VERFASSUNGSSCHUTZBERICHT 2020 Landesamt für erfassungsschutz Hamburg AUGEN AUF HAMBURG Landesamt für erfassungsschutz Hamburg AUGEN AUF HAMBURG Verfassungsschutzbericht 2020 AUGEN AUF HAMBURG Im Text finden Sie vielfach die Symbole und www Das Sinnbild "Buch" verweist auf eine Fundstelle in diesem Verfassungsschutzbericht. Das Symbol "Weltkugel" bedeutet, dass es zu dem Thema weitere Informationen auf unseren Internetseiten gibt. Unter www.hamburg.de/verfassungsschutz finden Sie regelmäßig aktuelle Informationen über alle Arbeitsfelder des Hamburger Verfassungsschutzes. Impressum / Herausgeber: Freie und Hansestadt Hamburg Behörde für Inneres und Sport Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) Johanniswall 4, 20095 Hamburg Telefon: 040 / 24 44 43 Telefax: 040 / 33 83 60 Internet: www.hamburg.de/verfassungsschutz E-Mail-Adresse des LfV: poststelle@verfassungsschutz.hamburg.de E-Mail Öffentlichkeitsarbeit: info@verfassungsschutz.hamburg.de Auflage Mai 2021: 1.000 Exemplare Redaktionsschluss: 30.03.2021 - Irrtümer und Druckfehler vorbehalten. In Teilen wurden Erkenntnisse aus dem Jahr 2021 aufgenommen. Coverbild: Mediaserver Hamburg Marketing GmbH / Andreas Vallbracht Satz/Layout: Landesamt für Verfassungsschutz Hamburg Vorwort Vo r w o r t Innensenator Andy Grote zum Verfassungsschutzbericht 2020 Liebe Leserinnen und Leser, wir alle gemeinsam erleben zurzeit eine der größten Herausforderungen unserer jüngeren Geschichte. Die Corona-Pandemie zwingt uns seit mehr als einem Jahr zu schmerzhaften Innensenator Andy Grote Maßnahmen und Einschränkungen - mit massiven Auswirkungen auf unser gesellschaftliches, politisches, wirtschaftliches und kulturelles Zusammenleben. Dies hatte und hat auch Folgen für die Arbeit unseres Verfassungsschutzes. Auch wenn Extremisten pandemiebedingt öffentlich weniger sichtbar waren, bleibt die Gefahr präsent. Verfassungsfeindliche Bewegungen und Gruppierungen bekämpfen nach wie vor ideologisch und auch mit Gewalt unsere freiheitliche Demokratie. Dabei haben wir festgestellt, dass sich manche Aktivität aus der analogen noch stärker als bisher in die virtuelle Welt verlagert hat. Insofern wird die Beobachtung extremistischer Bestrebungen im Internet und in den sozialen Netzwerken immer wichtiger; daher war die personelle und materielle Verstärkung unseres Nachrichtendienstes ein notwendiger und richtiger Schritt, um den vielfältigen Bedrohungen unserer Demokratie, auch im Internet, ein starkes und leistungsfähiges Landesamt entgegenzustellen. Die Bedrohung durch den Rechtsextremismus hat in den vergangenen Jahren eine neue Qualität erreicht, die sich zuletzt in den rechtsterroristisch 4 Vorwort motivierten Mordanschlägen von Kassel, Halle und Hanau manifestierte. Auch wenn wir in Hamburg im Jahr 2020 zum Glück keine solche Tat zu verzeichnen hatten, ist zu konstatieren, dass die Anzahl der politisch motivierten Taten in diesem Bereich im Vergleich zum Jahr 2019 deutlich gestiegen ist, auch wenn es sich dabei überwiegend um Propagandadelikte handelt und zahlreiche situationsbedingte Einzeltaten darunter sind. Sichtbarer geworden sind rechtsextremistische Bestrebungen auch im Hamburger Landesverband der AfD: 2020 hat unser Verfassungsschutz rund 40 Anhänger der extremistischen AfD-Teilstruktur "Flügel" in Hamburg festgestellt. Auch wenn der Hamburger Landesverband aktuell kein Beobachtungsobjekt ist - unser Verfassungsschutz wird auch künftig intensiv im Fokus behalten, ob und inwiefern Extremisten Einfluss bekommen und Verbindungen zu weiteren Extremisten bestehen. Die ermittelten "Flügel"-Anhänger sind auch die maßgebliche Ursache für den signifikanten Anstieg des rechtsextremistischen Personenpotenzials, insofern bleibt die Beobachtung und Bekämpfung des Rechtsextremismus ein herausgehobener Schwerpunkt der Arbeit unseres Verfassungsschutzes. Eine ständige und unverzichtbare Aufgabe unseres Verfassungsschutzes ist die des Frühwarnsystems der Demokratie, die sehr weit im Vorfeld von Straftaten und Anschlägen beginnt. Der Hamburger Verfassungsschutz informiert die Öffentlichkeit so früh wie möglich über verfassungsfeindliche Aktivitäten, sofern es das operative Geschäft erlaubt. Prominente Beispiele sind die bereits genannte Aufklärung über "Flügel"-Anhänger oder auch die Information über die rechtsextremistischen Hintergründe der sogenannten "Michel-wach-endlich-auf"-Kampagne, die vormals unter dem Label "Merkel muss weg" firmierte. In das Blickfeld des Verfassungsschutzes sind aktuell auch Gruppierungen aus dem Spektrum der so genannten "Corona-Leugner" geraten. Eine Botschaft dazu ist ganz wichtig: Es geht dabei definitiv nicht um regierungsoder maßnahmenkritische Positionen; die Freiheit der Meinung ist mit das höchste Gut unserer Demokratie. Es geht um jene Teile des Spektrums, die 5 Vorwort unseren demokratischen Staat, seine Repräsentanten und Institutionen als solche ablehnen und bekämpfen - um Menschen, die nicht innerhalb der freiheitlichen demokratischen Grundordnung Protest zum Ausdruck bringen, sondern die diese Grundordnung angreifen. Hier scheint eine neue Form des Extremismus zu entstehen, die nicht so einfach unter bekannte Kategorien eingeordnet werden kann. Ein solch neuartiger verschwörungsideologischer, staatsgefährdender, verfassungsschutzrelevanter Extremismus könnte eine der großen Herausforderungen für unsere streitbare Demokratie in näherer Zukunft werden. Große Bedrohungen für unsere Demokratie bleiben nach wie vor auch der Linksextremismus und Islamismus sowie die Aktivitäten von Reichsbürgern, Selbstverwaltern und Scientologen, wie der Blick in den aktuellen Verfassungsschutzbericht verdeutlicht. Von den 1.270 Linksextremisten in Hamburg sind 74 Prozent gewaltorientiert - Hamburg bleibt in Deutschland eine der Hochburgen des militanten Linksextremismus. Dies drückt sich nicht nur im Personenpotenzial, sondern auch in den deutlich gestiegenen Zahlen der politisch motivierten Straftaten aus, darunter zahlreiche Solidarisierungsund Resonanzstraftaten im Zusammenhang mit einem Prozess gegen drei mittlerweile verurteilte Täter aus dem linksextremistischen Spektrum. In den vergangenen Jahren nahmen militante Linksextremisten bundesweit bei ihren Taten immer weniger Rücksicht auf Leib und Leben auch unbeteiligter Menschen; dies und der Duktus bestimmter Selbstbezichtigungen dokumentieren einen Grad der Radikalisierung und Militanz, der sich der Schwelle zum Linksterrorismus annähert. Die antidemokratische Agitation von Linksextremisten beginnt dabei weit vor der Militanz. Gruppierungen wie die gewaltorientierte "Interventionistische Linke Hamburg" versuchen gezielt, gesellschaftlich breit akzeptierte und diskutierte Themen zu instrumentalisieren und Bündnisse mit demokratisch Engagierten zu schließen, um ihre Ideologie in die demokratische Mitte der Gesellschaft zu tragen. Auch hier zeigt sich, wie wichtig unser Verfassungsschutz als Frühwarnsystem der wehrhaften Demokratie ist und 6 Vorwort die Menschen in Hamburg über diese Versuche informiert, die Grenzen zwischen demokratischem und extremistischem Engagement aufzulösen. Die klare Botschaft: So wichtig der Einsatz für Klimaund Umweltschutz, für geflüchtete Menschen oder gegen Rassismus ist, er muss auf dem Boden des Grundgesetzes stattfinden. Auch im Bereich des Islamismus sind wir weiter gefordert: In Hamburg versuchen insbesondere die Hizb ut-Tahrir (HuT) und ihr ideologisch nahestehende Gruppierungen und Netzwerke wie "Muslim Interaktiv" oder "Generation Islam" und "Realität Islam" über die Besetzung gesellschaftlich relevanter Themen Diskurse zu beeinflussen und letztendlich neue Anhänger zu gewinnen. Eine ähnliche Strategie verfolgen die Furkan-Gemeinschaft und auch das islamistische Al-Azhari-Institut in St. Georg. Auch hier konnte unser Verfassungsschutz dank seiner fundierten Erkenntnisse im vergangenen Jahr frühzeitig mehrfach deutlich über die islamistischen Hintergründe bestimmter Versammlungen und Internetaktivitäten informieren. Die Gefährdung durch den Islamismus und insbesondere den Jihadismus und islamistischen Terrorismus ist nach wie vor sehr hoch - international, in Deutschland und auch in unserer Stadt. Hamburg hat mit immerhin 1.660 Islamisten eine vergleichsweise starke Szene. Auch die Zahl der gewaltorientierten Islamisten ist erneut angestiegen. Die Beobachtung dieses Spektrums bleibt eine der wichtigsten und herausforderndsten Aufgaben unserer Verfassungsschützer, und auch beim Islamismus wächst nach wie vor die Bedeutung der nachrichtendienstlichen Bearbeitung des Internets und speziell der sozialen Netzwerke. Der Schutz vor Einflussnahmen auswärtiger Mächte wird aufgrund der fortschreitenden Digitalisierung immer wichtiger. Verantwortungsträger aus Gesellschaft, Politik und Ökonomie stehen genauso im Fokus ausländischer Nachrichtendienste wie das Know-how unserer innovativen Hamburger Wirtschaftsunternehmen. Zusätzlich bergen Homeoffice und mobiles Arbeiten weitere Gefahren für mögliche Cyberattacken auf Wirtschaft, Gesellschaft, Verwaltung und Politik. Insofern wird einmal mehr deutlich, 7 Vorwort wie unverzichtbar die vertrauensvolle Betreuung und Sensibilisierung betroffener Unternehmen und Einzelpersonen durch den Verfassungsschutz ist, der bei möglichen Angriffen ausländischer Staaten direkt auf die Betroffenen zugeht. Jede Beratung geschieht und bleibt im Übrigen grundsätzlich vertraulich, insofern ist jede Firma und jede Person bei den Experten unseres Verfassungsschutzes sehr gut aufgehoben. Als ein wichtiges Beispiel für diese Arbeit möchte ich an dieser Stelle die Sensibilisierung unserer Hafenwirtschaft für Angriffspunkte auf hochmoderne, weitreichend vernetzte maritime Navigationssysteme und Smart Ports nennen. Ich wünsche allen Leserinnen und Lesern eine erkenntnisreiche Lektüre - lassen Sie uns alle gemeinsam, gerade in diesen herausfordernden Zeiten, die Werte unseres Grundgesetzes verteidigen und tagtäglich leben, denn Verfassungsschützerinnen und Verfassungsschützer sind wir alle. Ihr Andy Grote Präses der Behörde für Inneres und Sport Hamburg, 30. März 2021 8 Verfassungsschutz in Hamburg Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Gruppierungen mit Auslandsbezug Linksextremismus Rechtsextremismus Reichsbürger und Selbstverwalter Scientology-Organisation Spionageabwehr und Wirtschaftsschutz Geheimund Sabotageschutz Anhang Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis Impressum Vorwort des Senators I. Verfassungsschutz in Hamburg 1. Verfassungsschutz und Demokratie 18 2. Gesetzliche Grundlage 19 3. Aufgaben des Verfassungsschutzes 20 4. Arbeitsweise und Befugnisse des Verfassungsschutzes 22 5. Informationsverarbeitung 24 6. Kontrolle 25 7. Strukturdaten, Regelanfragen und Überprüfungen 26 8. Beteiligungsund Mitwirkungsaufgaben 26 9. Organigramm des LfV Hamburg 30 II. Sicherheitsgefärdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten 1. Entwicklungen und Schwerpunkte 34 1.1. Anschläge in Deutschland und Europa 42 2. Potenziale 46 3. Politisch motivierte Kriminalität 47 4. Salafismus 48 5. Furkan-Gemeinschaft 54 6. Hizb ut-Tahrir 57 7. Sonstige Aktivitäten von Islamisten in Hamburg 63 8. Schiitischer Islamismus 71 8.1. Hizb Allah 71 8.2. Das islamische Zentrum Hamburg e.V. (IZH) und sonstiger schiitischer Extremismus in Deutschland 74 10 Inhaltsverzeichnis III. Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Gruppierungen mit Auslandsbezug 1. Entwicklungen und Schwerpunkte 86 2. Potenziale 87 3. Politisch motivierte Kriminalität (PMK) 89 4. PKK (Arbeiterpartei Kurdistans) 90 4.1. Entwicklungen und Organisatorisches 90 4.2. Aktivitäten und Schwerpunkte in Deutschland 91 4.3. Situation in Hamburg 94 5. Weitere türkische extremistische Gruppierungen 99 5.1. Revolutionär-marxistische Gruppierungen 99 5.2. ADÜTDF/Türkische Nationalisten 103 IV. Linksextremismus 1. Entwicklungen und Schwerpunkte 109 2. Potenziale 113 3. Politisch motivierte Kriminalität (PMK) 116 4. Militanzdebatte und linksextremistische Gewalt 117 5. Linksextremistische Strukturen in Hamburg 124 5.1. Gewaltorientierte Gruppen und Strukturen 124 5.1.1. Autonome Szene ("Rote Flora") 125 5.1.2. Autonome Antifa-Gruppen 129 5.1.3. Postautonome Gruppen 135 5.1.3.1. Interventionistische Linke Hamburg (IL HH) 135 5.1.3.2. GROW 139 5.1.4. Antiimperialistische Gruppen 140 5.1.4.1. Roter Aufbau Hamburg (RAH) 141 5.1.4.2. Sonstige antiimperialistische Gruppierungen 144 11 Inhaltsverzeichnis 5.1.5. Anarchisten 147 5.2. Antirepression 150 5.2.1. Rote Hilfe e.V. (RH) / United We Stand (UWS) 150 5.3. Orthodoxe Kommunisten und andere revolutionäre Marxisten 152 5.3.1. DKP Hamburg, SDAJ Hamburg und trotzkistische Gruppierungen 152 5.3.2. Extremistische Teilstrukturen in der Partei "DIE LINKE" 157 5.3.3. Trotzkisten 158 6. Spektrenübergreifende Inhalte 160 6.1. Entgrenzung des Linksextremismus 160 6.2. Kampfsportveranstaltungen 164 V. Rechtsextremismus 1. Entwicklungen und Schwerpunkte im Überblick 169 2. Potenziale 171 3. Politisch motivierte Kriminalität (PMK) 174 4. Rechtsextremistische Gewalt und Rechtsterrorismus 176 5. Neonazismus 183 6. Subkulturell geprägte Rechtsextremisten und rechtsextremistische Musikszene 186 7. Rechtsextremistische Parteien 189 7.1. Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) 189 7.1.1. Die NPD in Hamburg 191 7.2. Rechtsextremistische Teilstruktur "Der Flügel" in der "Alternative für Deutschland" (AfD) 194 7.2.1. "Der Flügel" in Hamburg 196 7.3. Sonstige rechtsextremistische Parteien 198 8. Entgrenzung des Rechtsextremismus 198 12 Inhaltsverzeichnis 8.1. Echokammern, Filterblasen, Radikalisierungsprozesse: Die zunehmende Verlagerung von Aktivitäten ins Internet 202 8.2. Identitäre Bewegung Deutschland (IBD) 206 8.3. Rechtsextremistische Burschenschaften 211 8.3.1. Hamburger Burschenschaft Germania (HB! Germania) 211 8.3.2. Pennale Burschenschaft Chattia Friedberg zu Hamburg (PB! Chattia) 213 8.4. "Michel wach endlich auf" (ehemals "Merkel-muss-weg"-Kampagne) 214 9. Sonstige rechtsextremistische Organisationen und Bestrebungen 214 9.1. Artgemeinschaft - Germanische Glaubensgemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung e.V. (AG-GGG) 214 9.2. Ehemalige Europäische Aktion 215 VI. Reichsbürger und Selbstverwalter 1. Allgemeines/Ideologie 220 2. Potenziale 223 3. Aktivitäten 224 VII. Scientology-Organisation 1. Entwicklungen und Schwerpunkte 230 2. Potenziale 234 3. Politisch motivierte Kriminalität (PMK) 235 4. Strukturen und Organisationseinheiten 236 5. Strukturen in Hamburg 238 6. Die Scientology-Organisation während der Corona-Pandemie 240 VIII. Spionageabwehr und Wirtschaftsschutz 1. Überblick 247 2. Proliferation 251 13 Inhaltsverzeichnis 2.1. Festnahmen, Verurteilungen und sonstige Maßnahmen 253 3. Nachrichtendienste der Islamischen Republik Iran 255 3.1. Festnahmen, Gerichtsverfahren und Verurteilungen 256 4. Nachrichtendienste der Russischen Föderation 258 4.1. Festnahmen, Verurteilungen und sonstige Maßnahmen 260 5. Nachrichtendienst der Republik Türkei 261 6. Nachrichtendienste der Volksrepublik China 262 7. Gefahren durch Wirtschaftsspionage und Cyberattacken 263 IX. Geheimund Sabotageschutz 1. Grundsätzliches 275 2. Geheimschutz 276 2.1. Personeller Geheimschutz 276 2.2. Materieller Geheimschutz 278 3. Vorbeugender personeller Sabotageschutz 279 4. Schutz von IT-Systemen und Kommunikationsstrukturen 280 X. Anhang Hamburgisches Verfassungsschutzgesetz 283 Abkürzungsverzeichnis 329 Stichwortverzeichnis 335 Auflistung extremistischer Organisationen und Gruppierungen 340 14 Verfassungsschutz in Hamburg Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Gruppierungen mit Auslandsbezug Linksextremismus Rechtsextremismus Reichsbürger und Selbstverwalter Scientology-Organisation Spionageabwehr und Wirtschaftsschutz Geheimund Sabotageschutz Anhang Bestrebung Bestrebungen sind zielgerichtete Aktivitäten von Einzelpersonen und Personenzusammenschlüssen. Extremistische Verfassungsschutz Bestrebungen im Sinne in Hamburg des Verfassungsschutzgesetzes sind Aktivitäten mit der Zielrichtung, die Grundwerte der freiheitlichen Demokratie zu beseitigen. Dazu gehören Vorbereitungshandlungen, Agitationen und Gewaltakte. Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten Radikalismus / Extremismus Sicherheitsgefährdende und extremistische Das Wort "Radikalismus"Bestrebungen leitet sich von vonGruppierungen der lateinischen Bezeichnung mit Auslandsbezug "radix" ("Wurzel") ab und bezeichnet politische Richtungen, welche die bestehende politische und gesellschaftliche Ordnung grundlegend ("bis an die Wurzel gehen") verändern, aber nicht beseitigen möchten. AnwenLinksextremismus dung von Gewalt wird dabei in der Regel ausgeschlossen. Eine radikale Einstellung kollidiert insofern nicht zwangsläufig mit einer demokratischen Einstellung. Gruppierungen mit lediglich radikalen Einstellungen werden daher, im Gegensatz zu Extremisten, nicht vom VerfassungsRechtsextremismus schutz beobachtet. Der Begriff "Extremismus" basiert auf den Begriffen "extremus" ("entReichsbürger und Selbstverwalter ferntest, ärgste, gefährlichste") und "extremitas" ("äußerster Punkt, Rand"). Als extremistisch gelten Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind und diese beseitigen wollen. Extremismus ist oft mit Scientology-Organisation exklusivem Wahrheitsanspruch, Dogmatismus, Streben nach gesellschaftlicher Kontrolle, Freund-Feind-Denken sowie der fundamentalen Umwälzung der bestehenden Verhältnisse verbunden. Extremisten befürworten oder benutzen häufig Gewalt als Mittel zur Spionageabwehr und Wirtschaftsschutz Durchsetzung ihrer ideologischen Ziele. Extremistische Bestrebungen werden daher vom Verfassungsschutz beobachtet. Geheimund Sabotageschutz Terrorismus Terrorismus ist nach der Definition der Verfassungsschutzbehörden der nachhaltig geführte Kampf für politische Ziele, die mit Hilfe von AnschläAnhang gen auf Leib, Leben und Eigentum anderer Menschen durchgesetzt werden sollen, insbesondere durch schwere Straftaten, wie sie in SS 129 a Absatz 1 Strafgesetzbuch genannt sind, oder durch andere Straftaten, die zur Vorbereitung solcher Straftaten dienen. Verfassungsschutz in Hamburg I. Verfassungsschutz in Hamburg 1. Verfassungsschutz und Demokratie Nach den Erfahrungen mit der von Extremisten verschiedener politischer Lager bekämpften Weimarer Demokratie enthält das Grundgesetz (GG) der am 23. Mai 1949 gegründeten Bundesrepublik Deutschland - dem Prinzip der wehrhaften Demokratie folgend - grundlegende Schutzmechanismen gegen Gefährdungen der Verfassung und ihrer wesentlichen Systemund Werteentscheidungen. Dazu gehören: f die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, f die Volkssouveränität, f die Gewaltenteilung, f die Verantwortlichkeit der Regierung, f die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, f die Unabhängigkeit der Gerichte, f das Mehrparteienprinzip, f die Chancengleichheit für alle politischen Parteien und das Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition. Zu den Schutzmechanismen gehören im Wesentlichen: f die Unabänderlichkeit der in den Artikeln 1 und 20 GG niedergelegten elementaren Verfassungsgrundsätze, f das Verbot von Parteien und sonstigen Vereinigungen wegen verfassungswidriger Aktivitäten (Artikel 21 Absatz 2 GG und Artikel 9 Absatz 2 GG), f Ausschluss von der Parteienfinanzierung (Artikel 21 Absatz 3 GG), f die Verwirkung von Grundrechten, wenn diese zum Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung missbraucht werden (Artikel 18 GG), 18 Verfassungsschutz in Hamburg f die Pflicht der Angehörigen des Öffentlichen Dienstes zur Verfassungstreue (Artikel 5 Absatz 3 und Artikel 33 Absatz 5 GG in Verbindung mit den beamtenrechtlichen Vorschriften), f die Verfolgung von Straftaten, die sich gegen den Bestand des Staates, seine verfassungsmäßigen Einrichtungen, das Funktionieren des Staatsapparates und andere lebenswichtige Staatsinteressen richten (Staatsschutzdelikte). Zentrale Aufgabe des Verfassungsschutzes ist die Beobachtung von Bestrebungen und Tätigkeiten, die die Werteentscheidungen der Verfassung beseitigen wollen oder den Bund, die Länder oder deren Einrichtungen in ihrer Funktionsfähigkeit erheblich zu beeinträchtigen beabsichtigen (SS 1 Absatz 1, SS 4 und SS 5 des Hamburgischen Verfassungsschutzgesetzes ( siehe Anhang HmbVerfSchG) sowie Artikel 73 Nummer 10 b und Artikel 87 Absatz 1 Satz 2 GG, SS 2 Absatz 2 Bundesverfassungsschutzgesetz). 2. Gesetzliche Grundlage Das Hamburgische Verfassungsschutzgesetz (HmbVerfSchG) ist die wichtigste gesetzliche Grundlage für die Arbeit des Landesamtes für Verfassungsschutz Hamburg (LfV). Das LfV ist wie jede andere Behörde auch bei der Erfüllung seiner Aufgaben an Gesetz Hamburgisches und Recht gebunden. Bei Eingriffen in die Rechte der Bürgerinnen Verfassungsschutzgesetz und Bürger muss der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt werden. Die Gesetze auf dem Gebiet des Verfassungsschutzes wurden im Jahr 2020 novelliert (siehe Artikel 1 des Gesetzes vom 24. Januar 2020 [Hamburgisches Gesetzund Verordnungsblatt, S. 99], verkündet am 11. Februar 2020, in Kraft getreten am 1. April 2020). Die Novellierung dient der Fortentwicklung des HmbVerfSchG, des Hamburgischen Sicherheitsüberprüfungsund Geheimschutzgesetzes (HmbSÜGG) und des Hamburgischen Gesetzes zur Ausführung des Artikel 10-Gesetzes (HmbG10AusfG). Dies geschah nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts sowie zur Anpassung dieser Gesetze an die geänderten Gesetze des Bundes im 19 Verfassungsschutz in Hamburg Bereich des Verfassungsschutzes und des Hamburgischen Datenschutzgesetzes (HmbDSG) unter Berücksichtigung der EU-Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) vom 27. April 2016. Das HmbVerfSchG wurde beispielhaft wie folgt geändert: Die neue datenschutzrechtliche Terminologie wird zur Anwendung gebracht. Zudem wird eine normenklare Befugnis zur sogenannten Quellen-TKÜ geschaffen. Die Regelungen zu Datenverarbeitungen in Akten und amtseigenen Dateisystemen werden den entsprechenden Regelungen im Bundesrecht angepasst. Die Möglichkeit der elektronischen Aktenführung wird geschaffen. Die gesetzlichen Befugnisse zur Verarbeitung von Daten Minderjähriger werden ebenso wie die Offenlegungsvorschriften modernisiert. Im Hinblick auf die unmittelbare Nichtanwendbarkeit der DSGVO werden die allgemeinen Datenschutzvorschriften für anwendbar erklärt, soweit sie mit dem Auftrag und der Arbeitsweise des LfV in Einklang stehen, im Übrigen werden bereichsspezifische Regelungen insbesondere des Bundesverfassungsschutzgesetzes (BVerfSchG) übernommen. Das aktuelle HmbVerfSchG finden Sie im Anhang zu diesem Bericht. 3. Aufgaben des Verfassungsschutzes Hauptaufgabe des LfV ist nach SS 4 Absatz 1 Satz 1 HmbVerfSchG die Sammlung und Auswertung von Informationen über: f Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziele haben, f sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten für eine fremde Macht in der Bundesrepublik Deutschland, f Bestrebungen in der Bundesrepublik Deutschland, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, 20 Verfassungsschutz in Hamburg f Bestrebungen in der Bundesrepublik Deutschland, die gegen den Gedanken der Völkerverständigung (Artikel 9 Absatz 2 GG), insbesondere gegen das friedliche Zusammenleben der Völker (Artikel 26 Absatz 1 GG) gerichtet sind. Der Hamburger Verfassungsschutz wertet die mit offenen oder nachrichtendienstlichen Mitteln ( siehe Punkt 4 dieses Kapitels) gewonnenen Erkenntnisse aus und informiert im Rahmen seiner gesetzlich festgelegten Aufgaben über entsprechende Gefahren (siehe SS 4 Abs. 1 HmbVerfSchG). Dazu zählen die Informationsverpflichtung gegenüber dem Senat und die Weitergabe von Informationen an weitere staatliche Stellen. In seiner Funktion als Frühwarnsystem der wehrhaften Demokratie ist die Information der Öffentlichkeit über extremistische Bestrebungen eine weitere wichtige Aufgabe des LfV. Dies geschieht durch: f den jährlichen Verfassungsschutzbericht, f weitere Publikationen, f Informationsund Diskussionsveranstaltungen, f Ausstellungen und Symposien, f Vorträge, f aktuelle Pressemitteilungen und Berichte auf der Internetseite, f Medienstatements und Interviews. So gab gab das Landesamt für Verfassungsschutz Hamburg zahlreichen Presseund Medienvertretern Auskunft zu aktuellen Ereignissen und den Themenbereichen des Verfassungsschutzes. Im Juni 2020 präsentierte das Landesamt für Verfassungsschutz im Hamburger Rathaus mit der Veröffentlichung des VerfassungsschutzDie stellvertretende Amtsleiterin Anja Domres im Januar 2020 Foto: LfV HH berichtes 2019 sein neues Kommunibei einem Interview kationslayout der Öffentlichkeit. Zeitgleich begann ein Relaunch der Homepage, die mit fortlaufender Aktuwww alisierung angepasst wird (siehe www.verfassungsschutz.hamburg.de). 21 Verfassungsschutz in Hamburg Juni 2020: Der Hamburger Verfassungsschutz stellt auf der Pressekonferenz zum neuen Verfassungsschutzbericht sein neues Kommunikationslayout vor. Foto: LfV HH Arbeitsfelder Arbeitsfelder sind Rechtsund Linksextremismus, extremistische Bestrebungen von Gruppierungen mit Auslandsbezug, die Spionagetätigkeit fremder Nachrichtendienste und die Wirtschaftsspionage, die Scientology-Organisation sowie Reichsbürger und Selbstverwalter. Einen besonderen Beobachtungsschwerpunkt bilden seit 2001 der Islamismus und der islamistisch motivierte Terrorismus. Zu den weiteren Aufgaben des Verfassungsschutzes gehören der Geheimund Sabotageschutz. In den Beobachtungsbereichen des Extremismus darf der Verfassungsschutz - grundsätzlich anders als die Polizei - bereits im Vorfeld strafbarer Handlungen tätig werden. 4. Arbeitsweise und Befugnisse des Verfassungsschutzes Die Informationen, die das LfV zur Wahrnehmung seiner Aufgaben benötigt, beschafft es zum Teil aus offen zugänglichen Quellen, die grundsätzlich allen zur Verfügung stehen. Vorrangig zu nennen sind das Internet, Zeitungen und Zeitschriften, Broschüren, Flugblätter, Archive und Unterlagen anderer staatlicher Stellen. Neben der offenen Informationsgewinnung darf das LfV auch Informationen mit nachrichtendienstlichen Mitteln 22 Verfassungsschutz in Hamburg verdeckt erheben. Zu diesen Mitteln, die in SS 8 Absatz 2 HmbVerfSchG aufgezählt sind, gehören beispielsweise die Führung von Vertrauensleuten (Quellen), die planmäßige Observation, Bildund Tonaufzeichnungen und - nach Maßgabe des Artikel 10-Gesetzes - die Überwachung des Brief-, Postund Fernmeldeverkehrs. Bereits im Jahr 2002 wurden im Rahmen der Umsetzung des Terrorismusbekämpfungsgesetzes die Befugnisse des Landesamtes in wichtigen Punkten erweitert. Dies war eine Folge der Terroranschläge vom 11. September 2001 in den USA. Zu den Befugnissen zählt unter anderem das Mittel der Finanzermittlung, um zum Beispiel Geldtransfers im Zusammenhang mit der Finanzierung des islamistischen Terrorismus aufdecken zu können. Dem LfV stehen zudem weder polizeiliche Befugnisse noch Weisungsbefugnisse gegenüber polizeilichen Dienststellen zu, noch darf es die Polizei im Amtshilfeweg veranlassen, Maßnahmen zu ergreifen, zu denen es selbst nicht befugt ist. Das LfV darf nicht an eine polizeiliche Dienststelle angegliedert werden. Das schließt einen Informationsaustausch zwischen Polizei und Verfassungsschutz nicht aus, im HmbVerfSchG ist dies im Detail geregelt. Öffentliche Quellen: Nachrichtendienstliche Zusammenarbeit mit Mittel: der Polizei: Internet Observation Gemeinsames Fernsehen Bildaufzeichnung TerrorismusabwehrRundfunk Tonaufzeichnung zentrum (GTAZ) Zeitungen Vertrauensleute Informationsaustausch Archive Überwachung des gem. HmbVerfSchG Flugblätter/Flyer Brief-, Postund Keine WeisungsbeBroschüren Fernmeldeverkehrs fugnis an polizeiliche staatliche Stellen Finanzermittlung Dienststellen und weitere Quellen und weitere Mittel Keine Angliederung an pol. Dienststellen Überdies wird das informationelle Trennungsprinzip gemäß Bundesverfassungsgerichtsentscheidung beachtet. In den vergangenen Jahren sind besondere Einrichtungen zum kontinuierlichen Informationsaustausch zwi23 Verfassungsschutz in Hamburg schen Polizei und Verfassungsschutzbehörden geschaffen worden. Dazu zählt insbesondere das "Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum" (GTAZ) in Berlin. Das GTAZ hat maßgeblich zu einem verbesserten Informationsfluss zwischen den beteiligten Behörden beigetragen. Um dies auch auf andere Phänomenbereiche zu übertragen, wurde das "Gemeinsame Extremismusund Terrorismusabwehrzentrum" (GETZ) mit Sitz in Köln gegründet. Schwerpunkt der dortigen Zusammenarbeit ist die Bekämpfung des Rechtsextremismus. 5. Informationsverarbeitung Die Verfassungsschutzbehörden sammeln und speichern sachund personenbezogene Daten über extremistische Bestrebungen sowie sicherheitsgefährdende und geheimdienstliche Tätigkeiten. Zu den Instrumenten der gegenseitigen Unterrichtung der Verfassungsschutzbehörden zählen unter anderem gemeinsame Dateien. Die wichtigste gemeinsame Datei ist das bundesweite Nachrichtendienstliche Informationssystem (NADIS), das nach mehreren Jahrzehnten im Jahr 2012 durch ein neues System abgelöst wurde. Im neuen "NADIS-WN" (WN für WissensNetz) werden mehr Informationen erfasst und für alle Berechtigten im Verbund zur Verfügung gestellt. Es bietet deutlich bessere Möglichkeiten für Analysen. Die Entwicklungen im Bereich des islamistischen Terrorismus und die Ermittlungsergebnisse im Zusammenhang mit dem rechtsterroristischen "Nationalsozialistischen Untergrund" (NSU) haben deutlich gemacht, dass der Informationsaustausch und die Vernetzung zwischen den Verfassungsschutzbehörden und den Sicherheitsbehörden insgesamt fortentwickelt werden musste. Als Folge wurden gemeinsame Dateien mit den Polizeibehörden geschaffen. Für den Bereich des islamistischen Terrorismus nahm bereits am 30. März 2007 die "Antiterrordatei" (ATD) und auf dem Gebiet des gewaltorientierten Rechtsextremismus am 19. September 2012 die "Rechtsextremismusdatei" (RED) ihren Betrieb auf. 24 Verfassungsschutz in Hamburg 6. Kontrolle Das LfV ist an klare gesetzliche Vorgaben gebunden, seine Arbeit unterliegt kontinuierlicher parlamentarischer Kontrolle. In Hamburg wird diese Aufgabe vom "Ausschuss zur parlamentarischen Kontrolle des Senats auf dem Gebiet des Verfassungsschutzes" (verkürzt auch "PKA" für "Parlamentarischer Kontrollausschuss" genannt) der Hamburgischen Bürgerschaft wahrgenommen. Über Eingriffe in das Brief-, Post-, und Fernmeldegeheimnis entscheidet die Kommission nach Artikel 10 GG (kurz G10-Kommission) der Bürgerschaft. Der Hamburgische Beauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit (HmbBfDI) hat ebenfalls umfängliche Kontrollbefugnisse. Kontrolle des Landesamtes für Verfassungsschutz Hamburg: Senator Gerichte Staatsrat PKA Datenschutz(Parlamentarischer Kontrollausschuss) beauftragter G10Medien Kommission InnenBürger ausschuss 25 Verfassungsschutz in Hamburg 7. Strukturdaten, Regelanfragen und Überprüfungen Stellenplan Wachsende Gefahren in allen Extremismusbereichen erforderten zusätzliches Personal im LfV Hamburg. In den vergangenen fünf Jahren verstärkte die Hamburgische Bürgerschaft den Bestand von 153 auf 207 Stellen (Stand 2020). Dadurch konnten unter anderem die Observation ausgebaut, die Informationsbeschaffung qualitativ verbessert sowie die Auswertung der Erkenntnisse intensiviert werden. Haushaltsansatz Im Jahr 2020 betrug der Haushaltsansatz für das LfV insgesamt 20.082.000 Euro (2019: 19.809.000 Euro). Darin enthalten waren 15.851.000 Euro für Personalausgaben (2019: 15.576.000 Euro), davon 4.169.000 Euro Versorgungsleistungen (2019: 4.097.000 Euro) und 500.000 Euro für Investitionen (2019: 500.000 Euro). Hamburger NADIS-Speicherungen Vom LfV Hamburg waren am 31. Dezember 2020 im Nachrichtendienstlichen Informationssystem (NADIS-WN) Daten von 70.298 Personen gespeichert (31. Dezember 2019: 54.056), davon 64.120 (92,21 Prozent) im Zusammenhang mit Sicherheitsund Zuverlässigkeitsüberprüfungen (31. Dezember 2019: 47.694 = 88,23 Prozent). Der Anstieg der Zahlen resultiert im Wesentlichen aus der im Jahr 2020 neu eingeführten Beteiligung der Verfassungsschutzbehörden an der waffenrechtlichen Zuverlässigkeitsüberprüfung; damit verbundenen war die einmalige Abfrage der Gesamtzahl der waffenrechtlichen Erlaubnisse. 8. Beteiligungsund Mitwirkungsaufgaben Das LfV Hamburg nutzt seine Informationen nicht nur zur Analyse und Bewertung extremistischer Organisationen, sondern ist im Rahmen von gesetzlich geregelten Sicherheitsanfragen und Zuverlässigkeitsüberprü26 Verfassungsschutz in Hamburg fungen auch an Verfahrensentscheidungen anderer Behörden beteiligt und wirkt daran mit (siehe SS 4 Absatz 2 Satz 1 Nummer 4 HmbVerfSchG). Sicherheitsanfragen werden vor allem im Rahmen von Aufenthaltsund Einbürgerungsverfahren gestellt; Zuverlässigkeitsüberprüfungen (ZÜP) werden bei Personen durchgeführt, die in bestimmten sicherheitsempfindlichen Bereichen tätig sind oder zum Beispiel Umgang mit Waffen und Sprengstoff haben. Infolge verschiedener Gesetzesinitiativen sowohl auf Bundeswie auf Landesebene ist in den vergangenen Jahren die Zahl der Sicherheitsanfragen und Zuverlässigkeitsüberprüfungen stark angestiegen. Mit dem am 20. Februar 2020 in Kraft getretenen Dritten Waffenrechtsänderungsgesetz (3. WaffRÄndG) wurde im Rahmen der waffenrechtlichen Zuverlässigkeitsüberprüfung die Regelanfrage beim Verfassungsschutz eingeführt, um zu verhindern, dass Extremisten legal an Waffen gelangen. Hierzu werden die Daten aller Antragstellerinnen und Antragsteller von der zuständigen Verfassungsschutzbehörde mit dem dortigen Datenbestand abgeglichen. Die umfassende Einbeziehung des Verfassungsschutzes in diese Personenüberprüfungen ist integraler Bestandteil eines ganzheitlichen Bekämpfungsansatzes gegen extremistische Bestrebungen. Obwohl ab dem genannten Zeitpunkt zunächst nur die Personen überprüft werden müssen, die einen Antrag stellen, wurde in Hamburg 2020 der gesamte Bestand waffenund jagdrechtlicher Erlaubnisse vorfristig geprüft. Insgesamt waren im Jahr 2020 19.375 Anfragen zu bewältigen. Im Jahr 2020 hat das LfV Hamburg bei insgesamt rund 79.000 Personenüberprüfungen mitgewirkt. Da eine manuelle Überprüfung einer solchen Anzahl an Anfragen nicht leistbar ist, wird bei der Mehrzahl der Überprüfungen auf automatisierte Verfahren, sogenannte Massendatenverfahren (MDV), zurückgegriffen. Hierbei handelt es sich um einen automatisierten Datenabgleich mit dem nachrichtendienstlichen Informationssystem (NADIS). Bei einer positiven Identitätsfeststellung bedarf es darauffolgend einer weiteren manuellen Bearbeitung. Die anfragenden Behörden sowie das LfV profitieren bei manchen Verfahren, wie etwa bei Zuverlässigkeitsüberprüfungen von waffenrechtlichen Erlaubnisinhabern, auch von der sogenannten Nachberichtspflicht. Dies bedeutet, dass die angefragten Personen im NADIS gespeichert werden, um nicht nur die zum Zeitpunkt der Konsultation bestehende Erkenntnislage zu berücksichtigen, sondern 27 Verfassungsschutz in Hamburg auch die während der Gültigkeitsdauer der Erlaubnis womöglich bekanntwerdenden Erkenntnisse. Die anfragestärksten Bereiche sind: Beteiligungsverfahren - Erteilung oder Verlängerung von Aufenthaltstiteln Seit dem 1. Mai 2004 führen die Ausländerdienststellen bei Personen aus bestimmten Herkunftsländern vor Erteilung oder Verlängerung von Aufenthaltstiteln eine Sicherheitsanfrage durch. In jedem Fall wird auch das LfV beteiligt. Nach SS 73 Absatz 3 AufenthG ist es Aufgabe des LfV, den Ausländerbehörden unverzüglich mitzuteilen, ob Versagungsgründe, zum Beispiel wegen Unterstützung einer terroristischen Organisation, oder sonstige Sicherheitsbedenken vorliegen. Zuverlässigkeitsüberprüfung (ZÜP) bei waffenrechtlichen Erlaubnissen Im Rahmen der waffenrechtlichen Zuverlässigkeitsüberprüfung fragt die Waffenbehörde Hamburg das LfV Hamburg gemäß SS 5 Absatz 5 Satz 1 Nummer 4 WaffG an, ob Erkenntnisse vorliegen, die gemäß SS 5 Absatz 2 Nummer 2 und 3 WaffG (zum Beispiel Mitgliedschaft in einem verbotenen Verein, Beteiligung oder Unterstützung extremistischer oder sicherheitsgefährdender Bestrebungen) Bedenken gegen die Zuverlässigkeit begründen. Einbürgerungsverfahren Mit Wirkung vom 22. Oktober 2001 wurde in Hamburg die Regelanfrage bei Einbürgerungen von Personen, die das 16. Lebensjahr vollendet haben, eingeführt. Das Amt für Migration (das Einwohner-Zentralamt wurde zum 1. Januar 2021 umbenannt) als Einbürgerungsbehörde fragt gemäß SS 37 Absatz 2 StAG vor jeder Entscheidung beim LfV nach, ob Erkenntnisse vorliegen, die einer Einbürgerung entgegenstehen könnten. Zuverlässigkeitsüberprüfung (ZÜP) nach dem Luftsicherheitsgesetz Seit 2005 ersuchen die Luftsicherheitsbehörden auch den Verfassungsschutz, um unter anderem Bedienstete, die an Flughäfen und bei den Flug28 Verfassungsschutz in Hamburg gesellschaften tätig sind, sowie Mitglieder von Flugsportvereinen gemäß SS 7 LuftSiG zu überprüfen. Sicherheitsanfragen im Strafvollzug Seit April 2020 werden Insassen sowie Personen, die in der Justizvollzugsanstalt tätig werden wollen und die nicht in einem Dienstoder Arbeitsverhältnis stehen, beim LfV Hamburg abgefragt, ob sicherheitsrelevante Erkenntnisse gemäß SS 15 Absatz 2 HmbJVollzDSG (zum Beispiel Erkenntnisse über extremistische Einstellungen) vorliegen. Schengener Visumsverfahren Das Verfahren (s. SS 73 Absatz 1 AufenthG) wird ausgelöst, wenn der Antragsteller aus einem konsultationspflichtigen Staat stammt und über ein Visum die Einreise nach Deutschland oder in den Schengen-Raum beabsichtigt. In das Verfahren eingebunden sind das Auswärtige Amt, das Bundesamt für Verfassungsschutz und gegebenenfalls die Verfassungsschutzbehörde des jeweiligen Bundeslandes. Zuverlässigkeitsüberprüfung (ZÜP) im Bewachungsgewerbe Bei dieser Überprüfung gemäß SS 34a GewO soll verhindert werden, dass Personen mit einem extremistischen Hintergrund, die im Bewachungsgewerbe tätig sind, Zugang zu sicherheitsempfindlichen Bereichen erhalten oder für die Bewachung von Flüchtlingsunterkünften eingesetzt werden. Asyl-Konsultationsverfahren Seit Mai 2017 werden auch im Rahmen des Asylverfahrens bei Asylund Schutzsuchenden automatisierte Anfragen gemäß SS 73 Absatz 1a und 3a AufenthG an das LfV gestellt. Eine Auflistung der im Jahr 2020 erfolgten Anfragen zu den einzelnen Verfahren finden Sie in der folgenden Infobox. 29 Verfassungsschutz in Hamburg INFOBOX Verfahren Anzahl Fragen Beteiligungsverfahren (Aufenthalt) 35.979 ZÜP Waffenrechtliche Erlaubnisse 19.375 Einbürgerung 7.338 ZÜP Luftsicherheit 5.161 Sicherheitsanfragen im Strafvollzug 3.741 Schengener Visumsverfahren 3.892 ZÜP Bewachungsgewerbe 1.502 Asyl-Konsultationsverfahren 1.101 9. Organigramm des LfV Hamburg 30 Verfassungsschutz in Hamburg Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Gruppierungen mit Auslandsbezug Linksextremismus Rechtsextremismus Reichsbürger und Selbstverwalter Scientology-Organisation Spionageabwehr und Wirtschaftsschutz Geheimund Sabotageschutz Anhang Islamismus Zu unterscheiden sind die Begriffe "Islam" und "Islamismus". Verfassungsschutz in Hamburg Der Islam als Religion und dessen Ausübung ist durch Artikel 4 (Religionsfreiheit) Grundgesetz geschützt und wird somit nicht durch den Verfassungsschutz beobachtet. und Sicherheitsgefährdende Derextremistische Begriff "Islamismus" kennzeichnet hingegen eine verfassungsfeindliche Bestrebungen von Islamisten politische Ideologie (Weltanschauung). Wie jede andere Ideologie geht auch der Islamismus Sicherheitsgefährdende davon aus, dass und extremistische er allein für alle gesellschaftlichen Probleme die richtige Lösung Bestrebungen von Gruppierungen mit Auslandsbezug bietet. Vom Verfassungsschutz beobachtet werden deshalb alle islamistischen Formen, die sich zwar auf die Religion des Islam berufen, sich aber durch ihre Herrschaftsideologie gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung richten. Insbesondere davon betroffen sind die demokratischen Linksextremismus Grundsätze der Trennung von Staat und Religion, der Volkssouveränität, der freien Meinungsäußerung, der religiösen und sexuellen Selbstbestimmung und das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit. Rechtsextremismus Der Islamismus ist keine homogene Ideologie. Er lässt sich idealtypisch in zwei Obergruppen unterscheiden: gewaltorientiert (jihadistische) und reformorientiert (politische). Reichsbürger und Selbstverwalter Generell wird Islamismus vor allem durch folgende Merkmale geprägt: f Etablierung einer vermeintlich gottgewollten Gesellschaft ohne Trennung von Staat und Religion, Scientology-Organisation f Gottessouveränität steht über Volkssouveränität, f Ausgeprägter Antisemitismus, Spionageabwehr und Wirtschaftsschutz f Ablehnung wesentlicher Grundund Menschenrechte wie Meinungsund Religionsfreiheit und Gleichberechtigung, f Homogene Glaubensgemeinschaft, Abschaffung von IndiviGeheimund Sabotageschutz dualinteressen sowie Ablehnung des demokratischen Verfassungsstaates, f Potenzielle Akzeptanz Anhangvon Fanatismus und Gewalt. Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten II. Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten 1. Entwicklungen und Schwerpunkte Im Frühjahr 2019 fiel das letzte Rückzugsgebiet der Terrororganisation "Islamischer Staat" (IS) im ostsyrischen Baghus, nahe der syrisch-irakischen Grenze. Die Einnahme von Baghus besiegelte die Niederlage des vom IS im Jahr 2014 ausgerufenen Kalifats und das Ende seiner territorialen Dominanz in seinem Die Flagge des IS Grafik: LfV HH Kerngebiet Syrien und Irak. Seitdem befindet sich der IS in der Rolle einer Untergrundorganisation, die fortlaufend versucht sich neu zu strukturieren, terroristisch aktiv zu bleiben und sich propagandistisch in Szene zu setzen. Ende Oktober 2019 kam es durch US-Spezialeinheiten in der nordwestsyrischen Provinz Idlib zur Tötung des IS-Anführers al-Baghdadi. Nur wenige Tage nach dem Tod al-Baghdadis proklamierte der IS in einer offiziellen Audiobotschaft über seinen Medienkanal al-Furqan die Ernennung des neuen sogenannten "Kalifen", Mohammed Abdul Rahman al-Mawli al-Salbi alias Abu Ibrahim al-Haschimi al-Quraschi. Bisher wurde der neue IS-Kalif medial nicht in Szene gesetzt und agierte im Jahr 2020 eher im Hintergrund. Die territoriale Zerschlagung des IS und der Tod dessen Anführers al-Baghdadi bedeutet allerdings nicht das endgültige Aus der Terrormiliz, die nach wie vor medial aktiv ist, über beachtliche länderübergreifende Netzwerke und eine nicht zu unterschätzende Basis an Anhängern und Sympathisanten verfügt. Nach dem Verlust seines Territoriums musste der IS seine militärische Strategie in Irak und Syrien ändern und war somit auch im Jahr 2020 zu einer asymmetrischen Kriegsführung gezwungen. Trotz finanzieller und perso34 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten neller Verluste bewies der IS seine Handlungsfähigkeit und seine Flexibilität. Die Terrormiliz profitierte im Jahr 2020 punktuell von entsprechenden geopolitischen Umständen und nutzte lokale ethnische und sozioökonomische Konfliktpotenziale. Das verringerte Engagement der USA im ehemaligen IS-Kerngebiet, die Spannungen zwischen den USA und Iran sowie die Ausbreitung der Corona-Pandemie führten zu einem verminderten Operationsdruck der Sicherheitskräfte auf die Terrormiliz. Vor allem im Frühjahr 2020 versuchte der IS seine Aktivitäten im Irak zu erhöhen und verübte dort vorwiegend vereinzelt Anschläge auf regionale Funktionsträger, lokale Sicherheitskräfte sowie auf schiitische Verbände der Popular Mobilization Forces (PMF), aber auch auf die kurdische Bevölkerung. So gelang es dem IS auch aufgrund des Rückgangs der Anti-IS-Operationen, seine Anschlagszahlen kurzfristig wieder zu steigern und seine Operationen gegen die irakischen Sicherheitskräfte, vor allem in den Provinzen Diyala, Kirkuk und Salah-ad-Din, punktuell auszuweiten. INFOBOX Popular Mobilization Forces (PMF) ist eine Dachorganisation, die 2014 nach der Ausbreitung des IS im westlichen Irak entstanden ist. Das Bündnis besteht fast ausschließlich aus schiitischen Milizen. 35 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten Das syrische Regime unter Präsident Assad hat sich im Jahr 2020 zum Teil wieder stabilisiert. Externe Akteure wie Russland, Iran und die Türkei beteiligen sich durch Einsatz von Milizen und taktischer Kooperation mit Regionalverbündeten gegen IS-Splittergruppen. Auch in Syrien war der IS im Jahr 2020 durch asymmetrische Operationen aus dem Untergrund aktiv, zum Beispiel durch Anschläge in Zentralsyrien. Im Fokus seiner Operationen standen Regionen wie Deir-ez-Zor und Raqqa. Vorrangige Ziele waren das syrische Regime, die "Syrischen Demokratischen Kräfte" (SDF), die Anti-IS-Koalition sowie andere ausländische Akteure. Im Süden Syriens versuchte der IS durch verschiedene Angriffe und Anschläge seine Handlungsfähigkeit insbesondere gegenüber Mitgliedern und Sympathisanten zu beweisen. Als Rückzugsraum nutzte die Terrormiliz vorwiegend Gebiete in der Wüstenregion in Ostsyrien. Allerdings gelang es dem IS im Jahr 2020 nicht, eine erneute territoriale Dominanz aufzubauen. Nach dem Abzug der US-amerikanischen Truppen aus Syrien im Oktober 2019, begann die Türkei eine militärische Offensive in Nordsyrien gegen die kurdische "Volksverteidigungseinheiten" (Yekineyen Parastina Gel, YPG), die die Mehrheit innerhalb der SDF bilden. Das Ziel der Türkei war nach eigenen Angaben, eine sogenannte "Sicherheitszone" unter türkischer Verwaltung zu schaffen. Bei der Militäroperation kam es über die gesamte syrisch-türkische Grenze östlich des Euphrats zu türkischen Luftangriffen gegen die YPG-Miliz, welche die Türkei als Bedrohung und wichtigen Akteur bei den Rebellen der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) in der Türkei betrachtet. Aufgrund des türkischen Einmarsches wurden Teile der von kurdischen Einheiten kontrollierten Gefangenensowie Flüchtlingslager, in denen IS-Kämpfer und deren Sympathisanten saßen, bestenfalls noch rudimentär bewacht. Die SDF musste in der Folge ihren Kampf gegen den IS stark reduzieren und zog ihre Kräfte ab. Der IS nutzte die türkische Offensive und das damit verbundene vorübergehende Machtvakuum, um seinen Einfluss in Nordostsyrien kurzzeitig zu vergrößern und seine Strukturen zu stärken. Ein wichtiger Erfolg war dabei die Befreiung von IS-Anhängern und deren Familien aus den Flüchtlingslagern und Haftanstalten. Darüber hinaus band der IS verstärkt Frauen in Jihad-Aktivitäten ein, deren Rolle sich im Kriegs36 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten gebiet nicht nur auf die der Ehefrau und Mutter beschränkte. Frauen nahmen an Waffentrainings teil, rekrutierten über soziale Medien neue Anhänger und betrieben Unterricht zu Hause mit Hilfe vom IS-konzipierten Apps und Propaganda-Lehrmaterial. Die Organisation handelte damit zwar entgegen ihrer ursprünglichen Einstellung zur Beteiligung von Frauen am militärischen Jihad, war aber durch die hohen Verluste auf Seiten der männlichen IS-Kämpfer gezwungen, auch Frauen wichtige Aufgaben wie beispielsweise die Schleusung von IS-Mitgliedern zu übertragen. Die IS-Propaganda hat sich im Jahr 2020 hinsichtlich Umfang, medialer Vielfalt und Themen geändert. Auch wenn offizielle Kanäle, wie das fremdsprachige Online-Magazin Rumiyah, ihre Aktivitäten eingestellt haben, und sich die Präsenz des arabisch-sprachigen Online-Magazins al-Naba verringert hat, blieb der IS medial aktiv. Die offizielle IS-Propaganda bemühte sich im Jahr 2020 um regelmäßige Veröffentlichungen von Statistiken über militärische Aktivitäten in vom IS als "Provinzen" bezeichneten Gebieten in Syrien und Irak sowie weiteren Regionen. Die EU-Polizeibehörde Europol veranlasste beim Messenger-Dienst Telegram auch im Jahr 2020 mehrere Löschaktionen gegen IS-Kanäle, die die Aktivitäten der IS-Unterstützerszene und insbesondere der IS-nahen Medienstellen als Multiplikatoren einschränkten und dem Wirkungsgrad verschiedener Kampagnen entgegenwirkten. Der Verlust der Plattform Telegram als Hauptaktionsfeld jihadistischer Propaganda zwang die IS-Propagandisten, auf eine Vielzahl alternativer Messenger-Dienste auszuweichen oder ihre Accounts bei Telegram umzubenennen. Diese mediale Verfolgung der IS-Propagandisten hat dazu geführt, dass diese immer mehr verdeckt in sozialen Medien und Kanälen agieren und zu neuen Accounts und alternativen Plattformen wechseln. Europol veranlasste die Löschung diverser IS naher Accounts beim Messenger-Dienst Telegram (Symbolbild) Zentrale IS-Propagandastrukturen sind trotz VerfolIllustration: LfV HH gungsdrucks immer noch vorhanden. Die Terrormiliz hat im Jahr 2020 vor allem daran gearbeitet, Regionalorganisationen und Ableger-Gruppierungen in ihre Propaganda verstärkt einzubinden und ihre operativen Kapazitäten zu stärken. Anschläge und Angriffe von Einzeltä37 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten tern und Kleingruppen wurden taktisch für sich reklamiert, auch wenn der Kern-IS in die Anschlagsplanungund Durchführung kaum noch direkt involviert ist. Ein dominierendes Thema bei der IS-Unterstützerszene im Jahr 2020 war die in sozialen Medien verbreiteten Aufrufaktionen zu Spendensammlungen für die Versorgung und Befreiung von IS-Anhängerinnen und ihrer Kinder in den syrisch-kurdischen Gefangenenlagern. Die in den Flüchtlingslagern lebenden Frauen machten auf verschiedenen Kanälen bezüglich ihrer Situation und der schlechten hygienischen Bedingungen aufmerksam und riefen zur Spendensammlung auf. Die IS-Unterstützerszene agierte auch im Jahr 2020 angepasst an die neuen Gegebenheiten und instrumentalisierte Themen wie den Verlust von Baghus, die Befreiung von IS-Gefangenen aus Flüchtlingslagern und öffentlichkeitswirksame Anschläge, aber auch die Ausbreitung der Corona-Pandemie. Bei diesem IS-Unterstützerspektrum handelt es sich um eine internetaffine Szene, die vor allem in diversen sozialen Netzwerken aktiv ist und zum Beispiel bei der Übersetzung von Propagandainhalten der offiziellen IS-Medienstellen oder der Weiterverbreitung von IS-Kampagnen unterstützte. Allerdings gelang es der Szene, trotz vielfältiger Aktivitäten nicht, den Rückgang der offiziellen IS-Propaganda auszugleichen. Die erneute Veröffentlichung der umstrittenen Muhammad-Karikaturen in September 2020 im Zusammenhang mit dem Prozessbeginn gegen mutmaßliche Komplizen der Attentäter auf die französische Satirezeitschrift "Charlie Hebdo" (2015) hat zu weltweiten heftigen, emotional-geladenen Diskussionen und Reaktionen und zu islamistisch motivierten Anschlägen geführt ( siehe Punkt 1.1. "Anschläge in Deutschland und Europa" in diesem Kapitel). Im Zusammenhang mit dem Wien-Terroranschlag im Oktober 2020, reklamierte die Terrormiliz das Attentat in ihren offiziellen Plattformen für sich mit den Worten "Ein Soldat des Kalifats" habe mehrere Menschen in Wien getötet. Islamkritische Ereignisse, die im Zusammenhang mit dem Koran oder mit der Person Muhammad verbunden sind, stellen für den IS nach wie vor eine wichtige Motivation für Mobilisierung und Rekrutierung dar. 38 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten Seit dem Verlust seines Territoriums verfolgt der IS die Strategie, seine regionalen Ableger gezielt zu stärken und enger mit den Zentralstrukturen in Irak und Syrien zu vernetzen, um deren Erfolge dann propagandistisch auszunutzen und auf diese Weise das für den IS konstitutive Narrativ einer global agierenden Terrororganisation, welche nach wie vor die Errichtung eines weltweiten "Kalifats" anstrebt, aufrecht zu erhalten. Vor diesem Hintergrund wächst den lokal oder regional agierenden IS-Gruppen in der Propaganda eine global-jihadistische Rolle zu - eine Rolle, die in Mosambik dem Ableger "IS Provinz Zentralafrika" zukam. Vor allem in Teilen Afrikas war der IS im Jahr 2020 am stärksten aktiv. In der medialen IS-Propaganda werden tatsächliche oder vermeintliche "militärische Erfolge" von IS-Ableger-Gruppierungen in Regionen wie Mali, Burkina Faso, Niger oder Nord-Mosambik in Szene gesetzt und für die Stärkung der "Marke IS" als eine global agierende Organisation instrumentalisiert. al-Qaida-Netzwerk Das mit dem "Islamischen Staat" konkurrierende al-Qaida (AQ)-Netzwerk konnte die vollständige territoriale Zerschlagung des IS in Syrien und Irak im Jahr 2020 kaum für sich nutzen. Im Gegenteil; die weitere Aufspaltung des Netzwerks in verschiedene Gruppierungen, die sich bereits in den Jahren 2017 und 2018 abzeichnete, setzte sich fort. Propaganda-Veröffentlichungen im Jahr 2020 verfolgten primär das Ziel, das Bild eines global agierenden Netzwerkes und somit die "Marke Al-Qaida" zu stärken. Kern-AQ inszenierte sich auch im Jahr 2020 als ein Akteur, der eine ideologisch geschulte Avantgarde als primäre Aufgabe verfolgt. Kern-AQ schafft es somit, die regionalen Konflikte seiner Ableger in einen global-jihadistischen Kontext zu setzen und ihnen einen ideologischen Rahmen zu geben. Die Terrororganisation stellt sich somit als Verfechter der Rechte der Muslime dar, um auf diskriminierte muslimische Minderheiten aufmerksam zu machen und diese anzusprechen, so zum Beispiel in Bezug auf die Situation der chinesischen Uiguren. Durch ideologische und theologische Abhandlungen sowie die Kommentierung politischer und gesellschaftlicher Entwicklungen versuchte Kern-AQ 39 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten in mehrsprachigen Veröffentlichungen ein globales Publikum anzusprechen und sich von anderen Terrororganisationen abzuheben. Ähnlich wie beim IS profitierte Kern-AQ von den jihadistischen Erfolgen ihrer Regionalorganisationen und machte sie sich zu eigen, ohne selbst operativ dabei involviert zu sein. Die mediale Propaganda ist somit nach wie vor ein zentrales Element für die Überlebensstrategie von al-Qaida. Und ähnlich wie beim IS bewies AQ durch ihre Online Propaganda, dass sie in der Lage ist, zeitnah auf globale Entwicklungen zu reagieren. Auch wenn die mediale Präsenz und der global-jihadistische Fokus in den vergangenen Jahren rückläufig waren, verfügt AQ über eine nicht zu unterschätzende Basis an Anhängern und Sympathisanten und eine beachtliche Netzwerkstruktur. Obwohl historisch Afghanistan und der Nahe Osten eine zentrale ideologische Bedeutung für AQ haben, übernehmen zunehmend die afrikanischen AQ-Regionalorganisationen, speziell in Bezug auf Anschlagsfrequenz und -qualität, immer mehr führende Rollen. Die Propaganda-Aktivitäten der deutschsprachigen al-Qaida-Unterstützerszene, die zumeist dem Bündnis verschiedener islamistischer Milizen "Hai'at Tahrir al-Scham" nahesteht, liefen 2020 wie beim IS hauptsächlich über Messenger-Dienste wie Telegram. Auf Telegram existierten und existieren mehrere deutschsprachige Kanäle, die al-Qaida-nahen Gruppierungen zuzuordnen sind. Diese veröffentlichten zum Beispiel Jihad-Aktivitäten im Nordwesten Syriens und riefen zur Beteiligung an den Kämpfen in Syrien auf. Betreiber dieser Kanäle stellten sich als Unterstützer der "Hijra" (hier in der Bedeutung: Auswanderung in die Jihad-Gebiete) und des militanten Jihad vor. Trotz der Schwäche von Kern-AQ in vielen Ländern und Regionen bleibt das AQ-Netzwerk aktiv und verfügt über Regionalorganisationen wie al-Shabab in Somalia, al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel (AQAH), al-Qaida im islamischen Maghreb (AQM), sowie kooperierenden verbündeten Gruppierungen wie Hai'at Tahrir al-Sham (HTS) und Tanzim Hurras al-Din (THD). Die Dezentralisierung ihrer Struktur erfolgt meist reaktiv oder taktisch und ist nicht als Teil einer geplanten Langzeitstrategie anzusehen. 40 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten INFOBOX Hijra ist, so Orientalist Marco Schöller von der Universität Münster in einem Beitrag für die Bundeszentrale für politische Bildung, der arabische Begriff für Auswanderung. Er bedeutet die Flucht des Propheten Muhammads von Mekka nach Medina im September 622. Das Aufgeben der Stammesbindungen war ein für die damaligen Verhältnisse einschneidender Vorgang; das Jahr, in dem Muhammads Hijra stattfand, markiert daher den Beginn der islamischen Zeitrechnung. Heute wird der Begriff von manchen Fundamentalisten verwendet, um das Verlassen gesellschaftlicher oder staatlicher Ordnungen oder auch die Ausreise in die Jihad-Gebiete in Syrien und Nord-Irak zu bezeichnen. Al-Qaida-nahe Gruppen in Syrien waren im Jahr 2020 trotz des Verfolgungsdrucks und der Verschiebung der Machtverhältnisse in der Region weiterhin aktiv. Die mit al-Qaida-vernetzte HTS dominierte auch im Jahr 2020 die jihadistische Szene in der Provinz Idlib in Syrien und nutzte zumindest in diesem Fall die dortige Schwäche des IS. Die HTS stärkte ihre Kontrolle in der Provinz, indem sie ihre Strukturen dort ausbauen konnte. Entgegen der offiziellen Distanzierung zur Kern-AQ sind Teile der HTS unverändert in der al-Qaida-Ideologie und -Netzwerkstruktur verhaftet. Tanzim Hurras al-Din (THD), die zweitstärkste al-Qaida-nahe jihadistische Gruppierung, war im Jahr 2020 in Syrien vornehmlich im Nordwesten des Landes aktiv und beteiligte sich im Jahr 2020 am bewaffneten Kampf gegen das Assad-Regime und dessen Unterstützer in Syrien. Auch im Jahr 2020 standen HTS und THD in einem angespannten Verhältnis zueinander, da sie konkurrierten und ideologisch zum Teil unterschiedliche Ziele verfolgten. So legte die HTS aus taktisch und realpolitisch bedingter Notwendigkeit den Schwerpunkt auf den Jihad-Schauplatz Syrien; hingegen propagierte die THD das Bild einer vorgeblich global agierenden Organisation, dabei treu zur Ideologie der Kern-AQ und zum AQ-Netzwerk stehend. 41 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten Im aktuellen Berg-Karabach-Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan um Berg-Karabach kooperierten ehemalige Mitglieder der AQ mit der Türkei und standen beim Konflikt an der Seite von Aserbaidschan. 1.1. Anschläge in Deutschland und Europa Im Jahr 2020 kam es in Europa zu mehreren Anschlägen mit hohen Opferzahlen, deren Planung und Durchführung zum Teil nur geringen Aufwand erforderte und sich gegen sogenannte "weiche Ziele" richtete. Eine besondere Gefährlichkeit geht dabei unverändert von Anhängern des IS aus. Nach der Zerschlagung des territorialen IS-Kalifats in Syrien und im Irak sind die Fähigkeiten der Terrororganisation zu komplexen Planungen zwar deutlich eingeschränkt, mit Anschlägen durch fanatisierte Einzeltäter ist aber jederzeit zu rechnen. Insbesondere in der zweiten Jahreshälfte zog die erneute Veröffentlichung von Muhammad-Karikaturen in Frankreich mehrere islamistisch-motivierte Anschläge im Nachbarland nach sich. Die hohe emotionale Wirkung, die die vermeintliche Beleidigung des Propheten Muhammad in der gewaltbereiten islamistischen Szene auslösen können, wurde in diesem Zusammenhang wieder erkennbar. Sie waren aber für folgend genannte Anschläge nicht die alleinige Motivlage. Europa Ein Attentäter griff am 2. Februar 2020 im Londoner Stadtteil Streatham mehrere Passanten mit einem Messer an. Der Angreifer trug zum Tatzeitpunkt einen Sprengstoffgürtel, der sich später als Attrappe herausstellte. Durch die Tat wurden zwei Personen verletzt, ein drittes Opfer erlitt Verletzungen durch Glassplitter. Der Täter wurde von zivilen Polizeikräften erschossen. Im Mai 2018 war er wegen des Verdachts von Straftaten mit islamistischem Hintergrund festgenommen und im selben Jahr zu drei Jahren und vier Monaten Haft verurteilt worden. In der Woche vor der Tat war der Täter vorzeitig aus der Haft entlassen worden. Bei einem Messerangriff auf Passanten im französischen Romans-sur-Isere am 4. April 2020 verletzte ein sudanesischer Staatsangehöriger zwei Personen tödlich und fünf weitere zum Teil schwer. Der Täter wurde festgenommen; die Anti-Terror-Staatsanwaltschaft übernahm die Ermittlungen. 42 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten Im Rahmen der Durchsuchung seiner Wohnung wurden handschriftliche Dokumente mit religiösen Inhalten aufgefunden, in denen sich der Verfasser unter anderem über das Leben in einem Land der von ihm so bezeichneten "Ungläubigen" beschwert. Anfang September 2020 begann ein Prozess gegen insgesamt 14 mutmaßliche Komplizen und Hintermänner der islamistisch motivierten Attentäter, die am 7. Januar 2015 die Redaktion des Satiremagazins "Charlie Hebdo" angegriffen hatten. Zum Prozessauftakt veröffentlichte das Magazin eine Sonderausgabe, in der die Karikaturen des Propheten Muhammad erneut abgedruckt wurden. Am 25. September 2020 erfolgte in Paris - in unmittelbarer Nähe zu den ehemaligen Räumlichkeiten der Redaktion des Satiremagazins (die Zeitung war nach dem Anschlag 2015 in ein Hochsicherheitsbüro umgezogen) - ein Messerangriff auf zwei Personen. Die beiden Opfer wurden schwer verletzt. Der nach der Attacke festgenommene pakistanische Staatsangehörige Zaheer M. räumte die Tat ein und gab als Motiv die "Verteidigung des Propheten" vor dem Hintergrund der erneuten Veröffentlichung von Muhammad-Karikaturen durch "Charlie Hebdo" im September 2020 an. Der Tschetschene Abdoullakh A. enthauptete am 16. Oktober 2020 in Conflans-Sainte-Honorine, einem Vorort von Paris, den Lehrer Samuel Paty, der im Rahmen seines Unterrichtes zum Thema Meinungsfreiheit die vom Satire-Magazin Charlie Hebdo veröffentlichten Muhammad-Karikaturen diskutiert hatte. Die Tat ereignete sich nahe der Schule, in der das Opfer als Lehrer tätig war. Der Attentäter wurde nach einer kurzen Flucht von der Polizei erschossen. Innerhalb der gewaltbereiten islamistischen Szene, auch in Deutschland, wurde er anschließend als "Märtyrer" glorifiziert. Am Morgen des 29. Oktober 2020 wurden in Nizza, nahe der Kirche Notre Dame de l'Assomption, drei Personen durch einen Messerangriff getötet sowie weitere Personen verletzt. Bei dem mutmaßlichen Täter handelt es sich um den tunesischen Staatsangehörigen Brahim A.; er wurde festgenommen. Der österreichische Staatsangehörige Kujtim F. eröffnete am Abend des 2. November 2020 das Feuer mit einer Langwaffe auf Passanten in der Innenstadt Wiens und tötete im Verlauf der Tat vier Personen; 15 weitere Pas43 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten santen wurden zum Teil schwer verletzt. Der Attentäter wurde von Polizeibeamten erschossen. Die IS-Nachrichtenstelle AMAQ veröffentlichte am 3. November 2020 ein Video, in dem der Attentäter F. den Treueeid auf den IS ablegt. F. verfügte über europaweite Kontakte. Einschusslöcher im Bereich des Tatorts in der Seitenstettengasse in der Wiener Innenstadt (c) Foto: picture alliance / HELMUT FOHRINGER / APA Deutschland Der Generalbundesanwalt (GBA) übernahm am 19. Mai 2020 ein Ermittlungsverfahren gegen den deutschen Staatsangehörigen Muharrem D. wegen Verdachts des versuchten Mordes in 27 Fällen in Tateinheit mit schwerer Brandstiftung und gefährlicher Körperverletzung zum Nachteil von sechs Personen sowie der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat. Nach bisherigen Erkenntnissen durchlief Muharrem D. seit 2017 einen Prozess der religiösen Radikalisierung und wurde Anhänger eines islamistisch-jihadistischen Weltbildes sowie der terroristischen Vereinigung "Islamischer Staat". Zudem entwickelte er im Zusammenhang mit dem Agieren des türkischen Staates im Syrienkonflikt sowie dessen Umgang mit bestimmten Predigern in der Türkei einen nachhaltigen Hass auf den türkischen Staat und Menschen türkischer Abstammung. Daher fasste er den Entschluss, Anschläge auf Mitbürgerinnen und Mitbürger türkischer Herkunft zu verüben und damit eine Spirale von Gewalt und Gegengewalt herbeizuführen. Seine aus fünf Taten bestehende Anschlagsserie gegen Gewerbeeinrichtungen türkischstämmiger Inhaber in Waldkraiburg (Bayern) im Zeitraum vom 16. April 2020 bis zum 6. Mai 2020 konnte durch seine Festnahme am 8. Mai 2020 beendet und somit weitere geplante Anschläge unterbunden werden. Zur Vorbereitung dieser Anschläge hatte D. bereits Sprengmittel, eine Schusswaffe und Chemikalien in seinen Besitz gebracht. Am 18. August 2020 führte der irakische Staatsangehörige Sarmad A. als Fahrer eines Kraftfahrzeuges vorsätzlich Zusammenstöße mit anderen Ver44 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten kehrsteilnehmern auf der Stadtautobahn Berlin herbei und verletzte sechs Personen, davon drei schwer. Unmittelbar nach den Verkehrsunfällen kniete sich der Beschuldigte auf einen zuvor ausgelegten Gebetsteppich und begann zu beten. Bei seiner Festnahme rief er unter anderem mehrfach "Allahu Akbar". In der Gesamtschau wird derzeit von einer islamistischen Tatmotivation ausgegangen; das Tatgeschehen wurde offenbar durch eine psychische Beeinträchtigung des Täters begünstigt. Ermittlungsarbeiten der Berliner Polizei nach den vorsätzlich herbeigeführten Zusammenstößen auf der Stadtautobahn A100 durch den irakischen Staatsangehörigen Sarmad A. Foto: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild | Paul Zinken Dem syrischen Staatsangehörigen Abdullah A.H.H. wird zur Last gelegt, dass er am 4. Oktober 2020 in der Nähe des Kulturpalastes in Dresden unvermittelt auf zwei Passanten eingestochen hat und hierbei eines der Opfer tödlich verletzte. Das zweite Tatopfer überlebte den Messerangriff schwer verletzt. Abdullah A.H.H. handelte dabei nach polizeilichen Ermittlungen aus einer radikal-islamistischen Gesinnung heraus. Er wollte die beiden Opfer als Repräsentanten einer von ihm als "ungläubig" abgelehnten freiheitlichen Gesellschaft auslöschen. Der Beschuldigte war den Sicherheitsbehörden bereits im Vorfeld wegen seiner jihadistischen Ideologie bekannt und seit dem Jahr 2017 bis zum 29. September 2020, unter anderem wegen Werbens um Mitglieder oder Unterstützer einer terroristischen Vereinigung im Ausland sowie Sich-Verschaffens einer Anleitung zur Begehung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat, inhaftiert. 45 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten 2. Potenziale Personenpotenziale Islamismus - Hamburg Nach wie vor ist das Gesamtpotenzial im Bereich Islamismus auf hohem Niveau. In Hamburg betrug das Gesamtpotenzial Ende 2020 1.660 Personen und ist damit gegenüber 2019 gestiegen (2019: 1.645), davon gelten 1.350 Personen als gewaltorientierte Islamisten (2019: 1.345), darunter auch die Jihadisten. In Hamburg wurden der Hizb ut-Tahrir (HuT) rund 300 (2019: 250) deutsche oder afghanischund türkischstämmige Anhänger zugerechnet, die sich Corona bedingt vorrangig virtuell getroffen haben. Das galt auch vorwiegend für die 170 Anhänger der Furkan-Bewegung in Hamburg (unverändert zu 2019). Schwerpunktstädte in Deutschland sind neben Hamburg auch Berlin, München und Dortmund. Ausreisebewegungen aus Hamburg im Jahr 2020 in Richtung Syrien und Irak haben nicht stattgefunden, sodass die Zahl bei unverändert 86 bisher bekannten Fällen liegt. Über ein Drittel ist bislang zurückgekehrt. 2.500 2.465 2.000 2.270 2.245 1.660 1631 1.645 1.565 1.500 1.355 1.065 1.000 955 500 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 46 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten Personenpotenziale Salafismus - Hamburg Eine Teilmenge des Islamismuspotenzials bildet die Zahl der Anhänger des salafistischen Spektrums; sie lag Ende 2020 bei 670 Personen (2019: 740). Von den 670 Salafisten waren 340 der jihadistischen Strömung zuzurechnen (2019: 384). 800 700 780 776 740 670 600 670 500 460 420 422 400 400 384 300 320 340 240 270 200 240 200 100 40 70 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 Gesamtzahl Jihadistisch - Die Zahlen für die Personenpotenziale sind teilweise gerundet - 3. Politisch motivierte Kriminalität Der Phänomenbereich "Politisch motivierte Kriminalität - religiöse Ideologie" bildet ab, inwieweit eine Religion zur Begründung der Tat instrumentalisiert wird (dies umfasst sowohl Straftaten aus islamistischer als auch sonstiger religiöser Motivation). 2020 hat sich die Zahl der Straftaten im Bereich religiöse Ideologie im Vergleich zu 2019 um fünf Straftaten erhöht. Dabei blieb die Zahl der extremistischen Gewalttaten unverändert bei zwei. Unverändert sind der konsequente staatliche Verfolgungsdruck und die daraus resultierende mögliche Befürchtung der Täter, belangt zu werden. 47 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten Politisch motivierte Kriminalität (PMK) Religiöse Ideologie 18 19 20 20 20 20 PMK - Religiöse Ideologie gesamt 58 25 30 davon extremistische Kriminalität 16 9 22 hiervon extremistische Gewaltdelikte 1 2 2 Die Zahlen stammen aus den jeweiligen Jahres-Statistiken der Polizei Hamburg - Stand: Februar 2021 - 4. Salafismus Der Salafismus stellt eine radikale und kompromisslose Ausrichtung innerhalb des sunnitisch-islamistischen Spektrums dar. Salafisten wollen den Islam von allen vermeintlich "unerlaubten" Neuerungen reinigen, wie sie vor allem im Volksislam verbreitet sind. Als vorbildlich gelten Salafisten dabei die ersten drei Generationen der Muslime, die sogenannten "as-Salaf as-Salih" ("die frommen Altvorderen"), wovon sich die Bezeichnung der Salafisten ableitet. Der Salafismus bewegt sich außerhalb der etablierten Rechtsschulen des Islam und akzeptiert deren Meinungen lediglich, wenn sie mit den eigenen Anschauungen vereinbar sind. Innerhalb des Salafismus existieren verschiedene Strömungen, die sich in ideologischer Hinsicht unterscheiden, aber dennoch Überschneidungen aufweisen. 48 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten Die vom Verfassungsschutz beobachteten Hauptrichtungen werden als politischer und jihadistischer Salafismus bezeichnet. Beide Richtungen propagieren aktiv die Ablehnung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und treten für die Etablierung eines Staatswesens ein, in dem vermeintlich von Gott gegebene Gesetze gelten sollen. Grundsätzlich lehnen auch politische Salafisten Gewalt als ein Mittel zur Durchsetzung ihrer Ideologie nicht ab, versuchen jedoch, ihre Ziele mit Mitteln der Mission und fortwährender Überzeugungsarbeit zu verwirklichen. Jihadisten befürworten und unterstützen in einem stärkeren und radikaleren Maße die Anwendung von Gewalt. Zwischen diesen beiden Ausprägungen des Salafismus existieren fließende Übergänge und Wechselbeziehungen. Sie stützen sich beispielsweise auf dieselben ideologischen Autoritäten und Vordenker. Nach wie vor ist das Personenpotenzial bundesweit auf hohem Niveau, und die Anziehungskraft der salafistischen Ideologie ist ungebrochen. Wie in den Vorjahren stieg auch im Jahr 2020 das Personenpotenzial im gesamten Bundesgebiet von 11.950 (2019) auf 12.150 (Stand: 31. Dezember 2020) an. Auch wenn in Hamburg die Zahlen weiter gesunken sind, (2019: 740; Dezember 2020: 670), besteht nach wie vor eine vergleichsweise starke salafistische Szene. Der Rückgang des salafistischen Personenpotenzials in Hamburg resultiert vor allem aus dem Fehlen von Führungspersonen innerhalb der Szene und aus dem weiteren Rückgang von Themen und Aktionsmöglichkeiten (Stopp der Ausreisen nach Syrien und Irak, Verbot der Koranverteilungsstände). Durch die diesjährige Corona-Pandemie wurde das Aktionspotenzial der Salafisten zusätzlich eingeschränkt. Insbesondere die Schließung von Trefforten wie Moscheen und der Ausfall von Veranstaltungen trugen zu einem Rückgang von Aktionsmöglichkeiten der Salafisten bei. Darüber hinaus zeigt auch die konsequente strafrechtliche Verfolgung Wirkung. So wurden 2019 führende Anhänger der Szene auch aufgrund von Erkenntnissen des Hamburger Verfassungsschutzes festgenommen und vor Gericht gestellt: 49 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten Das Hanseatische Oberlandesgericht (HansOLG) verurteilte am 6. März 2020 Lennart M. wegen der Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung ("Islamischer Staat", gemäß SSSS 129 a, b StGB) rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten, die zur Bewährung ausgesetzt wurde. M. war im Mai 2014 nach Syrien in das Herrschaftsgebiet des IS ausgereist und absolvierte dort eine circa vierwöchige Ausbildung. Nachdem er eine Verletzung erlitt, verließ er Anfang Juli 2014 das Hoheitsgebiet des IS und kehrte nach Deutschland zurück. Am 19. März 2020 wurde Volkan L. durch das HansOLG wegen der Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung (Islamischer Staat, gemäß SSSS 129 a, b StGB) zu einer Freiheitsstrafe von dreieinhalb Jahren verurteilt. L. war im Jahr 2013 nach Syrien ausgereist, um sich dem IS anzuschließen und absolvierte dort eine Kampfausbildung. Nach seiner Rückkehr nach Deutschland im März 2014 unterstützte er den bereits genannten Lennart M. bei dessen Ausreise nach Syrien. Das Urteil ist rechtskräftig. Das HansOLG verurteilte am 9. September 2020 Elina F. wegen der Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung (Islamischer Staat, gemäß SSSS 129 a, b StGB) rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren, die zur Bewährung ausgesetzt wurde. F. reiste im Spätsommer des Jahres 2013 nach Syrien, um ihrem damaligen Ehemann zu folgen, welcher sich bereits dem IS angeschlossen hatte. Während ihres Aufenthaltes im Herrschaftsgebiet des IS wirkte sie in einem Propaganda-Video mit, in dem sie eine Kalaschnikow in die Kamera hielt und zur Elina F. bei der Festnahme am Teilnahme am Jihad aufrief. Im Februar 2018 Hamburger Flughafen Foto: RUEGA wurde F. von kurdischen Kräften aufgegriffen und befand sich anschließend mit ihren beiden, in Syrien geborenen, Kindern in einem Gefangenenlager in Nordsyrien, aus dem sie Ende 2019 in Richtung Türkei floh. Im Januar 2020 folgte ihre Rückführung nach Deutschland. 50 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten Am 2. Oktober 2020 verurteilte das HansOLG Omaima A. wegen der Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung (Islamischer Staat, gemäß SSSS 129 a, b StGB) in vier Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit einem Verstoß gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz, in einem Fall in Tateinheit mit Verletzung der Fürsorgeund Erziehungspflicht und in einem Fall in Tateinheit mit Freiheitsberaubung und Beihilfe zu einem Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach SS 7 Absatz 1 Nummer 3 VStGB (Menschenhandel) zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten. A. war im Januar 2015 mit ihren drei Kindern in das Herrschaftsgebiet des IS ausgereist, wo sich bereits ihr damaliger Ehemann Nader H. befand. Nach dessen Tod im Frühjahr 2015 heiratete sie den bekannten deutschen Jihadisten Denis Cuspert. In ihrer Zeit in Syrien warb sie bei Bekannten für die Ausreise zum IS und führte in der Öffentlichkeit eine Kalaschnikow mit sich. Ferner hielt sie sich in ihrem Haushalt über einen kurzen Zeitraum ein 13-jähriges jesidisches Mädchen als Sklavin. Nach ihrer Trennung von C. kehrte A. im September 2016 hochschwanger und zusammen mit ihren Kindern nach Deutschland zurück. Das Urteil gegen A. ist noch nicht rechtskräftig. Die öffentliche Da'wa-Arbeit in Hamburg hat sich im Jahr 2020, wie schon im Jahr 2019, weiter abgeschwächt. Relevante Aktivitäten konnten vor allem im Zusammenhang mit der seit Anfang Januar 2020 agierenden salafistischen Missionierungskampagne "Die Botschaft Verbreiten" (DBV) festgestellt werden, welche zunächst in sozialen Onlinemedien begann. Die Kampagne verbreitete über einen offenen Telegram-Kanal sowie auf Instagram mehrere deutschsprachige Flugblätter mit salafistischen Inhalten. Dabei wurden die Abonnenten der Social-Media-Kanäle aufgefordert, die Flyer herunterzuladen und zu verteilen. Ebenfalls Anfang Januar 2020 konnten in Hamburg entsprechende Verteilaktionen festgestellt werden, welche mittels eines Videos bei YouTube dokumentiert wurden. Am 10. Januar 2020 stellte die Polizei vier Aktivisten der DBV-Kampagne fest, die sich im Bereich der Hamburger Innenstadt bewegten und Flyer an Passanten aushändigten. Da die Flyer kein Impressum enthielten, lag eine Ordnungswidrigkeit nach dem Pressegesetz vor. Alle von den kontrollierten Personen mitgeführten Flyer wurden sichergestellt. 51 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten Bei der folgenden Abbildung handelt es sich um einen Flyer, der über die Kampagne zur Verfügung gestellt wurde: Die Inhalte des Flyers sind in weiten Teilen dem jihadistischen Salafismus zuzuordnen und stehen in einem klaren Gegensatz zu der freiheitlichen demokratischen Grundordnung (FDGO). Der Flyer bezeichnet Gesetze, Richtlinien, Staatsoberhäupter und "Ideologien wie Demokratie, Atheismus, Kommunismus und Faschismus" als illegitim. Darüber hinaus werden die Menschenrechte in Abrede gestellt, und allen unislamischen Richtern und Gerichten wird die Daseinsberechtigung abgesprochen. Im Ergebnis stellt der Flyer eine eindeutige Absage an den säkularen Staat und eine pluralistische Gesellschaft dar. Aufgrund jihadistischer Inhalte, die sie über verschiedene Social-Media-Plattformen und Messenger-Dienste (Telegram, Instagram, YouTube) verbreiteten, wird gegen zwei Protagonisten der DBV-Kampagne wegen des Verdachts der Aufforderung zu Straftaten gemäß SS 111 StGB sowie der Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat gemäß SS 89a StGB ermittelt. Beiden wird unter anderem vorgeworfen, mit den Postings für eine Ausreise nach Syrien und den Anschluss an den IS geworben zu haben. Außerdem sollen Abbildung eines über die Kampagne sie dazu aufgerufen haben, die "Ungläubigen" angebotenen Flyers. bzw. die Feinde des Islam zu bekämpfen. Am 28. Juli 2020 fand eine Hausdurchsuchung bei den beiden Verdächtigen statt. Die Aktivitäten der DBV-Kampagne sind seit Frühjahr 2020, mutmaßlich coranabedingt, sowie im Sommer aufgrund der Durchsuchung wieder deutlich zurückgegangen. Der wichtigste Anlaufpunkt für die salafistische Szene in Hamburg ist nach wie vor die Taqwa-Moschee in Harburg. Sie wird auch von jihadistischen Salafisten aufgesucht. Die Moschee wird zudem auch außerhalb der öffent52 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten lichen Gebetsveranstaltungen frequentiert. Zuletzt jedoch war die Besucherzahl rückläufig, auch hier wirkte sich die Corona-Pandemie aus. Schon seit Jahren betätigen sich Salafisten bundesweit, auch in Hamburg, vorgeblich im Bereich der humanitären Unterstützung und rufen zu Spendensammlungen auf. Die Spendensammler behaupten, für vermeintlich karitative Organisationen Geld zu sammeln, um Kinder in Krisengebieten mit Lebensmitteln, Medikamenten oder Bekleidung zu unterstützen. Einer dieser Spendensammelvereine ist "Ansaar International e.V.". Der Verein verfolgt vordergründig den Zweck, humanitäre Hilfe für Muslime weltweit (beispielsweise in Syrien, Somalia, Marokko oder Burma) zu leisten. Der Verein ist 2012 in Düsseldorf gegründet worden. Auf der Internetseite von "Ansaar International" werden für viele deutsche Städte Sammelstellen für Spenden angegeben. Eine Sammelstelle befindet sich auch in Hamburg. Am 10. April 2019 kam es zu Hausdurchsuchungen gegen Oben: Logo von "Ansaar International" Unten: Auf der Homepage von "Ansaar International" werden u.a. ein bundesweit agierendes deutschlandweite Kontakte zu Sammelstellen genannt, auch für Hamburg. islamistisches Spenden-NetzAuffällig sind die nach dem Geschlecht getrennten Telefonnummern. Screenshot: LfV Hamburg werk, darunter "Ansaar International". Es besteht der dringende Verdacht, dass sich dieses Netzwerk gegen den Gedanken der Völkerverständigung gemäß Artikel 9 Absatz 2 Grundgesetz richtet. Nach dem bisherigen Stand der Ermittlungen wird davon ausgegangen, dass die Organisationen dem extremistischen Milieu zuzurechnen sind. Es bestehen Anhaltspunkte dafür, dass auch die HAMAS finanziell und propagandistisch unterstützt wird. Trotz der laufenden Ermittlungen war "Ansaar International" auch im Jahr 2020 weiterhin aktiv. 53 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten 5. Furkan-Gemeinschaft Die aus dem türkischen Adana stammende Furkan Stiftung für Bildung und Dienst (Dienst an der Religion, "Furkan Egitim ve Hizmet Vakfi") wurde 1994 vom Bauingenieur Alparslan Kuytul gegründet. Kuytul, genannt "Hocaefendi" (etwa "Oberster Gelehrter" oder "ehrwürdiger Lehrer"), ist seitdem die unangefochtene Führungsfigur und das geistige Oberhaupt der Organisation. Das Ziel der Organisation, die sich selbst als "Vorreiter-Generation" bezeichnet, ist Logo der Furkan-Gemeinschaft der Aufbau einer weltweiten "islamischen Zivilisation". In einer solchen Gesellschaftsordnung ist ein Staatsaufbau vorgesehen, der auf rein islamischen Vorstellungen, gespeist aus Koran und Sunna, beruht. Damit verknüpft ist die Einführung einer islamisch geprägten Rechtsordnung, der Scharia. Die dadurch artikulierte Vorstellung, dass sich weltliche und menschengemachte Normen und Gesetze dem Recht Allahs unterzuordnen haben, widerspricht fundamental wichtigen Grundprinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Die Furkan-Gemeinschaft verfügt außerhalb der Türkei über Strukturen in mehreren europäischen Ländern. Die Schwerpunkte innerhalb Deutschlands liegen dabei in München, Berlin, Nordrhein-Westfalen und Hamburg. In Hamburg firmiert die Organisation mit ihren rund 170 Anhängern (2019: 170) als Verein und nennt sich seit April 2018 "Jugend, Bildung und Soziales e.V.". Vormalig hatte der Verein die Bezeichnung "Furkan - Zentrum für Bildung e.V.". Bundesweit hatte die Furkan-Gemeinschaft Ende 2020 rund 400 Mitglieder (2019: 350). Seit Juli 2019 verfügt die Furkan-Gemeinschaft in Hamburg über ein zentrales Objekt, in dem regelmäßig religiöse Unterrichtsveranstaltungen 54 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten stattfinden, auch für Kinder und Jugendliche. Männer und Frauen werden hierbei in der Regel getrennt unterrichtet. Die Furkan-Gemeinschaft nimmt sich daneben vermehrt gesellschaftlich relevanter, breit diskutierter Themen an, die im Sinne der eigenen islamistischen Weltsicht interpretiert und zugleich genutzt werden, um gezielt Verbindungen zu muslimischen, nicht-extremistischen Strukturen zu knüpfen (siehe hierzu Verfassungsschutzbericht Hamburg 2018, Kapitel Entgrenzung, S. 57 ff.). Ein besonderer Schwerpunkt wird hierbei auf eine vermeintlich vorherrschende, generelle Islamfeindlichkeit in Deutschland und der westlichen Welt gelegt. Generell findet sich eine breite gesellschaftliche Mehrheit, die über die Grenzen gesellschaftlicher Milieus und Schichten hinweg die Diskriminierung von Bevölkerungsminderheiten verurteilt. Dieser breite Konsens wird genutzt, um mit der eigenen Deutung und der selektiven Wahrnehmung für demokratische Schichten anschlussfähig zu werden. Es findet somit eine inhaltliche Entgrenzung statt. Ein Beispiel für den Gebrauch dieser Strategie, die Grenze zwischen islamistischem und demokratischem Engagement aufzulösen und Bündnisse zu schließen, konnte nach dem Anschlag am 19. Februar 2020 in Hanau auf dem Facebook-Profil der Furkan-Gemeinschaft beobachtet werden. In einem Posting werden sowohl sämtliche Parteien als auch die Medienlandschaft für den Anschlag verantwortlich gemacht, da sie vermeintlich "hitFacebook-Posting der Furkan-Gemeinschaft Hamburg zum Anschlag zige Debatten", wie das Thema in Hanau. In einem Video macht die Furkan-Gemeinschaft Medien und Parteien für den Anschlag verantwortlich. "Kopftuch", befeuern und damit Sreenshot: LfV Hamburg Muslime in Deutschland stigmatisieren würden. Die Furkan-Gemeinschaft instrumentalisierte den Protest gegen diesen von einer breiten gesellschaftlichen Mehrheit verurteilten Terrorakt, um sich 55 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten als Verteidigerin der Rechte der muslimischen Minderheit in der westlichen Welt darzustellen. Der Entgrenzungsstrategie folgend, bemühen sich Angehörige der Organisation grundsätzlich um ein moderates Auftreten, sowohl optisch als auch verbal. Viele öffentliche Botschaften werden verklausuliert veröffentlicht und verschleiern die wahren Absichten: "Die Menschen, die versuchen, die Gesellschaft zu verbessern, ohne nach dem Koran und der Sunna zu gehen, sind auf dem Irrweg." (Video bei YouTube, veröffentlicht im April 2020) "Wir waren und sind immer von der Überlegenheit der islamischen Lehre und der islamischen Zivilisation überzeugt und verkünden es auch offen, weil der Islam von unserem Schöpfer kommt und Er am besten weiß, wie Seine Schöpfung leben sollte, um im Diesseits und Jenseits in Harmonie zu leben. Wir können argumentativ jedem darlegen, warum wir davon überzeugt sind, dass Allah über die Menschen bestimmen sollte." (Posting bei Facebook, veröffentlicht im März 2020) Ein Führungsaktivist der Hamburger Furkan-Gemeinschaft gab im Juli 2020 dem Sender SWR2 zu dem Thema "Politischer Islam in Deutschland - Gefahr oder Panikmache?" ein Interview, in dem er die eigenen Zielsetzungen wie folgt skizzierte: "Und zwar möchten wir den Islam so praktizieren und so an die Öffentlichkeit herangehen, wie es der Prophet Mohammed gemacht hat. Wir möchten genauso sein. Wir möchten das Richtige und das Falsche gemäß dem Koran darlegen. Uns schwebt die Zivilisation des Propheten vor. [...] Wir sagen, Islam und Säkularismus sind nicht kompatibel. Das sagen wir ganz offen und überzeugt. Also ein Islam, wo Allah Urteile offenbart hat, die das gesellschaftliche Leben formen bzw. auch beeinflussen, also, dass die Regelungen des Koran und der Sunna auch in die Politik mit einfließen." Die Corona-Pandemie hatte auch Auswirkungen auf die Aktivitäten der Furkan-Gemeinschaft. Anders als in den vergangenen Jahren waren in Hamburg keine größeren öffentlichkeitswirksamen Veranstaltungen festzustellen, stattdessen nutzte die Furkan-Gemeinschaft verstärkt den digi56 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten talen Raum, um ihre Inhalte zu verbreiten. Neben den vergleichsweise erfolgreichen Auftritten bei Facebook (1.685 Abonnenten, Stand: Dezember 2020) und Instagram (1.330 Abonnenten, Stand: Dezember 2020) präsentiert sich die Furkan-Gemeinschaft auch bei YouTube und Twitter. Zeitweise wurden die religiösen Unterrichtsveranstaltungen wegen der Corona-Pandemie ausschließlich online angeboten. In diesem Zusammenhang gelang es der Furkan-Gemeinschaft bereits nach kurzer Zeit wöchentliche Livestreams auf ihrem YouTube-Kanal und ihrem Facebook-Profil zur Verfügung zu stellen. Aus dem breiten digitalen Angebot der Furkan-Gemeinschaft ist besonders das Video "Die Zukunft der Menschheit" wegen seiner islamistischen Botschaften hervorzuheben. In dem im Mai 2020 veröffentlichten Video werden islamistisch(-jihadistische) Vordenker als Helden glorifiziert. Dies lässt den Schluss zu, dass es sich bei der Furkan-Gemeinschaft um eine gewaltbefürwortende Organisation handelt, insofern wird ihre Anhängerschaft in Hamburg dem gewaltorientierten Spektrum zugerechnet. Durch das beschworene Opfernarrativ und die Überzeugung, dass der Islam bzw. die "islamische Zivilisation" die einzig wahre Gesellschaftsform darstellt, wird eine klare Abgrenzung zur westlichen Welt vorgenommen. Die Option eines friedlichen Zusammenlebens mit den "Ungläubigen" wird nicht gesehen bzw. ausgeschlossen. 6. Hizb ut-Tahrir Die Hizb ut-Tahrir (HuT) - Partei der Befreiung - wurde 1953 vom palästinensischen Politiker und Juristen Taqiaddin an Nabhani in Jerusalem gegründet. Es handelt sich um eine länderübergreifend aktive islamistische Organisation. Die HuT ist eine gewaltorientierte politische Bewegung, die den von ihr behaupteten Absolutheitsanspruch der Logo der Hizb ut-Tahrir. 57 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten Religion mit einem entsprechenden politischen Modell, einem weltweiten Kalifat, verbindet und jede hiervon abweichende "ungläubige Staatsform" zurückweist. In der Konsequenz sieht die HuT die vollständige Einführung der Scharia als unumgänglich an. Ziel der HuT ist die "Vereinigung der weltweiten Ummah" (Gemeinschaft der Muslime) in einem theokratischen, allein göttlich legitimierten, Staat ohne nationale Grenzen unter der Führung eines Kalifen ( siehe Kapitel 8.2, Infobox "Theokratie"). Dieser soll die Scharia als Grundlage und Maßstab staatlichen Handelns im Kalifat durchsetzen, da er die weltliche und geistige Führung in einer Person vereint und sich gegen jede Teilnahme am politischen Leben in den "blasphemischen Systemen" wie zum Beispiel in parlamentarischen Demokratien wendet. Weitere zentrale Punkte des Parteiprogrammes der HuT sind die Bekämpfung eines vorgeblich herrschenden "Kolonialismus" und "Zionismus". Unter der Bekämpfung des Kolonialismus wird dabei die Befreiung der islamischen Gesellschaft von der angeblichen ideologischen Führung durch den Westen verstanden. Der Staat Israel und alle Menschen jüdischen Glaubens insgesamt werden von der HuT als die zu bekämpfenden Grundübel auf dem Weg zur Verwirklichung der islamischen Gesellschaft bezeichnet. Die HuT distanziert sich von allen ihrer Ideologie nicht entsprechenden Organisationen. Innerhalb der muslimischen Gemeinde wird die HuT in der Regel abgelehnt, weil sie nach deren Ansicht keine profunde religiöse Ausbildung vermittle, sondern in erster Linie nur das Kalifat propagiere. Bereits in den ersten Jahren nach der Gründung fand die HuT eine Vielzahl von Anhängern in den Staaten des arabischen Sprachraumes. Sie soll in den 1960er und 1970er Jahren an Putschversuchen in Jordanien, Ägypten, Syrien und dem Irak beteiligt gewesen sein. Die HuT ist inzwischen in nahezu allen arabischen Staaten verboten, da sie die dortigen Herrschaftssysteme ablehnt und die jeweiligen Staatsoberhäupter als ungläubig betrachtet. Trotz der Verbote in den arabischen Ländern ist sie dort und in vielen anderen Staaten aktiv. 58 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten Betätigungsverbot der HuT Gemäß der Verbotsverfügung des Bundesministeriums des Innern, für Bau und Heimat vom 15. Januar 2003 richtet sich die Organisation gegen den Gedanken der Völkerverständigung und befürwortet Gewaltanwendung als Mittel zur Durchsetzung politischer Ziele. Sie verbreite unter anderem antisemitische Hetzpropaganda und fordere zur Tötung von Juden auf. Das Verbot umfasst die Produktion und Verbreitung von Publikationen wie der deutschsprachigen Zeitschrift "Explizit". Das Betätigungsverbot wurde durch das Bundesverwaltungsgericht am 25. Januar 2006 bestätigt, nachdem die Gruppierung gegen das Bundesinnenministerium geklagt hatte. Es stellte darüber hinaus fest, dass es sich bei der HuT nicht um eine Religionsoder Weltanschauungsgemeinschaft handelt. Auch vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EuGMR) scheiterte die HuT am 19. Januar 2012 mit ihrer Klage gegen das Betätigungsverbot in Deutschland. Die Klage wurde vom EuGMR für unzulässig erklärt, da die Richter es weiterhin als erwiesen ansahen, dass die HuT dem Staat Israel das Existenzrecht abgesprochen und zur Zerstörung Israels aufgerufen habe. Zudem habe diese Vereinigung den Sturz der Regierungen in muslimisch geprägten Staaten befürwortet, um diese durch ein übergeordnetes Kalifat auf der Grundlage der Scharia zu ersetzen. Maßnahmen der HuT zur Mitgliedergewinnung Die HuT ist ständig bemüht, ihren Mitgliederstamm zu erweitern. Als geeignete Plattformen haben sich hierzu Veranstaltungen in Moscheen, gezielte Ansprachen an Universitäten, politische Diskussionen mit Islambezug, aber auch eigene Veranstaltungen erwiesen. Durch den Aufbau freundschaftlicher Beziehungen wird zunächst ein Vertrauensverhältnis geschaffen, indem besonders häufig religiöse und weltanschauliche Themen angesprochen und diskutiert werden. Die Anhänger selbst verstehen diese Vorgehensweise als ihre "gottgegebene" Aufgabe, um ihr Ziel der "Wiederaufnahme der islamischen Lebensweise und dem Tragen der Da'wa (Botschaft) in die Welt" umzusetzen und auf diese Weise eine tiefgreifende Veränderung der Gesellschaft (hin zu einer islamischen Gesellschaft) herbeiführen zu können. Da die Anhänger ihre Zugehörigkeit zur HuT in der Regel erst 59 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten nach dem Aufbau des Vertrauensverhältnisses offenbaren, ist sie für potenzielle Zielpersonen und -gruppen anfangs nur schwer zu erkennen. Bis zu dieser Offenbarung geriert sich die Gruppierung als netter Zusammenschluss muslimischer junger Menschen, der zum Beispiel bei Freizeitaktivitäten oder allgemeinen Fragen der Lebensgestaltung behilflich sein will. Insofern verfolgt auch die HuT die Strategie der Entgrenzung, um über populäre Themen in Kontakt mit Nicht-Extremisten, insbesondere Muslimen, zu kommen. In Hamburg können der HuT etwa 300 Anhänger unterschiedlichster Herkunftsländer zugerechnet werden. Im Vergleich zu den Vorjahren (2019: 250, 2018: 220) erreichen sie damit einen deutlichen Zugewinn. Die Anhänger treffen sich in Privaträumen und zu geschlossenen Veranstaltungen in Restaurants oder anderen Lokalitäten. Für die interne Weiterbildung gibt es über Hamburg verteilt zahlreiche Schulungszirkel (sogenannte "Halaqat"), in deren Rahmen sowohl in Deutsch, Türkisch als auch in Dari Unterrichte stattfinden, die sehr diszipliniert durchgeführt werden. In Hamburg sind Mitglieder der HuT in den meisten Moscheen unerwünscht. Als konkretes Beispiel für die Nutzung öffentlichkeitswirksamer Aktionen von Sympathisanten der HuT ist die am 11. Januar 2020 unter dem Tenor "Gegen die Umerziehungslager und Unterdrückung in China! - #Genocide #Made in China!" durchgeführte Demonstration des in Hamburg ansässigen informellen Netzwerkes "Generation Islam" (GI) mit etwa 2.800 Teilnehmern zu nennen. Bei GI handelt es sich um eine Gruppierung, die bis zum Zeitpunkt der Demonstration vorwiegend in den sozialen Netzwerken agierte. Auf diesen Plattformen lassen sich einige Gruppierungen finden, deren veröffentlichte Inhalte deutliche Überschneidungen mit der HuT-Ideologie aufweisen - so wie auch das aus dem Rhein-Main Gebiet stammende informelle Netzwerk "Realität Islam". Beide Netzwerke zeigen eine starke Präsenz auf allen sozialen Medienkanälen (Facebook, Instagram, Twitter, YouVon "Generation Islam" verwendetes Logo. Tube etc.) und verfügen über eine große Reichweite, wenn es um die Verbreitung ihrer gesell60 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten schaftskritischen Stellungnahmen und Kommentare geht. Die Verantwortlichen von GI gehen in ihren Posts und veröffentlichten Videos auf aktuelle, gesellschaftlich relevante Themen ein und instrumentalisieren diese zur Darstellung einer vermeintlich fortwährenden Ablehnungshaltung der Politik und Gesellschaft in Deutschland gegenüber der gesamten muslimischen Community. Mit der Demonstration am 11. Januar 2020 setzte GI seine Strategie erstmals in der Öffentlichkeit um. Für Außenstehende ist auf den ersten Blick nicht erkennbar gewesen, dass es sich bei den Organisatoren um der HuT zuzurechnende Extremisten handelt, daher informierte der Hamburger Verfassungsschutz die Öffentlichkeit vorab in Medienstatements über den islamistischen Hintergrund. Die von GI angewandte Vorgehensweise weist deutliche Parallelen zu den Strategien der verbotenen HuT zur Gewinnung neuer Anhänger auf. Seit der Parteigründung im Jahre 1953 instrumentalisiert die HuT Veröffentlichungen und Stellungnahmen zu unterschiedlichsten Geschehnissen und Themen (die Palette reicht von der globalen Finanzkrise bis zum Thema Organtransplantationen) von internationaler Relevanz, um letztlich ihre eigene islamistische Ideologie innerhalb der Gesellschaft zu verbreiten, Kontakte zu knüpfen und letztlich auch neue Anhänger zu gewinnen. Diese Methode lässt sich auch auf die Gegenwart und die heutigen, verdeckt agierenden Netzwerke wie GI übertragen. Diese nutzen ebenfalls Themen von öffentlicher, allgemeiner Relevanz, um diese im Sinne des parteieigenen Islamverständnisses zu interpretieren und Lösungen im Sinne der HuT-Ideologie im Netz und nun auch in der Öffentlichkeit zu präsentieren. Aufgrund des seit 2003 erlassenen Betätigungsverbotes sind Gruppierungen dieser Art jedoch gezwungen, die Verbreitung der Ideologie konspirativer als in der Vergangenheit vorzunehmen. In diesem Zusammenhang ist auch die am 3. März 2020 gegründete Gruppierung "Muslim Interaktiv" zu benennen. "Muslim Interaktiv" ist auf Facebook, Instagram und YouTube aktiv. Wenige Tage nach ihrer Gründung veranstaltete die Gruppierung eine Autokolonne im Bereich der Hamburger Innenstadt in Gedenken an die muslimischen Opfer eines rechtsextremistischen Anschlags in der hessischen Stadt Hanau am 19. Februar 2020. 61 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten Mit diversen - an den Fahrzeugen angebrachten - Aufklebern wurde auf die vermeintlich "von Politikern verursachte Hetze innerhalb der Gesellschaft gegen Muslime" hingewiesen. Mediale Aufmerksamkeit erlangte "Muslim Interaktiv" insbesondere mit zwei Protestaktionen vor der französischen Botschaft in Berlin am 30. Oktober 2020 und vor der österreichischen Botschaft in Berlin am 20. November 2020. Offiziell sollte die Demonstration vor der französischen Botschaft in Gedenken an zwei muslimische Frauen aus Paris durchgeführt werden, die am 18. Oktober 2020 Opfer eines islamfeindlich motivierten Angriffs geworden waren. Die Gruppierung nutzte die Aktion, jedoch um ihrer Kritik am französischen Staatspräsidenten Emmanuel Macron Ausdruck zu verleihen und zeigte sich mit ihren Teilnehmern in militärisch anmutender Formation vor dem Brandenburger Tor. Dabei trugen alle Beteiligten identische schwarze Kapuzenpullover mit dem Logo der Gruppierung auf der RückMit einem umfassenden Internetbeitrag informierte das LfV Hamseite (siehe www.hamburg.de/verburg auf seiner Homepage über "Muslim Interaktiv". fassungsschutz). www Provokative Aktionen dieser Art generieren eine enorme Aufmerksamkeit in der Öffentlichkeit und den sozialen Netzwerken und erhöhen die Reichweite der Gruppierung insbesondere bei der jüngeren Generation der muslimischen Community. Dabei ist nicht die Thematisierung gesellschaftlicher Missstände oder der Einsatz der Betroffenen für bestimmte Bevölkerungsgruppen problematisch, sondern die Zweckentfremdung bedeutsamer Themen unter Verschleierung der tatsächlichen Absichten. Die Zuordnung von "Muslim Interaktiv" zum ideologischen Umfeld der HuT resultiert aus den Bezügen der für die Social-Media-Präsenz verantwortlichen Personen zur Organisation. Die wiederholte Präsenz innerhalb dieser Video-Beiträge wird vom Verfassungsschutz als mitgliedschaftliches Bekenntnis zur Gruppierung gewertet. Die von der Gruppierung aufgegrif62 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten fenen Themen sowie der von ihnen angewandte Sprachgebrauch weisen deutliche Parallelen zu den bereits bekannten informellen Netzwerken Generation Islam (GI) und Realität Islam (RI) auf, die dem ideologischen Umfeld der - in Deutschland seit 2003 unter einem Betätigungsverbot stehenden - HuT zugerechnet werden. 7. Sonstige Aktivitäten von Islamisten in Hamburg Hamburger Al-Azhari-Institut propagiert islamistisches Weltbild Am 19. März 2020 informierte der Hamburger Verfassungsschutz in einem Internetbeitrag über die islamistischen Bezüge des in St. Georg angesiedelten Al-Azhari-Institutes (siehe www.hamburg.de/verfassungsschutz). Die Botschaft des Verfassungsschutzes: Wer an Veranstaltungen und Unterrichten des Instituts teilnimmt, macht mit Islamisten gemeinsame Sache. Der Verein "Al Azhari Islamisches Institut für Bildung - Weiterbildung und arabische Sprache e.V." in St. Georg. Die Einrichtung bot noch im ersten Quartal 2020 die verschiedensten Lehrgänge zum Thema Islam an. Das Lehrangebot richtet sich dabei ausdrücklich auch an Lehrer, Erzieher, Eltern, Schulklassen, Behörden oder kulturelle Einrichtungen. Darüber hinaus finden sich im Programm Koranund Sprachunterrichte für Erwachsene und Kinder. Damit solle, so das Institut, vorgeblich die "interkulturelle Arbeit" und der "interreligiöse Dialog" gefördert werden. Tatsächlich wird dort nach Erkenntnissen des Landesamtes für Verfassungsschutz ein Islamverständnis vermittelt, das mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht vereinbar ist. So war beispielsweise für Ende März 2020 eine Veranstaltungsreihe mit einem islamistischen Prediger angekündigt. Der Verfassungsschutz rät auch für die Zukunft von einer Teilnahme an Veranstaltungen ab. 63 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten Hinter dem Institut steht der 2013 gegründete Verein "Al Azhari Islamisches Institut für Bildung - Weiterbildung und arabische Sprache e.V.". Zweck des Vereins sei "die Förderung der Bildung und Erziehung, insbesondere bei Kindern und Jugendlichen, hinsichtlich der islamischen Theologie". Nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes werden aber tatsächlich islamistische Lehrinhalte vermittelt, die zum Wertekanon des Grundgesetzes in einem deutlichen Widerspruch stehen. Hiervon sind insbesondere der Gleichheitsgrundsatz und das Demokratieund Rechtsstaatsprinzip betroffen. Einige der Unterrichte wurden in den verschiedenen sozialen Netzwerken des Instituts veröffentlicht. Einige Beispiele für die islamistische Grundausrichtung: f 2018 vertrat Institutsleiter Mahmoud A. nach Erkenntnissen des Hamburger Verfassungsschutzes in einem Unterricht die Auffassung, dass die Frau dem Mann gegenüber gehorsam sein müsse. Für den Fall des Ungehorsams solle der Mann die Frau zunächst mit Worten mahnen und mit Nichtbeachtung bestrafen. Führe dies nicht zum Erfolg, dürfe die Frau als letztes Mittel auch geschlagen werden. Dies solle allerdings eher symbolisch geschehen. f In einem am 12. Februar 2020 veröffentlichten Video beschäftigte sich Mahmoud A. mit dem Thema "Die Ehe im Islam". Hier zeichnete er ein Bild der Frauenrolle, die dem Gleichheitsprinzip des Grundgesetzes diametral widerspricht. Ein Muslim dürfe zwar eine Nicht-Muslima heiraten, umgekehrt sei dies aber "haram" (verboten). Liebe und Zuneigung bei der Partnerwahl seien zwar wichtig, müssten aber in einem Scharia-konformen Rahmen gehalten werden. Die Frau habe die Befehle des Mannes zu befolgen und seine Erwartungen zu erfüllen. Sie dürfe nichts ohne seine Erlaubnis. In seinen Unterrichten stellt Mahmoud A. nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes deutlich heraus, dass Muslime in erster Linie die Scharia zu befolgen hätten. Das Grundgesetz sei nachgeordnet. Der Kern der wiederkehrenden Botschaft von A. ist, dass Werte und Normen der Scharia für alle Bereiche des Lebens passen und auch eingehalten werden müssten. Von Menschen gemachte Gesetze werden nicht nur in Frage gestellt, son64 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten dern sogar ausgeblendet. Diese Einstellung verstößt eindeutig gegen das Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes. In den Unterrichten und Veranstaltungen des Instituts wird zudem das Demokratieprinzip missachtet. Am 21. Februar 2020 fand im Institut eine Sonderveranstaltung zur bevorstehenden Bürgerschaftswahl statt. Im öffentlichen Schulsystem werde die islamische Erziehung überhaupt nicht berücksichtigt, die muslimischen Kinder würden angeblich einer Gehirnwäsche unterzogen. Ziel der anzustrebenden, länderübergreifenden "Ummah" (Gemeinschaft der Muslime) müsse es sein, von einer Minderheit zu einer Mehrheit zu werden. Dazu sollten Muslime Rechtsund Politikwissenschaften studieren, um der Ummah dienen zu können. Mahmoud A. forderte die Anwesenden auf, ein islamisches politisches System zu errichten. Es sei zwar aktuell nicht möglich, einen islamischen Status mit einem Scharia-System zu verwirklichen, jedoch könne man dies auf lange Sicht erreichen. Wahlen seien zwar grundsätzlich unislamisch, aber alle Muslime seien verpflichtet, auf ein islamisches System hinzuarbeiten - und unter dieser Voraussetzung dürfe man diejenigen wählen, mit denen man das Ziel erreichen könne. Die gewählten Politiker dürften aber auf keinen Fall die Gleichheit aller Religionen akzeptieren. In dieser Absicht, das Ziel einer islamistischen Gesellschaftsordnung auch durch Wahlen zu erreichen, fügt sich nahtlos die Gründung der "Friedenspartei" durch Mahmoud A. ein. Die Teilnahme an der Bürgerschaftswahl scheiterte nur knapp, da die erforderlichen Unterstützungsunterschriften erst kurz nach Abgabefrist abgegeben wurden. A. gab aber öffentlich sein Vorhaben bekannt, zur kommenden Bundestagswahl erneut anzutreten. In den Unterrichten des Mahmoud A. ist zudem ein deutlicher Antisemitismus erkennbar. Anfang 2020 behauptete er, dass alle Religionen angeblich unvollkommene Abwandlungen des Islam seien. Die Juden seien dabei im schlimmsten Irrtum. Sie würden Spendenpflichten aus Geiz nicht nachkommen. A. bemüht so ein klassisches Klischee des Antisemitismus. Am 1. Februar 2020 führte das Al-Azhari-Institut eine Kundgebung in Hamburg unter dem Motto: "Gemeinsam gegen Krieg - Gemeinsam für Frieden und Menschlichkeit" durch. An dieser Kundgebung nahmen circa 65 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten 200 Personen teil. A. griff hier die Unterdrückung der Uiguren in China als Impuls auf, um die Muslime in Hamburg und Umgebung zu mobilisieren. Ebenso versucht A. durch videographische Stellungnahmen mediale Aufmerksamkeit zu erzeugen und Muslime aus verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen für seine Ansichten zu gewinnen. Es ist auch nach der Veröffentlichung des Internetbeitrages des Hamburger Verfassungsschutzes zur islamistischen Einstellung des A. festzustellen, dass er weiterhin Aussagen tätigt, die sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung richten. Dies verdeutlichte insbesondere seine mediale Reaktion am 29. März 2020 auf den Internetbeitrag des LfV Hamburg. In dem circa siebenminütigen Video agitiert A. gegen den Hamburger Verfassungsschutz, der die Muslime systematisch unterdrücke sowie eine öffentliche Kriminalisierung der Muslime betreibe. A. lehnt die Vorgehensweise des Verfassungsschutzes ab und vergleicht diese mit der von totalitären Systemen. Weitere Aktivitäten des Al-Azhari-Instituts und Mahmoud A., darunter zwei Versammlungen im November 2020 in Hamburg, werden im folgenden Kapitel dargestellt. Reaktionen auf die Veröffentlichungen von Muhammad-Karikaturen in Hamburg In einem Internetbeitrag informierte das Landesamt für Verfassungsschutz bereits am 17. November 2020 die Öffentlichkeit über die Reaktionen der islamistischen Szene in Hamburg zur erneuten Veröffentlichung der umstrittenen Muhammad-Karikaturen im September 2020 (siehe Internetbeitrag des LfV Hamburg vom 17. November 2020 über die www.hamburg.de/verfassungsReaktionen der islamistischen Szene zu den erneuten Veröffentlichungen der Muhammad-Karikaturen. schutz). Diese standen im Zusammenhang mit dem Prozessbeginn www gegen mutmaßliche Komplizen der Charlie-Hebdo-Attentäter und hatten sowohl in der muslimischen Gemeinschaft in Frankreich als auch in der gesamten islamischen Welt antifranzösische Ressentiments bis hin zu Morden ausgelöst. Es kam zu mehreren Messerattentaten in Paris, unter ande66 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten rem der Enthauptung des Lehrers Samuel Paty am 16. Oktober 2020 in einem Vorort von Paris. Am 29. Oktober 2020 tötete ein weiterer Attentäter in Nizza drei weitere Menschen. Diese Ereignisse bewegten auch die Angehörigen der islamistischen Szene in Hamburg. Die als Beleidigung des Propheten empfundenen Karikaturen wurden über alle organisatorischen Grenzen innerhalb der islamistischen Klientel beklagt und Frankreich scharf für seine vermeintliche antiislamische Politik verurteilt. Die Morde hingegen wurden kaum kritisiert, in einzelnen Fällen sogar begrüßt, als folgerichtig und für gerechtfertigt erachtet. Hier einige Beispiele der Reaktionen: f In den sozialen Medien veröffentlichten Salafisten positive Stellungnahmen zu den Anschlägen und huldigten dem Attentäter. So wurde der ermordete Lehrer als "Hund" verunglimpft und zum Widerstand gegen die Meinungsfreiheit aufgerufen. Der Prophet sei "wichtiger als jede wertvolle Person in unserem Leben; niemand hat das Recht ihn zu beleidigen. Niemand soll zulassen, dass jemanden unsere ehrenvolle Religion mit Taten oder Worten angreift, egal was der Preis dafür ist." Am 18. Oktober 2020 postete ein Hamburger Salafist ein Bekenner-Video des Mörders von Paty, das mit einem französischen Nashid unterlegt ist. Auszugsweise heißt es in diesem Kampflied: "Wir müssen Frankreich schlagen, es ist die Zeit, sie zu demütigen. Wir wollen Leid und TodesINFOBOX Die musikalische Stilrichtung Naschid wird in der salafistischen Szene häufig als Kampf-Naschid verwendet, in denen der gewaltsame Dschihad gegen sogenannte Ungläubige besungen wird. Die Hymnen der radikal-islamistischen Szene kommen vielfach auch in Propaganda-Videos zum Einsatz. [Quelle: Behnam T. Said, Hymnen des Jihads: Naschids im Kontext jihadistischer Mobilisierung, Baden-Baden 2016.] 67 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten fälle zu Tausenden sehen". f Die grauenvollen Taten wurden aber nicht nur von Salafisten im Internet gefeiert und thematisiert. Der Leiter des Al-Azhari-Instituts thematisierte ebenfalls online die empfundenen Beleidigungen des Propheten und sorgte aktiv mit verschiedenen Statements für eine Polarisierung in der islamistischen Community. Er unterstellte der deutschen Gesellschaft eine "Islamophobie", die jeden Tag auf die Muslime diskriminierend wirke. In Hamburg würden die Moscheen respektlos behandelt, und Polizei und Verfassungsschutz würden Muslime immer wieder angreifen. Erneut sprach er sich gegen eine Integration aus und unterstrich, dass die Scharia ein zu beachtender Bestandteil des islamischen Glaubens sei, der nur von Muslimen "gedeutet" werden dürfe. Am 8. November 2020 nahmen an einer vom Leiter des Al-Azhari-Instituts angemeldeten Demonstrationen unter dem Tenor "Wir sind gegen Diskriminierung und für ResDie mehrheitlich von Islamisten durchgeführte Demonstration am pekt unseres Propheten Muham8. November 2020 in Hamburg. mad" 280 Menschen teil, darunter mehrheitlich Islamisten aus verschiedenen Organisationen. Auf eine Verurteilung der Morde wartete man vergebens. f Die islamistische Furkan-Gemeinschaft zeigte sich angesichts der jüngsten terroristischen Anschläge in Europa janusköpfig. Während sie den Anschlag in Wien vom 2. November 2020 auf ihrer Facebook-Seite verurteilte, blieb eine Distanzierung von den Messerattacken in Frankreich bisher aus. f Auch das Netzwerk um die islamistische Hizb-ut Tahrir (HuT) beschäftigte sich mit der Veröffentlichung der Muhammad-Karikaturen. Auf der Facebook-Seite von "Generation Islam" (GI), einer Vorfeldorganisation der HuT, hieß es: "Wir, die Unterzeichnenden verurteilen die immer wiederkehrenden Beleidigungen gegenüber dem Propheten Muhammad". Man fordere die französische Regie68 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten rung auf, ihre Kampagne der Feindseligkeit zu beenden. Der Versuch, einen Shitstorm über die Plattform Twitter unter dem Hashtag #StopMacron auszulösen, wurde durch das Sperren des GI-Accounts gestoppt. Trotzdem landete dieses Hashtag am 30. Oktober 2020 auf Platz 2 der Twitter-Trends deutschlandweit. f Selbst die bisher weitgehend inaktive Tabligh-i Jamaat (TJ) beteiligte sich am 2. Oktober 2020 an einer Kundgebung vor dem Französischen Konsulat in Hamburg unter dem Tenor "Demonstration gegen die erneuten provokanten Karikaturen des Propheten Muhammads". f Die islamistisch-nationalistische Ülkücü-Bewegung griff insbesondere das Verbot der "Grauen Wölfe" in Frankreich auf und stellte in verschiedenen Postings den französischen Präsidenten als Schwein oder Hund dar ( siehe Kapitel III., Punkt 5.2 "ADÜTDF/ Türkische Nationalisten"). Der Boykott-Aufruf des türkischen Präsidenten gegen französische Waren wurde durch die Ülkücü-Anhänger nachdrücklich begrüßt und verteidigt. Insgesamt wird in vielen Postings die Überzeugung ausgedrückt, in Europa herrsche Islamfeindlichkeit und Europa starte einen "neuen Kreuzzug". Die vorgenannten Beispiele machen deutlich, dass die Ereignisse in Frankreich auch einen unmittelbaren Einfluss auf die islamistische Szene in Hamburg hatten. Im salafistischen Spektrum werden die Morde teilweise begrüßt. Andere islamistische Organisationen reagieren auf die Karikaturen erbost, durch eine ausbleibende Distanzierung drücken aber auch sie gleichzeitig ein stillschweigendes Verständnis für diese Taten aus. Schon am 6. Oktober 2020 wurde auf sozialen Medien (Youtube, Facebook) ein Video hochgeladen, in dem Mahmoud A. den französischen Präsidenten für seinen angeblichen Regierungskurs gegen den Islam scharf kritisierte. Hinzu kommen verschwörungserzählerische Ansätze des A., der dem französischen Präsidenten vorwirft, durch Diskussionen über den Islam und Islamismus von sozialen, wirtschaftlichen und politischen Krisen im Land abzulenken. Darüber hinaus glorifiziert A. die rigide Herrschaft des Osma69 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten nischen Reiches, in welcher religiöse Minderheiten wie Juden angeblich sicher und frei gelebt hätten. Am Freitag, den 20. November 2020 fand eine weitere im Vorfeld von Politik und Medien heftig kritisierte Demonstration unter dem Tenor "Gegen Respektlosigkeit gegenüber unseres Propheten Muhammad" statt. Auch hieran beteiligten sich Islamisten, worüber der Verfassungsschutz vorher die Öffentlichkeit informierte. Für die Versammlung mobilisierte erneut auch das Al-Azhari-Institut. Teile der 160 Demonstranten führten Plakate mit dem Schriftzug "We love Mohammed!" mit sich. Zudem wurde ein grünes Transparent mit den Schriftzügen "Demonstration for love of our Prophet", "Against: Islamophobia, Racism, Discrimination, Insult" und "For: Anti-Islamophobia, Tolerance, Acceptance, Respect" während des Protestmarsches gezeigt und lautstark in arabischer Sprache skandiert. Die Kundgebung wurde zwar nicht von Mahmoud A. angemeldet, jedoch war sein Name als Veranstalter auf einem Transparent angegeben und das Logo des Al-Azhari-Instituts abgebildet. Zeitgleich zu dem Protestmarsch hatte es auch eine Anmeldung zu einer Gegenkundgebung gegeben. Aus diesen Reihen heraus wurden zu Beginn der Kundgebung Plakate gezeigt mit den Schriftzügen "Keine Scharia, kein Dschihad, kein Kalifat!" und "Islamismus tötet". Dieser Kundgebung folgten etwa 60 Teilnehmer. Als der Protestmarsch die Gegenkundgebung passierte, gab es auf beiden Seiten deutliche Unmutsbekundungen, emotionale Reaktionen und gegenseitige Anfeindungen, die mutmaßlich nur aufgrund großer Polizeipräsenz nicht eskalierten. Auf dem Rathausmarkt gab es seitens der Teilnehmer der Kundgebung "Gegen Respektlosigkeit gegenüber unseres Propheten Muhammad" eine Abschlusskundgebung, an Kundgebung auf dem Rathausmarkt an der u.a. der noch rund 60 Personen teilnahmen. Einer Mahmoud A. als Redner teilnahm. der Redner war Mahmoud A. Er behauptete in seiner Rede "Wir sind deutsche Muslime" und keine "bösen Bürger", kritisierte jedoch "die Frechheiten gegen unseren Propheten". Zudem beklagte er, dass die Medien und der Verfassungsschutz über die Muslime nur negativ berichteten. Insofern verfolgt A. wie andere extremistische Gruppierun70 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten gen auch, die Strategie der Entgrenzung - der gezielten Besetzung gesellschaftlich relevanter Themen, um mit demokratischen Initiativen Bündnisse zu schließen. 8. Schiitischer Islamismus 8.1. Hizb Allah Die schiitische Hizb Allah wurde im Sommer 1982 nach dem Einmarsch israelischer Truppen in den Libanon auf iranische Initiative gegründet. Sie entwickelte sich aufgrund massiver iranischer Unterstützung rasch zu einer militanten Sammlungsbewegung libanesischer Schiiten mit Schwerpunkten im Bekaa-Tal, Süd-Libanon und den Vororten Flagge der Hizb Allah von Beirut. Hier agiert sie, neben staatlichen Behörden und Strukturen, als parastaatliche Ordnungsmacht. Eine Entwaffnung dieser Miliz ist nach wie vor eine nicht umgesetzte Forderung der UN-Resolution 1559 vom September 2004. Von den USA, Großbritannien, Kanada, Israel und den Staaten der Arabischen Liga wird die gesamte Hizb Allah als Terrororganisation eingestuft; Europa und Australien stufen den militärischen Arm der Hizb Allah als Terrororganisation ein. Am 30. April 2020 hat das Bundesministerium des Innern die Betätigung der schiitischen Terrororganisation Hizb Allah in Deutschland verboten. Wichtigstes Ziel der Hizb Allah ist der Kampf - auch mit terroristischen Mitteln - gegen Israel als vorgeblich "unrechtmäßigen Besatzer palästinensischen Bodens", den die Hizb Allah als "legitimen Widerstand" bezeichnet. Das lange propagierte Fernziel, die Umwandlung der staatlichen und gesellschaftlichen Strukturen des Libanon in eine Gesellschaftsordnung nach iranischem Vorbild, hat sich im Lauf der Zeit gewandelt. Nunmehr steht die allgemeinere Forderung nach mehr politischem Einfluss und einer Revision des konfessionellen Proporzsystems (die sogenannte "Taifija") im politischen und administrativen Bereich zugunsten der Muslime, insbesondere 71 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten der Schiiten, im Vordergrund. Die enge ideologische Beziehung zum Iran, verbunden mit einer finanziellen Abhängigkeit, besteht jedoch unverändert fort. So gestand der politische Führer der Hizb Allah und zugleich Oberbefehlshaber der Hizb Allah-Miliz, Hassan Nasrallah, am 24. Juni 2016 in einer Ansprache im Hizb Allah-eigenen Fernsehsender Al Manar, dass alles, was die Hizb Allah brauche, wie Geld, Waffen und Nahrungsmittel, direkt aus dem Iran käme. INFOBOX Taifija - Libanon hat eine parlamentarische Demokratie, in der ein konfessioneller Proporz gilt. Die politische Macht wird nach religiöser Zugehörigkeit aufgeteilt. Laut Abkommen von Ta'if muss der libanesische Staatspräsident Christ (Vertreter der mit Rom verbundenen maronitisch-katholischen Kirche), der Premierminister sunnitischer Moslem und der Parlamentspräsident schiitischer Moslem sein. Die Parlamentssitze werden je zur Hälfte an Christen und Muslime verteilt. Unter dem Dach der Hizb Allah agieren eine seit 1992 im libanesischen Parlament vertretene Partei, verschiedene Wohlfahrtsorganisationen sowie der militärische Flügel "Islamischer Widerstand" (al-Muqawama al-Islamiya). Die Hizb Allah ist im Libanon seitdem zu einem festen Bestandteil des politischen Systems geworden, was sich in ihrem Wahlsieg - als führender Koalitionspartner in einem Bündnis verschiedener Parteien - bei den Parlamentswahlen am 6. Mai 2018 zeigte. Generalsekretär Hassan Nasrallah wird von seinen Anhängern verehrt und ist einer der führenden Vertreter des schiitischen Islamismus sowie ein einflussreicher Politiker im Libanon. Der im Nachbarland Syrien andauernde Bürgerkrieg gegen das Regime von Präsident Bashar al-Assad hat massive Auswirkungen auf die Sicherheitslage und Innenpolitik im Libanon. Fortlaufend gibt es auch auf libanesischem Staatsgebiet bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen Gegnern und Unterstützern al-Assads, zu denen die Hizb Allah zählt. So hat Hassan Nasrallah wiederholt erklärt, dass die Hizb Allah bis zum Sieg an der Seite 72 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten des syrischen Machthabers al-Assad, dessen Regime von der UN massive Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen werden, kämpfen werde. Auch mit Israel gab es im Jahr 2019 bewaffnete Auseinandersetzungen, die Nasrallah zuvor angekündigt hatte. Die Hizb Allah versuchte 2020 die Corona-Pandemie im Libanon für sich öffentlichkeitswirksam zu nutzen, in dem sie unter anderem im Beiruter St.-Georg-Krankenhaus Plätze für infizierte Bürger gewährleistete und für deren Behandlung finanziell aufkommt. Die Explosionskatastrophe im Hafen von Beirut am 4. August 2020 schadete hingegen dem Image der Hizb Allah. Kurz nach der Katastrophe kamen Gerüchte über mögliche Verbindungen der Hizb Allah zu dem explodierten Ammoniumnitrat-Lager auf, welche bisher allerdings nicht bestätigt werden konnten. In Deutschland sind derzeit rund 30 Kulturund Moscheevereine bekannt, in denen sich regelmäßig eine Klientel trifft, die der Hizb Allah und ihrer Ideologie nahesteht. Die Vereinsaktivitäten beschränken sich auf interne Treffen, Diskussionsveranstaltungen und religiöse Feiern wie Ramadan oder Ashura. INFOBOX Der Ramadan ist der Fastenmonat der Muslime und der neunte Monat des islamischen Kalenders. Im Ramadan wurde nach islamischer Auffassung der Koran herabgesandt. Ashura wird der zehnte Tag des Monats Muharram genannt, des ersten Monats im islamischen Kalender. Dieser Tag ist für Muslime auf der ganzen Welt bedeutsam und wird unterschiedlich gefeiert. Diese Vereine bemühen sich, die Bindungen der hier lebenden Libanesen an ihre Heimat und an die Hizb Allah zu festigen. Darüber hinaus gehört das Sammeln von Spendengeldern zu ihren wichtigsten Aufgaben. Der 73 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten Organisation wurden Ende 2020 bundesweit etwa 1.250 Anhänger (2019: 1.050) zugerechnet. Die Anordnung Hassan Nasrallahs an die Anhänger der Hizb Allah, sich in Deutschland gesetzeskonform zu verhalten, um keine Angriffsfläche für staatliche Maßnahmen zu bieten, wurde auch im Jahr 2020 befolgt. Auch der Syrienkonflikt und die dadurch angespannte Sicherheitslage im Libanon haben bisher nicht zu öffentlich wahrnehmbaren Reaktionen von Hizb-Allah-Sympathisanten in Deutschland geführt. In Hamburg gibt es etwa 70 Hizb-Allah-Anhänger (2019: 50), die unter anderem im "Islamischen Zentrum Hamburg" bzw. der dazugehörigen "Imam-Ali-Moschee" verkehren ( siehe Kapitel 8.2 "Iranische Islamisten"), um dort an den Freitagsgebeten oder anderen religiösen Veranstaltungen teilzunehmen. Der Grund für den deutlichen Anstieg im Vergleich zum Vorjahr ist neben dem weiteren Zulauf in die Szene die intensivierte Aufklärung der Hizb Allah-Aktivitäten durch den Verfassungsschutz. Am 30. April 2020 gab das Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat bekannt, dass die Hizb Allah deutschlandweit mit einem Betätigungsverbot belegt wird. Am selben Tag fanden Durchsuchungen von verschiedenen Moscheen und Vereinen in Münster, Dortmund, Bremen und Berlin statt. Diese Maßnahmen führten auch außerhalb Deutschlands insbesondere beim iranischen Regime für Verstimmung sowie bei dem Vorsitzenden der Hizb Allah, Hassan Nasrallah, im Libanon. Sowohl der iranische Revolutionsführer als auch die Führung äußerten sich öffentlich kritisch zu dem Betätigungsverbot. 8.2. Das islamische Zentrum Hamburg e.V. (IZH) und sonstiger schiitischer Extremismus in Deutschland Die Islamische Republik Iran ist einerseits ein politisches System mit gewählten Gremien und einem Parlament, andererseits eine theokratische Ordnung. Präsident Hassan Rohani repräsentiert in ihrem Rahmen die Republik und hat sich unter anderem vor dem Volk zu verantworten; der 74 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten oberste Religionsgelehrte Ali Khamenei hingegen gilt als Stellvertreter des zwölften Imams, Muhammad ibn Hasan al-MahdÄ", des sogenannten "verborgenen Imams". Dieser sei im 9. Jahrhundert nach seiner Geburt aus Schutz vor Feinden "entrückt", lebe im Verborgenen und werde wiederkehren, um die Führung zu übernehmen und die Die Flagge der "islamischen Republik Iran" mit dem in Welt zu erlösen. der Mitte stehenden Hoheitszeichen, welches in stilisierter persisch-arabischer Schrift das Wort "Allah" (Gott) zeigt. Die Rolle des obersten Korangelehrten als Platzhalter des verborgenen Imams mit nahezu unbegrenzter weltlicher Machtfülle formulierte der Gründer der Islamischen Republik Iran, der 1989 gestorbene Großayatollah Khomeini, mit dem Prinzip der "Velayat-e faqih", der absoluten Herrschaft des anerkannten Rechtsgelehrten beziehungsweise des Klerus. Religionsführer Khamenei bestimmt - trotz massiver Verwerfungen innerhalb des Establishments und teilweise mangelnder Anerkennung in klerikalen Kreisen - nach wie vor die Richtlinien in grundlegenden politischen Fragen. Hierzu steht ihm mit dem sogenannten "Beyt-e rahbar" ein eigenes Steuerungs-, Machtund Finanzinstrument zur Verfügung, das zwar eine informelle, aber vor allem zentrale politische Funktion innerhalb des Iran einnimmt und mit Tausenden Mitarbeitern der faktischen Durchsetzung des Prinzips der Herrschaft des Obersten Rechtsgelehrten (siehe oben: "Velayat-e faqih") dienen soll. Sowohl auf der innenwie außenpolitischen Bühne wird ein antiwestlicher und rigoros islamistischer Kurs mit dem in der iranischen Verfassung deklarierten Leitmotiv der Islamisierung der westlichen Nationen ("Export der islamischen Revolution") gepflegt. Proiranische Einrichtungen in Deutschland sind grundsätzlich als Instrumente der iranischen Staatsführung zu bewerten, die deren theokratische Staatsdoktrin vertreten. Sie repräsentieren eine Werteordnung, die mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht vereinbar ist. Regimegegner sowie religiöse und ethnische Minderheiten sind regelmäßig Opfer staatlicher Repressionen, was sich unter anderem in der hohen Anzahl an Hinrichtungen zeigt. Zu diesen Opfern zählten auch Menschen, 75 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten die aufgrund ihrer gleichgeschlechtlichen Ausrichtung verurteilt und hingerichtet wurden. INFOBOX Theokratie - wenn sich der Staat auf göttliche Gesetze beruft: Das Wort "Theokratie" rührt aus dem Altgriechischen her ("Gottesherrschaft"). In einem theokratischen Staat legitimieren die Machthaber ihre Autorität und Herrschaft, indem sie sich auf einen göttlichen Willen berufen. Die Herrscher sind sowohl politische als auch religiöse Führer, und auch vom Volk gewählte Politiker werden von religiösen Führern streng kontrolliert. Theokratien sind meist repressiv und totalitär, unterdrücken Pluralismus und Meinungsfreiheit und beanspruchen oberste Autorität in Fragen der Ethik, Moral, Weltanschauung und sogar des Lebensstils. Theokratie und freiheitliche demokratische Grundordnung schließen sich aus. 76 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten Die iranische Staatsführung äußert sich seit Jahrzehnten antiisraelisch, regelmäßig wird der Staat Israel als "Krebsgeschwür" bezeichnet. Der oberste Religionsführer Khamenei sagte im September 2015, dass Israel "das Ende der kommenden 25 Jahre" nicht mehr erleben werde. Vom 31. Dezember 2019 bis zum 2. Januar 2020 kam es zu Großdemonstrationen und Angriffen gegen die "Green Zone" im Zentrum der irakischen Hauptstadt Bagdad. Den Demonstrationen gingen gegenseitige Angriffe zwischen Iran-loyalen schiitischer Milizen und dem US-Militär voraus. Die US-Regierung warf dem Iran vor, für die Angriffe auf die "Green Zone" unmittelbar verantwortlich zu sein und drohte mit erheblichen Konsequenzen. INFOBOX Green Zone - Die "Green Zone", auch als "International Zone of Baghdad" bezeichnet, ist ein zehn Quadratkilometer großes Areal, in dem sich unter anderem das irakische Parlament, der Sitz der irakischen Übergangsregierung sowie die US-amerikanische Botschaft befindet. Es gilt als das Zentrum internationaler Präsenz der Stadt. Am 3. Januar 2020 wurde schließlich der iranische General und Anführer der nachrichtendienstlichen Spezialeinheit der Revolutionsgarden, Qassem Soleimani, auf Befehl des US-Präsidenten Donald Trump durch eine US-amerikanische MQ-9-Reaper-Drohne ("Reaper" zu Deutsch "Sensenmann") am Flughafen Bagdad getötet. Neben Soleimani starb bei dem Angriff auch der einflussreiche Kommandeur einer schiitisch-irakischen Miliz, Brigadegeneral Abu Mahdi al-Muhandis. Dieser Vorfall führte zwischenzeitlich zu extremen Anspannungen zwischen der Islamischen Republik Iran und den USA, in deren Folge das iranische Militär die Al-Asad Airbase sowie den Militärstützpunkt im nordirakischen Erbil mit Raketen beschoss. Zudem kam es zu erneuten Angriffen von Iran-treuen irakischen Milizen auf die "Grüne-Zone" in Bagdad. 77 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten Bei den genannten iranischen Raketenangriffen auf US-Basen im Irak wurde versehentlich ein ukrainisches Passagierflugzeug von der iranischen Flugabwehr erfasst und zum Absturz gebracht, hierbei kamen alle 167 Passagiere und neun Besatzungsmitglieder ums Leben. Dies führte nicht nur zu weiteren internationalen Spannungen, sondern auch zu Protesten im eigenen Land. Die Exekution des iranischen Ringers Navid Afkari am 12. September 2020 in Shiras, dem vorgeworfen wurde, bei Protesten im September 2018 einen Sicherheitsbeamten erstochen zu haben, führten zu weiteren internationalen Spannungen und inländischen Protesten. Zu weiteren enormen politischen Spannungen insbesondere mit Israel führte die Tötung des iranischen Atomwissenschaftlers Mohsen Fachrisadeh am 27. November 2020 in der Nähe von Teheran. Für das Attentat, bei dem Fachrisadeh und mehrere seiner Leibwächter angegriffen wurden, macht die iranische Regierung den israelischen Nachrichtendienst Mossad verantwortlich. Hamburg In Hamburg befindet sich eine wichtige proiranische Einrichtung, die an der Außenalster gelegene schiitische "Imam Ali-Moschee" (siehe folgende Doppelseite), deren Trägerverein das "Islamische Zentrum Hamburg e.V." (IZH) ist. Die Position des IZH-Leiters wird traditionell mit einem linientreuen Anhänger der iranischen Staatsdoktrin und der islamischen Revolutionsziele besetzt. Er gilt als Vertreter des RevolutionsLogo des IZH führers Khamenei in Europa und in der schiitischen Gemeinde als religiöser Repräsentant des Iran. Seit August 2018 ist Dr. Mohammad Hadi Mofatteh Leiter des IZH. Der langjährige IZH-Leiter Dr. Reza Ramezani wurde in den Iran zurückbeordert. Mofatteh ist ein versiert geschulter Vertreter des gegenwärtigen Regimes in Teheran. Eigenen Angaben zufolge habe er ab 1991 als wehrpflichtiger Offizier mit Universitätsabschluss im Korps der "Armee der Wächter der Islamischen Revolution" (informell: Revolutionsgarden) gedient, wobei er als Computerspezialist aktiv gewesen sein soll. Mofattehs Familie ist fest in die 78 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten staatlich-religiöse Elite des Iran eingebunden. Er selber agierte langjährig in verschiedenen Führungsfunktionen staatlich gelenkter Medienstellen. Das IZH ist eines der wichtigsten Zentren seiner Art in Europa, das von schiitischen Muslimen verschiedener Nationen als zentrale religiöse Anlaufstelle genutzt wird - neben Iranern vor allem von Afghanen, Arabern, Libanesen, Pakistanern und Türken sowie deutschen Konvertiten. In der Moschee finden regelmäßig Gebetsveranstaltungen sowie eine Vielzahl religiöser Feierlichkeiten statt. Zudem werden diverse Lehrveranstaltungen angeboten, so etwa islamischer Religionsunterricht für Kinder und Sprachunterricht in den Sprachen Arabisch, Deutsch und Farsi. In der Öffentlichkeit treten Funktionäre und Unterstützer des IZH erheblich gemäßigter auf als beispielsweise Salafisten und suchen aktiv den gesellschaftlichen Kontakt, zum Beispiel mit Einladungen zum "Tag der offenen Moschee" (zuletzt am 3. Oktober 2019) oder mit der Organisation von Diskussionsveranstaltungen. Die alljährlich in Berlin stattfindenden Quds-Demonstrationen gegen den israelischen Staat fanden in diesem Jahr, bedingt durch die Corona-Pandemie, nicht statt. Stattdessen wurde von einem im niedersächsischen Delmenhorst ansässigen schiitischen Extremisten Yavuz Ö. ein Online-QudsTag veranstaltet, bei dem verschiedene Gemeinden ihre Beiträge beisteuern konnten. Yavuz Ö. unterhält enge Beziehungen zum IZH und hat dort in der Vergangenheit verschiedentlich Veranstaltungen durchgeführt. Das LfV Hamburg berichtet über das IZH seit der Veröffentlichung des ersten gedruckten Verfassungsschutzberichtes vor rund drei Jahrzehnten. Aufgrund der vorliegenden Erkenntnisse über Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung wäre diese Berichterstattung auch ohne eine Beteiligung des IZH in den vergangenen Jahren (Funktionäre oder Besucher) am Quds-Tag in Berlin erfolgt. INFOBOX Al-Quds ist der arabische Name für die Stadt Jerusalem. Der Quds-Tag wurde vom iranischen Regime nach der Machtübernahme 1979 als Feiertag eingeführt. 79 Die an der Hamburger Außenalster gelegene schiitische "Imam Ali-Moschee". Trägerverein ist das "Islamische Zentrum Hamburg e.V." (IZH) Foto: LfV HH Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten Das IZH strebt den "Export der islamischen Revolution" an, unter anderem mittels einer umfangreichen Öffentlichkeitsarbeit. Die Inhalte sind dabei moderat formuliert und bieten nur selten Angriffsflächen. Nach außen stellt sich das IZH als rein religiöse Einrichtung dar, die keine politischen Aktivitäten gestattet. Üblicherweise wird eine öffentliche Verbindung oder Identifizierung mit der iranischen Staatsführung vermieden. Dennoch ist das Staatsund Gesellschaftsverständnis des IZH vom Primat der Religion gegenüber Demokratie und Rechtsstaat geprägt. In Deutschland existiert eine Reihe schiitisch-islamischer Zentren und Organisationen. Das IZH hat ein bundesweites Kontaktnetz aufgebaut und übt auf Schiiten unterschiedlicher Nationalität sowie die schiitisch-islamischen Moscheen und Vereine Einfluss aus, bis hin zur vollständigen Kontrolle. Über diese Organisationen sorgt das IZH unter anderem mit finanziellen Mitteln für die Verbreitung der iranischen "Revolutionsidee" in unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen wie Religion, Bildung und Sport. Das IZH ist in einigen islamischen Dachverbänden vertreten, die derzeit nicht vom Verfassungsschutz beobachtet werden. In Hamburg wirkt es in führender Position in der zentralen islamischen Organisation "Rat der islamischen Gemeinschaften in Hamburg e.V." (SCHURA), einem Zusammenschluss zahlreicher Moschee-Trägervereine, mit. Auf Bundesebene sind Vertreter des IZH im "Zentralrat der Muslime in Deutschland" (ZMD) und in der "Islamischen Gemeinschaft der schiitischen Gemeinden in Deutschland e.V." (IGS) aktiv, auf europäischer Ebene in der "Islamisch-Europäischen Union der Schia-Gelehrten und Theologen" (IEUS). Die IGS und IEUS sind Beobachtungsobjekte des Verfassungsschutzverbundes. 82 Verfassungsschutz in Hamburg Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Gruppierungen mit Auslandsbezug Linksextremismus Rechtsextremismus Reichsbürger und Selbstverwalter Scientology-Organisation Spionageabwehr und Wirtschaftsschutz Geheimund Sabotageschutz Anhang Extremismus mit Auslandsbezug Der Verfassungsschutz beobachtet alle extremistischen Bewegungen in Deutschland. Darunter fallen auch extremistische Gruppierungen aus dem Ausland, die ihren Ursprung nicht in Deutschland haben, aber in Deutschland aktiv sind, um die politischen Verhältnisse in ihren Heimatländern durch antidemokratisches Verhalten zu verändern. Den meisten dieser Organisationen gilt Deutschland als sicherer Rückzugsraum. Von hier aus unterstützen sie ihre Heimatorganisationen propagandistisch, aber auch durch den Nachschub von Geld, Material und neu rekrutierten Kämpfern. Entsprechend ihrer politischen Ausrichtung handelt es sich dabei um linksoder rechtsextremistische sowie separatistische Organisationen, die ihre Konflikte nach Deutschland importieren. Die Zusammensetzung dieser Gruppen ist häufig heterogen und vereint ausländische und deutsche Staatsangehörige mit oder ohne Migrationshintergrund. Diese Organisationen aus dem Ausland unterliegen der Beobachtung des Verfassungsschutzes, wenn: f sie gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland verstoßen, f sie ihre politischen Auseinandersetzungen mit Gewalt auf deutschem Boden austragen und dadurch die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gefährden, f sie vom Bundesgebiet aus Gewaltaktionen in anderen Staaten durchführen oder unterstützen und dadurch auswärtige Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zu diesen Staaten gefährden, f sich ihre Aktivitäten gegen den Gedanken der Völkerverständigung, insbesondere das friedliche Zusammenleben der Völker, richten. Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Gruppierungen mit Auslandsbezug III. Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Gruppierungen mit Auslandsbezug 1. Entwicklungen und Schwerpunkte Die Aktivitäten extremistischer Gruppierungen mit Auslandsbezug in Deutschland stehen in einem engen Kontext zu den politischen, sozialen, wirtschaftlichen und ethnischen Entwicklungen und Auseinandersetzungen in den jeweiligen Heimatländern. Auch wenn sich ihre Anhänger in Deutschland legal verhalten und die Bundesrepublik als Rückzugsraum dient, werden sie vom Verfassungsschutz beobachtet. Aufgrund ihrer linksextremistischen, rechtsextremistischen oder separatistischen Ziele sowie der Propagierung oder Vorbereitung von Gewalt insbesondere in ihren Heimatländern gefährden sie die auswärtigen Belange Deutschlands. So befürworten zum Beispiel militante türkische Linksextremisten Terroranschläge ihrer Gruppierungen in der Türkei, um das dortige politische System gewaltsam zu überwinden. Die in Hamburg zahlenmäßig und politisch bedeutsamsten Vereinigungen sind die kurdische Arbeiterpartei PKK ("Partiya Karkeren Kurdistan") sowie die linksextremistische türkische "Revolutionäre Volksbefreiungs-Front" (DHKP-C). Beide Organisationen werden seit 2002 von der Europäischen Union auf der Liste der terroristischen Organisationen geführt. Der Verfassungsschutz beobachtet zudem die Aktivitäten türkisch-nationalistischer Rechtsextremisten wie der "Ülkücü"-Bewegung. Das kurdische Neujahrsfest "Newroz", ansonsten ein traditioneller und bedeutender Höhepunkt des PKK-Jahreskalenders, fiel im Jahr 2020 pandemiebedingt aus. Die für den 21. März 2020 geplante identitätsstiftende Großveranstaltung in Frankfurt am Main konnte ebenfalls nicht durchgeführt werden. Daneben rief die PKK bundesweit zu einem Tourismusboykott gegen die Türkei auf und nahm an Protestaktionen teil, die anlässlich des Besuchs zweier türkischer Minister in Berlin stattfanden. 86 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Gruppierungen mit Auslandsbezug Ab Sommer 2020 wurden auch wieder öffentlichkeitswirksame Aktivitäten der DHKP-C bundesweit registriert. Diese fanden meist in der Form von Mahnwachen zugunsten gestorbener Mitglieder ("Todesfasten") der Terrororganisation DHKP-C nahestehenden Musikgruppe "Grup Yorum" statt. So starben im Frühjahr 2020 zwei Bandmitglieder nach längerem Hungerstreik. Zu diesem Sachverhalt gab es am 28./29. August 2020 dezentrale bundesweite Standkundgebungen, eine auch in Hamburg. Am 4. Oktober 2020 fand zudem in Hamburg-Harburg ein Konzert von "Grup Yorum" statt. Die DHKP-C betreibt das sogenannte "Todesfasten" als eine Art Hungerstreik mit vereinzelt tödlichem Ausgang. Während der letzten Periode des "Todesfastens" (2000-2006) kamen rund 120 Aktivisten der DHKP-C bzw. der Musikgruppe "Grup Yorum" zu Tode. Die Teilnahme am "Todesfasten" ist gleichbedeutend und gleichwertig mit der Teilnahme am bewaffneten Kampf, denn beides bedeutet aus Sicht der Organisation, mitunter das eigene Leben für ein höherstehendes Ziel aufzugeben. "In Hamburg fiel zuletzt auch die israelfeindliche "Boycott, Divestment, Sanctions"-Bewegung durch verschiedene Aktivitäten und die Zusammenarbeit mit anderen Gruppierung auf ( siehe Kapitel IV, Punkt 5.3.1. "DKP Hamburg, SDAJ Hamburg und Marxistische Abendschulen"). 2. Potenziale Personenpotenziale Auslandsextremismus - Bund Im Jahr 2020 betrug die Zahl der Anhänger extremistischer Organisationen mit Auslandsbezug in Deutschland (ohne Islamisten) 28.650 Personen (2019: 28.820) und bleibt damit etwa auf dem Niveau des Vorjahres. Davon wurden rund 17.150 Personen (2019: 17.110) linksextremistischen und 11.500 Personen (2019: 11.650) rechtsextremistischen Organisationen zugerechnet. 87 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Gruppierungen mit Auslandsbezug Die zahlenmäßig größte Gruppe entfällt mit rund 14.500 Personen (2019: 14.500) weiterhin auf kurdische extremistische Gruppierungen. Anhänger des türkisch-nationalistischen Extremismus stellen mit 11.000 Anhängern (2019: 11.000) eine ebenso bedeutende Gemeinschaft dar. 30.000 30.050 30.550 30.350 29.330 29.050 28.810 28.110 28.820 28.650 25.000 26.410 20.000 15.000 10.000 5.000 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 - Die Zahlen für die Personenpotenziale sind gerundet - Personenpotenziale Auslandsextremismus - Hamburg In Hamburg liegt die Anzahl der Anhänger ausländischer extremistischer Vereinigungen bei 800 Personen (2019: 790) in etwa auf Vorjahresniveau: f PKK: 550 Personen (2019: 550) f Türkische Linksextremisten: 140 Personen (2019: 130) f Anhänger türkisch-nationalistischer Strömungen: 110 Personen (2019: 110) Der zahlenmäßige Rückgang der vergangenen Jahre bei der PKK hat sich im Jahr 2020 nicht fortgesetzt. In den vergangenen Jahren konnte man bei der jüngeren Generation eine nachlassende Identifikation beobachten. Dies äußerte sich unter anderem in zurückgehenden Teilnehmerzahlen an 88 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Gruppierungen mit Auslandsbezug PKK-Veranstaltungen und in einem geringeren Engagement in den sozialen Medien. 1.000 800 850 850 850 850 860 845 790 800 770 770 600 400 200 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 - Die Zahlen für die Personenpotenziale sind gerundet - Die PKK verfügt weit über das konkrete Potenzial hinaus in Hamburg über ein Sympathisantenumfeld, das sich mit den ideologischen Zielen der Terrororganisation, Abdullah Öcalan als Person und Führungsfigur sowie mit der Anti-Haltung gegenüber dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan identifiziert. Wie in den Vorjahren ist insgesamt von einem Unterstützerpotenzial von rund 1.500 Personen auszugehen, die anlassbezogen immer wieder für Demonstrationen zu mobilisieren sind. 3. Politisch motivierte Kriminalität (PMK) 2020 wurden 15 politisch motivierte Straftaten im Bereich des Extremismus mit Auslandsbezug in Hamburg erfasst (2019: 122). Darin enthalten sind 3 extremistische Straftaten (2019: 6). Der wesentliche Grund für die Entwicklung ist der Rückgang der Propagandadelikte. So fanden im Jahr 2020 pandemiebedingt weniger Demonstrationen statt. 89 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Gruppierungen mit Auslandsbezug Politisch motivierte Kriminalität (PMK) Ausländer 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 PMK Ausländer 33 40 34 130 107 168 79 141 122 15 gesamt davon extremistische 5 5 3 101 16 29 4 23 6 3 Kriminalität hiervon extremistische 4 3 0 32 4 6 1 19 0 2 Gewaltdelikte Die Zahlen stammen aus den jeweiligen Jahres-Statistiken der Polizei Hamburg - Stand: Februar 2021 - 4. PKK (Arbeiterpartei Kurdistans) 4.1. Entwicklungen und Organisatorisches Die am 27. November 1978 in der Türkei gegründete "Arbeiterpartei Kurdistans" (Partiya Karkeren Kurdistan, PKK) unterliegt in Deutschland seit dem 26. November 1993 einem Betätigungsverbot. Der Bundesgerichtshof hat in seinem Urteil vom 28. Oktober 2010 festgestellt, dass es sich bei der PKK um eine ausländische terroristische Vereinigung handelt. Entsprechende Ermittlungen der Strafverfolgungsbehörden in Deutschland werden deshalb nach den SSSS 129 a, b StGB ("Bildung terroristischer Vereinigungen" sowie "Kriminelle und terroristische Vereinigungen im Ausland") geführt. 90 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Gruppierungen mit Auslandsbezug Die PKK begann 1984 hauptsächlich im Südosten der Türkei einen Guerillakrieg gegen das türkische Militär. Das Ziel, einen eigenen kurdischen Staat zu bilden, wurde später aufgegeben und durch die Forderung nach begrenzter Autonomie innerhalb der Türkei bei Anerkennung der nationalstaatlichen Grenzen ersetzt. Aktuelles Logo der PKK Der Gründer der PKK Abdullah Öcalan befindet sich seit 1999 auf der Insel Imrali, die von der Türkei seit 1935 als Gefängnisinsel genutzt wird, in einer Hochsicherheitsstrafvollzugsanstalt in Haft. Basierend auf den an den Marxismus angelehnten politischen Vorstellungen Öcalans wurde seit 2005 die Idee eines überstaatlichen Gemeinwesens der Kurden entwickelt. Als organisatorische Struktur wurde 2007 hierzu die "Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans" ("Koma Civaken Kurdistan", KCK) ins Leben gerufen. Trotz seiner Inhaftierung fungiert Öcalan formell weiterhin als Führer der KCK. Die von Öcalan und dem Exekutivrat der KCK festgelegte Führungslinie gilt quasi als Gesetz. 4.2. Aktivitäten und Schwerpunkte in Deutschland Die PKK verfügt ungeachtet des Betätigungsverbots in Deutschland weiterhin über einen illegalen und konspirativ handelnden Funktionärskörper. Für ihren großen Funktionärsapparat, ihre umfangreichen Aktivitäten sowie zur Unterstützung der Guerilla in der Türkei und den angrenzenden Staaten benötigt die PKK erhebliche finanzielle Mittel, die nach Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden auch in Europa beschafft werden. Die Einnahmen stammen aus Beiträgen der Mitglieder, dem Verkauf von Publikationen und den Erlösen aus Veranstaltungen. Den größten Teil bringen die jährlichen Spendensammlungen ein. So kamen bei der letzten Spendenkampagne 2020 rund eine Million Euro allein in Hamburg zusammen. 91 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Gruppierungen mit Auslandsbezug Zum Selbstverständnis der PKK gehört der propagierte Alleinvertretungsanspruch für alle Kurden. Daher deklariert die Terrororganisation die Spenden als "Steuer", die für die "Befreiung Kurdistans" genutzt werde und der sich kein Kurde entziehen könne. Die Spenden stehen stets im Kontext aktueller Ereignisse in der Herkunftsregion. Auf Europaebene liegen die Parteiarbeit und auch die Koordinierung des Vereinslebens der PKK in den Händen ihres politischen Arms, dem "Kongress der kurdisch-demokratischen Gesellschaft in Europa" (Kongreya Civaken Demokratik a Kurdistaniyen Li Ewropa, KCDK-E), der sich ursprünglich aus der "Koordination der kurdisch-demokratischen Gesellschaft in Europa" (CDK) und dem europäischen Dachverband PKK-naher Vereine "Konföderation der kurdischen Vereine in Europa" (KON-KURD) bildete. Dem KCDK-E sind weitere Dachverbände kurdischer Vereine angeschlossen. In Deutschland trat für die Belange der PKK, die Umsetzung von Vorgaben der Führungsspitze und den Informationsfluss zur Basis bisher überwiegend die Dachorganisation "Demokratisches Gesellschaftszentrum der KurdenInnen in Deutschland" (Navenda Civaka Demokratik ya Kurden li Almanyaye, NAV-DEM) ein. Das NAV-DEM übernahm vor allem Propagandatätigkeiten, indem es für Presseerklärungen und Flugblätter verantwortlich war und seine Angehörigen als Anmelder öffentlicher Veranstaltungen fungierten. Neben aktuellen Kampagnen setzte sich das NAV-DEM kontinuierlich für die Aufhebung des Betätigungsverbots in Deutschland ein und forderte die Streichung der PKK und ihrer Nachfolgeorganisationen von der EU-Terrorliste. Am 30. Januar 2020 wurde die Auflösung des NAV-DEM in das Vereinsregister beim Amtsgericht Düsseldorf eingetragen. Als neue Dachorganisation wurde bereits Anfang Mai 2019 die "Konföderation der Gemeinschaften Kurdistans in Deutschland" (Konfederasyona Civaken Kurdistaniyen li Almanya, KON-MED) gegründet. Der KON-MED gehören insgesamt fünf regionale Föderationen an, so unter anderem das "Demokratische Gesellschaftszentrum der Kurdinnen in Nord Deutschland" (Federasyona Civaka Demokratik a Kurdistaniyen li Bakure Almanya, FED-DEM) mit Sitz in Hamburg. 92 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Gruppierungen mit Auslandsbezug Die zahlreichen Ortsvereine dienen den PKK-Anhängern als lokale Treffpunkte und Anlaufstellen. Sie wurden in den vergangenen Jahren einheitlich in "Demokratisch-kurdische Gesellschaftszentren" umbenannt. Die PKK und die ihr angeschlossenen Organisationen führen in der Regel mehrere bundesund europaweite Großveranstaltungen pro Jahr durch. Diese identitätsstiftenden Events dienen in erster Linie dazu, wichtige Themen der PKK ins Bewusstsein der eigenen Anhänger zu rufen, um den inneren Zusammenhalt zu stärken. Darüber hinaus haben sie auch eine meinungsbildende Wirkung nach außen. In Paris fand am 11. Januar 2020 anlässlich des siebten Jahrestages der Ermordung dreier PKK-Funktionärinnen eine Großdemonstration unter dem Motto "Sieben Jahre Straflosigkeit: Es reicht!" statt. Viele der Teilnehmer waren aus Deutschland mit von PKK-nahen Vereinen angemieteten Bussen angereist. Die PKK macht die türkische Regierung für die Morde verantwortlich. Am 15. Februar 2020 wurde in Straßburg die alljährliche PKK-Kundgebung zum Jahrestag der Festnahme Abdullah Öcalans veranstaltet. Nach Polizeiangaben reiste auch hier ein Großteil der etwa 4.200 Teilnehmer mit über 50 Bussen sowie mit PKW aus Deutschland an. Die ursprünglich für den 21. März 2020 in Frankfurt am Main unter dem Motto "Faschismus und Besatzung zerschlagen - Kurdische Einheit aufbauen" geplante Zentralveranstaltung zum traditionellen Neujahrsfest "Newroz" wurde am 12. März 2020 aufgrund der Corona-Pandemie abgesagt. INFOBOX Newroz-Fest - Newroz (auch Nouruz) bedeutet "Neuer Tag" und bezeichnet das persische Neujahrsund Frühlingsfest, das am 20. oder 21. März (dem Eintritt der Sonne in das Tierkreiszeichen des Widders) als Frühlingsbeginn gefeiert wird. 93 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Gruppierungen mit Auslandsbezug 4.3. Situation in Hamburg Die politische Linie der Dachverbände wird auf lokaler Ebene von den jeweiligen Ortsvereinen umgesetzt. In Hamburg dient der 2008 gegründete und seit einigen Jahren unter der Bezeichnung "Demokratisch-kurdisches Gesellschaftszentrum" geführte Verein als zentraler Anlaufpunkt für PKK-Anhänger. Wiederholt trat der Verein als Veranstalter von Gedenkfeiern für sogenannte "Märtyrer" der PKK und Organisator von Demonstrationen in Erscheinung. Die eigentlichen Entscheidungsträger der PKK, so auch in Hamburg, sind die von der Organisation nach einem Rotationsprinzip in der Regel für einige Monate bis zu einem Jahr entsandten "Kader". Diese sind jedoch häufig nicht in der Lage, die eigene Gefolgschaft zu einer Mitarbeit, zum Beispiel in Ausschüssen, zu motivieren oder deren Akzeptanz zu erlangen. Dies liegt zum Teil an der kurzen Verweilzeit der Kader, die ihnen kaum einen tieferen Einblick in interne Abläufe und informelle Strukturen mit ihren regionalen Besonderheiten erlaubt. Die mitunter mangelnde Kooperationsbereitschaft der Anhänger ist daneben auch auf deren finanzielle Abschöpfung, die erhebliche zeitliche Intensität der Aufgaben und Einbindungen sowie den verpflichtenden Druck durch kaum erreichbare Vorgaben der PKK-Führung zurückzuführen. Auch im Jahr 2020 waren in Hamburg zahlreiche Ereignisse und Aktivitäten mit PKK-Hintergrund zu verzeichnen. Im Januar und Februar 2020 wurden mehrere Versammlungen und Aufzüge angemeldet, um gegen die "Isolationshaft" Abdullah Öcalans zu protestieren. Auslöser von Kundgebungen aus Sorge um den Gesundheitszustand Öcalans waren insbesondere Berichte der PKK-nahen Nachrichtenagentur "Firat News Agency" (ANF) vom 27. Februar 2020 über einen Waldbrand auf der Gefängnisinsel Imrali. Ab Mitte Juni 2020 bestimmte das militärische Vorgehen der türkischen Armee im Nordirak die Aktivitäten der PKK und ihrer Anhänger in Hamburg. 94 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Gruppierungen mit Auslandsbezug In der Nacht vom 14. auf den 15. Juni 2020 begann von der Südosttürkei aus die Operation "Adlerklaue" mit Angriffen der türkischen Luftwaffe auf Stellungen der PKK in benachbarten Regionen des Irak. Nach Angaben des türkischen Verteidigungsministeriums wurden dabei 81 Ziele zerstört. Darüber hinaus startete die Türkei am 17. Juni 2020 unter der Bezeichnung "Tigerkralle" eine Bodenoffensive mit Unterstützung von Drohnen und Kampfhubschraubern gegen die PKK auf irakischem Gebiet. Das türkische Verteidigungsministerium begründete das Vorgehen mit einer Zunahme von Angriffen auf türkische Militärstützpunkte nahe der Grenze zum Irak. Aufgrund der Ereignisse wurden verschiedene Stellungnahmen PKK-naher Organisationen auf der ANF-Website veröffentlicht. So riefen unter anderem die Dachverbände KCDK-E und KON-MED am 15. Juni 2020 zu Protesten gegen die türkischen Angriffe auf. In der Erklärung des KCDK-E hieß es: "Das Schweigen der Staaten und internationalen Institutionen gegenüber den Angriffen des AKP/MHP-Faschismus ermutigt den Diktator Erdogan und den mörderischen türkischen Staat. (...) Das Schweigen der internationalen Gemeinschaft macht sie zu Komplizen der Aggressoren. (...) Unser Volk und unsere Freund*innen müssen auf die Straße gehen, um gegen diese Massakerpolitik zu protestieren, und insbesondere auf die internationalen Institutionen und die Parlamente Druck aufbauen, etwas gegen den Krieg zu unternehmen." Die KON-MED appellierte laut ANF an "alle linken und sozialistischen Organisationen, alle Freund*innen, die religiösen Institutionen, die alevitischen Vereine, die Moscheen, die ezidischen Organisationen, die Armenier*innen, (...) und alle anderen Gruppen und Identitäten", sich den Protesten anzuschließen. Ebenso rief die Kampagne "#RiseUp4Rojava", ein Aktionsbündnis mit linksextremistischer Beteiligung, zur Protestteilnahme und zu "globalem Widerstand" auf: 95 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Gruppierungen mit Auslandsbezug "Jetzt ist die Zeit für globalen Widerstand! Die globale Widerstandsbewegung muss den Ernst der gegenwärtigen Situation erkennen. Heute ist die Zeit gekommen, dem türkischen Faschismus und all seinen imperialistischen Verbündeten, die ein entscheidender Teil dieses Krieges und der Angriffe gegen die revolutionären und demokratischen Kräfte der Welt sind, den letzten Schlag zu versetzen." In der Folge fanden bis Anfang Juli 2020 auch in Hamburg Protestveranstaltungen gegen das militärische Vorgehen der Türkei in "Kurdistan" statt. Dabei bewegten sich die Teilnehmerzahlen im zweistelligen bis unteren dreistelligen Bereich. Vom 5. bis zum 11. September 2020 wurde der alljährliche "Lange Marsch" (Mesa Direj) der Jugend unter dem Motto "Für die Freiheit Abdullah Öcalans - Zusammen erheben" in mehreren Etappen von Hannover nach Hamburg durchgeführt. Bei den durchschnittlich etwa 200 Teilnehmern handelte es sich überwiegend um Anhänger der PKK-Jugendorganisationen "Bewegung der revolutionären Jugend" (Tevgera Ciwanen Soresger, TCS) und "Bewegung der jungen kämpferischen Frauen" (Tevgera Jinen Ciwan en Tekoser, TEKO-JIN), die erst im Juli 2020 neu gegründet worden war. Während die ersten Etappen störungsfrei verlaufen waren, kam es am 10. September 2020 zu einem Zwischenfall. Nachdem eine Gruppe von Marschteilnehmern im Zug von Lüneburg nach Winsen (Luhe) ohne gültige Fahrscheine angetroffen worden war, stoppte Bei einer Kontrolle von Marschteilnehmern kam es am Bahnhof Bardowick das Bahnpersonal den Zug in (Niedersachsen) zu Auseinandersetzungen mit der Polizei. Quelle: Michael Behns Bardowick und zog die Bundespolizei hinzu. Bei der 96 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Gruppierungen mit Auslandsbezug anschließenden Überprüfung kam es zu körperlichen Auseinandersetzungen zwischen Teilnehmern und Einsatzkräften. Aufgrund der Ereignisse wurde Hamburg an diesem Tag nicht mehr erreicht. Am 11. September 2020 versammelten sich die Teilnehmer in Hamburg für die letzte Etappe des Aufzugs mit dem angemeldeten Tenor "Für die Freiheit und Gesundheitszustand von Abdullah Öcalan!". Bei der Abschlusskundgebung im Schulterblatt erschienen schwarz gekleidete und vermummte Personen auf dem Dach der "Roten Flora" und entrollten zwei Transparente. Eines mit verbotener PKK-Symbolik und der Aufschrift "LEBEN HEISST WIDERSTAND" und eines mit einem großformatigen Konterfei Abdullah Öcalans. Zeitgleich wurden von Marschteilnehmern entgegen den Versammlungsauflagen zahlreiche Fahnen mit Öcalan-Bildnissen und der Aufschrift "Freedom For Öcalan" geschwenkt und Tanzkreise gebildet. In Anbetracht der massiven und anhaltenden Verstöße gegen das Vereinsgesetz, die Auflagen der Versammlungsbehörde und die Vorgaben der Hamburgischen Verordnung zur Eindämmung der Ausbreitung des Coronavirus (Abstandsregeln) wurde die Veranstaltung schließlich beendet. In einer "Rede im Namen der Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Jugenddemonstration" hieß es laut ANF zum Abschluss: "Wir erklären, dass wir unseren Widerstand gegen den türkischen Staat fortsetzen werden. (...) Die kurdischen Jugendlichen nehmen die Verbote und Kriminalisierungsversuche des deutschen Staates nicht hin. Wer unsere Fahnen, unsere Sprache und unsere Existenz verbieten will, soll wissen, dass diese Fahnen auch hier und heute wehen. Der deutsche Staat soll wissen, dass wir mit unserem Leben und unserer Existenz hier sind. Unser Kampf wird (...) weitergehen." Am 1. Oktober 2020 verurteilte das Hanseatische Oberlandesgericht Hamburg den 43-jährigen türkischen Staatsangehörigen Mustafa C. wegen Mitgliedschaft in der ausländischen terroristischen Vereinigung PKK zu einer Haftstrafe von zwei Jahren und sieben Monaten. Die Generalstaatsanwalt97 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Gruppierungen mit Auslandsbezug schaft Hamburg hatte C. zur Last gelegt, in die Hierarchie der PKK und ihrer Europaorganisation CDK/KCDK-E eingebunden gewesen zu sein. Als Führungskader habe er die Strukturen, Ziele und Programme der Organisation sowie deren Methoden und Aktivitäten in der Türkei gekannt. Von Juli 2018 bis Ende Mai 2019 in Bremen und von Juni 2019 bis zu seiner Verhaftung im Januar 2020 in Salzgitter habe C. die Aufgaben eines Gebietsleiters für die PKK übernommen und unter dem Decknamen "Ahmet" als typische Leitungsaufgaben die organisatorischen, finanziellen, personellen sowie propagandistischen Angelegenheiten in seinem räumlichen Zuständigkeitsbereich erledigt. Wiederholt habe C., unter anderem in Hamburg, Bremen und Berlin, an Treffen mit anderen PKK-Kadern teilgenommen. Im Rahmen seiner Tätigkeit habe er sich um die Organisation von Veranstaltungen und Kundgebungen gekümmert und für diese geworben. C. selbst habe mehrfach als Repräsentant der PKK an Feiern und Kundgebungen zu kurdischen Interessen teilgenommen. Darüber hinaus habe er im Interesse der PKK politische Kontakte zu Vertretern der Partei "Die Linke" in Bremen unterhalten. Insbesondere habe er die Aufstellung der Kandidaten für die Wahlen zur Bremischen Bürgerschaft vom 26. Mai 2019 beeinflusst, indem er eine Kandidatin zum Rückzug bewegt habe, um die Erfolgsaussichten eines PKK-unterstützten Bewerbers zu erhöhen. Ende 2019 sei C. für die örtliche Durchführung der jährlichen Spendenkampagne verantwortlich gewesen. Am 30. August 2016 war der damals 39-jährige C. bereits vom Oberlandesgericht Celle wegen mitgliedschaftlicher Beteiligung in einer terroristischen Vereinigung im Ausland zu einer Haftstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt worden. Das Gericht hatte es als erwiesen angesehen, dass er von Juni 2013 bis zu seiner Festnahme im November 2015 als PKK-Gebietsleiter zunächst in Oldenburg und später in Hamburg tätig gewesen war. 98 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Gruppierungen mit Auslandsbezug 5. Weitere türkische extremistische Gruppierungen 5.1. Revolutionär-marxistische Gruppierungen Die meisten türkischen linksextremistischen Organisationen haben Ableger in Deutschland. Sie propagieren einen revolutionären Umsturz in der Türkei und wollen dort die Zerschlagung des türkischen Staatssystems erwirken, um es durch eine marxistische Gesellschaftsordnung zu ersetzen. Um diese Ziele zu erreichen, propagieren sie den bewaffneten Kampf in der Türkei und führen dort immer wieder auch terroristische Aktionen durch. Ziele sind vor allem staatliche türkische Einrichtungen, insbesondere Gebäude und Angehörige der türkischen Sicherheitsbehörden (Armee, Polizei sowie Justiz). Trotz ihrer ideologischen Gemeinsamkeiten und punktuellen Bemühungen um eine stärkere Vernetzung ist die gesamte Szene stark zersplittert. Die Mitgliederzahlen der einzelnen Gruppierungen stagnieren. Durch Spendenkampagnen, den Verkauf von Publikationen und durch Einnahmen auf Veranstaltungen unterstützen türkische linksextremistische Gruppen die in der Türkei aktiven Guerillaorganisationen. In Hamburg sind nachfolgende türkische linksextremistische Organisationen aktiv: f "Devrimci Halk Kurtulus Partisi-Cephe" (DHKP-C, Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front) f "Türkiye Komünist Partisi / Marksist Leninist" (TKP/ML, Kommunistische Partei der Türkei/Marxistisch-Leninistisch) f "Maoist Komünist Partisi" (MKP, Maoistische Kommunistische Partei) f "Marksist Leninist Komünist Partisi" (MLKP, Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei) Die mit rund 60 Anhängern (2019: 50) größte Gruppierung in Hamburg ist die "Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front" (DHKP-C). Insgesamt wer99 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Gruppierungen mit Auslandsbezug den dem türkischen Linksextremismus in Hamburg 140 Personen zugerechnet (2019: 130). INFOBOX DHKP-C - Die marxistisch-leninistische "Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front" (DHKP-C) will die bestehende Staatsund Gesellschaftsordnung der Türkei mit Gewalt abschaffen und durch ein sozialistisches Gesellschaftssystem ersetzen. Zu diesem Zweck verüben Anhänger der Organisation in der Türkei Terroranschläge, vorrangig gegen Einrichtungen des türkischen Staates. [Bundesamt für Verfassungsschutz: Kompendium des BfV. Darstellung ausgewählter Arbeitsbereiche und Beobachtungsobjekte, Dezember 2018.] 100 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Gruppierungen mit Auslandsbezug und gelegentlich noch unter "Anatolische Föderation" auf. Daneben findet auch die Bezeichnung "Dev Genc", der Name der DHKP-C-Jugendorganisation "Revolutionäre Jugend", regelmäßig Verwendung. Propaganda-Aktivitäten der DHKP-C in Deutschland werden auch durch Konzertauftritte der Musikband "Grup Yorum" unterstützt. Inhaltlich spiegeln die Lieder die Themen der DHKP-C wider. Die Auftritte der Musikband dienen letztlich der Verbreitung der Ideologie der DHKP-C und erschließen der Organisation einen neuen, über die eigene Anhängerschaft hinausgehenden Adressatenkreis. So fand am 4. Oktober 2020 auf Einladung und Organisation eines Mitgliedes des Deutschen Bundestages in der Friedrich-Ebert-Halle in Hamburg-Harburg ein Auftritt der Musikgruppe "Grup Yorum" unter dem Rubrum "Meinungsund Kulturfreiheit - auch in Deutschland" statt. Hierzu wurde unter anderem über die Seite eines linksextremistischen und antiimperialistischen Internetportals zur Teilnahme aufgerufen, ebenso über Plakatierungen im Auszug/Screenshot des Aufrufs "Grup Yorum". Quelle: http://political-prisoners.net/item/8373-2020-09-24-19öffentlichen Straßenraum. 41-43.html (vom 01.02.2021) Die Organisationen TKP/ML, MKP und MLKP haben, neben weiteren unbedeutenden Splittergruppen, ihren gemeinsamen Ursprung in der 1972 von Ibrahim Kaypakkaya gegründeten TKP (ML). Untereinander stehen sie sich zwar als Konkurrenten, aber nicht als Gegner gegenüber. Sie treten außerhalb der Türkei vorwiegend propagandistisch auf. Wichtigste Einnahmequelle zur Unterhaltung ihrer Organisationen und Unterstützung des bewaffneten Kampfes in der Türkei sind ihre jährlichen "Spendenkampagnen". Die MLKP bekennt sich ideologisch zum revolutionären Marxismus-Leninismus. Sie hat die Zerschlagung des türkischen Staatsgefüges und die Errichtung einer kommunistischen Gesellschaftsordnung zum Ziel. Mit Kampag101 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Gruppierungen mit Auslandsbezug nen und Kundgebungen in Deutschland gedenkt die MLKP ihrer für die Revolution gefallenen "Märtyrer" und unterstützt propagandistisch den gewaltsamen Kampf in der Türkei. In Europa und Deutschland sind für die MLKP Umfeldorganisationen tätig. Dazu gehören unter anderem die "Kommunistische Jugend Organisation" (KGÖ) / "Young Struggle" (YS) sowie die "Föderation der ArbeitsimmigrantInnen aus der Türkei in Deutschland e.V." (AGIF). Seit Ende 2019 ist der Verein AGIF in Hamburg Logo der MLKP auf der Veddel in dem linksextremistischen Treffpunkt "Lüttje Lüüd" ansässig, der als "solidarischer Infound Kulturladen" betrieben wird. Diese Örtlichkeit wird auch von der antiimperialistischen Gruppierung "Roter Aufbau Hamburg" genutzt: ( siehe Kapitel IV, Punkt 5.1.4.1 "Roter Aufbau Hamburg (RAH") Die MLKP, AGIF sowie deren Jugendorganisation "Young Struggle" beteiligten sich in Hamburg an diversen Rojava-Solidaritätskundgebungen und an einer Gedenkveranstaltung am 19. August 2020 in Hamburg. Young Struggle rief auch zu einer Märtyrergedenkveranstaltung am 1. September 2020 im Hamburger Schanzenviertel auf. Plakate im öffentlichen Raum und Aufrufe im Internet zu Solidaritätsund Gedenkveranstaltungen am 19.08.2020 (Abbildung links) und 01.09.2020 in Hamburg. 102 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Gruppierungen mit Auslandsbezug 5.2. ADÜTDF/Türkische Nationalisten Die "Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in Deutschland e.V." ("Almanya Demokratik Ülkücü Türk Dernekleri Federasyonu", ADÜTDF) wurde 1978 in Frankfurt am Main gegründet. Sie gilt als Auslandsvertretung der rechtsextremistischen türkischen "Partei der Nationalistischen Bewegung" ("Milliyetci Hareket Partisi", MHP). Das Umfeld türkischer Nationalisten und Rechtsextremisten firmiert ferner unter der Bezeichnung "Ülkücü" (übersetzt "Idealisten") und "Bozkurt" ("Graue Wölfe"). Die Bezeichnungen "Ülkücü" und "Bozkurt" stehen letztlich immer für denselben Personenkreis türkischer Nationalisten. Ihre Ideologie kennzeichnet sich durch: Logo der ADÜTDF f den Turanismus/Panturkismus - die Idee der ethnischen und kulturellen Verbundenheit aller Turkvölker und daraus resultierende Gebietsansprüche; f eine türkische Auslegung des sunnitischen Islam; f eine ausgeprägte kurdenfeindliche Ausrichtung. Der ADÜTDF werden rund 10.000 Mitglieder und Unterstützer zugerechnet. Sie ist damit die größte Organisation türkisch-nationalistischer Bestrebungen in Deutschland. Der Ülkücü in Hamburg werden etwa 100 Personen zugerechnet; das Mobilisierungspotenzial liegt allerdings mit mehreren Hundert Personen deutlich höher. In Hamburg wird die ADÜTDF vom "Türkischen Kulturzentrum Hamburg e.V." repräsentiert. Die Aktivitäten der ADÜTDF in der realen Welt sind vorwiegend interne Veranstaltungen (unter anderem Vorträge, Musikbeiträge und Ähnliches). Im Internet sind Hamburger Nationalisten indes deutlich aktiver und reagieren zeitnah auf aktuelle politische und gesellschaftliche Entwicklungen. 103 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Gruppierungen mit Auslandsbezug Die ADÜTDF bemüht sich darum, sich als eine Art "Familienverband" zu präsentieren. Mit kulturellen Veranstaltungen und Festen soll die sogenannte "türkische Identität" ausgelebt und für alle zugänglich gemacht, ein "Wir-Gefühl" geschaffen und so eine Distanz zur deutschen Gesellschaft gehalten werden. Den Verantwortlichen ist eine seriöse Außendarstellung wichtig. Die Mitglieder werden angewiesen, sich an die bestehenden Gesetze ihrer Länder zu halten und sich nicht vom politischen Gegner - in erster Linie der (PKK) - provozieren zu lassen. Coronabedingt kam es im Berichtszeitraum zu keinen nennenswerten realweltlichen Aktivitäten. Im August 2020 wurde eine Versammlung unter dem Tenor "Besetzung Aserbaidschans!" angemeldet, an der nach Polizeiangaben ungefähr 100 Personen teilnahmen. Hintergrund waren verstärkte Gefechte an der Waffenstillstandslinie in Bergkarabach Anfang Juli 2020 und schließlich der Beschuss der Region Tovuz durch armenische Einheiten. Die Versammlung verlief friedlich und ohne besondere Vorkommnisse. Am 4. November 2020 hat der französische Innenminister mit einem Dekret die "Grauen Wölfe" in Frankreich ("Fransa Türk Federasyonu") für aufgelöst erklärt. Das Verbot wird mit Gesetzesverletzungen und Sicherheitsbeeinträchtigungen durch die "Grauen Wölfe" begründet, aber auch Auseinandersetzungen zwischen Angehörigen der türkischen und armenischen Diaspora vor dem Hintergrund des Bergkarabach-Konflikts spielten eine wichtige Rolle. Frankreichs Innenminister Gerald Darmanin erklärte auf Twitter, die Grauen Wölfe schürten "Diskriminierung und Hass" und seien zudem in Gewaltakte verwickelt. Auch im Deutschen Bundestag gab es Mitte November 2020 einen fraktionsübergreifenden Antrag gegen den Einfluss der Ülkücü-Bewegung. Darin wird die Bundesregierung unter anderem aufgefordert gegen die Vereine der "Ülkücü"-Bewegung Organisationsverbote zu prüfen, um jeder sich gegen die Werte unseres Grundgesetzes, den Gedanken der Menschenwürde und der Völkerverständigung richtenden Aktivität rechtsstaatlich konsequent entgegenzutreten. 104 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Gruppierungen mit Auslandsbezug Aus der Türkei werden regelmäßig die Mitglieder dieser Organisationen zu Mäßigung und gesetzeskonformem Verhalten ermahnt, um Exekutivmaßnahmen der Behörden in den jeweiligen Ländern - so auch in Deutschland - zu umgehen. Die verschiedenen Gruppierungen des türkischen rechtsextremistischen Lagers traten auch 2020 selbstbewusster und politischer auf als in der Vergangenheit. Dies zeigt sich vor allem in den sozialen Netzwerken, in denen der türkische Staatspräsident Erdogan und die türkische Regierung vielfach kritiklose Unterstützung der hiesigen Ülkücü-Anhänger erfahren. Insbesondere der gescheiterte Putschversuch in der Türkei 2016 führte dazu, dass sich zumindest Teile der Ülkücü-Bewegung verstärkt dem türkischen Präsidenten zugewandt haben. 105 Verfassungsschutz in Hamburg Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Gruppierungen mit Auslandsbezug Linksextremismus Rechtsextremismus Reichsbürger und Selbstverwalter Scientology-Organisation Spionageabwehr und Wirtschaftsschutz Geheimund Sabotageschutz Anhang Linksextremismus Der Begriff "Linksextremismus" ist eine Sammelbezeichnung für unterschiedliche, auch sich teilweise deutlich unterscheidende Positionen, Einstellungen, Strategien und Organisationsformen (zum Beispiel Autonome, Postautonome, Antiimperialisten, Antifaschisten, orthodoxe Kommunisten, Trotzkisten). Je nach politisch-ideologischer Ausrichtung streben Linksextremisten eine sozialistische, kommunistische, autonome oder anarchistische Gesellschaftsordnung an. Einig ist sich diese heterogene Szene, der sozialen Gleichheit eine zentrale Rolle zuzuschreiben, sowie in dem Bestreben, die freiheitliche demokratische Grundordnung und damit die durch das Grundgesetz vorgegebene Staatsund Gesellschaftsordnung der Bundesrepublik Deutschland überwinden zu wollen. Insbesondere die parlamentarische Demokratie ist nach linksextremistischer Überzeugung als "Herrschaftsinstrument des Kapitalismus" zu betrachten und von daher zu beseitigen. Zahlreiche Gruppierungen halten dafür auch den Einsatz von Gewalt für ein legitimes Mittel. Die größte Gruppe innerhalb der gewaltbereiten linksextremistischen Szene bilden die Autonomen. Diese haben in der Regel weder klare Strukturen noch gemeinsame politische Zielsetzungen, aber sie sind sich darin einig, den Staat und seine Einrichtungen notfalls mit Gewalt zerschlagen zu wollen. Ihre hauptsächlichen Agitationsund Aktionsfelder sind: Antifaschismus, Antirepression, Antimilitarismus, Antirassismus, Antiglobalisierung und Antiimperialismus. Aufgrund ihrer Ablehnung von Hierarchien und Herrschaft gibt es zwischen Autonomen und anderen linksextremistischen Gruppierungen zum Teil große weltanschauliche Differenzen. Linksextremismus IV. Linksextremismus 1. Entwicklungen und Schwerpunkte Linksextremisten verfolgen, je nach Gruppierung und ideologischer Ausrichtung, das Ziel, eine sozialistische, kommunistische oder eine Art "herrschaftsfreie", autonome oder anarchistische Gesellschaftsordnung zu schaffen; indes wird in den seltensten Fällen das angestrebte Gesellschaftsmodell, das die Demokratie ersetzen soll, genauer beschrieben. Unter den zahlreichen unterschiedlichen linksextremistischen Strömungen und Gruppierungen, beispielweise zwischen Kommunisten und Autonomen, bestehen deutliche ideologische Unterschiede und Gegensätze. Einigkeit herrscht lediglich im Bestreben, die freiheitliche demokratische Grundordnung und damit die durch das Grundgesetz vorgegebene Staatsund Gesellschaftsordnung der Bundesrepublik Deutschland überwinden zu wollen. Die parlamentarische Demokratie ist, inklusive ihrer Repräsentanten, nach linksextremistischer Überzeugung als vorgebliches "Herrschaftsinstrument des Kapitalismus" (so zum Beispiel Linksjugend ['solid], Nordrhein-Westfalen, Dezember 2018) zu betrachten und mit diesem untrennbar verbunden. Die in den vergangenen Jahren gestiegene Aggressivität und Brutalität der linksextremistischen Szene setzte sich auch im Jahr 2020 fort. Die Schwelle zur gezielten Gewaltanwendung gegenüber Personen ist deutlich gesunken, wie zum Beispiel der am 14. November 2020 auf der linksextremistischen Plattform de.indymedia.org veröffentlichte Text unter dem Titel "Gewalt statt Asphalt - "Gewalt statt Asphalt ..."auf der linksextremistischen Plattform de.indymedia.org wird offen zur Gewalt aufgerufen. verteidigt die Dannenröder WaldScreenshot: LfV HH | https://de.indymedia.org/node/117114 109 Linksextremismus besetzung!" nachdrücklich belegt. In dem Beitrag wird offen zu Gewalt gegen Polizeibeamte aufgerufen, um die im Kontext eines Autobahnbaus geplante Rodung eines Teils des Dannenröder Forstes (Hessen) zu verhindern - die Autoren bringen ihre Militanz mit folgendem Slogan auf den Punkt: "Gewaltlosigkeit führt zu Waldlosigkeit." Mit den Umständen zahlreicher Taten, insbesondere mit Blick nach Leipzig, Berlin, Hamburg und Hessen, vor allem mit der Art und Weise der Tatbegehung, der Gefährdung von Leib und Leben auch Unbeteiligter sowie dem Duktus bestimmter Selbstbezichtigungen wurde auch bundesweit eine neue Eskalationsstufe der Radikalisierung in der linksextremistischen Szene erreicht. Die Verfassungsschutzbehörden werden diese Entwicklung mit Blick auf die Annäherung an die Schwelle zum Linksterrorismus genau im Fokus behalten. INFOBOX Ein Selbstbezichtigungsschreiben (SBS) ist eine Publikation (zum Beispiel ein Schriftstück oder ein Internetartikel), in dem sich eine Einzelperson oder eine Gruppe einer Straftat bezichtigt. Die Verfasser sind häufig/zumeist auch die Täter und legen im SBS unter einem Tarnoder Gruppennamen ihre - bei Extremisten - politische Tatmotivation und weiteren Forderungen dar. Bei Linksextremisten werden SBS zumeist auf einschlägigen Internetseiten veröffentlicht. Die Selbstbezichtigung soll eine öffentliche Sichtbarkeit und Wirkung erreichen, aber auch innerhalb der eigenen Szene wirken. 110 Linksextremismus Die Aktivitäten der linksextremistischen Szene standen zu Beginn des Jahres 2020 im Zeichen des Bürgerschaftswahlkampfes. Für die verschiedenen Antifa-Gruppierungen war die AfD der politische Hauptgegner und Ziel ihrer Aktivitäten. Gemeinsam mit anderen linksextremistisch beeinflussten Organisationen, auch aus dem orthodox-komDer "Kampf gegen die AfD" war auch 2020 erklärtes Ziel vieler munistischen und postautonomen linksextremistischer Gruppierungen wie der IL. Hier ein Twitter Bereich, wurden zahlreiche KampagBeitrag der IL HH vom 10.01.2020 mit dem Hashtag "#noAfD". Screenshot: LfV HH | https://twitter.com/iL_Hamburg/stanen gestartet, um gegen einen Wietus/1215674668138496000 dereinzug der AfD in das Landesparlament zu kämpfen. Neben Antifa-Gruppen rief auch die gewaltorientierte Interventionistische Linke (IL) zu Protesten gegen Veranstaltungen dieser Partei auf. So wurde am 20. Januar 2020 versucht, eine Veranstaltung mit dem Vorsitzenden der AfD-Bundestagsfraktion Alexander Gauland im Rathaus zu stören und Besucher beim Betreten des Rathauses zu hindern. Zudem kam es im Laufe des Jahres auch zu Sachbeschädigungen an Wohnhäusern von AfD-Politikern. Ein weiterer Themenschwerpunkt der linksextremistischen Szene in Hamburg entwickelte sich im Laufe der Corona-Pandemie mit den Protesten gegen Kundgebungen und Verlautbarungen der sogenannten Querfront-Bewegungen, an denen sich teilweise auch "Corona-Skeptiker" und Rechtsextremisten ( siehe Kapitel V., Punkt 8. "Entgrenzung des Rechtsextremismus") beteiligten. Daher rief das linksextremistische Lager zur "Gegenwehr" und Gegenprotesten auf. Linksextremisten unterstellen dabei den Sicherheitsbehörden, dass diese nicht konsequent genug gegen tatsächliche und vermeintliche Rechtsextremisten und "Corona-Leugner" vorgingen. Dabei werden von linksextremistischen Protestierern immer wieder vermeintliche Bezüge hergestellt, die das Narrativ nähren sollen, dass die Polizei, Verfassungsschutz und Rechtsextremisten als ein miteinander verwobenes Bündnis darstellen. Als weiteres Thema vereinnahmten Linksextremisten die Proteste und Demonstrationen in den USA, nachdem dort George Floyd bei einer Fest111 Linksextremismus nahme am 25. Mai 2020 getötet worden war. Die dortige Debatte über Gewalt und Rassismus seitens der Polizei wurde auf Deutschland übertragen. Altbekannte linksextremistische Stereotype hinsichtlich vermeintlicher Polizeigewalt und strukturellem Rassismus bei der Polizei wurden in einer Form in die politische Debatte eingebracht, um auch gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung insgesamt zu agitieren. Auch im Jahr 2020 stehen viele Straftaten der linksextremistischen Szene nach wie vor in einem Kontext zur Aufarbeitung der Geschehnisse rund um den G20-Gipfel im Jahr 2017. Zahlreiche Resonanzstraftaten wurden auch 2020 nach wie vor mit dem Gipfel und dessen juristischen Folgen begründet. Insbesondere der Prozess gegen die in der Szene wegen des Festnahmeortes verharmlosend als "Drei von der Parkbank" bezeichneten Personen, der am 5. November 2020 mit Freiheitsstrafen für alle Angeklagten endete, stand in Verbindung mit zahlreichen Anschlägen und Sachbeschädigungen. Auch dies belegt anschaulich, welche hohe Symbolwirkung den Verurteilten innerhalb der linksextremistischen Szene zukommt. Die drei Angeklagten waren am 8. Juli 2019 aufgrund des Verdachts der Vorbereitung von Brandanschlägen festgenommen worden (siehe dazu auch Verfassungsschutzbericht 2019, S. 100 ff. u. 107 ff.). Das Hanseatische Oberlandesgericht war überzeugt, dass sich die beiden Männer und die Frau zu Brandanschlägen verabredet hätten. Die "Interventionistische Linke" (IL) verfolgte im Jahr 2020 weiterhin die Strategie der Entgrenzung. So ISLAMISMUS setzten die postautonome IL sowie mit ihr zusammenarbeitende linksextremistische oder linksextremistisch beeinflusste Gruppierungen nach wie vor auf die AnschlussfähigLINKSRECHTSkeit an demokratische Organisationen und EXTREMISMUS demokratischgesellschaftlicher EXTREMISMUS Bereich Gruppen. In diesem Sinne agiert auch die im Sommer 2020 gegründete IL-Jugend, die sowohl mit Linksextremisten als auch mit nicht-extremistischen Gruppen zusammenarbeiten SCIENTOLOGY will. Um die Marke IL zu verschleiern, werden auch die Aktionsfelder "Antirassismus" oder Klimaschutz bemüht. Beispiele hierfür sind Aktionen links"Entgrenzung" als Strategie zur Besetzung geextremistisch beeinflusster Gruppierungen wie sellschaftlich breit diskutierter oder akzeptierter Themen durch Extremisten. Grafik: LfV HH 112 Linksextremismus der "Seebrücke Hamburg" zum Thema Seenotrettung und Flüchtlingspolitik oder "Ende Gelände" zum Thema Klimaschutz. Wie Rechtsextremisten, Islamisten oder Scientologen instrumentalisieren auch linksextremistische Gruppierungen gesellschaftlich relevante, populäre und breit diskutierte Themen, um Bündnispartner unter demokratisch engagierten Gruppen zu finden. Der Verfassungsschutzverbund bezeichnet diesen gezielten Versuch, die Grenze zwischen extremistischem und demokratischem Spektrum aufzulösen, um die eigene antidemokratische Ideologie zu verbreiten, als Entgrenzung ( siehe Punkt 6.1. "Entgrenzung des Linksextremismus"). 2. Potenziale Personenpotenziale Linksextremismus - Bund Im Jahr 2020 betrug das Potenzial linksextremistischer Organisationen und Vereinigungen bundesweit rund 34.300 Personen (nach Abzug von Mehrfachmitgliedschaften, 2019: 33.500). Davon sind 9.600 Personen (2019: 9.200) als gewaltorientierte Linksextremisten einzustufen (Autonome, Postautonome, Anarchisten und Antiimperialisten). Nicht gewaltorientierte dogmatische Linksextremisten und sonstige Linksextremisten: 25.800. 37.500 33.500 34.300 30.000 31.800 32.000 29.400 29.500 27.700 27.200 28.500 26.700 22.500 15.000 7.500 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 113 Linksextremismus Personenpotenziale Linksextremismus Bundesebene 19 20 20 20 Gesamtpotenzial (nach Abzug der Mehrfachmitgliedschaften) 33.500 34.300 davon Marxisten-Leninisten und andere 25.300 25.800 revolutionäre Marxisten (Angehörige von Kernund Nebenorganisationen) Gewaltorientierte Linksextremisten 9.200 9.600 Alle Zahlen sind gerundet 1 Einschließlich der offen extremistischen Zusammenschlüsse innerhalb der Partei DIE LINKE. In den Zahlen nicht enthalten sind Mitglieder linksextremistisch beeinflusster Organisationen. Enthält nicht nur tatsächlich als Täter / Tatverdächtige festgestellte Personen, sondern auch solche Linksextremisten, bei denen Anhaltspunkte für Gewaltorientierung gegeben sind. Erfasst sind nur Personenzusammenschlüsse, die feste Strukturen aufweisen und über einen längeren Zeitraum aktiv waren. Das Mobilisierungspotenzial der "Szene" umfasst zusätzlich mehrere Tausend Personen. - Die Zahlen für die Personenpotenziale sind gerundet - Personenpotenziale Linksextremismus - Hamburg Das linksextremistische Personenpotenzial in Hamburg blieb im Jahr 2020 mit rund 1.270 Personen (2019: 1.290) in etwa konstant. Der autonomen sowie der antiimperialistischen Szene gehörten 910 Personen an (2019: 865). Darüber hinaus stieg die Zahl von gewaltorientierten dogmatischen Linksextremisten auf 30 Personen gegenüber dem Vorjahr (2019: 25). Das LfV Hamburg stuft 2020 somit 940 Personen (2019: 940) als gewaltorientierte Linksextremisten ein, das sind mehr als 70 Prozent aller Linksextremisten in Hamburg. Das Potenzial der marxistisch-leninistischen Kernund Nebenorganisationen sowie revolutionär-marxistischen Gruppen ging auf circa 330 Personen (2019: 350) zurück. 114 Linksextremismus 1.500 1.250 1.335 1.290 1.270 1.220 1.120 1.120 1.120 1.110 1.100 1.000 1.090 935 940 940 750 770 650 620 620 620 630 620 500 250 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 Gesamtzahl Gewaltorientiert Personenpotenziale Linksextremismus Hamburg 19 20 20 20 Angehörige marxistisch-leninistischer Kernu. Nebenorganisationen sowie andere revolutionäre Marxisten 350 330 und Trotzkisten Gewaltorientierte (Post-/Autonome, Anarchisten u. 940 940 Antiimperialistischer Widerstand) Gesamtpotenzial 1.290 1.270 Alle Zahlen sind gerundet Die Zahl enthält die Mitglieder der revolutionär-marxistischen Organisationsteile der Partei DIE LINKE Das Mobilisierungspotenzial der "Szene" umfasst zusätzlich mehrere Hundert Personen - Die Zahlen für die Personenpotenziale sind gerundet - 115 Linksextremismus 3. Politisch motivierte Kriminalität (PMK) Die Zahl der in Hamburg insgesamt erfassten Straftaten im Rahmen der PMK Links lag mit 706 Taten im Vergleich zum Vorjahr auf einem höheren Niveau (2019: 493). Darin enthaltenen sind 229 linksextremistische Straftaten (2019: 66), davon 162 linksextremistische Gewaltdelikte (2019: 15). Zahlreiche Straftaten erfolgten im Zusammenhang des Prozesses der sogenannten "Drei von der Parkbank". Resonanzstraftaten für die drei mittlerweile Verurteilten gab es auch im weiteren Bundesgebiet sowie europäischen Ländern wie Griechenland und Großbritannien. Darüber hinaus gab es weitere Ereignisse und Versammlungen der Szene, zum Beispiel die Demonstrationen gegen vorgebliche "Polizeigewalt", die zu einem erhöhten Aufkommen an politisch motivierter Kriminalität führten. Politisch motivierte Kriminalität (PMK) Linksextremismus 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 PMK Linksextremismus 618 555 895 853 944 705 2157 396 493 706 gesamt davon linksextremistische 81 138 297 248 252 165 1625 96 66 229 Straftaten hiervon linksextremistische 48 64 187 219 211 126 1001 39 15 162 Gewaltdelikte Die Zahlen stammen aus den jeweiligen Jahres-Statistiken der Polizei Hamburg - Stand: Februar 2021 - 116 Linksextremismus 4. Militanzdebatte und linksextremistische Gewalt Gewaltorientierte Linksextremisten führen ihren Kampf gegen das "kapitalistische System", wie sie die parlamentarische Demokratie verstehen, mit gezielten Straftaten sowie eskalierender (Massen-)Militanz bei Demonstrationen. Aus Sicht Autonomer, Anarchisten und Antiimperialisten wird der "Kapitalismus", und damit die freiheitliche demokratische Grundordnung, für "strukturell gewalttätig" erachtet und in der Folge zum Teil mit roher Gewalt bekämpft. Verbale Militanz und Straftaten richten sich häufig gegen den von Linksextremisten abwertend so bezeichneten "Repressionsapparat" und seine Vertreter - Polizei, Justiz, Verfassungsschutz, gegen tatsächliche oder vermeintliche Rechtsextremisten, Unternehmen sowie Einrichtungen mit hoher Symbolwirkung für die Szene. INFOBOX Repression - laut DUDEN die "(gewaltsame) Unterdrückung von Kritik, Widerstand, politischen Bewegungen, individueller Entfaltung [und] individuellen Bedürfnissen", ist verknüpft mit Unterdrückung und Menschrechtsverletzungen in Diktaturen. Die linksextremistische Szene instrumentalisiert die Begrifflichkeiten Repression und Antirepression in innenpolitischen Zusammenhängen, um dem demokratischen Rechtsstaat und hier insbesondere dem Handeln von Polizei, Justiz und Verfassungsschutz die Legitimation abzusprechen. In Veröffentlichungen wird Staatsanwaltschaft, Gerichten und Sicherheitsbehörden angebliche "politische Verfolgung" vorgeworfen. Linksextremisten ignorieren aus ideologischen Gründen absichtsvoll, dass es sich bei der Bunderepublik Deutschland um einen Rechtsstaat handelt, in dem auch Szeneangehörige ihre Grundrechte in vollem Umfang in Anspruch nehmen können. Die sogenannte Antirepressionsarbeit gliedert sich zumeist in zwei Felder: in die finanzielle und juristische Unterstützung inhaftierter Linksextremisten; zudem in die Diffamierung von Polizei und Justizbehörden, beispielhaft sei hier das Netzwerk "Freiheit für alle politischen Gefangenen" genannt. Gerade mit dem vorgeblichen "Kampf gegen die Repression" werden immer wieder auch schwere Straftaten gerechtfertigt. 117 Linksextremismus Um die eigenen Ziele durchzusetzen, gilt Gewalt unter Linksautonomen, Anarchisten und Antiimperialisten als unverzichtbares und "legitimes" Mittel gegen die vermeintliche "strukturelle Gewalt" des "kapitalistischen" Staates und dessen "System von Zwang, Ausbeutung und Unterdrückung". Die Ausübung von Gewalt dient dabei auch als Ventil, um die eigene "Wut auf die Verhältnisse", also den "Kapitalismus", auszudrücken. Desgleichen lehnen Autonome das Gewaltmonopol des Staates ab. Eines ihrer markanten Erkennungszeichen ist die Bildung sogenannter "schwarzer Blöcke" im Rahmen von Demonstrationen. Schwarz gekleidete und teils vermummte Linksextremisten gehen aus dem Schutz einer nicht nur aus Extremisten bestehenden Menge gewaltsam gegen Rechtsextremisten oder auch eingesetzte Polizisten vor. Als Wurfgeschosse dienen ihnen unter anderem Steine, Flaschen und pyrotechnische Gegenstände sowie Brandsätze. Auch benutzen sie Fahnenstangen als Waffen. Solche Demonstrationen haben in der jüngeren Vergangenheit - vor allem durch coronabedingte Maßnahmen - nachgelassen. Als Kompensation auf das veränderte Verhalten ist zu konstatieren, dass sich eher kleine Gruppen gewaltbereiter Linksextremisten auf gezielte Aktionen im Umfeld von Versammlungslagen, aber auch völlig losgelöst davon, konzentrieren. Seit Jahren planen und begehen konspirative Kleingruppen Straftaten insbesondere gegen Fahrzeuge und Immobilien von Repräsentanten des Staates, Firmen, tatsächliche oder aus Sicht der Linksextremisten vermeintliche Rechtsextremisten. In Hamburg stehen auch Mitglieder der Bürgerschaft sowie des rot-grünen Senats im Visier militanter Linksextremisten, insbesondere Privatwohnungen und Fahrzeuge. Das Militanzverständnis autonomer Gruppen ist ein zentrales Element ihres politischen Selbstbildes. Dabei kommt es nicht zwingend darauf an, dass jedes einzelne Gruppenmitglied auch konkret gewalttätig agiert, sondern vielmehr darauf, dass die Anwendung von Gewalt größtenteils befürwortet wird und gewaltsame Aktionen auf breite Zustimmung in der Szene stoßen. Aus Sicht von Autonomen geht Gewalt stets vom Staat aus, auf die Linksextremisten lediglich mit Gegengewalt, quasi als "legitime Notwehr", reagieren. In der Szene wird seit Jahren darüber debattiert, wie weit Gewalt als Mittel zur Durchsetzung der eigenen Interessen gehen darf. Da Gewalt nach autonomem Verständnis immer auch vermittelbar sein muss, wurde lange Zeit grundsätzlich gezielte Gewalt gegen Menschen abgelehnt. Davon ausgenommen waren allerdings immer Angriffe auf Polizeibeamte sowie 118 Linksextremismus tatsächliche oder aus Sicht der Szene vermeintliche Rechtsextremisten. Sie gelten als personifizierte Feindbilder; ihre teilweise entmenschlichte Darstellung wird weitgehend akzeptiert. Der Polizist gilt nicht als menschliches Individuum, sondern als funktionierender Bestandteil des sogenannten "Repressionsapparates" - aufgrund der während militanter Demonstrationen notwendigen Schutzkleidung wird er als A.C.A.B. - "ALL COPS ARE BASTARDS", sinngemäß für "Alle "Robocop" bezeichnet. Ihm wird die Bullen sind Schweine", ist auch ein unter Linksextremisten genutzer Ausdruck, um die Ablehnung der Polizei zu symboMenschenwürde abgesprochen und losieren. (Symbolfoto) Foto: Pixabay.com Gewalt gegen ihn als legitim und vermittelbar betrachtet. Der überwiegende Szenekonsens - keine gezielte Gewalt gegen Menschen - ist in den vergangenen Jahren deutlich brüchiger geworden. Bereits 2019 wurde deutlich, dass schwere Strafund Gewalttaten in Deutschland, so unter anderem in Hamburg, Leipzig und Berlin, bei denen militante Linksextremisten auch Leib und Leben unbeteiligter Menschen in Gefahr brachten, eine Entwicklung genommen haben, die als neue Eskalationsstufe der Gewalt betrachtet werden muss (siehe dazu auch Verfassungsschutzbericht 2019, S. 107ff.) Diese Entwicklung hielt auch im Jahr 2020 an, wie Beispiele aus dem Bundesgebiet belegen. In Leipzig kam es in der Silvesternacht 2019/2020 zu schweren Ausschreitungen im Stadtteil Connewitz. Während der Ausschreitungen wurden drei Gruppenführer der Polizei durch Linksextremisten von ihrer Einsatzhundertschaft getrennt und von einer 20bis 30-köpfigen Personengruppe angegriffen. Dabei rissen die Täter den Beamten unter anderem die Schutzhelme vom Kopf und schlugen und traten auf jene ein. Ein Beamter verlor durch weitere Gewaltanwendung gegen dessen Kopf das Bewusstsein. Die Tat wurde von der dortigen Staatsanwaltschaft als versuchter Mord eingestuft. Bei einem Angriff von Linksextremisten auf drei vermeintliche Rechtsextremisten am 16. Mai 2020 in Stuttgart wurde einem der Angegriffenen, 119 Linksextremismus am Boden liegend, mehrfach gegen den Kopf getreten. Dabei erlitt der Geschädigte lebensgefährliche Verletzungen, lag anschließend mehrere Wochen im Koma und schwebte in Lebensgefahr. In diesem Fall wird wegen eines versuchten Tötungsdeliktes ermittelt. Am 23. November 2020 kam es zu einem versuchten Tötungsdelikt im Kontext der Einsatzmaßnahmen im hessischen Dannenröder Forst. Dabei durchtrennte ein unbekannter Täter aus dem linksextremistischen Spektrum eine Seilverbindung und brachte damit gezielt ein hochbeiniges Gestell aus Baumstämmen (ein sogenanntes "Twopod") zum Absturz. Zwei Beamte der Bundespolizei konnten sich nur mittels eines Sprunges vor den herabfallenden Baumstämmen in Sicherheit bringen. Die Baumstämme trafen das Führerhaus einer Baumaschine. Der Maschinenführer blieb nur aufgrund einer Schutzvorrichtung unversehrt. Auch diesen Fall stuft die hessische Staatsanwaltschaft als versuchtes Tötungsdelikt ein. In der Diskussion um Militanz schreiben sich Akteure aus dem linksextremistischen Spektrum regelmäßig eine moralische Überlegenheit zu, zumal oftmals unterstellt wird, dass Sicherheitsbehörden und Rechtsextremisten eine Einheit bildeten - so sehe man "offene Sympathien und Überschneidungen". Gewalt ist für die Szene von besonderer Wichtigkeit und erfüllt mehrere Funktionen; sie wirkt identitätsstiftend und fördert den Gruppenzusammenhalt, auch in Abgrenzung zu anderen Gruppierungen. Zudem geht es dem militanten Spektrum um mediale Aufmerksamkeit sowie anlassbezogen auch um die Radikalisierung demokratischer Initiativen. Beispielhaft hierfür ist der Aufruf vom 26. November 2020 zu einer Demo am 5. Dezember 2020. Anlass des Aufrufes war der Prozessauftakt der Strafverfahren im Kontext des G20-Aufmarsches am 7. Juli 2017 auf der Straße "Rondenbarg": "Militanter Antifaschismus ist nicht nur legitim, sondern notwendig [...] Faschisten und allen die sie schützen entgegentreten und das auf allen Ebenen und mit allen Mitteln! [...] bildet Banden und greift an! Die Nächte gehören uns!" Auch im Jahr 2020 kam es in Hamburg wieder zu zahlreichen Straftaten, die als weitere Belege für eine zunehmende Radikalisierung und Abschottung innerhalb der Szene gewertet werden können. So waren neben meh120 Linksextremismus reren Anschlägen (überwiegend Farbund Brandanschläge) auf Fahrzeuge und Gebäude von staatlichen Institutionen auch Privatpersonen und Firmen, oft Immobilienund Baufirmen oder andere symbolträchtige Institutionen, die stellvertretend für das in der Szene verhasste politische System, den "Kapitalismus" und die damit verbundene "Gentrifizierung" und "Repression" stehen, betroffen. Begründet wurden diese Aktionen meist aus Solidarität zugunsten besetzter Häuser in Berlin (zum Beispiel Liebigstraße), die zum Zeitpunkt der Tat kurz vor der Räumung standen sowie den in Hamburg inzwischen verurteilten sogenannten "Drei von der Parkbank". Anschläge dieser Art bedürfen einer genauen Vorplanung und valider Kenntnisse bei der Tatausübung, um letztlich erfolgreich zu sein. Daher ist es wahrscheinlich, dass zahlreiche Taten von identischen Kleinstgruppen ausgeführt werden, die von der Szene isoliert agieren. Auch das in der Szene kolportierte Narrativ, die "Repression" seitens der Sicherheitsbehörden nehme zu (staatliche Maßnahmen gegen "Drei von der Parkbank", G20-Gewalttäter und den Roten Aufbau Hamburg ), kann zu einer weiteren Radikalisierung führen ( siehe Punkt 5.1.4.1 "Roter Aufbau Hamburg). Eine zunehmende Abkapselung und Radikalisierung einzelner Gruppen innerhalb der Szene kann weitere Militanz und schwere Gewalttaten zur Folge haben, so dass auch die Schwelle zum Linksterrorismus erreicht und überschritten werden könnte. INFOBOX Terrorismus ist nach der Definition der Verfassungsschutzbehörden der nachhaltig geführte Kampf für politische Ziele, die mit Hilfe von Anschlägen auf Leib, Leben und Eigentum anderer Menschen durchgesetzt werden sollen, insbesondere durch schwere Straftaten, wie sie in SS 129 a Abs. 1 StGB genannt sind, oder durch andere Straftaten, die zur Vorbereitung solcher Straftaten dienen. 121 Linksextremismus Folgende Taten in Hamburg, die anschließend mit linksextremistischen Schwerpunktthemen wie der Solidarität mit den sogenannten "Drei von der Parkbank", Antikapitalismus, Antigentrifikation oder Antirepression begründet wurden, werden beispielhaft aufgeführt: f Exakt zum Jahresstart 2020 kam es zu einer Sachbeschädigung am Gebäude der Agentur für Arbeit in Altona-Nord. Unbekannte Täter zerstörten drei Fensterscheiben und warfen einen Brandsatz in einen dahinterliegenden Büroraum. Auf "de.indymedia.org" vom 1. Januar 2020 wurde die Tat in der Silvesternacht unter anderem als Solidaritätsbekundung mit den "Drei von der Parkbank" bezeichnet. "(HH) - Hurra, hurra, das Arbeitsamt brennt! [...] In der Hoffnung, dass das Feuer im Arbeitsamt bis über die Mauern des Knast am Holstenglacis zu sehen war, schicken wir solidarische Grüße an die 3 von der Parkbank." f Am 23. März 2020 wurde das Privatfahrzeug einer Zollbeamtin in Eimsbüttel angezündet. Als Tatmotiv wird angeben, dass "der Zoll als festes Standbein des deutschen Staates zu betrachten" sei und "die Diener des Staates dieselben Unterdrücker bleiben, auch wenn sie nach Feierabend ihre Uniformen ausziehen und in ihr bürgerliches Privatleben zurückkehren. Doch wenn sie nicht aufpassen trifft es sie auch vor der eigenen Haustür". Insofern stehen neben Vertretern des von Linksextremisten sogenannten "Repressionsapparates" Polizei, Justiz und Verfassungsschutz auch weitere Mitarbeitende von Institutionen, welche aus Sicht militanter Verfassungsfeinde der staatlichen Sicherheitsarchitektur angehören, im Fokus. Offensichtlich wurde in diesem Fall, wie bei ähnlichen Taten in den vergangenen Jahren, das Opfer gezielt ausgespäht, um die Sachbeschädigung am Fahrzeug in dessen persönlichem Rückzugsraum vollziehen zu können. f Die Sachbeschädigung an einem Fahrzeug einer Immobilienfirma am 15. Juni 2020 in Eimsbüttel begründeten die Täter wie folgt: Man habe "aus Solidarität mit den dreien und um die Eigentumslogik anzugreifen ...am 15. Juni ein Auto von Vonovia in der Paulinenallee angezündet". 122 Linksextremismus f Im Spätsommer und Herbst wurde die Polizei in Hamburg und Umgebung Ziel militanter Linksextremisten. Am 21. August 2020 wurde mittels mit Farbe gefüllter Glasbehältnisse die Außenstelle der Polizei in Hamburg-Rissen beschädigt. Am 28. September kam es zu einer Brandstiftung an einem Funkstreifenwagen der Polizei gegenüber des Polizeikommissariats 21 in Hamburg-Altona, und am 3. Oktober zu einer Sachbeschädigung des Dienstgebäudes der Polizei in Wentorf. Beim (Farb)-Angriff auf das Polizeigebäude in Rissen heißt es im SBS: "Bullen sind rassistisch [...] Bullen sind unsere Gegner... Niemand muss Bulle sein!". Mit der Aktion wolle man nicht nur gegen Rassismus, sondern auch gegen den Einsatz der Polizei als "Exekutive eines mörderischen, kapitalistischen Systems" protestieren. Am Ende heißt es unter anderem: "Freiheit für die drei von der Parkbank". f Im SBS zur Brandstiftung am Funkstreifenwagen der Polizei in Altona am 28. September werden von den Verfassern die vermeintlichen Misserfolge bei der strafrechtlichen Verfolgung linksextremistischer Taten in der Vergangenheit genannt. Mit der Festnahme der "3 Gefährt_innen von einer Parkbank" werde vom "über Jahrzehnte relativ erfolglosen Staatsschutz" jedoch ein "Megafahndungserfolg gegen militante Linke" präsentiert, wobei bis heute "keine gerichtsverwertbaren Erkenntnisse" vorgelegt worden seien. f Nach der Sachbeschädigung des Dienstgebäudes der Polizei in Wentorf verkündeten die mutmaßlichen Täter in ihrem SBS, dass man Solidarität mit den "3 von der Parkbank" zum Ausdruck bringen und "Nadelstiche setzen, [...] für ein Leben ohne Staat, Kapital, Rassismus, Sexismus und Knast!" wolle. Zudem erfolgt ein "kämpferischen Gruß an die Liebig34", ein von Linksextremisten besetztes und inzwischen geräumtes Haus in Berlin-Friedrichshain. Auch bundesund europaweit gab es nach wie vor Resonanzstraftaten und danach Solidaritätsbekundungen mit den sogenannten "Drei von der Parkbank". Dies ist ein Beleg für die Vernetzung des militanten linksextremis123 Linksextremismus tischen Spektrums und die hohe symbolische Bedeutung der inzwischen verurteilten drei Personen für die Szene. So kam es bereits Ende 2019 zu einem Brandanschlag auf eine Polizeistation in Griechenland und einen Angriff auf eine Justizvollzugsanstalt in Frankreich. Im Januar 2020 gab es in Paris einen Brandanschlag auf ein Fahrzeug eines Dienstleistungsunternehmens, das auch im Auftrag des Staates arbeitet. 5. Linksextremistische Strukturen in Hamburg 5.1. Gewaltorientierte Gruppen und Strukturen Zu den gewaltorientierten Linksextremisten zählen Autonome, einschließlich sogenannter postautonomer Gruppierungen wie der "Interventionistischen Linken", Antiimperialisten wie dem kommunistischen "Roten Aufbau Hamburg" und Anarchisten. Autonome agieren grundsätzlich organisationskritisch und undogmatisch, sie lehnen Hierarchien und feste Organisationsstrukturen, zum Beispiel Vereine oder Parteien, ab, finden sich aber trotz alledem in Vorständen eingetragener Vereinen wieder. Von dieser Organisationskritik grenzen sich die Postautonomen stark ab; sie sind bundesweit gut vernetzt und operieren auch mit anderen Gruppierungen des linksextremistischen Spektrums. Aus taktischen Gründen streben sie nach Kooperation und Bündnissen auch mit demokratischen Gruppierungen und instrumentalisieren dafür gesellschaftlich relevante und breit diskutierte Fragen wie Klimaund Umweltschutz oder das Thema Geflüchtete ( siehe Punkt 6.1. "Entgrenzung des Linksextremismus"). Anarchisten und Autonome weisen hinsichtlich ihrer organisationskritischen Haltung eine gewisse ideologische Nähe zueinander auf, zudem sind sie weniger dogmatisch als beispielsweise Antiimperialisten. Diese orientieren sich stärker an den Lehren von Marx und Lenin. Ein zentraler Bestandteil der antiimperialistischen Ideologie ist die "Solidarität" mit sogenannten "internationalistischen Befreiungsbewegungen". Hierzu zählen unter anderem Agitationen zugunsten von Kurden und Palästinensern. Zwischen autonomen und antiimperialistischen Strömungen existieren hinsichtlich der Bildung fester Gruppenstrukturen sowie den Nahost-Konflikt eine dauernde Sollbruchstelle und eine immerwährende Auseinandersetzung. So 124 Linksextremismus stehen Teile der autonomen Szene im Nahost-Konflikt nicht auf Seiten der Palästinenser, sondern auf der Seite Israels. 5.1.1. Autonome Szene ("Rote Flora") Autonome Szene Autonome sind gewaltorientierte Linksextremisten ohne einheitliches ideologisches Weltbild. Ihr politischer Kampf richtet sich gegen die bestehende politische und gesellschaftliche Ordnung. Den "Kapitalismus", den Autonome mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und der sozialen Marktwirtschaft gleichsetzen, lehnen sie als angebliche Ursache aller gesellschaftlichen Missstände ab und streben eine wie auch immer geartete sogenannte "herrschaftsfreie" Gesellschaft an - ohne hierarchische Strukturen und Gewaltmonopol des Staates und seiner Einrichtungen, insbesondere seiner "Repressionsorgane", also vor allem der Polizei, Justiz und Nachrichtendienste. Ein konkretes Modell einer solchen "herrschaftsfreien" Gesellschaft, welche die parlamentarische Demokratie überwinden soll, haben Autonome bisher nicht skizziert. Gewalt wird von Autonomen als legitimes Mittel zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele betrachtet. Vor allem bei Demonstrationen richtet sich die Militanz der Autonomen häufig gegen Polizisten als Vertreter des demokratischen Staates. Gewalt wird auch in der Auseinandersetzung mit tatsächlichen oder vermeintlichen Rechtsextremisten als notwendig angesehen. Die wichtigsten Agitationsfelder sind nach wie vor: Antifaschismus, Antimilitarismus, Antirassismus, Antiglobalisierung, Antiimperialismus, Stadtentwicklungspolitik/Anti-Gentrifizierung und Antirepression. Rote Flora Seit November 1989 ist das Gebäude die "Rote Flora" am Schulterblatt das Zentrum der autonomen Szene in Hamburg (siehe folgende Doppelseite) und ihr bedeutendster Treffund Veranstaltungsort. Sie wird auch von anderen gewaltorientierten linksextremistischen Gruppierungen als Treffpunkt genutzt, zum Beispiel Antifa-Gruppen wie der "Antifa Altona Ost". 125 Linksextremismus Trotz deutlicher ideologischer Spannungen innerhalb der heterogenen linksextremistischen Szene kommt es bei bestimmten Ereignissen zum Schulterschluss und zu Solidarisierungen. So gab es am 31. August 2020 Hausdurchsuchungen bei mehreren Mitgliedern des antiimperalistischen "Roten Aufbau Hamburg" ( siehe Punkt 5.1.4.1 "Roter Aufbau Hamburg). Eine Stellungnahme der "Roten Flora" mit dem Tenor "Gegen jede repressive Hetze und Angriffe auf die Radikale Linke! Statement zu den Razzien beim "Roten Aufbau"" erfolgte am 28. September 2020 auf de.indymedia. org. Darin heißt es unter anderem: "Immer wenn sich staatliche Repression gegen einzelne Betroffene bzw. Gruppen richtet, sind in der Konsequenz aber alle gemeint. Damit sollen jene, die sich mit den herrschenden kapitalistischen Verhältnissen, Ungleichheit, Unterdrückung, Diskriminierungen, der globalen Ausbeutung von Mensch und Natur und den Zwängen des neoliberalen Regimes nicht abfinden wollen, mindestens eingeschüchtert aber auch offen bekämpft werden. Das bedeutet, dass Solidarität unsere Waffe gegen staatliche Repression ist und eine kämpferische und geschlossene Abwehr diese Angriffe ins Leere laufen lässt." Die Rote Flora weist darauf hin, dass es zwischen ihr "und dem aktuell von Repression betroffenen Roten Aufbau tiefgreifende politische Widersprüche zueinander" gebe und sie "dessen ungeachtet ausdrücklich mit den betroffenen Menschen des Staatschutzangriffs solidarisch" seien. Das Schreiben schließt mit den Worten: "Kein Frieden mit den herrschenden Verhältnissen!" Die linksautonome Szene um die Rote Flora greift auch immer wieder überregional für die Szene Zitat aus der Stellungnahme der Roten bedeutsame Themenfelder auf. So verkündete sie Flora zu den "Razzien beim Roten Aufbau". Grafik: LfV HH drei Tage nach der Räumung des linken Kneipen-Kollektivs "Syndikat" am 7. August 2020 in Berlin auf ihrer Homepage ihre Solidarität und forderte die "Rückkehr der Kollektivist*innen in die Räume des Syndikats und einen Bruch der Seilschaften des Berliner Senats" mit einem britischen Immobilienkonzern. Ihre Stellungnahme endet mit dem Aufruf "Regierung stürzen jetzt und alle Tage - für eine selbstbestimmte, emanzipatorische Stadt von unten!" 126 Die "Rote Flora", aufgenommen Ende März 2019: Seit mehr als 25 Jahren ist das Gebäude am Schulterblatt das Zentrum der autonomen Szene in Hamburg. Die autonome Szene ist Teil des militanten linksextremistischen Spektrums. Linksextremismus 5.1.2. Autonome Antifa-Gruppen Das Engagement gegen Rechtsextremismus ist gesellschaftlich breit akzeptiert. Daher versuchen Linksextremisten, darunter autonome Antifa-Gruppierungen, vor dem Hintergrund ihrer strategischen Bündnispolitik, das Thema für ihre Zwecke zu instrumentalisieren und ihre verfassungsfeindliche Ideologie über die Zusammenarbeit mit demokratischen Gruppen, zum Beispiel zivilgesellschaftliche Initiativen, in bürgerlich-demokratische Kreise zu transportieren. Die Bekämpfung des Rechtsextremismus, auch unter AnwenAntifa-Logo dung körperlicher Gewalt, wird von Linksextremisten zugleich als Teil des Kampfes gegen die bestehende, aus ihrer Sicht "kapitalistische", Ordnung verstanden. Im Mittelpunkt stehen demonstrative Protestaktionen gegen Informationsstände und Veranstaltungen rechtsextremistischer und rechtspopulistischer Organisationen sowie das direkte Vorgehen gegen Einzelpersonen. Die Gewaltanwendung wird im Rahmen des "Kampfes gegen Rechts" als legitimes und geeignetes Mittel angesehen und als "antifaschistischer Selbstschutz" verharmlost. Eine gewalttätige Eskalation von Konflikten, beispielsweise im Kontext von Demonstrationen gegen rechtsextremistische Versammlungen, wird insbesondere von gewaltorientierten Linksextremisten bewusst in Kauf genommen und als Ausdruck besonders konsequenten Handelns angesehen. Auch in den sozialen Medien wird Gewalt bagatellisiert und als legitime Gegenwehr dargestellt. So wurde am 4. Juni 2020 vom Szenemedium "Antifainfopool Hamburg" auf Twitter eine Momentaufnahme militanter Linksextremisten in Griechenland gezeigt und die Szene vorgeblich aufgrund Twitter Eintrag von "Antifainfopool Hamburg" zu militanten Linksextremisten in Griechenland. der Einhaltung von SicherheitsScreenshoot vom 02.03.2021: LfV HH (Quelle: Twitter/@antifainfo) 129 Linksextremismus abständen, dem Tragen von Masken und Handschuhen, mit der Aussage "Vorbildlich!" bewertet. Auf dem Bild ist allerdings auch der kurz bevorstehende Einsatz von Molotow-Cocktails durch schwarz gekleidete Personen deutlich erkennbar. Am 21. Juni 2020 kam es in der Stuttgarter Innenstadt nach einer polizeilichen Kontrolle zu regelrechten Straßenkämpfen mit der Polizei. Personen aus der Partyszene solidarisierten sich mit dem Kontrollierten, verwüsteten Geschäfte und verletzten etliche der eingesetzten Beamten. "Antifainfopool Hamburg" postete über Twitter ein Video des Accounts "KeinFreundKeinHelfer", in dem unter anderem zu sehen ist, wie ein eingesetzter Beamter hinterrücks niedergetreten wird. Die Kommentierung von "KeinFreundKeinHelfer", man müsse sich gemeinsam gegen die "Polizeigewalt wehren" und solche Polizeimaßnahmen dürften nicht "unbeantwortet" bleiben, wurde von "Antifainfopool Hamburg" mit "So ist es [...]. Das müssen wir schon selber machen. Lasst euch nicht erwischen" unterstützt. Mittlerweile ist der Tweet von "KeinFreundKeinHelfer" auf dem Twitter-Kanal von "Antifainfopool Hamburg" nicht mehr verfügbar. Darüber hinaus ist die Recherchearbeit für die autonome Antifa von besonderer Bedeutung. So werden tatsächliche oder vermeintliche Rechtsextremisten sowie rechtsextremistische Strukturen gezielt ausgespäht. Die Veröffentlichung der Recherche hat zum Ziel, diese aus der Anonymität zu lösen und sie öffentlich zu stigmatisieren. Eine sogenannte "Outing-Aktion" erfolgte am 27. Februar 2020 über de. indymedia.org unter dem Titel "[HH] - Outingaktion von AfD-Politiker vor Bürgerschaftswahl". Die Publikation verfolge das Ziel, "Faschist*innen aus der Deckung holen". Im Beitrag werden die Adresse und weitere biografische Daten eines Politikers veröffentlicht, seine Zugehörigkeit zur AfD sowie Führungsfunktion in der "Jungen Alternative" herausgestellt. Zudem teilten die Verfasser mit, dass man vor der Bürgerschaftswahl bereits InfoFlyer in der Nachbarschaft des Betroffenen verteilt habe. Am 14. Juni 2020 publizierten Antifa-Angehörige einen Beitrag, dass sie am selben Tag einem "NPD-Kader" einen "Besuch abgestattet" und seine Nachbarschaft "darauf hingewiesen [hätten], dass ein bundesweit aktiver Neonazi unter ihnen zu Hause" sei. Auf einem beigefügten Foto wurde von 130 Linksextremismus den Linksextremisten ein Banner mit dem Tenor "Keine Ruhe für Nazis! Rechte Strukturen aufdecken & zerschlagen!" vor der Häuserfront präsentiert. Am 14. Oktober 2020 wurde eine Selbstbezichtigung mit dem Titel "[HH] Nazi-Bude mit Farbe markiert" veröffentlicht, da die Bewohner zunächst eine "schwarz-weiß-rote Auf der Facebookseite "Antifa Info Hamburg" wurde eine AbbilReichsfahne und anschließend eine dung mit dem Banner "Keine Ruhe für Nazis! Rechte Strukturen Flagge der Südstaaten" hissten, um aufdecken & zerschlagen!" veröffentlicht. Quelle: https://m.facebook.com/AntifaHamburg/photos/ ihren "Nationalismus und Rassismus nach außen zu tragen". Unter den zahlreichen Gruppierungen der autonomen Antifa weisen unter anderem die Gruppen "Antifa 309" und die "Antifa Altona Ost" (AAO) ein beständiges Maß an Kontinuität auf. So führte die "Antifa 309" aufgrund von "Naziaktivitäten" am 29. Juli 2020 einen "Stadtteilrundgang" durch Bramfeld und Barmbek durch. Über Twitter forderte die Gruppierung anschließend dazu auf, sich in den eigenen Vierteln zu organisieren und einen sogenannten "Antifaschistischen Selbstschutz" aufzubauen. Aufgrund der Corona-Pandemie konnten auch im Bereich der Antifa zahlreiche geplante Treffen nicht stattfinden. Der gruppenübergreifende Austausch, die Koordination und Mobilisierung der autonomen Antifa-Strukturen in Hamburg sind seitdem verstärkt über die bestehenden Internet-Informationsplattformen wie "Antifainfopool Hamburg", "Antifa Kollektiv" und "Antifa Info Hamburg" erfolgt. Auch der 1. Mai 2020 stand im Fokus der Antifa und weiterer linksextremistischer Gruppierungen. So hatte die rechtsextremistische Partei "Die RECHTE" unter Beteiligung des NPD-Landesverbandes für den 1. Mai 2020 in Hamburg eine Großdemonstration unter dem Motto "Der nationale Widerstand marschiert" geplant. Diese wurde jedoch aufgrund der Corona-Pandemie verboten. Zuvor hatte die linksextremistische Szene für Gegenprotest mobilisiert. Trotz des Verbots kamen gut 150 Gegendemonstranten zusammen. 131 Linksextremismus Am vom "Roten Aufbau Hamburg" (RAH) initiierten, nicht zugelassenen Aufzug "Krank ist das System! Heraus zum revolutionären 1. Mai", nahmen in der Spitze rund 400 Personen teil. Es kam zwischenzeitlich zu Störungen. Im Zuge der späteren Auflösung vor der "Roten Flora" wurden Einsatzkräfte mit Pyrotechnik und weiteren verletzungsträchtigen Gegenständen beworfen. Der "Schwarzer Block / Autonome Antifa" postete zum 1. Mai-Geschehen eine Meldung des "Ermittlungsausschuss" (EA) zu Festund Ingewahrsamnahmen mit dem Hinweis, Aufforderungen der "Repressionsbehörden" nicht nachzukommen und sich zur Unterstützung beim EA zu melden ( siehe Infobox "Ermittlungsausschuss (EA)" im Punkt 5.2.1 "Rote Hilfe e.V. (RH) / United We Stand (UWS)). Anlassund themenbezogen arbeiten Antifa-Strukturen mit anderen linksextremistischen Gruppierungen zusammen, auch wenn deutliche ideologische Unterschiede bestehen - insbesondere, wenn Szeneangehörige Gegenstand strafrechtlicher Ermittlungen sind. So reagierte die mit Verbindungen zum gewaltorientierten antiimperialistischen "Roten Aufbau Hamburg" (RAH) stehende "Antifa Altona Ost" (AAO) (siehe VSB 2019, Kapitel IV. Linksextremismus Seite 121) auf die polizeilichen Maßnahmen am 31. August 2020 gegen den RAH ( siehe Punkt 5.1.4.1 Roter Aufbau Hamburg (RAH)), wie auch die autonome Szene der Roten Flora, mit einem Solidaritätsaufruf. Demnach wären die Maßnahmen ein "Angriff auf uns alle". Um der Forderung Gewicht zu verleihen, schloss der Solidaritätsaufruf mit der Order "Strafft euch!". Auch der "Schwarzer Block / Autonome Antifa" veröffentlichte am 31. August 2020 einen Aufruf, sich mit dem von polizeilichen Durchsuchungen betroffenen RAH zu solidarisieren und einer Demo vor der "Roten Flora" anzuschließen. Für die Antifa stehen weiterhin Veranstaltungen der AfD im Fokus, da diese als Sinnbild für die vermeintliche Verfestigung rechtsgerichteter Organisationen in Deutschland und Europa stehen. Generell werden als Rechtspopulisten bezeichnete Parteien und Gruppierungen von der autonomen Antifa auf eine Ebene mit klassischen Rechtsextremisten wie der NPD gestellt. 132 Linksextremismus Am 20. Januar 2020 führte die AfD-Bürgerschaftsfraktion unter Teilnahme des Vorsitzenden der AfD-Bundestagsfraktion Dr. Alexander Gauland eine Veranstaltung im Hamburger Rathaus durch. Etwa 150 Personen, zum Teil aus der linksextremistischen Szene, betraten das Foyer des Rathauses und hinderten Besucher, die Räumlichkeiten im Rathaus zu betreten und später nach dem Ende der Veranstaltung zu verlassen. Als Polizeikräfte die Demonstranten zurückdrängten, wurde ein pyrotechnischer Gegenstand gezündet, wodurch sich mehrere Personen Knalltraumata zuzogen. Die AAO postete am gleichen Tag über soziale Medien das Statement "So muss das! Lasst uns die Wochen bis zur HH-Wahl präsent sein, wo immer die AfD auftaucht. Ob in der Fußgängerzone oder im Rathaus, machen wir der AfD deutlich, dass Hamburg sie nicht haben will!". Über "Antifa Info Hamburg" wurde noch während der Versammlung zur Lage gepostet: "Vor dem Rathaus stehen momentan noch 50 Antifas die lautstark gegen die AfD + Gauland demonstrieren. Danke für euren Einsatz! Hamburg bleibt antifaschistisch!". Über den Facebook-Account der "Antifa Info Hamburg" wurde aktuell zur "Lage" vor dem Rathaus gepostet. Screenshot vom 02.03.2021: LfV HH | https://www.facebook.com/AntifaHamburg/photos Einer Sachbeschädigung gegen das Wohnhaus des AfD-Landesvorsitzenden am 10. Februar 2020 in Hamburg durch mit blauer Farbe gefüllten Glasflaschen folgte am gleichen Tag eine Selbstbezichtigung mit dem Titel "Farbflaschen für Dirk Nockemann (AFD) - Gegen Rassismus und Repres133 Linksextremismus sion". Darin wurde angeprangert, dass die AfD für "Rassismus und Repression" stehe. Es sei "unerträglich", dass die AfD "in den Medien" vorkomme und "ihre menschenverachtende Propaganda" verbreite. Es sei "Kein Raum für Faschisten, weder auf der Straße noch in den Parlamenten!". Auch die Wohnung eines AfD-Funktionärs der Bezirksfraktion Hamburg-Mitte wurde am 20. Mai 2020 Ziel einer Sachbeschädigung mit roter Farbe durch Antifa-Angehörige. Ein weiterer linksextremistischer Themenschwerpunkt entwickelte sich mit dem Aufkommen der Corona-Proteste, beispielsweise gegen die sogenannte "Querfront-Bewegung". INFOBOX Der Begriff "Querfront" stammt historisch aus der Zeit der Weimarer Republik, dahinter stehen autoritäre, antidemokratische Staatsund Gesellschaftsvorstellungen. Hinter dieser Front quer durch politische Lager sollten sich unter anderem Teile der NSDAP, die Reichswehr sowie konservative Gewerkschaftler und Sozialdemokraten in einer "Volksgemeinschaft" sammeln, um über diese Massenbasis die parlamentarische Demokratie zu beseitigen und eine autoritäre Staatsform zu etablieren. In der Bundesrepublik wurden und werden Querfront-Konzepte unter anderem in den Bereichen Rechtspopulismus, Rechtsextremismus sowie bei Corona-Leugnern und Verschwörungsideologen diskutiert. 134 Linksextremismus nen für ein vermeintlich gleiches ,Ziel' auf die Straße geht, bildet einen Schulterschluss mit Rechts, ignoriert oder erkennt nicht die Gefahr, die von rechts ausgeht, treibt den Rechtsruck in der Gesellschaft voran und ermutigt andere Menschen dazu, sich einer solchen Querfront ebenfalls anzuschließen." 5.1.3. Postautonome Gruppen 5.1.3.1. Interventionistische Linke Hamburg (IL HH) Die Interventionistische Linke Hamburg (IL HH) ist in Hamburg die derzeit größte Organisation des postautonomen Spektrums. Sie ging aus der Hamburger Ortsgruppe des AVANTI-Bündnisses hervor, das weitere Ortsgruppen in Norddeutschland unterhielt. 2009 schloss sich AVANTI dem überregionalen Bündnis Interventionistische Linke (IL) mit momentan mehr als 30 Ortsgruppen in Deutschland und Österreich an und ging 2014 schließlich in dieser auf. In zahlreichen Veröffentlichungen schließt die IL Militanz als ein Mittel zur Überwindung der freiheitLogo der "Interventionistischen Linken" lichen demokratischen Grundordnung nicht aus und gilt daher als gewaltorientierte Gruppierung. Die IL versteht sich als breit aufgestellte, undogmatische Organisation des linksextremistischen postautonomen Spektrums, die sich keinen festen Prinzipien und ewigen ideologischen Wahrheiten unterordnet. Sie ist besonders aktiv in den Bereichen Antifaschismus und Antirassismus, aber auch in der Agitation gegen vermeintliche Repression durch staatliche Institutionen, in der Sozial-, Flüchtlingsund Klimapolitik und im Aktivismus gegen den Klimawandel. Sie vertritt eine antikapitalistische und eindeutig gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtete Ideologie. 135 Linksextremismus INFOBOX Postautonome - Die sich selbst auch als "postautonom" bezeichnenden linksextremistischen Gruppierungen haben ihre Wurzeln im autonomen Spektrum, sehen dessen Merkmale, Ideologie und Strategie jedoch als gescheitert an und verstehen sich als Antwort darauf. Postautonome wie die IL streben eine revolutionäre Umgestaltung der Gesellschaft an, aber nicht als abrupten Bruch, sondern als langfristig angelegten Prozess "vieler kleiner Brüche, die entlang von Kämpfen stattfinden". Aus taktischen Gründen öffnen sich Postautonome daher auch Bündnissen mit demokratischen Gruppen und instrumentalisieren dazu gesellschaftlich breit diskutierte Fragen. 136 Linksextremismus So gründete sich im Sommer 2020 eine "IL-Jugend Hamburg", welche meist gemeinsam mit ihrer Mutterorganisation an Demonstrationen und Kundgebungen der linken und linksextremistischen Szene teilnahm. Darunter war die Versammlung "Standhalten gegen Repressionswelle & Klassenjustiz" am 12. September 2020, eine Solidaritätsveranstaltung zur Unterstützung des von einem Ermittlungsverfahren betroffenen Roten Aufbau Hamburg (RAH). Bei den Protagonisten der "IL-Jugend Hamburg" handelt es sich nach Erkenntnissen des LfV Hamburg unter anderem Das Logo der "IL Jugend Hamburg" ist an das der Mutterorgaum einzelne Jugendliche und junge Erwachsene, die nisation angelehnt. zunächst im Rahmen der nicht-extremistischen Klimaschutzbewegung "Fridays for Future" sowie anschließend bei der Gruppierung "Anti Kohle Kidz Hamburg" aktiv waren. Die "Anti Kohle Kidz Hamburg" verstehen sich in einer Selbsteinschätzung als "eigens organisierter Teil von ,Ende Gelände'." Ende Gelände ist, wie Seebrücke Hamburg, eine von der IL beeinflusste Gruppierung. Wie zahlreiche weitere extremistische Gruppierungen nutzt auch die IL in zunehmender Weise soziale Medien. Über die verschiedenen Kanäle verbreiten die Protagonisten Berichte über eigene Aktionen, teilen Solidaritätsbekundungen mit anderen Linksextremisten, mobilisieren für organisationsübergreifende Demonstrationen und kommentieren regelmäßig aktuelle politische Vorgänge aus linksextremistischer Perspektive. Auch aufgrund der Corona-Pandemie verlagerte sich ein Teil des Aktionsbereichs von der analogen auf die digitale Ebene. Die IL Hamburg startete die insgesamt elf Folgen beinhaltende Podcast-Reihe "Corona-Krise-Kapitalismus", die über YouTube abrufbar war. Thematisch spiegelten die Folgen den Aktionsbereich der IL wieder. Der Erfolg des Formats blieb indes überschaubar: Die dokumentierten Abrufzahlen der jeweiligen Videos blieben bestenfalls im niedrigen dreistelligen Bereich. Kaum erfolgreicher blieben die "CoronaTalk" genannten aufgezeichneten Videoschaltkonferenzen der Bundesorganisation der IL, woran sich auch unterschiedliche Personen aus Hamburg beteiligten. 137 Linksextremismus Ein beherrschendes Thema auch im postautonomen Spektrum war der gewaltsame Tod von George Floyd bei seiner Festnahme am 25. Mai 2020 in Minneapolis im US-Bundesstaat Minnesota. Der Polizeibeamte, der auf dem Hals von George Floyd kniete, wurde am 29. Mai 2020 wegen Mordes angeklagt. Die entbrannte Debatte über Rassismus instrumentalisierte die IL in erheblichen Maße, um ihre grundsätzliche Ablehnung staatlicher Institutionen innerhalb der parlamentarischen Demokratie, allen voran Polizei und Verfassungsschutz, vorzubringen. Auf zahlreichen Demonstrationen, so etwa auf der aus dem Umfeld der Roten Flora veranstalteten Kundgebung anlässlich des Elbchaussee-Prozesses am 10. Juli 2020. Dort präsentierte die IL HH ein Transparent, auf dem sie die Auflösung der Hamburger Polizei forderte: "Von Minneapolis lernen: @PolizeiHamburg AUFLÖSEN! Rassismus bekämpfen!". In den sozialen Medien, u.a. auf dem Twitter Account der IL, wurde das Plakat ebenfalls abgebildet. Auf dem Twitter Account @inter_linke der IL wurde das Banner mit der Forderung die Polizei Hamburg aufzulösen gezeigt Quelle: https://twitter.com/inter_linke/status/1295647410396573697/photo/1 | Screenshot: LfV HH Die IL HH brachte damit eine alte ideologisch begründete Forderung unter dem Vorwand eines vermeintlich existierenden institutionellen Rassismus erneut vor. Neben der Beteiligung an vielen Aktionen und Demonstrationen veranstaltete die IL HH am 26. Juni 2020 eine eigene Kundgebung im Hamburger Schanzenviertel mit dem Titel "Polizei-Rassismus-Gewalt", welche das Publikum über den vermeintlich strukturellen Rassismus in der Polizei informieren sollte. 138 Linksextremismus 5.1.3.2. GROW Im Jahr 2020 war im Spektrum der Postautonomen neben der IL in Hamburg die "Gruppe für den organisierten Widerspruch" (GROW) stärker öffentlich präsent als in den Jahren zuvor, virtuell unterstützt durch einen sehr aktiven Twitter-Account. GROW engagiert sich, ähnlich der IL, insbesondere in den Themenfeldern Antifaschismus, Anti-Gentrifizierung, Anti-Repression und Antirassismus. Ein Beispiel sind vier Redebeiträge, die von mutmaßlichen Mitgliedern der Gruppe im Frühjahr 2020 von der Roten Flora aus gehalten wurden. Im ersten Beitrag vom 29. März 2020 forderte eine Frau unter anderem den Erhalt des Wohnprojekts an der Fährstraße 115 in Wilhelmsburg, dessen Abriss befürchtet wird. Unter der Vielzahl an genannten Forderungen befanden sich zudem das Verbot von "Zwangsräumungen" illegal bewohnter Mietobjekte oder die Legalisierung von Besetzungen leerstehender Wohnungen. In einer Rede vom 5. April 2020 erklärten sich die GROW-Anhänger solidarisch mit der Flüchtlingssolidaritäts-Aktion "#leavenoonebehind, die von der IL-beeinflussten Gruppierung "Seebrücke Hamburg" ins Leben gerufen wurde. Und am 19. April riefen die Sprecherinnen im Kontext des Prozesses gegen die sogenannten "Drei von der Parkbank" zur Unterstützung ihrer "Gefährten" auf. Ein Beispiel für die Gewaltorientierung der Gruppierung und die Glorifizierung von Gewalt gegen Polizeibeamte ist der Kommentar eines am 21. Juni 2020 retweeteten Videos, das den Fußtritt eines Mannes/Demonstranten gegen den Kopf eines Polizisten zeigt: "Not all heroes wear capes". Am 10. Juli zeigte GROW im Rahmen einer Demonstration anlässlich des Elbchaussee-Prozesses ein Transparent mit einem brennenden und stark an das Logo der Automarke BMW erinnerndes Symbol, dazu die AufBrennendes BMW Logo auf einem Transparent. schrift "Es muss ein Zeichen gesetzt werden." Gezeigt auf dem Twitter Account der GROW Gruppierung. Ein Foto von der Aktion veröffentlichte die GrupQuelle: https://twitter.com/GROWHamburg/ status/1281657463247220736 pierung später auf ihrem Twitter Account. 139 Linksextremismus GROW solidarisierte sich auch mit der am 6. November 2020 in Leipzig festgenommenen Lina E. Die Generalbundesanwaltschaft wirft der 25-Jährigen unter anderem vor, führendes Mitglied einer linksextremistischen kriminellen Vereinigung nach SS 129 StGB zu sein sowie gemeinschaftliche gefährliche Körperverletzung und besonders schweren Landfriedensbruch begangen zu haben. Im Haftbefehl vom 4. November 2020 wird ausgeführt: "Lina E. schloss sich spätestens im September 2019 einer linksextremistischen Vereinigung in Leipzig an. Ausschlaggebend für die spätestens im Januar 2019 erfolgte Gründung dieser Vereinigung war die von allen Mitgliedern geteilte militante linksextremistische Ideologie, die eine Ablehnung des bestehenden demokratischen Rechtsstaates, des Grundrechts auf freie Meinungsäußerung sowie des staatlichen Gewaltmonopols beinhaltet. Vor diesem Hintergrund führte die Vereinigung Angriffe gegen Personen durch, die aus Sicht der Vereinigung der ,rechten Szene' angehören." 5.1.4. Antiimperialistische Gruppen Das politische Grundgerüst antiimperialistischer Gruppen beruht auf Kernelementen des Marxismus-Leninismus. Diese verbinden sie mit dem Vorwurf, der Reichtum der Industrienationen ("imperialistische Großmächte") stütze sich auf die ökonomische Ausbeutung von Ressourcen in den Entwicklungsländern und werde militärisch gesichert. Antiimperialisten agitieren daher häufig gegen global tätige Konzerne sowie nationale und internationale Institutionen. Das Gewaltmonopol des Staates lehnen sie ab und reklamieren für sich zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele ein vorgebliches Recht auf Widerstand gegen das "System", welches auch gewalttätige Aktionen einschließt. Von Autonomen und Anarchisten grenzen sie sich aufgrund größerer ideologischer Differenzen ab, arbeiten mit ihnen aber anlassund themenbezogen zusammen. 140 Linksextremismus Regelmäßiger Treffpunkt eines Teils der Hamburger ist das "Internationale Zentrum" an der Brigittenstraße 5 (kurz: B5). Die dort ansässigen Gruppen solidarisieren sich mit terroristischen und kommunistischen Organisationen, zum Beispiel aus Indien, Peru und den kurdischen Autonomiegebieten. Die kriegerischen Auseinandersetzungen in der Ukraine, Syrien und dem Sudan sind ebenfalls Thema bei Veranstaltungen und Demonstrationen. Antiimperialistische Gruppen fordern nach wie vor die Gründung einer neuen kommunistischen Partei in Deutschland. Der antiimperalistischen Szene in Hamburg werden 2020 110 Personen zugerechnet (2019: 110). 5.1.4.1. Roter Aufbau Hamburg (RAH) Der Rote Aufbau Hamburg (RAH) hat wie im Jahr 2019 gut 60 Anhänger. Einer der Treffpunkte der militanten Gruppierung ist Roter Aufbau seit November 2019 der "Infound Kulturladen Lüttje Lüüd" im Gegenmacht aufbauen! Stadtteil Veddel, der seinen Sitz Auf ihrer Internetseite präsentiert zuvor in St. Pauli hatte. Die beiden eingetragenen Versich der "Rote Aufbau" mit diesem Logo. eine "Klassenkultur e.V." und "junges hamburg e.V." werden ebenfalls dem RAH zugerechnet. Über verschiedene kulturelle Angebote sollen junge Menschen für marxistische und leninistische Theorien interessiert werden. Einer der RAH-Protagonisten ist seit Jahren Halil S., der auch unter seinem Pseudonym "Deniz E." öffentlich aktiv ist, seine antidemokratische Ideologie in sozialen Netzwerken verbreitet und für Versammlungen mobilisiert. Zwei Beispiele: So organisierte Halil S. am 16. April 2020 eine Solidaritätskundgebung für einen mittlerweile verurteilten G20-Straftäter, Motto: "Freiheit für Toto! - Kampf der Klassenjustiz!". Seit Jahren fungiert S. auch als Anmelder und Organisator der häufig von gewaltsamen Ausschreitungen begleiteten sogenannten "Revolutionären-1.-Mai-Demonstrationen", im Jahr 2020 unter dem Tenor "Krank ist das System - Heraus zum 1. Mai!". 141 Linksextremismus Das coronabedingte Verbot dieser Versammlung wurde durch das Verwaltungsgericht Hamburg bestätigt. Trotz des Verbots kamen in der Spitze rund 400 Teilnehmer zu der Veranstaltung. Die Polizei musste die Versammlung auflösen. Danach kam es zu Störungen und Straftaten: So zündeten militante Linksextremisten Müll an, brannten Pyrotechnik ab und bewarfen die eingesetzten Polizeibeamten mit Flaschen und Steinen. Regelmäßig propagiert der RAH die gewaltsame Überwindung der parlamentarischen Demokratie, einen "revolutionären Aufbauprozess" und die Schaffung "bundesweiter kommunistischer Strukturen". In einem Internetbeitrag mit dem Titel "Marxismus und Verschwörungstheorien am Beispiel der Corona-Lüge" vom 10. Mai 2020 formuliert der RAH erneut seine Ziele. Darin heißt es unter anderem: Will man den Kapitalismus aufheben, muss man alle Kapitalisten enteignen. Deshalb ist es unsere Aufgabe, die Kämpfe um die Verbesserung der Verhältnisse der Vielen zu verbinden und das ganze System abzuschaffen. Der RAH engagiert sich auch in überregionalen linksextremistischen Bündnissen wie "Waterkant Antifa" und "Perspektive Kommunismus". Im September 2019 wurde das vom RAH dominierte und vor dem G20-Gipfel 2017 gegründete "G20entern"-Bündnis in "Waterkant Antifa" umbenannt, in dem verschiedene linksextremistische Gruppierungen und Einzelpersonen aus Hamburg und dem Umland aktiv sind. Zudem gibt es bundesweite Verbindungen und Kontakte zu weiteren militanten linksextremistischen Gruppen. Das Bündnis ist ein Beispiel dafür, dass gewaltorientierte Linksextremisten wie der Rote Aufbau, autonome Antifa-Gruppierungen oder die postautonome "Interventionistische Linke" anlassund themenbezogen zusammenarbeiten, obwohl sie sich ideologisch deutlich unterscheiden. Aufgrund der Corona-Pandemie gab es im Jahr 2020 deutlich weniger Demonstrationen und Kundgebungen. "Waterkant Antifa" unterstützte vor allem Aktionen im Kontext der Themenfelder "Antifaschismus" und "Antirepression", beispielsweise die Versammlung "Gemeinschaftlicher Widerstand - Solidarität mit den Rondenbarg-Betroffenen!" im November 2020 142 Linksextremismus am Bahnhof Altona im Zusammenhang der Prozesse gegen mutmaßliche G20-Straftäter. Das überregionale antiimperialistische Bündnis "Perspektive Kommunismus" besteht aus vier überregionalen kommunistischen Gruppen (RAH, Antikapitalistische Linke München, Linke Aktion Villingen-Schwenningen, Revolutionäre Aktion Stuttgart) und ist vor allem in den Themengebieten Klima, Antimilitarismus und Antifaschismus aktiv. Es setzt auf einen Klassenkampf vor Ort, den "Aufbau einer kommunistischen Organisation als zentraler Bestandteil eines revolutionären Prozesses" und will durch seine bundesweite Organisation Kräfte bündeln, um gewaltsame Aktionen im Kontext von Großereignissen gemeinsam vorbereiten zu können. Die parlamentarische Demokratie ("dieses System") gehöre aus Sicht von "Perspektive Kommunismus" "endlich auf den Müllhaufen der Geschichte": "[...] Unser Anspruch ist in dem Sinne revolutionär, dass wir nicht lediglich Änderungen innerhalb der bestehenden Verhältnisse fordern, sondern anstreben, diese grundsätzlich zu überwinden. Ziel ist [...] die Umwälzung der gesellschaftlichen Basis, der herrschenden Produktionsverhältnisse. Das bedeutet konkret die Abschaffung des Privatbesitzes an Produktionsmitteln und deren Vergesellschaftung. [...] Das Ziel ist der Aufbau des Sozialismus hin zu einer befreiten, einer kommunistischen klassenlosen Gesellschaft." Am 3. Dezember 2020 informierte das LfV Hamburg darüber, dass gewaltorientierte Linksextremisten für eine Demonstration zwei Tage später www mobilisierten (siehe Internetbeitrag "Gewaltorientierte Linksextremisten mobilisieren für eine Demonstration am Sonnabend" vom 3. Dezember 2020 auf www.verfassungsschutz.hamburg.de). Anlass der Demo war der Prozessauftakt gegen die ersten fünf Angeklagten im Zusammenhang mit dem Aufmarsch auf der Straße "Rondenbarg" während des G20-Gipfels. Den drei Frauen und zwei Männern wirft die Staatsanwaltschaft Hamburg vor, gemeinschaftlich mit anderen Aufmarschteilnehmern für die Gewalthandlungen gegenüber Personen und Sachen verantwortlich zu sein, die aus dem Aufmarsch heraus verübt wurden. Sie sind deshalb des schweren Landfriedensbruchs in Tateinheit mit tätlichem Angriff auf Vollstreckungs143 Linksextremismus beamte im besonders schweren Fall sowie mit versuchter gefährlicher Körperverletzung, Bildung bewaffneter Gruppen und Sachbeschädigung angeklagt. Der RAH dominiert auch die linksextremistische Gruppierung "Kollektiv Soziale Kämpfe", deren Mitglieder sich im März 2020 erstmalig im "Lüttje Lüüd" trafen. So organisierte die Gruppierung am 18. Juli 2020 eine Versammlung unter dem Motto "Gerade machen gegen ihre Krise - #nichtaufunseremrücken!", auf der die Coronabzw. Wirtschaftskrise, welche zu Lasten der Arbeiterklasse geht, thematisiert wurde. Anmelder der Versammlung war RAH-Protagonist Halil S. Am 31. August 2020 durchsuchte die Polizei Hamburg die Wohnungen von Halil S. und weiteren 22 Anhängern des RAH. Ihnen wird die Bildung einer kriminellen Vereinigung nach SS 129 StGB zur Last gelegt. Bei diesem Ermittlungsverfahren geht es um die Aufklärung eines Brandanschlages auf das Carport eines leitenden Hamburger Polizeibeamten (siehe Verfassungsschutzbericht 2016, S. 91), Anstiftung zu Straftaten, Landfriedensbruch und Sachbeschädigung. Anlässlich der Durchsuchungen wurden zahlreiche Asservate sichergestellt, deren Auswertung noch nicht abgeschlossen ist. 5.1.4.2. Sonstige antiimperialistische Gruppierungen Neben dem "Roten Aufbau Hamburg" waren im Jahr 2020 weitere antiimperialistische Gruppierungen in Hamburg aktiv; dazu gehören, bei personellen Überschneidungen, neben anderen die "Proletarische Jugend Hamburg" (PJH), "No pasaran Hamburg", das "Bündnis gegen imperialistische Aggression" (BgiA) und das "Netzwerk Freiheit für alle politischen Gefangenen" (Netzwerk). Proletarische Jugend Hamburg (PJH) Die gewaltorientierte "Proletarische Jugend Hamburg" (PJH) definiert sich als eine "internationalistische, antifaschistische, antikapitalistische und 144 Linksextremismus antiimperialistische Jugendgruppe aus Hamburg". Die parlamentarische Demokratie bezeichnen die selbsternannten "jugendliche[n] Kommunist*innen" als "Diktatur der Bourgeoisie", für deren Überwindung es "eine Revolution" geben müsse - unter Ausschluss "sozialpartnerschaftlicher Gewerkschaften und systemtreuer Parteien". Die Gruppe nahm 2020 an einigen regionalen und überregionalen Demonstrationen und Veranstaltungen teil. Dabei handelte es sich unter anderem um Veranstaltungen gegen vorgebliche "rassistische Polizeigewalt", eine bundesweite Demonstration für Rojava in Berlin und eine Solidaritätsdemonstration für ein linkes Zentrum in Burg (Sachsen-Anhalt). Im Juli 2020 nahm die Gruppe an der Versammlung "Gerade machen gegen ihre Krise - #nichtaufunseremrücken!" von der Gruppe "Kollektiv Soziale Kämpfe" teil. Die PJH gehörte im September 2020 auch zu den Unterzeichnern einer Solidaritätserklärung für den Roten Aufbau Hamburg, die nach den erfolgten Durchsuchungen beim RAH veröffentlicht wurde. No pasaran Hamburg "No pasaran Hamburg" bezeichnet sich als "ein loses Bündnis unterschiedlich orientierter Gruppen und Einzelpersonen, die Solidarität in Theorie und Praxis für vom Imperialismus bedrohte, erpresste und ökonomisch und militärisch angegriffene Staaten, Regionen und widerständige Bewegungen ausüben." Seinen Namen wählte das Bündnis mit Bezug auf die historische Losung "No pasaran". INFOBOX Der Ausruf "!No pasaran!" ("Sie werden nicht durchkommen") stammt aus der Zeit des Spanischen Bürgerkrieges und wird der Kommunistin und Revolutionärin Dolores Ibarruri zugeschrieben. 145 Linksextremismus auch ihr wissenschaftlicher Apparat, ihre Kultur und die Gegeninformation [starb] und die "SED" sich zur "sozialdemokratischen Linkspartei" wandelte. Im Januar 2020 nahm das Bündnis an Kundgebungen vor dem US-Generalkonsulat und dem Alsterpavillon in Hamburg teil. Im Mittelpunkt stand dabei die Kritik an der US-Politik gegenüber Iran. Ebenso nahm das Bündnis, das Israel eine "Apartheidspolitik" vorwirft, im Juli 2020 an der Versammlung "Nein zu den Annexionen Israels in Palästina!" teil. Auf dieser Veranstaltung wurden auch israelfeindliche Fahnen und Parolen gezeigt ( siehe Punkt 5.3.1 DKP Hamburg, SDAJ Hamburg und Marxistische Abendschulen). Bündnis gegen imperialistische Aggression (BgiA) Das "Bündnis gegen imperialistische Aggression" (BgiA) beschreibt sich als Zusammenschluss "von Gruppen, Organisationen, Parteien und Einzelpersonen aus verschiedenen Ländern". Der "antiimperialistische und internationalistische Kampf" sei die gemeinsame Basis. Das Bündnis veranstaltete im Juni 2020 eine Demonstration mit dem Tenor "Gegen Polizeigewalt und ihren Ausnahmezustand!". Im September 2020 veranstaltete das BgiA eine Informationsveranstaltung über den "Vorsitzenden Gonzalo". Dabei handelt es sich um Abimael Guzman, den inhaftierten ehemaligen Anführer der peruanischen Terrororganisation "Leuchtender Pfad". Netzwerk Freiheit für alle politischen Gefangenen (Netzwerk) Das "Netzwerk Freiheit für alle politischen Gefangenen" (Netzwerk) versteht sich als "Zusammenschluss verschiedener Organisationen und Einzelpersonen, um das Bewusstsein über Repression als Teil des Klassenkampfes von oben zu stärken und angegriffene Strukturen gemeinsam zu organisieren." Erwähnt werden Gruppierungen in Berlin, Hamburg und Magdeburg. Das Netzwerk ist seit 2009 Herausgeber der Publikation "Gefangenen Info", die ursprünglich als Organ der Solidaritätsarbeit für inhaftierte Mitglieder der linksterroristischen "Rote Armee Fraktion" (RAF) entstanden war, die zwischen 1971 und 1993 34 Menschen ermordete. Von dieser Tradition haben sich Netzwerk und "Gefangenen Info" bisher nicht gelöst. Im Fokus der Gruppe steht die Gefangenenbetreuung, besonders die der türkischen Gefangenen mit DHKP-C-Hintergrund. So organisierte das Netzwerk im August 2020 eine Kundgebung für einen in Hamburg inhaftierten Funktionär der DHKP-C. Das 146 Linksextremismus Netzwerk gehörte im September 2020 ebenfalls zu den Unterzeichnern einer Solidaritätserklärung für den Roten Aufbau Hamburg, die nach den erfolgten Durchsuchungen beim RAH veröffentlicht wurde. Im Oktober 2020 organisierte das Netzwerk eine Demonstration mit dem Tenor: "Gegen die Einheitsfeier am 3.10.!", das gemeinschaftliche Abbrennen einer Deutschlandfahne stellte dabei den dramaturgischen Höhepunkt des Aufzuges dar. An der Veranstaltung nahmen etwa 220 Personen aus dem Bereich der B5, der Roten Flora, ['solid], Antifa-Gruppierungen und aus dem orthodox-kommunistischen Bereich teil, aber auch nicht-extremistische Gruppierungen und ältere Einzelpersonen waren Teilnehmer des Aufzuges. Vom Netzwerk wurde im Oktober auch ein Informationsabend im "Internationalen Zentrum B5" durchgeführt. Mit der "kurzen Einführung in die Geschichte der Roten Armee Fraktion (RAF)" wolle man dazu beitragen, Die Broschüre "Eine kurze Einführung in die Geschichte der RAF". Thematisch "der bürgerlich diffamierenden Geschichtsschreipassend wurde vom Netzwerk ein Informationsabend dazu durchgeführt. bung die Vermittlung von authentischer Geschichte Quelle: http://www.gefangenen.info/ entgegenzusetzen." Zu diesem Thema existiert eine eine-kurze-einfuhrung-in-die-geschichteder-raf/ gleichnamige Broschüre, die über das Netzwerk herausgegeben wird. 5.1.5. Anarchisten Anarchisten streben nach einer selbstverwalteten Gesellschaft ohne Hierarchien und Herrschaft. Jede Art von Hierarchie bedeute "Unterdrückung von Freiheit", wird von ihnen abgelehnt und auch mit gewaltsamen Mitteln bekämpft. Dies gilt insbesondere für die parlamentarische Demokratie mit ihren Institutionen und Behörden. Diese GrundüberzeuDas A im Kreis: Ein oft benutztes anarchistisches Symbol. (Symbolbild) gung ist das verbindende Element innerhalb der Grafik: LfV HH 147 Linksextremismus zersplitterten anarchistischen Szene in Hamburg, der 2020 aktiv rund 70 Personen angehörten (2019: 50). Eine in Hamburg aktive anarchistische Gruppe ist die Ortsgruppe der bundesweit aktiven "Freien ArbeiterInnen Union" (FAU), die sich im Libertären Kulturund Aktionszentrum "Schwarze Katze" (LKA)" in Eimsbüttel trifft. Daneben existieren das selbstverwaltete "Libertäre Zentrum" (LIZ e.V.) im Karolinenviertel, welches in einer Bibliothek "anarchistische, anti-authoritäre, subversive pamphlete, texte, flyer, bücher" [Originalschreibweise] zur Verfügung stellt, sowie die "Sauerkrautfabrik" (SKF) in Harburg, in welcher sich die Mitglieder der anarchistischen "Libertären H-Burg" treffen. Anarchistische Aktionen Am 9. Januar 2020 brachten mehrere Täter im Stadtgebiet auf diversen Werbeträgern Plakate mit der Überschrift "Deutschland. Mal wieder voller Einzeltäter*innen" an. Auf den Plakaten wurden unter anderem rechtsextremistische und rechtsterroristische Gruppierungen sowie staatliche Stellen aufgeführt, in denen nach Überzeugung der Täter rechtsextremistische Strukturen existieren. Unter anderem enthielt die nicht abschließende Aufzählung neben "Klu Klux Klan", "AfD", "NSU", "Identitäre", "Pegida", "NPD", "Combat 18" auch Dienststellen von Polizei und Bundeswehr, den Verfassungsschutz und die Europäische Aktion. Unter dem anarchistischen Logo wird aufgefordert, "Faschist*innen Angrei"Gekapertes" Werbeplakat auf dem Bahnhof fen. Immer und Überall". Holstenstraße - "Deutschland. Mal wieder voller Einzeltäter*innen." Quelle: https://gei-ge.de/ "Anarchist*innen" veröffentlichten am selnode/157852800058713/46054.jpg ben Tag über de.indymedia.org eine Selbstbezichtigung mit dem Titel "(HH) Deutschland voller Einzeltäter*innen. Werbeplakate gekapert!" Nach Ansicht der Verfasser des SBS seien "Deutsche Nazis" keine Einzeltäter, sondern in subkulturellen und rechtsextremistischen Gruppen wie auch in staatlichen Stellen organisiert. 148 Linksextremismus 1. Mai-Demonstrationen Eine vom anarchistisch geprägten "1. Mai Bündnis" beantragte Versammlung unter dem Tenor "Wer lebt eigentlich von deiner Miete? Kapitalismus raus aus den Häusern!" wurde aufgrund der Corona-Eindämmungsverordnung von der Versammlungsbehörde untersagt. Diese Maßnahme wurde vom Oberverwaltungsgericht (OVG) Hamburg bestätigt. Am 30. April 2020 postete der dem Umfeld der Sauerkrautfabrik zuzurechnende Social-Media-Account "Schwarz-Roter 1. Mai HH" zur OVG-Entscheidung, dass man nun trotzdem "spazieren gehen" müsse. Am 25. April 2020 wurde ein von "Schwarz-Roter 1. Mai HH", "FAU-Hamburg" und dem "Plenum der SKF Harburg" gezeichneter Beitrag mit dem Titel "1. Mai - Kundgebung trotz Corona? Ein Statement!", veröffentlicht. Als Gründe, warum man trotz der Corona-Lage demonstrieren wolle, wurde unter anderem die "Einschränkung der Grundrechte" durch den "Repressionsapparat" behauptet - und all dies diene aus dieser anarchistischen Perspektive lediglich dazu, den "Motor des Kapitalismus" aufrechtzuerhalten. Mit Andauern der Corona-Pandemie wurden im Herbst 2020 zum Erhalt "linker Zentren" in Hamburg und Umgebung zwei gemeinschaftliche Spendenkampagnen durch die Antifaschistische Erholungsund Begegnungsstätte Heideruh e.V. mit Sitz in Buchholz in der Nordheide ins Leben gerufen. Anstatt individueller Aufrufe und Kampagnen sollte versucht werden, auf Basis von "Solidarität" einander zu unterstützen. Die Hilfsgelder sollen neben Heideruh e.V. unter anderem Treffpunkten wie dem "Centro Sociale", dem anarchistischen Laden "Incito", "Infoladen Schwarzmarkt", "Infoladen Wilhelmsburg", der "Sauerkrautfabrik" und dem "Libertäres Kulturund Aktionszentrum e.V. Schwarze Katze" zugutekommen. 149 Linksextremismus 5.2. Antirepression 5.2.1. Rote Hilfe e.V. (RH) / United We Stand (UWS) Die "Rote Hilfe e.V." (RH) wurde 1975 als "Rote Hilfe Deutschlands" unter maßgeblichem Einfluss der kommunistischen Kleinstpartei KPD/ ML (Kommunistische Partei Deutschlands/Marxisten-Leninisten) gegründet und 1986 in "Rote Hilfe e.V." umbenannt. Historisch nimmt sie Bezug auf die 1924 in der Weimarer Republik unter Federführung der "Kommunistischen Partei Deutschlands" (KPD) gegründeten "Rote Hilfe Deutschlands". Die RH bezeichnet sich als "parLogo der "Roten Hilfe e.V." teiunabhängige, strömungsübergreifende linke Schutzund Solidaritätsorganisation". Die RH gehört mit ihren bundesweit rund 11.000 Mitgliedern aus Angehörigen verschiedener linker und linksextremistischer Organisationen und Szenestrukturen zu den mitgliedsstärksten Gruppierungen des deutschen Linksextremismus. Auch wenn die Rote Hilfe selbst nicht gewalttätig agiert, gehört sie aufgrund ihrer gewaltunterstützenden und gewaltbefürwortenden Einstellung zur gewaltorientierten linksextremistischen Szene. Nur sehr wenige der 1.140 (2019: 1.000) Hamburger Mitglieder arbeiten aktiv in der Gruppe mit, die ihre Beratungen unter anderem im "Centro Sociale" durchführt. Von strafprozessualen Maßnahmen betroffene Linksextremisten werden finanziell, unter anderem bei Anwaltsund Gerichtskosten, unterstützt, sofern diese sich den Bedingungen der RH unterwerfen. Unter dem Motto "Solidarität ist eine Waffe" oder "Anna und Arthur halten's Maul" werden Angehörige der linksextremistischen Szene zu einer konsequenten Verweigerung der Zusammenarbeit mit den Sicherheitsbehörden gedrängt, um die Aufklärung von Straftaten zu erschweren. Den Betroffenen daraus entstehende Nachteile sollen durch das Versprechen der Solidarität kompensiert werden. Mit seiner gewaltbefürwortenden Einstellung hat der Verein RH e.V. eine wichtige stabilisierende Funktion für die gesamte linksextremistische Szene, denn er verspricht potenziellen 150 Linksextremismus linksextremistischen Strafund Gewalttätern bereits ideologische und finanzielle Unterstützung, bevor diese ihre Taten überhaupt begangen haben. Arbeiten militante linksextremistische Täter allerdings auch nur im Ansatz mit staatlichen Akteuren im Rahmen von Ermittlungsverfahren zusammen, dann entfällt die juristische und finanzielle Unterstützung durch die Rote Hilfe. Mit der 2019 gestarteten Kampagne "Solidarität verbindet" will die RH ihren Bekanntheitsgrad steigern und neue Mitglieder gewinnen. Im Rahmen dieser Kampagne zeigte sich die Ortsgruppe Hamburg, wie zahlreiche weitere linksextremistische Gruppierungen, solidarisch mit dem antiimperialistischen "Roten Aufbau Hamburg" (RAH), bei dem am 31. August 2020 Durchsuchungen im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens stattgefunden hatten. Unter dem Stichwort "standhalten" richtete die Rote Hilfe Hamburg ein Spendenkonto ein. Die Rote Hilfe-Kampagne "United We Stand" (UWS) Nach dem G20-Gipfel im Juli 2017 gründete die RH Hamburg die Kampagne "United We Stand". Ihr gehören rund 15 Gruppen der linksextremistischen Szene an, neben der Roten Hilfe, der Ermittlungsausschuss (EA) und der Rote Aufbau Hamburg (RAH). INFOBOX "Ermittlungsausschuss" (EA) nennen sich häufig Personenzusammenschlüsse, die andere Linksextremisten bei Demonstrationen, politischen Aktionen, Strafverfolgung oder Gerichtsverfahren unterstützen. "United We Stand" organisiert seit dieser Zeit unter anderem Solidaritätskundgebungen zu anstehenden G20-Gerichtsverfahren vor dem jeweiligen Gericht und dem Untersuchungsgefängnis. Dies ist, da noch laufende G20-Prozesse verhandelt werden, nach wie vor ein Thema in der Szene. Jedoch ist ein stetiger Rückgang der Teilnehmerzahlen zu verzeichnen. Im 151 Linksextremismus Jahr 2020 organisierte UWS auch Solidaritätsveranstaltungen für die mittlerweile verurteilten linksextremistischen Straftäter, die als "Drei von der Parkbank" bezeichnet werden (siehe Verfassungsschutzbericht 2019, S. 101 sowie Punkt 4. Militanzdebatte und linksextremistische Gewalt). 5.3. Orthodoxe Kommunisten und andere revolutionäre Marxisten Als "orthodoxe Kommunisten" werden Parteien und parteiähnliche Organisationen bezeichnet, die den Ideologien von Marx, Engels und Lenin (Marxismus-Leninismus) folgen. Hierzu zählen insbesondere die "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP), revolutionär-marxistische Teilstrukturen der Partei DIE LINKE und trotzkistische Gruppierungen. 5.3.1. DKP Hamburg, SDAJ Hamburg und trotzkistische Gruppierungen Die "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP) wurde 1968 in Essen gegründet und ist die Kernorganisation der orthodoxen Kommunisten. Sie bekennt sich zur Theorie von Marx, Engels und Lenin als Richtschnur ihres politischen Handelns und sieht sich in der Tradition der 1956 vom Bundesverfassungsgericht verbotenen verfassungsfeindlichen KPD. Ihrer Weltanschauung zufolge ermöglicht nur der revolutionäre - auf die Realisierung des Kommunismus gerichtete - Sozialismus eine Lösung aller gesellschaftliLogo der Deutschen Kommunistischen Partei chen Probleme. Das zentrale Ziel der DKP bleibt der "grundlegende Bruch mit den kapitalistischen Eigentumsund Machtverhältnissen" sowie die Errichtung einer zunächst sozialistischen und letztendlich kommunistischen Gesellschaft. Nach Lesart der DKP sei die sogenannte "Diktatur des Proletariats" im Übrigen auch der Schlüssel zur Überwindung der Klimakrise und der Corona-Pandemie. Die DKP steht 152 Linksextremismus damit im unauflösbarem Gegensatz zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung und der parlamentarischen Demokratie. Die DKP Hamburg hat ihre Parteizentrale im "Magda-Thürey-Zentrum" (MTZ) in Eimsbüttel. INFOBOX Magda Thürey - Die 1899 in Hamburg geborene Lehrerin Magda Thürey war eine Kommunistin und Widerstandskämpferin gegen den Nationalsozialismus. Sie starb im Juli 1945 an den Folgen 18-monatiger brutaler Gestapo-Haft. 153 Linksextremismus Am 10. Juli 2020 fand auf dem Gerhart-Hauptmann-Platz eine israelfeindliche Versammlung unter dem Motto "Nein zu den Annexionen Israels und Palästina" statt. Aufgerufen wurde hierzu von der DKP Hamburg, der Proletarischen Jugend Hamburg, der PFLP nahestehenden Personen und antiimperialistischen Gruppierungen. INFOBOX Die Palästinenserorganisation "Popular Front for the Liberation of Palestine" (PFLP, deutsch "Volksfront zur Befreiung Palästinas") wurde 1967 gegründet und ist politisch-ideologisch, militärisch und terroristisch aktiv. Von der EU und den USA wird sie als Terrororganisation gelistet. 154 Linksextremismus INFOBOX Die sogenannte "Boycott, Divestment, Sanctions"-Bewegung (BDS) ist keine feste Organisation, sondern eine seit 2005 existierende lose Verbindung von Aktivisten und Organisationen, die ein gemeinsames Ziel verbindet. Mithilfe des Boykotts israelischer Produkte sowie Personen aus dem künstlerischen und wissenschaftlichen Bereich soll Druck auf den Staat Israel ausgeübt werden, damit dieser die "Besatzung und Kolonisierung allen arabischen Landes" beendet. Sie fordert zudem ein Rückkehrrecht aller palästinensischen Flüchtlinge (und deren Nachkommen) seit 1948. Darüber hinaus arbeitet sie mit der terroristischen "Popular Front for the Liberation of Palestine" (PFLP) zusammen. 155 Linksextremismus SDAJ Hamburg Der Jugendverband "Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend" (SDAJ) ist formal unabhängig, betrachtet sich aber als Nachwuchsorganisation der DKP. Er wurde, wie die DKP, 1968 in Essen gegründet. Die SDAJ bezeichnet sich auf ihrer Homepage als eine Selbstorganisation von Schülern, Auszubildenden, jungen Arbeitern und Studenten, die in Deutschland leben, unabhängig von ihrer Herkunft oder ihrem Pass. Regelmäßig organisiert die SDAJ Hamburg gemeinsam mit der DKP Hamburg öffentlichkeitswirksame Veranstaltungen im MTZ, die 2020 pandemiebedingt in geringerem Umfang stattfanden. Die thematischen Schwerpunkte der SDAJ Hamburg waren zumeist mit denen der DKP Hamburg identisch. Auch hier wurde die Zusammenarbeit mit antiimperialistischen Gruppierungen, wie beispielsweise der Proletarischen Jugend Hamburg oder der BDS-Bewegung forciert. Insgesamt zeigten die Hamburger Traditionskommunisten von DKP und SDAJ im Jahr 2020 eine stärkere Hinwendung zu antiimperialistischen Erklärungsmustern als in den vorangegangenen Jahren. Darüber hinaus versuchte die SDAJ sich in der politischen Erinnerungsarbeit ein kommunistisches Profil zu erarbeiten. Anlässlich des 30. Jahrestages der Wiedervereinigung verklärte die SDAJ dabei die DDR als das bessere politische System. Marxistische Abendschulen (MASCH) in Hamburg Die "Marxistische Abendschule - MASCH e.V." wurde 2007 auf Initiative der DKP in Wilhelmsburg gegründet, deren Trägerverein ist die Marxistische Arbeiterschule e.V. Nach eigenen Angaben fördere der Verein die Volksbildung, Wissenschaft und Forschung vor allem durch die Vermittlung von Grundlagenkenntnissen über den Marxismus, insbesondere anhand der Originaltexte von Marx, Engels und Lenin. Auch im Jahr 2020 sind entsprechende Veranstaltungen beworben worden. Auf der Grundlage der marxistischen Methode sollen Aktivisten herangebildet werden, um den sogenannten "Traum von einer besseren Gesellschaft" zu verwirklichen. Mit der Überwindung des "Kapitalismus" soll auf diese Weise ein Staatswesen auf der Grundlage des Marxismus-Leninismus errichtet werden. Eine solche Gesellschaftsform ist mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung unvereinbar. 156 Linksextremismus Die Veranstaltungen der "MASCH" finden zumeist im Marxistischen Bildungszentrum "MaBiz" in Eimsbüttel statt. Neben dieser in Wilhelmsburg gegründeten "MASCH" besteht in Hamburg seit 1981 die ebenfalls auf DKP-Initiative gegründete "Marxistische Abendschule - Forum für Politik und Kultur e.V.". Die Veranstaltungen dieser zweiten marxistischen Abendschule richten sich meist an ein universitäres Publikum. So werden jedes Semester Lesungen zu den Werken Karl Marx angeboten, auch im Jahr 2020. Mit Hilfe dieser Theorieschulungen sollen Alternativen zur bestehenden demokratischen Staatsund Gesellschaftsordnung der Bundesrepublik Deutschland entwickelt werden. Die Inhalte werden von einem Lehrkörper vorgetragen, der teilweise seit den frühen 80er Jahren in dieser Einrichtung tätig ist. Die Überwindung des "Kapitalismus" stellt für diese Gruppe dabei ein zentrales Anliegen dar. Beiden "Abendschulen" ist gemein, dass diese die freiheitliche demokratische Ordnung überwinden möchten, um an ihre Stelle einen Staat zu errichten, der auf den Grundlagen des Marxismus-Leninismus fußt. 5.3.2. Extremistische Teilstrukturen in der Partei "DIE LINKE" Die Gesamtpartei DIE LINKE wird vom Hamburger Verfassungsschutz seit 2008 nicht mehr beobachtet, sondern nur noch deren revolutionär-marxistische Strömungen. Diesen wurden im Jahr 2020 80 Personen zugerechnet (2019: 80). In Hamburg ist insbesondere der parteinahe Jugendverband Linksjugend ['solid] aktiv. Weitere linksextremistische Gruppierungen innerhalb der Hamburger Partei DIE LINKE sind die "Kommunistische Plattform" (KPF), Marx21, Cuba Si sowie die "Sozialistische Linke" (SL). Linksjugend ('solid) Die Hamburger Gruppierung der Linksjugend ['solid] hat auch 2020 zu Demonstrationen der verschiedensten Aktionsfelder aufgerufen, häufig zu den Themen "Antirassismus" und "Klimaschutz". Immer wieder wurden dabei alte Logo der Linksjugend 'solid. kommunistische Forderungen vorgetragen. So unter157 Linksextremismus stützte ['solid] mehrfach auch Protestzüge von der gewaltorientierten "Interventionistischen Linken" beeinflussten Gruppierung "Seebrücke Hamburg". 5.3.3. Trotzkisten Sozialistische Alternative (SAV) Die "Sozialistische Alternative" (SAV) ist eine relevante trotzkistisch ausgerichtete Gruppe in Hamburg. Ihre Mitglieder engagieren sich unter anderem bei ['solid] und in der Partei DIE LINKE. Die Aktivisten der SAV setzten 2020 vor allem auf die Themen "Antirassismus", Solidarität mit kommunistischen Bewegungen in Afrika und Südamerika und Klimaschutz. Unter dem Motto "System change not climate change - but what system?" versuchten auch die Trotzkisten mit einer Veranstaltung am 1. Oktober 2020 im Centro Sociale an die Klimaproteste anzudocken. INFOBOX Trotzkismus - Der nach dem russischen Revolutionär Leo Trotzki benannte Trotzkismus wird geprägt durch die sogenannte Theorie der permanenten Revolution, wonach der politische Prozess nicht mit einer proletarischen Revolution endet. Trotzkistische Gruppen versuchen, mit ihrer "Entrismus" genannten Unterwanderungsstrategie Einfluss in linksextremistischen und linken Organisationen zu gewinnen. 158 Linksextremismus Logo der "Marxistische Studierende Hamburg" auf deren Facebook Seite. Oberhalb steht "Join the struggle against capitalism", was übersetzt "Schließen Sie sich dem Kampf gegen den Kapitalismus an" bedeutet. bringen. Insbesondere jungen Studierenden sollen die Lehren Marx und Engels in Workshops nähergebracht werden. So erhielten die Marxistischen Studierenden im Rahmen der Einführungstage für Studienanfänger des Wintersemesters 2020/2021 an der Universität Hamburg mit der Veranstaltung "Wie wir den Kapitalismus überwinden" eine Plattform für die Verbreitung ihrer Ideologie. Darüber hinaus versuchen die Angehörigen dieser Gruppierung, auch aktuelle Themen wie Klimaschutz für ihre Zwecke zu instrumentalisieren. So nahm die Gruppe am 25. September 2020 am sogenannten "Klimastreik teil und mobilisierte im Vorfeld zu dieser Kundgebung. Die Gruppierung proklamierte dabei, dass der Klimawandel nur durch den Sozialismus und eine sozialistische Revolution aufzuhalten sei und sieht die aktuellen Umweltprobleme allein im "Kapitalismus". Das gesellschaftlich relevante und breit diskutierte Thema Klimaschutz wird als Vorwand benutzt, um die eigene kommunistische (und damit extremistische) Ideologie weiter voranzubringen, allein der Sozialismus oder Kommunismus seien aus dieser antidemokratischen Perspektive als erlösende Ideologien in der Lage, das Klima zu retten. In zahlreichen Veröffentlichungen wird das ideologische Grundgerüst dieser Gruppierung deutlich, welches in einer unauflöslichen Frontstellung zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung steht: So "kämpfe" die Gruppierung "auf allen Kontinenten für sozialistische Theorie und Praxis, einen Sturz des Kapitalismus und eine weltweite sozialistische Demokratie". Parlamentarische Demokratie und das freie Mandat der Abgeordneten lehnen die "Marxistischen Studierenden" ab: "Der Parlamentarismus" sei "das ideale Werkzeug der Bourgeoisie." Eine "Möglichkeit der Abwählbarkeit von Abgeordneten" sei angeblich "gar nicht gegeben". Der Artikel 38 des Grundgesetzes wird abwertend als "Grundgesetz-Phrase" bezeichnet: "Der Abgeordnete ist nur seinem Gewissen unterworfen" hieße nichts anderes, 159 Linksextremismus dass er vermeintlich "frei von den Interessen seiner Wähler agieren" könne. Aus marxistischer Perspektive seien im Übrigen "Diktatur und Demokratie keine Gegensätze", Diktatur ließe sich mit "Herrschaft einer Klasse gut übersetzen". Als künftige Gesellschaftsform sei eine "Rätedemokratie" nach Vorbild der Pariser Kommune zu etablieren, eine "Diktatur des Proletariats". Nicht zuletzt betont die verfassungsfeindliche Gruppierung "Marxistische Studierende Hamburg", dass sich "viele von uns [...] solidarisch in der Partei DIE LINKE und Linksjugend ['solid] sowie den großen DGB-Gewerkschaften" engagieren und "dabei unsere politische und organisatorische Unabhängigkeit als Zusammenschluss revolutionärer MarxistInnen" bewahren. INFOBOX Die Rätedemokratie ist eine Gesellschaftsund Wirtschaftsordnung, bei der alle Macht ohne Gewaltenteilung von Räten ausgeht. Die grundlegenden Entscheidungseinheiten bilden Basisgruppen, die sich beispielsweise in Kommunen oder Betrieben organisieren. Als historisches Vorbild gilt die Pariser Kommune von 1871. 160 Linksextremismus tierte Themen dienen ihnen strategisch und taktisch dazu, mit nicht-extremistischen Initiativen Allianzen zu gründen oder bestehende Bündnisse zu beeinflussen und zu steuern, um die eigene totalitäre Weltanschauung in die demokratische Mitte der Gesellschaft bringen zu können. INFOBOX Entgrenzung - Vor allem in den Phänomenbereichen Linksextremismus, Rechtsextremismus und Islamismus hat die Abgrenzung zwischen extremistischen und nicht-extremistischen Bereichen an Trennschärfe verloren, insbesondere über die gezielte strategische und taktische Besetzung gesellschaftlich breit diskutierter oder akzeptierter Themen durch Extremisten; sie nutzen in diesem Kontext alle Möglichkeiten des Internets, speziell sozialer Netzwerke, um ihre Thesen und Ideen zu verbreiten und Kampagnen zu unterstützen. Dieser Versuch, die Grenzen zwischen demokratischem und extremistischem Engagement aufzulösen, wird im Verfassungsschutzverbund als "Entgrenzung" bezeichnet. 161 Linksextremismus augenmerk lag dabei auf den Zustänhutz den im Flüchtlingslager in der m asc i Ortschaft Moria auf der grieKl chischen Insel Lesbos. Zu htlinge Flüc diesem Zweck wurden hauptsächlich im Frühjahr und Sommer zahlreiche Interventionistische Linke Versammlungen verandemokratischAntifa gesellschaftlicher Roter Aufbau Hamburg staltet, bei denen K. in der Regel als Redner den Ton Bereich vorgab. IL-Protagonist K., G lo b g dem eine Führungsrolle a li s i e r u n innerhalb der Seebrücke m Ka Hamburg zugeschrieben werden pf "g e gen Rec ht s " kann, trat daneben nicht nur als Anmelder und Leiter etlicher Versamm"Entgrenzungsthemen" lungen der Organisation auf, sondern fungierte regellinksextremistischer Organisationen/Gruppierungen mäßig auch als Ansprechpartner für die Presse. Außerdem begleiteten er und seine Mutterorganisation (IL) die Illustration LfV HH Versammlungen intensiv über eigene Kanäle in den sozialen Medien. Für ihn ist zudem ein behauptetes Fehlverhalten der Sicherheitsbehörden ein beherrschendes Thema, dabei hält er "Rebellion" gegenüber dem Staat für gerechtfertigt. Ähnliches wie für die Seebrücke Hamburg gilt für den Hamburger Ableger des bundesweit agierenden Aktionsbündnisses "Ende Gelände". Hier nimmt die IL HH, nachdem sie entscheidend am Aufbauprozess mitgewirkt hatte, Einfluss auf die Ausrichtung und die Aktionsweise der Gruppierung. Auch im Jahr 2020 riefen Ende Gelände Hamburg und die IL HH zur Teilnahme an der jährlich stattfindenden Ende-Gelände-Massenaktion im rheinischen Braunkohlerevier auf, in dessen Rahmen es regelmäßig zu Straftaten kommt. Bei dieser Aktion, zu der bundesweit mobilisiert wurde, versuchten Gegner des Braunkohleabbaus auf das Werksgelände von Unternehmen einzudringen, um dort die für den Abbau von Braunkohle nötige Infrastruktur zu blockieren. Begleitet wurden die Mobilisierungsaufrufe zur Massenaktion und auch zu anderen Veranstaltungen der Gruppierung von der beliebten und unzweideutigen Parole "System Change not Climate Change". Nicht zuletzt an diesem Aufruf wird deutlich, dass es diesen Akteuren nicht 162 Linksextremismus einzig um Protest gegen den Abbau von Braunkohle geht, sondern vielmehr politische und verfassungsfeindliche, gegen das parlamentarisch-demokratische "System" gerichtete Ziele und Rhetorik mitschwingen. Die IL versuchte im Jahr 2020, ihren Einfluss zu erweitern und gezielt jüngere Menschen anzusprechen. Im Sommer verkündete die Organisation auf ihrer Website die Gründung einer eigenen Jugendgruppe, genannt "IL-Jugend Hamburg". Die Gruppierung verkündete, die Ziele der IL zu teilen und "gemeinsam undogmatische und radikale linke Politik" machen zu wollen. Man sehe keine Zukunft für den Kapitalismus und wolle diesen überwinden. Zu diesem Zweck strebe man im Sinne der IL eine "strategische Bündnisorientierung", die Zusammenarbeit mit vornehmlich anderen jugendlichen Akteuren der radikalen und moderaten Linken auch und gerade im demokratischen Spektrum an. In diesem Zusammenwirken wolle man "in vielen kleinen und großen Kämpfen Gegenmacht aufbauen". Es zeigte sich im weiteren Verlauf, dass die IL-Jugend tatsächlich, der Strategie der IL folgend, sowohl mit einschlägigen Akteuren des linksextremistischen Phänomenbereichs zusammenarbeitete als auch mit solchen, die dem demokratischen linksbürgerlichen oder alternativen politischen Spektrum zuzuordnen sind. Unter dem letztendlich auf die Überwindung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung abzielenden Motto "change the system, not the climate" versuchen Linksextremisten nach wie vor, Einfluss auf die Klimabewegung zu bekommen. Spektren übergreifend wurde von zahlreichen linksextremistischen Gruppierungen versucht, Zugang zu den Organisatoren "Ändert das System, nicht das Klima!" - Motto zur Überwindung der freiheitlich demokratischen der Klimaproteste und damit Partizipation an Grundordnung. Illustration LfV HH der politischen Ausrichtung der Proteste zu erhalten. Zudem nutzten Linksextremisten dieses an Bedeutung gewonnene Politikfeld zur eigenen Darstellung und Profilierung. Tenor war dabei durchgehend, dass der "Kapitalismus", und in linksextremistischer Lesart damit die parlamentarische Demokratie und ihre Gesellschaftsund Wirtschaftsordnung, Ursache des Klimaproblems sei und nur durch eine Umwälzung der bestehenden Verhältnisse die Klimakrise gelöst werden könne. 163 Linksextremismus 6.2. Kampfsportveranstaltungen Unter dem Titel "Kampfsport & Solidarität" wurde am 5. März 2020 über das Szenemedium "Antifaschistisches Szeneblatt" ein Beitrag zum Kampfsport veröffentlicht. Der Gastbeitrag sieht Kampfsport als Mittel, um "diskriminierungsfreie Räume" zu schaffen, was sich in "unzähligen Turnieren und Sparringstreffen" abzeichne. So würden europaweit Turniere ausgetragen, beispielsweise das Kampfsportevent "Freedom Fighters" in Polen. Nach Erkenntnissen des LfV Hamburg traten bei den Turnieren auch wiederholt Teilnehmer aus Hamburg an. Professionell organisierte Kampfsportveranstaltungen haben in der linksextremistischen Szene an Bedeutung gewonnen. Auch bei Teilen der kampfsportorientierten Linksextremisten in Hamburg stehen solche Sportveranstaltungen hoch im Kurs. Neben dem sportlichen Charakter stehen Vernetzungsbemühungen und die Stärkung des Zusammenhalts im Vordergrund. Für aktionsorientierte Linksextremisten dürfte die Professionalisierung der Kampfsportfähigkeiten auch bei Auseinandersetzungen mit tatsächlichen oder vermeintlichen Rechtsextremisten oder bei gezielter Gewalt gegen Logo für T-Shirts, Hoddies eingesetzte Polizeibeamte im Kontext von etc. eines Händlers aus New York. Der "Kampfsport von Linksextremisten" wird hier professionell Demonstrationen dienen. kommerzialisiert. Quelle: https://www.no-gods-no-masters.com/hoodie-antifascist-fighting-club-D012195693P0111/ Neben Organisatoren und Kämpfern der linksextremistischen Szene ist ein solches Kampfsportevent auch für interessierte Personen außerhalb des linksextremistischen Milieus attraktiv, zumal solche Veranstaltungen häufig in angesagten Szenelokalitäten durchgeführt werden. In Abgrenzung zu kommerziellen Kampfsportevents sollen sportliche Erlebnisse mit einer ideologisch-politischen Komponente verbunden werden. Neben einer szenegerechten und modernen Ansprüchen genügenden Örtlichkeit sorgen die Organisatoren von Kampfsportturnieren auch für familienfreundliche Angebote wie Kinderbetreuung. So sollen Zuschauer grundsätzlich animiert werden, in den 164 Linksextremismus Szene-Kampfsportbereich einzusteigen. Diese niedrigschwelligen Angebote richten sich primär an linksaffine Personengruppen, um diese enger an die Szene zu binden oder neue Mitglieder zu werben. Für Linksextremisten selbst dient die Ausund Fortbildung im Kampfsport zudem als ein Mittel im militanten Kampf gegen tatsächliche oder vermeintliche Rechtsextremisten oder bei Auseinandersetzungen mit Polizeibeamten im Kontext von Demonstrationen. Auch hier wurde, aufgrund der Corona-Pandemie, ein Rückgang an wahrnehmbaren Aktivitäten verzeichnet. 165 Verfassungsschutz in Hamburg Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Gruppierungen mit Auslandsbezug Linksextremismus Rechtsextremismus Reichsbürger und Selbstverwalter Scientology-Organisation Spionageabwehr und Wirtschaftsschutz Geheimund Sabotageschutz Anhang Rechtsextremismus Unter Rechtsextremismus werden Bestrebungen verstanden, die den demokratischen Verfassungsstaat, die Gleichheit der Menschen und die universell geltenden Menschenrechte ablehnen sowie ein dem Führerprinzip verpflichtendes Kollektivdenken unterstützen. Eine einheitliche rechtsextremistische Ideologie (Weltanschauung) existiert nicht. Es lassen sich aber einige Gemeinsamkeiten erkennen: Nationalismus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit Bei allen Rechtsextremisten ist eine Überhöhung der eigenen ethnischen Zugehörigkeit bei gleichzeitiger Abwertung anderer Nationen und Völker festzustellen. Ihnen ist zudem eine gegen die Menschenwürde und den Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes gerichtete Fremdenfeindlichkeit zu Eigen. Antisemitismus und Geschichtsrevisionismus Bei fast allen Rechtsextremisten ist die Verherrlichung des Nationalsozialismus mit einhergehender Judenfeindschaft sowie die Leugnung oder Relativierung des Holocausts stark verbreitet. Neonazismus Der historische Nationalsozialismus stellt nach wie vor einen bedeutenden ideologischen Bezugsrahmen für die organisierte rechtsextremistische Szene in Deutschland dar. Viele Rechtsextremisten sind Neonazis oder vom Nationalsozialismus beeinflusst - aber nicht jeder Rechtsextremist ist ein Neonazi. "Neue Rechte" Die sich als Gegenelite verstehende Neue Rechte versucht, mit ihren Konzepten und Strategien in die Mitte der Gesellschaft zu wirken, um den politischen Diskurs zu beeinflussen und schließlich zu prägen. Rechtsextremistische Positionen werden dadurch anschlussfähiger. Hierfür grenzt sie sich von der Neonaziszene ab und geht auf Distanz zum historischen Nationalsozialismus. Rechtsextremismus V. Rechtsextremismus 1. Entwicklungen und Schwerpunkte im Überblick Die Corona-Pandemie hat auch die Aktivitäten der rechtsextremistischen Szene im Jahr 2020 geprägt. Dies zeigte sich sowohl in einem Rückgang der offenen Szeneaktivitäten wie Versammlungen und Konzerte als auch in den Corona-Protesten. Rechtsextremisten nutzten diese, um ihre fundamentale Kritik an den Institutionen des demokratischen Verfassungsstaats zu verbreiten. Die seit mehreren Jahren erkennbare dynamische Wandlung des Rechtsextremismus in Deutschland hat hierdurch einen weiteren Schub erhalten. Dies betrifft alle drei Entwicklungsstränge, die die Verfassungsschutzbehörden in diesem Zusammenhang identifiziert haben: Virtualisierung Das rechtsextremistische Spektrum nutzt den durch das Internet hervorgerufenen Strukturwandel im Bereich der Medien und der Öffentlichkeit intensiv, indem es die zahlreichen virtuellen Möglichkeiten zur Verbreitung von Propaganda, zur Mobilisierung sowie zur Vernetzung und Organisation verwendet. Radikalisierung Die Radikalisierung wurde durch die rechtsextremistisch motivierten Tötungsdelikte von Kassel (Juni 2019) und Halle (Februar 2020) nachdrücklich sichtbar. Darüber hinaus zeigt sie sich auch darin, dass Rechtsextremisten die derzeitige politische Situation in Endzeitund Bürgerkriegsszenarien diskutieren und zum Teil daraus folgern, sich auf mögliche Auseinandersetzungen vorbereiten zu müssen. Das permanente Wiederholen von Feindbildern und das rassistische Zuspitzen gesellschaftlicher Konflikte liefert einigen Rechtsextremisten eine vermeintliche Rechtfertigung für Gewalttaten. Es besteht die Gefahr, dass sich in diesem ideologischen Umfeld weitere rechtsterroristische Strukturen oder Einzeltäter entwickeln könnten. Gerade die Fokussierung der Corona-Protestbewegung auf den Begriff des Widerstands wird von Rechtsextremisten aufgegriffen. 169 Rechtsextremismus Da deren Selbstverständnis seit Jahrzehnten mit dem Begriff "Nationaler Widerstand" operiert, ist diese Aneignung naheliegend. Entgrenzung Ein anderer Teil des Rechtsextremismus, insbesondere Anhänger der sogenannten "Neuen ISLAMISMUS Rechten" (zum Beispiel die "Identitäre Bewegung"), versucht die Stigmatisierung des Rechtsextremismus aufzubrechen. Sie wollen fremdenfeindliche und autoritäre Argumente im politischen Diskurs normalisieren und LINKSRECHTSEXTREMISMUS demokratischEXTREMISMUS somit anschlussfähig für breitere gesellschaftlicher Bereich Teile der Gesellschaft werden. Man möchte den Rechtsextremismus systematisch aus seiner Begrenztheit befreien ("entgrenzen"). Im parteipolitischen Spektrum stehen inzwischen insSCIENTOLOGY besondere extremistische Teile der "Alternative für Deutschland" (AfD) für diese Strategie ( siehe Punkt 7.2 Rechtsextremistische Teil"Entgrenzung" als Strategie zur Besetzung gestruktur "Der Flügel" in der "Alternative für sellschaftlich breit diskutierter oder akzeptierter Themen durch Extremisten. Deutschland"). Rechtsextremisten, darunter Grafik: LfV HH auch Vertreter der "Neuen Rechten", wollen die klare Abgrenzbarkeit zwischen extremistischen und nicht-extremistischen Aussagen erschweren. Auf diese Weise sollen Anknüpfungspunkte für eine bis in die demokratische Mitte der Gesellschaft und ihrer Diskurse verfassungsfeindliche Agitation ermöglicht und damit einer Entgrenzung des Rechtsextremismus Vorschub geleistet werden ( siehe Punkt 8. "Entgrenzung des Rechtsextremismus"). Dies betrifft in besonderem Maße die Proteste gegen die staatlichen Corona-Maßnahmen. Hier ist es teilnehmenden Rechtsextremisten teilweise gelungen, als Partner der Protestbewegung akzeptiert zu werden oder partiell Einfluss auf diese zu gewinnen. Neben dieser dynamischen Entwicklung existieren nach wie vor die Protagonisten eines an tradierten Organisationsmodellen (zum Beispiel Parteien, Kameradschaften) orientierten Rechtsextremismus. Allerdings sind deren 170 Rechtsextremismus Mobilisierungsstärke und politische Bedeutung stark rückläufig. Wesentlicher Akteur dieses Spektrums ist in Hamburg die NPD. Bundesweit sind die klassischen Erscheinungsformen des Rechtsextremismus auch zahlenmäßig weiterhin von der heterogenen Szene der subkulturell geprägten Rechtsextremisten gekennzeichnet. 2. Potenziale Personenpotenziale Rechtsextremismus - Bund Das bundesweite Personenpotenzial stieg 2020 auf 33.300 an (2019: 32.080). Dieser Tendenz entsprechend ist auch ein Anstieg bei den gewaltorientierten Rechtsextremisten auf 13.300 zu verzeichnen (2019: 13.000). 35.000 33.300 30.000 32.080 25.000 23.100 24.000 24.100 22.400 22.600 20.000 22.150 21.700 21.000 15.000 10.000 5.000 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 - Die Zahlen für die Personenpotenziale sind gerundet - Dagegen ist das Personenpotenzial der NPD erneut zurückgegangen, und zwar auf 3.500 Personen (2019: 3.600). Dem sonstigen rechtsextremistischen Personenpotenzial in Parteien werden 8.600 Personen (2019: 8.600) zugeordnet, neben einer geringen Zahl von Angehörigen einzelner regional aktiver Kleinparteien enthält dieses vor allem rechtsextremistische Teilstrukturen in der AfD. Auf 7.800 (2019: 6.600) angestiegen ist die Zahl 171 Rechtsextremismus der in parteiunabhängigen und parteiungebundenen Strukturen organisierten Personen, zu denen neonazistische Kameradschaften und Gruppierungen der "Neuen Rechten", wie die "Identitäre Bewegung Deutschland", zählen. Der größte Anteil entfällt auf das weitgehend unstrukturierte rechtsextremistische Personenpotenzial, wozu neben den Einzelpersonen ohne Anbindung an rechtsextremistische Gruppierungen auch die subkulturell geprägte rechtsextremistische Szene gerechnet wird. Personenpotenziale Rechtsextremismus Bundesebene 19 20 20 20 in Parteien gesamt 13.330 13.250 Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) 3.600 3.500 Der III. Weg 580 600 DIE RECHTE 550 550 sonstiges rechtsextremistisches Personenpotenzial 8.600 8.600 in Parteien in parteiunabhängigen/parteiungebundenen Strukturen 6.600 7.800 weitgehend unstrukturiertes rechtsextremistisches 13.500 13.700 Personenpotenzial Summe 33.430 34.750 abzüglich Mehrfachmitgliedschaften 1.350 1.450 Gesamtpotenzial 32.080 33.300 davon Gewaltorientierte 13.000 13.300 172 Rechtsextremismus Personenpotenziale Rechtsextremismus - Hamburg 2020 wurden in Hamburg 380 Personen der rechtsextremistischen Szene zugerechnet (2019: 330). Dieser Anstieg ist insbesondere auf die Aufnahme des Mitgliederpotenzials der AfD-internen Strömung "Der Flügel" mit rund 40 Personen zurückzuführen. Der fortgesetzte Rückgang der Zahl der in Hamburg in parteiunabhängigen und parteiungebundenen Strukturen organisierten Personen auf 90 (2019: 100) und der Anstieg des unstrukturierten rechtsextremistischen Personenpotenzials ( siehe Punkt 6. "Subkulturell geprägte Rechtsextremisten und rechtsextremistische Musikszene") auf 140 (2019: 120) sind Indizien für die Auflösung tradierter Szenestrukturen. Von den 380 Hamburger Rechtsextremisten stuft das LfV Hamburg mit rund 120 etwas weniger Personen als im Jahr 2019 als gewaltorientiert ein (2019: 130). 500 450 400 380 330 330 340 330 340 330 320 320 300 200 180 160 160 150 100 140 140 140 130 130 120 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 Gesamtzahl Gewaltorientiert - Die Zahlen für die Personenpotenziale sind gerundet - 173 Rechtsextremismus Personenpotenziale Rechtsextremismus Hamburg 19 20 20 20 in Parteien (NPD und AfD-Teilstruktur "Der Flügel") 110 150 in parteiunabhängigen/parteiungebundenen Strukturen 100 90 weitgehend unstrukturiertes rechtsextremistisches 120 140 Personenpotenzial Summe 330 380 abzüglich Mehrfachmitgliedschaften 0 0 Gesamtpotenzial 330 380 davon Gewaltorientierte 130 120 3. Politisch motivierte Kriminalität (PMK) Die Zahl der rechtsextremistischen Straftaten stieg 2020 erheblich auf 411 Fälle (2019: 304) an. Dieser Anstieg spiegelt sich in allen Teilbereichen der PMK rechts wider. Erneut gestiegen ist die Zahl der rechtsextremistischen Gewalttaten, die 2020 mit 34 Taten fast wieder den Höchststand im Zehnjahresvergleich von 2012 erreicht. Im Vergleich mit 2012 fällt auf, dass die damalige Steigerung maßgeblich mit einem singulären Ereignis, der rechtsextremistischen Demonstration "Tag der deutschen Zukunft" zusammenhing. Ein vergleichbares Ereignis fand 2020 nicht statt. Die über die einzelnen Taten und die festgestellten Tatverdächtigen vorliegenden Erkenntnisse zeigen, dass der Anstieg der rechtsextremistischen Gewaltkriminalität in Hamburg 174 Rechtsextremismus 2020 nicht auf rechtsextremistische Strukturen zurückgeht, sondern vor allem Ausdruck individueller Hassmotive ist. Dass die zunehmende Verbreitung rechtsextremistischer Narrative im politischen Diskurs solche Motive verstärkt und ihre Umsetzung in konkrete Straftaten begünstigt, ist naheliegend. Auffällig ist die in fast allen Fällen zu verzeichnende situative Tatbegehung. Die Zahl der Propagandadelikte (insbesondere Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen gem. SS 86a StGB) stieg von 200 auf 263 Fälle an. Dabei hat sich die Zahl der Propagandadelikte ohne festgestellten Tatverdächtigen im Vergleich zum Vorjahr kaum verändert. Dies betrifft vor allem Farbschmierereien und Ähnliches. (insbesondere Hakenkreuze). Dagegen ist die Zahl der Propagandadelikte, bei denen ein Tatverdächtiger bekannt wurde, deutlich gestiegen. Hierbei handelt es sich weit überwiegend um das Zeigen des Hitlergrußes oder "Sieg Heil"-Rufe. Auffällig bei diesen Taten ist der vergleichsweise hohe Anteil von Tatverdächtigen mit nichtdeutscher Staatsangehörigkeit und Personen ohne festen Wohnsitz. Politisch motivierte Kriminalität (PMK) Rechtsextremismus 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 PMK Rechts 312 403 362 296 562 458 428 422 453 544 insgesamt davon rechtsextremistische 298 396 360 278 500 342 286 284 304 411 Straftaten hiervon rechtsextremistische 21 38 32 17 25 28 15 11 25 34 Gewaltdelikte Die Zahlen stammen aus den jeweiligen Jahres-Statistiken der Polizei Hamburg - Stand: Februar 2021 - 175 Rechtsextremismus Propagandadelikte werden als sogenannte "echte Staatsschutzdelikte" grundsätzlich als extremistisch eingestuft, obwohl sie nicht als gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtete Bestrebungen nach dem Hamburgischen Verfassungsschutzgesetz zu werten sind. Sie werden oftmals aus einem Randständigenmilieu heraus begangen, häufig in alkoholisiertem Zustand. Insofern ist die Aussagekraft der Zahl der Propagandadelikte für die Entwicklung extremistischer Kriminalität begrenzt. Wie in den Vorjahren ist der weit überwiegende Teil der rechtsextremistischen Straftäter dem weitgehend unstrukturierten rechtsextremistischen Personenpotenzial zuzurechnen. Antisemitische Straftaten Im Jahr 2020 wurden in den extremistischen Phänomenbereichen 54 antisemitische Straftaten erfasst (2019: 51), davon 45 (2019: 33) extremistische. Hiervon wurden 39 Taten dem Bereich PMK rechts zugeordnet, davon vier Gewaltdelikte. Bei vielen dieser Taten liegen der Zuordnung keine Erkenntnisse über den Täter oder dessen tatsächliche Motivation zugrunde. Die Zurechnung zur PMK rechts erfolgt in diesen Fällen nach der Maßgabe, dass antisemitische Straftaten immer dann als rechtsmotiviert gewertet werden, wenn keine tatsächlichen Anhaltspunkte für eine andere Tatmotivation vorliegen. 4. Rechtsextremistische Gewalt und Rechtsterrorismus Die rechtsextremistisch motivierten Gewalttaten und rechtsterroristischen Attentate der vergangenen Monate sind die radikalsten Ausprägungen gesellschaftlicher Entwicklungen, die von einer Verrohung des politischen Diskurses und zunehmend von Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Antisemitismus geprägt sind. Befeuert durch Hasskommentare und Hetze in sozialen Medien, verbreitet sich der verschwörungsideologisch motivierte Kampfbegriff eines angeblichen "Großen Austausches" der Bevölkerung und einen möglichen "Tag X", auf den man sich vorbereiten müsse, um sich im Ernstfall gegen vermeintliche "ausländische Invasoren" mit gewalttäti176 Rechtsextremismus gen Mitteln verteidigen zu können. Antisemitische Überzeugungen werden - auch über den Rechtsextremismus hinaus - aufgegriffen, zum Beispiel durch Anhänger der QAnon-Bewegung, welche zuletzt insbesondere durch die Proteste gegen die Corona-Maßnahmen in Erscheinung getreten sind. Eine Gefährdung geht in diesem Kontext zunehmend von einzelnen Tätern oder auch Kleingruppen aus, welche sich überwiegend über soziale Netzwerke und Messenger-Dienste radikalisieren und über eine geringe oder keine Vernetzung in der rechtsextremistischen Szene verfügen. Die Motivlagen der Täter sind vielfältig.So werden beispielsweise die eigene Unzufriedenheit und der angestaute Frust über eigene Unzulänglichkeiten in einschlägige Hassbotschaften umgemünzt und mit Gleichgesinnten geteilt, um vermeintlich "Minderwertige" anzugreifen. INFOBOX QAnon - Anhänger der in den USA entstanden QAnon-Bewegung verbreiten bizarre Verschwörungsmythen, zum Teil mit rechtsextremistischen und antisemitischen Motiven. Eine zentrale Behauptung lautet, dass eine international agierende kriminelle, korrupte und satanistische Elite Kinder entführe, ermorde und aus ihrem Blut eine Verjüngungsdroge herstelle. Auch ziele dieser pädophile Geheimbund darauf ab, eine diktatorische Weltregierung ("New World Order") zu errichten und plane daher die Versklavung bzw. Vernichtung der Bevölkerung. Zentraler Akteur der Verschwörung ist der sogenannte "Deep State" (der "Tiefe Staat"), welcher aus Politikern, Beamten und Geheimdiensten der jeweiligen Länder bestehe, die konspirativ für die "New World Order" und gegen die eigene Bevölkerung arbeite. Im Kontext der Corona-Pandemie leugnen QAnon-Anhänger teilweise das Virus oder behaupten, die Pandemie sei das Ergebnis einer staatlich gesteuerten Bio-Waffe gegen die eigene Bevölkerung. Welchen Einfluss das Ende der Amtszeit des von QAnon als Erlöserfigur verehrten Donald Trump auf die Bewegung haben wird, ist noch nicht absehbar. 177 Rechtsextremismus Psychische Vorerkrankungen und seelische Belastungssituation können zusätzliche tatauslösende Faktoren sein. In diesem Kontext ist nach bisherigen Erkenntnissen auch der versuchte Mord in Verbindung mit gefährlicher Körperverletzung vom 4. Oktober 2020 in Hamburg zu bewerten. Ein zum Tatzeitpunkt 29-jähriger Mann schlug einem Studenten, der eine Kippa trug, vor der Synagoge Hohe Weide von hinten mit der Kante eines kurzen Spatens seitlich gegen den Kopf. Der Geschädigte erlitt hierdurch eine Schädelfraktur. Der Täter wurde unmittelbar nach der Tat festgenommen. Hinweise auf Mittäter oder eine Einbindung in die rechtsextremistische Szene bestehen nicht. Laut Staatsanwaltschaft wurde in einem Gutachten festgestellt, dass die Steuerungsund Einsichtsfähigkeit des Beschuldigten aufgrund einer psychischen Erkrankung komplett aufgehoben gewesen sei. Die Zurechnung eines rechtsextremistischen Motivs ist somit nicht möglich. Dennoch ist festzustellen, dass die Opferauswahl eindeutig rechtsextremistischen Narrativen folgte. Hinsichtlich des Zusammenwirkens einer psychischen Erkrankung mit einer möglichen Prägung durch rechtsextremistische Narrative bestehen Parallelen zu den Tötungsdelikten von Hanau. Aufgrund einer bereits seit längerem bestehenden psychischen Erkrankung wurde der Täter am 6. Oktober 2020 in eine psychiatrische Einrichtung eingewiesen. Am 26. Februar 2021 verurteilte das Landgericht Hamburg den Täter wegen versuchten Totschlags in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung. Aufgrund einer schweren psychischen Erkrankung wurde die Schuldunfähigkeit festgestellt und der 29-Jährige in die Psychiatrie eingewiesen. Laut eines Gerichtssprechers habe die Kammervorsitzende in ihrer Urteilsbegründung deutlich gemacht, "[...] dass man natürlich hier von einer antisemitischen Tat sprechen kann, weil in dem Angriff, in dem gezielten Angriff, auf einen Angehörigen jüdischen Glaubens, eine feindliche Gesinnung und eine Ablehnung zum Ausdruck kommt." Den Sicherheitsbehörden lagen in den vergangenen Jahren wiederholt Hinweise auf rechtsextremistisch motivierte terroristische Bestrebungen vor, welche konsequent verfolgt wurden und deren Mitglieder vor Gericht teils hohe Haftstrafen erhielten. Beispiele sind die Aufdeckung der Aktivitäten der "Revolution Chemnitz" und der "Gruppe S" (siehe unten) sowie der "Bürgerwehr Freital" (auch: "Gruppe Freital") oder auch der "Oldschool Society". 178 Rechtsextremismus Tötungsdelikte in Hanau Am 19. Februar 2020 erschoss der 43-jährige Tobias R. in Hanau neun Personen und verletzte weitere, darunter eine Person lebensgefährlich. Unter den Todesopfern waren ausländische Staatsangehörige und deutsche Staatsangehörige mit Migrationshintergrund. Ein Spezialeinsatzkommando der Polizei fand Tobias R. sowie dessen 72-jährige Mutter tot in seiner Wohnung. Videos und Dokumente von Tobias R., die im Internet eingestellt waren, zeigen auf, dass es sich um eine rassistisch und fremdenfeindlich motivierte Tat handelte, aber laut eines Gutachtens auch eine psychische Erkrankung des Täters eine Rolle gespielt haben dürfte. Der Täter verfolgte - geprägt von abstrusen Verschwörungsideologien - das Ziel, möglichst viele Personen ausländischer Herkunft oder mit Migrationshintergrund zu töten. Der Generalbundesanwalt hat die Ermittlungen im Februar 2020 aufgenommen. Tötungsdelikt Dr. Walter Lübcke In der Nacht zum 2. Juni 2019 wurde Dr. Walter Lübcke (Regierungspräsident des Regierungsbezirks Kassel) auf der Terrasse seines Wohnhauses mit einem Kopfschuss getötet. Durch einen DNA-Spurentreffer am Tatort konnte der Rechtsextremist Stephan E. als dringend Tatverdächtiger identifiziert werden. Er wurde am 15. Juni 2019 festgenommen und befindet sich seither in Untersuchungshaft. E. machte im Rahmen von Befragungen widersprüchliche Angaben zur Täterschaft und dem TatDr. Walter Lübcke hergang. Die Tat soll er mindestens seit Juli 2016 geplant Foto: Regierungspräsidium Kassel und vorbereitet haben. Am 29. April 2020 erhob der GBA Anklage gegen Stephan E. wegen Mordes, versuchten Mordes und weiterer Delikte. Gleichzeitig erhob der GBA Anklage gegen den mutmaßlichen Helfer Markus H. (vgl. VSB 2019, S. 157f.). Die Hauptverhandlung begann am 16. Juni 2020 am Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main. Am 28. Januar 2021 verurteilte das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt den Hauptangeklagten Stephan E. wegen heimtückischen Mordes aus niedrigen Beweggründen zu lebenslanger Haft. In seiner Urteilsbegründung bescheinigte das OLG Stephan E. 179 Rechtsextremismus eine völkisch-nationalistische und fremdenfeindliche Haltung. Die Richter stellten zudem die besondere Schwere der Schuld fest und begründeten diese mit der rechtsextremistischen und rassistischen Gesinnung des Angeklagten. Der Mitangeklagte Markus H. wurde wegen Verstoß gegen das Waffengesetz zu einem Jahr und sechs Monaten auf Bewährung verurteilt. Beide Angeklagten haben eine rechtsextremistische, ausländerfeindliche Gesinnung, so das OLG Frankfurt. Nach dem Urteil zum Prozess legte Markus H. Revision ein. Zum Zeitpunkt des Redaktionsschlusses war das Urteil noch nicht rechtskräftig. Alle Beteiligten legten Revision ein. Anschlag in Halle Am 9. Oktober 2019 wollte Stephan B. einen Anschlag auf die jüdische Gemeinde in Halle begehen, welche in der örtlichen Synagoge das Jom Kippur-Fest anlässlich des höchsten jüdischen Feiertages feierte. Nachdem er sich dort mit Waffen und Sprengmitteln keinen Zutritt verschaffen konnte, eröffnete Stephan B. das Feuer auf mehrere Opfer an unterschiedlichen Tatorten. Hierbei tötete er willkürlich zwei Menschen und verletzte zwei weitere schwer. Der Täter konnte im Anschluss an die Tat festgenommen werden und befindet sich seither in Haft. Am 16. April 2020 erhob der GBA vor dem Staatsschutzsenat des OLG Naumburg Anklage gegen Stephan B. unter anderem wegen Mordes und versuchten Mordes in 68 Fällen (vgl. VSB 2019, S. 158 f.) Das Oberlandesgericht Naumburg verurteilte den Attentäter am 21. Dezember 2020 zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe mit anschließender Sicherheitsverwahrung. Außerdem stellte es eine besondere Schwere der Schuld fest. Das Urteil ist rechtskräftig. Darüber hinaus waren weitere rechtsterroristischen Gruppierungen und einzelne Täter im Jahr 2020 Gegenstand intensiver Ermittlungen der Sicherheitsbehörden. In mehreren Fällen führten diese letztlich zu gerichtlichen Urteilen mit teils langjährigen Haftstrafen. f Am 14. Februar 2020 durchsuchte die Polizei auf Anordnung des GBA die Wohnungen von zwölf Beschuldigten in sechs Bundesländern, die verdächtigt werden, sich als Mitglieder oder Unter180 Rechtsextremismus stützer der rechtsterroristischen "Gruppe S." (benannt nach dem Gründer Werner S.) bewaffnet zu haben, um Mordanschläge auf Muslime, prominente Politiker und Antifa-Anhänger zu begehen. Bei den Durchsuchungen wurden Schuss-, Hiebund Stichwaffen, Munition und Bombenbauanleitungen sowie selbstgebaute Handgranaten aufgefunden und sichergestellt. Am 4. November 2020 erhob die Bundesanwaltschaft Anklage gegen elf mutmaßliche Mitglieder sowie einen mutmaßlichen Unterstützer der rechtsterroristischen Vereinigung "Gruppe S." vor dem Staatsschutzsenat des OLG Stuttgart. f Der Staatsschutzsenat des OLG Dresden verurteilte am 24. März 2020 acht Rechtsextremisten im Alter von 22 bis 34 Jahren unter anderem wegen Mitgliedschaft in der terroristischen Vereinigung "Revolution Chemnitz", einen davon als Rädelsführer und Gründer, zu Haftstrafen zwischen zwei Jahren und drei Monaten und fünfeinhalb Jahren. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass sich die Männer zu der rechtsterroristischen Vereinigung "Revolution Chemnitz" formiert hatten. Sie verfolgten das Ziel, sich Schusswaffen zu beschaffen und unter Inkaufnahme der Tötung von Menschen einen Umsturz der demokratischen Ordnung in der Bundesrepublik Deutschland in Gang zu setzen. Alle acht Angeklagten haben Revision eingelegt. f Am 26. Juni 2020 wurden zudem sechs mutmaßliche Mittäter der "Revolution Chemnitz" vor dem Amtsgericht Chemnitz wegen Landfriedensbruchs zu Haftstrafen zwischen sechs Monaten und einem Jahr verurteilt. f Im NSU-Prozess legte das Gericht am 21. April 2020 seine schriftliche Urteilsbegründung (3.025 Seiten) vor, gegen die mehrere Anwälte, darunter die Verteidiger der Hauptangeklagten Beate Zschäpe, Revision eingelegt haben. Lediglich einer der Verurteilten hat seine Haftstrafe nach der Urteilsverkündung akzeptiert und auf Rechtsmittel verzichtet. Die Revisionsanträge lagen dem 3. Strafsenat am Bundesgerichtshof (BGH) bei Redaktionsschluss noch zur Entscheidung vor. 181 Rechtsextremismus f Das vom GBA am 18. Januar 2018 eingeleitete Ermittlungsverfahren gegen Mitglieder der Gruppe "Nordadler" wegen des Verdachts der Bildung einer terroristischen Vereinigung sowie die damit verbundenen Ermittlungen und Durchsuchungen führten am 23. Juni 2020 zum Verbot der Gruppierung durch den Bundesinnenminister (vgl. VSB 2018, S. 137). Des Weiteren wurden insbesondere seit Ende des Jahres 2018 bundesweit mehrere hundert rechtsextremistisch konnotierte Drohmails mit verschiedenen Absendern, unter anderem "NationalSozialistische Offensive", "Wehrmacht", "Atomwaffen Division", "Wolfszeit" und "NSU 2.0" an zahlreiche Institutionen sowie Einzelpersonen, darunter Medienvertreter, Politiker und Künstler, versandt. Unter den Betroffenen befinden sich auch mehrere Firmen, Behörden und Einzelpersonen aus Hamburg. Im Rahmen der Ermittlungen konnte ein Tatverdächtiger, Andre M., aus Schleswig-Holstein identifiziert werden, der sich seit dem 5. April 2019 in Haft befindet. Am 21. April 2020 begann der Prozess gegen den Angeklagten Andre M. vor dem Berliner Landgericht. Am 14. Dezember 2020 verurteilte das Gericht den 32-jährigen M. wegen Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten (in Tateinheit mit vollendeter und versuchter Nötigung) in 26 Fällen und wegen versuchter Nötigung in neun Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und ordnete seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus an. Dem Angeklagten, der an einer schweren Persönlichkeitsstörung leide, sei es dabei vor allem um die Befriedigung seines Bedürfnisses nach Aufmerksamkeit gegangen. Seine Ankündigungen habe der Angeklagte überwiegend mit dem Absender "NationalSozialistischeOffensive" gezeichnet und damit seine starke Affinität zur rechtsextremen Szene unter Beweis gestellt, so der Vorsitzende der Kammer in der Urteilsbegründung. Der Angeklagte habe mit seinen perfiden, menschenverachtenden, antisemitischen und rassistischen Äußerungen beabsichtigt, die Bevölkerung zu beunruhigen und das demokratische System der Bundesrepublik anzugreifen. Da auch im Jahr 2020 und nach der bereits erfolgten Festnahme weiterhin Droh-E-Mails mit rechtsextremistischen Inhalten unter verschiedenen Pseudonymen verschickt werden, muss von weiteren Tätern oder Trittbrettfahrern ausgegangen werden. 182 Rechtsextremismus Unterzeichnerin einiger Drohmails ist die rechtsextremistische "Atomwaffen Division Deutschland" (AWD), welche erstmals im Sommer 2018 ein Propaganda-Video veröffentlichte. Hierbei handelt es sich um den deutschen Ableger der amerikanischen "Atomwaffen Division", deren erklärtes Ziel ein "Rassenkrieg" ist. In den USA waren Angehörige der Gruppe bereits für mehrere Tötungsdelikte verantwortlich. Die vorwiegend im Internet aktive AWD ruft zudem dazu auf, Logo der "Atomwaffen Mordanschläge zu begehen, beispielsweise auf Muslime oder Division Deutschland" Juden. Grafik: LfV HH In diesem Kontext ist seit 2019 auch die "Feuerkrieg Division" auf verschiedenen Internetseiten in Europa und in sozialen Netzwerken aktiv. Vor dem Landgericht Nürnberg-Fürth wurde ein 23-Jähriger, der unter dem Namen "Heydrich" für die "Feuerkrieg Division" aktiv gewesen sein soll, Anfang Dezember 2020 zu einer zweijährigen Haftstrafe verurteilt. Ihm wurde die Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat zur Last gelegt, weil er einen Anschlag auf muslimische oder jüdische Einrichtungen geplant, diese Planungen aber nicht konkretisiert hatte. In internationalen Chatgruppen habe er sich mit Rechtsextremisten aus verschiedenen Ländern über die Vorbereitung von Anschlägen ausgetauscht. Die rechtsextremistischen Gewalttaten und rechtsterroristischen Attentate im Jahr 2020 haben erneut gezeigt, dass mit gleichgelagerten Gewalttaten und Anschlägen auch zukünftig gerechnet werden muss. Teile des politischen Diskurses, die Hass und Hetze im Internet begünstigen, erzeugen einen Resonanzboden für rechtsextremistische Attentäter. 5. Neonazismus Grundlage und feste Bezugsgröße des neonazistischen Spektrums ist der historische Nationalsozialismus, dargelegt im 25-Punkte-Programm der NSDAP, das am 24. Februar 1920 von Adolf Hitler im Münchener Hofbräuhaus verkündet wurde. Die prägenden Ideologieelemente sind dabei Rassismus, Antisemitismus, Nationalismus und Antipluralismus. Neonazis 183 Rechtsextremismus streben einen ethnisch homogenen Staat nach dem "Führerprinzip" an. Das Kernelement bildet die Schaffung einer sogenannten "Volksgemeinschaft", die Menschen anderer Herkunft oder Kultur ausschließt. Rechte des Einzelnen, Meinungsvielfalt und Pluralismus haben in dieser angestrebten "Volksgemeinschaft" keinen Platz, da ethnische Vielfalt und pluralistische Gesellschaft aus Sicht der Neonazis die Existenz des eigenen Volkes bedrohten. Die freiheitliche demokratische Grundordnung wird in ihrer Gesamtheit als aufgezwungene Ordnung eines vorgeblichen "Besatzerregimes" abgelehnt. Historische Tatsachen werden in revisionistischer Weise bis hin zur HolocaustGrundsatzprogramm der leugnung umgedeutet. Trotz gemeinsamer ideologischer NSDAP mit den 25 Thesen, die Grundelemente ist die neonazistische Szene heterogen. Hitler auf der ersten Massenversammlung der Die verschiedenen Ideologieelemente innerhalb der PersoPartei am 24. Februar 1920 im Münchner Hofbräuhaus nenzusammenschlüsse sind unterschiedlich stark ausgevortrug. prägt. Insbesondere bei jüngeren Neonazis prägen auch Quelle: Bayerisches Hauptstaatsarchiv, Plakatsammlung antiamerikanische, antikapitalistische und antiimperialistische Einstellungen das jeweilige Weltbild. Der Trend zum Abbau fester Strukturen innerhalb der neonazistischen Szene hält weiter an. Die Mehrzahl der überwiegend regionalen Gruppierungen verzichtet auf feste Organisationsformen, um Vereinsverbote zu erschweren und möglichst wenig Ansatzpunkte für strafrechtliche Ermittlungsverfahren zu bieten. Die räumliche Nähe, die geringe Gruppengröße sowie der persönliche Kontakt der Anhänger untereinander stellen bereits eine Vernetzung dar, so dass Organisationsstrukturen oder formale Mitgliedschaften zunehmend entbehrlich sind. Bei langjährigen Protagonisten neonazistischer Kameradschaften erfolgt die Vernetzung vor allem über persönliche Kennverhältnisse. Ferner werden feste Strukturen zunehmend durch Netzwerke im virtuellen Raum ersetzt, bei denen sich auch überregionale Personenzusammenschlüsse zunächst über die Möglichkeiten der Kommunikation in sozialen Medien zusammenfinden und sich erst später in der Realwelt konstituieren. Insbesondere das Phänomen rein internetbasierter Gruppierungen ist seit einigen Jahren verstärkt zu beobachten. Um ihre Ideologie der breiten Masse der Bevölkerung zugänglich zu machen, greifen Neonazis bei öffentlichen Veranstaltungen auf Themen 184 Rechtsextremismus zurück, die in der Gesellschaft ausführlich diskutiert werden, zum Beispiel das Thema Asylund Flüchtlingspolitik. Unterschwellig wird dabei versucht, neonazistische Ideologie anschlussfähig zu gestalten. Eine besondere Bedeutung kam dabei der Beteiligung an Protesten gegen die staatlichen Pandemiebekämpfungsmaßnahmen zu ( siehe Punkt 8. "Entgrenzung des Rechtsextremismus"). Eindeutig rechtsextremistische Inhalte werden in diesen Kontexten wesentlich verhaltener formuliert oder aus taktischen Gründen zunächst vermieden. Vor diesem Hintergrund sind die Bedeutung klassischer neonazistischer Agitationsthemen und die Organisation entsprechender Versammlungen weiter rückläufig. Vielmehr versuchen Neonazis, Anschluss an bürgerliche Protestkampagnen zu erlangen. Neonazistische Demonstrationen mit relevanter Größenordnung fanden 2020 nicht statt. Auch ehemals große Traditionsaufmärsche, wie mit 150 Teilnehmern der Gedenkmarsch in Magdeburg am 17. Januar 2020 anlässlich des Jahrestages der Bombardierung der Stadt im Zweiten Weltkrieg, blieben erneut unter den Teilnehmererwartungen der Veranstalter. Der sogenannte "Tag der deutschen Zukunft" in Worms wurde - nach juristischer Auseinandersetzung im Zuge der Einschränkungen aufgrund der Corona-Pandemie - mit lediglich 32 Teilnehmern durchgeführt. Beide Versammlungen generierten in der Vergangenheit regelmäßig vierstellige Teilnehmerzahlen. Aktuell besteht die neonazistische Szene in Hamburg fast ausschließlich aus Personen, die keiner Gruppierung angehören und nur sporadisch politisch aktiv sind. Dieses Szenespektrum ist nur noch kurzzeitig und anlassbezogen mobilisierbar, beispielsweise zu szeneinternen Veranstaltungen oder größeren Demonstrationen. Hier hervorzuheben ist die gemeinsame Beteiligung mehrerer Führungsfiguren mittlerweile nicht mehr aktiver Hamburger Kameradschaftsstrukturen an der Berliner Demonstration gegen die Corona-Maßnahmen am 29. August 2020. 185 Rechtsextremismus 6. Subkulturell geprägte Rechtsextremisten und rechtsextremistische Musikszene Neben neonazistischen Gruppierungen prägen subkulturell geprägte Rechtsextremisten das gewaltorientierte Spektrum. Sie verfügen meist über kein geschlossenes rechtsextremistisches Weltbild oder einen ideologischen Überbau, sondern werden von einzelnen rechtsextremistischen Einstellungen und Argumentationsmustern beeinflusst. Im Vordergrund stehen für sie Aktivitäten mit Erlebnischarakter. Dazu zählten in den vergangenen Jahren beispielsweise der Besuch rechtsextremistischer Musikund Sportveranstaltungen. Eine Einbindung in feste Organisationsstrukturen ist bei subkulturell geprägten Rechtsextremisten die Ausnahme. Neben Rockmusik mit nationalistischen, antisemitischen, rassistischen und fremdenfeindlichen Texten kennzeichnen starker Alkoholkonsum und szenetypische Straftaten (zum Beispiel Propagandadelikte, Volksverhetzung, Sachbeschädigung, Gewaltdelikte) das Erscheinungsbild der Szene. Soziale Netzwerke werden auch durch dieses Spektrum zunehmend genutzt, um rechtsextremistisches Gedankengut zu verbreiten. Musikund Internetpropaganda vermitteln Feindbilder und schüren Hass und Aggressivität. Versuche, dieses Szenespektrum zu politisieren und zu organisieren, zum Beispiel durch "Hooligans gegen Salafisten" (HoGeSa), deren Aktionen und Kundgebungen oftmals in gewalttätige Auseinandersetzungen mit der Polizei oder Linksextremisten mündeten, sind seit einiger Zeit rückläufig. Einzig verbliebene bundesweite Organisation des subkulturell geprägten Rechtsextremismus, ist die "Hammerskin-Nation" (HSN), die sich selbst als die "Elite der Skinheadbewegung" definiert. Handlungsschwerpunkte der deutschen Hammerskins sind die Produktion und der Vertrieb rechtsextremistischer Musik sowie die Organisation und Durchführung entsprechender Konzertveranstaltungen in Deutschland und vermehrt auch im europäischen Ausland, um staatlichen Maßnahmen durch die Sicherheitsbehörden zu entgehen. Bezeichnend für das Agieren der Hammerskins ist ein hohes Maß an konspirativem Verhalten. Der regionale SchwerLogo der "Hammerskin-Nation". punkt von Hammerskin-Aktivitäten liegt nach wie 186 Rechtsextremismus vor im südwestlichen Teil Deutschlands, in Hamburg sind nach wie vor keine Strukturen der "Hammerskin-Nation" bekannt. Versuche, die im Jahr 2000 in Deutschland verbotene Organisation "Blood & Honour" (B&H) neu zu gründen und zu struktuHäufig genutztes und in verschiedenen Varianten vorkommendes Logo rieren, waren bisher nicht erfolgvon "Blood and Honour" mit der mittig angeordneten Triskele. reich. Es gab in den vergangenen Jahren Versuche, unter dem Namen der Gruppierung "Combat 18" ("C18"), die als "militanter und bewaffneter Arm" der "Blood & Honour"-Organisation entstanden war, in Deutschland Strukturen aufzubauen. Die 2019 aufgebauten Gruppenstrukturen wurden mit Entscheidung des Bundesinnenministers am 23. Januar 2020 verboten und aufgelöst. In Hamburg liegen derzeit keine Hinweise auf aktive Personen oder Strukturen mit heutigem "B&H"oder "C18"-Bezug vor. Die Bedeutung des Kampfsportes für die rechtsextremistische Szene ist in den vergangenen Jahren signifikant gestiegen. Mittlerweile existiert ein deutschlandund europaweites Netzwerk unterschiedlicher Kampfsportlabels, Bekleidungsvertriebe und Veranstaltungsorganisatoren. Die Akteure betten den Kampfsport in ihr rechtsextremistisches Weltbild ein, um durch den massenkompatiblen Event-Charakter neue Anhänger zu rekrutieren und für die politisch-ideologische Gesinnung zu gewinnen. Unter dem Namen "Kampf der Nibelungen" ("KdN") und "TIWAZ - Kampf der freien Männer" haben sich in den vergangenen Jahren zwei Veranstaltungsreihen in Sachsen szeneintern mit zuletzt mehreren hundert Besuchern etabliert. Aufgrund der mit der Corona-Pandemie einhergehenden Restriktionen wurde der "KdN" 2020 lediglich als Online-Event durchgeführt, bei dem die Kämpfe via Internet übertragen wurden. INFOBOX Die Tiwazoder Tyr-Rune des germanischen Runenalphabetes wurde von NS-Organisationen genutzt; so war sie Kennzeichen einer SS-Freiwilligendivision, Leistungsabzeichen der Hitlerjugend und Abzeichen der SA-Reichsführerschulen. 187 Rechtsextremismus Den personellen Schwerpunkt der subkulturell geprägten Rechtsextremisten bilden die Angehörigen der rechtsextremistischen Musikszene, bestehend aus Musikgruppen und Liedermachern sowie deren Umfeld und Anhängern. Hierzu zählen Personen, die einschlägige Publikationen herausgeben, Internetseiten und Foren betreiben, Konzerte organisieren, entsprechende Musik produzieren und vertreiben oder als Besucher rechtsextremistischer Konzerte den größten Teil der subkulturellen Szene ausmachen. Neben klassischem Rechtsrock findet in den vergangenen Jahren immer mehr das Hip-Hopund Rap-Genre Anklang bei jüngeren Rechtsextremisten. Unter dem Label einer "patriotischen und heimatbewussten Jugendbewegung" vermittelten Protagonisten wie Chris Ares subtil fremdenfeindliches Gedankengut und versuchen damit den aktuellen Zeitgeist der Jugendkultur zu treffen. Das Interaktionsfeld "Musik" ist nach wie vor ein entscheidender Faktor und Katalysator bei der Verbreitung rechtsextremistischen Gedankenguts und bietet Anknüpfungspunkte für den Einstieg in die Szene. Zugleich spielen diese Strukturen eine bedeutende Rolle für die länderübergreifende und internationale Vernetzung von Rechtsextremisten. 2019 waren in Deutschland zahlreiche rechtsextremistische Bands und Einzelpersonen bei Auftritten, Konzerten und bei der Produktion von Tonträgern aktiv. Im Jahr 2020 fanden bundesweit, bedingt durch die Corona-Pandemie, deutlich weniger rechtsextremistische Musikveranstaltungen statt. Festzustellen ist, dass die Anzahl rechtsextremistischer Konzerte in den vergangenen Jahren stagnierte, aber deutlich mehr sogenannte Liederabende durchgeführt wurden. Subkulturell geprägte Rechtsextremisten aus Hamburg nehmen seit Jahren zwar regelmäßig an Rechtsrock-Konzerten im Hamburger Umland, deutschlandweit und auch im Ausland teil, öffentlich ist die Szene jedoch weiterhin kaum wahrnehmbar. Gründe hierfür sind unter anderem die in Hamburg nicht vorhandenen Szenetreffpunkte sowie fehlende Konzertveranstaltungen seit 2011 (mit Ausnahme eines Konzertes im Jahr 2014). Die Band "Abtrimo" ist die letzte verbliebene Hamburger Rechtsrock-Band. Abtrimo hat sich seit der Gründung im Jahr 2010 in der rechtsextremistischen Musikszene etabliert und wurde bundesweit sowie international für Auftritte engagiert. In den vergangenen Jahren wurden nur wenige Auftritte bekannt. Im August 2019 trat die Band nach circa zweijähriger Pause bei einem rechtsextremistischen Konzert in Hamm/Westfalen auf. Im Sep188 Rechtsextremismus tember 2019 machte "Abtrimo" via Facebook ihr Mitwirken an einem Tonträger einschlägiger Bands bekannt. Unter dem Titel "The Skinheads come back Vol.3" steuerten Abtrimo zwei Liedbeiträge auf einem Sampler mit internationaler Besetzung aus dem traditionellen Rechtsrockspektrum bei. Insgesamt werden in Hamburg aktuell 140 Personen zur Kategorie des weitgehend unstrukturierten rechtsextremistischen Personenpotenzials gerechCover der CD "The Skinheads come back net. Subkulturell geprägte Rechtsextremisten - die Vol.3", auf der die Band Abtrimo mit zwei Titeln vertreten ist. sich zum Teil in losen Cliquen formieren und zumeist über soziale Netzwerke in Beziehung stehen - werden diesem Potenzial zugeordnet. Teile davon verfügen über langjährige Kontakte zu Protagonisten der Neonaziszene und der NPD. Auch rechtsextremistische Straftäter ohne Anbindung an feste Szenestrukturen werden diesem Personenpotenzial zugerechnet. 7. Rechtsextremistische Parteien 7.1. Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) Die NPD sieht sich seit mehreren Jahren mit konkurrierenden Parteien im rechtsgerichteten und rechtsextremistischen Lager konfrontiert. So äußerte der Bundesvorsitzende der NPD bereits 2019 in einem Brief an die Mitglieder: "National gesinnte Kräfte außerhalb der NPD" wären der Auffassung, "die NPD sei im Parteiengefüge schlicht überflüssig geworden, weil ihre Aufgabe nun von der AfD erfüllt werde". Parteien wie "DER III. WEG" und "DIE RECHTE" verhindern, dass die NPD als Partei des traditionellen Rechtsextremismus eine politische Nische besetzen kann. Diese Lage spieLogo der Nationaldemokratischen Partei Deutschlands (NPD) gelt auch der interne Richtungsstreit zwischen den neonazistischen Kräften unter Führung des stellvertreten189 Rechtsextremismus den Bundesvorsitzenden Thorsten Heise und den Mitgliedern um den Bundesvorsitzenden Frank Franz wider. Frank Franz wies in einem Neujahrsrundschreiben, welches in der NPD-Publikation "Deutsche Stimme" Ausgabe 2/2020 abgedruckt wurde, auf die im Rahmen einer Parteivorstandssitzung am 25. und 26. Januar 2020 anstehenden Diskussionen um die zukünftige strategische Ausrichtung der NPD hin. Diese Diskussion sollte insbesondere die Themen Bürokratieabbau, Ausrichtung als "nationale APO" mit Schwerpunktsetzung Sozialpolitik, Umweltund Tierschutz beinhalten. Zudem strebt der Bundesvorsitzende eine mögliche Umbenennung der Partei an, gegen die sich jedoch erheblicher Widerstand formiert. Das Jahr 2020 war von der Corona-Pandemie geprägt. So musste die NPD sich im Verlauf des Jahres 2020 in der Ausübung ihrer üblichen Aktivitäten (Demonstrationen, Kundgebungen und Informationsveranstaltungen) beschränken. Ein Großteil der für das erste Halbjahr 2020 geplanten Veranstaltungen musste abgesagt werden oder durfte nur unter strengen Auflagen stattfinden. So verlagerte die Partei ihre Aktivitäten weiter in die sozialen Medien. Die Veröffentlichungen dort befassten sich mit tagespolitischen Themen, dabei im Besonderen mit der aktuellen Corona-Lage und der "Black-Lives-Matter"-Bewegung. Des Weiteren gab es zum 1. Mai eine Online-Kundgebung, und im April 2020 veranstaltete die NPD-Jugendorganisation "Junge Nationalisten" (JN) die "Online-Demonstration '#SystemExit'" mit dem Schwerpunktthema "Globalisierung". Im zweiten Halbjahr nahmen die eigenen Veranstaltungen wie Aktionstage und Kundgebungen wieder zu, die unter den Auflagen der Corona-Schutzmaßnahmen abgehalten werden mussten. Im Verlauf der Pandemie nahmen einige Parteimitglieder an unterschiedlichen Corona-Protest-Veranstaltungen teil. Parteiprominenz wie Udo Voigt oder Peter Schreiber besuchten einige dieser Versammlungen, darunter die Großdemonstration am 29. August 2020 in Berlin. Neben der anhaltenden Erfolglosigkeit bei Wahlen macht der NPD auch ihre kontinuierlich fallende Mitgliederzahl zu schaffen. Sie sank von 3.600 im Jahr 2019 auf 3.500 in 2020. 190 Rechtsextremismus INFOBOX 191 Rechtsextremismus Aktivitäten in der NPD bekannt geworden waren, schloss ihn der Klub im April 2016 wegen der Mitgliedschaft in der rechtsextremistischen Partei das erste Mal aus. Im Februar 2018 stellte das Landgericht Itzehoe zunächst fest, dass dieser erste Ausschluss aufgrund formeller Mängel unwirksam war. Danach änderte der TuS Appen seine Satzung. Seitdem kann ein Mitglied aus dem Verein ausgeschlossen werden, wenn es Mitglied einer extremistischen Organisation, gleich welcher politischen Ausrichtung, oder einer rassistischen und fremdenfeindlichen Organisation, wie beispielsweise der NPD und ihrer Landesverbände, ist. In der aktualisierten Satzung heißt es dazu ausdrücklich: "Grundlage der Vereinsarbeit ist das Bekenntnis aller Mitglieder des Vereins zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung. Der Verein tritt allen extremistischen Bestrebungen entschieden entgegen." Nachdem die Satzungsänderung im Vereinsregister eingetragen worden war, schloss der TuS Appen Schwarzbach im Februar 2019 erneut aus. Der NPD-Landesvorsitzende wollte nunmehr mit einer Klage die Unwirksamkeit des Vereinsausschlusses feststellen lassen - mit dieser erneuten Klage scheiterte der Rechtsextremist diesmal vor dem Landgericht Itzehoe. Schwarzbachs Berufung vor dem OLG hatte keinen Erfolg, sein Ausschluss ist wirksam. In seiner Begründung führte das Gericht unter anderem aus: "Der Verein hat sich in seiner Satzung auf freiheitlich-demokratische Werte und integrative Bemühungen festgelegt. Auf dieser Grundlage ist es sachlich begründet, die Mitglieder abzulehnen, die rassistischen und extremistischen Organisationen angehören und sich zu diesen Grundsätzen des Vereins gerade nicht bekennen." Der TuS Appen hatte in das Verfahren auch Erkenntnisse eingebracht, die das LfV Hamburg in seinen Verfassungsschutzberichten veröffentlichte. Aktivitäten im Internet und im öffentlichen Raum Die pandemische Lage zwang auch die NPD Hamburg dazu, ihre Aktivitäten in der Öffentlichkeit sowie ihre internen Parteiveranstaltungen erheblich einzuschränken, mitunter wurden geplante Zusammenkünfte und Aktionen auch ganz abgesagt. Der bisher im Landesverband unumstrittene Vorsitzende Lennart Schwarzbach steht den Maßnahmen zur Bekämpfung der Pandemie nicht nur ablehnend gegenüber, er bedient sich auch umfangreich verschwörungsideologischer und antisemitischer Ideen zur Erklärung der Corona-Pandemie und ihren Folgen: In einem YouTube-Video mit dem 192 Rechtsextremismus Titel "Das System ist am Ende - Der Tag X, der gesteuerte Zusammenbruch!" vom 26. August 2020 leugnet er die Existenz des Virus und zeichnet eine von der "Hochfinanz" hervorgerufene und gesteuerte Krise, um das Wirtschaftssystem "neu zu starten". Im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie erklärt er: "Warum sollen sich die Menschen testen (lassen)? Und zwar hat das den folgenden Hintergrund: Dass die Leute natürlich [...] die genetischen Informationen der Leute haben. Und da gibt's dann Leute, die vermuten, dass da hinter diesen Impfungen [...] etwas steckt, was die Genetik verändern soll und da ist es dann schon mal gut zu wissen, wer [...] welche Genetik hat [...], welche Impfschäden und welche Krankspritzungen, die sie da mit uns vorhaben, dann eben am effektivsten wirken. Deswegen nehmen sie schon mal die ganzen Tests, damit die Leute schon mal einmal ihre Genetik abgeben [...]." YouTube Kanal der NPD Hamburg mit dem Video "Das System ist am Ende..." Screenshot: LfV HH Über die wenigen öffentlichen Aktionen, die die NPD Hamburg im Jahr 2020 durchführte, wurde vor allem auf ihrem Facebook-Account und ihrer Homepage berichtet. Darüber hinaus werden auf dem Facebook-Profil immer wieder rassistische und geschichtsrevisionistische Inhalte gepostet. So wird behauptet, in Deutschland sei es das Ziel, "Rassen global zu durchmischen". Zum Jahres193 Rechtsextremismus tag des Kriegsendes am 8. Mai 2020 wurde mitgeteilt: "Deutschland als rechtlich konstituierte politische Einheit ergab sich nicht! [...] Folglich ist der Zweite Weltkrieg nicht offiziell beendet; [...] die derzeitige Bundesrepublik Deutschland (BRD) [...] (wurde) von den Besatzungsmächten illegal gegründet." Die JN in Hamburg Die Aktivitäten der Jungen Nationalisten (JN) Hamburg-Nordland gingen in den Auf ihrer Facebookseite veröffentlichte die NPD Hamburg vergangenen Jahren kontinuierlich geschichtsrevisionistische Inhalte zum Jahrestag des Kriegsendes am 8. Mai 2020. zurück. Im Dezember 2019 wurden Screenshot: LfV HH zudem jegliche Informationen zum JN-Stützpunkt Hamburg-Nordland von der Homepage der NPD Hamburg entfernt. Ein Neuaufbau wurde vom "JN-Leiter Nord" aus Niedersachsen im Frühsommer 2019 initiiert. Im Jahr 2020 waren die JN in Hamburg nicht öffentlich aktiv. 7.2. Rechtsextremistische Teilstruktur "Der Flügel" in der "Alternative für Deutschland" (AfD) "Der Flügel" ist eine formal aufgelöste - aber politisch kontinuierlich aktive - Teilstruktur der Partei "Alternative für Deutschland" (AfD), die sich um den thüringischen Parteivorsitzenden Björn Höcke im Jahr 2015 gebildet hat. Logo der AfD-Teilstruktur "Der Flügel" Im Januar 2019 stufte das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) sowohl den "Flügel" als auch die AfD-Jugendorganisation "Junge Alternative" (JA) als Beobachtungsobjekte (Verdachtsfälle) ein. Nach weiterer eingehender Prüfung bewertet das BfV den "Flügel" seit März 2020 als erwiesen rechtsextremistische Bestrebung. Das LfV erhob 194 Rechtsextremismus den "Flügel" im Mai 2020 zum Beobachtungsobjekt. Im Zuge der Neubewertung durch das BfV forderte der AfD-Parteivorstand die offizielle Auflösung des "Flügel" zu Ende April 2020. Tatsächlich hat die Gruppierung ihre Aktivitäten jedoch nicht eingestellt: Vielmehr zeigt sich der Anspruch des bisherigen Führungspersonals, die Ausrichtung der Gesamtpartei auch nach der Die AfD Teilstruktur "Der Flügel" ist seit Mai 2020 Beobachtungsformalen Auflösung des "Flügel" maßgeblich zu objekt des LfV Hamburg. beeinflussen. In einem Interview äußerte der Illustration: LfV HH thüringische Parteivorsitzende im März 2020, dass alle "politikfähigen Flügler" ihren "politischen Kurs im Sinne der AfD" weiterführen werden. Insofern ist davon auszugehen, dass es sich bei der formalen Auflösung des "Flügel" um eine rein taktische Anpassung handelt. Das Netzwerk besteht weiter, auch wenn es nicht mehr unter der Bezeichnung "Flügel" firmiert. Eine glaubhafte Abkehr von rechtsextremistischen Positionen ist genauso ausgeblieben wie personelle Konsequenzen. Welchen Einfluss der "Flügel" und insbesondere sein Führungspersonal auf die Gesamtpartei hat, ist Gegenstand der fortlaufenden Beobachtung und Analyse durch den Verfassungsschutzverbund. Das durch den "Flügel" propagierte Politikkonzept ist auf Ausgrenzung und Verächtlichmachung von Migranten, Muslimen und politisch Andersdenkenden, auch in der eigenen Partei, gerichtet. Im Kern des politischen Denkens des "Flügel" steht dementsprechend ein ethnisch-homogenes Staatsvolkverständnis: Mitglieder einer fremden Ethnie - Menschen mit Migrationshintergrund - können demnach nicht Teil des deutschen Staatsvolkes sein. Diese Überzeugung manifestiert sich in der stetig wiederholten Warnung vor der vermeintlich bevorstehenden "Abschaffung" und "Auflösung" Deutschlands. Auch verschwörungsideologische Ansätze von einer angeblichen "Umvolkung" durch die geplante, massenhafte Ansiedlung von "Fremdländern" durch die Regierung illustrieren die verfassungsfeindliche Ideologie des "Flügel". 195 Rechtsextremismus Hinzu kommt, dass der "Flügel" im Hinblick auf das "Dritte Reich" ein geschichtsrevisionistisches, die nationalsozialistischen Gewaltverbrechen relativierendes und ausblendendes Bild zeichnet. "Der Flügel" sieht in der "Erfurter Resolution" vom März 2015 seine "Gründungsurkunde". Sie wurde verfasst, um sich gegen den Kurs des damaligen Bundessprechers zu stellen, der sich "ohne Not mehr und mehr dem etablierten Politikbetrieb" angepasst habe: dem Technokratentum, "der Feigheit und dem Verrat an den Interessen des Landes" und damit nicht für die dem Wähler angekündigte "Alternative" stehe. "Der Flügel" sieht sich dementsprechend als Sammlungsbewegung und Interessengemeinschaft von Personen innerhalb der AfD mit dem erklärten Ziel, sich mittels der AfD für eine "grundsätzliche politische Wende in Deutschland" und - in einem fundamentaloppositionellen Sinne - für eine "echte Alternative zu den bestehenden Parteien" einzusetzen. Die einzige bislang bekannt gewordene Struktur auf Landesebene bildeten sogenannte Landesobleute, die vornehmlich in den größeren Flächenländern mit Koordinierungsund Rekrutierungsaufgaben vor Ort betraut waren und damit maßgeblich zur Verbreitung der Ideologie des "Flügel" beigetragen haben. Informationen werden regelmäßig über die sozialen Medien transportiert. Zudem veranstaltete "Der Flügel" mit seinen Anhängern realweltliche Treffen, etwa das bis 2019 jährlich stattfindende "Kyffhäusertreffen" mit zuletzt circa 800 Teilnehmern. Aufgrund fehlender formaler Mitgliederstrukturen lässt sich die "Flügel"-Anhängerzahl anhand verschiedener Äußerungen von AfDund "Flügel"-Funktionären sowie der Erkenntnislage der Verfassungsschutzbehörden schätzen. Daraus ergibt sich, dass dem "Flügel" bundesweit mindestens 7.000 AfD-Mitglieder zuzurechnen sind. 7.2.1. "Der Flügel" in Hamburg In Hamburg unterstützt insbesondere der AfD-Bezirksverband Hamburg-Mitte den "Flügel" öffentlich auf seiner Facebook-Seite: Als Reaktion auf die Entscheidung des AfD-Bundesvorstandes, den ehemaligen bran196 Rechtsextremismus denburgischen AfD Landesvorsitzenden Andreas Kalbitz wegen seiner verschwiegenen früheren Mitgliedschaft in einer inzwischen verbotenen neonazistischen Organisation die Parteimitgliedschaft abzuerkennen, teilte der AfD-Bezirksverband Hamburg-Mitte eine Solidaritätsbekundung. Zudem wurde auf demselben Profil ein Video von "Flügel"-Chef Björn Höcke geteilt, in welchem dem Bundesvorstand "Verrat" vorgeworfen wurde. Weiterhin beteiligen sich Protagonisten des "Flügel" auch radikalisierend an den Protesten gegen staatliche Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie. Ein dem "Flügel" zuzurechnendes Hamburger AfD-Mitglied verkündet über die sozialen Netzwerke Botschaften, in denen der gewaltsame Kampf gegen den demokratischen Staat und seine Repräsentanten nicht ausgeschlossen wird: "Die Zeit des friedlichen Widerstandes ist vorbei." / "Wenn Ihr einen Gegner habt, der eine Maschinenpistole hat, bringt es nichts, mit Pfeil und Bogen dagegen zu arbeiten." / "Jetzt ist eine Schwelle erreicht, da ist Schluss. Und die Leute demonstrieren dann nicht mehr friedlich." / "Entweder wir haben die Masse, oder wir müssen halt andere Taktiken machen, ja so Guerillataktiken, die werde ich jetzt hier nicht [...] verbreiten." / "Kann sich mal Zitat aus den sozialen Medien eines dem "Flügel" zuzurechnenden Hamburger AfD-Mitglieds. jeder selber überlegen, was man da Illustration: LfV HH machen kann. Und dann eben das System ausnutzen, wo man kann." Nach Erkenntnissen des LfV Hamburg bestanden 2020 des Weiteren zwischen den Führungsfiguren des hiesigen "Querdenken"-Ablegers und Rechtsextremisten aus dem näheren Umfeld des Organisatorenkreises der "Michel wach endlich auf"-Protestreihe sowie der AfD-Teilstruktur "Der Flügel" jeweils enge Verbindungen. Angehörige des AfD-Bezirks Mitte mobilisierten zudem für die bundesweite Demonstration von Corona-Skeptikern in Berlin am 29. August 2020 auch noch zu einem Zeitpunkt, als diese verboten war. 197 Rechtsextremismus In Hamburg werden dem "Flügel" nach Erkenntnissen des LfV etwa 40 Personen zugerechnet (siehe hierzu den Internetbeitrag vom 18. Dezember 2020: "Der Verfassungsschutz Informiert - Extremisten in der AfD immer sichtbarer" unter www.verwww fassungsschutz.hamburg.de). Bild zum Internetbeitrag "Extremisten in der AfD immer sichtbarer" auf der Homepage des LfV Hamburg. Grafik: LfV HH 7.3. Sonstige rechtsextremistische Parteien In Hamburg liegen derzeit keine Hinweise auf "Die RECHTE"-Strukturen vor. Allerdings plante "Die RECHTE" - unter Beteiligung des NPD-Landesverbandes - für den 1. Mai 2020 in Hamburg eine Großdemonstration unter dem Motto "Der nationale Widerstand marschiert". Diese wurde jedoch aufgrund der Corona-Pandemie verboten. "DIE RECHTE" verfügte 2020 bundesweit über etwa 550 Mitglieder. Die Partei gliedert sich in sieben Landesverbände (Baden-Württemberg, Bayern, Bremen, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt) sowie den Gebietsverband Südwest (umfasst die Bundesländer Rheinland-Pfalz und Saarland) mit insgesamt circa 20 Kreisverbänden und sogenannten "Stützpunkten". Die Partei "DER III. WEG" hatte 2020 circa 600 Mitglieder und verfügt über Gebietsverbände Mitte, Süd und West. In Hamburg liegen derzeit keine Hinweise auf "Der III. Weg"-Strukturen vor. 8. Entgrenzung des Rechtsextremismus Die "Entgrenzung des Rechtsextremismus" stellt Gesellschaft wie Sicherheitsbehörden unverändert vor Herausforderungen. Insbesondere Akteure 198 Rechtsextremismus der "Neuen Rechten" treiben die Erosion der Abgrenzung voran, sie schlagen eine Brücke zwischen extremistischen und nicht-extremistischen Milieus. In dieser Grauzone entstehen Mischszenen, in denen Extremisten und Nicht-Extremisten Ethnopluralis gemeinsam agieren und die eine beson- m us dere Aufmerksamkeit der Verfassierung" sungsschutzbehörden benötigen. lami "Is Deren Aufgabe ist es, den Nachweis zu erbringen, dass die in Neue Rechte Identitäre Bewegung dieser Grauzone entwickelten "Merkel muss weg!" Aktivitäten als Bestrebungen demokratisch"Michel wach gesellschaftlicher gegen die freiheitliche demoendlich auf!" Bereich kratische Grundordnung zu werRe ten sind. Dies erfordert eine fun- g ier k u n g s kriti dierte Analyse und Bewertung. Die Protagonisten der Neuen Rechten Co e i ro m versuchen, den politischen Diskurs zu n a - Pa n d e beeinflussen und schließlich zu prägen, um ihre Weltanschauung in die demokratische Mitte der Entgrenzungsthemen rechtsextremistischer Organisationen/Gruppierungen im Jahr 2020. Gesellschaft zu tragen. Hierfür verzichten sie Grafik: LfV HH taktisch auf eine positive Bezugnahme auf den Nationalsozialismus, genauso wie biologistischen Rassismus, Sozialdarwinismus und Antisemitismus. Einer Stigmatisierung durch die Gesellschaft soll dadurch vorgebeugt werden. Antiparlamentarische und antiliberale Einstellungen sind elementarer Bestandteil neurechter Ideologie. Die Anschlussfähigkeit extremistischer Positionen soll durch den diskursorientierten Ansatz erhöht werden. Charakteristisch für die Akteure der Entgrenzung ist das Selbstverständnis als "Bewegung", als Teil eines vorgeblichen Widerstands-Milieus. Die "Mosaik-Rechte" (Eigenbezeichnung) vereint netzwerkartig agierende unterschiedliche Erscheinungsformen, die mit einer breiten Palette an politischen Strategien und Methoden extremistische und nicht-extremistische Zielgruppen ansprechen. Entgrenzung und Islamfeindlichkeit Ein wesentliches Agitationsthema im Rahmen der Entgrenzungsstrategie ist die Diskreditierung und Verunglimpfung der Religion des Islam, von Rechtsextremisten häufig verharmlosend "Islamkritik" genannt. Rechts199 Rechtsextremismus extremisten begrüßen islamfeindliche Proteste, sehen sich als deren "Wegbereiter" und versuchen diese für ihre Zwecke zu nutzen. Sie sehen darin die Bestätigung ihrer systemablehnenden Ansichten und rassistisch motivierten Fremdenund Ausländerfeindlichkeit. Rechtsextremisten und Rechtspopulisten hoffen auf ein Anwachsen bürgerlicher Proteste und versuchen, durch die damit verknüpften Themenfelder, speziell eine vorgeblich legitime Religionskritik, um die es ihnen indes nicht geht, neue Anhänger zu mobilisieren, zu binden und deren Vertrauen zu gewinnen. So fielen auch bei der von Rechtsextremisten organisierten Versammlungsreihe unter dem damaligen Tenor "Merkel muss weg" (später umbenannt in "Michel wach endlich auf", siehe Punkt 8.4. sowie Verfassungsschutzbericht Hamburg 2019, S. 185) fremdenund islamfeindliche Äußerungen. Anhaltspunkte für verfassungsschutzrelevante Bestrebungen gegen den Islam und die Muslime liegen dann vor, wenn Agitation und Propaganda systematisch gegen Grundund Menschenrechte, insbesondere gegen die Menschenwürde, das Diskriminierungsverbot und die Religionsfreiheit gerichtet sind. Neben den rechtsextremistischen Organisationen und Gruppen, deren Agitation gegen Muslime spezifischer Ausdruck ihrer grundsätzlichen rechtsextremistischen, fremdenfeindlichen und rassistischen Denkweise ist, haben sich in den vergangenen Jahren weitere Vereinigungen, Gruppen und Netzwerke gebildet, die ihren Kampf gegen Islam, Scharia und Koran zunächst im und über das Internet führten und ihre öffentlichen Aktivitäten nun zunehmend auf die Straße tragen. Diese muslimfeindliche Agitation war in den vergangenen Jahren einer der ideologischen Wegbereiter brutaler Gewalttaten ( siehe Punkt 4 "Rechtsextremistische Gewalt und Rechtsterrorismus"). Da die Grenze zu verfassungsfeindlichen Bestrebungen angesichts der sich mit rechtsextremistischen Agitationsfeldern überschneidenden Themen fließend ist, hat der Verfassungsschutz auch diese Aktivitäten weiterhin intensiv im Fokus. Umgang von Rechtsextremisten mit der Corona-Pandemie Das Thema "Corona", die Auswirkungen des Virus und die von der Bundesregierung und den Landesregierungen getroffenen Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie wurden im Frühjahr 2020 in vielen gesellschaftlichen Milieus diskutiert. Der Rechtsextremismus bildet dabei keine 200 Rechtsextremismus Ausnahme, die Pandemie spielte im szene-internen Diskurs eine herausragende Rolle. Aus unterschiedlichen Motiven gingen vielerorts Menschen auf die Straße, die sich mit dem Vorgehen der politischen Entscheidungsträger nicht einverstanden erklärten. Die Zusammensetzung der Proteste ist vielschichtig: Menschen, die aus Sorge um ihre berufliche Existenz demonstrierten, Impfgegner, Anhänger der Friedensbewegung, Esoteriker, Verschwörungsideologen, Reichsbürger und Rechtsextremisten. Das gemeinsame Ziel und der gemeinsame Feind schufen zumindest für den Moment einzelne Allianzen. Eine glaubhafte Distanzierung der eher bürgerlichen Klientel war zuletzt kaum noch feststellbar, obwohl die Mehrzahl der Versammlungsteilnehmer die politischen Ziele der Rechtsextremisten nicht teilen dürfte. Insbesondere die pauschale Kritik an "der Politik", "den Eliten" und "den Medien" - waren die Versuche von Rechtsextremisten und Reichsbürgern, deren Hang zu Verschwörungsideologien für das eigene Weltbild konstituierend ist, an die Protestbewegung anzudocken und diese in ihrem antidemokratischen Sinne zu beeinflussen. Die Mobilisierung für die Versammlungen erfolgte nahezu ausnahmslos über die sozialen Medien. An zahlreichen Chatgruppen beteiligten sich auch Rechtsextremisten. Bundesweit gesehen, waren diese Bemühungen mit der Ausnahme von kleineren, regional begrenzten Initiativen, zunächst selten von Erfolg gekrönt. Die Mehrzahl der Demonstrationen gegen die staatlichen Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie war insofern nicht rechtsextremistisch geprägt und in ihrem Verlauf friedlich. An der Großdemonstration am 1. August 2020 in Berlin beteiligten sich Rechtsextremisten und Reichsbürger im dreistelligen Bereich. Eine breite, nahezu alle rechtsextremistischen Strömungen umfassende Mobilisierung führte schließlich dazu, dass Rechtsextremisten das öffentliche Bild der Demonstration am 29. August 2020 in Berlin dominierten. Unter die rund 40.000 Teilnehmenden hatten sich mindestens 3.000 Rechtsextremisten gemischt, die mitunter auf die einschlägigen Erkennungsmerkmale verzichteten. Bemerkenswert ist darüber hinaus, dass im verschwörungsideologischen Milieu rechtsextremistische und reichsbürger-typische Narrative zunehmend Raum erhalten. Auf der Bühne erhoben Redner aus dem "Querdenker"-Umfeld die Forderung nach Einrichtung einer "Verfassungsgebenden Versammlung". Die Rufe nach einem "Friedensvertrag" waren allgegenwärtig ( siehe Kapitel VI "Reichsbürger und Selbstverwalter"). 201 Rechtsextremismus Mehrfach organisierten Corona-Skeptiker auch in Hamburg Versammlungen. Bisher fanden Hamburger Rechtsextremisten nur selten den Weg zu diesen Protest-Veranstaltungen, die zwischen 350 und knapp 1.000 Menschen umfassten. Tatsächlich wurden einzelne rechtsextremistische Stimmen laut, die dem "Querdenker"-Milieu aufgrund dessen ideologischer und organisatorischer Vielfalt die Eignung für gemeinsame politische Aktivitäten absprachen. Inzwischen hat sich in der rechtsextremistischen Szene jedoch die Auffassung durchgesetzt, dass das Mobilisierungspotenzial der Protestbewegung im Sinne der Entgrenzungsstrategie große Chancen bietet. Nach Erkenntnissen des Hamburger Landesamtes für Verfassungsschutz bestanden im Jahr 2020 insbesondere Verbindungen zwischen Führungsfiguren des hiesigen "Querdenken"-Ablegers und Rechtsextremisten aus dem näheren Umfeld des Organisatorenkreises der "Michel wach endlich auf"-Protestreihe und der AfD-Teilstruktur "Der Flügel" ( siehe 7.1.2. "Der Flügel in Hamburg). An der bereits genannten Berliner Demonstration am 29. August 2020 beteiligten sich Hamburger Rechtsextremisten aus nahezu allen szeneinternen Strömungen. Neben Sympathisanten und Organisatoren der "Michel wach endlich auf"-Versammlungen, "Flügel"-Anhängern und NPD-Funktionären, konnten frühere Führungsfiguren mittlerweile nicht mehr aktiver Kameradschaftsstrukturen erkannt werden, die offensichtlich gemeinsam vor Ort waren. 8.1. Echokammern, Filterblasen, Radikalisierungsprozesse: Die zunehmende Verlagerung von Aktivitäten ins Internet Seit Jahren ist die stetig zunehmende Bedeutung des Internets und seiner Varianten (Social Media, Messenger-Dienste etc.) für Extremisten ein Schwerpunkt der Berichterstattung des Verfassungsschutzes in allen Phänomenbereichen. So nutzen auch Rechtsextremisten die digitalen Möglichkeiten immer vielfältiger und verlagern ihre Aktivitäten ins Netz. Im Jahr 2020 hat die Corona-Pandemie aufgrund der stark eingeschränkten Möglichkeiten, Versammlungen und Treffen in der realen Welt abzuhalten, die202 Rechtsextremismus sen Prozess sicherlich verstärkt. Doch unabhängig davon ist die verstärkte Virtualisierung eine Entwicklung, die die Sicherheitsbehörden seit Jahren feststellen. Massenwirksame, schnelle und komfortabel zu nutzende soziale Medien sind zentrale Plattformen für die Kommunikation, Propaganda, Mobilisierung und Radikalisierung der rechtsextremistischen Szene; über sie vernetzen sich Gleichgesinnte regional, überregional und international und verbreiten Ideologie wie auch Hetze gegen den politischen Gegner. Dem Einzelnen bietet sie an, krude Weltanschauungen zu nähren: EchoRäume dienen ihnen als Verstärker, rational Argumentierende haben viele Bereiche sozialer Medien längst verlassen. Daneben erfolgt eine schnelle und umfangreiche Mobilisierung im Internet. Dabei können im Internet wahrnehmbare Stimmungen jederzeit anlassbezogen auf die Straße überführt werden. Zugleich ist die digitale Welt als Rückzugsort für Extremisten geradezu prädestiniert. Sie bietet die Möglichkeit, sich hinter Fake-Profilen oder in "sicheren Häfen" wie dem russischen Netzwerk vk.com zu verstecken, aus denen rechtsextremistische Propaganda, inklusive strafrechtlich relevanter Inhalte, bisher nicht gelöscht wird. "Sichere Häfen" sind auch zugangsbeschränkte Bereiche der digitalen Welt, in der Betreiber oftmals nicht den Willen haben, ethische Standards umzusetzen, etwa auf diversen Spiele-Plattformen. Besonders für gewaltgeneigte rechtsextremistisch motivierte Personen, die zunehmend in losen Netzwerken oder in Kleinstgruppen zusammenwirken (siehe Punkt 4 "Rechtsextremistische Gewalt und Rechtsterrorismus") fungiert das Internet als Kommunikations-, Aktions-, Informationsund Serviceplattform. Die Nutzer agieren häufig auf mehreren Kanälen gleichzeitig ("crossmedial"). Dieses Phänomen bezeichnet bruchlose, plattformübergreifende Kommunikation im Internet. Hierbei nutzen Rechtsextremisten vorwiegend alternative Plattformen. Die Entstehung eines Resonanzraums, in dem die eigenen gruppenund menschenfeindlichen Ansichten geteilt und gespiegelt werden, birgt dann die Gefahr einer Parallelwelt, die im Gegensatz zu realweltlichen Kontakten enthemmter und vielschichtiger wirken kann. Rechtsextremismus funktioniert heute weniger analog, dafür umso häufiger digital im Internet. 203 Rechtsextremismus Die sogenannten "Echokammern" und "Filterblasen" können sich beschleunigend auf Radikalisierungsprozesse auswirken. Die Auswirkungen solcher Radikalisierungsverläufe im realweltlichen Kontext zeigen sich beispielsweise an den rechtsextremistischmotivierten Anschlägen von Halle und Hanau. Die Täter radikalisierten sich außerhalb bekannter rechtsextremistischer Gruppenstrukturen und suchten sich ihre ideologischen Grundlagen in virtuellen Communities zusammen, in denen Verschwörungsideologien und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit ungehindert verbreitet werden. Filterblasen setzen sich von den klassischen Informationsquellen ab. Es entstehen nach außen abgeschottete Konstrukte mit in sich rotierenden "alternativen Wahrheiten". Grafik: LfV HH Die Internetbearbeitung ist seit Jahren eine zentrale und im Zuge der Entwicklung auch immer bedeutsamere Aufgabe der Verfassungsschutzbehörden bei der Beobachtung der extremistischen Phänomenbereiche und stellt die Sicherheitsbehörden insgesamt vor große Herausforderungen. Auf die jüngsten, immer dynamischer werdenden Entwicklungen hat das LfV Hamburg bereits im Jahr 2019 mit der Einrichtung eines spezialisierten Organisationsabschnitts reagiert, um die Bearbeitung der Strukturen des Rechtsextremismus im Internet noch weiter zu intensivieren. Mit dieser Verstärkung des Bereichs wird die operative Internetbearbeitung darüber hinaus methodisch weiter spezialisiert. 204 Rechtsextremismus Lagebild der Küstenländer Die anhaltende Verlagerung der Agitation von Rechtsextremisten ins Internet war und ist auch ein Schwerpunktthema der Konferenz der Innenminister und -senatoren der KüstenLAGEBILD länder (Nord-IMK). So stellten am 10. November 2020 Innensenator Andy Grote und der Leiter des LfV Hamburg, Torsten FÜR DIE Voß, im Rahmen der LandespressekonfeKÜSTENLÄNDER renz das aktualisierte "Lagebild RechtsNr. 2 extremismus" der fünf norddeutschen Küstenländer vor. Die Fortschreibung dieses aktuellen und verlässlichen Überblicks über rechtsextremistische Strukturen und Potenziale sowie deren Entwicklung war von der Logo der Nord-IMK für das Lagebild Rechtsextremismus Nord-IMK beschlossen worden. Grafik: LfV HH Einige Kernbotschaften des Lagebildes lauten: Der Rechtsextremismus verliert, insbesondere bei der Kameradschaftsszene, zunehmend an festeren Strukturen in der Realwelt. Aktivitäten und Vernetzungen verlagern sich verstärkt ins Internet - statt in festen Organisationsstrukturen agieren Rechtsextremisten zunehmend in wechselnden losen Netzwerken oder rein virtuell. Schnelligkeit sowie Anonymität des Netzes erhöhen die Reichweite und Wirksamkeit rechtsextremistischer Propaganda und sind geeignet, Radikalisierungsprozesse zu beschleunigen. Der Grad der Gefährlichkeit hängt nicht vom quantitativen Potenzial der jeweiligen Szenen oder der politisch motivierten Kriminalität ab, sondern kann auch von einzelnen Personen ausgehen. Rechtsterroristische Bedrohungen können jederzeit entstehen. Der Antisemitismus ist und bleibt ein verbindendes Element des Rechtsextremismus. Verschwörungsideologische Ansätze können maßgeblich zu Radikalisierungsverläufen, die zur Begehung schwerster antisemitischer, rechtsterroristischer Anschläge führen, beitragen. Wenngleich die aktuellste Gefahr vom Rechtsterrorismus ausgeht, darf die gesellschaftliche Unterminierung durch das Phänomen der Entgrenzung nicht unterschätzt werden. Nicht gewalttätig agierende Rechtsextremisten nehmen vermeintliche oder tatsächliche Ängste der Bevölkerung auf, verstärken diese durch ihre Propaganda und schaffen so Anknüpfungspunkte 205 Rechtsextremismus auch zu nicht extremistischen Kreisen. Berührungsängste hinsichtlich eines Zusammenwirkens mit Rechtsextremisten (zum Beispiel bei Demonstrationen) werden so zunehmend abgebaut. Zur Eindämmung dieser Gefahr kann der Verfassungsschutz durch eine intensive Öffentlichkeitsarbeit maßgeblich beitragen. Zudem ist der Einfluss der parteiinternen Strömung "Der Flügel" innerhalb der AfD Gegenstand der aufmerksamen Beobachtung aller norddeutschen Verfassungsschutzbehörden. Eine Pressefassung des Lagebildes kann auf der Homepage des LfV Hamburg heruntergeladen werden (siehe www.hamburg.de/verfassungsschutz). 8.2. Identitäre Bewegung Deutschland (IBD) Die "Identitäre Bewegung Deutschland" (IBD) entstand 2012 zunächst vor allem als virtuelles Phänomen. Seit 2014 ist die aus 16 Regionalgruppen bestehende "Identitäre Bewegung Deutschland e.V." mit Sitz in Paderborn ein eingetragener Verein. Logo der "Identitären Bewegung" mit dem Lambda-Symbol. Die IBD beschreibt sich selbst als "europaweite patriotische Jugendbewegung" und betrachtet sich als legitime, politische und außerparlamentarische Stimme für Patrioten und Einwanderungskritiker. Sie wollen die Themenfelder "Identität", "Immigration" und "Meinungsfreiheit" in öffentlichen Debatten mitprägen. Zentrale Zielsetzung der IBD ist dabei der "Erhalt der ethnokulturellen Identität", welche nach Auffassung der IB im Grundgesetz verankert werden solle. In ihrem ideologischen Sinne setzt sich die IB für die Bewahrung von "Kultur", "Tradition", "Patriotismus", "Heimatliebe", "echte Meinungsfreiheit" und eine "Welt der Vielfalt, Völker und Kulturen" ein. Der von der IBD vertretene "Ethnopluralismus"(siehe Infobox auf der Folgeseite), verbunden mit den Forderungen nach "Remigration" und "Reconquista" (= "Rückeroberung"), richtet sich gegen das Zusammenleben von 206 Rechtsextremismus Menschen unterschiedlicher ethnischer Herkunft und dient als Fundament einer völkisch-rassistischen und antidemokratisch geprägten Ideologie. Die IBD macht Migrationsströme und Masseneinwanderung für die Gefährdung von Frieden, Sicherheit, Stabilität und die vermeintliche Zerstörung Europas verantwortlich und agitiert gegen einen angeblich drohenden "Bevölkerungsaustausch". Sie warnt vor angeblich existierenden "No-Go-Areas" und einer vorgeblichen Gefahr zur gefährdeten "Minderheit im eigenen Land" zu werden. Sie versucht nach wie vor, in der Bevölkerung Ängste gegen Migranten zu schüren. In ihrer Agitation warnen die Anhänger der IBD undifferenziert vor "islamischem" Terror. Die "Identitäre Bewegung" (IB) sieht sich selbst als größte und führende Kraft im "außerparlamentarischen, neurechten Lager". Die IBD unterhält ein besonders enges Verhältnis zur Identitären Bewegung Österreich (IBÖ), deren Leiter Martin Sellner auch Ideengeber und Sprachrohr der deutschen IB ist. Er äußerte Anfang 2019 in einem Kommentar im Internet zur "Verankerung der IB": Ziel der IB sei es, die eigene "neurechte Ausrichtung im INFOBOX Das Konzept des Ethnopluralismus wird der sogenannten Neuen Rechten zugeordnet und kann als Rechtsextremismus des 21. Jahrhunderts gelten. Ethnopluralismus spricht von Völkervielfalt statt von verschiedenen Rassen. Das Konzept dahinter ist eindeutig rassistisch, aber versucht den Rassismus hinter dem Begriff zu verschleiern. Der Begriff des sogenannten Ethnopluralismus geht zurück auf einen der Vordenker der Neuen Rechten in Deutschland, Henning Eichberg, der ihn zu Beginn der 1970er in die Debatte einbrachte. Die Neue Rechte knüpft an die Ideologie der antidemokratischen "Konservativen Revolution" an, die in der Weimarer Republik die Demokratie durch eine Art "geistige Revolution" überwinden wollte. Mit dem Konzept des sogenannten Ethnopluralismus versucht die Neue Rechte, einen wertenden, insbesondere durch den Nationalsozialismus belasteten Rassismus-Begriff zu vermeiden. Gleichwohl: Die Annahme homogener Ethnien oder "Rassen", die ihrerseits von "fremden" Einflüssen bewahrt werden müssen, eint beide rechtsextremistischen Denkmuster. 207 Rechtsextremismus aktivistischen, patriotischen Lager zur führenden zu machen" und diese Szene zu aktivieren. Auch der Leiter der IBD bezeichnete die Identitären als "größte Kraft" im "aktivistischen Segment des rechten vorpolitischen Raums". Die IBD arbeitet nach den Prinzipien der "Provokation" und "Konfrontation", wie sie es selbst offen in ihren Publikationen darlegt. Für sie gehört "Provokation" nach eigenen Angaben "zu einem wichtigen Handlungsinstrument des patriotischen Widerstandes". Mit der "Konfrontation" gilt es, "die Mächtigen und Etablierten zu einem Handeln zu aktivieren und ihre Verfehlungen offensichtlich zu machen". Zur Umsetzung ihrer Ziele führt die IBD Aktionen wie Kundgebungen, Demonstrationen, Flugblattverteilungen oder Störungen von Veranstaltungen des "politischen Gegners" durch [Quelle: www.identitaere-bewegung.de, Stand vom 11. November 2020]. Ziel und Zweck verschiedener Kampagnen sind nicht nur die inhaltlichen Positionierungen, sondern in erster Linie die mediale und öffentliche Aufmerksamkeit. Alle Aktionen der IBD waren mit Aufrufen zur Mitwirkung, Unterstützung, Solidarität und zu Spenden verbunden, deren Ergebnisse auf eine motivierte und finanzstarke Anhängerschaft hinweisen. Große Aktionen nahmen, auch pandemiebedingt, im Vergleich zu den Vorjahren jedoch ab. Unter dem Motto "1 Sommer - 100 Städte!" veranstaltete die IBD in ganz Deutschland Infostände, um "Präsenz auf der Straße" zu zeigen. Hierzu wurden in unterschiedlichen Innenstädten Flyer, Plakate und Aufkleber verteilt, um auf diese Weise Aufmerksamkeit zu erreichen und ihre "patriotische Aufklärungsarbeit" fortzusetzen. Die IB beschäftigt sich vorrangig mit Diskussionsthemen, die große Aufmerksamkeit in politischen Diskussionen erhalten. Vor dem Hintergrund der "Black-Lives-Matter"-Proteste in den USA im Jahr 2020 initiierte die IBD die Kampagne "European Lives Matter". Als Zeichen gegen die "zügellose Einwanderungspolitik" gedachten IB-Aktivisten mit Plakaten an "europäische Opfer von Migrantengewalt". Die IBD stellt mit solchen Aktionen außereuropäische Migranten pauschal als kriminelle Minderheit da. 208 Rechtsextremismus Weiteres Agitationsziel der IBD war deren Beobachtung durch den Verfassungsschutz, die von den Anhängern heftig kritisiert und deren Rechtmäßigkeit bestritten wurde. Nach der Hochstufung der IBD zum rechtsextremistischen Beobachtungsobjekt durch das BfV im Juli 2019 wurde die Agitation gegen den Verfassungsschutz und dessen Neubewertung verstärkt. Die IBD klagt bereits seit 2017 vor den Verwaltungsgerichten Köln und Berlin gegen ihre Beobachtung durch den Verfassungsschutz. Ein Eilantrag der IBD gegen die Einstufung als rechtsextremistisch im Verfassungsschutzbericht 2019 des Bundes wurde durch einen Beschluss des Berliner Verwaltungsgerichts im Juni 2020 zurückgewiesen. In der Begründung hieß es, dass die zentrale Auf der Homepage der "Identitären Bewegung" wird unter anderem Forderung nach dem Erhalt der der "Erhalt der ethnokulturellen Identität" gefordert. ethnokulturellen Identität gegen Screenshot vom 15.02.2021: LfV HH die Menschenwürde verstoße [VG Berlin, Beschluss vom 19. Juni 2020]. IB Hamburg In Hamburg ist die IB bereits seit 2016 Beobachtungsobjekt des Verfassungsschutzes. Das Anhängerpotenzial beläuft sich auf circa 25 Personen. Im Vergleich zu den Vorjahren fanden in 2020 nur wenige wahrnehmbare öffentliche Aktionen statt: f Im Januar 2020 wurde eine Plakataktion von Anhängern der IB Hamburg durchgeführt. Unter dem Tenor "Nein zum Krieg im Nahen Osten" und "Bringt unsere Soldaten zurück" wurden vor dem amerikanischen Konsulat in Hamburg Plakate und Flyer verteilt. 209 Rechtsextremismus f Eine weitere Banneraktion fand im November 2020 zum Thema "Bismarck bleibt!" statt. Die IB Hamburg beteiligte sich in dieser Form an den öffentlichen Diskussionen zum Erhalt des BismarckDenkmals. Sie wollte dadurch ein "Zeichen gegen den zeitgenössischen Selbsthass" setzen. Außerhalb der IB erlangten die Aktionen nur eine geringe mediale Aufmerksamkeit. Einen Rückschlag verzeichneten die IB Hamburg und auch die IBD sowie deren Regionalgruppen durch die Löschungen ihrer Twitter-Accounts im Juli 2020. Bereits in der Vergangenheit wurden zahlreiche Social-Media-Accounts der IB von den Betreibern dauerhaft geschlossen. Auch im Google-Suchindex wurde die Internetpräsenz der IB zwischenzeitlich gestrichen und die Auffindbarkeit dadurch erschwert. Ihre Inszenierung im Internet konnte durch den Reichweitenverlust begrenzt werden. Die IB Hamburg verfügt über enge Die Löschung diverser Social-Media Accounts der IB Hamburg und IBD führte zu einem Reichweitenverlust im Internet. Verbindungen zu IB-Anhängern aus (Symbobild) dem nordund ostdeutschen Raum Illustration: LfV HH sowie zu rechtsextremistischen Hamburger Burschenschaftlern. Außerhalb Hamburgs beteiligte sich die die IB Hamburg gelegentlich an Treffen und Aktionen der IBD und anderer Regionalgruppen und berichtete über deren Aktivitäten. Vornehmlich wird der Messenger-Dienst "Telegram" zur Verbreitung solcher Informationen verwendet. Nach Erkenntnissen des LfV Hamburg waren im Jahr 2020 zwei Angehörige der IB als Mitarbeiter der AfD-Bürgerschaftsfraktion tätig. 210 Rechtsextremismus 8.3. Rechtsextremistische Burschenschaften 8.3.1. Hamburger Burschenschaft Germania (HB! Germania) Die HB! Germania wurde 1919 gegründet und zählt zu den sogenannten pflichtschlagenden Studentenverbindungen. Auf der Internetseite der Verbindung heißt es dazu: "Wer sich vor der Mensur scheut, der würde auch sonst kein Opfer für den Bund bringen." [Quelle dieser und folgender Zitate: www.germania-hamburg.de, Stand vom 23. November 2020]. Logo der "HB! Germania" mit Wappen. Der burschenschaftliche Wahlspruch der HB! Germania lautet "Ehre - Freiheit - Vaterland". Es handelt sich um einen reinen Männerbund, in dem Ausländer nicht als Mitglieder zugelassen sind, da sich die HB! Germania selbst als "urdeutsche Angelegenheit" ansieht. Gemeinsam mit weiteren Burschenschaften bildet die HB! Germania das "Schwarz-Weiß-Rote Kartell", eine Gemeinschaft gleichgesinnter Studentenverbindungen. Man sieht sich als "ein Bund an drei Hochschulorten". In der Regel nehmen Abordnungen der jeweils anderen Kartellmitglieder an den Stiftungsfesten (Feiern anlässlich des Gründungstages) der Kartell-Burschenschaften teil. In freundschaftlicher Verbindung steht die HB! Germania auch zu weiteren Burschenschaften. Zu den Gepflogenheiten der Freundschaftsbünde gehören auch gegenseitige Besuche. 211 Rechtsextremismus Aus dem Selbstverständnis der HB! Germania, eine politische Studentenverbindung zu sein, ergibt sich das Ziel, ihre Mitglieder weiterzubilden. Zu diesem Zweck gehören Vortragsveranstaltungen mit anschließender Diskussion (sogenannte "Germanenabende") zu wissenschaftlichen, historischen und aktuellen Themen zu den regelmäßigen burschenschaftlichen Aktivitäten. Dadurch sollen die "Füxe" und "Burschen" davor bewahrt werden, sich ihre Meinung von "stimmungsbildenden Verdummungsmedien diktieren" zu lassen. Wahrscheinlich bedingt durch die fortdauernde Corona-Pandemie fand im Januar 2020 lediglich ein sogenannter "Reichgründungskommers" statt, eine regelmäßige jährliche Veranstaltung anlässlich der Gründung des Deutschen Reiches 1871. Nach wie vor illustriert ein Vorkommnis aus dem Jahr 2016 das vorherrschende Gedankengut in der HB! Germania. Nachbarn und alarmierte Polizeibeamte hörten damals deutliche "Sieg-Heil"-Rufe aus dem Haus der HB! Germania. Nach dem LfV Hamburg vorliegenden Erkenntnissen sind entsprechende Vorkommnisse keine Einzelfälle, sondern Ausdruck einer innerhalb der HB! Germania verbreiteten rechtsextremistischen Grundhaltung. Die Burschenschaft geht derzeit gerichtlich gegen eine Erwähnung im Hamburger Verfassungsschutzbericht vor. So strebte sie an, im Wege des einstweiligen Rechtschutzes nicht mehr im Verfassungsschutzbericht 2019 aufgeführt zu werden. Am 14. Dezember 2020 lehnte das Verwaltungsgericht Hamburg diesen Antrag ab und folgte somit der Rechtsauffassung des LfV. Die Ablehnung des Eilantrags erlangte durch Beschluss des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts vom 25. Januar 2021 Rechtskraft. Eine Entscheidung im Klageverfahren hinsichtlich der Erwähnung im Verfassungsschutzbericht 2016 steht noch aus. INFOBOX "Fuchs" (auch: Fux) ist ein neues Mitglied in einer Studentenverbindung, das bereits im Verbindungshaus wohnt, dort Aufgaben übernimmt und am Leben in der Verbindung teilnimmt. Diese Bewährungsund Probezeit dauert die ersten Studiensemester. Wird diese Zeit erfolgreich absolviert, wird der Fuchs Bursche. 212 Rechtsextremismus INFOBOX Ein "Bursche" ist vollberechtigtes Mitglied der Studentenverbindung. In seiner aktiven Zeit übernimmt der Bursche ebenfalls Ämter. In höheren Semestern kann das Mitglied inaktiver Bursche werden, um zum Ende des Studiums entlastet zu sein. "Alte Herren" sind ehemalige Mitglieder einer Studentenverbindung, sie haben ihre Studienund Aktivenzeit beendet. Nach dem sogenannten Lebensbundprinzip bleiben sie ihrer Verbindung als Unterstützer, unter anderem durch Mitgliedsbeiträge, verbunden. Ein Teil der Alten Herren beteiligt sich darüber hinaus auch aktiv am Burschenschaftsleben, zum Beispiel durch Veranstaltungsteilnahmen, Übernahme von Funktionen oder zusätzlichen Spenden. 213 Rechtsextremismus 8.4. "Michel wach endlich auf" (ehemals "Merkel-muss-weg"-Kampagne) Seit Beginn des Jahres 2019 firmiert die "Merkel muss weg!"-Kampagne unter dem neuen Namen "Michel wach endlich auf". Die Umbenennung war Teil eines Neustartversuchs, nachdem die Teilnehmerzahlen bei den durchgeführten Kundgebungen erheblich zurückgingen. Während sich im März 2018 noch 350 Teilnehmer an der Kundgebung beteiligten, waren es bei der bisher letzten Kundgebung im September 2019 nur noch knapp 70 Teilnehmer. Das LfV hatte die Öffentlichkeit frühzeitig informiert und kontinuierlich über den rechtsextremistischen Hintergrund der Versammlungsreihe berichtet. Im Jahr 2020 hat keine "Michel-wach-endlich auf"-Kundgebung stattgefunden. Für diese Entwicklung war neben der Corona-Pandemie vor allem das kaum noch vorhandene öffentliche Interesse verantwortlich. Im Zusammenhang mit den Protesten gegen die staatlichen Maßnahmen zur Bekämpfung der Corona-Pandemie nahmen vereinzelt auch Angehörige des "Michel-wach-endlich-auf"-Organisationsteams an Versammlungen teil, ohne deren Verlauf zu beeinflussen oder gar zu prägen. Nach Erkenntnissen des LfV Hamburg bestanden 2020 zwischen Rechtsextremisten aus dem näheren Umfeld des Organisatorenkreises der "Michel wach endlich auf"-Protestreihe, den Führungsfiguren des hiesigen "Querdenken"-Ablegers sowie der AfD-Teilstruktur "Der Flügel" jeweils enge Verbindungen. 9. Sonstige rechtsextremistische Organisationen und Bestrebungen 9.1. Artgemeinschaft - Germanische Glaubensgemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung e.V. (AG-GGG) Die 1951 gegründete Artgemeinschaft (AG-GGG) mit Sitz in Berlin und Postanschrift in Zeitz (Sachsen-Anhalt) beschreibt sich selbst als "größte" und "älteste germanisch-heidnische Glaubensgemeinschaft" Deutschlands. 214 Rechtsextremismus Der in sogenannte regionale "Gefährtschaften", "Freundeskreise" und "Gilden" untergliederte Verein vertritt antichristliches, islamkritisches, völkisch rassistisches, revisionistisches und antisemitisches Gedankengut. Er knüpft unmittelbar an die Rassenlehre des "Dritten Reiches" und das Denkmodell der Überlegenheit einer arisch nordischen oder germanischen "Rasse" an. Die Aktivitäten des Vereins beschränkten sich im Wesentlichen auf den Vertrieb eigener Schriften und Bücher im vereinseigenen "Buchdienst" sowie auf die Durchführung interner Treffen, an denen in den Vorjahren in der Regel bis zu 200 Personen teilnahmen. Unter der Losung "Aufbruch zum Artglauben" suchte die AG-GGG Kontakte zu Gleichgesinnten im Inund Ausland. Auch einzelne Hamburger Rechtsextremisten gehören seit Jahren zum Anhängerund Unterstützerkreis der AG-GGG. Der Verein sieht seinen 2009 gestorbenen ehemaligen Leiter und Hamburger Rechtsextremisten Jürgen Rieger nach wie vor als menschliches und ideologisches Vorbild und gedenkt seiner regelmäßig. 9.2. Ehemalige Europäische Aktion Die 2010 unter der Bezeichnung "Bund Freies Europa" von dem Schweizer Revisionisten Bernhard Schaub gegründete Bewegung "Europäische Aktion" (EA) Logo der "Europäischen Aktion". wurde 2017 als internationale Organisationsstruktur aufgelöst. Es handelte es sich um ein Netzwerk von Holocaustleugnern, das in seiner antidemokratischen, fremdenfeindlichen, rassistischen, antisemitischen und revisionistischen Ausrichtung eine Wesensverwandtschaft zum Nationalsozialismus aufwies. Regionale Strukturen bestehen jedoch fort, auch in Norddeutschland. Bei der EA zeigen sich personelle und ideologische Überschneidungen zur Reichsbürgerszene. Dies zeigte sich auch bei den im Juli 2020 bei verschiedenen Ham215 Rechtsextremismus burger Einrichtungen als Postwurfsendungen verteilten Flugblätter unter der Überschrift "Merkel muss weg! Der Weg zur Freiheit. Es lebe der Kaiser!". Darin wird in einer für Reichsbürger typischen Argumentationsweise die Existenz der Bundesrepublik Deutschland geleugnet und für die Wiederherstellung des Kaiserreiches geworben. Als Autor dieser Flyer wird Bernhard Schaub genannt. Die Anhänger der EA betrachten den Einsatz von Waffen und Gewalt als legitimes Mittel zur Durchsetzung ihrer ideologischen Ziele. "Der Gebrauch von Schusswaffen und deren Anschaffung" zwecks "persönlichen Selbstschutzes im Falle eines zivilisatorischen Zusammenbruchs" wird offen propagiert. Nach Auflösung der EA setzten ehemalige Führungskräfte ihre politische Arbeit unter dem von der EA ausgegebenem Motto: "Jetzt erst recht: Rückeroberung oder Untergang!" selbstständig fort. So äußerten sich ehemalige EA-Funktionsträger im Internet und auf Veranstaltungen weiterhin im Sinne der EA-Ziele. Auch Hamburger Rechtsextremisten zählen zu den Anhängern der EA. Hierbei arbeiteten sie eng mit Anhängern aus den angrenzenden Bundesländern zusammen, ohne öffentlich aktiv zu sein. 216 Verfassungsschutz in Hamburg Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Gruppierungen mit Auslandsbezug Linksextremismus Rechtsextremismus Reichsbürger und Selbstverwalter Scientology-Organisation Spionageabwehr und Wirtschaftsschutz Geheimund Sabotageschutz Anhang Reichsbürger und Selbstverwalter "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" sind Einzelpersonen und Gruppierungen, die aus diversen Beweggründen und mit den verschiedensten Begründungen die Existenz der Bundesrepublik Deutschland, inklusive ihres Rechtssystems ablehnen und den demokratisch gewählten Repräsentanten und Institutionen die Legitimation absprechen. "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" berufen sich häufig auf das historische Deutsche Reich, verschwörungsideologische Argumentationsmuster oder ein selbst definiertes Naturrecht. Da sie den Bestand der Bundesrepublik Deutschland ablehnen, werden ihre somit gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichteten Bestrebungen vom Verfassungsschutz beobachtet. Die ausgesprochen heterogenen ideologischen Versatzstücke der "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" finden ihren gemeinsamen Nenner in der grundsätzlichen Ablehnung der völkerrechtlichen Legitimität und Souveränität der Bundesrepublik, die häufig mit der Forderung nach der Wiederherstellung des "Deutschen Reiches" in den jeweiligen Grenzen von 1871, 1914, 1917 oder 1937 einhergeht. Dieser Geschichtsrevisionismus ist auch in der rechtsextremistischen Szene verbreitet; ein kleiner Teil der Reichsbürger-Szene fällt auch durch rechtsextremistische Bezüge auf. Sogenannte "Selbstverwalter" negieren ebenfalls die Existenz der Bundesrepublik Deutschland, streben jedoch nicht zwangsläufig die Wiederherstellung eines "Deutschen Reiches" an. Sie erklären oftmals, aus der Bundesrepublik Deutschland ausgetreten zu sein und definieren ihr Haus oder Grundstück als souveränes Staatsgebiet, auf dem die Gesetze der Bundesrepublik keine Geltung hätten. Reichsbürger und Selbstverwalter VI. Reichsbürger und Selbstverwalter 1. Allgemeines/Ideologie "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" sind Gruppierungen und Einzelpersonen, die aus unterschiedlichen Motiven und mit verschiedenen Begründungen - unter anderem unter Berufung auf das historische Deutsche Reich, verschwörungsideologische Argumentationsmuster oder ein selbst definiertes Naturrecht - die Existenz der Bundesrepublik Deutschland und deren Rechtssystem ablehnen; sie sprechen den demokratisch gewählten Repräsentanten die Legitimation ab oder definieren sich in Gänze als außerhalb der Rechtsordnung stehend. Daher begehen Reichsbürger und Selbstverwalter auch regelmäßig Verstöße gegen die Rechtsordnung. Seit 2016 wird diese Szene durch den Verfassungsschutzverbund verstärkt beobachtet. Das Milieu der Reichsbürger und Selbstverwalter ist personell, organisatorisch und ideologisch äußerst heterogen und umfasst ein breites Personenspektrum vom Rechtsextremisten über den Esoteriker bis hin zum Verschwörungsideologen. Der Bewegung gehören zahlreiche (Kleinst-)Gruppierungen und Einzelpersonen an, die die Legimitation von Behörden und demokratisch gewählten Repräsentanten sowie die Gültigkeit deutscher Gesetze nicht anerkennen. Die Szeneangehörigen eint das Bestreiten der völkerrechtlichen Legitimität und Souveränität der Bundesrepublik Deutschland und die daraus abgeleitete fundamentale Ablehnung ihrer bestehenden Rechtsordnung. Sie geben sich eigene Gesetze oder berufen sich auf ein selbst definiertes Naturrecht, das heißt, "Ablehnung der Bundesrepublik Deutschland" ein universell gültiges Recht, welches VorIllustration: LfV HH rang vor den bundesdeutschen Gesetzen 220 Reichsbürger und Selbstverwalter habe. Die Bundesrepublik Deutschland bezeichnen viele Reichsbürger und Selbstverwalter auch als "BRD-GmbH" und staatliche Institutionen als deren (Unter-)Firmen. Dabei beziehen sich die Szeneangehörigen auf unterschiedlichste historische und völkerrechtliche Zustände Deutschlands. Ihre Aussagen begründen Reichsbürger und Selbstverwalter meist pseudojuristisch oder pseudohistorisch. In Teilen bedient sich die Reichsbürgerszene auch eines geschichtsrevisionistischen Gedankenguts sowie antisemitischer Argumentationsmuster, einschließlich der Leugnung des Holocaust. Hier zeigt sich auch eine große Empfänglichkeit für Thesen der "QAnon"-Bewegung, die an das antisemitische Stereotyp einer vermeintlichen Weltverschwörung einer jüdischen Finanzelite anknüpft. Dass nicht einmal diese wirren Verschwörungsideologien abschrecken, zeugt davon, wie sehr sich viele Personen aus der Reichsbürgerszene in virtuelle Filterblasen zurückgezogen haben. INFOBOX QAnon - Anhänger der in den USA entstanden QAnon-Bewegung verbreiten bizarre Verschwörungsmythen, zum Teil mit rechtsextremistischen und antisemitischen Motiven. Eine zentrale Behauptung lautet, dass eine international agierende kriminelle, korrupte und satanistische Elite Kinder entführe, ermorde und aus deren Blut eine Verjüngungsdroge herstelle. Im Kontext der Corona-Pandemie leugnen QAnon-Anhänger das Virus oder behaupten auch, die Pandemie sei das Ergebnis einer staatlich gesteuerten Bio-Waffe gegen die eigene Bevölkerung ( siehe Kapitel V, Punkt 4. "Rechtsextremistische Gewalt und Rechtsterrorismus"). 221 Reichsbürger und Selbstverwalter sprechen daher von einem "Extremismus eigener Art" oder "Extremismus sui generis". Sogenannte "Selbstverwalter" verstehen sich als dem Staat nicht zugehörig und erklären sich daher per Ankündigung für unabhängig oder gar ihren "Austritt" aus der Bundesrepublik Deutschland. Dabei berufen sie sich oftmals auf die (nur als Entwurf existierende) UN-Resolution A/RES/56/83 (Artikel 9: Verhalten im Falle der Abwesenheit oder des Ausfalls der staatlichen Stellen), der es ihnen angeblich ermöglichen soll, sich zum "Selbstverwalter" zu erklären. Ihre Grundstücke markieren sie zum Teil durch Schilder, Phantasie-Wappen oder Grenzziehungen, aus denen die eigene Souveränität hervorgehen soll. Die Identifizierung dieser sogenannten "Selbstverwalter" ist für die Sicherheitsbehörden deshalb besonders wichtig, da ihre Ideologie es erlaubt, eine vorgebliche "NotwehrGrundstück unter Selbstverwaltung. Mit Phantasieschildern lage" zu behaupten - insbesondere, wird die eigene Souveränität ausgedrückt. (Symbolfoto) Illustration: LfV HH wenn behördliche Maßnahmen gegen sie auf den von ihnen beanspruchten Territorien durchgeführt werden, zum Beispiel Zwangsvollstreckungen aufgrund nicht geleisteter Steuern, Abgaben oder Bußgelder. In Hamburg sind bisher keine der sogenannten "Selbstverwalter" mit entsprechendem Handeln aufgefallen. Teile der Reichsbürgerund Selbstverwalterszene zeichnen sich durch ihre auffallende Waffenaffinität aus. Das belegen die regelmäßig im Zuge von Exekutivmaßnahmen sichergestellten Waffenund Munitionsfunde. Zu erklären ist diese Waffenaffinität durch den Grundgedanken der Ablehnung und einer damit einhergehenden Abwehrhaltung gegenüber der bestehenden Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland und ihrer Repräsentanten. Daraus ergibt sich die Erhöhtes Gefärdungspotenzial durch bewaffnete Reichsbürger (Symbolfoto) Gefahr, dass Szeneangehörige in Teilen bereit Foto: Pixabay sind, ihre Waffen für Gewalttaten einzusetzen. 222 Reichsbürger und Selbstverwalter 2. Potenziale 2020 zählen bundesweit circa 20.000 Personen zu den Angehörigen der Reichsbürgerszene (2019: 19.000). Darunter befanden sich weiterhin rund 950 Rechtsextremisten. In Hamburg werden rund 175 Personen der Reichsbürgerszene zugerechnet (2019: 165). Knapp zehn Prozent wiesen davon Überschneidungen zum Rechtsextremismus auf. Die Hamburger Reichsbürgerund Selbstverwalterszene ist, wie das bundesweite Spektrum, sehr heterogen und besteht überwiegend aus Einzelpersonen ohne Gruppenangehörigkeit. Personenpotenziale Reichsbürger - Hamburg 180 150 175 165 145 120 130 90 90 30 2016 2017 2018 2019 2020 - Die Zahlen für die Personenpotenziale sind gerundet - Während im ersten Halbjahr 2020 ein Anstieg des Hamburger Personenpotenzials kaum wahrnehmbar war, zeichnete sich im zweiten Halbjahr 2020 ein deutlicher Zuwachs ab. Reichsbürger und Selbstverwalter sind seit dem Ausbruch der Corona-Pandemie aktiver denn je. Staatliche Maßnahmen gegen die Pandemie führten bundesweit zu einer erhöhten Dynamik und Aktivität in Teilen der Szene und boten Reichsbürgern erweiterte Spielräume und Rezeption für ihre Agitation gegen die Bundesrepublik Deutschland. Ein weiterer Grund für den Anstieg des Hamburger Personenpotenzials ist die stetig fortschreitende Aufklärung der Szene und der damit verbundenen konsequenten Aufhellung des Dunkelfeldes durch den Verfassungsschutz. 223 Reichsbürger und Selbstverwalter 3. Aktivitäten Im März 2020 hat der Bundesminister des Innern den Verein "Geeinte deutsche Völker und Stämme" ("GdVuSt") und ihre Teilorganisation "Osnabrücker Landmark" verboten und aufgelöst. Damit wurde auf Bundesebene erstmals eine Reichsbürgergruppierung verboten. Bei den Durchsuchungen wurden unter anderem Schusswaffen, Baseballschläger und Propagandamaterialien sichergestellt. In den letzten Jahren fiel der "GdVuSt" durch eine aggressive Sprache und teils drastische Drohungen auf. Diese umfassten insbesondere eine "Inhaftierung" der Adressaten, "Strafgebühren" in hohen Summen und "Sippenhaft". Die Veröffentlichungen des "GdVuSt" verdeutlichen die schwerwiegenden Verletzungen der Grundrechte und insbesondere der Menschenwürde Anderer. Sie bringen durch Rassismus, Antisemitismus und Geschichtsrevisionismus ihre Intoleranz gegenüber der Demokratie zum Ausdruck und verstoßen damit gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung. Der Verein "GdVuSt" leugnete die Legitimität der Bundesrepublik Deutschland und strebte ein eigenes "naturstaatliches" Rechtssystem an. Dabei wurde die Bundesrepublik Deutschland als "niedrigste Staatsform" und "Handelskonstrukt" diskreditiert. Die Vereinsmitglieder schreckten auch vor der Begehung von Straftaten nicht zurück. Trotz ihres Verbotes sind Mitglieder dieser Gruppierung weiterhin aktiv. So verschickten sie Schreiben an diverse Empfänger, darunter auch Hamburger Senatsmitglieder und den Hamburger Erzbischof. In einem Schreiben forderte die Organisation unter anderem die sofortige Aufhebung der Maskenund (von ihr fälschlich behaupteten) Impfpflicht. In weiteren Schreiben, die ebenfalls der Gruppierung zuzurechnen sind, wurde Senatsmitgliedern mitgeteilt, dass "Sie im Auftrag des Höchsten Gerichtes der Geeinten deutschen Völker und Stämme (GdVuSt) jetzt privat vollumfänglich zu enteignen" seien. Zudem drohten sie "die Ausrufung internationaler Haftbefehle" sowie die Einschaltung wie auch immer gearteter "militärischer verantwortlicher Stellen" an. Ein Teil der Reichsbürgerszene sucht Anschluss an verschwörungsaffine Milieus. Inhalte der "QAnon"-Bewegung werden aufgenommen und ver224 Reichsbürger und Selbstverwalter breitet. Auch nutzen Reichsbürger und Selbstverwalter deren Motto "WWG1WGA". Dieser mit "QAnon" assoziierte Slogan steht für: "Where we go one, we go all" (zu Deutsch: Wohin einer geht, gehen wir alle.) "QAnon"-Anhänger tragen auf ihren Kleidungsstücken oft diese Abkürzung oder ein "Q". Mit der sogenannten "Querdenker"-Bewegung erhalten die Reichsbürger eine neue Plattform und umgekehrt. Die Corona-Pandemie beflügelt daher auch die Reichsbürger-Szene. Der Mythos einer angeblich fehlenden Souveränität Deutschlands sowie Nichtexistenz einer Verfassung konnte so in Teile der Bewegung gegen die Corona-Eindämmungsmaßnahmen eindringen. Der Verfassungsschutz identifizierte Reichsbürger auch bei der Demonstration am 29. August 2020 in Berlin sowie unter den bis zu 400 Demonstranten auf der Außentreppe des Reichstags. Beim "Sturm auf den Reichstag" konnten unter den Demonstranten auf der Außentreppe des Reichstags auch Reichsbürger identifiziert werden. Foto: picture alliance / REUTERS | Christian Mang Die virtuelle Vernetzung der Reichsbürger und Selbstverwalter spielt eine zunehmende Rolle für die Szene. Die Nutzung sozialer Netzwerke hat gegenüber Publikationen auf klassischen Internetseiten weiter zugenommen. Gleichwohl werden zum Beispiel weiterhin "Hamburger Stammtische" vom "Aktionsbündnis gelber Schein" auf deren Internetseite beworben. Diese Gruppierung ist bundesweit jedoch nahezu in die Bedeutungslosig225 Reichsbürger und Selbstverwalter keit abgesunken. Aktivitäten von Hamburger Anhängern waren nicht mehr festzustellen. Eine andere bundesweit tätige Reichsbürger-Gruppierung ist die "Verfassunggebende Versammlung" (VV). Diese untergliedert sich auch in sogenannte "Landesräte". Aktivitäten des Hamburger Landesrates waren nicht festzustellen. Am 12. September 2020 kam es vor dem Gelände des Norddeutschen Rundfunks (NDR) in Lokstedt zu einer Kundgebung der Gruppierung "Souveränes Deutschland" mit dem Tenor "Informieren statt Indoktrinieren". Als Ziel der bundesweit auftretenden Bewegung wird unter anderem eine "eigene Verfassung ohne ausländische Einflüsse" genannt. Man sei eine Gemeinschaft für alle Menschen, die etwas ändern wollen, um für die wahre Souveränität Deutschlands zu kämpfen. Mit einer nur einstelligen Teilnehmerzahl der Demonstration blieb diese weit hinter den Erwartungen des Veranstalters zurück. In einem anschließend veröffentlichten Video zeigte sich "Souveränes Deutschland" enttäuscht und es sei "sehr viel schief gelaufen". INFOBOX Um die Reichsbürgerund Selbstverwalterszene weiter aufzuklären, ist der Verfassungsschutz auch auf Hinweise aus der Bevölkerung oder anderen Behörden angewiesen. Wer entsprechende Informationen hat, kann sich an das LfV Hamburg wenden. Jeder Hinweis wird grundsätzlich vertraulich behandelt: Telefon: 040-244443 E-Mail: poststelle@verfassungsschutz.hamburg.de 226 Verfassungsschutz in Hamburg Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Gruppierungen mit Auslandsbezug Linksextremismus Rechtsextremismus Reichsbürger und Selbstverwalter Scientology-Organisation Spionageabwehr und Wirtschaftsschutz Geheimund Sabotageschutz Anhang Scientology-Organisation Erklärtes Ziel der Scientology-Organisation (SO) ist es, eine sogenannte "scientologische Zivilisation" zu errichten. Um entsprechenden gesellschaftlichen Einfluss zu erreichen, agiert die SO international, einschließlich zahlreicher Tarnund Nebenorganisationen. Fester Bestandteil der SO-Ideologie ist die von ihr postulierte universelle Befreiung des menschlichen Geistes mittels ihrer geistigen "Technologie", dem so genannten "Auditing". Die Praxis der SO ist gekennzeichnet durch ihr Streben nach Geld, Macht und vollständiger Kontrolle über ihre Mitglieder. Mit ihrer als "angewandte religiöse Philosophie" bezeichneten Lehre hebt die SO diese Praxis auf eine metaphysische Ebene. Die von den Verfassungsschutzbehörden festgestellten Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen der SO ergeben sich insbesondere aus den Richtlinien ihres Gründers L. Ron Hubbard (19111986). Diese dürfen innerhalb der SO zwar redaktionell, aber niemals inhaltlich verändert werden. In einer scientologischen Gesellschaft sollen danach nur sogenannte "Clears", von allen geistigen Störungen befreite Menschen, Rechte genießen. Andere Personen gelten als nicht gleichwertig. Theorie und Praxis der SO erfüllen mehrere Merkmale einer totalitären Organisation, wie ideologischer Alleinvertretungsanspruch, rigider Dogmatismus, hermetisch abgeschlossene Organisationsstruktur, Führerkult und totale Unterordnung der Mitglieder, dualistisches Freund-Feind-Bild sowie kollektivistisches Denken. Diese Einschätzung der Verfassungsschutzbehörden wurde 2008 durch ein Urteil des Oberverwaltungsgerichtes Münster ausdrücklich bestätigt. Scientology-Organisation VII. Scientology-Organisation (SO) 1. Entwicklungen und Schwerpunkte Die "Scientology-Organisation" (SO) wird seit 1997 bundesweit von den Verfassungsschutzbehörden beobachtet. Grund hierfür ist, dass durch die von der SO angestrebte Gesellschaftsordnung zentrale Grundwerte, zum Beispiel die Menschenwürde sowie das Recht auf Gleichbehandlung, außer Kraft gesetzt werden und die SO folglich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung agiert. "Insbesondere bestehe der Verdacht, dass in einer scientologischen Gesellschaft nur Scientologen die staatsbürgerlichen Rechte zustehen sollten." [Quelle: Pressemitteilung des Oberverwaltungsgerichts Münster vom 12. Februar 2008: "Scientology darf auch künftig durch das Bundesamt für Verfassungsschutz observiert werden"] SO-Gründer L. Ron Hubbard postuliert in seinen Veröffentlichungen und SO-Richtlinien, dass die Befreiung des menschlichen Geistes nur mit einer von ihm entwickelten "Technologie" gelänge. In einer von der SO angestrebten "scientologischen" Gesellschaft können demnach nur sogenannte perfekte Menschen ("Clears") die Rechte eines freien Individuums genießen. "Sobald die Erde clear ist - eine Nation, ein Staat, eine Stadt oder ein Dorf - stellt die Scientologyorganisation die Regierung. Und sobald das eingetreten ist, ist das einzige Gesetz das gültig ist, das Gesetz der Scientology." L. Ron Hubbard (1950) [Quelle: L. Ron Hubbard, Vortrag "Future Org Trends" vom 9. Januar 1962] 230 Scientology-Organisation Um den "Clear"-Status zu erreichen, müssen Mitglieder neben diversen Kursabschlüssen auch "Auditing-Sitzungen" absolvieren. Mit Hilfe eines "E-Meters" sollen sogenannte "Engramme" (negative Ereignisse) aus dem Gedächtnis der Person gelöscht und der Status "Clear" erreicht werden. INFOBOX Das "E-Meter" wird in sogenannten "Auditing-Sitzungen" eingesetzt. Der "Auditor" (Betreuer) stellt dem "Preclear" (Behandelnden) vorgegebene Fragen. Das E-Meter soll dabei den elektrischen Körperwiderstand in den Handflächen der "Preclears" messen und der Auditor könne infolgedessen sogenannte "Engramme" aufspüren, die mit Hilfe weiterer "Auditing-Sitzungen" gelöscht werden sollen. Der Endbericht der Enquete-Kommission "Sogenannte Sekten und Psychogruppen" bezeichnete das E-Meter bereits im Jahr 1998 als "wissenschaftlich wertlos". [Quelle: Deutscher Bundestag, 13. Wahlperiode, Drucksache 13/10950, 09.06.98] 231 Scientology-Organisation Die von L. Ron Hubbard festgelegten SO-Richtlinien zur Erhaltung und Gestaltung der "scientologischen" Gesellschaft bilden bis heute die Basis für Aktivitäten und Überzeugungen der SO. Der Zweck ihrer Existenz wird durch die Schriften Hubbards begründet: "Die Scientology-Kirche soll die Scientology-Religion vorstellen, bekannt machen, verbreiten, ausüben, sowie ihre Reinheit und Unversehrtheit erhalten und bewahren, mit dem Ziel, dass jede Person, die Mitgliedschaft und Teilnahme in ihr wünscht, den von L. Ron Hubbard aufgezeigten Weg der Erlösung gehen kann, so wie er es in den Schriften und anderen aufgezeichneten Werken bezüglich der Scientology-Religion oder Scientology-Kirche - allgemein als 'die Schriften' bezeichnet - beschrieben hat." [Quelle: Vereinssatzung Scientology Kirche Deutschland, SS 2 Nummer 3; Verwaltungsgericht Köln, Urteil vom 11. November 2004 - 20 K 1882/03] L. Ron Hubbard gilt bis heute als unanfechtbare Autorität, dessen Glaubenssätze Scientologen befolgen und verbreiten müssen. Auch auf der Internetseite der SO ist ihm eine eigene Rubrik gewidmet, in welcher seine Schriften beworben und sein Wirken glorifiziert wird. Die wiederholte Bewerbung von L. Ron Hubbard und seiner verfassungsfeindlichen Lehre seitens der SO bestätigen die notwendige Beobachtung durch die Verfassungsschutzbehörden. Der internationale Hauptsitz der SO befindet sich in Los Angeles. Von hier aus lenkt die Führungsund Überwachungsebene alle Organisationsbereiche in 150 Ländern. Auf der nationalen Ebene gibt es sogenannte "Orgs", Missionen und weitere Untergruppierungen sowie Tarnorganisationen. Die Organisation der SO ist geprägt durch eine klare Struktur und eine damit einhergehende strenge hierarchische Ordnung. Nach dem Tod von L. Ron Hubbard im Jahr 1986 übernahm David Miscavige die Leitung des internationalen Managements der SO. Unter seiner Führung werden die verschiedenen Organisationseinheiten der weltweiten SO-Standorte unnachgiebig und mit Nachdruck überwacht. Die SO ist darauf bedacht, ihrem Negativ-Image entgegenzuwirken und sich nach außen als unpolitische und demokratiekonforme Organisation 232 Scientology-Organisation darzustellen. Dies versucht sie, indem sie sich als "Kirche" und "völlig neue Religion" bezeichnet und mit ihren vermeintlichen Erfolgen und Expansionen weltweit wirbt. SO-Praktiken sind allerdings durch Streben nach Geld, Macht und gesellschaftlichen Einfluss gekennzeichnet. Mit der Selbstbeschreibung ihrer Lehre als "angewandte religiöse Philosophie" und das Erreichen dieser angeblich "höheren Ebene" gibt die SO dieser Praxis einen metaphysischen Hintergrund. Das Menschenbild von Scientology widerspricht der durch das Grundgesetz garantierten Menschenwürde, was unter anderem durch folgende Aussage von L. Ron Hubbard deutlich wird: "Ein Wesen ist nur so wertvoll, wie es anderen dienen kann." Wesentlicher Schwerpunkt der Außendarstellung der SO sind sogenannte "Frontgroups". Die unter der Bezeichnung "soziale Hilfsprogramme" getarnten Initiativen rücken gesellschaftlich relevante Themen wie "Drogenhilfe", "Menschenrechte" oder "Hilfe in Krisengebieten" in den Fokus ihrer vermeintlichen Aufklärungsarbeit. Ziel dieser Kampagnen ist es, SO-Praktiken zu verschleiern, gesellschaftliche Akzeptanz zu schaffen und das Image des vorgeblich uneigennützig agierenden Wohltäters zu wahren sowie neue Mitglieder für sich zu gewinnen. Über solche gesellschaftlich te lfe Dro Menschen ge relevanten, breit diskutierten und akzeptiernh ABLE i ten Themen sollen gezielt Kontakte und reJugend für ch Menschenrechte Bündnisse zu demokratisch engagierten KVPM/CCHR Gruppierungen, Organisationen und Ins"Sag Nein zu Drogen - ilfe Sag Ja zum Leben" titutionen aufgebaut und somit die n sh "Der Weg zum be Grenze zwischen extremistischem Glücklichsein" Le en und nicht-extremistischem Engage- i et ment aufgelöst werden. Insofern g eb en verfolgt auch SO die in anderen Phäris Hilfe in K demokratischnomenbereichen (Rechtsextremisgesellschaftlicher mus, Linksextremismus, Islamismus) Bereich festzustellende Strategie der Entgrenzung ( siehe Entgrenzungsthemen in den entsprechenden Phänomen-Kapiteln). "Entgrenzung" als Strategie zur Besetzung gesellschaftlich breit akzeptierter Themen durch die Scientology-Organisation. 233 Scientology-Organisation Um ihren Status als angebliche "Kirche" in der Öffentlichkeit zu wahren, bemüht sich die SO um Kontakte zu Religionsgemeinschaften. Sie beruft sich in ihrem eigenen "Glaubensbekenntnis" auf dessen Vergleichbarkeit mit klassischen Bekenntnissen von christlichen Kirchen. Fortschritte beim Ziel der SO, "den Planeten zu klären" und die damit einhergehende "neue Zivilisation" hervorzubringen, sind aber weiterhin nicht zu verzeichnen. Obwohl ein relevanter gesellschaftlicher Einfluss der SO nicht wahrzunehmen ist, verbreitet die Organisation regelmäßig übertriebene Erfolgsmeldungen, zum Beispiel im Kontext ihrer sogenannten "Anti-Drogen-Kampagne". 2. Potenziale Personenpotenziale Bund Aufgrund der seit Jahren andauernden erfolgreichen Aufklärungsarbeit staatlicher Stellen, insbesondere der Verfassungsschutzbehörden, hat die SO Schwierigkeiten, ihr Image als angeblich wertekonformen Organisation aufrechtzuerhalten und ihren schlechten Ruf abzulegen. Die Anzahl der SO Anhänger auf Bundesebene stagniert wie im Jahr 2019 bei 3.500. 5.000 4.500 4.000 4.000 3.500 3.500 3.500 3.500 3.500 3.500 3.500 3.400 3.000 2.000 1.000 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 - Die Zahlen der Personenpotenziale sind gerundet - 234 Scientology-Organisation Personenpotenziale Hamburg Der Hamburger SO wurden Ende 2020, wie im Vorjahr, circa 300 Anhänger zugerechnet. 700 600 600 550 500 400 450 400 300 350 350 350 300 300 300 200 100 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 2020 - Die Zahlen der Personenpotenziale sind gerundet - 3. Politisch motivierte Kriminalität (PMK) Straftaten mit scientologischem Hintergrund waren 2020 nicht zu verzeichnen. 235 Scientology-Organisation 4. Strukturen und Organisationseinheiten Das "Religious Technology Center" (RTC) ist Kernorgan der internationalen Hauptzentrale der SO in Los Angeles. Das RTC besitzt die Urheberrechte der Schriften des Scientology-Gründers L. Ron Hubbard und überwacht die Einhaltung und Durchführung der scientologischen Lehre weltweit. Die "Scientology Kirche Deutschland e.V." mit Sitz in München ist der Dachverband der SO Deutschland. Intern bezeichnet die SO ihre "Kirchen" nur kurz als "Orgs". Bundesweit sind es sieben: Hamburg, Berlin, Hannover, Düsseldorf, Frankfurt, Stuttgart, München. Daneben gibt es zahlreiche kleinere Stützpunkte ("Missionen") wie beispielsweise in Bremen. Weiterhin betreibt die SO zwei sogenannte "Celebrity Center": in Düsseldorf und in München. Das Konzept der "Celebrity Center" ist die intensive Betreuung prominenter Scientologen, um ihre Popularität propagandistisch einzubinden. Ein internationales Beispiel hierfür ist der wohl bekannteste Scientologe Tom Cruise, der bereits jahrelang Werbeträger der SO ist. Ein Etikett der SO für eine funktionierende und erfolgreiche Org ist die sogenannte "Ideale Org". Aus SO-Sicht ist sie durch erfolgreiche Mitarbeiter, renovierte Gebäude und durch hohe Produktivität gekennzeichnet. 2012 wurde die "Ideale Org" in Hamburg eröffnet und hat diesen Status bis heute. Die SO beinhaltet unterschiedlich agierende Organisationseinheiten: f IAS: Die "International Association of Scientologists" ist eine Mitgliederorganisation, die alle Scientologen weltweit vereinen soll. Höhepunkt der pompösen IAS-Veranstaltungen sind das Eintreiben sogenannter Spenden und Mitgliederbeiträge. f OSA: Das "Office of Special Affairs" ist für Öffentlichkeitsarbeit und rechtliche Angelegenheiten zuständig und kümmert sich um die "Handhabung" von Kritikern und aufsässigen Mitgliedern. Aufgrund dieser Ausforschungstätigkeit aktiver Scientologen und 236 Scientology-Organisation Aussteiger hat das OSA durchaus die Aufgaben eines "scientologischen Geheimdienstes". f SEA ORG: Die "Sea Organization" ist eine paramilitärische Truppe der SO. Erkennbar sind sie durch ihre marineähnlichen Uniformen. Sie sind in Führungspositionen vertreten und betreiben die "Rehabilitation Project Forces" (RPF). In diesen Straflagern ähnelnden Einrichtungen werden zweifelnde Scientologen wieder "auf Linie" gebracht. Derartige Einrichtungen gibt es in Deutschland nicht, jedoch in der Europa-Zentrale der SO in Kopenhagen. f ABLE: Die "Association of Better Living and Education" ist eine Unterorganisation des RTC ("Religious Technology Center", siehe oben). Zu ABLE gehören die SO-Organisationen "Applied Scholastics" (ApS) für den Bildungsbereich, "Narconon" für ein Drogenrehabilitationsprogramm und "Criminon" für die Resozialisierung von Straffälligen. Die SO nutzt missbräuchlich gezielt gesellschaftliche Themen, die Menschen in aktuellen Lebenskrisen ansprechen, um sie somit als Mitglieder für sich zu gewinnen. f WISE: Das "World Institute of Scientology Enterprises" ist ein weltweiter Verband von Scientology-Unternehmen. Diese Unternehmen zeichnen sich in ihrer Arbeitsweise durch Prinzipien und Methoden scientologischer Lehre nach L. Ron Hubbard aus. f Ehrenamtliche Geistliche: Dieses Freiwilligenprogramm, international auch "Volunteer Ministers" genannt, nutzt Hilfseinsätze in Katastrophengebieten zu Propagandazwecken für Scientology. Markante Kennzeichen sind die gelbe Kleidung und Informationsstände in verschiedenen Städten. f "Sag Nein zu Drogen - Sag Ja zum Leben" ( siehe Punkt 5, Strukturen in Hamburg) f Der Weg zum Glücklichsein: Kampagnen und Broschüren unter den Titeln "Der Weg zum Glücklichsein", "The Way to Happiness Foundation" und "Operation: Ein friedvoller Planet" gehören eben237 Scientology-Organisation falls zur SO. Verteilaktionen von Broschüren in der Öffentlichkeit sind die Hauptaktivität dieser Tarnorganisation. f KVPM/CCHR: Die "Kommission für Verstöße der Psychiatrie gegen Menschenrechte", international "Citizens Commissions on Human Rights", spricht sich klar gegen die Psychiatrie aus und betreibt Ausstellungen mit dem Leitsatz: "Psychiatrie: Tod statt Hilfe". Auch sonstige psychologische Behandlungen lehnt die SO vehement ab. Die eigene Technik des "Auditing" wird dem entgegengesetzt und in ein besseres Licht gerückt. f Jugend für Menschenrechte: Diese Organisation, auch "Youth for Human Rights" und "United for Human Rights", soll vor allem Jugendliche ansprechen. f I HELP: Die "Internationale Hubbard Ecclesiastical League of Pastors" betreut Dianetik-Gruppen und sogenannte "Feldauditoren", die in ihrem Lebensumfeld nach Personen suchen, um sie für Scientology zu werben. 5. Strukturen in Hamburg Der Sitz der Hamburger Scientology-Organisation am Domplatz. Foto: LfV Hamburg 238 Scientology-Organisation Am Domplatz in der Hamburger Innenstadt befindet sich der Hauptsitz der "Scientology Kirche Hamburg e.V." Die zentralen Aufgaben dieses Standortes ("Hamburger Org") sind die Organisation und Beaufsichtigung verschiedener Aktivitäten der Scientology-Gruppen in Hamburg und Umgebung. "Frontgroups" der SO treten in Hamburg und angrenzenden Bundesländern, zum Beispiel Niedersachsen und Schleswig-Holstein, auf. Der scientologische Hintergrund der "Frontgroups" wird aus taktischen Gründen, vor allem aufgrund des schlechten Rufes, verschleiert, um mögliche Interessenten nicht abzuschrecken. Einige der Teilorganisationen und "Frontgroups" sind in Hamburg aktiv: f Unter dem Motto "Sag Nein zu Drogen - Sag Ja zum Leben" betreibt die SO regelmäßig Informationsstände. Ebenso werden Broschüren in private Briefkästen eingeworfen. Die SO erhofft sich so, das Interesse von Hamburger Bürgerinnen und Bürgern zu gewinnen. Auch aufgrund der Aufklärungsarbeit des Hamburger Verfassungsschutzes hält sich der erhoffte Erfolg bisher in Grenzen. f Die "Kommission für Verstöße der Psychiatrie gegen Menschenrechte" (KVPM) verfügt in Hamburg über eine kleine Ortsgruppe. f Neben dem internationalen Bereich "The Way to Happiness Foundation" gibt es auch in Hamburg die Initiative "Der Weg zum Glücklichsein", die mit Kampagnen und Broschüren den scientologischen Weg für ein vorgeblich besseres und glücklicheres Leben bewirbt. f Zu "Applied Scholastics" (ApS), dem internationalen scientologischen Bildungsbereich, gehören nur wenige Scientologen, von denen einige Nachhilfeunterricht anbieten. f Das "Departement of Special Affairs" (DSA) ist Bestandteil der Hamburger Org und ein regionaler Ableger des sogenannten scientologischen Geheimdienstes "Office of Special Affairs" (OSA). 239 Scientology-Organisation 6. Die Scientology-Organisation während der Corona-Pandemie Als im März 2020 die Corona-Pandemie Hamburgs Leben weitesgehend zum Erliegen brachte, war die SO Hamburg durch die Schließung der Org ebenso betroffen. Der Alltag von Hamburgs Bürgerinnen und Bürgern änderte sich in einer ungewohnten Weise: Kontaktbeschränkungen, Schließungen, Quarantänebestimmungen und Hygienevorschriften sorgten dafür, dass sich die Menschen überwiegend zu Hause aufhielten und das soziale Leben auf ein Minimum reduziert werden musste. Diese Umstände versuchte die SO, wie andere extremistische Gruppierungen auch, zu instrumentalisieren und entwickelte sehr schnell neue vorgebliche Onlinekonzepte und sogenannte Aufklärungsprogramme, um für sich zu werben und in unsicheren Zeiten neue Mitglieder zu generieren. f How to stay well - Wie man sich und andere gesund hält": Im April 2020 startete zunächst eine internationale Internetkampagne mit dem Tenor "How to stay well - Wie man sich und andere gesund hält". Das sogenannte "Online Präventionscenter" (www. scientology.de/staywell.de) präsentiert seitdem unter anderem Lehrvideos zum Thema Hygiene. Weiterhin werden druckbare Plakate mit Titeln wie "Abstand halten", "Händewaschen Vorgehensweise" und "Handdesinfektionsmittel" zum Ausdrucken zur Verfügung gestellt. Im Mai 2020 wurde die Kampagne zudem durch die Tarnorganisation "Ehrenamtliche Geistliche" unter dem Motto "Man kann immer etwas tun" beworben. Informationsbroschüren mit den Titeln "Wie man sich und andere gesund hält", "Wie Sie die Ausbreitung von Krankheiten durch Isolation verhindern" und "Wie sich Bakterien und Viren verbreiten" wurden durch sogenannte "Ehrenamtliche" in Hamburg verteilt. Mit dieser Aktion nahm die SO für sich in Anspruch, dass sie die Anstrengungen der Behörden, die Bevölkerung über Hygienemaßnahmen zu informieren, unterstützen würde. 240 Scientology-Organisation Auch hier nutzt die SO ihre bekannte Taktik: Für die Leser ist auf dem ersten Blick nicht sofort zu erkennen, dass es sich hierbei um eine SO-Aktion handelt. Ein QR-Code auf der Rückseite der Broschüren leitet den Nutzer direkt auf die Webseite der SO Kampagne "How to stay well - Wie man sich und andere gesund hält". Titelseite (links) der Scientology Broschüre "Wie Sie die Ausbreitung von Krankheiten durch Isolation verhindern" und deren Rückseite (rechts). Hier ist der Bezug zur Scientology-Organisation sichtbar. Ein QR-Code führt direkt zur Webseite der beworbenen Scientology Kampagne. Illustration: LfV Hamburg f Neuer Online-Shop: Unter dem Titel "Antworten fürs Leben - Scientology Kirche Hamburg e.V." hat die SO Hamburg einen neuen Online-Shop eröffnet. Neben Büchern und DVDs werdenhier auch Heimkurse zum Verkauf angeboten. f BestYou - Online-Seminare und Vorträge: Das Team der sogenannten scientologischen Kampagne "BestYou" bewirbt auf ihrer Internetseite Online-Seminare mit dem Schwerpunkt Persönlichkeitsentwicklung. Nutzer können an verschiedenen Online-Seminaren teilnehmen, welche den Fokus auf den Verkauf von L. Ron Hubbard-Büchern richten. Ebenso existiert ein gleichnamiger 241 Scientology-Organisation Instagram-Account, auf dem Vorträge aufgerufen werden können. Eine Verbindung zur SO Hamburg ist auch hier nicht sofort erkennbar. Auch durch Hinweise aufmerksamer Hamburgerinnen und Hamburger konnte festgestellt werden, dass seit Beginn der Corona-Pandemie in verschiedenen Stadtteilen vermehrt Flyer und Broschüren der SO in Briefkästen eingeworfen wurden. Neben Flyern und Broschüren der Tarnorganisation "Sag Nein zu Drogen - Sag Ja zum Leben" und "Der Weg zum Glücklichsein" wirbt die SO Hamburg für den sogenannten Oxford Capacity Analysis Test (OCA Test). Hierbei handelt es sich um einen Persönlichkeitstest, der dazu dient, neue Mitglieder zu gewinnen und Daten für eine Kontaktaufnahme zu erfassen. Auch die in Form einer Internet-App gestaltete Plattform "Scientology TV" wurde unter anderem mit Flyern beworben, die in verschiedenen Stadtteilen verteilt wurden. Die in den Flyern beworbene Auf der Webseite der SO "Scientology TV" App ist für alle Plattformen abrufbar und päsenDeutschland finden sich auch tiert die Inhalte des Scientology Network für mobile Endgeräte. kurze Videobotschaften, in Illustration: LfV Hamburg denen Scientologen bei ihren häuslichen Tätigkeiten in Zeiten von Corona begleitet werden. Einige Videos sind nur im Zusammenhang mit einem Abonnement des SO-Newsletters abrufbar. Im Fokus steht hier, an die privaten Kontaktdaten der Nutzer zu gelangen. Die in den Briefkästen einiger Hambuger Bürgerinnen und Bürgern eingeworfenen Flyer für "Scientology TV" und den Scientology eigenen "Oxford Capacity Analysis Test" (OCA Test) . Illustration: LfV Hamburg 242 Scientology-Organisation Insgesamt zeigt sich, dass die SO in Zeiten der Corona-Pandemie vermehrt vermeintliche Dienstleistungen und Hilfe anbietet, welche jedoch die Strategie zur Mitgliedergewinnung und die Sicherung von finanziellem Umsatz der Organisation festigen soll. Auch das bisher erfolglos verbreitete Bild der SO als angeblicher gesellschaftlicher Helfer und Aufklärer in der Not soll ihren nach wie vor bestehenden schlechten Ruf in der Öffentlichkeit verbessern. INFOBOX Hinweise und Informationen zur ScientologyOrganisation Für Hinweise und Informationen steht Ihnen das Scientology-Postfach des LfV Hamburg zur Verfügung. Ihre Hinweise werden grundsätzlich vertraulich behandelt. Kontaktieren Sie uns unter SO@Verfassungsschutz.Hamburg.de 243 Verfassungsschutz in Hamburg Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Gruppierungen mit Auslandsbezug Linksextremismus Rechtsextremismus Reichsbürger und Selbstverwalter Scientology-Organisation Spionageabwehr und Wirtschaftsschutz Geheimund Sabotageschutz Anhang Spionageabwehr und Wirtschaftsschutz Ausländische Nachrichtendienste spionieren offen oder konspirativ und setzen dabei sowohl technische Mittel als auch menschliche Quellen ein. Sie senden ihre Mitarbeiter als Diplomaten, Vertreter halbstaatlicher Institutionen, Wirtschaftsvertreter oder Journalisten getarnt in sogenannte Legalresidenturen (Botschaften und Generalkonsulate) oder die entsprechenden Einrichtungen und Unternehmen. Klassisches Aufklärungsziel ist die Ausforschung von Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Militär in Deutschland. Beschafft werden die Informationen durch die Auswertung offener Quellen (Publikationen, Tagungen) oder auch durch geschickt angebahnte Kontakte zu interessanten Gesprächspartnern auf Messen oder anderen Veranstaltungen, die häufig abgeschöpft werden, das heißt in vermeintlich unverfänglichen Gesprächen ausgefragt werden. Auch technische Mittel werden genutzt, beispielsweise die Ausspähung durch elektronische Angriffe. Aufgabe der Spionageabwehr ist es, dies zu verhindern. Neben der klassischen Spionage muss auch die Aufmerksamkeit auf die Abwehr der Wirtschaftsspionage gerichtet werden. Wirtschaftsspionage ist die staatlich gelenkte oder gestützte, von fremden Nachrichtendiensten ausgehende Ausforschung von Wirtschaftsunternehmen sowie Betrieben. Weiterhin beobachtet die Spionageabwehr die von ausländischen Nachrichtendiensten gesteuerte oder auf nachrichtendienstliche Art und Weise betriebene Beschaffung von Know-how und Gütern, die sich auf die Entwicklung und Herstellung atomarer, biologischer und chemischer Massenvernichtungswaffen sowie auf die dafür erforderliche Raketentechnologie beziehen (Proliferation). Im Rahmen des Wirtschaftsschutzes werden Hamburger Unternehmen, die geheimhaltungsbedürftige Staatsaufträge erhalten, sowohl vom Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) Hamburg als auch bei Bedarf zusammen mit dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie betreut, sogenannte geheimschutzbetreute Unternehmen. Ziel des Wirtschaftsschutzes ist es, die Unternehmen über Gefährdungslagen zu informieren und mögliche Schutzmaßnahmen und Schutzkonzepte zur Vermeidung und Verringerung von Schadensfällen anzuregen. Das LfV Hamburg bietet hierfür ein umfassendes Beratungsangebot an. Spionageabwehr und Wirtschaftsschutz VIII. Spionageabwehr und Wirtschaftsschutz 1. Überblick Die Spionageabwehr der Verfassungsschutzbehörden hat den gesetzlichen Auftrag, Informationen über sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten fremder Mächte zu sammeln. Dabei geht es neben der Aufklärung aktueller Spionagefälle auch darum, die Methoden, Zielrichtungen und Strukturen in der Bundesrepublik Deutschland aktiver ausländischer Nachrichtendienste zu erkennen. Die bundesweite Zusammenfassung und Auswertung von Erkenntnissen, wie auch der informelle Austausch mit ausländischen Nachrichtendiensten, obliegt hierbei dem Bundesamt für Verfassungsschutz. Der gesetzliche Auftrag der Verfassungsschutzämter beschränkt sich hierbei nicht auf bestimmte Länder, beispielsweise die durch den Verfassungsschutz schwerpunktmäßig bearbeiteten Nachrichtendienste der Russischen Föderation, der Volksrepublik China, der Islamischen Republik Iran und der Türkei. Auch Nachrichtendienste weiterer Staaten haben den Auftrag, Informationen aus Wirtschaft und Politik zu beschaffen. Im Rahmen des sogenannten "360-Grad-Blickes" der Spionageabwehr können auch westliche Nachrichtendienste in den Fokus des Verfassungsschutzes geraten. "360 Grad Blick": Die Aufmerksamkeit der Spionageabwehr gilt global. Illustration: LfV HH 247 Spionageabwehr und Wirtschaftsschutz INFOBOX Mit dem Fachbegriff "360-Grad-Blick" wird im Kontext der Spionageabwehr der Rundumblick des Verfassungsschutzes bezeichnet - bezogen auf alle Staaten der Welt. 248 Spionageabwehr und Wirtschaftsschutz Gefährdungspotenzial. Sie können neben der Informationsgewinnung auch für schwerwiegende Sabotage eingesetzt werden. Sie sind für gegnerische Nachrichtendienste sehr kosteneffizient, vielfach einfach zu realisieren und lassen sich zudem sehr hoch skalieren. So kann ein Mitarbeiter eine Vielzahl verschiedener Operationen gleichzeitig betreiben. Die elektronischen Angriffe bergen ferner ein geringeres Entdeckungsrisiko, da die "Spuren" häufig mehrdeutig oder kaum vorhanden sind. Dies führt zu einer hohen Erfolgswahrscheinlichkeit bei kalkulierbarem Aufwand. Hinzu kommt, dass diese Vorgehensweise auch mit der traditionellen Spionage - also der Nutzung menschlicher Quellen - kombiniert wird und hier die Grenzen zunehmend verschwimmen, zum Beispiel bei Anbahnungsversuchen über soziale Netzwerke. Insbesondere die Nachrichtendienste der Russischen Föderation und der Volksrepublik China sind weiterhin in großem Umfang und bei steigender Komplexität in der Cyberspionage aktiv. Auch die Nachrichtendienste weiterer Staaten wie Nordkorea verfügen mittlerweile über die Ressourcen, elektronische Angriffe auf Drei Beispiele von Nachrichtendiensten, die unter anderem bei der Cyberspioherausragendem Niveau nage gegen Deutschland aktiv sind: Russland, die Volksrepublik China und Nordkorea. Grafik: LfV HH gegen Ziele in Deutschland durchzuführen. Es kommen auch Staaten hinzu, die bislang über keine eigenen technischen Fähigkeiten zur Entwicklung von Cyberangriffswerkzeugen verfügten. Dies wird durch marktverfügbare Produkte ermöglicht - auch Schadsoftware wie Trojaner können mittlerweile in hoher Qualität erworben werden. Dies ermöglicht den Akteuren, ohne den Aufwand eigener Entwicklungen Cyberkampagnen gegen ihre Ziele in Deutschland durchzuführen und parallel Kapazitäten für eigene Entwicklungen von Angriffswerkzeugen aufzubauen. Die Zuordnung von Cyberangriffen zu den Verantwortlichen - Attribuierung genannt - ist dabei sehr aufwändig. 249 Spionageabwehr und Wirtschaftsschutz Die Bedrohung durch Cyberangriffe wird daher noch weiter steigen, ebenso wie das Schadenspotenzial. Eine zunehmende Vernetzung durch das "Internet of Things (IoT)", "Smart Home" sowie Anwendungen und Projekte wie "Smart Cities" bedeuten eine erhebliche Zunahme an möglichen Einfallstoren für Cyberangriffe. INFOBOX Ein Cyberangriff ist eine Einwirkung auf ein oder mehrere andere informationstechnische Systeme im oder durch den Cyberraum, die zum Ziel hat, deren IT-Sicherheit durch informationstechnische Mittel ganz oder teilweise zu beeinträchtigen. Der Cyberraum ist der virtuelle Raum aller weltweit auf Datenebene vernetzten bzw. vernetzbaren informationstechnischen Systeme. Dem Cyberraum liegt als öffentlich zugängliches Verbindungsnetz das Internet zugrunde, welches durch beliebige andere Datennetze erweitert werden kann. [Quelle: Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik, Glossar der Cyber-Sicherheit, online abrufbar unter www.bsi.bund.de, Stand vom 15. Dezember 2020.] Durch die zunehmende Vernetzung des "Internet of Things" (IoT), z.B. durch ein Smart Home, erweitern sich die Einfallstore für Cyberangriffe. Für Unternehmen die ihre Gebäude per Smart Technologie vernetzen gilt dieses insbesondere. Illustration: LfV HH 250 Spionageabwehr und Wirtschaftsschutz 2. Proliferation Fremde Staaten und ihre Nachrichtendienste bemühen sich nach wie vor um die Beschaffung von Produkten zur Herstellung atomarer, biologischer und chemischer Massenvernichtungswaffen (Proliferation) und der entsprechenden Trägertechnologie (Raketentechnik). Diese Staaten sind häufig aufgrund der unzureichenden technologischen Infrastruktur im eigenen Land in hohem Maße darauf angewiesen, die entsprechenden Produkte und das zu ihrer Herstellung erforderliche Know-how aus den hierfür in Frage kommenden Lieferländern zu beziehen. In diesem Zusammenhang steht auch Deutschland als Standort von zahlreichen innovativen und kompetenten Unternehmen und Forschungseinrichtungen auf dem Gebiet dieser Risikotechnologie im Fokus der Beschaffungsversuche dieser Länder. Die proliferationsrelevanten Staaten haben zur Verschleierung ihrer Beschaffungsaktivitäten mittlerweile zahlreiche Methoden entwickelt: f Beteiligung von Zwischenhändlern im eigenen Land oder in einzelnen Drittstaaten, f Gründung von Tarnfirmen, f Umweglieferungen über Drittstaaten und f Fälschung bzw. Manipulation der Exportdokumente. Die Verfassungsschutzbehörden in Bund und Ländern haben den Auftrag, derartige Beschaffungsversuche in Kooperation mit anderen Sicherheitsbehörden frühzeitig zu erkennen und zu verhindern. Aufgrund der guten Vernetzung der Proliferateure und der von ihnen angewendeten nachrichtendienstlichen Methoden ist der Verfassungsschutz fester Bestandteil eines staatlichen Netzwerkes zur Verhinderung und Eindämmung proliferationsrelevanter Beschaffungsaktivitäten. Zur Verhinderung proliferationsrelevanter Aktivitäten sind die Verfassungsschutzbehörden in besonderem Maße auf die Mitwirkung aller potenziell gefährdeten Personen und Unternehmen angewiesen. In diesem Zusammenhang tragen gerade die Unternehmen, die als Hersteller oder Lieferanten sensibler Güter und damit auch für die Herstellung von Massenvernichtungswaffen infrage kommen, eine besondere Verantwortung. 251 Spionageabwehr und Wirtschaftsschutz Diese Firmen können sich im Falle eines Verdachts auf entsprechende Beschaffungsaktivitäten vertrauensvoll an das Landesamt für Verfassungsschutz Hamburg wenden. Der Verfassungsschutz unterliegt hierbei nicht dem Strafverfolgungszwang und kann somit die Interessen und Belange sämtlicher Hinweisgeber berücksichtigen. INFOBOX Bei Hinweisen und Fragen zu diesem Thema steht Ihnen das Landesamt für Verfassungsschutz Hamburg als vertrauensvoller Ansprechpartner unter folgender Erreichbarkeit mit Rat und Tat zur Seite: Telefon: 040/ 24 44 43 Fax: 040/ 33 83 60 E-Mail: poststelle@verfassungsschutz.hamburg.de 252 Spionageabwehr und Wirtschaftsschutz 2.1. Festnahmen, Verurteilungen und sonstige Maßnahmen Verurteilung wegen Verstößen gegen das Außenwirtschaftsgesetz INFOBOX Das Außenwirtschaftsgesetz regelt für Deutschland den Verkehr von Wirtschaftsgütern (vor allem Waren, Dienstleistungen, Devisen und Kapital) mit dem Ausland. 253 Spionageabwehr und Wirtschaftsschutz Anklage wegen Verstößen gegen das Außenwirtschaftsgesetz Die Bundesanwaltschaft hat am 8. Oktober 2020 vor dem Staatsschutzsenat des HansOLG Anklage gegen die deutschen Staatsangehörigen Alexander S. und Alexander O. erhoben. Dem Angeschuldigten Alexander S. werden Verbrechen nach dem Außenwirtschaftsgesetz zur Last gelegt. Insgesamt handelt es sich um sieben Fälle, in denen er jeweils gewerbsmäßig und für den Geheimdienst einer fremden Macht gehandelt haben soll. Alexander S. hat als alleiniger Geschäftsführer eines in Süddeutschland ansässigen Unternehmens im Zeitraum von Januar 2016 bis Januar 2018 Werkzeugmaschinen zum Gesamtpreis von insgesamt rund 8 Millionen Euro an einen staatlichen Rüstungskonzern, der Raketensysteme für die russische Armee herstellt, verkauft und mit sieben Lieferungen in die Russische Föderation ausgeführt. Die Embargovorschriften der Europäischen Union verbieten die Zurverfügungstellung jeglicher wirtschaftlicher Ressourcen an diesen Konzern. Zur Täuschung der deutschen Exportkontrollbehörden wurden Scheinempfänger vorgegeben. Der Angeschuldigte stellte Ausfuhrgenehmigungsanträge, in denen er unter Vorlage inhaltlich falscher Endverwendungszeugnisse der angeblichen Endempfänger einen zivilen Endverwendungszweck der Güter vorgespiegelt hatte. Alexander S. wurde am 11. Februar 2020 festgenommen und befindet sich seitdem in Untersuchungshaft. Der Angeschuldigte Alexander O. soll dem Angeschuldigten Alexander S. zu dessen Taten Hilfe geleistet haben (Beihilfe zu Verbrechen nach dem Außenwirtschaftsgesetz) oder sich zumindest Gegenstände verschafft haben, die aus den mutmaßlichen Taten des Alexander S. herrühren sollen. Alexander O. hat Alexander S. bei den durch ihn veranlassten Ausfuhren beratend unterstützt und dies gefördert. So pflegte Alexander O. die Kontakte zu den Empfängern der oben genannten Lieferungen und war auch bei Treffen anwesend, bei denen die konkrete Abwicklung der Geschäfte 254 Spionageabwehr und Wirtschaftsschutz besprochen wurde. Zudem förderte Alexander O. die Ausfuhren durch seine Anwesenheit vor Ort. Der gegen ihn bestehende Haftbefehl wurde außer Vollzug gesetzt. Alexander O. befindet sich auf freiem Fuß. [Quelle: www.generalbundesanwalt.de, Stand vom 15. Dezember 2020] 3. Nachrichtendienste der Islamischen Republik Iran Die Islamische Republik Iran nutzt ihre Nachrichtendienste als wichtiges Mittel zur Sicherung des Herrschaftsanspruches der geistlichen und politischen Führung. Die iranischen Nachrichtendienste sind daher auf die Ausspähung und Bekämpfung oppositioneller Gruppierungen und Personen im Inund Ausland fokussiert. Nach den Erkenntnissen des Verfassungsschutzes bezieht sich ihr Ausspähungsinteresse auch weiterhin auf die Gewinnung von Informationen aus den Bereichen Politik, Militär, Wirtschaft und Wissenschaft in den westlichen Staaten. Die Spionageaktivitäten des iranischen Nachrichtendienstapparates werden überwiegend durch das iranische "Ministry of Intelligence" (MOIS) gesteuert und koordiniert. Das Hauptaugenmerk des MOIS bei den nachrichtendienstlichen Aktivitäten im westlichen Ausland richtet sich dabei auf die "Volksmodjahedin Iran-Organisation" (MEK) und deren politischen Arm "Nationaler Widerstandsrat des Iran" (NWRI). Der NWRI hat den Sturz der theokratischen Regierung des Iran als Ziel. Die Organisation MEK gilt als militanter Arm des NWRI. Es gibt weiterhin Hinweise auf nachrichtendienstliche Aktivitäten gegen deutsche Einrichtungen im Inund Ausland. Die Verfassungsschutzbehörden werten diese als Logo des "Ministry of Intelligence" (MOIS) der Islamischen Belege für das anhaltende Aufklärungsinteresse des Republik Iran. MOIS in den Bereichen Außenund Sicherheitspolitik. 255 Spionageabwehr und Wirtschaftsschutz Die Verfassungsschutzbehörden haben in den vergangenen Jahren zunehmende Aktivitäten der Quds-Force in Deutschland festgestellt. Hierbei handelt es sich um eine auch nachrichtendienstlich agierende Spezialeinheit der iranischen Revolutionsgarden, deren Ausforschungsaktivitäten sich insbesondere gegen (pro-) jüdische beziehungsweise (pro-) israelische Ziele richten. 3.1. Festnahmen, Gerichtsverfahren und Verurteilungen Verurteilung wegen Landesverrats und wegen Beihilfe zum Landesverrat Das nachstehende Gerichtsurteil verdeutlicht, dass sich die iranischen Nachrichtendienste nicht nur auf die schwerpunktmäßige Ausspähung von Anhängern der oppositionellen Bewegung, sondern auch auf die Gewinnung militärischer Informationen fokussieren: Der 2. Strafsenat - Staatsschutzsenat - des Oberlandesgerichts (OLG) Koblenz hat den 51 Jahre alten Angeklagten Abdul S. am 23. März 2020 wegen Landesverrats in einem besonders schweren Fall (SS 94 Absatz 1, 2 StGB) zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und zehn Monaten verurteilt. Gegen seine mitangeklagte Ehefrau Asiea S. hat der Senat wegen Beihilfe zum Landesverrat (SSSS 94 Absatz 1, 27 Absatz 1 StGB) eine Freiheitsstrafe von zehn Monaten verhängt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Der Senat hat es nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme als erwiesen angesehen, dass der Angeklagte Abdul S. als Zivilangestellter der Bundeswehr in der Heinrich-Hertz-Kaserne in Daun unter Missbrauch seiner verantwortlichen Stellung als Übersetzer Staatsgeheimnisse militärischer Art an Mitarbeiter eines iranischen Nachrichtendienstes weitergab und seine Ehefrau Asiea S. ihn bei seiner Verratstätigkeit unterstützte. Konkret habe sich der Angeklagte Abdul S. spätestens ab dem 28. Januar 2013 in mindestens acht Fällen mit Verbindungsleuten eines iranischen Nachrichtendienstes in verschiedenen europäischen Städten getroffen, um Informationen (zum Beispiel Lagepläne der Bundeswehr über militärische 256 Spionageabwehr und Wirtschaftsschutz Situationen und Analysen des Bundesministeriums der Verteidigung zu bestimmten Ländern und Themengebieten), die er auf Datenträgern gespeichert hatte, weiterzugeben. Zu den Treffen sei es bis Anfang Februar 2017 gekommen. In der Folgezeit habe der Angeklagte aus eigenem Entschluss den Kontakt beendet. Für seine Dienste habe er bis dahin eine Entlohnung in Höhe von 34.500 Euro erhalten. Die Angeklagte Asiea S. habe spätestens ab Anfang 2016 Kenntnis von der Verratstätigkeit ihres Ehemannes gehabt und diesen hierbei logistisch, beispielweise durch das Buchen von Reisen, unterstützt. Das Urteil ist rechtskräftig. [Quelle: Oberlandesgericht Koblenz, Verurteilung wegen Landesverrats und wegen Beihilfe zum Landesverrat, online abrufbar unter olgko.justiz. rlp.de, Stand vom 15. Dezember 2020] Prozess wegen mutmaßlicher Spionage Die Bundesanwaltschaft hatte am 6. Juli 2018 beim Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs einen Haftbefehl gegen den iranischen Staatsangehörigen Assadollah A. wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit (SS 99 Absatz1 Nummer 1 StGB) und Verabredung zum Mord (SS 30 Absatz 1, Absatz 2, SS 211 StGB) erwirkt. Assadollah A. soll im März 2018 ein in Antwerpen lebendes Ehepaar beauftragt haben, einen Sprengstoffanschlag auf die jährliche Versammlung der iranischen Auslandsopposition am 30. Juni 2018 im französischen Villepinte zu verüben. Dazu soll der Beschuldigte dem Ehepaar Ende Juni 2018 eine Sprengvorrichtung mit insgesamt 500 Gramm des Sprengstoffes Triacetontriperoxid (TATP) übergeben haben. Am Tag des geplanten Sprengstoffanschlages haben belgische Sicherheitskräfte das Ehepaar auf dem Weg nach Frankreich festgenommen und die Sprengstoffvorrichtung sichergestellt. Assadollah A. war seit 2014 als 3. Botschaftsrat an der Iranischen Botschaft in Wien akkreditiert. Nach den vorliegenden Erkenntnissen war er Mitarbeiter des iranischen Nachrichtenministeriums MOIS. 257 Spionageabwehr und Wirtschaftsschutz Der iranische Diplomat wurde am 1. Juli 2018 aufgrund eines europäischen Haftbefehls in Deutschland festgenommen und anschließend an die belgischen Behörden ausgeliefert. [Quelle: www.generalbundesanwalt.de, Stand vom 15. Dezember 2020] Der Prozess gegen Assadollah A. und drei Mitangeklagte wurde am 27. November 2020 in Antwerpen (Belgien) eröffnet. Assadollah A. verweigerte die Teilnahme an dem Prozess mit Verweis auf seine diplomatische Immunität. Der Prozessauftakt begann somit nur mit dem belgisch-iranischen Paar, das am Tag des geplanten Anschlags in Brüssel festgenommen wurde und einem in Belgien lebenden Exil-Iraner, der im regelmäßigen Kontakt mit Assadollah A. gestanden haben soll. Den vier Angeklagten werden die Planung eines terroristischen Anschlags und die Beteiligung an Aktivitäten einer Terrorgruppe vorgeworfen. 4. Nachrichtendienste der Russischen Föderation Seit längerem nutzen unterschiedliche Akteure der Russischen Föderation deutschsprachige Medien zur gezielten Verbreitung pro-russischer Propaganda und von Desinformationen. Das Ziel der Propagandaund Desinformationskampagnen liegt darin, die deutsche Bevölkerung zu verunsichern und das Vertrauen in staatliche Institutionen zu schwächen, um so das gemeinschaftliche Zusammenleben in Deutschland zu destabilisieren. So instrumentalisiert die Russische Föderation seit Anfang des Jahres 2020 die COVID-19-Pandemie im Rahmen ihrer Propagandaund Desinformationskampagne (Fake News), um die Bundesregierung - im Übrigen auch die EU - und die zur Bekämpfung der Pandemie von ihr getroffenen Maßnahmen zu kritisieren. Hierbei traten als Akteure insbesondere die russischen Staatsmedien RT Deutsch und Sputnik News in Erscheinung. Das Ziel dürfte in der Hauptsache darin bestehen, das öffentliche Vertrauen in das deutsche Gesundheitssystem nachhaltig zu schwächen, um 258 Spionageabwehr und Wirtschaftsschutz letztlich Verunsicherung und Angst in der deutschen Bevölkerung zu verbreiten. Zur Durchsetzung politischer Ziele sind neben den Akteuren des Desinformationsund Propaganda-Apparates unverändert die russischen Nachrichtendienste wesentlicher Garant und Stütze der russischen Regierungspolitik. Darüber hinaus sind die Russischen Nachrichtendienste zur Wirtschaftsspionage gesetzlich verpflichtet. Hiervon profitiert die Wirtschaft der Russischen Föderation in hohem Maße. Die Russische Föderation unterhält einen der weltweit größten nachrichtendienstlichen Apparate. Die bedeutendsten russischen Nachrichtendienste sind der Inlandsgeheimdienst FSB (Federalnaja Slushba Besopasnosti) mit einer Personalstärke von rund 350.000 Mitarbeitern (davon mehr als 200.000 im Grenzschutzdienst), der Militärgeheimdienst GRU (Glawnoje Raswedywatelnoje Uprawlenije) mit rund 37.000 (inklusive circa 25.000 der militärischen Spezialeinheit SpetsNaz) sowie der Auslandsnachrichtendienst SWR (Slushba Wneschnej Raswedki) mit mindestens 15.000 Mitarbeitern. Weiterhin ist der Föderale Dienst für Bewachung FSO (Federalnaja Sluschba Ochrany Rossijskoi Federazii) zu nennen, dessen Mitarbeiter hauptsächlich für die Sicherheit der Regierung und vor allem des Präsidenten verantwortlich sind. Auf Weisung des Präsidenten kann der FSO auch nachrichtendienstliche Abwehrund Aufklärungsaufgaben wahrnehmen. Vor allem die vorgenannten Nachrichtendienste sind bedeutende Instrumente der Machterhaltung der russischen Staatsführung. Sie dienen der Administration - besonders Präsident Wladimir Putin - zur Verfolgung und weltweiten Durchsetzung der wirtschaftlichen und politischen Ziele. Insbesondere steht die Bundesrepublik Deutschland aufgrund ihrer Stellung innerhalb der Europäischen Union im besonderen Fokus der Wappen der russischen russischen Nachrichtendienste. Hierfür spricht die hohe Nachrichendienste v.o.n.u.: Anzahl von Geheimdienstangehörigen, die an den LegalresiSWR, GRU und FSB denturen in den offiziellen Vertretungen der Russischen Föderation tätig sind. 259 Spionageabwehr und Wirtschaftsschutz Informationen aus den Bereichen Politik, Wirtschaft, Finanzen und Militär sind unverändert von hohem Stellenwert für die Russische Föderation und stehen somit im Zentrum nachrichtendienstlicher Aufklärungsarbeit. 4.1. Festnahmen, Verurteilungen und sonstige Maßnahmen Anklage wegen Mordes (im staatlichen Auftrag) Am 7. Oktober 2020 begann in Berlin der Mordprozess gegen den russischen Staatsangehörigen Vadim K. alias Vadim S. Dieser soll am Mittag des 23. August 2019 in der Berliner Parkanlage Kleiner Tiergarten den georgischen Staatsbürger tschetschenischer Abstammung Tornike K. gezielt mit mehreren Schüssen getötet haben. Laut Generalbundesanwaltschaft bestehen tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass die Tötung im Auftrag von russischen staatlichen Stellen oder solchen der autonomen Tschetschenischen Republik als Teil der Russischen Föderation erfolgt ist. Wegen der fehlenden Bereitschaft der Russischen Föderation, bei der Aufklärung des Falles zu helfen, wurden zwei russische Diplomaten ausgewiesen. [Quelle: www.generalbundesanwalt.de, Stand vom 15. Dezember 2020] Vergiftung des russischen Oppositionspolitikers Alexei Nawalny Am 20. August 2020 wurde der russische Oppositionspolitiker Alexej Nawalny Opfer eines Giftanschlags in der Russischen Föderation. Nach einer ersten Behandlung in einem Krankenhaus in Omsk wurde Nawalny am 22. August nach Deutschland ausgeflogen. Die weitere Behandlung bis zur Entlassung am 22. September wurde in der Berliner Charite durchgeführt. Bereits am 2. September wurde offiziell bekanntgegeben, dass Nawalny zweifelsfrei mit einem Nervengift aus der Nowitschok-Gruppe vergiftet wurde. Der Fall Nawalny weist damit Parallelen zur Vergiftung des ehemaligen Nachrichtendienstangehörigen Sergej Wiktorowitsch Skripal auf, der im März 2018 ebenfalls mit einem Gift aus der Nowitschok-Gruppe in der südenglischen Stadt Salisbury vergiftet wurde. In der Folge der Vergiftung Nawalnys kam es zu schweren Belastungen der internationalen Beziehungen, Sanktionen der EU gegenüber der Russischen Föderation und 260 Spionageabwehr und Wirtschaftsschutz zu Diskussionen über die Fertigstellung des Nord-Stream-II-Projektes in der Ostsee. Die Informationsbeschaffung der russischen Geheimdienste erfolgte zuletzt verstärkt auch durch elektronische Angriffe vor allem auf Wirtschaft und Politik ( siehe Punkt 7 "Gefahren durch Wirtschaftsspionage und Cyberattacken"). 5. Nachrichtendienst der Republik Türkei Der Inund Auslandsnachrichtendienst der Türkei Milli Istihbarat Teskilati (MIT) ist mit Exekutivbefugnissen ausgestattet. Die Kernaufgabe des Dienstes besteht in der Ausspähung von Oppositionellen und in der Bekämpfung von Terrororganisationen. Der MIT untersteht dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan und wird von ihm als ein wichtiges Instrument der Machterhaltung gesehen. In der Bundesrepublik Deutschland Wappen des Türkischen Auslandslebt eine hohe Anzahl an türkischstämmigen Migranten, nachrichtendienst "Milli Istihbarat Teskilati" und Deutschland wird vom türkischen Nachrichtendienst als wichtigstes Zielland in Europa wahrgenommen. Schwerpunkt der Aktivitäten des MIT ist die Ausforschung kurdischer Gruppierungen wie der PKK (Partiya Karkeren Kurdistane) sowie weiterer linksextremistischer Organisationen wie die Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front (DHKP-C) und die TKP/ML (Türkiye Komünist Partisi/Marksist Leninist) ( siehe Kapitel III "Extremismus mit Auslandsbezug"). Ein besonderes Interesse des MIT liegt in der Aufklärung von Aktivitäten, Strukturen und Führungspersonen der jeweiligen Organisation. Des Weiteren gilt die Ausspähung auch der nach dem Prediger Fethullah Gülen benannten Gülen-Bewegung. Von der türkischen Regierung als "Staatsfeinde" stigmatisierte Personen stehen im Fokus und es wird versucht, sie auszuforschen. Der Nachrichtendienst bedient sich für die Informationsbeschaffung in Deutschland hauptsächlich staatsund regierungstreuer türkischer Bürger. Sie beschaffen, spionieren und werden zudem öffentlich zur Denunziation von Personen aufgefordert. Außerdem werden Informanten und Zuträger häufig auch ohne konkreten Auftrag 261 Spionageabwehr und Wirtschaftsschutz aktiv. Zudem ist die Türkei bemüht, über staatsnahe Medien politischen Einfluss auf die türkischstämmige Bevölkerung in Deutschland auszuüben. 6. Nachrichtendienste der Volksrepublik China Das kommunistische Regime der Volksrepublik China (VR China) setzt nach wie vor auf eine umfassende Kontrolle der eigenen Bevölkerung im Inund Ausland durch die Kommunistische Partei Chinas (KPCh). Dafür bedient sich das Regime mitunter einem Repertoire an Nachrichtendiensten, darunter das prominente Ministerium für Staatssicherheit (MSS). Zudem verfestigt sich der Führungsanspruch der zentral geführten Partei anhand von neuen Gesetzen und Reformen unter Staats-und Parteichef Xi Jinping. Mit der Einführung eines neuen Nationalen Sicherheitsgesetzes für die Sonderverwaltungszone Hongkong im Juli 2020 stärkt der chinesische Staatspräsident Xi Jinping die nachrichtendienstliche Vorfeldaufklärung und rechtliche Strafverfolgungsbefugnis durch die chinesischen Behörden in der - bis zuletzt autonom regierten - Hongkonger Sonderverwaltungszone. Die internationale Staatengemeinschaft und die im Ausland lebenden Hongkonger, auch hier in Hamburg, zeigten sich trotz Störung regimetreuer Chinesen solidarisch mit den monatelangen Protesten in Hongkong. In der Vergangenheit hat die chinesische Staatsund Parteiführung angekündigt, dass China unter anderem mit Hilfe auf Jahrzehnte angelegter strategischer Masterpläne (beispielsweise "Made in China 2025" und "Neue Seidenstraßen Initiative") ins Zentrum der internationalen Ordnung aufrücken und seinen globalen Führungsanspruch durchsetzen werde. Hierzu versucht Peking, die Einflusssphäre Chinas in den Bereichen Politik, Wirtschaft und Gesellschaft weiter auszudehnen, darunter auch in Deutschland. Anbahnungsversuche chinesischer Nachrichtendienste erfolgen unter anderem über soziale Netzwerke. Dort lassen sich sehr schnell eine Reihe 262 Spionageabwehr und Wirtschaftsschutz von Details zu Erwerbsbiografien und zum sozialen Umfeld der Nutzer herausfiltern. Informationen zu Gewohnheiten, Hobbys bis hin zu politischen Interessen können über nur wenige Klicks generiert werden. Gerade chinesische Nachrichtendienste sind in Netzwerken wie LinkedIn aktiv und versuchen intensiv, über diesen Weg Informationen abzuschöpfen und nachrichtendienstliche Quellen zu werben. Chinesische Cyberangriffsgruppen optimieren permanent ihre Vorgehensweise und Techniken, zudem verfügen sie über große Ressourcen. Das bedeutet aktuell sowohl ein steigendes als auch schwerer sichtbares Bedrohungsszenario. Mit dem Ausbruch der globalen COVID-19-Pandemie setzt die chinesische Führung auf Propagandaund Desinformationskampagnen, um den mutmaßlichen Ausbruch des Virus in der chinesischen Stadt Wuhan zu verschleiern. Der Kampf um die Narrativhoheit durch den Parteikader der KPCh beruht auf einer Jahrtausende langen Tradition. 7. Gefahren durch Wirtschaftsspionage und Cyberattacken Aufgrund ihrer Innovationskraft und der damit einhergehenden Wettbewerbsfähigkeit auf dem Weltmarkt sind deutsche Unternehmen vielfältigen Bedrohungen ausgesetzt. Die Nachrichtendienste fremder Staaten versuchen kontinuierlich auf unterschiedlichste Art und Weise Informationen über oder aus deutschen Unternehmen heraus abzuschöpfen oder sogar absichtlich wirtschaftliche Abläufe zu stören, um der eigenen Volkwirtschaft Vorteile zu verschaffen. Hinzu kommen Forschungseinrichtungen, Hochschulen und Denkfabriken, die im Fokus fremder Nachrichtendienste stehen. Das Landesamt für Verfassungsschutz Hamburg hat die Aufgabe, Hamburger Unternehmen, Nichtregierungsorganisationen und Kritische Infrastrukturen (KRITIS) für die Gefahren durch Wirtschaftsspionage, Sabotage und extremistische Bestrebungen zu sensibilisieren und bei der Abwehr dieser Gefahren zu unterstützen. Hinzu kommt der Schutz von Forschungsein263 Spionageabwehr und Wirtschaftsschutz richtungen und Hochschulen im Bereich der Wissenschaftsspionage. Ziel ist es, die Sensibilität von Führungskräften sowie von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu erhöhen und ein angemessenes Sicherheitsbewusstsein zu erreichen. Aufgabenspektrum des Wirtschaftsschutzes Der Wirtschaftsschutz des Landesamtes für Verfassungsschutz Hamburg geht auf mögliche Betroffene zu und sensibilisiert diese anhand eigener Erkenntnisse und Analysen. Diese tragen dazu bei, dass Wirtschaft, Wissenschaft sowie Politik und Verwaltung sich eigenverantwortlich und effektiv gegen Ausforschung, illegalen Wissensund Technologietransfer, Sabotage sowie Bedrohungen durch Extremismus und Terrorismus schützen können. Die Bediensteten des Landesamtes für Verfassungsschutz ermitteln und beraten darüber hinaus bei eingetretenen oder befürchteten Sicherheitsgefährdungen. Sie sind zentraler Ansprechpartner für die Hamburger Wirtschaft, für Nichtregierungsorganisationen sowie Politik und Verwaltung in allen Themenfeldern des Verfassungsschutzes. Schwerpunkt: Gefahren bei Auslandsreisen Auslandsreisen können nicht nur für die Beschäftigten von Unternehmen, sondern auch - und teilweise insbesondere - von Forschungseinrichtungen und Hochschulen sowie für Personen aus der Politik ein ernstes Risiko darstellen. Die rechtliche Situation im Ausland kann sich von der in Deutschland erheblich unterscheiden. Die Nachrichtendienste genießen hierdurch einen "Heimvorteil" und verfügen in vielen Ländern über umfangreiche Befugnisse. Prävention und Reaktion Eine herausgehobene Stellung unter den Bedarfsträgern des Wirtschaftsschutzes nehmen die Betreiber Kritischer Infrastrukturen (KRITIS) und der lebensoder verteidigungswichtigen Einrichtungen Hamburgs ein. In Bezug auf KRITIS richtet der Verfassungsschutz sein Augenmerk auf mögliche sabotagevorbereitende Operationen fremder Nachrichtendienste und Innentäter. 264 Spionageabwehr und Wirtschaftsschutz INFOBOX Kritische Infrastrukturen (KRITIS) sind Organisationen oder Einrichtungen mit wichtiger Bedeutung für das staatliche Gemeinwesen, bei deren Ausfall oder Beeinträchtigung nachhaltig wirkende Versorgungsengpässe, erhebliche Störungen der öffentlichen Sicherheit oder andere dramatische Folgen eintreten würden. Klassische Beispiele sind die Strom-, Wasseroder Energieversorgung, aber auch der IT-Sektor, das Bankenund Finanzwesen, Gesundheit, Medien, Transport und Verkehr sowie Staat und Verwaltung. 265 Spionageabwehr und Wirtschaftsschutz Verschränkung von menschlicher und digitaler Spionage: Die Bedeutung der Cyberspionage steigt kontinuierlich an Staatlich gelenkte Spionage in Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Verwaltung ist regelhaft langfristig ausgelegt und nutzt dabei alle Methoden der nachrichtendienstlichen Informationsbeschaffung. Hierzu gehört auch die Verschränkung der Spionage mittels menschlicher Kontakte und digitaler Methoden. Zum Beispiel kann einem persönlichen Zusammentreffen mit einem mutmaßlichen Mitarbeiter eines Unternehmens auf einer Fachmesse eine hieran anknüpfende E-Mail mit Schadsoftware oder einem bösartigen Link folgen. Durch den vorherigen Kontakt wirkt die E-Mail vertrauenswürdig und beinhaltet sehr häufig ein für den Adressaten hochinteressantes und zugleich dringliches Thema. Hier werden psychologische Prinzipien des Social Engineering gezielt ausgenutzt, um technische Sicherungsmaßnahmen wie Firewalls und Detektionssysteme gezielt zu umgehen. Diese Verschränkung von Spionage durch menschliche und digitale Quellen erhöht das Gefährdungspotential durch fremde Nachrichtendienste erheblich und zwingt die Spionageabwehr des Verfassungsschutzes, ständig auf neue Digitale Spionageangriffe müssen nicht immer aus dem "dunklen HinterHerausforderungen und die zimmer" erfolgen. Schon der unbedarfte Email-Verkehr mit dem vermeintstetig steigende Raffinesse lichen Mitarbeiter eines Unternehmens, dessen Kontakt zum Beispiel auf einer Fachmesse zustande kam, kann zu einem Risiko führen. der Angreifer zu reagieren. (Symbolbild) Foto: Freepik.com Erfolgreiche Angriffe werden von Unternehmen und Wissenschaft erst sehr spät oder gar nicht erkannt. Das begehrte Wissen wird dabei auf vielen Wirtschaftsund Forschungsfeldern ausgespäht, was der deutschen Volkswirtschaft sehr großen Schaden zufügen kann. Hieraus ergibt sich ein ureigenes Interesse des Staates, Wirtschaftsund Wissenschaftsspionage zu verhindern. Eine sehr hohe Gefährdung für die Unternehmen und die Wirtschaftskraft Deutschlands geht folglich von der nachrichtendienstlichen Aufklärung mit 266 Spionageabwehr und Wirtschaftsschutz informationstechnischen Mitteln (Cyberangriffe) aus. Die Zuständigkeit des Landesamtes für Verfassungsschutz Hamburg - insbesondere im Bereich der Cybersicherheit - erstreckt sich auf Bedrohungen und Angriffe, die durch extremistische Bestrebungen oder Nachrichtendienste fremder Staaten erfolgen, sowie solcher Angriffe, deren Ziel "Verschlusssachen" sind. INFOBOX Verschlusssachen (kurz: VS) sind im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftige Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse. Die Darstellungsform ist davon unabhängig. Verschlusssachen können zum Beispiel Schriftstücke, Zeichnungen, Karten, Fotokopien, Lichtbildmaterial, elektronische Datenträger, elektrische Signale, Geräte, technische Einrichtungen sowie das gesprochene Wort sein. 267 Spionageabwehr und Wirtschaftsschutz Der Wirtschaftsschutz als zentraler Bestandteil des Landesamtes für Verfassungsschutz Hamburg und Dienstleister Die Tätigkeit der Cyberabwehr und des Wirtschaftsschutzes wurden durch die Corona-Pandemie im Jahr 2020 stark beeinflusst. Die Kontaktbeschränkungen führten dazu, dass Meldungen über Verdachtsmomente im Bereich der menschlichen Spionage - also zum Beispiel Anbahnungsversuche im persönlichen Gespräch - deutlich abnahmen. Durch den Ausfall nahezu aller Messen, Symposien und Veranstaltungen ergaben sich für die Akteure im Jahr 2020 hierfür weniger Gelegenheiten. Die Pandemie wirkte sich auf die Arbeit in Unternehmen, der Wissenschaft und Politik aus; "Homeoffice" und "mobiles Arbeiten" bildeten Alternativen zur Präsenzarbeit vor Ort. Häufig mussten sofort Strukturen geschaffen werden, um den Beschäftigten die Arbeit außerhalb der traditionellen Büros zu ermöglichen und dennoch mit den Kollegen und den Unternehmensdaten jederzeit vernetzt zu sein - es wurde befürchtet, Das Homeoffice bietet eine Alternative zur Präsenzarbeit und schafft Möglichkeiten zur Vereinbarung von Familie und dass die dringliche Umsetzung der Beruf. Gleichzeitig wachsen damit die Anforderungen an die erforderlichen Strukturen zu Lasten IT-Sicherheit. (Symbolbild) Foto: Freepik.com der IT-Sicherheit geht. In der Tat nahmen die Meldungen, die an die Cyberabwehr des LfV Hamburg im Jahr 2020 herangetragen wurden, nicht ab. Vielmehr war eine deutliche Intensivierung bestehender Cyberangriffskampagnen festzustellen. Die Corona-Pandemie hatte auch thematisch einen starken Einfluss auf die Cyberabwehr. Die weltweite intensive Forschung nach einem Impfstoff gegen das Corona-Virus SARS-CoV-2 sowie die Entwicklung und Erprobung von Testverfahren verdeutlicht das immense Interesse aller Staaten an funktionierenden Lösungen. Die Verfügbarkeit wirksamer Produkte in ausreichenden Mengen verspricht nicht nur hohe Gewinne und nationales Prestige für deren Entwickler, sondern bedeutet auch einen volkswirtschaftlichen - und damit letztlich auch strategischen - Vorteil. Daher ist 268 Spionageabwehr und Wirtschaftsschutz es naheliegend, dass die Nachrichtendienste fremder Staaten alle Mittel nutzen, um mit sehr hoher Priorität an Forschungsund Entwicklungsergebnisse zu gelangen. Der Wirtschaftsschutz des Bundesamtes für Verfassungsschutz wandte sich daher mit einem Sicherheitshinweis an Pharmaunternehmen und Forschungseinrichtungen in Deutschland und warnte vor Ausspähversuchen durch ausländische Nachrichtendienste. [Quelle: Bundesamt für Verfassungsschutz, Newsletter Nr. 1 / 2020] Das Landesamt für Verfassungsschutz Hamburg wandte sich seinerseits zum Zwecke einer Sensibilisierung im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie an Hamburger Unternehmen. Der Wirtschaftsschutz des LfV Hamburg führte im Jahr 2020 darüber hinaus zwei Sensibilisierungsveranstaltungen mit mehreren Teilnehmern unter Berücksichtigung strenger Hygienemaßnahmen durch. Bei einer dieser Veranstaltungen warnte der Verfassungsschutz das Fachpublikum davor, dass die Digitalisierung im maritimen Sektor Angriffsvektoren für Spionage und Sabotage durch fremde Staaten eröffnet. So sind moderne maritime Navigationssysteme - aufgrund der weitreichenden Vernetzung - für auslänMARITIME NAVIGATION: RISIKEN FÜR SCHIFFFAHRT UND SMART PORTS Das LfV Hamburg veröffentlichte im Juni 2020 auf seiner Homepage einen Beitrag zu Risiken bei der maritimen Navigation. 269 Spionageabwehr und Wirtschaftsschutz dische Nachrichtendienste von hohem Interesse. Eine gezielte Manipulation oder gar ein Ausfall der kritischen Infrastruktur von Häfen oder Sabotage des internationalen Seeverkehrs durch staatliche Akteure hätte schwerwiegende Folgen (siehe hierzu Beitrag "Digitalisierung in der Maritimen Industrie eröffnet Angriffsvektoren für Spionage und Sabotage durch www fremde Staaten" unter www.verfassungsschutz.hamburg.de) Schwerpunkt im Jahr 2020: Sicherheitsvorfälle Im Jahr 2020 hat der Wirtschaftsschutz rund 110 Außenkontakte wahrgenommen. Bedingt durch die Pandemie-Lage verschob sich der Schwerpunkt noch stärker als im Vorjahr auf dringliche Situationen. So waren gut 85 anlassbezogene Beratungen oder Tätigkeiten infolge von Sicherheitsvorfällen mit mutmaßlich verfassungsschutzrelevanten Bezügen. Dies verdeutlicht - wie im Jahr zuvor - die dauerhaft ansteigende Bedrohung in diesem Bereich. Um eine Detektion und Abwehr elektronischer Angriffe zu ermöglichen, sprechen die Behörden des Verfassungsschutzverbundes mögliche Betroffene an und stellen Detektionsregeln und technische Informationen (Indikatoren für eine Kompromittierung) zur Verfügung. Wird anhand dieser Informationen eine Infektion nachgewiesen, schließen sich weitere Maßnahmen des Verfassungsschutzes in genauer Abstimmung mit dem Betroffenen an. Soweit sich herausstellte, dass es sich um Fälle von Cybercrime (wie zum Beispiel Erpressungstrojaner) handelte, wurden die Vorgänge im Einvernehmen mit dem Betroffenen an die Polizei abgegeben. In den übrigen Fällen erfolgte eine nachrichtendienstliche Bearbeitung. In Einzelfällen ergab sich eine parallele Zuständigkeit - die Polizei wird im Bereich der Strafverfolgung tätig und das Landesamt für Verfassungsschutz im Bereich Nachrichtendienste oder Extremismus. 270 Spionageabwehr und Wirtschaftsschutz Hinweise von Unternehmen, aus der Forschung, Politik und Verwaltung Aufgrund der langjährigen und vertrauensvollen Zusammenarbeit mit der Hamburger Wirtschaft, Wissenschaft und Politik sowie den verschiedenen Vereinigungen und Verbänden, wird der Wirtschaftsschutz immer wieder auf sicherheitsrelevante Vorkommnisse hingewiesen. Hierzu gehören beispielsweisen Auffälligkeiten auf Reisen, bei der Einund Ausreisekontrolle, im Hotel oder bei Besprechungen und Verhandlungen. Diese Hinweise werden grundsätzlich streng vertraulich behandelt. Weitere Informationen befinden sich auf der Internetseite des Landesamtes für Verfassungsschutz Hamburg (siehe www.hamburg.de/verfassungsschutz). INFOBOX Beratung für Wirtschaft, Wissenschaft, Politik und Verwaltung Institutionen und deren Beschäftigte mit Beratungsbedarf können sich jederzeit mit dem Bereich "Wirtschaftsschutz" des Landesamtes für Verfassungsschutz Hamburg unter der Telefonnummer 040 / 24 44 43 in Verbindung setzen oder eine E-Mail an wirtschaftsschutz@verfassungsschutz.hamburg.de schreiben. 271 Verfassungsschutz in Hamburg Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Gruppierungen mit Auslandsbezug Linksextremismus Rechtsextremismus Reichsbürger und Selbstverwalter Scientology-Organisation Spionageabwehr und Wirtschaftsschutz Geheimund Sabotageschutz Anhang Geheimund Sabotageschutz Ziel des Geheimschutzes ist der Schutz von staatlichen Verschlusssachen, um geheim zu haltende Informationen und Materialien vor unbefugtem Gebrauch oder vor unerlaubter Einsichtnahme zu schützen. Der Umgang mit Verschlusssachen ist dabei sowohl personenbezogen als auch materiell geregelt. Der personelle Geheimschutz stellt sicher, dass nur solche Personen Zugang zu Verschlusssachen erhalten, bei denen keine Sicherheitsrisiken vorliegen. Zu diesem Zweck werden Sicherheitsüberprüfungen nach dem Hamburger Landesrecht (Hamburgisches Sicherheitsüberprüfungund Geheimschutzgesetz, HmbSÜGG) durchgeführt. Elektronische Dateien und Datenträger sowie Schriftstücke werden entsprechend ihrer Sensibilität als sogenannte Verschlusssachen (VS) eingestuft. Um entgegenzuwirken, dass Unbefugte von diesen Informationen Kenntnis erlangen, beziehungsweise zu diesen Zugriff oder Zutritt erhalten, umfasst der materielle Geheimschutz technische und organisatorische Präventivmaßnahmen für die Handhabung und Verwahrung von eingestuftem VS-Material. Aufgabe des Sabotageschutzes ist es, sicherheitsempfindliche Bereiche lebensund verteidigungswichtiger Einrichtungen vor möglichen Sabotageaktionen aus dem Kreis eigener Mitarbeiter zu schützen. Deshalb werden diese regelmäßig einer Sicherheitsüberprüfung unterzogen. Geheimund Sabotageschutz IX. Geheimund Sabotageschutz 1. Grundsätzliches Deutschland steht aufgrund seiner politischen Bedeutung sowie als hochrangiger Wirtschaftsund Wissenschaftsstandort im Fokus fremder Nachrichtendienste. Der Staat hat daher ein vitales Interesse daran, sensible Informationen vor dem Zugriff Unbefugter zu schützen und dadurch zu verhindern, dass diese Informationen in die falschen Hände geraten. Durch das Bekanntwerden sowie die Weitergabe dieser Informationen kann ein schwerer Schaden für den Staat und die Wirtschaft entstehen. Es gibt daher staatliche Geheimschutzvorschriften. Im Bereich des Geheimschutzes ( siehe Punkt 2) obliegt diese Schutzaufgabe dem Landesamt für Verfassungsschutz Hamburg, das hierzu personelle, technische und organisatorische Vorkehrungen trifft. Maßgeblich für den staatlichen Schutzauftrag ist die Einstufung als sogenannte Verschlusssache (VS). VS sind im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftige Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse. Dazu zählen insbesondere elektronische Speichermedien, Schriftverkehr und Transportwege. Sie werden nach ihrer Schutzbedürftigkeit entweder als "STRENG GEHEIM", "GEHEIM", "VS-VERTRAULICH" oder "VS-NUR FÜR DEN DIENSTGEBRAUCH" klassifiziert. Entscheidend für die Einstufung ist der mögliche Schaden, der entstehen kann, wenn Unbefugte von den als VS eingestuften Informationen Kenntnis erhalten. Hamburger Unternehmen arbeiten mit VS, wenn geheimhaltungsbedürftige Staatsaufträge, zum Beispiel im Bereich der Rüstungsindustrie, vergeben werden. Zum Schutz der Verschlusssachen werden diese Unternehmen vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) und dem Landesamt für Verfassungsschutz Hamburg betreut. Sie werden auch als "geheimschutzbetreut" bezeichnet. 275 Geheimund Sabotageschutz Der Verfassungsschutz führt präventive Personenüberprüfungen durch, um potenzielle Saboteure von sicherheitsempfindlichen Bereichen fernzuhalten ( siehe Punkt 3 "Vorbeugender personeller Sabotageschutz"). Das Landesamt für Verfassungsschutz Hamburg schützt die eigenen IT-Systeme und Kommunikationsstrukturen durch Einhaltung von Sicherheitsstandards entsprechend dem jeweiligen Schutzbedarf ( siehe Punkt 4 "Schutz von IT-Systemen und Kommunikationsstrukturen"). 2. Geheimschutz Der staatliche Geheimschutz hat die Aufgabe, geheimhaltungsbedürftige Informationen des Staates bestmöglich vor einem Zugriff durch Unbefugte zu sichern. Für solche VS ist deshalb ein optimaler Schutz zu gewährleisten. Der Umgang mit ihnen ist sowohl personenbezogen ( siehe Punkt 2.1) als auch materiell ( siehe Punkt 2.2) geregelt. 2.1. Personeller Geheimschutz Der personelle Geheimschutz stellt sicher, dass nur solche Personen Zugang zu VS erhalten, bei denen keine Sicherheitsrisiken vorliegen. Es werden zu diesem Zweck Sicherheitsüberprüfungen nach dem Hamburgischen Sicherheitsüberprüfungund Geheimschutzgesetz (HmbSÜGG) durchgeführt. Jede Sicherheitsüberprüfung dient damit der Feststellung, ob der betroffenen Person eine sicherheitsempfindliche Tätigkeit in einer öffentlichen Stelle oder einem Unternehmen übertragen werden kann. Ein Sicherheitsrisiko, das die Zuweisung einer solchen Tätigkeit aus Gründen des staatlichen Geheimschutzes ausschließt, besteht oder kann insbesondere in folgenden Konstellationen bestehen: f Laufende oder abgeschlossene Strafverfahren; alternativ bei Straffälligkeit, f Unzuverlässigkeit aufgrund von Drogenoder Alkoholmissbrauch, 276 Geheimund Sabotageschutz f fehlende Verfassungstreue, insbesondere bei politisch-extremistischer Tätigkeit, f besondere Gefährdung durch Anbahnungsoder Werbungsversuche fremder Nachrichtendienste (zum Beispiel wegen kompromittierender Lebensumstände). Zum Schutz der Grundrechte der Betroffenen wurde im Sicherheitsüberprüfungsrecht festgelegt, dass die Durchführung einer vorherigen Zustimmung bedarf. Der Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht ist nur mit vorliegender Zustimmung der zu überprüfenden Personen zulässig. Falls die Zustimmung nicht erteilt wird, ist die Sicherheitsüberprüfung und daraus folgend die Zuweisung einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit nicht möglich. Je nach Art und Umfang der sicherheitsempfindlichen Tätigkeit werden entweder eine einfache Sicherheitsüberprüfung (Ü1), eine erweiterte Sicherheitsüberprüfung (Ü2) oder eine erweiterte Sicherheitsüberprüfung mit Sicherheitsermittlungen (Ü3) durchgeführt. Die Maßnahmen der einzelnen Überprüfungsarten sind im HmbSÜGG geregelt. Hierzu gehören unter anderem Anfragen bei anderen Sicherheitsbehörden sowie beim Bundeszentralregister. Der Senat kann auch für sicherheitsempfindliche öffentliche Bereiche, in denen keine VS bearbeitet werden, bestimmen, dass Personen, die dort tätig sind oder werden sollen, einer Sicherheitsüberprüfung zu unterziehen sind. Bei dieser Form der Sicherheitsüberprüfung wirkt das Landesamt für Verfassungsschutz Hamburg nicht mit (SS 34 HmbSÜGG), sie wird von der jeweiligen Behörde selbst durchgeführt. Zum Beispiel beim IuK-Dienstleister Dataport werden auch Personen regelhaft überprüft, die in zentralen sicherheitsempfindlichen öffentlichen Bereichen in Funktionen der Informationsund Kommunikationstechnik tätig sind. 277 Geheimund Sabotageschutz INFOBOX Dataport ist der Informationsund Kommunikations-Dienstleister der öffentlichen Verwaltung für die vier Bundesländer Hamburg, Schleswig-Holstein, Bremen und Sachsen-Anhalt, außerdem für die Steuerverwaltungen in Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachsen. Die Anstalt des öffentlichen Rechts wurde aufgrund eines Staatsvertrages zum 1. Januar 2004 gegründet und hat ihren Sitz in Altenholz bei Kiel mit Niederlassungen in Hamburg, Rostock, Bremen, Lüneburg, Magdeburg und Halle. 278 Geheimund Sabotageschutz Der Verfassungsschutz berät öffentliche Stellen, die VS bearbeiten, bei der Planung und Durchführung technischer, baulicher und organisatorischer Sicherungsmaßnahmen. 3. Vorbeugender personeller Sabotageschutz Das HmbSÜGG regelt neben dem personellen Geheimschutz auch die Sicherheitsüberprüfung für den vorbeugenden personellen Sabotageschutz in öffentlichen Stellen. Für nichtöffentliche Stellen gilt die Sicherheitsüberprüfungsfeststellungsverordnung des Bundes. Ziel ist es, dass Personen, deren Zuverlässigkeit aufgrund festgestellter Sicherheitsrisiken zweifelhaft ist, nicht in sicherheitsempfindlichen Stellen eingesetzt werden. Es soll verhindert werden, dass sogenannte Innentäter in der Lage sind, durch Sabotageakte lebensoder verteidigungswichtige Einrichtungen zu beschädigen oder gar zu zerstören. Es werden Personen überprüft, die in bestimmten lebensoder verteidigungswichtigen Einrichtungen an sicherheitsempfindlichen Stellen beschäftigt sind oder werden sollen. Die Personen müssen auf die Funktionsfähigkeit dieser Einrichtungen tatsächlich Einfluss nehmen können. Eine sicherheitsempfindliche Stelle ist die kleinste selbstständig handelnde Organisationseinheit innerhalb einer lebensoder verteidigungsAngestellte für den Bereich des Vorfeldes eines Flughafens werden durch den vorbeugenden personellen Geheimschutz überprüft. (Symbolbild) wichtigen Einrichtung. Diese Foto: Colourbox.de ist vor unberechtigtem Zugang geschützt. Im Falle der Beeinträchtigung ist von einer erheblichen Gefahr für die Bevölkerung, die öffentliche Sicherheit und Ordnung auszugehen. Der Verfassungsschutz steht Betroffenen zu Fragen rund um den vorbeugenden personellen Sabotageschutz zur Verfügung. 279 Geheimund Sabotageschutz 4. Schutz von IT-Systemen und Kommunikationsstrukturen Das Landesamt für Verfassungsschutz Hamburg ist auf die Verfügbarkeit und Integrität der elektronisch gespeicherten Daten angewiesen. Es werden erhebliche Anstrengungen unternommen, um durch technische und organisatorische Maßnahmen die eingesetzten IT-Systeme sowie die genutzten Kommunikationsstrukturen zu schützen. Mit einer an IT-Sicherheitsstandards ausgerichteten Struktur und der festen Einbindung in den Informationssicherheitsprozess der Freien und Hansestadt Hamburg werden das erforderliche Sicherheitsniveau, die Vertraulichkeit, Integrität und Verfügbarkeit der Informationen, Anwendungen und IT-Systeme sichergestellt. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des LfV Hamburg werden durch unterschiedliche Maßnahmen fortlaufend sensibilisiert und über die Anforderungen des Datenschutzes, auch mit Fortbildungsangeboten, informiert. Virtueller Angriff: Der Schutz vor Cyberattacken ist eine zentrale Aufgabe der IT-Sicherheit. (Symbolbild) Illustration: LfV HH Hackerangriffe stellen ein großes Sicherheitsrisiko dar. Insbesondere die herausragenden Cyberangriffe der vergangenen Jahre, die für hohe mediale Aufmerksamkeit sorgten, zielten auf die Netze des Bundes sowie auf deutsche Energieversorger. Sie verdeutlichen die hohe Gefährdungslage durch mutmaßlich nachrichtendienstlich gesteuerte Cyberspionageund Cybersabotageangriffe auf IT-Systeme. Die hohen informationstechnischen Fähigkeiten der Angreifer, deren erkennbar große finanzielle wie personelle Ressourcen, die Zielgerichtetheit der Angriffe und die Auswahl hochwertiger Ziele legen eine Steuerung durch fremde Nachrichtendienste nahe. Von einer Zunahme 280 Geheimund Sabotageschutz solcher Angriffe ist auszugehen. Ziel dieser Angriffe ist häufig das Ausforschen, das Manipulieren oder Löschen von Daten sowie die Beeinträchtigung der Verfügbarkeit der IT-Systeme. Die Erfolgswahrscheinlichkeit und das Schadpotenzial derartiger Angriffe sind hoch. Durch den fortlaufenden Ausbau von Automatisierungsund IT-Infrastrukturen ist in Deutschland in Zukunft ebenfalls mit erhöhten Risiken durch die Folgen von Cyberangriffen zu rechnen. www Weitere Informationen finden sich auf den Internetseiten des LfV Hamburg (siehe www.hamburg.de/verfassungsschutz). 281 Verfassungsschutz in Hamburg Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Gruppierungen mit Auslandsbezug Linksextremismus Rechtsextremismus Reichsbürger und Selbstverwalter Scientology-Organisation Spionageabwehr und Wirtschaftsschutz Geheimund Sabotageschutz Anhang Anhang / Verfassungsschutzgesetz (HmbVerfSchG) Hamburgisches Verfassungsschutzgesetz (HmbVerfSchG) vom 07. März 1995 zuletzt geändert durch Gesetz vom 24. Januar 2020 1. Abschnitt Aufgaben des Landesamtes für Verfassungsschutz SS1 Zweck des Verfassungsschutzes SS2 Zuständigkeit SS3 Zusammenarbeit SS4 Aufgaben des Landesamtes für Verfassungsschutz SS5 Begriffsbestimmungen SS6 Voraussetzung und Rahmen für die Tätigkeit des Landesamtes für Verfassungsschutz 2. Abschnitt Erheben und weitere Verarbeitung von Informationen SS7 Befugnisse des Landesamtes für Verfassungsschutz SS 7a Verfahrensregelungen zu besonderen Auskunftsverlangen SS 7b Einschränkung von Grundrechten SS 7c Weitere Auskunftsverlangen SS8 Erheben von Informationen mit nachrichtendienstlichen Mitteln SS 8a Verdeckte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Vertrauensleute SS9 Verarbeitung personenbezogener Daten in Akten und Dateisystemen SS 10 Verarbeitung von Daten Minderjähriger SS 11 Berichtigung, Löschung und Verarbeitungseinschränkung 283 Anhang / Verfassungsschutzgesetz (HmbVerfSchG) 3. Abschnitt Offenlegung von Daten SS 12 Offenlegung nicht personenbezogener Daten SS 13 Offenlegung personenbezogener Daten gegenüber Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder SS 14 Offenlegung personenbezogener Daten gegenüber inländischen öffentlichen Stellen und Strafverfolgungsbehörden SS 15 Offenlegung personenbezogener Daten gegenüber Stationierungsstreitkräften SS 16 Offenlegung personenbezogener Daten gegenüber ausländischen öffentlichen Stellen SS 17 Offenlegung personenbezogener Daten gegenüber Stellen außerhalb des öffentlichen Bereichs SS 18 Offenlegung personenbezogener Daten gegenüber der Öffentlichkeit SS 19 Offenlegung personenbezogener Daten gegenüber dem Landesamt für Verfassungsschutz SS 20 (aufgehoben) SS 21 Offenlegungsverbote und -einschränkungen SS 22 Offenlegung personenbezogener Daten Minderjähriger 4. Abschnitt Auskunftserteilung und Datenschutz SS 23 Auskunftserteilung SS 23a Dateisystemanordnungen SS 23b Unabhängige Datenschutzkontrolle SS 23c Anwendung des allgemeinen Datenschutzrechts 284 Anhang / Verfassungsschutzgesetz (HmbVerfSchG) 5. Abschnitt Parlamentarische Kontrolle des Verfassungsschutzes SS 24 Parlamentarischer Kontrollausschuss SS 25 Zusammensetzung und Pflichten des Ausschusses SS 26 Aufgaben des Ausschusses SS 27 Eingaben 6. Abschnitt Schlussvorschriften SS 28 Änderung des Gesetzes zur Ausführung des Gesetzes zu Artikel 10 Grundgesetz SS 29 Inkrafttreten 1. Abschnitt Aufgaben des Landesamtes für Verfassungsschutz SS1 Zweck des Verfassungsschutzes (1) Der Verfassungsschutz dient dem Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, des Bestandes und der Sicherheit des Bundes und der Länder. (2) Zu diesem Zweck tritt dieses Gesetz neben das Gesetz über die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes und über das Bundesamt für Verfassungsschutz (Bundesverfassungsschutzgesetz - BVerfSchG) vom 20. Dezember 1990 (BGBl. I S. 2954, 2970), zuletzt geändert am 30. Juni 2017 (BGBl. I S. 2097, 2128). 285 Anhang / Verfassungsschutzgesetz (HmbVerfSchG) SS2 Zuständigkeit (1) Der Verfassungsschutz wird innerhalb der zuständigen Behörde vom Landesamt für Verfassungsschutz wahrgenommen. Das Landesamt für Verfassungsschutz ist ausschließlich hierfür zuständig. Bei der Erfüllung seiner Aufgaben ist es an Gesetz und Recht gebunden ( Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes ). (2) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf einer polizeilichen Dienststelle nicht angegliedert werden. Ihm stehen polizeiliche Befugnisse oder Weisungsbefugnisse gegenüber polizeilichen Dienststellen nicht zu; es darf die Polizei auch nicht im Wege der Amtshilfe um Maßnahmen ersuchen, zu denen es selbst nicht befugt ist. SS3 Zusammenarbeit (1) Das Landesamt für Verfassungsschutz ist verpflichtet, mit Bund und Ländern in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes zusammenzuarbeiten. Die Zusammenarbeit besteht auch in gegenseitiger Unterstützung und Hilfeleistung sowie in der Unterhaltung gemeinsamer Einrichtungen. (2) Verfassungsschutzbehörden anderer Länder dürfen im Geltungsbereich dieses Gesetzes nur im Einvernehmen mit dem Landesamt für Verfassungsschutz nach Maßgabe dieses Gesetzes und soweit eigenes Landesrecht dies zulässt, der Bund gemäß SS 5 Absatz 1 BVerfSchG nur im Benehmen mit dem Landesamt für Verfassungsschutz tätig werden. Das Landesamt für Verfassungsschutz darf in den anderen Ländern tätig werden, soweit es die Rechtsvorschriften dieses Gesetzes und der anderen Länder zulassen. SS4 Aufgaben des Landesamtes für Verfassungsschutz (1) Aufgabe des Landesamtes für Verfassungsschutz ist die Sammlung und Auswertung von Informationen, insbesondere von sachund personenbezogenen Auskünften, Nachrichten und Unterlagen, über 286 Anhang / Verfassungsschutzgesetz (HmbVerfSchG) 1. Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziele haben, 2. sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten für eine fremde Macht in der Bundesrepublik Deutschland, 3. Bestrebungen in der Bundesrepublik Deutschland, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, 4. Bestrebungen in der Bundesrepublik Deutschland, die gegen den Gedanken der Völkerverständigung ( Artikel 9 Absatz 2 des Grundgesetzes ), insbesondere gegen das friedliche Zusammenleben der Völker ( Artikel 26 Absatz 1 des Grundgesetzes ) gerichtet sind. Das Landesamt für Verfassungsschutz hat insbesondere den Senat über Gefahren für die Schutzgüter des SS 1 zu informieren und die dafür zuständigen staatlichen Stellen in die Lage zu versetzen, Maßnahmen zu ihrer Abwehr zu ergreifen. Es informiert und berät auf Anforderung öffentliche und nicht-öffentliche Stellen und Einrichtungen über die Gefahren der gegen sie gerichteten Bestrebungen und Tätigkeiten des Absatzes 1. Darüber hinaus informiert das Landesamt für Verfassungsschutz die Öffentlichkeit über Bestrebungen und Tätigkeiten nach Absatz 1 Satz 1, soweit hinreichend gewichtige tatsächliche Anhaltspunkte hierfür vorliegen, sowie über präventiven Wirtschaftsschutz. Hierzu veröffentlicht es unter anderem mindestens einmal jährlich einen zusammenfassenden Bericht insbesondere zu aktuellen Entwicklungen. (2) Das Landesamt für Verfassungsschutz wirkt mit 1. bei der Sicherheitsüberprüfung von Personen, denen im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftige Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse anvertraut werden, die Zugang dazu erhalten sollen oder 287 Anhang / Verfassungsschutzgesetz (HmbVerfSchG) ihn sich verschaffen können, 2. bei der Sicherheitsüberprüfung von Personen, die an sicherheitsempfindlichen Stellen von lebensoder verteidigungswichtigen Einrichtungen beschäftigt sind oder werden sollen, 3. bei technischen Sicherheitsmaßnahmen zum Schutz von im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftigen Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen gegen die Kenntnisnahme durch Unbefugte, 4. bei der Überprüfung von Personen in sonstigen gesetzlich bestimmten Fällen und 5. bei der Geheimschutzbetreuung von nichtöffentlichen Stellen durch den Bund oder durch ein Land. Die Befugnisse des Landesamtes für Verfassungsschutz bei der Mitwirkung nach Satz 1 Nummern 1, 2 und 4, soweit sie Sicherheitsüberprüfungen zum Gegenstand hat, sind im Hamburgischen Sicherheitsüberprüfungsund Geheimschutzgesetz (HmbSÜGG) vom 25. Mai 1995 (HmbGVBl. S. 82), zuletzt geändert am 24. Januar 2020 (HmbGVBl. S. 99, 110), geregelt. SS5 Begriffsbestimmungen (1) Im Sinne dieses Gesetzes sind: 1. Bestrebungen gegen den Bestand des Bundes oder eines Landes solche politisch bestimmten, zielund zweckgerichteten Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluss, der darauf gerichtet ist, die Freiheit des Bundes oder eines Landes von fremder Herrschaft aufzuheben, ihre staatliche Einheit zu beseitigen oder ein zu ihnen gehörendes Gebiet abzutrennen, 2. Bestrebungen gegen die Sicherheit des Bundes oder eines Landes solche politisch bestimmten, zielund zweckgerichteten Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluss, der darauf gerichtet ist, den Bund, Länder oder deren Einrichtungen in ihrer 288 Anhang / Verfassungsschutzgesetz (HmbVerfSchG) Funktionsfähigkeit erheblich zu beeinträchtigen, 3. Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung solche politisch bestimmten, zielund zweckgerichteten Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluss, der darauf gerichtet ist, einen der in Absatz 2 genannten Verfassungsgrundsätze zu beseitigen oder außer Geltung zu setzen. Für einen Personenzusammenschluss handelt, wer ihn in seinen Bestrebungen nachdrücklich unterstützt. Verhaltensweisen von Einzelpersonen, die nicht in einem oder für einen Personenzusammenschluss handeln, sind Bestrebungen im Sinne dieses Gesetzes, wenn sie auf Anwendung von Gewalt gerichtet sind oder auf Grund ihrer Wirkungsweise geeignet sind, ein Schutzgut dieses Gesetzes erheblich zu beschädigen. (2) Zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne dieses Gesetzes zählen gemäß SS 4 Absatz 2 BVerfSchG 1. das Recht des Volkes, die Staatsgewalt in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung auszuüben und die Volksvertretung in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl zu wählen, 2. die Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung und die Bindung der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an Gesetz und Recht, 3. das Recht auf Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition, 4. die Verantwortlichkeit der Regierung gegenüber der Volksvertretung und ihre Ablösbarkeit, 5. die Unabhängigkeit der Gerichte, 6. der Ausschluss jeder Gewaltund Willkürherrschaft und 7. die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte. 289 Anhang / Verfassungsschutzgesetz (HmbVerfSchG) SS6 Voraussetzung und Rahmen für die Tätigkeit des Landesamtes für Verfassungsschutz Das Landesamt für Verfassungsschutz darf nur Maßnahmen ergreifen, wenn und soweit sie zur Erfüllung seiner Aufgaben erforderlich sind; dies gilt insbesondere für die Erhebung und weitere Verarbeitung personenbezogener Daten. Von mehreren möglichen und geeigneten Maßnahmen hat es diejenige zu treffen, die den Einzelnen insbesondere in seinen Grundrechten und die Allgemeinheit voraussichtlich am wenigsten beeinträchtigt. Eine geringere Beeinträchtigung ist in der Regel anzunehmen, wenn die Information aus allgemein zugänglichen Quellen oder durch eine behördliche Auskunft gewonnen werden kann. Eine Maßnahme darf nicht zu einem Nachteil führen, der zu dem erstrebten Erfolg erkennbar außer Verhältnis steht. Sie ist nur so lange zulässig, bis ihr Zweck erreicht ist oder sich zeigt, dass er nicht erreicht werden kann. 2. Abschnitt Erheben und weitere Verarbeitung von Informationen SS7 Befugnisse des Landesamtes für Verfassungsschutz (1) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf die zur Erfüllung seiner Aufgaben erforderlichen Informationen einschließlich personenbezogener Daten verarbeiten, soweit nicht die anzuwendenden Bestimmungen des Hamburgischen Datenschutzgesetzes vom 18. Mai 2018 (HmbGVBl. S. 145) in der jeweils geltenden Fassung oder besondere Regelungen in diesem Gesetz entgegenstehen; die Verarbeitung ist auch zulässig, wenn die betroffene Person eingewilligt hat. Das Landesamt für Verfassungsschutz darf personenbezogene Daten auch für die Vorgangsverwaltung verarbeiten. Ist zum Zwecke der Datenerhebung die Offenlegung von personenbezogenen Daten unerlässlich, ist sie auf das unbedingt erforderliche Maß zu beschränken. Schutzwürdige Interessen der betroffenen Person dürfen nur in unvermeidbarem Umfang beeinträchtigt werden. (1a) Die Erhebung von personenbezogenen Daten, die dem Kernbereich 290 Anhang / Verfassungsschutzgesetz (HmbVerfSchG) privater Lebensgestaltung zuzuordnen sind, oder von Informationen bei einer in SSSS 53 und 53a der Strafprozessordnung (StPO) genannten Person, die nicht zur Aufklärung von Bestrebungen oder Tätigkeiten dieser Person erhoben werden und über die diese Person das Zeugnis verweigern darf (Vertrauensbereiche), ist unzulässig. Eine Maßnahme ist unzulässig, soweit tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass durch sie ausschließlich Erkenntnisse aus Vertrauensbereichen gewonnen werden würden. Werden personenbezogene Daten aus Vertrauensbereichen erlangt, so dürfen die Daten nicht weiter verarbeitet werden; sie sind unter Aufsicht einer bediensteten Person mit der Befähigung zum Richteramt unverzüglich zu löschen. Die Tatsache der Erlangung und der Löschung ist zu dokumentieren. In Zweifelsfällen entscheidet die Leitung des Landesamtes für Verfassungsschutz oder ihre Stellvertretung, ob die Voraussetzungen des Satzes 3 vorliegen. Ist das gemäß dieser Entscheidung nicht der Fall, darf eine weitere Verarbeitung erst nach einer Berichterstattung an den Kontrollausschuss gemäß SS 26 erfolgen, sofern keine Gefahr im Verzug vorliegt. Die Dokumentation nach Satz 4 darf ausschließlich für Zwecke der Datenschutzkontrolle verwendet werden. Sie ist in Fällen, in denen eine Mitteilung der Maßnahme erfolgt, sechs Monate nach der Mitteilung zu löschen, es sei denn, es wird Klage erhoben, dann erfolgt die Löschung nach dem rechtskräftigen Abschluss des Klageverfahrens; in der Mitteilung ist auf diese Löschfrist hinzuweisen. Im Falle der endgültigen Nichtmitteilung der Maßnahme erfolgt die Löschung unverzüglich nach der Entscheidung über diese. Im Übrigen erfolgt die Löschung am Ende des Kalenderjahres, das der Protokollierung folgt, es sei denn, über die gesetzlich vorgesehene Mitteilung der Maßnahme ist noch nicht abschließend entschieden. Anderweitige Rechtsvorschriften über die Bearbeitung von personenbezogenen Daten aus den Vertrauensbereichen bleiben unberührt. (2) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf bei den hamburgischen Behörden und den der Aufsicht der Freien und Hansestadt Hamburg unterstehenden juristischen Personen des öffentlichen Rechts nur die Informationen einschließlich personenbezogener Daten erheben, die diesen Stellen im Rahmen ihrer Aufgabenerfüllung bereits vorliegen und die zur Erfüllung der Aufgaben des Verfassungsschutzes erforderlich sind. Das Landesamt für Verfassungsschutz braucht die Ersuchen nicht zu begründen, soweit dies dem Schutz der betroffenen Person dient oder eine Begründung den Zweck der Maßnahme gefährden würde. Die Sätze 1 und 2 gelten für Erhe291 Anhang / Verfassungsschutzgesetz (HmbVerfSchG) bungen bei sonstigen Behörden und juristischen Personen des öffentlichen Rechts entsprechend. (3) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf im Einzelfall bei denjenigen, die geschäftsmäßig Telemediendienste erbringen oder daran mitwirken, Auskunft über Daten einholen, die für die Begründung, inhaltliche Ausgestaltung, Änderung oder Beendigung eines Vertragsverhältnisses über Telemediendienste (Bestandsdaten) gespeichert worden sind, soweit dies zur Sammlung und Auswertung von Informationen erforderlich ist und tatsächliche Anhaltspunkte für schwerwiegende Gefahren für die in SS 4 Absatz 1 genannten Schutzgüter vorliegen. (4) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf im Einzelfall Auskunft einholen bei 1. Luftfahrtunternehmen sowie Betreibern von Computerreservierungssystemen und Globalen Distributionssystemen für Flüge zu Namen und Anschriften des Kunden sowie zur Inanspruchnahme und den Umständen von Transportleistungen, insbesondere zum Zeitpunkt von Abfertigung und Abflug und zum Buchungsweg, 2. Kreditinstituten, Finanzdienstleistungsinstituten und Finanzunternehmen zu Konten, Konteninhabern und sonstigen Berechtigten sowie weiteren am Zahlungsverkehr Beteiligten und zu Geldbewegungen und Geldanlagen, insbesondere über Kontostand und Zahlungseinund -ausgänge, 3. (aufgehoben), 4. denjenigen, die geschäftsmäßig Telekommunikationsdienste erbringen oder daran mitwirken, zu Verkehrsdaten nach SS 96 Absatz 1 Nummern 1 bis 4 des Telekommunikationsgesetzes vom 22. Juni 2004 (BGBl. I S. 1190), zuletzt geändert am 11. Juli 2019 (BGBl. I S. 1066, 1076), und sonstigen zum Aufbau und zur Aufrechterhaltung der Telekommunikation notwendigen Verkehrsdaten und 5. denjenigen, die geschäftsmäßig Telemediendienste erbringen oder daran mitwirken, zu 292 Anhang / Verfassungsschutzgesetz (HmbVerfSchG) a) Merkmalen zur Identifikation des Nutzers eines Telemediendienstes, b) Angaben über Beginn und Ende sowie über den Umfang der jeweiligen Nutzung und c) Angaben über die vom Nutzer in Anspruch genommenen Telemediendienste, soweit dies zur Sammlung und Auswertung von Informationen erforderlich ist und Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass schwerwiegende Gefahren für die in SS 4 Absatz 1 Satz 1 genannten Schutzgüter vorliegen. Im Falle des SS 4 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 gilt dies nur für Bestrebungen, die bezwecken oder auf Grund ihrer Wirkungsweise geeignet sind, 1. zu Hass oder Willkürmaßnahmen gegen Teile der Bevölkerung aufzustacheln oder deren Menschenwürde durch Beschimpfen, böswilliges Verächtlichmachen oder Verleumden anzugreifen und dadurch die Bereitschaft zur Anwendung von Gewalt zu fördern und den öffentlichen Frieden zu stören oder 2. Gewalt anzuwenden oder vorzubereiten, einschließlich dem Befürworten, Hervorrufen oder Unterstützen von Gewaltanwendung, auch durch Unterstützen von Vereinigungen, die Anschläge gegen Personen oder Sachen veranlassen, befürworten oder androhen. (4a) Soweit dies zur Sammlung und Auswertung von Informationen erforderlich ist und Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass schwerwiegende Gefahren für die in SS 4 Absatz 1 Satz 1 genannten Schutzgüter vorliegen, darf das Landesamt für Verfassungsschutz im Einzelfall das Bundeszentralamt für Steuern ersuchen, bei den Kreditinstituten die in SS 93b Absatz 1 der Abgabenordnung in der Fassung vom 1. Oktober 2002 (BGBl. 2002 I S. 3869, 2003 I S. 61), zuletzt geändert am 11. Juli 2019 (BGBl. I S. 1066, 1076), bezeichneten Daten abzurufen. (5) Anordnungen nach Absatz 4 und 4a dürfen sich nur gegen Personen richten, bei denen 1. tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie die schwerwie293 Anhang / Verfassungsschutzgesetz (HmbVerfSchG) genden Gefahren nach Absatz 4 und 4a nachdrücklich fördern oder 2. auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist a) bei Auskünften nach Absatz 4 Satz 1 Nummern 1, 2 und 5 sowie nach Absatz 4a, dass sie die Leistung für eine Person nach Nummer 1 in Anspruch nehmen oder b) bei Auskünften nach Absatz 4 Satz 1 Nummer 4, dass sie für eine Person nach Nummer 1 bestimmte oder von ihr herrührende Mitteilungen entgegennehmen oder weitergeben, oder dass eine Person nach Nummer 1 ihren Anschluss benutzt. SS 7a Verfahrensregelungen zu besonderen Auskunftsverlangen (1) Anordnungen nach SS 7 Absatz 4 Satz 1 und Absatz 4a werden von der Leitung des Landesamtes für Verfassungsschutz oder ihrer Stellvertretung beantragt; der Antrag ist schriftlich zu stellen und zu begründen. Zuständig für die Anordnungen ist der Präses oder bei ihrer oder seiner Verhinderung die Staatsrätin oder der Staatsrat der zuständigen Behörde. Die Anordnung einer Auskunft über künftig anfallende Daten ist auf höchstens drei Monate zu befristen. Die Verlängerung dieser Anordnung um jeweils nicht mehr als drei Monate ist auf Antrag zulässig, soweit die Voraussetzungen der Anordnung fortbestehen. Auf die Anordnung der Verlängerung finden die Sätze 1 und 2 Anwendung. (2) Für Anordnungen nach SS 7 Absatz 4 Satz 1 und Absatz 4a gilt SS 1 Absätze 2 bis 4 und Absatz 5 Sätze 1 bis 3 des Hamburgischen Gesetzes zur Ausführung des Artikel 10-Gesetzes vom 17. Januar 1969 (HmbGVBl. S. 5), zuletzt geändert am 24. Januar 2020 (HmbGVBl. S. 99, 123), entsprechend. Für die Verarbeitung der nach SS 7 Absatz 4 Satz 1 und Absatz 4a erhobenen Daten ist SS 4 des Artikel 10-Gesetzes vom 26. Juni 2001 (BGBl. 2001 I S. 1254, 2298, 2017 I S. 154), zuletzt geändert am 17. August 2017 (BGBl. I S. 3202, 3212), entsprechend anzuwenden. (3) Die nach Absatz 2 zuständige Behörde unterrichtet im Abstand von höchstens sechs Monaten den Kontrollausschuss gemäß SS 24 über Anordnungen nach SS 7 Absatz 4 Satz 1 ; dabei ist insbesondere ein Überblick 294 Anhang / Verfassungsschutzgesetz (HmbVerfSchG) über Anlass, Umfang, Dauer, Ergebnis und Kosten der im Berichtszeitraum durchgeführten Maßnahmen zu geben. Die nach Satz 1 zuständige Behörde erstattet ferner dem Parlamentarischen Kontrollgremium nach dem Kontrollgremiumgesetz vom 29. Juli 2009 (BGBl. I S. 2346), zuletzt geändert am 5. Januar 2017 (BGBl. I S. 17, 29), jährlich einen Bericht über die Durchführung sowie Art, Umfang und Anordnungsgründe der Maßnahmen; dabei sind die Grundsätze des SS 2 Absatz 4 des Hamburgischen Gesetzes zur Ausführung des Artikel 10-Gesetzes und des SS 10 Absatz 1 des Kontrollgremiumgesetzes zu beachten. (4) Anordnungen sind der verpflichteten Stelle insoweit schriftlich mitzuteilen, als dies erforderlich ist, um ihr die Erfüllung ihrer Verpflichtung zu ermöglichen. Anordnungen und offengelegte Daten dürfen der betroffenen Person oder Dritten von der verpflichteten Stelle nicht mitgeteilt werden. (5) Der verpflichteten Stelle ist es verboten, allein auf Grund einer Anordnung nach SS 7 Absatz 3 oder Absatz 4 Satz 1 einseitige Handlungen vorzunehmen, die für die betroffene Person nachteilig sind und die über die Erteilung der Auskunft hinausgehen, insbesondere bestehende Verträge oder Geschäftsverbindungen zu beenden, ihren Umfang zu beschränken oder ein Entgelt zu erheben oder zu erhöhen. Die Anordnung ist mit dem ausdrücklichen Hinweis auf dieses Verbot und darauf zu verbinden, dass das Auskunftsersuchen nicht die Aussage beinhaltet, dass sich die betroffene Person rechtswidrig verhalten hat oder ein darauf gerichteter Verdacht bestehen müsse. (6) Die in SS 7 Absatz 3 und Absatz 4 Satz 1 genannten Stellen sind verpflichtet, die Auskunft unverzüglich, vollständig, richtig und in dem Format zu erteilen, das durch die in Absatz 8 Satz 1 genannte Rechtsverordnung oder in den in Absatz 8 Sätze 2 und 3 bezeichneten Rechtsvorschriften vorgeschrieben ist. (7) Für Mitteilungen an die von Anordnungen nach SS 7 Absatz 4 Satz 1 und Absatz 4a betroffenen Personen findet SS 12 Absatz 1 des Artikel 10-Gesetzes entsprechende Anwendung. Wurden personenbezogene Daten einer anderen Stelle gegenüber offengelegt, erfolgt die Mitteilung im Benehmen mit dieser. 295 Anhang / Verfassungsschutzgesetz (HmbVerfSchG) (8) Für die Erteilung von Auskünften nach SS 7 Absatz 3 und Absatz 4 Satz 1 Nummern 1, 2 und 5 gilt die Nachrichtendienste-Übermittlungsverordnung vom 11. Oktober 2012 (BGBl. I S. 2117), geändert am 23. Dezember 2016 (BGBl. I S. 3346, 3353), entsprechend. Die Vorgaben für die Erteilung von Auskünften nach SS 7 Absatz 4 Satz 1 Nummer 4 , insbesondere ob und in welchem Umfang die Verpflichteten hierfür Vorkehrungen für die technische und organisatorische Umsetzung der Auskunftsverpflichtung zu treffen haben, bestimmen sich nach SS 110 des Telekommunikationsgesetzes und der dazu erlassenen Rechtsverordnung. Die technischen Einzelheiten, die zur Auskunftserteilung sowie zur Gestaltung des Übergabepunktes zu den berechtigten Stellen erforderlich sind, insbesondere das technische Format für die Übermittlung derartiger Auskunftsverlangen an die Verpflichteten und die Rückübermittlung der zugehörigen Auskünfte an die berechtigten Stellen, richten sich nach den Festlegungen in der Technischen Richtlinie nach SS 110 Absatz 3 des Telekommunikationsgesetzes. (9) Für die Erteilung von Auskünften nach SS 7 Absatz 4 Satz 1 Nummer 4 hat die verpflichtete Stelle Anspruch auf Entschädigung entsprechend SS 23 und Anlage 3 des Justizvergütungsund -entschädigungsgesetzes (JVEG) vom 5. Mai 2004 (BGBl. I S. 718, 776), zuletzt geändert am 11. Oktober 2016 (BGBl. I S. 2222, 2224); die Vorschriften über die Verjährung in SS 2 Absätze 1 und 4 JVEG finden entsprechend Anwendung. SS 7b Einschränkungen von Grundrechten Das Grundrecht des Fernmeldegeheimnisses ( Artikel 10 des Grundgesetzes ) wird nach Maßgabe des SS 7 Absatz 3 und Absatz 4 Satz 1 Nummern 4 und 5 sowie des SS 7a Absätze 1, 2 und 4 bis 8 eingeschränkt. SS 7c Weitere Auskunftsverlangen (1) Soweit dies zur Erfüllung der Aufgaben des Landesamtes für Verfassungsschutz erforderlich ist, darf von demjenigen, der geschäftsmäßig 296 Anhang / Verfassungsschutzgesetz (HmbVerfSchG) Telekommunikationsdienste erbringt oder daran mitwirkt, Auskunft über die nach den SSSS 95 und 111 des Telekommunikationsgesetzes erhobenen Daten verlangt werden. Bezieht sich das Auskunftsverlangen nach Satz 1 auf Daten, mittels derer der Zugriff auf Endgeräte oder auf Speichereinrichtungen, die in diesen Endgeräten oder hiervon räumlich getrennt eingesetzt werden, geschützt wird, darf die Auskunft nur verlangt werden, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen für die Verarbeitung der Daten vorliegen. (2) Die Auskunft nach Absatz 1 darf auch anhand einer zu einem bestimmten Zeitpunkt zugewiesenen Internetprotokoll-Adresse sowie weiterer zur Individualisierung erforderlicher technischer Daten verlangt werden. (3) In den Fällen des Absatzes 1 Satz 2 und des Absatzes 2 ist zuständig für die Anordnung die Leitung des Landesamtes für Verfassungsschutz oder ihre Stellvertretung. SS 7a Absatz 7 gilt in diesen Fällen entsprechend. (4) Auf Grund eines Auskunftsverlangens nach Absatz 1 oder 2 hat derjenige, der geschäftsmäßig Telekommunikationsdienste erbringt oder daran mitwirkt, die zur Auskunftserteilung erforderlichen Daten unverzüglich, vollständig und richtig offenzulegen. (5) Das Landesamt für Verfassungsschutz hat für ihm erteilte Auskünfte eine Entschädigung zu gewähren, deren Umfang sich nach SS 23 und Anlage 3 JVEG bemisst; die Vorschriften über die Verjährung in SS 2 Absätze 1 und 4 JVEG finden entsprechend Anwendung. (6) Das Grundrecht des Fernmeldegeheimnisses (Artikel 10 des Grundgesetzes) wird nach Maßgabe des Absatzes 2 eingeschränkt. SS8 Erheben von Informationen mit nachrichtendienstlichen Mitteln (1) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf mit nachrichtendienstlichen Mitteln Informationen verdeckt erheben. Der Einsatz von nachrichtendienstlichen Mitteln ist vorbehaltlich SS 6 nur zulässig, wenn 297 Anhang / Verfassungsschutzgesetz (HmbVerfSchG) 1. er sich gegen Organisationen, unorganisierte Gruppen, in ihnen oder einzeln tätige Personen richtet, bei denen tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht von Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 4 Absatz 1 bestehen, 2. er sich gegen andere als die in Nummer 1 genannten Personen richtet, von denen auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass sie für die betroffene Person bestimmte oder von ihr herrührende Mitteilungen entgegennehmen oder weitergeben, um auf diese Weise Erkenntnisse über sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten für eine fremde Macht oder gewalttätige Bestrebungen und Tätigkeiten nach SS 4 Absatz 1 zu gewinnen, 3. auf diese Weise die zur Erforschung von Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 4 Absatz 1 erforderlichen Nachrichtenzugänge geschaffen werden können oder 4. dies zur Abschirmung der Mitarbeiter, Einrichtungen, Gegenstände und Nachrichtenzugänge des Landesamtes für Verfassungsschutz gegen sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten erforderlich ist. Das Landesamt für Verfassungsschutz darf die so gewonnenen Informationen nur für die in Satz 2 genannten Zwecke verwenden. Unterlagen, die für diese Zwecke nicht erforderlich sind, sind unverzüglich zu vernichten. Die Vernichtung kann unterbleiben, wenn die Informationen von anderen schriftlichen Unterlagen, die zur Erfüllung der Aufgaben erforderlich sind, nicht oder nur mit unvertretbarem Aufwand getrennt werden können; in diesem Fall unterliegen sie einem Verwertungsverbot. (2) Zulässige nachrichtendienstliche Mittel sind 1. eigene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Landesamtes für Verfassungsschutz unter einer ihnen verliehenen und auf Dauer angelegten Legende (Verdeckte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter), 2. verdeckt eingesetzte Personen, die nicht in einem arbeitsvertraglichen oder öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zum Landesamt für Ver298 Anhang / Verfassungsschutzgesetz (HmbVerfSchG) fassungsschutz stehen, wie Privatpersonen, deren planmäßige, dauerhafte Zusammenarbeit mit dem Landesamt für Verfassungsschutz Dritten nicht bekannt ist (Vertrauensleute), Informanten, Gewährspersonen, 3. planmäßig angelegte Beobachtungen (Observationen), 4. Bildaufzeichnungen, 5. verdeckte Ermittlungen und Befragungen, 6. verdecktes Mithören ohne Inanspruchnahme technischer Mittel, 7. verdecktes Mithören und Aufzeichnen des nicht öffentlich gesprochenen Wortes oder sonstiger Signale unter Einsatz technischer Mittel innerhalb und außerhalb von Wohnungen (Artikel 13 des Grundgesetzes), 8. Beobachten und Aufzeichnen des Funkverkehrs und die verdeckte Standortbestimmung mit technischen oder telekommunikativen Mitteln, soweit nicht der Postund Fernmeldeverkehr nach Maßgabe des Artikel 10-Gesetzes betroffen ist, 9. Aufbau und Gebrauch von Legenden, 10. Beschaffen, Erstellen und Verwenden von Tarnpapieren und Tarnkennzeichen, 11. Überwachen des Brief-, Postund Fernmeldeverkehrs nach Maßgabe des Artikel 10-Gesetzes sowie 12. weitere vergleichbare Methoden, Gegenstände und Instrumente zur heimlichen Informationsbeschaffung, insbesondere das sonstige Eindringen in technische Kommunikationsbeziehungen durch Bild-, Tonund Datenaufzeichnungen, um die nach Absatz 1 erforderlichen Informationen zu gewinnen. Die nachrichtendienstlichen Mittel sind abschließend in einer Dienstvorschrift zu benennen, die auch die Zuständigkeit für die Anordnung solcher 299 Anhang / Verfassungsschutzgesetz (HmbVerfSchG) Informationserhebungen regelt. Die Dienstvorschrift bedarf der Zustimmung des Präses der zuständigen Behörde. Der oder dem Hamburgischen Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit ist Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Die Behörden der Freien und Hansestadt Hamburg sind verpflichtet, dem Landesamt für Verfassungsschutz Hilfe für Tarnungsmaßnahmen zu leisten. Der Einsatz der nachrichtendienstlichen Mittel ist zu dokumentieren. (3) Der verdeckte Einsatz besonderer technischer Mittel zur Informationsgewinnung ist im Schutzbereich des Artikels 13 des Grundgesetzes innerhalb von Wohnungen in Abwesenheit einer für das Landesamt für Verfassungsschutz tätigen Person zur Abwehr dringender Gefahren für die Schutzgüter des SS 1 und unter Berücksichtigung des SS 6 nur zulässig, wenn die materiellen Voraussetzungen für einen Eingriff in das Brief-, Postoder Fernmeldegeheimnis nach SS 1 Absatz 1 Nummer 1 und SS 3 Absatz 1 Satz 1 des Artikel 10-Gesetzes vorliegen und die Erforschung des Sachverhalts auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre. Der verdeckte Einsatz besonderer technischer Mittel darf sich nur gegen die verdächtige Person richten. Bei unmittelbar bevorstehender Gefahr darf der Einsatz sich auch gegen Personen richten, von denen auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass sie für die verdächtige Person bestimmte oder von ihr herrührende Mitteilungen entgegennehmen oder weitergeben oder dass die verdächtige Person sich in ihrer Wohnung aufhält. (4) Die Anordnung des Einsatzes besonderer technischer Mittel nach Absatz 3 Satz 1 trifft die Richterin oder der Richter. Bei Gefahr im Verzug kann die Leitung des Landesamtes für Verfassungsschutz oder bei ihrer Verhinderung ihre Stellvertretung einen Einsatz nach Absatz 3 Satz 1 anordnen; die Tatsachen, die Gefahr im Verzug begründen, sind aktenkundig zu machen. Eine richterliche Entscheidung ist unverzüglich nachzuholen. Die Anordnungen sind auf längstens vier Wochen zu befristen; Verlängerungen um jeweils nicht mehr als vier weitere Wochen sind auf Antrag zulässig, soweit die Voraussetzungen der Anordnung fortbestehen. (5) Die Anordnung des Einsatzes besonderer technischer Mittel nach Absatz 3 Satz 1 wird unter der Aufsicht einer bediensteten Person des Landesamtes für Verfassungsschutz vollzogen, die die Befähigung zum Richteramt hat. Liegen die Voraussetzungen der Anordnung nicht mehr vor 300 Anhang / Verfassungsschutzgesetz (HmbVerfSchG) oder ist der verdeckte Einsatz technischer Mittel zur Informationsgewinnung nicht mehr erforderlich, ist die Maßnahme unverzüglich zu beenden. Das Abhören und Aufzeichnen ist unverzüglich zu unterbrechen, soweit sich während der Überwachung Anhaltspunkte dafür ergeben, dass Äußerungen, die dem Kernbereich privater Lebensgestaltung zuzurechnen sind, erfasst werden. Ist eine Maßnahme unterbrochen worden, so darf sie fortgeführt werden, soweit auf Grund tatsächlicher Anhaltspunkte, insbesondere zu der Art der zu überwachenden Räumlichkeiten und dem Verhältnis der zu überwachenden Personen zueinander, anzunehmen ist, dass durch die Überwachung Äußerungen, die dem Kernbereich privater Lebensgestaltung zuzurechnen sind, nicht mehr erfasst werden. Im Zweifel ist über die Unterbrechung oder Fortführung der Maßnahme unverzüglich eine Entscheidung des Gerichts herbeizuführen. (6) Erkenntnisse und Unterlagen, die durch Maßnahmen nach Absatz 3 Satz 1 gewonnen wurden, dürfen zur Verfolgung und Erforschung der dort genannten Bestrebungen oder Tätigkeiten sowie nach Maßgabe des SS 4 Absätze 4 bis 6 des Artikel 10-Gesetzes verwendet werden. SS 14 Absatz 1 bleibt unberührt. Für die Speicherung und Löschung der durch die Maßnahmen nach den Absätzen 3 und 7 erlangten personenbezogenen Daten sowie die Entscheidung über die nachträgliche Information der von Maßnahmen nach den Absätzen 3 und 7 betroffenen Personen gelten SS 4 Absatz 1 und SS 12 des Artikel 10-Gesetzes entsprechend. Die Zusammenarbeitsverpflichtung nach SS 3 bleibt unberührt. (7) Der verdeckte Einsatz besonderer technischer Mittel im Schutzbereich des Artikels 13 des Grundgesetzes innerhalb von Wohnungen ist auch dann zulässig, wenn er ausschließlich zum Schutz der dort für den Verfassungsschutz tätigen Personen zur Abwehr von Gefahren für Leben, Gesundheit oder Freiheit unerlässlich ist und von der Leitung des Landesamtes für Verfassungsschutz oder bei ihrer Verhinderung von ihrer Stellvertretung angeordnet ist. Eine anderweitige Verwertung der hierbei erlangten Kenntnisse zum Zweck der Strafverfolgung oder der Gefahrenabwehr ist nur zulässig, wenn zuvor die Rechtmäßigkeit der Maßnahme richterlich festgestellt ist; bei Gefahr im Verzug ist die richterliche Entscheidung unverzüglich nachzuholen. Die Tatsachen, die Gefahr im Verzug begründen, sind aktenkundig zu machen. (8) Zuständiges Gericht zur Entscheidung nach den Absätzen 3 und 7 ist 301 Anhang / Verfassungsschutzgesetz (HmbVerfSchG) das Amtsgericht Hamburg. Für das Verfahren findet Buch 1 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit vom 17. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2586, 2587), zuletzt geändert am 15. August 2019 (BGBl. I S. 1294, 1302), entsprechend Anwendung. (9) Das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung (Artikel 13 des Grundgesetzes) wird nach Maßgabe der Absätze 3 und 7 eingeschränkt. (10) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf unter den Voraussetzungen des SS 7 Absatz 4 technische Mittel zur Ermittlung des Standortes eines aktiv geschalteten Mobilfunkendgerätes oder zur Ermittlung der Geräteoder Kartennummer einsetzen. Die Maßnahme ist nur zulässig, wenn ohne Einsatz technischer Mittel nach Satz 1 die Ermittlung des Standortes oder die Ermittlung der Geräteoder Kartennummer aussichtslos oder wesentlich erschwert ist. Sie darf sich nur gegen die in SS 7 Absatz 5 Nummer 1 und Nummer 2 Buchstabe b bezeichneten Personen richten. Personenbezogene Daten eines Dritten dürfen anlässlich solcher Maßnahmen nur erhoben werden, wenn dies aus technischen Gründen zur Erreichung des Zwecks nach Satz 1 unvermeidbar ist. Sie unterliegen einem absoluten Verwendungsverbot und sind nach Beendigung der Maßnahme unverzüglich zu löschen. SS 7a Absätze 1 bis 3 und Absatz 7 Satz 1 gilt entsprechend. Das Grundrecht des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses ( Artikel 10 des Grundgesetzes ) wird insoweit eingeschränkt. (11) Erhebungen nach den Absätzen 3 bis 8 und Eingriffe, die in Art und Schwere einer Beschränkung des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses gleichkommen, wozu insbesondere das verdeckte Mithören und Aufzeichnen des nicht öffentlich gesprochenen Wortes oder sonstiger Signale unter Einsatz technischer Mittel außerhalb von Wohnungen gehören, bedürfen der Zustimmung des Präses oder bei ihrer oder seiner Verhinderung der Staatsrätin oder des Staatsrates der zuständigen Behörde. SS 7a Absatz 7 gilt entsprechend. (12) Zur Durchführung einer bereits oder zugleich angeordneten Maßnahme nach SS 1 Absatz 1 Nummer 1 des Artikel 10-Gesetzes darf das Landesamt für Verfassungsschutz mit technischen Mitteln auf informationstechnische Systeme zugreifen, wenn dies notwendig ist, um die Überwachung und Aufzeichnung insbesondere in unverschlüsselter Form zu 302 Anhang / Verfassungsschutzgesetz (HmbVerfSchG) ermöglichen und durch technische Maßnahmen sichergestellt ist, dass ausschließlich laufende Telekommunikation überwacht und aufgezeichnet wird. Auf dem informationstechnischen System gespeicherte Inhalte und Umstände der Kommunikation dürfen überwacht und aufgezeichnet werden, wenn sie auch während eines laufenden Übertragungsvorgangs im öffentlichen Telekommunikationsnetz in verschlüsselter Form hätten überwacht und aufgezeichnet werden können. An dem informationstechnischen System dürfen nur Veränderungen vorgenommen werden, die für die Datenerhebung unerlässlich sind. Sie sind bei Beendigung der Maßnahme, soweit technisch möglich, automatisiert rückgängig zu machen. Das eingesetzte Mittel ist nach dem Stand der Technik gegen unbefugte Nutzung zu schützen. Bei jedem Einsatz sind zu protokollieren 1. die Bezeichnung des technischen Mittels und der Zeitpunkt seines Einsatzes, 2. die Angaben zur Identifizierung des informationstechnischen Systems und die daran vorgenommenen nicht nur flüchtigen Veränderungen, 3. die Angaben, die die Feststellung der erhobenen Daten ermöglichen, und 4. die Organisationseinheit, die die Maßnahme durchführt. Die Maßnahmen nach den Sätzen 1 und 2 dürfen sich nur gegen die verdächtige Person oder gegen Personen richten, von denen auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass sie für die verdächtige Person bestimmte oder von ihr herrührende Mitteilungen entgegennehmen oder weitergeben oder dass die verdächtige Person ihren Anschluss oder ihr informationstechnisches System benutzt. SSSS 2 , 3 , SS 3a Sätze 1 bis 8 , SSSS 4 , 9 bis 12 und SSSS 19 bis 20 des Artikel 10-Gesetzes sowie SS 1 des Hamburgischen Gesetzes zur Ausführung des Artikel 10 Gesetzes gelten entsprechend. Im Antrag und in der Anordnung ist das informationstechnische System, in das zur Datenerhebung eingegriffen werden soll, möglichst genau zu bezeichnen. Das Grundrecht des Fernmeldegeheimnisses ( Artikel 10 des Grundgesetzes ) wird insoweit eingeschränkt. (13) Werden Maßnahmen nach Absatz 12 Satz 1 oder 2 durchgeführt, darf diese Tatsache von Personen, die Telekommunikationsdienste erbringen 303 Anhang / Verfassungsschutzgesetz (HmbVerfSchG) oder an der Erbringung solcher Dienste mitwirken, anderen nicht mitgeteilt werden. Erfolgt ein Auskunftsersuchen oder eine Auskunftserteilung nach SS 2 Absatz 1 des Artikel 10-Gesetzes , darf diese Tatsache oder der Inhalt des Ersuchens oder der erteilten Auskunft von Personen, die zur Beantwortung verpflichtet oder mit der Beantwortung betraut sind oder hieran mitwirken, anderen nicht mitgeteilt werden. Mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer entgegen Satz 1 oder 2 eine Mitteilung macht. SS 8a Verdeckte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Vertrauensleute (1) Verdeckte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nach SS 8 Absatz 2 Satz 1 Nummer 1 dürfen weder zur Gründung von Bestrebungen nach SS 4 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, 3 oder 4 noch zur steuernden Einflussnahme auf derartige Bestrebungen eingesetzt werden. Sie dürfen in solchen Personenzusammenschlüssen oder für solche Personenzusammenschlüsse tätig werden, um deren Bestrebungen aufzuklären. Im Einsatz ist eine Beteiligung an Bestrebungen zulässig, wenn sie 1. nicht in Individualrechte eingreift, 2. von den an den Bestrebungen Beteiligten derart erwartet wird, dass sie zur Gewinnung und Sicherung der Informationszugänge unumgänglich ist und 3. nicht außer Verhältnis zur Bedeutung des aufzuklärenden Sachverhalts steht. Sofern zureichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass Verdeckte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Einsatz oder außerhalb des Einsatzes rechtswidrig einen Straftatbestand von erheblicher Bedeutung verwirklicht haben, soll der etwaige Einsatz unverzüglich beendet und die Strafverfolgungsbehörde unterrichtet werden. Über Ausnahmen von Satz 4 entscheidet die Leitung des Landesamtes für Verfassungsschutz oder ihre Stellvertretung. 304 Anhang / Verfassungsschutzgesetz (HmbVerfSchG) (2) Als Vertrauensleute nach SS 8 Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 dürfen Personen nicht angeworben und eingesetzt werden, die 1. nicht voll geschäftsfähig, insbesondere minderjährig sind, 2. von den Zuwendungen für die Tätigkeit dauerhaft abhängig sein würden, oder bei denen die Anwerbung unter Ausnutzung eines Abhängigkeitsverhältnisses zu einer deutschen Behörde erfolgen würde, wenn dadurch erhebliche Zweifel an ihrer Nachrichtenehrlichkeit begründet wären, 3. an einem Aussteigerprogramm teilnehmen, 4. Mitglied des Europäischen Parlaments, des Deutschen Bundestages, eines Landesparlaments oder Mitarbeiterin oder Mitarbeiter eines solchen Mitglieds sind oder 5. im Bundeszentralregister mit einer Verurteilung wegen eines Verbrechens oder zu einer Freiheitsstrafe, deren Vollstreckung nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist, eingetragen sind. Die Leitung des Landesamtes für Verfassungsschutz kann eine Ausnahme von Satz 1 Nummer 5 zulassen, wenn die Verurteilung nicht als Täterin oder Täter eines Totschlags ( SSSS 212 und 213 des Strafgesetzbuchs ) oder einer allein mit lebenslanger Haft bedrohten Straftat erfolgt ist und der Einsatz zur Aufklärung von Bestrebungen, die auf die Begehung von in SS 3 Absatz 1 des Artikel 10-Gesetzes bezeichneten Straftaten gerichtet sind, unerlässlich ist. Im Falle einer Ausnahme nach Satz 2 ist der Einsatz nach höchstens sechs Monaten zu beenden, wenn er zur Erforschung der in Satz 2 genannten Bestrebungen nicht zureichend gewichtig beigetragen hat. Auch im Weiteren ist die Qualität der gelieferten Informationen fortlaufend zu bewerten. Absatz 1 gilt entsprechend für Vertrauensleute. Das Landesamt für Verfassungsschutz darf aufgrund der Ablehnung der Aufnahme oder der Fortsetzung der Tätigkeit durch die betroffene Person keine für diese nachteiligen und in keinem Sachzusammenhang mit der Tätigkeit als Vertrauensperson stehenden Handlungen vornehmen. 305 Anhang / Verfassungsschutzgesetz (HmbVerfSchG) SS9 Verarbeitung personenbezogener Daten in Akten und Dateisystemen (1) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf zur Erfüllung seiner Aufgaben Informationen einschließlich personenbezogener Daten in schriftlichen oder elektronischen Akten und in amtseigenen Dateisystemen verarbeiten, wenn 1. tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 4 Absatz 1 vorliegen, 2. dies für die Erforschung und Bewertung von Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 4 Absatz 1 erforderlich ist oder 3. das Landesamt für Verfassungsschutz nach SS 4 Absatz 2 tätig wird. Informationen, die nach Satz 1 verarbeitete Angaben belegen, dürfen auch verarbeitet werden, wenn sie personenbezogene Daten Dritter enthalten. Eine Abfrage von Daten Dritter ist unzulässig, es sei denn, die Abfrage erfolgt ausnahmsweise im Vorwege einer beabsichtigten Verarbeitung in gemeinsamen Dateien nach SS 6 BVerfSchG , es liegt Gefahr im Verzug vor oder es besteht eine konkrete Bedrohungslage für die abzufragende Person. Die unzulässige Abfrage hat ein Verwertungsverbot zur Folge. Falls die Voraussetzungen des Satzes 1 später eintreten, dürfen die Daten Dritter verarbeitet werden, wenn diese Daten neu auch für den geänderten Zweck mit vergleichbar schwerwiegenden Mitteln erhoben werden dürften. Das Recht der Verarbeitung personenbezogener Daten nach SS 7 Absatz 1 Satz 2 zur Vorgangsverwaltung bleibt unberührt. (2) Das Landesamt für Verfassungsschutz hat die Speicherungsdauer auf das für seine Aufgabenerfüllung erforderliche Maß zu beschränken. Es prüft bei der Einzelfallbearbeitung sowie spätestens fünf Jahre nach der letzten relevanten Speicherung, ob personenbezogene Daten in Dateisystemen oder in Akten zu löschen sind. (3) Akten oder Auszüge aus Akten dürfen auch in elektronischer Form geführt werden. Insoweit kommen die Regelungen über die Verarbeitung von personenbezogenen Daten in Akten zur Anwendung. Der automati306 Anhang / Verfassungsschutzgesetz (HmbVerfSchG) sierte Abgleich dieser personenbezogenen Daten ist nur beschränkt auf Akten eng umgrenzter Anwendungsgebiete zulässig. Bei jeder Abfrage sind für Zwecke der Datenschutzkontrolle der Zeitpunkt, die Angaben, die die Feststellung der abgefragten Daten ermöglichen, sowie Angaben zur Feststellung des Abfragenden zu protokollieren. Die protokollierten Daten dürfen nur für Zwecke der Datenschutzkontrolle, der Datensicherung oder zur Sicherstellung eines ordnungsgemäßen Betriebs der Datenverarbeitungsanlage verwendet werden. Die Protokolldaten sind am Ende des Kalenderjahres, das dem Jahr der Protokollierung folgt, zu löschen. (4) Das Landesamt für Verfassungsschutz ist befugt, gemäß SS 22 a BVerfSchG personenbezogene Daten in gemeinsamen Dateien mit den Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder und anderen Sicherheitsbehörden zu verarbeiten, soweit besondere bundesrechtliche Vorschriften oder landesrechtliche Vorschriften Anlass, Umfang und sonstige datenschutzrechtliche Anforderungen regeln. SS 10 Verarbeitung von Daten Minderjähriger (1) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf Informationen über Minderjährige in Akten und amtseigenen Dateien im Einzelfall verarbeiten; das gilt 1. für Minderjährige ab Vollendung des 12. und vor Vollendung des 14. Lebensjahres unter den Voraussetzungen des SS 9 , wenn die Informationen über Minderjährige für die Sammlung und Auswertung von Informationen über eine Bestrebung oder Tätigkeit nach SS 4 Absatz 1 von erheblicher Bedeutung sind, weil a) sie tatsächliche Anhaltspunkte für eine solche Bestrebung oder Tätigkeit begründen, b) sie für die Erforschung oder Bewertung der Bestrebung oder Tätigkeit in besonderem Maße erforderlich sind oder c) tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die minderjährige Person eine der in SS 3 des Artikel 10-Gesetzes genannten Straftaten plant, begeht oder begangen hat, oder 307 Anhang / Verfassungsschutzgesetz (HmbVerfSchG) 2. für Minderjährige jedes Alters aus Gründen des Kindeswohls zum Zwecke der Offenlegung nach SS 14 Absatz 2 Satz 1 unter den dort genannten Voraussetzungen auch soweit die Voraussetzungen des SS 9 nicht vorliegen. Abgesehen von den Fällen des Satzes 1 Nummer 2 ist die Verarbeitung von Informationen über Minderjährige vor Vollendung des 12. Lebensjahres unzulässig. In den Fällen des Satzes 1 Nummer 1 dürfen keine Personenakten angelegt werden. Die Speicherungen und Offenlegungen sowie deren Begründungen sind zu dokumentieren. (2) In Dateisystemen verarbeitete Daten über Minderjährige vor Vollendung des 14. Lebensjahres sind jährlich auf die Erforderlichkeit der Verarbeitung zu überprüfen und spätestens nach zwei Jahren zu löschen, es sei denn, dass weitere Erkenntnisse nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 angefallen sind. In Dateisystemen verarbeitete Daten über Minderjährige ab Vollendung des 14. Lebensjahres sind jährlich auf die Erforderlichkeit der Verarbeitung zu überprüfen und spätestens nach drei Jahren zu löschen, es sei denn, dass weitere Erkenntnisse nach SS 4 Absatz 1 angefallen sind. (3) Kommt es bei der Verarbeitung von personenbezogenen Daten auf ein bestimmtes Alter an, ist dieses aber unbekannt, so sind die dieses Alter betreffenden Vorschriften dieses Gesetzes bereits dann anzuwenden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass es sich bei diesen Personen um Personen dieses Alters handelt. SS 11 Berichtigung, Löschung und Verarbeitungseinschränkung (1) Personenbezogene Daten sind unverzüglich zu berichtigen, wenn sie unrichtig sind. Wurden die unrichtigen Daten offengelegt, hat die offenlegende Stelle die Stelle, der gegenüber die Daten offengelegt wurden, über die Berichtigung zu informieren, wenn durch die Offenlegung schutzwürdige Interessen der betroffenen Person beeinträchtigt sein können. (2) Personenbezogene Daten sind zu löschen, wenn 1. ihre Speicherung unzulässig ist, 308 Anhang / Verfassungsschutzgesetz (HmbVerfSchG) 2. die betroffene Person ihre Einwilligung widerruft und es an einer anderweitigen Rechtsgrundlage für die Verarbeitung fehlt, 3. ihre Kenntnis zur Erfüllung der Aufgaben nicht mehr erforderlich ist oder 4. seit der letzten relevanten gespeicherten Information über Bestrebungen und Tätigkeiten nach SS 4 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, 3 oder 4 zehn Jahre vergangen sind, es sei denn, der Präses der zuständigen Behörde oder die oder der von ihr oder ihm besonders ermächtigte Bedienstete trifft hierzu ausnahmsweise eine die Löschung aufschiebende Entscheidung; diese Entscheidung ist zu begründen und aktenkundig zu machen. Bei schriftlichen und elektronischen Akten erfolgt die Löschung erst, wenn die gesamte Akte zu löschen ist. SS 7 Absatz 1a bleibt unberührt. Eine Akte ist zu vernichten, wenn sie insgesamt zur Erfüllung der Aufgaben des Landesamtes für Verfassungsschutz nicht oder nicht mehr erforderlich ist. Die Vorschriften des Hamburgischen Archivgesetzes vom 21. Januar 1991 (HmbGVBl. S. 7), zuletzt geändert am 16. Juni 2005 (HmbGVBl. S. 233, 239), in der jeweils geltenden Fassung bleiben unberührt. (3) Die Verarbeitung personenbezogener Daten ist auf Antrag oder von Amts wegen einzuschränken, wenn 1. die Verarbeitung unrechtmäßig ist und die betroffene Person die Löschung der personenbezogenen Daten ablehnt und stattdessen die Einschränkung der Nutzung der personenbezogenen Daten verlangt, 2. das Landesamt für Verfassungsschutz die personenbezogenen Daten für die Zwecke der Verarbeitung nicht länger benötigt, die betroffene Person sie jedoch zur Geltendmachung, Ausübung oder Verteidigung von Rechtsansprüchen benötigt oder 3. eine Löschung in sonstiger Weise die schutzwürdigen Interessen der betroffenen Person beeinträchtigen würde. 309 Anhang / Verfassungsschutzgesetz (HmbVerfSchG) Wurde die Verarbeitung eingeschränkt, so dürfen diese personenbezogenen Daten nur mit Einwilligung der betroffenen Person oder zur Geltendmachung, Ausübung oder Verteidigung von Rechtsansprüchen oder zum Schutz der Rechte einer anderen natürlichen oder juristischen Person oder aus Gründen eines wichtigen öffentlichen Interesses des Bundes oder eines Landes verarbeitet werden. Sofern eine zustellfähige Anschrift vorliegt, wird eine betroffene Person, die eine Einschränkung der Verarbeitung gemäß Satz 1 Nummer 1 erwirkt hat, vom Landesamt für Verfassungsschutz über die Aufhebung der Einschränkung unterrichtet. (4) Personenbezogene Daten, die ausschließlich zu Zwecken der Datenschutzkontrolle oder der Datensicherung gespeichert werden, dürfen nur für diese Zwecke oder bei Verdacht des Datenmissbrauchs genutzt werden. 3. Abschnitt Offenlegung von Daten SS 12 Offenlegung nicht personenbezogener Daten Das Landesamt für Verfassungsschutz kann die im Rahmen seiner gesetzlichen Aufgabenerfüllung erlangten Daten, die nicht personenbezogen sind, gegenüber anderen Behörden und Stellen, insbesondere gegenüber der Polizei und der Staatsanwaltschaft, offenlegen, wenn sie für die Aufgabenerfüllung der Empfängerin oder des Empfängers erforderlich sein können. SS 13 Offenlegung personenbezogener Daten gegenüber Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder Gemäß SS 6 Absatz 1 Satz 1 BVerfSchG legt das Landesamt für Verfassungsschutz dem Bundesamt für Verfassungsschutz und den Verfassungsschutzbehörden der Länder unverzüglich die für ihre Aufgaben relevanten Informationen, einschließlich der Erkenntnisse ihrer Auswertungen, offen. 310 Anhang / Verfassungsschutzgesetz (HmbVerfSchG) SS 14 Offenlegung personenbezogener Daten gegenüber inländischen öffentlichen Stellen und Strafverfolgungsbehörden (1) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf personenbezogene Daten, die mit den Mitteln nach SS 8 Absatz 2 erhoben worden sind, gegenüber der Staatsanwaltschaft und der Polizei offenlegen, soweit dies erforderlich ist zur 1. Erfüllung eigener Aufgaben der Informationsgewinnung (SS 7 Absatz 2), 2. Abwehr einer im Einzelfall bestehenden Gefahr für den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder für Leib, Leben, Gesundheit oder Freiheit einer Person oder für Sachen von erheblichem Wert, deren Erhaltung im öffentlichen Interesse geboten ist, 3. Verhinderung oder sonstigen Verhütung von Straftaten von erheblicher Bedeutung oder 4. Verfolgung von Straftaten von erheblicher Bedeutung, wenn die Empfängerin oder der Empfänger diese Daten in den Fällen der Nummern 2 bis 4 neu auch zu dem Zweck, zu dem ihr oder ihm die Daten offengelegt werden, mit vergleichbar schwerwiegenden Mitteln erheben dürfte. (2) Im Übrigen darf das Landesamt für Verfassungsschutz personenbezogene Daten gegenüber inländischen öffentlichen Stellen offenlegen, wenn dieses zur Erfüllung seiner Aufgaben erforderlich ist oder wenn die Empfängerin oder der Empfänger die Daten zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, für sonstige erhebliche Zwecke der öffentlichen Sicherheit, zur Abwehr einer schwerwiegenden Gefährdung oder Beeinträchtigung der Rechte Einzelner oder für sonstige Aufgaben, die in ihrer Intensität der Gefährdung den genannten Aufgaben entsprechen, benötigt. Sofern die Voraussetzungen der SSSS 9 und 10 nicht vorliegen, dürfen die zur Offenlegung erforderlichen Informationen einschließlich 311 Anhang / Verfassungsschutzgesetz (HmbVerfSchG) personenbezogener Daten nur zum Zwecke der Offenlegung in Akten und amtseigenen Dateisystemen verarbeitet werden. Die Empfängerin oder der Empfänger darf die offengelegten Daten, soweit gesetzlich nichts Anderes bestimmt ist, nur zu dem Zweck verarbeiten, zu dem sie ihr oder ihm offengelegt wurden. Die Offenlegung von nach SS 10 Absatz 1 verarbeiteten Daten bedarf der Zustimmung der Leitung des Landesamtes für Verfassungsschutz oder ihrer Stellvertretung. (3) Das Landesamt für Verfassungsschutz legt gegenüber den Staatsanwaltschaften und, vorbehaltlich der staatsanwaltschaftlichen Sachleitungsbefugnis, den Polizeien Informationen einschließlich personenbezogener Daten unter den Voraussetzungen des SS 20 Absatz 1 Sätze 1 und 2 sowie Absatz 2 Satz 1 BVerfSchG offen. SS 15 Offenlegung personenbezogener Daten gegenüber Stationierungsstreitkräften Das Landesamt für Verfassungsschutz darf Informationen einschließlich personenbezogener Daten gegenüber Dienststellen der Stationierungsstreitkräfte im Rahmen von Artikel 3 des Zusatzabkommens zu dem Abkommen zwischen den Parteien des Nordatlantikvertrages über die Rechtsstellung ihrer Truppen hinsichtlich der in der Bundesrepublik Deutschland stationierten ausländischen Truppen vom 3. August 1959 (BGBl. 1961 II S. 1183), zuletzt geändert am 18. März 1993 (BGBl. 1994 II S. 2594), offenlegen. Die Entscheidung für eine Offenlegung treffen der Präses der zuständigen Behörde oder die von ihr oder ihm besonders ermächtigten Bediensteten des Landesamtes für Verfassungsschutz. Die Empfängerin oder der Empfänger ist darauf hinzuweisen, dass sie oder er die offengelegten Daten nur zur Verarbeitung für den Zweck erhält, zu dem sie ihr oder ihm übermittelt wurden. 312 Anhang / Verfassungsschutzgesetz (HmbVerfSchG) SS 16 Offenlegung personenbezogener Daten gegenüber ausländischen öffentlichen Stellen Das Landesamt für Verfassungsschutz darf personenbezogene Daten im Einvernehmen mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz gegenüber ausländischen öffentlichen Stellen sowie gegenüber überoder zwischenstaatlichen Stellen offenlegen, wenn die Offenlegung zur Erfüllung seiner Aufgaben oder zur Wahrung erheblicher Sicherheitsinteressen der Empfängerin oder des Empfängers erforderlich ist. Die Entscheidung für eine Offenlegung treffen der Präses der zuständigen Behörde oder die von ihr oder ihm besonders ermächtigten Bediensteten des Landesamtes für Verfassungsschutz. Die Offenlegung unterbleibt, wenn auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland oder überwiegende schutzwürdige Interessen der betroffenen Person entgegenstehen oder wenn dadurch gegen den Zweck eines deutschen Gesetzes verstoßen würde. Zu den schutzwürdigen Interessen der betroffenen Person gehört das Vorhandensein eines angemessenen Datenschutzniveaus im betreffenden Staat. Die Offenlegung ist aktenkundig zu machen. Die Empfängerin oder der Empfänger ist darauf hinzuweisen, dass sie oder er die offengelegten Daten nur zur Verarbeitung für den Zweck erhält, zu dem sie ihr oder ihm offengelegt wurden und das Landesamt für Verfassungsschutz sich vorbehält, um Auskunft über die vorgenommene Verwendung der Daten zu bitten. SS 17 Offenlegung personenbezogener Daten gegenüber Stellen außerhalb des öffentlichen Bereichs (1) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf personenbezogene Daten gegenüber Personen oder Stellen außerhalb des öffentlichen Bereichs nicht offenlegen, es sei denn, dass die Offenlegung zum Schutz 1. der sicherheitsempfindlichen Stellen der in SS 4 Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 genannten Einrichtungen, 2. der Verschlusssachen der in SS 4 Absatz 2 Satz 1 Nummer 5 genannten in der Geheimschutzbetreuung befindlichen nichtöffentlichen Stellen, 313 Anhang / Verfassungsschutzgesetz (HmbVerfSchG) 3. der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, des Bestandes oder der Sicherheit des Bundes oder eines Landes, 4. von Personen, die sich in einem Deradikalisierungsoder Extremismuspräventionsprogramm befinden oder deren Aufnahme in ein solches Programm angestrebt wird, oder 5. von schutzbedürftigen Personen, insbesondere Minderjährigen, im Zusammenhang mit ihrer Beeinflussungsbarkeit in gemeinnützigen Einrichtungen und Organisationen vor den in SS 4 Absatz 1 bezeichneten Bestrebungen, Tätigkeiten und Gefahren erforderlich ist und hinreichende Tatsachen für eine Beeinträchtigung vorliegen. Zulässig ist auch die Mitteilung, dass zu der betroffenen Person keine Erkenntnisse vorliegen. Die Entscheidung für eine Offenlegung treffen der Präses der zuständigen Behörde oder die von ihr oder ihm besonders ermächtigten Bediensteten des Landesamtes für Verfassungsschutz. Die nichtöffentlichen Stellen, an die personenbezogene Daten nach Satz 1 Nummer 4 offengelegt werden dürfen, werden durch ein von der zuständigen Behörde erstelltes Verzeichnis festgelegt. In Fällen des Satzes 1 Nummer 5 ist die Person, deren personenbezogene Daten offengelegt werden sollen, in der Regel mindestens zwei Wochen vor der Offenlegung zu benachrichtigen und ihr Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. (2) Das Landesamt für Verfassungsschutz führt über die Offenlegungen nach Absatz 1 einen Nachweis, aus dem der Zweck und die Veranlassung der Offenlegung, die Aktenfundstelle und die Empfängerin oder der Empfänger hervorgehen. Die Nachweise sind gesondert aufzubewahren, gegen unberechtigten Zugriff zu sichern und am Ende des Kalenderjahres, das dem Jahr ihrer Erstellung folgt, zu vernichten. (3) Die Empfängerin oder der Empfänger darf die ihr oder ihm gegenüber offengelegten Daten nur für den Zweck verarbeiten, zu dem sie ihr oder ihm offengelegt wurden. Hierauf ist sie oder er hinzuweisen. Die Offenlegung der personenbezogenen Daten ist der betroffenen Person durch das Landesamt für Verfassungsschutz mitzuteilen, sobald eine Gefährdung seiner Aufgabenerfüllung durch die Mitteilung nicht mehr zu besorgen ist. Einer Mitteilung bedarf es nicht, wenn diese Voraussetzung auch fünf Jahre 314 Anhang / Verfassungsschutzgesetz (HmbVerfSchG) nach der erfolgten Offenlegung noch nicht eingetreten ist und mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch in absehbarer Zukunft nicht eintreten wird. (4) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf eine Bewertung über personenbezogene Daten gegenüber Stellen außerhalb des öffentlichen Bereichs offenlegen, soweit die Offenlegung für Zwecke einer Zuverlässigkeitsüberprüfung mit Einwilligung der betroffenen Person erfolgt und im Hinblick auf den Anlass dieser Überprüfung, insbesondere den Zugang der betroffenen Person zu einer besonders gefährdeten Veranstaltung, mit Rücksicht auf ein berechtigtes Interesse der Empfängerin oder des Empfängers und wegen der Art oder des Umfangs der Erkenntnisse über die betroffene Person angemessen ist. Das Landesamt für Verfassungsschutz hat der betroffenen Person die Gründe für eine negative Bewertung mitzuteilen. Absätze 2 und 3 gelten entsprechend. SS 18 Offenlegung personenbezogener Daten gegenüber der Öffentlichkeit Bei der Information der Öffentlichkeit nach SS 4 Absatz 1 Sätze 4 und 5 dürfen auch personenbezogene Daten bekannt gegeben werden, wenn die Bekanntgabe für das Verständnis des Zusammenhanges oder der Darstellung von Organisationen oder unorganisierten Gruppierungen zwingend erforderlich ist und die Interessen der Allgemeinheit das schutzwürdige Interesse der betroffenen Person überwiegen. SS 19 Offenlegung personenbezogener Daten gegenüber dem Landesamt für Verfassungsschutz (1) Die hamburgischen Behörden und die der Aufsicht der Freien und Hansestadt Hamburg unterstehenden juristischen Personen des öffentlichen Rechts sind befugt, gegenüber dem Landesamt für Verfassungsschutz die Daten offenzulegen, um die es nach SS 7 Absatz 2 ersucht hat, soweit sie diesen Stellen bereits vorliegen. (2) Die in Absatz 1 genannten Stellen legen gegenüber dem Landesamt für Verfassungsschutz alle ihnen im Rahmen ihrer Aufgabenerfüllung bekannt 315 Anhang / Verfassungsschutzgesetz (HmbVerfSchG) gewordenen Informationen einschließlich personenbezogener Daten über Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 4 Absatz 1 offen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Offenlegung für die Erfüllung der Aufgaben des Landesamtes für Verfassungsschutz erforderlich ist. Im Zweifel haben die in Absatz 1 genannten Stellen das Landesamt für Verfassungsschutz zu kontaktieren, um das Vorliegen der Offenlegungsvoraussetzungen zu klären. Bei dieser Klärung soll die Offenlegung personenbezogener Daten möglichst vermieden werden. (3) Die Ausländerbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg legt gemäß SS 18 Absatz 1a BVerfSchG von sich aus gegenüber dem Landesamt für Verfassungsschutz die ihr bekannt gewordenen Informationen einschließlich personenbezogener Daten über Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 4 Absatz 1 offen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Offenlegung für die Erfüllung der Aufgaben des Landesamtes für Verfassungsschutz erforderlich ist. Die Offenlegung dieser personenbezogenen Daten an ausländische öffentliche Stellen sowie an überund zwischenstaatliche Stellen durch das Landesamt für Verfassungsschutz unterbleibt, wenn überwiegende schutzwürdige Belange der Person, deren Daten offengelegt werden sollen oder überwiegende schutzwürdige Belange Dritter entgegenstehen. Vor einer Offenlegung ist das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zu beteiligen. Für diese Offenlegungen des Landesamtes für Verfassungsschutz gilt SS 7a Absatz 3 entsprechend. (4) Die Offenlegung von personenbezogenen Daten gegenüber dem Landesamt für Verfassungsschutz durch die Staatsanwaltschaften und, vorbehaltlich der staatsanwaltschaftlichen Sachleitungsbefugnis, die Polizei setzt voraus, dass die Verarbeitung dieser Daten durch das Landesamt für Verfassungsschutz dem Schutz von Rechtsgütern eines solchen Gewichts dient, dass das Landesamt für Verfassungsschutz diese Daten neu mit vergleichbar schwerwiegenden Mitteln erheben könnte. Insbesondere ist die Offenlegung personenbezogener Daten, die auf Grund strafprozessualer Zwangsmaßnahmen oder verdeckter Datenerhebungen zur Gefahrenabwehr bekannt geworden sind, nur zulässig, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für gewalttätige Bestrebungen oder sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten oder für eine in SSSS 74a und 120 des Gerichtsverfassungsgesetzes in der Fassung vom 9. Mai 1975 (BGBl. I S. 1079), zuletzt geändert am 8. Juli 2019 (BGBl. I S. 1002, 1018), und SSSS 130 und 131 des Strafgesetzbuchs genannte Straftat oder für eine sons316 Anhang / Verfassungsschutzgesetz (HmbVerfSchG) tige Straftat, bei der auf Grund ihrer Zielsetzung, des Motivs des Täters oder dessen Verbindung zu einer Organisation tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie gegen die in Artikel 73 Absatz 1 Nummer 10 Buchstabe b oder c des Grundgesetzes genannten Schutzgüter gerichtet ist, bestehen. Die Offenlegung personenbezogener Daten, die auf Grund einer Maßnahme nach SS 100a StPO oder einer entsprechenden Maßnahme zur Gefahrenabwehr bekannt geworden sind, ist nur zulässig, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass jemand eine der in SS 3 des Artikel 10-Gesetzes genannten Straftaten plant, begeht oder begangen hat. Die Offenlegung personenbezogener Daten, die auf Grund einer Maßnahme nach SS 100b oder SS 100c StPO oder einer entsprechenden Maßnahme zur Gefahrenabwehr bekannt geworden sind, ist nur zulässig, wenn die Voraussetzungen des SS 8 Absatz 3 vorliegen. Auf die nach Satz 3 offengelegten Daten ist SS 4 des Artikel 10-Gesetzes entsprechend anzuwenden. Kennzeichnungen der sonstigen offengelegten Daten sind aufrechtzuerhalten. (5) Das Landesamt für Verfassungsschutz hat die ihm gegenüber offengelegten Informationen unverzüglich darauf zu überprüfen, ob sie zur Erfüllung seiner Aufgaben erforderlich sind. Ist dies nicht der Fall, sind die Unterlagen zu vernichten. Die Vernichtung unterbleibt, wenn die Unterlagen von anderen Informationen, die zur Erfüllung der Aufgaben erforderlich sind, nicht oder nur mit unvertretbarem Aufwand getrennt werden können; in diesem Fall unterliegen die personenbezogenen Daten einem Verwertungsverbot und sind entsprechend zu kennzeichnen. (6) Das Landesamt für Verfassungsschutz hat die Offenlegung der Informationen aktenkundig zu machen. Vorschriften in anderen Gesetzen über die Offenlegung von Informationen gegenüber dem Landesamt für Verfassungsschutz und über ihre Dokumentation bleiben unberührt. SS 21 Offenlegungsverbote und -einschränkungen (1) Die Offenlegung von Informationen nach diesem Abschnitt unterbleibt, wenn 1. eine Prüfung durch die offenlegende Stelle ergibt, dass die Informa317 Anhang / Verfassungsschutzgesetz (HmbVerfSchG) tionen zu löschen sind oder einem Verwertungsverbot unterliegen oder für die Empfängerin oder den Empfänger nicht mehr bedeutsam sind, 2. überwiegende Sicherheitsinteressen dies erfordern oder 3. für die offenlegende Stelle erkennbar ist, dass unter Berücksichtigung der Art der Informationen und ihrer Erhebung die schutzwürdigen Interessen der betroffenen Person das Allgemeininteresse an der Offenlegung überwiegen. (2) Besondere Rechtsvorschriften, die Informationsübermittlungen zulassen, einschränken oder verbieten sowie die Verpflichtung zur Wahrung gesetzlicher Geheimhaltungspflichten oder von Berufsoder besonderen Amtsgeheimnissen, die nicht auf gesetzlichen Vorschriften beruhen, bleiben unberührt. SS 22 Offenlegung personenbezogener Daten Minderjähriger (1) Personenbezogene Daten Minderjähriger, die nach SS 10 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 gespeichert sind, dürfen gegenüber öffentlichen Stellen und in den Fällen des SS 17 Absatz 1 Satz 1 Nummern 4 und 5 gegenüber nichtöffentlichen Stellen offengelegt werden, wenn die Voraussetzungen des SS 10 Absatz 1 Satz 1 Buchstabe c zum Zeitpunkt der Offenlegung noch vorliegen und die Offenlegung gerade dieser Daten zur Erreichung des Offenlegungszwecks zwingend erforderlich ist. (2) Personenbezogene Daten Minderjähriger vor Vollendung des 16. Lebensjahres dürfen nach den Vorschriften dieses Gesetzes nicht gegenüber ausländischen oder überoder zwischenstaatlichen Stellen offengelegt werden. 318 Anhang / Verfassungsschutzgesetz (HmbVerfSchG) 4. Abschnitt Auskunftserteilung und Datenschutz SS 23 Auskunftserteilung (1) Das Landesamt für Verfassungsschutz erteilt der betroffenen Person über zu deren Person gespeicherte Daten auf Antrag unentgeltlich Auskunft. Zu personenbezogenen Daten in Akten erstreckt sich die Auskunft auf alle Daten, die über eine Speicherung gemäß SS 10 Absatz 1 BVerfSchG auffindbar sind. (2) Die Auskunftserteilung unterbleibt, soweit 1. eine Gefährdung der Aufgabenerfüllung durch die Auskunftserteilung zu besorgen ist, 2. durch die Auskunftserteilung Quellen gefährdet sein können oder die Ausforschung des Erkenntnisstandes oder der Arbeitsweise der Verfassungsschutzbehörden zu befürchten ist, 3. die Auskunft die öffentliche Sicherheit gefährden oder sonst dem Wohl des Bundes oder eines Landes Nachteile bereiten würde oder 4. die Daten oder die Tatsache der Speicherung nach einer Rechtsvorschrift oder wegen der überwiegenden berechtigten Interessen eines Dritten, geheim gehalten werden müssen. Die Entscheidung trifft die Leitung des Landesamtes für Verfassungsschutz oder ihre Stellvertretung. (3) Die Auskunftsverpflichtung erstreckt sich nicht auf die Herkunft der Daten und die Empfängerinnen und Empfänger von Offenlegungen. (4) Die Ablehnung der Auskunftserteilung bedarf keiner Begründung, soweit dadurch der Zweck der Auskunftsverweigerung gefährdet würde. Die Gründe der Auskunftsverweigerung sind aktenkundig zu machen. Wird die Auskunftserteilung abgelehnt, ist die betroffene Person auf die Rechts319 Anhang / Verfassungsschutzgesetz (HmbVerfSchG) grundlage für das Fehlen der Begründung hinzuweisen. Die betroffene Person ist zudem darauf hinzuweisen, dass sie sich an die Hamburgische Beauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit oder den Hamburgischen Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit wenden kann. Der oder dem Hamburgischen Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit ist auf ihr oder sein Verlangen Auskunft zu erteilen, soweit nicht der Präses oder bei ihrer oder seiner Verhinderung die Staatsrätin oder der Staatsrat der zuständigen Behörde im Einzelfall feststellt, dass dadurch die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gefährdet würde. Mitteilungen der oder des Hamburgischen Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit an die betroffene Person dürfen keine Rückschlüsse auf den Erkenntnisstand des Landesamtes für Verfassungsschutz zulassen, sofern es nicht einer weitergehenden Auskunft zustimmt. SS 23a Dateisystemanordnungen (1) Für jedes automatisierte Dateisystem beim Landesamt für Verfassungsschutz nach SS 9 sind von der Leitung des Landesamtes für Verfassungsschutz oder ihrer Stellvertretung in einer Dateisystemanordnung festzulegen: 1. Bezeichnung des Dateisystems, 2. Zweck des Dateisystems, 3. Voraussetzungen der Speicherung, Offenlegung und Nutzung (betroffener Personenkreis, Arten der Daten), 4. Anlieferung oder Eingabe, 5. Zugangsberechtigung, 6. Überprüfungsfristen, Speicherungsdauer und 7. Protokollierung. 320 Anhang / Verfassungsschutzgesetz (HmbVerfSchG) Das Landesamt für Verfassungsschutz kann die Angaben nach Satz 1 für mehrere gleichartige Dateisysteme in einer Dateisystemanordnung zusammenfassen. Die oder der Hamburgische Beauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit ist vor Erlass einer Dateisystemanordnung anzuhören. Das Landesamt für Verfassungsschutz führt ein Verzeichnis der geltenden Dateisystemanordnungen. (2) Die Speicherung personenbezogener Daten ist auf das erforderliche Maß zu beschränken. In angemessenen Abständen ist die Notwendigkeit der Weiterführung oder Änderung der Dateisysteme zu überprüfen. (3) Ist im Hinblick auf die Dringlichkeit der Aufgabenerfüllung die vorherige Mitwirkung der in Absatz 1 genannten Stellen nicht möglich, so kann das Landesamt für Verfassungsschutz eine Sofortanordnung treffen. Das Verfahren nach Absatz 1 ist unverzüglich nachzuholen. SS 23b Unabhängige Datenschutzkontrolle (1) Jede Person kann sich an die Hamburgische Beauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit oder den Hamburgischen Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit wenden, wenn sie der Ansicht ist, bei der Verarbeitung ihrer personenbezogenen Daten durch das Landesamt für Verfassungsschutz in ihren Rechten verletzt worden zu sein. (2) Die oder der Hamburgische Beauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit kontrolliert beim Landesamt für Verfassungsschutz die Einhaltung der Vorschriften über den Datenschutz. Soweit die Einhaltung von Vorschriften der Kontrolle durch die G10-Kommission nach SS 1 Absatz 1 des Hamburgischen Gesetzes zur Ausführung des Artikel 10-Gesetzes unterliegt, unterliegt sie nicht der Kontrolle durch die Hamburgische Beauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit oder den Hamburgischen Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit, es sei denn, die G10-Kommission ersucht die Hamburgische Beauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit oder den Hamburgischen Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit, die Einhaltung der Vorschriften über den Datenschutz bei bestimmten Vorgängen oder in bestimmten Bereichen zu kontrollieren und ausschließlich ihr darüber zu berichten. Sie oder er hat die Befugnis, die Öffentlichkeit im Rahmen ihrer oder seiner Zuständigkeit 321 Anhang / Verfassungsschutzgesetz (HmbVerfSchG) zu informieren, soweit dem nicht die in SS 23 Absatz 2 genannten Gründe entgegenstehen. (3) Das Landesamt für Verfassungsschutz ist verpflichtet, die Hamburgische Beauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit oder den Hamburgischen Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit und durch sie oder ihn besonders beauftragte Personen bei der Erfüllung ihrer oder seiner Aufgaben zu unterstützen. Insoweit ist den in Satz 1 genannten Personen im Rahmen ihrer Kontrollkompetenz insbesondere 1. Auskunft zu ihren Fragen sowie Einsicht in alle Unterlagen, insbesondere in die gespeicherten Daten und in die Datenverarbeitungsprogramme, zu gewähren, die im Zusammenhang mit der Kontrolle nach Absatz 2 stehen, 2. jederzeit Zutritt in alle Diensträume zu gewähren. Die Verpflichtungen aus den Sätzen 1 und 2 gelten nicht, soweit der Senat im Einzelfall feststellt, dass die Auskunft oder Einsicht die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gefährden könnte. (4) Die Absätze 1 bis 3 gelten ohne Beschränkung auf die Erfüllung der Aufgaben nach SS 4 . Sie gelten entsprechend für die Verarbeitung personenbezogener Daten durch andere Stellen, wenn diese der Erfüllung der Aufgaben von Verfassungsschutzbehörden nach SS 4 dient. SS 23c Anwendung des allgemeinen Datenschutzrechts Bei der Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben des Landesamtes für Verfassungsschutz findet SS 2 Absätze 1 und 6 des Hamburgischen Datenschutzgesetzes keine Anwendung. SSSS 3 , 6 , 8 , 9 außerhalb des Einsatzes von nachrichtendienstlichen Mitteln, SSSS 10 , 11 , SS 19 Absatz 2 Satz 1 , SS 22 Absatz 2 , SSSS 23 , 26 und 27 des Hamburgischen Datenschutzgesetzes sowie SSSS 2 , 5 bis 7 , SS 16 Absätze 2 und 3 mit der Maßgabe, dass an die Stelle der oder des Bundesbeauftragen die oder der Hamburgische Beauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit tritt, SS 46 , SS 51 Absätze 1 bis 4 , SSSS 52 , 54 , 62 , 64 und 83 des Bundesdatenschutzgesetzes vom 322 Anhang / Verfassungsschutzgesetz (HmbVerfSchG) 30. Juni 2017 (BGBl. I S. 2097) in der jeweils geltenden Fassung sind entsprechend anzuwenden. 5. Abschnitt Parlamentarische Kontrolle des Verfassungsschutzes SS 24 Parlamentarischer Kontrollausschuss Zur parlamentarischen Kontrolle des Senats auf dem Gebiet des Verfassungsschutzes bildet die Bürgerschaft einen Kontrollausschuss. Dieser tagt in nichtöffentlicher Sitzung. SS 25 *) Zusammensetzung und Pflichten des Ausschusses (1) Der Ausschuss besteht aus neun Mitgliedern der Bürgerschaft. (2) Die Mitglieder des Ausschusses werden von der Bürgerschaft in geheimer Abstimmung gewählt. (3) Die Mitglieder des Ausschusses sind zur Geheimhaltung der Angelegenheiten verpflichtet, die ihnen im Zusammenhang mit ihrer Tätigkeit in dem Ausschuss bekannt geworden sind. Dies gilt auch für die Zeit nach ihrem Ausscheiden aus dem Ausschuss oder aus der Bürgerschaft. Satz 1 und Satz 2 gelten nicht für eigene Bewertungen bestimmter Vorgänge, sofern die Belange des Geheimschutzes beachtet werden. (3a) Die Mitglieder des Ausschusses haben das Recht, zur Unterstützung ihrer Arbeit jeweils eine Mitarbeiterin oder einen Mitarbeiter je Fraktion zu benennen. Voraussetzung für diese Tätigkeit ist die Ermächtigung zum Umgang mit Verschlusssachen und die förmliche Verpflichtung zur Geheimhaltung. Die benannten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind befugt, anlassbezogen die 323 Anhang / Verfassungsschutzgesetz (HmbVerfSchG) vom Ausschuss beigezogenen Akten und Dateien einzusehen und die Beratungsgegenstände des Ausschusses mit den Mitgliedern zu erörtern; das Unterstützungsbegehren ist dem Vorsitzenden anzuzeigen und den Mitgliedern des Ausschusses zur Kenntnis zu geben. Die benannten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben keinen Zutritt zu den Sitzungen. Absatz 3 Sätze 1 und 2 gilt entsprechend. (3b) Dem Ausschuss ist die für die Erfüllung seiner Aufgaben notwendige Personalund Sachausstattung zur Verfügung zu stellen. Für die Beschäftigten gelten Absatz 3 Sätze 1 und 2 sowie Absatz 3a Satz 2 entsprechend. Zur Erfüllung ihrer Aufgaben ist ihnen Auskunft zu ihren Fragen zu erteilen. (4) Der Ausschuss wählt einen Vorsitzenden und gibt sich eine Geschäftsordnung. Beschlüsse des Ausschusses bedürfen der Mehrheit der Stimmen der anwesenden Mitglieder. (5) Sitzungsunterlagen und Protokolle verbleiben für die laufende Wahlperiode im Gewahrsam der Bürgerschaftskanzlei, im Übrigen im Gewahrsam des Landesamtes für Verfassungsschutz und können nur an diesen Orten von den Ausschussmitgliedern eingesehen werden. (6) Scheidet ein Mitglied des Ausschusses aus der Bürgerschaft oder seiner Fraktion aus, so verliert es seine Mitgliedschaft im Ausschuss; für dieses Mitglied ist unverzüglich ein neues Mitglied zu bestimmen. Das Gleiche gilt, wenn ein Mitglied aus dem Ausschuss ausscheidet. (7) Der Parlamentarische Kontrollausschuss berichtet der Bürgerschaft jährlich und im Übrigen anlassbezogen über seine Kontrolltätigkeit. Dabei nimmt er auch dazu Stellung, ob der Senat seinen Pflichten gegenüber dem Ausschuss nachgekommen ist. Die Berichte sollen so gefasst sein, dass die im Ausschuss vertretenen Meinungen und die Gründe, die zu Beschlüssen geführt haben, ersichtlich sind. Sie müssen die Empfehlung des Ausschusses und das Abstimmungsverhältnis, mit dem die Empfehlung zustande gekommen ist, wiedergeben. Bei der Erstellung des Berichts sind die Belange des Geheimschutzes zu beachten. Fußnoten *) Red. Anm.: Gemäß Artikel 2 Abs. 1 des Gesetzes zur Änderung des Hamburgischen Verfassungsschutzgesetzes vom 30. Mai 2012 324 Anhang / Verfassungsschutzgesetz (HmbVerfSchG) (HmbGVBl. S. 203) findet die Änderung in SS 25 Abs. 1 auf die laufende 20. Wahlperiode der Bürgerschaft mit der Maßgabe Anwendung, dass zu den bereits gewählten sieben Mitgliedern zwei weitere Mitglieder nach Maßgabe von SS 25 Absatz 2 nachgewählt werden. SS 26 Aufgaben des Ausschusses (1) Der Ausschuss übt die parlamentarische Kontrolle auf dem Gebiet des Verfassungsschutzes aus. Diese umfasst aus zwingenden Gründen des Geheimschutzes auch die Haushaltsangelegenheiten. Der das Aufgabengebiet des Verfassungsschutzes betreffende Teil des Haushaltsplanentwurfs bedarf daher der Zustimmung des Ausschusses. Die Rechte der Bürgerschaft bleiben unberührt. (2) Der Senat hat den Ausschuss umfassend über die allgemeine Tätigkeit des Landesamtes für Verfassungsschutz und über Vorgänge von besonderer Bedeutung zu unterrichten. Der Ausschuss tagt in Abständen von höchstens drei Monaten oder auf Antrag eines Mitglieds. (3) Zur Erfüllung seiner Kontrollaufgaben hat der Ausschuss auf Antrag mindestens eines seiner Mitglieder das Recht auf 1. Erteilung von Auskünften, 2. Einsicht in Akten, in Dateien gespeicherte Daten, Stellungnahmen und andere Unterlagen, 3. Zugang zu den Räumen des Landesamtes für Verfassungsschutz und 4. Anhörung bestimmter Angehöriger des öffentlichen Dienstes als Auskunftspersonen, die verpflichtet sind, vollständige und wahrheitsgemäße Angaben zu machen. Die Befugnisse des Ausschusses nach Satz 1 Nummer 2 erstrecken sich nur auf Gegenstände, die der alleinigen Verfügungsberechtigung des Landes325 Anhang / Verfassungsschutzgesetz (HmbVerfSchG) amtes für Verfassungsschutz unterliegen. Die Rechte nach Satz 1 sind Befugnisse gegenüber dem Ausschuss als Ganzes. (4) Den Ersuchen nach Absatz 3 ist unverzüglich zu entsprechen. Der Senat bescheidet ein solches Ersuchen abschlägig oder schränkt die Aussagegenehmigung ein, soweit gesetzliche Vorschriften entgegenstehen oder wenn dieses aus zwingenden Gründen des Nachrichtenzugangs, des Schutzes von Persönlichkeitsrechten oder des Kernbereichs der exekutiven Eigenverantwortung erforderlich ist. In diesem Fall legt der Senat dem Ausschuss seine Gründe dar. (5) Der Senat hat dem Ausschuss insbesondere über 1. Gefahren für die Schutzgüter des SS 1, 2. die Dienstvorschrift über nachrichtendienstliche Mittel nach SS 8 Absatz 2 Satz 2 sowie ihre Änderungen, 3. die Maßnahmen nach SS 8 Absatz 11, 4. die Maßnahmen nach SS 8 Absatz 12 Satz 2 sowie die hierbei eingesetzten Mittel, Ergebnisse und Wirkungen, 5. die Nichtlöschung personenbezogener Daten gemäß SS 11 Absatz 2 Satz 1 Nummer 4, 6. die tatsächliche Arbeitsaufnahme mit einem automatisierten Verfahren, für das eine Dateisystemanordnung nach SS 23a vorgeschrieben ist, und seine wesentlichen inhaltlichen Änderungen, 7. die Übermittlung personenbezogener Daten an Stationierungsstreitkräfte nach SS 15, 8. die Übermittlung personenbezogener Daten an ausländische öffentliche Stellen nach SS 16, 9. die Übermittlung personenbezogener Daten an Stellen außerhalb des öffentlichen Bereichs nach SS 17 sowie über die Änderungen des Ver326 Anhang / Verfassungsschutzgesetz (HmbVerfSchG) zeichnisses nach SS 17 Absatz 1 Satz 4, 10. die Anfragen bei ausländischen öffentlichen Stellen nach SS 12 Absatz 7 Satz 4 des Hamburgischen Sicherheitsüberprüfungsund Geheimschutzgesetzes, 11. die Anzahl der Personenspeicherungen gemäß SS 10 Absatz 1 Nummern 1 und 2 BVerfSchG in Verbindung mit SS 3 Absatz 1 Nummern 1, 3 und 4 BVerfSchG in der gemeinsamen Datei nach SS 6 Absatz 2 BVerfSchG, 12. die Speicherungen und Offenlegungen von Informationen über Minderjährige vor Vollendung des 14. Lebensjahres, 13. die Offenlegungen nach SS 14 Absatz 2 Satz 2, 14. die Auskunftsversagungen nach SS 23 Absatz 4 Satz 5 zu berichten. Der Bericht gemäß Satz 1 Nummern 4 und 11 erfolgt jährlich. (6) Der Ausschuss kann der oder dem behördlichen Datenschutzbeauftragten der zuständigen Behörde und dem Hamburgischen Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit Gelegenheit zur Stellungnahme in Fragen des Datenschutzes geben. SS 27 Eingaben Eingaben einzelner Bürger oder einzelner Angehöriger des Verfassungsschutzes über ein sie betreffendes Verhalten des Landesamtes für Verfassungsschutz sind dem Ausschuss zur Kenntnis zu geben. Der Ausschuss bescheidet die an ihn gerichteten Eingaben, nachdem er diese dem Senat zur Stellungnahme übermittelt hat. Der Ausschuss hat auf Antrag eines Mitglieds Petenten und Auskunftspersonen zu hören. SS 26 Absätze 3 und 4 findet entsprechende Anwendung. Die Rechte des Eingabenausschusses bleiben unberührt. 327 Anhang / Verfassungsschutzgesetz (HmbVerfSchG) 6. Abschnitt Schlussvorschriften SS 28 Änderung des Gesetzes zur Ausführung des Gesetzes zu Artikel 10 Grundgesetz In SS 1 des Gesetzes zur Ausführung des Gesetzes zu Artikel 10 Grundgesetz vom 17. Januar 1969 mit der Änderung vom 2. Februar 1981 (Hamburgisches Gesetzund Verordnungsblatt 1969 Seite 5, 1981 Seite 24), wird folgender Absatz 5 angefügt: "(5) Die Kommission ist ausschließlich für die Überprüfung der von der zuständigen Behörde angeordneten Beschränkungsmaßnahmen zuständig. Sie kann zu ihrer Unterstützung den Hamburgischen Datenschutzbeauftragten ersuchen, die Einhaltung der Vorschriften über den Datenschutz in ihrem Zuständigkeitsbereich zu kontrollieren und ausschließlich ihr darüber zu berichten." SS 29 Inkrafttreten Dieses Gesetz tritt am Tag nach seiner Verkündung in Kraft. Gleichzeitig tritt das Gesetz über den Verfassungsschutz in der Freien und Hansestadt Hamburg vom 13. Februar 1978 (Hamburgisches Gesetzund Verordnungsblatt Seite 51) außer Kraft. 328 Anhang / Abkürzungsverzeichnis Abkürzungsverzeichnis A ABLE Association of Better Living and Education ADÜTDF Almanya Demokratik Ülkücü Türk Dernekleri Federasyonu e.V. (Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in Deutschland) AG-GGG Artgemeinschaft - Germanische Glaubens-Gemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung e.V. AKP Adalet ve Kalkinma Partisi (Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung) AQAH al-Qaida auf der arabischen Halbinsel AQ al-Qaida ATD Antiterrordatei ATDG Antiterrordateigesetz B B5 Internationales Zentrum Brigittenstraße 5 BGBl Bundesgesetzblatt BGH Bundesgerichtshof BMI Bundesministerium des Innern BMWi Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie BSI Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik BVerfSchG Bundesverfassungsschutzgesetz C CCHR Citizens Commission on Human Rights (Kommission für Verstöße der Psychatrie gegen Menschenrechte) CDK Koordination der kurdischen demokratischen Gesellschaft in Europa 329 Anhang / Abkürzungsverzeichnis D DHKP-C Devrimci Halk Kurtulus Partisi-Cephe (Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front) DIG Deutsch-israelische Gesellschaft DKP Deutsche Kommunistische Partei DSA Departement of Special Affairs DWR Die wahre Religion E EA Ermittlungsausschuss EA Europäische Aktion EU Europäische Union EuGMR Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte F FSB Federalnaja Slushba Besopasnosti (ziviler Inlandsnachrichtendienst der Russischen Föderation) FV Furkan Egitim ve hizmet vakfi (Furkan-Gemeinschaft) G G 10 Meint das geltende Gesetz zu Artikel 10 Grundgesetz (Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses) GETZ Gemeinsames Extremismusund Terrorismusabwehrzentrum GG Grundgesetz GRU Glawnoje Raswedywatelnoje Uprawlenije (Russicher Militärgeheimdienst) 330 Anhang / Abkürzungsverzeichnis H HDP Halklarin Demokratik Partisi (Demokratische Partei der Völker) HmbBfDI Hamburgischer Beauftragter für Datenschutz und Informationsfreiheit HmbGVBl Hamburgisches Gesetzund Verordnungsblatt HmbSÜGG Hamburgisches Sicherheitsüberprüfungund Geheimschutzgesetz HmbVerfSchG Hamburgisches Verfassungsschutzgesetz HoGeSa Hooligans gegen Salafisten HuT Hizb ut-Tahrir; auch Hizb Al Tahrir al Islami I IAEO Internationale Atomenergie-Organisation IAS International Association of Scientologists IBD Identitäre Bewegung Deutschland IEUS Islamisch-Europäische Union der Schia-Gelehrten und Theologen IGS Islamische Gemeinschaft der schiitischen Gemeinden in Deutschland IL Interventionistische Linke IS Islamischer Staat ISIG Islamischer Staat in Irak und Großsyrien ISIS Islamischer Staat in Irak und Syrien IStI Islamischer Staat im Irak IZH Islamisches Zentrum Hamburg J JaN Jabhat al-Nusra 331 Anhang / Abkürzungsverzeichnis JN Junge Nationalisten JVA Justizvollzugsanstalt K KCDK-E Kongreya Civaken Demokratik en Kurdistaniyen li Ewropa (Kongress der kurdisch-demokratischen Gesellschaft in Europa) KCK Koma Civaken Kurdistan (Vereinigte Gemeinschaften Kurdistans) KON-KURD Konföderation der kurdischen Vereine in Europa KVPM Kommission für Verstöße der Psychiatrie gegen Menschenrechte L LfV Landesamt für Verfassungsschutz M MEK Volksmodjahedin Iran-Organisation MIT Milli Istihbarat Teskilati (Türkischer Nachrichtendienst) MHP Milliyetci Hareket Partisi (Partei der nationalistischen Bewegung) MKP Maoist Komünist Partisi (Maoistische Kommunistische Partei) MLKP Marksist Leninist Komünist Partisi (Kommunistische Partei der Türkei / Marxistisch-Leninistisch) MOIS Ministry of Intelligence and Security (Ministerium für Nachrichtenwesen Iran) N NADIS Nachrichtendienstliches Informationssystem NAV-DEM Navenda Civaka Demokratik (Demokratisches Gesellschaftszentrum der KurdInnen in Deutschland NGO Non-Governmental Organisation (Nichtregierungsorganisation) 332 Anhang / Abkürzungsverzeichnis NL Nationale Liste NPD Nationaldemokratische Partei Deutschlands NSU Nationalsozialistischer Untergrund NWRI Nationaler Widerstandsrat Iran O OLG Oberlandesgericht Org Scientology-Bezeichnung für "Scientology-Kirche" OSA Office of Special Affairs OSS Oldschool Society P PB! Chattia Pennale Burschenschaft Chattia Friedberg zu Hamburg PKA Parlamentarischer Kontrollausschuss PKK Partiya Karkeren Kurdistan (Arbeiterpartei Kurdistans) PMK Politisch Motivierte Kriminalität PYD Partiya YekitA(r)ya Demokrat (Partei der demokratischen Union) R RAH Roter Aufbau Hamburg RH Rote Hilfe e.V. RPF Rehabilitation Project Force RTC Religious Technology Center 333 Anhang / Abkürzungsverzeichnis S SBS Selbstbezichtigungsschreiben SCHURA Rat der islamischen Gemeinschaften in Hamburg e.V. SO Scientology-Organisation StGB Strafgesetzbuch SWR Sluschba wneschnei raswedki (Russischer Auslandsnachrichtendienst) T TAK Teyrebazen Azadiya Kurdistan (Freiheitsfalken Kurdistans) TKP/ML Türkiye Komünist Partisi / Marksist Leninist (Kommunistische Partei der Türkei / Marxistisch-Leninistisch) V V Verfassungsschutz (Kürzel im Organigramm des LfV) VND Verein Neue Demokratie VS Verschlusssachen VSB Verfassungsschutzbericht W WISE World Institute of Scientology Enterprise Y YPG Volksverteidigungseinheiten (Yekineyen Parastina Gel) YXK Yekitiya Xwendekaren Kurdistan (Verband der Studierenden in Kurdistan) Z ZMD Zentralrat der Muslime in Deutschland 334 Anhang / Stichwortverzeichnis Stichwortverzeichnis A asymmetrischer Krieg .................. 35 Atomwaffen Division Deutschland . Abdullah Öcalan ...............89, 91, 97 183 ABLE ..............................................237 Attentat ....................................38, 78 Abtrimo .......................188, 189, 344 Auslandsnachrichtendienst ......259, AfD ...111, 130, 132, 133, 134, 148, 261, 334 170, 171, 173, 189, 194, 195, 196, Ausreisen ........................................ 49 197, 198, 202, 206, 210, 214 Autonome 108, 113, 118, 124, 125, Aktionsbündnis gelber Schein .225, 129, 132 344 AVANTI .........................................135 Al-Azhari-Institut ....63, 65, 70, 340 Ali Khamenei .................................. 75 B al-Qaida ....................39, 40, 41, 340 Befugnisse ......20, 22, 23, 264, 283, Al-Quds .......................................... 79 286, 288, 290, 325, 326 Ansaar International e.V. ............. 53 Blood & Honour ..........................187 Antifa 309 ...........................131, 342 BRD-GmbH ...................................221 Antifa Altona Ost ....125, 131, 132, Bündnis gegen imperialistische 342 Aggression .................144, 146, 342 Antiimperialisten ......108, 113, 117, Bürgerwehr Freital ......................178 118, 124, 140 Anti Kohle Kidz Hamburg ..........137 C Antisemitismus ... 33, 65, 155, 168, Combat 18 .................148, 187, 344 176, 183, 199, 205, 224 Antiterrordatei ..................... 24, 329 D Applied Scholastics ..237, 239, 345 Dataport ..............................277, 278 Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) 36 David Miscavige ...........................232 Artgemeinschaft (AG-GGG) ......214 Der Flügel 170, 173, 194, 195, 196, Ashura ............................................. 73 197, 202, 206, 214, 344 as-Salaf as-Salih ............................ 48 DER III. WEG .......................189, 198 335 Anhang / Stichwortverzeichnis Der Weg zum Glücklichsein .....237, Furkan-Gemeinschaft .....54, 55, 56, 239, 242, 345 57, 68, 330, 340 Deutsche Kommunistische Partei ... Füxe ...............................................212 152, 330, 342 Dev Genc .............................101, 341 G Devrimci Halk Kurtulus Partisi-Cephe G20 ..112, 120, 121, 141, 142, 143, ............................................ 99, 330, 341 151, 267 Dianetik .........................................238 Geeinte deutsche Völker und Die Botschaft Verbreiten .... 51, 340 Stämme ................................224, 344 DIE LINKE ..........152, 157, 158, 160 Geheimschutz ...274, 276, 278, 279 DIE RECHTE ...............189, 198, 344 Generation Islam .....60, 63, 68, 340 Glawnoje Raswedywatelnoje E Uprawlenije .........................259, 330 Gruppe Freital ..............................178 Ehrenamtliche Geistliche ...........237 Gruppe für den organisierten Ende Gelände .............113, 137, 162 Widerspruch .......................139, 343 Entgrenzung ...55, 60, 71, 111, 112, Gruppe S ..............................178, 181 113, 124, 136, 160, 161, 170, 185, 198, 199, 205, 233 Grup Yorum .................. 87, 101, 341 Ermittlungsausschuss ......132, 151, Guerilla ............................................ 91 330, 342 Gülen-Bewegung .........................261 Europäische Aktion .148, 215, 330, 344 H F HAMAS .................................. 53, 340 Hamburger Burschenschaft Federalnaja Sluschba Ochrany Germania .............................211, 344 Rossijskoi Federazii ....................259 Hammerskin-Nation .186, 187, 344 Federalnaja Slushba Besopasnosti . 259, 330 Hijra ...........................................40, 41 Föderation der TürkischHizb Allah ... 71, 72, 73, 74, 82, 340 Demokratischen Idealistenvereine in Hizb ut-Tahrir ........ 46, 57, 331, 340 Deutschland e.V. .................103, 341 Freien ArbeiterInnen Union .......148 Fridays For Future .......................136 336 Anhang / Stichwortverzeichnis I K Identitäre Bewegung ........170, 172, KCDK-E ............92, 95, 98, 332, 341 206, 207, 331, 344 KCK ................................ 91, 332, 342 IL-Jugend Hamburg ...........137, 163 Koma Civaken Kurdistan ... 91, 332, Imam Ali-Moschee ..................78, 80 342 International Association of Kommission für Verstöße der Scientologists .....................236, 331 Psychiatrie gegen Menschenrechte 238, 239, 332, 345 Interventionistische Linke 111, 112, 135, 136, 142, 331, 343 Kommunistische Plattform ......157, 343 Interventionistische Linke Hamburg ............................................................135 Konföderation der kurdischen Vereine in Europa ........ 92, 332, 341 Irak ... 34, 35, 37, 39, 41, 42, 46, 49, 58, 78, 95, 331 Kongress der kurdischdemokratischen Gesellschaft in Iran ... 35, 36, 72, 74, 75, 76, 77, 78, Europa ........................... 92, 332, 341 79, 146, 247, 255, 332, 333 Koordination der kurdischIslamische Gemeinschaften in demokratischen Gesellschaft in Deutschland .................................340 Europa ............................................. 92 Islamischen Gemeinschaft der KRITIS ................263, 264, 265, 267 schiitischen Gemeinden in Deutschland e.V. ............................ 82 L Islamischer Staat ..... 34, 44, 50, 51, 331, 340 Libanon ....................... 71, 72, 73, 74 Islamisches Zentrum Hamburg e.V. Libertären H-Burg ......................148 74 Linksjugend ['solid] ...109, 157, 160 Israel .....58, 59, 71, 73, 77, 78, 146, 154, 155 LIZ e.V. ..................................148, 343 L. Ron Hubbard 229, 230, 232, 233, J 236, 237, 241 Jihad ..................... 36, 37, 40, 41, 50 M Jugend für Menschenrechte .....238, 345 Maoist Komünist Partisi .... 99, 332, 342 Junge Alternative ........................194 Marksist Leninist Komünist Partisi . Junge Nationalisten ..190, 332, 344 99, 332, 342 337 Anhang / Stichwortverzeichnis Märtyrer .......................... 43, 94, 102 P Marxistische Abendschule .......156, Partei der Nationalistischen 157, 343 Bewegung ............................103, 342 Marxistische Abendschule - Forum Pennale Burschenschaft Chattia für Politik und Kultur e.V. ..........157 Friedberg zu Hamburg ......213, 344 Marxistische Studierende Hamburg Perspektive Kommunismus ......142, .................................158, 159, 160, 343 143, 343 Merkel muss weg ......200, 214, 216 PKK .. 36, 86, 88, 89, 90, 91, 92, 93, Michel wach endlich auf ..197, 200, 94, 95, 96, 97, 98, 104, 261, 333, 202, 214, 344 341 Militärgeheimdienst ...........259, 330 Politisch motivierte Kriminalität 47, 89, 116, 174, 235 Muslim Interaktiv .......... 61, 62, 341 Proletarische Jugend Hamburg ....... N 144, 343 Proliferation ...............246, 251, 252 NADIS ........................24, 26, 27, 332 Narconon ......................................237 Q Nationaldemokratische Partei QAnon ................177, 221, 224, 225 Deutschlands .............189, 333, 344 Netzwerk Freiheit für alle politischen R Gefangenen ................144, 146, 343 Newroz-Fest ................................... 93 Realität Islam ................. 60, 63, 341 No pasaran Hamburg .......144, 145, Recep Tayyip Erdogan ......... 89, 261 343 Revolutionäre VolksbefreiungsparteiNSDAP ........................134, 183, 184 Front ............ 99, 100, 261, 330, 341 NSU .............. 24, 148, 181, 182, 333 Revolution Chemnitz .........178, 181 Rote Hilfe e.V. ....132, 150, 333, 343 O Roter Aufbau Hamburg ....102, 121, 126, 132, 141, 333, 343 Office of Special Affairs ..236, 239, 333 S orthodoxe Kommunisten ..108, 152 Sag Nein zu Drogen - Sag Ja zum Leben ...........................237, 239, 242 338 Anhang / Stichwortverzeichnis Salafismus .................. 47, 48, 49, 52 Volksgemeinschaft ............134, 184 Scientology Kirche Hamburg e.V. .... Volksislam ...................................... 48 239, 241, 345 Volksrat ................................100, 342 Sea Organization ........................237 Seebrücke Hamburg 113, 137, 139, W 158, 161, 162 Waffenaffinität ............................222 Slushba Wneschnej Raswedki ...259 Waterkant Antifa ...............142, 343 Souveränes Deutschland ..226, 344 Wirtschaftsspionage . 22, 246, 259, Sozialistische Alternative .158, 343 261, 263, 267 Sozialistische Deutsche WISE ............................237, 334, 345 Arbeiterjugend ..........153, 156, 343 Sozialistische Linke ...........157, 343 Y T Young Struggle ............................102 Tabligh-i Jamaat ................... 69, 341 Taifija .........................................71, 72 Tanzim Hurras al-Din ... 40, 41, 341 Taqwa-Moschee ................... 52, 341 Trotzkismus ..................................158 Türkiye Komünist Partisi .... 99, 261, 334, 342 U Ülkücü . 69, 86, 103, 104, 105, 329, 341, 342 United We Stand ......132, 150, 151, 343 V Verfassunggebende Versammlung . 226, 344 Volksfront ...................100, 154, 342 339 Anhang / Register Register zum Verfassungsschutzbericht 2019 In diesem Registeranhang sind die im vorliegenden Verfassungsschutzbericht genannten Gruppierungen aufgeführt, bei denen die vorliegenden tatsächlichen Anhaltspunkte in ihrer Gesamtschau zu der Bewertung geführt haben, dass die Gruppierung verfassungsfeindliche Ziele verfolgt, es sich mithin um eine extremistische Gruppierung handelt. Gruppierung / Organisation ISLAMISMUS Seite Al-Azhari-Institut 63 Al-Qaida (Kern al-Qaida) 39 Al-Qaida im islamischen Maghreb (AQM) 40 Ansaar International 53 Die Botschaft Verbreiten (DBV) 51 Furkan-Gemeinschaft (Furkan Egitim ve Hizmet Vakfi, FV) 54 Generation Islam (GI) 60 Hai'at Tahrir al-Scham (HTS, Komitee zur Befreiung der 40 Levante) HAMAS (Harakat al-Muqawama al-Islamiya, Islamischer 53 Widerstand) Hizb Allah 71 Hizb ut-Tahrir (HuT) 57 Islamisch-Europäischen Union der Schia-Gelehrten 82 und Theologen (IEUS) Islamische Gemeinschaften in Deutschland (IGS) 82 Islamischer Staat (IS) 34 Islamisches Zentrum Hamburg e.V. (IZH) 74 340 Anhang / Register Gruppierung / Organisation ISLAMISMUS Seite Muslim Interaktiv 61 Realität Islam (RI) 60 Tabligh-i Jamaat (TJ, Missionsgesellschaft) 69 Tanzim Hurras al-Din (THD) 40 Taqwa-Moschee 52 Gruppierung / Organisation Seite AUSLANDSBEZOGENER EXTREMISMUS Arbeiterpartei Kurdistans 90 (Partiya Karkeren Kurdistan, PKK) Anatolische Föderation 101 Demokratisches Gesellschaftszentrum der KurdenInnen in Deutschland (Navenda Civaka Demokratik ya Kurden li 92 Almanyaye, NAV-DEM) Dev Genc / Revolutionäre Jugend 101 Devrimci Halk Kurtulus Partisi-Cephe (DHKP-C, Revolutio99 näre Volksbefreiungspartei-Front) Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in Deutschland e.V. (Almanya Demokratik Ülkücü Türk 103 Dernekleri Federasyonu, ADÜTDF) Grup Yorum 87 Konföderation der kurdischen Vereine in Europa 92 (KON-KURD) Konföderation der Gemeinschaften Kurdistans in Deutsch92 land (KON-MED) Kongress der kurdisch-demokratischen Gesellschaft in Europa (Kongreya Civaken Demokratik a Kurdistaniyen Li 92 Ewropa, KCDK-E) Koordination der kurdischen demokratischen Gesellschaft 92 in Europa (CDK) 341 Anhang / Register Gruppierung / Organisation Seite AUSLANDSBEZOGENER EXTREMISMUS Maoist Komünist Partisi 99 (MKP, Maoistische Kommunistische Partei) Marksist Leninist Komünist Partisi 99 (MLKP, Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei) Partei der Nationalistischen Bewegung (Milliyetci Hareket 103 Partisi, MHP) Türkisches Kulturzentrum Hamburg e.V. 103 Türkiye Komünist Partisi / Marksist Leninist (TKP/ML, Kom99 munistische Partei der Türkei/Marxistisch-Leninistisch) Ülkücü-Bewegung 103 Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans (Koma Civaken 91 Kurdistan - KCK) Volksfront (Halk Cphesi) 100 Volksrat (Halk Meclisi) 100 Volksverteidigungseinheiten (Yekineyen Parastina Gel, YPG) 36 Gruppierung / Organisation LINKSEXTREMISMUS Seite Antifa 309 131 Antifa Altona Ost 131 Bündnis gegen imperialistische Aggression (BgiA) 144 Deutsche Kommunistische Partei (DKP) 152 Ermittlungsausschuss (EA) 151 Freie ArbeiterInnen Union (FAU) 148 342 Anhang / Register Gruppierung / Organisation LINKSEXTREMISMUS Seite Gruppe für den organisierten Widerspruch (GROW) 139 Interventionistische Linke (IL) 135 junges Hamburg e.V. 141 Klassenkultur e.V. 141 Kommunistische Plattform (KPF) 157 Libertäres H-Burg 148 Libertäres Zentrum (LIZ e.V.) 148 Linksjugend ['solid] 157 Marxistische Abendschule (MASCH e.V.) 156 Marxistische Abendschule -Forum für Politik und 157 Kultur e.V. Marxistische Studierende Hamburg 158 Netzwerk Freiheit für alle politischen Gefangenen 144 (Netzwerk) No pasaran Hamburg 145 Perspektive Kommunismus 142 Proletarische Jugend Hamburg (PJH) 144 Roter Aufbau Hamburg (RAH) 141 Rote Hilfe e.V. (RH) 150 Sozialistische Alternative (SAV) 158 Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend (SDAJ) 152 Sozialistische Linke (SL) 157 United We Stand (UWS) 151 Waterkant Antifa 142 343 Anhang / Register Gruppierung / Organisation RECHTSEXTREMISMUS Seite Abtrimo 188 Artgemeinschaft - Germanische -Glaubensgemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung e.V. 214 (Artgemeinschaft-GGG) Combat 18 (C18) 187 Der Flügel 194 Der III. Weg 198 DIE RECHTE 198 (Ehemalige) Europäische Aktion (EA) 215 Hamburger Burschenschaft Germania (HB! Germania) 211 Hammerskin-Nation 186 Identitäre Bewegung Deutschland (IBD) 206 Junge Nationalisten (JN) 194 "Michel wach endlich auf" - Organisationsteam 214 Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) 189 Pennale Burschenschaft Chattia Friedberg zu Hamburg 213 (PB! Chattia) Gruppierung / Organisation Seite REICHSBÜRGER UND SELBSTVERWALTER Aktionsbündnis gelber Schein 225 Geeinte deutsche Völker und Stämme (GdVuSt) 224 Souveränes Deutschland 226 Verfassunggebende Versammlung (VV) 226 344 Anhang / Register Gruppierung / Organisation SCIENTOLOGY Seite ABLE (Association of Better Living and Education) 237 Applied Scholastics 239 Der Weg zum Glücklichsein 237 Ehrenamtliche Geistliche 237 Jugend für Menschenrechte 238 NARCONON 237 Kommission für Verstöße der Psychiatrie gegen Men239 schenrechte (KVPM) Sag Nein zu Drogen - Sag Ja zum Leben 239 Scientology Kirche Hamburg e.V. 238 World Institute of Scientology Enterprises (WISE) 237 AUGEN AUF HAMBURG 345 Notizen AUGEN AUF HAMBURG Notizen AUGEN AUF HAMBURG