VERFASSUNGSSCHUTZBERICHT 2019 Verfassungsschutzbericht 2019 Landesamt für erfassungsschutz Hamburg AUGEN AUF HAMBURG Im Text finden Sie vielfach die Symbole und www Das Sinnbild "Buch" verweist auf eine Fundstelle in diesem Verfassungsschutzbericht. Das Symbol "Weltkugel" bedeutet, dass es zu dem Thema weitere Informationen auf unseren Internetseiten gibt. Unter www.hamburg.de/verfassungsschutz finden Sie regelmäßig aktuelle Informationen über alle Arbeitsfelder des Hamburger Verfassungsschutzes. Impressum / Herausgeber: Freie und Hansestadt Hamburg Behörde für Inneres und Sport Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) Johanniswall 4, 20095 Hamburg Telefon: 040 / 24 44 43 Telefax: 040 / 33 83 60 Internet: www.hamburg.de/verfassungsschutz E-Mail-Adresse des LfV: poststelle@verfassungsschutz.hamburg.de E-Mail Öffentlichkeitsarbeit: info@verfassungsschutz.hamburg.de Auflage Juli 2020: 1.500 Exemplare Redaktionsschluss: 01.06.2020 - Irrtümer und Druckfehler vorbehalten In Teilen wurden Erkenntnisse aus dem Jahr 2020 aufgenommen. Fotos/Illustrationen: LfV HH, Wikimedia commons, Wikipedia, Pixabay, dpa Umschlagbild: Foto-Select/Adobe Stock Satz/Layout: Landesamt für Verfassungsschutz Druck: Vorwort Vo r w o r t Innensenator Andy Grote zum Verfassungsschutzbericht 2019 Liebe Leserinnen und Leser, es sind außergewöhnliche Zeiten. Das Corona-Virus hat unser Zusammenleben mit einem Schlag auf den Foto: Bina Engel Kopf gestellt. Die Einschränkungen, die wir aktuell erleben müssen, hat es in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland so noch nicht gegeben. Innensenator Andy Grote Inzwischen gibt es zwar Schritt für Schritt wieder Lockerungen, die Situation ist und bleibt aber eine Herausforderung für uns alle. Trotzdem glaube ich, dass bei vielen Menschen ein Bewusstsein dafür entstanden ist, wofür eine starke solidarische Gesellschaft gut ist. Gleichzeitig erleben wir aber auch, wie Extremisten versuchen, in dieser Krise Unsicherheit zu schüren und das Vertrauen in staatliche Institutionen zu untergraben. Auch wenn Hamburg bisher noch kein Schwerpunkt dieser Aktivitäten ist, wird unser Verfassungsschutz die Entwicklung aufmerksam im Auge behalten. Wir blicken mit 2019 auf ein Jahr zurück, das uns als Gesellschaft im Innersten getroffen hat. Die Ermordung des Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke, der Anschlag in Halle, bei dem am Feiertag Jom Kippur ein Blutbad in einer Synagoge zwar misslang, jedoch zwei Menschen getötet wurden. Und im Februar 2020 die Anschläge in Hanau, wo aus rassistischen und fremdenfeindlichen Motiven neun Menschen erschossen wurden. All das waren auch gezielte Angriffe auf unsere freie, demokratische und offene Gesellschaft - 70 Jahre nach Gründung der Bundesrepublik Deutschland. Am 23. Mai 1949 verkündete der Parlamentarische Rat in Bonn feierlich das Grundgesetz. An diesem Tag legten die Mütter und Väter unserer Verfassung das Fundament unseres heutigen gesellschaftlichen Zusammenlebens: Grundrechte, parlamentarische Demokratie, Gewaltenteilung und Rechtsstaat sind die wichtigsten Eckpfeiler. Aber unsere Demokratie ist nicht unverwundbar, sie muss sich immer wieder behaupten, gerade heute. 3 Vorwort Das haben uns nicht zuletzt Kassel, Halle und Hanau schmerzlich vor Augen geführt. Die Bedrohung durch den Rechtsextremismus hat im vergangenen Jahr eine neue Qualität erreicht. Das fordert uns heraus - als Gesellschaft und als Staat. Wir erleben Einschüchterungen und Bedrohungen von Andersdenkenden und auch von politischen Amtsträgern. Das wirkt sich auf den politischen Diskurs aus, damit ist ein Lebensnerv unserer Demokratie getroffen. Um dieser Entwicklung entschlossen und wirkungsvoll entgegenzutreten, brauchen wir die ganze Kraft der demokratischen Gesellschaft und wir brauchen einen starken und gut aufgestellten Verfassungsschutz. Seit 2015 konnten wir die Stellenanzahl beim Landesamt für Verfassungsschutz Hamburg um ein Drittel erhöhen. Das ist bundesweit einmalig und zeugt von der Bedeutung des Verfassungsschutzes für die Sicherheit der Menschen in Hamburg und dem Vertrauen, das die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Senat und Bürgerschaft genießen. Indes kommen weitere Herausforderungen hinzu: So müssen wir rechtsextreme Strukturen und Netzwerke im Internet noch stärker aufdecken. Die neue Spezialeinheit des Hamburger Verfassungsschutzes dient der verstärkten Beobachtung und Aufklärung dieser Verbindungen. Wir können den Rechtsextremismus nur länderübergreifend effektiv bekämpfen. Eine enge Abstimmung der Sicherheitspolitik war deshalb auch Ziel der Konferenz der norddeutschen Innenminister und -senatoren am 11. November 2019 bei uns in Hamburg. Neben einer konsequenten Weiterentwicklung eines gemeinsamen Lagebildes zum Rechtsextremismus werden wir auch die Analyse und Aufklärung rechtsextremistischer Strukturen, Netzwerke und Einzelpersonen im Internet besser koordinieren und die Früherkennung von Risikopotenzialen verbessern. Auch weitere Bestrebungen richten sich gezielt gegen die Werteordnung unseres Grundgesetzes. Das beobachten wir in Deutschland insgesamt, aber eben auch bei uns in Hamburg. Neben Rechtsextremisten bedrohen auch Linksextremisten, Islamisten, Extremisten mit Auslandsbezug, aber auch sogenannte Reichsbürger, Selbstverwalter und Scientologen unsere Demokratie. Eine weitere relevante Gefahr besteht in Attacken und Ausspähversuchen fremder Nachrichtendienste auf Wirtschaft und Politik. 4 Vorwort Innerhalb des Linksextremismus sind Radikalisierungsentwicklungen erkennbar. Die Qualität der Anschläge auf Leib, Leben und Eigentum anderer Menschen hat eine neue Stufe erreicht. Wir sehen unter anderem gezielte schwere Körperverletzungen gegen Polizeibeamte, in Leipzig einen gewalttätigen Überfall auf eine Mitarbeiterin einer Immobilienfirma. Auch in Hamburg sinkt die Hemmschwelle der linksextremistischen Szene. Ich denke hier insbesondere an den Brandanschlag auf zwei Fahrzeuge im unmittelbaren Wohnumfeld des Chefs der Senatskanzlei und an die drei Linksextremisten, die mit fertigen Brandsätzen und Adressen einer Senatorin und zweier Immobilienfirmen nachts, mutmaßlich kurz vor der Tat, in Hamburg unterwegs waren. Sie konnten rechtzeitig festgenommen werden. Eine der größten Herausforderungen besteht weiter darin, dass Extremisten gezielt versuchen, Grenzen zwischen verfassungsfeindlichem und legitimem demokratischen Engagement zu verwischen. Dabei werden Themen und Debatten, die gesellschaftlich akzeptiert sind, gezielt missbraucht, um zur Mitte der Gesellschaft anschlussfähig zu sein. Das gilt für alle Bereiche des Extremismus. Diese Entwicklung frühzeitig zu erkennen und darüber zu informieren ist eine der wichtigsten Aufgaben des Verfassungsschutzes. Ein Beispiel, wie sich Linksextremisten das Thema Umweltund Klimaschutz zunutze machen wollten, waren im vergangenen Jahr die bisher gescheiterten Versuche der gewaltorientierten "Interventionistischen Linken" (IL), die Protestbewegung "Fridays for Future" zu unterwandern. Ein weiterer Beleg dafür, wie wichtig die breite Information der Öffentlichkeit über die antidemokratischen Ziele solcher und anderer Linksextremisten und von ihr beeinflusster Gruppierungen wie "Ende Gelände" oder "Seebrücke" ist. Auch Islamisten versuchten im Jahr 2019, ihr extremistisches Weltbild in die Mitte der Gesellschaft zu tragen. Ein aktuelles Beispiel ist eine Veranstaltungsreihe des islamistischen "Al-Azhari-Instituts", die für Ende März 2020 geplant war. Mit dem Angebot, das sich gezielt an Behörden, Lehrkräfte und Schulklassen richtete, sollten vorgeblich die interkulturelle Arbeit und der interreligiöse Dialog gefördert werden. Tatsächlich steht dahinter aber ein Islamverständnis, das nicht mit unserer freiheitlich demokratischen Grundordnung vereinbar ist. Der Hamburger Verfassungsschutz informierte umfänglich über die extremistischen Bezüge. 5 Vorwort Anfang 2019 konnte eine Strategie der islamistischen Hizb-ut Tahrir (HuT), neue Mitglieder über die Gründung eines Fußballvereins anzuwerben, öffentlich gemacht werden. Der Verein "Adil e.V." sollte auch die Akzeptanz in der muslimischen Community in Wilhelmsburg erhöhen. Die umfangreiche mediale Berichterstattung führte schließlich zur Selbstauflösung des Vereins. All das sind Gefahren, die unsere freiheitliche und demokratische Gesellschaft bedrohen. Aber wir stehen diesen Gefahren nicht wehrlos gegenüber. Nach den Erfahrungen der Weimarer Demokratie haben die Mütter und Väter des Grundgesetzes bewusst zahlreiche Schutzmechanismen eingebaut. Das Grundgesetz steht für eine wehrhafte und streitbare Demokratie. Ein wichtiges Instrument in dieser Struktur ist der Verfassungsschutz. Anlässlich des 70. Geburtstages unseres Grundgesetzes veranstaltete unser Verfassungsschutz am 23. Mai 2019 ein viel beachtetes Symposium mit Vorträgen und Diskussionen. Hochrangige Impulsgeber und Podiumsgäste sorgten im Galionsfiguren-Saal des Altonaer Museums mit 120 Teilnehmerinnen und Teilnehmern aus Politik, Gesellschaft, Behörden und Medien für einen anspruchsvoll-kritischen Austausch über unsere Verfassung und ihren Schutz. Ein weiterer Meilenstein war die Aktualisierung und Modernisierung des Hamburgischen Verfassungsschutzgesetzes, das Sie auch im Anhang in seiner neuen Fassung finden. Es galt unter anderem, im Sinne unserer abwehrbereiten Demokratie, dem Verfassungsschutz die aktuell notwendigen Instrumente zur Verfügung zu stellen, um unser Frühwarnsystem der Demokratie auch für die Zukunft leistungsfähig und gerüstet zu halten. Ich wünsche allen Leserinnen und Lesern des Verfassungsschutzberichts 2019 eine ebenso interessante wie erkenntnisreiche Lektüre. Andy Grote Präses der Behörde für Inneres und Sport der Freien und Hansestadt Hamburg 6 Verfassungsschutz in Hamburg Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Gruppierungen mit Auslandsbezug Linksextremismus Rechtsextremismus Reichsbürger und Selbstverwalter Scientology-Organisation Spionageabwehr und Wirtschaftsschutz Geheimund Sabotageschutz Anhang Inhaltsverzeichnis INHALTSVERZEICHNIS Impressum 2 Vorwort 3 I. Verfassungsschutz in Hamburg 1. Verfassungsschutz und Demokratie 17 2. Gesetzliche Grundlage 18 3. Aufgaben des Verfassungsschutzes 19 4. Arbeitsweise und Befugnisse des Verfassungsschutzes 21 5. Informationsverarbeitung 23 6. Kontrolle 24 7. Strukturdaten, Regelanfragen und Überprüfungen 25 8. Organigramm des LfV Hamburg 28 II. Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten 1. Entwicklungen und Schwerpunkte 33 2. Potenziale 43 3. Politisch motivierte Kriminalität 45 4. Salafismus 45 5. Furkan-Gemeinschaft 51 6. Hizb ut-Tahrir 55 7. Sonstige Aktivitäten von Islamisten in Hamburg 60 8. Schiitischer Islamismus 64 8.1. Hizb Allah 64 8.2. Iranische Islamisten 67 9 Inhaltsverzeichnis III. Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Gruppierungen mit Auslandsbezug 1. Entwicklungen und Schwerpunkte 79 2. Potenziale 80 3. Politisch motivierte Kriminalität (PMK) 83 4. PKK (Arbeiterpartei Kurdistans) 84 4.1. Entwicklungen und Organisatorisches 84 4.2. Aktivitäten und Schwerpunkte in Deutschland 85 4.3. Situation in Hamburg 87 5. Weitere türkische extremistische Gruppierungen 92 5.1. Revolutionär-marxistische Gruppierungen 92 5.2. ADÜTDF/Türkische Nationalisten 95 IV. Linksextremismus 1. Entwicklungen und Schwerpunkte 101 2. Potenziale 104 3. Politisch motivierte Kriminalität (PMK) 107 4. Militanzdebatte und linksextremistische Gewalt 108 5. Linksextremistische Strukturen in Hamburg 115 5.1. Gewaltorientierte Gruppen und Strukturen 115 5.1.1. Autonome Szene ("Rote Flora") 116 5.1.2. Autonome Antifa-Gruppen 118 5.1.3. Postautonome Gruppen 125 5.1.3.1. Interventionistische Linke Hamburg (IL HH) 125 5.1.4. Antiimperialistische Gruppen 128 5.1.4.1. Roter Aufbau Hamburg (RAH) 129 5.1.4.2. Sonstige antiimperialistische Gruppierungen 130 10 Inhaltsverzeichnis 5.1.5. Anarchisten 133 5.2. Antirepression 134 5.2.1. Rote Hilfe e.V. (RH) / United We Stand (UWS) 134 5.3. Orthodoxe Kommunisten und andere revolutionäre Marxisten 137 5.3.1. DKP Hamburg, SDAJ Hamburg und trotzkistische Gruppierungen 137 5.3.2. Extremistische Teilstrukturen in der Partei "DIE LINKE" 139 6. Spektrenübergreifende Inhalte 140 6.1. Entgrenzung des Linksextremismus 140 6.2. Kampfsportveranstaltungen 143 V. Rechtsextremismus 1. Entwicklungen und Schwerpunkte im Überblick 149 1.1. Nord-IMK - Lagebilder der Küstenländer 151 1.2. AfD-Teilorganisation "Der Flügel" 151 2. Potenziale 152 3. Politisch motivierte Kriminalität (PMK) 155 4. Rechtsextremistische Gewalt und Rechtsterrorismus 157 5. Neonazismus 163 6. Subkulturell geprägte Rechtsextremisten und rechtsextremistische Musikszene 165 7. Rechtsextremistische Parteien 169 7.1. Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) 169 7.1.1. Junge Nationalisten (JN) 173 7.1.2. Die NPD in Hamburg 173 7.2. Sonstige rechtsextremistische Parteien 175 8. Entgrenzung des Rechtsextremismus 176 8.1. Bedeutung des Internet 178 11 Inhaltsverzeichnis 8.2. Identitäre Bewegung Deutschland (IBD) 179 8.3. Rechtsextremistische Burschenschaften 184 8.3.1. Hamburger Burschenschaft Germania (HB! Germania) 184 8.3.2. Pennale Burschenschaft Chattia Friedberg zu Hamburg (PB! Chattia) 186 8.4. "Merkel-muss-weg"-Kampagne 186 9. Sonstige rechtsextremistische Organisationen und Bestrebungen 187 9.1. Artgemeinschaft - Germanische Glaubensgemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung e.V. (AG-GGG) 187 9.2. Ehemalige Europäische Aktion 188 VI. Reichsbürger und Selbstverwalter 1. Allgemeines/Ideologie 193 2. Potenziale 195 3. Waffenaffinität 196 4. Aktivitäten 197 VII. Scientology-Organisation 1. Entwicklungen und Schwerpunkte 203 2. Potenzial 207 3. Politisch motivierte Kriminalität (PMK) 208 4. Strukturen und Organisationseinheiten 209 5. Strukturen in Hamburg 211 6. Aktivitäten 213 VIII. Spionageabwehr und Wirtschaftsschutz 1. Überblick 219 2. Nachrichtendienste Mittlerer und Naher Osten / Proliferation 222 12 Inhaltsverzeichnis 2.1. Proliferation 222 2.1.1. Festnahmen, Verurteilungen und sonstige Maßnahmen 223 2.2. Nachrichtendienste der Islamischen Republik Iran 224 2.2.1. Festnahmen, Verurteilungen und sonstige Maßnahmen 225 3. Nachrichtendienste der Russischen Föderation 226 3.1. Festnahmen, Verurteilungen und sonstige Maßnahmen 228 4. Nachrichtendienst der Republik Türkei 228 5. Nachrichtendiente der Volksrepublik China 229 6. Gefahren durch Wirtschaftsspionage und Cyberattacken 230 IX. Geheimund Sabotageschutz 1. Grundsätzliches 239 2. Geheimschutz 240 2.1. Personeller Geheimschutz 240 2.2. Materieller Geheimschutz 242 3. Vorbeugender personeller Sabotageschutz 243 4. Schutz von IT-Systemen und Kommunikationsstrukturen 244 X. Anhang Hamburgisches Verfassungsschutzgesetz 247 Abkürzungsverzeichnis 293 Stichwortverzeichnis 299 Auflistung extremistischer Organisationen und Gruppierungen 304 13 Verfassungsschutz in Hamburg Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Gruppierungen mit Auslandsbezug Linksextremismus Rechtsextremismus Reichsbürger und Selbstverwalter Scientology-Organisation Spionageabwehr und Wirtschaftsschutz Geheimund Sabotageschutz Anhang Bestrebung Bestrebungen sind zielgerichtete Aktivitäten von Einzelpersonen und Personenzusammenschlüssen. Extremistische Verfassungsschutz Bestrebungen im Sinin Hamburg ne des Verfassungsschutzgesetzes sind Aktivitäten mit der Zielrichtung, die Grundwerte der freiheitlichen Demokratie zu beseitigen. Dazu gehören Vorbereitungshandlungen, Agitationen Sicherheitsgefährdende und Gewaltakte. und extremistische Bestrebungen von Islamisten Radikalismus / Extremismus Sicherheitsgefährdende und extremistische Das Wort "Radikalismus"Bestrebungen leitet sich von vonGruppierungen der lateinischen Bezeichnung mit Auslandsbezug "radix" ("Wurzel") ab und bezeichnet politische Richtungen, welche die bestehende politische und gesellschaftliche Ordnung grundlegend ("bis an die Wurzel gehen") verändern, aber nicht beseitigen möchten. AnwenLinksextremismus dung von Gewalt wird dabei in der Regel ausgeschlossen. Eine radikale Einstellung kollidiert insofern nicht zwangsläufig mit einer demokratischen Einstellung. Gruppierungen mit lediglich radikalen Einstellungen werden daher, im Gegensatz zu Extremisten, nicht vom VerfassungsRechtsextremismus schutz beobachtet. Der Begriff "Extremismus" basiert auf den Begriffen "extremus" ("entReichsbürger und Selbstverwalter ferntest, ärgste, gefährlichste") und "extremitas" ("äußerster Punkt, Rand"). Als extremistisch gelten Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind und diese beseitigen wollen. Extremismus ist oft mit Scientology-Organisation exklusivem Wahrheitsanspruch, Dogmatismus, Streben nach gesellschaftlicher Kontrolle, Freund-Feind-Denken sowie der fundamentalen Umwälzung der bestehenden Verhältnisse verbunden. Extremisten befürworten oder benutzen häufig Gewalt als Mittel zur Spionageabwehr und Wirtschaftsschutz Durchsetzung ihrer ideologischen Ziele. Extremistische Bestrebungen werden daher vom Verfassungsschutz beobachtet. Geheimund Sabotageschutz Terrorismus Terrorismus ist nach der Definition der Verfassungsschutzbehörden der nachhaltig geführte Kampf für politische Ziele, die mit Hilfe von AnschläAnhang gen auf Leib, Leben und Eigentum anderer Menschen durchgesetzt werden sollen, insbesondere durch schwere Straftaten, wie sie in SS 129 a Absatz 1 Strafgesetzbuch genannt sind, oder durch andere Straftaten, die zur Vorbereitung solcher Straftaten dienen. Verfassungsschutz in Hamburg I. Verfassungsschutz in Hamburg 1. Verfassungsschutz und Demokratie Nach den Erfahrungen mit der von Extremisten verschiedener politischer Lager bekämpften Weimarer Demokratie enthält das Grundgesetz (GG) der am 23. Mai 1949 gegründeten Bundesrepublik Deutschland - dem Prinzip der wehrhaften Demokratie folgend - grundlegende Schutzmechanismen gegen Gefährdungen der Verfassung und ihre wesentlichen Systemund Werteentscheidungen. Dazu gehören: f die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, f die Volkssouveränität, f die Gewaltenteilung, f die Verantwortlichkeit der Regierung, f die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, f die Unabhängigkeit der Gerichte, f das Mehrparteienprinzip, f die Chancengleichheit für alle politischen Parteien und das Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition. Zu den Schutzmechanismen gehören im Wesentlichen: f die Unabänderlichkeit der in den Artikeln 1 und 20 GG niedergelegten elementaren Verfassungsgrundsätze, f das Verbot von Parteien und sonstigen Vereinigungen wegen verfassungswidriger Aktivitäten (Artikel 21 Absatz 2 GG und Artikel 9 Absatz 2 GG), f Ausschluss von der Parteienfinanzierung (Artikel 21 Absatz 3 GG), f die Verwirkung von Grundrechten, wenn diese zum Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung missbraucht werden (Artikel 18 GG), 17 Verfassungsschutz in Hamburg f die Pflicht der Angehörigen des Öffentlichen Dienstes zur Verfassungstreue (Artikel 5 Absatz 3 und Artikel 33 Absatz 5 GG in Verbindung mit den beamtenrechtlichen Vorschriften), f die Verfolgung von Straftaten, die sich gegen den Bestand des Staates, seine verfassungsmäßigen Einrichtungen, das Funktionieren des Staatsapparates und andere lebenswichtige Staatsinteressen richten (Staatsschutzdelikte). Zentrale Aufgabe des Verfassungsschutzes ist die Beobachtung von Bestrebungen und Tätigkeiten, die die Werteentscheidungen der Verfassung beseitigen wollen oder den Bund, die Länder oder deren Einrichtungen in ihrer Funktionsfähigkeit erheblich zu beeinträchtigen beabsichtigen (SS 1 Absatz 1, SS 4 und SS 5 des Hamburgischen Verfassungsschutzgesetzes ( siehe Anhang HmbVerfSchG) sowie Artikel 73 Nummer 10 b und Artikel 87 Absatz 1 Satz 2 GG, SS 2 Absatz 2 Bundesverfassungsschutzgesetz). 2. Gesetzliche Grundlage Das Hamburgische Verfassungsschutzgesetz (HmbVerfSchG) ist die wichtigste gesetzliche Grundlage für die Arbeit des Landesamtes für Verfassungsschutz Hamburg (LfV). Das LfV ist wie jede andere Behörde auch bei der Erfüllung seiner Aufgaben an Gesetz und Recht gebunden. Bei Eingriffen in die Rechte der Bürgerinnen Hamburgisches und Bürger muss der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt Verfassungsschutzgesetz werden. Die Gesetze auf dem Gebiet des Verfassungsschutzes wurden im Jahr 2020 novelliert (siehe Artikel 1 des Gesetzes vom 24. Januar 2020 [Hamburgisches Gesetzund Verordnungsblatt, S. 99], verkündet am 11. Februar 2020, in Kraft getreten am 1. April 2020). Die Novellierung dient der Fortentwicklung des HmbVerfSchG, des Hamburgischen Sicherheitsüberprüfungsund Geheimschutzgesetzes (HmbSÜGG) und des Hamburgischen Gesetzes zur Ausführung des Artikel 10-Gesetzes (HmbG10AusfG). Dies geschah nach den Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts sowie zur Anpassung dieser Gesetze an die geänderten Gesetze des Bundes im Bereich des Verfassungsschutzes und des Hamburgischen Datenschutzgesetzes (HmbDSG) unter Berücksichtigung der EU-Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) vom 27. April 2016. 18 Verfassungsschutz in Hamburg Das HmbVerfSchG wurde beispielhaft wie folgt geändert: Die neue datenschutzrechtliche Terminologie wird zur Anwendung gebracht. Zudem wird eine normenklare Befugnis zur Quellen-TKÜ geschaffen. Die Regelungen zu Datenverarbeitungen in Akten und amtseigenen Dateisystemen werden den entsprechenden Regelungen im Bundesrecht angepasst. Die Möglichkeit der elektronischen Aktenführung wird geschaffen. Die gesetzlichen Befugnisse zur Verarbeitung von Daten Minderjähriger werden ebenso wie die Offenlegungsvorschriften modernisiert. Im Hinblick auf die unmittelbare Nichtanwendbarkeit der DSGVO werden die allgemeinen Datenschutzvorschriften für anwendbar erklärt, soweit sie mit dem Auftrag und der Arbeitsweise des LfV in Einklang stehen, im Übrigen werden bereichsspezifische Regelungen insbesondere des Bundesverfassungsschutzgesetzes (BVerfSchG) übernommen. Das aktuelle HmbVerfSchG finden Sie im Anhang zu diesem Bericht. 3. Aufgaben des Verfassungsschutzes Hauptaufgabe des LfV ist nach SS 4 Absatz 1 Satz 1 HmbVerfSchG die Sammlung und Auswertung von Informationen über: f Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziele haben, f sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten für eine fremde Macht in der Bundesrepublik Deutschland, f Bestrebungen in der Bundesrepublik Deutschland, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, f Bestrebungen in der Bundesrepublik Deutschland, die gegen den Gedanken der Völkerverständigung (Artikel 9 Absatz 2 GG), insbesondere gegen das friedliche Zusammenleben der Völker (Artikel 26 Absatz 1 GG) gerichtet sind. 19 Verfassungsschutz in Hamburg Der Hamburger Verfassungsschutz wertet die mit offenen oder nachrichtendienstlichen Mitteln (siehe Punkt 4 dieses Kapitels) gewonnenen Erkenntnisse aus und informiert im Rahmen seiner gesetzlich festgelegten Aufgaben über entsprechende Gefahren. Dazu zählen die Informationsverpflichtung gegenüber dem Senat und die Weitergabe von Informationen an weitere zuständige staatliche Stellen. In seiner Funktion als Frühwarnsystem der wehrhaften Demokratie ist die Information der Öffentlichkeit über extremistische Bestrebungen eine weitere wichtige Aufgabe des LfV. Dies geschieht durch: f den jährlichen Verfassungsschutzbericht, f weitere Publikationen, f Informationsund Diskussionsveranstaltungen, f Ausstellungen und Symposien, f Vorträge, f aktuelle Pressemitteilungen und Berichte auf der Internetseite, f Medienstatements und Interviews. So organisierte das LfV Hamburg anlässlich des 70. Geburtstages des Grundgesetzes ein Symposium unter dem Motto "70 Jahre Verfassung - 70 Jahre Schutz", das am 23. Mai 2019 im Altonaer Museum stattfand. Vor rund 120 geladenen Gästen aus Politik, Gesellschaft, Wirtschaft, Wissenschaft, Verwaltung und Medien sprachen der Präses der Behörde für Inneres und Sport, Andy Grote, der Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz, Thomas Haldenwang, der WELTHerausgeInnensenator Andy Grote beim Interview ber und ehemalige zum Symposium. Im Hintergrund Thomas Haldenwang (Präsident BfV). SPIEGELChefredakteur, Stefan Aust, und der Leiter des Landesamtes für Verfassungsschutz Hamburg, Torsten Voß. Bei der anschließenden Podiumsdiskussion unter dem Tenor "Stumpfe Klinge oder scharfes Schwert? Welche Rolle spielt der Verfassungsschutz bei künftigen Herausforderungen?" diskutierten Antje Torsten Voß während seiner Rede. Möller, ehemalige innenpolitische Spreche20 Verfassungsschutz in Hamburg rin GRÜNE Hamburg, der Leiter des Rechercheverbunds NDR, WDR, Süddeutsche Zeitung, Georg Mascolo, Stefan Aust und Torsten Voß. Durch die www Veranstaltung führte Moderatorin Anke Harnack (siehe www.hamburg.de/ verfassungsschutz). Arbeitsfelder Arbeitsfelder sind Rechtsund Linksextremismus, extremistische Bestrebungen von Gruppierungen mit Auslandsbezug, die Spionagetätigkeit fremder Nachrichtendienste und die Wirtschaftsspionage, die Scientology-Organisation sowie Reichsbürger und Selbstverwalter. Einen besonderen Beobachtungsschwerpunkt bilden seit 2001 der Islamismus und der islamistisch motivierte Terrorismus. Bei Straftaten und Gefahren in den genannten Beobachtungsbereichen des Extremismus darf der Verfassungsschutz - grundsätzlich anders als die Polizei - bereits im Vorfeld konkreter Verdachtsmomente tätig werden. Geheimund Sabotageschutz gehören zu den weiteren Aufgaben des Verfassungsschutzes. 4. Arbeitsweise und Befugnisse des Verfassungsschutzes Die Informationen, die das LfV zur Wahrnehmung seiner Aufgaben benötigt, beschafft es zum Teil aus offen zugänglichen Quellen. Diese stehen grundsätzlich auch jedem Bürger zur Verfügung, vorrangig aus dem Internet, aus Zeitungen und Zeitschriften, Broschüren, Flugblättern, Archiven und aus Unterlagen anderer staatlicher Stellen. Neben der offenen Informationsgewinnung darf das LfV auch Informationen mit nachrichtendienstlichen Mitteln verdeckt erheben. Zu diesen Mitteln, die in SS 8 Absatz 2 HmbVerfSchG aufgezählt sind, gehören beispielsweise die Führung von Vertrauensleuten (Quellen), die planmäßige Observation, Bildund Tonaufzeichnungen und - nach Maßgabe des Artikel 10-Gesetzes - die Überwachung des Brief-, Postund Fernmeldeverkehrs. Bereits im Jahr 2002 wurden im Rahmen der Umsetzung des Terrorismusbekämpfungsgesetzes die Befugnisse des Landesamtes in wichtigen Punkten erweitert. Dies war eine Folge der Terroranschläge vom 11. September 2001 in den USA. Zu den Befugnissen zählt unter anderem das Mittel der 21 Verfassungsschutz in Hamburg Finanzermittlung, um zum Beispiel Geldtransfers im Zusammenhang mit der Finanzierung des islamistischen Terrorismus aufdecken zu können. Öffentliche Quellen Nachrichtendienstliche Zusammenarbeit Mittel POLIZEI Internet Observation Gemeinsames Fernsehen Bildaufzeichnung TerrorismusabwehrRundfunk Tonaufzeichnung zentrum (GTAZ) Zeitungen Vertrauensleute Informationsaustausch Archive Überwachung des gem. HmbVerfSchG Flugblätter/Flyer Brief-, Postund Keine WeisungsbeBroschüren Fernmeldeverkehrs fugnis an polizeiliche staatliche Stellen Finanzermittlung Dienststellen und weitere Quellen und weitere Mittel Keine Angliederung an pol. Dienststellen Dem LfV stehen im Übrigen weder polizeiliche Befugnisse noch Weisungsbefugnisse gegenüber polizeilichen Dienststellen zu, noch darf es die Polizei im Amtshilfeweg veranlassen, Maßnahmen zu ergreifen, zu denen es selbst nicht befugt ist. Das LfV darf nicht an eine polizeiliche Dienststelle angegliedert werden. Das schließt einen Informationsaustausch zwischen Polizei und Verfassungsschutz nicht aus, im HmbVerfSchG ist dies im Detail geregelt. Überdies wird das informationelle Trennungsprinzip gemäß Bundesverfassungsgerichtsentscheidung beachtet. In den letzten Jahren sind besondere Einrichtungen zum kontinuierlichen Informationsaustausch zwischen Polizei und Verfassungsschutzbehörden geschaffen worden. Dazu zählt insbesondere das "Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum" (GTAZ) in Berlin. Das GTAZ hat maßgeblich zu einem verbesserten Informationsfluss zwischen den beteiligten Behörden beigetragen. Um dies auch auf andere Phänomenbereiche zu übertragen, wurde das "Gemeinsame Extremismusund Terrorismusabwehrzentrum" (GETZ) mit Sitz in Köln gegründet. Schwerpunkt der dortigen Zusammenarbeit ist die Bekämpfung des Rechtsextremismus. 22 Verfassungsschutz in Hamburg 5. Informationsverarbeitung Die Verfassungsschutzbehörden sammeln und speichern sachund personenbezogene Daten über extremistische Bestrebungen sowie sicherheitsgefährdende und geheimdienstliche Tätigkeiten. Zu den Instrumenten der gegenseitigen Unterrichtung der Verfassungsschutzbehörden zählen unter anderem gemeinsame Dateien. Die wichtigste gemeinsame Datei ist das bundesweite Nachrichtendienstliche Informationssystem (NADIS), das nach mehreren Jahrzehnten im Jahr 2012 durch ein neues System abgelöst wurde. Im neuen "NADIS-WN" (WN für WissensNetz) werden mehr Informationen erfasst und für alle Berechtigten im Verbund zur Verfügung gestellt. Es bietet deutlich bessere Möglichkeiten für Analysen. Die Entwicklungen im Bereich des islamistischen Terrorismus und die Ermittlungsergebnisse im Zusammenhang mit dem rechtsterroristischen "Nationalsozialistischen Untergrund" (NSU) haben deutlich gemacht, dass der Informationsaustausch und die Vernetzung zwischen den Verfassungsschutzbehörden und den Sicherheitsbehörden insgesamt fortentwickelt werden musste. Als Folge wurden gemeinsame Dateien mit den Polizeibehörden geschaffen. Für den Bereich des islamistischen Terrorismus nahm bereits am 30. März 2007 die "Antiterrordatei" (ATD) und auf dem Gebiet des gewaltorientierten Rechtsextremismus am 19. September 2012 die "Rechtsextremismusdatei" (RED) ihren Betrieb auf. Am 19. Februar 2020 wurde das Dritte Waffenrechtsänderungsgesetz (3. WaffRÄndG) im Bundesgesetzblatt verkündet. Die Waffenbehörden haben im Rahmen der Zuverlässigkeitsprüfung unter anderem bei den jeweiligen Verfassungsschutzbehörden die Auskunft einzuholen, ob Tatsachen bekannt sind, die Bedenken gegen die Zuverlässigkeit begründen. Das Gesetz trat in wichtigen Teilen am 20. Februar 2020 in Kraft. Die übrigen Vorschriften zur Reform des Waffenrechts treten im Laufe des Jahres in Kraft. 23 Verfassungsschutz in Hamburg 6. Kontrolle Das LfV ist an klare gesetzliche Vorgaben gebunden, seine Arbeit unterliegt kontinuierlicher parlamentarischer Kontrolle. In Hamburg wird diese Aufgabe vom "Ausschuss zur parlamentarischen Kontrolle des Senats auf dem Gebiet des Verfassungsschutzes" (verkürzt auch "PKA" für "Parlamentarischer Kontrollausschuss" genannt) der Hamburgischen Bürgerschaft wahrgenommen. Über Eingriffe in das Brief-, Post-, und Fernmeldegeheimnis entscheidet die G10-Kommission der Bürgerschaft. Der Hamburgische Beauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit (HmbBfDI) hat ebenfalls umfängliche Kontrollbefugnisse. Kontrolle des Landesamtes für Verfassungsschutz Hamburg: Senator Gerichte Staatsrat PKA Datenschutz(Parlamentarischer Kontrollausschuss) beauftragter G10Medien Kommission InnenBürger ausschuss 24 Verfassungsschutz in Hamburg 7. Strukturdaten, Regelanfragen und Überprüfungen Stellenplan Nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 in den USA war der Personalbestand des LfV mit dem Stellenplan 2002 zunächst um 15,5 Stellen aufgestockt worden. In den Jahren 2003 und 2008 wurde der Stellenbestand insgesamt um weitere elf Stellen erhöht. Für die Dauer des Doppelhaushaltes 2015/2016 wurden dem LfV Hamburg drei Stellen zur Verfügung gestellt, die insbesondere für eine verstärkte Beobachtung und Auswertung des jihadistischen Salafismus vorgesehen sind. Weiterhin wurden dem LfV vor dem Hintergrund der Anschläge in Paris und Istanbul im Jahr 2016 zehn zusätzliche Stellen für die Verstärkung von Observationsteams und in der Auswertung und Beschaffung zur Verfügung gestellt (Drucksache 21/3031). Weitere fünf Stellen wurden im Rahmen der Drucksache 21/5039 - Effektive Maßnahmen gegen gewaltbereiten Salafismus und religiösen Extremismus auch in Zukunft fortsetzen - bereitgestellt. Mit dem im Dezember 2016 gefassten Haushaltsbeschluss für den Doppelhaushalt 2017/2018 wurden dem LfV Hamburg eine halbe Stelle und aufgrund einer durchgeführten Organisationsuntersuchung und anschließenden Neustrukturierung weitere sieben Stellen (Drucksache 21/7026) zusätzlich zur Verfügung gestellt. Angesichts der in allen Extremismusbereichen gestiegenen Gefahren wurde der Stellenbestand mit Beginn des Haushaltsjahres 2019 um weitere 23,5 Stellen erhöht. Das LfV Hamburg verfügt dementsprechend zum Ende des Jahres 2019 über insgesamt 201 Stellen. Vor dem Hintergrund der rechtsextremistisch motivierten Anschläge in 2019 wurde im Dezember 2019 eine Aufstockung des LfV um sechs weitere Stellen (Drucksache 21/18749) zum Stellenplan 2020 von der Hamburgischen Bürgerschaft beschlossen. Seit dem Jahr 2015 (153 Stellen) wurde der Personalbestand des LfV Hamburg damit um ein Drittel aufgestockt. 25 Verfassungsschutz in Hamburg Haushaltsansatz Im Jahr 2019 betrug der Haushaltsansatz für das LfV insgesamt 19.809.000 Euro (2018: 14.792.000 Euro). Darin enthalten waren 15.576.000 Euro für Personalausgaben (2018: 11.442.000 Euro), davon 4.097.000 Euro Versorgungsleistungen (2018: 2.777.000 Euro) und 500.000 Euro für Investitionen (2018: 379.000 Euro). Hamburger NADIS-Speicherungen Vom LfV Hamburg waren am 31. Dezember 2019 im Nachrichtendienstlichen Informationssystem (NADIS-WN) Daten von 54.056 Personen gespeichert (31. Dezember 2018: 53.845), davon 47.694 (88,23 Prozent) im Zusammenhang mit Sicherheitsüberprüfungen (31. Dezember 2018: 47.679 = 88,55 Prozent). Beteiligungsund Mitwirkungsaufgaben Das LfV Hamburg nutzt seine Informationen nicht nur zur Analyse und Bewertung extremistischer Organisationen, sondern ist im Rahmen von Sicherheitsanfragen und Zuverlässigkeitsüberprüfungen auch an Verfahrensentscheidungen anderer Behörden beteiligt und wirkt daran mit (siehe SS 4 Absatz 2 Satz 1 Nummer 4 HmbVerfSchG). Einbürgerungsverfahren Mit Wirkung vom 22. Oktober 2001 wurde in Hamburg die Regelanfrage bei Einbürgerungen eingeführt: Das Einwohner-Zentralamt als Einbürgerungsbehörde fragt vor jeder Entscheidung beim LfV nach, ob Erkenntnisse vorliegen, die einer Einbürgerung entgegenstehen könnten. Vor Einführung dieser Regelung wurde nur angefragt, wenn bereits der Einbürgerungsbehörde Anhaltspunkte für den Verdacht auf politisch-extremistische Bestrebungen aufgefallen waren. Im Jahr 2019 gab es 7.919 Anfragen (2018: 8.509), die nach einer Dateianfrage im NADIS-WN beantwortet wurden. In 56 Fällen (2018: 47) wurden weitergehende Ermittlungen angestellt, Bedenken wurden in 22 Fällen 26 Verfassungsschutz in Hamburg (2018: 26) erhoben. Darunter befanden sich auch Wiederholungauskünfte im Rahmen von Widerspruchsund Klageverfahren. Aufenthaltsverfahren Seit dem 1. Mai 2004 führen die Ausländerdienststellen bei Personen aus bestimmten Herkunftsländern vor Erteilung oder Verlängerung von Aufenthaltstiteln eine Sicherheitsbefragung durch. In jedem Fall wird auch das LfV beteiligt. Im Jahr 2019 wurden 44.430 Anfragen (2018: 38.761) beantwortet. In 71 Trefferfällen wurden weitergehende Ermittlungen angestellt (2018: 38), Bedenken wurden in 37 Fällen (2018: 12) erhoben. Schengener Visumverfahren Im Jahr 2019 gab es im "Schengener Visumverfahren" 9.255 Anfragen an das LfV (2018: 9.246). In keinem Fall wurden Bedenken erhoben (2018: zwei). Das Verfahren wird ausgelöst, wenn der Antragsteller aus einem "Problemstaat" stammt. In das Verfahren eingebunden sind das Auswärtige Amt, das Bundesamt für Verfassungsschutz und gegebenenfalls die Verfassungsschutzbehörde des jeweiligen Bundeslandes. Asyl-Konsultationsverfahren Seit Mai 2017 werden auch im Rahmen des genannten Asyl-Konsultationsverfahrens Anfragen an das LfV gestellt. 2019 wurden 609 Anfragen (2018: 695) beantwortet. Bedenken wurden in sieben Fällen (2018: in einem Fall) erhoben. 27 Verfassungsschutz in Hamburg 8. Organigramm des LfV Hamburg Personalrat, Vertrauensperson für Amtsleitung Schwerbehinderte, Gleichstellungsbeauftragte Referat Referat V01 V02 Führungsunterstützung stellvertretende ÖffentlichkeitsV03 NADIS-Koordination Amtsleitung und V04 Internet-Koordination Gremienarbeit Abteilung V4 Abteilung V1 Abteilung V2 Abteilung V3 NachrichtenZentrale Auswertung Spionageabwehr, dienstliche Aufgaben Geheimschutz, InformationsRecht beschaffung Referat V11 Referat V201 Referat V31 Referat V41 Grundsatz, Geheimschutz Observation, Verwaltung Mitwirkungskonspirative aufgaben Ermittlungen Referat V12 Referat V21 Referat V32 Referat V42 SpionageForschung, Zentrale IT Islamismus abwehr und Werbung und und G10 Wirtschaftsschutz Befragung Referat V13 Referat V22 Referat V43 RechtsOperative Technik VP-Führung extremismus, Scientology Referat V23 Linksextremismus, Extremismus mit Auslandsbezug 28 Verfassungsschutz in Hamburg Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Gruppierungen mit Auslandsbezug Linksextremismus Rechtsextremismus Reichsbürger und Selbstverwalter Scientology-Organisation Spionageabwehr und Wirtschaftsschutz Geheimund Sabotageschutz Anhang Islamismus Zu unterscheiden sind die Begriffe "Islam" und "Islamismus". Verfassungsschutz in Hamburg Der Islam als Religion und dessen Ausübung ist durch Artikel 4 (Religionsfreiheit) Grundgesetz geschützt und wird somit nicht durch den Verfassungsschutz beobachtet. und Sicherheitsgefährdende Derextremistische Begriff "Islamismus" kennzeichnet hingegen eine verfassungsfeindliche Bestrebungen von Islamisten politische Ideologie (Weltanschauung). Wie jede andere Ideologie geht auch der Islamismus Sicherheitsgefährdende davon aus, dass und extremistische er allein für alle gesellschaftlichen Probleme die richtige Lösung Bestrebungen von Gruppierungen mit Auslandsbezug bietet. Vom Verfassungsschutz beobachtet werden deshalb alle islamistischen Formen, die sich zwar auf die Religion des Islam berufen, sich aber durch ihre Herrschaftsideologie gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung richten. Insbesondere davon betroffen sind die demokratischen Linksextremismus Grundsätze der Trennung von Staat und Religion, der Volkssouveränität, der freien Meinungsäußerung, der religiösen und sexuellen Selbstbestimmung und das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit. Rechtsextremismus Der Islamismus ist keine homogene Ideologie. Er lässt sich idealtypisch in zwei Obergruppen unterscheiden: gewaltorientiert (jihadistische) und reformorientiert (politische). Reichsbürger und Selbstverwalter Generell wird Islamismus vor allem durch folgende Merkmale geprägt: f Etablierung einer vermeintlich gottgewollten Gesellschaft ohne Trennung von Staat und Religion, Scientology-Organisation f Gottessouveränität steht über Volkssouveränität, f Ausgeprägter Antisemitismus, Spionageabwehr und Wirtschaftsschutz f Ablehnung wesentlicher Grundund Menschenrechte wie Meinungsund Religionsfreiheit und Gleichberechtigung, f Homogene Glaubensgemeinschaft, Abschaffung von IndiviGeheimund Sabotageschutz dualinteressen sowie Ablehnung des demokratischen Verfassungsstaates, f Potenzielle Akzeptanz Anhangvon Fanatismus und Gewalt. Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten II. Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten 1. Entwicklungen und Schwerpunkte Im Frühjahr 2019 fiel das letzte Rückzugsgebiet der Terrororganisation "Islamischer Staat" (IS) im ostsyrischen Baghus, nahe der syrisch-irakischen Grenze. Diese Operation wurde von Kämpfern der kurdisch-arabischen "Syrischen Demokratischen Kräfte" (SDF) und Spezialeinheiten aus den USA, Großbritannien und Frankreich durchgeführt. Die Einnahme von Baghus besiegelte die territoriale Niederlage des vom IS im Jahr 2014 ausgerufenen Kalifats und das Ende seiner territorialen Dominanz in seinem Kerngebiet Syrien und Irak. Allerdings bedeutet dies nicht das endgültige Aus der Terrormiliz, die nach wie vor medial aktiv ist, über beachtliche länderübergreifende Netzwerke und eine nicht Die Flagge des IS Grafik: LfV HH zu unterschätzende Basis an Anhängern und Sympathisanten verfügt. Nach dem Verlust des Kalifats musste der IS seine militärische Strategie in Syrien und Irak ändern und war somit auch 2019 zu einer asymmetrischen Kriegsführung gezwungen. Auch die mediale Propaganda wurde vom IS den veränderten Umständen angepasst. Der erzwungene Strategiewechsel dient insbesondere dazu, den global-jihadistischen Anspruch zu sichern und den medialen Fortbestand der Organisation zu gewährleisten. In Syrien war der IS im Jahr 2019 durch asymmetrische Operationen aus dem Untergrund, zum Beispiel durch Anschläge, vor allem im Nordosten des Landes aktiv. Vorrangige Ziele waren die SDF, die Anti-IS-Koalition sowie andere ausländische Akteure. Aber auch im Süden Syriens versuchte der IS durch verschiedene Angriffe und Einzelanschläge seine Handlungsfähigkeit insbesondere gegenüber Mitgliedern und Sympathisanten zu demonstrieren. Gebiete in der Wüstenregion in Ostsyrien nutzte der IS 33 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten vorwiegend als Rückzugsraum. Allerdings gelang es der Terrororganisation nicht, eine erneute territoriale Dominanz aufzubauen. Auch im Irak war der IS mit einem großen Verfolgungsdruck konfrontiert und verübte vorwiegend Einzelanschläge auf lokale Sicherheitskräfte sowie die schiitische und kurdische Bevölkerung. INFOBOX Ein asymmetrischer Krieg ist ein militärischer Konflikt zwischen Gegnern, die organisatorisch, technisch und strategisch unterschiedlich agieren. In der Regel wäre eine Partei der anderen in offen geführten Gefechten zahlenmäßig sowie in der Ausrüstung hochüberlegen. Terroristen nutzen die asymmetrische Kriegsführung, beispielsweise durch Attentate, als offensive Strategie. Medienwirksame Anschläge, möglichst im Zentrum des Feindes, sollen die Bevölkerung verunsichern und das Vertrauen in die jeweilige Regierung erschüttern. Die asymmetrische Kriegsführung betrifft hier neben den Taktiken auch die Schauplätze des Konflikts. Nach dem Abzug der US-amerikanischen Truppen aus Syrien im Oktober 2019 begann die Türkei eine militärische Offensive in Nordsyrien gegen die YPG, die kurdischen Volksverteidigungseinheiten, die die Mehrheit innerhalb der SDF bilden. Das Ziel der Türkei war nach eigenen Angaben, eine "Sicherheitszone" unter türkischer Verwaltung zu schaffen. Bei der Militäroperation kam es über die gesamte syrisch-türkische Grenze östlich des Euphrats zu Luftangriffen gegen die YPG-Miliz, die die Türkei als Bedrohung und wichtigen Akteur bei den Rebellen der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) in der Türkei betrachtet ( siehe Kapitel III, Punkt 4 "PKK). Aufgrund des türkischen Einmarsches wurden Teile der von kurdischen Einheiten kontrollierten Gefangenensowie Flüchtlingslager, in denen IS-Kämpfer und deren Sympathisanten saßen, bestenfalls noch rudimentär bewacht. Die SDF musste in der Folge ihren Kampf gegen den IS stark reduzieren und zog ihre Kräfte ab. Der IS nutzte die türkische Offensive und das damit verbundene vorübergehende Machtvakuum, um seinen Ein34 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten fluss in Nordostsyrien kurzzeitig zu vergrößern und seine Strukturen zu stärken. Ein wichtiger Erfolg war dabei die Befreiung von IS-Anhängern und deren Familien aus den Flüchtlingslagern und Haftanstalten. Darüber hinaus band der IS verstärkt Frauen in Jihad-Aktivitäten ein. Die Organisation handelte damit zwar entgegen ihrer ursprünglichen Einstellung zur Beteiligung von Frauen am militärischen Jihad, war aber durch die hohen Verluste auf Seiten der männlichen IS-Kämpfer gezwungen, auch Frauen wichtige Aufgaben wie die Rekrutierung und Schleusung von IS-Mitgliedern zu übertragen. Die Rolle der Frauen im Kriegsgebiet beschränkte sich damit nicht mehr nur auf die der Ehefrau und Mutter. Die IS-Propaganda hat sich im Jahr 2019 hinsichtlich Umfang, medialer Vielfalt und Themen geändert. Auch wenn offizielle Kanäle wie das fremdsprachige Online-Magazin Rumiyah ihr Erscheinen eingestellt haben und sich die Präsenz des arabisch-sprachigen Online Magazins al-Naba verringert hat, blieb der IS medial aktiv. Offizielle IS-Propaganda bemühte sich im Jahr 2019 um regelmäßige Veröffentlichungen von Operationsstatistiken über militärische Aktivitäten in vom IS als "Provinzen" bezeichneten Gebieten in Syrien und Irak sowie auch in weiteren Regionen. Im Gegensatz dazu haben im Jahr 2019 Propaganda-Aktivitäten der IS-Unterstützerszene zugenommen; diese agierte extrem dynamisch und flexibel. Bei diesem IS-Unterstützerspektrum handelt es sich um eine internetaffine Szene, die vor allem in Messenger-Diensten aktiv ist und zum Beispiel bei der Übersetzung von Propagandainhalten der offiziellen IS-Medienstellen oder der Weiterverbreitung von IS-Kampagnen unterstützte. Allerdings gelang es der Szene trotz vielfältiger Aktivitäten nicht, den Rückgang der offiziellen IS-Propaganda auszugleichen. In April 2019 trat der selbsternannte Kalif und Führer des IS, Abu Bakr al-Baghdadi, erstmals seit fünf Jahren wieder in einem Video auf. Dieser Auftritt spiegelte die neue Struktur der Terrormiliz und die Stellung al-Baghdadis innerhalb des IS wider: eine Gruppierung, die aus dem Untergrund agiert mit einem militärischen Anführer, der hauptsächlich für Planung und Leitung von Operationen verantwortlich ist. In seinem ersten Videoauftritt 35 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten im nordirakischen Mosul im Jahr 2014 trat al-Baghdadi noch als das religiös-politische Oberhaupt des damals neu ausgerufenen Kalifats auf. In seinem zweiten Auftritt seit 2014 widmete al-Baghdadi Ende April 2019 fast die Hälfte des Videos den Kämpfen um den letzten IS-Rückzugsort Baghus und rief seine Anhänger auf, trotz des territorialen Verlustes den Kampf fortzusetzen. Auch die Anschlagsserie in Sri Lanka am 21. April 2019 wurde thematisiert. Al-Baghdadi nahm dieses Ereignis zum Anlass, sich zu diesen Anschlägen zu bekennen und zu weiteren aufzurufen. Abu Bakr al-Baghdadi im April 2019 Quelle: AL-FURQAN MEDIA/AFP/Archiv INFOBOX Anschlag in Sri Lanka - Bei einer Serie von Bombenanschlägen vorwiegend durch Selbstmordattentäter wurden am 21. April 2019 mehr als 250 Menschen getötet und rund 500 weitere verletzt. So wurden unter anderem drei Kirchen während der christlichen Ostergottesdienste sowie drei Hotels angegriffen. Die Mehrzahl der Anschlagsorte lag in der Hauptstadt Colombo oder in der Nähe. Auch der Terroranschlag am 15. März 2019 auf eine Moschee im neuseeländischen Christchurch spielte bei der IS-Propaganda eine wichtige Rolle. Die Terrormiliz instrumentalisierte die Tat, um Anhänger und Sympathisanten zu mobilisieren und zur Vergeltung aufzurufen. In Christchurch erschoß der Rechtsterrorist Brenton Tarrant 51 Menschen und verletzte weitere 50 zum Teil schwer. Am 16. September 2019 veröffentlichte die nach der 25. Sure des Korans benannte IS-Medienstelle al-Furqan eine weitere Audiobotschaft des IS-Anführers al-Baghdadi. In dieser rief er zur Befreiung gefangener Kämpfer und derer Familien aus Gefängnissen und Flüchtlingslagern vor allem in Syrien auf und betonte, dass der IS weiterhin global agieren werde. 36 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten Die vom IS so bezeichneten "externen Provinzen" der Terrormiliz, die außerhalb ihres Kerngebietes liegen, rückten im Jahr 2019 ins Zentrum der IS-Propaganda. In al-Baghdadis Videoauftritt vom April 2019 wurden neben den bekannten IS-Provinzen neue Provinzen präsentiert. Dabei standen die Anerkennung der Provinz Zentralafrika, Provinz Aserbaidschan, Provinz Khorasan und die IS-Provinzen Indien und Pakistan im Fokus. Die Benennung neuer Provinzen ist von medialer und strategischer Bedeutung für den IS, da mit dieser Propaganda der territoriale Verlust im Kerngebiet Syrien und Irak durch neue Aktionsgebiete kompensiert werden soll. Am 27. Oktober 2019 verkündete US-Präsident Donald Trump die Selbsttötung al-Baghdadis bei einer von US-Spezialeinheiten gegen den IS-Anführer gerichteten Operation in der nordwestsyrischen Provinz Idlib. Auch der offizielle Sprecher des IS, Abu al-Hassan al-Muhajir, ist bei dem Militäreinsatz im Norden Syriens ums Leben gekommen. Nur wenige Tage nach dem Tod al-Baghdadis proklamierte der IS in einer offiziellen Audiobotschaft über seinen Medienkanal al-Furqan die Ernennung des neuen "Kalifen", Abu Ibrahim al-Haschimi al-Quraschi. Der Name des neuen Anführers "al-Haschimi" soll den Eindruck erwecken, dass dieser aus dem arabischen haschimitischen Familienzweig stamme, demselben Zweig des Propheten Muhammad. Bei der Ernennung des neuen Kalifen forderte ein IS-Sprecher die IS-Anhänger und -Sympathisanten sowie alle Muslime auf, dem neuen Kalifen die Treue zu schwören. Der Tod al-Baghdadis löste unterschiedliche Reaktionen in der IS-Unterstützerszene und auch unter konkurrierenden jihadistischen Gruppierungen aus. Diese begrüßten seinen Tod; Sympathisanten und Anhänger folgten indes dem Aufruf des IS-Sprechers und leisteten den Treueeid auf den neuen Kalifen. Der Tod al-Baghdadis ist zwar ein harter Schlag für den IS, dürfte aber nur eine temporäre Schwächung der Terrororganisation und ihrer Ideologie bedeuten. In den jüngsten medialen Außendarstellungen (Stand: Frühjahr 2020) propagiert der IS bereits wieder das Bild einer Organisation, die angeblich nach wie vor handlungsfähig und nicht von einzelnen Führungspersonen abhängig sei. 37 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten Am 21. und 22. November 2019 fand eine international angelegte Polizeiaktion gegen die IS-Propaganda im Internet statt. Ziel war die zentrale Medienstelle und Sprachrohr der Terrormiliz, Amaq. An der von der europäischen Polizeibehörde Europol koordinierten Aktion (Onlinedurchsuchungen) nahmen Polizeibehörden aus 30 Staaten teil. Bei der von Medien als "globale Cyberattacke" bezeichneten Polizeiaktion konnten Tausende Webseiten mit Propagandainhalten des IS gelöscht und eine hohe Anzahl an Messenger-Kanälen und Chatgruppen des IS gesperrt werden. al-Qaida-Netzwerk Das mit dem "Islamischen Staat" konkurrierende al-Qaida-Netzwerk konnte die fast vollständige militärische Zerschlagung des IS in Syrien und im Irak auch 2019 kaum für sich nutzen. Im Gegenteil: Die weitere Aufspaltung des Netzwerks in verschiedene Gruppierungen, die sich bereits 2017 und 2018 abzeichnete, setzte sich fort. Dennoch dominiert die zum al-Qaida-Netzwerk zählende Hai'at Tahrir al-Scham (HTS) die jihadistische Szene in der Provinz Idlib in Syrien und nutzte zumindest in diesem Fall die dortige Schwäche des IS. HTS stärkte ihre Kontrolle in der Provinz, indem sie ihre Strukturen dort ausbauen konnte. Trotz offizieller Distanzierung zur Kern-al-Qaida sind Teile der HTS unverändert in der al-Qaida-Ideologie und Netzwerkstruktur verhaftet. In Syrien führt Hai'at Tahrir al-Scham eine auf Syrien fokussierte Agenda, verbündete sich zudem aus taktischen Gründen mit unterschiedlichen Akteuren wie mit der sogenannten "syrischen Rettungsregierung", die als selbsternannte alternative Regierung der syrischen Opposition fungiert. Tanzim Hurras ad-din (THD), die zweitstärkste al-Qaida-nahe jihadistische Gruppierung, war im Jahr 2019 in Syrien, vornehmlich im Nordwesten des Landes aktiv. HTS und THD standen im Jahr 2019 in einem angespannten Verhältnis zueinander, da sie gegeneinander konkurrierten und ideologisch zum Teil unterschiedliche Ziele verfolgten. So legte die HTS aus taktisch und realpolitisch bedingter Notwendigkeit den Schwerpunkt auf den Jihad-Schauplatz Syrien; hingegen propagierte die THD das Bild einer vorgeblich global 38 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten agierenden Organisation, dabei treu zur Ideologie der Kern-al-Qaida stehend. Die Propaganda-Aktivitäten der deutschsprachigen al-Qaida-Unterstützerszene, die zumeist Hai'at Tahrir al-Scham nahesteht, liefen 2019 wie beim IS hauptsächlich über Messenger-Dienste und Telegramkanäle. Auf Telegram existieren mehrere deutschsprachige Kanäle, die al-Qaida-nahen Gruppierungen zuzuordnen sind. Diese veröffentlichten zum Beispiel Jihad-Aktivitäten im Nordwesten Syriens und riefen zur Beteiligung an den Kämpfen in Syrien auf. Betreiber dieser Kanäle stellten sich als Unterstützer der "Hijra" (hier: Auswanderung in die Jihad-Gebiete) und des militanten Jihad vor. INFOBOX Hijra ist, so Orientalist Marco Schöller von der Universität Münster in einem Beitrag für die Bundeszentrale für politische Bildung, der arabische Begriff für Auswanderung. Er bedeutet die Flucht des Propheten Muhammads von Mekka nach Medina im September 622. Das Aufgeben der Stammesbindungen war ein für die damaligen Verhältnisse einschneidender Vorgang; das Jahr, in dem Muhammads Hijra stattfand, markiert daher den Beginn der islamischen Zeitrechnung. Heute wird der Begriff von manchen Fundamentalisten verwendet, um das Verlassen gesellschaftlicher oder staatlicher Ordnungen oder auch die Ausreise in die Jihad-Gebiete in Syrien und Nord-Irak zu bezeichnen. In einem Video, das anlässlich des 18. Jahrestages der Anschläge des 11. September 2001 verbreitet wurde, rief al Qaida-Anführer Aiman al-Zawahiri seine Anhänger zu Anschlägen gegen die USA, Israel und ihre Verbündeten auf. Anschläge des islamistisch-terroristischen Spektrums Die Terrororganisationen IS und al-Qaida forderten in ihrer Propaganda ihre Anhänger dazu auf, Anschläge zu begehen, insbesondere in Ländern 39 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten des westlichen Kulturkreises, aber auch in anderen Teilen der Welt. In der überwiegenden Zahl übernahm der IS die Verantwortung für die Taten und bekannte sich offiziell dazu. So reklamierte er den Anschlag in Sri Lanka am Ostersonntag, 21. April 2019, für sich und veröffentlichte ein Video der Täter, die darin ihren Treueeid auf den IS und seinen Anführer leisteten. Für Europa ging die Bedrohung im Jahr 2019 durch islamistisch motivierte Attentate maßgeblich von einzelnen Tätern oder Kleingruppen aus, die durch IS-Propaganda in sozialen Netzwerken und Messenger-Diensten beeinflusst wurden. Bei der Wahl potenzieller Anschlagsziele nehmen einzelne jihadistische Täter und Kleingruppen als strategische Offensive unverändert sogenannte weiche Ziele in der Öffentlichkeit ins Visier, die in der Regel gut frequentiert und schwer zu schützen sind. Insgesamt setzte sich der Trend fort, weniger komplexe, zentral gesteuerte terroristische Taten auszuüben, sondern vielmehr Anschläge einzelner Täter mit leicht zu beschaffenden Tatmitteln. Zwei Beispiele: f Am 18. März 2019 kam es in der niederländischen Stadt Utrecht zu einem Schusswaffengebrauch in einer Straßenbahn. Der Täter eröffnete nach dem Betreten der Straßenbahn das Feuer auf mehrere Personen, wobei vier Personen getötet und sechs verletzt wurden. Der Täter konnte zunächst flüchten, wurde jedoch am selben Tag durch die niederländischen Behörden festgenommen. Am 20. März 2020 verurteilte das Gericht in Utrecht den Angeklagten Niederländer Gökmen T. wegen eines islamistisch motivierten Terroranschlags in einer Straßenbahn in den Niederlanden zu lebenslanger Haft. f Ein Mann griff am 29. November 2019 mit einem Messer mehrere Passanten im Bereich der London Bridge in London an. Der Täter wurde durch Passanten festgehalten. Die Polizei stellte fest, dass der Täter augenscheinlich eine Sprengstoffweste trug. In Folge der polizeilichen Maßnahmen wurde er erschossen. Die Sprengstoffweste stellte sich bei späteren Untersuchungen als Attrappe heraus. Es gab fünf Opfer, von denen zwei tödlich und drei lebens40 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten bedrohlich verletzt wurden. Der Täter war bereits im Jahr 2012 wegen der Vorbereitung terroristischer Handlungen zu einer mehrjährigen Haftstrafe verurteilt worden. Im Dezember 2018 wurde er vorzeitig aus der Haft entlassen. Der IS beanspruchte die tödliche Messerattacke auf seinen Propaganda-Kanälen für sich. Ausreisen und Rückkehrer Ausreisen Richtung Syrien und Irak sind im Jahr 2019 fast vollständig zum Erliegen gekommen. Derzeit (Stand: Dezember 2019; Quelle: BfV) liegen Erkenntnisse zu gut 1.050 Islamisten aus Deutschland vor, die in Richtung Syrien und Irak gereist sind. Nicht in allen Fällen liegen belastbare Erkenntnisse vor, dass diese Personen auch tatsächlich Syrien oder den Irak erreicht haben. Zu etwa der Hälfte der ausgereisten Personen liegen konkrete Anhaltspunkte vor, dass sie auf Seiten des Islamischen Staates, der al-Qaida oder anderer islamistisch-terroristischer Gruppierungen an Kampfhandlungen teilgenommen oder diese unterstützt haben. Rund ein Viertel der ausgereisten Personen ist weiblich. Der überwiegende Teil der insgesamt ausgereisten Personen war zum Zeitpunkt der Ausreise jünger als 30 Jahre. Syrien Irak Ausreisen aus Deutschland Richtung Syrien und Irak, sowie die Rückkehr aus diesen Ländern nach Deutschland sind im Jahr 2019 deutlich zurückgegangen. Grafik: LfV HH 41 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten Etwa ein Drittel dieser Personen ist wieder in Deutschland. Zu 110 der zurückgekehrten Personen liegen Erkenntnisse vor, dass sie sich aktiv an Kämpfen in Syrien oder im Irak beteiligt oder hierfür eine Ausbildung absolviert haben. Diese Personen stehen nach wie vor im Fokus nachrichtendienstlicher, polizeilicher und justizieller Ermittlungen. Die Zahl bisheriger Verurteilungen aus Syrien und Irak zurückgekehrter Personen liegt mittlerweile im mittleren zweistelligen Bereich. Gut 230 Personen sind nach derzeit vorliegenden Informationen in Syrien oder im Irak ums Leben gekommen. Nachdem der IS sein Territorium verloren hat, liegen Erkenntnisse zu aus Deutschland ausgereisten Personen im unteren dreistelligen Bereich vor, die sich Anfang 2020 in Syrien oder Irak in Gewahrsam befinden. Die meisten wollen nach Deutschland zurückkehren. In Hamburg lag die Zahl der in Richtung Syrien und Irak ausgereisten Personen Anfang 2020 bei 86, darunter 17 Frauen. Gut ein Drittel der Ausgereisten ist nach vorliegenden Erkenntnissen ums Leben gekommen. Zurückgekehrt sind 33 Personen, darunter vier Frauen. Zu ihnen gehört Omaima A., die Witwe des deutschen IS-Terroristen Denis Cuspert, die am 9. September 2019 in Hamburg wegen des Verdachtes der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung im Ausland (IS) gemäß SSSS 129 a, b StGB festgenommen wurde. Der ehemalige Gangsta-Rapper Cuspert (Künstlername: Deso Dogg) ist vermutlich Anfang 2018 in Syrien ums Leben gekommen. Die Deutsch-Tunesierin Omaima A. reiste im Jahr 2015 mit ihren drei Kindern zuerst in die Türkei, später nach Syrien, um im Herrschaftsgebiet des IS zu leben. Im Jahr 2016 kehrte sie nach Deutschland zurück. Am 6. März 2020 erhob die Generalbundesanwaltschaft vor dem Staatsschutzsenat des Hanseatischen Oberlandesgerichts Anklage gegen sie, die Hauptverhandlung im Staatsstutzverfahren begann am 4. Mai 2020. Eine weitere Rückkehrerin ist Elina F., die im Jahr 2013 zusammen mit ihrem Mann Serkan E. zuerst in die Türkei reiste und später in das Herrschaftsgebiet des IS zog. 2014 kam ihr Mann, der inzwischen IS-Kämpfer geworden war, ums Leben. Trotz seines Todes blieb Elina F. im Herrschaftsgebiet des IS. Seit 2018 befand sie sich in einem von Kurden geführten Gefange42 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten nenlager in der nordsyrischen Kleinstadt Ain Issa. Im Zuge der türkischen Offensive gelang es Elina F. im Oktober 2019, aus dem Lager zu fliehen. Später wurde sie zusammen mit ihren beiden Söhnen (zwei und vier Jahre alt), die während ihres Aufenthalts im IS-Gebiet geboren worden waren, in der Türkei inhaftiert. Am 15. Januar 2020 wurde Elina F. von türkischen Behörden nach Deutschland abgeschoben und am Hamburger Flughafen festgenommen. Elina F. wird vorgeworfen, sich einer terroristischen Organisation (dem IS) im Sinne des SSSS 129 a, b StGB angeschlossen und gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz verstoßen zu haben. 2. Potenziale Nach wie vor ist das Gesamt-Personenpotenzial im Bereich Islamismus auf hohem Niveau. In Hamburg betrug das Gesamtpotenzial Ende 2019 1.645 Personen (2018: 1.631). Die Zahl der Anhänger des salafistischen Spektrums lag bei 740 Personen (2018: 776). Von diesen 740 Salafisten waren 384 der jihadistischen Strömung zuzurechnen. In Hamburg wurden der HuT rund 250 (2018: 220) deutsche oder afghanischund türkischstämmige Anhänger zugerechnet, die sich in Privaträumen und zu geschlossenen Veranstaltungen, in Restaurants oder anderen Lokalitäten treffen. Furkan-Anhänger in Deutschland sind 2019 insbesondere in Berlin, Dortmund, München und auch Hamburg aufgefallen. Das Personenpotenzial der Furkan-Gemeinschaft betrug Ende 2019 in Hamburg 170 Personen (2018: 150). Gründe des Anstiegs sind der weitere Zulauf in die Szene sowie die konsequente Aufhellung des Dunkelfeldes durch den Verfassungsschutz. Ausreisebewegungen in Richtung Syrien und Irak sind im Jahr 2019 aufgrund militärischer Niederlagen und Gebietsverluste des IS zum Erliegen gekommen. Für Hamburg liegt die Zahl der in Richtung Syrien und Irak ausgereisten Personen unverändert bei rund 86. Ein gutes Drittel davon ist bislang zurückgekehrt. Der Anstieg ist mit nachträglich gemeldeten Ausreisen zu begründen 43 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten Personenpotenziale Islamismus - Hamburg 2.500 2.465 2.000 2.270 2.245 2.065 1631 1.645 1.565 1.500 1.355 1.065 1.000 955 500 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 Personenpotenziale Salafismus - Hamburg 800 700 780 776 740 600 670 500 460 420 422 400 400 300 320 384 240 270 200 240 200 100 40 70 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 Gesamtzahl Jihadistisch - Die Zahlen für die Personenpotenziale sind teilweise gerundet - 44 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten 3. Politisch motivierte Kriminalität Der Phänomenbereich "Politisch motivierte Kriminalität - religiöse Ideologie" bildet ab, inwieweit eine Religion zur Begründung der Tat instrumentalisiert wird (dies umfasst sowohl Straftaten aus islamistischer als auch sonstiger religiöser Motivation). Politisch motivierte Kriminalität (PMK) Religiöse Ideologie 17 18 19 20 20 20 PMK - Religiöse Ideologie gesamt 28 58 25 davon extremistische Kriminalität 6 16 9 hiervon extremistische Gewaltdelikte 2 1 2 Die Zahlen stammen aus den jeweiligen Jahres-Statistiken der Polizei Hamburg - Stand: Februar 2020 - 2019 hat sich die Zahl der Straftaten im Bereich religiöse Ideologie im Vergleich zu 2018 halbiert. Das ist begründet in der konsequenten Verfolgung der Straftaten durch die Strafverfolgungsbehörden und der daraus resultierenden möglichen Befürchtung der Täter, belangt zu werden. 4. Salafismus Der Salafismus stellt eine radikale und kompromisslose Ausrichtung innerhalb des sunnitisch-islamistischen Spektrums dar. Salafisten wollen den Islam von allen vermeintlich "unerlaubten" Neuerungen reinigen, wie sie vor allem im Volksislam verbreitet sind. 45 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten INFOBOX Der Volksislam ist eine Form des islamischen Glaubens, der an Überlieferungen anknüpft, die im Koran zwar vorhanden sind (beispielsweise der Geisterglaube), ihre Wurzeln jedoch in vorislamischer Zeit haben. Eine wichtige Rolle im Volksislam spielt die Verehrung von Heiligen. Die in dieser Glaubensrichtung gebräuchlichen Zauberformeln, Tätowierungen, Amulette und Talismane dienen als Mittel zur Abwehr von Krankheiten und anderen Gefahren. Verbreitet ist der Volksislam unter anderem in afrikanischen Ländern. Als vorbildlich gelten Salafisten dabei die ersten drei Generationen der Muslime, die sogenannten "as-Salaf as-Salih" ("die frommen Altvorderen"), wovon sich die Bezeichnung der Salafisten ableitet. Der Salafismus bewegt sich außerhalb der etablierten Rechtsschulen des Islam und akzeptiert deren Meinungen lediglich, wenn sie mit den eigenen Anschauungen vereinbar sind. Innerhalb des Salafismus existieren verschiedene Strömungen, die sich in ideologischer Hinsicht unterscheiden, aber dennoch Überschneidungen aufweisen. Die vom Verfassungsschutz beobachteten Hauptrichtungen werden als politischer und jihadistischer Salafismus bezeichnet. Beide Richtungen propagieren aktiv die Ablehnung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und treten für die Etablierung eines Staatswesens ein, in dem vermeintlich von Gott gegebene Gesetze gelten sollen. Grundsätzlich lehnen auch politische Salafisten Gewalt als ein Mittel zur Durchsetzung ihrer Ideologie nicht ab, versuchen jedoch, ihre Ziele mit Mitteln der Mission und fortwährender Überzeugungsarbeit zu verwirklichen. Jihadisten befürworten und unterstützen in einem stärkeren und radikaleren Maße die Anwendung von Gewalt. Zwischen diesen beiden Ausprägungen des Salafismus existieren fließende Übergänge und Wechselbeziehungen. Sie stützen sich beispielsweise auf dieselben ideologischen Autoritäten und Vordenker. 46 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten Der Salafismus ist die islamistische Strömung, die in den vergangenen Jahren am schnellsten gewachsen ist. Nach wie vor ist das Personenpotenzial bundesweit auf hohem Niveau, und die Anziehungskraft der salafistischen Ideologie ist ungebrochen. Wie in den Vorjahren stieg auch im Jahr 2019 das Personenpotenzial im gesamten Bundesgebiet von 11.300 (2018) auf 11.950 (Stand: 31. Dezember 2019) an. In Hamburg sind die Zahlen leicht gesunken (2018: 776; Dezember 2019: 740). Der Rückgang des salafistischen Personenpotenzials in Hamburg resultiert vor allem aus dem Fehlen von Führungspersonen innerhalb der Szene und aus dem weiteren Rückgang von Themen und Aktionsmöglichkeiten (Stopp der Ausreisen nach Syrien und Irak, Verbot der Koranverteilungsstände). Darüber hinaus zeigt auch die konsequente strafrechtliche Verfolgung Wirkung. So wurden 2019 führende Anhänger der Szene auch aufgrund von Erkenntnissen des Hamburger Verfassungsschutzes festgenommen und vor Gericht gestellt: f Das Hanseatische Oberlandesgericht (HansOLG) verurteilte am 1. August 2019 Zineddin K. zu einer Jugend-Freiheitsstrafe von zwei Jahren mit sechsmonatiger Vorbewährung. Urteilsgründe waren unter anderem sein Werben um Unterstützer für eine ausländische terroristische Vereinigung (Islamischer Staat, gemäß SSSS 129 a, b StGB), die öffentliche Aufforderung zu Straftaten sowie die Verwendung und Verbreitung verbotener Kennzeichen (in zwei Fällen mit Gewaltdarstellungen). So rief er unter anderem in sozialen Netzwerken zur Tötung von Polizisten auf und postete ein IS-Banner. Zineddin K. konnte durch die gute Zusammenarbeit des Verfassungsschutzes mit dem Landeskriminalamt Hamburg am 21. Dezember 2018 verhaftet werden. Der zu dem damaligen Zeitpunkt gerade erst 18-jährige Zineddin K. war bereits rund drei Jahre in der jihadistisch-salafistischen Szene in Hamburg aktiv, radikalisierte sich zusehends und war bundesweit mit anderen Szeneangehörigen vernetzt. Nach der Vorbewährung setzte das HansOLG die Jugendstrafe von Zineddin K. nicht zur Bewährung aus. Der Beschluss war bei Redaktionsschluss noch nicht rechtskräftig. 47 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten f Das OLG Celle verurteilte am 21. November 2019 Ashraf R. wegen des Werbens um Mitglieder für den IS, öffentlicher Aufforderung zu Straftaten sowie Gewaltdarstellungen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten ohne Bewährung. f Vor dem HansOLG begann am 14. Oktober 2019 die Hauptverhandlung gegen Volkan L. in dem Verfahren wegen des Verdachts der Mitgliedschaft im IS (ausländische terroristische Vereinigung gemäß SSSS 129 a, b StGB.). Am 19. März 2020 wurde L. zu einer Freiheitsstrafe von dreieinhalb Jahren verurteilt. f Das HansOLG verurteilte am 6. März 2020 Lennart M. wegen der Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung (Islamischer Staat, gemäß SSSS 129 a, b StGB) zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten, die zur Bewährung ausgesetzt wurde. Das Urteil war bei Redaktionsschluss noch nicht rechtskräftig. Auch bundesweit kam es zu Verurteilungen von Islamisten mit Bezügen zu terroristischen Gruppierungen in Syrien: f Am 26. März 2020 verurteilte das OLG Düsseldorf den tunesischen Staatsangehörigen Sief Allah H. wegen Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat in drei Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit vorsätzlicher Herstellung einer biologischen Waffe zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zehn Jahren. Bereits im Jahr 2017 hatte H. zweimal, letztlich aber vergeblich, versucht, sich der terroristischen Vereinigung IS in Syrien als Kämpfer anzuschließen. Ab September 2017 bereitete er dann gemeinsam mit seiner Ehefrau einen jihadistisch motivierten Sprengstoffanschlag in Deutschland vor, bei dem das tödliche Gas Rizin über eine Splitterbombe verbreitet werden sollte, um "Andersgläubige" zu töten. Nach Feststellung des Gerichts waren H. und seine Ehefrau bei der Herstellung eines Sprengsatzes weit fortgeschritten und hatten aus Stoffen, die sie im Internet bestellt hatten, bereits eine erhebliche Menge des Toxins Rizin hergestellt. Die entsprechenden Planungen konnten durch einen polizeilichen Zugriff am 12. Juni 2018 48 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten in der Wohnung des Ehepaares in Köln verhindert werden. H. hat gegen das Urteil Revision zum Bundesgerichtshof eingelegt. Das Urteil war bei Redaktionsschluss noch nicht rechtskräftig. Das Verfahren gegen seine Ehefrau ist abgetrennt und wird fortgesetzt. Die öffentliche Da'wa-Arbeit in Hamburg hat sich im Jahr 2019 weiter abgeschwächt. Erst gegen Ende des Jahres konnten wieder vereinzelt Flyerverteilungen bei sogenannten Street-Da'wa-Aktionen im Bereich der Innenstadt festgestellt werden. INFOBOX Da'wa-Arbeit: Der Begriff "Da'wa" kommt aus dem Arabischen und steht für "Ruf, Aufruf, Einladung, Werbung, Propaganda, Anrufung, Segenswunsch" - und hier im konkreten Fall für "Missionierung". Salafisten versuchen, ihre Weltanschauung durch intensive Propaganda zu verbreiten. Diese sogenannte "Da'wa"-Arbeit ist mittlerweile vorwiegend im Internet feststellbar. "Da'wa"-Aktivitäten im öffentlichen Raum gibt es immer seltener. Gründe sind unter anderem auch das konsequente Vorgehen von Polizei, Justiz, Verfassungsschutz und Ordnungsbehörden (Beispiel Hamburg: Verbot der Koranverteilung in der Hamburger City bereits im Frühjahr 2016; im November 2016 wurde dann der Verein "Die Wahre Religion" mit der dazugehörigen Koranverteilungs-Kampagne "LIES!" verboten, maßgeblich mit Erkenntnissen aus Hamburg). Der wichtigste Anlaufpunkt für die salafistische Szene in Hamburg ist nach wie vor die Taqwa-Moschee in Harburg. Sie wird auch von jihadistischen Salafisten aufgesucht. Die Moschee wird zudem auch außerhalb der öffentlichen Gebetsveranstaltungen frequentiert. Zuletzt jedoch war die Besucherzahl rückläufig. Schon seit Jahren betätigen sich Salafisten bundesweit, auch in Hamburg, vorgeblich im Bereich der humanitären Unterstützung und rufen zu Spendensammlungen auf. Die Spendensammler behaupten, für vermeintlich 49 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten karitative Organisationen Geld zu sammeln, um Kinder in Krisengebieten mit Lebensmitteln, Medikamenten oder Bekleidung zu unterstützen. Einer dieser Spendensammelvereine ist "Ansaar International e.V.". Der Verein verfolgt vordergründig den Zweck, humanitäre Hilfe für Muslime weltweit (beispielsweise in Syrien, Somalia, Marokko oder Burma) zu leisten. Der Verein ist 2012 in Düsseldorf gegründet worden. Auf der Internetseite von "Ansaar International" werden für viele deutsche Städte Sammelstellen für Spenden angegeben. Eine Sammelstelle befindet sich auch in Hamburg. Am 10. April 2019 durchsuchten Polizeibeamte in Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Hamburg, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein sowie die beim Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen ansässige Task Force der Steuerfahndung NRW rund 90 Objekte eines bundesweit agierenden islamistischen Spenden-Netzwerks, darunter "Ansaar International". Es besteht der dringende Verdacht, dass sich dieses Netzwerk gegen den Gedanken der Völkerverständigung gemäß Artikel 9 Absatz 2 Grundgesetz richtet. Nach dem bisherigen Stand der Ermittlungen wird davon ausgegangen, dass die Organisationen dem extremistischen Milieu zuzurechnen sind. Es bestehen Anhaltspunkte dafür, dass auch die HAMAS finanziell und propagandistisch unterstützt wird. INFOBOX Das Hauptziel der Terrororganisation HAMAS (Harakat al-Muqaqama al-Islamiya, Islamische Widerstandsbewegung) ist die Vernichtung des Staates Israel und die Errichtung eines Staates "Palästina" auf dem gesamten israelischen Gebiet. Die HAMAS bezeichnet sich in ihrer Charta als palästinensischer Teil der Muslimbruderschaft. Typisch für die HAMAS sind auf der einen Seite terroristische Aktionen gegen den Staat Israel und auf der anderen Seite umfangreiche soziale Aktivitäten in Gaza und im Westjordanland. 50 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten 5. Furkan-Gemeinschaft Die aus dem türkischen Adana stammende Furkan-Gemeinschaft ("Furkan Egitim ve Hizmet Vakfi") wurde 1994 vom Bauingenieur Alparslan Kuytul gegründet. Kuytul, genannt "Hocaefendi" (etwa "Oberster Gelehrter" oder "ehrwürdiger Lehrer"), ist seitdem die unangefochtene Führungsfigur und das geistige Oberhaupt der Organisation. Das Ziel der Organisation, die sich selbst als "Vorreiter-Generation" bezeichnet, ist der Aufbau einer weltweiten "islamischen Zivilisation". In einer solchen Gesellschaftsordnung ist ein Staatsaufbau vorgesehen, der auf rein islamischen Vorstellungen, gespeist aus Koran und Sunna, beruht. Damit verknüpft ist die Einführung einer islamisch geprägten Rechtsordnung, der Scharia. Die dadurch artikulierte Vorstellung, dass sich weltliche und menschengemachte Normen und Gesetze dem Recht Allahs unterzuordnen haben, widersprechen fundamental wichtigen Grundprinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Die Furkan-Gemeinschaft verfügt außerhalb der Türkei über Strukturen in mehreren europäischen Ländern. Die Schwerpunkte innerhalb Deutschlands liegen dabei in München, Berlin, Nordrhein-Westfalen und Hamburg. In Hamburg firmiert die Organisation mit ihren rund 170 Anhängern (2018: 150) als Verein und nennt sich seit April 2018 "Jugend, Bildung und Soziales e.V.". Vormalig hatte der Verein die Bezeichnung "Furkan - Zentrum für Bildung e.V.". Bundesweit hatte die Furkan-Gemeinschaft Ende 2019 350 Mitglieder (2018: 290). Alparslan Kuytul befand sich seit dem 30. Januar 2018 aufgrund unterschiedlicher von der Staatsanwaltschaft erhobener Anklagepunkte in türkischer Untersuchungshaft (siehe Verfassungsschutzbericht Hamburg 2018, Kapitel II, Punkt 6, Seite 42). Seit dem 5. Dezember 2019 befindet sich Kuytul wieder auf freiem Fuß; das mit seinem Fall betraute türkische Gericht in Adana hatte am selben Tag in einem abgetrennten Verfahren im Anklagepunkt, Kuytul unterstütze eine terroristische Vereinigung und gehöre ihr auch an, auf Freispruch entschieden. Davon unberührt ist ein 51 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten weiteres gegen Kuytul laufendes Verfahren. Hier lautet die Anklage auf Betrug, Untreue und Unterschlagung. Während der Zeit der Inhaftierung Kuytuls veranstalteten Anhänger der Furkan-Gemeinschaft in Hamburg bereits im Jahr 2018 immer wiederkehrende Protestveranstaltungen, die sich auch im Jahr 2019 fortsetzten. So marschierten am 17. August 2019 mehrere hundert Furkan-Anhänger aus dem ganzen Bundesgebiet durch St. Georg, um gegen die ihrer Ansicht nach unrechtmäßige Inhaftierung ihres geistigen Führers zu protestieren. Der Hamburger Verfassungsschutz informierte regelmäßig in Internetbeiträgen und Medienstatements über den islamistischen Hintergrund dieser www Versammlungen (siehe www.hamburg.de/verfassungsschutz). Anhänger der Furkan-Gemeinschaft bei einer Demonstration in St. Georg. Die Inhaftierung Kuytuls als allgegenwärtige und bestimmende Thematik wirkte für die Hamburger Furkan-Gemeinschaft als Triebfeder und Katalysator für die Mobilisierung und öffentliche Inszenierung. Die Gelegenheit, 52 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten sich öffentlich als Opfer staatlicher Repression darzustellen, wurde bei jeder sich bietenden Gelegenheit genutzt. Zu den hervorzuhebenden Entwicklungen des Jahres 2019 in Hamburg zählte die Einweihung der neuen Vereins-Zentrale in Wandsbek am 14. Juli 2019, über deren Hintergrund der Hamburger Verfassungsschutz die Öffentlichkeit in Medienstatements informierte. Seitdem ist zu beobachten, dass die Räumlichkeiten mehrmals wöchentlich in kurzen Abständen für Vortragsveranstaltungen mit wechselnden Themen genutzt werden. Die Kapazität der Räume lässt dabei ein größeres Publikum zu. Zudem finden dort regelmäßig religiöse Unterrichtsveranstaltungen statt, auch für Kinder und Jugendliche. Männer und Frauen werden hierbei in der Regel getrennt unterrichtet. Die Furkan-Gemeinschaft nimmt sich daneben, wie andere islamistische Gruppierungen, vermehrt gesellschaftlich relevanter, breit diskutierter Themen an, die im Sinne der eigenen islamistischen Weltsicht interpretiert und zugleich genutzt werden, um gezielt Verbindungen zu muslimischen, nicht-extremistischen Strukturen zu knüpfen (siehe hierzu Verfassungsschutzbericht Hamburg 2018, Kapitel Entgrenzung, S. 57 ff). Ein besonderer Schwerpunkt wird hierbei auf eine vermeintlich vorherrschende, generelle Islamfeindlichkeit in Deutschland und der westlichen Welt gelegt. ng t ru ei ie Disk Religionsf rim in Hizb ut-Tahrir re Adil e.V. ih "Generation Islam" "Realität Islam" Furkan-Gemeinschaft t or Sp te at eb Ko pftu c h d "Entgrenzung" als Strategie zur Besetzung demokratischgesellschaftlich breit diskutierter oder gesellschaftlicher akzeptierter Themen durch Islamisten. Bereich Grafik: LfV HH 53 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten Generell findet sich eine breite gesellschaftliche Mehrheit, die über die Grenzen gesellschaftlicher Milieus und Schichten hinweg die Diskriminierung von Bevölkerungsminderheiten verurteilt. Dieser breite Konsens wird genutzt, um mit der eigenen Deutung und der selektiven Wahrnehmung für demokratische Schichten anschlussfähig zu werden. Es findet somit eine inhaltliche Entgrenzung statt. INFOBOX Entgrenzung - Wie in anderen Phänomenbereichen hat auch im Bereich Islamismus die Abgrenzung zwischen extremistischen und nicht-extremistischen Bereichen an Trennschärfe verloren, insbesondere über die gezielte strategische Besetzung gesellschaftlich breit diskutierter oder akzeptierter Themen durch Extremisten, um die Grenzen zu demokratischem Engagement aufzulösen. Diese Entwicklung wird im Verfassungsschutzverbund als Entgrenzung bezeichnet. Extremisten streben an, Meinungsbildungsprozesse zu gesellschaftlichen Themen zu beeinflussen, um die politische Anschlussfähigkeit extremistischer Positionen in den nicht-extremistischen Bereichen der Gesellschaft zu erreichen. Oft zunächst unter Verschleierung der Urheberschaft und Motivation, je nach Thema auch unter Vorspiegelung falscher Tatsachen, versuchen Extremisten dadurch auch, neue Anhänger zu rekrutieren und bei Nicht-Extremisten gesellschaftsfähig zu werden. Ein weiteres Beispiel für diese Strategie, die Grenzen zwischen islamistischem und demokratischem Engagement aufzulösen und Bündnisse zu schließen, ist die am 22. März 2019 veranstaltete Kundgebung der Furkan-Gemeinschaft auf dem Gerhart-Hauptmann-Platz in der Hamburger Innenstadt. Anlass für den Aufzug war der am 15. März 2019 begangene Terroranschlag im neuseeländischen Christchurch ( siehe Punkt 1 "Entwicklung und Schwerpunkte), der als Ausdruck eines insgesamt wachsenden Islamhasses gedeutet wurde. Die Furkan-Gemeinschaft instrumentalisierte den Protest gegen einen von einer breiten gesellschaftlichen Mehrheit verurteilten Terrorakt, um sich 54 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten als Verteidigerin der Rechte der muslimischen Minderheit in der westlichen Welt darzustellen. Der Entgrenzungsstrategie folgend, bemühen sich Angehörige der Organisation grundsätzlich um ein moderates Auftreten, sowohl optisch als auch verbal. Viele öffentliche Botschaften werden verklausuliert veröffentlicht und verschleiern die wahren Absichten. "Dieser Qur'an lehrt uns keine Gute-Nacht-Märchen, sondern lehrt uns eine Methode und Strategie, welche Muslime befolgen müssen." "Es gibt Menschen, die möchten, dass die Gläubigen in der Religion Kompromisse eingehen und fundamentale Glaubensinhalte ablehnen und den Islam anders darstellen, als er ist, damit man sich in der Mitte treffen kann. Doch zwischen Islam und Schirk (Götzendienst) gibt es keine Mitte. Entweder ist man davon überzeugt, dass Allah uns erschaffen hat und dass Sein Wort gelten soll, oder man ist nicht davon überzeugt und lebt dementsprechend ein Leben fern von Allah. Es gibt keine Mitte. Zwischen diesen beiden Überzeugungen und Lebensweisen gibt es eine unüberbrückbare Distanz. Sie können unterschiedlicher nicht sein." Die Furkan-Gemeinschaft bedient sich neben der klassischen Missionierungsarbeit und öffentlichen Aufzügen in erheblichem Ausmaß der sozialen Medien wie Facebook und Instagram als Plattform für die eigene Ideologie und Weltsicht. Zudem werden diese Netzwerke genutzt, um für eigene Veranstaltungen zu werben. 6. Hizb ut-Tahrir Die Hizb ut-Tahrir (HuT) - Partei der Befreiung - wurde 1953 vom palästinensischen Politiker und Juristen Taqiaddin an Nabhani in Jerusalem gegründet. Es handelt sich um eine länderübergreifend aktive transnationale islamistische Organisation, die aus der Muslimbruderschaft hervorgegangen ist. Logo der HizB ut-Tahrir. 55 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten INFOBOX Die Muslimbruderschaft wurde 1928 in Ägypten vom Volksschullehrer Hasan al-Banna gegründet. Zunächst setzte sich die Muslimbruderschaft eine Islamisierung der ägyptischen Gesellschaft auf dem Weg von Reform und Erziehung zum Ziel. Es hat in der Geschichte dieser Organisation jedoch immer wieder Tendenzen zu einer gewaltsamen Veränderung der Verhältnisse gegeben. Ein führender Ideologe der Organisation, Sayyid Qutb (1966 hingerichtet), hat mit seinen Schriften den entscheidenden Schritt auf dem Weg zum militanten Islamismus eingeleitet, wie er seit den 1970er Jahren verstärkt auftritt. Die HuT ist eine politische Bewegung, die den von ihr behaupteten Absolutheitsanspruch der Religion mit einem entsprechenden politischen Modell, einem weltweiten Kalifat, verbindet und jede hiervon abweichende "ungläubige Staatsform" zurückweist. In der Konsequenz sieht die HuT die vollständige Einführung der Scharia als unumgänglich an. Ziel der HuT ist die "Vereinigung der weltweiten Ummah" (Gemeinschaft der Muslime) in einem theokratischen, allein göttlich legitimierten, Staat ohne nationale Grenzen unter der Führung eines Kalifen ( siehe Kapitel 8.2, Infobox "Theokratie"). Dieser soll die Scharia als Grundlage und Maßstab staatlichen Handelns im Kalifat durchsetzen, da er die weltliche und geistige Führung in einer Person vereint und sich gegen jede Teilnahme am politischen Leben in den "blasphemischen Systemen" wie zum Beispiel in parlamentarischen Demokratien wendet. Weitere zentrale Punkte des Parteiprogrammes der HuT sind die Bekämpfung eines vorgeblich herrschenden "Kolonialismus" und "Zionismus". Unter der Bekämpfung des Kolonialismus wird dabei die Befreiung der islamischen Gesellschaft von der angeblichen ideologischen Führung durch den Westen verstanden. Der Staat Israel und alle Menschen jüdischen Glaubens insgesamt werden von der HuT als die zu bekämpfenden Grundübel auf dem Weg zur Verwirklichung der islamischen Gesellschaft bezeichnet. 56 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten Die HuT distanziert sich von allen ihrer Ideologie nicht entsprechenden Organisationen. Innerhalb der muslimischen Gemeinde wird die HuT in der Regel abgelehnt, weil sie nach deren Ansicht keine profunde religiöse Ausbildung vermittle, sondern in erster Linie nur das Kalifat propagiere. Bereits in den ersten Jahren nach der Gründung fand die HuT eine Vielzahl von Anhängern in den Staaten des arabischen Sprachraumes. Sie soll in den 1960er und 1970er Jahren an Putschversuchen in Jordanien, Ägypten, Syrien und dem Irak beteiligt gewesen sein. Die HuT ist inzwischen in nahezu allen arabischen Staaten verboten, da sie die dortigen Herrschaftssysteme ablehnt und die jeweiligen Staatsoberhäupter als ungläubig betrachtet. Trotz der Verbote in den arabischen Ländern ist sie dort und in vielen anderen Staaten aktiv. Betätigungsverbot der HuT Gemäß der Verbotsverfügung des Bundesministeriums des Innern vom 15. Januar 2003 richtet sich die Organisation gegen den Gedanken der Völkerverständigung und befürwortet Gewaltanwendung als Mittel zur Durchsetzung politischer Ziele. Sie verbreite unter anderem antisemitische Hetzpropaganda und fordere zur Tötung von Juden auf. Das Verbot umfasst die Produktion und Verbreitung von Publikationen wie der deutschsprachigen Zeitschrift "Explizit". Das Betätigungsverbot wurde durch das Bundesverwaltungsgericht am 25. Januar 2006 bestätigt, nachdem die Gruppierung gegen das Bundesinnenministerium geklagt hatte. Es stellte darüber hinaus fest, dass es sich bei der HuT nicht um eine Religionsoder Weltanschauungsgemeinschaft handelt. Auch vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EuGMR) scheiterte die HuT am 19. Januar 2012 mit ihrer Klage gegen das Betätigungsverbot in Deutschland. Die Klage wurde vom EuGMR für unzulässig erklärt, da die Richter es weiterhin als erwiesen ansahen, dass die HuT dem Staat Israel das Existenzrecht abgesprochen und zur Zerstörung Israels aufgerufen habe. Zudem habe diese Vereinigung den Sturz der Regierungen in muslimisch geprägten Staaten befürwortet, um diese durch ein übergeordnetes Kalifat auf der Grundlage der Scharia zu ersetzen. 57 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten Maßnahmen der HuT zur Mitgliedergewinnung Die HuT ist ständig bemüht, ihren Mitgliederstamm zu erweitern. Als geeignete Plattformen haben sich hierzu Veranstaltungen in Moscheen, gezielte Ansprachen an Universitäten, politische Diskussionen mit Islambezug, aber auch eigene Veranstaltungen erwiesen. Durch den Aufbau freundschaftlicher Beziehungen wird zunächst ein Vertrauensverhältnis geschaffen, indem besonders häufig religiöse und weltanschauliche Themen angesprochen und diskutiert werden. Die Anhänger selbst verstehen diese Vorgehensweise als ihre "gottgegebene" Aufgabe, um ihr Ziel der "Wiederaufnahme der islamischen Lebensweise und dem Tragen der Da'wa (Botschaft) in die Welt" umzusetzen und auf diese Weise eine tiefgreifende Veränderung der Gesellschaft (hin zu einer islamischen Gesellschaft) herbeiführen zu können. Da die Anhänger ihre Zugehörigkeit zur HuT in der Regel erst nach dem Aufbau des Vertrauensverhältnisses offenbaren, ist sie für potenzielle Zielpersonen und -gruppen nur schwer zu erkennen. Bis zu dieser Offenbarung geriert sich die Gruppierung als netter Zusammenhang muslimischer junger Menschen, der zum Beispiel bei Freizeitaktivitäten oder allgemeinen Fragen der Lebensgestaltung behilflich sein will. Als attraktive Anknüpfungspunkte dienen der Fußball oder auch das Ausrichten von Grillfesten. Insofern verfolgt auch die HuT die Strategie der Entgrenzung, um über populäre Themen in Kontakt mit Nicht-Extremisten, insbesondere Muslimen, zu kommen. Dem LfV Hamburg wurde 2018 ein internes Strategiepapier der HuT bekannt, das wahrscheinlich schon auf die Jahre 2015/16 zu datieren ist. In diesem Papier stellte die HuT dar, wie man neue Mitglieder in Wilhelmsburg gewinnen möchte, unter anderem über einen eigenen Fußballverein. Dies hatte die HuT am 24. April 2016 mit der Gründung des Vereins "Adil e.V." realisiert. Von den gemäß dem Protokoll der Gründungsversammlung anwesenden Gründungsmitgliedern waren sechs der zehn Personen der HuT zuzurechnen. Auch die Angehörigen des damaligen dreiköpfigen Vorstands wurden aufgrund vorliegender nachrichtendienstlicher Informationen als HuT-Angehörige eingestuft. 58 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten Die erste Herrenmannschaft des Vereins nahm am Spielbetrieb der Hamburger Kreisklasse teil. Auch der weit überwiegende Teil der in dieser Mannschaft spielberechtigten Personen gehörte nach vorliegenden Informationen der HuT an oder stand ihr ideologisch nahe. Nach Erkenntnissen des LfV wurde der Verein mit dem Zweck gegründet, über einen harmlos erscheinenden Fußballverein neue Mitglieder für die verfassungsfeindliche HuT zu gewinnen und die eigene Akzeptanz in der muslimischen Community in Wilhelmsburg zu erhöhen. Nachdem das LfV Hamburg im April 2019 auf seiner Homepage und in zahlreichen Medieninterviews Das LfV Hamburg zeigte aus seiner Homepage der HuT die "rote Karte" für den Adil e.V. über die Hintergründe des "Adil e.V." berichtete, suspendierte der Hamburger Fußball-Verband (HFV) den Klub vom laufenden Fußballspielbetrieb, und das HFV-Präsidium beantragte den Ausschluss des Vereins aus dem Verband. www Daraufhin löste sich der Adil e.V. Ende April 2019 auf (siehe www.hamburg. de/verfassungsschutz). In Hamburg wurden der HuT Ende 2019 etwa 250 (2018: 220, 2017: 180) Anhänger unterschiedlichster Herkunftsländer zugerechnet, die sich in Privaträumen und zu geschlossenen Veranstaltungen, in Restaurants oder anderen Lokalitäten treffen. Für die interne Weiterbildung gibt es über Hamburg verteilt zahlreiche Schulungszirkel (sogenannte "Halaqat"), in deren Rahmen sowohl in Deutsch, Türkisch als auch in Dari Unterrichte stattfinden, die sehr diszipliniert durchgeführt werden. In Hamburg sind Mitglieder der HuT in den meisten Moscheen unerwünscht. Die HuT ist auch in den sozialen Netzwerken aktiv. Dort lassen sich einige Gruppierungen finden, deren veröffentlichte Inhalte deutliche ideologische Überschneidungen mit der HuT-Ideologie aufweisen. Hier sind insbesondere die informellen Netzwerke "Generation Islam" (GI) und "Realität Islam" (RI) zu nennen. So zeigen beide Netzwerke eine starke Präsenz auf den verschiedenen sozialen Medienkanälen (Facebook, Instagram, Twitter, YouTube und weitere) und verfügen über eine große Reichweite, wenn es um die Verbreitung ihrer gesellschaftskritischen Stellungnahmen und Kom59 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten mentare geht. Die Verantwortlichen von GI gehen in ihren Posts und veröffentlichten Videos auf aktuelle, gesellschaftlich relevante Themen ein und instrumentalisieren diese zur Darstellung einer vermeintlich fortwährenden Ablehnungshaltung der Politik und Gesellschaft in Deutschland gegenüber der gesamten muslimischen Community. Auf diese Weise versuchen sie, Themen wie die "KopfAuch auf Facebook ist "Realität Islam" sehr aktiv und verbreitet tuchdebatte" für sich zu besetzen unter anderem mit Videos Inhalte zu Themen wie zum Beispiel das "Kopftuchverbot". oder zu vereinnahmen, die auch Screenshot: LfV HH Nicht-Extremisten ansprechen (siehe www.hamburg.de/verfassungsschutz). Die in diesen Netzwerken federführenden Personen sind mindestens dem ideologischen Umfeld der HuT zuzuordnen. Am 11. Januar 2020 fand in Hamburg eine Demonstration zum Thema der Situation der Uiguren in China unter dem Tenor "Gegen die Umerziehung und Unterdrückung in China! #Genocide# Made in China!" statt. Der Veranstalter wird "Generation Islam" (GI) zugerechnet, worüber der Hamburger Verfassungsschutz zuvor in Medienstatements informierte. GI mobilisierte vor der Demonstration auf ihren Internetseiten in HuT-Kreisen für die Versammlung. An der Veranstaltung nahmen in der Spitze 2.800 Personen teil, unter denen sich auch der HuT zuzurechnende Islamisten befanden. 7. Sonstige Aktivitäten von Islamisten in Hamburg Hamburger Al-Azhari-Institut propagiert islamistisches Weltbild Am 19. März 2020 informierte der Hamburger Verfassungsschutz in einem Internetbeitrag über die islamistischen Bezüge des in St. Georg angesiedelten Al-Azhari-Institutes (siehe www.hamburg.de/verfassungsschutz). www Die Botschaft des Verfassungsschutzes: Wer an Veranstaltungen und 60 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten Unterrichten des Instituts teilnimmt, macht mit Islamisten gemeinsame Sache. Die Einrichtung bot noch im ersten Quartal 2020 die verschiedensten Lehrgänge zum Thema Islam an. Das Lehrangebot richtet sich dabei ausdrücklich auch an Lehrer, Erzieher, Eltern, Schulklassen, Behörden oder kulturelle Einrichtungen. Darüber hinaus finden sich im Programm Koranund Sprachunterrichte für Erwachsene und Kinder. Damit solle, so das Institut, vorgeblich die "interkulturelle Arbeit" und der "interreligiöse Dialog" gefördert werden. Tatsächlich wird dort nach Erkenntnissen des Landesamtes für Verfassungsschutz ein Islamverständnis vermittelt, das mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht vereinbar ist. So war beispielsweise für Ende März 2020 eine Veranstaltungsreihe mit einem islamistischen Prediger angekündigt. Der Verfassungsschutz rät auch für die Zukunft von einer Teilnahme an Veranstaltungen ab. Hinter dem Institut steht der 2013 gegründete Verein "Al Azhari Islamisches Institut für Bildung - Weiterbildung und arabische Sprache e.V.". Zweck des Vereins sei "die Förderung der Bildung und Erziehung, insbesondere bei Kindern und Jugendlichen, hinsichtlich der islamischen Theologie". Nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes werden aber tatsächlich islamistische Lehrinhalte vermittelt, die zum Wertekanon des Der Verein "Al Azhari Islamisches Institut für Bildung - WeiterGrundgesetzes in einem deutlichen bildung und arabische Sprache e.V." in St. Georg. Widerspruch stehen. Hiervon sind insbesondere der Gleichheitsgrundsatz und das Demokratieund Rechtsstaatsprinzip betroffen. Einige der Unterrichte wurden in den verschiedenen sozialen Netzwerken des Instituts veröffentlicht. Einige Beispiele für die islamistische Grundausrichtung: f 2018 vertrat Institutsleiter Mahmoud A. nach Erkenntnissen des Hamburger Verfassungsschutzes in einem Unterricht die Auffas61 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten sung, dass die Frau dem Mann gegenüber gehorsam sein müsse. Für den Fall des Ungehorsams solle der Mann die Frau zunächst mit Worten mahnen und mit Nichtbeachtung bestrafen. Führe dies nicht zum Erfolg, dürfe die Frau als letztes Mittel auch geschlagen werden. Dies solle allerdings eher symbolisch geschehen. f In einem am 12. Februar 2020 veröffentlichten Video beschäftigte sich Mahmoud A. mit dem Thema "Die Ehe im Islam". Hier zeichnete er ein Bild der Frauenrolle, die dem Gleichheitsprinzip des Grundgesetzes diametral widerspricht. Ein Muslim dürfe zwar eine Nicht-Muslima heiraten, umgekehrt sei dies aber "haram" (verboten). Liebe und Zuneigung bei der Partnerwahl seien zwar wichtig, müssten aber in einem Scharia-konformen Rahmen gehalten werden. Die Frau habe die Befehle des Mannes zu befolgen und seine Erwartungen zu erfüllen. Sie dürfe nichts ohne seine Erlaubnis. f In seinen Unterrichten stellt Mahmoud A. nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes deutlich heraus, dass Muslime in erster Linie die Scharia zu befolgen hätten. Das Grundgesetz sei nachgeordnet. Der Kern der wiederkehrenden Botschaft von A. ist, dass Werte und Normen der Scharia für alle Bereiche des Lebens passen und auch eingehalten werden müssten. Von Menschen gemachte Gesetze werden nicht nur in Frage gestellt, sondern sogar ausgeblendet. Diese Einstellung verstößt eindeutig gegen das Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes. f In den Unterrichten und Veranstaltungen des Instituts wird zudem das Demokratieprinzip missachtet. Am 21. Februar 2020 fand im Institut eine Sonderveranstaltung zur bevorstehenden Bürgerschaftswahl statt. Im öffentlichen Schulsystem werde die islamische Erziehung überhaupt nicht berücksichtigt, die muslimischen Kinder würden angeblich einer Gehirnwäsche unterzogen. Ziel der anzustrebenden, länderübergreifenden "Ummah" (Gemeinschaft der Muslime) müsse es sein, von einer Minderheit zu einer Mehrheit zu werden. Dazu sollten Muslime Rechtsund Politikwissenschaften studieren, um der Ummah dienen zu können. Mahmoud A. forderte die Anwesenden auf, ein islamisches politisches System zu errichten. Es sei zwar aktuell nicht möglich, einen islami62 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten schen Status mit einem Scharia-System zu verwirklichen, jedoch könne man dies auf lange Sicht erreichen. Wahlen seien zwar grundsätzlich unislamisch. Aber alle Muslime seien verpflichtet, auf ein islamisches System hinzuarbeiten - und unter dieser Voraussetzung dürfe man diejenigen wählen, mit denen man das Ziel erreichen könne. Die gewählten Politiker dürften aber auf keinen Fall die Gleichheit aller Religionen akzeptieren. f In die Absicht, das Ziel einer islamistischen Gesellschaftsordnung auch durch Wahlen zu erreichen, fügt sich nahtlos die Gründung der "Friedenspartei" durch Mahmoud A. ein. Das auf den ersten Blick harmlos erscheinende Wahlprogramm der "Friedenspartei" muss allerdings vor dem islamistischen Hintergrund des Parteigründers betrachtet werden. So werden im Sinne einer "gelungenen Integration [...] geschlechts-separierte Sportangebote für bestimmte Sportarten" aufgrund "kulturell bedingte(r) Geschlechtertrennung" gefordert. Auch der "Beruf der Hausfrau" solle "als Beruf anerkannt werden". Die Teilnahme an der Bürgerschaftswahl scheiterte nur knapp, da die erforderlichen Unterstützungsunterschriften erst kurz nach Abgabefrist abgegeben wurden. A. gab aber öffentlich sein Vorhaben bekannt, zur kommenden Bundestagswahl erneut anzutreten. f In den Unterrichten des Mahmoud A. ist zudem ein deutlicher Antisemitismus erkennbar. Anfang 2020 behauptete er, dass alle Religionen angeblich unvollkommene Abwandlungen des Islam seien. Die Juden seien dabei im schlimmsten Irrtum. Sie würden Spendenpflichten aus Geiz nicht nachkommen. A. bemüht so ein klassisches Klischee des Antisemitismus. f Für den 27. März war eine Veranstaltung mit einem islamistischen Prediger geplant hat. An diesem Tag soll, so die ursprünglichen Planungen, der salafistische Prediger Marcel Krass alias Abo Younes einen Vortrag "Zur aktuellen Lage der Ummah" halten. Krass zählt zu den führenden Leitfiguren des salafistischen Spektrums. Zwei Tage zuvor sollte ein aus Großbritannien stammender Prediger auftreten, der im Januar 2020 sein Buch "Die islamische Geschichte Europas" auf einer Veranstaltung der islamistischen 63 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten Hizb-ut Tahrir (HuT) in Hamburg vorgestellt hatte ( siehe Kapitel 6 "Hizb ut-Tahrir"). Der Institutsleiter versucht sein langfristiges Ziel einer islamistischen Gesellschaftsordnung auch durch Vernetzung mit demokratischen Gruppierungen und Organisationen zu erreichen. So wurde das Al-Azhari-Institut als "Kooperationspartner" des ursprünglich für den 24. bis 26. April 2020 geplanten "Ramadan-Pavillon" aufgeführt. Dieser Pavillon ist eine Zeltstadt, die im muslimischen Fastenmonat Ramadan in St. Georg aufgebaut wird und seit 2013 stattfindet. Insofern verfolgt der Institutsleiter, wie andere extremistische Gruppierungen auch, die Strategie der Entgrenzung - der gezielten Besetzung gesellschaftlich relevanter Themen, um mit demokratischen Initiativen Bündnisse zu schließen (siehe hierzu Verfassungsschutzbericht Hamburg 2018, Kapitel Entgrenzung, S. 57 ff. und www unter www.hamburg.de/verfassungsschutz). 8. Schiitischer Islamismus 8.1. Hizb Allah Die schiitische Hizb Allah wurde im Sommer 1982 nach dem Einmarsch israelischer Truppen in den Libanon auf iranische Initiative gegründet. Sie entwickelte sich aufgrund massiver iranischer Unterstützung rasch zu einer militanten Sammlungsbewegung libanesischer Schiiten mit Schwerpunkten im Bekaa-Tal, Süd-Libanon und den Vororten von Beirut. Hier agiert sie, neben staatlichen Flagge der Hizb Allah Behörden und Strukturen, als parastaatliche Ordnungsmacht. Eine Entwaffnung dieser Miliz ist nach wie vor eine nicht umgesetzte Forderung der UN-Resolution 1559 vom September 2004. Von den USA, Großbritannien, Kanada, Israel und den Staaten der Arabischen 64 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten Liga wird die gesamte Hizb Allah als Terrororganisation eingestuft; Europa und Australien stufen den militärischen Arm der Hizb Allah als Terrororganisation ein. Am 30. April 2020 hat das Bundesministerium des Innern die Betätigung der schiitischen Terrororganisation Hizb Allah in Deutschland verboten. Wichtigstes Ziel der Hizb Allah ist der Kampf - auch mit terroristischen Mitteln - gegen Israel als vorgeblich "unrechtmäßigen Besatzer palästinensischen Bodens", den die Hizb Allah als "legitimen Widerstand" bezeichnet. Das lange propagierte Fernziel, die Umwandlung der staatlichen und gesellschaftlichen Strukturen des Libanon in eine Gesellschaftsordnung nach iranischem Vorbild, hat sich im Lauf der Zeit gewandelt. Nunmehr steht die allgemeinere Forderung nach mehr politischem Einfluss und einer Revision des konfessionellen Proporzsystems (die sogenannte "Taifija") im politischen und administrativen Bereich zugunsten der Muslime, insbesondere der Schiiten, im Vordergrund. Die enge ideologische Beziehung zum Iran, verbunden mit einer finanziellen Abhängigkeit, besteht jedoch unverändert fort. So gestand der politische Führer der Hizb Allah und zugleich Oberbefehlshaber der Hizb Allah-Miliz, Hassan Nasrallah, am 24. Juni 2016 in einer Ansprache im Hizb Allah-eigenen Fernsehsender Al Manar, dass alles, was die Hizb Allah brauche, wie Geld, Waffen und Nahrungsmittel, direkt aus dem Iran käme. INFOBOX Taifija - Libanon hat eine parlamentarische Demokratie, in der ein konfessioneller Proporz gilt. Die politische Macht wird nach religiöser Zugehörigkeit aufgeteilt. Laut Abkommen von Ta'if muss der libanesische Staatspräsident Christ (Vertreter der mit Rom verbundenen maronitisch-katholischen Kirche), der Premierminister sunnitischer Moslem und der Parlamentspräsident schiitischer Moslem sein. Die Parlamentssitze werden je zur Hälfte an Christen und Muslime verteilt. Unter dem Dach der Hizb Allah agieren eine seit 1992 im libanesischen Parlament vertretene Partei, verschiedene Wohlfahrtsorganisationen sowie der militärische Flügel "Islamischer Widerstand" (al-Muqawama al-Isla65 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten miya). Die Hizb Allah ist im Libanon seitdem zu einem festen Bestandteil des politischen Systems geworden, was sich in ihrem Wahlsieg - als führender Koalitionspartner in einem Bündnis verschiedener Parteien - bei den Parlamentswahlen am 6. Mai 2018 zeigte. Generalsekretär Hassan Nasrallah wird von seinen Anhängern verehrt und ist einer der führenden Vertreter des schiitischen Islamismus sowie ein einflussreicher Politiker im Libanon. Der im Nachbarland Syrien andauernde Bürgerkrieg gegen das Regime von Präsident Bashar al-Assad hat massive Auswirkungen auf die Sicherheitslage und Innenpolitik im Libanon. Fortlaufend gibt es auch auf libanesischem Staatsgebiet bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen Gegnern und Unterstützern al-Assads, zu denen die Hizb Allah zählt. So hat Hassan Nasrallah wiederholt erklärt, dass die Hizb Allah bis zum Sieg an der Seite des syrischen Machthabers al-Assad, dessen Regime von der UN massive Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen werden, kämpfen werde. Auch mit Israel gab es im Jahr 2019 bewaffnete Auseinandersetzungen, die Nasrallah zuvor angekündigt hatte. In Deutschland sind derzeit rund 30 Kulturund Moscheevereine bekannt, in denen sich regelmäßig eine Klientel trifft, die der Hizb Allah und ihrer Ideologie nahesteht. Die Vereinsaktivitäten beschränken sich auf interne Treffen, Diskussionsveranstaltungen und religiöse Feiern wie Ramadan oder Ashura. INFOBOX Der Ramadan ist der Fastenmonat der Muslime und der neunte Monat des islamischen Kalenders. Im Ramadan wurde nach islamischer Auffassung der Koran herabgesandt. Ashura wird der zehnte Tag des Monats Muharram genannt, des ersten Monats im islamischen Kalender. Dieser Tag ist für Muslime auf der ganzen Welt bedeutsam und wird unterschiedlich gefeiert. 66 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten Diese Vereine bemühen sich, die Bindungen der hier lebenden Libanesen an ihre Heimat und an die Hizb Allah zu festigen. Darüber hinaus gehört das Sammeln von Spendengeldern zu ihren wichtigsten Aufgaben. Der Organisation wurden Ende 2019 bundesweit, wie 2018, etwa 1.050 Anhänger zugerechnet. Die Anordnung Hassan Nasrallahs an die Anhänger der Hizb Allah, sich in Deutschland gesetzeskonform zu verhalten, um keine Angriffsfläche für staatliche Maßnahmen zu bieten, wurde auch im Jahr 2019 befolgt. Auch der Syrienkonflikt und die dadurch angespannte Sicherheitslage im Libanon haben bisher nicht zu öffentlich wahrnehmbaren Reaktionen von Hizb-Allah-Sympathisanten in Deutschland geführt. In Hamburg gibt es etwa 50 Hizb-Allah-Anhänger (2018: 30), die unter anderem im "Islamischen Zentrum Hamburg" sowie der "Imam-Ali-Moschee" verkehren ( siehe Kapitel 8.2 "Iranische Islamisten"), um dort an den Freitagsgebeten oder anderen religiösen Veranstaltungen teilzunehmen. Der Grund für den deutlichen Anstieg im Vergleich zum Vorjahr ist die intensivierte Aufklärung der Hizb Allah-Aktivitäten durch den Verfassungsschutz - insbesondere im Internet. 8.2. Iranische Islamisten Die "Islamische Republik Iran" ist einerseits ein politisches System mit gewählten Gremien und einem Parlament, andererseits eine theokratische Ordnung. Präsident Hassan Rohani repräsentiert in ihrem Rahmen die Republik und hat sich unter anderem vor dem Volk zu verantworten; der oberste Religionsgelehrte Ali Khamenei hingegen gilt als Die Flagge der "islamischen Republik Iran" mit dem in der Mitte stehenden Hoheitszeichen, welches in stiliStellvertreter des zwölften Imams, Muhamsierter persisch-arabischer Schrift das Wort "Allah" (Gott) zeigt. mad ibn Hasan al-MahdÄ", des sogenannten "verborgenen Imams". Dieser sei im 9. Jahrhundert nach seiner Geburt aus Schutz vor Feinden "entrückt", lebe im Verborgenen und werde wiederkehren, um die Führung zu übernehmen und die Welt zu erlösen. 67 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten Die Rolle des obersten Korangelehrten als Platzhalter des verborgenen Imams mit nahezu unbegrenzter weltlicher Machtfülle formulierte der Gründer der Islamischen Republik Iran, der 1989 gestorbene Großayatollah Khomeini, mit dem Prinzip der "Velayat-e faqih", der absoluten Herrschaft des anerkannten Rechtsgelehrten beziehungsweise des Klerus. Religionsführer Khamenei bestimmt - trotz massiver Verwerfungen innerhalb des Establishments und teilweise mangelnder Anerkennung in klerikalen Kreisen - nach wie vor die Richtlinien in grundlegenden politischen Fragen. Hierzu steht ihm mit dem sogenannten "Beyt-e rahbar" ein eigenes Steuerungs-, Machtund Finanzinstrument zur Verfügung, das zwar eine informelle, aber vor allem zentrale politische Funktion innerhalb des Iran einnimmt und mit Tausenden Mitarbeitern der faktischen Durchsetzung des Prinzips der Herrschaft des Obersten Rechtsgelehrten (siehe oben: "Velayat-e faqih") dienen soll. INFOBOX Theokratie - wenn sich der Staat auf göttliche Gesetze beruft: Das Wort "Theokratie" rührt aus dem Altgriechischen her ("Gottesherrschaft"). In einem theokratischen Staat legitimieren die Machthaber ihre Autorität und Herrschaft, indem sie sich auf einen göttlichen Willen berufen. Die Herrscher sind sowohl politische als auch religiöse Führer, und auch vom Volk gewählte Politiker werden von religiösen Führern streng kontrolliert. Theokratien sind meist repressiv und totalitär, unterdrücken Pluralismus und Meinungsfreiheit und beanspruchen oberste Autorität in Fragen der Ethik, Moral, Weltanschauung und sogar des Lebensstils. Theokratie und freiheitliche demokratische Grundordnung schließen sich aus. Sowohl auf der innenwie außenpolitischen Bühne wird ein antiwestlicher und rigoros islamistischer Kurs mit dem in der iranischen Verfassung deklarierten Leitmotiv der Islamisierung der westlichen Nationen ("Export der islamischen Revolution") gepflegt. Proiranische Einrichtungen in Deutschland sind grundsätzlich als Instrumente der iranischen Staatsführung zu 68 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten bewerten, die deren theokratische Staatsdoktrin vertreten. Sie repräsentieren eine Werteordnung, die mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht vereinbar ist. Regimegegner sowie religiöse und ethnische Minderheiten sind regelmäßig Opfer staatlicher Repressionen, was sich unter anderem in der hohen Anzahl an Hinrichtungen zeigt. Zu diesen Opfern zählten auch Menschen, die aufgrund ihrer gleichgeschlechtlichen Ausrichtung verurteilt und hingerichtet wurden. Die iranische Staatsführung äußert sich seit Jahrzehnten antiisraelisch, regelmäßig wird der Staat Israel als "Krebsgeschwür" bezeichnet. Der oberste Religionsführer Khamenei sagte im September 2015, dass Israel "das Ende der kommenden 25 Jahre" nicht mehr erleben werde. INFOBOX Menschenrechte im Iran - Die Bundesregierung kritisiert seit Jahren die Menschenrechtslage im Iran: "Die Menschenrechtslage im Iran bleibt trotz gradueller Verbesserungen im Bereich der Kunstund Pressefreiheit nahezu unverändert kritisch. Regimegegner sowie religiöse und ethnische Minderheiten sind nach wie vor regelmäßig Opfer staatlicher Repressionen. Beunruhigend ist die außerordentlich hohe Anzahl an Hinrichtungen, die aufgrund einer Änderung im Drogengesetz 2018 niedriger lag als in den Vorjahren." [Quelle: Auswärtiges Amt, Länderinformation Iran, Stand: 25. Juni 2018, aufgerufen am 3. März 2020.] Im November 2019 kam es zu den seit Jahren größten Protestkundgebungen im Land, bei denen zahlreiche Demonstranten zu Tode kamen. Sie wurden durch eine Entscheidung der Regierung von Präsident Rohani ausgelöst, der eine drastische Erhöhung der Benzinpreise und eine Rationierung von Kraftstoff verkündete. Im Rahmen dieser Kundgebungen sperrte 69 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten der Innenminister den Zugang zum Internet, um die Verbreitung von Videos, Bildern und Informationen zu unterbinden und eine Ausweitung der Protestaktionen zu verhindern. Des Weiteren wurden 180 Personen, verhaftet, denen vorgeworfen wurde, als Rädelsführer für die Proteste verantwortlich zu sein. Der Nationale Sicherheitsrat behauptete, die Demonstrationen seien von "ausländischen Mächten" initiiert und gesteuert worden. Hamburg In Hamburg befindet sich eine wichtige proiranische Einrichtung, die an der Außenalster gelegene schiitische "Imam Ali-Moschee", deren Trägerverein das "Islamische Zentrum Hamburg e.V." (IZH) ist. Die Position des IZH-Leiters wird traditionell mit einem linientreuen Anhänger der iranischen Staatsdoktrin und der islamischen Revolutionsziele besetzt. Er gilt als Vertreter des Revolutionsführers Khamenei in Europa und in der schiitischen Gemeinde als religiöser Repräsentant des Iran. Seit August 2018 ist Logo des IZH Dr. Mohammad Hadi Mofatteh Leiter des IZH. Der langjährige IZH-Leiter Dr. Reza Ramezani wurde in den Iran zurückbeordert. Mofatteh ist ein versiert geschulter Vertreter des gegenwärtigen Regimes in Teheran. Eigenen Angaben zufolge habe er ab 1991 als wehrpflichtiger Offizier mit Universitätsabschluss im Korps der "Armee der Wächter der Islamischen Revolution" (informell: Revolutionsgarden) gedient, wobei er als Computerspezialist aktiv gewesen sein soll. Mofattehs Familie ist fest in die staatlich-religiöse Elite des Iran eingebunden. Er selber agierte langjährig in verschiedenen Führungsfunktionen staatlich gelenkter Medienstellen. Das IZH ist eines der wichtigsten Zentren seiner Art in Europa, das von schiitischen Muslimen verschiedener Nationen als zentrale religiöse Anlaufstelle genutzt wird - neben Iranern vor allem von Afghanen, Arabern, Libanesen, Pakistanern und Türken sowie deutschen Konvertiten. In der Moschee finden regelmäßig Gebetsveranstaltungen sowie eine Vielzahl religiöser Feierlichkeiten statt. Zudem werden diverse Lehrveranstaltungen angeboten, so etwa islamischer Religionsunterricht für Kinder und Sprach70 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten unterricht in den Sprachen Arabisch, Deutsch und Farsi. In der Öffentlichkeit treten Funktionäre und Unterstützer des IZH erheblich gemäßigter auf als beispielsweise Salafisten und suchen aktiv den gesellschaftlichen Kontakt, zum Beispiel mit Einladungen zum "Tag der offenen Moschee" (zuletzt am 3. Oktober 2019) oder der Organisation von Diskussionsveranstaltungen. Wie bereits in den Vorjahren beteiligten sich IZH-Besucher auch 2019 an der israelfeindlichen Demonstration zum "Jerusalem-Tag" ("Quds-Tag") in Berlin. Funktionäre des IZH wurden dieses Mal auf der Demonstration jedoch nicht festgestellt. Es ist aufgrund der massiven öffentlichen Kritik in den vergangenen Jahren nicht auszuschließen, dass das Fernbleiben führender Hamburger IZH-Funktionäre auch taktischen Überlegungen geschuldet ist. Am 1. Juni 2019 beteiligten sich etwa 100 Personen aus Hamburg und der Metropolregion an der von insgesamt rund 1.200 Demonstranten besuchten Versammlung, um ihren Protest gegen die Besetzung Jerusalems und ihre Solidarität mit den aus ihrer Sicht unterdrückten Palästinensern auszudrücken. Das LfV Hamburg berichtet über das IZH seit der Veröffentlichung des ersten gedruckten Verfassungsschutzberichtes vor rund drei Jahrzehnten. Aufgrund der vorliegenden Erkenntnisse über Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung wäre diese Berichterstattung auch ohne eine Beteiligung des IZH (Funktionäre oder Besucher) am Quds-Tag in Berlin erfolgt. INFOBOX Al-Quds ist der arabische Name für die Stadt Jerusalem. Der Quds-Tag wurde vom iranischen Regime nach der Machtübernahme 1979 als Feiertag eingeführt. Das IZH strebt den "Export der islamischen Revolution" an, unter anderem mittels einer umfangreichen Öffentlichkeitsarbeit. Die Inhalte sind dabei moderat formuliert und bieten nur selten Angriffsflächen. Nach außen 73 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten stellt sich das IZH als rein religiöse Einrichtung dar, die keine politischen Aktivitäten gestattet. Üblicherweise wird eine öffentliche Verbindung oder Identifizierung mit der iranischen Staatsführung vermieden. Dennoch ist das Staatsund Gesellschaftsverständnis des IZH vom Primat der Religion gegenüber Demokratie und Rechtsstaat geprägt. In Deutschland existiert eine Reihe schiitisch-islamischer Zentren und Organisationen. Das IZH hat ein bundesweites Kontaktnetz aufgebaut und übt auf Schiiten unterschiedlicher Nationalität sowie die schiitisch-islamischen Moscheen und Vereine Einfluss aus, bis hin zur vollständigen Kontrolle. Über diese Organisationen sorgt das IZH unter anderem mit finanziellen Mitteln für die Verbreitung der iranischen "Revolutionsidee" in unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen wie Religion, Bildung und Sport. Das IZH ist in einigen islamischen Dachverbänden vertreten, die derzeit nicht vom Verfassungsschutz beobachtet werden. In Hamburg wirkt es in führender Position in der zentralen islamischen Organisation "Rat der islamischen Gemeinschaften in Hamburg e.V." (SCHURA), einem Zusammenschluss zahlreicher Moschee-Trägervereine, mit. Auf Bundesebene sind Vertreter des IZH im "Zentralrat der Muslime in Deutschland" (ZMD) und in der "Islamischen Gemeinschaft der schiitischen Gemeinden in Deutschland e.V." (IGS) aktiv, auf europäischer Ebene in der "Islamisch-Europäischen Union der Schia-Gelehrten und Theologen" (IEUS). Die IGS und IEUS sind Beobachtungsobjekte des Verfassungsschutzverbundes. 74 Verfassungsschutz in Hamburg Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Gruppierungen mit Auslandsbezug Linksextremismus Rechtsextremismus Reichsbürger und Selbstverwalter Scientology-Organisation Spionageabwehr und Wirtschaftsschutz Geheimund Sabotageschutz Anhang Extremismus mit Auslandsbezug Der Verfassungsschutz beobachtet alle extremistischen Bewegungen in Deutschland. Darunter fallen auch extremistische Gruppierungen aus dem Ausland, die ihren Ursprung nicht in Deutschland haben, aber in Deutschland aktiv sind, um die politischen Verhältnisse in ihren Heimatländern durch antidemokratisches Verhalten zu verändern. Entsprechend ihrer politischen Ausrichtung handelt es sich dabei um linksoder rechtsextremistische sowie separatistische Organisationen, die ihre Konflikte nach Deutschland importieren. Die Zusammensetzung dieser Gruppen ist häufig heterogen und vereint ausländische, deutsche und deutsche Staatsangehörige mit Migrationshintergrund. Diese Organisationen aus dem Ausland unterliegen der Beobachtung des Verfassungsschutzes, wenn: f sie gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland verstoßen, f sie ihre politischen Auseinandersetzungen mit Gewalt auf deutschem Boden austragen und dadurch die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gefährden, f sie vom Bundesgebiet aus Gewaltaktionen in anderen Staaten durchführen oder unterstützen und dadurch auswärtige Beziehungen der Bundesrepublik Deutschland zu diesen Staaten gefährden, f sich ihre Aktivitäten gegen den Gedanken der Völkerverständigung, insbesondere das friedliche Zusammenleben der Völker, richten. Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Gruppierungen mit Auslandsbezug III. Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Gruppierungen mit Auslandsbezug 1. Entwicklungen und Schwerpunkte Die Aktivitäten extremistischer Gruppierungen mit Auslandsbezug in Deutschland stehen in einem engen Kontext zu den politischen, sozialen, wirtschaftlichen und ethnischen Entwicklungen und Auseinandersetzungen in den jeweiligen Heimatländern. Auch wenn sich ihre Anhänger in Deutschland legal verhalten und die Bundesrepublik als Rückzugsraum dient, werden sie vom Verfassungsschutz beobachtet. Aufgrund ihrer linksextremistischen, rechtsextremistischen oder separatistischen Ziele sowie die Propagierung oder Vorbereitung von Gewalt insbesondere in ihren Heimatländern gefährden sie die auswärtigen Belange Deutschlands. So befürworten militante türkische Linksextremisten Terroranschläge ihrer Gruppierungen in der Türkei, um das dortige politische System gewaltsam zu überwinden. Die in Hamburg zahlenmäßig und politisch bedeutsamsten Vereinigungen sind die kurdische Arbeiterpartei PKK ("Partiya Karkeren Kurdistan") sowie die linksextremistische türkische "Revolutionäre Volksbefreiungsfront" (DHKP-C). Beide Organisationen werden seit 2002 von der Europäischen Union auf der Liste der terroristischen Organisationen geführt. Der Verfassungsschutz beobachtet zudem die Aktivitäten türkisch-nationalistischer Rechtsextremisten wie der "Ülkücü"-Bewegung. PKK-Anhänger, auch aus Hamburg, reisten am 12. Januar 2019 nach Paris, um dort der Ermordung dreier Frauen zu gedenken. Am 9. Januar 2013 wurden die drei Angehörigen der PKK in einem kurdischen Informationsbüro in der Nähe des Pariser Nordbahnhofs erschossen. Die Verantwortung für die Morde sieht die PKK-Führung bei der türkischen Regierung. Der Fall ist bis heute nicht aufgeklärt; der mutmaßliche Täter starb im Dezember 2016 in einem Pariser Gefängnis an einem Hirntumor. Wie 2018 gab es auch im Jahr 2019 in mehreren deutschen Städten Proteste gegen die Angriffe des türkischen Militärs auf kurdische Siedlungs79 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Gruppierungen mit Auslandsbezug gebiete im Irak. Auch in Hamburg gab es Proteste, die von Linksextremisten, unter anderem aus der antiimperalistischen Szene, unterstützt wurden. ( siehe Kapitel IV, Punkt 5.1.4 "Antiimperialistische Gruppen") Das kurdische Neujahrsfest "Newroz" am 23. März 2019 in Frankfurt am Main ist traditioneller Höhepunkt des PKK-Jahreskalenders. An der Veranstaltung nahmen 25.000 Menschen teil. Die DHKP-C richtet seit 2012 jedes Jahr Großveranstaltungen mit der ihr nahestehenden türkischen Musikgruppe "Grup Yorum" aus. Im Jahr 2019 fand diese Veranstaltung am 1. Juni in Ludwigshafen mit mehreren hundert Teilnehmern statt. Seit dem bundesweiten Verbot der DHKP-C 1998 wurden mehr als 60 Funktionäre zu zum Teil langjährigen Haftstrafen verurteilt, auch in Hamburg. So gab es seitens der DHKP-C in Hamburg 2019 Solidaritätsaktionen für verurteilte Straftäter, und zwar für Musa A. (im Februar 2019 verurteilt) und Erdal G. (im Juni 2019 verurteilt). Es wurden regelmäßig Info-Stände und sogenannte Mahnwachen organisiert. Daran beteiligten sich auch deutsche Linksextremisten, vorwiegend aus der antiimperialistischen Szene. DHKP-C-Anhänger nahmen auch am Straßenfest der Brigittenstraße am 17. August 2019 teil, das von deutschen antiimperialistischen Linksextremisten mitveranstaltet wurde. Auch bei diesem Fest wurde durch türkische und deutsche Linksextremisten ein Auftritt der Band "Grup Yorum" organisiert. 2. Potenziale Im Jahr 2019 betrug die Zahl der Anhänger extremistischer Organisationen mit Auslandsbezug (ohne Islamisten) 28.820 Personen (2018: 30.350) und bleibt damit etwa auf dem Niveau des Vorjahres. Davon wurden rund 17.110 Personen (2018: 18.850) linksextremistischen und 11.650 Personen (2018: 11.550) rechtsextremistischen Organisationen zugerechnet. 80 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Gruppierungen mit Auslandsbezug Die zahlenmäßig größte Gruppe entfällt mit rund 14.500 Personen (2018: 14.500) weiterhin auf kurdische Gruppierungen. Anhänger des türkisch-nationalistischen Extremismus stellen mit 11.000 Anhängern (2018: 11.000) eine ebenso bedeutende Gemeinschaft dar. Gründe für die Rückgänge liegen überwiegend in der Beendigung der Beobachtung von Organisationen, die sich aufgelöst haben oder keine weiteren extremistischen Ziele mehr verfolgen. Personenpotenziale Auslandsextremismus - Bund 30.000 30.050 30.550 30.350 29.330 29.050 28.810 28.110 28.820 25.000 26.410 20.000 24.910 15.000 10.000 5.000 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 - Die Zahlen für die Personenpotenziale sind gerundet - In Hamburg ist die Anzahl der Anhänger ausländischer extremistischer Vereinigungen auf 790 Personen (2018: 845) zurückgegangen: f PKK: 550 Personen (2018: 600) f Türkische Linksextremisten: 130 Personen (2018: 135) 81 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Gruppierungen mit Auslandsbezug f Anhänger türkisch-nationalistischer Strömungen: 110 Personen (2018: 110) Der Rückgang bei der PKK ist auf mehrere Faktoren zurückzuführen. Zum einen wird eine stärkere Repression bei Reisen in die Türkei oder dort lebende Angehörige durch den türkischen Staat befürchtet. Zum anderen ist aber auch bei der jüngeren Generation eine nachlassende Bindungswirkung zu beobachten. Dies äußert sich in zurückgehenden Teilnehmerzahlen an PKK-Veranstaltungen und in einem geringeren Engagement in den sozialen Medien. Personenpotenziale Auslandsextremismus - Hamburg 1.000 920 860 850 850 850 800 850 845 790 770 770 600 400 200 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 - Die Zahlen für die Personenpotenziale sind gerundet - Die PKK verfügt über das konkrete Potenzial hinaus in Hamburg über ein Sympathisantenumfeld, das sich mit den Zielen der Terrororganisation, insbesondere Abdullah Öcalan als Person und Führungsfigur sowie mit der Anti-Haltung gegenüber dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, identifiziert. Wie im Jahr 2018 ist insgesamt von einem Unterstützerpotenzial von rund 1.500 Personen auszugehen, die anlassbezogen immer wieder für Demonstrationen zu mobilisieren sind. 82 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Gruppierungen mit Auslandsbezug 3. Politisch motivierte Kriminalität (PMK) 2019 wurden 122 politisch motivierte Straftaten im Bereich des Extremismus mit Auslandsbezug in Hamburg erfasst (2018: 141). Darin enthalten sind sechs extremistische Straftaten (2018: 23). Politisch motivierte Kriminalität (PMK) Ausländer 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 PMK Ausländer 14 33 40 34 130 107 168 79 141 122 gesamt davon extremistische 3 5 5 3 101 16 29 4 23 6 Kriminalität hiervon extremistische 1 4 3 0 32 4 6 1 19 0 Gewaltdelikte Die Zahlen stammen aus den jeweiligen Jahres-Statistiken der Polizei Hamburg - Stand: Februar 2020 - Der wesentliche Grund für die Entwicklung ist der Rückgang der Propagandadelikte. So wurden im Jahr 2019 während Demonstrationen weniger Propagandadelikte wie das Zeigen von verbotenen Symbolen (PKK-Fahnen, Öcalan-Bilder etc.) festgestellt als im Jahr 2018. 83 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Gruppierungen mit Auslandsbezug 4. PKK (Arbeiterpartei Kurdistans) 4.1. Entwicklungen und Organisatorisches Die am 27. November 1978 in der Türkei gegründete "Arbeiterpartei Kurdistans" (Partiya Karkeren Kurdistan", PKK) unterliegt in Deutschland seit dem 26. November 1993 einem Betätigungsverbot. Der Bundesgerichtshof hat in seinem Urteil vom 28. Oktober 2010 festgestellt, dass es sich bei der PKK um eine ausländische terroristische Vereinigung handelt. Entsprechende Ermittlungen Logo der PKK der Strafverfolgungsbehörden in Deutschland werden deshalb nach den SSSS 129 a, b StGB ("Bildung terroristischer Vereinigungen" sowie "Kriminelle und terroristische Vereinigungen im Ausland") geführt. Die PKK begann 1984 hauptsächlich im Südosten der Türkei einen Guerillakrieg gegen das türkische Militär. Das Ziel, einen eigenen kurdischen Staat zu bilden, wurde später aufgegeben und durch die Forderung nach begrenzter Autonomie innerhalb der Türkei bei Anerkennung der nationalstaatlichen Grenzen ersetzt. Der Gründer der PKK, Abdullah Öcalan, befindet sich seit 1999 in der Hochsicherheits-Strafvollzugsanstalt auf der Insel Imrali in Haft, die von der Türkei seit 1935 als Gefängnisinsel genutzt wird. Basierend auf den an den Marxismus angelehnten politischen Vorstellungen Öcalans, wurde seit 2005 die Idee eines überstaatlichen Gemeinwesens der Kurden entwickelt. Als organisatorische Struktur wurde 2007 hierzu die Organisation "Vereinigte Gemeinschaften Kurdistans" (Koma Civaken Kurdistan - KCK) ins Leben gerufen. Trotz seiner Inhaftierung fungiert Öcalan formell weiterhin als Führer der KCK. Die von Öcalan und dem Exekutivrat der KCK festgelegte Führungslinie gilt quasi als Gesetz. 84 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Gruppierungen mit Auslandsbezug 4.2. Aktivitäten und Schwerpunkte in Deutschland Die PKK verfügt ungeachtet des Betätigungsverbots in Deutschland weiterhin über einen illegalen und konspirativ handelnden Funktionärskörper. Für ihren großen Funktionärsapparat, ihre umfangreichen Aktivitäten sowie zur Unterstützung der Guerilla in der Türkei und den angrenzenden Staaten benötigt die PKK erhebliche finanzielle Mittel, die nach Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden auch in Europa beschafft werden. Die Einnahmen stammen aus Beiträgen der Mitglieder, dem Verkauf von Publikationen und den Erlösen aus Veranstaltungen. Den größten Teil bringen dagegen die jährlichen Spendensammlungen ein. Zum Selbstverständnis der PKK gehört der propagierte Alleinvertretungsanspruch für alle Kurden. Daher deklariert die Terrororganisation die Spenden als "Steuer", die für die "Befreiung Kurdistans" genutzt werde und der sich kein Kurde entziehen könne. Die Spenden stehen stets im Kontext aktueller Ereignisse in der Herkunftsregion. Auf Europaebene liegen die Parteiarbeit und auch die Koordinierung des Vereinslebens der PKK in den Händen ihres politischen Arms, dem "Kongress der kurdisch-demokratischen Gesellschaft in Europa" (Kongreya Civaken Demokratik a Kurdistaniyen Li Ewropa, KCDK-E), der sich ursprünglich aus der "Koordination der kurdischen demokratischen Gesellschaft in Europa" (CDK) und dem europäischen Dachverband nationaler Vereinsverbände (KON-KURD) bildete. Dem KCDK-E sind weitere Dachverbände kurdischer Vereine angeschlossen. In Deutschland trat für die Belange der PKK, die Umsetzung von Vorgaben der Führungsspitze und den Informationsfluss zur Basis bisher überwiegend die Dachorganisation "Demokratisches Gesellschaftszentrum der KurdenInnen in Deutschland" (Navenda Civaka Demokratik ya Kurden li Almanyaye, NAV-DEM) ein. Das NAV-DEM übernahm vor allem Propagandatätigkeiten, indem es für Presseerklärungen und Flugblätter verantwortlich war und seine Angehörigen als Anmelder öffentlicher Veranstaltungen fungierten. Neben aktuellen Kampagnen setzte sich das NAV-DEM kontinuierlich für die Aufhebung des Betätigungsverbots in Deutschland ein und 85 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Gruppierungen mit Auslandsbezug forderte die Streichung der PKK und ihrer Nachfolgeorganisationen von der EU-Terrorliste. Als neue Dachorganisation wurde Anfang Mai 2019 die "Konföderation der Gemeinschaften Mesopotamiens in Deutschland" (KON-MED) gegründet. Der KON-MED sollen insgesamt fünf regionale Föderationen angehören. Die zahlreichen Ortsvereine dienen den PKK-Anhängern als lokale Treffpunkte und Anlaufstellen. Sie wurden in den vergangenen Jahren einheitlich in "Demokratisch-kurdische Gesellschaftszentren" umbenannt. Die PKK und die ihr angeschlossenen Organisationen führen in der Regel mehrere bundesund europaweite Großveranstaltungen pro Jahr durch. Diese identitätsstiftenden Events dienen in erster Linie dazu, wichtige Themen der PKK ins Bewusstsein der eigenen Anhänger zu rufen, um den inneren Zusammenhalt zu stärken. Darüber hinaus haben sie auch eine meinungsbildende Wirkung nach außen. In Paris fand am 12. Januar 2019 anlässlich des sechsten Jahrestages der Ermordung dreier PKK-Funktionärinnen eine Großdemonstration unter dem Motto "Gegen die Straflosigkeit, für Gerechtigkeit - Wir kennen die Mörder, sie müssen vor Gericht gestellt werden" statt. Viele der Teilnehmer waren aus Deutschland mit von PKK-nahen Vereinen angemieteten Bussen angereist. Die PKK macht die türkische Regierung für die Morde verantwortlich. Am 23. März 2019 nahmen rund 25.000 Personen, überwiegend PKK-Anhänger, in Frankfurt am Main am traditionellen Neujahrsfest "Newroz" teil. INFOBOX Newroz-Fest - Newroz (auch Nouruz) bedeutet "Neuer Tag" und bezeichnet das persische Neujahrsund Frühlingsfest, das am 20. oder 21. März (dem Eintritt der Sonne in das Tierkreiszeichen des Widders) als Frühlingsbeginn gefeiert wird. 86 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Gruppierungen mit Auslandsbezug Parallel fanden zudem weitere lokale Feierlichkeiten und Aktionen im gesamten Bundesgebiet statt. Im Mittelpunkt der Veranstaltungen stand die Forderung der PKK an den türkischen Staat, die "Isolationshaft" Öcalans auf der Insel Imrali zu beenden. Das alljährliche Jugend-, Kulturund Sportfestival der PKK wurde am 13. Juli 2019 als "Internationalistisches Jugendfestival" unter dem Slogan "Smash Fascism Not The Planet" im nordrhein-westfälischen Euskirchen veranstaltet. Wesentliche Themen waren die Lage in den kurdischen Siedlungsgebieten und das Gedenken an die sogenannten "Märtyrer" der PKK. 4.3. Situation in Hamburg Die politische Linie der Dachverbände wird auf lokaler Ebene von den jeweiligen Ortsvereinen umgesetzt. In Hamburg dient der 2008 gegründete und seit einigen Jahren unter der Bezeichnung "Demokratisch-kurdisches Gesellschaftszentrum" geführte Verein mit seinen Räumlichkeiten am Steindamm 62 in St. Georg als zentraler Anlaufpunkt für PKK-Anhänger. Wiederholt trat der Verein als Veranstalter von Gedenkfeiern für sogenannte "Märtyrer" der PKK und Organisator von Demonstrationen in Erscheinung. Die eigentlichen Entscheidungsträger der PKK, so auch in Hamburg, sind die von der Organisation nach einem Rotationsprinzip in der Regel für einige Monate bis zu einem Jahr entsandten "Kader". Diese sind jedoch häufig nicht in der Lage, die eigene Gefolgschaft zu einer Mitarbeit, zum Beispiel in Ausschüssen, zu motivieren oder deren Akzeptanz zu erlangen. Dies liegt zum Teil an der kurzen Verweilzeit der Kader, die ihnen kaum einen tieferen Einblick in interne Abläufe und informelle Strukturen mit ihren regionalen Besonderheiten erlaubt. Die mitunter mangelnde Kooperationsbereitschaft der Anhänger ist daneben auch auf deren finanzielle Abschöpfung, die erhebliche zeitliche Intensität der Aufgaben und Einbindungen sowie den verpflichtenden Druck durch kaum erreichbare Vorgaben der PKK-Führung zurückzuführen. 87 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Gruppierungen mit Auslandsbezug Auch im Jahr 2019 waren in Hamburg zahlreiche Ereignisse und Aktivitäten mit PKK-Hintergrund zu verzeichnen. Laut einer Meldung der PKK-nahen Nachrichtenagentur "Firat News Agency" (ANF) vom 6. Januar 2019 kam der deutsche Staatsangehörige Jakob R. (Kampfname Siyar Gabar) aus Hamburg Mitte 2018 im Kampf für die "Volksverteidigungskräfte" (Hezen Parastina Gel, HPG), dem bewaffneten Arm der PKK, ums Leben. In einer hierzu veröffentlichten Presseerklärung der HPG heißt es: "Im Kampf gegen die kolonialistische Besatzung Kurdistans ist unser Freund Siyar Gabar am 9. Juli 2018 bei einer Militäroperation der türkischen Armee in der Region Carcella in Gever (Yüksekova, Provinz Colemerg/Hakkari) gefallen." R. sei bereits in Deutschland in verschiedenen "linken Gruppen" aktiv gewesen, habe dabei das kurdische Volk und seinen "Befreiungskampf" ebenso kennengelernt wie die Ideologie des PKK-Gründers Abdullah Öcalan. Im Jahr 2013 sei der Deutsche nach Kurdistan ausgereist und habe sich den HPG angeschlossen. Eine Stellungnahme der Hamburger Ortsgruppe der linksextremistisch beeinflussten Kampagne "TATORT Kurdistan" erschien am 7. Januar 2019 auf deren Website. "TATORT Kurdistan" wird von zahlreichen linksextremistischen Gruppierungen unterstützt, darunter mehrere Antifa-Gruppen, die Nachwuchsorganisation der Partei Die Linke, linksjugend 'solid, die MLPD und die gewaltorientierte Interventionistische Linke. Man habe mit dem "Freund" Jakob R. in verschiedenen Projekten, unter anderem bei Demonstrationen und Kundgebungen, zusammengearbeitet. Seine Entscheidung, 2013 "in die Berge zu gehen", habe überrascht, aber nicht verwundert. Sein Tod mache traurig und wütend: "Denn der Krieg, der der Bevölkerung in Kurdistan aufgezwungen wird, kommt aus dem Imperium, aus der Metropole, aus Europa, aus Deutschland, auch aus Hamburg! [...] Wir werden alles tun, diese Revolution zu verteidigen!" 88 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Gruppierungen mit Auslandsbezug Bereits seit Ende 2018 führten PKK-Anhänger sowohl in der Türkei als auch in Deutschland und weiteren europäischen Ländern befristete Hungerstreikaktionen durch, um gegen die "Isolationshaft" Abdullah Öcalans zu protestieren - so auch im lokalen PKK-Verein in Hamburg. Im Januar 2019 versuchte die PKK, eine größere Aufmerksamkeit auf diese Hungerstreiks zu lenken. Am 8. Januar 2019 sind in Hamburg etwa 50 Anhänger zum Nachrichtenmagazin DER SPIEGEL gegangen, um dort ein entsprechendes "Informationsdossier" zu übergeben. Darüber hinaus fanden von März bis Mai 2019 zahlreiche Versammlungen und Aufzüge in Hamburg mit Teilnehmerzahlen von 150 bis 2000 zum Tenor "Isolation ist Folter, Stoppt die Isolation - Freiheit für Abdullah Öcalan!" statt. Die Hungerstreikaktionen wurden beendet, nachdem Öcalan die Anhänger in einem Brief vom 22. Mai 2019 hierzu ausdrücklich aufgerufen hatte. Am 22. Februar 2019 verurteilte das Hanseatische Oberlandesgericht (HansOLG) Hamburg den türkischen Staatsangehörigen Mahmut K. wegen Mitgliedschaft in der ausländischen terroristischen Vereinigung PKK zu einer Haftstrafe von einem Jahr und fünf Monaten. Die Strafe wurde zur Bewährung ausgesetzt. Die Generalstaatsanwaltschaft Hamburg hatte K. zur Last gelegt, in die Hierarchie der PKK eingebunden gewesen zu sein. Als Führungskader habe er die Strukturen, Ziele und Programme der Organisation sowie deren Methoden und Aktivitäten in der Türkei gekannt. Von Juni 2013 bis Juni 2014 habe K. die Aufgaben eines Gebietsleiters für das PKK-Gebiet Bremen übernommen und unter Decknamen als typische Leitungsaufgaben die organisatorischen, finanziellen, personellen sowie propagandistischen Angelegenheiten in seinem Zuständigkeitsbereich erledigt. Dabei habe er Weisungen des ihm übergeordneten Gebietsleiters des PKK-Sektors Nord entgegengenommen und an nachgeordnete Personen weitergegeben. Wiederholt habe K., unter anderem in Hamburg und Bremen, an Treffen mit anderen PKK-Gebietsverantwortlichen teilgenommen. Im Rahmen seiner Tätigkeit habe er sich um die Organisation von Veranstaltungen und Kundgebungen gekümmert und für diese geworben. K. selbst habe mehrfach als Repräsentant der PKK an Konferenzen und Kundgebungen zu kurdischen Interessen teilgenommen. 89 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Gruppierungen mit Auslandsbezug Am 19. August 2019 enthob das türkische Innenministerium die Bürgermeister der Provinzhauptstädte Diyarbakir, Mardin und Van im kurdisch dominierten Südosten der Türkei ihres Amtes. Laut Medienberichten wird den drei Politikern, die der pro-kurdischen "Demokratischen Partei der Völker" (Halklarin Demokratik Partisi, HDP) angehören sollen, "Verbreitung von Terrorpropaganda" oder "Mitgliedschaft in einer Terrororganisation" vorgeworfen. In den darauffolgenden Tagen kam es bundesweit in zahlreichen Städten zu Protestaktionen gegen die türkische Regierung. Einige dieser Demonstrationen wurden von örtlichen PKK-Vereinen organisiert und unterstützt. Auch in Hamburg fanden mehrere Logo der HDP Kundgebungen und Aufzüge statt. Ab Mitte Oktober 2019 bestimmte die türkische Militäroperation "Quelle des Friedens" die Aktivitäten der PKK und ihrer Anhänger in Hamburg. Die Operation diente nach Angaben der Türkei der Errichtung einer rund 30 Kilometer tiefen sogenannten "Sicherheitszone" entlang der syrisch-türkischen Grenze; sie war seit Langem vom türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan angekündigt. INFOBOX "Rojava" - Im Norden Syriens wurde während des Bürgerkrieges eine Quasiautonomie-Zone unter dem Namen "Demokratische Föderation Nordund Ostsyrien" errichtet, die innerhalb der PKK-Anhängerschaft als "Rojava" bezeichnet wird. In diesem überwiegend kurdisch bewohnten Gebiet haben die syrische PKK-Schwesterorganisation "Partei der Demokratischen Union" (Partiya Yekitiya Demokrat, PYD) und ihre bewaffneten Arme, die "Volksverteidigungseinheiten" (Yekineyen Parastina Gel, YPG) und die "Volksverteidigungseinheiten der Frauen" (Yekineyen Parastina Jin, YPJ), eine führende Rolle eingenommen. Die Türkei betrachtet die PYD mit den YPG/YPJ als Bedrohung und hat diese bereits im Rahmen der Militäroffensive "Operation Olivenzweig" Anfang 2018 in Syrien bekämpft. 90 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Gruppierungen mit Auslandsbezug Schon vor dem Beginn erneuter Kampfhandlungen gab es Aktionen und Stellungnahmen seitens der PKK. So rief unter anderem der Dachverband KON-MED zur Solidarität und zum Widerstand gegen die drohende Invasion der Türkei in Nordsyrien auf. In einer Erklärung vom 7. Oktober 2019 hieß es: "Auch hier in Deutschland werden wir gegenüber einem solchen Krieg nicht schweigen und unseren Protest auf die Straße tragen." In Hamburg mobilisierte an diesem Tag im Bereich Sternschanze das linksextremistische Aktionsbündnis "#riseup4rojava" unter dem Motto "Tag X" rund 250 Teilnehmer. An dem nicht angemeldeten Aufzug beteiligten sich auch deutsche Linksextremisten. Die türkische Militäroffensive begann am 9. Oktober 2019 im Nordosten Syriens mit Angriffen auf mutmaßliche Stellungen der YPG/YPJ. In der Folge fanden bereits am Abend desselben Tages im Bereich Sternschanze/St. Pauli/Altona-Altstadt zwei Eilversammlungen statt. Beide schlossen sich im weiteren Verlauf zu einem gemeinsamen Aufzug mit fast 1000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern zusammen. Dabei wurden vereinzelt Pyrotechnik gezündet, Vermummung angelegt sowie verbotene PKK-Symbolik Plakat des Aktionsbündnises #RISEUP4ROJAVA gezeigt. aus Dezember 2019. Bild LfV HH Am 12. Oktober 2019 kam es im Anschluss an eine Versammlung mit dem Tenor "Solidarität mit den Menschen in Rojava, Solidarität mit der YPG und YPJ!" zu einer kurzzeitigen Aktion in der Hamburger Innenstadt. Rund 350 Personen verblieben nach der Schlusskundgebung auf dem Gerhart-Hauptmann-Platz und errichteten dort mit Wurfzelten ein sogenanntes "Protestcamp". Nach etwa 90 Minuten wurde die Aktion beendet. 91 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Gruppierungen mit Auslandsbezug 5. Weitere türkische extremistische Gruppierungen 5.1. Revolutionär-marxistische Gruppierungen Türkische linksextremistische Organisationen verfolgen den revolutionären Umsturz in der Türkei und wollen das türkische Staatssystem zerschlagen, um es durch eine marxistische Gesellschaftsordnung zu ersetzen. Um diese Ziele zu erreichen, propagieren sie den bewaffneten Kampf in der Türkei und führen dort immer wieder terroristische Aktionen durch. Ziele sind vor allem staatliche türkische Einrichtungen, insbesondere Gebäude der türkischen Sicherheitsbehörden (Armee, Polizei, Justiz), aber auch Angehörige dieser Behörden. Trotz ideologischer Gemeinsamkeiten und punktueller Bemühungen um eine stärkere Vernetzung ist die gesamte Szene stark zersplittert. Die Mitgliederzahlen der einzelnen Gruppierungen stagnieren. Durch Spendenkampagnen, den Verkauf von Publikationen und durch Einnahmen auf Veranstaltungen unterstützen türkische linksextremistische Gruppen die in der Türkei aktiven Guerilla-Organisationen. In Hamburg sind folgende türkische linksextremistische Organisationen aktiv: f "Devrimci Halk Kurtulus Partisi-Cephe" (DHKP-C, Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front) f "Türkiye Komünist Partisi / Marksist Leninist" (TKP/ML, Kommunistische Partei der Türkei/Marxistisch-Leninistisch) f "Maoist Komünist Partisi" (MKP, Maoistische Kommunistische Partei) f "Marksist Leninist Komünist Partisi" (MLKP, Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei) Die mit rund 50 Anhängern größte Gruppierung in Hamburg ist die "Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front" (DHKP-C). 92 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Gruppierungen mit Auslandsbezug INFOBOX DHKP-C - Die marxistisch-leninistische "Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front" (DHKP-C) will die bestehende Staatsund Gesellschaftsordnung der Türkei mit Gewalt abschaffen und durch ein sozialistisches Gesellschaftssystem ersetzen. Zu diesem Zweck verüben Anhänger der Organisation in der Türkei Terroranschläge, vorrangig gegen Einrichtungen des türkischen Staates. [Bundesamt für Verfassungsschutz: Kompendium des BfV. Darstellung ausgewählter Arbeitsbereiche und Beobachtungsobjekte, Dezember 2018.] Die Errichtung einer sozialistischen Gesellschaft in der Türkei ist laut Parteiprogramm der DHKP-C nicht durch demokratische Wahlen zu erreichen, sondern ausschließlich durch den bewaffneten Volkskampf unter Führung der Partei, beziehungsweise ihres militärischen Arms, der "Revolutionären Volksbefreiungsfront" (DHKC). Ziel der militärischen Aktionen ist, das Volk zum Krieg gegen den Imperialismus und die verbündete Oligarchie sowie gegen den "AKP-Faschismus" zu veranlassen. In Deutschland unterliegt die DHKP-C seit 1998 einem Organisationsverbot. Die Europäische Union listet sie seit 2002 und die USA bereits seit 1997 als terroristische Organisation. Die DHKP-C tritt in Deutschland unter verschiedenen Tarnbezeichnungen wie "Volksfront" (Halk Cphesi), "Volksrat" (Halk Meclisi) Logo der DHKP-C und gelegentlich noch unter "Anatolische Föderation" auf. Daneben findet auch die Bezeichnung "Dev Genc", der Name der DHKP-C-Jungendorganisation "Revolutionäre Jugend" regelmäßig Verwendung. 93 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Gruppierungen mit Auslandsbezug Propaganda-Aktivitäten der DHKP-C in Deutschland werden auch durch Konzertauftritte der Musikband "Grup Yorum" unterstützt. Inhaltlich spiegeln die Lieder die Themen der DHKP-C wider. Die Auftritte der Musikband dienen letztlich der Verbreitung der Ideologie der DHKP-C und erschließen der Organisation einen neuen, über die eigene Anhängerschaft hinausgehenden Adressatenkreis. Am 25. Januar 2018 begann vor dem Staatsschutzsenat des Hanseatischen Oberlandesgerichts das Verfahren gegen den Europaleiter der DHKP-C, Musa A. (SSSS 129 a, b StGB). Der Angeklagte wurde am 6. Februar 2019 zu einer Haftstrafe von sechs Jahren und neun Monaten verurteilt, da er sich nach Auffassung des Gerichts als Mitglied und führender Funktionär an der ausländischen terroristischen Vereinigung DHKP-C beteiligt hat. Er galt seit Jahren als Führungsperson der Organisation in Westeuropa, der sogenannten Rückfront, und soll unter anderem mit dem Nachschub an Waffen für die Kampfeinheiten der DHKP-C in der Türkei befasst gewesen sein. Am 27. Juni 2019 wurde Erdal G. wegen der Mitgliedschaft in der DHKP-C zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt. Die Unterstützung solcher aus Sicht der Terrororganisation sogenannter "revolutionären Gefangenen" ist unverändert ein wesentlicher Teil der Aktivitäten der DHKP-C in Deutschland. Regelmäßig arbeiten DHKP-C-Anhänger mit linksextremistischen antiimperialistischen Gruppierungen zusammen, die sich auf solidarische Unterstützung bei Demonstrationen, Kundgebungen und Veröffentlichungen erstreckt. So fand schließlich am 17. August 2019 in Hamburg, anlässlich des von Antiimperialisten maßgeblich organisierten Straßenfestes Brigittenstraße/ Wohlwillstraße ( siehe Punkt 1 "Entwicklungen und Schwerpunkte"), ein Konzert der DHKP-C nahen Musikgruppe "Grup Yorum" statt. 94 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Gruppierungen mit Auslandsbezug 5.2. ADÜTDF/Türkische Nationalisten Die "Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in Deutschland e.V." ("Almanya Demokratik Ülkücü Türk Dernekleri Federasyonu", ADÜTDF) wurde 1978 in Frankfurt am Main gegründet. Sie gilt als Auslandsvertretung der rechtsextremistischen türkischen "Partei der Nationalistischen Bewegung" ("Milliyetci Hareket Partisi", MHP). Das Umfeld türkischer Nationalisten und Rechtsextremisten firmiert ferner unter der Bezeichnung "Ülkücü" (übersetzt "Idealisten") und "Bozkurt" ("Graue Wölfe"). Die Bezeichnungen "Ülkücü" und "Bozkurt" stehen letztlich immer für denselben Personenkreis türkischer Nationalisten. Ihre Ideologie kennzeichnet sich durch: Logo der ADÜTDF f den Turanismus/Panturkismus - die Idee der ethnischen und kulturellen Verbundenheit aller Turkvölker und daraus resultierende Gebietsansprüche; f eine türkische Auslegung des sunnitischen Islam; f eine ausgeprägte kurdenfeindliche Ausrichtung. Der ADÜTDF werden rund 10.000 Mitglieder und Unterstützer zugerechnet. Sie ist damit die größte Organisation türkisch-nationalistischer Bestrebungen in Deutschland. Der Ülkücü in Hamburg werden etwa 100 Personen zugerechnet; das Mobilisierungspotenzial liegt allerdings mit mehreren hundert Personen deutlich höher, da türkische Rechtsextremisten gezielt gesamttürkische Themen aufgreifen, um auch Nicht-Mitglieder anzusprechen. In Hamburg wird die ADÜTDF vom "Türkischen Kulturzentrum Hamburg e.V." repräsentiert. Die Aktivitäten der ADÜTDF in der realen Welt sind vorwiegend interne Veranstaltungen (unter anderem Vorträge, Musikbeiträge und ähnliches). Im Internet sind Hamburger Nationalisten indes 95 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Gruppierungen mit Auslandsbezug deutlich aktiver und reagieren zeitnah auf aktuelle politische und gesellschaftliche Entwicklungen. Die ADÜTDF bemüht sich darum, sich als eine Art "Familienverband" zu präsentieren. Mit kulturellen Veranstaltungen und Festen soll die sogenannte "türkische Identität" ausgelebt und für alle zugänglich gemacht, ein "Wir-Gefühl" geschaffen und so eine Distanz zur deutschen Gesellschaft gehalten werden. Den Verantwortlichen ist eine seriöse Außendarstellung wichtig. Die Mitglieder werden angewiesen, sich an die bestehenden Gesetze ihrer Länder zu halten und sich nicht vom politischen Gegner - in erster Linie der (PKK) - provozieren zu lassen. Dennoch kam es im Zusammenhang mit PKK-Demonstrationen gegen die türkischen Militäraktionen in Syrien im Oktober 2019 auch in Hamburg vereinzelt zu kleineren Zusammenstößen von Mitgliedern der beiden Lager. Die bedeutendste Veranstaltung, die dem Hamburger Ableger der ADÜTDF im Jahr 2019 zuzurechnen ist, war das Fastenbrechen am 12. Mai 2019 mit mehr als 700 Teilnehmern. Dort traten in der Ülkücü-Szene bekannte Redner und Sänger sowie der Vorsitzende der ADÜTDF Sentürk Dogruyol auf. Die verschiedenen Gruppierungen des türkischen rechtsextremistischen Lagers traten auch 2019 selbstbewusster und politischer auf als in der Vergangenheit. Dies zeigt sich vor allem in den sozialen Netzwerken, in denen der türkische Staatspräsidenten Erdogan und die türkische Regierung vielfach kritiklose Unterstützung der hiesigen Ülkücü-Anhänger erfahren. Insbesondere der gescheiterte Putschversuch in der Türkei 2016 führte dazu, dass sich zumindest Teile der Ülkücü-Bewegung verstärkt dem türkischen Präsidenten zugewandt haben. 96 Verfassungsschutz in Hamburg Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Gruppierungen mit Auslandsbezug Linksextremismus Rechtsextremismus Reichsbürger und Selbstverwalter Scientology-Organisation Spionageabwehr und Wirtschaftsschutz Geheimund Sabotageschutz Anhang Linksextremismus Der Begriff "Linksextremismus" ist eine Sammelbezeichnung für unterschiedliche, auch sich teilweise deutlich unterscheidende Positionen, Einstellungen, Strategien und Organisationsformen (zum Beispiel Autonome, Postautonome, Antiimperialisten, Antifaschisten, orthodoxe Kommunisten, Trotzkisten). Je nach politisch-ideologischer Ausrichtung streben Linksextremisten eine sozialistische, kommunistische, autonome oder anarchistische Gesellschaftsordnung an. Einig ist sich diese heterogene Szene, der sozialen Gleichheit eine zentrale Rolle zuzuschreiben, sowie in dem Bestreben, die freiheitliche demokratische Grundordnung und damit die durch das Grundgesetz vorgegebene Staatsund Gesellschaftsordnung der Bundesrepublik Deutschland überwinden zu wollen. Insbesondere die parlamentarische Demokratie ist nach linksextremistischer Überzeugung als "Herrschaftsinstrument des Kapitalismus" zu betrachten und von daher zu beseitigen. Zahlreiche Gruppierungen halten dafür auch den Einsatz von Gewalt für ein legitimes Mittel. Die größte Gruppe innerhalb der gewaltbereiten linksextremistischen Szene bilden die Autonomen. Diese haben in der Regel weder klare Strukturen noch gemeinsame politische Zielsetzungen, aber sie sind sich darin einig, den Staat und seine Einrichtungen notfalls mit Gewalt zerschlagen zu wollen. Ihre hauptsächlichen Agitationsund Aktionsfelder sind: Antifaschismus, Antirepression, Antimilitarismus, Antirassismus, Antiglobalisierung und Antiimperialismus. Aufgrund ihrer Ablehnung von Hierarchien und Herrschaft gibt es zwischen Autonomen und anderen linksextremistischen Gruppierungen zum Teil große weltanschauliche Differenzen. Linksextremismus IV. Linksextremismus 1. Entwicklungen und Schwerpunkte Linksextremisten verfolgen, je nach Gruppierung und ideologischer Ausrichtung, das Ziel, eine sozialistische, kommunistische oder eine Art "herrschaftsfreie", autonome oder anarchistische Gesellschaftsordnung zu schaffen; indes wird in den seltensten Fällen das angestrebte Gesellschaftsmodell, das die Demokratie ersetzen soll, genauer beschrieben. Unter den zahlreichen unterschiedlichen linksextremistischen Strömungen und Gruppierungen, beispielweise zwischen Kommunisten und Autonomen, bestehen deutliche weltanschauliche Unterschiede und Gegensätze. Einigkeit herrscht lediglich im Bestreben, die freiheitliche demokratische Grundordnung und damit die durch das Grundgesetz vorgegebene Staatsund Gesellschaftsordnung der Bundesrepublik Deutschland überwinden zu wollen. Die parlamentarische Demokratie ist, inklusive ihrer Repräsentanten, nach linksextremistischer Überzeugung als vorgebliches "Herrschaftsinstrument des Kapitalismus" (so zum Beispiel Linksjugend 'solid, Nordrhein-Westfalen, Dezember 2018) zu betrachten und mit diesem untrennbar verbunden. Die Entwicklungen im Jahr 2019 in der linksextremistischen Szene stehen nach wie vor in einem engen Kontext zum G 20-Gipfel im Jahr 2017. Galt für die Zeit nach dem Gipfel für ein knappes Jahr eine strategische Zurückhaltung, um zum Beispiel Debatten um Verbot und Räumung der autonomen Roten Flora zu vermeiden, sind seit Frühjahr 2018 wieder vermehrt auch militante Aktivitäten der Szene festzustellen. Dabei wird das Thema "Anti-Repression" als notwendiger Teil des auch gewaltsamen Widerstands gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung verstanden. Zahlreiche Taten werden nach wie vor mit dem G20-Gipfel und seinen Folgen, vor allem Ermittlungsverfahren, Festnahmen und Prozesse, begründet. Insbesondere stehen bei Gerichtsverfahren Justizund Polizeigebäude im Fokus potenzieller Angriffe. 101 Linksextremismus Der Aufruf zum "Kampf gegen das System" findet sich in vielen Formen wieder. (Symbolfoto) Grafik: LfV HH Nachdem es am ersten Jahrestag des G20-Gipfels zu einer Anschlagserie kam, konnten schließlich zum zweiten Jahrestag am 8. Juli 2019 drei Tatverdächtige mutmaßlich bei der Vorbereitung von Brandanschlägen festgenommen werden. Seitdem gibt es bundesweite Resonanzstraftaten und Solidaritätsbekundungen für die in der Szene ob des Festnahmeortes verharmlosend "Drei von der Parkbank" genannten Tatverdächtigen ( siehe Punkt 4 "Militanzdebatte und linksextremistische Gewalt"). Regelmäßig werden sogenannte "Soliveranstaltungen" der linksextremistischen Gruppierung "Rote Hilfe" zugunsten Inhaftierter, auch im Kontext der andauernden G20-Ermittlungen der Hamburger Sonderkommission der Polizei "Schwarzer Block", durchgeführt. Einen vorläufigen Höhepunkt der Gewaltexzesse in diesem Kontext bildeten die Anschläge auf Staatsrat Jan Pörksen (22. Oktober 2019) und Innensenator Andy Grote (13. Dezember 2019) ( siehe Punkt 4 "Militanzdebatte und linksextremistische Gewalt"). Die in den letzten Jahren gestiegene Aggressivität der linksextremistischen Szene setzt sich auch im Jahr 2019 fort. Die Schwelle zur gezielten Gewaltanwendung gegenüber Personen ist deutlich gesunken. Mit den Umständen zahlreicher Taten bundesweit, vor allem mit der Art und Weise der Tatbegehung, der Gefährdung von Leib und Leben auch Unbeteiligter sowie dem Duktus bestimmter Selbstbezichtigungen wurde eine neue Eskalationsstufe erreicht. 102 Linksextremismus Linksextremisten, zum Beispiel Autonome, arbeiteten sich auch an der Novellierung des Hamburgischen Polizeigesetzes sowie des Verfassungsschutzgesetzes ab. Ein "Bündnis gegen das neue Polizeigesetz" (unter anderem mit Beteiligung der "Roten Hilfe") rief für den 15. November 2019 zu einer Demonstration auf, an der mehr als 2.000 Menschen teilnahmen. Einen Höhepunkt für die autonome Szene stellte das 30-jährige Bestehen der Roten Flora dar, das im Herbst 2019 über drei Monate ausgiebig begangen wurde. Für die verschiedenen Antifa-Gruppierungen war die AfD der politische Hauptgegner und Zielpunkt ihrer Aktivitäten und Aktionen. Gemeinsam mit linksextremistisch beeinflussten Organisationen aus dem orthodox-kommunistischen Bereich wurden zahlreiche Kampagnen und Aktionen gestartet. So organisierte die "Antifa Altona Ost" (AAO) am 24. März 2019 eine Demonstration unter dem Motto "Antifaschismus ist kein Verbrechen". Angehörige der Antifa beteiligten sich im Oktober 2019 nach einem Aufruf des AStA auch an den universitären Protesten, die eine Wiederaufnahme der Lehrtätigkeit des AfD-Gründers Bernd Lucke verhindern sollten ( siehe Punkt 5.1.2 "Autonome Antifa-Gruppen"). Die von Rechtsextremisten fortgeführte Veranstaltungsreihe "Michel wach endlich auf" (früher "Merkel muss weg") wurde auch 2019 von linksextremistischen Protestkundgebungen und zum Teil gewaltverherrlichenden Parolen begleitet. An den zwei "Revolutionären 1. Mai Demonstrationen" im Stadtgebiet nahmen rund 2.500 Personen teil, darunter rund 1.500 des linksextremistischen Spektrums. Es kam dabei zu vereinzelten Gewalttaten gegenüber Polizeibeamten. Das anarchistische Spektrum mobilisierte zudem für eine weitere 1.-Mai Demonstration in Harburg, bei der es ebenfalls zu Gewalttätigkeiten kam. Auch sogenannte Postautonome wie die gewaltorientierte "Interventionistische Linke" (IL) waren 2019 aktiv und beteiligten sich gezielt an von anderen Gruppen organisierten Demonstrationen. Die IL sowie mit ihr zusammenarbeitende linksextremistische oder linksextremistisch beeinflusste Gruppierungen verfolgen nach wie vor die Strategie der Anschlussfähigkeit an demokratische Organisationen und Gruppen. Beispiele sind Aktionen der "Seebrücke Hamburg" zum Thema Seenotrettung oder "Ende 103 Linksextremismus Gelände" zum Thema Umweltschutz ( siehe Punkt 5.1.4.1 "Interventionistische Linke Hamburg"). Wie Rechtsextremisten oder Islamisten instrumentalisieren auch linksextremistische Gruppierungen gesellschaftlich relevante, populäre und breit diskutierte Themen, um Bündnispartner unter demokratisch engagierten Gruppen zu finden. Der Verfassungsschutzverbund bezeichnet diesen gezielten Versuch, die Grenze zwischen extremistischem und demokratischem Spektrum aufzulösen, um die eigene antidemokratische Ideologie zu verbreiten, als "Entgrenzung" ( siehe Punkt 6.1 "Entgrenzung des Linksextremismus"). Bei den orthodoxen Marxisten war vorwiegend die DKP bei einigen Veranstaltungen präsent. 2. Potenziale Im Jahr 2019 betrug das Potenzial linksextremistischer Organisationen und Vereinigungen bundesweit rund 33.500 Personen (nach Abzug von Mehrfachmitgliedschaften, 2018: 32.000). Davon sind 9.200 Personen (2018: 9.000) als gewaltorientierte Linksextremisten einzustufen (Autonome, Postautonome, Anarchisten und Antiimperialisten). Personenpotenziale Linksextremismus - Bund 37.500 33.500 30.000 32.200 32.000 31.800 29.400 29.500 27.700 27.200 28.500 26.700 22.500 15.000 7.500 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 - Die Zahlen für die Personenpotenziale sind gerundet - 104 Linksextremismus Personenpotenziale Linksextremismus Bundesebene 18 19 20 20 Gesamtpotenzial (nach Abzug der Mehrfachmitgliedschaften) 32.000 33.500 davon Marxisten-Leninisten und andere 24.000 25.300 revolutionäre Marxisten (Angehörige von Kernund Nebenorganisationen) Gewaltorientierte Linksextremisten 9.000 9.200 Alle Zahlen sind gerundet 1 Einschließlich der offen extremistischen Zusammenschlüsse innerhalb der Partei DIE LINKE. In den Zahlen nicht enthalten sind Mitglieder linksextremistisch beeinflusster Organisationen. Enthält nicht nur tatsächlich als Täter / Tatverdächtige festgestellte Personen, sondern auch solche Linksextremisten, bei denen Anhaltspunkte für Gewaltorientierung gegeben sind. Erfasst sind nur Personenzusammenschlüsse, die feste Strukturen aufweisen und über einen längeren Zeitraum aktiv waren. Das Mobilisierungspotenzial der "Szene" umfasst zusätzlich mehrere Tausend Personen. Das linksextremistische Personenpotenzial in Hamburg blieb im Jahr 2019 mit rund 1.290 Personen (2018: 1.335) in etwa konstant. Der autonomen sowie der antiimperialistischen Szene gehörten 865 Personen an. Darüber hinaus blieb die Zahl von gewaltorientierten dogmatischen Linksextremisten mit 25 Personen genau auf dem Niveau des Vorjahres (2018: 25). Das LfV Hamburg stuft 2019 somit 940 Personen (2018: 935) als gewaltorientierte Linksextremisten ein, das sind mehr als 70 Prozent aller Linksextremisten in Hamburg. Das Potenzial der marxistisch-leninistischen Kernund Nebenorganisationen sowie revolutionär-marxistischen Gruppen ging auf circa 350 Personen (2018: 400) zurück. 105 Linksextremismus Personenpotenziale Linksextremismus - Hamburg 1.500 1.250 1.335 1.290 1.220 1.120 1.120 1.120 1.150 1.110 1.100 1.000 1.090 940 935 750 770 650 620 620 620 630 620 500 570 250 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 Gesamtzahl Gewaltorientiert - Die Zahlen für die Personenpotenziale sind gerundet - Personenpotenziale Linksextremismus Hamburg 18 19 20 20 Angehörige marxistisch-leninistischer Kernu. Nebenorganisationen sowie andere revolutionäre Marxisten 400 350 und Trotzkisten Gewaltorientierte (Post-/Autonome, Anarchisten u. 935 940 Antiimperialistischer Widerstand) Gesamtpotenzial 1.335 1.290 Alle Zahlen sind gerundet Die Zahl enthält die Mitglieder der revolutionär-marxistischen Organisationsteile der Partei DIE LINKE Das Mobilisierungspotenzial der "Szene" umfasst zusätzlich mehrere Hundert Personen 106 Linksextremismus 3. Politisch motivierte Kriminalität (PMK) Die Zahl der in Hamburg insgesamt erfassten Straftaten im Rahmen der PMK Links lag mit 493 Taten im Vergleich zum Vorjahr auf einem höheren Niveau (2018: 396). Darin enthaltenen sind 66 linksextremistische Straftaten (2018: 96), davon 15 linksextremistische Gewaltdelikte (2018: 39). Ursachen für diese Zunahme waren vor allem zahlreiche Straftaten im Kontext von aktuellen G20-Prozessen sowie der Verhaftung der sogenannten "Drei von der Parkbank". Resonanzstraftaten für die drei Tatverdächtigen, denen die Planung schwerer Straftaten vorgeworfen wird, gab es auch im weiteren Bundesgebiet sowie europäischen Ländern wie Griechenland und Großbritannien. Politisch motivierte Kriminalität (PMK) Linksextremismus 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 PMK Linksextremismus 470 618 555 895 853 944 705 2157 396 493 gesamt davon linksextremistische 70 81 138 297 248 252 165 1625 96 66 Straftaten hiervon linksextremistische 27 48 64 187 219 211 126 1001 39 15 Gewaltdelikte Die Zahlen stammen aus den jeweiligen Jahres-Statistiken der Polizei Hamburg - Stand: Februar 2020 - 107 Linksextremismus 4. Militanzdebatte und linksextremistische Gewalt Gewaltorientierte Linksextremisten führen ihren Kampf gegen das "kapitalistische System", wie sie die parlamentarische Demokratie verstehen, mit gezielten Straftaten sowie eskalierender (Massen-)Militanz bei Demonstrationen. Aus Sicht Autonomer, Anarchisten und Antiimperialisten wird der "Kapitalismus", und damit die freiheitliche demokratische Grundordnung, für "strukturell gewalttätig" erachtet und in der Folge zum Teil mit roher Gewalt bekämpft. Verbale Militanz und Straftaten richten sich häufig gegen den von Linksextremisten abwertend so bezeichneten "Repressionsapparat" und seine Vertreter - Polizei, Justiz, Verfassungsschutz, gegen tatsächliche oder vermeintliche Rechtsextremisten, Unternehmen sowie Einrichtungen mit hoher Symbolwirkung für die Szene. Um die eigenen Ziele durchzusetzen, gilt Gewalt unter Linksautonomen, Anarchisten und Antiimperialisten als unverzichtbares und "legitimes" Mittel gegen die vermeintliche "strukturelle Gewalt" des "kapitalistischen" Staates und dessen "System von Zwang, Ausbeutung und Unterdrückung". Die Ausübung von Gewalt dient dabei auch als Ventil, um die eigene "Wut auf die Verhältnisse", also den "Kapitalismus", auszudrücken [Quelle: BfV]. Desgleichen lehnen Autonome das Gewaltmonopol des Staates ab. Eines ihrer markanten Erkennungszeichen ist die Bildung sogenannter "schwarzer Blöcke" im Rahmen von Demonstrationen. Schwarz gekleidete und teils vermummte Linksextremisten gehen aus dem Schutz einer nicht nur aus Extremisten bestehenden Menge gewaltsam gegen Rechtsextremisten oder Polizisten vor. Als Wurfgeschosse dienen ihnen unter anderem Steine, Flaschen und pyrotechnische Gegenstände sowie Brandsätze. Auch benutzen sie Fahnenstangen als Waffen. Seit Jahren planen und begehen konspirative Kleingruppen Straftaten insbesondere gegen Fahrzeuge und Immobilien von Repräsentanten des Staates, Firmen, tatsächliche oder aus Sicht der Linksextremisten vermeintliche Rechtsextremisten. In Hamburg stehen auch Mitglieder der Bürgerschaft sowie des rot-grünen Senats im Visier militanter Linksextremisten, insbesondere Privatwohnungen und Fahrzeuge. 108 Linksextremismus Das Militanzverständnis autonomer Gruppen ist ein zentrales Element ihres politischen Selbstbildes. Dabei kommt es nicht zwingend darauf an, dass jeder Einzelne gewalttätig agiert, sondern vielmehr darauf, dass die Anwendung von Gewalt größtenteils befürwortet wird und gewaltsame Aktionen auf breite Zustimmung in der Szene stoßen. Aus Sicht von Autonomen geht Gewalt stets vom Staat aus, auf die Linksextremisten lediglich mit Gegengewalt, quasi als "legitime Notwehr", reagieren. In der Szene wird seit Jahren darüber debattiert, wie weit Gewalt als Mittel zur Durchsetzung der eigenen Interessen gehen darf. Da Gewalt nach autonomem Verständnis immer auch vermittelbar sein muss, wurde lange Zeit grundsätzlich gezielte Gewalt gegen Menschen abgelehnt. Davon ausgenommen waren allerdings immer Angriffe auf Polizeibeamte sowie tatsächliche oder aus Sicht der Szene vermeintliche Rechtsextremisten. Sie gelten als personifizierte Feindbilder; ihre teilweise entmenschlichte Darstellung wird weitgehend akzeptiert. Der Polizist gilt nicht als menschliches Individuum, sondern als funktionierender Bestandteil des sogenannten "Repressionsapparates" - aufgrund der während militanter Demonstrationen notwendigen Schutzkleidung wird er als "Robocop" bezeichnet. Ihm wird die Menschenwürde abgesprochen und Gewalt gegen ihn als legitim und vermittelbar betrachtet. Nach schweren Strafund Gewalttaten im Jahr 2019 in Deutschland, so unter anderem in Hamburg, Leipzig und Berlin, bei denen militante Linksextremisten auch Leib und Leben unbeteiligter Menschen in Gefahr brachten, steht die künftige Entwicklung des Einsatzes gezielter Gewalt gegen Personen im besonderen Fokus der Sicherheitsbehörden. Diese Taten stehen für eine neue Eskalationsstufe der Gewalt. In diese Bewertung fließt auch der Angriff militanter Linksextremisten auf die richterliche Unabhängigkeit ein. Kurz vor Weihnachten 2019 scheiterten Anarchisten damit, unterstützt von anderen linksextremistischen Gruppierungen wie der "Roten Hilfe", eine Demonstration vor dem Wohnhaus eines Hamburger Richters abzuhalten, der mit G20-Prozessen betraut war ( siehe Punkt 5.1.6 "Anarchisten"). In der Diskussion um Militanz schreiben sich Akteure aus dem linksextremistischen Spektrum regelmäßig eine moralische Überlegenheit zu. Zudem ist die Gewalt für die Szene von besonderer Wichtigkeit: 109 Linksextremismus "Militanz [hat] für die autonome Bewegung auch vor allem eine symbolische Bedeutung. Sie dient in der Selbstinszenierung gegenüber der Öffentlichkeit und gegenüber anderen Bewegungen als Ausweis der Radikalität." [Quelle - Sebastian Haunss: Die Autonomen - eine soziale Bewegung zwischen radikaler Gesellschaftskritik und Subjektivismus, S. 37; in: Rene Schultens/Michaela Glaser (Hrsg.): 'Linke' Militanz im Jugendalter Befunde zu einem umstrittenen Phänomen, Halle 2013.] Daneben wirkt Gewalt identitätsstiftend und fördert den Gruppenzusammenhalt. Eine große Ausnahme waren die Krawalle und Gewalttaten während der G20-Proteste 2017 in Hamburg. Hier wurden auch in der Szene nicht vermittelbare Sachbeschädigungen an Kfz und Gebäuden verübt. Wahllos wurden Autos in Brand gesetzt, zum Beispiel Kleinwagen, deren Halter nicht zur Zielgruppe autonomer, militanter Straftäter zählen. In den Monaten nach dem G20-Gipfel hielten sich die militanten Linksextremisten zunächst mit Aktionen zurück. Diese mutmaßlich taktisch motivierte Zurückhaltung, zumal auch eine Räumung der Roten Flora befürchtet wurde, endete im späteren Frühjahr 2018. Zu diesem Zeitpunkt erschienene Papiere der autonomen Szene (siehe Verfassungsschutzbericht Hamburg 2018, Kapitel IV., Pkt. 5.1.1) verdeutlichten, dass das Thema "Anti-Repression" als notwendiger Teil des Widerstands verstanden wird und die freiheitliche demokratische Grundordnung mit "Repression" gleichgesetzt wird, die es zu bekämpfen gilt. Schon die zahlreichen Anschläge zum G20-Jahrestag 2018 belegten, dass sich die gewaltbereite linksextremistische Szene spätestens zu diesem Zeitpunkt wieder zurückgemeldet hatte. Für eine Vielzahl der im Jahr 2019 verübten Straftaten wurde noch immer eine Begründung im Kontext der Ausschreitungen zu G20 im Juli 2017 in Hamburg herangezogen. Nachdem zum zweiten Jahrestag des G20-Gipfels am 8. Juli 2019 drei Tatverdächtige, mutmaßlich bei der Vorbereitung von Brandanschlägen festgenommen worden waren ( siehe Seite 112 zu diesem Thema), kam es deutschlandweit in zahlreichen Städten zu Solidaritätsbekundungen und Resonanzstraftaten. In der Szene werden die drei Tatverdächtigen, angelehnt an den Festnahmeort, verharmlosend als "Drei von der Parkbank" bezeichnet. Eine qualitative Verschärfung der Attacken ist dabei deutlich erkennbar, auch in Hamburg. In diesem Zusammenhang 110 Linksextremismus müssen die Angriffe auf das Wohnhaus von Staatsrat Jan Pörksen und auf Innensenator Andy Grote betrachtet werden ( siehe Seite 112 und Seite 113). Für das Jahr 2019 werden beispielhaft nachstehende, in Hamburg ausgeführte Taten genannt: f Am 18. Januar 2019 wurden der Eingangsbereich sowie mehrere Fensterscheiben des Gebäudes einer Firma in Winterhude beschädigt, die unter anderem für die Entwicklung von Software zuständig ist. Auf der von militanten Linksextremisten regelmäßig für ihre Selbstbezichtigungen genutzten Seite de.indymedia.org heißt es dazu: "Vorwärts im Kampf gegen die Überwachungsbranche!". Man habe "am 18. Januar 2019 den Eingangsbereich [...] mit Steinen angegriffen und für Glasbruch gesorgt". Die angegriffene Firma handele mit Überwachungstechnologie und sei an den Repressionen unter anderem im Zusammenhang mit dem G20-Gipfel beteiligt. f Einen G20-Bezug hat auch der Angriff auf das Amtsgericht Hamburg-Barmbek in der Nacht zum 29. März 2019. Unbekannte Täter zerstörten eine Scheibe des Gebäudes und warfen einen brennenden Gegenstand ins Innere. In der Selbstbezichtigung auf de.indymedia.org mit der Überschrift "(HH) Freiheit und Glück für alle G 20 Gefangenen" werden solidarische Grüße an einen inhaftierten G20-Straftäter gesendet. Demnach sei "jeder Teil der Hamburger Repressionsbehörden Ziel unserer Wut auf die herrschenden Verhältnisse und die autoritäre Formierung der Gesellschaft". f Am 26. April 2019 bewarfen etwa 20 bis 30 dunkel gekleidete und vermummte Personen das Strafjustizgebäude am Sievekingplatz massiv mit Steinen und Farbe. Zudem wurden auf der Fahrbahn und an einem Kamera-Mast mehrere Reifen angezündet. In der Selbstbezichtigung vom 29. April 2019 mit dem Tenor "[HH] Strafjustizgebäude angegriffen" wird auf die "kämpfenden Individuen" vor Gericht in Hamburg, Belgien sowie auf anarchistische "Opfer" in Russland und Italien eingegangen und abschließend erklärt: "Solidarität heißt weiterkämpfen". 111 Linksextremismus f Zum zweiten Jahrestag des G20-Gipfels am 8. Juli 2019 konnten drei Tatverdächtige, zwei Männer und eine Frau, bei der mutmaßlichen Vorbereitung von Brandanschlägen festgenommen werden. Im Rahmen eines Einsatzes des Staatsschutzes der Polizei Hamburg entdeckten Beamte am frühen Montagmorgen des 8. Juli in Eimsbüttel unter anderem mehrere selbst gefertigte Brandsätze und Wechselkleidung bei drei Verdächtigen. Ein Tatverdächtiger führte einen handschriftlichen Zettel mit sich, auf welchem die Privatadresse der Senatorin für Stadtentwicklung und Wohnen, Dorothee Stapelfeldt, notiert war. Zudem waren die Anschriften eines Wohnungsunternehmens sowie eines Maklerunternehmens notiert. Die aufgefundenen Gegenstände wurden als Beweismittel sichergestellt. Wie sich herausstellte, handelt es sich bei den beiden Männern um bekannte Personen aus dem linksextremistischen Spektrum. Es besteht der Verdacht, dass die drei angehaltenen Personen schwere Straftaten vorbereitet hatten. Sie wurden vorläufig festgenommen. Die Generalstaatsanwaltschaft Hamburg wirft dem Trio die gemeinschaftliche Verabredung zu mehreren Brandstiftungen vor, darunter einer schweren Brandstiftung. Einer der drei Festgenommenen steht zudem im Verdacht, auch an den schweren Ausschreitungen an der Elbchaussee während des G-20-Gipfels teilgenommen zu haben. Dort, wo sich die Täter umzogen, wurde ein Paar Handschuhe mit der DNA des am 8. Juli 2019 festgenommenen Tatverdächtigen gefunden. Ebenso lassen sich Handschuhe, die nach einer Farbattacke auf das Amtsgericht Altona im Jahr 2012 entdeckt wurden diesem Tatverdächtigen zuordnen. f In derselben Nacht zum 8. Juli 2019 kam es zu zwei weiteren politisch motivierten Straftaten. So bewarfen in Eilbek unbekannte Täter die Fassade des Wohngebäudes der Zweiten Bürgermeisterin, Katharina Fegebank, mit Marmeladengläsern, die mit schwarzer und weißer Farbe gefüllt waren. Zudem wurden Fensterscheiben einer Immobilienfirma in Wellingsbüttel mit Steinen beschädigt. f An der Privatanschrift des Staatsrates und Chefs der Hamburger Senatskanzlei in Eimsbüttel, Staatsrat Jan Pörksen, wurde am 22. Oktober 2019 eine Brandstiftung an zwei Fahrzeugen verübt. Das 112 Linksextremismus hauptsächlich betroffene Fahrzeug gehörte jedoch einer Nachbarin. Ein weiteres in der Nähe geparktes Auto brannte fast vollständig aus. Die Selbstbezichtigung vom 24. Oktober 2019 mit der Überschrift: "Brennende Herzen lassen sich nicht wegschließen - sie schlagen zurück" begründet die Tat mit der Festnahme der beiden Männer und der Frau am 8. Juli 2019: "Die Bullen haben der Staatsschutzpresse in die Tastatur diktiert, der Repressionsschlag habe dem Herz der anarchistischen Szene gegolten. Wir greifen nun die Köpfe der Hamburger Stadtregierung an. Staatsrat Pörksen koordiniert in der Senatskanzlei, in dieser Schlüsselstelle der Regierungspolitik, die Arbeit des Senats und der Fachbehörden. Die Machthaber*innen lassen ihre Schergen die Türen linker Wohngemeinschaften aufbrechen und die Bewohner*innen mit gezogenen Waffen bedrohen, ihre Sachen durchschnüffeln. Wir werden ihre Rückzugsräume behelligen. [...] Solidarität mit den Parkbank 3". f Mehrere Täter attackierten am frühen Morgen des 13. Dezember 2019 das Dienstfahrzeug von Senator Andy Grote mit Glasflaschen, die mit Farbe gefüllt waren. In dem Fahrzeug saß auch der zweijährige Sohn des Senators, bei einem weiteren Fahrzeug wurde die seitliche Scheibe durchschlagen. In Anlehnung an das 1934 entstandene Gedicht "Resolution der Kommunarden" von Berthold Brecht, in dem der Autor die revolutionären Ereignisse der Pariser Kommune von 1871 thematisiert, kündigten die Täter in ihrer Selbstbezichtigung an, den "Verfolgungsbehörden [...] weiter auf den Kopf zu scheißen" und "zu gegebenem Zeitpunkt die Gewehre auf sie drehen - das wird sich lohnen". Dieser unvermittelte und persönliche Angriff auf einen führenden Repräsentanten des Staates stellt, im Kontext weiterer Taten deutschlandweit, eine neue und ernst zu nehmende Eskalationsstufe dar, und das aus mehreren Gründen. Seit Jahrzehnten ist dies der erste Angriff in Hamburg, der sich direkt gegen eine Person richtete und nicht "nur" gegen Fahrzeuge oder Liegenschaften mit Symbolcharakter. So fand die Tat im morgendlichen Berufsverkehr statt und nicht bei Nacht. Insofern spricht viel dafür, 113 Linksextremismus dass der Tagesablauf zuvor ausgespäht wurde. Insofern wussten die Täter mutmaßlich auch, dass sich ein kleines Kind mit im Auto befand - ein Umstand, der in der linksextremistischen Szene zu keinerlei Diskussion führte. Wie oben dargestellt, wurden bei der Attacke auf das fahrende Fahrzeug auch Leib und Leben weiterer Unbeteiligter riskiert. Weitere Taten in Deutschland unterstreichen die neue Dimension linksextremistisch motivierter Gewalt. Beispielhaft seien zwei Taten in Leipzig genannt. So attackierten bisher unbekannte Täter die Angestellte einer Immobilienfirma am Sonntagabend, 3. November 2019, zu Hause brutal und schlugen ihr mit Fäusten ins Gesicht. Die Firma baut auch im von Linksextremisten beanspruchten Szene-Stadtteil Leipzig-Connewitz neue Wohnungen. In der Selbstbezichtigung auf de.indymedia.org, in der sich auch mit den drei festgenommenen Tatverdächtigen in Hamburg solidarisiert wird, heißt es: "Wir haben uns deswegen entschieden, die Verantwortliche für den Bau eines problematischen Projekts im Leipziger Süden da zu treffen wo es ihr auch wirklich weh tut: in ihrem Gesicht. [...] Das einzige, auf das Kapitalanleger und Eigennutzer des Südcarres treffen werden, sind kaputte Scheiben, brennende Autos und kaputte Nasen. Verpisst euch aus Connewitz!" In der Nacht zum 3. Oktober 2019 wurden an einer Baustelle, dessen Bauträger bereits häufiger Anschlagsziel war, drei Baukräne in Brand gesteckt. Da die Kräne einzustürzen drohten, mussten anliegende Wohnungen evakuiert werden. In der Vergangenheit galt in der linksextremistischen Szene zumindest ein Konsens, dass Leib und Leben Unbeteiligter nicht zu gefährden seien. Dieser scheint nicht mehr zu gelten. Mit dieser neuen Dimension der Anschläge durch Linksextremisten soll auch Angst und Schrecken verbreitet werden, um politische Entscheidungsträger, aber auch Träger staatlicher Belange in ihrem Handeln einzuschüchtern und im Sinne der linksextremistischen Szene und deren demokratiefeindlicher Ziele zu beeinflussen. Wie eingangs dargestellt, hat die linksextremistische Szene mit den Gipfelereignissen von 2017 und der anschließenden Fahndung nach mutmaßli114 Linksextremismus chen Straftätern immer noch nicht abgeschlossen. Es wird weitere Strafverfahren geben, so vermutlich im Laufe des Jahres 2020 gegen rund 75 Personen, die sich am 7. Juli 2017 aus einem Camp am Volkspark heraus eine Auseinandersetzung mit Polizeibeamten lieferten und im Zuge dieser Auseinandersetzungen festgesetzt und durchsucht wurden. Daher muss auch künftig damit gerechnet werden, dass weitere Resonanzstraftaten in diesem Kontext erfolgen könnten. Aufgrund der gestiegenen Aggressivität und Brutalität der linksextremistischen Szene in Deutschland, auch in Hamburg, werden die Verfassungsschutzbehörden diese Entwicklung mit Blick auf die Annäherung an die Schwelle zum Terrorismus genau im Fokus behalten und gemeinsam mit Polizei und Staatsanwaltschaft bewerten. INFOBOX Terrorismus ist nach der Definition der Verfassungsschutzbehörden der nachhaltig geführte Kampf für politische Ziele, die mit Hilfe von Anschlägen auf Leib, Leben und Eigentum anderer Menschen durchgesetzt werden sollen, insbesondere durch schwere Straftaten, wie sie in SS 129 a Abs. 1 StGB genannt sind, oder durch andere Straftaten, die zur Vorbereitung solcher Straftaten dienen. 5. Linksextremistische Strukturen in Hamburg 5.1. Gewaltorientierte Gruppen und Strukturen Zu den gewaltorientierten Linksextremisten zählen Autonome, einschließlich sogenannter postautonomer Gruppierungen wie der "Interventionistischen Linken", Antiimperialisten und Anarchisten. Autonome agieren grundsätzlich organisationskritisch und undogmatisch, sie lehnen Hierarchien und feste Organisationsstrukturen (zum Beispiel Vereine oder Parteien) ab, finden sich aber trotz alledem in Vorständen von eingetragenen 115 Linksextremismus Vereinen wieder. Von dieser Organisationskritik grenzen sich die Postautonomen stark ab ( siehe Punkt 5.1.4 "Postautonome Gruppen"); sie sind bundesweit gut vernetzt und operieren auch mit anderen Gruppierungen des linksextremistischen Spektrums. Aus taktischen Gründen streben sie nach Kooperation und Bündnissen auch mit demokratischen Gruppierungen ( siehe Punkt 6.1 "Entgrenzung des Linksextremismus"). Anarchisten und Autonome weisen hinsichtlich ihrer organisationskritischen Haltung eine gewisse ideologische Nähe zueinander auf, zudem sind sie weniger dogmatisch als beispielsweise Antiimperialisten. Diese orientieren sich stärker an den Lehren von Marx und Lenin. Ein zentraler Bestandteil der antiimperialistischen Ideologie ist die "Solidarität" mit sogenannten "internationalistischen Befreiungsbewegungen". Hierzu zählen beispielsweise Agitationen zugunsten von Kurden und Palästinensern. Zwischen den autonomen und antiimperialistischen Strömungen existieren hinsichtlich der Bildung fester Gruppenstrukturen sowie auf den Nahost-Konflikt eine dauernde Sollbruchstelle und eine immerwährende Auseinandersetzung. So stehen Teile der autonomen Szene im Nahost-Konflikt auf der Seite Israels. 5.1.1. Autonome Szene ("Rote Flora") Autonome Szene Autonome sind gewaltorientierte Linksextremisten ohne einheitliches ideologisches Weltbild. Ihr politischer Kampf richtet sich gegen die bestehende politische und gesellschaftliche Ordnung. Den Kapitalismus, den Autonome mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und der sozialen Marktwirtschaft gleichsetzen, lehnen sie als angebliche Ursache aller gesellschaftlichen Missstände ab und streben eine wie auch immer geartete "herrschaftsfreie" Gesellschaft an - ohne autoritäre und hierarchische Strukturen des Staates und seiner Einrichtungen, insbesondere seiner sogenannten "Repressionsorgane", also vor allem der Polizei, Justiz und Nachrichtendienste. Gewalt wird von Autonomen als legitimes Mittel zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele betrachtet. Vor allem bei Demonstrationen richtet sich die Militanz der Autonomen häufig gegen Polizisten als Vertreter des von ihnen 116 Linksextremismus bekämpften demokratischen Staates. Gewalt ist auch in der Auseinandersetzung mit tatsächlichen oder vermeintlichen Rechtsextremisten legitim. Die wichtigsten Agitationsfelder sind nach wie vor Antifaschismus, Antimilitarismus, Antirassismus, Antiglobalisierung, Antiimperialismus, Stadtentwicklungspolitik/Anti-Gentrifizierung und Antirepression. Stichwort Antirepression: Das 2019 vom Senat und der Hamburgischen Bürgerschaft beschlossene neue Polizeigesetz stieß insbesondere bei Linksextremisten auf massive Kritik. Ebenso geriet das im Oktober 2019 vom Senat und im Januar 2020 von der Bürgerschaft beschlossene aktualisierte und modernisierte Hamburgische Verfassungsschutzgesetz (HmbVerfSchG) in den Fokus. So nahmen am 15. November 2019 an der vom "Bündnis gegen das neue Polizeigesetz" angemeldeten Demonstration rund 2.200 Personen teil, auf der auch das neue HmbVerfSchG thematisiert wurde. Rote Flora Seit November 1989 ist das Gebäude Rote Flora am Schulterblatt (siehe folgende Doppelseite) das Zentrum der autonomen Szene in Hamburg und der bedeutendste Treffund Veranstaltungsort. Mit zahlreichen kulturellen und politischen Veranstaltungen feierten die Nutzer der Roten Flora ab September 2019 ihr 30-jähriges Bestehen. Die Rote Flora wird auch weiterhin als Treffpunkt und Veranstaltungsort von anderen linksextremistischen Gruppen, darunter die "Antifa Altona Ost", genutzt. Anlässlich der Festnahmen der drei Tatverdächtigen am zweiten Jahrestag des G20-Gipfels veröffentlichte das Plenum der Roten Flora im Juli 2019 ein Positionspapier, in dem, wie in zahlreichen anderen Papieren, die kritische Reflexion der Gewaltexzesse fehlt: "Der G20 in Hamburg, das 'Festival der Demokratie', war ein gutes Beispiel für die Prioritäten der Herrschenden: Die Mächtigen schützen und alle Formen unangepasster Opposition mit Verachtung und Gewalt begegnen. So werden wir alle, die wir für die Freiheit und das Leben aufbegehren, zu Zielen dieses repressiven Staates. Ein Staat, der an vielen Fronten Materialschlachten gegen marginalisierte Teile dieser Gesellschaft führt." 117 Linksextremismus Das Papier schließt mit den Worten: "Für einen solidarischen Umgang mit den von Repression Betroffenen! Gemeint sind wir Alle und nur gemeinsam können wir diese Aggression zurückweisen! Solidarität mit den 3 Gefährt_innen von der Parkbank und allen G20-Gefangenen!" Trotz der nach wie vor hohen organisatorischen und symbolischen Bedeutung der Roten Flora ist ein Generationskonflikt zwischen den lebensälteren "Floristen" und jüngeren Autonomen, die in anderen Zusammenhängen organisiert sind, deutlich wahrnehmbar. 5.1.2. Autonome Antifa-Gruppen Das Engagement gegen Rechtsextremismus ist gesellschaftlich breit akzeptiert. Daher versuchen Linksextremisten vor dem Hintergrund ihrer strategischen Bündnispolitik, das Thema für ihre Zwecke zu instrumentalisieren und ihre verfassungsfeindliche Ideologie über die Zusammenarbeit mit demokratischen Gruppen, zum Beispiel zivilgesellschaftliche Initiativen, in bürgerlich-demokratische Kreise zu transportieren. Die Bekämpfung des Rechtsextremismus, auch unter Anwendung körperlicher Gewalt, wird von LinksAntifa-Logo extremisten zugleich als Teil des Kampfes gegen die bestehende, aus ihrer Sicht "kapitalistische", Ordnung verstanden. Im Mittelpunkt stehen demonstrative Protestaktionen gegen Informationsstände und Veranstaltungen rechtsextremistischer und rechtspopulistischer Organisationen sowie das direkte Vorgehen gegen Einzelpersonen. Die Gewaltanwendung wird im Rahmen des "Kampfes gegen Rechts" als legitimes und geeignetes Mittel angesehen und als "antifaschistischer Selbstschutz" verharmlost. Eine gewalttätige Eskalation von Konflikten, beispielsweise im Kontext von Demonstrationen gegen rechtsextremistische Versammlungen, wird insbesondere von gewaltorientierten Linksextremisten bewusst in Kauf genommen und als Ausdruck besonders konsequenten Handelns angesehen. 118 Die "Rote Flora", aufgenommen Ende März 2019: Seit mehr als 25 Jahren ist das Gebäude am Schulterblatt das Zentrum der autonomen Szene in Hamburg. Die autonome Szene ist Teil des militanten linksextremistischen Spektrums. Linksextremismus So zogen nach einem Aufruf über die Szeneplattform de.indymedia.org am 18. Oktober 2019 etwa 200 Personen unter dem Appell "Grenzenlose Wut" durch St. Pauli. Die gegen "Repression" und "Faschismus" gerichtete Demonstration wurde von der Polizei aufgelöst, da sich kein Leiter zu erkennen gab. Eine etwa 40köpfige Gruppe vermummter und schwarz gekleideter Personen zog Parolen skandierend und Pyrotechnik zündend durch Straßen des "Karoviertels". Von unbekannten Tätern wurden Autos und die Fensterscheibe eines Gewerbebetriebes beschädigt. In nachfolgend auf de.indymedia.org veröffentlichten Berichten wurde Stellung zu den Ereignissen und zum aus Sicht der Linksextremisten legitimen Einsatz von Gewalt genommen. So schloss der Beitrag "Bericht zur Demo ,Grenzenlose Wut' " mit der Hoffnung ab, dass sich in Zukunft "sowas häufiger entwickelt, gerade Demos zu machen die nicht angemeldet sind. Und natürlich auch mit Militanten Aktionen zu zeigen wie wütend wir sind". Mit "viel Wut im Gepäck" sei man zerstörerisch durch das Viertel gezogen. Der zweite Beitrag unter gleichem Tenor sprach mit Blick auf fehlende Militanz von einem "Wermutstropfen", nach dem trotz Bereitschaft der Teilnehmer keine "Out-of-Control"-Situation herbeigeführt wurde. Immerhin hätten Teilnehmer die "Schwelle der Angst im Karoviertel überschritten und dort Symbole des Kapitalismus angegriffen und Barrikaden gebaut". Am 28. Oktober 2019 wurde auf der Plattform "Antifainfopool Hamburg" in Vorausschau auf einen von Rechtsextremisten am 1. Mai 2020 angekündigten Aufzug das bezeichnende Motto "Immer mehr - Immer unfair" ausgegeben. Auf dem Twitter-Account ! 01.05.2019 - DIE RECHTEN ANGREIFEN der "Antifapool Hamburg", wurde dieses Banner mit dem Motto "immer mehr Immer unfair" veröffentlicht. In einem Anfang August 2019 für kurze Zeit auf der Seite von "Antifaschistischer Sport von der 161 Crew Action" bereitgestellten Video des Magazins "Vice" mit dem Titel "Interview mit einem Nazijäger" äußert sich der 121 Linksextremismus vermummte Interviewte hinsichtlich einer sogenannten "Immer mehr - immer unfair"-Strategie der autonomen Antifa wie folgt: Wenn man "Nazis" angreife, dann sei es keine sportliche Auseinandersetzung zwischen Gegnern, es habe "nichts mit Fairness" zu tun. Deswegen sei man "immer mehr" und es sei "immer unfair". Zusammengenommen gäbe es gegen "Nazis" keine "fairen Auseinandersetzungen". Darüber hinaus ist die Recherchearbeit für die "autonome Antifa" von besonderer Bedeutung. So werden tatsächliche oder vermeintliche Rechtsextremisten sowie rechtsextremistische Strukturen gezielt ausgespäht. Die Veröffentlichung der Recherche hat zum Ziel, diese aus der Anonymität zu lösen und sie öffentlich zu stigmatisieren. Der regelmäßig stattfindende "Antifa-Tresen" in der Roten Flora sowie die Internet-Informationsplattform "Antifainfopool" bilden eine gruppenübergreifende Austauschfunktion und dienen der Koordination und Mobilisierung der autonomen Antifa-Strukturen in Hamburg. Unter den zahlreichen Gruppierungen der autonomen Antifa weisen die Gruppen "[a2]-Hamburg", "Antifa 309" und die "Antifa Altona Ost" (AAO) ein hohes Maß an Kontinuität auf. Anlassund themenbezogen arbeiten Antifa-Strukturen auch mit anderen linksextremistischen Gruppierungen zusammen. So weist die AAO unter anderem Verbindungen zum gewaltorientierten antiimperialistischen Roten Aufbau Hamburg (RAH) sowie zur Interventionistische Linken (IL) auf. Für die Antifa stehen insbesondere Veranstaltungen der AfD im Fokus, da diese als Sinnbild für die Verfestigung rechtsgerichteter Organisationen in Deutschland und Europa stehen. Generell werden als Rechtspopulisten bezeichnete Parteien und Gruppierungen von der autonomen Antifa auf eine Ebene mit klassischen Rechtsextremisten wie der NPD gestellt. Dabei gehören auch Attacken auf Hamburger Medien zum Repertoire militanter Antifaschisten. So bewarfen unbekannte Täter am 20. Februar 2019 die Fassade eines Gebäudes in Eilbek mit Farbe befüllten Glasflaschen und beschädigten dabei ein Fenster. Der Eingangsbereich wurde mit "Fuck AfD" besprüht. Das betreffende Objekt beherbergt auch den Hamburger-Wochenblatt-Verlag. In der Selbstbezichtigung auf de.indymedia.org wurde 122 Linksextremismus als Rechtfertigung angeführt, dass das Wochenblatt in seinen Ausgaben der AfD-Bezirksfraktion Hamburg-Mitte wiederholt Raum für Werbung geboten habe. Damit unterstütze das Wochenblatt die weitere "Normalisierung von rassistischen und nationalistischen Äußerungen im öffentlichen Diskurs" und müsse dafür die "Konsequenzen" tragen. Im Schuljahr 2018/2019 startete die AfD in Hamburg ihre Aktion "Neutrale Schulen Hamburg" (NeuSchuH), um eine vorgebliche "Stärkung eines demokratischen und freien Diskurses" an den Bildungseinrichtungen zu erreichen. "Mutmaßliche Neutralitätsverstöße" wie "AfD-Bashing", das Tragen von "FCKAfD-T-Shirts" oder das Anbringen von Aushängen zu Demonstrationen gegen die AfD könnten über dieses in der Das "Informationsportal Neutrale Schulen Hamburg" auf der Homepage der AfD-Fraktion Hamburg. Öffentlichkeit stark kritisierte InformaScreenshot: LfV HH tionsportal gemeldet werden. Wie bereits 2018 stellten sich insbesondere die Antifa Altona Ost wie auch die Antifa 309 mit Statements und Aktionen der AfD-Aktion entgegen. So führte die AAO am 24. März 2019 eine Demonstration unter dem Motto "Antifaschismus ist kein Verbrechen" durch die Hamburger Innenstadt an, um nach eigenen Angaben ein Zeichen der Solidarität mit einer von der AfD angeprangerten Schule und Lehrkräften zu setzen. Insgesamt 3.000 überwiegend nicht-extremistische Teilnehmer nahmen an dem Aufzug teil. Am Abend des 28. Juni 2019 versammelten sich etwa 20 Personen skandierend ("Nazis in der Nachbarschaft!") vor dem Wohnobjekt eines Gründungsmitglieds des AfD-Landesverbands Hamburg auf und plakatierten das Umfeld mit Informationen zur Person und ihrer Rolle innerhalb der AfD und der Veranstaltungsreihe "Merkel muss weg!". Mit Hinweis auf den "Besuch" bei einem "Nazi" gaben die Autoren "Antifa HH" am 30. Juni 2019 in einer Selbstbezichtigung auf de.indymedia.org bekannt, "keine Ruhe" geben zu wollen. Man suche solche Personen Zuhause auf und hole Rechte in Hamburg konsequent aus der Deckung. 123 Linksextremismus Antifa-Gruppierungen beteiligten sich zudem an dem universitätsweiten Protest im Oktober 2019 gegen die Wiederaufnahme der Lehrtätigkeit des AfD-Gründers Bernd Lucke an der Universität Hamburg. Dabei verlegten Antifa-Angehörige ihren massiven Protest unter anderem am 16. Oktober 2019 auch in den Hörsaal, sodass die geplante Vorlesung nicht weiter abgehalten werden konnte. Erst beim dritten Anlauf und unter Polizeischutz konnte eine Vorlesung bis zum Schluss abgehalten werden. Protestkampagne gegen die Veranstaltungsreihe "Michel wach endlich auf!" (ehemals "Merkel muss weg") Die von Rechtsextremisten fortgeführte Veranstaltungsreihe "Michel wach endlich auf!" (vorher "Merkel muss weg!") wurde auch 2019 von einer linksextremistischen Protestkampagne begleitet ( siehe Kapitel V, Punkt 8.4). In diesem Zusammenhang führten mutmaßliche Linksextremisten am 20. März 2019 zunächst eine Aktion vor der Wohnung eines der Verantwortlichen der Veranstaltungsreihe in Barmbek-Süd durch; so verteilten sie vor Ort Flugblätter und skandierten lautstark, um auch die Umgebung auf das Outing aufmerksam zu machen. Im Selbstbezichtigungsschreiben vom darauffolgenden Tag unter dem Tenor "Nazis aus der Deckung holen (...)" wurde geschrieben, dass man solchen Personen die "Rückzugsräume" nehmen wolle. Man kündigte an, die geplante "rassistische Kundgebung" der Veranstaltungsreihe am 14. April 2019 konsequent zu "verhindern". Am 14. April 2019 zogen am Bahnhof Dammtor unter Beteiligung verschiedener Antifa-Gruppen gut 720 Teilnehmer unter dem Motto "Nazis und Rassisten entgegentreten" gegen die gleichzeitig stattfindende Versammlung von "Michel wach endlich auf!" mit 130 Teilnehmern auf. Bei einer weiteren Versammlung von "Michel wach endlich auf!" am 29. September 2019 erschienen gut 60 Teilnehmer am Hamburger Rödingsmarkt. Es gab lediglich eine stationäre Kundgebung vor Ort. Gruppierungen und Plattformen wie die Antifa 309, Antifa Altona Ost und Antifainfopool Hamburg mobilisierten vor dem angemeldeten Protestaufzug mit dem Motto "Solidarisch gegen rechte Hetze". Antifainfopool Hamburg prophezeite am 25. September 2019 mit Bezug auf einen anderen Post mit der Ankündigung "29.09. Nazis boxen", dass die "Nazis" irgendwann kein "Bock" mehr hätten, "Schellen zu kassieren" und dann endgültig zu Hause 124 Linksextremismus blieben. Trotz solcher Ankündigung nahm der Protest mit insgesamt etwa 790 Teilnehmern einen friedlichen Verlauf. Der von der "Antifapool Hamburg"veröffentlichte Tweet zum Tenor "Nazis Boxen". 5.1.3. Postautonome Gruppen 5.1.3.1. Interventionistische Linke Hamburg (IL HH) Die Interventionistische Linke Hamburg (IL HH) ist in Hamburg die derzeit größte Organisation des postautonomen Spektrums. Sie ging aus der Hamburger Ortsgruppe des AVANTI-Bündnisses hervor, das weitere Ortsgruppen ausschließlich in Norddeutschland unterhielt. 2009 schloss sich die Gruppierung dem überregionalen Bündnis Interventionistische Linke (IL) mit mehr als 30 Ortsgruppen in Deutschland und Österreich an und ging 2014 schließlich in dieser auf. In zahlreichen Veröffentlichungen schließt Logo der "Interventionistischen Linken" die IL Militanz als ein Mittel zur Überwindung der 125 Linksextremismus freiheitlichen, demokratischen Grundordnung nicht aus und gilt daher als gewaltorientierte Gruppierung. INFOBOX Postautonome - Die sich selbst auch als "postautonom" bezeichnenden linksextremistischen Gruppierungen haben ihre Wurzeln im autonomen Spektrum, sehen dessen Merkmale, Ideologie und Strategie jedoch als gescheitert an und verstehen sich als Antwort darauf. Postautonome wie die IL streben eine revolutionäre Umgestaltung der Gesellschaft an, aber nicht als abrupten Bruch, sondern als langfristig angelegten Prozess "vieler kleiner Brüche, die entlang von Kämpfen stattfinden". Aus taktischen Gründen öffnen sich Postautonome daher auch Bündnissen mit demokratischen Gruppen und instrumentalisieren dazu gesellschaftlich breit diskutierte Fragen. Die IL HH versteht sich als undogmatisch, also sich keinen festen Prinzipien und ewigen ideologischen Wahrheiten unterordnend, agierende Organisation im linksextremistischen politischen Spektrum. Sie ist insbesondere aktiv in den Themenfeldern Anti-Kapitalismus, Antifaschismus, Antirassismus sowie der Sozial-, Klimaund Flüchtlingspolitik. Organisatorisch teilt sich die IL HH in Arbeitsgemeinschaften auf. Entsprechend der Felder, in denen sie aktiv ist, erfolgt ihre thematische Schwerpunktsetzung. Sie nennen sich Klima-AG, AG Antira/Migration, Antifa-AG, AG Klassenpolitik, AG Queerfeminismus und AG Recht auf Stadt. Diese AGs wiederum bieten der IL HH die Möglichkeit, in verschiedenartigen, teils auch selbst initiierten Bündnissen und Kampagnen tätig zu sein. Sie sucht stets den Schulterschluss mit befreundeten und nahestehenden Gruppierungen, aber auch mit Organisationen und Einzelpersonen, die der IL HH ideologisch weniger nahestehen, darunter linksextremistische und auch gezielt nicht-extremistische Initiativen. Einige Beispiele aus dem Jahr 2019 zeigen, dass die IL durchweg versucht, gesellschaftlich relevante Themen zu besetzen: So führte die IL HH am 10. Januar 2019 eine Veranstaltung mit dem Titel "Gelbwesten Aufstand in Frankreich: Gefahr von Rechts, Chance von Links?" 126 Linksextremismus durch. Am 16. März 2019 rief die IL HH zur Teilnahme an der durch die Kampagne der Roten Hilfe "United we stand" organisierte Demonstration "Gemeinsam gegen Repressionen! Heraus zum Tag der politischen Gefangenen!" auf. Mitte Juni 2019 unterstützte auch die IL Hamburg, die militanten Blockade-Aktionen der von der IL beeinflusste Gruppierung "Ende Gelände" im Rheinischen Revier; dabei kam es im Verlauf der Aktionen in Nordrhein-Westfalen zu gewalttätigen Protesten und schweren Straftaten. Gefährliche Regelüberschreitungen und Tabubrüche waren auch bei diesen Aktionen Teil der Choreographie der IL und "Ende Gelände" von Beginn ganz bewusst als Stilmittel eingeplant. Twitter Meldungen der IL HH Sprecherin Emily L., zu den "Ende Gelände" Aktionen im Rheinischen Revier (Nordrhein-Westfalen) im Juni 2019. Am 20. September 2019 beteiligte sich die Hamburger Ortsgruppe an der Demonstration "Global Strike Day" der Gruppe "Fridays for Future", um im Anschluss unter ihrem Label "sitzenbleiben!" Straßenblockaden durchzuführen. Die Aktion wurde zuvor zusammen mit der von ihr beeinflussten Gruppe "Ende Gelände Hamburg" auch in Räumen der Universität Hamburg www trainiert (siehe www.hamburg.de/verfassungsschutz). Zudem unterstützte die IL HH im Jahr 2019 fortwährend Aktionen PKK-naher kurdischer und deutscher Gruppen durch eigene Teilnahme an Veranstaltungen und vorheriger Mobilisierung in den sozialen Netzwerken. Nach wie vor verfolgt die IL HH sehr aktiv die Strategie der Entgrenzung ( siehe Punkt 6.1 "Entgrenzung des Linksextremismus") und versucht selbst oder über die von ihr beeinflussten Gruppen "Ende Gelände Ham127 Linksextremismus burg" und "Seebrücke Hamburg" ihre Positionen in bürgerliche Bevölkerungsgruppen zu transportieren. Die IL HH verfolgt diese Strategie auch im universitären Bereich. So nutzen die IL HH sowie "Ende Gelände Hamburg" immer wieder Räumlichkeiten der Universität Hamburg zur Durchführung und Planung von Veranstaltungen und Aktionen und rufen zudem zur Wahl einer von ihr unterstützten Liste den "Unicorns - undogmatische Liste" zum Studierenden-Parlament auf. 5.1.4. Antiimperialistische Gruppen Das politische Grundgerüst antiimperialistischer Gruppen beruht auf Kernelementen des Marxismus-Leninismus. Diese verbinden sie mit dem Vorwurf, der Reichtum der Industrienationen ("imperialistischen Großmächte") stütze sich auf die ökonomische Ausbeutung von Ressourcen in den Entwicklungsländern und werde militärisch gesichert. Sie agitieren daher überwiegend gegen global tätige Konzerne sowie nationale und internationale Institutionen. Das Gewaltmonopol des Staates lehnen sie ab und reklamieren für sich zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele ein Recht auf Widerstand gegen das "System", welches auch gewalttätige Aktionen einschließt. Von Autonomen grenzen sie sich auf Grund größerer ideologischer Differenzen ab und arbeiten mit ihnen lediglich anlassund themenbezogen zusammen. Regelmäßiger Treffpunkt eines Teils der Hamburger Antiimperialisten ist das "Internationale Zentrum" an der Brigittenstraße 5 (kurz: B5). Die dort ansässigen Gruppen solidarisieren sich mit terroristischen und kommunistischen Organisationen aus Indien, Peru und den kurdischen Autonomiegebieten. Die kriegerischen Auseinandersetzungen in der Ukraine, Syrien und im Sudan sind ebenfalls Thema von Veranstaltungen und Demonstrationen. Antiimperialistische Gruppen fordern auch weiterhin die Gründung einer neuen kommunistischen Partei in Deutschland. 128 Linksextremismus 5.1.4.1. Roter Aufbau Hamburg (RAH) Einer der Treffpunkte der militanten Gruppe Roter Aufbau Hamburg (RAH) ist seit November 2019 der "Infound Kulturladen Lüttje Lüüd" im Stadtteil Veddel, der seinen Sitz zuvor in St. Pauli hatte. Der RAH hat nach wie vor gut 60 Anhänger. Die beiden eingetragenen Vereine "Klassenkultur" und "junges hamburg" werden ebenfalls dem RAH zugerechnet. Über verschiedene Angebote, zum Beispiel kulturelle Themen, Roter Aufbau sollen junge Menschen für marxistische und leninistiGegenmacht aufbauen! sche Theorien interessiert Logo auf der Internetseite "Roter Aufbau Hamburg". werden. In einem Facebook-Beitrag fordert der RAH am 1. Januar 2019 die Schaffung "bundesweiter kommunistischer Strukturen" und einen "revolutionären Aufbauprozess". In einem weiteren Beitrag im Juni 2019 tritt der RAH dafür ein, "dass alle Kapitalisten in allen Branchen entschädigungslos enteignet werden". Seit Sommer 2019 ist der RAH Mitglied im bundesweiten Bündnis "Perspektive Kommunismus". Auch dieses Bündnis strebt die gewaltsame Überwindung der parlamentarischen Demokratie an: "Aus unseren eigenen Erfahrungen, ebenso wie aus der Geschichte, ziehen wir den Schluss, dass der Aufbau einer kommunistischen Organisation als zentraler Bestandteil eines revolutionären Prozesses notwendig ist." Die Anmeldung der jährlichen "Revolutionären 1. Mai-Demonstration" erfolgte durch den RAH-Protagonisten Halil S. Das Motto der Veranstaltung: "Gemeinsam gegen Ausbeutung - In die revolutionäre Offensive!" und "Klassenfest gegen Staat und Kapital - In die revolutionäre Offensive!". An der Demonstration zum 1. Mai 2019 nahmen etwa 2.500 Personen teil. Es kam dabei zu vereinzelten Würfen von Feuerwerkskörpern und weiteren Gegenständen auf Polizeibeamte. Der Aufruf zur 1. Mai-Demonstration 129 Linksextremismus endete mit der Aufforderung: "Lasst uns die Angriffe der Herrschenden abwehren und gemeinsam den Kampf gegen das System organisieren!" Der RAH beteiligte sich im September 2019 ebenfalls an dem "Rheinmetall entwaffnen! -Camp" im niedersächsischen Unterlüß, einem Standort des Rheinmetall-Konzerns, der unter anderem Rüstungsgüter produziert. Im September 2019 wurde das vom Roten Aufbau Hamburg dominierte und vor dem G20-Gipfel 2017 gegründete "G20entern"-Bündnis umbenannt in "Waterkant Antifa". Hierbei handelt es sich um ein überregionales Bündnis von Gruppen und Einzelpersonen. In der Waterkant-Antifa arbeiten themenund anlassbezogen auch solche linksextremistischen Gruppierungen zusammen, die sich ansonsten ideologisch deutlich unterscheiden, neben dem kommunistischen Roten Aufbau Hamburg unter anderem verschiedene Antifa-Gruppen (Antifa 309, Antifa Altona Ost) sowie die postautonome Gruppierung "Interventionistische Linke". Die "Waterkant Antifa" organisierte im Oktober 2019 eine Veranstaltung in Nettelnburg, bei der Informationsmaterial und Flyer verteilt wurden. Auch diese Veranstaltung wurde von Halil S. (Roter Aufbau) angemeldet. In einem Internetbeitrag vom 13. November 2019 thematisierte die Waterkant-Antifa unter dem Motto "Nein zur Verschärfung der Sicherheitsgesetze" die mittlerweile von der Hamburgischen Bürgerschaft mit breiter parlamentarischer Mehrheit beschlossenen, aktualisierten Gesetze für Polizei und Verfassungsschutz und mobilisierte für die Demonstration am 15. November ( siehe Punkt 1 "Entwicklungen und Schwerpunkte"). 5.1.4.2. Sonstige antiimperialistische Gruppierungen Neben dem Roten Aufbau waren im Jahr 2019 weitere antiimperialistische Gruppen in Hamburg aktiv, unter anderem der "Revolutionäre Aufbau - BRD" (RA-BRD), die "Sozialistische Linke" (SoL), das "Bündnis gegen imperialistische Aggression" (BgiA) und das "Netzwerk Freiheit für alle politischen Gefangenen" (Netzwerk). 130 Linksextremismus "Revolutionärer Aufbau - BRD" (RA-BRD) Der "Revolutionäre Aufbau - BRD" (RA-BRD) nutzt die Räumlichkeiten des linksextremistischen "Internationalen Zentrums" an der Brigittenstraße 5 (B5) seit Juli 2016. Auf ihrer Facebookseite bezeichnet sich die Gruppe als "Kommunistische Organisation mit Ortsgruppen in Bremen, Hamburg und Weimar-Jena". Ihre fundamentale Feindschaft gegenüber der parlamentarischen Demokratie, bei deren Überwindung auch Gewalt als Mittel eingesetzt werden müsse, machte die Gruppe in einem Antwortkommentar auf ihrer Facebookseite im Januar 2018 deutlich: "Der einzige Weg diese Gesellschaft abzuschaffen und über den Sozialismus zum Kommunismus zu kommen, ist die alte Gesellschaft zu zerstören. Das alte muss zerschlagen werden bevor das neue kommen kann. Das geht nur mit revolutionärer Gewalt. Wenn man es ernst meint mit der Revolution, damit Ausbeutung und Unterdrückung zu beenden muss man das akzeptieren." Beendet wird der Beitrag mit dem bekannten Mao-Zitat: "Die politische Macht kommt aus den Gewehrläufen". Anhänger des RA-BRD nahmen am Tag der deutschen Einheit am 3. Oktober 2019 in einigen deutschen Städten an Demonstrationen teil, auch in Hamburg. Auf einem danach geposteten Video ist zu sehen, wie die schwarz-rot-goldene Bundesflagge verbrannt wird. Sozialistische Linke Hamburg Die "Sozialistische Linke Hamburg" (SoL) orientiert sich an den klassischen Theoretikern des Marxismus-Leninismus, hat aber in den vergangenen Jahren deutliche Bezüge zum Maoismus entwickelt und unterstützte in der Vergangenheit auch Veranstaltungen des "Netzwerkes für alle politischen Gefangenen". Bündnis gegen imperialistische Aggression Das "Bündnis gegen imperialistische Aggression" (BgiA) beschreibt sich als Zusammenschluss "von Gruppen, Organisationen, Parteien und Einzel131 Linksextremismus personen aus verschiedenen Ländern" und war im Jahr 2019 bei mehreren Versammlungen aktiv. Der "antiimperialistische und internationalistische Kampf" sei dabei die gemeinsame Basis. So beteiligte sich das Bündnis im Februar 2019 vor dem US-Generalkonsulat an einer Demonstration für das Maduro-Regime in Venezuela. Die Europäische Union kritisierte am 16. Juli 2019 auf Grundlage eines kurz zuvor veröffentlichten Berichtes der UNO die "Schwere der Menschenrechtsverletzungen, die Aushöhlung der Rechtsstaatlichkeit und den Abbau demokratischer Institutionen" in Venezuela. Die Rede eines BgiA-Unterstützers schloss mit den Worten: "Venezuela und ganz Lateinamerika wird das Grab der Horden des Yankee-Imperialismus sein!" Netzwerk Freiheit für alle politischen Gefangenen Das "Netzwerk Freiheit für alle politischen Gefangenen" (Netzwerk) versteht sich als "Zusammenschluss verschiedener Organisationen und Einzelpersonen, um das Bewusstsein über Repression als Teil des Klassenkampfes von oben zu stärken und angegriffene Strukturen gemeinsam zu organisieren." Erwähnt werden Gruppierungen in Berlin, Hamburg und Magdeburg. Das Netzwerk ist seit 2009 Herausgeber der Publikation "Gefangenen Info", die ursprünglich als Organ der Solidaritätsarbeit für inhaftierte Mitglieder der Roten Armee Fraktion (RAF) entstanden war. Von dieser Tradition haben sich Netzwerk und "Gefangenen Info" bisher nicht gelöst. Im Fokus der Gruppe standen mehrere Solidaritätsveranstaltungen für einen inhaftierten Führungsfunktionär der DHKP-C in Hamburg (Verweis Abschnitt DHKP-C). Zusammen mit weiteren Gruppen beteiligte sich das Netzwerk an mehreren Veranstaltungen der Rote-Hilfe-Kampagne "United we stand" für die Inhaftierten im Kontext der Auseinandersetzungen des G20-Gipfels (Verweis auf Abschnitt). Im März 2019 führte das Netzwerk eine Solidaritätsveranstaltung zugunsten türkischer Inhaftierter vor dem Generalkonsulat der Türkei durch. Im Juli 2019 nahm das Netzwerk an einer Demonstration mit dem Tenor "Solidarität mit den Dreien von der Parkbank und allen G20-Gefangenen!" teil. 132 Linksextremismus 5.1.5. Anarchisten Anarchisten streben nach einer selbstverwalteten Gesellschaft ohne Hierarchien und Herrschaft. Jede Art von Hierarchie bedeute "Unterdrückung von Freiheit", wird von ihnen abgelehnt und auch mit gewaltsamen Mitteln bekämpft. Dies gilt insbesondere für die parlamentarische Demokratie mit ihren Institutionen und Behörden. Diese Grundüberzeugung ist das verbindende Element innerhalb der zersplitterten anarchistischen Szene in Hamburg, der aktiv rund 50 Personen angehören (2018: 40). Eine in Hamburg aktive anarchistische Gruppe ist die Ortsgruppe der bundesweit aktiven "Freien ArbeiterInnen Union" (FAU), die sich im Libertären Kulturund Aktionszentrum "Schwarze Katze" (LKA)" in Eimsbüttel trifft. Daneben existiert im Karolinenviertel das selbstverwaltete "Libertäre Zentrum" (LIZ e.V.), welches in einer Bibliothek "anarchistische, anti-authoritäre, subversive pamphlete, texte, flyer, bücher" [Originalschreibweise] zur Verfügung stellt. Zum 1. Mai 2019 mobilisierte die anarchistische Initiative "Schwarz-Roter 1. Mai" für eine Demonstration unter dem Motto "Selbstorganisation statt Lohnarbeit" - "Mach das mal anders" (MDMA). Neben der Initiative "Schwarz-Roter 1. Mai" beteiligten sich Sektionen der FAU an der Versammlung. Startpunkt der sogenannten "Antiautoritären Demonstration" war der Herbert-Wehner-Platz in Harburg. Im Zuge des Demonstrationsverlaufs vermummten sich einige der insgesamt 400 Teilnehmer und zündeten Pyrotechnik. Es kam zu einer Sachbeschädigung durch Steinwürfe. Nach der Demonstration bedankte sich das Bündnis "Schwarz-Roter 1. Mai HH" über Facebook bei den Teilnehmern und erklärte stolz, dass man es geschafft habe, die "Wut auf die Straße" gebracht zu haben. Organisiert wurde die Demonstration von Personen aus dem linksextremistischen Szeneobjekt "Sauerkrautfabrik" in Harburg und deren Trägerverein "WeltRAUM e.V.", zu dem auch die anarchistische Gruppe "Libertäre H-Burg" gehört. Zudem organisierten Anarchisten aus der Sauerkrautfabrik, unterstützt von weiteren linksextremistischen Gruppierungen, am 21. Dezember 2019 eine Demonstration mit dem Motto "Weihnachten bei Richter K.", welche bis vor das Wohnhaus eines Richters in Buxtehude führen sollte, der mit 133 Linksextremismus Verfahren in Bezug auf den G20-Gipfel betraut war. Dies wurde von der zuständigen Versammlungsbehörde untersagt. Neben den unter Punkt 4. "Militanz und linksextremistische Gewalt" beschriebenen Ereignissen fließt auch diese gezielte Aktion auf die grundgesetzlich geschützte richterliche Unabhängigkeit in die Bewertung des Verfassungsschutzes ein, inwiefern sich der militante Linksextremismus weiter radikalisiert. 5.2. Antirepression 5.2.1. Rote Hilfe e.V. (RH) / United We Stand (UWS) Die Rote Hilfe (RH) wurde 1975 gegründet und bezeichnet sich als "parteiunabhängige, strömungsübergreifende linke Schutzund Solidaritätsorganisation. Die RH gehörte 2019 mit ihren bundesweit rund 11.000 Mitgliedern (2018: 9.400) aus Angehörigen verschiedener linker und linksextremistischer Organisationen und Szenestrukturen zu den mitgliedsstärksten Gruppierungen des deutschen Linksextremismus. Der Anstieg bundesweit, auch in HamLogo der "Roten Hilfe e.V." burg, ist mit einem weiteren Zulauf in die Szene nach dem G20-Gipfel und den nachfolgenden Ermittlungsverfahren, Prozessen und Verbotsdebatten zu erklären (Solidarisierungseffekt) sowie auch mit Werbemaßnahmen. Nur sehr wenige der etwa 1.000 Hamburger Mitglieder (2018: 790) arbeiten aktiv in der Gruppe mit. Von strafprozessualen Maßnahmen betroffene Linksextremisten werden finanziell, unter anderem bei Anwaltsund Gerichtskosten, unterstützt, sofern diese sich den Bedingungen der RH unterwerfen. Unter dem Motto "Solidarität ist eine Waffe" oder "Anna und Arthur halten's Maul" werden Angehörige der linksextremistischen Szene zu einer konsequenten Verweigerung der Zusammenarbeit mit den Sicherheitsbehörden gedrängt, um die Aufklärung von Straftaten zu erschweren. 134 Linksextremismus Den Betroffenen daraus entstehende Nachteile sollen durch das Versprechen der Solidarität kompensiert werden. Im Jahr 2019 wurde eine neue Kampagne unter dem Namen "Solidarität verbindet" gestartet. Diese soll den Bekanntheitsgrad der RH erweitern und für den weiteren Anstieg der Mitgliederzahlen sorgen. Das neue Hamburger Polizeigesetz war für die Rote Hilfe im Jahr 2019 ebenfalls ein Thema. In diesem Kontext wurde ein Bericht mit dem Tenor "Prognosen statt Beweise" veröffentlicht. Im Fazit wird behauptet, dass die Gesetzesänderung zu einer angeblichen Verschlechterung der Möglichkeiten der eigenen Klientel führe: "[...] als Baustein einer künftigen effektiveren staatlichen Repression gegen [...] Widerstand linker Bewegungen." Beim Aufruf zur Demonstration mit dem Tenor "Nein zur Verschärfung der Sicherheitsgesetze" am 15. November 2019, bei der auch das neue Verfassungsschutzgesetz thematisiert wurde, war neben diversen linksextremistischen Organisationen auch die Rote Hilfe vertreten. Die Kampagne "United We Stand" (UWS) wurde nach dem G20-Gipfel von der Roten Hilfe, Ortsgruppe Hamburg, im Juli 2017 ins Leben gerufen. Ihr gehören rund 15 Gruppen der linksextremistischen Szene an, unter anderem die Rote Hilfe, der Ermittlungsausschuss (EA) und der Rote Aufbau Hamburg (RAH). INFOBOX "Ermittlungsausschuss" (EA) nennen sich häufig Personenzusammenschlüsse, die andere Linksextremisten bei Demonstrationen, politischen Aktionen, Strafverfolgung oder Gerichtsverfahren unterstützen. "United We Stand" organisiert seit dieser Zeit unter anderem zu anstehenden G20-Gerichtsverfahren wöchentliche Solidaritätskundgebungen vor dem jeweiligen Amtsgericht sowie vor dem Untersuchungsgefängnis. Dies ist, da es noch laufende sowie zukünftig anstehende G20-Prozesse gibt, 135 Linksextremismus auch im Jahr 2020 weiterhin Thema. Jedoch war ein stetiger Rückgang der Teilnehmerzahlen (niedriger einstelliger Bereich) zu verzeichnen. UWS reagiert zudem gemeinsam mit der RH auf aktuelle Ereignisse, zum Beispiel auf den Prozess gegen die sogenannten "Die Drei von der Parkbank" ( siehe Punkt 4 "Militanzdebatte und linksextremistische Gewalt"). Hier wurden in regelmäßigen Abständen "Soli-Veranstaltungen" und Kundgebungen organisiert. INFOBOX Repression - laut DUDEN die "(gewaltsame) Unterdrückung von Kritik, Widerstand, politischen Bewegungen, individueller Entfaltung [und] individuellen Bedürfnissen", ist verknüpft mit Unterdrückung und Menschrechtsverletzungen in Diktaturen. Die linksextremistische Szene instrumentalisiert die Begrifflichkeiten Repression und Antirepression in innenpolitischen Zusammenhängen, um dem demokratischen Rechtstaat und hier insbesondere dem Handeln von Polizei, Justiz und Verfassungsschutz die Legitimation abzusprechen. In Veröffentlichungen wird Staatsanwaltschaft, Gerichten und Sicherheitsbehörden angebliche "politische Verfolgung" vorgeworfen. Linksextremisten ignorieren aus ideologischen Gründen absichtsvoll, dass es sich bei der Bunderepublik Deutschland um einen Rechtstaat handelt, in dem auch Szeneangehörige ihre Grundrechte in vollem Umfang in Anspruch nehmen können. Die sogenannte Antirepressionsarbeit gliedert sich zumeist in zwei Felder: in die finanzielle und juristische Unterstützung inhaftierter Linksextremisten; zudem in die Diffamierung von Polizei und Justizbehörden, beispielhaft sei hier das Netzwerk "Freiheit für alle politischen Gefangenen" genannt. Gerade mit dem vorgeblichen "Kampf gegen die Repression" werden immer wieder auch schwere Straftaten gerechtfertigt. 136 Linksextremismus 5.3. Orthodoxe Kommunisten und andere revolutionäre Marxisten Als "orthodoxe Kommunisten" werden Parteien und parteiähnliche Organisationen bezeichnet, die den Ideologien von Marx, Engels und Lenin (Marxismus-Leninismus) folgen. Hierzu zählen insbesondere die "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP), revolutionär-marxistische Teilstrukturen der Partei DIE LINKE und trotzkistische Gruppierungen. 5.3.1. DKP Hamburg, SDAJ Hamburg und trotzkistische Gruppierungen Die "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP) wurde 1968 in Essen gegründet und ist die Kernorganisation der orthodoxen Kommunisten. Sie bekennt sich zur Theorie von Marx, Engels und Lenin als Richtschnur ihres politischen Handelns. Ihrer Weltanschauung zufolge ermöglicht nur der revolutionäre - auf die Realisierung des Kommunismus gerichtete - Sozialismus eine Lösung aller gesellschaftlichen Probleme. Das zentrale Ziel der DKP bleibt der "grundlegende Bruch mit den kapitalistischen Eigentumsund Machtverhältnissen" sowie die Errichtung einer zunächst sozialistischen und letztendlich kommunistischen Gesellschaft. Die DKP steht damit im unauflösbarem Gegensatz zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung und der parlamentarischen Demokratie. Die DKP Hamburg hat ihre Parteizentrale im "Magda-Thürey-Zentrum (MTZ) in Eimsbüttel. Das MTZ wird auch von weiteren linksextremistischen Organisationen wie der SDAJ, der Wilhelmsburger Marxistischen Abendschule ("MASCH") und auch der "Antifa Altona Ost" (AAO) als Treffpunkt genutzt. Inhaltliche Themenschwerpunkte des Hamburger Bezirks waren die Klimadebatte ("Der Kapitalismus tötet das Klima"), Gewerkschaftsthemen und die Schulpolitik. Zentrale Veranstaltungen des politischen Lebens der DKP Hamburg waren im Jahr 2019 die die Teilnahme an der Rosa-Luxemburg-Konferenz am 12. Januar 2019 in Berlin sowie die Organisation des Methfesselfestes (16. bis 18. August) im Stadtteil Eimsbüttel. 137 Linksextremismus SDAJ Hamburg Der Jugendverband "Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend" (SDAJ) ist formal unabhängig, betrachtet sich aber als Nachwuchsorganisation der DKP. Er wurde, wie die DKP, 1968 in Essen gegründet. Die SDAJ bezeichnet sich auf ihrer Homepage als eine Selbstorganisation von Schülern, Auszubildenden, jungen Arbeitern und Studenten, die in Deutschland leben, unabhängig von ihrer Herkunft oder ihrem Pass. Regelmäßig organisiert die SDAJ Hamburg gemeinsam mit der DKP Hamburg öffentlichkeitswirksame Veranstaltungen im MTZ. Die thematischen Schwerpunkte der SDAJ Hamburg waren unter anderem die personelle Ausstattung der Krankenhäuser, Aufrufe gegen die NATO sowie Aktionen gegen die 2019 beschlossene Novellierung des Hamburgischen Polizeigesetzes. Weiterhin wurden israelkritische Aktionen sowie Solidaritätsbekundungen zugunsten der Kurden in Syrien und des venezolanischen Machthabers Maduro registriert ( siehe Punkt 5.1.4.2 "Sonstige antiimperialistische Gruppierungen"). Marxistische Abendschulen (MASCH) in Hamburg Die "Marxistische Abendschule - MASCH e.V." wurde 2007 auf Initiative der DKP in Wilhelmsburg gegründet. Nach eigenen Angaben fördere der Verein die Volksbildung, Wissenschaft und Forschung vor allem durch die Vermittlung von Grundlagenkenntnissen über den Marxismus, insbesondere anhand der Originaltexte von Marx, Engels und Lenin. Die Veranstaltungen der "MASCH" finden zumeist im Marxistischen Bildungszentrum "MaBiz" in Eimsbüttel statt. Neben dieser in Wilhelmsburg gegründeten "MASCH" besteht in Hamburg seit 1981 die ebenfalls auf DKP-Initiative gegründete "Marxistische Abendschule - Forum für Politik und Kultur e.V.". Diese ist hauptsächlich als "MASCH-Hochschulgruppe" im Universitätsbereich tätig und bietet dort Gesprächsund Lesekreise an. Auch dort steht die Marx-Lektüre im Vordergrund. 138 Linksextremismus 5.3.2. Extremistische Teilstrukturen in der Partei "DIE LINKE" Die Gesamtpartei DIE LINKE wird vom Hamburger Verfassungsschutz seit 2008 nicht mehr beobachtet, sondern deren revolutionär-marxistische Strömungen. Deren Mitgliederpotenzial umfasst, wie 2018, gut 80 Personen. In Hamburg ist insbesondere der parteinahe Jugendverband Linksjugend ('solid) aktiv. Weitere Gruppierungen sind die "Kommunistische Plattform" (KPF) sowie die "Sozialistische Linke" (SL). Linksjugend ('solid) Die Hamburger Gruppierung der Linksjugend 'solid hat 2019 zu zahlreichen Demonstrationen zu verschiedenen Themen aufgerufen. So unterstützte 'solid Protestzüge der von der gewaltorientierten "Interventionistischen Linken" beeinflussten Logo der Linksjugend 'solid. Gruppierung "Ende Gelände" im rheinischen Braunkohlerevier. Zudem mobilisierte 'solid für die Gegenkundgebungen zum von Rechtsextremisten organisierten "Tag der deutschen Zukunft 2019" in Chemnitz sowie der Versammlungsreihe unter dem Tenor "Michel wach auf" (vormals "Merkel muss weg") ( siehe Kapitel V, Punkt 8.4). Im März 2019 wurde auf der Facebookseite der Gruppierung ein Post zur Solidarisierung mit der "Roten Hilfe" festgestellt, der zudem auch die Bundesrepublik und ihre staatlichen Organe verunglimpft und die DDR verherrlicht. Die Linksjugend Hamburg bezeichnet darin die "BRD seit 1945 mit ihren zahlreichen faschistischen Richtern, Beamten und vielen weiteren Funktionsträgern, die schon unter Hitler eifrig für den Kapitalismus arbeiteten. Das kann auch ein wirrer antikommunistischer Antideutscher nicht abstreiten. Die DDR hingegen war ein sozialistischer Staat mit klarer antifaschistischer Politik. Auch die deutliche antiimperialistische und antizionistische Haltung der DDR ist lobenswert". In einem weiteren Post im März 2019 wird auf der Facebookseite der Staat Israel als "aggressives zionistisches Apartheitsregime" verunglimpft. Die 139 Linksextremismus Hamburger 'solid forderte Solidarität mit dem "Freiheitskampf" der Palästinenser. Im November 2019 rief die Gruppierung zur Teilnahme an einer Kundgebung in Steilshoop auf, bei der die Enteignung großer Immobilienkonzerne gefordert wurde. Sozialistische Alternative (SAV) Die "Sozialistische Alternative" (SAV) ist die einzige relevante trotzkistisch ausgerichtete Gruppe in Hamburg. Ihre Mitglieder engagieren sich unter anderem bei ('solid) und in der Partei DIE LINKE. INFOBOX Trotzkismus - Der nach dem russischen Revolutionär Leo Trotzki benannte Trotzkismus wird geprägt durch die sogenannte Theorie der permanenten Revolution, wonach der politische Prozess nicht mit einer proletarischen Revolution endet. Trotzkistische Gruppen versuchen, mit ihrer "Entrismus" genannten Unterwanderungsstrategie Einfluss in linksextremistischen und linken Organisationen zu gewinnen. 6. Spektrenübergreifende Inhalte 6.1. Entgrenzung des Linksextremismus Linksextremisten missbrauchen populäre Themen wie beispielsweise Umweltund Klimaschutz, Flüchtlingspolitik, Mieterschutzthemen oder das Engagement gegen Rechtsextremismus, um ihre verfassungsfeindlichen Ziele zu verfolgen. Gewaltorientierten Gruppierungen wie der Interventionistischen Linken (IL), Autonomen aus dem Umfeld der Flora oder lokalen Antifa-Gruppen wie der Antifa Altona Ost (AAO) geht es dabei nicht um 140 Linksextremismus die Stärkung der offenen pluralistischen Gesellschaft oder die Verteidigung bürgerlicher Grundrechte. Gesellschaftlich breit diskutierte Themen dienen ihnen strategisch und taktisch dazu, mit nicht-extremistischen Initiativen Allianzen zu gründen, um die eigene totalitäre Weltanschauung in die demokratische Mitte der Gesellschaft bringen zu können. INFOBOX Entgrenzung - Vor allem in den Phänomenbereichen Linksextremismus, Rechtsextremismus und Islamismus hat die Abgrenzung zwischen extremistischen und nicht-extremistischen Bereichen an Trennschärfe verloren, insbesondere über die gezielte strategische und taktische Besetzung gesellschaftlich breit diskutierter oder akzeptierter Themen durch Extremisten; sie nutzen in diesem Kontext alle Möglichkeiten des Internets, speziell sozialer Netzwerke, um ihre Thesen und Ideen zu verbreiten und Kampagnen zu unterstützen. Dieser Versuch, die Grenzen zwischen demokratischem und extremistischem Engagement aufzulösen, wird im Verfassungsschutzverbund als "Entgrenzung" bezeichnet. Unter dem letztendlich auf die Überwindung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung abzielenden Motto "change the system, not the climate" versuchten und versuchen Linksextremisten Einfluss auf die Klimabewegung zu bekommen. Spektren übergreifend wurde von zahlreichen linksextremistischen Gruppierungen versucht, Zugang zu den Organisatoren der Klimaproteste und damit Partizipation an der politischen Ausrichtung der Proteste zu erhalten. Zudem nutzten Linksextremisten dieses an Bedeutung gewonnene Politikfeld zur eigenen Darstellung und Profilierung. Tenor war dabei durchgehend, dass der "Kapitalismus", und in linksextremistischer Lesart damit die parlamentarische Demokratie und ihre Gesellschaftsund Wirtschaftsordnung, Ursache des Klimaproblems sei und nur durch eine Umwälzung der bestehenden Verhältnisse die Klimakrise gelöst werden könne. 141 Linksextremismus Klimas chu tz Flüchtlinge Interventionistische Linke Antifa demokratischRoter Aufbau Hamburg gesellschaftlicher Bereich G lo b g a li s i e r u n "Entgrenzungsthemen" " s linksextremistischer ht Organisationen/Gruppierungen Ka ec m p f "g e g e n R Illustration LfV HH Im Frühjahr 2019 waren auf Kanälen der IL in den sozialen Medien viele Solidaritätsbekundungen mit den Schülerstreikprotesten des Bündnisses "Fridays For Future" (FFF) zu vernehmen, mit dem Ziel, das eigene Klientel für die Proteste zu mobilisieren. Mitglieder der IL Hamburg haben an diesen Demos bereits teilgenommen. IL-Sprecherin Emily L., die sich durch zahlreiche öffentliche Auftritte in Printund TV-Medien und umfangreichen Aktionismus in den sozialen Netzen zum Hamburger Aushängeschild der IL selbstinszeniert, postete Fotos, die sie auf der Hamburger FFF-Demo am 1. März 2019 zeigen. Allerdings scheiterten diese Anbahnungsversuche aus dem linksextremistischen Lager. Die IL und andere Linksextremisten wie die AAO erfuhren als Teilnehmer einer am 15. März 2019 stattgefundenen Klima-Demonstration eine eindeutige Absage seitens der FFF-Demo-Verantwortlichen. Ein Aufruf der IL-beeinflussten Gruppe "Ende Gelände Hamburg" zum "globalen Klimaaktionstag" vereinnahmte damals ohne deren Einverständnis die von Schülern und Studierenden initiierten Klimaproteste, welche am 15. März 2019 eine ihrer regelmäßigen Demonstrationen für mehr Klimaschutz abhielten. Die FFF-Organisatoren distanzierten sich in einer Verlautbarung davon. 142 Linksextremismus Am Freitag, 20. September 2019, startete am Hamburger Jungfernstieg eine durch FFF initiierte Großdemonstration. Linksextremistische Gruppen beteiligten sich mit eigenen Blöcken an der Demonstration und führten im Anschluss Blockaden durch, um den Straßenverkehr in der Hamburger Innenstadt lahmzulegen. Bei den Planungen waren erneut die IL und die von ihr beeinflusste Gruppe "Ende Gelände" federführend. Zur Vorbereitung der Aktionen boten die IL und "Ende Gelände" ein offenes Aktionsund Blockadetraining in den Räumen des AStA der Universität Hamburg www an. Auch die AAO warb für Blockadeaktionen (siehe www.hamburg.de/ verfassungsschutz). 6.2. Kampfsportveranstaltungen Am 08. Juni 2019 wurde im Musikclub "Übel & Gefährlich" im Hamburger Hochbunker in St. Pauli eine sogenannte "Antifa-Full-Contact"-Kampfsportveranstaltung unter dem Label "United Struggle" abgehalten. Neben Hamburger Linksextremisten beteiligten sich weitere Personen aus dem Bundesgebiet und anderen Ländern Europas wie zum Beispiel Dänemark und Großbritannien an dem Event. Professionell organisierte Kampfsportveranstaltungen haben in der linksextremistischen Szene an Bedeutung gewonnen. So gab es im Jahr 2019 weitere Veranstaltungen unter anderem in Potsdam und im anarchistischen Zentrum "Rozbrat" im polnischen Logo "United Struggle" Posen. Neben Organisatoren und Kämpfern der linksextremistischen Szene ist ein solches Kampfsportevent auch für interessierte Personen außerhalb des linksextremistischen Milieus attraktiv, zumal solche Veranstaltungen häufig in angesagten Szenelokalitäten durchgeführt werden. In Abgrenzung zu kommerziellen Kampfsportevents sollen sportliche Erlebnisse mit einer ideologisch-politischen Komponente verbunden werden. Neben einer szenegerechten und modernen Ansprüchen genügenden Örtlichkeit sorgen die Organisatoren von Kampfsportturnieren auch für familienfreundliche Angebote wie Kinderbetreuung. So sollen Zuschauer grundsätzlich animiert werden, in den 143 Linksextremismus Szene-Kampfsportbereich einzusteigen. Diese niedrigschwelligen Angebote richten sich primär an linksaffine Personengruppen, um diese enger an die Szene zu binden oder neue Mitglieder zu werben. Für Linksextremisten selbst dient die Ausund Fortbildung im Kampfsport zudem als ein Mittel im militanten Kampf gegen tatsächliche oder vermeintliche Rechtsextremisten oder bei Auseinandersetzungen mit Polizeibeamten im Kontext von Demonstrationen. 144 Verfassungsschutz in Hamburg Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Gruppierungen mit Auslandsbezug Linksextremismus Rechtsextremismus Reichsbürger und Selbstverwalter Scientology-Organisation Spionageabwehr und Wirtschaftsschutz Geheimund Sabotageschutz Anhang Rechtsextremismus Unter Rechtsextremismus werden Bestrebungen verstanden, die den demokratischen Verfassungsstaat, die Gleichheit der Menschen und die universell geltenden Menschenrechte ablehnen sowie ein dem Führerprinzip verpflichtendes Kollektivdenken unterstützen. Eine einheitliche rechtsextremistische Ideologie (Weltanschauung) existiert nicht. Es lassen sich aber einige Gemeinsamkeiten erkennen: Nationalismus, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit: Bei allen Rechtsextremisten ist eine Überhöhung der eigenen ethnischen Zugehörigkeit mit gleichzeitiger Abwertung anderer Nationen und Völker sowie eine gegen die Menschenwürde und den Gleichheitsgrundsatz des Grundgesetzes gerichtete Fremdenfeindlichkeit festzustellen. Antisemitismus und Geschichtsrevisionismus: Bei fast allen Rechtsextremisten ist die Verherrlichung des Nationalsozialismus mit einhergehender Judenfeindschaft sowie die Leugnung oder Relativierung des Holocausts stark verbreitet. Neonazismus: Der historische Nationalsozialismus stellt den bedeutendsten ideologischen Bezugsrahmen für die organisierte rechtsextremistische Szene in Deutschland dar. Sehr viele Rechtsextremisten sind Neonazis oder vom Nationalsozialismus beeinflusst - aber nicht jeder Rechtsextremist ist ein Neonazi. "Neue Rechte": Die sich als Gegenelite verstehende Neue Rechte versucht, mit ihren Konzepten und Strategien in die "Mitte der Gesellschaft" zu wirken, um den politischen Diskurs zu beeinflussen und schließlich zu prägen. Rechtsextremistische Positionen werden dadurch anschlussfähiger. Hierfür grenzt sie sich von der Neonaziszene ab und geht auf Distanz zum historischen Nationalsozialismus. Rechtsextremismus V. Rechtsextremismus 1. Entwicklungen und Schwerpunkte im Überblick Die rechtsextremistische Szene entwickelt sich bundesweit dynamisch. Kennzeichnend hierfür sind drei Entwicklungsstränge: Virtualisierung Das rechtsextremistische Spektrum nutzt den durch das Internet hervorgerufenen Strukturwandel im Bereich der Medien und der Öffentlichkeit intensiv, indem es die zahlreichen virtuellen Möglichkeiten zur Verbreitung von Propaganda, zur Mobilisierung sowie zur Vernetzung und Organisation verwendet ( siehe Punkt 8.1 "Bedeutung des Internet"). Radikalisierung Die Radikalisierung wurde durch die vollendeten rechtsextremistisch motivierten Tötungsdelikte von Kassel und Halle nachdrücklich sichtbar. Darüber hinaus zeigt sie sich auch darin, dass Rechtsextremisten die derzeitige politische Situation in Endzeitund Bürgerkriegsszenarien diskutieren und zum Teil daraus folgern, sich auf diese Auseinandersetzung vorbereiten zu müssen. Das permanente Wiederholen von Feindbildern und das rassistische Zuspitzen gesellschaftlicher Konflikte liefert einigen Rechtsextremisten eine vermeintliche Rechtfertigung für Gewalttaten. Es besteht die Gefahr, dass sich in diesem ideologischen Umfeld weitere rechtsterroristische Strukturen oder Einzeltäter entwickeln könnten ( siehe Punkt 4 "Rechtsextremistische Gewalt und Rechtsterrorismus"). Entgrenzung Ein anderer Teil des Rechtsextremismus, insbesondere extremistische Teile einer sogenannten "Neuen Rechten" (zum Beispiel die "Identitäre Bewegung"), versucht die Stigmatisierung des Rechtsextremismus aufzubrechen, fremdenfeindliche und autoritäre Argumente im politischen Diskurs zu normalisieren und somit anschlussfähig für breitere Teile der Gesell149 Rechtsextremismus schaft zu werden. Man möchte den Rechtsextremismus systematisch aus ISLAMISMUS seiner Begrenztheit befreien ("entgrenzen"). Rechtsextremisten, darunter auch Anhänger der "Neuen Rechten", wollen die klare Abgrenzbarkeit zwischen extremistischen und nicht-extremistischen Aussagen LINKSRECHTSEXTREMISMUS demokratischEXTREMISMUS erschweren; auf diese Weise sollen gesellschaftlicher Bereich Anknüpfungspunkte für eine bis in die demokratische Mitte der Gesellschaft und ihrer Diskurse verfassungsfeindliche Agitation ermöglicht und damit einer Entgrenzung des SCIENTOLOGY Rechtsextremismus Vorschub geleistet werden ( siehe Punkt 8 "Entgrenzung des Rechtsextremis"Entgrenzung" als Strategie zur Besetzung gesellschaftlich breit diskutierter oder akzeptierter Themen durch Extremisten. mus"). Grafik: LfV HH Alle drei Entwicklungsstränge schlagen sich in veränderten Strukturen und Vernetzungen sowohl innerhalb der Szene als auch in Gruppierungen und Personen außerhalb der Szene nieder. Beispiele für diese Veränderung ist die Organisation kombinierter Großveranstaltungen mit mehreren Themen, etwa Musik und Kampfsport, durch Rechtsextremisten. Dies stellt den Verfassungsschutz rechtlich, materiell und personell vor besondere und neue Herausforderungen. Neben dieser dynamischen Entwicklung existieren nach wie vor die Protagonisten eines an tradierten Organisationsmodellen (zum Beispiel Parteien, Kameradschaften) orientierten Rechtsextremismus. Allerdings sind deren Mobilisierungsstärke und politische Bedeutung stark rückläufig. Wesentlicher Akteur dieses Spektrums ist in Hamburg die NPD ( siehe Punkt 7.1 "NPD"). Bundesweit sind die klassischen Erscheinungsformen des Rechtsextremismus auch zahlenmäßig weiterhin von der heterogenen Szene der subkulturell geprägten Rechtsextremisten gekennzeichnet ( siehe Punkt 6 "Subkulturell geprägte Rechtsextremisten und rechtsextremistische Musikszene"). 150 Rechtsextremismus 1.1. Nord-IMK - Lagebilder der Küstenländer Auf Einladung von Hamburgs Innensenator Andy Grote trafen sich die Innenminister und -senatoren der fünf norddeutschen Küstenländer (Nord-IMK) am 11. November 2019 in Hamburg. Zentrales Thema war die Bekämpfung des Rechtsextremismus. So wurde auf der Nord-IMK das "Lagebild Rechtsextremismus" vorgestellt, das einen aktuellen und verlässlichen Überblick über Hamburgs Innensenator Andy Grote (Mitte) während der Nord-IMK im Gespräch mit Innenminister Lorenz rechtsextremistische Strukturen und PotenCaffier (Mecklenburg-Vorpommern, links) und Innensenator Ulrich Mäurer (Bremen) ziale sowie deren Entwicklungen (unter Foto: BIS Hamburg anderem überregionale Netzwerkentwicklungen) in Norddeutschland gewährleistet. Das Lagebild, das auch den Phänomenbereich der Reichsbürger und Selbstverwalter umfasst, wurde von den norddeutschen Verfassungsschutzbehörden erstellt. Einige seiner Kernbotschaften lauten: Die vom Rechtsextremismus ausgehenden Gefahren in den norddeutschen Küstenländern hängen nicht vom Potenzial der jeweiligen Szenen ab. Rechtsterroristische Bedrohungen können jederzeit und an jedem Ort entstehen. Das Phänomen der Entgrenzung darf nicht unterschätzt werden - zur Eindämmung dieser Gefahr ist eine intensive Öffentlichkeitsarbeit des Verfassungsschutzes notwendig. Eine Pressefassung des Lagebildes kann auf der Homepage des www LfV Hamburg als Dokument heruntergeladen werden (siehe www.hamburg. de/verfassungsschutz). 1.2. AfD-Teilorganisation "Der Flügel" Im März 2020 stufte das BfV die AfD-Teilorganisation "Der Flügel" als gesichert rechtsextremistische Bestrebung ein. Nachdem der "Flügel" im Januar 2019 als Verdachtsfall und damit als Beobachtungsobjekt eingestuft worden war, haben sich seitdem die Anhaltspunkte für Logo der AfD-Teilorganisation Bestrebungegen gegen die freiheitliche demokratische "Der Flügel". Grundordnung verdichtet. Belege sind unter anderem die zentrale Bedeutung rechtsextremistischer Führungs151 Rechtsextremismus personen, die verstärkte Vernetzung im rechtsextremistischen und neurechten Spektrum sowie fortlaufende Verstöße von Anhängern gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung und deren Wesensmerkmale der Menschenwürde sowie des Demokratieund Rechtsstaatsprinzips. Dem "Flügel" sind bundesweit etwa 7.000 Anhänger zuzurechnen [Quelle: Bundesamt für Verfassungsschutz, Fachinformation: Einstufung des "Flügel" als erwiesen extremistische Bestrebung, 12. März 2020, online abrufbar www unter: www.verfassungsschutz.de]. 2. Potenziale Das bundesweite Personenpotenzial stieg 2019 auf 32.080 an (2018: 24.100). Grund dieses Anstiegs ist die Einbeziehung von im BfV und mehreren Landesämtern im Jahr 2019 als Verdachtsfälle bearbeiteten Teilstrukturen der Partei "Alternative für Deutschland" (AfD), die selbst derzeit [Stand: April 2020] kein Beobachtungsobjekt ist. Es handelt sich dabei um die "Junge Alternative" und "Der Flügel". Ein Anstieg auf 13.000 ist bei den gewaltorientierten Rechtsextremisten zu verzeichnen (2018: 12.700). Personenpotenziale Rechtsextremismus - Bund 30.000 25.000 32.080 25.000 24.000 24.100 23.100 22.400 22.600 20.000 22.150 21.700 21.000 15.000 10.000 5.000 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 - Die Zahlen für die Personenpotenziale sind gerundet - 152 Rechtsextremismus Dagegen ist das Personenpotenzial der NPD erneut zurückgegangen, und zwar auf 3.600 Personen (2018: 4.000). Mit circa 6.600 Personen stagniert die Zahl der in parteiunabhängigen und parteiungebundenen Strukturen organisierten Personen, zu denen neonazistische Kameradschaften und Gruppierungen der "Neuen Rechten", wie die "Identitäre Bewegung Deutschland", zählen. Der größte Anteil entfällt auf das weitgehend unstrukturierte rechtsextremistische Personenpotenzial, wozu neben den Einzelpersonen ohne Anbindung an rechtsextremistische Gruppierungen auch die gesamte subkulturell geprägte rechtsextremistische Szene gerechnet wird. Personenpotenziale Rechtsextremismus Bundesebene 18 19 20 20 in Parteien gesamt 5.510 13.330 Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) 4.000 3.600 Der III. Weg 530 580 DIE RECHTE 600 550 sonstiges rechtsextremistisches Personenpotenzial 380 8.600 in Parteien in parteiunabhängigen/parteiungebundenen Strukturen 6.600 6.600 weitgehend unstrukturiertes rechtsextremistisches 13.240 13.500 Personenpotenzial Summe 25.350 33.430 abzüglich Mehrfachmitgliedschaften 1.250 1.350 Gesamtpotenzial 24.100 32.080 davon Gewaltorientierte 12.700 13.000 153 Rechtsextremismus 2019 wurden in Hamburg 330 Personen der rechtsextremistischen Szene zugerechnet (2018: 340). Am Rückgang der Zahl der in Hamburg in parteiunabhängigen und parteiungebundenen Strukturen organisierten Personen auf 100 (2018: 120) zeigt sich der Bedeutungsverlust fester Organisationsstrukturen. Dagegen ist beim weitgehend unstrukturierten rechtsextremistischen Personenpotenzial, zu dem vor allem subkulturell geprägte Rechtsextremisten ( siehe Punkt 6) und rechtsextremistische Gewalttäter ohne Szeneanbindung gerechnet werden, ein leichter Anstieg auf 120 (2018: 110) zu verzeichnen. Von den 330 Hamburger Rechtsextremisten stuft das LfV Hamburg mit rund 130 so viele Personen wie im Jahr 2018 als gewaltorientierte Rechtsextremisten ein. Personenpotenziale Rechtsextremismus - Hamburg 500 480 400 450 330 330 340 330 340 330 320 320 300 200 180 180 160 160 150 100 140 140 140 130 130 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 Gesamtzahl Gewaltorientiert - Die Zahlen für die Personenpotenziale sind gerundet - 154 Rechtsextremismus Personenpotenziale Rechtsextremismus Hamburg 18 19 20 20 in Parteien (nur NPD) 110 110 in parteiunabhängigen/parteiungebundenen Strukturen 120 100 weitgehend unstrukturiertes rechtsextremistisches 110 120 Personenpotenzial Summe 340 330 abzüglich Mehrfachmitgliedschaften 0 0 Gesamtpotenzial 340 330 davon Gewaltorientierte 130 130 3. Politisch motivierte Kriminalität (PMK) Die Zahl der rechtsextremistischen Straftaten stieg 2019 mit 304 Fällen (2018: 284) leicht an. Mit 200 Fällen (2018: 188) handelt es sich wie in den Vorjahren bei der überwiegenden Zahl der rechtsextremistischen Straftaten um Propagandadelikte (insbesondere Hakenkreuz-Schmierereien und sonstige gemäß SS 86 a StGB verbotene Verwendung von Symbolik verfassungswidriger Organisationen). Die Zahl rechtsextremistischer Gewalttaten ist 2019 nach einem zuletzt deutlichen Rückgang (2018: 11) wieder auf einen im Zehnjahresvergleich durchschnittlichen Wert von 25 gestiegen. Diese Zahl setzt sich aus 15 Körperverletzungen und sieben gefährlichen Körperverletzungen sowie zwei Fällen von Widerstand und Angriff gegen Vollstreckungsbeamte und einem Raub zusammen. Zu drei der insgesamt 19 ermittelten Tatverdächtigen lagen dem LfV Hamburg bereits Erkenntnisse vor. 155 Rechtsextremismus Die Zahl mutmaßlich rechtsmotivierter Übergriffe und Gewalttaten gegen Asylbewerberunterkünfte und deren Bewohner sank erneut bundesweit 2019 im Vergleich zum Vorjahr von 143 auf 128 Straftaten, darunter 14 Gewalttaten (Quelle: Deutscher Bundestag, Drucksache 19/18269, 19. März 2020). Wie in den Vorjahren ist der weit überwiegende Teil der rechtsextremistischen Straftäter dem weitgehend unstrukturierten rechtsextremistischen Personenpotenzial zuzurechnen. Politisch motivierte Kriminalität (PMK) Rechtsextremismus 10 11 12 13 14 15 16 17 18 19 20 20 20 20 20 20 20 20 20 20 PMK Rechtsextremismus 321 312 403 362 296 562 458 428 422 453 gesamt davon rechtsextremistische 316 298 396 360 278 500 342 286 284 304 Straftaten hiervon rechtsextremistische 21 21 38 32 17 25 28 15 11 25 Gewaltdelikte Die Zahlen stammen aus den jeweiligen Jahres-Statistiken der Polizei Hamburg - Stand: Februar 2020 - 156 Rechtsextremismus Antisemitische Straftaten Im Jahr 2019 wurden in den extremistischen Phänomenbereichen 51 antisemitische Straftaten erfasst (2018: 77), davon 33 (2018: 43) extremistische. Hiervon wurden 30 Taten dem Bereich PMK rechts zugeordnet, davon zwei Gewaltdelikte. Bei vielen dieser Taten liegen der Zuordnung keine Erkenntnisse über den Täter oder dessen tatsächliche Motivation zugrunde. Die Zurechnung zur PMK rechts erfolgt in diesen Fällen nach der Maßgabe, dass antisemitische Straftaten immer dann als rechtsmotiviert gewertet werden, wenn keine tatsächlichen Anhaltspunkte für eine andere Tatmotivation vorliegen. 4. Rechtsextremistische Gewalt und Rechtsterrorismus Die seit Jahren bestehende Einschätzung der Sicherheitsbehörden, dass insbesondere vor dem Hintergrund zunehmender aggressiv fremdenfeindlicher und antiliberaler Tendenzen auch in Deutschland mit rechtsextremistisch motivierten Anschlägen gerechnet werden muss, wurde im Jahr 2019 durch die Attentate in Hessen und Sachsen-Anhalt nachdrücklich bestätigt. Hierbei geht die Gefahr zunehmend von einzelnen Tätern oder auch Kleingruppen aus, welche sich überwiegend über soziale Netzwerke und Messenger-Dienste radikalisieren. Die Motivlagen der Täter sind nach bisherigen Erkenntnissen vielfältig. So werden beispielsweise die eigene Unzufriedenheit und der angestaute Frust über eigene Unzulänglichkeiten in einschlägige Hassbotschaften umgemünzt und mit Gleichgesinnten geteilt, um vermeintlich "Minderwertige" anzugreifen. Im schlimmsten Fall finden Attentäter subjektiv genug Bestätigung und Rückhalt, um Anschläge wie in Hessen und Sachsen-Anhalt zu begehen. So lagen den Sicherheitsbehörden in den vergangenen Jahren immer wieder Hinweise auf rechtsextremistisch motivierte terroristische Bestrebungen vor, welche konsequent verfolgt wurden und deren Mitglieder vor Gericht teils hohe Haftstrafen erhielten. Beispiele sind die Aufdeckung der 157 Rechtsextremismus Aktivitäten der "Oldschool Society" oder der "Bürgerwehr Freital" (auch: "Gruppe Freital"). Einzelne Täter sind hingehen nur schwer zu entdecken. Hierbei handelt es sich um ein Phänomen, welches weltweit auftritt. So verübte ein Rechtsextremist am 15. März 2019 einen Terroranschlag auf zwei Moscheen in Christchurch (Neuseeland), bei dem er 51 Menschen tötete und 50 weitere zum Teil schwer verletzte. Seinen Anschlag rechtfertigte er in einem Manifest unter anderem als Rache für islamistische Terroranschläge in Europa; zudem stellte er auf die von Rechtsextremisten verbreitete verschwörungstheoretische, fremdenfeindliche und rassistische These eines vorgeblichen "großen Austausches" ( siehe Punkt 8 "Entgrenzung des Rechtsextremismus") ab. In El Paso (Texas) schoss ein Attentäter am Vormittag des 3. September 2019 auf Besucher eines Supermarkts. Dabei kamen 22 Personen ums Leben. In einem kurz vor der Tat veröffentlichten Bekennerschreiben bezeichnete er sein Vorhaben als Reaktion auf die vorgebliche "hispanische Invasion". Es sei ein Akt der Selbstverteidigung, um sein Land vor dem "kulturellen und ethnischen Austausch" zu schützen. Tötungsdelikt Dr. Walter Lübcke In der Nacht zum 2. Juni 2019 wurde Dr. Walter Lübcke (Regierungspräsident des Regierungsbezirks Kassel) auf der Terrasse seines Wohnhauses mit einem Kopfschuss getötet. Durch einen DNA-Spurentreffer am Tatort konnte der Rechtsextremist Stephan E. als dringend Tatverdächtiger identifiziert werden. Er wurde knapp zwei Wochen nach der Tat festgenommen und befindet sich seither in Untersuchungshaft. Dr. Walter Lübcke Stephan E. legte ein umfassendes Geständnis ab, welches Foto: picture-alliance/Uwe Zucchi er später widerrief. Zuvor hatte er jedoch die Tat gestanden, sein Waffenversteck preisgegeben und weitere Personen schwer belastet, welche seither ebenfalls Beschuldigte im Ermittlungskomplex sind. Diese seien zum einen in die Waffenbeschaffung involviert gewesen und hätten zum anderen E. in seinem Willen zu Tatbegehung bestärkt. 158 Rechtsextremismus Neben den unmittelbaren Tatermittlungen hat der Generalbundesanwalt (GBA) am 12. Juli 2019 ein weiteres Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt wegen des Verdachts der Tatbeteiligung eingeleitet und das Bundeskriminalamt mit den Ermittlungen beauftragt. Ausgangspunkt sind Erkenntnisse über die Einbindung des Beschuldigten in die rechtsextremistische Szene, das fremdenfeindliche Tatmotiv und Hinweise auf die Bewaffnung weiterer Personen, die Ermittlungsansätze zu möglichen Tatbeteiligungen von Kontaktpersonen oder Bezüge zu aktuellen oder früheren Szeneanbindungen bieten. Der GBA hat zudem ein weiteres Ermittlungsverfahren gegen den Beschuldigten E. wegen des Anfangsverdachts eines versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung an sich gezogen. Zureichende Anhaltspunkte begründen laut GBA den Verdacht, dass der Beschuldigte am 6. Januar 2016 in Lohfelden (bei Kassel) aufgrund seiner rechtsextremistischen Weltanschauung versucht hatte, einen irakischen Asylbewerber heimtückisch und aus niedrigen Beweggründen zu töten. Am 29. April 2020 erhob der GBA vor dem Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main Anklage gegen Stephan E. wegen Mordes, versuchten Mordes und weiterer Delikte. Gleichzeitig erhob der GBA Anklage gegen den deutschen Staatsangehörigen Markus H. wegen Beihilfe zum Mord und Verstoß gegen das Waffengesetz [Quelle: www.generalbundesanwalt.de]. Anschlag in Halle In den Mittagsstunden des 9. Oktober 2019 versuchte Stephan B. zunächst, sich mit Waffen und Sprengmitteln Zutritt zur örtlichen Synagoge in Halle (Sachsen-Anhalt) zu verschaffen, die wegen des Jom Kippur-Festes zum Zeitpunkt der Tat gut besucht war. Als dies nicht gelang, eröffnete Stephan B. das Feuer auf mehrere mutmaßliche Zufallsopfer an unterschiedlichen Tatorten. Hierbei tötete er willkürlich zwei Menschen, verletzte zwei weitere schwer und fünf leicht. Im Anschluss floh der Täter, konnte aber wenig später durch die Polizei festgenommen werden. Der Täter führte diverse teils selbstgebaute Waffen und Sprengsätze in einer Tasche mit sich. 159 Rechtsextremismus Der ermittelnde GBA wirft Stephan B. zweifachen Mord und versuchten Mord in mehreren Fällen sowie weitere Straftaten vor. B. hat die Tat am 11. Oktober 2019 gestanden und hierbei rechtsextremistische und antisemitische Motive eingeräumt. B. war nach derzeitigen Erkenntnissen nicht in rechtsextremistische Szenestrukturen eingebunden. Er streamte während des Tathergangs sein Vorgehen live im Internet. Nach der Tat wurde im Internet ein in englischer Sprache verfasstes antisemitisches und ausländerfeindliches Papier des Täters festgestellt, welches er kurz vor der Tat eingestellt hatte. Hierin beschreibt er ausführlich seine zum Teil selbst gebauten Schusswaffen, Sprengkörper und weitere Ausrüstung. Sein Ziel sei demnach gewesen, so viele "anti-Whites" wie möglich zu töten, bevorzugt Juden. Sein Sprachgebrauch lässt Rückschlüsse auf seine Affinität für Videospiele mit Kampfoder Kriegsthema erkennen. B. rief zudem zur Nachahmung auf, solange bis man selbst oder alle Juden tot wären. Am 16. April 2020 erhob der GBA vor dem Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts Naumburg Anklage gegen Stephan B. unter anderem wegen Mordes und versuchten Mordes [Quelle: www.generalbundesanwalt.de]. Tötungsdelikte in Hanau Am späten Abend des 19. Februar 2020 erschoss der 43-jährige Tobias R. in Hanau neun Personen und verletzte weitere, darunter eine Person lebensgefährlich. Unter den Todesopfern waren ausländische Staatsangehörige und deutsche Staatsangehörige mit Migrationshintergrund. Ein Spezialeinsatzkommando der Polizei fand Tobias R. sowie dessen 72-jährige Mutter tot in seiner Wohnung. Von Tobias R. herrührende Videos und Dokumente, die im Internet eingestellt waren, lassen auf eine rassistische und fremdenfeindlich motivierte Tat schließen. Der Generalbundesanwalt hat die Ermittlungen aufgenommen (Stand: Ende Februar 2020). Darüber hinaus befassten sich die Sicherheitsbehörden und die Justiz im Jahr 2019 mit weiteren rechtsterroristischen Gruppierungen und Tätern. 160 Rechtsextremismus f Am 22. Juli 2019 versuchte ein 55-Jähriger in Wächtersbach (Hessen), aus rassistischer Motivation einen eritreischen Staatsangehörigen zu töten. Der Täter beging im Anschluss an die Tat Suizid. f Der Bundesgerichtshof entschied am 22. August 2019, dass gegen einen Bundeswehrsoldaten, der im Verdacht steht, eine staatsgefährdende Gewalttat vorbereitet zu haben, wobei er sich zu Vorbereitungszwecken als syrischer Flüchtling ausgegeben hatte, eine Hauptverhandlung anzuberaumen ist (siehe Verfassungsschutzbericht Hamburg 2017, S. 131 f.). f Am 10. Oktober 2019 wurde gegen zwei Beschuldigte ein weiteres Urteil wegen der Bildung der terroristischen Vereinigung "Oldschool Society" (OSS) gefällt. Der Strafschutzsenat des Oberlandesgerichtes (OLG) Dresden verurteilte die Angeklagten zu Freiheitsstrafen von zwei Jahren und vier Monaten sowie zwei Jahren auf Bewährung. OSS hatte flüchtlingsfeindliche und antimuslimische Ziele verfolgt, und spätestens seit Februar 2015 Brandund Sprengstoffanschläge gegen Asylbewerberunterkünfte geplant (siehe Verfassungsschutzbericht Hamburg 2017, S. 131). f Am 30. September 2019 begann vor dem Staatsschutzsenat des OLG Dresden der Prozess gegen acht mutmaßliche Mitglieder der Gruppierung "Revolution Chemnitz". Am 24. März 2020 verhängte das OLG Freiheitsstrafen von zwei Jahren und drei Monaten bis zu fünfeinhalb Jahren. Die Männer im Alter von 22 bis 32 Jahren wurden wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung verurteilt, Rädelsführer Christian K. zudem wegen deren Gründung. Der Vorsitzende Richter sagte nach Medienberichten, die Gruppe sei ein "organisierter Zusammenschluss zur Erreichung eines gemeinsamen Ziels, bei dem die Tötung von Menschen am Ende stehen kann". Laut Anklage hat sich die Gruppierung im September 2018 in einem eigens dafür eingerichteten Telegram-Chat formiert und plante für den 3. Oktober 2018 einen Umsturz sowie gewalttätige Angriffe und bewaffnete Anschläge auf Ausländer und politisch Andersdenkende. 161 Rechtsextremismus Darüber hinaus wurden insbesondere seit Ende des Jahres 2018 bundesweit mehrere hundert rechtsextremistisch konnotierte Drohmails mit verschiedenen Absendern, unter anderem "NationalSozialistische Offensive", "Wehrmacht", "Atomwaffen Division" und "NSU 2.0" an zahlreiche Institutionen sowie Einzelpersonen, darunter Medienvertreter, Politiker und Künstler, versandt. Ab Anfang 2019 enthielten diese Drohmails zunehmend Bombendrohungen sowie im weiteren Jahresverlauf Bezüge zu den beiden rechtsextremistisch motivierten Anschlägen in Hessen und Sachsen-Anhalt. Im Rahmen der Ermittlungen konnte ein Tatverdächtiger, Andre M., aus Schleswig-Holstein identifiziert werden, der sich seit dem 5. April 2019 in Haft befindet. Am 21. April 2020 begann gegen den Angeklagten Andre M. vor dem Berliner Landgericht das bundesweite Sammelverfahren. Am 9. Oktober 2019 fanden auch Durchsuchungen in mehreren Bundesländern statt, weil in mehreren mit "Combat 18" oder "Blood and Honour" unterschriebenen Drohschreiben an Flüchtlingsunterkünfte, Moscheen und Parteizentralen mit Sprengstoffanschlägen gedroht worden war. Zu den weiteren Unterzeichnern der Drohmails gehört auch die rechtsextremistische "Atomwaffen Division Deutschland", welche erstmals im Sommer 2018 mit einem Video in Erscheinung trat. Hierbei handelt es sich um den deutschen Ableger der amerikanischen "Atomwaffen Division", deren erklärtes Ziel ein "Rassenkrieg" ist. In den USA waren die Angehörigen bereits für mehrere Tötungsdelikte verantwortlich. In vielen dieser Fälle ist bisher nicht geklärt, ob die genannten Gruppierungen wirklich hinter den Drohungen stecken oder sich lediglich Trittbrettfahrer dieser bekannten Namen bedienen. Wiederholt wurden in den vergangenen Jahren zudem bei Rechtsterroristen und Rechtsextremisten oder auf einschlägigen Internetseiten Listen mit Namen zahlreicher als politische Gegner einzuschätzenden Institutionen und Einzelpersonen gefunden. 162 Rechtsextremismus 5. Neonazismus Grundlage und feste Bezugsgröße des neonazistischen Spektrums ist der historische Nationalsozialismus, dargelegt im 25-Punkte-Programm der NSDAP, das am 24. Februar 1920 von Adolf Hitler im Münchener Hofbräuhaus verkündet wurde. Die prägenden Ideologieelemente sind dabei Rassismus, Antisemitismus, Nationalismus und Antipluralismus. Neonazis streben einen ethnisch homogenen Staat nach dem "Führerprinzip" an. Das Kernelement bildet die Schaffung einer sogenannten "Volksgemeinschaft", die Menschen anderer Herkunft oder Kultur ausschließt. Rechte des Einzelnen, Meinungsvielfalt und Pluralismus haben in dieser angestrebten "Volksgemeinschaft" keinen Platz, da ethnische Vielfalt und pluralistische Gesellschaft aus Sicht der Neonazis die Existenz des eigenen Volkes bedrohten. Die freiheitliche demokratische Grundordnung wird in ihrer Gesamtheit als aufgezwungene Ordnung eines vorgeblichen "Besatzerregimes" abgelehnt. Historische Tatsachen werden in revisionistischer Weise bis hin zur Holocaustleugnung umgedeutet. Trotz gemeinsamer ideologischer Grundelemente ist die neonazistische Szene heterogen. Die verschiedenen Ideologieelemente innerhalb der Personenzusammenschlüsse sind unterschiedlich stark ausgeprägt. Insbesondere bei jüngeren Neonazis prägen auch antiamerikanische, antikapitalistische und antiimperialistische Einstellungen das jeweilige Weltbild. Der Trend zum Abbau fester Strukturen innerhalb der neonazistischen Szene hält weiter an. Die Mehrzahl der überwiegend regionalen Gruppierungen verzichtet auf feste Organisationsformen, um Vereinsverbote zu erschweren und möglichst wenig Ansatzpunkte für strafrechtliche Ermittlungsverfahren zu bieten. Im Gegenzug gewinnen strukturarme Vernetzungsstrategien und ein erhöhtes Maß an Konspiration weiter an Bedeutung. Die räumliche Nähe, die geringe Gruppengröße sowie der persönliche Kontakt der Anhänger untereinander stellen bereits eine Vernetzung dar, so dass Organisationsstrukturen oder formale Mitgliedschaften zunehmend entbehrlich sind. Bei langjährigen Protagonisten neonazistischer Kameradschaften erfolgt die Vernetzung vor allem über persönliche Kennverhältnisse. Ferner werden feste Strukturen zunehmend durch Netzwerke im virtuellen Raum ersetzt, bei denen sich auch überregionale Personenzusammenschlüsse zunächst über die Möglichkeiten der Kommunikation in sozialen Medien zusammenfinden und sich erst später in der Realwelt 163 Rechtsextremismus konstituieren. Insbesondere das Phänomen rein internetbasierter Gruppierungen ist seit einigen Jahren verstärkt zu beobachten. Um ihre Ideologie der breiten Masse der Bevölkerung zugänglich zu machen, greifen Neonazis bei öffentlichen Veranstaltungen auf Themen zurück, die in der Gesellschaft ausführlich diskutiert werden, zum Beispiel das Thema Asylund Flüchtlingspolitik. Unterschwellig wird dabei versucht, neonazistische Ideologie anschlussfähig zu gestalten ( siehe Punkt 8 "Entgrenzung des Rechtsextremismus"). Eindeutig rechtsextremistische Inhalte werden in diesen Kontexten wesentlich verhaltener formuliert oder aus taktischen Gründen zunächst vermieden. Vor diesem Hintergrund sind die Bedeutung klassischer neonazistischer Agitationsthemen und die Organisation entsprechender Versammlungen weiter rückläufig. Vielmehr versuchen Neonazis, Anschluss an bürgerliche Protestkampagnen zu erlangen. Am 1. Juni 2019 fand zum elften Mal der rechtsextremistisch motivierte sogenannte "Tag der deutschen Zukunft" (TddZ) statt. An der Demonstration, diesmal in Chemnitz, nahmen rund 270 Rechtsextremisten teil. Die Veranstaltung war von dem sächsischen Landesvorsitzenden der NPD-Jugendorganisation "Junge Nationalisten" (JN) angemeldet worden. Im Vorjahr konnte der "TddZ" in Goslar rund 260 Personen anziehen. Tendenziell verliert die renommierteste neonazistische Großdemonstration im Bundesgebiet weiter an Bedeutung, wie sich auch an sinkenden Teilnehmerzahlen festmachen lässt. Der zwölfte "TddZ" war nach damaligen Planungen für Juni 2020 in Worms vorgesehen. Logo der Facebookseite "Tag der deutschen Zukunft" zur gleichnahmigen Veranstaltung am 1. Juni 2019. 164 Rechtsextremismus Die klassische politische Arbeit der neonazistischen Kameradschaftsszene ist in Hamburg in den vergangenen Jahren rückläufig und nach der Auflösung der Kameradschaft "Sektion Nordland" 2018 faktisch zum Erliegen gekommen. Diese Entwicklung ist bundesweit festzustellen. Aktuell besteht die neonazistische Szene in Hamburg fast ausschließlich aus Personen, die keiner Gruppierung angehören und nur sporadisch politisch aktiv sind. Dieses Szenespektrum ist nur noch kurzzeitig und anlassbezogen mobilisierbar, beispielsweise zu szeneinternen Veranstaltungen oder größeren Demonstrationen. 6. Subkulturell geprägte Rechtsextremisten und rechtsextremistische Musikszene Neben neonazistischen Gruppierungen prägen subkulturell geprägte Rechtsextremisten das gewaltorientierte Spektrum. Sie verfügen meist über kein geschlossenes rechtsextremistisches Weltbild oder einen ideologischen Überbau, sondern werden von einzelnen rechtsextremistischen Einstellungen und Argumentationsmustern beeinflusst. Im Vordergrund stehen für sie Aktivitäten mit Erlebnischarakter. Dazu zählen beispielsweise der Besuch rechtsextremistischer Musikund Sportveranstaltungen. Eine Einbindung in feste Organisationsstrukturen ist bei subkulturell geprägten Rechtsextremisten die Ausnahme. Neben Rockmusik mit nationalistischen, antisemitischen, rassistischen und fremdenfeindlichen Texten kennzeichnen starker Alkoholkonsum und szenetypische Straftaten (zum Beispiel Propagandadelikte, Volksverhetzung, Sachbeschädigung, Gewaltdelikte) das Erscheinungsbild der Szene. Soziale Netzwerke werden durch dieses Spektrum zunehmend genutzt, um rechtsextremistisches Gedankengut zu verbreiten. Musikund Internetpropaganda vermitteln Feindbilder und schüren Hass und Aggressivität. Versuche, dieses Szenespektrum zu politisieren und zu organisieren, zum Beispiel durch "Hooligans gegen Salafisten" (HoGeSa), deren Aktionen und Kundgebungen oftmals in gewalttätige Auseinandersetzungen mit der Polizei oder Linksextremisten mündeten, sind seit einiger Zeit rückläufig. 165 Rechtsextremismus Einzig verbliebene bundesweite Organisation des subkulturell geprägten Rechtsextremismus, ist die "Hammerskin-Nation" (HSN), die sich selbst als die "Elite der Skinheadbewegung" definiert. Handlungsschwerpunkte der deutschen Hammerskins sind die Produktion und der Vertrieb rechtsextremistischer Musik sowie die Organisation und Durchführung entsprechender Konzertveranstaltungen in Deutschland und vermehrt auch im europäischen Ausland, um staatlichen Maßnahmen durch die Sicherheitsbehörden zu entgehen. Bezeichnend für das Agieren der Hammerskins ist ein hohes Maß an konspirativem Verhalten. Der regionale Schwerpunkt von HammersLogo der "Hammerskin-Nation". kin-Aktivitäten liegt nach wie vor im südwestlichen Teil Deutschlands, in Hamburg sind weiterhin keine Strukturen der "Hammerskin-Nation" bekannt. Darüber hinaus gibt es Hinweise auf mögliche Versuche, die im Jahr 2000 in Deutschland verbotene Organisation "Blood & Honour" (B&H) neu zu gründen und zu strukturieren. In diesem Zusammenhang wurde Ende 2018 durch die Generalstaatsanwaltschaft München ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Fortführung von "Blood & Honour" gemäß SS 85 StGB eingeleitet. Die 1987 in Großbritannien gegründete neonazistische OrganisaHäufig genutztes und in verschiedenen Varianten vorkommendes Logo tion wurde in den 1990er Jahren von "Blood and Honour" mit der mittig angeordneten Triskele. zur führenden Bewegung für rechtsextremistische Musik und Propaganda innerhalb der Skinhead-Szene in Europa. Ab 1994 existierte auch eine "Division Deutschland", die sich bis zum Verbot in 15 regionale "Sektionen" unterteilte. Die Gruppierung "Combat 18" ("C18") war als "militanter und bewaffneter Arm" der "Blood & Honour"-Organisation entstanden. Seit einigen Jahren gibt es Hinweise auf Versuche, unter der Bezeichnung "C18" in Deutschland Strukturen aufzubauen. Die 2019 aufgebauten Gruppenstrukturen wurden mit Entscheidung des Bundesinnenministers am 23. Januar 2020 verboten und aufgelöst. In Hamburg liegen derzeit keine Hinweise auf aktive Personen oder Strukturen mit heutigem "B&H"oder "C18"-Bezug vor. 166 Rechtsextremismus Im Juni 2019 trat die Gruppierung erstmalig mit einer im Internet publizierten Videosequenz öffentlich in Erscheinung, um auf die Vorwürfe im Zusammenhang mit dem Tötungsdelikt am Kasseler Regierungspräsidenten Dr. Walter Lübcke zu reagieren. In einer "Klarstellung" distanzierte sich "C18" vom Täter und derartigen Gewalttaten. Im Juli 2019 wurden dann mehrere E-Mails mit Bombendrohungen unter anderem gegen Moscheen, Verlage und Parteieinrichtungen versendet, die mit "Combat 18" und "Blood & Honour" gezeichnet wurden. Daraufhin kam es im Oktober 2019 zu Durchsuchungsmaßnahmen. ( siehe Punkt 4 "Rechtsextremistische Gewalt und Rechtsterrorismus"). Die Bedeutung des Kampfsportes für die rechtsextremistische Szene ist seit einigen Jahren signifikant gestiegen. Mittlerweile existiert ein deutschlandund europaweites Netzwerk unterschiedlicher Kampfsportlabels, Bekleidungsvertriebe und Veranstaltungsorganisatoren. Die Akteure betten den Kampfsport in ihr rechtsextremistisches Weltbild ein, um durch den massenkompatiblen Event-Charakter neue Anhänger zu rekrutieren und für die politisch-ideologische Gesinnung zu gewinnen. Unter dem Namen "Kampf der Nibelungen" ("KdN") und "TIWAZ - Kampf der freien Männer" haben sich in den vergangenen Jahren zwei Veranstaltungsreihen in Sachsen szeneintern mit zuletzt mehreren hundert Besuchern etabliert. "KdN" ist die bislang renommierteste Veranstaltungsreihe im rechtsextremistischen Kampfsportsektor, sie wurde im Oktober 2019 verboten. INFOBOX Erstmals nach sechs der seit 2013 durchgeführten Veranstaltungen der rechtsextremistischen Kampsportreihe "Kampf der Nibelungen" (KDN) gelang es den zuständigen Polizeiund Ordnungsbehörden in Görlitz (Sachsen), das - für den Zeitraum vom 11. bis 13. Oktober 2019 - geplante Turnier zu verbieten. Der Verfassungsschutz konnte das Verbot durch die Stadtverwaltung Ostritz in enger Kooperation mit der Polizeidirektion Görlitz unterstützen. Teile der Verbotsverfügung der Stadt stützten sich auf die Bewertung des Verfassungsschutzes. 167 Rechtsextremismus Den personellen Schwerpunkt der subkulturell geprägten Rechtsextremisten bilden die Angehörigen der rechtsextremistischen Musikszene, bestehend aus Musikgruppen und Liedermachern sowie deren Umfeld und Anhängern. Hierzu zählen Personen, die einschlägige Publikationen herausgeben, Internetseiten und Foren betreiben, Konzerte organisieren, entsprechende Musik produzieren und vertreiben oder als Besucher rechtsextremistischer Konzerte den größten Teil der subkulturellen Szene ausmachen. Neben klassischem Rechtsrock findet in den vergangenen Jahren immer mehr das Hip-Hopund Rap-Genre Anklang bei jüngeren Rechtsextremisten. Unter dem Label einer "patriotischen und heimatbewussten Jugendbewegung" vermitteln Protagonisten wie Chris Ares subtil fremdenfeindliches Gedankengut und versuchen damit den aktuellen Zeitgeist der Jugendkultur zu treffen. Das Interaktionsfeld "Musik" ist nach wie vor ein entscheidender Faktor und Katalysator bei der Verbreitung rechtsextremistischen Gedankenguts und bietet Anknüpfungspunkte für den Einstieg in die Szene. Zugleich spielen diese Strukturen eine bedeutende Rolle für die länderübergreifende und internationale Vernetzung von Rechtsextremisten. 2019 waren in Deutschland zahlreiche rechtsextremistische Bands und Einzelpersonen bei Auftritten, Konzerten und der Produktion von Tonträgern aktiv. Im Jahr 2019 fanden bundesweit 311 rechtsextremistische Musikveranstaltungen (2018: 270) statt. Kleinere Konzerte werden oftmals als Geburtstagspartys oder sonstige Privatfeiern getarnt und entsprechend verschleiert bei potenziellen Vermietern geeigneter Räumlichkeiten angemeldet. Offen angekündigt werden insbesondere Veranstaltungen, mit denen rechtsextremistische Parteien wie die NPD oder "Die Rechte" die Popularität einschlägiger Musik für ihre Zwecke instrumentalisieren; zudem Konzerte, die vorrangig einen kommerziellen Hintergrund haben. Hierzu zählen das "Schild und Schwert"-Festival in Ostritz (Sachsen) und die "Tage der nationalen Bewegung" in Themar (Thüringen). Beide Veranstaltungen verzeichneten nach deutlich vierstelligen Teilnehmerzahlen 2019 eine rückläufige Beteiligung. Subkulturell geprägte Rechtsextremisten aus Hamburg nehmen zwar regelmäßig an Rechtsrock-Konzerten im Hamburger Umland, deutschlandweit und auch im Ausland teil, öffentlich ist die Szene jedoch weiterhin kaum wahrnehmbar. Gründe hierfür sind unter anderem die in Hamburg nicht 168 Rechtsextremismus vorhandenen Szenetreffpunkte sowie fehlende Konzertveranstaltungen seit 2011 (mit Ausnahme eines Konzertes im Jahr 2014). Die Band "Abtrimo" ist die letzte verbliebene Hamburger Rechtsrock-Band. Abtrimo hat sich seit der Gründung im Jahr 2010 in der rechtsextremistischen Musikszene etabliert und wurde bundesweit sowie international für Auftritte engagiert. In den vergangenen Jahren wurden weniger Auftritte bekannt. Im August 2019 trat die Band nach circa zweijähriger Pause bei einem rechtsextremistischen Konzert in Hamm/Westfalen auf. Im September 2019 machte "Abtrimo" via Facebook ihr Mitwirken an einem Tonträger einschlägiger Bands bekannt. Unter dem Cover der CD "The Skinheads come back Vol.3", auf der die Band Abtrimo mit zwei Titeln vertreten ist. Titel "The Skinheads come back Vol.3" steuerten Abtrimo zwei Liedbeiträge auf einem Sampler mit internationaler Besetzung aus dem traditionellen Rechtsrockspektrum bei. Insgesamt werden in Hamburg aktuell 120 Personen zur Kategorie des weitgehend unstrukturierten rechtsextremistischen Personenpotenzials gerechnet, die sich zum Teil in losen Cliquen formieren und zumeist über soziale Netzwerke in Beziehung stehen. Teile verfügen über langjährige Kontakte zu Protagonisten der Neonaziszene und der NPD. 7. Rechtsextremistische Parteien 7.1. Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) Seit mehreren Jahren befindet sich die NPD in einem internen Richtungsstreit zwischen den neonazistischen Kräften unter Führung des stellvertretenden Bundesvorsitzenden Thorsten Heise und den Mitgliedern um den 169 Rechtsextremismus Bundesvorsitzenden Frank Franz. Auf dem Bundesparteitag am 30. November und 1. Dezember 2019 stellte Franz einen "Entschließungsantrag des Parteivorstands zur Zukunft der NPD" zur Diskussion. Schon im Vorfeld des Parteitages machte Franz Druck auf die Delegierten: Er werde nur erneut kandidieren, wenn zuvor der oben genannte Antrag angenommen werde - mit Erfolg. Besondere Bedeutung kommt dem Antrag zu, weil darin auch eine mögliche Umbenennung der NPD ins Spiel gebracht wird. Mit der Annahme des Antrages wurde der Parteivorstand Logo der Nationaldemokratischen allerdings zunächst nur beauftragt, ein entsprechenPartei Deutschlands (NPD) des Zukunftskonzept inklusive neuer Namensvorschläge zu erarbeiten. Trotzdem konnte dieser Parteitag die Ungewissheit über die Zukunft der Partei nicht verkleinern: Noch ist unklar, wie das neue Konzept genau aussehen wird. Die mögliche Namensänderung birgt zudem erhebliche Sprengkraft und dürfte manches Mitglied zum Austritt bewegen oder sogar die gesamte Partei spalten. Sowohl die Kritik an der Parteiführung als auch die Resignation an der Basis sind groß. Abtrimo Im Jahr 2019 verbuchte die NPD wie schon im Vorjahr 2018 bei allen Wahlen erhebliche Einbußen. Der Verlust des Sitzes im Europaparlament im Mai 2019, den bisher der ehemalige Vorsitzende Udo Voigt innehatte, ist dabei der bedeutendste Verlust. Mit den Stimmenverlusten bei den Landtagswahlen 2019 verlor die NPD zudem den Großteil ihrer verbliebenen Ansprüche auf Einkünfte aus der staatlichen Parteienfinanzierung, was die Parteiorganisation in Zukunft vor erhebliche Probleme stellen dürfte. Zudem läuft auch weiterhin das Verfahren zum Ausschluss der NPD von der staatlichen Parteienfinanzierung (siehe dazu Verfassungsschutzbericht Hamburg 2018, S. 144 f.). Ihrer Bedeutungslosigkeit bei Wahlen versuchte die NPD mit einer verstärkten Ausrichtung als aktionistische "Weltanschauungspartei" zu begegnen. Durch eine Verschärfung der politischen Positionen, eine Herausstreichung des völkischen "Markenkerns" sowie durch eine Konzentration auf erfolgversprechende Gebiete (zu denen Hamburg nicht gehört) versuchte die Parteiführung, sich wenigstens die Unterstützung des "harten Kerns" der Anhängerschaft zu erhalten. 170 Rechtsextremismus Bei den öffentlichkeitswirksamen Aktionen blieb es bei den aus den Vorjahren bekannten und in den vergangenen Verfassungsschutzberichten ausführlich dargestellten Mustern. Es sollten vor allem aktionistische Projekte vorangetrieben werden, die die NPD als Partei der "sozialen Gerechtigkeit" wahrnehmbar machen. Zentrale Bausteine sind hier die "Schutzzonen-Kampagne" sowie die Kampagne "Deutsche helfen Deutschen". Mit der "Schutzzonen-Kampagne" soll deutschen Bürgern ein angeblich notwendiger Schutz vor "ausländischen Gewalttätern" geboten werden. Das Konzept der Schutzzone umfasst neben festen Orten auch Aktionsformen wie sogenannte "Bürgerwehren". Allerdings gehe es nicht um paramilitärische Aufzüge, sondern um "Bekannte und Nachbarn, die durch Rundgänge ihr Viertel zu einem sicheren Ort machen", so Franz in einem Rundschreiben an die Parteimitglieder im Jahr 2018. Den "aktiven Bürgern" werden von Seiten der NPD einheitliche Westen und sonstige Ausrüstung, wie etwa Taschenlampen, zur Verfügung gestellt. Der Versuch, neben regulären NPD-Mitgliedern auch demokratische Bürger in die "Schutzzonen-Kampagne" einzubinden, muss als Doppelstrategie verstanden werden: Die NPD soll als "Macher"-Partei wahrgenommen werden, gleichzeitig wirbt sie mit dem niedrigschwelligen Angebot der "Schutzstreifen" um potenzielle Neumitglieder. Tatsächlich beteiligen sich bisher fast ausschließlich NPD-Mitglieder an den "Schutzstreifen". Auch mit der Kampagne "Deutsche helfen Deutschen" versucht sich die NPD als sozialer Akteur zu inszenieren, die den Menschen vor Ort hilft und sich damit von den etablierten Parteien positiv abhebt. Konkret räumt die NPD beispielsweise Spielplätze auf oder führt eine alljährliche Altkleider-Spendenaktion (die sogenannte "Deutsche Winterhilfe") zugunsten deutscher Obdachloser durch. Die "Deutsche Winterhilfe" nimmt historisch Bezug auf das 1933 von den Nationalsozialisten gegründete "Winterhilfswerk des Deutschen Volkes". Auch im Jahr 2019 führte die NPD gemeinsam mit ihrer Jugendorganisation "Junge Nationalisten (JN)" deutschlandweit Demonstrationen durch, einige Beispiele: f "Arbeiterkampftag zum 1. Mai" in Dresden, f "11. Tag der Deutschen Zukunft" am 1. Juni 2018 in Chemnitz (zusammen mit anderen rechtsextremistischen Parteien und Organisationen), 171 Rechtsextremismus f "Schluss mit steuerfinanzierter Hetze" am 23. November 2019 in Hannover (diese Demo richtete sich gegen mehrere Journalisten und erregte bundesweites Aufsehen). Daneben adaptiert die NPD Strategien der subkulturellen rechtsextremistischen Szene: Dabei werden politische Veranstaltungen beispielweise mit Konzerten rechtsextremistischer Bands und Kampfsportveranstaltungen vermischt. Es ist der Versuch, ein breiteres, bislang unpolitisches Publikum mit möglicherweise rechtsorientiertem Weltbild für die NPD erreichbar zu machen. Insbesondere Thorsten Heise tat sich dabei hervor, indem er auch 2019 das "Schild&Schwert-Festival (SS-Festival)" in Ostritz (Sachsen) organisierte. Allerdings gingen die Teilnehmerzahlen hier um etwa die Hälfte zurück, 2019 reisten etwa 600 Rechtsextremisten an. Die unternommenen Anstrengungen zur Rekrutierung neuer Mitglieder vermögen den Abwärtstrend bisher nicht zu brechen: Im Jahr 2019 belief sich die Zahl der NPD-Mitglieder mit fallender Tendenz auf rund 3.600 (2018: rund 4.000). Zahlen und Daten: Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) 18 19 18 19 20 20 20 20 Mitglieder Mitglieder Bund 4.000 3.600 Landesverband HH 110 110 Vorsitzender Vorsitzender Lennart Frank Franz Schwarzbach 172 Rechtsextremismus 7.1.1. Junge Nationalisten (JN) Die NPD-Jugendorganisation versteht sich als Bindeglied zwischen der Mutterpartei, der subkulturell geprägten Rechtsextremisten und der Neonaziszene. Damit stehen die JN ideologisch dem radikaleren Teil der Partei um Thorsten Heise näher als dem Parteivorsitzenden Frank Franz. Die JN auf Bundesebene feierte am 9. November 2019 auf einem "großen Bundeskongress" in Sachsen ihr 50-Jähriges Bestehen und beteiligte sich darüber hinaus Logo der "Jungen Nationalisten" an mehreren rechtsextremistischen Demonstrationen im Bundesgebiet. So führte ein Block der JN den Demonstrationszug zum sogenannten "Arbeiterkampftag" der NPD am 1. Mai 2019 in Dresden unter dem Motto "Für eine Zukunft im Europa der Nationen" an. 7.1.2. Die NPD in Hamburg Mit rund 110 Personen hielt der Hamburger NPD-Landesverband seine Mitgliederzahl im Jahr 2019 gegenüber dem Vorjahr konstant. Auch strukturell gab es beim Hamburger NPD-Landesverband gegenüber 2018 keine Veränderungen. Es existieren weiterhin vier nominell aktive Kreisverbände. Innerhalb der NPD ist der Hamburger Landesverband dem radikaleren Teil der Partei zuzuordnen und stellt sich offen gegen die oben erwähnten Zukunftspläne des Parteivorsitzenden Frank Franz. Insbesondere gegen die mögliche Umbenennung der NPD versucht der Hamburger NPD-Vorsitzende Lennart Schwarzbach Stimmung zu machen. So attestierte er auf seinem privaten Facebook-Profil allen Bundesvorstandsmitgliedern, die dem oben genannten Entschließungsantrag zugestimmt hatten, sie seien "für die Abschaffung" der NPD. Bei den Wahlen in Hamburg war die NPD nicht erfolgreich. Bei den Bezirkswahlen am 26. Mai 2019 trat die Hamburger NPD ausschließlich im Bezirk Wandsbek an und erhielt 0,2 Prozent der Stimmen. Damit büßte sie gegenüber den letzten Bezirkswahlen 2014 einen halben Prozentpunkt (2014: 0,7 Prozent) und damit mehr als die Hälfte ihrer Wählerschaft ein (Wähler173 Rechtsextremismus stimmen 2019: 1.860; 2014: 4.275). Im Vorfeld versuchte die NPD Hamburg mit provokanten Plakaten Stimmen zu sammeln oder zumindest eine mediale Reaktion herauszufordern. An der Bürgerschaftswahl am 23. Februar 2020 nahm die NPD nicht teil. Aktivitäten im öffentlichen Raum Lennart Schwarzbach, der der NPD in Hamburg unumstritten vorsteht, hat eine zwar kleine, dafür relativ zuverlässige Gruppe von Anhängern um sich versammelt, die den Landesvorsitzenden bei öffentlichen Aktionen unterstützt. Neben bekannten Aktionsformen wie Info-Tischen und Flyerverteilungen, die 2019 insbesondere vor den Bezirkswahlen durchgeführt wurden, beteiligt sich die NPD Hamburg an zwei bereits oben beschriebenen Kernkampagnen der Bundes-NPD: "Schutzzonen" und "Deutsche helfen Deutschen". Im Rahmen der "Schutzzonen"-Kampagne führte die NPD Hamburg auch 2019 unregelmäßige "Schutzstreifen" durch. Zum ersten Mal beteiligte sich die NPD Hamburg im Juli 2019 am jährlich stattfindenden "Aktionstag schwarze Kreuze". Zu diesem Anlass stellen Rechtsextremisten bundesweit Holzkreuze auf, um an vorgebliche Gewalttaten von als "Fremdländer" diffamierte Personen zu erinnern. Auf ihrem Facebook-Profil kommentiert die NPD Hamburg am 14. Juli 2019 unter Rückgriff auf die rechtsextremistische Verschwörungstheorie vom 'großen Auf ihrer Facebookseite kommentierte die NPD Austausch': "(...) Migration tötet; überall auf Hamburg den "Aktionstag schwarze Kreuze". der Welt und erst recht in Deutschland. (...)". Screenshot: LfV Hamburg Bei einer Kundgebung vor dem Landgericht Hamburg am 18. Oktober 2019 trat Lennart Schwarzbach als Redner auf. Motto: "Für die Menschenwürde in der Justiz!". Hintergrund war der Prozess gegen einen ehemaligen Wachmann des Konzentrationslagers Stutthof bei Danzig wegen Beihilfe zum Mord in 5.230 Fällen. Neben Schwarzbach beteiligten sich drei weitere, bundesweit bekannte Rechtsextremisten an der Kundgebung, darunter der sich selbst als "Volkslehrer" bezeichnende, wegen Volksverhetzung verurteilte Nikolai N. 174 Rechtsextremismus Aktivitäten im Internet Generell berichtet die NPD Hamburg über alle öffentlichen Aktionen auf ihrem Facebook-Account und ihrer Homepage. Auch die einzelnen Kreisverbände nutzen eigene Facebook-Profile, um über ihre Aktionen zu berichten. Vereinzelt werden auf der Homepage der NPD Hamburg auch Videos interner Veranstaltungen veröffentlicht, die inhaltlich eindeutig als extremistisch einzuordnen sind. So propagierte zum Beispiel Schwarzbach vor seinen Zuhörern vom NPD Kreisverband Altona in einem am 13. Februar 2019 eingestellten fremdenfeindlichen und rassistischen Video eine vorgebliche Minderwertigkeit von Menschen aus Afrika. Die JN in Hamburg Der JN Stützpunkt Hamburg-Nordland, ein Zusammenschluss von Nachwuchs-Rechtsextremisten aus Schleswig-Holstein und Hamburg, war seit längerer Zeit nicht mehr öffentlich wahrnehmbar. Die vorliegenden Informationen deuten auf einen grundsätzlichen Neuaufbau hin: Im Juli 2019 fand in Schleswig-Holstein eine Informationsveranstaltung statt, um "erste Schritte [zu] planen, um endlich wieder politischen Schwung in SH auslösen zu können." Der bislang von Lennart Schwarzbach geführte Stützpunkt hat seitdem aber noch keine öffentlich wahrnehmbaren Impulse gesetzt. 7.2. Sonstige rechtsextremistische Parteien Sonstige rechtsextremistische Parteien, insbesondere "DIE RECHTE" und "DER III. WEG", sind in Hamburg nach wie vor nicht vertreten. "DIE RECHTE" verfügte 2019 bundesweit über etwa 550 Mitglieder. Die Partei gliedert sich in sieben Landesverbände (Baden-Württemberg, Bayern, Bremen, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Sachsen-Anhalt) sowie den Gebietsverband Südwest (umfasst die Bundesländer Rheinland-Pfalz und Saarland) mit insgesamt circa 20 Kreisverbänden und sogenannten "Stützpunkten". Die Partei "DER III. WEG" hatte 2019 circa 580 Mitglieder und verfügt über Gebietsverbände Mitte, Süd und West. Im Norden Deutschlands gibt es kaum Strukturen und Aktivitäten der Partei. 175 Rechtsextremismus 8. Entgrenzung des Rechtsextremismus Die "Entgrenzung des Rechtsextremismus" stellt Gesellschaft wie Sicherheitsbehörden unverändert vor Herausforderungen. Insbesondere Akteure der Neuen Rechten treiben die Erosion der Abgrenzung voran, sie schlagen eine Brücke zwischen extremistischen und nicht-extremistischen Milieus. In dieser Grauzone entstehen Mischszenen, in denen Extremisten und Nicht-Extremisten gemeinsam agieren und die eine besondere Aufmerksamkeit der Verfassungsschutzbehörden benötigen. Deren Aufgabe ist es, den Nachweis zu erbringen, dass die in dieser Grauzone entwickelten Aktivitäten als Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung zu werten sind. Dies erfordert eine fundierte Analyse und Bewertung. Die Protagonisten der Neuen Rechten versuchen, den politischen Diskurs zu beeinflussen und schließlich zu prägen, um ihre Weltanschauung in die demokratische Mitte der Gesellschaft zu tragen. Hierfür verzichten sie taktisch auf eine positive Bezugnahme auf den Nationalsozialismus, genauso wie biologistischen Rassismus, Sozialdarwinismus und Antisemitismus, dem zumindest öffentlich abgeschworen wird. Einer Stigmatisierung durch die Gesellschaft soll dadurch vorgebeugt werden. Antiparlamentarische und antiliberale Einstellungen sind elementarer Bestandteil neurechter Ideologie. Die Anschlussfähigkeit extreralismus o plu mistischer Positionen soll durch n th den diskursorientierten E Ansatz erhöht werden. Chalami sierung" "Is rakteristisch für die Akteure der Entgrenzung ist das Neue Rechte Selbstverständnis als Identitäre Bewegung "Merkel muss weg!" "Bewegung", als Teil eines demokratisch"Michel wach vorgeblichen Widergesellschaftlicher endlich auf!" Bereich stands-Milieus. Die "Mosaik-Rechte" (Eigenbezeich- M i g r at i o n nung) vereint netzwerkartig agierende unterschiedliche Re gie Erscheinungsformen, die mit einer r u n g s k ritik breiten Palette an politischen Strategien und Methoden extremistische und Entgrenzungsthemen rechtsextremistischer Organisationen/Gruppierungen im Jahr 2019. nicht-extremistische Zielgruppen ansprechen. Grafik: LfV HH 176 Rechtsextremismus Entgrenzung und Islamfeindlichkeit Ein wesentliches Agitationsthema im Rahmen der Entgrenzungsstrategie ist die Diskreditierung und Verunglimpfung der Religion des Islam, von Rechtsextremisten häufig verharmlosend "Islamkritik" genannt. Rechtsextremisten begrüßen islamfeindliche Proteste, sehen sich als deren "Wegbereiter" und versuchen diese für ihre Zwecke zu nutzen. Sie sehen darin die Bestätigung ihrer systemablehnenden Ansichten und rassistisch motivierten Fremdenund Ausländerfeindlichkeit. Rechtsextremisten und Rechtspopulisten hoffen auf ein Anwachsen bürgerlicher Proteste und versuchen, durch die damit verknüpften Themenfelder, speziell eine vorgeblich legitime Religionskritik, um die es ihnen indes nicht geht, neue Anhänger zu mobilisieren, zu binden und deren Vertrauen zu gewinnen. So fielen auch bei der von Rechtsextremisten organisierten Versammlungsreihe unter dem damaligen Tenor "Merkel muss weg" fremdenund islamfeindliche Äußerungen. Anhaltspunkte für verfassungsschutzrelevante Bestrebungen gegen den Islam und die Muslime liegen dann vor, wenn Agitation und Propaganda systematisch gegen Grundund Menschenrechte, insbesondere gegen die Menschenwürde, das Diskriminierungsverbot und die Religionsfreiheit gerichtet sind. Neben den rechtsextremistischen Organisationen und Gruppen, deren Agitation gegen Muslime spezifischer Ausdruck ihrer grundsätzlichen rechtsextremistischen, fremdenfeindlichen und rassistischen Denkweise ist, haben sich in den vergangenen Jahren weitere Vereinigungen, Gruppen und Netzwerke gebildet, die ihren Kampf gegen Islam, Scharia und Koran zunächst im und über das Internet führten und ihre öffentlichen Aktivitäten nun zunehmend auf die Straße tragen. Diese muslimfeindliche Agitation war in den vergangenen Jahren einer der ideologischen Wegbereiter brutaler Gewalttaten ( siehe Punkt 4 "Rechtsextremistische Gewalt und Rechtsterrorismus"). Da die Grenze zu verfassungsfeindlichen Bestrebungen angesichts der sich mit rechtsextremistischen Agitationsfeldern überschneidenden Themen fließend ist, hat der Verfassungsschutz auch diese Aktivitäten weiterhin intensiv im Fokus. 177 Rechtsextremismus 8.1. Bedeutung des Internet Die Bedeutung sozialer Medien als zentrale Plattform für die Kommunikation, Propaganda und Mobilisierung der rechtsextremistischen Szene hat weiter zugenommen. Die digitale Welt eignet sich als ideologische und logistische Basis, stellt eine breite Vernetzung mit Gleichgesinnten sicher, verbreitet Mobilmachungen und Hetze gegen den politischen Gegner schnell, komfortabel und massenwirksam. Dem Einzelnen bietet sie an, krude Weltanschauungen zu nähren: Echo-Räume dienen ihnen als Verstärker, rational Argumentierende haben viele Bereiche sozialer Medien längst verlassen. Zugleich ist die digitale Welt als Rückzugsort für Extremisten geradezu prädestiniert. Sie bietet die Möglichkeit, sich hinter Fake-Profilen oder in "sicheren Häfen" wie dem russischen Netzwerk vk.com zu verstecken, aus denen rechtsextremistische Propaganda inklusive strafrechtlich relevanter Inhalte bisher nicht gelöscht wird. "Sichere Häfen" sind auch zugangsbeschränkte Bereiche der digitalen Welt, in der Betreiber oftmals nicht den Willen haben, ethische Standards umzusetzen, etwa auf diversen Spiele-Plattformen. Besonders für gewaltgeneigte rechtsextremistisch motivierte Personen, die zunehmend in losen Netzwerken oder in Kleinstgruppen zusammenwirken ( siehe Punkt 4 "Rechtsextremistische Gewalt und Rechtsterrorismus") fungiert das Internet als Kommunikations-, Aktions-, Informationsund Serviceplattform. Die Nutzer agieren häufig auf mehreren Kanälen gleichzeitig ("crossmedial"). Dieses Phänomen bezeichnet bruchlose, plattformübergreifende Kommunikation im Internet. Hierbei nutzen Rechtsextremisten vorwiegend alternative Plattformen. Diese Entwicklung begünstigt zugleich die Radikalisierung von Einzelpersonen ohne Anbindung an rechtsextremistische Organisationsstrukturen, bei denen die Gefahr besteht, dass sie als radikalisierte einzelne Täter zu Fanaltätern werden ( siehe Punkt 4 "Rechtsextremistische Gewalt und Rechtsterrorismus"). Auf diese dynamischer werdenden Entwicklungen hat das LfV Hamburg mit der Einrichtung eines spezialisierten Arbeitsabschnitts reagiert, um die Bearbeitung der Strukturen des Rechtsextremismus im Internet weiter zu 178 Rechtsextremismus intensivieren. Mit dieser Verstärkung des Bereichs wird die operative Internetbearbeitung methodisch weiter spezialisiert. 8.2. Identitäre Bewegung Deutschland (IBD) Die 2012 zunächst vor allem als virtuelles Phänomen entstandene und seit 2014 als Verein eingetragene "Identitäre Bewegung Deutschland e.V." (IBD) mit Sitz in Paderborn und Anschrift in Rostock sieht sich als legitime, politische, außerparlamentarische "Stimme für Patrioten und Einwanderungskritiker" in Europa, die die öffentliche Debatte über die "Themenfelder Identität, Immigration und Meinungsfreiheit mitprägen" will. Zentrale Zielsetzung der IBD ist der "Erhalt der ethnokulturellen Identität der Völker Europas". In diesem Sinne Logo der "Identitären Bewegung" mit dem Lambda-Symbol. setzt sich die IBD in ihren Publikationen für die Bewahrung von "Kultur und Tradition", "Patriotismus und Heimatliebe", "echte Meinungsfreiheit" und eine "Welt der Vielfalt, Völker und Kulturen" in ihrem ideologischen Sinne ein. Der von der IBD vertretene "Ethnopluralismus", verbunden mit den Forderungen nach "Remigration" und "Reconquista", richtet sich gegen das Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher ethnischer Herkunft und dient als Fundament einer völkisch-rassistischen und antidemokratisch geprägten Ideologie. Die IBD macht "Migrationsströme" und "Masseneinwanderung" für die Gefährdung von "Frieden, Sicherheit und Stabilität" und die vermeintliche Zerstörung Europas verantwortlich und agitiert gegen einen angeblich drohenden "Bevölkerungsaustausch". Sie warnt vor angeblich existierenden "No-GoAreas" und einer vorgeblichen Gefahr zur gefährdeten "Minderheit im eigenen Land" zu werden. Sie versucht nach wie vor, in der Bevölkerung Ängste gegen Migranten zu schüren. In ihrer Agitation warnen die Anhänger der IBD undifferenziert vor "islamischem" Terror. 179 Rechtsextremismus INFOBOX Das Konzept des Ethnopluralismus wird der sogenannten Neuen Rechten zugeordnet und kann als Rechtsextremismus des 21. Jahrhunderts gelten. Ethnopluralismus spricht von Völkervielfalt statt von verschiedenen Rassen. Das Konzept dahinter ist eindeutig rassistisch, aber versucht den Rassismus hinter dem Begriff zu verschleiern. Der Begriff des sogenannten Ethnopluralismus geht zurück auf einen der Vordenker der Neuen Rechten in Deutschland, Henning Eichberg, der ihn zu Beginn der 1970er in die Debatte einbrachte. Die Neue Rechte knüpft an die Ideologie der antidemokratischen "Konservativen Revolution" an, die in der Weimarer Republik die Demokratie durch eine Art "geistige Revolution" überwinden wollte. Mit dem Konzept des sogenannten Ethnopluralismus versucht die Neue Rechte, einen wertenden, insbesondere durch den Nationalsozialismus belasteten Rassismus-Begriff zu vermeiden. Gleichwohl: Die Annahme homogener Ethnien oder "Rassen", die ihrerseits von "fremden" Einflüssen bewahrt werden müssen, eint beide rechtsextremistischen Denkmuster. Die "Identitäre Bewegung" (IB) sieht sich selbst als größte und führende Kraft im "außerparlamentarischen, neurechten Lager". So äußerte der Leiter der Identitären in Österreich (IBÖ), Martin Sellner, Anfang 2019 in einem Kommentar im Internet zur "Verankerung der IB": "Ziel" der IB sei es, die eigene "neurechte Ausrichtung im aktivistischen, patriotischen Lager zur führenden zu machen" und diese Szene zu aktivieren. Auch der Leiter der IBD bezeichnete die Identitären als "größte Kraft" im "aktivistischen Segment des rechten vorpolitischen Raums". Die IBD unterhält ein besonders enges Verhältnis zu Gleichgesinnten in Österreich, deren Leiter auch Ideengeber und Führungsfigur der deutschen IB ist. Nach den Anschlägen auf zwei Moscheen und der Ermordung von 50 Muslimen in Christchurch (Neuseeland) im März 2019 war dieser in den Verdacht geraten, vor der Tat Kontakte zum Attentäter unterhalten zu haben. Der IBÖ-Aktivist distanzierte sich zwar von der Tat und jeglicher Form politischer Gewaltanwendung, bezeichnete diese jedoch als nachvollziehbare Konsequenz fehlgeleiteter Migrationspolitik und fortschrei180 Rechtsextremismus tender "Islamisierung". Außerdem räumte er ein, Anfang 2018 von dem späteren Attentäter eine hohe Spende erhalten und mit diesem kurzen E-Mail-Kontakt unterhalten zu haben. Der Leiter der IBÖ wurde von den Identitären in Deutschland verteidigt und mit Solidaritätsaufrufen bedacht. So berichtete der Bundesleiter der IBD Ende März 2019 von einer vermeintlichen "Welle der Hetze und Verleumdung" gegen das gesamte "patriotische Lager" und von "konstruierten Verbindungen zu einem Massenmörder" und forderte: "Haltung zeigen! Unsere Solidarität ist größer als ihre Willkür". Die IBD arbeitet nach den "Prinzipien" der "Provokation" und "Konfrontation", wie sie es selbst offen darlegt. Für sie ist nach eigenen Angaben "Provokation" ein wichtiges "Handlungsinstrument des patriotischen Widerstandes". Mit der "Konfrontation" wolle man "die Mächtigen und Etablierten zu einem Handeln ... aktivieren und ihre Verfehlungen offensichtlich" machen. Für 2019 erklärt die IBD als "unverhandelbares Ziel: die Rückeroberung. Wir wollen uns das zurückholen, was unsere Eltern verloren haben: unser Land, das heißt: unsere Straßen, unsere Denkmäler, unsere Unis, unsere Musik, unsere Vergangenheit und unsere Zukunft. 2018 war das Jahr der Repressionen. 2019 wird ein Jahr der patriotischen Revanche!" In diesem Sinne startete die IBD 2019 mehrere Kampagnen, Aktionen und Aktionswochen oder führte laufende Kampagnen weiter fort. Ziel und Zweck der Kampagnen ist, neben inhaltlichen Positionierungen, in erster Linie das Erringen medialer und öffentlicher Aufmerksamkeit. Alle Aktionen der IBD waren mit Aufrufen zur Mitwirkung, Unterstützung, Solidarität und zu Spenden verbunden, deren Ergebnisse auf eine motivierte und finanzstarke Anhängerschaft hinweisen. Das 2017 initiierte und im September 2018 gestartete Projekt "Alternative Help Association" (AHA!) zur Unterstützung vermeintlich "heimkehrwilliger Familien" nach Syrien und die 2018 begonnene vorgebliche "Aufklärungskampagne" zum UN-Migrationspakt wurden 2019 fortgeführt. Am 14. Januar 2019 erschienen Anhänger der IBD in mehreren deutschen Städten vor Parteibüros und Redaktionshäusern, um dort Banner, Fahnen, Flugblätter, Plakate und "'linksextreme' Utensilien" wie Steine und Holzbretter abzulegen und so gegen angebliche "Heuchelei" "Verharmlosung", "Relativierung" und Leugnung "linker Gewalt" zu protestieren. Der Leiter 181 Rechtsextremismus der IBD erklärte vor Beginn der Kampagne, dass "jeder Angriff auf die eigene Person ... unter den gesetzlichen Maßstäben des Notwehrrechtes ... entsprechend beantwortet" werden dürfe. Auch in Hamburg führten IB-Anhänger zwei Aktionen und zwar vor einem Gebäude der SPD und der Zentrale des SPIEGEL durch. Am 15. Januar 2019 wurde im Internet dazu aufgerufen: "Bekämpfe das System des Hasses, der Heuchelei und der Entmenschlichung! Leistet Widerstand und Werdet aktiv!". Im Vorfeld der Europawahlen am 26. Mai 2019 führten die IBD und ihre Regionalgruppen im Rahmen einer "außerparlamentarischen Europa-Kampagne" von März bis Mai mehrere Aktionen durch. Auch die IB Hamburg nahm zum Thema EU Stellung und brachte am 27. April 2019 an der Strecke des Hamburger Frühjahrsmarathons Banner mit den Aufschriften "Unser Europa ist nicht Eure Union" und "Ihr sprecht von Europa und vergesst seine Völker" an. EU UNSER EUROPA IST NICHT EURE UNION Mit großflächigen Bannern wie diesem trat die IBD auch in Hamburg auf. Weiteres Agitationsziel der IBD war die Beobachtung der IBD durch den Verfassungsschutz, die von den Anhängern heftig kritisiert und deren Rechtmäßigkeit bestritten wurde. Nach der Hochstufung der IBD zum rechtsextremistischen Beobachtungsobjekt durch das BfV im Juli 2019 wurde die Agitation gegen den Verfassungsschutz und dessen Neubewertung verstärkt. Dem Verfassungsschutz wurde vorgeworfen, ein "extremistisches Gespenst" zu konstruieren und sich zum "willfährigen Handlanger" und "Unterdrückungswerkzeug" des "linken Establishments und der politisch Herrschenden" zu machen. In Hamburg ist die IB bereits seit dem Jahr 2016 rechtsextremistisches Beobachtungsobjekt des Verfassungsschutzes. Die IBD klagt bereits seit 2017 und 2018 vor den Verwaltungsgerichten Köln und Berlin gegen ihre Beobachtung. Vereinzelt reagierten mutmaßliche Anhänger und Sympathisanten auch mit Gewaltandrohungen. So 182 Rechtsextremismus erklärte ein Leser im Kommentarbereich der VK-Internetpräsenz der IBD im September 2019: Er habe "den Kanal voll". Man komme auf dem "bisherigen Weg nicht weiter". Man suche noch Mitglieder, die "wenn es soweit ist! Jagd auf die Vaterlandsverräter machen! Jeder für sich oder in der Gruppe!" Das Anhängerpotenzial der IB Hamburg beläuft sich auf gut 25 Personen. Ihren 2018 erklärten Anspruch, "erste Reihe des Widerstandes" zu sein, konnte die IB Hamburg 2019 nicht gerecht werden. Im Vergleich zu den Vorjahren fanden nur einige wenige öffentliche Aktionen mit maximal 15 Anhängern statt. Eine Inszenierung im Internet war aufgrund der Löschungen einiger Social-Media-Accounts im Mai 2018 nur eingeschränkt möglich. 2019 unterhielt die IB Hamburg eine eigene Homepage sowie Accounts auf verschiedenen Social-Media-Plattformen, die zum Teil zeitlich begrenzt unter anderen Namen neu eingerichtet worden waren. Sie informierte aber im Internet regelmäßig über die Kampagnen und Aktivitäten der IBD und anderer Regionalgruppen und veröffentlichte deren Stellungnahmen und Aufrufe. Neben Aktionen gegen "linke Gewalt" (14. Januar 2019) und gegen die EU (27. April 2019), riefen sie im Internet und auf Flyern gegen "Multikulti" auf. Sie bezeichneten eine vorgeblich existierende "Ideologie des Multikulturalismus" als "utopisches Hirngespinst" und warnten vor angeblichen "No Go Areas" wie zum Beispiel im Bereich Steindamm. Ab Mai 2019 agitierte die IB Hamburg insbesondere gegen die Religion des Islam. Es wurden mehrere Hamburger Ortseingangsschilder mit arabischen Schriftzeichen versehen, im Internet wurde von den Aktionen berichtet und gegen die fortschreitende "Islamisierung" und die "Einrichtung neuer Moscheen" agitiert. Im Juni 2019 wurden in Hamburg-Wandsbek mehrere Flyer der IBD verteilt, auf denen unter der Überschrift "Der Islam gehört nicht zu Deutschland" gegen die "massive Einwanderung von Muslimen" agitiert und vor einem "Bevölkerungsaustausch" und der angeblich zunehmenden Dominanz "islamischer Lebenskultur" gewarnt wurde. "No Go Areas für Einheimische" wurden als "Nährboden für Terrorismus und Gewalt" bezeichnet und behauptet, dass "muslimische Clanstrukturen", "Moscheen", "Schleier" und die "Etablierung" des "Schariarechts" bereits jetzt "zentrale öffentliche Räume" prägten. Im Oktober 2019 wurden zwei weitere Flyer in Neuengamme und Wandsbek verteilt. Darin wurde gegen angebliche "kulturelle Gleichschaltung" und "Fremdbestimmung" aufgerufen, "kultu183 Rechtsextremismus reller Verfall" und der "Große Austausch" vorhergesagt, "Volkssouveränität" gefordert und appelliert: "Wehr Dich - Es ist unser Land" / "Unser Land unsere Werte". Es gelte, die "Völker Europas gegen die "aktuell größte Bedrohung der demographischen Invasion aus Afrika und Asien zu schützen". Die IB Hamburg verfügt über enge Verbindungen zu IB-Anhängern aus dem nordund ostdeutschen Raum sowie zu rechtsextremistischen Hamburger Burschenschaftlern. Außerhalb Hamburgs beteiligte sich die die IB Hamburg gelegentlich an Treffen und Aktionen der IBD und anderer Regionalgruppen oder berichtete über deren Aktivitäten. 8.3. Rechtsextremistische Burschenschaften 8.3.1. Hamburger Burschenschaft Germania (HB! Germania) Die HB! Germania wurde 1919 gegründet und zählt zu den sogenannten pflichtschlagenden Studentenverbindungen. Auf der Internetseite der Verbindung hieß es dazu: "Wer sich vor der Mensur scheut, der würde auch sonst kein Opfer für den Bund bringen." [Quelle: www. germania-hamburg.de/faq/, Stand vom 2. Logo der "HB! Germania" mit Wappen. Dezember 2019]. Der burschenschaftliche Wahlspruch der HB! Germania lautet "Ehre - Freiheit - Vaterland". Es handelt sich um einen reinen Männerbund, in dem Ausländer nicht als Mitglieder zugelassen sind, da sich die HB! Germania selbst als "urdeutsche Angelegenheit" ansieht. Gemeinsam mit weiteren Burschenschaften bildet die HB! Germania das "Schwarz-Weiß-Rote Kartell", eine Gemeinschaft gleichgesinnter Studentenverbindungen. Man sieht sich als "ein Bund an drei Hochschulorten" [Quelle: www.germania-hamburg.de/ueber-uns/, Stand vom 2. Dezember 2019]. Regelmäßig nehmen Abordnungen der jeweils anderen Kartellmit184 Rechtsextremismus glieder an den Stiftungsfesten (Feiern anlässlich des Gründungstages) der Kartell-Burschenschaften teil. Banner auf der Facebookseite der "HB! Germania" anlässlich ihres 100-jährigen Bestehens. In freundschaftlicher Verbindung steht die HB! Germania auch zu weiteren Burschenschaften. Zu den Gepflogenheiten der Freundschaftsbünde gehören auch gegenseitige Besuche. Aus dem Selbstverständnis der HB! Germania, eine politische Studentenverbindung zu sein, ergibt sich das Ziel, ihre Mitglieder weiterzubilden. Zu diesem Zweck gehören Vortragsveranstaltungen mit anschließender Diskussion (sogenannte "Germanenabende") zu wissenschaftlichen, historischen und aktuellen Themen zu den regelmäßigen burschenschaftlichen Aktivitäten. Dadurch sollen die "Füxe" und "Burschen" davor bewahrt werden, sich ihre Meinung von "stimmungsbildenden Verdummungsmedien diktieren" zu lassen [Quelle: www.germania-hamburg.de/faq/, Stand vom 2. Dezember 2019]. So fand zum Beispiel im Mai 2019 im Verbindungshaus der HB! Germania eine Vortragsveranstaltung mit einem Autor statt, der regelmäßig für rechtsextremistische Publikationen aus dem Spektrum der "Neuen Rechten" schreibt. Nach wie vor illustriert ein Vorkommnis aus dem Jahr 2016 das vorherrschende Gedankengut in der HB! Germania. Nachbarn und alarmierte Polizeibeamte hörten damals deutliche "Sieg-Heil"-Rufe aus dem Haus der HB! Germania. Nach dem LfV Hamburg vorliegenden Erkenntnissen sind entsprechende Vorfälle keine einzelnen Ausfälle, sondern Ausdruck einer innerhalb der HB! Germania auch im Jahr 2019 verbreiteten rechtsextremistischen Grundhaltung. 185 Rechtsextremismus 8.3.2. Pennale Burschenschaft Chattia Friedberg zu Hamburg (PB! Chattia) Die seit 1992 in Hamburg ansässige PB! Chattia ist eine Schülerverbindung, die sich selbst als "Gemeinschaft patriotisch gesinnter Deutscher" beschreibt [Quelle: www.chattia-hamburg.com/hp/wirueberuns.php, Stand vom 3. Dezember 2019]. Ähnlich wie die HB! Germania verhält sich die PB! Chattia zurückhaltend in ihrer Außendarstellung. Diese Zurückhaltung dürfte in erster Linie taktisch begründet sein, um für den Vorwurf des Rechtsextremismus keine Angriffsfläche zu bieten (siehe Verfassungsschutzbericht Hamburg 2018, S. 161 f). 8.4. "Merkel-muss-weg"-Kampagne Seit Beginn des Jahres 2019 firmiert die "Merkel muss weg!"-Kampagne unter dem neuen Namen "Michel wach endlich auf". Die Umbenennung ist Teil eines Neustartversuchs, nachdem die Teilnehmerzahlen bei den durchgeführten Kundgebungen erheblich zurückgingen. Zu Beginn der Protestreihe im Frühjahr 2018 gelang es der Kampagne noch, nicht der rechtsextremistischen Szene angehörende Bürger, die sich empfänglich für die migrationsfeindlichen und antimuslimischen Parolen zeigten, zu mobilisieren. Aus dem gesamten norddeutschen Raum konnten Teilnehmer und Teilnehmerinnen festgestellt werden. Jedoch war es dem Veranstalter zu keinem Zeitpunkt möglich, den eigenen Anspruch, ihre politische Agenda in die "Mitte der Gesellschaft" zu tragen, umzusetzen. Insgesamt fanden von Februar 2018 bis September 2019 14 Versammlungen statt, bei denen eine Vermischung des extremistischen und nicht-extremistischen Milieus beobachtet werden konnte. Berührungsängste lagen auf keiner der beiden Seiten vor. Damit leistet die "Michel wach endlich auf" / "Merkel muss weg!"-Kampagne zumindest in Ansätzen einen Beitrag zu der von den Verfassungsschutzbehörden benannten "Entgrenzung" des Rechtsextremismus. 186 Rechtsextremismus Im kontinuierlichen Rückgang der Teilnehmerzahlen von mehr als 350 (März 2018) bis deutlich unter 70 (September 2019) zeigt sich das Scheitern des Organisatorenkreises diese Entgrenzung zu verstetigen. Zulauf von bürgerlicher Protestklientel haben die Kundgebungen kaum noch. An dieser Entwicklung dürfte auch die Medienund Öffentlichkeitsarbeit des LfV Hamburg einen Anteil haben. Auch vor diesem Hintergrund versuchen die Organisatoren derzeit, durch Vernetzungsbemühungen mit weiteren Akteuren der rechtsextremistischen Szene anderer Bundesländer neue Teilnehmerpotenziale zu erschließen. 9. Sonstige rechtsextremistische Organisationen und Bestrebungen 9.1. Artgemeinschaft - Germanische Glaubensgemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung e.V. (AG-GGG) Die 1951 gegründete Artgemeinschaft-GGG (AG-GGG) mit Sitz in Berlin und Postanschrift in Zeitz (Sachsen-Anhalt) beschreibt sich selbst als "größte" und "älteste germanisch-heidnische Glaubensgemeinschaft" Deutschlands. Der in sogenannte regionale "Gefährtschaften", "Freundeskreise" und "Gilden" untergliederte Verein vertritt antichristliches, islamkritisches, völkisch rassistisches, revisionistisches und antisemitisches Gedankengut. Er knüpft unmittelbar an die Rassenlehre des "Dritten Reiches" und das Denkmodell der Überlegenheit einer arisch nordischen beziehungsweise germanischen "Rasse" an. Die Aktivitäten des Vereins beschränkten sich im Wesentlichen auf den Vertrieb eigener Schriften und Bücher im vereinseigenen "Buchdienst" sowie auf die Durchführung interner Treffen, an denen sich in den Vorjahren in der Regel bis zu 200 erwachsene Personen beteiligten. Unter der Losung "Aufbruch zum Artglauben" suchte die AG-GGG Kontakte zu Gleichgesinnten im Inund Ausland. Am 4. Juni 2019 berichtete die AG-GGG über ihre dritte "Tagung Aufbruch zum Artglauben", deren Ziel der gegenseitige Austausch und die Zusammenarbeit verschiedener "art187 Rechtsextremismus gläubige(r)" und "heidnische(r) Gemeinschaften" ist. Im Ausland bestehen Kontakte insbesondere nach Österreich, Osteuropa und Schweden. Am 27. Mai 2019 berichtete die AG-GGG über ihre Teilnahme an einem Treffen in Schweden, an dem nach eigenen Angaben auch Gleichgesinnte anderer Länder (Norwegen, England, Italien, USA) teilnahmen. Auch einzelne Hamburger Rechtsextremisten gehören seit Jahren zum Anhängerund Unterstützerkreis der AG-GGG. Der Verein sieht seinen 2009 gestorbenen ehemaligen Leiter und Hamburger Rechtsextremisten Jürgen Rieger nach wie vor als menschliches und ideologisches Vorbild und gedenkt seiner regelmäßig. So wurde Rieger in der Vereinsschrift "Nordische Zeitung" (Heft 3/2019) als unermüdlicher Kämpfer und "wichtiger Aufklärer" gepriesen. Seine Aussagen und Schriften (wie das "Artbekenntnis" und das "Sittengesetz unserer Art") dienen den heutigen Mitgliedern weiterhin als ideologische Grundlage. Dazu gehören außerdem die von Rieger propagierten Vorbereitungen auf erwartete Krisenszenarien durch vermeintlich "einfallende Ausländerhorden" und daraus resultierende gewalttätige Auseinandersetzungen mit Migranten. 9.2. Ehemalige Europäische Aktion Bei der 2010 unter der Bezeichnung "Bund Freies Europa" von dem Schweizer Revisionisten Bernhard Schaub gegründeten Bewegung "Europäische Aktion" (EA) handelte es sich um ein internationales Netzwerk von Holocaustleugnern, das in seiner antidemokratischen, fremdenfeindlichen, rassistischen, antisemitischen und revisionistischen Ausrichtung eine Wesensverwandtschaft zum Nationalsozialismus aufweist. Bei der EA zeigen sich personelle und ideologische Überschneidungen zur Reichsbürgerszene ( siehe Kapitel VI "Reichsbürger und Selbstverwalter"). 2017 beschloss die EA die "aktiven Organisationsteile" aufzulösen und die "Tagsatzung" als oberstes Leitungsorgan der EA sowie deren Landes-, Gebietsund Stützpunktleiter "aus ihrer Verantwortung (zu) entlassen". Die EA erklärte jedoch, dass ihre Ziele weiterhin Bestand hätten und von den ehemaligen Anhängern "eigenverantwortlich und pflichtbewusst" weitergetragen wer188 Rechtsextremismus den sollten. In diesem Sinne steht die Homepage der EA mit ihren bis zum 1. September 2017 veröffentlichten programmatischen Schriften und Beiträgen den Anhängern weiterhin als Informationsund Kommunikationsplattform zur Verfügung. Die ehemaligen Anhänger der EA lehnen den Einsatz von Waffen und Gewalt nicht ab. "Der Gebrauch von Schusswaffen und deren Anschaffung" zwecks "persönlichen SelbstDie Homepage der EA ist weiterhin online aufrufbar. schutzes im Falle eines zivilisatorischen ZusamScreenshot: LfV HH menbruchs" wird offen propagiert. Nach Auflösung der EA setzten weitere ehemalige Führungskräfte ihre politische Arbeit unter dem von der EA ausgegebenem Motto: "Jetzt erst recht: Rückeroberung oder Untergang!" selbstständig fort. So äußerten sich ehemalige EA-Funktionsträger im Internet und auf Veranstaltungen weiterhin im Sinne der EA-Ziele. Auch eine Reaktivierung der EA und ihrer "Strukturen" ist nicht ausgeschlossen. So erklärte der ehemalige "Gebietsleiter" der EA in Thüringen laut einem Internetbericht vom 4. Juni 2019, "dass die EA nur aufgelöst worden sei, um den staatlichen Repressionen zu entgehen' und dass "sämtliche Strukturen der Bewegung weiterhin an der Befreiung des deutschen Volkes arbeiten ... Die 7 Ziele der EA sollen verbreitet werden damit am Tag X die neue Ordnung ... aufgebaut werden kann...". Auch Hamburger Rechtsextremisten zählten und zählen zu den Anhängern der EA. Hierbei arbeiteten sie eng mit Anhängern aus den angrenzenden Bundesländern zusammen, ohne öffentlich aktiv zu sein. 189 Verfassungsschutz in Hamburg Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Gruppierungen mit Auslandsbezug Linksextremismus Rechtsextremismus Reichsbürger und Selbstverwalter Scientology-Organisation Spionageabwehr und Wirtschaftsschutz Geheimund Sabotageschutz Anhang Reichsbürger und Selbstverwalter "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" sind Einzelpersonen und Gruppierungen, die aus diversen Beweggründen und mit den verschiedensten Begründungen die Existenz der Bundesrepublik Deutschland inklusive ihres Rechtssystems ablehnen und den demokratisch gewählten Repräsentanten die Legitimation absprechen. Daher sind sie häufig bereit, Straftaten zu begehen, darunter Steuerdelikte, Urkundenfälschung, Amtsanmaßung, Nötigung oder auch Gewaltdelikte. "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" berufen sich häufig auf das historische Deutsche Reich, verschwörungstheoretische Argumentationsmuster oder ein selbst definiertes Naturrecht. Da sie den Bestand der Bundesrepublik Deutschland ablehnen, werden ihre gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichteten Bestrebungen vom Verfassungsschutz beobachtet. Die ausgesprochen heterogenen ideologischen Versatzstücke der "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" finden ihren gemeinsamen Nenner in der grundsätzlichen Ablehnung der völkerrechtlichen Legitimität und Souveränität der Bundesrepublik, die häufig mit der Forderung nach der Wiederherstellung des "Deutschen Reiches" in den Grenzen von 1871, 1914, 1917 oder 1937 einhergeht. Dieser Geschichtsrevisionismus ist auch in der rechtsextremistischen Szene verbreitet; ein kleiner Teil der Reichsbürger-Szene fällt durch rechtsextremistische Bezüge auf. Sogenannte "Selbstverwalter" negieren ebenfalls die Existenz der Bundesrepublik Deutschland, streben jedoch nicht zwangsläufig die Wiederherstellung eines "Deutschen Reiches" an. Sie erklären oftmals, aus der Bundesrepublik Deutschland ausgetreten zu sein und definieren ihr Haus oder Grundstück als souveränes Staatsgebiet, auf dem die Gesetze der Bundesrepublik keine Geltung hätten. Reichsbürger und Selbstverwalter VI. Reichsbürger und Selbstverwalter 1. Allgemeines/Ideologie "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" sind Gruppierungen und Einzelpersonen, die aus unterschiedlichen Motiven und mit unterschiedlichen Begründungen - unter anderem unter Berufung auf das historische Deutsche Reich, verschwörungstheoretische Argumentationsmuster oder ein selbst definiertes Naturrecht - die Existenz der Bundesrepublik Deutschland und deren Rechtssystem ablehnen; sie sprechen den demokratisch gewählten Repräsentanten die Legitimation ab oder definieren sich in Gänze als außerhalb der Rechtsordnung stehend. Daher begehen Reichsbürger und Selbstverwalter auch regelmäßig Verstöße gegen die Rechtsordnung. Seit 2016 wird diese Szene durch den Verfassungsschutzverbund verstärkt beobachtet. Das Milieu der Reichsbürger und Selbstverwalter ist personell, organisatorisch und ideologisch äußerst heterogen und umfasst vom Rechtsextremisten, über den Esoteriker bis hin zum Verschwörungstheoretiker ein breites Personenspektrum. Der Bewegung gehören zahlreiche (Kleinst-) Gruppierungen und Einzelpersonen an, die die Legimitation von Behörden und demokratisch gewählten Repräsentanten sowie die Gültigkeit deutscher Gesetze nicht anerkennen. Die Szeneangehörigen eint das Bestreiten der völkerrechtlichen "Ablehnung der Bundesrepublik Deutschland" Illustration LfV HH Legitimität und Souveränität der Bundesrepublik Deutschland und die daraus abgeleitete fundamentale 193 Reichsbürger und Selbstverwalter Ablehnung ihrer bestehenden Rechtsordnung. Sie geben sich eigene Gesetze oder berufen sich auf ein selbst definiertes Naturrecht, das heißt ein universell gültiges Recht, welches Vorrang vor den bundesdeutschen Gesetzen habe. Die Bundesrepublik Deutschland bezeichnen viele Reichsbürger und Selbstverwalter auch als "BRD-GmbH" und staatliche Institutionen als deren (Unter)Firmen. Dabei beziehen sich die Szeneangehörigen auf unterschiedlichste historische und völkerrechtliche Zustände Deutschlands. Ihre Aussagen sind pseudojuristisch oder pseudohistorisch begründet. In Teilen bedient sich die Reichsbürgerszene auch eines geschichtsrevisionistischen Gedankenguts sowie antisemitischer Reichsbürger behaupten unter anderem mit Verweis auf die in Frankfurt am Main Argumentationsmuster, ansässige "Bundesrepublik Deutschland Finanzagentur GmbH", dass die Bundesrepublik Deutschland eine privatrechtliche Organisation, die "BRD-GmbH", sei. einschließlich der Leug(c) Logo: Bundesrepublik Deutschland - Finanzagentur GmbH nung des Holocaust. Bestrebungen, die eine derart fundamentale Ablehnung der Bundesrepublik Deutschland, ihrer Gesetze und Institutionen zum Ausdruck bringen, sind eindeutig als gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet einzustufen, und zwar unabhängig davon, dass Teile dieser Bestrebungen auch dem Phänomenbereich Rechtsextremismus zugerechnet werden können. Die Verfassungsschutzbehörden sprechen daher von einem "Extremismus eigener Art" oder "Extremismus sui generis". Sogenannte "Selbstverwalter" verstehen sich hingegen als dem Staat nicht zugehörig und erklären sich daher per Ankündigung für unabhängig oder gar ihren "Austritt" aus der Bundesrepublik Deutschland. Dabei berufen sie sich oftmals auf den Artikel 9 der UN-Resolution A/RES/56/83, der es ihnen angeblich ermöglichen soll, sich zum "Selbstverwalter" zu erklären. Ihre Grundstücke markieren sie zum Teil durch Schilder, Phantasie-Wappen oder Grenzziehungen, aus denen die eigene Souveränität hervorgehen soll. Die Identifizierung dieser sogenannten "Selbstverwalter" ist deshalb besonders wichtig, da ihre Ideologie es erlaubt, eine vorgebliche "Notwehrlage" zu behaupten, insbesondere, wenn behördliche Maßnahmen gegen sie auf den von ihnen beanspruchten Territorien durchgeführt werden, zum 194 Reichsbürger und Selbstverwalter Beispiel Zwangsvollstreckungen aufgrund nicht geleisteter Steuern, Abgaben oder Bußgelder. Reichsbürger und Selbstverwalter sind verfassungsfeindlich, da sie die freiheitliche demokratische Grundordnung negieren und gegen die Rechtsordnung agieren. Die fundamentale Ablehnung der Bundesrepublik Deutschland, ihrer Gesetze und Institutionen sind daher hinreichende tatsächliche Anhaltspunkte für deren verfassungsfeindliche Ausrichtung. 2. Potenziale Die Zahl der bundesweiten Angehörigen der Reichsbürgerszene lag 2019 unverändert bei circa 19.000 Personen (2018: 19.000). Darunter befanden sich, wie 2018 weiterhin rund 950 Rechtsextremisten. In Hamburg werden 165 Personen (Stand: 31. Dezember 2019) der Reichsbürgerszene zugerechnet. Rund zehn Prozent wiesen davon Überschneidungen zum Rechtsextremismus auf. Personenpotenziale Reichsbürger - Hamburg 180 150 165 145 120 130 90 90 30 2016 2017 2018 2019 - Die Zahlen für die Personenpotenziale sind gerundet - 195 Reichsbürger und Selbstverwalter Im Vergleich zu den Vorjahren ist ein weiterer Anstieg des Hamburger Personenpotenzials festzustellen. Der Anstieg ist mit der fortschreitenden Aufklärung der Szene und der damit verbundenen konsequenten Aufhellung des Dunkelfeldes durch den Verfassungsschutz zu erklären. 3. Waffenaffinität Die Reichsbürgerszene zeichnet sich durch ihre auffallende Waffenaffinität aus. Das belegen die regelmäßig im Zuge von Exekutivmaßnahmen sichergestellten Waffenund Munitionsfunde. Zu erklären ist diese Waffenaffinität durch den Grundgedanken der Ablehnung und einer damit einhergehenden Abwehrhaltung gegenüber der bestehenden Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland und ihrer Repräsentanten. Daraus ergibt sich die Gefahr, dass Szeneangehörige in Teilen bereit sind, ihre Waffen für Gewalttaten einzusetzen. Erhöhtes Gefärdungspotenzial durch bewaffnete Reichsbürger (Symbolfoto) Foto: Pixabay So hat ein mutmaßlicher Reichsbürger im November 2019 in Sebnitz (Sachsen) einen Polizeieinsatz ausgelöst, nachdem er in sozialen Netzwerken Fotos verbreitete, auf denen sich der 35-Jährige mit verschiedenen Schusswaffen zeigte. Bei der Durchsuchung seiner Wohnung fand die Polizei diverse Macheten und Messer, einen sogenannten Totschläger, drei Schreckschusswaffen mit Munition, einen Morgenstern sowie eine Taschenlampe mit Elektroschocker. Der Mann war bereits durch Körperverletzungsdelikte und Verstöße gegen das Waffengesetz auffällig geworden. Ungeachtet des Umstandes, dass in Hamburg bisher keine schwere Gewalttat durch Reichsbürger begangen wurde, konnte vereinzelt aggressives Verhalten gegenüber Hamburger Behördenmitarbeitern festgestellt wer196 Reichsbürger und Selbstverwalter den. Hierbei handelte es sich zumeist um Beleidigungen, schriftliche Diffamierungen oder körperliche Renitenz gegen Vollstreckungsmaßnahmen. Das LfV Hamburg teilt im Falle waffenrechtlicher Erlaubnisse von Reichsbürgern mit Wohnsitz in Hamburg im Rahmen der gesetzlichen Übermittlungsvorschriften seine Erkenntnisse der zuständigen Waffenbehörde mit, um auf dieser Grundlage die Entziehung dieser waffenrechtlichen Erlaubnisse zu ermöglichen. Seit Beginn der bundesweiten Szenebeobachtung im Jahr 2016 hat es in Hamburg sechs Entziehungen waffenrechtlicher Erlaubnisse bei Reichsbürgern gegeben. Bundesweit wurden seit 2016 mehrere hundert waffenrechtliche Erlaubnisse entzogen. 4. Aktivitäten Zur Verbreitung ihrer Ideologie suchen Reichsbürger und Selbstverwalter immer wieder nach neuen Adressaten. So ergaben sich im Juli 2019 Hinweise auf den Versand eines anonymen Faxes aus der Reichsbürgerszene an verschiedene Schulen in Baden-Württemberg. Das Schreiben enthält szenetypische Ausführungen unter anderem zum angeblich sicheren Nachweis der deutschen Nationalität. Bisher liegen keine Erkenntnisse darüber vor, dass Schulen generell in den Fokus der Reichsbürger und Selbstverwalter gerückt sind. Dennoch ist nicht auszuschließen, dass in Zukunft weitere solcher Faxe verschickt werden. Die Betreiber der Internetseite "www. gelberschein.net" behaupten, dass das Reichsund Staatsangehörigkeitsgesetz (RuStAG) in seiner Fassung von 1913 nach wie vor gültig sei. Daher müsse man, um der Staatenlosigkeit und dem damit einhergehenden "Sklavenstatus mit Vollversorgung" zu entgehen, einen Staatsangehörigkeitsausweis (einen "gelben Schein") Homepage www.gelberschein.net Screenshot: LfV Hamburg 197 Reichsbürger und Selbstverwalter beantragen. Tatsächlich wurde das Reichsund Staatsangehörigkeitsgesetz (RuStAG) mit Wirkung vom 1. Januar 2000 in Staatsangehörigkeitsgesetz (StAG) umbenannt, und keine staatliche Institution stellt die deutsche Staatsangehörigkeit aufgrund eines amtlichen Personalausweises oder Reisepasses in Frage. Reichsbürger ignorieren diesen Umstand allerdings gänzlich. Der "gelbe Schein" hat für Reichsbürger daher ungemindert eine starke symbolische Bedeutung, weil er sich auf ein (angeblich noch existierendes) Gesetz aus dem damaligen Kaiserreich bezieht, und er wird auch als Nachweis des eigenen Deutschseins gesehen. Auf der Internetseite wird weiterhin für verschiedene Reichsbürger-Stammtische in Hamburg geworben (Stand: Ende Februar 2020). In der Öffentlichkeit treten Personen, die der Hamburger Reichsbürgerszene zugerechnet werden können, seit Herbst 2017 regelmäßig auf dem Hamburger Rathausmarkt auf. Diese Kundgebungen der Reichsbürgergruppierung "staatenlos.info e.V." finden unter dem Tenor "Heimat & Weltfrieden!" statt. Passanten schenken diesen Veranstaltungen nach wie vor kaum Beachtung. Im Rahmen der Kundgebungen werden typische Reichsbürgerthesen verbreitet, die auch nachträglich über einen YouTube-Kanal publiziert werden. Homepage von "staatenlos.info e.V." mit diversen Verlinkungen auf Videos zu typischen Reichsbürgerthesen. Screenshot: LfV Hamburg Der Gruppierung zufolge sei die "Befreiung Deutschlands vom Faschismus und Nazismus" bis heute nicht erfolgt, und die Bundesrepublik führe das "Dritte Reich" illegal fort. Auch verhindere sie "bis heute notwendige Friedensverträge". Erforderlicher Schritt zur genannten Befreiung sei daher die "Bildung eines nationalen Übergangsrates unter Beteiligung von staatenlos.info e.V. Die Anmelderin dieser Kundgebungen bewirbt seit Anfang 198 Reichsbürger und Selbstverwalter 2017 auf der Homepage ihrer Nachhilfeschule eindeutige Reichsbürgerthesen und stellt Bezüge zu staatenlos.info her (Stand: Ende Februar 2020). INFOBOX Um die Reichsbürgerund Selbstverwalterszene weiter aufzuklären, ist der Verfassungsschutz auch auf Hinweise aus der Bevölkerung oder anderen Behörden angewiesen. Wer entsprechende Informationen hat, kann sich an das LfV Hamburg wenden. Jeder Hinweis wird grundsätzlich vertraulich behandelt: Telefon: 040-244443 E-Mail: poststelle@verfassungsschutz.hamburg.de 199 Verfassungsschutz in Hamburg Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Gruppierungen mit Auslandsbezug Linksextremismus Rechtsextremismus Reichsbürger und Selbstverwalter Scientology-Organisation Spionageabwehr und Wirtschaftsschutz Geheimund Sabotageschutz Anhang Scientology-Organisation Erklärtes Ziel der Scientology-Organisation (SO) ist es, eine sogenannte "scientologische Zivilisation" zu errichten. Um entsprechenden gesellschaftlichen Einfluss zu erreichen, agiert die SO international, einschließlich zahlreicher Tarnund Nebenorganisationen. Fester Bestandteil der SO-Ideologie ist die von ihr postulierte universelle Befreiung des menschlichen Geistes mittels ihrer geistigen "Technologie", dem so genannten "Auditing". Die Praxis der SO ist gekennzeichnet durch ihr Streben nach Geld, Macht und vollständiger Kontrolle über ihre Mitglieder. Mit ihrer als "angewandte religiöse Philosophie" bezeichneten Lehre hebt die SO diese Praxis auf eine metaphysische Ebene. Die von den Verfassungsschutzbehörden festgestellten Anhaltspunkte für verfassungsfeindliche Bestrebungen der SO ergeben sich insbesondere aus den Richtlinien ihres Gründers L. Ron Hubbard (19111986). Diese dürfen innerhalb der SO zwar redaktionell, aber niemals inhaltlich verändert werden. In einer scientologischen Gesellschaft sollen danach nur sogenannte "Clears", von allen geistigen Störungen befreite Menschen, Rechte genießen. Andere Personen gelten als nicht gleichwertig. Theorie und Praxis der SO erfüllen mehrere Merkmale einer totalitären Organisation, wie ideologischer Alleinvertretungsanspruch, rigider Dogmatismus, hermetisch abgeschlossene Organisationsstruktur, Führerkult und totale Unterordnung der Mitglieder, dualistisches Freund-Feind-Bild sowie kollektivistisches Denken. Diese Einschätzung der Verfassungsschutzbehörden wurde 2008 durch ein Urteil des Oberverwaltungsgerichtes Münster ausdrücklich bestätigt. Scientology-Organisation VII. Scientology-Organisation (SO) 1. Entwicklungen und Schwerpunkte Die "Scientology-Organisation" (SO) wird seit 1997 bundesweit von den Verfassungsschutzbehörden beobachtet. Grund hierfür ist, dass durch die von der SO angestrebte Gesellschaftsordnung zentrale Grundwerte, zum Beispiel die Menschenwürde sowie das Recht auf Gleichbehandlung, außer Kraft gesetzt werden und die SO folglich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung agiert. "Insbesondere bestehe der Verdacht, dass in einer scientologischen Gesellschaft nur Scientologen die staatsbürgerlichen Rechte zustehen sollten." [Quelle: Pressemitteilung des Oberverwaltungsgerichts Münster vom 12. Februar 2008: "Scientology darf auch künftig durch das Bundesamt für Verfassungsschutz observiert werden"] SO-Gründer L. Ron Hubbard postuliert in seinen Veröffentlichungen und SO-Richtlinien, dass die Befreiung des menschlichen Geistes nur mit einer von ihm entwickelten "Technologie" gelänge. In einer von der SO angestrebten "scientologischen" Gesellschaft können demnach nur sogenannte perfekte Menschen ("Clears") die Rechte eines freien Individuums genießen. "Sobald die Erde clear ist - eine Nation, ein Staat, eine Stadt oder ein Dorf - stellt die Scientologyorganisation die Regierung. Und sobald das eingetreten ist, ist das einzige Gesetz das gültig ist, das Gesetz der Scientology." L. Ron Hubbard (1950) [Quelle: L. Ron Hubbard, Vortrag "Future Org Trends" vom 9. Januar 1962] 203 Scientology-Organisation Um den "Clear"-Status zu erreichen müssen Mitglieder, neben diversen Kursabschlüssen, "AuditingSitzungen" absolvieren. Mit Hilfe eines "E-Meters" sollen sogenannte "Engramme" (negative Ereignisse) aus dem Gedächtnis der Person gelöscht werden. Nicht selten können diese sich wiederholenden Sitzungen sehr unangenehm und langwierig sein. Durch E-Meter Typ "Hubbard Professional Mark Super VII" "Auditing-Sitzungen" sollen alle Engramme gelöscht und der Status "Clear" erreicht werden. INFOBOX Das "E-Meter" wird in sogenannten "Auditing-Sitzungen" eingesetzt. Der "Auditor" (Betreuer) stellt dem "Preclear" (Behandelnden) vorgegebene Fragen. Das E-Meter soll dabei den elektrischen Körperwiderstand in den Handflächen der "Preclears" messen und der Auditor könne infolgedessen sogenannte "Engramme" aufspüren, die mit Hilfe weiterer "Auditing-Sitzungen", gelöscht werden sollen. Der Endbericht der Enquete-Kommission "Sogenannte Sekten und Psychogruppen" bezeichnete die E-Meter bereits im Jahr 1998 als "wissenschaftlich wertlos". [Quelle: Deutscher Bundestag, 13. Wahlperiode, Drucksache 13/10950, 09.06.98] 204 Scientology-Organisation Der internationale Hauptsitz der SO befindet sich in Los Angeles. Von hier aus lenkt die Führungsund Überwachungsebene alle Organisationsbereiche in 150 Ländern. Auf der nationalen Ebene gibt es sogenannte "Orgs", Missionen und weitere Untergruppierungen sowie Tarnorganisationen. Die Organisation der SO ist geprägt durch eine klare Struktur und eine damit einhergehende strenge hierarchische Ordnung. Nach dem Tod von L. Ron Hubbard im Jahr 1986 übernahm David Miscavige die Leitung des internationalen Managements der SO. Unter seiner Führung werden die verschiedenen Organisationseinheiten der weltweiten SO-Standorte unnachgiebig überwacht. INFOBOX David Miscavige wurde 1960 in Philadelphia geboren und gehört seit mehr als drei Jahrzehnten zur Scientology-Führung. Er kam bereits als Kind mit der SO in Kontakt. Nach dem Tod von SO-Gründer L. Ron Hubbard im Jahr 1986 setzte sich Miscavige in internen Machtkämpfen durch und steht seit 1987 an der Spitze der Organisation. Dies äußert sich durch die Einhaltung SO-typischer Kennzeichen, wie Alleinvertretungsanspruch, rigider Dogmatismus, hermetisch abgeschlossene Organisationsstrukturen, totale Unterordnung der Mitglieder, Freund-Feind-Bilder und eine kollektive Denkweise. Die SO ist darauf bedacht, ihrem Negativ-Image entgegenzuwirken und sich nach außen als unpolitische und demokratiekonforme Organisation darzustellen. Dies versucht sie, indem sie sich als "Kirche" und "völlig neue Religion" bezeichnet und mit ihren vermeintlichen Erfolgen und Expansionen weltweit wirbt. SO-Praktiken sind allerdings durch Streben nach Geld, Macht und gesellschaftlichem Einfluss gekennzeichnet. Mit der Selbstbeschreibung ihrer Lehre als "angewandte religiöse Philosophie" und das Erreichen dieser angeblich "höheren Ebene" gibt die SO dieser Praxis einen metaphysischen Hintergrund. 205 Scientology-Organisation Das Menschenbild von Scientology widerspricht der durch das Grundgesetz garantierten Menschenwürde, was unter anderem durch folgende Aussage von L. Ron Hubbard deutlich wird: "Ein Wesen ist nur so wertvoll, wie es anderen dienen kann." Wesentlicher Schwerpunkt der Außendarstellung der SO sind sogenannte "Frontgroups". Die unter der Bezeichnung "soziale Hilfsprogramme" getarnten Initiativen rücken gesellschaftlich relevante Themen wie "Drogenhilfe", "Menschenrechte" oder "Hilfe in Krisengebieten" in den Fokus ihrer vermeintlichen Aufklärungsarbeit. Ziel dieser Kampagnen ist es, SO-Praktiken zu verschleiern, gesellschaftliche Akzeptanz zu schaffen und das Image des vorgeblich uneigennützig agierenden Wohltäters zu wahren sowie neue Mitglieder für sich zu gewinnen. Über solche gesellschaftlich relevanten, breit diskutierten und akzeptierten Themen sollen gezielt Kontakte und Bündnisse zu demokratisch engagierten Gruppierungen, Organisationen und Institutionen aufgebaut und somit die Grenze zwischen extremistischem und nicht-extremistischem Engagement aufgelöst werden. Insofern verfolgt auch SO die in anderen Phänomenbereichen (Rechtsextremismus, Linksextremismus, Islamismus) festzustellende Strategie der Entgrenzung ( siehe Entgrenzungsthemen in den entsprechenden Phänomen-Kapiteln). Angebliche Erfolge dieser Kampagnen werden auch an Vertreter verschiedener Behörden mit dem Ziel übermittelt, die "Stigmatisierung" der SO als verfassungsfeindlich zu beenden, was bisher allerdings nicht gelingt. Ein weiterer Aspekt der Außendarstellung ist zudem die Rekrutierung bekannter Schauspieler und Sporttalente. Aussteiger aus dem Kreis dieser Personen - wie die Schauspielerin Leah Remini - sind für die Strategie der SO besonders problematisch. Reminis Aussagen in verschiedenen Interviews und Veröffentlichungen dokumentieren, dass die totale Abhängigkeit der SO-Anhänger Ziel des SO-Systems ist. Um ihren Status als angebliche "Kirche" in der Öffentlichkeit zu wahren, bemüht sich die SO um Kontakte zu Religionsgemeinschaften. Sie beruft sich in ihrem eigenen "Glaubensbekenntnis" auf die Vergleichbarkeit von klassischen Bekenntnissen der christlichen Kirche. 206 Scientology-Organisation Fortschritte beim Ziel der SO, "den Planeten zu klären" und die damit einhergehende "neue Zivilisation" hervorzubringen, sind aber weiterhin nicht zu verzeichnen. Obwohl ein relevanter gesellschaftlicher Einfluss der SO nicht wahrzunehmen ist, verbreitet die Organisation regelmäßig übertriebene Erfolgsmeldungen, zum Beispiel im Kontext ihrer sogenannten "Anti-Drogen-Kampagne". 2. Potenzial Aufgrund der seit Jahren andauernden erfolgreichen Aufklärungsarbeit staatlicher Stellen, insbesondere der Verfassungsschutzbehörden, hat die SO Schwierigkeiten, ihr Ansehen einer wertekonformen Organisation aufrecht zu erhalten und ihren schlechten Ruf abzulegen. Dies macht sich auch in den Mitgliederzahlen bemerkbar: Für die SO ist es schwierig, neue Interessenten zu rekrutieren oder zu halten. Es gelingt ihr nicht, die Zahl der Aussteiger durch neue und junge Mitglieder auszugleichen. Personenpotenziale Bund 5.000 4.500 4.500 4.000 4.000 3.500 3.500 3.500 3.500 3.500 3.500 3.400 3.000 2.000 1.000 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 - Die Zahlen der Personenpotenziale sind gerundet - Die Zahl der Anhänger der SO in Deutschland stagniert bei 3.500 Personen. 207 Scientology-Organisation Personenpotenziale Hamburg 700 600 650 600 550 500 400 450 400 300 350 350 350 300 300 200 100 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 2017 2018 2019 - Die Zahlen der Personenpotenziale sind gerundet - Der Hamburger SO wurden Ende 2019, wie im Vorjahr, circa 300 Anhänger zugerechnet. 3. Politisch motivierte Kriminalität (PMK) Straftaten mit scientologischem Hintergrund waren 2019 nicht zu verzeichnen. 208 Scientology-Organisation 4. Strukturen und Organisationseinheiten Das "Religious Technology Center" (RTC) ist Kernorgan der internationalen Hauptzentrale der SO in Los Angeles. Das RTC besitzt die Urheberrechte der Schriften des Scientology-Gründers L. Ron Hubbard und überwacht die Einhaltung und Durchführung der scientologischen Lehre weltweit. Die "Scientology Kirche Deutschland e.V." mit Sitz in München ist der Dachverband der SO Deutschland. Intern bezeichnet die SO ihre "Kirchen" jedoch nur kurz als "Orgs". Bundesweit sind es sieben: Hamburg, Berlin, Hannover, Düsseldorf, Frankfurt, Stuttgart, München. Daneben gibt es zahlreiche kleinere Stützpunkte ("Missionen"). Weiterhin betreibt die SO zwei sogenannte "Celebrity Center": in Düsseldorf und in München. Das Konzept der "Celebrity Center" ist die intensive Betreuung prominenter Scientologen, um ihre Popularität propagandistisch einzubinden. Ein internationales Beispiel hierfür ist der wohl bekannteste Scientologe Tom Cruise, der jahrelanger Werbeträger der SO ist. Die SO beinhaltet unterschiedlich agierende Organisationseinheiten: f IAS: Die "International Association of Scientologists" ist eine Mitgliederorganisation, die alle Scientologen weltweit vereinen soll. Höhepunkt der pompösen IAS-Veranstaltungen sind das Eintreiben sogenannter Spenden und Mitgliederbeiträge. f OSA: Das "Office of Special Affairs" ist für Öffentlichkeitsarbeit und rechtliche Angelegenheiten zuständig und kümmert sich um die "Handhabung" von Kritikern und aufsässigen Mitgliedern. Aufgrund dieser Ausforschungstätigkeit aktiver Scientologen und Aussteiger hat das OSA durchaus die Aufgaben eines "scientologischen Geheimdienstes". f SEA ORG: Die "Sea Organization" ist eine paramilitärische Truppe der SO. Erkennbar sind sie durch ihre marineähnlichen Uniformen. Sie sind in Führungspositionen vertreten und betreiben die "Rehabilitation Project Forces" (RPF). In diesen Straflagern ähnelnden Einrichtungen werden zweifelnde Scientologen wieder "auf Linie" 209 Scientology-Organisation gebracht. Derartige Einrichtungen gibt es in Deutschland nicht, jedoch in der Europa-Zentrale der SO in Kopenhagen. f ABLE: Die "Association of Better Living and Education" ist eine Unterorganisation des RTC ("Religious Technology Center", siehe oben). Zu ABLE gehören die SO-Organisationen "Applied Scholastics" (ApS) für den Bildungsbereich, "Narconon" für ein Drogenrehabilitationsprogramm und "Criminon" für die Resozialisierung von Straffälligen. Die SO missbraucht hier bewusst gesellschaftliche Themen, die Menschen in aktuellen Lebenskrisen ansprechen, um sie somit als Mitglieder für sich zu gewinnen. f WISE: Das "World Institute of Scientology Enterprises" ist ein weltweiter Verband von Scientology-Unternehmen. Diese Unternehmen zeichnen sich in ihrer Arbeitsweise durch Prinzipien und Methoden scientologischer Lehre nach L. Ron Hubbard aus. f Ehrenamtliche Geistliche: Dieses Freiwilligenprogramm, international auch "Volunteer Ministers" genannt, nutzt Hilfseinsätze in Katastrophengebieten zu Propagandazwecken für Scientology. Markante Kennzeichen sind die gelbe Kleidung und Informationsstände in verschiedenen Städten. f "Sag Nein zu Drogen - Sag Ja zum Leben" ( siehe Punkt 5, Strukturen in Hamburg, sowie Punkt 6, Aktivitäten) f Der Weg zum Glücklichsein: Kampagnen und Broschüren unter den Titeln "Der Weg zum Glücklichsein", "The Way to Happiness Foundation" und "Operation: Ein friedvoller Planet" gehören ebenfalls zur SO. Verteilaktionen von Broschüren in der Öffentlichkeit sind Kernbestand dieser Tarnorganisation. f KVPM/CCHR: Die "Kommission für Verstöße der Psychiatrie gegen Menschenrechte", international "Citizens Commissions on Human Rights" spricht sich klar gegen die Psychiatrie aus und betreibt Ausstellungen mit dem Leitsatz: "Psychiatrie: Tod statt Hilfe". Die SO lehnt vehement psychologische Behandlungen ab. Die eigene 210 Scientology-Organisation Technik des "Auditing" wird dem entgegengesetzt und in ein besseres Licht gerückt. f Jugend für Menschenrechte: Diese Organisation, auch "Youth for Human Rights" und "United for Human Rights", soll vor allem Jugendliche ansprechen. f I HELP: Die "Internationale Hubbard Ecclesiastical League of Pastors" betreut Dianetik-Gruppen und sogenannte "Feldauditoren", die in ihrem Lebensumfeld nach Personen suchen, um sie für Scientology zu werben. 5. Strukturen in Hamburg Am Domplatz in der Hamburger Innenstadt befindet sich der Hauptsitz der "Scientology Kirche Hamburg e.V." Die zentralen Aufgaben dieses Standortes ("Hamburger Org") sind die Organisation und Beaufsichtigung verschiedener Aktivitäten der Scientology-Gruppen in Hamburg und Umgebung. "Frontgroups" der SO treten in Hamburg und angrenzenden Bundesländern, zum Beispiel Niedersachsen und Schleswig-Holstein, auf. Der scientologische Hintergrund der "Frontgroups" wird aus taktischen Gründen, vor allem aufgrund des schlechten Rufes, vermieden. Die Verschleierung des Bezugs zur SO nutzt die Organisation, um mögliche Interessenten nicht abzuschrecken. Einige Inhaber und Mitarbeiter Hamburger Firmen - vorwiegend kleine und mitDer Sitz der Hamburger Scientology-Organisation am Domplatz. Foto: LfV Hamburg telständische Betriebe 211 Scientology-Organisation - sind Mitglieder des "World Institute of Scientology Enterprises" (WISE) und leiten ihre Unternehmen in Anlehnung an Methoden der scientologischen Lehre. Einige der Teilorganisationen und "Frontgroups" sind in Hamburg aktiv: f Unter dem Motto "Sag Nein zu Drogen - Sag Ja zum Leben" betreibt die SO regelmäßig Informationsstände. Ebenso werden Broschüren in private Briefkästen eingeworfen. Sie erhoffen sich so, das Interesse von Hamburger Bürgerinnen und Bürgern zu gewinnen. Auch aufgrund der Aufklärungsarbeit durch den Hamburger Verfassungsschutz hält sich der erhoffte Erfolg bisher in Grenzen. f An Dianetik-Ständen werden Scientology-Bücher und Stresstests mit dem E-Meter angeboten. Um auf die SO Hamburg aufmerksam zu machen, werden ebenso Passanten angesprochen mit der Aufforderung, den Dianetik-Flyer zu studieren, und einer anschließenden Einladung zu einem "Persönlichkeitstest" in die Org am Domplatz. f Die "Kommission für Verstöße der Psychiatrie gegen Menschenrechte" (KVPM) verfügt in Hamburg über eine kleine Ortsgruppe. f "Criminon Deutschland e.V." thematisiert unter anderem die Resozialisierung von Strafgefangenen und hat einen Sitz in Barsbüttel (Schleswig-Holstein). f Neben dem internationalen Bereich "The Way to Happiness Foundation" gibt es auch in Hamburg die Initiative "Der Weg zum Glücklichsein", die mit Kampagnen und Broschüren den scientologischen Weg für ein vorgeblich besseres und glücklicheres Leben bewirbt. f Zu "Applied Scholastics" (ApS), dem internationalen scientologischen Bildungsbereich, gehören nur wenige Scientologen, von denen einige Nachhilfeunterricht anbieten. 212 Scientology-Organisation f Das "Departement of Special Affairs" (DSA) ist Bestandteil der Hamburger Org und ein regionaler Ableger des sogenannten scientologischen Geheimdienstes "Office of Special Affairs" (OSA). 6. Aktivitäten Die Hamburger Org veranstaltet in ihren Räumlichkeiten regelmäßig öffentliche Vorträge und Informationsveranstaltungen. So fanden beispielsweise 2019 folgende Veranstaltungen statt: Ein Treffen anlässlich der "Weltwoche der Interreligiösen Harmonie", "Tag der offenen Tür - Tag des Zivilschutzes", ein Vortrag mit dem Tenor "Der Weg zum Glücklichsein" und "Tag der offenen Tür - Fakten über Drogen". Wie den Veranstaltungstiteln zu entnehmen ist, wirbt die Hamburger SO mit gesellschaftlich aktuellen Themen, um ihre Unterorganisationen zu bewerben und neue Mitglieder zu gewinnen. Weiterhin werden regelmäßig kostenpflichtige Kurse mit dem Ziel angeboten, den Teilnehmern sogenannte "Abschlüsse" zu verleihen. Diverse Kursabschlüsse sind für Scientologen unabdingbar, da diese den Weg zum ersehnten Status des "Operating Thetan" (OT) ebnen. Ein OT ist ein spiritueller Seins-Zustand oberhalb der Stufe "Clear". Dieser Weg ist geprägt durch hohe finanzielle Kosten für die Belegung des komplexen Kurssystems, wodurch die SO wiederum Einnahmen generiert. Die scientologische Tarnorganisation "Sag Nein zu Drogen - Sag Ja zum Leben" betreibt in unterschiedlichen Hamburger Stadtteilen Informationsstände, um vorgeblich über die Gefahren von Drogen aufzuklären. Als soziales Projekt getarnt, ist ein solcher Informationsstand nicht sofort mit SO in Verbindung zu bringen. Als vermeintliche Drogenaufklärer verteilen Hamburger Scientologen Anti-Drogen-Broschüren an Passanten. Laut einer Pressemitteilung der Hamburger SO vom 1. Juli 2019 sollen 50 ehrenamtliche Helfer angeblich rund 95.000 Broschüren in Hamburg verteilt haben. Hierzu zählt auch der Einwurf in private Briefkästen und die Auslage von Anti-Drogen-Broschüren in Geschäften und Restaurants. Auch hier ist es das Ziel über ein gesellschaftlich akzeptiertes Thema mit Bür 213 Scientology-Organisation gerinnen und Bürgern aber auch anderen Organisationen in Kontakt zu kommen. Mit unterschiedlichen Flyern wirbt die SO für ihre Tarnorganisation "Sag Nein zu Drogen - Sag Ja zum Leben". Illustration: LfV Hamburg Wie auch im Jahr 2018 meldete sich eine Gruppe Hamburger Scientologen unter dem Deckmantel "Sag Nein zu Drogen - Sag Ja zum Leben" an einer bekannten Breitensportveranstaltung im Juni 2019 an. Aufgrund der Aufklärungsarbeit durch den Verfassungsschutz Hamburg wurde die Gruppe durch den Veranstalter vom Sportevent ausgeschlossen. Für weitere Schlagzeilen sorgte die scientologische Tarnorganisation "Kommission für Verstöße der Psychiatrie gegen Menschenrechte" im April 2019. Bundesweit, auch in Hamburg, wurden Behörden angeschrieben, um Kritik an den Tätigkeiten von Beschäftigten in der staatlichen Kinderund Jugendhilfe zu äußern. Der Am 17. April 2019 informierte das LfV Hamburg über den von der SO propaVorwurf des "Kindergierten Vorwurfs eines angeblichen "staatlichen Kinderklaus". klaus" basiert auf der llustration: LfV Hamburg 214 Scientology-Organisation Arbeit psychologischer Gutachter, die aus Sicht der SO fehlerhaft verlaufe. Auch hier zeigte sich wieder, dass die SO aktuelle und politische Themen instrumentalisiert, um Interessenten für ihre Organisation zu gewinnen. INFOBOX Hinweise und Informationen zur ScientologyOrganisation Für Hinweise und Informationen steht Ihnen das Scientology-Postfach des LfV Hamburg zur Verfügung. Ihre Hinweise werden grundsätzlich vertraulich behandelt. Kontaktieren Sie uns unter SO@Verfassungsschutz.Hamburg.de 215 Verfassungsschutz in Hamburg Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Gruppierungen mit Auslandsbezug Linksextremismus Rechtsextremismus Reichsbürger und Selbstverwalter Scientology-Organisation Spionageabwehr und Wirtschaftsschutz Geheimund Sabotageschutz Anhang Spionageabwehr und Wirtschaftsschutz Ausländische Nachrichtendienste spionieren offen oder konspirativ und setzen dabei sowohl technische Mittel als auch menschliche Quellen ein. Sie senden ihre Mitarbeiter als Diplomaten, Vertreter halbstaatlicher Institutionen, Wirtschaftsvertreter oder Journalisten getarnt in sogenannte Legalresidenturen (Botschaften und Generalkonsulate) oder die entsprechenden Einrichtungen und Unternehmen. Klassisches Aufklärungsziel ist die Ausforschung von Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Militär in Deutschland. Beschafft werden die Informationen durch die Auswertung offener Quellen (Publikationen, Tagungen) oder auch durch geschickt angebahnte Kontakte zu interessanten Gesprächspartnern auf Messen oder anderen Veranstaltungen, die häufig arglos abgeschöpft werden. Auch technische Mittel werden genutzt, beispielsweise die Ausspähung durch elektronische Angriffe. Aufgabe der Spionageabwehr ist es, dies zu verhindern. Neben der klassischen Spionage muss auch die Aufmerksamkeit auf die Abwehr der Wirtschaftsspionage gerichtet werden. Wirtschaftsspionage ist die staatlich gelenkte oder gestützte, von fremden Nachrichtendiensten ausgehende Ausforschung von Wirtschaftsunternehmen sowie Betrieben. Weiterhin beobachtet die Spionageabwehr die von ausländischen Nachrichtendiensten gesteuerte oder auf nachrichtendienstliche Art und Weise betriebene Beschaffung von Know-how und Gütern, die sich auf die Entwicklung und Herstellung atomarer, biologischer und chemischer Massenvernichtungswaffen sowie auf die dafür erforderliche Raketentechnologie beziehen (Proliferation). Im Rahmen des Wirtschaftsschutzes werden Hamburger Unternehmen, die geheimhaltungsbedürftige Staatsaufträge erhalten, sowohl vom Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) Hamburg als auch bei Bedarf zusammen mit dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie betreut. Ziel des Wirtschaftsschutzes ist es, die Unternehmen über Gefährdungslagen zu informieren und mögliche Schutzmaßnahmen und Schutzkonzepte zur Vermeidung und Verringerung von Schadensfällen anzuregen. Das LfV Hamburg stellt hierfür ein umfassendes Beratungsangebot zur Verfügung. Spionageabwehr und Wirtschaftsschutz VIII. Spionageabwehr und Wirtschaftsschutz 1. Überblick Die Spionageabwehr der Verfassungsschutzbehörden hat den gesetzlichen Auftrag, Informationen über sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten fremder Mächte zu sammeln. Dabei geht es neben der Aufklärung aktueller Spionagefälle auch darum, die Methoden, Zielrichtungen und Strukturen in der Bundesrepublik Deutschland aktiver ausländischer Nachrichtendienste zu erkennen. Die bundesweite Zusammenfassung und Auswertung von Erkenntnissen, wie auch der informelle Austausch mit ausländischen Nachrichtendiensten, obliegt hierbei dem Bundesamt für Verfassungsschutz. Der gesetzliche Auftrag der Verfassungsschutzämter beschränkt sich hierbei nicht auf bestimmte Länder, beispielsweise die durch den Verfassungsschutz schwerpunktmäßig bearbeiteten Nachrichtendienste der Russischen Föderation, der Volksrepublik China, des Iran und der Türkei. Auch Nachrichtendienste weiterer Staaten haben den Auftrag, Informationen aus Wirtschaft und Politik zu beschaffen. Im Rahmen des sogenannten "360-Grad-Blickes" der Spionageabwehr können auch westliche Nachrichtendienste in den Fokus des Verfassungsschutzes geraten. "360 Grad Blick": Die Aufmerksamkeit der Spionageabwehr gilt global. Illustration: LfV HH 219 Spionageabwehr und Wirtschaftsschutz INFOBOX Mit dem Fachbegriff "360-Grad-Blick" wird im Kontext der Spionageabwehr der Rundumblick des Verfassungsschutzes bezeichnet - bezogen auf alle Staaten der Welt. Die Nachrichtendienste ausländischer Staaten arbeiten fast ausnahmslos getarnt in Deutschland. Zur Erfüllung ihrer Aufgaben sind viele Nachrichtendienste in Vertretungen wie Botschaften oder Generalkonsulaten in Deutschland untergebracht. Im Fokus ausländischer Nachrichtendienste stehen nach wie vor Informationen aus Politik, Wirtschaft, Forschung/Wissenschaft und Militär. Das Spionagegeschäft gegen Deutschland wird sowohl mit menschlichen Quellen als auch mit technischen Mitteln durchgeführt. Die Spionageaufklärung ist zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben entscheidend auf Hinweise aus der Öffentlichkeit angewiesen. Es sollte hierbei nicht unterschätzt werden, wie häufig Informationen von betroffenen Einzelpersonen, Unternehmen oder sonstigen Stellen zur Aufklärung eines Spionageoder Proliferationsverdachtes beitragen. Das Interesse fremder Nachrichtendienste an der Bundesrepublik Deutschland resultiert aus ihrer Wirtschaftskraft sowie starken europäischenund weltweiten politischen Stellung. Darüber hinaus ist für eine Reihe von Nachrichtendiensten die Ausforschung oppositioneller Gruppierungen ihrer jeweiligen Heimatländer von großer Bedeutung. Mit der verstärkten Nutzung des Cyberraumes hat sich die Intensität der Spionage in vielfältiger Hinsicht deutlich gesteigert. Cyberspionage bietet gegenüber der "traditionellen" Spionage aus Sicht gegnerischer Nachrichtendienste viele Vorteile. So haben sich Cyberangriffe für Nachrichtendienste zu einem Standardwerkzeug entwickelt, das kontinuierlich ausgebaut wird. Diese elektronischen Attacken bergen ein sehr hohes Gefährdungspotenzial. Sie können neben der Informationsgewinnung auch 220 Spionageabwehr und Wirtschaftsschutz für schwerwiegende Sabotage eingesetzt werden. Sie sind für gegnerische Nachrichtendienste sehr kosteneffizient, vielfach einfach zu realisieren und lassen sich zudem sehr hoch skalieren. So kann ein Mitarbeiter eine Vielzahl verschiedener Operationen gleichzeitig betreiben. Die elektronischen Angriffe bergen ferner ein geringeres Entdeckungsrisiko, da die "Spuren" häufig mehrdeutig oder kaum vorhanden sind. Dies führt zu einer hohen Erfolgswahrscheinlichkeit bei kalkulierbarem Aufwand. Hinzu kommt, dass diese Vorgehensweise auch mit der traditionellen Spionage - also der Nutzung menschlicher Quellen - kombiniert wird und hier die Grenzen zunehmend verschwimmen, zum Beispiel bei Anbahnungsversuchen über soziale Netzwerke. Insbesondere die Nachrichtendienste der Russischen Föderation und der Volksrepublik China sind weiterhin in großem Umfang und bei steigender Komplexität in der Cyberspionage aktiv. Auch die Nachrichtendienste weiterer Staaten verfügen mittlerweile über die Ressourcen, elektronische Angriffe auf herausragendem Niveau gegen Ziele in Deutschland durchzuführen. Es kommen auch Staaten hinzu, die bislang über keine eigenen technischen Fähigkeiten zur Entwicklung von Cyberangriffswerkzeugen verfügten. Dies wird durch marktverDer chinesische Nachrichtendienst ist im Bereich der Cyperspionage weltweit fügbare Produkte ermögaktiv. (Symbolfoto) Foto: Pixabay licht - auch Schadsoftware wie Trojaner können mittlerweile in hoher Qualität erworben werden. Dies ermöglicht den Akteuren, ohne den Aufwand eigener Entwicklungen Cyberkampagnen gegen ihre Ziele in Deutschland durchzuführen und parallel Kapazitäten für eigene Entwicklungen von Angriffswerkzeugen aufzubauen. Die Zuordnung von Cyberangriffen zu den Verantwortlichen - Attribuierung genannt - ist dabei sehr aufwändig. 221 Spionageabwehr und Wirtschaftsschutz Die Bedrohung durch Cyberangriffe wird daher noch weiter steigen, ebenso wie das Schadenspotenzial. Eine zunehmende Vernetzung durch das "Internet of Things (IoT)", "Smart Home" sowie Anwendungen und Projekte wie "Smart Cities" bedeuten eine erhebliche Zunahme an möglichen Einfallstoren für Cyberangriffe. 2. Nachrichtendienste Mittlerer und Naher Osten / Proliferation 2.1. Proliferation Fremde Staaten und ihre Dienste bemühen sich nach wie vor um die Beschaffung von Produkten zur Herstellung atomarer, biologischer und chemischer Massenvernichtungswaffen (Proliferation) und der entsprechenden Trägertechnologie (Raketentechnik). Der Verfassungsschutz in Bund und Ländern, so auch das Landesamt für Verfassungsschutz Hamburg, hat den Auftrag, derartige Beschaffungsversuche in Kooperation mit anderen Sicherheitsbehörden frühzeitig zu erkennen und zu verhindern. Zur Verschleierung von Beschaffungsaktivitäten haben die proliferationsrelevanten Staaten mittlerweile zahlreiche Methoden entwickelt: f Beteiligung von Zwischenhändlern im eigenen Land oder in Drittländern, f Gründung von Tarnfirmen, f Umweglieferungen über Drittstaaten, f Fälschung bzw. Manipulation der Exportdokumente. Um proliferationsrelevante Aktivitäten möglichst wirksam bekämpfen und verhindern zu können, sind die Verfassungsschutzbehörden auf die Mitwirkung aller potenziell gefährdeten Personen und Unternehmen angewiesen. In diesem Zusammenhang tragen gerade die Unternehmen, die als Hersteller oder Lieferanten sensibler Güter und damit für die Herstellung von Massenvernichtungswaffen infrage kommen, eine besondere Verantwortung. 222 Spionageabwehr und Wirtschaftsschutz Diese Firmen können sich im Falle eines Verdachts auf entsprechende Beschaffungsaktivitäten vertrauensvoll an das Landesamt für Verfassungsschutz Hamburg wenden. Der Verfassungsschutz ist keine Strafverfolgungsbehörde; er unterliegt daher auch nicht dem Strafverfolgungszwang und kann somit die Interessen und Belange der Personen und Firmen berücksichtigen, die ihm Informationen zur Verfügung stellen. INFOBOX Bei Hinweisen und Fragen steht das Landesamt für Verfassungsschutz Hamburg als vertrauensvoller Ansprechpartner unter folgender Erreichbarkeit mit Rat und Tat zur Seite: Telefon: 040/ 24 44 43 Fax: 040/ 33 83 60 E-Mail: poststelle@verfassungsschutz.hamburg.de Selbstverständlich ist bei der Übermittlung von Hinweisen und Anhaltspunkten niemand zur Preisgabe seiner Personendaten verpflichtet. Der Verfassungsschutz nimmt auch anonyme Hinweise entgegen. Alle eingehenden Mitteilungen werden grundsätzlich vertraulich behandelt. Weitere Informationen zum Thema Proliferation finden Sie auf unserer Homepage (siehe www.hamburg.de/verfassungsschutz). 2.1.1. Festnahmen, Verurteilungen und sonstige Maßnahmen Anklage wegen Verstößen gegen das Außenwirtschaftsgesetz Die Bundesanwaltschaft hat am 13. August 2019 vor dem Staatsschutzsenat des Hanseatischen Oberlandesgerichts Hamburg Anklage gegen den 223 Spionageabwehr und Wirtschaftsschutz russischen Staatsangehörigen Vladimir D. wegen Verstößen gegen das Außenwirtschaftsgesetz in acht Fällen erhoben. Vladimir D. führte zwischen September 2014 und Juni 2018 gelistete Güter im Wert von 1.832.900 Euro, die für den Bereich der militärischen Trägertechnologie besonders geeignet sind, gewerbsmäßig an militärische Empfänger in Russland aus. Bei den Waren handelte es sich in zwei Fällen um spezielle Pressen, die insbesondere bei Werkstücken in der Luftund Raumfahrttechnik Anwendung finden. Die Ausfuhr derartiger Güter nach Russland ist nach den Vorschriften der Russlandembargo-Verordnung verboten. Um die Exportkontrollen zu umgehen, führte Vladimir D. seine Geschäfte über wechselnde Empfänger durch, legte falsche Dokumente vor und nahm technische Manipulationen an der Ware vor. Zwischen März und Mai 2018 nahm er eine der von ihm gelieferten Pressen in Russland selbst verbotswidrig in Betrieb [Quelle: www.generalbundesanwalt.de]. INFOBOX Das Außenwirtschaftsgesetz regelt für Deutschland den Verkehr von Wirtschaftsgütern (vor allem Waren, Dienstleitungen, Devisen und Kapital) mit dem Ausland. 2.2. Nachrichtendienste der Islamischen Republik Iran Die Islamische Republik Iran nutzt seine Nachrichtendienste als wichtiges Mittel zur Sicherung des Herrschaftsanspruches der geistlichen und politischen Führung. Die iranischen Nachrichtendienste sind daher auf die Ausspähung und Bekämpfung oppositioneller Gruppierungen und Personen im Inund Ausland fokussiert. Nach den Erkenntnissen des Verfassungsschutzes bezieht sich ihr Ausspähungsinteresse weiterhin schwerpunktmäßig auf die Gewinnung von Informationen aus den Bereichen Politik, Wirtschaft und Wissenschaft in den westlichen Staaten. 224 Spionageabwehr und Wirtschaftsschutz Die Spionageaktivitäten des iranischen Nachrichtendienstapparates werden überwiegend durch das iranische "Ministry of Intelligence" (MOIS) gesteuert und koordiniert. Das Hauptaugenmerk des MOIS bei den nachrichtendienstlichen Aktivitäten im westlichen Ausland richtet sich dabei auf die "Volksmodjahedin Iran-Organisation" (MEK) und deren politischen Arm "Nationaler Widerstandsrat des Iran" (NWRI). Der NWRI hat den Sturz der theokratischen Regierung des Iran als Ziel. Die Organisation MEK gilt als militanter Arm des NWRI. Es gibt Hinweise auf nachrichtendienstliche Aktivitäten gegen deutsche Einrichtungen im Inund Ausland. Die Verfassungsschutzbehörden werten diese als Belege für das anhaltende Aufklärungsinteresse des MOIS in den Bereichen Außenund Sicherheitspolitik. Die Verfassungsschutzbehörden haben in den vergangenen Jahren weiterhin Aktivitäten der Quds-Force in Deutschland festgestellt. Hierbei handelt es sich um eine auch nachrichtendienstlich agierende Spezialeinheit der iranischen Revolutionsgarden, deren Ausforschungsaktivitäten sich insbesondere gegen (pro-) jüdische und (pro-) israelische Ziele richten. 2.2.1. Festnahmen, Verurteilungen und sonstige Maßnahmen Landesverrat: Festnahme, Anklage, Urteile Die Bundesanwaltschaft hat am 12. August 2019 vor dem Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts (OLG) Koblenz Anklage gegen den deutsch-afghanischen Staatsangehörigen Abdul S. erhoben. Der Angeschuldigte war des Landesverrats in einem besonders schweren Fall (SS 94 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 S. 1, S. 2 Nr. 1 StGB) und der Verletzung von Dienstgeheimnissen in 18 Fällen (SS 353b Abs. 1 S. 1 StGB) hinreichend verdächtig. Abdul S. war seit Jahren als Übersetzer und Landeskundlicher Berater bei der Bundeswehr tätig. In dieser Eigenschaft gab er Erkenntnisse an einen iranischen Nachrichtendienst weiter, wobei die übermittelten Dokumente ein Staatsgeheimnis darstellten. Der Angeschuldigte war am 15. Januar 2019 festgenommen worden und befand sich anschließend in Untersuchungshaft [Quelle: www.generalbun225 Spionageabwehr und Wirtschaftsschutz desanwalt.de]. Am 23. März 2020 wurde Abdul S. vom OLG Koblenz wegen Landesverrats in einem besonders schweren Fall zu einer Haftstrafe von sechs Jahren und zehn Monaten verurteilt. Die Bundesanwaltschaft hat am 12. Dezember 2019 vor dem Staatsschutzsenat des OLG Koblenz zudem Anklage gegen die Ehefrau von Abdul S., die deutsch-afghanische Staatsangehörige Asiea S., erhoben. Die Angeschuldigte ist der Beihilfe zum Landesverrat (SS 94 Abs. 1 Nr. 1, 27 Abs. 1 StGB) hinreichend verdächtig. Von Beginn an unterstützte Asiea S. ihren Mann bei dieser Verratstätigkeit. [Quelle: www.generalbundeanwalt.de]. Das OLG Koblenz verurteilte am 23. März 2020 auch Asiea S., und zwar zu einer Bewährungsstrafe von zehn Monaten. Beide Urteile waren bei Redaktionsschluss des Verfassungsschutzberichtes noch nicht rechtskräftig. 3. Nachrichtendienste der Russischen Föderation Die aufgrund der Annexion der Krim erlassenen Sanktionen haben in der Russischen Föderation zu einer Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation geführt. Sowohl die Erhöhung der Mehrwertsteuer als auch die Einführung der schrittweisen Erhöhung des Rentenalters gelten innerhalb der russischen Bevölkerung als äußerst unpopulär. Die schlechte wirtschaftliche Lage, die politischen Verstimmungen mit dem Westen und die sinkende Legitimation der Putin-Administration haben eine wachsende Bedeutung der russischen Nachrichtendienste zur Folge. Die russischen Nachrichtendienste sind unverändert Garant zur Durchsetzung der politischen Ziele der russischen Regierungspolitik. Dies betrifft einerseits die Unterstützung der weltweiten politischen Aktivitäten und Ziele, andererseits die Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit in der Russischen Föderation. Die Nachrichtendienste sind unverändert bedeutende Stütze für die Machterhaltung der Putin-Administration. 226 Spionageabwehr und Wirtschaftsschutz Die Russische Föderation verfügt weltweit über einen der größten nachrichtendienstlichen Apparate. Die wichtigsten Nachrichtendienste innerhalb des Apparates sind der zivile Auslandsnachrichtendienst SWR (Slushba Wneschnej Raswedki) mit rund 15.000 Mitarbeitern, der Militärgeheimdienst GRU (Glawnoje Raswedywatelnoje Uprawlenije) mit rund 12.000 Mitarbeitern und der zivile Inlandsnachrichtendienst FSB (Federalnaja Slushba Besopasnosti) mit einer Personalstärke von rund 350.000 Mitarbeitern. Aufgrund ihrer Stellung innerhalb der Europäischen Union steht die Bundesrepublik im besonderen Fokus der Russischen Nachrichtendienste. Hierfür spricht die hohe Präsenz von Nachrichtendienstmitarbeitern in den Legalresidenturen, die sich innerhalb der offiziellen diplomatischen Vertretungen befinden. Die Mitarbeiter der Legalresidenturen sind überwiegend hauptamtliche Nachrichtendienstangehörige, die ihre Informationen sowohl aus öffentlichen Quellen als auch durch klassische nachrichtendienstliche Verbindungen gewinnen. Die russischen Spionageaktivitäten richten sich vornehmlich gegen die Bereiche Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Militär. Wappen der russischen Nachrichendienste Im Vordergrund stehen hierbei diejenigen Themen, die russische v.o.n.u.: SWR, GRU und FSB Interessen unmittelbar tangieren. Die Verbreitung pro-russischer Propaganda, die auf vielfältigste Art und Weise erfolgt, ist ein weiterer wichtiger Bestandteil der Arbeit der russischen Geheimdienste. Daneben gehören vor allem auch Desinformationskampagnen zum Repertoire russischer Nachrichtendienste. Die Aktivitäten russischer Nachrichtendienste innerhalb der Russischen Föderation richten sich zunehmend auch gegen Bundesbürger, die sich entweder zu geschäftlichen Zwecken oder auf privaten Reisen dort aufhalten. Hierbei stehen insbesondere Angehörige diplomatischer Vertretungen, Angehörige von Wirtschaftsunternehmen und Behördenvertreter im Fokus der Geheimdienste. Aufgrund der Einbindung in das Visaantragsverfahren erhält der russische Inlandsgeheimdienst bereits im Vorfeld eines Aufenthalts in der Russischen Föderation umfangreiche Informationen über einreisewillige Personen. 227 Spionageabwehr und Wirtschaftsschutz Im November 2019 wurde von der russischen Regierung das Gesetz für ein eigenständiges und unter kompletter staatlicher Kontrolle stehendes Internet in Kraft gesetzt. Die technische Kontrolle über das Internet ermöglicht den Geheimdiensten somit die vollständige Überwachung über den Datenverkehr. Die so gewonnenen Informationen geben weitreichende Möglichkeiten zur Ausforschung und auch Anwerbung interessanter Zielpersonen. 3.1. Festnahmen, Verurteilungen und sonstige Maßnahmen Anklage wegen Mordes (im staatlichen Auftrag) Im August 2019 wurde in Berlin der russisch-georgische Staatsangehörige Tornike K. durch den russischen Staatsangehörigen Vadim K. (alias Vadim S.) getötet. Nach umfangreichen Ermittlungen übernahm die Bundesanwaltschaft im Dezember 2019 das Verfahren. Es bestehen zureichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass die Tötung von Tornike K. im Auftrag von staatlichen Stellen der Russischen Föderation oder solchen der Autonomen Tschetschenischen Republik als Teil der Russischen Föderation erfolgt ist [Quelle: www.generalbundesanwalt.de]. In einer weiteren Reaktion auf die Tötung hat die Bundesrepublik Deutschland zwei russische Diplomaten zu unerwünschten Personen erklärt (persona non grata) und des Landes verwiesen. 4. Nachrichtendienst der Republik Türkei Die Bundesrepublik Deutschland wird von dem türkischen Nachrichtendienst als wichtiges Zielland in Europa angesehen, da in Deutschland eine hohe Anzahl an türkischstämmigen Migranten lebt. Die Aufklärungsbestrebungen des türkischen Nachrichtendienstes MIT (Milli Istihbarat Teskilati) in Deutschland setzten sich im Jahr 2019 auf hohem Niveau fort. Zu den Hauptaufgaben des türkischen Inund Auslandsnachrichtendienstes MIT zählt die Ausforschung von Terrororganisationen wie der PKK (Partiya Karkeren Kurdistane), der TKP/ML (Türkiye Komünist Partisi/Marksist Leni228 Spionageabwehr und Wirtschaftsschutz nist) ( siehe Kapitel III Auslandsextremismus, Punkt 4 und Punkt 5) und von der Regierung als "Staatsfeinde" stigmatisierte Personen und Gruppierungen, zum Beispiel die Gülen-Bewegung (FETÖ). In diesem Kontext interessieren den MIT insbesondere die Aktivitäten, Strukturen und Führungspersonen der jeweiligen Organisation. Der MIT untersteht alleine dem türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan. Der Nachrichtendienst bedient sich zur Informationsbeschaffung in Deutschland hauptsächlich staatsund regierungstreuer türkischer Bürger sowie entsandter türkischer Staatsbeamter, wie Türkischlehrern. Des Weiteren kann der MIT in Deutschland auf eine große Anzahl an Informanten und Zuträgern zurückgreifen, die häufig auch ohne konkreten Auftrag aktiv für den türkischen Staat Informationen beschaffen, spionieren und denunzieren. 5. Nachrichtendiente der Volksrepublik China Das Regime setzt nach wie vor auf eine umfassende Kontrolle der eigenen Bevölkerung durch die Kommunistische Partei Chinas (KPCh). Mit entsprechenden Sicherheitsgesetzen stärkt der chinesische Staatspräsident Xi Jinping die Macht des Sicherheitsapparates und dessen Einfluss auf die Wirtschaft und alle gesellschaftlichen Bereiche. In der Vergangenheit hat die chinesische Staatsund Parteiführung angekündigt, dass die Volkesrepublik China unter anderem mit Hilfe auf Jahrzehnte angelegter strategischer Masterpläne (beispielsweise "Made in China 2025" und "Neuen Seidenstraßen Initiative") ins Zentrum der internationalen Ordnung aufrücken und seinen globalen Führungsanspruch durchsetzen werde. Hierzu versucht Peking seine Einflusssphäre in den Bereichen Politik, Wirtschaft und Gesellschaft weiter auszudehnen, darunter auch in Deutschland. Anbahnungsversuche chinesischer Nachrichtendienste erfolgen unter anderem über soziale Netzwerke. Dort lassen sich sehr schnell eine Reihe von Details zu Erwerbsbiografien und zum sozialen Umfeld der Nutzer herausfiltern. Informationen zu Gewohnheiten, Hobbys bis hin zu politi229 Spionageabwehr und Wirtschaftsschutz schen Interessen können über nur wenige Klicks generiert werden. Gerade chinesische Nachrichtendienste sind in Netzwerken wie LinkedIn aktiv und versuchen intensiv, über diesen Weg Informationen abzuschöpfen und nachrichtendienstliche Quellen zu werben. Chinesische Cyberangriffsgruppen optimieren permanent ihre Vorgehensweise und Techniken, zudem verfügen sie über große Ressourcen. Das bedeutet aktuell sowohl ein steigendes als auch schwerer sichtbares Bedrohungsszenario. Im Laufe des Jahres 2019 hat die Volksrepublik China den Visumantrag für einreisende Personen erweitert. Darin werden nunmehr auch sensible persönliche Daten abgefragt, etwa zu Eltern, Geschwistern, Mitreisenden, Arbeitgebern sowie Bildung und Ausbildung. Die Regierung in Peking fordert seit Ende 2019 von Touristen und Geschäftsreisenden zudem vor Beginn der Reise die Abgabe der Fingerabdrücke in einer Visa-Annahmestelle. Der Hamburger Informationen für China-Reisende auf der Homepage des LfV Hamburg. Verfassungsschutz hat im Januar 2020 Informationen für China-Reisende veröffentlicht (siehe www.hamburg.de/verwww fassungsschutz). 6. Gefahren durch Wirtschaftsspionage und Cyberattacken Das Landesamt für Verfassungsschutz Hamburg hat die Aufgabe, Hamburger Unternehmen, Nichtregierungsorganisationen und Kritische Infrastrukturen (KRITIS) für die Gefahren durch Wirtschaftsspionage, Sabotage und extremistische Bestrebungen zu sensibilisieren und bei der Abwehr dieser Gefahren zu unterstützen. Hinzu kommt der Schutz von Forschungseinrichtungen und Hochschulen im Bereich der Wissenschaftsspionage. Ziel ist es, die Sensibilität von Führungskräften sowie Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern zu erhöhen und ein angemessenes Sicherheitsbewusstsein zu 230 Spionageabwehr und Wirtschaftsschutz erreichen. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Verfassungsschutzes bieten dafür aktuelle Lageeinschätzungen, beraten die Bedarfsträger bei eingetretenen oder befürchteten Sicherheitsgefährdungen und geben konkrete Verhaltensempfehlungen. Sie sind zentraler Ansprechpartner für die Hamburger Wirtschaft, für Nichtregierungsorganisationen sowie Politik und Verwaltung. INFOBOX Kritische Infrastrukturen (KRITIS) sind Organisationen oder Einrichtungen mit wichtiger Bedeutung für das staatliche Gemeinwesen, bei deren Ausfall oder Beeinträchtigung nachhaltig wirkende Versorgungsengpässe, erhebliche Störungen der öffentlichen Sicherheit oder andere dramatische Folgen eintreten würden. Klassische Beispiele sind die Strom-, Wasseroder Energieversorgung, aber auch der IT-Sektor, das Bankenund Finanzwesen, Gesundheit, Medien, Transport und Verkehr sowie Staat und Verwaltung Nicht zum Aufgabenbereich des Verfassungsschutzes gehört die Bekämpfung der Wirtschaftskriminalität, zum Beispiel Industriespionage. Diese Fälle, in denen es zumeist um Erpressung, Geldund Wettbewerbsvorteile geht, liegen im Zuständigkeitsbereich der Polizei. Nur bei der Ausspähung mit staatlich-nachrichtendienstlichem Hintergrund ist der Verfassungsschutz zuständig. Es gibt in Staaten wie Russland und China den ausdrücklichen gesetzlichen Auftrag für die nachrichtendienstliche Ausspähung von Unternehmen. Deshalb sind Hamburger Unternehmen ein begehrtes Ziel für Ausforschungen. Im Fokus sind dabei besonders innovationskräftige Unternehmen des Mittelstandes. Die staatlich gelenkte Wirtschaftsspionage ist in aller Regel langfristig angelegt und nutzt dabei alle Methoden der nachrichtendienstlichen Informationsbeschaffung. Daher wird sie durch die Unternehmen häufig zu spät oder gar nicht erkannt. Das begehrte Wissen wird dabei auf vielen Wirtschaftsund Forschungsfeldern ausgespäht, was der deutschen Volkswirt231 Spionageabwehr und Wirtschaftsschutz schaft starken Schaden zufügen kann. Daraus ergibt sich ein ureigenes staatliches Interesse, Wirtschaftsspionage in Deutschland zu verhindern. Eine hohe Gefährdung für die Unternehmen geht von der nachrichtendienstlichen Aufklärung mit informationstechnischen Mitteln (Cyberangriffe) aus. Die Zuständigkeit des Landesamtes für Verfassungsschutz Hamburg im Bereich der Cyber-Sicherheit erstreckt sich auf Bedrohungen und Angriffe, die durch extremistische Bestrebungen oder Nachrichtendienste fremder Staaten erfolgen, sowie solcher Angriffe, deren Ziel Verschlusssachen sind. INFOBOX Verschlusssachen (kurz: VS) sind im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftige Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse. Die Darstellungsform ist davon unabhängig. Verschlusssachen können zum Beispiel Schriftstücke, Zeichnungen, Karten, Fotokopien, Lichtbildmaterial, elektronische Datenträger, elektrische Signale, Geräte, technische Einrichtungen sowie das gesprochene Wort sein. Unternehmen werden neben der Wirtschaftsspionage auch durch politischen Extremismus bedroht. So werden Unternehmen beispielsweise durch das extremistische Spektrum politisiert, indem sie als Stellvertreter für Globalisierung, Kapitalismus oder Militarismus dargestellt werden. Oft wird in öffentlichkeitswirksamen Aktionen hierauf Bezug genommen. Aber auch die Politik kann zum Gegenstand von Mobilisierungen extremistischer Gruppierungen werden - beispielsweise im Vorfeld politischer Gipfeltreffen wie G20 ( siehe Kapitel IV Linksextremismus). Die Belegschaft insbesondere größerer Unternehmen kann auch einen Querschnitt der Gesellschaft darstellen, so dass die mögliche Radikalisierung von Einzelpersonen und Sabotage-Risiken durch Innentäter Gefahren darstellen, die mit einkalkuliert und antizipiert werden müssen. Dies gilt besonders für Betreiber Kritischer Infrastrukturen. Auch im Jahr 2019 232 Spionageabwehr und Wirtschaftsschutz nahm der Wirtschaftsschutz des Landesamtes für Verfassungsschutz Hamburg eine Vielzahl von Terminen wahr, um gemeinsam mit anderen Behörden und Einrichtungen die kritischen Infrastrukturen Hamburgs auch in der Zukunft vor Angriffen und Sabotage zu schützen. Der Wirtschaftsschutz als zentraler Bestandteil des Landesamtes für Verfassungsschutz Hamburg und Dienstleister 2019 hat der Wirtschaftsschutz rund 130 Außenkontakte wahrgenommen. Hierzu zählen vor allem Beratungen von Unternehmen und Forschungseinrichtungen sowie die Zusammenarbeit mit Sicherheitsbehörden und Gremien. Davon waren gut 80 anlassbezogene Beratungen oder Tätigkeiten infolge von Sicherheitsvorfällen mit mutmaßlich verfassungsschutzrelevanten Bezügen. Dies stellt gegenüber den Vorjahren eine erhebliche Steigerung - um mehr als das Doppelte - dar, was die steigende Bedrohung in diesem Bereich verdeutlicht. Soweit sich herausstellte, dass es sich um Fälle von Cybercrime handelte, wurden die Vorgänge im Einvernehmen mit dem betroffenen Unternehmen zuständigkeitshalber an die Polizei abgegeben. In den übrigen Fällen erfolgte eine nachrichtendienstliche Bearbeitung. In Einzelfällen ergab sich eine parallele Zuständigkeit mit der Polizei. Dies ist der Fall, wenn die Polizei im Bereich Strafverfolgung tätig ist, das Landesamt für Verfassungsschutz Hamburg im Bereich Nachrichtendienste oder Extremismus. Netzwerk Standortsicherheit Das Landesamt für Verfassungsschutz Hamburg ist in verschiedene Gremien eingebunden, vielfach als Teil des "Netzwerkes für Standortsicherheit in Hamburg". Dieses Netzwerk wurde im Juni 2013 vom Präses der Behörde für Inneres und Sport und Vertretern der Hamburger Wirtschaft ins Leben gerufen. Der Verfassungsschutz Hamburg ist hier federführend im Bereich des Schutzes vor Wirtschaftsspionage aktiv und beteiligt sich außerdem in den Arbeitsfeldern IT-Sicherheit und Cybercrime, Kritische Infrastrukturen, Qualifizierung und Bildung sowie Besondere Lagen. 233 Spionageabwehr und Wirtschaftsschutz Hinweise von Unternehmen Aufgrund der vertrauensvollen Zusammenarbeit des Landesamtes mit der Hamburger Wirtschaft, ihren verschiedenen Vereinigungen und Verbänden wird immer wieder auf sicherheitsrelevante Vorkommnisse hingewiesen. Dazu zählen zum Beispiel Auffälligkeiten auf Geschäftsreisen bei der Einund Ausreisekontrolle, im Hotel oder bei Geschäftsverhandlungen. Diese Hinweise werden grundsätzlich vertraulich behandelt. Weitere Informationen finden sich auf den Internetseiten des Landesamtes für Verfassungsschutz Hamburg www (siehe www.hamburg.de/verfassungsschutz). INFOBOX Beratung für Unternehmen Unternehmen mit Beratungsbedarf können sich jederzeit mit dem Bereich "Wirtschaftsschutz" des Landesamtes für Verfassungsschutz Hamburg unter der Telefonnummer 040 / 24 44 43 in Verbindung setzen oder eine E-Mail an wirtschaftsschutz@verfassungsschutz.hamburg.de schreiben. 234 Verfassungsschutz in Hamburg Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Gruppierungen mit Auslandsbezug Linksextremismus Rechtsextremismus Reichsbürger und Selbstverwalter Scientology-Organisation Spionageabwehr und Wirtschaftsschutz Geheimund Sabotageschutz Anhang Geheimund Sabotageschutz Ziel des Geheimschutzes ist der Schutz von staatlichen Verschlusssachen, um geheim zu haltende Informationen und Materialien vor unbefugtem Gebrauch oder vor unerlaubter Einsichtnahme zu schützen. Der Umgang mit Verschlusssachen ist dabei sowohl personenbezogen als auch materiell geregelt. Der personelle Geheimschutz stellt sicher, dass nur solche Personen Zugang zu Verschlusssachen erhalten, bei denen keine Sicherheitsrisiken vorliegen. Zu diesem Zweck werden Sicherheitsüberprüfungen nach dem Hamburger Landesrecht (Hamburgisches Sicherheitsüberprüfungund Geheimschutzgesetz, HmbSÜGG) durchgeführt. Elektronische Dateien und Datenträger sowie Schriftstücke werden entsprechend ihrer Sensibilität als sogenannte Verschlusssachen (VS) eingestuft. Um entgegenzuwirken, dass Unbefugte von diesen Informationen Kenntnis erlangen, beziehungsweise zu diesen Zugriff oder Zutritt erhalten, umfasst der materielle Geheimschutz technische und organisatorische Präventivmaßnahmen für die Handhabung und Verwahrung von eingestuftem VS-Material. Aufgabe des Sabotageschutzes ist es, sicherheitsempfindliche Bereiche lebensund verteidigungswichtiger Einrichtungen vor möglichen Sabotageaktionen aus dem Kreis eigener Mitarbeiter zu schützen. Deshalb werden diese regelmäßig einer Sicherheitsüberprüfung unterzogen. Geheimund Sabotageschutz IX. Geheimund Sabotageschutz 1. Grundsätzliches Deutschland steht aufgrund seiner politischen Bedeutung sowie als hochrangiger Wirtschaftsund Wissenschaftsstandort im Fokus fremder Nachrichtendienste. Der Staat hat daher ein vitales Interesse daran, sensible Informationen vor dem Zugriff Unbefugter zu schützen und dadurch zu verhindern, dass diese Informationen in die falschen Hände geraten. Durch das Bekanntwerden sowie die Weitergabe dieser Informationen kann ein schwerer Schaden für den Staat und die Wirtschaft entstehen. Es gibt daher staatliche Geheimschutzvorschriften. Im Bereich des Geheimschutzes ( siehe Punkt 2) obliegt diese Schutzaufgabe dem Landesamt für Verfassungsschutz Hamburg, das hierzu personelle, technische und organisatorische Vorkehrungen trifft. Maßgeblich für den staatlichen Schutzauftrag ist die Einstufung als sogenannte Verschlusssache (VS). VS sind im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftige Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse. Dazu zählen insbesondere elektronische Speichermedien, Schriftverkehr und Transportwege. Sie werden nach ihrer Schutzbedürftigkeit entweder als "STRENG GEHEIM", "GEHEIM", "VS-VERTRAULICH" oder "VS-NUR FÜR DEN DIENSTGEBRAUCH" klassifiziert. Entscheidend für die Einstufung ist der mögliche Schaden, der entstehen kann, wenn Unbefugte von den als VS eingestuften Informationen Kenntnis erhalten. Hamburger Unternehmen arbeiten mit VS, wenn geheimhaltungsbedürftige Staatsaufträge, zum Beispiel im Bereich der Rüstungsindustrie, vergeben werden. Zum Schutz der Verschlusssachen werden diese Unternehmen vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) und dem Landesamt für Verfassungsschutz Hamburg betreut. Sie werden auch als "geheimschutzbetreut" bezeichnet. 239 Geheimund Sabotageschutz Der Verfassungsschutz führt präventive Personenüberprüfungen durch, um potenzielle Saboteure von sicherheitsempfindlichen Bereichen fernzuhalten ( siehe Punkt 3 "Vorbeugender personeller Sabotageschutz"). Das Landesamt für Verfassungsschutz Hamburg schützt die eigenen IT-Systeme und Kommunikationsstrukturen durch Einhaltung von Sicherheitsstandards entsprechend dem jeweiligen Schutzbedarf ( siehe Punkt 4 "Schutz von IT-Systemen und Kommunikationsstrukturen"). 2. Geheimschutz Der staatliche Geheimschutz hat die Aufgabe, geheimhaltungsbedürftige Informationen des Staates bestmöglich vor einem Zugriff durch Unbefugte zu sichern. Für solche VS ist deshalb ein optimaler Schutz zu gewährleisten. Der Umgang mit ihnen ist sowohl personenbezogen ( siehe Punkt 2.1) als auch materiell ( siehe Punkt 2.2) geregelt. 2.1. Personeller Geheimschutz Der personelle Geheimschutz stellt sicher, dass nur solche Personen Zugang zu VS erhalten, bei denen keine Sicherheitsrisiken vorliegen. Es werden zu diesem Zweck Sicherheitsüberprüfungen nach dem Hamburgischen Sicherheitsüberprüfungund Geheimschutzgesetz (HmbSÜGG) durchgeführt. Jede Sicherheitsüberprüfung dient damit der Feststellung, ob der betroffenen Person eine sicherheitsempfindliche Tätigkeit in einer öffentlichen Stelle oder einem Unternehmen übertragen werden kann. Ein Sicherheitsrisiko, das die Zuweisung einer solchen Tätigkeit aus Gründen des staatlichen Geheimschutzes ausschließt, besteht oder kann insbesondere in folgenden Konstellationen bestehen: f Laufende oder abgeschlossene Strafverfahren; alternativ bei Straffälligkeit, f Unzuverlässigkeit aufgrund von Drogenoder Alkoholmissbrauch, 240 Geheimund Sabotageschutz f fehlende Verfassungstreue, insbesondere bei politisch-extremistischer Tätigkeit, f besondere Gefährdung durch Anbahnungsoder Werbungsversuche fremder Nachrichtendienste (zum Beispiel wegen kompromittierender Lebensumstände). Zum Schutz der Grundrechte der Betroffenen wurde im Sicherheitsüberprüfungsrecht festgelegt, dass die Durchführung einer vorherigen Zustimmung bedarf. Der Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht ist nur mit vorliegender Zustimmung der zu überprüfenden Personen zulässig. Falls die Zustimmung nicht erteilt wird, ist die Sicherheitsüberprüfung und daraus folgend die Zuweisung einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit nicht möglich. Je nach Art und Umfang der sicherheitsempfindlichen Tätigkeit werden entweder eine einfache Sicherheitsüberprüfung (Ü1), eine erweiterte Sicherheitsüberprüfung (Ü2) oder eine erweiterte Sicherheitsüberprüfung mit Sicherheitsermittlungen (Ü3) durchgeführt. Die Maßnahmen der einzelnen Überprüfungsarten sind im HmbSÜGG geregelt. Hierzu gehören unter anderem Anfragen bei anderen Sicherheitsbehörden sowie beim Bundeszentralregister. Der Senat kann auch für sicherheitsempfindliche öffentliche Bereiche, in denen keine VS bearbeitet werden, bestimmen, dass Personen, die dort tätig sind oder werden sollen, einer Sicherheitsüberprüfung zu unterziehen sind. Bei dieser Form der Sicherheitsüberprüfung wirkt das Landesamt für Verfassungsschutz Hamburg nicht mit (SS 34 HmbSÜGG), sie wird von der jeweiligen Behörde selbst durchgeführt. Zum Beispiel beim IuK-Dienstleister Dataport werden auch Personen regelhaft überprüft, die in zentralen sicherheitsempfindlichen öffentlichen Bereichen in Funktionen der Informationsund Kommunikationstechnik tätig sind. 241 Geheimund Sabotageschutz INFOBOX Dataport ist der Informationsund Kommunikations-Dienstleister der öffentlichen Verwaltung für die vier Bundesländer Hamburg, Schleswig-Holstein, Bremen und Sachsen-Anhalt, außerdem für die Steuerverwaltungen in Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachsen. Die Anstalt des öffentlichen Rechts wurde aufgrund eines Staatsvertrages zum 1. Januar 2004 gegründet und hat ihren Sitz in Altenholz bei Kiel mit Niederlassungen in Hamburg, Rostock, Bremen, Lüneburg, Magdeburg und Halle. Im Jahr 2019 hat das LfV Hamburg 515 (2018: 449) Sicherheitsüberprüfungen bearbeitet. Bei einzelnen Personenüberprüfungen und grundsätzlichen Fragen zum personellen Geheimschutz steht der Verfassungsschutz den öffentlichen Stellen und auch den geheimschutzbetreuten Unternehmen beratend zur Seite. Innerhalb der Behörden sind die dortigen Geheimschutzbeauftragten vorrangige Ansprechpartner. 2.2. Materieller Geheimschutz Der materielle Geheimschutz umfasst technische und organisatorische Präventivmaßnahmen für die Handhabung und Verwahrung von eingestuftem VS-Material. Unbefugten soll auf diese Weise der Zugriff und Zutritt verwehrt werden, so dass sie von diesen Informationen keine Kenntnis erlangen. Auch in anderen Behörden und Einrichtungen außerhalb des Landesamtes für Verfassungsschutz Hamburg gibt es geheimhaltungsbedürftige staatliche Informationen, die vor Ausforschung zu schützen sind. Der Umgang mit Verschlusssachen richtet sich für die öffentlichen Stellen in Hamburg allgemein nach der Verschlusssachenanweisung (HmbVSA) und nach dem HmbSÜGG. 242 Geheimund Sabotageschutz Der Verfassungsschutz berät öffentliche Stellen, die VS bearbeiten, bei der Planung und Durchführung technischer, baulicher und organisatorischer Sicherungsmaßnahmen. 3. Vorbeugender personeller Sabotageschutz Das HmbSÜGG regelt neben dem personellen Geheimschutz auch die Sicherheitsüberprüfung für den vorbeugenden personellen Sabotageschutz in öffentlichen Stellen. Für nichtöffentliche Stellen gilt die Sicherheitsüberprüfungsfeststellungsverordnung des Bundes. Ziel ist es, dass Personen, deren Zuverlässigkeit aufgrund festgestellter Sicherheitsrisiken zweifelhaft ist, nicht in sicherheitsempfindlichen Stellen eingesetzt werden. Es soll verhindert werden, dass sogenannte Innentäter in der Lage sind, durch Sabotageakte lebensoder verteidigungswichtige Einrichtungen zu beschädigen oder gar zu zerstören. Es werden Personen überprüft, die in bestimmten lebensoder verteidigungswichtigen Einrichtungen an sicherheitsempfindlichen Stellen beschäftigt sind oder werden sollen. Die Personen müssen auf die Funktionsfähigkeit dieser Einrichtungen tatsächlich Einfluss nehmen können. Eine sicherheitsempfindliche Stelle ist die kleinste selbstständig handelnde Organisationseinheit innerhalb einer lebensoder verteidigungsAngestellte für den Bereich des Vorfeldes eines Flughafens werden durch den vorbeugenden personellen Geheimschutz überprüft. (Symbolbild) wichtigen Einrichtung. Diese Foto: Colourbox.de ist vor unberechtigtem Zugang geschützt. Im Falle der Beeinträchtigung ist von einer erheblichen Gefahr für die Bevölkerung, die öffentliche Sicherheit und Ordnung auszugehen. Der Verfassungsschutz steht Betroffenen zu Fragen rund um den vorbeugenden personellen Sabotageschutz zur Verfügung. 243 Geheimund Sabotageschutz 4. Schutz von IT-Systemen und Kommunikationsstrukturen Das Landesamt für Verfassungsschutz Hamburg ist auf die Verfügbarkeit und Integrität der elektronisch gespeicherten Daten angewiesen. Es werden erhebliche Anstrengungen unternommen, um durch technische und organisatorische Maßnahmen die eingesetzten IT-Systeme sowie die genutzten Kommunikationsstrukturen zu schützen. Mit einer an IT-Sicherheitsstandards ausgerichteten Struktur und der festen Einbindung in den Informationssicherheitsprozess der Freien und Hansestadt Hamburg werden das erforderliche Sicherheitsniveau, die Vertraulichkeit, Integrität und Verfügbarkeit der Informationen, Anwendungen und IT-Systeme sichergestellt. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des LfV Hamburg werden durch unterschiedliche Maßnahmen fortlaufend sensibilisiert und über die Anforderungen des Datenschutzes, auch mit Fortbildungsangeboten, informiert. Der Schutz vor Cyberattacken ist eine zentrale Aufgabe der IT-Sicherheit. (Symbolbild) Foto: Colourbox.de Hackerangriffe stellen ein großes Sicherheitsrisiko dar. Insbesondere die herausragenden Cyberangriffe der vergangenen Jahre, die für hohe mediale Aufmerksamkeit sorgten, zielten auf die Netze des Bundes sowie auf deutsche Energieversorger. Sie verdeutlichen die hohe Gefährdungslage durch mutmaßlich nachrichtendienstlich gesteuerte Cyberspionageund Cybersabotageangriffe auf IT-Systeme. Die hohen informationstechnischen Fähigkeiten der Angreifer, deren erkennbar große finanzielle wie personelle Ressourcen, die Zielgerichtetheit der Angriffe und die Auswahl hochwertiger Ziele legen eine Steuerung durch fremde Nachrichtendienste nahe. Von einer Zunahme 244 Geheimund Sabotageschutz solcher Angriffe ist auszugehen. Ziel dieser Angriffe ist häufig das Ausforschen, das Manipulieren oder Löschen von Daten sowie die Beeinträchtigung der Verfügbarkeit der IT-Systeme. Die Erfolgswahrscheinlichkeit und das Schadpotenzial derartiger Angriffe sind hoch. Durch den fortlaufenden Ausbau von Automatisierungsund IT-Infrastrukturen ist in Deutschland in Zukunft ebenfalls mit erhöhten Risiken durch die Folgen von Cyberangriffen zu rechnen. www Weitere Informationen finden sich auf den Internetseiten des LfV Hamburg (siehe www.hamburg.de/verfassungsschutz). 245 Verfassungsschutz in Hamburg Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Gruppierungen mit Auslandsbezug Linksextremismus Rechtsextremismus Reichsbürger und Selbstverwalter Scientology-Organisation Spionageabwehr und Wirtschaftsschutz Geheimund Sabotageschutz Anhang Anhang / Verfassungsschutzgesetz (HmbVerfSchG) Hamburgisches Verfassungsschutzgesetz (HmbVerfSchG) vom 07. März 1995 zuletzt geändert durch Gesetz vom 24. Januar 2020 1. Abschnitt Aufgaben des Landesamtes für Verfassungsschutz SS1 Zweck des Verfassungsschutzes SS2 Zuständigkeit SS3 Zusammenarbeit SS4 Aufgaben des Landesamtes für Verfassungsschutz SS5 Begriffsbestimmungen SS6 Voraussetzung und Rahmen für die Tätigkeit des Landesamtes für Verfassungsschutz 2. Abschnitt Erheben und weitere Verarbeitung von Informationen SS7 Befugnisse des Landesamtes für Verfassungsschutz SS 7a Verfahrensregelungen zu besonderen Auskunftsverlangen SS 7b Einschränkung von Grundrechten SS 7c Weitere Auskunftsverlangen SS8 Erheben von Informationen mit nachrichtendienstlichen Mitteln SS 8a Verdeckte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Vertrauensleute SS9 Verarbeitung personenbezogener Daten in Akten und Dateisystemen SS 10 Verarbeitung von Daten Minderjähriger SS 11 Berichtigung, Löschung und Verarbeitungseinschränkung 247 Anhang / Verfassungsschutzgesetz (HmbVerfSchG) 3. Abschnitt Offenlegung von Daten SS 12 Offenlegung nicht personenbezogener Daten SS 13 Offenlegung personenbezogener Daten gegenüber Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder SS 14 Offenlegung personenbezogener Daten gegenüber inländischen öffentlichen Stellen und Strafverfolgungsbehörden SS 15 Offenlegung personenbezogener Daten gegenüber Stationierungsstreitkräften SS 16 Offenlegung personenbezogener Daten gegenüber ausländischen öffentlichen Stellen SS 17 Offenlegung personenbezogener Daten gegenüber Stellen außerhalb des öffentlichen Bereichs SS 18 Offenlegung personenbezogener Daten gegenüber der Öffentlichkeit SS 19 Offenlegung personenbezogener Daten gegenüber dem Landesamt für Verfassungsschutz SS 20 (aufgehoben) SS 21 Offenlegungsverbote und -einschränkungen SS 22 Offenlegung personenbezogener Daten Minderjähriger 4. Abschnitt Auskunftserteilung und Datenschutz SS 23 Auskunftserteilung SS 23a Dateisystemanordnungen SS 23b Unabhängige Datenschutzkontrolle SS 23c Anwendung des allgemeinen Datenschutzrechts 248 Anhang / Verfassungsschutzgesetz (HmbVerfSchG) 5. Abschnitt Parlamentarische Kontrolle des Verfassungsschutzes SS 24 Parlamentarischer Kontrollausschuss SS 25 Zusammensetzung und Pflichten des Ausschusses SS 26 Aufgaben des Ausschusses SS 27 Eingaben 6. Abschnitt Schlussvorschriften SS 28 Änderung des Gesetzes zur Ausführung des Gesetzes zu Artikel 10 Grundgesetz SS 29 Inkrafttreten 1. Abschnitt Aufgaben des Landesamtes für Verfassungsschutz SS1 Zweck des Verfassungsschutzes (1) Der Verfassungsschutz dient dem Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, des Bestandes und der Sicherheit des Bundes und der Länder. (2) Zu diesem Zweck tritt dieses Gesetz neben das Gesetz über die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes und über das Bundesamt für Verfassungsschutz (Bundesverfassungsschutzgesetz - BVerfSchG) vom 20. Dezember 1990 (BGBl. I S. 2954, 2970), zuletzt geändert am 30. Juni 2017 (BGBl. I S. 2097, 2128). 249 Anhang / Verfassungsschutzgesetz (HmbVerfSchG) SS2 Zuständigkeit (1) Der Verfassungsschutz wird innerhalb der zuständigen Behörde vom Landesamt für Verfassungsschutz wahrgenommen. Das Landesamt für Verfassungsschutz ist ausschließlich hierfür zuständig. Bei der Erfüllung seiner Aufgaben ist es an Gesetz und Recht gebunden ( Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes ). (2) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf einer polizeilichen Dienststelle nicht angegliedert werden. Ihm stehen polizeiliche Befugnisse oder Weisungsbefugnisse gegenüber polizeilichen Dienststellen nicht zu; es darf die Polizei auch nicht im Wege der Amtshilfe um Maßnahmen ersuchen, zu denen es selbst nicht befugt ist. SS3 Zusammenarbeit (1) Das Landesamt für Verfassungsschutz ist verpflichtet, mit Bund und Ländern in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes zusammenzuarbeiten. Die Zusammenarbeit besteht auch in gegenseitiger Unterstützung und Hilfeleistung sowie in der Unterhaltung gemeinsamer Einrichtungen. (2) Verfassungsschutzbehörden anderer Länder dürfen im Geltungsbereich dieses Gesetzes nur im Einvernehmen mit dem Landesamt für Verfassungsschutz nach Maßgabe dieses Gesetzes und soweit eigenes Landesrecht dies zulässt, der Bund gemäß SS 5 Absatz 1 BVerfSchG nur im Benehmen mit dem Landesamt für Verfassungsschutz tätig werden. Das Landesamt für Verfassungsschutz darf in den anderen Ländern tätig werden, soweit es die Rechtsvorschriften dieses Gesetzes und der anderen Länder zulassen. SS4 Aufgaben des Landesamtes für Verfassungsschutz (1) Aufgabe des Landesamtes für Verfassungsschutz ist die Sammlung und Auswertung von Informationen, insbesondere von sachund personenbezogenen Auskünften, Nachrichten und Unterlagen, über 250 Anhang / Verfassungsschutzgesetz (HmbVerfSchG) 1. Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung der Verfassungsorgane des Bundes oder eines Landes oder ihrer Mitglieder zum Ziele haben, 2. sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten für eine fremde Macht in der Bundesrepublik Deutschland, 3. Bestrebungen in der Bundesrepublik Deutschland, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, 4. Bestrebungen in der Bundesrepublik Deutschland, die gegen den Gedanken der Völkerverständigung ( Artikel 9 Absatz 2 des Grundgesetzes ), insbesondere gegen das friedliche Zusammenleben der Völker ( Artikel 26 Absatz 1 des Grundgesetzes ) gerichtet sind. Das Landesamt für Verfassungsschutz hat insbesondere den Senat über Gefahren für die Schutzgüter des SS 1 zu informieren und die dafür zuständigen staatlichen Stellen in die Lage zu versetzen, Maßnahmen zu ihrer Abwehr zu ergreifen. Es informiert und berät auf Anforderung öffentliche und nicht-öffentliche Stellen und Einrichtungen über die Gefahren der gegen sie gerichteten Bestrebungen und Tätigkeiten des Absatzes 1. Darüber hinaus informiert das Landesamt für Verfassungsschutz die Öffentlichkeit über Bestrebungen und Tätigkeiten nach Absatz 1 Satz 1, soweit hinreichend gewichtige tatsächliche Anhaltspunkte hierfür vorliegen, sowie über präventiven Wirtschaftsschutz. Hierzu veröffentlicht es unter anderem mindestens einmal jährlich einen zusammenfassenden Bericht insbesondere zu aktuellen Entwicklungen. (2) Das Landesamt für Verfassungsschutz wirkt mit 1. bei der Sicherheitsüberprüfung von Personen, denen im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftige Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse anvertraut werden, die Zugang dazu erhalten sollen oder 251 Anhang / Verfassungsschutzgesetz (HmbVerfSchG) ihn sich verschaffen können, 2. bei der Sicherheitsüberprüfung von Personen, die an sicherheitsempfindlichen Stellen von lebensoder verteidigungswichtigen Einrichtungen beschäftigt sind oder werden sollen, 3. bei technischen Sicherheitsmaßnahmen zum Schutz von im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftigen Tatsachen, Gegenständen oder Erkenntnissen gegen die Kenntnisnahme durch Unbefugte, 4. bei der Überprüfung von Personen in sonstigen gesetzlich bestimmten Fällen und 5. bei der Geheimschutzbetreuung von nichtöffentlichen Stellen durch den Bund oder durch ein Land. Die Befugnisse des Landesamtes für Verfassungsschutz bei der Mitwirkung nach Satz 1 Nummern 1, 2 und 4, soweit sie Sicherheitsüberprüfungen zum Gegenstand hat, sind im Hamburgischen Sicherheitsüberprüfungsund Geheimschutzgesetz (HmbSÜGG) vom 25. Mai 1995 (HmbGVBl. S. 82), zuletzt geändert am 24. Januar 2020 (HmbGVBl. S. 99, 110), geregelt. SS5 Begriffsbestimmungen (1) Im Sinne dieses Gesetzes sind: 1. Bestrebungen gegen den Bestand des Bundes oder eines Landes solche politisch bestimmten, zielund zweckgerichteten Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluss, der darauf gerichtet ist, die Freiheit des Bundes oder eines Landes von fremder Herrschaft aufzuheben, ihre staatliche Einheit zu beseitigen oder ein zu ihnen gehörendes Gebiet abzutrennen, 2. Bestrebungen gegen die Sicherheit des Bundes oder eines Landes solche politisch bestimmten, zielund zweckgerichteten Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluss, der darauf gerichtet ist, den Bund, Länder oder deren Einrichtungen in ihrer 252 Anhang / Verfassungsschutzgesetz (HmbVerfSchG) Funktionsfähigkeit erheblich zu beeinträchtigen, 3. Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung solche politisch bestimmten, zielund zweckgerichteten Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluss, der darauf gerichtet ist, einen der in Absatz 2 genannten Verfassungsgrundsätze zu beseitigen oder außer Geltung zu setzen. Für einen Personenzusammenschluss handelt, wer ihn in seinen Bestrebungen nachdrücklich unterstützt. Verhaltensweisen von Einzelpersonen, die nicht in einem oder für einen Personenzusammenschluss handeln, sind Bestrebungen im Sinne dieses Gesetzes, wenn sie auf Anwendung von Gewalt gerichtet sind oder auf Grund ihrer Wirkungsweise geeignet sind, ein Schutzgut dieses Gesetzes erheblich zu beschädigen. (2) Zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne dieses Gesetzes zählen gemäß SS 4 Absatz 2 BVerfSchG 1. das Recht des Volkes, die Staatsgewalt in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung auszuüben und die Volksvertretung in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl zu wählen, 2. die Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung und die Bindung der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an Gesetz und Recht, 3. das Recht auf Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition, 4. die Verantwortlichkeit der Regierung gegenüber der Volksvertretung und ihre Ablösbarkeit, 5. die Unabhängigkeit der Gerichte, 6. der Ausschluss jeder Gewaltund Willkürherrschaft und 7. die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte. 253 Anhang / Verfassungsschutzgesetz (HmbVerfSchG) SS6 Voraussetzung und Rahmen für die Tätigkeit des Landesamtes für Verfassungsschutz Das Landesamt für Verfassungsschutz darf nur Maßnahmen ergreifen, wenn und soweit sie zur Erfüllung seiner Aufgaben erforderlich sind; dies gilt insbesondere für die Erhebung und weitere Verarbeitung personenbezogener Daten. Von mehreren möglichen und geeigneten Maßnahmen hat es diejenige zu treffen, die den Einzelnen insbesondere in seinen Grundrechten und die Allgemeinheit voraussichtlich am wenigsten beeinträchtigt. Eine geringere Beeinträchtigung ist in der Regel anzunehmen, wenn die Information aus allgemein zugänglichen Quellen oder durch eine behördliche Auskunft gewonnen werden kann. Eine Maßnahme darf nicht zu einem Nachteil führen, der zu dem erstrebten Erfolg erkennbar außer Verhältnis steht. Sie ist nur so lange zulässig, bis ihr Zweck erreicht ist oder sich zeigt, dass er nicht erreicht werden kann. 2. Abschnitt Erheben und weitere Verarbeitung von Informationen SS7 Befugnisse des Landesamtes für Verfassungsschutz (1) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf die zur Erfüllung seiner Aufgaben erforderlichen Informationen einschließlich personenbezogener Daten verarbeiten, soweit nicht die anzuwendenden Bestimmungen des Hamburgischen Datenschutzgesetzes vom 18. Mai 2018 (HmbGVBl. S. 145) in der jeweils geltenden Fassung oder besondere Regelungen in diesem Gesetz entgegenstehen; die Verarbeitung ist auch zulässig, wenn die betroffene Person eingewilligt hat. Das Landesamt für Verfassungsschutz darf personenbezogene Daten auch für die Vorgangsverwaltung verarbeiten. Ist zum Zwecke der Datenerhebung die Offenlegung von personenbezogenen Daten unerlässlich, ist sie auf das unbedingt erforderliche Maß zu beschränken. Schutzwürdige Interessen der betroffenen Person dürfen nur in unvermeidbarem Umfang beeinträchtigt werden. (1a) Die Erhebung von personenbezogenen Daten, die dem Kernbereich 254 Anhang / Verfassungsschutzgesetz (HmbVerfSchG) privater Lebensgestaltung zuzuordnen sind, oder von Informationen bei einer in SSSS 53 und 53a der Strafprozessordnung (StPO) genannten Person, die nicht zur Aufklärung von Bestrebungen oder Tätigkeiten dieser Person erhoben werden und über die diese Person das Zeugnis verweigern darf (Vertrauensbereiche), ist unzulässig. Eine Maßnahme ist unzulässig, soweit tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass durch sie ausschließlich Erkenntnisse aus Vertrauensbereichen gewonnen werden würden. Werden personenbezogene Daten aus Vertrauensbereichen erlangt, so dürfen die Daten nicht weiter verarbeitet werden; sie sind unter Aufsicht einer bediensteten Person mit der Befähigung zum Richteramt unverzüglich zu löschen. Die Tatsache der Erlangung und der Löschung ist zu dokumentieren. In Zweifelsfällen entscheidet die Leitung des Landesamtes für Verfassungsschutz oder ihre Stellvertretung, ob die Voraussetzungen des Satzes 3 vorliegen. Ist das gemäß dieser Entscheidung nicht der Fall, darf eine weitere Verarbeitung erst nach einer Berichterstattung an den Kontrollausschuss gemäß SS 26 erfolgen, sofern keine Gefahr im Verzug vorliegt. Die Dokumentation nach Satz 4 darf ausschließlich für Zwecke der Datenschutzkontrolle verwendet werden. Sie ist in Fällen, in denen eine Mitteilung der Maßnahme erfolgt, sechs Monate nach der Mitteilung zu löschen, es sei denn, es wird Klage erhoben, dann erfolgt die Löschung nach dem rechtskräftigen Abschluss des Klageverfahrens; in der Mitteilung ist auf diese Löschfrist hinzuweisen. Im Falle der endgültigen Nichtmitteilung der Maßnahme erfolgt die Löschung unverzüglich nach der Entscheidung über diese. Im Übrigen erfolgt die Löschung am Ende des Kalenderjahres, das der Protokollierung folgt, es sei denn, über die gesetzlich vorgesehene Mitteilung der Maßnahme ist noch nicht abschließend entschieden. Anderweitige Rechtsvorschriften über die Bearbeitung von personenbezogenen Daten aus den Vertrauensbereichen bleiben unberührt. (2) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf bei den hamburgischen Behörden und den der Aufsicht der Freien und Hansestadt Hamburg unterstehenden juristischen Personen des öffentlichen Rechts nur die Informationen einschließlich personenbezogener Daten erheben, die diesen Stellen im Rahmen ihrer Aufgabenerfüllung bereits vorliegen und die zur Erfüllung der Aufgaben des Verfassungsschutzes erforderlich sind. Das Landesamt für Verfassungsschutz braucht die Ersuchen nicht zu begründen, soweit dies dem Schutz der betroffenen Person dient oder eine Begründung den Zweck der Maßnahme gefährden würde. Die Sätze 1 und 2 gelten für Erhe255 Anhang / Verfassungsschutzgesetz (HmbVerfSchG) bungen bei sonstigen Behörden und juristischen Personen des öffentlichen Rechts entsprechend. (3) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf im Einzelfall bei denjenigen, die geschäftsmäßig Telemediendienste erbringen oder daran mitwirken, Auskunft über Daten einholen, die für die Begründung, inhaltliche Ausgestaltung, Änderung oder Beendigung eines Vertragsverhältnisses über Telemediendienste (Bestandsdaten) gespeichert worden sind, soweit dies zur Sammlung und Auswertung von Informationen erforderlich ist und tatsächliche Anhaltspunkte für schwerwiegende Gefahren für die in SS 4 Absatz 1 genannten Schutzgüter vorliegen. (4) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf im Einzelfall Auskunft einholen bei 1. Luftfahrtunternehmen sowie Betreibern von Computerreservierungssystemen und Globalen Distributionssystemen für Flüge zu Namen und Anschriften des Kunden sowie zur Inanspruchnahme und den Umständen von Transportleistungen, insbesondere zum Zeitpunkt von Abfertigung und Abflug und zum Buchungsweg, 2. Kreditinstituten, Finanzdienstleistungsinstituten und Finanzunternehmen zu Konten, Konteninhabern und sonstigen Berechtigten sowie weiteren am Zahlungsverkehr Beteiligten und zu Geldbewegungen und Geldanlagen, insbesondere über Kontostand und Zahlungseinund -ausgänge, 3. (aufgehoben), 4. denjenigen, die geschäftsmäßig Telekommunikationsdienste erbringen oder daran mitwirken, zu Verkehrsdaten nach SS 96 Absatz 1 Nummern 1 bis 4 des Telekommunikationsgesetzes vom 22. Juni 2004 (BGBl. I S. 1190), zuletzt geändert am 11. Juli 2019 (BGBl. I S. 1066, 1076), und sonstigen zum Aufbau und zur Aufrechterhaltung der Telekommunikation notwendigen Verkehrsdaten und 5. denjenigen, die geschäftsmäßig Telemediendienste erbringen oder daran mitwirken, zu 256 Anhang / Verfassungsschutzgesetz (HmbVerfSchG) a) Merkmalen zur Identifikation des Nutzers eines Telemediendienstes, b) Angaben über Beginn und Ende sowie über den Umfang der jeweiligen Nutzung und c) Angaben über die vom Nutzer in Anspruch genommenen Telemediendienste, soweit dies zur Sammlung und Auswertung von Informationen erforderlich ist und Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass schwerwiegende Gefahren für die in SS 4 Absatz 1 Satz 1 genannten Schutzgüter vorliegen. Im Falle des SS 4 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 gilt dies nur für Bestrebungen, die bezwecken oder auf Grund ihrer Wirkungsweise geeignet sind, 1. zu Hass oder Willkürmaßnahmen gegen Teile der Bevölkerung aufzustacheln oder deren Menschenwürde durch Beschimpfen, böswilliges Verächtlichmachen oder Verleumden anzugreifen und dadurch die Bereitschaft zur Anwendung von Gewalt zu fördern und den öffentlichen Frieden zu stören oder 2. Gewalt anzuwenden oder vorzubereiten, einschließlich dem Befürworten, Hervorrufen oder Unterstützen von Gewaltanwendung, auch durch Unterstützen von Vereinigungen, die Anschläge gegen Personen oder Sachen veranlassen, befürworten oder androhen. (4a) Soweit dies zur Sammlung und Auswertung von Informationen erforderlich ist und Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass schwerwiegende Gefahren für die in SS 4 Absatz 1 Satz 1 genannten Schutzgüter vorliegen, darf das Landesamt für Verfassungsschutz im Einzelfall das Bundeszentralamt für Steuern ersuchen, bei den Kreditinstituten die in SS 93b Absatz 1 der Abgabenordnung in der Fassung vom 1. Oktober 2002 (BGBl. 2002 I S. 3869, 2003 I S. 61), zuletzt geändert am 11. Juli 2019 (BGBl. I S. 1066, 1076), bezeichneten Daten abzurufen. (5) Anordnungen nach Absatz 4 und 4a dürfen sich nur gegen Personen richten, bei denen 1. tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie die schwerwie257 Anhang / Verfassungsschutzgesetz (HmbVerfSchG) genden Gefahren nach Absatz 4 und 4a nachdrücklich fördern oder 2. auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist a) bei Auskünften nach Absatz 4 Satz 1 Nummern 1, 2 und 5 sowie nach Absatz 4a, dass sie die Leistung für eine Person nach Nummer 1 in Anspruch nehmen oder b) bei Auskünften nach Absatz 4 Satz 1 Nummer 4, dass sie für eine Person nach Nummer 1 bestimmte oder von ihr herrührende Mitteilungen entgegennehmen oder weitergeben, oder dass eine Person nach Nummer 1 ihren Anschluss benutzt. SS 7a Verfahrensregelungen zu besonderen Auskunftsverlangen (1) Anordnungen nach SS 7 Absatz 4 Satz 1 und Absatz 4a werden von der Leitung des Landesamtes für Verfassungsschutz oder ihrer Stellvertretung beantragt; der Antrag ist schriftlich zu stellen und zu begründen. Zuständig für die Anordnungen ist der Präses oder bei ihrer oder seiner Verhinderung die Staatsrätin oder der Staatsrat der zuständigen Behörde. Die Anordnung einer Auskunft über künftig anfallende Daten ist auf höchstens drei Monate zu befristen. Die Verlängerung dieser Anordnung um jeweils nicht mehr als drei Monate ist auf Antrag zulässig, soweit die Voraussetzungen der Anordnung fortbestehen. Auf die Anordnung der Verlängerung finden die Sätze 1 und 2 Anwendung. (2) Für Anordnungen nach SS 7 Absatz 4 Satz 1 und Absatz 4a gilt SS 1 Absätze 2 bis 4 und Absatz 5 Sätze 1 bis 3 des Hamburgischen Gesetzes zur Ausführung des Artikel 10-Gesetzes vom 17. Januar 1969 (HmbGVBl. S. 5), zuletzt geändert am 24. Januar 2020 (HmbGVBl. S. 99, 123), entsprechend. Für die Verarbeitung der nach SS 7 Absatz 4 Satz 1 und Absatz 4a erhobenen Daten ist SS 4 des Artikel 10-Gesetzes vom 26. Juni 2001 (BGBl. 2001 I S. 1254, 2298, 2017 I S. 154), zuletzt geändert am 17. August 2017 (BGBl. I S. 3202, 3212), entsprechend anzuwenden. (3) Die nach Absatz 2 zuständige Behörde unterrichtet im Abstand von höchstens sechs Monaten den Kontrollausschuss gemäß SS 24 über Anordnungen nach SS 7 Absatz 4 Satz 1 ; dabei ist insbesondere ein Überblick 258 Anhang / Verfassungsschutzgesetz (HmbVerfSchG) über Anlass, Umfang, Dauer, Ergebnis und Kosten der im Berichtszeitraum durchgeführten Maßnahmen zu geben. Die nach Satz 1 zuständige Behörde erstattet ferner dem Parlamentarischen Kontrollgremium nach dem Kontrollgremiumgesetz vom 29. Juli 2009 (BGBl. I S. 2346), zuletzt geändert am 5. Januar 2017 (BGBl. I S. 17, 29), jährlich einen Bericht über die Durchführung sowie Art, Umfang und Anordnungsgründe der Maßnahmen; dabei sind die Grundsätze des SS 2 Absatz 4 des Hamburgischen Gesetzes zur Ausführung des Artikel 10-Gesetzes und des SS 10 Absatz 1 des Kontrollgremiumgesetzes zu beachten. (4) Anordnungen sind der verpflichteten Stelle insoweit schriftlich mitzuteilen, als dies erforderlich ist, um ihr die Erfüllung ihrer Verpflichtung zu ermöglichen. Anordnungen und offengelegte Daten dürfen der betroffenen Person oder Dritten von der verpflichteten Stelle nicht mitgeteilt werden. (5) Der verpflichteten Stelle ist es verboten, allein auf Grund einer Anordnung nach SS 7 Absatz 3 oder Absatz 4 Satz 1 einseitige Handlungen vorzunehmen, die für die betroffene Person nachteilig sind und die über die Erteilung der Auskunft hinausgehen, insbesondere bestehende Verträge oder Geschäftsverbindungen zu beenden, ihren Umfang zu beschränken oder ein Entgelt zu erheben oder zu erhöhen. Die Anordnung ist mit dem ausdrücklichen Hinweis auf dieses Verbot und darauf zu verbinden, dass das Auskunftsersuchen nicht die Aussage beinhaltet, dass sich die betroffene Person rechtswidrig verhalten hat oder ein darauf gerichteter Verdacht bestehen müsse. (6) Die in SS 7 Absatz 3 und Absatz 4 Satz 1 genannten Stellen sind verpflichtet, die Auskunft unverzüglich, vollständig, richtig und in dem Format zu erteilen, das durch die in Absatz 8 Satz 1 genannte Rechtsverordnung oder in den in Absatz 8 Sätze 2 und 3 bezeichneten Rechtsvorschriften vorgeschrieben ist. (7) Für Mitteilungen an die von Anordnungen nach SS 7 Absatz 4 Satz 1 und Absatz 4a betroffenen Personen findet SS 12 Absatz 1 des Artikel 10-Gesetzes entsprechende Anwendung. Wurden personenbezogene Daten einer anderen Stelle gegenüber offengelegt, erfolgt die Mitteilung im Benehmen mit dieser. 259 Anhang / Verfassungsschutzgesetz (HmbVerfSchG) (8) Für die Erteilung von Auskünften nach SS 7 Absatz 3 und Absatz 4 Satz 1 Nummern 1, 2 und 5 gilt die Nachrichtendienste-Übermittlungsverordnung vom 11. Oktober 2012 (BGBl. I S. 2117), geändert am 23. Dezember 2016 (BGBl. I S. 3346, 3353), entsprechend. Die Vorgaben für die Erteilung von Auskünften nach SS 7 Absatz 4 Satz 1 Nummer 4 , insbesondere ob und in welchem Umfang die Verpflichteten hierfür Vorkehrungen für die technische und organisatorische Umsetzung der Auskunftsverpflichtung zu treffen haben, bestimmen sich nach SS 110 des Telekommunikationsgesetzes und der dazu erlassenen Rechtsverordnung. Die technischen Einzelheiten, die zur Auskunftserteilung sowie zur Gestaltung des Übergabepunktes zu den berechtigten Stellen erforderlich sind, insbesondere das technische Format für die Übermittlung derartiger Auskunftsverlangen an die Verpflichteten und die Rückübermittlung der zugehörigen Auskünfte an die berechtigten Stellen, richten sich nach den Festlegungen in der Technischen Richtlinie nach SS 110 Absatz 3 des Telekommunikationsgesetzes. (9) Für die Erteilung von Auskünften nach SS 7 Absatz 4 Satz 1 Nummer 4 hat die verpflichtete Stelle Anspruch auf Entschädigung entsprechend SS 23 und Anlage 3 des Justizvergütungsund -entschädigungsgesetzes (JVEG) vom 5. Mai 2004 (BGBl. I S. 718, 776), zuletzt geändert am 11. Oktober 2016 (BGBl. I S. 2222, 2224); die Vorschriften über die Verjährung in SS 2 Absätze 1 und 4 JVEG finden entsprechend Anwendung. SS 7b Einschränkungen von Grundrechten Das Grundrecht des Fernmeldegeheimnisses ( Artikel 10 des Grundgesetzes ) wird nach Maßgabe des SS 7 Absatz 3 und Absatz 4 Satz 1 Nummern 4 und 5 sowie des SS 7a Absätze 1, 2 und 4 bis 8 eingeschränkt. SS 7c Weitere Auskunftsverlangen (1) Soweit dies zur Erfüllung der Aufgaben des Landesamtes für Verfassungsschutz erforderlich ist, darf von demjenigen, der geschäftsmäßig 260 Anhang / Verfassungsschutzgesetz (HmbVerfSchG) Telekommunikationsdienste erbringt oder daran mitwirkt, Auskunft über die nach den SSSS 95 und 111 des Telekommunikationsgesetzes erhobenen Daten verlangt werden. Bezieht sich das Auskunftsverlangen nach Satz 1 auf Daten, mittels derer der Zugriff auf Endgeräte oder auf Speichereinrichtungen, die in diesen Endgeräten oder hiervon räumlich getrennt eingesetzt werden, geschützt wird, darf die Auskunft nur verlangt werden, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen für die Verarbeitung der Daten vorliegen. (2) Die Auskunft nach Absatz 1 darf auch anhand einer zu einem bestimmten Zeitpunkt zugewiesenen Internetprotokoll-Adresse sowie weiterer zur Individualisierung erforderlicher technischer Daten verlangt werden. (3) In den Fällen des Absatzes 1 Satz 2 und des Absatzes 2 ist zuständig für die Anordnung die Leitung des Landesamtes für Verfassungsschutz oder ihre Stellvertretung. SS 7a Absatz 7 gilt in diesen Fällen entsprechend. (4) Auf Grund eines Auskunftsverlangens nach Absatz 1 oder 2 hat derjenige, der geschäftsmäßig Telekommunikationsdienste erbringt oder daran mitwirkt, die zur Auskunftserteilung erforderlichen Daten unverzüglich, vollständig und richtig offenzulegen. (5) Das Landesamt für Verfassungsschutz hat für ihm erteilte Auskünfte eine Entschädigung zu gewähren, deren Umfang sich nach SS 23 und Anlage 3 JVEG bemisst; die Vorschriften über die Verjährung in SS 2 Absätze 1 und 4 JVEG finden entsprechend Anwendung. (6) Das Grundrecht des Fernmeldegeheimnisses (Artikel 10 des Grundgesetzes) wird nach Maßgabe des Absatzes 2 eingeschränkt. SS8 Erheben von Informationen mit nachrichtendienstlichen Mitteln (1) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf mit nachrichtendienstlichen Mitteln Informationen verdeckt erheben. Der Einsatz von nachrichtendienstlichen Mitteln ist vorbehaltlich SS 6 nur zulässig, wenn 261 Anhang / Verfassungsschutzgesetz (HmbVerfSchG) 1. er sich gegen Organisationen, unorganisierte Gruppen, in ihnen oder einzeln tätige Personen richtet, bei denen tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht von Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 4 Absatz 1 bestehen, 2. er sich gegen andere als die in Nummer 1 genannten Personen richtet, von denen auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass sie für die betroffene Person bestimmte oder von ihr herrührende Mitteilungen entgegennehmen oder weitergeben, um auf diese Weise Erkenntnisse über sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten für eine fremde Macht oder gewalttätige Bestrebungen und Tätigkeiten nach SS 4 Absatz 1 zu gewinnen, 3. auf diese Weise die zur Erforschung von Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 4 Absatz 1 erforderlichen Nachrichtenzugänge geschaffen werden können oder 4. dies zur Abschirmung der Mitarbeiter, Einrichtungen, Gegenstände und Nachrichtenzugänge des Landesamtes für Verfassungsschutz gegen sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten erforderlich ist. Das Landesamt für Verfassungsschutz darf die so gewonnenen Informationen nur für die in Satz 2 genannten Zwecke verwenden. Unterlagen, die für diese Zwecke nicht erforderlich sind, sind unverzüglich zu vernichten. Die Vernichtung kann unterbleiben, wenn die Informationen von anderen schriftlichen Unterlagen, die zur Erfüllung der Aufgaben erforderlich sind, nicht oder nur mit unvertretbarem Aufwand getrennt werden können; in diesem Fall unterliegen sie einem Verwertungsverbot. (2) Zulässige nachrichtendienstliche Mittel sind 1. eigene Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Landesamtes für Verfassungsschutz unter einer ihnen verliehenen und auf Dauer angelegten Legende (Verdeckte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter), 2. verdeckt eingesetzte Personen, die nicht in einem arbeitsvertraglichen oder öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zum Landesamt für Ver262 Anhang / Verfassungsschutzgesetz (HmbVerfSchG) fassungsschutz stehen, wie Privatpersonen, deren planmäßige, dauerhafte Zusammenarbeit mit dem Landesamt für Verfassungsschutz Dritten nicht bekannt ist (Vertrauensleute), Informanten, Gewährspersonen, 3. planmäßig angelegte Beobachtungen (Observationen), 4. Bildaufzeichnungen, 5. verdeckte Ermittlungen und Befragungen, 6. verdecktes Mithören ohne Inanspruchnahme technischer Mittel, 7. verdecktes Mithören und Aufzeichnen des nicht öffentlich gesprochenen Wortes oder sonstiger Signale unter Einsatz technischer Mittel innerhalb und außerhalb von Wohnungen (Artikel 13 des Grundgesetzes), 8. Beobachten und Aufzeichnen des Funkverkehrs und die verdeckte Standortbestimmung mit technischen oder telekommunikativen Mitteln, soweit nicht der Postund Fernmeldeverkehr nach Maßgabe des Artikel 10-Gesetzes betroffen ist, 9. Aufbau und Gebrauch von Legenden, 10. Beschaffen, Erstellen und Verwenden von Tarnpapieren und Tarnkennzeichen, 11. Überwachen des Brief-, Postund Fernmeldeverkehrs nach Maßgabe des Artikel 10-Gesetzes sowie 12. weitere vergleichbare Methoden, Gegenstände und Instrumente zur heimlichen Informationsbeschaffung, insbesondere das sonstige Eindringen in technische Kommunikationsbeziehungen durch Bild-, Tonund Datenaufzeichnungen, um die nach Absatz 1 erforderlichen Informationen zu gewinnen. Die nachrichtendienstlichen Mittel sind abschließend in einer Dienstvorschrift zu benennen, die auch die Zuständigkeit für die Anordnung solcher 263 Anhang / Verfassungsschutzgesetz (HmbVerfSchG) Informationserhebungen regelt. Die Dienstvorschrift bedarf der Zustimmung des Präses der zuständigen Behörde. Der oder dem Hamburgischen Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit ist Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Die Behörden der Freien und Hansestadt Hamburg sind verpflichtet, dem Landesamt für Verfassungsschutz Hilfe für Tarnungsmaßnahmen zu leisten. Der Einsatz der nachrichtendienstlichen Mittel ist zu dokumentieren. (3) Der verdeckte Einsatz besonderer technischer Mittel zur Informationsgewinnung ist im Schutzbereich des Artikels 13 des Grundgesetzes innerhalb von Wohnungen in Abwesenheit einer für das Landesamt für Verfassungsschutz tätigen Person zur Abwehr dringender Gefahren für die Schutzgüter des SS 1 und unter Berücksichtigung des SS 6 nur zulässig, wenn die materiellen Voraussetzungen für einen Eingriff in das Brief-, Postoder Fernmeldegeheimnis nach SS 1 Absatz 1 Nummer 1 und SS 3 Absatz 1 Satz 1 des Artikel 10-Gesetzes vorliegen und die Erforschung des Sachverhalts auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre. Der verdeckte Einsatz besonderer technischer Mittel darf sich nur gegen die verdächtige Person richten. Bei unmittelbar bevorstehender Gefahr darf der Einsatz sich auch gegen Personen richten, von denen auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass sie für die verdächtige Person bestimmte oder von ihr herrührende Mitteilungen entgegennehmen oder weitergeben oder dass die verdächtige Person sich in ihrer Wohnung aufhält. (4) Die Anordnung des Einsatzes besonderer technischer Mittel nach Absatz 3 Satz 1 trifft die Richterin oder der Richter. Bei Gefahr im Verzug kann die Leitung des Landesamtes für Verfassungsschutz oder bei ihrer Verhinderung ihre Stellvertretung einen Einsatz nach Absatz 3 Satz 1 anordnen; die Tatsachen, die Gefahr im Verzug begründen, sind aktenkundig zu machen. Eine richterliche Entscheidung ist unverzüglich nachzuholen. Die Anordnungen sind auf längstens vier Wochen zu befristen; Verlängerungen um jeweils nicht mehr als vier weitere Wochen sind auf Antrag zulässig, soweit die Voraussetzungen der Anordnung fortbestehen. (5) Die Anordnung des Einsatzes besonderer technischer Mittel nach Absatz 3 Satz 1 wird unter der Aufsicht einer bediensteten Person des Landesamtes für Verfassungsschutz vollzogen, die die Befähigung zum Richteramt hat. Liegen die Voraussetzungen der Anordnung nicht mehr vor 264 Anhang / Verfassungsschutzgesetz (HmbVerfSchG) oder ist der verdeckte Einsatz technischer Mittel zur Informationsgewinnung nicht mehr erforderlich, ist die Maßnahme unverzüglich zu beenden. Das Abhören und Aufzeichnen ist unverzüglich zu unterbrechen, soweit sich während der Überwachung Anhaltspunkte dafür ergeben, dass Äußerungen, die dem Kernbereich privater Lebensgestaltung zuzurechnen sind, erfasst werden. Ist eine Maßnahme unterbrochen worden, so darf sie fortgeführt werden, soweit auf Grund tatsächlicher Anhaltspunkte, insbesondere zu der Art der zu überwachenden Räumlichkeiten und dem Verhältnis der zu überwachenden Personen zueinander, anzunehmen ist, dass durch die Überwachung Äußerungen, die dem Kernbereich privater Lebensgestaltung zuzurechnen sind, nicht mehr erfasst werden. Im Zweifel ist über die Unterbrechung oder Fortführung der Maßnahme unverzüglich eine Entscheidung des Gerichts herbeizuführen. (6) Erkenntnisse und Unterlagen, die durch Maßnahmen nach Absatz 3 Satz 1 gewonnen wurden, dürfen zur Verfolgung und Erforschung der dort genannten Bestrebungen oder Tätigkeiten sowie nach Maßgabe des SS 4 Absätze 4 bis 6 des Artikel 10-Gesetzes verwendet werden. SS 14 Absatz 1 bleibt unberührt. Für die Speicherung und Löschung der durch die Maßnahmen nach den Absätzen 3 und 7 erlangten personenbezogenen Daten sowie die Entscheidung über die nachträgliche Information der von Maßnahmen nach den Absätzen 3 und 7 betroffenen Personen gelten SS 4 Absatz 1 und SS 12 des Artikel 10-Gesetzes entsprechend. Die Zusammenarbeitsverpflichtung nach SS 3 bleibt unberührt. (7) Der verdeckte Einsatz besonderer technischer Mittel im Schutzbereich des Artikels 13 des Grundgesetzes innerhalb von Wohnungen ist auch dann zulässig, wenn er ausschließlich zum Schutz der dort für den Verfassungsschutz tätigen Personen zur Abwehr von Gefahren für Leben, Gesundheit oder Freiheit unerlässlich ist und von der Leitung des Landesamtes für Verfassungsschutz oder bei ihrer Verhinderung von ihrer Stellvertretung angeordnet ist. Eine anderweitige Verwertung der hierbei erlangten Kenntnisse zum Zweck der Strafverfolgung oder der Gefahrenabwehr ist nur zulässig, wenn zuvor die Rechtmäßigkeit der Maßnahme richterlich festgestellt ist; bei Gefahr im Verzug ist die richterliche Entscheidung unverzüglich nachzuholen. Die Tatsachen, die Gefahr im Verzug begründen, sind aktenkundig zu machen. (8) Zuständiges Gericht zur Entscheidung nach den Absätzen 3 und 7 ist 265 Anhang / Verfassungsschutzgesetz (HmbVerfSchG) das Amtsgericht Hamburg. Für das Verfahren findet Buch 1 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit vom 17. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2586, 2587), zuletzt geändert am 15. August 2019 (BGBl. I S. 1294, 1302), entsprechend Anwendung. (9) Das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung (Artikel 13 des Grundgesetzes) wird nach Maßgabe der Absätze 3 und 7 eingeschränkt. (10) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf unter den Voraussetzungen des SS 7 Absatz 4 technische Mittel zur Ermittlung des Standortes eines aktiv geschalteten Mobilfunkendgerätes oder zur Ermittlung der Geräteoder Kartennummer einsetzen. Die Maßnahme ist nur zulässig, wenn ohne Einsatz technischer Mittel nach Satz 1 die Ermittlung des Standortes oder die Ermittlung der Geräteoder Kartennummer aussichtslos oder wesentlich erschwert ist. Sie darf sich nur gegen die in SS 7 Absatz 5 Nummer 1 und Nummer 2 Buchstabe b bezeichneten Personen richten. Personenbezogene Daten eines Dritten dürfen anlässlich solcher Maßnahmen nur erhoben werden, wenn dies aus technischen Gründen zur Erreichung des Zwecks nach Satz 1 unvermeidbar ist. Sie unterliegen einem absoluten Verwendungsverbot und sind nach Beendigung der Maßnahme unverzüglich zu löschen. SS 7a Absätze 1 bis 3 und Absatz 7 Satz 1 gilt entsprechend. Das Grundrecht des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses ( Artikel 10 des Grundgesetzes ) wird insoweit eingeschränkt. (11) Erhebungen nach den Absätzen 3 bis 8 und Eingriffe, die in Art und Schwere einer Beschränkung des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses gleichkommen, wozu insbesondere das verdeckte Mithören und Aufzeichnen des nicht öffentlich gesprochenen Wortes oder sonstiger Signale unter Einsatz technischer Mittel außerhalb von Wohnungen gehören, bedürfen der Zustimmung des Präses oder bei ihrer oder seiner Verhinderung der Staatsrätin oder des Staatsrates der zuständigen Behörde. SS 7a Absatz 7 gilt entsprechend. (12) Zur Durchführung einer bereits oder zugleich angeordneten Maßnahme nach SS 1 Absatz 1 Nummer 1 des Artikel 10-Gesetzes darf das Landesamt für Verfassungsschutz mit technischen Mitteln auf informationstechnische Systeme zugreifen, wenn dies notwendig ist, um die Überwachung und Aufzeichnung insbesondere in unverschlüsselter Form zu 266 Anhang / Verfassungsschutzgesetz (HmbVerfSchG) ermöglichen und durch technische Maßnahmen sichergestellt ist, dass ausschließlich laufende Telekommunikation überwacht und aufgezeichnet wird. Auf dem informationstechnischen System gespeicherte Inhalte und Umstände der Kommunikation dürfen überwacht und aufgezeichnet werden, wenn sie auch während eines laufenden Übertragungsvorgangs im öffentlichen Telekommunikationsnetz in verschlüsselter Form hätten überwacht und aufgezeichnet werden können. An dem informationstechnischen System dürfen nur Veränderungen vorgenommen werden, die für die Datenerhebung unerlässlich sind. Sie sind bei Beendigung der Maßnahme, soweit technisch möglich, automatisiert rückgängig zu machen. Das eingesetzte Mittel ist nach dem Stand der Technik gegen unbefugte Nutzung zu schützen. Bei jedem Einsatz sind zu protokollieren 1. die Bezeichnung des technischen Mittels und der Zeitpunkt seines Einsatzes, 2. die Angaben zur Identifizierung des informationstechnischen Systems und die daran vorgenommenen nicht nur flüchtigen Veränderungen, 3. die Angaben, die die Feststellung der erhobenen Daten ermöglichen, und 4. die Organisationseinheit, die die Maßnahme durchführt. Die Maßnahmen nach den Sätzen 1 und 2 dürfen sich nur gegen die verdächtige Person oder gegen Personen richten, von denen auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass sie für die verdächtige Person bestimmte oder von ihr herrührende Mitteilungen entgegennehmen oder weitergeben oder dass die verdächtige Person ihren Anschluss oder ihr informationstechnisches System benutzt. SSSS 2 , 3 , SS 3a Sätze 1 bis 8 , SSSS 4 , 9 bis 12 und SSSS 19 bis 20 des Artikel 10-Gesetzes sowie SS 1 des Hamburgischen Gesetzes zur Ausführung des Artikel 10 Gesetzes gelten entsprechend. Im Antrag und in der Anordnung ist das informationstechnische System, in das zur Datenerhebung eingegriffen werden soll, möglichst genau zu bezeichnen. Das Grundrecht des Fernmeldegeheimnisses ( Artikel 10 des Grundgesetzes ) wird insoweit eingeschränkt. (13) Werden Maßnahmen nach Absatz 12 Satz 1 oder 2 durchgeführt, darf diese Tatsache von Personen, die Telekommunikationsdienste erbringen 267 Anhang / Verfassungsschutzgesetz (HmbVerfSchG) oder an der Erbringung solcher Dienste mitwirken, anderen nicht mitgeteilt werden. Erfolgt ein Auskunftsersuchen oder eine Auskunftserteilung nach SS 2 Absatz 1 des Artikel 10-Gesetzes , darf diese Tatsache oder der Inhalt des Ersuchens oder der erteilten Auskunft von Personen, die zur Beantwortung verpflichtet oder mit der Beantwortung betraut sind oder hieran mitwirken, anderen nicht mitgeteilt werden. Mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer entgegen Satz 1 oder 2 eine Mitteilung macht. SS 8a Verdeckte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, Vertrauensleute (1) Verdeckte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter nach SS 8 Absatz 2 Satz 1 Nummer 1 dürfen weder zur Gründung von Bestrebungen nach SS 4 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, 3 oder 4 noch zur steuernden Einflussnahme auf derartige Bestrebungen eingesetzt werden. Sie dürfen in solchen Personenzusammenschlüssen oder für solche Personenzusammenschlüsse tätig werden, um deren Bestrebungen aufzuklären. Im Einsatz ist eine Beteiligung an Bestrebungen zulässig, wenn sie 1. nicht in Individualrechte eingreift, 2. von den an den Bestrebungen Beteiligten derart erwartet wird, dass sie zur Gewinnung und Sicherung der Informationszugänge unumgänglich ist und 3. nicht außer Verhältnis zur Bedeutung des aufzuklärenden Sachverhalts steht. Sofern zureichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass Verdeckte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter im Einsatz oder außerhalb des Einsatzes rechtswidrig einen Straftatbestand von erheblicher Bedeutung verwirklicht haben, soll der etwaige Einsatz unverzüglich beendet und die Strafverfolgungsbehörde unterrichtet werden. Über Ausnahmen von Satz 4 entscheidet die Leitung des Landesamtes für Verfassungsschutz oder ihre Stellvertretung. 268 Anhang / Verfassungsschutzgesetz (HmbVerfSchG) (2) Als Vertrauensleute nach SS 8 Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 dürfen Personen nicht angeworben und eingesetzt werden, die 1. nicht voll geschäftsfähig, insbesondere minderjährig sind, 2. von den Zuwendungen für die Tätigkeit dauerhaft abhängig sein würden, oder bei denen die Anwerbung unter Ausnutzung eines Abhängigkeitsverhältnisses zu einer deutschen Behörde erfolgen würde, wenn dadurch erhebliche Zweifel an ihrer Nachrichtenehrlichkeit begründet wären, 3. an einem Aussteigerprogramm teilnehmen, 4. Mitglied des Europäischen Parlaments, des Deutschen Bundestages, eines Landesparlaments oder Mitarbeiterin oder Mitarbeiter eines solchen Mitglieds sind oder 5. im Bundeszentralregister mit einer Verurteilung wegen eines Verbrechens oder zu einer Freiheitsstrafe, deren Vollstreckung nicht zur Bewährung ausgesetzt worden ist, eingetragen sind. Die Leitung des Landesamtes für Verfassungsschutz kann eine Ausnahme von Satz 1 Nummer 5 zulassen, wenn die Verurteilung nicht als Täterin oder Täter eines Totschlags ( SSSS 212 und 213 des Strafgesetzbuchs ) oder einer allein mit lebenslanger Haft bedrohten Straftat erfolgt ist und der Einsatz zur Aufklärung von Bestrebungen, die auf die Begehung von in SS 3 Absatz 1 des Artikel 10-Gesetzes bezeichneten Straftaten gerichtet sind, unerlässlich ist. Im Falle einer Ausnahme nach Satz 2 ist der Einsatz nach höchstens sechs Monaten zu beenden, wenn er zur Erforschung der in Satz 2 genannten Bestrebungen nicht zureichend gewichtig beigetragen hat. Auch im Weiteren ist die Qualität der gelieferten Informationen fortlaufend zu bewerten. Absatz 1 gilt entsprechend für Vertrauensleute. Das Landesamt für Verfassungsschutz darf aufgrund der Ablehnung der Aufnahme oder der Fortsetzung der Tätigkeit durch die betroffene Person keine für diese nachteiligen und in keinem Sachzusammenhang mit der Tätigkeit als Vertrauensperson stehenden Handlungen vornehmen. 269 Anhang / Verfassungsschutzgesetz (HmbVerfSchG) SS9 Verarbeitung personenbezogener Daten in Akten und Dateisystemen (1) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf zur Erfüllung seiner Aufgaben Informationen einschließlich personenbezogener Daten in schriftlichen oder elektronischen Akten und in amtseigenen Dateisystemen verarbeiten, wenn 1. tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 4 Absatz 1 vorliegen, 2. dies für die Erforschung und Bewertung von Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 4 Absatz 1 erforderlich ist oder 3. das Landesamt für Verfassungsschutz nach SS 4 Absatz 2 tätig wird. Informationen, die nach Satz 1 verarbeitete Angaben belegen, dürfen auch verarbeitet werden, wenn sie personenbezogene Daten Dritter enthalten. Eine Abfrage von Daten Dritter ist unzulässig, es sei denn, die Abfrage erfolgt ausnahmsweise im Vorwege einer beabsichtigten Verarbeitung in gemeinsamen Dateien nach SS 6 BVerfSchG , es liegt Gefahr im Verzug vor oder es besteht eine konkrete Bedrohungslage für die abzufragende Person. Die unzulässige Abfrage hat ein Verwertungsverbot zur Folge. Falls die Voraussetzungen des Satzes 1 später eintreten, dürfen die Daten Dritter verarbeitet werden, wenn diese Daten neu auch für den geänderten Zweck mit vergleichbar schwerwiegenden Mitteln erhoben werden dürften. Das Recht der Verarbeitung personenbezogener Daten nach SS 7 Absatz 1 Satz 2 zur Vorgangsverwaltung bleibt unberührt. (2) Das Landesamt für Verfassungsschutz hat die Speicherungsdauer auf das für seine Aufgabenerfüllung erforderliche Maß zu beschränken. Es prüft bei der Einzelfallbearbeitung sowie spätestens fünf Jahre nach der letzten relevanten Speicherung, ob personenbezogene Daten in Dateisystemen oder in Akten zu löschen sind. (3) Akten oder Auszüge aus Akten dürfen auch in elektronischer Form geführt werden. Insoweit kommen die Regelungen über die Verarbeitung von personenbezogenen Daten in Akten zur Anwendung. Der automati270 Anhang / Verfassungsschutzgesetz (HmbVerfSchG) sierte Abgleich dieser personenbezogenen Daten ist nur beschränkt auf Akten eng umgrenzter Anwendungsgebiete zulässig. Bei jeder Abfrage sind für Zwecke der Datenschutzkontrolle der Zeitpunkt, die Angaben, die die Feststellung der abgefragten Daten ermöglichen, sowie Angaben zur Feststellung des Abfragenden zu protokollieren. Die protokollierten Daten dürfen nur für Zwecke der Datenschutzkontrolle, der Datensicherung oder zur Sicherstellung eines ordnungsgemäßen Betriebs der Datenverarbeitungsanlage verwendet werden. Die Protokolldaten sind am Ende des Kalenderjahres, das dem Jahr der Protokollierung folgt, zu löschen. (4) Das Landesamt für Verfassungsschutz ist befugt, gemäß SS 22 a BVerfSchG personenbezogene Daten in gemeinsamen Dateien mit den Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder und anderen Sicherheitsbehörden zu verarbeiten, soweit besondere bundesrechtliche Vorschriften oder landesrechtliche Vorschriften Anlass, Umfang und sonstige datenschutzrechtliche Anforderungen regeln. SS 10 Verarbeitung von Daten Minderjähriger (1) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf Informationen über Minderjährige in Akten und amtseigenen Dateien im Einzelfall verarbeiten; das gilt 1. für Minderjährige ab Vollendung des 12. und vor Vollendung des 14. Lebensjahres unter den Voraussetzungen des SS 9 , wenn die Informationen über Minderjährige für die Sammlung und Auswertung von Informationen über eine Bestrebung oder Tätigkeit nach SS 4 Absatz 1 von erheblicher Bedeutung sind, weil a) sie tatsächliche Anhaltspunkte für eine solche Bestrebung oder Tätigkeit begründen, b) sie für die Erforschung oder Bewertung der Bestrebung oder Tätigkeit in besonderem Maße erforderlich sind oder c) tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die minderjährige Person eine der in SS 3 des Artikel 10-Gesetzes genannten Straftaten plant, begeht oder begangen hat, oder 271 Anhang / Verfassungsschutzgesetz (HmbVerfSchG) 2. für Minderjährige jedes Alters aus Gründen des Kindeswohls zum Zwecke der Offenlegung nach SS 14 Absatz 2 Satz 1 unter den dort genannten Voraussetzungen auch soweit die Voraussetzungen des SS 9 nicht vorliegen. Abgesehen von den Fällen des Satzes 1 Nummer 2 ist die Verarbeitung von Informationen über Minderjährige vor Vollendung des 12. Lebensjahres unzulässig. In den Fällen des Satzes 1 Nummer 1 dürfen keine Personenakten angelegt werden. Die Speicherungen und Offenlegungen sowie deren Begründungen sind zu dokumentieren. (2) In Dateisystemen verarbeitete Daten über Minderjährige vor Vollendung des 14. Lebensjahres sind jährlich auf die Erforderlichkeit der Verarbeitung zu überprüfen und spätestens nach zwei Jahren zu löschen, es sei denn, dass weitere Erkenntnisse nach Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 angefallen sind. In Dateisystemen verarbeitete Daten über Minderjährige ab Vollendung des 14. Lebensjahres sind jährlich auf die Erforderlichkeit der Verarbeitung zu überprüfen und spätestens nach drei Jahren zu löschen, es sei denn, dass weitere Erkenntnisse nach SS 4 Absatz 1 angefallen sind. (3) Kommt es bei der Verarbeitung von personenbezogenen Daten auf ein bestimmtes Alter an, ist dieses aber unbekannt, so sind die dieses Alter betreffenden Vorschriften dieses Gesetzes bereits dann anzuwenden, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass es sich bei diesen Personen um Personen dieses Alters handelt. SS 11 Berichtigung, Löschung und Verarbeitungseinschränkung (1) Personenbezogene Daten sind unverzüglich zu berichtigen, wenn sie unrichtig sind. Wurden die unrichtigen Daten offengelegt, hat die offenlegende Stelle die Stelle, der gegenüber die Daten offengelegt wurden, über die Berichtigung zu informieren, wenn durch die Offenlegung schutzwürdige Interessen der betroffenen Person beeinträchtigt sein können. (2) Personenbezogene Daten sind zu löschen, wenn 1. ihre Speicherung unzulässig ist, 272 Anhang / Verfassungsschutzgesetz (HmbVerfSchG) 2. die betroffene Person ihre Einwilligung widerruft und es an einer anderweitigen Rechtsgrundlage für die Verarbeitung fehlt, 3. ihre Kenntnis zur Erfüllung der Aufgaben nicht mehr erforderlich ist oder 4. seit der letzten relevanten gespeicherten Information über Bestrebungen und Tätigkeiten nach SS 4 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, 3 oder 4 zehn Jahre vergangen sind, es sei denn, der Präses der zuständigen Behörde oder die oder der von ihr oder ihm besonders ermächtigte Bedienstete trifft hierzu ausnahmsweise eine die Löschung aufschiebende Entscheidung; diese Entscheidung ist zu begründen und aktenkundig zu machen. Bei schriftlichen und elektronischen Akten erfolgt die Löschung erst, wenn die gesamte Akte zu löschen ist. SS 7 Absatz 1a bleibt unberührt. Eine Akte ist zu vernichten, wenn sie insgesamt zur Erfüllung der Aufgaben des Landesamtes für Verfassungsschutz nicht oder nicht mehr erforderlich ist. Die Vorschriften des Hamburgischen Archivgesetzes vom 21. Januar 1991 (HmbGVBl. S. 7), zuletzt geändert am 16. Juni 2005 (HmbGVBl. S. 233, 239), in der jeweils geltenden Fassung bleiben unberührt. (3) Die Verarbeitung personenbezogener Daten ist auf Antrag oder von Amts wegen einzuschränken, wenn 1. die Verarbeitung unrechtmäßig ist und die betroffene Person die Löschung der personenbezogenen Daten ablehnt und stattdessen die Einschränkung der Nutzung der personenbezogenen Daten verlangt, 2. das Landesamt für Verfassungsschutz die personenbezogenen Daten für die Zwecke der Verarbeitung nicht länger benötigt, die betroffene Person sie jedoch zur Geltendmachung, Ausübung oder Verteidigung von Rechtsansprüchen benötigt oder 3. eine Löschung in sonstiger Weise die schutzwürdigen Interessen der betroffenen Person beeinträchtigen würde. 273 Anhang / Verfassungsschutzgesetz (HmbVerfSchG) Wurde die Verarbeitung eingeschränkt, so dürfen diese personenbezogenen Daten nur mit Einwilligung der betroffenen Person oder zur Geltendmachung, Ausübung oder Verteidigung von Rechtsansprüchen oder zum Schutz der Rechte einer anderen natürlichen oder juristischen Person oder aus Gründen eines wichtigen öffentlichen Interesses des Bundes oder eines Landes verarbeitet werden. Sofern eine zustellfähige Anschrift vorliegt, wird eine betroffene Person, die eine Einschränkung der Verarbeitung gemäß Satz 1 Nummer 1 erwirkt hat, vom Landesamt für Verfassungsschutz über die Aufhebung der Einschränkung unterrichtet. (4) Personenbezogene Daten, die ausschließlich zu Zwecken der Datenschutzkontrolle oder der Datensicherung gespeichert werden, dürfen nur für diese Zwecke oder bei Verdacht des Datenmissbrauchs genutzt werden. 3. Abschnitt Offenlegung von Daten SS 12 Offenlegung nicht personenbezogener Daten Das Landesamt für Verfassungsschutz kann die im Rahmen seiner gesetzlichen Aufgabenerfüllung erlangten Daten, die nicht personenbezogen sind, gegenüber anderen Behörden und Stellen, insbesondere gegenüber der Polizei und der Staatsanwaltschaft, offenlegen, wenn sie für die Aufgabenerfüllung der Empfängerin oder des Empfängers erforderlich sein können. SS 13 Offenlegung personenbezogener Daten gegenüber Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder Gemäß SS 6 Absatz 1 Satz 1 BVerfSchG legt das Landesamt für Verfassungsschutz dem Bundesamt für Verfassungsschutz und den Verfassungsschutzbehörden der Länder unverzüglich die für ihre Aufgaben relevanten Informationen, einschließlich der Erkenntnisse ihrer Auswertungen, offen. 274 Anhang / Verfassungsschutzgesetz (HmbVerfSchG) SS 14 Offenlegung personenbezogener Daten gegenüber inländischen öffentlichen Stellen und Strafverfolgungsbehörden (1) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf personenbezogene Daten, die mit den Mitteln nach SS 8 Absatz 2 erhoben worden sind, gegenüber der Staatsanwaltschaft und der Polizei offenlegen, soweit dies erforderlich ist zur 1. Erfüllung eigener Aufgaben der Informationsgewinnung (SS 7 Absatz 2), 2. Abwehr einer im Einzelfall bestehenden Gefahr für den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes oder für Leib, Leben, Gesundheit oder Freiheit einer Person oder für Sachen von erheblichem Wert, deren Erhaltung im öffentlichen Interesse geboten ist, 3. Verhinderung oder sonstigen Verhütung von Straftaten von erheblicher Bedeutung oder 4. Verfolgung von Straftaten von erheblicher Bedeutung, wenn die Empfängerin oder der Empfänger diese Daten in den Fällen der Nummern 2 bis 4 neu auch zu dem Zweck, zu dem ihr oder ihm die Daten offengelegt werden, mit vergleichbar schwerwiegenden Mitteln erheben dürfte. (2) Im Übrigen darf das Landesamt für Verfassungsschutz personenbezogene Daten gegenüber inländischen öffentlichen Stellen offenlegen, wenn dieses zur Erfüllung seiner Aufgaben erforderlich ist oder wenn die Empfängerin oder der Empfänger die Daten zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, für sonstige erhebliche Zwecke der öffentlichen Sicherheit, zur Abwehr einer schwerwiegenden Gefährdung oder Beeinträchtigung der Rechte Einzelner oder für sonstige Aufgaben, die in ihrer Intensität der Gefährdung den genannten Aufgaben entsprechen, benötigt. Sofern die Voraussetzungen der SSSS 9 und 10 nicht vorliegen, dürfen die zur Offenlegung erforderlichen Informationen einschließlich 275 Anhang / Verfassungsschutzgesetz (HmbVerfSchG) personenbezogener Daten nur zum Zwecke der Offenlegung in Akten und amtseigenen Dateisystemen verarbeitet werden. Die Empfängerin oder der Empfänger darf die offengelegten Daten, soweit gesetzlich nichts Anderes bestimmt ist, nur zu dem Zweck verarbeiten, zu dem sie ihr oder ihm offengelegt wurden. Die Offenlegung von nach SS 10 Absatz 1 verarbeiteten Daten bedarf der Zustimmung der Leitung des Landesamtes für Verfassungsschutz oder ihrer Stellvertretung. (3) Das Landesamt für Verfassungsschutz legt gegenüber den Staatsanwaltschaften und, vorbehaltlich der staatsanwaltschaftlichen Sachleitungsbefugnis, den Polizeien Informationen einschließlich personenbezogener Daten unter den Voraussetzungen des SS 20 Absatz 1 Sätze 1 und 2 sowie Absatz 2 Satz 1 BVerfSchG offen. SS 15 Offenlegung personenbezogener Daten gegenüber Stationierungsstreitkräften Das Landesamt für Verfassungsschutz darf Informationen einschließlich personenbezogener Daten gegenüber Dienststellen der Stationierungsstreitkräfte im Rahmen von Artikel 3 des Zusatzabkommens zu dem Abkommen zwischen den Parteien des Nordatlantikvertrages über die Rechtsstellung ihrer Truppen hinsichtlich der in der Bundesrepublik Deutschland stationierten ausländischen Truppen vom 3. August 1959 (BGBl. 1961 II S. 1183), zuletzt geändert am 18. März 1993 (BGBl. 1994 II S. 2594), offenlegen. Die Entscheidung für eine Offenlegung treffen der Präses der zuständigen Behörde oder die von ihr oder ihm besonders ermächtigten Bediensteten des Landesamtes für Verfassungsschutz. Die Empfängerin oder der Empfänger ist darauf hinzuweisen, dass sie oder er die offengelegten Daten nur zur Verarbeitung für den Zweck erhält, zu dem sie ihr oder ihm übermittelt wurden. 276 Anhang / Verfassungsschutzgesetz (HmbVerfSchG) SS 16 Offenlegung personenbezogener Daten gegenüber ausländischen öffentlichen Stellen Das Landesamt für Verfassungsschutz darf personenbezogene Daten im Einvernehmen mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz gegenüber ausländischen öffentlichen Stellen sowie gegenüber überoder zwischenstaatlichen Stellen offenlegen, wenn die Offenlegung zur Erfüllung seiner Aufgaben oder zur Wahrung erheblicher Sicherheitsinteressen der Empfängerin oder des Empfängers erforderlich ist. Die Entscheidung für eine Offenlegung treffen der Präses der zuständigen Behörde oder die von ihr oder ihm besonders ermächtigten Bediensteten des Landesamtes für Verfassungsschutz. Die Offenlegung unterbleibt, wenn auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland oder überwiegende schutzwürdige Interessen der betroffenen Person entgegenstehen oder wenn dadurch gegen den Zweck eines deutschen Gesetzes verstoßen würde. Zu den schutzwürdigen Interessen der betroffenen Person gehört das Vorhandensein eines angemessenen Datenschutzniveaus im betreffenden Staat. Die Offenlegung ist aktenkundig zu machen. Die Empfängerin oder der Empfänger ist darauf hinzuweisen, dass sie oder er die offengelegten Daten nur zur Verarbeitung für den Zweck erhält, zu dem sie ihr oder ihm offengelegt wurden und das Landesamt für Verfassungsschutz sich vorbehält, um Auskunft über die vorgenommene Verwendung der Daten zu bitten. SS 17 Offenlegung personenbezogener Daten gegenüber Stellen außerhalb des öffentlichen Bereichs (1) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf personenbezogene Daten gegenüber Personen oder Stellen außerhalb des öffentlichen Bereichs nicht offenlegen, es sei denn, dass die Offenlegung zum Schutz 1. der sicherheitsempfindlichen Stellen der in SS 4 Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 genannten Einrichtungen, 2. der Verschlusssachen der in SS 4 Absatz 2 Satz 1 Nummer 5 genannten in der Geheimschutzbetreuung befindlichen nichtöffentlichen Stellen, 277 Anhang / Verfassungsschutzgesetz (HmbVerfSchG) 3. der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, des Bestandes oder der Sicherheit des Bundes oder eines Landes, 4. von Personen, die sich in einem Deradikalisierungsoder Extremismuspräventionsprogramm befinden oder deren Aufnahme in ein solches Programm angestrebt wird, oder 5. von schutzbedürftigen Personen, insbesondere Minderjährigen, im Zusammenhang mit ihrer Beeinflussungsbarkeit in gemeinnützigen Einrichtungen und Organisationen vor den in SS 4 Absatz 1 bezeichneten Bestrebungen, Tätigkeiten und Gefahren erforderlich ist und hinreichende Tatsachen für eine Beeinträchtigung vorliegen. Zulässig ist auch die Mitteilung, dass zu der betroffenen Person keine Erkenntnisse vorliegen. Die Entscheidung für eine Offenlegung treffen der Präses der zuständigen Behörde oder die von ihr oder ihm besonders ermächtigten Bediensteten des Landesamtes für Verfassungsschutz. Die nichtöffentlichen Stellen, an die personenbezogene Daten nach Satz 1 Nummer 4 offengelegt werden dürfen, werden durch ein von der zuständigen Behörde erstelltes Verzeichnis festgelegt. In Fällen des Satzes 1 Nummer 5 ist die Person, deren personenbezogene Daten offengelegt werden sollen, in der Regel mindestens zwei Wochen vor der Offenlegung zu benachrichtigen und ihr Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. (2) Das Landesamt für Verfassungsschutz führt über die Offenlegungen nach Absatz 1 einen Nachweis, aus dem der Zweck und die Veranlassung der Offenlegung, die Aktenfundstelle und die Empfängerin oder der Empfänger hervorgehen. Die Nachweise sind gesondert aufzubewahren, gegen unberechtigten Zugriff zu sichern und am Ende des Kalenderjahres, das dem Jahr ihrer Erstellung folgt, zu vernichten. (3) Die Empfängerin oder der Empfänger darf die ihr oder ihm gegenüber offengelegten Daten nur für den Zweck verarbeiten, zu dem sie ihr oder ihm offengelegt wurden. Hierauf ist sie oder er hinzuweisen. Die Offenlegung der personenbezogenen Daten ist der betroffenen Person durch das Landesamt für Verfassungsschutz mitzuteilen, sobald eine Gefährdung seiner Aufgabenerfüllung durch die Mitteilung nicht mehr zu besorgen ist. Einer Mitteilung bedarf es nicht, wenn diese Voraussetzung auch fünf Jahre 278 Anhang / Verfassungsschutzgesetz (HmbVerfSchG) nach der erfolgten Offenlegung noch nicht eingetreten ist und mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch in absehbarer Zukunft nicht eintreten wird. (4) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf eine Bewertung über personenbezogene Daten gegenüber Stellen außerhalb des öffentlichen Bereichs offenlegen, soweit die Offenlegung für Zwecke einer Zuverlässigkeitsüberprüfung mit Einwilligung der betroffenen Person erfolgt und im Hinblick auf den Anlass dieser Überprüfung, insbesondere den Zugang der betroffenen Person zu einer besonders gefährdeten Veranstaltung, mit Rücksicht auf ein berechtigtes Interesse der Empfängerin oder des Empfängers und wegen der Art oder des Umfangs der Erkenntnisse über die betroffene Person angemessen ist. Das Landesamt für Verfassungsschutz hat der betroffenen Person die Gründe für eine negative Bewertung mitzuteilen. Absätze 2 und 3 gelten entsprechend. SS 18 Offenlegung personenbezogener Daten gegenüber der Öffentlichkeit Bei der Information der Öffentlichkeit nach SS 4 Absatz 1 Sätze 4 und 5 dürfen auch personenbezogene Daten bekannt gegeben werden, wenn die Bekanntgabe für das Verständnis des Zusammenhanges oder der Darstellung von Organisationen oder unorganisierten Gruppierungen zwingend erforderlich ist und die Interessen der Allgemeinheit das schutzwürdige Interesse der betroffenen Person überwiegen. SS 19 Offenlegung personenbezogener Daten gegenüber dem Landesamt für Verfassungsschutz (1) Die hamburgischen Behörden und die der Aufsicht der Freien und Hansestadt Hamburg unterstehenden juristischen Personen des öffentlichen Rechts sind befugt, gegenüber dem Landesamt für Verfassungsschutz die Daten offenzulegen, um die es nach SS 7 Absatz 2 ersucht hat, soweit sie diesen Stellen bereits vorliegen. (2) Die in Absatz 1 genannten Stellen legen gegenüber dem Landesamt für Verfassungsschutz alle ihnen im Rahmen ihrer Aufgabenerfüllung bekannt 279 Anhang / Verfassungsschutzgesetz (HmbVerfSchG) gewordenen Informationen einschließlich personenbezogener Daten über Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 4 Absatz 1 offen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Offenlegung für die Erfüllung der Aufgaben des Landesamtes für Verfassungsschutz erforderlich ist. Im Zweifel haben die in Absatz 1 genannten Stellen das Landesamt für Verfassungsschutz zu kontaktieren, um das Vorliegen der Offenlegungsvoraussetzungen zu klären. Bei dieser Klärung soll die Offenlegung personenbezogener Daten möglichst vermieden werden. (3) Die Ausländerbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg legt gemäß SS 18 Absatz 1a BVerfSchG von sich aus gegenüber dem Landesamt für Verfassungsschutz die ihr bekannt gewordenen Informationen einschließlich personenbezogener Daten über Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 4 Absatz 1 offen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Offenlegung für die Erfüllung der Aufgaben des Landesamtes für Verfassungsschutz erforderlich ist. Die Offenlegung dieser personenbezogenen Daten an ausländische öffentliche Stellen sowie an überund zwischenstaatliche Stellen durch das Landesamt für Verfassungsschutz unterbleibt, wenn überwiegende schutzwürdige Belange der Person, deren Daten offengelegt werden sollen oder überwiegende schutzwürdige Belange Dritter entgegenstehen. Vor einer Offenlegung ist das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zu beteiligen. Für diese Offenlegungen des Landesamtes für Verfassungsschutz gilt SS 7a Absatz 3 entsprechend. (4) Die Offenlegung von personenbezogenen Daten gegenüber dem Landesamt für Verfassungsschutz durch die Staatsanwaltschaften und, vorbehaltlich der staatsanwaltschaftlichen Sachleitungsbefugnis, die Polizei setzt voraus, dass die Verarbeitung dieser Daten durch das Landesamt für Verfassungsschutz dem Schutz von Rechtsgütern eines solchen Gewichts dient, dass das Landesamt für Verfassungsschutz diese Daten neu mit vergleichbar schwerwiegenden Mitteln erheben könnte. Insbesondere ist die Offenlegung personenbezogener Daten, die auf Grund strafprozessualer Zwangsmaßnahmen oder verdeckter Datenerhebungen zur Gefahrenabwehr bekannt geworden sind, nur zulässig, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für gewalttätige Bestrebungen oder sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten oder für eine in SSSS 74a und 120 des Gerichtsverfassungsgesetzes in der Fassung vom 9. Mai 1975 (BGBl. I S. 1079), zuletzt geändert am 8. Juli 2019 (BGBl. I S. 1002, 1018), und SSSS 130 und 131 des Strafgesetzbuchs genannte Straftat oder für eine sons280 Anhang / Verfassungsschutzgesetz (HmbVerfSchG) tige Straftat, bei der auf Grund ihrer Zielsetzung, des Motivs des Täters oder dessen Verbindung zu einer Organisation tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie gegen die in Artikel 73 Absatz 1 Nummer 10 Buchstabe b oder c des Grundgesetzes genannten Schutzgüter gerichtet ist, bestehen. Die Offenlegung personenbezogener Daten, die auf Grund einer Maßnahme nach SS 100a StPO oder einer entsprechenden Maßnahme zur Gefahrenabwehr bekannt geworden sind, ist nur zulässig, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass jemand eine der in SS 3 des Artikel 10-Gesetzes genannten Straftaten plant, begeht oder begangen hat. Die Offenlegung personenbezogener Daten, die auf Grund einer Maßnahme nach SS 100b oder SS 100c StPO oder einer entsprechenden Maßnahme zur Gefahrenabwehr bekannt geworden sind, ist nur zulässig, wenn die Voraussetzungen des SS 8 Absatz 3 vorliegen. Auf die nach Satz 3 offengelegten Daten ist SS 4 des Artikel 10-Gesetzes entsprechend anzuwenden. Kennzeichnungen der sonstigen offengelegten Daten sind aufrechtzuerhalten. (5) Das Landesamt für Verfassungsschutz hat die ihm gegenüber offengelegten Informationen unverzüglich darauf zu überprüfen, ob sie zur Erfüllung seiner Aufgaben erforderlich sind. Ist dies nicht der Fall, sind die Unterlagen zu vernichten. Die Vernichtung unterbleibt, wenn die Unterlagen von anderen Informationen, die zur Erfüllung der Aufgaben erforderlich sind, nicht oder nur mit unvertretbarem Aufwand getrennt werden können; in diesem Fall unterliegen die personenbezogenen Daten einem Verwertungsverbot und sind entsprechend zu kennzeichnen. (6) Das Landesamt für Verfassungsschutz hat die Offenlegung der Informationen aktenkundig zu machen. Vorschriften in anderen Gesetzen über die Offenlegung von Informationen gegenüber dem Landesamt für Verfassungsschutz und über ihre Dokumentation bleiben unberührt. SS 21 Offenlegungsverbote und -einschränkungen (1) Die Offenlegung von Informationen nach diesem Abschnitt unterbleibt, wenn 1. eine Prüfung durch die offenlegende Stelle ergibt, dass die Informa281 Anhang / Verfassungsschutzgesetz (HmbVerfSchG) tionen zu löschen sind oder einem Verwertungsverbot unterliegen oder für die Empfängerin oder den Empfänger nicht mehr bedeutsam sind, 2. überwiegende Sicherheitsinteressen dies erfordern oder 3. für die offenlegende Stelle erkennbar ist, dass unter Berücksichtigung der Art der Informationen und ihrer Erhebung die schutzwürdigen Interessen der betroffenen Person das Allgemeininteresse an der Offenlegung überwiegen. (2) Besondere Rechtsvorschriften, die Informationsübermittlungen zulassen, einschränken oder verbieten sowie die Verpflichtung zur Wahrung gesetzlicher Geheimhaltungspflichten oder von Berufsoder besonderen Amtsgeheimnissen, die nicht auf gesetzlichen Vorschriften beruhen, bleiben unberührt. SS 22 Offenlegung personenbezogener Daten Minderjähriger (1) Personenbezogene Daten Minderjähriger, die nach SS 10 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 gespeichert sind, dürfen gegenüber öffentlichen Stellen und in den Fällen des SS 17 Absatz 1 Satz 1 Nummern 4 und 5 gegenüber nichtöffentlichen Stellen offengelegt werden, wenn die Voraussetzungen des SS 10 Absatz 1 Satz 1 Buchstabe c zum Zeitpunkt der Offenlegung noch vorliegen und die Offenlegung gerade dieser Daten zur Erreichung des Offenlegungszwecks zwingend erforderlich ist. (2) Personenbezogene Daten Minderjähriger vor Vollendung des 16. Lebensjahres dürfen nach den Vorschriften dieses Gesetzes nicht gegenüber ausländischen oder überoder zwischenstaatlichen Stellen offengelegt werden. 282 Anhang / Verfassungsschutzgesetz (HmbVerfSchG) 4. Abschnitt Auskunftserteilung und Datenschutz SS 23 Auskunftserteilung (1) Das Landesamt für Verfassungsschutz erteilt der betroffenen Person über zu deren Person gespeicherte Daten auf Antrag unentgeltlich Auskunft. Zu personenbezogenen Daten in Akten erstreckt sich die Auskunft auf alle Daten, die über eine Speicherung gemäß SS 10 Absatz 1 BVerfSchG auffindbar sind. (2) Die Auskunftserteilung unterbleibt, soweit 1. eine Gefährdung der Aufgabenerfüllung durch die Auskunftserteilung zu besorgen ist, 2. durch die Auskunftserteilung Quellen gefährdet sein können oder die Ausforschung des Erkenntnisstandes oder der Arbeitsweise der Verfassungsschutzbehörden zu befürchten ist, 3. die Auskunft die öffentliche Sicherheit gefährden oder sonst dem Wohl des Bundes oder eines Landes Nachteile bereiten würde oder 4. die Daten oder die Tatsache der Speicherung nach einer Rechtsvorschrift oder wegen der überwiegenden berechtigten Interessen eines Dritten, geheim gehalten werden müssen. Die Entscheidung trifft die Leitung des Landesamtes für Verfassungsschutz oder ihre Stellvertretung. (3) Die Auskunftsverpflichtung erstreckt sich nicht auf die Herkunft der Daten und die Empfängerinnen und Empfänger von Offenlegungen. (4) Die Ablehnung der Auskunftserteilung bedarf keiner Begründung, soweit dadurch der Zweck der Auskunftsverweigerung gefährdet würde. Die Gründe der Auskunftsverweigerung sind aktenkundig zu machen. Wird die Auskunftserteilung abgelehnt, ist die betroffene Person auf die Rechts283 Anhang / Verfassungsschutzgesetz (HmbVerfSchG) grundlage für das Fehlen der Begründung hinzuweisen. Die betroffene Person ist zudem darauf hinzuweisen, dass sie sich an die Hamburgische Beauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit oder den Hamburgischen Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit wenden kann. Der oder dem Hamburgischen Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit ist auf ihr oder sein Verlangen Auskunft zu erteilen, soweit nicht der Präses oder bei ihrer oder seiner Verhinderung die Staatsrätin oder der Staatsrat der zuständigen Behörde im Einzelfall feststellt, dass dadurch die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gefährdet würde. Mitteilungen der oder des Hamburgischen Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit an die betroffene Person dürfen keine Rückschlüsse auf den Erkenntnisstand des Landesamtes für Verfassungsschutz zulassen, sofern es nicht einer weitergehenden Auskunft zustimmt. SS 23a Dateisystemanordnungen (1) Für jedes automatisierte Dateisystem beim Landesamt für Verfassungsschutz nach SS 9 sind von der Leitung des Landesamtes für Verfassungsschutz oder ihrer Stellvertretung in einer Dateisystemanordnung festzulegen: 1. Bezeichnung des Dateisystems, 2. Zweck des Dateisystems, 3. Voraussetzungen der Speicherung, Offenlegung und Nutzung (betroffener Personenkreis, Arten der Daten), 4. Anlieferung oder Eingabe, 5. Zugangsberechtigung, 6. Überprüfungsfristen, Speicherungsdauer und 7. Protokollierung. 284 Anhang / Verfassungsschutzgesetz (HmbVerfSchG) Das Landesamt für Verfassungsschutz kann die Angaben nach Satz 1 für mehrere gleichartige Dateisysteme in einer Dateisystemanordnung zusammenfassen. Die oder der Hamburgische Beauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit ist vor Erlass einer Dateisystemanordnung anzuhören. Das Landesamt für Verfassungsschutz führt ein Verzeichnis der geltenden Dateisystemanordnungen. (2) Die Speicherung personenbezogener Daten ist auf das erforderliche Maß zu beschränken. In angemessenen Abständen ist die Notwendigkeit der Weiterführung oder Änderung der Dateisysteme zu überprüfen. (3) Ist im Hinblick auf die Dringlichkeit der Aufgabenerfüllung die vorherige Mitwirkung der in Absatz 1 genannten Stellen nicht möglich, so kann das Landesamt für Verfassungsschutz eine Sofortanordnung treffen. Das Verfahren nach Absatz 1 ist unverzüglich nachzuholen. SS 23b Unabhängige Datenschutzkontrolle (1) Jede Person kann sich an die Hamburgische Beauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit oder den Hamburgischen Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit wenden, wenn sie der Ansicht ist, bei der Verarbeitung ihrer personenbezogenen Daten durch das Landesamt für Verfassungsschutz in ihren Rechten verletzt worden zu sein. (2) Die oder der Hamburgische Beauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit kontrolliert beim Landesamt für Verfassungsschutz die Einhaltung der Vorschriften über den Datenschutz. Soweit die Einhaltung von Vorschriften der Kontrolle durch die G10-Kommission nach SS 1 Absatz 1 des Hamburgischen Gesetzes zur Ausführung des Artikel 10-Gesetzes unterliegt, unterliegt sie nicht der Kontrolle durch die Hamburgische Beauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit oder den Hamburgischen Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit, es sei denn, die G10-Kommission ersucht die Hamburgische Beauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit oder den Hamburgischen Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit, die Einhaltung der Vorschriften über den Datenschutz bei bestimmten Vorgängen oder in bestimmten Bereichen zu kontrollieren und ausschließlich ihr darüber zu berichten. Sie oder er hat die Befugnis, die Öffentlichkeit im Rahmen ihrer oder seiner Zuständigkeit 285 Anhang / Verfassungsschutzgesetz (HmbVerfSchG) zu informieren, soweit dem nicht die in SS 23 Absatz 2 genannten Gründe entgegenstehen. (3) Das Landesamt für Verfassungsschutz ist verpflichtet, die Hamburgische Beauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit oder den Hamburgischen Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit und durch sie oder ihn besonders beauftragte Personen bei der Erfüllung ihrer oder seiner Aufgaben zu unterstützen. Insoweit ist den in Satz 1 genannten Personen im Rahmen ihrer Kontrollkompetenz insbesondere 1. Auskunft zu ihren Fragen sowie Einsicht in alle Unterlagen, insbesondere in die gespeicherten Daten und in die Datenverarbeitungsprogramme, zu gewähren, die im Zusammenhang mit der Kontrolle nach Absatz 2 stehen, 2. jederzeit Zutritt in alle Diensträume zu gewähren. Die Verpflichtungen aus den Sätzen 1 und 2 gelten nicht, soweit der Senat im Einzelfall feststellt, dass die Auskunft oder Einsicht die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gefährden könnte. (4) Die Absätze 1 bis 3 gelten ohne Beschränkung auf die Erfüllung der Aufgaben nach SS 4 . Sie gelten entsprechend für die Verarbeitung personenbezogener Daten durch andere Stellen, wenn diese der Erfüllung der Aufgaben von Verfassungsschutzbehörden nach SS 4 dient. SS 23c Anwendung des allgemeinen Datenschutzrechts Bei der Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben des Landesamtes für Verfassungsschutz findet SS 2 Absätze 1 und 6 des Hamburgischen Datenschutzgesetzes keine Anwendung. SSSS 3 , 6 , 8 , 9 außerhalb des Einsatzes von nachrichtendienstlichen Mitteln, SSSS 10 , 11 , SS 19 Absatz 2 Satz 1 , SS 22 Absatz 2 , SSSS 23 , 26 und 27 des Hamburgischen Datenschutzgesetzes sowie SSSS 2 , 5 bis 7 , SS 16 Absätze 2 und 3 mit der Maßgabe, dass an die Stelle der oder des Bundesbeauftragen die oder der Hamburgische Beauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit tritt, SS 46 , SS 51 Absätze 1 bis 4 , SSSS 52 , 54 , 62 , 64 und 83 des Bundesdatenschutzgesetzes vom 286 Anhang / Verfassungsschutzgesetz (HmbVerfSchG) 30. Juni 2017 (BGBl. I S. 2097) in der jeweils geltenden Fassung sind entsprechend anzuwenden. 5. Abschnitt Parlamentarische Kontrolle des Verfassungsschutzes SS 24 Parlamentarischer Kontrollausschuss Zur parlamentarischen Kontrolle des Senats auf dem Gebiet des Verfassungsschutzes bildet die Bürgerschaft einen Kontrollausschuss. Dieser tagt in nichtöffentlicher Sitzung. SS 25 *) Zusammensetzung und Pflichten des Ausschusses (1) Der Ausschuss besteht aus neun Mitgliedern der Bürgerschaft. (2) Die Mitglieder des Ausschusses werden von der Bürgerschaft in geheimer Abstimmung gewählt. (3) Die Mitglieder des Ausschusses sind zur Geheimhaltung der Angelegenheiten verpflichtet, die ihnen im Zusammenhang mit ihrer Tätigkeit in dem Ausschuss bekannt geworden sind. Dies gilt auch für die Zeit nach ihrem Ausscheiden aus dem Ausschuss oder aus der Bürgerschaft. Satz 1 und Satz 2 gelten nicht für eigene Bewertungen bestimmter Vorgänge, sofern die Belange des Geheimschutzes beachtet werden. (3a) Die Mitglieder des Ausschusses haben das Recht, zur Unterstützung ihrer Arbeit jeweils eine Mitarbeiterin oder einen Mitarbeiter je Fraktion zu benennen. Voraussetzung für diese Tätigkeit ist die Ermächtigung zum Umgang mit Verschlusssachen und die förmliche Verpflichtung zur Geheimhaltung. Die benannten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind befugt, anlassbezogen die 287 Anhang / Verfassungsschutzgesetz (HmbVerfSchG) vom Ausschuss beigezogenen Akten und Dateien einzusehen und die Beratungsgegenstände des Ausschusses mit den Mitgliedern zu erörtern; das Unterstützungsbegehren ist dem Vorsitzenden anzuzeigen und den Mitgliedern des Ausschusses zur Kenntnis zu geben. Die benannten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben keinen Zutritt zu den Sitzungen. Absatz 3 Sätze 1 und 2 gilt entsprechend. (3b) Dem Ausschuss ist die für die Erfüllung seiner Aufgaben notwendige Personalund Sachausstattung zur Verfügung zu stellen. Für die Beschäftigten gelten Absatz 3 Sätze 1 und 2 sowie Absatz 3a Satz 2 entsprechend. Zur Erfüllung ihrer Aufgaben ist ihnen Auskunft zu ihren Fragen zu erteilen. (4) Der Ausschuss wählt einen Vorsitzenden und gibt sich eine Geschäftsordnung. Beschlüsse des Ausschusses bedürfen der Mehrheit der Stimmen der anwesenden Mitglieder. (5) Sitzungsunterlagen und Protokolle verbleiben für die laufende Wahlperiode im Gewahrsam der Bürgerschaftskanzlei, im Übrigen im Gewahrsam des Landesamtes für Verfassungsschutz und können nur an diesen Orten von den Ausschussmitgliedern eingesehen werden. (6) Scheidet ein Mitglied des Ausschusses aus der Bürgerschaft oder seiner Fraktion aus, so verliert es seine Mitgliedschaft im Ausschuss; für dieses Mitglied ist unverzüglich ein neues Mitglied zu bestimmen. Das Gleiche gilt, wenn ein Mitglied aus dem Ausschuss ausscheidet. (7) Der Parlamentarische Kontrollausschuss berichtet der Bürgerschaft jährlich und im Übrigen anlassbezogen über seine Kontrolltätigkeit. Dabei nimmt er auch dazu Stellung, ob der Senat seinen Pflichten gegenüber dem Ausschuss nachgekommen ist. Die Berichte sollen so gefasst sein, dass die im Ausschuss vertretenen Meinungen und die Gründe, die zu Beschlüssen geführt haben, ersichtlich sind. Sie müssen die Empfehlung des Ausschusses und das Abstimmungsverhältnis, mit dem die Empfehlung zustande gekommen ist, wiedergeben. Bei der Erstellung des Berichts sind die Belange des Geheimschutzes zu beachten. Fußnoten *) Red. Anm.: Gemäß Artikel 2 Abs. 1 des Gesetzes zur Änderung des Hamburgischen Verfassungsschutzgesetzes vom 30. Mai 2012 288 Anhang / Verfassungsschutzgesetz (HmbVerfSchG) (HmbGVBl. S. 203) findet die Änderung in SS 25 Abs. 1 auf die laufende 20. Wahlperiode der Bürgerschaft mit der Maßgabe Anwendung, dass zu den bereits gewählten sieben Mitgliedern zwei weitere Mitglieder nach Maßgabe von SS 25 Absatz 2 nachgewählt werden. SS 26 Aufgaben des Ausschusses (1) Der Ausschuss übt die parlamentarische Kontrolle auf dem Gebiet des Verfassungsschutzes aus. Diese umfasst aus zwingenden Gründen des Geheimschutzes auch die Haushaltsangelegenheiten. Der das Aufgabengebiet des Verfassungsschutzes betreffende Teil des Haushaltsplanentwurfs bedarf daher der Zustimmung des Ausschusses. Die Rechte der Bürgerschaft bleiben unberührt. (2) Der Senat hat den Ausschuss umfassend über die allgemeine Tätigkeit des Landesamtes für Verfassungsschutz und über Vorgänge von besonderer Bedeutung zu unterrichten. Der Ausschuss tagt in Abständen von höchstens drei Monaten oder auf Antrag eines Mitglieds. (3) Zur Erfüllung seiner Kontrollaufgaben hat der Ausschuss auf Antrag mindestens eines seiner Mitglieder das Recht auf 1. Erteilung von Auskünften, 2. Einsicht in Akten, in Dateien gespeicherte Daten, Stellungnahmen und andere Unterlagen, 3. Zugang zu den Räumen des Landesamtes für Verfassungsschutz und 4. Anhörung bestimmter Angehöriger des öffentlichen Dienstes als Auskunftspersonen, die verpflichtet sind, vollständige und wahrheitsgemäße Angaben zu machen. Die Befugnisse des Ausschusses nach Satz 1 Nummer 2 erstrecken sich nur auf Gegenstände, die der alleinigen Verfügungsberechtigung des Landes289 Anhang / Verfassungsschutzgesetz (HmbVerfSchG) amtes für Verfassungsschutz unterliegen. Die Rechte nach Satz 1 sind Befugnisse gegenüber dem Ausschuss als Ganzes. (4) Den Ersuchen nach Absatz 3 ist unverzüglich zu entsprechen. Der Senat bescheidet ein solches Ersuchen abschlägig oder schränkt die Aussagegenehmigung ein, soweit gesetzliche Vorschriften entgegenstehen oder wenn dieses aus zwingenden Gründen des Nachrichtenzugangs, des Schutzes von Persönlichkeitsrechten oder des Kernbereichs der exekutiven Eigenverantwortung erforderlich ist. In diesem Fall legt der Senat dem Ausschuss seine Gründe dar. (5) Der Senat hat dem Ausschuss insbesondere über 1. Gefahren für die Schutzgüter des SS 1, 2. die Dienstvorschrift über nachrichtendienstliche Mittel nach SS 8 Absatz 2 Satz 2 sowie ihre Änderungen, 3. die Maßnahmen nach SS 8 Absatz 11, 4. die Maßnahmen nach SS 8 Absatz 12 Satz 2 sowie die hierbei eingesetzten Mittel, Ergebnisse und Wirkungen, 5. die Nichtlöschung personenbezogener Daten gemäß SS 11 Absatz 2 Satz 1 Nummer 4, 6. die tatsächliche Arbeitsaufnahme mit einem automatisierten Verfahren, für das eine Dateisystemanordnung nach SS 23a vorgeschrieben ist, und seine wesentlichen inhaltlichen Änderungen, 7. die Übermittlung personenbezogener Daten an Stationierungsstreitkräfte nach SS 15, 8. die Übermittlung personenbezogener Daten an ausländische öffentliche Stellen nach SS 16, 9. die Übermittlung personenbezogener Daten an Stellen außerhalb des öffentlichen Bereichs nach SS 17 sowie über die Änderungen des Ver290 Anhang / Verfassungsschutzgesetz (HmbVerfSchG) zeichnisses nach SS 17 Absatz 1 Satz 4, 10. die Anfragen bei ausländischen öffentlichen Stellen nach SS 12 Absatz 7 Satz 4 des Hamburgischen Sicherheitsüberprüfungsund Geheimschutzgesetzes, 11. die Anzahl der Personenspeicherungen gemäß SS 10 Absatz 1 Nummern 1 und 2 BVerfSchG in Verbindung mit SS 3 Absatz 1 Nummern 1, 3 und 4 BVerfSchG in der gemeinsamen Datei nach SS 6 Absatz 2 BVerfSchG, 12. die Speicherungen und Offenlegungen von Informationen über Minderjährige vor Vollendung des 14. Lebensjahres, 13. die Offenlegungen nach SS 14 Absatz 2 Satz 2, 14. die Auskunftsversagungen nach SS 23 Absatz 4 Satz 5 zu berichten. Der Bericht gemäß Satz 1 Nummern 4 und 11 erfolgt jährlich. (6) Der Ausschuss kann der oder dem behördlichen Datenschutzbeauftragten der zuständigen Behörde und dem Hamburgischen Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit Gelegenheit zur Stellungnahme in Fragen des Datenschutzes geben. SS 27 Eingaben Eingaben einzelner Bürger oder einzelner Angehöriger des Verfassungsschutzes über ein sie betreffendes Verhalten des Landesamtes für Verfassungsschutz sind dem Ausschuss zur Kenntnis zu geben. Der Ausschuss bescheidet die an ihn gerichteten Eingaben, nachdem er diese dem Senat zur Stellungnahme übermittelt hat. Der Ausschuss hat auf Antrag eines Mitglieds Petenten und Auskunftspersonen zu hören. SS 26 Absätze 3 und 4 findet entsprechende Anwendung. Die Rechte des Eingabenausschusses bleiben unberührt. 291 Anhang / Verfassungsschutzgesetz (HmbVerfSchG) 6. Abschnitt Schlussvorschriften SS 28 Änderung des Gesetzes zur Ausführung des Gesetzes zu Artikel 10 Grundgesetz In SS 1 des Gesetzes zur Ausführung des Gesetzes zu Artikel 10 Grundgesetz vom 17. Januar 1969 mit der Änderung vom 2. Februar 1981 (Hamburgisches Gesetzund Verordnungsblatt 1969 Seite 5, 1981 Seite 24), wird folgender Absatz 5 angefügt: "(5) Die Kommission ist ausschließlich für die Überprüfung der von der zuständigen Behörde angeordneten Beschränkungsmaßnahmen zuständig. Sie kann zu ihrer Unterstützung den Hamburgischen Datenschutzbeauftragten ersuchen, die Einhaltung der Vorschriften über den Datenschutz in ihrem Zuständigkeitsbereich zu kontrollieren und ausschließlich ihr darüber zu berichten." SS 29 Inkrafttreten Dieses Gesetz tritt am Tag nach seiner Verkündung in Kraft. Gleichzeitig tritt das Gesetz über den Verfassungsschutz in der Freien und Hansestadt Hamburg vom 13. Februar 1978 (Hamburgisches Gesetzund Verordnungsblatt Seite 51) außer Kraft. 292 Anhang / Abkürzungsverzeichnis Abkürzungsverzeichnis A ABLE Association of Better Living and Education ADÜTDF Almanya Demokratik Ülkücü Türk Dernekleri Federasyonu e.V. (Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in Deutschland) AG-GGG Artgemeinschaft - Germanische Glaubens-Gemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung e.V. AKP Adalet ve Kalkinma Partisi (Partei für Gerechtigkeit und Aufschwung) ApS Applied Scholastics AQAH al-Qaida auf der arabischen Halbinsel AQ al-Qaida ATD Antiterrordatei ATDG Antiterrordateigesetz B B5 Internationales Zentrum Brigittenstraße 5 BGBl Bundesgesetzblatt BGH Bundesgerichtshof BMI Bundesministerium des Innern BMWi Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie BSI Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik BVerfSchG Bundesverfassungsschutzgesetz C CCHR Citizens Commission on Human Rights (Kommission für Verstöße der Psychatrie gegen Menschenrechte) CDK Koordination der kurdischen demokratischen Gesellschaft in Europa 293 Anhang / Abkürzungsverzeichnis D DHKP-C Devrimci Halk Kurtulus Partisi-Cephe (Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front) DIG Deutsch-israelische Gesellschaft DKP Deutsche Kommunistische Partei DSA Departement of Special Affairs DWR Die wahre Religion E EA Ermittlungsausschuss EA Europäische Aktion EU Europäische Union EuGMR Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte F FSB Federalnaja Slushba Besopasnosti (ziviler Inlandsnachrichtendienst der Russischen Föderation) FV Furkan Egitim ve hizmet vakfi (Furkan-Gemeinschaft) G G 10 Meint das geltende Gesetz zu Artikel 10 Grundgesetz (Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses) GETZ Gemeinsames Extremismusund Terrorismusabwehrzentrum GG Grundgesetz GRU Glawnoje Raswedywatelnoje Uprawlenije (Russicher Militärgeheimdienst) 294 Anhang / Abkürzungsverzeichnis H HDP Halklarin Demokratik Partisi (Demokratische Partei der Völker) HmbBfDI Hamburgischer Beauftragter für Datenschutz und Informationsfreiheit HmbGVBl Hamburgisches Gesetzund Verordnungsblatt HmbSÜGG Hamburgisches Sicherheitsüberprüfungund Geheimschutzgesetz HmbVerfSchG Hamburgisches Verfassungsschutzgesetz HoGeSa Hooligans gegen Salafisten HuT Hizb ut-Tahrir; auch Hizb Al Tahrir al Islami I IAEO Internationale Atomenergie-Organisation IAS International Association of Scientologists IBD Identitäre Bewegung Deutschland IEUS Islamisch-Europäische Union der Schia-Gelehrten und Theologen IGS Islamische Gemeinschaft der schiitischen Gemeinden in Deutschland IL Interventionistische Linke IS Islamischer Staat ISIG Islamischer Staat in Irak und Großsyrien ISIS Islamischer Staat in Irak und Syrien IStI Islamischer Staat im Irak IZH Islamisches Zentrum Hamburg J JaN Jabhat al-Nusra 295 Anhang / Abkürzungsverzeichnis JN Junge Nationalisten JVA Justizvollzugsanstalt K KCDK-E Kongreya Civaken Demokratik en Kurdistaniyen li Ewropa (Kongress der kurdisch-demokratischen Gesellschaft in Europa) KCK Koma Civaken Kurdistan (Vereinigte Gemeinschaften Kurdistans) KON-KURD Konföderation der kurdischen Vereine in Europa KVPM Kommission für Verstöße der Psychiatrie gegen Menschenrechte L LfV Landesamt für Verfassungsschutz M MEK Volksmodjahedin Iran-Organisation MIT Milli Istihbarat Teskilati (Türkischer Nachrichtendienst) MHP Milliyetci Hareket Partisi (Partei der nationalistischen Bewegung) MKP Maoist Komünist Partisi (Maoistische Kommunistische Partei) MLKP Marksist Leninist Komünist Partisi (Kommunistische Partei der Türkei / Marxistisch-Leninistisch) MOIS Ministry of Intelligence and Security (Ministerium für Nachrichtenwesen Iran) N NADIS Nachrichtendienstliches Informationssystem NAV-DEM Navenda Civaka Demokratik (Demokratisches Gesellschaftszentrum der KurdInnen in Deutschland NGO Non-Governmental Organisation (Nichtregierungsorganisation) 296 Anhang / Abkürzungsverzeichnis NL Nationale Liste NPD Nationaldemokratische Partei Deutschlands NSU Nationalsozialistischer Untergrund NWRI Nationaler Widerstandsrat Iran O OLG Oberlandesgericht Org Scientology-Bezeichnung für "Scientology-Kirche" OSA Office of Special Affairs OSS Oldschool Society P PB! Chattia Pennale Burschenschaft Chattia Friedberg zu Hamburg PKA Parlamentarischer Kontrollausschuss PKK Partiya Karkeren Kurdistan (Arbeiterpartei Kurdistans) PMK Politisch Motivierte Kriminalität PYD Partiya YekitA(r)ya Demokrat (Partei der demokratischen Union) R RAH Roter Aufbau Hamburg RH Rote Hilfe e.V. RPF Rehabilitation Project Force RTC Religious Technology Center 297 Anhang / Abkürzungsverzeichnis S SBS Selbstbezichtigungsschreiben SCHURA Rat der islamischen Gemeinschaften in Hamburg e.V. SO Scientology-Organisation StGB Strafgesetzbuch SWR Sluschba wneschnei raswedki (Russischer Auslandsnachrichtendienst) T TAK Teyrebazen Azadiya Kurdistan (Freiheitsfalken Kurdistans) TKP/ML Türkiye Komünist Partisi / Marksist Leninist (Kommunistische Partei der Türkei / Marxistisch-Leninistisch) V V Verfassungsschutz (Kürzel im Organigramm des LfV) VND Verein Neue Demokratie VS Verschlusssachen VSB Verfassungsschutzbericht W WISE World Institute of Scientology Enterprise Y YPG Volksverteidigungseinheiten (Yekineyen Parastina Gel) YXK Yekitiya Xwendekaren Kurdistan (Verband der Studierenden in Kurdistan) Z ZMD Zentralrat der Muslime in Deutschland 298 Anhang / Stichwortverzeichnis Stichwortverzeichnis A asymmetrischer Krieg .................. 34 Auslandsnachrichtendienst SWR .... Abdullah Öcalan ........ 82, 84, 88, 89 227 ABLE ............................210, 293, 309 Ausreisen ...........................41, 43, 47 Abtrimo .......................169, 170, 307 Autonome 100, 103, 104, 108, 115, Adil e.V. ........................... 58, 59, 304 116, 118 Ali Khamenei .................................. 67 AVANTI .........................................125 al-Qaida ...........38, 39, 41, 293, 304 B Al-Quds .......................................... 73 Befugnisse ......19, 21, 22, 247, 250, Ansaar International e.V. ............. 50 252, 254, 289, 290 Anschläge .. 25, 33, 34, 39, 40, 102, Blood & Honour ........166, 167, 307 110, 114, 157, 161, 257 BRD-GmbH ...................................194 Antifa 88, 103, 117, 118, 122, 123, 124, 126, 130, 137, 140, 143, 306, Bündnis gegen imperialistische 307 Aggression .................130, 131, 306 Antifa Altona Ost ....103, 117, 122, 123, 124, 130, 137, 140, 306 C Antifaschismus 100, 103, 117, 123, C18 ..............................166, 167, 307 126 Criminon Deutschland e.V. .......212, Antifaschisten .....................100, 122 309 Antiimperialisten ........ 94, 100, 104, 108, 115, 116, 128 D Antisemitismus ... 32, 63, 148, 163, Dataport ..............................241, 242 176 David Miscavige ...........................205 Antiterrordatei ..................... 23, 293 Der III. Weg ............................165, 307 Applied Scholastics .210, 212, 293, 309 Der Weg zum Glücklichsein .....210, 212, 213, 309 Artgemeinschaft-GGG ......187, 307 Deutsche Kommunistische Partei ... Ashura ............................................. 66 137, 294, 306 as-Salaf as-Salih ............................ 46 299 Anhang / Stichwortverzeichnis Devrimci Halk Kurtulus Partisi-Cephe H ............................................ 92, 294, 305 Hamburger Burschenschaft Dianetik ................................211, 212 Germania .............................184, 308 DIE LINKE ...................137, 139, 140 Hamburgisches Die Rechte .........168, 289, 290, 291 Verfassungsschutzgesetz 247, 295 Hizb Allah .......... 64, 65, 66, 67, 304 E Hizb ut-Tahrir ........ 55, 64, 295, 304 Ende Gelände ...103, 127, 128, 139, HmbVerfSchG .... 18, 19, 21, 22, 26, 142, 143 117 Entgrenzung ..... 53, 54, 58, 64, 104, 116, 127, 140, 141, 149, 150, 151, I 158, 164, 176, 177, 186, 187, 206 Identitäre Bewegung ........149, 153, Europäische Aktion ..188, 294, 308 179, 180, 295, 308 F Imam Ali-Moschee ..................70, 71 International Association of Federalnaja Slushba Besopasnosti . Scientologists .....................209, 295 227 Interventionistische Linke . 88,103, Föderation der Türkisch104, 125, 130, 295, 306 Demokratischen Idealistenvereine in Deutschland e.V. ................... 95, 305 Interventionistische Linke Hamburg ...................................................104, 125 Fridays For Future .......................142 Irak ... 33, 34, 35, 37, 38, 39, 41, 42, Furkan-Gemeinschaft .....43, 51, 52, 43, 47, 57, 80, 295 53, 54, 55, 294, 304 Iran ..... 65, 67, 68, 69, 70, 219, 224, Füxe ...............................................185 225, 296, 297 G Islamischer Staat ...33,47,48,295, 304 Geheimschutz ...238, 240, 242, 243 Islamisches Zentrum Hamburg e.V. Glawnoje Raswedywatelnoje 304 Uprawlenije .........................227, 294 Islamismus ....21, 32, 43, 44, 54, 56, Guerilla ......................................85, 92 64, 66, 141, 206 Gülen-Bewegung .........................229 Islamisten .....33, 41, 48, 53, 60, 61, 67, 80, 104 300 Anhang / Stichwortverzeichnis Israel 39, 50, 56, 57, 64, 65, 66, 69, M 139 Maoist Komünist Partisi .... 92,296, J 305 Marksist Leninist Komünist Partisi . Jihad ...................................35, 38, 39 92, 296, 305 Junge Nationalisten .164,171,173, Märtyrer .......................................... 87 308 Merkel muss weg .....103,123,124, K 139, 177, 186 Militärgeheimdienst GRU ..........227 Kalifat ........................................56, 57 Milli Istihbarat Teskilati ..............228 KCDK-E ......................... 85, 296, 305 Muslimbruderschaft ........50, 55, 56 KCK ................................ 84, 296, 306 Koma Civaken Kurdistan ... 84, 296, N 306 Nachrichtendienste .... 21,116,218, Kommission für Verstöße der ............. 219, 220, 221, 222, 224, 226, 227, Psychiatrie gegen Menschenrechte 229, 230, 232, 233, 239, 241, 244, 210, 212, 214, 296, 309 260 Kongress der kurdischNADIS .............................. 23, 26, 296 demokratischen Gesellschaft in Europa ........................... 85, 296, 305 NADIS-WN ...............................23, 26 Kontrolle .. 16, 24, 38, 74, 202, 228, Nationaldemokratische Partei 229, 249, 285, 286, 287, 289 Deutschlands .............169, 297, 308 Koordination der kurdischen Netzwerk Freiheit für alle politischen demokratischen Gesellschaft in Gefangenen ................130, 132, 307 Europa .................................... 85, 305 Netzwerk Standortsicherheit ...233 KRITIS ..................................230, 231 Newroz-Fest ................................... 86 L NPD .122, 150, 153, 164, 168, 169, 170, 171, 172, 173, 174, 175, 297, Libanon ....................... 64, 65, 66, 67 308 L. Ron Hubbard 202, 203, 205, 206, NSU ................................ 23, 162, 297 209, 210 301 Anhang / Stichwortverzeichnis O Revolution Chemnitz .........161, 308 Rote Hilfe e.V. .............134, 297, 307 Office of Special Affairs ..209,213, 297 Roter Aufbau Hamburg ....129,297, 307 Operation Olivenzweig ................ 90 orthodoxe Kommunisten ..100, 137 S P Salafismus ........... 25, 44, 45, 46, 47 Sanktionen ...................................226 Pennale Burschenschaft Chattia Friedberg zu Hamburg ......186, 308 Schild und Schwert .....................168 PKK .. 34, 79, 80, 81, 82, 83, 84, 85, Scientology Kirche Hamburg e.V. .... 86, 87, 88, 89, 90, 91, 96, 127, 228, 211, 309 297, 305 Sea Organization ........................209 Politisch motivierte Kriminalität 45, Seebrücke ............................103, 128 83, 107, 155, 208 Sektion Nordland ........................165 Potenziale .... 43, 80, 104, 151, 152, 195 Selbstverwalter . 21,151,188,192, 193, 194, 195, 197 Proliferation ...............218, 222, 223 Skinhead .......................................166 Propaganda ..33, 35, 36, 37, 38, 39, 40, 41, 49, 94, 149, 166, 177, 178, Sozialistische Deutsche 227 Arbeiterjugend ...................138, 307 Sozialistische Linke Hamburg ...131 R Spionageabwehr .......218, 219, 220 Recep Tayyip Erdogan ................229 staatenlos.info e.V. ......................198 Rechtsextremismus ..... 22,23,118, Syrien .....33, 34, 35, 36, 37, 38, 39, 140, 141, 148, 149, 150, 151, 152, 41, 42, 43, 47, 48, 50, 57, 66, 90, 96, 154, 158, 164, 166, 176, 178, 180, 128, 138, 181, 295 186, 194, 195, 206, 297 Reichsbürger ...... 21, 151, 188, 192, T 193, 194, 195, 196, 197, 198, 199 Taifija ............................................... 65 Reichsund Staatsangehörigkeitsgesetz.197, 198 Taqwa-Moschee ................... 49, 304 Revolutionäre VolksbefreiungsparteiFront ....................... 92, 93, 294, 305 302 Anhang / Stichwortverzeichnis U Ülkücü .....79, 95, 96, 293, 305, 306 United We Stand .......134, 135, 307 V Verfassungsschutzgesetz . 18,117, 135, 247, 295 Verschlusssachen .....232,238,239, 242, 277, 287, 298 Volksgemeinschaft .....................163 Volksislam ................................45, 46 W Waffenaffinität ............................196 WISE ...................210, 212, 298, 309 www.gelberschein.net ................197 Symbole [a2]-Hamburg ......................122, 306 303 Anhang / Register Register zum Verfassungsschutzbericht 2019 In diesem Registeranhang sind die im vorliegenden Verfassungsschutzbericht genannten Gruppierungen aufgeführt, bei denen die vorliegenden tatsächlichen Anhaltspunkte in ihrer Gesamtschau zu der Bewertung geführt haben, dass die Gruppierung verfassungsfeindliche Ziele verfolgt, es sich mithin um eine extremistische Gruppierung handelt. Gruppierung / Organisation ISLAMISMUS Seite Al-Azhari-Institut 60 Al-Qaida (Kern al-Qaida) 38 Adil e.V. 58 Ansaar International 50 Furkan-Gemeinschaft (Furkan Egitim ve Hizmet Vakfi, FV) 51 Generation Islam (GI) 59 HAMAS 50 Hizb Allah 64 Hizb ut-Tahrir (HuT) 55 Islamisch-Europäischen Union der Schia-Gelehrten 74 und Theologen (IEUS) Islamische Gemeinschaften in Deutschland (IGS) 74 Islamischer Staat (IS) 33 Islamisches Zentrum Hamburg e.V. (IZH) 70 LIES! (LIES Kampagne) 49 Realität Islam (RI) 59 Taqwa-Moschee 49 304 Anhang / Register Gruppierung / Organisation Seite AUSLANDSBEZOGENER EXTREMISMUS Arbeiterpartei Kurdistans 84 (Partiya Karkeren Kurdistan, PKK) Anatolische Föderation 93 Demokratisches Gesellschaftszentrum der KurdenInnen in Deutschland (Navenda Civaka Demokratik ya Kurden li 85 Almanyaye, NAV-DEM) Dev Genc / Revolutionäre Jugend 93 Devrimci Halk Kurtulus Partisi-Cephe (DHKP-C, Revolutio79 näre Volksbefreiungspartei-Front) Europäischer Dachverband nationaler Vereinsverbände 85 (KON-KURD) Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in Deutschland e.V. (Almanya Demokratik Ülkücü Türk 94 Dernekleri Federasyonu, ADÜTDF) Grup Yorum 80 Konföderation der Gemeinschaften Mesopotamiens in 86 Deutschland (KON-MED) Kongress der kurdisch-demokratischen Gesellschaft in Europa (Kongreya Civaken Demokratik a Kurdistaniyen Li 85 Ewropa, KCDK-E) Koordination der kurdischen demokratischen Gesellschaft 85 in Europa (CDK) Maoist Komünist Partisi 92 (MKP, Maoistische Kommunistische Partei) Marksist Leninist Komünist Partisi 92 (MLKP, Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei) Partei der Demokratischen Union (Partiya Yekitiya Demokrat, 90 PYD) Partei der Nationalistischen Bewegung (Milliyetci Hareket 95 Partisi, MHP) TATORT Kurdistan 88 Türkisches Kulturzentrum Hamburg e.V. 95 305 Anhang / Register Gruppierung / Organisation Seite AUSLANDSBEZOGENER EXTREMISMUS Türkiye Komünist Partisi / Marksist Leninist (TKP/ML, Kom92 munistische Partei der Türkei/Marxistisch-Leninistisch) Ülkücü-Bewegung 96 Vereinigte Gemeinschaften Kurdistans (Koma Civaken Kurdis84 tan - KCK) Volksfront (Halk Cphesi) 93 Volksrat (Halk Meclisi) 93 Volksverteidigungseinheiten (Yekineyen Parastina Gel, YPG) 90 Volksverteidigungseinheiten der Frauen 90 (Yekineyen Parastina Jin, YPJ) Volksverteidigungskräfte (Hezen Parastina Gel, HPG) 88 Gruppierung / Organisation LINKSEXTREMISMUS Seite [a2]-Hamburg 122 Antifa 309 122 Antifa Altona Ost 122 Bündnis gegen imperialistische Aggression (BgiA) 130 Deutsche Kommunistische Partei (DKP) 137 Ermittlungsausschuss (EA) 135 Freie ArbeiterInnen Union (FAU) 133 Interventionistische Linke (IL) 125 junges Hamburg e.V. 129 Klassenkultur e.V. 129 Kommunistische Plattform (KPF) 139 Libertäres H-Burg 133 Libertäres Zentrum (LIZ e.V.) 133 Linksjugend ['solid] 139 306 Anhang / Register Gruppierung / Organisation LINKSEXTREMISMUS Seite Marxistische Abendschule (MASCH e.V.) 138 Marxistische Abendschule -Forum für Politik und 138 Kultur e.V. Netzwerk Freiheit für alle politischen Gefangenen 130 (Netzwerk) Perspektive Kommunismus 129 Revolutionärer Aufbau-BRD (RA-BRD) 130 Roter Aufbau Hamburg (RAH) 129 Rote Hilfe e.V. (RH) 134 Sozialistische Alternative (SAV) 144 Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend (SDAJ) 138 Sozialistische Linke (SL) 139 Sozialistische Linke (SoL) 131 United We Stand (UWS) 135 Waterkant Antifa 130 WeltRAUM e.V. 133 Gruppierung / Organisation RECHTSEXTREMISMUS Seite Abtrimo 169 Artgemeinschaft - Germanische -Glaubensgemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung e.V. 187 (Artgemeinschaft-GGG) Atomwaffen Division Deutschland 162 "Blood & Honour" 166 Combat 18 (C18) 166 Der Flügel 151 Der III. Weg 175 DIE RECHTE 175 307 Anhang / Register Gruppierung / Organisation RECHTSEXTREMISMUS Seite (Ehemalige) Europäische Aktion (EA) 188 Gruppe Freital 158 Hamburger Burschenschaft Germania (HB! Germania) 184 Hammerskin-Nation 166 Identitäre Bewegung Deutschland (IBD) 179 Junge Alternative (JA) 152 Junge Nationalisten (JN) 173 "Michel wach endlich auf" - Organisationsteam 186 Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) 169 Oldschool Society (OSS) 159 Pennale Burschenschaft Chattia Friedberg zu Hamburg 186 (PB! Chattia) Revolution Chemnitz 161 Gruppierung / Organisation Seite REICHSBÜRGER UND SELBSTVERWALTER Staatenlos.info e.V. 198 308 Anhang / Register Gruppierung / Organisation SCIENTOLOGY Seite ABLE (Association of Better Living and Education) 210 Applied Scholastics 212 Criminon Deutschland e.V. 212 Der Weg zum Glücklichsein 210 Ehrenamtliche Geistliche 210 Jugend für Menschenrechte 211 NARCONON 210 Kommission für Verstöße der Psychiatrie gegen Men210 schenrechte (KVPM) Sag Nein zu Drogen - Sag Ja zum Leben 210 Scientology Kirche Hamburg e.V. 211 World Institute of Scientology Enterprises (WISE) 210 309 Notizen Notizen Notizen AUGEN AUF HAMBURG Freie und Hansestadt Hamburg Behörde für Inneres und Sport Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) Johanniswall 4 20095 Hamburg Telefon: 040 / 24 44 43 Telefax: 040 / 33 83 60 E-Mail des LfV: poststelle@verfassungsschutz.hamburg.de E-Mail Öffentlichkeitsarbeit: Landesamt für erfassungsschutz info@verfassungsschutz.hamburg.de Hamburg Internet: www.hamburg.de/verfassungsschutz AUGEN AUF HAMBURG