Verfassungsschutzbericht 2016 Verfassungsschutzbericht 2016 Landesamt für erfassungsschutz Im Text finden Sie vielfach die Symbole und Das Sinnbild "Buch" verweist auf eine Fundstelle in diesem Verfassungsschutzbericht. Das Symbol "Weltkugel" bedeutet, dass es zu dem Thema weitere Informationen auf unseren Internetseiten gibt. Unter http://www.hamburg.de/verfassungsschutz finden Sie regelmäßig aktuelle Informationen über alle Arbeitsfelder des Hamburger Verfassungsschutzes. Herausgeber: Freie und Hansestadt Hamburg Behörde für Inneres und Sport Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) Johanniswall 4, 20095 Hamburg Telefon: 040 / 24 44 43 Telefax: 040 / 33 83 60 Internet: http://www.hamburg.de/verfassungsschutz E-Mail-Adresse des LfV: poststelle@verfassungsschutz.hamburg.de E-Mail Öffentlichkeitsarbeit: info@verfassungsschutz.hamburg.de Auflage: 1.500 Juli 2017 Redaktionsschluss: 31.12.2016 In Teilen wurden Erkenntnisse aus 2017 aufgenommen. Fotos: LfV Hamburg, LKA Niedersachsen, Bina Engel Satz/Layout: Landesamt für Verfassungsschutz Druck: Druckerei Siepmann GmbH, Ruhrstraße 126, 22761 Hamburg Vorwort Vo r w o r t Innensenator Andy Grote zum aktuellen Verfassungsschutzbericht 2016 Liebe Leserinnen, liebe Leser, im Jahr 2016 haben islamistisch motivierte Attentäter in Ansbach, Bina Engel Würzburg und auf dem Weihnachtsmarkt in Berlin zwölf Menschen ermordet und zahlreiche weitere verletzt. Diese Taten belegen einmal mehr, dass der Islamismus und speziell der islamistisch-salafistische Terrorismus nach wie vor eine der größten Aufgaben unserer Sicherheitsbehörden, insbesondere des Verfassungsschutzes, ist. Senator Andy Grote Auch Hamburg hat eine starke salafistische Szene, die unser Landesamt für Verfassungsschutz in den vergangenen Jahren immer intensiver ins Visier genommen hat. Die Beobachtung dieser Extremisten, die die Religion des Islam für ihre Taten instrumentalisieren und missbrauchen, wird ein Schwerpunkt der Tätigkeit des Hamburger Verfassungsschutzes bleiben. Die Arbeit unseres Landesamtes kann sich dabei sehen lassen. So ist es dank der Erkenntnisse des Verfassungsschutzes gelungen, dass seit Ende Mai 2016 keine neuen salafistischen Info-Stände mehr in der City stattfanden. Die dahinter stehende verfassungsfeindliche, bundesweit agierende "LIES!"-Organisation konnte der Bundesinnenminister im November 2016 verbieten - maßgeblich gestützt auf Erkenntnisse unseres Hamburger Verfassungsschutzes. Ähnliches gilt für die Beobachtung der rechtsextremistischen Szene. Auch wenn Hamburg kein Zentrum rechtsextremistischer Aktivitäten in Deutschland ist - der Verfassungsschutz hat das Spektrum nach wie vor genau im Auge. Ein Beispiel hierfür ist das neue Beobachtungsobjekt 3 Vorwort "Identitäre Bewegung" - eine verfassungsfeindliche Bestrebung, die im Jahr 2016 verstärkt in Hamburg aktiv wurde. Unser Verfassungsschutz hat die Beobachtung mit einer breiten Information der Öffentlichkeit verbunden, unter anderem mit Internetbeiträgen und Medieninterviews. Die Öffentlichkeitsarbeit des Verfassungsschutzes mit intensiver Information der Bürgerinnen und Bürger ist ein wirksamer Schutz für unsere Demokratie. Der Nachrichtendienst erfüllt damit seine wichtige gesetzliche Aufgabe als Frühwarnsystem der Demokratie. Maßgeblich mithilfe von Erkenntnissen unseres Verfassungsschutzes konnte der Bundesinnenminister im März 2016 die gewaltorientierte rechtsextremistische Gruppe "Weisse Wölfe Terrorcrew" verbieten - ein weiterer Erfolg der Arbeit des Nachrichtendienstes, der ganz konkret dem Schutz unserer demokratischen Gesellschaft dient. Als weiteres neues Beobachtungsobjekt finden sich im aktuellen Verfassungsschutzbericht die sogenannten "Reichsbürger" und "Selbstverwalter", die den Bestand der Bundesrepublik Deutschland leugnen und bekämpfen. In diesen sehr heterogenen Szenen gibt es auch Bezüge in den Rechtsextremismus, die der Verfassungsschutz weiterhin genau im Visier behalten wird. Die Straftaten, die schon im Jahr 2016 mit Blick auf den G20-Gipfel im Juli begangen wurden, machen deutlich, welche Gefahr auch der Linksextremismus nach wie vor für unsere Demokratie darstellt. Diese politisch motivierten Anschläge und Sachbeschädigungen belegen einmal mehr, dass nicht der G20-Gipfel als Veranstaltung mit besonderen Gefahren verbunden ist, sondern es vielmehr militante Extremisten sind, die das Treffen für ihren gewalttätigen Kampf gegen unsere freie Gesellschaft ausnutzen. Linksextremisten missbrauchen populäre Themen wie die Proteste gegen G20, Stadtentwicklungspolitik oder das Engagement gegen Rechtsextremismus, um ihre verfassungsfeindlichen Ziele zu verfolgen. Gewaltorientierten Gruppierungen wie der "Interventionistischen Linken", dem "Roten Aufbau", den Autonomen aus dem Umfeld der "Roten Flora" und anderen geht es dabei nicht um die Stärkung der Grundrechte und unserer demokratischen offenen Gesellschaft. Die Instrumentalisierung gesellschaftlich breit diskutierter Fragen dient taktisch und strategisch 4 Vorwort dazu, demokratische Initiativen und Organisationen anzusprechen, mögliche Bündnisse zu schmieden, um Anhänger für die eigene totalitäre Weltanschauung zu gewinnen. Der Senat begrüßt ausdrücklich Versammlungen, die sich - auch kritisch - mit internationaler Politik, den Folgen der Globalisierung oder auch G20 selbst auseinandersetzen. In einer liberalen und pluralistischen Stadt wie Hamburg darf und soll demonstriert werden - aber ohne Gewalt, ohne jegliche Straftat. Daher appelliere ich an all jene, die sich friedlich versammeln: Lassen Sie sich nicht von Linksextremisten vereinnahmen, seien Sie achtsam, an welchen Aktivitäten Sie teilnehmen. Halten Sie Abstand zu militanten Extremisten, die zu gewaltsamen Aktionen aufrufen, Gewalt gegen Polizeibeamte legitimieren oder auch Wohnhäuser und Autos von Abgeordneten, Senatsmitgliedern und weiteren gesellschaftlichen Funktionsträgern attackieren. Liebe Leserinnen, liebe Leser, der Verfassungsschutz ist unverzichtbarer Bestandteil der staatlichen Sicherheitsgewährleistung und unserer Hamburger Sicherheitsarchitektur. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Landesamtes, egal an welcher Stelle, ob bei der Informationsbeschaffung oder Auswertung, beim Wirtschaftsschutz, der Spionageabwehr, der Scientology-Beratung oder auch Organisation, Verwaltung und Technik, setzen sich tagtäglich für die Sicherheit der Menschen in Hamburg ein - und damit auch für die Freiheit und eine offene, liberale Großstadtgesellschaft. Denn Sicherheit und Freiheit sind kein Gegensatz, Sicherheit ist vielmehr die Voraussetzung von Freiheit. Damit unser Verfassungsschutz die Herausforderungen auch in Zukunft so professionell wie bisher meistern kann, wird der Senat für die erforderlichen personellen, materiellen und finanziellen Voraussetzungen sorgen. Derzeit erlebt das Landesamt einen starken Aufwuchs an neuem Personal - wer in frühere Verfassungsschutzberichte schaut, wird von gut 150 Stellen lesen, zu diesem Zeitpunkt sind es bereits rund 180. Damit stellt der Senat ebenso wie Polizei und Feuerwehr auch den Verfassungsschutz für aktuelle und kommende Herausforderungen modern und leistungsfähig auf. 5 Vorwort Und nun wünsche ich eine informative Lektüre des neuen Verfassungsschutzberichtes. Andy Grote Präses der Behörde für Inneres und Sport der Freien und Hansestadt Hamburg 6 Verfassungsschutz in Hamburg Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Gruppierungen mit Auslandsbezug Linksextremismus Rechtsextremismus Reichsbürger und Selbstverwalter Scientology-Organisation Spionageabwehr Geheimund Sabotageschutz; Wirtschaftsschutz Anhang * Hamburgisches Verfassungsschutzgesetz * Abkürzungsverzeichnis * Stichwortverzeichnis Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis Impressum 2 Vorwort von Innensenator Andy Grote 3 I. Verfassungsschutz in Hamburg 1. Verfassungsschutz und Demokratie 14 2. Gesetzliche Grundlage 15 3. Aufgaben des Verfassungsschutzes 15 4. Arbeitsweise und Befugnisse des 16 Verfassungsschutzes 5. Informationsverarbeitung 17 6. Kontrolle 20 7. Strukturdaten, Regelanfragen und Überprüfungen 21 8. Organigramm des LfV Hamburg 24 II. Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten 1. Entwicklungen und Schwerpunkte 26 2. Potenziale 27 3. Politisch motivierte Kriminalität (PMK) 28 4. Islamistisch motivierter Terrorismus 29 4.1 Aktuelle Entwicklungen 29 4.2 Islamischer Staat (IS) 32 4.3 al-Qaida-Netzwerk 33 * Kern-al-Qaida 33 * Jabhat al-Nusra (JaN)/Jabhat Fath al-Sham (JFS)/ 33 Hayyat Tahrir al-Sham * al-Qaida auf der arabischen Halbinsel (AQAH) 35 4.4 Salafismus 36 4.5 Situation in Hamburg 42 5. Hizb ut-Tahrir (HuT) 49 6. Hizb Allah 51 7. Iranische Islamisten 53 8 Inhaltsverzeichnis 8. Türkische Islamisten 57 8.1 Furkan-Gemeinschaft/ Furkan Egitim ve Hizmet Vakfi 57 (FV) 8.2 Sonstige 59 III. Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Gruppierungen mit Auslandsbezug 1. Entwicklungen und Schwerpunkte 62 2. Potenziale 62 3. Politisch motivierte Kriminalität (PMK) 64 4. PKK (Arbeiterpartei Kurdistans) 65 4.1 Entwicklungen und Organisatorisches 65 4.2 Aktivitäten und Schwerpunkte in Deutschland 69 4.3 Situation in Hamburg 73 5. Türkische Extremisten 77 5.1 Revolutionär-marxistische Gruppierungen 77 5.2 ADÜTDF/Türkische Nationalisten 79 IV. Linksextremismus 1. Entwicklungen und Schwerpunkte 84 2. Potenziale 86 3. Politisch motivierte Kriminalität (PMK) 89 4. Militanzdebatte und linksextremistische Gewalt 89 - Militante Kampagne gegen das G20-Treffen - 5. Gewaltorientierte Linksextremisten 93 5.1 Gruppen und Strukturen 94 5.1.1 Autonome Szene 94 5.1.2 Postautonome Gruppen 97 5.1.3 Antiimperialistische Gruppen 103 5.1.4 Anarchisten 112 5.1.5 Rote Hilfe e.V. (RH) 113 9 Inhaltsverzeichnis 5.2 Aktionsfelder 114 5.2.1 Antirepression 114 5.2.2 Antifaschismus 116 5.2.3 Linksextremistische Einflussnahme auf Proteste gegen 122 die Stadtentwicklungspolitik 6. Orthodoxe Kommunisten und andere revolutionäre 124 Marxisten 6.1 Deutsche Kommunistische Partei (DKP) 124 * DKP Hamburg 125 6.2 Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend (SDAJ) 125 * SDAJ Hamburg 126 6.3 Marxistische Abendschule (MASCH) in Hamburg 126 6.4 Extremistische Teilstrukturen in der Partei DIE LINKE. 127 6.5. Trotzkisten 128 V. Rechtsextremismus 1. Entwicklungen und Schwerpunkte im Überblick 130 2. Potenziale 134 3. Politisch motivierte Kriminalität (PMK) 138 4. Rechtsterrorismus 140 4.1 Der "Nationalsozialistische Untergrund" (NSU) - 140 Sachstand und Ergebnisse der Ermittlungen 4.2 Aktuelle Ansätze für rechtsterroristische 141 Bestrebungen in Deutschland und Maßnahmen der Sicherheitsbehörden 5. Neonazismus 144 5.1 Überregionale Aktivitäten 147 5.2 Hamburg 150 6. Subkulturell geprägte Rechtsextremisten 151 7. Rechtsextremistische Musikszene 154 8. Rechtsextremistische Parteien 157 10 Inhaltsverzeichnis 8.1 Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) 157 * Hamburg 162 8.2 DIE RECHTE 166 8.3 Der III. Weg 168 9. Sonstige rechtsextremistische Organisationen und 169 Bestrebungen 9.1 Identitäre Bewegung Deutschland (IBD) 171 9.2 Hamburger Burschenschaft Germania (HB! Germania) 176 9.3 Pennale Burschenschaft Chattia Friedberg 179 zu Hamburg (PB! Chattia) 9.4 Artgemeinschaft - Germanische Glaubens181 Gemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung e.V. (AG-GGG) 9.5 Europäische Aktion 183 9.6 Deutsches Rechtsbüro im Deutschen 186 Rechtsschutzkreis e. V. (DRB) 10. Politisch motivierte Islamfeindlichkeit 187 VI. Reichsbürger und Selbstverwalter 192 VII. Scientology-Organisation (SO) 1. Entwicklungen und Schwerpunkte 198 2. Potenziale 201 3. Politisch motivierte Kriminalität (PMK) 203 4. Strukturen und Organisationseinheiten 203 5. Strukturen in Hamburg 204 6. Aktivitäten 206 VIII. Spionageabwehr 1. Überblick 210 2. Elektronische Attacken 211 3. Nachrichtendienste Mittlerer und Naher Osten 214 11 Inhaltsverzeichnis 4. Nachrichtendienste der Russischen Föderation 219 5. Chinesische Nachrichtendienste 222 6. Ausspähung durch andere Länder 225 IX. Geheimund Sabotageschutz; Wirtschaftsschutz 1. Allgemeines 230 2. Geheimschutz 231 2.1 Personeller Geheimschutz 231 2.2 Materieller Geheimschutz 233 3. Personeller Sabotageschutz 233 4. Schutz von IT-Systemen und 234 Kommunikationsstrukturen 5. Wirtschaftsschutz 235 X. Anhang * Hamburgisches Verfassungsschutzgesetz 242 * Abkürzungsverzeichnis 280 * Stichwortverzeichnis 287 * Auflistung extremistischer Organisationen und 292 Gruppierungen 12 Verfassungsschutz in Hamburg Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Gruppierungen mit Auslandsbezug Linksextremismus Rechtsextremismus Reichsbürger und Selbstverwalter Scientology-Organisation Spionageabwehr Geheimund Sabotageschutz; Wirtschaftsschutz Anhang * Hamburgisches Verfassungsschutzgesetz * Abkürzungsverzeichnis * Stichwortverzeichnis Verfassungsschutz in Hamburg I. Verfassungsschutz in Hamburg 1. Verfassungsschutz und Demokratie Nach den Erfahrungen mit der von Extremisten verschiedener politischer Lager bekämpften Weimarer Demokratie enthält das Grundgesetz (GG) der 1949 gegründeten Bundesrepublik Deutschland - dem Prinzip der wehrhaften Demokratie folgend - grundlegende Schutzmechanismen gegen Gefährdungen der Verfassung und ihre wesentlichen Systemund Werteentscheidungen. Dazu gehören * die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, * die Volkssouveränität, * die Gewaltenteilung, * die Verantwortlichkeit der Regierung, * die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, * die Unabhängigkeit der Gerichte, * das Mehrparteienprinzip, * die Chancengleichheit für alle politischen Parteien und das Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition. Zu den Schutzmechanismen gehören im Wesentlichen * die Unabänderlichkeit der in den Artikeln 1 und 20 GG niedergelegten elementaren Verfassungsgrundsätze, * das Verbot von Parteien und sonstigen Vereinigungen wegen verfassungswidriger Aktivitäten (Artikel 21 Abs. 2 GG und Artikel 9 Abs. 2 GG), * die Verwirkung von Grundrechten, wenn diese zum Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung missbraucht werden (Artikel 18 GG), * die Pflicht der Angehörigen des Öffentlichen Dienstes zur Verfassungstreue (Artikel 5 Abs. 3 und Artikel 33 Abs. 5 GG in Verbindung mit den beamtenrechtlichen Vorschriften), * die Verfolgung von Straftaten, die sich gegen den Bestand des Staates, seine verfassungsmäßigen Einrichtungen, das Funktionieren des 14 Verfassungsschutz in Hamburg Staatsapparates und andere lebenswichtige Staatsinteressen richten (Staatsschutzdelikte). Zentrale Aufgabe des Verfassungsschutzes ist die Beobachtung von Bestrebungen und Tätigkeiten, die die Werteentscheidungen der Verfassung beseitigen wollen oder den Bund, die Länder oder deren Einrichtungen in ihrer Funktionsfähigkeit erheblich zu beeinträchtigen beabsichtigen [vgl. SS 1 Abs. 1, SS 4 und SS 5 des Hamburgischen Verfassungsschutzgesetzes (HmbVerfSchG, X.) sowie Artikel 73 Nr. 10 b und Artikel 87 Abs. 1 Satz 2 GG, SS 2 Abs. 2 Bundesverfassungsschutzgesetz]. 2. Gesetzliche Grundlage Das Hamburgische Verfassungsschutzgesetz ( X.) ist die wichtigste gesetzliche Grundlage für die Arbeit des Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV). Das LfV ist, wie jede andere Behörde auch, bei der Erfüllung seiner Aufgaben an Gesetz und Recht gebunden und muss bei Eingriffen in die Rechte der Bürgerinnen und Bürger den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahren. 3. Aufgaben des Verfassungsschutzes Hauptaufgabe des LfV ist nach SS 4 Abs. 1 HmbVerfSchG die Sammlung und Auswertung von Informationen über * Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung von Mitgliedern der verfassungsmäßigen Organe des Bundes oder eines Landes zum Ziele haben, 15 Verfassungsschutz in Hamburg * sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten für eine fremde Macht in der Bundesrepublik Deutschland, * Bestrebungen in der Bundesrepublik Deutschland, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, * Bestrebungen im Geltungsbereich dieses Gesetzes, die gegen den Gedanken der Völkerverständigung (Art. 9 Abs. 2 GG), insbesondere gegen das friedliche Zusammenleben der Völker (Art. 26 Abs. 1 GG) gerichtet sind. Das LfV wertet die mit offenen oder mit nachrichtendienstlichen Mitteln ( 4.) gewonnenen Erkenntnisse aus und informiert über entsprechende Gefahren. Neben seiner Informationsverpflichtung gegenüber dem Senat und der Weitergabe von Informationen an die zuständigen staatlichen Stellen zur Gefahrenabwehr informiert das LfV mit seinem jährlichen Verfassungsschutzbericht, mit weiteren Publikationen, Pressemitteilungen, Ausstellungen, Informationsveranstaltungen sowie aktuellen Berichten auf seiner Internetseite auch die Öffentlichkeit über die Ergebnisse seiner Arbeit, soweit diese offen dargestellt werden können. Beobachtungsfelder sind Rechts- ( V.) und Linksextremismus ( IV.), extremistische Bestrebungen von Gruppierungen mit Auslandsbezug ( III.), die Spionagetätigkeit ( VIII.) fremder Geheimdienste und die Scientology-Organisation ( VII.). Einen besonderen Beobachtungsschwerpunkt bilden seit 2001 der Islamismus und der islamistisch motivierte Terrorismus ( II.). Bei Straftaten und Gefahren in den genannten Beobachtungsbereichen des Extremismus darf der Verfassungsschutz - grundsätzlich anders als die Polizei - bereits im Vorfeld konkreter Verdachtsmomente tätig werden. Geheimund Sabotageschutz und Wirtschaftsschutz ( IX.) gehören zu den weiteren Aufgaben des Verfassungsschutzes. 4. Arbeitsweise und Befugnisse des Verfassungsschutzes Die Informationen, die das LfV zur Wahrnehmung seiner Aufgaben benötigt, beschafft es zum Teil aus offen zugänglichen Quellen, die grundsätzlich auch jedem Bürger zur Verfügung stehen, vorrangig aus dem Internet sowie aus Zeitungen und Zeitschriften, Broschüren, Flugblättern, Archiven und aus Unterlagen anderer staatlicher Stellen. Neben der 16 Verfassungsschutz in Hamburg offenen Informationsgewinnung darf das LfV auch Informationen mit nachrichtendienstlichen Mitteln verdeckt erheben. Zu diesen Mitteln, die in SS 8 Abs. 2 HmbVerfSchG ( X.) aufgezählt sind, gehören beispielsweise die Führung von Vertrauenspersonen (Quellen), die planmäßige Observation, Bildund Tonaufzeichnungen und - nach Maßgabe des Artikel 10-Gesetzes - die Überwachung des Brief-, Postund Fernmeldeverkehrs. Im Jahr 2002 wurden im Rahmen der Umsetzung des Terrorismusbekämpfungsgesetzes die Befugnisse des Landesamtes in wichtigen Punkten erweitert. Hierzu zählt unter anderem das Mittel der Finanzermittlung, um zum Beispiel Geldtransfers im Zusammenhang mit der Finanzierung des islamistischen Terrorismus aufdecken zu können. Dem LfV stehen weder polizeiliche Befugnisse noch Weisungsbefugnisse gegenüber polizeilichen Dienststellen zu, noch darf es die Polizei im Amtshilfeweg veranlassen, Maßnahmen zu ergreifen, zu denen es selbst nicht befugt ist. Das LfV darf nicht an eine polizeiliche Dienststelle angegliedert werden. Das schließt einen Informationsaustausch zwischen Polizei und Verfassungsschutz nicht aus, im HmbVerfSchG ist dies im Detail geregelt. In den letzten Jahren sind besondere Einrichtungen zum kontinuierlichen Informationsaustausch zwischen Polizei und Verfassungsschutzbehörden geschaffen worden. Dazu zählt insbesondere das "Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum" (GTAZ) in Berlin. Das GTAZ hat maßgeblich zu einem verbesserten Informationsfluss zwischen den beteiligten Behörden beigetragen. Um dies auch auf andere Phänomenbereiche zu übertragen, wurde das "Gemeinsame Extremismusund Terrorismusabwehrzentrum" (GETZ) mit Sitz in Köln gegründet. Schwerpunkt der dortigen Zusammenarbeit ist die Bekämpfung des Rechtsextremismus. 5. Informationsverarbeitung Die Verfassungsschutzbehörden sammeln und speichern sachund personenbezogene Daten über extremistische Bestrebungen sowie sicherheitsgefährdende und geheimdienstliche Tätigkeiten. Zu den Instrumenten der gegenseitigen Unterrichtung der Verfassungsschutzbehörden zählen unter anderem gemeinsame Dateien. 17 Verfassungsschutz in Hamburg Die "klassische" gemeinsame Datei war das bundesweite Nachrichtendienstliche Informationssystem (NADIS, Zahl der Hamburger Speicherungen: 7), das nach mehreren Jahrzehnten im Jahr 2012 durch ein neues System abgelöst wurde. Das bisherige NADIS war eine allen Verfassungsschutzbehörden zur Verfügung stehende Datenbank, in der jede Verfassungsschutzbehörde biografische Grunddaten von Personen und Objekten in eigener Verantwortung speicherte. Es enthielt nur Hinweise auf Aktenfundstellen. Um Näheres zu erfahren, musste die speichernde Verfassungsschutzbehörde um Übermittlung der Einzelerkenntnisse gebeten werden. Im neuen "NADIS-WN" (WN für WissensNetz) werden mehr Informationen erfasst und für alle Berechtigten zur Verfügung gestellt. Es bietet damit deutlich bessere Möglichkeiten zu umfassenderen Analysen und dabei insbesondere zur Verknüpfung von Daten. Die Entwicklungen im Bereich des islamistischen Terrorismus und die Ermittlungsergebnisse im Zusammenhang mit dem rechtsterroristischen "Nationalsozialistischen Untergrund" (NSU) haben deutlich gemacht, warum der Informationsaustausch und die Vernetzung zwischen den Verfassungsschutzbehörden fortentwickelt werden musste. In den vergangenen Jahren erfolgten unter anderem folgende Verbesserungen: Am 30. März 2007 wurde die Arbeit mit einer von Polizei und Verfassungsschutz eingerichteten zentralen "Antiterrordatei" (ATD) aufgenommen und seit Anfang des Jahres 2008 erlaubt das HmbVerfSchG, Projektdateien mit den anderen Bundesund Landessicherheitsbehörden zu betreiben. Mit diesen Dateien wird die Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden unterstützt und der Informationsaustausch verbessert. Mit Beschluss vom 8./9. Dezember 2011 hatte sich die "Ständige Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder" (IMK) für die Einrichtung einer gemeinsamen Verbunddatei Rechtsextremismus für Polizei und Verfassungsschutz - "Rechtsextremismusdatei" (RED) - ausgesprochen. Sie wurde am 19. September 2012 in Betrieb genommen. Ziele der neuen Verbunddatei sind eine Zusammenführung bestimmter personenbezogener Daten von Verfassungsschutzund Polizeibehörden auf dem Gebiet des gewaltorientierten Rechtsextremismus sowie die Intensivierung und Beschleunigung des Informationsaustausches. Zudem 18 Verfassungsschutz in Hamburg soll die Rechercheund Analysefähigkeit der Datei über gewaltbezogene Aktivitäten von Rechtsextremisten weiter ausgebaut werden. Das Bundesverfassungsgericht hat mit einer Entscheidung vom 24. April 2013 (1 BvR - 1215/07) erklärt, dass die Antiterrordatei (ATD) in ihren Grundstrukturen verfassungsgemäß ist. Jedoch stellte das Gericht fest, dass sie hinsichtlich ihrer Ausgestaltung in Einzelpunkten den verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht genüge. Das Gericht forderte vom Gesetzgeber hinsichtlich einiger Speichervoraussetzungen und des Informationsaustausches zwischen Polizei und Verfassungsschutz weitere Präzisierungen. Die im Hinblick auf den Bestimmtheitsgrundsatz und das Übermaßverbot vom Gericht verlangten Änderungen betrafen die Bestimmung der beteiligten Behörden, die Reichweite der als terrorismusnah erfassten Personen, die Einbeziehung von Kontaktpersonen, die Nutzung von verdeckt bereitgestellten erweiterten Grunddaten, die Konkretisierungsbefugnis der Sicherheitsbehörden für die zu speichernden Daten und die Gewährleistung einer wirksamen Aufsicht und die Einbeziehung von Daten in die Antiterrordatei, die durch Eingriffe in das Briefund Fernmeldegeheimnis und das Recht auf Unverletzlichkeit der Wohnung erhoben wurden. Der Bundesgesetzgeber hat mit dem Gesetz zur Änderung des Antiterrordateigesetzes und anderer Gesetze vom 18. Dezember 2014 diese Vorgaben umgesetzt. Soweit Vorschriften im Rechtsextremismus-Datei-Gesetz (RED-G) den vom Bundesverfassungsgericht beanstandeten Regelungen des Antiterrordateigesetzes (ATDG) entsprachen, wurden diese entsprechend mit angepasst. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 24. April 2013 (1 BvR - 1215/07) zum ATDG enthält auch allgemeine Begründungsausführungen zu Übermittlungen von Nachrichtendiensten an Polizeien. Danach muss eine Übermittlung von Erkenntnissen, die mit besonderen Mitteln nachrichtendienstlich gewonnen worden sind, für ein operatives Tätigwerden der Polizei, das mit schwerwiegenden Grundrechtseingriffen verbunden ist, grundsätzlich einem herausragenden öffentlichen Interesse dienen. Zwar ist das Übermittlungsermessen nach SS 19 Abs. 1 S. 1 Bundesverfassungsschutzgesetz (BVerfSchG) bereits nach geltendem Recht abzuwägen, der Bundesgesetzgeber hat sich gleichwohl entschie19 Verfassungsschutz in Hamburg den, eine rechtspolitisch sinnvolle Neuregelung dieser speziellen Übermittlungssachverhalte vorzunehmen. Daher sieht der Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Zusammenarbeit im Bereich des Verfassungsschutzes eine entsprechende Anpassung der Vorschrift des BVerfSchG zur Übermittlung von Informationen an die Polizeien vor. Das Gesetzgebungsverfahren dauert noch an. Der Deutsche Bundestag hat in seiner 116. Sitzung am 03. Juli 2015 den Gesetzentwurf verabschiedet. 6. Kontrolle Das LfV ist an klare gesetzliche Vorgaben gebunden, seine Arbeit unterliegt kontinuierlicher parlamentarischer Kontrolle. In Hamburg wird diese Aufgabe vom "Ausschuss zur parlamentarischen Kontrolle des Senats auf dem Gebiet des Verfassungsschutzes" (verkürzt auch "PKA" für "Parlamentarischer Kontrollausschuss" genannt) der Hamburgischen Bürgerschaft wahrgenommen. Über Eingriffe in das Brief-, Post-, und Fernmeldegeheimnis entscheidet die G 10-Kommission der Bürgerschaft. Der Hamburgische Beauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit (HmbBfDI) hat ebenfalls umfängliche Kontrollbefugnisse. Kontrolle des Landesamtes für Verfassungsschutz Parlamentarischer Senator / Staatsrat Bürger Kontrollausschuss G 10-Kommission Landesamt für Gerichte erfassungsschutz DatenschutzInnenausschuss Medien beauftragter 20 Verfassungsschutz in Hamburg Wie bei allen anderen Behörden ist auch das Verwaltungshandeln des Verfassungsschutzes grundsätzlich gerichtlich nachprüfbar. 7. Strukturdaten, Regelanfragen und Überprüfungen Stellenplan Nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 in den USA war der Personalbestand des LfV mit dem Stellenplan 2002 zunächst um 15,5 Stellen aufgestockt worden. In den Jahren 2003 bis 2008 wurde der Stellenbestand insgesamt um weitere elf Stellen auf 151 erhöht. Für die Dauer des Doppelhaushalts 2015/2016 wurden dem LfV Hamburg drei Stellen zur Verfügung gestellt, die insbesondere für eine verstärkte Beobachtung und Auswertung des jihadistischen Salafismus vorgesehen sind. Vor dem Hintergrund der Anschläge in Paris und Istanbul wurden dem LfV Hamburg in 2016 zehn zusätzliche Stellen für die Verstärkung von Obervationsteams und in der Auswertung und Beschaffung zur Verfügung gestellt (Drs. 21/3031). Weitere fünf Stellen wurden im Rahmen der Drs. 21/5039 - Effektive Maßnahmen gegen gewaltbereiten Salafismus und religiösen Extremismus auch in Zukunft fortsetzen - bereitgestellt. Das LfV Hamburg verfügte zum Ende des Jahres 2016 somit über insgesamt 169 Stellen. Mit dem im Dezember 2016 gefassten Haushaltsbeschluss für den Doppelhaushalt 2017/2018 werden dem LfV Hamburg ab 1. Januar 2017 eine halbe Stelle und ab dem 1. Februar 2017 weitere sieben Stellen zusätzlich zur Verfügung stehen. Haushaltsansatz Im Jahr 2016 betrug der Haushaltsansatz für das LfV insgesamt 12.776.000 EUR (2015: 12.646.000 EUR). Darin enthalten waren 9.835.000 EUR für Personalausgaben (2015: 9.675.000 EUR), davon 1.753.000 EUR Versorgungsleistungen (2015: 1.723.000 EUR) und 187.000 EUR für Investitionen. 21 Verfassungsschutz in Hamburg Hamburger NADIS-Speicherungen Vom LfV Hamburg waren am 31. Dezember 2016 im Nachrichtendienstlichen Informationssystem (NADIS-WN, 5.) Daten von 58.326 Personen gespeichert (31.12.2015: 55.659), davon 52.670 (90,3 %) im Zusammenhang mit Sicherheitsüberprüfungen (31.12.2015: 50.425 = 90,6 %). Im Phänomenbereich Linksextremismus werden 1.469 Datensätze geführt, im Bereich Rechtsextremismus sind es 1.119, im Bereich auslandsbezogener Extremismus einschließlich Islamismus 2.389 und bei der Scientology-Organisation 287. Die Zahl der NADIS-Datensätze ist nicht identisch mit dem beobachteten Personenpotenzial, insbesondere weil sich Speicherund Löschfristen zusätzlich auswirken. Beteiligungsund Mitwirkungsaufgaben Das LfV Hamburg nutzt seine Informationen nicht nur zur Analyse und Bewertung extremistischer Organisationen, sondern beteiligt sich mit seinen Informationen an den Entscheidungen einer Vielzahl anderer Behörden. Einbürgerungsverfahren Mit Wirkung vom 22. Oktober 2001 wurde in Hamburg die Regelanfrage bei Einbürgerungen eingeführt: Das Einwohner-Zentralamt als Einbürgerungsbehörde fragt vor jeder Entscheidung beim LfV nach, ob Erkenntnisse vorliegen, die einer Einbürgerung entgegenstehen könnten. Vor Einführung dieser Regelung wurde nur angefragt, wenn bereits der Einbürgerungsbehörde Anhaltspunkte für den Verdacht auf politischextremistische Bestrebungen aufgefallen waren. Im Jahr 2016 gab es 8.010 Anfragen (2015: 7.756), die nach einer Dateiabfrage im NADIS-WN beantwortet wurden. In 16 Fällen wurden Ermittlungen angestellt, Bedenken mussten in acht Fällen (2015: 14) erhoben werden. 22 Verfassungsschutz in Hamburg Aufenthaltsverfahren Seit dem 1. Mai 2004 führen die Ausländerdienststellen bei Personen aus bestimmten Herkunftsländern vor Erteilung oder Verlängerung von Aufenthaltstiteln eine Sicherheitsbefragung durch. In jedem Fall wird auch das LfV beteiligt. Im Jahr 2016 wurden 23.262 Anfragen beantwortet (2015: 16.723). In 14 Fällen wurden Ermittlungen angestellt (2015: 20), Bedenken mussten in fünf Fällen erhoben werden (2015: drei). Schengener Visumverfahren Im Jahr 2016 gab es im "Schengener Visumverfahren" 5.813 Anfragen an das LfV (2015: 4.605). In drei Fällen (2015: drei) wurden Bedenken erhoben. Das Verfahren wird ausgelöst, wenn der Antragsteller aus einem "Problemstaat" stammt. In das Verfahren eingebunden sind das Auswärtige Amt, das Bundesamt für Verfassungsschutz und gegebenenfalls die Verfassungsschutzbehörde des jeweiligen Bundeslandes. 23 Personalrat Führungsunterstützung V02 Amtsleiter / Referat V 01 Vertrauensperson für NADIS-Koordinator V03 Stellvertretende Öffentlichkeitsund Schwerbehinderte, Internet-Koordinator V04 Gremienarbeit Gleichstellungsbeauftragte Amtsleiterin Abteilung V3 Abteilung V4 Abteilung V1 Abteilung V2 Spionageabwehr, Nachrichtendienstliche Zentrale Aufgaben Auswertung Geheimschutz, Recht Informationsbeschafung Organigramm des LfV Hamburg Referat V41 Referat V201 Referat V11 Referat V31 Observation, Grundsatz Verwaltung Geheimschutz konspirative Mitwirkungsaufgaben Ermittlung Referat V42 Referat V32 Referat V12 Referat V21 Forschung, Spionageaufklärung Zentrale Dienste Islamismus Werbung und und Wirtschaftsschutz Beschaffung Verfassungsschutz in Hamburg Referat V22 Referat V13 Rechtsextremismus Referat V43 Operative Technik Scientology VP-Führung Referat V23 Linksextremismus / 8. Extremismus mit Auslandsbezug 24 Verfassungsschutz in Hamburg Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Gruppierungen mit Auslandsbezug Linksextremismus Rechtsextremismus Reichsbürger und Selbstverwalter Scientology-Organisation Spionageabwehr Geheimund Sabotageschutz; Wirtschaftsschutz Anhang * Hamburgisches Verfassungsschutzgesetz * Abkürzungsverzeichnis * Stichwortverzeichnis Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten II. Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten 1. Entwicklungen und Schwerpunkte Nach wie vor ringen die sich feindlich gegenüber stehenden terroristischen Netzwerke "Islamischer Staat" (IS, 4.2) und "al-Qaida" (AQ, 4.3) um die Vorherrschaft und in diesem Kontext auch um die mediale Meinungsführerschaft innerhalb der internationalen jihadistischen Klientel. Der IS musste 2016 sowohl im Irak als auch in Syrien schwere militärische Niederlagen hinnehmen; Kern-al-Qaida gelang es jedoch nicht, daraus Vorteile in der öffentlichen Wahrnehmung zu ziehen oder den eigenen Machtund Einflussbereich zu vergrößern. Die internationale jihadistische Propaganda wird weiterhin eindeutig vom IS dominiert. Auch zahlreiche Terroranschläge wurden durch den IS über eine professionelle und multimedial angelegte Medienarbeit zumindest inspiriert. Anhaltende militärische Niederlagen in Syrien und im Nord-Irak könnten den IS und seine weltweiten Anhänger dazu bewegen, auch zur eigenen Legitimation vermehrt Anschläge zu begehen; im Kontext dieser Gefährdungssituation sind auch mögliche ansteigende Rückkehrerzahlen aus den Jihad-Gebieten in die europäischen Heimatländer zu berücksichtigen. Die seit Jahren bestehende hohe Gefährdungslage Deutschlands konkretisierte sich 2016 in mehreren Anschlägen durch IS-Anhänger. Der schwerste Terroranschlag geschah am 19. Dezember 2016, als ein Jihadist mit einem gestohlenen Lastwagen über einen Berliner Weihnachtsmarkt fuhr, wobei elf Besucher ums Leben kamen. Der LKW-Fahrer wurde vom Attentäter bereits vor der eigentlichen Tat getötet ( 4.1). Nach wie vor zählt der Salafismus, insbesondere der jihadistische Salafismus, zu den dynamischsten extremistischen Bestrebungen in Europa, so auch in Deutschland. So stieg die Zahl der Salafisten im Jahr 2016 bundesweit auf rund 9.700 (2015: 8.650), in Hamburg auf gut 670 (Stand: Dezember 2016, 2.) an. Bisher sind gut 900 Islamisten aus Deutschland, davon ungefähr 70 aus Hamburg, Richtung Syrien und Irak gereist (Stand: Januar 2017), um dort an Kampfhandlungen teilzunehmen oder den Jihad in sonstiger Weise, zum Beispiel durch Geldund Sachspenden oder durch logistische Hilfe, zu unterstützen. Nicht in allen Fällen liegen gesicherte Informationen vor, 26 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten dass sich diese Personen tatsächlich in Syrien oder Irak aufgehalten haben; von manchen Jihadisten wurde bekannt, dass sie in anderen Ländern strandeten und von den dortigen Sicherheitsbehörden festgenommen wurden, zum Beispiel in der Türkei. Etwa ein Drittel der Richtung Jihadgebiete ausgereisten Personen ist mittlerweile nach Deutschland zurückgekehrt. Ein großer Teil von ihnen taucht wieder in ihre angestammte salafistische Szene ein. Sie stehen im besonderen Fokus der deutschen Sicherheitsbehörden. Anfang 2017 lagen bundesweit zu mehr als 70 Personen Erkenntnisse vor, dass sie sich aktiv am bewaffneten Kampf beteiligt haben. Ferner lagen zu circa 145 Personen Hinweise vor, dass diese in den Jihadgebieten ums Leben gekommen sind. Die Anzahl der Ausreisenden ist seit 2015 rückläufig. Diese Tendenz setzte sich auch 2016 fort. Vier Personen konnten im Jahr 2016 durch Maßnahmen des LfV Hamburg an ihrem Vorhaben gehindert werden in Richtung der Jihadsgebiete auszureisen. In den vergangenen Jahren gab es in Hamburg einzelne Hinweise darauf, dass Islamisten, zum Beispiel die verbotene Hizb ut-Tahrir ( 5.), aber auch Salafisten ( 4.4) versuchten, unter geflüchteten Menschen neue Anhänger zu werben. Erkenntnisse dafür, dass islamistische Gruppierungen durch diese Versuche in größerem Umfang neue Anhänger gewinnen, gab es auch im Jahr 2016 nicht. 2. Potenziale In Hamburg wuchs 2016 die Zahl der Anhänger des salafistischen Spektrums ( 4.5) auf 670 Personen an (2015: 460). Von diesen 670 Salafisten sind 320 (2015: 270) der jihadistischen Strömung zuzurechnen. Salafistische Bestrebungen in Hamburg 2011 2012 2013 2014 2015 2016 200 200 240 400 460 670 Gewaltbereite Islamisten in Hamburg 2011 2012 2013 2014 2015 2016 40 40 70 240 270 320 27 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten Hamburg: Gesamt-Personenpotenzial im auslandsbezogenen Extremismus mit dem Anteil der Islamisten 3500 3000 2500 3.000 2.985 2.930 2.985 3.040 3.015 3.075 2000 2.205 1.805 1.915 1500 1000 1.065 1.355 2.245 2.225 955 500 2.030 2.005 2.010 2.065 2.270 0 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 insgesamt Islamisten - Alle Zahlen sind gerundet - 3. Politisch motivierte Kriminalität Seit 2001 wird der Deliktsbereich "Politisch motivierte Kriminalität" (PMK) bundesweit nach einheitlichen Kriterien erfasst. Darin sind sämtliche politisch motivierte Straftaten verzeichnet, extremistische Straftaten werden dabei als Teilmenge der PMK registriert. Die statistische Erfassung politisch motivierter Kriminalität sah im Phänomenbereich "auslandsbezogener Extremismus" bislang keine Differenzierung zwischen islamistisch und anderen extremistisch motivierten Delikten vor. Im Rahmen einer Sonderauswertung sind jedoch Fallzahlen unter dem Oberbegriff "Islamismus" vom LKA Hamburg generiert worden. Die 18 hierunter erfassten extremistischen Straftaten beinhalten in vielen Fällen Anschlagsoder persönliche Bedrohungen von zumeist unbekannten Tätern mit einer möglicherweise islamistischen Motivation. In diesen Fällen ergaben sich entweder keine konkreten Ermittlungsansätze oder die Ernsthaftigkeit der Drohungen konnte ausgeschlossen werden. 28 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten Zu erwähnen sind drei Fälle, die als Gewaltdelikte eingestuft sind: * Anfang 2016 kam es zu einer angeblichen körperlichen Auseinandersetzung zwischen drei Personen, nachdem einer der Beteiligten sich negativ über den Salafismus äußerte. * In einem weiteren Fall soll es im Zusammenhang mit der Konversion vom Islam zum Christentum möglicherweise zu einer Körperverletzung gekommen sein. * Ebenfalls als Gewaltdelikt wurde eine Erpressung eingestuft, bei der die Täter von Gastronomieunternehmen Geld für humanitäre Zwecke in Syrien und Irak erpressen wollten. Als Rechtfertigung wurde die Mitschuld Deutschlands an dem Bürgerkrieg in beiden Ländern genannt. In allen Fällen konnten die Täter nicht ermittelt werden. Bei drei weiteren Straftaten, die nicht als Gewaltdelikte eingestuft sind, wurden Personen verdächtigt bzw. beschuldigt, terroristische Vereinigungen unterstützt bzw. ihnen angehört zu haben. 4. Islamistisch motivierter Terrorismus 4.1 Aktuelle Entwicklungen Nach den Anschlägen von Mitgliedern des "Islamischen Staates"(IS) im November 2015 auf Ziele in Paris, gezielt im Kontext eines Fußball-Freundschaftsspiels zwischen Frankreich und Deutschland mit höchsten staatlichen Repräsentanten beider Länder im Publikum, und einer Anschlagswelle in vielen arabischen Ländern im selben Jahr setzte der IS diese Anschläge im Jahr 2016 fort. Dabei war auch das seit Jahren im Visier des IS stehende Deutschland (VSB 2014, S. 20 f.) von IS-inspirierten Anschlägen mit zahlreichen Toten und Verletzten betroffen. Im Kontext der sich häufenden militärischen Niederlagen setzte der IS verstärkt auf seine multimedial verbreitete Propaganda, auch als Kompensation für Gebietsverluste und zur weltweiten Legitimation als vorgeblich führende Macht. Der gezielte Einsatz der Medien gehört seit jeher zum Instrumentarium terroristischer Gruppierungen, um fehlenden politi29 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten schen Einfluss zu kompensieren, um Angst und Schrecken zu verbreiten, um neue Anhänger zu gewinnen und um die bestehende Anhängerschaft zu festigen. In Istanbul starben bei einem Selbstmordanschlag im Januar 2016 zwölf Menschen, darunter elf deutsche Staatsangehörige. In vielen weiteren Ländern wurden verheerende Sprengstoffanschläge dem IS zugeordnet, oder dieser beanspruchte sie für sich, so etwa in Syrien, Irak, Libyen, Jemen, Afghanistan, Bangladesch, Indonesien oder den USA. In Europa wurden im März 2016 der Flughafen Brüssel, koordiniert von Selbstmordattentätern, sowie die Brüsseler Metrostation Maalbeek mit einem Sprengsatz angegriffen. 32 Personen sowie drei Attentäter kamen dabei ums Leben. Am 26. Juli 2016 ermordeten zwei IS-Sympathisanten in Saint-Etienne-du-Rouvray im Norden Frankreichs den 85-jährigen katholischen Priester Jacques Hamel während einer Messe auf brutale Art und Weise und nahmen zwei Nonnen und zwei Gottesdienstbesucher als Geiseln. Beide Täter wurden von der Polizei erschossen. Im Juni 2016 erfolgte ein Angriff auf den Atatürk-Flughafen von Istanbul, bei dem 45 Menschen sowie die drei Attentäter getötet und 230 weitere Personen verletzt wurden. In Europa wurde im Sommer 2016 wiederum Frankreich Ziel eines opferreichen Anschlags: Am 14. Juli 2016 fuhr Mohamed L. mit einem Lastwagen während der Feierlichkeiten zum französischen Nationalfeiertag auf die mit Menschen gefüllte Strandpromenade in Nizza und tötete dabei 84 Personen. Am 19. Dezember 2016 verübte der Tunesier Anis Amri, ebenfalls mit einem Lastwagen, einen Anschlag auf einen Weihnachtsmarkt in Berlin. Amri tötete elf Menschen und den LKW-Fahrer, weitere 50 Besucher wurden zum Teil schwer verletzt. Die als Sprachrohr des IS geltende Nachrichtenagentur "Amaq" verbreitete bereits am folgenden Tag, dass ein sogenannter "Soldat des Islamischen Staates" für diese Tat verantwortlich sei. Amri konnte zunächst entkommen und wurde am 23. Dezember 2016 in der Nähe von Mailand von der italienischen Polizei erschossen. Neben diesen Anschlägen mit hohen Opferzahlen gab es in Europa, insbesondere auch in Deutschland, eine Reihe von Anschlägen, deren Planung und Durchführung nur geringen Aufwand erforderte. 30 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten Einige dieser Taten und Anschlagsversuche werden exemplarisch genannt: * Am 26. Februar 2016 versuchte die damals 15-jährige Salafistin Safia S. in Hannover einen Bundespolizisten zu erstechen. Sie verletzte ihn lebensgefährlich. Safia S. wurde in einem ersten Verfahren zu einer sechsjährigen Haftstrafe verurteilt. Die Verteidigung legte Revision ein. * In einem Nahverkehrszug bei Würzburg attackierte der 17-jährige afghanische Staatsangehörige Riaz A. am 18. Juli 2016 Passagiere mit einem Messer und einer Axt. Vier Personen wurden dabei schwer verletzt. Der Täter wurde von der Polizei erschossen. * In Ansbach plante der Syrer Muhammad D. am 24. Juli 2016 mit Hilfe eines selbst hergestellten Sprengsatzes einen Anschlag auf ein lokales Musikfestival. Der Sprengsatz detonierte außerhalb eines Weinlokals und tötete lediglich den Attentäter selbst. * Im Oktober 2016 konnte nach umfangreichen nachrichtendienstlichen Vorermittlungen ein geplanter Anschlag auf einen Berliner Flughafen durch den Syrer Jaber A. verhindert werden. A. nahm sich später in der Untersuchungshaft in Leipzig das Leben. * Ein besonderer Fall mutmaßlich religiös motivierter Radikalisierung sorgte Mitte Dezember 2016 für Aufsehen: Ein 12-jähriger Junge hatte vergeblich versucht in Ludwigshafen eine selbstgebaute Nagelbombe auf einem Weihnachtsmarkt detonieren zu lassen. Die Täter von Würzburg und Ansbach standen nach bisherigen Erkenntnissen bis unmittelbar vor der eigentlichen Tatausführung über soziale Netzwerke mit IS-Angehörigen im Ausland in Verbindung, welche die Täter inspirierten, ermutigten und anleiteten. Es gibt Hinweise darauf, dass IS-Angehörige in den sozialen Netzwerken gezielt nach jihadaffinen Einzelpersonen suchen, diese kontaktieren und weiter radikalisieren. Der IS ruft in seinen Veröffentlichungen zudem immer wieder dazu auf, terroristische Aktionen mit einfachen Mitteln durchzuführen. 31 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten 4.2 Islamischer Staat (IS) Am 1. Tag im Monat Ramadan 2014 (29. Juni 2014) rief der IS die Wiedererrichtung eines "Kalifats" unter Führung von "Ibrahim Awwad Ibrahim Ali al-Badri" alias "Abu Bakr al-Baghdadi" alias "Kalif Ibrahim" aus. Andere Jihad-Gruppen hatten sich in den Augen des IS fortan entweder dem "Kalifat" anzuschließen, oder aber sie würden ihre Legitimität verlieren und als feindlich, als "Ungläubige" gelten. Verschiedene jihadistische Gruppierungen in zahlreichen Ländern schlossen sich seit 2014 dem IS als sogenannte "Provinzen" (Wilayat) an. Der IS verfügt über organisatorische Strukturen sowohl in Nordund Westafrika (unter anderem in Tunesien, Libyen, Ägypten, Nigeria) als auch in Vorder-, Südund Südostasien (unter anderem in den kaukasischen Staaten, Afghanistan und Pakistan, Bangladesch, Indonesien). Nach der Expansion des IS in den Jahren 2013 und 2014 setzte sich "Abu Bakr al-Baghdadi" alias "Kalif Ibrahim" in einem IS-Video die Serie an zum Teil gravierenden militärischen Niederlagen, die bereits 2015 eingesetzt hatte, auch 2016 fort. Der IS verlor zahlreiche Ortschaften und Gebiete an seine Gegner, die vor allem in Syrien, im Irak und auch in Libyen massiver denn je gegen die Terrormiliz vorgehen. Vor dem Hintergrund des international koordinierten Vorgehens gegen den IS in dessen Kernländern, versucht die Terrormiliz die Staaten der Anti-IS-Koalition durch Attentate dazu zu bringen, die Kampfhandlungen einzustellen; dazu gehört auch der Aufruf des IS an Anhänger weltweit, in den Ländern Anschläge zu begehen, die militärisch, logistisch oder finanziell am Kampf gegen den IS beteiligt sind - auch, um die jeweilige innenpolitisch-gesellschaftliche Lage zu destabilisieren. 32 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten 4.3 al-Qaida-Netzwerk Kern-al-Qaida Den bedeutendsten Einschnitt für Kern-al-Qaida im Jahr 2016 stellte die Loslösung ihres syrischen Ablegers "Jabhat al-Nusra" (JaN) von der Mutterorganisation dar. JaN galt neben "al-Qaida auf der Arabischen Halbinsel" als der erfolgreichste und wichtigste Regionalableger. Der Schritt der JaN geschah unter Einbeziehung der al-Qaida-Führung, die ihr Einverständnis gab. Dies unterstreicht auch die grundsätzlich andere Strategie al-Qaidas gegenüber der des IS: al-Qaidas Anliegen ist es, Netzwerke strategischer Partnerschaften aufzubauen, um Ziele auf regionaler Ebene zu erreichen. Eine öffentliche Führungsrolle al-Qaidas ist dabei nicht unbedingt notwendig. So hat sich Kern-al-Qaida dem "Islamischen Emirat Afghanistan", wie sich die lokalen Taliban selbst bezeichnen, unterworfen. Der IS hingegen hegt einen universalen Machtanspruch gegenüber anderen ideologisch ähnlich ausgerichteten Gruppen und möchte diese, unter seiner Führung, in seine Strukturen integrieren. Von Kern-al-Qaida gingen 2016 keine Anschläge gegen westliche Staaten aus. Aiman al-Zawahiri, der derzeitige Anführer al-Qaidas, meldete sich lediglich mit eher politischen und strategischen Audiound Videobotschaften zu Wort, zum Beispiel zur Lage in Syrien. Jabhat al-Nusra (JaN) / Jabhat Fath al-Sham (JFS)/ Hayyat Tahrir al-Sham Die "Jabhat al-Nusra" ("Unterstützungsfront") war bis zur Umbenennung in "Jabhat Fath al-Sham" ("Front für die Eroberung der Levante") die syrische al-Qaida-Regionalorganisation. Der Begriff "Levante", abgeleitet vom mittelfranzösischen "levant" (Sonnenaufgang), bezeichnet im engeren Sinne die Länder im östlichen Mittelmeerraum. Im Januar 2012 verkündete die JaN ihre Gründung und wurde im Dezember 2012 vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen als Terrororgani33 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten sation eingestuft. Die zuvor lediglich vermutete enge Beziehung zum damals sogenannten "Islamischen Staat im Irak" (IStI) bestätigte sich im April 2013, als der Führer des IStI und heutigen IS, Abu Bakr al-Baghdadi, die Verbindung zur JaN bekannt gab und diese als regionalen Ableger des IStI bezeichnete. Zugleich verkündete al-Baghdadi, dass die beiden Organisationen künftig unter dem Namen "Islamischer Staat in Irak und Großsyrien" (ISIG) beziehungsweise "Islamischer Staat in Irak und Syrien" (ISIS), später "Islamischer Staat" (IS) agierten. Der Anführer der JaN, Abu Muhammad al-Jaulani, widersprach dieser Darstellung jedoch und betonte die Unabhängigkeit der JaN. Ende 2013 brach der schwelende Konflikt zwischen den Gruppen in einer offenen bewaffneten Konfrontation aus. Im Verlauf der Auseinandersetzungen gelang es dem IS im Juni 2014, die JaN aus den östlichen Gebieten Syriens zu vertreiben. Die JaN ist seitdem über den richtigen Umgang mit dem IS gespalten und versucht sich im Süden, Osten und Nordosten Syriens militärisch und logistisch zu konsolidieren. Im Jahr 2015 konzentrierte sich JaN vor allem auf die Eroberung der Provinzhauptstadt Idlib im Nordwesten Syriens (etwa 50 Kilometer von Aleppo und 20 Kilometer von der türkischen Grenze entfernt). Die JaN unternahm ihre militärischen Operationen in einer Koalition mit anderen Rebellen, die sich in der sogenannten Logo der"Jabhat Fath al-Sham" "Eroberungsarmee" (Jaish al-Fath) zusammengeschlossen hatten. Die Strategie der JaN zielte auch im Jahr 2016 darauf ab, als fester Bestandteil der syrischen Rebellenszene gegen das Aassad-Regime zu agieren und zusammen mit den anderen Gruppen taktische oder strategische Bündnisse einzugehen. Auch international versuchte JaN 2015 zunehmend, sich als vorgeblich "moderate" Alternative zum IS zu präsentieren. So gab der Führer der JaN, Abu Muhammad al-Jaulani, dem qatarischen TV-Sender al-Jazeera im Mai 2015 ein ausführliches Interview, in dem er versuchte, ein möglichst harmloses Bild seiner Organisation zu zeichnen. JaN sei demnach vor allem an einem Fall des syrischen Staatspräsidenten Assad interessiert und würde sich bei einem künftigen Staatsaufbau mit allen Rebellen abstimmen. 34 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten Diesen propagandistischen Kurs setzte JaN auch 2016 fort; eine taktische Folge dieser Strategie war auch die Umbenennung in "Jabhat Fath al-Sham" (JFS) am 29. Juli 2016. Gründe hierfür lagen zum einen darin, dass potenzielle staatliche Förderer und internationale Unterstützer weniger bereit waren, einen offenkundigen al-Qaida-Ableger zu unterstützen, als vielmehr eine unabhängige Miliz, die zumindest nicht offiziell al-Qaida zuzurechnen ist. Zum anderen spielten spezielle Faktoren im syrischen Bürgerkrieg eine Rolle. So waren andere Rebellengruppen aus strategischen Gründen nicht bereit, die Zusammenarbeit mit der JaN als al-Qaida-Ableger auszubauen; sie stellten die Bedingung, dass sich die JaN von al-Qaida lossagen müsse, um mehr internationale Unterstützung für ihren Kampf gegen das Assad-Regime zu erhalten. Anfang des Jahres 2017 benannte sich die Gruppierung erneut um und firmiert nun unter dem Namen "Hayyat Tahrir al-Sham" (Komitee zur Befreiung der Levante). Bei "Hayyat Tahrir al-Sham" handelt es sich um ein Bündnis verschiedener Milizen, unter denen die JFS als größte Kraft gilt. Logo der "Hayyat Tahrir alSham" al-Qaida auf der arabischen Halbinsel (AQAH) Die Terror-Organisation "al-Qaida auf der arabischen Halbinsel" (AQAH) bleibt, trotz aller Rückschläge, nach wie vor eine zentrale Stütze im weltweit aktiven al-Qaida-Netzwerk. AQAHs Operationsgebiet ist hauptsächlich der Jemen. Wie in den Jahren zuvor erlitt AQAH auch 2016 zum Teil schwerwiegende militärische und personelle Verluste, die der Organisation insbesondere durch gezielte Drohnenangriffe der USA zugefügt wurden. Dennoch demonstrierte AQAH auch 2016 ihre Handlungsfähigkeit, unter anderem mit mehreren Angriffen auf jemenitische Sicherheitskräfte und Vertreter des Staates, obwohl die Gruppierung im April 2016 den Verlust der Hafenstadt al-Mukalla hinnehmen musste. 2015 war die Stadt durch die Jihadisten erobert worden und galt seitdem als wichtigstes wirtschaftliches Zentrum der AQAH. 35 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten In der Auseinandersetzung zwischen al-Qaida und dem IS hatte sich AQAH bereits ab November 2014 immer deutlicher zu Gunsten Aiman az-Zawahiris und damit Kern-al-Qaidas positioniert. Dieses eindeutige Bekenntnis der AQAH-Führung war notwendig geworden, nachdem der IS seinen Anspruch auf Führerschaft über die Jihadisten im Jemen und Saudi-Arabien deutlich gemacht und somit AQAH vor die Wahl gestellt hatte, sich für oder gegen den IS zu entscheiden. Mit dem Bekenntnis AQAHs zu Kern-al-Qaida ist Aiman az-Zawahiri die wichtigste Regional-organisation erhalten geblieben. 4.4 Salafismus Grundsätzliches Der Salafismus stellt eine radikale und kompromisslose Ausrichtung innerhalb des sunnitisch-islamistischen Spektrums dar. Salafisten wollen den Islam von allen vermeintlich, aus ihrer Sicht "unerlaubten" Neuerungen reinigen, wie sie vor allem im "Volksislam" verbreitet seien. Als vorbildlich gelten ihnen dabei die ersten drei Generationen der Muslime, die sogenannten "as-Salaf as-Salih" ("die frommen Altvorderen"), wovon sich die Bezeichnung der Salafisten ableitet. Der Salafismus bewegt sich außerhalb der etablierten Rechtsschulen des Islam und akzeptiert deren Meinungen lediglich, wenn sie mit den eigenen Anschauungen vereinbar sind. Innerhalb des Salafismus existieren verschiedene Strömungen, welche sich in ideologischer Hinsicht unterscheiden, aber dennoch Durchlässigkeiten und Überschneidungen aufweisen. Die Hauptrichtungen werden dabei idealtypisch als puristischer, politischer und jihadistischer Salafismus bezeichnet. Während die Puristen die Demokratie aus einer fundamentalistischen Haltung heraus zwar ablehnen, entwickeln sie jedoch keine Aktivitäten im Sinne einer Bestrebung gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, die eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz zur Folge hätte. Anders verhält es sich bei politischen und jihadistischen Salafisten: Beide Richtungen propagieren aktiv die Ablehnung wesentlicher Bestandteile der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und treten für die Etablierung eines Staatswesens ein, in dem vermeintlich göttlich gegebene Gesetze gelten sollen. Während politische Salafisten zwar grundsätzlich 36 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten Gewalt nicht ablehnen, ihre Ziele aber mit Mitteln der Mission und fortwährender Überzeugungsarbeit zu verwirklichen suchen, befürworten Jihadisten die Anwendung von Gewalt. Zwischen diesen beiden verfassungsfeindlichen Ausprägungen des Salafismus existieren fließende Übergänge, Wechselbeziehungen und personelle Überschneidungen. Der geographische Fokus der Jihadisten liegt vornehmlich auf muslimischen Ländern wie Syrien, Irak oder Pakistan. Ihre Aktivitäten richten sich auch gegen die aus ihrer Sicht "ungläubigen", westlichen Gesellschaften Europas und der USA, aber auch Kanadas, Australiens und anderer Länder. Für diese Staaten besteht nach wie vor eine hohe Gefahr von Anschlägen. Die Anziehungskraft der salafistischen Ideologie ist weiterhin ungebrochen: Wie in den Vorjahren stieg auch in 2016 das Personenpotenzial im gesamten Bundesgebiet kontinuierlich an. Der seit Jahren auch europaweit festzustellende Zulauf in die extremistischsalafistische Szene hat mehrere, je nach Land und Region spezifisch zu betrachtende Gründe. Die erfolgreiche und gezielt strategisch angewandte Propaganda ist eine Ursache. Die in sozialen Netzwerken, speziellen Webseiten, Chat-Gruppen und Video-Kanälen auf professionelle Art und Weise multimedial verbreitete Ideologie spricht erfahrungsgemäß insbesondere jüngere Menschen bis Anfang/Mitte 30 an. Es finden sich die verschiedensten Motive, die die Suche nach einem alternativen Lebenskonzept begünstigen und die Empfänglichkeit für extremistisches Gedankengut erhöhen. Den klassiSoziale Netzwerke haben bei schen "salafistischen Lebenslauf" gibt es jedoch der Verbreitung der Propanicht. ganda eine wichtige Funktion Erste Auswertungen von Lebensläufen salafistischer Personen lassen allerdings darauf schließen, dass junge Menschen häufig dann in die islamistische Szenen geraten, wenn es Brüche in ihrer Biografie gibt: Das können Schwierigkeiten im Elternhaus sein, die Trennung der Eltern, das Fehlen des Vaters oder der Mutter als Bezugsperson. Manche Salafisten hatten zudem Probleme in der Schule, in der Ausbildung oder am Arbeitsplatz. Gefühlte oder tatsächliche Diskriminierungen können ebenfalls eine Ursache dafür sein, warum sich jüngere Erwachsene radikalisieren und in eine salafistische Gruppe geraten, die auf geschickte 37 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten Art und Weise soziale und religiöse Orientierung bietet sowie vorgeblich einfache Antworten auf komplexe Fragen des Lebens gibt. Auch der Einfluss charismatischer islamistischer Prediger, die die benannten Themen aufgreifen und für ihre extremistische Argumentation missbrauchen - sei es im Internet, bei Veranstaltungen oder in den Moscheen - ist nicht zu unterschätzen. Ein weiterer Grund ist neben dem anhaltenden Zulauf vorwiegend jüngerer Menschen auch eine verbesserte Erkenntnistiefe der Sicherheitsbehörden. In Hamburg beispielsweise setzte der Verfassungsschutz im Sommer 2014 einen weiteren Schwerpunkt bei der Aufklärung und Beobachtung der islamistisch-salafistischen Szene. Missonierungsarbeit ("Dawa") Salafisten fühlen sich verpflichtet, ihre ureigene Interpretation des Islam unter Nichtmuslimen und insbesondere unter ihrer Ansicht nach fehlgeleiteten Muslimen zu verbreiten. Das geschieht über die sogenannte "Dawa-Arbeit", wie die Missionierung genannt wird. Salafisten organisierten zu diesem Zweck bundesweit seit 2011 (in Hamburg seit Anfang 2012) auf öffentlichen Plätzen Infotische und Vortragsveranstaltungen, bei denen Flyer, Broschüren und Koranexemplare verteilt wurden. Insbesondere der Verein "Die wahre Religion" (DWR), besser bekannt unter dem Kampagnennamen "LIES!", des Predigers Ibrahim Abou-Nagie aus Nordrhein-Westfalen, stand mit Logo "Die wahre Religion" ihrer bundesweiten Verteilungsaktion von kostenlosen Koranübersetzungen seit mehreren Jahren im Fokus der Sicherheitsbehörden. In Hamburg gab es diese Infostände bis zu ihrem Verbot vorwiegend in der Innenstadt. Selbsterklärtes Ziel dieser Organisation war es, dass in jedem deutschen Haushalt ein Koran vorhanden sein solle. 38 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten Das Verbot der Vereinigung "Die wahre Religion" (DWR) Am 15. November 2016 hat der Bundesminister des Innern die Vereinigung "Die wahre Religion" (DWR) alias "LIES! Stiftung" / "Stiftung LIES" einschließlich ihrer Teilorganisationen verboten und aufgelöst. Die Verbotsgründe: DWR richtete sich aggressiv-kämpferisch gegen die verfassungsmäßige Ordnung sowie gegen den Gedanken der Völkerverständigung. Sie vertrat eine Ideologie, welche die verfassungsmäßige Ordnung verdrängt und den militanten Jihad befürwortet. Außerdem war DWR ein bundesweit einzigartiges Rekrutierungsund Sammelbecken für jihadistische Salafisten - darunter solche, die Richtung Syrien und Irak ausreisen wollen, um dort den bewaffneten Jihad zu unterstützen. In Hamburg waren im Zusammenhang mit dem Verbot vier Objekte von Durchsuchungsmaßnahmen betroffen, darunter die Taqwa-Moschee in Harburg, die nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes zentraler Anlaufpunkt der jihadistischen Szene ist. An den Maßnahmen waren gut 60 Beamtinnen und Beamte der Hamburger Innenbehörde und Polizei Hamburg beteiligt. Der Hamburger Verfassungsschutz hat mit seinen Informationen maßgeblich mit zum Verbot der salafistischen Organisation beigetragen. Zuständige Verbotsbehörde war das Bundesinnenministerium, weil DWR in mehreren Bundesländern aktiv war. DWR wurde 2005 vom Jihadisten Ibrahim Abou-Nagie gegründet. Seit 2011 war die Vereinigung mit ihrer "LIES!-Kampagne" öffentlich aktiv, seit Anfang 2012 auch in Hamburg. Über die extremistischen Hintergründe informierte der Verfassungsschutz die Öffentlichkeit frühzeitig und seitdem regelmäßig über Internetbeiträge, Medieninterviews und Vorträge. In Hamburg sind dem Verfassungsschutz seit 2012 155 "LIES!"-Info-Stände bekannt geworden: 2012 2013 2014 2015 2016 "LIES!"19 27 50 40 19 Stände Bundesweit waren bis Ende 2016 nach bisherigen Erkenntnissen mehr als 140 "LIES!"-Anhänger mit jihadistischer Motivation nach Syrien bzw. in den Irak ausgereist - zwölf Personen davon zählten zum Hamburger 39 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten "LIES!"-Ableger. Dazu zählte unter anderem der 17-jährige Bilal, der im Jihad-Gebiet ums Leben kam ( 4.5). Außer in Hamburg waren den Sicherheitsbehörden deutschlandweit mehr als 60 weitere lokale "LIES!"-Initiativen in mindestens zehn Bundesländern bekannt. Durch den einheitlichen Auftritt sowohl im Internet als auch bei Veranstaltungen sowie einheitliche Kleidung sollten, neben der angestrebten Missionierung, das Zusammengehörigkeitsgefühl und die Identifikation mit der Gruppe der Salafisten gestärkt und auch offensiv nach außen getragen werden. Das salafistisch-jihadistische Predigernetzwerk um Abou-Nagie war für die Entwicklung und Ausformulierung einer verfassungsfeindlichen Ideologie verantwortlich, die im Rahmen von Seminaren, Vorträgen und Verteilaktionen öffentlich und im Internet verbreitet und breit rezipiert wurde. Ausgewählte Zitate aus dem Koran wurden zur Legitimation einer totalitären Gesellschaftsordnung instrumentalisiert, die sich gegen die wesentlichen Werte des Grundgesetzes richteten. An die Stelle des Demokratieund Rechtsstaatsprinzips, der Volkssouveränität und der Gleichheit aller vor dem Gesetz sowie der Glaubensund Gewissensfreiheit trat ein extremistisches Verständnis von der Scharia. Nicht-Muslime und auch Muslime, die sich nicht an diese Ideologie halten, waren nach Ansicht der DWR-Anhänger keine vollwertigen Menschen, sondern Abtrünnige, denen die "Hölle" droht - eine Metapher, derer sich beispielsweise Abou-Nagie durchgängig bediente, wie sich in seinen zahlreichen Videobotschaften nachvollziehen lässt. So führt Abou-Nagie etwa im Video Einer der letzten salafistischen Info-Stände "Die Irreleitung der Demokratie" der "LIES!"-Kampagne am Hamburger Hauptbahnhof im Mai 2016 (hochgeladen am 16. Dezember 2014, ab Minute 12:32 und 12:50) aus: 40 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten "Scharia [...] und Demokratie, das sind Gegensätze. Das müssen die Menschen akzeptieren. [...] Wenn wir [die] Scharia leugnen, dann sind wir ,Kuffar' [Ungläubige]. Wenn wir [die] Demokratie akzeptieren, sind wir auch ,Kuffar'." In weiteren, offen im Netz aufzurufenden Videosequenzen forderten Abou-Nagie und andere DWR-Anhänger die Vernichtung von Juden und "Zionisten" und riefen dazu auf, den bewaffneten Jihad zu unterstützen. Bis zu ihrem Verbot waren führende Mitglieder der Vereinigungen "Millatu Ibrahim" (2012) und "DawaFFM" (2013) zugleich für DWR und die "LIES!"-Kampagne tätig, zum Beispiel Denis Cuspert. Bei Denis Cuspert alias "Deso Dogg" alias "Abu Talha al-Almani" handelt es sich um einen Deutsch-Ghanaer aus Berlin, der zunächst als "Gangsta"Rapper auf sich aufmerksam machte, bevor er im Jahr 2010 erstmals als islamistischer Prediger auftrat und sich im Jahr 2013 dem "Islamischen Staat" (IS) anschloss. Er gilt als führender deutschsprachiger Propagandist des IS und ist nachweislich an Kriegsverbrechen beteiligt gewesen. Ferner zählt er zu den Gründern der 2012 verbotenen Vereinigung "Millatu Ibrahim". Seit dem 24. April 2017 müssen sich zwölf mutmaßliche Salafisten aus Hamburg vor dem Hamburger Landgericht verantworten. Ihnen wird vorgeworfen die verbotene Vereinigung unterstützt und trotz Verbot fortgeführt zu haben. Mai 2016: Das Aus für die salafistischen Info-Stände in Hamburg Bereits seit Mai 2016, rund fünf Monate vor dem bundesweiten "LIES!"-Verbot, ist es den Hamburger Sicherheitsbehörden - bundesweit einmalig - gelungen, die hiesigen Dawa-Tätigkeiten verschiedenster salafistischer Missionierungsprojekte in der Innenstadt zu unterbinden. Hierfür lieferte das LfV Hamburg Erkenntnisse an das für die Untersagung zuständige Bezirksamt und trug damit maßgeblich zur Verhinderung von Infoständen nach dem Hamburgischen Wegegesetz bei. Bis zum Jahresende 2016 hat das Bezirksamt Hamburg-Mitte insgesamt 31 Anmeldungen von Angehörigen der Missionierungsorganisationen "Muslime im Dialog e.V.", "LIES! Hamburg" und "Siegel der Propheten e.V." negativ 41 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten beschieden. In den Begründungen wurde darauf abgestellt, dass die salafistische Ideologie, welche die Infostand-Anmelder oder die Hamburger Vorsitzenden der Missionierungsorganisationen nachweislich vertreten, der freiheitlichen demokratischen Grundordnung widerspricht. Das bundesweit agierende salafistische Missionierungsnetzwerk "Siegel der Propheten e.V." (SdP) mit ihrem ebenfalls in Nordrhein-Westfalen ansässigen Vereinsgründer Erol S. stellte am 10. Oktober 2016 seine bundesweiten Dawa-Aktivitäten ein. Bereits in den Monaten zuvor wurde für die Hamburger SdP-Sektion deutlich, dass der hohe Zulauf junger Anhänger aus dem Jahr 2015 nicht gehalten werden konnte. Ein Teil der ehemaligen Hamburger SdP-Aktivisten gründete am 11. Mai 2016 den regional agierenden Verein "Muslime im Dialog e.V." (MiD), der es sich nach eigener Aussage zur Aufgabe gemacht hat, den interreligiösen Dialog zwischen Muslimen und Nicht-Muslimen über Infostände in der Innenstadt zu fördern. 4.5 Situation in Hamburg Die salafistische Szene verzeichnete 2016 auch in Hamburg einen deutlichen Zuwachs. Die Zahl der Salafisten stieg auf 670 (Stand: Dezember 2016) an (2015: 460). Von diesen 670 Personen werden rund 320 (2015: 270) als jihadistisch eingestuft. Jihadisten sind solche Salafisten, die den bewaffneten Kampf (den militanten Jihad) befürworten oder unterstützen. Der Anstieg der Zahlen begründet sich zum einen durch den weiterhin festzustellenden Zulauf in die Szene, zum anderen aber auch in der sich stetig verbesserten Erkenntnistiefe und der damit verbundenen Aufklärung des Dunkelfeldes. Über die genannten Dawa-Vereine ( 4.4) hinaus existieren in Hamburg kaum organisatorische Strukturen von Salafisten. Die Szeneangehörigen kommen zumeist in Kleingruppen zusammen, die sich zu ideologischen Schulungen sowie Unterrichten in Moscheen oder Privatwohnungen treffen. 42 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten Für Hamburgs Salafisten ist nach wie vor die im Stadtteil Harburg gelegene Taqwa-Moschee der zentrale Anlaufpunkt. Neben politischen Salafisten verkehrt hier insbesondere die jihadistisch-salafistische Klientel aus dem Großraum Hamburg; dieser Personenkreis kommt auch außerhalb der öffentlichen Gebetsveranstaltungen in der Moschee zusammen. Ab und zu werden auch andere Moscheen zum Eingang der Taqwa-Moschee in HamburgHarburg Gebet aufgesucht. Im Februar 2016 wurde in Hamburg-Altona das "Islamische Institut für Theologie und Soziales" (IITS) eröffnet. In einer im Internet veröffentlichten, offiziellen Verlautbarung zur Gründung des Instituts hieß es: "Das Islamische Institut für Theologie und Soziales sei darin bestrebt, die verschiedenen Wissenschaften des Islams nach akademischem Vorbild anzubieten. Hierbei seien kompetente Dozenten mit einem akademischen Werdegang ein essentieller Bestandteil für den Verein, die zur Wissensvermittlung eingesetzt werden, da sie durch ihre Qualifikation für die Weitergabe der komplexen Fachbereiche des Islams die angemessenen Ansprechpartner seien." Verantwortlich für das Institut zeichneten dem LfV Hamburg bekannte Personen aus dem Umfeld des salafistischen Predigers Baher Ibrahim. Das IITS setzte Ibrahim als regelmäßigen und einzigen Dozenten ein, um ihm erneut eine Plattform für seine radikalisierenden islamistisch geprägten Schulungsveranstaltungen zu bieten. Baher Ibrahim war zuvor aus verschiedenen Moscheen in Hamburg verwiesen worden; einige Personen aus seiner Zuhörerschaft aus früheren Schulungszirkeln reisten später in die Jihadgebiete in Syrien und Irak aus ( VSB 2014, S. 38, www.hamburg.de/innenbehoerde/schlagzeilen/4442668/salafistischerprediger-in-hamburg/). Im Zeitraum von Februar bis September 2016 fanden im IITS regelmäßig Schulungen unter der Leitung des Ibrahim statt. Nach Intervention des LfV Hamburg beendete das IITS seine Aktivitäten. 43 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten Unterstützungsaktivitäten in Form von Spendensammlungen für Syrien wurden im Jahr 2016 zumeist nur noch über das Internet initiiert. Größere Benefizveranstaltungen mit mehreren hundert Teilnehmern wie in den vergangenen Jahren gab es nicht. Sofern Ausreisen aus Hamburg in die Jihadgebiete erkennbar wurden, verfügte die Behörde für Inneres und Sport auch im Jahr 2016 (insgesamt vier) Ausreiseuntersagungen, Passentziehungen bzw. Ausweisbeschränkungen einschließlich der Ausstellung von Ersatzpersonalausweisen. Nach Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden gelang es im Jahr 2016 keiner (in Hamburg wohnhaften) Person erfolgreich in die Jihadgebiete auszureisen. Insgesamt sind seit 2013 gut 70 Personen aus dem Großraum Hamburg ausgereist. Von den Ausgereisten ist nach bisherigen Erkenntnissen etwa ein Drittel zurückgekehrt. Von einem Drittel gibt es Hinweise, dass sie in den Kampfgebieten ums Leben gekommen sind; und ein weiteres Drittel befindet sich noch in den Jihadgebieten. "Die schicken die Brüder einfach in den Tod" Abrechnung mit dem "Islamischen Staat" via Audio-Datei: Die Geschichte eines 17-Jährigen Hamburger Jihadisten Für größere öffentliche Aufmerksamkeit sorgte im Januar und Februar 2017 erneut der Fall "Bilal". Grund war, dass die Thematik ausführlich in den Medien dargestellt wurde: Die Radiosender NDR Kultur, N-JOY und der RBB berichteten in einer umfangreichen fünfteiligen Podcast-Serie unter anderem über die Radikalisierung des jungen Hamburgers, seine Ausreise Richtung Jihad-Gebiet, sein Leben und sein Umfeld sowie über seine Abrechnung mit dem sogenannten "Islamischen Staat" über eine Audiobotschaft. Bilal hat die Datei aus Enttäuschung über die Lügen und die Propaganda der Terrormiliz aufgenommen und in die eigene Szene nach Hamburg geschickt. Auch dem Hamburger Verfassungsschutz ist die Audiodatei zur Kenntnis gelangt, und das Amt hat sie in enger Abstimmung mit der Familie auf seiner Homepage veröffentlicht. Diese Publikation hatte bereits im Laufe des Jahres 2016 für eine hohe öffentliche und mediale Resonanz gesorgt, über die Grenzen Deutschlands hinaus (Internetbei44 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten trag: www.hamburg.de/innenbehoerde/schlagzeilen/5001666/islamischer-staat-beluegt-unterstuetzer-verfassungsschutz-hamburg/ vom 22. März 2016). Die Propaganda des IS und die Wirklichkeit Der IS zeichnet in seiner Internetpropaganda seit Jahren das Bild eines gut organisierten Staates, in dem seine Anhänger brüderlich miteinander leben und kämpfen. Europäische Jihad-Reisende erleben mitunter genau das Gegenteil und lassen für dieses Trugbild bis heute oft ihr Leben. Dies belegt auch Bilals Audiodatei, die im Übrigen sein letztes Lebenszeichen ist. Als er stirbt, ist er 17 Jahre alt. Die Unterstützung des bewaffneten Jihad steht bei vielen Salafisten nach wie vor hoch im Kurs. In zahlreichen qualitativ hochwertigen Propagandafilmen zeichnet der IS das Rechnet in einer Audio-Botschaft mit Bild eines vermeintlich heroischen dem "IS" ab: "Bilal", der 2015 aus Hamburg ins Jihad-Gebiet ausreiste Kampfes im Namen Gottes, der brüderlich und dort ums Leben kam von jungen Männern Seite an Seite geführt wird. Mit dieser Medienstrategie zielt der IS auf neue westliche Rekruten ab. Die Wirklichkeit im Kriegsgebiet sieht indes anders aus. Die Terrormiliz und ihre Unterstützer verschweigen absichtsvoll die Schrecken des Krieges und opfern ausländische Kämpfer als "Kanonenfutter" an der Front. Nach Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden werden deutsche und europäische Jihadisten häufig schlecht behandelt. Bilal stammt aus einem zentralafrikanischen Land und zog als Kleinkind mit seiner Familie nach Deutschland. Er besuchte die Schule in Hamburg und begeisterte sich für Sport (unter anderem Fußball). Mit 14 Jahren kommt es zu ersten Kontakten zur salafistischen und auch zur jihadistischen Szene. In den Jahren danach radikalisiert er sich, unter anderem auch durch den Konsum von IS-Gewaltvideos. 45 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten "Bilal" (Bildmitte) beteiligte sich an der mittlerweile verbotenen "LIES!"-Kampagne am Hamburger Hauptbahnhof Belegbar ist, dass er sich wie andere Jihad-Reisende zunächst auch an den mittlerweile verbotenen salafistischen Koranverteilungsständen der sogenannten "LIES"-Kampagne des in Köln lebenden Salafistenpredigers Abou-Nagie beteiligt ( 4.4). Bilal findet so weiteren Anschluss an die salafistische Szene, die überwiegend aus sehr jungen Erwachsenen und Jugendlichen besteht, unter denen auch Befürworter des militärischen Jihad sind. Bilal verfällt dem Trugbild der Internetpropaganda des IS und fasst im Mai 2015, im Alter von 17 Jahren, zusammen mit anderen den Entschluss, sich dem bewaffneten Jihad anzuschließen. Darüber hinaus versprechen ihm seine Hamburger salafistischen "Freunde" eine Frau, ein Haus und ein geregeltes Einkommen in Syrien. Bilal findet allerdings gar nichts von dem vor, was er und andere sich erhofft hatten. Seine Eindrücke und Erlebnisse fasst er kurz vor seinem Tod in einer Audiobotschaft zusammen, die er über Internet nach Hamburg an seine Glaubensbrüder schickt, um sie zu warnen. Sie räumt auf mit der roman46 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten tisierenden Vorstellung des Jihad und entlarvt die Propaganda des IS als Lügengebilde. "Ne Pistole nehmen und dir in den Kopf schießen" Bilal schildert unter anderem die Bekanntschaft zu Arabern, die von ihrem Amir (Befehlshaber) einfach ohne Plan an die Front geschickt wurden: "Der Amir, Bruder, [...] sagt einfach zu denen: ,Ja, kämpft einfach. Geht einfach nach vorne, stürmt einfach nach vorne.' Die fragen 'Ja - haben wir keinen Plan, haben wir keine Taktik?' und so. Er sagt 'Nein. Kämpft einfach.' und so. Er schickt die einfach in den Tod. Das ist so, du kannst gleich ne Pistole nehmen und dir in [den] Kopf schießen. [...] Die schicken die Brüder einfach in den Tod." Kämpfer und Flagge des "IS" Bilal berichtet seinem Bekannten in Hamburg, dass die Befehlshaber die Leute aus Europa zwar zum Kämpfen schicken, sich aber selbst nicht beteiligten. Kampfgefährten, die sich darüber beschweren, seien einfach ins Gefängnis gesteckt worden. Bilal stirbt im Juli 2015 eines bisher nicht geklärten Todes. In Teilen der salafistischen Szene in Hamburg wird erzählt, dass er als Abweichler durch den IS umgebracht worden sei. Den deutschen Sicherheitsbehörden liegen weitere Berichte anderer Rückkehrer vor, die ebenfalls ein völlig anderes Bild über die Realität des Lebens in den IS-besetzten Gebieten zeichnen, als es die Propaganda vorgaukelt. Insbesondere mit der angeblichen Brüderlichkeit ist es nach diesen Erkenntnissen nicht weit her. Junge Menschen aus Europa werden demnach schlecht ausgebildet und ungenügend ausgerüstet in den sicheren Tod geschickt. Personen, die 47 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten sich vom IS lösen wollen, müssen dies heimlich tun. Ansonsten laufen sie Gefahr, als Verräter und Abtrünnige erschossen zu werden. Das Landesamt für Verfassungsschutz hat die Abrechnung des jungen Hamburgers, der sich im Frühjahr 2015 dem IS in Syrien/Nord-Irak angeschlossen hat und im Juli 2015 aus bisher noch nicht vollständig geklärten Umständen ums Leben kam, aus mehreren Gründen veröffentlicht: Zur Information und Warnung junger Menschen, die mit dem IS sympathisieren oder womöglich über einen Anschluss an die Organisation nachdenken; aber auch zur Information und Sensibilisierung für das Umfeld sich möglicherweise radikalisierender junger Menschen (Familie, Freunde, Bekannte, das berufliche oder schulische Umfeld). Informationen und Ansprechpartner: Informationen an den Verfassungsschutz werden grundsätzlich vertraulich behandelt. Sie erreichen das Hamburger Landesamt für Verfassungsschutz unter der E-Mail-Adresse poststelle@verfassungsschutz.hamburg.de. Per Telefon läuft der Kontakt über die Zentralnummer (040) 24 44 43. Bitte nennen Sie dort Ihr Thema, und Sie werden mit einer Mitarbeiterin oder einem Mitarbeiter im zuständigen Fachbereich verbunden. Weitere Ansprechpartner, wenn es um den Umgang mit möglicherweise radikalisierten Familienmitgliedern, Freunden oder Bekannten geht, sind: Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) per E-Mail: beratung@bamf.bund.de per Telefon: 0911 / 9 43 43 43 Fachstelle für religiös begründete Radikalisierung Legato - Systemische Ausstiegsberatung per E-Mail: beratung@legato-hamburg.de per Telefon: 040 / 38 90 29 52 48 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten 5. Hizb ut-Tahrir (HuT) Die "Hizb ut-Tahrir" (HuT) - Partei der Befreiung - wurde 1953 von dem palästinensischen Politiker und Juristen Taqiaddin an Nabhani in Jerusalem gegründet. Es handelt sich um eine international agierende islamistische Organisation, die aus der Muslimbruderschaft hervorgegangen ist. Ziel der HuT ist die "Vereinigung der weltweiten Ummah" (Gemeinschaft der Muslime) in einem theokratischen Staat ohne nationale Grenzen unter der Führung eines Kalifen, der die Scharia als Grundlage und Maßstab staatlichen Handelns im Kalifat durchsetzen soll. Damit erweist sich die Logo auf der Internetseite der HuT als eine politische Bewegung, die den von ihr "Hizb ut-Tahrir" postulierten Absolutheitsanspruch des Islam mit einem entsprechenden politischen Modell (Kalifat) verbindet und jede hiervon abweichende "ungläubige Staatsform" zurückweist. Auch wird jede Teilnahme am politischen Leben in den "blasphemischen Systemen" entschieden abgelehnt. Es ist insbesondere verboten, die Regeln und Pflichten des Islam nur teilweise oder stufenweise umzusetzen. Die HuT drängt zum Beispiel auf die vollständige Einführung der Scharia: "[...] Dieses Ziel bedeutet, die Muslime wieder zu einer islamischen Lebensweise in Dar ul-islam zurückzuführen, in eine islamische Gesellschaft also, wo alle Angelegenheiten des Lebens gemäß den islamischen Rechtssprüchen entschieden werden. Die Sichtweise im Leben, der Handlungsmaßstab, muss das (islamisch) Erlaubte und Verbotene sein [...]". Zentrale Punkte des Parteiprogrammes der HuT sind unter anderem die Bekämpfung des "Kolonialismus" und des "Zionismus". Unter der Bekämpfung des Kolonialismus wird dabei die Befreiung der islamischen Gesellschaft von der angeblichen ideologischen Führung durch den Westen verstanden. Der Staat Israel und das Volk der Juden werden von der HuT als die zu bekämpfenden "Grundübel" auf dem Weg zur Verwirklichung der islamischen Gesellschaft bezeichnet. 49 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten Die HuT distanziert sich von fast allen ihrer Ideologie nicht entsprechenden Organisationen. Innerhalb der muslimischen Gemeinde wird die HuT in der Regel abgelehnt, weil sie keine profunde religiöse Ausbildung vermittle, sondern in erster Linie nur das Kalifat propagiere. Bereits in den ersten Jahren nach der Gründung gewann die HuT eine Vielzahl von Anhängern in den Staaten des arabischen Sprachraumes. Sie soll in den sechziger und siebziger Jahren an Putschversuchen in Jordanien, Ägypten, Syrien und dem Irak beteiligt gewesen sein. Die HuT ist inzwischen in nahezu allen arabischen Staaten verboten, da sie die dortigen Herrschaftssysteme ablehnt und die jeweiligen Staatsoberhäupter als ungläubig betrachtet. Trotz der Verbote in den arabischen Ländern ist sie in vielen dieser und anderen Staaten aktiv. Laut der Verbotsverfügung des Bundesministeriums des Innern vom 15. Januar 2003 richte sich die Organisation gegen den Gedanken der Völkerverständigung und befürworte Gewaltanwendung als Mittel zur Durchsetzung politischer Ziele. Sie verbreite unter anderem antisemitische Hetzpropaganda und fordere zur Tötung von Juden auf. Das Verbot umfasst die Produktion und Verbreitung von Publikationen wie der deutschsprachigen Zeitschrift "Explizit". Das Betätigungsverbot wurde durch das Bundesverwaltungsgericht am 25. Januar 2006 bestätigt. Es stellte zudem fest, dass es sich bei der HuT nicht um eine Religionsoder Weltanschauungsgemeinschaft handele. Auch vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EuGMR) scheiterte die HuT am 19. Januar 2012 mit ihrer Klage gegen das Betätigungsverbot in Deutschland. Die Klage wurde vom EuGMR für unzulässig erklärt, da die Richter es weiterhin als erwiesen ansahen, dass die HuT dem Staat Israel das Existenzrecht abgesprochen und zur Zerstörung Israels aufgerufen habe. Zudem habe diese Vereinigung den Sturz der Regierungen in muslimisch geprägten Staaten befürwortet, um diese durch ein übergeordnetes Kalifat auf Grundlage der Scharia zu ersetzen. Die HuT ist ständig bemüht, ihren Mitgliederstamm zu erweitern. Als geeignete Plattformen haben sich hierzu Veranstaltungen in Moscheen, gezielte Ansprachen an Universitäten und Schulen, politische Diskussionen mit Islambezug sowie eigene Veranstaltungen wie z.B. Fußballspiele erwiesen. Unter anfänglicher Verschleierung der Gruppenzugehörigkeit sowie durch den Aufbau freundschaftlicher Beziehungen und vielfältiger 50 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten Hilfsangebote wird zunächst ein Vertrauensverhältnis geschaffen, das nach einer Vorauswahl geeigneter Kandidaten in eine gezielte Heranführung an die Ideologie der HuT mündet. In 2016 versuchte die HuT - durchaus erfolgreich - auch unter Flüchtlingen für sich zu werben. In Hamburg können der HuT nach wie vor etwa 120 - überwiegend afghanischund türkischstämmige - Anhänger zugerechnet werden, die sich insbesondere in Privaträumen oder bei geschlossenen Veranstaltungen, zum Beispiel in Restaurants, treffen. In sehr diszipliniert gehaltenen internen Schulungszirkeln (sogenannte "Halaqats") wird über ganz Hamburg verteilt zweimal pro Woche auf Deutsch, Türkisch und Dari für die interne Weiterbildung gesorgt. In Hamburg sind Mitglieder der HuT in vielen Moscheen unerwünscht und werden nur gelegentlich geduldet. Der Versuch, sich in einigen Moscheen aktiv in die jeweiligen Moschee-Vorstände einzubringen, scheiterte. 6. Hizb Allah Die schiitische "Hizb Allah" wurde im Sommer 1982 nach dem Einmarsch israelischer Truppen in den Libanon auf iranische Initiative hin gegründet. Sie entwickelte sich auf Grund massiver iranischer Unterstützung rasch zu einer militanten Sammlungsbewegung libanesischer Schiiten mit Schwerpunkten im Bekaa-Tal, Süd-Libanon und den Vororten von Beirut. Hier agiert sie als parastaatliche Ordnungsmacht. Eine Entwaffnung dieser Miliz ist nach wie vor eine nicht umgesetzte Forderung der UN-Resolution 1559 vom September 2004. Logo der "Hizb Allah" Wichtigstes Ziel der Organisation ist der Kampf - auch mit terroristischen Mitteln - gegen Israel als "unrechtmäßigen Besatzer palästinensischen Bodens", den die Hizb Allah als "legitimen Widerstand" bezeichnet. Das lange propagierte Fernziel, die Umwandlung des Libanon in eine islamische Republik nach iranischem Vorbild, hat sich im Lauf der Zeit gewandelt. Nunmehr steht die 51 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten allgemeinere Forderung nach mehr politischem Einfluss und einer Revision des konfessionellen Proporzsystems (die sogenannte "Taifija") im politischen und administrativen Bereich zu Gunsten der Muslime und insbesondere der Schiiten im Vordergrund. Die enge ideologische Beziehung zur Islamischen Republik Iran besteht jedoch unverändert fort. Unter dem Dach der Hizb Allah agieren eine seit 1992 im libanesischen Parlament vertretene Partei, verschiedene Wohlfahrtsorganisationen sowie der militärische Flügel "Islamischer Widerstand" ("al-Muqawama al-Islamiya"). Die Hizb Allah ist im Libanon seitdem zu einem festen Bestandteil des politischen Systems geworden. Politischer Führer der Hizb Allah ist ihr Generalsekretär Hassan Nasrallah, der von seinen Anhängern verehrt wird und einer der führenden Vertreter des schiitischen Islamismus sowie ein einflussreicher Politiker im Libanon ist. Der im Nachbarland Syrien andauernde Bürgerkrieg gegen das Regime von Präsident Bashar al-Assad hat massive Auswirkungen auf die Sicherheitslage und Innenpolitik im Libanon. Fortlaufend finden bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen Gegnern und Unterstützern al-Assads, zu denen die Hizb Allah zählt, auch auf libanesischem Staatsgebiet statt. Die unterschiedlichen Akteure sind zwar grundsätzlich bemüht, eine Eskalation der Lage zu verhindern. Dennoch hat Hassan Nasrallah wiederholt erklärt, dass die Hizb Allah bis zum Sieg an der Seite al-Assads kämpfen werde. Derzeit sind in Deutschland etwa 30 Kulturund Moscheevereine bekannt, in denen sich regelmäßig ein Publikum trifft, das der Hizb Allah beziehungsweise deren Ideologie nahe steht. Generell sind die Kulturund Moscheevereine überwiegend im Vereinsregister eingetragen und die Vereinsaktivitäten beschränken sich auf interne Treffen, Diskussionsveranstaltungen und religiöse Feiern (zum Beispiel Ramadan und Ashura). Der Ramadan ist der Fastenmonat der Muslime und der neunte Monat des islamischen Kalenders. Im Ramadan wurde nach islamischer Auffassung der Koran herabgesandt. Ashura wird der zehnte Tag des Monats Muharram genannt, des ersten Monats im islamischen Kalender. Dieser Tag ist für Muslime auf der ganzen Welt bedeutsam und wird unterschiedlich gefeiert. 52 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten Sie sind vom Bemühen geprägt, die Bindungen der hier lebenden Libanesen an ihre Heimat und an die Organisation zu festigen. Darüber hinaus gehört das Sammeln von Spendengeldern zu den wichtigsten Aufgaben der Vereine. Der Organisation wurden Ende 2016 bundesweit etwa 950 Anhänger zugerechnet. Die Anordnung Hassan Nasrallahs, sich in Deutschland gesetzeskonform zu verhalten, um keine Angriffsfläche für staatliche Maßnahmen zu bieten, wird weiterhin befolgt. Auch der Syrienkonflikt und die dadurch angespannte Sicherheitslage im Libanon haben bisher nicht zu öffentlich wahrnehmbaren Reaktionen von Hizb Allah-Sympathisanten in Deutschland geführt. In Hamburg gibt es nach wie vor etwa 30 Hizb Allah-Anhänger, die auch im "Islamischen Zentrum Hamburg" ( 7.) verkehren. 7. Iranische Islamisten Die Islamische Republik Iran ist einerseits ein politisches System mit gewählten Gremien und einem Parlament, andererseits eine theokratische Ordnung. Der Präsident repräsentiert in ihrem Rahmen die Republik und hat sich unter anderem vor dem Volk zu verantworten; der oberste Religionsgelehrte Khamenei hingegen ist Stellvertreter des sogenannten verborgenen Imams, der 874 nicht gestorben, sondern "entrückt" sei und wiederkehren werde, um die Führung zu übernehmen. Die Rolle des obersten Korangelehrten als Platzhalter mit nahezu unbegrenzter weltlicher Machtfülle hat der Gründer der Islamischen Republik Iran, der verstorbene Großayatollah Khomeini mit dem Prinzip der "Velayat-e faqih", der absoluten Herrschaft des anerkannten Rechtsgelehrten bzw. des Klerus, formuliert. Khamenei bestimmt - trotz massiver Verwerfungen innerhalb des Establishments und teilweise mangelnder Anerkennung in klerikalen Kreisen - nach wie vor die Richtlinien in grundlegenden politischen Fragen. Hierzu steht ihm mit dem sogenannten "Beyt-e rahbar" ein eigenes Steuerungs-, Machtund Finanzinstrument zur Verfügung, das zwar auch eine informelle, aber vor allem zentrale politische Funktion innerhalb der Islamischen Republik einnimmt und mit tausenden Mitarbeitern der faktischen Durchsetzung des Prin53 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten zips der Herrschaft des Obersten Rechtsgelehrten (persisch: "Velayat-e faqih") dienen soll. Sowohl auf der innenwie außenpolitischen Bühne wird ein antiwestlicher und rigoros islamistischer Kurs mit dem in der iranischen Verfassung deklarierten Leitmotiv der Islamisierung der westlichen Nationen ("Export der islamischen Revolution") gepflegt. Proiranische Einrichtungen in Deutschland sind grundsätzlich als Instrumente der iranischen Staatsführung zu bewerten, die deren theokratische Staatsdoktrin vertreten. Sie repräsentieren eine Werteordnung, die mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht vereinbar ist. Die Bundesregierung beobachtet die Menschenrechtslage im Iran weiterhin mit Sorge, wie das Auswärtige Amt auf seiner Homepage mitteilt: "Die Menschenrechtslage in Iran bleibt damit mehr als zwei Jahre nach Amtsantritt einer gemäßigten Regierung unter Präsident Ruhani trotz gradueller Verbesserungen im Bereich der Kunstund Pressefreiheit nahezu unverändert kritisch. Regimegegner sowie religiöse und ethnische Minderheiten sind nach wie vor regelmäßig Opfer staatlicher Repressionen. Beunruhigend ist die hohe Anzahl an Hinrichtungen." (Stand: Juni 2016) Die iranische Staatsführung fällt zudem seit Jahrzehnten durch antiisraelische Äußerungen auf, wiederkehrend wird für den Staat Israel die Bezeichnung "Krebsgeschwür" genutzt. Im September 2015 sagte der oberste Religionsführer Khamenei: "Ich würde Israel sagen, dass sie das Ende der kommenden 25 Jahre nicht mehr erleben werden." In Hamburg befindet sich eine derartige proiranische Einrichtung, die an der Außenalster gelegene schiitische "Imam Ali-Moschee", deren Trägerverein das "Islamische Zentrum Hamburg e.V." (IZH) ist. Die Finanzierung der Moschee soll über das "Beyt-e rahbar" gesteuert werden. Die Position des IZH-Leiters wird traditionell mit einem linientreuen Anhänger der iranischen Staatsdoktrin und der islamischen Revolutionsziele besetzt. Der aktuelle IZH-Leiter Ayatollah Dr. Reza Ramezani gilt wie seine Vorgänger als Vertreter des Revolutionsführers Khamenei 54 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten in Europa und ist in der schiitischen Gemeinde als religiöser Repräsentant der Islamischen Republik Iran bekannt. Darüber hinaus ist er Mitglied des "Expertenrates", eines Gremiums in Iran, das alle vom iranischen Parlament beschlossenen Gesetze auf Verfassungskonformität überwacht und den Revolutionsführer kontrollieren soll. Die Religion, so wie sie vom IZH verstanden wird, ist mehr als der Rahmen für das Verhältnis zwischen Mensch und Gott. Vielmehr soll sie das Verhältnis der Menschen untereinander unter anderem auf den Feldern der Politik, Ökonomie und Jurisprudenz regeln. Dem Grunde nach betrachtet der IZH-Leiter Säkularismus und Laizismus als nicht mit dem Islam vereinbar. Das IZH ist eines der wichtigsten islamischen Zentren in Europa, das von schiitischen Muslimen verschiedener Nationalitäten als zentrale religiöse Anlaufstelle genutzt wird - neben Iranern vor allem von Afghanen, Arabern, Libanesen, Pakistanern und Türken sowie deutschen Konvertiten. In der Moschee finden regelmäßig Gebetsveranstaltungen sowie eine Vielzahl religiöser Feierlichkeiten statt. Zudem werden diverse Lehrveranstaltungen angeboten, so etwa islamischer Religionsunterricht für Kinder und Sprachunterricht in den Sprachen Arabisch, Deutsch und Persisch. In der Öffentlichkeit treten Funktionäre und Unterstützer des IZH erheblich gemäßigter auf als beispielsweise Salafisten und suchen aktiv den gesellschaftlichen Kontakt, zum Beispiel über Einladungen zum Tag der offenen Tür oder die Organisation von Diskussionsveranstaltungen. Wie bereits in den Vorjahren beteiligten sich IZH-Besucher und -Funktionäre bei der Unterstützung der auch 2016 in Berlin stattgefundenen israelfeindlichen Demonstration zum "Jerusalem-Tag" ("Quds-Tag"): Al-Quds ist der arabische Name für die Stadt Jerusalem. Der Quds-Tag wurde vom iranischen Regime nach der Machtübernahme 1979 als Feiertag eingeführt. Am 2. Juli 2016 waren etwa 200 Personen aus Hamburg und der Metropolregion an der von insgesamt gut 800 Demonstranten besuchten Veranstaltung dabei, um ihren Protest gegen die Besetzung Jerusalems und 55 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten ihre Solidarität mit den aus ihrer Sicht unterdrückten Palästinensern auszudrücken. Es gibt Belege für eine Beteiligung des IZH bei der Organisation und Durchführung der Veranstaltung; so war im Juli 2016 auch ein hochrangiger Funktionär aus dem IZH-Umfeld unter den Teilnehmern. Die Imam Ali-Moschee an der Außenalster Durch eine umfangreiche Öffentlichkeitsarbeit propagiert das IZH den Islam iranischer Prägung und strebt damit an, den "Export der islamischen Revolution" zu verwirklichen. Die Inhalte sind dabei moderat formuliert und bieten nur selten Angriffsflächen. Nach außen stellt sich das IZH als rein religiöse Einrichtung dar, die keine politischen Aktivitäten gestattet. Üblicherweise wird eine öffentliche Verbindung oder Identifizierung mit der iranischen Staatsführung vermieden. Dennoch ist das Staatsund Gesellschaftsverständnis des IZH vom Primat der Religion gegenüber Demokratie und Rechtsstaat geprägt. Während der vom 13. bis 15. Mai 2016 im IZH durchgeführten "Islamischen Tagung deutschsprachiger Muslime" bestätigte ein Gast-Imam, 56 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten dass man dem Führer Khamenei unbedingt folgen müsse. Er sei es, der "uns die Richtung weise". Außerdem lehne er die These ab, dass beide Seiten [Anmerkung: Israel und Palästina] am Nahost-Konflikt schuld seien. Im Gegenteil: Israel habe die Gläubigen angegriffen und diese hätten sich nur verteidigt. Israel habe kein Recht auf Selbstverteidigung. Es sei nur ein fabrizierter Staat auf dem gestohlenen Land anderer. In Deutschland existiert eine Reihe schiitisch-islamischer Zentren und Organisationen. Das IZH hat ein bundesweites Kontaktnetz aufgebaut und übt auf Schiiten unterschiedlicher Nationalität sowie die schiitisch-islamischen Moscheen und Vereine Einfluss aus, bis hin zur vollständigen Kontrolle. Über diese Organisationen sorgt das IZH vor allem mit finanziellen Mitteln für die Verbreitung der iranischen "Revolutionsidee" in unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen wie Religion, Bildung und Sport. Das IZH ist in einigen islamischen Dachverbänden vertreten. In Hamburg wirkt es in führender Position in der zentralen islamischen Organisation "Rat der islamischen Gemeinschaften in Hamburg e.V." (SCHURA), einem Zusammenschluss von zahlreichen Moschee-Trägervereinen, mit. Auf Bundesebene sind Vertreter des IZH im "Zentralrat der Muslime in Deutschland" (ZMD) und in der "Islamischen Gemeinschaft der schiitischen Gemeinden in Deutschland e.V." (IGS) und auf europäischer Ebene in der "Islamisch-Europäischen Union der Schia-Gelehrten und Theologen" (IEUS) aktiv. 8. Türkische Islamisten 8.1 Furkan-Gemeinschaft/ Furkan Egitim ve Hizmet Vakfi (FV) Bei der Furkan-Gemeinschaft (FV) handelt es sich um eine in Adana (Türkei) beheimatete Organisation. Sie wurde Mitte der neunziger Jahre durch ihr derzeitiges Oberhaupt Alparslan Kuytul gegründet. Bereits seit 2014 besucht Kuytul im Rahmen seiner Veranstaltungstourneen auch Hamburg. Der in Hamburg aktive Ableger ist das seit 2015 als Verein eingetragene "FURKAN Bildungsund Kulturzentrum e.V.". Die Furkan-Gemeinschaft wurde nach umfangreicher Ermittlung und Prüfung Anfang des Jahres 2016 vom LfV Hamburg zum Beobach57 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten tungobjekt erklärt. An einer am 10. Mai 2016 durchgeführten Veranstaltung unter dem Motto "Der Iman und die erlangten Eigenschaften" nahmen gut 400 Personen teil. Als Zielvorstellung strebt die FV eine als Staatswesen handelnde "Islamische Zivilisation" an. Diese als alternativlos angesehene Gesellschaftsordnung würde sich ausnahmslos islamischen Prinzipien wie zum Beispiel der Rechtsordnung der Scharia unterwerfen. Demokratische Werteprinzipien sieht die FV als unvereinbar mit dem Islam an. Unter den demokratischen Staaten stellen die USA und Israel besondere Feindbilder dar. Als Teil einer sogenannten "Vorreiter-Generation" Logo der "Furkan-Gemeinsieht sich die FV auch islamistischen Vordenkern schaft" sowie jihadistischen Ideologen und Aktivisten wie Sayyid Abul Ala Maududi, Hassan al-Banna, Sayyid Qutb, Scheich Ahmad Yasin, Abdallah Yussuf Azzam und Schamil Salmanowitsch Bassajew verbunden. Zwar propagiert die FV keinen Terrorismus im Sinne der jihadistischen Salafisten, allerdings sieht sie eine "Islamische Zivilisation" in Form einer Staatsmacht als berechtigt an, kriegerische Auseinandersetzungen zu führen. Die Zielvorstellungen sollen unter Einsatz eines intensiven Bildungsund Missionsauftrags verwirklicht werden. Die etwa 80 Mitglieder und Sympathisanten des Hamburger "FURKAN Bildungsund Kulturzentrum e.V." treffen sich für ihre Zusammenkünfte vornehmlich in Privatwohnungen. Kerninhalte und Grundideologie teilt die Hamburger Gemeinschaft mit der Hauptorganisation in der Türkei. Auch ist eine starke Ausrichtung auf ihr Oberhaupt Alparslan Kuytul erkennbar. Die Anwerbung und das Hineinziehen in die Gemeinschaft erfolgt teils ohne offen erkennbaren Furkan-Bezug. Der Mitgliederzuwachs und der Missionsgedanke sind als derzeitige Kernziele des "FURKAN Bildungsund Kulturzentrums e.V." in Hamburg anzusehen. 58 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten 8.2 Sonstige Sowohl von der "Türkischen Hizbullah" (TH, in Hamburg etwa 50 Mitglieder) als auch von der "Milli Görüs-Bewegung" (MGB, in Hamburg ca. 200 Anhänger) gingen im Jahr 2016 kaum nennenswerte Aktivitäten aus. Weitere Informationen zum Thema sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten finden Sie auf den Internetseiten: www.hamburg.de/verfassungsschutz www.hamburg.de/innenbehoerde/schlagzeilen/ www.hamburg.de/innenbehoerde/islamismus/ 59 Verfassungsschutz in Hamburg Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Gruppierungen mit Auslandsbezug Linksextremismus Rechtsextremismus Reichsbürger und Selbstverwalter Scientology-Organisation Spionageabwehr Geheimund Sabotageschutz; Wirtschaftsschutz Anhang * Hamburgisches Verfassungsschutzgesetz * Abkürzungsverzeichnis * Stichwortverzeichnis Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Gruppierungen mit Auslandsbezug III. Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Gruppierungen mit Auslandsbezug 1. Entwicklungen und Schwerpunkte Sowohl die Entwicklung in den Konfliktherden Syrien und Irak als auch die politische Entwicklung in der Türkei nach dem Putschversuch waren im Jahr 2016 Themenschwerpunkte extremistischer Gruppierungen mit Auslandsbezug in Hamburg. Der gescheiterte Putschversuch in der Türkei vom 15./16. Juli 2016 führte zu harten staatlichen Reaktionen insbesondere gegen Anhänger der "Gülen-Bewegung", welche die türkische Regierung als Hauptverantwortliche für den versuchten Umsturz bezeichnete. Der im Exil in den USA lebende Fethullah Gülen war ehemals ein politischer Weggefährte des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan, bevor es nach 2010 zum Zerwürfnis kam. Zehntausende Angehörige des Militärs, weiterer Sicherheitsbehörden und des Beamtenapparats wurden ihrer Posten enthoben oder inhaftiert. Darüber hinaus war die Türkei mit einer Terrorwelle seitens der kurdischen Arbeiterpartei PKK ( 4) und des "Islamischen Staates" ( II.4.2) konfrontiert. Auch diese Anschläge führten zu heftigen staatlichen Sanktionen, die sich insbesondere gegen mutmaßliche Anhänger der PKK richteten. Linksextremistische türkische Gruppierungen ( 5.1) wandten sich mit ihren Aktivitäten zudem gegen die Absicht der türkischen Regierung, in der Türkei ein Präsidialsystem zu errichten. Türkisch-nationalistische Gruppen ( 5.2) waren auch 2016 in Hamburg weit überwiegend nur im Internet aktiv. Funktionierende Strukturen außerhalb sozialer Netzwerke sind im Jahr 2016 nicht bekannt geworden. 2. Potenziale Im Jahr 2016 wurde die Zahl der Anhänger extremistischer Organisationen mit Auslandsbezug (ohne Islamisten) in Deutschland mit 26.195 (2015: 26.413) beziffert. Davon wurden 15.823 Personen (2015: 16.149) linksextremistischen sowie 10.372 Personen (2015: 10.264) 62 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Gruppierungen mit Auslandsbezug extrem-nationalistischen Organisationen zugerechnet. Die leicht gesunkenen Zahlen resultieren im Wesentlichen aus geänderten Einschätzungen auf Bundesebene hinsichtlich des Potenzials extremistischer Organisationen mit Bezügen zu Iran. Bund: Personenpotenzial im auslandsbezogenen Extremismus 30000 25000 20000 25.250 24.750 24.710 24.910 26.410 28.810 28.810 26.542 26.413 26.195 15000 10000 5000 0 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 - Alle Zahlen sind gerundet - Das zahlenmäßig größte Potenzial mit ca. 12.585 Personen wird weiterhin von kurdischen Gruppierungen gebildet. Die Anhänger des türkisch-nationalistischen Extremismus stellen mit rund 10.042 Anhängern die zweitgrößte ausländische extremistische Gruppierung dar. In Hamburg wurde die Zahl der Anhänger ausländischer politischextremistischer Gruppierungen (ohne Islamisten) im Jahr 2016 unverändert auf etwa 850 Personen (2015: 850) geschätzt. Sie verteilen sich auf die verschiedenen Phänomenbereiche wie folgt: * Die Anhängerschaft der PKK wird auf rund 600 Personen geschätzt (2015: 600) * Die Zahl türkischer Linksextremisten betrug 145 (2015: 145) * Die Zahl türkisch-nationalistischer Anhänger betrug 105 (2015: 105) 63 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Gruppierungen mit Auslandsbezug Hamburg: Gesamt-Personenpotenzial im auslandsbezogenen Extremismus 1000 800 600 970 980 920 920 770 770 850 850 850 850 400 200 0 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 - Alle Zahlen sind gerundet - 3. Politisch motivierte Kriminalität (PMK) Im Jahr 2016 wurden 168 politisch motivierte Straftaten im Ausländerextremismus in Hamburg erfasst. Dabei handelt es sich um den bislang höchsten Wert der letzten Jahre. PMK2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 Ausländer PMKAusländer 33 46 30 14 33 40 34 130 107 168 insgesamt davon extrem. 12 35 7 3 5 5 3 101 16 29 Kriminalität hiervon extrem. 4 7 1 1 4 3 0 32 4 6 Gewaltdelikte Die Zahlen stammen von der Polizei Hamburg. - Stand: Februar 2017 - 64 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Gruppierungen mit Auslandsbezug Der Anstieg resultiert vorrangig aus einem Zuwachs im Bereich Propaganda-Delikte, die im Zusammenhang mit dem erhöhten Demonstrationsaufkommen stehen (Verwenden verbotener Symbolik). Des Weiteren spiegelt ein Teil der festgestellten Delikte den Konflikt zwischen der Türkei und der PKK ( 4.) in der Statistik wider. 4. PKK (Arbeiterpartei Kurdistans) 4.1 Entwicklungen und Organisatorisches Die am 27. November 1978 in der Türkei gegründete PKK wurde in Deutschland am 26. November 1993 verboten und wird von der Europäischen Union seit 2002 als terroristische Organisation gelistet. Im Urteil vom 28. Oktober 2010 (Az. 3StR 179/10) hat der Bundesgerichtshof festgestellt, dass es sich bei der PKK um eine ausländische terroristische Vereinigung handelt. Dementsprechend basieren die Ermittlungen der Logo der PKK Strafverfolgungsbehörden in Deutschland auf den entsprechenden Rechtsgrundlagen im Strafgesetzbuch SSSS 129 a, b StGB ("Bildung terroristischer Vereinigungen" sowie "Kriminelle und terroristische Vereinigungen im Ausland"). Die PKK hatte 1984 hauptsächlich im Südosten der Türkei einen Guerillakrieg gegen das türkische Militär begonnen. Das Ziel, ein eigener kurdischer Staat, wurde später aufgegeben und durch die Forderung nach begrenzter Autonomie innerhalb des türkischen Staates ersetzt. Der PKK-Gründer Abdullah Öcalan befindet sich seit 1999 auf der türkischen Insel Imrali in Haft. Basierend auf den Vorstellungen Öcalans wurde seit 2005 die Idee eines überstaatlichen Gemeinwesens der Kurden entwickelt. Als organisatorische Struktur wurde hierzu die Organisation "Vereinigte Gemeinschaften Kurdistans" (Koma Civaken Kurdistan, KCK) ins Leben gerufen, deren höchstes Beschlussgremium der Kongra Gel ist. 65 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Gruppierungen mit Auslandsbezug Trotz seiner Inhaftierung fungiert Öcalan formell weiterhin als Führer der KCK. Die von Öcalan und dem Exekutivrat der KCK festgelegte Führungslinie gilt quasi als Gesetz. Neben der anhaltenden Forderung der Freilassung Öcalans wuchs unter PKK-Anhängern auch Logo der "Koma Civaken Kurdistan" (KCK) die Sorge um dessen Gesundheitszustand, da seit der im April 2015 verhängten Besuchssperre keine Informationen öffentlich wurden. Im Rahmen des gescheiterten Putschversuches in der Türkei vom Juli 2016 wurde diese Thematik durch Spekulationen neu befeuert. Die PKK-Spitze drohte der türkischen Regierung mit Gefahren für Leib und Leben, falls Öcalan etwas zustoßen sollte. Ohne seine Freilassung werde es in der Türkei weder Demokratie noch Stabilität geben. In europaweiten Protesten wurde fortan ein "Lebenszeichen" von Abdullah Öcalan gefordert. Am 11. September 2016 durfte ihn schließlich sein Bruder Mehmet Öcalan auf der Gefängnisinsel Imrali besuchen. Im Anschluss teilte dieser mit, dass sein Bruder bei guter Gesundheit und zu einer Wiederaufnahme von Friedensverhandlungen bereit sei. Im Dezember 2016 ließ nochmals ein Mitglied des PKK-Exekutivrates verlautbaren, dass bei einer Lebensbedrohung Öcalans ein aus Schläferzellen bestehendes "Bataillon der Unsterblichen" zum Einsatz käme, das zum Ziel habe, verantwortliche Politiker zu eliminieren. Darüber hinaus standen 2016 mehrere Themenfelder im Blickpunkt der PKK-Anhängerschaft, insbesondere die eskalierende Entwicklung im Südosten der Türkei sowie der durch harte Sanktionen geprägte Umgang des türkischen Staatsapparates mit der pro-kurdischen "Demokratischen Partei der Völker" (HDP) und ihren Abgeordneten. Auch der Verlauf der Kämpfe mit kurdischer Beteiligung im Norden Syriens (der sogenannten "Selbstverwalteten Region Rojava") und im Nordirak gegen die Milizen des "Islamischen Staates" (IS) wurde aufmerksam und mitunter sehr emotional verfolgt, wie sich beispielsweise an entsprechenden Aktivitäten und Publikationen in sozialen Netzwerken festmachen ließ. Um die Jahreswende 2015/2016 standen die Auseinandersetzungen zwischen türkischen Sicherheitskräften und der kurdischen Jugend66 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Gruppierungen mit Auslandsbezug organisation "Patriotische revolutionäre Jugendbewegung" (YDG-H) in einigen Städten im Südosten der Türkei im Fokus der PKK-Anhänger. Aufgrund des verhängten Ausnahmezustandes war das öffentliche Leben dort praktisch zusammengebrochen. Geschäfte und Schulen blieben geschlossen, Strom und Gas wurden abgeschaltet und der öffentliche Nahverkehr kam zum Erliegen. Mitte Februar 2016 erklärte ein hochrangiger PKK-Funktionär gegenüber der Nachrichtenagentur "Ajansa Nuceyan a Firate" (ANF), dass der Krieg mit der Türkei von nun an nicht mehr nur in den Bergen, sondern auch in den Städten und Metropolen geführt werde. Ferner rief er dazu auf, sich der Guerilla anzuschließen. Am 17. Februar 2016 detonierte im Regierungsviertel in Ankara eine Autobombe inmitten eines Militärkonvois. Ein Selbstmordattentäter hatte den Sprengsatz gezündet, als sein Auto neben mehreren Armeebussen stand. Der Anschlag forderte 29 Todesopfer und 61 zum Teil schwer verletzte Personen. Zwei Tage später bekannten sich die "Freiheitsfalken Kurdistans" (TAK), die ebenfalls der PKK zugerechnet werden, auf ihrer Internetseite zu der Tat und drohten weitere Anschläge in der Türkei an - auch in Urlaubsgebieten, denn der Tourismus gehöre, so die TAK, zu den wichtigsten Finanzierungsquellen des türkischen Staates für den "dreckigen Krieg" gegen die Kurden. Auch der Bundesgerichtshof (BGH) rechnet die terroristische TAK der PKK zu: Beschluss des 3. Strafsenats des BGH vom 6. Mai 2014 - 3 StR 265/13. Ein PKK-Führungsmitglied sprach in einem kurz danach geführten Interview mit ANF davon, dass die Aktion im Zentrum Ankaras in der Geschichte der PKK eine "grandiose Darbietung für den Widerstandskampf der Kurden" gewesen sei. Die Bedeutung des Anschlages des "Weggenossen" sei hinsichtlich des erzielten Schadens am türkischen Militär unermesslich und eine adäquate Antwort auf die Massaker des türkischen Staates an dem Volk in Kurdistan. Die offiziellen Bekenner des Anschlages mögen Mitglieder der TAK gewesen sein, doch die Aktion sei "historisch wertvoll" und man könne stolz darauf sein. 67 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Gruppierungen mit Auslandsbezug Weitere Anschläge der TAK im Jahr 2016 in Istanbul und Ankara forderten mehr als hundert Menschenleben. Die meisten Opfer waren am 10. Dezember 2016 in Istanbul zu beklagen. Nach einem Fußballspiel starben am Besiktas-Stadion nach zwei Explosionen 44 Menschen, überwiegend dort eingesetzte Polizisten und Angehörige des Sicherheitspersonals. Das türkische Parlament hatte am 20. Mai 2016 eine Verfassungsänderung beschlossen, die eine Aufhebung der Immunität von Abgeordneten des türkischen Parlaments ermöglicht, sodass gegen diese Personen ermittelt werden kann. Insgesamt waren 138 Abgeordnete betroffen, davon 50 Abgeordnete der pro-kurdischen HDP, die über 59 Sitze verfügt. In der Nacht vom 3. auf den 4. November 2016 nahm die türkische Polizei die beiden HDP-Vorsitzenden in Diyarbakir und Ankara fest und vollstreckte darüber hinaus Haftbefehle gegen zehn weitere Abgeordnete der HDP. Nach Angaben der Behörden liefen bereits seit Längerem Ermittlungsverfahren gegen die Parteivorsitzenden und andere HDP-Politiker wegen Propaganda für eine Terrororganisation sowie Mitgliedschaft oder Gründung einer Terrororganisation. Gegen die Aufhebung der Immunität und spätere Verhaftung der HDP-Abgeordneten gab es in der Folge in ganz Europa Protestwellen der PKK-Anhängerschaft. Logo der HDP Im Oktober 2016 hatte der französische Satellitenbetreiber "Eutelsat" die Ausstrahlung mehrerer kurdischer Fernsehsender eingestellt, darunter die Sender "Med Nuce TV" und "Newroz TV". Laut Eutelsat sei der Ausstrahlungsstopp aufgrund einer "formellen Intervention" des türkischen "Obersten Rates für Radiound Fernsehanstalten" (RTÜK) mit einem Verweis auf das "Europäische Übereinkommen über grenzüberschreitendes Fernsehen" erfolgt. Das für solche Fälle zuständige Pariser Handelsgericht erklärte im November 2016 die Einstellung für rechtswidrig und verpflichtete das Unternehmen in beiden Fällen, die Ausstrahlung der Fernsehsender unverzüglich wieder aufzunehmen. Zuvor hatten zahlreiche PKK-nahe 68 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Gruppierungen mit Auslandsbezug Organisationen und Medien die Abschaltung der kurdischen Sender verurteilt und als von der Türkei angeordnete Einschränkung der Meinungsund Pressefreiheit bezeichnet. Auch in Deutschland, unter anderem in Hamburg und weiteren Städten, hatten Anhänger der PKK gegen den Sendestopp protestiert. 4.2 Aktivitäten und Schwerpunkte in Deutschland Die PKK verfügt ungeachtet des Verbots in Deutschland weiterhin über einen illegalen und konspirativ handelnden Funktionärskörper. Ebenso besteht eine feste Organisationsstruktur, die im Jahr 2016 verändert wurde. Danach ist Deutschland nunmehr in neun regionale "Provinzen" ("Eyalets") unterteilt. Hamburg bildet zusammen mit weiten Teilen Norddeutschlands ein solches Eyalet. In ganz Deutschland werden der PKK derzeit circa 14.000 Personen zugerechnet. Für ihren großen Funktionärsapparat, ihre umfangreichen Aktivitäten sowie zur Unterstützung der Guerilla in der Türkei und den angrenzenden Staaten benötigt die PKK erhebliche finanzielle Mittel, die nach Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden überwiegend in Europa beschafft werden. Die Einnahmen stammen vor allem aus Beiträgen der Mitglieder, dem Verkauf von Publikationen und den Erlösen aus Veranstaltungen. Den größten Teil bringen die jährlichen Spendensammlungen ein. Hierbei erhält jedes Gebiet Zielvorgaben, die allerdings schwer zu erreichen sind, und steht unter entsprechendem organisationsinternen Druck, diese zu erfüllen. Es gehört zum Selbstverständnis der PKK, alle Kurden zu vertreten. Deshalb deklariert sie ihre Zahlungen als eine "Steuer" zur "Befreiung Kurdistans", der man sich nicht entziehen könne. Darüber hinaus haben auch aktuelle Themen und Ereignisse in der Herkunftsregion Einfluss auf die Spendenforderungen und -bereitschaft. Mitunter führen die in der Summe geleisteten Spenden, Beiträge oder anderen Abgaben manchen PKK-Anhänger an die Grenze seiner finanziellen Belastbarkeit. Auf der Europaebene liegen die Parteiarbeit und auch die Koordinierung des Vereinslebens der PKK in den Händen ihres politischen Arms, dem "Kongress der kurdisch-demokratischen Gesellschaft in Europa" (KCDK-E) der sich ursprünglich aus der "Koordination der kurdischen 69 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Gruppierungen mit Auslandsbezug demokratischen Gesellschaft in Europa" (CDK) und dem europäischen Dachverband nationaler Vereinsverbände (KON-KURD) bildete. Ihm sind die jeweiligen nationalen - der PKK zuzurechnenden - Dachverbände kurdischer Vereine als Mitgliedsorganisationen angeschlossen. In Deutschland tritt für die Belange der PKK, die Umsetzung von Vorgaben der Führungsspitze und den Informationsfluss zur Basis überwiegend die Dachorganisation "Demokratisches Gesellschaftszentrum der KurdenInnen in Deutschland" (NAV-DEM) ein, der mehr als 40 Ortsvereine angehören. Diese dienen den Anhängern der Organisation als Treffpunkte und Anlaufstellen. Das NAV-DEM übernimmt vor allem Propagandatätigkeiten, indem es für Presseerklärungen und Flugblätter verantwortlich Logo des NAV-DEM zeichnet und häufig als Anmelder öffentlicher Veranstaltungen fungiert. Eine Neustrukturierung der verschiedenen Vereine in Europa wurde sukzessive seit Anfang 2014 umgesetzt. Die Vereine wurden einheitlich in "Demokratisch-kurdische Gesellschaftszentren" umbenannt. Neben aktuellen Kampagnen (zum Beispiel anlässlich neuer Festnahmen oder der Haftbedingungen Öcalans) setzt sich das NAV-DEM kontinuierlich für die Aufhebung des Betätigungsverbots in Deutschland ein und fordert die Streichung der PKK und ihrer Nachfolgeorganisationen von der EU-Terrorliste. Die PKK suggeriert ihren Anhängern durch eine vermeintlich verbesserte dezentrale Präsenz bis in kleinere Teilgebiete hinein mehr Mitwirkung an Entscheidungsprozessen und ist bestrebt, weitere kurdisch-stämmige Bürger zu erreichen und für sich zu gewinnen. Dennoch ist der illegal tätige Funktionärsapparat der PKK weiterhin richtungsweisend. Ferner versucht die PKK, legale Strukturen zu schaffen und auszubauen, um mittelfristig als Verhandlungspartner in Politik und Gesellschaft wahrgenommen zu werden und somit schrittweise Forderungen durchsetzen zu können. In diesem Kontext ist auch die Gründung des in der Türkei bereits existierenden "Demokratischen Kongresses der Völker" ("Halklarin Demokratik Kongresi", HDK) auf europäischer Ebene von 70 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Gruppierungen mit Auslandsbezug Bedeutung. Mit einem PKK-dominierten HDK-A (A steht für Avrupa = Europa) ist beabsichtigt, die "Kurdenfrage" in Europa nicht nur als Problem der Kurden, sondern als Problem aller Völker zu diskutieren. Darüber hinaus soll ein gemeinsames Ziel dieses Sammelbeckens linksgerichteter oppositioneller Kräfte die Bekämpfung der Politik Erdogans sein. Im September 2016 wurde HDK-A in Hamburg installiert. Die PKK und die ihr angeschlossenen Organisationen führen pro Jahr mehrere bundesweite Großveranstaltungen durch, die in erster Linie den inneren Zusammenhalt stärken sollen. Darüber hinaus dienen solche Veranstaltungen regelmäßig dazu, wichtige Themen der PKK im Bewusstsein der eigenen Anhänger zu halten. Im Jahr 2016 gab es mehrere öffentlichkeitswirksame Protestaktionen der PKK. Im Folgenden dazu einige Beispiele: * Zum Jahrestag der Ermordung von drei PKK-Aktivistinnen am 9. Januar 2013 in Paris kamen rund 7.000 Teilnehmer zu einer Protestveranstaltung aus vielen Teilen Europas, davon die meisten aus Deutschland. Die Kundgebungsteilnehmer forderten die Aufklärung der Morde an den kurdischen Aktivistinnen und verurteilten das aktuelle Vorgehen türkischer Sicherheitskräfte in den kurdischen Siedlungsgebieten. Auch in anderen europäischen Städten wurden Protestaktionen zum Gedenken an die getöteten PKK-Aktivistinnen durchgeführt. * Am 13. Februar 2016 wurde zum 17. Jahrestag der Festnahme des PKK-Führers Öcalan eine Großkundgebung unter dem Motto "Freiheit für Öcalan, Status für Kurdistan" in Straßburg veranstaltet. An der störungsfrei verlaufenen Veranstaltung beteiligten sich nach Polizeiangaben etwa 15.000 Personen, die aus zahlreichen westeuropäischen Ländern angereist waren, darunter ein Großteil aus Deutschland. Die Teilnehmer trugen Öcalan-Poster und skandierten sowohl Parolen für die PKK als auch für die Freilassung Öcalans. * Zum traditionellen kurdischen Neujahrsfest "Newroz" nahmen am 19. März 2016 in Hannover rund 12.000 Personen an einer zentralen Großkundgebung unter dem Doppel-Motto "Aktuelle Ereignisse in der Türkei/Das militärische Vorgehen der türkischen Regierung gegen die PKK und ihrer Anhangsorganisationen" und "Freiheit für 71 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Gruppierungen mit Auslandsbezug Öcalan, Freiheit für Kurdistan" teil. Abgesehen von veranstaltungstypischen Straftaten wie vereinzeltem Zünden von Pyrotechnik sowie vielfachem Zeigen verbotener Symbole der PKK verlief die Kundgebung störungsfrei. Die europaweit beworbene Veranstaltung war vom NAV-DEM angemeldet und organisiert worden. * Am 3. September 2016 wurde in Köln das 24. Internationale Kurdische Kulturfestival unter dem Tenor "Freiheit und Demokratie für Völker und Glaubensrichtungen" durchgeführt. Hauptorganisator war wie bereits in den Vorjahren der Dachverband NAV-DEM. Die Veranstaltung war zunächst im RheinEnergie-Stadion geplant, wurde dort jedoch aus Sicherheitsgründen abgesagt und fand unter Auflagen mit knapp 30.000 Teilnehmern auf dem Gelände der Deutzer Werft statt. So wechselten bei der störungsfrei verlaufenen Veranstaltung Redebeiträge zur Kurdenproblematik mit Musikund Tanzdarbietungen. Im Vorwege des Festivals kam es im Rahmen des kurdischen "Marsches der Jugendlichen" von Duisburg nach Leverkusen jedoch teilweise zu Ausschreitungen und Auflagenverstößen. So wurde der Marsch Veranstaltungsplakat des "24. Internationaam Vortag von der Polizei bereits len Kurdischen Kulturfestivals" in Köln am in Grevenbroich aufgelöst. 77 Per3. September 2016 sonen wurden in Gewahrsam genommen. * Wiederum in Köln versammelten sich am 12. November 2016 rund 25.000 überwiegend alevitische und kurdische Teilnehmer einer Großkundgebung unter dem Motto "Aktuelle politische Situation in der Türkei", um gegen die Politik des türkischen Staatspräsidenten Erdogan zu protestieren. Die Veranstaltung an sich verlief zwar friedlich, abgesetzt von der eigentlichen Kundgebung kam es jedoch 72 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Gruppierungen mit Auslandsbezug durch eine Gruppe von etwa 500 jugendlichen PKK-Anhängern zu gewaltsamen Ausschreitungen, in deren Verlauf Pyrotechnik gezündet und einschreitende Polizeibeamte mit Flaschen und Steinen beworfen wurden. Im Jahr 2016 lösten Militäraktionen türkischer Sicherheitskräfte bundesweit immer wieder neue Protestwellen von PKK-Anhängern gegen die türkische Regierung und die sich weiter verschärfende Sicherheitslage in der Türkei aus. So nahmen in Deutschland auch die Konfrontationen zwischen nationalistischen Türken und PKK-Anhängern an Intensität zu. Beispielhaft dafür ist u.a. eine protürkische Demonstration am 10. April 2016 in Stuttgart. An der Demonstration beteiligten sich rund 700 Personen. Etwa 600 kurdische Gegendemonstranten, darunter mutmaßlich auch PKK-Anhänger, versuchten sich der Kundgebung in den Weg zu stellen. Nach Angaben der Polizei herrschte auf beiden Seiten eine hochaggressive Stimmung, beide Gruppen hätten gezielt die Konfrontation gesucht. Von Seiten der Gegendemonstranten flogen Steine, Böller und Flaschen sowohl auf die eingesetzten Polizisten als auch auf den Demonstrationszug der politischen Gegner. Ferner veröffentlichte die PKK-Jugendorganisation "Ciwanen Azad" Ende Oktober 2016 über ein kurdisches Nachrichtenportal einen Aufruf zur Durchführung von Aktionen: "Wir (...) rufen alle kurdischen Jugendlichen, unser Volk und unsere Freunde überall zu Aktionen auf. Wir als die in Europa lebenden Jugendlichen, rufen zum Widerstand gegen die Angriffe auf den Willen des kurdischen Volkes auf." Wie in den Vorjahren gab es auch im Jahr 2016 bundesweit mehrere Festnahmen und Strafverfahren gegen hochrangige PKK-Funktionäre wegen Verstoßes gegen SS 129 a/b StGB, so auch im August und November 2016 in Hamburg ( 4.3). Dabei wurden von den Gerichten mitunter Haftstrafen von bis zu dreieinhalb Jahren verhängt. 4.3 Situation in Hamburg Die politische Linie des Dachverbandes NAV-DEM wird auf regionaler Ebene von den jeweiligen lokalen Vereinen umgesetzt. 73 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Gruppierungen mit Auslandsbezug Im Zuge der europaweiten Umstrukturierungen wurde der 2008 gegründete örtliche Verein im Jahr 2015 offiziell unter der Bezeichnung "Demokratisch-kurdisches Gesellschaftszentrum" namentlich angepasst. Er dient mit seinen Räumlichkeiten am Steindamm 62 weiterhin als zentraler Anlaufpunkt für PKK-Anhänger. Wiederholt wurden hier Gedenkfeiern für getötete "Märtyrer" der PKK oder der PYD abgehalten. Der Verein organisierte mehrfach öffentlichkeitswirksame Demonstrationen. Inhaltlicher Schwerpunkt des seit Oktober 2008 bestehenden "Nujiyan Frauenzentrum e.V." war 2016 zwar weiterhin die Ermordung der drei PKK-Aktivistinnen am 9. Januar 2013 in Paris, aber auch weitere PKKrelevante Themen (Aufhebung des Betätigungsverbotes, Freiheit für Öcalan u.a.). Vor diesem Hintergrund wurden auch unter der Bezeichnung "Rojbin Frauenrat" mehrfach meist kleinere öffentliche Protestversammlungen initiiert. Seit seiner Gründung gelang es dem "Frauenrat" weitere PKK-Anhängerinnen an sich zu binden und sich als Institution in einigen Hamburger PKK-Teilgebieten zu präsentieren. Lokale Aktivitäten der PKK werden auch durch den sogenannten "Kurdischen Volksrat" organisiert. So sind in Hamburg derzeit zwei Volksräte aktiv, die strategisch für jeweils mehrere Teilgebiete zuständig sind. Die PKK versucht - auch im Zuge der europaweiten Umstrukturierung - den Anschein von Mitbestimmung und Basisdemokratie zu erwecken, zum Beispiel durch zahlreiche Ausschüsse - etwa für Frauen, Jugend, Schulung und Propaganda, Kultur und Kunst, Außenbeziehungen, religiöse Gruppen oder Finanzen. Das personelle Potenzial der PKK lag 2016 auf dem Vorjahresniveau von etwa 600 Anhängern. Darüber hinaus verfügt die Organisation in Hamburg über ein Sympathisantenumfeld, das sich ebenfalls weitgehend mit ihren Zielen und insbesondere mit Öcalan als Person und Führungsfigur im "Freiheitskampf" des kurdischen Volkes identifiziert. Insgesamt ist, wie im Jahr 2015, von rund 1.500 Anhängern, Unterstützern und Sympathisanten auszugehen. Die eigentlichen Entscheidungsträger der Organisation, so auch in Hamburg, sind die von der PKK nach einem Rotationsprinzip in der Regel für einige Monate bis zu einem Jahr entsandten "Kader". Diese sind häufig nicht in der Lage, die eigene Gefolgschaft zu einer Mitarbeit, zum Beispiel in Ausschüssen, zu motivieren oder deren Akzeptanz zu erlangen. Dies liegt zum Teil an der kurzen Verweilzeit der Kader, die ihnen kaum 74 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Gruppierungen mit Auslandsbezug einen tieferen Einblick in interne Abläufe und informelle Strukturen mit ihren regionalen Besonderheiten erlaubt. Die mitunter mangelnde Bereitschaft der Anhängerschaft ist unter anderem aber auch auf deren finanzielle Abschöpfung, die erhebliche zeitliche Intensität der Aufgaben und Einbindungen sowie den verpflichtenden Druck durch kaum erreichbare Vorgaben der PKK-Führung zurückzuführen. Im Jahr 2016 machte die PKK-Jugendorganisation "Ciwanen Azad" in Hamburg durch mehrere Aktionen auf sich aufmerksam. Ende November 2016 wurde ein türkisches Vereinsheim in Hamburg-Eimsbüttel mit Steinen beworfen und mit Farbe beschmiert. In der gleichen Nacht bewarfen Jugendliche das Vereinslokal eines türkischen Fußballclubs in Hamburg-Wilhelmsburg mit Molotow-Cocktails. In der Bekennung unter der Bezeichnung "Apoistische Jugendinitiative Hamburg" wurden die Taten damit gerechtfertigt, Logo der PKK-Jugendorganidass die attackierten Objekte in Verbindung zur sation "Ciwanen Azad" türkischen "Partei der nationalistischen Bewegung" (MHP) stünden. Im Internet treten Hamburger Jugendliche meist auch unter "Ciwanen Azad Hamburg" auf. Zu ihren weiteren Aktivitäten zählt die Anwerbung von Jugendlichen für organisationsinterne Lehrgänge, die vorwiegend der ideologischen Schulung dienen. Die Anzahl der Demonstrationen, Kundgebungen, Aktionen und Informationsveranstaltungen mit PKK-Hintergrund stieg im Jahr 2016 in Hamburg gegenüber dem Vorjahr um ein Drittel auf über 100 an. Die Teilnehmerzahl variierte dabei, je nach Thema und Zeitpunkt der Demonstration, stark zwischen etwa 10 bis 1500 Personen, blieb jedoch überwiegend im zweistelligen bis mittleren dreistelligen Bereich. Rund 1.500 Personen nahmen am 27. Februar 2016 an einem weitgehend störungsfrei verlaufenen Aufzug durch die Hamburger Innenstadt mit dem Tenor: "Schluss mit dem Krieg in Kurdistan - Für einen Friedensprozess und das Recht auf Selbstverwaltung!" teil. 75 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Gruppierungen mit Auslandsbezug Am 10. April 2016 demonstrierten Anhänger der türkischen Regierung in rund einem Dutzend deutscher Städte bei sogenannten Friedensmärschen gegen die PKK und den IS-Terrorismus. Unter anderem PKKnahe Gruppen und auch türkische und deutsche Linksextremisten hatten wiederum zu Gegendemonstrationen aufgerufen. Trotz eines massiven Polizeiaufgebots kam es an einigen Veranstaltungsorten (beispielsweise in Köln) zu gewaltsamen Auseinandersetzungen beider Lager. An einer protürkischen Demonstration in Hamburg beteiligten sich in der Spitze rund 300 Personen, denen räumlich getrennt etwa 1.250 Gegendemonstranten gegenüberstanden. Einzelne Personen versuchten die Polizeiabsperrungen zu überwinden und zu den protürkischen Demonstranten zu gelangen. Es kam zu Böllerund Steinwürfen. Die Polizei, die mit rund 1.300 Einsatzkräften vor Ort war, nahm mehrere Personen fest. Am 3. August 2016 wurde der türkische Staatsangehörige Bedrettin K. wegen der Mitgliedschaft in der PKK vor dem Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichtes (OLG) Hamburg zu einer Haftstrafe von drei Jahren verurteilt. Unter dem Decknamen "Ali" soll K. seit 2012 als hauptamtlicher Kader für verschiedene Sektoren der PKK in Deutschland verantwortlich gewesen sein. Als Sektorleiter sei er gegenüber den ihm nachgeordneten Gebietsleitern weisungsbefugt gewesen und habe dafür gesorgt, dass Anordnungen der PKK-Europaleitung umgesetzt werden. So habe er beispielsweise Spendenund Beitragssammlungen überwacht und sichergestellt, dass genügend PKK-Aktivisten an Schulungsund Propagandaveranstaltungen teilnehmen. Am 25. November 2016 verurteilte der Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts (OLG) Hamburg den türkischen Staatsangehörigen Hasan D. wegen PKK-Mitgliedschaft zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten auf Bewährung. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass D. als PKK-Funktionär unter dem Decknamen "Besir" das PKK-Gebiet "Bremen" geleitet hatte. Als solcher habe er Spendensammlungen und Propagandaveranstaltungen organisiert und an Kadertreffen teilgenommen. Strafmildernd berücksichtigte das Gericht seine weitgehend geständige Einlassung zum Anklagevorwurf sowie seine jesidische Herkunft, wegen der er in der Türkei besonderer Verfolgung ausgesetzt gewesen sei. Bezüglich der PKK führte das Gericht aus, die Organisation versuche nach wie vor, ihre Ziele in der Türkei mit Mord und Totschlag durchzusetzen. 76 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Gruppierungen mit Auslandsbezug Ende November 2016 wurde vor dem OLG Hamburg Anklage gegen den hauptamtlichen Kader der PKK Zeki E. erhoben. E. wird vorgeworfen, unter dem Decknamen "Siyar" Leiter verschiedener PKK-Gebiete und Sektorleiter in Deutschland gewesen zu sein und jeweils die organisatorischen, finanziellen, personellen und propagandistischen Angelegenheiten in seinem Bereich verantwortet zu haben. Als Sektorenverantwortlicher habe er in unmittelbarem Kontakt zur Europaführung der PKK in Belgien gestanden und deren Anweisungen in seinem Zuständigkeitsbereich umgesetzt. Die Generalbundesanwaltschaft hatte bereits im Jahr 2014 einen europäischen Haftbefehl gegen E. beantragt. Im April 2016 konnte E. in Stockholm festgenommen werden. Er hatte beabsichtigt, nach Suleymania (Irak) zu fliegen. Sein Widerspruch gegen die Auslieferung nach Deutschland wurde abgewiesen. Die Auslieferung erfolgte schließlich im Juli. 5. Türkische Extremisten 5. 1 Revolutionär-marxistische Gruppen Die meisten türkischen linksextremistischen Organisationen haben Ableger in Deutschland. Sie propagieren einen revolutionären Umsturz in der Türkei und wollen dort die Zerschlagung des türkischen Staatssystems erwirken, um es durch eine marxistische Gesellschaftsordnung zu ersetzen. Um diese Ziele zu erreichen, propagieren sie den bewaffneten Kampf in der Türkei und führen dort immer wieder auch terroristische Aktionen durch. Ziele sind vor allem staatliche türkische Einrichtungen, insbesondere Gebäude und Angehörige der türkischen Sicherheitsbehörden (Armee, Polizei und Justiz). Bei ihren öffentlichkeitswirksamen Anschlägen auf diese Einrichtungen in der Türkei setzen sie auch Selbstmordattentäter ein. In Hamburg sind folgende türkische linksextremistische Organisationen aktiv: * "Devrimci Halk Kurtulus Partisi-Cephe" (DHKP-C) * "Türkiye Komünist Partisi/Marksist Leninist" (TKP/ML) * "Maoist Komünist Partisi" (MKP) und die * "Marksist Leninist Komünist Partisi" (MLKP) 77 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Gruppierungen mit Auslandsbezug Trotz ihrer ideologischen Gemeinsamkeiten und punktuellen Bemühungen um eine stärkere Vernetzung ist die Szene stark zersplittert. Die Mitgliederzahlen der einzelnen Gruppierungen liegen seit Jahren im niedrigen zweistelligen Bereich. Sie organisieren Kundgebungen und Demonstrationen mit zumeist wenigen Teilnehmern. Durch Spendenkampagnen, den Verkauf von Publikationen und durch Einnahmen von Veranstaltungen unterstützen sie die in der Türkei aktiven Guerillaorganisationen. Die dortigen Gruppierungen haben bereits mehrfach gemeinsam mit der PKK Guerilla-Aktionen durchgeführt. Auch in Deutschland gibt es eine Kooperation zwischen Anhängern türkischer linksextremistischer Gruppen mit der PKK, anlassbezogen auch mit deutschen linksextremistischen Gruppierungen, die sich überwiegend auf die solidarische Unterstützung bei Demonstrationen, Kundgebungen und Veröffentlichungen beschränkt. Die der DHKP-C zuzurechnenden Gruppierungen "Anatolische Föderation" und "Dev-Genc Hamburg" haben im Jahr 2016 in Hamburg mit mehreren Aktionen öffentlich auf sich aufmerksam gemacht, insbesondere mit Versammlungen vor dem türkischen Generalkonsulat. Tenor dieser Versammlungen ist zumeist ein Protest gegen Maßnahmen des türkischen Staates gegen DHKP-C-Aktivisten, aber auch Solidaritätsbezeugungen mit den Menschen in den überwieLogo der DHKP-C gend kurdisch besiedelten Regionen des Landes. Bei einer angemeldeten Versammlung zum 1. Mai 2016 wurden in Hamburg fünf Personen aus dem DHKP-C-Spektrum vorübergehend festgenommen, die gegen das Uniformverbot des deutschen Versammlungsrechts verstießen und Widerstand gegen Polizeibeamte leisteten. Seit 2012 organisiert die DHKP-C in Deutschland regelmäßig Konzertveranstaltungen mit der türkischen Musikgruppe "Grup Yorum", die bisher ausschließlich in Hallen stattfanden und an denen zwischen 6.000 und 10.000 Besucher teilnahmen. Da die Anmietung einer Halle aufgrund frühzeitiger Sensibilisierung der Hallenbetreiber im Jahr 2016 scheiterte, wichen die Organisatoren des Konzertes erstmals auf eine Freifläche in Gladbeck aus. 78 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Gruppierungen mit Auslandsbezug Trotz des kostenlosen Bustransfers hatten zahlreiche Anhänger der Musikgruppe von der Teilnahme abgesehen. Es herrschte Verunsicherung, weil bis zuletzt von einem Verbot der Veranstaltung und einer starken polizeilichen Präsenz auszugehen war. Die Großkonzerte der "Grup Yorum" in Deutschland dienten in den vergangenen Jahren der Verbreitung der Propaganda, der Finanzierung und in nicht unerheblichem Maße der Rekrutierung neuer Mitglieder der DHKP-C. Am 2. Dezember 2016 wurde in Hamburg-St. Georg das lang gesuchte hochrangige DHKP-C-Mitglied Musa Asoglu festgenommen. Er steht unter Verdacht, Spendengelder für die Organisation gesammelt zu haben und der Europa-Verantwortliche der DHKP-C zu sein. Das Außenministerium der USA hatte 2014 eine Belohnung in Höhe von drei Millionen Dollar für Hinweise ausgesetzt, die zu seiner Ergreifung führen. Auch in der Türkei steht er auf der Liste der meistgesuchten Terroristen. Die DHKP-C hat als Reaktion auf die Verhaftung im Internet und in den sozialen Medien umgehend zu Protestaktionen aufgerufen und Erklärungen herausgegeben, die sich gegen die Verhaftung Asoglus richten. Auch in Hamburg versammelten sich Anhänger, die die sofortige Freilassung Asoglus forderten. Die Anhängerzahl linksextremistischer Gruppierungen lag 2016 weiterhin bei 145 Personen. 5.2 ADÜTDF/Türkische Nationalisten Die "Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in Deutschland e.V." ("Almanya Demokratik Ülkücü Türk Dernekleri Federasyonu", ADÜTDF) wurde 1978 in Frankfurt am Main gegründet. Sie gilt als Auslandsvertretung der türkischen "Partei der Nationalistischen Bewegung" ("Milliyetci Hareket Partisi"). Das Umfeld türkischer Nationalisten und Rechtsextremisten firmiert ferner unter der Bezeichnung "Ülkücü" (Idealisten) und "Bozkurt" (Graue Wölfe). Die Bezeichnungen "Ülkücü" und "Bozkurt" stehen letztlich 79 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Gruppierungen mit Auslandsbezug immer für denselben Personenkreis türkischer Nationalisten. Ihre Ideologie ist gekennzeichnet durch: * eine ausgeprägt anti-kurdische Ausrichtung; * eine spezifisch türkische Auslegung des sunnitischen Islam. Diese findet als wichtiger Bestandteil ihren Ausdruck in dem ÜlkücüAusspruch: "Der Islam ist unsere Seele, Türkentum unser Leib!"; * den Turanismus/Panturkismus - der Idee der ethnischen und kulturellen Verbundenheit aller Turkvölker und daraus resultierende Gebietsansprüche, weit über die heutigen Grenzen der Türkei hinaus. In Abgrenzung dazu erkennt der Kemalismus die türkischen Grenzen aus dem Vertrag von Lausanne vom 24. Juli 1923 an. Der Putschversuch in der Türkei beschäftigte auch die nationalistischen Türken in Deutschland. Die "Milliyetci Hareket Partisi" (MHP), die "Mutterorganisation" der ADÜTDF in der Türkei, hatte sich Logo der "Föderation der Türkisch-Demokranach dem gescheiterten Putschtischen Idealistenvereine in Deutschland e.V." versuch in der Türkei im Sommer auf die Seite der Regierungspartei AKP gestellt und mit ihr den Schulterschluss gesucht. In der Folge kam es in einigen Bundesländern anlässlich protürkischer Demonstrationen, an denen sich auch Nationalisten beteiligten, zu direkten Konfrontationen mit Regierungsgegnern oder PKK-Sympathisanten. In Hamburg blieben größere Auseinandersetzungen aus. Der ADÜTDF werden circa 7.000 Anhänger zugerechnet (2015: 7.000). Sie ist damit die größte Organisation türkisch-nationalistischer Bestrebungen in Deutschland. Die Zahl der Anhänger in Hamburg wird auf über Hundert geschätzt. Türkische Nationalisten sind in Hamburg vorwiegend im Internet, speziell in sozialen Netzwerken, aktiv. Auch im Jahr 2016 gelang es ihnen nicht, diese virtuellen Aktivitäten auf die Straße zu tragen. 80 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Gruppierungen mit Auslandsbezug Darüber hinaus werden der "Ülkücü-Bewegung" in Hamburg weitere Gruppierungen zugerechnet wie etwa die "Turkos Hamburg", die sich selbst zwar als "politisch neutral" bezeichnen, auf ihrer Facebookseite jedoch eine eindeutige nationalistisch-patriotische Einstellung erkennen lassen. Gleiches gilt für "Turan e.V. Hamburg", deren Facebookauftritt eine nationalistische Einstellung nahelegt und auch den szenetypischen "Wolfsgruß" zeigt. Bundesweit erregten türkische Nationalisten im Jahr 2016 insbesondere mit Demonstrationen anlässlich der Anerkennung des Genozids an den Armeniern öffentliche Aufmerksamkeit. Eine entsprechende Resolution des Bundestags vom 2. Juni 2016 löste unter türkischen Nationalisten eine Welle der Empörung aus. Für türkische Nationalisten, unterschiedlicher Ausprägung, gilt der Der Wolfsgruß (Symbolfoto) Vorwurf eines Genozids durch das Osmanische Reich im Jahr 1915 als unannehmbar. Auf der Facebook-Seite der Rockergruppe "Turan e.V." wurde ein Bild mit Namen und Parteizugehörigkeit aller türkischstämmigen Bundestagsabgeordneten veröffentlicht. Dieses Bild wird wie folgt kommentiert: "Sie haben uns hinterrücks getroffen - Wir werden diese Ehrlosen, die applaudierend der armenischen Lüge zugestimmt haben und es gefeiert haben, nicht vergessen." Die türkische Rockergruppe "Turkos MC" postete ein Bild mit der Aufschrift: "Wenn die Türken einen Völkermord begangen hätten, gäbe es keine Armenier, die widersprechen könnten." 81 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Gruppierungen mit Auslandsbezug In Hamburg und Umgebung kam es im Jahr 2016 zu keinen größeren öffentlich wahrnehmbaren Auseinandersetzungen zwischen türkischen Rechtsund Linksextremisten. In Pinneberg war es am 30. Juli 2016 im Verlauf einer kurdischen Kundgebung zu Zusammenstößen zwischen Kurden und türkischen Nationalisten gekommen; am 29. November 2016 wurde das Vereinsgebäude der "Türk Federasyonu Hamburg", der Hamburger ADÜTDF-Niederlassung, mit einem Molotowcocktail beschädigt. In einer Erklärung übernahmen hierfür "Rachekommandos" der "Apoistischen Jugendinitiative Hamburg" die Verantwortung. Die Aktion soll sich gegen die anhaltende Inhaftierung "der kurdischen Führungspersönlichkeit Abdullah Öcalan" gerichtet haben. Weitere Informationen zum Thema sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Gruppierungen mit Auslandsbezug finden Sie auf den Internetseiten: www.hamburg.de/verfassungsschutz www.hamburg.de/innenbehoerde/schlagzeilen www.hamburg.de/innenbehoerde/auslaenderextremismus 82 Verfassungsschutz in Hamburg Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Gruppierungen mit Auslandsbezug Linksextremismus Rechtsextremismus Reichsbürger und Selbstverwalter Scientology-Organisation Spionageabwehr Geheimund Sabotageschutz; Wirtschaftsschutz Anhang * Hamburgisches Verfassungsschutzgesetz * Abkürzungsverzeichnis * Stichwortverzeichnis Linksextremismus IV. Linksextremismus 1. Entwicklungen und Schwerpunkte Linksextremisten streben - je nach Strömung - eine sozialistische, kommunistische oder herrschaftsfreie, autonome oder anarchistische Gesellschaftsordnung an. Einig ist sich die heterogene Szene lediglich in dem Bestreben, die freiheitliche demokratische Grundordnung und damit die durch das Grundgesetz vorgegebene Staatsund Gesellschaftsordnung der Bundesrepublik Deutschland überwinden zu wollen. Insbesondere die parlamentarische Demokratie ist nach linksextremistischer Überzeugung als "Herrschaftsinstrument des Kapitalismus" zu betrachten und mit diesem untrennbar verbunden. In Hamburg hat sich die seit Jahren bestehende Dominanz gewaltorientierter Linksextremisten (Autonome, Antiimperialisten und Anarchisten) innerhalb der linksextremistischen Szene weiter verfestigt. Orthodoxe Kommunisten und andere revolutionäre Marxisten erzielten dagegen lediglich in ihrem bündnispolitischen Wirken, das gezielt auch nichtextremistische Organisationen einbezieht, punktuelle Resonanz. Die den gewaltorientierten Gruppen zuzurechnende "Interventionistische Linke" ( 5.1.2) und mit ihr zusammenarbeitende linksextremistische Gruppierungen sind ebenfalls auf eine Politik der "Anschlussfähigkeit" ausgerichtet. Sie besetzen über die linksextremistische Szene hinaus gesellschaftlich breit akzeptierte Themenfelder und verbreiten eigene Positionen bewusst in nichtextremistischen Gruppierungen und Initiativen. So erhalten sie Zugang zum öffentlichen Diskurs und bestimmen Debatten mit. Dies betrifft insbesondere die Themenfelder Stadtentwicklungspolitik ("Anti-Gentrifikation", 5.2.3), "Antirassismus" und "Antifaschismus" ( 5.2.2). Diese gezielte Instrumentalisierung populärer Themen und Fragestellungen in bürgerlich-demokratischen Kreisen gehört seit Jahren zur Strategie bestimmter linksextremistischer Organisationen. Linksextremisten beteiligen sich an entsprechenden Initiativen und versuchen auch, sie zu radikalisieren. Militanten Widerstand betrachten gewaltorientierte Linksextremisten als gerechtfertigt oder dulden ihn - zumindest anlassbezogen - solidarisch. In Bündnisstrukturen versuchen solche Gruppierungen, eindeutige Distanzierungen von politisch 84 Linksextremismus motivierter Gewalt zu verhindern, zum Beispiel bei geplanten Aktivitäten gegen den G20-Gipfel in Hamburg am 7./8. Juli 2017. Zu den wichtigsten Themen der linksextremistischen Szene gehörte im Jahr 2016 die fortgesetzte Neuausrichtung auf dem Agitationsfeld "Antifaschismus" ( 5.2.2). Der Bedeutungsverlust klassischer rechtsextremistischer Strukturen, beispielsweise der NPD ( V.8.1) oder neonazistischer Kameradschaften ( V.5.), in Hamburg führte dazu, dass die Szene ihre Aktivitäten noch stärker gegen rechtspopulistische Gruppen richtete. Die Frage, ob sich ihre "antifaschistische" Agitation in allen Fällen ausschließlich gegen Rechtsextremisten richtet, ist für linksextremistische Antifaschisten nicht relevant. Dies führte auch dazu, dass linksextremistische Aktivitäten auf dem Gebiet des Antirassismus von Antifa-Aktivitäten oft nicht mehr zu trennen sind. Indem sich Antifa-Aktivisten zunehmend gegen einen angeblichen "gesellschaftlichen Rassismus" richten, bestehen permanente Anknüpfungspunkte an die Agitation gegen Rechtspopulisten. Auch 2016 wurden politisch motivierte Straftaten ( 3.) häufig mit dem Kampf gegen Rassismus begründet. Allerdings haben Linksextremisten durch die breite Präsenz der Flüchtlingspolitik in der öffentlichen Debatte Schwierigkeiten, mit eigenen Akzenten durchzudringen. Der Kampf gegen angebliches "Racial Profiling" ( 4.) der Polizei ist ebenfalls Teil linksextremistischer Antirassismus-Agitation, fällt jedoch thematisch in das Agitationsfeld "Antirepression" ( 5.2.1). Der als "Antirepression" bezeichnete Kampf gegen vermeintliche staatliche Überwachungsmechanismen war auch 2016 eines der Leitthemen Hamburger Linksextremisten. Die Szene organisierte in diesem Zusammenhang Kampagnen zugunsten Tatverdächtiger verschiedener politisch motivierter und allgemeinkrimineller Straftaten sowie gegen die vorgeblich übermäßigen Beschränkungen von Freiheitsrechten im Rahmen der OSZE-Konferenz am 7./8. Dezember 2016 in Hamburg. Dagegen ging die Agitation im antimilitaristischen Kontext deutlich zurück. Dies gilt für entsprechend politisch motivierte Straftaten und auch für sonstige öffentlichkeitswirksame politische Aktivitäten. Im Juli 2016 begannen Linksextremisten, mit Blick auf den im Juli 2017 anstehenden G20-Gipfel in Hamburg, Straftaten zu verüben. Durch die 85 Linksextremismus hierzu veröffentlichten Selbstbezichtigungsschreiben wurden diese in den Gesamtkontext einer militanten Kampagne gestellt, die bundesweit bis Mai 2017 bereits das Ausmaß der militanten Kampagne gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm 2007 deutlich übertroffen hatte. Die Zahl linksextremistischer Sachbeschädigungen und Brandstiftungen ist im Jahr 2016 - auch im Zusammenhang mit der militanten Kampagne gegen das G20-Treffen - angestiegen. Auf einem hohem Niveau, aber im Vergleich zu den drei letzten Jahren deutlich gesunken, liegt die Zahl linksextremistischer Gewalttaten mit 126 ( 3.). 2. Potenziale Bund: Linksextremistische Personenpotenziale 35000 30000 25000 30.800 31.200 31.600 32.200 31.800 29.400 27.700 27.200 26.700 28.500 20000 15000 10000 5000 0 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 - Alle Zahlen sind gerundet - Die Zahlen für die Bundesebene enthalten auch die Mitglieder der offen extremistischen Zusammenschlüsse in der Partei DIE LINKE, aber nicht die Gesamtzahl ihrer Mitglieder. Im Jahr 2016 betrug das Potenzial linksextremistischer Organisationen und Vereinigungen bundesweit ca. 28.500 Personen (nach Abzug von Mehrfachmitgliedschaften, 2015: 26.700). Davon sind 8.500 Personen 86 Linksextremismus (2015: 7.700) als "Gewaltorientierte Linksextremisten" einzustufen (Autonome, Postautonome, Anarchisten und Antiimperialisten). Linksextremistisches Personenpotenzial 2015 2016 auf Bundesebene Marxisten-Leninisten und andere revolutionäre Marxisten (Angehörige von Kernund Nebenorganisationen)1 20.300 20.000 Gewaltorientierte Linksextremisten2 7.700 3 8.500 Gesamtpotenzial (nach Abzug der Mehrfachmitgliedschaften)4 26.700 28.500 - Alle Zahlen sind gerundet - 1Einschließlich der offen extremistischen Zusammenschlüsse innerhalb der Partei DIE LINKE 2 Enthält nicht nur tatsächlich als Täter / Tatverdächtige festgestellte Personen, sondern auch solche Linksextremisten, bei denen lediglich Anhaltspunkte für Gewaltorientierung gegeben sind. Erfasst sind nur Personenzusammenschlüsse, die feste Strukturen aufweisen und über einen längeren Zeitraum aktiv waren 3Das Mobilisierungspotenzial der "Szene" umfasst zusätzlich mehrere Tausend Personen 4 In den Zahlen nicht enthalten sind Mitglieder linksextremistisch beeinflusster Organisationen Das linksextremistische Personenpotenzial in Hamburg im Jahr 2016 blieb mit 1.100 Personen im Vergleich zum Vorjahr (2015: 1.090) nahezu konstant. 500 Personen gehörten 2016 der autonomen Szene in Hamburg an (2015: 480). Das Potenzial der anarchistischen Szene betrug wie im Vorjahr ca. 40 Personen. 110 Personen (2015: 100) waren 2016 antiimperialistischen Gruppen zuzurechnen. Das LfV Hamburg stuft somit 650 Personen (2015: 620) als gewaltorientierte Linksextremisten ein. Das Potenzial der marxistisch-leninistischen Kernund Nebenorganisationen sowie revolutionär-marxistischen Gruppen ging auf 450 Personen (2015: 470) zurück. 87 Linksextremismus Hamburg: Linksextremistische Personenpotenziale 1500 1200 900 1.500 1.120 1.200 1.150 1.120 1.120 1.120 1.110 1.090 1.100 600 300 500 520 580 570 620 620 620 630 620 650 0 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 Gesamtzahl Gewaltorientierte - Alle Zahlen sind gerundet Die Angabe für das Jahr 2007 enthält die Gesamtzahl der Mitglieder der "Partei des demokratischen Sozialismus" (PDS) bzw. der "Linkspartei.PDS" bzw. die der Partei DIE LINKE, ab 2008 nur noch deren extremistische Teilstrukturen Linksextremistisches Personenpotenzial 2015 2016 in Hamburg Angehörige marxistisch-leninistischer Kernu. Nebenorganisationen sowie andere revolutionäre Marxisten und Trotzkisten 470 1 450 1 Gewaltorientierte (Post-/Autonome, Anarchisten u. Antiimperialistischer Widerstand) 620 2 650 2 Gesamtpotenzial 1.090 1.100 -Alle Zahlen sind gerundet- 1 Die Zahl enthält die Mitglieder der revolutionär-marxistischen Organisationsteile der Partei DIE LINKE 2 Das Mobilisierungspotenzial der "Szene" umfasst zusätzlich mehrere Hundert Personen 88 Linksextremismus 3. Politisch motivierte Kriminalität (PMK) Die Zahl der in Hamburg insgesamt erfassten Straftaten im Rahmen der PMK Links ging mit 705 Taten im Vergleich zum Vorjahr zurück (2015: 944). Darin enthaltenen sind 165 linksextremistische Straftaten (2015: 252), davon 126 linksextremistische Gewaltdelikte (2015: 211). Ursächlich für diesen Rückgang war insbesondere das weitgehende Ausbleiben gewalttätig verlaufener größerer Versammlungen. In diesem Zusammenhang war lediglich die Versammlungslage um den 1. Mai zu verzeichnen ( 5.1.3 und 5.2.1). PMK2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 Links PMK-Links insgesamt 453 535 757 470 618 555 895 853 944 705 davon linksextrem. 98 92 41 70 81 138 297 248 252 165 Straftaten hiervon extrem. 49 51 37 27 48 64 187 219 211 126 Gewaltdelikte Die Zahlen stammen von der Polizei Hamburg - Stand: Februar 2017 - Linksextremisten verübten auch 2016 insbesondere versammlungstypische Straftaten. Darüber hinaus waren sie für Sachbeschädigungen und Brandstiftungen in verschiedenen Begründungszusammenhängen verantwortlich, darunter insbesondere solche, die sich gegen den 2017 anstehenden G20-Gipfel in Hamburg richteten ( 4). 4. Militanzdebatte und linksextremistische Gewalt - Militante Kampagne gegen das G20-Treffen - Gewaltorientierte Linksextremisten bezeichnen die freiheitliche demokratische Grundordnung diffamierend als "kapitalistisches System" und streben die Überwindung der parlamentarischen Demokratie an. Der Kampf wird propagandistisch mit verschiedenen Medien geführt, zum Beispiel auf Internetplattformen und in sozialen Netzwerken. Legitime 89 Linksextremismus Mittel für gewaltorientierte Linksextremisten gegen die demokratische Grundordnung sind auch gezielte Straftaten und militante Aktionen im Kontext von Demonstrationen. Oft ist es das Ziel, während solcher Versammlungen oder danach gewalttätige Eskalationen zu provozieren. Eines der markanten Erkennungszeichen militanter Linksextremisten ist die Bildung sogenannter "schwarzer Blöcke" bei Demonstrationen. Schwarz gekleidete Linksextremisten gehen beispielsweise aus dem Schutz der Menge, die nicht nur aus Extremisten besteht, gewaltsam gegen Polizisten vor. Häufiges Ziel sind zudem die Teilnehmer rechtsextremistischer oder von Linksextremisten als "rechts" eingestufte Versammlungen. Als Wurfgegenstände dienen ihnen dabei regelmäßig Steine, Flaschen und pyrotechnische Gegenstände. Konspirative Kleingruppen planen und begehen Straftaten insbesondere auch gegen Fahrzeuge und Wohnungen von Repräsentanten des Staates, darunter in den vergangenen Jahren beispielsweise Abgeordnete der Hamburgischen Bürgerschaft, der Erste Bürgermeister, die Zweite Bürgermeisterin sowie Senatoren und Staatsräte. Im Visier stehen auch Unternehmen und deren Vertreter als weitere Repräsentanten des zu überwindenden "kapitalistischen Systems", außerdem Rechtsextremisten oder von Linksextremisten als "rechts" diffamierte Personen. Im Jahr 2016 wurden in Hamburg 48 solcher Straftaten festgestellt, die anschließend in zum Teil seitenlangen Selbstbezichtigungsschreiben gerechtfertigt wurden. Das Militanzverständnis autonomer Gruppen ist ein zentrales Element ihres politischen Selbstbildes. Dabei kommt es nicht zwingend darauf an, dass jeder Einzelne im Endeffekt auch gewalttätig agiert, sondern dass die Anwendung von Gewalt überwiegend befürwortet wird und gewaltsame Aktionen auf breite Zustimmung in der Szene stoßen. Die Legitimation: Aus Sicht von Autonomen geht Gewalt stets vom Staat aus, auf die Linksextremisten lediglich mit Gegengewalt, quasi Selbstverteidigung, reagieren. In der Szene wird seit Jahren darüber debattiert, wie weit Gewalt als Mittel zur Durchsetzung der eigenen Interessen gehen darf. Da Gewalt nach autonomen Verständnis immer auch vermittelbar sein muss, wird grundsätzlich gezielte Gewalt gegen Menschen abgelehnt. Davon ausgenommen sind allerdings Angriffe auf Polizeibeamte und Rechtsextremisten. Sie gelten als personifizierte Feindbilder; ihre teilweise entmenschlichte Darstellung in Publikationen wird weitge90 Linksextremismus hend akzeptiert, in Anlehnung an einen Science Fiction Film von 1987 beispielsweise als "RoboCop". Der Polizist gilt nicht als menschliches Individuum, sondern als funktionierender Bestandteil des "Repressionsapparates". Ihm wird die Menschenwürde abgesprochen und Gewalt gegen ihn als legitim und vermittelbar betrachtet. So setzten am 23. September 2016 bisher unbekannte Täter zwei in einem vor dem Wohnhaus eines höheren Hamburger Polizeibeamten im Carport abgestellte Pkw in Brand, wodurch auch das Carportdach beschädigt wurde. In einem auf der linksextremistischen Internetplattform "linksunten.indymedia" veröffentlichten Bekennerschreiben wird dem Beamten vorgeworfen, als Leiter der "Task Force Drogen" mitverantwortlich für ein vorgebliches "Racial Profiling" zu sein. Die Hamburger Polizei setzte 2016 die "Task Force" zur Bekämpfung der öffentlich wahrnehmbaren Rauschgiftkriminalität in den Bereichen St. Pauli, Sternschanze und St. Georg ein. Im Zuge dessen deckte die Polizei 1.071 Taten mehr auf als im Vorjahr und registrierte insgesamt 10.484 Fälle. Gleichzeitig stieg die Zahl der Zuführungen ins Untersuchungsgefängnis um 51 Prozent von 198 auf 299. Die erlassenen Haftbefehle konnten um fast 48 Prozent von 121 auf 211 ebenfalls deutlich gesteigert werden. Als "Racial Profiling" bezeichnet man ein angeblich rein auf äußerlichen Merkmalen basierendes Handeln von Polizei-, Sicherheits-, Einwanderungsund Zollbehörden, nach dem eine Person anhand von Kriterien wie Religion, ethnischer Zugehörigkeit, oder Herkunft als verdächtig eingeschätzt wird. Vorgeblich würden dabei das Verhalten und konkrete Verdachtsmomente außer Acht gelassen. Mit Bezug zur vorgesehenen Aufgabe des Polizeibeamten im Rahmen des G20-Treffens im Juli 2017 betonen die Verfasser: "Die Häuser und Autos der Polizeiführer sind für uns legitime Ziele." Zudem seien sie solidarisch und unterstützen "den Vorschlag der Militanten, die Herrschaftsstrukturen vor dem G20Gipfel anzugreifen und in Hamburg und anderswo Tschüss zu sagen zu allem, was auf dem Weg zu einer befreiten Gesellschaft im Wege steht." Seitdem öffentlich bekannt wurde, dass Hamburg die OSZE-Tagung mit 57 Außenministern am 8./9. Dezember 2016 und den G20-Gipfel vom 91 Linksextremismus 7. bis 8. Juli 2017 ausrichtet, wurden ab Mai 2016 bis Anfang Februar 2017 in Hamburg elf Mobilisierungsstraftaten durch militante Linksextremisten verübt, darunter folgende Taten: * Am 8. September 2016 verübten unbekannte Täter eine Brandstiftung an der Europazentrale der "Chinese Ocean Shipping Company" (COSCO) in Hamburg-Neustadt. In der Selbstbezichtigung vom selben Tag wird auf die Konferenz "Hamburg Summit: China meets Europe" vom 14. bis 16. September 2016 Bezug genommen. Die Firma sei ausgewählt worden, weil sie zu den Profiteuren der griechischen Wirtschaftskrise zähle. Dass die Autoren ferner auf die Hafenwirtschaft hinweisen, steht im Kontext zurückliegender Taten und Bekennungen in den vergangenen Jahren. Darüber hinaus gilt die Bekennung als erster substanzieller Aufruf zu Militanz im G20-Kontext: "Wir laden alle militanten Gruppen, Gefährt_innen, Chaot_innen und Troublemaker am 7. und 8. Juli 2017 nach Hamburg ein... Wir ermuntern alle dazu, schon ab sofort subversive Taten mit G20 Bezug zu starten". * In der Nacht zum 17. Oktober 2016 wurde ein Fahrzeug des Präsidenten der Bundesverbands deutscher Banken in Hamburg-Nienstedten durch Einbringen von Buttersäure in die Lüftung beschädigt. Die Selbstbezichtigung ("linksunten.indymedia" vom 17.10.2016) kritisiert insbesondere das Vermögen des Geschädigten. Mit der Tat folge man einem "militanten Fahrplan bis zum G20 im Juli 2017". Das Schreiben endet mit der Parole: "...in Hamburg sagt mensch Tschüss!" * Am 26. November 2016 setzten gut 30 vermummte Personen im Bereich der Messehallen Müllcontainer und andere Gegenstände auf der Karolinenstraße in Brand und beschädigten weite Bereiche der Glasfront. Im gesamten Tatortbereich brachten sie Krähenfüße auf der Fahrbahn aus. Die Selbstbezichtigung auf "linksunten" vom 27. November 2016 ruft zu "internationalen, grenzenlosen Momenten des Widerstands im April 2017" auf. Das Schreiben endet mit den Worten: "Troublemakers of the world save the date: 7.7./8.7.2017 dem G20 in Hamburg Tschüs sagen". * Am 5. Dezember 2016 bewarfen Unbekannte in Hamburg-Eimsbüttel die Fassade des Wohnhauses des außenpolitischen Sprechers und stellvertretenden Sprechers der Parlamentarischen Linken der 92 Linksextremismus SPD-Bundestagsfraktion mit Farbbeuteln. Ein am selben Tag auf "linksunten.indymedia" veröffentlichtes Schreiben mit dem Titel "OSZE Außenministertagung und G20 Gipfel angreifen" begründet die Tat mit der durch "Kriegseinsätze" geprägten Außenpolitik der SPD und schließt ebenfalls mit "In Hamburg sagt man tschüs". Weitere Sachbeschädigungen, die mit dem G20-Gipfel begründet wurden, verdeutlichen die überregionale Bedeutung der Veranstaltung für die autonome Szene. Insgesamt enden die Bekennungen zu fünf Taten in Hamburg, Leipzig, Berlin, Frankfurt/Main und Bremen mit dem Motto: "In Hamburg sagt man (mensch) Tschüss!". Darüber hinaus enthielten die Bekennungen zu den Anschlägen auf die Reederei Cosco, auf die Hamburg-Messe sowie auf den Pkw eines Polizeibeamten in Berlin den von Linksextremisten im Kontext von G20 seit 2016 häufiger benutzten Begriff "Troublemaker(s)" ("Unruhestifter"). 5. Gewaltorientierte Linksextremisten Das Gesamtpotenzial gewaltorientierter Linksextremisten liegt in Hamburg im Jahr 2016 bei rund 650 Personen (2015: 620). Hierzu zählen Autonome (einschließlich sogenannter "postautonome" Gruppen wie der "Interventionistische Linken", 5.1.1 und 5.1.2), Antiimperialisten und Anarchisten ( 5.1.3. und 5.1.4). Autonome agieren undogmatisch und organisationskritisch, weshalb sie formelle Hierarchien und Organisationsstrukturen ablehnen. Von dieser Organisationsfeindlichkeit klassischer Autonomer grenzen sich postautonome Gruppen ab. Sie arbeiten auch mit weniger dogmatischen, teils antiimperialistisch geprägten Gruppen wie dem "Projekt revolutionäre Perspektive" (PRP) zusammen. Durch ihr gemeinsames Streben nach "Freiräumen" weisen Autonome und Anarchisten eine gegenseitige ideologische Nähe auf. Antiimperialisten orientieren sich im Gegensatz dazu an einem in Teilen äußerst dogmatischen Marxismus-Leninismus. Zum zentralen Teil der Agitation antiimperialistischer Gruppen gehört die Solidaritätsarbeit für internationalistische "Befreiungsbewegungen", wie sich auch (links)terroristische Gruppierungen häufig selbst bezeichnen. Insbesondere aus der unterschiedlichen Positionierung im Nahost-Konflikt resultiert ein ständiges Konfliktthema zwischen diesen Strömungen. 93 Linksextremismus 5.1 Gruppen und Strukturen 5.1.1 Autonome Szene Autonome sind gewaltorientierte Linksextremisten ohne einheitliches ideologisches Weltbild. Ihr politischer Kampf richtet sich gegen die bestehende politische und gesellschaftliche Ordnung. Den Kapitalismus lehnen sie als angebliche Ursache aller gesellschaftlichen Missstände ab und streben eine herrschaftsfreie Gesellschaft an - ohne autoritäre und hierarchische Strukturen des Staates und seiner Einrichtungen, insbesondere seiner "Repressionsorgane", also der Polizei, Justiz und Nachrichtendienste. Ideologisch lehnen sich Autonome an Grundfragmente des Anarchismus, aber auch des Kommunismus an und vermengen diese. Das Spektrum ihrer demokratiefeindlichen Aktivitäten reicht, je nach Anlass, vom Verfassen politischer Papiere über gewalttätige Aktionen im Rahmen von Demonstrationen bis hin zu Sachbeschädigungen und Brandstiftungen. Die wichtigsten Agitationsfelder sind nach wie vor Antifaschismus ( 5.2.2), Antirepression ( 5.2.1), Antimilitarismus, Antirassismus, Antiglobalisierung und Antiimperialismus ( 5.1.3). Grundsätzlich lehnen Autonome eine feste Organisation oder Struktur ab. Sie sind weder parteipolitisch noch sonst formal organisiert, sondern zumeist in kurzlebigen, kleinen Gruppen aktiv. Untereinander bestehen lose, ständiger Fluktuation unterworfene Verbindungen und Netzwerke, die sich häufig aus ihrer anlassund aktionsbezogenen Handlungsweise ergeben. Um ihre anarchistischen Ideen auszuleben, schaffen sich Autonome sogenannte "Freiräume", in denen sie versuchen, eine "befreite Gesellschaft" vorwegzunehmen. Die "Rote Flora" gilt seit Jahren bundesund europaweit als Symbol hierfür. Gewalt wird von Autonomen als legitimes Mittel zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele betrachtet. Vor allem bei Demonstrationen richtet sich die Militanz der Autonomen häufig gegen Polizisten als Vertreter des Staates. Gewalt ist auch in der Auseinandersetzung mit Rechtsextremisten legitim. Der Grundkonsens der Szene, nach dem Angriffe auf die körperliche Unversehrtheit nicht vermittelbar sind, gilt in Bezug auf Polizeibeamte und Rechtsextremisten nur bedingt. 94 Linksextremismus Rote Flora Die "Rote Flora" ist seit 1989 der bedeutendste politische Treffund Veranstaltungsort der autonomen Szene in Hamburg. Sie ist im Oktober 2014 im Auftrag einer für die Freie und Hansestadt Hamburg arbeitenden Stiftung treuhänderisch zurückgekauft worden. Die "Rote Flora", aufgenommen Ende Mai 2016: Seit mehr als 25 Jahren ist das Gebäude am Schulterblatt das Zentrum der autonomen Szene in Hamburg. Die autonome Szene ist Teil des gewaltbereiten linksextremistischen Spektrums Im Jahr 2015 wurden umfangreiche Renovierungsund Umbaumaßnahmen vollzogen. Seitdem ist festzustellen, dass die Räumlichkeiten von unterschiedlichsten Gruppierungen, auch der linksextremistischen Szene, verstärkt genutzt werden. Alle zwei Monate erscheint die von Autonomen aus dem Umfeld der Roten Flora herausgegebene Szenezeitschrift "Zeck". Sie dient Szeneangehörigen als öffentliche Diskussionsplattform und zur Veröffentlichung von Terminen und Demonstrationsaufrufen. Darüber hinaus werden Selbstbezichtigungsschreiben zu Brandstiftungen und Sachbeschädigungen dokumentiert. 95 Linksextremismus So wurde in der Ausgabe der Zeck Nr. 191 (März/April 2016) auf der Titelseite eine bebilderte Anleitung abgedruckt, die inhaltlich auf den sogenannten "Breite-Straße-Prozess" ( 5.2.1) eingeht. Vier Skizzen zeigen, wie ein Waschbecken aus seiner Arretierung gelöst werden kann. Dies ist als Anspielung auf einen Polizeieinsatz im Zuge der Besetzung eines Hauses an der Breiten Straße zu verstehen, bei dem Waschbeckenteile und andere schwere Gegenstände auf Polizeibeamte geworfen wurden. Ein Schwerpunktthema der autonomen Szene um die Rote Flora sind Überlegungen, in welcher Form sie den Protest gegen den G20-Gipfel im Juli 2017 gestalten kann. Um die Mobilisierung zu planen, lud die seit 2010 in verschiedenen Themenfeldern aktive Kampagne "Flora bleibt unverträglich" für den 27. Oktober 2016 zu einer Vollversammlung unter dem Motto: "Den Gipfel auf die Straße setzen!" ein. Bei den gut 150 Teilnehmern handelte es sich überwiegend um Szeneangehörige. Insbesondere wurde auf die zu erwartenden Polizeimaßnahmen und die einzurichtenden Sperrzonen eingegangen. Die OSZE-Veranstaltung im Dezember 2016 wurde als eine Art Testlauf im Hinblick auf G20Proteste verstanden. Geplant ist, die Rote Flora und das Centro Sociale im Juli 2017 als Info-Zentrum zu betreiben. Den Veranstaltungsort Hamburg sahen viele als Provokation - andere waren der Auffassung, dass die Proteste im Szeneviertel einer Großstadt leichter durchzuführen seien als in abgeschiedenen ländlichen Gebieten. Konkrete Vereinbarungen wurden bis Redaktionsschluss des Verfassungsschutzberichts nicht getroffen. Ebenfalls von "Flora bleibt unverträglich" wurde am 1. Dezember 2016 ein Artikel mit dem Tenor "[HH-NoG20] Schluss mit dem Konsens: Für Differenzkultur und radikale Antworten gegen den Wettbewerb der Elendsverwaltung" publiziert. Mit Blick auf den G20-Gipfel werden mögliche Zielsetzungen und Perspektiven autonomer und unabhängiger Mobilisierungen gegen den G20-Gipfel diskutiert. Es sei notwendig, "Ideen radikaler Gesellschaftveränderungen sichtbar zu machen". Es "gelte, Brüche, Differenzen und Streitkultur aufzuzeigen". Denn "G20-Proteste - vor allem Anti-TRUMP, Anti-Erdogan oder Anti-PUTIN - werden ihre Wirkung verfehlen, da sie keine wirklichen Umbrüche herbeiführen und keine nachhaltigen Effekte beinhalten". Statt "Selbstdomestizierungen im politischen Konsens" würden "Revolten und Revolutionen" benötigt. Daran messe 96 Linksextremismus sich der Erfolg der Proteste gegen den G20-Gipfel. Hiermit grenzt sich die autonome Szene inhaltlich von breiten Konsensveranstaltungen wie der "Interventionistischen Linken" ( 5.1.2) ab. Zahlreiche seit Mai 2016 bundesweit verübte Sachbeschädigungen im Kontext des G20-Gipfels lassen aufgrund der Bekennerschreiben auf Täter aus der autonomen Szene schließen. Dies gilt auch für den Angriff auf die Firma COSCO am 8. September 2016 sowie den Buttersäureanschlag am 17. Oktober 2016 auf das Fahrzeug des Präsidenten des Bundesverbandes deutscher Banken ( 4.). Unter dem Motto "Welcome to hell" wurde am 23. Dezember 2016 ein mutmaßlich aus dem Umfeld der "Roten Flora" verfasster Beitrag veröffentlicht. Demzufolge sei eine eigene Mobilisierung zu G20 geplant. Der Beitrag schließt mit den Worten: "Im Gegensatz zur bürgerlichen Opposition werden wir den Herrschenden keine Alternativen vorschlagen, um das kapitalistische System am Leben zu erhalten [...] wir werden selbst bestimmen, welche Aktionsformen für uns politisch angemessen und vermittelbar sind". Ferner wird auf die "Internationale Antikapitalistische Demonstration der radikalen Linken am Donnerstag, den 6. Juli 2017" verwiesen, die von einem "Bündnis gegen den G20" unter dem Tenor "Für eine solidarische Welt - gegen den G20-Gipfel in Hamburg!" von einem Protagonisten der Roten Flora angemeldet wurde. 5.1.2 Postautonome Gruppen Postautonome sind aus den seit Beginn der 1990er Jahre geführten Militanzund Organisationsdebatten innerhalb der zersplitterten und in Teilen zerstrittenen linksextremistischen Szene entstanden. Sie kritisieren insbesondere die Theoriefeindlichkeit der Autonomen und ihre mangelnde Strategie und Unorganisiertheit. Postautonome verfolgen eine langfristige Politik der kleinen Schritte und streben eine Revolution in Form einer Transformation des bestehenden gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und politischen Systems an. Die Überwindung der parlamentarischen Demokratie soll über einen "dialektischen Bewusstseinsund Lernprozess, der sich in verschiedensten sozialen Kämpfen in der 97 Linksextremismus kapitalistischen Gesellschaft entwickeln muss" gelingen (Website der Gruppe FelS). Im Gegensatz zu Autonomen schließen sie sich dafür langfristiger in Organisationen zusammen. Über gezielte Bündnisarbeit mit Nicht-Extremisten gewährleisten sie die Anschlussfähigkeit linksextremistischer Agitation über linksextremistische Strukturen hinaus. Interventionistische Linke Hamburg In Hamburg werden Postautonome durch die "Interventionistische Linke Hamburg" (IL-HH) repräsentiert. Diese wurde im Zuge der Auflösung der Hamburger Ortsgruppe "AVANTI - Projekt undogmatische Linke" im Jahr 2014 gebildet. AVANTI unterhielt Ortsgruppen in Berlin, Bremen, Hamburg, Hannover, Kiel, Lübeck und Norderstedt. Die Interventionistische Linke (IL), in der sich die Ortsgruppen von AVANTI seit mehreren Jahren engagierten, ist eine "Organisierung der undogmatischen radikalen Linken Logo am 2. Mai 2016 auf der Internetseite und in fast 30 Städten aktiv. Mit "Interventionistische Linke Hamburg" dem strategischen Konsens "Wir wollen eine neue, radikale Linke, die um politische Hegemonie ringt und Gegenmacht organisiert" führte die IL seit 2010 eine intensive Organisierungsdebatte und veröffentlichte hierzu 2014 ein "Zwischenstandspapier". Dieses wurde von allen dem Netzwerk angeschlossenen Gruppierungen, auch von AVANTI, mitgetragen. AVANTI erklärte im September 2014, dass die Hamburger Ortsgruppe ab sofort eine lokale Gruppe des überregionalen Zusammenschlusses "Interventionistische Linke" (IL) sei. Seit 2015 tritt die Gruppe ausschließlich als IL Hamburg auf. Die IL beabsichtigt, die Handlungsfähigkeit und die Wahrnehmbarkeit der "radikalen Linken" in der Bundesrepublik Deutschland flächendeckend zu verbessern und gesellschaftlich zu etablieren. Sie stellte fest: "Um den Weg zu einer befreiten Gesellschaft freizumachen, braucht es die Abschaffung des Privateigentums an Produktionsmitteln und der Kapitalverwertung, auf denen die ökonomische Macht basiert, 98 Linksextremismus und die Überwindung des bürgerlichen Staatsapparates als Garant dieser Eigentumsordnung." Der politische Spagat der Organisation, die den Schulterschluss mit gewaltorientierten Linksextremisten ebenso benötigt wie die Anschlussfähigkeit für nicht-extremistische Gruppierungen, zeigte sich unter anderem im Januar 2015. Via Twitter distanzierte sich die IL ausdrücklich von der Einschätzung Berliner Linksextremisten, sie sei eine "gemäßigt auftretende" Organisation, und bezeichnete sich selbst als "militant". Die IL setzt auf offensiven Widerstand und erklärt hierzu im Zwischenstandspapier: "Wir wollen mit möglichst vielen Menschen Aktionen machen, die radikalisieren und ermutigen. Dazu ist es notwendig, für widerständige und grenzüberschreitende Aktionen Legitimität nach außen und Transparenz nach innen herzustellen. Die Aktionsvereinbarungen, die beschreiben, wie wir gemeinsam handeln und auf Eskalationsversuche der Staatsmacht reagieren wollen, dienen der Transparenz für die Aktivist_innen und der Ermutigung zum Widerstand." Weiterhin äußert sich die IL zum Einsatz von revolutionärer Gewalt: "Die Überwindung des Kapitalismus ist letztlich eine Machtfrage und wir wissen, dass die Gegenseite ihre Macht mit allen Mitteln verteidigen wird. Zugespitzte gesellschaftliche Bedingungen werden daher auch veränderte Aktionsund Kampfformen benötigen." Strategisch setzt die IL auf Bündnispolitik mit anderen linksextremistischen und nicht-extremistischen Gruppierungen: "In diesen strategischen Bündnissen treten wir ein für eine Politik des Bruchs mit dem Kapitalismus und der radikalisierenden Selbstermächtigung in der Aktion. [...] Von diesen strategischen Bündnissen noch einmal zu unterscheiden sind Aktionsbündnisse wie [...] gegen Naziaufmärsche, die [...] weit ins bürgerliche Lager hineinreichen können. Hier ist nicht im gleichen Maße von einem grundsätzlichen Vertrauen und einer langfristigen Partnerschaft auszugehen." 99 Linksextremismus Zu den Schwerpunkten der IL gehörte 2016 die Flüchtlingsthematik, insbesondere die Proteste zum sogenannten "Aktionswochenende gegen Austerität und Rassismus" vom 2. bis 4. September 2016 in Berlin. Außerdem war die IL 2016 maßgeblich in die gegen Unternehmen der Energiebranche gerichtete Kampagne "Ende Gelände" involviert, in welcher das bis weit ins bürgerliche Spektrum anschlussfähige Thema "Klimawandel" für die eigene Agitation gegen das "kapitalistische System" instrumentalisiert wird. Die IL brachte sich ferner in die im Jahr 2016 beginnende Mobilisierung gegen den G20 Gipfel in Hamburg ein und intensivierte dieses Engagement im Frühjahr 2017. Einige Aktionen der verschiedenen Aktionsfelder, welche die IL Hamburg maßgeblich organisiert oder an denen sie beteiligt war, werden im Folgenden aufgeführt: Die IL Hamburg verband im Jahr 2016 nach eigenem Bekunden Solidarität mit den "Flüchtlingen" mit dem Kampf gegen die "herrschende Klasse". Ihrem Internetaufruf "Blankenese Chainsaw Massacre: Flüchtlingssolidarität bleibt Handarbeit" folgend, beteiligten sich rund 100 Personen an einer friedlichen Kundgebung am 7. April 2016 in Blankenese. Dort sollte eine Flüchtlingsunterkunft entstehen. Das Projekt wurde nicht realisiert, da notwendige Baumfällarbeiten auf der vorgesehenen Fläche durch die Intervention von Anwohnern gerichtlich gestoppt wurden. IL Hamburg rief "alle solidarischen Menschen dazu auf, überall dort Platz für Flüchtlingsunterkünfte zu schaffen, wo sich Wohlstandchauvinismus und Rassismus Bahn brechen." Das von der IL und weiteren linksextremistischen Zusammenschlüssen unterstützte Hamburger Bündnis "Recht auf Stadt - Never mind the Papers" rief zu Demonstrationen am 14. Mai 2016 mit dem Tenor "Für eine Stadt des Ankommens und Bleibens! Migration is a right! Deportation is a crime!" und 22. Oktober 2016 mit dem Tenor "Keine Abschiebung nach Afghanistan" auf. Vom 2. bis 4. September 2016 fanden in Berlin "Aktionstage gegen Austerität und Rassismus" statt, zu denen unter anderem die IL aufrief. In ihrem Aufruf hieß es: "...laden wir Alle nach Berlin ein, um diese Aufbrüche, von denen wir ein Teil sind, bundesweit und europäisch sichtbar zu machen [...] um die Kämpfe zu verbinden." Im Mittelpunkt der Proteste standen am 2. September 2016 eine Blockade des Bundesministeriums 100 Linksextremismus für Arbeit und Soziales und am 3. September 2016 die Beteiligung innerhalb der Demonstration "Aufstehen gegen Rassismus" an einem Block extremistischer und nicht-extremistischer Gruppen unter dem Motto "Grenzenlos feministisch - Grenzenlos solidarisch - Grenzenlos antikapitalistisch". Am 2. September 2016 wurden die angekündigte Blockade mit rund 700 Personen sowie zwei weitere Kundgebungen und zahlreiche Aktionen in Berlin durchgeführt. Im Laufe des Tages kam es an den verschiedenen Veranstaltungen zu diversen Auseinandersetzungen mit Polizeibeamten und in der Folge zu 52 Festnahmen. An der Demonstration am 3. September 2016 beteiligten sich circa 2.500 Personen. Am Rande der überwiegend friedlichen Versammlung kam es zu einzelnen Zwischenfällen, bei denen Pyrotechnik gezündet und Wahlplakate mit Farbe übersprüht wurden. Insgesamt wurden 20 Personen festgenommen und 20 Strafermittlungsverfahren eingeleitet, davon vier wegen des Verstoßes gegen das Sprengstoffgesetz. Zu den Protesten gegen den von Rechtsextremisten organisierten sogenannten "Tag der Deutschen Zukunft" (TddZ, V.5.1) am 4. Juni 2016 in Dortmund mobilisierte die IL Hamburg via Twitter und wies auf eine in Hamburg stattfindende Mobilisierungsveranstaltung am 4. Mai 2016 hin. Die Mitarbeit im von mehreren gewaltorientierten linksextremistischen Gruppierungen getragenen "Rise Up!"-Bündnis setzte die IL Hamburg auch im Jahr 2016 fort. Der im Kern im Jahr 2013 aus den Hamburger linksextremistischen Gruppierungen IL Hamburg und dem "Projekt Revolutionäre Perspektive" (PRP, 5.1.3) gebildete Zusammenschluss wurde 2016 durch die Gruppe "SPOLEK", die sich selbst als "Linke Politische Organisation" beschreibt, ergänzt. "Rise Up!" versteht sich als "spektrenübergreifendes Bündnis", das klassenkämpferische und antikapitalistische Positionen vertritt und in seinem Selbstverständnis betont: "Der Kapitalismus kann nicht durch Reformen überwunden werden, sondern nur durch den Bruch mit den bestehenden Herrschaftsund Eigentumsverhältnissen." Zum vierten Mal in Folge rief "Rise Up!" mit dem Motto "1. Mai 2016: United we fight - Solidarität statt Konkurrenz" auf, sich dem klassenkämp101 Linksextremismus ferischen und antikapitalistischen Block während der Demonstration des "Deutschen Gewerkschaftsbundes" (DGB) am 1. Mai 2016 in Hamburg anzuschließen. An der DGB-Demonstration nahmen etwa 6.200 Personen teil. Am Aufzugsende befand sich ein Block mit rund 1.000 Teilnehmern aus linken und linksextremistischen Gruppierungen, darunter gut 100 Linksextremisten. Es wurde vereinzelt Pyrotechnik entzündet. Insgesamt verlief der Aufzug störungsfrei. Unter dem Motto "Ende Gelände! Kohle Stoppen - Klima schützen" startete die Kampagne "Ende Gelände" vom 13. bis 15. Mai 2016 Protestaktionen gegen das Braunkohlerevier Lausitz. Den Aufruf zu dieser Aktion unterstützten auch Hamburger Linkextremisten, darunter das "Anti-Atom-Büro Hamburg" und das Bündnis "Gegenstrom Hamburg", dem neben nicht-extremistischen Gruppen und Organisationen auch Personen aus den linksextremistischen Gruppierungen "SAND" und ILHH angehören. Die IL kündigte in einem eigenem Aufruf an: "Mit vielen Hundert Menschen werden wir in einer Massenaktion zivilen Ungehorsams den Braunkohle-Abbau in der Lausitz lahmlegen." In diversen Städten wurden hierzu Mobilisierungsveranstaltungen durchgeführt, fünf davon in Hamburg. Die Aktion ist ein weiteres Beispiel für die strategische Bündnispolitik vor dem Hintergrund einer gesellschaftlich bedeutenden Thematik (Umweltschutz, Klimawandel). Zu den Protesten reisten gut 2.000 Personen an, darunter zahlreiche Linksextremisten. Im Verlauf der Aktionstage drangen wiederholt mehrere hundert Personen in den Tagebau ein, besetzten Gleisanlagen sowie Bagger und stürmten das Gelände des Kraftwerks "Schwarze Pumpe". Insgesamt wurden rund 120 Personen vorläufig festgenommen und gut 200 Ermittlungsverfahren eingeleitet. Die IL bewertete die Protestaktionen als Erfolg für die Klimabewegung, "nicht nur aufgrund der unglaublich zahlreichen aktionsbereiten Menschen, sondern auch aufgrund der erreichten Drosselung des Kraftwerks und der kompletten Stilllegung der Kohleförderung für mehrere Tage." Zur Planung der Proteste gegen den G20-Gipfel im Juli 2017 luden die IL-HH, Projekt Revolutionäre Perspektive (PRP) und andere linksextremistische und nicht-extremistische Organisationen und Gruppierungen aus Hamburg vom 3. bis 4. Dezember 2016 zu einer Aktionskonferenz ein. Aus dem Einladungstext ging hervor, dass in vielen "Gruppen und 102 Linksextremismus Spektren" Überlegungen, wie die notwendigen Proteste und Aktionen gegen den G20-Gipfel organisiert werden könnten, bereits begonnen hätten. Themen wie Recht auf Stadt, Klimapolitik, Flucht, Migration oder Kapitalismus als Ganzes seien Ansatzpunkte für Proteste. "Es gibt Ideen von einem Gegengipfel einer Großdemonstration, von ungehorsamen Aktionen rund um den Tagungsort oder in der ganzen Stadt." An der Aktionskonferenz beteiligten sich gut 500 Teilnehmer aus ganz Deutschland und Europa. Im Ergebnis wird eine "Vielfalt von Aktionen" in einem "gemeinsamen Rahmen" angestrebt. Militante Aktionen wurden dabei nicht ausgeschlossen. Insbesondere mit der Aktionskonferenz hat sich die IL in den beginnenden Planungen des G20-Protests zentral positioniert. Sie strebt auf diese Weise erneut an, eine Scharnierfunktion zwischen unterschiedlichen Protestlagern extremistischer und nicht-extremisAnkündigung der Aktionskonferenz tischer Gruppen zu übernehmen. 5.1.3 Antiimperialistische Gruppen Das politische Grundgerüst antiimperialistischer Gruppen beruht auf Kernelementen des Marxismus-Leninismus. Diese verbinden sie mit dem Vorwurf, der Reichtum der Industrienationen stütze sich auf die ökonomische Ausbeutung von Ressourcen in den Entwicklungsländern und werde militärisch gesichert. Sie agitieren daher überwiegend gegen global tätige Konzerne sowie nationale und internationale Institutionen. Das Gewaltmonopol des Staates lehnen sie ab und reklamieren für sich zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele ein Recht auf Widerstand gegen das "System", welches auch gewalttätige Aktionen einschließt. Von Autonomen grenzen sie sich aufgrund größerer ideologischer Differenzen ab und haben mit ihnen wenig strukturelle Berührungspunkte. Die antiimperialistische Szene Hamburgs verzeichnet seit mehreren Jahren deutliche Zuläufe und gesteigerte Aktivitäten Dies gilt insbesondere für den gewaltorientierten "Roten Aufbau Hamburg" (RAH), der inzwischen über etwa 60 Anhänger verfügt. Ein Großteil der gut 110 Ham103 Linksextremismus burger Antiimperialisten trifft sich regelmäßig im "Internationalen Zentrum" an der Brigittenstraße 5 (B5). Die dort ansässigen Gruppen solidarisieren sich auch mit terroristischen Gruppierungen und deren politischen Ablegern in Indien, Peru und den kurdischen Autonomiegebieten. Die kriegerischen Auseinandersetzungen in der Ostukraine sind ebenfalls Thema von Veranstaltungen und Demonstrationen. Antiimperialistische Gruppen fordern weiterhin die Gründung einer neuen kommunistischen Partei in Deutschland. Zu den antiimperialistischen Gruppen in Hamburg gehören, bei personellen Überschneidungen, der "Rote Aufbau Hamburg" (RAH), die "Sozialistische Linke" (SoL), der "Revolutionäre Aufbau Waterkant" (RAW), das "Bündnis gegen imperialistische Aggression" (BgiA), das "Netzwerk Freiheit für alle politischen Gefangenen" (Netzwerk) und der "Verein der Neuen Demokratie" (VND). Roter Aufbau Hamburg Der "Rote Aufbau Hamburg" (RAH, ehemals Rote Szene Hamburg) hatte 2015 nach internen Streitigkeiten das "Internationale Zentrum" verlassen und sich umbenannt. Der Das "Internationale Zentrum" an der führende Aktivist dieser gewaltBrigittenstraße 5 (B5), Bild von Ende April orientierten Gruppierung ist Halil 2017 S., der auch unter dem Pseudonym "Deniz Ergün" in der Öffentlichkeit als Sprecher auftritt. Ein wichtiges Thema für den RAH ist das G20-Treffen. Als erste Gruppe aus dem linksextremistischen Lager äußerte sich der RAH am 26. Januar 2016 auf seiner Facebookseite hierzu: 104 Linksextremismus "Wir werden mit unserem Hass auf dieses System mehr sein als eine Randnotiz. Wenn sich die Bonzen in Anzügen in Hamburg treffen wollen, dann kommen wir in Adiletten und sprengen ihr Klassentreffen!" Am 26. März 2016 beteiligte sich der RAH mit einem eigenen Stand am Schanzenfest. Die gemeinsam mit der Gruppe "Radikale Linke Berlin" (RLB) verfasste Broschüre: "Grenzenloser Widerstand. Gegen Logo auf der Internetseite des "Roter Aufbau Krieg und Kapital. Für die soziale Hamburg" am 2. Mai 2016 Revolution" vom 7. April 2016 enthält die Forderung: "Es wird also Zeit, dass wir den Kampf gegen ihren Sicherheitsapparat und Überwachungsstaat als Teil des Klassenkampfes verstehen und führen." Zusammen mit dem Bündnis "Revolutionäre Linke Hamburg" (RLH) veröffentlichte die Gruppe den Beitrag: "Klasse gegen Klasse - Heraus zur revolutionären 1. Mai-Demonstration 2016!". Darin heißt es: "Nur ein revolutionärer Bruch mit dem Kapitalismus...bietet die Möglichkeit, eine andere Gesellschaft aufzubauen..." Am 9. Mai 2016 schrieb RAH auf seiner Facebookseite anlässlich des 40. Todestages der RAF-Terroristin Ulrike Meinhof: "Wir verneigen uns vor einer Intellektuellen...". Anlässlich des Streiks zu Beginn der Fußball-WM in Frankreich verkündete der RAH: "Die aktuellen Streiks und Demonstrationen in Frankreich lassen unsere Herzen höher schlagen als jedes deutsche Tor während der WM...". Der Artikel endet mit: "...unser Klassenhass ist grenzenlos!" Die olympischen Spiele 2016 in Rio kommentierte der RAH in einem Artikel vom 9. August 2016 mit der Bemerkung: "Eines Tages wendet sich das Blatt...Friede den Hütten, Krieg den Palästen!" Anlässlich einer nicht-extremistischen Großdemonstration gegen die Handelsabkommen TTIP und CETA am 17. September 2016 in Hamburg schrieb der RAH: "Lassen wir das Kapital dieser Welt vor uns erzittern! Bringen wir eine revolutionäre Bewegung auf die Straße, die es vermag für ihre Rechte zu kämpfen." Der RAH bot am 12. November 2016 gemeinsam mit der "Marxistischen Abendschule MASCH e.V." ( 6.3) mehrere Tagesseminare zum Thema 105 Linksextremismus Marxismus an. Die Veranstaltungsreihe fand im "Marxistischen Bildungszentrum" ("mabiz") in Altona statt, reicht bis ins Jahr 2017 hinein und soll der theoretischen Grundlagenbildung dienen. Angehörige des RAH bilden auch die Vorstände in den Vereinen "Internationale Gruppe e.V.", "Klassenkultur e.V." und "Junges Hamburg e.V.". Die Einstellung des RAH zu politischer Gewaltanwendung wird unter anderem in einem Beitrag vom 1. Dezember 2016 deutlich. Darin teilte der RAH einen Facebook-Beitrag, in dem sich die PKK-nahe "Apoistische Jugendinitiative Hamburg" zu einem Angriff mit Molotow-Cocktails auf ein Gebäude zweier türkischer Vereine in Hamburg bekannte. Am 3. Dezember 2016 erschien in der taz unter dem Titel "Wut auf diesen Staat" ein Interview mit zwei Protagonisten des RAH. Darin erklärten diese den Brandanschlag auf die Hamburger Messehallen am 26. November 2016 ( 4.) als "legitimen Widerstand". Ferner betonten sie: "Strafrechtsnormen und Grenzen des Staates sind für uns sekundär." Das herausragende Ereignis für den RAH war die "Revolutionäre 1. Mai-Demonstration 2016" in Verbindung mit dem am 30. April 2016 erneut durchgeführten HipHop-Konzert unter dem Tenor: "Klassenfest gegen Staat und Kapital" am Bahnhof Sternschanze. An der zum Teil gewalttätig verlaufenen Veranstaltung nahmen gut 800 Personen teil. Während der Veranstaltung war unter anderem folgender Redebeitrag zu hören: "Mit uns gibt es Molotowcocktails statt Sektempfang! Wenn der G20 nach Hamburg kommt, brennt die ganze Stadt!" An dem Aufzug "Klasse gegen Klasse - Heraus zum revolutionären 1. Mai!" am 1. Mai 2016, zu dem das Bündnis "Revolutionäre Linke Hamburg" (RLH) und der RAH aufgerufen hatten, nahmen rund 2.000 Personen teil. Nach diversen Flaschenund Böllerwürfen auf Einsatzkräfte der Polizei, Abbrennen von Pyrotechnik und Wasserwerfer-Einsätzen wurde die Demonstration auf der Fruchtallee vorzeitig aufgelöst. Daraufhin kam es im Bereich Schulterblatt zu weiteren Auseinandersetzungen mit der Polizei, die sich bis in die Nacht hineinzogen. Im Anschluss an die Demonstration versuchte sich die RLH zu rechtfertigen: "Die Eskalation ging nicht von uns aus und wir missbilligen die absolut unverhältnismäßigen und brutalen Prügel-Attacken auf unsere 106 Linksextremismus Demonstration." Auch der RAH ging in seinem Kommentar nicht auf die Straftaten im Kontext der Demonstration ein, sondern sagte der freiheitlichen demokratischen Grundordnung einmal mehr den Kampf an: "Die Cops haben mal wieder gezeigt, was sie von der Versammlungsfreiheit halten und einen kleinen Einblick auf ihr Verhalten nächstes Jahr beim G20 gezeigt. Pferdestaffeln, Wasserwerfer, Pfefferspray und prügelnde Bullen werden uns auch künftig begegnen, denn die Schoßhunde der Bonzen beschützen dieses System, welches wir dem Kampf angesagt haben!" Sozialistische Linke Hamburg (SoL) Die SoL orientiert sich an den klassischen Theoretikern des Marxismus-Leninismus und hat in den vergangenen Jahren deutliche Bezüge zum Maoismus entwickelt. Sie veranstaltete zumindest noch bis Anfang 2016 regelmäßig ihr SoL-Cafe im "Internationalen Zentrum B5". In diesem Rahmen unterstützt sie auch Veranstaltungen des "Netzwerkes für alle politischen Gefangenen". Revolutionärer Aufbau Waterkant (RAW) Der RAW nutzt die Räumlichkeiten des "Internationalen Zentrums B5" seit Mitte Juli 2016. Seit Februar 2016 betreibt der RAW eine Facebookseite und bezeichnet sich darin als "Kommunistische Gruppe in und um Hamburg". Seit ihrem Einzug in die B5 macht sich der RAW auch dortige inhaltliche Positionen zu eigen. So führt der RAW Logo von "Revolutionärer in einem Artikel vom 26. September 2016 aus: Aufbau Waterkant" "Wer sich nicht zur Aktionsform des Krieges als Notwendigkeit der Revolution bekennt, bekennt sich nicht zum politischen Klassenkampf." Der RAW bietet seit Sommer 2016 regelmäßige Diskussionsveranstaltungen zu verschiedenen Themen unter anderem in den Räumen der B5 an, punktuell auch überregional in verschiedenen norddeutschen Städten. In dem Artikel "Einfach mal Stalin lesen" auf seiner Facebookseite vom 22. Dezember 2016 propagiert der RAW den Aufbau der "Kommunistischen Partei Deutschlands". 107 Linksextremismus Verein Neue Demokratie (VND) Ein weiterer antiimperalistischer Verein, der die Räumlichkeiten des "Internationalen Zentrums B5" nutzt, ist der "Verein Neue Demokratie" (VND). Er bezieht sich auf die Kommunistische Partei Perus und steht ihr und der terroristischen Organisation "Sendero Luminoso" ("Leuchtender Pfad") ideologisch nahe. Auf der Internetseite des VND ist ein Link zu dem Dokumentarfilm "People of the Shining Path" hinterlegt, der solidarisch über den Sendero Luminoso und seinen vorgeblichen "Volkskrieg in Peru" berichtet. Anlässlich der Wahlen am 10. April 2016 in Peru schreibt der VND: "Wahlen nein! Volkskrieg ja! Boykottiert die Wahlen! Dient der allgemeinen Reorganisation der Kommunistischen Partei Perus! Es lebe der Vorsitzende Gonzalo! Ruhm dem Marxismus-Leninismus!" Netzwerk Freiheit für alle politischen Gefangenen Das Netzwerk versteht sich als Initiative von Gruppen und Einzelpersonen, die die Solidarität mit "politischen Gefangenen" stärken, sich vernetzen und für die Freiheit der "politischen Gefangenen" kämpfen will. Gemeint sind vorwiegend verurteilte linksextremistische Straftäter, die aus politischer Motivation gehandelt haben. Das Netzwerk ist Herausgeber der Publikation "Gefangenen Info", die ursprünglich als Organ der Solidaritätsarbeit für inhaftierte Mitglieder der RAF entstanden war. Anlässlich des 40. Todestages der RAF-Terroristin Ulrike Meinhof veranstaltete das Netzwerk eine Gedenkveranstaltung in den Räumen der Universität Hamburg. Dabei wurde unter anderem auch die Solidarität "mit den weiterhin Verfolgten aus der RAF" hervorgehoben. Am 20. März 2016 veröffentlichte das Netzwerk eine Solidaritätserklärung an die drei wegen mehrerer bewaffneter Raubüberfälle (unter anderem auf Geldtransporter) gesuchten untergetauchten Ex-RAF-Terroristen Burkhard Garweg, Daniela Klette und Ernst-Volker Staub. Die Sympathie zur RAF zeigt sich zudem in einem Netzwerk-Artikel vom 5. Juni 2016. Darin heißt es: 108 Linksextremismus 2016 1988 2016 Fahndungsfotos des LKA Niedersachsen: Burkhard Garweg, Daniela Klette und Ernst-Volker Wilhelm Staub (von Links) "Die Sprengung der im Bau befindlichen JVA Weiterstadt ist eine der gelungensten Aktionen des militanten und bewaffneten Widerstandes in der BRD. Auch heute noch Vorbild und Inspiration für viele aktiv kämpfende Genoss*innen." In einem Artikel vom 20. Juli 2016 heißt es: "Hauptsächlich zu verurteilen sind das imperialistische System, das... Völkermordpolitik zum Prinzip... der deutsche Imperialismus...und die Mörder in Uniform, die unliebsame Menschen einfach abknallen". Am 21. Oktober 2016 veranstaltete das Netzwerk in Hamburg eine Demonstration zur Freilassung eines in Frankreich wegen Mordes inhaftierten Aktivisten. Bündnis gegen imperialistische Aggression (BgiA) Das BgiA beschreibt sich als Zusammenschluss "von Gruppen, Organisationen, Parteien und Einzelpersonen aus verschiedenen Ländern". Der "antiimperialistische und internationalistische Kampf" sei die gemeinsame Basis. Anfang April 2016 organisierte das BgiA anlässlich der "Internationalen Aktionswoche zur Unterstützung des Volkskrieges in Indien"verschiedene Veranstaltungen und Kundgebungen in Hamburg. An der "Revolutionären 1. Mai-Demonstration 2016" beteiligte sich das BgiA im Internationalistischen Block der DGB-Demonstration. In ihrem Internet109 Linksextremismus artikel zum 1. Mai heißt es: "Die internationale Arbeiterklasse und die Völker der Welt haben ein gemeinsames Interesse: die endgültige Beseitigung dieses parasitären Systems!" Am 5. August 2016 initiierte das BgiA eine Kundgebung gegen die olympischen Spiele in Rio de Janeiro vor dem brasilianischen Generalkonsulat unter dem Motto: "Nieder mit dem olympischen Massaker!" Das BgiA mobilisierte am 8. Dezember 2016 auch für die Demonstration "Gegen die OSZE-Konferenz in Hamburg!" des "Komitee gegen die OSZE". An dieser Veranstaltung nahmen etwa 1.300 Personen teil, darunter zahlreiche Linksextremisten. Projekt Revolutionäre Perspektive (PRP) Unter dem Titel "Zeit für etwas Neues..." veröffentlichte die im April 2009 gegründete antiimperialistische Gruppe "Projekt Revolutionäre Perspektive" (PRP) ihr Selbstverständnis. Sie beschreibt sich darin als ein Anfang 2009 gegründeter Zusammenschluss von Menschen aus verschiedenen Bereichen der (radikalen) Linken. Der Kapitalismus sei "...ein unerträglicher Zustand, ...ein von Menschen gemachtes System, dass auch von Menschen wieder abgeschafft werden kann!" Man habe sich organisiert und wolle "...mit praktischen Aktionen gesellschaftliche Widersprüche aufgreifen, für eine revolutionäre Perspektive eintreten und Alternativen zum gegenwärtigen kapitalistischen System aufzeigen." Nach ihrem Selbstverständnis "muss und sollte" die revolutionäre Linke Bündnisse auch mit reformistischen Kräften eingehen. Die Internetseite der Gruppe "Projekt Revolutionäre Perspektive" (PRP) 110 Linksextremismus Im April 2014 gründete sich die "Perspektive Kommunismus", um "der Zersplitterung der revolutionären Linken in der BRD entgegen zu wirken". PRP schloss sich dieser bundesweiten Organisation an, an der sich kommunistische Gruppen aus dem aktionsund gewaltorientierten Spektrum beteiligen. Das verbindende Ziel dieser Gruppen ist "der Aufbau des Sozialismus hin zu einer befreiten, einer kommunistischen klassenlosen Gesellschaft". In Hamburg ist PRP seit 2013 Teil des "Rise Up!"-Bündnisses ( 5.1.2). In ihrem Bericht über den "klassenkämpferischen und antikapitalistischen Block" unter dem Motto "United we fight - Solidarität statt Konkurrenz" auf der DGB Demonstration zum 1. Mai 2016 diskutiert PRP die strategische Bündnispolitik: "Ob die DGB-Demonstration der richtige Ort ist, um für eine kämpferische und antikapitalistische Praxis in Betrieb und Gewerkschaft zu streiten, wird in Zukunft weiterhin zu diskutieren sein. In jedem Fall bleibt es unser Ansatz, dort anzusetzen, wo sich Menschen bewegen, die selbst Kämpfe führen und nicht bereits Teil der radikalen Linken sind." Auch über Treffen mit autonomen Antifaschisten hinaus waren Antifa-Aktivitäten ein Schwerpunkt von PRP. Mit den Worten "Wir rufen...dazu auf, den Naziaufmarsch zu blockieren, stören und undurchführbar zu machen. [...] Keinen Fußbreit den Faschisten - smash rascism!" mobilisierte PRP auf seiner Homepage gegen eine Demonstration der NPD am 16. April 2016 nach Bad Oldesloe. Über soziale Medien mobilisierte PRP auch zur Teilnahme an weiteren Demonstrationen gegen "Naziaufmärsche" außerhalb Hamburgs ( 5.2.2). PRP setzte sein Engagement in der "Kurdistan-Solidarität" fort und trat als Unterstützer unter anderem der "Kurdistan-Aktionswoche" vom 22. bis 28. Februar 2016 und der Aktionswoche vom 1. bis 5. November 2016 zum "Welt-Kobane-Tag" in Hamburg auf. Im Artikel "Das Schweigen brechen: Kurdistan-Aktionswoche in Hamburg" äußerte PRP: "Bis heute unterstützt Deutschland mit dem PKK-Verbot und der Verfolgung linker türkischer Organisationen faktisch das immer autoritärer werdende Regime der Türkei". 111 Linksextremismus Darüber hinaus wies die Gruppe auf Termine des monatlich in der "Roten Flora" Hamburg stattfindenden "Antifa Enternasyonal Cafe" auf seiner Homepage hin. Inhaltlich wurden unter anderem Diskussionen und Vorträge zur Bewertung und Analyse der politischen Entwicklung und Situation in Rojava, Syrien und der Türkei angeboten. PRP beschreibt dieses Treffen als ein gemeinsames internationalistisches Cafe, gestaltet von Antifaschisten aus der deutschen und kurdischen Linken in Hamburg. Ziel sei es, als gruppenübergreifender Zusammenhang einen Anlaufpunkt zu bieten, sich zu vernetzen und gemeinsam antifaschistische und internationale Strategien zu diskutieren. Neben verschiedenen linksextremistischen und nicht-extremistischen Hamburger Gruppen lud auch PRP zur Aktionskonferenz gegen den G20-Gipfel vom 3. bis 4. Dezember 2016 in Hamburg ein ( 5.1.2). 5.1.4 Anarchisten Anarchisten streben nach einer selbstverwalteten Gesellschaft ohne Hierarchien und Herrschaft. Jede Art von Hierarchie bedeute "Unterdrückung von Freiheit" und wird von ihnen abgelehnt. Diese Grundüberzeugung ist das verbindende Element innerhalb der zersplitterten anarchistischen Szene in Hamburg, der wie im Vorjahr rund 50 Personen angehören. Die beständigste anarchistische Gruppe in Hamburg ist die Ortsgruppe der bundesweit aktiven "Freien ArbeiterInnen Union" (FAU), die sich im Libertären Kommunikationsund Aktionszentrum "Schwarze Katze" (LKA)" in Eimsbüttel trifft. Sie ist auf europäischer Ebene der "Freien Arbeiter-Union/Internationale Arbeiter-Assoziation" (FAU/IAA) angegliedert. Das selbstverwaltete "Libertäre Zentrum" (LIZ e. V.) im Karolinenviertel, welches vor Jahren noch als Treffpunkt traditioneller Anarchisten galt, wird auch von Angehörigen der autonomen Hamburger Szene als Veranstaltungsund Versammlungsort genutzt. Im Kontext des bevorstehenden G20-Gipfels im Juli 2017 in Hamburg wurde auf "linksunten.indymedia" am 26. August 2016 ein sogenannter "Anarchistischer Aufruf gegen das G20-Treffen in Hamburg" veröffentlicht. Darin riefen die lediglich als "@" auftretenden Verfasser insbesondere "zu einer Kampagne im Vorfeld auf - gegen jede Form von Herrschaft". 112 Linksextremismus Als Vorbild könne die "militante Kampagne gegen G8 in Heiligendamm 2007" dienen, in deren Rahmen bundesweit zwischen 2005 und 2007 zahlreiche linksextremistische Straftaten verübt wurden, zu denen sich militante Linksextremisten mit Selbstbezichtungsschreiben bekannten. Hinsichtlich möglicher Angriffsziele betont der Aufruf: "In Hamburg und in jedem Dorf sind unendlich viele Ziele zum Zerstören geeignet, wir sollten jetzt damit anfangen." Bis Anfang Mai 2017 wurden bundesweit bei durch Linksextremisten begangenen Straftaten mit OSZEbzw. G20-Bezug sechs Fälle bekannt, in denen "Anarchisten" ihre jeweiligen Taten in diesen Kontext stellten und in Bekennungen oder begleitenden Beiträgen begründeten. Diese Entwicklung von im G20-Vorfeld zunehmenden Veröffentlichungen militanter anarchistischer Gruppierungen ist auch in anderen Städten Deutschlands, insbesondere in Berlin, zu beobachten. Insofern kann - angesichts der Vorreiterrolle der linksextremistischen Szene dieser beiden Metropolen - auf eine im Vergleich zu früheren Jahren steigende Hinwendung zur Auseinandersetzung mit traditionell-anarchistischen Theorieelementen und dem Bemühen um eine entsprechende militante Praxis geschlossen werden. 5.1.5 Rote Hilfe (RH) Die Rote Hilfe (RH) wurde 1975 gegründet und bezeichnet sich als "parteiunabhängige, strömungs"Rote Hilfe e.V." im Internet übergreifende linke Schutzund Solidaritätsorganisation". Die RH gehört mit ihren bundesweit rund 8.000 Mitgliedern aus Angehörigen verschiedener linker und linksextremistischer Organisationen und Szenestrukturen zu den mitgliederstärksten Gruppierungen des deutschen Linksextremismus. Nur sehr wenige der etwa 650 Hamburger Mitglieder arbeiten aktiv in der Gruppe mit. Von strafprozessualen Maßnahmen betroffene Aktivisten werden finanziell, unter anderem bei Anwaltsund Gerichtskosten, unterstützt, sofern diese sich den Bedingungen der RH unterwerfen. 113 Linksextremismus Unter dem Motto "Solidarität ist eine Waffe" werden Angehörige der linksextremistischen Szene - auch hinsichtlich der Aufklärung von Straftaten - zu einer konsequenten Verweigerung der Zusammenarbeit mit Sicherheitsbehörden gedrängt. Den Betroffenen daraus entstehende Nachteile sollen durch das Versprechen der Solidarität kompensiert werden. 5.2 Aktionsfelder 5.2.1 Antirepression Die strafrechtliche Verfolgung linksextremistischer Rechtsbrüche bezeichnen gewaltorientierte Linksextremisten als "Repression", die angeblich insbesondere der "Ausforschung", "Einschüchterung" sowie für "Angriffe auf linke Strukturen" diene. Neben der "Roten Hilfe" ( 5.1.5) kommt dem "Ermittlungsausschuss" (EA) bei den Aktivitäten gegen die vorgebliche "staatliche Repression" eine wichtige Bedeutung zu. Der EA unterstützt Tatverdächtige, die im Zusammenhang mit linksextremistischen Versammlungen festgenommen wurden. Hierzu ist er während linksextremistischer Versammlungen telefonisch erreichbar, um bei Konfrontationen mit Strafverfolgungsbehörden zu beraten und Kontakte zu Rechtsanwälten herzustellen. Einmal im Monat veranstalten der EA und die "Rote Hilfe" in St. Pauli eine "Antirepkneipe" zu wechselnden Themen. Schwerpunkt der Antirepressions-Agitation 2016 war die Begleitung des sogenannten "Breite-Straße"-Prozesses durch die linksextremistische Szene. Anlässlich der vom 27. bis 31. August 2014 in Hamburg durchgeführten "Squatting Days" (Hausbesetzer-Tage) besetzten mehrere Linksextremisten das leer stehende Haus Breite Str. 114 (VSB 2014, S. 116f.). Gegen sechs Personen wurde ein Gerichtsverfahren eingeleitet, drei von ihnen waren zunächst wegen versuchten Totschlags angeklagt. Am 5. Dezember 2016 wurde das Urteil gegen vier der verbliebenen Angeklagten von einem Jahr und drei Monaten bis zu einem Jahr und fünf Monaten auf Bewährung ausgesprochen. Der fünfte Angeklagte wurde bereits zuvor zu einem Jahr und fünf Monaten auf Bewährung verurteilt. Die 114 Linksextremismus linksextremistische Solidaritätskampagne zielte darauf ab, die strafrechtliche Verfolgung der Hausbesetzer, die versucht hatten, das besetzte Objekt mit massiver Gewalt gegen Polizeibeamte zu verteidigen, als "Kriminalisierung" zu diffamieren. In einer Erklärung zu dem Prozess wurde betont, die "Infragestellung des Gewaltmonopols" im Rahmen der Solidaritätskampagne "liegt [...] auf der Hand". Darüber hinaus wurden mehrere auf die Solidaritätskampagne Bezug nehmende Straftaten begangen: * In der Nacht zum 21. Januar 2016 wurde das Gebäude des Polizeikommissariates 35 in Volksdorf mit Farbe beworfen. Am 25. Januar 2016 wurde auf "linksunten.indymedia" ein Selbstbezichtigungsschreiben (SBS) veröffentlicht: "Um den Beschuldigten des Breite Straße Verfahrens unsere Solidarität zu zeigen, haben wir in der Nacht des 20. Januar die Polizeiwache Volksdorf mit Farbe beworfen. In Situationen, wo Wohnen zum Luxus wird und sich einige auf Kosten von Mieter_innen und Wohnungslosen die Taschen mit Kohle vollstopfen, sind Besetzungen und militante Angriffe ein notwendiges Mittel zur Durchbrechung dieser Normalität." * Am 5. Februar 2016 fand eine Demonstration mit dem Tenor "Hausbesetzungen durchsetzen und verteidigen! Solidarität mit den Breite Straße-Betroffenen!" mit rund 450 Teilnehmern statt. Bei der Demonstration kam es zu wiederholtem Einsatz von Pyrotechnik. In einer Veröffentlichung auf "linksunten.indymedia" vom 7. Februar 2016 wurde betont, dass eine Demo als Reaktion auf die sich immer weiter zuspitzende staatliche Repression nicht ausreiche. Es gebe viele Möglichkeiten, das repressive System jederzeit unabhängig von aktuellen Ereignissen anzugreifen. * 17. April 2016: Farbanschlag auf das Gebäude einer Anwaltskanzlei in Bergedorf, welche die Vertretung mehrerer Bürgerinitiativen übernommen hat, die sich gegen die Planungen des Baus von einzelnen Flüchtlingsunterkünften richteten. * 19. April 2016: Farbanschlag auf das Wohnhaus des Staatsrats der Behörde für Arbeit, Soziales, Familie und Integration. 115 Linksextremismus * 19. April 2016: Buttersäureanschlag auf den Wagen eines Polizeigewerkschaftsfunktionärs. Zu den beiden Anschlägen vom 19. April 2016 wurde am 20. April 2016 auf "linksunten.indymedia" ein Selbstbezichtigungsschreiben mit der Überschrift "Für freies Fluten - Abschiebeapparat angreifen" eingestellt. Darin wird Kritik an Abschiebungen Ausreisepflichtiger geübt und die Geschädigten als Stellvertreter für die politische Durchsetzung von Abschiebungen in Legislative, Judikative und Exekutive dargestellt. An der Demonstration "Breite Solidarität gegen Rassismus und Repression - Die Stadt gehört allen!" am 30. April 2016 beteiligten sich rund 1.900 Teilnehmer. Im Zuge der Demonstration wurde ein Bundeswehrfahrzeug in Brand gesetzt. Dies wurde in einem Beitrag auf "linksunten.indymedia" vom 1. Mai 2016 mit der Aussage "Das Abbrennen von Pyrotechnik und eines Bundeswehrfahrzeug in der Bernhard-Nocht-Straße hoben die Stimmung der Demo ungemein." kommentiert. Aufgrund der verstärkten Polizeieinsätze gegen die Drogenkriminalität - insbesondere an der St. Pauli Hafenstraße im Bereich Balduintreppe - kam es zum Teil zu unfriedlichen Solidaritätsaktionen der linksextremistischen Szene. Unter anderem wurden Demonstrationen gegen vorgeblich "rassistische Kontrollen" vor dem Wohnhaus des Innensenators abgehalten. Bisher unbekannte Täter setzten in der Nacht zum 23. September 2016 zwei Autos eines Hamburger Polizeibeamten in Brand, des verantwortlichen Leiters der "Task Force Drogen" und bezeichneten später auf "linksunten.indymedia" Autos und Häuser von Polizisten als legitime Ziele ( 4.). 5.2.2 Antifaschismus Ideologische Grundlage des linksextremistischen "Antifaschismus" ist insbesondere der in den 1920er Jahren aus der marxistisch-leninistischen Doktrin entwickelte Faschismusbegriff. 116 Linksextremismus Faschismusbegriff: Die Dimitrow-These ist die klassische Definition des Faschismusbegriffs. Zugeschrieben wird sie dem bulgarischen Kommunisten Georgi Dimitrow (1882 bis 1949), der von 1946 bis 1949 auch Ministerpräsident Bulgariens war. Entwickelt in den 1920er Jahren, wurde die These in den 1930ern zweimal von der "Kommunistischen Internationale" (Komintern) bestätigt. Die Komintern war ein Zusammenschluss kommunistischer Parteien zu einer internationalen Organisation unter der Führung Stalins in Moskau. Nach der Dimitrow-These sind "Bürgerliche Demokratie" und "Faschismus" zwei Ausprägungen des zu überwindenden kapitalistischen Systems. Danach sei der Faschismus "die offene, terroristische Diktatur der reaktionärsten, [...] am meisten imperialistischen Elemente des Finanzkapitals". Die "Bourgeoisie" setze ihn ein, wenn sie "nicht mehr imstande ist, ihre Diktatur über die Massen mit den alten Methoden der bürgerlichen Demokratie und des Parlamentarismus aufrechtzuerhalten". Linksextremisten fordern auch heute die Überwindung der bestehenden (aus ihrer ideologischen Sicht "kapitalistischen") Gesellschaftsund Staatsordnung, die sie als Ursache des "Faschismus" interpretieren. In einem 2009 in der Berliner Szenezeitschrift "Interim" erschienenen Grundsatz-Artikel formulierten autonome Antifaschisten: "Radikaler Antifaschismus bedeutet für uns mehr als nur gegen Nazis zu sein. Er bedeutet auch, eine unvereinbare Haltung zu diesem System einzunehmen." In dem im November 2013 auf der Internet-Seite des "Antifa Info Pool Hamburg" veröffentlichten Aufruf "Antifa supports Rote Flora: Eine für Alle - Alle für Eine" erläuterten autonome "Antifaschisten": "Für uns ist Antifaschismus mehr, als nur der Kampf gegen Neonazis und rechte Strukturen. Wir sehen [...] unser Engagement als einen Teil von vielen Kämpfen gegen Staat, Nation und Kapital." Das Engagement gegen Rechtsextremismus ist gesellschaftlich breit akzeptiert. Daher versuchen Linksextremisten vor dem Hintergrund ihrer strategischen Bündnispolitik, das Thema für ihre Zwecke zu missbrauchen und ihre verfassungsfeindliche Ideologie über die Zusammenarbeit mit demokratischen und zivilgesellschaftlichen Initiativen in bürgerlich-demokratische Kreise zu transportieren. Der Kampf gegen den 117 Linksextremismus Rechtsextremismus wird von Linksextremisten zugleich als Teil des Kampfes gegen die bestehende "kapitalistische" Ordnung verstanden. Die Hamburger "Gruppe für den organisierten Widerspruch" ("Grow") führte 2015 im Zusammenhang mit den antifaschistischen Protesten gegen den rechtsextremistischen "Tag der Patrioten" auf ihrer gleichnamigen Facebook-Seite aus: "Wer nicht nur handgreifliche Defensiv-Gefechte gegen Nazi-Hools führen möchte, sondern den Wunsch hegt, dass solche widerlichen Erscheinungen von dieser Erde verschwinden, muss über einen konsequenten Antifaschismus hinaus auch Nationalismus und Kapitalismus angreifen - theoretisch wie praktisch, in einer Organisierung gegen sie und ihre alltäglichen Zumutungen. Gegen all die Widerwärtigkeiten des Bestehenden treten wir ein für die staatenund klassenlose Weltgesellschaft, den Kommunismus." Im Mittelpunkt der Aktivitäten linksextremistischer "Antifaschisten" stehen demonstrative Protestaktionen gegen Informationsstände und Veranstaltungen rechtsextremistischer und rechtspopulistischer Organisationen sowie das direkte Vorgehen gegen Einzelpersonen. Die Gewaltanwendung wird im Rahmen des "Kampfes gegen Rechts" als legitimes und geeignetes Mittel angesehen und als "antifaschistischer Selbstschutz" verharmlost. Eine gewalttätige Eskalation von Konflikten, beispielsweise im Kontext von Demonstrationen gegen rechtsextremistische Versammlungen, wird insbesondere von gewaltorientierten Linksextremisten bewusst in Kauf genommen und als Ausdruck besonders konsequenten Handelns angesehen. Darüber hinaus ist die Recherchearbeit für die "autonome Antifa" von besonderer Bedeutung. Angehörige von Antifa-Gruppen spähen hierbei einzelne Rechtsextremisten gezielt aus, sammeln Informationen über sie und nutzen diese Informationen unter anderem für "Outing-Aktionen" in der Nachbarschaft oder am Arbeitsplatz des Betroffenen sowie für Veröffentlichungen in Szene-Publikationen und im Internet. Die Aktionen sollen tatsächliche oder vermeintliche Rechtsextremisten aus der Anonymität lösen und sie öffentlich stigmatisieren. Insbesondere das seit Mai 2006 regelmäßig stattfindende "Antifa-Cafe", das Anfang 2016 mit dem "Roten Abend" der Gruppe "Projekt Revolutio118 Linksextremismus näre Perspektive" (PRP, 5.1.3) fusionierte, aber auch Informationsplattformen im Internet wie der "Antifa Info Pool Hamburg" und deren Twitter-Account besitzen eine gruppenübergreifende Austauschfunktion und dienen der Koordination und Mobilisierung der autonomen Antifa-Strukturen in Hamburg. Unter den zahlreichen Gruppen der autonomen Antifa weisen die Gruppen "[a2]-Hamburg" und das "Antifa Infotelefon" in ihren Aktivitäten ein hohes Maß an Kontinuität auf. Durch hohe Präsenz in ihren Stadtteilen und in sozialen Medien machte aber auch die relativ junge, seit gut zwei Jahren vorwiegend im Raum Barmbek aktive Gruppe "Antifa 309" auf sich aufmerksam. Ein seit 2015 initiierter "Antifa Tresen" in der Roten Flora trägt ebenfalls zur Mobilisierung und Vernetzung bei. Der "Antifa Info Pool Hamburg" begann im Februar 2016 mit der Mobilisierung gegen den von Rechtsextremisten organisierten sogenannten "Tag der deutschen Zukunft" (TddZ, V.5.1) am 4. Juni 2016 in Dortmund, indem er den bundesweiten Aufruf des NO-TDDZ-Bündnisses in Auszügen auf seiner Internetseite veröffentlichte. Darin heißt es unter anderem: "Widerstand gegen die Neonazis ist insbesondere dann erfolgreich, wenn militantes Vorgehen und Blockaden ineinander spielen. Die Räume für Blockaden werden oftmals erst frei, wenn durch militante Taktiken der Polizeieinsatz destabilisiert (...) werden konnte." Militanz könne dabei sowohl die "brennende Mülltonne" als auch "ziviler Ungehorsam in Form von Blockaden" sein. Am 4. Juni 2016 reisten rund 50 Personen aus Hamburg gemeinsam mit einem Reisebus nach Dortmund. Insgesamt hatten sich etwa 5.000 Personen an den Protestaktionen beteiligt. Ein direktes Aufeinandertreffen beider politischer Lager wurde durch die Polizei verhindert. Die Hamburger Antifa-Szene beteiligte sich auch 2016 an Mobilisierungen gegen rechtsextremistische Aufmärsche, vorwiegend im Hamburger Umland. Dabei geraten zunehmend auch Veranstaltungen der "Alternative für Deutschland" (AfD) in ihren Fokus. Grund für diese nahezu bundesweite Tendenz ist aus antifaschistischer Sicht das Erstarken rechtspopulistischer Parteien in Deutschland und Europa. Gleichzeitig verlor die Hamburger NPD auf Grund geringer Aktivitäten ihre Bedeutung als Hauptgegner der Antifa-Szene. Als Rechtspopulisten bezeichnete Par119 Linksextremismus teien und Gruppierungen werden mittlerweile von der autonomen Antifa nahezu auf eine Ebene mit klassischen Rechtsextremisten gestellt. Im Juni 2016 wurde ein Hamburger AfD-Mitglied im Stadtteil Wilhelmsburg geoutet. Mehrere von diesem angemeldete Veranstaltungen wurden von der Antifa-Szene massiv behindert. So fand am 3. Oktober 2016 eine parteiinterne Veranstaltung der AfD statt, bei der die Antifa-Szene kurzfristig rund 450 Personen mobilisieren konnte, die die Veranstaltung erheblich störten. In einem am 12. August 2016 veröffentlichten Bekennerschreiben auf der Internetplattform "linksunten.indymedia" wurde dargestellt, warum man den Firmensitz eines vermeintlichen Hamburger AfD-Unterstützers mit Farbe angegriffen und einen parkenden Pkw angezündet hat. "In unserem Kampf gegen Herrschaft und Unterdrückung gilt es immer wieder, den Gegnern eines Lebens in Freiheit entschlossen und angriffslustig entgegenzutreten." Dabei nahmen die Autoren Bezug zu dem im Juli 2017 stattfindenden G20-Gipfel und forderten, diesen "zum Desaster zu machen." Die Konfrontation mit klassischen Rechtsextremisten suchte die Hamburger autonome Szene 2016 vor allem bei rechtsextremistischen Demonstrationen im Hamburger Umland, so am 16. Januar 2016, als sich mehrere hundert Antifa-Aktivisten - insbesondere aus Schleswig-Holstein und Hamburg - an Protesten gegen eine Demonstration der auch aus Rechtsextremisten bestehenden Gruppierung "Neumünster wehrt sich" in Neumünster beteiligten. An Protestaktionen gegen eine für den 7. März 2016 in Stade angemeldete NPD-Kundgebung beteiligten sich gut 100 Personen der linksextremistischen Szene Hamburgs. Hierbei konnten mehrere vermummte Linksextremisten nach einer gemeinschaftlichen Beschädigung des Fahrzeuges eines politischen Gegners unerkannt flüchten. Insgesamt beteiligten sich etwa 350 Personen an den Protestaktionen gegen die NPD-Kundgebung. Am 16. April 2016 kamen mehr als 200 Personen aus Hamburger nicht-extremistischen und linksextremistischen Zusammenhängen 120 Linksextremismus zusammen, um an Protestaktionen gegen eine von einem NPD-Mitglied angemeldete Demonstration in Bad Oldesloe teilzunehmen. Der rechtsextremistische Aufzug wurde durch diverse Blockaden erheblich verkürzt. Bei der Abfahrt der rechtsextremistischen Demonstrationsteilnehmer wurden diese ebenso wie Polizeibeamte mit Flaschen, Böllern und Steinen beworfen. Insgesamt beteiligten sich rund 1.000 Personen an den Gegenveranstaltungen, darunter zahlreiche Linksextremisten. Die Hamburger autonome Antifa-Szene beteiligte sich bereits seit 2015 an Protesten gegen MVGIDA-Demonstrationen in Boizenburg (Mecklenburg-Vorpommern) und richtete für auswärtige Mobilisierungen einen eigenen Internetauftritt mit dem Namen "HH goes MV" ein. Der PEGIDA-Ableger MVGIDA ist rechtsextremistisch gesteuert und wird vom Verfassungsschutz beobachtet. Für 2016 mobilisierte "HH goes MV" auf diversen Hamburger Antifa-Seiten für eine antifaschistische Demonstration in Boizenburg am 14. März 2016 mit dem Tenor: "Dem rechten Terror entgegentreten - Refugees welcome!". Rund 140 Personen aus der nicht-extremistischen und linksextremistischen Szene beteiligten sich an der gemeinsamen Busanreise aus Hamburg. Weitere Mobilisierungen des "HH goes MV-Bündnisses" fanden zum 1. Mai 2016 nach Schwerin und zum 8. Mai 2016 nach Demmin statt. Die Hamburger autonomen Gruppen "GROW", "[a2]-Hamburg" und die anti-deutsch ausgerichtete Gruppe "sous la plage" engagierten sich 2016 für antifaschistische Projekte in Sachsen, insbesondere für eine bundesweite Demonstration in Zwickau am 5. November 2016 mit dem Tenor: "NSU in Zwickau: Kein Gras drüber wachsen lassen! Gegen Naziterror und den rassistischen Normalzustand". Dabei schlossen sie sich der Kampagne "irgendwoindeutschland" an und unterstützten somit die örtlichen Antifa-Strukturen. Angemeldet wurde die Versammlung von einem Protagonisten der Hamburger autonomen Szene. Unter den Teilnehmern befanden sich zahlreiche Hamburger Linksextremisten. Der Aufzug zog in einem einheitlichen schwarzen Block durch die Stadt, abgeschottet mit Seitentransparenten mit Texten wie "Kein Friede mit Deutschland & seinen Nazis" und "Krieg den deutschen Zuständen". Das Auftreten der insbesondere aus Westdeutschland angereisten Antifa-Aktivisten dokumentiert - insbesondere durch Transparente wie "Eure Sorgen sind Rassismus" -, dass diese nicht daran interessiert sind, demokratische und zivilgesellschaftliche Strukturen vor Ort zu stärken. Die beabsichtigte Wirkung der Versammlung dürfte vielmehr in der Stärkung des szene121 Linksextremismus internen Zusammenhalts durch gemeinsame Feindbilder und einer Drohkulisse gegen die örtliche rechtsextremistische Szene liegen. In Kommentaren auf der linksextremistischen Internetplattform "linksunten. indymedia" wurde die selbstreferenzielle, der Gruppendynamik dienende Ausrichtung der Demonstration und die Stigmatisierung der Bevölkerung vor Ort szeneintern kritisiert. 5.2.3 Linksextremistische Einflussnahme auf Proteste gegen die Stadtentwicklungspolitik Den Widerstand, Protest und die Agitation gegen die Aufwertung von Stadtvierteln sehen vor allem Autonome nicht nur als Aufbegehren gegen kapitalistische Interessen, sondern auch als Ausdruck ihres Kampfes um Freiräume von staatlicher Repression und Herrschaft. Linksextremisten gelingt es wegen der gesellschaftspolitischen Bedeutung der Stadtentwicklung, den Wirkungsradius ihrer Agitation zu erweitern. Kampagnen in diesem Kontext sind oftmals im hohen Maße anschlussfähig für Nicht-Extremisten. Daher instrumentalisieren Linksextremisten solche Themen gezielt, um ihre verfassungsfeindliche Ideologie in bürgerlich-demokratische Kreise zu transportieren. Während jedoch die meisten der anlassbezogen mit Linksextremisten kooperierenden Stadtteilund Mieterinitiativen für den Erhalt sozialund wohnräumlich gewachsener Strukturen eintreten, beziehen Autonome die Etablierung sogenannter, dem Zugriff des Staates entzogener Freiräume ein, in denen rechtsstaatliche Normen außer Kraft gesetzt sind. Hausbesetzungen sehen sie als eine "Form der Vergesellschaftung" von Wohnraum. Proteste im Zusammenhang mit Gentrifizierung richteten sich im Jahre 2016 auf den Erhalt der im Bereich Bartelsstraße, Ecke Schanzenstraße im "Schanzenhof"-Areal ansässigen Mieterstruktur. Nach gescheiterten Verhandlungen über Mieterhöhung hatten die neuen Eigentümer die Mietverträge zum 31. März 2016 gekündigt. Seitdem wurden in die Agitationspalette auch militante Aktionen zur Abschreckung der neuen Geschäftsbetreiber einbezogen. In diesem Zusammenhang wurden 2016 neben verschiedenen Kundgebungen vor dem Firmensitz des neuen Eigentümers und Straßenblockaden auch Straftaten verübt: 122 Linksextremismus * 31. Mai 2016: Glasbruch und Farbschmierereien am Firmensitz des Eigentümers des Schanzenhofs. In der Szenezeitschrift "Zeck" Nr. 193 wurde eine Selbstbezichtigung veröffentlicht. Dort heißt es: "Mit dieser und folgenden Aktionen werden wir jetzigen und potentiellen Investor_innen / Nachmieter_innen auch weiterhin ihre profitorientierten Machenschaften vermiesen!" * 21. Juli 2016: Buttersäureanschlag auf das Lokal "Jill" in der Bartelsstraße. In einem Selbstbezichtigungsschreiben vom 1. August 2016 werden weitere Aktionen angekündigt. * Ein am 22. Februar 2017 auch im Kontext des Schanzenhofes verübter Anschlag, bei dem fünf Vermummte das Hotel "Pyjama Park" und das zu diesem Zeitpunkt von Gästen besuchte Restaurant "Jill" mit Pflastersteinen und farbgefüllten Flaschen beworfen hatten, zeigte zuletzt eine erhöhte Gewaltbereitschaft zumindest von Teilen der linksextremistischen Szene. Angriffe ohne Rücksicht auf die körperliche Unversehrtheit unbeteiligter Personen waren für die Aktionen in diesem Themenfeld bisher untypisch. Möglicherweise haben die Täter die Hoffnung auf eine Mobilisierung über das eigene Szeneumfeld hinaus bereits aufgegeben. Ferner wurden 2016 mehrere laut Bekennerschreiben auf die Auseinandersetzungen um das Berliner Szeneobjekt Rigaer Str. 94 in BerlinFriedrichshain bezogene Straftaten begangen: * 21. Januar 2016: Farbanschlag auf das Polizeikommisariat 35 in Volksdorf. * 27. Januar 2016: Glasbruch im Eingangsbereich der Agentur für Arbeit in Hamburg-Altona. * 23. Juni 2016: Brandstiftung (Pkw) in Harvestehude. * 24. Juni 2016: Beschädigung eines Neubauprojekts an der Elbchaussee. In einem Selbstbezichtigungsschreiben vom 27. Juni 2016 heißt es: "keine gentrifizierung! keine Stadt der reichen! keine vertreibung von alternativen projekten! rigaer94 bleibt!" * 27. Juni 2016: Brandstiftung (Pkw) in Altona. 123 Linksextremismus 6. Orthodoxe Kommunisten und andere revolutionäre Marxisten Als "orthodoxe Kommunisten" werden Parteien und parteiähnliche Organisationen bezeichnet, die den Ideologien von Marx, Engels und Lenin (Marxismus-Leninismus) folgen. Hierzu zählen insbesondere die "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP, 6.1), revolutionär-marxistische Teilstrukturen der Partei DIE LINKE ( 6.4) und trotzkistische Gruppierungen ( 6.5). Themenbezogen findet auch eine gruppenbzw. parteiübergreifende Zusammenarbeit statt. Darunter fällt das Bündnis "Kapitalismus in der Krise", das sich unter anderem aus Angehörigen der DKP Hamburg, der Kommunistischen Plattform (KPF) "Clara Zetkin" (die KPF ist eine extremistische Teilstruktur der Partei DIE LINKE), der Marxistischen Abendschule MASCH e.V. ( 6.3), dem Roten Aufbau Hamburg (RAH, 5.1.3) und der Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend (SDAJ, 6.2) zusammensetzt. 6.1 Deutsche Kommunistische Partei (DKP) Die Deutsche Kommunistische Partei (DKP) wurde 1968 in Essen gegründet und ist die Kernorganisation der orthodoxen Kommunisten. Sie bekennt sich zur Theorie von Marx, Engels und Lenin als Richtschnur ihres politischen Handelns. Ihrer Weltanschauung zufolge ermöglicht nur der revolutionäre - auf die spätere Realisierung des Kommunismus gerichtete - Sozialismus eine Lösung aller gesellschaftlichen Probleme. Das zentrale Ziel der DKP bleibt der "grundlegende Bruch mit den kapitalistischen Eigentumsund Machtverhältnissen" sowie die Errichtung einer sozialistischen/kommunistischen Gesellschaft. Seit den Parteitagswahlen 2013 haben sich die traditionalistischen Kräfte durchgesetzt, die für eine Rückkehr zur "unverfälschten" Lehre des Marxismus-Leninismus mit der DKP als alleiniger Avantgarde der Arbeiterklasse plädieren. Eine Minderheit dagegen hält an den Thesen fest, die die Bedeutung der Arbeiterklasse als revolutionäres Subjekt sowie die Vorkämpferrolle der Partei relativieren und dafür plädieren, dass die DKP in allen "fortschrittlichen", d.h. auf ein sozialistisches Ziel ausgerichteten Bewegungen mitarbeitet. 124 Linksextremismus In einem Positionspapier zu den Inhalten eines Leitantrages zum 21. Parteitag im November 2015 in Frankfurt a.M. wurde unter anderem festgestellt, der Kapitalismus könne "nicht auf dem Weg von Reformen, sondern nur durch Abschaffung seiner Machtund Eigentumsverhältnisse überwunden werden." Im Leitantrag wird "die Einordnung unserer aktuellen Kämpfe in eine Strategie des revolutionären Bruchs mit dem Kapitalismus" für unverzichtbar erklärt und der "Marxismus-Leninismus" als "Weltanschauung der Kommunisten" bezeichnet. Die neue sozialistische Gesellschaftsordnung und die Überwindung des Kapitalismus ließen sich nur in einem "langwierigen und komplizierten Prozess, im harten Klassenkampf" durchsetzen. Themenschwerpunkte der Partei waren unter anderem die Friedensbewegung, Imperialismuskritik, die Entwicklungen in der Türkei und das UZ-Pressefest Anfang Juli 2016 in Dortmund. DKP Hamburg Die DKP Hamburg hat ihre Parteizentrale im "Magda-Thürey-Zentrum" (MTZ) in Hamburg-Eimsbüttel. Es wird auch von anderen linksextremisMitglieder: 3.000 tischen Organisationen, wie z.B. der SDAJ und der Wilhelmsburger MASCH, Bundessitz: Essen, NW als Treffpunkt genutzt. Im November Vorsitzender: Patrick Köbele 2016 hat sich die DKP Hamburg dazu entschlossen, sich mit vier Kandidaten an der Bundestagswahl 2017 zu Bezirksorganisation Hamburg beteiligen. Inhaltliche ThemenschwerMitglieder: 170 punkte waren unter anderem die soziVorsitzender: Michael Götze ale Situation von Tarifbeschäftigten, Gewerkschaftsthemen, Wohnungssituation und die Friedensbewegung. 6.2 Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend (SDAJ) Der Jugendverband "Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend" (SDAJ) ist formal unabhängig, betrachtet sich aber als Nachwuchsorganisation der 125 Linksextremismus DKP. Er wurde 1968 in Essen gegründet. Seine Mitgliederzahl liegt wie in den Vorjahren bei ca. 500 Personen. SDAJ Hamburg Am 21. Januar 2016 bezeichnete die SDAJ auf ihrer Facebookseite W.I. Lenin anlässlich dessen Todestages weiterhin als Vorbild. Am 13. Februar 2016 beteiligten sich Hamburger SDAJ-Angehörige an einer Demonstration gegen die NATO-Sicherheitskonferenz in München. Die SDAJ beteiligte sich auch an dem unangemeldeten "Schanzenfrühjahrsfest" am 26. März 2016, welches mit Ausschreitungen gegen Polizeibeamte endete. Die thematischen Schwerpunkte der SDAJ Hamburg waren die aktuellen Entwicklungen in der Türkei und Kuba und die Beteiligung an der Friedensbewegung. 6.3 Marxistische Abendschule (MASCH) in Hamburg Die "Marxistische Abendschule - MASCH e.V." wurde 2007 auf Initiative der DKP in Wilhelmsburg gegründet. Laut seiner Satzung fördert der Verein die Volksbildung, Wissenschaft und Forschung vor allem durch die Vermittlung von Grundlagenkenntnissen über den Marxismus, insbesondere anhand von Originaltexten von Marx, Engels und Lenin. Die Veranstaltungen der MASCH finden im "Marxistischen Bildungszentrum" (MaBiz) in Hamburg-Eimsbüttel statt. Neben der "Wilhelmsburger MASCH" besteht in Hamburg seit 1981 die ebenfalls auf DKP-Initiative gegründete "Marxistische Abendschule - Forum für Politik und Kultur e.V.". Diese ist hauptsächlich als "MASCH-Hochschulgruppe" im Universitätsbereich tätig und bietet dort Gesprächsund Lesekreise an. 126 Linksextremismus 6.4 Extremistische Teilstrukturen in der Partei "DIE LINKE." Die Gesamtpartei DIE LINKE wird vom Hamburger Verfassungsschutz seit 2008 nicht mehr beobachtet. Beobachtet werden nur deren revolutionär-marxistische Strömungen. Das Mitgliederpotenzial dieser verfassungsfeindlichen Bestrebungen umfasst etwa 80 Personen. In Hamburg ist insbesondere der parteinahe extremistische Jugendverband "Linksjugend ['solid]" aktiv. Weitere revolutionär-marxistische Gruppierungen sind die "Kommunistische Plattform" (KPF) oder die "Sozialistische Linke" (SL). Linksjugend ['solid] Die Mitgliederstruktur von Linksjugend ['solid] weist Überschneidungen zur trotzkistischen "Sozialistischen Alternative" (SAV) auf. Schwerpunktthemen der Gruppe waren 2016 "Antimilitarismus" und "Antirassismus". Im Juli 2015 gründeten Jugendliche aus verschiedenen Landesverbänden und der SAV in Hamburg den Verband "Revolutionäre Linke in ['solid]". In der Gründungserklärung werden Jugendliche des Logo "Revolutionäre Linke in Verbandes aufgerufen, gemeinsam "für einen klas['solid]" (RL) senkämpferischen Jugendverband" einzutreten. Ziel sei es "eine neue Generation junger revolutionärer Kräfte zu organisieren", um "den Kapitalismus zu stürzen und durch eine demokratische, sozialistische Ordnung zu ersetzen". In einem Beitrag auf der RL-Internetseite am 4. Februar 2016 heißt es dazu: "Unser Ziel ist letztlich die soziale Revolution, also die Enteignung der herrschenden Klasse." 127 Linksextremismus 6.5 Trotzkisten Der nach dem russischen Revolutionär Leo Trotzki benannte Trotzkismus wird geprägt durch die sogenannte Theorie der permanenten Revolution, wonach der politische Prozess nicht mit einer proletarischen Revolution endet. Trotzkistische Gruppen versuchen mit ihrer "Entrismus" genannten Unterwanderungsstrategie Einfluss in linksextremistischen und nicht-extremistischen Organisationen zu gewinnen. Die "Sozialistische Alternative" (SAV) ist die einzige relevante trotzkistisch ausgerichtete Gruppe in Hamburg. Ihre Mitglieder engagieren sich unter anderem bei ['solid] und der Partei DIE LINKE. Die trotzkistisch geprägte Gruppierung "REVOLUTION" (REVO) verfolgt als Ziel die Schaffung einer kommunistischen Gesellschaft trotzkistischer Prägung. Im Juli 2016 gab sie ihren Austritt aus der "Revolutionären Linken in ['solid]" bekannt. Grund sei deren Stagnation und fehlende Mitgliedergewinnung. Am 12. Juni 2016 veranstalteten Anhänger der Gruppe an der Universität Hamburg eine Protestaktion gegen die rechtsextremistische "Identitäre Bewegung" ( V.9.1). Weitere Informationen zum Thema Linksextremismus finden Sie auf: www.hamburg.de/verfassungsschutz www.hamburg.de/innenbehoerde/schlagzeilen www.hamburg.de/innenbehoerde/linksextremismus 128 Verfassungsschutz in Hamburg Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Gruppierungen mit Auslandsbezug Linksextremismus Rechtsextremismus Reichsbürger und Selbstverwalter Scientology-Organisation Spionageabwehr Geheimund Sabotageschutz; Wirtschaftsschutz Anhang * Hamburgisches Verfassungsschutzgesetz * Abkürzungsverzeichnis * Stichwortverzeichnis Rechtsextremismus V. Rechtsextremismus 1. Entwicklungen und Schwerpunkte im Überblick Die Aufklärung der Verbrechen des rechtsterroristischen "Nationalsozialistischen Untergrund" (NSU, 4.1) dauert auch fünf Jahre nach Aufdeckung der Gruppe an. Der seit Mai 2013 laufende Prozess vor dem Oberlandesgericht (OLG) München gegen Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt sowie vier mutmaßliche Unterstützer der Verdächtigen wurde 2016 fortgesetzt, ohne dass wesentliche Fragen zu den Hintergründen der Verbrechensserie beantwortet werden konnten. Die Aussagen der Angeklagten Beate Zschäpe und Ralf Wohlleben erhellten die genauen Tathergänge nicht. Die Untersuchungsausschüsse im Bund und mehreren Ländern erbrachten hierzu bisher ebenfalls kaum neue Erkenntnisse. Anhaltspunkte für ein Unterstützerumfeld des NSU in Hamburg sowie eine Kenntnis oder Mitwirkung von Hamburger Rechtsextremisten an den Planungen und Taten der Verdächtigen liegen weiterhin nicht vor. Inhaltlich stand, wie bereits im Jahr 2015, das Thema "Flüchtlinge" im Mittelpunkt rechtsextremistischer Agitation, auch wenn die Zahl der Flüchtlinge, die nach Deutschland kamen, im Jahr 2016 deutlich zurückging. Warnungen vor angeblicher "Überfremdung", "Islamisierung" oder gar einem "Volkstod" in unterschiedlicher Diktion waren in allen Teilen der rechtsextremistischen Szene die vorherrschenden Parolen. Insbesondere der islamistisch motivierte Terroranschlag am 19. Dezember 2016 auf einen Weihnachtsmarkt in Berlin ( II.4.1), bei dem zwölf Menschen getötet und Dutzende verletzt wurden, wurde von der Szene genutzt, um Stimmung gegen Geflüchtete, Asylbewerber und Muslime sowie auch gegen Bundeskanzlerin Angela Merkel und weitere Politiker zu machen. Vor diesem Hintergrund ist bundesweit auch mit einer weiteren Radikalisierung und anhaltend hoher Gewaltbereitschaft der organisierten rechtsextremistischen Szene zu rechnen. Ein Beispiel hierfür ist die "Freie Kameradschaft Dresden". Mitgliedern dieser Gruppierung werden zahlreiche Strafund Gewalttaten gegen Flüchtlinge, Flüchtlingsunterkünfte und politische Gegner zur Last gelegt. Dass auch die Gefahr rechtsterroristischer Bestrebungen virulent ist, machen die im Jahr 2016 durchgeführten Ermittlungsverfahren gegen die "Oldschool Society" (OSS) und die "Gruppe Freital" aus Sachsen deutlich ( 4.2). 130 Rechtsextremismus Die Zahl der politisch motivierten Straftaten ging im Jahr 2016 leicht zurück ( 3). Die zunehmende fremdenfeindliche Stimmung ist nicht nur auf das eindeutig rechtsextremistische Lager beschränkt. Auch islamfeindliche Protestbewegungen wie PEGIDA ( 10.) und ihre in mehreren Bundesländern vom Verfassungsschutz beobachteten rechtsextremistischen Ableger, versuchten im Jahr 2016 die Themenfelder Zuwanderung (speziell aus dem islamischen Kulturraum) sowie innere Sicherheit (inbesondere nach den Terroranschlägen von Ansbach, Würzburg und Berlin, II.4.1) für ihre Agitation zu nutzen. Die absichtlich vorgenommene undifferenzierte Vermengung des Themas Flüchtlinge mit dem islamistischen Terrorismus und die zum Teil strafrechtlich relevante Verächtlichmachung und Verunglimpfung demokratisch gewählter Entscheidungsträger (etwa als "Volksverräter") gehören zu den propagandistischen Stilmitteln dieser Szene. Gegen die Bedrohung der Demokratie durch den Rechtsextremismus haben die Sicherheitsbehörden in Bund und Ländern auch im Jahr 2016 Vereinsverbote ausgesprochen. Am 16. März 2016 verbot das Bundesministerium des Innern (BMI) mit Hilfe der Hamburger Sicherheitsbehörden die gewaltorientierte neonazistische Gruppierung "Weisse Wölfe Terrorcrew" (WWT, siehe dazu den ausführlichen Internetbeitrag des LfV Hamburg vom 16. März 2016, VSB 2015, S. 161-164). Die als Fangruppe der aus Nordrhein-Westfalen stammenden Skinhead-Band "Weisse Wölfe" gegründete WWT wurde 2008 in Hamburg erstmals aktiv. Auch wenn die zahlreichen Verbote der vergangenen Jahre zu einer Schwächung der neonazistischen Szene ( 5.) beigetragen haben, ist diese nach wie vor in der Lage, größere Aufmärsche mit einigen hundert Teilnehmern zu organisieren. So nahmen am 4. Juni 2016 rund 900 Rechtsextremisten, so viele wie nie zuvor, an der Demonstration zum "8. Tag der deutschen Zukunft" (TddZ, 5.1) in Dortmund teil. In Hamburg sind nach dem WWT-Verbot derzeit keine neonazistischen Kameradschaften mehr aktiv. Auch der "Kameradenkreis Neonazis in Hamburg" war 2016 nicht mehr existent. Die Gruppe hatte ihre politischen Aktivitäten bereits im Jahr 2015 nahezu vollständig eingestellt. Auch die subkulturell geprägte rechtsextremistische Szene blieb 2016 131 Rechtsextremismus unauffällig. Von den drei in Hamburg beheimateten Rechtsrock-Bands ( 7.) war 2016 nur noch "Abtrimo" aktiv. Die NPD ( 8.1) verlor auch im Jahr 2016 weiter an Bedeutung. Sowohl die Mitgliederentwicklung als auch die Wahlergebnisse belegen den Abwärtstrend. Nach ihrer Wahlniederlage am 4. September 2016 in Mecklenburg-Vorpommern ist die Partei in keinem Landesparlament mehr vertreten. Mit ihrer radikalen Agitation hatte sie erfolglos versucht, sich gegenüber der rechtspopulistischen AfD abzugrenzen und als wahre "nationale" Oppositionspartei zu positionieren. Auch die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 17. Januar 2017 ist kein Erfolg für die Partei. Dem Antrag des Bundesrates, die NPD und ihre Teilorganisationen zu verbieten, wurde nur deshalb nicht stattgegeben, weil es nach Überzeugung des Gerichts zurzeit keine Anhaltspunkte dafür gebe, dass die NPD die Möglichkeit habe, ihre verfassungsfeindlichen Ziele auch nur ansatzweise zu erreichen. In ihrem Fall bedürfe es daher des präventiven Schutzes der Verfassung durch ein Parteiverbot nicht. Den verfassungsfeindlichen Charakter der Partei hat das Gericht aber in der rund 300 Seiten umfassenden Begründung nachdrücklich bestätigt. Die Hamburger NPD erlebte im Jahr 2016 einen personellen Umbruch. Am 22. Oktober 2016 wurde Lennart Schwarzbach zum neuen Vorsitzenden des ebenfalls von Mitgliederschwund betroffenen Hamburger Landesverbandes gewählt. Schwarzbach war bereits im Jahr 2015 Spitzenkandidat der NPD bei der Hamburger Bürgerschaftswahl. In 2016 war er mehrfach Anmelder und Veranstalter von NPD-Infoständen. Der bisherige Landesvorsitzende und Beisitzer im Bundesvorstand, Thomas Wulff, war am 1. September 2016, wenige Tage vor der wichtigen Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern, aus der NPD ausgetreten. Verstärkt in den Fokus der Verfassungsschutzbehörden kam die "Identitäre Bewegung Deutschland" (IBD, 9.1), die im Jahr 2016 durch gesteigerte politisch-ideologische Aktivitäten sowohl auf der Straße als auch in den sozialen Netzwerken auffiel. Die IBD beschreibt sich selbst als "metapolitischer und aktivistischer Arm der Neuen Rechten". Leitbegriff ihrer Weltanschauung ist der sogenannte "Ethnopluralismus". Eine "multikulturelle Gesellschaft" kann nach ihrer Auffassung nicht friedlich existieren und wird abgelehnt. Die Verwendung des Schlagworts "Ethn132 Rechtsextremismus opluralismus" dient vor allem als Basisbegriff einer völkisch-rassistisch, fremdenfeindlich und antidemokratisch geprägten Ideologie. Eine öffentlichkeitswirksame Aktion war die kurzzeitige Besetzung des Brandenburger Tors am 27. August 2016. Als Reaktion auf den islamistisch motivierten Anschlag am 19. Dezember 2016 ( II.4.1) blockierten rund 50 Aktivisten der IBD am Abend des 21. Dezember 2016 den Eingang der CDU-Parteizentrale in Berlin und protestierten lautstark gegen die Politik von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Seit August 2016 ist die IBD auch Beobachtungsobjekt des Hamburger Landesamtes für Verfassungsschutz. Das LfV informierte die Öffentlichkeit am 16. August 2016 mit einem ausführlichen Internetbeitrag auf seiner Internetseite über die IBD. Während NPD und Neonazis in Hamburg eine immer geringere Rolle spielen, ist die IBD hier verstärkt aktiv geworden, unter anderem mit mehreren öffentlichkeitswirksamen Aktionen, die sie vorzugsweise in den sozialen Netzwerken medial vermarktete. Im Jahr 2016 mussten sich die Verfassungsschutzbehörden zudem intensiv mit der sogenannten "Reichsbürger"-Bewegung auseinandersetzen ( VI). Dieses sehr heterogene extremistische Spektrum hat gemein, dass seine Anhänger den Bestand der Bundesrepublik Deutschland ablehnen; zudem gibt es Überschneidungen in die rechtsextremistische Szene: Von den bundesweit rund 12.600 Reichsbürgern sind rund 700 dem rechtsextremistischen Spektrum zuzurechnen (Stand: Mai 2017). "Reichsbürger" und "Selbstverwalter" sind Gruppierungen und Einzelpersonen, die aus unterschiedlichen Motiven und mit unterschiedlichen Begründungen, unter Berufung auf verschiedene verschwörungstheoretische Argumentationsmuster oder auf ein selbst definiertes Naturrecht die Existenz der Bundesrepublik Deutschland und deren Rechtssystem ablehnen; sie sprechen den demokratisch gewählten Repräsentanten die Legitimation ab oder definieren sich in Gänze als außerhalb der Rechtsordnung stehend. Im besonderen Fokus haben die Sicherheitsbehörden, dass Teile der "Reichsbürger"-Szene offen gewaltbereit sind und zumindest Einzelpersonen vor dem Gebrauch von Schusswaffen nicht zurückschrecken. Bei zwei Polizeieinsätzen gegen "Reichsbürger" in Sachsen-Anhalt und Bayern wurden im Jahr 2016 Polizeibeamte durch Schusswaffengebrauch verletzt, ein bayerischer SEK-Beamter starb. 133 Rechtsextremismus Auch in Hamburg sind "Reichsbürger" im Jahr 2016 verstärkt aktiv geworden. Daher hat der Verfassungsschutz sie in die Beobachtung aufgenommen. Von den derzeit (Stand: Mai 2017) rund 90 "Reichsbürgern" gehören ungefähr 10% auch der rechtsextremistischen Szene an. Internetbeitrag vom 4. November 2016: "Reichsbürger-Bewegung" wird Beobachtungsobjekt". 2. Potenziale Die Zahl der Personen, die bundesweit rechtsextremistischen Organisationen und Gruppen zugeordnet werden, ist nach 2015 auch im Jahr 2016 erneut gestiegen und liegt nunmehr bei 23.100 Personen (2015: 22.600). Bund: Rechtsextremistische Personenpotenziale 35000 30000 25000 20000 15000 33.000 30.000 26.600 25.000 22.400 22.150 21.700 21.000 22.600 23.100 10000 5000 0 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 - Alle Zahlen sind gerundet - Der Anstieg ist unter anderem auf eine Erhöhung des Personenpotenzials im Bereich der "Subkulturell geprägten Rechtsextremisten" von 8.200 (2015) auf 8.500 Personen zurückzuführen. Dieses Personenspektrum setzt sich überwiegend aus rechtsextremistischen Skinheads 134 Rechtsextremismus und Angehörigen anderer rechtsextremistisch beeinflusster Jugendund Musikszenen zusammen. Im Jahr 2016 lag die Zahl der Neonazis unverändert bei 5.800. Die NPD hatte 5.000 Mitglieder und damit 200 weniger als im Jahr 2015. Leichte Zuwächse konnten erneut die rechtsextremistischen Parteien "DIE RECHTE" und "Der III. Weg" verzeichnen. Sie verfügen über 700 (2015: 650) bzw. 350 (2015: 300) Mitglieder. Die Mitgliederzahl der "Bürgerbewegung pro NRW" hat sich nach dem Einbruch im Jahr 2014 bei 500 Personen stabilisiert. 2014 zählte die rechtsextremistische Partei noch 950 Mitglieder. Rechtsextremistisches Personenpotenzial 2015 2016 auf Bundesebene Subkulturell geprägte Rechts8.200 8.500 extremisten Neonazis1 5.800 5.800 Parteien 6.650 6.550 davon NPD 5.200 5.000 davon DIE RECHTE 650 700 davon Der III. Weg 300 350 davon Bürgerbewegung pro NRW 500 500 Sonstige rechtsextremistische 3.200 3.500 Organisationen Summe 23.850 24.350 abzügl. Mehrfachmitgliedschaften2 1.250 1.250 Gesamtpotenzial 22.600 23.100 davon Gewaltorientierte 11.800 12.100 - Alle Zahlen sind gerundet - 1 Nach Abzug von Mehrfachmitgliedschaften in der Neonazi-Szene. 2 Die Mehrfachmitgliedschaften im Bereich der Parteien und sonstigen rechtsextremistischen Organisationen wurden vom gesamten Personenpotenzial abgezogen. 135 Rechtsextremismus Das Personenpotenzial der sonstigen rechtsextremistischen Organisationen lag im Jahr 2016 bei 3.500 (2015: 3.200). Nach Abzug von Doppelmitgliedschaften (1.250) ergibt sich die Gesamtzahl von 23.100 Personen. In allen Bereichen des Rechtsextremismus, insbesondere im subkulturellen Milieu und in der Neonazi-Szene, sind Personen aktiv, die als gewaltorientiert gelten; sie bieten Anhaltspunkte dafür, dass sie Gewalt zur Durchsetzung politischer Ziele befürworten, unterstützen oder selber bereit sind, Gewalt anzuwenden oder dies bereits getan haben. Ihre Zahl liegt bundesweit jetzt bei 12.100; der Anteil am gesamten Personenpotenzial beträgt nahezu unverändert 52,4 % (2015: 52,2 %). Hamburg Hamburg: Rechtsextremistische Personenpotenziale 600 500 400 300 540 540 530 480 450 330 330 340 330 320 200 100 150 150 140 180 180 160 160 150 140 140 0 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 Gesamtzahl Gewaltorientierte - Alle Zahlen sind gerundet - 136 Rechtsextremismus Die Gesamtzahl der Personen in Hamburg, die rechtsextremistischen Organisationen und Gruppen angehören, lag im Jahr 2016 bei 320 (2015: 330), einschließlich der hier unter "Sonstige rechtsextremistische Organisationen" neu hinzugekommenen rechtsextremistischen Mitglieder in Hamburg aktiver "Reichsbürger"-Gruppierungen ( VI), die seit Ende 2016 vom LfV Hamburg beobachtet werden. Die Zahl der gewaltorientierten Rechtsextremisten liegt nach wie vor bei 140 Personen. Ihr Anteil am Gesamtpotenzial hat sich von 42,4 % auf 38,9 % verringert. Rechtsextremistisches Personenpotenzial 2015 2016 in Hamburg Subkulturell geprägte Rechts110 110 extremisten Neonazis 20 10 NPD 130 100 Sonstige rechtsextremistische 70 100 Organisationen Summe 330 320 abzügl. Mehrfachmitgliedschaften 0 0 Gesamtpotenzial 330 320 davon gewaltorientierte 140 140 Rechtsextremisten Die Mitgliederzahlen der NPD gehen bundesweit zurück. Der Hamburger Landesverband hatte im Jahr 2016 etwa 100 Mitglieder (2015: 130). Der "Kameradenkreis Neonazis in Hamburg" war im Jahr 2016 nicht mehr aktiv; der gewaltorientierten neonazistischen Gruppierung "Weisse Wölfe Terrorcrew - Sektion Hamburg" wurden bis zu ihrem Verbot am 16. März 2016 etwa zehn aktive Mitglieder zugerechnet. Die Zahl der Personen, die der subkulturell geprägten rechtsextremistischen Szene angehören, lag im Jahr 2016 unverändert bei 110 Personen. Zu dieser Kategorie werden auch Einzelpersonen ohne erkennbare Szeneanbindung gezählt, die durch rechtsextremistisch motivierte Straftaten aufgefallen sind oder sonst aus rechtsextremistischer Motivation 137 Rechtsextremismus die freiheitliche demokratische Grundordnung angreifen und bekämpfen. Die Gesamtzahl der Rechtsextremisten in den sonstigen rechtsextremistischen Organisationen hat sich durch die Aufnahme der rechtsextremistischen Anhänger der "Reichsbürger"-Gruppen und der "Identitären Bewegung Deutschland" ( 9.1) in die Beobachtung von 70 auf 100 Personen erhöht. Diesem Personenpotenzial werden des Weiteren die Anhänger der "Hamburger Burschenschaft Germania" ( 9.2), der "Pennalen Burschenschaft Chattia Friedberg zu Hamburg" ( 9.3), der "Artgemeinschaft - Germanische Glaubens-Gemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung e.V." ( 9.4) sowie der "Europäischen Aktion" ( 9.5) zugerechnet. 3. Politisch motivierte Kriminalität (PMK) Die Zahl rechtsextremistischer Straftaten in Hamburg ging 2016 auf 342 zurück. Dies ist im Zehnjahresvergleich ein durchschnittlicher Wert, nachdem in den Vorjahren für den Zeitraum 2005 bis 2016 sowohl die niedrigste (2014: 296) als auch die höchste (2015: 500) Anzahl zu verzeichnen waren. Die Zahl der als rechtsextremistisch eingestuften fremdenfeindlich motivierten Straftaten, die 2015 großen Anteil an der gestiegenen Zahl hatten, ging um 56,13 % von 253 auf 111 zurück. PMK2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 Rechts PMKRechts 349 385 318 321 312 403 362 296 562 458 insgesamt davon rechtsex332 369 297 316 298 396 360 278 500 342 trem. Straftaten hiervon extrem. 22 45 30 21 21 38 32 17 25 28 Gewaltdelikte Die Zahlen stammen aus den jeweiligen Jahres-Statistiken der Polizei Hamburg - Stand: Februar 2017 - 138 Rechtsextremismus In Hamburg wurden 2016 insgesamt 192 (2015: 240) rechtsextremistische Propagandadelikte erfasst. Die Verstöße betrafen ganz überwiegend das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen (SS 86a StGB). Darunter fallen insbesondere das Verwenden von Hakenkreuzen oder der Grußformel "Sieg Heil!" und das Zeigen des Hitler-Grußes. Auch wenn sich über die Motive der Täter nur bedingt Aussagen treffen lassen, werden die Straftaten generell als rechtsextremistisch eingestuft, es sei denn, die Tatumstände lassen einen solchen Hintergrund unwahrscheinlich erscheinen oder schließen diesen aus. Insgesamt wurden 28 Gewalttaten als rechtsextremistisch motiviert eingestuft (2015: 25). Dies ist im Zehnjahresvergleich ein durchschnittlicher Wert. Bei den 28 Fällen handelte es sich weit überwiegend um gefährliche Körperverletzungen nach SS 224 StGB und um Körperverletzungen nach SS 223 StGB. In 15 dieser 28 Fälle konnten Tatverdächtige ermittelt werden, darunter vier weibliche. Zwölf davon kamen aus Hamburg. Lediglich vier der Tatverdächtigen waren den Verfassungsschutzbehörden bereits bekannt. Dies belegt erneut, dass viele fremdenfeindlich und/oder rechtsextremistisch motivierte Straftaten von Personen begangen werden, die ansonsten politisch nicht aktiv sind, insbesondere nicht zur organisierten rechtsextremistischen Szene gehören. Hamburg 2016: Aufteilung der rechtsextremistischen 2015 2016 Straftaten nach Delikten Gesamt 500 342 Propagandadelikte 240 192 Fremdenfeindliche Delikte 253 111 Antisemitische Delikte 24 29 Gewaltdelikte 25 28 Die Zahlen stammen von der Polizei Hamburg - Stand: Februar 2017 - 139 Rechtsextremismus 4. Rechtsterrorismus 4.1 Der "Nationalsozialistische Untergrund" (NSU) - Sachstand und Ergebnisse der Ermittlungen Am 8. November 2012 erhob der Generalbundesanwalt Anklage gegen Beate Zschäpe, Ralf Wohlleben und drei weitere mutmaßliche Unterstützer des NSU. Zschäpe wird vorgeworfen, sich als NSU-Gründungsmitglied des Mordes in zehn Fällen, zweier Sprengstoffanschläge sowie besonders schwerer Brandstiftung strafbar gemacht zu haben. Darüber hinaus wird sie verdächtigt, mitverantwortlich für 15 bewaffnete Raubüberfälle des NSU zu sein. Der sogenannte NSU-Prozess findet seit dem 6. Mai 2013 vor dem OLG München statt. Der letzte Prozesstag im Jahr 2016 war der 21. Dezember. Damit umfasste der Prozess Ende des Jahres 2016 insgesamt 332 Verhandlungstage. Bis zum Januar 2018 sind weitere Verhandlungstage terminiert. Die Aussagen der Angeklagten Beate Zschäpe und Ralf Wohlleben Ende des Jahres 2015 und Anfang 2016 ergaben zu den bisher bekannten Fakten, zu Tathergängen und Motiven keine weiteren Erkenntnisse. Neue Aufklärungsoder Ermittlungsansätze konnten nicht gewonnen werden. Die Angeklagten bestätigten im Wesentlichen bereits erwiesene Vorwürfe. Ende des Jahres 2016 und Anfang 2017 befasste sich das Gericht mit einem psychologischen Gutachten über Beate Zschäpe, das Auswirkungen auf die Haftschwere und eine mögliche Verhängung einer Sicherheitsverwahrung nach Haftverbüßung haben könnte. Im Januar 2017 bestätigte der Gutachter vor Gericht seine zuvor schriftlich fixierte Einschätzung, dass Zschäpe voll schuldfähig sei und somit die Voraussetzungen für eine Sicherheitsverwahrung gegeben seien. Zur Aufklärung der Ereignisse und Beleuchtung der Ermittlungen deutscher Sicherheitsbehörden rund um den NSU-Komplex waren im Jahr 2016 parlamentarische Untersuchungsausschüsse im Bund und in den Ländern Nordrhein-Westfalen, Thüringen, Baden-Württemberg, Hessen, Sachsen und Brandenburg tätig. 140 Rechtsextremismus Bereits Ende des Jahres 2015 war auf Bundesebene ein zweiter Parlamentarischer Untersuchungsausschuss ("Terrorgruppe NSU II") beschlossen worden. Dieser beschloss in seiner 22. Sitzung am 9. Juni 2016, mit Prof. Dr. Bernd von Heintschel-Heinegg einen Ermittlungsbeauftragen einzusetzen, der seitdem bundesweit Gespräche führt. Der Jurist, ehemalige Richter und Strafrechtsexperte war in dieser Funktion bereits für den ersten NSU-Untersuchungsausschuss auf Bundesebene sowie für mehrere Länder tätig gewesen. Am 31. Januar 2017 besuchte der Ermittlungsbeauftragte auch das LfV Hamburg für ein Gespräch mit Vertretern des Hauses, in dem er über den aktuellen Erkenntnisstand informiert wurde. Das LfV Hamburg hat die Arbeit der Untersuchungsausschüsse umfassend durch die Zulieferung angeforderter Unterlagen unterstützt. Weder aus dem am 5. Mai 2015 veröffentlichten Bericht des Sachverständigen Jerzy Montag (Drucksache 18/6545 vom 4. November 2015) noch aus der intensiven Arbeit der Untersuchungsausschüsse in Bund und Ländern sowie umfangreicher Recherchen und Nachforschungen durch das LfV Hamburg ergaben sich bisher Hinweise auf ein Unterstützerumfeld des NSU in Hamburg noch eine Kenntnis oder Mitwirkung von Hamburger Rechtsextremisten an den Planungen und Taten des NSU-Trios. Die bisher vorliegenden Erkenntnisse sind unter anderem in den Hamburger Verfassungsschutzberichten seit dem Jahr 2012 sowie zahlreichen weiteren, offen zugänglichen Parlamentsdrucksachen umfangreich dokumentiert. 4.2 Aktuelle Ansätze für rechtsterroristische Bestrebungen in Deutschland und Maßnahmen der Sicherheitsbehörden Die Zahl rechtsextremistisch motivierter Übergriffe und Gewalttaten gegen Asylbewerberunterkünfte und dort lebende Asylbewerber lag auch 2016 mit 915 Straftaten (Stand 22. Dezember 2016) auf einem vergleichsweise hohen Niveau (2015: 923). Insbesondere die islamistisch motivierten Terroranschläge von Würzburg, Ansbach und auf den Berliner Weihnachtsmarkt ( II.4.1) sowie Straftaten, die mutmaßlich oder tatsächlich von Ausländern begangen worden waren, wurden in der rechtsextremistischen Szene für eine pauschale Anti-Asyl-Agitation genutzt. Auf rechtsextremistischen Internet141 Rechtsextremismus seiten wurde gegen die Asylpolitik der Bundesregierung gehetzt und der Hass auf politisch verantwortliche Entscheidungsträger zum Ausdruck gebracht. Im Visier stand insbesondere Bundeskanzlerin Angela Merkel, die in den "freundlicheren" Postings zumindest zum Rücktritt aufgefordert und vielfach angefeindet wurde. Zahlreiche, nicht nur aus der bekannten rechtsextremistischen Szene stammende Beiträge waren von aggressiven, fremdenfeindlichen und rassistischen Parolen durchzogen. Vor diesem Hintergrund ist auch künftig mit einer Radikalisierung und einem anhaltend hohen Aktionsniveau der rechtsextremistischen Szene zu rechnen. Weitere fremdenfeindlich motivierte Gewalttaten durch radikalisierte Einzeltäter und geplante Anschläge durch rechtsextremistische Gruppierungen, bis hin zur Bildung rechtsterroristischer Kleingruppen, sind aus Sicht des LfV Hamburg nicht auszuschließen. Die gewalttätigen Aktivitäten der rechtsextremistischen Szene geschahen im Jahr 2016 vorwiegend in deren regionalem Umfeld - beispielsweise gegen dort lebende Mitbürger mit Migrationshintergrund oder auch gegen Flüchtlingsunterkünfte. Im Jahr 2016 wurden Ermittlungsverfahren gegen zwei Gruppierungen geführt, die unter Verdacht stehen, eine rechtsterroristische Vereinigung gebildet zu haben. Hierbei handelt es sich um die "Oldschool Society" (OSS, bundesweit) und die "Gruppe Freital" (Sachsen). Bereits im Februar 2015 hatte der Generalbundesanwalt ein Ermittlungsverfahren nach SS 129a StGB wegen des Verdachts der Bildung Logo der "Oldschool Society" einer terroristischen Vereinigung gegen neun Mitglieder der OSS eingeleitet. Die OSS gründete sich bei einem Instant-Messenger-Dienst zunächst als virtuelle rechtsextremistische Gruppe und hatte unter anderem Sprengstoffanschläge auf Moscheen, mutmaßliche Salafisten sowie Unterkünfte für Geflüchtete in Deutschland geplant. Die vier Hauptbeschuldigten wurden im Mai 2015 festgenommen und befinden sich seither in Untersuchungshaft. Am 23. Dezember 2015 erhob die Generalbundesanwaltschaft Anklage wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung und Vorbereitung eines Sprengstoffanschlags (SS 310 142 Rechtsextremismus StGB) vor dem Staatsschutzsenat des OLG München. Der Prozess begann am 27. April 2016 und dauerte 43 Verhandlungstage. Die vier Hauptbeschuldigten wurden durch den 8. Strafsenat des OLG München mit Urteil vom 15. März 2017 zu mehrjährigen Freiheitsstrafen von drei Jahren und zehn Monaten bis zu fünf Jahren verurteilt. Die Urteile sind jedoch noch nicht rechtskräftig. Gegen fünf weitere Beschuldigte sind die Ermittlungen noch nicht abgeschlossen. Am 11. April 2016 führte die Bundesanwaltschaft zwei Verfahren wegen des Verdachts des Herbeiführens von Sprengstoffexplosionen (SS 308 StGB) der Generalstaatsanwaltschaft Dresden gegen insgesamt acht Beschuldigte zu einem Ermittlungsverfahren zusammen und erweiterte den Tatvorwurf um den Verdacht der Bildung einer terroristischen Vereinigung ("Gruppe Freital"). Bei Durchsuchungen in 21 Wohnungen, Häusern und anderen Örtlichkeiten in Sachsen fanden die Ermittler am 19. April 2016 zahlreiche in Deutschland nicht zugelassene pyrotechnische Erzeugnisse, zum Beispiel Böller mit enormer Sprengkraft, die sich die Beschuldigten insbesondere in Tschechien beschafft hatten. Am 15. November 2016 erhob die Generalbundesanwaltschaft vor dem Staatsschutzsenat des OLG Dresden Anklage gegen die acht Beschuldigten. Den sieben Männern und einer Frau wird vorgeworfen, spätestens im Juli 2015 die rechtsterroristische Vereinigung "Gruppe Freital" gegründet zu haben. Zu den Rädelsführern gehörte neben anderen Timo S., der seit 2011 an einigen rechtsextremistischen Veranstaltungen in Hamburg und Schleswig-Holstein teilgenommen hatte. Im Herbst 2014 war er nach Sachsen umgezogen. Sechs der Angeklagten sind zudem wegen versuchten Mordes angeklagt. Darüber hinaus bestehen in dem Fallkomplex weitere Tatvorwürfe, die sich über gefährliche Körperverletzungen bis hin zu einem Explosionsverbrechen erstrecken. Der Gruppierung werden ein Anschlag mit Sprengmitteln auf ein alternatives Wohnprojekt in Dresden in der Nacht zum 19. Oktober 2015 sowie zwei Anschläge auf Asylbewerberheime in Freital am 20. September 2015 und 1. November 2015 vorgeworfen. Alle Beschuldigten befinden sich seit dem 5. November 2015 beziehungsweise 19. April 2016 in Untersuchungshaft. 143 Rechtsextremismus Besonders schwerwiegend war die Tat eines offenbar rechtsextremistischer Ideologie nahestehenden Einzeltäters im Sommer 2016. Am 22. Juli 2016 erschoss David S. am Olympia-Einkaufszentrum in München neun Personen, die überwiegend einen Migrationshintergrund hatten, und beging anschließend Selbstmord. Darüber hinaus wurden 35 Personen verletzt, elf von ihnen schwer. Der 18-jährige Deutsch-Iraner hegte starkes Interesse an früheren Amokläufen, darunter auch die des norwegischen Attentäters Anders Behring Breivik, dessen Amoklauf sich am Tattag zum fünften Mal jährte. Der Norweger Breivik beging am 22. Juli 2011 aus rechtsextremistischen und islamfeindlichen Motiven in Oslo und auf der Insel Utoya einen Massenmord, bei dem 77 Menschen ums Leben kamen; unter den Opfern waren überwiegend Teilnehmende eines Zeltlagers der Jugendorganisation der sozialdemokratischen Arbeiterpartei. 5. Neonazismus Neonazis definieren sich durch die positive Bezugnahme auf den historischen Nationalsozialismus und das von den Nazis sogenannte "Dritte Reich"; sie befürworten einen autoritären "Führerstaat" mit einer von ihnen so definierten, aus ihrer Sicht ethnisch "homogenen" Bevölkerungsstruktur. Das dahinter stehende nationalsozialistische Konzept der "Volksgemeinschaft" steht in unauflösbarem Widerspruch zum Grundgesetz, insbesondere zum Prinzip der Menschenwürde und den aus ihr abgeleiteten Grundund Menschenrechten. Konstitutiv für den Neonazismus ist zudem ein ausdrücklicher Rassismus, der die Welt in höherund minderwertige Völker einteilt und diese Unterscheidung auch zum Kriterium für die Ausgrenzung von Angehörigen anderer Kulturen in Deutschland erhebt. Der ausgeprägte Antisemitismus der neonazistischen Szene stützt sich auf die bereits durch den historischen Nationalsozialismus verbreitete These, Deutschland sei angeblich das Angriffsziel einer internationalen jüdischen Verschwörung, die die Weltherrschaft zum Ziel habe. Neonazis deuten historische Tatsachen in revisionistischer Weise um oder leugnen diese in Gänze, wie etwa den Holocaust. 144 Rechtsextremismus Geschichtsrevisionismus: Rechtsextremisten bestreiten aus ihrer Sicht wissenschaftlich anerkannte historische Fakten und versuchen daher, diese in der Öffentlichkeit umzudeuten (zu "revidieren"). Diese Revision ist in der Regel politisch motiviert. In Deutschland bestreiten Geschichtsrevisionisten vorwiegend historische Fakten mit Bezug auf den Ersten und Zweiten Weltkrieg. Sie bezweifeln zum Beispiel die hohe Verantwortung des Deutschen Kaiserreichs am Ausbruch des Ersten Weltkrieges 1914 sowie der NS-Diktatur am Ausbruch des Zweiten Weltkriegs 1939 und negieren die Verstrickung der deutschen Wehrmacht an den Kriegsverbrechen insbesondere in Polen und Russland während des Zweiten Weltkriegs. Zu den Geschichtsrevisionisten gehören auch Personen, die am Völkermord an den europäischen Juden leugnen oder das Ausmaß anzweifeln. Der neonazistischen Szene sind wie im Jahr 2015 bundesweit insgesamt 5.800 Personen zuzurechnen. Die Mehrzahl der Neonazis ist in sogenannten "Freien Kameradschaften" und informellen Gruppen organisiert. Der in den vergangenen Jahren festgestellte Abbau von Strukturen innerhalb der Szene setzte sich im Jahr 2016 fort. Die zahlreichen Vereinsverbote haben hierzu wesentlich beigetragen. Insgesamt wurden in den vergangenen fünf Jahren zehn neonazistische Vereinigungen in Nordrhein-Westfalen, Brandenburg, Niedersachsen, Sachsen, Bayern und Hessen verboten, zuletzt die bundesweit aktive "Weisse Wölfe Terrorcrew" (WWT) durch das Bundesministerium des Innern (VSB 2015 S. 161-164, www.hamburg.de/innenbehoerde/schlagzeilen/5490160/ weisse-woelfe-terrorcrew-verbot/). Erkenntnisse des LfV Hamburg haben maßgeblich zum WWT-Verbot beigetragen. Die Mehrzahl der überwiegend regionalen Gruppierungen verzichtet aus taktischen Gründen auf feste Organisationsformen, um Vereinsverbote zu erschweren und möglichst wenig Ansatzpunkte für strafrechtliche Ermittlungen zu bieten. Im Gegenzug gewinnen lockere Vernetzungsstrategien ohne Strukturen und ein erhöhtes Maß an Konspiration an Bedeutung. Kurzfristige, anlassbezogene Aktionsformen erhöhen die Flexibilität der Szene. Das Phänomen ausschließlich internetbasierter Gruppierungen ist seit einigen Jahren verstärkt zu beobachten. Eine zentrale bundesweite Koordinierung der Szene besteht derzeit nicht und auch die Rolle der überregionalen Aktionsbüros ist mittlerweile nur 145 Rechtsextremismus noch als marginal zu bezeichnen. Der Schwerpunkt der Aktionen des Neonazi-Spektrums liegt im lokalen und regionalen Umfeld. Die Mehrzahl der neonazistischen Gruppen führt regelmäßige Treffen durch, bei denen "politische Schulungen" abgehalten und gemeinsame Aktionen vorbereitet werden. Während nach innen die positive Bezugnahme auf den Nationalsozialismus weiterhin Bedeutung hat, werden nach außen entsprechende Inhalte wesentlich verhaltener formuliert oder ganz vermieden, um nicht ins Visier der Strafverfolgungsbehörden zu geraten. Bei ihren öffentlichen Veranstaltungen, zum Beispiel Info-Ständen oder Versammlungen, instrumentalisieren Neonazis Themen, bei denen sie davon ausgehen, dass sie bei vielen Bürgerinnen und Bürgern auf Zustimmung stoßen (zum Beispiel Kampf gegen Kindesmissbrauch oder Kritik an der Flüchtlingspolitik der Bundesregierung). Über diesen Weg soll ihre Ideologie breiteren Bevölkerungskreisen zugänglich gemacht werden. Als weitere Strategie zeichnet sich seit einigen Jahren die Nutzung bereits vorhandener Parteistrukturen ab, zum Beispiel der Partei "DIE RECHTE" oder "Der III. Weg" ( 8.2 und 8.3). Gewalt ist in der Neonazi-Szene weiterhin ein probates Mittel, die eigenen ideologischen Ziele durchzusetzen. Festzustellen ist, dass die Gewaltbereitschaft der Neonazi-Szene zugenommen hat, wie zum Beispiel systematische und konzertierte Strafund Gewalttaten gegen Flüchtlinge und ihre Unterkünfte durch die "Freie Kameradschaft Dresden". Im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens wegen Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung gemäß SS 129 StGB wurden am 30. November 2016 sechs Haftbefehle vollstreckt und insgesamt bei 17 Beschuldigten Durchsuchungen durchgeführt. Die Gruppe steht im Verdacht, seit 2015 in verschiedener personeller Zusammensetzung 14 Straftaten verübt zu haben, unter anderem Beteiligung an der Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion, versuchte Brandstiftung, Landfriedensbruch in besonders schwerem Fall, Körperverletzungen und Sachbeschädigungen. Mehrere Personen standen bereits wegen gewalttätiger Attacken auf Asylunterkünfte vor Gericht. Die Entwicklung der politisch motivierten Kriminalität unterstreicht auch qualitativ die Tendenz einer gewalttätiger agierenden Szene. 146 Rechtsextremismus 5.1 Überregionale Aktivitäten Neonazis waren überregional überwiegend bei Gedenkveranstaltungen anlässlich szenerelevanter historischer Ereignisse aktiv. Im Jahr 2016 beteiligten sich auch Hamburger Aktivisten an bundesweiten Veranstaltungen. Am 16. Januar 2016 fand in Magdeburg die jährliche Demonstration anlässlich der Bombardierung der Stadt im Zweiten Weltkrieg am 16. Januar 1945 durch die US-Luftwaffe statt. An diesem Aufmarsch beteiligten sich etwa 230 (2015: 350) Rechtsextremisten aus ganz Deutschland. Zahlreiche Gegendemonstranten protestierten gegen die rechtsextremistische Veranstaltung. Der Verlauf war weitgehend störungsfrei. Am 12. Februar 2016, dem Vorabend des eigentlichen Gedenktages der alliierten Luftangriffe vom 13. Februar bis 15. Februar 1945, zogen etwa 650 (2015: 500) Rechtsextremisten unter dem Motto "Von der Trauer zur Kraft - 10 Jahre ehrenhaftes Gedenken der Opfer des 13. Februar 1945" durch Dresden. Bei zwei Gegenveranstaltungen der Initiative "Dresden Nazifrei" kamen rund 330 Teilnehmer zusammen. An einer Menschenkette, zu der demokratische Parteien, Verbände und Institutionen aufgerufen hatten, nahmen zudem gut 13.000 Bürgerinnen und Bürger teil. Zum "Tag der Arbeit" am 1. Mai wurden deutschlandweit insgesamt acht rechtsextremistische Demonstrationen durchgeführt. Die Partei "DIE RECHTE" veranstaltete einen Aufmarsch in Erfurt und die NPD insgesamt sechs Demonstrationen in Berlin, Schwerin, Bochum, Döbeln, Grimma und Wurzen. Den bundesweit größten Aufzug führten Neonazis und die Partei "Der III. Weg" mit etwa 900 Teilnehmern in Plauen (Sachsen) durch. Die Kundgebung eines sogenannten "Nationalen und sozialen Aktionsbündnis 1. Mai" fand unter dem Motto "Kapitalismus zerschlagen - Für einen Deutschen Sozialismus" statt und wurde maßgeblich von der Partei "Der III. Weg" getragen. So traten als Redner der Bundesvorsitzende Klaus Armstroff sowie zwei weitere Funktionäre des "III. Weges" auf. Armstroff ist ehemaliges NPD-Mitglied und lehnt sich ideologisch zum Teil an die Weltanschauung des sogenannten "linken" NSDAPFlügels um die Brüder Strasser an. Auch der zu diesem Zeitpunkt noch amtierende Hamburger NPD-Vorsitzende Thomas Wulff war in Plauen als Redner aktiv. 147 Rechtsextremismus Nach Blockaden von Gegendemonstranten wurde der Aufzug vom Versammlungsleiter vorzeitig für beendet erklärt, woraufhin es zu Gewalttaten von rechtsextremistischen Demonstrationsteilnehmern gegen Polizeibeamte kam, unter anderem durch Flaschenwürfe. Auch im Kontext einer Gegendemonstration wurden nach Polizeiangaben Straftaten verübt. Am 4. Juni 2016 fand in Dortmund zum achten Mal der fremdenfeindlich motivierte sogenannte "Tag der deutschen Zukunft" ("TddZ") statt. An der Versammlung der rechtsextremistischen Szene unter dem Motto "8. Tag der deutschen Zukunft - Unser Signal gegen Überfremdung" nahmen etwa 900 (2015 in Neuruppin: 600) Personen teil, darunter auch etwa 150 gewaltorientierte Anhänger der Fußballfan-Szene. Die Demonstration wurde vom Landesverband Nordrhein-Westfalen der Partei "DIE RECHTE" organisiert. Der Aufzug verlief zwar störungsfrei, aber am Abend nach der Demonstration kam es zu massiven Auseinandersetzungen zwischen Rechtsextremisten und der Polizei. Als Redner traten unter anderem der stellvertretende Vorsitzende des NPD-Landesverbands Thüringen, Thorsten Heise, und der Bundesvorsitzende der Partei "DIE RECHTE", Christian Worch, auf. Etwa 2.500 Gegendemonstranten protestierten gegen die Veranstaltung der Rechtsextremisten. Es konnten mehr Teilnehmer als in den Jahren zuvor mobilisiert werden. Zum Vergleich: Am 2. Juni 2012 hatten in Hamburg rund 700 Rechtsextremisten teilgenommen. Am Ende der Veranstaltung wurde verkündet, dass der nächste "TddZ" am 3. Juni 2017 in Karlsruhe stattfinden solle. Eine weitere bedeutsame Veranstaltung der rechten Szene, der jährliche sogenannte "Trauermarsch" in Bad Nenndorf, wurde in diesem Jahr abgesagt. Im Jahr 2015 hatten unter dem Motto "Gefangen - Gefoltert - Gemordet! Damals wie heute: Besatzer raus!" rund 180 Rechtsextremisten teilgenommen. Das Wincklerbad in Bad Nenndorf ist für die rechtsextremistische Szene von großem Interesse. Britische Armee, Militärregierung und Geheimdienst nutzten das Badehaus von 1945 bis 1947 als Internierungslager für NS-Funktionsträger, von denen nach Ansicht der Briten eine hohe Gefahr ausging und denen Anschläge zugetraut wurden. Vor allem waren es Angehörige der Abwehr, der SS, der Gestapo, NSDAP-Funktionäre und Offiziere. Es kam dort zu Misshandlungen, wie in einem Prozess 1948 in London festgestellt wurde. 148 Rechtsextremismus In Wunsiedel (Oberfranken) versammelten sich am 12. November 2016 gut 250 (2015: 230) Angehörige der rechtsextremistischen Szene unter dem Motto "Tot sind nur jene, die vergessen werden" zu einem Gedenkmarsch. Als Redner trat unter anderem der bundesweit bekannte Rechtsextremist Thomas Wulff auf. Im oberfränkischen Wunsiedel befand sich bis 2011 das Grab des "Hitler-Stellvertreters" Rudolf Heß. Ebenfalls am 12. November 2016 fand zum achten Mal der Gedenkmarsch von Neonazis in Remagen (Nordrhein-Westfalen) statt. Anlass für die jährliche Veranstaltung sind die sogenannten "Rheinwiesenlager". Rheinwiesenlager: Die nach dem Zweiten Weltkrieg von den Alliierten eingerichteten Kriegsgefangenenlager entlang des Rheins nutzen Rechtsextremisten bis heute für ihre geschichtsrevisionistische Agitation. Die von dem NS-Künstler Adolf Wamper geschaffene Skulptur, die "schwarze Madonna", dient ihnen dabei als Mahnmal der Rheinwiesenlager, an dem Kränze niedergelegt und Reden gehalten werden. Im Jahr 2016 sprach neben anderen der bekannte Neonazi Sven Skoda zu den rund 200 Teilnehmern der Veranstaltung. Am 30. November 2016 wurden Durchsuchungsmaßnahmen bei insgesamt 17 Angehörigen der sogenannten "Freien Kameradschaft Dresden" durchgeführt. Es wurden Waffen, Munition, illegale Pyrotechnik und Vermummungsgegenstände sichergestellt. Ihnen wird vorgeworfen, seit Mitte 2015 schwere Straftaten, darunter versuchte Brandstiftung, Herbeiführung einer Sprengstoffexplosion und schwere Körperverletzungen begangen zu haben. Unter anderem sollen die Beschuldigten bei den massiven Ausschreitungen zwischen Linksund Rechtsextremisten in dem Leipziger Stadtteil Connewitz am 11. Januar 2016 beteiligt gewesen sein. Die "Freie Kameradschaft Dresden" zeichnete sich insbesondere durch ihre aggressive Anti-Asyl-Agitation aus und fiel wiederholt durch Aktionen gegen Asylbewerberunterkünfte in Dresden auf. Das Beispiel der Dresdner Neonazis zeigt, dass auch innerhalb der organisierten neonazistischen Szene die Gewaltbereitschaft gestiegen ist. 149 Rechtsextremismus 5.2 Hamburg In Hamburg sind die beiden parteiunabhängigen neonazistischen Personenstrukturen nicht mehr aktiv. Der "Kameradenkreis Neonazis in Hamburg" (bis 2006 "Kameradenkreis um Thomas Wulff"), der 1995 aus der verbotenen Vereinigung "Nationale Liste" (NL) hervorgegangen war, stellte seine politischen Aktivitäten bereits 2015 nahezu vollständig ein (s. VSB 2015, S. 160). Im Jahr 2016 wurden keine Aktivitäten bekannt. Über viele Jahre hatten insbesondere die beiden Aktivisten Tobias Thiessen und Inge Nottelmann die politische Arbeit der Kameradschaft geprägt. Im Laufe der Zeit hatten sich jedoch immer mehr Aktivisten zurückgezogen. Mit ihren überwiegend rückwärtsgewandten, auf die Zeit des Nationalsozialismus fixierten Propagandaaktionen zu bestimmten Gedenkund Jahrestagen ist es den Neonazis nicht gelungen, neue, junge Aktivisten an ihre Gruppe zu binden. Die gewaltorientierte "Weisse Wölfe Terrorcrew", die erstmals 2008 in Hamburg aktiv geworden war, wurde am 16. März 2016 vom Bundesministerium des Innern (BMI) verboten (s. VSB 2015, S. 161-164). Die Hamburger Behörde für Inneres und Sport (Abteilung Öffentliche Sicherheit, Polizei und Landesamt für Verfassungsschutz) hatte das Verbotsverfahren seit 2013 vorangetrieben. Da die Gruppierung ab 2014 über die Grenzen Hamburgs hinaus aktiv wurde, war das BMI die zuständige Verbotsbehörde. In der Verbotsverfügung wurde dargelegt, dass Ziele und Aktivitäten der WWT den Strafgesetzen zuwiderlaufen und sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung richten, insbesondere aufgrund - einer vielfältig belegbaren Wesensverwandtschaft mit der NSDAP, - der Verbreitung nationalsozialistischen Gedankenguts, - der Propagierung einer antisemitisch und fremdenfeindlich motivierten "Rassenlehre" sowie - einer auf aggressiv-kämpferische Art und Weise angestrebten Überwindung der demokratischen Ordnung. Die WWT war ein Zusammenschluss von Neonazis und ehemaliger Angehöriger der Skinhead-Szene. Von 2011 bis Mitte 2014 trat sie unter dem Doppelnamen "Hamburger Nationalkollektiv & Weisse Wölfe Terrorcrew 150 Rechtsextremismus Sektion Hamburg" (HNK & WWT) auf. Im Zuge der bundesweiten Expansion ab 2014 wurde dieser Name abgelegt. Zuletzt verfügte sie nur noch über wenige Anhänger in Hamburg, die sich nahezu ausschließlich an Aktivitäten der Gruppe außerhalb Hamburgs beteiligten. 6. Subkulturell geprägte Rechtsextremisten Als "subkulturell geprägt" bezeichnen die Verfassungsschutzbehörden vornehmlich jüngere Rechtsextremisten, die ihre Einstellungen in erster Linie durch entsprechende Verhaltensweisen, durch Musik, Kleidung, einschlägige Tätowierungen und andere Erkennungszeichen zum Ausdruck bringen und ausleben und weniger durch politische Aktivitäten. Ein hervorstechendes Merkmal der subkulturell geprägten Rechtsextremisten ist ihre grundsätzliche Gewaltaffinität. Deshalb zählt das LfV Hamburg auch Einzelpersonen ohne bis dahin erkennbare Anbindung an rechtsextremistische Organisationsoder Szenestrukturen, die durch rechtsextremistisch motivierte Straftaten aufgefallen sind, zu dieser Kategorie. Der Anteil klassischer Skinheads in dieser Szene ist, auch altersbedingt, über die Jahre stark zurückgegangen. An die Stelle des traditionellen Skinhead-Outfits sind Kleidungsstücke und zum Teil szeneeigene Marken getreten, die sich an aktuellen Trends der Jugendmode orientieren. Die meisten der subkulturell geprägten Rechtsextremisten verfügen über kein geschlossenes rechtsextremistisches Weltbild, sie sind mehr von einzelnen rechtsextremistischen Einstellungen und Argumentationsmustern beeinflusst. Aktivitäten mit Erlebnischarakter stehen für diesen Personenkreis im Vordergrund. Dazu zählen beispielsweise der Besuch rechtsextremistischer Musikveranstaltungen oder Fußballspielen sowie die gelegentliche Teilnahme an Demonstrationen, insbesondere wenn es dort zu gewalttätigen Auseinandersetzungen mit politischen Gegnern aus der linksextremistischen Szene kommen könnte. Subkulturell geprägte Rechtsextremisten haben an einer Einbindung in feste Strukturen, zum Beispiel in eine Partei, und an einer langfristigen politischen Betätigung im Gegensatz zu Angehörigen neonazistischer Gruppen überwiegend keinerlei Interesse. 151 Rechtsextremismus Kennzeichnend für diese Szene ist das Ausleben eines "rechten" Lebensgefühls, zu dem neben Rockmusik mit nationalistischen, antisemitischen, rassistischen und fremdenfeindlichen Texten auch starker Alkoholkonsum und szenetypische Straftaten (zum Beispiel Volksverhetzung, Sachbeschädigung, Gewaltdelikte) gehören. Eine immer größere Rolle in diesem Spektrum spielen die sozialen Netzwerke. Diese Plattformen werden zunehmend genutzt, um rechtsextremistisches Gedankengut zu verbreiten. Die insbesondere durch Musik und Internetpropaganda vermittelten Feindbilder führen zu Hass und Aggressivität. Sie können Auslöser für Gewalttaten sein, die häufig spontan und unter Alkoholeinfluss verübt werden. Die einzige bundesweit aktive Skinhead-Organisation sind die "Hammerskins", die sich durch einen hohen Organisierungsgrad und ein ausgeprägtes rassistisches Elitedenken auszeichnen. Die Organisation wurde 1986 in den USA gegründet und hat sich das Ziel gesetzt, die Skinheads in einer sogenannten "HammerDas Logo auf der Internetseite der skin-Nation" zu vereinen. Die "Hammerskins" "Hammerskins" sind in verschiedenen Ländern mit "Divisionen" vertreten, darunter auch in Deutschland. Regional gliedert sich die Vereinigung in Untereinheiten, den "Chaptern". Die Hammerskins weisen somit ähnliche Strukturen auf wie bekannte Rockergruppen. Die sich als exklusive Bruderschaft verstehenden "Hammerskins" unterwerfen Interessenten einem langwierigen Auswahlund Bewährungsprozess, an dessen Ende der Status "Member", also die Vollmitgliedschaft, steht. Das Logo der Hammerskins sind zwei gekreuzte Zimmermannshämmer auf einem Zahnrad. In Deutschland ist dieses Logo in den Farben der Flagge des Deutschen Kaiserreichs, also schwarz-weiß-rot, gehalten. Die Supporter-Organisation "Crew 38" gehört zum engen Umfeld der Hammerskins. Die Angehörigen dieses Netzwerks besitzen selber keinen Mitgliedsstatus, fühlen sich aber den Hammerskins eng verbunden. Die Bezeichnung "Crew 38" orientiert sich am Logo der Ham152 Rechtsextremismus merskins. Die Ziffer 3 steht für c = crossed und die Ziffer 8 für h = hammers. Die Hammerskins sind in Deutschland seit Anfang der 1990er Jahre präsent. Es gibt aktuell etwa zehn deutsche "Chapter". In Hamburg waren im Jahr 2016 keine Strukturen bekannt. Die Mitglieder kommen regelmäßig zu nationalen und internationalen Treffen an unterschiedlichen Orten zusammen. Das alljährliche europaweite "Hammerfest" fand am 19. November 2016 in Mailand statt. Bis auf die Organisation einzelner Konzertveranstaltungen ist die Vereinigung nach außen kaum aktiv. Seit 2014 beobachten die Verfassungsschutzbehörden in Deutschland eine zunehmende Politisierung und Radikalisierung von Teilen der gewaltbereiten Fußballszene, die unter dem Slogan "Hooligans gegen Salafisten" (HoGeSa) mit mehreren, zum Teil gewalttätig verlaufenden Demonstrationen für Aufsehen sorgten. Aus dieser Bewegung heraus haben sich 2015 weitere Aktionsgruppen mit islamfeindlicher Ausrichtung gebildet oder abgespalten, deren Entwicklung der Verfassungsschutz mit Blick auf mögliche rechtsextremistische Tendenzen aufmerksam verfolgt. Anhänger dieser Gruppen werden, soweit Erkenntnisse mit Rechtsextremismus-Bezug vorliegen, ebenfalls der subkulturell geprägten rechtsextremistischen Szene zugerechnet. Im Vergleich zu 2015 waren diese Aktionsgruppen im Jahr 2016 bundesweit weniger aktiv. In Hamburg werden zur Kategorie der subkulturell geprägten Rechtsextremisten etwa 110 Personen gerechnet, die sich zum Teil in losen Cliquen formieren und zumeist auch über soziale Netzwerke in Beziehung stehen. Personelle Überschneidungen gibt es in geringem Umfang mit der gewaltbereiten Fußballszene. Im Stadtteil Farmsen-Berne agiert seit einigen Jahren eine Gruppe von rund 15 Personen, die in loser Cliquenstruktur auftritt und hauptsächlich erlebnisorientiert geprägt ist. Dort kam es in der Vergangenheit zu einer Häufung von Propagandadelikten und rechtsextremistisch motivierten Straftaten. Den Kern der subkulturell geprägten rechtsextremistischen Szene in Hamburg bildet weiterhin das Umfeld der in Hamburg beheimateten Rechtsrockband "Abtrimo" ( 7.). In der Öffentlichkeit wird die Szene selten wahrgenommen. Hauptursache ist, dass es in Hamburg keine Szenetreffpunkte gibt und seit 2011 - mit einer Ausnahme 2014 - keine rechtsextremistischen Konzerte mehr in Hamburg stattfanden. 153 Rechtsextremismus 7. Rechtsextremistische Musikszene Musik hat für die Verbreitung rechtsextremistischen Gedankenguts unter Jugendlichen und jungen Erwachsenen eine zentrale Funktion. Über die Musik soll Interesse an der rechten Subkultur und deren Einstellungen geweckt werden. Sie ist zudem - wie generell bei Jugendkulturen - ein wesentlicher identitätsstiftender Faktor und festigt die Bindung zur jeweiligen Szene. Das Kalkül ist: Wer die Musik mag, ist wahrscheinlich auch empfänglich für die enthaltenen Botschaften. Der 1993 gestorbene Gründer des rechtsextremistischen "Blood & Honour"-Netzwerks, Sänger und Gitarrist der Skinhead-Kultband "Skrewdriver", Ian Stuart Donaldson, war sich dessen bewusst und erklärte in einem Interview: "Musik ist das ideale Mittel, Jugendlichen den Nationalsozialismus näher zu bringen, besser als das in politischen Veranstaltungen gemacht werden kann, kann damit Ideologie transportiert werden". Bei Konzerten werden üblicherweise CDs und Merchandising-Produkte zum Kauf angeboten. Rechtsextremistische Musik wird hauptsächlich über das Internet, über Versandhandel oder Downloadangebote sowie in entsprechenden Szeneläden vertrieben. 2016 waren in Deutschland zahlreiche rechtsextremistische Bands aktiv. Hinzu kommt eine Reihe von Einzelpersonen, die bei Liederabenden auftreten. Die Musikstile sind vielfältig und reichen von "Black Metal" bis hin zu Balladen. Das Gros der Bands produziert Rechtsrock. Im Jahr 2016 gab es bundesweit 225 rechtsextremistische Musikveranstaltungen (2015: 199). Skinhead-Konzerte nehmen hierbei mit 68 (2015: 63) Events eine bedeutende Stellung ein. Zudem gab es 72 (2015: 35) rechtsextremistische Liederabende mit Auftritten eines oder mehrerer Interpreten. Während diese Liederabende in der Regel vor einem kleineren Publikum mit meist weniger als 100 Teilnehmern stattfinden, erreichen einzelne offen beworbene Live-Konzerte Besucherzahlen im mittleren dreistelligen Bereich. Regionale Konzerte werden zumeist von nicht mehr als 100 bis 200 Besuchern frequentiert. Diese Konzerte werden oftmals als Geburtstagspartys oder sonstige Privatfeiern getarnt und entsprechend verschleiert bei potenziellen Vermietern geeigneter Räumlichkeiten angemeldet. Offen angekündigt werden insbesondere Veranstaltungen, mit denen Parteien wie die NPD oder "DIE RECHTE" die 154 Rechtsextremismus Popularität rechtsextremistischer Musik für ihre Zwecke instrumentalisieren; zudem Konzerte, die vorrangig einen kommerziellen Hintergrund haben und professionell organisiert sind. Beispielhaft hierfür ist der seit 2011 jährlich von der NPD organisierte "Eichsfeldtag" in Leinefelde (Thüringen). Am 28. Mai 2016 fand die Veranstaltung unter dem fremdenfeindlichen Motto "Asylflut stoppen - Der Überfremdung Grenzen setzen" mit 290 Teilnehmern statt - ein deutlicher Rückgang im Vergleich zu 2015 (450). Die Organisatoren hatten vor der Veranstaltung - und in der Bewertung im Nachhinein - vergeblich versucht, das Programm "attraktiver" zu gestalten und mehr Besucher zu gewinnen. Zum einen mit szenebekannten Rednern wie Thorsten Heise (Neonazi und NPD-Funktionär) und Udo Voigt (Ex-NPD-Bundesvorsitzender); zum anderen über den Auftritt einschlägiger rechtsextremistischer Bands wie "Tätervolk" und "Nahkampf". Auf deutlich mehr Interesse in der Szene stieß die als politische Kundgebung unter dem Tenor "Rock für Identität - Musikund Redebeiträge gegen die Abschaffung Deutschlands" angemeldete Veranstaltung am 7. Mai 2016 in Hildburghausen (Thüringen). Mit rund 3.500 Besuchern aus Deutschland und dem europäischen Ausland gelang es den Veranstaltern, die größte rechtsextremistische Musikveranstaltung in Deutschland seit 2009 (damals "Rock für Deutschland" in Gera mit gut 3.900 Teilnehmern) auf die Beine zu stellen. Die intern in der Szene als "Live H8" bezeichneten Veranstaltungen, die eine Mischung aus Auftritten rechtsextremistischer Interpreten und politischen Redebeiträgen darstellen, werden seit 2013 mit zunehmender Resonanz von der rechtsextremistischen Szene frequentiert. Im Jahr 2016 gelang es Rechtsextremisten aus Thüringen eines der größten rechtsextremistischen Konzerte der vergangenen Jahre in Europa zu organisieren. Mit rund 5.000 Besuchern fand am 15. Oktober 2016 in dem Schweizer Kanton St. Gallen das als "Rocktoberfest" angemeldete Konzert, unter anderem mit der niedersächsischen Band "Stahlgewitter", statt. Neben niederländischen, russischen und tschechischen Rechtsextremisten kam der Großteil der Besucher aus Deutschland. In die Planungen waren neben den Aktivisten aus Thüringen auch Mitglieder der Schweizer Band "Amok" eingebunden, die über europaweite Kontakte zu der in Deutschland verbotenen "Blood & Honour"-Bewegung verfügen. 155 Rechtsextremismus Tendenziell ist indes seit einigen Jahren ein Rückgang musikalischer Großveranstaltungen der rechtsextremistischen Szene zu verzeichnen, da erfolgreiche behördliche Maßnahmen (Öffentlichkeitsarbeit, Information potenzieller Vermieter, Verbote) sowie das Berichtsinteresse der Medien die Planung und Durchführung solcher Veranstaltungen erschweren oder unmöglich machen. Angehörige der subkulturell geprägten rechtsextremistischen Szene in Hamburg nehmen regelmäßig an Rechtsrock-Konzerten im Hamburger Umland, deutschlandweit und auch im Ausland teil. Von den drei in Hamburg beheimateten Rechtsrock-Bands ("Abtrimo, "Likedeelers" und "Vierländer Jungs") war im Jahr 2016 nur "Abtrimo" aktiv. Die Gruppe bezeichnet sich in einer Selbstdarstellung als Skinhead-Band, "die sowohl politische, kritische, Szenen bezogene und auch spaßige Lieder vertont". Die Band versucht, wie andere Aktivisten der rechtsextremistischen Szene, den Themenbereich "Zuwanderung, Asyl für politisch Verfolgte, Geflüchtete" für ihre ideologischen Inhalte zu missbrauchen. "Abtrimo" hat sich seit der Gründung im Jahr 2010 in der rechtsextremistischen Musikszene etabliert und wird bundesweit sowie international für Auftritte engagiert. Nach eigenen Angaben spielte "Abtrimo" unter anderem am 6. Februar 2016 in Mecklenburg-Vorpommern. Am 15. Mai 2016 trat die Band in Staupitz (Sachsen) bei einem Konzert neben anderen rechtsextremistischen Gruppen unter anderem mit "Faustrecht" sowie der aus Japan stammenden Band "Aggro Knuckle" auf, mit der sie bereits im Jahr 2015 auf einem Konzert in den USA spielten. Während der zweitägigen Konzertveranstaltung "Little Pussy Tour II" gab "Abtrimo" dort am 17. CD-Sampler "4 gewinnt" der Band Abtrimo Dezember 2016 erneut ein Konzert. Seit der Indizierung ihres Tonträgers "Hammonia" (2014) wegen des "Anreizes zum Rassenhass und zur Gewalt" zeigt sich die Band, mutmaßlich aus taktischen Erwägungen, gemäßigter in ihren Texten. Zusammen 156 Rechtsextremismus mit den einschlägigen Bands "Alte Schule" aus Niedersachsen, "Überzeugungstäter Voigtland" aus Sachsen und "Ungebetene Gäste" aus Mecklenburg-Vorpommern veröffentlichte "Abtrimo" im Frühjahr 2016 den CD-Sampler "4 gewinnt". Im Oktober 2016 wurden die Mitglieder der Band und deren Umfeld von der linksextremistischen Antifa geoutet. Auf einem von Linksextremisten, auch und gerade von Anhängern militanter Methoden, vorzugsweise genutzten Medium, veröffentlichten die Autoren einen umfangreichen Artikel mit Hintergrundinformationen über die Band, die Mitglieder und ihre Kontakte sowie über die Vernetzung der Band innerhalb der rechtsextremistischen Musikund Skinhead-Szene. 8. Rechtsextremistische Parteien 8.1 Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) Am 17. Januar 2017 verkündete das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) seine Entscheidung zum Verbotsantrag gegen die rechtsextremistische NPD. Dem Antrag des Bundesrates vom 3. Dezember 2013, die Verfassungswidrigkeit der NPD und ihrer Teilorganisationen festzustellen und diese aufzulösen, gab das Gericht zwar nicht statt, aber lediglich deshalb, weil die Partei derzeit nicht in der Lage sei, ihre verfassungsfeindlichen Ziele auch nur ansatzweise erfolgreich umzusetzen. Lasse das Handeln einer Partei noch nicht einmal auf die Möglichkeit eines Erreichens ihrer verfassungsfeindlichen Ziele schließen, so das Gericht, bedürfe es des Schutzes des Grundgesetzes durch ein Parteiverbot nicht. Das BVerfG stellte hingegen in aller Deutlichkeit fest, dass die NPD ein Mitglieder: 5.000 auf die Beseitigung der Bundessitz: Berlin bestehenden freiheitlichen Vorsitzender: Frank Franz demokratischen Grundordnung gerichtetes politisches Landesverband Hamburg Konzept vertrete. Sie wolle Mitglieder: 100 die bestehende Verfassungsordnung durch einen an der Vorsitzender: Lennart Schwarzethnisch definierten "Volksbach 157 Rechtsextremismus gemeinschaft" ausgerichteten autoritären Nationalstaat ersetzen. Ihr politisches Konzept missachte die Menschenwürde und sei mit dem Demokratieprinzip unvereinbar (Internetbeitrag des LfV vom 17.01.2017). In der mündlichen Verhandlung, die vom 1. bis 3. Januar 2016 in Karlsruhe stattfand, hatte das BVerfG festgestellt, dass der Durchführung des Verfahrens weder ein Verstoß gegen das Gebot strikter Staatsfreiheit noch eine Verletzung des Grundsatzes des fairen Verfahrens entgegenstünden. Das Gericht war davon überzeugt, dass alle V-Leute auf den Führungsebenen der NPD rechtzeitig abgeschaltet wurden und die Prozessstrategie der NPD nicht von staatlichen Stellen ausgeforscht wurde. Bereits im ersten Verbotsverfahren im Jahr 2003 war die Mehrheit der Richter des Bundesverfassungsgerichts der Ansicht, dass der Einsatz von V-Leuten kein Verfahrenshindernis darstelle. Da aber die notwendige zwei-drittel-Mehrheit im Senat nicht erreicht wurde, wurde das Verfahren mit Beschluss vom 18. März 2003 eingestellt. Die NPD sei, so das Gericht, wie sich im Jahr 2016 zeigte, nicht nur als Wahlpartei gescheitert, sondern einer "nachhaltigen Beeinflussung der außerparlamentarischen politischen Willensbildung durch die NPD" stünden nach Auffassung des Gerichts auch ihr "niedriger und tendenziell rückläufiger Organisationsgrad sowie ihre eingeschränkte Kampagnenfähigkeit und geringe Wirkkraft in die Gesellschaft entgegen." Im Jahr 2016 konnte die verfassungsfeindliche Partei aus der politisch viel diskutierten Asylund Flüchtlingsthematik sowie der Diskussion über die Sicherheitslage in Deutschland kein politisches Kapital schlagen. Inhaltlich und mit verschiedenen Aktionen (Teilnahme an migrationsfeindlichen Veranstaltungen, Organisation eigener Demonstrationen) widmete sie sich fast ausschließlich dem Flüchtlingsthema und der inneren Sicherheit. Den islamistisch motivierten Anschlag am 19. Dezember 2016 ( II.4.1) auf einen Weihnachtsmarkt in Berlin, bei dem zwölf Menschen ums Leben kamen und Dutzende zum Teil schwer verletzt wurden, instrumentalisierte die NPD unter anderem mit fremdenfeindlicher Propaganda wie: "Massenzuwanderung und Multikulti-Terror endlich stoppen!" Die NPD konnte mit dieser gewohnt radikalen und aggressiven Agitation gegen Ausländer keine nennenswerte Zustimmung oder einen Zulauf verzeichnen. Im Gegenteil: Die Zahl der Mitglieder ging im Jahr 2016 sogar von 5.200 auf 5.000 Personen zurück. 158 Rechtsextremismus Neben den Landtagswahlen am 13. März 2016 in Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg und am 18. September 2016 in Berlin waren vor allem die Wahlen in Sachsen-Anhalt am 13. März 2016 und Mecklenburg-Vorpommern am 4. September 2016 für die Partei entscheidend. In Sachsen-Anhalt hatte der Landesverband 2011 mit 4,6 Prozent den Einzug in den Landtag knapp verpasst und hoffte, durch politische Agitation zu den Themenbereichen Asyl, Migration, Flüchtlinge und innere Sicherheit nunmehr den Sprung über die Fünf-Prozent-Hürde schaffen zu können. Sie verfehlte am 13. März 2016 ihr Wahlziel deutlich und erreichte lediglich 1,9%. In Baden-Württemberg erzielte die NPD landesweit 0,4 Prozent (2011: 0,97 Prozent), in Rheinland-Pfalz kam die Partei auf 0,5 Prozent der Stimmen (2011: 1,1 Prozent). Bei den Kommunalwahlen in Hessen (6. März 2016) und Niedersachsen (11. September 2016) kam die NPD landesweit auf 0,3 Prozent (Hessen) und 0,1 Prozent (Niedersachsen). Eine Niederlage erlebte die NPD zudem bei den Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus und zu den Bezirksverordnetenversammlungen, bei der sie mit 0,6 Prozent der Stimmen deutliche Verluste hinnehmen musste (2011: 2,1 Prozent). In drei Bundesländern verfehlte die NPD somit deutlich die für die Teilhabe an der staatlichen Parteienfinanzierung relevante Schwelle von einem Prozent. Eine gravierende Niederlage erfuhr die NPD bei der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern. Dort verpasste sie mit 3,0 Prozent (2011: 6,0 Prozent) den Wiedereinzug in den Landtag. Der Verlust der einzigen noch verbliebenen parlamentarischen Basis ist für den Landesverband wie für die Partei insgesamt sowohl organisatorisch wie finanziell katastrophal. Mit Udo Pastörs an der Spitze hatte die NPD in Mecklenburg-Vorpommern auf radikale Agitation gesetzt. Die Wahlniederlagen hinterließen auch parteiintern Spuren. Der Versuch des Bundesvorsitzenden Frank Franz, die innerparteilichen Spannungen zwischen den widerstreitenden Parteilagern auszugleichen, war nicht erfolgreich. Die heterogene Besetzung des Bundesvorstandes mit gemäßigten Vertretern und radikalen Altkadern, wie dem bekennenden Nationalsozialisten Thomas Wulff, sollte die zuletzt zunehmend unzufriedenen Mitglieder einen und für Ausgleich in der Führungsebene sorgen. Ein Bundesparteitag wurde aufgrund des laufenden Verbotsverfahrens nicht 159 Rechtsextremismus abgehalten. Für erhebliches Aufsehen sorgte im September 2016 der Parteiaustritt des Landesvorsitzenden der Hamburger NPD und Beisitzers im Bundesvorstand, Thomas Wulff. Mit Wulff verließ eine der wichtigsten neonazistischen Führungsfiguren die Partei ( 5.2). Teilnahmen der NPD an den Landtagswahlen 2016 Datum Wahl Ergebnis 2011 Ergebnis 2016 13.03.2016 Landtagswahl 0,97% 0,4% Baden-Württemberg 13.03.2016 Landtagswahl 1,1% 0,5% Rheinland-Pfalz 13.03.2016 Landtagswahl 4,6% 1,9% SachsenAnhalt 04.09.2016 Landtagswahl 6,0% 3,0% MecklenburgVorpommern 18.09.2016 Abgeordneten2,1% 0,6% hauswahl Berlin Nicht nur in ihrem "Kampf um die Parlamente" blieben Erfolge aus, auch bei den weiteren Zielen ihrer "Vier-Säulen-Strategie", dem "Kampf um die Straße", dem "Kampf um die Köpfe" und dem "Kampf um den organisierten Willen" konnte die NPD im Jahr 2016 keine besonderen Akzente setzen. In Mecklenburg-Vorpommern schaffte es die NPD indes, durch ihre organisatorische Dominanz die "MVGIDA", einen Ableger der islamfeindlichen PEGIDA-Bewegung ("Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes") zu unterwandern und in der Folge im rechtsextremistischen Sinne zu steuern. Die Parteikader versuchten in der Öffentlichkeit zurückhaltend zu agieren und die Organisation als vorgeblich reine "Bürgerbewegung" darzustellen; logistisch und inhaltlich zeichnete allerdings die NPD verantwortlich. In den ersten Monaten des Jahres 2016 fanden fast jede Woche an verschiedenen Orten (unter anderem in Schwerin, Parchim, Neubrandenburg, Boizenburg) MVGIDA-Demonstrationen statt, an denen sich teilweise mehrere Hundert Personen beteiligten. 160 Rechtsextremismus Die NPD führte im Jahr 2016 keine zentrale Kundgebung zum 1. Mai durch. Es fanden lediglich sechs regionale, von den Landesverbänden angemeldete Veranstaltungen statt. In Schwerin versammelten sich unter dem Motto "Für Volk und Heimat - Tradition verpflichtet" mit rund 450 Parteianhängern die meisten Teilnehmer. Als Redner traten der Bundesvorsitzende Frank Franz, der Landesvorsitzende Stefan Köster und der Fraktionsführer der NPD im Schweriner Landtag, Udo Pastörs auf. Etwa 500 Personen beteiligten sich an den Gegendemonstrationen. In Wurzen (Sachsen) kamen am 1. Mai 2016 gut 100 Teilnehmer unter dem Motto "Grenzen dicht! Migranten sind die Armee des Kapitals!" zusammen. Unter dem gleichen Leitspruch fanden auch Versammlungen der "Jungen Nationaldemokraten" (JN) in Grimma und Döbeln (beides Sachsen) mit jeweils rund 30 Teilnehmern statt. In Bochum kamen 180 Personen zusammen; in Berlin fanden unter einem ähnlichen Tenor drei aufeinanderfolgende Standkundgebungen mit einem nahezu identischen Teilnehmerkreis von 50 Personen statt. Anlässlich der Silvesterfeierlichkeiten 2016/2017 versuchte die NPD aus den vor allem in Köln geschehenen Straftaten des Vorjahres politisches Kapital zu schlagen. So meldete die Partei beispielsweise für den Abend des 31. Dezember 2016 in Köln eine Versammlung an. Diese wurde jedoch verboten, da die verfügbaren Polizeikräfte bereits durch zahlreiche Sicherheitsaufgaben gebunden waren. Die Partei legte gegen diese Entscheidung Rechtsmittel ein, die in allen Instanzen erfolglos blieben. Die NPD-Jugendorganisation "Junge Nationaldemokraten" (JN) verfügt bundesweit über ca. 300 Mitglieder (2015: 330). Sie versteht sich als Bindeglied zwischen der Mutterpartei NPD und den "Freien Kräften". Der seit Ende 2014 amtierende Bundesvorsitzende der JN und ehemalige Aktivist der verbotenen "Heimattreuen Deutschen Jugend" (HDJ), Sebastian Richter, beschrieb die JN als eine "nationalistische Jugendbewegung mit einem sehr starken, antikapitalistischem Profil", die sich uneingeschränkt zum Abstammungsprinzip bekenne. Im Juni 2016 startete die JN erneut eine sogenannte "Platzhirsch"-Kampagne an sächsischen Schulen. Bereits im September 2014 hatten die JN im Zuge des Wahlkampfes für die Landtagswahl in Sachsen eine "Anti-Drogen-Aktionswoche" unter dem Motto "Weg mit dem Drogendreck" durchgeführt, bei der als "Platzhirsch" kostümierte Aktivisten Schulen aufsuchten, um 161 Rechtsextremismus Propagandamaterial der NPD-Jugendorganisation zu verteilen. Dabei verschafften sich die Rechtsextremisten mehrfach unerlaubt Zugang zu Unterrichtsräumen. Im März 2015 fanden daraufhin im Rahmen der Ermittlungen wegen Hausfriedensbruchs bei führenden Aktivisten der JN Sachsen Hausdurchsuchungen statt. Das populäre Thema "Kampf gegen Drogenmissbrauch" wird auch von anderen extremistischen Gruppierungen instrumentalisiert, um mit den Menschen in Kontakt zu kommen, in Hamburg von der Scientology-Organisation ( VII.6). Die JN unterstützte auch den Wahlkampf der NPD zur Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern. So veranstaltete sie ein "Wahlkampflager Mecklenburg und Pommern" und veröffentlichte auf ihrer Facebook-Seite "JN - Die Jugend für Deutschland" unter der Überschrift "Knüppel aus dem Sack" Fotos von selbstgebastelten "Knüppeln" aus Holz, die sie an "Landsleute" verteilt hätten. Die Fotos wurden mit fremdenfeindlichen Parolen kommentiert. Hamburg Wie bundesweit ist auch in Hamburg die Mitgliederzahl der NPD gesunken. Dem Hamburger Landesverband gehören schätzungsweise noch 100 Rechtsextremisten an (2015: 130). Themen wie Zuwanderung, Asyl und Flüchtlinge waren auch im Jahr 2016 thematischer Schwerpunkt der medialen Propaganda auf der Internetseite sowie dem Facebook-Auftritt des Landesverbandes. Der vermeintliche "Austausch" des deutschen Volkes, den die NPD behauptet, wurde bereits zu Beginn des Jahres 2016 in einem Artikel zum Stichwort "Neujahrskind" thematisiert, in dem es hieß, der Austausch finde nicht nur von außen statt, sondern "auch und das massiv über die Geburtskliniken." Die Übergriffe in der Silvesternacht 2015/16 wurden von der Hamburger NPD instrumentalisiert, um ihre Forderungen nach Abschiebung krimineller Ausländer und Schließung der Grenzen zu unterstreichen. Auch in den regelmäßig auf der Internetseite sowie dem Youtube-Kanal der NPD Hamburg veröffentlichten Videos wurde gegen Asylsuchende 162 Rechtsextremismus gehetzt. In seiner Rede beim Landesparteitag am 22. Oktober 2016 behauptete der Landesvorsitzende Lennart Schwarzbach unter anderem: "Integration ist Völkermord, Deutscher ist nur, wer deutsche Vorfahren hat." Des Weiteren verleumdet die NPD in ihren Videos andere Parteien als "Lügenparteien", die den Deutschen hinsichtlich der Einwanderungsund Flüchtlingspolitik die Unwahrheit sagten. Die menschenverachtende Agitation der NPD richtet sich aber nicht nur gegen neuankommende Migranten, sondern gegen alle Bevölkerungsgruppen, die nicht dem Rasseund Kulturverständnis der neonazistisch geprägten Partei entsprechen. So wurde etwa in einem im August 2016 erschienenem Internetartikel der "Christopher Street Day (CSD)" als "skurrile und obszöne Schwulenparade in Hamburg" bezeichnet und gegen die steuerliche Gleichbehandlung von Schwulenund Lesben-Ehen agitiert. Neben aktuellen Berichten und politischen Statements aktualisiert der Landesverband regelmäßig seine bereits im Jahr 2014 entwickelte "Hamburg-Karte", in der Asylbewerberunterkünfte einschließlich der Anzahl der dort untergebrachten Flüchtlinge eingezeichnet sind. Neben den Internetaktivitäten zeigte die Hamburger NPD im Jahr 2016 auch öffentliche Präsenz, was vor allem am Engagement einzelner ambitionierter Parteiaktivisten wie Lennart Schwarzbach lag. Der 1990 geborene Multifunktionär war insbesondere als Anmelder und Veranstalter von Info-Ständen aktiv, die schwerpunktmäßig im Bezirk Wandsbek organisiert wurden. Am 19. März 2016 traten einige Aktivisten der NPD in Rahlstedt auf, am 23. April 2016 war die NPD mit ihrem Stand im Stadtteil Wandsbek unterwegs und am 16. Juli 2016 in Bramfeld. Dort, wie auch am 21. Mai 2016 in Hummelsbüttel, versuchte sie unter dem Tenor "Asylbetrug und Überfremdung" ihre fremdenfeindlichen Positionen an die Bevölkerung heranzutragen. Bei den Bürgern gab es allerdings kaum Resonanz auf die Infotische. Dass die NPD bei öffentlichen Aktionen in Hamburg immer auch mit Übergriffen gewaltbereiter Linksextremisten rechnen muss, zeigte sich am 26. November 2016 in Rahlstedt. Nach einem Aufruf im Internet 163 Rechtsextremismus versammelten sich mehrere Kleingruppen mit insgesamt gut 60 teilweise vermummten Personen, um den angekündigten Infostand zu verhindern. Einige Rechtsextremisten, die gerade auf dem Weg zur genehmigten Örtlichkeit waren, flüchteten vor den Linksextremisten in ein nahe gelegenes Zoogeschäft. Nur unter dem Schutz der Polizei konnten sie dieses wieder verlassen. Neben dem Einsatz in Hamburg unterstützten Schwarzbach und weitere Helfer aus Hamburg auch den Wahlkampf der NPD in Mecklenburg-Vorpommern und in Berlin. Wie in den Vorjahren traten bei einigen Vortragsveranstaltungen des Landesverbandes hochrangige Parteivertreter oder andere szenebekannte Sprecher auf. So war am 20. März 2016 der damalige stellvertretende Vorsitzende der NPD, Frank Schwerdt (gestorben am 20. Oktober 2016), zu Gast. Zusammen mit Thomas Wulff berichtete er von seinen Eindrücken von der mündlichen Verhandlung zum NPD-Verbotsantrag vor dem Bundesverfassungsgericht. Bei einem Themenabend mit dem Tenor "Germanischer Geist" am 19. April 2016 beim Kreisverband Hamburg-Harburg referierte der sich selbst als "Nationalmarxisten" bezeichnende Rechtsextremist Reinhold Oberlercher und stellte sein "ABC der politischen, ideologischen und sozialen Begriffe" vor. Er stellte heraus, dass eine klare Bestimmung und Verwendung dieser Begriffe Grundvoraussetzung für eine erneute Überwindung des wieder in Deutschland eingeführten kapitalistischen Systems sei. Der in Hamburg lebende ehemalige Aktivist des "Sozialistischen Deutschen Studentenbundes" (SDS) - der SPIEGEL nannte ihn am 18. Dezember 1967 "Hamburgs Dutschke" - hatte sich in den 1990er Jahren als Gründer und Chefideologe des rechtsextremistischen Schulungszirkels "Deutsches Kolleg" gemeinsam mit dem ehemaligen Mitglied der linksterroristischen "Roten Armee Fraktion" (RAF) und rechtsextremistischen Juristen Horst Mahler hervorgetan. 1999 sorgte Oberlercher mit seinem Entwurf für eine neue Reichsverfassung ("4. Reich") in der Szene für einiges Aufsehen. Seine großenteils abstrusen und unverständlichen Thesen verhinderten jedoch eine größere ideologische Breitenwirkung im rechtsextremistischen Spektrum. Seit einigen Jahren hat er sich weitgehend aus der politischen Arbeit zurückgezogen. 164 Rechtsextremismus Für erhebliche Unruhe in der NPD sorgte der Parteiaustritt des Hamburger Landesvorsitzenden Thomas Wulff am 1. September 2016, wenige Tage vor der wichtigen Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern. Wulff war seit 2004 Mitglied der Partei und war nach mehrjähriger Unterbrechung im November 2014 erneut als Beisitzer in den Bundesvorstand gewählt worden. Seit März 2014 führte er den Hamburger Landesverband an. Seine Entscheidung begründete er damit, dass die Partei "von innen heraus verfault" sei, jede Glaubwürdigkeit verloren habe und "politischen Verrat an der Idee des gemeinsamen unerschrockenen Kampfs für unser Volk" begehe. Wulff stand lange symbolisch für den Schulterschluss zwischen NPD und den freien Kameradschaften. In den vergangenen Jahren wuchs jedoch die Kritik an seiner Person. Der Bundesvorstand versuchte ihn wegen parteischädigenden Verhaltens aus der Partei auszuschließen, da Wulff sich vor seiner Wahl zum Landesvorsitzenden offen dazu bekannt hatte, "Nationalsozialist" zu sein und diese "politische Verortung" auf Nachfrage des SPIEGEL bestätigte. Das Parteiausschlussverfahren ging jedoch zu seinen Gunsten aus. Dass Wulff für die Verkündung seines Austritts das symbolträchtige Datum "1. September" wählte, ist sicher kein Zufall - am 1. September 1939 begann mit dem Überfall der deutschen Wehrmacht auf Polen der Zweite Weltkrieg. Durch die Terminierung kurz vor der für die NPD so wichtigen Wahl in Mecklenburg-Vorpommern war ihm zudem größtmögliche Aufmerksamkeit sicher und der potenzielle Schaden für die Partei am größten. Wulff war im Jahr 2016 für den Hamburger Landesverband politisch kaum noch aktiv. Vielmehr engagierte er sich bei islamund asylfeindlichen Bürgerbewegungen und Protestveranstaltungen im gesamten Bundesgebiet, insbesondere bei dem durch die NPD unterwanderten Ableger der GIDA-Bewegung in Mecklenburg-Vorpommern, MVGIDA. Auf dem Landesparteitag am 22. Oktober 2016, auf dem neben anderen der Bundesschatzmeister der NPD, Andreas Storr, als Gastredner auftrat, wurde Lennart Schwarzbach, der bisher als Beisitzer fungierte, zu Wulffs Nachfolger im Amt gewählt. Nachdem die Jungen Nationaldemokraten (JN) seit 2011 kaum noch in Hamburg aktiv geworden waren, wurde die Organisation im Jahr 2015 reaktiviert. Zusammen mit Aktivisten aus Schleswig-Holstein bilden die jüngeren Angehörigen der Hamburger NPD und parteinahe Freie Kräfte 165 Rechtsextremismus die "JN Hamburg-Nordland". Lennart Schwarzbach ist Stützpunktleiter in Hamburg und Bindeglied zu den Protagonisten im Nachbarland. Er versucht durch eine aktionistisch und dynamisch gestaltete Jugendorganisation junge Aktivisten für die politische Arbeit zu gewinnen, die einer traditionellen Parteizugehörigkeit eher skeptisch gegenüberstehen. In einer Selbstdarstellung beschreibt die Organisation ihren "gesellschaftlichen Auftrag": "Unter dem schönen Namen ,JN Hamburg-Nordland' wird unserer Jugend Bildung, Gemeinschaft und Aktivismus geboten. Hierdurch soll ein direkter Gegenpol geschaffen werden zu den gerade in Hamburg ausgeprägten Versuchen, unsere Jugend zu verblöden, zu entfremden und entpolitisieren." Am letzten Januarwochenende 2016 fand ein erstes bundesweites JN-Schulungstreffen statt, an dem nach eigenen Angaben auf ihrer Facebook-Seite auch die "JN Hamburg-Nordland" teilnahm. Zum "Tag der deutschen Einheit" am 3. Oktober 2016 organisierte die JN eine Wanderung, an der ebenfalls Hamburger Aktivisten teilnahmen. Zwar zeichnet die JN Hamburg-Nordland wiederholt für politische Aktionen verantwortlich, neue Impulse setzte die Gruppierung jedoch nicht. Die Aktivitäten beschränken sich größtenteils auf die Unterstützung der NPD-Landesverbände Hamburg und Schleswig-Holstein. 8.2 DIE RECHTE Die Partei "DIE RECHTE" wurde am 27. Mai 2012 vom Neonazi Christian Worch in Hamburg gemeinsam mit ehemaligen DVU-Mitgliedern Die Partei "DIE RECHTE" im Internet gegründet. Die Partei baut ihre Strukturen bundesweit laufend aus; aktuell gibt es zehn Landesverbände (Stand: Januar 2017). In Mecklenburg-Vorpommern ist "DIE RECHTE" seit dem 24. November 2015 mit dem Kreisverband Schwerin vertreten. Damit ist die Partei bisher in 13 Ländern vertreten: Baden-Württemberg, Bayern, Berlin, Brandenburg, Bremen, Hessen, Niedersachen, Nordrhein-Westfalen, Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. 2016 wurden vier 166 Rechtsextremismus Kreisverbände gegründet. Aktuell gehören ihr gut 700 Mitglieder an. In Hamburg gab es auch 2016 keine Strukturen. Zum Vorstand des am 15. September 2012 in Dortmund gegründeten Landesverbandes Nordrhein-Westfalen gehören zahlreiche ehemalige Führungsaktivisten der am 23. August 2012 vom Innenminister des Landes verbotenen neonazistischen Vereinigungen "Nationaler Widerstand Dortmund" und "Kameradschaft Hamm". Zudem gehörten weitere Mitglieder dieses Landesverbandes den verbotenen Kameradschaften an. Anlässlich des Jahrestages der Vereinigungsverbote wurde - wie bereits in den Vorjahren - am 23. August 2016 eine Demonstration unter dem Motto "Weg mit dem NWDO-Verbot! Weg mit allen Vereins-, Versammlungsund Meinungsverboten! Mehr Demokratie wagen!" durchgeführt, an der sich gut 100 Personen beteiligten. Am 1. Mai 2016 organisierte der Landesverband Thüringen eine Demonstration mit dem Motto "Tradition verpflichtet - Kapitalismus zerschlagen - Heraus zum 1. Mai" in Erfurt mit rund 270 Teilnehmern. Der Landesvorsitzende aus Nordrhein-Westfalen trat als Redner auf. Im Anschluss wurde eine Spontandemonstration unter dem auch von Linksextremisten häufiger benutzten Tenor "Gegen Polizeigewalt" mit 25 Teilnehmern in Weimar veranstaltet. An einer Protestveranstaltung gegen die Rechtsextremisten beteiligten sich etwa 900 Gegendemonstranten. "DIE RECHTE" trat 2016 bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg (dort in neun Wahlkreisen) und in Sachsen-Anhalt an. Sie kam jedoch lediglich auf 713 Stimmen (0,0 %) in Baden-Württemberg und 2.353 Stimmen (0,2 %) in Sachsen-Anhalt. Die Wahlteilnahmen dienten in erster Linie dazu, den Status als Partei zu festigen. Parteianhänger in Dortmund sorgten am 16. Dezember 2016 für öffentliches Aufsehen als sie die Reinoldikirche in der Dortmunder Innenstadt besetzten. Acht Aktivisten verschafften sich Zutritt zum Kirchturm, hängten ein Transparent mit der Aufschrift "Islamisierung stoppen" auf und zündeten Pyrotechnik. Die Aktion stand unter dem Motto "Europa, Jugend, Revolution". Parallel zu der Besetzung verteilten weitere Aktivisten vor der Kirche Flugblätter und skandierten islamfeindliche Parolen. Gegen die Beteiligten wurde ein Ermittlungsverfahren wegen Hausfriedensbruchs, Verwendung verfassungsfeindlicher Symbole sowie des Verstoßes gegen das Sprengstoffgesetz eingeleitet. Bemerkenswert ist, 167 Rechtsextremismus dass sich die Dortmunder Rechtsextremisten dieses Vorgehen offensichtlich von der "Identitären Bewegung" ( 9.1) abgeschaut hatten, die mit ihren Aktionen und öffentlichen Inszenierungen in den vergangenen Monaten deutlich mehr Aufmerksamkeit auf sich ziehen konnte als die neonazistische Szene. 8.3 Der III. Weg Die neonazistisch geprägte, nationalrevolutionäre und sich an einen vorgeblich "linken" Nationalsozialismus auf Basis der Ideologie der Die Partei "Der III. Weg" im Internet Strasser-Brüder anlehnende Partei "Der III. Weg" wurde am 28. September 2013 in Heidelberg gegründet. Ihren organisatorischen und aktionistischen Schwerpunkt hat sie in Süddeutschland. Zu den Parteimitgliedern zählen auch ehemalige Angehörige des am 23. Juli 2014 verbotenen Neonazi-Netzwerkes "Freies Netz Süd". Am 1. Mai 2016 führte "Der III. Weg" gemeinsam mit dem Veranstalter "Nationales und soziales Aktionsbündnis 1. Mai" unter dem Motto "Kapitalismus zerschlagen - Für einen Deutschen Sozialismus" eine Demonstration mit rund 900 Teilnehmern in Plauen (Sachsen) durch. Bei dieser bundesweit größten rechtsextremistischen Veranstaltung zum 1. Mai kam es zu massiven Ausschreitungen, da die Demonstrationsroute aus Sicherheitsgründen verkürzt werden sollte. Die Veranstalter lehnten dies ab, beendeten ihre Kundgebung und führten eine Eilversammlung durch, bei der mehrere Redner auftraten, unter anderem der zu dem Zeitpunkt noch amtierende Hamburger NPD-Vorsitzende Thomas Wulff ( 5.1). Am 12. November 2016 veranstaltete die Partei ihr jährliches sogenanntes "Heldengedenken" in Wunsiedel, an dem etwa 250 Personen teilnahmen. Das Motto der Demonstration lautete: "Tot sind nur jene, die vergessen werden". Wie in den Vorjahren trat auch dort unter anderem Thomas Wulff als Redner auf. In Wunsiedel befand sich von 1987 bis 2011 das Grab des "Hitler-Stellvertreters" Rudolf Heß. 168 Rechtsextremismus Die Partei "Der III. Weg" beschäftigte sich auch im Jahr 2016 hauptsächlich mit der Anti-Asyl-Agitation, beispielsweise über die Kampagne "Kein Asylantenheim in meiner Nachbarschaft". Nach dem islamistisch motivierten Anschlag vom 19. Dezember 2016 auf einen Weihnachtsmarkt in Berlin behauptete die Partei, dass es einen "regelrechten Ausländerterror" gebe. Auch im Jahr 2016 hat "Der III. Weg" seine Strukturen weiter ausgebaut und neue "Stützpunkte" sowie zwei Gebietsverbände gegründet, insbesondere in Bayern, Thüringen und im Raum Berlin. Insgesamt verfügt die Partei damit über 21 Stützpunkte und zwei Gebietsverbände in elf Bundesländern. In Hamburg gibt es bisher keine Strukturen. 9. Sonstige rechtsextremistische Organisationen und Bestrebungen Neben den rechtsextremistischen Parteien, den neonazistischen Kameradschaften und Aktionsgruppen und der subkulturell geprägten Szene gibt es weitere rechtsextremistische Vereinigungen, Einrichtungen und Initiativen, die sich in ihrer politisch-ideologischen Ausrichtung, mit ihren Agitationsthemen und auch hinsichtlich ihrer Größe und ihres Aktionsradius unterscheiden. Einige von ihnen sind seit Jahren Bestandteil der rechtsextremistischen Hamburger Szene oder verfügen hier über Anhänger. Die Gesamtzahl der solchen Organisationen zuzuordnenden Personen lag im Jahr 2016 bei 3.500 Personen (2015: 3.200). Zu dem Anstieg haben die verstärkten Aktivitäten der rechtsextremistischen "Identitären Bewegung" (IBD) beigetragen, die daher von mehreren Verfassungsschutzbehörden in die Beobachtung aufgenommen wurden. Ein gesondert zu behandelndes extremistisches Phänomen sind die sogenannten "Reichsbürger" und "Selbstverwalter", die im Jahr 2016 in den besonderen Fokus der Verfassungsschutzbehörden gerieten ( VI). Das sehr heterogene "Reichsbürger"-Spektrum eint, dass es den Bestand der Bundesrepublik Deutschland ablehnt und sich auf das frühere "Deutsche Reich" beruft. Bei "Reichsbürgern" und "Selbstverwaltern" gibt es zwar personelle und ideologische Überschneidungen mit dem Rechtsextremismus, sie können diesem aber nicht in Gänze zugeordnet werden. Ihre Ideologie stellt einen Extremismus eigener Art dar. In Deutschland werden derzeit (Stand: Mai 2017) rund 12.600 Menschen diesem Spek169 Rechtsextremismus trum zugerechnet, davon rund 700 der rechtsextremistischen Szene. Das der "Reichsbürger"-Szene in Hamburg zuzuordnende Personenpotenzial liegt gegenwärtig bei rund 90 Personen (davon rund 10% Rechtsextremisten). Das LfV Hamburg beobachtet zudem rechtsextremistische Tendenzen bei zwei Hamburger Burschenschaften, der "Hamburger Burschenschaft Germania" (HB! Germania) und der "Pennalen Burschenschaft Chattia Friedberg zu Hamburg" (PB! Chattia). Burschenschaften sind konservative Studentenverbindungen mit ausschließlich männlichen Angehörigen, tradierten Verhaltensweisen und elitärem Anspruch. Die aktiven Mitglieder werden "Burschen", Burschen-Anwärter "Füxe" und die lebensälteren, nicht mehr aktiven Mitglieder "Alte Herren" genannt. Diese verstehen sich auch als Mentoren und Förderer der "Burschen" und unterstützen sie bei ihrer Karriere im Berufsleben. Die Seilschaften, die sich so bilden, sind von enger Verbundenheit geprägt. Die rund 140 deutschen Burschenschaften sind in drei burschenschaftlichen Dachverbänden zusammengeschlossen. Die meisten gehören nach wie vor dem ältesten Bund, der "Deutschen Burschenschaft" (DB), an, die einen "volkstumsbezogenen Vaterlandsbegriff" vertritt. Hiernach ist nicht die deutsche Staatsangehörigkeit ausschlaggebend, sondern die Zugehörigkeit zum "Deutschen Volk", um in der DB organisiert zu sein. Über die Auslegung dieses Begriffes und den Umgang mit rechtsextremistischen Tendenzen bei Mitgliedsbünden gab es in den vergangenen Jahren eine heftige Kontroverse zwischen einem radikaleren und einem gemäßigten Flügel, die im Jahr 2012 zur Abspaltung der liberaleren "Initiative Burschenschaftliche Zukunft" (IBZ) führte. Die Zahl der in der DB organisierten Bünde halbierte sich auf rund 70. Im Jahr 2016 ging aus der IBZ die "Allgemeine Deutsche Burschenschaft" (ADB) hervor, der sich bis Ende 2016 27 Burschenschaften angeschlossen haben. Die sogenannte "Burschenschaftliche Gemeinschaft" (BG) bildet den national-konservativ geprägten Flügel der DB. In ihr sind, wenn auch nicht ausschließlich, die Burschenschaften organisiert, die im Zusammenhang mit rechtsextremistischen Tendenzen vom Verfassungsschutz beobachtet werden, unter anderem die HB! Germania. Festzustellen ist, dass nur von einem Teil der Burschenschaften verfassungsfeindliche Bestrebungen ausgehen. Gleichwohl fallen immer wieder Burschen170 Rechtsextremismus schafter durch rassistische, antisemitische sowie geschichtsrevisionistische Äußerungen auf oder engagieren sich in rechtsextremistischen Organisationen oder stehen ihnen nahe. 9.1 Identitäre Bewegung Deutschland (IBD) Die "Identitäre Bewegung Deutschland" (IBD) wurde im Jahr 2012 als deutscher Ableger der rechtsextremistischen französischen Bewegung "Generation Identitaire" gegründet, die dort seit 2003 mit fremdenfeindlichen, insbesondere islamfeindlichen Positionen und Aktionen agitiert. Die IBD versteht sich als Teil einer europaweiten Bewegung für "Freiheit, Heimat und Tradition". Sie propagiert nach eigenen Angaben den Erhalt einer deutschen und vorgeblich "christlich-europäischen" Identität, die sie durch außereuropäische Zuwanderung und eine vermeintlich zunehmende Islamisierung Deutschlands und Europas gefährdet sieht. Die IBD distanziert sich verbal vom historischen Nationalsozialismus, bezeichnet sich selbst als demokratisch und sieht sich als "metapolitischen und aktivistischen Arm der Neuen Rechten". Leitbegriff ihrer Ideologie ist der sogenannte "Ethnopluralismus". Die Kernthese ist: "Jedem Staat und Volk seine eigene Kultur". Als ideologische Eckpunktsetzung veröffentlichte die IBD bisher vier Grundsatzpapiere sowie ein Strategiepapier zur geplanten Umsetzung der Organisationsziele. Das Schlagwort "Ethnopluralismus" ist der Basisbegriff für eine völkisch-rassistische und antidemokratisch geprägte Ideologie. Mit der undifferenzierten Forderung nach "Remigration" spricht die IBD bestimmten Ethnien und Kulturen ihre Daseinsberechtigung in für sie angeblich "fremden Territorien" ab. Die Kampagne "Der große Austausch", in der die IBD europaweit vor einem vorgeblichen Austausch der jeweiligen Bevölkerung durch "Fremde" warnt, ähnelt inhaltlich der von der rechtsextremistischen Szene proklamierten Warnung vor "Überfremdung" und der "Volkstod-Kampagne". Die islamische Kultur insgesamt wird als unvereinbar mit den Werten einer "europäischen Kultur" dargestellt. Mitbürger aus Ländern des muslimischen Kulturkreises werden in Veröffentlichungen systematisch mit Islamisten in Verbindung gebracht, von Muslimen begangene Straftaten gezielt verallgemeinert und damit die Religion des Islam insgesamt verunglimpft. 171 Rechtsextremismus Die IBD hat nach eigenen Angaben bundesweit 500 Mitglieder. Nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes dürften es derzeit rund 300 sein (Stand: Januar 2017). Seit Mai 2014 ist die IBD ein eingetragener Verein mit Sitz in Paderborn. Als Erkennungszeichen verwendet die Gruppierung das Lambda-Symbol. Die französische "Generation Identitaire" erklärt dies so: "Das Lambda, das die Schilder der glorreichen Spartaner schmückte, ist unser Symbol. [...] Wir sind euer Geplänkel Logo der "Identitären Bewegung" leid und gehen keinem Kampf und keiner Her(Lambda-Symbol) ausforderung aus dem Weg!" Die IBD ist sehr medienaffin und entsprechend stark im Internet aktiv. Hiernach gliedert sich die Organisation in 15 Regionalgruppen. Daneben existieren auf Facebook zahlreiche Profile lokaler und regionaler Gruppen, die zum Teil ganze Bundesländer oder auch einzelne Städte umfassen. Die IBD zeigt medial eine vielseitige Präsenz, um sich insbesondere Jugendlichen und jungen Erwachsenen anzubieten. Neben einer Webseite betreibt die Organisation Twitter-, YouTubesowie InstagramAccounts, diverse Blogs und ist neben Facebook auch in anderen sozialen Netzwerken aktiv. Nachdem die IBD anfänglich lediglich virtuell aktiv war, fiel sie Ende 2012 erstmals mit öffentlichen Aktionen und Protesten auf. Mittlerweile präsentieren sich die Aktivisten regelmäßig öffentlich mit medienwirksamen Aktionen. Die Flüchtlingsthematik bietet der Organisation eine wirksame Plattform für ihre fremdenfeindliche Agitation. Eine öffentlichkeitswirksame Aktion war die kurzzeitige Besetzung des Brandenburger Tores am 27. August 2016. Zwölf Identitäre, darunter auch ein aus der rechtsextremistischen Szene in Hamburg bekannter Aktivist, brachten Transparente mit den Aufschriften "Sichere Grenzen - sichere Zukunft", "Grenzen schützen - Leben retten" und "Identitäre Bewegung" an. Des Weiteren wurden IB-Fahnen geschwenkt und Pyrotechnik abgebrannt. Gegen die Aktivisten wurde ein Strafermittlungsverfahren unter anderem wegen schweren Hausfriedensbruchs eingeleitet. Als Reaktion auf den islamistisch motivierten Anschlag auf den Berliner Weihnachtsmarkt blockierten etwa 50 Aktivisten der IBD am Abend des 172 Rechtsextremismus 21. Dezember 2016 den Eingang der CDU-Parteizentrale in Berlin und protestierten lautstark gegen die Politik der Bundeskanzlerin. Da Blockierer sich weigerten, den Anweisungen der Polizei Folge zu leisten, wurde die Blockade zwangsweise beendet. Bereits im Jahr 2013 versuchte die IBD auch in Hamburg eine Ortsgruppe zu formieren. Die Gruppierung trat damals mit vereinzelten Aktionen in Erscheinung, unter anderem mit einem weitgehend unbemerkt gebliebenen "Flashmob" am Hauptbahnhof; auch beteiligten sich Aktivisten an einer Kundgebung gegen den Umbau einer Kirche zu einer Moschee in Hamburg-Horn (s. VSB 2013, S. 193). Danach war die Gruppe öffentlich kaum wahrnehmbar. Dies änderte sich Mitte 2015. Seitdem verdichteten sich zunächst die Hinweise auf in Hamburg aktive Anhänger auswärtiger IB-Gruppen. Neben vereinzelten Flyerund AufkleberAktionen besetzten die Identitären am 28. Juni 2015 kurzzeitig den Balkon der Hamburger SPD-Parteizentrale. Die beteiligten Aktivisten stammten überwiegend aus anderen Bundesländern. Im Jahr 2016 nahmen die Aktionen der IBD in Hamburg kontinuierlich zu. Insbesondere im Rahmen ihrer bundesweiten Propaganda-Kampagne "Der große Austausch" wurden diverse Flyer und Plakatierungen im Stadtgebiet festgestellt. Im März 2016 nahm die IBD die terroristischen Anschläge in Brüssel zum Anlass, ein Transparent mit der Flyeraktion der IBD Aufschrift "Heute Brüssel - Morgen Hamburg" und dem Lambda-Symbol an einer Autobahnbrücke in Hamburg aufzuhängen. Ende Mai 2016 plakatierte und beklebte die IBD zahlreiche Objekte in unmittelbarer Nähe der Universität Hamburg. Unter anderem wurde in großen Lettern der Slogan "Heute seid ihr tolerant, morgen fremd im eigenen Land. Europa Jugend Reconquista" an eine Wand angebracht. Die Hamburger Aktivisten gaben zudem bekannt, dass eine eigene Hochschulgruppe gegründet werde. 173 Rechtsextremismus Ab Mitte des Jahres 2016 verstärkte die Gruppierung ihre öffentlichkeitswirksamen Aktionen in Hamburg, bei denen sich die Aktivisten auch bewusst in der Öffentlichkeit zeigten und den Kontakt mit der Bevölkerung suchten. Mit flashmobartigen Aktionen inszenierten sie ihre politischen Botschaften. Alle Aktivitäten der Gruppierung werden visuell und inhaltlich aufbereitet und vornehmlich über Facebook verbreitet. In einer als "aktionistische Intervention" beschriebenen fremdenfeindlichen Aktion machten Identitäre am 9. und 10. Juli 2016 in großstädtischen Bahnhöfen, auch in Hamburg, auf die vermeintliche Gefahr aufmerksam, die von Flüchtlingen ausgehe. Die Aktion erweckte auf den ersten Blick den Anschein einer Willkommensaktion für Flüchtlinge. Die Aktivisten trugen Transparente mit Aufschriften wie "Refugees welcome", die allerdings Einschlusslöcher und Blutflecken zeigten. Der Slogan "Wir lieben offene Grenzen" wurde unter einer Fahne der Terrororganisation "Islamischer Staat" (IS, II.4.2) aufgeführt. In der Nacht zum 29. Juli 2016 wurden an fünf Örtlichkeiten in der Hamburger Innenstadt mit Kreide Personenumrisse auf den Gehweg gezeichnet. Zudem wurden rote Farbe im Halsund Brustbereich der Kreideumrisse angebracht sowie Papierschnipsel mit politischen Parolen hinterlassen. Verantwortlich zeichnete ein "Sturmkommando pro Border pro Nation", das der IBD zuzurechnen ist. An der Hauswand des Gebäudes der Landesgeschäftsstelle der Partei "Bündnis 90/Die Grünen" und auf dem Gehweg vor dem Gebäude wurden Graffiti und Papierschnipsel mit der Aufschrift "OFFENE GRENZEN TÖTEN! #REMIGRATION#PRO BORDER PRO NATION!" und "Genug ist genug #REMIGRATION!#" festgestellt. Am 13. August 2016 versammelten sich rund zehn der IBD zuzurechnende Personen an den Landungsbrücken und zeigten unter anderem ein Transparent mit der Aufschrift "Wann wird es euch bunt genug?" Bis zum Sommer 2016 wurde über die Hamburger Aktivitäten der IBD auf der Facebook-Seite der "IB Lüneburg" berichtet. Nach einer Restrukturierung der IBD wurde daraus die "IB Niedersachsen", die Hamburg mit bediente. Am 5. August 2016 richtete die IBD mit Hinweis auf die gesteigerten Aktivitäten in Hamburg einen eigenen Facebook-Auftritt "Identitäre Bewegung Hamburg" ein. Dem Hamburger Personenkreis der IBD werden derzeit 20 Personen zugerechnet. Mit der Feststellung einer in 174 Rechtsextremismus Hamburg auch im universitären Bereich aktiven IB-Gruppe, den vermehrten Aktionen sowie ihrer medialen Präsenz zum Beispiel auf Facebook ist die IBD vom LfV Hamburg im August 2016 als Beobachtungsobjekt eingestuft worden, weil tatsächliche Anhaltspunkte für extremistische Bestrebungen vorliegen. Am 2. September 2016 spannten IB-Aktivisten am Gebäude und auf dem Parkplatz der Hamburger Morgenpost Absperrband, an dem diverse Schilder mit den Aufschriften "Durchfahrt verboten", "Einsturzgefahr" und "Hier wird gelogen, dass sich die Balken biegen" befestigt waren. Im Facebook-Bericht zur Aktion erklärte die IBD, die Ursache für die Einsturzgefahr sei eine durch die Identitären festgestellte "fehlende journalistische Substanz, bei der tragende Teile der Berufsethik so in Mitleidenschaft gezogen wurden, dass die Grundfesten der sauberen Pressearbeit nicht mehr gegeben sind." Weiter hieß es, die IBD werde sich nicht diffamieren lassen und friedlich und satirisch, aber auch juristisch gegen Verleumdungskampagnen der Medien zur Wehr setzen. Vorausgegangen war der Aktion ein am 17. August 2016 in der Hamburger Morgenpost als Aufmacher erschienener Artikel zur "Identitären Bewegung". In der umfangreichen Berichterstattung wurden die verfassungsfeindlichen Bestrebungen der IB thematisiert und der Sprecher des LfV Hamburg zu den Gründen der Beobachtung interviewt. Am Tag zuvor hatte der Hamburger Verfassungsschutz einen offensiven Internetbeitrag veröffentlicht, der eine hohe Medienresonanz erzielte und der auch in den IBDBlogs intensiv zur Kenntnis genommen wurde. Der Beitrag des LfV Hamburg informierte insbesondere jüngere Menschen über die extremistischen Hintergründe der sich als modern und hip gebenden IBD. Anlässlich eines Urteils gegen vier junge Männer mit Migrationshintergrund, die vom Vorwurf der Beteiligung an sexuellen Übergriffen in der Silvesternacht 2015/16 in Hamburg freigesprochen worden waren, protestierten Aktivisten der IBD am 30. Oktober 2016 vor dem Strafjustizgebäude am Sievekingplatz gegen die Entscheidung. Unter anderem legten sie einen Sarg bedeckt mit einer Deutschlandfahne sowie Grablichter und Blumen an dem Gebäude ab. Dazu schrieben sie auf Facebook, dass man mit der Aktion symbolisch die Gerechtigkeit zu Grabe getragen habe. Im November 2016 machte die IBD in Hamburg mit diversen Plakataktionen auf sich aufmerksam, bei der beispielsweise Wahlplakate von 175 Rechtsextremismus Mandatsträgern demokratischer Parteien durch ihnen in den Mund gelegte falsche Zitate verunstaltet wurden. So wurde auf einem SPD-Wahlplakat unterstellt, dass sich Bürgerschaftsabgeordnete für die Legalisierung von Kinderehen oder ein deutsches Kalifat aussprechen würden. Auf verfremdeten Wahlplakaten von "Bündnis 90/Die Grünen" wurde suggeriert, dass die Partei "Multikulti und Zuwanderung" den Vorrang gegenüber der Beachtung von Frauenrechten einräume. 9.2 Hamburger Burschenschaft Germania (HB! Germania) Die 1919 gegründete "HB! Germania" zählt zu den "schlagenden" Studentenverbindungen. Auf ihrem Facebook-Profil erläuterte sie dazu: "Das studentische Fechten wird von uns nicht nur mit sportlichem Ehrgeiz betrieben, sondern ist ein zentrales Element unserer Gemeinschaft sowie charakterbildendes Mittel für jeden Einzelnen von uns". Der Wahlspruch der Germanen lautet "Ehre - Freiheit - Vaterland". Die "HB! Germania" ist farbtragend und verwendet die Farben schwarz - rot - gold. Seit Jahren weist die Burschenschaft eine deutliche Nähe zum Rechtsextremismus auf. In den vergangenen Jahren wurden immer wieder personelle VerbinDie Internetseite der "Hamburger Burschendungen oder Kontakte einzelner schaft Germania" (HB! Germania) Mitglieder zu rechtsextremistischen Gruppierungen wie der NPD bekannt und Referenten mit eindeutigen Bezügen zum Rechtsextremismus wurden zu Vortragsveranstaltungen ins Verbindungshaus der Germania eingeladen. Obwohl sich die Beziehung merklich abgekühlt hat, gibt es nach wie vor personelle Überschneidungen zur rechtsextremistischen Schülerverbindung "Pennale Burschenschaft Chattia Friedberg zu Hamburg" (PB! Chattia), einzelne Burschenschafter tragen sowohl das Band der "HB! Germania" als auch das der "PB! Chattia". 176 Rechtsextremismus Gemeinsam mit der "Burschenschaft Frankonia Erlangen" und der "Germania Halle zu Mainz" bildet die "HB! Germania" das "Schwarz-WeißRote Kartell", eine Gemeinschaft gleichgesinnter Verbindungen. Man sieht sich als "ein Bund an drei Hochschulorten". Die Aktivitas der "Burschenschaft Frankonia Erlangen" wird vom Bayerischen Landesamt für Verfassungsschutz beobachtet. Auch die selbst in Burschenschaftskreisen als extrem rechts eingestufte "Wiener Akademische Burschenschaft Olympia" ist mit der "HB! Germania" freundschaftlich verbunden. Man besucht sich gegenseitig, beispielsweise zu den "Stiftungsfesten" (Feier anlässlich des Gründungstages) der jeweiligen Burschenschaft. Die "HB! Germania" versteht sich als politische Studentenverbindung, die ihre Mitglieder "intellektuell und kulturell" weiterbilden will. Ihre "Füxe" und "Burschen" sollen sich ihre Meinung nicht von "stimmungsbildenden Verdummungsmedien diktieren" lassen. Die "HB! Germania" habe es sich laut ihrer Statuten zur Aufgabe gemacht, "politisch und erzieherisch den Weg des Studenten zu begleiten". Vortragsveranstaltungen zu historischen oder zeitgeschichtlichen Themen sind Teil jedes Semesterprogramms der Burschenschaft, ebenso wie "Aktivenausflüge" und als "Kneipen" bezeichnete traditionelle Feiern im Verbindungshaus. Ihre ablehnende Haltung gegenüber den Das Haus der Hamburger Burschenpolitischen und gesellschaftlichen Verhältschaft Germania in Winterhude, aufnissen in Deutschland und den Verantworgenommen Ende Mai 2016 tungsträgern in Politik und Wirtschaft betont sie in ihrer Selbstdarstellung: 177 Rechtsextremismus "In einer Zeit, in der moralische Werte nichts mehr gelten [...] und eine mediale Verdummung den Geist der Gesellschaft bestimmt, ist die Existenz von aufrechten Klardenkern, die gegen dieses Übel angehen, wichtiger denn je. Wer sich in dieser Zeit als Burschenschafter bekennt, zeigt damit, dass ihm die Zukunft Deutschlands nicht egal ist, wie einem Großteil derjenigen, die heute über das Volk in Politik und Wirtschaft entscheiden." In Beiträgen auf ihrem Facebook-Profil führt die Burschenschaft diese Argumentation fort. So setzte sie im Juni 2016 in einem Schaubild Bundespräsident Joachim Gauck mit Erich Honecker gleich. Und in einem anderen Beitrag vom Oktober wurde die stellvertretende Präsidentin des Deutschen Bundestages Claudia Roth indirekt als "Volksverräterin" angegriffen: "Ja, Frau Roth, wir wissen, wenn schon Polizei, dann wäre Ihnen eine Sharia-Polizei viel lieber! Nie wieder Deutschland? Nein, nie wieder Verrat am Deutschen Volk!". Weniger kritisch ist die Burschenschaft im thematischen Umgang mit Personen, die dem Rechtsextremismus ideologisch nahestehen. Der Semesterleitspruch der "HB! Germania" im Wintersemester 2016/17 beispielsweise stammt von dem französischen Historiker und Schriftsteller Dominique Venner, der sich im Mai 2013, mit 78 Jahren, in der Pariser Kathedrale "Notre Dame" vor dem Altar erschoss, um ein "Fanal" gegen die vermeintliche Islamisierung Frankreichs und die Zuwanderung aus dem Maghreb zu setzen. Venner, von europäischen Rechtsextremisten hoch geschätzt, war in seiner Jugend Mitglied der rechtsterroristischen Untergrundorganisation "Organisation de l'armee secrete (OAS)". Die OAS wurde in der Endphase des französischen Algerienkriegs gegründet, bekämpfte sowohl Algerier, die die Unabhängigkeit von Frankreich anstrebten, als auch den französischen Staat selbst. Die "Jungen Nationaldemokraten" ( 8.1) bezeichneten ihn als "Rebell und Vorbild für Europas Jugend". Die rechtsextremistische Kleinpartei "Der III. Weg" ( 8.3) widmete Venner auf ihrer Webseite im Oktober 2016 einen ausführlichen, mehrseitigen Artikel, an dessen Ende resümierend erklärt wurde: 178 Rechtsextremismus "Dominique Venner lebt als Geist und Vorbild in zehntausenden Herzen weiter, die den Feind unserer Völker erkannt haben und die wie er gewillt sind, alles Notwendige zu tun, um den ethnokulturellen Suizid Europas zu stoppen". Im November 2016 entschied sich die "HB! Germania" für den Semesterleitspruch des Schriftstellers und kommentierte diesen auf Facebook: "Rebell sein - unbequem sein - Rückgrat zeigen - dem Zeitgeist trotzen - kämpfen gegen Widrigkeiten und bestehen in einer feindlichen Umgebung - All das leben wir seit jeher und so passen gerade diese Zeilen besonders gut in die heutige Zeit." Der "Allgemeine Studentenausschuss" (AStA) der Hamburger Universität und seine Aktivitäten befinden sich bei der "HB! Germania" seit Jahren im Visier. Im September 2016 wurde auf einem Flugblatt der "HB! Germania" zur Werbung neuer Mitglieder mit dem Titel "13 Gründe gerade jetzt ein Hamburger Germane zu werden" unter Ziffer 7 erläutert: "Du bist der Stachel im Fleisch der Schmarotzer vom AStA und seinen linken Vereinen, die Du immer verachtest hast, weil sie auf Deine Kosten leben". Insgesamt verhielt sich die "HB! Germania" im Jahr 2016 in ihrer Außendarstellung mutmaßlich rein aus taktischen Gründen vorsichtiger als in den Vorjahren und trat politisch nicht mehr ganz so aggressiv in Erscheinung. Gleichwohl fällt die Burschenschaft immer wieder in einschlägiger Weise auf. So wurden am 5. März 2016 von der Nachbarschaft und später auch von eintreffenden Polizeibeamten nicht nur erheblicher Lärm, sondern auch mehrfach "Sieg Heil"-Rufe vernommen, die von einer Personengruppe herrührten, die offenbar im Verbindungshaus der "HB! Germania" feierte. 9.3 Pennale Burschenschaft Chattia Friedberg zu Hamburg (PB! Chattia) Die 1989 im hessischen Friedberg gegründete und seit 1992 in Hamburg ansässige "Pennale Burschenschaft Chattia Friedberg zu Hamburg" ist eine Schülerverbindung, die sich in erster Linie an Schüler und Auszubildende wendet, aber auch Studierende aufnimmt. Jugendliche ab 16 Jahren können Mitglied werden, wenn sie, so die Eigenwerbung, "bereit sind 179 Rechtsextremismus das ICH hinter die Gemeinschaft zurückzustellen und [...], die ewigen Ideale Deutschlands zu leben." Auch die "PB! Chattia" vertritt das Lebensbundprinzip und unterteilt ihre Mitglieder in Aktive ("Aktivitas") und "Alte Herren". Die "Alten Herren" leben jedoch nicht alle in Hamburg. In der Hansestadt verfügt die "PB! Chattia" über rund 25 Mitglieder. Auf Facebook stellte sich die Verbindung unter anderem wie folgt vor: "Die Pennale Burschenschaft Chattia Friedberg zu Hamburg ist eine überparteiliche und überkonfessionelle, burschenschaftliche Vereinigung. [...] Unsere Farben sind Schwarz (für den deutschen Boden), Weiß (für den gemeinsamen Geist und die Freiheit) und Rot (für das Blut, das uns verbindet und welches die Ahnen für unsere Freiheit lassen mussten). Der Wahlspruch der Verbindung ist: Volkstum - Wahrheit - Recht. [...] Diese Gemeinschaft zeichnet sich besonders durch den Erhalt des burschenschaftlichen Brauchtums [...] aus. [...] Außerdem bietet die PB! Chattia regelmäßig Fechtstunden (sog. Paukstunden) an [...]." Auf ihrer Homepage bezeichnet sie sich zudem als "Gemeinschaft patriotisch gesinnter Deutscher". Von neuen Mitgliedern erwartet die "PB! Chattia" "Loyalität (zum Vaterland und dem Bund)". In den bisherigen Äußerungen der "PB! Chattia" ist ihre Affinität zu völkisch-rassistischem Gedankengut deutlich erkennbar. Seit ihrer Gründung wir"Pennale Burschenschaft Chattia Friedberg ken in der "PB! Chattia" außerdem zu Hamburg" im Internet Personen mit, die Beziehungen in die rechtsextremistische Szene unterhalten, unter anderem für die NPD aktiv waren und die deutliche Sympathien für den Nationalsozialismus zu erkennen geben. Als "schlagende" Burschenschaft erwartet die "PB! Chattia" von ihren aktiven Mitgliedern mindestens einen "Waffengang" (Mensur) auf dem "Pennalen Säbel" gefochten nach der "Linzer Paukund Ehrenordnung", um "Feiglinge und Dummschwätzer" auszusortieren. 180 Rechtsextremismus Die Schülerverbindung ist im Dachverband "Allgemeiner Pennälerring" (APR) organsiert, dem nach Eigenangabe aus dem Jahr 2013 neun Bünde angehören. Laut Facebook-Auftritt vereint der APR "national-freiheitliche und wehrhafte Pennalkorporationen unter seiner Fahne." Die Vereinigung ist als Ganzes kein Beobachtungsobjekt der Verfassungsschutzbehörden. Im Jahr 2013 fand ein von der "PB! Chattia" ausgerichtetes APR-Treffen in Hamburg statt. Da die Schülerverbindung kein eigenes Verbindungshaus besitzt, ist sie bei größeren Veranstaltungen stets auf die Unterstützung anderer Burschenschaften angewiesen. Für dieses APR-Treffen hatte die studentische Hamburger Burschenschaft Germania ("HB! Germania") ihr "Germanenhaus" zur Verfügung gestellt. Da die "PB! Chattia" in der Vergangenheit bereits öfter im Fokus kritischer Berichterstattung stand, erhielt auch die "HB! Germania" unerwünscht mediale Aufmerksamkeit, was das Verhältnis belastete und zu einer gewissen Distanzierung führte. Im Dezember 2015 veröffentlichte die "PB! Chattia" einen offenen Brief an die "HB! Germania", in welchem Einigkeit beschworen und gleichzeitig ein Bekenntnis zum Teilen derselben "Ziele und Ideale" gefordert wurde. Insbesondere wurde eingefordert, dass die Angehörigen der "HB! Germania", die gleichzeitig Mitglied der "PB! Chattia" seien, sich zum "Doppelband" bekennen mögen. Die Internetseite der Verbindung ist mittlerweile knapp und allgemein gehalten. Nur auf ihrer Facebook-Seite finden sich hin und wieder Postings, wobei Abbildungen von Personen unkenntlich gemacht werden. Ihre Zurückhaltung und Vorsicht dürfte auch darauf zurückzuführen sein, keine weiteren Angriffsflächen für den Vorwurf des Rechtsextremismus zu bieten sowie um "Outings" und Angriffen der hiesigen Antifa-Szene zu entgehen. 9.4 Artgemeinschaft - Germanische Glaubensgemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung e.V. (AG-GGG) Die 1951 gegründete Artgemeinschaft-GGG mit Sitz in Berlin und Postanschrift in Zeitz (Sachsen-Anhalt) beschreibt sich selbst als "größte" und "älteste germanisch-heidnische Glaubensgemeinschaft" Deutschlands. Ihr angeschlossen ist der Verein "Familienwerk e.V.", dessen Vorstand 181 Rechtsextremismus mit dem der AG-GGG identisch ist. Untergliedert ist der Verein in sogenannte regionale "Gefährtschaften" und "Freundeskreise". Auch einzelne Hamburger Rechtsextremisten gehören seit Jahren zum Anhängerund Unterstützerkreis der AG-GGG. Die AG-GGG vertritt völkisch-rassistisches, revisionistisches, antisemitisches und antichristliches Gedankengut und knüpft unmitDie "Artgemeinschaft - Germanische Glaubenstelbar an die "Rassenlehre" Gemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung e.V." im Internet des nationalsozialistischen "Dritten Reiches" sowie an das Denkmodell der Überlegenheit einer angeblich existierenden "arisch-nordischen" oder "germanischen Rasse" an. Die Vereinigung orientiert sich nach wie vor an den von dem im Jahr 2009 gestorbenen Hamburger Rechtsanwalt und Neonazi Jürgen Rieger verfassten Richtlinien zur "biologisch begründeten Ethik" und zur Schaffung einer "neuen Lebensordnung". Auch ein von ihm verfasstes "Sittengesetz" ist für die Mitglieder weiterhin bindend. Dort werden "Mut" und "Wehrhaftigkeit bis zur Todesverachtung gegen jeden Feind von Sippe, Land, Volk, germanischer Art und germanischen Glaubens" gefordert. Zur Erreichung des "großen Ziels" seien "Opfer" und "Gefolgschaft dem besseren Führer" nötig. Das "Artbekenntnis" widmet sich der Erhaltung und Förderung "unserer Menschenart", wobei "Art" als Synonym für "Rasse" steht. Die darin enthaltene Forderung nach "gleichgearteter Gattenwahl" steht für ein Verbot, dass Menschen aus unterschiedlichen Kulturkreisen eine Beziehung eingehen dürfen. Auch Riegers Einstellung zur angeblichen "Überfremdung durch Masseneinwanderung" sowie zu Vorbereitungen auf entsprechende Krisenszenarien wird von den Anhängern der AG-GGG nach wie vor als vorbildhaft angesehen. Die Aktivitäten des Vereins beschränkten sich im Jahr 2016 im Wesentlichen auf interne Treffen. An diesen bundesweiten "Gemeinschaftstagen" der AG-GGG, die viermal im Jahr in Thüringen stattfinden, nahmen jeweils rund 200 erwachsene Personen teil. Im Rahmen dieser nur für Mitglieder, Anwärter, Förderer und Bezieher der rechtsextremistischen Publikation "Nordische Zeitung" (NZ) offenen Treffen gab es auch als "Things" bezeichnete Mitgliederversammlungen. 182 Rechtsextremismus Die NZ wird vierteljährlich als "Stimme des Artglaubens", die sich für das "Überleben unserer Art" einsetzt, herausgegeben. Redaktionsleiter ist ein langjährig aktiver Neonazi aus Nordrhein-Westfalen. Die Schrift enthält historische Darstellungen, in deren Mittelpunkt die Geschichte der Germanen steht, und gibt Anregungen für eine sogenannte "artgemäße" Lebensführung. In der "Januar-März"-Ausgabe 2016 der NZ äußerte sich der "Leiter" der AG-GGG, Jens Bauer aus Sachsen-Anhalt, unter der Überschrift "Angst ist nicht unser Begleiter" zu einem angeblichen "Kampf der Kulturen" und "Kampf der Religionen". Die "letzte Aufgabe" des Christentums bestehe darin, "mit ihrem Gebot der Feindesliebe den Abwehrreflex der deutschen und europäischen Ureinwohner zu schwächen, um ihrer islamischen Schwesterreligion die Tore zu öffnen". Dem stelle sich die "Artgemeinschaft" entgegen. Der Verein betreibt einen in Zeitz ansässigen Buchdienst und gibt dort Schriftenund Buchreihen zu heidnisch-religiösen Themen auf rassistischer Grundlage heraus. Ende 2015 erschien dort als sogenannte "Einführung in das nordisch-germanische Weltbild für artgläubige Kinder" ein Buch im dem es unter anderem heißt: "[...] das Kind soll das Fremde und Lebensfeindliche als böse und seine eigene, das Leben verteidigende Art als gut und unüberwindlich betrachten lernen". Bei dem Buch handelt es sich um die überarbeitete Fassung einer bereits 1939 erschienenen Schrift. In der neuen Ausgabe werden unter anderem die Begriffe "rassisch" durch "arteigen" und "Rassismus" sowie "Rasse" durch "Art" ersetzt. Die AG-GGG bietet Neonazis und Rechtsextremisten mit ihren Veröffentlichungen, Gemeinschaftstagen, eigenem Glaubensbekenntnis und Brauchtum einen Rahmen, der Familien und Kinder an die Szene binden und rassistische Überzeugungen weitergeben soll. 9.5 Europäische Aktion (EA) Bei der im Jahr 2010 unter der Bezeichnung "Bund Freies Europa" von dem Schweizer Revisionisten Bernhard Schaub gegründeten Vereinigung "Europäische Aktion" (EA) handelt es sich um ein antidemokratisch, fremdenfeindlich, rassistisch, antisemitisch und revisionistisch ausgerichtetes internationales Netzwerk von Holocaustleugnern mit Anschrift in Affoltern in der Schweiz. Die nach dem "Führerprinzip" gegliederte EA 183 Rechtsextremismus verfügt über sogenannte "Anlaufstellen" in Deutschland und anderen europäischen Ländern und gilt als gewaltorientiert. Die Tätigkeitsschwerpunkte in Europa lagen im Jahr 2016 in Deutschland, Liechtenstein, Österreich und in der Schweiz. Die EA strebt den europaweiten Ausbau ihrer Bewegung an und sucht die grenzüberschreitende "Zusammenarbeit aller volkstreuen Kräfte". Nachdem sie im Jahr 2015 den Kontakt nach Osteuropa gesucht hatte, nahm sie 2016 Verbindung zu Gesinnungsgenossen in Dänemark auf, wo nach eigenen Angaben auch ein Stützpunkt der EA gegründet wurde. Schwerpunktthemen der Zusammenarbeit mit den dänischen Gesinnungsgenossen waren die vorgebliche "Islamisierung" und das Thema "Illegale Migration". Mitstreiter der EA nahmen im Februar, Juli und Oktober 2016 an Protestkundgebungen" an der deutsch-dänischen Grenze zwischen Flensburg und Krusau teil. Die "Europäische Aktion" im Internet In Deutschland unterhält die EA Untergliederungen in Thüringen, Brandenburg, Sachsen, Sachsen-Anhalt und Nordrhein-Westfalen. Darüber hinaus gibt es Anhänger in weiteren Bundesländern, auch in Hamburg. Als "Anlaufstelle in Europa" ist aktuell auf der Homepage der EA nur noch die E-Mail-Adresse eines "Zentralsekretariats" genannt. Der Schwerpunkt der Aktivitäten lag im Jahr 2016 weiterhin in Ostdeutschland, insbesondere in Thüringen. Die "Landesleitung der BRD" liegt in den Händen des bekannten Rechtsextremisten Dr. Rigolf Hennig aus Verden (Niedersachsen). Agitationsplattform, Informationsund Schulungsgrundlage der EA sind ihre Internetseiten und die "Kampfzeitschrift" "Europa ruft". Weiteres Grundlagenund Propagandamaterial wird vom EA-eigenen Schweizer "Ghibellinum-Verlag" angeboten. Die sich selbst als "partei-, organisationsund grenzübergreifend" aktiv verstehende EA bezeichnet sich als "gesamteuropäische Freiheitsbewegung". Ziel für Europa sei es, die Europäische Union durch eine "Europä184 Rechtsextremismus ische Eidgenossenschaft" und ein aus Volksgemeinschaften bestehendes "Europa der Vaterländer" zu ersetzen. Antiamerikanische und antisemitische Vorurteile und Stereotype durchziehen dabei die Argumentation. Fundament und Grundlage des europäischen "Befreiungs"-, "Rückeroberungs"und "Überlebenskampfes" bilden die "7 Ziele" der EA. Hierzu gehören unter anderem die Abschaffung des gegenwärtigen politischen Systems in Deutschland, die Wiederherstellung der Handlungsfähigkeit eines "Deutschen Reiches" und die Schaffung einer "Neuen Ordnung" in Form einer neu zu errichtenden "Volksherrschaft [...] als Führerstaat nach Leistung [...] ". Hierzu hofft die EA auf einen "Volksaufstand" und beschäftigt sich intensiv mit dem Gedanken eines möglichen Bürgerkriegs und den notwendigen Vorbereitungen. Angesichts des vermeintlich drohenden "Volkstodes" betonten Führungskräfte der EA wiederholt, dass "Notwehrmaßnahmen" erforderlich seien. Der deutsche Landesleiter Rigolf Hennig nannte als wesentliche Methoden zur Überwindung des "herrschenden Systems", neben der "Aufklärung", auch passiven und aktiven "Widerstand". Dieser soll unter anderem durch "Wortergreifungen, Mahnwachen, Massendemonstrationen", "Vorsprachen und Anrufe bei Verantwortungsträgern" sowie durch die "Bildung von Bürgerwehren" erfolgen. Die aggressiven Äußerungen von EA-Funktionären belegen, dass die von ihnen propagierten "Notwehrmaßnahmen" gewalttätige Aktionen einschließen könnten. Die EA sieht sich als führende Kraft im gemeinsamen "Widerstand" gegen angebliche "Fremdherrschaft", "Überfremdung" und gegen einen vorgeblichen "zionistischen Völkermord" durch Erschaffung einer "eurasisch-negroiden Mischmasse". Durch verstärkte Zusammenarbeit mit anderen deutschen und europäischen rechtsextremistischen Gruppierungen versucht sie sich als organisationsübergreifende Sammlungsbewegung für das gesamte Spektrum zu etablieren. So beteiligte sich die EA zum Beispiel am 11. Juni 2016 an dem von der örtlichen NPD angemeldeten "Thüringentag der nationalen Jugend" in Sömmerda. Aktivitäten dieser Art fanden meist nur regional begrenzt und schwerpunktmäßig in Thüringen und Brandenburg gemeinsam mit Angehörigen neonazistischer Gruppierungen, der NPD sowie der Parteien "Der III. Weg" und "DIE RECHTE", aber auch mit Anhängern islamfeindlicher Bewegungen statt. 185 Rechtsextremismus Die von der EA Anfang 2016 angekündigten Großveranstaltungen blieben jedoch aus; es gab keine nennenswerten überregionalen Veranstaltungen und Aktionen. Die sich selbst als "Bewegung" stilisierende Gruppierung führte nicht einmal ihr jährliches "Sommerfest" durch, das bisher als Höhepunkt ihrer Aktivitäten gefeiert wurde. Weitere Bemühungen um einen nachhaltigen Aufund Ausbau der eigenen Strukturen und die Übernahme einer Führungsrolle als europäische Sammlungsbewegung scheiterten bislang an mangelnder Initiative, Disziplin, Einigkeit und Kontinuität der EA-Anhänger. Auch im Jahr 2016 versuchte die EA das Themenfeld Asyl, Migration und Geflüchtete zu instrumentalisieren, um mit fremdenfeindlichen, antisemitischen und rassistischen Parolen Ängste und Vorurteile gegen Ausländer zu schüren. Einige Beispiele für den Tenor der Propaganda: Die EA warnte vor einer vorgeblichen "irreversiblen jüdisch gesteuerten Überfremdung" Deutschlands. "Zionistische Kräfte" würden den "Fortbestand der Völker Europas" bedrohen. Auch Hamburger Rechtsextremisten sind in der EA organisiert oder nahmen an deren Aktivitäten teil. Die hiesigen Anhänger arbeiten dabei eng mit Aktivisten aus den angrenzenden Bundesländern zusammen. Am 6. Februar und 3. April 2016 versuchten etwa 20, überwiegend aus dem EA-Umfeld stammende Rechtsextremisten in Seevetal und Buchholz gegen eine angebliche "Masseninvasion" und "Asylflut" zu demonstrieren. Die geplanten Kundgebungen wurden von Protestaktionen linksextremistischer Aktivsten begleitet. Bei der Anreise von Rechtsextremisten am 6. Februar 2016 kam es zu Auseinandersetzungen zwischen Angehörigen beider politischer Lager. In Hamburg direkt wurden 2016 keine öffentlichkeitswirksamen Aktivitäten der EA festgestellt. 9.6 Deutsches Rechtsbüro im deutschen Rechtsschutzkreis e.V. (DRB) Formal gehörte das im Jahr 1992 in Hamburg gegründete "Deutsche Rechtsbüro" (DRB) zum Verein "Deutscher Rechtsschutzkreis e.V." mit Sitz in Bochum und war über ein Postfach in Birkenwerder (Brandenburg) zu erreichen. Es fungierte bis Ende 2013 als bundesweite Kontaktund Koordinationsstelle für juristischen Rat suchende Personen und Organisationen aus der rechtsextremistischen Szene und bot auf seiner Inter186 Rechtsextremismus netseite Rechtsberatung und Rechtshilfe an. Nach Einstellung der Internetseite konnten keine weiteren Aktivitäten des DRB mehr festgestellt werden. Das DRB sah seine Aufgabe darin, durch Schulungen, Vorträge sowie die Herausgabe eines "Rechtsratgebers" und sonstige Veröffentlichungen juristische Beratung und vorbeugende Aufklärungsarbeit für die rechtsextremistische Szene zu leisten. Es informierte über rechtliche Neuentwicklungen, gab Tipps zum Verhalten gegenüber Strafverfolgungsbehörden und vermittelte Betroffenen in "politischen Verfahren" erfahrene, "national" eingestellte Rechtsanwälte. Szeneweit bekannt ist der "Rechtsratgeber" "Mäxchen Treuherz und die juristischen Fußangeln". Maßgebliche Initiatorin und Hauptakteurin des DRB war die Hamburger Rechtsanwältin Gisa Pahl, die die Arbeit des DRB als Einzelperson teilweise fortführt. 10. Politisch motivierte Islamfeindlichkeit Politisch motivierte Bestrebungen gegen den Islam und die Muslime in Deutschland haben in den vergangenen Jahren bundesweit stark zugenommen. Rechtsextremisten und Rechtspopulisten versuchen Ängste vor dem Islam zu schüren und Vorurteile zu verstärken. Zu diesem Zweck verbreiten sie die Behauptung einer Bedrohung Deutschlands und Europas durch "Überfremdung" und "Islamisierung". Auch im Jahr 2016 instrumentalisierten Islamfeinde die Flüchtlingsfrage als Aktionsund Agitationsthema. Rechtsextremisten und Rechtspopulisten hoffen auf ein Anwachsen bürgerlicher Proteste und versuchen, über die politisch-propagandistische Ausschlachtung der Themenfelder Geflüchtete, Migration und Asyl, bisherige und mögliche neue Anhänger zu mobilisieren. Anhaltspunkte für verfassungsschutzrelevante Bestrebungen gegen den Islam und die Muslime liegen dann vor, wenn Agitation und Propaganda systematisch gegen Grundund Menschenrechte, insbesondere gegen die Menschenwürde, das Diskriminierungsverbot und die Religionsfreiheit gerichtet sind. Neben den rechtsextremistischen Organisationen und Gruppen, deren Agitation gegen Muslime spezifischer Ausdruck ihrer grundsätzlichen 187 Rechtsextremismus Fremdenfeindlichkeit und rassistischen Denkweise ist, haben sich in den vergangenen Jahren weitere Vereinigungen, Gruppen und Netzwerke gebildet, die ihren Kampf gegen Islam, Scharia und Koran zunächst im und über das Internet führten, ihre öffentlichen Aktivitäten aber zunehmend auf die Straße tragen. Ihre Parolen und politischen Forderungen schüren Ressentiments gegen Ausländer, Asylbewerber und Muslime und umfassen Begriffe und Äußerungen, die auch Bestandteile rechtsextremistischer Ideologie und Argumentationsweisen sind. Da die Grenze zur verfassungsfeindlichen Agitation häufig fließend ist, hat der Verfassungsschutz auch diese Aktivitäten weiterhin intensiv im Fokus. An Demonstrationen der islamfeindlichen Bewegung "Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes" (PEGIDA) in Dresden hatten im Jahr 2015 regelmäßig mehrere Tausend Menschen teilgenommen. Im Januar 2015 war mit 25.000 Demonstranten die höchste Teilnehmerzahl erreicht worden. Nach einem zwischenzeitlichen Hoch im Herbst 2015 nahmen die Teilnehmerzahlen im Laufe des Jahres 2016 deutlich ab und pendelten sich im niedrigen vierstelligen Bereich ein. Von der Hauptbewegung inspiriert, haben sich zahlreiche regionale Ableger gebildet, zwischen denen zum Teil inhaltliche Differenzen und personelle Querelen bestehen, die unter anderem die Zusammenarbeit mit Rechtsextremisten betreffen. Einhergehend mit ihrem Kernthema "Islamisierung des Abendlandes" agitieren Islamgegner auch gegen die "unkontrollierte Zuwanderung" und den "massenhaften Asylmissbrauch" von Flüchtlingen. Die zunehmend aggressive Stimmung gegen Flüchtlinge spiegelte sich auch im Jahr 2016 in einer zunehmenden Hetze im Internet und einer hohen Zahl von Straftaten gegen Flüchtlingsunterkünfte und Flüchtlinge wider ( 3.) Rechtsextremisten begrüßen die islamfeindlichen Proteste, sehen sich als deren "Wegbereiter" und versuchen diese für ihre Zwecke zu nutzen. Sie sehen darin die Bestätigung ihrer systemablehnenden Ansichten und rassistisch motivierten Fremdenund Ausländerfeindlichkeit. Auch im Jahr 2016 konnte bei diversen GIDA-Veranstaltungen in mehreren Bundesländern eine rechtsextremistische Steuerung oder Einflussnahme festgestellt werden. Diese erfolgte unter anderem durch die Teilnahme von Rechtsextremisten an den Veranstaltungen der Islamgegner oder eine Zusammenarbeit mit ihnen. Rechtsextremisten waren als Anmelder, 188 Rechtsextremismus Organisatoren oder Redner aktiv. Insbesondere Aktivisten der neonazistischen Szene sowie der Parteien NPD und "DIE RECHTE" sowie der "Europäischen Aktion" (EA) versuchten in den jeweiligen regionalen Initiativen an Einfluss zu gewinnen. Im Jahr 2016 zählten die Verfassungsschutzbehörden rund 200 rechtsextremistisch beeinflusste regionale Veranstaltungen mit insgesamt mehr als 20.000 Teilnehmern. Mehrere offizielle GIDA-Regionalgruppen oder namentlich dort angelehnte GIDA-Initiativen werden mittlerweile von den Verfassungsschutzbehörden beobachtet. Örtliche Schwerpunkte rechtsextremistisch bewerteter Veranstaltungen lagen unter anderem in Thüringen (THÜGIDA), in Sachsen-Anhalt (MAGIDA 2.0), Bayern (PEGIDA München und PEGIDA Nürnberg), Berlin (BÄRGIDA), Brandenburg (BraMM-PEGIDA), Nordrhein-Westfalen (PEGIDA-NRW) und Mecklenburg-Vorpommern (MVGIDA). Zentrales Anliegen dieser Veranstaltungen ist nicht mehr allein die vermeintliche "Islamisierung", sondern die generelle Ablehnung der Zuwanderung von Asylbewerbern. Rechtsextremisten sprechen in diesem Kontext von einer "Asylantenflut" oder "Invasion" von Fremden, die von der herrschenden "politischen Klasse" bewusst zugelassen oder sogar herbeigeführt werde, um das deutsche Volk durch "Überfremdung" zu zerstören. Verbunden sind solche fremdenfeindlichen Äußerungen häufig mit unverhohlenen Hasstiraden insbesondere gegen führende Politiker der Regierungskoalition. Auch Hamburger Islamgegner äußerten sich unter anderem in den einschlägigen Internetforen in einem fremdenund islamfeindlichen Jargon, der dem von Rechtsextremisten zumindest teilweise entspricht. Wie 2015 gab es auch im Jahr 2016 in Hamburg keine Kundgebung im Kontext einer angeblichen "Islamisierung". Die Anti-Islam-Szene in Hamburg ist bisher ein virtuelles Phänomen, das vom Verfassungsschutz ständig auf verfassungsfeindliche und von den Strafverfolgungsbehörden auf strafrechtlich relevante Inhalte hin überprüft wird. 189 Verfassungsschutz in Hamburg Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Gruppierungen mit Auslandsbezug Linksextremismus Rechtsextremismus Reichsbürger und Selbstverwalter Scientology-Organisation Spionageabwehr Geheimund Sabotageschutz; Wirtschaftsschutz Anhang * Hamburgisches Verfassungsschutzgesetz * Abkürzungsverzeichnis * Stichwortverzeichnis Reichsbürger und Selbstverwalter VI. Reichsbürger und Selbstverwalter "Reichsbürger" und sogenannte "Selbstverwalter" sind Gruppierungen und Einzelpersonen, die aus unterschiedlichen Motiven und mit unterschiedlichen Begründungen, unter anderem unter Berufung auf das historische Deutsche Reich, auf verschwörungstheoretische Argumentationsmuster oder auf ein selbst definiertes Naturrecht die Existenz der Bundesrepublik Deutschland und deren Rechtssystem ablehnen; sie sprechen den demokratisch gewählten Repräsentanten die Legitimation ab oder definieren sich in Gänze als außerhalb der Rechtsordnung stehend. Daher sind sie auch bereit, Verstöße gegen die Rechtsordnung zu begehen. Die sehr heterogene Szene eint, dass ihre Anhänger den Bestand der Bundesrepublik Deutschland ablehnen. "Reichsbürger" fordern die Wiederherstellung der Handlungsfähigkeit des angeblich nie untergegangenen "Deutschen Reiches", je nach Ausrichtung in den Grenzen von 1914, 1917, 1937 oder auch 1871. Die sogenannten "Selbstverwalter" erklären, aus der Bundesrepublik Deutschland ausgetreten zu sein und definieren beispielsweise ihr Grundstück als souveränes Staatsgebiet, auf dem die Gesetze der Bundesrepublik keine Geltung hätten. Um die fundamentale Ablehnung des Staates und seiner gesamten Rechtsordnung zu untermauern, gründen "Reichsbürger" auch eigene Königreiche, Fürstentümer oder andere Fantasiestaaten, ernennen sich zu Kanzlern, Königen oder Regierungen, betreiben angebliche eigene "Verwaltungen" mit selbstgeschneiderten Formblättern und Ausweisdokumenten. Die Angehörigen dieser Szene bilden ein krudes Gemisch aus widerständigen Querköpfen, Verschwörungstheoretikern, Betrügern, Steuerflüchtigen und anderen Gegnern staatlicher Abgaben und Maßnahmen sowie auch Rechtsextremisten. Revisionistisches und antisemitisches Gedankengut ist in dieser Szene weit verbreitet. In Teilen der rechtsextremistischen Szene spielt wiederum die "Reichsideologie" eine wichtige Rolle (so zum Beispiel bei der "Europäischen Aktion", V.9.5). Für die Verwirklichung ihrer Ziele treten die "Reichsbürger" aktiv ein, zum Beispiel mit Werbung für ihre Ideologie oder durch aggressives Verhalten gegenüber den Gerichten und Behörden der Bundesrepublik Deutschland. Es werden amtlich anmutende Schreiben und "Verfügungen" an die 192 Reichsbürger und Selbstverwalter Behörden oder die Justiz versandt und dabei Forderungen erhoben, um so auch im Rechtsverkehr aktiv die föderale und verfassungsmäßige Ordnung der Bundesrepublik Deutschland zu bestreiten und die Amtsführung zu beeinträchtigen. Durch die Ausstellung und Nutzung von sogenannten (Reichs-)Ausweisdokumenten wird eine eigene (Reichs-) Staatlichkeit geltend gemacht. Maßnahmen, Bescheide, amtliche Schreiben von Behörden und der Justiz lehnen sie mit der Begründung ab, dass die jeweilige Behörde oder die Justiz für sie nicht zuständig sei. Durch die sogenannte "Malta-Masche" sollen Mitarbeiter in Behörden dermaßen verunsichert werden, dass sie staatliche Vorgaben und Bescheide letztlich aus Angst vor möglichen Bußgeldzahlungen nicht durchsetzen. Dazu setzen "Reichsbürger" anhand von eigenen Gebührenkatalogen Forderungen fest, die sie in das im Internet frei zugängliche "Register Uniform Commercial Code" (UCC) im US-Bundesstaat Washington eintragen. Die Rechtmäßigkeit der dort eingetragenen Forderungen wird nicht weiter überprüft. Diese Forderungen werden anschließend an eine von "Reichsbürgern" auf Malta gegründete Briefkastenfirma, einem Inkassobüro, abgetreten, das dann versucht, vor einem maltesischen Gericht einen vollstreckbaren Titel nach dem europäischen Mahnverfahren zu erwirken, um diesen in Deutschland durchzusetzen. Dies ist bisher nicht gelungen, da der deutsche Rechtsstaat in Kooperation mit den maltesischen Behörden diesem Vorgehen entgegenwirkt. Bestrebungen, die eine derart fundamentale Ablehnung der Bundesrepublik Deutschland, ihrer Gesetze und Institutionen zum Ausdruck bringen, sind eindeutig als gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet einzustufen, unabhängig davon, dass diese Bestrebungen nur zum Teil dem Phänomenbereich Rechtsextremismus zugeordnet werden können. Die Verfassungsschutzbehörden sprechen daher von einem Extremismus eigener Art. "Reichsbürger" bilden zudem Bestrebungen, die sich gegen den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes richten. Dies sind solche Bestrebungen, die darauf gerichtet sind, die Freiheit des Bundes oder eines Landes von fremder Herrschaft aufzuheben, ihre staatliche Einheit zu beseitigen oder ein zu ihm gehörendes Gebiet abzutrennen oder den Bund, die Länder oder deren Einrichtungen in ihrer Funktionsfähigkeit erheblich zu beeinträchtigen. Die Nichtanerkennung der Bundesrepublik Deutschland und das Beharren auf die Fortexistenz des Deutschen Reiches in den Grenzen von 1937 (oder früher) stellen zudem 193 Reichsbürger und Selbstverwalter eine Bestrebung gegen den Gedanken der Völkerverständigung, insbesondere gegen das friedliche Zusammenleben der Völker dar (vgl. SSSS 4,5 HmbVerfSchG). "Reichsbürger" agieren zudem in einigen Bundesländern seit Jahren in strafrechtlich relevanter Form, zum Beispiel durch Nötigung, Landfriedensbruch, Beleidigung, Amtsmissbrauch, Urkundenfälschung und Missbrauch von Titeln und amtlichen Abzeichen. Hierdurch werden die Öffentlichkeit getäuscht und reguläre Abläufe in Behörden zum Teil empfindlich gestört. Gerichte, Polizei und Behörden der Länder werden zunehmend in ihrer Arbeitsweise behindert und deren Mitarbeiter bedroht oder in Einzelfällen tätlich angegriffen. "Reichsbürger" versuchen auch, Angehörige der öffentlichen Verwaltung für ihre Ideologie zu gewinnen und anzuwerben. Einige Angehörige der Szene sind offen gewaltbereit und schrecken Beispiel eines Staatsangehörigkeiten-Nachsogar vor dem Gebrauch von weises der "Reichsbürger" Schusswaffen nicht zurück. Am 25. August 2016 erfolgte in Elsteraue (Sachsen-Anhalt) eine Zwangsräumung bei einem bereits einschlägig bekannten "Reichsbürger". Dieser wehrte sich mit Unterstützung weiterer Personen, die er zuvor über das Internet mobilisiert hatte, gewaltsam gegen die Räumung und bedrohte die Polizeibeamten bereits beim Betreten des Grundstücks mit einer Schusswaffe. Im weiteren Verlauf kam es zu einem Schusswechsel, bei dem ein Polizeibeamter und der Angreifer verletzt wurden. Am 19. Oktober 2016 sollten mehrere Durchsuchungsund Beschlagnahmebeschlüsse wegen des unzulässigen Erwerbs und Besitzes von 194 Reichsbürger und Selbstverwalter Schusswaffen bei einem "Reichsbürger" in Georgensmünd (Bayern) vollzogen werden. Als das Sondereinsatzkommando der Polizei in die Wohnung eindrang, schoss der "Reichsbürger" durch eine geschlossene Tür auf die Einsatzkräfte. Bei dem Einsatz wurden vier Polizeibeamte verletzt, zwei davon durch Schussverletzungen. Ein Beamter erlag am 20. Oktober 2016 seinen schweren Verletzungen. Erkenntnisse, dass auch Hamburger "Reichsbürger" zu einem derart gewalttätigen Vorgehen bereit wären, sind zwar bisher nicht angefallen, eine solche Entwicklung ist jedoch für die Zukunft nicht gänzlich auszuschließen. Im Falle waffenrechtlicher Erlaubnisse von "Reichsbürgern" mit Hamburger Wohnsitz teilt das LfV Hamburg daher im Rahmen der gesetzlichen Übermittlungsvorschriften seine Erkenntnisse der zuständigen Waffenbehörde mit, um auf dieser Grundlage die Entziehung waffenrechtlicher Erlaubnisse zu prüfen. Die Aktivitäten der "Reichsbürger" und sogenannter "Selbstverwalter" haben seit einiger Zeit bundesweit, auch in Hamburg, deutlich zugenommen. Hamburger Behörden erhielten insbesondere in der zweiten Jahreshälfte 2016 vermehrt Zusendungen dieser Klientel. Zwei "Reichsbürger"-Bewegungen wurden in Hamburg besonders aktiv. Beide firmieren unter dem Namen "Bundesstaat Freie und Hansestadt Hamburg", weisen jedoch keine personellen Überschneidungen auf, sondern scheinen sich gegenseitig abzulehnen. Auf der einschlägigen Internetseite "Gelber Schein" lädt eine der beiden Gruppen zu "Stammtisch"-Treffen ein. Mitglieder dieser Gruppe sind auch auf Facebook aktiv. Zumindest einzelnen von ihnen sind antisemitische und den Holocaust leugnende Aussagen zuzurechnen. Der Internetseite "gelberschein.net" zufolge, sei das Reichsund Staatsangehörigkeitsgesetz in seiner Fassung vom 22. Juli .1913 unverändert gültig. Mit einer "Staatsangehörigkeit" [des "Reiches"] werde man "zum Souverän" und könne so aus dem "Sklavenstatus mit Vollversorgung" heraustreten. Ausweispapiere der Bundesrepublik Deutschland werden als systemeigene "Sklavenkärtchen" und Behörden als "Besatzerverwaltung" bezeichnet. Die Seite bietet zahlreiche Formulare und Hilfestellungen für die Beantragung der Feststellung der (reichs)deutschen Staatsangehörigkeit an ("Staatsangehörigkeitsausweise"). 195 Reichsbürger und Selbstverwalter Die zweite Gruppe gleichen Namens betreibt eine "Weltnetzseite" und bezieht sich auf den "Freistaat Preußen". Demzufolge hätte am 29. März 2016 eine "Notwahl" zur "Reorganisation des Bundesstaates Freie und Hansestadt Hamburg" stattgefunden, deren Ziel gewesen sei, "Hamburg als Rechtsstaat wieder zu etablieren und letztendlich Frieden für die Welt zu erreichen". In der Zwischenzeit gelte die völkerrechtskonforme Verfassung des "Freistaates Preußen" in der Fassung vom 30. November 1920. Darüber hinaus betreibt die Gruppe einen weiteren Internetauftritt unter der Bezeichnung "Bundesstaat Hamburg - Auswärtiges Amt". Dort sind, neben einem Notwahlgesetz und einer Noterklärung, diverse Bekanntmachungen, interne Beschlüsse und eine eigene Verfassung sowie diverse offiziell anmutende Dokumente und Ausweisvorlagen veröffentlicht. Darüber hinaus gibt es in Hamburg oder mit Bezug zu Hamburg weitere insbesondere im Schriftverkehr mit Behörden und im Internet aktive "Reichsbürger" und "Reichsbürger"-Gruppierungen, die sich beispielsweise als "Reichspräsident des Deutschen Reiches" bezeichnen, als "Kommissarische Reichsregierung" mit dem "Reichsland Freie und Hansestadt Hamburg" auftreten oder den Hamburger Behörden gegenüber erklären, dass die Bundesrepublik Deutschland nicht existiere oder sie sich nun unter "Selbstverwaltung" gestellt hätten, weshalb diese für sie nicht mehr zuständig seien. Mit Stand Mai 2017 sind der Szene in ganz Deutschland rund 12.600 Personen zuzurechnen - davon gehören gut 700 dem rechtsextremistischen Spektrum an. In Hamburg sind derzeit etwa 90 Personen der "Reichsbürger"und "Selbstverwalter"-Szene zuzurechnen. Bei rund 10% der Personen liegen zudem Anhaltspunkte für rechtsextremistische Bestrebungen vor. 196 Verfassungsschutz in Hamburg Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Gruppierungen mit Auslandsbezug Linksextremismus Rechtsextremismus Reichsbürger und Selbstverwalter Scientology-Organisation Spionageabwehr Geheimund Sabotageschutz; Wirtschaftsschutz Anhang * Hamburgisches Verfassungsschutzgesetz * Abkürzungsverzeichnis * Stichwortverzeichnis Scientology-Organisation VII. Scientology-Organisation (SO) 1. Entwicklungen und Schwerpunkte Die "Scientology Organisation" (SO) wird seit 1997 vom Verfassungsschutz beobachtet. Sie ist weiterhin bestrebt, neue Mitglieder zu gewinnen, ihre Einnahmen zu erhöhen und ihr politisches Fernziel einer scientologischen Gesellschaft zu erreichen. In einer solchen Gesellschaft wären zentrale demokratische Grundwerte außer Kraft gesetzt. Nach einer Klage der "Scientology Kirche Deutschland e.V." und der "Scientology Kirche Berlin e.V." gegen die Beobachtung durch das Bundesamt für Verfassungsschutz bestätigte das Verwaltungsgericht Köln im November 2004 die RechtDer Internetauftritt der "Scientology-Organisamäßigkeit der Beobachtung. tion" Auch mit einem zweiten Versuch scheiterten die Klägerinnen im Februar 2008 vor dem Oberverwaltungsgericht Münster in einer Berufungsverhandlung. Das Gericht wies die Klage zurück und ließ keine Revision zu. In der Urteilsbegründung hieß es, Scientology strebe eine Gesellschaftsordnung an, mit der "zentrale Verfassungswerte wie die Menschenwürde und das Recht auf Gleichbehandlung außer Kraft gesetzt oder eingeschränkt" würden. Bei der Umsetzung ihrer Ziele hat die Organisation in Deutschland in den vergangenen Jahren keine nennenswerten Fortschritte erreichen können. Die Vereinigung bezeichnet sich selbst als Religionsgemeinschaft. Dachverband der SO ist die "Scientology Kirche Deutschland e.V." mit Sitz in München. Intern bezeichnet die SO ihre "Kirchen" jedoch nur kurz als "Orgs". Bundesweit gibt es neun "Orgs", einschließlich zweier sogenannter "Celebrity Center", die, soweit vorhanden, prominente Scientologen betreuen, um deren Popularität für die Scientology-Propaganda zu instrumentalisieren. "Orgs" gibt es in Berlin, Hannover, Düsseldorf, Frankfurt, Stuttgart, München und Hamburg. Die "Celebrity Center" sind in Düsseldorf und München ansässig. Daneben gibt es zahlreiche klei198 Scientology-Organisation nere Stützpunkte ("Missionen"). Die SO in Deutschland ist in das weltweite Scientology-System eingebunden, das von den USA aus gesteuert wird. Im Rahmen ihrer Expansionsstrategie versuchte Scientology auch im Jahr 2016 ihre mediale Präsenz weiter auszubauen. Mit der Gründung des Kommunikationszentrums "Scientology Media Productions" (SMP) am 28. Mai 2016 in Hollywood verfügt die Organisation über einen eigenen Radiound Fernsehsender. Über das SMP wird weltweit auch die "Social Media"-Präsenz von Scientology gesteuert. Um neue Mitglieder zu werben, setzt die Organisation zunehmend auf die Nutzung sozialer Medien. Als Adressaten stehen vor allem jüngere, IT-affine Personen im Fokus der SO. Auch in Deutschland nutzt die SO soziale Netzwerke. So startete Scientology im August 2016 eine deutschlandweite Kampagne via Twitter. Dort wurde eine Annonce verbreitet, in der die SO für Persönlichkeitstest wirbt. Bei der Anmeldung für den Test wird die Adresse des Teilnehmers abgefragt. Um das Ergebnis zu erfahren, muss der Teilnehmer jedoch eine Scientology-"Kirche" aufsuchen, damit ein persönlicher Kontakt aufgebaut werden kann - immer mit dem Ziel, neue Mitglieder zu gewinnen. Im Oktober 2016 ging eine neue Internetseite der SO online. Diese gibt vor, allgemein über das Thema der Religionsfreiheit zu informieren und wendet sich unter anderem gezielt an Studenten. Die Anstrengungen der Organisation, über solche Aktivitäten gesellschaftliche Anerkennung in Deutschland zu erreichen, waren auch 2016 weitgehend erfolglos. Insgesamt ist die Entwicklung der SO weiterhin als stagnierend zu bezeichnen. Ein entscheidender Grund hierfür wird auch SO-intern in der Beobachtung durch den Verfassungsschutz und der damit verbundenen breiten Information der Öffentlichkeit über Scientology als verfassungsfeindliche Organisation gesehen. Unter den Mitgliedern gibt es ebenso aus anderen Gründen Anzeichen für eine wachsende Frustration. So wurden Mitglieder beispielsweise darüber informiert, dass aufgrund der Einführung einer neuen scientologischen "Technik" bereits abgeschlossene und bezahlte Kurse erneuert werden müssten. Zu beobachten ist ferner, dass ein Teil der neu geworbenen Scientology-Interessenten wieder abspringt, insbesondere weil die SO einen erheblichen Zeitaufwand für die "ehrenamtliche" Mitarbeit erwartet. Die Organisation versucht 199 Scientology-Organisation auch neue Zielgruppen anzusprechen, unter anderem Flüchtlinge; so wird das Dianetik-Buch von SO-Gründer L. Ron Hubbard, in dem der amerikanische Science-Fiction-Autor seine "Lehre" notierte, an Info-Ständen auf der Straße unter anderem auf Arabisch angeboten. Eine der aktivsten Tarnorganisationen der SO ist nach wie vor die "Kommission für Verstöße der Psychiatrie gegen Menschenrechte e.V." (KVPM). Ein für Anfang April 2016 angekündigter "Psychiater-Kongress" in München war offenbar Anlass für die SO, dort vom 22. März bis 18. April 2016 die KVPM-Wanderausstellung "Psychiatrie - Tod statt Hilfe" zu präsentieren. Scientology betrachtet das medizinische Fachgebiet der Psychiatrie als Konkurrenz zur eigenen Ideologie und bekämpft diese und andere verwandte Disziplinen vehement. Am 22. Januar 2016 versuchte die KVPM den anstehenden Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus (27. Januar) mit einer bundesweiten Aktion zu instrumentalisieren, indem sie in mehreren Großstädten öffentlich Propaganda gegen die Psychiatrie betrieb. Die Straßenaktionen standen unter dem Motto "Psychiatrie: Wegbereiter und Architekt des Massenmords". Hierzu veröffentlichte die KVPM auf ihrer Internetseite einen Beitrag, in dem Psychiater als "Vordenker und treibende Kraft hinter dem Holocaust" denunziert werden. Im Jahr 2016 bemühte sich die SO zudem darum in einigen Regionen Deutschlands, insbesondere in Bayern, auf dem Markt der schulischen Nachhilfeangebote Fuß zu fassen. Die Aktivitäten der SO in den vergangenen Jahren belegen, dass die Organisation nicht reformfähig ist und weiterhin an den Lehren ihres Gründers, L. Ron Hubbard (1911 bis 1986), ohne Abstriche festhält. Hubbard hatte die "Church of Scientology" (Scientology-Kirche) 1954 in den USA gegründet. Die Kritik von Aussteigern, Behörden und Medien an den totalitären Strukturen der SO hält weiter an, und alternative Scientology-Gruppen, oft auch als "Scientology-Light" bezeichnet, stellen sich als ernstzunehmende Konkurrenz für die SO und ihre Angebote dar. Gleichwohl setzt ein geschrumpfter, aber harter Kern überzeugter Anhänger in Deutschland die scientologischen Aktivitäten unbeirrt fort. 200 Scientology-Organisation 2. Potenziale Unter anderem aufgrund ihres generell schlechten Rufes hat die Organisation, nicht nur in Deutschland, sondern weltweit an vielen Orten Schwierigkeiten, neue Mitglieder zu gewinnen und dauerhaft zu halten. Seit Jahren klären staatliche Stellen, insbesondere der Verfassungsschutz, über die tatsächlichen Ziele der totalitären Organisation auf, und Ex-Scientologen schildern mittlerweile sehr offen, wie schlecht es ihnen in der Organisation erging. Zudem sind viele Angehörige der Organisation häufig frustriert, weil Scientology nicht so funktioniert wie versprochen, beispielsweise zu einem besseren Leben verhilft, mit der Folge, dass Interessenten wieder abspringen. Die Organisation kann seit Jahren nur einen Teil der Aussteiger durch neue Mitglieder ersetzen. In vielen Niederlassungen mangelt es zudem an Personal und Kundschaft. Bund: Scientology-Organisation Personenpotenziale 6000 5000 4000 rd. 5.000 bis 6.000 rd. 5.000 bis 6.000 rd. 3.000 bis 3.500 3000 2000 gut 4.500 rd. 4.500 rd. 4.000 5.000 3.500 3.500 rd. 3.500 1000 0 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 - Alle Zahlen sind gerundet - 201 Scientology-Organisation Mit weltweit vorgenommenen Renovierungen und einigen Neueröffnungen versucht die Organisation, über ihre massiven Probleme hinwegzutäuschen und gibt vor, dennoch zu expandieren. Ihre finanziellen Mittel hierfür sind immer noch erheblich. Nach Erkenntnissen des Landesamtes für Verfassungsschutz Baden-Württemberg hatte die internationale Dachorganisation "Church of Scientology International" (CSI) im Jahr 2011 ein Vermögen von rund 1,4 Milliarden US-Dollar. Weltweit hat die SO etwa 70.000 bis 80.000 Anhänger, in Deutschland sind es im Jahr 2016 nach Schätzung der Verfassungsschutzbehörden 3.500. In Hamburg hat die SO nach wie vor rund 350 Anhänger. Etwa 150 bis 200 Personen davon sind dem aktiven, harten Kern der Hamburger Scientologen zuzurechnen. Zum Vergleich: Im Jahr 2007 wurden bundesweit etwa 5.000 bis 6.000 Personen der SO zugerechnet, in Hamburg rund 750 Personen. Hamburg: Scientology-Organisation Personenpotenziale 900 750 600 450 300 rd. 400 rd. 350 rd. 350 750 700 650 650 600 550 450 150 0 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014 2015 2016 - Alle Zahlen sind gerundet - 202 Scientology-Organisation 3. Politisch motivierte Kriminalität (PMK) Scientologisch motivierte Strafund Gewalttaten wurden im Jahr 2016 in Hamburg nicht festgestellt. 4. Strukturen und Organisationseinheiten David Miscavige führt das internationale Management in Los Angeles, zu dem das "Religious Technology Center" (RTC) gehört. Das RTC besitzt die Urheberrechte der Schriften des Scientology-Gründers L. Ron Hubbard und übt damit die Kontrolle über die scientologische Ideologie aus. * Die "International Association of Scientologists" (IAS) treibt Geld durch Spenden und Mitgliedsbeiträge ein und finanziert Kampagnen aus ihrer "Kriegskasse" (war chest). * Die "Sea Organization" (Sea Org) ist eine uniformierte Elite-Einheit und paramilitärische Truppe der SO. Sie besetzt Führungspositionen und betreibt die "Rehabilitation Project Forces"(RPF), die Straflagern gleichen und in denen zweifelnde Scientologen wieder "auf Linie" gebracht werden sollen. Derartige Einrichtungen gibt es in Deutschland nicht, jedoch in der Europa-Zentrale der SO in Kopenhagen. * Das "Office of Special Affairs" (OSA) ist für Öffentlichkeitsarbeit und rechtliche Angelegenheiten zuständig, führt aber auch Untersuchungen gegen Kritiker und Abtrünnige durch. Aufgrund dieser Ausforschungstätigkeit hat das OSA auch die Funktion eines "scientologischen Geheimdienstes". * Zur "Association of Better Living and Education" (ABLE) gehören die SO-Organisationen "Applied Scholastics"(ApS) für den Bildungsbereich, "Narconon" für Drogenentzug und "Criminon" für Resozialisierung. * So genannte "Ehrenamtliche Geistliche", international "Volunteer Ministers" genannt, nutzen Hilfseinsätze in Katastrophengebieten zu Propagandazwecken für Scientology. Sie treten in gelbfarbener Kleidung auf. Zu Werbezwecken bauen sie in Städten gelbfarbene Informationszelte auf. 203 Scientology-Organisation * Kampagnen und Broschüren unter den Titeln "Der Weg zum Glücklichsein", "The Way to Happiness Foundation" und "Operation: Ein friedvoller Planet" gehören ebenfalls zur SO. * Die "Kommission für Verstöße der Psychiatrie gegen Menschenrechte" (KVPM), international "Citizens Commissions on Human Rights" (CCHR), agitiert gegen die Psychiatrie und betreibt Ausstellungen mit dem Tenor "Psychiatrie: Tod statt Hilfe". Die SO lehnt die Psychiatrie ab und reklamiert für sich ein Monopol auf jegliche psychologische Behandlung. * Mit "Youth for Human Rights", der "Jugend für Menschenrechte" und "United for Human Rights" werden vorzugsweise Jugendliche angesprochen, ebenso wie mit den in türkisfarbenen T-Shirts auftretenden Angehörigen der Initiative "Sag Nein zu Drogen - Sag Ja zum Leben". Eine internationale Gruppe heißt "Foundation for a Drug Free World". * Die "International Hubbard Ecclesiastical League of Pastors" (I HELP) betreut Dianetik-Gruppen und sogenannte "Feldauditoren", die in ihrem Lebensumfeld nach Personen suchen, um sie für Scientology zu werben. * Das "World Institute of Scientology Enterprises" (WISE) ist ein Wirtschaftverbund von Scientologen und ebenfalls der Expansion verpflichtet. 5. Strukturen in Hamburg Die "Scientology Kirche Hamburg e.V." liegt am Domplatz in der Innenstadt und ist die einzig verbliebene Niederlassung der SO in Hamburg. Von dort werden die verschiedenen Scientology-Gruppen und ihre Aktivitäten organisiert und beaufsichtigt. Viele Tarnorganisationen der SO treten in Hamburg und den angrenzenden Bundesländern nicht offen, das heißt ohne erkennbaren Bezug zur SO, auf. Einige Inhaber und Mitarbeiter von rund 20 Hamburger Firmen - vorwiegend kleine mittelständische Betriebe - sind Mitglieder im "World Institute of Scientology Enterprises" (WISE). Für Organisationsund 204 Scientology-Organisation Schlichtungszwecke gibt es ein WISE-Charterkomitee. Präsident: Gerd Christoffel * Zur "Jugend für Menschenrechte" gehören in Hamburg Vize-Präsidentin und auch junge Scientologen, die leitende Direktorin vorzugsweise Gleichaltrige mit der Hamburger Org: Pia Michel diesem Thema ansprechen sollen. Pressesprecher: Frank Busch * Unter dem Tenor "Sag Nein zu Drogen - Sag Ja zum Leben" betreibt die SO Informationsstände und verteilt Broschüren zum Thema. Die SO hofft, auf diese Weise das Interesse von Passanten zu gewinnen. * An Dianetik-Ständen werden Scientology-Bücher und Stresstests mit einem E-Meter angeboten. Das E-Meter soll angeblich ähnlich wie ein Lügendetektor funktionieren. * Die "Kommission für Verstöße der Psychiatrie gegen Menschenrechte" (KVPM) verfügt in Hamburg über eine kleine Ortsgruppe. * "Criminon Deutschland e.V." thematisiert u.a. die Resozialisierung von Strafgefangenen und hat seinen Sitz in Barsbüttel. Dort engagieren sich neben Schleswig-Holsteiner auch Hamburger Scientologen. * Zu "Applied Scholastics" (ApS), dem internationalen scientologischen Bildungsbereich, gehören nur wenige Hamburger Scientologen, von denen einige Nachhilfeunterricht anbieten. * Neben dem internationalen Bereich "The Way to Happiness Foundation" gibt es auch in Hamburg die Initiative "Der Weg zum Glücklichsein", die mit Kampagnen und Broschüren den scientologischen Weg für ein vorgeblich besseres Leben propagiert. * Das "Departement of Special Affairs" (DSA) ist Bestandteil der Hamburger Org und ein regionaler Ableger des sogenannten scientologischen Geheimdienstes "Office of Special Affairs" (OSA). 205 Scientology-Organisation 6. Aktivitäten In der Hamburger Org werden neben den regelmäßigen Kursen und Verleihungen von sogenannten "Abschlüssen" turnusmäßig verschiedene Veranstaltungen angeboten, darunter Tage der offenen Tür, Filmvorführungen, Diskussionsrunden und Konzerte. Sie sind fester Bestandteil des Programms. Konzeptionell setzt die SO insbesondere weiter auf den "interreligiösen Dialog" mit anderen Religionsund Weltanschauungsgemeinschaften, um sich aus der gesellschaftlichen Isolierung zu befreien und möglichst viele sozial engagierte Meinungsführer und Multiplikatoren aus dem Bereich religiöser Gruppierungen, der Politik oder Wirtschaft zu erreichen. Durch diese Kontakte versucht die SO ihren eigenen Anspruch, eine religiöse Gemeinschaft zu sein, zu unterstreichen. Die Organisation wiederholt dabei beharrlich, auf dem Boden der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu stehen und präsentiert sich als zu unrecht kritisiert und grundsätzlich missverstanden. Dieses Konzept, den Schulterschluss mit Vertretern religiöser Gemeinschaften zu suchen, um gesellschaftliche Akzeptanz zu erreichen, hatte zumindest insofern Erfolg, als die SO teilweise als Gesprächspartner akzeptiert wird. Sie versucht die Beobachtung durch das LfV als ungerechtfertigte Verfolgung einer Religionsgemeinschaft darzustellen und appelliert damit an das Gewissen der ZielDie Hamburger "Org"am Domplatz in der gruppe, sich nicht an "religiöser Innenstadt Ausgrenzung" gegen die SO zu beteiligen. Diese Konzeption basiert auf einer Richtlinie, die L. Ron Hubbard zur Expansion seines Kultes bereits in den 1960er Jahren ausformuliert hat. In Hamburg, sowie auch bundesweit, stellt die Initiative "Sag Nein zu Drogen - sag Ja zum Leben" ein wichtiges propagandistisches Zugpferd 206 Scientology-Organisation der SO dar. Als Zielgruppe sollen speziell Jugendliche, aber auch im pädagogischen Bereich tätige Personen, Drogenberatungsstellen und weitere soziale Träger angesprochen werden. Insbesondere die Flyer mit dem Titel "Fakten über Drogen" werden hierzu zum Beispiel in Hamburger Geschäften ausgelegt oder in die Briefkästen von Privathaushalten geworfen. Dabei tritt die SO nicht offen auf - in den Info-Heften gibt es keinen direkten Hinweis auf die Organisation. SO versucht, über die Instrumentalisierung sozial akzeptierten Engagements neue "Anti-Drogen"-Broschüren der "ScientologyAnhänger zu gewinnen. Organisation" In einer Internet-Selbstdarstellung hat sich die SO auch im Jahr 2016 mit ihrer vorgeblich "lebensrettenden Aufklärungskampagne" gebrüstet. Scientology führte unter anderem mehrere InfoStände an verschiedenen Orten in Hamburg durch, über deren Hintergrund der Verfassungsschutz die Öffentlichkeit vorab Info-Stand der SO in der Mönckebergstraße im mit Internetbeiträgen und März 2017 Medieninterviews informierte. Die Aktivitäten des Vereins erschöpfen sich vornehmlich im Verteilen von Info-Heftchen über diverse Drogen und Berichten über die Anzahl der in Umlauf gebrachten Publikationen. Zudem veröffentlicht die SO im Internet anonyme Rückmeldungen über die vermeintliche Wirksamkeit dieser Art von Drogenaufklärung. 207 Scientology-Organisation Auch die KVPM tritt in Hamburg regelmäßig mit Info-Ständen auf. Am 23. April 2016 organisierte der Verein eine Demonstration durch die Hamburger Innenstadt, an der sich etwa 40 Scientology-Anhänger beteiligten. Der Demonstration folgte am Zielpunkt eine künstlerische Darbietung eines US-Rappers vor einem KVPM-Infostand, die bei den Passanten nur mäßiges Interesse hervorrief. Der Stand wurde zwei Stunden früher als geplant abgebaut. Die Scientology-Beratung in Hamburg Das Beratungsangebot des Verfassungsschutzes wird weiter genutzt. Scientology verfügt über ein breites Themenspektrum, um in Kontakt mit Menschen zu kommen. Dabei geht es um Wirtschaft und Politik, um Drogenaufklärung, Drogentherapien, Resozialisierung, Menschenrechte, Kampagnen gegen die Psychiatrie und immer wieder vorgebliche Lebenshilfe. Bei Kontakten zu Scientologen, ihren Firmen oder Gruppen können Verunsicherungen und Ängste entstehen. Die Beratung und Aufklärung des LfV Hamburg hilft und unterstützt bei entsprechenden Fragen, auch bei einem geplanten Ausstieg aus der Organisation. Für Beratung und nähere Informationen wenden Sie sich bitte an das Landesamt für Verfassungsschutz Hamburg mit dem Stichwort: "Scientology-Beratung": E-Mail: poststelle@verfassungsschutz.hamburg.de Telefon: 040 244443 Weitere Informationen zum Thema Scientology-Organisation finden Sie auf den Internetseiten: www.hamburg.de/innenbehoerde/schlagzeilen und www.hamburg.de/innenbehoerde/scientology-organisation 208 Verfassungsschutz in Hamburg Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Gruppierungen mit Auslandsbezug Linksextremismus Rechtsextremismus Reichsbürger und Selbstverwalter Scientology-Organisation Spionageabwehr Geheimund Sabotageschutz; Wirtschaftsschutz Anhang * Hamburgisches Verfassungsschutzgesetz * Abkürzungsverzeichnis * Stichwortverzeichnis Spionageabwehr VIII. Spionageabwehr 1. Überblick Mit der Nutzung des Cyber-Raumes durch ausländische Nachrichtendienste haben sich die Angriffsmöglichkeiten zur Ausforschung und Ausspähung deutlich erweitert. Das Interesse gilt Deutschland wegen seiner Wirtschaftskraft, als EU-und NATO-Mitglied sowie auch und gerade wegen seiner starken politischen Stellung. Für eine Reihe von Nachrichtendiensten sind außerdem die oppositionellen Gruppierungen ihrer jeweiligen Heimatländer weiteres Ausforschungsund Angriffsziel. Die Nachrichtendienste nutzen seit Jahren verstärkt das Internet mit all seinen Kommunikationsmöglichkeiten, zum Beispiel für elektronische Attacken via E-Mail, sozialer Netzwerke oder manipulierter Webseiten. Nach wie vor werden aber auch menschliche Quellen eingesetzt - der Einsatz dieser Agenten bleibt ein gängiges und erfolgreiches Mittel, um Fremde Nachrichtendienste in Deutschland Informationen zu beschaffen. Hauptträger der gegen Deutschland gerichteten Spionageaktivitäten sind weiterhin die Dienste Russlands, Chinas und des Irans. So haben beispielsweise Russland und China die Spionage als Mittel zur Förderung der eigenen Wirtschaft explizit im Gesetz festgeschrieben. Nach dem Putschversuch in der Türkei im Juli 2016 häufen sich Hinweise auf eine verstärkte Aktivität des türkischen Auslandsnachrichtendienstes "Milli Istihbarat Teskilati" ("Nationaler Nachrichtendienst", MIT). Der MIT übermittelte dem Bundesnachrichtendienst eine Namensliste mit mehr als 300 in Deutschland lebenden mutmaßlichen Regierungsgegnern. Offenbar erhoffte sich der MIT Unterstützung durch die deutschen Sicherheitsbehörden. Stattdessen leitete die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe ein Verfahren wegen Spionageverdachts ein. Die in Hamburg betroffenen Personen wurden in informiert und beraten; dabei arbeiteten LfV und Polizei eng zusammen. 210 Spionageabwehr Insgesamt hat die Spionageabwehr die Aktivitäten aller fremden Nachrichtendienste in Deutschland im Fokus. In den vergangenen Jahren ist auch eine verstärkte Sensibilisierung durch die Medien erkennbar. 2. Elektronische Attacken Die digitale Entwicklung hat die Kommunikation in den vergangenen Jahrzehnten weltweit rapide gewandelt. Die Vorteile der technischen Möglichkeiten und schnell verfügbaren Informationen sind ein unabdingbarer Baustein für das Funktionieren wirtschaftlicher, politischer und sozialer Systeme; daraus resultieren aber auch vielfältige Risiken für einen Missbrauch. Insbesondere auf dem Feld der Spionage bieten sich Möglichkeiten und Wege, Informationen, die früher allein durch menschliche Quellen zu erlangen waren, leichter und ohne größere Risiken auf technischem Weg zu beschaffen. Dementsprechend haben sich elektronische Angriffe in den vergangenen Jahren als zusätzliche wichtige Methode der Informationsgewinnung für ausländische Nachrichtendienste etabliert. Elektronische Angriffe sind gezielt durchgeführte Maßnahmen mit und gegen IT-Infrastrukturen. Neben der Informationsbeschaffung fallen darunter auch Aktivitäten, die zur Schädigung bzw. Sabotage dieser Systeme geeignet sind. Solche Attacken sind kostengünstig, in Realzeit durchführbar und besitzen eine hohe Erfolgswahrscheinlichkeit. Ernsthafte politische oder strafrechtliche Risiken bestehen für die Angreifer aufgrund vielfältiger Verschleierungsmöglichkeiten und der schweren Zurechenbarkeit nicht. Den hohen Wert als nachrichtendienstliches Mittel belegen mehrere im Jahr 2016 weltweit bekannt gewordene IT-Angriffe. Elektronische Angriffe sind sowohl im Behördenbereich als auch bei der Ausspähung von Politik, Wirtschaft und Forschung ein probates Tatmittel. So analysieren die Verfassungsschutzbehörden seit Jahren Cyber-Sicherheitsvorfälle bei Wirtschaftsunternehmen. Die Bearbeitung elektronischer Angriffe in der Wirtschaft basiert bisher auf Meldungen einzelner Unternehmen, Hinweisen des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI), des "CERT-Bund" (Computer Emergency Response Team, einer Gruppe von EDV-Spezialisten der Bundesverwal211 Spionageabwehr tung, die Lösungen bei konkreten IT-Sicherheitsvorfällen entwickelt) oder anderer Stellen. Methoden der elektronischen Angreifer Elektronische Angriffe durch ausländische Nachrichtendienste auf die Netze von Behörden und Wirtschaftsunternehmen sind eine Gefahr für die Sicherheit in Deutschland und stellen eine große Herausforderung für die Spionageabwehr dar. Die für die Angriffe erforderlichen Infrastrukturen (zum Beispiel Server, leistungsfähige und sichere Verbindungen) und die verwendeten Schadprogramme werden ständig weiterentwickelt und in ihrer Effektivität gesteigert. Darüber hinaus bedienen sich die Angreifer ausgefeilter Tarnstrategien, um ihre Aktivitäten zu verschleiern. Neben der klassischen Trojaner-E-Mail werden dabei vermehrt Angriffsmethoden eingesetzt, die von den Sicherheitsbehörden schwer aufzuklären sind. Dazu zählt zum Beispiel das unbewusste oder unbeabsichtigte Herunterladen von Schadsoftware über entsprechend präparierte Webseiten (der sogenannte "Drive-By-Download"); oft werden dabei Lücken im Browser ausgenutzt. Ein weiteres Mittel ist das Hacken und Präparieren von Internetseiten, die ein User voraussichtlich künftig besuchen wird ("Watering-Hole-Attacke") - ruft der Nutzer diese Seite auf und weist seine Internetsoftware Schwachstellen auf, fängt er sich über diesen Weg eine Schadsoftware ein. Diese Professionalisierung trägt dazu bei, dass nur ein Teil der elektronischen Angriffe festgestellt wird, da das Opfer des Angriffs diesen in der Regel nur dann feststellt, wenn es die erforderlichen Erkenntnisse und Fähigkeiten besitzt. Somit ist von einer hohen Dunkelziffer nicht erkannter, qualitativ hochwertiger und damit besonders gefährlicher elektronischer Angriffe auszugehen, mit denen zielgerichtet ausgewählte Opfer angegriffen werden. Eine unabdingbare Voraussetzung für einen effektiven Schutz vor elektronischen Angriffen ist, dass potenzielle Opfer aus Behörden, der Politik oder der Wirtschaft aktiv mitwirken und sich zuallererst mit der nötigen Vorsicht und Aufmerksamkeit im Cyberraum bewegen. Dazu gehört, 212 Spionageabwehr sich der vielfältigen Gefahren bewusst zu sein und eng mit den Sicherheitsbehörden zusammenzuarbeiten. Verursacher elektronischer Angriffe Bei elektronischen Angriffen sind die Täter aufgrund der Verschleierungsmöglichkeiten, die das Internet bietet, oft nur schwer zu identifizieren. Aufgrund bestimmter Merkmale und Indizien ist es bei vielen Angriffen wahrscheinlich, dass ein ausländischer Nachrichtendienst dahintersteckt - ohne dass der letztendliche sichere Nachweis gelingt. So schließen bestimmte entwendete Daten, zum Beispiel Informationen über interne politische Abläufe, zumeist ein originär finanzielles Interesse und damit rein kriminelle Absichten der Angreifer aus und legen einen nachrichtendienstlichen Hintergrund nahe. Weitere Kriterien sind die überwiegend hohe Qualität der eingesetzten Schadsoftware sowie die Zielauswahl (Personen in Schlüsselpositionen in Politik, Wirtschaft und Verwaltung), die häufig ein staatliches Aufklärungsinteresse erkennen lassen. Die von den Abwehrdiensten festgestellten Angreifer stammen weiterhin überwiegend aus Russland und China, wenngleich auch Nachrichtendienste anderer Staaten über die erforderlichen Ressourcen und Fähigkeiten zur Durchführung elektronischer Angriffe verfügen. So wurden 2015 solche Angriffe erstmals auch mutmaßlich iranischen staatlichen Stellen zugeordnet. Russische elektronische Angriffe zeichnen sich durch eine hohe informationstechnische Qualität aus und lassen in Art und globalem Umfang der Operationen immense Kapazitäten im operativen Bereich und in der Auswertung der beschafften Informationen erkennen. Die Kapazitäten der chinesischen Nachrichtendienste ermöglichen zielgerichtet hochwertige Angriffe sowie darüber hinaus auch mehrere Kampagnen internationalen Ausmaßes parallel mit einer Vielzahl einzelner Opfer. 213 Spionageabwehr 3. Nachrichtendienste Mittlerer und Naher Osten Manche Staaten aus dieser Region bemühen sich nach wie vor um die Beschaffung von Produkten zur Herstellung von atomaren, biologischen und chemischen Massenvernichtungswaffen (Proliferation) und der entsprechenden Trägertechnologie (Raketentechnik). Als Länderschwerpunkte im Bereich der proliferationsrelevanten Aktivitäten gelten aktuell: * Iran * Syrien * Pakistan * Nordkorea Diese Staaten sind aufgrund der unzureichenden technologischen Infrastruktur im eigenen Land in hohem Maße darauf angewiesen, entsprechende Produkte und das zu ihrer Herstellung erforderliche Know-how aus den hierfür in Frage kommenden Lieferländern zu beziehen. In diesem Zusammenhang steht auch die Freie und Hansestadt Hamburg als Standort von zahlreichen innovativen und kompetenten Unternehmen sowie Forschungseinrichtungen auf dem Gebiet der betroffenen Technologien im Fokus der Beschaffungsversuche dieser Länder. Der Iran ist aufgrund seiner bisherigen nuklearrelevanten Aktivitäten weiterhin ein Schwerpunkt bei der Proliferationsbekämpfung. Politisch und wirtschaftlich sind die Beziehungen mit westlichen Ländern in Bewegung. Die langjährigen Verhandlungen zwischen dem Iran und der sogenannten EU-3+3-Gruppe (USA, Frankreich, Großbritannien, Deutschland, Russland und China) zum iranischen Nuklearprogramm wurden am 14. Juli 2015 mit der Unterzeichnung des sogenannten "Joint Comprehensive Plan of Action" (JCPOA) abgeschlossen. In diesem Abkommen stimmt der Iran einer starken Beschränkung und Kontrolle seines Atomprogramms zu. Im Gegenzug wurden am 16. Januar 2016 erste Sanktionen gelockert. Diese Lockerungen betreffen zunächst vorrangig nicht-proliferationsrelevante Güter aus dem Bereich der Ölund Gasindustrie, deren Listung als politisches Druckmittel gegenüber dem Iran erfolgte. Sofern sich der Iran nachweislich an die festgelegten Vereinbarungen hält, soll eine komplette Aufhebung der nuklearbezogenen Sanktionen nach derzeitigem Stand im Jahr 2023 erfolgen. Trotzdem ist eine 214 Spionageabwehr komplette Kehrtwende bei der iranischen Atompolitik im Jahr 2016 nicht zu erkennen gewesen. So versuchte der Iran im Bereich der Trägertechnologie für sein Raketenprogramm weiterhin, die nötige Technik zu beschaffen. Da auch frühere Vereinbarungen zu keiner nachhaltigen Änderung des iranischen Beschaffungsverhaltens führten, werden die Verfassungsschutzbehörden die vom Iran ausgehenden Aktivitäten zum Erwerb proliferationsrelevanter Güter aufmerksam im Fokus behalten. Darüber hinaus liegt mit dem "Islamischen Zentrum Hamburg" (IZH) eine der wichtigsten religiösen und politisch-ideologischen Vertretungen Teherans in Europa in Hamburg. Über die extremistischen Aktivitäten des IZH wird seit der Herausgabe des ersten Verfassungsschutzberichtes in Hamburg 1993 jedes Jahr ausführlich berichtet ( II.7.). Wie Beschaffungsaktivitäten verschleiert werden sollen: Zur Verschleierung von Beschaffungsaktivitäten haben die proliferationsrelevanten Staaten mittlerweile zahlreiche Methoden entwickelt; einige Beispiele: * Beteiligung von Zwischenhändlern im eigenen Land oder in Drittländern * Gründung von Tarnfirmen * Lieferungen von Produkten über Umwege (Drittstaaten) * Fälschung bzw. Manipulation der Exportdokumente Ein Beispiel aus der Praxis - Anklage wegen mutmaßlichen Verstoßes gegen das Iran-Embargo: Die Bundesanwaltschaft hat am 15. Februar 2016 vor dem Staatsschutzsenat des Kammergerichts in Berlin Anklage gegen drei deutsche Staatsangehörige wegen Vergehen gegen das Außenwirtschaftsgesetz (AWG) erhoben. Die Beschuldigten lieferten insgesamt 51 Spezialventile an ein iranisches Unternehmen, das für den Bau des sanktionierten Schwerwasserreaktors in Arak zuständig war. Aufgrund der Bauweise und Beschaffenheit des Reaktors bestand in der Vergangenheit stets die 215 Spionageabwehr Besorgnis, dass dieser zur Produktion von atomwaffenfähigem Plutonium eingesetzt werden sollte. Zur Umgehung der Ausfuhrkontrollen täuschten die Beschuldigten den Exportkontrollbehörden einen falschen Endabnehmer für die Ventile vor. Durch die Vereinbarungen im Joint Comprehensive Plan of Action (JCPOA) vom 14. Juli 2015 hat sich der Iran zu einem Rückbau des Reaktors verpflichtet. Der Verfassungsschutz berät betroffene Unternehmen Die Verfassungsschutzbehörden sind in hohem Maße auf die Mitwirkung aller potenziell gefährdeten Personen und Unternehmen angewiesen, um Proliferation bekämpfen und verhindern zu können. In diesem Zusammenhang tragen gerade die Unternehmen, die als Hersteller oder Lieferanten sensibler Güter mit einer Einsatzmöglichkeit im Bereich der Herstellung von Massenvernichtungswaffen infrage kommen, eine besondere Verantwortung. Diese Firmen können sich im Falle eines Verdachts auf entsprechende Beschaffungsaktivitäten vertrauensvoll an das Landesamt für Verfassungsschutz Hamburg wenden. Da der Verfassungsschutz nicht zu den Strafverfolgungsbehörden zählt, unterliegt er auch nicht dem Strafverfolgungszwang und kann somit die Interessen und Belange der Personen und Firmen berücksichtigen, die ihm dahingehende Informationen zur Verfügung stellen. Bei Hinweisen und Fragen zu diesem Thema steht Ihnen das Landesamt für Verfassungsschutz Hamburg als vertrauensvoller Ansprechpartner unter folgender Erreichbarkeit mit Rat und Tat zur Seite: Telefon: 040/ 24 44 43 Fax: 040/ 33 83 60 E-Mail: poststelle@verfassungsschutz.hamburg.de Selbstverständlich sind Sie bei der Übermittlung von Hinweisen und Anhaltspunkten nicht zu einer Preisgabe Ihrer Personendaten verpflichtet und können sich daher auch auf anonymem Wege an uns wenden. Alle eingehenden Informationen werden grundsätzlich vertraulich behandelt. 216 Spionageabwehr Weitere Informationen zum Thema Proliferation erhalten Sie im Internet unter der Adresse www.hamburg.de/verfassungsschutz. Hier steht Ihnen ebenfalls die vom Bundesamt für Verfassungsschutz und den Verfassungsschutzbehörden der Länder herausgegebene Broschüre "Proliferation - das geht uns an" zur Verfügung. Iranische Nachrichtendienste - weitere Aktivitäten Die iranischen Nachrichtendienste sind nach den Erkenntnissen des Verfassungsschutzes nach wie vor auf die Ausspähung und Bekämpfung oppositioneller Gruppierungen und Personen im Ausland fokussiert. Neben dem wirtschaftlichen Bereich haben iranische Dienste darüber hinaus großes Interesse an Informationen aus den Bereichen Politik und Wissenschaft. Die Spionageaktivitäten des iranischen Nachrichtendienstapparates werden überwiegend durch das iranische "Ministry of Intelligence" (MOIS) gesteuert und koordiniert. Das Hauptaugenmerk des MOIS bei den nachrichtendienstlichen Aktivitäten im westlichen Ausland richtet sich dabei auf die "Volksmodjahedin Iran-Organisation" (MEK) und deren politischen Arm "Nationaler Widerstandsrat Iran" (NWRI). Die bislang angefallenen Hinweise auf nachrichtendienstliche Aktivitäten gegen deutsche Einrichtungen im Inund Ausland sind aus Sicht der Verfassungsschutzbehörden zudem als Belege für das anhaltende Aufklärungsinteresse des MOIS in den Bereichen Außenund Sicherheitspolitik zu bewerten. Festnahmen und Verurteilungen Anklage wegen mutmaßlicher Spionage Die Bundesanwaltschaft hat am 22. März 2016 gegen die zwei iranischen Staatsangehörigen Maysam P. und Saied R. Anklage wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit (SS 99 Abs. 1 Nr. 1 StGB) für den Iran erhoben. Die Beschuldigten sind hinreichend verdächtig, die iranische Oppositionsbewegung "Volksmodjahedin IranOrganisation" (MEK) und deren politischen Arm NWRI ausgespäht und ihre hierbei erlangten 217 Spionageabwehr Kenntnisse an einen iranischen Nachrichtendienst weitergeleitet zu haben. P. wurde am 19. Juli 2016 zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und vier Monaten verurteilt; das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. Das Verfahren gegen R. wurde am 10. Juni 2016 unter Auflagen vorläufig eingestellt. Festnahme wegen mutmaßlicher Spionage Die Bundesanwaltschaft hat am 5. Juli 2016 den pakistanischen Staatsangehörigen Syed Mustafa H. wegen des Verdachts der geheimdienstlichen Agententätigkeit (SS 99 Abs. 1 Nr. 1 StGB) festnehmen lassen. Nach dem Ergebnis der bisherigen Ermittlungen stand der Beschuldigte mit einer dem Iran zuzurechnenden geheimdienstlichen Einheit in Verbindung. Im Auftrag dieser Einheit soll er unter anderem den ehemaligen Präsidenten der Deutsch-Israelischen Gesellschaft und dessen Umfeld ausgespäht haben. Die von ihm gesammelten Informationen übermittelte er anschließend an seine Auftraggeber im Iran. Aus der Zielrichtung des Falles wurde deutlich, dass jüdische/israelische Einrichtungen und Staatsbürger im besonderen Fokus standen. Dem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren gingen nachrichtendienstliche Maßnahmen der Verfassungsschutzbehörden voraus, deren Ergebnisse den Ausgangspunkt für die Festnahme bildeten. Syed Mustafa H. wurde am 27. März 2017 zu einer Freiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten verurteilt. Syrische Nachrichtendienste Trotz des seit Jahren anhaltenden Bürgerkriegs sind die syrischen Nachrichtendienste in Teilen des Landes intakt und arbeitsfähig. Syrien unterhält unter anderem einen militärischen Nachrichtendienst, einen allgemeinen Inlandsund Auslandsnachrichtendienst und einen Geheimdienst der syrischen Luftstreitkräfte. Deutschland beherbergt derzeit eine der größten syrischen Exilgemeinden in Europa und ist von hohem Interesse für die syrischen Nachrich218 Spionageabwehr tendienste. Seit dem Beginn des Bürgerkrieges sind rund 600.000 Syrer nach Deutschland geflohen. Im Jahr 2016 wurden etwa 89.000 Syrer im EASY-Registierungssystem erfasst (2015: 429.000). Damit ist auch das Aufklärungsinteresse syrischer Nachrichtendienste gewachsen, was sich in der Zahl von Hinweisen im Jahr 2016 widerspiegelt. 4. Nachrichtendienste der Russischen Föderation Die Nachrichtendienste der Russischen Föderation zeichnen sich weiterhin durch hohe Aktivitäten in den europäischen Staaten und insbesondere auch in Deutschland aus. Russland verfügt nach wie vor über einen der im internationalen Vergleich personell und materiell stärksten Sicherheitsapparate. Seine bedeutendsten Nachrichtendienste, die besonders aktiv gegen deutsche Sicherheitsinteressen arbeiten, sind der Auslandsnachrichtendienst (SWR), der Militärgeheimdienst (GRU) und der Inlandsnachrichtendienst (FSB). So wurden Ende 2015 die Befugnisse des Inlandsgeheimdienstes FSB durch eine entsprechende Gesetzesnovellierung noch einmal erheblich erweitert. Alle russischen Nachrichtendienste greifen verstärkt auf bewährte Methoden des früheren sowjetischen Geheimdienstes KGB zurück. Hierzu zählten im Jahr 2016 nach Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden insbesondere die gezielte Desinformation, der Versuch der aktiven Einflussnahme auf Entscheidungsträger sowie die Unterstützung extremistischer Gruppierungen. Wesentliches Ziel der russischen Außenpolitik ist es unverändert, als bedeutender und international angesehener Akteur (als "Supermacht") und somit auf Augenhöhe mit den USA wahrgenommen zu werden. Die von Russland ausgehenden Spionageaktivitäten waren im Jahr 2016 geprägt vom Ukraine-Konflikt und dem Krieg in Syrien. Des Weiteren liegen Hinweise dafür vor, dass insbesondere die Bundesrepublik Deutschland Ziel der sogenannten hybriden Kriegsführungsstrategie des Kreml geworden sein könnte. Mittel dieser hybriden Kriegsführung, einer 219 Spionageabwehr Kombination verschiedener offener und verdeckter Angriffsmethoden, sind neben Cyber-Attacken auch gezielte Desinformationsund Propagaganda-Kampagnen. Bereits Ende Januar 2013 äußerte der russische Generalstabschef Gerasimov in einer Rede vor der Jahresversammlung der Russischen Akademie für Militärwissenschaft, dass sich Russland im Krieg befände und sich mit den Mitteln der hybriden Kriegsführung zur Wehr setzen werde: "Die Rolle der nicht militärischen Mittel beim Durchsetzen von politischen und strategischen Zielen ist gewachsen. Der Schwerpunkt bei der Wahl der Mittel liegt u. a. beim breit gestreuten Einsatz von Desinformation, [...], die unter Zuhilfenahme des Protestpotenzials der Bevölkerung zu realisieren sind." Obwohl die Russische Föderation dem Einsatz von Nuklearwaffen eine große Bedeutung beimisst, wurde in der neuen Militärdoktrin eine nicht-nukleare Abschreckung beschrieben. Ein Bestandteil dieser Abschreckung ist unter anderem die Fähigkeit zur "Kriegsführung im Netz". Als ein mögliches Beispiel für die "hybride Kriegsführung" kann der Fall des Mädchens "Lisa" im Januar 2016 gewertet werden. Hierbei kamen als Methoden die Desinformation und Einflussnahme zur Anwendung. Die gezielte Streuung solcher "Fake News" ist dabei eine Methode zur innenpolitischen Destabilisierung der betroffenen Staaten. Zum Sachverhalt: Die 13-jährige Russlanddeutsche Lisa gab an, von "Südländern" entführt und stundenlang missbraucht worden zu sein. Lisa hielt sich nach Ermittlungen der Berliner Polizei zur fraglichen Zeit allerdings bei einem Freund auf. Russische Medien berichteten über einen angeblichen Entführungsund Vergewaltigungsfall und stellten einen Kontext mit dem Thema Flüchtlinge in Deutschland her. Diese Medien blieben auch dann bei ihrer Darstellung, als die Polizei ihre Ermittlungen abgeschlossen und eine Entführung und Vergewaltigung ausgeschlossen hatte. Darüber hinaus wurde in den sozialen Medien erfolgreich zu Demonstrationen gegen die angeblichen Vertuschungsbemühungen der Polizei und die Schutzlosigkeit von Frauen in Deutschland gegenüber der sexuellen Gewalt von Migranten bzw. Flüchtlingen aufgerufen. In der zweiten 220 Spionageabwehr Januarhälfte 2016 gab es deutschlandweit zahlreiche Demonstrationen mit tausenden von Teilnehmern (vorwiegend Russlanddeutsche), auch in Hamburg im Bereich des Jungfernstiegs. Auch einzelne Personen aus dem rechten und rechtsextremistischen Spektrum beteiligten sich an dieser Desinformationskampagne. Sogar der russische Außenminister Sergej Lawrow warf anlässlich einer Pressekonferenz vom 26. Januar 2016 den deutschen Behörden vor, die Realität aus Gründen der politischen Korrektheit zu vertuschen. Darüber hinaus versucht Russland über eine Vielzahl von Kontakten, auch mit nachrichtendienstlichem Hintergrund, seine Sicht der Dinge über Politik und Gesellschaft in die Öffentlichkeit zu tragen und so Einfluss auszuüben, um insbesondere die Rolle der Russischen Föderation in der Bevölkerung positiv darzustellen. Pro-russische Beeinflussungsversuche werden dabei auf vielen verschiedenen Ebenen festgestellt. Sogenannte "Internet-Trolle" versuchen, in Diskussionsforen und sozialen Netzwerken mit pro-russischer Agitation andere Nutzer zu manipulieren oder den Kommunikationsfluss in destruktiver Weise zu stören. Daneben existieren inzwischen mehrere Portale wie beispielweise "RT" (früher "Russia Today") und "Sputnik-News", die seit September 2014 bzw. November 2014 auch in deutscher Sprache Nachrichten aus Kreml-Sicht senden und Einfluss auf die politische Meinung in Deutschland ausüben sollen. Neben der Anwendung klassischer nachrichtendienstlicher Mittel (offene und verdeckte Informationsbeschaffung, Anwerbung menschlicher Quellen, Einsatz mit falschen Identitäten ausgestatteter Nachrichtendienstmitarbeiter) nutzen die Dienste verstärkt modernste Technologien wie zum Beispiel elektronische Angriffe in vielen möglichen Formen ( 2.). Russland hat seine Fähigkeit, im Netz gezielt anzugreifen, in den vergangenen Jahren deutlich ausgebaut. So wurden vom Cyber-Abwehrzentrum diverse Angriffsfälle erkannt, die mutmaßlich den russischen Nachrichtendiensten zugeordnet werden können. Als sehr wahrscheinliches Beispiel hierfür kann der Angriff auf das Netz des deutschen Bundestages gewertet werden (Cyberspionage-Kampagne "APT 28"). Die Kampagne der Internet-Hackergruppe APT 28, auch als "Sofacy-Gruppe" bezeichnet, stellt derzeit eine der aktivsten und aggressivsten Cyberspionageoperationen im virtuellen Raum dar. Bei dieser Kampagne bestehen Indi221 Spionageabwehr zien für eine Steuerung durch staatliche Stellen in Russland. Der Hamburger Verfassungsschutz informierte die Fraktionen der Bürgerschaft im November 2016 über derartige Gefahren. In diesem Kontext fand im Februar 2017 zusätzlich ein Sensibilisierungsgespräch zum Thema Cyberspionage statt. Das LfV steht auch weiterhin für Informationsgespräche zur Verfügung. Bis 2014 war Spionage die Hauptintention der russischen Cyber-Angreifer. Doch das hat sich mit der Annexion der Krim und der neuen Konfrontation zwischen Russland und dem Westen geändert. Die russischen Geheimdienste beschäftigen sich nun auch mit Sabotage im Netz; dabei haben sie erste Aktionen bereits durchgeführt: Im Fall der Ukraine legten sie Ende 2015 ein Kraftwerk im Zuge der Kampagne "Sandstorm" für einige Stunden lahm. Auch der französische Sender TV5 Monde wurde im April 2015 möglicherweise durch einen russischen Angriff abgeschaltet. Damals gingen die mutmaßlichen russischen Angreifer unter falscher Flagge ("false flag") vor. Die Hacker tarnten sich als Akteure des Islamischen Staates. Doch nach Expertenmeinung hat der IS bisher nicht die Mittel und Kenntnisse für einen solchen Angriff. 5. Chinesische Nachrichtendienste Die Volksrepublik China baut die Sicherheitsgesetzgebung systematisch aus und erweitert kontinuierlich die staatlichen Kontrollmöglichkeiten. So stehen westliche Nichtregierungsorganisationen (NGO) seit Jahren unter dem staatlichen Generalverdacht, die chinesische Gesellschaft mit westlichen Werten infiltrieren und dadurch den Machtanspruch der Kommunistischen Partei Chinas (KPCh) aushöhlen zu wollen. Im Frühjahr 2016 hat das chinesische Parlament das "Foreign NGO Management Law" verabschiedet und damit die Kontrolle der NGO erheblich verschärft. Seitdem können die zuständigen Sicherheitsbehörden aufgrund eines bloßen Verdachts die Büros solcher Organisationen durchsuchen, Mitarbeiter verhören und Dokumente beschlagnahmen. Auch das bereits im Juli 2015 beschlossene Nationale Sicherheitsgesetz erweitert die Macht des Staates, während es die Bürgerrechte einschränkt (in Russland ist diese Entwicklung ebenfalls zu beobachten). 222 Spionageabwehr Das chinesische Ministerium für Staatsssicherheit (MSS) ist der zivile Inund Auslandsnachrichtendienst. Seine Hauptaufgaben umfassen insbesondere Auslandsaufklärung, Spionageabwehr, innere Sicherheit, Oppositionellensowie Terrorismusbekämpfung. Das MSS beschafft Informationen vor allem aus den Bereichen Politik, Wissenschaft und Technik sowie Wirtschaft. Dafür stehen dem Dienst etwa 50.000 Mitarbeiter zur Verfügung. In Deutschland späht das MSS regimekritische Personen und Gruppierungen aus. Im Exil tätige Personen und Gruppen werden von der KPCh unter der diffamierenden Bezeichnung "Fünf Gifte" als systemfeindlich eingestuft; es handelt sich dabei um: * nach Unabhängigkeit strebende Uiguren, * für mehr Autonomie kämpfende Tibeter, * Anhänger der regierungskritischen Meditationsbewegung Falun Gong * Mitglieder der Demokratiebewegung sowie * Befürworter einer Eigenstaatlichkeit Taiwans. Methoden: Zur Informationsbeschaffung nutzen chinesische Nachrichtendienste unter anderem ihre Stützpunkte an den diplomatischen Vertretungen in Deutschland. Solche in Konsulaten und Botschaften integrierte Geheimdienststellen werden Legalresidenturen genannt. Des Weiteren suchen und pflegen die Nachrichtendienstangehörigen unter diplomatischer Tarnung Kontakte zu relevanten Gesprächspartnern aus der deutschen Politik, Militär und Wirtschaft. Dies betrifft auch Personen, die nicht mehr aktiv im Berufsleben stehen oder nahe der Pensionsgrenze sind. Zudem gibt es Hinweise, dass hauptamtliche Nachrichtendienstmitarbeiter als Journalisten getarnt eingesetzt werden. Das Berufsbild des Journalisten bietet ihnen viele Vorteile. Mit einer offiziellen Akkreditierung als Medienberichterstatter sind sie für Außenstehende von tatsäch223 Spionageabwehr lichen Journalisten nicht zu unterscheiden und können ihren Gesprächspartnern und Kontaktpersonen den Eindruck redaktioneller und publizistischer Tätigkeiten vermitteln. Berufsbedingt verfügen sie über einen erleichterten Zugang in alle gesellschaftlichen Bereiche. Ein chinesischer Nachrichtendienstmitarbeiter, der offiziell als Korrespondent agiert, kann auf politischen Veranstaltungen, Symposien, Pressekonferenzen oder zu parteinahen Stiftungen problemlos Kontakte knüpfen mit der Aussicht, die Kontaktpersonen abzuschöpfen oder sogar nachrichtendienstlich zu verstricken und anzuwerben. Im Bereich der Wirtschaft versuchen sie, getarnt als Geschäftsleute oder als Mitarbeiter chinesischer Firmen, persönliche Beziehungen aufzubauen, um auf diesem Wege auch ohne Geschäftskontakte zwischen der deutschen und der chinesischen Firma eingeladen zu werden. Die so aus Gefälligkeit erlangten Visa ermöglichen es den Nachrichtendienstoffizieren, ohne Grenzkontrollen und somit unbeachtet in den 26 europäischen Staaten des Schengengebiets zu reisen und nachrichtendienstlich aktiv zu werden. Darüber hinaus werden Netzwerke von Firmen, die zuvor von mutmaßlichen chinesischen Geschäftsleuten aufgesucht wurden oder mit denen Unternehmen in Verhandlungen stehen, auch zur Zielscheibe elektronischer Angriffe. Aktivitäten in China Die Gefahr, von den Nachrichtendiensten ausgeforscht oder angeworben zu werden, besteht vor allem auf chinesischem Hoheitsgebiet, weil die Nachrichtendienstoffiziere sich dort sicher fühlen. Dies gilt sowohl für Inals auch für Ausländer. So werden deutsche Diplomaten, Geschäftsleute, Studenten oder Praktikanten von angeblichen Angehörigen wissenschaftlicher Institute und sonstiger Einrichtungen, die eng mit Nachrichtendiensten kooperieren, gezielt angesprochen. Auch Touristen können einen konkreten Ansatzpunkt für nachrichtendienstliche Operationen bieten. Die Nachrichtendienstangehörigen versuchen einerseits, ein freundschaftliches Verhältnis aufzubauen. Fernziel ist es, die Zielpersonen abzuschöpfen oder letztlich nachrichtendienstlich so zu verstricken, dass 224 Spionageabwehr sie als Quellen für sie aktiv werden. Als Köder dienen oftmals in Aussicht gestellte lukrative Aufträge oder Geldzahlungen sowie andere Kompensationen für beschaffte Informationen. Andererseits müssen Zielpersonen auch bei geringfügigen Verfehlungen in China damit rechnen, unter Androhung von Zwangsmaßnahmen zum Geheimnisverrat genötigt zu werden. Auch mit gesteuerten Aktionen wie dem Einsatz von Prostituierten (sog. "Honigfallen"), konstruierten Verkehrsunfällen oder mit einer Verstrickung in Fälle von Alltagskriminalität wird versucht, die Zielperson in eine für sie als ausweglos empfundene Situation zu führen, aus der nur eine Kooperation mit dem chinesischen Nachrichtendienst einen Ausweg verspricht. Die Visumformulare für Reisen nach China erfragen nicht nur Angaben zur beruflichen Tätigkeit sowie der Arbeitsstelle, sondern auch von Personen, die gar nicht reisen, wie Familienangehörige. Auch die Position und Funktion amtierender wie auch ehemaliger Parlamentarier, Abgeordneter und Regierungsangestellter muss angegeben werden. Bereits bei Antragstellung ist die Legalresidentur so in der Lage, für die Dienste interessante Personen zu erfassen und deren Personalien an die jeweiligen Nachrichtendiensteinheiten in China weiterzugeben. Nach ihrer Einreise können die Reisenden dann umfassend überwacht werden. Hierfür werden in den Hotelzimmern Abhörund Videotechniken verbaut und Zimmer sowie Gepäck durchsucht. Auch Hotelsafes sollten nicht für zugriffssicher gehalten werden. Selbst offizielle Delegationen sind vor diesen Überwachungsmaßnahmen nicht gefeit. 6. Ausspähung durch andere Länder Eine effektive Spionageabwehr muss die Aktivitäten aller fremden Nachrichtendienste in Deutschland im Blick haben. Seit gehäuft Hinweise auf Spionagetätigkeiten von Partnerstaaten durch Überwachung von Telekommunikationsund sonstigen Datenströmen sowie durch Einsatz menschlicher Quellen angefallen sind, hat diese sogenannte 360-Grad-Bearbeitung in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen. 225 Spionageabwehr Aktivitäten US-amerikanischer Nachrichtendienste Am 17. März 2016 wurde der ehemalige BND-Mitarbeiter Markus R. vom OLG München wegen Landesverrats in zwei Fällen, der Verletzung des Dienstgeheimnisses und der Bestechlichkeit zu acht Jahren Haft verurteilt. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass der Verurteilte seit 2008 über einen Zeitraum von sechs Jahren einem US-amerikanischen Dienst über 300 vertrauliche Dokumente übergeben hatte, darunter auch eine weitreichende Personaldatenbank des BND. Er soll hierfür insgesamt 95.000 Euro erhalten haben. Markus R. wurde enttarnt, als er sich im Mai 2014 zusätzlich einem russischen Dienst als Informationsgeber anbot. Die Verteidigung legte Revision gegen das Urteil ein. Nachrichtendienste der Demokratischen Volksrepublik Korea Nordkorea ist eine kommunistische Diktatur und zählt zu den am stärksten isolierten Ländern der Welt. Auch unter dem Machthaber Kim Jong Un ist es geprägt von einem in stalinistischer Tradition stehenden Personenkult. Wie seine bisherige Politik verdeutlicht, liegt der Interessenschwerpunkt des herrschenden Regimes weiterhin auf der Sicherung seiner Machtstruktur. Unterstützung erhält es hierbei durch das Militär und die Nachrichtendienste. In Deutschland unterhalten das als ziviler Nachrichtenund Sicherheitsdienst fungierende Ministerium für Staatssicherheit (MfSS), die Abteilung Einheitsfront (einer von zwei Nachrichtendiensten der nordkoreanischen Arbeiterpartei) sowie der militärische Nachrichtendienst Legalresidenturen in der Nordkoreanischen Botschaft in Berlin. Diese Vertreter waren in 2016 betroffen von der Aufnahme der Hamburger Niederlassung der nordkoreanischen Versicherungsgesellschaft Korean National Insurance Corporation (KNIC) in die EU-Sanktionsliste im Juli 2015. Im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens des Generalbundesanwaltes waren die Geschäftsräume der Gesellschaft durch Beamte des Bundeskriminalamtes durchsucht und diverse Unterlagen beschlagnahmt worden. Der Niederlassung werden Verstöße gegen die europäi226 Spionageabwehr schen Handelsembargo-Gesetze und die Erwirtschaftung von Devisen für nordkoreanische Waffengeschäfte vorgeworfen. Am 31. März 2016 wurden von der EU weitere Sanktionen gegen die KNIC beschlossen. So wurden auch der Mutterkonzern in Pjöngjang und die Zweigniederlassung in London in die EU-Sanktionsliste aufgenommen. Die Listung hat Nordkorea zwischenzeitlich vor dem Europäischen Gerichtshof angefochten. Das Verfahren war bei Redaktionsschluss noch nicht beendet. Aktivitäten indischer Nachrichtendienste Hauptaufklärungsziel der indischen Nachrichtendienste in Deutschland ist die Beschaffung von Informationen über hier lebende Inder aus dem Umfeld extremistischer Sikhs, insbesondere der von der Europäischen Union als terroristische Organisationen gelisteten Gruppierungen "Babbar Khalsa International" (BKI) und "International Sikh Youth Federation" (ISYF). Am 17. Februar 2016 wurde der deutsche Staatsangehörige T.S.P. wegen des Verdachts geheimdienstlicher Agententätigkeit für einen indischen Nachrichtendienst durch Einsatzkräfte des BKA in Bielefeld vorläufig festgenommen. P. steht im Verdacht, im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit als Mitarbeiter der Zentralen Ausländerbehörde Bielefeld, Informationen zu Angehörigen der oppositionellen tamilischen Diaspora in Deutschland gesammelt und diese an einen indischen Geheimdienst weitergeleitet zu haben. T.S.P. wurde am 16. Januar 2017 zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren und 6 Monaten verurteilt. Aktivitäten türkischer Nachrichtendienste Vor dem Hintergrund der aktuellen politischen Lage in der Türkei und des Wiederaufflammens des Konflikts mit kurdischen Organisationen ist in Deutschland längerfristig mit verstärkten Aktivitäten des türkischen Nachrichtendienstes MIT zu rechnen. Dieser Eindruck verstärkt sich gleichfalls durch die bundesweit in Rede stehenden Namenslisten von mutmaßlichen Regimegegnern, die durch den türkischen Auslandsnachrichtendienst MIT übermittelt wurden. Auch deshalb erfolgt in der 227 Spionageabwehr Spionageabwehr eine verstärkte Beobachtung der nachrichtendienstlichen Aktivitäten des MIT. So wurde am 15. Dezember 2016 der türkische Journalist M.S. durch Beamte des Bundeskriminalamts in Hamburg wegen des Verdachts der geheimdienstlichen Agententätigkeit (SS 99 StGB) festgenommen. Er wird dringend verdächtigt, sich im Auftrag des türkischen Geheimdienstes in Deutschland Informationen über Aufenthaltsorte, Kontaktpersonen und politische Tätigkeiten von in Deutschland lebenden Kurden beschafft und an den türkischen Geheimdienst weitergegeben zu haben. Weitere Informationen zum Thema Spionageabwehr finden Sie auf der Internetseite: www.hamburg.de/innenbehoerde/spionageabwehr 228 Verfassungsschutz in Hamburg Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Gruppierungen mit Auslandsbezug Linksextremismus Rechtsextremismus Reichsbürger und Selbstverwalter Scientology-Organisation Spionageabwehr Geheimund Sabotageschutz; Wirtschaftsschutz Anhang * Hamburgisches Verfassungsschutzgesetz * Abkürzungsverzeichnis * Stichwortverzeichnis Geheimund Sabotageschutz; Wirtschaftsschutz IX. Geheimund Sabotageschutz; Wirtschaftsschutz 1. Allgemeines In Behörden und Einrichtungen gibt es geheimhaltungsbedürftige staatliche Informationen, die vor Ausforschung zu schützen sind. Im Bereich des Geheimschutzes ( 2.) obliegt diese Aufgabe dem LfV Hamburg durch personelle, technische und organisatorische Vorkehrungen. Solche amtlich geheim zu haltenden Angelegenheiten, sogenannte Verschlusssachen (VS), sind im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftige Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse. Dazu zählen insbesondere elektronische Speichermedien, Schriftverkehr, Transportwege, aber auch Räumlichkeiten. Sie werden nach ihrer Schutzbedürftigkeit entweder als "STRENG GEHEIM", "GEHEIM", "VS-VERTRAULICH" oder "VS-NUR FÜR DEN DIENSTGEBRAUCH" klassifiziert. Entscheidend für die Einstufung ist der mögliche Schaden, wenn Unbefugte von diesen Informationen Kenntnis erhalten. Auch Wirtschaftsunternehmen arbeiten mit staatlichenVerschlusssachen, wenn geheimhaltungsbedürftige Staatsaufträge zum Beispiel im Bereich der Rüstungsindustrie vergeben werden. Zum Schutz dieser Verschlusssachen werden diese Unternehmen vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) und dem Hamburger Verfassungsschutz betreut und daher als Der Geheimschutz gehört zu den Aufgaben "geheimschutzbetreut" bezeichdes Verfassungsschutzes net. Im Zuge des personellen Sabotageschutzes ( 3.) führt der Verfassungsschutz präventive Personenüberprüfungen durch, um potenzielle Saboteure von sicherheitsempfindlichen Bereichen fernzuhalten. Seine eigenen IT-Systeme und die von ihm genutzten Kommunikationsstrukturen schützt das LfV Hamburg durch Einhaltung von Sicherheits230 Geheimund Sabotageschutz; Wirtschaftsschutz standards entsprechend dem jeweiligen Schutzbedarf ( 4.). Im Bereich des Wirtschaftsschutzes ( 5.) hält das LfV Hamburg ein umfassendes Informationsund Beratungsangebot vor. Anhand modular aufgebauter Vorträge zeigt es den Hamburger Unternehmen aktuelle Gefahren durch Wirtschaftsspionage sowie geeignete Schutzmöglichkeiten auf. 2. Geheimschutz Ziel des staatlichen Geheimschutzes ist es, geheimhaltungsbedürftige Informationen des Staates bestmöglich vor einem Zugriff durch Unbefugte zu sichern. Für solche Verschlusssachen ist deshalb ein optimaler Schutz zu gewährleisten. Der Umgang mit ihnen ist sowohl personenbezogen ( 2.1) als auch materiell ( 2.2) geregelt. 2.1 Personeller Geheimschutz Der personelle Geheimschutz soll verhindern, dass solche Personen Zugang zu Verschlusssachen erhalten, bei denen Sicherheitsrisiken vorliegen. Zu diesem Zweck werden Sicherheitsüberprüfungen nach dem Hamburger Landesrecht (Hamburgisches Sicherheitsüberprüfungsgesetz, HmbSÜGG) durchgeführt. Die Sicherheitsüberprüfungen dienen der Feststellung, ob einer Person eine sicherheitsempfindliche Tätigkeit in einer öffentlichen Stelle oder einem Unternehmen übertragen werden kann. Ein Sicherheitsrisiko, das die Zuweisung einer solchen Tätigkeit aus Gründen des staatlichen Geheimschutzes verbietet, kann insbesondere bestehen * bei Unzuverlässigkeit wegen Straftaten, Drogenoder Alkoholmissbrauchs, * bei fehlender Verfassungstreue, insbesondere bei politisch-extremistischer Tätigkeit oder * bei besonderer Gefährdung durch Anbahnungsoder Werbungsversuche fremder Nachrichtendienste (zum Beispiel Erpressbarkeit). Zum Schutz der Grundrechte der Betroffenen wurde im Sicherheitsüberprüfungsrecht festgelegt, dass die Durchführung einer vorherigen 231 Geheimund Sabotageschutz; Wirtschaftsschutz Zustimmung bedarf. Der Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht ist nur mit vorliegender Zustimmung der zu überprüfenden Person zulässig. Dies gilt ebenso für die Ehegatten, Lebenspartner oder Lebensgefährten, die bei bestimmten Überprüfungsarten in die Sicherheitsüberprüfung mit einzubeziehen sind. Falls die Zustimmung zur Sicherheitsüberprüfung verweigert wird, ist die Zuweisung einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit allerdings nicht möglich. Je nach Art der sicherheitsempfindlichen Tätigkeit werden entweder eine einfache Sicherheitsüberprüfung (Ü1), eine erweiterte Sicherheitsüberprüfung (Ü2) oder eine erweiterte Sicherheitsüberprüfung mit Sicherheitsermittlungen (Ü3) durchgeführt. Mit der sogenannten verkürzten einfachen Sicherheitsüberprüfung (Ü1-VK-) bietet das HmbSÜGG zudem eine besondere Überprüfungsart: Zuständige Stellen (zum Beispiel Behörden) dürfen den kurzzeitigen Zugang zu einem Sicherheitsbereich gewähren, ohne eine komplette - für diese kurzzeitige Tätigkeit unangemessene - Sicherheitsüberprüfung vornehmen zu müssen (zum Beispiel bei unaufschiebbaren Maßnahmen von Handwerkern). Der Umfang der Maßnahmen für die einzelnen Überprüfungsarten ist im HmbSÜGG geregelt. Hierzu gehören zum Beispiel Anfragen bei anderen Sicherheitsbehörden und dem Bundeszentralregister. Das HmbSÜGG enthält gegenüber den Sicherheitsüberprüfungsgesetzen des Bundes und anderer Länder einen erweiterten Aufgabenkatalog. Unabhängig vom tatsächlichen Umgang mit Verschlusssachen können auch Personen überprüft werden, die in einem sicherheitsempfindlichen öffentlichen Bereich tätig sind, der aufgrund seiner Aufgabenstellung oder seiner besonderen Bedeutung zum Sicherheitsbereich erklärt wurde. Bei dieser Form der Sicherheitsüberprüfung wirkt das Landesamt für Verfassungsschutz nicht mit (SS 34 HmbSÜGG), sie wird von der jeweiligen Behörde selbst durchgeführt. Überprüft werden hier regelhaft auch Personen, die in zentralen sicherheitsempfindlichen öffentlichen Bereichen in Funktionen der Informationsund Kommunikationstechnik -- zum Beispiel bei Dataport -- tätig sind. Bei der Durchführung von einzelnen Personenüberprüfungen und grundsätzlichen Fragen zum personellen Geheimschutz steht der Verfassungsschutz den öffentlichen Stellen der Freien und Hansestadt Hamburg und 232 Geheimund Sabotageschutz; Wirtschaftsschutz auch den geheimschutzbetreuten Wirtschaftsunternehmen beratend zur Seite. Im Jahr 2016 hat das LfV Hamburg 459 (2015: 337) Sicherheitsüberprüfungen bearbeitet. 2.2 Materieller Geheimschutz Der materielle Geheimschutz umfasst technische und organisatorische Maßnahmen zum Schutz von Verschlusssachen. Verschlusssachen sind vor dem Zugriff Unbefugter zu schützen, insofern sind sie entsprechend ihrer Schutzbedürftigkeit zu behandeln und aufzubewahren. Bei der Planung und Durchführung technischer, baulicher und organisatorischer Sicherungsmaßnahmen steht der Verfassungsschutz den Verschlusssachen beund verarbeitenden öffentlichen Stellen der Freien und Hansestadt Hamburg beratend zur Seite. 3. Personeller Sabotageschutz Der vorbeugende personelle Sabotageschutz wurde in Reaktion auf die Terroranschläge vom 11. September 2001 eingeführt. Ziel der im Rahmen des Sabotageschutzes durchgeführten Personenüberprüfungen ist es, potenzielle Saboteure (sogenannte Innentäter) von sicherheitsempfindlichen Bereichen fernzuhalten. Überprüft werden Personen, die innerhalb von lebensund verteidigungswichtigen Einrichtungen an sicherheitsempfindlichen Stellen beschäftigt sind oder werden sollen und die tatsächlich auf die Funktionsfähigkeit dieser Einrichtungen Einfluss nehmen können. Im Rahmen des vorbeugenden personellen Sabotageschutzes werden auch Personen, die in sicherheitsempfindlichen Bereichen des Hamburger Flughafens beschäftigt werden sollen, nach SS 7 des Gesetzes zur Neuregelung von Luftsicherungsaufgaben (Luftsicherheitsgesetz - LuftSiG) auf ihre Zuverlässigkeit überprüft. Im Jahr 2016 wurden 5.721 (2015: 8.791) Überprüfungen für den Bereich des Hamburger Flughafens vorgenommen. 233 Geheimund Sabotageschutz; Wirtschaftsschutz Auch die Sicherheitsmaßnahmen für Hafenanlagen sehen entsprechende Personenüberprüfungen vor. Von den im Hafensicherheitsgesetz (HafenSG) definierten Zuverlässigkeitsüberprüfungen wurden im Jahr 2016 83 (2015: 56) vorgenommen. Das LfV Hamburg ist darüber hinaus an den Zuverlässigkeitsüberprüfungsverfahren des Gesetzes über explosionsgefährliche Stoffe (Sprengstoffgesetz - SprengG) beteiligt. 2016 wurden 325 Auskunftsersuchen beantwortet (2015: 274). Das umfassende Beratungsangebot des Verfassungsschutzes steht den betroffenen öffentlichen und privaten Stellen im Übrigen zu allen Fragen rund um den personellen Sabotageschutz zur Verfügung. 4. Schutz von IT-Systemen und Kommunikationsstrukturen Das LfV Hamburg setzt die Informationstechnik (IT) zur Unterstützung nahezu aller Aufgaben ein. Die sich in öffentlichen KommunikationsInfrastrukturen befindlichen IT-Systeme sind dabei grundsätzlich einem hohen Risiko ausgesetzt, elektronisch angegriffen zu werden. Ziel dieser Angriffe kann das Ausforschen, das Manipulieren oder Löschen von Daten sowie die Beeinträchtigung der Verfügbarkeit dieser IT-Systeme sein. Das LfV Hamburg, dessen zentrale Aufgabe die Sammlung, Verarbeitung und Auswertung von Informationen ist, ist darauf angewiesen, dass alle elektronischen Daten stets komplett verfügbar sind. Ein größerer Ausfall der IT-Systeme oder auch der Verlust der gespeicherten Daten hätte gravierende Auswirkungen auf die Arbeitsfähigkeit des Amtes. Daher unternimmt das LfV ständig erhebliche Anstrengungen, um durch technische und organisatorische Maßnahmen die eingesetzten IT-Systeme sowie die genutzten Kommunikationsstrukturen zu schützen. Um die erforderliche Vertraulichkeit, Integrität und Verfügbarkeit der Informationen, Anwendungen und IT-Systeme zu gewährleisten, ist das LfV in den Informationssicherheitsprozess der Freien und Hansestadt Hamburg fest eingebunden. Daneben werden die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des LfV regelmäßig sensibilisiert und über die Anforderungen des Datenschutzes sowie Fortbildungsangebote informiert, damit die IT-Kompetenz sichergestellt bleibt. 234 Geheimund Sabotageschutz; Wirtschaftsschutz 5. Wirtschaftsschutz Lagebild Hamburg ist Standort zahlreicher weltmarktführender Unternehmen sowie Forschungseinrichtungen. Der Vorsprung in der Produktforschung und -entwicklung sichert den langfristigen Erfolg dieser Unternehmen auf dem Weltmarkt. Aus diesem Grund stellen Hamburger Unternehmen nicht nur für Wettbewerber, sondern auch für ausländische Nachrichtendienste ein begehrtes Ziel für Ausforschungen dar. In den Fokus geraten dabei insbesondere innovationskräftige Unternehmen des Mittelstandes, für die der Begriff der "hidden champions" geprägt wurde. Länder wie Russland oder China haben den nachrichtendienstlichen Auftrag, die eigene Wirtschaft durch Spionage zu stärken, in ihren Gesetzen explizit formuliert. Bei einer derartigen Ausspähung mit staatlich-nachrichtendienstlichem Hintergrund ist der Verfassungsschutz zuständig. Andere Fälle von Wirtschaftskriminalität und Industriespionage werden von der Polizei und der Staatsanwaltschaft bearbeitet. Staatlich gelenkte Wirtschaftsspionage ist in aller Regel langfristig angelegt, forscht Wissen auf vielen Wirtschaftsund Wissenschaftsfeldern aus und nutzt dabei alle Methoden der nachrichtendienstlichen Informationsbeschaffung. Der sich daraus ergebende Wissensabfluss kann einer funktionierenden Volkswirtschaft starken Schaden zufügen. Gerade die funktionierende Volkswirtschaft ist eine grundlegende Voraussetzung für die innere Stabilität und Prosperität eines Staates und seiner Gesellschaft. Es besteht daher ein ureigenes staatliches Interesse daran, Wirtschaftsspionage weitestmöglich zu verhindern. Eine spezielle Gefährdung ergibt sich aus der nachrichtendienstlichen Aufklärung mit informationstechnischen Mitteln, den sogenannten Cyberangriffen. Die Zuständigkeit des LfV Hamburg im Bereich der Cyber-Sicherheit erstreckt sich allein auf Bedrohungen und Angriffe, die durch extremistische Bestrebungen oder Nachrichtendienste fremder Staaten erfolgen, sowie solcher Angriffe, deren Ziel Verschlusssachen sind. Nicht nur Wirtschaftsspionage stellt einen Gefährdungstatbestand für Unternehmen dar, Unternehmen können auch durch politischen Extremismus betroffen werden, wie die politisch motivierte Sachbeschädigung mittels einer unkonventionellen Sprengund Brandvorrichtung (USBV) auf eine Hamburger Reederei im September 2016 gezeigt hat. 235 Geheimund Sabotageschutz; Wirtschaftsschutz Unternehmensaktivitäten können durch das extremistische Spektrum politisiert werden, in Folge dessen die Unternehmen als Stellvertreter beispielsweise der Globalisierung, des Kapitalismus, des Militarismus oder Antiislamismus dargestellt werden und in öffentlichkeitswirksamen Aktionen hierauf Bezug genommen wird. Die Möglichkeit, dass Unternehmenspolitik auch zum Gegenstand von Mobilisierungsthemen verschiedener extremistischer Spektren gemacht wird, besteht insbesondere im Vorfeld politischer Gipfeltreffen wie dem G20-Gipfel. Große Unternehmen mit mehreren Tausend Beschäftigten stellen immer auch einen Querschnitt der Gesellschaft dar, so dass die mögliche Radikalisierung von Einzelpersonen und Sabotagerisiken durch Innentäter, Risiken darstellen, die mit einkalkuliert und antizipiert werden müssen. Dies gilt besonders für Betreiber Kritischer Infrastrukturen (KRITIS). KRITIS sind Organisationen oder Einrichtungen mit wichtiger Bedeutung für das staatliche Gemeinwesen, bei deren Ausfall oder Beeinträchtigung nachhaltig wirkende Versorgungsengpässe, erhebliche Störungen der öffentlichen Sicherheit oder andere dramatische Folgen eintreten würden. Klassische Beispiele sind die Strom-, Wasseroder Energieversorgung, aber auch der IT-Sektor, das Bankenund Finanzwesen, Gesundheit, Medien, Transport und Verkehr sowie Staat und Verwaltung. Aufgabe des LfV Hamburg ist es, Hamburger Unternehmen für die Gefahren durch Wirtschaftsspionage und extremistische Bestrebungen zu sensibilisieren und mit einem umfangreichen Informationsund Beratungsangebot bei der Abwehr dieser Gefahren zu unterstützen. Um eine erhöhte Sensibilität und ein angemessenes Sicherheitsbewusstsein von Führungskräften und Mitarbeitern zu erreichen, beraten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Verfassungsschutzes Firmen, führen Informationsund Vortragsveranstaltungen durch und sie geben aktuelle Lageeinschätzungen sowie konkrete Verhaltensempfehlungen bei eingetretenen oder befürchteten Sicherheitsgefährdungen ( VIII.4.). 236 Geheimund Sabotageschutz; Wirtschaftsschutz Das LfV Hamburg als Dienstleister: 2016 hat das LfV Hamburg 109 Unternehmen besucht, bei 33 davon handelt es sich um geheimschutzbetreute Unternehmen. Darüber hinaus organisierte das LfV Hamburg fünf Informationsund Vortragsveranstaltungen im eigenen Hause und hielt 25 Vorträge in Unternehmen, davon zehn im Rahmen von Multiplikatoren-Veranstaltungen. Dazu gab es 39 anlassbezogene Besuche infolge von Sicherheitsvorfällen mit mutmaßlich nachrichtendienstlichem Bezug in Unternehmen. Veranstaltungen des LfV Hamburg Der Wirtschaftsschutz-Tag 2016 Rund 150 Vertreterinnen und Vertreter aus Wirtschaft, Medien und Verwaltung kamen am 26. Oktober 2016 zum vierten Wirtschaftsschutztag des LfV Hamburg in der Handelskammer zusammen. Der Wirtschaftsschutztag stand unter anderem im Zeichen des effektiven Umgangs mit Cyberangriffen. In Vorträgen und Diskussionen ging es um den notwendigen Schutz vor Cyberangriffen, aber auch um Tipps und Ratschläge von Experten und Betroffenen, Staatsrat Bernd Krösser beim was zur Krisenbewältigung zu tun ist, wenn der Wirtschaftsschutztag des LfV Ernstfall bereits eingetreten ist. Hamburg "Geschäftsrisiken im Ausland - Schwerpunkt Iran" Nach den zum Teil zurückgenommenen Sanktionen ist der Iran ein hochinteressantes Thema für die Wirtschaft - wobei der Informationsbedarf über die aktuelle Lage sowie die wirtschaftlichen und politischen Herausforderungen groß sind: Dies war der Anlass für den Wirtschaftsschutz im LfV Hamburg, zu einer Veranstaltung zum Thema "Geschäftsrisiken im Ausland - Schwerpunkt Iran" einzuladen. Auf dem Programm standen aktuelle Informationen über noch bestehende Sanktionen sowie allgemein 237 Geheimund Sabotageschutz; Wirtschaftsschutz über Risiken für die Geschäftstätigkeit im Iran aus rechtlicher, politischer, wirtschaftlicher und insbesondere nachrichtendienstlicher Sicht. Externe Referenten, Vertreter der Wirtschaft und des LfV Hamburg diskutierten am 25. August 2016 unter anderem über die Themenfelder Proliferation, Personenund Projektsicherheit im Iran und die Möglichkeiten der Absicherung von Direktinvestitionen. Tagung "IT-Sicherheitsgesetz - Chancen und Risiken für KRITISBetreiber" Die Bedrohung durch nachrichtendienstliche Cyberattacken und die Möglichkeiten der Begrenzung, als Unternehmen Opfer eines Innentäters zu werden - diese und weitere Themen wurden auf der Tagung "ITSicherheitsgesetz - Chancen und Risiken für KRITIS-Betreiber" im LfV Hamburg diskutiert. Anlass waren die rechtlichen Änderungen, auf die sich die Betreiber kritischer Infrastrukturen einzustellen haben. Auf der Tagung am 7. März 2016, die vom Wirtschaftsschutz des LfV Hamburg organisiert wurde, kamen auch externe Referenten zu Wort, die das Treffen mit ihren Expertenbeiträgen bereicherten. Dabei ging es in angeregten und interessanten Diskussionen auch um so wichtige Themen wie die Versicherbarkeit von Cyberrisiken und die Geschäftsführerhaftung bei Sicherheitsund Meldeverstößen. Aufgrund der positiven Resonanz soll das Veranstaltungsformat nach weiterer Konkretisierung des ITSicherheitsgesetzes durch die entsprechenden Verordnungen fortgesetzt werden. Informationen für Sicherheitsbevollmächtigte Gemeinsam mit dem Bundeswirtschaftsministerium hat das LfV Hamburg im Jahr 2016 zwei Einführungsveranstaltungen für neue Sicherheitsbevollmächtigte durchgeführt. Im Vordergrund standen dabei die formellen Anforderungen des Geheimschutzverfahrens in der Wirtschaft (Dokumentationsanforderungen, Ausgestaltungsmöglichkeiten in der materiellen Sicherheit sowie Verfahrensfragen zu personellen Sicherheitsüberprüfungen). 238 Geheimund Sabotageschutz; Wirtschaftsschutz Netzwerk Standortsicherheit Weiterhin ist das LfV Hamburg in verschiedene Gremien eingebunden, vielfach als Teil des "Netzwerkes Standortsicherheit". Das Netzwerk Standortsicherheit wurde im Juni 2013 vom Präses der Behörde für Inneres und Sport und Vertretern der Hamburger Wirtschaft ins Leben gerufen. Das LfV Hamburg ist hier federführend im Bereich des Schutzes vor Wirtschaftsspionage aktiv und beteiligt sich Das Logo des "Netzwerkes Standortaußerdem in den Arbeitsfeldern IT-Sichersicherheit Hamburg" heit und Cybercrime, Kritische Infrastrukturen, Qualifizierung und Bildung sowie Besondere Lagen. Hinweise von Unternehmen Aufgrund der intensiven und guten Zusammenarbeit des LfV Hamburg mit der Hamburger Wirtschaft sowie ihren Vereinigungen und des dadurch gewachsenen Vertrauensverhältnisses geben die Unternehmen dem LfV Hamburg Hinweise zu sicherheitsrelevanten Vorkommnissen, zum Beispiel zu Auffälligkeiten auf Geschäftsreisen bei der Einund Ausreisekontrolle, im Hotel oder bei Geschäftsverhandlungen. Die Hinweise werden grundsätzlich vertraulich behandelt, darauf können sich die Unternehmen verlassen. Weitere Informationen finden sich auf den Internetseiten des LfV Hamburg unter dem Arbeitsfeld Wirtschaftsschutz / Publikationen Wirtschaftsschutz. Unternehmen mit Beratungsbedarf können sich jederzeit mit dem Bereich "Wirtschaftsschutz" des LfV Hamburg unter der Telefonnummer 040 / 24 44 43 in Verbindung setzen oder eine E-Mail an wirtschaftsschutz@verfassungsschutz.hamburg.de schreiben. 239 Verfassungsschutz in Hamburg Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Gruppierungen mit Auslandsbezug Linksextremismus Rechtsextremismus Reichsbürger und Selbstverwalter Scientology-Organisation Spionageabwehr Geheimund Sabotageschutz; Wirtschaftsschutz Anhang * Hamburgisches Verfassungsschutzgesetz * Abkürzungsverzeichnis * Stichwortverzeichnis Anhang / Verfassungsschutzgesetz Hamburgisches Verfassungsschutzgesetz (HmbVerfSchG) vom 07.03.1995 zuletzt geändert durch Gesetz vom 19.06.2013 1. Abschnitt Aufgaben des Landesamtes für Verfassungsschutz SS1 Zweck des Verfassungsschutzes SS2 Zuständigkeit SS3 Zusammenarbeit SS4 Aufgaben des Landesamtes für Verfassungsschutz SS5 Begriffsbestimmungen SS6 Voraussetzung und Rahmen für die Tätigkeit des Landesamtes für Verfassungsschutz 2. Abschnitt Erheben und weitere Verarbeitung von Informationen SS7 Befugnisse des Landesamtes für Verfassungsschutz SS 7a Verfahrensregelungen zu besonderen Auskunftsverlangen SS 7b Einschränkung von Grundrechten SS 7c Weitere Auskunftsverlangen SS8 Erheben von Informationen mit nachrichtendienstlichen Mitteln SS9 Weitere Verarbeitung personenbezogener Daten SS 10 Verarbeitung von Daten Minderjähriger SS 11 Berichtigung, Sperrung und Löschung 3. Abschnitt Datenübermittlung SS 12 Übermittlung nicht personenbezogener Daten SS 13 Übermittlung personenbezogener Daten an inländische Nachrichtendienste SS 14 Übermittlung personenbezogener Daten an inländische öffentliche Stellen und Strafverfolgungsbehörden 242 Anhang / Verfassungsschutzgesetz SS 15 Übermittlung personenbezogener Daten an Stationierungsstreitkräfte SS 16 Übermittlung personenbezogener Daten an ausländische öffentliche Stellen SS 17 Übermittlung personenbezogener Daten an Stellen außerhalb des öffentlichen Bereichs SS 18 Übermittlung personenbezogener Daten an die Öffentlichkeit SS 19 Übermittlung personenbezogener Daten an das Landesamt für Verfassungsschutz SS 20 Registereinsicht durch das Landesamt für Verfassungsschutz SS 21 Übermittlungsverbote und -einschränkungen SS 22 Übermittlung personenbezogener Daten Minderjähriger 4. Abschnitt Auskunftserteilung SS 23 Auskunftserteilung 5. Abschnitt Parlamentarische Kontrolle des Verfassungsschutzes SS 24 Parlamentarischer Kontrollausschuss SS 25 Zusammensetzung und Pflichten des Ausschusses SS 26 Aufgaben des Ausschusses SS 27 Eingaben 6. Abschnitt Schlussvorschriften SS 28 Änderung des Gesetzes zur Ausführung des Gesetzes zu Artikel 10 Grundgesetz SS 29 Inkrafttreten 243 Anhang / Verfassungsschutzgesetz 1. Abschnitt Aufgaben des Landesamtes für Verfassungsschutz SS1 Zweck des Verfassungsschutzes (1) Der Verfassungsschutz dient dem Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, des Bestandes und der Sicherheit des Bundes und der Länder. (2) Zu diesem Zweck tritt dieses Gesetz neben das Gesetz über die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes und über das Bundesamt für Verfassungsschutz (Bundesverfassungsschutzgesetz - BVerfSchG) vom 20. Dezember 1990 (Bundesgesetzblatt I Seiten 2954, 2970), zuletzt geändert am 20. Juni 2013 (BGBl. I S. 1602, 1607). SS2 Zuständigkeit (1) 1 Der Verfassungsschutz wird innerhalb der zuständigen Behörde vom Landesamt für Verfassungsschutz wahrgenommen. 2 Das Landesamt für Verfassungsschutz ist ausschließlich hierfür zuständig. 3 Bei der Erfüllung seiner Aufgaben ist es an Gesetz und Recht gebunden (Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes). (2) 1 Das Landesamt für Verfassungsschutz darf einer polizeilichen Dienststelle nicht angegliedert werden. 2 Ihm stehen polizeiliche Befugnisse oder Weisungsbefugnisse gegenüber polizeilichen Dienststellen nicht zu; es darf die Polizei auch nicht im Wege der Amtshilfe um Maßnahmen ersuchen, zu denen es selbst nicht befugt ist. SS3 Zusammenarbeit (1) 1 Das Landesamt für Verfassungsschutz ist verpflichtet, mit Bund und Ländern in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes zusammenzuarbeiten. 2 Die Zusammenarbeit besteht auch in gegenseitiger Unterstüt244 Anhang / Verfassungsschutzgesetz zung und Hilfeleistung sowie in der Unterhaltung gemeinsamer Einrichtungen. (2) 1 Verfassungsschutzbehörden anderer Länder dürfen im Geltungsbereich dieses Gesetzes nur im Einvernehmen mit dem Landesamt für Verfassungsschutz nach Maßgabe dieses Gesetzes und soweit eigenes Landesrecht dies zulässt, der Bund gemäß SS 5 Absatz 2 BVerfSchG nur im Benehmen mit dem Landesamt für Verfassungsschutz tätig werden. 2 Das Landesamt für Verfassungsschutz darf in den anderen Ländern tätig werden, soweit es die Rechtsvorschriften dieses Gesetzes und der anderen Länder zulassen. SS4 Aufgaben des Landesamtes für Verfassungsschutz (1) 1 Aufgabe des Landesamtes für Verfassungsschutz ist die Sammlung und Auswertung von Informationen, insbesondere von sachund personenbezogenen Auskünften, Nachrichten und Unterlagen, über 1. Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung von Mitgliedern der verfassungsmäßigen Organe des Bundes oder eines Landes zum Ziele haben, 2. sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten für eine fremde Macht in der Bundesrepublik Deutschland, 3. Bestrebungen in der Bundesrepublik Deutschland, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, 4. Bestrebungen im Geltungsbereich dieses Gesetzes, die gegen den Gedanken der Völkerverständigung (Artikel 9 Absatz 2 des Grundgesetzes), insbesondere gegen das friedliche Zusammenleben der Völker (Artikel 26 Absatz 1 des Grundgesetzes) gerichtet sind (SS 3 Absatz 1 BVerfSchG). 2 Das Landesamt für Verfassungsschutz hat insbesondere den Senat über 245 Anhang / Verfassungsschutzgesetz Gefahren für die Schutzgüter des SS 1 zu informieren und die dafür zuständigen staatlichen Stellen in die Lage zu versetzen, Maßnahmen zu ihrer Abwehr zu ergreifen. 3 Es informiert und berät auf Anforderung öffentliche und nicht-öffentliche Stellen und Einrichtungen über die Gefahren der gegen sie gerichteten Bestrebungen und Tätigkeiten des Absatzes 1. 4 Darüber hinaus unterrichtet das Landesamt für Verfassungsschutz mindestens einmal jährlich die Öffentlichkeit über Gefahren für die Schutzgüter des SS 1. (2) 1 Das Landesamt für Verfassungsschutz wirkt mit 1. bei der Überprüfung von Personen, denen im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftige Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse anvertraut werden, die Zugang dazu erhalten sollen oder ihn sich dienstlich verschaffen können, 2. bei der Überprüfung von Personen, die an sicherheitsempfindlichen Stellen von lebensund verteidigungswichtigen Einrichtungen beschäftigt sind oder werden sollen, 3. bei technischen Sicherheitsmaßnahmen zum Schutz von im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftigen Tatsachen, Gegenständen und Erkenntnissen gegen die Kenntnisnahme durch Unbefugte (SS 3 Absatz 2 Satz 1 BVerfSchG) und 4. bei der Betreuung nicht-öffentlicher Stellen und Einrichtungen, bei denen auf Grund von öffentlichen Verschlusssachenaufträgen Sicherheitsüberprüfungen durchgeführt worden sind. 2 Die Befugnisse des Landesamtes für Verfassungsschutz bei der Mitwirkung nach Satz 1 Nummern 1 und 2 sind im Hamburgischen Sicherheitsüberprüfungsund Geheimschutzgesetz (HmbSÜGG) vom 25. Mai 1995 (HmbGVBl. S. 82), zuletzt geändert am 2. April 2013 (HmbGVBl. S. 121, 124), geregelt. 3 Die Befugnisse des Landesamtes für Verfassungsschutz bei der Mitwirkung an Zuverlässigkeitsüberprüfungen zum Schutz vor Angriffen auf die Sicherheit des Hamburger Hafens sind im Hafensicherheitsgesetz vom 6. Oktober 2005 (HmbGVBl. S. 424), zuletzt geändert am 22. Juni 2010 (HmbGVBl. S. 440), geregelt. 246 Anhang / Verfassungsschutzgesetz SS5 Begriffsbestimmungen (1) 1 Im Sinne dieses Gesetzes sind: 1. Bestrebungen gegen den Bestand des Bundes oder eines Landes solche politisch motivierten zielund zweckgerichteten Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluss, der darauf gerichtet ist, die Freiheit des Bundes oder eines Landes von fremder Herrschaft aufzuheben, ihre staatliche Einheit zu beseitigen oder ein zu ihnen gehörendes Gebiet abzutrennen, 2. Bestrebungen gegen die Sicherheit des Bundes oder eines Landes solche politisch motivierten zielund zweckgerichteten Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluss, der darauf gerichtet ist, den Bund, Länder oder deren Einrichtungen in ihrer Funktionsfähigkeit erheblich zu beeinträchtigen, 3. Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung solche politisch motivierten zielund zweckgerichteten Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluss, der darauf gerichtet ist, einen der in Absatz 2 genannten Verfassungsgrundsätze zu beseitigen oder außer Geltung zu setzen. 2 Für einen Personenzusammenschluss handelt, wer ihn in seinen Bestrebungen nachdrücklich unterstützt (SS 4 Absatz 1 Sätze 1 und 2 BVerfSchG). 3 Bestrebungen im Sinne dieses Gesetzes sind auch Verhaltensweisen gemäß Satz 1 von Einzelpersonen, die nicht in einem oder für einen Personenzusammenschluss handeln, wenn sie gegen Schutzgüter dieses Gesetzes mit Anwendung von Gewalt gerichtet sind oder diese sonst angreifen und bekämpfen. (2) Zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne dieses Gesetzes zählen gemäß SS 4 Absatz 2 BVerfSchG 1. das Recht des Volkes, die Staatsgewalt in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung auszuüben und die Volksvertretung in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl zu wählen, 247 Anhang / Verfassungsschutzgesetz 2. die Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung und die Bindung der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an Gesetz und Recht, 3. das Recht auf Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition, 4. die Verantwortlichkeit der Regierung gegenüber der Volksvertretung und ihre Ablösbarkeit, 5. die Unabhängigkeit der Gerichte, 6. der Ausschluss jeder Gewaltund Willkürherrschaft und 7. die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte. SS6 Voraussetzung und Rahmen für die Tätigkeit des Landesamtes für Verfassungsschutz 1 Das Landesamt für Verfassungsschutz darf nur Maßnahmen ergreifen, wenn und soweit sie zur Erfüllung seiner Aufgaben erforderlich sind; dies gilt insbesondere für die Erhebung und weitere Verarbeitung personenbezogener Daten. 2 Von mehreren möglichen und geeigneten Maßnahmen hat es diejenige zu treffen, die den Einzelnen insbesondere in seinen Grundrechten und die Allgemeinheit voraussichtlich am wenigsten beeinträchtigt. 3 Eine geringere Beeinträchtigung ist in der Regel anzunehmen, wenn die Information aus allgemein zugänglichen Quellen oder durch eine behördliche Auskunft gewonnen werden kann. 4 Eine Maßnahme darf nicht zu einem Nachteil führen, der zu dem erstrebten Erfolg erkennbar außer Verhältnis steht. 5 Sie ist nur so lange zulässig, bis ihr Zweck erreicht ist oder sich zeigt, dass er nicht erreicht werden kann. 248 Anhang / Verfassungsschutzgesetz 2. Abschnitt Erheben und weitere Verarbeitung von Informationen SS7 Befugnisse des Landesamtes für Verfassungsschutz (1) 1 Das Landesamt für Verfassungsschutz darf zur Erfüllung seiner Aufgaben Informationen erheben und weiter verarbeiten. 2 Es darf personenbezogene Daten auch für die Vorgangsverwaltung nutzen und verarbeiten. 3 Ist zum Zwecke der Datenerhebung die Übermittlung von personenbezogenen Daten unerlässlich, ist sie auf das unbedingt erforderliche Maß zu beschränken. 4 Schutzwürdige Interessen des Betroffenen dürfen nur in unvermeidbarem Umfang beeinträchtigt werden. (1a) 1 Die Erhebung von personenbezogenen Daten, die dem Kernbereich privater Lebensgestaltung oder einem Vertrauensverhältnis mit Berufsgeheimnisträgern oder zeugnisverweigerungsberechtigten Personen gemäß SSSS 53, 53a Strafprozessordnung zuzuordnen sind (Vertrauensbereiche), ist unzulässig. 2 Werden personenbezogene Daten aus diesen Vertrauensbereichen durch Maßnahmen unvermeidbar erfasst, so dürfen die Daten nicht weiter verarbeitet werden; sie sind unter Aufsicht eines Bediensteten mit der Befähigung zum Richteramt zu löschen oder zu vernichten. 3 Die Tatsache der Erhebung und die Löschung oder Vernichtung der Daten aus diesen Vertrauensbereichen ist zu dokumentieren. 4 In Zweifelsfällen entscheidet der Leiter des Landesamtes für Verfassungsschutz oder sein Stellvertreter, ob die Daten weiter verarbeitet werden dürfen. 5 Eine Weiterverarbeitung darf erst nach einer Berichterstattung an den Kontrollausschuss gemäß SS 26 erfolgen, sofern keine Gefahr im Verzug vorliegt. 6 Soweit die Daten für eine Mitteilung an den Betroffenen oder für eine gerichtliche Nachprüfung der Rechtmäßigkeit der Maßnahme von Bedeutung sein können, sind sie zu sperren. 7 Die gesperrten Daten dürfen nur zu den in Satz 6 genannten Zwecken verwendet werden. 8 Im Fall der Mitteilung an den Betroffenen sind die Daten erst zu löschen, wenn der Betroffene nach Ablauf eines Monats nach seiner Benachrichtigung keine Klage erhebt; auf diese Frist ist in der Mitteilung hinzuweisen. 9 Im Fall einer gerichtlichen Überprüfung sind die Daten nach deren Abschluss zu löschen. 10 Die Löschung von Daten ist zu protokollieren. 11 Anderweitige Rechtsvorschriften über die Bearbeitung von personenbezogenen Daten aus den Vertrauensbereichen bleiben unberührt. 249 Anhang / Verfassungsschutzgesetz (2) 1 Das Landesamt für Verfassungsschutz darf bei den hamburgischen Behörden und den der Aufsicht der Freien und Hansestadt Hamburg unterstehenden juristischen Personen des öffentlichen Rechts nur die Informationen einschließlich personenbezogener Daten erheben, die diesen Stellen im Rahmen ihrer Aufgabenerfüllung bereits vorliegen und die zur Erfüllung der Aufgaben des Verfassungsschutzes erforderlich sind. 2 Das Landesamt für Verfassungsschutz braucht die Ersuchen nicht zu begründen, soweit dies dem Schutz des Betroffenen dient oder eine Begründung den Zweck der Maßnahme gefährden würde. (3) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf im Einzelfall bei denjenigen, die geschäftsmäßig Telemediendienste erbringen oder daran mitwirken, Auskunft über Daten einholen, die für die Begründung, inhaltliche Ausgestaltung, Änderung oder Beendigung eines Vertragsverhältnisses über Telemediendienste (Bestandsdaten) gespeichert worden sind, soweit dies zur Sammlung und Auswertung von Informationen erforderlich ist und tatsächliche Anhaltspunkte für schwerwiegende Gefahren für die in SS 4 Absatz 1 genannten Schutzgüter vorliegen. (4) 1 Das Landesamt für Verfassungsschutz darf im Einzelfall Auskunft einholen bei 1. Luftfahrtunternehmen sowie Betreibern von Computerreservierungssystemen und Globalen Distributionssystemen für Flüge zu Namen und Anschriften des Kunden sowie zur Inanspruchnahme und den Umständen von Transportleistungen, insbesondere zum Zeitpunkt von Abfertigung und Abflug und zum Buchungsweg, 2. Kreditinstituten, Finanzdienstleistungsinstituten und Finanzunternehmen zu Konten, Konteninhabern und sonstigen Berechtigten sowie weiteren am Zahlungsverkehr Beteiligten und zu Geldbewegungen und Geldanlagen, insbesondere über Kontostand und Zahlungseinund -ausgänge, 3. (aufgehoben), 4. denjenigen, die geschäftsmäßig Telekommunikationsdienste erbringen oder daran mitwirken, zu Verkehrsdaten nach SS 96 Absatz 1 Nummern 1 bis 4 des Telekommunikationsgesetzes vom 22. Juni 2004 (BGBl. I S. 1190), zuletzt geändert am 20. Juni 2013 (BGBl. I 250 Anhang / Verfassungsschutzgesetz S. 1602), und sonstigen zum Aufbau und zur Aufrechterhaltung der Telekommunikation notwendigen Verkehrsdaten und 5. denjenigen, die geschäftsmäßig Telemediendienste erbringen oder daran mitwirken, zu a) Merkmalen zur Identifikation des Nutzers eines Telemediendienstes, b) Angaben über Beginn und Ende sowie über den Umfang der jeweiligen Nutzung und c) Angaben über die vom Nutzer in Anspruch genommenen Telemediendienste, soweit dies zur Sammlung und Auswertung von Informationen erforderlich ist und Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass schwerwiegende Gefahren für die in SS 4 Absatz 1 Satz 1 genannten Schutzgüter vorliegen. 2 Im Falle des SS 4 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 gilt dies nur für Bestrebungen, die bezwecken oder auf Grund ihrer Wirkungsweise geeignet sind, 1. zu Hass oder Willkürmaßnahmen gegen Teile der Bevölkerung aufzustacheln oder deren Menschenwürde durch Beschimpfen, böswilliges Verächtlichmachen oder Verleumden anzugreifen und dadurch die Bereitschaft zur Anwendung von Gewalt zu fördern und den öffentlichen Frieden zu stören oder 2. Gewalt anzuwenden oder vorzubereiten, einschließlich dem Befürworten, Hervorrufen oder Unterstützen von Gewaltanwendung, auch durch Unterstützen von Vereinigungen, die Anschläge gegen Personen oder Sachen veranlassen, befürworten oder androhen. (5) Anordnungen nach Absatz 4 dürfen sich nur gegen Personen richten, bei denen 1. tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie die schwerwiegenden Gefahren nach Absatz 4 nachdrücklich fördern oder 2. auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist a) bei Auskünften nach Absatz 4 Satz 1 Nummern 1, 2 und 5, dass sie 251 Anhang / Verfassungsschutzgesetz die Leistung für eine Person nach Nummer 1 in Anspruch nehmen oder b) bei Auskünften nach Absatz 4 Satz 1 Nummer 4, dass sie für eine Person nach Nummer 1 bestimmte oder von ihr herrührende Mitteilungen entgegennehmen oder weitergeben, oder dass eine Person nach Nummer 1 ihren Anschluss benutzt. SS 7a Verfahrensregelungen zu besonderen Auskunftsverlangen (1) Anordnungen nach SS 7 Absatz 4 werden vom Leiter des Landesamtes für Verfassungsschutz oder seinem Vertreter beantragt; der Antrag ist schriftlich zu stellen und zu begründen. Zuständig für die Anordnungen ist der Präses oder bei seiner Verhinderung der Staatsrat der zuständigen Behörde. Die Anordnung einer Auskunft über künftig anfallende Daten ist auf höchstens drei Monate zu befristen. Die Verlängerung dieser Anordnung um jeweils nicht mehr als drei Monate ist auf Antrag zulässig, soweit die Voraussetzungen der Anordnung fortbestehen. Auf die Anordnung der Verlängerung finden die Sätze 1 und 2 Anwendung. (2) Über Anordnungen nach SS 7 Absatz 4 unterrichtet die zuständige Behörde die G 10-Kommission nach SS 1 Absatz 1 des Gesetzes zur Ausführung des Artikel 10-Gesetzes vom 17. Januar 1969 (HmbGVBl. S. 5), zuletzt geändert am 2. April 2013 (HmbGVBl. S. 121, 128), in der jeweils geltenden Fassung, vor deren Vollzug. Bei Gefahr im Verzug kann sie den Vollzug der Entscheidung auch bereits vor der Unterrichtung der G 10-Kommission anordnen. Die G 10-Kommission prüft von Amts wegen oder auf Grund von Beschwerden die Zulässigkeit und Notwendigkeit der Einholung von Auskünften. SS 15 Absatz 5 des Artikel 10-Gesetzes vom 26. Juni 2001 (BGBl. I S. 1254, 2298), zuletzt geändert am 7. Dezember 2011 (BGBl. I S. 2576, 2580), ist mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden, dass die Kontrollbefugnis der Kommission sich auf die gesamte Erhebung, Verarbeitung und Nutzung der nach SS 7 Absatz 4 erlangten personenbezogenen Daten erstreckt. Entscheidungen über Auskünfte, welche die G 10-Kommission für unzulässig oder nicht notwendig erklärt, sind unverzüglich aufzuheben. Die Daten unterliegen in diesem Falle einem absoluten Verwendungsverbot und sind 252 Anhang / Verfassungsschutzgesetz unverzüglich zu löschen. Für die Verarbeitung der nach SS 7 Absatz 4 erhobenen Daten ist SS 4 des Artikel 10-Gesetzes entsprechend anzuwenden. (3) Die nach Absatz 2 zuständige Behörde unterrichtet im Abstand von höchstens sechs Monaten den Kontrollausschuss gemäß SS 24 über Anordnungen nach SS 7 Absatz 4; dabei ist insbesondere ein Überblick über Anlass, Umfang, Dauer, Ergebnis und Kosten der im Berichtszeitraum durchgeführten Maßnahmen zu geben. Die nach Satz 1 zuständige Behörde erstattet ferner dem Parlamentarischen Kontrollgremium nach dem Kontrollgremiumgesetz vom 29. Juli 2009 (BGBl. I S. 2346) jährlich einen Bericht über die Durchführung sowie Art, Umfang und Anordnungsgründe der Maßnahmen; dabei sind die Grundsätze des SS 2 Absatz 4 des Gesetzes zur Ausführung des Artikel 10-Gesetzes und des SS 10 Absatz 1 des Kontrollgremiumgesetzes zu beachten. (4) Anordnungen sind dem Verpflichteten insoweit schriftlich mitzuteilen, als dies erforderlich ist, um ihm die Erfüllung seiner Verpflichtung zu ermöglichen. Anordnungen und übermittelte Daten dürfen dem Betroffenen oder Dritten vom Verpflichteten nicht mitgeteilt werden. (5) Dem Verpflichteten ist es verboten, allein auf Grund einer Anordnung nach SS 7 Absatz 3 oder 4 einseitige Handlungen vorzunehmen, die für den Betroffenen nachteilig sind und die über die Erteilung der Auskunft hinausgehen, insbesondere bestehende Verträge oder Geschäftsverbindungen zu beenden, ihren Umfang zu beschränken oder ein Entgelt zu erheben oder zu erhöhen. Die Anordnung ist mit dem ausdrücklichen Hinweis auf dieses Verbot und darauf zu verbinden, dass das Auskunftsersuchen nicht die Aussage beinhaltet, dass sich die betroffene Person rechtswidrig verhalten hat oder ein darauf gerichteter Verdacht bestehen müsse. (6) Die in SS 7 Absatz 3 und Absatz 4 Satz 1 genannten Stellen sind verpflichtet, die Auskunft unverzüglich, vollständig, richtig und in dem Format zu erteilen, das durch die auf Grund von Absatz 8 Sätze 1 bis 3 erlassene Rechtsverordnung oder in den in Absatz 8 Sätze 4 und 5 bezeichneten Rechtsvorschriften vorgeschrieben ist. (7) Anordnungen nach SS 7 Absatz 4 Satz 1 Nummern 1 und 2 hat die zuständige Behörde dem Betroffenen mitzuteilen; eine Mitteilung unter253 Anhang / Verfassungsschutzgesetz bleibt, solange eine Gefährdung des Zwecks des Eingriffs nicht ausgeschlossen werden kann oder solange der Eintritt übergreifender Nachteile für das Wohl des Bundes oder eines Landes absehbar ist. Für Anordnungen nach SS 7 Absatz 4 Satz 1 Nummern 4 und 5 findet SS 12 Absatz 1 des Artikel 10-Gesetzes entsprechende Anwendung. Wurden personenbezogene Daten an eine andere Stelle übermittelt, erfolgt die Mitteilung im Benehmen mit dieser. (8) Der Senat wird ermächtigt, durch Rechtsverordnung zu bestimmen, dass Auskünfte nach SS 7 Absätze 3 und 4 mit Ausnahme der Auskünfte nach SS 7 Absatz 4 Satz 1 Nummer 4, auch soweit andere Vorschriften hierauf verweisen, ganz oder teilweise auf maschinell verwertbaren Datenträgern oder durch Datenfernübertragung übermittelt werden müssen. Dabei können insbesondere geregelt werden 1. die Voraussetzungen für die Anwendung des Verfahrens, 2. das Nähere über Form, Inhalt, Verarbeitung und Sicherung der zu übermittelnden Daten, 3. die Art und Weise der Übermittlung der Daten, 4. die Zuständigkeit für die Entgegennahme der zu übermittelnden Daten, 5. der Umfang und die Form der für dieses Verfahren erforderlichen besonderen Erklärungspflichten des Auskunftspflichtigen, 6. Tatbestände und Bemessung einer auf Grund der Auskunftserteilung an Verpflichtete zu leistenden Aufwandsentschädigung und 7. die technischen und organisatorischen Maßnahmen nach SS 8 des Hamburgischen Datenschutzgesetzes vom 5. Juli 1990 (HmbGVBl. S. 133, 165, 266), zuletzt geändert am 14. Juni 2011 (HmbGVBl. S. 255). Zur Regelung der Datenübermittlung kann in der Rechtsverordnung auf Veröffentlichungen sachverständiger Stellen verwiesen werden; hierbei sind das Datum der Veröffentlichung, die Bezugsquelle und eine Stelle zu bezeichnen, bei der die Veröffentlichung archivmäßig gesichert nie254 Anhang / Verfassungsschutzgesetz dergelegt ist. Der Senat kann die Ermächtigung nach Satz 1 durch Rechtsverordnung auf die zuständige Behörde weiter übertragen. Die Vorgaben für die Erteilung von Auskünften nach SS 7 Absatz 4 Satz 1 Nummer 4, insbesondere ob und in welchem Umfang die Verpflichteten hierfür Vorkehrungen für die technische und organisatorische Umsetzung der Auskunftsverpflichtung zu treffen haben, bestimmen sich nach SS 110 des Telekommunikationsgesetzes und der dazu erlassenen Rechtsverordnung. Die technischen Einzelheiten, die zur Auskunftserteilung sowie zur Gestaltung des Übergabepunktes zu den berechtigten Stellen erforderlich sind, insbesondere das technische Format für die Übermittlung derartiger Auskunftsverlangen an die Verpflichteten und die Rückübermittlung der zugehörigen Auskünfte an die berechtigten Stellen, richten sich nach den Festlegungen in der Technischen Richtlinie nach SS 110 Absatz 3 des Telekommunikationsgesetzes. (9) Für die Erteilung von Auskünften nach SS 7 Absatz 4 Satz 1 Nummer 4 hat der Verpflichtete Anspruch auf Entschädigung entsprechend SS 23 und Anlage 3 des Justizvergütungsund -entschädigungsgesetzes (JVEG) vom 5. Mai 2004 (BGBl. I S. 718, 776), zuletzt geändert am 19. Oktober 2012 (BGBl. I S. 2182, 2189); die Vorschriften über die Verjährung in SS 2 Absätze 1 und 4 JVEG finden entsprechend Anwendung. SS 7b Einschränkungen von Grundrechten Das Grundrecht des Fernmeldegeheimnisses (Artikel 10 des Grundgesetzes) wird nach Maßgabe des SS 7 Absatz 3 und Absatz 4 Satz 1 Nummern 4 und 5 sowie des SS 7a Absätze 1, 2 und 4 bis 8 eingeschränkt. SS 7c Weitere Auskunftsverlangen (1) Soweit dies zur Erfüllung der Aufgaben des Landesamtes für Verfassungsschutz erforderlich ist, darf von demjenigen, der geschäftsmäßig Telekommunikationsdienste erbringt oder daran mitwirkt, Auskunft über die nach den SSSS 95 und 111 des Telekommunikationsgesetzes erhobenen Daten verlangt werden. Bezieht sich das Auskunftsverlangen nach Satz 1 auf Daten, mittels derer der Zugriff auf Endgeräte oder auf Spei255 Anhang / Verfassungsschutzgesetz chereinrichtungen, die in diesen Endgeräten oder hiervon räumlich getrennt eingesetzt werden, geschützt wird, darf die Auskunft nur verlangt werden, wenn die gesetzlichen Voraussetzungen für die Nutzung der Daten vorliegen. (2) Die Auskunft nach Absatz 1 darf auch anhand einer zu einem bestimmten Zeitpunkt zugewiesenen Internetprotokoll-Adresse sowie weiterer zur Individualisierung erforderlicher technischer Daten verlangt werden. (3) In den Fällen des Absatzes 1 Satz 2 und des Absatzes 2 ist zuständig für die Anordnung der Leiter des Landesamtes für Verfassungsschutz oder sein Vertreter. SS 7a Absatz 7 Sätze 2 und 3 gilt in diesen Fällen entsprechend. (4) Auf Grund eines Auskunftsverlangens nach Absatz 1 oder 2 hat derjenige, der geschäftsmäßig Telekommunikationsdienste erbringt oder daran mitwirkt, die zur Auskunftserteilung erforderlichen Daten unverzüglich, vollständig und richtig zu übermitteln. (5) Das Landesamt für Verfassungsschutz hat für ihm erteilte Auskünfte eine Entschädigung zu gewähren, deren Umfang sich nach SS 23 und Anlage 3 JVEG bemisst; die Vorschriften über die Verjährung in SS 2 Absätze 1 und 4 JVEG finden entsprechend Anwendung. (6) Das Grundrecht des Fernmeldegeheimnisses (Artikel 10 des Grundgesetzes) wird nach Maßgabe des Absatzes 2 eingeschränkt. SS8 Erheben von Informationen mit nachrichtendienstlichen Mitteln (1) 1 Das Landesamt für Verfassungsschutz darf mit nachrichtendienstlichen Mitteln Informationen verdeckt erheben. 2 Der Einsatz von nachrichtendienstlichen Mitteln ist vorbehaltlich SS 6 nur zulässig, wenn 1. er sich gegen Organisationen, unorganisierte Gruppen, in ihnen oder einzeln tätige Personen richtet, bei denen tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht von Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 4 Absatz 1 bestehen, 256 Anhang / Verfassungsschutzgesetz 2. er sich gegen andere als die in Nummer 1 genannten Personen richtet, von denen auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass sie für den Betroffenen bestimmte oder von ihm herrührende Mitteilungen entgegennehmen oder weitergeben, um auf diese Weise Erkenntnisse über sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten für eine fremde Macht oder gewalttätige Bestrebungen und Tätigkeiten nach SS 4 Absatz 1 zu gewinnen, 3. auf diese Weise die zur Erforschung von Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 4 Absatz 1 erforderlichen Nachrichtenzugänge geschaffen werden können oder 4. dies zur Abschirmung der Mitarbeiter, Einrichtungen, Gegenstände und Nachrichtenzugänge des Landesamtes für Verfassungsschutz gegen sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten erforderlich ist. 3 Das Landesamt für Verfassungsschutz darf die so gewonnenen Informationen nur für die in Satz 2 genannten Zwecke verwenden. 4 Unterlagen, die für diese Zwecke nicht erforderlich sind, sind unverzüglich zu vernichten. 5 Die Vernichtung kann unterbleiben, wenn die Informationen von anderen schriftlichen Unterlagen, die zur Erfüllung der Aufgaben erforderlich sind, nicht oder nur mit unvertretbarem Aufwand getrennt werden können; in diesem Fall unterliegen sie einem Verwertungsverbot. (2) 1 Zulässige nachrichtendienstliche Mittel sind 1. verdeckt eingesetzte hauptamtliche Mitarbeiter des Landesamtes für Verfassungsschutz, 2. verdeckt eingesetzte Personen, die nicht in einem arbeitsvertraglichen oder öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zum Landesamt für Verfassungsschutz stehen, wie Vertrauensleute, Informanten, Gewährspersonen, 3. planmäßig angelegte Beobachtungen (Observationen), 4. Bildaufzeichnungen, 257 Anhang / Verfassungsschutzgesetz 5. verdeckte Ermittlungen und Befragungen, 6. verdecktes Mithören ohne Inanspruchnahme technischer Mittel, 7. verdecktes Mithören und Aufzeichnen des nicht öffentlich gesprochenen Wortes oder sonstiger Signale unter Einsatz technischer Mittel innerhalb und außerhalb von Wohnungen (Artikel 13 des Grundgesetzes), 8. Beobachten und Aufzeichnen des Funkverkehrs und die verdeckte Standortbestimmung mit technischen oder telekommunikativen Mitteln, soweit nicht der Postund Fernmeldeverkehr nach Maßgabe des Artikel 10-Gesetzes betroffen ist, 9. Aufbau und Gebrauch von Legenden, 10. Beschaffen, Erstellen und Verwenden von Tarnpapieren und Tarnkennzeichen, 11. Überwachen des Brief-, Postund Fernmeldeverkehrs nach Maßgabe des Artikel 10-Gesetzes sowie 12. weitere vergleichbare Methoden, Gegenstände und Instrumente zur heimlichen Informationsbeschaffung, insbesondere das sonstige Eindringen in technische Kommunikationsbeziehungen durch Bild-, Tonund Datenaufzeichnungen, um die nach Absatz 1 erforderlichen Informationen zu gewinnen. 2 Die nachrichtendienstlichen Mittel sind abschließend in einer Dienstvorschrift zu benennen, die auch die Zuständigkeit für die Anordnung solcher Informationserhebungen regelt. 3 Die Dienstvorschrift bedarf der Zustimmung des Präses der zuständigen Behörde. 4 Der oder dem Hamburgischen Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit ist Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. 5 Die Behörden der Freien und Hansestadt Hamburg sind verpflichtet, dem Landesamt für Verfassungsschutz Hilfe für Tarnungsmaßnahmen zu leisten. (3) 1 Der verdeckte Einsatz besonderer technischer Mittel zur Informationsgewinnung ist im Schutzbereich des Artikels 13 des Grundgesetzes innerhalb von Wohnungen in Abwesenheit einer für das Landesamt für 258 Anhang / Verfassungsschutzgesetz Verfassungsschutz tätigen Person zur Abwehr dringender Gefahren für die Schutzgüter des SS 1 und unter Berücksichtigung des SS 6 nur zulässig, wenn die materiellen Voraussetzungen für einen Eingriff in das Brief-, Postoder Fernmeldegeheimnis nach SS 1 Absatz 1 Nummer 1 und SS 3 Absatz 1 Satz 1 des Artikel 10-Gesetzes vorliegen und die Erforschung des Sachverhalts auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre. 2 Der verdeckte Einsatz besonderer technischer Mittel darf sich nur gegen den Verdächtigen richten. 3 Bei unmittelbar bevorstehender Gefahr darf der Einsatz sich auch gegen Personen richten, von denen aufgrund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass sie für die Verdächtigen bestimmte oder von ihnen herrührende Mitteilungen entgegennehmen oder weitergeben oder dass die Verdächtigen sich in ihrer Wohnung aufhalten. 4 In den Fällen des SS 53 Absatz 1 der Strafprozessordnung sind Maßnahmen nach den Sätzen 1 bis 3 nur zulässig, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass bei den zur Verweigerung des Zeugnisses Berechtigten die materiellen Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen. (4) 1 Die Anordnung des Einsatzes besonderer technischer Mittel nach Absatz 3 Satz 1 trifft der Richter. 2 Bei Gefahr im Verzug kann der Leiter des Landesamtes für Verfassungsschutz oder bei seiner Verhinderung sein Vertreter einen Einsatz nach Absatz 3 Satz 1 anordnen; die Tatsachen, die Gefahr im Verzug begründen, sind aktenkundig zu machen. 3 Eine richterliche Entscheidung ist unverzüglich nachzuholen. 4 Die Anordnungen sind auf längstens vier Wochen zu befristen; Verlängerungen um jeweils nicht mehr als vier weitere Wochen sind auf Antrag zulässig, soweit die Voraussetzungen der Anordnung fortbestehen. (5) 1 Die Anordnung des Einsatzes besonderer technischer Mittel nach Absatz 3 Satz 1 wird unter der Aufsicht eines Beschäftigten des Landesamtes für Verfassungsschutz vollzogen, der die Befähigung zum Richteramt hat. 2 Liegen die Voraussetzungen der Anordnung nicht mehr vor oder ist der verdeckte Einsatz technischer Mittel zur Informationsgewinnung nicht mehr erforderlich, ist die Maßnahme unverzüglich zu beenden. 3 Das Abhören und Aufzeichnen ist unverzüglich zu unterbrechen, soweit sich während der Überwachung Anhaltspunkte dafür ergeben, dass Äußerungen, die dem Kernbereich privater Lebensgestaltung zuzurechnen sind, erfasst werden. 4 Aufzeichnungen über solche Äußerungen sind unverzüglich zu löschen. 5 Erkenntnisse über solche Äußerungen dürfen nicht verwertet werden. 6 Die Tatsache der Erfassung der 259 Anhang / Verfassungsschutzgesetz Daten und ihrer Löschung ist zu dokumentieren. 7 Ist eine Maßnahme unterbrochen worden, so darf sie fortgeführt werden, soweit auf Grund tatsächlicher Anhaltspunkte, insbesondere zu der Art der zu überwachenden Räumlichkeiten und dem Verhältnis der zu überwachenden Personen zueinander, anzunehmen ist, dass durch die Überwachung Äußerungen, die dem Kernbereich privater Lebensgestaltung zuzurechnen sind, nicht mehr erfasst werden. 8 Im Zweifel ist über die Unterbrechung oder Fortführung der Maßnahme unverzüglich eine Entscheidung des Gerichts herbeizuführen. (6) 1 Erkenntnisse und Unterlagen, die durch Maßnahmen nach Absatz 3 Satz 1 gewonnen wurden, dürfen zur Verfolgung und Erforschung der dort genannten Bestrebungen oder Tätigkeiten sowie nach Maßgabe des SS 4 Absätze 4 bis 6 des Artikel 10-Gesetzes verwendet werden. 2 SS 14 Absatz 2 Satz 2 bleibt unberührt. 3 Für die Speicherung und Löschung der durch die Maßnahmen nach den Absätzen 3 und 7 erlangten personenbezogenen Daten sowie die Entscheidung über die nachträgliche Information der von Maßnahmen nach den Absätzen 3 und 7 Betroffenen gelten SS 4 Absatz 1 und SS 12 des Artikel 10-Gesetzes entsprechend. 4 Die Zusammenarbeitsverpflichtung nach SS 3 bleibt unberührt. (7) 1 Der verdeckte Einsatz besonderer technischer Mittel im Schutzbereich des Artikels 13 des Grundgesetzes innerhalb von Wohnungen ist auch dann zulässig, wenn es ausschließlich zum Schutz der dort für den Verfassungsschutz tätigen Personen zur Abwehr von Gefahren für Leben, Gesundheit oder Freiheit unerlässlich ist und vom Leiter des Landesamtes für Verfassungsschutz oder bei seiner Verhinderung von seinem Vertreter angeordnet ist. 2 Eine anderweitige Verwertung der hierbei erlangten Kenntnisse zum Zweck der Strafverfolgung oder der Gefahrenabwehr ist nur zulässig, wenn zuvor die Rechtmäßigkeit der Maßnahme richterlich festgestellt ist; bei Gefahr im Verzug ist die richterliche Entscheidung unverzüglich nachzuholen. 3 Die Tatsachen, die Gefahr im Verzug begründen, sind aktenkundig zu machen. (8) 1 Zuständiges Gericht zur Entscheidung nach den Absätzen 3 und 7 ist das Amtsgericht Hamburg. 2 Für das Verfahren findet Buch 1 des Gesetzes über das Verfahren in Familiensachen und in den Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit vom 17. Dezember 2008 (BGBl. I S. 2586, 2587), zuletzt geändert am 21. Juli 2012 (BGBl. I S. 1577, 1579), entsprechend Anwendung. 260 Anhang / Verfassungsschutzgesetz (9) Das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung (Artikel 13 des Grundgesetzes) wird nach Maßgabe der Absätze 3 und 7 eingeschränkt. (10) 1 Das Landesamt für Verfassungsschutz darf unter den Voraussetzungen des SS 7 Absatz 4 technische Mittel zur Ermittlung des Standortes eines aktiv geschalteten Mobilfunkendgerätes oder zur Ermittlung der Geräteoder Kartennummer einsetzen. 2 Die Maßnahme ist nur zulässig, wenn ohne Einsatz technischer Mittel nach Satz 1 die Ermittlung des Standortes oder die Ermittlung der Geräteoder Kartennummer aussichtslos oder wesentlich erschwert ist. 3 Sie darf sich nur gegen die in SS 7 Absatz 5 Nummer 1 und Nummer 2 Buchstabe b bezeichneten Personen richten. 4 Für die Verarbeitung der Daten ist SS 4 des Artikel 10-Gesetzes entsprechend anzuwenden. 5 Personenbezogene Daten eines Dritten dürfen anlässlich solcher Maßnahmen nur erhoben werden, wenn dies aus technischen Gründen zur Erreichung des Zwecks nach Satz 1 unvermeidbar ist. 6 Sie unterliegen einem absoluten Verwendungsverbot und sind nach Beendigung der Maßnahme unverzüglich zu löschen. 7 SS 7a Absätze 1 bis 3 und Absatz 7 Satz 1 gilt entsprechend. 8 Das Grundrecht des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses (Artikel 10 des Grundgesetzes) wird insoweit eingeschränkt. (11) 1 Erhebungen nach den Absätzen 3 bis 8 und Eingriffe, die in Art und Schwere einer Beschränkung des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses gleichkommen, bedürfen der Zustimmung des Präses, bei dessen Verhinderung des Staatsrates der zuständigen Behörde. 2 Sie sind dem Betroffenen mitzuteilen, sobald eine Gefährdung des Zwecks der Maßnahme ausgeschlossen werden kann. 3 Lässt sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht abschließend beurteilen, ob diese Voraussetzung vorliegt, ist die Mitteilung vorzunehmen, sobald eine Gefährdung des Zwecks der Maßnahme ausgeschlossen werden kann. 4 Einer Mitteilung bedarf es nicht, wenn der Kontrollausschuss gemäß SS 24 einstimmig festgestellt hat, dass 1. diese Voraussetzung auch nach fünf Jahren nach Beendigung der Maßnahme noch nicht eingetreten ist, 2. diese Voraussetzung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch in Zukunft nicht eintreten wird und 3. die Voraussetzungen für eine Löschung sowohl bei der erhebenden 261 Anhang / Verfassungsschutzgesetz Stelle als auch beim Empfänger vorliegen. SS9 Weitere Verarbeitung personenbezogener Daten (1) 1 Das Landesamt für Verfassungsschutz darf zur Erfüllung seiner Aufgaben personenbezogene Daten weiter verarbeiten, wenn 1. tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht bestehen, dass die betroffene Person an Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 4 Absatz 1 teilnimmt, und dies für die Beobachtung der Bestrebung oder Tätigkeit erforderlich ist, 2. dies für die Erforschung und Bewertung von Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 4 Absatz 1 erforderlich ist, 3. dies zur Schaffung oder Erhaltung nachrichtendienstlicher Zugänge über Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 4 Absatz 1 erforderlich ist, 4. eine Mitwirkung bei Sicherheitsüberprüfungen nach SS 2 Absatz 3 des Artikel 10-Gesetzes oder bei Zuverlässigkeitsüberprüfungen nach dem Hafensicherheitsgesetz oder eine Beteiligung bei Überprüfungen nach SS 7 des Luftsicherheitsgesetzes vom 11. Januar 2005 (BGBl. I S. 78), zuletzt geändert am 29. Juli 2009 (BGBl. I S. 2424, 2429), und SS 12b des Atomgesetzes in der Fassung vom 15. Juli 1985 (BGBl. I S. 1566), zuletzt geändert am 24. Februar 2012 (BGBl. I S. 212, 249), erfolgt. 2 Das Recht der Nutzung und Verarbeitung personenbezogener Daten nach SS 7 Absatz 1 Satz 2 zur Vorgangsverwaltung bleibt unberührt. (2) 1 Das Landesamt für Verfassungsschutz hat die Speicherungsdauer auf das für seine Aufgabenerfüllung erforderliche Maß zu beschränken. 2 Bei der Einzelfallbearbeitung, im Übrigen jeweils spätestens vier Jahre beginnend ab der ersten Speicherung, prüft das Landesamt für Verfassungsschutz, ob die Speicherung der personenbezogenen Daten weiterhin erforderlich ist. 262 Anhang / Verfassungsschutzgesetz (3) Gespeicherte personenbezogene Daten über Bestrebungen und Tätigkeiten nach SS 4 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, 3 oder 4 dürfen länger als zehn Jahre nach dem Zeitpunkt der letzten gespeicherten Information nur mit Zustimmung des Präses der zuständigen Behörde oder der von ihm besonders ermächtigten Bediensteten des Landesamtes für Verfassungsschutz gespeichert bleiben. (4) Das Landesamt für Verfassungsschutz ist befugt, gemäß SS 22 a BVerfSchG personenbezogene Daten in gemeinsamen Dateien mit den Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder und anderen Sicherheitsbehörden zu verarbeiten, soweit besondere bundesrechtliche Vorschriften oder landesrechtliche Vorschriften Anlass, Umfang und sonstige datenschutzrechtliche Anforderungen regeln. SS 10 Verarbeitung von Daten Minderjähriger (1) 1 Das Landesamt für Verfassungsschutz darf unter den Voraussetzungen des SS 9 Daten über Minderjährige in Sachakten und amtseigenen Dateien speichern und weiter verarbeiten. 2 Daten über Minderjährige vor Vollendung des 16. Lebensjahres dürfen nicht in gemeinsamen Dateien (SS 6 BVerfSchG), Daten Minderjähriger vor Vollendung des 14. Lebensjahres nicht in amtseigenen Dateien gespeichert werden. (2) Daten über Minderjährige in Dateien sind nach zwei Jahren auf die Erforderlichkeit der weiteren Speicherung zu überprüfen; spätestens nach fünf Jahren sind diese Daten zu löschen, es sei denn, dass nach Eintritt der Volljährigkeit weitere Erkenntnisse nach SS 4 Absatz 1 angefallen sind. SS 11 Berichtigung, Sperrung und Löschung (1) 1 Erweist sich eine Information nach ihrer Übermittlung als unrichtig oder unvollständig, hat die übermittelnde Stelle ihre Information unverzüglich gegenüber dem Empfänger zu berichtigen oder zu ergänzen, wenn durch die unrichtige oder unvollständige Übermittlung schutzwürdige Interessen des Betroffenen beeinträchtigt sein können. 2 Die Berich263 Anhang / Verfassungsschutzgesetz tigung erfolgt dadurch, dass die unrichtigen Angaben, soweit sie in Akten enthalten sind, entfernt werden und, soweit sie in Dateien gespeichert sind, gelöscht werden. 3 Hiervon kann abgesehen werden, wenn die Trennung von zu berichtigenden und richtigen Informationen nicht oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand möglich ist. (2) Personenbezogene Daten, die ausschließlich zu Zwecken der Datenschutzkontrolle oder der Datensicherung gespeichert werden, dürfen nur für diese Zwecke oder bei Verdacht des Datenmissbrauchs genutzt werden. (3) Im Übrigen gilt für die Berichtigung, Sperrung und Löschung SS 19 des Hamburgischen Datenschutzgesetzes. 3. Abschnitt Datenübermittlung SS 12 Übermittlung nicht personenbezogener Daten Das Landesamt für Verfassungsschutz kann die im Rahmen seiner gesetzlichen Aufgabenerfüllung erlangten Daten, die nicht personenbezogen sind, an andere Behörden und Stellen, insbesondere an die Polizei und die Staatsanwaltschaft, übermitteln, wenn sie für die Aufgabenerfüllung der Empfänger erforderlich sein können. SS 13 Übermittlung personenbezogener Daten an inländische Nachrichtendienste (1) Gemäß SS 5 Absatz 1 BVerfSchG übermittelt das Landesamt für Verfassungsschutz dem Bundesamt für Verfassungsschutz und den Verfassungsschutzbehörden der Länder alle personenbezogenen Daten, deren Kenntnis zur Erfüllung der Aufgaben der Empfänger erforderlich ist. (2) Gemäß SS 21 Absatz 2 BVerfSchG übermittelt das Landesamt für Verfassungsschutz dem Bundesnachrichtendienst und dem Militärischen Abschirmdienst Informationen einschließlich personenbezogener Daten. 264 Anhang / Verfassungsschutzgesetz SS 14 Übermittlung personenbezogener Daten an inländische öffentliche Stellen und Strafverfolgungsbehörden (1) 1 Das Landesamt für Verfassungsschutz darf Informationen einschließlich personenbezogener Daten an inländische öffentliche Stellen übermitteln, wenn dies zum Schutz vor Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 4 Absatz 1 zwingend erforderlich ist oder der Empfänger eine Sicherheitsüberprüfung durchführt. 2 Der Empfänger darf die übermittelten Daten nur für den Zweck verwenden, zu dem sie ihm übermittelt wurden. 3 Hierauf ist er hinzuweisen. (2) 1 Das Landesamt für Verfassungsschutz darf über Absatz 1 hinaus Informationen einschließlich personenbezogener Daten an die Staatsanwaltschaften und die Polizei übermitteln, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass jemand eine in den SSSS 74 a und 120 Gerichtsverfassungsgesetz, SS 100a Absatz 2 Nummern 6, 7, 9 und 11 der Strafprozessordnung und SSSS 130, 131 Strafgesetzbuch genannte Straftat plant, begeht oder begangen hat sowie sonstige Straftaten, bei denen aufgrund ihrer Zielsetzung, des Motivs des Täters oder dessen Verbindung zu einer Organisation tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie gegen die in Artikel 73 Nummer 10 Buchstabe b oder c des Grundgesetzes genannten Schutzgüter gerichtet sind. 2 Personenbezogene Daten, die das Landesamt für Verfassungsschutz selbst mit nachrichtendienstlichen Mitteln nach SS 8 erhoben hat, dürfen nur dann an die Staatsanwaltschaft oder an die Polizei übermittelt werden, wenn die tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen für deren Erhebung mit entsprechenden Befugnissen zur verdeckten Datenerhebung nach der Strafprozessordnung oder nach den SSSS 9 bis 12 und SS 23 Gesetz über die Datenverarbeitung der Polizei vom 2. Mai 1991 (HmbGVBl. S. 187, 191), zuletzt geändert am 30. Mai 2012 (HmbGVBl. S. 204), vorgelegen hätten. SS 15 Übermittlung personenbezogener Daten an Stationierungsstreitkräfte 1 Das Landesamt für Verfassungsschutz darf Informationen einschließlich personenbezogener Daten an Dienststellen der Stationierungsstreit265 Anhang / Verfassungsschutzgesetz kräfte im Rahmen von Artikel 3 des Zusatzabkommens zu dem Abkommen zwischen den Parteien des Nordatlantikvertrags über die Rechtsstellung ihrer Truppen hinsichtlich der in der Bundesrepublik Deutschland stationierten ausländischen Streitkräfte vom 3. August 1959 (Bundesgesetzblatt II 1961 Seiten 1183, 1218) übermitteln. 2 Die Entscheidung für eine Übermittlung treffen der Präses der zuständigen Behörde oder die von ihm besonders ermächtigten Bediensteten des Landesamtes für Verfassungsschutz. 3 Der Empfänger ist darauf hinzuweisen, dass er die übermittelten Daten nur zur Verarbeitung für den Zweck erhält, zu dem sie ihm übermittelt wurden. SS 16 Übermittlung personenbezogener Daten an ausländische öffentliche Stellen 1 Das Landesamt für Verfassungsschutz darf personenbezogene Daten im Einvernehmen mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz an ausländische öffentliche Stellen sowie an überoder zwischenstaatliche Stellen übermitteln, wenn die Übermittlung zur Erfüllung seiner Aufgaben oder zur Wahrung erheblicher Sicherheitsinteressen des Empfängers erforderlich ist. 2 Die Entscheidung für eine Übermittlung treffen der Präses der zuständigen Behörde oder die von ihm besonders ermächtigten Bediensteten des Landesamtes für Verfassungsschutz. 3 Die Übermittlung unterbleibt, wenn auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland oder überwiegende schutzwürdige Interessen des Betroffenen entgegenstehen oder wenn dadurch gegen den Zweck eines deutschen Gesetzes verstoßen würde. 4 Der Empfänger ist darauf hinzuweisen, dass er die übermittelten Daten nur zur Verarbeitung für den Zweck erhält, zu dem sie ihm übermittelt wurden. SS 17 Übermittlung personenbezogener Daten an Stellen außerhalb des öffentlichen Bereichs (1) 1 Das Landesamt für Verfassungsschutz darf personenbezogene Daten an Personen oder Stellen außerhalb des öffentlichen Bereichs nicht übermitteln, es sei denn, dass die Übermittlung zum Schutz 266 Anhang / Verfassungsschutzgesetz 1. der sicherheitsempfindlichen Stellen der in SS 4 Absatz 2 Satz 1 Nummer 2 genannten Einrichtungen, 2. der Verschlusssachen der in SS 4 Absatz 2 Satz 1 Nummer 4 genannten Stellen und Einrichtungen, 3. der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, des Bestandes oder der Sicherheit des Bundes oder eines Landes vor den in SS 4 Absatz 1 bezeichneten Bestrebungen, Tätigkeiten und Gefahren erforderlich ist und hinreichende Tatsachen für eine Beeinträchtigung vorliegen. 2 Zulässig ist auch die Mitteilung, dass zu der betroffenen Person keine Erkenntnisse vorliegen.3 Die Entscheidung für eine Übermittlung treffen der Präses der zuständigen Behörde, bei dessen Verhinderung der Staatsrat oder die besonders ermächtigten Bediensteten des Landesamtes für Verfassungsschutz. 4 Dies gilt nicht bei Erhebungen nach SS 7 Absatz 1 Sätze 2 und 3. (2) 1 Das Landesamt für Verfassungsschutz führt über die Übermittlung nach Absatz 1 einen Nachweis, aus dem der Zweck und die Veranlassung der Übermittlung, die Aktenfundstelle und der Empfänger hervorgehen. 2 Die Nachweise sind gesondert aufzubewahren, gegen unberechtigten Zugriff zu sichern und am Ende des Kalenderjahres, das dem Jahr ihrer Erstellung folgt, zu vernichten. (3) 1 Der Empfänger darf die übermittelten Daten nur für den Zweck verwenden, zu dem sie ihm übermittelt wurden. 2 Hierauf ist er hinzuweisen. 3 Die Übermittlung der personenbezogenen Daten ist dem Betroffenen durch das Landesamt für Verfassungsschutz mitzuteilen, sobald eine Gefährdung seiner Aufgabenerfüllung durch die Mitteilung nicht mehr zu besorgen ist. 4 Einer Mitteilung bedarf es nicht, wenn diese Voraussetzung auch fünf Jahre nach der erfolgten Übermittlung noch nicht eingetretenist und mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch in absehbarer Zukunft nicht eintreten wird. (4) 1 Das Landesamt für Verfassungsschutz darf eine Bewertung über personenbezogene Daten an Personen oder Stellen außerhalb des öffentlichen Bereichs übermitteln, soweit die Übermittlung für Zwecke einer Zuverlässigkeitsüberprüfung mit Einwilligung der Betroffenen erfolgt und im Hinblick auf den Anlass dieser Überprüfung, insbesondere 267 Anhang / Verfassungsschutzgesetz den Zugang der Betroffenen zu einer besonders gefährdeten Veranstaltung, mit Rücksicht auf ein berechtigtes Interesse des Empfängers und wegen der Art oder des Umfangs der Erkenntnisse über den Betroffenen angemessen ist. 2 Das Landesamt für Verfassungsschutz hat den Betroffenen die Gründe für eine negative Bewertung mitzuteilen. Absätze 2 und 3 gelten entsprechend. SS 18 Übermittlung personenbezogener Daten an die Öffentlichkeit 1 Bei der Unterrichtung der Öffentlichkeit einschließlich der Medien über Erkenntnisse des Landesamtes für Verfassungsschutz ist die Übermittlung personenbezogener Daten nur zulässig, wenn sie zu einer sachgerechten Information zwingend erforderlich ist. 2 Stehen schutzwürdige Interessen des Betroffenen entgegen, kommt eine Übermittlung der personenbezogenen Daten des Betroffenen nur dann in Betracht, wenn die Interessen der Allgemeinheit deutlich überwiegen. SS 19 Übermittlung personenbezogener Daten an das Landesamt für Verfassungsschutz (1) Die hamburgischen Behörden und die der Aufsicht der Freien und Hansestadt Hamburg unterstehenden juristischen Personen des öffentlichen Rechts sind befugt, die Daten zu übermitteln, um die das Landesamt für Verfassungsschutz nach SS 7 Absatz 2 ersucht hat, soweit sie diesen Stellen bereits vorliegen. (2) Die in Absatz 1 genannten Stellen übermitteln dem Landesamt für Verfassungsschutz alle ihnen im Rahmen ihrer Aufgabenerfüllung vorliegenden Informationen über gewalttätige Bestrebungen und Tätigkeiten oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen gemäß SS 4 Absatz 1 Satz 1 Nummern 1, 3 und 4 und über sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten nach SS 4 Absatz 1 Satz 1 Nummern 2 und 3. (3) 1 Die Ausländerbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg übermittelt gemäß SS 18 Absatz 1 a BVerfSchG von sich aus dem Landesamt 268 Anhang / Verfassungsschutzgesetz für Verfassungsschutz die ihr bekannt gewordenen Informationen einschließlich personenbezogener Daten über Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 4 Absatz 1, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Übermittlung für die Erfüllung der Aufgaben des Landesamtes für Verfassungsschutz erforderlich ist. 2 Die Übermittlung dieser personenbezogenen Daten an ausländische öffentliche Stellen sowie an überund zwischenstaatliche Stellen durch das Landesamt für Verfassungsschutz unterbleibt, wenn überwiegende schutzwürdige Belange der Person, deren Daten übermittelt werden sollen oder überwiegende schutzwürdige Belange Dritter entgegenstehen. 3 Vor einer Übermittlung ist das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zu beteiligen. 4 Für diese Übermittlungen des Landesamtes für Verfassungsschutz gilt SS 7a Absatz 3 entsprechend. (4) 1 Die Staatsanwaltschaften und, vorbehaltlich der staatsanwaltschaftlichen Sachleitungsbefugnis, die Polizei übermitteln auch andere im Rahmen ihrer Aufgabenerfüllung bekannt gewordene Informationen über Bestrebungen nach SS 4 Absatz 1, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Übermittlung für die Erfüllung der Aufgaben des Landesamtes für Verfassungsschutz erforderlich ist. 2 Die Übermittlung personenbezogener Daten, die aufgrund eines Eingriffs in das Brief-, Postund Fernmeldegeheimnis bekannt geworden sind, ist nur zulässig, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass jemand eine der in SS 3 des Artikel 10-Gesetzes genannten Straftaten plant, begeht oder begangen hat. 3 Die Übermittlung personenbezogener Informationen, die auf Grund anderer strafprozessualer Zwangsmaßnahmen oder verdeckter Datenerhebungen nach SS 2 Absatz 3 Satz 3 oder nach den SSSS 9 bis 12 des Gesetzes über die Datenverarbeitung der Polizei bekannt geworden sind, ist nur zulässig, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für gewalttätige Bestrebungen oder sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten bestehen; die Übermittlung ist auch zulässig, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für eine in SSSS 74 a und 120 Gerichtsverfassungsgesetz und SSSS 130, 131 Strafgesetzbuch genannte Straftat bestehen oder eine sonstige Straftat, bei der aufgrund ihrer Zielsetzung, des Motivs des Täters oder dessen Verbindung zu einer Organisation tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie gegen die in Artikel 73 Nummer 10 Buchstabe b oder c des Grundgesetzes genannten Schutzgüter gerichtet ist. 4 Für die Übermittlung personenbezogener Daten, die auf Grund verdeckter Datenerhebung nach SSSS 8a, 10a bis 10d des Gesetzes über die Datenverarbeitung der Polizei bekannt geworden 269 Anhang / Verfassungsschutzgesetz sind, gilt Satz 2 entsprechend. 5 Auf die nach Satz 2 übermittelten Informationen und die dazu gehörenden Unterlagen ist SS 4 des Artikel 10-Gesetzes entsprechend anzuwenden. 6 Die nach Satz 2 übermittelten Informationen dürfen nur zur Erforschung gewalttätiger Bestrebungen oder sicherheitsgefährdender oder geheimdienstlicher Tätigkeiten genutzt werden. (5) 1 Das Landesamt für Verfassungsschutz hat die übermittelten Informationen unverzüglich darauf zu überprüfen, ob sie zur Erfüllung seiner Aufgaben erforderlich sind. 2 Ist dies nicht der Fall, sind die Unterlagen zu vernichten. 3 Die Vernichtung unterbleibt, wenn die Unterlagen von anderen Informationen, die zur Erfüllung der Aufgaben erforderlich sind, nicht oder nur mit unvertretbarem Aufwand getrennt werden können; in diesem Fall unterliegen die personenbezogenen Daten einem Verwertungsverbot und sind entsprechend zu kennzeichnen. (6) 1 Das Landesamt für Verfassungsschutz hat die Informationsübermittlung aktenkundig zu machen. 2 Vorschriften in anderen Gesetzen über die Informationsübermittlung an das Landesamt für Verfassungsschutz und über ihre Dokumentation bleiben unberührt. SS 20 Registereinsicht durch das Landesamt für Verfassungsschutz (1) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf in von öffentlichen Stellen geführte Register und Datensammlungen einsehen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen über 1. Bestrebungen, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind (SS 4 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1), oder 2. sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten für eine fremde Macht (SS 4 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2) oder 3. Bestrebungen, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bun270 Anhang / Verfassungsschutzgesetz desrepublik Deutschland gefährden (SS 4 Absatz 1 Satz 1 Nummer 3), oder 4. Bestrebungen und Tätigkeiten, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen gegen den Gedanken der Völkerverständigung oder das friedliche Zusammenleben der Völker gerichet sind (SS 4 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4). (2) Eine Einsichtnahme ist nur zulässig, wenn 1. die Aufklärung auf andere Weise nicht möglich erscheint, insbesondere durch eine Übermittlung der Daten durch die registerführende Stelle der Zweck der Maßnahme gefährdet würde, 2. die betroffenen Personen durch eine anderweitige Aufklärung unverhältnismäßig beeinträchtigt würden und 3. eine besondere gesetzliche Geheimhaltungsvorschrift oder ein Berufsgeheimnis ihr nicht entgegensteht. (3) Die Anordnung für die Maßnahme treffen der Präses der zuständigen Behörde oder die von ihm besonders ermächtigten Bediensteten des Landesamtes für Verfassungsschutz. (4) 1 Die auf diese Weise gewonnenen Unterlagen dürfen nur zu den in Absatz 1 genannten Zwecken verwendet werden. 2 Gespeicherte Daten sind zu löschen und Unterlagen zu vernichten, sobald sie für diese Zwecke nicht mehr benötigt werden. (5) 1 Über die Tatsache der Einsichtnahme ist ein gesonderter Nachweis zu führen, aus dem ihr Zweck, die in Anspruch genommenen Stellen sowie die Namen der Betroffenen hervorgehen. 2 Diese Aufzeichnungen sind gesondert aufzubewahren, durch technische und organisatorische Maßnahmen gegen unbefugten Zugriff zu sichern und am Ende des Kalenderjahres, das dem Jahr ihrer Erstellung folgt, zu vernichten. 271 Anhang / Verfassungsschutzgesetz SS 21 Übermittlungsverbote und -einschränkungen (1) Die Übermittlung von Informationen nach diesem Abschnitt unterbleibt, wenn 1. eine Prüfung durch die übermittelnde Stelle ergibt, dass die Informationen zu vernichten sind oder einem Verwertungsverbot unterliegen oder für den Empfänger nicht mehr bedeutsam sind, 2. überwiegende Sicherheitsinteressen dies erfordern oder 3. für die übermittelnde Stelle erkennbar ist, dass unter Berücksichtigung der Art der Informationen und ihrer Erhebung die schutzwürdigen Interessen des Betroffenen das Allgemeininteresse an der Übermittlung überwiegen. (2) Besondere Rechtsvorschriften, die Informationsübermittlungen zulassen, einschränken oder verbieten sowie die Verpflichtung zur Wahrung gesetzlicher Geheimhaltungspflichten oder von Berufsoder besonderen Amtsgeheimnissen, die nicht auf gesetzlichen Vorschriften beruhen, bleiben unberührt. SS 22 Übermittlung personenbezogener Daten Minderjähriger (1) Personenbezogene Daten Minderjähriger vor Vollendung des 16. Lebensjahres dürfen nach den Vorschriften dieses Gesetzes übermittelt werden, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Minderjährige eine der in SS 3 des Artikel 10-Gesetzes genannten Straftaten plant, begeht oder begangen hat, im Übrigen, solange die Voraussetzungen der Speicherung nach SS 10 erfüllt sind. (2) Personenbezogene Daten Minderjähriger vor Vollendung des 16. Lebensjahres dürfen nach den Vorschriften dieses Gesetzes nicht an ausländische oder überoder zwischenstaatliche Stellen übermittelt werden. 272 Anhang / Verfassungsschutzgesetz 4. Abschnitt Auskunftserteilung SS 23 Auskunftserteilung (1) 1 Den Betroffenen ist vom Landesamt für Verfassungsschutz auf Antrag gebührenfrei Auskunft zu erteilen über 1. die zu ihrer Person gespeicherten Daten, 2. die Zweckbestimmung und die Rechtsgrundlage der Speicherung, 3. die Herkunft der Daten, 4. die Stellen, denen die Daten im Rahmen regelmäßiger Übermittlungen übermittelt werden, und die an einem automatisierten Abrufverfahren teilnehmenden Stellen, auch soweit diese Angaben nicht zu ihrer Person gespeichert sind, aber mit vertretbarem Aufwand festgestellt werden können. 2 Die Betroffenen sollen die Art der personenbezogenen Daten, über die sie Auskunft verlangen, näher bezeichnen. 3 Aus Akten ist den Betroffenen Auskunft zu erteilen, soweit sie Angaben machen, die das Auffinden der Daten ermöglichen, und der für die Erteilung der Auskunft erforderliche Aufwand nicht außer Verhältnis zum Auskunftsinteresse der Betroffenen steht. 4 Das Landesamt für Verfassungsschutz bestimmt die Form der Auskunftserteilung nach pflichtgemäßem Ermessen; die Auskunft kann auch in der Form erteilt werden, dass den Betroffenen Akteneinsicht gewährt oder ein Ausdruck aus automatisierten Dateien überlassen wird. 5 SS 29 des Hamburgischen Verwaltungsverfahrensgesetzes bleibt unberührt. (2) Die Auskunftserteilung unterbleibt, soweit 1. durch sie die Nachrichtenzugänge gefährdet sein können oder die Ausforschung des Erkenntnisstandes oder der Arbeitsweise des Landesamtes für Verfassungsschutz zu befürchten ist, 273 Anhang / Verfassungsschutzgesetz 2. die personenbezogenen Daten oder die Tatsache ihrer Speicherung nach einer Rechtsvorschrift oder wegen der überwiegenden schutzwürdigen Interessen Dritter geheim gehalten werden müssen, 3. sie die öffentliche Sicherheit gefährden oder sonst dem Wohle des Bundes oder eines Landes Nachteile bereiten würde. (3) Im Übrigen gilt für die Auskunft SS 18 Absätze 2 und 4 bis 6 des Hamburgischen Datenschutzgesetzes. 5. Abschnitt Parlamentarische Kontrolle des Verfassungsschutzes SS 24 Parlamentarischer Kontrollausschuss 1 Zur parlamentarischen Kontrolle des Senats auf dem Gebiet des Verfassungsschutzes bildet die Bürgerschaft einen Kontrollausschuss. 2 Dieser tagt in nichtöffentlicher Sitzung. SS 25 Zusammensetzung und Pflichten des Ausschusses (1) Der Ausschuss besteht aus neun Mitgliedern der Bürgerschaft. (2) Die Mitglieder des Ausschusses werden von der Bürgerschaft in geheimer Abstimmung gewählt. (3) 1 Die Mitglieder des Ausschusses sind zur Geheimhaltung der Angelegenheiten verpflichtet, die ihnen im Zusammenhang mit ihrer Tätigkeit in dem Ausschuss bekannt geworden sind. 2 Dies gilt auch für die Zeit nach ihrem Ausscheiden aus dem Ausschuss oder aus der Bürgerschaft. 3 Satz 1 und Satz 2 gelten nicht für eigene Bewertungen bestimmter Vorgänge, sofern die Belange des Geheimschutzes beachtet werden. (3a) 1 Die Mitglieder des Ausschusses haben das Recht, zur Unterstützung ihrer Arbeit jeweils eine Mitarbeiterin oder einen Mitarbeiter je Fraktion zu benennen. 2 Voraussetzung für diese Tätigkeit ist die Ermäch274 Anhang / Verfassungsschutzgesetz tigung zum Umgang mit Verschlusssachen und die förmliche Verpflichtung zur Geheimhaltung. 3 Die benannten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind befugt, anlassbezogen die vom Ausschuss beigezogenen Akten und Dateien einzusehen und die Beratungsgegenstände des Ausschusses mit den Mitgliedern zu erörtern; das Unterstützungsbegehren ist dem Vorsitzenden anzuzeigen und den Mitgliedern des Ausschusses zur Kenntnis zu geben. 4 Die benannten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben keinen Zutritt zu den Sitzungen. 5 Absatz 3 Sätze 1 und 2 gilt entsprechend. (3b) 1 Dem Ausschuss ist die für die Erfüllung seiner Aufgaben notwendige Personalund Sachausstattung zur Verfügung zu stellen. 2 Für die Beschäftigten gelten Absatz 3 Sätze 1 und 2 sowie Absatz 3a Satz 2 entsprechend. 3 Zur Erfüllung ihrer Aufgaben ist ihnen Auskunft zu ihren Fragen zu erteilen. (4) 1 Der Ausschuss wählt einen Vorsitzenden und gibt sich eine Geschäftsordnung. 2 Beschlüsse des Ausschusses bedürfen der Mehrheit der Stimmen der anwesenden Mitglieder. (5) Sitzungsunterlagen und Protokolle verbleiben für die laufende Wahlperiode im Gewahrsam der Bürgerschaftskanzlei, im Übrigen im Gewahrsam des Landesamtes für Verfassungsschutz und können nur an diesen Orten von den Ausschussmitgliedern eingesehen werden. (6) 1 Scheidet ein Mitglied des Ausschusses aus der Bürgerschaft oder seiner Fraktion aus, so verliert es seine Mitgliedschaft im Ausschuss; für dieses Mitglied ist unverzüglich ein neues Mitglied zu bestimmen. 2 Das Gleiche gilt, wenn ein Mitglied aus dem Ausschuss ausscheidet. (7) 1 Der Parlamentarische Kontrollausschuss berichtet der Bürgerschaft jährlich und im Übrigen anlassbezogen über seine Kontrolltätigkeit. 2 Dabei nimmt er auch dazu Stellung, ob der Senat seinen Pflichten gegenüber dem Ausschuss nachgekommen ist. 3 Die Berichte sollen so gefasst sein, dass die im Ausschuss vertretenen Meinungen und die Gründe, die zu Beschlüssen geführt haben, ersichtlich sind. 4 Sie müssen die Empfehlung des Ausschusses und das Abstimmungsverhältnis, mit dem die Empfehlung zustande gekommen ist, wiedergeben. 5 Bei der Erstellung des Berichts sind die Belange des Geheimschutzes zu beachten. 275 Anhang / Verfassungsschutzgesetz SS 26 Aufgaben des Ausschusses (1) 1 Der Ausschuss übt die parlamentarische Kontrolle auf dem Gebiet des Verfassungsschutzes aus. 2 Diese umfasst aus zwingenden Gründen des Geheimschutzes auch die Haushaltsangelegenheiten. 3 Der das Aufgabengebiet des Verfassungsschutzes betreffende Teil des Haushaltsplanentwurfs bedarf daher der Zustimmung des Ausschusses. 4 Die Rechte der Bürgerschaft bleiben unberührt. (2) 1 Der Senat hat den Ausschuss umfassend über die allgemeine Tätigkeit des Landesamtes für Verfassungsschutz und über Vorgänge von besonderer Bedeutung zu unterrichten. 2 Der Ausschuss tagt in Abständen von höchstens drei Monaten oder auf Antrag eines Mitglieds. (3) 1 Zur Erfüllung seiner Kontrollaufgaben hat der Ausschuss auf Antrag mindestens eines seiner Mitglieder das Recht auf 1. Erteilung von Auskünften, 2. Einsicht in Akten, in Dateien gespeicherte Daten, Stellungnahmen und andere Unterlagen, 3. Zugang zu den Räumen des Landesamtes für Verfassungsschutz und 4. Anhörung bestimmter Angehöriger des öffentlichen Dienstes als Auskunftspersonen, die verpflichtet sind, vollständige und wahrheitsgemäße Angaben zu machen. 2 Die Befugnisse des Ausschusses nach Satz 1 Nummer 2 erstrecken sich nur auf Gegenstände, die der alleinigen Verfügungsberechtigung des Landesamtes für Verfassungsschutz unterliegen. 3 Die Rechte nach Satz 1 sind Befugnisse gegenüber dem Ausschuss als Ganzes. (4) Den Ersuchen nach Absatz 3 ist unverzüglich zu entsprechen. Der Senat bescheidet ein solches Ersuchen abschlägig oder schränkt die Aussagegenehmigung ein, soweit gesetzliche Vorschriften entgegenste276 Anhang / Verfassungsschutzgesetz hen oder wenn dieses aus zwingenden Gründen des Nachrichtenzugangs, des Schutzes von Persönlichkeitsrechten oder des Kernbereichs der exekutiven Eigenverantwortung erforderlich ist. In diesem Fall legt der Senat dem Ausschuss seine Gründe dar. (5) Der Senat hat dem Ausschuss insbesondere über 1. Gefahren für die Schutzgüter des SS 1, 2. die Dienstvorschrift über nachrichtendienstliche Mittel nach SS 8 Absatz 2 Satz 2 sowie ihre Änderungen, 3. die Maßnahmen nach SS 8 Absatz 11, 4. die Weiterspeicherung nach SS 9 Absatz 3, 5. die tatsächliche Arbeitsaufnahme mit einem automatisierten Verfahren, für das eine Verfahrensbeschreibung nach SS 9 Absatz 1 des Hamburgischen Datenschutzgesetzes vorgeschrieben ist, und seine wesentlichen inhaltlichen Änderungen, 6. die Übermittlung personenbezogener Daten an Stationierungsstreitkräfte nach SS 15, 7. die Übermittlung personenbezogener Daten an ausländische öffentliche Stellen nach SS 16, 8. die Übermittlung personenbezogener Daten an Stellen außerhalb des öffentlichen Bereichs nach SS 17, 9. Anfragen bei ausländischen öffentlichen Stellen nach SS 12 Absatz 5 Satz 4 HmbSÜGG mitzuteilen und jährlich über die Prüfungen nach SS 9 Absatz 2 Satz 2 zu berichten. zu berichten. (6) Der Ausschuss kann dem behördlichen Datenschutzbeauftragten der zuständigen Behörde und dem Hamburgischen Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit Gelegenheit zur Stellungnahme in Fragen des Datenschutzes geben. 277 Anhang / Verfassungsschutzgesetz SS 27 Eingaben 1 Eingaben einzelner Bürger oder einzelner Angehöriger des Verfassungsschutzes über ein sie betreffendes Verhalten des Landesamtes für Verfassungsschutz sind dem Ausschuss zur Kenntnis zu geben. 2 Der Ausschuss bescheidet die an ihn gerichteten Eingaben, nachdem er diese dem Senat zur Stellungnahme übermittelt hat. 3 Der Ausschuss hat auf Antrag eines Mitglieds Petenten und Auskunftspersonen zu hören. 4 SS 26 Absätze 3 und 4 findet entsprechende Anwendung. 5 Die Rechte des Eingabenausschusses bleiben unberührt. 6. Abschnitt Schlussvorschriften SS 28 Änderung des Gesetzes zur Ausführung des Gesetzes zu Artikel 10 Grundgesetz 1 In SS 1 des Gesetzes zur Ausführung des Gesetzes zu Artikel 10 Grundgesetz vom 17. Januar 1969 mit der Änderung vom 2. Februar 1981 (Hamburgisches Gesetzund Verordnungsblatt 1969 Seite 5, 1981 Seite 24), wird folgender Absatz 5 angefügt: "(5) Die Kommission ist ausschließlich für die Überprüfung der von der zuständigen Behörde angeordneten Beschränkungsmaßnahmen zuständig. 2 Sie kann zu ihrer Unterstützung den Hamburgischen Datenschutzbeauftragten ersuchen, die Einhaltung der Vorschriften über den Datenschutz in ihrem Zuständigkeitsbereich zu kontrollieren und ausschließlich ihr darüber zu berichten." SS 29 Inkrafttreten 1 Dieses Gesetz tritt am Tag nach seiner Verkündung in Kraft. 2 Gleichzeitig tritt das Gesetz über den Verfassungsschutz in der Freien und Hansestadt Hamburg vom 13. Februar 1978 (Hamburgisches Gesetzund Verordnungsblatt Seite 51) außer Kraft. 278 Anhang / Abkürzungsverzeichnis Abkürzungsverzeichnis A ABLE Association of Better Living and Education ADÜTDF Almanya Demokratik Ülkücü Türk Dernekleri Federasyonu e.V. (Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in Deutschland) AfD Alternative für Deutschland AG-GGG Artgemeinschaft - Germanische Glaubens-Gemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung e.V. APR Allgemeiner Pennäler Ring ApS Applied Scholastics AQAH al-Qaida auf der arabischen Halbinsel AQ al-Qaida AStA Allgemeiner Studierendenausschuss ATD Antiterrordatei ATDG Antiterrordateigesetz AWG Außenwirtschaftsgesetz B B5 Internationales Zentrum Brigittenstraße 5 BG Burschenschaftliche Gemeinschaft BGBl Bundesgesetzblatt BGH Bundesgerichtshof BgiA Bündnis gegen imperialistische Aggression BKA Bundeskriminalamt BMI Bundesministerium des Innern BMWi Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie BND Bundesnachrichtendienst BSI Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik BVerfSchG Bundesverfassungsschutzgesetz C CCHR Citizens Commission on Human Rights (Kommission für Verstöße der Psychatrie gegen Menschenrechte) 280 Anhang / Abkürzungsverzeichnis CDK Koordination der kurdischen demokratischen Gesellschaft in Europa CDU Christlich Demokratische Union CETA Comprehensive Economic and Trade Agreement (Wirtschaftsund Handelsabkommen EU-Kanada) CSI Church of Scientology International D DB Deutsche Burschenschaft DGB Deutscher Gewerkschaftsbund DHKP-C Devrimci Halk Kurtulus Partisi-Cephe (Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front) DKP Deutsche Kommunistische Partei DRB Deutsches Rechtsbüro DSA Departement of Special Affairs DVU Deutsche Volksunion DWR Die wahre Religion E EA Ermittlungsausschuss EA Europäische Aktion EU Europäische Union EuGMR Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte F FAU Freie Arbeiterinnenund Arbeiter Union FSB Federalnaja sluschba Rossijkoi Federazii (Föderaler Dienst für Sicherheit der Russischen Föderation) FV Furkan Egitim ve hizmet vakfi (Furkan-Gemeinschaft) G G 10 Meint das geltende Gesetz zu Artikel 10 Grundgesetz (Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses) 281 Anhang / Abkürzungsverzeichnis GETZ Gemeinsames Extremismusund Terrorismusabwehrzentrum GG Grundgesetz GROW Gruppe für den organisierten Widerspruch GRU Glawnoje Raswedywatelnoje Uprawlenije (Russicher Militärgeheimdienst) GTAZ Gemeinsames Terrorismusabwehrzentrum H HDJ Heimattreue Deutsche Jugend HDK Halklarin Demokratik Kongresi (Demokratischer Kongress der Völker) HDP Halklarin Demokratik Partisi (Demokratische Partei der Völker) HmbGVBl Hamburgisches Gesetzund Verordnungsblatt HmbSÜGG Hamburgisches Sicherheitsüberprüfungund Geheimschutzgesetz HmbVerfSchG Hamburgisches Verfassungsschutzgesetz HNK & WWT Hamburger Nationalkollektiv / Weisse Wölfe Terrorcrew Sektion Hamburg HoGeSa Hooligans gegen Salafisten HuT Hizb ut-Tahrir; auch Hizb Al Tahrir al Islami (Befreiungspartei) I IAA Internationale Arbeiterassoziation IAS International Association of Scientologists IBD Identitäre Bewegung Deutschland IBZ Initiative Burschenschaftliche Zukunft IEUS Islamisch-Europäische Union der Schia-Gelehrten und Theologen IGS Islamische Gemeinschaft der schiitischen Gemeinden in Deutschland IITS Islamisches Institut für Theologie und Soziales IL Interventionistische Linke IS Islamischer Staat ISIG Islamischer Staat in Irak und Großsyrien ISIS Islamischer Staat in Irak und Syrien 282 Anhang / Abkürzungsverzeichnis IStI Islamischer Staat im Irak IZH Islamisches Zentrum Hamburg J JaN Jabhat al-Nusra JCPOA Joint Comprehensive Plan of Action (Gemeinsamer umfassender Aktionsplan) JFS Jabhat Fath al-Sham (Front für die Eroberung der Levante) JN Junge Nationaldemokraten JVA Justizvollzugsanstalt K KCDK-E Kongreya Civaken Demokratik en Kurdistaniyen li Ewropa (Kongress der kurdisch-demokratischen Gesellschaft in Europa) KCK Koma Civaken Kurdistan (Vereinigte Gemeinschaften Kurdistans) KGB Komitet gossudarstwennoi besopasnosti (Russisches Komitee für Staatssicherheit) KNIC Korean National Insurance Corporation KONGRA GEL Kongra Gele Kurdistan (Volkskongress Kurdistan) KON-KURD Konföderation der kurdischen Vereine in Europa KPCh Kommunistische Partei Chinas KPF Kommunistische Plattform KVPM Kommission für Verstöße der Psychiatrie gegen Menschenrechte L LfV Landesamt für Verfassungsschutz LIZ Libertäres Zentrum LKA Landeskriminalamt LKA Libertäres Kulturund Aktionszentrum 283 Anhang / Abkürzungsverzeichnis M MASCH Marxistische Abenschulen MIT Milli Istihbarat Teskilati (Türkischer Nachrichtendienst) MHP Milliyetci Hareket Partisi (Partei der nationalistischen Bewegung) MKP Maoist Komünist Partisi (Maoistische Kommunistische Partei) MLKP Marksist Leninist Komünist Partisi (Kommunistische Partei der Türkei / Marxistisch-Leninistisch) MOIS Ministry of Intelligence and Security (Ministerium für Nachrichtenwesen Iran) MSS Ministerium für Staatssicherheit China MTZ Magda Thürey-Zentrum N NADIS Nachrichtendienstliches Informationssystem NATO North Atlantic Treaty Organization NAV-DEM Navenda Civaka Demokratik (Demokratisches Gesellschaftszentrum der KurdInnen in Deutschland NGO Non-Governmental Organisation (Nichtregierungsorganisation) NL Nationale Liste NPD Nationaldemokratische Partei Deutschlands NSDAP Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei NSU Nationalsozialistischer Untergrund NWRI Nationaler Widerstandsrat Iran NZ Nordische Zeitung O OAS Organisation de l'armee secrete (Geheime bewaffnete Organisation) OLG Oberlandesgericht Org Scientology-Bezeichnung für "Scientology-Kirche" OSA Office of Special Affairs OSS Oldschool Society 284 Anhang / Stichwortverzeichnis P PB! Chattia Pennale Burschenschaft Chattia Friedberg zu Hamburg PEGIDA Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes PKA Parlamentarischer Kontrollausschuss PKK Partiya Karkeren Kurdistan (Arbeiterpartei Kurdistans) PMK Politisch Motivierte Kriminalität PRP Projekt Revolutionäre Perspektive PYD Partiya YekitA(r)ya Demokrat (Partei der demokratischen Union) R RAF Rote Armee Fraktion RAH Roter Aufbau Hamburg RAW Revolutionärer Aufbau Waterkant RED Rechtsextremismus-Datei RED-G Rechtsextremismus-Datei-Gesetz RH Rote Hilfe e.V. RLB Radikale Linke Berlin RLH Revolutionäre Linke Hamburg RPF Rehabilitation Project Force RTC Religious Technology Center S SAV Sozialistische Alternative SBS Selbstbezichtigungsschreiben SDAJ Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend SDS Sozialistischer Deutscher Studentenbund SEK Sondereinsatzkommando SL Sozialistische Linke SMP Scientology Media Productions SO Scientology-Organisation SoL Sozialistische Linke StGB Strafgesetzbuch 285 Anhang / Abkürzungsverzeichnis SWR Sluschba wneschnei raswedki (Russischer Auslandsnachrichtendienst) T TAK Teyrebazen Azadiya Kurdistan (Freiheitsfalken Kurdistans) TddZ Tag der deutschen Zukunft TH Türkische Hizbullah TKP/ML Türkiye Komünist Partisi / Marksist Leninist (Kommunistische Partei der Türkei / Marxistisch-Leninistisch) TTIP Transatlantic Trade and Investment Partnership (Transatlantsiches Freihandelsabkommen) V V Verfassungsschutz (Kürzel im Organigramm des LfV) VND Verein Neue Demokratie VS Verschlusssachen VSB Verfassungsschutzbericht W WISE World Institute of Scientology Enterprise WWT Weisse Wölfe Terror Crew Y YDG-H Yurtsever Devrimci Genclik Hareketi (Patriotische revolutionäre Jugendbewegung) Z ZMD Zentralrat der Muslime in Deutschland 286 Anhang / Stichwortverzeichnis Stichwortverzeichnis A Bozkurt..............................................79 [a2]-Hamburg...............119, 121, 294 Bundesamt für Migration und Abou-Nagie, Ibrahim.... ....38, 40, 46 Flüchtlinge (BAMF).........................48 Abtrimo........................132, 153, 156 Bundesamt für Sicherheit in der ADÜTDF...............9, 79, 82, 280, 293 Informationstechnik (BSI)............211 al-Baghdadi, Abu Bakr alias Kalif Bündnis gegen imperialistische Ibrahim.......................................32, 34 Aggression (BgiA).....104, 109, 280, al-Qaida (AQ)................8, 26, 33, 35, 294 280, 292 Bürgerbewegung pro NRW..........135 al-Qaida auf der arabischen Halbinsel (AQAH).................8, 35, 280, 292 C Anarchisten....9, 84, 87, 88, 93, 112 Citizens Commissions on Human Anschläge...........29, 30, 31, 67, 130, Rights (CCHR)......................204, 280 144, 158 Ciwanen Azad..................73, 75, 293 Antiimperialisten..9, 84, 87, 93, 104 Criminon..........................................203 Antiterrordatei (ATD)............18, 280 Criminon Deutschland e.V............205 Applied Scholastics (ApS)...........203, Cuspert, Denis.................................41 205, 280 Arbeiterpartei Kurdistans (PKK)....9, D 62, 65, 70, 74, 285, 293 Demokratische Partei der Völker Artgemeinschaft - Germanische (HDP).................................66, 68, 282 Glaubensgemeinschaft wesensgeDemokratischer Kongress der mäßer Lebensgestaltung e.V. (AGVölker (HDK)...........................70, 282 GGG) ...........11, 138, 181, 182, 295 Demokratisches GesellschaftszenAshura................................................52 trum der KurdenInnen in DeutschAssociation of Better Living and land (NAV-DEM)......................70, 293 Education (ABLE).................203, 280 Departement of Special Affairs Aufenthaltsverfahren......................23 (DSA)......................................205, 281 Ausreisen...................................26, 43 Der III. Weg..........11, 135, 146, 168, Autonome....4, 9, 87, 88, 93, 94, 95, 178, 295 98, 122 Deutsche Burschenschaft (DB) AVANTI - Projekt undogmatische .......170, 281 Linke.........................................98, 294 Deutsche Kommunistische Partei (DKP).....................10, 124, 281, 294 B Deutsches Rechtsbüro (DRB) Bilal................................40, 44, 45, 46 .......11, 186, 281, 295 Böhnhardt, Uwe............................130 Devrimci Halk Kurtulus Partisi287 Anhang / Stichwortverzeichnis Cephe (DHKP-C)....77, 78, 281, 293 H DIE LINKE...10, 86, 87, 88, 124, 127 Hafensicherheitsgesetz DIE RECHTE.........11, 135, 146, 166, (HafenSG).............................246, 262 189, 295 Hamburger Burschenschaft GermaDie wahre Religion (DWR)......38, 39, nia (HB! Germania).......11, 138, 170, 41, 281, 292 176, 177, 295 Hamburger Nationalkollektiv & E Weisse Wölfe Terrorcrew Sektion Einbürgerungsverfahren................22 Hamburg (HNK & WWT)............150, Elektronische Angriffe........211, 213 282 Ermittlungsausschuss (EA)........114, Hammerskins..............152, 153, 296 281, 294 Hizb Allah.....................8, 51, 52, 292 Europäische Aktion (EA)......11, 138, Hizb ut-Tahrir (HuT)............8, 49, 50, 183, 184, 189, 192, 281, 295 282, 292 Hubbard, L. Ron....................200, 203 F Föderation der Türkisch-Demokrati- I schen Idealistenvereine in DeutschIbrahim, Baher alias land e.V.......................................79, 80 Abu Abdullah....................................43 Franz, Frank...................................157 Identitäre Bewegung........4, 11, 128, Freie Arbeiterinnen und Arbeiter 132, 138, 169, 171, 174, 296 Union (FAU).................112, 281, 294 Imam Ali-Moschee....................54, 56 Freiheitsfalken Kurdistans (TAK) indymedia, Internetplattform.......91, ........67, 286 92, 112, 115, 120, 122 Furkan-Gemeinschaft.........9, 57, 58, International Association of 281, 292 Scientologists (IAS)......................203 Internationale Arbeiter Assoziation G (IAA).......................................112, 282 G8-Gipfel.................................86, 113 Internationales Zentrum (B5)....104, G20-Gipfel....4, 85, 89, 91, 102, 112 107, 108, 280 Gemeinsames Extremismusund Interventionistische Linke (IL)........4, Terrorismusabwehrzentrum 84, 98, 101, 102, 282, 294 (GETZ) .....................................17, 282 Islamfeindlichkeit...................11, 187 Gemeinsames TerrorismusabwehrIslamischer Staat im Irak (IStI).......34, zentrum (GTAZ)......................17, 282 283 Gentrifizierung...............................122 Islamischer Staat in Irak und GroßGötze, Michael................................125 syrien (ISIG)....................34, 282, 292 Gruppe Freital......................142, 143 Islamischer Staat (IS)..........8, 26, 32, Gruppe für den organisierten 45, 282, 292 Widerspruch (GROW).........118, 121 Islamisches Institut für Theologie 288 Anhang / Stichwortverzeichnis und Soziales (IITS)..........................43 46 Islamisches Zentrum Hamburg e.V. Linksjugend ['solid]...127, 128, 294 (IZH)..........54, 56, 57, 215, 283, 292 Luftsicherheitsgesetz (Luft-SiG)........................................233 J Jabhat al-Nusra (JaN) / Jabhat Fath M al-Sham (JFS)......8, 33, 35, 283, 292 Magda-Thürey-Zentrum (MTZ)..125, Jihadisten...................................27, 36 284 Junge Nationaldemokraten (JN). Maoist Komünist Partisi (MKP).....77, ..........161, 162, 166, 178, 283, 296 284 Marksist Leninist Komünist Partisi K (MLKP).....................................77, 293 Kalifat.........................................32, 49 Marxistische Abendschule (MASCH) Kameradenkreis Neonazis in .........10, 105, 124, 126, 284 Hamburg............131, 137, 150, 296 Militanz..............................................89 Köbele, Patrick...............................125 Milli Görüs-Bewegung (MGB)........59, Koma Civaken Kurdistan (KCK).....65, 292 66, 283, 293 Milli Istihbarat Teskilati (MIT)......210, Kommission für Verstöße der 227 Psychiatrie gegen Menschenrechte Milliyetci Hareket Partisi (MHP)....75, (KVPM)......200, 204, 208, 283, 296 80, 284, 293 Kommunistische Plattform Miscavige, David...........................203 (KPF)......................................124, 127 Mundlos, Uwe................................130 Konföderation der kurdischen Vereine in Europa N (KON-KURD)..................70, 283, 293 Nachrichtendienste, ausländische.... KONGRA GEL..........................65, 283 210, 214, 219, 222, 225 Kongress der kurdisch-demokraNachrichtendienstliches Informatischen Gesellschaft in Europa tionssystem (NADIS)......18, 22, 284 (KCDK-E)........................69, 283, 293 Narconon.........................................203 Kritische Infrastrukturen....236, 238 Nasrallah, Hassan.............................52 Nationaldemokratische Partei L Deutschlands (NPD).............11, 120, Legato - Fachstelle für religiös 132, 135, 137, 147, 157, 163, 189, begründete Radikalisierung...........48 284, 296 Libertäres Kommunikationsund Nationaler Widerstandsrat Iran Aktionszentrum "Schwarze Katze" (NWRI)...................................217, 284 (LKA)...............................................112 Nationalsozialistischer Untergrund Libertäres Zentrum (LIZ)....112, 283 (NSU).....10, 18, 130, 140, 141, 284 "LIES!"-Kampagne........3, 38, 39, 41, NAV-DEM.........70, 72, 73, 284, 293 289 Anhang / Stichwortverzeichnis Neonazis.....10, 131, 135, 137, 144, RAF (Rote Armee Fraktion)..........105, 147, 149, 166 108, 164, 285 Netzwerk Freiheit für alle politischen Ramadan............................................52 Gefangenen (Netzwerk).....104, 108, Ramezani, Dr. Reza, Ayatollah........54 294 Rechtsextremismusdatei (RED)....18 Netzwerk Standortsicherheit......239 Rechtsextremistische Musik......132, Nordische Zeitung (NZ).......182, 284 152, 154 Nujiyan Frauenzentrum e.V...74, 293 Rehabilitation Project Forces (RPF) .......203 O Reichsbürger......................4, 11, 133, Öcalan, Abdullah.........65, 71, 74, 82 137, 138, 169, 192, 195 Office of Special Affairs (OSA)....203, Religious Technology Center 205, 284 (RTC)................................................203 Oldschool Society (OSS)..............130, Revolutionäre 1. Mai142, 284, 296 Demonstration.............89, 101, 105, Organisationsverbote...............3, 39, 106, 109, 111, 147, 161, 167, 168 145, 150 Revolutionäre Linke Hamburg OSZE..................................85, 91, 113 (RLH)............................105, 106, 285 Revolutionäre Linke in ['solid]....127, P 294 PEGIDA, Patriotische Europäer Revolutionärer Aufbau Waterkant gegen die Islamisierung des Abend(RAW)..................104, 107, 285, 294 landes...........................131, 188, 285 RISE UP! - Bündnis...............101, 111 Pennale Burschenschaft Chattia Rote Flora.....................4, 94, 95, 112 Friedberg zu Hamburg Rote Hilfe e.V. (RH)..............113, 114, (PB! Chattia).......11, 138, 170, 176, 285, 295 179, 285, 296 Roter Aufbau Hamburg (RAH).........4, PKK..........................9, 62, 65, 69, 71, 103, 104, 105, 124, 285, 295 74, 285, 293 Rückkehrer.................................27, 47 Politisch motivierte Kriminalität (PMK) .........8, 9, 10, 11, 28, 64, 89, S 138, 203 Salafismus..........3, 8, 21, 26, 36, 37, Postautonome......................9, 87, 97 40, 42 Projekt Revolutionäre Perspektive Schwarzbach, Lennart.......132, 157, (PRP)....93, 101, 110, 118, 285, 294 163 Puristen..............................................36 Schwarzer Block..............................90 Scientology Kirche Hamburg e.V R .....204,205, 296 Racial Profiling..................................91 Scientology-Organisation (SO)....11, Radikale Linke Berlin (RLB)...........105 16, 22, 198, 208, 285, 296 290 Anhang / Stichwortverzeichnis Sea Organization (Sea Org).........203 .............208, 239 Sicherheitsüberprüfungen............22, Verfassungsschutz, 231, 232, 246, 262, 265, 282 Hamburgisches SicherheitsüberSiegel der Propheten.......................42 prüfungund Geheimschutzgesetz Soziale Netzwerke............37, 62, 81, (HmbSÜGG)..........................231, 282 132, 162, 172, 195 Verfassungsschutz, Sozialistische Alternative Hamburgisches Verfassungsschutz(SAV)......................................127, 128 gesetz (HmbVerfSchG).........15, 242 Sozialistische Deutsche ArbeiterVerfassungsschutz, jugend (SDAJ)...............10, 124, 125, Informationsverarbeitung..............17 285, 295 Verfassungsschutz, Kontrolle........20 Sozialistische Linke (SoL)............104, Verfassungsschutz, Organigramm 107, 285, 295 ......24 Verschlusssachen......230, 233, 267, T 275, 286 Tag der deutschen Zukunft Visumverfahren................................23 (TddZ)........101, 119, 131, 148, 286 TAK..................................................286 W Trotzkisten........................10, 88, 128 Weisse Wölfe Terrorcrew Turan e.V............................................81 (WWT)...........4, 131, 137, 145, 150, Türkische Hizbullah (TH)................59, 282, 286, 296 286, 292 Wirtschaftsschutz..........12, 16, 230, Türkische Nationalisten.......9, 63, 79 235, 237, 239 Türkiye Komünist Partisi/Marksist Wohlleben, Ralf.....................130, 140 Leninist (TKP/ML).........77, 286, 294 Wolfsgruß..........................................81 Turkos Hamburg...............................81 Worch, Christian..................148, 166 World Institute of Scientology U Enterprises (WISE)..............204, 286 Ülkücü......................79, 81, 280, 293 Wulff, Thomas...........132, 147, 149, 150, 159, 164, 168 V Vereinigte Gemeinschaften Z Kurdistans (KCK)..........65, 283, 293 Zeck, Publikation.............95, 96, 123 Verein Neue Demokratie (VND)..104, Zschäpe, Beate....................130, 140 108, 286, 295 Verfassungsschutz, Arbeitsweise und Befugnisse................................16 Verfassungsschutz, Aufgaben.....15, 16, 245 Verfassungsschutz, Beratungen 291 Anhang Registeranhang zum Verfassungsschutzbericht 2016 In diesem Registeranhang sind die im vorliegenden Verfassungsschutzbericht genannten Gruppierungen aufgeführt, bei denen die vorliegenden tatsächlichen Anhaltspunkte in ihrer Gesamtschau zu der Bewertung geführt haben, dass die Gruppierung verfassungsfeindliche Ziele verfolgt, es sich mithin um eine extremistische Gruppierung handelt. Gruppierung / Organisation Islamismus Seite Al-Qaida (Kern al-Qaida) 33 Al-Qaida auf der arabischen Halbinsel (AQAH) 35 Die wahre Religion (DWR) 38 Furkan-Gemeinschaft (Furkan Egitim ve Hizmet Vakfi, 57 FV) Hizb Allah 51 Hizb ut-Tahrir (HuT) 49 Islamischer Staat (IS) 32 Islamischer Staat in Irak und Großsyrien (ISIG) 34 Islamisches Zentrum Hamburg e.V. (IZH) 54, 56 Jabhat al-Nusra (JaN) / Jabhat Fath al-Sham (JFS) / Hay33, 35 yat Tahrir al-Sham Milli Görüs-Bewegung (MGB) 59 Türkische Hizbullah (TH) 59 292 Anhang Gruppierung / Organisation Seite auslandsbezogener Extremismus Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) 65 Ciwanen Azad 73, 75 Demokratisches Gesellschaftszentrum der KurdenInnen 70 in Deutschland (NAV-DEM) Devrimci Halk Kurtulus Partisi-Cephe (DHKP-C) 77 Föderation der Türkisch-Demokratischen 79 Idealistenvereine in Deutschland e.V. ("Almanya Demokratik Ülkücü Türk Dernekleri Federasyonu", ADÜTDF) Koma Civaken Kurdistan (Vereinigte Gemeinschaften 65 Kurdistans, KCK) Konföderation der kurdischen Vereine in Europa 70 (KON-KURD) Kongress der kurdisch-demokratischen Gesellschaft in 69 Europa (KCDK-E) Koordination der kurdischen demokratischen Gesell70 schaft in Europa (CDK) Maoist Komünist Partisi (MKP) 78 Marksist Leninist Komünist Partisi (MLKP) 78 Nujiyan Frauenzentrum e.V. 74 Partei der nationalistischen Bewegung (MHP) 75, 80 Turan e.V. 81 Turkos Hamburg 81 293 Anhang Türkiye Komünist Partisi/Marksist Leninist (TKP/ML) 77 Gruppierung / Organisation Linksextremismus Seite [a2]-Hamburg 119 AVANTI - Projekt undogmatische Linke 98 Bündnis gegen imperialistische Aggression (BgiA) 109 Deutsche Kommunistische Partei (DKP) 124 Ermittlungsausschuss (EA) 114 Freie Arbeiterinnen und Arbeiter Union (FAU) 112 Gruppe für den organisierten Widespruch (GROW) 118 Interventionistische Linke (IL) 98 Kommunistische Plattform (KPF) 124, 127 Linksjugend ['solid] 127 Marxistische Abendschule - Forum für Politik und 126 Kultur e.V. Marxistische Abendschule - MASCH e.V. 126 Netzwerk Freiheit für alle politischen Gefangenen 104, 108 Projekt Revolutionäre Perspektive (PRP) 110 Revolutionärer Aufbau Waterkant (RAW) 107 Revolutionäre Linke in ['solid] (RL) 127 294 Anhang Rote Hilfe e.V. (RH) 113 Roter Aufbau Hamburg (RAH) 104 Sozialistische Alternative (SAV) 127 Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend (SDAJ) 125 Sozialistische Linke (SL) 127 Sozialistische Linke (SoL) 107 Verein Neue Demokratie (VND) 108 Gruppierung / Organisation Rechtsextremismus Seite Abtrimo 156 Artgemeinschaft - Germanische -Glaubensgemein181 schaft wesensgemäßer Lebensgestaltung e.V. (Artgemeinschaft-GGG) Crew 38 152 Der III. Weg 168 Deutsches Rechtsbüro im Deutschen 186 Rechtsschutzkreis e.V. (DRB) DIE RECHTE 166 Europäische Aktion (EA) 183 Hamburger Burschenschaft Germania (HB! Germania) 176 Hamburger Nationalkollektiv & Weisse Wölfe Ter150 rorcrew Sektion Hamburg (HNK & WWT) 295 Anhang Hammerskins 152 Identitäre Bewegung Deutschland (IBD) 171 Junge Nationaldemokraten (JN) 161 Kameradenkreis Neonazis in Hamburg 131, 150 Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) 157 Oldschool Society (OSS) 142 Pennale Burschenschaft Chattia Friedberg zu Hamburg 179 (PB! Chattia) Weisse Wölfe Terrorcrew (WWT) 150 Gruppierung / Organisation Reichsbürger und SelbstSeite verwalter Bundesstaat Freie und Hansestadt Hamburg 195 Gruppierung / Organisation Scientology-Organisation Seite Criminon Deutschland e.V. 203, 205 Jugend für Menschenrechte 204, 205 Kommission für Verstöße der Psychiatrie gegen Men204, 208 schenrechte (KVPM) Sag Nein zu Drogen - Sag Ja zum Leben 204, 206 Scientology Kirche Hamburg e.V. 204 296 Anhang World Institute of Scientology Enterprises (WISE) 204 297