozesses auf, die wegen Gewalttaten bei Protesten gegen den G20-Gipfel 2017 in Hamburg vor Gericht gestanden hatten und verurteilt worden waren, dabei stammten vier der fünf Angeklagten aus dem Rhein-Main-Gebiet. Ebenso begleitete die RH Personen, die sich wegen einer Abseilaktion von Autobahnbrücken im Rahmen der Proteste gegen die Rodung des Dannenröder Walds in Untersuchungshaft befanden. Unter dem Motto "Free them all" rief die RH-Ortsgruppe Frankfurt am Main zu Solidaritätsdemonstrationen auf. ISLAMISMUS Jihadistischer und politischer Salafismus | Wie im Vorjahr kam es in Hessen zu einer Reihe von Exekutivmaßnahmen und Verurteilungen im Bereich des jihadistischen Salafismus. Aufgrund der Durchsuchungen und Festnahmen wurden Anschlagsplanungen frühzeitig erkannt und somit vereitelt. Darüber hinaus begannen im April und im Dezember zwei weitere Prozesse gegen Angehörige des sogenannten Islamischen Staats (IS) vor dem Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main. Der IS selbst baute seine Untergrundstrukturen in seinen ehemaligen Einflussgebieten im Mittleren Osten weiterhin aus, führte GuerillaAngriffe durch und forderte seine Kämpfer dazu auf, aus den Internierungslagern auszubrechen. Die jihadistische Szene in Hessen verfolgte die Entwicklungen in Syrien und im Irak, wobei Szeneangehörige in Deutschland sich mit in Syrien inhaftierten Frauen und deren Kindern solidarisierten, indem sie zum Beispiel Spendenprojekte unterstützten. Eine Analyse des LfV in Bezug auf aus dem Mittleren Osten zurückgekehrte Frauen ergab, dass sich diese nur zu einem geringen Teil wieder in die salafistische Szene eingliederten bzw. sich zurück in alte Strukturen begaben. Auch lagen keine Erkenntnisse zu Netzwerken vor, die nach ihrer Rückkehr entstanden waren. Gleichwohl war die Gefahr eines jihadistischen Terroranschlags in Deutschland unvermindert hoch. Seitdem sich der IS in seinen ehe54 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 EXTREMISMUS IN HESSEN maligen Einflussgebieten im Untergrund konsolidiert, stiegen die Anschlagsquantität und -qualität. Es gelang der Terrororganisation, ihre jihadistischen Botschaften (potenziellen) Anhängern und Sympathisanten zu vermitteln; diese wiederum verfassten selbst entsprechende Texte und verbreiteten sie eigeninitiativ im Internet. Die anhaltend hohe Gefährdungslage spiegelt sich in den im Berichtszeitraum in Frankreich, Österreich, Deutschland und in der Schweiz begangenen Anschlägen wider. So tötete in Dresden (Sachsen) ein Islamist einen Touristen und verletzte dessen Lebensgefährten schwer, der Attentäter von Wien hatte unter anderem Verbindungen nach Deutschland. Im Bereich des politischen Salafismus fungierten entsprechend beeinflusste Moscheen nach wie vor als Treffund Kontaktpunkte. Während es in Hessen nur vereinzelt Da'wa-Aktivitäten gab, erreichten salafistische Prediger ihr Publikum vor allem über das Internet. Identitätsstiftende ideologische Führungsfiguren bzw. überregionale Hauptakteure waren in der Szene des politischen Salafismus in Hessen nicht vorhanden. Zwar gibt es in der salafistischen Szene in Hessen Akteure, die über großes Ansehen genießen und hinsichtlich der Ideologie z. T. identitätsstiftend sind, gleichwohl ist nicht erkennbar, dass sie dieses Ansehen in einen Führungsanspruch ummünzen oder von einem Personenkreis als Führungspersonen wahrgenommen werden. Angesichts der Fragmentierung der Szene versuchten Salafisten im Bereich der Gefangenenhilfe, Inhaftierte weiterhin an die Szene zu binden, um so Resozialisierungsprozesse zu unterlaufen. ISLAMISTISCHES PERSONENPOTENZIAL IN HESSEN (2016 BIS 2020) 5.000 Gesamtzahl 4.000 der Islamisten 3.000 2.000 1.000 Salafisten 2016 2017 2018 2019 2020 Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 55 EXTREMISMUS IN HESSEN Das salafistische Personenpotenzial verharrte insgesamt auf dem Niveau der letzten fünf Jahre (1.650), das gilt auch für das islamistische Personenpotenzial insgesamt (4.170). Strafund Gewalttaten | Mit 35 Delikten gab es gegenüber 2019 (36) einen kaum merklichen Rückgang. War es im Vorjahr zu einer Gewalttat gekommen, gab es im Berichtsjahr nunmehr zwei. Reaktionen auf die COVID-19-Pandemie | Ebenso wie in anderen Phänomenbereichen reagierten auch im Islamismus viele Gruppierungen auf die COVID-19-Pandemie und die mit ihr verknüpften staatlichen Bekämpfungsmaßnahmen. Das Spektrum der Reaktionen reichte von neutraler Berichterstattung über Warnhinweise und Verschwörungsnarrative bis hin zu Agitation gegen "den Westen". Dabei wurde das Auftreten der Pandemie unterschiedlich interpretiert und in weiten Teilen in einen religiösen Kontext eingeordnet. So fanden sich in Videos und Beiträgen auf islamistischen Social-Media-Kanälen Weltuntergangsszenarien: Ein allgemein sündhaftes Verhalten der Menschen wurde darin als Ursache für die weltweite Pandemie gesehen und als "Strafe Allahs" dargestellt. In diesem Zusammenhang warnten Akteure ebenso vor dem nahenden Tag des Jüngsten Gerichts. In der islamistischen Szene wurde aber auch dazu aufgerufen, sich an Präventionsbemühungen zu beteiligen: Veranstaltungen, Freitagspredigten und Reiseaktivitäten sollten eingestellt werden. Alternativ zu persönlichen Treffen und Begegnungen versuchten einige Gruppierungen, auf technische und virtuelle Lösungen auszuweichen, zum Beispiel mittels Internet-Telefonie oder -konferenzen. Hizb ut-Tahir (HuT, Partei der Befreiung) - Realität Islam (RI) | In Bezug auf den Anschlag in Hanau (Main-Kinzig-Kreis) kreierte die HuT-nahe ISLAMISTISCHE STRAFUND GEWALTTATEN IN HESSEN (2016 BIS 2020) 99 100 80 62 60 36 35 40 27 Strafund Gewalttaten 20 insgesamt 0 1 1 1 2 0 Gewalttaten 2016 2017 2018 2019 2020 56 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 EXTREMISMUS IN HESSEN Gruppierung RI eine in den sozialen Medien verbreitete Bildcollage mit dem Textzusatz "Hanau 2000 - es hätte auch mich treffen können". Den neunfachen Mord bewertete RI als "logische Konsequenz der politischen Richtung, [...] andere Kulturen, allen voran die islamische Kultur, zu assimilieren und der Mehrheitsgesellschaft vollständig anzupassen". Andererseits bezeichnete RI auf YouTube "unsere islamischen Werte als korrekt und selbstverständlich". Wünschenswert sei, "dass die gesamte Menschheit danach lebt". Indem RI sich in den sozialen Medien - insbesondere auf Twitter - verstärkt mit in Frankreich und Österreich virulenten Themen beschäftigte, versuchte die Gruppierung in der Öffentlichkeit insgesamt den Anschein zu erwecken, dass die Mehrheitsgesellschaft eine antimuslimische Agenda verfolge. In ihrer Agitation lehnte sich RI an die Programmatik der mit einem Betätigungsverbot belegten HuT an und übernahm deren Anspruch, als Multiplikatorin und Propagandistin zu wirken. Ziel sei es, "islamische Persönlichkeiten" auszubilden, um die "islamische Botschaft zu tragen und die intellektuelle Auseinandersetzung und den politischen Kampf zu führen". Muslimbruderschaft (MB) | Die Deutsche Muslimische Gemeinschaft e. V. (DMG) als wichtigste Organisation des deutschen MB-Netzwerks versuchte, ihre Vergangenheit als frühere Islamische Gemeinschaft in Deutschland e. V. (IGD) abzustreifen. Allerdings distanzierte sich die DMG nur von bestimmten Aussagen des maßgeblichen MBIdeologen Yusuf al-Qaradawi und erkannte dessen Expertise in vielen Gebieten nach wie vor an. Dies zeigt, dass keine Änderung an der Programmatik der DMG beabsichtigt ist, auch wenn sie versuchte, mittels auf ihrer Internetseite veröffentlichten Positionen ein anderes Bild zu erzeugen. Die Mitgliedschaft der DMG beim Zentralrat der Muslime (ZMD) ruht, bis über ihre Klage gegen ihre Nennung als MBnahe Organisation im vom Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat herausgegebenen Verfassungsschutzbericht entschieden sein wird. Saadet Partisi (SP, Partei der Glückseligkeit) | Die unter anderem im Saadet Deutschland Regionalverein Hessen e. V. (SP Hessen) organisierten Anhänger der Milli-Görüs-Bewegung gedachten wie in jedem Jahr ihres 2011 verstorbenen Anführers Necmettin Erbakan und nutzen das entsprechende "Erinnerungsund Erkenntnisprogramm", um Kontakte zu pflegen und auszubauen. Auch die Erbakan Vakfi (Erbakan-Stiftung) verbreitete positive Beiträge über den Verstorbenen, darunter befanden sich antisemitische Inhalte und Aussagen über die angebliche Vollkommenheit und Überlegenheit des Islams. Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 57 EXTREMISMUS IN HESSEN Antisemitisches fand sich ebenfalls in der MillA(r) Gazete, die als Sprachrohr der Milli-Görüs-Bewegung fungiert. EXTREMISMUS MIT AUSLANDSBEZUG Personenpotenzial | Das seit Jahren konstant hohe Niveau des Personenpotenzials änderte sich gegenüber dem Vorjahr nicht und blieb bei 4.195 Personen. Partiya Karkeren Kurdistan (PKK, Arbeiterpartei Kurdistans) | Anhänger der PKK konzentrierten sich im Berichtsjahr auf Aktionen, mit denen sie zweierlei verbanden: Sie forderten die Haftentlassung ihres Anführers Abdullah Öcalan und protestierten gegen die antikurdische Politik der Türkei. So fand im Februar unter dem Motto "Freiheit für Öcalan - Schulter an Schulter gegen den Faschismus" ein Marsch statt, der in mehreren Etappen von Luxemburg nach Strasbourg (Frankreich) führte. In diesem Zusammenhang wurden auch drei Sternmärsche durchgeführt, von denen einer von Frankfurt am Main nach Saarbrücken (Saarland) führte. Dabei kam es immer wieder zu Verstößen gegen das Vereinsund Versammlungsgesetz sowie zu teilweise gewalttätigen Auseinandersetzungen mit nationalistischen Türken. Straftaten (Sachbeschädigungen durch Sprühaktionen) ereigneten sich auch im September, nachdem der europäische Dachverband der PKK-nahen Vereine zu europaweiten EXTREMISTISCHES PERSONENPOTENZIAL MIT AUSLANDSBEZUG IN HESSEN (2016 BIS 2020) 5.000 Gesamtzahl der Extremisten mit Auslandsbezug 4.000 3.000 2.000 Türkischer Ursprung 1.000 Kurdischer Ursprung 0 Sonstige 2016 2017 2018 2019 2020 58 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 EXTREMISMUS IN HESSEN EXTREMISTISCHE STRAFUND GEWALTTATEN MIT AUSLANDSBEZUG IN HESSEN (2016 BIS 2020) 118 120 100 84 80 73 71 60 40 32 Strafund Gewalttaten insgesamt 20 12 10 1 4 1 0 Gewalttaten 2016 2017 2018 2019 2020 Protestkundgebungen ("Öcalan verteidigen, heißt die Menschheit verteidigen") aufgerufen hatte. An den Veranstaltungen in Kassel, Darmstadt und Frankfurt am Main nahmen mitunter deutsche Linksextremisten teil. Demonstrationen im Rahmen eines bundesweiten Aktionstags im Oktober ("Freiheit für Öcalan! - Für ein Ende des Faschismus und der Besatzung") verliefen - unter Beachtung der pandemiebedingten Hygieneund Abstandsregeln - friedlich. Das galt auch für Veranstaltungen, die im November in Hessen aus Protest gegen das PKK-Betätigungsverbot stattfanden. Abgesehen von diesen öffentlichen Veranstaltungen beschränkten sich die Aktivitäten der PKK-Anhänger in Hessen, bedingt durch die staatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie, im Wesentlichen auf Veröffentlichungen und Aufrufe in den sozialen Medien. Die für den 21. März in Frankfurt am Main geplante zentrale Newroz-Feier wurde abgesagt. Strafund Gewalttaten | Die Gesamtzahl der Strafund Gewalttaten reduzierte sich deutlich um mehr als die Hälfte von 73 (2019) auf 32. Die Zahl der Gewalttaten sank von vier Delikten auf ein Delikt. ORGANISIERTE KRIMINALITÄT (OK) OK-Gruppierungen bedrohen die Grundlagen unserer Gesellschaft, indem sie auf verschiedenen Gebieten in vielfacher Weise die Macht einer kriminellen Organisation durchsetzen wollen. Im Bereich der Rockerkriminalität konzentrierte sich das LfV auf die Outlaw Motorcycle Gangs (OMCG) und rockerähnliche Gruppierungen, deren Aktionsräume im Rhein-Main-Gebiet lagen. OMCG waren Hauptakteure von Machtansprüchen bei Menschenhandel und Zwangsprostitution, Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 59 EXTREMISMUS IN HESSEN wobei es in den vergangenen Jahren immer wieder zu gewalttätigen Auseinandersetzungen kam, bei denen auch Schusswaffen eingesetzt wurden. Ebenso beobachtete das LfV die russisch-eurasische OK, die von in Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion geborenen Personen dominiert wurde. Von Bedeutung waren hierbei insbesondere die sogenannten Diebe im Gesetz und die Bandenkriminalität. In Bezug auf die italienische OK bildeten Geldwäsche, der internationale Kokainhandel/-schmuggel sowie Schutzgelderpressungen Schwerpunkte der Beobachtung des LfV. SPIONAGEUND CYBERABWEHR/ WIRTSCHAFTSSCHUTZ Das LfV ging Hinweisen auf nachrichtendienstliche Aktivitäten nach, die sich gegen deutsche Interessen richteten, wobei es keine Rolle spielte, welcher fremde Staat sich hinter diesen Aktivitäten zu verbergen suchte. In diesem Rahmen bildete der Wirtschaftsschutz als präventiver Teil der Spionageabwehr einen festen Bestandteil der Aufgaben des LfV. Die Schwerpunkte der Spionageabwehr lagen auf der Beobachtung entsprechender chinesischer, russischer, iranischer und türkischer Aktivitäten. Darüber hinaus wurden indische, syrische, pakistanische, vietnamesische und nordkoreanische Aktivitäten festgestellt. Neben den klassischen Zielen (zum Beispiel Politik, Wirtschaft, Militär und Forschung) standen die Finanzbranche und Einrichtungen der Kritischen Infrastruktur (KRITIS) im Fokus fremder Staaten. Vor allem im Rahmen der Bekämpfung der COVID-19-Pandemie tätige Forschungseinrichtungen, Unternehmen und Einrichtungen befanden sich im Visier fremder Staaten. Im Verlauf der Pandemie entwickelte sich eine Auseinandersetzung darüber, welcher Staat und welche Gesellschaftsordnung mit der Bewältigung dieser Herausforderung besser umgehen konnten. Ziele entsprechender Einflussnahmeversuche und Desinformationskampagnen fremder Staaten war es unter anderem, das Vertrauen der deutschen Bevölkerung in die Stabilität und Funktionalität des Staats sowie seiner Institutionen und seiner Repräsentanten zu beschädigen und die angebliche Überlegenheit des eigenen Gesellschaftsmodells zu propagieren. Dies galt insbesondere für Russland und China. Die in diesem Rahmen bekanntgewordenen Aktivitäten entfalteten sich hauptsächlich über das Internet. 60 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 EXTREMISMUS IN HESSEN In diesem Kontext wuchs auch die Gefahr von Cyberangriffen; so verschickten Angreifer Phishing-Mails und Links mit gefälschten Nachrichten zur COVID-19-Pandemie oder gefälschte Angebote für Software, wie sie im Home Office benötigt wurden. Ein wichtiger Kooperationspartner des LfV im Kampf gegen Cyberangriffe war das für die Zusammenarbeit zwischen Polizei, Computer Emergency Response Team (CERT) und Verfassungsschutz ins Leben gerufene Hessen Cyber Competence Center (Hessen3C). Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 61 EXTREMISMUS IN HESSEN 62 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 RECHTSEXTREMISMUS - MERKMALE - RECHTSEXTREMISTISCHES PERSONENPOTENZIAL - RECHTSTERRORISMUS UND SCHWERE GEWALTSTRAFTATEN - PARTEIUNABHÄNGIGE BZW. PARTEIUNGEBUNDENE STRUKTUREN - LOSE STRUKTURIERTER RECHTSEXTREMISMUS - PARTEIGEBUNDENE STRUKTUREN BZW. PARTEIEN - KOMMUNIKATIONSSTRATEGIEN VON RECHTSEXTREMISTEN - FLÜCHTLINGE IM VISIER VON RECHTSEXTREMISTEN - RECHTSEXTREMISTISCHE STRAFUND GEWALTTATEN RECHTSEXTREMISMUS MERKMALE Rechtsextremisten lehnen die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland ab und bekämpfen sie zum Teil mit Gewalt. Sie verfolgen extremistische Bestrebungen in unterschiedlichen Formen. AUF EINEN BLICK * Das deutsche Volk als höchster Wert * "Ethnopluralismus" * Ideologie der Ungleichheit * "Kampf um die Parlamente" - "Kampf um die Straße" Das deutsche Volk als höchster Wert | Das deutsche Volk stellt für alle Rechtsextremisten den höchsten Wert dar. Sie ordnen die Rechte und Freiheiten anderer Völker und Nationen wie auch die des einzelnen Menschen diesem Nationalismus unter. Nach den Vorstellungen von Rechtsextremisten hat der Einzelne im Sinne eines völkischen Kollektivismus seinen Wert nur durch die Zugehörigkeit zum Volk, das heißt durch eine bestimmte Herkunft. "Ethnopluralismus" | Teile des Rechtsextremismus, vor allem die Identitäre Bewegung, propagieren das Konzept des "Ethnopluralismus" und behaupten in einer verschleiernden Sprache, dass sie für die Vielfalt der Völker einstehen würden. In Wirklichkeit zielt dieses Konzept auf einen strikten Nationalismus, der "fremde" Menschen ausgrenzt und dadurch Fremdenfeindlichkeit provoziert. Der "Ethnopluralismus" beschreibt die Unterschiede zwischen den Völkern und meint damit letztlich die homogene nationale Identität der eigenen Ethnie. Ideologie der Ungleichheit | Rechtsextremisten vertreten somit eine Ideologie der Ungleichheit, die in vielfacher Hinsicht den Prinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung widerspricht. An die Stelle demokratischer Entscheidungsprozesse wollen Rechtsextremisten einen autoritären (Führer-)Staat setzen, in dem nur der angeblich in sich einheitliche Wille der "Volksgemeinschaft" herrscht. "Kampf um die Parlamente" - "Kampf um die Straße" | Ihre Ziele verfolgen Rechtsextremisten auf unterschiedliche Art und Weise. Rechtsextremistische Parteien treten zu Wahlen an und versuchen, sich der demokratischen Strukturen zu bedienen, um diese letztlich abzuschaffen. Demgegenüber setzen Neonazis vor allem auf den "Kampf um die Straße". Sie versuchen, durch öffentlichkeitswirksame Aktionen sowohl im Internet als auch in der "realen" Welt Aufmerksamkeit zu erzielen. 64 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 RECHTSEXTREMISMUS RECHTSEXTREMISTISCHES PERSONENPOTENZIAL1 | 2020 2019 2018 2017 2016 in Parteien Hessen 340 340 285 275 265 Bund 13.250 13.330 5.510 6.050 6.550 davon in der Partei NPD Hessen 260 260 260 250 250 Bund 3.500 3.600 4.000 4.500 5.000 Der Dritte Weg Hessen 20 20 15 15 15 Bund 600 580 530 500 350 DIE RECHTE Hessen 10 10 10 10 Bund 550 550 600 650 700 Junge Alternative Hessen 50 50 Bund2 1.600 1.600 in parteiunabhängigen bzw. parteiungebundenen Strukturen3 Hessen 710 680 640 650 Bund 7.800 6.600 6.600 6.300 weitgehend unstrukturiertes rechtsextremistisches Personenpotenzial4 Hessen 610 600 550 540 560 Bund 13.700 13.500 13.240 12.900 Gesamtzahl der Rechtsextremisten (nach Abzug von Mehrfachmitgliedschaften) Hessen 1.660 1.620 1.475 1.465 1.335 Bund 33.300 32.080 24.100 24.000 23.100 davon gewaltorientiert5 Hessen 860 840 680 670 650 Bund 13.300 13.000 12.700 12.700 12.100 1 Die Zahlen sind teilweise geschätzt und gerundet. 2 Das BfV fasst das Personenpotenzial der Jungen Alternative unter dem Sammelbegriff "Sonstiges rechtsextremistisches Personenpotential in Parteien" zusammen. 3 Im Jahr 2017 wurde das Personenpotenzial bundesweit neu kategorisiert. Unter parteiunabhängigen bzw. parteiungebundenen Strukturen wurden in Bezug auf Hessen vor allem Neonazis sowie die Identitäre Bewegung erfasst. 4 Unter weitgehend unstrukturiertes rechtsextremistisches Personenpotenzial fallen unter anderem Anhänger der subkulturellen Musikszene. Für Hessen wurden die Zahlen rückwirkend für das Jahr 2016 ermittelt. 5 Der Oberbegriff gewaltorientiert umfasst die Begriffe gewalttätig, gewaltbereit, gewaltunterstützend und gewaltbefürwortend. Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 65 RECHTSEXTREMISMUS Im Berichtsjahr war ein leichter Anstieg des rechtsextremistischen Personenpotenzials (1.660) gegenüber dem Vorjahr (1.620) zu verzeichnen. Der Zuwachs um 2,4 Prozent resultierte aus einer Steigerung des Personenpotenzials in den Kategorien "parteiunabhängige bzw. parteiungebundene Strukturen" und "weitgehend unstrukturiertes rechtsextremistisches Personenpotenzial". (Siehe im Glossar auch die Erläuterung zum Begriff Personenpotenzial.) RECHTSTERRORISMUS UND SCHWERE GEWALTSTRAFTATEN In der Nacht vom 1. auf den 2. Juni 2019 war der Präsident des Regierungspräsidiums Kassel, Dr. Walter Lübcke, auf der Terrasse seines Wohnhauses in Wolfhagen (Landkreis Kassel) leblos aufgefunden worden. Das LKA gab am 3. Juni bekannt, dass Dr. Lübcke mittels einer Schusswaffe aus kurzer Entfernung getötet worden war. Des Mordes dringend tatverdächtig war der Rechtsextremist Stephan E. Dem Rechtsextremisten Markus H. wurde Beihilfe an dem Mord an Dr. Walter Lübcke vorgeworfen. AUF EINEN BLICK * Geständnis - Widerruf des Geständnisses * Prozess in Frankfurt am Main * Anschlag in Hanau (Main-Kinzig-Kreis) * Hohe Gefahr rechtsterroristischer Gewaltpotenziale Geständnis - Widerruf des Geständnisses | In einem ersten - nachträglich widerrufenen - Geständnis gab E. an, den Regierungspräsidenten in der Nacht vom 1. auf den 2. Juni erschossen zu haben. Das mutmaßlich rechtsextremistische Motiv für die Tat sei seine Empörung über eine Äußerung Dr. Lübckes über die Flüchtlingspolitik im Oktober 2015 bei einer Bürgerversammlung in Lohfelden (Landkreis Kassel) gewesen. Dr. Lübcke habe die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung verteidigt und in Bezug auf die Eröffnung einer Erstaufnahmeeinrichtung für Asylbewerber gesagt: "Da muss man für Werte eintreten, und wer diese Werte nicht vertritt, der kann jederzeit dieses Land verlassen, wenn er nicht einverstanden ist; das ist die Freiheit eines jeden Deutschen". Sein Geständnis widerrief E. am 2. Juli 2019 vor einem Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs, nachdem ihm ein Pflichtverteidiger zugeordnet worden war. In einem zweiten Geständnis vom 8. Januar 2020 beschuldigt E. den wegen Beihilfe Mitangeklagten Markus H., den tödlichen Schuss auf Dr. Walter Lübcke abgegeben zu haben. 66 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 RECHTSEXTREMISMUS Darüber hinaus habe sich der Schuss, entgegen der Ausführungen im ersten Geständnis, versehentlich im Zuge eines Streits mit Dr. Lübcke gelöst. Prozess in Frankfurt am Main | Am 16. Juni 2020 begann die Verhandlung vor dem Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main, in der die Bundesanwaltschaft den zwei Beschuldigten Mord bzw. Beihilfe zum Mord vorwarf. Im Verlauf der Verhandlung wiederrief Stephan E. erneut sein zuvor abgelegtes Geständnis und räumte ein, den tödlichen Schuss selbst abgegeben zu haben. Der Mitangeklagte Markus H. sei jedoch bei der Tat anwesend gewesen. Am 28. Januar 2021 wurde Stephan E. wegen Mordes an Dr. Walter Lübcke zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. Darüber hinaus stellte das Gericht die besondere Schwere der Schuld des Angeklagten fest. Markus H. wurde vom Vorwurf der Beilhilfe zum Mord freigesprochen. Unmittelbar nach Verkündung des Urteils wurde durch die Verfahrensbeteiligten Revision eingelegt. Bis zu einer Entscheidung hierüber ist das Urteil noch nicht rechtskräftig. Anschlag in Hanau (Main-Kinzig-Kreis) | Am 19. Februar 2020 fielen in Hanau neun Menschen einem rassistisch und fremdenfeindlich motivierten Anschlag zum Opfer, fünf weitere wurden zum Teil schwer verletzt. Dabei handelte es sich um Menschen mit Migrationshintergrund. Insbesondere in einem von ihm verfassten "Manifest" offenbarte der Täter ein Wahnbild, das aus Fragmenten verschiedener Verschwörungstheorien konstruiert war und ihm nach eigenen Angaben seit Jahren als Handlungsrahmen diente. In dem "Manifest" sprach der Täter von einer Weltbzw. Systemverschwörung, in der eine "Schattenregierung" die Welt mithilfe einer geheimen Organisation lenke, die sich unter anderem in Gedanken "einklinken" könne und ihm so Träume einspiele. Zudem lässt sich in dem "Manifest" ein biologistisch-rassistisches Menschenbild erkennen, das insbesondere von Hass auf Menschen mit Migrationshintergrund und von Muslimfeindlichkeit geprägt ist. Allen Völkern - außer dem "eigenen" deutschen Volk - maß der Täter Minderwertigkeit zu. Darüber hinaus waren in mehreren Stellen des "Manifests" frauenfeindliche Äußerungen enthalten. Hohe Gefahr rechtsterroristischer Gewaltpotenziale | Rechtsterroristische Gewaltpotenziale stellen eine hohe Gefahr dar, was die Anschläge in Wolfhagen (Landkreis Kassel) und Hanau (Main-KinzigKreis) auf schreckliche Weise verdeutlichen. Der den Taten Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 67 RECHTSEXTREMISMUS zugrundliegende - in etwa stets gleiche - Modus Operandi der Anschläge lässt Rückschlüsse auf das hohe Gefahrenpotenzial zu, das von den Tätern ausgeht: Im Vordergrund ihrer Motivation steht, eine möglichst große Öffentlichkeitswirksamkeit zu erzielen, um sowohl Furcht und Schrecken zu verbreiten als auch auf angebliche Missstände in Gesellschaft und Politik hinzuweisen. Hierdurch soll der propagierten Ideologie eine möglichst große mediale Bühne bereitet und eine entsprechende Aufmerksamkeit verschafft werden. Auch künftig muss mit Anschlägen dieser Art gerechnet werden, denen eine Selbstradikalisierung des Täters (zum Teil innerhalb des Internets) vorausgeht ("Lone-Wolf"-Phänomen). Allerdings ist zu berücksichtigen, dass solche Täter zwar allein handeln, aber insgesamt in ein "größeres weltanschauliches Leitgerüst" (Jan Skudlarek, 2020) eingebettet sind, was die Wachsamkeit der gesamten demokratisch verfassten Gesellschaft erfordert. PARTEIUNABHÄNGIGE BZW. PARTEIUNGEBUNDENE STRUKTUREN Identitäre Bewegung Deutschland e. V. (IBD)/ Identitäre Bewegung Hessen (IBH) DEFINITION/KERNDATEN Die IBD präsentiert sich "modern", "intellektuell" und aktionsorientiert und ahmt in ihrer Bildsprache und in ihren AktionsLogo der Identitären formen den Stil "linker" Protestbewegungen nach. Hierzu Bewegung verwendet die IBD Elemente der Popkultur und führt Flashmobs, Deutschland Besetzungen sowie Sprüh-, Banner und Stickeraktionen durch. TyBundesvorsitzender: pisch rechtsextremistische bzw. nationalsozialistische Begriffe wie Philip Thaler etwa "Volksgemeinschaft" und "Rasse" gehören nicht zum Vokabu(Sachsen-Anhalt) lar der IBD. Stattdessen verwendet sie Chiffren wie "Identität" und Mitglieder: "Ethnie". Damit versucht die IBD mittels ihrer Selbstdarstellung in In Hessen etwa 60, den sozialen Medien und mit Hilfe medienwirksamer Aktionen, vor bundesweit etwa 600 allem internetaffine Jugendliche und junge Erwachsene zu gewinnen, um eine neue völkische Jugendkultur bzw. politische Strömung Medien: Internetpräsenzen zu etablieren. Insbesondere über die direkte Kommunikation in den sozialen Medien, die nicht auf die traditionelle Berichterstattung \ und Kommentierung von Fernsehen, Radio und Printmedien (auch im Internet) angewiesen ist, versucht die Identitäre Bewegung (IB), Begriffe und Inhalte neu und scheinbar unverfänglich zu definieren und damit auch Personen außerhalb der rechtsextremistischen Szene anzusprechen. So sagte ein Vertreter der IB: "Wir haben die 68 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 RECHTSEXTREMISMUS Gesetze des Marketings, der Sozialen Medien, und des Gesellschaftsspektakels verstanden. Wir gießen diese Erkenntnisse in überraschende, aber verständliche Aktionen. Wir sprechen die Sprache der Jugend und erzeugen die Bilder, die die Mediengesellschaft versteht". (Schreibweise wie im Original.) EREIGNISSE/ENTWICKLUNGEN Im Vergleich zum Jahr 2019, in dem sich die IB unter anderem der Kritik aus den eigenen Reihen wegen eines Bezugs zum Attentäter von Christchurch (Neuseeland) ausgesetzt sah, nahmen die Aktivitäten der IBH im Berichtszeitraum deutlich zu. Über einzelne Aktionen veröffentlichte sie Berichte mit Fotos auf ihrer Homepage und ihrem Telegram-Kanal, darüber hinaus Videos auf ihrem YouTube-Kanal. Auf diese Weise versuchte die IBH nicht nur, neue Angehörige zu werben, sondern die eigenen Aktivisten zu motivieren. AUF EINEN BLICK * Asylund Migrationspolitik als Agitationsschwerpunkte * "Deplatforming" der IB in den sozialen Medien - "Identitäre Sommertour 2020" * Dachbesetzung in Köln - "Ministerpräsidenten"-Glücksrad in Erfurt * "Identitäres Sommerlager" * "Gefährder-Map" * "Junge Bewegung" * Publikationen Asylund Migrationspolitik als Agitationsschwerpunkte | Thematisch konzentrierte sich die IBH auf ihren Internetpräsenzen weiterhin auf den Protest gegen die Migrationsund Asylpolitik und führte, wie in den Vorjahren, Flyer-, Bannerund Plakataktionen unter anderem in Frankfurt am Main, Wiesbaden, Darmstadt, Neu-Isenburg (Landkreis Offenbach), Niedenstein (Schwalm-Eder-Kreis), Bürstadt, Heppenheim und Lindenfels (Kreis Bergstraße) sowie in Oberursel (Taunus) im Hochtaunuskreis durch. Dabei wurden unter anderem Flyer der IBD-Kampagne "4 Millionen - die Migrationswaffe" verteilt. Mit der Kampagne "4 Millionen - die Migrationswaffe" bzw. "Nie wieder 2015" wollte die IBD in Anspielung auf die Flüchtlingskrise des Jahres 2015 vor einer angeblich bevorstehenden "Invasion" in Form einer unkontrollierten Masseneinwanderung warnen. Dabei setze die türkische Regierung die Flüchtlinge, die sich entlang der Grenze zu Griechenland aufhielten, als "Waffe" ein, so die IBD, um Deutschland und Europa zu erpressen. In diesem Kontext versuchte die IBD, sich vom angeblich "links-liberalen Mainstream" und dessen "verlogener Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 69 RECHTSEXTREMISMUS Refugees-Welcome"-Politik abzugrenzen und sich als letzte Verteidigungslinie des "Abendlandes" zu inszenieren. "Deplatforming" der IB in den sozialen Medien - "Identitäre Sommertour 2020" | Nachdem Facebook Ende Mai 2018 die Seiten der IB auf Facebook und auf dem zum Konzern gehörenden Fotodienst Instagram entfernt hatte, löschte nach Angaben der IBD am 10. Juli auch Twitter mehr als 50 IB-Profile. Darunter befanden sich das Profil der IBH sowie die Profile bekannter IB-Aktivisten. Als Begründung führte Twitter an, dass auf den Profilen Terrorismus und Gewalt verherrlicht wurden. Zuvor hatte Google die IB bereits aus dem Suchindex gelöscht, weswegen die Homepage der IBD über den Google-Suchalgorithmus nicht mehr auffindbar war. Ausgenommen hiervon war offenbar die Homepage der IBH, die im Berichtszeitraum weiterhin suchfähig war. Als Reaktion auf das "schrittweise Deplatforming" rief die IBD dazu auf, den Messenger-Dienst Telegram zu nutzen und den IBDNewsletter zu abonnieren. Des Weiteren erklärte die IBD, juristisch gegen Twitter vorgehen zu wollen. Mit Bezug auf ihr Selbstbild als "aktivistische Jugendbewegung" kündigte die IBD darüber hinaus eine "Identitäre Sommertour" an, im Rahmen derer in "100 Städten in ganz Deutschland" Infostände durchgeführt werden sollten, um dem "sanften Totalitarismus entgegenzutreten, der unser Land im Griff hält". Die IBH beteiligte sich an der bundesweiten Aktion und führte Infostände in folgenden Ortschaften durch: Kronberg (Hochtaunuskreis), Butzbach (Wetteraukreis), Homberg (Efze) im Schwalm-Eder-Kreis, Dieburg (Landkreis Darmstadt-Dieburg), Mörlenbach (Kreis Bergstraße), Biedenkopf (Landkreis Marburg-Biedenkopf), Limburg (Landkreis Limburg-Weilburg), Alsfeld (Vogelsbergkreis), Niedernhausen (Rheingau-Taunus-Kreis), Gießen (Landkreis Gießen), Eppstein (Main-Taunus-Kreis), Erbach (Odenwaldkreis), Bischofsheim (Kreis Groß-Gerau), Witzenhausen (Werra-Meißner-Kreis), Wolfenhagen (LK Kassel), Erlensee (Main-Kinzig-Kreis) und Bad Arolsen (Waldeck-Frankenberg). Unterstützt wurde die IBH mitunter von einem IBAktivisten aus Bayern; des Weiteren beteiligten sich Aktivisten der IBH an Infoständen in Baden-Württemberg und in Rheinland-Pfalz. Bebilderte Beiträge über die Infostände wurden auf dem TelegramKanal der IBH sowie auf der eigens von der IBD zu der "Identitären Sommertour" eingerichteten Homepage veröffentlicht. 70 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 RECHTSEXTREMISMUS Dachbesetzung in Köln - "Ministerpräsidenten"-Glücksrad in Erfurt | IB-Aktivisten aus Hessen beteiligten sich auch an medienund öffentlichkeitswirksamen Aktionen der IBD. So besetzten IB-Angehörige, darunter auch ein Aktivist der IBH, am 5. Januar in Köln (Nordrhein-Westfalen) das Dach des Gebäudes des Westdeutschen Rundfunks (WDR). Als Reaktion auf ein vom WDR ausgestrahltes und sodann vielfach kritisiertes Satirevideo ("Meine Oma ist 'ne alte Umweltsau"), hissten sie ein Banner ("WDRliche Medienhetze stoppen! GEZ sabotieren!") und warfen Flugblätter vom Dach. Auf ihrer Homepage erklärte die IB, dass sie gegen die "jüngsten Auswüchse der ideologisch motivierten Hetze des öffentlich-rechtlichen Rundfunks" habe protestieren wollen. Am 27. November verurteilte das Amtsgericht Köln drei IB-Aktivisten zu Geldstrafen wegen Hausfriedensbruchs. Das Urteil ist rechtskräftig. Darüber hinaus nahm ein Aktivist der IBH an einer "Satire-Aktion" am 11. Februar teil, die sich auf das Ergebnis der Ministerpräsidentenwahl in Thüringen (5. Februar) bezog. Als Clowns in DDR-Uniformen verkleidete IB-Aktivisten animierten Passanten dazu, an einem Glücksrad zu drehen, auf dessen Ereignisfeldern entweder das Konterfei des amtierenden Ministerpräsidenten Bodo Ramelow oder das des ehemaligen Ministerpräsidenten Thomas Kemmerich abgebildet war. Das Bild Kemmerichs war mit dem Aufruf zur Neuwahl versehen, jedes Mal, wenn dieses Feld getroffen wurde, musste neu gedreht werden. "Identitäres Sommerlager" | Im August veranstaltete die IBD ein "Identitäres Sommerlager" in Woschkow (Brandenburg), an dem etwa 50 Personen aus Deutschland, darunter IB-Aktivisten aus Hessen, Österreich und der Schweiz teilnahmen. In einem von der IBD auf YouTube veröffentlichten Video waren überwiegend einheitlich bekleidete Personen zu sehen, wie sie Lauf-, Schwimm-, Kletter-, Ganzkörperund Kampfsportübungen durchführten sowie an Vorträgen und einem Fahnenapell teilnahmen. In einem Beitrag auf ihrer Homepage verglich die IBD die "Übungen" mit der Agoge (dt. Erziehung, Unterricht) des antiken Sparta, "jener jahrelangen Ausbildung", so die IBD, "welche die Jungen Spartas durchlaufen mussten, um zu Männern und vollwertigen Trägern ihres Staates zu werden". "Gefährder-Map" | Vor dem Hintergrund des islamistischen Terroranschlags in Wien (Österreich) am 2. November zeigten Aktivisten der IBH am 11. November in Wiesbaden ein Banner mit der Aufschrift "Paris, Dresden, Nizza, Wien - Islamisten abschieben". Auf Telegram veröffentlichten sie anschließend einen entsprechend bebilderten Beitrag. Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 71 RECHTSEXTREMISMUS Am 26. November verbreitete die IBH auf ihrem Telegramund YouTube-Kanal ein Video, in dem Aktivisten beim Kleben von Plakaten ("Islamistische Gefährder - abschieben!") zu sehen waren. In dem dazu auf Telegram erschienenen Beitrag schrieb die IBH: "Die Gefahr islamistischen Terrors nahm in den vergangenen Jahren, nicht nur, - aber auch seit Beginn der unkontrollierten Masseneinwanderung, mit den Höhepunkten der Jahre 2015 und 2016 erheblich zu". Zum Schluss machte der Beitrag auf die Website www.schiebt-sieab.de aufmerksam, auf die auch ein im Telegram-Kanal der IBH veröffentlichter Beitrag vom 14. Dezember 2020, wonach IBH-Aktivisten Plakate ("Islamistische Gefährder - abschieben!") an Schulen in Wiesbaden und in Mainz (Rheinland-Pfalz) geklebt hätten, hinwies. Auf der Internetseite www.schiebt-sie-ab.de - Bestandteil der gleichnamigen bundesweiten IBD-Kampagne - fand sich die Forderung nach Grenzschließungen, um die Einreise von "islamistischen Gefährdern" zu verhindern, und die Forderung nach der "Einrichtung einer transparenten Gefährderdatenbank durch das Bundesinnenministerium". Darüber hinaus stand auf der Internetseite eine "Gefährder Map" als interaktive Deutschlandkarte, auf der angebliche "islamistische Gefährder" und deren mutmaßliche Treffpunkte verzeichnet waren. Ebenso enthielt die Karte Angaben zu "Islamisten", über die bereits in den Medien berichtet worden war. Über ein Kontaktfeld war es Besuchern der Internetseite möglich, der IBD angebliche "islamistische Gefährder" zu benennen, um die "Gefährder-Map" mit "Informationen" zu ergänzen. "Junge Bewegung" | Der am 26. April ausgestrahlte Krimi "National feminin" der Tatort-Reihe handelte vom Mord an einer Aktivistin der fiktiven rechtsextremistischen Gruppierung "Junge Bewegung", wobei diese augenfällige Ähnlichkeiten zur IB aufwies. Aktivisten, die offenbar aus dem Umfeld der Neuen Rechten und der IB stammten, nahmen die Parallelen zum Anlass, um auf verschiedenen sozialen Medien sowie im Internet zahlreiche virtuelle Präsenzen und Profile zur "Jungen Bewegung" und zu ihren fiktiven Akteuren zu erstellen. Darunter befanden sich Profile mit Bezug nach Hessen, zum Beispiel: "Junge Bewegung Hessen","Junge Bewegung RheinMain" und "Junge Bewegung Frankfurt Nord". Während der Ausstrahlung der Tatort-Folge und in den Tagen danach wurde auf den Twitter-Kanälen der "Jungen Bewegung" die Handlung des Krimis in satirischer Weise kommentiert. Dabei wurden Begriffe und Forderungen der fiktiven Gruppierung verwendet, die mit denen von der IB propagierten übereinstimmten, wie zum Beispiel "Remigration". 72 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 RECHTSEXTREMISMUS Die Twitter-Profile der Ableger der "Jungen Bewegung" in Hessen waren auch in den Tagen nach der Ausstrahlung aktiv. So wurde über das Profil der "Jungen Bewegung Hessen" neben der eigenen Homepage ein mutmaßlich voll funktionstüchtiger Online-Shop ("Phallus Europa") verlinkt. Der Name lehnte sich offenbar satirisch an den Online-Shop Phalanx Europa an, der unter anderem Merchandise-Produkte der IB vertrieb. Am 4., 9. und 16. Mai veröffentlichte die "Junge Bewegung" auf Twitter Bilder von Stickeraktionen, von denen mindestens zwei in Frankfurt am Main stattgefunden hatten. An der letzten Klebeaktion in Frankfurt am Main sollen laut Aussagen der "Jungen Bewegung Hessen" 14 Personen teilgenommen haben. Letztmalig trat die "Junge Bewegung" am 30. Mai öffentlich in Erscheinung, als Akteure während einer Kundgebung in Frankfurt am Main gegen die staatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie das Banner "Heimatschutz statt Mundschutz" zeigten, worüber auf dem Twitter-Profil "Junge Bewegung Hessen" berichtet wurde. Nachdem ein Aktivist der Banneraktion aufgrund seiner früheren Teilnahme an einer IBD-Veranstaltung am 20. Juli 2019 in Halle an der Saale (Sachsen-Anhalt) als IBH-Angehöriger geoutet worden war, wurden Präsenzen der "Jungen Bewegung" mit Bezügen nach Hessen in den sozialen Medien gelöscht oder waren seitdem inaktiv. Publikationen | Hatte die IBD im August 2018 und im Juli 2019 zwei Ausgaben ihres Magazins "Das Sind Wir" veröffentlicht, gab sie im Oktober 2020 eine weitere Ausgabe heraus. Darin berichtete sie unter anderem über Aktionen und stellte einzelne Projekte aus dem Umfeld der IBD vor. Darüber hinaus enthielt das Magazin Erfahrungsberichte von Aktivisten, darunter einen Bericht des Regionalleiters der IBH. ENTSTEHUNG/GESCHICHTE Die IBD sieht sich als Ableger der Identitären Bewegung Österreich (IBÖ), die wiederum aus dem 2003 in Frankreich entstandenen Bloc Identitaire - Le mouvement social europeen, der späteren Generation Identitaire (GI), hervorgegangen war. In der IBÖ sieht die IBD ein "Vorbild". AUF EINEN BLICK * Ursprung in Frankreich * IB in Deutschland Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 73 RECHTSEXTREMISMUS Ursprung in Frankreich | Die "erste größere Aktion" der GI - so ihre eigene Einschätzung - fand im Oktober 2012 statt, als rund 70 Jugendliche in Poitiers (Frankreich) eine Moschee im "Kampf für unsere Identität" besetzten und dies in einem später im Internet verbreiteten Video wie folgt rechtfertigten: "Es ist fast 1300 Jahre her, als Karl Martell die Araber bei Poitiers nach einem heroischen Kampf aufhalten konnte und so unser Land vor den muslimischen Invasoren gerettet hat. Es war der 25. Oktober 732. Heute sind wir im Jahr 2012 und die Wahl ist immer noch die gleiche: Frei zu leben oder zu sterben. Unsere Generation weigert sich, seine Menschen und seine Identität in Gleichgültigkeit aufzugeben, wir werden nie zu den Indianern Europas werden". Ebenfalls im Oktober 2012 erschien auf YouTube das GI-Video "Kriegserklärung - Identitäre Generation". Darin hieß es unter anderem: "Wir sind die Generation der ethnischen Spaltung, des totalen Scheiterns des Zusammenlebens und der erzwungenen Mischung der Rassen. Wir sind die doppelt bestrafte Generation: dazu verdammt in ein Sozialsystem einzuzahlen, das so großzügig zu Fremden ist, dass es für die eigenen Leute nicht mehr reicht. Unsere Generation ist das Opfer der 68er, die sich selbst befreien wollten von Tradition, von Wissen und autoritärer Erziehung.[...] Unser Erbe ist unser Blut, unsere Identität". IB in Deutschland | Nach der Veröffentlichung des Videos, dass sich europaweit rasch in verschiedenen Sprachen (mit Untertiteln) verbreitete, wurden auch in Deutschland Anhänger der IB aktiv, zunächst "virtuell" im Internet, dann aber auch zunehmend "real", indem sich regionale Gruppen bildeten. Anfang Dezember 2012 fanden sich deutsche Anhänger der IB zu ihrem ersten bundesweiten, konstituierenden Treffen in Frankfurt am Main zusammen, unter ihnen auch Vertreter aus Österreich und Italien. In Hessen trat die IB seit Ende 2012 mit Plakatund Aufkleberaktionen öffentlich in Erscheinung. Im April 2014 fand in Fulda (Landkreis Fulda) ein Treffen statt, das der weiteren Vernetzung diente. In der Folge gründete sich im Mai 2014 in Nordrhein-Westfalen der Verein Identitäre Bewegung Deutschland e. V. mit dem Ziel, die "Identität des deutschen Volkes als eine eigenständige unter den Identitäten der anderen Völker der Welt zu erhalten und zu fördern". 74 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 RECHTSEXTREMISMUS IDEOLOGIE/ZIELE Indem die IB von "Ethnopluralismus" spricht, stellt sie sich in ihrem Kampf gegen den vermeintlichen "großen Austausch", "kulturelle Eigenheiten" und die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Ethnie über die in der freiheitlichen demokratischen Grundordnung verankerten Werte. AUF EINEN BLICK * "Ethnopluralismus" - "Ethnokulturelle Identität" * "Der große Austausch" * Symbolik des griechischen Buchstabens Lambda ( ) V * Angebliches Recht auf "Widerstand" "Ethnopluralismus" - "Ethnokulturelle Identität" | Die IBD betont die dominierende Bedeutung von Abstammung und Identität und steht damit in Nähe zur völkischen Ideologie von Rechtsextremisten. Den Menschen nimmt die IBD nicht primär in seiner Individualität, sondern vorrangig in Bezug auf seine ethnische Herkunft wahr. Hierzu hieß es auf der Homepage der IBD: "Die entscheidenden Fragen des 21. Jahrhunderts werden vor allem auf dem Feld der Identitätspolitik gestellt werden. Dabei müssen wir als patriotische Europäer unweigerlich zur Kenntnis nehmen, dass sich die demographischen Verhältnisse zu Ungunsten der einheimischen Bevölkerung entwickeln und uns ohne ein politisches Umdenken zahlreiche ethnische, kulturelle und religiöse Konflikte erwarten". Die IBD rekurriert mit ihrem Konzept des "Ethnopluralismus" nicht auf die Vordenker des "klassischen" Rechtsextremismus. Im Gegensatz zu diesen vertritt die IBD die Auffassung, dass es auf die Unterschiedlichkeit der Ethnien im kulturellen Sinne ankomme. Diese "kulturellen" Eigenarten - im Jargon der IBD die "Identität" - gelte es durch eine größtmögliche Trennung der verschiedenen Ethnien zu erhalten. Ethnopluralisten geben vor, dabei keine Unterscheidung nach der Wertigkeit einer Ethnie vorzunehmen, was sie vordergründig von den im Rechtsextremismus vorherrschenden rassistischen Ideologien abhebt. Nach eigenen Worten erteilt die IBD "Rassismus und Chauvinismus eine klare Absage, da es uns stets um die Betonung des Rechts auf Bewahrung der Identität für jedes Volk und jede Kultur geht und wir eine qualitative Aufoder Abwertung einer bestimmten ethnokulturellen Gemeinschaft klar ablehnen". Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 75 RECHTSEXTREMISMUS Es gelte gleichwohl, so die IBD, die eigene Kultur zu bewahren, da sie das eigene Dasein maßgeblich ausmache. In dem mehrteiligen Artikel "Nationalismus revisited" wird hierzu aufgeführt: "Ja, wir stehen für den Erhalt unserer ethnokulturellen Identität, gegen Masseneinwanderung, gegen die Lüge von "Menschheit und Weltstaat", für den Erhalt der Völker, der Wurzeln, der Herkunft und der Heimat, aber Nein, wir sind keine Nationalisten". (Schreibweise wie im Original.) "Der große Austausch" | Mit dem Begriff "Der große Austausch" bezeichnet die IBD den angeblichen "Prozess, durch den die einheimische Bevölkerung durch außereuropäische Einwanderer verdrängt und ausgetauscht werde". Nach Ansicht der IBD wird diese schrittweise Verdrängung durch die "Selbstabschaffungsideologie von Multikulti, die einen Großteil des gesellschaftlichen Entscheidungsbereichs einnimmt", hervorgerufen, wodurch die einheimischen europäischen Bevölkerungen zur "Minderheit in den eigenen Ländern" würden und letztlich "völlig verschwunden sein werden". V Symbolik des griechischen Buchstabens Lambda ( ) | In ihrer Bildsprache verwendete die IBD im Internet, bei Veranstaltungen sowie auf Flyern, Aufklebern und Merchandiseartikeln den griechischen Buchstaben Lambda, der durch die Comicverfilmung "300" aus dem Jahr 2006 einem breiten Publikum bekannt geworden ist. Der Film glorifiziert das antike Sparta und den letztlich aussichtlosen Verteidigungskampf von 300 Spartanern (Lakedaimoniern) gegen die Übermacht der Perser in der Schlacht bei den Thermopylen (480 v. Chr.). In vielfachen Variationen zeigt der Film bewaffnete und kämpferischentschlossene Spartaner im Kampf gegen persische Angreifer. Die IBD identifiziert sich mit dieser Bildsprache und sieht sich in ihrem "Abwehrkampf" in der Tradition der Spartaner. In einem mittlerweile im Internet gelöschten Video erklärte die IBD in Bezug auf den Buchstaben Lamdba, der in der Comicverfilmung "300" das Schild der Spartaner schmückt: "Das Lambda, gemalt auf den Schildern stolzer Spartaner, ist unser Symbol. Verstehst du, was es bedeutet? Wir werden nie zurückweichen, niemals aufgeben! Glaubt nicht, das hier wäre einfach nur ein Manifest, es ist eine Kampfansage an diejenigen, welche ihr Volk, ihr Erbe, ihre Identität und ihr Vaterland hassen und bekämpfen! Ihr seid von gestern, wir sind von Morgen!" Die Orientierung der IBD an Sparta, das "bis heute [...] als Inbegriff eines schon in der Frühzeit gesetzlich streng regulierten und rein militärisch ausgerichteten Staates" (Lukas Thommen, 2017) gilt, ist daher keine vordergründige Symbolik. Die Bildsprache, insbeson76 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 RECHTSEXTREMISMUS dere die Verwendung des Buchstabens Lambda, steht für Anschauungen der IB, die nicht mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung vereinbar sind. Angebliches Recht auf "Widerstand" | Nach Auffassung der IBD sei aufgrund der derzeitigen Lage in Deutschland "eindeutig" der Widerstandsfall nach Art. 20 Abs. 4 GG eingetreten. Das Recht auf Widerstand rechtfertige in der jetzigen Situation zivilen Ungehorsam, jedoch keine Gewalt. In diesem Kontext scheut die IBD nicht davor zurück, an die Akteure der Weißen Rose als vermeintlich historische Vorbilder zu erinnern. Dabei hebt die IBD insbesondere auf den gewaltfreien Widerstand der Weißen Rose gegen das nationalsozialistische Gewaltund Terrorregime ab, der sich 1942/43 unter anderem mittels Flugblattaktionen artikuliert hatte, eine Aktionsform, auf die auch die IBD immer wieder zurückgreift. STRUKTUREN Die IBD gliedert sich laut ihrer Homepage bundesweit in 16 Regionalgruppen, wobei nicht jede Gruppe sowohl im Internet als auch "real" existierte. Eine dieser Regionalgruppen war die IBH. In Hessen gab es mehrere Ortsgruppen der IB, die unter anderem in Frankfurt am Main, Gießen (Landkreis Gießen), Kassel, Marburg (Landkreis Marburg-Biedenkopf), Darmstadt und Fulda (Landkreis Fulda) aktiv waren. BEWERTUNG/AUSBLICK Der IBD war im Berichtsjahr daran gelegen, den im Jahr 2019 entstandenen Eindruck einer "Schwächephase" zu korrigieren und ihrem Anspruch als progressive, avantgardistische und aktionsorientierte Jugendbewegung im Spektrum der Neuen Rechten gerecht zu werden. So führte die IBD am Anfang des Berichtsjahrs mit der Besetzung des Dachs des WDR-Gebäudes in Köln (NordrheinWestfalen) und der anschließenden Veröffentlichung eines Aktionsvideos in den sozialen Medien eine der Selbstinszenierung dienende Aktion durch, die ihr eine überregionale Berichterstattung garantierten sollte. Im Folgenden sah die IBD insbesondere in der Verschärfung der Flüchtlingskrise an der türkisch-griechischen Grenze im März eine sich bietende Gelegenheit, um - vor dem Hintergrund der Erfahrungen aus der "Flüchtlingskrise" 2015 - Ängste in Teilen der Bevölkerung zu schüren und so ihre antipluralistische und fremdenfeindliche Ideologie in den politischen Diskurs und somit weiter in die Mitte der Gesellschaft zu tragen. Aufgrund der COVID-19-Pandemie und des Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 77 RECHTSEXTREMISMUS damit verbundenen abnehmenden öffentlichen Interesses für die Flüchtlingsthematik verengte sich der Agitationsraum der IBD, sodass die Kampagnen "Nie wieder 2015" und "4 Millionen - die Migrationswaffe" nicht die von ihr erhoffte Resonanz fanden. Eine weitere Gelegenheit, um ihre fremdenfeindliche Propaganda in die Öffentlichkeit zu tragen, sah die IBD in der Instrumentalisierung der islamistischen Terrorangriffe in Frankreich und Österreich. Sie versuchte, sich mittels ihrer "Gefährder-Map" als "Mahnerin" und "Beschützerin" der einheimischen Bevölkerung zu inszenieren, wobei diese Bedrohung durch die staatlich geförderte Masseneinwanderung erst ermöglicht worden sei. Das über das "Identitäre Sommerlager" gedrehte Video war ein Novum: Bislang versuchte die IBD in der öffentlichen Wahrnehmung das Bild einer gewaltlosen, aktionsorientierten Jugendbewegung zu vermitteln, um breite Akzeptanz in der Mitte der Gesellschaft zu erzielen. Die Fokussierung auf Sportübungen, Kampfszenen und Selbstverteidigungstrainings und das in diesem Rahmen propagierte "Ideal des Mannes" als "archaischer Kämpfer" offenbarte eine bis dahin nicht bekannte militante Seite in der Selbstdarstellung der IB. Zwar vermied sie bislang jeglichen Bezug zum Nationalsozialismus, doch lassen die im Video gezeigte Einheitsbekleidung, der Fahnenappell und die Kampf-/Sportübungen vermuten, dass entsprechende Assoziationen beabsichtigt waren oder diese zumindest in Kauf genommen wurden. Aufgrund des fortschreitenden "Deplatforming" in den sozialen Medien und im Internet sah sich die IB in der Reichweite ihrer Kommunikation und Propaganda erheblich eingeschränkt, sodass sie mittels ihrer bundesweiten Kampagne "Identitäre Sommertour 2020" versuchte, einen traditionellen Weg zu beschreiten, um ihre Ideologie in die Mitte der Gesellschaft zu transportieren und sich weiterhin als aktivistische Jugendbewegung zu inszenieren. Nach wie vor war die IBD dennoch auf soziale Medien angewiesen. Die von der IBD ausgehende Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung darf nicht unterschätzt werden, insbesondere da sie sich nach wie vor als elitär-intellektuelle Impulsgeberin versteht und dementsprechend präsentiert, wodurch sie nach wie vor eine Anziehungskraft auf Jugendliche und junge Erwachsene entfaltet. Indem die IBD behauptet, der "letzten Generation" anzugehören, die den "Untergang Europas" aufhalten könne, schafft sie ein Klima des vermeintlich legitimen Widerstands. So zeigte bereits 2019 der Fall 78 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 RECHTSEXTREMISMUS des Attentäters von Christchurch (Neuseeland), der sich auf das von der IB propagierte Verschwörungsnarrativ des "Großen Austauschs" berief und Kontakte zur IB in Österreich unterhielt, dass deren Ideologie geeignet ist, Radikalisierungsprozesse zu fördern und schwerste Gewalt zu legitimieren. Auch im Berichtsjahr trug der Täter bei einem von der Polizei vereitelten rechtsextremistischen Anschlag am27. Oktober in Montfavet (Frankreich) ein Kleidungsstück mit dem Emblem der IB-Kampagne "Defend Europe". Sonstige parteiunabhängige Strukturen Thule-Seminar e. V. Das 1980 von dem Rechtsextremisten Dr. Pierre Krebs gegründete Thule-Seminar e. V. mit Sitz in Kassel versteht sich als "Forschungsund Lehrgemeinschaft für die indoeuropäische Kultur". Der Vereinsname orientiert sich an der historischen Thule-Gesellschaft, einem im August 1918 gegründeten "Geheimbund". Nach dem Ende des Ersten Weltkriegs und dem Untergang des Kaiserreichs (November 1918) existierte die Thule-Gesellschaft bis zu ihrer Löschung aus dem Vereinsregister im Jahr 1932. Ähnlich dem heutigen ThuleSeminar e. V. sollte die Thule-Gesellschaft zur "Erforschung deutscher Geschichte und Förderung deutscher Art" dienen und vertrat einen aggressiven Antisemitismus. Ihre Mitglieder setzten sich überwiegend aus Akademikern, Aristokraten und Geschäftsleuten zusammen, darunter auch führende Nationalsozialisten wie etwa Rudolf Heß und Alfred Rosenberg. Als Zeichen der Thule-Gesellschaft fungierte ein Hakenkreuz mit Schwert. AUF EINEN BLICK * Ideologische Denkschule mit elitärem Selbstverständnis * "Ethnopluralismus" - "genetisches Reservoir" Ideologische Denkschule mit elitärem Selbstverständnis | Vergleichbar mit seinem historischen Vorbild ist es das Ziel des ThuleSeminars e. V., eine "geistig-geschichtliche Ideenschmiede für eine künftige Neuordnung aller europäischen Völker unter besonderer Berücksichtigung ihres biokulturellen und heidnisch-religiösen Erbes" zu sein. Dabei begreift sich das Thule-Seminar e. V. als ideologische Denkschule mit elitärem Selbstverständnis und verbreitete im Berichtsjahr insbesondere im Internet völkisch-rassistisches Gedankengut. Als Ideologe, Ideengeber und Vortragsredner versuchte Dr. Krebs, Wirkung in rechtsextremistischen Kreisen zu erzielen. Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 79 RECHTSEXTREMISMUS Die Ideologie des Thule-Seminars e. V. ist dabei auf die Überwindung der bestehenden politischen Ordnung ohne das Aufzeigen demokratischer Alternativen gerichtet. So schrieb Dr. Krebs auf seiner Homepage: "Was sollten wir heute eigentlich bewahren? Die Werte und Denkhaltungen des Systems? Das hieße gerade das aufrechtzuerhalten, wogegen wir kämpfen! Wie lässt sich aber ein Diskurs, der eine radikale Abkoppelung vom System fordert, mit einem Diskurs vereinbaren, der die Quintessenz dieses Systems bestehen lassen will?" "Ethnopluralismus" - "genetisches Reservoir" | Bereits Anfang der 1980er Jahre hatte Dr. Krebs den gegenwärtig vor allem von der IB genutzten Begriff des "Ethnopluralismus" verwendet. Im Hinblick auf den "Extremfall, dass Westeuropa durch den mörderischen Globalismus und die rassische Durchmischung zur Auflösung gebracht" werde, strebte Dr. Krebs das rein biologistisch-rassistische und an der nationalsozialistischen Ideologie orientierte Ziel an, ein "genetisches Reservoir zu schaffen". Dabei orientiert sich das ThuleSeminar e. V. in seiner ideologischen Ausrichtung an der Nouvelle Droite, einem Theoriezirkel französischer Rechtsextremisten, der ebenso wie die Mitglieder des Thule-Seminars e. V., ein "indogermanisches Heidentum" propagiert. Der Einfluss und die Anschlussfähigkeit des Thule-Seminars e. V. insbesondere an die Neue Rechte in Deutschland blieben jedoch gering. Das Thule-Seminar e. V. betrieb - neben seiner umfangreichen Homepage - unter anderem den Eigenverlag Ahnenrad der Moderne sowie den Buchund Kunstversand Ariadne. In diesem Zusammenhang müssen sich Dr. Krebs sowie zwei weitere Mitarbeiter wegen eines 2016 veröffentlichten Taschenkalenders vor Gericht verantworten. Darin war zu einem "Rachefeldzug" gegen die angeblich durch Masseneinwanderung und "Multikulturalismus" angestrebte "Ausrottung der Deutschen" aufgerufen worden. Ferner wurden Geflüchtete als "tödliche Bedrohung des schon in akute Gefahr geratenen Erbgutes unseres Volkes" sowie Mitglieder der Bundesregierung als "Rasseverächter und Rassevernichter" bezeichnet. Weiterhin fanden sich den Nationalsozialismus verherrlichende sowie die deutsche Schuld in Bezug auf den Ausbruch des Zweiten Weltkriegs leugnende Passagen. Das Verfahren war im Berichtsjahr noch anhängig. 80 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 RECHTSEXTREMISMUS Recht und Wahrheit Die von dem Rechtsextremisten Meinolf Schönborn herausgegebene Zeitschrift Recht und Wahrheit, die dem intellektuellen Rechtsextremismus zuzuordnen ist, widmet sich laut eigener Aussage der "geistigen Pflege des deutschen Freiheitsgedankens" und will für das Recht des "deutschen Volkes auf freie Selbstbestimmung" eintreten. AUF EINEN BLICK * "Lesertreffen" * Sonnwendfeiern zur Vernetzung und Kommunikation "Lesertreffen" | Die in Recht und Wahrheit publizierten Artikel behandelten hauptsächlich gesellschaftliche, politische und historische Themen, wobei rechtextremistische, antisemitische und gebietsrevisionistische Thesen vertreten und propagiert wurden. Darüber hinaus fanden regelmäßig "Lesertreffen" statt. Daneben wirkte ein "Arbeitskreis" an der Gestaltung und Verbreitung der Zeitschrift mit. Sowohl die Teilnehmer der "Lesertreffen" als auch die Mitglieder des "Arbeitskreises" waren dem neonazistischen Spektrum, rechtsextremistischen Parteien sowie den Reichsbürgern und Selbstverwaltern zuzurechnen. So strebten der Herausgeber und Angehörige der "Lesertreffen" die Wiederherstellung der Handlungsfähigkeit eines wie auch immer gearteten Deutschen Reichs an. Sonnwendfeiern zur Vernetzung und Kommunikation | Neben den mehrmals im Jahr stattfindenden "Lesertreffen" veranstaltete Schönborn unter anderem Sonnwendfeiern, die der Vernetzung und Kommunikation innerhalb der rechtsextremistischen Szene, aber auch der ideologischen Schulung der Teilnehmer dienten. Die für den 21. Dezember 2020 geplante Wintersonnwendfeier untersagte der Landkreis Kassel im Zuge der staatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie. Projekt "deutsches Kulturzentrum" | Seit Dezember bewohnte Schönborn das ehemalige Hotel Wesertal (Landkreis Kassel), das künftig als "deutsches Kulturzentrum" mit Wohnangebot genutzt werden soll. In einem entsprechenden Flyer wurde für den Aufbau eines "Deutsches Kulturzentrums" als "Schutzund Trutzburg" für "verfolgte Kameraden" mit Versammlungsräumen und Wohneinheiten für Senioren, Behinderte und junge Familien geworben. Darüber hinaus enthielt der Flyer einen Spendenaufruf, wobei Geld, Arbeitsleistung oder der Erwerb von (Teil-)Eigentum als mögliche Unterstützung genannt wurden. Daneben bestünde, so der Text, die Möglichkeit ein Wohnrecht zu erwerben. Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 81 RECHTSEXTREMISMUS LOSE STRUKTURIERTER RECHTSEXTREMISMUS Neonazis DEFINITION/KERNDATEN Rechtsextremisten, die nach der Überwindung der GewaltdikAktivisten /Anhänger: tatur des Nationalsozialismus (1933-1945) dessen Ideologie In Hessen etwa 340 in ihren inhaltlichen Zielsetzungen oder im Rahmen ihrer Aktivitäten zu verwirklichen versuchen, werden als Neonazis bezeichnet. ZahlMedien : Internetpräsenzen reiche neonazistische Organisationen sind verboten, Neonazis fin- / den sich aber immer wieder in neuen Gruppierungen, Bündnissen und Plattformen zusammen. Zu rechtsextremistischen Parteien und zu subkulturell orientierten Rechtsextremisten und Skinheads unterhalten Neonazis, denen grundsätzlich eine Gewaltorientierung zuzuschreiben ist, enge Kontakte. Nahezu gleichmäßig erstreckte sich die Neonazi-Szene über ganz Hessen. EREIGNISSE/ENTWICKLUNGEN Die neonazistische Szene in Hessen war mehrheitlich durch lose miteinander verbundene Personen und einzelne regionale Gruppierungen geprägt. Kam es im Kontext der COVID-19-Pandemie im Berichtsjahr in Hessen zu deutlich weniger öffentlichkeitswirksamen propagandistischen Aktionen als in den Jahren zuvor, so beteiligten sich Rechtsextremisten aus Hessen - darunter auch Neonazis - auch überregional an Protesten gegen die staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie. Am 1. Dezember verbot der Bundesminister des Innern, für Bau und Heimat die neonazistische Vereinigung Sturmbrigade 44/Wolfsbrigade 44, die auch in Hessen aktiv gewesen war. AUF EINEN BLICK * Combat 18 Deutschland (C 18 Deutschland) * Verbot der Sturmbrigade 44/Wolfsbrigade 44 * NSC 131 (National Socialist Club - Anti Communist Action) * Kameradschaft Aryans Combat 18 Deutschland (C 18 Deutschland) | Ursprünglich 1992 in England gegründet, setzt sich die Bezeichnung der Gruppierung aus dem Wort combat (dt. Kampf) sowie aus der Zahlenkombination 18, die für den ersten und achten Buchstaben des Alphabets steht, zusammen. Der Name Combat 18 kann demnach mit Kampf(truppe) Adolf Hitler übersetzt werden. Angehörige von C 18 Deutschland waren in mehreren Bundesländern, auch in Hessen, wohnhaft. 82 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 RECHTSEXTREMISMUS Die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder beobachteten C 18 Deutschland im Berichtsjahr mit besonderer Aufmerksamkeit - auch vor dem Hintergrund der gewalttätigen Historie der englischen Gruppe in ihrer Anfangszeit. Vergleichbares war in Deutschland bislang nicht festzustellen. Dennoch wurde die intensive Beobachtung der grundsätzlich gewaltbereiten und waffenaffinen rechtsextremistischen Organisation fortgesetzt, um mögliche Radikalisierungstendenzen frühzeitig zu erkennen und die Strafverfolgungsbehörden rechtzeitig einzubinden. Ende 2018 kam es aufgrund des Verdachts des Verstoßes gegen ein Vereinigungsverbot zu bundesweiten Durchsuchungsmaßnahmen in zwölf Objekten. Hiervon war auch der in Hessen wohnhafte Anführer von C 18 Deutschland betroffen. Im Februar 2019 wurde bekannt, dass der Anführer nach verbüßter Untersuchungshaft in ein benachbartes Bundesland verzogen war. Daraufhin gingen die Aktivitäten im Zusammenhang mit C 18 Deutschland in Hessen zurück. Am 23. Januar 2020 verbot der Bundesminister des Innern, für Bau und Heimat C18 Deutschland. Nachdem Mitglieder der Gruppierung Rechtsmittel gegen das Verbot eingelegt hatten, erklärte das Bundesverwaltungsgericht am 21. September, dass einer Revision voraussichtlich wenig Aussicht auf Erfolg beschieden ist und deshalb keine Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung erfolgt. Als Begründung führte das Bundesverwaltungsgericht an, dass die Gruppierung sich "gegen die verfassungsmäßige Ordnung richtet und damit jedenfalls einen Verbotsgrund erfüllt". C 18 Deutschland zog die Klage zurück, sodass das Vereinsverbot bestandskräftig ist. Verbot der Sturmbrigade 44/Wolfsbrigade 44 | Am 1. Dezember verbot der Bundesminister des Inneren, für Bau und Heimat die Vereinigung Sturmbrigade 44/Wolfsbrigade 44, da sie sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung und den Gedanken der Völkerverständigung richtet und deren Zwecke und Tätigkeiten den Strafgesetzen zuwiderlaufen. Die Mitglieder der Vereinigung waren in mehreren Bundesländern aktiv. Zur Vollstreckung des Verbots fanden am 1. Dezember Durchsuchungen bei elf führenden Mitgliedern der Gruppierung in Hessen, Nordrhein-Westfalen und Mecklenburg-Vorpommern statt. Bei der Durchsuchung von 20 Objekten in Nordhessen stellte die Polizei umfangreiches Beweismaterial sicher. Darunter befanden sich nationalsozialistische Devotionalien (Hakenkreuze, Fahnen, Anstecknadeln, Magnete), Vereinsmaterialien wie etwa Aufkleber sowie Waffen (Einhandmesser, Machete, Beil, Luftgewehr, flexibler Schlagstock) und Munition. Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 83 RECHTSEXTREMISMUS Acht führende Mitglieder der Gruppierung wohnten in Hessen, wobei eine Person zugleich Angehöriger der Musikband Sturmrebellen war. Deren rechtsextremistische Einstellung trat auf ihrem Facebook-Profil deutlich zutage: Dort wurden unter anderem Sympathieund Solidaritätsbekundungen für den als Kriegsverbrecher verurteilten Hauptsturmführer der Schutzstaffel (SS), Erich Priebke, sowie für die Holocaust-Leugnerin Ursula Haverbeck veröffentlicht. Des Weiteren wurde in Bezug auf die rechtsextremistische Terrororganisation Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) der Schuldanteil Beate Zschäpes relativiert. Die Mitglieder der Sturmbrigade 44/Wolfsbrigade 44 bekannten sich zu Führungspersonen der NSDAP und strebten die Wiedererrichtung eines nationalsozialistischen Staats an. Darauf weist unter anderem der Name der Gruppierung hin, der sich auf eine SS-Einheit bezieht, die im Zweiten Weltkrieg aus straffällig gewordenen Personen bestanden hatte. Die Zahl 44 steht für die Buchstaben DD, womit die Division Dirlewanger gemeint ist, die unter dem Kommando des mehrfach vorbestraften Oskar Dirlewanger zahlreiche Verbrechen - unter anderem bei der Niederschlagung des Warschauer Aufstands 1944 - begangen hatte. Darüber hinaus kennzeichneten ein martialisches Auftreten, eine kämpferisch-aggressive Grundhaltung sowie Rassismus und Antisemitismus die Sturmbrigade 44/Wolfsbrigade 44. Entsprechende Haltungen propagierte sie öffentlich und in sozialen Medien, um ihre menschenverachtende Ideologie zu verbreiten und weitere Unterstützer zu gewinnen. NSC 131 (National Socialist Club - Anti Communist Action) | Laut Medienberichten gründete die Gruppe, die aus den Vereinigte Staaten von Amerika (USA) stammt, Anfang 2020 einen Ableger in Deutschland, wobei in Hessen ein Rechtsextremist eine deutsche Chatgruppe des NSC 131 eröffnete. Am 16. September durchsuchte die Polizei dessen Wohnung in Wiesbaden. In der Landeshauptstadt waren seit Oktober 2019 vermehrt Aufkleber angebracht und Graffitis gesprüht worden, die teilweise Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen sowie volksverhetzende Aussagen enthielten. Dabei soll der Verdächtige zusammen mit weiteren Rechtsextremisten agiert haben. In der Wohnung stellte die Polizei Stichund Hiebwaffen sowie Schreckschusswaffen, Datenträger, handschriftliche Dokumente und Aufkleber sicher. 84 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 RECHTSEXTREMISMUS Auf dem in englischer Sprache gehaltenen Telegram-Kanal NSC - International befanden sich mehrere Texte mit unmittelbarem Bezug zu Deutschland, so etwa ein Beitrag, worin ein Foto mit folgender Bildunterschrift versehen war: "NSC Deutschland boys met up and patrolled their district looking for reds" veröffentlicht. Auf dem Bild waren vier Männer zu sehen, deren Gesichter durch einen SS-Totenkopf unkenntlich gemacht worden waren. Kameradschaft Aryans | Kam es im Berichtsjahr in Hessen zu keinen öffentlichkeitswirksamen Aktionen der Kameradschaft, so verbüßt deren Anführer seit August eine Haftstrafe in einer hessischen JVA. Das LG Halle hatte ihn im Februar 2019 wegen gefährlicher Körperverletzung verurteilt. 2017 hatten Angehörige der Kameradschaft Aryans an der rechtsextremistischen 1. Mai-Demonstration der Partei DIE RECHTE in Halle (Saale) in Sachsen-Anhalt teilgenommen, wobei es zu einem gewalttätigen Angriff auf einen politischen Gegner gekommen war. Wegen dieser und anderen Straftaten wurde der Anführer der Kameradschaft zu einer rechtskräftigen Gesamtfreiheitsstrafe von dreieinhalb Jahren verurteilt. IDEOLOGIE/ZIELE Neonazis orientieren sich, wenn auch in unterschiedlicher Ausprägung, an der Ideologie des Nationalsozialismus (unter anderem an Rassismus, Antisemitismus, Sozialdarwinismus, Nationalismus, Antipluralismus) und idealisieren Adolf Hitler, den "Führer" des nationalsozialistischen Unrechtsund Terrorregimes. AUF EINEN BLICK * "Volksgemeinschaft" - Revisionismus * Uneinheitlichkeit der Neonazi-Szene * Zahlencodes * Kampf gegen das "System" "Volksgemeinschaft" - Revisionismus | Das Ziel von Neonazis ist die Schaffung eines ethnisch homogenen, diktatorischen Staats. Die Rechte des Einzelnen, Meinungsfreiheit und Meinungsvielfalt - insgesamt Pluralismus - haben in der von Neonazis angestrebten deutschen "Volksgemeinschaft" keinen Platz. Die "Volksgemeinschaft" schließt Menschen anderer Kulturen und auch solche "Deutsche" aus, die Neonazis aufgrund von Behinderungen, sexueller Orientierung und sozialer Marginalisierung als "unwert" einstufen. Das Individuum soll sich dem angeblichen Gesamtwillen des Volks unterordnen. Historische Tatsachen deuten Neonazis in revisionistischer Manier um und leugnen dabei auch den Holocaust. Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 85 RECHTSEXTREMISMUS Uneinheitlichkeit der Neonazi-Szene | Die neonazistische Szene ist in sich nicht homogen. Zum einen wird das "Dritte Reich" als Vorbild betrachtet und eine Wiederherstellung des Nationalsozialismus angestrebt, zum anderen wird die nationalsozialistische "Weltanschauung" neu interpretiert oder "antikapitalistisch" mit Bezügen zum Linksextremismus und entsprechenden Aktionsformen "modernisiert". Die überwiegende Zahl der Neonazis befürwortet jedoch die Kernelemente des Nationalsozialismus: "Führerprinzip", Antisemitismus und die Ideologie der "Volksgemeinschaft". Zahlencodes | Intern bekennen sich Neonazis zu ihrer Ideologie, indem sie zum Beispiel nationalsozialistische Grußformeln ("Sieg Heil", "Heil Hitler") verwenden und den "Hitler-Geburtstag" feiern. Nach außen bekennen sich Neonazis wegen der Strafbarkeit eher in verklausulierter Form zum Nationalsozialismus, etwa in der Form der Selbstbezeichnung von Gruppierungen. So stand etwa bei dem 2015 durch das Hessische Ministerium des Innern und für Sport verbotenen Verein Sturm 18 e. V. die Zahl 18 für den ersten und achten Buchstaben im Alphabet (AH), also für Adolf Hitler. Entsprechend steht 88 für "Heil Hitler". Kampf gegen das "System" | An die Stelle der freiheitlichen demokratischen Grundordnung wollen Neonazis einen autoritären Führerstaat sowie eine ethnisch einheitliche "Volksgemeinschaft" setzen. Unsere freiheitliche Demokratie bezeichnen Neonazis als "System", das es abzuschaffen gelte. Bereits die Nationalsozialisten hatten die Weimarer Republik mit dieser Bezeichnung diffamiert. Der Aufruf zum Kampf gegen das "System" ist ein Grundpfeiler neonazistischer Propaganda. Zielgruppe sind vor allem junge Menschen, die früh an die neonazistische Szene herangeführt und an sie gebunden werden sollen. STRUKTUREN Die Neonazi-Szene befand sich auch im Berichtsjahr in einem fortlaufenden Wandel. Sowohl im Hinblick auf Gruppierungen als auch auf Szeneangehörige gab es eine stetige Fluktuation. In der Vergangenheit wurden Gruppierungen verboten, während andere ihre Aktivitäten einstellten. Charakteristisch für die neonazistische Szene in Hessen war ihre überregionale Vernetzung. Darüber hinaus fungierten einzelne Neonazis aufgrund ihrer umfassenden Vernetzung als Bindeglied zu der bundesweiten neonazistischen Szene. AUF EINEN BLICK * Verbot strukturierter neonazistischer Personenzusammenschlüsse * Jüngste Verbote 86 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 RECHTSEXTREMISMUS Verbot strukturierter neonazistischer Personenzusammenschlüsse | Wie in der Vergangenheit bereits praktiziert, wirkt das LfV im Rahmen von gegen neonazistische Organisationen initiierte Verbotsverfahren aktiv mit, indem es der zuständigen Verbotsbehörde Erkenntnisse zur Verfügung stellt. Jüngste Verbote | Zu strukturierten und verbotenen Personenzusammenschlüssen zählten in der Vergangenheit unter anderem die am 21. September 2011 vom Bundesminister des Innern verbotene Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige e. V. (HNG) sowie der am 27. Oktober 2015 vom Hessischen Innenminister verbotene Sturm 18 e. V. Gleichfalls verbot der Bundesminister des Innern am 16. März 2016 die neonazistische Weisse Wölfe Terrorcrew, da sie offen und aggressiv gegen Staat, Gesellschaft, Migranten und Andersdenkende agierte, sich durch ein erhebliches Maß an Gewaltbereitschaft auszeichnete und eine fremdenfeindliche und menschenverachtende Ideologie verbreitete. Am 23. Januar 2020 verbot der Bundesminister des Innern, für Bau und Heimat die Gruppierung C 18 Deutschland und ein knappes Jahr später am 1. Dezember die Sturmbrigade/Wolfsbrigade 44, die beide Personenbezüge nach Hessen aufwiesen. BEWERTUNG/AUSBLICK Nach wie vor versuchten neonazistische Gruppierungen, sich im rechtsextremistischen Spektrum zu vernetzen und durch die Erweiterung ihres Kontaktumfelds Synergieeffekte zu schaffen. Dabei werden das Internet und verschiedene Messenger-Dienste auch in Zukunft als bevorzugtes Mittel für die Vernetzung dienen. Gleiches gilt für die Verbreitung fremdenfeindlicher Propaganda, die ebenfalls eine verbindende Wirkung auf die Szene entfaltet. Wie anhand der im Verhältnis zum Berichtsjahr 2019 erneut gestiegenen Gewalttaten ersichtlich, ist außerdem die weiterhin hohe Gewaltbereitschaft hervorzuheben, die weite Teile der neonazistischen Szene neben ihrer Ideologie eint. Gerade vor dem Hintergrund der rechtsextremistischen Gewalttaten im Berichtsjahr 2020 (42 Delikte) wird das LfV auch in Zukunft neonazistische Gruppierungen und Einzelpersonen intensiv beobachten. Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 87 RECHTSEXTREMISMUS Subkulturell orientierte Rechtsextremisten - rechtsextremistische Musik DEFINITION/KERNDATEN Weitgehende Organisationslosigkeit ist kennzeichnend für Aktivisten /Anhänger: subkulturell orientierte Rechtsextremisten. Hinzu kommt eine In Hessen etwa 450 in der Regel nur oberflächliche weltanschauliche Prägung, verbunden mit rassistischem, antisemitischem und ausländerfeindlichem Musikgruppen und LiedermaGedankengut. Für diese oftmals in informellen lokalen oder regiocher in Hessen: Faust und Nordglanz (National nalen Gruppen zusammengeschlossenen Rechtsextremisten stehen Socialist Black Metal, NSBM), erlebnisorientierte Aktivitäten in der Regel im Vordergrund. Dabei Reichstrunkenbold (Liederspielt der Besuch rechtsextremistischer Musikveranstaltungen eine macher), Streitmacht herausgehobene Rolle. Im Unterschied zu Angehörigen der / früheren rechtsextremistischen Skinheadszene sind subkulturell orientierte Rechtsextremisten heutzutage fast nicht mehr anhand eines einheitlichen Erscheinungsbildes erkennbar. EREIGNISSE/ENTWICKLUNGEN Soweit rechtlich möglich, unterbinden die Sicherheitsbehörden rechtsextremistische Musikveranstaltungen in Hessen. Aufgrund dieser restriktiven Vorgehensweise und im Rahmen der staatlichen Maßnahmen gegen die COVID-19-Pandemie fanden im Berichtsjahr in Hessen zwei rechtsextremistische Musikveranstaltungen statt. AUF EINEN BLICK * Musikveranstaltungen im Kontext der COVID-19-Pandemie * Neujahrsempfang der NPD Musikveranstaltungen im Kontext der COVID-19-Pandemie | Die bundesweit sowie im europäischen Ausland angekündigten Konzerte mit unter Rechtsextremisten bekannten Bands stießen nach wie vor auf breite Resonanz in der rechtsextremistischen Szene. Einige dieser Konzerte wurden im Kontext der staatlichen Maßnahmen gegen die COVID-19-Pandemie nicht durchgeführt. Dennoch versuchten rechtsextremistische Bands und Liedermacher - auch aus Hessen - immer wieder Konzerte und Liederabende zu veranstalten, die vor dem Hintergrund der mit den Hygieneund Verhaltensrichtlinien verbundenen Auflagen häufig kurzfristig abgesagt wurden. Neujahrsempfang der NPD | Wie bereits in den zurückliegenden Jahren führten die NPD-Fraktionen Leun und Wetzlar am 19. Januar eine Jahresauftaktveranstaltung in Leun (Lahn-Dill-Kreis) durch, die der Liedermacher Phil von der rechtsextremistischen Musikgruppe FLAK musikalisch begleitete. Darüber hinaus wurde in Hessen ein Liederabend durchführt. 88 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 RECHTSEXTREMISMUS FUNKTIONEN RECHTSEXTREMISTISCHER MUSIK Rechtsextremistische Musik spielt nach wie vor eine wichtige Rolle für die rechtsextremistische Szene und ist zugleich ein bedeutendes, jugendorientiertes Medium, um entsprechende Botschaften zu transportieren. Für die Sicherheitsbehörden ist die intensive Beobachtung der rechtsextremistischen Musikszene obligatorisch, um Inhalte auf strafrechtliche Relevanz zu prüfen und gegebenenfalls einer strafrechtlichen Verfolgung zuzuführen. AUF EINEN BLICK * Niedrige Hürde für den Einstieg in den Rechtsextremismus * Diffuse rechtsextremistische Einstellungen * Musikveranstaltungen - Musik im Internet Niedrige Hürde für den Einstieg in den Rechtsextremismus | Oft stehen zunächst nicht rechtsextremistische Inhalte im Vordergrund des Musikerlebnisses, sondern für die Hörer einprägsame Melodien und einfache Rhythmen. Die Hürde für den Einstieg in den Rechtsextremismus ist niedrig, da Musik nahezu jederzeit und überall konsumierbar ist. Die Musik dient der Selbstdarstellung und der szeneinternen Kommunikation über "Werte" und Feindbilder und ist Ausdruck eines subkulturellen Zusammengehörigkeitsgefühls. Dabei wirkt der Konsum von rechtsextremistischer Musik oft als Katalysator von Gefühlen und Aggressionen. Besonders in Verbindung mit Alkohol kann dies zu Gewaltausbrüchen führen. Diffuse rechtsextremistische Einstellungen | Subkulturell orientierte Rechtsextremisten sind gekennzeichnet durch eher diffuse rechtsextremistische Einstellungen, die sich an das Gedankengut von Neonazis anlehnen. Eine vertiefte "weltanschauliche" und politische Auseinandersetzung findet dabei nicht statt. Im Vordergrund steht eine erlebnisund aktionsorientierte Lebensgestaltung vor allem in Form des Konsumierens von Musik. Musikveranstaltungen - Musik im Internet | Musikveranstaltungen spielen für subkulturell orientierte Rechtsextremisten eine wichtige Rolle. In der eher strukturlosen Szene sind Musikveranstaltungen identitätsstiftende Ereignisse und dienen der Kommunikation und Vernetzung. Zudem üben die in der Regel konspirativ organisierten Veranstaltungen gerade auf junge Rechtsextremisten eine große Faszination aus. Eine wachsende Bedeutung haben für subkulturell orientierte Rechtsextremisten, Neonazis und rechtsextremistische Parteien auch Liederabende. Auftritte überwiegend einzelner rechtsextremistischer Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 89 RECHTSEXTREMISMUS Interpreten dienen als Treffpunkt und Plattform, wobei politische Botschaften über die Liedtexte mit Zwischenmoderationen verknüpft und zur Anwerbung potenzieller Interessenten genutzt werden. Rechtsextremistische Musik wird auch über das Internet verbreitet. So findet man auf YouTube rechtsextremistische Videos wie etwa der rechtsextremistischen Hooligan-Band Kategorie C - Hungrige Wölfe mit gewaltverherrlichenden Texten. Auch von der Band Faust aus Hessen werden Musikvideos auf YouTube verbreitet. BEWERTUNG/AUSBLICK Unabhängig von der Form rechtsextremistischer Musikveranstaltungen und der im Berichtsjahr im Kontext der COVID-19-Pandemie häufigen Absagen blieb die große Gefahr, die von rechtsextremistischer Musik ausgeht, bestehen. Da aus dem Besuch von Konzerten und dem damit vielfach verbundenen Einstieg in den Rechtsextremismus für Jugendliche vielerlei Gefahren resultieren, bildet die Szene der subkulturell orientierten Rechtsextremisten ein wichtiges Beobachtungsfeld für den Verfassungsschutz in Hessen. Unter Ausschöpfung der rechtlichen Möglichkeiten unterbinden die hessischen Sicherheitsbehörden konsequent rechtsextremistische Konzerte und Balladenabende. Mit jedem verhinderten Konzert verliert die rechtsextremistische Szene eine zentrale Anlaufstelle und ein wichtiges Bindeglied zu Jugendlichen, die noch außerhalb des Rechtsextremismus stehen. PARTEIGEBUNDENE STRUKTUREN BZW. PARTEIEN Der Flügel DEFINITION/KERNDATEN Das BfV erklärte am 15. Januar 2019, dass es den Flügel als Führungspersonen: Teilorganisation der Partei AfD als Verdachtsfall bewertet und sysBjörn Höcke (Thüringen) tematisch beobachtet. Die Bearbeitung einer Gruppierung als Verdachtsfall seitens des BfV entspricht der Bearbeitung einer Grup- \ pierung als Beobachtungsobjekt durch das LfV. Das LfV schloss sich gemäß der Zusammenarbeitsrichtlinie des Verfassungsschutzverbundes am 31. Januar 2019 der Beobachtung des Flügels an. Am 12. März 2020 stufte das BfV die AfD-Teilorganisation Der Flügel als gesichert rechtsextremistische Bestrebung ein, da es entsprechende 90 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 RECHTSEXTREMISMUS programmatische Äußerungen als gegen wesentliche Elemente der freiheitlichen demokratischen Grundordnung gerichtet bewertete: gegen die Menschenwürde, das Demokratieprinzip und die Rechtsstaatlichkeit. Die Gesamtpartei AfD wurde im Berichtsjahr nicht als rechtsextremistisch bewertet und somit auch nicht beobachtet. EREIGNISSE/ENTWICKLUNGEN Als Reaktion auf die Einstufung des Flügels als gesichert rechtsextremistische Bestrebung durch das BfV forderte der Bundesvorstand der AfD, dass sich Der Flügel bis zum 30. April aufzulösen hat. Diese Forderung wurde von führenden Vertretern des Flügels umgesetzt. AUF EINEN BLICK * Auflösung des Flügels * Stark begrenzte Außenwirkung Auflösung des Flügels | Björn Höcke und Andreas Kalbitz riefen in einem offenen Brief dazu auf, die "Aktivitäten im Rahmen des Flügels bis Ende April einzustellen". Daraufhin wurden Internetund SocialMedia-Auftritte des Flügels gelöscht. In Hessen verkündeten eine Abgeordnete des Europaparlaments, die nach Aussage des Landesvorsitzenden der AfD Hessen als Obfrau des Flügels fungierte, sowie zwei Mitglieder der AfD-Fraktion im Hessischen Landtag in einem Brief an die Angehörigen des Flügels in Hessen dessen Auflösung. Stark begrenzte Außenwirkung | In seiner Außenwirkung war der Flügel in Hessen bis zu seiner Auflösung aufgrund seiner nur gering ausgeprägten Strukturen und aufgrund fehlender Präsenzen in den sozialen Medien stark begrenzt. Dem Flügel zuzurechnende Veranstaltungen wurden im Berichtszeitraum in Hessen nicht festgestellt. ENTSTEHUNG/GESCHICHTE Der mittlerweile aufgelöste Flügel bezeichnete sich als einen zentral organisierten, losen Verbund von "Mitgliedern der Alternative für Deutschland im gesamten Bundesgebiet". Eine formale Mitgliedschaft im Flügel war nicht möglich; vielmehr verstand sich der mittlerweile aufgelöste Flügel als eine Sammlungsbewegung innerhalb der AfD. Als "Gründungsurkunde des Flügels" gilt die "Erfurter Resolution" vom 14. März 2015. Mit den seit 2015 veranstalteten sogenannten Kyffhäusertreffen verfügte der mittlerweile aufgelöste Flügel über ein überregionales Veranstaltungsformat, das dem gegenseitigen Informationsaustausch, der Netzwerkbildung und der eigenen Inszenierung diente. Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 91 RECHTSEXTREMISMUS AUF EINEN BLICK * "Gründungsurkunde des Flügels" * "Kyffhäusertreffen" "Gründungsurkunde des Flügels" | Die am 14. März 2015 unter anderem von Björn Höcke initiierte "Erfurter Resolution" ist als "Gründungsurkunde des Flügels" anzusehen. Die Unterzeichner der "Erfurter Resolution" wandten sich mit diesem Dokument gegen eine Anpassung der AfD an den "etablierten Politikbetrieb". Stattdessen sollte die Partei eine "Widerstandsbewegung gegen die weitere Aushöhlung der Identität Deutschlands" bleiben sowie eine "grundsätzliche, patriotische und demokratische Alternative zu den etablierten Parteien" und eine "Bewegung unseres Volkes" gegen "Gesellschaftsexperimente" darstellen. "Kyffhäusertreffen" | Seit 2015 veranstaltete der mittlerweile aufgelöste Flügel ein jährlich stattfindendes, überregionales Treffen, das als "Kyffhäusertreffen" bekannt wurde. In diesem Rahmen inszenierten sich der mittlerweile aufgelöste Flügel und seine ehemaligen Führungsakteure als bedeutsamste Gruppierung innerhalb der Gesamtpartei AfD. Das Ziel des "Kyffhäusertreffens" beschrieb Björn Höcke auf seinem Facebook-Profil wie folgt: "Wir als Der Flügel und Unterzeichner der Erfurter Resolution treffen uns einmal im Jahr, bisher am Fuße des Kyffhäuserdenkmals, um uns daran zu erinnern, wer wir sind und wo wir herkommen. Der Flügel als Rückversicherung innerhalb der AfD ist ein Garant für den Zusammenhalt". Nach der Auflösung des Flügels fand im Berichtsjahr kein "Kyffhäusertreffen" mehr statt. IDEOLOGIE/ZIELE Der mittlerweile aufgelöste Flügel vertrat rassistische und völkische Positionen mit dem Ziel, diese im parlamentarischen Diskurs mehrheitsfähig zu machen. Dazu sollte dessen steuernder Einfluss auf die Gesamtpartei ausgebaut und genutzt werden. Der mittlerweile aufgelöste Flügel war in seiner programmatischen Ausrichtung als antipluralistisch, rassistisch sowie undemokratisch und gegen die Würde des einzelnen Menschen gerichtet anzusehen. 92 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 RECHTSEXTREMISMUS AUF EINEN BLICK * "Ethnisch Deutsche" als Träger des "Deutschtums" * Relativierung des Nationalsozialismus - latenter Antisemitismus * Seit 1919: der "Weg in eine Bolschewisierung" * Einfluss des Flügels "Ethnisch Deutsche" als Träger des "Deutschtums" | Ursprung der ideologischen Ausrichtung des mittlerweile aufgelösten Flügels bildete ein Politikkonzept, das primär auf das Ausgrenzen, Verächtlichmachen und das weitgehend Rechtslosstellen von Ausländern, Migranten - insbesondere Muslimen - und politisch Andersdenkenden gerichtet war. Im Zentrum steht dabei das Postulat eines ethnokulturell homogenen Staatsvolks, das der mittlerweile aufgelöste Flügel und seine ehemaligen Anhänger als höchsten "Wert" ansahen. In dieser Vorstellungswelt bemaß sich der Wert eines Menschen aufgrund dessen Zugehörigkeit zu einer angeblich ethnischen Volksgruppe. Dabei wertschätzte der mittlerweile aufgelöste Flügel den einzelnen "ethnisch Deutschen" als Träger des "Deutschtums", während er sogenannte kulturfremde Menschen als nicht integrierbar darstellte. Außerdem bezog der mittlerweile aufgelöste Flügel flüchtlingsund muslimfeindliche Positionen, womit er unter anderem die Staatsbürgerschaft von Deutschen mit muslimischem Glauben in Frage stellte. Relativierung des Nationalsozialismus - latenter Antisemitismus | Nicht zuletzt propagierten einzelne Vertreter des mittlerweile aufgelösten Flügels Positionen, in denen der Nationalsozialismus relativiert bzw. verharmlost wurde, und vertraten einen latenten Antisemitismus, der offen an rassistische Ideologeme des Nationalsozialismus anknüpfte. Nicht selten wurde hierzu auf das gängige antisemitisch-verschwörungstheoretische Narrativ einer global agierenden Finanzelite zurückgegriffen, welche die politisch Verantwortlichen in ihrem Handeln lenke und eine Agenda zur Zerstörung gewachsener, ethnisch homogener Völker verfolge. Seit 1919: der "Weg in eine Bolschewisierung" | Beispielhaft wurde das ideologische Selbstverständnis des mittlerweile aufgelösten Flügels im Rahmen seiner programmatischen Veröffentlichungen auf seiner mittlerweile gelöschten Internetseite, der sogenannten Flügelschläge, sichtbar: "Die Kulturen der Europäer, das Band der christlich-ethischen Grundwerte, wurden zerstört. Es dominierte eine Ideologie, die bereits 1919 den Weg in eine Bolschewisierung vorgab. Die dahinterstehenden Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 93 RECHTSEXTREMISMUS Kräfte waren sich in dem Ziel einig, die Weltherrschaft über eine entkultivierte Menschheit übernehmen zu können. In Deutschland waren sie als die Kräfte der 68er, der Frankfurter Schule[,] stark geworden. Sie traten zum Kampf gegen Rechts an und meinten die patriotischen Gefühle der Menschen. Das Ziel war die Entnationalisierung. Es sind politische Führungskräfte der Bundesrepublik aus dieser menschenfeindlichen Szene, die Deutschland unwidersprochen in Demonstrationen ,Deutschland verrecke' skandieren können. Ihr Auftreten entspricht den Absichten der hinter ihnen stehenden Macht". Bis zu seiner Auflösung richtete sich der Einfluss des Flügels in die AfD hinein. Ziel war es, die Kontrolle über die Schlüsselpositionen in der Gesamtpartei zu erlangen, um die inhaltliche Ausrichtung der AfD hinsichtlich der eigenen programmatischen Vorstellungen zu beeinflussen. Dabei sah sich der mittlerweile aufgelöste Flügel als "Rückversicherung" für die Gesamtpartei, durch die eine politische und inhaltliche Assimilation der AfD durch die etablierten Parteien verhindert werden sollte. STRUKTUREN Beim mittlerweile aufgelösten Flügel handelte es sich um die größte Teilorganisation innerhalb der Gesamtpartei AfD als "zentral organisierter, loser Verbund" von Mitgliedern der AfD im gesamten Bundesgebiet. Die Organisation und damit auch die inhaltliche Ausrichtung wurden dabei "maßgeblich vom Kreisverband Nodhausen-Eichsfeld-Mühlhausen" (Thüringen) getragen. Der Vorsitzende dieses AfD-Kreisverbands, Björn Höcke, fungierte zugleich als die zentrale Führungsfigur des früheren Flügels. AUF EINEN BLICK * Regionale Strukturen * "Flügelabzeichen" und "Flügelversand" Regionale Strukturen | Gemäß seinem Selbstverständnis und seiner Selbstbeschreibung handelte es sich beim mittlerweile aufgelösten Flügel um eine Gruppierung, in deren Kern nur wenige Einzelpersonen als führende Akteure agierten. Eine formale Mitgliedschaft war nicht möglich, da der frühere Flügel keine formellen Organisationsstrukturen unterhielt. Um dem Anspruch einer bundesweiten Vereinigung gerecht zu werden, etablierte der mittlerweile aufgelöste Flügel ein System aus regionalen Flügeltreffen und Obleuten - parallel zur Parteistruktur der AfD - in den Bundesländern. Während die vom früheren Flügel or94 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 RECHTSEXTREMISMUS ganisierten Flügeltreffen als eine Art Parallelparteitag zu sehen waren, fungierten die Obmänner und Obfrauen als regionale Ansprechpartner und Interessenvertreter des ehemaligen Flügels. "Flügelabzeichen" und "Flügelversand" | Zur Stärkung des Gemeinschaftsgefühls innerhalb des früheren Flügels wurde eine Auszeichnung mit Verdienstorden ("Flügelabzeichen" in Schwarz, Silber und Gold für besondere Dienste um den Flügel) geschaffen. Daneben unterhielt der Flügel bis zu seiner Auflösung mit dem "Flügelversand" einen eigenen Onlineshop, in dem verschiedene Artikel mit dem "Flügelwappen" sowie dem Konterfei Björn Höckes vertrieben wurden. BEWERTUNG/AUSBLICK Die förmliche Auflösung des Flügels kann als taktisches Manöver gewertet werden, um einer möglichen Beobachtung der Gesamtpartei durch den Verfassungsschutz zu entgehen. In Zukunft bleibt abzuwarten, ob das Gedankengut, die Ideologie oder die politische Ausrichtung des aufgelösten Flügels fortgesetzt wird. Junge Alternative (JA) DEFINITION/KERNDATEN Die 2013 gegründete JA ist die Jugendorganisation der AfD, wobei der Landesverband Hessen der AfD im BerichtsBundesvorsitzender: Damian Lohr (Rheinland-Pfalz) zeitraum nicht vom LfV beobachtet wurde. Die JA Hessen stellte sich als demokratische und "patriotische" Parteijugend dar, die auf dem Landesvorsitzende: Boden der freiheitlichen demokratischen Grundordnung stehe und Jens Mierdel und Michael Werl Teil der Mitte der Gesellschaft sei. Tatsächlich handelte es sich bei als Doppelspitze der JA Hessen um eine fest in rechtsextremistische Strukturen einMitglieder: gebundene Gruppierung, die versuchte, ihre rassistischen AnschauIn Hessen etwa 50, nach Angaben ungen im sozialen und kulturellen Raum sowie im politischen des BfV bundesweit etwa 1.600 \ Diskurs zu verankern und zu verbreiten. EREIGNISSE/ENTWICKLUNGEN In ihrer Außenwirkung war die JA Hessen aufgrund gering ausgeprägter Strukturen weiterhin begrenzt, ihr zuzurechnende Veranstaltungen waren selten. In den sozialen Medien hatte die JA Hessen in der Vergangenheit zwar damit geworben, dass einmal im Monat auf Landesebene ein wechselnder Regionalstammtisch sowie mehrere Veranstaltungen stattfinden würden, jedoch wurden im Berichtszeitraum lediglich ein Treffen von Mitgliedern der JA Hessen und weiteren Landesverbänden sowie eine Veranstaltung Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 95 RECHTSEXTREMISMUS im Kontext der Neuwahl des Landesvorstands festgestellt. Darüber hinaus nahmen Mitglieder der JA Hessen an einer Veranstaltung der Landesverbände Thüringen und Hessen der Gesamtpartei in Vacha (Thüringen) teil. Ansonsten traten einzelne Mitglieder der JA Hessen durch rechtsextremistischen Aktivitäten öffentlich in Erscheinung. AUF EINEN BLICK * Asylund Migrationspolitik - Diffamierung des politischen Gegners * Reaktion auf die Ministerpräsidentenwahl im Februar in Thüringen * Der Flügel - Reaktion auf die Erklärung des BfV vom 12. März * Kritik an staatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie * Treffen in Kassel vor dem "Lockdown" * Familienfest zum "Tag der deutschen Einheit" * Wahl eines neuen Landesvorstands Asylund Migrationspolitik - Diffamierung des politischen Gegners | Wurden im Berichtszeitraum nur wenige öffentliche Veranstaltungen der JA Hessen bekannt, so war sie vor allem in den sozialen Medien aktiv. Dort konzentrierte sie sich auf Kommentare zur Asylund Migrationspolitik zum politischen Gegner. So hieß es auf der FacebookSeite der JA Hessen: "Wieder zeigt sich [angesichts der Ausschreitungen in Stuttgart]: Politiker und Medienhaben aus #Köln nichts gelernt. Wer gewaltsame Angriffe auf Polizei und Geschäfte durch Migranten und Linksextremisten als Übergriffe von Menschen aus der #Partyszene verharmlost, der hat noch immer nicht verstanden, was in Deutschland geschieht". "Ein Journalist schleust sich in das Netzwerk der #Antifa ein und berichtet Unglaubliches. Anhänger dieser Gruppierungen werden gezielt geschult, Andersdenkende durch Gewaltanwendung, z. B. das Ausstechen der Augen, mundtot zu machen". "Unter dem Deckmantel des angeblichen #Rassismus/problems darf man sich in #Corona-Deutschland scheinbar alles erlauben. Gegen die Nichteinhaltung der Mindestabstände durch die Randalierer der #Antifa geht die #Regierung nicht vor. Wir sind enttäuscht". Reaktion auf die Ministerpräsidentenwahl im Februar in Thüringen | In einem in den sozialen Medien veröffentlichten Beitrag gratulierte die JA Hessen dem Landesverband der AfD Thüringen dazu, durch ihre Stimmen die Abwahl des damaligen und jetzt wieder amtierenden thüringischen Ministerpräsidenten Bodo Ramelow ermöglicht 96 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 RECHTSEXTREMISMUS zu haben. Der Beitrag wurde zusammen mit einem Bild veröffentlicht, das die Führungsfigur des aufgelösten Flügels, Björn Höcke, dabei zeigt, wie er dem damals gewählten Ministerpräsidenten Thomas Kemmerich die Hand gab. Zu dem Bild bemerkte die JA Hessen: "Das war erst der Anfang!" Der Flügel - Reaktion auf die Erklärung des BfV vom 12. März | Patrick Pana, Mitglied des Landesvorstands der JA Hessen und Angehöriger des mittlerweile aufgelösten Flügels, veröffentlichte im Internet im März einen Gastbeitrag, worin es hieß: "Der ,Flügel' ist Wächter der Gründungsideale und Brandmauer zu einem verkommenen Parteienkartell in einem". Eine "wirkliche politische Wende" müsse "nicht (nur) im Parlament, sondern im sozialen und kulturellen Raum und somit erst einmal in den Köpfen der Bürger stattfinden". Notwendig sei ein "solidarischer Patriotismus, ein gesellschaftsund wirtschaftlicher Identitätsansatz, der der zersetzenden Politik der Etablierten diametral entgegensteht. Ein nahezu revolutionärer Ansatz, denn Heimat und Volk werden nicht als Marktplatz und Humankapital, sondern als eine metaphysische, die reine ökonomische Vernunftslogik übersteigende gemeinschaftliche Verantwortung, für sich, für Vorund Nachfahren, verstanden". Darüber hinaus verbreitete Patrick Pana in den sozialen Medien Beiträge, in denen er sich zu Inhalten, Gruppierungen und Personen aus dem Spektrum der Neuen Rechten und der IB bekannte. So schrieb er zum Beispiel auf Twitter in Bezug auf den marxistischen Philosophen und Politiker Antonio Gramsci: "Für eine zeitgemäße Neue Rechte ist eine fundierte Theoriebildung unabdingbar. Sowohl ,Linke' als ,Rechte' Schriften müssen gleichermaßen bekannt sein. Für uns konkret heißt das: Lesen, lesen und noch einmal lesen!" (Schreibweise wie im Original.) Kritik an staatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie | Nach dem Ausbruch der COVID-19-Pandemie erweiterte die JA Hessen ihre Agitation um die Kritik an den staatlichen Bekämpfungsmaßnahmen, indem sie in Bezug auf die Neuregelung des Infektionsschutzgesetzes den Begriff "Ermächtigungsgesetz" gebrauchte. Mit Blick auf dessen im Bundestag anstehende Verabschiedung sprach die JA Hessen von einem "Schicksalstag". Außerdem propagierte die JA Hessen im Kontext der COVID-19-Pandemie fremdenfeindlichen Ressentiments, als sie auf eine angebliche Diskriminierung der "normalen" Bevölkerung hinwies. So schrieb sie auf Twitter: "Seit #Ramadan, der #Partyszene o[der] den #BLMDemos ist klar: Das Virus ist nur für Normalbürger gefährlich". Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 97 RECHTSEXTREMISMUS Treffen in Kassel vor dem "Lockdown" | Am 1. November veröffentlichte die JA Hessen in den sozialen Medien einen bebilderten Beitrag, in dem sie über einen "letzten geselligen Abend, vor dem #lockdown" am 31. Oktober in Kassel berichtete. Nach eigenen Angaben hätten an dem Treffen Mitglieder der JA-Landesverbände Berlin, Schleswig-Holstein, Sachsen und Baden-Württemberg, sowie Mitglieder des Landesverbands Niedersachsen der AfD teilgenommen. Unter den Teilnehmern befanden sich auch zwei Mitglieder des JABundesvorstands. Wahl eines neuen Landesvorstands | Nachdem im März der JA-Landesvorsitzende Jens Mierdel seinen Rücktritt erklärte hatte, wählte die JA Hessen am 12. Dezember in Vellmar (Landkreis Kassel) einen neuen Landesvorstand, wobei der überwiegende Teil der Funktionäre in wichtigen Positionen im Amt bestätigt wurden. IDEOLOGIE/ZIELE Die JA Hessen vertritt in ihrer Programmatik eine völkische Ideologie und ist aufgrund ihres Weltbilds und personeller Überschneidungen in die rechtsextremistische Szene in Hessen integriert. Auch wenn die JA dem Rechtsextremismus zuzurechnen ist, versucht sie nach außen in der Öffentlichkeit ein gemäßigtes und bürgerliches Image zu pflegen und somit eine Anschlussfähigkeit für ihre rechtsextremistische Ideologie in der Gesellschaft zu erreichen. AUF EINEN BLICK * Ethnisch homogener Volksbegriff * "Herangezüchtete neue Mehrheitsbevölkerung" * Verschwörungstheoretische Argumentationsmuster Ethnisch homogener Volksbegriff | Die JA propagiert einen ethnisch homogenen Volksbegriff, der mit der Würde des Menschen als dem obersten Wert der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht vereinbar ist. Wenn Jan Nolte, ehemaliger Vorsitzender der JA Hessen, vom "langsame[n] Austausch der Deutschen durch muslimische Einwanderer" spricht und behauptet, dass Politiker, die das "Volk, das sie finanziert, mit seinem Blut für ein wahnsinniges Bevölkerungsexperiment bezahlen lassen", eine Schande seien, handelt es sich um eine diffamierende Aussage gegenüber dem vermeintlichen Kollektiv der "muslimische[n] Einwanderer". Die JA Hessen bemüht das Narrativ eines ethnisch homogen deutschen Volks im Kontrast zu vermeintlich minderwertigen anderen Menschengruppen, wenn sie in ihrer Kommentierung des Statistischen 98 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 RECHTSEXTREMISMUS Jahrbuchs Frankfurt am Main 2017 zwischen "Deutschen", "Passdeutschen" und Migranten differenziert. Durch die Unterscheidung zwischen "Deutschen" und "Passdeutschen" wird ein biologistisches, auf rassistischen Grundgedanken fußendes Weltbild ersichtlich. "Herangezüchtete neue Mehrheitsbevölkerung" | Mit der Verwendung eines ethnisch homogenen Volksbegriffs einher geht bei der JA Hessen eine Herabwürdigung derjenigen Menschen, die ihrer Vorstellung nach nicht zu der Gruppe der "autochthonen Deutschen" gehören. Diesen Teilen der Gesellschaft - im Sprachgebrauch der JA Hessen der "herangezüchteten neuen Mehrheitsbevölkerung" - wird die Fähigkeit bzw. der Wille zur Aufrechterhaltung und Einhaltung wesentlicher Werte der freiheitlichen demokratischen Grundordnung (wie der Religionsund Meinungsfreiheit) abgesprochen. Stattdessen attestiert die JA Hessen diesen Bevölkerungsgruppen generell eine "um sich greifende Eroberer-Mentalität" und lastet ihnen eine "gesundheitliche Gefährdung unserer Kinder" sowie eine Steigerung von Infektionskrankheiten an und befeuert die Sorge vor einem "wirtschaftlichen Niedergang". Verschwörungsideologische Argumentationsmuster | Die JA Hessen vertritt nicht nur ein rassistisches Weltbild, sondern sie verbindet dieses zugleich mit verschwörungsideologischen, von Rechtsextremisten genutzten Argumentationsmustern. Nach Ansicht der JA Hessen wird ein "Bevölkerungsaustausch" vorgenommen, sodass es eine "neue herangezüchtete Mehrheitsbevölkerung" in Deutschland geben werde. Auf diese Weise versucht die JA Hessen eine Emotionalisierung des politischen Diskurses zu erreichen, in dem nicht länger das sachliche Argument zählt. Die Verschwörungsideologie des "Bevölkerungsaustausches" oder des "Großen Austauschs" stellt ein zentrales Narrativ innerhalb des Spektrums der Neuen Rechten dar. Die Vermischung der angeblichen Ethnien und die fortwährende Veränderung von Gruppenidentitäten ist nach Ansicht von Akteuren der Neuen Rechten keine genuine Folge der ständigen Veränderung der Welt und Gesellschaft, sondern ist auf einen Plan politischer, gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Eliten, das heißt den "Großen Austausch", zurückzuführen. Aus Sicht der Neuen Rechten ist damit der "Prozess, durch den die einheimische Bevölkerung durch außereuropäische Einwanderer verdrängt und ausgetauscht" werde, gemeint. Diese Veränderung geschehe nicht zufällig, sondern sei Teil eines aktiven Prozesses zur Zerstörung der Identitäten der Völker Europas. Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 99 RECHTSEXTREMISMUS STRUKTUREN Die 2013 in Darmstadt im Rahmen eines ersten Bundeskongresses gegründete JA bestand aus 15 Landesverbänden. In Hessen war die JA, die als Verein organisiert ist, die offizielle Jugendorganisation der AfD Hessen. Die JA Hessen setzte sich aus mehreren Kreisund Ortsverbänden zusammen, wies jedoch keine flächendeckenden Strukturen auf. Dem Vorstand der JA Hessen gehörten im Berichtszeitraum zunächst sechs und nach dem Rücktritt eines der Landesvorsitzenden fünf Personen an. Nach der Neuwahl setzte sich der Landesvorstand aus neun Mitgliedern zusammen. Ein Mitglied des JA-Landesvorstandes gehörte im Berichtszeitraum dem JA-Bundesvorstand an. BEWERTUNG/AUSBLICK Der JA Hessen gelang es im Berichtsjahr nicht, ihre rechtsextremistische Ideologie durch größere Aktionen und Veranstaltungen öffentlichkeitswirksam zu verbreiten. Stattdessen beschränkten sich die Aktivitäten der JA Hessen vorwiegend auf die sozialen Medien, vereinzelte Treffen und auf die Teilnahme an überregionalen Treffen, über die im Anschluss in den sozialen Medien berichtet wurde. Durch ihr Auftreten in den sozialen Medien versuchte die JA Hessen weiterhin, das Bild einer "patriotischen" und demokratischen Parteijugend zu zeichnen, die angeblich fest auf dem Boden der freiheitlichen demokratischen Grundordnung steht. Dass es sich hierbei nur um eine Außendarstellung einer rechtsextremistischen Gruppierung handelt, wird insbesondere aufgrund der im Berichtsjahr bekannt gewordenen Verlautbarungen deutlich. Die Sympathien für Positionen und die Nähe zu Protagonisten der Neuen Rechten waren für die JA Hessen offenbar kein Grund, sich von entsprechenden Äußerungen zu distanzieren. Das in der Grundsatzerklärung der JA Hessen enthaltene Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung und die Distanzierung gegenüber rechtsextremistischen Gruppierungen sind daher als taktische Versuche zu werten, weiterhin anschlussfähig an die Mehrheitsgesellschaft zu sein. Bei der Neuwahl des JA-Landesvorstands kam es zwar zu personellen Veränderungen, allerdings wurden bereits etablierte Funktionäre in für deren Organisationsstruktur wichtigen Ämtern bestätigt. Daher ist davon auszugehen, dass mit der Neuwahl keine programmatische Neuausrichtung der JA Hessen einhergehen und sie weiterhin versuchen wird, völkische Ideologie durch eine "bürger100 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 RECHTSEXTREMISMUS liche" Außendarstellung in der Mehrheitsgesellschaft als eine scheinbar gemäßigte Attitüde zu verankern. Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) DEFINITION/KERNDATEN Die NPD vertritt nationalistische, völkische und revisionistische Positionen. Insgesamt weist ihre Programmatik eine ideologische und sprachliche Nähe zur Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) im "Dritten Reich" auf. Den verfassungsfeindLogo der NPD lichen Charakter der NPD stellte das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 17. Januar 2017 fest. Während die NPD in der zweiten Hälfte der 1960er Jahre in bis zu Logo der JN sieben westdeutschen Landesparlamenten vertreten war, verlor sie in der folgenden Zeit an Bedeutung. Seit der Wiedervereinigung 1989/90 nahm ihre lokale und regionale Verankerung, vor allem in Landesvorsitzender damals wirtschaftlich schlechter gestellten Gebieten im Osten Daniel Lachmann Deutschlands, teilweise wieder zu. Bis 2014 bzw. 2016 in den LandBundesvorsitzender: tagen von Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern vertreten, war Frank Franz (Saarland) sie zuletzt in keinem Landesparlament mehr präsent. Allerdings wechselte im November 2018 ein wegen Volksverhetzung verurMitglieder: teilter Mandatsträger der Alternative für Deutschlands (AfD) im BerIn Hessen etwa 260, bundesweit etwa 3.500 liner Abgeordnetenhaus zu der NPD, sodass sie wieder in einem Landesparlament vertreten ist. Jugendorganisation: Junge Nationalisten (JN) EREIGNISSE/ENTWICKLUNGEN Medien (Auswahl): Deutsche Stimme (DS), Die NPD in Hessen war wie in den Vorjahren nur eingeschränkt Internetpräsenzen / handlungsfähig. Lediglich einige Bezirksverbände waren aktiv und traten - wie etwa die Bezirksverbände Mittelhessen und WetterauKinzig - öffentlich in Erscheinung. Nachdem das COVID-19-Virus Ende Januar Deutschland erreicht hatte, griff die NPD in Hessen seit Mitte März die politische und mediale Thematisierung der staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie auf. Dabei kritisierte die Partei sowohl in der virtuellen als auch in der realen Welt die mit dem Krisenmanagement betrauten Politiker und die staatlichen Maßnahmen. Während des Landesparteitags im Oktober wählten die Delegierten Daniel Lachmann erneut zum Landesvorsitzenden. In dieser Funktion, die er seit 2018 innehatte, sollte er die NPD auch in den Wahlkampf für die hessische Kommunalwahl am 14. März 2021 führen. Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 101 RECHTSEXTREMISMUS AUF EINEN BLICK * Neujahrsempfang * Reaktionen der auf die COVID-19-Pandemie * Landesparteitag * Verurteilung Neujahrsempfang | Am 19. Januar führten die NPD-Fraktionen Leun und Wetzlar ihre Jahresauftaktveranstaltung mit etwa 80 Teilnehmern in Leun (Lahn-Dill-Kreis) durch. Moderiert vom stellvertretenden Landesvorsitzenden Ingo Helge, trat der Liedermacher Phil (Philipp Neumann) von der Gruppe Flak auf. Unter den Teilnehmern befanden sich neben NPD-Mitgliedern und Aktivisten der JN aus Hessen unter anderem der Landesvorsitzende der NPD Rheinland-Pfalz, Markus Walter, der Leiter des Thule-Seminars e. V., Dr. Pierre Krebs, sowie der Herausgeber der Zeitschrift Recht und Wahrheit, Meinolf Schönborn. Wie die NPD Hessen auf Facebook berichtete, kamen verschiedene Redner zu Wort. So referierte Walter über kommunalpolitische Themen und die in "Rheinland-Pfalz stationierten US-Besatzer", die ihre "Militärbasis u. a. in Ramstein nutzen, um weltweit Kriege zu führen". Dr. Wolfgang Bohn sprach über das Thema "Umweltschutz ist Heimatschutz" und Dr. Krebs über die "Zukunft der weißen Völker". Dabei behauptete er: "Heimat ist der harmonische Einklang von Mensch und Raum. Dies ist es, was wir erhalten und fördern wollen". Reaktionen auf die COVID-19-Pandemie | Die Berichterstattung in den Medien und die politisch-gesellschaftliche Diskussion über die COVID-19-Pandemie und deren Folgen versuchte die NPD - neben einer sachlichen Auseinandersetzung mit dem Thema - in ihrem Sinne zu instrumentalisieren. Insbesondere im virtuellen Raum kritisierte sie die nach ihrer Auffassung mit der Pandemie verbundene Krise der Asyl-, Grenzund Globalisierungspolitik. So hieß es auf der Facebook-Seite des NPD-Landesverbands Hessen: "Daran haben unsere Gutmenschen-Politiker ebenfalls nicht gedacht: Dass ihre Gäste sich in einer Krisensituation nicht an die verordneten Notmaßnahmen - wie beispielsweise eine Quarantäne - halten. Wer illegal die Grenze übertritt - warum sollte der sich an solche Auflagen halten?" "Wenn der Westen aus der Corona-Krise etwas lernen will und kann, dann dies: Nötig sind handlungsfähige Nationalstaaten, dauerhafte Einreisekontrollen und Maßnahmen zur ökonomischen Deglobalisierung, d. h. eine Reduzierung ökonomischer Auslandsabhängigkeit durch Stärkung regionaler und nationaler Wirtschaftskreisläufe. Die Globalisierungsideologie der Herrschenden ist mit schlimmsten Folgen für uns alle gescheitert!" 102 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 RECHTSEXTREMISMUS Diffamierend hieß es auf der Facebook-Seite Lachmanns: "Auch wenn ich die Genauigkeit der PCR-Testergebnisse sehr kritisch ansehe, werden andauernd aufgrund türkischer Großfeiern schärfere Maßnahmen von Politikern gefordert. Bekanntlich nehmen es die Invasoren mit der Hygiene nicht allzu genau. Vielleicht würde eine Investition in Seife helfen". Dabei kritisierte die NPD auch das Krisenmanagement der Bundesregierung. Während sich die Kritik zu Beginn außerdem auf die angeblich unverhältnismäßig starke Einschränkung der Freiheitsrechte bezog ("Eine Bundeskanzlerin, die das Grundgesetz außer Kraft setzt, ist keine Bundeskanzlerin"), rückten zunehmend Forderungen nach einer Aufhebung der staatlichen Maßnahmen in den Agitationsfokus: "Aufstehen, Rausgehen, die Faust heben! Widerstand! 2020 ist das Jahr, indem wir für unsere Grundrechte auf die Straße gehen müssen. [...] Doch die, die immer von unseren Grundrechten prädigen, die stellen sich jetzt gegen uns? Gegen das #Volk! [...] Organisierter #Widerstand ist auch 2020 möglich! Nämlich in der #NPD! #Merkel und Co. die Grenzen zeigen!" (Schreibweise wie im Original.) "Im Interesse von Volk und Staat sind alle Maßnahmen zu beenden, die eine unverhältnismäßige Belastung und Einschränkung bedeuten [,] und politische Entscheidungen zu treffen, die künftige Generationen nicht mit den wirtschaftlichen und sozialen Folgen in untragbarer Weise belasten". Neben ihrer anhaltenden Kritik im virtuellen Raum versuchte die NPD mittels der Teilnahme an Veranstaltungen in und außerhalb Hessens, Einfluss auf die Proteste gegen die staatlichen Anti-COVID-19-Maßnahmen zu nehmen. Hierzu veröffentlichte die Partei auch Unterstützungsaufrufe. In Hessen nahmen NPD-Aktivisten nach eigener Verlautbarung unter anderem an Kundgebungen in Gelnhausen (Main-Kinzig-Kreis), Wetzlar (Lahn-Dill-Kreis) und Frankfurt am Main teil. Am 23. Mai führte der stellvertretende Landesvorsitzende Stefan Jagsch als privater Anmelder eine Protestkundgebung (etwa 20 Teilnehmer) unter dem Motto "Deutschland gegen den Corona-Wahnsinn - Vernunft statt Hysterie" in Büdingen (Wetteraukreis) durch. Bei der nahezu nur von NPD-Aktivisten besuchten Veranstaltung hielten unter anderem Daniel Lachmann und Ingo Helge Reden, wobei letzterer die Bundeskanzlerin als ",Staatsratsvorsitzende'" bezeichnete. Ein anderer Redner bezog in seiner Anspielung auf die Deutsche Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 103 RECHTSEXTREMISMUS Demokratische Republik (DDR) auch den Nationalsozialismus ein, indem er - in geschichtsrevisionistischer Manier - erklärte: "Ich habe mich sehr mit dem Medienmissbrauch im Dritten Reich und der DDR befasst [...]. Mir ist kein Fall bekannt, wo die Wahrheit so verdreht wurde [...]. Ich gehe davon aus, dass dieser Corona-Schwindel, den hoffentlich immer mehr Menschen durchschauen werden, die BRDVersion des Turms zu Babel zu nichts zerfallen lassen wird". Außerhalb von Hessen nahmen NPD-Aktivisten am 1. und 29. August in Berlin an Protesten gegen die staatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie teil. So hieß es auf der Facebook-Seite der NPD Hessen: "Komme auch du am 1. August nach Berlin und zeige damit, dass wir uns von denen da oben nicht alles gefallen lassen. [...] Wir wollen freie Bürger sein und keine ,Masken-Sklaven'!" Um sich "bürgernah" zu geben und Gegenproteste zu vermeiden, nahmen auch führende Parteimitglieder an der Demonstration in Berlin teil, ohne dass auf den ersten Blick deren Zugehörigkeit zur NPD erkennbar war. So war auf der Facebook-Seite der NPD Hessen ein Bild eingestellt, das den ehemaligen Bundesvorsitzenden Udo Voigt zeigte, als er zusammen mit vier weiteren Aktivisten ein Transparent trug, auf dem stand: "Deutschland gegen den Corona-Wahnsinn[.] Zwangsmaßnahmen beenden - Normalität herstellen!" Ein Facebook-Nutzer kommentierte das Bild wie folgt: "Die AfD hat mit dem Rauswurf des Herrn Kalbitz abgewirtschaftet. Ich finde es toll, dass die NPD sich einbringt in die Gesellschaft und auch die Mißstände beim Namen nennt". (Schreibweise wie im Original.) Insbesondere in Bezug auf die Demonstration am 29. August unterstützten Aktivisten die Bundespartei. So hieß es auf der FacebookSeite der NPD Hessen in einem Aufruf: "Unter dem Vorwand einer Corona-Pandemie wurden unsere Grundrechte vielfach außer Kraft gesetzt. Am 29. August versammeln sich erneut unzählige mündige Bürger in Berlin, um ein Zeichen zu setzen - für die Freiheit, ein selbstbestimmtes Leben und gegen die Willkür von Politik und staatsdienender Presse. Die Bürger sind keine Mündel, darum werden wieder viele Menschen weite Anreisen in Kauf nehmen, um in der Hauptstadt gemeinsam und über alle ideologischen Schranken hinweg für das auf die Straße zu gehen, was sie wirklich bewegt. Das ist mutig, absolut begrüßenswert und zutiefst demokratisch". 104 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 RECHTSEXTREMISMUS Im Rahmen mehrerer an diesem Tag in Berlin stattfindender Demonstration, an denen etwa 38.000 Menschen teilnahmen, verteilten NPDAngehörige aus Hessen eine Ausgabe der DS (",Unsere Freiheit ist unverhandelbar!' Zeit für Widerstand!") und trugen entsprechende Plakatschilder. Landesparteitag | am 17. Oktober führte die NPD in Leun (Lahn-DillKreis) einen Landesparteitag durch, bei dem nach zweijähriger Amtszeit der Landesvorstand neu gewählt wurde. Der Generalsekretär der Bundespartei, Alexander Neidlein, leitete die Veranstaltung, in deren Verlauf Daniel Lachmann und Stefan Jagsch verkündeten, dass der Bezirksverband Südhessen aufgrund von Neuzugängen reaktiviert worden sei. Bei den Wahlen wurde Lachmann als Landesvorsitzender bestätigt, Jagsch und Helge wurden zu seinen Stellvertretern bestimmt. Außerdem wurden fünf Beisitzer, zwei Kassenprüfer und ein Landesschiedsgericht gewählt. In seiner Schlussrede erklärte Jagsch, dass es die "wichtigste Aufgabe für die kommenden Monate" sei, die "weiteren Vorbereitungen zur Kommunalwahl" zu treffen. Auf der Facebook-Seite der NPD Hessen hieß es: "Oberstes Ziel müsse es für den Landesverband sein, zu möglichst vielen Stadtund Gemeindeparlamentswahlen am 14. März 2020 mit Listen anzutreten, damit auch dem Wähler die Chance zur Stimmabgabe für die nationale Oppositionspartei gegeben wird. [...] Da heiße es für alle Deutschen, die von den Zwangsmaßnahmen der Regierung und deren kommunalen Vertretern die Schnauze voll haben: Wahltag ist Zahltag - Lügenparteien abstrafen!" Verurteilung | Im Juli verurteilte das Landgericht (LG) Limburg a. d. Lahn den Inhaber des Bistro Hollywood in Leun (Lahn-Dill-Kreis) - die Örtlichkeit ist in der rechtsextremistischen Szene als Teutonicus bekannt - zu zwei Jahren und sechs Monaten Haft wegen illegalen Waffenbesitzes und räuberischer Erpressung. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. In der Folge distanzierte sich die NPD-Fraktion der Leuner Stadtverordnetenversammlung von ihrem Mitglied, sodass es fortan sein Mandat fraktionslos ausübte. 2018 hatte die Polizei das Teutonicus im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens wegen räuberischer Erpressung, gefährlicher Körperverletzung und Verstößen gegen das Waffengesetz durchsucht. Dabei waren fünf Personen festgenommen sowie Waffen, Munition, Betäubungsmittel und nationalsozialistische Devotionalien beschlagnahmt worden. Außerdem hatte die Polizei auf dem Dachboden des Gebäudes einen provisorischen Schießstand entdeckt. Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 105 RECHTSEXTREMISMUS JUNGE NATIONALISTEN (JN) Die JN Hessen traten nur vereinzelt mit öffentlichkeitswirksamen Aktionen in Erscheinung und verhielten sich gegenüber den Vorjahren - auch vor dem Hintergrund der im Rahmen der staatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie geführten Diskussion in Gesellschaft und Medien - außerordentlich passiv. An einer von den JN initiierten bundesweiten "Internet-Demonstration" beteiligten sich auch JNund NPD-Aktivisten aus Hessen, um auf die angeblich gescheiterte "Globalisierungspolitik" aufmerksam zu machen. Bundesweit versuchten die JN - wie auch die NPD - die Pandemie für ihre Zwecke zu instrumentalisieren und boten unter anderem während des "Lockdowns" Einkaufshilfen für Personen aus Risikogruppen an. Entsprechende Angebote der JN Hessen wurden nicht bekannt. AUF EINEN BLICK * Internet-Demo: "#SystemExit" * Reaktionen der JN auf die COVID-19-Pandemie * Kampagne "schülersprecher.info" * Bundesweite Plakatieraktion am 1. Mai Internet-Demo: "#SystemExit" | Auf Initiative der JN wurden am 26. April auf verschiedenen rechtsextremistischen Internetpräsenzen sowie Facebookund Twitter-Profilen Beiträge mit dem Hashtag "#SystemExit" mit Bildern - insbesondere Selfies - und Kommentierungen veröffentlicht. Zuvor hatte es am 21. April auf der Facebook-Seite der JN geheißen: "Noch nie war es so vielen Bürgern klar, dass das System Globalisierung an seine Grenzen gekommen ist, dass die Globalisierung sich als Irrweg erwiesen hat. Die Globalisierung bringt auf Dauer keinen Wohlstand, sie vernichtet Existenzen! Die Globalisierung schafft keine Vielfalt, sie zerstört weltweit Kulturen! Die Globalisierung sorgt nicht für den Export von Sicherheit und Freiheit, sie importiert Unsicherheit, Terror und Kriminalität!" Unter dem Motto "Mach mit: #SystemExit jetzt! 'Das System ist am Ende, wir sind die Wende'" wollten die JN im Rahmen einer "Internet-Demo" auf die im Zusammenhang mit der Pandemie angeblich gescheiterte Globalisierung hinweisen. Insbesondere auf ihren Twitter-Profilen berichteten die JN daraufhin über Aktionen in der realen Welt. So zeigten Bilder Aktivisten bei Bannerund Klebeaktionen vorwiegend in Nordund Ostdeutschland, in Leipzig (Sachsen) brannten Aktivisten pyrotechnische Gegenstände ab. 106 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 RECHTSEXTREMISMUS Aus Hessen nahmen unter anderem der Landesvorsitzende der JN Hessen, Thassilo Hantusch, sowie die NPD-Funktionäre Daniel Lachmann, Stefan Jagsch und Ingo Helge an der Kampagne teil. Ein auf der Homepage der JN eingestelltes Foto zeigte einen Fahrkartenautomaten vermutlich im Umkreis von Wiesbaden, auf den ein Plakat mit der Aufschrift "#Systemexit Wagen wir den Ausstieg!" aufgeklebt war. Reaktionen der JN auf die COVID-19-Pandemie | Hinsichtlich der COVID-19-Pandemie kritisierte der JN-Bundesverband die angeblich verfehlte Politik der Bundesregierung. Der Ausbruch der Krankheit zeige der deutschen Wirtschaft deren Grenzen auf und beweise eindeutig, "warum der Kapitalismus - mitsamt seiner Globalisierung" im Krisenfall den Großteil der Bevölkerung im Stich lasse. Das Gesundheitswesen sei "finanziell und personell kaputt gespart" worden. Weiterhin seien Ernteausfälle zu erwarten, da Unterstützungskräfte aus Osteuropa fehlten. Die Gruppierung Junge Revolution äußerte sich in Bezug auf die von den JN initiierte Internet-Demo "#SystemExit" wie folgt in einem Telegram-Post: "Globalismus fördert Pandemien wie die Sars-CoV-2 Pandemie. Globalismus fördert nicht, wie sie [i. e. die Medien] es sagen, den Austausch unter den Völkern, sondern versucht regelrecht diesen zu unterbinden und die Völker und Rassen dieser Erde zu vereinheitlichen. Ganze Länder und Regionen werden abhängig von Industriegiganten und Länder mit Ressourcen werden ausgebeutet, geplündert und versklavt. Es werden Kriege gestiftet, um den stetigen Drang nach Mehr zu stillen". (Schreibweise wie im Original.) Um in der Krise Bedürftigen zu helfen, boten JN-Aktivisten Einkaufshilfen und Sachspenden mittels eines "Gabenzauns" an. Darüber hinaus riefen sie dazu auf, regionale Produkte zu kaufen sowie die Landwirte als Erntehelfer zu unterstützen. Weiterhin beteiligten sich JN-Aktivisten an Protestveranstaltungen gegen die staatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie, wie etwa in Berlin am 1. und 29. August sowie in Leipzig (Sachsen) am 7. November. Ebenso wie die Mutterpartei versuchten die JN, Anschluss an die Protestbewegung zu finden, allerdings nahmen nur wenige JNAngehörige an den Demonstrationen teil. Die JN Hessen selbst sprachen nicht davon, dass sie sich an Hilfeleistungen oder den Protestkundgebungen gegen die staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der COVID-19-Pandemie beteiligten. Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 107 RECHTSEXTREMISMUS Kampagne "schülersprecher.info" | Wie in den Vorjahren kam es im Rahmen der Kampagne "schuelersprecher.info" nur zu wenigen Aktionen. So wurden an zwei Schulen in Wetzlar (Lahn-Dill-Kreis) Aufkleber mit den Aufschriften "Kampfsport statt Kiffen. Deutsche Jugend zu uns" und "Jugend ohne Migrationshintergrund" angebracht. An einer Schule in Bruchköbel (Main-Kinzig-Kreis) hingen Plakate, auf denen unter anderem stand: "Unsere Heimat unsere Regeln unsere Musik". Der auf der Instagram-Seite von "schuelersprecher.info" war der Kommentar zu lesen: "Wir sind die Rebellion von rechts. Niemals wird sich etwas ändern, wenn wir nur reden". Eine weitere Klebeaktion fand nach Verlautbarung der JN Hessen in Fulda (Landkreis Fulda) statt. Bundesweite Plakatieraktion am 1. Mai | Als Ersatz für die aufgrund der staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der COVID-19-Pandemie abgesagten Demonstrationen am "Tag der Arbeit" führten die JN am 1. Mai eine bundesweite Plakatieraktion durch. Damit wollte die Jugendorganisation der NPD im Rahmen dieser Aktion auf die ihrer Ansicht nach durch "Kapitalismus" und "Globalisierung" verursachten Probleme hinweisen. Hierzu schrieben die JN auf ihrer Internetseite: "Der globalistische, auf ewiges Wachstum ausgelegte Kapitalismus ist keine langfristige Lösung! In der Krise bewährt sich die Nation, Solidarität lässt sich nur auf lokaler Ebene nachhaltig sichern und hat ihre natürlichen Grenzen an den Grenzen unseres Landes". Entsprechende Plakate - unter anderem mit der Aufschrift "Kapitalismus tötet! Die Politik der internationalen Finanzeliten durchkreuzen... Für eine raumorientierte Volkswirtschaft!" - fanden sich in Frankfurt am Main und in Fulda (Landkreis Fulda). ENTSTEHUNG/GESCHICHTE Mit der Gründung der NPD 1964 in Hannover (Niedersachsen) sollten die zersplitterten Kräfte des rechtsextremistischen Lagers in der Bundesrepublik in einer Partei gebündelt werden. Der Großteil des Führungskaders der NPD bestand zunächst aus ehemaligen Mitgliedern der NSDAP. 108 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 RECHTSEXTREMISMUS AUF EINEN BLICK * Anschein von Legalität * Krise der NPD * "Drei-Säulen-Konzept" - Erfolge in Ostdeutschland * Konzept der "seriösen Radikalität" * Wahlergebnisse * Erarbeitung eines neuen Konzepts zur künftigen Strategie der Partei Anschein von Legalität | Aus dem Verbot der Sozialistischen Reichspartei (SRP) 1952 durch das Bundesverfassungsgericht zog die NPD den Schluss, sich um den Anschein von Legalität zu bemühen und eine öffentliche Verherrlichung des Nationalsozialismus weitgehend zu unterlassen. Diese Strategie trug dazu bei, dass die NPD bei der Bundestagswahl 1965 zwei Prozent (= 664.193 der Zweitstimmen) erreichte. Zwischen 1966 und 1968 zog die NPD in die Landtage von Baden-Württemberg, Bayern, Bremen, Hessen, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein ein. Die Mitgliederanzahl stieg, wobei auf sämtlichen Parteiebenen etwa 20 Prozent der Mitglieder eine NSDAP-Vergangenheit aufwiesen. Ursache für den damaligen Auftrieb für die NPD waren zum Beispiel das Bestehen einer nur kleinen Opposition gegenüber der ersten Großen Koalition (1966 bis 1969), die konjunkturelle Schwäche in Deutschland und damit verbundene Verlustängste in der Bevölkerung. Krise der NPD | Bei der Bundestagswahl 1969 scheiterte die NPD mit 4,3 Prozent (= 1.422.010 der Zweitstimmen) relativ knapp an der Fünf-Prozent-Hürde. In der Folge führten unter anderem die innere Zerstrittenheit der Partei, eine sich allmählich bessernde wirtschaftliche Lage sowie die kritische Berichterstattung in den Medien über Ausschreitungen im Zusammenhang mit NPD-Mitgliedern zu einer langjährigen Krise der Partei. Weitere interne Streitigkeiten über die programmatische Ausrichtung, der starke Rückgang der Mitgliederzahlen, der öffentliche Skandal um die Leugnung des Holocaust durch den damaligen NPD-Vorsitzenden Günter Deckert (1991 bis 1995) und das Auftauchen konkurrierender rechtsextremistischer Parteien zementierten die Krise der NPD bis in die 1990er Jahre hinein. "Drei-Säulen-Konzept" - Erfolge in Ostdeutschland | Mit der Wahl Udo Voigts zum Bundesvorsitzenden im Jahr 1996 steigerte die NPD vor allem in den neuen Ländern ihre Mitgliederzahl und erneuerte neben Organisation und Strategie ihre Programmatik. Das neue "Drei-Säulen-Konzept" enthielt folgende Punkte: "Kampf um die Köpfe", "Kampf um die Straße" und "Kampf um die Parlamente". 2004 kam der "Kampf um den organisierten Willen" hinzu. Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 109 RECHTSEXTREMISMUS Im Zuge ihres "Kampfs um die Straße" öffnete sich die NPD vor allem gegenüber Neonazis und rechtsextremistischen Skinheads. Umgekehrt näherten sich diese der NPD an. Nach dem Scheitern des NPDVerbotsverfahrens 2003 setzte die Partei ihre Politik der Annäherung an die Neonazi-Szene fort und konzentrierte ihre Aktivitäten zunehmend auf Ostdeutschland. 2004, 2006, 2009 und 2011 zog die NPD in die Landtage von Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern ein, in denen sie inzwischen nicht mehr vertreten ist. Konzept der "seriösen Radikalität" | Holger Apfel, der 2011 gewählte Nachfolger Udo Voigts als Bundesvorsitzender, wollte mit seinem Konzept der "seriösen Radikalität" die NPD aus der Krise führen, in die sie unter anderem durch eine Reihe von Niederlagen bei Landtagswahlen sowohl im Osten als auch im Westen Deutschlands geraten war. Offensichtlich aus persönlichen Gründen legte Apfel 2013 sein Amt als Bundesvorsitzender nieder und trat aus der Partei aus. Vorübergehend übernahm sein Stellvertreter Udo Pastörs die Führung, bis im November 2014 Frank Franz, vorher Pressesprecher der Partei, zum neuen Bundesvorsitzenden gewählt wurde. Zuvor war die NPD 2014 bei den Landtagswahlen in Thüringen, Brandenburg und Sachsen an der Fünf-Prozent-Hürde gescheitert. Mit dem Verlust der staatlichen Teilfinanzierung nach dem Ausscheiden aus dem Sächsischen Landtag und der damit verbundenen Einbuße von Mitarbeitern verlor die NPD eine wesentliche Grundlage ihrer bundesweiten politischen Arbeit. Wahlergebnisse | Seit der Landtagswahl in Sachsen verlor die NPD bei weiteren Wahlen auf Landesund Bundesebene kontinuierlich Stimmen. 2017 erhielt sie bei den Landtagswahlen im Saarland 0,7 Prozent, was einem Minus von 0,5 Prozentpunkten entspricht, sowie in Nordrhein-Westfalen 0,3 Prozent (= minus 0,3 Prozentpunkte). In Hessen erreichte die NPD bei der Landtagswahl 2018 0,2 Prozent der Stimmen (= minus 0,9 Prozentpunkte). Erarbeitung eines neuen Konzepts zur künftigen Strategie der Partei | Ohne Gegenkandidaten wurde Frank Franz auf dem 37. ordentlichen Bundesparteitag der NPD (Motto "Wir setzen uns durch - für unsere Heimat"), der vom 30. November bis 1. Dezember 2019 in Riesa (Sachsen) stattfand, erneut zum Bundesvorsitzenden gewählt. Einem von Franz zur Diskussion gestellten Entschließungsantrag über die künftige Strategie der Partei stimmten 80 von 122 Delegierten (= 66 Prozent) zu. Damit wurde der Parteivorstand beauftragt, bis zum 31. März 2020 ein Konzept für die Zukunft der NPD zu erarbeiten, wobei auch eine Umbenennung der Partei geprüft werden sollte. Im Berichtszeitraum wurde jedoch keine Erklärung in Bezug auf das zu erarbeitende Strategiepapier veröffentlicht. 110 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 RECHTSEXTREMISMUS IDEOLOGIE/ZIELE Die NPD steht für Antiparlamentarismus und Antipluralismus. Mit ihrer fremdenfeindlichen, rassistischen und antisemitischen Programmatik wendet sie sich offen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung. AUF EINEN BLICK * Überwindung des "Systems" * "Solidargemeinschaft aller Deutschen" - Islamfeindlichkeit - Antisemitismus Überwindung des "Systems" | Die NPD will die parlamentarische Demokratie von innen heraus, das heißt mittels Parteiarbeit, abschaffen. Die NPD will die politische und gesellschaftliche Ordnung der Bundesrepublik Deutschland, von ihr in Anlehnung an die Sprache des Nationalsozialismus als rein machtorientierte Herrschaft der "Systemparteien" diffamiert, durch eine ethnisch homogene "Volksgemeinschaft" ersetzen. Solidarität soll nur "ethnischen Deutschen" zuteilwerden. So heißt es im Parteiprogramm: "Der ethnischen Überfremdung Deutschlands durch Einwanderung ist genauso entschieden entgegenzutreten wie der kulturellen Überfremdung durch Amerikanisierung und Islamisierung". Diejenigen, die in den Augen der NPD "Fremde" sind, grenzt sie aus. So seien "Ausländer [...] aus dem deutschen Sozialversicherungswesen auszugliedern und einer gesonderten Ausländersozialgesetzgebung zuzuordnen. In ihrer Ausgestaltung von Pflichten und Ansprüchen hat sie auch dem Rückführungsgedanken Rechnung zu tragen. [...] Asylbewerber haben keinen Anspruch auf Sozialleistungen". "Solidargemeinschaft aller Deutschen" - Islamfeindlichkeit - Antisemitismus | Der Globalisierung will die NPD begegnen, indem sie das bestehende "System" durch eine "Solidargemeinschaft aller Deutschen" ersetzt. Darüber hinaus werden Muslime diffamiert. Auch antisemitische Positionen sind in der NPD verbreitet. Die Partei vertritt zwar keine offen antisemitische Programmatik, sie streut aber entsprechende Vorurteile. STRUKTUREN Die 2010 vorgenommene Neugliederung des Landesverbands in zwei Unterbezirksund elf Kreisverbände erforderte 2015 eine erneute Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 111 RECHTSEXTREMISMUS Modifizierung, indem sechs Bezirksverbände (Nordhessen, Osthessen, Mittelhessen, Wetterau-Kinzig, Rhein-Main und Südhessen) geschaffen wurden. Auf den ersten Blick scheint die NPD flächendeckend in Hessen vertreten zu sein. Die Umstrukturierung in größere Bezirksverbände macht jedoch deutlich, dass für feingliederige Strukturen das notwendige Personal fehlte. Die tatsächlich vorhandenen Strukturen waren in weiten Teilen Hessens nur schwach ausgeprägt. BEWERTUNG/AUSBLICK NPD | Mit dem aus Daniel Lachmann, Ingo Helge und Stefan Jagsch bestehenden Vorstandsgremium verfügte die NPD Hessen sowohl über Verbindungen zu der Spitze der Bundespartei als auch zu der bundesweiten rechtsextremistischen Szene, da die beiden ersteren auch Mitglieder des Bundesvorstands waren. Unter der in ihren auf dem Landesparteitag in ihren Ämtern bestätigten Führung der NPD Hessen war ein ambitionierter Kommunalwahlkampf - insbesondere in ihren Hochburgen im Wetteraukreis und Lahn-Dill-Kreis - zu erwarten. Die Ergebnisse der hessischen Kommunalwahl am 14. März 2021 zeigten erneut den stetigen personellen, strukturellen und finanziellen Erosionsprozess der NPD in Hessen auf. Mit elf im Wetteraukreis und Lahn-Dill-Kreis errungenen Mandaten gewann sie nunmehr weniger als die Hälfte der zur hessischen Kommunalwahl 2016 erhaltenen 23 Mandate. Das selbstgesetzte Minimalziel des Erhalts der zur hessischen Kommunalwahl 2016 errungenen Mandate konnte auch vor dem Hintergrund der im Berichtszeitraum eigens verlautbarten Reaktivierung des NPD-Bezirksverbandes Südhessen und eines angeblichen Mitgliederzuwachses nicht erreicht werden. Vor dem Hintergrund der staatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie führte die NPD Hessen nur wenige Parteiveranstaltungen und öffentlichkeitswirksame Aktionen durch. Trotzdem versuchte sie mittels anhaltender Kritik an den "CoronaMaßnahmen" sich als Protagonistin der entsprechenden Protestbewegung zu präsentieren. Dies geschah sowohl in der virtuellen als auch in der realen Welt. Ziel der NPD war es, in der Bevölkerung als "Kümmererin vor Ort" wahrgenommen zu werden und mit protestierenden Bürgern ins Gespräch zu kommen. Dabei war - insbesondere im Rahmen von Demonstrationen - für Dritte ein Bezug zur NPD nicht auf Anhieb zu erkennen. 112 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 RECHTSEXTREMISMUS Es gelang der NPD Hessen jedoch nur bedingt, Anschluss an das Protestmilieu zu finden, sodass sie sich verstärkt auf die Propaganda im virtuellen Raum konzentrierte. An den wenigen von der NPD Hessen selbst initiierten Protestveranstaltungen nahm lediglich eine geringe Zahl von Personen teil. JN | Die öffentlichkeitswirksamen Aktivitäten der JN Hessen gingen im Berichtszeitraum im Vergleich zum Vorjahr nochmals zurück. Neben den staatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19Pandemie dürfte der maßgebliche Grund hierfür in den weiterhin bestehenden strukturellen und personellen Problemen der Jugendorganisation der NPD liegen. Dass es der JN Hessen gelingen könnte, diese Probleme zu überwinden, ist vorerst nicht zu erwarten. Vor dem Hintergrund der personellen Probleme der NPD Hessen behaupteten die JN Hessen, die Mutterpartei im Wahlkampf zur hessischen Kommunalwahl unterstützt zu haben, indem sie angeblich vereinzelt öffentlichkeitswirksame Aktionen durchführten. Die Stimmenund Mandatsverluste der NPD zeigen jedoch erneut, dass es den Rechtsextremisten kaum gelang, junge Menschen zu einer Stimmabgabe für die NPD zu bewegen. Der Dritte Weg/Der III. Weg DEFINITION/KERNDATEN Die Partei der Der Dritte Weg propagiert ein völkisch-antipluralistisches Menschenund Gesellschaftsbild. Unter den Logo der Partei Schlagworten "national", "revolutionär" und "sozialistisch" Der Dritte Weg formuliert Der Dritte Weg in seiner gleichnamigen Broschüre mit dem Begriff "Revolution" einen "grundlegenden, allumfassenden, Bundesvorsitzender: Klaus Armstroff systematischen und nachhaltigen Wandel" sowie die "Durchdringung der Politik und Gesellschaft mit unserer Weltanschauung" als Sitz: Ziele. Eine solche Revolution sei nicht mit Waffengewalt zu erzwinWeidenthal (Rheinland-Pfalz) gen, wenngleich es notwendig sein dürfte, dass "einige Scheiben" zerbrächen, wenn es gelte, das deutsche Volk "in seiner ethnischen Mitglieder: In Hessen etwa 20, Existenz zu sichern" und eine "Jahrtausende umfassende bundesweit etwa 600 Hochkultur zu retten". Unter den Mitgliedern der Partei, die überwiegend aus dem neonazistischen Spektrum stammten, befanden Medien: sich Personen aus dem Umfeld des verbotenen Freien Netzes Süd Internetpräsenzen, Publikationen (FNS), der völkisch geprägten Neonazi-Szene sowie frühere Mitglieder der NPD. / Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 113 RECHTSEXTREMISMUS EREIGNISSE/ENTWICKLUNGEN Wie in den Vorjahren legte die Partei Der Dritte Weg großen Wert auf Agitation und Propaganda im Zuge öffentlichkeitswirksamer Auftritte. Einen Agitationsschwerpunkt bildete im Berichtszeitraum die COVID-19-Pandemie sowie deren gesellschaftliche, politische und wirtschaftliche Auswirkungen. Die Partei versuchte hierbei die Pandemie als Projektionsfläche im Sinne der eigenen Ideologie zu nutzen und sich als "Kümmererin in der Krise" zu stilisieren. Daneben spielte wie bereits in den vergangenen Jahren die Agitation in den Themenbereichen "Asylund Flüchtlingspolitik" und Revisionismus eine herausragende Rolle. Dabei griff Der Dritte Weg auf typisch rechtsextremistische Narrative zurück. AUF EINEN BLICK * Agitation im Kontext der COVID-19-Pandemie * "Revolution auf Sendung" * "Gedenkveranstaltungen" * Kontakte zu nationalistischen Gruppierungen im Ausland Agitation im Kontext der COVID-19-Pandemie | Sowohl in der virtuellen als auch in der realen Welt diffamierte Der Dritte Weg die staatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie sowie die entsprechend handelnden Politiker und deren Krisenmanagement. In diesem Sinne startete die Bundespartei im März die deutschlandweite Kampagne "Das System ist gefährlicher als Corona". In deren Zentrum standen die Kritik an den angeblich ungerechtfertigten Grundrechtseingriffen der Bundesregierung und das angeblich eigene "Kümmern" des Dritten Wegs. Hierzu initiierte die Partei im Zuge des ersten "Lockdowns" im März über ihre Homepage die bundesweite Aktion "Nachbarschaftshilfe", die sich explizit an "Deutsche" - insbesondere an ältere und körperlich beeinträchtigte Personen - richtete. Angeboten wurden laut eigener Verlautbarung "Hilfe im Alltag" und "Hilfe beim Einkauf". Außerdem wurden auf der Homepage des Dritten Wegs Alltagstipps und Hilfestellungen zur Bewältigung der Pandemie, wie etwa Anleitungen zur Fertigung von Alltagsmasken und Desinfektionsmitteln angeboten. Die Partei thematisierte zudem die im Kontext der COVID-19-Pandemie entstandenen wirtschaftlichen Probleme - insbesondere in der Landwirtschaft - und versuchte, dieses Thema im Sinne der eigenen Ideologie zu nutzen. Mit dem Hinweis auf den Mangel an Erntehelfern initiierte die Partei die Kampagne "Deutscher Spargelbauer - Wir helfen dir bei der Ernte in Südhessen". Am 15. Mai führte der Dritte Weg in Haiger (Lahn-Dill-Kreis) eine Kundgebung unter dem Motto "Ja zum Verbot des Muezzin-Rufs! 114 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 RECHTSEXTREMISMUS Corona Sonderregelungen sind kein Türöffner für Überfremdung!" mit etwa 20 Teilnehmern durch. Vorausgegangen war ein Antrag des Ausländerbeirats der Stadt Haiger, aufgrund des seinerzeit geltenden Versammlungsverbots auch für religiöse Einrichtungen den Gebetsruf des Muezzins öffentlich übertragen zu dürfen. Auf der Internetseite des Dritten Wegs hieß es: "Den Steinzeit-Muslimen ging es [...] wieder einmal darum, ihre Forderungen vollumfänglich durchzudrücken. [...] Setzt ein Zeichen gegen die weitere Überfremdung unserer Heimat! Vorweg sei gesagt, unsere Partei ,Der III. Weg' spricht sich nicht gegen den Islam als Religion aus, doch gehört dieser nicht nach Deutschland, sondern in jene Länder, die seit Jahrhunderten vom Islam geprägt sind. Eine Moschee samt Minarette oder auch wie im aktuellen Fall in Haiger, der Muezzin-Ruf aus Vereinsräumen einer muslimischen Gemeinde, sind allesamt nur weitere Zeichen der zunehmenden Überfremdung und damit einhergehenden Islamisierung Deutschlands. Während durch die Corona-Krise die Freiheitsrechte eines Bürgers massiv angegriffen werden, Einschränkungen den Lebensalltag bestimmen und die Politik, anstatt wissenschaftliche Aufklärung zu leisten, lieber repressiv auf das eigene Volk einwirkt, darf sich kein Schlupfloch zur Steigerung der kulturellen Zersetzung unserer Heimat auftun". Am 3. Oktober führte Der Dritte Weg in Berlin die Demonstration "Ein Volk will Zukunft" als Ersatz für die ursprünglich im Rahmen des "Arbeiterkampftages" am 1. Mai geplante Veranstaltung in Erfurt (Thüringen) durch. Etwa 350 Parteiaktivisten und Angehörige der rechtsextremistischen Gruppierung Nordische Widerstandsbewegung aus Schweden protestierten gegen "Volkstod", "Überfremdung" und "Covid-19-Pandemie". Auf der Homepage des Dritten Wegs wurde die Demonstration per Live-Ticker kommentiert. "Revolution auf Sendung" | Vor dem Hintergrund des Pandemiegeschehens versuchte Der Dritte Weg, sich unabhängiger von sozialen Medien zu machen, indem er im Blogformat Audios, Videos und Bilder auf der parteieigenen Homepage einband und unter dem Titel "Revolution auf Sendung" ein eigenes Internetradio betrieb. Daneben bediente sich die Partei zur Verbreitung ihrer Ideologie im Rahmen der "Nationalrevolutionären Schriftenreihe" auch klassischer Medien wie etwa von Büchern und Broschüren. "Gedenkveranstaltungen" | Verbunden mit der Forderung nach einem "zentralen Gedenktag" für die Opfer der alliierten Bombenangriffe des Zweiten Weltkriegs führte der Dritte Weg vom 25. bis zum 27. Januar zum wiederholten Male seinen traditionellen "Gedenkmarsch" unter dem Motto "Wir tragen das Licht für Dresden" durch. Startpunkt bildete mit Fulda (Landkreis Fulda) der Endpunkt Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 115 RECHTSEXTREMISMUS des letztjährigen Marsches. Am 25. Januar wurde auf der Homepage des Dritten Wegs ein Liveticker zu dem Gedenkmarsch online gestellt. Endpunkt des "Gedenkmarsches" war Bamberg (Bayern), wo am 15. Februar außerdem die zentrale "Gedenkveranstaltung" stattfand. Auf der Homepage des Dritten Wegs hieß es hierzu: "Rund 150 volkstreue Aktivisten, darunter Delegationen aus Griechenland, Kroatien und der Ostmark sendeten von dort aus [i. e. Bamberg] ein Licht in die vor 75 Jahren zerbombte Elbmetropole und gedachten aller Bombenopfer des angloamerikanischen Terrors". Die Teilnehmer, so Der Dritte Weg, "sollten das Gedenken nicht als bloßes Erinnern an die Opfer dieses Kriegsverbrechens verstehen, sondern sich in diesen Tagen auch die Leistungen verinnerlichen, die vor und nach Kriegsende erbracht wurden". Das jährlich zum Volkstrauertag im November in Wunsiedel (Bayern) stattfindende "traditionelle Heldengedenken" sagte der Dritte Weg aufgrund der staatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID19-Pandemie ab. Unter dem Motto "Tot sind nur jene, die vergessen werden!" führte die Partei stattdessen zahlreiche regionale "Gedenkveranstaltungen" durch. Dabei reinigten Aktivisten Kriegsdenkmäler und einen Soldatenfriedhof, stellten dort Grablichter mit dem Logo der Partei auf und legten Kränze nieder. In Hessen fanden "Gedenkveranstaltungen" im Taunus, im Raum Weilburg (Landkreis LimburgWeilburg) sowie in Darmstadt, Rüsselsheim und Ginsheim (beide Kreis Groß-Gerau) statt. Kontakte zu nationalistischen Gruppierungen im Ausland | Trotz der im Rahmen der staatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie geltenden Reisebeschränkungen versuchte der Dritte Weg, seine Beziehungen zu ausländischen nationalistischen Gruppierungen aufrechtzuerhalten und auszubauen. Wie 2019 nahmen Aktivisten am "Tag der Ehre" in Budapest (Ungarn) teil. Anlass war das Gedenken an die Schlacht von Budapest (Dezember 1944 bis Februar 1945). Die Veranstaltung schloss neben einer Demonstration einen etwa 60 Kilometer langen "Gedenkmarsch" ein. Im August führte Der Dritte Weg einen Segeltörn auf der Nordsee durch, an dem Mitglieder der nationalistischen Gruppierung Erkenbrand aus den Niederlanden teilnahmen. In einer auf der parteieignen Homepage veröffentlichten Artikelserie wurde Erkenbrand als niederländische Studiengesellschaft beschrieben, die sich als nationalistisch verstünde und rassenbewusst geprägt sei. Handelte es sich hierbei um das zweite Treffen, veröffentliche der Dritte Weg im Juni 116 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 RECHTSEXTREMISMUS einen Artikel auf seiner Homepage, wonach Angehörige von Erkenbrand und Aktivisten des Dritten Wegs eine Wanderung im Westerwald unternommen hätten. ENTSTEHUNG/GESCHICHTE Die Partei Der Dritte Weg wurde 2013 in Heidelberg (BadenWürttemberg) gegründet. Nach und nach entstanden verschiedene länderübergreifende Stützpunkte, unter anderem auch der Stützpunkt Westerwald/Taunus, der im Wesentlichen den Landkreis Limburg-Weilburg und den Lahn-Dill-Kreis sowie angrenzende Landkreise in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen umfasst. Seit ihrer Gründung führte die Partei vor allem Demonstrationen, "Heldengedenken" und gegen Flüchtlinge und die Flüchtlingspolitik gerichtete Flugblattverteilaktionen durch bzw. veröffentlichte entsprechende Verlautbarungen im Internet. IDEOLOGIE/ZIELE Das "Zehn-Punkte-Programm" des Dritten Wegs bezieht sich sowohl von der Bezeichnung als auch vom Inhalt her auf das 25Punkte-Programm der NSDAP und enthält dessen rechtsextremistische - im Detail nationalsozialistische - Programmatik. In diesem Programm verdeutlicht sich die damit verbundene antidemokratische Ausrichtung des Dritten Wegs, die auf die Überwindung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zielt. AUF EINEN BLICK * "Zehn-Punkte-Programm" * "National, Revolutionär, Sozialistisch" * Das Volk als "Blutund Schicksalsgemeinschaft" - Liberalismus als "geistige Immunschwächekrankheit" "Zehn-Punkte-Programm" | In seinem Parteiprogramm benennt Der Dritte Weg einen "Deutschen Sozialismus, fernab von ausbeuterischem Kapitalismus sowie gleichmacherischem Kommunismus" als sein Ziel. Das deutsche Volk wird als "naturgesetzliche Gemeinschaft" gesehen. Eine Forderung der Partei besteht in der Förderung kinderreicher deutscher Familien zur "Abwendung des drohenden Volkstodes". Daneben gibt Der Dritte Weg die "Erhaltung und Entwicklung der biologischen Substanz des Volkes" als ein weiteres Ziel an. Darüber hinaus vertritt die Partei in ihrem "Zehn-Punkte-Programm" ein geschichtsrevisionistisches Deutschlandbild. So wird eine "friedliche [...] Wiederherstellung Gesamtdeutschlands in seinen völkerHessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 117 RECHTSEXTREMISMUS rechtlichen Grenzen" gefordert. Weitere Forderungen sind sowohl die Verstaatlichung sämtlicher Schlüsselindustrien als auch die Einführung der Todesstrafe für Kindermord und andere Kapitalverbrechen. "National, revolutionär, sozialistisch" | Die Partei Der Dritte Weg begreift sich, gemäß ihres im Jahre 2015 veröffentlichten Selbstverständnisses, als "nationalrevolutionär" und propagiert einen "deutschen Sozialismus" als "dritten Weg" abseits von Kommunismus und "Kapitalismus". Die Partei knüpft damit zumindest in Teilen an die Programmatik des sogenannten linken Flügels der NSDAP an. Der Programmatik des Dritten Wegs liegt ein völkisches Menschenbild, das sich eng am Nationalsozialismus und der militanten Kameradschaftsszene orientiert, zugrunde. So heißt es in der im Jahr 2017 erschienenen Broschüre "National, Revolutionär, Sozialistisch" in Bezug auf die drei Kernbegriffe "national, revolutionär, sozialistisch": "Nur diese drei Begriffe zusammengefasst ergeben eine ganzheitliche Wirkung, welche das politische, das wirtschaftliche, das soziale und das geistige Leben zu einer Synthese zusammenführt". Das Volk als "Blutund Schicksalsgemeinschaft" - Liberalismus als "geistige Immunschwächekrankheit" | Gemäß seines völkischen Menschenbilds definiert Der Dritte Weg den Nationalismus als die "politische Idee, die die Interessen und das Überleben des eigenen Volkes in den Mittelpunkt aller Betrachtungen und Entscheidungen" rücke. So komme der "echte Nationalismus" nicht ohne eine "völkische Komponente" aus, wobei das Blut der "Schlüssel zum Verständnis der volkseigenen Kultur und der Seele des völkischen Lebens" sei. Das Volk sei nicht nur eine "Blut-, sondern auch eine Schicksalsgemeinschaft", aus deren "übergeordnete[m] Willen" sich die Nation bilde. Im Liberalismus hingegen verkörpere der "Einzelne den wichtigsten Wert" und habe den "europäische[n] Mensche[n]" einer Immunschwächekrankheit gleich "auf seine Existenz als Einzelwesen reduziert und seiner Kultur, Heimat und Identität beraubt". In diesem Kontext sieht sich Der Dritte Weg "unseren kulturund blutsverwandten Völkern in Europa verbunden". In Bezug auf ihre Feindbilder beschränkt sich die Partei keinesfalls nur auf Deutschland: "Egal ob Westoder Ost-, Süd[-] oder Nordeuropa, es sitzen überall die gleichen Verräter, die gleichen Vertreter des feigen Bürgertums und die gleichen Geldempfänger des Kapitals in den Parlamenten. Daher können wir sie gar nicht anders als gleichsam hassen und verachten. Wir fiebern jedem Schlag, ja jedem Nadelstich, den die verschiedenen europäischen Bewegungen den volksfeindlichen Systemen beibringen, 118 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 RECHTSEXTREMISMUS entgegen, begeistern uns über jeden Erfolg und verneigen uns vor jedem Toten und jedem Verletzten des gesamteuropäischen Kampfes". STRUKTUREN Um weiterhin an Wahlen teilnehmen zu können, leitete Der Dritte Weg im Berichtszeitraum eine Umstrukturierung der Partei ein. Hierzu werden die aktuell existierenden Gebietsverbände aufgelöst und sukzessive Landesverbände gegründet, denen die bundesweit 18 Stützpunkte zugeordnet werden. Der in Hessen aktive Stützpunkt Westerwald/Taunus wurde dem Landesverband West zugeordnet. Zu den Parteiveranstaltungen, die in erster Linie eine Stärkung des Gemeinschaftsgefühls zum Ziel haben, gehörten regelmäßig stattfindende Stammtische. Im Kontext der staatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie beschränkten sich die Aktivitäten des Stützpunktes Westerwald/Taunus auf Wanderungen und "Gedenkveranstaltungen" im Freien, worüber auf der parteieigenen Homepage berichtet wurde. BEWERTUNG Im Kontext der staatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID19-Pandemie trug Der Dritte Weg nur in beschränktem Maße seine rechtsextremistische Ideologie öffentlichkeitswirksam auf die "Straße". Die Partei bemühte sich jedoch, die Pandemie für die eigenen Ziele zu instrumentalisieren. So stellte Der Dritte Weg die behördlichen Maßnahmen auf europäischer und deutschlandweiter Ebene negativ dar und attestierte Politik und Institutionen pauschales Versagen. Diese Kritik verband Der Dritte Weg mit fremdenfeindlichen Aussagen, um gegen die Asyl-, Grenzund "Globalisierungspolitik" der Bundesregierung zu agitieren, die angeblich maßgeblich zur rasanten Ausbreitung des COVID-19-Virus beigetragen habe. Um seine Propaganda zu verbreiten, bediente sich Der Dritte Weg weiterhin des Internets und verschiedener sozialer Medien, wobei er versuchte, neue Kommunikationswege einzuschlagen. Insbesondere auf ihrer Homepage propagierte die Partei die Notwendigkeit einer völkischen Politik und einer damit verbundenen restriktiven Flüchtlingspolitik (Grenzschließungen), ebenso forderte die Partei die Abkehr von der Globalisierung. Gleichzeitig versuchte Der Dritte Weg durch Aktionen wie die "Nachbarschaftshilfe", das eigene Profil als "Kümmerer" und als politische Alternative zu schärfen, um in der nichtextremistischen MehrheitsHessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 119 RECHTSEXTREMISMUS gesellschaft anschlussfähig zu werden. Diesem Zweck dienten auch die "Gedenkveranstaltungen", womit das Ziel verbunden war, als Gegenentwurf zur gesellschaftlich weithin akzeptierten und praktizierten demokratischen Erinnerungskultur wahrgenommen zu werden. Darüber hinaus dienten die "Gedenkveranstaltungen" der Stärkung des parteiinternen Gemeinschaftsgefühls. Dies galt ebenso für die Teilnahme von Parteimitgliedern an "Gedenkveranstaltungen" im europäischen Kontext, die zugleich die Vernetzung und Kommunikation innerhalb der rechtsextremistischen Szene auf europäischer Ebene fördern sollten. DIE RECHTE DEFINITION/KERNDATEN Die Partei DIE RECHTE vertritt neonationalsozialistische, antisemiLogo der Partei tische und fremdenfeindliche Standpunkte. Sie lehnt den ParlamenDIE RECHTE tarismus zwar grundsätzlich ab, versucht jedoch die Organisationsform als Partei als "Mittel zum Zweck" zu nutzen, um den von ihr Landesvorsitzender: Mike Guldner angestrebten fundamentalen Systemwechsel zu erreichen. Mutmaßlich auch, um einer Aberkennung des Parteienprivilegs zu entBundesvorsitzende: gehen, bemüht sich DIE RECHTE, formale Parteiaktivitäten zu entSascha Krolzig und Sven Skoda falten. Neben dem Abhalten von Parteitagen tritt DIE RECHTE Mitglieder: regelmäßig zu Wahlen an und errang dabei bundesweit mehrere In Hessen etwa zehn, Kommunalmandate. Signifikante Erfolge bei überregionalen bundesweit etwa 550 Wahlen blieben bislang aber aus. Medien: Internetpräsenzen EREIGNISSE/ENTWICKLUNGEN / Der im Jahr 2019 mehrfach von der Partei DIE RECHTE angekündigte Ausbau ihrer Strukturen in Hessen fand offensichtlich nicht statt. Ebenso agierte der Landesverband wie in den Jahren zuvor in der Öffentlichkeit weitgehend zurückhaltend und trat nur selten in Erscheinung. Versuchte die Partei in der ersten Hälfte des Berichtsjahrs, mittels der durch ihren Landesvorsitzenden Mike Guldner angestrebten Bürgermeisterkandidatur in Neukirchen (Schwalm-EderKreis) Aufmerksamkeit zu erringen, so stellte der Landesverband Hessen in der folgenden Zeit die Kommunikation über seine Homepage ein. Im Gegensatz zum Landesverband Hessen griff die Bundespartei das Thema "Corona" auf: Sowohl in der virtuellen als auch in der realen Welt versuchte sie, die Pandemie und die zu ihrer Bekämpfung eingeleiteten staatlichen Maßnahmen zugunsten ihrer politischen Zwecke zu instrumentalisieren. Wie in der Vergangenheit hatte der Landesverband Hessen insgesamt mit strukturellen und personellen Schwächen zu kämpfen. 120 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 RECHTSEXTREMISMUS AUF EINEN BLICK * Bürgermeisterkandidatur von Mike Guldner * Wohnungsdurchsuchung * Reaktionen auf die COVID-19-Pandemie * Verurteilungen Bürgermeisterkandidatur von Mike Guldner | Zu Beginn des Berichtsjahrs berichteten verschiedene Medien, dass der Landesvorsitzende Mike Guldner beabsichtige, bei der Bürgermeisterwahl in Neukirchen (Schwalm-Eder-Kreis), die ursprünglich für den 3. Mai geplant war und auf den 1. November verschoben wurde, zu kandidieren. Hierfür sammelte DIE RECHTE Unterstützungsunterschriften, wobei der NPD-Funktionär Stefan Jagsch die Partei zumindest bei einem Termin begleitete. Auf eine Presseanfrage hin bekannte Jagsch seine Unterstützung für Guldner und gab an, hierfür "private Gründe" zu haben. Am 17. Februar verkündete DIE RECHTE, dass die geplante Kandidatur Guldners nicht weiterverfolgt werde und begründete dies unter anderem damit, dass sich bereits ein "vertretbarer Kandidat" um das Amt bewerbe. Weiterhin hieß es, dass die zeitweise angestrebte Bürgermeisterkandidatur als "Generalprobe für die Kommunalwahl" am 14. März 2021 in Hessen angesehen werde, wobei die Partei schließlich von einer Kandidatur absah. Wohnungsdurchsuchung | Am 6. Februar durchsuchte die Polizei die Wohnung Guldners wegen des Verdachts des Verstoßes gegen das Waffengesetz in Neukirchen. Der Landesverband sah darin eine "Hetzkampagne" gegen DIE RECHTE und deren Landesvorstand. Auf der Homepage der Partei hieß es, dass es sich um einen "erneute[n] Kriminalisierungsversuch durch die Staatsgewalt" gehandelt habe. Auslöser der Maßnahme sei ein Bild des Landesvorsitzenden gewesen, auf dem er mit einer "Deko[-]Waffe" posiere, deren "Lauf zugeschweißt" sei und die er bereits seit Längerem nicht mehr besessen habe. In der letzten auf seiner Homepage getätigten Äußerung kündigte der Landesverband im Mai an: "Wir bleiben dran und engagieren uns weiterhin im Schwalm Eder Kreis, um Zustände wie in Großstädten zu verhindern und das Leben wie wir es kennen zu bewahren" (Schreibweise wie im Original). Reaktionen auf die COVID-19-Pandemie | Nachdem das COVID-19-Virus Deutschland Ende Januar erreicht hatte, thematisierte der Bundesverband der Partei DIE RECHTE im März die Pandemie insbesondere auf seiner Homepage sowie auf seinem Telegram-Kanal und kritisierte sowohl die damit einhergehenden staatlichen Bekämpfungsmaßnahmen als auch das Krisenmanagement der Bundesregierung. Um sich selbst als "Kümmerin" sowie "Helferin in der Krise" zu inszenieren und Anschluss an von den staatlichen Maßnahmen Betroffene zu erlangen, Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 121 RECHTSEXTREMISMUS bot die Partei "nationale Solidarität" und praktische Unterstützung an. Dies sollte geschehen in Form von Einkaufshilfen - unter anderem im Raum Dortmund (Nordrhein-Westfalen) und insbesondere für "ältere Volksgenossen" in Duisburg (Nordrhein-Westfalen) - sowie mittels des kostenlosen Versands von Schutzmasken. Mit zunehmender Dauer der staatlichen Maßnahmen zweifelte DIE RECHTE deren Notwendigkeit an und forderte deren Aufhebung. Hierbei rief der Bundesverband dazu auf, sich an den gegen die "Corona-Maßnahmen" richtenden nichtextremistischen Protestkundgebungen zu beteiligen. Ziel war es offenbar, sowohl einen regionalen als auch überregionalen Anschluss an diese Proteste zu erreichen. Der Parteifunktionär Michael Brück schrieb hierzu am 10. Mai im Internet: "Es liegt eine spannende Zeit vor uns, in der endlich ein Ruck durch die Bevölkerung geht. Das herkömmliche Lagerdenken kommt in diesen Tagen an seine Grenzen. [...] Unterstützt die Proteste in euren Städten. Beteiligt euch, aber vereinnahmt sie nicht. Lasst andere in der ersten Reihe stehen, aber seid dabei, um Kontakte zu knüpfen und dort zu helfen, wo ihr mit Wissen und Erfahrung gebraucht werden". (Schreibweise wie im Original.) Ende März hatte zuvor der Bundesvorsitzende der Partei, Sven Skoda, im Internet ausgeführt: "Wer sich aufopferungsvoll um seine Volksgenossen kümmert und nicht nur große Worte macht, wird aber garantiert nicht vergessen werden und kann dabei Vertrauen schaffen. Vertrauen ist das Fundament, um irgendwann überhaupt Ansprechpartner in Situationen werden zu können in denen alle anderen versagen". Mit eigenen Demonstrationen wie zum Beispiel am 23. Mai in Braunschweig (Niedersachsen) versuchte der Bundesverband der Partei DIE RECHTE, ihre Ideologie auf die Straße zu bringen und sich weiterhin als Auffangbecken innerhalb der rechtsextremistischen Szene anzubieten. Verurteilungen | Im November verurteilte das Amtsgericht Schwalmstadt Mike Guldner und Tim Schmerer jeweils zu einer zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafe von fünfeinhalb Monaten bzw. zu 15 Monaten Freiheitsstrafe. Grund war eine am 30. Dezember 2018 gemeinschaftlich begangene gefährliche Körperverletzung und Sachbeschädigung in einer Gaststätte in Kirchhain (Landkreis Marburg-Biedenkopf). Das Gericht sah eine ausländerfeindliche Motivation als mitbestimmend für die Tat. Das Urteil ist rechtskräftig. 122 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 RECHTSEXTREMISMUS ENTSTEHUNG/GESCHICHTE Die Partei DIE RECHTE gründete sich 2012 zunächst als Auffangbecken für Mitglieder der ehemaligen rechtsextremistischen Deutschen Volksunion (DVU), an deren Auffassungen sich das Programm der neuen Partei anfangs orientierte. Kurz danach traten Neonazis und frühere NPD-Mitglieder in die Partei ein. Die Parteigründung stand auch im Kontext von strategischen Erwägungen der rechtsextremistischen Szene. So suchten Rechtsextremisten aufgrund verschiedener Verbote von Kameradschaften nach einer neuen, weniger "verbotsanfälligen" Organisationsform. Im August 2017 gründete sich der Landesverband Hessen. Ein solcher hatte zuvor bereits von November 2012 bis März 2014 bestanden. IDEOLOGIE/ZIELE Neben dem Neonazismus bilden Antisemitismus und Fremdenfeindlichkeit die ideologischen Schwerpunkte der Partei. Darüber hinaus vertritt DIE RECHTE maßgeblich revisionistische Einstellungen. Im Kontext der staatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19Pandemie wurde das Bekenntnis der Partei DIE RECHTE zum Nationalsozialismus an einem Kommentar deutlich. In Bezug auf die für den 20. April, den Geburtstag Hitlers, geplante Beendigung des "Lockdowns" hieß es auf ihrem Telegram-Kanal: "Am 20. April: Flaggen hissen! [...] In weiser Voraussicht, mit fast hellseherischen Fähigkeiten, haben wir bereits im Europawahlprogramm vor einem Jahr gefordert: Macht den 20. April zum deutschen Nationalfeiertag! Langsam müsste es auch der letzte Zweifler einsehen: Diese Forderung ist verdammt richtig!" STRUKTUREN Im Vergleich zu Gliederungen der Partei in anderen Bundesländern verfügte der Landesverband Hessen - trotz verschiedener Ankündigungen, dies ändern zu wollen - nur über rudimentär ausgeprägte Strukturen. Unterhalb der Ebene des Landesverbands gab es keine Kreisverbände oder sogenannte Stützpunkte. Innerhalb Hessens lag der Aktivitätsschwerpunkt der Partei DIE RECHTE im Schwalm-Eder-Kreis. BEWERTUNG/AUSBLICK Da der Landesverband seine Kommunikation über seine Homepage in der zweiten Hälfte des Berichtsjahrs einstellte, ist weiterhin davon auszugehen, dass er seine personellen und strukturellen Probleme nicht löste. Vor dem Hintergrund der teils zur Bewährung ausgesetzten Freiheitsstrafen gegen Guldner und Schmerer, die in Hessen die Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 123 RECHTSEXTREMISMUS maßgeblichen Führungskader der Partei sind, ist zu erwarten, dass sich DIE RECHTE in Hessen noch weiter zurückziehen wird. Darauf deutet auch der zunächst angekündigte, dann jedoch nicht erfolgte Antritt des Landesverbands zur hessischen Kommunalwahl am 14. März 2021 hin. Im Gegensatz zum Landesverband Hessen versuchten der Bundesverband sowie andere Kreisverbände unter dem Deckmantel der COVID-19-Pandemie mittels Hilfsangeboten und Beteiligung an nichtextremistischen Protesten gegen die staatlichen Bekämpfungsmaßnahmen neue Sympathisanten zu gewinnen und Kontakte zu knüpfen. Es wurde deutlich, dass die Bundespartei weiterhin das Ziel verfolgte, ihre neonazistische Ideologie auf die Straße zu bringen und sich als Auffangbecken für Rechtsextremisten verschiedener Ausrichtung zur Verfügung zu stellen. Es ist zu erwarten, dass DIE RECHTE diesen Weg auch in Zukunft beschreiten wird. KOMMUNIKATIONSSTRATEGIEN VON RECHTSEXTREMISTEN Durch die stetige Entwicklung des Internets und die daraus resultierenden Möglichkeiten der Kommunikation verändern sich immer wieder die Strategien und Taktiken der Rechtsextremisten. Soziale Netzwerke wie etwa Facebook, Blogs, Videoplattformen (zum Beispiel YouTube) sowie eigene Internetauftritte wie Homepages, Nachrichtenportale oder Foren sind für Rechtsextremisten wichtige Hilfsmittel für die digitale Verbreitung ihrer Propaganda, da sie hiermit mit wenig Aufwand ein breites Publikum erreichen können. AUF EINEN BLICK * Offene und versteckte Propaganda * Erhöhte Sensibilisierung * Online-Radikalisierung * Intensivierung der Bekämpfungsansätze Offene und versteckte Propaganda | Die fortschreitende Digitalisierung hat die rechtsextremistische Szene nachhaltig verändert und das Entstehen einer Reihe von neuen Anlaufpunkten, Akteuren und Aktionsformen bewirkt. Rechtsextremisten bzw. rechtsextremistische Organisationen nutzen das Internet einerseits, um offen für ihre Ideen und Aktivitäten zu werben und um Gleichgesinnte zu gewinnen; andererseits gehen sie konspirativ vor und rufen zum Beispiel Initiativen ins Leben, die auf den ersten Blick keinen rechtsextremistischen Hintergrund vermuten lassen, sondern Themen ansprechen, 124 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 RECHTSEXTREMISMUS die beim Großteil der Bevölkerung auf Ablehnung stoßen (zum Beispiel Kindesmissbrauch). Hierüber suchen Rechtsextremisten besonders den Kontakt zu Menschen, die bisher keinen Bezug zum Rechtsextremismus hatten. Neben den Internetplattformen nutzen Rechtsextremisten verschiedene Messengerdienste wie WhatsApp, Threema, Telegram oder Signal, um untereinander zu kommunizieren, Veranstaltungen zu planen oder Absprachen zu treffen. Gleiches gilt auch für den Bereich des sogenannten Gamings, wobei über die Hälfte der Bevölkerung zumindest gelegentlich Videospiele spielt. Insbesondere im Berichtsjahr stieg vor dem Hintergrund der COVID-19-Pandemie die Zahl der Nutzer von Videospielen erneut an. Auch die Akteure der rechtsextremistischen Szene nutzten die vorhandenen Möglichkeiten und erschlossen sich auf Gaming-Plattformen eine neue Öffentlichkeit. Dabei ging es ihnen sowohl um das Verbreiten rechtsextremistischer Inhalte und Propaganda als auch um das Anwerben neuer Mitglieder. So können unter dem Vorwand des Gamings Gelegenheiten für einen vermeintlich unbefangenen Dialog geschaffen werden, da die Mehrheit der Nutzer nicht erwartet, beim Spielen mit rechtsextremistischen Aussagen und Haltungen konfrontiert zu werden. Somit erhielten Akteure der rechtsextremistischen Szene im Bereich des Gamings die Möglichkeit der Propaganda und Kontaktaufnahme, die ihnen in klassischen sozialen Netzwerken oder bei direkten Begegnungen verwehrt würden. Erhöhte Sensibilisierung | Die Möglichkeit eines Zugriffs staatlicher Sicherheitsbehörden auf persönliche Daten und die interne Kommunikation sorgt bei Rechtsextremisten für eine erhöhte Sensibilisierung. So werden Leitfäden erstellt und Sicherheitsschulungen durchgeführt, um Anleitungen für konspirative Verhaltensweisen bei der Kommunikation in der rechtsextremistischen Szene zu verbreiten. Diese sollen dazu dienen, nicht in den Fokus von Sicherheitsbehörden zu geraten bzw. sich diesem Zugriff zu entziehen. Weiterhin nutzen Rechtsextremisten geschlossene Gruppen in sozialen Netzwerken und Messengerdiensten, zu denen nur bestimmte - meist im Vorfeld ausgewählte - Szeneangehörige Zugang erhalten. Online-Radikalisierung | Es besteht die Gefahr, dass Rechtsextremisten sich im Rahmen derartiger internetgestützter "Echokammern" oder "Filterblasen" gegenseitig in ihrer Radikalisierung bestärken, ohne dass in der Realwelt ein Kennverhältnis zueinander besteht. Für die nachrichtendienstliche Arbeit der Verfassungsschutzbehörden resultiert hieraus das Problem der Aufklärung dieser digitalen Räume, wobei es gilt, Informationsfragmente der virtuellen und realen Welt miteinander zu verbinden und zu analysieren. Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 125 RECHTSEXTREMISMUS Intensivierung der Bekämpfungsansätze | Vor diesem Hintergrund wurde neben den bereits bestehenden operativen und analytischen Maßnahmen die Internetbearbeitung intensiviert, um insbesondere gewaltorientierte Gruppierungen und Einzeltäter sowie deren Kennverhältnisse und Kommunikationswege frühzeitig zu identifizieren. Gleiches gilt für die intensivere Bekämpfung von rechtsextremistischer Hate Speech sowie von anderen rechtsextremistischen digitalen Inhalten. Diese Arbeit des LfV steht im Kontext des am 19. September 2019 durch die Hessische Landesregierung vorgestellten Aktionsprogramms "Hessen gegen Hetze". FLÜCHTLINGE IM VISIER VON RECHTSEXTREMISTEN Wie bereits in den zurückliegenden sechs Jahren bildete der Themenkomplex "Flüchtlinge und Flüchtlingspolitik" zentrale Punkte in der rechtsextremistischen Agitation in Hessen. Mit der Angst vor angeblicher "kultureller Überfremdung" sollten Ressentiments und Ängste in der Bevölkerung geschürt werden. Die fremdenfeindliche Agitation von Rechtsextremisten barg weiterhin das Risiko, dass sich Einzelpersonen und Gruppierungen radikalisieren, was zum Begehen schwerster Straftaten - unter anderem gegen Flüchtlinge - führen kann. In Hessen kam es im Berichtsjahr zu einem gewalttätigen Übergriff durch einen unbekannten Täter auf eine syrische Asylbewerberin in Frankfurt am Main. Mit Ausnahme von vier Delikten entfielen alle im Kontext Flüchtlinge/Flüchtlingspolitik begangenen Straftaten auf die Politisch Motivierte Kriminalität (PMK) -rechts-. AUF EINEN BLICK * Zunahme der Deliktanzahl in der Gesamtkategorie "Asyl" * Straftaten gegen Asylbewerber und Flüchtlinge * Straftaten gegen Hilfsorganisationen sowie ehrenamtliche und freiwillige Helfer * Bewertung und Ausblick Zunahme der Deliktanzahl in der Gesamtkategorie "Asyl" | Mit 70 Straftaten der PMK -rechtsnahm im Berichtsjahr in Hessen die Anzahl der Delikte in der Gesamtkategorie "Asyl" gegenüber dem Vorjahr (40) um 30 (= 75 Prozent) zu. Damit war innerhalb des FünfJahreszeitraums 2016 bis 2020 nach dem Jahr 2016 (91 Delikte) erneut ein Höchststand erreicht. Die Gesamtkategorie "Asyl" umfasst folgende Unterkategorien: "gegen Asyl-/Flüchtlingsunterkünfte", "gegen Asylbewerber/Flüchtlinge" und "gegen Hilfsorganisationen und Helfer". 126 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 RECHTSEXTREMISMUS | 2020 2019 2018 2017 2016 gegen Asyl-/Flüchtlingsunterkünfte PMK insgesamt 5 4 10 7 25 PMK - rechts - 3 4 10 7 22 gegen Asylbewerber/Flüchtlinge PMK insgesamt 68 37 26 50 72 PMK - rechts - 66 36 26 46 67 gegen Hilfsorganisationen und Helfer PMK insgesamt 1 - 2 2 3 PMK - rechts - 1 - 2 1 2 Summe PMK insgesamt 74 41 38 59 100 PMK - rechts - 70 40 38 54 91 Straftaten gegen Asylund Flüchtlingsunterkünfte | In Hessen kam es im Berichtszeitraum insgesamt zu fünf (2019: vier) Straftaten, die sich gegen Asylund Flüchtlingsunterkünfte richteten. Von diesen Straften waren drei der PMK -rechtszuzuordnen. Innerhalb des FünfJahreszeitraums 2016 bis 2020 sank die Anzahl der Straftaten im Bereich der PMK -rechtsnach 2019 auf die bislang niedrigste Stufe. Straftaten gegen Asylbewerber und Flüchtlinge | Die Zahl der im Berichtsjahr gegen Asylbewerber und Flüchtlinge gerichteten Straftaten (66) im Bereich der PMK -rechtsverdoppelte sich im Unterschied zum Vorjahr (2019: 36) nahezu. Wie bei der Gesamtzahl der Straftaten in der Gesamtkategorie "Asyl" war damit innerhalb des STRAFTATEN GEGEN ASYL-/FLÜCHTLINGSUNTERKÜNFTE 30 25 22 20 10 10 10 7 7 gegen Asyl-/Flüchtlings- 5 4 4 unterkünfte insgesamt 3 davon PMK -rechts- 0 2016 2017 2018 2019 2020 Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 127 RECHTSEXTREMISMUS Fünf-Jahreszeitraums 2016 bis 2020 nach dem Jahr 2016 (67) erneut STRAFTATEN GEGEN ein Höchststand in der Unterkategorie "Straftaten gegen AsylbewerHILFSORGANISATIONEN UND HELFER ber und Flüchtlinge" erreicht. Unter die 66 Straftaten des PMK - rechtsfiel ein Gewaltdelikt: In Frankfurt am Main beleidigte im Au- 3 gust ein unbekannter Täter eine syrische Asylbewerberin in einer 2016 2 S-Bahn in rassistischer Weise, bedrohte sie und trat ihr in den Bauch. 2 2017 1 2 Die Gesamtzahl der im Berichtsjahr gegen Asylbewerber und 2018 2 Flüchtlinge gerichteten Straftaten betrug 68 (2019: 37), sodass na- 0 hezu alle Delikte auf den Bereich der PMK -rechtsentfielen. 2019 0 1 2020 1 Straftaten gegen Hilfsorganisationen sowie ehrenamtliche und freiwillige Helfer | In diesem Bereich wurde im Berichtsjahr in Hessen gegen Hilfsorganisationen eine Straftat verübt (2019: keine), die in den Bereich der PMK und Helfer -rechtsfiel. davon PMK -rechtsBewertung und Ausblick | Obwohl die Zahl der nach Deutschland einreisenden Flüchtlinge im Berichtszeitraum weiterhin abnahm, ist davon auszugehen, dass die entsprechende rechtsextremistische Agitation anhalten wird. Dies spiegelt sich in dem Anstieg der entsprechenden Straftaten (PMK insgesamt um etwa 80 Prozent, PMK - rechtsum 75 Prozent) auf einem deutlich erhöhten Zahlenniveau wider. Die Anti-Asyl-Agitation ist ein klassisches rechtsextremistisches Thema und bietet Rechtsextremisten traditionell ein großes Mobilisierungspotenzial. Sowohl die COVID-19-Pandemie selbst als auch die staatlichen Maßnahmen zu ihrer Bekämpfung instrumentalisierten Rechtsextremisten für ihre Zwecke. Für die "Corona-Krise" machten sie nicht nur Migranten verantwortlich, sondern entfachten Stimmung gegen sie. So hieß es etwa am 17. Mai auf der Internetseite der NPD Hessen: STRAFTATEN GEGEN ASYLBEWERBER/FLÜCHTLINGE 80 72 67 68 66 60 50 46 40 37 36 26 26 20 gegen Asylbewerber/ Flüchtlinge insgesamt davon PMK -rechts- 0 2016 2017 2018 2019 2020 128 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 RECHTSEXTREMISMUS "Ohne strenge Grenzkontrollen sind die Corona-Einschränkungen völlig sinnlos - weil sonst immer neue Infizierte nach Deutschland kommen! Durch Einwanderung gelangen auch Krankheiten nach Deutschland. Zum Beispiel die Krätze. Bei uns war sie so gut wie verschwunden. Nun breitet sie sich wieder aus, eingeschleppt von oft illegalen Zuwanderern aus Südosteuropa und dem Orient. [...] Und schließlich Corona. Was nützt es denn, wenn die Deutschen Masken tragen und sich an Abstandregeln halten, wenn immer neue Seuchenträger über eine schlecht bewachte Grenze einsickern? [...] Wir müssen uns besser vor den Übeln schützen, die die Globalisierung uns bringt". Unverändert besteht die Gefahr, dass Rechtsextremisten Gewalt befürworten, den Anstoß zu Gewalttaten geben bzw. selbst schwerwiegende Straftaten gegen Flüchtlinge und/oder Flüchtlingsunterkünfte begehen. Es ist damit zu rechnen, dass die Themen "Flüchtlinge" und "Flüchtlingspolitik" vor dem Hintergrund der internationalen Entwicklung auf unbestimmte Zeit Gegenstand des in Teilen kontrovers geführten gesellschaftlichen und medialen Diskurses bleiben werden. RECHTSEXTREMISTISCHE STRAFUND GEWALTTATEN Im Bereich der rechtsextremistischen Gewalttaten nahm die Anzahl der Delikte um elf von 31 (2019) auf 42 (2020) zu. Bei dem rassistisch motivierten Anschlag in Hanau (Main-Kinzig-Kreis) am 19. Februar kamen neun Menschen ums Leben. In der polizeilichen Statistik PMK -rechtsfindet der Anschlag von Hanau aufgrund der Erhebungsmethodik als ein Delikt Berücksichtigung. (Siehe im Glossar unter dem Stichwort Politisch motivierte Kriminalität den Eintrag zur Erfassung politisch motivierter Strafund Gewalttaten mit extremistischem Hintergrund.) Insgesamt wiesen im Berichtszeitraum 1.216 politisch motivierte Strafund Gewalttaten einen rechtsextremistischen Hintergrund auf. Dies bedeutet im Vergleich zum Jahr 2019 (886 Delikte) einen Anstieg um etwa 37 Prozent, sodass 2020 der höchste Stand innerhalb der letzten fünf Jahre zu verzeichnen war. Der Zuwachs resultierte insbesondere aus der um etwa 38 Prozent gestiegenen Zahl der Delikte in der Kategorie "andere Straftaten" (insbesondere Propagandadelikte). Insgesamt ist für nahezu alle Kategorien der im Berichtsjahr erfassten rechtsextremistischen Delikte ein Anstieg gegenüber dem Vorjahr zu konstatieren. Eine Ausnahme bildet lediglich die Kategorie "Sachbeschädigungen", in der die Anzahl der Straftaten etwa um 14 Prozent sank. Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 129 RECHTSEXTREMISMUS Insbesondere vor dem Hintergrund der Anschläge in Hanau und Wolfhagen ist es unerlässlich, die Gesamtentwicklung der rechtsextremistischen Strafund Gewalttaten sowie deren mögliche Ursachen genau im Blick zu behalten. Darüber hinaus ist im Zuge der extremistischen Proteste gegen die staatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie zu beobachten, ob und wie sich die extremistische Gewaltorientierung in Teilen der Gesellschaft ändert. Gerade im Kontext der "Corona-Krise" nahmen zunächst mündlich sowie im Internet und in den sozialen Medien artikulierte Proteste die Form von Strafund Gewalttaten an. | 2020 2019 2018 2017 2016 Deliktart Tötung 1 1 Versuchte Tötung 1 1 Körperverletzung 40 29 24 13 19 Brandstiftung/Sprengstoffdelikte 2 3 Landfriedensbruch 1 Gefährliche Eingriffe in den Bahn-, Schiffs-, Luftund Straßenverkehr Freiheitsberaubung, Raub, Erpressung, 1 1 Widerstandsdelikte Gewalttaten insgesamt 42 31 25 16 23 Sonstige Straftaten Sachbeschädigung 29 33 26 22 41 Nötigung/Bedrohung 30 19 7 6 29 Andere Straftaten (insbesondere Propagan1.115 803 481 496 706 dadelikte) Strafund Gewalttaten insgesamt 1.216 886 539 540 799 130 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 REICHSBÜRGER UND SELBSTVERWALTER REICHSBÜRGER UND SELBSTVERWALTER Unter der Bezeichnung Reichsbürger und Selbstverwalter fasst der Angehörige: Verfassungsschutz Gruppierungen und Einzelpersonen zusammen, In Hessen etwa 1.000, die aus unterschiedlichen Motiven und mit unterschiedlichen Bebundesweit etwa 20.000 gründungen das Grundgesetz, die Bundesrepublik Deutschland Medien: und deren Rechtssystem, die Staatsorgane und die demokratisch Internetpräsenzen gewählten Repräsentanten nicht anerkennen und ihnen die Legiti- \ mation absprechen. Reichsbürger propagieren das Fortbestehen eines historischen Deutschen Reichs, Selbstverwalter erfinden Fantasiestaaten und beanspruchen für sich ein von der Bundesrepublik Deutschland unabhängiges Territorium. Insgesamt erkennen Reichsbürger und Selbstverwalter die Bundesrepublik nicht als Staat an. Sie verstehen sich als außerhalb der Rechtsordnung stehend und fordern Behörden sowie Gerichte auf, geltendes Recht nicht anzuwenden. Darüber hinaus können sich Bestrebungen von Reichsbürgern und Selbstverwaltern auch gegen den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes richten. Wenn solche Aktivitäten mit gebietsrevisionistischen Forderungen verbunden sind, steht dies nicht mit dem Gedanken der Völkerverständigung in Einklang. Insgesamt sind Reichsbürger und Selbstverwalter in hohem Maße bereit, gegen Gesetze zu verstoßen. Um die eigene Weltanschauung zu verbreiten, sich auszutauschen und sich in Einzelfällen auch zu vernetzen, ist das Internet das vornehmliche Medium der Reichsbürger und Selbstverwalter. Mittels Webseiten, YouTube-Kanälen oder Präsenzen auf Social-Media-Plattformen prangert die Szene angebliche Missstände sowie deren angebliche Verursacher an und verbreitet, teilt und diskutiert vermeintliche Lösungsund Argumentationshilfen. Auch außerhalb des virtuellen Raumes versucht die Szene ihre Ideologie in die Öffentlichkeit zu tragen und Stellung zu einzelnen Sachverhalten zu beziehen, etwa durch Demonstrationen, Kundgebungen oder Rundschreiben. Die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder beobachten die Reichsbürger und Selbstverwalter seit dem 22. November 2016 in Gänze. AUF EINEN BLICK * Heterogene Szene * Rechtsextremistische Positionen innerhalb der Szene * Personenpotenzial * Entzug waffenrechtlicher Erlaubnisse * Widerstand gegen Staat und Verwaltung * "Malta-Masche" * Deliktfelder * Gefährdungsbewertung 132 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 REICHSBÜRGER UND SELBSTVERWALTER Heterogene Szene | Die Szene der Reichsbürger und Selbstverwalter weist einen hohen Grad an Heterogenität auf, die sich sowohl in einer Vielzahl an Gruppierungen und Einzelpersonen als auch in einem breiten Spektrum an Weltanschauungen widerspiegelt. So umfasst die Szene Verschwörungstheoretiker, ideologisierte Rechtsextremisten, Leichtgläubige, finanziell Gescheiterte und sogenannte Milieumanager, die vornehmlich kommerzielle Ziele verfolgen. Verschwörungstheoretiker sind davon überzeugt, dass die Bundesrepublik Deutschland kein souveräner Staat, sondern lediglich eine fremdbestimmte Kolonie respektive ein kommerziell ausgerichtetes Wirtschaftsunternehmen sei. Kontrolliert würden diese Gebilde von den Alliierten, Einzelpersonen oder Geheimlogen. Neben verschwörungsideologischen Positionen finden sich geschichtsrevisionistische, fremdenfeindliche, rassistische, antisemitische sowie fundamentalistisch-christliche und esoterische Positionen wieder. Personen, die durch den Vertrieb von Fantasiedokumenten oder durch das Anbieten von Rechtsberatungen, Seminaren und Schulungen versuchen, aus der Szene der Reichsbürger und Selbstverwalter finanziellen Profit zu schlagen, werden innerhalb des Phänomenbereichs den "Milieumanagern" zugerechnet. Aufgrund ihrer unterschiedlichen Ansichten und Beweggründe ist die Szene der Reichsbürger und Selbstverwalter als strukturarm zu bezeichnen. Zwar gab es vereinzelt Sympathiebekundungen für überregional aktive Szenegruppierungen, allerdings keine innerhalb der Szene allgemein anerkannten Strukturen oder Organisationen. Auch regional ließen sich in Hessen keine Schwerpunkte feststellen. Rechtsextremistische Positionen innerhalb der Szene | In der Szene der Reichsbürger und Selbstverwalter wird sichtbar, wie verschiedene Versatzstücke einzelner Verschwörungsideologien für die eigene Weltsicht herangezogen und nutzbar gemacht werden. Zwar ist die Szene ihrem Wesen nach nicht originär rechtsextremistisch, dort, wo jedoch antisemitische, rassistische und nationalistische Argumentationsmuster aufeinandertreffen, sind die Anhänger entsprechender Positionen als rechtsextremistisch zu bewerten. Für Hessen ist eine untere dreistellige Anzahl an Personen bekannt, die sowohl als Reichsbürger als auch als Rechtsextremisten bewertet werden. Personenpotenzial | Das mit Stand zum 31. Dezember 2020 den Sicherheitsbehörden bekannte Personenpotenzial von rund 1.000 Reichsbürgern und Selbstverwaltern in Hessen unterschied sich von dem anderer extremistischer Phänomenbereiche auch durch seine Zusammensetzung. Waren andere Extremisten häufig junge Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 133 REICHSBÜRGER UND SELBSTVERWALTER Erwachsene oder befanden sie sich im Übergang zum Erwachsenenalter, lag das Durchschnittsalter bei Reichsbürgern und Selbstverwaltern zwischen 45 und 60 Jahren. Knapp 75 Prozent der Szeneangehörigen waren männlich. Im Vergleich zur Gesamtbevölkerung wies die Szene einen unterdurchschnittlichen Anteil an Akademikern auf. Entzug waffenrechtlicher Erlaubnisse | Der Szene der Reichsbürger und Selbstverwalter ist eine hohe Waffenaffinität zu eigen. In Bezug auf waffenrechtliche Erlaubnisse und Schusswaffenbesitz gilt für Reichsbürger und Selbstverwalter - wie auch für andere extremistische Phänomenbereiche - eine Nulltoleranzstrategie der hessischen Sicherheitsbehörden. So wurde durch die enge Zusammenarbeit der hessischen Sicherheitsund Waffenbehörden zahlreichen Reichsbürgern und Selbstverwaltern die waffenrechtlichen Erlaubnisse entzogen und deren Schusswaffen sichergestellt. Zum Ende des Berichtsjahrs 2020 lag die Anzahl der Personen, die dem Spektrum der Reichsbürger und Selbstverwalter zugerechnet wurden und über eine waffenrechtliche Erlaubnis verfügten, im mittleren zweistelligen Bereich. Auch in Zukunft ist es das ausdrückliche Ziel der Hessischen Landesregierung und der Sicherheitsbehörden in Hessen, dass kein ihnen bekannter Reichsbürger oder Selbstverwalter waffenrechtliche Erlaubnisse oder Legalwaffen besitzt bzw. letztere im Fall des Besitzes entzogen werden. Widerstand gegen Staat und Verwaltung | Reichsbürger und Selbstverwalter bringen ihre Gesinnung auf unterschiedlichste Art und Weise zum Ausdruck, zum Beispiel: Verbale Äußerungen gegenüber Polizisten und anderen Behördenmitarbeitern, sich einer Personenkontrolle entziehen, Widerstand gegen gerichtlich angeordnete Zwangsvollstreckungen oder die Rückgabe von amtlichen Identitätsnachweisen. Das Gros der Reichsbürger und Selbstverwalter wendet sich aber mit schriftlichen Eingaben an Behörden und deren Mitarbeiter, um die eigene Weltsicht argumentativ zu verdeutlichen, etwaige Strafen zu vermeiden und Ämter an ihrem rechtmäßigen Handeln zu hindern. Dieses Vorgehen ist auch unter dem Begriff "paper terrorism" bekannt. Der hohe Grad der Heterogenität der Szene spiegelt sich unter anderem in der Art und in dem Umfang solcher Eingaben wider. Während ein Teil auf Vordrucke aus dem Internet zurückgreift, verfasst ein anderer Teil der Szene mitunter umfangreiche Schriftstücke, Pamphlete oder "Rechtsgutachten". Die folgenden Auszüge 134 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 REICHSBÜRGER UND SELBSTVERWALTER sind exemplarisch für Schreiben, mit denen sich Reichsbürger und Selbstverwalter an Behörden wenden: "Werte ..., Der Unterzeichner teilt [...] mit, daß er die o. g. Geburtsurkunde (Kopie anbei) für Wert angenommen und dem zuständigen IWF-Gouverneur [...] zur Einrichtung der damit verbundenen Freistellung übersandt hat. Der Unterzeichner wird künftig und ausschließlich sämtliche öffentliche Forderungen/Verbindlichkeiten gegen/an die Person '[...] aus der Familie [..] [Sozialversicherung ...]' mittels Wertakzept ausgleichen bzw. die Verrechnung und Ausbuchung der Forderungen zu Ihrer Entlastung freigeben. Um die Person '[...] aus der Familie [...]' vollständig zu entlasten, fordert der Unterzeichner Sie [...] auf, sämtliche aus dessen 'Justiz' hervorgegangenen oder aus anderen Ländern übermittelten kommerziellen Ansprüche/Forderungen/Rechnungen/Gebührenbescheide usw. gegen die Person '[...] aus der Familie [...]' als annahmefähige Abschlußrechnung zu übermitteln. Der Unterzeichner wird dann diese Abschlußrechnung, wie beschrieben, ausgleichen. Zur Erledigung setzt der Unterzeichner Ihnen, [...], eine Frist von sechs Tagen. Sollten Sie die Frist ungenutzt verstreichen lassen, geht der Unterzeichner davon aus, dass Sie [...], diesem Angebot zustimmen und daß auf der Person '[...] aus der Familie [...]' keinerlei öffentliche Lasten liegen. Ehrenvoll angeboten [...]". (Schreibweise wie im Original, Auslassungen wurden gekennzeichnet.) Dieses Zitat steht beispielhaft für eine Vielzahl von Schreiben, die Angehörige der Reichsbürgerund Selbstverwalter-Szene an Behörden schicken. Der Inhalt ist bewusst verwirrend gehalten, folgt keiner stringenten Struktur und ist zusammenhangslos verfasst. Obwohl die Behörden solche Schreiben in den allermeisten Fällen nicht beantworten, enthalten letztere bewusst Forderungen, die bei Nichteinhaltung automatisch Gültigkeit entfalten sollen. Durch dieses Vorgehen versuchen sich die Verfasser, aktuellen und künftigen staatlichen Maßnahmen zu entziehen. Zudem fügen Szeneangehörige ihren Schreiben häufig sogenannte Lebendoder Willenserklärungen hinzu, mittels derer sie sich in Gänze außerhalb der geltenden Rechtsordnung stehend definieren: "Verkündigung des lebenden Weibes (the Annunciation of the living woman) [Willensbekundung Nr. ...] Ich, [...], als Tochter meines Schöpfers und höchsten Wesens, auf Erden niedergekommen mit Leib, Seele und Geist, beanspruche mein unveräußerliches und unverhandelbares Recht, eingebettet in die göttliche Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 135 REICHSBÜRGER UND SELBSTVERWALTER Schöpfung und deren Bestimmung meine Wesenheit frei zu entfalten und zu vollenden. Ich, [...], bin nach den Angaben meiner Vorfahren am [...] Tag des [...] Monats im Jahre [...] als Mädchen und weiblicher Sproß lebendig und gesund in Fleisch und Blut in der rechtmäßigen Familie [...] zu [...] auf hessischen Boden niedergekommen. Ich, [...], bekundige mit meinem gesprochenen Wort und meinem auf der letzten Seite in eigenhändiger Schrift verkündigten Willen, da und nun am Leben zu sein, und war seit dem Tage meiner Niederkunft auf Erden zu keinem Zeitpunkt verschollen oder verloren gegangen, weder auf hoher See noch sonst wo. Ich, [...], bin seit meiner Niederkunft auf Erden die rechtmäßige Inhaberin meiner Bodenund Gutsrechte und die alleinige Begünstigte am sämtlichen Nießbrauch, der mir von meinem Schöpfer durch mein Dasein gewährt wird. Ich, [...], stehe ab meiner Niederkunft auf Erden rückwirkend (nunc pro tunc) weder unter dem Cestui que vie Act noch unter anderen Verträgen und/oder Treuhandschaften, deren Ursprung mir bekannt ist. Ich, [...], verfüge hiermit: Sämtliche unter Verwendung des Cestui que Vie Acts [von 1666] und/oder unter der Annahme meines leiblichen Todes und/oder ohne die ehrvoll verhandelte Willensüberschneidung verrichteten Rechtsgeschäfte sind sofort vollständig offenzulegen und nach Rücksprache rückabzuwickeln. Nichts steht zwischen meinem Schöpfer und mir und nichts steht über dem Gesetz meines Schöpfers. Ich, [...], im Vollbesitz meiner leiblichen, seelischen und geistigen Kräfte und in absichtsvoller Gewahrsamkeit und in verantwortungsvoller Gewissenhaftigkeit beeide in Gegenwart meines Schöpfers und besiegele mit dem Siegel meines rechten Daumens und mit dem großen Siegel meines rechten Groß-Zehens diese Bekundung am [...] Tag des [...] Monats im Jahr [...] zu [...] bei [...]". (Schreibweise wie im Original, Auslassungen wurden gekennzeichnet.) Reichsbürger und Selbstverwalter reichern ihre vermeintlichen "Argumentationsketten" häufig mit tatsächlich vorhandenen Rechtsnormen an. Dadurch sollen ihre Schreiben eine juristische Anmutung erhalten und die Behörden beschäftigt sowie die Adressaten eingeschüchtert werden. Klassische Szeneschreiben entfalten allerdings keine Rechtsgültigkeit, da die aufgeführten Rechtsnormen zum überwiegenden Teil aus dem Zusammenhang gerissen sind und in Verbindung mit fiktiven oder mittlerweile historischen Gesetzen verwendet werden: "Sehr geehrte Frau [...], ich habe Ihr beider Vertragsangebote erhalten und weise die von Ihnen nicht rechtsgültig unterschriebenen sogenannten Bußgeldbescheide 136 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 REICHSBÜRGER UND SELBSTVERWALTER hiermit entschieden zurück. Beweis: SS 117 VwGO ; SS 126 BGB ; SSSS 313, 315, 317 ZPO = Unterschriften! Ich stelle fest, dass ich weder mit Ihnen noch mit der Firma [...] einen Vertrag habe und dieses Schreiben daher meinerseits als rein privat angesehen werden muss. Ich schreibe Ihnen nur über Ihre geschäftliche Adresse bzw. 'behördliche' Adresse, da ich ihre private, ladungsfähige Anschrift noch nicht kenne. Meine Menschlichkeit bewegt mich jedoch dazu, mir die Mühe zu machen Ihnen ausführlicher zu schreiben, damit Sie weiter aufgeklärt werden können. Ich wünsche mir, dass Sie mit meinem Schreiben Erkenntnisse bekommen mögen, für wen und was Sie da eigentlich arbeiten. Begründung: Das Gesetz über Ordnungswidrigkeiten (OWiG) wurde am 11.10.2007 im Bundestag (auf Anordnung der Alliierten) zur rückwirkenden Aufhebung beschlossen, weil an jenem Tag das Einführungsgesetz für das OWiG rückwirkend aufgehoben wurde (Artikel 57 Aufhebung des Einführungsgesetzes zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten (452-2). Das Einführungsgesetz zum Gesetz über Ordnungswidrigkeiten vom 24. Mai 1968 (BGBl. I S. 503), zuletzt geändert durch Artikel 25 des Gesetzes vom 13. Dezember 2001 (BGBl I S. 3574), wird aufgehoben). Seit der Bekanntgabe im Bundesanzeiger am 23.11.2007 (BGBl. I, Seite 2614) existiert für sämtliche Ordnungswidrigkeiten keine rechtliche Grundlage mit Wirkung vom 30.11.2007. [...] Sie verstoßen arglistig willkürlich gegen: Haager Landkriegsordnung Völkerstrafrecht, Völkerstrafgesetzbuch die Proklamation Nr. 1 des SHAEF - An das Deutsche Volk, SHAEF-Gesetz Nr. 1 - Aufhebung nationalsozialistischen Rechts, Überleitungsvertrag bezüglich Berlin v. 25.09.1990, BGBl. S. 1274 Art. 3 Bundesbereinigungsgesetz v. 23.11.2007. BGBl. S. 2614 Art. 4, und begehen damit bewiesen Hochverrat gegen die Bürger des Deutschen Reiches. Verletzungen gegen das geltende Recht sind bewiesen Hochverrat. [...] Die Bußgeldbescheide gebe ich Ihnen zu meiner Entlastung in diesem Brief zurück. Hochachtungsvoll [...]" (Schreibweise wie im Original, Auslassungen wurden gekennzeichnet.) "Malta-Masche" | Reichsbürger und Selbstverwalter versuchten mitunter, sich nicht nur dem behördlichen Zugriff zu entziehen, sondern ihrerseits Behördenmitarbeiter widerrechtlich zu belangen. Hierfür erfanden Reichsbürger und Selbstverwalter im Zuge der "Malta-Masche" Schulden eines Behördenmitarbeiters und trugen diese in das Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 137 REICHSBÜRGER UND SELBSTVERWALTER amerikanische Online-Register Uniform Commercial Code (UCC) ein. Anschließend wurden die Forderungen an ein maltesisches Inkassounternehmen abgetreten, um einen vollstreckbaren Titel nach dem europäischen Mahnverfahren zu erreichen. Nach Ansicht des Bundesministeriums der Justiz und für Verbraucherschutz und des Auswärtigen Amts stellt dieses missbräuchliche Verfahren einen Betrugsversuch dar. Eine Durchsetzung ihrer erfundenen Forderungen gelang Szeneangehörigen bislang nicht. Deliktfelder | Zu den szenetypischen strafrechtlich relevanten Deliktfeldern gehören Betrug, Hausfriedensbruch, Nötigung und Sachbeschädigung, aber auch Gewaltdelikte. Da Reichsbürger und Selbstverwalter beanspruchen, Repräsentanten eines wie auch immer gearteten Deutschen Reichs bzw. einer eigenen Staatlichkeit zu sein, kommt es regelmäßig zu Amtsanmaßungen, Urheberrechtsverletzungen sowie Urkundenund Kennzeichenfälschungen von Fahrzeugen. Gefährdungsbewertung | Aufgrund der hohen Heterogenität der Reichsbürgerund Selbstverwalter-Szene ist eine pauschale Gefährdungsbewertung nur eingeschränkt möglich. Gemein ist der Szene jedoch die Negierung der Bundesrepublik Deutschland. Dies führt zur generellen Ablehnung jeglicher hoheitlicher Handlungen, von denen die Szene betroffen ist. Staatliche Maßnahmen nimmt sie als illegitim wahr, weshalb sich aus ihrer Sicht ein selbstdeklariertes, vermeintliches "Recht auf Notwehr" ergibt. Reichsbürger und Selbstverwalter sind bereit, dieses "Recht auf Notwehr" auch gegenüber Gerichtsvollziehern oder Polizisten durchzusetzen. In diesem Kontext kommt es immer wieder zu Widerstandshandlungen, in einigen Fällen sogar zum Gebrauch von Schusswaffen. Verbunden mit der Waffenaffinität der Reichsbürger und Selbstverwalter, ist das der Szene immanente Gewaltpotenzial daher nach wie vor hoch. Angesichts der COVID-19-Pandemie und der damit einhergehenden staatlichen Bekämpfungsmaßnahmen vernetzte sich die Reichsbürgerund Selbstverwalterszene nicht nur zunehmend mit Anhängern verschiedener Verschwörungsnarrative, sondern vermischte sich mit ihnen. Angetrieben von der Motivation, die eigene, häufig als Randerscheinung wahrgenommene Ideologie in die Mitte der Gesellschaft zu tragen, weicht die Reichsbürgerund Selbstverwalterszene eigene Positionen zu Gunsten einer Anschlussfähigkeit teilweise auf. Dabei entstehen zwischen beiden Szenen Schnittmengen. Trotz eines vermutlich begrenzten Wachstumspotenzials stellen diese Eigendynamik der Vernetzung und Vermischung sowie daraus resultierende Gefahren sowohl Politik und Gesellschaft als auch Sicherheitsbehörden vor neue Herausforderungen. 138 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 LINKSEXTREMISMUS - MERKMALE - LINKSEXTREMISTISCHES PERSONENPOTENZIAL - AUTONOME - SONSTIGE BEOBACHTUNGSOBJEKTE - LINKSEXTREMISTISCHE STRAFUND GEWALTTATEN LINKSEXTREMISMUS MERKMALE Die Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und die Errichtung eines totalitären, sozialistisch-kommunistischen Systems oder einer angeblich "herrschaftsfreien Gesellschaft" sind Ziele linksextremistischer Bestrebungen. AUF EINEN BLICK * Orthodoxer Kommunismus * Maoismus * Anarchismus * Autonome Vorstellungen Orthodoxer Kommunismus | Protagonisten dieses Teils des Linksextremismus, so etwa die Deutsche Kommunistische Partei, orientieren sich an den Lehren von Karl Marx und Friedrich Engels. Marx und Engels teilten Gesellschaften in Klassen ein und behaupteten, es gebe einen andauernden "Klassenkampf". Auf der Ausbeutung der Klasse der Arbeiter ("Proletariat") durch die Klasse der "Kapitalisten" fußt nach Auffassung orthodoxer Kommunisten der "Kapitalismus": Dieser führe zwangsläufig zu immer mehr Elend und Gewalt in der Gesellschaft. Der Kapitalismus könne nur durch eine Revolution, die eine Änderung der Eigentumsverhältnisse einschließe, beseitigt werden. Durch Umverteilung des Besitzes werde die alte Ordnung absterben und sich nach und nach eine kommunistische Gesellschaft entwickeln. Neben Marx und Engels berufen sich orthodoxe Kommunisten auf Wladimir Iljitsch Uljanow, genannt Lenin. Dieser glaubte, die Arbeiter könnten nur durch eine elitäre Kaderpartei zum richtigen "Klassenbewusstsein" und zu einer erfolgreichen Revolution geführt werden. Nach der Erringung der Macht sei es Aufgabe dieser Partei, mittels einer "Diktatur des Proletariats" die kommunistische Gesellschaft zu errichten und gewaltsam alle "konterrevolutionären" Elemente zu bekämpfen. Maoismus | Organisationen wie die Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands orientieren sich an der chinesischen Variante des Kommunismus, dem Maoismus, der auf den Revolutionär Mao Zedong (1893-1976) zurückgeht. Die von ihm 1937 verfassten Schriften sowie seine Politik der Ablehnung der damaligen Sowjetunion bilden die Grundlage der maoistischen Ideologie. Im Unterschied zum orthodoxen Kommunismus setzt sich für Maoisten die Revolution auch nach Erringung der Macht fort und kann sich gegen eigene kommunistische Strukturen und deren Repräsentanten richten. Darüber hi140 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 LINKSEXTREMISMUS naus definierte der Maoismus nicht die Arbeiter, sondern - vor allem in Ländern der Dritten Welt - die Bauern als Träger der proletarischen Revolution. Anarchismus | Anarchisten wie die Freie Arbeiterinnenund ArbeiterUnion lehnen - im Unterschied zu kommunistischen Organisationen - jegliche Herrschaft ab. Sie sehen den Staat als unterdrückerische Zwangsinstanz an, die zerschlagen werden müsse, wobei es - im Unterschied zu Marxisten-Leninisten - keiner Kaderpartei bedürfe. Anarchisten wenden sich gegen jegliche Institutionen, insbesondere gegen Parteien und Parlamente; sie selbst organisieren sich in nur wenig strukturierten Gruppen. Autonome Vorstellungen | Die Positionen von Autonomen verfolgen - verglichen mit denjenigen orthodox-kommunistischer Parteien - kein starres Dogma. Sie vermischen verschiedene Ideologiefragmente zu einem mitunter brüchigen Gesamtbild, das von Gruppe zu Gruppe variieren kann. Nicht die Partei, sondern das selbstbestimmte Individuum steht bei Autonomen im Mittelpunkt ("Politik der ersten Person"). Nach autonomer Auffassung muss der Einzelne ständig um seine Befreiung von "strukturellen Zwängen" kämpfen. Mit orthodoxen Kommunisten verbindet Autonome aber die Vorstellung von einer Welt, in der jeder im Rahmen einer kommunistischen Gesellschaft nach seinen Bedürfnissen leben und sich selbst verwirklichen kann: Dazu müssten alle "Systeme", die dem Individuum Pflichten und Zwänge auferlegen, beseitigt werden. Zu diesen "Systemen" gehören nach dem Verständnis von Autonomen unter anderem Demokratie und rechtsstaatliches Handeln. Die Vorgehensweisen und die Zusammensetzung autonomer Zusammenschlüsse sind heterogen. Einige Autonome versuchen, Ideen anarchistischer Prägung in die Realität umzusetzen, zum Beispiel durch die Errichtung "gewaltund herrschaftsfreier Räume" in Form von Besetzungen von Gebäuden. Andere Autonome engagieren sich weiterhin in der Bündnisund Netzwerkarbeit, wobei sie zunehmend nichtextremistische Unterstützer zu gewinnen versuchen. Um ihre jeweiligen Ziele zu erreichen, halten Autonome generell die Anwendung von Gewalt für ein legitimes Mittel. Insbesondere auf Grund ihrer "militanten Aktionen" stellen Autonome eine konstante Bedrohung für die Innere Sicherheit in Deutschland dar. Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 141 LINKSEXTREMISMUS LINKSEXTREMISTISCHES PERSONENPOTENZIAL1 Das linksextremistische Personenpotenzial in Hessen ist im Vergleich zum Vorjahr gleichgeblieben. Aufgrund der staatlichen Maßnahmen im Kontext der COVID-19-Pandemie hinsichtlich Treffmöglichkeiten (zeitweise starke Begrenzung von zulässigen Teilnehmerzahlen durch staatliche Verordnungen) und Demonstrationen (teilweise Verbote von Demonstrationen aus Pandemiegründen) gingen die Aktivitäten linksextremistischer Gruppierungen phasenweise zurück, nahmen aber im Zuge von Lockerungen der Beschränkungsmaßnahmen wieder an Fahrt auf. Im Zuge dessen reduzierten sich Rekrutierungsmöglichkeiten. (Siehe im Glossar auch die Erläuterung zum Begriff Personenpotenzial.) | 2020 2019 2018 2017 2016 Autonome Hessen 420 420 400 400 400 Bund 7.500 7.400 7.400 7.000 6.800 Anarchisten Hessen 80 80 70 70 70 Bund 1.200 900 800 800 800 Sonstige Linksextremisten (Marxisten-Leninisten, Trotzkisten u. a.) Hessen 2.400 2.400 2.400 2.400 2.400 Bund 25.800 25.300 24.000 21.400 21.800 Gesamtzahl der Linksextremisten (nach Abzug von Mehrfachmitgliedschaften) Hessen 2.600 2.600 2.570 2.570 2.570 Bund 34.300 33.500 32.000 29.500 28.500 1 Die Zahlen sind teilweise geschätzt und gerundet. AUTONOME DEFINITION/KERNDATEN Autonome sind undogmatische und organisationskritische Linksextremisten, die sich zum Teil diffus an verschiedenen kommunistischen und anarchistischen Deutungsmustern orientieren. Das staatliche Gewaltmonopol lehnen Autonome ab und 142 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 LINKSEXTREMISMUS sehen eigene Gewaltanwendung ("Militanz") zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele als legitim bzw. berechtigt an. Starren OrgaAktivisten: nisationsstrukturen stehen "klassische" Autonome kritisch bis abIn Hessen etwa 420, bundesweit etwa 7.500 lehnend gegenüber und beharren stattdessen auf ihrer Selbstbestimmtheit. Autonome organisieren sich überwiegend in losen Regionale Schwerpunkte: Gruppen, zwischen denen oft nur aktionsund anlassbezogene loFrankfurt am Main, Marburg, ckere Netzwerke bestehen. Gießen, Kassel und Darmstadt Medien : Teile der autonomen Szene sind seit einigen Jahren allerdings von Swing (Erscheinungsweise diesem Selbstverständnis abgerückt. Die mangelnde Strategie somehrmals jährlich), Internetwie die Organisationsund Theoriefeindlichkeit "klassischer" Autopräsenzen / nomer erachten sie als wenig zielführend: Anstelle der Revolution bevorzugt dieser Teil der Szene, der als postautonom bezeichnet wird, eine langfristige Veränderung der bestehenden Verhältnisse. Hierfür greifen Postautonome gesamtgesellschaftlich relevante Themen auf und setzen auf eine auch das gesamte linksextremistische Spektrum umfassende Bündnispolitik, die eine Zusammenarbeit mit nichtextremistischen Akteuren ausdrücklich einschließt. Dementsprechend vermeiden Postautonome in der Regel ein offenes Bekenntnis zur Gewalt. Stattdessen verwenden sie eher unbestimmte Begriffe wie "ziviler Ungehorsam" oder sprechen davon, "Polizeiketten durchfließen" zu wollen. Damit bieten Postautonome für ihre "Aktionen" einen weiten Interpretationsspielraum, der sowohl gewaltorientierten als auch gewaltablehnenden Personen eine Teilnahme ermöglicht. Die bundesweit bedeutendste postautonome Organisation war im Berichtszeitraum die Interventionistische Linke (IL). Die IL zeigte sich in Hessen in den Ortsgruppen Frankfurt am Main, Darmstadt und Marburg aktiv. EREIGNISSE/ENTWICKLUNGEN Im Pandemiejahr 2020 waren die autonome und die anarchistische Szene in Hessen den allgemeinen Entwicklungen folgend zunächst mit social distancing und einer Konzentration auf gesundheitliche und existentielle Themen befasst. Die zurückgefahrenen Aktivitäten stellten sich in der Folge für einige linksextremistische Szeneund Treffobjekte als finanziell belastend dar. Nach einer Weile der aktionistischen Zurückhaltung fand die Szene mehrheitlich Wege, um wieder in Protestund Aktionsformen zu gelangen, auch Demonstrationen wurden wieder durchgeführt. Ähnlich wie im Berichtsjahr 2019 beteiligte sich die autonome Szene in Hessen an regionalen Protesten in verschiedenen ThemenHessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 143 LINKSEXTREMISMUS feldern. Diese reichten von den durchgängig präsenten Themenfeldern "Antifaschismus" und Antirassismus über Umweltthemen und "Antimilitarismus" bis hin zu "Antigentrifizierungsanliegen" in den Ballungsräumen. Stellenweise und vor dem Hintergrund der Fragestellung ob, "antifaschistischer" Protest erforderlich sei, konzentrierten sich die Szenen auf Proteste gegen die sogenannten Querdenker bzw. "Corona-Leugner". Ein Schwerpunkt im Berichtsjahr waren die Versuche der linksextremistischen Einflussnahme auf die Protestbewegung im Dannenröder Wald im Zuge des Ausbaus der A 49. AUF EINEN BLICK * "Antifaschismus": Outings und Demonstrationen * Aktionen anlässlich demonstrativer Ereignisse sogenannter Querdenker * "Antimilitarismus": Autonome Beteiligungen * "Antigentrifizierung" - Angriffe auf Immobilienfirmen * Besetzungsaktion im Dannenröder Wald - Proteste gegen den Ausbau der A 49 "Antifaschismus": Outings und Demonstrationen | In unregelmäßigen zeitlichen Abständen führten Autonome hessenweit OutingAktionen zu Personen durch, die sie als politische Gegner oder als Rechtsextremisten definierten. Die Aktionen mit der Zielrichtung der Herbeiführung eines erheblichen individuellen sozialen, gesellschaftlichen und mitunter beruflichen Reputationsverlustes fanden insbesondere in Frankfurt am Main, dem mittelhessischen Raum, Darmstadt und dem Raum Kassel statt. Vor allem in Gießen (Landkreis Gießen) und Marburg (Landkreis Marburg Biedenkopf) waren zusätzlich Burschenschaften Zielobjekte autonomer Vorgehensweisen. Die mitunter systematisch betriebene Feindbildanalyse des aktionsorientierten linksextremistischen Spektrums nahm Teile der "Querdenker"-Bewegung hinsichtlich deren öffentlicher Verlautbarungen in den Fokus. Im Bereich Mittelhessen hat sich die Internetseite Stadt, Land, Volk das Ziel gesetzt, "Netzwerke auf[zu] decken!" und den "(Neu-)Rechten Bewegungen den Aufwind [zu] nehmen." Zu diesem Zweck veröffentlicht die Seite seit einigen Jahren Berichte in Form von Outings mit persönlichen und biografischen Daten von Personen, die sie diesem Spektrum zurechnet. Betroffene waren vor allem Angehörige von Burschenschaften und der AfD. Für den Raum Kassel/Nordhessen lässt sich im Berichtsjahr 2020 eine Häufung von Aktionen gegen den politischen Gegner feststellen. Ne144 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 LINKSEXTREMISMUS ben zielgerichteten Angriffen, etwa in Form von Sachbeschädigungen, wurden auch Outings auf der linksextremistischen Internetplattform de.indymedia.org veröffentlicht. Besonders aktiv in der Region war die autonome Recherche-Gruppe T.A.S.K. Diese veröffentlichte 2020 mehrere Berichte über Strukturen und Personen, die nach deren Auffassung der rechten Szene zuzurechnen sind. * Hessenweit, 5./6. Februar: Anlässlich der Wahl des neuen Ministerpräsidenten in Thüringen am 5. Februar fanden an diesem Abend und am darauffolgenden Tag verschiedene Demonstrationen in Frankfurt am Main, Gießen (Landkreis Gießen), Marburg (Landkreis Marburg-Biedenkopf), Kassel, Wiesbaden und Darmstadt statt. Für die Veranstaltungen mobilisierten Gruppierungen aus dem dogmatischen sowie dem autonomen Spektrum, wie etwa das Antifaschistische Kollektiv 069 (AK.069), Antifa United Frankfurt (AUF), die Ortsgruppen Frankfurt am Main, Marburg und Darmstadt der IL, Offenes Antifaschistisches Treffen Darmstadt (OAT Darmstadt), Antifaschistische Revolutionäre Aktion Gießen (A.R.A.G.), New Kids Antifa Kassel (NKAKS), Wiesbadener Bündnis gegen Rechts (WBgR) und Leftwing Rheingau. * Frankfurt am Main, 8. Mai: Die Kampagne "Frankfurt am Main entnazifizieren!" wurde im Hinblick auf den 75. Jahrestag der Befreiung vom Nationalsozialismus und dem Ende des Zweiten Weltkrieges am 8. Mai initiiert. Die Kampagne fand online über eine eigens eingerichtete Internetseite statt und wurde von Mobilisierungsaufrufen des autonomen Spektrums begleitet. Laut eigenen Angaben wollten die Urheber der Kampagne in einem durch "Rassismus, Homofeindlichkeit, Antifeminismus und Antisemitismus" geprägten gesellschaftlichen Klima dem "Spektrum von autoritärem, rassistischem oder faschistischem Gedankengut" durch offensive Begegnung entgegenwirken. Mit dem Hinweis auf die "Opfer von Hanau und alle anderen Opfern rechter Gewalt" wurde zu einer "praktischen Entnazifizierung" aufgerufen. Die zu Feindbildern definierten "Akteure" in Form von Einzelpersonen und Institutionen wurden zu diesem Zweck mit Anschrift und Hintergrundinformationen auf der Internetseite aufgeführt und auf einer Landkarte markiert. Es handelte sich um eine linkextremistisch geprägte Kampagne. Durch Online-Aufrufe wurde innerhalb des autonomen und postautonomen Spektrums zur Beteiligung an der Kampagne mobilisiert. Aufrufende Gruppierungen waren insbesondere das autonome AK.069, AUF, kritik & praxis - radikale linke [f]rankfurt (k&p) und die postautonome IL Frankfurt. Die Umsetzung zeigte sich in Form von Protesten und Kampagnen gegen auf der Landkarte verzeichnete "Akteure" in Frankfurt am Main. Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 145 LINKSEXTREMISMUS * Frankfurt am Main, 16. Juni: Anlässlich des Prozessauftaktes wegen des Mordes zum Nachteil des Regierungspräsidenten Dr. Walter Lübcke wurde in Frankfurt am Main die Kampagne "Keine Einzeltäter" initiiert. Im Zusammenhang dazu wurde durch die Gruppierung IL Frankfurt am 16. Juni in Frankfurt am Main eine Demonstration organisiert, für die im Vorfeld über die sozialen Medien durch weitere linksextremistische Gruppierungen mobilisiert wurde. In dem Aufruf der Gruppierung IL Frankfurt hieß es: "Es genügt nicht, einzelne Rechtsterroristen zu verurteilen. Es gilt, ihre Verbindungen in die Sicherheitsbehörden aufzudecken sowie Strukturen zu bekämpfen, die den Nährboden schaffen für Naziterror!" * Frankfurt am Main, 17. Juni: Am 17. Juni kam es in Frankfurt am Main zu Durchsuchungsmaßnahmen im Rahmen einer Razzia durch das BKA. Diese Maßnahmen wurden über die sozialen Medien und die linksextremistische Internetplattform de.indymedia.org im Laufe des Tages thematisiert und geäußert, dass dadurch "Linke Strukturen [...] kriminalisiert" würden. Am Folgetag kam es unter dem Motto "Unsere Solidarität gegen ihre Repressionen - Wir sind alle 129a" zu einer "Sponti", zu der im Vorfeld durch Gruppierungen wie AUF, k&p und die IL Frankfurt mobilisiert wurde. * Frankfurt am Main, 20. Juli: In Hessen rückte der "Repressionsapparat" nach dem Erscheinen von Drohschreiben an Personen des öffentlichen Lebens, die mit NSU 2.0 unterzeichnet wurden, in den Fokus der linksextremistischen Szene. So wurde am 20. Juli in Frankfurt am Main die Kundgebung "Solidarität mit den Betroffenen des NSU 2.0" durchgeführt, zu der unter anderem die autonome Gruppierung AUF mobilisiert hatte. Die Versammlung erreichte in der Spitze bis zu 250 Personen. * Frankfurt am Main, 25. Juli: Am 25. Juli kam es zu einer Spontandemonstration gegen "Polizeigewalt und Racial Profiling" in Frankfurt am Main, an der etwa 100 Personen teilnahmen. Grund hierfür war ein kurz zuvor stattgefundener Polizeieinsatz am Klapperfeld, der aufgrund einer vermeintlich gewaltsamen Auseinandersetzung im Inneren dieses linksextremistischen Szeneobjekts ausgelöst worden war. Nach dem Abbruch des Polizeieinsatzes vor dem Klapperfeld zog der Demonstrationszug vom Kaisersack zur Konstabler Wache. Die autonome Gruppierung AUF erklärte hierzu: "Nach den Drohschreiben des NSU 2.0 durch Frankfurter Nazi-Cops drehte Polizei komplett durch, schikanierte wahllos Passant*innen und strafte alle, die diese Praxis zu hinterfragen wagten. Mit dem Rechtsstaat, den sie zu schützen behaupten, hat das alles rein gar nichts zu tun. Gegen rassistische Polizeigewalt, immer und überall! Hände weg von unseren Räumen und Strukturen!" 146 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 LINKSEXTREMISMUS * Wiesbaden, 24. Oktober: Vor dem Hintergrund der ideologisch fundamentalen Themenfelder "Antifaschismus", "Antirassismus" und "staatliche Repression" führte das WBgR eine Demonstration unter dem Motto "Gegen rechte Strukturen und Rassismus in Sicherheitsbehörden" durch. Dazu riefen hessenweit zahlreiche linksextremistisch beeinflusste und linksextremistische Gruppierungen/Organisationen aus dem dogmatischen und autonomen Spektrum zur Teilnahme auf. An der mit etwa 500 Teilnehmern friedlich verlaufenen Veranstaltung wurden polizeikritische Parolen skandiert. Aus dem Demonstrationszug heraus versammelten sich etwa 50 Personen aus dem linksextremistischen Spektrum. Hier kam es teilweise zu Vermummungen, die über das Tragen von Mund-Nase-Schutz hinausgingen. Aus dieser Gruppe heraus kam es zu einer Zündung eines Rauchtopfes. Kurz vor Beendigung der Versammlung wurde eine spontane Kundgebung zu dem Thema "Rechtsradikale Chatgruppen bei der Stuttgarter Polizei" angemeldet. Diese verlief störungsfrei und ohne besondere Vorkommnisse. * Frankfurt am Main, 5. November: Für den 5. November war der Prozessauftakt einer Serie von Brandanschlägen auf linke Wohnund Kulturprojekte im Zeitraum von 2018 bis 2019 angesetzt. Dies wurde zum Anlass genommen, um für eine Demonstration unter dem Motto "Feurio! Es brennt schon viel zu lange... Gemeinsam gegen rechten Terror in Staat, Behörden und auf der Straße" aufzurufen und um "gegen rechten Terror in all seinen Formen und Erscheinungen zu demonstrieren". In Redebeiträgen wurde unter anderem racial profiling und "mangelndes Vorgehen gegen rechten Terror" kritisiert. Die Teilnehmerzahl belief sich nach Eigenangaben im unteren dreistelligen Bereich. Darüber hinaus wurde vorab angekündigt, dass man den Prozess öffentlichkeitswirksam begleiten wolle, sodass die Brandanschläge nicht als "Taten eines verwirrten Einzeltäters entpolitisiert werden können". Aktionen anlässlich demonstrativer Ereignisse sogenannter Querdenker | Das pandemiegeprägte Jahr setzte für viele aktionsorientierte Linksextremisten zeitweise den Fokus auf die Querdenker"-Bewegung. Neben der Feindbildanalyse (siehe "Antifaschismus": Outings und Demonstrationen) fand an mehreren Orten Gegenprotest anlässlich von "Querdenker"-Demonstrationen statt. Stellenweise kam es zu konfrontativem Demonstrationsverhalten in Form von Störungen. * Frankfurt am Main: Insbesondere die Gegendemonstration am 14. November in Frankfurt am Main mit rund 600 Teilnehmern verlief teilweise unfriedlich. Bereits im Vorfeld hatten linksextremistische Organisationen unter dem Motto "Solidarität statt Antisemitismus und Verschwörungsideologie" zum Gegenprotest Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 147 LINKSEXTREMISMUS aufgerufen, darunter die autonomen Gruppierungen AK.069, IL Frankfurt, k&p, ökologisch radikal links - ffm und AUF. Der von Autonomen geprägte Gegenprotest ging insbesondere mit Blockadeaktionen gegen die "Querdenker69"-Demonstration vor. Die Blockaden fanden durch vermummte und gewaltbereite Störer statt, sodass es im weiteren Blockadeverlauf zum polizeilichen Wasserwerfereinsatz gegen die Blockierer kam. Im Gesamtverlauf der Versammlungslage sollen vier Polizeibeamte, unter anderem durch Tritt in Genitalien und Oberschenkelbiss, sowie drei Versammlungsteilnehmer verletzt worden sein. Die Polizei berichtete im Ergebnis von "massiven Widerständen". * Marburg (Landkreis Marburg-Biedenkopf): Die autonome Szene Marburg rief anlassbezogen zu Protesten gegen sogenannte Hygiene-Demos in Marburg auf. Diese Proteste verliefen weitgehend friedlich und ohne besondere Vorkommnisse. In diesem Zusammenhang führten Szeneangehörige Outings von einzelnen Kundgebungsteilnehmern der "Hygiene-Demos" durch, die sie der rechtsextremistischen Szene zurechneten. Die Outings wurden vornehmlich im Internet durchgeführt. In einem Fall wurden aber auch Namen und Fotos des politischen Gegners unter dem Vorwurf "Vorsicht Neonazis! Am 9. Mai 2020 beteiligten sich auch in Marburg Neonazis an der Kundgebung von ,Nicht ohne uns'. Eine Gruppe von fünf Personen stach dabei heraus. Um folgende Personen handelte es sich dabei..." als Plakate in Marburg verklebt. "Antimilitarismus" - Autonome Beteiligungen | Die moderne Form "antimilitaristischen" Protests findet bevorzugt an gezielt ausgewählten Orten statt, an denen vermutet wird, dass Institutionen der Wirtschaft und des Staates an entsprechenden Projekten arbeiten. Über lokale Protestund Öffentlichkeitsaktionen soll auf die tiefere Thematik aufmerksam gemacht werden. * Eschborn (Main-Taunus-Kreis), 4. Februar: Am Morgen des 4. Februar verschafften sich etwa 40 Personen widerrechtlich Zugang zum BAFA und verbarrikadierten den Eingangsbereich mittels Bauzaun, Absperrbarken und Bannern. Die Aktion diente dem Protest gegen Krieg und Rüstungsexporte und wurde von etwa 50 weiteren Personen, die sich vor dem Gebäude aufhielten, unterstützt. Der Präsident des BAFA stellte daraufhin Strafantrag wegen Hausfriedensbruchs. Noch bevor es zur geplanten Räumung kommen konnte, verließen die Aktivisten schlagartig das Objekt. Die vor dem Objekt befindlichen Personen führten daraufhin mit einigen der "Hausbesetzer" eine Spontanversammlung zum Bahnhof Eschborn durch. Hierbei wurde ein Pfeffer148 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 LINKSEXTREMISMUS spray eines Polizeibeamten gewaltsam entrissen und gegen die Kräfte eingesetzt. Des Weiteren kam es zu einer versuchten gefährlichen Körperverletzung zum Nachteil eines Polizeibeamten mittels Regenschirms. Nach der Festnahme des Täters kam es zu einer versuchten Gefangenenbefreiung durch zwei Versammlungsteilnehmer. Einer der Täter konnte ebenfalls festgenommen werden. Anzeigen wegen gefährlicher Körperverletzung und versuchter Gefangenenbefreiung wurden gestellt. Die übrigen Teilnehmer bestiegen die einfahrende S-Bahn nach Frankfurt am Main und blockierten im vorderen Bereich die Eingangstüren. Sie forderten die Freilassung der zwei festgenommenen Personen. Eine Weiterfahrt der S-Bahn wurde dadurch verhindert. Während und nach der Besetzungsaktion gab es eine Vielzahl von Solidaritätsbekundungen von linksund ausländerextremistischen Gruppen. Insbesondere die IL Frankfurt zeigte hierfür eine große mediale Unterstützung und kritisierte im Gegenzug den ihrem Empfinden nach übermäßig harten Polizeieinsatz scharf. * Kassel, 28. August: Das unter erheblicher linksextremistischer und teils ausländerextremistischer Beteiligung tätige Bündnis Rheinmetall entwaffnen rief unter dem gleichnamigen Slogan zu Blockadeaktionen örtlicher Unternehmen der Rüstungsindustrie am 28. August in Kassel auf. Im Fokus des Bündnisses mit Beteiligung unter anderem der IL standen hauptsächlich die Unternehmen Rheinmetall AG und Krauss-Maffei Wegmann GmbH & Co KG. In den frühen Morgenstunden des 28. August blockierten Aktivisten von Rheinmetall entwaffnen die Werkszufahrt der Firma Krauss-Maffei Wegmann. Im Verlauf des Vormittags kam zu weiteren "Blockadewellen" an den Werkstoren. Von den Blockadepunkten brachen die Bündnisteilnehmer im Rahmen einer Spontandemonstration in die Kasseler Innenstadt auf, um sich dort dem vorher angekündigten zentralen Aufzug anzuschließen. Die Proteste verliefen insgesamt friedlich. "Antigentrifizierung" - Angriffe auf Immobilienfirmen | Der Kampf gewaltbereiter Linksextremisten gegen angeblich "antisoziale Stadtstrukturen" und für selbstbestimmte "Freiräume" verschärfte sich im Berichtszeitraum bundesund hessenweit weiter. Als "Schuldige" der Verdrängung von Bevölkerungsschichten sowie als Urheber von Mieterhöhungen befanden sich insbesondere große Immobilienunternehmen im Visier der Linksextremisten. Im gesamten Jahr kam es in Frankfurt am Main im Rahmen einer linksextremistisch geprägten "Antigentrifizierungs"-Kampagne zu Angriffen auf Immobilienfirmen in Form von Sachbeschädigungen und Brandstiftungen auf deren Fahrzeuge und Gebäude. In vier Fällen Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 149 LINKSEXTREMISMUS wurden anonyme Selbstbezichtigungsschreiben im Internet eingestellt, unter anderem auf der linksextremistischen Internetplattform de.indymedia.org. Besetzungsaktion im Dannenröder Wald - Proteste gegen den Ausbau der A 49 | Bereits am 30. September 2019 erklärten Aktivisten die Besetzung des sogenannten Dannenröder Walds im Vogelsbergkreis, südlich der B 62 bei Stadtallendorf. Hintergrund war der geplante und genehmigte Ausbau der A 49 im Bereich Homberg (Ohm) und die hierfür notwendige Rodung von Teilen des Dannenröder Walds und weiterer angrenzender Waldstücke. Schon frühzeitig war zu erkennen, dass sich die Initiatoren an der Besetzung des Hambacher Forsts (Nordrhein-Westfalen) orientierten und auch Aktivisten aus dem Hambacher Forst in den Dannenröder Wald umzogen, um dort ihre Erfahrungen einzubringen. Insbesondere in der Struktur der Waldbesetzung spiegelte sich dies wider. So bildeten sich mehrere, namentlich benannte Baumhaussiedlungen sowie eine Mahnwache mit Protestcamp vor dem Wald. Des Weiteren versuchten die Aktivisten das hohe Mobilisierungspotenzial und den Erfolg der Proteste im Hambacher Forst auf den Dannenröder Wald zu übertragen, was durch verschiedene Beiträge auf der linksextremistischen Plattform de.indymedia.org oder in Medienberichten deutlich wurde. Neben diesen Verbindungen in den Hambacher Forst war zudem auch eine Unterstützung durch lokale anarchistische Aktivisten erkennbar. In den Folgemonaten bauten die Waldbesetzer ihre Strukturen im Dannenröder Wald kontinuierlich aus. Jedoch blieben Veranstaltungen mit Außenwirkung oder Straftaten im Sachzusammenhang zunächst aus. Erst mit der mündlichen Verhandlung einer Klage des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig (Sachsen) Ende Juni, die sich gegen den weiteren Ausbau der A 49 richtete, erfuhr die Thematik eine erste überregionale Beachtung. Infolge der Abweisung der Klage des BUND ereignete sich ein versuchter Brandanschlag auf fünf Baustellenfahrzeuge der Firma STRABAG SE bei Treysa (Schwalm-Eder Kreis). Eine "Autonome Kleingruppe in Solidarität mit dem Kampf gegen die A 49" bekannte sich in einem Selbstbezichtigungsschreiben auf der linksextremistischen Plattform de.indymedia.org zur Tat. Die Tat stellte einen ersten Versuch zur Eskalation durch militante Extremisten dar. Andere Solidaritätserklärungen oder wahrnehmbare Unterstützung aus der überregionalen linksextremistischen Szene oder der Umweltschutzbewegung waren zu diesem Zeitpunkt allenfalls vereinzelt feststellbar. Eine Ausnahme bildete hier lediglich die bereits erwähnte Besetzerszene aus dem Hambacher Forst. 150 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 LINKSEXTREMISMUS Angesichts der von den Aktivisten erwarteten Rodungsarbeiten ab Oktober 2020, kündigten die Waldbesetzer Anfang August in einer Pressekonferenz ihren Widerstand an. An der Pressekonferenz nahm auch eine Vertreterin der durch das LfV Berlin als linksextremistisch beeinflusst bewerteten Klimaund Umweltschutzbewegung Ende Gelände teil und kündigte Unterstützung für die Waldbesetzung an: "Wir [werden] erst Ende September im Rheinland massenhaft, aber mit Abstand, die fossile Industrie blockieren. [...] Danach kommen wir hierher und retten mit der ganzen Klimabewegung den Wald. Für uns ist klar: Erst in die Grube, dann in den Wald". In der Vergangenheit war "Ende Gelände" vor allem bei den Massenaktionen im rheinischen Braunkohlerevier, die in engem Zusammenhang mit der Besetzung des Hambacher Forsts stehen, aufgetreten. Mit der Ankündigung von Ende Gelände zeigte sich erneut der Versuch, den Dannenröder Wald zu einem zweiten Hambacher Forst zu erklären. Eine Sprecherin der Waldbesetzung erklärte, dass das Ziel der Aktion nicht nur die Rettung des Walds sei. Vielmehr ginge es um eine "allumfassende Revolution", mit deren Hilfe eine "radikale Transformation" der Gesellschaft bewirkt werden solle. Entgegen der Ankündigung von Ende Gelände wurde eine breite Mobilisierungskampagne, wie sie aus den Aktionen im rheinischen Braunkohlerevier bekannt war, zur Unterstützung des Protestes im Dannenröder Wald jedoch nicht umgesetzt. Ende Gelände führte lediglich einige kurze Blockaden in Berlin (Hessische Landesvertretung am 2. Oktober sowie Bundesgeschäftsstelle der Partei Bündnis 90/Die Grünen am 28. Oktober) durch und mobilisierte kurzfristig für einige Aktionstage während der Räumung. Diese Aktionen blieben jedoch weit hinter dem Mobilisierungspotential des Bündnisses zurück. Auch bei den Aktionen der Waldbesetzung selbst blieben die Teilnehmerzahlen teilweise hinter den Erwartungen zurück. So sollten am 11. September tausende Menschen an Demonstrationen im Stadtgebiet von Wiesbaden im Kontext Dannenröder Wald teilnehmen. Schlussendlich waren etwa 200 Personen zu verzeichnen. Eine ähnliche Resonanz erhielten auch mehrere Fahrraddemonstrationen, die von Kassel in den Dannenröder Wald verliefen. An diesen Demonstrationen sollten jeweils mehrere tausend Personen teilnehmen. In der Spitze zählte die Polizei lediglich 150 Personen. Die erhoffte Unterstützung in Form von Massenaktionen blieb aus. Innerhalb eines Teils der Waldbesetzer war ein fortschreitender Radikalisierungsprozess zu beobachten. Zu Beginn der Besetzungsaktion war der Protest vor allem von lokalen Bürgerinitiativen und nichtHessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 151 LINKSEXTREMISMUS extremistischen Gruppierungen wie Fridays for Future, Extinction Rebellion und dem BUND dominiert, auch wenn bereits der Einfluss lokaler anarchistischer Strukturen und Exponenten des Protests gegen den Hambacher Forst festzustellen war. Im weiteren Verlauf der Besetzung und insbesondere mit dem Beginn der Rodungsarbeiten im Oktober 2020 war innerhalb der Waldbesetzung eine Zunahme linksextremistischer Symbolik und Begrifflichkeiten zu verzeichnen. Immer öfter betonten nun die Waldbesetzer, dass der Dannenröder Wald auch ein "autonomer Freiraum" und ein Ort anarchistischer Selbstverwirklichung sei. Die Radikalisierung fand ihren Ausdruck ferner in der zunehmenden Zahl von Angriffen auf Polizeibeamte im Rahmen der Rodungsarbeiten oder in veröffentlichten Beiträgen auf der linksextremistischen Plattform de.indymedia.org. Viele dieser Beiträge verstanden den Protest im Dannenröder Wald nicht nur als Kampf gegen eine Autobahn bzw. für eine Mobilitätswende, sondern auch gegen die Wirtschaftsordnung und den Staat. Besonders verdeutlichte dies ein Beitrag mit dem Titel "Eine autonome Einschätzung zur Fortführung des Kampfs im Dannenröder Wald", der von einem Autor mit dem Pseudonym "Ho Chi Min" verfasst wurde: "Es geht nicht nur um die Klimakrise, nicht nur darum, die Artenvielfalt im Wald, explizit diesen Wald zu schützen. Der Widerstand im Wald ist nicht allein ein Abwehrkampf, sondern eine auf territorialer und praktischer Ebene politische Offensive gegen Staat und Kapitalinteressen". Derartige Gewaltaufrufe und Forderungen nach einem revolutionären Umsturz bzw. dem offenen Kampf gegen den Staat zeigten, dass Teile der Waldbesetzung militante Aktionsformen mindestens tolerierten oder aktiv unterstützten. Diese Unterstützung zeigte sich etwa in der aktiven Verbreitung von Selbstbezichtigungsschreiben und Positionspapieren der militanten Aktivisten auch auf der Website der Waldbesetzung "Wald statt Asphalt". Einen Höhepunkt erreichte die Militanz im November, als sich innerhalb von zwei Wochen vier Brandanschläge gegen Baufahrzeuge und Unternehmen ereigneten. Zu allen Taten erschienen Selbstbezichtigungsschreiben auf de.indymedia.org, in denen die Taten jeweils als Gegenwehr zu den polizeilichen Maßnahmen im Dannenröder Wald dargestellt wurden. Besondere öffentliche Aufmerksamkeit erhielt eine Reihe von Blockadeaktionen auf hessischen Autobahnen. Dabei seilten sich Aktivisten an verschiedenen Stellen entlang mehrerer Autobahnen von Brücken ab und legten so den Verkehr für mehrere Stunden lahm. Im Zusammenhang mit einer solchen Abseilaktion am 14. Oktober ereignete sich am Ende des sich stauenden Verkehrs ein schwerer 152 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 LINKSEXTREMISMUS Verkehrsunfall. Durch Aktivisten aus der Waldbesetzung wurde am Folgetag ein Beitrag auf de.indymedia.org veröffentlicht, in dem jeder Zusammenhang des Unfalls mit der Aktion negiert wurde. Im Nachgang des Unfalls bzw. der Abseilaktionen entstand eine kontroverse öffentliche Debatte über diese Form des Protestes, die auch innerhalb der Besetzerszene des Dannenröder Walds stattfand. Die Aktionen würden ein "Angst und Bedrohungsgefühl durch ,Öko-Terrorismus'" in der Bevölkerung erzeugen. Unfälle, die in einem Zusammenhang mit den Abseilaktionen gebracht würden, würden zudem eine "Hasswelle in der bürgerlichen Bevölkerung auslösen". Jedoch gab es auch Stimmen, die die Aktionsform verteidigten, da Proteste alleine nicht genügen würden: "Da gibt es diesen Mythos von der Gewaltfreiheit, von zivilem Ungehorsam [...], von einem Widerstand, der soll zwar möglichst illegal sein, aber eigentlich niemanden so richtig stören. Was wäre gewesen, wenn man den Hambi nicht besetzt hätte und die Kohlebagger nicht besetzt hätte?" Hinsichtlich linksextremistischer Einflussnahme auf die Protestbewegung im Dannenröder Wald wird folgende Strategie deutlich: Wie schon bei den Schülerprotesten der Fridays for Future Bewegung versuchten auch im Falle der Besetzungsaktion im Dannenröder Wald verschiedene linksextremistische Akteure, Einfluss auf die Aktivisten vor Ort zu nehmen. Das Ziel der Linksextremisten ist es, den ursprünglichen Umweltschutzgedanken dahingehend zu erweitern, dass es einen revolutionären Bruch mit den bestehenden staatlichen Strukturen benötigt, um Klimaschutz konsequent zu verwirklichen. Da im Themenfeld Umweltund Klimaschutz zumeist relativ offene, thematisch ausgerichtete Aktionsbündnisse dominieren, versuchen sich Linksextremisten hier als wertvolle Partner zu inszenieren und gleichzeitig auf eine Radikalisierung der Bewegung hinzuwirken. Dies führt oftmals dazu, dass der gefundene Konsens von Aktionsbündnissen Spielraum sowohl für friedliche Proteste, aber auch (unfriedliche) Aktionen zivilen Ungehorsams bis hin zu Strafund Gewalttaten zulässt. Dies zeigt sich beispielhaft anhand der folgenden Aussage einer Sprecherin der Waldbesetzer: "Auf Aktionen autonomer Gruppen, die ihrer Wut Ausdruck verleihen, haben wir keinen Einfluss. Daher haben wir dazu als Waldbesetzung keinen Kommentar". Eine Zurückweisung, mindestens Distanzierung von Extremisten, auch gewaltbereiten, findet nicht statt. Insgesamt ist zu konstatieren, dass die Proteste im Dannenröder Wald überwiegend friedlich verliefen, sie aber von einigen schweren Straftaten überschattet wurden. Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 153 LINKSEXTREMISMUS ENTSTEHUNG/GESCHICHTE Die autonome Bewegung wurzelt in den europaweiten Studentenprotesten der späten 1960er und der 1970er Jahre. In dieser Zeit entstand die Selbstbezeichnung Autonome. AUF EINEN BLICK * Gewalttätige Auseinandersetzungen mit der Polizei * "Anti"-Haltungen Gewalttätige Auseinandersetzungen mit der Polizei | Für die große Öffentlichkeit zum ersten Mal erkennbar agierten Autonome gewalttätig, als sie 1980 in Bremen gegen die Vereidigung von Bundeswehrrekruten demonstrierten. Dabei kam es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen mit der Polizei. Als breite eigenständige Bewegung waren Autonome seit Anfang der 1980er Jahre auszumachen. Sie waren zunächst vor allem in der Friedensund in der Anti-Atomkraftbewegung sowie bei Hausbesetzungen aktiv. Gewalttätig agierten Autonome zum Beispiel gegen die in Wackersdorf (Bayern) geplante Wiederaufbereitungsanlage für Kernbrennstoffe; gleichfalls lieferten sich Autonome an der Startbahn West am Frankfurter Flughafen gewalttätige Auseinandersetzungen mit der Polizei. Zuletzt waren Autonome hauptverantwortlich für die massiven Ausschreitungen bei den Protesten gegen die Eröffnung der neuen Zentrale der Europäischen Zentralbank (EZB) 2015 in Frankfurt am Main und bei den Protesten gegen den G20-Gipfel 2017 in Hamburg. "Anti"-Haltungen | Mit der Zeit erschlossen sich die Autonomen weitere Aktionsfelder, die in der Regel durch eine "Anti"-Haltung gekennzeichnet sind: "Antifaschismus", "Antirepression", "Antirassismus", "Antigentrifizierung" und "Antimilitarismus". "Antikapitalistische" Einstellungen von Autonomen, die im "Kapitalismus" die Wurzel allen Übels sehen, bilden die Grundlage für diese Aktionsfelder. IDEOLOGIE/ZIELE Das Ziel der Autonomen ist die Abschaffung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und des "kapitalistischen Systems" zugunsten einer "herrschaftsfreien" Gesellschaft. In ihr sollen sich unabhängige Individuen freiwillig vereinen und gemeinsam und gleichberechtigt handeln. Nach der Ansicht von Autonomen werden die Menschen durch "Kapitalismus", "Rassismus" und "Patriarchat" unterdrückt und ausgebeutet. Als Ursache hierfür betrachten die Autonomen die bürgerliche demokratische Gesellschaft und das freie Wirtschaftssystem im "Kapitalismus". "Imperialismus" und vor 154 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 LINKSEXTREMISMUS allem "Faschismus" sind in den Augen der Autonomen die maßgeblichen Werkzeuge dieser dreifachen Unterdrückung. AUF EINEN BLICK * "Anti"-Haltungen und Feindbilder * "Antikapitalismus" * "Antifaschismus" * "Antirassismus" * "Antigentrifizierung" - "selbstverwaltete Freiräume" * Klimaund Umweltschutzaktionen * Frage der Gewalt * Hauptströmungen der (post-)autonomen Szene in Hessen * Antiimperialisten * Antideutsche * Antinationale "Anti"-Haltungen und Feindbilder | Ihren "Anti"-Haltungen und Feindbildern entsprechend definieren Autonome ihre politischen Aktivitäten. So wird mittels des "Antifaschismus" gegen Personen, Gruppen und Institutionen agitiert, die als "Rechte" bzw. "Nazis" ausgemacht wurden. Unter dem Label "Antirepression" wird insbesondere gegen Polizisten als öffentlich wahrnehmbare Vertreter des "staatlichen Repressionsapparats" vorgegangen. Sämtliche Feindbilder sind dabei auf eine "antikapitalistische" Grundhaltung zurückzuführen. Um ihre Bündnisund Mobilisierungsfähigkeit zu erhöhen, versuchen vor allem Postautonome mehrere Themenfelder bei ihren Aktivitäten zu verknüpfen. "Antikapitalismus" | Dieses Themenfeld bildet den Kern der Vorstellungen der autonomen Szene bzw. des gesamten linksextremistischen Spektrums. Dem Marxismus zufolge ist die "kapitalistische" Wirtschaftsform das alles dominierende Element des menschlichen Daseins und bestimmt alle Lebensbereiche. Linksextremisten setzen auf dieser Basis die freiheitliche demokratische Grundordnung mit dem "Kapitalismus" gleich und bekämpfen diese, indem sie unter anderem soziale Themen für ihre Zwecke instrumentalisieren. "Antifaschismus" | Vor allem das Themenfeld "Antifaschismus" zeichnet sich für Linksextremisten dadurch aus, dass es eine hohe Anschlussfähigkeit an nichtextremistische Organisationen und Gruppierungen ermöglicht. Im Unterschied zur demokratischen Bekämpfung des Rechtsextremismus ist das linksextremistische "Antifaschismus"-Verständnis von Demokratiefeindlichkeit geprägt. In kommunistischer Tradition unterstellen Linksextremisten der Demokratie der Bundesrepublik Deutschland, selbst "faschistisch" oder "faschistoid" zu sein. Demnach bezeichnen Linksextremisten auch Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 155 LINKSEXTREMISMUS Personen aus dem demokratischen Spektrum als "Faschisten". Sobald die Bewertung "Faschist" vergeben ist, ist der Betroffene, unabhängig von seinen tatsächlichen Überzeugungen, nach linksextremistischem Urteil legitime Zielscheibe von Diffamierungen und Gewalttaten. Unter "Antifaschismus" verstehen Linksextremisten bzw. Autonome also nicht nur die konsequente Ablehnung rechtsextremistischer Bestrebungen, vielmehr setzen sie den offensiven "Kampf gegen Rechts" mit dem "Kampf gegen das Ganze", das heißt gegen das "bürgerlich-kapitalistische System", gleich: Erst mit der Beseitigung des "Kapitalismus" sei die Gefahr des "Faschismus" als Form bürgerlicher Herrschaft gebannt. "Antirassismus" | Vor dem Hintergrund der europäischen Flüchtlingspolitik und der damit einhergehenden medialen Berichterstattung sowie der hohen öffentlichen Aufmerksamkeit versucht das linksextremistische Spektrum, mit "Aktionen" in die Debatte einzugreifen. Entsprechend der autonomen bündnispolitischen Zielrichtung soll das szeneeigene Verständnis von "Antirassismus" möglichst langfristig und breit in der Mehrheitsgesellschaft etabliert werden. Dieses Verständnis konzentriert sich nicht nur auf die Thematisierung der Flüchtlingsproblematik, sondern Autonome wollen vor allem nachweisen, dass Staat und Gesellschaft selbst "rassistisch" sind und daher im linksextremistischen Sinne bekämpft und überwunden werden müssen. Rechtmäßiges Handeln von Behörden gilt für Autonome in dieser Diktion als "rassistisch": "Nazis morden, der Staat schiebt ab - das ist das gleiche Rassistenpack". "Antigentrifizierung" - "selbstverwaltete Freiräume" | Linksextremisten schließen sich "Antigentrifizierungs"-Initiativen aus mehreren Gründen an: Indem sie sich für bezahlbaren Wohnraum einsetzen, können sie sich als sozialpolitische Akteure profilieren und gesellschaftliche Akzeptanz erreichen. Weiterhin ist es Autonomen auf diese Weise möglich, anschaulich ihre "antikapitalistische" Grundhaltung zu vermitteln. Schließlich sind sie oft selbst von Gentrifizierung betroffen, da die von ihnen genutzten "selbstverwalteten Freiräume" - also autonome Szeneund Treffobjekte - mitunter ebenso für entsprechende sogenannte "Luxussanierungen" vorgesehen sind. Insofern richten sich linksextremistische Aktionen in diesem Themenfeld gerade auch gegen Immobilienfirmen und Städtebaugesellschaften, die Eigentümer der Objekte sind. Klimaund Umweltschutzaktionen | Vor dem Hintergrund des fortschreitenden Klimawandels und der damit einhergehenden Auswirkungen auf Mensch und Umwelt sowie im Rahmen des Strebens 156 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 LINKSEXTREMISMUS nach einem sozialverträglichen ökologischen Miteinander gewinnt dieses Themenfeld zunehmend an Bedeutung für das linksextremistische Spektrum. Hierin lassen sich mehrheitsfähige gesellschaftliche Anliegen - wie etwa der Kampf gegen den Klimawandel (zum Beispiel in Form der Forderung nach einem Ausstieg aus der Atomenergie oder aus dem Kohleabbau sowie nach einer Verkehrswende) - mit linksextremistischen Forderungen nach einem "selbstbestimmten Leben" durch das Schaffen "selbstverwalteter Freiräume" verbinden. Vor allem bietet sich für Linksextremisten die Möglichkeit, ihre "antikapitalistischen" Forderungen gegen angebliche "klimaschädliche" Unternehmen in Stellung zu bringen und in den gesellschaftlichen Diskurs mittels der Parole "system change not climate change" einzubringen. Mit ihren Versuchen, die Klimaund Umweltschutzbewegung zu instrumentalisieren, wollen Linksextremisten ein Scharnier zwischen ihren Bestrebungen und nichtextremistischen Forderungen herstellen. Frage der Gewalt | Seit jeher versuchen Autonome ihre Ziele auch mit Gewalt zu erreichen. In der Anwendung von Gewalt sehen Autonome nicht nur ein "Mittel zum Zweck", sondern ebenso einen Akt der "individuellen Selbstbefreiung". Die phasenweise in der Szene geführte "Militanzdebatte" beschäftigt sich daher nicht mit der Legitimität von Gewaltanwendung, sondern mit der kontrovers diskutierten Frage, ob sich Gewalt "nur" gegen Sachen oder auch gegen Menschen richten darf. Dabei nehmen es Autonome billigend in Kauf, dass Menschen im Rahmen ihrer "Aktionen" verletzt oder sogar getötet werden. Hauptströmungen der (post-)autonomen Szene in Hessen | Es sind tendenziell drei Hauptströmungen - Antiimperialisten, Antideutsche und Antinationale - zu unterscheiden. Sie stehen sich inhaltlich zum Teil diametral gegenüber. Nur über "antikapitalistische" und "antifaschistische" Grundhaltungen erzielen die drei Strömungen häufig einen Minimalkonsens. Zuletzt sind szeneinterne Konfliktlinien schwieriger auszumachen, da "klassische" Ideologieansätze zunehmend zugunsten aktionistischen Vorgehens und frei interpretierter Denkmuster aufweichen. Antiimperialisten | Antiimperialisten machen die vorgeblich durch den "Kapitalismus" bedingte "imperialistische" Politik westlicher Staaten, vorrangig der USA und Israels, für weltpolitische Konflikte verantwortlich. Diese Linksextremisten stehen daher fest an der Seite von "antiimperialistischen Befreiungsbewegungen" etwa in Südamerika oder in der arabischen Welt. Im Unterschied zu den Antideutschen solidarisieren sich Antiimperialisten besonders mit dem von der Palestine Liberation Organization (PLO, Palästinensische BefreiHessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 157 LINKSEXTREMISMUS ungsorganisation) im Jahr 1988 ausgerufenen Staat Palästina und agitieren gegen Israel. Antideutsche | Antideutsche zeigen sich dagegen wegen der deutschen Verantwortung am Holocaust uneingeschränkt solidarisch mit Israel, aber auch mit den USA als dessen militärischer Schutzmacht. Arabische Regimes und islamistische Organisationen bezeichnen die Antideutschen als "rechtsradikal" oder "islamfaschistisch". Militärische Aktionen gegen eine mögliche Bedrohung Israels sehen Antideutsche grundsätzlich als positiv an. Damit widersprechen Antideutsche dem "antimilitaristischen" und gegen den Krieg gerichteten Selbstverständnis anderer autonomer Strömungen. Einige Autonome werfen Antideutschen daher "Kriegstreiberei" vor. Ferner sprechen Antideutsche der deutschen Nation mit Verweis auf den Holocaust die Existenzberechtigung ab. Den Antiimperialisten unterstellen sie - ebenso wie dem deutschen Volk im Allgemeinen - antizionistische und antisemitische Einstellungen. Antinationale | Mit den Antinationalen entwickelte sich spätestens seit 2006 bundesweit eine dritte ideologische Ausrichtung, die phasenweise in der autonomen Szene in Hessen prägend war und weiterhin präsent ist. Die Positionen der Antinationalen liegen zwischen Antiimperialisten und Antideutschen, sind jedoch den letzteren näher. Aus Sicht der Antinationalen ist jeder Staat im "Kapitalismus" zwangsläufig "imperialistisch". Kriege seien nur "Ausdruck der notwendigen Konflikte" im "kapitalistischen System", da die jeweiligen staatlichen Interessen gegenüber der globalen Konkurrenz durchgesetzt werden müssten. Die Antinationalen lehnen jedoch die einseitig positive Bezugnahme der Antiimperialisten auf revolutionäre "Befreiungsbewegungen" in der Dritten Welt ab, da diese letztlich auch nur nationalistische Ziele verfolgten und häufig reaktionäre Ideologien verträten, die es aus "antifaschistischer" Perspektive zu bekämpfen gelte. Dies trifft aus Sicht der Antinationalen insbesondere auf islamistische Gruppen zu. Den Antideutschen wiederum werfen Antinationale eine zu starke Fixierung auf den "historischen Sonderweg" Deutschlands und den daraus nach dem Zweiten Weltkrieg entstandenen Staat Israel sowie eine Gleichsetzung von Islam und Islamismus vor. Zwar räumen Antinationale "Israel als Staat der Holocaustüberlebenden und als Schutzraum für die weltweit vom Antisemitismus bedrohten Jüdinnen und Juden" eine Sonderstellung ein, andererseits sehen sie in Israel - bei aller Solidarität mit dessen Volk - einen "kapitalistischen" Staat, der letztlich ebenso wie das gesamte Staatensystem abzuschaffen sei. 158 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 LINKSEXTREMISMUS STRUKTUREN Wie in der Vergangenheit blieb Frankfurt am Main sowohl personell als auch strukturell der autonome Szeneschwerpunkt in Hessen. Weitere autonome Szenen gab es in den Universitätsstädten Kassel, Marburg (Landkreis Marburg-Biedenkopf), Gießen (Landkreis Gießen) und Darmstadt. AUF EINEN BLICK * Szeneschwerpunkt Frankfurt am Main * Regionale Szenen Szeneschwerpunkt Frankfurt am Main | Etwa die Hälfte aller Autonomen in Hessen war in Frankfurt am Main oder in den unmittelbar angrenzenden Kommunen (zum Beispiel Offenbach am Main) ansässig. Bundesweit betrachtet, gehörte Frankfurt am Main zu den Großstadtregionen mit einer kontinuierlichen Präsenz autonomer Zusammenhänge. Von anderen Szenen in Hessen unterschied sich der "harte Kern" der Szene in Frankfurt am Main durch seine bundesweite Vernetzung, das hohe Personenpotenzial auf engem Raum und eine weiterhin potenziell hohe Gewaltbereitschaft. Besonders relevante Gruppen in Frankfurt am Main waren die AUF, das AK.069, die IL Frankfurt, k&p, das OAT Frankfurt und ökologisch radikal links - ffm. Mit dem autonomen Szeneobjekt und ehemaligen Polizeigefängnis Klapperfeld verfügte die Szene in Frankfurt am Main über den bedeutendsten autonomen Anlaufpunkt in Hessen. Einige an der Außenfassade des Gebäudes angebrachte Symbole und Banner vermittelten im Gesamtbild überwiegend eine Tendenz zu linksextremistischem Gedankengut. Dabei sind die entsprechenden Symbole als Ausdruck der inneren Haltung und des aktiv-politischen Vorgehens der Nutzer und Betreiber des Klapperfelds zu werten. Maßgeblich für die Träger des Klapperfelds sind daher nicht "die da draußen", sondern "wir, die Gegenkultur, hier drin". Ein Zweck des gesamten Gebäudes besteht in dem Errichten eines Symbols der Abgrenzung und der Gegenkultur in einem zentralen Frankfurter Stadtteil. Darüber hinaus fungierten in Frankfurt am Main das Cafe ExZess, das Cafe KoZ und das Centro als wichtige Treffpunkte. Regionale Szenen | Erwähnenswert sind die Gruppierungen T.A.S.K. und A&O aus Kassel, die A.R.A.G. in Gießen (Landkreis Gießen) sowie in Darmstadt das OAT Darmstadt. Insgesamt zeigten sich drei der vier hessischen Ortsgruppen der IL aktiv. Es handelte sich um die Ortsgruppen IL Frankfurt, IL Marburg und IL Darmstadt. Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 159 LINKSEXTREMISMUS BEWERTUNG/AUSBLICK Innerhalb der autonomen Szene wurde im Berichtszeitraum im Rahmen von demonstrativen Ereignissen weiterhin in Teilen auf Konfrontation und Gewalt gesetzt. Zielsetzung ist zum einen die Unterminierung des staatlichen Gewaltmonopols, was sich an den fortgesetzten Angriffen gegen staatliche Repräsentanten, vor allem der Polizei, zeigt. Die Selbststilisierung, Opfer von staatlicher Repression zu sein, soll dies argumentativ untermauern. Zum anderen soll das Recht auf Selbstjustiz aufrechterhalten werden; Angriffe auf Andersdenkende erfolgen stets aus eigener subjektiver Ermächtigung heraus. Die autonome Szene sieht sich legitimiert, mitunter auch gewalttätig gegen politische Gegner und gegen den Staat vorzugehen. Die als notwendig erachtete autonome Selbstjustiz schloss dabei explizit den Kampf gegen staatliche "Repression", gegen die Gentrifizierung linksalternativer Stadtviertel sowie den Kampf für den Erhalt "selbstverwalteter Freiräume" ein. Im Linksextremismus ist bundesweit eine gestiegene Gewaltbereitschaft nicht nur bei größeren Ereignissen wie dem G20-Gipfel in Hamburg 2017 oder der Eröffnung der EZB in Frankfurt am Main 2015 festzustellen. Aktuelle - in der Regel themenbezogene - Auseinandersetzungen während Demonstrationen und Protesten zeigen grundsätzlich eine höhere Aktionsbereitschaft insbesondere autonomer und anarchistischer, aber auch gewaltbereiter linker radikaler Kräfte. In diesem Zusammenhang sind auch die - zwar noch mit bundesweiten Schwerpunkten - gezielt klandestin geplanten und entgegen des bisherigen linksextremistischen Konsenses durchgeführten direkten Angriffe auf Personen zu beachten, zum Beispiel auf den Hamburger Innensenator im Dezember 2019 oder auf die Angestellte einer Immobilienfirma in ihrer Wohnung in Leipzig im Oktober 2019 sowie antifaschistisch motivierte Überfälle zum Beispiel auf einen Kanalarbeiter in Leipzig (Sachsen), der im Januar 2019 wegen eines von ihm getragenen Logos aus dem rechten Kampfsportmilieu schwer verletzt wurde. Dies zeigt nicht nur die Fähigkeit, sondern auch die Bereitschaft linksextremistischer Strukturen, Gewalt zunehmend zu personalisieren und parallel zum Beispiel zu Sachbeschädigungen mit erheblichen Schadenssummen einzusetzen. Solche gezielt geplanten Aktionen von grundsätzlich nicht bekannten Einzelpersonen oder Kleinstgruppen richten sich bewusst stärker gegen Personen (auch in deren persönlichem Rückzugsraum zu Hause) oder werden in Form gezielter Hinterhalte oder Angriffe (insbesondere gegen Polizeibeamte) ausgeführt. Diese Entwicklung ist intensiv zu beobachten, um frühest160 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 LINKSEXTREMISMUS möglich vergleichbare radikalisierende Tendenzen aufgreifen und ihnen entgegenwirken zu können. Die oben genannten Tatbeispiele dokumentieren, dass bei militanten Linksextremisten im Gegensatz zu früheren Jahren der Schritt zur Tötung oder Tötungsabsicht politischer Gegner wieder in Betracht zu ziehen ist. Eine besondere Rolle dabei dürften dabei neue, bislang wenig bekannte militante Strukturen, insbesondere mit anarchistischen Bezügen, spielen, die teilweise gerade auch außerhalb der bislang üblichen autonomen Gruppierungen angesiedelt zu sein scheinen: "Wir wählen in dem einen Moment die völlige Anonymität, ohne Bekennung, [...] In einem anderen wählen wir die Kommunikation mit anderen Zellen, um [...] unsere Verbundenheit im permanenten Angriff mit anderen Hasserfüllten zu kommunizieren. Und in nächsten Moment bewegen wir uns sichtbar, versuchen unsere Ideen und Erfahrungen mitzuteilen und in lokale offen liegende Konflikte einzugreifen". Zudem nutzten Linksextremisten das innerhalb der Szene etablierte Instrument der Outings konstant, willkürlich und nach eigenem Werturteil. Es wird auch künftig Anwendung finden, um Freund-Feind-Beschreibungen deutlich zu definieren und Andersdenkende bzw. politische Feinde zu diskreditieren und zu beschädigen. Inwieweit sich die Besetzerszene nach Abschluss der Rodungsarbeiten im Dannenröder Wald weiter radikalisieren und sich das Interesse der linksextremistischen Szene anderen Projekten zuwenden wird, kann für den Berichtszeitraum nicht abschließend beurteilt werden. Im Falle von größeren Bauarbeiten für die A 49 im Bereich Dannenrod oder von vergleichbaren (Bau-)Projekten ist aber damit zu rechnen, dass es zu weiteren Protestaktionen kommen wird. SONSTIGE BEOBACHTUNGSOBJEKTE Neben autonomen Gruppierungen gab es in Hessen linksextremistische Parteien sowie Organisationen mit parteiähnlichem Charakter, die einen bedeutenden Teil des linksextremistischen Spektrums bildeten. Die wichtigsten von ihnen sind unten aufgeführt. AUF EINEN BLICK * Deutsche Kommunistische Partei (DKP) Gründung in kommunistischer Tradition Strukturen - Mitgliederzahlen 23. Parteitag in Frankfurt am Main Bewertung/Ausblick Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 161 LINKSEXTREMISMUS * Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend (SDAJ) Jugendorganisation der DKP Strukturen - Mitgliederzahlen Vorfall bei Kundgebung in Gießen Bewertung/Ausblick * Marxistisch-Leninistische Partei Deutschlands (MLPD) Ziele Mitgliederzahl - Strukturen "Gib Antikommunismus keine Chance!" * Rote Hilfe e. V. (RH) Ideologie - Strukturen - Anstieg der Mitgliederzahlen "Rechtsberatung" für politisch motivierte Straftäter Veranstaltungen Bewertung/Ausblick DEUTSCHE KOMMUNISTISCHE PARTEI (DKP) Gründung in kommunistischer Tradition | Die 1968 gegründete DKP versteht sich als "revolutionäre Partei der Arbeiterklasse" in der Tradition der 1956 vom Bundesverfassungsgericht verbotenen Kommunistischen Partei Deutschlands (KPD). Das Ziel der DKP ist die Überwindung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung in einem revolutionären Bruch, um - als erste Stufe auf dem Weg zur klassenlosen kommunistischen Gesellschaft - den Sozialismus zu verwirklichen. Dabei setze, so die Auffassung der DKP, die "sozialistische Gesellschaftsordnung [...] die Erringung der politischen Macht durch die Arbeiterklasse im Bündnis mit den anderen Werktätigen voraus". Strukturen - Mitgliederzahlen | Die DKP in Hessen gliederte sich in 15 Kreisorganisationen, ihr waren rund 300 Personen zuzurechnen (bundesweit etwa 2.850). Der Schwerpunkt der Aktivitäten der DKP Hessen lag in Mörfelden-Walldorf (Kreis Groß-Gerau), Gießen (Landkreis Gießen) sowie Kassel. Die DKP führte nur wenige öffentlichkeitswirksame Aktionen durch, interne Veranstaltungen dominierten das Geschehen in der Partei. Die Ortsverbände Gießen, Marburg und Mörfelden-Walldorf gaben eigene Kleinzeitungen heraus. Gegen Ende des Jahres begann zudem die DKP Kassel mit der Herausgabe einer eigenen Kleinzeitung: Der rote Waschbär. 23. Parteitag in Frankfurt am Main | Vom 29. Februar bis 1. März führte die Partei ihren 23. Bundesparteitag in Frankfurt am Main durch. Im Rahmen des Parteitages wurde zum einen der alte Parteivorstand erneut in seinem Amt bestätigt und zudem der Leitantrag "Unsere Kampffelder im Rahmen der antimonopolistischen Strategie" verab162 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 LINKSEXTREMISMUS MITGLIEDERENTWICKLUNG DER DKP IN HESSEN UND IM BUND (2016 BIS 2020) 3.000 3.000 3.000 2.850 2.850 2.850 2.500 2.000 1.500 1.000 500 350 350 350 Hessen 300 300 Bund 0 2016 2017 2018 2019 2020 schiedet. Die innerparteilichen Streitigkeiten um die politische Ausrichtung der Partei, vor allem die Diskussionen hinsichtlich der Positionierung zu tagesaktuellen Themen wie der Klimafrage, fanden sowohl im Vorfeld als auch während des Parteitages statt. Des Weiteren wurden auch die Bemühungen der Partei diskutiert, dem seit Jahren andauernden Niedergang entgegenzuwirken. Aus dem Parteivorstand wurde im Nachgang des Parteitages konstatiert, dass die Partei "Fortschritte im Ringen um die Wiederverankerung in der Klasse machen" würde. Im Berichtszeitraum war eine Zunahme öffentlichkeitswirksamer Aktionen jedoch allenfalls punktuell feststellbar. Bewertung/Ausblick | Die seit Jahren anhaltende personelle und strukturelle Schwächung der DKP setzt sich ungeachtet einzelner Erfolge weiter fort. In Folge der Beschränkungen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie konnte die Partei die auf dem Parteitag gefassten Beschlüsse bisher kaum umsetzen. Zudem bleibt abzuwarten, inwieweit es der Partei gelingen wird, sich mit der formulierten Haltung zur Klimaschutzthematik als Bündnispartner der Klimaschutzbewegung zu etablieren. SOZIALISTISCHE DEUTSCHE ARBEITERJUGEND (SDAJ) Jugendorganisation der DKP | Die dogmatisch-kommunistische Jugendorganisation ist formal unabhängig, jedoch eng mit der DKP verbunden und fungiert als deren Jugendorganisation. So unterstützt die SDAJ Hessen die DKP regelmäßig bei Veranstaltungen und war bei einigen entsprechenden Veranstaltungen mit vor Ort. Ihre Ziele versuchte die SDAJ vor allem durch die Zusammenarbeit mit extremistischen und nichtextremistischen Organisationen zu verwirklichen, um eine breitere Öffentlichkeit zu erreichen. Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 163 LINKSEXTREMISMUS Der SDAJ in Hessen waren rund 70 Personen zuzurechnen, bundesweit etwa 670. Eigenen Angaben zufolge war die SDAJ in Hessen mit Ortsgruppen in den Regionen Darmstadt/Odenwald, Frankfurt am Main, Gießen (Landkreis Gießen), Marburg (Landkreis MarburgBiedenkopf) und Kassel aktiv. Die von der SDAJ abgespaltene Kommunistische Organisation (KO) konnte sich im vergangenen Jahr weiter strukturieren und trat 2020 auch erstmals öffentlich in Erscheinung. Ziel der KO ist es, eine kommunistische Partei nach dem Vorbild der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU) zu schaffen. Schwerpunkte der öffentlichkeitswirksamen Tätigkeit der SDAJ bildeten - wie in den vergangenen Jahren - die Themenfelder "Antikapitalismus" und "Antimilitarismus". Im März fand in Eschborn (Main-Taunus-Kreis) der Bundeskongress der SDAJ statt. Im Anschluss daran kündigte die Bundesvorsitzende an, dass die SDAJ verstärkt auf "Kurzkampagnen" setzen wolle. Zudem sei es gelungen, den Mitgliederschwund der letzten Jahre auszugleichen. Nach einer größeren Welle von Aktionen an Schulen in Marburg (Landkreis Marburg-Biedenkopf) im Jahr 2019 war in 2020 ein Rückgang dieser Aktionsform zu verzeichnen. Vor dem Hintergrund der COVID-19-Pandemie initiierte die SDAJ die Kampagne "Gesundheit statt Profite", die auf prekäre Beschäftigungsverhältnisse im Gesundheitssystem aufmerksam machen sollte. Mit dem Einsetzen der staatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie verlegte auch die SDAJ ihre Aktivitäten vermehrt ins Internet und veröffentlichte Podcasts oder führte Veranstaltungen online durch. Hinsichtlich der COVID-19-Pandemie versuchte die SDAJ, gezielt Einfluss auf Schülerinnen und Schüler zu nehmen, indem sie deren SiMITGLIEDERENTWICKLUNG DER SDAJ IN HESSEN UND IM BUND (2016 BIS 2020) 800 750 750 670 670 670 600 400 200 Hessen 80 80 70 70 70 Bund 0 2016 2017 2018 2019 2020 164 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 LINKSEXTREMISMUS tuation bzw. Probleme im Umgang mit der COVID-19-Pandemie thematisierte. Tatsächliche und vermeintliche Missstände führt die SDAJ dabei zumeist auf die "kapitalistische" Gesellschaftsordnung zurück, der sie einen vermeintlich krisenfesten Sozialismus gegenüberstellt. Des Weiteren nahm sich die SDAJ Hessen verschiedener gesellschaftlicher Themen an, wie etwa der Black-Lives-Matter-Bewegung oder den Gedenkveranstaltungen zum 75. Jahrestag der Befreiung vom Nationalsozialismus und dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Wie die inoffizielle Mutterpartei ist auch die SDAJ in der Klimaund Umweltschutzbewegung bislang kaum präsent. Im Jahr 2019 hatte die SDAJ noch versucht, Anschluss an die Klimaschutzbewegung zu finden, besonders an Fridays for Future. Diese Aktivitäten gingen im vergangenen Jahr stark zurück. So war auch eine Teilnahme an den Protesten im Dannenröder Wald durch die SDAJ nicht zu verzeichnen. Vorfall bei Kundgebung in Gießen (Landkreis Gießen) | In Gießen fand am 15. Februar die "Demo gegen Faschismus, Armut, Krieg und Krise!" statt, zu der unter anderem die "antiimperialistisch" ausgerichteten Gruppierungen siempre*antifa Frankfurt/M und A.R.A.G. sowie die SDAJ-Abspaltung KO mobilisiert hatten. In einem Redebeitrag unterstellte die A.R.A.G. dem Staat, die "Gefahr für die Gesellschaft" ginge "nicht nur von Rechten und Faschistinnen und Faschisten aus", sondern die Herrschenden würden ihnen den "Weg ebnen". Weiter hieß es: "Diese Faschisierung des Staates ist Ausdruck davon, dass die Repräsentanten und Repräsentantinnen des Staates wissen, dass ihr Ausbeutersystem immer wieder Wirtschaftskrisen hervorbringt. Aufkommender Widerstand soll deshalb im Keim erstickt werden und nach rechts kanalisiert werden". Im Rahmen dieser Kundgebung trat auch die oben erwähnte KO erstmals öffentlich in Erscheinung. Ein Vertreter der Gruppierung hielt im Rahmen der Demonstration eine Rede, die für ihre antisemitischen Anspielungen auch aus der demokratischen Zivilgesellschaft heraus scharf kritisiert wurde. So habe der Sprecher der KO die Novemberpogrome 1938 als "Inszenierung der Eliten" bezeichnet, während die deutsche Bevölkerung "dagegen eingestellt gewesen sei". Der KO wurde vorgeworfen, "Geschichtsrevisionismus" zu betreiben und Antisemitismus zu verharmlosen. Bewertung/Ausblick | Das Aktionspotential der SDAJ im öffentlichen Raum war im Berichtszeitraum rückläufig. Zwar beteiligte sich die SDAJ weiterhin an den traditionellen Terminen wie dem 1. Mai oder dem Weltfrauentag. Darüber hinaus beschränkten sich ihre AktivitäHessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 165 LINKSEXTREMISMUS ten aber, auch vor dem Hintergrund der Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie, auf die Nutzung des Internets. Bei Wiederaufnahme des Präsenzunterrichts nach dem Ende der wegen der COVID-19-Pandemie erfolgten Schulschließungen steht zu erwarten, dass die SDAJ wieder häufiger mit Aktionen an hessischen Schulen und Berufsschulen in Erscheinung treten wird. MARXISTISCH-LENINISTISCHE PARTEI DEUTSCHLANDS (MLPD) Ziele | Die maoistischstalinistisch orientierte MLPD versteht sich als "politische Vorhutorganisation der Arbeiterklasse in Deutschland". Nach ihrem Selbstbild sieht sie sich als Teil der internationalen marxistisch-leninistischen Arbeiterbewegung, als Erbe der revolutionären Tradition der KPD, der deutschen Arbeiterklasse und ihrer Führer Karl Marx, Friedrich Engels, Karl Liebknecht, Rosa Luxemburg und Ernst Thälmann. Sie bezeichnet sich selbst als radikal linke und revolutionäre Alternative zu allen anderen politischen Kräften in Deutschland. Ihre grundlegenden Ziele sind der "Sturz der Diktatur des allein herrschenden internationalen Finanzkapitals und die Errichtung der Diktatur des Proletariats in Deutschland". Als Teil einer "internationalen sozialistischen Revolution" soll die "Diktatur des Proletariats" in den Aufbau der "vereinigten sozialistischen Staaten der Welt als Übergangsstadium zur weltweiten klassenlosen kommunistischen Gesellschaft" münden. Anhängerzahl - Strukturen | Auch wenn sich Anhänger der MLPD an Demonstrationen und Aktionen beteiligten, erhielt die Partei, der in Hessen etwa 80 Personen (rund 2.800 bundesweit) zuzurechnen waren, nahezu keine Aufmerksamkeit. Das lag vor allem an der weitgehenden Isolation der MLPD im linksextremistischen Spektrum. MITGLIEDERENTWICKLUNG DER MLPD IN HESSEN UND IM BUND 3.000 2.800 2.800 2.800 2.500 2.000 1.800 1.800 1.500 1.000 500 Hessen 100 80 80 80 80 Bund 0 2016 2017 2018 2019 2020 166 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 LINKSEXTREMISMUS Die MLPD war mit Ortsgruppen in über 450 Städten in Deutschland vertreten. Der MLPD-Landesverband Rheinland-Pfalz/Hessen/Saarland (RHS) hatte seinen Sitz in Frankfurt am Main. In Hessen waren Ortsgruppen in Darmstadt, Frankfurt am Main, Kassel, Rüsselsheim (Kreis Groß-Gerau) und Wiesbaden aktiv. Ebenso war der MLPD-Jugendverband REBELL in Hessen mit Ortsgruppen in Darmstadt, Kassel und Wiesbaden vertreten. Des Weiteren existieren MLPD-Studiengruppen an den Hochschulen Darmstadt, Gießen und Wiesbaden/Standort Rüsselsheim. "Gib Antikommunismus keine Chance!" | Den thematischen Schwerpunkt ihrer Aktivitäten legte die MLPD im Berichtsjahr auf ihre im Februar gestartete Kampagne "Gib Antikommunismus keine Chance!" Die Kampagne wurde durch eine elf Punkte umfassende Erklärung ihres Zentralkomitees ins Leben gerufen. Hintergrund der Kampagne ist eine vermeintlich von Staat, Medien und verschiedenen weiteren Akteuren verfolgte Strategie zur Diffamierung des Kommunismus im Allgemeinen und der MLPD im Speziellen. In der Vergangenheit war dieses vermeintliche Bündnis von der MLPD als "gesamtgesellschaftliches Liquidatorentum" bezeichnet worden. Mit der Kampagne möchte die Partei aber auch das von ihr dominierte Internationalistische Bündnis stärken und Wähler werben, um im Wahlkampf ihre ideologische Überzeugung zu verbreiten und das derzeitige Wirtschaftsund Gesellschaftssystem zu diskreditieren ("Beendigung des Krisenchaos des Kapitalismus und hin zum echten Sozialismus"). Im Berichtsjahr fand der 4. Bündniskongress des Internationalistischen Bündnisses in Kassel statt, welches von der MLPD 2016 gegründet wurde. Trotz der durch die COVID-19-Pandemie bedingten Absage des Pfingstjugendtreffens sowie des Sommercamps in Thüringen von REBELL waren die Partei und ihr Jugendverband in Hessen nicht tatenlos. Sie haben sich im Rahmen der pandemiebedingten Möglichkeiten an breit gefächerten Kundgebungen und Demonstrationen unter anderem gegen Rassismus ("Black Lives Matter"), gegen rechte Strukturen in Polizei und Verwaltung sowie gegen die sogenannten Querdenker beteiligt. Ebenfalls konzentrierten sich die MLPD und REBELL weiterhin verstärkt auf die Kooperation mit kurdischen Gruppierungen und nahmen unter anderem an Kundgebungen gegen türkische Luftangriffe auf Kurdistan teil. Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 167 LINKSEXTREMISMUS Ferner versuchte die MLPD im Berichtsjahr, die "Corona-Krise" und deren Auswirkungen auf der Grundlage ihres ideologischen Weltbildes zu analysieren. Dazu veröffentlichte sie ein Corona-Sofortprogramm zur Beseitigung der Pandemie unter dem Slogan "Für wirksamen Gesundheitsschutz - Kampf dem Krisenchaos von Monopolen und Regierung". ROTE HILFE E. V. (RH) Ideologie - Strukturen - Anstieg der Mitgliederzahlen | In Anlehnung an die im Jahr 1924 in der Weimarer Republik von der KPD initiierte Rote Hilfe Deutschlands (RHD) versteht sich die RH laut ihrer Satzung als "parteiunabhängige, strömungsübergreifende linke Schutzund Solidaritätsorganisation". Sie bezeichnet die Bundesrepublik Deutschland als ein "nationalstaatlich fixiertes, bürgerlich kapitalistisches Herrschaftssystem, das von unterschiedlichen Unterdrückungsmechanismen (wie Rassismus oder Sexismus) strukturiert und geprägt" werde. In Hessen verfügte die RH über Ortsgruppen in Darmstadt, Frankfurt am Main, Kassel, Marburg-Gießen und Wiesbaden. Ihr gehörten in Hessen etwa 700 Personen an, bundesweit 11.000. "Rechtsberatung" für politisch motivierte Straftäter | Die maßgeblich von Linksextremisten verschiedener Richtungen getragene RH unterstützt seit den 1970er Jahren inhaftierte bzw. inzwischen aus der Haft entlassene Mitglieder der mittlerweile aufgelösten linksterroristischen Roten Armee Fraktion (RAF). Neben politischer und finanzieller Hilfe versuchte die RH mittels "Rechtsberatung" Personen, die politisch motivierte Straftaten begingen, der staatlichen Strafverfolgung zu entziehen oder sie bei ihren Verfahren zu unterstützen. Die RH empfahl daher den "Genoss_innen" die "konsequente Aussageverweigerung" als "beste Strategie im Umgang mit Repressionsbehörden". MITGLIEDERENTWICKLUNG DER RH IN HESSEN UND IM BUND 11.000 10.500 10.000 8.300 8.300 8.000 8.000 6.000 4.000 2.000 Hessen 600 600 700 700 Bund 0 2016 2017 2018 2019 2020 168 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 LINKSEXTREMISMUS Die RH-Ortsgruppe Frankfurt am Main begleitete im Berichtsjahr bei Strafprozessen vorwiegend Angeklagte, die "linken" und linksextremistischen Gruppierungen zuzurechnen waren. Auf ihrer Homepage wies die RH auf anstehende Prozesse hin und rief Sympathisanten zur "kritischen Prozessbegleitung" auf, um sich solidarisch mit den Angeklagten zu zeigen. Veranstaltungen | Am 10. Juli endete nach etwa eineinhalb Jahren der sogenannte Elbchaussee-Prozess gegen Teilnehmer an den eskalierenden Protesten anlässlich des G20-Gipfels im Jahr 2017 in Hamburg. In einer im Internet veröffentlichten Pressemitteilung "This is no justice, this is shit - Urteil nach 1,5 Jahren Elbchaussee-Prozess" der RH heißt es unter anderem: "Um einen 'schädlichen Einfluss' durch die kritische Prozessbegleitung von solidarischen Strukturen wie der Roten Hilfe zu verhindern, fand der Prozess gegen die fünf Angeklagten die meiste Zeit unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Die vier Angeklagten aus dem Rhein-MainGebiet gestanden ihre Teilnahme an dem Protestzug auf der Elbchaussee ein, bedauerten dessen Verlauf und die Form der Aktion, die nicht ihre sei. Das Gericht wertete die Einlassung 'in der Nähe zur Reueerklärung', vermisste aber eine glaubwürdige Entschuldigung, so dass sie sich kaum strafmildernd auswirkten. Die Prozessstrategie, mit distanzierenden Aussagen einen Freispruch zu erreichen, ging somit nicht auf". Der Bundesvorstand der RH sowie die RH-Ortsgruppe Frankfurt am Main riefen zu einer Spendenkampagne "Spenden - Widerstand braucht Solidarität" auf, damit "die Betroffenen mit finanziellen Folgen nicht alleine gelassen werden sind wir alle gefordert diese Kosten solidarisch zu teilen!" Im Zusammenhang mit der seit etwa einem Jahr andauernden Besetzung des Dannenröder Walds kam es am 26. Oktober zu einer symbolischen Abseilaktion an drei Autobahnbrücken im Rhein-MainGebiet. Die Aktivisten hatten mit der Abseilaktion, die ein hohes Gefährdungspotenzial auch für Unbeteiligte darstellte, gegen die geplante Abholzung im "Danni" ein Zeichen setzen wollen. Anlässlich der im Anschluss an diese Aktion erfolgten Untersuchungshaft gegen Aktivisten erklärte ein Angehöriger des Bundesvorstandes der RH in einer Pressemitteilung: "Um sie unter Druck zu setzen, verschärfe die JVA-Leitung offenbar die Haftbedingungen mit allen Mitteln [...] Obwohl die Coronaquarantäne längst abgelaufen sei, seien die Gefangenen weiter isoliert, müssten 23 Stunden täglich allein in der Zelle verbringen. Nachts würden sie alle einbis eineinhalb Stunden geweckt. Die Inhaftierten würden dabei soHessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 169 LINKSEXTREMISMUS lange angeleuchtet, bis die sich bewegten. Die Maßnahme werde mit einer angeblichen Suizidgefahr begründet". Die RH-Ortsgruppe Frankfurt am Main rief in diesem Zusammenhang zu wöchentlichen Solidaritätsdemonstrationen unter dem Motto "Free them all" vor der Justizvollzugsanstalt (JVA) Frankfurt am MainPreungesheim auf. In diesem Zusammenhang mobilisierte sie für den Briefwechsel mit den Gefangenen. Bewertung/Ausblick | Die RH nimmt weiterhin eine wichtige Rolle innerhalb der linksextremistischen Szene ein. Sowohl durch ihre "Solidaritätsund Antirepressionsarbeit" als auch durch ihre juristischen und finanziellen Unterstützungsleistungen verfügt die RH über eine hohe Reputation im gesamten Spektrum und stellt damit ein in der Szene verbindliches Element dar. Angesichts der von Linksextremisten behaupteten Zunahme der staatlichen "Repression" wird die Bedeutung der RH weiterhin hoch bleiben oder sogar steigen. Die stetig wachsenden Mitgliederzahlen der vergangenen Jahre sprechen für eine solche Entwicklung. LINKSEXTREMISTISCHE STRAFUND GEWALTTATEN Auffallend ist, dass im Berichtszeitraum die Zahl der Gewalttaten trotz der staatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie einen teilweise erheblichen Anstieg aufweisen. Hintergrund dieses Anstieges sind maßgeblich die Proteste im Dannenröder Wald, die immer wieder von teilweise schweren Straftaten begleitet wurden. Als herausragend ist das Ereignis vom 23. November zu werten, als ein Halteseil einer Baumstammkonstruktion durchtrennt wurde, um diese auf Polizeibeamte stürzen zu lassen. Zudem war eine Serie von teilweise erfolgreichen Brandanschlägen im Zusammenhang mit dem Ausbau der A 49 auffallend, die in dieser Häufung und Qualität untypisch sind für Linksextremisten in Hessen. Demzufolge steht zu vermuten, dass aufgrund der großen überregionalen Bedeutung der Proteste im Dannenröder Wald und dem damit einhergehenden Zulauf von Personen aus anderen Bundesländern, wie etwa dem Hambacher Forst in Nordrhein-Westfalen, insbesondere die herausragenden Straftaten im Berichtszeitraum von Extremisten begangen wurden, die nicht Teil der Szene in Hessen sind. (Siehe im Glossar unter dem Stichwort Politisch motivierte Kriminalität den Eintrag zur Erfassung politisch motivierter Strafund Gewalttaten mit extremistischem Hintergrund.) 170 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 LINKSEXTREMISMUS Linksextremisten begingen vor allem dann Gewalttaten, wenn sie diese relativ einfach, unbemerkt und ohne strafrechtliche Konsequenzen verüben konnten. Ihre Wirkung erzielten Linksextremisten dadurch, dass sie oft hohe Schäden anrichteten. Um für diese Taten eine Akzeptanz in der Bevölkerung zu gewinnen, wurden diese oft mit aktuellen Themen begründet oder als eine Form der Notwehr dargestellt. So wurde zum Beispiel hinsichtlich der militanten Protestformen im Dannenröder Wald ein Beitrag auf de.indymedia.org veröffentlicht mit den Worten: "Im Danni passiert realer Widerstand! Nicht die Verschwommenheit und der faule Kompromiss, die wir in Leben und politischem Kampf in der Stadt/im System dauernd erleben müssen. Stattdessen eine klare Trennungslinie mit dem Feind". Die linksextremistische Szene belegte damit 2020 erneut die eigene Handlungsfähigkeit, zeigte zugleich aber auch, dass Straftaten gegen Personen nach wie vor allenfalls von einer Minderheit der Szene akzeptiert sind. | 2020 2019 2018 2017 2016 Deliktart Tötung Versuchte Tötung 1 Körperverletzung 7 3 8 1 18 Brandstiftung/Sprengstoffdelikte 4 1 2 2 5 Landfriedensbruch 6 1 1 2 Gefährliche Eingriffe in den Bahn-, Schiffs-, 1 1 Luftund Straßenverkehr Freiheitsberaubung, Raub, Erpressung, 15 1 2 Widerstandsdelikte Gewalttaten insgesamt 34 5 13 5 25 Sonstige Straftaten Sachbeschädigung 52 31 21 44 43 Nötigung/Bedrohung 3 2 1 3 Andere Straftaten 21 29 12 11 19 (insbesondere Propagandadelikte) Strafund Gewalttaten insgesamt 110 65 48 61 90 Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 171 LINKSEXTREMISMUS 172 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 ISLAMISMUS - MERKMALE - ISLAMISTISCHES PERSONENPOTENZIAL - SALAFISMUS - HIZB UT-TAHRIR (HUT, PARTEI DER BEFREIUNG) - MUSLIMBRUDERSCHAFT (MB)/DEUTSCHE MUSLIMISCHE GEMEINSCHAFT E. V. (DMG) - MILLI-GÖRÜSBEWEGUNG - SONSTIGE BEOBACHTUNGSOBJEKTE - ISLAMISTISCHE STRAFUND GEWALTTATEN ISLAMISMUS MERKMALE Der Islam als Religion wird vom Verfassungsschutz nicht beobachtet. Muslime genießen - wie Anhänger aller anderen Religionen auch - in Deutschland das Grundrecht auf Religionsfreiheit nach Artikel 4 des Grundgesetzes. Unter Islamismus wird eine politische Ideologie verstanden, deren Zweck es ist, die bestehende Gesellschaftsordnung nach islamischen Vorstellungen vollständig zu verändern und deren Rechtsgrundlagen, Werte und Herrschaftsordnungen entscheidend umzugestalten oder gänzlich abzuschaffen. Islamistische Bestrebungen manifestieren sich, wenn das Handeln von Personen in einem oder für einen Personenzusammenschluss zielund zweckgerichtet danach ausgerichtet ist, gesellschaftliche und institutionalisierte Bereiche in einer Weise grundlegend und nachhaltig gemäß islamischen Prinzipien umzugestalten. Auf diese Weise zielen islamistische Bestrebungen darauf ab, einen oder mehrere zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu zählende Verfassungsgrundsätze zu beseitigen oder außer Geltung zu setzen. Dies kann mittels Gewaltanwendung oder Nutzung "legaler" Möglichkeiten geschehen. Diese Bestrebungen gründen sich auf einem Islamverständnis, das islamische Glaubensquellen und andere bedeutsame Überlieferungen in eigener Weise interpretiert. Dieses Verständnis repräsentiert daher nicht eine unabdingbar gültige Auslegung des Islams und seiner Praktizierung, vielmehr erheben islamistische Lesarten den Anspruch, eine allgemeinverbindliche Form des Islams erkannt zu haben und dessen Einhaltung diktieren zu können. AUF EINEN BLICK * Verfassungsfeindlichkeit des Islamismus * Entstehung des Islamismus * Ziele des Islamismus * Spielarten des Islamismus Verfassungsfeindlichkeit des Islamismus | Die totalitäre Veränderung einer Gesellschaft nach islamistischen Vorstellungen widerspricht elementar den Prinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und dem demokratischen Gefüge generell: Rechtsstaatlichkeit sowie unveräußerliche Menschenund Bürgerrechte sollen vollständig überwunden werden. Das politische System einer demokratisch legitimierten Volksvertretung würde durch eine totalitär agierende Theokratie und von Menschen gemachte Gesetze würden durch sogenanntes göttliches Recht ersetzt werden. 174 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 ISLAMISMUS Islamisten sind nicht auf Reformen bedacht, um im Einklang mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung friedlich in einer pluralistischen Gesellschaft zu leben, sondern streben nach einer grundlegenden Veränderung der Verhältnisse. Dabei werden nicht nur dem islamistischen Terrorismus zuzurechnende Gewalttaten verübt. Die Mehrheit der Islamisten in Hessen, oft in Vereinen organisiert, nutzt weitaus subtilere Mittel: Sie strebt nach einflussreichen Positionen und versucht, ihre Interessen durch das Eindringen in relevante Bereiche von Politik und Gesellschaft zu vertreten. Entstehung des Islamismus | Der Islamismus nach heutigem Verständnis entwickelte sich im Nahen und Mittleren Osten des späten 18. und 19. Jahrhunderts als Gegenreaktion auf lokale Herrschaftsverhältnisse und als Reaktion auf den europäischen Kolonialismus: In zahlreichen islamisch geprägten Ländern versuchten Gruppierungen unterschiedlichsten Herkommens, sich gegen Benachteiligungen und Repressionen der Kolonialmächte zu wehren. Aus einer Wiederbelebung der islamischen Identität, hierbei gab es durchaus Unterschiede in der ideologischen Auslegung, erhofften sich insbesondere Islamisten das Erstarken ihrer Religion. Sie verbanden damit eine Universallösung für sämtliche gesellschaftlichen Probleme. Despoten sollten nicht länger die muslimische Gemeinschaft und den Islam unterdrücken. Erst das Überwinden "unislamischer" Herrscher würde den Weg ebnen, an "glorreiche Zeiten" des Frühislams anzuknüpfen, die Machtverhältnisse neu zu bestimmen und alle Muslime in eine Weltgemeinde zu führen. Ziele im Islamismus | Obwohl sich islamistische Bewegungen im Laufe der Zeit in zum Teil deutlich unterschiedliche Richtungen entwickelten, ist ihnen ein ideologischer Kern gemeinsam: Es ist die Vorstellung, sämtliche Probleme der Gegenwart durch eine Rückkehr zu einer idealisierten, längst vergangenen islamischen Frühzeit zu heilen und auf diese Weise eine universelle Ordnung zu schaffen, die dem Islam und seiner Glaubensgemeinschaft den höchsten Stellenwert einräumt. Für Gegenwart und Zukunft soll der Islam die allein gültige gesellschaftliche und rechtliche Norm bilden. Islamisten akzeptieren in der Regel somit nur den Koran und die überlieferte Prophetentradition (Sunna) als Grundlage für islamrechtliche Entscheidungen und Regelungen. Darüber hinaus brandmarken Islamisten die Standpunkte der etablierten islamischen Rechtsschulen als ungültige Veränderungen des Islams oder interpretieren sie zugunsten der eigenen islamistischen Auffassungen. Die Mittel und Methoden vieler Islamisten zur Rechtsfindung reduzieren sich auf wenige frühislamische Prinzipien. Diese lassen keinen Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 175 ISLAMISMUS Spielraum für theologische Auslegungen außerhalb des Islams zuzeiten des Propheten Muhammad zu. Nach der Auffassung von Islamisten soll der Rückgriff auf ursprüngliche islamische Quellen Antworten auf Probleme der Moderne geben. Fragen der Zukunft soll mit Antworten aus der Vergangenheit begegnet werden. Dies bildet den Ausgangspunkt für islamistische Aktivitäten. Würden die islamistischen Ziele konsequent umgesetzt, hätte dies die weltweite Islamisierung, abhängig von der jeweiligen Spielart des Islamismus, zur Folge. Am Ende dieses - in islamistischer Perspektive - "Erweckungsprozesses" stünde ein religiös institutionalisierter Machtbereich, der als staatsähnliche Ordnung dem Kalifat vergangener Zeiten gleichen würde. Spielarten des Islamismus | Abhängig von Zeit und Ort zeigt sich der Islamismus auch in Deutschland in vielfältigen Formen. Häufig übernehmen Islamisten die ideologischen Grundlagen der Kernbewegungen aus dem Ausland. Das Nutzen legaler Mittel in einer Demokratie, die aus islamistischer Sicht keine Gültigkeit besitzt, ist ein Wesensmerkmal des legalen Islamismus. Das hierzu gehörende Personenpotenzial wird mit der Bezeichnung "Legalisten" beschrieben, der Phänomenbereich selbst wird als "legalistischer Islamismus" bezeichnet. "Legalisten" versuchen im Einklang mit den Gesetzen, ihren Einflussraum durch politische Teilhabe auszudehnen. Mittels kommunaler, regionaler, aber auch landespolitischer Aktivitäten sollen Schutzgüter der freiheitlichen demokratischen Grundordnung unterminiert und auf lange Sicht überwunden werden, um den eigenen islamistischen Interessen Rechnung zu tragen. Extremismusvorwürfe weisen "Legalisten" konsequent und selbstbewusst zurück und versehen sie mit dem Etikett "Islamfeindlichkeit". Eine besondere Spielart des Islamismus stellt der Salafismus dar. Salafisten sehen sich als Verfechter eines ursprünglichen, unverfälschten Islams. Sie geben vor, ihre religiöse Praxis und Lebensführung ausschließlich an den Prinzipien des Koran, an dem Vorbild des Propheten Muhammad und an den ersten drei muslimischen Generationen, den sogenannten rechtschaffenen Altvorderen (arab. alsalaf al-salih), auszurichten. Das Handeln nach dem Vorbild der Altvorderen betrifft dabei nicht nur religiöse Fragen, sondern ebenso Politik, Wirtschaft und so gut wie alle Lebensbereiche. Folglich versuchen Salafisten, einen Gottesstaat nach ihrer Auslegung der Regeln der Scharia zu errichten, in dem die freiheitliche demokratische Grundordnung keine Geltung mehr hätte. Zur Umsetzung ihrer Ziele greifen Salafisten auf unterschiedliche Mittel bis hin zur Gewalt176 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 ISLAMISMUS anwendung zurück. Hier ist zwischen dem politischen und jihadistischen Salafismus zu differenzieren (siehe Kapitel Salafismus). Den Einsatz von Gewaltmitteln sehen Jihadisten dabei als religiös gerechtfertigt. Auch andere islamistische Gruppen schrecken zwecks Durchsetzung ihrer Ziele nicht vor Gewalttaten zurück. Sie nutzen Deutschland in der Regel als Rückzugsraum oder auch als Operationsfeld für logistische und finanzielle Zwecke, um die jeweilige Gruppierung im Herkunftsland zu unterstützen. ISLAMISTISCHES PERSONENPOTENZIAL Das Personenpotenzial in Hessen blieb gegenüber dem vorherigen Berichtsjahr unverändert. (Siehe im Glossar auch die Erläuterung zum Begriff Personenpotenzial.) | 2020 2019 2018 2017 2016 Islamisten gesamt Hessen 4.170 4.170 4.170 4.170 4.170 Bund 28.715 28.020 26.560 25.810 24.400 davon Salafisten Hessen 1.650 1.650 1.650 1.650 1.650 Bund 12.150 12.150 11.300 10.800 9.700 SALAFISMUS DEFINITION/KERNDATEN Der Salafismus setzt sich ideologisch aus einer politischen und einer jihadistischen Bewegung zusammen. Politische wie jihadistische Salafisten weichen in ihrem ideologischen Kern nicht von anderen islamischen Erweckungsbewegungen ab. Auch Anhänger eines salafistischen Islamverständnisses streben nach der Rückkehr zu den angeblich einzig gültigen Glaubensprinzipien, wie sie Überlieferungen zufolge in der Frühzeit im Umfeld Muhammads entstanden waren und praktiziert wurden. Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 177 ISLAMISMUS Anstatt ihre Religionsauffassung und -praxis an die Gegenwart anzupassen, propagieren Salafisten die idealisierte Re-Islamisierung gemäß angeblich unverfälschter Werte im Einklang mit den Geboten Allahs. Das salafistische Ziel liegt in der Wiederentdeckung des "reinen Islams", seiner Erhaltung und universellen Ausdehnung. Im Diesseits ist nach salafistischer Auffassung eine gottgefällige Lebensweise nur möglich, wenn die Lebensweise des Propheten Muhammad eine Nachahmung erfährt und die göttlichen Regeln und Prinzipien beachtet werden. Ein Kalifat nach historischem Vorbild wird in diesem Zusammenhang häufig als geeignete Option für ein solches Gesellschaftsmodell angesehen. AUF EINEN BLICK * Spielarten des Salafismus * Politischer Salafismus * Jihadistischer Salafismus Spielarten des Salafismus | Die Anhänger des Salafismus lassen sich in zwei Strömungen einteilen: Politische Salafisten sind missionarisch aktiv, indem sie die Bekehrung zum Islam und die Verbreitung des islamischen Glaubens (arab. da'wa) betreiben. Jihadistische Salafisten rücken hingegen den gewaltsamen Kampf, den sie mit der Einhaltung göttlicher Regeln und Prinzipien rechtfertigen, in das Zentrum ihrer ideologischen Auffassung und bilden damit den Ausgangspunkt für ihre islamistischen Bestrebungen. Der Übergang zwischen beiden Strömungen kann fließend sein. In Hessen ist weiterhin der Großteil der Salafisten dem Spektrum des politischen Salafismus zuzurechnen. Allerdings steigt der Anteil derer, die mit jihadistischem Gedankengut sympathisieren. Mit einem Personenpotenzial von etwa 1.650 blieb im Berichtsjahr in Hessen die Gesamtzahl der Salafisten im Vergleich zu den Vorjahren konstant und war weiterhin besorgniserregend hoch. Politischer Salafismus | Der politische Salafismus ist in der Regel von gewaltlosen Aktivitäten gekennzeichnet. Das salafistische Islamverständnis verlangt, die Reinheit des Islams zu bewahren und seine Authentizität wiederherzustellen, wo es notwendig erscheint. Daher nutzen politische Salafisten Formen der religiösen Erziehung und der im Hintergrund - ohne politisches Aufsehen erregenden - tätigen Beratung (arab. nasiha). Auf diese Weise wollen politische Salafisten ihr Umfeld auf den angeblich wahren Weg Allahs zurückführen und zum Übertritt zum Islam nach ihrem Verständnis bekehren. Grundsätzlich meiden Salafisten das politische Engagement, um die Reinheit der Doktrin des tauhid (Monotheismus) zu erhalten und vor angeblich islamfremden Einflüssen zu schützen. Salafisten sind daher in Deutsch178 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 ISLAMISMUS land weder parteipolitisch noch in vergleichbarer Form im öffentlichen Diskurs im Rahmen gesamtgesellschaftlicher Gestaltungsprozesse aktiv. Dennoch kann die salafistische Doktrin auf gesellschaftliche Bereiche einwirken und somit politischen Einfluss entwickeln. Der Einsatz von Gewalt ist bei politischen Salafisten nicht kategorisch auszuschließen, stellt jedoch im Kontrast zu den Anhängern des globalen Jihadismus nicht per se ihr bevorzugtes Mittel zur Veränderung der Verhältnisse dar. Jihadistischer Salafismus | Jihadistische Salafisten teilen zentrale Glaubensprinzipien des politischen Salafismus, bilden daraus jedoch Legitimationen für eigene Handlungsmuster. Ein wesentliches Unterscheidungsmerkmal ergibt sich aus dem Verhältnis zur Gewalt. Der "Anstrengung für Allah" (arab. jihad) messen Jihadisten eine gewaltorientierte, aktiv-kämpferische Komponente bei, die zur individuellen Glaubenspflicht erhoben wird und dadurch in ihrer Perspektive die Durchsetzung revolutionärer Zwecke rechtfertigt. Entgegen der Agenda des politischen Salafismus sehen Jihadisten primär in der Gewaltanwendung die Möglichkeit, "Tyrannen" und "Ungläubige" zu bekämpfen. Verhaftet in den islamischen Überlieferungen vom Tag des Jüngsten Gerichts, streben Jihadisten nach der Auslöschung aller "unislamischen", "ungläubigen" Elemente, die sie in Regierungen, anderen Religionen und auch anderen islamischen Glaubensgemeinschaften verkörpert sehen. Der gewaltsame "kleine Jihad" besitzt in den ideologischen Auffassungen der verschiedenen Gruppen, die insgesamt den globalen Jihadismus bilden, unterschiedliche Formen und wird entsprechend vielfältig legitimiert und angewendet. Während der "kleine Jihad" den kämpferischen Einsatz zur Verteidigung oder Ausdehnung des islamischen Herrschaftsgebiets beschreibt, bezeichnet der "große Jihad" das geistig-spirituelle Bemühen der Gläubigen, um das richtige religiöse und moralische Verhalten gegenüber Allah und den Mitmenschen einzulösen. Jihadistische Salafisten zielen im Gegensatz zu politischen Salafisten auf die gewaltsame Beseitigung bzw. Überwindung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder nehmen bewusst deren Schädigung in Kauf. EREIGNISSE/ENTWICKLUNGEN IM POLITISCHEN SALAFISMUS Im Berichtsjahr waren nur vereinzelte Da'wa-Aktionen von politischen Salafisten festzustellen, die über "Street-Da'wa" versuchten, Literatur an Passanten zu verteilen. Salafistisch beeinflusste Moscheen fungierten weiterhin als Treffund Kontaktpunkte für Personen aus dem Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 179 ISLAMISMUS salafistischen Spektrum. Salafistische Prediger erreichten vor allem über ihre Internetauftritte ihr Publikum. Im Bereich der Gefangenenhilfe hatten die Aktivitäten von Salafisten das Ziel, Anhänger der Szene zu binden und Resozialisierungsprozesse zu verhindern. Generell ist eine Fragmentierung der salafistischen Szene festzustellen, die auch in erfolgreichen Maßnahmen der Sicherheitsbehörden in den letzten Jahren begründet liegt. Durch verschiedene Verbotsverfahren auf Bundesund Länderebene wurden Ressourcen und Strukturen eingeschränkt, auf welche die Szeneangehörigen für ihre Aktivitäten angewiesen sind. AUF EINEN BLICK * Da'wa-Aktivitäten * Prediger und Moscheen * Gefangenenhilfe Da'wa-Aktivitäten | In Hessen gab es nur vereinzelte Da'waAktivitäten, die selten im öffentlichen Raum stattfanden. Nach dem Verbot der bundesweit tätigen Vereinigung Die Wahre Religion (DWR) im November 2016, ging auch in Hessen die Zahl der von Salafisten betriebenen Infostände zurück. So waren im Berichtsjahr keine Aktivitäten des "We-Love-Muhammad"-Projekts zu verzeichnen. Dessen Betreiber konnten nur wenige Akteure rekrutieren und es gelang ihnen nicht, die Strukturen in Hessen über das RheinMain-Gebiet hinaus dauerhaft auszubauen. Einzig mit dem "StreetDa'wa"-Projekt "Was ist Islam?" zeigten einige wenige Akteure in Frankfurt am Main Präsenz und verteilten auf der Zeil islamistische Literatur an Passanten. Prediger und Moscheen | Salafistische Prediger erreichten vor allem über ihre Internetauftritte ihr Publikum. Angepasst an die Bedürfnisse und Interessen ihrer Zielgruppe sprachen sie über allgemeinreligiöse und alltägliche Themen. Dabei wurden salafistische Ideologieelemente und Ratschläge für den Alltag miteinander verknüpft, darüber hinaus wurden Online-Kurse angeboten. Insgesamt fehlten jedoch im Berichtsjahr identitätsstiftende und damit gemeinschaftsfördernde ideologische Führungsfiguren bzw. überregionale Hauptakteure, sodass es keine Veranstaltungen gab, die gemeinsam besucht werden konnten. Auch wenn sich die Aktivitäten politischer Salafisten immer mehr in den privaten Raum verlagerten, fungierten salafistisch beeinflusste Moscheen weiterhin als Treffund Kontaktpunkte für Personen aus dem salafistischen Spektrum. 180 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 ISLAMISMUS Gefangenenhilfe | Im Bereich der Gefangenenhilfe zielten die Aktivitäten von Salafisten auch im Berichtsjahr darauf ab, Anhänger der Szene an sich zu binden, zu stärken und zu unterstützen. Vorrangig sollten Resozialisierungsprozesse verhindert werden. Entsprechende Aktionen fanden auch statt, wenn Salafisten bei Gerichtsverhandlungen Präsenz zeigten, um sich mit den Angeklagten zu solidarisieren. EREIGNISSE/ENTWICKLUNGEN IM JIHADISTISCHEN SALAFISMUS Ihre Untergrundstrukturen in ihren ehemaligen Einflussgebieten im Mittleren Osten baute die terroristische Organisation Islamischer Staat (IS) weiter aus, sodass sie diese für Anschläge auf lokale Machthaber und staatliche Strukturen nutzen konnte. Der IS führte zunehmend Guerilla-Attacken durch und rief seine Kämpfer zum Ausbruch aus Internierungslagern auf. Dabei nutzte die Gruppierung Schwächen örtlicher Sicherheitsstrukturen aus. Auch in Nordund Westafrika sowie in Asien waren Ableger des IS weiterhin aktiv. Versuchte der IS nach wie vor, sich im Nahen Osten und in Asien neu zu organisieren, war noch kein koordiniertes Vorgehen in Westeuropa mit konkreten Planungen und Strukturen festzustellen. IS-Propaganda, aber auch bereits verübte Anschläge können radikalisierte, allein handelnde Täter weiterhin zu Taten sowie zu Bekenntnissen zum IS motivieren. In Hessen kam es auch im Berichtsjahr zu Exekutivmaßnahmen, wodurch Anschlagsplanungen einzelner Personengruppen frühzeitig erkannt und vereitelt wurden. AUF EINEN BLICK * Exekutivmaßnahmen * Verurteilungen * Bundesweite Anzahl der jihadistisch motivierten Ausreisefälle * Hessenweite Anzahl der jihadistisch motivierten Ausreisefälle * Rückkehrer-Problematik Frauen und Kinder * Solidarisierung mit inhaftierten Frauen in Camps in Nordostsyrien * Weiterhin bestehendes Anschlagspotenzial des IS * Reaktionen auf die COVID-19-Pandemie * Jihadistisch motivierte Anschläge in Europa Exekutivmaßnahmen | Im Rahmen der Festnahme von vier mutmaßlichen Mitgliedern einer IS-Zelle in Nordrhein-Westfalen wurde im April in Dillenburg (Lahn-Dill-Kreis) ein Objekt durchsucht. Die Festgenommenen sollen sich im Januar 2019 dem IS angeschlossen und Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 181 ISLAMISMUS eine Zelle in Deutschland gegründet haben. Zunächst hatten sie geplant, nach Tadschikistan auszureisen, um dort im Rahmen des bewaffneten Jihad an Kämpfen gegen die Regierung teilzunehmen. Nachdem sie davon Abstand genommen hatten, beabsichtigten sie, in Deutschland tödliche Anschläge zu begehen. Entsprechende Anweisungen sollen sie von zwei hochrangigen IS-Führungsmitgliedern aus Syrien und Afghanistan erhalten haben. Im Oktober wurde ein 28-jähriger Gefährder aus Hessen in die Türkei abgeschoben und mit einer fünfjährigen Einreisesperre belegt. Er hatte regelmäßig einschlägige und zum Teil gewaltverherrlichende Propaganda im Sinne der Ideologie des islamistischen Terrorismus - insbesondere des IS - gepostet und diese mit Nashids (Kampflieder) unterlegt. Nach dem islamistischen Anschlag von Wien (Österreich) am 2. November durchsuchte die Polizei im November Wohnungen und Gebetsräume von vier Personen in Niedersachsen, Hessen und Schleswig-Holstein. In Kassel galt eine Person als Kontaktmann des Wiener Attentäters. Bei der Durchsuchung in Kassel wurden Kommunikationsmittel beschlagnahmt. Verurteilungen | Im Januar verwarf der Bundesgerichtshof die Revision des Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts (LG) Frankfurt am Main vom Dezember 2018 als offensichtlich unbegründet. Der Islamist war wegen Beihilfe zur Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt worden. Das LG hatte es als erwiesen angesehen, dass der Angeklagte 2013 einem seinerzeit 16-Jährigen durch Buchung und Übergabe eines Flugtickets geholfen hatte, auf dem Luftweg über die Türkei nach Syrien auszureisen, um sich dort im Umgang mit Schusswaffen und Sprengvorrichtungen durch eine islamistisch-terroristische Gruppierung zu unterziehen und danach an deren Kampfhandlungen gegen das syrische Regime teilzunehmen. Der Jugendliche war bei einem dieser Einsätze 2014 ums Leben gekommen. Im April begann vor dem Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main die Hauptverhandlung gegen einen 27-Jährigen wegen Völkermordes, Verbrechens gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechens gegen Personen, Mordes und Menschenhandels im Zusammenhang mit der Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung. Von 2013 bis 2019 soll der Angeklagte in Syrien, im Irak und in der Türkei Mitglied einer ausländischen terroristischen Vereinigung, das heißt des IS, gewesen sein. In diesem Zusammenhang wird ihm vorgeworfen, 2015 eine der Glaubens182 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 ISLAMISMUS gemeinschaft der Jesiden angehörende Frau und deren fünfjährige Tochter als Sklavinnen gekauft zu haben. Neben Annehmlichkeiten in seinem Haushalt habe er damit beabsichtigt, die religiöse Minderheit der Jesiden - im Einklang mit den Zielen des IS - zu vernichten. Bei einer "Strafaktion" soll der Angeklagte das Kind ungeschützt vor der Sonne an ein Fenster gefesselt haben, in Folge dessen es verstorben sein soll. Im Mai verurteilte das OLG Frankfurt am Main einen 26-Jährigen wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung im Ausland zu einer Jugendstrafe von einem Jahr und drei Monaten. Das Urteil ist rechtskräftig. Die Strafe wurde zur Bewährung ausgesetzt. Im Juli 2013 hatte er sich gemeinsam mit fünf anderen jungen Männern der islamistischen Gruppierung Daula Muhajirin angeschlossen, die wiederum einen Monat zuvor dem IS beigetreten war und in einer Militärbasis in der Nähe von Aleppo (Syrien) Freiwillige für den bewaffneten Kampf ausbildete. Der Angeklagte ließ sich vom IS als Kämpfer registrieren und hielt sich für ungefähr einen Monat in der Militärbasis auf. In dieser Zeit nahm er an Übungen zum Schutz vor Flugzeugangriffen sowie an religiösen und kampfbezogenen Gruppengesprächen teil und wirkte an Baumaßnahmen im Ausbildungslager mit. Wegen der Vorbereitung eines Sprengstoffanschlags sowie wegen Körperverletzung verurteilte das LG Frankfurt am Main im September einen IS-Sympathisanten zu fünf Jahren und acht Monaten Haft. Das Urteil ist rechtskräftig. In der Wohnung des 25-Jährigen hatte die Polizei bei seiner Festnahme im November 2019 Grundstoffe zur Sprengstoffherstellung sichergestellt. In islamistischen ChatGruppen hatte er angegeben, in Frankfurt am Main ein Restaurant in die Luft sprengen zu wollen. Im Dezember 2020 begann die Hauptverhandlung gegen eine ISRückkehrerin aus Hessen wegen Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung und wegen weiterer Taten vor dem OLG Frankfurt am Main. Ihr wird zur Last gelegt, sich 2014 in Syrien dem IS angeschlossen zu haben. Dort habe sie einen IS-Anhänger aus Deutschland geheiratet. Aufgabe der Angeklagten soll es gewesen sein, ihn bei seinen Kampfeinsätzen in wechselnden Gebieten Syriens und des Iraks zu unterstützen, indem sie - wie seitens des IS für die Ehefrau eines Kämpfers vorgesehen - den Haushalt geführt, ihn versorgt und seine Kampfeinsätze befürwortet habe. Zudem soll die Angeklagte im IS-Gebiet ein Haus bezogen haben, das ihnen von der Terrororganisation zur Festigung des eigenen Herrschaftsund Gebietsanspruchs zugewiesen worden sei, wobei dessen rechtmäßige Inhaber vertrieben, inhaftiert oder getötet worden sein sollen. Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 183 ISLAMISMUS Auch habe die Angeklagte zumindest zeitweise über ein vollautomatisches Sturmgewehr vom Typ Kalaschnikow verfügt. Bundesweite Anzahl der jihadistisch motivierten Ausreisefälle | Zum Ende des Berichtzeitraums lagen zu insgesamt 1.070 deutschen Islamisten aus Deutschland, die in Richtung Syrien/Irak gereist waren, Erkenntnisse vor. Zu etwa der Hälfte der gereisten Personen lagen konkrete Anhaltspunkte vor, dass sie auf Seiten des IS und der terroristischen Organisation al-Qaida oder diesen nahestehenden Gruppierungen und anderer terroristischer Gruppierungen an Kampfhandlungen teilgenommen oder diese in sonstiger Weise unterstützt hatten. Etwa ein Viertel der ausgereisten Personen war weiblich. Der überwiegende Teil der insgesamt 1.070 Ausgereisten war zum Zeitpunkt der Ausreise jünger als 30 Jahre. Etwa ein Drittel dieser Personen kehrte wieder nach Deutschland zurück. Zu über 100 der bislang zurückgekehrten Personen lagen den Sicherheitsbehörden Erkenntnisse vor, wonach diese sich aktiv an Kämpfen in Syrien oder im Irak beteiligten oder hierfür eine Ausbildung absolvierten. Nachdem der IS seine territoriale Basis verloren hat, lagen Erkenntnisse zu aus Deutschland ausgereisten Personen im unteren dreistelligen Bereich vor, die aus Syrien bzw. dem Irak ausreisen möchten und/oder die sich dort in Haft bzw. Gewahrsam befanden. Zur Mehrheit dieser Personen lagen Erkenntnisse vor, dass sie beabsichtigten unter anderem nach Deutschland zurückzukehren. Hessenweite Anzahl der jihadistisch motivierten Ausreisefälle | Den hessischen Sicherheitsbehörden lagen im Berichtszeitraum Erkenntnisse zu etwa 150 Islamisten aus Hessen vor, die in Richtung Syrien oder Irak reisten, um dort auf Seiten des IS und anderer terroristischer Gruppierungen an Kampfhandlungen teilzunehmen oder diese in sonstiger Weise zu unterstützen. Einzelne Ausreisesachverhalte wurden erst nachträglich bekannt. Neue Ausreisen in Richtung Syrien/Irak wurden nur noch sehr vereinzelt registriert. Etwa ein Viertel der ausgereisten Personen war weiblich. Dem Bundestrend entsprechend war der überwiegende Teil der insgesamt 150 ausgereisten Personen zum Zeitpunkt der Ausreise jünger als 30 Jahre. Nicht in allen Fällen lagen Erkenntnisse vor, dass sich diese Personen tatsächlich in Syrien bzw. im Irak aufhalten oder aufhielten. Etwa ein Viertel der Ausgereisten kehrte bis Ende 2020 nach Hessen zurück. Darüber hinaus lagen Erkenntnisse zu aus Hessen ausgereisten Personen im niedrigen zweistelligen Bereich vor, die sich in Syrien bzw. 184 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 ISLAMISMUS im Irak in Haft bzw. in Gewahrsam befanden. Mehrheitlich handelte es sich um weibliche Personen, der Großteil von ihnen war in Begleitung von Kindern. Zur Hälfte der Rückkehrer lagen den Behörden keine belastbaren Informationen vor, dass sich diese aktiv an Kampfhandlungen in der Region Syrien/Irak beteiligten. Als Ergebnis der kontinuierlichen Ausund Bewertung der Erkenntnislage zu den Rückkehrern lagen den Sicherheitsbehörden in Hessen zu etwa 20 Personen Informationen vor, wonach sie sich aktiv an Kämpfen in Syrien oder im Irak beteiligten oder hierfür eine Ausbildung absolvierten. Ferner lagen zu rund 50 Personen Hinweise vor, dass diese mit hoher Wahrscheinlichkeit in Syrien oder im Irak ums Leben kamen. Die hessischen Sicherheitsbehörden sind bestrebt, islamistisch motivierte Ausreiseplanungen frühzeitig wahrzunehmen, um deren Verwirklichung zu unterbinden. Rückkehrer-Problematik Frauen und Kinder | Zahlreiche Kinder und Jugendliche, die zum Teil in damaligen Herrschaftsgebieten des IS geboren wurden oder dorthin mit ihren Eltern ausgereist waren, gerieten im Zuge der Zerschlagung des IS-"Kalifats" in Gefangenschaft der Anti-IS-Allianz. Es ist davon auszugehen, dass zahlreiche dieser Personen mit hoher Wahrscheinlichkeit Traumatisierungen erlitten bzw. psychisch belastende Erfahrungen mit Krieg und Gewalt gemacht haben und unverändert durch die Ideologie des IS indoktriniert sind. Da diese Personengruppe bei einer Rückkehr nach Deutschland eine potenzielle Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellen kann, beschäftigt sich der Verfassungsschutzverbund intensiv mit der Rückkehrer-Problematik von jihadistischen Frauen und deren Kindern, die sich in Gefangenschaft befinden. Dass in hohem Maße radikalisierte Personen unter den Ausgereisten in Verbindung mit fortschreitenden Radikalisierungsprozessen innerhalb der salafistischen Szene in Hessen einen Nährboden für die Indoktrination weiterer stark ideologisierter Jihadisten bilden, ist bislang nicht erkennbar, aber nicht ausgeschlossen. Im Laufe des Berichtsjahrs kehrte eine 31-jährige Frau mit deutscher Staatsangehörigkeit unter Beteiligung deutscher Sicherheitsbehörden nach Hessen zurück. Die Frau war 2014 in das Krisengebiet Syrien/Irak ausgereist. Eine Analyse des LfV in Bezug auf ausgereiste und zurückgekehrte Frauen führte zu dem Ergebnis, dass diese nach ihrer Rückkehr nur zu einem geringfügigen Teil wieder in die salafistische Szene eingegliedert waren bzw. sich zurück in alte Strukturen begaben. Bei den aus Hessen ins IS-Gebiet ausgereisten Frauen lagen darüber hinaus keine Erkenntnisse zu etwaigen - nach der Rückkehr entstandenen - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 185 ISLAMISMUS Netzwerken vor, in denen gemeinsame Planungen stattfanden und Aktivitäten koordiniert wurden. Die Verbindungen der Frauen untereinander und die Kontaktverhältnisse aus der Zeit beim IS können als langlebig und robust beschrieben werden. Möglich ist, dass sie auch nach einer Rückkehr nach Deutschland eine wichtige Rolle spielen werden. Eine Basis dieser Verbindung und des Zusammenhalts stellen die geteilten Erfahrungen im ehemaligen Gebiet des IS dar. Ein beträchtlicher Teil der ausgereisten Frauen befand sich noch in den von den Syrian Democratic Forces (SDF) kontrollierten Camps. Welche Strukturen sich unter den ausgereisten Frauen gebildet haben könnten, ist unklar. Allerdings bestand die Gefahr, dass sich die Frauen in den Camps möglicherweise weiterhin radikalisieren, was auch für eine große Anzahl von Kindern gilt, die einer prekären Situation in den Camps ausgesetzt sind. Solidarisierung mit inhaftierten Frauen in Camps in Nordostsyrien | Wie im Berichtsjahr 2019 verfolgte die Szene in Hessen die Entwicklungen der global agierenden jihadistischen Gruppierungen und Organisationen insbesondere in Syrien und im Irak. Dabei befassten sich Szeneangehörige auch mit inhaftierten Frauen und deren Kindern in Camps in Nordostsyrien. Hierbei handelte es sich um IS-Angehörige aus Europa, die in das "Kalifat" ausgereist waren. Mit Aufrufen zur Unterstützung dieser "Glaubensschwestern" zeigten auch Personen der salafistischen Szene in Deutschland ihre Solidarität. Mittels einzelner Spendenprojekte wurden Frauen in den Camps finanziell unterstützt. Weiterhin bestehendes Anschlagspotenzial des IS | Trotz der militärischen Offensiven der Anti-IS-Allianz war es der Terrororganisation möglich, jihadistische Propaganda über die sozialen Medien zu verbreiten und entsprechend motivierte Anschläge anzuleiten. Im Rahmen der Gebietsverluste in Syrien und im Irak 2018 und 2019 war die Anzahl der IS-Anschläge in Syrien und im Irak zurückgegangen. Seit seiner Konsolidierung im Untergrund nahmen jedoch sowohl die Anschlagsquantität als auch die -qualität wieder zu. Dabei drang die Kernbotschaft des IS zu (potenziellen) Anhängern und Sympathisanten stets durch. Von nicht unerheblicher Bedeutung war die Vervielfältigung der Propaganda durch IS-Sympathisanten, die ohne Verbindung zu der Terrororganisation jihadistische Inhalte individuell verfassten und aus eigenem Antrieb über das Internet verbreiteten. Hierbei wurden Nachrichten über den IS sowie dessen Verlautbarungen emotional kommentiert. Verstärkt wurde der gewaltsame Jihad gegen diejenigen "Feinde" des "Kalifats" propagiert, die sich an Antiterror-Operationen gegen den IS beteiligten oder sich der Anti-ISAllianz anschlossen. 186 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 ISLAMISMUS Reaktionen auf die COVID-19-Pandemie | In der 226. Ausgabe seines al-Naba-Newsletters ließ der IS verlauten, dass die Viruskrankheit und der weltweite Ausbruch ein göttliches Werk seien. Mit den "Ungläubigen und Abtrünnigen" solle man kein Erbarmen haben, auch wenn sie sich in einer schwierigen Lage befänden. Der beste Gehorsam gegenüber Allah sei der Jihad. Diese Argumentation instrumentalisierte der IS dazu, die Pandemie zum Angriff auf "westliche" Staaten zu nutzen. Dass das Virus in China ausgebrochen war, wurde in den einschlägigen sozialen Netzwerken dabei auch als Strafe Allahs für die Verfolgung der muslimischen Minderheit der Uiguren in China gedeutet. Dass insbesondere der schiitische Iran von der COVID-19Pandemie betroffen war, interpretierten Islamisten ebenso als Strafe Allahs für die "Abweichler" vom "wahren" Glauben. Auch die Niederlage des IS in Baghuz (Syrien) im Jahr 2019, die das Ende der territorialen Ansprüche der Terrororganisation markierte, brachten jihadistische Propagandisten in Verbindung mit der Pandemie, indem sie ein Narrativ der Rache verbreiteten: Das Virus sei Allahs Strafe für diejenigen, die an der Entfernung des IS aus seinem letzten Territorium beteiligt gewesen seien. Al-Sahab-Media, zentrale Medienstelle Kern-al-Qaidas, veröffentlichte eine Erklärung auf Englisch und Arabisch mit dem Titel "Vorwärts - ein Wort des Rates zur Coronavirus-Pandemie". Demnach sei die Pandemie ein klares Zeichen des göttlichen Zorns auf die Menschheit aufgrund ihrer Sünden und ihrer Unfähigkeit, den Regeln Allahs zu folgen. Jihadistisch motivierte Anschläge in Europa | Weiterhin verübten radikalisierte allein handelnde Täter jihadistisch motivierte Anschläge, wobei sie - wenn auch nicht immer eindeutig verifizierbar - entweder im Auftrag des IS oder eigeninitiativ handelten. Die hohe Anschlagsgefahr blieb auch im Berichtsjahr bestehen. Den Hintergrund bildete der seit September in Frankreich stattfindende Prozess gegen die mutmaßlichen Helfer und Komplizen des Attentats auf das Satiremagazin Charlie Hebdo, bei dem 2015 elf Menschen ums Leben gekommen waren. Die Satirezeitschrift veröffentlichte aus diesem Anlass erneut die Muhammad-Karikaturen, woraufhin der IS mit Vergeltung drohte. Der große Teil der Anschlagsvorhaben im Berichtsjahr stand im Zusammenhang mit der Diskussion um jene Karikaturen. Auch in Deutschland diskutierte die Szene sehr intensiv über diese Ereignisse und zeigte Solidarität mit ihrem Pendant in Frankreich. Die anhaltend hohe Gefährdungslage dokumentieren unter anderem folgende Anschläge in Deutschland, Frankreich, Österreich und in der Schweiz: Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 187 ISLAMISMUS * Paris (Frankreich), 25. September: In unmittelbarer Nähe der ehemaligen Redaktionsräume des Satiremagazins Charlie Hebdo attackierte ein Täter pakistanischer Herkunft zwei Menschen mit einem Messer und verletzte sie schwer. * Dresden (Sachsen), 4. Oktober: Ein Islamist tötete einen 55-jährigen Touristen aus Krefeld (Nordrhein-Westfalen) und verletzte dessen 53-jährigen Lebensgefährten schwer. * Paris (Frankreich), 16. Oktober: In einem Vorort köpfte ein Islamist einen Lehrer, der im Schulunterricht Muhammad-Karikaturen gezeigt hatte, um mit seinen Schülern über Meinungsund Glaubensfreiheit zu diskutieren. Anlass war die abermalige Veröffentlichung von Muhammad-Karikaturen in Charlie Hebdo. * Nizza (Frankreich), 29. Oktober: Im Stadtzentrum drang ein Islamist in die Basilika Notre-Dame ein und griff drei Menschen an, wobei er ein 30 Zentimeter langes Messer mit einer 17 Zentimeter langen Klinge benutzt haben soll. Er tötete einen Mann und enthauptete in der Kirche eine Frau. Eine weitere verletzte Frau konnte fliehen. * Wien (Österreich), 2. November: Bei der islamistischen Terrorattacke in einem Ausgehviertel wurden vier Passanten getötet und mehr als 20 Menschen teils schwer verletzt. Der IS reklamierte den Anschlag für sich, und auch der Attentäter bekannte sich zu der Terrororganisation. Daraufhin kam es zu Exekutivmaßnahmen und Festnahmen in Österreich, der Schweiz und Deutschland, darunter auch in Kassel. Im überwiegenden Teil der Online-Reaktionen der islamistischen Szene in Deutschland wurde der Anschlag verurteilt oder nicht thematisiert. Vereinzelt kritisierten Anhänger jihadistischer Gruppierungen wie al-Qaida die Tat, da sie in keinem Zusammenhang mit den Muhammad-Karikaturen gestanden und der Attentäter wehrlose Zivilisten getötet habe. ISAnhänger dagegen glorifizierten den Täter als Märtyrer. * Lugano (Schweiz), 24. November: Eine 28-jährige Frau mit möglichen Sympathien für den IS griff zwei Frauen in einem Warenhaus mit einem Messer an und verletzte eine von ihnen schwer. Die Angreiferin wurde festgenommen. Allein handelnde Täter stellen Sicherheitsbehörden weiterhin vor eine große Herausforderung, da sie unvermittelt, spontan und ohne vorhergehende Kommunikation mit jihadistischen Netzwerken Anschlagsvorhaben umsetzen können. ENTSTEHUNG/ENTWICKLUNG Salafisten glorifizieren die islamische Ära zur Zeit des Propheten Muhammad und dessen Gefährten als Zeitalter des unverfälschten Islams ("goldene Epoche", etwa 610 bis 850). In rigider Form stellen 188 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 ISLAMISMUS Salafisten Allah als Ursprung und Zentrum aller rechtlichen wie moralischen Fragen in den Mittelpunkt ihres Glaubens. Aktuell fasst das Phänomen Salafismus das Personenpotenzial einer im Islamismus aktiven Strömung zusammen, die sich durch zum Teil erhebliche Differenzen im Auslegen und Ausleben ihres Islamverständnisses kennzeichnet. Salafismus in Deutschland | In Deutschland wurden salafistische Prediger etwa seit 2002 aktiv und begannen, überregionale Missionierungsnetzwerke aufzubauen. Einige Prediger dieser ersten Generation erhielten ihre religiöse Ausbildung an Universitäten in Saudi-Arabien, was sich in ihrer Interpretation der islamischen Glaubenslehre nach wahhabitischer Lesart widerspiegelt. Dies bedeutet allerdings nicht, dass sie gegenüber dem saudischen Königshaus loyal sind. Salafistische Akteure in Deutschland berufen sich vielmehr auf verschiedene Gelehrte und vertreten daher unterschiedliche Positionen, etwa in Bezug auf die Frage, ob und unter welchen Bedingungen die Anwendung von Gewalt erlaubt ist. Anders als die Prediger der ersten Generation hat die wachsende Anzahl der gegenwärtigen Unterstützer und Sympathisanten des Salafismus oftmals keine religiöse Ausbildung an Universitäten erhalten, sondern schöpft ihr "Wissen" aus Islamseminaren in Deutschland, Internetpredigten und privaten Lerngruppen. IDEOLOGIE/ZIELE Der Salafismus stellt innerhalb des Islamismus eine Strömung dar, die sich insbesondere durch ihre doktrinäre Auffassung des Islams hervorhebt. Die regional verhaftete, streng konservative sunnitische Islamauslegung des Wahhabismus beeinflusste die zeitgenössische salafistische Doktrin nachhaltig. Die salafistische Glaubenslehre (arab. 'aqida) absorbierte einzelne wahhabitische Glaubensgrundsätze und ergänzte diese um eigene theologische Elemente. AUF EINEN BLICK * Selbsternannte Bewahrer eines reinen Islams * Strikter Monotheismus im Zentrum der salafistischen Doktrin * Verfassungsfeindliche Prinzipien der salafistischen Glaubenslehre Selbsternannte Bewahrer eines reinen Islams | Kulturelle Einflüsse, die den Islam seit seiner Verbreitung im 8. Jahrhundert fortwährend geprägt haben, werden in der salafistischen Islamauslegung als schädigende und gleichermaßen als unerlaubte Neuerung (arab. bid'a) stigmatisiert, da sie nicht der normativen bzw. islamrechtlich verbindlichen Vorbildfunktion der Prophetentradition entsprächen. Im SalaHessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 189 ISLAMISMUS fismus orientiert sich der Handlungsspielraum menschlicher Entfaltungsmöglichkeiten an der "goldenen Epoche", das heißt an den ersten drei Generationen der Muslime (etwa 610 bis 850). Der Salafismus begreift sich gleichzeitig als ewige Bastion gegen verschiedene theologische und kulturelle Entwicklungen im Islam. Das Zeitalter der Prophetentradition bildet für Salafisten somit den theologisch verbindlichen Bezugspunkt zum uneingeschränkten Monotheismus (arab. tauhid), den es unter allen Umständen vor Unglauben (arab. kufr) und Polytheismus (arab. shirk) zu schützen gelte. Dieses Zeitalter ist gleichzeitig auch der moralische und rechtliche Maßstab für das menschliche Dasein und Handeln in der Gegenwart zur Erfüllung des göttlichen Willens. Auch weltliche Institutionen wie Gerichtsbarkeiten, die nicht vollständig der salafistischen Auslegung der islamischen Rechtsund Verhaltensnormen (arab. shari'a) unterworfen sind, werden als Götzendienst (arab. taghut) abgelehnt. Strikter Monotheismus im Zentrum der salafistischen Doktrin | Im Mittelpunkt der salafistischen Glaubenslehre steht das unerschütterliche Bekenntnis zu einem einzigen Gott. Nahezu identisch mit wahhabitischen Auslegungen fassen Salafisten die in den islamischen Glaubensquellen benannten Attribute Allahs wortwörtlich und nicht metaphorisch auf. Im Islam bezeichnet der Begriff tauhid die Lehre von der absoluten "Einheit und Einzigartigkeit Gottes" (Monotheismus). Salafisten leiten aus dem tauhid-Prinzip jedoch ab, dass Allah der alleinige Herrscher und die Scharia das einzig erlaubte Gesetz sei. Folglich lehnen Salafisten das Volk als Träger der Staatsgewalt und von Menschen gemachte Gesetze als "unislamisch" ab. Dieses tauhid-Verständnis, der Wesenskern der salafistischen Doktrin, gilt es nach Auffassung ihrer Anhänger unter allen Umständen vor inneren wie äußeren Verzerrungen der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft zu schützen. Verfassungsfeindliche Prinzipien der salafistischen Glaubenslehre | Salafisten verstehen sich als Bestandteil der sogenannten erretteten bzw. auserwählten Gruppe (arab. at-ta'ifa-al-mansura und al-firqa-annajiya). Aus der Überzeugung, einer elitären Gruppe "wahrer Muslime" anzugehören, resultiert das moralische Überlegenheitsgefühl der Salafisten gegenüber Andersdenkenden. Aus diesem Grund fühlen sich Salafisten dazu berufen, ihr soziales Umfeld gemäß ihrer Überzeugung zu missionieren und nachhaltig zu verändern. Besonders deutlich wird der soziale Verhaltenskodex im Salafismus anhand der Forderung der Einhaltung islamischer Prinzipien, die gemäß der salafistischen Doktrin einen Leitmotivcharakter aufweisen. Salafisten streben danach, den Islam von angeblich schädigendem Einfluss zu bereinigen. Dementsprechend versuchen sie, sowohl die 190 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 ISLAMISMUS theologische Lehre im Islam als auch die Gesellschaft als Ganzes gemäß ihrer Doktrin zu gestalten. Salafisten folgen dem Prinzip der Loyalität und Lossagung (arab. al-wala'-wa-l-bara'), um sich durch das klare Bekenntnis zu ihrer Glaubensauslegung demonstrativ von allen anderen Glaubensformen oder angeblich "Ungläubigen" zu distanzieren. In der Nähe zu anderen Glaubensgemeinschaften sehen Salafisten die Gefahr, den eigenen Glauben im engeren Sinne zu verzerren und den Islam im weiteren Sinne zu verderben. Das Abgrenzungsprinzip al-wala'-wa-l-bara' bietet somit den Platzhalter für viele Formen der Fremdenfeindlichkeit und mündet oftmals in der islamtheologisch umstrittenen Praxis, einen Muslim für ungläubig zu erklären (arab. takfir), wenn Salafisten andere Muslime aufgrund angeblich frevelhafter Religionsausübung oder anderer Verfehlungen als Nichtmuslime brandmarken. Darüber hinaus vertieft dies auch den Konflikt zwischen Sunniten und Schiiten. Aus dem bedingungslosen Befolgen der salafistischen Doktrin können somit verfassungsfeindliche Bestrebungen gegen die Werte der freiheitlichen demokratischen Grundordnung resultieren. Der Bestrebungscharakter im Salafismus ist prinzipiell totalitär, da das Diesseits nach seinen normativen Maßstäben zur Wahrung des Islams zu formen ist. Diese salafistische Doktrin enthält die idealisierte Vorstellung einer Welt, die den Anforderungen des "wahren Islams" vollumfänglich gerecht werden will: gesamtgesellschaftlich, global und konsequent gelebt bis zum Tag des Jüngsten Gerichts. Jedoch lässt sich innerhalb des Salafismus keine synchronisierte, homogene Bestrebung zu diesem Ziel hin feststellen. BEWERTUNG/AUSBLICK Politischer Salafismus | Generell ist eine Fragmentierung der salafistischen Szene festzustellen, die unter anderem aus erfolgreichen Maßnahmen der Sicherheitsbehörden in den letzten Jahren resultiert. Durch verschiedene Verbotsverfahren auf Bundesund Länderebene wurden Ressourcen und Strukturen eingeschränkt, auf welche die Szeneangehörigen für ihre Aktivitäten angewiesen sind. Hierauf ist auch der seit 2015 zu beobachtende Rückgang öffentlichkeitswirksamer Aktivitäten im Bereich des politischen Salafismus zurückzuführen. So kam im Berichtsjahr das Projekt "We Love Muhammad" vollends zum Erliegen. Über "Street-Da'wa" versuchten einzelne Akteure von "Was ist Islam?", Aufmerksamkeit für ihr Vorhaben zu erreichen und islamistische Literatur an Passanten zu verteilen. Eine ähnliche Entwicklung ließ sich in Bezug auf öffentliche salafistische Predigten und damit verbundene hoch frequentierte Zusammenkünfte Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 191 ISLAMISMUS der entsprechenden Sympathisanten und Anhänger feststellen. Weiterhin wichen salafistische Prediger auf private Bereiche und die Nutzung sozialer Medien für ihre Aktivitäten aus. Insgesamt waren islamistische Aktivitäten, die dem Bereich des politischen Salafismus zuzurechnen sind, im öffentlichen Raum in Hessen kaum erkennbar. Die stark rückläufige Anzahl öffentlicher Auftritte von Salafisten ist jedoch nicht mit einem Rückgang der Anhängerzahl gleichzusetzen. Unverändert hält die politisch-salafistische Szene die Anhänger in ihren Reihen. Es ist davon auszugehen, dass in der salafistischen Szene weiterhin ein Rückzug ins Private zu beobachten sein wird, solange identitätsstiftende und damit gemeinschaftsfördernde ideologische Führungsfiguren fehlen. Jihadistischer Salafismus | Die Gefahr eines jihadistischen Terroranschlags war in Deutschland unvermindert hoch. Solange es dem IS und anderen jihadistischen Gruppierungen gelingt, ihre Botschaften und Ideologien insbesondere über die sozialen Medien weltweit zu verbreiten, ist auch in Zukunft nicht mit einer abnehmenden Anschlagsgefahr zu rechnen. Der IS versuchte, sich neu zu organisieren, wobei noch kein koordiniertes Vorgehen in Westeuropa mit konkreten Planungen und Strukturen festzustellen war. Allerdings können jihadistische Propaganda sowie bereits verübte Anschläge radikalisierte, allein handelnde Täter zu weiteren Taten und zu Bekenntnissen zum IS motivieren. Der IS verfügt über ein weltweites Netzwerk von verbündeten Gruppen, die ihren Kampf vermutlich fortsetzen werden. Eine nicht zu unterschätzende terroristische Gefahr geht dabei von den durch den IS inspirierten allein handelnden Tätern und Kleinstgruppen sowohl in islamischen Ländern als auch im "Westen" aus. Ebenso richtet sich die islamistische Propaganda inzwischen gezielt an solche Personen und Gruppen. Vor diesem Hintergrund verlagerte sich der Trend hin zu allein handelnden Akteuren, die Terroraufrufe aufgriffen und versuchten, Anschläge vorzubereiten. Damit bemüht sich der IS, weiterhin Präsenz und Stärke zu zeigen. Dabei sucht er zielgerichtet neue Motive der Mobilisierung, beispielsweise die Diskussion um Muhammad-Karikaturen in Frankreich. Wie in den Berichtsjahren zuvor streben jihadistische Gruppierungen danach, eine islamische Gesellschaft ("Emirat"/"Kalifat") zu etablieren. Daher haben Syrien und weite Teile der Levante (Länder am östlichen Mittelmeer) nach wie vor eine unvermindert große ideologische Bedeutung für sie. Nach jihadistischer Lesart erfüllen sich hier die apokalyptischen Verheißungen und Voraussagen islamischer Überlieferungen, das heißt die Voraussagen in Bezug auf den Tag des 192 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 ISLAMISMUS Jüngsten Gerichts. Bedingt durch den territorialen Niedergang des IS in Syrien und im Irak ist es möglich, dass andere Länder und Regionen für die jihadistische Szene an Bedeutung gewinnen werden. Um rechtzeitig Gegenmaßnahmen ergreifen zu können, müssen entsprechende Entwicklungen des weltweiten Jihadismus weiterhin beobachtet und analysiert werden. Von Bedeutung sind hierbei Anpassungsfähigkeit, Widerstandsfähigkeit, Wirkungsund Schlagkraft der Akteure. Die Re-Strukturierung des IS im Untergrund und die Aktivitäten der Ableger in Nordund Westafrika sowie in Asien zeigen diese Notwendigkeit auf. Es ist davon auszugehen, dass sich wie bisher die Entwicklungen des weltweiten Jihadismus auch auf Deutschland und somit auf Hessen auswirken und die Szene vor Ort beeinflussen werden. Dies zeigt sich beispielhaft an der Festnahme mutmaßlicher Mitglieder einer IS-Zelle in Nordrhein-Westfalen und der damit zusammenhängenden Durchsuchung eines Objekts in Hessen. Der weltweite Jihadismus überzeugt seine Anhänger in erster Linie durch seine klare Ideologie, die sowohl moralische als auch politische Feinde zum Schutz des "wahren" Islams und der gesamten islamischen Gemeinschaft (arab. umma) gnadenlos bekämpft. Zwar stellen ideologisierte Anhänger die überwiegende Mehrheit der Gefolgschaft dar, jedoch spricht die Idee einer gemäß salafistischen Prinzipien konzipierten Gesellschaft auch Menschen an, die glauben, in diesen Strukturen besser zurechtkommen zu können als andernorts, wo sie sich unterdrückt fühlen. Aufgrund seiner propagandistisch-ideologischen Überzeugungskraft wird der Jihadismus auch in Zukunft fortbestehen; er wird eine breite Anhängerschaft anziehen und sowohl Organisationen und Gruppen formieren als auch Einzelpersonen mobilisieren. Wie der Ausbau der Untergrundstrukturen und das Agieren des IS in ehemaligen Einflussgebieten sowie seine Neuorganisation im Nahen Osten und Asien zeigen, hemmt das Zerschlagen von jihadistischen Terrorzellen und -netzwerken nur kurzbis mittelfristig den Aufbau jihadistischer Strukturen und kann nicht die dahinterstehende Ideologie zerstören. Es ist daher eine maßgebliche Aufgabe des LfV, Radikalisierungsund daraus entstehende Gefahrenpotenziale sowie die entsprechenden Akteure rechtzeitig zu erkennen und entsprechende Maßnahmen zu ergreifen. Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 193 ISLAMISMUS HIZB UT-TAHRIR (HUT, PARTEI DER BEFREIUNG) DEFINITION/KERNDATEN Weltweit ist die HuT in über 40 Staaten mit etwa einer Million Führung : Mitgliedern präsent. Ziel der panislamischen Organisation ist Ata Abu al-Rashta die "Befreiung" aller Muslime von "Unterdrückung" und deren Ver(alias Abu Yasin) einigung in einem weltweiten "Kalifat" mit islamischer RechtsordAnhänger: nung. Aus Sicht der HuT haben "unterdrückte Muslime" das Recht In Hessen etwa 100, auf "Selbstverteidigung" mit allen Mitteln. Als Konsequenz billigt bundesweit etwa 600 die HuT oftmals Gewalttaten anderer islamistischer Gruppierungen. 2003 sprach der Bundesminister des Innern ein Betätigungsverbot Medien : gegen die HuT aus, das der Europäische Gerichtshof für MenschenMehrsprachige Internetpräsenzen rechte 2012 bestätigte. Dennoch setzen Anhänger der Organisation \ ihre Rekrutierungsbemühungen im Untergrund fort. Insbesondere in sozialen Medien gibt es zahlreiche Gruppierungen mit Bezügen nach Hessen, die eine ideologische Nähe zur HuT aufweisen. Hierzu gehört die in Mörfelden-Walldorf (Kreis Groß-Gerau) ansässige Gruppierung Realität Islam (RI). EREIGNISSE/ENTWICKLUNGEN Die Gruppierung RI war unter dem Leitspruch "Für die Bewahrung der islamischen Identität" schwerpunktmäßig in den sozialen Medien aktiv. Bis zum Ende des Berichtszeitraums abonnierten etwa 39.000 Personen die RI-Facebook-Seite, der YouTube-Kanal mit etwa 500 Videos hatte rund 13.500 Abonnenten und wurde seit November 2015 etwa 1,1 Millionen Mal aufgerufen. Der InstagramAccount hatte etwa 9.000, der Twitter-Account bis zur Sperrung im Oktober 2020 rund 3.000 Follower. AUF EINEN BLICK * Auftritte in den sozialen Medien * Stellungnahme "Hanau 2020" * Stellungnahme "Legalistischer Islamismus" * "Twitterstorm #StopMacron" Auftritte in den sozialen Medien | Im Kontext der staatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie fokussierte sich RI auf Auftritte in den sozialen Medien. Entsprechende Beiträge der Verantwortlichen von RI konzentrierten sich auf Handyvideos mit persönlichen Stellungnahmen, die in der Öffentlichkeit oder in Fahrzeugen aufgenommen worden waren und kurz darauf veröffentlicht wurden. 194 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 ISLAMISMUS Stellungnahme "Hanau 2020" | Auf den rassistisch motivierten Anschlag in Hanau (Main-Kinzig-Kreis) am 19. Februar reagierten RI-Anhänger und -Sympathisanten mit zahlreichen Beiträgen in deutscher und arabischer Sprache in den sozialen Medien, vor allem auf Facebook, Instagram und YouTube. Die Beiträge reichten von wenige Worte umfassenden Kommentierungen bis hin zur Änderung des Hintergrundoder Profilbilds mit einer von RI erstellten Bildcollage als Zeichen der Solidarität. Darauf stand in Großbuchstaben: "Hanau 2020 - es hätte auch mich treffen können". Der Text war mit roten Farbkleksen übersät, womit offensichtlich Blutspritzer assoziiert werden sollten. Einige Nutzer behielten diese Abbildung mehrere Monate lang als Hintergrundoder Profilbild auf Facebook. Den Anschlag in Hanau bewertete RI als "logische Konsequenz der politischen Richtung, die seit 2001 in der westlichen Welt verfolgt wird. Diese politische Richtung zielt darauf ab, andere Kulturen, allen voran die islamische Kultur, zu assimilieren und der Mehrheitsgesellschaft vollständig anzupassen. Darunter fallen jedoch nicht nur die Rechte, sondern auch die Werte und Überzeugungen des Einzelnen. Das Ziel dessen ist praktisch eine regelrechte #Wertediktatur". Die "Assimilationspolitik", ein Begriff, den RI im Berichtsjahr wiederholt verwendete, dauere nun fast zwei Jahrzehnte an und radikalisiere sich immer schneller. In einem Facebook-Post von RI hieß es am 20. Februar: "Viele Bürger ließen und lassen sich von dieser islamfeindlichen Politik stark beeinflussen, sodass beim ein oder anderen ein regelrechter Hass entstanden ist. Die Auswüchse der Assimilationspolitik haben ein neues Level erreicht. Der Staat hat offensichtlich die Kontrolle über das Geschehen in seinem eigenen Land verloren!" Die Tat in Hanau ließe sich, so RI, in eine Reihe anderer antimuslimischer Terrorakte einordnen, so etwa in Norwegen (2011) und Neuseeland (2019). In vielen Videobeiträgen bezogen sich die Funktionäre von RI auf den Anschlag in Hanau und die angeblich islamfeindliche Haltung, die gesamtgesellschaftlich in Deutschland herrsche. Kurz nach dem Attentat ließ RI Flyer und Plakate drucken, um diese in einigen Innenstädten zu verteilen oder aufzukleben. Als Zeichen der Solidarität luden viele Nutzer Fotos von bereits verteilten Flyern oder noch zu verbreitenden Flugblättern auf ihre Profilseiten in den sozialen Medien hoch. Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 195 ISLAMISMUS Stellungnahme "Legalistischer Islamismus" | Nachdem in einem Rundfunkbeitrag ("Politischer Islam in Deutschland") im Juli auch RI mit Bezug auf Aussagen des Verfassungsschutzes thematisiert worden war, veröffentlichte die Gruppierung auf YouTube ein Video, in dem es hieß: "Die Mehrheitsgesellschaft bestätigt, dass unser gesamtes (muslimisches) Verhalten völlig legitim ist. Wir erachten unsere islamischen Werte als korrekt und selbstverständlich. Diese Werte sind die Werte, [...] von denen wir uns wünschen würden, dass die gesamte Menschheit danach lebt. Das steht außer Frage!" In den darauffolgenden Monaten nahm die Gruppierung Abstand vom Begriff "legalistischer Islamismus" und verwendete stattdessen den (neuen) Kampfbegriff "politischer Islamismus" viel häufiger und regelmäßiger. RI griff in den sozialen Medien vermehrt Themen aus Frankreich und Österreich auf, die dem politischen Islam zuzuordnen waren (Razzien in Moscheen und bei Privatpersonen, Verwendung von Muhammad-Karikaturen). Im Fokus standen der französische Präsident Emmanuel Macron und der österreichische Bundeskanzler Sebastian Kurz. Beide wurden mehrfach als Verantwortliche für antimuslimische/antiislamische Kampagnen genannt. Mit Bildcollagen versuchte RI, bei Muslimen den Eindruck zu erwecken, dass die Mehrheitsgesellschaft eine antimuslimische "politische Agenda" verfolge. "Twitterstorm" | Die Gruppierung RI beteiligte sich am "Twitterstorm #StopMacron" und rief ihre Anhänger und Sympathisanten dazu auf, sich unter diesem "Hashtag" am 30. Oktober digital zu versammeln und gegen den "5-Punkte-Plan zur Bekämpfung der islamischen Identität [durch] den französischen Präsidenten Emmanuel Macron anlässlich des Charlie-Hebdo-Prozesses" in Form von Kommentaren unter Einbeziehung des Hashtags zu protestieren. In Anlehnung an das Manifest der HuT (siehe unten das Kapitel "Ideologie/Ziele") bezeichnete RI den französischen Präsidenten als "aktiv handelnde[n] Kolonialisten". Im Voraus hießen viele Anhänger und Sympathisanten die Kampagne gut, einige beteiligten sich an dem Twitterstorm. ENTSTEHUNG/GESCHICHTE Die HuT wurde 1953 im damals von Jordanien besetzten Ostteil Jerusalems von dem palästinensischen Politiker und der Muslimbruderschaft (MB) nahestehenden Aktivisten Taqi ad-Din an-Nabhani gegründet. AUF EINEN BLICK * Gründung in Ost-Jerusalem * Betätigungsverbot in Deutschland 196 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 ISLAMISMUS Gründung in Ost-Jerusalem | Der Entschluss zur Gründung der HuT erwuchs aus der Unzufriedenheit an-Nabhanis und seiner Anhänger über die fehlende Unterstützung der MB für das palästinensische Volk im Kampf gegen Israel. Nach dem Tod an-Nabhanis trat in der HuT der Palästina-Bezug zugunsten der Forderung nach einem alle Muslime umfassenden "Kalifat" in den Hintergrund. In Deutschland verbreiteten HuT-Anhänger vor allem in Universitätsstädten Flugblätter und Zeitschriften mit antiisraelischen und "antiwestlichen" Inhalten. Betätigungsverbot in Deutschland | Am 25. Januar 2006 bestätigte das Bundesverwaltungsgericht das am 10. Januar 2003 vom Bundesminister des Innern erlassene Betätigungsverbot gegen die HuT. In dem Urteil hieß es unter anderem, dass die HuT zur gewaltsamen Beseitigung des Staates Israel und zur Tötung von Menschen aufgerufen und dadurch der friedlichen Lösung der israelisch-palästinensischen Interessensgegensätze entgegengewirkt hat. In seiner Begründung verwies das Bundesverwaltungsgericht auch auf Art. 9 Abs. 2 GG, wonach Organisationen verboten werden, die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten. IDEOLOGIE/ZIELE Ziel der HuT ist die Vereinigung der weltweiten Gemeinschaft der Muslime (arab. umma) in einem Gottesstaat ohne nationale Grenzen unter der Führung eines Kalifen. Er soll die göttliche Rechtsordnung, das heißt die Scharia als Grundlage und Maßstab staatlichen Handelns, im Kalifat verbindlich durchsetzen. Islam und Demokratie sind für die HuT nicht miteinander vereinbar. AUF EINEN BLICK * Verschweigen extremistischer Ziele * Die Verwirklichung eines HuT-Manifests Verschweigen extremistischer Ziele | Die Gruppierung RI weist eine ideologische Nähe zur HuT auf. Die islamistischen Ziele von RI und ihr ideologischer Hintergrund werden jedoch bei öffentlichen Aktivitäten verschwiegen. Erst die Lektüre der Publikation "Realität Islam[.] Eine Einführung[.] Gemeinsam für eine starke und bewusst agierende Gemeinschaft" offenbart das von RI propagierte Weltbild und die Widersprüche zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 197 ISLAMISMUS Die Verwirklichung eines HuT-Manifests | Die HuT gab in den vergangenen Jahren zahlreiche Manifeste auf ihrer Webseite für den deutschsprachigen Raum bekannt, die mit ihrer islamistischen Programmatik eindeutig gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung stehen und diese angreifen. Verlautbarungen von RI belegen, dass zwischen RI und HuT nicht nur eine ideologische Nähe besteht, sondern RI aktiv die tatsächliche Umsetzung einiger HuTLeitlinien betreibt. Die HuT-Programmatik sieht eine klare Abgrenzung der muslimischen Gemeinschaft gegenüber den angeblich frevelund moralisch verkommenen Regierungssystemen vor. Der aktiven Arbeit gegen diese Systeme - gemeint sind hier in erster Linie säkular geprägte Demokratien - müsse Überzeugungsarbeit vorausgehen, die den Muslimen die vermeintlichen Schwächen und Fehler der Regierungen aufzeigt, in denen sie lebten: "Die intellektuelle Auseinandersetzung bzw. das Ringen mit den Überzeugungsfundamenten des Kufr, seinen Systemen und Ideen sowie mit den verdorbenen Glaubensgrundlagen, den falschen Ideen und fehlerhaften Konzeptionen der Menschen. Ihre Fehlerhaftigkeit, ihre Falschheit und ihr Widerspruch zum Islam werden dargelegt, um die Umma von ihnen und ihrem Einfluss zu befreien". (Schreibweise wie im Original.) Auch RI-Verantwortliche kritisierten regelmäßig "Regierungssysteme", die "Medienschaffenden" und das demokratisch verfasste Wertesystem. Die RI-Protagonisten prangern in ihren Videobotschaften die deutsche Politik und Gesellschaft an und kritisieren, dass "Muslime systematisch kriminalisiert und marginalisiert" würden. "Wertediktatur" und "Assimilierungspolitik" seien Falschheiten und stünden im Widerspruch zu ihren islamischen Vorstellungen, wie es das HuT-Manifest diktiert. So proklamiert RI: "Die Regierungs-, die Wirtschaftsund Bildungssysteme, die Außenpolitik und die zivilen Gesetze, [...] sind Systeme und Gesetze des Unglaubens". Darüber hinaus übertragen die Verantwortlichen von RI die aus dem HuT-Manifest vorgesehene Funktion eines Multiplikators und Propagandisten auf sich, um die entsprechende Ideologie an die muslimische Zielgruppe zu verbreiten. Im Manifest heißt es dazu: "Ziel ist es, islamische Persönlichkeiten [auszubilden], welche in der Lage sind, die islamische Botschaft zu tragen und die intellektuelle Auseinandersetzung sowie den politischen Kampf zu führen". In einer Art Stufenplan legt die HuT "Befreiungsstrategien" fest, die sich an eine erfolgreiche Indoktrinierung der Muslime anschließen sollen und klar aktivistisch ausgerichtet sind: 198 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 ISLAMISMUS "Der politische Kampf, der sich wie folgt darstellt: Die Bekämpfung der ungläubigen Kolonialmächte, die Macht und Einfluss in der islamischen Welt besitzen. Die Bekämpfung des Kolonialismus in all seinen gedanklichen, politischen, wirtschaftlichen und militärischen Erscheinungsformen sowie die Aufdeckung seiner Strategien und Machenschaften, um die Umma von seiner Hegemonie und jeder Form seiner Einflussnahme zu befreien". RI greift diese Strategie auf und legt die in ihren Augen von Herrschern in der arabischen bzw. islamischen Welt verübten (Misse-)Taten offen. In sprachstilistischer Anlehnung an das HuT-Manifest benennt RI den französischen Präsident Emmanuel Macron als "aktiv handelnde[n] Kolonialisten". Die Bekämpfung "westlicher", vermeintlicher Erbkolonien konzentriert sich bei RI hingegen auf einen rein intellektuell ausgerichteten Angriff, anstelle einer Bekämpfung im gewalttätigen Sinne. Dem Stufenplan der HuT folgend sind anschließend Ausbildungsund Lehrmethoden notwendig: "Die gemeinschaftliche Ausbildung der Massen der Umma mit den Ideen und Rechtssprüchen des Islam, die sich die Partei angeeignet hat. Dies erfolgt im Moschee-Unterricht, in Podiumsveranstaltungen, in Vorträgen, an öffentlichen Versammlungsplätzen, in Zeitungen und Zeitschriften sowie in Büchern und Flugblättern, um ein allgemeines Bewusstsein bei der Umma zu erzeugen, um mit ihr zu interagieren und sie mit dem Islam zu verschmelzen. Dadurch soll eine breite Volksbasis entstehen, die die Partei in die Lage versetzt, die Umma zur Gründung des Kalifats zu führen und die Regentschaft nach dem, was Allah herabgesandt hat, wiederherzustellen". RI wendet verschiedene (Lehrund) Lernmethoden an: Sie betreibt Da'wa und Ausbildung in Lehrkreisen, bietet Unterricht und Podiumsveranstaltungen an, verbreitet Flugblätter und zielt auf die Vergrößerung des Parteikörpers ab, um dem Stufenplan der HuT gerecht zu werden. RI vertritt in der andauernden Diskussion um die "Wertediktatur" die Meinung, "westliche" und nichtislamische Werte in Deutschland nicht anerkennen zu müssen. Eine "breite Volksbasis" soll durch die Plattformen in den sozialen Medien Facebook, YouTube oder Instagram erreicht werden. STRUKTUREN HuT-Angehörige treten in Deutschland wegen des Betätigungsverbots nicht offen in Erscheinung. Die Ideologie der HuT wird indes durch Gruppierungen in die Gesellschaft lanciert, die nicht mit der HuT gleichzusetzen sind, dieser jedoch zumindest nahestehen. Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 199 ISLAMISMUS AUF EINEN BLICK * "Virtuelle Welt" - "Realwelt" * Kontakte außerhalb Hessens "Virtuelle Welt" - "Realwelt" | RI war zunächst eine auf Facebook aktive Gruppierung, die eine ideologische Nähe zur HuT aufweist. Im Gegensatz zu anderen HuT-nahen Facebook-Gruppierungen erweiterte RI ihr digitales Medienangebot auf Plattformen wie Instagram, YouTube und Twitter. Dagegen fanden Auftritte in der "Realwelt" im Berichtsjahr nicht statt, was offenbar mit den staatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie zusammenhing. Kontakte außerhalb Hessens | Dass RI-Aktivisten - neben dem RheinMain-Gebiet - auch Flugblattverteilaktionen in anderen Ländern (Nordrhein-Westfalen, Hamburg, Berlin, Niedersachsen, Baden-Württemberg und Schleswig-Holstein) durchführten, deutet darauf hin, dass es Kontakte zu Angehörigen der HuT-Szene außerhalb Hessens gab. So traf sich Raimund Hoffmann Anfang März mit Marcel Krass, einem politischen Salafisten aus Niedersachsen. Das Treffen wurde auf Facebook dokumentiert. BEWERTUNG/AUSBLICK Vergleicht man die Leitlinien der HuT mit den Aussagen und Aktivitäten der RI, so sind inhaltliche Übereinstimmungen und somit die Verfassungsfeindlichkeit der RI erkennbar. Indem RI behauptet, dass die Bundesregierung nicht islamisch geprägt sei, bezweifelt sie deren verfassungsgemäßes Fundament und damit das Bestehen freiheitlicher demokratischer Werte. Dabei vermeidet RI es weitgehend, Vokabular der HuT zu benutzen und verwendet teilweise eigene Begriffe. Die Aktivitäten von RI können zu einer weiteren islamistischen Radikalisierung ihrer Sympathisanten führen und bestehende Radikalisierungen im Islamismus voranschreiten lassen. RI inszeniert sich als warnende Instanz in Bezug auf eine angeblich ausufernde Islamfeindlichkeit, die bewusst von einer politischen Elite und gesellschaftlich relevanten Akteuren unterstützt werde. Mit dieser Strategie schürt RI eine verfassungsfeindliche Haltung bei den Empfängern der Botschaften und setzt gleichzeitig die Ideologie der HuT um. RI nutzte überwiegend die sozialen Medien, um eine möglichst hohe Streuwirkung ihrer Ideologie in der muslimischen - insbesondere der sunnitischen - Religionsgemeinschaft zu erzielen. Dabei beanspruchte die Gruppierung, alleinige Vertreterin "der Muslime" zu sein. Dies manifestierte sich insbesondere in dem Flyer, den RI nach dem Anschlag in Hanau (Main-Kinzig-Kreis) herausgab. Darin be200 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 ISLAMISMUS hauptete sie, dass die politische Agenda der "Assimilation" die Muslime zwinge, ihre Identität und Lebensweise vollständig aufgeben zu müssen. Darüber hinaus bemühte sich RI um eine Annäherung an einige islamische Gemeinden, darunter auch einschlägige Moscheevereine. So warb die Gruppierung um deren Unterstützung beim Ausdruck von Flugblättern und bei deren Verteilung, wobei die Aktionen auch in den sozialen Medien Resonanz erzielten. In ihren Flyern verwendete RI typisch islamistische Argumentationsmuster und projizierte diese auf Politik, Medien und gesellschaftliche Zustände. Ein Pauschalvorwurf lautete, gezielt "Hass gegenüber dem Islam und den Muslimen" zu verbreiten. Islamische Werte seien durch "Assimilation" und politische Fehlentscheidungen diskreditiert und der Islam generell zum "Feindbild" stilisiert worden. Hieraus resultierten, so RI, Anschläge gegen Muslime. Es ist zu erwarten, dass RI sich auch weiterhin zu politischen Themen äußern wird. Die Absage von Auftritten in der "Realwelt" in Form von Veranstaltungen im Kontext der COVID-19-Pandemie zwang die Gruppierung, ihre Auftritte verstärkt in digitaler Form in die sozialen Medien zu verlagern. MUSLIMBRUDERSCHAFT (MB)/ DEUTSCHE MUSLIMISCHE GEMEINSCHAFT E. V. (DMG) DEFINITION/KERNDATEN Die MB ist in zahlreichen Staaten der Welt, dabei in nahezu allen Ländern des Nahen Ostens, vertreten. Sie ist die einflussreichste und älteste islamistische Bewegung unter den Sunniten. Ziel der MB ist die Errichtung eines weltumspannenden Gemeinwesens als Gottesstaat auf der Grundlage von Koran und Sunna. In Deutschland ist die DMG die größte Organisation, welche die Ideologie der MB vertritt. In Anlehnung an ihre ägyptische Mutterorganisation versucht die DMG, durch soziales und religiöses Engagement sowie durch Dialogangebote Akzeptanz in der Gesellschaft zu finden. Letztlich zielen diese Versuche darauf ab, die Ideologie der MB in Deutschland gesellschaftsfähig zu machen. Der DMG sind bundesweit verschiedene Moscheegemeinden und sogenannte Islamische Zentren zuzuordnen, die formal von ihr unabhängig sind, aber Kontakte zu ihr unterhalten. In Hessen befinden sich solche Zentren in Frankfurt am Main und Marburg (Landkreis Marburg-Biedenkopf). Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 201 ISLAMISMUS In Deutschland ist die DMG, ehemals Islamische Gemeinschaft in Deutschland e. V. (IGD), mit Hauptsitz in Berlin die mitgliederstärkste Organisation von MB-Anhängern in Deutschland. Die DMG repräLogo der MB sentiert den ägyptischen Zweig der MB und ist seit ihrer Gründung als IGD Mitglied der Federation of Islamic Organizations in Europe Führung : Muhammad Badi (Ägypten) (FIOE), nunmehr Council of European Muslims (CEM). Anhänger: EREIGNISSE/ENTWICKLUNGEN In Hessen etwa 300, bundesweit etwa 1.450 Im September präsentierte der Fatwa-Ausschuss Deutschland seine Neubesetzung. Unter dem Einfluss der Corona-Schutzmaßnahmen Zuzurechnende Organisationen: führten Angehörige der MB in Hessen ihre legalistische, dialogoriHarakat al-Muqawama alentierte Unterwanderungsstrategie zwar konsequent fort, verlagerIslamiya (HAMAS, Islamische ten die persönliche Kontaktpflege aber in den virtuellen Raum. AufWiderstandsbewegung) in den grund eines anhängigen Gerichtsverfahrens vor dem Landgericht palästinensischen Autonomiege(LG) Berlin lässt die DMG ihre Mitgliedschaft im Zentralrat der Musbieten (Gazastreifen) in Israel, al-Nahda (Tunesien), al-Ikhwan lime ruhen. al-Muslimum fi Suriya (Die Muslimbrüder in Syrien) AUF EINEN BLICK / * Neubesetzung des Fatwa-Ausschusses Deutschland * Reaktionen auf die COVID-19-Pandemie * DMG lässt Mitgliedschaft im Zentralrat der Muslime (ZMD) ruhen Neubesetzung des Fatwa-Ausschusses Deutschland | Der Fatwa-Ausschuss Deutschland, dessen Mitglieder mehrheitlich dem European Council for Fatwa and Research (ECFR) angehörten, gab im September seine Neubesetzung bekannt. Der Fatwa-Ausschuss, der auf Facebook mehr als 43.000 Abonnenten erreichte, nutzte dabei moderne Kommunikationswege und stellte die neuberufenen Personen nun als zukünftige Ansprechpartner dar, die sich an den Nachwuchs wenden und diesen für die Ideologie gewinnen sollen. Der Vorsitzende des Ausschusses wohnte seit dessen Gründung in Hessen. Eine Neuerung stellte die Benennung von drei Frauen als Rechtsgelehrte (Muftis) dar. Reaktionen auf die COVID-19-Pandemie | Unter dem Einfluss der staatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie führten Angehörige der MB in Hessen im Berichtsjahr ihre legalistische, dialogorientierte Unterwanderungsstrategie konsequent fort und verlagerten die persönliche Kontaktpflege in den virtuellen Raum. So suchten sie unverändert gezielt den Kontakt zu Repräsentanten des politischen Lebens sowie zu anderen Religionsgemeinschaften, denen sie sich als Dialogpartner anboten. So veröffentlichte der Fatwa-Ausschuss Deutschland am 13. April den "Fatwa-Guide zum Coronavirus" des ECFR mit insgesamt "21 Fatwas und zehn Emp202 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 ISLAMISMUS fehlungen zu den wichtigsten Fragen rund um die Corona-Krise" in deutscher Sprache. Im "Fatwa-Guide" wurde die Krankheit COVID19 als göttliche Prüfung gedeutet. DMG lässt Mitgliedschaft im Zentralrat der Muslime (ZMD) ruhen | Die DMG ließ im Berichtsjahr ihre Mitgliedschaft im ZMD, einem Dachverband mit Kontakten zu Politik und Behörden, ruhen. Damit folgte die DMG einem Beschluss der Vollversammlung des ZMD vom 2. Dezember 2019. Dies soll so lange gelten, bis vor dem LG Berlin geklärt ist, ob die DMG zu Recht im vom Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat herausgegebenen Verfassungsschutzbericht erwähnt wird. ENTSTEHUNG/GESCHICHTE In einer Phase des sozialen Umbruchs in Ägypten, in der sich ein neuer Mittelstand herausbildete, gründete 1928 der Volksschullehrer Hasan al-Banna die MB als Reaktion auf die zunehmende Europäisierung des Landes. Als Wohlfahrtsorganisation islamischer Prägung, die unter anderem Krankenhäuser und Schulen unterhielt, entwickelte sich die streng hierarchisch aufgebaute MB zunehmend zum Staat im Staat. Unter der Führung al-Bannas verfolgte die MB nach und nach im Wesentlichen folgende Ziele: Die Eliminierung des britischen Einflusses in Ägypten, die Islamisierung von Staat und Gesellschaft sowie die Errichtung eines weltweiten Kalifats. Vor allem mit ihrer karitativen Arbeit gewannen die MB und ihre in anderen Ländern gegründeten Ableger immer mehr Anhänger. AUF EINEN BLICK * Vom Verbot zur Regierung * Die MB in Deutschland Vom Verbot zur Regierung | In den 1940er und 1950er Jahren waren die Beziehungen zwischen der MB und dem ägyptischen Staat von gewalttätigen Auseinandersetzungen geprägt. 1948 wurde der ägyptische Ministerpräsident Mahmud Fahmi an-Nuqrashi ermordet, 1949 fiel Hasan al-Banna einem Attentat zum Opfer. 1954 verbot die Regierung die MB; ihr maßgeblicher Ideologe, Sayyid Qutb, wurde 1966 zum Tode verurteilt und hingerichtet. Ungeachtet der Generalamnestie für führende MB-Funktionäre im Jahr 1971 dauerten die Gewalttaten militanter islamistischer Gruppen, die ihre Aktionen unter Berufung auf die Schriften Sayyid Qutbs rechtfertigten, an. Eine militante Abspaltung der MB ermordete 1981 den ägyptischen Präsidenten Anwar as-Sadat. Sein Nachfolger Husni Mubarak gewährte der MB den Status als religiöse Bewegung, nicht Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 203 ISLAMISMUS aber den einer politischen Partei. Als Konsequenz entsandte die MB vermeintlich unabhängige Bewerber und Kandidaten auf Wahllisten anderer Parteien in die Parlamentswahlen. Bei den Wahlen im Jahr 2005 vervierfachte die MB die Zahl ihrer Abgeordneten auf 88 und errang damit etwa ein Fünftel der Sitze im ägyptischen Parlament. Nach dem von Massenprotesten der Opposition erzwungenen Rücktritt Mubaraks 2011 erlangten die MB und andere Islamisten bei den Wahlen etwa 70 Prozent der Abgeordnetenmandate. Als politischer Arm der MB gründete sich im Februar 2011 die Hizb al-Hurriya wa-l-Adala (Partei der Freiheit und Gerechtigkeit). Ihr Vorsitzender Mohammed Mursi, zugleich ein führender MB-Funktionär, wurde 2012 zum ägyptischen Staatspräsidenten gewählt. Aufgrund der angespannten Wirtschaftslage und anhaltender Proteste gegen die Partei der Freiheit und Gerechtigkeit setzte das ägyptische Militär Mohammad Mursi im Juli 2013 ab. Im September 2013 verbot ein ägyptisches Gericht die MB nebst allen ihr zugehörigen Organisationen. Seit dem Dezember 2013 ist die MB in Ägypten als Terrororganisation eingestuft. 2019 verstarb Mursi, der sich seit seiner Absetzung in Haft befand, während einer Gerichtsverhandlung. Der MB-Anführer Muhammed Badie sowie sein Stellvertreter und neun weitere führende MB-Angehörige wurden 2019 zu lebenslanger Haft verurteilt. Die MB in Deutschland | 1960 gründete Said Ramadan, ein Schwiegersohn al-Bannas und hoher MB-Funktionär, in München (Bayern) die Moscheebau-Kommission e. V. Zusammen mit Sayyid Qutb hatte er in den 1950er Jahren Ägypten verlassen und Ableger der MB in Jordanien, Syrien, Saudi-Arabien und im Libanon ins Leben gerufen. Durch Umbenennungen gingen aus der Moscheebau-Kommission e. V. im Jahr 1962 die Islamische Gemeinschaft in Süddeutschland e. V. und 1982 die IGD hervor, die sich 2018 in die DMG umbenannte. IDEOLOGIE/ZIELE Der ideologische Ursprung der MB geht auf ihren Gründer Hasan al-Banna zurück. Zentrale Elemente der MB-Ideologie sind bis heute im Selbstverständnis zahlreicher islamistischer und islamistisch-terroristischer Organisationen präsent. In dem von der MB angestrebten System bilden Islam und Politik eine unauflösbare Einheit, in der weder die Volkssouveränität noch die Freiheit und Gleichheit der Menschen einen demokratisch legitimierten und geschützten Raum finden. AUF EINEN BLICK * Durchsetzung der Scharia * "Der Koran ist unsere Verfassung" 204 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 ISLAMISMUS Durchsetzung der Scharia | Die Ideologie der MB zielt auf die Errichtung einer islamischen Staatsund Gesellschaftsordnung, deren Grundlage Koran und Sunna sowie die Scharia bilden. Dabei ist die Durchsetzung der Scharia ein wesentlicher Bestandteil der MB-Ideologie, da sie die Rechtsund Gesellschaftsordnung bestimmt und somit die wichtigste Grundlage des politischen und sozialen Lebens ist. "Der Koran ist unsere Verfassung" | Das Motto der MB lautet: "Allah ist unser Ziel. Der Prophet ist unser Führer. Der Koran ist unsere Verfassung. Der Jihad ist unser Weg. Der Tod für Allah ist unser nobelster Wunsch." Ebenso wie sein Vorgänger Muhammad Mahdi Akif gehörte Muhammad Badie, der "oberste Führer" (arab. murshid amm) der MB, dem konservativen Lager der Organisation an. Er forderte von der arabischen Welt, die Verhandlungen mit Israel einzustellen und sie durch den "heiligen Jihad" zu ersetzen. 2012 eröffnete ein maßgeblicher Prediger und wichtiger Angehöriger der MB den Wahlkampfauftritt des späteren Präsidenten Mursi mit den Sätzen: "Wir stehen knapp davor zu erleben, dass das Islamische Kalifat durch die Hände Mohammed Mursis Realität wird. Und mit Gottes Willen wird die Hauptstadt des vereinigten Reiches Jerusalem sein". STRUKTUREN In Europa bzw. in Deutschland besteht ein weit verästeltes Netzwerk der MB, mit dessen Hilfe deren Sympathisanten und Angehörige versuchen, Ideologie und Ziele der Organisation zu verbreiten. Dabei tritt die MB in Deutschland nicht offen in Erscheinung. AUF EINEN BLICK * Council of European Muslims (CEM) * European Council for Fatwa and Research (ECFR) * European Council of Imams (Europäische Rat der Imame) * Fatwa-Ausschuss in Deutschland * Rat der Imame und Gelehrten e. V. (RIG)/Rat der Imame und Gelehrten in Deutschland (RIGD) * Europäisches Institut für Humanwissenschaften e. V. (EIHW) Council of European Muslims (CEM) | In Europa wird die streng hierarchisch organisierte MB durch den CEM, einen europäischen Dachverband MB-naher Organisationen mit Sitz in Brüssel (Belgien), vertreten. Bis Januar 2020 hieß der Verband Federation of Islamic Organizations in Europe (FIOE, Föderation Islamischer OrganisatioHessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 205 ISLAMISMUS nen). Eigenen Angaben zufolge vereinigt der CEM Organisationen aus 28 Staaten, darunter viele nationale Dachverbände. European Council for Fatwa and Research (ECFR) | Der in Dublin (Irland) ansässige ECFR gehört dem europäischen Netzwerk der MB an und erlässt regelmäßig Rechtsgutachten für die in Europa lebenden Muslime. Maßgebliche Aufgabe des ECFR ist es, sich als religiöse Instanz in Europa zu etablieren. Hierfür veröffentlichte er 2019 die "Euro-Fatwa"-App, mit der die Nutzer die ECFR-Fatwas und -Entscheidungen seit 1997 in den Sprachen Arabisch, Englisch und Spanisch thematisch sortiert abrufen können. European Council of Imams (Europäische Rat der Imame) | Im November 2019 trat in Paris (Frankreich) erstmals der Europäische Rat der Imame zusammen. Das Gremium umfasst laut eigener Aussage rund 50 Mitglieder aus etwa 20 europäischen Ländern. Darunter befinden sich auch Personen aus Hessen mit Bezug zum MB-/DMG-Netzwerk. Ziel der Organisation ist es unter anderem, die Aktivitäten verschiedener islamischer Organisationen zu koordinieren, als Interessenvertretung zu fungieren, die islamische Präsenz im politischen und gesellschaftlichen Bereich zu fördern sowie die islamische Identität zu festigen. Fatwa-Ausschuss in Deutschland | Die Mitglieder des im Jahr 2016 gegründeten Fatwa-Ausschusses in Deutschland sind mehrheitlich Mitglieder des ECFR. Der Fatwa-Ausschuss übernimmt die Fatwas des ECFR, übersetzt sie ins Deutsche und veröffentlicht sie auf der eigenen Webseite sowie in den sozialen Medien. Die Fatwas basieren zum Teil auf islamrechtlichen und islamisch-rituellen Vorgaben der Scharia, die nicht mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu vereinbaren sind. Rat der Imame und Gelehrten e. V. (RIG) /Rat der Imame und Gelehrten in Deutschland (RIGD) | Ähnlich wie der ECFR auf europäischer Ebene, der bis Oktober 2018 unter dem Vorsitz des MB-Ideologen Yusuf al-Qaradawi stand, erhebt der RIGD für Deutschland den Anspruch, als wissenschaftliche Autorität in Fragen der Koranauslegung für hier lebende Muslime zu fungieren. Der RIGD, der seit 2004 mit Sitz in Frankfurt am Main besteht, ist sowohl organisatorisch als auch ideologisch DMG-nahe. EIHW als Kaderschmiede für MBund DMG-Funktionäre | 2012 wurde das EIHW mit Sitz in Frankfurt am Main nach dem Vorbild der Europäischen Institute für Humanwissenschaften in Großbritannien (European Institute of Human Sciences, EIHS) und in Frankreich (Institut Europeen des Sciences Humaines, IESH) als Verein gegründet. 2013 206 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 ISLAMISMUS nahm das EIHW seinen Lehrbetrieb auf. Als Schulungsstätte dient das EIHW der Verbreitung der MB-Ideologie und ist eine Kaderschmiede für MBund DMG-Funktionäre. BEWERTUNG/AUSBLICK Aufgrund der personellen Verstärkung des Fatwa-Ausschusses Deutschland im Berichtsjahr ist von einer erhöhten Gefahr hinsichtlich der Verbreitung der MB-Ideologie auszugehen. Anhand der hohen Abonnentenanzahl wird deutlich, wie groß die Reichweite des Ausschusses ist. Die schnelle Reaktion auf die COVID-19-Pandemie, die an der Veröffentlichung des "Fatwa-Guides" deutlich wird, und das gesellschaftliche Geschehen insgesamt zeigen den Anspruch des Fatwa-Ausschusses, als zentraler Ansprechpartner und Ratgeber wahrgenommen werden zu wollen, um so eine größtmögliche Reichweite erzielen zu können. Die DMG als wichtigste Organisation des deutschen MB-Netzwerks versucht weiterhin, ihre belastete IGD-Vergangenheit hinter sich zu lassen und ihr Image zu verbessern. Die DMG distanziert sich nur von bestimmten Aussagen Yusuf al-Qaradawis und erkennt weiterhin seine Expertise in vielen Gebieten an. Dies zeigt, dass keine tatsächliche Änderung an ihrer Ideologie beabsichtigt ist, auch wenn die DMG versucht, durch grundgesetzkonforme Positionen, die auf ihrer Webseite veröffentlicht werden, ein anderes Bild in der Öffentlichkeit zu erzeugen. Vielmehr geht es bei den veröffentlichten Positionen um die Imagepflege der Organisation. Die DMG-Mitgliedschaft beim ZMD ruht derzeit, bis über die Klage der DMG gegen ihre Nennung als MB-nahe Organisation im vom Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat herausgegebenen Verfassungsschutzbericht entschieden wird. Auch wenn ein letztinstanzliches, rechtskräftiges Urteil noch aussteht, dürfte bereits das Urteil des LG Berlin zu Ungunsten der DMG deren Reputation in Gesellschaft und Politik nachhaltig schädigen. Hingegen dürfte die islamische Verbandsgemeinschaft die Rehabilitation der DMG ausschließlich von einem finalen Gerichtsurteil abhängig machen. Mit der Fortsetzung der Unterwanderungsstrategie und der, mit der COVID-19-Pandemie verbundenen, Verlagerung der Kontaktpflege in den virtuellen Raum, bemühten sich MB-Anhänger und der MB nahestehende Organisationen, ihre Ideologie gesellschaftsfähig zu machen und ihr breite Akzeptanz zu verschaffen. Da die MB nicht unter ihrem Namen auftrat, sondern aus einem weitverzweigten Netzwerk Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 207 ISLAMISMUS von Organisationen und Vereinen operierte, fiel es ihren Protagonisten oft leicht, als unbefangene Partner von Politik und Zivilgesellschaft aufzutreten. Hierbei handelt es sich um eine auf Dauer angelegte Strategie. MILLI-GÖRÜS-BEWEGUNG DEFINITION/KERNDATEN Unter der Bezeichnung Milli-Görüs-Bewegung fasst das LfV bestimmte islamistische Bestrebungen türkischen Ursprungs zusammen. Ihr verbindendes Element liegt in der grundlegenden Orientierung an der Ideologie der türkischen Bewegung Milli Görüs (dt. nationale Sicht). Diese Bewegung geht im Wesentlichen auf den Politiker Necmettin Erbakan zurück, der den Laizismus in der Türkei zugunsten einer islamischen Staatsund Gesellschaftsordnung auf dem Fundament von Koran, Sunna und Scharia überwinden wollte. Erbakans Vision war es, eine "Großtürkei" nach dem Vorbild des Osmanischen Reiches zu errichten. Zur Milli-Görüs-Bewegung (etwa 1.450 Anhänger in Hessen, bundesweit etwa 10.000) gehörten * die Saadet Partisi (SP, Partei der Glückseligkeit) - in Hessen repräsentiert durch den Saadet Deutschland Regionalverein Hessen e. V. und im Folgenden als SP Hessen bezeichnet, * die Ismail Aga Cemaati (IAC), * die Erbakan Vakfi (Erbakan-Stiftung), * die Milli Gazete (Nationale Zeitung) und * Teile der Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs e. V. (IGMG). EREIGNISSE/ENTWICKLUNGEN Die Erinnerung an Necmettin Erbakan sowie die Würdigung seines Lebens und Wirkens waren auch neun Jahre nach dessen Tod von unverändert großer Bedeutung für die Anhänger der Milli-GörüsBewegung. Nach wie vor wird Erbakan als universales Vorbild und geistiger Führer der Bewegung verehrt. Umfassende und weitreichende Angebote der SP Hessen banden im Berichtsjahr sowohl langjährige Mitglieder als auch den Nachwuchs weiterhin fest an die Organisation. Eine gewichtige Rolle spielte dabei unverändert die Zentrale der SP Hessen als Anlaufstelle in Hanau (Main-KinzigKreis). Auch die Tageszeitung MillA(r) Gazete fungierte als Sprachrohr und Bindeglied innerhalb der Milli-Görüs-Bewegung und verbreitete mit ihrer Berichterstattung mehrfach antiisraelische Propaganda aus der Türkei. 208 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 ISLAMISMUS AUF EINEN BLICK * Necmettin Erbakan: "Lehrer und Vorbild" * Aktivitäten der SP Hessen * Zentrale der SP Hessen weiterhin in Hanau * Milli Gazete als Sprachrohr der Milli-Görüs-Bewegung Necmettin Erbakan: "Lehrer und Vorbild" | Anlässlich des neunten Todestags Necmettin Erbakans am 27. Februar berichtete die MillA(r) Gazete über die sogenannte Erbakan-Woche in der Türkei und die in diesem Zusammenhang organisierten Gedenkveranstaltungen für den verstorbenen "Milli-Görüs-Führer". So hieß es, dass der "Hodscha Erbakan sich für die Glückseligkeit der gesamten Menschheit eingesetzt" habe. Ferner berichtete die Zeitung von einer Gedenkveranstaltung in Deutschland, an der ein hochrangiger Funktionär der türkischen SP teilgenommen habe und bei der auf die drei Ziele Erbakans hingewiesen worden sei: eine lebenswürdige Türkei, wieder eine Großtürkei und eine neue Welt. Ein Kolumnist der MillA(r) Gazete schrieb in engem zeitlichen Zusammenhang mit der Erbakan-Woche über aktuelle Ereignisse im Syrien-Konflikt. In Bezug auf die Rollen der USA und Russlands bezeichnete er beide Staaten als "verfeindete Brüder", welche die "Türkei im Stich ließen und eigentlich nur dem Zionismus dienten". Er zitierte Necmettin Erbakan mit den Worten: "Der die Welt unterdrückenden und ausbeutenden Bestie dienen der Zionismus als Gehirn, das Europa der Kreuzritter als Herz, die USA als rechter Arm und Russland als linker Arm". Der IGMG-Landesverband Hessen lud am 1. März zu seiner wiederkehrenden Gedenkveranstaltung für bedeutende islamische "Vorreiter" und "Wegbereiter" erneut nach Kelsterbach (Kreis Groß-Gerau) ein, wobei auch hier der "Hodscha" Necmettin Erbakan eine zentrale Rolle spielte. Am eigentlichen Todestag war das Gedenken in den Reihen der IGMG auf einen Beitrag in den sozialen Medien beschränkt. Auch die SP Hessen gedachte in bewährter Form ihres verstorbenen "Milli-Görüs-Führers". In einigen sozialen Medien wurden zum Todestag entsprechende Gedenkbeiträge veröffentlicht. Am 8. März fanden sich in Frankfurt am Main Anhänger, Funktionäre und Gäste der SP Hessen generationenübergreifend zur Gedenkveranstaltung unter dem sinngemäßen Motto "Erinnerungsund Erkenntnisprogramm" zusammen, um an das Leben und Wirken Erbakans zu erinnern, Kontakte zu pflegen und auszubauen. An der Veranstaltung nahmen - neben Vorstandsmitgliedern der SP Hessen - mehrere Vertreter der SP Europa sowie als prominenter Gast ein hochrangiges Vorstandsmitglied der SP aus der Türkei teil. Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 209 ISLAMISMUS Auch die Erbakan Vakfi gedachte Necmettin Erbakans, indem sie über ihre Profile in einigen sozialen Medien regelmäßig und in hoher Frequenz Fotos, Bildcollagen und Zitate aus dessen politischem Leben verbreitete. Mehrfach fanden sich darunter Zitate mit antiisraelischem, antizionistischen und antisemitischen Inhalten sowie Aussagen zur angeblichen Vollkommenheit, Unfehlbarkeit und Überlegenheit des Islams. In diesem Kontext wurde Fatih Erbakan als unstrittiger Nachfolger seines Vaters dargestellt. Aktivitäten der SP Hessen | Die SP Hessen setzte ihre Bestrebungen unverändert fort und konnte Mitgliedern und Anhängern, neben den obligatorischen Veranstaltungsund Bildungsangeboten, Unterstützung in nahezu allen Lebensbereichen zuteilwerden lassen. Darüber hinaus versuchte die SP Hessen, Nachwuchs für die Organisation zu gewinnen. So fanden, insbesondere im Jugendbereich, in mehreren hessischen Orten regelmäßig Schulungsveranstaltungen und Vorträge im privaten Umfeld statt, um mit interessierten Personen in Kontakt zu kommen und sie mit religiösen und ideologischen Inhalten der Milli-Görüs-Bewegung bekanntzumachen. Das hierfür notwendige Rüstzeug erhielten die Funktionäre in regelmäßigen Seminaren und Gremiensitzungen. Anfang 2020 kamen Funktionäre der Jugendorganisation der SP Europa, auch aus Hessen, zu einem Bildungscamp in Ankara (Türkei) zusammen. Ein Weggefährte Erbakans und prominenter Angehöriger der türkischen Milli-Görüs-Bewegung erklärte gegenüber den Teilnehmern, dass Milli Görüs wie Noahs Arche sei und als das Tor zur Glückseligkeit für die gesamte Menschheit gelte. Am 18. Januar fand unter der Leitung des Generalsekretärs der SP Europa ein Bildungsseminar für Angehörige der SP Hessen Jugendorganisation in Hanau (Main-KinzigKreis) statt. Im Kontext der staatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID19-Pandemie wich die SP Hessen größtenteils auf Online-Treffen aus. Seit Anfang Juli fanden die Gesprächskreise wieder als Präsenzveranstaltungen statt, seit Ende Oktober griff die SP Hessen erneut auf virtuelle Formate zurück. Im Juni nahm eine Abordnung der SP Hessen Jugendorganisation am Sommercamp der SP Europa Jugendorganisation teil, wo sie unter anderem den Vorsitzenden der Jugendorganisation der türkischen SP und den Vorsitzenden der SP Europa trafen. Mitte August führte die SP Hessen Jugendorganisation ihr eigenes, zweitägiges Sommercamp in einer Jugendherberge im Vogelsbergkreis durch. Dazu reiste auch der Vorsitzende der SP Europa Jugendorganisation an. 210 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 ISLAMISMUS Zentrale der SP Hessen in Hanau | Die "Zentrale" der SP Hessen befand sich weiterhin in Hanau (Main-Kinzig-Kreis). Die Räumlichkeiten wurden von Funktionären und Anhängern für ihre turnusgemäßen Gremiensitzungen und wiederkehrenden Veranstaltungen regelmäßig aufgesucht. Am 26. Januar traten zwei langjährige Vertreter der Milli-GörüsBewegung, die sich für die SP Europa engagieren, als Redner in Erscheinung. In der gleichen Veranstaltungsreihe kam am 22. Februar ein prominenter Redner aus der Türkei nach Hanau und zog unzählige Besucher an. Auch hier wurden in den nächsten Wochen und Monaten alternative Kommunikationsmöglichkeiten genutzt, bevor zwischen Juli und Oktober wieder Sitzungen sowie Vortragsund Bildungsveranstaltungen in Hanau stattfanden. Milli Gazete als Sprachrohr der Milli-Görüs-Bewegung | Im Berichtsjahr berichtete die Milli Gazete regelmäßig über Veranstaltungen der Milli-Görüs-Bewegung in der Türkei und in Europa, so etwa Anfang Februar über eine von der SP organisierte, türkeiweit geplante Aktion mit dem Motto "Jerusalem gehört dem Islam". Damit verbunden war ein Aufruf des SP-Vorsitzenden zu einer großen "al-Quds-Demonstration" am 9. Februar in Istanbul (Türkei). In seinem Beitrag betonte der Vorsitzende Temel Karamollaglu unter anderem, dass man sich "egal was es kosten möge, [...] gegen das 'Projekt Großer Naher Osten' wehren und dem Weltzionismus [seine] Entschlossenheit demonstrieren" werde. In der späteren Berichterstattung über die Demonstration hieß es, man habe den "Terrorstaat Israel und seinen Schutzherrn USA verflucht und den angekündigten Friedensplan für den Nahen Osten für nichtig erklärt". Karamollaglu habe darauf hingewiesen, dass man gegen den "rassistischen Imperialismus" die "Fackel der globalen Intifada" entzünden werde. Der "Friedensplan bedeute zudem nichts anderes, als Palästina dem zionistischen Israel restlos zu übergeben". ENTSTEHUNG/GESCHICHTE 1969 gründete Necmettin Erbakan in der Türkei die Milli-GörüsBewegung und stellte sich damit gegen die vom Gründer der modernen Republik Türkei, Mustafa Kemal Atatürk, eingeführte Trennung von Staat und Religion. Auf diese Weise wollte Erbakan die Säkularisierung des Landes rückgängig machen und das politische, wirtschaftliche und kulturelle Leben erneut islamisieren. Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 211 ISLAMISMUS AUF EINEN BLICK * Milli-Görüs-Bewegung in der Türkei * Milli-Görüs-Bewegung in Deutschland * SP als Repräsentantin der Milli-Görüs-Bewegung * Rolle der IAC in der Türkei Milli-Görüs-Bewegung in der Türkei | 1970 wurde als politische Vertretung der Milli-Görüs-Bewegung die Milli Nizam Partisi (MNP, Nationale Ordnungspartei) gegründet. 1973 verfasste Erbakan das für die Ideologie der Bewegung noch immer wegweisende Buch "Milli Görüs". Über Parteiverbote und Parteineugründungen sowie ein zweimal verhängtes Politikverbot für Erbakan führte der Weg der Milli-Görüs-Bewegung in der Türkei bis zur 2001 gegründeten und noch heute existenten SP. Erbakan war in der Türkei mehrere Male stellvertretender Ministerpräsident und bekleidete 1996/97 das Amt des Ministerpräsidenten. Milli-Görüs-Bewegung in Deutschland | 1976 entstand in Köln (Nordrhein-Westfalen) als Ableger der Milli-Görüs-Bewegung die Türkische Union Europa e. V. Sie benannte sich 1982 in Islamische Union Europa e. V. (IUE) um. 1984 kam es innerhalb der IUE zu Auseinandersetzungen über die politische Ausrichtung des Vereins. Als Folge gründete sich 1985 in Köln die Avrupa Milli Görüs Teskilatlari (AMGT, Vereinigung der neuen Weltsicht in Europa e. V.) als Nachfolgeorganisation der mittlerweile bedeutungslos gewordenen IUE. Aus der AMGT gingen 1995 die Europäische Moscheebau und Unterstützungsgemeinschaft (EMUG) und die IGMG hervor. Organisatorisch waren beide in einen wirtschaftlichen und einen ideellen Bereich getrennt. Aufgabe der EMUG war die umfangreiche Grundstücksverwaltung und Betreuung der AMGTund IGMG-Vereine. Die IGMG war auf die religiösen Belange ihrer Mitgliedsvereine ausgerichtet. Viele Moscheevereine änderten in der Folge den Namenszusatz AMGT in IGMG. Die Zugehörigkeit zur Milli-GörüsBewegung blieb jedoch teilweise bis in die Gegenwart erhalten und zeigte sich oftmals auch in personellen Überschneidungen von AMGT und IGMG. SP als Repräsentantin der Milli-Görüs-Bewegung | Auf politischer Ebene vertritt die von Necmettin Erbakan im Jahr 2001 gegründete SP die Milli-Görüs-Bewegung in der Türkei. Die SP ging aus der verbotenen Fazilet Partisi (FP, Tugendpartei) Erbakans hervor, aus der damals auch die jetzige türkische Regierungspartei Adalet ve Kalkinma Partisi (AKP, Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung) entstand. Obwohl sich die AKP mit der Zeit von der ursprünglichen Ideologie der Milli-Görüs-Bewegung distanzierte, verbinden sie 212 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 ISLAMISMUS identische konservative Wurzeln mit der SP. Der Einfluss der SP auf die politische Willensbildung in der Türkei ist aufgrund ihres begrenzten Wählerpotenzials sehr gering. Rolle der IAC in der Türkei | Die IAC ist der Bruderschaft der Naqshbandiya zuzuordnen, die im 14. Jahrhundert in Zentralasien entstand. Ihr Gründer, Bahaud-Din Naqshband aus Buchara (heutiges Usbekistan), steht in einer Reihe sogenannter Meister in Zentralasien, die mystische Gemeinschaften gründeten. Die sunnitische Naqshbandiya entwickelte sich in den folgenden Jahrhunderten zur bedeutendsten Bruderschaft und ist heute weltweit verbreitet. Ihr Handeln beruht auf einer religiös geprägten Lebensführung, wobei eine enge emotionale Bindung zwischen Schüler und Meister besteht. Unter anderem mithilfe spezieller Meditationstechniken wird die unmittelbare mystische Gotteserfahrung angestrebt, durch schweigendes Denken an Allah (arab. dhikr) suchen die Gläubigen diesem so nahe wie möglich zu kommen. Obwohl 1925 durch Atatürk verboten, spielte die NaqshbandiyaBruderschaft im religiösen Leben in der Türkei eine bedeutende Rolle. Necmettin Erbakan und das in der Türkei lebende spirituelle Oberhaupt der Bruderschaft, Scheich Mahmud Ustaosmanoglu, pflegten engen Kontakt zu dem einflussreichen türkisch-sunnitischen Naqshbandiya-Scheich Mehmet Zaid Kotku und wurden durch ihn geprägt. Kotku war eine der führenden Personen des NaqshbandiyaOrdens. IDEOLOGIE/ZIELE Ebenso wie andere islamistische Bewegungen will die Milli-GörüsBewegung eine auf den Rechtsvorschriften der Scharia beruhende islamische Ordnung realisieren. Da in der früher streng laizistisch orientierten Türkei das Propagieren eines entsprechenden Konzepts gravierende rechtliche Konsequenzen nach sich gezogen hätte, führte Erbakan neue Begrifflichkeiten ein. AUF EINEN BLICK * "Gerechte" und "nichtige" Ordnung * "Neue Welt für die gesamte Menschheit" * Alleinvertretungsanspruch und Antisemitismus in der Milli-Görüs-Bewegung "Gerechte" und "nichtige" Ordnung | Gemäß Erbakans Grundsätzen gibt es in der Welt eine gerechte (türk. adil düzen) und eine nichtige Ordnung (türk. batil düzen). Ziel müsse es sein, die schlechte, tyrannische, auf menschlicher Willkür sich gründende und daher vergängHessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 213 ISLAMISMUS liche Ordnung durch die gute, von Allah vorgegebene und angeblich auf Wahrheit fußende Ordnung zu überwinden. Dies sei allein durch die Milli Görüs zu erreichen. "Neue Welt für die gesamte Menschheit" | Die Verwirklichung dieser Gedanken propagiert die Milli-Görüs-Bewegung insbesondere in der Türkei, wo eine islamische Staatsund Gesellschaftsordnung nach den Grundlagen von Koran und Sunna geschaffen werden soll. Die Milli-Görüs-Bewegung verbindet in ihrer Gesamtheit einen universalen türkisch-nationalistischen mit einem islamistischen Ansatz. So hielt der Generalsekretär der türkischen SP im Januar 2019 einen Vortrag in Dortmund (Nordrhein-Westfalen), wobei er laut der MillA(r) Gazete sagte, dass es die Partei für ihre Aufgabe halte, sich um die Probleme der Landsleute zu kümmern sowie eine "lebenswerte Türkei", eine "neue Großtürkei" und eine "neue Welt für die gesamte Menschheit" zu schaffen. Alleinvertretungsanspruch und Antisemitismus in der Milli-GörüsBewegung | In einem Interview nahm Erbakan im Jahr 2010 für sich und die SP in Anspruch: "Wir sind das Volk, deswegen verändern wir die Türkei". Darüber hinaus erklärte er: "Wir werden eine neue Welt schaffen, auf der Basis von Wissenschaft und Vernunft, auf den Grundlagen der gerechten Ordnung, die uns die Osmanen hinterließen. Darin bekommt jeder sein Recht, auf den ihm angemessenen Platz. Auch den Juden und Christen würde so Recht zuteil, auch sie würden befreit." Offen artikulierte Erbakan in Bezug auf Juden und die territoriale Integrität des Staats Israel: "Seit 5700 Jahren regieren Juden die Welt. Es ist eine Herrschaft des Unrechts, der Grausamkeit und der Gewalt. Sie haben einen starken Glauben, eine Religion, die ihnen sagt, dass sie die Welt beherrschen sollen. Sehen Sie sich diese Ein-Dollar-Note an. Darauf ist ein Symbol, eine Pyramide von 13 Stufen, mit einem Auge in der Spitze. Es ist das Symbol der zionistischen Weltherrschaft. Die Stufen stellen vier ,offene' und andere geheime Gesellschaften dar, dahinter gibt es ein ,Parlament der 300' und 33 Rabbinerparlamente, und dahinter noch andere, unsichtbare Lenker. Sie regieren die Welt über die kapitalistische Weltordnung. [...] Wenn die Israelis in Frieden leben wollen, wäre es vielleicht besser, wenn sie zum Beispiel in Amerika lebten." 214 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 ISLAMISMUS STRUKTUREN Die Milli-Görüs-Bewegung setzt sich aus verschiedenen, grundsätzlich türkischstämmigen, Gruppierungen zusammen. Ihre gemeinsame Basis bildet - in unterschiedlich starker Ausprägung - die Orientierung an den ideologischen und religiösen Vorstellungen Necmettin Erbakans, gepaart mit der fortwährenden Verehrung seiner Person und vielfältigen Aktivitäten zur Verbreitung seiner Botschaften. AUF EINEN BLICK * SP * Erbakan Vakfi (Erbakan Stiftung) * Milli Gazete * Islamische Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG) SP | Seit einigen Jahren etablieren sich deutschlandweit Ableger der europäischen SP-Vertretung, die Anhänger und Wählerpotenzial in Deutschland zu aktivieren versuchen, um die Politik der Mutterpartei in der Türkei zu unterstützen. Dabei vertraten die SP-Strukturen in Deutschland die politische Ausrichtung der Ideologie Necmettin Erbakans innerhalb der Milli-Görüs-Bewegung. In Hessen war dies der Saadet Deutschland Regionalverein Hessen e. V. einschließlich seiner nachgeordneten Strukturen. Erbakan Vakfi (Erbakan-Stiftung) | Das Ziel der laut eigenen Angaben im Jahr 2013 in der Türkei von Vertretern der Milli-Görüs-Bewegung, Angehörigen der SP sowie Weggefährten Necmettin Erbakans gegründeten Erbakan Vakfi ist es, dessen Ideologie zu vertreten und die Erinnerung an ihn aufrechtzuerhalten. Dabei sollen sich Aktivitäten der Erbakan Vakfi weltweit entfalten und auf den Prinzipien der Milli Görüs beruhen. Vorsitzender der Erbakan Vakfi ist der Sohn Necmettin Erbakans, Fatih Erbakan. In Deutschland wurde ebenfalls im Jahr 2013 die Europavertretung der Stiftung gegründet. Milli Gazete | Die türkische Tageszeitung Milli Gazete, deren Europaausgabe in Frankfurt am Main verlegt wird, informierte ursprünglich über die IGMG. Inzwischen berichtet sie in zunehmendem Maße über die Aktivitäten der SP im Inund Ausland. In ihrem Selbstverständnis sah sich die Milli Gazete als einzige und konstante Vertreterin der Milli-Görüs-Ideologie unter den Printmedien. Immer wieder hob die Zeitung in ihren Artikeln Erbakan als den Retter der Welt hervor und rühmte dessen Ideologie der Errichtung einer neuen Welt, in welcher der Islam wiederbelebt werde und über allen anderen Ordnungen stehe. Die Milli Gazete nahm für die verschieHessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 215 ISLAMISMUS denen Gruppierungen innerhalb der Milli-Görüs-Bewegung die Rolle eines wichtigen, verbindenden Mediums ein. Islamische Gemeinschaft Milli Görüs (IGMG) | Die IGMG ist laut ihrer Selbstdarstellung eine staatenübergreifend vernetzte Religionsgemeinschaft, die sich in Regionalverbände, Moscheegemeinden und weitere Zweigstellen aufgliedert. Die IGMG ist nicht in der Gesamtheit ihrer Mitglieder der islamistischen Milli-GörüsBewegung zuzurechnen. Teile der IGMG befinden sich in einem bereits seit Jahren andauernden Prozess des Abwendens von der islamistischen Ideologie Erbakans. Im Berichtsjahr lagen jedoch tatsächliche Anhaltspunkte vor, dass einige Strukturen der IGMG in Hessen weiterhin der Ideologie Erbakans folgten und bestrebt waren, dessen Ziele umzusetzen. In Hessen gehören weiterhin der IGMG-Landesverband mit seinen angegliederten Verbänden der Frauen, Jugend und Studierenden sowie einzelne IGMG-Ortsvereine der Milli-Görüs-Bewegung an. BEWERTUNG/AUSBLICK Zu Beginn des Berichtsjahres waren die einzelnen Gruppierungen der Milli-Görüs-Bewegung mit verschiedenen Veranstaltungen und mit vielfältigen Bildungsund Freizeitangeboten in gewohnter Weise aktiv. Insbesondere die seit Frühjahr in Deutschland und in Hessen eingeführten Maßnahmen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie und die damit verbundenen Auswirkungen auf das gesellschaftliche Leben wirkten sich unzweifelhaft auch auf derartige Aktivitäten aus. Geplante Vorhaben konnten in der Folge nur begrenzt stattfinden. Darauf reagierten die Gruppierungen relativ schnell, waren mithilfe vielfältiger Online-Angebote weiterhin präsent und hielten so regen Kontakt zu Mitgliedern, Anhängern und Interessierten. Es ist davon auszugehen, dass die einzelnen Gruppierungen innerhalb der Milli-Görüs-Bewegung nach einer Lockerung der Anti-COVID-19-Maßnahmen ihre üblichen Aktivitäten entfalten werden. Die Mitglieder der Milli-Görüs-Bewegung organisieren oftmals Präsenzveranstaltungen, die zum Teil der Öffentlichkeit zugänglich sind. In Zeiten der Pandemie war die Bewegung dazu gezwungen, Treffen im virtuellen Raum abzuhalten. Bewährt sich dies als Kommunikationsmittel, wird es wahrscheinlich weiterhin genutzt werden. 216 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 ISLAMISMUS SONSTIGE BEOBACHTUNGSOBJEKTE Harakat al-Shabaab al-Mujahidin (al-Shabaab, Bewegung der Mujahidin-Jugend) | 2012 schwor die terroristische Organisation al-Shabaab dem Nachfolger Osama bin Ladens, Dr. Aiman al-Zawahiri, die Gefolgschaft und gilt seitdem als regionaler al-Qaida-Ableger. Ziele alShabaabs sind die Errichtung eines islamischen Gottesstaats am Horn von Afrika, der Sturz der somalischen Regierung sowie die Beteiligung am weltweiten gewaltsamen Jihad. Die Terrormiliz kontrollierte Teile Südsomalias und setzte dort die Scharia in strenger Form durch. Aufgrund des militärischen Engagements der Afrikanischen Union (AU) wurde al-Shabaab mithilfe des internationalen Truppenkontingents African Mission in Somalia (AMISOM) zwar im Jahr 2012 aus Mogadischu und weiteren Gebieten verdrängt, dennoch verübte die Terrormiliz in den vergangenen Jahren in Somalia und im Nachbarland Kenia schwere Anschläge, die zahlreichen Menschen das Leben kosteten. Bevorzugte Anschlagsziele waren Hotelgebäude, Militärstützpunkte und Regierungsgebäude. Auch im Berichtsjahr wurden bei Terroranschlägen in Afrika zahlreiche Menschen getötet. In Kenia griffen Kämpfer der alShabaab im Januar eine gemeinsame Militärbasis von kenianischer und amerikanischer Armee nahe der Ferieninsel Lamu an. Dabei wurden ein amerikanischer Soldat und zwei Angestellte eines Dienstleisters des Verteidigungsministeriums getötet sowie zwei weitere Personen verwundet. Wenige Tage später kamen in der Hauptstadt Mogadischu durch eine Autobombe in der Nähe des somalischen Parlaments fünf Menschen ums Leben, bei einem Terrorangriff auf ein Hotel wurden im August mindestens 16 Menschen getötet, darunter die fünf Angreifer, und 28 verletzt. Zum 19. Jahrestag der Anschläge vom 11. September bezeichnete alZawahiri die USA und Israel als "Kopf des Unglaubens" und benannte deren lokale Verbündete als weitere Ziele möglicher Anschläge. In einer Videobotschaft an seine Anhänger betonte er das angebliche Recht der Mujahidin (Kämpfer für den Jihad), sich gegen Herrscher aufzulehnen, die Muslime unterdrückten, und diese zu bekämpfen. In Deutschland verfügte al-Shabaab über keine organisierte Unterstützungsstruktur, einzelne Sympathisanten und ehemalige Mitglieder der Terrormiliz gab es jedoch auch in Hessen. Ansaar International e. V. | Die in Düsseldorf (Nordrhein-Westfalen) ansässige Gruppierung rief bundesweit zu Spenden für bedürftige Muslime in arabischen Ländern auf und propagierte die entspreHessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 217 ISLAMISMUS chenden Kampagnen wie in den Vorjahren ausführlich auf verschiedenen Internetseiten und in den sozialen Medien. Die Gruppierung hat den vordergründigen Zweck, humanitäre Hilfe für Muslime weltweit, schwerpunktmäßig für Bürgerkriegsopfer in Syrien zu organisieren. In Deutschland fungieren regionale Teams als Sammelstellen für die Geldund Sachspenden. Nachdem das Bundesministerium des Innern, für Sport und Heimat 2019 ein vereinsrechtliches Ermittlungsverfahren gegen Ansaar International e. V. eingeleitet hatte, verbot der Bundesminister des Innern am 29. April 2021 die Vereinigung einschließlich acht Teilorganisationen. Hiervon war in Hessen das Somalische Komitee Information und Beratung in Darmstadt und Umgebung e. V. (SKIB) betroffen. Dazu fanden Durchsuchungsund Beschlagnahmemaßnahmen in insgesamt zehn Ländern statt. Ansaar International e. V. verfolgte gegen die Strafgesetze gerichtete Zwecke und Tätigkeiten und richtete sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung sowie die verfassungsmäßige Ordnung. Die Vereinigung einschließlich ihrer Teilorganisationen nutzte ein Geflecht aus Vereinen und Einzelpersonen, um Spenden zu erheben, die sie entgegen ihrer eigenen Angaben nicht nur für humanitäre Zwecke, sondern insbesondere zur Unterstützung terroristischer Organisationen wie Jabhat al-Nusra, Harakat al-Muqawama al-Islamiya (HAMAS, Islamische Widerstandsbewegung) sowie al-Shabaab verwendete. Zudem betrieb Ansaar International e. V. aktiv salafistische Missionierung und verbreitete in diesem Zusammenhang islamistische Inhalte. Hizb Allah ("Partei Gottes") im Spektrum des schiitischen Islamismus | Die Anfang der 1980er Jahre im Libanon infolge israelischer Militäroperationen im Libanon gegründete Hizb Allah fungierte zunächst als Miliz. Sie operierte überwiegend im Verborgenen und wurde primär zur "Verteidigung" des Libanon gegen Israel eingesetzt. Über die Jahrzehnte hinweg artikulierte die Gruppierung politische Ziele und etablierte sich als feste Größe in der libanesischen Parteienlandschaft. Viele Bestandteile ihrer islamistischen Programmatik wichen inzwischen einem pragmatisch-opportunistischen Politikstil. Ungeachtet ihrer Akzeptanz demokratischer Willensbildungsprozesse rückte die Hizb Allah nicht von ihrem erklärten Ziel ab, eine islamische Herrschaftsordnung im Libanon nach dem Vorbild der iranischen Theokratie zu errichten. Die iranische Staatsführung gilt bis heute als gewichtiger Einflussfaktor für die Gruppierung. Unverändert verfügt die Hizb Allah über einen paramilitärischen Arm, der die Widerstandfähigkeit gegen Israel herstellen soll und in den vergangenen Jahren als Akteur gegen den IS in Syrien auftrat. 218 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 ISLAMISMUS Als unmittelbare Reaktion auf die Tötung des hochrangigen QudsKommandeurs Qasem Soleimani am 3. Januar durch einen Drohnenangriff des amerikanischen Militärs fand lediglich am 4. Januar vor dem iranischen Generalkonsulat in Frankfurt am Main eine Demonstration statt, bei der regimetreue Anhänger ihre Solidarität mit dem Getöteten und dem iranischen Regime bekundeten. Die QudsBrigaden werden vom Iran befehligt und operierten in der Vergangenheit überwiegend im Irak und in Syrien. Der bis Ende des Berichtsjahrs amtierende Vorstandsvorsitzende des regimenahen Dachverbands Islamische Gemeinschaft der schiitischen Gemeinden Deutschlands (IGS) veröffentlichte am 6. Januar auf seinem privaten Facebook-Profil und der Webseite seines Frankfurter Moscheevereins einen Beitrag, worin er Soleimani als einen "reinen, liebenswürdigen und freien Menschen" und als "Märtyrer" bezeichnete. Die Tötung selbst bezeichnete er als "unmenschlich oder unmoralisch", als eine "terroristische Handlung" und einen "grausamen Terroranschlag". Auch auf weiteren Facebook-Profilen von Hizb-Allah-Anhängern in Hessen wurde gegen die Tötung Soleimanis protestiert; in einem einzelnen Beitrag wurde Vergeltung befürwortet. Mit Verbotsverfügung vom 26. März, bekanntgemacht am 30. April, erließ das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat ein Betätigungsverbot für die Hizb Allah, da sich die Tätigkeit der Organisation gegen den Gedanken der Völkerverständigung richtet und Strafgesetzen zuwiderläuft. Dabei ist es unerheblich, ob die Hizb Allah als politische, soziale oder terroristische Struktur in Erscheinung tritt. Da es sich bei der Hizb Allah um eine ausländische Vereinigung ohne eine feste Organisationsstruktur in Deutschland handelt, war es nicht möglich, die Organisation zu verbieten und aufzulösen. Aus Deutschland heraus wurde die Hizb Allah vor allem durch Spenden unterstützt. Im Zuge der Umsetzung der Verbotsverfügung kam es am 30. April zu Durchsuchungen in Berlin, Bremen und Nordrhein-Westfalen. Hessen, das keinen Schwerpunkt von Aktivitäten der Hizb Allah bildet, war hiervon nicht betroffen. Die Zahl der Hizb-Allah-Anhänger sowie des Sympathisantenkreises bewegte sich in Hessen im mittleren zweistelligen Bereich. Das Betätigungsverbot rief bundesweit keine signifikanten Reaktionen hervor. Es gab empörte Reaktionen in den sozialen Netzwerken, jedoch kam jedoch nicht zu einer Mobilisierung zum Beispiel in Form von Protestkundgebungen. Zu gewaltorientierten, terroristischen oder anderweitig staatsgefährdenden Aktivitäten, die auf die Hizb Allah zurückzuführen waren, lagen im Berichtszeitraum keine Erkenntnisse vor. Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 219 ISLAMISMUS ISLAMISTISCHE STRAFUND GEWALTTATEN Im Vergleich zum Berichtsjahr 2019 blieb die Anzahl der islamistischen Strafund Gewalttaten konstant, wobei es zwei Körperverletzungen (2019: eine) gab. Insgesamt fiel der überwiegende Teil der Delikte in den Bereich "andere Straftaten", wobei im Berichtsjahr vermehrt Fälle von Terrorismusfinanzierung und gegen das Vereinsgesetz gerichtete Verstöße zu verzeichnen waren. (Siehe im Glossar unter dem Stichwort Politisch motivierte Kriminalität zur Erfassung politisch motivierter Strafund Gewalttaten mit extremistischem Hintergrund.) | 2020 2019 2018 2017 2016 Deliktart Tötung Versuchte Tötung Körperverletzung 2 1 1 Brandstiftung/Sprengstoffdelikte Landfriedensbruch Gefährliche Eingriffe in den Bahn-, Schiffs, Luftund Straßenverkehr Freiheitsberaubung, Raub, Erpressung, 1 Widerstandsdelikte Gewalttaten insgesamt 2 1 1 1 Sonstige Straftaten Sachbeschädigung 2 3 1 1 Nötigung/Bedrohung 2 1 3 5 10 Andere Straftaten 29 34 20 92 51 (insbesondere Propagandadelikte) Strafund Gewalttaten insgesamt 35 36 27 99 62 220 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 EXTREMISMUS MIT AUSLANDSBEZUG - MERKMALE - EXTREMISTISCHES PERSONENPOTENZIAL MIT AUSLANDSBEZUG - PARTIYA KARKEREN KURDISTAN (PKK, ARBEITERPARTEI KURDISTANS) - EXTREMISTISCHE STRAFUND GEWALTTATEN MIT AUSLANDSBEZUG EXTREMISMUS MIT AUSLANDSBEZUG MERKMALE Der nichtreligiös motivierte Extremismus mit Auslandsbezug umfasst sicherheitsgefährdende extremistische und terroristische Bestrebungen in Deutschland, die im Zusammenhang mit politischgesellschaftlichen Entwicklungen im Ausland stehen und überwiegend von Menschen mit Bezug zu den politischen Verhältnissen in einem anderen Staat getragen werden. AUF EINEN BLICK * Gegen Völkerverständigung und friedliches Zusammenleben der Völker * Breites Spektrum von Bestrebungen mit Auslandsbezug Gegen Völkerverständigung und friedliches Zusammenleben der Völker | Extremistische Bestrebungen mit Auslandsbezug richten sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung bzw. das friedliche Zusammenleben der Völker. Diese Bestrebungen gefährden die auswärtigen Belange der Bundesrepublik Deutschland, indem ihre Urheber Gewalt anwenden oder darauf ausgerichtete Handlungen vorbereiten. Obwohl diese Bestrebungen nicht in erster Linie auf die Abschaffung oder Beeinträchtigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zielen, können sie die Sicherheit des Bundes oder der Länder gefährden. Breites Spektrum von Bestrebungen mit Auslandsbezug | Die Art der politischen Agitation zur Umsetzung dieser extremistischen Aktivitäten ist vielfältig. Sie reicht von Demonstrationen und Kundgebungen mit zum Teil gewalttätigem Verlauf bis hin zu "Spendensammelaktionen" und zur logistischen Unterstützung von Konfliktparteien im Herkunftsland. Das schließt die Unterstützung ausländischer terroristischer Gruppierungen ein. Die unterschiedlichen Zielrichtungen von Organisationen mit Auslandsbezug lassen sich im Wesentlichen unterteilen in * nationalistische, rechtsextremistische Bestrebungen, * linksextremistische Bestrebungen sowie * ethnisch motivierte Autonomiebzw. Unabhängigkeitsbestrebungen. Die Übergänge sind dabei oft fließend. 222 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 EXTREMISMUS MIT AUSLANDSBEZUG EXTREMISTISCHES PERSONENPOTENZIAL MIT AUSLANDSBEZUG1 Das Personenpotenzial im Bereich der kurdischen Partiya Karkeren Kurdistan (PKK, Arbeiterpartei Kurdistans) ist seit Jahren auf einem konstant hohen Niveau. Es orientiert sich vor allem an regelmäßigen Demonstrationslagen in Hessen und bildet die tatsächlichen "aktiven" PKK-nahen Kurden in Hessen ab. Das Personenpotenzial der weniger aktionsorientierten extremistischen Türken ergibt sich überwiegend aus Schätzungen. (Siehe im Glossar auch die Erläuterung zum Begriff Personenpotenzial.) | 2020 2019 2018 2017 2016 Kurdischer Ursprung Hessen 1.500 1.500 1.500 1.500 1.500 Bund 14.500 14.500 14.500 14.500 14.000 Türkischer Ursprung Hessen 2.655 2.655 2.700 2.725 2.725 Bund 13.550 13.550 13.550 13.550 13.550 Sonstige Hessen 40 40 130 250 300 Bund 600 770 1.000 2.500 2.500 Gesamtzahl der Extremisten mit Auslandsbezug Hessen 4.195 4.195 4.330 4.475 4.525 Bund 28.650 28.820 30.350 30.550 30.050 1 Die Zahlen sind teilweise geschätzt und gerundet. PARTIYA KARKEREN KURDISTAN (PKK, ARBEITERPARTEI KURDISTANS) DEFINITION/KERNDATEN Ursprüngliches Ziel der PKK war es, einen sozialistisch geprägten Staat ("Kurdistan") zu schaffen. Nachdem die strikt hierarchisch aufgebaute Kaderpartei 1984 zur Erreichung dieses Ziels einen blutigen Guerillakrieg gegen die Türkei begonnen hatte, rückte sie seit 1999 zunehmend davon ab. Inzwischen fordert die Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 223 EXTREMISMUS MIT AUSLANDSBEZUG PKK die Anerkennung der kurdischen Identität und Autonomie. Laut eigenen Aussagen will die PKK dies vor allem auf politischem Wege erreichen. Seit November 1993 (bestandskräftig seit März 1994) ist die PKK in Deutschland mit einem Betätigungsverbot belegt. Die Logo der PKK EU stuft die PKK seit 2002 als terroristische Organisation ein. Führung: Abdullah Öcalan (seit 1999 in der Türkei inhaftiert) EREIGNISSE/ENTWICKLUNGEN Anhänger/Mitglieder: Auch im Berichtsjahr beteiligten sich PKK-nahe Aktivisten aus In Hessen etwa 1.500, Hessen am "Langen Marsch" nach Strasbourg (Frankreich). Während bundesweit etwa 14.500 dieses Marsches, der eine Protestform gegen die Inhaftierung des Anführers der PKK in der Türkei ist, waren mehrere hessische KomBewaffnete Gruppen: Hezen Parastina Gel (HPG, Volksmunen Etappenziele des Marsches. Rund 120 bis 150 Teilnehmer verteidigungseinheiten), waren in Hessen zu verzeichnen. Es kam zu Verstößen gegen das Teyrebazen Azadiya Kurdistan Vereinsund das Versammlungsgesetz sowie zu weiteren Straftaten. (TAK, Freiheitsfalken Kurdistans) Syrischer Ableger: Aufgrund der pandemiebedingten staatlichen Maßnahmen konnten Partiya YekA(r)tiya Demokrat (PYD, zahlreiche Veranstaltungen aus dem PKK-nahen Spektrum nicht Partei der Demokratischen durchgeführt werden. Dies betraf sowohl Demonstrationen als auch Union), deren militärischer Arm Veranstaltungen in den vereinseigenen Räumlichkeiten. Während des bestehend aus den Yekineyen Pa"Lockdowns" wurden Vereinsräume zum Teil komplett geschlossen. rastina Gel (YPG, Volksverteidigungseinheiten) und den Die Absage betraf auch die alljährliche Großkundgebung anlässlich Yekineyen Parastina Jin (YPJ, der zentralen Newroz-Feierlichkeiten, die im März in Frankfurt am Frauenverteidigungseinheiten) Main hätten stattfinden sollen. Erst nach Lockerung der Maßnahmen stieg die Zahl der Aktivitäten wieder an, erreichte aber nicht das NiMedien (Auswahl): Yeni Özgür Politika (YÖP, Neue veau vor der Pandemie. Unberührt von den pandemiebedingten Freie Politik) als Sprachrohr der Maßnahmen blieben die Aktivitäten in den sozialen Medien. PKK, Serxwebun (Unabhängigkeit), Sterk TV/ NUCE-TV Die Forderung nach Freilassung des PKK-Anführers Abdullah Öcalan war auch im Berichtsjahr ein zentraler Motivationsund Ak- \ tionsschwerpunkt der PKK-Anhänger in Hessen. Einem entsprechenden Aktionsaufruf der übergeordneten PKK-Strukturen folgten zahlreiche Aktivisten aus Hessen mit Demonstrationen und Plakataktionen. Ähnliche Mobilisierungswirkungen entfalteten auch die militärischen Aktionen der Türkei in den Kurdengebieten sowie die jährlichen Kampagnen gegen das PKK-Betätigungsverbot in Deutschland. PKK-Aktivistinnen und -Aktivisten aus Hessen beteiligen sich am bewaffneten Kampf in den Kurdengebieten. Im Berichtsjahr ist eine von ihnen nach Hessen zurückgekehrt. AUF EINEN BLICK * "Mesa Direj 2020" * Einschränkungen der PKK-Aktivitäten infolge des "Lockdowns" * Weltweite Kampagne gegen das "faschistische Regime" in der Türkei * Aktionstag zur Freilassung Abdullah Öcalans 224 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 EXTREMISMUS MIT AUSLANDSBEZUG * Jahrestag des PKK-Betätigungsverbots * Dauermahnwache der PKK in Strasbourg * Ermittlungsverfahren * Rückkehr einer mutmaßlichen PKK-Kämpferin "Mesa Direj 2020" | Die Internationale Initiative Freiheit für Öcalan rief unter dem Motto "Freiheit für Öcalan - Schulter an Schulter gegen den Faschismus" zu einem langen Marsch vom 9. bis 15. Februar von Luxemburg nach Strasbourg (Frankreich) auf. Der Marsch wurde in einschlägigen kurdischen PKK-Medien beworben. Flankierend dazu kündigte bereits im Dezember 2019 ein Mitglied des PKKnahen Vereins Demokratisches Gesellschaftszentrum der Kurdinnen und Kurden in Darmstadt e. V. einen mehrtätigen Demonstrationszug von Frankfurt am Main nach Saarbrücken (Saarland) an. Über sechs Etappen sollten sich jeweils 100 bis 200 Personen an dem Marsch beteiligen. Etappenziele waren dabei Neu-Isenburg (Landkreis Offenbach, 8. Februar), Darmstadt (9. Februar), Bensheim (Kreis Bergstraße, 10. Februar), Mannheim (Baden-Württemberg, 11. Februar), Homburg (Saarland, 12. Februar) und Saarbrücken (13. Februar). Treffpunkt für diesen Teil des sogenannten Sternmarsches - weitere Märsche starteten in Genf (Schweiz) und Luxemburg - war am 7. Februar in Frankfurt am Main. Für den 14. Februar war ein Abschlusskonzert in Saarbrücken geplant. Hintergrund des Marsches war der Jahrestag der Verhaftung Abdullah Öcalans am 15. Februar 1999. In Strasbourg findet seit 2012 vor dem Committee for the Prevention of Torture an Inhuman or Degrading Treatment or Punishment (CPT, Europäisches Komitee zur Verhütung von Folter und unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe) eine Dauermahnwache zur Freilassung Öcalans statt. Auch der "Lange Marsch" (kurd. Mesa Direj) findet seit dem Jahr 2012 jährlich statt. In den vergangenen Jahren kam es dabei immer wieder zu Verstößen gegen das Vereinsgesetz und zu zum Teil gewalttätigen Auseinandersetzungen mit nationalistischen Türken. Bereits am 8. Februar verzögerte sich der Start des "Mesa Direj 2020" aufgrund mehrfacher vereinsrechtrechtlicher Verstöße, wie etwa das Mitführen/Tragen von Öcalan-Abbildern und das Skandieren der verbotenen Parole "Biji serok Apo" ("es lebe Apo"). Im Verlauf des Marsches kam es am 8. Februar in Dreieich (Landkreis Offenbach) zu mehreren Provokationen und verbalen Auseinandersetzungen mit offensichtlich nationalistisch orientierten Türken. Die Provokationen/Beschimpfungen seitens der Türken richteten sich dabei zum Teil auch gegen die eingesetzten Polizeikräfte. Im Bereich Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 225 EXTREMISMUS MIT AUSLANDSBEZUG eines türkisch geführten Obstmarktes kam es zu Flaschenwürfen aus den Reihen der kurdischen Marschteilnehmer gegen türkische Marktbesucher. Die festgestellten Verstöße gegen das Vereinsgesetz bzw. der Flaschenwurf und eine versuchte Gefangenenbefreiung zogen am 9. Februar insgesamt drei Festnahmen nach sich. Bei den Festgenommenen handelte es sich um französische Jugendliche. Nach Abschluss der zweiten Etappe kam es am 9. Februar im Darmstädter PKK-Verein zu einem Märtyrergedenken. Ein entsprechender Artikel mit Bildmaterial wurde am 10. Februar auf der PKK-nahen Internetseite Nuce Ciwan veröffentlicht. Die Vereinsräume waren darin sichtbar mit verbotener PKK-Symbolik ausgestaltet. Während der Etappen des Marsches in Hessen belief sich die Teilnehmerzahl auf 120 bis 150 Teilnehmer. Im Internet veröffentlichte Videos zeigen, dass es im Verlauf des Marsches immer wieder zu vereinzelten "Biji-serok-Apo-Rufen" kam. Insgesamt kam es in Hessen im Verlauf der verschiedenen Etappen unter anderem zu Verstößen gegen das Vereinsgesetz und das Versammlungsgesetz sowie zu einem Ermittlungsverfahren wegen gefährlicher Körperverletzung. Der Marsch endete am 13. Februar planmäßig in Saarbrücken. Am 15. Februar erfolgte von dort der Transfer zur zentralen Demonstration in Strasbourg. Bei der Einreise nach Frankreich wurden kurdischen Medienberichten zufolge in Kehl (Baden-Württemberg) 45 Aktivisten wegen Verstößen gegen das Vereinsgesetz und gegen räumliche Beschränkungen kurzzeitig festgenommen. Einschränkungen der PKK-Aktivitäten infolge des "Lockdowns" | Die PKK hat ihre öffentlichen und nichtöffentlichen Aktivitäten zu Beginn der COVID-19-Pandemie heruntergefahren, geplante Veranstaltungen abgesagt und ihre Mitglieder dazu aufgerufen, zu Hause zu bleiben und sich solidarisch zu zeigen. Die Veranstaltungsabsagen betrafen auch die alljährliche Großkundgebung anlässlich der zentralen Newroz-Feierlichkeiten, welche am 21. März wieder in Frankfurt am Main hätten stattfinden sollen. Die Absage erfolgte durch die Veranstalter über die PKK-Medien. Laut der Berichterstattung in den organisationseigenen Medien folgten unter anderem in verschiedenen hessischen Städten einige dem Aufruf, sich in kleinen Gruppen zu Newroz-Feiern zu versammeln. Auch auf die Durchführung von anderen Kundgebungen und Demonstrationen wurde bewusst verzichtet. Damit einhergehend wurden ab der 12. Kalenderwoche alle PKK-nahen Vereine des Gebietes Hessen zunächst auf unbestimmte Zeit geschlossen. Es fanden dort keine Veranstaltungen, Sitzungen oder ähnliches statt. Allerdings trafen sich am 17. Mai in Kassel mehrere PKK-Anhänger im dortigen 226 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 EXTREMISMUS MIT AUSLANDSBEZUG PKK-nahen Verein zu einer Sitzung. Aufgrund des Verstoßes gegen die Auflagen zur Bekämpfung der COVID-19-Pandemie folgten polizeiliche Kontrollmaßnahmen und gegen die Teilnehmer wurden Anzeigen erstattet. Davon abgesehen beschränkten sich in der Zeit des pandemiebedingten "Lockdowns" die Aktivitäten der PKK-Anhänger in Hessen auf Veröffentlichungen und Aufrufe in diversen sozialen Medien, wie Facebook, Instagram, Twitter und Telegram. Ungeachtet der pandemiebedingten staatlichen Maßnahmen wurde die jährliche Spendenkampagne durchgeführt. Diese Spendenkampagne ist wesentliches finanzielles Standbein der gesamten PKKnahen Strukturen. Nach Lockerung der behördlichen Maßnahmen wurden die Protestformen unter freiem Himmel wieder vorsichtig aufgenommen und die PKK-nahen Vereine wieder geöffnet. Das aus den vergangenen Jahren bekannte Ausmaß an PKK-nahen Demonstrationen, deren Intensität und die oft sehr hohe Teilnehmerzahl wurden jedoch nicht erreicht. Aufgrund der Abstandsregeln und sonstiger pandemiebedingter Auflagen pendelten sich die Teilnehmerzahlen bei Veranstaltungen mit PKK-Bezug in Hessen auf ein oft nur zweistelliges Niveau ein. Weltweite Kampagne gegen das "faschistische Regime" in der Türkei | Am 12. September hat die PKK-Dachorganisation Koma Civaken Kurdistan (KCK, Gemeinschaft der Kommunen Kurdistans) in einer Grundsatzerklärung unter anderem den Start einer weltweiten Kampagne gegen das "faschistische Regime" in der Türkei bekannt gegeben. Anlass war laut der PKK-nahen Nachrichtenplattform Ajansa Nuceyan a Firate (ANF, Firatnews Agency) der 40. Jahrestag des Militärputsches in der Türkei. Der Kongreya Civaken Demokratik li Kurdistaniyen Ewropa (KCDK-E, Kurdischer Demokratischer Gesellschaftskongress in Europa), der europäische Dachverband der PKK-Vereine, rief daraufhin zu europaweiten Protestkundgebungen unter dem Motto "Öcalan verteidigen, heißt die Menschheit zu verteidigen" auf. Aufgrund der bekanntermaßen schnellen Mobilisierung innerhalb der kurdischen Diaspora, kam es bereits am gleichen Tag in Deutschland zu ersten Kundgebungen. In Hessen wurden seit dem 12. September Veranstaltungen und Aktionen durchgeführt, unter anderem in Kassel, Darmstadt und Frankfurt am Main, an denen zum Teil deutsche Linksextremisten beteiligt waren. In Kassel erfolgte in den Abendstunden ein Flashmob der deutschen linken Szene, in dessen Verlauf es zu mehreren Sachbeschädigungen durch Graffitis im Stadtbereich kam. Neben Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 227 EXTREMISMUS MIT AUSLANDSBEZUG bekannten linksextremistischen Parolen wurde auch "Fasizme Gecit Yok!" ("Kein Weg für Faschismus") gesprüht , ein Verweis auf das von der KCK angeprangerte "faschistische System" in der Türkei. In Darmstadt versammelten sich etwa 50 kurdische Demonstranten unter dem Motto "Stoppt die Angriffe und die Besatzung der Türkei auf Kurdistan". Während einer Zwischenkundgebung kam es zu Beleidigungen der Demonstrationsteilnehmer durch offenbar türkischstämmige Passanten. Vermutlich im Anschluss an diese Veranstaltung kam es in Darmstadt und Frankfurt am Main darüber hinaus zu Transparentaktionen der Jinen Xwendekaren Kurdistan (JXK, Studierende Frauen aus Kurdistan) Mainz bzw. der PKK-Organisation Tevgera Ciwanen Soresger (TCS, Bewegung der revolutionären Jugend) Frankfurt. Diese prangerten im Rahmen der Kampagne "Em Dibejin Na" ("Wir sagen Nein!") Vergewaltigungen und Femizide an. Die Grundsatzerklärung und die anschließenden Proteste waren inhaltlich wenig konkret und deckten insgesamt ein breites Spektrum an Themenfeldern ab, womit sie den sonst konkreter anlassbezogenen Erklärungen und Aufrufen der PKK-Führung entgegenstanden. Die diversen Mottos wie "Isolation", "das Schicksal Öcalans", "den Kampf gegen den Faschismus", "das repressive Vorgehen des türkischen Staates gegen die kurdisch stämmige Bevölkerung", "die sogenannte Besatzung der Heimatregion", "das militärische Vorgehen der Türkei in den kurdischen Siedlungsgebieten in Syrien, dem Irak und der Türkei", erreichten die PKK-nahen Kurden nur bedingt. Das Demonstrationsgeschehen blieb deutlich hinter sonstigen, auf einen konkreten Anlass bezogenen Kampagnen zurück. Es entstand der Eindruck, dass die diversen Vereine sich genötigt sahen, ihre Mitglieder für Demonstrationen zu mobilisieren. Trotz der Breite der Themenfelder war auffällig, dass Bildnisse Öcalans in diverser Gestaltung stets allgegenwärtig waren. Aktionstag zur Freilassung Abdullah Öcalans | Am 10. Oktober setzten sich die Aktionen im Zusammenhang mit dem KCK-Aufruf vom 12. September fort. Dieses Mal stand ein bundesweiter Aktionstag unter dem Leitspruch "für die Freilassung Öcalans" bzw. "#RiseUpAgainstIsolation" an. Laut der PKK-nahen Nachrichtenagentur ANF wurde die in Deutschland Ende September gestartete Kampagne unter dem Motto "Freiheit für Öcalan! Für ein Ende des Faschismus und der Besatzung" fortgeführt. Parallel dazu veröffentlichte ANF den "Aktionsplan" der Almanya'daki Mezopotamya Topluluklar Konfederasyonu (KON-MED, Konföderation der Gemeinschaften Mesopotamiens in Deutschland) mit dem Aufruf, sich an "kreativen Aktionen" 228 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 EXTREMISMUS MIT AUSLANDSBEZUG in zahlreichen deutschen Städten zu beteiligen, unter anderem in Berlin, Frankfurt am Main, Hamburg, Hannover oder Köln. Bereits am Freitag, dem 9. Oktober, kam es laut ANF in einigen Städten zu Demonstrationen und Aktionen der PKK-Jugend. Am Samstag, dem 10. Oktober, wurden bundesweit zahlreiche Demonstrationen "für die Freiheit und gegen die Isolation Abdullah Öcalans" durchgeführt. Die Demonstrationen verliefen friedlich, störungsfrei und unter Berücksichtigung der geltenden Hygieneund Abstandsregeln. So fanden auch in Frankfurt am Main, Darmstadt und Kassel angemeldete Demonstrationen mit vergleichsweise geringer Teilnehmerzahl statt. Öcalan-Fahnen und Transparente wurde in großer Anzahl mitgeführt. Darüber hinaus war es schon am 7. Oktober zu einer Solidaritätsaktion für Öcalan in Bensheim (Kreis Bergstraße) gekommen. Laut Presseveröffentlichung der YÖP vom 8. Oktober hatten sich Kurden am dortigen Bahnhof versammelt und ein Transparent mit der Aufschrift "Die Zeit ist gekommen; Freiheit für Öcalan" aufgestellt. In einer Unterführung in der Nähe des Bahnhofs stellten drei unbekannte Tatverdächtige ein Plakat mit der Aufschrift "Es ist Zeit wir fordern Freiheit Abdullah Öcalan TCS, TEKOJIN" auf und flüchteten anschließend. Jahrestag des PKK-Betätigungsverbots | Für den 21. November wurde auf verschiedenen PKK-nahen Plattformen für einen dezentralen Aktionstag "Weg mit dem PKK-Verbot" mobilisiert. Der 26. November ist der Jahrestag des 1993 verfügten Betätigungsverbots gegen die PKK in Deutschland, das aufgrund der Aktivitäten der PKK in Deutschland verhängt worden war. Das Verbot erstreckt sich auch auf alle späteren Umbenennungen der Organisation und umfasst ebenso die zahlreichen Untersowie Teilorganisationen der PKK. Darüber hinaus bezieht sich das Verbot auf das öffentliche Zeigen von Symbolen der PKK sowie ihrer Unterund Teilorganisationen. Davon betroffen sind daher sowohl PKK-Symbole, die bereits zum Zeitpunkt des Betätigungsverbots verwendet wurden, als auch solche, die erst später im Zuge von Umbenennungen hinzugekommen sind. Konnte die Organisation in den letzten Jahren bei Veranstaltungen gegen das PKK-Verbot zumindest noch Teilnehmerzahlen im unteren dreistelligen Bereich generieren, war die Resonanz in diesem Jahr niedriger. Diesen Jahrestag nimmt die Organisation in jedem Jahr zum Anlass, um für die Abschaffung des Betätigungsverbots der PKK zu demonstrieren. Motto der Veranstaltungen war in diesem Jahr: "Unsere Utopie gegen ihre Repression - Weg mit dem PKK Verbot!" In verschieHessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 229 EXTREMISMUS MIT AUSLANDSBEZUG denen PKK-nahen Medien wurde zur Teilnahme an dem dezentralen Aktionstag aufgerufen. Die PKK-nahe Tageszeitung YÖP schrieb, "über 60 deutsche und kurdische Organisationen" hätten dazu aufgerufen, am 21. November überall gegen das PKK-Verbot zu demonstrieren. In einer gemeinsamen Erklärung habe es geheißen, die deutsche Regierung versuche seit 27 Jahren, eine der wichtigsten demokratischen Mächte zum Schweigen zu bringen. Erwartungsgemäß wurden für den besagten Tag, aber auch bereits in den Tagen zuvor und danach, diverse Kundgebungen und Banneraktionen in ganz Deutschland angemeldet bzw. durchgeführt. In Hessen waren es Veranstaltungen in Gießen (Landkreis Gießen), Darmstadt, Kassel und Frankfurt am Main, welche allesamt friedlich und störungsfrei verliefen. Darüber hinaus kam es in Frankfurt am Main, Offenbach am Main und Kassel zu Banner-Plakataktionen an Brücken bzw. in den Innenstädten. Dabei wurde sowohl in Frankfurt am Main als auch in Kassel, Internetveröffentlichungen und Videos zufolge, Pyrotechnik abgebrannt und kurzzeitig die verbotene Fahne der Eniya Rizgariya Neteweyi ya Kurdistane (ERNK, Nationale Befreiungsfront Kurdistans) öffentlich gezeigt. Bereits in den beiden Wochen vor dem Aktionstag war es in der Gemarkung von Frankfurt am Main (an der A 5), Darmstadt, Marburg (Landkreis Marburg-Biedenkopf), Gießen (Landkreis Gießen) und Bensheim (Kreis Bergstraße) zu entsprechenden Graffitibzw. Banneraktionen an Brücken gekommen. Diesen Aktionen war ein Aufruf des europäischen Dachverbandes der PKK, KCDK-E, vorausgegangen, welcher "Ein Plakat für jeden Hafttag Öcalans" gefordert hatte. Auch die Kundgebungen zum Jahrestag des PKK-Betätigungsverbots stellten Abdullah Öcalan wieder öffentlichkeitswirksam in den Mittelpunkt der Proteste. Es wurde einmal mehr deutlich, dass Öcalan für Anhänger der Organisation identisch mit der PKK ist und umgekehrt. Dauermahnwache der PKK in Strasbourg | Im September und Oktober waren PKK-Anhänger aus Hessen im benachbarten Ausland medienund öffentlichkeitswirksam für Abdullah Öcalan und die PKK aktiv. Anhänger PKK-naher Vereine aus Frankfurt am Main und Darmstadt übernahmen Anfang bzw. Ende September für jeweils eine Woche die seit nunmehr acht Jahren andauernde Mahnwache vor dem Europarat in Strasbourg (Frankreich). Die Mahnwache vor dem CPTGebäude (Europarat und Antifolterkomitee) besteht seit dem 25. Juni 2012 und wird in regelmäßigen Abständen von PKK-Gruppen aus ganz Europa betreut. 230 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 EXTREMISMUS MIT AUSLANDSBEZUG Ermittlungsverfahren | Am 25. Juni 2019 wurde ein hochrangiger PKK-Kader (hauptamtlicher PKK-Funktionär) mit Wohnsitz in Hessen festund in Untersuchungshaft genommen. Das Staatsschutzkommissariat des PP Mainz führte seit dem 6. Juli 2018 ein entsprechendes Ermittlungsverfahren gemäß SS 129 a, b StGB. Das Verfahren wurde von der Generalstaatsanwaltschaft Koblenz übernommen. Das Oberlandesgericht (OLG) Koblenz erließ schließlich am 17. Juni 2019 die Durchsuchungsbeschlüsse für die Wohnungen des Beschuldigten in Lahnau (Lahn-Dill-Kreis) und Mainz (Rheinland-Pfalz) sowie einen Haftbefehl gegen ihn. Dem Inhaftierten wird zur Last gelegt, in den Jahren 2018 und 2019 Leiter des PKK-Gebietes Mainz gewesen zu sein. Im Zuge der Exekutivmaßnahmen gegen ihn wurden umfangreiche Asservate sichergestellt. Aufgabe des Beschuldigten sei es in seiner Funktion als Gebietsleiter unter anderem gewesen, durch das Organisieren und Überwachen von Spendenkampagnen Finanzmittel zu beschaffen. Insgesamt habe er über 200.000 EUR an die Terrororganisation PKK weitergeleitet. Die dem deutschen linksextremistischen Spektrum zuzurechnende Organisation RH Frankfurt am Main thematisierte die Verhaftung des PKK-Kaders am 11. April via Twitter und rief dazu auf, diesem zu schreiben. Der Tweet ist zusätzlich mit der Forderung "Weg mit dem PKK-Verbot" verbunden, die in ihrer Aufmachung stark an das verbotene PKK-Symbol erinnerte. Der PKK-Funktionär wurde am 18. August vor dem OLG Koblenz zu zweieinhalb Jahren Haft wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland verurteilt. Das Urteil ist rechtskräftig. Rückkehr einer mutmaßlichen PKK-Kämpferin | Am 4. Mai reiste die bei Gießen (Landkreis Gießen) gemeldete PKK-Aktivistin und türkische Staatsangehörige nach fast sieben Jahren Aufenthalt in Syrien/Irak wieder nach Deutschland ein. Die Frau ist in Hessen seit 2013 als PKK-Aktivistin im PKK-Gebiet Gießen bekannt. Ein im Internet veröffentlichtes Video legt den Verdacht nahe, dass sie sich in den dortigen Camps der PKK zur Ausbildung aufgehalten hat. ENTSTEHUNG/GESCHICHTE 1978 als eine Partei mit marxistisch-leninistischer Ausrichtung gegründet, suchte die PKK mit ihren bewaffneten Einheiten seit dem 15. August 1984 die Auseinandersetzung mit dem türkischen Militär. Den Kampfhandlungen fielen seitdem mehrere zehntausend Menschen zum Opfer. Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 231 EXTREMISMUS MIT AUSLANDSBEZUG AUF EINEN BLICK * Wandlungen der PKK * Verurteilung Öcalans * Umbenennungen * Umfeld der PKK Wandlungen der PKK | Die ursprünglich marxistisch-leninistisch orientierte Organisation wurde am 27. November 1978 gegründet und strebte danach, durch einen Guerillakrieg einen revolutionären Umbruch zu erreichen und anschließend einen eigenen kurdischen Staat zu gründen. Im Laufe der Jahre veränderte sich diese Forderung hin zu einer konföderalen Vorstellung, die den Kurden in ihren Gebieten weitgehende kulturelle und politische Autonomie und Selbstbestimmung bringen soll. Hierzu sollen zum Beispiel ein eigenes Parlament, eigene Wirtschaftsund Finanzstrukturen, eine anerkannte eigene Sprache und eine eigene Fahne gehören. Vor allem die beiden letzten Punkte sind für die PKK besonders symbolträchtig. Von Beginn an sah die PKK Gewalt als ein wichtiges Mittel im revolutionären Kampf an. Gewalt wurde innerhalb der Organisation - zum Beispiel gegen Abweichler - ebenso angewendet wie im Rahmen bewaffneter Aktionen und Anschläge insbesondere in der Türkei. Dabei gab es, abhängig von der jeweiligen innenpolitischen Entwicklung, immer wieder Phasen eines von der PKK verkündeten "Waffenstillstands" gegenüber der türkischen Regierung. In Europa und Deutschland versuchte die PKK seit Jahren - zumindest nach außen hin - den Eindruck einer politischen Neuorientierung zu erwecken und sich vor allem durch ihren Kampf gegen den IS in Syrien als zuverlässigen Partner europäischer Staaten darzustellen. Dies geschah auch deshalb, um eine Streichung von der EU-Terrorliste bzw. die Aufhebung des Betätigungsverbots in Deutschland zu erreichen. Verurteilung Öcalans | 1998 entzog Syrien auf massiven Druck der Türkei dem PKK-Anführer Abdullah Öcalan die Unterstützung und veranlasste ihn, sein dortiges Exil aufzugeben. Nach verschiedenen Aufenthalten in Europa und Afrika wurde Öcalan am 15. Februar 1999 in Kenia festgenommen und in die Türkei gebracht. Am 29. Juni 1999 vom Staatssicherheitsgericht in Ankara zum Tode verurteilt - die Strafe wurde mit Abschaffung der Todesstrafe am 3. Oktober 2002 in lebenslange Haft umgewandelt -befindet sich Öcalan seitdem auf der Gefängnisinsel Imrali in Haft. Für die PKK gilt der 15. Februar als "schwarzer Tag in der Geschichte des kurdischen Volkes". Sie spricht in diesem Zusammenhang von einem "internationalen Komplott". 232 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 EXTREMISMUS MIT AUSLANDSBEZUG Umbenennungen | 2002 benannte sich die PKK in Kongreya AzadA(r) A" Demokrasiya Kurdistane (KADEK, Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistans) um. 2003 folgte die Umbenennung in Kongreya Gele Kurdistane (KONGRA GEL, Volkskongress Kurdistans). Damit versuchte die PKK, sich von der "Stigmatisierung" als Terrororganisation zu befreien und sich als politisch neuausgerichtete Organisation zu präsentieren. Die unterschiedlichen Bezeichnungen der letzten Jahre hinsichtlich der Struktur und personellen Zusammensetzung führten zu keinen grundsätzlichen Umgestaltungen der PKK. Die Ursprungsorganisation bestand im Wesentlichen fort. 2005 gründete sich die Koma Civaken Kurdistan (KCK, Gemeinschaft der Kommunen Kurdistans), die sich die Verwirklichung des "demokratischen Konföderalismus" zum Ziel gesetzt hat. Darunter versteht die PKK einen nichtstaatlichen Verbund aller Kurden in der Türkei, in Syrien, im Iran und Irak, den sie mit eigenen Regierungsorganen und mit dem Anspruch einer eigenen Staatsbürgerschaft versieht. Die staatlichen Grenzen der Länder, in denen Kurden leben, sollen in diesem virtuellen Verbund unangetastet bleiben. PKK und KCK sind im Wesentlichen strukturell identisch. In der Binnenkommunikation sprechen Funktionäre, Mitglieder und Anhänger - unbeschadet aller jeweils aktuellen Bezeichnungen der Organisation - seit jeher von PKK. Im Außenverkehr tituliert sich die PKK hingegen, wenn sie ihr organisatorisches Ganzes meint, als KCK. Umfeld der PKK | Mit der PKK verbunden sind die PYD in Syrien sowie die Partiya Jiyana Azad a Kurdistane (PJAK, Partei für ein freies Leben in Kurdistan) und die Partiya Careseriya Demokratik a Kurdistane (PCDK, Partei für eine politische Lösung in Kurdistan) im Irak. Als Schwesterparteien wollen auch sie die Interessen von Kurden vertreten. Die Umsetzung von PKK-Positionen geschieht insbesondere über eigene Medienstrukturen. Neben einem PKK-Fernsehsender (Sterk-TV, Med NUCE-TV) gibt es eine eigene PKK-nahe Nachrichtenagentur ANF (Sitz in den Niederlanden) sowie verschiedene Zeitungen und Zeitschriften (unter anderem die vom Betätigungsverbot nicht betroffene YÖP, die in Neu-Isenburg im Landkreis Offenbach erscheint, sowie Serxwebun und Ciwanen Azad). IDEOLOGIE/ZIELE Ziel der terroristischen PKK war ursprünglich die staatliche Unabhängigkeit der auf mehrere Staaten im Nahen Osten zersplitterten kurdischen Siedlungsgebiete. Der kurdische Staat sollte in der Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 233 EXTREMISMUS MIT AUSLANDSBEZUG Türkei aus Südostanatolien, Regionen im Nordosten Syriens ("Rojava"), Gebieten im Norden des Iraks und Gebieten Westirans bestehen. AUF EINEN BLICK * Autonomie in der Türkei * Öcalan als ideologische Führungsfigur Autonomie in der Türkei | Die PKK behauptet, ihr Ziel der staatlichen kurdischen Unabhängigkeit zugunsten eines einheitlichen länderübergreifenden Siedlungsverbunds aller Kurden aufgegeben zu haben, in dessen Rahmen die Grenzen der betroffenen Staaten Bestand haben sollen. Was die in der Türkei lebenden Kurden betrifft, kämpft die PKK für die staatliche Anerkennung ihrer kulturellen und politischen Identität, die in Südostanatolien mittels eines Autonomiestatus - ähnlich der Autonomen Region Kurdistan im Nordirak - verwirklicht werden soll. Im Zuge des syrischen Bürgerkriegs und der Auseinandersetzungen mit dem IS streben die PKK und ihr syrischer Ableger PYD auch im Norden Syriens nach Autonomie. In dem vom IS befreiten, überwiegend von Kurden besiedelten syrischen Kanton "Rojava" zeichnen sich bereits Strukturen einer gewissen Autonomie ab. Diese sind allerdings weit von jeglicher politischer oder eigenstaatlicher Relevanz entfernt und existieren nur aufgrund der instabilen Lage im Bürgerkriegsland Syrien. Dabei beansprucht die PKK, die Interessen aller Kurden zu vertreten. Öcalan als ideologische Führungsfigur | Der in der Türkei inhaftierte Abdullah Öcalan fungiert weiterhin als ideologische Führungsfigur der Terrororganisation. Dies ist zum einen darin begründet, dass er einer der Gründer der PKK war und damals sogleich zum Vorsitzenden gewählt wurde. Öcalan verfasste Schriften, die noch heute als Material bei der Kaderschulung dienen. Auch nach seiner Inhaftierung hatte Öcalan jahrelang wichtige Entscheidungen der PKK inhaltlich mitgeprägt, so etwa die Zielsetzung der kulturellen und politischen Autonomie, die an die Stelle der Etablierung eines eigenen "Kurdenstaats" trat. Seit mehreren Jahren ist allerdings nicht mehr bekannt, dass Öcalan die inhaltliche Ausrichtung der PKK mitbestimmte. Innerhalb der Terrororganisation hat Öcalan weiterhin eine absolut herausgehobene Stellung inne. Im Laufe der Zeit wurde er immer stärker verklärt, sowohl seine Verhaftung 1999 als auch seine Einzelhaft auf der Gefängnisinsel Imrali wurden im Sinne der PKK historisiert. Insgesamt wird Öcalan schon heute als lebender Märtyrer ver234 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 EXTREMISMUS MIT AUSLANDSBEZUG ehrt, der wegen seines Engagements für eine "richtige und gute Sache" zu Unrecht verfolgt, inhaftiert und isoliert werde. Angesichts fehlender Informationen über Öcalan und seine Situation wird vor diesem Hintergrund bei PKK-Veranstaltungen immer wieder die Forderung erhoben, dass über seinen Gesundheitszustand und seine Haftbedingungen berichtet und ein glaubhaftes Lebenszeichen von ihm gegeben wird. Bei Gerüchten über eine Verschlechterung seines Lebensumfelds oder seines Tods organisieren PKK-Anhänger sofort Solidaritätsaktionen. STRUKTUREN Zahlreiche Teilorganisationen trugen die Aktivitäten der PKK: * Propagandabzw. Frontorganisation (politischer Arm): Koordinasyona Civaka DemokratA(r)k a Kurdistan (CDK, Koordination der kurdisch-demokratischen Gesellschaft), Sitz unbekannt. * Dachorganisation für Europa: Kongreya Civaken Demokratik li Kurdistaniyen Ewropa (KCDK-E, Kurdischer Demokratischer Gesellschaftskongress in Europa). * Dachorganisation für Deutschland: Almanya'daki Mezopotamya Topluluklar Konfederasyonu (KON-MED, Konföderation der Gemeinschaften Mesopotamiens in Deutschland). Ihr gehören fünf Föderationen an, darunter die Federasyona Civaken Demokratik ya Kurdistaniyen li Saarland u Hessen (FCDK-KAWA, Föderation der demokratischen Vereine Kurdistans im Saarland und in Hessen e. V.) mit Sitz in Darmstadt, die auch Hessen umfasst. Für bestimmte Zielgruppen unterhielt die PKK sogenannte Massenorganisationen, zum Beispiel: * Tevgera Ciwanen Soresger (TCS, Bewegung der revolutionären Jugend). * Jinen Ciwanen Azad (Bewegung junger Frauen). * Yekitiya Xwendekaren Kurdistan (YXK, Verband der Studierenden aus Kurdistan). * Jinen Xwendekaren Kurdistan (JXK, Studierende Frauen aus Kurdistan). * Kurdisches Zentrum für Öffentlichkeitsarbeit e. V. (Civika Azad). * Heyva Sor a Kurdistane (HSK, Kurdischer Roter Halbmond). BEWERTUNG/AUSBLICK Die PKK greift seit geraumer Zeit vermehrt auf Abbilder Öcalans bei Demonstrationen/Kundgebungen zurück. Diese Abbilder stehen inzwischen nicht nur gleichgewichtig neben den angestammten PKKKennzeichen, sie haben zudem einen erheblichen Emotionalisierungseffekt und sind in besonderer Weise geeignet, den ZusammenHessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 235 EXTREMISMUS MIT AUSLANDSBEZUG halt der in Deutschland verbotenen PKK zu fördern. Denn der PKKGründer Öcalan dient als Vorbild und in seiner Person bündelt sich die charismatische Herrschaft der PKK. Öcalan bleibt weiter der Kristallisationspunkt für PKK-nahe Kurden innerhalb und außerhalb der Türkei. Selbst für junge Kurden der 3. und 4. Einwanderergeneration in Deutschland und somit auch in Hessen ist der seit 1999 inhaftierte Gründer der PKK identitätsstiftend. Unter seinen Bildern bzw. hinter Bannern und Fahnen mit seinem Abbild versammeln sich zunehmend kurdische Jugendliche und junge Erwachsene. Dies zeigt das generationenübergreifende Fortwirken von Ideologie und Zielsetzung der PKK und ihres symbolträchtigen Vorsitzenden, dessen aktives Handeln aus der Zeit vor seiner Inhaftierung diese Jugendlichen nicht mehr selbst erlebt haben. In Deutschland aufgewachsen und sozialisiert, gilt ihre Solidarität in übersteigerter Form der Herkunftssozialisation ihrer Eltern und Großeltern; dies vor dem Hintergrund der nach wie vor geltenden Verbotsgründe für die PKK. Auch dies ist eine Art von herausgebildeter Parallelgesellschaft. Seit mehreren Jahren kommt es europaweit und auch in Hessen zu zahlreichen Demonstrationen von PKK-Anhängern im Zusammenhang mit der Inhaftierung, dem Gesundheitszustand oder dem vermeintlichen Ableben Abdullah Öcalans. Bei nahezu jeder Demonstration in Hessen wird Öcalan fast selbstverständlich mit in das jeweilige Motto aufgenommen und auch sein Konterfei in großer Zahl mitgeführt. Obwohl auch das Konterfei des PKK-Anführers vom Kennzeichenverbot des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat aus dem Jahr 2018 umfasst ist, ergeben sich unter gewissen Umständen Ausnahmen: So wird das Zeigen bei Veranstaltungen ohne erkennbaren organisatorischen Zusammenhang zur PKK bzw. einem Fokus auf die Haftbedingungen und die persönliche Lebenssituation von Abdullah Öcalan häufig anders gewertet. PKK-nahe Strukturen nutzen das, um eine dann legitime Meinungsäußerung mit den Anliegen der Organisation zu verknüpfen. Eine Abgrenzung bzw. Differenzierung bleibt dabei in der Regel schwierig, da sich ein Bezug zur PKK auch durch handelnde Personen widerspiegeln kann. Öcalans persönliche Situation war, ist und bleibt ein fortwährendes, zentrales Thema für die PKK. Auch in 2020 wurde dies bei mehreren Aktionstagen und Veranstaltungslagen wieder sehr deutlich. Dieser Personenkult sowie politische und militärische Entscheidungen der Türkei werden auch zukünftig immer wieder zu zeitnahen Demonstrationslagen in Deutschland und auch in Hessen führen. Dabei wird die PKK weiterhin versuchen, ihre Möglichkeiten bei öffentlichen Ver236 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 EXTREMISMUS MIT AUSLANDSBEZUG anstaltungen auszuloten, um auf diesem Wege das PKK-Verbot weiter aufzuweichen. Darüber hinaus bleibt die Spendensammlung außerhalb der Türkei das zentrale Anliegen der PKK. Die jährliche Spendenkampagne ist nach wie vor ein wesentlicher Schwerpunkt der PKK-Aktivitäten in Deutschland und dient der logistischen und finanziellen Unterstützung der Gesamtorganisation. Es ist zu erwarten, dass das Vorgehen des türkischen Militärs in den kurdischen Siedlungsgebieten in der Türkei, Syrien und dem Irak und die damit einhergehende Emotionalisierung innerhalb der kurdischen Diaspora dazu führen wird, noch mehr Spenden zu generieren. Den bisherigen Erfahrungen zufolge haben gewaltsame Auseinandersetzungen zwischen dem türkischen Staat und der PKK die Spendenbereitschaft ihrer Anhänger immer gefördert. Mit der Jahresspendenkampagne unterstützt die kurdische PKKnahe Anhängerschaft auch in Hessen die Aktivitäten einer Terrorvereinigung (PKK) im Ausland. Neben der Rekrutierung von Kämpfern und immer wiederkehrender gewalttätiger Ausschreitungen bei Demonstrationen ist dies einer der Hauptgründe für das Fortbestehen des PKK-Verbotes in Deutschland. EXTREMISTISCHE STRAFUND GEWALTTATEN MIT AUSLANDSBEZUG Im Jahr 2020 war das Demonstrationsgeschehen pandemiebedingt rückläufig bzw. fand aufgrund der staatlichen Maßnahmen nur in sehr kleinem Rahmen statt. Teilnehmerzahlen wie in den Vorjahren wurden kaum erreicht. Zudem wurden Großveranstaltungen, wie etwa Newroz, abgesagt. Demzufolge waren die Straftaten im Berichtszeitraum extrem rückläufig. (Siehe im Glossar unter dem Stichwort Politisch motivierte Kriminalität den Eintrag zur Erfassung politisch motivierter Strafund Gewalttaten mit extremistischem Hintergrund.) Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 237 EXTREMISMUS MIT AUSLANDSBEZUG | 2020 2019 2018 2017 2016 Deliktart Tötung Versuchte Tötung Körperverletzung 1 3 5 1 6 Brandstiftung/Sprengstoffdelikte 3 3 Landfriedensbruch 1 1 Gefährliche Eingriffe in den Bahn-, Schiffs-, Luftund Straßenverkehr Freiheitsberaubung, Raub, Erpressung, 1 3 Widerstandsdelikte Gewalttaten insgesamt 1 4 12 1 10 Sonstige Straftaten Sachbeschädigung 6 1 25 8 13 Nötigung/Bedrohung 2 Andere Straftaten 25 68 47 107 48 (insbesondere Propagandadelikte) Strafund Gewalttaten insgesamt 32 73 84 118 71 238 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 ORGANISIERTE KRIMINALITÄT ORGANISIERTE KRIMINALITÄT Die Organisierte Kriminalität ist ein grenzüberschreitendes, transnationales Phänomen. Nahezu 80 Prozent der in Deutschland im Zusammenhang mit der OK geführten Verfahren weisen internationale Bezüge auf. In den letzten Jahren zeigt sich, dass die Straftäter nationalitätenübergreifende Kooperationen eingehen, wenn es für ihre Ziele nützlich ist. So bestätigen Untersuchungen, dass es enge Verflechtungen und eine effiziente Logistik bei den OK-Gruppierungen gibt, wobei diese einen hohen Grad an Organisierung aufweisen. AUF EINEN BLICK * OK-Definition * Missbrauch der freiheitlichen demokratischen Grundordnung - Tätigkeit der Sicherheitsbehörden * Rockerkriminalität * Russisch-eurasische OK * Italienische OK OK-Definition | In Hessen ist für die Beobachtung der OK auch das LfV zuständig, um in seiner Funktion als "Frühwarnsystem" entsprechende Aktivitäten festzustellen und aufzuklären. Als Rechtsgrundlage hierfür dient SS 2 Abs. 2 Nr. 5 HVSG. Damit bildet die entsprechende Beobachtung durch das LfV einen wichtigen Bestandteil der Sicherheitsarchitektur in Hessen im Kampf gegen die OK. Laut der im Jahr 1990 von der bundesweiten Gemeinsamen Arbeitsgruppe Justiz/Polizei (GAG) verabschiedeten Arbeitsdefinition ist die OK, die von Gewinnund Machtstreben bestimmte planmäßige Begehung von Straftaten, die einzeln oder in ihrer Gesamtheit von erheblicher Bedeutung für die Rechtsordnung sind, durch mehr als zwei Beteiligte, die auf längere oder unbestimmte Dauer arbeitsteilig tätig werden * unter Verwendung gewerblicher oder geschäftsähnlicher Strukturen, * unter Anwendung von Gewalt oder durch entsprechende Drohung oder * unter Einflussnahme auf Politik, Verwaltung, Justiz, Medien oder Wirtschaft. Missbrauch der freiheitlichen demokratischen Grundordnung - Tätigkeit der Sicherheitsbehörden | Die OK missbraucht die freiheitliche demokratische Grundordnung, um allein in Deutschland seit Jahren einen Schaden im Millionenbereich zu verursachen (laut des Bundeslagebilds für das Jahr 2019 803.000.000 Euro). OK-Gruppierungen bedrohen die Grundlagen unserer Gesellschaft, indem sie die Macht einer kriminellen Organisation durch Gewalt (Körperverletzung, Bedrohung, Mord), Geld (Bestechung, Firmenbeteiligungen, Immobilienerwerb) und massive Einflussnahme (Politik, Verwaltung, Justiz, Medien, Wirtschaft) durchsetzen wollen. 240 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 ORGANISIERTE KRIMINALITÄT Da Personen, die der OK angehören, sich in der Regel unauffällig und konspirativ verhalten, setzt die Aufklärung dieser Strukturen eine systematische und langfristig angelegte Beobachtung voraus. Das LfV arbeitet aufgrund der internationalen OK-Strukturen mit den OKDienststellen der Bundesund Landespolizei sowie mit weiteren Sicherheitsbehörden im Inund Ausland zusammen. Um bereits im Vorfeld von Straftaten Anhaltspunkte für OK-Aktivitäten festzustellen, können nachrichtendienstliche Mittel eingesetzt werden. Ziel ist es, personelle, logistische, organisatorische, finanzielle sowie deliktische Strukturen zu erforschen. Rockerkriminalität | Das Phänomen der Rockerkriminalität stellt seit vielen Jahren im Bereich der OK einen Beobachtungsschwerpunkt des LfV dar. Das LfV wirkt dabei in Zusammenarbeit mit anderen Behörden auch an Vereinsverboten im Bereich der OK mit. Auch im Berichtsjahr konzentrierte sich das LfV auf die Outlaw Motorcycle Gangs (OMCG) - etwa die Hells Angels - und rockerähnliche Gruppierungen, zum Beispiel die Osmanen Frankfurt BC, deren Aktionsräume im Rhein-Main-Gebiet liegen. Einzelne Führungspersonen der OMCG stellen dabei einen Hochrisikofaktor im Hinblick auf mögliche Gewalteskalationen dar. OMCG sind als Hauptakteure von Machtansprüchen (Gebietsaufund -verteilungen) im "Rotlichtsektor" (Menschenhandel, Zwangsprostitution) anzusehen. In den vergangenen Jahren kam es immer wieder zu gewalttätigen Auseinandersetzungen, bei denen es auch zum Gebrauch von Schusswaffen kam. Dabei erlitten Mitglieder von OMCG schwerste Verletzungen oder sie wurden tödlich verletzt. Russisch-eurasische OK | Zur russisch-eurasischen OK gehören alle OK-Strukturen, die von Personen dominiert werden, die in den Nachfolgestaaten der ehemaligen Sowjetunion geboren wurden und eine entsprechende kulturelle Prägung (zu Beispiel durch Tradition, Sprache und Geschichte) erfahren haben. Von Bedeutung in der OK-Beobachtung durch das LfV sind insbesondere die sogenannten Diebe im Gesetz und die Bandenkriminalität. Italienische OK | Das Rhein-Main-Gebiet ist Rückzugsund Aktionsraum der italienischen OK. Deliktische Schwerpunkte sind - neben der Geldwäsche - der internationale Kokainhandel/-schmuggel sowie die Schutzgelderpressung bei italienischen Restaurantbetreibern. Dabei beobachtet das LfV insbesondere, über welche Verbindungen der kalabrische Mafia-Clan 'Ndrangheta ins Rhein-Main-Gebiet verfügt. Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 241 ORGANISIERTE KRIMINALITÄT 242 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 SPIONAGEABWEHR SPIONAGEABWEHR Die Verfassungsschutzbehörden überprüfen im Bereich der Spionageabwehr alle Hinweise auf nachrichtendienstliche Aktivitäten, die gegen deutsche Interessen gerichtet sind, unabhängig von welchem Staat sie ausgehen. Dabei bildet der Wirtschaftsschutz als präventiver Teil der Spionageabwehr seit je her einen festen Bestandteil der Aufgaben des Verfassungsschutzes. Die Schwerpunkte der Spionageabwehr des LfV lagen auf der Beobachtung entsprechender chinesischer, russischer, iranischer und türkischer Aktivitäten. Darüber hinaus gab es im Berichtszeitraum indische, syrische, pakistanische, vietnamesische und nordkoreanische Aktivitäten. AUF EINEN BLICK * Aufgaben * Schwerpunkte * Zunehmende Gefahr von Cyberangriffen * Abwehr von Cyberangriffen * Klassische Agententätigkeit * Proliferation * Oppositionellenausspähung * Nachrichtenund Sicherheitsdienste der Volksrepublik China * Nachrichtenund Sicherheitsdienste der Russischen Föderation * Einflussnahme seitens der Türkei * Nachrichtendienste der Islamischen Republik Iran * Nachrichtendienste der Islamischen Republik Pakistan * Republik Indien * Arabische Republik Syrien * Sozialistische Republik Vietnam * Demokratische Volksrepublik Korea (Nordkorea) * Wirtschaftsschutz Aufgaben | Die Spionageabwehr befasst sich mit dem folgenden Aufgabenspektrum: * Aufklärung von geheimdienstlicher Agententätigkeit und Ausspähung von Personen, die in Opposition zu den Verhältnissen im Herkunftsland stehen, * Proliferationsabwehr, * Cyberabwehr, * Aufklärung von Einflussnahmen fremder Staaten auf die Meinungsbildung und die Politik in Deutschland mittels Desinformation, Propaganda und hybrider Kriegsführung, * Aufklärung von Staatsterrorismus und * Wirtschaftsschutz. 244 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 SPIONAGEABWEHR Schwerpunkte | Ausländische Nachrichtenund Geheimdienste versuchten auch im Berichtsjahr, im Auftrag ihrer Regierungen mit unterschiedlichsten Mitteln ihre Zwecke zu erreichen. Neben den klassischen Zielen (zum Beispiel Politik, Militär und Forschung) standen weiterhin die Finanzbranche und Einrichtungen der Kritischen Infrastruktur (KRITIS) im Fokus. Mit seinen zahlreichen Forschungseinrichtungen, nationalen und supranationalen Institutionen sowie global agierenden Wirtschaftsunternehmen und Finanzinstituten bot Hessen für fremde Nachrichtendienste ein weites Betätigungsfeld. Vor allem im Rahmen der Bekämpfung der COVID-19-Pandemie tätige Unternehmen und Einrichtungen zählten hierzu. Dies galt vor allem für Einrichtungen, die für die Forschung und die Entwicklung von Impfstoffen zuständig waren, aber auch für staatliche Institutionen, die mit den Impfungen selbst befasst waren. Die COVID-19-Pandemie beeinflusste in vielfältiger Art und Weise die nachrichtendienstlichen Aktivitäten fremder Staaten, indem etwa deren Angehörige Reisebeschränkungen unterlagen und infolgedessen teilweise operative Einsätze nicht durchgeführt wurden. Im weiteren Verlauf war jedoch vor allem der Kampf um die Deutungshoheit über die Pandemie zu beobachten. Er entwickelte sich zu einem Wettstreit darüber, welcher Staat und welche Gesellschaftsordnung mit der Bewältigung dieser Aufgabe vermeintlich besser umgehen konnten. Ziele dieser Einflussnahmeversuche und Desinformationskampagnen fremder Staaten war es, * das Vertrauen der deutschen Bevölkerung in die Stabilität und Funktionalität des Staats und seiner Institutionen und seiner Repräsentanten zu zerstören, * das Vertrauen in unabhängige Medien zu beschädigen, * die eigene wirtschaftliche Dynamik zu unterstützen, * die eigene globale Machtposition auszubauen sowie * die angebliche Überlegenheit des eigenen Gesellschaftsmodells zu propagieren. Das LfV beobachtete dabei die Einflussund Desinformationsaktivitäten von ausländischen Akteuren mit Bezug nach Hessen. Die in diesem Rahmen bekanntgewordenen Aktivitäten entfalteten sich hauptsächlich über das Internet. Zunehmende Gefahr von Cyberangriffen | In Bezug auf die Bewältigung der COVID-19-Pandemie zeigte sich einmal mehr, wie wichtig und mannigfaltig die Funktion der zunehmenden Digitalisierung ist - zum Beispiel im Bereich des Home Office sowohl im Wirtschaftsals auch allgemeinen im Berufslebens. Der digitale Wandel, dessen Relevanz angesichts zahlreicher schnell umzusetzender, pandemieHessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 245 SPIONAGEABWEHR bedingter Maßnahmen umso deutlicher wurde, bot jedoch eine entsprechend größere Angriffsfläche für Cyberangriffe. Vor diesem Hintergrund versuchten Cyberakteure - sowohl aus den Bereichen des Cyber Crime als auch der staatlichen Angreifer -, das Informationsbedürfnis von Anwendern auszunutzen. So verschickten sie Phishing-Mails und Links mit gefälschten Nachrichten zur COVID19-Pandemie oder gefälschte Angebote für Software, wie sie üblicherweise im Home Office benötigt wird. Da die Akteure bewusst Schadsoftware verbreiten wollten, stieg für hessische Unternehmen und Behörden die Gefahr, Opfer von Cyberangriffen zu werden. Bei der Wahl ihrer Mittel waren staatliche Cyberakteure äußerst flexibel. Das Spektrum war weit gestreut und reichte von technisch anspruchsvollen, langfristigen Supply-Chain-Attacken (Angriffe auf Sicherheitslücken) bis hin zu klassischen Spear-Phishing-Kampagnen und dem automatisierten Ausnutzen öffentlich bekannter SoftwareSchwachstellen. Abwehr von Cyberangriffen | Im Verbund der Sicherheitsbehörden leistete das LfV seinen Beitrag für die Cybersicherheit in Hessen und unterstützte Betroffene bei der operativen Abwehr durch Informationen über die Angreifer. Ein wichtiger Kooperationspartner des LfV im Kampf gegen Cyberangriffe war das Hessen Cyber Competence Center (Hessen3C). Es wurde speziell für die Zusammenarbeit zwischen Polizei, Computer Emergency Response Team (CERT) und LfV ins Leben gerufen. Ziel ist es, den Informationsaustausch zwischen den beteiligten Behörden zu optimieren. Klassische Agententätigkeit | Neben der Cyberabwehr blieb die Beobachtung klassischer Agententätigkeit ein wichtiges Aufgabenfeld für die Spionageabwehr des LfV. Fremde Staaten nutzten für ihre nachrichtendienstlichen Operationen neben amtlichen Einrichtungen (zum Beispiel Botschaften, Generalkonsulaten) halbamtliche Vertretungen wie etwa Presseagenturen und Fluggesellschaften, aber auch Wirtschaftsunternehmen. Einfache Gesprächsaufklärung und Anbahnungen fanden dabei oft auch im Rahmen eines vermeintlich unverfänglichen Austauschs im wirtschaftlichen oder diplomatischen Umfeld statt. Verstärkt geschah dies insgesamt über SocialMedia-Plattformen. Proliferation | Auch die Abwehr der Proliferation blieb ein Aufgabengebiet, dem sich das LfV aufgrund einer Vielzahl von proliferationsrelevanten Unternehmen und Forschungseinrichtungen in Hessen zuwandte. 246 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 SPIONAGEABWEHR Unter Proliferation versteht man im nachrichtendienstlichen Zusammenhang die Weiterverbreitung bzw. die Weitergabe von Massenvernichtungswaffen sowie den Erwerb passender Trägersysteme und entsprechender Technologien an Staaten, die bislang nicht über solche Waffen verfügen. Neben dem Import kompletter Waffensysteme umfasst Proliferation die illegale Beschaffung von Komponenten, relevanten Technologien und Herstellungsverfahren sowie die Abwerbung wissenschaftlich-technischen Personals. Oppositionellenausspähung | Darüber hinaus spähten fremde Nachrichtendienste fortgesetzt in Deutschland ansässige Organisationen und Volksgruppen aus, die im Herkunftsland als Oppositionelle politisch verfolgt oder beobachtet wurden. Dabei sank die Hemmschwelle fremder Nachrichtendienste, entsprechende Personen auch in Deutschland auszuforschen, zu bedrohen oder gar zu verschleppen. Durch die Möglichkeit mit gezielten Cyberangriffen auf ITGeräte von Einzelpersonen zuzugreifen, konnten sie zum Beispiel Smartphones kompromittieren. Auf diese Weise war es möglich, umfassende Bewegungsbilder anhand der Positionsdaten zu ermitteln oder umfassende Informationen über Kontakte zu gewinnen. Die dem LfV vorliegende Zahl der Hinweise auf diese Art der Cyberangriffe stieg. Nachrichtenund Sicherheitsdienste der Volksrepublik China | Das von der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) autoritär regierte Land hat sich - auch unter Einsatz seiner Nachrichtendienste - als wirtschaftliche und militärische Großmacht etabliert. Wirtschaftsspionage, Einflussnahme und Beobachtung sowie Kontrolle der Oppositionsbewegungen im Ausland - etwa im Zusammenhang mit der Demokratiebewegung in Hongkong - waren Schwerpunkte der Tätigkeit chinesischer Dienste. Strategische Masterpläne wie "Made in China 2025" und die "Neue-Seidenstraße-Initiative" beschreiben die langfristigen Ziele Chinas. Unternehmen, die im Umfeld der beiden Strategien für China wichtig sind, standen im Fokus entsprechender Wirtschaftsspionage und Cyberangriffe. Im Sinne eines langfristigen Know-how-Schutzes betrachtete das LfV daher auch strategische Investments chinesischer Unternehmen in Hessen. Diese Investments folgen oft nicht privatwirtschaftlichen Interessen, sondern waren Teil der Masterpläne. Bei einem durch die COVID-19-Pandemie bedingten andauernden wirtschaftlichen Abschwung laufen Unternehmen mit schützenswertem Know-how zusehends Gefahr, Übernahmekandidaten derartigen Investments zu werden. Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 247 SPIONAGEABWEHR Um die politische, wirtschaftliche und militärische Informationsbeschaffung der chinesischen Dienste bei Besuchen von Unternehmen und Behörden in China abzuwehren, sollten insbesondere hinsichtlich der vielfältigen technischen Überwachungsmöglichkeiten des chinesischen Staats sensibilisiert sein. So wurde im Juni öffentlich bekannt, dass in China ansässige ausländische Unternehmen verpflichtet sind, eine bestimmte Software zu installieren, um automatisiert Steuern an das zuständige Finanzamt abzuführen und Finanztransaktionen abzuwickeln. Durch die Installation der Software wurde der Trojaner GoldenSpy nachgeladen, durch den Dritte Zugriff auf die Netzwerke der betroffenen Unternehmen erlangten. Allein dieses Vorgehen zeigt, dass China weiterhin auf vielfältige Weise versuchte, an Know-how zu gelangen. Für Unternehmen mit Geschäftstätigkeit in China reichen somit klassische IT-Sicherheitsmaßnahmen gegen Cyberangriffe nicht aus. Chinesische Cyberangriffe und Ausspähungen richteten sich weiterhin gegen Oppositionelle. Dabei standen die als "Fünf Gifte" bezeichneten Bewegungen nach wie vor im Fokus: * Mitglieder der regimekritischen Meditationsbewegung Falun Gong, * Organisationen von Angehörigen der muslimischen Uiguren, * Organisationen von Unterstützern eines autonomen Tibets, * Organisationen von Anhängern der Demokratiebewegung und * Organisationen von Befürwortern der Eigenstaatlichkeit Taiwans. Nachdem die Eindämmung der COVID-19-Pandemie in China offenbar Erfolge zeitigte, bemühten sich die staatlichen Einrichtungen mittels einer intensiven Informationsund Propagandapolitik, die Rolle Chinas als Ursprung des Virus in Zweifel zu ziehen. Die Krisenlösungskompetenz von Staat und Partei wurde hervorgehoben, Fehlverhalten gegenüber der World Health Organization (WHO) abgestritten und die weltweiten Unterstützungsleistungen Chinas ("Maskendiplomatie") betont. In diesem Zusammenhang waren nicht nur die Medien von Staat und Partei im Internet und über soziale Medien aktiv, sondern etliche offizielle Vertreter verteidigten das Vorgehen Chinas und prangerten ein vermeintliches Versagen des "Westens" an. Nachrichtenund Sicherheitsdienste der Russischen Föderation | Russland betrieb nach wie vor Spionage gegen Institutionen in Politik, Wirtschaft und Verwaltung. Der Slushba Wneschnej Raswedki (SWR, Dienst der Außenaufklärung der Russischen Föderation) ist für zivile Objekte und Themen (speziell für Politik, Wirtschaft und Wissenschaft/Technologien) zuständig. Die Glawnoje Raswedywatelnoje Uprawlenije (GRU, Hauptverwaltung beim Generalstab der Streit248 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 SPIONAGEABWEHR kräfte der Russischen Föderation) interessiert sich für das gesamte militärische Spektrum, insbesondere für neue Technologien in der Entwicklung und im Einsatz. Auch die Aktivitäten des russischen Inlandsnachrichtendiensts Federalnaja Slushba Besopasnosti (FSB, Föderaler Dienst für Sicherheit der Russischen Föderation) hielten auf hohem Niveau an. Vor allem die Reisen von Ausländern nach Russland ließen auf eigenem Territorium eine risikolose Ansprache von Personen zu. Dem FSB sind alle Grenztruppen angeschlossen, sodass bereits bei der Einreise "Vorabkontrollen" möglich waren. Jenseits ihrer Spionageaktivitäten versuchten die russischen Dienste, die politische und öffentliche Meinung in Deutschland zu beeinflussen. Russland griff das Thema der COVID-19-Pandemie seit Januar auf vielfältige Weise mittels seiner Propaganda und Desinformation auf. Wichtige Werkzeuge waren dabei die sozialen Netzwerke. Dort ließen sich politische Meinungen und Inhalte rasch verbreiten, verstärken und einem großen Empfängerkreis zugänglich machen. Erleichtert wurde dies durch den Einsatz automatisierter Accounts (Bots) oder sogenannter Trolle. Aber auch gefälschte Nachrichten wurden verbreitet - sowohl über eigens dafür angelegte Portale, die dem Leser vortäuschten, dass es sich um unabhängige Medien handelte, als auch über gehackte Accounts von Dritten. Insbesondere in Branchen mit Bezug zu staatlichen und militärischen Einrichtungen wurden dem LfV russische Cyberangriffe bekannt. Darüber hinaus interessierten sich russische Akteure weiterhin für die Energieversorgung, KRITIS und Branchen, die sich mit der Digitalisierung der Industrie (Industrie 4.0) beschäftigen. Russische Cyberakteure nutzten Schwachstellen in Hardund Software aus, um zum Beispiel großflächig bestimmte IT-Komponenten in ganzen Branchen zu kompromittieren. Auch in den Bereichen der Proliferation und der Oppositionellenausspähung und -verfolgung entfaltete Russland mehr Aktivitäten als in der Vergangenheit. Einflussnahme seitens der Türkei | Der Nachrichtendienst Milli Istihbarat Teskilati (MIT, Nationale Nachrichtendienstorganisation) ist der mit Exekutivbefugnissen ausgestattete Inund Auslandsnachrichtendienst der Türkei. Seine Kernaufgabe besteht in der Ausspähung von Oppositionellen. Darüber hinaus versuchte der MIT, Einfluss auf die Meinungsbildung in Deutschland zu nehmen. Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 249 SPIONAGEABWEHR Eine wichtige Vorfeldorganisation für die Einflussnahme auf politischer und gesellschaftlicher Ebene im Sinne der türkischen Regierungspartei AKP war die türkische Diasporaorganisation Union Internationaler Demokraten (UID). Sie vertritt die Interessen der türkischen Regierung in Deutschland und Europa und ist die inoffizielle Auslandsorganisation der AKP. Am 28. April kündigte das Hessische Kultusministerium an, die Zusammenarbeit mit der Diyanet Isleri Türk Islam Birligi (DITIB, Türkisch Islamischen Union der Anstalt für Religion e. V.) - Landesverband Hessen im Bereich des bekenntnisorientierten islamischen Religionsunterrichts ab dem kommenden Schuljahr einzustellen. Aufgrund von Rechtsgutachten sei erwiesen, dass die Unabhängigkeit der DITIB vom türkischen Staat nicht gewährleistet ist. In allen für das Land Hessen erstellten Gutachten fänden sich Belege für das enge Abhängigkeitsverhältnis der DITIB vom türkischen Staat. Nachdem der Landesverband Hessen der DÄdegTÄdegB am 4. November eine Klage wegen der Aussetzung des bekenntnisorientierten islamischen Religionsunterrichts angestrengt hatte, entschied das Verwaltungsgericht Wiesbaden am 2. Juli 2021, dass die Aussetzung der Kooperation mit der DÄdegTÄdegB in der erfolgten Form nicht rechtskonform war. Ob das Land Hessen Berufung gegen die Entscheidung des Verwaltungsgerichts Wiesbaden einlegt, stand bei Redaktionsschluss noch nicht fest. Die DITIB ist, wie es sich auch aus ihrer Satzung ergibt, an das Präsidium für religiöse Angelegenheiten (Diyanet Isleri Baskanligi) der Türkei in Ankara angebunden. In diesem Rahmen übt die AKP über die DITIB und deren Trägervereine und Erziehungseinrichtungen in Deutschland Einfluss aus. In DÄdegTÄdegB-Moscheegemeinden werden nicht nur religiöse Inhalte vermittelt, sondern es wird einseitige politische Agitation im Sinne der türkischen Regierung betrieben. Darüber hinaus ist davon auszugehen, dass die türkische Regierung die Strukturen der DÄdegTÄdegB weiterhin verdeckt nutzt, um vor dem Hintergrund der Lage in der Türkei angeblich regimekritische Einrichtungen und Einzelpersonen in Deutschland auszuspähen. Den gegenwärtigen politischen Kurs der AKP unterstützt die DITIB, sodass sie als ein Instrument zu betrachten ist, das der Regierung in Ankara weitreichende Möglichkeiten der dauerhaften Einflussnahme auf die türkische Diaspora in Deutschland eröffnet. Zentrale Botschaften türkischer Einflussnahme waren: * Der Mehrheit der Bevölkerung sowie den Behörden und der Politik in europäischen Ländern wurde pauschal Islamophobie unterstellt. Muslime seien nicht wirklich willkommen und würden aufgrund ihrer Herkunft und ihres Glaubens systematisch benachteiligt. 250 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 SPIONAGEABWEHR Deutsche Behörden (vor allem Polizei, Justiz und Jugendämter) mäßen mit zweierlei Maß. * Die Türkei wurde als starke, muslimisch-konservative Ordnungsmacht dargestellt, die der angeblich allgegenwärtigen Islamophobie in Europa entgegentritt. * "Westlichen" Medien wurde eine einseitige Berichterstattung vorgeworfen. Während Gewalt gegen Muslime kaum Aufmerksamkeit erhielte, würden islamistisch motivierte Gewalttaten dramatisiert und dem Islam als Ganzes zugeschrieben. Zudem würde die terroristische PKK und Gülen-Bewegung, welche die türkische Regierung ebenfalls als terroristisch bezeichnet, verharmlost. In diesem Kontext verfügten türkische staatliche Stellen mit dem StrongPity APT (Advanced Persistent Threat = fortgeschrittene andauernde Bedrohung) über einen seit mindestens 2013 aktiven Cyber-Akteur, der sich gegen die Volksgruppe der Kurden, die PKK, die Gülen-Bewegung und regierungskritische Medien richtete. Nachrichtendienste der Islamischen Republik Iran | Der iranische Nachrichtendienst Vezarat-e ettela'at jomhuri-ye eslami-ye iran/Ministry of Intelligence (VAJA/MOIS) ist ein seit Jahren in Deutschland aktiver ziviler Inund Auslandsnachrichtendienst. Neben dem VAJA/MOIS waren der Auslandsaufklärungsdienst der Islamic Revolutionary Guard Corps (IRGC, Iranische Revolutionsgarden) an der Ausspähung iranischer Oppositioneller sowie projüdischer bzw. proisraelischer Einrichtungen beteiligt. Vor dem Hintergrund des gewaltsamen Todes des Kommandeurs der Quds-Brigaden der IRGC und damit verbundener Kundgebungen sowohl oppositioneller Iraner als auch regimetreuer Anhänger (siehe Kapitel Islamismus, S. yyy) bildete die Beobachtung und Bekämpfung oppositioneller Gruppierungen im Inund Ausland nach wie vor den Tätigkeitsschwerpunkt iranischer Nachrichtendienste. Insbesondere Hessen stand als das Land mit der drittgrößten iranischen Diaspora in Deutschland im Fokus des Irans. Der iranische Cyberakteur Mabna Institute führte weltweit seit mindestens 2013 Cyberangriffe gegen Universitäten und Hochschulen durch. Entsprechende Angriffsversuche wurden auch im Berichtsjahr bei hessischen Universitäten festgestellt. Nachrichtendienste der Islamischen Republik Pakistan | Der Geheimdienst der pakistanischen Armee ist der MI (Military Intelligence), der mit der Air Intelligence der Pakistan Air Force und der Naval Intelligence der Pakistan Navy zusammenarbeitet. Hauptaufgabe des MI Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 251 SPIONAGEABWEHR ist es, Informationen in Bezug auf die Streitkräfte feindlicher Länder zu gewinnen. Dazu gehören auch die Spionageabwehr im Inland, die Identifizierung und Eliminierung feindlicher Agenten sowie die Überwachung der Offiziere der pakistanischen Armee. Neben dem MI, der sein Personal ausschließlich aus Militärangehörigen rekrutiert und vornehmlich im Inland operiert, gibt es den ISI (Inter-Services Intelligence), der aus militärischen und zivilen Kräften besteht und sowohl im Inals auch im Ausland aktiv ist. Der ISI ist der führende und wichtigste Geheimdienst Pakistans und ist operativ für die Erfassung, Verarbeitung und Analyse von Daten weltweit zuständig. Er war unter anderem verantwortlich für das Ausforschen pakistanischer Oppositioneller im Ausland. Neben der Beeinflussung der Medien und der öffentlichen Meinung betrieb der ISI Gegenpropaganda und unterstützte antiindische Gruppierungen in Hessen. Republik Indien | Am 18. Dezember verurteilte das OLG Frankfurt am Main den indischen Staatsangehörigen Balvir S. wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr auf Bewährung, wobei die Bewährungszeit zwei Jahre beträgt. Das Urteil ist rechtskräftig. Spätestens seit Anfang 2015 war Balvir S. über in Deutschland stationierte und als Konsuln des indischen Generalkonsulats abgetarnte Führungsoffiziere für den indischen Auslandsgeheimdienst Research & Analysis Wing (R&AW) geheimdienstlich tätig gewesen. Er sammelte Informationen über in Deutschland lebende Angehörige der Sikhs und gab sie an seinen jeweiligen Führungsoffizier weiter. Dies geschah im Rahmen von Telefonaten und persönlichen Treffen in der Wohnung des Führungsoffiziers. Die Informationen bezogen sich vor allem auf Veranstaltungen von Sihk-Gruppierungen, die für ein unabhängiges Khalistan eintreten, sowie auf die oppositionelle Kaschmir-Bewegung. Der Tempel in Frankfurt am Main ist eine der größten Gemeindeeinrichtungen der Sikh in Deutschland und befindet sich weiterhin im Fokus indischer Spionageaktivitäten. Arabische Republik Syrien | Die syrischen Geheimdienste werden vom Nationalen Sicherheitsbüro des Regionalkommandos der syrischen Ba'ath-Partei koordiniert und bilden eine tragende Säule des Regimes von Baschar al-Assad. Neben den klassischen Aufgabenfeldern sind die syrischen Dienste in der Überwachung nationaler und internationaler Medien, Oppositioneller, Dissidenten und Ausländer tätig. Die Dienste beeinflussen in Syrien die öffentliche Meinung, forschen systematisch Regimegegner aus und unterhalten eigene Haftanstalten für politische Gefangene. Als Hauptaufnahmeland syrischer Flüchtlinge in Europa stand Deutschland im Fokus syrischer Nach252 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 SPIONAGEABWEHR richtendienste, wobei es auch in Hessen Hinweise auf entsprechende Aktivitäten gab. Sozialistische Republik Vietnam | Der vietnamesische Nachrichtendienst Tong cuc 2 (TC2) ist im Inund Ausland tätig, das heißt, seit der Entführung des vietnamesischen Staatsangehörigen Xuan Thanh Trinh in Berlin 2017 verdichten sich die Hinweise auf nachrichtendienstliche Tätigkeiten Vietnams in Deutschland. In Bezug auf Hessen waren nicht nur eine zunehmende Verfolgung von Oppositionellen, sondern vermehrte Versuche von Wirtschaftsspionage zu beobachten. Dabei weitete Vietnam in den letzten Jahren mit dem APT Ocean Lotus die Möglichkeiten der Cyberspionage in beiden Feldern deutlich aus. Demokratische Volksrepublik Korea (Nordkorea) | Im Berichtszeitraum verdichteten sich die Hinweise über Aktivitäten des nordkoreanischen APT 38, auch bekannt als Lazarus oder Hidden Cobra, wonach Unternehmen aus den Branchen Rüstung, Luftund Raumfahrt im Fokus gezielter Cyberangriffe mit gefälschten Stellenangeboten auf LinkedIn standen. Zu diesem Zweck wurden im Rahmen der Cyberangriffe Unternehmensmitarbeiter unter dem Vorwand eines Stellenangebots über gefälschte Profile vermeintlicher Mitarbeiter von Konkurrenzunternehmen angesprochen, indem ihnen ein mit einem Trojaner infiziertes Dokument zugesandt wurde, das mit dem vorgeblichen Stellenangebot in Verbindung stand. Die Opfer glaubten, ein lukratives Stellenangebot namhafter Unternehmen in Aussicht zu haben, jedoch kompromittierte der Trojaner das ITSystem der Opfer. Neben Aktivitäten im Rahmen der Wirtschaftsspionage zielten nordkoreanische Cyberangriffen auf die Devisenbeschaffung, was auch für entsprechende Aktivitäten im Bereich des Cybercrime galt. Darüber hinaus versuchten nordkoreanische Cyberakteure sich im Rahmen der COVID-19-Pandemie Zugang zu Informationen im Zusammenhang mit der Impfstoffproduktion zu verschaffen. Wirtschaftsschutz | Ziel des Wirtschaftsschutzes ist es, die Spionage fremder Staaten zu verhindern sowie Wirtschaft und Wissenschaft durch Beratung und Aufklärung vor entsprechenden Aktivitäten zu schützen. Hierzu ist es notwendig, die Sensibilität von Unternehmen und wissenschaftlichen Einrichtungen gegenüber Gefahren, die durch Angriffe drohen, zu erhöhen, Kenntnisse über Methoden und Ziele fremder Nachrichtendienste zu vermitteln und Hilfestellung beim Einsatz geeigneter Schutzmaßnahmen zu leisten ("Prävention durch Information"). Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 253 SPIONAGEABWEHR Im Berichtsjahr prägten die COVID-19-Pandemie und die mit ihr in Zusammenhang stehenden Bekämpfungsmaßnahmen die Präventionsarbeit des Wirtschaftsschutzes. Die üblichen Präventionsveranstaltungen kamen nicht zustande, der persönliche und vertrauensfördernde bilaterale Austausch zwischen dem LfV und Wirtschaftsunternehmen war nahezu unmöglich. Vor diesem Hintergrund bildete die Unterstützung der an der Bekämpfung der Pandemie beteiligten Firmen und Einrichtungen den Schwerpunkt der Tätigkeit des Wirtschaftsschutzes des LfV. Jedoch blieb die Informationsübermittlung in Bezug auf technische Indikatoren zu Cyberangriffen an betroffene Unternehmen und zum Zweck der Prävention von pandemiebezogenen Einschränkungen unberührt. Bei Fragen und Hinweisen zum Wirtschaftsschutz wenden Sie sich an: Telefonnummer: 0611-720-3600 E-Mail-Adresse: wirtschaftsschutz@lfv.hessen.de Zur vertraulichen Kommunikation bietet das LfV verschiedene verschlüsselte Übertragungswege an. Weitere Informationen hierzu sind auf der Homepage des LfV unter www.lfv.hessen.de/presse/anfragen-oder-beratung-zum-thema-wirtschaftsschutz erhältlich. 254 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 GEHEIMSCHUTZ GEHEIMSCHUTZ AUFGABEN/ZIELE Das Arbeitsfeld des LfV umfasst nicht nur die Beobachtung extremistischer Bestrebungen, sondern erstreckt sich auch auf den sogenannten Geheimschutz. In diesen Bereich fällt insbesondere die Mitwirkung des Verfassungsschutzes im Rahmen von Sicherheitsüberprüfungen nach dem Hessischen Sicherheitsüberprüfungsund Verschlusssachengesetz (HSÜVG). Auf dieser Grundlage unterstützt das LfV Behörden und Unternehmen, die mit staatlichen Verschlusssachen umgehen müssen, bei der Bewältigung dieser Sicherheitsaufgaben. AUF EINEN BLICK * Definition und Aufgabe des Geheimschutzes * Personeller Geheimschutz * Materieller Geheimschutz * Geheimschutzverfahren des Bundes und der Länder Definition und Aufgabe des Geheimschutzes | Informationen, deren Bekanntwerden den Bestand, die Sicherheit oder die Interessen des Bundes oder eines Landes gefährden können (Verschlusssachen), bedürfen bei ihrer Bearbeitung und Aufbewahrung eines besonderen Schutzes. Dies gilt für öffentliche Stellen und die Privatwirtschaft gleichermaßen. Verschlusssachen sind je nach dem Schutz, dessen sie bedürfen, in folgende Geheimhaltungsgrade einzustufen: * VS - Nur für den Dienstgebrauch, wenn die Kenntnisnahme durch Unbefugte für die Interessen der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder nachteilig sein kann, * VS - Vertraulich, wenn die Kenntnisnahme durch Unbefugte für die Interessen der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder schädlich sein kann, * Geheim, wenn die Kenntnisnahme durch Unbefugte die Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder gefährden oder ihren Interessen schweren Schaden zufügen kann, * Streng geheim, wenn die Kenntnisnahme durch Unbefugte den Bestand oder lebenswichtige Interessen der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder gefährden kann. Maßnahmen zum Schutz von Verschlusssachen richten sich dem HSÜVG und nach der Verschlusssachenanweisung (VSA) für das Land Hessen. Dabei regelt die VSA unter anderem die Herstellung, Aufbewahrung, Weitergabe und Vernichtung von Verschlusssachen. Das LfV berät alle Behörden und Unternehmen in Hessen, die Umgang mit Verschlusssachen haben. Es informiert, wie Verschluss256 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 GEHEIMSCHUTZ sachen durch geeignete personelle und materielle Maßnahmen vor unberechtigtem Zugriff geschützt werden können. Staatliche Verschlusssachen werden durch eine Vielzahl von Maßnahmen personeller und organisatorisch-technischer Natur geschützt (personeller und materieller Geheimschutz). Personeller Geheimschutz | Zweck des personellen Geheimschutzes ist es, zu verhindern, dass mit einem Sicherheitsrisiko behaftete Personen Zugang zu Verschlusssachen erhalten oder an sicherheitsempfindlicher Stelle innerhalb von lebensoder verteidigungswichtigen Einrichtungen beschäftigt werden. Ein Sicherheitsrisiko besteht zum Beispiel bei: * Unzuverlässigkeit, * fehlender Verfassungstreue, * Erpressbarkeit durch Überschuldung oder * bei besonderer Gefährdung durch Werbungsversuche fremder Nachrichtendienste, insbesondere bei Reisen in entsprechende Länder. Das HSÜVG regelt, dass ab dem Geheimhaltungsgrad VS - Vertraulich nur Personen Zugang zu Verschlusssachen erhalten, die zuvor erfolgreich eine Sicherheitsüberprüfung durchlaufen haben. Das LfV ist mitwirkende Behörde bei den Sicherheitsüberprüfungen und wird auf Ersuchen der zuständigen Stelle (Behörde) tätig. Im Bereich des personellen Geheimschutzes werden entsprechend der vorgesehenen sicherheitsempfindlichen Tätigkeit drei Arten von Sicherheitsüberprüfungen unterschieden: 1. einfache Sicherheitsüberprüfung nach SS 7 HSÜVG (Ü1) bei Zugang zu als VS - Vertraulich eingestuften Verschlusssachen oder bei Tätigkeiten in einem Sicherheitsbereich, 2. erweiterte Sicherheitsüberprüfung nach SS 8 HSÜVG (Ü2) bei Zugang zu als Geheim eingestuften Verschlusssachen oder Zugang zu einer hohen Anzahl als VS - Vertraulich eingestufter Verschlusssachen oder einer Tätigkeit an einer sicherheitsempfindlichen Stelle sowie 3. erweiterte Sicherheitsüberprüfung mit Sicherheitsermittlungen nach SS 9 HSÜVG (Ü3) bei Zugang zu als Streng geheim eingestuften Verschlusssachen oder Zugang zu einer hohen Anzahl als Geheim eingestufter Verschlusssachen oder bei Personen, die beim LfV tätig sind. Eine Überprüfung findet nur mit Einwilligung des Betroffenen statt. Im Rahmen der Mitwirkung an Sicherheitsüberprüfungen wurden im Berichtsjahr durch das LfV 556 Überprüfungen abgeschlossen. Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 257 GEHEIMSCHUTZ Lebensund verteidigungswichtige Einrichtungen können - insbesondere aus terroristischen Motiven - Ziel von Sabotagehandlungen werden. Die Mitwirkung bei Sicherheitsüberprüfungen von Beschäftigten an sicherheitsempfindlichen Stellen innerhalb einer lebensoder verteidigungswichtigen Einrichtung (vorbeugender personeller Sabotageschutzes) ist daher ebenfalls Aufgabe des LfV. In diesem Zusammenhang schloss das LfV als mitwirkende Behörde im Berichtsjahr 518 Sicherheitsüberprüfungen ab. Materieller Geheimschutz | Der materielle Geheimschutz umfasst organisatorische und technische Maßnahmen zum Schutz von Verschlusssachen und von räumlichen Sicherheitsbereichen. Das LfV hat auch hier eine mitwirkende Funktion, das heißt, es berät und unterstützt Dienststellen und geheimschutzbetreute Unternehmen, die Verschlusssachen erstellen und bearbeiten. Zum Bereich des materiellen Geheimschutzes gehört der IT-Geheimschutz. Durch diesen soll sichergestellt werden, dass auch die Verarbeitung von Verschlusssachen mit Informationstechnik den Regelungen der VSA entspricht. Geheimschutzverfahren des Bundes und der Länder | Die materiellen und formellen Voraussetzungen für Unternehmen, die einem Geheimschutz unterliegende Aufträge von staatlichen Stellen erhalten, sind im Geheimschutzverfahren des Bundes und der Länder geregelt. Die Fachaufsicht über dieses Verfahren, das auch als Geheimschutzbetreuung bezeichnet wird, obliegt dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie oder dem jeweils auf Landesebene zuständigen Ministerium, in Hessen dem Hessischen Ministerium für Wirtschaft, Energie, Verkehr und Wohnen. Gemäß SS 24 HSÜVG ist letzteres zuständig für den Geheimschutz in der Wirtschaft in Hessen. Das Ministerium arbeitet auf der Basis öffentlich-rechtlicher Verträge mit hessischen Unternehmen zusammen, denen ein dem Geheimschutz unterliegender Auftrag erteilt wurde. Befindet sich die staatliche Stelle hingegen außerhalb Hessens oder handelt es sich um eine Bundesbehörde, ist die Zuständigkeit des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie gegeben. Für die Durchführung der Sicherheitsüberprüfungen von zu ermächtigenden Personen - also denjenigen Mitarbeitern im Unternehmen, die zur Erfüllung des einem Geheimschutz unterliegenden Auftrags eingesetzt werden sollen - ist der Verfassungsschutz des Landes zuständig, in dem das Unternehmen angesiedelt ist. 258 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 MITWIRKUNGSAUFGABEN DES LFV MITWIRKUNGSAUFGABEN DES LFV Neben der Beobachtung der in SS 2 Abs. 2 HSVG genannten Bestrebungen und Tätigkeiten als Kernaufgabe des Verfassungsschutzes nimmt das LfV gesetzlich geregelte Mitwirkungsaufgaben wahr. Mit seinen Erkenntnissen und Empfehlungen trägt das LfV dazu bei, dass Extremisten weder legal in den Besitz von Waffen gelangen bzw. diese behalten, noch ihren Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland verfestigen können oder Zugang zu sicherheitsempfindlichen Infrastrukturen erhalten. AUF EINEN BLICK * Gesetzlicher Auftrag * Überprüfung der Zuverlässigkeit * Änderung des Waffengesetzes * Erteilung von Aufenthaltstiteln * Einbürgerung * Visumverfahren * Konsultationsverfahren im Asylprozess * Statistik Gesetzlicher Auftrag | Um ihren Stellenwert als integralen Bestandteil der Sicherheitsarchitektur hervorzuheben, wurden die Mitwirkungsangelegenheiten des LfV ausdrücklich in SS 20 Abs. 1 Nr. 2 HVSG aufgeführt. Dem LfV kommt dabei die wesentliche Aufgabe zu, auf Ersuchen von Behörden bei der Überprüfung von Antragstellern mitzuwirken (SS 2 Abs. 3 HVSG). Das LfV wertet im Rahmen seiner Mitwirkungsangelegenheiten die ihm vorliegenden Erkenntnisse aus (SS 4 Abs. 5 HVSG). Überprüfung der Zuverlässigkeit | Das LfV wirkt bei einer Vielzahl von Zuverlässigkeitsüberprüfungen mit, so etwa nach dem * Waffengesetz (WaffG), * Bundesjagdgesetz (BJagdG), * Luftsicherheitsgesetz (LuftSiG), * Gesetz über explosionsgefährliche Stoffe (SprengG), * Gewerbeordnung (GewO) und * Gesetz über die friedliche Verwendung der Kernenergie und den Schutz gegen ihre Gefahren (AtG). Werden bei diesen Zuverlässigkeitsüberprüfungen im Nachhinein Informationen bekannt, die für die Beurteilung der Zuverlässigkeit von Bedeutung sind, besteht für das LfV eine sogenannte Nachberichtspflicht. Änderung des Waffengesetzes | Um zu verhindern, dass Extremisten legal in den Besitz von Waffen gelangen bzw. diese Waffen behalten können, wurde mit dem Dritten Gesetz zur Änderung des Waffen260 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 MITWIRKUNGSAUFGABEN DES LFV gesetzes und weiterer Vorschriften (3. WaffRÄndG) vom 17. Februar 2020 das Waffenrecht ergänzt. So wurde unter anderem in dem neu gefassten SS 5 Abs. 5 Satz 1 Nr. 4 WaffG eine Regelanfrage der Waffenbehörden bei den Verfassungsschutzbehörden im Rahmen der Zuverlässigkeitsüberprüfung eingeführt. Die Regelanfrage wurde mit einer Nachberichtspflicht der Verfassungsschutzbehörden flankiert. Aus der Erweiterung des SS 5 WaffG um die Regelanfrage bei den Verfassungsschutzbehörden wird auch eine Zuverlässigkeitsüberprüfung nach dem Bundesjagdgesetz abgeleitet. So haben die Jagdbehörden nach SS 17 Abs. 1 Satz 2 BJagdG vor Erteilung eines Jagdscheins auch die waffenrechtlichen Anforderungen an die Zuverlässigkeit im Sinne des SS 5 WaffG zu prüfen. Mit dem 3. WaffRÄndG wurde auch das Gesetz über explosionsgefährliche Stoffe angepasst. Mit der Neufassung des SS 8a Abs. 2 Nr. 3 SprengG begründet auch die Mitgliedschaft in einer verfassungsfeindlichen Vereinigung die Regelvermutung der sprengstoffrechtlichen Unzuverlässigkeit. SS 8a Abs. 5 SprengG sieht in der neu gefassten Nummer 4 die Verpflichtung der Sprengstoffbehörden vor, bei jeder Zuverlässigkeitsüberprüfung die zuständige Verfassungsschutzbehörde zu beteiligen. Beschränkte sich die Regelanfrage bislang auf Erlaubnisse nach SS 7 SprengG für den gewerblichen Bereich, wurde die Zuverlässigkeitsüberprüfung um die Erlaubnisse nach SS 27 SprengG für den nicht gewerblichen Bereich erweitert. Auch Personen, die ein Bewachungsgewerbe betreiben oder als Wachperson arbeiten wollen, unterliegen einer Zuverlässigkeitsüberprüfung (SS 34a GewO). Werden diese Personen bei der Bewachung von Aufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünften sowie bei der Bewachung von zugangsgeschützten Großveranstaltungen eingesetzt, wirkt das LfV mit. SS 20 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. l) HVSG regelt die Übermittlungsbefugnis des LfV auch für die Fälle gesetzlich an anderer Stelle normierter Überprüfungen. Dies betrifft zum Beispiel die für den Bereich der Polizei geltenden SSSS 13a und 13b des Hessischen Gesetzes über die öffentliche Sicherheit und Ordnung (HSOG). Das LfV wird nur dann in die Überprüfungen einbezogen, wenn dies im Einzelfall erforderlich ist und die betroffene Person einwilligt. So wirkt das LfV etwa bei der Überprüfung von Personen mit, die eine Tätigkeit als Bedienstete einer Behörde mit Vollzugsaufgaben anstreben oder einen unbegleiteten Zutritt zu staatlichen Einrichtungen erhalten sollen. Gleiches gilt bei Personen, für die ein privilegierter Zutritt zu einer Veranstaltung einer Behörde oder öffentlichen Stelle oder zu einer besonders Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 261 MITWIRKUNGSAUFGABEN DES LFV gefährdeten Veranstaltung in nicht öffentlicher Trägerschaft beantragt wird. Auf Grundlage des SS 13a HSOG wirkt das LfV bei der Überprüfung von Personen mit, die im sicherheitssensiblen Bereich von Veranstaltungen, wie etwa dem Hessentag, eingesetzt werden sollen. Schließlich wirkt das LfV auch bei der Zuverlässigkeitsüberprüfung von an der Hessischen Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge und ihren Außenstellen (HEAE) beschäftigten Dolmetschern mit (SS 20 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. h) HVSG). Erteilung von Aufenthaltstiteln | Die Ausländerbehörden übermitteln vor erstmaliger Erteilung oder Verlängerung von Aufenthaltstiteln die personenbezogenen Daten der Antragsteller an das LfV, um zu prüfen, ob Versagungsgründe vorliegen (SS 73 Abs. 2 AufenthG, Gesetz über den Aufenthalt, die Erwerbstätigkeit und die Integration von Ausländern im Bundesgebiet). Werden dem LfV nachträglich sicherheitsrelevante Informationen bekannt, ist es verpflichtet, diese mitzuteilen (Nachberichtspflicht nach SS 73 Abs. 3 AufenthG). Seit 2009 besteht in Hessen eine regelmäßig tagende Arbeitsgruppe, an der unter anderem Vertreter des Hessischen Ministeriums des Innern und für Sport, der Polizei und des LfV teilnehmen. Die Arbeitsgruppe beschäftigt sich mit in Hessen lebenden Personen ohne deutsche Staatsbürgerschaft, die aus Sicht von Polizei und LfV dem extremistischen, terroristischen Spektrum oder der OK zuzuordnen sind. Ziel ist eine enge behördenübergreifende Zusammenarbeit bei Einzelfällen, die eine besondere Sicherheitsrelevanz aufweisen und bei denen aufenthaltsbeendende oder aufenthaltsbeschränkende Maßnahmen geboten sind. Einbürgerung | Auch bei Einbürgerungsbewerbern, die das 16. Lebensjahr vollendet haben, fragen die zuständigen Regierungspräsidien vor ihrer Entscheidung im Einbürgerungsverfahren beim LfV nach Erkenntnissen (SSSS 32 u. 37 Abs. 2 StAG, Staatsangehörigkeitsgesetz). Visumverfahren | Beantragt ein Ausländer aus einem konsultationspflichtigen Staat bei einer Auslandsvertretung ein Visum zur Einreise nach Deutschland bzw. in das Gebiet der Schengener Staaten, ist eine Vielzahl inländischer Stellen, wie etwa die nationalen Sicherheitsbehörden, zu beteiligen. Zur Feststellung eventueller Versagungsgründe oder sonstiger Sicherheitsbedenken ist dabei eine Übermittlung von personenbezogenen Daten über das Bundesverwaltungsamt (BVA) als technischer Dienstleister an das BfV möglich. Ergibt sich bei einem automatisierten Datenabgleich mit dem NADIS 262 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 MITWIRKUNGSAUFGABEN DES LFV eine Eintragung des LfV, wird es an dem Verfahren beteiligt (SS 73 Abs. 1 AufenthG). Konsultationsverfahren im Asylprozess | Seit 2017 wird bei unerlaubt eingereisten bzw. aufhältigen Personen sowie bei Asylund Schutzsuchenden mit der Erstregistrierung im Ausländerzentralregister ein automatisierter Sicherheitsabgleich initiiert, an dem das LfV - dem Visumverfahren vergleichbar - beteiligt wird (SS 73 Abs. 1a u. 3a AufenthG). Statistik | 2020 wurden 189.707 Anfragen (2019: 184.435 Anfragen) an das LfV gerichtet. Zu den anfragestärksten Mitwirkungsaufgaben zählten insbesondere die Beteiligung bei Aufenthaltstiteln, Einbürgerungen, Visa und die Zuverlässigkeitsüberprüfungen nach dem WaffG, BJagdG und LuftSiG. Die anfragestärksten Prüfungsbereiche wurden statistisch erfasst. Die mit der COVID-19-Pandemie verbundenen Reisebeschränkungen wirkten sich auf die Zahl der Visumerteilungen und das im Bereich der Luftsicherheit eingesetzte Personal aus. Im Bereich Sonstige sind unter anderem enthalten: Konsultationsverfahren im Asylprozess, SprengG, AtG, GewO, Veranstaltungen und HEAE. PROZENTUALER ANTEIL AM ANFRAGEAUFKOMMEN IM BERICHTSJAHR Sonstige 4% BJagdG 7% Aufenthalt WaffG 44% 16% LuftSiG 14% VISA 5% Einbürgerung 10% Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 263 MITWIRKUNGSAUFGABEN DES LFV ANZAHL DER ANFRAGEN NACH VERFAHREN 86.367 83.696 100.000 80.000 60.000 36.318 30.171 29.603 22.842 28.439 40.000 17.753 13.385 20.000 8.639 8.737 8.192 2019 2020 0 AufentEinbürVISA LuftSiG WaffG BJagdG Sonstige halt gerung Im Bereich Sonstige sind unter anderem enthalten: Konsultationsverfahren im Asylprozess, SprengG, AtG, GewO, Veranstaltungen und HEAE. 264 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 ANHANG - ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS - GLOSSAR - EXTREMISTISCHE ORGANISATIONEN UND GRUPPIERUNGEN - REGISTER - GESETZ ZUR NEUAUSRICHTUNG DES LFV ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS Abs. AtG Absatz Gesetz über die friedliche Verwendung der Kernenergie und AfD den Schutz gegen ihre Gefahren Alternative für Deutschland AU AG Afrikanische Union AktiengesellschaftAmtsgericht AUF AK.069 Antifa United Frankfurt Antifaschistisches Kollektiv 069 AufenthG AKP Gesetz über den Aufenthalt, Adalet ve Kalkinma Partisi, Pardie Erwerbstätigkeit und die Intei für Gerechtigkeit und Auftegration von Ausländern im schwung Bundesgebiet al-Shabaab A&O Harakat al-Shabaab al-MujahiAnarchistische Aktion & Orgadin (Bewegung der Mujahidinnisierung Jugend) BAFA AMGT Bundesamt für Wirtschaft und Avrupa Milli Görüs Teskilatlari Ausfuhrkontrolle (Vereinigung der neuen Weltsicht in Europa e. V.) BAMAD Bundesamt für den MilitäriAMISOM schen Abschirmdienst African Mission in Somalia BAMF ANF Bundesamt für Migration und Ajansa Nuceyan a Firate, FiratFlüchtlinge news Agency BC APT Boxclubs Advanced Persistent Threat (fortgeschrittene andauernde BfV Bedrohung) Bundesamt für Verfassungsschutz arab. arabisch BGB Bürgerliches Gesetzbuch A.R.A.G. Antifaschistische Revolutionäre BGBl. Aktion Gießen Bundesgesetzblatt Art. BGH Artikel Bundesgerichtshof 266 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS BIAREX oder erniedrigender BehandBearbeitung integrierter bzw. lung oder Strafe) abgetauchter Rechtsextremisten d. h. BJagdG das heißt Bundesjagdgesetz DDR BKA Deutsche Demokratische ReBundeskriminalamt publik BLM DÄdegTÄdegB Black Lives Matter Diyanet Isleri Türk Islam Birligi (Türkisch-Islamische Union der BND Anstalt für Religion e. V.) Bundesnachrichtendienst DKP BPol Deutsche Kommunistische ParBundespolizei tei BUND DMG Bund für Umwelt und NaturDeutsche Muslimische Geschutz Deutschland meinschaft e. V. BVA DS Bundesverwaltungsamt Deutsche Stimme C 18 Deutschland dt. Combat 18 Deutschland deutsch CDK DVU KoordA(r)nasyona Civaka DemoDeutsche Volksunion kratA(r)k a Kurdistan (Koordination der kurdisch-demokratischen e. V. Gesellschaft) eingetragener Verein CEM ECFR Council of European Muslims European Council for Fatwa and Research CERT Computer Emergency ReEIHS sponse Team European Institute of Human Sciences (Institut für HumanCo. wissenschaften) Kompanie EIHW CPT Europäisches Institut für HuEuropean Committee for the manwissenschaften in DeutschPrevention of Torture and Inhuland e. V. man or Degrading Treatment or Punishment (Europäisches EMUG Komitee zur Verhütung von Europäische Moscheebau und Folter und unmenschlicher Unterstützungsgemeinschaft Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 267 ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS engl. GETZ englisch Gemeinsames Extremismusund TerrorismusabwehrzenEU trum Europäische Union GewO Europol Gewerbeordnung Europäisches Polizeiamt GEZ EZB Gebühreneinzugszentrale Europäische Zentralbank GG FAU Grundgesetz Freie Arbeiterinnenund Arbeiter-Union GI Generation Identitaire FCDK-KAWA Federasyona Civaken DemoGIZ kratik ya Kurdistaniyen li SaarGemeinsames Internetzentrum land u Hessen (Föderation der GmbH demokratischen Vereine KurGesellschaft mit beschränkter distans im Saarland und in HesHaftung sen e. V.) GRU FIOE Glawnoje Raswedywatelnoje Federation of Islamic OrganizaUprawlenije (Hauptverwaltung tions in Europe (Föderation Isbeim Generalstab der Streitkräfte lamischer Organisationen in der Russischen Föderation) Europa) GTAZ FNS Gemeinsames TerrorismusabFreies Netz Süd wehrzentrum FOBAREX GZD Fokussierte operative BearbeiGeneralzolldirektion tung herausragender Akteure im Rechtsextremismus HAMAS Harakat al-Muqawama al-IslaFP miya (Islamische WiderstandsFazilet Partisi (Tugendpartei) bewegung) FSB HEAE Federalnaja Slushba BesopasHessische Erstaufnahmeeinnosti (Föderaler Dienst für Sirichtungen cherheit der Russischen Föderation) Hessen3C Hessen Cyber Competence GAG Center Gemeinsame Arbeitsgruppe Justiz/Polizei HETAZ Hessisches Extremismusund GBA Terrorismusabwehrzentrum Generalbundesanwaltschaft 268 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS HfPV IBD Hessische Hochschule für PoliIdentitäre Bewegung Deutschzei und Verwaltung land e. V. HKE IBH Hessisches Informationsund Identitäre Bewegung Hessen Kompetenzzentrum gegen ExIBÖ tremismus Identitäre Bewegung ÖsterHLKA reich Hessisches Landeskriminalamt IESH HNG Institut Europeen des Sciences Hilfsorganisation für nationale Humaines (Institut für Humanpolitische Gefangene und dewissenschaften) ren Angehörige e. V. IGD HPA Islamische Gemeinschaft in Hessische Polizeiakademie Deutschland e. V. HPG IGMG Hezen Parastina Gel (VolksverIslamische Gemeinschaft Milli teidigungseinheiten) Görüs e. V. HSK IGS Heyva Sor a Kurdistane (KurdiIslamische Gemeinschaft der scher Roter Halbmond) schiitischen Gemeinden Deutschlands HSOG Hessisches Gesetz über die öfIHRA fentliche Sicherheit und Ordnung International Holocaust Remembrance Alliance HSÜVG Hessisches SicherheitsüberprüIL fungsund VerschlusssachenInterventionistische Linke gesetz IRGC HuT Islamic Revolutionary Guard Hizb ut-Tahrir (Partei der BefreiCorps (Iranische Revolutionsung) garden) HVSG IS Hessisches VerfassungsschutzIslamischer Staat gesetz IT i. e. Informationstechnik id est (lat. = dt. das ist) IUE IAC Islamische Union Europa e. V. Ismail Aga Cemaati IWF IB Internationaler Währungsfonds Identitäre Bewegung Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 269 ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS JA KONGRA GEL Junge Alternative Kongreya Gele Kurdistane (Volkskongress Kurdistans) JN Junge Nationalisten KOREX Kompetenzzentrum gegen JVA Rechtsextremismus Justizvollzugsanstalt KPCh JXK Kommunistische Partei Chinas Jinen Xwendekaren Kurdistan (Studierende Frauen aus KurKPD distan) Kommunistische Partei Deutschlands k&p kritik&praxis - radikale Linke KPdSU [f]rankfurt Kommunistische Partei der Sowjetunion KADEK Kongreya AzadA(r) A" Demokrasiya KRITIS Kurdistane (Freiheitsund DeKritische Infrastruktur mokratiekongress Kurdistans) kurd. KCDK-E kurdisch Kongreya Civaken Demokratik lat. li Kurdistaniyen Ewropa (Kurdilateinisch scher Demokratischer Gesellschaftskongress in Europa) LfV Landesamt für VerfassungsKCK schutz Koma Civaken Kurdistan (Gemeinschaft der Kommunen LG Kurdistans) Landgericht KG LuftSiG Kommanditgesellschaft Luftsicherheitsgesetz KIA MB Koordinierte InternetauswerMuslimbruderschaft tung MC KO Motorcycle Club Kommunistische Organisation MI KON-MED Military Intelligence (MilitäriAlmanya'daki Mezopotamya sche Aufklärung) Topluluklar Konfederasyonu MÄdegT (Konföderation der GemeinMilli Istihbarat Teskilati (Natioschaften Mesopotamiens in nale NachrichtendienstorganiDeutschland) sation) 270 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS MLPD OMCG Marxistisch-Leninistische Partei Outlaw Motorcycle Gangs Deutschlands OWiG MNP Gesetz über OrdnungswidrigMillA(r) Nizam Partisi (Nationale keiten Ordnungspartei) PAAF MOIS PhänomenbereichsübergreiMinistry of Intelligence fende wissenschaftliche Analysestelle Antisemitismus und NATO Fremdenfeindlichkeit North Atlantic Treaty Organization PCDK Partiya Careseriya Demokratik NIAS a Kurdistane (Partei für eine poNachrichtendienstliche Inforlitische Lösung in Kurdistan) mationsund Analysestelle PCR NKAKS Polymerase Chain Reaction New Kids Antifa Kassel (Polymerase-Ketten-Reaktion) NPD PIAS Nationaldemokratische Partei Polizeiliche Informationsund Deutschlands Analysestelle NSBM PJAK National Socialist Black Metal Partiya Jiyana Azad a KurdisNSC 131 tane (Partei für ein freies Leben National Socialist Club - Anti in Kurdistan) Communist Action PKK NSDAP Partiya Karkeren Kurdistan (ArNationalsozialistische Deutbeiterpartei Kurdistans) sche Arbeiterpartei PKV NSU Parlamentarische KontrollkomNationalsozialistischer Untermission Verfassungsschutz grund PLO o. g. Palestine Liberation Organizaoben genannt tion (Palästinensische BefreiOAT ungsorganisation) Offenes Antifaschistisches TrefPMK fen Politisch motivierte Kriminalität OK PP Organisierte Kriminalität Polizeipräsidium OLG PYD Oberlandesgericht Partiya YekA(r)tiya Demokrat (Partei der Demokratischen Union) Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 271 ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS R&AW SRP Research & Analysis Wing Sozialistische Reichspartei RAF SS Rote Armee Fraktion Schutzstaffel RH StAG Rote Hilfe e. V. Staatsangehörigkeitsgesetz RHD StGB Rote Hilfe Deutschlands Strafgesetzbuch RI SWR Realität Islam Slushba Wneschnej Raswedki (Dienst der Außenaufklärung RIGD der Russischen Föderation) Rat der Imame und Gelehrten in Deutschland TAK Teyrebazen Azadiya Kurdistan RMI (Freiheitsfalken Kurdistans) Russky Motorcyclisti International TC2 Tong cuc 2 S. Seite TCS Tevgera Ciwanen Soresger (Bes. wegung der revolutionären Jusiehe gend) SAW u. a. Sonderauswertungsgruppe unter anderem SDAJ UCC Sozialistische Deutsche ArbeiUniform Commercial Code terjugend (einheitliches HandelsgesetzSDF buch) Syrian Demokratic Forces UID SHAEF Union Internationale DemokraSupreme Headquarters Allied ten Expeditionary Force (Oberstes UN Hauptquartier der Alliierten ExVereinte Nationen (United Natipeditionsstreitkräfte) ons) SP USA Saadet Partisi (Partei der GlückUnited States of America (Verseligkeit) einigte Staaten von Amerika) SprengG VAJA Gesetz über explosionsgefährVezarat-e ettela'at jomhuri-ye liche Stoffe eslami-ye iran (Ministry of Intelligence, MOIS) 272 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS vgl. vergleiche VPN Violence Prevention Network VSA Verschlusssachenanweisung VwGO Verwaltungsgerichtsordnung WaffG Waffengesetz WaffRÄndG Drittes Gesetz zur Änderung des Waffengesetzes und weiterer Vorschriften WBgR Wiesbadener Bündnis gegen Rechts WDR Westdeutscher Rundfunk WHO World Health Organization (Weltgesundheitsorganisation) YÖP Yeni Özgür Politika (Neue Freie Politik) YPG Yekineyen Parastina Gel (Volksverteidigungseinheiten) YPJ Yekineyen Parastina Jin (Frauenverteidigungseinheiten) YXK Yekitiya Xwendekaren Kurdistan (Verband der Studierenden aus Kurdistan) ZMD Zentralrat der Muslime in Deutschland ZPO Zivilprozessordnung Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 273 GLOSSAR Allein handelnde Täter Mit dem Begriff soll verdeutlicht werden, dass die konkrete Tat zwar allein ausgeführt wurde, die Täter aber dennoch nicht abgeschottet bzw. isoliert von der Welt, die sie umgibt, leben bzw. agieren, sondern sich in einem Kontext bewegen, von dem sie sich beeinflussen lassen. Die Radikalisierung kann sich beispielsweise ausschließlich über den virtuellen Konsum extremistischer Propaganda vollziehen, sodass ein kommunikativer Austausch mit anderen Personen nicht unbedingt erforderlich ist. Die Zugehörigkeit oder der Kontakt zu einem extremistischen Personenzusammenschluss sind somit keine zwingenden Voraussetzungen für eine Radikalisierung der allein handelnden Täter, können aber dennoch nicht grundsätzlich ausgeschlossen werden. (Vgl. ",Zunehmend allein handelnde Täter, die sich selbst radikalisiert haben'", https://www.tagesspiegel.de/politik/bka-praesidentwarnt-vor-wiederholung-von-hanau-zunehmend-allein-handelnde taeter-die-sich-selbst-radikalisiert-haben/26920884.html, Chris Allen: Nur "einsame Wölfe"? Rechtsterrorismus als transnationales Phänomen, https://www.bpb.de/apuz/301134/nur-einsamewoelfe-rechtsterrorismus-als-transnationales-phaenomen, jeweils abgerufen im Juni 2021.) Anarchismus Im Gegensatz zu anderen linksextremistischen Richtungen fehlt es dem Anarchismus an verbindlichen Theorien und gemeinsamen Organisationsstrukturen. Anarchismus ist vielmehr eine Sammelbezeichnung für politische Auffassungen und Bestrebungen, die auf die Abschaffung jeglicher Herrschaft von Menschen über Menschen abzielen. Das Feindbild aller anarchistischen Strömungen ist der Staat. Die Institution des Staats gilt im anarchistischen Selbstverständnis als repressive Zwangsinstanz, die zugunsten einer herrschaftsfreien Gesellschaft aufgelöst oder zerschlagen werden muss. Dabei differenzieren Anarchisten nicht zwischen demokratisch und diktatorisch organisierten Staaten. Nach anarchistischer Vorstellung soll sich die Gesellschaft auf Basis völliger Freiwilligkeit selber organisieren. Häufig schließt eine solche Auffassung einen grundsätzlichen Antiinstitutionalismus mit ein. So gelten auch Parlamente, Parteien, Kirchen und Vereine als Einrichtungen, die einer freiwilligen Assoziation von emanzipierten und mündigen Menschen entgegenstehen. Im Mittelpunkt stehen Freiheit, Freizeit, Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung. Die Ablehnung von Hierarchie und Unterordnung führt zu einer generellen Skepsis gegenüber politischen Organisationsformen. Anarchisten bilden deshalb zumeist nur lose strukturierte Gruppierungen. Gegenwärtig bestehen nur wenige Kleinorganisationen, die sich dezidiert dem Anarchismus verschrieben haben wie zum Beispiel die Freie Arbeiterinnenund Arbeiter-Union (FAU). Daneben sind jedoch 274 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 GLOSSAR auch die meisten autonomen Gruppierungen durch anarchistische Theoriefragmente beeinflusst. (Vgl. http://www.verfassungsschutz.bayern.de/linksextremismus/ definition/ideologie/anarchismus/index.html, abgerufen im Mai 2021.) ... wird als Begriff auch von Demokraten verwendet, um ihre Ableh"Antifaschismus" nung des Rechtsextremismus zum Ausdruck zu bringen. Linksextremisten versuchen den breiten gesellschaftlichen Konsens gegen den Rechtsextremismus zu nutzen, um von Demokraten als Partner akzeptiert zu werden. Im linksextremistischen Sinn ist "Antifaschismus" weit mehr als das Engagement gegen Rechtsextremismus. Er steht für eine grundsätzliche Ablehnung von Parlamentarismus und demokratischem Verfassungsstaat. "Antifaschismus" im linksextremistischen Sinn behauptet, dass die bürgerliche Gesellschaftsordnung mit "Kapitalismus", Parlamentarismus und Rechtsstaat die Ursache von Faschismus und Rechtsextremismus sei. Demokratischen Staaten wie der Bundesrepublik Deutschland wird unterstellt, sich unausweichlich in Richtung eines neuen Faschismus zu entwickeln. Das politische Ziel linksextremistischer Antifaschisten ist deshalb die Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Der Begriff "Antifaschismus" geht zurück auf die inneritalienische Opposition gegen die Herrschaft Benito Mussolinis zwischen 1922 und 1943. Die Wurzeln des deutschen Antifaschismus liegen im Widerstand gegen die Diktatur des "Dritten Reichs". Neben dem bürgerlich-liberal geprägten Antifaschismus, der für den Erhalt bzw. die Wiederherstellung von Demokratie und Rechtsstaatlichkeit eintrat, entwickelte sich ein kommunistisch orientierter, der alle nicht-marxistischen Systeme als potenziell faschistisch oder zumindest als Vorstufe zum Faschismus betrachtet. Der Faschismus gilt dabei als die reaktionärste, chauvinistischste und imperialistischste Form des "Kapitalismus". Nur wenn das Privateigentum an Produktionsmitteln abgeschafft und ein sozialistisches System errichtet werde, könne der Faschismus zerstört werden. Die Forderung nach der Beseitigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung ist die folgerichtige Konsequenz. Linksextremistische Parteien streben im Rahmen ihrer Bündnispolitik die Übernahme von Leitungsund Steuerungsfunktionen in antifaschistischen Organisationen und Bündnissen an. Zur "Legitimation" ihres Führungsanspruchs verweisen sie häufig auf den Kampf kommunistischer Widerstandskämpfer gegen Hitler und die Verfolgung von Kommunisten zur Zeit des deutschen Nationalsozialismus. Daneben nutzen gewaltbereite Autonome den "antifaschistischen Kampf" seit Jahren zur Mobilisierung ihrer Anhänger und zur Legitimierung ihrer militanten Aktionen gegen Staat und Polizei mit dem Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 275 GLOSSAR Argument, diese schützten Rechtsextremisten. Die sogenannten Faschos gelten bei den Autonomen als Feindbild schlechthin. Nach dem Motto "Schlagt die Nazis, wo ihr sie trefft!" wird offen zur Gewaltanwendung aufgerufen. Antifaschismus ist nicht generell linksextremistisch. Es kommt vielmehr darauf an, was die jeweiligen Akteure konkret unter "Faschismus" verstehen und welche Forderungen sie daraus ableiten. (Vgl. https://www.verfassungsschutz.bayern.de/linksextremismus/ definition/aktionsfelder/antifaschismus/index.html, unter dieser Adresse die komplette Fassung des oben gekürzten Glossareintrags, abgerufen im Mai 2021.) "Antigentrifizierung" Die Stadt gilt insbesondere gewaltorientierten Linksextremisten traditionell als zentraler Ort des Klassenkampfs, als Ort der Zuspitzung der Klassengegensätze. Durch die Verbindung mit anderen Gruppen erhoffen sich Linksextremisten Möglichkeiten der Massenmilitanz, die in Städten leichter organisierbar ist als in bevölkerungsschwachen Räumen. Ziel gewaltorientierter Linksextremisten ist insbesondere der Erhalt sogenannter Freiräume, die von der Szene als notwendige Widerstandsstrukturen angesehen werden. Mit dem Thema "Antigentrifizierung" versuchen Linksextremisten ihre eigenen Interessen in eine aktuelle stadtund gesellschaftspolitische Diskussion einzubetten und damit in größeren Bevölkerungskreisen politisch Akzeptanz zu finden. Der Begriff "Gentrifizierung" kommt ursprünglich aus der Stadtsoziologie und bezeichnet soziale Umstrukturierungsprozesse in Stadtteilen, die zu steigenden Mieten und einer Verdrängung der bisherigen Bewohner führen. Viele Bewohner von Großstädten beschäftigt dieses Thema. Es bilden sich Initiativen, die in aller Regel von demokratischen Kräften getragen werden. Linksextremisten versuchen, sich diesen Initiativen anzuschließen bzw. im gleichen Themenfeld eigene Aktionen zu entwickeln, um damit ihre gesellschaftliche Akzeptanz zu steigern und sich vordergründig als sozialpolitische Akteure zu profilieren, wobei sie extremistische Ziele verfolgen, die deutlich über die Sozialpolitik hinausreichen. Autonome Linksextremisten entwickeln im Zusammenhang mit dem Themenfeld "Antigentrifizierung" auch gewalttätige Aktivitäten: Insbesondere Immobilienmakler werden von ihnen als Mitverantwortliche für die "Gentrifizierung" und damit als Feindbild wahrgenommen. Büros und Fuhrpark von Immobilienfirmen sind immer wieder Ziel militanter Attacken aus der linksextremistischen Szene. (Vgl. https://www.verfassungsschutz.bayern.de/linksextremismus/ definition/aktionsfelder/antigentrifizierung/index.html, abgerufen im Mai 2021.) 276 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 GLOSSAR Der Imperialismus, bei dem russischen revolutionären Politiker Lenin "Antiimperialismus" als "höchstes Stadium des Kapitalismus" definiert, ist für Linksextremisten ein Gegenstand heftigster Ablehnung. Nach der klassischen marxistisch-leninistischen Imperialismus-Theorie neigen "kapitalistische" Ökonomien und Staaten dazu, sich zur Maximierung des Profits Märkte für Rohstoffe, Arbeitskräfte und den Absatz von Produkten notfalls gewaltsam zu erschließen, was zu Kolonialismus und Kriegen zwischen "kapitalistischen" Staaten führe. Diese Analyse legt für Linksextremisten eine "antiimperialistische" und "internationalistische" Ausrichtung nahe: Sie verstehen sich als solidarisch mit den "um ihre nationale Befreiung von kolonialistischer Ausbeutung kämpfenden Völkern", falls letztere ein "sozialistisches" Regime errichten wollen. (Vgl. van Hüllen: "Antiimperialistische" und "antideutsche" Strömungen im deutschen Linksextremismus, https://www.bpb.de/ politik/extremismus/linksextremismus/33626/antideutsche-undantiimperialisten, unter dieser Adresse die komplette Fassung des oben gekürzten Glossareintrags, abgerufen im Mai 2021.) Die wichtigsten Mitglieder der Koalition waren die USA, Großbritan"Anti-IS-Koalition" nien, Dänemark, Belgien und Kanada. Partner im Nahen Osten waren Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate, Bahrain, Qatar und Jordanien. (Vgl. https://www.srf.ch/news/international/das-sind-die-wichtigstenmitglieder-der-anti-is-allianz, unter dieser Adresse die komplette Fassung des oben gekürzten Glossareintrags abgerufen im Mai 2021.) Aus linksextremistischer Sicht kennzeichnen den "Kapitalismus" nicht "Antikapitalismus" nur soziale Missstände, sondern auch gesellschaftspolitische Phänomene wie Faschismus, Rechtsextremismus, Rassismus, Repression, Gentrifizierung und Militarismus. Umso wichtiger erscheint Linksextremisten folglich der "antikapitalistische Kampf". Insbesondere die globale Wirtschaftsund Finanzkrise bildet vor diesem Hintergrund den Bezugsrahmen für verschiedene Protestaktionen unter Beteiligung von Linksextremisten. Im Fokus der sogenannten Krisenproteste steht dabei Frankfurt am Main, deutsche Finanzmetropole und zugleich Sitz der Europäischen Zentralbank (EZB), die unter Linksextremisten gleichsam als Symbol der "kapitalistischen Gesellschaft" gilt ("Haut den Banken auf die Pranken"). (Vgl. Linksextremismus. Erscheinungsformen und Gefährdungspotenziale. Hrsg. v. Bundesamt für Verfassungsschutz. Köln 2016, S. 26.) Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 277 GLOSSAR "Antimilitarismus" ... ist ein klassisches linksextremistisches Aktionsfeld, dessen Wurzeln bis in die Anfänge der kommunistischen Bewegung zurückreichen. Im Gegensatz zum Pazifismus geht es Linksextremisten nicht nur um die Abschaffung des Militärs, sondern darüber hinaus um die Beseitigung der parlamentarischen Demokratie. Aus linksextremistischer Perspektive dient das Militär dazu, angebliche kapitalistische Expansionsbestrebungen nach außen durchzusetzen und im Inneren den "Kapitalismus" und dessen "Ausbeutungsstrukturen" zu stabilisieren. Eine klassenlose Gesellschaft kann demzufolge nur erreicht werden, wenn neben der "kapitalistischen" Wirtschaftsordnung und der sie tragenden bürgerlichen parlamentarischen Demokratie auch das Militär abgeschafft wird. Die linksextremistische Szene in der Bundesrepublik Deutschland wendet den "Antimilitarismus" auf die Bundeswehr an. Die Auslandseinsätze der Bundeswehr sowie die Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland an Systemen kollektiver Sicherheit wie der NATO stehen dabei im Fokus. Der "antimilitaristischen" Ideologie zufolge dient die Bundeswehr nur der Durchsetzung imperialer Politik und kapitalistischer Interessen. Ignoriert wird dabei, dass es sich bei der Bundeswehr um ein so genanntes "Parlamentsheer" handelt, dessen bewaffnete Streitkräfte auf der Grundlage einer Entscheidung des Bundestags beziehungsweise auf Basis der Charta der Vereinten Nationen (UN) ins Ausland entsandt werden. Im Rahmen ihrer Bündnispolitik versuchen Linksextremisten Einfluss auf Initiativen zu nehmen, die die Rolle und Aufgabe einer Armee in einem demokratischen Staat kritisch hinterfragen. Insbesondere das autonome linksextremistische Spektrum geht in seinen "antimilitaristischen" Aktionen weit über friedliche Proteste hinaus. In szeneinternen Publikationen finden sich offene Aufrufe zur Gewaltanwendung gegen Bundeswehrangehörige ("Wer direkt reinhaut, macht nichts verkehrt"). Auch Brandanschläge gegen Fahrzeuge und Material der Bundeswehr sowie gegen Unternehmen, die mit der Bundeswehr zusammenarbeiten, gehören zur militanten Praxis der Autonomen. (Vgl. https://www.verfassungsschutz.bayern.de/linksextremismus/ definition/aktionsfelder/antimilitarismus/index.html, unter dieser Adresse die komplette Fassung des oben gekürzten Glossareintrags, abgerufen im Mai 2021.) Antisemitismus ... "ist eine bestimmte Wahrnehmung von Juden, die im Hass auf Juden Ausdruck finden kann. Rhetorische und physische Manifestationen von Antisemitismus richten sich gegen jüdische oder nicht-jüdische Individuen und/oder ihr Eigentum, gegen Institutionen jüdischer Gemeinden und religiöse Einrichtungen". Diese Arbeitsdefinition der International Holocaust Remebrance Alliance (IHRA), die 278 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 GLOSSAR am 26. Mai 2016 in Bukarest (Rumänien) beschlossen wurde, sollte in allen Staaten, Ländern und Kommunen angenommen werden. Doch wird oft gegen diese Definition vorgebracht, sie sei abstrakt und zu schwer verständlich. Die IHRA nennt aber auch praktische Beispiele, die im Folgenden in veränderter und ergänzter Form dargestellt werden: 1. Menschen oder Gruppen rufen zur Tötung/Schädigung von Juden im Namen einer radikalen/extremistischen Ideologie oder einer radikalen/extremistischen Religionsanschauung auf. 2. Menschen oder Gruppen fordern zur Beihilfe zu solchen Taten auf oder versuchen, diese zu rechtfertigen. 3. Menschen oder Gruppen bringen falsche, entmenschlichende, dämonisierende oder stereotype Anschuldigungen gegen einzelne Juden oder die Macht von Juden als Kollektiv vor; dazu können Mythen über eine jüdische Weltverschwörung oder über die Kontrolle von Medien, Wirtschaft, Regierung oder gesellschaftlicher Institutionen zählen. Dabei werden Nicht-Juden als "Handlanger" von Juden dargestellt oder als "Krypto-Juden" (geheime Juden). 4. Juden werden als Volk für tatsächliches oder unterstelltes Fehlverhalten einzelner Juden, einzelner jüdischer Gruppen oder sogar Nicht-Juden (s. Punkt 3) verantwortlich gemacht. 5. Leugnung von Tatsachen, des Ausmaßes, der Mechanismen (zum Beispiel von Gaskammern) oder der Vorsätzlichkeit des Völkermordes an den Juden durch das nationalsozialistische Regime und seine Unterstützer und Komplizen während des Zweiten Weltkriegs. 6. Der Vorwurf gegenüber Juden als Volk oder dem Staat Israel, den Holocaust zu erfinden oder übertrieben darzustellen. 7. Der Vorwurf, Juden fühlten sich dem Staat Israel oder angeblich bestehenden weltweiten jüdischen Interessen (s. Punkt 3) stärker verpflichtet als den Interessen ihrer jeweiligen Heimatländer. 8. Das Aberkennen des Rechts des jüdischen Volkes auf Selbstbestimmung, zum Beispiel durch die Behauptung, die Existenz des Staates Israel sei ein rassistisches Unterfangen. 9. Der Vorwurf, Juden fühlten sich dem Staat Israel oder angeblich bestehenden weltweiten jüdischen Interessen (s. Punkt 3) stärker verpflichtet als den Interessen ihrer jeweiligen Heimatländer. 10. Die Anwendung doppelter Standards bei der Beurteilung des Staates Israel. 11. Das Verwenden von Symbolen und Bildern, die mit traditionellem Antisemitismus oder christlichem Antijudaismus in Verbindung stehen, um Israel, Bürgerinnen und Bürger Israels oder Jüdinnen und Juden zu beschreiben. 12. Vergleiche der aktuellen israelischen Politik mit der Politik des nationalsozialistischen Regimes. Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 279 GLOSSAR 13. Das kollektive Verantwortlichmachen von Juden für Handlungen der Regierung, öffentlicher Institutionen oder Parteien des Staates Israel. 14. Die Behauptung, Juden seien am Antisemitismus aufgrund ihrer Verhaltensweise (s. Punkt 3-4, 6-7, 9), bestimmter Stereotypen (3, 6-9, 11) oder Handlungen (s. Punkt 10, 12-13) selbst verantwortlich. Die Europäische Kommission, das Europäische Parlament und der Rat erkennen die Definition der IHRA an, und die Zivilgesellschaft, die Strafverfolgungsbehörden und die Bildungseinrichtungen orientieren sich daran für eine wirksame Erkennung und Bekämpfung aller Formen von Antisemitismus. So wie andere internationale Organisationen macht die Europäische Kommission in ihrer Arbeit aktiven Gebrauch von dieser Definition, insbesondere auf dem Gebiet der allgemeinen und der beruflichen Bildung. (Vgl. https://www.land.nrw/de/antisemitismus u. https://ec.europa.eu/ commission/presscorner/detail/de/MEMO_19_542, jeweils abgerufen im Mai 2021.) Apo ... ist die in der PKK übliche Bezeichnung für ihren inhaftierten Anführer Abdullah Öcalan. da'wa Salafisten versuchen, ihre Ideologie durch intensive Propagandaaktivitäten zu verbreiten. Dadurch wollen sie Staat und Gesellschaft in einem langfristigen Prozess nach salafistischen Normen umgestalten. Diese sogenannte da'wa-Arbeit (arab. für Missionierung) betreiben sie insbesondere im Internet. Da'wa-Aktivitäten im öffentlichen Raum finden immer seltener statt. Die zunehmend professionelle Verbreitung der salafistischen Ideologie übt eine beträchtliche Anziehungskraft aus auf vor allem junge, emotional und sozial noch nicht gefestigte Muslime, darunter auch Konvertiten. Für eine Reihe von Personen aus dem salafistisch-jihadistischen Bereich sind die Da'wa-Aktivitäten ein wesentlicher Baustein in ihrer Radikalisierungsbiographie. Staatliche Maßnahmen, zum Beispiel Vereinsund Moscheeverbote, diverse Durchsuchungsaktionen, Ermittlungsund Strafverfahren gegen jihadistische Protagonisten und konsequente Abschiebungen führten zu einer Verhaltensänderung der salafistischen Szene: Es ist ein Trend zum Rückzug aus der Öffentlichkeit ins Private feststellbar. Szeneangehörige agieren vermehrt in geschlossenen Internetgruppen und vernetzen sich durch klandestine Treffen, zum Beispiel in Wohnungen (Home-Da'wa). Regional übergreifende Islamseminare oder Auftritte salafistischer Prediger konnten nur noch in Einzelfällen festgestellt werden. 280 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 GLOSSAR (Vgl. https://www.verfassungsschutz.bayern.de/islamismus/definition/strategie/dawaarbeit/index.html, unter dieser Adresse die komplette Fassung des oben gekürzten Glossareintrags, abgerufen im Mai 2021.) Ein maßgeblicher Bestandteil der russisch-eurasischen OK ist die Diebe im Gesetz Ideologie der traditionell als Diebe im Gesetz bezeichneten kriminellen Autoritäten. Diese orientieren sich an einem eigenen Normenund Wertesystem und sehen sich einem selbst auferlegten Kodex verpflichtet. Mit dieser Ideologie sind die aus den lokalen Banden des postsowjetischen Russlands der 1990er Jahre hervorgegangenen kriminellen Organisationen, die sogenannten Syndikate, eng assoziiert. Das Phänomen der russisch-eurasischen OK umfasst alle kriminellen und damit zusammenhängenden legalen und illegalen wirtschaftlichen Aktivitäten, die unter diesem "Leitbild" subsumiert werden können. Ein zentrales Element stellt die sogenannte Diebeskasse - der "Obshyak" - dar. Hierbei handelt es sich um eine aus inkriminierten Geldern gespeiste Gemeinschaftskasse, auf die von den Gruppenmitgliedern je nach Hierarchie und besonderen Umständen zurückgegriffen werden kann. Alle Mitglieder bzw. Ebenen der streng hierarchisch aufgebauten und nach innen und außen abgeschotteten Organisationen sind verpflichtet, in diese Gemeinschaftskasse einzuzahlen. (Vgl. https://www.bka.de/DE/UnsereAufgaben/Deliktsbereiche/ OrganisierteKriminalitaet/organisiertekriminalitaet_node.html, abgerufen im Mai 2021.) Der "Ethnopluralismus" sieht sein Idealbild in einer Völkervielfalt eth"Ethnopluralismus" nisch homogener Staaten. Diese von Rechtsextremisten vertretene Vorstellung läuft letztlich auf die Schaffung ethnisch reiner Gesellschaften und damit die Ausweisung aller "Volksfremden" hinaus. (Vgl. https://www.verfassungsschutz-bw.de/,Lde/1940780, abgerufen im Mai 2021.) s. "Antifaschismus" Faschismus ... richtet sich gegen Menschen, die sich durch Herkunft, Nationalität, Fremdenfeindlichkeit Religion oder Hautfarbe von der als "normal" erachteten Umwelt un(s. auch Rassismus) terscheiden. Die mit dieser Zuweisung typischerweise verbundenen vermeintlich minderwertigen Eigenschaften werden als Rechtfertigung für einschlägige Straftaten missbraucht. Insbesondere das rechtsextremistische Weltbild ist geprägt von einer Überbewertung Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 281 GLOSSAR ethnischer Zugehörigkeit, aus der unter anderem Fremdenfeindlichkeit resultiert. (Vgl. https://www.verfassungsschutz.bremen.de/ oeffentlichkeitsarbeit/detail.php?gsid=bremen77.c.11578.de& template=20_glossar_d&lang=de&begriff=F, abgerufen im Mai 2021.) "Führerprinzip" ... galt als das Grundgesetz nationalsozialistischer Weltanschauung. Es verpflichtete nach dem Motto "Führer befiehl, wir folgen" zu blindem Gehorsam und bedingungsloser Treue gegenüber Adolf Hitler als dem obersten "Führer" sowie die jeweilige Gefolgschaft zu Gehorsam gegenüber den Befehlen der Führer auf mittlerer und unterer Ebene. Das Führerprinzip war unter Berufung auf Hitlers Buch "Mein Kampf" als Gegensatz zu jeder Art von demokratischer Entscheidung und Mitbestimmung formuliert und fand im Kult um die Person Hitlers seinen höchsten Ausdruck. Im Willen des Diktators war alle hoheitliche Gewalt des Reichs verkörpert. Nach der damals gültigen Definition war die "Führergewalt" nicht durch Kontrollen gehemmt, sie war ausschließlich und unbeschränkt. Mit der Anerkennung des nationalsozialistischen "Führerprinzips", das bis 1933 nur innerhalb der NSDAP galt und dann auf alle Bereiche von Staat und Gesellschaft ausgedehnt wurde, verzichteten die Deutschen auf alle bürgerlichen Rechte der Gestaltung ihrer Verhältnisse und damit auch auf rationale Strukturen der Politik, die nun ausschließlich vom Willen der "Führer" gesteuert wurde. Das "Führerprinzip" galt nicht nur im politischen und sozialen Bereich, auch die Wirtschaft wurde nach dem Prinzip von Befehl und Gehorsam gelenkt. Das "Führerprinzip" war Inbegriff der Selbstaufgabe des Individuums im nationalsozialistischen Staat. Als Anspruch ist das "Führerprinzip" auch für den modernen Rechtsextremismus typisch und kennzeichnender Ausdruck antidemokratischer Gesinnung. (Vgl. https://www.bpb.de/politik/extremismus/antisemitismus/ 37986/argumente-gegen-rechte-vorurteile?p=9, hier die komplette Fassung des oben gekürzten Glossareintrags, abgerufen im Mai 2021.) "Führerstaat" Der "Führerabsolutismus" gründete sich nicht allein auf Hitlers Machtwillen oder besondere persönliche Qualitäten, sondern auch und vor allem auf die Zustimmungsund Unterordnungsbereitschaft in Verwaltung und Gesellschaft sowie auf die besondere Herrschaftsmechanik im nationalsozialistischen Führerstaat. Der "Führer"-Mythos wurde zum gemeinsamen Nenner der inneren Herrschaftsmechanik sowie der Legitimation durch die Gesellschaft. Bereits während der Aufstiegsphase der NSDAP war Hitler zum machtpolitischen und 282 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 GLOSSAR ideologischen Bezugspunkt der nationalsozialistischen Bewegung geworden. Er hatte zudem diese Machtstellung durch die "Führer"Erwartung innerhalb der NSDAP sowie durch den "Führer"-Kult propagandistisch verstärken bzw. überhöhen können. Nach der Machtübernahme 1933 übertrug sich dieser Prozess der wechselseitigen Verstärkung von allgemeiner Erwartung einer charismatischen Erlöserund Retterfigur und von dem nunmehr staatlichen Kult um den "Führer" auf die gesamte Gesellschaft. (Vgl. Hans-Ulrich Thamer, Ausbau des Führerstaates, http://www.bpb.de/ geschichte/nationalsozialismus/dossiernationalsozialismus/ 39550/ausbau-des-fuehrerstaates?p=all, hier die komplette Fassung des oben gekürzten Glossareintrags, abgerufen im Mai 2021.) s. "Antigentrifizierung" Gentrifizierung Gewalt spielt im Salafismus auch als religiös legitimierte Gewalt bei hadd der Vollstreckung des islamischen Rechts eine Rolle. Nach salafistischer Auffassung ist das islamische Recht uneingeschränkt anzuwenden. Das umfasst auch die Verhängung von Körperstrafen für bestimmte Vergehen. Körperstrafen werden im islamischen Strafrecht für zahlreiche Delikte verhängt, so zum Beispiel für die sogenannten Grenzvergehen (von arab. hadd, dt. Grenze) sowie für Mord und Totschlag. Als Grenzvergehen werden diejenigen Verbrechen bezeichnet, die der Koran und die Überlieferungen des Propheten als Kapitalverbrechen benennen und die mit einem bestimmten Strafmaß belegt sind. Sie heißen Grenzvergehen, da sie nicht menschliches Recht, sondern das Recht Allahs verletzen. Es muss daher genau die im Koran bzw. der Überlieferung vorgesehene Strafe vollstreckt werden, das heißt die irdische Justiz besitzt bei der Festlegung der Strafe keinen Ermessensspielraum. Islamische Juristen schreiben strenge Voraussetzungen für die Tatfeststellung vor, sodass historisch betrachtet solche Strafen sehr selten ausgesprochen wurden. Salafisten ignorieren die islamischen Rechtstraditionen; für sie sind die im Koran verankerten Grenzstrafen gottgewollt und unbedingt anzuwenden. Zu den Grenzvergehen gehören: Ehebruch und Unzucht, Verleumdung/falsche Beschuldigung wegen illegalen Geschlechtsverkehrs, schwerer Diebstahl, schwerer Straßenraub und Raubmord sowie Alkoholgenuss. Die für die Grenzvergehen verhängten Körperstrafen reichen vom Auspeitschen über das Abtrennen von Hand und/oder Fuß bis hin zur Steinigung und Enthauptung. (Vgl. Salafistische Bestrebungen in Deutschland. Hrsg. v. Bundesamt für Verfassungsschutz und Landesbehörden für Verfassungsschutz. Köln 2012, S. 10f.) Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 283 GLOSSAR "Heldengedenken" Der Nationalsozialismus ist nach wie vor Vorbild für große Teile der rechtsextremistischen Szene. Die Verbrechen der nationalsozialistischen Diktatur werden dabei ausgeblendet. Vor allem die militärische Komponente des historischen Nationalsozialismus übt auf heutige Rechtsextremisten nach wie vor eine hohe Faszination aus. Dies zeigt sich sowohl in der Verehrung der im Zweiten Weltkrieg kämpfenden Verbände wie auch in der Leugnung der durch deutsche Soldaten begangenen Verbrechen. Viele Rechtsextremisten sammeln Gegenstände mit Bezug zum "Dritten Reich". Dazu zählen neben Fahnen und militärischen Gegenständen auch Bilder und Büsten von maßgeblichen nationalsozialistischen Protagonisten. Darüber hinaus interessieren sich viele Rechtsextremisten für Liedgut, Literatur und Filme des "Dritten Reichs". Die positive Bezugnahme auf den Nationalsozialismus äußert sich auch in der Verehrung, die Rechtsextremisten bis heute nationalsozialistischen Führungspersonen entgegenbringen. Eine besondere Rolle nimmt dabei der Hitler-Stellvertreter Rudolf Heß ein, der in der neonazistischen Szene als Märtyrer verehrt wird. Heß, der in den Nürnberger Prozessen zu lebenslanger Haft verurteilt worden war, saß bis zu seinem Selbstmord am 17. August 1987 im Kriegsverbrechergefängnis in Berlin-Spandau. Gerade dieses Datum wird von Rechtsextremisten und Neonazis zum Anlass genommen, im Rahmen von Demonstrationen und Gedenkveranstaltungen der ehemaligen nationalsozialistischen Größen zu erinnern und hierbei revisionistische Geschichtsbilder und Verschwörungstheorien zu den Todesumständen von Heß zu propagieren. Im Kern der rechtsextremistischen Theorien zum Tod von Rudolf Heß steht die Behauptung, dass Heß nicht Selbstmord begangen habe, sondern durch die Alliierten ermordet worden sei. Das Grab von Rudolf Heß befand sich bis 2011 auf dem städtischen Friedhof der Stadt Wunsiedel (Bayern). Der Ort hat für Rechtsextremisten bis heute einen hohen Symbolwert und dient nach wie vor einmal jährlich als Veranstaltungsort für die Partei Der Dritte Weg und ihre "Heldengedenken"-Veranstaltung. Seit 2005 steht in Deutschland die Verherrlichung des nationalsozialistischen Regimes unter Strafe. Auf Grundlage der entsprechenden Strafvorschrift sind seither Rudolf-Heß-Gedenkmärsche in Wunsiedel verboten. Die Heldengedenken des Dritten Wegs finden nur noch unter strengen behördlichen Auflagen statt. Unter anderem werden die namentliche Nennung von Rudolf Heß oder andere direkte Bezugnahmen zu seiner Person im Rahmen von öffentlichen Veranstaltungen regelmäßig untersagt. Rechtsextremisten sind daher bestrebt, ihre Verehrung möglichst indirekt auszudrücken bzw. auf andere von konkreten Verbotsauflagen unberührte Personen mit Bezug zum Nationalsozialismus zu beziehen. 284 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 GLOSSAR (Vgl. https://www.verfassungsschutz.bayern.de/rechtsextremismus/ definition/ideologie/nationalsozialismus/index.html, hier die komplette Fassung des oben gekürzten Glossareintrags abgerufen im Mai 2021.) Seit den 1970ern ist Holocaust eine nahezu weltweit gebräuchliche Holocaust Bezeichnung für den Mord an den Juden Europas durch das nationalsozialistische Deutschland im Zweiten Weltkrieg. Holocaust stammt vom griechischen Wort holocauston ab und bedeutet "Brandopfer" (wörtlich übersetzt "ganz verbrannt"). Das Symbol des Brandoder Sühneopfers macht den Begriff jedoch insofern zwiespältig, weil die Massenvernichtung keine religiöse oder kultische Handlung war, sondern ein systematisch geplanter und durchgeführter Mord. In Deutschland setzte sich der Begriff ab 1979 durch, nach der Ausstrahlung der gleichnamigen TV-Serie im deutschen Fernsehen. Das Wort Holocaust stellt für viele jüdische Überlebende wegen des ursprünglich christlichen Hintergrunds ein Problem dar, weshalb von Juden auch oft der Begriff Shoah verwendet wird. (Vgl. https://www.yadvashem.org/de/holocaust/lexicon.html, abgerufen im Mai 2021.) In modernen Konfliktszenarien setzen Angreifer auf eine Hybride Kriegsführung Kombination aus klassischen Militäreinsätzen, wirtschaftlichem Druck, Computerangriffen bis hin zu Propaganda in den Medien und sozialen Netzwerken (hybride Taktik bzw. hybride Kriegsführung). Ziel der Angreifer ist es, nicht nur Schaden anzurichten, sondern insbesondere Gesellschaften zu destabilisieren und die öffentliche Meinung zu beeinflussen. Offene pluralistische und demokratische Gesellschaften bieten hierfür viele Angriffsflächen und sind somit leicht verwundbar. Das Besondere an der hybriden Kriegsführung ist die Verschleierungstaktik. Die Täter operieren entweder anonym oder bestreiten Beteiligungen an Vorfällen und Konflikten. Sie gehen dabei äußerst kreativ und koordiniert vor, ohne die Schwelle zu einem offiziellen Krieg zu überschreiten. Dies macht die Abwehr solcher Attacken so schwierig: Wenn es keinen eindeutigen Angriff oder Angreifer gibt, fällt die Gegenwehr schwer. Unberechenbarkeit wird zur Waffe. Beliebter Tatort ist der Cyber-Raum, da Angriffe aus dem Internet leicht zu tarnen sind. Der Fokus von Cyber-Angriffen liegt meistens auf der Beeinflussung der öffentlichen Meinung: Von der gezielten Steuerung von Diskussionen in sozialen Netzwerken bis hin zur Manipulation von Informationen auf Nachrichtenportalen. Eben hier liegt der größte Unterschied zwischen der hybriden und der traditionellen Kriegsführung: Mithilfe des Internets und ganz besonders der sozialen Medien kann ein Aggressor so große Verwirrung stiften, wie es in dieser Form bisher nicht möglich war. Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 285 GLOSSAR (Vgl. https://www.bmvg.de/de/themen/sicherheitspolitik/hybridebedrohungen/was-sind-hybride-bedrohungen--13692, hier die komplette Fassung des oben gekürzten Glossareintrags abgerufen im Mai 2021.) Ideologie ... (griechisch für Wissenschaft der Anschauungen) sind identitätsstiftende Ideensysteme, die Wertund Handlungsorientierungen prägen. Der Begriff ist bis heute mehrdeutig und vielschichtig. Er wird deskriptiv und negativ-wertend gebraucht. Nebeneinander stehen seine sozialkritische und seine erkenntniskritische Verwendung. Die Unbestimmtheit des Begriffs wird auch in seiner Geschichte deutlich. Die im deutschen Sprachgebrauch vorherrschende negativwertende Bedeutung sagt aus, dass Ideologien zur Verabsolutierung des Partiellen neigen, dass sie Vorurteile und Ressentiments durch einseitige Wahrnehmungsmuster fördern, dass sie illusionäre und realitätsferne Weltdeutungen propagieren. (Vgl. https://www.ezw-berlin.de/html/3_9938.php, unter dieser Adresse die komplette Fassung des oben gekürzten Glossareintrags, abgerufen im Mai 2021.) Imperialismus ... seit dem 19. Jahrhundert gebräuchlicher Begriff für ungleiche regionale Beziehungen, die mit direkten oder indirekten Formen der Beherrschung bzw. der Abhängigkeit zwischen Staaten/Regionen verbunden sind. Als formelle Gebietsherrschaft ist der Imperialismus besonders in seiner klassischen Phase (etwa 1880-1914) durch häufig gewaltsam herbeigeführte Kolonialisierung in Erscheinung getreten. Im 20. Jahrhundert wurde der Begriff mit informellen Herrschaftsformen politisch, wirtschaftlich oder militärisch mächtiger Staaten oder auch großer, multinationaler Unternehmen in Verbindung gebracht. Für die Anthropogeographie, besonders für die Entwicklungsforschung und für die radical geography, haben die marxistischen Interpretationen des Imperialismus große Bedeutung. Sie begründen einen kapitalismuskritischen Anti-Imperialismus, der das globale Kräftespiel und seine Folgen für abhängige Regionen zum Gegenstand hat. (Vgl. https://www.spektrum.de/lexikon/geographie/imperialismus/ 3701, abgerufen im Mai 2021.) jihad ... meint wörtlich "Bemühung" oder auch "Anstrengung". Die islamische Tradition kennt sowohl den "kleinen Jihad" als auch den "großen Jihad". Der "große Jihad" ist friedlich. Er bezeichnet das geistig-spirituelle Bemühen der Gläubigen um das richtige religiöse und moralische Verhalten gegenüber Gott und den Mitmenschen. 286 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 GLOSSAR Der "kleine Jihad" ist kriegerisch. Er beschreibt den kämpferischen Einsatz zur Verteidigung oder Ausdehnung des islamischen Herrschaftsgebiets. Von militanten Gruppen wird der Jihad häufig als religiöse Legitimation für Terroranschläge oder Befreiungskämpfe verwendet. (Vgl. https://antworten-auf-salafismus.de/salafismus/jihad-dschihad/ index.php, unter dieser Adresse die komplette Fassung des oben gekürzten Glossareintrags, abgerufen im Mai 2021.) ... ist eine autokratische Herrschaftsform, in der sowohl die politische Kalifat als auch die religiöse Herrschaft durch eine Person, das heißt den Kalifen, ausgeübt wird. (Vgl. Lexikon des Dialogs. Grundbegriffe aus Christentum und Islam, Bd. 1. Hrsg. v. Richard Heinzmann in Zusammenarbeit mit Peter Antes, Martin Thurner, Mualla Selcuk u. Halis Albayrak. Freiburg, Basel u. Wien 2013, S. 392f.) Unter dem Begriff "Kameradschaften" werden in der Regel neonaKameradschaften zistische lokale Gruppierungen verstanden. Sie umfassen meist etwa zehn bis 20 Mitglieder und sind - im Gegensatz zu den Cliquen der subkulturell geprägten gewaltbereiten rechtsextremistischen Szene - deutlich durch den Willen zu politischer Aktivität geprägt. Obwohl sie meist keine oder nur geringe vereinsähnliche Strukturen aufweisen, sind sie durch eine verbindliche Funktionsverteilung dennoch deutlich strukturiert. Mitglieder von Kameradschaften rechnen sich in der Regel den neonazistisch geprägten sogenannten Freien Nationalisten zu. (Vgl. https://mdi.rlp.de/fileadmin/isim/Unsere_Themen/Sicherheit/ Verfassungsschutz/Dokumente/Glossar.pdf, S. 18, abgerufen im Mai 2021.) Linksextremisten wollen die bestehende Staatsund Gesellschafts"Kapitalismus" ordnung und damit die freiheitliche demokratische Grundordnung beseitigen. Je nach ideologischer Ausrichtung soll diese durch ein kommunistisches System oder eine "herrschaftsfreie", anarchistische Gesellschaft ersetzt werden. Einigkeit besteht darüber, dass der "Kapitalismus" als "Wurzel allen Übels" bekämpft und beseitigt werden muss. Unter "Kapitalismus" verstehen Linksextremisten die untrennbare Einheit von marktwirtschaftlicher Eigentumsordnung und demokratischem Rechtsstaat. Diese diene allein dazu, Ausbeutungsund Unterdrückungsverhältnisse zu manifestieren. Daher sei der "Kapitalismus" unvereinbar mit der Vorstellung einer auf Freiheit und Gleichheit aller Menschen beruhenden Gesellschaft. Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 287 GLOSSAR (Vgl. https://www.verfassungsschutz.de/DE/themen/linksextremismus/ begriff-und-erscheinungsformen/begriff-und-erscheinungsformen_ node.html, unter dieser Adresse die komplette Fassung des oben gekürzten Glossareintrags, abgerufen im Mai 2021.) Kommunismus ... ist ein politisch-ideologischer Sammelbegriff, häufig synonym für Sozialismus verwendet, für Vorstellungen von einer durch vollständige Gütergemeinschaft geprägten Gesellschaftsform. Sieht man von den kommunistischen Ideen und Praktiken urchristlicher Gemeinden und späterer Sekten, von den Utopien des Thomas Morus und Tomaso Campanella und den französischen Gesellschaftsutopisten des 18. Jahrhunderts ab, so ist die von Karl Marx und Friedrich Engels im Rahmen ihrer Geschichtsund Gesellschaftstheorie entwickelte Zukunftsgesellschaft der bekannteste Entwurf einer kommunistischen Lebensform. Beide gehen von der Vorstellung einer klassenlosen Gesellschaft mit einem "gänzlich gewandelten Menschen" aus, in der die Produktionsmittel sozialisiert sind, die Produktivkräfte ein Niveau erreicht haben, das es erlaubt, die für die Reproduktion der Arbeitskraft notwendige Arbeit erheblich zu reduzieren und das Mehrprodukt für eine reichhaltige Bedürfnisbefriedigung aller zu nutzen, der Arbeitsprozess sich - unter Verzicht auf die Zwänge der Arbeitsteilung, von Leistungsanreizen und -kontrollen - als ein Feld der Selbstverwirklichung erweist, der Zusammenhang zwischen individueller Produktivität und Konsumtionsmöglichkeit aufgehoben ist. Fraglich bleibt bei dieser Zukunftsvision, wie die Produktivkräfte das für das Endstadium des Kommunismus erforderliche Leistungsniveau erreichen. Ferner bleibt offen, unter welchen Ordnungsbedingungen dieser Zustand - im Falle seines Erreichens - erhalten werden kann. Bei Marx und Engels ist die Rede vom "Absterben des Staates", von der "Gesamtheit der Genossenschaften" und dem "Verein freier Menschen", die sich mit Hilfe einer zentralen, gleichwohl freiwilligen Planwirtschaft organisieren. Aus solchen vagen Hinweisen lassen sich sowohl die Ordnungsvorstellungen einer Rätedemokratie oder Arbeiterselbstverwaltung als auch die einer Zentralverwaltungswirtschaft als Wegweiser zum Kommunismus ableiten. Fraglich bleibt auch, wie die "gänzlich gewandelten Menschen", die Marx für den Zustand des Kommunismus unterstellt, hervorgebracht werden können. Die von Wladimir I. Lenin begründete Konzeption einer Erziehung zum "neuen Menschen" geht offensichtlich von der Vorstellung aus, dass die Menschen - mangels "richtiger" Ordnungsbedingungen - zu den "richtigen" Verhaltensweisen erzogen werden können. "Sollen Fehler der Ordnung durch Erziehung behoben werden, dann wird Erziehung zur pädagogischen Tyrannei und zum politischen Terror" (K. Paul Hensel, 1972). (Vgl. http://www.wirtschaftslexikon24.com/d/kommunismus/ kommunismus.htm unter dieser Adresse die komplette Fassung des oben gekürzten Glossareintrags, abgerufen im Mai 2021.) 288 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 GLOSSAR ... ist das heilige Buch des Islam, das die vom Propheten Mohammed Koran verkündeten Offenbarungen Allahs enthält. Der Koran ist in 114 Abschnitte (Suren) unterteilt, die Erzählungen über Propheten, Weissagungen, Belehrungen, Vorschriften, Predigten und die Auseinandersetzungen mit "heidnischen" Mekkanern, Juden und Christen umfassen. Die islamische Welt betrachtet den Koran als Gesetzbuch und als religiöse Unterrichtung. (Vgl. Der Brockhaus. Religionen. Glauben, Riten, Heilige. Hrsg. v. der Lexikonredaktion des Verlags F. A. Brockhaus, Mannheim. Leipzig u. Mannheim 2004, S. 370-372, hier die komplette Fassung des oben gekürzten Glossareintrags.) ... meint aus dem Arabischen übersetzt "Ungläubige". Salafisten werKuffar fen anderen islamischen Glaubensrichtungen vor, "unerlaubte Neuerungen" (arab. bid'a) in die islamische Religionspraxis eingeführt zu haben. Getreu dem absoluten Wahrheitsund Machtanspruch der Salafisten werden Muslime, die keine Anhänger der salafistischen Ideologie sind, deshalb - ebenso wie Anhänger anderer Religionen - als "Ungläubige" oder "Polytheisten" (arab. muschrikun) gebrandmarkt. (Vgl. https://lfv.hessen.de/extremismus/islamismus/erscheinungss hyformen/salafismus/salafismus-%E2%80%93-definition-undmerkmale#:~:text=Kampf%20gegen%20die%20%E2%80%9EUngl %C3%A4ubigen%E2%80%9C&text=Getreu%20dem%20absoluten %20Wahrheits%2D%20und,muschrikun)%20gebrandmarkt, hier die komplette Fassung des oben gekürzten Glossareintrags, abgerufen Mai 2021) ... ist eine Mitte des 19. Jahrhunderts in Frankreich entstandene BeLaizismus zeichnung für eine politische Bewegung, die sich gegen jeden Einfluss des Klerus auf Staat, Kultur und Erziehung wendet, sich für die Trennung von Staat und Kirche ausspricht und die Kirchen in den rein sakralen Bereich zurückdrängen will. (Vgl. https://www.wissen.de/lexikon/laizismus, hier die komplette Fassung des oben gekürzten Glossareintrags, abgerufen im Mai 2021.) ... ist die außerhalb Chins gebräuchlich Bezeichnung für die GesamtMaoismus heit der Lehren Mao Zedongs sowie für die von ihm maßgeblich bestimmte Theorie und Praxis des chinesischen Kommunismus. Der Maoismus ist kein geschlossenes Gedankensystem. Er verbindet Gedanken des Marxismus-Leninismus mit traditionell chinesischen Elementen. Das im Westen verbreitete Bild des Maoismus wurde besonders durch die Art und Weise geprägt, wie er in den Jahren der "Kulturrevolution" (1966-1969) in Erscheinung trat: Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 289 GLOSSAR * die betont nationale Ausrichtung, * die Ablehnung einer zentralen Führung der kommunistischen Weltbewegung, * die Verbundenheit mit der Dritten Welt im Kampf gegen die Supermächte, * die Auffassung, dass die armen Bauern (und nicht das Proletariat) die Hauptkraft der Revolution bilden, * die Konzeption der Machteroberung durch Guerillakrieg von ländlichen Stützpunkten aus, * die Auffassung, dass Klassenkampf und Revolution auch unter sozialistischen Verhältnissen fortdauern. Der Maoismus ist verantwortlich für Millionen von Opfern unter der chinesischen Bevölkerung (so etwa während der Zeit des Großen Sprungs nach vorn, 1958-1961, und während der "Kulturrevolutionen" 1966-1969 und 1972-1974). (Vgl. https://www.wissen.de/lexikon/maoismus, unter dieser Adresse die komplette Fassung des oben gekürzten Glossareintrags, abgerufen im Mai 2021.) Marxismus ... ist eine von Karl Marx und Friedrich Engels begründete Gesellschaftslehre und Theorie der politischen Ökonomie, zu deren Kernpunkt die von Marx kritisierten kapitalistischen Produktionsverhältnisse in seiner Zeit gehören. Danach wird die Gesellschaft nicht durch die politischen, rechtlichen oder moralischen Vorstellungen bestimmt, sondern durch den Fortschritt der materiellen Produktionstechnik. Die kapitalistischen Produktionsverhältnisse bewirken nach marxistischer Auffassung, dass sich die gesellschaftliche Arbeitsteilung vertieft und der wirtschaftliche Reichtum nur von der Arbeiterklasse (Proletariat) geschaffen wird, während sich der Reichtum und das Eigentum an den Produktionsmitteln in den Händen immer weniger Kapitalisten konzentriert. Dieser, von Marx als Grundwiderspruch der kapitalistischen Produktion bezeichnete Gegensatz zwischen gesellschaftlicher Produktion durch die Arbeiterklasse und der privaten Aneignung der Gewinne durch die Kapitalisten, kann nur durch die revolutionäre Erhebung der Arbeiterklasse beseitigt werden. Die Arbeiterklasse enteignet dabei die Kapitalisten und das Eigentum an den Produktionsmitteln wird in Gesellschaftseigentum überführt. Der Kapitalismus wird vom Sozialismus abgelöst. Letztlich wird aber die Schaffung einer klassenlosen Gesellschaft im Kommunismus angestrebt. (Vgl. https://www.bpb.de/nachschlagen/lexika/lexikon-der-wirtschaft/20092/marxismus, abgerufen im Mai 2021.) Monotheismus ... ist das Bekenntnis und die Verehrung nur eines einzigen Gottes, der im Glauben als personales Gegenüber verstanden wird und im 290 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 GLOSSAR Verständnis der Gläubigen als Schöpfer und Erhalter der Welt gilt. Theologisch zeichnet sich der Monotheismus somit durch den Ausschließlichkeitscharakter und Universalitätsanspruch Gottes aus. (Vgl. Der Brockhaus. Religionen. Glauben, Riten, Heilige. Hrsg. v. d. Lexikonredaktion des Verlags F. A. Brockhaus, Mannheim. Leipzig u. Mannheim 2004, S. 442f.) ... sammeln Informationen über die innere oder äußere Sicherheit Nachrichtendienste eines Staats gefährdende Bestrebungen und werten sie aus. Hierbei können die Nachrichtendienste verdeckt arbeiten. Die Ergebnisse der Analyse werden in Berichtsform zusammengefasst und den politischen Entscheidungsträgern sowie den Kontrollgremien zur Verfügung gestellt. In der Bundesrepublik Deutschland gibt es drei Nachrichtendienste: den Inlandsnachrichtendienst in Gestalt der Verfassungsschutzbehörden (BfV und LfV), den Auslandsnachrichtendienst BND sowie das BAMAD. Der Verfassungsschutz in der Bundesrepublik Deutschland ist föderal organisiert. Dementsprechend existieren 17 Verfassungsschutzbehörden, ein Bundesamt (BfV) und 16 LfV. Sie arbeiten auf gesetzlicher Grundlage in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes zusammen. Die Verfassungsschutzbehörden der Länder können als untergeordnete Abteilung unmittelbar im jeweiligen Innenministerium angesiedelt sein oder sind als eigenständige Landesoberbehörde dem jeweiligen Innenministerium nachgeordnet. (Vgl. https://mdi.rlp.de/fileadmin/isim/Unsere_Themen/Sicherheit/Verfassungsschutz/Dokumente/Glossar.pdf,. S. 20, unter dieser Adresse die komplette Fassung des oben gekürzten Glossareintrags, abgerufen im Mai 2021.) ... ist ein übersteigertes Bewusstsein vom Wert und der Bedeutung Nationalismus der eigenen Nation. Im Gegensatz zum Nationalbewusstsein und zum Patriotismus (Vaterlandsliebe) glorifiziert der Nationalismus die eigene Nation und setzt andere Nationen herab. Zugleich wird ein Sendungsbewusstsein entwickelt, möglichst die ganze Welt nach den eigenen Vorstellungen zu formen. (Vgl. https://www.bpb.de/nachschlagen/lexika/pocket-politik/ 16503/nationalismus, abgerufen im Mai 2021.) ... s. Ülkücü-Bewegung. Nationalistische Türken ... ist die völkisch-antisemitisch-nationalrevolutionäre Bewegung, die Nationalsozialismus sich in Deutschland als NSDAP organisierte und die unter der Führung Adolf Hitlers von 1933 bis 1945 eine totalitäre Diktatur errichHessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 291 GLOSSAR tete. Der Nationalsozialismus gehört überdies in den Zusammenhang der europäischen faschistischen Bewegungen der Zwischenkriegszeit, die außer in Deutschland nur in Italien aus eigener Kraft und ohne ausländische militärische Unterstützung an die Macht kamen. Der Nationalsozialismus stellt innerhalb der europäischen Faschismen aufgrund seines Rassenantisemitismus und seiner Vernichtungspolitik die radikalste Variante dar. Die Geschichte der NSDAP unterteilt sich in die sogenannte Bewegungsphase (19191933) und die Regimephase (1933-1945). (Vgl. http://www.bpb.de/nachschlagen/lexika/handwoerterbuchpolitisches-system/202075/nationalsozialismus?p=all, hier die komplette Fassung des oben gekürzten Glossareintrags, abgerufen im Mai 2021.) 'Ndrangheta Die kalabrische 'Ndrangheta ist derzeit die relevanteste Mafia-Gruppierung. Sie nimmt aufgrund ihrer direkten Kontakte zu den Produzenten eine dominante Stellung auf dem europäischen Kokainmarkt ein. Sie versucht, ihr Territorium auszuweiten und Einfluss auf kalabrische Migrantengemeinschaften auszuüben. Die 'Ndrangheta hat eine hierarchische Struktur und hat wiederholt unter Beweis gestellt, dass sie fähig ist, Wirtschaft und Politik in Italien zu infiltrieren. Durch geschickte Investition ihres immensen Vermögens aus krimineller Herkunft in legale Wirtschaftszweige hat sie in Italien, auch in einigen Regionen Norditaliens, eine Art Monopol in ausgewählten Bereichen wie zum Beispiel dem Baugewerbe, dem Immobiliensektor und dem Transportsektor erreicht. Die 'Ndrangheta ist darüber hinaus hauptsächlich in Spanien, Frankreich, den Niederlanden, Deutschland, der Schweiz, Kanada, den USA sowie Kolumbien und Australien tätig. In Deutschland sind seit den 1970er Jahren feste Bezüge der 'Ndrangheta nachzuweisen. Sie gilt als die stärkste der italienischen MafiaGruppierungen in Deutschland, wobei hier der internationale Rauschgifthandel von herausragender Bedeutung ist. (Vgl. https://www.bka.de/DE/UnsereAufgaben/Deliktsbereiche/ OrganisierteKriminalitaet/organisiertekriminalitaet_node.html, abgerufen im Mai 2021.) Neue Rechte Die geistige Strömung der Neuen Rechten ist in den 1970er Jahren in Frankreich aufgekommen. Ihre Anhänger bemühen sich um eine Intellektualisierung des Rechtsextremismus. Die Neue Rechte beruft sich unter anderem auf antidemokratische Denker, die bereits zur Zeit der Weimarer Republik unter der Bezeichnung Konservative Revolution aktiv waren. Aktivisten der Neuen Rechten beabsichtigen, den demokratischen Verfassungsstaat zu beseitigen oder zumindest zu beeinträchtigen. Sie versuchen zunächst, einen bestimmenden Einfluss auf den kulturellen Bereich zu erlangen, um letztlich den de292 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 GLOSSAR mokratischen Verfassungsstaat zu delegitimieren und das politische System grundlegend zu verändern. (Vgl. https://www.verfassungsschutz-bw.de/,Lde/1940780, abgerufen im Mai 2021.) Das alljährliche von den Kurden begangene Newroz-Fest bedeutet Newroz "neuer Tag" und wird als Beginn eines neuen Jahres und des Frühlings gefeiert. Newroz geht historisch auf die Legende eines kurdischen Schmieds zurück, der zum Widerstand gegen einen Tyrannen aufgerufen und diesen in der Nacht vom 20. auf den 21. März im Jahre 612 v. Chr. erschlagen haben soll. Eine große Rolle spielt dabei die aus der Legende stammende Feuersymbolik. Hieraus erklären sich die häufig durchgeführten Fackelzüge. Die alljährlichen NewrozFeierlichkeiten stellen nach wie vor einen der Höhepunkte der regelmäßigen Großveranstaltungen aus dem kurdischen und dem PKKnahen Spektrum dar. ... genießen in der linksextremistischen Szene hohe Akzeptanz. Outings Damit soll der politische Gegner aus der Anonymität geholt und mit seinen Unterstützernetzwerken dem unmittelbaren Umfeld sowie einer breiteren Öffentlichkeit bekannt gemacht werden. Ziele sind die Diffamierung der Person(en) und die Schwächung von Strukturen des Gegners. Dafür werden in einem ersten Schritt Daten zur Herkunft, zu Freunden, Aktivitäten in den sozialen Netzwerken, Arbeitgebern, Freizeitbeschäftigungen, Privatfahrzeugen oder Bilder recherchiert. In einem zweiten Schritt folgt die Weitergabe der Daten zunächst innerhalb der Szene, anschließend in der Öffentlichkeit zum Beispiel auf Online-Portalen oder im Wohnumfeld des Outing-Opfers. Mit Outings wird die Grundlage für zielgerichtete Aktionen gegen die betroffenen Personen, gelegt. Dabei werden Straftaten - auch Gewalttaten - zumindest billigend in Kauf genommen. (Vgl. Linksextremismus in Sachsen. Die Autonomen. Hrsg. v. Landesamt für Verfassungsschutz Sachsen. Dresden [2020], S. 25f.) ... ist ein verfassungsschutzspezifischer Begriff, unter dem die BezifPersonenpotential, ferung der Menge all jener Personen verstanden wird, die einem exextremistisches tremistischen Phänomenbereich, zum Beispiel dem Rechtsextremismus, zugerechnet wird. Das Personenpotenzial eines Phänomenbereichs setzt sich aus dem Personenpotential der einzelnen Beobachtungsobjekte (Gruppierungen) zusammen. Die kontinuierliche Beobachtung des Personenpotenzials seitens des Verfassungsschutzes dient der Einschätzung der personellen Entwicklung Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 293 GLOSSAR und somit der Reichweite und Handlungsfähigkeit der jeweiligen extremistischen Gruppierungen. Grundsätzlich werden einer Gruppierung bzw. einem Beobachtungsobjekt alle jene Personen zugerechnet, die ihm entweder erkennbar angehören oder dessen Ziele nachhaltig unterstützen. Ein Beobachtungsobjekt kann jedwede Gruppierung sein, von einer Partei bis hin zu einem losen Personenzusammenschluss. In der Folge ist auch die Art der Bindung der Personen an die jeweilige Gruppierung unterschiedlich. Zum Personenpotenzial zählen daher unter anderem Funktionäre, Mitglieder, Angehörige oder Aktivisten, aber auch solche Personen, die eine Gruppierung offen oder verdeckt unterstützen, etwa durch die Teilnahme an Veranstaltungen oder Spenden. Da nicht alle Personen über längere Zeiträume kontinuierlich in einer oder für eine Gruppierung aktiv sind, muss die Angabe eines Personenpotenzials unter Einbeziehung und sorgfältiger Abwägung nachrichtendienstlicher Erkenntnisse geschätzt werden. Politisch motivierte Zum 1. Januar 2001 wurden mit Beschluss der InnenministerkonfeKriminalität (PMK) renz das Definitionssystem PMK sowie die Richtlinien für den Kriminalpolizeilichen Meldedienst in Fällen Politisch motivierter Kriminalität eingeführt, um für politisch motivierte Straftaten eine einheitliche polizeiliche Datenerhebung, -erfassung und -auswertung zu ermöglichen. Der PMK werden alle Straftaten zugeordnet, die einen oder mehrere Straftatbestände der sogenannten klassischen Staatsschutzdelikte erfüllen, dies unabhängig davon, ob eine politische Motivation im Einzelfall festgestellt werden kann. Zu den Staatsschutzdelikten zählen unter anderem: Hochverrat und Gefährdung des demokratischen Rechtsstaates, Landesverrat und Gefährdung der äußeren Sicherheit, Straftaten gegen ausländische Staaten, Straftaten gegen Verfassungsorgane sowie bei Wahlen und Abstimmungen, Bildung terroristischer Vereinigungen, Bildung krimineller oder terroristischer Vereinigungen im Ausland sowie Volksverhetzung. Neben den Staatsschutzdelikten fallen unter die PMK auch diejenigen Straftaten, die in der Allgemeinkriminalität begangen werden können (wie zum Beispiel Tötungsund Körperverletzungsdelikte, Brandstiftungen, Widerstandsdelikte, Sachbeschädigungen), wenn in Würdigung der gesamten Umstände der Tat und/oder der Einstellung des Täters Anhaltspunkte für eine politische Motivation gegeben sind. Die von der PMK erfassten Straftaten werden folgenden staatsschutzrelevanten Phänomenbereichen zugeordnet: * PMK - rechts: Straftaten, bei denen Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie einer rechten Orientierung zuzurechnen sind, ohne dass die Tat bereits die Außerkraftsetzung oder Abschaffung eines Elements der freiheitlichen demokratischen Grundordnung 294 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 GLOSSAR zum Ziel haben muss, insbesondere wenn Bezüge zum völkischen Nationalismus, Rassismus, Sozialdarwinismus oder Nationalsozialismus ganz oder teilweise ursächlich für die Tatbegehung waren. * PMK - links: Straftaten, bei denen Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie einer linken Orientierung zuzurechnen sind, ohne dass die Tat bereits die Außerkraftsetzung oder Abschaffung eines Elements der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zum Ziel haben muss, insbesondere wenn Bezüge zu Anarchismus oder Kommunismus einschließlich Marxismus ganz oder teilweise ursächlich für die Tatbegehung waren. * PMK - ausländische Ideologie: Straftaten, bei denen Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass eine aus dem Ausland stammende nichtreligiöse Ideologie entscheidend für die Tatbegehung war, insbesondere wenn die Tat darauf gerichtet ist, Verhältnisse und Entwicklungen im Inund Ausland zu beeinflussen. * PMK - religiöse Ideologie: Straftaten, bei denen Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass eine religiöse Ideologie entscheidend für die Tatbegehung war und die Religion zur Begründung der Tat instrumentalisiert wird. Wichtig ist: Im Rahmen der PMK wird zwischen politisch und extremistisch motivierten Straftaten unterschieden, das heißt, extremistisch politisch motivierte Straftaten sind Delikte, bei denen Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie auf die Beeinträchtigung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung abzielen. Sie werden als extremistisch motiviert eingestuft und stellen als solche eine Teilmenge der PMK dar. (Vgl. https://www.bundestag.de/resource/blob/579832/ %E2%80%A6/WD-7-194-18-pdf-data.pdf, unter dieser Adresse die komplette Fassung des oben gekürzten Glossareintrags, abgerufen im Mai 2021.) Allen Rechtsextremisten gemeinsam ist die Auffassung, die ZugehöRassismus/ rigkeit zu einer Ethnie, Nation oder "Rasse" entscheide über den Wert Fremdenfeindlichkeit eines Menschen. Rassisten gehen von nicht oder kaum veränderbaren "Rassen" aus. Sie leiten daraus "naturbedingte" Besonderheiten und Verhaltensweisen von Menschen ab und unterscheiden zwischen "höherwertigen" und "minderwertigen" Menschen. Mit der Bezeichnung als "Rasse" werden Menschen nach ethnischen Besonderheiten in Gruppen aufgeteilt. Ab Ende des 17. Jahrhunderts bis ins 20. Jahrhundert versuchten zahlreiche Wissenschaftler dies zu belegen. Sie scheiterten allesamt. Dennoch fand der Rassismus weite Verbreitung. Über die Kriterien zur trennscharfen Definition von "Rassen" bestand keine Einigkeit. Die Anhänger des Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 295 GLOSSAR "Rasse"-Konzepts benannten die verschiedensten Unterscheidungsmerkmale. Mal war von nur zwei, mal von über 60 "Rassen" die Rede. Bis heute sind menschliche "Rassen" biologisch nicht belegt. Belegt sind dagegen soziologische Funktionen des Rassismus: "Rassen" werden bemüht, um Menschen auszugrenzen und Zugehörigkeit zu erzeugen. Das "Rasse"-Modell bietet einfache Erklärungen. Rechtsextremisten finden es daher attraktiv. Rassisten meinen, "Rassen" optisch unterscheiden zu können. Äußere Merkmale werden dadurch zum entscheidenden Kriterium, ob einer Person bestimmte Rechte zustehen oder nicht. Rassisten in Deutschland werten die "weiße" bzw. "arische Rasse" auf und sehen alle anderen "Rassen" als minderwertig an. Dabei haben sie keine einheitliche Vorstellung einer "weißen" oder "arischen Rasse": Die einen denken dabei an "Deutsche" und Skandinavier, andere meinen alle Europäer, einige verstehen darunter alle optisch als "Weiße" erkennbare Menschen. Nach der Vorstellung von Rechtsextremisten soll das deutsche Volk vor der Integration "rassisch minderwertiger Ausländer" und vor einer "Völkervermischung" bewahrt werden. Rechtsextremisten befürchten den Untergang der "Rasse" des deutschen Volkes infolge einer "Durchmischung mit fremdem Blut". Der Rassismus verstößt gegen elementare Menschenrechte und damit gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung. Die Ausgrenzung jener Menschen, die nicht dem rassischen Ideal der Rechtsextremisten entsprechen, widerspricht dem Grundsatz der Gleichheit aller Menschen vor dem Gesetz. Die Würde des Menschen ist bedingungsund voraussetzungslos jedem Menschen eigen und nicht von der biologisch-genetischen Teilhabe an der "Volksgemeinschaft" abhängig (Art. 1 GG). Im März 2021 einigte sich die Bundesregierung auf einen Ersatz für den Begriff "Rasse" im Grundgesetz geeinigt, stattdessen solle künftig in Art. 3 (GG) ein Verbot von Diskriminierung "aus rassistischen Gründen" stehen. (Vgl. http://www.verfassungsschutz.bayern.de/rechtsextremismus/ definition/ideologie/rassismus/index.html, u. https://www.dw.com/de/rasse-begriff-soll-aus-dem-grundgesetzgestrichen-werden/a-56787404, jeweils abgerufen im Mai 2021.) Residentur ... ist die Bezeichnung der deutsche Nachrichtendienste für einen Stützpunkt fremder Nachrichtendienste in der Bundesrepublik. Es gibt "Legalresidenturen" (Konsulate und Botschaften) sowie "illegale Residenturen, wie zum Beispiel Handelsvertretungen und Tarnfirmen. (Vgl. https://www.verfassungsschutz.bremen.de/oeffentlichkeitsarbeit/detail.php?gsid=bremen77.c.11578.de&template=20_glossar_d&lang=de&begriff=R, abgerufen im Mai 2021.) 296 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 GLOSSAR Der das Bestreben nach einer kritischen Überprüfung von ErkenntRevisionismus, nissen beschreibende Begriff Revisionismus wird von Rechtsextrerechtsextremistischer misten zur Umdeutung der Vergangenheit verwendet. Ihnen geht es dabei nicht um eine wissenschaftlich objektive Erforschung der Geschichte, sondern um die Manipulation des Geschichtsbilds, um insbesondere den Nationalsozialismus in einem günstigen Licht erscheinen zu lassen. Man kann unterscheiden zwischen einem Revisionismus im engeren Sinn, der den Holocaust leugnet, und einem Revisionismus im weiteren Sinn, der etwa die deutsche Schuld am Ausbruch des Zweiten Weltkrieges bestreitet. Der zeitgeschichtliche Revisionismus bedient sich unterschiedlicher Aussagen und Methoden. So beinhaltet die Leugnung des Holocaust, das Ausmaß der Ermordung von Millionen europäischer Juden durch das nationalsozialistische Regime zu verharmlosen oder sogar abzustreiten. Dabei werden vorhandene Dokumente auf unseriöse Weise fehlinterpretiert oder fadenscheinige Vorwände zur Leugnung der Ereignisse gesucht. Forschungsergebnisse seriöser Historiker, die eindeutig belegen, dass die "Endlösung der Judenfrage" unzweifelhaft stattgefunden hat, werden durch rechtsextremistische Revisionisten bewusst ignoriert. (Vgl. https://www.verfassungsschutz.bremen.de/oeffentlichkeitsarbeit/ detail.php?gsid=bremen77.c.11578.de&template=20_glossar_d&l ang=de&begriff=R, abgerufen im Mai 2021.) ... ist das religiös begründete, auf Offenbarung zurückgeführte Recht Scharia des Islam. Es regelt nicht nur Rechtsfragen (zum Beispiel Eheoder Strafrecht), sondern enthält der Idee nach die Gesamtheit der aus der Offenbarung zu gewinnenden Normen für das Handeln des Menschen im Verhältnis zu Gott und zu den Mitmenschen. Nach traditioneller, heute jedoch nicht mehr von allen Muslimen geteilter Überzeugung ist die Verwirklichung der Scharia ein zentraler, unverzichtbarer Bestandteil der islamischen Religion. (Vgl. Der Brockhaus. Religionen. Glauben, Riten, Heilige. Hrsg. v. d. Lexikonredaktion des Verlags F. A. Brockhaus, Mannheim. Leipzig u. Mannheim 2004, S. 289.) ... ist eine Zone, in der 26 europäische Länder ihre Binnengrenzen Schengen-Raum für den freien und uneingeschränkten Personenverkehr im Einklang mit den gemeinsamen Regeln für die Kontrolle der Außengrenzen und die Bekämpfung der Kriminalität abgeschafft haben, indem das gemeinsame Justizsystem und die polizeiliche Zusammenarbeit gestärkt wurden. Der Schengen-Raum deckt die meisten EU-Länder ab, mit Ausnahme von Irland und den Ländern die bald zur Zone beitreten werden: Rumänien, Bulgarien, Kroatien und Zypern. Obwohl Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 297 GLOSSAR nicht Mitglied der EU, gehören Länder wie Norwegen, Island, die Schweiz und Liechtenstein ebenfalls zur Schengen-Zone. (Vgl. https://www.schengenvisainfo.com/de/staaten-desschengen-raums/ unter dieser Adresse die komplette Fassung des oben gekürzten Glossareintrags, abgerufen im Mai 2021.) Schwarzer Block ..., das heißt vermummte Aktivisten in einheitlicher Kampf - ausrüstung, ist eine Aktionsform, die ursprünglich im linksextremistischen autonomen Spektrum entwickelt wurde und vor allem bei Demonstrationen angewandt wird. Der schwarze Block ist keine zentral organisierte und koordinierte Organisationsform, sondern ein punktueller Zusammenschluss gewaltorientierter Linksextremisten. Ziel dieses Auftretens ist die erschwerte Zuordnung von Strafund Gewalttaten zu Einzelpersonen durch die Polizei. Jeder schwarze Block enthält jedoch ein einzelfallbezogenes, spezifisch bestimmendes Gewaltpotenzial, das sich je nach Lageentwicklung dynamisch und auch kurzfristig noch verändern kann. Wenngleich der schwarze Block überwiegend ein Ausdruck linksextremistischer Massenmilitanz (Straßenkrawalle im Rahmen von Demonstrationen) ist, schließt die Teilnahme eines schwarzen Blocks an einer Demonstration keinesfalls einen friedlichen Demonstrationsverlauf aus. Seit einigen Jahren ist die Aktionsform des schwarzen Blocks auch bei den rechtsextremistischen Autonomen Nationalisten zu beobachten. (Vgl. https://mdi.rlp.de/fileadmin/isim/Unsere_Themen/Sicherheit/ Verfassungsschutz/Dokumente/Glossar.pdf, S. 25 abgerufen im Mai 2021.) "Selbstverwaltete ...sind linksextremistische autonome Zentren, denen häufig Freiräume" Infoläden angeschlossen sind. Hier finden unter anderem Gruppentreffen, Vorträge und Mobilisierungsveranstaltungen vor Demonstrationen statt. Meist von einer Vielzahl von Gruppen und Einzelpersonen frequentiert, sind sie zudem ein Ort der Vernetzung der Szene. Darüber hinaus stellen solche Räumlichkeiten den meist nur locker organisierten autonomen Gruppen eine Infrastruktur für deren politische Arbeit zur Verfügung. Hier können benötigte Informationen aus Archiven beschafft werden und es existiert eine umfangreiche Büroausstattung. Infoläden dienen außerdem häufig als Postadressen für konspirativ agierende Gruppen. Separatismus ... als Begriff kommt vom lateinischen Wort separare (dt. trennen) und beschreibt die Absicht eines Teils der Bevölkerung, sich von dem Staat, in dem er lebt, zu trennen und einen eigenen Staat zu gründen. Manchmal wollen sich Separatisten nicht nur vom eigenen Staat trennen, sondern sie wollen sich auch einem anderen Staat anschließen. 298 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 GLOSSAR (Vgl. https://www.bpb.de/nachschlagen/lexika/das-jungepolitik-lexikon/321121/separatismus-sezession, unter dieser Adresse die komplette Fassung des oben gekürzten Glossareintrags, abgerufen im Mai 2021.) Die Verfassungsschutzbehörden haben auch die Aufgabe, bei der Sicherheitsüberprüfung Sicherheitsüberprüfung von Personen mitzuwirken, denen im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftige Informationen anvertraut werden, die Zugang dazu erhalten sollen oder ihn sich verschaffen können, oder die an sicherheitsempfindlichen Stellen von lebensoder verteidigungswichtigen Einrichtungen beschäftigt sind oder werden sollen. (Vgl. https://mdi.rlp.de/fileadmin/isim/Unsere_Themen/Sicherheit/ Verfassungsschutz/Dokumente/Glossar.pdf, abgerufen im Mai 2021.) ... ist die Übertragung der von Charles Darwin beschriebenen MeSozialdarwinismus chanismen der "Entstehung der Arten durch natürliche Zuchtwahl" auf Sozialbeziehungen des Menschen. Insbesondere Herbert Spencer, der auch die Formel vom "Überleben der Tüchtigsten" (engl. survival of the fittest) prägte, legt die Grundsteine des Sozialdarwinismus. Letzterer geht davon aus, dass eine übergroße Population nur diejenigen überleben lässt, die sich im "Kampf ums Dasein" überlegen zeigen. Selektion ist damit der Motor jeden Fortschritts. Bejahung umfassender sozialer Auslese und Legitimation der vorhandenen gesellschaftlichen Ungleichheiten leitet der Sozialdarwinismus aus dieser Biologisierung sozialer Verhältnisse ab. Als rational kann danach nur eine Politik gelten, die den schon vorhandenen Selektionsdruck ungehindert walten lässt, bzw. noch verstärkt. Wirkungsmächtig wurden sozialdarwinistische Konzepte vor allem im ausgehenden 19. und im 20. Jahrhundert. In diesem Zusammenhang ist auf zwei folgenreiche Ausformungen hinzuweisen. So greifen Rassenlehren Kampfsemantik und Ausmerzungsvokabular des Sozialdarwinismus auf. Er diente zur Begründung des kolonialistischen Ausgreifens europäischer Staaten und der USA. Binnengesellschaftlich entwickelt sich eine sozialdarwinistische Eugenik, die in der Existenz von körperlich und geistig "Minderwertigen" eine Bedrohung für den "Überlebenskampf" der jeweiligen Gesellschaft, des "Volkes", sieht. Faschismus und Nationalsozialismus griffen diese Ideen auf und legitimierten mit den wissenschaftlich unhaltbaren Vereinfachungen des Sozialdarwinismus ihre Ausrottungspolitik. (Vgl. https://www.spektrum.de/lexikon/philosophie/sozialdarwinismus/ 1903, unter dieser Adresse die komplette Fassung des oben gekürzten Glossareintrags, abgerufen im Mai 2021.) Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 299 GLOSSAR Sunna ... ist die Gesamtheit der vom Propheten Muhammed überlieferten Aussprüche, Entscheidungen und Verhaltensweisen. Die Sunna ist neben dem Koran eine der Hauptquellen des islamischen Rechts. Die Muslime, die sich an die Sunna halten, werden Sunniten genannt. Die Schiiten haben ihre eigene Sunna, die auf einer gesonderten, auf Ali und seine Angehörigen zurückgeführten, Tradition beruht. (Vgl. Der Brockhaus. Religionen. Glauben, Riten, Heilige. Hrsg. v. d. Lexikonredaktion des Verlags F. A. Brockhaus, Mannheim. Leipzig u. Mannheim 2004, S. 618.) Terrororganisation ... ist eine Gruppe von mehr als zwei Personen, die es sich zum Ziel gesetzt hat, zur Erreichung ihrer politischen, religiösen oder sozialen Ziele terroristische Straftaten zu begehen. Dies können Anschläge auf Leib, Leben und Eigentum anderer Menschen, aber auch andere schwere Straftaten sein, die in SS 129a Abs. 1 und 2 des Strafgesetzbuchs genannt sind. Theokratie ... ist ein Gottesstaat bzw. eine Gottesherrschaft und bezeichnet ein geistliches Regiment, das in Vertretung der Gottheit ausgeübt wird. Die Regierungsgewalt dieser Staatsform geht unmittelbar von Gott aus und wird durch einen von ihm erwählten Stellvertreter ausgeübt. Charakteristisch ist ein priesterliches Verhältnis des Regenten zur Gottheit. Im Laufe der Geschichte hat es zahlreiche Theokratien gegeben. Heute gibt es nur wenige Theokratien, in denen Kirche und Staat eng verbunden gemeinsam regieren. Der Vatikan, regiert vom Papst als Oberhaupt der Katholischen Kirche, ist ein völlig unabhängiger Staat. Theokratische Ordnungen finden sich in Staaten des Islam. So wurden zum Beispiel Iran und Pakistan auf der Basis der Religionen gegründet und religiöse Lehren sind in staatliche Gesetze eingeflossen. (Vgl. https://www.spektrum.de/lexikon/geographie/theokratie/8053, unter dieser Adresse die komplette Fassung des oben gekürzten Glossareintrags, abgerufen im Mai 2021.) Totalitarismus Totalitäre Regime und Bewegungen sind hermetisch abgeschlossene "Weltanschauungen" und rationaler Kritik nicht zugänglich. Es gibt zahlreiche Beispiele für Extremismen, die, einmal an die politische Macht gekommen, durch besonders brutale, menschenverachtende Praktiken ein System der Gewaltherrschaft errichteten. Für diesen Prozess kennt die Politikwissenschaft den Begriff des Totalitarismus, entstanden aus der Selbstdarstellung des italienischen Faschismus unter Benito Mussolini. Darunter versteht sie gemäß dem von Klaus Schubert und Martina Klein herausgegebenen Politiklexikon (2006) den zur staatlichen Herrschaft gekommenen Extremismus: "Totalitaris300 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 GLOSSAR mus bezeichnet eine politische Herrschaft, die die uneingeschränkte Verfügung über die Beherrschten und ihre völlige Unterwerfung unter ein (diktatorisch vorgegebenes) politisches Ziel verlangt. Totalitäre Herrschaft, erzwungene Gleichschaltung und unerbittliche Härte werden oft mit existenzbedrohenden (inneren oder äußeren) Gefahren begründet, wie sie zunächst vom Faschismus und vom Nationalsozialismus, nicht zuletzt auch im Sowjetkommunismus Stalins von den Herrschenden behauptet wurden. Insofern stellt der Totalitarismus das krasse Gegenteil des modernen freiheitlichen Verfassungsstaates und des Prinzips einer offenen, pluralen Gesellschaft dar". Totalitäre Bewegungen erheben einen Alleinvertretungsanspruch. Sie verstehen sich als alleinige und ausschließliche Besitzer politischer, religiöser oder sonstiger weltanschaulicher "Wahrheiten". Konkurrierende Bewegungen werden als Verirrungen oder Abweichungen aufgefasst, die es zu bekämpfen gilt. Totalitäre Regime und Bewegungen sind hermetisch abgeschlossene "Weltanschauungen". Sie sind, von innen betrachtet, rationaler Kritik nicht zugänglich. Ihre Ideologie entwickelt sich nicht in der permanenten, rationalen, diskussionsund lernbereiten Auseinandersetzung mit der Geistesund Ideengeschichte, sondern sie beruft sich auf die angeblich ,ewige' und unverrückbare Wahrheit bestimmter Lehrsätze. Totalitäre Regime und Bewegungen verfügen über eine antiaufklärerische, absolutistische Legitimationsbasis. Nicht die Vernunft des aufgeklärten Subjekts, sondern die prophetischen, charismatischen Gaben des die Weltanschauung in idealer und absoluter Weise verkörpernden Führers gelten als einzige Quelle der Legitimation. Der Führer wird verehrt und mystifiziert und gilt als der messianische, charismatische und vom Schicksal ausersehene ,Leader', der jeder Kritik unzugänglich ist. Interne demokratische Willensbildung im Rahmen eines Primats des besseren Arguments läuft dem Führer-Prinzip zuwider und könnte die Allmacht der Führer-Ideologie relativieren und delegitimieren. Aus diesem Grund kann es keine demokratische Willensbildung in totalitären Bewegungen geben. (Vgl. Hans-Gerd Jasche: Totalitarismus, https://www.bpb.de/politik/ extremismus/linksextremismus/33699/totalitarismus, unter dieser Adresse die komplette Fassung des oben gekürzten Glossareintrags, abgerufen im Mai 2021.) ... gibt eine organisatorische Trennung von Verfassungsschutz und Trennungsgebot Polizei vor. Dies ist für das LfV in SS 1 Abs. 1 HVSG geregelt. Eine solche Trennung verbietet jedoch nicht den Informationsaustausch zwischen Verfassungsschutz und Polizei. Dieser ist vielmehr notwendig, um trotz der Trennung effektiv arbeiten zu können. Nur durch eine Vernetzung von Nachrichtendiensten und Polizeibehörden ist es möglich, die in der jeweiligen Sphäre gewonnenen Erkenntnisse auszutauschen und zu analysieren. Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 301 GLOSSAR Trotzkismus ... ist als das auf Leo Trotzki zurückgehende Modell des Sozialismus keine in sich geschlossene eigenständige Lehre, sondern eine Modifikation des Marxismus-Leninismus. Wesentliche Elemente des Trotzkismus sind die Theorie der "permanenten Revolution", der Glaube an die Weltrevolution (im Unterschied zu Stalins "Sozialismus in einem Lande"), das Ziel der Errichtung einer "Diktatur des Proletariats" in Form einer Rätedemokratie und das Festhalten am "proletarischen Internationalismus". Dem Trotzkismus zufolge reicht eine einmalige Revolution nicht aus. Proklamiert wird stattdessen eine weltweite "permanente Revolution", die von einer "proletarischen Internationalen" getragen werden soll. Charakteristische Strategie für trotzkistische Vereinigungen ist der Entrismus. Darunter versteht man die taktische, meist verdeckte Unterwanderung einer demokratischen Organisation oder Partei. (Vgl. https://www.verfassungsschutz.bayern.de/linksextremismus/ definition/ideologie/trotzkismus/index.html, unter dieser Adresse die komplette Fassung des oben gekürzten Glossareintrags, abgerufen im Mai 2021.) Ülkücü-Bewegung Extremistische nationalistische Gruppierungen mit Auslandsbezug demonstrieren gegenüber anderen Völkern ein übersteigertes Nationalbewusstsein und definieren den Wert eines Menschen allein über die Zugehörigkeit zur eigenen, überlegenen Nation bzw. binden diesen Wert an eine bestimmte "Rasse". Die so genannten Grauen Wölfe sind in Deutschland seit 1978 aktiv. Sie definieren das Türkentum als höchsten Wert; Angehörige anderer Nationen werden verachtet und als minderwertig angesehen. Rassismus und Antisemitismus (in Form "klassischer" Judenfeindschaft oder als Ablehnung des Staates Israel) sind die Folge. Insgesamt ist das Kennzeichen dieser Ideologie eine stark ausgeprägte und oftmals auch gewaltbereite Feindbildorientierung. (Vgl. https://lfv.hessen.de/extremismus/ausl%C3%A4nderextremismus/ erscheinungsformen/nationalistische-bestrebungen, unter dieser Adresse die komplette Fassung des oben gekürzten Glossareintrags, abgerufen im Mai 2021) Umma ... bezeichnet allgemein die Gemeinschaft der Muslime. Verschlusssachen ... sind laut dem HSÜVG im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftige Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse unabhängig von ihrer Darstellungsform. Sie werden entsprechend ihrer Schutzbedürftigkeit von einer amtlichen Stelle oder auf deren Veranlassung eingestuft. Eine Verschlusssache wird entsprechend ihrer Schutzbedürftigkeit in folgender aufsteigender Wichtigkeit eingestuft: VS - 302 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 GLOSSAR Nur für den Dienstgebrauch, VS - Vertraulich, Geheim, Streng Geheim. Die Verschlusssachenanweisung (VS-Anweisung, VSA) für das Land Hessen regelt als Verwaltungsvorschrift den materiellen und organisatorischen Schutz von Verschlusssachen sowie deren Kennzeichnung und Aufbewahrung. Das rechtsextremistische Motto "Du bist nichts, dein Volk ist alles!" Völkischer Kollektivisverdeutlicht die Ideologie des völkischen Kollektivismus, die in vielen mus/"Volksgemeinschaft" Ausprägungen rechtsextremistischer Ideologie eine zentrale Rolle spielt. "Volksgemeinschaft" war ein zentraler Begriff im Nationalsozialismus. Nationalsozialisten verstanden darunter eine Schicksalsgemeinschaft, in der die Interessen des Einzelnen bedingungslos der Gemeinschaft der "Volksgenossen" untergeordnet wurden. Das Wohl der so definierten "Volksgemeinschaft" ging allen anderen Interessen vor. Die pauschale Überbewertung der Interessen der "Volksgemeinschaft" zu Lasten der Interessen und Rechte des Einzelnen führt zu einer Aushöhlung der Grundrechte. Daher steht der völkische Kollektivismus im Widerspruch zum Menschenbild des Grundgesetzes, das die Würde jedes einzelnen Menschen und die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit in den Mittelpunkt stellt. Der Staat wird im völkischen Kollektivismus als "ethnisch-rassisch" homogene "Volksgemeinschaft" angesehen. Der vermeintlich einheitliche Wille des Volks soll dabei von staatlichen Führern intuitiv umgesetzt werden. In einem so verstandenen autoritären Staat würden damit wesentliche Kontrollelemente der freiheitlichen demokratischen Grundordnung fehlen, zum Beispiel das Recht des Volks, die Staatsgewalt in Wahlen auszuüben oder das Recht auf Bildung und Ausübung einer Opposition. (Vgl. http://www.verfassungsschutz.bayern.de/rechtsextremismus/ definition/ideologie/voelkischer_kollekivismus/index.html, unter dieser Adresse die komplette Fassung des oben gekürzten Glossareintrags, abgerufen im Mai 2021.) Die im Juni 1942 gegründete Münchner Gruppe Weiße Rose rechWeiße Rose nete in ihren insgesamt sechs Flugblättern 1942/1943 mit dem nationalsozialistischen Regime ab. Vor allem in den Flugblättern Nr. 5 und 6 im Januar und Februar 1943 ging die Studentengruppe auf die katastrophale militärische Situation der deutschen Wehrmacht nach Stalingrad ein und warf den Nationalsozialisten Kriegsverbrechen vor. Eindringlich forderte die Studentengruppe die Jugend, die Studentinnen und Studenten und die ganze Bevölkerung auf, Widerstand zu leisten und sich von der verbrecherischen Naziführung abzuwenden. Die Widerstandsgruppe zeichnete dabei auch das Bild eines zukünftigen Europas nach dem Krieg. Europa sollte aus freien Staaten bestehen, die nicht von Militarismus, Imperialismus und NaHessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 303 GLOSSAR tionalismus geprägt sein sollten. Die Grundlagen des neuen Europa sollten sein: "Freiheit der Rede, Freiheit des Bekenntnisses, Schutz des einzelnen Bürgers vor der Willkür verbrecherischer Gewaltstaaten". Für Deutschland forderten sie eine föderalistische Struktur weg vom preußischen Militarismus und einer zentralistischen Gewalt. Den Kern der Weißen Rose bildeten fünf Studenten, zwischen 21 und 25 Jahren alt: Hans und Sophie Scholl, Willi Graf, Christoph Probst und Alexander Schmorell. Unterstützt wurden sie dabei von Professor Kurt Huber. Beim Verteilen von Flugblättern im Lichthof der Münchener Universität am 18. Februar 1943 wurden Sophie und Hans Scholl festgenommen. Nach Verhören zwischen dem 18. und 20. Februar wurden sie am 22. Februar vom Volksgerichtshof unter Vorsitz des Richters Roland Freisler wegen "landesverräterischer Feindbegünstigung, Vorbereitung zum Hochverrat und Wehrkraftzersetzung" zum Tode verurteilt. Noch am selben Tag wurde Sophie Scholl ebenso wie ihr Bruder Hans und Christoph Probst im Strafgefängnis München-Stadelheim hingerichtet. Im April 1943 folgte ein zweiter Prozess gegen 14 weitere Mitglieder der Weißen Rose. Willi Graf, Kurt Huber und Alexander Schmorell wurden zum Tode verurteilt, die anderen zu Haftstrafen. (Vgl. https://hlz.hessen.de/9-mai-1921-100-geburtstag-sophiescholl/, unter dieser Adresse die komplette Fassung des oben gekürzten Glossareintrags abgerufen im Mai 2021.) 304 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 GLOSSAR Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 305 ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS EXTREMISTISCHE ORGANISATIONEN UND GRUPPIERUNGEN In der untenstehenden Übersicht sind die in diesem Verfassungsschutzbericht genannten Organisationen und Gruppierungen aufgeführt, bei denen die hier bekannten Bestrebungen und Tätigkeiten nach SS 2 Abs. 2 HVSG oder tatsächliche Anhaltspunkte hierfür in ihrer Gesamtschau zu der Bewertung geführt haben, dass die Organisation/Gruppierung verfassungsfeindliche Ziele verfolgt, es sich mithin um eine verfassungsfeindliche Organisation/Gruppierung handelt. Organisationen/Gruppierungen aus den Phänomenbereichen Organisierte Kriminalität und Spionageabwehr wurden nicht in die Übersicht aufgenommen. Rechtsextremismus Reichstrunkenbold Kommunistische Partei Combat 18 Deutschland (C Deutschlands (KPD) Thule-Seminar e. V. 18 Deutschland) kritik&praxis - radikale Linke Streitmacht Faust [f]rankfurt NSC 131 (National Socialist Der Flügel Leftwing Rheingau Club - Anti Communist Identitäre Bewegung (IB) Action) Marxistisch-Leninistische Partei Deutschland (MLPD) Identitäre Bewegung Hessen Sturmbrigade 44/Wolfsbri(IBH) gade 44 New Kids Antifa Kassel (NKAKS) Identitäre Bewegung Deutschland (IBD) Offenes Antifaschistisches Linksextremismus Treffen (OAT) Darmstadt Junge Alternative (JA) Anarchistische Aktion & Offenes Antifaschistisches Junge Nationalisten (JN) Organisierung (A&O) Kassel Treffen (OAT) Frankfurt am Kameradschaft Aryans Antifaschistisches Kollektiv Main 069 (AK.069) Kategorie C - Hungrige ökologisch radikal links - ffm Wölfe Antifaschistische RevolutioREBELL näre Aktion Gießen Nationaldemokratische Partei (A.R.A.G.) Rote Hilfe e. V. Deutschlands (NPD) Antifa United Frankfurt (AUF) siempre*antifa Frankfurt/M Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) Deutsche Kommunistische Sozialistische Deutsche ArPartei (DKP) beiterjugend (SDAJ) Nordglanz Freie Arbeiterinnenund T.A.S.K. Der Dritte Weg/Der III. Weg Arbeiter-Union (FAU) DIE RECHTE Interventionistische Linke (IL) Recht und Wahrheit (RuW) - Islamismus Kommunistische OrganisaPolitik und Zeitgeschichte "Was ist Islam" tion (KO) aus deutscher Sicht "We-Love-Muhammad"-Projekt 306 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 ABKÜRZUNGSVERZEICHNIS al-Qaida Jabhat al-Nusra (JaN) Jinen Xwendekaren Kurdistan (JXK, Studierende Frauen al-Sahab-Media MillA(r) Gazete (Nationale aus Kurdistan) Zeitung) Ansaar International e. V. Koma Civaken Kurdistan Muslimbruderschaft (MB) Council of European Muslims (KCK, Gemeinschaft der (CEM) Rat der Imame und GelehrKommunen Kurdistans) ten e. V. (RIG)/Rat der Imame Deutsche Muslimische Kongreya AzadA(r) A" Demokraund Gelehrten in DeutschGemeinschaft e. V. (DMG) siya Kurdistane (KADEK, Freiland (RIGD) heitsund DemokratiekonErbakan Vakfi Hessen Realität Islam (RI) gress Kurdistans) (Erbakan-Stiftung) Saadet Deutschland RegioKongreya Civaken DemokraEuropäisches Institut für Hunalverein Hessen e. V. (SP tik a Kurdistaniyen Ewropa manwissenschaften in Hessen) (KCDK-E, Kurdischer DemoDeutschland e. V. (EIHW) kratischer GesellschaftskonSaadet Partisi (SP, Partei der European Council for Fatwa gress in Europa) Glückseligkeit) and Research (ECFR) Kongreya Gele Kurdistane Somalisches Komitee InforEuropean Council of Imams (KONGRA GEL, Volkskonmation und Beratung in (Europäischer Rat der gress Kurdistans) Darmstadt und Umgebung Imame) e. V. (SKIB) Navenda Civaka DemokratA(r)k Fatwa-Ausschuss in Deutschya Kurden li Almanyaye Teilstrukturen der Islamiland Darmstadt (NAV-DEM, Deschen Gemeinschaft MillA(r) mokratisches GesellschaftsFederation of Islamic OrganiGörüs e. V. (IGMG) zentrum der KurdInnen in zations in Europe (FIOE, FöDeutschland e. V.) deration Islamischer Organisationen in Europa Partiya Karkeren Kurdistan Extremismus mit Auslands(PKK, Arbeiterpartei KurdisHarakat al-Muqawama al-Islabezug tans) miya (HAMAS, Islamische WiAlmanya'daki Mezopotamya derstandsbewegung) Topluluklar Konfederasyonu Partiya YekA(r)tiya Demokrat (KON-MED, Konföderation (PYD, Partei der DemokratiHarakat al-Shabaab al-Mujader Gemeinschaften Mesoschen Union) hidin (al-Shabaab, Bewegung potamiens in Deutschland) der Mujahi-din-Jugend) Tevgera Ciwanen Soresger Federasyona Civaken Demo(TCS, Bewegung der revoluHizb Allah (Partei Gottes) kratik ya Kurdistaniyen li Saartionären Jugend) Hizb ut-Tahrir (HuT, Partei der land A" Hessen (FCDK-KAWA, Yekitiya Xwendekaren KurdisBefreiung) Föderation der demokratitan (YXK, Verband der schen Vereine Kurdistans Islamische Gemeinschaft der Studierenden aus Kurdistan) e. V.) schiitischen Gemeinden Deutschlands (IGS) Heyva Sor a Kurdistane (HSK, Kurdischer Roter Halbmond) Islamischer Staat (IS) Jinen Ciwanen Azad (BeweIsmail Aga Cemaati (IAC) gung junger Frauen) Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 307 REGISTER REGISTER A Anarchistische Aktion & Baden-Württemberg Organisierung (A&O) 159, 266, 306 70, 98, 109, 117, 200, 225, 226 Adalet ve Kalkinma Partisi (AKP, Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung) Ankara (Türkei) 210, 232, 250 Badi, Muhammad 202 212, 250, 266 Ansaar International e. V. 217, 218, 307 Baghuz (Syrien) 187 Afghanistan 182 Anti-IS-Allianz 185, 186, 277 Bahrain 277 African Mission in Somalia Antideutsche 155, 157, 158, 277 Bamberg (Bayern) 116 (AMISOM) 217, 266 Antifa United Frankfurt Bayern 70, 109, 116, 154, 204, 275, Afrikanische Union (AU) 266 (AUF) 145, 266, 306 276, 278, 281, 284, 285, 296, 302, 303 Ägypten 202, 203, 204 Antifaschistische Revolutionäre Bearbeitung integrierter bzw. abgetauchAhnenrad der Moderne 80 Aktion Gießen (A.R.A.G.) 159, 165, 266 ter Rechtsextremisten (BIAREX) 21, 44, 45, 267 Air Intelligence Antifaschistisches Kollektiv 069 (AK.069) [der Pakistan Air Force] 251 145, 148, 159, 266, 306 Belgien 205, 277 Ajansa Nuceyan a Firate (ANF, Antiimperialisten 155, 157, 158, 277 Bensheim (Kreis Bergstraße) Firatnews Agency) 225, 229, 230 Antinationale 155, 157, 158 227, 228, 229, 233, 266 beratungsNetzwerk hessen - Mobile InApfel, Holger 110 Akif, Muhammad Mahdi (1928-2017) 205 tervention gegen Rechtsextremismus 30 Arabische Republik Syrien s. Syrien al-Assad, Baschar 252 Beratungsstelle Hessen - Ariadne 80 Religiöse Toleranz statt Extremismus 31 al-Banna, Hasan (1906-1949) 203, 204 Armstroff, Klaus 113 Berlin 23, 24, 47, 98, 104, 105, 107, al-Ikhwan al-Muslimun fi Suriya 115, 137, 151, 200, 202, 203, 207, (Die Muslimbrüder in Syrien) 202 Aryans s. Kameradschaft Aryans 219, 229, 253, 284, 286 al-Nahda 202 as-Sadat, Anwar (1918-1981) 203 Biedenkopf (Landkreis al-Qaida 184, 188, 217, 307 Ausländerbeirat der Stadt Haiger 115 Marburg-Biedenkopf) 70, 77, 122, 144, 145, 148, 159, 164, 201, 230 al-Qaradawi, Yusuf 57, 206 Australien 292 bin Laden, Osama (1957-2011) 217 al-Rashta, Ata Abu (alias Abu Yasin) 194 Auswärtiges Amt 138 Bischofsheim (Kreis Groß-Gerau) 70 al-Sahab-Media 187, 307 Autonome 50, 52, 139, 140, 141, 142, 143, 144, 145, 146, 148, 150, 152, 154, Bistro Hollywood s. Teutonicus al-Zawahiri, Dr. Aiman 216, 217 155, 156, 157, 158, 159, 160, 275, 276, Bloc Identitaire - Aleppo (Syrien) 183 78, 298 Le mouvement social europeen 73 Almanya'daki Mezopotamya Topluluklar Autonome Kleingruppe in Solidarität mit Bohn, Dr. Wolfgang 102 Konfederasyonu (KON-MED, Konföderation dem Kampf gegen die A 49 52, 150 der Gemeinschaften Mesopotamiens in Brandenburg 71, 110 Autonome Nationalisten 298 Deutschland) 228, 235, 270, 307 Braunschweig (Niedersachsen) 122 Avrupa Milli Görüs Teskilatlari (AMGT, Alsfeld (Vogelsbergkreis) 70 Breivik, Anders B. 39 Vereinigung der neuen Weltsicht in Alternative für Deutschland (AfD) Europa e. V.) 212, 266 Bremen 109, 154, 219, 282, 296, 297 46, 50, 90, 91, 92, 94, 95, B 96, 98, 100, 101, 104, 144, 266 Bruchköbel (Main-Kinzig-Kreis) 47, 108 Ba'ath-Partei 252 Amtsgericht Schwalmstadt 122 Brück, Michael 122 Bad Arolsen an-Nabhani, Taqi ad-Din (1909-1977) 196 Brüssel (Belgien) 205 (Landkreis Waldeck-Frankenberg) 70 an-Nuqrashi, Mahmud Fahmi Buchara (Usbekistan) 213 Bad Hersfeld (1888-1948) 203 (Landkreis Hersfeld-Rotenburg) 32 Budapest (Ungarn) 116 Anarchisten 50, 141, 142, 274 Bad Vilbel (Wetteraukreis) 33 Büdingen (Wetteraukreis) 103 308 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 REGISTER Bukarest (Rumänien) 279 C Deutsche Kommunistische Partei (DKP) 52, 53, 161, 162, 163, 267, 306 Bulgarien 297 Cafe ExZess 159 Deutsche Muslimische Gemeinschaft e. V. Bund für Umwelt und Naturschutz Cafe KoZ 159 (DMG) 57, 173, 201, 202, 203, 204, Deutschland (BUND) 15, 17, 20, 23, Campanella, Tomaso (1568-1639) 288 206, 207, 267, 307 24, 26, 65, 142, 150, 152, 177, 223, 267, 317 Centro 159 Deutsche Stimme (DS) 101, 105, 267 Bundesamt für den Militärischen AbCharlie Hebdo 187, 188 Deutsche Volksunion (DVU) 123, 267 schirmdienst (BAMAD) 25, 26, 266, 291 China 61, 187, 244, 247, 248 Deutscher Bundestag 23, 137, 278, 328 Bundesamt für Migration und Christchurch (Neuseeland) 69, 79 DIE RECHTE 47, 48, 64, 65, 85, Flüchtlinge (BAMF) 25, 26, 266 120, 121, 122, 123, 124, 195, 306, 336 Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) Ciwanen Azad 233 Die Wahre Religion (DWR) 180 17, 25, 26, 34, 46, 65, 90, 91, 95, Ciwanen Soresger Frankfurt 228 96, 97, 262, 266, 291 Diebe im Gesetz 60, 241, 281 Combat 18 Deutschland Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkon(C 18 Deutschland) 82, 83, 87, 267, 306 Dieburg (Landkreis Darmstadt-Dieburg) 70 trolle (BAFA) 26, 51, 148, 266 Computer Emergency Dillenburg (Lahn-Dill-Kreis) 181 Bundesgerichtshof (BGH) 266 Response Team (CERT) 61, 246, 267 Dirlewanger Oskar (1895-1945) 84 Bundeskriminalamt (BKA) 24, 25, 26, Council of European Muslims (CEM) Division Dirlewanger 84 146, 267, 274, 281, 292 202, 205, 206, 267, 307 Diyanet Isleri Türk Islam Birligi (DITIB, Bundesminister des Innern D Türkisch-Islamische Union der Anstalt 42, 82, 83, 87, 194, 197, 218 Dänemark 277 für Religion e. V.) 250, 267 Bundesminister des Innern, für Bau und Dannenröder Wald 50, 51, 52, 53,144, Dortmund (Nordrhein-Westfalen) 121, 214 Heimat 42, 82, 83, 87 150, 151, 152, 153, 161, 165, 170, 171 Dreieich (Landkreis Offenbach) 225 Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz 138 Darmstadt 59, 69, 70, 77, 100, 116, Dresden (Sachsen) 48, 55, 71, 115, 143, 144, 145, 159, 164, 167, 168, 218, 188, 293 Bundesministerium des Innern, für Bau 225, 227, 228, 229, 230, 235, 306, 307 und Heimat 57, 203, 207, 219 Dublin (Irland) 206 Darwin, Charles (1809-1882) 299 Bundesministerium für Wirtschaft und Duisburg (Nordrhein-Westfalen) 122 Energie 258 Das sind wir [Publikation] 73 Düsseldorf (Nordrhein-Westfalen) 217 Bundesnachrichtendienst 24, 267 Daula Muhajirin 183 E Bundespolizei (BPol) 24, 32, 267, 332 de.indymedia.org [Internetplattform] 52, 145, 146, 150, 152, 153, 171 E., Stephan 43, 66, 67 Bundesrat 15 Deckert, Günter 109 Ende Gelände 52, 151 Bundesverfassungsgericht Demokratische Volksrepublik Korea Engels, Friedrich (1820-1895) 15, 47, 101, 109, 162 s. Nordkorea 140, 166, 288, 290 Bundesverwaltungsamt (BVA) 262, 267 Demokratisches Gesellschaftszentrum der England 82 Bundesverwaltungsgericht 83, 150, 197 Kurdinnen und Kurden in Darmstadt e. V. Eniya Rizgariya Neteweyi ya Kurdistane Bundeswehr 278 225 (ERNK, Nationale Befreiungsfront Der Dritte Weg/Der III. Weg Kurdistans) 230 Bündnis 90/Die Grünen 151 47, 48, 65, 113, 114, 115, 116, 117, Eppstein (Main-Taunus-Kreis) 70 Burschenschaften 50, 144 118, 119, 284, 306 Erbach (Odenwaldkreis) 70 Bürstadt (Kreis Bergstraße) 69 Der Flügel 46, 90, 91, 92, 95, 96, 97, 306 Erbakan Vakfi Hessen (Erbakan-Stiftung) Butzbach (Wetteraukreis) 70 Der rote Waschbär 162 57, 208, 215, 307 Deutsche Demokratische Republik (DDR) Erbakan, Fatih 210, 215 71, 104, 267 Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 309 REGISTER Erbakan, Necmettin (1926-2011) Faust 47, 88, 90, 103, 306 Gemeinsames Internetzentrum (GIZ) 57, 208, 209, 211, 212, 213 24, 25, 26, 268 Fazilet Partisi (FP, Tugendpartei) 212, 268 Erfurt (Thüringen) 69, 71, 115 Gemeinsames Terrorismusabwehrzentrum Federalnaja Slushba Besopasnosti (FSB, (GTAZ) 24, 25, 26, 268 Erkenbrand 116, 117 Föderaler Dienst für Sicherheit der Russischen Föderation) 249, 268 Generalbundesanwaltschaft (GBA) Erlensee (Main-Kinzig-Kreis) 70 24, 25, 26, 268 Federasyona Civaken Demokratik ya KurEschborn (Main-Taunus-Kreis) distaniyen li Saarland u Hessen (FCDKGeneralstaatsanwaltschaft 51, 148, 164 KAWA, Föderation der demokratischen VerFrankfurt am Main 26 Eschwege (Werra-Meißner-Kreis) 32 eine Kurdistans im Saarland und in Generalzolldirektion (GZD) 24, 26, 268 Hessen e. V.) 235, 268, 307 Europäische Kommission 280 Generation Identitaire (GI) 73, 74, 268 Federation of Islamic Organizations in Europäische Moscheebau und UnterstütEurope (FIOE, Föderation Islamischer OrgaGenf (Schweiz) 225 zungsgemeinschaft (EMUG) 212, 267 nisationen in Europa) 202, 205, 268, 307 Gießen (Landkreis Gießen) 32, 53, 69, Europäische Union (EU) FLAK 88, 102 70, 77, 143, 144, 145, 159, 162, 224, 232, 268, 280, 297, 298 164, 165, 167, 168, 230, 231, 266, 306 Fokussierte operative Bearbeitung herausEuropäische Zentralbank (EZB) ragender Akteure im Rechtsextremismus Ginsheim (Kreis Groß-Gerau) 116 154, 160, 268, 277 (FOBAREX) 21, 45, 268 Glawnoje Raswedywatelnoje Uprawlenije Europäischer Gerichtshof für Frankfurt am Main 26, 44, 48, 50, 51, (GRU, Hauptverwaltung beim Generalstab Menschenrechte (EuGH) 194 53, 54, 58, 59, 66, 67, 69, 73, 74, 77, 99, der Streitkräfte der Russischen Föderation) Europäischer Rat 307 103, 108, 126, 128, 143, 144, 145, 146, 248, 268 147, 149, 154, 159, 160, 161, 162, 164, Europäisches Institut für HumanwissenGoogle 45, 70 167, 168, 169, 170, 180, 182, 183, 201, schaften in Deutschland e. V. (EIHW) 206, 209, 215, 219, 224, 225, 226, 227, Graf, Willi (1918-1943) 304 205, 206, 207, 267, 307 228, 229, 230, 231, 252, 277, 306 Gramsci, Antonio (1891-1937) 46, 97 Europäisches Parlament 280 Frankreich 55, 57, 58, 73, 74, 78, 79, Graue Wölfe s. Ülkücü-Bewegung Europäisches Polizeiamt (Europol) 26, 268 187, 188, 192, 196, 206, 224, 225, 226, 230, 289, 292 Griechenland 69, 116 European Committee for the Prevention of Torture and Inhuman or Degrading TreatFranz, Frank 101, 110 Großbritannien 206, 277 ment or Punishment (CPT, Europäisches Freie Arbeiterinnenund Guldner, Mike 48, 120, 121, 122, 123 Komitee zur Verhütung von Folter und unArbeiter-Union (FAU) 268, 274, 306 menschlicher oder erniedrigender BeGülen-Bewegung 251 handlung oder Strafe) 225, 230, 267 Freie Nationalisten 287 H European Council for Fatwa and Research Freies Netz Süd (FNS) 113, 268 H., Markus 66, 67 (ECFR) 202, 205, 206, 267, 307 Freisler, Roland (1893-1945) 304 Haiger (Lahn-Dill-Kreis) 47, 114, 115 European Council of Imams (Europäischer Fridays for Future 152, 153, 165 Rat der Imame) 307 Halle an der Saale (Sachsen-Anhalt) 73 Fulda (Landkreis Fulda) 48, 74, 77, European Institute of Human Sciences Hambacher Forst (Nordrhein-Westfalen) 108, 116 (EIHS, Institut für Humanwissenschaften) 150, 151, 152, 170 206, 267 G Hamburg 54, 154, 160, 169, 200, 229 Extinction Rebellion 152 G-10-Kommission des Hessischen Hanau (Main-Kinzig-Kreis) 39, 40, 56, Landtags 20 F 57, 66, 67, 129, 130, 145, 194, 195, Gelnhausen (Main-Kinzig-Kreis) 103 200, 208, 209, 210, 211, 274 Facebook 45, 70, 84, 92, 96, 102, 103, 104, 105, 106, 124, 194, 195, 199, 200, Gemeinsame Arbeitsgruppe Justiz/Polizei Hannover (Niedersachsen) 108, 229 202, 219, 227 (GAG) 240, 268 Hantusch, Thassilo 107 Falun Gong 248 Gemeinsames Extremismusund TerrorisHarakat al-Muqawama al-Islamiya (HAmusabwehrzentrum (GETZ) 24, 26, 268 Fatwa-Ausschuss in Deutschland MAS, Islamische Widerstandsbewegung) 205, 206, 307 202, 218, 268, 307 310 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 REGISTER Harakat al-Shabaab al-Mujahidin (al-ShaHeyva Sor a Kurdistane (HSK, Kurdischer International Holocaust Remembrance baab, Bewegung der Mujahidin-Jugend) Roter Halbmond) 235, 269, 307 Alliance (IHRA) 269, 278, 279, 280 216, 217, 218, 266, 307 Hezen Parastina Gel (HPG, VolksverteidiInternationalistisches Bündnis 167 Haverbeck, Ursula 84 gungseinheiten) 224, 269 Interventionistische Linke (IL) Heidelberg (Baden-Württemberg) 117 Hilfsorganisation für nationale politische 143, 145, 146, 148, 149, 159, 269, 306 Gefangene und deren Angehörige e. V. Helge, Ingo 102, 104, 107, 112 Irak 54, 182, 184, 185, 186, 193, (HNG) 87, 269 219, 228, 231, 233, 237 Hells Angels 241 Hitler, Adolf (1889-1945) 82, 85, Iran 187, 219, 233, 244, 251, 272, 300 Hensel, K. Paul 288 86, 275, 282, 284 Irland 206, 297 Heppenheim (Kreis Bergstraße) 69 Hizb al-Hurriya wa-l-Adala (Partei der Freiheit und Gerechtigkeit) 204 Islamic Revolutionary Guard Corps (IRGC, Hessen Cyber Competence Center Iranische Revolutionsgarden) 251, 269 (Hessen3C) 33, 61, 246, 268 Hizb Allah (Partei Gottes) 218, 219, 307 Islamische Gemeinschaft der schiitischen Hessen gegen Hetze 33, 126 Hizb ut-Tahrir (HuT, Partei der Befreiung) Gemeinden Deutschlands (IGS) 56, 57, 194, 196, 197, 198, 199, Hessische Erstaufnahmeeinrichtungen 219, 269, 307 200, 269, 307 (HEAE) 262, 263, 264, 268 Islamische Gemeinschaft in Deutschland e. V. Hochtaunuskreis 69, 70 Hessische Hochschule für Polizei und Ver(IGD) 57, 202, 204, 207, 269 waltung (HfPV) 31, 32, 269 Höcke, Björn 90, 91, 92, 94, 97 Islamische Gemeinschaft in Hessische Landesregierung 126 Hoffmann, Raimund 200 Süddeutschland e. V. 204 Hessische Lehrkräfteakademie 30 Homberg (Efze) im Schwalm-Eder-Kreis70 Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e. V. (IGMG) 208, 209, 212, 215, 216, Hessische Polizeiakademie (HPA) 31, 269 Homberg (Ohm) im Vogelsbergkreis 150 269, 307 Hessischer Beauftragter für Datenschutz Homburg (Saarland) 225 Islamische Republik Iran s. Iran und Informationsfreiheit 19, 20 Hongkong (China) 247 Islamische Republik Pakistan s. Pakistan Hessischer Innenminister 87 Huber, Kurt (1893-1943) 304 Islamische Union Europa e. V. (IUE) Hessischer Landtag 18 I 212, 269 Hessischer Rechnungshof 20 Identitäre Bewegung (IB) 45, 46, 68, Islamischer Staat (IS) 54, 169, 181, Hessisches Extremismusund Terrorismus69, 70, 71, 72, 73, 74, 75, 77, 78, 182, 183, 184, 185, 186, 187, 188, abwehrzentrum (HETAZ) 79, 80, 97, 269, 306 192, 193, 218, 232, 234, 269, 277, 307 21, 23, 26, 27, 268 Identitäre Bewegung Deutschland e. V. (IBD) Island 298 Hessisches Informationsund Kompetenz45, 68, 69, 70, 71, 72, 73, 75, 76, 77, Ismail Aga Cemaati (IAC) zentrum gegen Extremismus (HKE) 78, 269, 306 208, 212, 213, 269, 307 30, 32, 269 Identitäre Bewegung Hessen (IBH) Israel 158, 197, 202, 205, 211, Hessisches Kultusministerium 250 45, 46, 68, 69, 70, 71, 72, 73, 77, 269, 306 214, 217, 218, 279, 280, 302 Hessisches Landeskriminalamt (HLKA) Identitäre Bewegung Österreich Istanbul (Türkei) 211 26, 269 (IBÖ) 73, 269 Italien 74, 292 Hessisches Ministerium der Justiz 31 Imrali (Türkei) 232, 234 J Hessisches Ministerium des Innern und Indien 244, 252 für Sport 1, 340 Jabhat al-Nusra 218, 307 Instagram 45, 70, 108, 194, 195, Hessisches Ministerium für Wirtschaft, 199, 200, 227 Jagsch, Stefan 103, 105, 107, 112, 121 Energie, Verkehr und Wohnen 258 Institut Europeen des Sciences Humaines Jerusalem (Israel) 196, 197, 205, 211 Hessisches Präventionsnetzwerk (IESH, Institut für Humanwissenschaften) Jinen Ciwanen Azad (Bewegung junger gegen Salafismus 30 206, 269 Frauen) 235, 307 Heß, Rudolf (1894-1987) 79, 284 Inter-Services Intelligence (ISI) 252 Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 311 REGISTER Jinen Xwendekaren Kurdistan (JXK, StuKoma Civaken Kurdistan (KCK, GemeinKurdistan 58, 167, 221, 223, 224, dierende Frauen aus Kurdistan) schaft der Kommunen Kurdistans) 227, 228, 233, 234, 235, 267, 270, 228, 235, 270, 307 227, 228, 233, 270, 307 271, 272, 273, 307 Jordanien 196, 204, 277 Kommunistische Organisation (KO) Kurz, Sebastian 196 53, 164, 165, 270, 306 Junge Alternative (JA) 46, 47, 76, 95, L 96, 97, 98, 99, 100, 114, 118, 270, 306 Kommunistische Partei Chinas (KPCh) Lachmann, Daniel 247, 270 Junge Bewegung 46, 69, 72, 73 47, 101, 104, 105, 107, 112 Kommunistische Partei der Sowjetunion Junge Bewegung Frankfurt Nord 72 Lahn-Dill-Kreis 42, 47, 88, 102, 103, (KPdSU) 164, 270 105, 108, 112, 114, 117, 181, 231 Junge Bewegung Hessen 72, 73 Kommunistische Partei Deutschlands Lahnau (Lahn-Dill-Kreis) 231 Junge Bewegung Rhein-Main 72 (KPD) 162, 166, 168, 270, 306 Landesamt für Verfassungsschutz Berlin Junge Nationalisten (JN) 46, 47, 101, Kompetenzzentrum gegen Rechtsextre151 102, 106, 107, 108, 113, 270, 306 mismus (KOREX) 21, 31, 32, 270 Landgericht Berlin 202, 203 Junge Revolution 107 Kongreya Azadi u Demokrasiya Kurdistane (KADEK, Freiheitsund DemokratiekonLandgericht Frankfurt am Main 182 Justizvollzugsanstalt Frankfurt am Maingress Kurdistans) 233, 270, 307 Preungesheim 170 Landgericht Halle 85 Kongreya Civaken Demokratik li Kurdista- K niyen Ewropa (KCDK-E, Kurdischer DemoLandgericht Limburg a. d. Lahn 105 Kalbitz, Andreas 91, 104 kratischer Gesellschaftskongress in Landkreis Darmstadt-Dieburg 70 Europa) 227, 230, 235, 270, 307 Kameradschaft Aryans 82, 85, 306 Landkreis Fulda 48, 74, 77, 108, 116 Kongreya Gele Kurdistane (KONGRA GEL, Kanada 277, 292 Landkreis Gießen 53, 70, 77, 144, Volkskongress Kurdistans) 233, 270, 307 145, 159, 162, 164, 165, 230, 231 Karamollaglu, Temel 211 KoordA(r)nasyona Civaka DemokratA(r)k a KurLandkreis Hersfeld-Rotenburg 32 Kaschmir 252 distan (CDK, Koordination der kurdisch-demokratischen Gesellschaft) 235, 267 Landkreis Kassel 66, 67, 81, 98 Kaschmir-Bewegung 252 Koordinierte Internetauswertung (KIA) Landkreis Limburg-Weilburg 70, 116, 117 Kassel 32, 50, 51, 59, 66, 67, 70, 77, 26, 270 79, 81, 96, 98, 143, 144, 145, 149, 151, Landkreis Marburg-Biedenkopf 159, 162, 164, 167, 168, 182, 188, 226, Kotku, Zaid Mehmet (1897-1980) 213 70, 77, 122, 145, 148, 159, 164, 201, 230 227, 229, 230, 271, 306 Krass, Marcel 200 Landkreis Offenbach 69, 225, 233 Kategorie C - Hungrige Wölfe 306 Krauss-Maffei Wegmann GmbH & Co. KG Landkreis Waldeck-Frankenberg Kehl (Baden-Württemberg) 226 51, 149 Leftwing Rheingau 145, 306 Kelsterbach (Kreis Groß-Gerau) 209 Krebs, Dr. Pierre 79, 102 Leipzig (Sachsen) Kemal, Mustafa Atatürk (1881-1938) 211 Krefeld (Nordrhein-Westfalen) 188 107, 150, 160, 289, 291, 297, 300 Kemmerich, Thomas 71, 97 Kreis Bergstraße 69, 70, 225, 229, 230 Lenin s. Uljanow, Wladimir Iljitsch Kenia 217, 232 Kreis Groß-Gerau 70, 116, 162, 167, Leun (Lahn-Dill-Kreis) 42, 88, 102, 105 194, 209 Khalistan 252 Libanon 204, 218 kritik&praxis - radikale Linke [f]rankfurt Kirchhain (Landkreis Marburg-Biedenkopf) Liebknecht, Karl (1871-1919) 166 (k&p) 270, 306 122 Liechtenstein 298 Kroatien 116, 297 Klapperfeld 51, 146, 159 Limburg (Landkreis Limburg-Weilburg) Krolzig, Sascha 120 Klein, Martina 300 70, 105, 116, 117 Kronberg im Taunus (Hochtaunuskreis) Köln (Nordrhein-Westfalen) Lindenfels (Kreis Bergstraße) 69 70 26, 46, 69, 71, 77, 96, 212, 229, 277, 283 LinkedIn 253 Kurdisches Zentrum für ÖffentlichkeitsKolumbien 292 arbeit e. V. (Civika Azad) 235 Lohfelden (Landkreis Kassel) 66 312 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 REGISTER Lohr, Damian 95 Milli Nizam Partisi (MNP, 'Ndrangheta 241, 292 Nationale Ordnungspartei) 212, 271 Lübcke, Dr. Walter Neidlein, Alexander 105 39, 40, 43, 44, 50, 66, 67, 146 Milli-Görüs-Bewegung 57, 58,173, 208, Neonazis 41, 42, 64, 65, 82, 85, 209, 210, 211, 212, 213, 214, 215, 216 Lüders, Harald 33 86, 89, 110, 123, 148, 284 Modellschule Obersberg 32 Lugano (Schweiz) 188 Neu-Isenburg (Landkreis Offenbach) Mogadischu (Somalia) 217 69, 225, 233 Luxemburg 58, 166, 225 Montfavet (Frankreich) 79 Neue Rechte 80, 97, 292 Luxemburg, Rosa (1870-1919) 166 Mörfelden-Walldorf (Kreis Groß-Gerau) Neukirchen (Schwalm-Eder-Kreis) M 162, 194 48, 120, 121 Mabna Institute 251 Mörlenbach (Kreis Bergstraße) 70 Neumann, Philipp 102 Macron, Emmanuel 196, 199 Morus, Thomas (1478-1535) 288 Neuseeland 69, 79, 195 Main-Kinzig-Kreis 39, 47, 56, 66, 67, 70, Moscheebau-Kommission e. V. 204 New Kids Antifa Kassel (NKAKS) 103, 108, 129, 195, 200, 208, 210, 211 145, 271, 306 Motorcycle Gangs (OMCG) 59, 241, 271 Main-Taunus-Kreis 51, 70, 148, 164 Niedenstein (Schwalm-Eder-Kreis) 69 Mubarak, Husni (1928-2020) 203 Mainz (Rheinland-Pfalz) 72, 228, 231 Niederlande 116, 233, 292 München (Bayern) 204, 304 Malta 132, 137 Niedernhausen (Rheingau-Taunus-Kreis) Mursi, Mohammed (1951-2019) 204, 205 Mannheim (Baden-Württemberg) 70 225, 289, 291, 297, 300 Muslimbruderschaft (MB) 57, 173, Niedersachsen 98, 108, 109, 122, 196, 197, 201, 202, 203, 204, Mao Zedong (1893-1976) 140 182, 200 205, 206, 207, 270, 307 Marburg (Landkreis Marburg-Biedenkopf) Nizza (Frankreich) 71, 188 Mussolini, Benito (1883-1945) 300 70, 77, 122, 143, 144, 145, 148, Nolte, Jan 98 159, 162, 164, 168, 201, 230 N Nordglanz 88, 306 Martell, Karl(688/691-741) 74 Nachrichtendienstliche Informationsund Analysestelle (NIAS) 25, 271 Nordische Widerstandsbewegung 115 Marx, Karl (1818-1883) 140, 166, 288, 290 Naqshbandi, Baha' ad-Din Nordkorea 244, 253 (1318-1389) 213 Marxisten-Leninisten 52, 141, 142 Nordrhein-Westfalen 26, 46, 71, 74, Naqshbandiya-Bruderschaft 213 77, 83, 110, 117, 121, 122, 150, 170, Marxistisch-Leninistische Partei Deutsch181, 188, 193, 200, 212, 214, 217, 219 lands (MLPD) National Socialist Black Metal (NSBM) 53, 162, 166, 167, 168, 271, 306 88, 271 North Atlantic Treaty Organization (NATO) 271, 278 Mecklenburg-Vorpommern 83, 101, 110 National Socialist Club - Anti Communist Action (NSC 131) 42, 82, 84, 271, 306 Norwegen 195, 298 Med NUCE-TV 233 Nationaldemokratische Partei DeutschNouvelle Droite 80 Meldestelle Hessen gegen lands (NPD) 42, 46, 47, 65, 88, 101, Hetze und Hass 33 NUCE-TV 224, 233 102, 103, 104, 105, 106, 107, 108, Merkel, Dr. Angela 103 109, 110, 111, 112, 113, 121, 123, O 128, 271, 306 Mierdel, Jens 95, 98 Oberlandesgericht Frankfurt am Main Nationales Sicherheitsbüro des Regional44, 54, 67, 182 Military Intelligence (MI, kommandos der Ba'ath-Partei 252 Militärische Aufklärung) 251, 252, 270 Oberlandesgericht Koblenz 231 Nationalsozialistische Deutsche ArbeiterMillA(r) Gazete (Nationale Zeitung) Oberursel (Taunus) im Hochtaunuskreis partei (NSDAP) 84, 101, 108, 109, 58, 208, 209, 211, 214, 215, 307 69 117, 118, 271, 282, 283, 291, 292 Milli Istihbarat Teskilati (MIT, Nationale Öcalan, Abdullah 58, 59, 224, 225, Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) Nachrichtendienstorganisation) 249 227, 228, 229, 230, 232, 234, 235, 51, 84, 146, 271, 306 236, 280 Naval Intelligence [der Pakistan Navy] 251 Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 313 REGISTER Odenwaldkreis 70 Partiya YekA(r)tiya Demokrat (PYD, Partei der Research & Analysis Wing (R&AW) Demokratischen Union) 252, 272 Offenbach am Main 159, 230 224, 233, 234, 271, 307 Rheingau-Taunus-Kreis 70 Offenes Antifaschistisches Treffen (OAT) Pastörs, Udo 110 145, 159, 271, 306 Rheinland-Pfalz 70, 72, 95, 102, Phalanx Europa 73 109, 113, 117, 167, 231 Offenes Antifaschistisches Treffen Darmstadt (OAT Darmstadt) 145, 159 Phallus Europa 73 Rheinmetall AG 149 Offenes Antifaschistisches Treffen Frankfurt Phänomenbereichsübergreifende wissenRheinmetall entwaffnen 149 (OAT Frankfurt) 159 schaftliche Analysestelle Antisemitismus Rhina (Landkreis Hersfeld-Rotenburg) 32 und Fremdenfeindlichkeit (PAAF) Ökologisch Radikal links - ffm 21, 31, 34, 271 Riesa (Sachsen) 110 148, 159, 306 Phil s. Neumann, Philipp Rojava 234 Organisierte Kriminalität (OK) 37, 59, 60, 240, 241, 262, 271, 281 Poitiers (Frankreich) 74 Rosenberg, Alfred (1893-1946) 79 Osmanen Frankfurt BC 241 Polizeiliche Informationsund Rote Armee Fraktion (RAF) 168, 272 Analysestelle (PIAS) 25, 271 Osmanisches Reich 208 Rote Hilfe Deutschlands (RHD) 168, 272 Postautonome 143, 145, 155 Österreich 55, 57, 71, 73, 74, 78, 79, Rote Hilfe e. V. (RH) 54, 162, 168, 182, 187, 188, 196, 269 Präsidium für religiöse Angelegenheiten 169, 170, 231, 272 (Diyanet Isleri Baskanligi) 250 Outlaw Motorcycle Gangs (OMCG) Rote Hilfe Ortsgruppe Frankfurt am Main 59, 241 Priebke, Erich (1913-2013) 84 Rumänien 278, 297 P Probst, Christoph (1919-1943) 304 Rüsselsheim (Kreis Groß-Gerau) 116, 167 Pakistan 244, 251, 300 Q Russische Föderation s. Russland Pakistan Air Force 251 Qatar 277 Russky Motorcyclisti International (RMI) Pakistan Navy 251 Quds-Brigaden 219, 251 272 Palästina 158, 197, 211 Querdenken-Bewegung 51 Russland 60, 209, 248, 249 Palästinensische Autonomiegebiete 202 Qutb, Sayyid (1906-1966) 203, 204 S Palestine Liberation Organization (PLO, R S., Balvir 252 Palästinensische Befreiungsorganisation) Ramadan, Said (1926-1995) 204 Saadet Deutschland Regionalverein 157, 271 Hessen e. V. (SP Hessen) Ramelow, Carsten 71, 96 Pana, Patrick 46, 97 57, 208, 209, 210, 211, 307 Rat der Imame und Gelehrten RIG e. V./Rat Paris (Frankreich) 71, 188, 206 Saadet Partisi (SP, Partei der Glückseligder Imame und Gelehrten in Deutschland keit) 57, 208, 209, 210, 211, 212, Parlamentarische Kontrollkommission Ver(RIGD) 205, 206, 272, 307 213, 214, 215, 272, 307 fassungsschutz (PKV) 18, 19, 20, 271 Realität Islam (RI) 56, 57, 194, 195, 196, Saarbrücken (Saarland) 58, 225, 226 Partiya Careseriya Demokratik a Kurdistane 197, 198, 199, 200, 201, 272, 307 (PCDK, Partei für eine politische Lösung in Saarland 58, 101, 110, 167, 225, REBELL 167, 306 Kurdistan) 233, 271 235, 268, 307 Recht und Wahrheit 81, 102, 306 Partiya Jiyana Azad a Kurdistane (PJAK, Sachsen 55, 68, 73, 85, 98, 101, Partei für ein freies Leben in Kurdistan) Regierungspräsidium Gießen 32 107, 110, 150, 160, 188, 293 233, 271 Reichsbürger und Selbstverwalter Sachsen-Anhalt 68, 73, 85 Partiya Karkeren Kurdistan (PKK, Arbeiter39, 49, 131, 132, 133, 134, 135, Salafisten 55, 176, 177, 178, 179, 180, partei Kurdistans) 58, 59, 221, 223, 136, 137, 138 181, 188, 189, 190, 191, 192, 200, 280, 224, 225, 226, 227, 228, 229, 230, 231, Reichstrunkenbold 88, 306 283, 289 232, 233, 234, 235, 236, 237, 251, 271, 280, 293, 307 Republik Indien s. Indien Saudi-Arabien 189, 204, 277 Schleswig-Holstein 98, 109, 182, 200 314 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 REGISTER Schmerer, Tim 122, 123 STRABAG SE 150 Trotzki, Leo (1879-1940) 302 Schmorell, Alexander (1917-1943) 304 Strasbourg (Frankreich) Trotzkisten 142 58, 224, 225, 226, 230 Schnabel, Pavel 33 Tunesien 202 Sturm 18 e. V. 86, 87 Scholl, Hans (1918-1943) 304 Türkei 58, 182, 208, 209, 210, 211, Sturmbrigade 44/Wolfsbrigade 44 212, 213, 214, 215, 223, 224, 227, Scholl, Sophie (1921-1943) 304 42, 82, 83, 84, 306 228, 232, 233, 234, 236, 237, 244, Schönborn, Meinolf 81, 102 249, 250, 251 Sturmrebellen 84 Schubert, Klaus 300 Türkische Union Europa e. V. 212 Stuttgart (Baden-Württemberg) 96 Schutzstaffel (SS) 84, 85, 272 Twitter 45, 57, 70, 72, 73, 97, 106, Subkulturell orientierte Rechtsextremisten 107, 194, 200, 227, 231 Schwalm-Eder-Kreis 41, 88, 89 48, 69, 70, 120, 121, 123 U Swing 143 Schweden 115 Uljanow, Wladimir Iljitsch (i. e. Lenin, Syrian Demokratic Forces (SDF) 186, 272 1870-1924) 140 Schweiz 55, 71, 187, 188, 225, 292, 298 Syrien 48, 54, 182, 183, 184, Ülkücü-Bewegung 291, 302 Serxwebun (Unabhängigkeit) 224 85, 186, 187, 192, 193, 202, 204, 209, 217, 218, 219, 228, 231, 232, 233, Ungarn 116 siempre*antifa Frankfurt/M 165, 306 234,237,244, Union Internationale Demokraten (UID) Signal 125 252 250, 272 Skinheads, rechtsextremistische 82, 110 T Usbekistan 213 Skoda, Sven 120, 122 T.A.S.K. 50, 145, 159, 306 Ustaosmanoglu, Mahmud 213 Skudlarek, Jan 68 Tadschikistan 182 V Slushba Wneschnej Raswedki (SWR, Taiwan 248 Vacha (Thüringen) 96 Dienst der Außenaufklärung der RussiTelegram 45, 69, 70, 71, 72, 85, schen Föderation) 248, 272 Vatikan 300 107, 121, 123, 125, 227 Soleimani, Qasem (1957-2020) 218, 219 Vellmar (Landkreis Kassel) 98 Teutonicus 105 Somalia 217, 266 Vereinigte Arabische Emirate 277 Tevgera Ciwanen Soresger (TCS, BeweSomalisches Komitee Information und Begung der revolutionären Jugend) Vereinigte Staaten von Amerika (United ratung in Darmstadt und Umgebung e. V. 228, 229, 235, 272, 307 States of America, USA) 84, 157, 158, (SKIB) 218, 307 209, 211, 217, 272, 277, 292, 299 Teyrebazen Azadiya Kurdistan (TAK, FreiSonderermittler der Hessischen Polizei26 heitsfalken Kurdistans) 224, 272 Vereinte Nationen (United Nations, UN) 72, 278 Sowjetunion 60, 140, 164, 241, 270 Thaler, Philip 68 Verwaltungsgericht Wiesbaden 250 Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend Thälmann, Ernst (1886-1944) 166 (SDAJ) Vezarat-e ettela'at jomhuri-ye eslami-ye Thommen, Lukas 76 53, 162, 163, 164, 165, 166, 272, 306 iran/Ministry of Intelligence (VAJA/MOIS) Threema 125 251 Sozialistische Reichspartei (SRP)109, 272 Thule-Gesellschaft 79 Vietnam 244, 253 Sozialistische Republik Vietnam s. Vietnam Thule-Seminar e. V. 79, 80, 306 Violence Prevention Network (VPN) Spanien 292 31, 32, 273 Thüringen Sparta 46, 71, 76 71, 90, 94, 96, 110, 115, 145, 167 Vogelsbergkreis 70, 150, 210 Spencer, Herbert (1820-1903) 299 Tibet 248 Voigt, Udo 104 Staatsanwaltschaft Frankfurt am Main 26 Tong cuc 2 253, 272 Volksrepublik China s. China Stadtallendorf (Vogelsbergkreis) 150 Treysa (Schwalm-Eder-Kreis) 150 W Sterk TV/NUCE-TV 224 Trinh, Xuan Thanh 253 Wackersdorf (Bayern) 154 Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 315 REGISTER Walter, Markus 102 We Love Muhammad 191 Z Wehrmacht 303 Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD) 57, 202, 203, 207, 273 Weidenthal (Rheinland-Pfalz) 113 Zschäpe, Beate 84 Weilburg (Landkreis Limburg-Weilburg) 70, 116, 117 Zypern 297 Weiße Rose 303 Weisse Wölfe Terrorcrew 87 Werl, Michael 95 Werra-Meißner-Kreis 32, 70 Wesertal (Landkreis Kassel) 81 Westdeutscher Rundfunk (WDR) 46, 71, 77, 273 Wetteraukreis 33, 70, 103, 112 Wetzlar (Lahn-Dill-Kreis) 42, 47, 88, 102, 103, 108 WhatsApp 125 Wien (Österreich) 55, 71, 182, 188, 287 Wiesbaden 20, 42, 69, 71, 72, 84, 107, 145, 146, 151, 167, 168, 250, 340 Wiesbadener Bündnis gegen Rechts (WBgR) 145, 147, 273 Witzenhausen (Werra-Meißner-Kreis) 70 Wolfhagen (Landkreis Kassel) 66, 67, 130 World Health Organization (WHO, Weltgesundheitsorganisation) 248, 273 Woschkow (Brandenburg) 71 Wunsiedel (Bayern) 116, 284 Y Yasin, Abu s. al-Rashta, Ata Abu Yekineyen Parastina Gel (YPG, Volksverteidigungseinheiten) 224, 273 Yekineyen Parastina Jin (YPJ, Frauenverteidigungseinheiten) 224, 273 Yekitiya Xwendekaren Kurdistan (YXK, Verband der Studierenden aus Kurdistan) 235, 273, 307 Yeni Özgür Politika (YÖP, Neue Freie Politik) 224, 229, 230, 233, 273 YouTube 49, 57, 69, 71, 72, 74, 90, 124, 132, 194, 195, 196, 199, 200 316 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 GESETZ ZUR NEUAUSRICHTUNG DES LFV GESETZ ZUR NEUAUSRICHTUNG DES VERFASSUNGSSCHUTZES IN HESSEN Vom 25. Juni 2018 - veröffentlicht am 3. Juli 2018 im Gesetzund Verordnungsblatt für das Land Hessen, Nr. 13, S. 302ff. Artikel 1) Hessisches Verfassungsschutzgesetz (HVSG) PRÄAMBEL Der Verfassungsschutz dient dem Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Er ist Dienstleister der Demokratie und hält insbesondere die analytischen Kompetenzen zur Beurteilung jener Gefahren vor, die Demokratie und Menschenrechten durch extremistische Bestrebungen drohen. Er tauscht sich mit Wissenschaft und Gesellschaft aus. Hierzu gehört auch der öffentliche Diskurs. Er berücksichtigt gesellschaftliche Vielfalt und gesellschaftliche Entwicklungen. ERSTER TEIL Organisation und Aufgaben des Landesamts SS1 ORGANISATION DES LANDESAMTS (1) Das Landesamt für Verfassungsschutz (Landesamt) untersteht als obere Landesbehörde dem für den Verfassungsschutz zuständigen Ministerium. Es darf mit Polizeidienststellen organisatorisch nicht verbunden werden. (2) Verfassungsschutzbehörden anderer Länder dürfen in Hessen nur im Einvernehmen, das Bundesamt für Verfassungsschutz nur im Benehmen mit dem Landesamt tätig werden. Das Landesamt darf in anderen Ländern nur tätig werden, soweit die Rechtsvorschriften der anderen Länder dies zulassen. SS2 AUFGABEN DES LANDESAMTS (1) Das Landesamt ist zuständig für die Zusammenarbeit Hessens mit dem Bund und den anderen Ländern in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes. Aufgabe des Landesamts ist es, es den zuständigen Stellen zu ermöglichen, rechtzeitig die erforderlichen Maßnahmen zur Abwehr von Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand und die Sicherheit des Bundes und der Länder zu treffen. Das Landesamt hat auch die Aufgabe, den in Abs. 2 genannten Bestrebungen und Tätigkeiten durch Information, Aufklärung und Beratung entgegenzuwirken und vorzubeugen (Prävention). Zur Aufklärung der Öffentlichkeit erstellt das Landesamt mindestens einmal jährlich einen Bericht über Bestrebungen und Tätigkeiten nach Abs. 2 oder tatsächliche Anhaltspunkte hierfür. Der Bericht wird von dem für den Verfassungsschutz zuständigen Ministerium herausgegeben und auf der Internetseite des Landesamts für fünf Jahre bereitgestellt. (2) Aufgabe des Landesamts ist die Sammlung und Auswertung von Informationen, insbesondere von sachund personenbezogenen Auskünften, Nachrichten und Unterlagen, über 1. Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder die eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziel haben, Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 317 GESETZ ZUR NEUAUSRICHTUNG DES LFV 2. sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten im Geltungsbereich des Grundgesetzes für eine fremde Macht, 3. Bestrebungen im Geltungsbereich des Grundgesetzes, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, 4. Bestrebungen im Geltungsbereich des Grundgesetzes, die gegen den Gedanken der Völkerverständigung (Art. 9 Abs. 2 des Grundgesetzes), insbesondere gegen das friedliche Zusammenleben der Völker (Art. 26 Abs. 1 des Grundgesetzes), gerichtet sind, 5. Bestrebungen und Tätigkeiten der Organisierten Kriminalität im Geltungsbereich des Grundgesetzes. (3) Das Landesamt wirkt mit bei Sicherheitsüberprüfungen und Überprüfungen nach SS 3 Abs. 2 Satz 1 des Bundesverfassungsschutzgesetzes vom 20. Dezember 1990 (BGBl. I S. 2954, 2970), zuletzt geändert durch Gesetz vom 16. Juni 2017 (BGBl. I S. 1634). (4) Das Landesamt ist zuständig für Sicherheitsüberprüfungen nach SS 2 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 des Gesetzes zur Beschränkung des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses (Artikel 10-Gesetz) vom 26. Juni 2001 (BGBl. I S. 1254, 2998), zuletzt geändert durch Gesetz vom 17. August 2017 (BGBl. I S. 3202). SS3 BEGRIFFSBESTIMMUNGEN (1) Die Begriffsbestimmungen des SS 4 Abs. 1 Satz 1, 2 und 4 sowie Abs. 2 des Bundesverfassungsschutzgesetzes finden Anwendung. (2) Organisierte Kriminalität im Sinne dieses Gesetzes ist die von Gewinnoder Machtstreben bestimmte planmäßige Begehung von Straftaten, die einzeln oder in ihrer Gesamtheit von erheblicher Bedeutung für die Rechtsordnung sind, durch mehr als zwei Beteiligte, die auf längere oder unbestimmte Dauer arbeitsteilig tätig werden 1. unter Verwendung gewerblicher oder geschäftsähnlicher Strukturen, 2. unter Anwendung von Gewalt oder durch entsprechende Drohung oder 3. unter Einflussnahme auf Politik, Verwaltung, Justiz, Medien oder Wirtschaft. ZWEITER TEIL Befugnisse des Landesamts SS4 INFORMATIONSERHEBUNG (1) Das Landesamt darf die zur Erfüllung seiner Aufgaben nach SS 2 Abs. 1 und 2 erforderlichen Informationen erheben und verarbeiten. Einzelheiten zum Umgang mit den erhobenen Informationen regelt eine von dem für den Verfassungsschutz zuständigen Ministerium zu erlassende Dienstvorschrift. (2) Das Landesamt darf personenbezogene Daten aus allgemein zugänglichen Quellen erheben und verarbeiten, um zu prüfen, ob tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 2 Abs. 2 vorliegen. (3) Liegen bei der betroffenen Person tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 2 Abs. 2 vor oder wird das Landesamt nach SS 2 Abs. 3 oder 4 tätig, darf es Auskünfte bei öffentlichen Stellen oder Dritten einholen, wenn die Daten 1. nicht aus allgemein zugänglichen Quellen, 2. nur mit übermäßigem Aufwand oder 3. nur durch eine die betroffene Person stärker belastende Maßnahme erhoben werden können. Würde durch die Erhebung von Auskünften nach Satz 1 der Zweck der Maßnahme gefährdet oder die betroffene Person unverhältnismäßig beeinträchtigt, darf das Landesamt Akten und Register öffentlicher Stellen einsehen. Im Übrigen gilt SS 18. 318 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 GESETZ ZUR NEUAUSRICHTUNG DES LFV (4) Das Landesamt muss Ersuchen auf Auskunft oder Einsicht nicht begründen, soweit dies dem Schutz der betroffenen Person dient oder eine Begründung den Zweck der Maßnahme gefährden würde. Es hat die Ersuchen aktenkundig zu machen. Über die Einsichtnahme nach Abs. 3 Satz 2 hat das Landesamt einen Nachweis zu führen, aus dem der Zweck, die ersuchte Behörde und die Aktenfundstelle hervorgehen. Der Nachweis ist gesondert aufzubewahren, gegen unberechtigten Zugriff zu sichern und am Ende des Kalenderjahres, das dem Jahr seiner Erstellung folgt, zu vernichten. (5) Zur Beantwortung von Übermittlungsersuchen nach SS 20 Abs. 1 Nr. 2 darf das Landesamt personenbezogene Daten nur erheben, soweit dies zur Überprüfung der dem Landesamt bereits vorliegenden Informationen erforderlich ist. Abs. 3 bleibt unberührt. (6) Werden Daten bei der betroffenen Person oder bei Dritten außerhalb des öffentlichen Bereichs offen erhoben, so sind die Befragten auf die Freiwilligkeit ihrer Angaben hinzuweisen. Gegenüber der betroffenen Person ist der Erhebungszweck anzugeben. Die Befragten sind bei einer Sicherheitsüberprüfung nach SS 2 Abs. 3 oder 4 auf eine dienst-, arbeitsrechtliche oder sonstige vertragliche Mitwirkungspflicht hinzuweisen. (7) Ein Ersuchen des Landesamts um Übermittlung personenbezogener Daten darf nur diejenigen personenbezogenen Daten enthalten, die für die Erteilung der Auskunft unerlässlich sind. Schutzwürdige Interessen der betroffenen Person dürfen nur in unvermeidbarem Umfang beeinträchtigt werden. (8) Zur Aufgabenerfüllung nach SS 2 dürfen personenbezogene Daten von Personen, bei denen keine tatsächlichen Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie selbst Bestrebungen oder Tätigkeiten im Sinne des SS 2 Abs. 2 nachgehen (Unbeteiligte), nur erhoben, verarbeitet oder genutzt werden, wenn 1. dies für die Erforschung von Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 2 Abs. 2 vorübergehend erforderlich ist, 2. die Erforschung des Sachverhalts auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre und 3. überwiegende schutzwürdige Belange der betroffenen Personen nicht entgegenstehen. Personenbezogene Daten Unbeteiligter dürfen auch erhoben werden, wenn sie mit zur Aufgabenerfüllung erforderlichen Informationen untrennbar verbunden sind. (9) Daten, die für das Verständnis der zu speichernden Informationen nicht erforderlich sind, sind unverzüglich zu löschen. Dies gilt nicht, wenn die Löschung nicht oder nur mit unvertretbarem Aufwand möglich ist; in diesem Fall dürfen die Daten nicht verwertet werden. SS5 INFORMATIONSERHEBUNG MIT NACHRICHTEN DIENSTLICHEN MITTELN (1) Das Landesamt darf Informationen mit nachrichtendienstlichen Mitteln erheben. Für personenbezogene Daten gilt dies nur, wenn 1. bei der betroffenen Person tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 2 Abs. 2 vorliegen und anzunehmen ist, dass auf diese Weise zusätzliche Erkenntnisse erlangt werden können, 2. tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass auf diese Weise die zur Erforschung von Bestrebungen und Tätigkeiten nach SS 2 Abs. 2 erforderlichen Quellen gewonnen werden können, 3. dies zum Schutz der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Einrichtungen, Gegenstände und Informationsquellen des Landesamts gegen sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten erforderlich ist oder 4. dies zur Überprüfung der Nachrichtenehrlichkeit und der Eignung von Vertrauensleuten erforderlich ist. Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 319 GESETZ ZUR NEUAUSRICHTUNG DES LFV (2) Nachrichtendienstliche Mittel sind Mittel und Methoden, die mittelbar oder unmittelbar dem von der betroffenen oder außenstehenden Person nicht erkennbaren Erheben von Daten dienen. Als nachrichtendienstliche Mittel darf das Landesamt einsetzen: 1. Überwachung des Brief-, Postund Fernmeldeverkehrs im Sinne des Art. 10 des Grundgesetzes einschließlich notwendiger Begleitmaßnahmen nach SS 6, 2. technische Mittel zur Wohnraumüberwachung nach SS 7, 3. technische Mittel zur Ortung von Mobilfunkendgeräten nach SS 9, 4. besondere Auskunftsersuchen nach SS 10 zu a) den Umständen des Postverkehrs bei Unternehmen, die geschäftsmäßig Postdienstleistungen erbringen oder daran mitwirken, b) Telekommunikationsverbindungsund Teledienstenutzungsdaten bei Unternehmen, die geschäftsmäßig Telekommunikationsdienste und Teledienste erbringen oder daran mitwirken, c) Daten bei Verkehrsunternehmen, Betreibern von Computerreservierungssystemen und globalen Distributionssystemen sowie bei Kreditinstituten, Finanzdienstleistungsinstituten und Finanzunternehmen, 5. Observation nach SS 11, 6. Verdeckte Mitarbeiterinnen, Verdeckte Mitarbeiter und Vertrauensleute nach den SSSS 12 und 13, 7. verdeckte Ermittlungen und Befragungen, 8. Tonund Bildaufzeichnungen außerhalb der Schutzbereiche der Art. 10 und 13 des Grundgesetzes mit und ohne Inanspruchnahme technischer Mittel, 9. Tarnmittel, 10. Funkbeobachtungen, 11. Beobachtung des Internets; dies beinhaltet auch die verdeckte Teilnahme an der im Internet geführten Kommunikation, insbesondere in Foren und elektronischen Kommunikationsplattformen. (3) In den Fällen des Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 und 3 dürfen nachrichtendienstliche Mittel nicht gezielt gegen Unbeteiligte eingesetzt werden; im Übrigen gilt SS 4 Abs. 8 Satz 2 und Abs. 9. Einzelheiten regelt das für den Verfassungsschutz zuständige Ministerium durch Dienstvorschrift, insbesondere die organisatorische Zuständigkeit für die Anordnung von Informationserhebungen mit nachrichtendienstlichen Mitteln. Die Dienstvorschrift ist der Parlamentarischen Kontrollkommission nach SS 1 des Verfassungsschutzkontrollgesetzes vom 25. Juni 2018 (GVBl. S. 302, 317) zu übersenden. (4) Gemeinden, Gemeindeverbände und die sonstigen der Aufsicht des Landes unterstehenden Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts sowie die Gerichte und Staatsanwaltschaften und das Landesamt leisten sich gegenseitig Amtsund Rechtshilfe. Dies gilt insbesondere für die technische Hilfe bei Tarnmaßnahmen. Polizeiliche Befugnisse oder Weisungsbefugnisse stehen dem Landesamt nicht zu. Das Landesamt darf auch nicht im Wege der Amtshilfe Polizeibehörden um Maßnahmen ersuchen, zu denen es selbst nicht befugt ist. (5) Zur Erfüllung von Aufgaben aufgrund eines Gesetzes nach Art. 73 Nr. 10 Buchst. b und c des Grundgesetzes stehen dem Landesamt die Befugnisse zu, die es zur Erfüllung der entsprechenden Aufgaben nach diesem Gesetz hat. SS6 ÜBERWACHUNG DES BRIEF, POST UND FERNMELDE VERKEHRS UND DER TELEKOMMUNIKATION Die Überwachung des Brief-, Postund Fernmeldeverkehrs im Sinne des Art. 10 des Grundgesetzes richtet sich nach dem Artikel 10-Gesetz mit den in Satz 2 bis 6 bestimmten Maßgaben und dem Hessischen Ausführungsgesetz zum Artikel 10-Gesetz vom 16. Dezember 1969 (GVBl. I S. 303), zuletzt geändert durch Gesetz vom 27. September 2012 (GVBl. I S. 290), in der jeweils geltenden Fassung. Dabei ist SS 3a Satz 12 des Artikel 10-Gesetzes mit der Maßgabe anzuwenden, dass die Dokumentation sechs Monate nach der Mitteilung oder nach der Feststellung der endgültigen Nichtmitteilung nach SS 12 Abs. 1 Satz 1 oder 5 des Artikel 10-Gesetzes zu löschen ist. Ist eine laufende Kontrolle nach SS 4 Abs. 1 Satz 2 des Hessischen Ausführungsge320 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 GESETZ ZUR NEUAUSRICHTUNG DES LFV setzes zum Artikel 10-Gesetz durch die G 10-Kommission noch nicht beendet, ist die Dokumentation bis zum Abschluss der laufenden Kontrolle aufzubewahren. SS 3b des Artikel 10-Gesetzes ist mit der Maßgabe anzuwenden, dass sich SS 3b Abs. 1 des Artikel 10-Gesetzes auch auf Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte erstreckt, die in anderen Mandatsverhältnissen als der Strafverteidigung tätig sind, auf Kammerrechtsbeistände sowie auf deren Berufshelfer nach SS 53a der Strafprozessordnung. SS 4 Abs. 1 Satz 5 des Artikel 10-Gesetzes ist mit der Maßgabe anzuwenden, dass die Protokolldaten sechs Monate nach der Mitteilung oder nach der Feststellung der endgültigen Nichtmitteilung nach SS 12 Abs. 1 Satz 1 oder 5 des Artikel 10-Gesetzes zu löschen sind. SS 4 Abs. 1 Satz 6 des Artikel 10-Gesetzes ist mit der Maßgabe anzuwenden, dass die Löschung der Daten auch unterbleibt, soweit die Daten für eine Nachprüfung der Rechtmäßigkeit der Beschränkungsmaßnahme nach SS 4 Abs. 1 Satz 2 des Hessischen Ausführungsgesetzes zum Artikel 10-Gesetz durch die G 10-Kommission von Bedeutung sein können. SS7 VERDECKTER EINSATZ TECHNISCHER MITTEL ZUR WOHNRAUMÜBERWACHUNG (1) Das Landesamt darf bei der Erhebung personenbezogener Daten in einer Wohnung verdeckt technische Mittel einsetzen, um das nichtöffentlich gesprochene Wort abzuhören und aufzuzeichnen sowie Bildaufnahmen und Bildaufzeichnungen herzustellen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen für eine konkretisierte dringende Gefahr für 1. den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes, 2. Leib, Leben oder Freiheit einer Person oder 3. solche Güter der Allgemeinheit, deren Bedrohung die Grundlagen oder den Bestand des Bundes oder eines Landes oder die Grundlagen der Existenz der Menschen berührt. (2) Die Anordnung einer Wohnraumüberwachung ist nur zulässig, wenn die Erforschung des Sachverhalts auf andere Weise aussichtlos oder wesentlich erschwert wäre. Die Maßnahme darf sich nur gegen eine Person richten, von der aufgrund tatsächlicher Anhaltspunkte anzunehmen ist, dass sie für die Gefahr verantwortlich ist (Zielperson), und nur in deren Wohnung durchgeführt werden. In der Wohnung einer anderen Person ist die Maßnahme nur zulässig, wenn tatsächliche Anhaltspunkte bestehen, dass sich die Zielperson dort zur Zeit der Maßnahme aufhält, sich dort für die Erforschung des Sachverhalts relevante Informationen ergeben werden und der Zweck der Maßnahme nicht allein unter Beschränkung auf die Wohnung der Zielperson zu erreichen ist. Die Maßnahme darf auch durchgeführt werden, wenn andere Personen unvermeidbar betroffen werden. (3) Im Antrag auf eine richterliche Anordnung nach SS 8 Abs. 1 sind anzugeben: 1. die Person, gegen die sich die Maßnahme richtet, soweit möglich, mit Name und Anschrift, 2. die zu überwachende Wohnung oder die zu überwachenden Wohnräume, 3. Art, Umfang und Dauer der Maßnahme, 4. der Sachverhalt sowie 5. eine Begründung. (4) Die Maßnahme ist unzulässig, soweit tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass durch sie allein Erkenntnisse gewonnen werden würden 1. aus dem Kernbereich privater Lebensgestaltung oder 2. bei einer Rechtsanwältin, einem Rechtsanwalt, einem Kammerrechtsbeistand, einer der in SS 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 2 oder 4 der Strafprozessordnung genannten Person oder einer diesen nach SS 53a Abs. 1 Satz 1 der Strafprozessordnung gleichstehenden Person, über die der Berufsgeheimnisträger das Zeugnis verweigern dürfte. Erfolgen Maßnahmen bei einem der im Übrigen in SS 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 bis 3b oder 5 der Strafprozessordnung genannten Berufsgeheimnisträger oder einer diesen Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 321 GESETZ ZUR NEUAUSRICHTUNG DES LFV nach SS 53a Abs. 1 Satz 1 der Strafprozessordnung gleichstehenden Person, sind das öffentliche Interesse an den von dem Berufsgeheimnisträger wahrgenommenen Aufgaben und das Interesse an der Geheimhaltung der diesem anvertrauten oder bekannt gewordenen Tatsachen besonders zu berücksichtigen. Satz 1 Nr. 2 und Satz 2 gelten nicht bei Maßnahmen zur Aufklärung von eigenen Bestrebungen oder Tätigkeiten der genannten zeugnisverweigerungsberechtigten Personen. (5) Ergeben sich während der Überwachung tatsächliche Anhaltspunkte im Sinne von Abs. 4 Satz 1, ist die Maßnahme unverzüglich zu unterbrechen, sobald dies ohne Gefährdung eingesetzter Personen möglich ist. Bestehen insoweit Zweifel, darf nur eine automatische Aufzeichnung fortgesetzt werden. Sind das Abhören und Beobachten nach Satz 1 unterbrochen worden, so darf die Maßnahme fortgeführt werden, wenn keine Anhaltspunkte nach Abs. 4 Satz 1 vorliegen. Erkenntnisse, die durch eine Maßnahme nach Abs. 1 erlangt worden sind, sind dem für die Anordnung zuständigen Gericht unverzüglich vorzulegen. Das Gericht entscheidet unverzüglich über die Verwertbarkeit oder Löschung. Soweit Erkenntnisse im Sinne von Abs. 4 Satz 1 durch eine Maßnahme nach Abs. 1 erlangt worden sind, dürfen sie nicht verwertet werden. Aufzeichnungen hierüber sind unverzüglich zu löschen. Die Tatsachen der Erfassung der Daten und der Löschung sind zu dokumentieren. Die Dokumentation darf ausschließlich für Zwecke der Datenschutzkontrolle verwendet werden. Die Dokumentation ist sechs Monate nach der Mitteilung oder nach Erteilung der gerichtlichen Zustimmung zur Feststellung der endgültigen Nichtmitteilung nach SS 8 Abs. 4 zu löschen. (6) Bei Gefahr im Verzug können die Erkenntnisse, die durch eine Maßnahme nach Abs. 1 erlangt worden sind, unter Aufsicht einer oder eines Bediensteten, die oder der die Befähigung zum Richteramt hat, gesichtet werden. Die oder der Bedienstete entscheidet im Benehmen mit der oder dem Datenschutzbeauftragten des Landesamts über eine vorläufige Verwertung der Erkenntnisse. Die Bediensteten sind zur Verschwiegenheit über die ihnen bekannt gewordenen Erkenntnisse, die nicht verwertet werden dürfen, verpflichtet. Die gerichtliche Entscheidung nach Abs. 5 Satz 4 und 5 ist unverzüglich nachzuholen. SS8 VERFAHREN BEI MASSNAHMEN NACH SS 7 (1) Der Einsatz technischer Mittel nach SS 7 bedarf einer richterlichen Anordnung. Die Anordnung ergeht schriftlich. Bei Gefahr im Verzug kann die Behördenleitung oder ihre Vertretung die Anordnung treffen; eine richterliche Entscheidung ist unverzüglich nachzuholen. Die Anordnung ist auf höchstens einen Monat zu befristen. Verlängerungen um jeweils nicht mehr als einen weiteren Monat sind zulässig, soweit die Voraussetzungen der Anordnung fortbestehen. (2) Das Landesamt prüft unverzüglich und sodann in Abständen von höchstens sechs Monaten, ob die erhobenen personenbezogenen Daten für seine Aufgaben nach SS 2 Abs. 1 und 2 erforderlich sind. Soweit die Daten für diese Zwecke nicht erforderlich sind und nicht für eine Übermittlung an andere Stellen benötigt werden, sind sie unverzüglich unter Aufsicht einer oder eines Bediensteten, die oder der die Befähigung zum Richteramt hat, zu löschen. Die Löschung ist zu protokollieren. Die Protokolldaten dürfen ausschließlich zur Durchführung der Datenschutzkontrolle verwendet werden. Die Protokolldaten sind sechs Monate nach der Mitteilung oder nach Erteilung der gerichtlichen Zustimmung zur Feststellung der endgültigen Nichtmitteilung nach Abs. 4 zu löschen. Die Löschung der Daten unterbleibt, soweit die Daten für eine Mitteilung nach Abs. 4 oder für eine gerichtliche Überprüfung der Rechtmäßigkeit der Maßnahme von Bedeutung sein können. In diesem Fall sind die Daten in der Verarbeitung einzuschränken; sie dürfen nur zu diesen Zwecken verwendet werden. (3) Die verbleibenden Daten sind zu kennzeichnen. Die Behördenleitung oder ihre Stellvertretung kann anordnen, dass bei der Übermittlung auf die Kennzeichnung verzichtet wird, wenn dies unerlässlich ist, um die Geheimhaltung einer Maßnahme nicht zu gefährden, und das für die Anordnung zuständige Gericht zugestimmt hat. 322 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 GESETZ ZUR NEUAUSRICHTUNG DES LFV Bei Gefahr im Verzug kann die Anordnung bereits vor der Zustimmung getroffen werden. Wird die Zustimmung versagt, ist die Kennzeichnung durch den Übermittlungsempfänger unverzüglich nachzuholen; die übermittelnde Behörde hat ihn hiervon zu unterrichten. Nach einer Übermittlung ist die Kennzeichnung durch den Empfänger aufrechtzuerhalten. (4) Eine Maßnahme nach SS 7 ist der betroffenen Person nach ihrer Einstellung mitzuteilen. Die Mitteilung unterbleibt, solange eine Gefährdung des Zwecks der Beschränkung nicht ausgeschlossen werden kann oder solange der Eintritt übergreifender Nachteile für das Wohl des Bundes oder eines Landes absehbar ist. Erfolgt die nach Satz 2 zurückgestellte Mitteilung nicht binnen zwölf Monaten nach Beendigung der Maßnahme, bedarf die weitere Zurückstellung der Zustimmung des für die Anordnung zuständigen Gerichts. Das Gericht bestimmt die Dauer der weiteren Zurückstellung. Einer Mitteilung bedarf es nicht, wenn das Gericht festgestellt hat, dass 1. eine der Voraussetzungen in Satz 2 auch nach fünf Jahren nach Beendigung der Maßnahme noch vorliegt, 2. sie mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch in Zukunft vorliegt und 3. die Voraussetzungen für eine Löschung sowohl beim Landesamt als auch beim Empfänger vorliegen. Eine Mitteilung kann auch auf Dauer unterbleiben, wenn überwiegende Interessen einer betroffenen Person entgegenstehen oder wenn die Identität oder der Aufenthaltsort einer betroffenen Person nur mit unverhältnismäßigem Aufwand zu ermitteln ist. Die Mitteilung obliegt dem Landesamt. Wurden personenbezogene Daten übermittelt, erfolgt die Mitteilung im Benehmen mit dem Empfänger. (5) Die aus der Anordnung sich ergebenden Maßnahmen sind unter Verantwortung des Landesamts und unter Aufsicht einer oder eines Bediensteten vorzunehmen, die oder der die Befähigung zum Richteramt hat. Die Maßnahmen sind unverzüglich zu beenden, wenn sie nicht mehr erforderlich sind oder die Voraussetzungen der Anordnung nicht mehr vorliegen. Die Beendigung ist dem für die Anordnung zuständigen Gericht anzuzeigen. (6) Personenbezogene Daten aus Maßnahmen nach SS 7 dürfen nur verwendet werden 1. zur Abwehr einer drohenden Gefahr im Sinne von SS 7 Abs. 1, 2. wenn tatsächliche Anhaltspunkte für die dringende Gefahr der Begehung von besonders schweren Straftaten im Sinne von SS 100b Abs. 2 der Strafprozessordnung vorliegen oder 3. zur Verfolgung von Straftaten, zu deren Aufklärung eine solche Maßnahme nach den entsprechenden Befugnissen der Strafprozessordnung angeordnet werden könnte. Personenbezogene Daten aus Maßnahmen nach SS 7, die durch Herstellung von Bildaufnahmen oder Bildaufzeichnungen erlangt wurden, dürfen nicht zu Strafverfolgungszwecken weiterverarbeitet werden. (7) Dient der Einsatz technischer Mittel nach SS 7 ausschließlich dem Schutz der für den Verfassungsschutz bei einem Einsatz in Wohnungen tätigen Personen, erfolgt die Anordnung abweichend von Abs. 1 durch die Behördenleitung oder ihre Vertretung. Eine anderweitige Verwendung der hierbei erlangten Erkenntnisse ist nur zulässig, wenn zuvor richterlich festgestellt wurde, dass die Maßnahme rechtmäßig ist und die Voraussetzungen des SS 7 Abs. 1 vorliegen; Abs. 1 Satz 3 gilt entsprechend. Im Übrigen sind die Daten unverzüglich zu löschen. (8) Zuständig für die richterlichen Entscheidungen ist das Amtsgericht am Sitz des Landesamts; über Beschwerden entscheidet das in SS 120 Abs. 4 Satz 2 des Gerichtsverfassungsgesetzes bezeichnete Gericht. Für das Verfahren gelten die Vorschriften des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit vom 17. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2586, 2587), zuletzt geändert durch Gesetz vom 20. Juli 2017 (BGBl. I S. 2780), in der jeweils geltenden Fassung entsprechend; die Rechtsbeschwerde ist ausgeschlossen. Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 323 GESETZ ZUR NEUAUSRICHTUNG DES LFV SS9 ORTUNG VON MOBILFUNKENDGERÄTEN (1) Das Landesamt darf technische Mittel zur Ermittlung des Standorts eines aktiv geschalteten Mobilfunkendgeräts oder zur Ermittlung der Geräteoder Kartennummer einsetzen, soweit tatsächliche Anhaltspunkte für eine schwerwiegende Gefahr für die von SS 2 umfassten Schutzgüter vorliegen. (2) SS 3 Abs. 2 Satz 1 und 2 und die SSSS 9 und 10 Abs. 1 bis 3 des Artikel 10-Gesetzes gelten entsprechend. SS10 BESONDERE AUSKUNFTSERSUCHEN (1) Das Landesamt darf im Einzelfall, soweit dies zur Erfüllung seiner Aufgaben nach SS 2 erforderlich ist, bei denjenigen, die geschäftsmäßig Postdienstleistungen erbringen oder Telemedien anbieten oder daran mitwirken, Auskünfte über Daten, die für die Begründung, inhaltliche Ausgestaltung, Änderung oder Beendigung eines Vertragsverhältnisses über Postdienstleistungen oder Telemedien gespeichert worden sind, einholen. (2) Das Landesamt darf im Einzelfall zur Erfüllung seiner Aufgaben nach SS 2, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen und Tätigkeiten nach SS 2 Abs. 2 vorliegen, bei 1. Verkehrsunternehmen sowie Betreibern von Computerreservierungssystemen und Globalen Distributionssystemen für Flüge zu Namen und Anschriften von Kunden sowie zu Inanspruchnahme und Umständen von Transportleistungen, insbesondere zum Zeitpunkt von Abfertigung und Abflug und zum Buchungsweg, 2. Kreditinstituten, Finanzdienstleistungsinstituten und Finanzunternehmen zu Konten, Konteninhabern und sonstigen Berechtigten sowie weiteren am Zahlungsverkehr Beteiligten und über Geldbewegungen und Geldanlagen, insbesondere über Kontostand und Zahlungseinund -ausgänge, einholen. Im Fall des SS 2 Abs. 2 Nr. 1 gilt dies nur für Bestrebungen, die bezwecken oder aufgrund ihrer Wirkungsweise geeignet sind, 1. zu Hassoder Willkürmaßnahmen gegen Teile der Bevölkerung aufzustacheln oder deren Menschenwürde durch Beschimpfen, böswilliges Verächtlichmachen oder Verleumden anzugreifen und dadurch die Bereitschaft zur Anwendung von Gewalt zu fördern und den öffentlichen Frieden zu stören oder 2. Gewalt anzuwenden oder vorzubereiten, einschließlich des Befürwortens, Hervorrufens oder Unterstützens von Gewaltanwendung, auch durch Unterstützen von Vereinigungen, die Anschläge gegen Personen oder Sachen veranlassen, befürworten oder androhen. (3) Das Landesamt darf im Einzelfall, soweit dies zur Erfüllung seiner Aufgaben nach SS 2 erforderlich ist, von denjenigen, die geschäftsmäßig Telekommunikationsdienste erbringen oder daran mitwirken, Auskünfte über die nach den SSSS 95 und 111 des Telekommunikationsgesetzes vom 22. Juni 2004 (BGBl. I S. 1190), zuletzt geändert durch Gesetz vom 30. Oktober 2017 (BGBl. I S. 3618), in der jeweils geltenden Fassung erhobenen Daten verlangen (SS 113 Abs. 1 Satz 1 des Telekommunikationsgesetzes). Dies gilt auch für Daten, mittels derer der Zugriff auf Endgeräte oder auf Speichereinrichtungen, die in diesen Endgeräten oder hiervon räumlich getrennt eingesetzt werden, geschützt wird (SS 113 Abs. 1 Satz 2 des Telekommunikationsgesetzes). Die Auskunft darf auch anhand einer zu einem bestimmten Zeitpunkt zugewiesenen Internetprotokoll-Adresse verlangt werden (SS 113 Abs. 1 Satz 3 des Telekommunikationsgesetzes). Die Auskunft darf nur verlangt werden, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen für das Nutzen der Daten vorliegen. (4) Das Landesamt darf im Einzelfall zur Erfüllung seiner Aufgaben nach SS 2 unter den Voraussetzungen des SS 3 Abs. 1 des Artikel 10-Gesetzes bei Personen und Unternehmen, die geschäftsmäßig 1. Postdienstleistungen erbringen oder daran mitwirken, Auskünfte zu Namen, Anschriften und Postfächern und sonstigen Umständen des Postverkehrs, 2. Telekommunikationsdienste erbringen oder daran mitwirken, Auskünfte zu Verkehrsdaten nach SS 96 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 5 des Telekommunikationsgesetzes 324 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 GESETZ ZUR NEUAUSRICHTUNG DES LFV 3. Telemedien anbieten oder daran mitwirken, Auskünfte über a) Merkmale zur Identifikation des Nutzers von Telemedien, b) Beginn und Ende sowie über den Umfang der jeweiligen Nutzung und c) die vom Nutzer in Anspruch genommenen Telemedien einholen. (5) Auskünfte nach Abs. 3, soweit Daten nach SS 113 Abs. 1 Satz 2 und 3 des Telekommunikationsgesetzes betroffen sind, und Auskünfte nach Abs. 4 dürfen nur auf Anordnung des für den Verfassungsschutz zuständigen Ministeriums eingeholt werden. Die Anordnung ist durch die Behördenleitung schriftlich zu beantragen. Der Antrag ist zu begründen. Das Ministerium unterrichtet unverzüglich die G 10-Kommission nach SS 2 Abs. 1 des Hessischen Ausführungsgesetzes zum Artikel 10-Gesetz über die Anordnung vor deren Vollzug und holt deren Zustimmung ein. Bei Gefahr im Verzug kann das Ministerium den Vollzug der Anordnung auch bereits vor Unterrichtung der G 10-Kommission anordnen. Die G 10-Kommission prüft von Amts wegen oder aufgrund von Beschwerden die Zulässigkeit und Notwendigkeit der Einholung von Auskünften. SS 15 Abs. 5 des Artikel 10-Gesetzes ist entsprechend anzuwenden. Anordnungen, welche die G 10-Kommission für unzulässig erklärt, hat das Ministerium unverzüglich aufzuheben. (6) Bei Maßnahmen nach Abs. 2 bis 4 ist SS 4 des Artikel 10-Gesetzes mit der Maßgabe nach SS 6 Satz 5 und 6 dieses Gesetzes anzuwenden, die SSSS 9, 10, 11 Abs. 1 und 2, SS 12 Abs. 1 und 3, SS 17 Abs. 3 des Artikel 10-Gesetzes sowie SS 2 des Hessischen Ausführungsgesetzes zum Artikel 10-Gesetz sind entsprechend anzuwenden. Abweichend von SS 10 Abs. 3 des Artikel 10-Gesetzes genügt eine räumlich und zeitlich hinreichende Bezeichnung der Telekommunikation, sofern anderenfalls die Erreichung des Zwecks der Maßnahme aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre. Soweit dem Verpflichteten keine Entschädigung nach besonderen Bestimmungen zusteht, findet SS 20 des Artikel 10-Gesetzes entsprechende Anwendung. Im Übrigen hat der Verpflichtete die Auskunft unentgeltlich zu erteilen. (7) Die zur Erteilung der Auskunft erforderlichen Daten müssen unverzüglich, vollständig und richtig übermittelt werden. Das Auskunftsersuchen und die übermittelten Daten dürfen der betroffenen Person oder Dritten vom Verpflichteten nicht mitgeteilt werden. (8) Auf Auskünfte nach Abs. 4 Nr. 2 sind die Vorgaben des SS 8b Abs. 8 Satz 4 und 5 des Bundesverfassungsschutzgesetzes anzuwenden. Für die Erteilung von Auskünften nach Abs. 1, 2 und 4 Nr. 3 gilt die Nachrichtendienste-Übermittlungsverordnung vom 11. Oktober 2012 (BGBl. I S. 2117), zuletzt geändert durch Gesetz vom 23. Dezember 2016 (BGBl. I S. 3346), in der jeweils geltenden Fassung. (9) Dem Verpflichteten ist es verboten, allein aufgrund eines Auskunftsersuchens einseitige Handlungen vorzunehmen, die für die betroffene Person nachteilig sind und die über die Erteilung der Auskunft hinausgehen, insbesondere bestehende Verträge oder Geschäftsverbindungen zu beenden, ihren Umfang zu beschränken oder ein Entgelt zu erheben oder zu erhöhen. Die Anordnung ist mit dem ausdrücklichen Hinweis auf dieses Verbot und darauf zu verbinden, dass das Auskunftsersuchen nicht die Aussage beinhaltet, dass sich die betroffene Person rechtswidrig verhalten hat oder ein darauf gerichteter Verdacht bestehen müsse. SS11 OBSERVATION (1) Das Landesamt darf zur Aufklärung von Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 2 Abs. 2 außerhalb der Schutzbereiche der Art. 10 und 13 des Grundgesetzes Personen verdeckt mit oder ohne Inanspruchnahme technischer Mittel planmäßig observieren, insbesondere das nichtöffentlich gesprochene Wort mithören, abhören und aufzeichnen sowie Bildaufnahmen und Bildaufzeichnungen anfertigen. (2) Die Maßnahme ist im Einzelfall länger als 48 Stunden oder an mehr als drei Tagen innerhalb einer Woche (langfristige Observation) nur zur Aufklärung von Bestrebungen oder Tätigkeiten mit erheblicher Bedeutung zulässig, insbesondere, Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 325 GESETZ ZUR NEUAUSRICHTUNG DES LFV wenn sie darauf gerichtet sind, Gewalt anzuwenden oder Gewaltanwendung vorzubereiten. (3) Die Maßnahme darf sich nur gegen Personen richten, bei denen tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass sie 1. an den Bestrebungen oder Tätigkeiten beteiligt sind, oder 2. im Zusammenhang mit einer Person nach Nr. 1 stehen und durch die Maßnahme Erkenntnisse, die nicht gleichermaßen nach Nr. 1 zu gewinnen sind, über die Bestrebungen oder Tätigkeiten gewonnen werden können. Die Maßnahme darf auch durchgeführt werden, wenn andere Personen unvermeidbar betroffen werden. (4) Über die Anordnung einer langfristigen Observation nach Abs. 2 entscheidet die Behördenleitung oder ihre Vertretung. Die Anordnung ergeht schriftlich. Bei Gefahr im Verzug kann die zuständige Abteilungsleitung oder deren Vertretung die Anordnung treffen; die Entscheidung nach Satz 1 ist unverzüglich nachzuholen. Die Anordnung ist auf höchstens drei Monate zu befristen. Verlängerungen um jeweils nicht mehr als drei weitere Monate sind zulässig, soweit die Voraussetzungen der Anordnung fortbestehen. (5) In der Anordnung einer langfristigen Observation nach Abs. 2 sind anzugeben: 1. die Person, gegen die sich die Maßnahme richtet, soweit möglich, mit Name und Anschrift, 2. Art, Umfang und Dauer der Maßnahme sowie 3. die wesentlichen Gründe. (6) Die Maßnahme ist unzulässig, soweit tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass durch sie allein Erkenntnisse gewonnen werden würden 1. aus dem Kernbereich privater Lebensgestaltung oder 2. bei einer Rechtsanwältin, einem Rechtsanwalt, einem Kammerrechtsbeistand, einer der in SS 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 2 oder 4 der Strafprozessordnung genannten Person oder einer diesen nach SS 53a Abs. 1 Satz 1 der Strafprozessordnung gleichstehenden Person, über die der Berufsgeheimnisträger das Zeugnis verweigern dürfte. Erfolgen Maßnahmen bei einem der im Übrigen in SS 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 bis 3b oder 5 der Strafprozessordnung genannten Berufsgeheimnisträger oder einer diesen nach SS 53a Abs. 1 Satz 1 der Strafprozessordnung gleichstehenden Person, sind das öffentliche Interesse an den von dem Berufsgeheimnisträger wahrgenommenen Aufgaben und das Interesse an der Geheimhaltung der diesem anvertrauten oder bekannt gewordenen Tatsachen besonders zu berücksichtigen. Satz 1 Nr. 2 und Satz 2 gelten nicht bei Maßnahmen zur Aufklärung von eigenen Bestrebungen oder Tätigkeiten der genannten zeugnisverweigerungsberechtigten Personen. (7) Ergeben sich während der Maßnahme tatsächliche Anhaltspunkte im Sinne von Abs. 6 Satz 1, ist die Maßnahme unverzüglich zu unterbrechen, sobald dies ohne Gefährdung eingesetzter Personen möglich ist. Bestehen insoweit Zweifel, darf nur eine automatische Aufzeichnung fortgesetzt werden. Sind das Abhören und Beobachten nach Satz 1 unterbrochen worden, so darf die Maßnahme fortgeführt werden, wenn keine Anhaltspunkte nach Abs. 6 Satz 1 vorliegen. Automatische Aufzeichnungen nach Satz 2 sind dem Amtsgericht am Sitz des Landesamts unverzüglich vorzulegen. Das Gericht entscheidet unverzüglich über die Verwertbarkeit oder Löschung; SS 8 Abs. 8 Satz 2 gilt entsprechend. Soweit Erkenntnisse im Sinne von Abs. 6 Satz 1 durch die Maßnahme erlangt worden sind, dürfen sie nicht verwertet werden. Aufzeichnungen hierüber sind unverzüglich zu löschen. Die Tatsachen der Erfassung der Daten und der Löschung sind zu dokumentieren. Die Dokumentation darf ausschließlich für Zwecke der Datenschutzkontrolle verwendet werden. Die Dokumentation ist sechs Monate nach der Mitteilung oder nach Zustimmung der Behördenleitung zur endgültigen Nichtmitteilung nach Abs. 9 zu löschen. (8) Bei Gefahr im Verzug können Aufzeichnungen nach Abs. 7 Satz 2 unter Aufsicht einer oder eines Bediensteten, die oder der die Befähigung zum Richteramt hat, gesichtet werden. Die oder der Bedienstete entscheidet im Benehmen mit der oder dem 326 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 GESETZ ZUR NEUAUSRICHTUNG DES LFV Datenschutzbeauftragten des Landesamts über eine vorläufige Verwertung der Erkenntnisse. Die Bediensteten sind zur Verschwiegenheit über die ihnen bekannt gewordenen Erkenntnisse, die nicht verwertet werden dürfen, verpflichtet. Die gerichtliche Entscheidung nach Abs. 7 Satz 4 und 5 ist unverzüglich nachzuholen. (9) Dauert eine langfristige Observation nach Abs. 2 durchgehend länger als eine Woche oder findet sie an mehr als 14 Tagen innerhalb eines Monats statt, ist die Maßnahme der betroffenen Person nach ihrer Einstellung mitzuteilen. Die Mitteilung unterbleibt, solange eine Gefährdung des Zwecks der Beschränkung nicht ausgeschlossen werden kann oder solange der Eintritt übergreifender Nachteile für das Wohl des Bundes oder eines Landes absehbar ist. Erfolgt die nach Satz 2 zurückgestellte Mitteilung nicht binnen zwölf Monaten nach Beendigung der Maßnahme, bedarf die weitere Zurückstellung der Zustimmung der Behördenleitung. Die Behördenleitung bestimmt die Dauer der weiteren Zurückstellung. Einer Mitteilung bedarf es nicht, wenn 1. eine der Voraussetzungen in Satz 2 auch nach fünf Jahren nach Beendigung der Maßnahme noch vorliegt, 2. sie mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch in Zukunft vorliegt und 3. die Voraussetzungen für eine Löschung vorliegen. Eine Mitteilung kann auch auf Dauer unterbleiben, wenn überwiegende Interessen einer betroffenen Person entgegenstehen oder wenn die Identität oder der Aufenthaltsort einer betroffenen Person nur mit unverhältnismäßigem Aufwand zu ermitteln ist. Die Mitteilung obliegt dem Landesamt. SS12 VERDECKTE MITARBEITERINNEN UND VERDECKTE MITARBEITER (1) Das Landesamt darf eigene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter unter einer ihnen verliehenen und auf Dauer angelegten Legende (Verdeckte Mitarbeiterinnen und Verdeckte Mitarbeiter) einsetzen. (2) Verdeckte Mitarbeiterinnen und Verdeckte Mitarbeiter dürfen weder zur Gründung von Bestrebungen nach SS 2 Abs. 2 noch zur steuernden Einflussnahme auf derartige Bestrebungen eingesetzt werden. Sie dürfen in Personenzusammenschlüssen oder für diese tätig werden, auch wenn dadurch ein Straftatbestand verwirklicht wird. Im Übrigen dürfen Verdeckte Mitarbeiterinnen und Verdeckte Mitarbeiter im Einsatz bei der Beteiligung an Bestrebungen solche Handlungen vornehmen, die 1. nicht in Individualrechte eingreifen, 2. von den an den Bestrebungen Beteiligten derart erwartet werden, dass sie zur Gewinnung und Sicherung der Informationszugänge unumgänglich sind, und 3. nicht außer Verhältnis zur Bedeutung des aufzuklärenden Sachverhalts stehen. Sofern zureichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass eine Verdeckte Mitarbeiterin oder ein Verdeckter Mitarbeiter rechtswidrig einen Straftatbestand von erheblicher Bedeutung verwirklicht hat, wird ihr oder sein Einsatz unverzüglich beendet und die Strafverfolgungsbehörde unterrichtet. Über Ausnahmen von Satz 4 entscheidet die Behördenleitung oder ihre Vertretung. (3) Bei Einsätzen zur Erfüllung der Aufgabe nach SS 2 Abs. 2 Nr. 5 gilt SS 9a Abs. 3 des Bundesverfassungsschutzgesetzes entsprechend. (4) Für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die verdeckt Informationen in sozialen Netzwerken und sonstigen Kommunikationsplattformen im Internet erheben, gelten Abs. 2 und 3 sowie SS 9a Abs. 3 des Bundesverfassungsschutzgesetzes entsprechend, auch wenn sie nicht unter einer auf Dauer angelegten Legende tätig werden. SS13 VERTRAUENSLEUTE (1) Für den Einsatz von Privatpersonen, deren planmäßige, dauerhafte Zusammenarbeit mit dem Landesamt Dritten nicht bekannt ist (Vertrauensleute), gilt SS 12 Abs. 1 bis 3 entsprechend. Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 327 GESETZ ZUR NEUAUSRICHTUNG DES LFV (2) Über die Verpflichtung von Vertrauensleuten entscheidet die Behördenleitung oder ihre Vertretung. Vertrauensleute müssen nach ihren persönlichen und charakterlichen Voraussetzungen für die Zusammenarbeit mit dem Verfassungsschutz geeignet sein. Diese Eignung ist fortlaufend durch das Landesamt zu überprüfen. Als Vertrauensleute dürfen Personen nicht angeworben und eingesetzt werden, die 1. nicht voll geschäftsfähig, insbesondere minderjährig sind, 2. von den Geldoder Sachzuwendungen für die Tätigkeit auf Dauer als alleinige Lebensgrundlage abhängen würden, 3. an einem Aussteigerprogramm teilnehmen, 4. Mitglied des Europäischen Parlaments, des Deutschen Bundestages, eines Landesparlaments oder Mitarbeiterin oder Mitarbeiter eines solchen Mitglieds sind oder 5. im Bundeszentralregister mit einer Verurteilung wegen eines Verbrechens oder zu einer Freiheitsstrafe, deren Vollstreckung nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist, eingetragen sind. Die Behördenleitung oder ihre Vertretung kann eine Ausnahme von Satz 4 Nr. 5 zulassen, wenn die Verurteilung nicht als Täter eines Totschlags (SSSS 212, 213 des Strafgesetzbuchs) oder einer allein mit lebenslanger Haft bedrohten Straftat erfolgt ist und der Einsatz zur Aufklärung von Bestrebungen unerlässlich ist, die auf die Begehung von in SS 3 Abs. 1 des Artikel 10-Gesetzes oder SS 100b Abs. 2 der Strafprozessordnung bezeichneten Straftaten gerichtet sind. Im Falle einer Ausnahme nach Satz 5 ist der Einsatz nach höchstens sechs Monaten zu beenden, wenn er zur Erforschung der in Satz 5 genannten Bestrebungen nicht zureichend gewichtig beigetragen hat. Auch im Weiteren ist die Qualität der gelieferten Informationen fortlaufend zu bewerten. SS14 SCHRANKEN NACHRICHTENDIENSTLICHER MITTEL (1) Von mehreren möglichen und geeigneten Maßnahmen hat das Landesamt diejenige zu treffen, die den Einzelnen und die Allgemeinheit am wenigsten beeinträchtigt. (2) Eine Maßnahme darf nicht zu einem Nachteil führen, der zu dem erstrebten Erfolg erkennbar außer Verhältnis steht. (3) Eine Maßnahme ist nur zulässig, bis ihr Zweck erreicht ist oder sich zeigt, dass er nicht erreicht werden kann. (4) Eine Maßnahme ist unzulässig, soweit tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass durch sie allein Erkenntnisse gewonnen werden würden 1. aus dem Kernbereich privater Lebensgestaltung oder 2. bei einer Rechtsanwältin, einem Rechtsanwalt, einem Kammerrechtsbeistand, einer der in SS 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 2 oder 4 der Strafprozessordnung genannten Person oder einer diesen nach SS 53a Abs. 1 Satz 1 der Strafprozessordnung gleichstehenden Person, über die der Berufsgeheimnisträger das Zeugnis verweigern dürfte. Erfolgen Maßnahmen bei einem der im Übrigen in SS 53 Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 bis 3b oder 5 der Strafprozessordnung genannten Berufsgeheimnisträger oder einer diesen nach SS 53a Abs. 1 Satz 1 der Strafprozessordnung gleichstehenden Person, sind das öffentliche Interesse an den von dem Berufsgeheimnisträger wahrgenommenen Aufgaben und das Interesse an der Geheimhaltung der diesem anvertrauten oder bekannt gewordenen Tatsachen besonders zu berücksichtigen. Satz 1 Nr. 2 und Satz 2 gelten nicht bei Maßnahmen zur Aufklärung von eigenen Bestrebungen oder Tätigkeiten der genannten zeugnisverweigerungsberechtigten Personen. (5) Ergeben sich während einer Maßnahme tatsächliche Anhaltspunkte im Sinne von Abs. 4 Satz 1, ist die Maßnahme unverzüglich zu unterbrechen, sobald dies ohne Gefährdung oder Enttarnung eingesetzter Personen möglich ist. Die Maßnahme darf fortgeführt werden, wenn keine Anhaltspunkte nach Abs. 4 Satz 1 mehr vorliegen. Soweit Erkenntnisse im Sinne von Abs. 4 Satz 1 durch eine Maßnahme erlangt worden sind, dürfen sie nicht verwertet werden. Aufzeichnungen hierüber sind unverzüglich zu löschen. Die Tatsachen der Erfassung der Daten und der Löschung sind zu doku328 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 GESETZ ZUR NEUAUSRICHTUNG DES LFV mentieren. Die Dokumentation darf ausschließlich für Zwecke der Datenschutzkontrolle verwendet werden. Die Dokumentation ist am Ende des Kalenderjahres, das der Protokollierung folgt, zu löschen. DRITTER TEIL Verarbeitung personenbezogener Daten SS15 GELTUNG DATENSCHUTZRECHTLICHER VORSCHRIFTEN Bei der Erfüllung der Aufgaben nach SS 2 durch das Landesamt findet das Hessische Datenschutzund Informationsfreiheitsgesetz vom 3. Mai 2018 (GVBl. S. 82) in der jeweils geltenden Fassung wie folgt Anwendung: 1. SS 1 Abs. 8, die SSSS 4, 14 Abs. 1 und 3, SS 19 sowie der Zweite Teil finden keine Anwendung, 2. die SSSS 41, 46 Abs. 1 bis 4 und die SSSS 47 bis 49, 57, 59, 78 und 79 sind entsprechend anzuwenden. SS16 SPEICHERUNG, BERICHTIGUNG, LÖSCHUNG UND VER ARBEITUNGSEINSCHRÄNKUNG (1) Das Landesamt darf zur Erfüllung seiner Aufgaben personenbezogene Daten in Dateien speichern, verändern und nutzen, wenn 1. tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 2 Abs. 2 vorliegen, 2. dies für die Erforschung und Bewertung von Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 2 Abs. 2 erforderlich ist oder 3. das Landesamt nach SS 2 Abs. 3 tätig wird. Unterlagen, die nach Satz 1 gespeicherte Angaben belegen, dürfen auch gespeichert werden, wenn in ihnen weitere personenbezogene Daten Dritter enthalten sind. Eine Abfrage von Daten Dritter ist unzulässig. (2) Umfang und Dauer der Speicherung personenbezogener Daten sind auf das für die Aufgabenerfüllung des Landesamts erforderliche Maß zu beschränken. (3) Das Landesamt darf Daten über eine minderjährige Person unter 14 Jahren in Dateien und zu ihrer Person geführten Akten nur speichern, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass sie eine der in SS 3 Abs. 1 und 1a des Artikel 10-Gesetzes genannten Straftaten plant, begeht oder begangen hat. (4) In Dateien oder zu ihrer Person geführten Akten gespeicherte Daten über eine minderjährige Person sind nach zwei Jahren auf die Erforderlichkeit der Speicherung zu überprüfen und spätestens nach fünf Jahren zu löschen, es sei denn, dass nach Eintritt der Volljährigkeit weitere Erkenntnisse angefallen sind, die eine Fortdauer der Speicherung rechtfertigen. Nicht erforderliche Daten sind zu löschen. (5) Personenbezogene Daten, die erhoben worden sind, um zu prüfen, ob Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 2 Abs. 2 vorliegen, dürfen in Dateien erst gespeichert werden, wenn sich tatsächliche Anhaltspunkte für derartige Bestrebungen oder Tätigkeiten ergeben haben. Bis zu diesem Zeitpunkt dürfen auch keine zur Person geführten Akten angelegt werden. (6) Unrichtige personenbezogene Daten sind zu berichtigen. Wird bei personenbezogenen Daten in Akten festgestellt, dass sie unrichtig sind, oder wird ihre Richtigkeit von der betroffenen Person bestritten, so ist dies zu vermerken oder auf sonstige Weise festzuhalten. (7) Das Landesamt prüft bei der Einzelfallbearbeitung und im Übrigen nach von ihm festgesetzten angemessenen Fristen, spätestens jedoch nach fünf Jahren, ob Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 329 GESETZ ZUR NEUAUSRICHTUNG DES LFV gespeicherte personenbezogene Daten zur Aufgabenerfüllung noch erforderlich sind. Gespeicherte personenbezogene Daten über Bestrebungen nach SS 2 Abs. 2 Nr. 1 und 3 bis 5 sind spätestens 15 Jahre nach dem Zeitpunkt der letzten gespeicherten relevanten Information zu löschen, es sei denn, die Behördenleitung trifft im Einzelfall ausnahmsweise eine andere Entscheidung. Enthalten Sachakten oder Akten zu anderen Personen personenbezogene Daten, die nach Satz 2 zu löschen sind, dürfen sie nicht mehr verwendet werden. Soweit Daten automatisiert verarbeitet oder Akten automatisiert erschlossen werden, ist auf den Ablauf der Fristen nach Satz 1 und 2 hinzuweisen. Nicht erforderliche Daten sind zu löschen. (8) Personenbezogene Daten sind nicht zu löschen, sondern nur in der Verarbeitung einzuschränken, wenn 1. Grund zu der Annahme besteht, dass schutzwürdige Belange der betroffenen Person beeinträchtigt würden, 2. die Daten zur Behebung einer bestehenden Beweisnot unerlässlich sind oder 3. die Verwendung der Daten zu wissenschaftlichen Zwecken erforderlich ist. In den Fällen des Satz 1 Nr. 3 sind die Daten zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu anonymisieren. (9) Die Verpflichtung nach SS 8 Abs. 1 und 2 des Hessischen Archivgesetzes vom 26. November 2012 (GVBl. S. 458), geändert durch Gesetz vom 5. Oktober 2017 (GVBl. S. 294), in der jeweils geltenden Fassung bleibt unberührt. (10) Zum Zweck der gegenseitigen Information über den Einsatz von Vertrauenspersonen darf das Landesamt zusammen mit den Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der anderen Länder eine Übersicht als gemeinsame Datei führen. Die Übersicht kann Angaben über wesentliche Eigenschaften der Vertrauenspersonen und deren Einsatzbereiche enthalten. Das Landesamt und das Hessische Landeskriminalamt koordinieren den jeweiligen Einsatz von Vertrauenspersonen; Näheres regeln gemeinsame Richtlinien. SS17 ZWECKBINDUNG (1) Das Landesamt darf personenbezogene Daten nur zum Zweck der Aufgabenerfüllung des Verfassungsschutzes im Sinne des SS 2 übermitteln. Zu anderen Zwecken dürfen personenbezogene Daten nur nach Maßgabe der SSSS 20 bis 23 übermittelt werden. (2) Personenbezogene Daten dürfen auch zur Ausübung von Aufsichtsund Kontrollbefugnissen übermittelt und in dem dafür erforderlichen Umfang verwendet werden. SS18 INFORMATIONSÜBERMITTLUNG DURCH ÖFFENTLICHE STELLEN AN DAS LANDESAMT (1) Die Behörden, Gerichte hinsichtlich der dort geführten Register, sonstigen öffentlichen Stellen des Landes Hessen sowie die Gemeinden, Gemeindeverbände und sonstigen der Aufsicht des Landes Hessen unterstehenden juristischen Personen des öffentlichen Rechts haben dem Landesamt die ihnen bei Erfüllung ihrer Aufgaben bekanntgewordenen Informationen einschließlich personenbezogener Daten auch ohne vorheriges Ersuchen des Landesamts zu übermitteln, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Informationen für die Erfüllung der Aufgaben des Landesamts erforderlich sein können. SS 18 Abs. 1a und 1b des Bundesverfassungsschutzgesetzes bleibt unberührt. Die Übermittlung kann auch durch Einsichtnahme des Landesamts in Akten und Dateien der jeweiligen öffentlichen Stelle erfolgen, soweit die Übermittlung in sonstiger Weise den Zweck der Maßnahme gefährden oder einen übermäßigen Aufwand erfordern würde. Über die Einsichtnahme in amtlich geführte Dateien führt das Landesamt einen Nachweis, aus dem der Zweck und die eingesehene Datei hervorgehen; die Nachweise sind gesondert aufzubewahren, gegen unberechtigten Zugriff zu sichern und am Ende des Kalenderjahres, das dem Jahr 330 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 GESETZ ZUR NEUAUSRICHTUNG DES LFV ihrer Erstellung folgt, zu löschen. Unter den Voraussetzungen von Satz 1 übermitteln die Staatsanwaltschaften außerdem Anklageschriften und Urteile. (2) Das Landesamt überprüft die übermittelten Informationen nach ihrem Eingang unverzüglich darauf, ob sie für die Erfüllung seiner Aufgaben erforderlich sind. Ergibt die Prüfung, dass die Informationen nicht erforderlich sind, werden sie unverzüglich gelöscht. Die Löschung kann unterbleiben, wenn die Trennung von anderen Informationen, die zur Erfüllung der Aufgaben erforderlich sind, nicht oder nur mit unvertretbarem Aufwand erfolgen kann; in diesem Fall dürfen die nicht erforderlichen Informationen nicht verwendet werden. (3) Die Übermittlung personenbezogener Daten nach Abs. 1, die aufgrund einer Maßnahme nach SS 100a der Strafprozessordnung bekannt geworden sind, ist nur zulässig, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass jemand eine der in SS 3 Abs. 1 und 1a des Artikel 10-Gesetzes genannten Straftaten plant, begeht oder begangen hat. Auf die dem Landesamt nach Satz 1 übermittelten Kenntnisse und Unterlagen findet SS 4 Abs. 1 und 4 bis 6 des Artikel 10-Gesetzes entsprechende Anwendung. (4) Die in Abs. 1 genannten Stellen sind zur Übermittlung verpflichtet, wenn im Einzelfall ein Ersuchen des Landesamts nach SS 4 Abs. 3 vorliegt. Hält die ersuchte Stelle das Verlangen nach Auskunft oder Einsichtnahme nach SS 4 Abs. 3 nicht für rechtmäßig, so teilt sie dies dem Landesamt mit. 3Besteht dieses auf dem Verlangen nach Auskunft oder Einsichtnahme, so entscheidet die für die ersuchte Stelle zuständige oberste Aufsichtsbehörde, soweit gesetzlich nichts anderes bestimmt ist. SS19 INFORMATIONSÜBERMITTLUNG DURCH DAS LANDES AMT AN ÜBERGEORDNETE BEHÖRDEN (1) Das Landesamt unterrichtet die Ministerien und die Staatskanzlei über Bestrebungen und Tätigkeiten nach SS 2 Abs. 2 oder tatsächliche Anhaltspunkte hierfür, die für deren Zuständigkeitsbereich von Bedeutung sind. Dabei dürfen auch personenbezogene Daten übermittelt werden. (2) Das für den Verfassungsschutz zuständige Ministerium und das Landesamt dürfen personenbezogene Daten zum Zweck der Aufklärung der Öffentlichkeit über Bestrebungen und Tätigkeiten nach SS 2 Abs. 2 oder tatsächliche Anhaltspunkte hierfür öffentlich bekanntgeben, wenn die Bekanntgabe für das Verständnis des Zusammenhangs oder der Darstellung von Organisationen erforderlich ist und das Allgemeininteresse das schutzwürdige Interesse der betroffenen Person überwiegt. SS20 INFORMATIONSÜBERMITTLUNG DURCH DAS LANDES AMT INNERHALB DES ÖFFENTLICHEN BEREICHS (1) Das Landesamt darf Informationen einschließlich personenbezogener Daten, auch wenn sie mit nachrichtendienstlichen Mitteln erhoben wurden, an inländische öffentliche Stellen übermitteln, wenn der Empfänger die Informationen benötigt 1. zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung oder sonst für Zwecke der öffentlichen Sicherheit oder der Strafverfolgung, soweit die Übermittlung nicht nach Abs. 2 beschränkt ist, oder 2. zur Erfüllung anderer ihm zugewiesener Aufgaben, sofern er dabei auch zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung beizutragen oder Gesichtspunkte der öffentlichen Sicherheit oder auswärtige Belange zu würdigen hat, insbesondere bei a) der Sicherheitsüberprüfung von Personen, denen im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftige Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse anvertraut werden, die Zugang dazu erhalten sollen oder ihn sich verschaffen können, b) der Sicherheitsüberprüfung von Personen, die an sicherheitsempfindlichen Stellen von lebensoder verteidigungswichtigen Einrichtungen beschäftigt sind oder beschäftigt werden sollen, Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 331 GESETZ ZUR NEUAUSRICHTUNG DES LFV c) der Überprüfung der Verfassungstreue von Personen, die sich um Einstellung in den öffentlichen Dienst bewerben, mit deren Einwilligung, d) der sicherheitsbehördlichen Überprüfung von Einbürgerungsbewerberinnen und Einbürgerungsbewerbern, e) der sicherheitsbehördlichen Überprüfung von Ausländerinnen und Ausländern im Rahmen der Bestimmungen des Ausländerrechts, f ) der Überprüfung der Zuverlässigkeit von Personen nach dem Luftsicherheits-, Atom-, Waffen-, Jagdund Sprengstoffrecht, g) der Überprüfung der Zuverlässigkeit von Personen nach den bewachungsund gewerberechtlichen Vorschriften, insbesondere aa) der Zulassung von Personen für den zugangsgeschützten Sicherheitsbereich von Veranstaltungen, bb) von an der Hessischen Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge und ihren Außenstellen beschäftigtem Sicherheitspersonal, cc) von an kommunalen Flüchtlingsunterkünften eingesetztem Wachpersonal, h) der Überprüfung der Zuverlässigkeit von an der Hessischen Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge und ihren Außenstellen beschäftigten Dolmetscherinnen und Dolmetschern, i) der anlassbezogenen Überprüfung der Zuverlässigkeit von Personen und Organisationen, mit denen die Landesregierung zusammenarbeitet aa) in begründeten Einzelfällen, bb) anlässlich der erstmaligen Förderung von Organisationen mit Landesmitteln, sofern diese in Arbeitsbereichen zur Bekämpfung von verfassungsfeindlichen Bestrebungen tätig werden sollen, mit deren Einwilligung und der Möglichkeit zur Stellungnahme, j) der Zuverlässigkeitsüberprüfung von anstaltsfremden Personen nach den hessischen Vollzugsgesetzen, soweit im Einzelfall erforderlich, k) Ordensverfahren zur Verleihung des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland - mit Ausnahme der Verdienstmedaille - und des Hessischen Verdienstordens, l) sonstigen Zuverlässigkeitsüberprüfungen und Überprüfungen von Personen, soweit dies gesetzlich vorgesehen ist, m) im besonderen öffentlichen Interesse liegenden sonstigen Überprüfungen von Personen mit deren Einwilligung. (2) Informationen, die mit nachrichtendienstlichen Mitteln erhoben wurden, dürfen an die Staatsanwaltschaften, die Finanzbehörden nach SS 386 Abs. 1 der Abgabenordnung, die Polizeien, die mit der Steuerfahndung betrauten Dienststellen der Landesfinanzbehörden, die Behörden des Zollfahndungsdienstes sowie andere Zolldienststellen, soweit diese Aufgaben nach dem Gesetz über die Bundespolizei vom 19. Oktober 1994 (BGBl. I S. 2978, 2979), zuletzt geändert durch Gesetz vom 5. Mai 2017 (BGBl. I S. 1066) wahrnehmen, nur übermittelt werden 1. zur Abwehr einer im Einzelfall bestehenden Gefahr für den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder für Leib, Leben, Gesundheit oder Freiheit einer Person oder für solche Güter der Allgemeinheit, deren Bedrohung die Grundlagen oder den Bestand des Bundes oder eines Landes oder die Grundlagen der Existenz der Menschen berührt, 2. wenn tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, dass der Empfänger die Informationen zur Verhinderung, sonstigen Verhütung oder Verfolgung von Straftaten von erheblicher Bedeutung benötigt oder 3. wenn der Empfänger die Informationen auch mit eigenen Befugnissen in gleicher Weise hätte erheben können. Unter Straftaten von erheblicher Bedeutung nach Satz 1 Nr. 2 fallen Verbrechen im Sinne des SS 12 Abs. 1 des Strafgesetzbuchs und schwerwiegende Vergehen im Sinne des SS 12 Abs. 2 des Strafgesetzbuchs, wenn die Straftat im Einzelfall mindestens dem Bereich der mittleren Kriminalität zuzurechnen ist, sie den Rechtsfrieden empfindlich stört und dazu geeignet ist, das Gefühl der Rechtssicherheit der Bevölkerung erheblich zu beeinträchtigten. Unter den Voraussetzungen des SS 20 Abs. 1 Satz 1 und 2 sowie Abs. 2 Satz 1 des Bundesverfassungsschutzgesetzes ist das Landesamt zur Übermittlung verpflichtet. 332 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 GESETZ ZUR NEUAUSRICHTUNG DES LFV (3) Soweit Informationen übermittelt werden, die mit Maßnahmen nach SS 7 gewonnen wurden, gilt SS 8 Abs. 1 entsprechend. Der Empfänger darf die Informationen nur zu dem Zweck verwenden, zu dem sie ihm übermittelt worden sind. Der Empfänger ist auf die Verwendungsbeschränkung hinzuweisen. (4) Zur Übermittlung nach den Abs. 1 und 2 ist auch das für den Verfassungsschutz zuständige Ministerium befugt; Abs. 3 gilt entsprechend. SS21 INFORMATIONSÜBERMITTLUNG DURCH DAS LAN DESAMT AN STATIONIERUNGSSTREITKRÄFTE UND AN AUSLÄNDISCHE ÖFFENTLICHE STELLEN (1) Das Landesamt darf Informationen einschließlich personenbezogener Daten, auch wenn sie mit nachrichtendienstlichen Mitteln erhoben wurden, an Dienststellen der Stationierungsstreitkräfte übermitteln, soweit die Bundesrepublik Deutschland dazu im Rahmen des Art. 3 des Zusatzabkommens zu dem Abkommen zwischen den Parteien des Nordatlantikvertrages über die Rechtsstellung ihrer Truppen hinsichtlich der in der Bundesrepublik Deutschland stationierten ausländischen Truppen vom 3. August 1959 (BGBl. 1961 II S. 1183, 1218) in der jeweils geltenden Fassung verpflichtet ist. (2) Das Landesamt darf Informationen im Sinne des Abs. 1 auch übermitteln an ausländische öffentliche Stellen sowie an überund zwischenstaatliche Stellen, wenn die Übermittlung zur Wahrung erheblicher Sicherheitsinteressen des Empfängers erforderlich ist, es sei denn, auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland stehen der Übermittlung entgegen. (3) Die Übermittlung hat zu unterbleiben, wenn im Einzelfall ein datenschutzrechtlich angemessener und die elementaren Menschenrechte wahrender Umgang mit den Daten beim Empfänger nicht hinreichend gesichert ist. (4) Soweit Informationen übermittelt werden, die mit Maßnahmen nach SS 7 gewonnen wurden, gilt SS 8 Abs. 1 entsprechend. Der Empfänger darf die Informationen nur zu dem Zweck verwenden, zu dem sie ihm übermittelt worden sind. Der Empfänger ist auf die Verwendungsbeschränkung und darauf hinzuweisen, dass das Landesamt sich vorbehält, Auskunft über die Verwendung der Daten zu verlangen. (5) Zur Übermittlung nach Abs. 1 und 2 ist auch das für den Verfassungsschutz zuständige Ministerium befugt; Abs. 3 und 4 gelten entsprechend. SS22 INFORMATIONSÜBERMITTLUNG DURCH DAS LANDESAMT AN STELLEN AUSSERHALB DES ÖFFENT LICHEN BEREICHS (1) Das Landesamt darf personenbezogene Daten an Personen oder Stellen außerhalb des öffentlichen Bereichs nicht übermitteln, es sei denn, dass dies zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, des Bestandes oder der Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder zur Gewährleistung der Sicherheit von lebensoder verteidigungswichtigen Einrichtungen nach SS 20 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. b erforderlich ist und das für den Verfassungsschutz zuständige Ministerium im Einzelfall seine Zustimmung erteilt hat. Das Landesamt führt über die Auskunft nach Satz 1 einen Nachweis, aus dem der Zweck der Übermittlung, die Fundstelle und der Empfänger hervorgehen; die Nachweise sind gesondert aufzubewahren, gegen unberechtigten Zugriff zu sichern und am Ende des Kalenderjahres, das dem Jahr seiner Erstellung folgt, zu vernichten. Der Empfänger darf die übermittelten personenbezogenen Daten nur für den Zweck verwenden, zu dem sie ihm übermittelt wurden. Der Empfänger ist auf die Verwendungsbeschränkung und darauf hinzuweisen, dass das Landesamt sich vorbehält, Auskunft über die Verwendung der Daten zu verlangen. Satz 1 bis 4 finden keine Anwendung, wenn personenbezogene Daten zum Zwecke von Datenerhebungen nach SS 4 übermittelt werden. Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 333 GESETZ ZUR NEUAUSRICHTUNG DES LFV (2) Soweit Informationen übermittelt werden, die mit Maßnahmen nach SS 7 gewonnen wurden, gilt SS 8 Abs. 1 entsprechend. Der Empfänger darf die Informationen nur zu dem Zweck verwenden, zu dem sie ihm übermittelt worden sind. Der Empfänger ist auf die Verwendungsbeschränkung und darauf hinzuweisen, dass das Landesamt sich vorbehält, Auskunft über die Verwendung der Daten zu verlangen. (3) Zur Übermittlung nach Abs. 1 ist auch das für den Verfassungsschutz zuständige Ministerium befugt; Abs. 2 gilt entsprechend. SS23 ÜBERMITTLUNGSVERBOTE (1) Die Übermittlung von Informationen nach diesem Teil unterbleibt, wenn 1. erkennbar ist, dass unter Berücksichtigung der Art der Informationen und ihrer Erhebung die schutzwürdigen Interessen der betroffenen Person das Interesse der Allgemeinheit oder des Empfängers an der Übermittlung überwiegen, 2. überwiegende Sicherheitsinteressen, insbesondere Gründe des Quellenschutzes oder des Schutzes operativer Maßnahmen, dies erfordern oder 3. besondere gesetzliche Regelungen entgegenstehen; die Verpflichtung zur Wahrung gesetzlicher Geheimhaltungspflichten oder von Berufsoder besonderen Amtsgeheimnissen, die nicht auf gesetzlichen Vorschriften beruhen, bleibt unberührt. (2) Ein Überwiegen im Sinne von Abs. 1 Nr. 1 und 2 liegt nicht vor, soweit die Übermittlung von Informationen erforderlich ist zur 1. Abwehr einer gegenwärtigen Gefahr für den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder für Leib, Leben oder Freiheit einer Person oder für solche Güter der Allgemeinheit, deren Bedrohung die Grundlagen oder den Bestand des Bundes oder eines Landes oder die Grundlagen der Existenz der Menschen berührt, oder 2. Verfolgung einer besonders schweren Straftat im Sinne von SS 100b Abs. 2 der Strafprozessordnung, es sei denn, dass durch die Übermittlung eine unmittelbare Gefährdung von Leib oder Leben einer Person zu besorgen ist und diese Gefährdung nicht abgewendet werden kann. Die Entscheidung trifft in den Fällen von Satz 1 die Behördenleitung oder ihre Vertretung, die unverzüglich das für den Verfassungsschutz zuständige Ministerium unterrichtet. Das für den Verfassungsschutz zuständige Ministerium unterrichtet die Parlamentarische Kontrollkommission. SS24 MINDERJÄHRIGENSCHUTZ (1) Personenbezogene Daten minderjähriger Personen dürfen nach den Vorschriften dieses Gesetzes übermittelt werden, solange die Voraussetzungen ihrer Speicherung nach SS 16 Abs. 3 erfüllt sind. Liegen diese Voraussetzungen nicht mehr vor, bleibt eine Übermittlung nur zulässig, wenn sie zur Abwehr einer erheblichen Gefahr oder zur Verfolgung einer der in SS 100a der Strafprozessordnung genannten Straftaten erforderlich ist. (2) Personenbezogene Daten minderjähriger Personen dürfen nach den Vorschriften dieses Gesetzes nicht an ausländische oder überoder zwischenstaatliche Stellen übermittelt werden. SS25 NACHBERICHTSPFLICHT Erweisen sich personenbezogene Daten nach ihrer Übermittlung nach den Vorschriften dieses Gesetzes als unvollständig oder unrichtig, sind sie unverzüglich gegenüber dem Empfänger zu berichtigen, wenn dies zu einer anderen Bewertung der Daten führen könnte oder zur Wahrung schutzwürdiger Interessen der betroffenen Person erforderlich ist. 334 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 GESETZ ZUR NEUAUSRICHTUNG DES LFV SS26 AUSKUNFT (1) Das Landesamt erteilt der betroffenen Person über zu ihrer oder seiner Person gespeicherte Daten auf Antrag unentgeltlich Auskunft, soweit die betroffene Person hierzu auf einen konkreten Sachverhalt hinweist und ein besonderes Interesse an einer Auskunft darlegt. Legt die betroffene Person nach Aufforderung ein besonderes Interesse nicht dar, entscheidet das Landesamt nach pflichtgemäßem Ermessen. Die Auskunft erstreckt sich nicht auf 1. die Herkunft der Daten und die Empfänger von Übermittlungen und 2. Daten, die nicht strukturiert in automatisierten Dateien gespeichert sind, es sei denn, die betroffene Person macht Angaben, die das Auffinden der Daten ermöglichen, und der für die Erteilung der Auskunft erforderliche Aufwand steht nicht außer Verhältnis zu dem von der betroffenen Person dargelegten Auskunftsinteresse. Das Landesamt bestimmt das Verfahren, insbesondere die Form der Auskunftserteilung, nach pflichtgemäßem Ermessen. (2) Die Auskunftserteilung unterbleibt, soweit durch sie 1. eine Gefährdung der Erfüllung der Aufgaben zu besorgen ist, 2. Nachrichtenzugänge gefährdet sein können oder die Ausforschung des Erkenntnisstandes oder der Arbeitsweise des Landesamts zu befürchten ist, 3. die öffentliche Sicherheit gefährdet oder sonst dem Wohl des Bundes oder eines Landes ein Nachteil bereitet würde oder 4. Daten oder die Tatsache ihrer Speicherung preisgegeben werden, die nach einer Rechtsvorschrift oder ihrem Wesen nach, insbesondere wegen der überwiegenden berechtigten Interessen eines Dritten, geheim gehalten werden müssen. Die Entscheidung trifft die Behördenleitung oder eine von ihr besonders beauftragte Mitarbeiterin oder ein von ihr besonders beauftragter Mitarbeiter. (3) Die Ablehnung der Auskunftserteilung bedarf keiner Begründung. Sie enthält einen Hinweis auf die Rechtsgrundlage für das Fehlen der Begründung und darauf, dass sich die betroffene Person an die Hessische Datenschutzbeauftragte oder den Hessischen Datenschutzbeauftragten wenden kann. Mitteilungen der oder des Hessischen Datenschutzbeauftragten an die betroffene Person dürfen ohne Zustimmung des Landesamts keine Rückschlüsse auf den Kenntnisstand des Landesamts zulassen. SS27 DATEIANORDNUNGEN (1) Für den erstmaligen Einsatz einer automatisierten Datei nach SS 16 trifft das Landesamt in einer Dateianordnung, die der Zustimmung des für den Verfassungsschutz zuständigen Ministeriums bedarf, die in SS 14 Abs. 1 Satz 1 des Bundesverfassungsschutzgesetzes genannten Festlegungen. Die oder der Hessische Datenschutzbeauftragte ist vor Erlass einer Dateianordnung anzuhören. Das Gleiche gilt für wesentliche Änderungen von Dateianordnungen. Das Landesamt führt ein Verzeichnis der geltenden Dateianordnungen. (2) Das Landesamt hat in angemessenen Abständen die Notwendigkeit der Weiterführung oder Änderung der Dateien zu überprüfen. (3) Ist im Hinblick auf die Dringlichkeit der Aufgabenerfüllung die vorherige Mitwirkung der in Abs. 1 genannten Stellen nicht möglich, so kann das Landesamt eine Sofortanordnung treffen. Das Verfahren nach Abs. 1 ist unverzüglich nachzuholen. Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 335 GESETZ ZUR NEUAUSRICHTUNG DES LFV VIERTER TEIL Schlussvorschriften SS28 EINSCHRÄNKUNG VON GRUNDRECHTEN Aufgrund dieses Gesetzes können die Grundrechte auf Versammlungsfreiheit (Art. 8 Abs. 1 des Grundgesetzes, Art. 14 Abs. 1 der Verfassung des Landes Hessen), Brief-, Postund Fernmeldegeheimnis (Art. 10 Abs. 1 des Grundgesetzes, Art. 12 der Verfassung des Landes Hessen) und Unverletzlichkeit der Wohnung (Art. 13 Abs. 1 des Grundgesetzes, Art. 8 der Verfassung des Landes Hessen) eingeschränkt werden. SS29 AUFHEBUNG BISHERIGEN RECHTS Das Gesetz über das Landesamt für Verfassungsschutz vom 19. Dezember 1990 (GVBl. I S. 753)2), zuletzt geändert durch Gesetz vom 3. Mai 2018 (GVBl. S. 82), wird mit Ausnahme der SSSS 20 bis 22 aufgehoben; die SSSS 20 bis 22 werden mit Ablauf des 17. Januar 2019 aufgehoben. SS30 INKRAFTTRETEN Dieses Gesetz tritt am Tag nach der Verkündung in Kraft. Artikel 2) Gesetz zur parlamentarischen Kontrolle des Verfassungsschutzes in Hessen (Verfassungsschutzkontrollgesetz) SS1 PARLAMENTARISCHE KONTROLLE (1) Die Landesregierung unterliegt hinsichtlich der Tätigkeit des Landesamts für Verfassungsschutz der parlamentarischen Kontrolle. Sie wird von der Parlamentarischen Kontrollkommission ausgeübt. (2) Der Landtag wählt zu Beginn jeder Wahlperiode die Mitglieder der Parlamentarischen Kontrollkommission aus seiner Mitte. (3) Er bestimmt die Zahl der Mitglieder, die Zusammensetzung und die Arbeitsweise der Parlamentarischen Kontrollkommission. (4) Gewählt ist, wer die Stimmen der Mehrheit der Mitglieder des Landtags auf sich vereint. (5) Scheidet ein Mitglied aus dem Landtag oder seiner Fraktion aus oder wird es Mitglied der Landesregierung, so verliert es seine Mitgliedschaft in der Parlamentarischen Kontrollkommission. Für dieses Mitglied ist unverzüglich ein neues Mitglied zu wählen; das Gleiche gilt, wenn ein Mitglied aus der Parlamentarischen Kontrollkommission ausscheidet. (6) Die Parlamentarische Kontrollkommission wählt eine Vorsitzende oder einen Vorsitzenden aus ihrer Mitte und gibt sich eine Geschäftsordnung. Sie oder er wird durch eine bei der Präsidentin oder dem Präsidenten des Landtags eingerichtete Geschäftsstelle unterstützt. (7) Im Übrigen bleiben die Rechte des Landtags unberührt. 336 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 GESETZ ZUR NEUAUSRICHTUNG DES LFV SS2 GEHEIMHALTUNG, PROTOKOLLIERUNG, VERWEN DUNG VON MOBILEN GERÄTEN (1) Die Beratungen der Parlamentarischen Kontrollkommission sind geheim; das Sicherstellen der Geheimhaltung obliegt jedem Mitglied der Parlamentarischen Kontrollkommission. Hierauf weist die oder der Vorsitzende vor Beginn jeder Sitzung hin. Die Mitglieder sind zur Geheimhaltung der Angelegenheiten verpflichtet, die ihnen bei ihrer Tätigkeit in der Parlamentarischen Kontrollkommission bekannt geworden sind. Dies gilt auch für die Zeit nach ihrem Ausscheiden. (2) Die Sitzungen werden durch die Kanzlei des Landtags protokolliert. Zum Zwecke der Protokollierung werden die Sitzungen aufgezeichnet. Die Aufzeichnung ist spätestens zwei Wochen nach Fertigstellung des Protokolls zu löschen. Die Vorschriften der Verschlusssachenanweisung bleiben unberührt. Die oder der Vorsitzende leitet das Protokoll nach Fertigstellung der von der Präsidentin oder dem Präsidenten des Landtags bestimmten Stelle zur Registrierung und Verwaltung zu. Je eine Ausfertigung des Protokolls wird beim Landesamt für Verfassungsschutz sowie bei der Präsidentin oder dem Präsidenten des Landtags als Verschlusssache archiviert. (3) Den Mitgliedern ist gestattet, sich für die Beratungen während der Sitzungen handschriftliche Notizen anzufertigen. Aus Gründen des Geheimschutzes stellt die oder der Vorsitzende im Anschluss an jede Sitzung die Einziehung und Vernichtung der handschriftlichen Notizen mit Sitzungsbezug sicher, soweit von der Erstellerin oder dem Ersteller der Notizen eine Verwahrung durch die Landtagsverwaltung nicht gewünscht wird. Wird Verwahrung gewünscht, übergibt das Mitglied der oder dem Vorsitzenden die Unterlagen in einem verschlossenen Umschlag. Die von der Präsidentin oder dem Präsidenten des Landtags bestimmte Stelle zur Registrierung und Verwaltung von Verschlusssachen verwahrt die handschriftlichen Notizen mit dem Protokoll der Sitzung. Jedem Mitglied ist auf Verlangen Einsicht in seine Notizen zu gewähren. (4) Der Gebrauch von Mobiltelefonen, tragbaren elektronischen Datenverarbeitungsgeräten oder sonstigen Geräten zur Aufzeichnung von Bildund Tondaten während der Sitzung ist nicht gestattet. Die oder der Vorsitzende stellt vor Beginn der Sitzung sicher, dass keine der in Satz 1 genannten Geräte eingesetzt werden können. PFLICHT DER LANDESREGIERUNG ZUR UNTERRICH TUNG (1) Das für den Verfassungsschutz zuständige Ministerium unterrichtet die Parlamentarische Kontrollkommission umfassend über die allgemeine Tätigkeit des Landesamts für Verfassungsschutz und über Vorgänge von besonderer Bedeutung, insbesondere SS3 über wesentliche Änderungen im Lagebild der inneren Sicherheit, behördeninterne Vorgänge mit erheblichen Auswirkungen auf die Aufgabenerfüllung und Einzelvorkommnisse, die Gegenstand politischer Diskussionen oder öffentlicher Berichterstattung sind. Das für den Verfassungsschutz zuständige Ministerium berichtet zu einem konkreten Thema aus dem Aufgabenbereich des Landesamts für Verfassungsschutz, sofern die Parlamentarische Kontrollkommission dies wünscht. (2) Zeit, Art und Umfang der Unterrichtung der Parlamentarischen Kontrollkommission werden unter Beachtung des notwendigen Schutzes der Quellen durch die politische Verantwortung der Landesregierung bestimmt. (3) Das für den Verfassungsschutz zuständige Ministerium unterrichtet die Parlamentarische Kontrollkommission 1. im Abstand von höchstens sechs Monaten über Auskunftsersuchen nach SS 10 des Hessischen Verfassungsschutzgesetzes vom 25. Juni 2018 (GVBl. S. 302), insbesondere durch einen Überblick über Anlass, Umfang, Dauer, Ergebnis und Kosten der im Berichtszeitraum durchgeführten Maßnahmen, 2. in jährlichem Abstand durch einen Lagebericht zu a) Maßnahmen nach den SSSS 7, 9 und 11 des Hessischen Verfassungsschutzgesetzes und Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 337 GESETZ ZUR NEUAUSRICHTUNG DES LFV b) dem Einsatz von Verdeckten Mitarbeiterinnen und Verdeckten Mitarbeitern sowie Vertrauensleuten nach den SSSS 12 und 13 des Hessischen Verfassungsschutzgesetzes, 3. über die Dienstvorschrift des Landesamts für Verfassungsschutz für die Zusammenarbeit mit und insbesondere die Führung von Verdeckten Mitarbeiterinnen und Verdeckten Mitarbeitern sowie Vertrauensleuten nach den SSSS 12 und 13 des Hessischen Verfassungsschutzgesetzes. (4) Das für den Verfassungsschutz zuständige Ministerium erstattet dem Parlamentarischen Kontrollgremium des Bundes im Abstand von höchstens sechs Monaten einen Bericht nach SS 8b Abs. 10 Satz 1 des Bundesverfassungsschutzgesetzes vom 20. Dezember 1990 (BGBl. I S. 2954, 2970), zuletzt geändert durch Gesetz vom 16. Juni 2017 (BGBl. I S. 1634), über die Durchführung von Maßnahmen nach SS 10 Abs. 4 Nr. 2 und 3 des Hessischen Verfassungsschutzgesetzes; dabei ist insbesondere ein Überblick über Anlass, Umfang, Dauer, Ergebnis und Kosten der im Berichtszeitraum durchgeführten Maßnahmen zu geben. (5) Das für den Verfassungsschutz zuständige Ministerium unterrichtet die Parlamentarische Kontrollkommission über den Vollzug des Wirtschaftsplans im Haushaltsjahr. SS4 BEFUGNISSE DER PARLAMENTARISCHEN KONTROLL KOMMISSION (1) Jedes Mitglied der Parlamentarischen Kontrollkommission kann die Einberufung einer Sitzung und die Unterrichtung der Parlamentarischen Kontrollkommission verlangen. Diese hat Anspruch auf entsprechende Unterrichtung durch die Landesregierung. (2) Jedem Mitglied der Parlamentarischen Kontrollkommission ist Akteneinsicht zu gewähren. Die Akteneinsicht erstreckt sich auch auf vom Landesamt für Verfassungsschutz amtlich verwahrte Schriftstücke sowie die Einsicht in Daten des Landesamts für Verfassungsschutz. Soweit im Rahmen der Akteneinsicht erforderlich, ist den Mitgliedern der Parlamentarischen Kontrollkommission Zutritt zu den Dienststellen des Landesamts für Verfassungsschutz zu gewähren. (3) Die Parlamentarische Kontrollkommission kann im Einzelfall zur Wahrnehmung ihrer Kontrollaufgaben mit der Mehrheit von zwei Dritteln ihrer Mitglieder nach Anhörung der Landesregierung beschließen, eine sachverständige Person mit der Durchführung von Untersuchungen zu beauftragen. Die sachverständige Person hat der Parlamentarischen Kontrollkommission über das Ergebnis der Untersuchungen zu berichten. Die Landesregierung ist der sachverständigen Person gegenüber in gleicher Weise zur Auskunft und Mitwirkung verpflichtet wie der Parlamentarischen Kontrollkommission. Insbesondere ist der sachverständigen Person auf Verlangen Akteneinsicht zu gewähren. SS 2 Abs. 1 Satz 3 und 4 gilt entsprechend für die sachverständige Person. (4) Die Parlamentarische Kontrollkommission kann der oder dem Hessischen Datenschutzbeauftragten Gelegenheit zur Stellungnahme in Fragen des Datenschutzes geben. (5) Der Haushaltsplan des Landesamts für Verfassungsschutz wird der Parlamentarischen Kontrollkommission zur Mitberatung überwiesen. SS5 UNTERSTÜTZUNG DER MITGLIEDER DER PARLAMEN TARISCHEN KONTROLLKOMMISSION (1) Die Mitglieder der Parlamentarischen Kontrollkommission haben das Recht, zur Unterstützung ihrer Arbeit je eine Mitarbeiterin oder einen Mitarbeiter ihrer Fraktion nach Anhörung der Landesregierung mit Zustimmung der Parlamentarischen Kontrollkommission zu benennen. Voraussetzung für diese Tätigkeit sind die Ermächtigung zum Umgang mit Verschlusssachen und die förmliche Verpflichtung zur Geheimhaltung. 338 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 GESETZ ZUR NEUAUSRICHTUNG DES LFV (2) Die benannten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind befugt, die Beratungsgegenstände der Parlamentarischen Kontrollkommission mit den Mitgliedern der Parlamentarischen Kontrollkommission zu erörtern. Sie haben grundsätzlich keinen Zutritt zu den Sitzungen der Parlamentarischen Kontrollkommission. Die Parlamentarische Kontrollkommission kann im Einzelfall mit der Mehrheit von zwei Dritteln ihrer Mitglieder beschließen, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Fraktionen an bestimmten Sitzungen teilnehmen können. (3) Die Mitglieder der Parlamentarischen Kontrollkommission haben auch das Recht, die Beratungsgegenstände der Parlamentarischen Kontrollkommission mit der Parlamentarischen Geschäftsführerin oder dem Parlamentarischen Geschäftsführer ihrer Fraktion zu erörtern. Für diese gilt SS 2 Abs. 1 entsprechend. SS6 BERICHTERSTATTUNG Die Parlamentarische Kontrollkommission erstattet dem Landtag mindestens in der Mitte und am Ende jeder Wahlperiode einen Bericht über ihre Kontrolltätigkeit. Dabei nimmt sie insbesondere dazu Stellung, ob die Landesregierung ihrer Unterrichtungspflicht zu Vorgängen von besonderer Bedeutung nachgekommen ist. Die Parlamentarische Kontrollkommission erstattet dem Landtag jährlich einen Bericht über die Durchführung sowie Art, Umfang und Anordnungsgründe der Auskunftsersuchen und Maßnahmen nach den SSSS 7, 9, 10 und 11 Abs. 2 des Hessischen Verfassungsschutzgesetzes; dabei sind die Grundsätze des SS 2 Abs. 1 zu beachten. SS7 INKRAFTTRETEN Dieses Gesetz tritt am 18. Januar 2019 in Kraft. Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 - 339 IMPRESSUM Herausgeber Hessisches Ministerium des Innern und für Sport Friedrich-Ebert-Allee 12 65185 Wiesbaden Redaktionsschluss: August 2021 Gestaltungskonzept & Artwork Nina Faber de.sign, Wiesbaden Bildnachweise S. 5: (c) HMdIS | S. 9 +13: (c) Landesamt für Verfassungsschutz Hessen, Wiesbaden | S. 37: (c) picture alliance/Arne Dedert, (c) picture alliance/Andreas Arnold, (c) picture alliance/Markus Scholz, (c) picture alliance/Arne Dedert, (c) picture alliance/ Andrea DiCenzo, (c) picture alliance/Boris Roessler | S. 63: (c) picture alliance/Markus Scholz | S. 131: (c) picture alliance/ Patrick Seeger | S. 139: (c) picture alliance/Arne Dedert | S. 173: (c) picture alliance/Andrea DiCenzo, (c) picture alliance/Boris Roessler | S. 221: (c) picture alliance/Andreas Arnold | S. 239: (c) picture alliance/Boris Roessler | S. 243: (c) picture alliance/Ulrich Baumgarten | S. 255: (c) picture alliance/Matthias Balk | S. 259: (c) picture alliance/Thoralf Plath, (c) picture alliance/Jochen Zick, (c) picture alliance/Andreas Arnold, (c) picture alliance/Julian Stratenschulte Kontakt Landesamt für Verfassungsschutz Hessen Konrad-Adenauer-Ring 49 65187 Wiesbaden Tel.: 0611-7200 Fax: 0611-720179 Internet: www.verfassungsschutz.hessen.de Druck AC Medienhaus GmbH, Wiesbaden Diese Druckschrift wird im Rahmen der Öffentlichkeitsarbeit der Hessischen Landesregierung herausgegeben. 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Den Parteien ist es jedoch gestattet, die Druckschrift zur Unterrichtung ihrer einzelnen Mitglieder zu verwenden. 340 - Hessischer Verfassungsschutzbericht 2020 Hessisches Ministerium des Innern und für Sport Friedrich-Ebert-Allee 12 65185 Wiesbaden www.hessen.de