Verfassungsschutzbericht 2011 Landesamt für erfassungsschutz www.hamburg.de/verfassungsschutz Verfassungsschutzbericht 2011 Im Text finden Sie vielfach die Symbole und Das Sinnbild "Buch" verweist auf eine Fundstelle in diesem Verfassungsschutzbericht. Das Symbol "Weltkugel" bedeutet, dass es zu dem Thema weitere Informationen auf unseren Internetseiten gibt. Unter http://www.hamburg.de/verfassungsschutz finden Sie regelmäßig aktuelle Informationen über alle Arbeitsfelder des Hamburger Verfassungsschutzes. Herausgeber: Freie und Hansestadt Hamburg Behörde für Inneres und Sport Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) Johanniswall 4, 20095 Hamburg Telefon: 040 / 24 44 43 Telefax: 040 / 33 83 60 Internet: http://www.hamburg.de/verfassungsschutz E-Mail-Adresse des LfV: poststelle@verfassungsschutz.hamburg.de E-Mail Öffentlichkeitsarbeit: info@verfassungsschutz.hamburg.de Auflage: 3.000 August 2012 Redaktionsschluss: März 2012 Satz/Layout, Grafik: Landesamt für Verfassungsschutz Druck: Lütcke & Wulff OHG, Rondenbarg 8, 22525 Hamburg Vorwort Vorwort von Innensenator Michael Neumann Liebe Hamburgerinnen und Hamburger, im November 2011 wurde öffentlich bekannt, Michael Zapf dass eine bis dahin nicht aufgeklärte Serie von zehn Morden von Neonazis begangen worden war. Die Opfer waren neun Menschen ausländischer Herkunft und eine deutsche Polizistin. Ich war und bin bis heute erschüttert, denn bis dahin war für mich unvorstellbar, was wir nunmehr erfahren mussten. Nur durch die rückhaltlose Aufklärung aller Fakten, Zusammenhänge und möglicher Ermittlungsfehler, nur durch absolute Offenheit kann es uns vielleicht gelingen, verlorenes Vertrauen gerade bei den Zuwanderinnen und Zuwanderern zurückzugewinnen. Senator Michael Neumann Ende November 2011 haben wir uns mit vielen Vertretern verschiedener Migrantenverbände im Rathaus zusammengesetzt, um über das Geschehene zu sprechen und über Konsequenzen nachzudenken. Ich bin noch immer beeindruckt von dem, was eine Teilnehmerin dieses Gesprächs gesagt hat: "Ich will doch auch in Zukunft an dieses Land glauben können". Dieser Satz birgt die Herausforderung, vor der Politik und Sicherheitsbehörden in Deutschland stehen, vor der wir alle stehen. Und ich stehe zu meinem Wort, dass wir diesen Gesprächsfaden auch künftig aufrechterhalten, immer ansprechbar sein und transparent informieren werden. Ich begrüße es ausdrücklich, dass mittlerweile mehrere Untersuchungsausschüsse und Expertenkommissionen an der Aufklärung der Abläufe arbeiten. Diese Anstrengungen dürften damit eine in der Geschichte unserer Republik bisher unbekannte Dimension erreicht haben - aber nur so geht es. Nur durch Transparenz kann wieder Vertrauen entstehen. Ich stehe dafür, dass alle Fakten auf den Tisch kommen; ich werbe aber auch dafür, 3 Vorwort nicht vorschnell die gesamte Sicherheitsarchitektur unseres Landes, mit der wir in den vergangenen sechs Jahrzehnten sehr gut gefahren sind, vorschnell in Frage zu stellen. Alles gehört auf den Prüfstand, aber nur auf der Grundlage gesicherter Informationen können die richtigen Konsequenzen gezogen werden. Hamburg steht nicht im Zentrum kritischer Fragen. Es gibt also keinen Anlass zu einer Vorverurteilung der Arbeit unserer Polizei und unseres Verfassungsschutzes, wie es teilweise leider bereits gemacht wurde. Kritik und kritische Überprüfung dürfen und müssen sein - das rechtfertigt aber keine pauschalen Angriffe, die das Vertrauen in die Grundfeste unseres Staates erschüttern. Es wäre der größte Erfolg der Neonazis, wenn wir unserer Demokratie und ihren Sicherheitsbehörden nicht mehr vertrauen würden. Ich vertraue meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Landesamt für Verfassungsschutz und möchte ihnen an dieser Stelle für ihre engagierte, wertvolle und unverzichtbare Arbeit danken. Auch künftig wird das Hamburger Landesamt für Verfassungsschutz rechtsextremistische Bestrebungen aufmerksam beobachten und ihnen entschieden begegnen, zum Beispiel durch eine gezielte Öffentlichkeitsarbeit, Informationsübermittlung an andere Behörden und die engagierte Mitarbeit im "Beratungsnetzwerk gegen Rechtsextremismus". Der breite gesellschaftliche Konsens gegen rechtsextreme Aktivitäten, etwa im Vorfeld der von Neonazis für den 2. Juni 2012 geplanten Veranstaltung in Hamburg, macht Mut, dass es uns letztendlich gelingen wird, den Rechtsextremismus wirkungsvoll in die Schranken zu weisen. Das vom Senat angestrebte NPD-Verbot ist sicherlich kein Allheilmittel gegen den Rechtsextremismus; ich bin aber überzeugt, dass ein Verbot dieser verfassungsfeindlichen Partei ein wichtiger Baustein im Kampf gegen diese menschenverachtende Ideologie ist. Auch nach dem Tod Usama Bin Ladens am 2. Mai 2011 geht von islamistisch motivierten Terroristen eine große Gefahr aus. Nach Vorermittlungen des Verfassungsschutzes wurden am 29. April 2011 drei Mitglieder der sogenannten "Düsseldorfer Zelle" festgenommen, die Kontakte zu al Qaida hatten und einen Anschlag in Deutschland planten. Zuvor, am 2. März 2011, gab es in der Bundesrepublik erstmals einen vollendeten islamistisch motivierten Terroranschlag, bei dem in Frankfurt zwei US-Soldaten starben und zwei weitere verletzt wurden. Es bleibt eine zentrale Aufgabe 4 Vorwort des Verfassungsschutzes, die nach wie vor aktive jihadistische Szene zu beobachten und der Verfestigung von Strukturen entgegenzutreten. Fast alle islamistischen Terroristen waren und sind salafistisch geprägt. Insofern war es richtig und notwendig, dass unser Landesamt für Verfassungsschutz bereits im März 2012 darauf hingewiesen hat, welche Gruppierungen hinter der Verteilung von Koranen auch in Hamburg standen. Niemand hat etwas dagegen, wenn Korane verteilt werden. Wenn allerdings Bestrebungen dahinterstehen, die mit unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht vereinbar sind, dann habe ich - wie im Übrigen auch die übergroße Mehrheit der Muslime in unserer Stadt - entschieden etwas dagegen und plädiere nachdrücklich dafür, die Öffentlichkeit darüber zu informieren, welche salafistischen Aktivitäten es in Hamburg gibt. Auch im Jahr 2011 gingen zahlreiche Straftaten auf das Konto von Linksextremisten, zum Beispiel Sachbeschädigungen und Brandstiftungen, deren Anzahl leider leicht gestiegen ist. Im Fokus der autonomen Szene standen die Themen Stadtentwicklung und Innere Sicherheit. Im Zusammenhang mit Demonstrationen gab es zum Teil erhebliche Ausschreitungen. Der Verfassungsschutz wird die linksextremistischen Gruppierungen weiterhin intensiv beobachten und die Öffentlichkeit über die verschiedenen Aktivitäten der Szene informieren. Zum Beispiel dann, wenn Linksextremisten versuchen, durch den Kontakt zu nichtextremistischen Organisationen eine breitere gesellschaftliche Akzeptanz zu erreichen. Seit zwei Jahren ist das Landesamt für Verfassungsschutz nicht nur für die nachrichtendienstliche Beobachtung, sondern auch für die Beratung im Bereich Scientology verantwortlich. Ich freue mich, dass viele Menschen in unserer Stadt auch im Jahr 2011 rege davon Gebrauch gemacht haben. Dies ist ein Grund dafür, dass die Scientology-Organisation weit von ihrem Ziel entfernt ist, eine wie auch immer geartete "scientologische Gesellschaftsordnung" zu etablieren. Der aktuelle Verfassungsschutzbericht informiert Sie über die Erkenntnisse unseres Landesamtes. Hinzu kommt eine vielfältige und offene Presseund Öffentlichkeitsarbeit, mit der unser Landesamt auch künftig über jede Form des politischen Extremismus aufklären wird. Der Schutz von Verfassung und Demokratie bleibt zugleich eine herausragende Aufgabe von uns allen, den Bürgerinnen und Bürgern in unserer Stadt. Ich möchte Sie 5 Vorwort ermuntern, sich auch in Zukunft aktiv für unsere Demokratie zu engagieren und bin optimistisch, dass es uns auch künftig erfolgreich gelingen wird, verfassungsfeindlichen Bestrebungen jedweder Couleur so wenig Spielraum wie möglich zu geben. Michael Neumann Präses der Behörde für Inneres und Sport der Freien und Hansestadt Hamburg 6 Verfassungsschutz in Hamburg Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern (ausgenommen islamistische Bestrebungen) Linksextremismus Rechtsextremismus Scientology-Organisation Spionageabwehr Geheimund Sabotageschutz; Wirtschaftsschutz Anhang * Hamburgisches Verfassungsschutzgesetz * Abkürzungsverzeichnis * Stichwortverzeichnis Inhaltsverzeichnis Inhaltsverzeichnis Impressum 2 Vorwort des Innensenators Michael Neumann 3 I. Verfassungsschutz in Hamburg 1. Verfassungsschutz und Demokratie 16 2. Gesetzliche Grundlage 17 3. Aufgaben des Verfassungsschutzes 17 4. Arbeitsweise und Befugnisse des 18 Verfassungsschutzes 5. Informationsverarbeitung 19 6. Kontrolle 21 7. Strukturdaten, Regelanfragen und Überprüfungen 21 8. Organigramm des LfV Hamburg 24 II. Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten 1. Entwicklungen und Schwerpunkte im Überblick 26 2. Allgemeines 27 3. Potenziale 28 4. Politisch motivierte Kriminalität (PMK) 29 5. Transnationaler islamistischer Terrorismus 30 5.1 Aktuelle Entwicklungen 30 5.2 al-Qaida-Netzwerk 31 * Kern-al-Qaida 31 * al-Qaida auf der arabischen Halbinsel (AQAH) 33 * al-Qaida im islamischen Maghreb (AQM) 34 * al-Qaida im Irak - Islamischer Staat Irak (IStI) 35 5.3 Islamische Bewegung Usbekistans (IBU) 35 5.4 ash-Shabab (Die Jugend) 37 5.5 Anschläge weltweit 38 5.6 Prozesse, Ermittlungsverfahren und Festnahmen 39 * Deutschland 39 * International 41 8 Inhaltsverzeichnis 5.7 Situation in Hamburg 42 6. Sonstige islamistische Gruppierungen 45 6.1 Transnationale Organisationen 45 * Hizb ut-Tahrir (HuT) 45 * Muslimbruderschaft (MB; Jama'a Ikhwan 49 al-Muslimin) * Tablighi Jama'at (TJ; Gemeinschaft der Verkündigung 51 und Mission) 6.2 Palästinensische und libanesische Organisationen 52 * HAMAS (Harakat Al-Muqawama Al-Islamiyya / 52 Islamische Widerstandsbewegung) * Hizb Allah (Partei Gottes) 53 6.3 Iranische Islamisten 54 6.3.1 Allgemeines 54 6.3.2 Anhänger der iranischen "Islamischen Revolution" in 57 Hamburg 6.4 Türkische Islamisten 59 6.4.1 Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e.V. (IGMG) 59 * Die IGMG in Deutschland 59 * Die IGMG in Hamburg 64 6.4.2 Türkische Hizbullah 66 6.5 Afghanische Organisationen 69 * Hezb-e Eslami-ye Gulbuddin 69 (HIG, Islamische Partei Gulbuddin) / Hezb-e Eslami-ye Afghanistan (HIA, Islamische Partei Afghanistans) III. Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern (ausgenommen islamistische Bestrebungen) 1. Entwicklungen und Schwerpunkte im Überblick 72 2. Potenziale 74 3. Politisch motivierte Kriminalität (PMK) 77 4. PKK (Arbeiterpartei Kurdistans) 78 4.1 Entwicklungen und Organisatorisches 78 9 Inhaltsverzeichnis 4.2 Aktivitäten und Schwerpunkte in Deutschland 82 4.3 Situation in Hamburg 88 5. Türkische Extremisten 92 5.1 Revolutionär-marxistische Gruppierungen 92 5.2 ADÜTDF / Türkische Nationalisten 93 IV. Linksextremismus 1. Entwicklungen und Schwerpunkte im Überblick 96 2. Potenziale 97 3. Politisch motivierte Kriminalität (PMK) 100 4. Militanzdebatte und linksextremistische Gewalt 101 5. Undogmatische Linksextremisten 104 5.1 Trefforte und Kommunikationszentren in Hamburg 105 * Rote Flora 105 * Centro Sociale 105 * Libertäres Zentrum (LIZ) 106 * Internationales Zentrum Brigittenstraße 5 (B 5) 106 5.2 Gruppen und Strukturen 106 5.2.1 Autonome Szene um die Rote Flora 106 5.2.2 AVANTI - Projekt undogmatische Linke 111 5.2.3 Rote Hilfe (RH) 113 5.2.4 Antiimperialistische Gruppen 114 5.2.5 Freie Arbeiterinnenund Arbeiter Union (FAU) 117 5.2.6 Antideutsche / Antinationale Strukturen Hamburg 118 5.3 Aktionsfelder 120 5.3.1 Antirepression 120 5.3.2 Antifaschismus 122 5.3.3 Linksextremistisch beeinflusste Initiativen gegen 126 Stadtentwicklungspolitik 5.3.4 Linksextremistische Einflussnahme auf Proteste gegen 131 die Energiepolitik 10 Inhaltsverzeichnis 6. Extremistische Teilstrukturen in der Partei DIE LINKE 133 * Linksjugend ['solid] 133 * Kommunistische Plattformen (KPF) 135 7. Orthodoxe Kommunisten 135 * Deutsche Kommunistische Partei (DKP) 135 * Hamburg 137 * Gedenkstätte Ernst Thälmann (GET) 138 * Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend (SDAJ) 138 * Marxistische Abendschulen (MASCH) in Hamburg 139 8. Trotzkisten 139 9. Marxistische Gruppe (MG) 140 V. Rechtsextremismus 1. Entwicklungen und Schwerpunkte im Überblick 142 2. Potenziale 144 3. Politisch motivierte Kriminalität (PMK) 148 4. Der Nationalsozialistische Untergrund 151 4.1 Mordserie des Nationalsozialistischen Untergrunds 151 4.2 Konsequenzen 155 5. Neonazismus 155 5.1 Bestrebungen im Bundesgebiet 156 5.2 Überregionale Aktivitäten 158 5.3 Kameradenkreis Neonazis in Hamburg 161 5.4 Hamburger Nationalkollektiv / Weisse Wölfe Terrorcrew 164 Sektion Hamburg (HNK & WWT) 6. Subkulturell geprägte Rechtsextremisten 167 7. Rechtsextremistische Musikszene 168 8. Rechtsextremistische Parteien 171 8.1 Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) 171 * Hamburg 175 8.2 Deutsche Volksunion (DVU) 179 * Hamburg 180 11 Inhaltsverzeichnis 9. Pennale Burschenschaft Chattia Friedberg 180 zu Hamburg (PB! Chattia) 10. Sonstige rechtsextremistische Organisationen und 182 Bestrebungen 10.1 Gesellschaft für freie Publizistik (GfP) 183 10.2 Artgemeinschaft - Germanische Glaubens184 Gemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung e.V. (Artgemeinschaft-GGG) 10.3 Gesellschaft für biologische Anthropologie, Eugenik und 186 Verhaltensforschung e.V. (GfbAEV) 10.4 Deutsches Rechtsbüro 187 VI. Scientology-Organisation (SO) 1. Entwicklungen und Schwerpunkte im Überblick 192 2. Potenziale 194 3. Politisch motivierte Kriminalität (PMK) 195 4. Strukturen und Organisationseinheiten 195 5. Strukturen in Hamburg 197 6. Aktivitäten 198 VII. Spionageabwehr 1. Überblick 204 2. Proliferation und Wissenstransfer 205 3. Wirtschaftsspionage 207 4. Ausforschung oppositioneller Gruppierungen 208 5. Die Nachrichtendienste der Russischen Föderation 209 6. Chinesische Nachrichtendienste 212 VIII. Geheimund Sabotageschutz; Wirtschaftsschutz 1. Allgemeines 216 2. Geheimschutz 217 2.1 Personeller Geheimschutz 217 12 Inhaltsverzeichnis 2.2 Materieller Geheimschutz 218 3. Personeller Sabotageschutz 219 4. Schutz von IT-Systemen und Kommunikationsstrukturen 219 5. Wirtschaftsschutz 220 IX. Anhang * Hamburgisches Verfassungsschutzgesetz 224 * Abkürzungsverzeichnis 256 * Stichwortverzeichnis 263 13 Verfassungsschutz in Hamburg Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern (ausgenommen islamistische Bestrebungen) Linksextremismus Rechtsextremismus Scientology-Organisation Spionageabwehr Geheimund Sabotageschutz; Wirtschaftsschutz Anhang * Hamburgisches Verfassungsschutzgesetz * Abkürzungsverzeichnis * Stichwortverzeichnis Verfassungsschutz in Hamburg I. Verfassungsschutz in Hamburg 1. Verfassungsschutz und Demokratie Im Gegensatz zur Weimarer Verfassung von 1919, die in ihrem Anspruch, ein Höchstmaß an Freiheit und Demokratie zu garantieren, darauf verzichtet hatte, ausreichende Vorkehrungen gegen ihre eigene Abschaffung zu treffen, enthält das Grundgesetz (GG) - dem Prinzip der wehrhaften Demokratie folgend - Schutzmechanismen gegen Gefährdungen der Verfassung. Ziel ist der Schutz der Werteentscheidungen der Verfassung. Zu ihren höchsten Werten zählen * die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten, * die Volkssouveränität, * die Gewaltenteilung, * die Verantwortlichkeit der Regierung, * die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung, * die Unabhängigkeit der Gerichte, * das Mehrparteienprinzip, * die Chancengleichheit für alle politischen Parteien und das Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition. Zu den Schutzmechanismen gehören im Wesentlichen * die Unabänderlichkeit der in den Artikeln 1 und 20 GG niedergelegten elementaren Verfassungsgrundsätze, * das Verbot von Parteien und sonstigen Vereinigungen wegen verfassungswidriger Aktivitäten (Artikel 9 Abs. 2 und Artikel 21 Abs. 2 GG), * die Verwirkung von Grundrechten, wenn diese zum Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung missbraucht werden (Artikel 18 GG), * die Pflicht der Angehörigen des Öffentlichen Dienstes zur Verfassungstreue (Artikel 5 Abs. 3 und Artikel 33 Abs. 5 GG in Verbindung mit den beamtenrechtlichen Vorschriften), * die Verfolgung von Straftaten, die sich gegen den Bestand des Staates oder gegen die Verfassung richten (Staatsschutzdelikte). Zentrale Aufgabe des Verfassungsschutzes ist die Beobachtung von Bestrebungen und Tätigkeiten, die die Werteentscheidungen der Verfas16 Verfassungsschutz in Hamburg sung beseitigen wollen oder den Bund, die Länder oder deren Einrichtungen in ihrer Funktionsfähigkeit erheblich zu beeinträchtigen beabsichtigen [vgl. SS 1 Abs. 1, SS 4 und SS 5 des Hamburgischen Verfassungsschutzgesetzes (HmbVerfSchG, IX.) sowie Artikel 73 Nr. 10 b und Artikel 87 Abs. 1 Satz 2 GG, SS 2 Abs. 2 Bundesverfassungsschutzgesetz]. 2. Gesetzliche Grundlage Das Hamburgische Verfassungsschutzgesetz ( IX.) ist die wichtigste gesetzliche Grundlage für die Arbeit des Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV). Der Verfassungsschutz ist, wie jede andere Behörde auch, bei der Erfüllung seiner Aufgaben an Gesetz und Recht gebunden und muss bei Eingriffen in die Rechte der Bürger den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahren. 3. Aufgaben des Verfassungsschutzes Hauptaufgabe des LfV ist nach SS 4 Abs. 1 HmbVerfSchG die Sammlung und Auswertung von Informationen über * Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung von Mitgliedern der verfassungsmäßigen Organe des Bundes oder eines Landes zum Ziele haben, * sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten für eine fremde Macht in der Bundesrepublik Deutschland, * Bestrebungen in der Bundesrepublik Deutschland, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, * Bestrebungen im Geltungsbereich dieses Gesetzes, die gegen den Gedanken der Völkerverständigung (Art. 9 Abs. 2 GG), insbesondere gegen das friedliche Zusammenleben der Völker (Art. 26 Abs. 1 GG) gerichtet sind. Das Landesamt wertet die mit offenen oder mit nachrichtendienstlichen Mitteln ( 4.) gewonnenen Erkenntnisse aus und informiert über entsprechende Gefahren. Neben seiner Informationsverpflichtung gegenüber dem 17 Verfassungsschutz in Hamburg Senat und der Weitergabe von Informationen an die zuständigen staatlichen Stellen zur Gefahrenabwehr informiert das LfV mit seinem jährlichen Verfassungsschutzbericht, mit weiteren Publikationen und Pressemitteilungen sowie aktuellen Berichten auf seiner Internetseite auch die Öffentlichkeit über die Ergebnisse seiner Arbeit, soweit diese offen dargestellt werden können. Beobachtungsfelder sind Rechts- ( V.) und Linksextremismus ( IV.), extremistische Bestrebungen von Ausländern ( III.), die Spionagetätigkeit ( VII.) fremder Geheimdienste und die Scientology-Organisation ( VI.). Einen besonderen BeobachAn der Veranstaltung am 02.06.2012 "Hamburg bekennt Farbe" nahm auch der Verfassungsschutz tungsschwerpunkt bilden seit mit einem Informationsstand teil 2001 der Islamismus und der islamistisch motivierte Terrorismus ( II.). Bei Straftaten und Gefahren in den genannten Beobachtungsbereichen des Extremismus darf der Verfassungsschutz - grundsätzlich anders als die Polizei - bereits im Vorfeld konkreter Verdachtsmomente tätig werden. Geheimund Sabotageschutz; Wirtschaftsschutz ( VIII.) gehören zu den weiteren Aufgaben des Verfassungsschutzes. 4. Arbeitsweise und Befugnisse des Verfassungsschutzes Die Informationen, die das LfV zur Wahrnehmung seiner Aufgaben benöö- tigt, beschafft es zum Teil aus offen zugänglichen Quellen, die grundsätzlich auch jedem Bürger zur Verfügung stehen, zum Beispiel aus Zeitungen und Zeitschriften, Broschüren, Flugblättern, Archiven und zunehmend aus dem Internet sowie aus Unterlagen anderer staatlicher Stellen. Neben der offenen Informationsgewinnung darf das LfV auch Informationen mit nachrichtendienstlichen Mitteln verdeckt erheben. Zu diesen Mitteln, die in SS 8 Abs. 2 HmbVerfSchG ( IX.) aufgezählt sind, gehören beispielsweise die Führung verdeckt eingesetzter Personen, die planmäßige Observation, 18 Verfassungsschutz in Hamburg Bildund Tonaufzeichnungen und - nach Maßgabe des Art. 10-Gesetzes - die Überwachung des Brief-, Postund Fernmeldeverkehrs. Im Jahr 2002 wurden im Rahmen der Umsetzung des Terrorismusbekämpfungsgesetzes die Befugnisse des Landesamtes in wichtigen Punkten erweitert. Hierzu zählt unter anderem das Mittel der Finanzermittlung, um zum Beispiel Geldtransfers im Zusammenhang mit der Finanzierung des islamistischen Terrorismus aufdecken zu können. Das LfV darf nicht an eine polizeiliche Dienststelle angegliedert werden. Ihm stehen weder polizeiliche Befugnisse noch Weisungsbefugnisse gegenüber polizeilichen Dienststellen zu, noch darf es die Polizei im Amtshilfeweg veranlassen, Maßnahmen zu ergreifen, zu denen es selbst nicht befugt ist. Das schließt einen Informationsaustausch zwischen Polizei und Verfassungsschutz nicht aus, im HmbVerfSchG ist dies im Detail geregelt. In den letzten Jahren sind besondere Einrichtungen zum kontinuierlichen Informationsaustausch zwischen Polizei und Verfassungsschutzbehörden geschaffen worden. Dazu zählt insbesondere das "Gemeinsame Terrorismusabwehrzentrum" (GTAZ) in Berlin. Zur Bekämpfung des Rechtsextremismus wurde am 16.12.2011 das "Gemeinsame Abwehrzentrum gegen Rechtsextremismus" (GAR) eröffnet. 5. Informationsverarbeitung Die Verfassungsschutzbehörden sammeln und speichern sachund personenbezogene Daten über extremistische Bestrebungen sowie sicherheitsgefährdende und geheimdienstliche Tätigkeiten. Zu den Instrumenten der gegenseitigen Unterrichtung der Verfassungsschutzbehörden zählen unter anderem gemeinsame Dateien. Die "klassische" gemeinsame Datei ist das bundesweite Nachrichtendienstliche Informationssystem (NADIS, Zahl der Hamburger Speicherungen: 7.), das nach mehreren Jahrzehnten im Jahr 2012 durch eine neue Software abgelöst werden wird. Das bisherige NADIS war eine allen Verfassungsschutzbehörden zur Verfügung stehende Datenbank, in der jede Verfassungsschutzbehörde biografische Grunddaten von Personen und Objekten in eigener Verantwortung speicherte. Es enthielt nur Hinweise auf Aktenfundstellen. Um Näheres zu erfahren, musste die speichernde Verfassungsschutzbehörde um Übermittlung der Einzelerkenntnisse gebe19 Verfassungsschutz in Hamburg ten werden. Im neuen "NADIS-WN" (WN für WissensNetz) werden mehr Informationen erfasst und für alle Berechtigten zur Verfügung gestellt. Es bietet damit deutlich bessere Möglichkeiten zu umfassenderen Analysen und dabei insbesondere zur Verknüpfung von Daten. Die Entwicklungen im Bereich des islamistischen Terrorismus und die Ermittlungsergebnisse im Zusammenhang mit dem rechtsterroristischen "Nationalsozialistischen Untergrund" (NSU) haben deutlich gemacht, dass der Informationsaustausch und die Vernetzung zwischen den Verfassungsschutzbehörden verbessert werden muss. Am 30.03.2007 wurde die Arbeit mit einer von Polizei und Verfassungsschutz eingerichteten zentralen "Antiterrordatei" (ATD) aufgenommen und seit Anfang des Jahres 2008 erlaubt das HmbVerfSchG, Projektdateien mit den anderen Bundesund Landessicherheitsbehörden zu betreiben. Mit diesen Dateien werden die Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden unterstützt und der Informationsaustausch verbessert. Dabei stellt das "Antiterrordateigesetz" sicher, dass die Anforderungen des Quellenund Geheimhaltungsschutzes ebenso beachtet werden wie datenschutzrechtliche Belange. Projektdateien unterstützen befristete gemeinsame Projekte der Sicherheitsbehörden. Mit Beschluss vom 08./09.12.2011 hat sich die "Ständige Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder" (IMK) für die Einrichtung einer gemeinsamen Verbunddatei Rechtsextremismus für Polizei und Verfassungsschutz - "Rechtsextremismusdatei" (RED) - ausgesprochen. Das entsprechende Rechtsextremismus-Datei-Gesetz (RED-G) wurde bereits auf den Weg gebracht. Ziele der neuen Verbunddatei sind eine Zusammenführung der existierenden Datenbestände von Verfassungsschutzund Polizeibehörden, die Intensivierung und Beschleunigung des Informationsaustausches, sowie die Rechercheund Analysefähigkeit der Daten über gewaltbezogene Aktivitäten von Rechtsextremisten. Anders als in der ATD dürfen die in der RED gespeicherten Daten für eine auf vier Jahre begrenzte, projektbezogene Zusammenarbeit zur Aufklärung von Bestrebungen, die Gewalt anwenden oder vorbereiten, genutzt werden. Mit dem Aufbau der Datei soll im Herbst 2012 begonnen werden. 20 Verfassungsschutz in Hamburg 6. Kontrolle Der Verfassungsschutz ist an klare gesetzliche Vorgaben gebunden, seine Arbeit unterliegt kontinuierlicher parlamentarischer Kontrolle. In Hamburg wird diese Aufgabe vom "Ausschuss zur parlamentarischen Kontrolle des Senats auf dem Gebiet des Verfassungsschutzes" (verkürzt auch "PKA" für "Parlamentarischer Kontrollausschuss" genannt) der Hamburgischen Bürgerschaft wahrgenommen. Bei Eingriffen in das Brief-, Post-, und Fernmeldegeheimnis entscheidet die G 10-Kommission der Bürgerschaft. Der Hamburgische Beauftragte für Datenschutz und Informationsfreiheit (HmbBfDI) hat ebenfalls umfängliche Kontrollbefugnisse, zum Beispiel, ob die Prüfungsund Löschungsfristen im NADIS beachtet werden. Wie bei allen anderen Behörden ist auch das Verwaltungshandeln des Verfassungsschutzes grundsätzlich gerichtlich nachprüfbar. 7. Strukturdaten, Regelanfragen und Überprüfungen Stellenplan Nach den Terroranschlägen vom 11.09.2001 in den USA war der Personalbestand des LfV mit dem Stellenplan 2002 zunächst um 15,5 Stellen aufgestockt worden. In den Jahren 2003 bis 2008 wurde der Stellenbestand insgesamt um weitere elf Stellen auf 151 erhöht. Im Jahr 2011 verfügte das LfV über 154 Stellen. Haushaltsansatz Im Jahr 2011 betrug der Haushaltsansatz für das LfV insgesamt 12.194.000 EUR (2010: 11.944.000 EUR). Darin enthalten waren 9.643.000 EUR für Personalausgaben (2010: 9.428.000 EUR), davon 2.709.000 EUR Versorgungsleistungen (2010: 2.578.000). 21 Verfassungsschutz in Hamburg Hamburger NADIS-Speicherungen Vom LfV waren am 31.12.2011 im Nachrichtendienstlichen Informationssystem (NADIS, 5.) Daten von 50.676 Personen gespeichert (31.12.2010: 46.644), davon 44.077 (86,98 %) im Zusammenhang mit Sicherheitsüberprüfungen [31.12.2010 = 39.369 (84,40 %)]. Im Phänomenbereich Linksextremismus werden 1.789 Datensätze geführt, bei Rechtsextremismus sind es 950, im Bereich Ausländerextremismus 2.982 und bei der Scientology-Organisation 464. Die Zahl der NADIS-Datensätze ist nicht identisch mit dem Personenpotenzial, insbesondere weil sich Speicherund Löschfristen zusätzlich auswirken. Beteiligungsund Mitwirkungsaufgaben Das LfV Hamburg nutzt seine Informationen nicht nur zur Analyse und Bewertung extremistischer Organisationen, sondern beteiligt sich mit seinen Informationen an den Entscheidungen einer Vielzahl anderer Behörden. Einbürgerungsverfahren Mit Wirkung vom 22.10.2001 wurde in Hamburg die Regelanfrage bei Einbürgerungen eingeführt: Das Einwohner-Zentralamt als Einbürgerungsbehörde fragt vor jeder Entscheidung beim LfV nach, ob Erkenntnisse vorliegen, die einer Einbürgerung entgegenstehen könnten. Vor Einführung dieser Regelung wurde nur angefragt, wenn bereits der Einbürgerungsbehörde Anhaltspunkte für den Verdacht auf politisch-extremistische Bestrebungen aufgefallen waren. Im Jahr 2011 gab es 7.277 Anfragen (2010: 7.909), die nach einer Dateiabfrage im NADIS ( 5.), und ggf. weiteren Ermittlungen beantwortet wurden. In 27 Fällen (2010: 29 Fälle) hat das LfV Erkenntnisse zu den Antragstellern mitgeteilt. Diese führen in der Regel zur Ablehnung des Antrags. 22 Verfassungsschutz in Hamburg Aufenthaltsverfahren Seit dem 01.05.2004 führen die Ausländerdienststellen bei Personen aus bestimmten Herkunftsländern vor Erteilung oder Verlängerung von Aufenthaltstiteln eine Sicherheitsbefragung durch. In jedem Fall wird auch das LfV beteiligt. Im Jahr 2011 wurden 3.851 Anfragen beantwortet (2010: 4.145). In 13 Fällen (2010: 8) wurden Ermittlungen angestellt; Bedenken mussten in keinem Fall erhoben werden (2010: 2 Fälle). Schengener Visumverfahren Im Jahr 2011 gab es im Schengener Visumverfahren 1.611 Anfragen an das LfV (2010: 1.379). In 6 Fällen wurden Bedenken erhoben (2010: 8), denen entsprochen wurde. Das Verfahren wird ausgelöst, wenn der Antragsteller aus einem "Problemstaat" stammt. In das Verfahren eingebunden sind das Auswärtige Amt, das Bundesamt für Verfassungsschutz und ggf. die Verfassungsschutzbehörde des jeweiligen Bundeslandes. Sicherheitsund Zuverlässigkeitsüberprüfungen * Im Jahr 2011 hat das LfV Hamburg 618 Sicherheitsüberprüfungen im Rahmen des sogenannten Personellen Geheimschutzes ( VIII., 2.1) bearbeitet (2010: 860). * Personen, die in sicherheitsempfindlichen Bereichen des Hamburger Flughafens beschäftigt werden sollen, werden nach SS 7 des Luftsicherheitsgesetzes (LuftSiG) überprüft. Im Jahr 2011 wurden 5.178 Überprüfungen für den Bereich des Hamburger Flughafens unter Mitwirkung des LfV vorgenommen (2010: 8.671). Diese Aufgabe gehört zum sogenannten Personellen Sabotageschutz ( VIII., 3.). * Im Rahmen des Hafensicherheitsgesetzes wurden 100 Zuverlässigkeitsüberprüfungen im Jahr 2011 ( VIII., 3.) vorgenommen (2010: 74). * Das LfV Hamburg ist darüber hinaus an den Zuverlässigkeitsüberprüü- fungsverfahren des Gesetzes über explosionsgefährliche Stoffe (Sprengstoffgesetz - SprengG) beteiligt. 2011 wurden 4 Auskunftsersuchen beantwortet. (2010: 3). 23 Verfassungsschutz in Hamburg 8. Organigramm des LfV Hamburg Referat V 01 Amtsleiter Öffentlichkeitsund Gremienarbeit Abteilung 1 Abteilung 2 Abteilung 3 Staatsschutz Abwehr Zentrale Aufgaben (Stellv. Amtsleiter) Rechtsangelegenheiten Referat V 21 Referat V 31 Referat V 11 Auswertung Geheimund Verwaltung Ausländerextremismus Sabotageschutz Islamismus Wirtschaftsschutz Referat V 22 Auswertung Referat V 12 Referat V 32 Linksextremismus IuK, Techn. Dienst Spionageaufklärung Rechtsextremismus Scientology-Organisation Referat V 23 Referat V 13 Beschaffung Operative Technik Forschung / Werbung Referat V 24 Observation Konspirative Ermittlung 24 Verfassungsschutz in Hamburg Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern (ausgenommen islamistische Bestrebungen) Linksextremismus Rechtsextremismus Scientology-Organisation Spionageabwehr Geheimund Sabotageschutz; Wirtschaftsschutz Anhang * Hamburgisches Verfassungsschutzgesetz * Abkürzungsverzeichnis * Stichwortverzeichnis Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten II. Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten 1. Entwicklungen und Schwerpunkte im Überblick Das Jahr 2011 stand im Zeichen mehrerer Festnahmen und Tötungen von Personen aus den Führungsebenen wichtiger islamistisch-terroristischer Organisationen. Herausragende Bedeutung hatte die Tötung Usama BIN LADENs am 02.05.2011 in Pakistan. ( 5.2) Am 02.03.2011 gab es in Deutschland erstmals einen vollendeten islamistisch motivierten Terroranschlag. Zwei US-Soldaten starben, zwei weitere wurden schwer verletzt. ( 5.6) Im Laufe der Ermittlungen stellte sich heraus, dass sich der Täter, der 21 Jahre alte Kosovoalbaner Arid UKA, über das Internet radikalisiert hatte. Eigenen Angaben zufolge wollte er die in einem jihadistischen Propagandavideo übernommene Vergewaltigungsszene einer jungen Muslima durch Kämpfer der al-Qaida mit Koran und amerikanische Soldaten rächen. Dass die Waffen Szene einem Kinofilm entnommen wurde, wusste UKA nach eigener Aussage nicht. Die Tat ist ein deutlicher Beleg für die weiter zunehmende Bedeutung des Internets und sozialer Netzwerke für das islamistische Milieu und zeigt die Notwendigkeit, diese Medien noch intensiver als bisher zu beobachten. Gezielte Drohungen gegen Deutschland - wie zuletzt zum Jahreswechsel 2010/2011 oder auch zur Bundestagswahl im Herbst 2009 - gab es im Jahr 2011 bis auf eine Ausnahme nicht. Lediglich die "Islamische Bewegung Usbekistan" (IBU) veröffentlichte im Januar 2012 ein aus Dezember 2011 stammendes Video, in dem Anschläge in Deutschland als unausweichlich angekündigt wurden - trotz eines möglichen Abzugs der Bundeswehr aus Afghanistan. Die Festnahme von Mitgliedern der sogenannten "Düsseldorfer Zelle" am 29.04.2011, die Kontakte zu al-Qaida hatten und ein Sprengstoffattentat in Deutschland planten, zeigt jedoch, dass im Bereich des politischen Extre26 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten mismus weiterhin große Gefahren für die innere Sicherheit durch islamistisch motivierte Terroristen ausgehen. ( 5.6) Nach dem Verbot des Trägervereins der Taiba-Moschee (ehemals QudsMoschee) am 09.08.2010 durch die Hamburger Innenbehörde fehlt es der jihadistischen Szene in Hamburg nach wie vor an einem zentralen Anlaufpunkt. Die Aktivitäten von Angehörigen der in Deutschland verbotenen Hizb ut-Tahrir (HuT), insbesondere die Anwerbung von Jugendlichen und jungen Erwachsenen, haben in Hamburg weiter zugenommen. ( 6.1) Salafistische Aktivitäten sind zunehmend auch in Hamburg zu verzeichnen. Diese auf den Ur-Islam zurückgehende Bewegung scheint insbesondere auf sehr junge Muslime und Konvertiten eine größere Anziehungskraft zu haben ( 5.7). Islamistische Bestrebungen gehen auch von gewaltfreien Organisationen wie der "Islamischen Gemeinschaft Milli Görus" (IGMG) oder schiitischen Islamisten um das "Islamische Zentrum Hamburg" (IZH) ( 6.3.2) aus, wo sich auch Anhänger der schiitischen Hizb Allah treffen ( 6.2). 2. Allgemeines Die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder haben die gesetzliche Aufgabe, extremistische und sicherheitsgefährdende Bestrebungen zu beobachten. Hierzu gehören auch solche verfassungsfeindliche Bestrebungen, die sich auf den Islam berufen, sie werden als islamistisch bezeichnet. Dabei ist deutlich zwischen dem Islam als Religion und dem Islamismus als Ideologie auf religiöser Basis zu unterscheiden. Islamisten streben die Übertragung ihrer als unveränderlich gesetzten religiösen Werte und Ordnungsvorstellungen auf alle Bereiche des staatlichen und gesellschaftlichen Lebens an und stellen sich damit gegen die Grundprinzipien unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung. ( I.1) Unterschiede zwischen den verschiedenen islamistischen Organisationen bestehen dabei sowohl in ideologischer Hinsicht als auch in der Vorgehensweise, d.h. insbesondere in der Frage der Legitimation von Gewalt. Die Verfassungsschutzbehörden unterscheiden daher zwischen gewaltfreien und Gewalt befürwortenden Organisationen. 27 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten 3. Potenziale Das bundesweite Potenzial der Anhänger islamistischer Bestrebungen hat sich auf 38.080 Personen (2010: 37.470) erhöht. Die Steigerung resultiert hauptsächlich aus dem Anwachsen der Mitgliederzahl der türkischen IGMG, der jetzt 31.000 (2010: 30.000) Personen zuzurechnen sind. Kleinere Organisationen verzeichneten dagegen Verluste. Bund: Gesamt-Personenpotenzial im Ausländerextremismus mit dem Anteil der Islamisten 70000 60000 57.350 57.300 57.520 57.420 57.300 58.420 59.470 60.980 62.380 64.490 50000 40000 30000 20000 30.600 30.950 31.800 32.100 32.050 33.170 34.720 36.270 37.470 38.080 10000 0 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 Ausländerextremisten davon insgesamt Islamisten - Alle Zahlen sind gerundet - Informationen über extremistische Ausländer, die keine Islamisten sind, enthält das Kapitel III des vorliegenden Verfassungsschutzberichtes 2011 "Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern (ohne Islamismus)". Ende 2011 wurden in Hamburg insgesamt 2.270 Personen islamistischen Bestrebungen zugerechnet, rund 200 mehr als im Jahr 2010. Hauptursache dafür war die Aufnahme des salafistischen Potenzials in die Statistik. Von den aktuell 2.270 Islamisten sind 200 als Salafisten einzuschätzen ( 5.7), hiervon werden 40 als Jihadisten (Befürworter des weltweiten bewaffneten Jihad) bezeichnet. 28 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten Hamburg: Gesamt-Personenpotenzial im Ausländerextremismus mit dem Anteil der Islamisten 3500 3000 2.590 2.630 3.055 3.265 3.000 3.000 2.985 2.930 2.985 3.040 2500 2000 1500 1.200 1.300 1.600 2.000 2.000 2.030 2.005 2.010 2.065 2.270 1000 500 0 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 Ausländerextremisten insgesamt Islamisten - Alle Zahlen sind gerundet - 4. Politisch motivierte Kriminalität (PMK) Seit 2001 wird der Deliktsbereich "Politisch motivierte Kriminalität" (PMK) bundesweit nach einheitlichen Kriterien erfasst. Darin sind sämtliche politisch motivierte Straftaten verzeichnet, extremistische Straftaten werden dabei als Teilmenge registriert. Die statistische Erfassung politisch motivierter Kriminalität sieht im Phänomenbereich "Ausländerextremismus" keine Differenzierung zwischen islamistisch und anderen extremistisch motivierten Delikten vor. Politisch motivierte Straftaten in Hamburg, die eindeutig Islamisten zuzurechnen sind, wurden 2011 nicht festgestellt. Die Relevanz politisch motivierter Kriminalität von Islamisten macht sich allerdings nicht an den Fallzahlen fest, sondern an der möglichen Schwere eines gelungenen Anschlages. Insoweit haben Zahlen bezüglich dieser Klientel nur begrenzten Aussagewert. Allerdings fallen Personen speziell aus dem jihadistischen Spektrum häufig durch allgemeinkriminelle Delikte auf. Da es zwischen dem jihadis29 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten tischen und dem allgemein-kriminellen Milieu Schnittmengen gibt, sind die Motive für die Straftaten (Schleusungen, Fälschungsdelikte u.a.) in diesem Bereich nicht immer eindeutig zu klären. 5. Transnationaler islamistischer Terrorismus 5.1 Aktuelle Entwicklungen Im Jahr 2011 wurden mehrere Personen aus den Führungskadern bedeutender islamistisch-terroristischer Organisationen festgenommen oder getötet. Besondere Bedeutung hatte die Tötung Usama BIN LADENs. Erfolge im Kampf gegen den islamistischen Terrorismus schränkten die betroffenen Gruppen und Netzwerke in ihrer Handlungsfähigkeit vorübergehend ein. Auch in Deutschland gab es zahlreiche Maßnahmen der Sicherheitsbehörden gegen die jihadistische Szene, dazu zählten Hausdurchsuchungen, Festnahmen und Anklagen sowie die Verurteilung islamistischer Straftäter. Bei der Bekämpfung extremistischer Inhalte im Internet erzielten die Sicherheitsbehörden ebenfalls Erfolge. So wurden diverse Internetseiten, wie etwa "Kalimattauhid.net" oder "Islambruederschaft.com", im Jahr 2011 abgeschaltet und Internetportal "Ansarul Aseer" gegen ihre Betreiber Verfahren gemäß SS 129a (Bildung terroristischer Vereinigungen) und SS 129b (Kriminelle und terroristische Vereinigungen im Ausland) StGB eingeleitet. Als eine Reaktion auf die gestiegene Zahl inhaftierter Straftäter mit islamistischem Tathintergrund wurde im Jahr 2011 erstmals ein Internetportal zur Gefangenenhilfe von Islamisten in Deutschland gegründet. (Internetbeitrag des LfV Hamburg: "Ansarul Aseer" - Gefangenenhilfe in der jihadistischen Szene, 18.10.2011) Das Phänomen der Gefangenenhilfe war bisher lediglich aus den Bereichen Linksund Rechtsextremismus bekannt. 30 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten Diverse Audio-, Videound Textbotschaften mit Deutschlandbezug, hauptsächlich von der "Islamischen Bewegung Usbekistan" (IBU), richteten sich an deutschsprachige Unterstützer bzw. Sympathisanten. Dabei beinhalteten viele Veröffentlichungen einen Appell, sich den Kämpfen im afghanisch-pakistanischen Grenzgebiet anzuschließen. Wie auch in den Vorjahren erfolgte die Verbreitung derartiger Nachrichten über das Internet, das damit weiterhin das wichtigste Kommunikationsmittel der Jihadisten ist. Gezielte Drohungen gegen Deutschland im Stile Bekkay HARRACHs ( VSB 2009, S. 35 f.) wurden im Jahr 2011 nicht festgestellt. Allerdings veröffentlichte die IBU im Januar 2012 ein Video, in dem Racheakte in Deutschland angekündigt wurden: "Dennoch muss und wird es, so Allah will, auch in Deutschland eine Serie von Anschlägen auch gegen das Volk geben." Diese würden auch dann kommen, wenn sich die Bundeswehr aus Afghanistan schon längst zurückgezogen hätte. Auch 2011 gab es in Afghanistan mehrere Anschläge auf Angehörige der Bundeswehr. Insgesamt wurden sieben Soldaten getötet und 44 verletzt. 5.2 al-Qaida-Netzwerk Kern-al-Qaida Am 02.05.2011 wurde der Gründer und unumstrittene Führer der al-Qaida, Usama BIN LADEN, von US-amerikanischen Spezialkräften im pakistanischen Abbottabad erschossen. An seine Stelle trat sein bisheriger Stellvertreter Aiman AZ-ZAWAHIRI. Die einzelnen Gliederungen der al-Qaida in Nordafrika (Maghreb) und auf der arabischen Halbinsel haben Aiman Az-Zawahiri zwischenzeitlich alle ihren Treueeid (arabisch: Bai'a) auf ihn abgelegt. Wenngleich AZ-ZAWAHIRI als weniger charismatisch gilt als sein Vorgänger, ist er im internationalen Netzwerk islamistischer Terroristen bisher als legitimer Nachfolger von Usama BIN LADEN anerkannt. 31 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten Im Gegensatz zu früheren Jahren tritt AZ-ZAWAHIRI nun nicht mehr nur durch Audiobotschaften, sondern auch durch im Internet verbreitete Videos an die Öffentlichkeit. In verschiedenen Videos beschäftigte er sich überwiegend mit der Situation in seinem Heimatland Ägypten. Kern-al-Qaida verlor im Jahr 2011 weitere wichtige Führungspersonen. Nur wenige Wochen nach BIN LADENs Tod meldeten Presseagenturen, dass Jamal Ibrahim ISCHTAWI (alias Scheikh ATIYATULLAH, alias ATIYA ABD AL-RAHMAN) bei einem Drohnenangriff des US-Militärs im pakistanisch-afghanischen Grenzgebiet am 22.08.2011 ums Leben gekommen sein soll. Kurz nach der Meldung zur Tötung ISCHTAWIs wurde bekannt, dass das pakistanische Militär Yunis AL-MAURETANI festgenommen hatte. ALMAURETANI stand mit den 2009 ausgereisten Deutschen Rami MAKANESI und Ahmed Wali SIDIQI in Kontakt und hatte versucht, sie für einen Angriffsplan gegen wirtschaftliche Ziele in westlichen Staaten zu rekrutieren. Beide sind mittlerweile in Deutschland inhaftiert. ( 5.6) AL-MAURETANI gehörte zum al-Qaida-Rat für Operationen im Ausland. Auch wenn er festgenommen werden konnte, gibt es Anhaltspunkte dafür, dass von ihm rekrutierte Personen in Europa eigenständig versuchen, seinen Langzeitplan für den Aufbau eigenständig operierender Zellen umzusetzen. Trotz der al-Qaida zugefügten Schläge bleibt der internationale islamistische Terrorismus nach wie vor eng mit dem Namen al-Qaida ("Die Basis") verbunden. Ihren Anspruch auf die ideologische Führerschaft im globalen Jihad macht die Organisation weiterhin über die im Internet verbreitete Medienpropaganda geltend. Aufgrund des "attraktiven" Etiketts "al-Qaida" traten in den vergangenen Jahren auch in Ägypten, Indonesien, Syrien und im Sudan militante Kreise unter dem Namen "al-Qaida" auf. Die Organisation verfügt insofern weltweit über ein quantitativ schwer einschätzbares Potenzial von Anhängern: Einzelpersonen, autonom agierende Zellen und lose verbundene Gruppierungen, die sich der Ideologie des gewaltsamen Jihad verschrieben haben. Die schon vor Jahren begonnene Transformation al-Qaidas von einer straff geführten Organisation in ein eher lockeres Netzwerk mit festen Knotenpunkten bedeutet jedoch nicht, dass die terroristische Gefahr sinkt. 32 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten al-Qaida auf der arabischen Halbinsel (AQAH) "Al-Qaida auf der arabischen Halbinsel" (AQAH) trat zunächst als vorrangig regionale Interessen vertretende Gruppierung auf. Der unter AQAH firmierende saudiarabische al-Qaida-Ableger fusionierte 2009 mit "al-Qaida im Jemen". Internationale Bedeutung erhielt die Gruppe durch den nach Anwar Al-Aulaqi Jemen geflüchteten Prediger Anwar AL-AULAQI und dessen Online-Magazin INSPIRE. Die AQAH hat ihren Schwerpunkt im Jemen und ist dort besonders aktiv. Seit Frühjahr 2011 operieren AQAH und mit ihr verbündete Gruppierungen unter dem Namen ANSAR AL-SCHARIA ("Unterstützer der Scharia"). Unter der Fahne der ANSAR AL-SCHARIA gelang es der AQAH, die Kontrolle über einige Gebiete und Städte im Jemen zu erlangen. Dies war AQAH vor allem durch die innerjemenitische Lage möglich, die im Zuge des "Arabischen Frühlings" von verstärkten internen Auseinandersetzungen und Machtverschiebungen gekennzeichnet war. Von den damit einhergehenden Aufmerksamkeitsverlusten der Sicherheitskräfte gegenüber AQAH profitierte der al-Qaida-Ableger. Ebenfalls im Jemen hatte der amerikanisch-jemenitische Prediger Anwar AL-AULAQI Zuflucht gefunden. AL-AULAQI galt als einer der einflussreichsten Ideologen und Strategen der global-jihadistischen Szene, dies nicht zuletzt wegen seines Einflusses auf islamistische Gruppierungen in den USA selbst, wo er eine Zeitlang gelebt und gepredigt hatte. Auch außerhalb der Vereinigten Staaten fand AL-AULAQI Anhänger, vor allem über seine Facebook-Seite und seinen Blog. Seine Predigten und Schriften wurden auch ins Deutsche übersetzt und über das Internet verbreitet. Zu den bekanntesten und von Jihadisten meist gelesenen Werken zählt der Essay "44 ways to support Jihad". Am 30.09.2011 wurde AL-AULAQI durch einen US-Luftangriff im Jemen getötet. In einem Schreiben vom 08.10.2011 bestätigte AQAH den Tod AL-AULAQIs. Die große Bedeutung, die er auch für deutsche Jihadisten besaß, unterstreicht ein von der IBU im Oktober 2011 veröffentlichtes 33 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten Video in deutscher Sprache. Darin glorifiziert der aus Bonn stammende Yassin CHOUKA den Tod AL-AULAQIs und huldigt dem Verstorbenen. AL-AULAQI gab zusammen mit dem ebenfalls getöteten Samir KHAN das professionell gestaltete Online-Magazin INSPIRE heraus. Von dem Magazin geht insbesondere für Europa und die USA eine Gefahr aus, da es in verständlichem Englisch jihadistische Ideologie verbreitet und verschiedene Anleitungen zur Begehung von Anschlägen liefert. Außerdem ruft die Internetpublikation die Leser dazu auf, in ihren jeweiligen Heimatländern solche Angriffe zu planen Online-Magazin INSPIRE und durchzuführen. al-Qaida im islamischen Maghreb (AQM) Im September 2006 schloss sich die algerische "Groupe Salafiste pour la Predication et le Combat" (GSPC, "Salafistische Gruppe für Predigt und Kampf") der al-Qaida an; seit Januar 2007 operiert sie unter dem Namen "al-Qaida im islamischen Maghreb" (AQM). Sie versteht sich als führende Organisation aller maghrebinischen Jihadisten und bemüht sich um den Ausbau der Kontakte zu gleichgesinnten Mujahidin aus der gesamten Region. Die Einbindung in das alQaida-Netzwerk hat dabei zu einer merklichen Stärkung der Gruppe geführt. Mittlerweile hat sich AQM zu einer Kämpfer der AQM Organisation entwickelt, die auch in Algerien, Libyen, Mali, Burkina Faso, Niger und Mauretanien aktiv ist. Zu ihren Operationen gehören unter anderem Entführungen westlicher Ausländer, um durch Lösegeldzahlungen die nötigen Mittel für künftige terroristische Anschläge zu erhalten. So ist 34 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten die AQM mittlerweile auch zu Operationen gegen Armeekräfte der genannten nordafrikanischen Staaten in der Lage. al-Qaida im Irak - Islamischer Staat Irak (IStI) Nach mehreren Umbenennungen operiert "al-Qaida im Irak" seit 2006 unter dem formellen Oberbefehl der Organisation "Islamischer Staat Irak" (IStI). IStI geht auf eine ebenfalls 2006 gegründete Dachorganisation mit Namen "Mujahidin-Rat im Irak" zurück, die von dem irakischen al-QaidaAbleger und fünf weiteren sunnitischen Widerstandsgruppen gegründet wurde. Seit der IStI-Gründung werden unter seinem Namen Verlautbarungen veröffentlicht und Anschläge begangen. Dem IStI beigetretene Gruppierungen publizieren seitdem nicht mehr unter dem eigenen Namen. IStI zählt zu den schlagkräftigsten und einflussreichsten Terrorgruppen im Irak. Durch die Vielzahl der Anschläge sowie der medienwirksam in Szene gesetzten Gewalttaten und Verlautbarungen war und ist die Organisation eine Anlaufstelle für Jihadisten im Irak und aus der arabischen Welt. Als eine der ersten jihadistischen Organisationen reagierte IStI auf die revolutionären Vorgänge in Ägypten zu Beginn des Jahres 2011. Am 09.02.2011 veröffentlichte IStI ein Video, in dem die Ägypter hauptsächlich davor gewarnt wurden, auf die Modelle der Demokratie und des Säkularismus hereinzufallen. Nur der Jihad biete eine Lösung für die Probleme der Menschen. 5.3 Islamische Bewegung Usbekistans (IBU) Auch bei der Gründung der "Islamischen Bewegung Usbekistans" (IBU) im August 1999 spielten - wie bei anderen islamistischen Gruppierungen - nationale Ursachen eine entscheidende Rolle. Zentrales Ziel der IBU war es, das Regime des usbekischen Präsidenten Islam KARIMOV zu stürzen und durch ein islamisches Staatswesen zu ersetzen, in dem die Scharia (Internetseiten des LfV Hamburg, Arbeitsfeld Islamismus, Grundbegriffe des Islamismus) Anwendung findet. Seitdem ist die IBU auch in anderen Ländern aktiv geworden und strebt mittlerweile die Einführung einer islamischen Gesellschaftsordnung in ganz Zentralasien an. Enge Verbin35 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten dungen bestehen zu al-Qaida und den Taleban, mit denen sie in Afghanistan gegen die Koalitionstruppen kämpfen. Im Mai 2010 bekannte sich die IBU zu einem gemeinsam mit den Taleban durchgeführten Angriff auf deutsche Soldaten. Bei dem Feuergefecht am 02.04.2010 im Distrikt Chahar Darreh (Provinz Kunduz) kamen drei deutsche Soldaten ums Leben. Auch 2011 reklamierte die Organisation die Verantwortung für einige Anschläge. So bekannte sich die IBU in einer Erklärung aus April 2011 zu einem Selbstmordanschlag vom Juli 2010 in Kunduz. Seit 2009 ist die IBU durch eine Vielzahl von Videobotschaften aufgefallen, die sich mit dem Jihad in den afghanischen und pakistanischen Kampfgebieten beschäftigen und regelmäßig Deutschlandbezüge enthalten. Die IBU veröffentlichte auch 2011 wieder einige Videos sowie eine Reihe deutschsprachiger Schriften, in denen aus dem pakistanischen Grenzgebiet zu Afghanistan berichtet und für eine Unterstützung des dortigen Kampfes geworben wird. Unter anderem werden durch UMM SAFIYYA, die Witwe eines ums Leben gekommenen deutschen Kämpfers, Frauen aufgerufen, sich der IBU in Pakistan anzuschließen. Zudem wurde in einer Aufruf von Umm Safiyya im Internet Botschaft Anfang 2011 der Tod mehrerer deutscher Jihadisten, die in den pakistanischen Stammesgebieten bei einem Drohnenangriff ums Leben kamen, bestätigt. Unter ihnen soll sich auch der 2009 aus Hamburg ausgereiste Shahab DASHTI SINEH SAR alias ABU ASKAR befunden haben. Derselben Botschaft der IBU ist zu entnehmen, dass auch Bekkay HARRACH alias ABU TALHA, der im Vorfeld der Bundestagswahlen 2009 ein Drohvideo gegen Deutschland veröffentlichte, bei einem Angriff ums Leben kam. ( VSB 2009, S. 35 f.) 36 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten Ende Oktober 2011 erschien eine Videobotschaft von Yassin CHOUKA; darin thematisiert der aus Bonn stammende Propagandist der IBU den Tod des hochrangigen AQAH-Angehörigen Anwar AL-AULAQI. AL-AULAQI wird als "Muster-Muslim" und "Vorbild der Gelehrten" gepriesen. Es habe ihn das Beste getroffen, was CHOUKAs Auffassung zu Folge einen Muslim im Diesseits treffen kann: Er sei durch die "Hände der Kuffar" (Ungläubige) gestorben und somit zum Märtyrer geworden. Mit diesem Video zeigt die IBU einmal mehr, dass sie sich als Teil einer globalen Bewegung versteht und die Entwicklungen in anderen "Jihad-Gebieten" aufmerksam verfolgt. AL-AULAQI war bekannt dafür, dass er auch Anschläge gegen Zivilisten in westlichen Ländern befürwortete. Die IBU zeigt mit ihrer Lobpreisung für den Getöteten, dass sie auch mit diesen Ansichten AL-AULAQIs übereinstimmt. Im Januar 2012 veröffentlichte die IBU ein professionell gestaltetes Video, nach dem trotz eines möglichen Abzugs der Bundeswehr aus Afghanistan Anschläge in Deutschland durchgeführt werden würden: "Dennoch muss und wird es, so Allah will, auch in Deutschland eine Serie von Anschlägen auch gegen das Volk geben." Wie auch andere Organisationen ist die IBU 2011 durch Drohnenangriffe sowie Verhaftungen und Tötungen wichtiger Führer weiter unter Druck geraten. 5.4 ash-Shabab (Die Jugend) Die ash-Shabab ist eine in Somalia aktive militante Organisation mit Nähe zu alQaida. Sie bekämpft die somalische Übergangsregierung, die von den USA und den Truppen der "African Union Mission in Somalia" (AMISOM) unterstützt wird. In Territorien, die von der ash-Shabab dominiert werden, kommt eine strenge Auslegung der Scharia zur Anwendung. Kämpfer der ash-Shabab in So wird unter anderem die Steinigung als Somalia 2009 Bestrafung für Ehebruch, sowohl für 37 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten Männer als auch Frauen, verhängt. Berüchtigt ist die ash-Shabab auch wegen der von ihr durchgeführten Enthauptungen sogenannter "Spione", die teils auch gefilmt und im Internet veröffentlicht wurden. Ende 2010 schlossen sich Hizb al-Islam (Islamische Partei) und ash-Shabab in einer öffentlichkeitswirksam inszenierten Zeremonie zusammen. Festzustellen ist, dass die ash-Shabab in einen national orientierten und einen global ausgerichteten Flügel gespalten ist. Während Vertreter der nationalen Strömung sich auf eine Machtübernahme in Somalia konzentrieren wollen, orientieren sich Vertreter der globalen Richtung an der Ideologie al-Qaidas zur Führung eines weltweiten Jihad. Dass die Vernetzung mit al-Qaida weiter fortbesteht, zeigt unter anderem ein Mitte 2011 veröffentlichtes Video, in dem ash-Shabab-Vertreter den verstorbenen Usama BIN LADEN preisen und dem neuen Anführer der al-Qaida, Aiman AZ-ZAWAHIRI, ihre Loyalität versichern. In den Reihen der ash-Shabab halten sich auch zahlreiche europäische, insbesondere britische und skandinavische sowie US-amerikanische Staatsbürger auf. Diese erhalten in Somalia eine militärische Ausbildung sowie Kampferfahrung und stellen im Falle einer Rückkehr in ihre Heimatländer ein erhebliches Sicherheitsrisiko dar. Durch erfolgreiche Offensiven der somalischen Übergangsregierung und der sie stützenden AMISOM hat die ash-Shabab 2011 spürbare Verluste erlitten. Dennoch gelangen ihr einige Anschläge gegen die Übergangsregierung. Hierzu zählte insbesondere die Tötung des somalischen Innenministers Farah am 10.06.2011. Der Kampf der ash-Shabab wird auch für europäische Jihadisten attraktiver. So beschäftigten sich auch einzelne Personen aus Deutschland mit dem Gedanken, sich dem Jihad in Somalia anzuschließen. 5.5 Anschläge weltweit Anschläge von al-Qaida-inspirierten Terrorgruppen oder Einzelpersonen in Europa oder den USA konnten im Jahr 2011 zumeist in einem frühen Sta38 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten dium der Vorbereitung verhindert werden oder sie scheiterten an der mangelhaften Ausführung. Außerhalb Europas und der USA gelangen trotzdem zahlreiche terroristische Anschläge, deren Opfer ganz überwiegend die einheimische und zu großen Teilen muslimische Bevölkerung wurde. Diese Attacken in verschiedenen Ländern, beispielsweise Irak, Afghanistan, Pakistan oder Somalia, stehen oftmals im Kontext einer bürgerkriegsartigen Situation. Eines der schwersten Attentate in Europa ist der Sprengstoffanschlag auf den Moskauer Flughafen Domodedovo am 24.01.2011. Hierbei starben 35 Menschen. Dokku UMAROV, der Emir des "Kaukasisches Emirats", bekannte sich am 07.02.2011 zu dem Angriff. Auch dieser Anschlag ist im Zusammenhang mit einem regionalen Konflikt auf dem Kaukasus zu sehen. Dokku Umarov Dies wird aus dem Bekennervideo deutlich, in dem UMAROV sagt, Russland müsse der Region Nordkaukasus die geforderten Rechte einräumen. Der schwerste Anschlag ohne Verbindung zu einem kriegerischen Konflikt ereignete sich am 28.04.2011 in Marrakesch (Marokko) ( 5.6). 5.6 Prozesse, Ermittlungsverfahren und Festnahmen In Deutschland werden beim Bundeskriminalamt derzeit rund 180 Ermittlungsverfahren im Bereich des islamistischen Terrorismus geführt. Zudem gab es, wie in den Vorjahren, auch 2011 wieder eine Reihe von Festnahmen und Prozessen, unter anderem die Folgenden: Deutschland * Am 10.02.2012 wurde Arid UKA vom Oberlandesgericht Frankfurt am Main wegen zweifachen Mordes und dreifach versuchten Mordes zu einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe verurteilt. Das Gericht stellte die besondere Schwere der Schuld fest, so dass der Attentäter nach 15 Jahren Haft nicht vorzeitig entlassen werden kann. 39 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten * Am 09.03.2011 verurteilte der 1. Strafsenat des Kammergerichts Berlin Filiz GELOWICZ wegen der Unterstützung ausländischer, terroristischer Vereinigungen zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten. Die Angeklagte hatte mehrere Tausend Euro für die Ausbildung terroristischer Kämpfer gesammelt und per Internet Mitglieder für die terroristischen Vereinigungen "Islamische Jihad Union" (IJU), "al-Qaida" und die "Deutsche Taleban Mujahideen" (DTM) geworben. Die DTM wurde damit erstmalig als terroristische Vereinigung im strafrechtlichen Sinne ausgewiesen. In diesem Zusammenhang erhielten zwei weitere Personen mehrmonatige Haftstrafen. Filiz GELOWICZ ist die Ehefrau von Fritz GELOWICZ, der als Rädelsführer der sogenannten "Sauerlandgruppe" verurteilt wurde, unter anderem wegen der Vorbereitung von Sprengstoffattentaten in Deutschland. * Am 29.04.2011 nahmen Einsatzkräfte der Polizei in Nordrhein-Westfalen drei Männer fest, die Kontakte zu al-Qaida hatten. Unter der Führung des Marokkaners Abdeladim EL-KEBIR bildeten die zwischen 29 und 31 Jahre alten Männer das Gerüst der sogenannten "Düsseldorfer Zelle", die ein Sprengstoffattentat in Deutschland plante. Ein weiteres mutmaßliches Mitglied der Zelle, der in Bochum wohnhafte Halil S., wurde am 08.12.2011 festgenommen. Zudem wurden zahlreiche Objekte in Nordrhein-Westfalen, Hamburg und SchleswigHolstein durchsucht. Auch in Hamburg gab es in diesem Zusammenhang eine Festnahme. Der Festgenommene soll gemeinsam mit Halil S. zahlreiche Internetbetrügereien begangen, jedoch nichts von den Anschlagsplänen der Zelle gewusst haben. * Am 09.05.2011 verurteilte das Oberlandesgericht Frankfurt am Main den Deutsch-Syrer Rami MAKANESI zu einer Freiheitstrafe von vier Jahren und neun Monaten. MAKANESI, der sich in Bonn und Frankfurt radikalisierte, gründete 2008 die "Hamburger Ausreisegruppe", die im März 2009 nach Pakistan gelangte, um sich dort auf Kampfeinsätze vorzubereiten. ( VSB 2009, S. 50f.) Zu ihr zählte auch Shahab DASHTI SINEH SAR alias ABU ASKAR, der später bei Kämpfen im Jihadgebiet zwischen Pakistan und Afghanistan ums Leben kam. Im Fall MAKANESI sah das Gericht es als erwiesen an, dass der Angeklagte Mitglied im Terrornetzwerk al-Qaidas war und sich im Sommer 2009 in einem pakistanischen Ausbildungslager für Kampfeinsätze im 40 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten Jihad ausbilden ließ. Das geringe Strafmaß war insbesondere auf das umfassende Geständnis des Angeklagten zurückzuführen. Gegen ein weiteres Mitglied der Hamburger Ausreisegruppe, den 37-jährigen Deutsch-Afghanen Ahmad Wali SIDIQI, hat die Bundesanwaltschaft am 02.11.2011 vor dem Oberlandesgericht Koblenz ebenfalls Anklage wegen Mitgliedschaft in ausländischen terroristischen Vereinigungen erhoben. * Das Oberlandesgericht München hat in mehreren voneinander abgetrennten Verfahren die Urteile gegen Mitglieder der deutschsprachigen Sektion der "Globalen Islamischen Medienfront" (GIMF) gesprochen. Den Angeklagten wurde unter anderem vorgeworfen, das terroristische Netzwerk al-Qaida unterstützt und um neue Mitglieder für die Organisation geworben zu haben. Sieben der insgesamt acht Täter, von denen einige noch unter das Jugendstrafrecht fallen, wurden zu gemeinnütziger Arbeit, Therapiemaßnahmen und Bewährungsstrafen verurteilt, darunter auch der gebürtige Hamburger Tarek H. Eine dreieinhalbjährige Haftstrafe verhängte das Gericht gegen den aus Bremen stammenden Rene Marc SEPAC. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass SEPAC eine Drohbotschaft des mittlerweile getöteten al-Qaida-Chefs Usama BIN LADEN ins Internet gestellt hatte und zudem selbst versucht habe, in ein Ausbildungslager des terroristischen Netzwerks zu gelangen. Zusätzlich wirkten sich zwei bereits zuvor ausgesprochene Einzelstrafen aus anderen Verfahren strafverschärfend aus. International * Am 03.02.2011 verurteilte ein Gericht im dänischen Aarhus den somalisch-stämmigen Muhamad G. unter anderem wegen Mordversuchs an dem Mohammed-Karikaturisten Kurt WESTERGAARD zu einer neunjährigen Haftstrafe mit anschließender Abschiebung. G. gehörte in Dänemark einem Netzwerk somalischer Jihadisten an und verfügte über Kontakte zur somalischen Terrororganisation ash-Shabab und zur al-Qaida. Am 01.01.2010 war er mit einem Messer und einer Axt bewaffnet in die Wohnung WESTERGAARDs eingedrungen, mit der Absicht ihn zu töten. Damals konnte das Opfer rechtzeitig fliehen. Ash-Shabab begrüßte den Anschlag, betonte aber, nicht in die Anschlagsplanungen involviert gewesen zu sein. 41 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten * Am 28.04.2011 explodierte in einem Cafe in Marrakesch eine Bombe; dabei starben 17 Menschen, mehr als 20 wurden teilweise schwer verletzt. Unter den Opfern befanden sich unter anderem Touristen aus Frankreich und der Schweiz. Ein halbes Jahr später verurteilte ein Gericht in Sale bei Rabat den Hauptangeklagten zum Tode, ein weiterer Hauptbeschuldigter erhielt eine lebenslange Haftstrafe. Gegen weitere sieben Personen wurden Haftstrafen zwischen zwei und vier Jahren verhängt. Laut der zuständigen Staatsanwaltschaft haben sich die Angeklagten dem bewaffneten Jihad und den Ideen der al-Qaida im Maghreb (AQM) verschrieben. * In der Nacht zum 19.09.2011 nahm die britische Polizei insgesamt sechs Personen fest. Den zwischen 25 und 32 Jahre alten Männern wird die Unterstützung einer terroristischen Vereinigung vorgeworfen. Zudem wird drei Verdächtigen die Vorbereitung von Sprengstoffverbrechen zur Last gelegt. Einige der Festgenommenen sollen darüber hinaus Ausbildungslager besucht und Propagandamaterial hergestellt haben. Eine Woche nach den Festnahmen wurde gegen alle sechs Personen Anklage erhoben. 5.7 Situation in Hamburg Sympathisanten und Unterstützer des bewaffneten Jihad (Heiliger Krieg) befürworten oder unterstützen durch propagandistische, logistische, finanzielle oder sonstige Hilfsleistungen den weltweiten Kampf im Sinne der Ideologie der al-Qaida gegen die "Ungläubigen". Zu diesen Mitteln gehören nicht nur der militärische Kampf in "besetzten" arabischen Ländern oder gegen aus Sicht der al-Qaida ungläubige Führer. Auch Anschläge gegen die Zivilbevölkerung gelten dabei als legitimes Mittel. Die Zahl der Jihadisten in Hamburg liegt wie im Vorjahr bei 40 Personen. ( VSB 2010, 5.9). Gewaltbefürwortende extremistische Äußerungen werden von Jihadisten öffentlich nicht getätigt. Dies gilt auch für die Predigten in den Moscheen. Aufrufe zur Unterstützung terroristischer oder sonstiger gewaltbereiter Gruppen werden allenfalls angedeutet. Durch die Schließung der Taiba-Moschee am 09.08.2010 wurde der Szene der zentrale Ort der Radikalisierung und der Unterstützung jihadistischer Aktivitäten genommen. Die ehemaligen Besucher der Taiba-Moschee suchen ver42 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten schiedene andere Moscheen im Hamburger Stadtgebiet zum Beten auf. Die Vorstände der meisten Moscheen achten jedoch darauf, dass sich verfestigte Strukturen wie in der Taiba-Moschee nicht bilden. Stattdessen hat sich die Kommunikation über den Jihad ins Internet verlagert. In einschlägigen Foren wird unter dem Schutz der Anonymität offen und positiv über den Jihad diskutiert. Das Internet bekommt eine immer größere Bedeutung für die islamistische Szene und stellt die Sicherheitsbehörden vor neue Herausforderungen. So sind Aktivitäten in den gängigen sozialen Netzwerken festzustellen, mit denen für Veranstaltungen geworben wird und mit denen man versucht, insbesondere junge Menschen anzusprechen. Von besonderer Bedeutung sind zudem die Aktivitäten des deutschsprachigen islamistischen Netzwerkes Ahlu-Sunna-Forum, in dem vor allem die streng-salafistische Glaubensauslegung propagiert wird. Ein Teil der verantwortlichen Akteure stammt aus Hamburg. Viele der dort angemeldeten Benutzer weisen bereits einen erheblichen Radikalisierungsgrad auf, der durch ihre regelmäßige Teilnahme am Forum weiter verfestigt wird. Internetseite des Ahlu-Sunna-Forums Die Jihadisten sind eine Teilmenge der wachsenden salafistischen Bewegung. In Hamburg sind dieser islamistischen Strömung etwa 200 Personen (Bund: 3.800) zuzurechnen. Salafisten orientieren sich an der islamischen Frühzeit. Sie versuchen ihre religiöse Praxis und Lebensführung ausschließlich an den Prinzipien des Koran und der Prophetentradition (arabisch: sunna), d.h. den vom Propheten Muhammad überlieferten Aussagen und Handlungen, auszurichten. Dabei kommt bei der Bestimmung dessen, was "wahrhaft islamisch" ist, den sogenannten "rechtschaffenden Altvorderen" (arabisch: as-salaf assalih, daher der Begriff Salafismus) eine entscheidende Rolle zu. Salafisten wollen Staat, Rechtsordnung und Gesellschaft nach einem salafistischen Regelwerk, das als "gottgewollte" Ordnung angesehen und 43 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten propagiert wird, umgestalten. Ziel ist ein Gottesstaat, in dem die Kernprinzipien des deutschen Grundgesetzes keinen Platz hätten. So werden Volkssouveränität und durch Menschen gemachte Gesetze als "shirk" (Götzenglaube) abgelehnt. Anders als die gewaltbereiten Jihadisten werben Salafisten öffentlich für ihre Ziele. So fand am 09.07.2011 am Hamburger Dammtor-Bahnhof eine Großkundgebung mit dem salafistischen Prediger Pierre VOGEL statt. VOGEL warb auf seiner Internetseite für die Veranstaltung. Darüber hinaus wurde im großen Umfang über soziale Netzwerke im Internet zur Teilnahme aufgerufen. Im Vorwege der Veranstaltung wurden von behördlicher Seite Auflagen erteilt. Zu diesen Auflagen gehörten das Verbot, die Kundgebungsteilnehmer nach Frauen und Männern aufzuteilen sowie das Verbot der Vollverschleierung. Während der Veranstaltung wurden unter den rund 1.200 vorwiegend jüngeren Teilnehmern Handzettel weitergegeben, die zu einem Medienboykott aufriefen. Internetwerbung für den Auftritt des salafistischen Predigers Pierre Vogel Kernthema war die Rolle der Frau im Islam. VOGEL schilderte sein Bild einer gehorsamen und gefügigen Frau, nach dem Kopftuchtragen, sich um das Kind kümmern und Haushaltsarbeit besondere Aufgaben seien. Zu Zeiten des Propheten wäre dies noch entsprechend gewürdigt worden. Daher stünde die "Frau" im Islam an "erster Stelle". Ohne direkt auf die Scharia einzugehen, hob VOGEL hervor, dass es ein "anderes Gesetz" gebe, welches dem Grundgesetz "überlegen, moralisch überlegen" sei. Jeder Muslim sei davon überzeugt, dass das, was "Allah herab gesandt" habe, "das Beste" sei. Einige Personen konvertierten während der Veranstaltung und legten auf der Bühne vor VOGEL das Glaubensbekenntnis ab. 44 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten (Internetbeitrag des LfV Hamburg: "Öffentlicher Auftritt von Pierre Vogel", 14.07.2011) Seit Anfang 2012 veranstalten Salafisten aus dem ehemaligen Taiba-Klientel in der Hamburger Innenstadt wiederholt Büchertische und verteilen Koran-Exemplare an Passanten. Auf kritische Nachfragen zum Islam reagierten die Standbetreiber zum Teil aggressiv. (Internetbeitrag des LfV Hamburg: "Koranverteilung soll "Ungläubige" zum Islam bekehren", 22.03.2012) Anfang 2012 geriet der Versuch einer Muslima, in Harburg ein "Muslimisches Kaufhaus" unter dem Namen "Firdaus-Center" zu eröffnen, in die Schlagzeilen. Auswirkungen des Arabischen Frühlings waren auch in Hamburg wahrnehmbar. Anlässlich der Wahlen in Tunesien fanden in Hamburg zwei Veranstaltungen der En Nahda statt (Muslimbruderschaft, 6.1). Syrische Oppositionelle veranstalteten friedliche Kundgebungen gegen die herrschenden Zustände in ihrem Heimatland. An einer dieser Veranstaltungen am 30.04.2011 beteiAufsteller bei der Koranverligte sich auch der ehemalige Imam der Taibateilung in Hamburg Moschee Mamoun DARKAZANLI. Ob er oder andere Islamisten Einfluss auf die friedliche Protestbewegung nehmen wollten, ist nicht bekannt. 6. Sonstige islamistische Gruppierungen 6.1 Transnationale Organisationen Hizb ut-Tahrir (HuT) Die multinationale "Hizb ut-Tahrir" (HuT, auch "Hizb Al Tahrir al Islami", "Befreiungspartei") wurde 1953 von Taqiuddin AN-NABHANI in Jerusalem gegründet. Ihr Ziel ist die Errichtung eines weltweiten islamischen Kalifats auf der Grundlage der Scharia unter der Herrschaft eines Kalifen. Die 45 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten HuT bezeichnet den Islam als Ideologie, an der sich alle Völker und Gemeinschaften auszurichten hätten, selbst wenn sie davon nicht überzeugt seien. Nicht der Islam sei der Realität anzupassen, sondern die Realität sei so zu verändern, dass sie den Regeln der Scharia (islamische Gesetzgebung, Gesamtheit der islamischen Gebote) entspreche. Die HuT behauptet zwar, weder Gewalt noch Terrorismus zu fördern, in ihrem Buch "Lebensordnung des Islam", dem bis heute wichtigsten ideologischen Fundament der Bewegung, rechtferSymbol auf der tigt sie jedoch die gewalttätige Form des Jihad im Sinne Internetseite der eines gewaltsamen Angriffs auf die "Ungläubigen" als Hizb ut-Tahir legitimes Mittel. Die HuT ist in erster Linie eine politische Bewegung, die den Absolutheitsanspruch des Islam mit einem entsprechenden politischen Modell (Kalifat) verbindet und jede hiervon abweichende "ungläubige" Staatsform bekämpft. Ebenso wird jede Teilnahme am politischen Leben in den "blasphemischen Systemen" kategorisch abgelehnt. Feindbild der HuT sind vor allem "die Juden" und die nach ihrer Ansicht mit Israel und westlichen Regierungen kollaborierenden Herrscher der arabischen bzw. islamischen Welt. Mit Israel stehe man faktisch im Krieg, es sei zu bekämpfen und zu vernichten. In zahlreichen öffentlichen Äußerungen zum israelisch-palästinensischen Konflikt wurde zur gewaltsamen Beseitigung des Staates Israel und zur Tötung von Juden aufgerufen. Die HuT ist in nahezu allen arabischen Staaten verboten, weil sie die dortigen Herrschaftsordnungen ablehnt und ihre Staatsoberhäupter als Apostaten (vom Glauben Abgefallene) ansieht. Die Muslime müssen sich nach Ansicht der HuT dieser Herrschaftscliquen entledigen. Trotz der Verbote ist sie in vielen dieser und in anderen islamischen Staaten aktiv, insbesondere im Kaukasus und in Zentralasien. Die Partei ist auch in zahlreichen europäischen Staaten vertreten; ihre Europazentrale befindet sich in London. In Deutschland unterliegt die HuT, anders als etwa in Großbritannien, einem Betätigungsverbot. In der Verbotsverfügung des Bundesministers des Inneren vom 15.01.2003 wurde festgestellt, dass die Organisation sich gegen den Gedanken der 46 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten Völkerverständigung richte, Gewaltanwendung als Mittel zur Durchsetzung politischer Ziele befürworte, das Existenzrecht des Staates Israel verneine und zu seiner Vernichtung aufrufe. Sie verbreite massive antijüdische Hetzpropaganda und fordere zur Tötung von Juden auf. Das Verbot umfasst auch die Produktion und Verbreitung der der HuT zuzurechnenden deutschsprachigen Zeitschrift "Explizit" einschließlich ihrer Internetseite. Das Verbot wurde durch das Bundesverwaltungsgericht am 25.01.2006 erstund letztinstanzlich bestätigt. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass sich die Tätigkeit der Organisation gegen den Gedanken der Völkerverständigung richtet. Es stellte zudem fest, dass es sich bei der HuT nicht um eine Religionsoder Weltanschauungsgemeinschaft handelt. Die HuT-Anhänger setzen dennoch auch in Hamburg ihre politische Agitation fort. Beharrlich versuchen sie, ihren Einflussbereich zu erweitern. Sie verhalten sich dabei konspirativ und vorsichtig, um keine eindeutigen Belege für einen Verstoß gegen das Betätigungsverbot zu liefern. Der Name "Hizb ut-Tahrir" fällt nur in kleineren Kreisen, auf größeren Versammlungen ist die HuT jedoch anhand der vermittelten Ideologie erkennbar. Da die Organisation in Deutschland nicht offen auftreten kann, versuchen ihre Mitglieder - zunächst unter Verschleierung des wahren organisatorischen Hintergrundes - neue Anhänger zu gewinnen. Außer im Umfeld einzelner Moscheen missionieren HuT-Anhänger auch an Hamburger Hochschulen und an einzelnen Schulen. Durch diese intensiven Bemühungen ist der Kreis insbesondere junger Anhänger gewachsen, die sich für die fundamentalistischen Aussagen und die Propaganda der HuT empfänglich zeigen. Einzelne lassen zudem erkennen, dass sie den Vorgaben auch Aktionen folgen lassen wollen. Gegenwärtig können der HuT in Hamburg circa 80 - vorwiegend afghanischund türkischstämmige - Anhänger zugerechnet werden. Sie treffen sich regelmäßig zu öffentlichen Sitzungen und Schulungen. Auf den Veranstaltungen sollen hauptsächlich Jugendliche und junge Erwachsene an die Ideologie der HuT herangeführt werden, häufig ohne die wahren Initiatoren und deren Absichten hinter der Veranstaltung preiszugeben. Der Einfluss in der Billstedter Ibrahim-Khalilullah-Moschee konnte durch den Vorstand weitgehend unterbunden werden, jedoch existieren Gesprächskreise sowohl in der Steilshooper Moschee als auch in verschiedenen anderen Moscheen, in denen HuT-Angehörige versuchen Fuß zu fassen. Mitte 2011 47 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten fand eine internationale HuT-Konferenz in den Niederlanden statt, an der auch Angehörige aus dem gesamten Bundesgebiet, unter anderem eine größere Gruppe aus Hamburg, und dem angrenzenden Ausland teilnahmen. Es konnten insgesamt etwa 1000 HuT-Angehörige festgestellt werden. Versammlung von HuT-Anhängern in Als besonders problematisch sind Amsterdam im Mai 2011 die Anwerbungsversuche der HuT an unterschiedlichen Hamburger Schulen zu sehen. Zunächst unter dem Deckmantel allgemeiner Islamvorträge werden Schüler so zu den Anfängerveranstaltungen der HuT "gelockt" und geraten so nicht selten in deren Einflussbereich. Das Landesamt für Verfassungsschutz steht in diesem Zusammenhang Schulen und dem Landesinstitut für Lehrerbildung und Schulentwicklung beratend zur Seite. Obwohl sie unsere Staatsund Gesellschaftsordnung als nicht islamkonform ablehnen, streben nicht wenige HuT-Mitglieder die deutsche Staatsbürgerschaft an. Das dazu notwendige Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung kann jedoch nur als Lippenbekenntnis gewertet werden, da ein Muslim nach Auffassung der HuT allein dem Kalifen zu schwören habe. Auch die Teilnahme an Wahlen wird als unislamisch abgelehnt. Massive Kritik übt die Bewegung auch an den Integrationsbemühungen einiger islamischer Organisationen und Verbände. Nach Ansicht der HuT bedeute Integration die Anerkennung einer Verfassung, die bereits von vornherein gegen die islamische Ordnung verstoße. In Schulungen wird jungen HuT-Angehörigen vermittelt, dass das Eintreten für eine bessere Integration der Muslime in Deutschland aus eben diesem Grunde "haram" (vom Koran verboten) sei. Zu den Schulungsinhalten gehört auch die Aussage, dass es zu den Pflichten eines jeden Muslim gehöre, den Jihad zu befolgen, wenn es einen Angriff gegen einen einzelnen Muslim oder eine einzelne Muslima abzuwehren gelte. In den vergangenen Jahren haben bereits einige HuT-Anhänger den Weg in jihadistische Kreise gefunden, 48 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten ohne die Kontakte zur Organisation komplett abzubrechen. Diesem Weg folgen immer wieder jüngere Muslime, so dass die HuT für einige die Funktion eines "Durchlauferhitzers" hat. Muslimbruderschaft (MB; Jama'a Ikhwan al-Muslimin) Die ägyptische "Muslimbruderschaft" (MB), 1928 von Hassan AL-BANNA in Ägypten gegründet, ist unter den islamistischen Bewegungen in der arabischen Welt eine der ältesten und einflussreichsten. Sie breitete sich in den 1930er und 1940er-Jahren in die gesamte arabische Welt aus. Als ihr oberster Führer steuerte Muhammad Mahdi AKIF die Organisation von ihrem Sitz in Kairo aus. Der bei den am 21.12.2009 durchgeführten Wahlen in das Exekutivbüro neugewählte "Oberste Führer der MB", Mohammed BADI, gehört der konservativen StröSymbol der mung innerhalb der Partei an. Muslimbruderschaft Die ideologische Ausrichtung der MB basiert auf den Schriften von Hassan AL-BANNA. Die MB sieht ihren überwiegenden Auftrag darin, dem eigenen Islamverständnis weltweit Geltung zu verschaffen. Nach dem Eintritt von Sayyid QUTB im Jahr 1951 setzte eine Radikalisierung der MB ein. Aus seinen Werken "Meilensteine" und "Zeichen auf dem Weg" lässt sich eine Rechtfertigung des bewaffneten Jihad ableiten. Auf die Werke von QUTB beriefen sich auch Anhänger der im August 2010 geschlossenen "Taiba-Moschee" in Hamburg. Ziel der MB ist unter anderem die Errichtung islamischer "Gottesstaaten". Die islamistisch ausgerichtete Organisation ist nicht nur in den arabischen Staaten verbreitet, sondern nach eigenen Angaben auch in zahlreichen Ländern weltweit vertreten. Nach ihrer Ideologie sind die meisten Regime in der muslimischen Welt unislamisch. Ziel der MB ist deren Umgestaltung in Staaten islamistischer Prägung auf der Grundlage der Scharia, der islamischen Rechtsund Lebensordnung. Neuerungen in den Bereichen Politik, Kultur und Bildung werden als Bedrohung angesehen. BADI bekräftigte nach seiner Wahl zum "Obersten Führer" den Gewaltverzicht der MB und erklärte, dass die MB ihre Ziele ausschließlich mit friedlichen und legalen Mitteln erreichen möchte. Der Gewaltverzicht der MB 49 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten gilt allerdings weiterhin nicht für "Besatzer" wie Israel. Vor allem die Palästinenserfrage ist laut BADI für die MB von großer Bedeutung. Hier rechtfertigt die MB den militanten Jihad mit einer Verteidigungssituation und erklärt ihn auf diese Weise für legitim. Eine Reihe von terroristischen GruppieMohammed Badi rungen bildeten sich aus der MB heraus und verselbstständigen sich, darunter "alGama'a al Islamiya" (GI) und "al-Jihad al-Islami" (JI). Bei den 2011 begonnenen Demokratiebewegungen in einigen arabischen Mittelmeerländern - wie Libyen, Tunesien und Ägypten - und den anschließenden freien Wahlen hatte die Muslimbruderschaft große Stimmenzuwachse und der tunesische MB-Ableger En Nahda bei den Wahlen zur Verfassung gebenden Versammlung in Tunesien am 23. Oktober 2011 die Stimmenmehrheit bekommen. Neben den Wahlbezirken in Tunesien gab es auch sechs Wahlbezirke im Ausland, darunter einen in Deutschland. Für die in Deutschland lebenden Tunesier waren in den Regionen Berlin, Hamburg, Bonn und München Wahllokale geöffnet. Die deutsche Wahlliste umfasste 15 verschiedene tunesische Parteien mit jeweils einem Kandidaten. In Hamburg wurden zwei Wahlveranstaltungen durchgeführt, darunter eine mit dem En Nahda-Führungsfunktionär aus Berlin, der auch als Wahlsieger in Deutschland hervorging. In Ägypten errang die Muslimbruderschaft bei den Parlamentswahlen Anfang Dezember 2011 ebenfalls die Stimmenmehrheit. Zu den MB-Strukturen in Deutschland gehört die "Islamische Gemeinschaft Deutschland e.V." (IGD), die aus der 1960 in München gegründeten "Moscheebau-Kommission e.V." hervorgegangen ist. Die IGD wird seit Januar 2010 von Samir FALAH geleitet. Sie hat ihren Sitz im "Islamischen Zentrum München". In Hamburg ist die IGD organisatorisch nicht vertreten. Ihre Anhänger und Sympathisanten treffen sich überwiegend in der Mouhajerin-Moschee an der Kirchenallee. 50 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten Tablighi Jama'at (TJ; Gemeinschaft der Verkündigung und Mission) Die sunnitisch-islamistische Tablighi Jama'at (TJ, "Gemeinschaft der Verkündigung und Mission") wurde 1927 in Indien von dem Religionsgelehrten Mawlana Muhammad ILYAS als eine Wiedererweckungsbewegung gegründet. Vom indischen Subkontinent ausgehend verbreitete sie sich über mehrere Kontinente und ist heute in nahezu 100 Ländern vertreten. Die TJ verfügt bundesweit über circa 700 Anhänger, zu deren Selbstverständnis die wörtliche Auslegung von Koran und Sunna sowie die weltweite Mission gehören. Überall dort, wo Muslime leben, befasst sich die TJ mit der Festigung der islamischen Lebensweise, d.h. Muslime sollen zu einem Leben gemäß Koran und Sunna im Sinne eines fundamentalistischen Islamverständnisses angeleitet werden. Dieses eng am Wortlaut Cover der Publikation "Tableeghi Jamaat" von Koran, Sunna (die Überlieferung von Aussprüchen des Propheten Muhammad) und Scharia (Internetseiten des LfV Hamburg, Arbeitsfeld Islamismus, Grundbegriffe des Islamismus) orientierte Verständnis trägt zur Abgrenzung von Nicht-Muslimen und der Ablehnung des westlichen Wertesystems bei. Obwohl die TJ Gewalt grundsätzlich ablehnt, besteht aufgrund ihres fundamentalen Islamverständnisses und der weltweiten Missionierungstätigkeit die Gefahr, dass die TJ islamistische Radikalisierungsprozesse befördert. So war denn auch bei einigen islamistischen Attentätern ein Vorlauf in der TJ nachweisbar. Durch die weitgehend gemeinsame ideologische Basis mit militanten Gruppierungen besteht zudem die Gefahr, dass die weltweiten Strukturen der Bewegung von terroristischen Netzwerken genutzt werden. Der TJ in Hamburg werden etwa 75 Männer zugerechnet; ihr Zentrum ist die al-Salam-Moschee in St. Georg. In den vergangenen Jahren wurden wiederholt Äußerungen bekannt, die eine ablehnende Haltung und Intoleranz gegenüber wichtigen Prinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung und Intoleranz gegenüber Andersgläubigen deutlich 51 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten machen. Aus den Äußerungen ging auch hervor, dass eine Vielzahl ihrer Anhänger die Einführung der Scharia befürwortet. Die al-Salam-Moschee zählt zwar zu den Moscheen, die bevorzugt von ehemaligen Besuchern der im August 2010 nach dem Verbot des Trägervereins geschlossenen Taiba-Moschee zum Gebet aufgesucht werden, eine Einbindung oder Nutzung der dortigen Strukturen ist jedoch nicht erkennbar. 6.2 Palästinensische und libanesische Organisationen HAMAS (Harakat al-Muqawama al-Islamiya / Islamische Widerstandsbewegung) Nach Beginn der ersten Intifada im Dezember 1987 schlossen sich im Januar 1988 im Gazastreifen Mitglieder der palästinensischen Muslimbruderschaft um Scheich YASIN zur HAMAS ("Islamische Widerstandsbewegung") zusammen. Als Hauptziel nannte die HAMAS die Vernichtung des Staates Israel und die Errichtung eines Staates "Palästina" auf dem gesamten israelischen Gebiet. Die HAMAS bezeichnet sich in ihrer Charta als palästinensischer Teil der Muslimbruderschaft. Symbol der HAMAS Typisch für die HAMAS sind auf der einen Seite die terroristischen Aktionen gegen den Staat Israel und auf der anderen Seite umfangreiche soziale Aktivitäten in Gaza und Westjordanland. So unterhält die HAMAS dort zahlreiche Moscheen, Schulen, Kindergärten und andere soziale Einrichtungen. Diese Infrastruktur dient der Organisation sowohl als Mittel zur Verbreitung ihrer Ideologie bzw. zur Rekrutierung neuer Anhänger als auch zur Gewinnung eines starken Rückhaltes innerhalb der palästinensischen Bevölkerung. Die etwa 300 Anhänger der HAMAS in Deutschland sind in keine feste Struktur eingebunden. Von ihnen sind bisher keine gewaltsamen Aktionen in Deutschland ausgegangen. Die HAMAS-Anhänger beschränken sich auf den propagandistischen Bereich. In den letzten Jahren ist ein Rückgang 52 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten ihrer öffentlichkeitswirksamen Aktivitäten in Deutschland festzustellen. In Hamburg leben nur einzelne Unterstützer. Hizb Allah (Partei Gottes) Die schiitische "Hizb Allah" wurde im Sommer 1982 nach dem Einmarsch israelischer Truppen in den Libanon auf iranische Initiative hin gegründet. Sie entwickelte sich auf Grund massiver iranischer Unterstützung rasch zu einer militanten Sammlungsbewegung libanesischer Schiiten mit Schwerpunkten im Bekaa-Tal, Süd-Libanon und den Vororten Beiruts. Hier agiert sie als parastaatliche Ordnungsmacht. Eine Entwaffnung dieser Miliz ist nach wie vor eine nicht umgesetzte Forderung der UN-Resolution 1559 vom September 2004. Wichtigstes Ziel der Organisation ist der Kampf - Symbol der Hizb Allah auch mit terroristischen Mitteln - gegen Israel als "unrechtmäßigen Besatzer palästinensischen Bodens", den die "Hizb Allah" als "legitimen Widerstand" bezeichnet. Das lange propagierte Fernziel, die Umwandlung des Libanon in eine islamische Republik nach iranischem Vorbild, hat sich im Lauf der Zeit gewandelt. Nunmehr steht die allgemeinere Forderung nach mehr politischem Einfluss und einer Revision des konfessionellen Proporzsystems (Taifija) im politischen und administrativen Bereich zu Gunsten der Muslime und insbesondere der Schiiten im Vordergrund. Die enge ideologische Beziehung zur Islamischen Republik Iran besteht jedoch unverändert fort. Unter dem Dach der "Hizb Allah" agieren eine seit 1992 im libanesischen Parlament vertretene Partei, verschiedene Wohlfahrtsorganisationen sowie der militärische Flügel "Islamischer Widerstand" ("al-Muqawama al-Islamiya"). Die "Hizb Allah" ist im Libanon seitdem zu einem festen Bestandteil des politischen Systems geworden. Bei den Parlamentswahlen im Juni 2009 gewann die von Saad HARIRI angeführte, als pro-westlich angesehene "Allianz des 14. März" (benannt nach dem Datum der größten antisyrischen Demonstration des Jahres 2005). Im Januar 2011 ließ die "Hizb Allah" die Koalition scheitern, da sich 53 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten HARIRI weigerte, sich von dem UNO-Tribunal "Special Tribunal for Lebanon" (STL) zu distanzieren. Dieses wurde eingerichtet, um die Ermordung von Ex-Premier Rafik AL-HARIRI aus dem Jahr 2005 aufzuklären. Mitglieder der "Hizb Allah" sind vom STL als Urheber des Mordes angeklagt. Der "Hizb Allah"-Kandidat Nadjib MIKATI wurde daraufhin vom libanesischen Parlament mit 68 von 128 Stimmen zum neuen Ministerpräsidenten gewählt. In Deutschland sind derzeit etwa 30 Kulturund Moscheevereine bekannt, in denen sich regelmäßig ein Publikum trifft, das der "Hizb Allah" bzw. deren Ideologie nahe steht. Diese Vereine sind überwiegend im Vereinsregister eingetragen. Die Vereinsaktivitäten beschränken sich im Wesentlichen auf interne Treffen, Diskussionsveranstaltungen und religiöse Feiern (zum Beispiel Ramadan und Ashura). Sie sind von dem Bemühen geprägt, die Bindungen der hier lebenden Libanesen an ihre Heimat und an die Organisation zu festigen. Darüber hinaus gehört das Sammeln von Spendengeldern zu den wichtigsten Aufgaben der Vereine. Der Organisation werden bundesweit etwa 900 Anhänger zugerechnet. Die Anordnung des "Hizb Allah"-Generalsekretärs HASSAN NASRALLAHs, sich in Deutschland gesetzeskonform zu verhalten, um keine Angriffsfläche für staatliche Maßnahmen zu bieten, wird weiterhin befolgt. In Hamburg gibt es etwa 30 "Hizb Allah"-Anhänger, die auch im "Islamischen Zentrum Hamburg" (IZH, 6.3.2) verkehren. Von ihnen gehen keine öffentlich wahrnehmbaren Aktivitäten aus. 6.3 Iranische Islamisten 6.3.1 Allgemeines Die Islamische Republik Iran ist keine Demokratie nach westlichen Maßstäben. Das politische System des Iran enthält zwar demokratische Elemente, wie zum Beispiel Wahlen. Durch die Vorauswahl der Kandidaten zeigt sich aber, dass die Auswahl faktisch beim Klerus liegt. Die Islamische Republik Iran basiert auf dem Prinzip der absoluten Herrschaft des Klerus (Velayat-e Faqih), das von dem verstorbenen Großaya-ßayaayatollah KHOMEINI geprägt wurde. Sie ist einerseits ein politisches System 54 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten mit gewählten Gremien und Parlament, andererseits eine theokratische Ordnung. Der Präsident repräsentiert in ihrem Rahmen die Republik und hat sich unter anderem vor dem Volk zu verantworten; der oberste Religionsgelehrte Ayatollah Ali KHAMENEI hingegen ist Stellvertreter des verborgenen Imams, der 874 nicht gestorben, sondern "entrückt" sei und wiederkehren werde, um die Führung zu übernehmen. Die Rolle des obersten Korangelehrten als Platzhalter mit nahezu unbegrenzter weltlicher Machtfülle hat der Gründer der Islamischen Republik Iran, der verstorbene Großayatollah KHOMEINI mit dem eingangs erwähnten Prinzip der Velayat-e faqih, der absoluten Herrschaft des Klerus, formuliert. Ein Leitmotiv der radikal-antiwestlichen iranischen Außenpolitik ist die in der iranischen Verfassung deklarierte Islamisierung der westlichen Nationen ("Export der islamischen RevoluAyatollah Ali Khamenei, Großayatollah Khomeini (rechts) tion"). Viele Ayatollahs, darunter der zwar im Irak lebende, aber auch bei vielen iranischen Schiiten hoch angesehene Ali Hossein SISTANI, lehnen diese Interpretation jedoch ab. Ihrer Ansicht nach solle sich die Geistlichkeit aus der Regierung heraushalten und nur über die Einhaltung der religiösen Vorschriften im Alltag und in der Gesetzgebung wachen. KHOMEINIs Nachfolger KHAMENEI hat von Anfang an dafür gesorgt, dass die entscheidenden Gremien mehrheitlich von seinen Gefolgsleuten besetzt werden. Anhänger des Ayatollah KHAMENEI bezichtigten Parteigänger des Präsidenten Mahmud AHMADINEDSCHAD der religiösen Abweichung. Sogar auf Ketzerei lauten manche Vorwürfe. Die Rivalität zwischen KHAMENEI und AHMADINEDSCHAD manifestierte sich im Oktober 2011 in einer Andeutung KHAMENEIs, wonach Iran künftig keinen vom Volk gewählten Präsidenten mehr haben und ein vom Parlament und nicht vom Volk ausgesuchter Premierminister ausreichen könne. Damit setzte er ein unmissverständliches Signal, dass der geistliche Führer die Nummer eins im Staate sei. 55 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten Im Juli 2011 betonte KHAMENEI in einer Rede vor Kommandeuren der Revolutionswächter (Pasdaran) deren herausgehobene Rolle im System der Islamischen Republik sowie die Wichtigkeit, geschlossen gegen die "wirklichen" Feinde Irans zu stehen und sich nicht in inneren Auseinandersetzungen aufzureiben. Gemeint sind damit die inzwischen weitgehend niedergeschlagene Opposition im Lande, die Kritiker des iranischen Atomprogramms sowie der Westen generell. Die Stürmung der britischen Botschaft in Teheran am 29.11.2011 zeigt, wie ernst das entschiedene Vorgehen gegen Kritiker gemeint ist. Wegen des Berichts der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) hatte Großß- britannien massive Restriktionen gegen iranische Banken im britischen Finanzmarkt eingeleitet. Dies war höchstwahrscheinlich der Grund für die Proteste vermeintlicher Studenten, welche die britische Botschaft in Teheran gestürmt und schwer verwüstet hatten. Der britische Außenminister David Miliband machte die iranische Führung für den Angriff verantwortlich, weil die Demonstranten seiner Ansicht nach "von Elementen des iranischen Regimes kontrolliert" worden seien (Welt Online vom 01.12.2011). Als Konsequenz wies Großbritannien Diplomaten und Mitarbeiter der iranischen Botschaft in London aus. Iran verwies im Gegenzug britische Diplomaten des Landes und warnte den Westen vor einem Militärschlag. Um den Iran zum Einlenken im Atomstreit zu zwingen, hat die Europäische Union zum 01.07.2012 ein Import-Embargo für Erdöl beschlossen. Außerßerdem soll mit Sanktionen gegen iranische Banken,, unter anderem die Zentralbank, Teherans Zugang zum internationalen Finanzsystem und damit die Finanzierung des Atomprogramms erschwert werden. Alle entscheidenden Institutionen Irans liegen in konservativ-islamischer Hand. AHMADINEDSCHAD präsentierte sich der Öffentlichkeit insbesondere mit antiisraelischen Äußerungen und unnachgiebigen Positionen im Streit um das iranische Atomprogramm. Diese Haltung ist Ausdruck einer radikal-antiwestlichen Regierungspolitik Irans. Sowohl auf der innenwie außenpolitischen Bühne wird ein antiwestlicher und rigoros islamistischer Kurs gepflegt. Pro-Iranische Einrichtungen in Deutschland sind grundsätzlich als Instrumente der iranischen Staatsführung zu bewerten. 56 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten 6.3.2 Anhänger der iranischen "Islamischen Revolution" in Hamburg In Hamburg befindet sich die an der Außenalster gelegene schiitische "Imam-Ali-Moschee", deren Trägerverein das "Islamische Zentrum Hamburg e.V." (IZH) ist. Die Position des IZH-Leiters wird traditionell mit einem linientreuen Anhänger der iranischen Staatsdoktrin und der islamischen Revolutionsziele besetzt. Das Islamische Zentrum Hamburg im Internet Der aktuelle IZH-Leiter Ayatollah Dr. Reza RAMEZANI gilt wie seine Vorgänger als Vertreter des Revolutionsführers KHAMENEI in Europa und ist in der schiitischen Gemeinde als religiöser Repräsentant der Islamischen Republik Iran bekannt. Darüber hinaus ist er Mitglied des "Expertenrates", eines Gremiums, das alle vom iranischen Parlament beschlossenen Gesetze auf Verfassungskonformität überwacht und den Revolutionsführer kontrollieren soll. In einigen Verlautbarungen äußern sich Vertreter des IZH zum Verständnis des Islam als Religion mit universellem Geltungsanspruch. Säkularen Gesellschaftsmodellen wird eine klare Absage erteilt. Die Religion, so wie sie vom IZH vertreten wird, ist mehr als der Rahmen für das Verhältnis zwischen Mensch und Gott. Vielmehr soll sie das Verhältnis der Menschen untereinander auf den Feldern der Politik, Ökonomie und Jurisprudenz regeln. Das IZH ist eines der wichtigsten islamischen Zentren in Europa, das von schiitischen Muslimen verschiedener Nationen als zentrale religiöse Anlaufstelle genutzt wird - neben Iranern vor allem von Afghanen, Arabern, Libanesen, Pakistanern und Türken sowie deutschen Konvertiten. In der Moschee finden regelmäßig Gebetsveranstaltungen sowie religiöse Feierlichkeiten statt. Zudem werden diverse Lehrveranstaltungen angeboten, so etwa islamischer Religionsunterricht für Kinder und Sprachunterricht in Arabisch, Deutsch und Persisch. Im Gegensatz zu den früheren Jahren hielt sich das IZH 2011 bei der Unterstützung der alljährlich in Berlin stattfindenden israelfeindlichen Demonstration zum "Jerusalem-Tag" 57 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten ("Quds-Tag") nicht mehr öffentlich zurück. So demonstrierten Funktionäre des IZH am 27.08.2011 in vorderster Reihe ihren Protest gegen die von ihnen so wahrgenommene Besetzung Jerusalems (arabisch: al-quds = die Heilige Stadt) und für die Solidarität mit den Palästinensern. Es gibt nach wie vor Anhaltspunkte für eine Beteiligung des IZH bei der Organisation und Durchführung der Veranstaltung. Das IZH stellt sich nach außen als rein religiöse Einrichtung dar, politische Themen werden üblicherweise umgangen. Allerdings wurde im Rahmen des "Arabischen Frühlings" deutlich, dass die iranische Führung und damit auch das IZH sich als Sachwalter schiitischer Interessen sieht. Nachdem am 14.03.2011 rund 1000 saudische Soldaten in Bahrain einmarschiert waren und es dort zu gewaltsamen Auseinandersetzungen von Demonstranten mit Sicherheitskräften gekommen war, wurde im Rahmen einer Gebetsveranstaltung im Das Islamische Zentrum in Hamburg IZH im April 2011 die Unterdrückung der schiitischen Minderheit in Bahrain durch die sunnitischen Herrscher der Al-Khalifa-Dynastie kritisiert. Im Mai 2011 fand eine "Solidaritätskonferenz" mit dem bahrainischen Volk in einer dem IZH nahestehenden muslimischen Einrichtung in Berlin statt, die unter anderem von Ayatollah RAMEZANI geleitet wurde. Das IZH beeinflusst und kontrolliert iranische schiitische Gemeinden nicht nur in Hamburg, sondern in ganz Deutschland und bedient sich einer Vielzahl religiöser und gesellschaftlicher Organisationen. Es verfügt über Zweigstellen in wichtigen Ballungsgebieten, unter anderem in Berlin und München. Es unterhält ferner Kontakte zu anderen schiitischen Einrichtungen und versucht diese unter seinen Einfluss zu bringen. Über diese Organisationen sorgt das IZH vor allem mit finanziellen Mitteln für die Verbreitung der iranischen "Revolutionsidee" in unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen wie Religion, Bildung und Sport. 58 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten Das IZH ist in einigen islamischen Dachverbänden vertreten. In Hamburg wirkt es in führender Position in der zentralen islamischen Organisation "Rat der islamischen Gemeinschaften in Hamburg e.V." (SCHURA), einem Zusammenschluss zahlreicher Moschee-Trägervereine. Auf Bundesebene gibt es Vertreter im "Zentralrat der Muslime in Deutschland" (ZMD) und in der "Islamischen Gemeinschaft der schiitischen Gemeinden in Deutschland e.V." (IGS) und auf europäischer Ebene in der "Islamisch-Europäischen Union der Schia-Gelehrten und Theologen" (IEUS). Es gibt Tendenzen zur Ausweitung der Einflussnahme bei weiteren Dachverbänden. 6.4 Türkische Islamisten 6.4.1 Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e.V. (IGMG) Die IGMG in Deutschland Die "Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e.V." (IGMG) ist mit schätzungsweise 30.000 Mitgliedern die größte islamistische Organisation in der Bundesrepublik Deutschland. Die ideologischen Wurzeln der IGMG gehen auf den ehemaligen türkischen Ministerpräsidenten Prof. Dr. Necmettin ERBAKAN ( 27.02.2011) zurück, der Ende der 1960er Jahre die Milli Görüs-Bewegung initiierte. Sie strebt die Abschaffung des laizistischen Systems in der Türkei an, d.h. die Überwindung der strengen Trennung von Religion und Staat. ERBAKANs ideologische Schlüsselbegriffe lauten "Milli Görüs" ("Nationale Sicht") und "Adil Düzen" Symbol der IGMG ("Gerechte Ordnung"). Nach seinem Verständnis ist die westliche Welt eine "nichtige Ordnung" ("Batil Düzen"), die durch eine islamische gerechte Ordnung ("Adil Düzen"), d.h. die Scharia als Grundlage für Staat und Gesellschaft, zu ersetzen sei. (Internetseiten des LfV Hamburg, Arbeitsfeld Islamismus, Grundbegriffe des Islamismus) Dieser Anspruch gilt grundsätzlich weltweit. Die IGMG dient als europäischer Ableger, während die "Saadet Partisi" (SP), "Partei der Glückseligkeit", politischer Arm der Milli Görüs in der Türkei ist. 59 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten Wichtiges Sprachorgan der Milli Görüs-Bewegung ist die Tageszeitung "Milli Gazete". Die Zeitung stellt ebenfalls ein wichtiges Bindeglied zwischen der IGMG und der Bewegung in der Türkei dar. In Deutschland erscheint die "Milli Gazete" mit einem um Nachrichten aus Europa erweiterten Teil und berichtet ausführlich über die Politik der SP in der Türkei sowie die Milli Görüs Ideologie. Nach dem Tod ERBAKANs wurde Mustafa KAMALAK zum Vorsitzenden der SP gewählt und formulierte in seiner Antrittsrede: "Nur die Milli Görüs kann die wirklichen Probleme der Türkei lösen und die SP ist die einzige Vertreterin der Milli Görüs." KAMALAK merkte an, dass die Milli Görüs keine Alternative, sondern die einzige Lösung sei und hob hervor, auch nach dem Tod ERBAKANs werde die Milli Görüs auf ihrem Weg bleiben und ihrem Pfad folgen. (Milli Gazete vom 08.03.2011) Auch im Jahr 2011 finden sich zahlreiche Belege dafür, dass die Milli Görüs für die Missstände dieser Welt die Juden, den Kapitalismus und Imperialismus verantwortlich macht: "Wir rufen die Anhänger der Milli Görüs auf, sich trotz aller Ungerechtigkeiten und Angriffe nicht vom Weg des Kampfes abbringen zu lassen. Man darf die Welt nicht den Zionisten überlassen. Es ist die Aufgabe der Milli Görüs, die Die Tageszeitung "Milli Gazete" ist das Welt vor dem Zionismus zu retten." Sprachrohr der Milli Görüs-Bewegung (Milli Gazete vom 01.03.2011) Im Rahmen der im Juni 2011 stattgefundenen Parlamentswahl in der Türkei bezeichnete der stellvertretende Generalsekretär der SP die Wahlen für das Land als auch für die ganze Menschheit als historisch bedeutsam und sagte: "Die Menschheit, die für das Glück einiger Weniger ausgebeutet wird, braucht Milli Görüs heute mehr als je zuvor. Anstelle der Ausbeutung soll die 'Gerechte Ordnung' (Adil Düzen) treten. Die Menschheit wird durch Kriege, Besatzung, Flucht, Ausbeutung und Tyrannei gerade wieder in ein finsteres Mittelalter geschleift. Wir wissen, dass sie auf eine 'Neue Welt'' wartet, die die SP, wenn sie an der Macht ist, schaffen wird. Die SP ist die einzige Vertreterin der Milli Görüs-Bewegung." (Milli Gazete vom 07.02.2011) Der Absolutheitsanspruch der IGMG findet sich auch in einem weiteren Artikel der Milli Gazete: "Der Islam ist die einzige göttliche Religion und kann mit keiner anderen Religion vereinbart werden. Die internationalen 60 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten ausbeuterischen Kreise der USA sowie die globalen Imperialisten versuchen, in der Türkei einen humanistischen Islam einzuführen." (Milli Gazete vom 18.06.2011) Die Milli Görüs ist im Ansatz gegen säkulare Reformbestrebungen im Islam und warnt ihre Anhänger davor. Für sie sind die Einhaltung der religiösen Handlungen und der Gebote der Scharia sehr wichtig. In einem Artikel unter der Überschrift "Der Glaube ist in Gefahr" werden Gründe dargelegt, warum der Glaube der Muslime in Gefahr sei: "Einer dieser Gründe ist, dass man einen Islam ohne islamische Rechtswissenschaften und ohne Scharia erschaffen will. Jene, die die Scharia nicht akzeptieren, können keine Muslime sein. Das rituelle Gebet, das Fasten, die Almosensteuern und andere islamische Pflichten eines Muslims, der die Scharia nicht akzeptiert, sind ungültig. Muslime dürfen nicht vergessen, dass der Koran samt seinen Regeln, Vorschriften, Richtlinien und Ratschlägen fehlerfrei und wahr ist. Er ist auch gemeinsam mit der Sunna und der Scharia die Quelle des Guten." (Milli Gazete vom 06./07.08.2011) Die Saadet Partisi (SP) sichert ihren Einfluss auf die europäische IGMG unter anderem durch zahlreiche persönliche Kontakte. Bekannte SP-Funktionäre besuchen regelmäßig Veranstaltungen der IGMG, um dort in Reden und Vorträgen die Anhänger in Deutschland über die derzeitigen Situationen zu informieren. Die IGMG verfolgt auch nach dem Tod ERBAKANs Bestrebungen, deren Ziele nicht mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu vereinbaren sind. Die Vereinszentrale befindet sich in Kerpen (Nordrhein-Westfalen) und gliedert sich in 15 Regionalverbände, einer davon ist in Hamburg. Ihren eigenen Angaben zufolge hat die IGMG in Europa über 514 Moscheeund Kulturvereine, davon 323 in Deutschland. Die in der IGMG aktiven Mitglieder sind zum größten Teil türkischer und türkischstämmiger Herkunft. Vorsitzender der IGMG seit 2011 ist der von ERBAKAN favorisierte und in der IGMG-Hauptversammlung gewählte Kemal ERGÜN. Die IGMG-Funktionäre und -Mitglieder betonen zwar ihre Eigenständigkeit und Verfassungstreue, tatsächlich gibt es aber weiterhin eine Reihe an Erkenntnissen und Informationen für ihre personelle und organisatorische 61 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten Verflechtung mit der Milli Görüs-Bewegung in der Türkei. So nahmen die Anhänger der IGMG auch nach dem Tod ERBAKANs weiterhin an Aktivitäten wie zum Beispiel Seminaren, Versammlungen, Konferenzen und Vortragsveranstaltungen der SP in der Türkei teil. Die IGMG finanziert sich durch Mitgliedsbeiträge, Spendenkampagnen, den Verkauf von Publikationen und Propagandamaterialien, Beiträgen für die Sterbekasse sowie durch unternehmerische Aktivitäten wie zum Beispiel die Durchführung von Pilgerreisen, den Betrieb organisationsverbundener Geschäfte sowie den Handel mit Immobilien. Die "Europäische Moscheebauund Unterstützungsgemeinschaft e.V." (EMUG) ist zuständig für die Erweiterung und die Verwaltung des Immobilienund Moscheebesitzes der IGMG. Die IGMG ist keine homogene Organisation. Es gibt Bemühungen, eine größere Eigenständigkeit der Organisation gegenüber der türkischen Milli Görüs zu erreichen; inwieweit dies auch mit einer Lösung von dem traditionellen, islamistischen Kurs verbunden ist, ist dagegen noch offen. Ziel der IGMG ist es, die islamische Identität und Kultur der in Deutschland lebenden türkischen Muslime zu wahren. Schwerpunkte dabei sind die Bildungs-, Frauen und JugendarVeranstaltung der IGMG-Jugendorganisation beit. So veranstaltete die Studentenabteilung der IGMG-Jugendorganisation am 22.10.2011 den dritten "Uniday" in der Bielefelder Stadthalle mit etwa 2.200 Teilnehmern. Das Motto des Treffens lautete "Unsere Visionen schöpfen aus der Vergangenheit". In seiner Eröffnungsrede forderte der Vorsitzende der Studentenabteilung der IGMG-Jugendorganisation eine Stärkung der muslimischen Identität. Regelmäßig werden Koran-Wettbewerbe organisiert. Kinder im Alter von sieben bis neun Jahren nehmen daran teil, wobei sie sowohl Suren auswendig vortragen als auch deren Bedeutung anführen. Durch solche Veranstaltungen versucht die IGMG ihre eigene religiöse und kulturelle Identität zu stärken und ihre Anhänger vor einer Assimilation zu bewahren. Begriffe wie "Assimilation" und "Integration" werden im Bereich der Jugendarbeit häufig gebraucht. Die IGMG ist bestrebt, der Assimilation entgegenzuwirken. Für sie soll das Leben in Deutschland vorrangig von 62 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten islamischen Wertund Gesellschaftsvorstellungen geprägt sein. Nach Überzeugung der IGMG dürfe man sich nicht von seinen Glaubenswurzeln entfernen. Mit diesem Islamverständnis trägt die IGMG jedoch maßgeblich zur Aufrechterhaltung und Verfestigung parallelgesellschaftlicher Strukturen bei. So steht in der Milli Gazete unter der Überschrift "Wie sich unsere Mädchen bedecken müssen?": "Es ist eine islamische Pflicht und die Aufgabe der Mädchen und Frauen, ihren Körper zu bedecken." [Anmerkung: Der Autor definiert Bedeckung (im Original: Tesettür) nicht als ein Kleidungsstück oder als einen Kleidungsstil.] "Die Bedeckung ist vielmehr der Schutz für das, das nicht gesehen werden darf. Die Frauen müssen sich so bedecken, dass ihre Schönheit versteckt ist. Deshalb muss eine islamkonforme Kleidung unter anderem den ganzen Körper bedecken und die Konturen verhüllen." (Milli Gazete vom 11.08.2011) Die IGMG publiziert auch religiöse Lernmaterialien für die Kinderund Jugendarbeit wie zum Beispiel Bücher, Zeitschriften und sogenannte "Wissenskarten", weil es die Organisation als Hauptanliegen ansieht, Kinder und Jugendliche in ihrem Sinne religiös zu schulen. Bei den "Wissenskarten" handelt es sich um Übungskarten, deren Inhalte die Kinder und Jugendlichen im Eigenstudium lernen sollen. Am Ende jeder Lernkarte befinden sich die richtigen Antworten zu den Fragen. Ein Teil der "Wissenskarten" weist extremistische Bezüge auf bzw. widerspricht dem Gedanken der Völkerverständigung und diskreditiert andere Glaubensrichtungen. In einer der Karten wird zum Beispiel gefragt, welche der genannten Religionen - a) Schamanismus, b) Schintoismus, c) Christentum, d) Buddhismus - auf einem verdorbenen Ursprung beruht. Als richtige Antwort wird das "Christentum" angegeben. In einer anderen Wissenskarte werden Menschen in vier Kategorien unterteilt: Gläubiger, Ungläubiger, Götzendiener und Heuchler. Die "Wissenskarten" geben das doktrinäre Islamverständnis der IGMG wieder. Die vorstehenden Beispiele sind Anhaltspunkte dafür, dass die IGMG nach wie vor personell, organisatorisch und ideologisch eng mit der Milli GörüsBewegung in der Türkei verbunden ist. Ein weiteres wichtiges Thema für die IGMG ist das Verbotsverfahren gegen die "Internationale Humanitäre Hilfsorganisation e.V." (IHH). Bei 63 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten der IHH mit Sitz in Frankfurt am Main handelte es sich um einen weltweit tätigen Verein zur Sammlung von Spenden, die der IHH zufolge ausschließlich für humanitäre Zwecke bestimmt waren. Im Juli 2010 wurde die IHH vom Bundesinnenministerium verboten. Der Vereinssitz in Frankfurt, die IGMG-Zentrale in Kerpen sowie Privaträume von Funktionären und Mitarbeitern wurden durchsucht. Laut Verbotsverfügung habe die personell und strukturell eng mit der IGMG verflochtene IHH Spendengelder unter anderem an palästinensische Organisationen weitergeleitet, die der islamistischen HAMAS ( 6.2) nahestehen. Das Bundesverwaltungsgericht hat 2011 im Rahmen einer mündlichen Verhandlung folgenden Vergleich vorgeschlagen: Die IHH verpflichtet sich 1. bis zum 30.06.2014 keine für die palästinensischen Gebiete im Gazastreifen und Westjordanland bestimmten Hilfeleistungen zu erbringen und 2. bis zum 31. Januar eines jeden Jahres eine Aufstellung ihrer Einnahmen und Ausgaben des Vorjahres beim Bundesinnenministerium vorzulegen. Das Vereinsverbot wäre abschließend am 30.06.2014 zurückgenommen worden, wenn die IHH dauerhaft die oben genannten Verpflichtungen eingehalten hätte. Das Bundesinnenministerium lehnte den Vergleichsvorschlag jedoch ab und trug weitere Tatsachen vor, die das Vereinsverbot rechtfertigen sollen. Mit Urteil vom 18.04.2012 bestätigte daraufhin das Bundesverwaltungsgericht das Vereinsverbot. Die IGMG in Hamburg In Hamburg wird die IGMG von dem "Bündnis der Islamischen Gemeinden in Norddeutschland e.V." (BIG) vertreten. Dem BIG gehören insgesamt 15 Moscheevereine (davon neun in Hamburg, fünf in SchleswigHolstein und einer im nördlichen Niedersachsen) sowie zahlreiche regionale und lokale Nebenorganisationen an. Dazu zählen in Hamburg neben der "Centrum Moschee" an der Böckmannstraße (St. Georg) Moscheen in Wilhelmsburg, Harburg, auf der Veddel, Eidelstedt, Altona, Neugraben und Neuenfelde. Zudem unterhält das BIG Bildungsstätten in Harburg und im niedersächsischen Seevetal. 64 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten Dem BIG gehören weitere Organisationen in den Bereichen Frauen, Bildung, Studenten und Jugendliche an, wie etwa die "Islamische Hochschulgemeinde e.V." (IHg) und die "Muslimische Frauengemeinschaft" (MFG). In Hamburg sind den BIG-Vereinen circa 1.650 Mitglieder zuzurechnen. Aus dem Intenetauftritt des BIG Das BIG ist als Verein zwar rechtlich unabhängig, tatsächlich jedoch als Hamburger Regionalverband ("Bölge") fest in das hierarchische Organisationsgefüge der IGMG eingebunden. Es orientiert sich in der Struktur und Arbeitsweise an den Vorgaben der Zentrale. Diese Vorgaben werden auch entsprechend kontrolliert. Der Vorsitzende Ramazan UCAR ist der IGMGZentrale in Kerpen unterstellt, ebenso sein Stellvertreter Ahmet YAZICI. Zahlreiche BIG-Funktionäre nahmen am 14.05.2011 an der Jahreshauptversammlung der IGMG in Duisburg teil. Die BIG-Funktionäre streiten ihre Zugehörigkeit zur IGMG nicht ab, sind aber bemüht, eine gewisse Eigenständigkeit zu wahren und einer vollständigen Vereinnahmung durch die IGMG-Führung in Kerpen und durch die Milli Görüs-Bewegung in der Türkei entgegenzuwirken. So greift das BIG in der Regel bei Veranstaltungen auf Redner aus den eigenen Reihen zurück und lädt nur selten Personen ein, die offiziell der IGMG oder der SP zuzurechnen sind. Trotzdem ist zu beobachten, dass die von der IGMG-"IrschadRamazan Ucar Abteilung" (Abteilung für "religiöse Wegweisung") herausgegebenen Freitagspredigten von mehreren BIG-Gemeinden übernommen werden. Wie in den Vorjahren wurden 2011 vereinzelt Beiträge mit BIG-Bezug in der Milli Gazete veröffentlicht. Als einer der größten muslimischen Verbände in Hamburg ist das BIG Ansprechpartner für die Politik und den Senat der Freien und Hansestadt 65 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten Hamburg. So ist es in die Verhandlungen zwischen den muslimischen Gemeinden in Hamburg und dem Senat über eine Vereinbarung einbezogen, in denen eine Anerkennung der muslimischen Gemeinden als Religionsgemeinschaft angestrebt wird. Darüber hinaus werden Vertreter der Hamburger Politik und des Senats zu öffentlichkeitswirksamen Veranstaltungen eingeladen wie zum "Tag der offenen Moscheen" oder zum jährlichen "Iftar"-Empfang (gemeinsames Fastenbrechen im Ramadan). Weiterhin bestehen jedoch Anhaltspunkte dafür, dass ein großer Teil von IGMG-Anhängern ERBAKAN als ihre zentrale Identifikationsfigur ansieht und sich mit den ursprünglichen Zielen der SP verbunden fühlt. Das BIG ist nach wie vor als integraler Bestandteil der IGMG anzusehen. 6.4.2 Türkische Hizbullah Die "Türkische Hizbullah" (TH) ist sunnitisch-islamistisch ausgerichtet. Sie entstand Anfang der 1980er Jahre in Diyarbakir (Osttürkei) durch den Zusammenschluss einiger kurdischer Gruppierungen. Sie strebt einen auf dem islamischen Recht basierenden Staat in der Türkei an und befürwortet zur Durchsetzung ihrer Ziele ausdrücklich auch gewaltsame Methoden. In der Türkei kam es zwischen dem Ende der 1980er und der Mitte der 1990er Jahre zu Kämpfen zwischen der TH und der PKK ( III. 4), in deren Verlauf mehrere Hundert Personen getötet wurden. Darüber hinaus wird die TH für zahlreiche politisch motivierte Morde in der Türkei verantwortlich gemacht, zu denen sie sich jedoch nie bekannt hat. Zwar haben intensive Maßnahmen der türkischen Strafverfolgungsbehörden die Organisation Ende der 1990er Jahre nachhaltig geschwächt; es gibt jedoch Anzeichen dafür, dass sie sich derzeit erholt und in einer Phase der Restrukturierung befindet. In Deutschland sind der TH aktuell mehrere Hundert Anhänger zuzurechnen. Hinweise auf die Anwendung von Gewalt liegen hier nicht vor, vielmehr konzentriert sich die TH in erster Linie auf den Ausbau ihrer strukturellen und finanziellen Möglichkeiten. In Hamburg gibt es etwa 50 TH-Anhänger, die sich jedoch nicht öffentlich politisch betätigen; ihre Aktivitäten mit Außenwirkung sind vorwiegend 66 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten religiös und kulturell geprägt. Ihr wichtigster Anlaufpunkt ist die VahdetMoschee am Steindamm. Anfang Januar 2011 wurden aufgrund einer im Jahr 2004 durchgeführten Änderung des türkischen Strafgesetzes zahlreiche in türkischer Haft sitzende Führungsmitglieder sowie Angehörige der TH entlassen, da deren Prozess nicht innerhalb von zehn Jahren abgeschlossen wurde. Laut Zeitungsberichten wurden die führenden Hizbullah-Mitglieder bei ihrer Entlassung aus dem Gefängnis von Diyarbakir von Tausenden Menschen empfangen. In einem Interview mit der Tageszeitung "Hürriyet" beantwortete einer der Freigelassenen die Frage des Journalisten, ob er Reue für seine Taten empfinde, mit den Worten "Weshalb sollten wir etwas bereuen? Wir sind Muslime. Im Islam gibt es keine Reue." (Hürriyet vom 11.01.2011) Zu den Freigelassenen zählte unter anderem Edip GÜMÜS, Nachfolger des im Jahr 2000 von türkischen Sicherheitskräften in Istanbul getöteten THGründers und Anführers Hüseyin VELIOGLU, sowie Cemal TUTAR, der Verantwortliche für den militärischen Flügel der Organisation. Die Freilassung der Führungsmitglieder war an Auflagen gebunden: Neben einem Ausreiseverbot hatte jeder der ehemaligen Häftlinge die Pflicht, sich täglich bei der Polizei zu melden. Allerdings waren bereits Mitte Januar 2011 alle aus der Haft Entlassenen ihrer Meldeauflage nicht mehr nachgekommen und sind größtenteils untergetaucht. Gleichzeitig fanden im Januar und Februar 2011 in der Türkei zahlreiche weitere Operationen gegen die TH und damit verbundene Festnahmen statt. Die Ideologie der TH ist antisemitisch geprägt. Dies lässt sich zum Beispiel aus einem Artikel in der Wochenzeitung "Dogru Haber" (Ausgabe Nr. 164) entnehmen, die der TH zuzurechnen ist. Dort heißt es: "Die Gründung des israelischen Staates durch die zionistischen Juden, diese größte anzunehmende Katastrophe", sei vor 63 Jahren vollzogen worden. "Das zionistische Israel" setze noch heute seine verbrecherischen Angriffe, die sich gegen das unschuldige palästinensische Volk richteten, fort. Die Tatsache, dass die Zionisten unter der Aksa-Moschee Ausgrabungen vornähmen, um diese Moschee zum Einsturz zu bringen, zeige, wie ernst die Lage in Israel sei. 67 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten Das islamistische Weltbild der TH offenbart sich in einer Ramadan-Botschaft von Edip GÜMÜS, der sich seit seiner Flucht vermutlich im Iran aufhält. Darin fordert er die Mitglieder der TH auf, sich verstärkt für die Verschleierung der Frauen einzusetzen. In einer weiteren Internet-Botschaft schreibt GÜMÜS: "Mein Gott soll alles, was wir für ihn machen, anerkennen. Ganz gleich, ob wir in Zukunft im Gefängnis sitzen, zu Hause sind oder auf der Straße, wir werden versuchen, unsere Pflicht als Diener Gottes zu erfüllen." (TH-nahe Internetseite "hurseda.net" vom 07.01.2011). Damit verdeutlicht er, dass die TH ihren Kampf fortsetzen wird, und wo erforderlich, auch mit illegalen Mitteln. Auch im Jahr 2011 gab es wieder zahlreiche Veranstaltungen der TH; so wurde am 17.01.2011, dem Todestag Hüseyin VELIOGLUs, seiner in vielen deutschen und europäischen Städten gedacht. Anlässlich der "Heiligen Geburtswoche des Propheten Mohammed" ("Kutlu Dogum"-Feier) richtete die TH erneut eine Großveranstaltung in Temse (Belgien) aus, an der circa 1.500 bis 2.000 Personen teilnahmen. Die Besucher reisten unter anderem aus verschiedenen europäischen Staaten an. Laut "hurseda.net" sollen sogar 5.000 Personen teilgenommen haben. Regional gab es noch weitere Feierlichkeiten anlässlich der "Heiligen Geburtswoche". Banner auf der Internetseite huseynisevda.biz" Im Januar 2012 veröffentlichte die TH auf der Internetseite "huseynisevda. biz" ein aus 37 Punkten bestehendes Manifest, dessen einzelne Punkte unter dem Titel "Allgemeine Grundsätze" aufgezählt werden. Verfasst wurde es vom derzeitigen TH-Führer Edip GÜMÜS. Erwähnenswert sind hierbei insbesondere folgende Aussagen: 68 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten * Regime und Regierungen, in denen der Islam nicht vorherrscht und in denen der Koran nicht als Legitimitätsgrundlage herangezogen wird, werden als "dem Islam entgegengesetzt" betrachtet. Im Gegensatz zu beispielsweise den Salafisten verurteilt die TH jedoch nicht alle Muslime als Ungläubige, die in solchen Regimen leben und sich nicht dagegen wehren. * Die Befreiung Jerusalems ist ein Ziel der TH. Um dies zu erreichen, werde die Organisation alle Bewegungen im Rahmen ihrer Möglichkeiten unterstützen. * Die Besetzung "islamischen Bodens" wird nicht hingenommen, so dass die TH es als ihre Pflicht ansieht, für die Beendigung eines solchen Zustands zu kämpfen und diejenigen Muslime, die sich gegen eine solche Besetzung wehren, zu unterstützen. Die aus seiner Sicht benachteiligte Lage der Muslime sieht GÜMÜS darin begründet, dass der Islam nicht das vorherrschende System sei. Alle nicht auf dem Islam basierenden politischen Systeme lehnt GÜMÜS ab, so dass er folgerichtig auch keine staatliche Verfassung als gesetzliche Grundlage akzeptiert. Die Etablierung des Islam als politische und gesellschaftliche Ordnung stellt somit das Hauptziel der TH dar. 6.5 Afghanische Organisationen Hezb-e Eslami-ye Gulbuddin (HIG, Islamische Partei Gulbuddin) / Hezb-e Eslami-ye Afghanistan (HIA, Islamische Partei Afghanistans) Mitte der 1970er-Jahre gründete Gulbuddin HEKMATYAR im pakistanischen Exil die "Hezb-e Eslami-ye Afghanistan" (HIA). Ihr Ziel ist es, sämtliche Bereiche des öffentlichen Lebens an islamischen Prinzipien und dem islamischen Recht (Scharia) auszurichten. 1979 zerfiel die Partei in unterschiedliche Fraktionen, wobei die Strömung um HEKMATYAR zumeist als "Hezb-e Eslami-ye Gulbuddin" (HIG) bezeichnet wird. Das Ausmaß der tatsächlichen Differenzen zwischen der militärisch agierenden HIG und der politischen HIA sowie der Einfluss HEKMATYARs auf die HIA sind nicht klar erkennbar. Obwohl sich die HIA am politischen Prozess beteiligt, betont sie immer wieder die eigene 69 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten Mujahidin-Vergangenheit und auch die besondere Rolle HEKMATYARs. Eine kritische Aufarbeitung der eigenen Geschichte ist nicht erkennbar. Selbst wenn die HIA dem bewaffneten Kampf wirklich abgeschworen haben sollte, hält sie noch immer an ihrer Zielsetzung, der Ausrichtung von Politik und Gesellschaft an radikal-islamischen Vorstellungen, fest. Während der Besatzung Afghanistans durch die UdSSR bekämpfte die HIG die russischen Streitkräfte und wurde hierbei vom pakistanischen Geheimdienst Inter Service Intelligence (ISI) intensiv gefördert. Nach dem Ende des Taleban-Regimes im Jahr 2001 setzte ein Spaltungsprozess innerhalb der HIG ein, der das Entstehen einer radikalen und einer moderaten Strömung zur Folge hatte: Während die heutige HIA sich am parlamentarischen Prozess und an Wahlen in Afghanistan beteiligt, Emblem der HIG lehnt die HIG die Präsenz ausländischer Truppen in Afghanistan ab und bekämpft diese auch militärisch. Den Kampf gegen die alliierten nicht-afghanischen Truppen der Regierung KARZAI wird von HEKMATYAR als "Jihad" bezeichnet. Dabei arbeitet die HIG auch mit anderen Terrororganisationen wie al-Qaida zusammen. 2006 hatte sich HEKMATYAR öffentlich "unter das Banner" von al-Qaida und Usama BIN LADEN gestellt. In Deutschland lassen sich keine klaren Grenzen zwischen der HIG und HIA ziehen. Feste Organisationsstrukturen sind nicht festzustellen. Ihre Anhängerschaft in Hamburg besteht nur aus wenigen Personen, allerdings verfügen diese über bundesweite Ausstrahlung und sind vernetzt mit den "Hezb-e Eslami-ye"-Verantwortlichen im Ausland (zum Beispiel USA, Norwegen, Dänemark). Hamburg ist begehrter Veranstaltungsort für Treffen, Vorträge und Feierlichkeiten, welche nicht nur von der Anhängerschaft in Hamburg besucht werden. So fand im August 2011 eine Veranstaltung der afghanischen Community mit circa 450 Teilnehmern statt, die eindeutig von der "Hezb-e Eslami-ye" dominiert wurde und an der auch HEKMATYAR-Befürworter aus anderen deutschen Städten teilnahmen. Hauptvortragender war ein der "Hezb-e Eslami-ye" zuzurechnender Prediger aus Frankfurt. Anhänger der "Hezb-e Eslami-ye" stehen mit Anhängern der in Deutschland verbotenen Hizb ut-Tahrir (HuT) in Kontakt. ( 6.1) 70 Verfassungsschutz in Hamburg Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern (ausgenommen islamistische Bestrebungen) Linksextremismus Rechtsextremismus Scientology-Organisation Spionageabwehr Geheimund Sabotageschutz; Wirtschaftsschutz Anhang * Hamburgisches Verfassungsschutzgesetz * Abkürzungsverzeichnis * Stichwortverzeichnis Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern (ausgenommen islamistische Bestrebungen) III. Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern (ausgenommen islamistische Bestrebungen) 1. Entwicklungen und Schwerpunkte im Überblick Die Verfassungsschutzbehörden klassifizieren die von ihnen beobachteten Bestrebungen traditionell in die Bereiche Links-, Rechtsund Ausländerextremismus. Diese Klassifizierung ist insofern etwas missverständlich, als es sich auch bei solchen extremistischen Gruppierungen, die vor allem von Menschen ausländischer Herkunft unterstützt werden, um linksbzw. rechtsextremistische Bestrebungen handeln kann. "Ausländerextremistische" Gruppen werden vom Verfassungsschutz auch beobachtet, wenn sie "...durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden." (SS 4 Abs. 1, Nr. 3 HmbVerfSchG) Auch extremistische Bestrebungen mit religiösem Bezug, also insbesondere der Islamismus ( II.), lassen sich nicht in die herkömmliche Klassifizierung einordnen. Sie werden deshalb gesondert ausgewiesen. Banner auf einer PKK-Internetseite mit dem Foto von Abdullah Öcalan Unter den in Hamburg aktiven extremistischen Ausländerorganisationen kommt der mit einem Betätigungsverbot belegten "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK, 4.) eine besondere Bedeutung zu. Sie ist weiterhin die mitgliederstärkste Organisation und besitzt die Fähigkeit, auch kurzfristig auf bestimmte Ereignisse zu reagieren, zum Beispiel im Zusammenhang mit der Haftsituation Abdullah ÖCALANs in der Türkei oder Sanktionen des türkischen Staates gegen kurdische politische Parteien, oder auch anlässlich der Verhaftung eines PKK-Kaders am 12.10.2011 in Hamburg. Bei diesem Anlass kooperierten die PKK-Anhänger mit einigen Gruppen aus dem 72 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern (ausgenommen islamistische Bestrebungen) deutschen Linksextremismus. Wie schon in den Vorjahren verliefen diese Aktionen in Hamburg gewaltfrei. Türkische linksextremistische Organisationen ( 5.1) sind in Hamburg mit der "Devrimci Halk Kurtulus Partisi-Cephe" (DHKP-C), der "Türkiye Komünist Partisi/Marksist Leninist" (TKP/ML), der "Maoist Komünist Partisi" (MKP) und der "Marksist Leninist Komünist Partisi" (MLKP) vertreten, die allerdings kaum öffentlich agieren. Inhaltlich konzentrieren sie sich auf Migrantenund Arbeiterinteressen, insbesondere auf sozialpolitische Themen in Deutschland und in der Türkei. Es bestehen Anhaltspunkte dafür, dass türkische Linksextremisten enger mit der PKK zusammenarbeiten würden. Auch von türkisch-nationalistischen Organisationen ( 5.2) gehen in Hamburg öffentliche Aktivitäten aus. Am 22.10.2011 fand eine Demonstration mit dem Tenor "Gegen den Terror der PKK in der Türkei und überall" statt, an der in der Spitze etwa 2.300 Personen teilnahmen. Auslöser waren Angriffe von Guerilla-Gruppen der PKK in der Nacht vom 18. auf den 19.10.2011 auf mehrere Unterkünfte der türkischen Armee, die nach Presseangaben 24 Tote forderten. An dieser friedlich verlaufenen Demonstration nahmen auch einzelne Personen teil, die dem türkisch-nationalistischen Spektrum zugerechnet werden können. Es gelang ihnen jedoch nicht, diesen Anlass zur weiteren Verbreitung ihrer Ideologie zu vereinnahmen. In Deutschland sind eine Reihe von Personen und Gruppierungen aktiv, die separatistische Bestrebungen in verschiedenen Ländern Asiens unterstützen. Einzelne Personen werden gewaltanwendenden Organisationen zugerechnet. So begann am 19.10.2011 vor dem Oberlandesgericht Frankfurt die Hauptverhandlung gegen fünf mutmaßliche Rädelsführer der sogenannten "Khalistan Zindabad Force" (KZF), denen Mitgliedbzw. Rädelsführerschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung und Verstöße gegen das Waffengesetz vorgeworfen wird. Die KZF verfolgt das Ziel, auf dem Gebiet des indischen Bundesstaates Punjab unter Einsatz von Gewalt einen unabhängigen Staat für Angehörige der Religionsgemeinschaft der Sikhs einzurichten. Einem der Angeklagten, der seinen Erstwohnsitz in Hamburg hat, wird vorgeworfen, er hätte die für ein Attentat bestimmte Schusswaffe von Hamburg nach Österreich transportieren sollen, um sie dort dem mutmaßlichen Attentäter zu übergeben. 73 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern (ausgenommen islamistische Bestrebungen) Die seit 2006 auf der EU-Terrorliste geführten "Liberation Tigers of Tamil Eelam" (LTTE) werden in Deutschland durch das "Tamil Coordination Comitee" (TCC) vertreten. Das TCC ist propagandistisch aktiv und sammelt Spenden für die LTTE. Die Zentrale der Organisation befindet sich in Oberhausen. In Hamburg sind keine Aktivitäten der Organisation bekannt geworden. 2. Potenziale Im Jahr 2011 betrug in Deutschland die Zahl der Anhänger extremistischer Ausländerorganisationen (ohne Islamisten) 26.410 (2010: 24.910). Davon wurden 18.570 Personen (2010: 17.070) linksextremistischen ausländischen Organisation sowie 7.840 Personen (2010: 7.840) extrem-nationalistischen ausländischen Organisationen zugerechnet. Bund: Personenpotenzial im nichtislamistischen Ausländerextremismus 30000 25000 26.750 26.350 25.720 25.320 25.250 25.250 24.750 24.710 24.910 26.410 20000 15000 10000 5000 0 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 - Alle Zahlen sind gerundet - Der Anstieg um 1.500 Personen beruht auf einer neuen Einschätzung des Potenzials bei Personen aus dem kurdischen Kulturkreis, die mit 13.000 Personen (2010: 11.500) die größte ausländische extremistische Gruppie74 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern (ausgenommen islamistische Bestrebungen) rung bildeten. Die zweitgrößte Volksgruppe mit 10.150 (2010: 10.150) waren Personen türkischer Herkunft (ohne Kurden). Bundesebene: Anhängerpotenzial im nichtislamistischen Ausländerextremismus (nach Staats-/Volkszugehörigkeit und ideologischer Ausrichtung) Linksextremisten Nationalisten Staatsbzw. Volkszugehörigkeit 2010 2011 2010 2011 Kurden 11.500 13.000 - - Türken 3.150 3.150 7.000 7.000 Araber 150 150 - Iraner 1.150 1.150 - - Sonstige 1.120 1.120 840 840 Gesamt 17.070 18.570 7.840 7.840 - Alle Angaben sind gerundet - Das nachstehende Diagramm veranschaulicht den Anteil der Islamisten am Gesamtpotenzial ausländischer Extremisten in der Bundesrepublik Deutschland. Die geringe Zahl der deutschen Konvertiten wurde hier vernachlässigt. Informationen darüber, um welche islamistischen Gruppierungen es sich im Wesentlichen handelt, welche Gefahren von ihnen ausgehen und wie sich die Situation in Hamburg darstellt, finden Sie im Kapitel "II. Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten". In Hamburg wurde die Zahl der Anhänger ausländischer politisch-extremistischer Gruppierungen (ohne Islamisten) im Jahr 2011 auf etwa 770 Personen (2010: 920) geschätzt. Der Rückgang beruht darauf, dass eine Organisation nicht mehr durch das LfV Hamburg beobachtet wird. 75 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern (ausgenommen islamistische Bestrebungen) Bund: Gesamt-Personenpotenzial im Ausländerextremismus mit dem Anteil der Islamisten 70000 60000 57.350 57.300 57.520 57.420 57.300 58.420 59.470 60.980 62.380 64.490 50000 40000 30000 20000 30.600 30.950 31.800 32.100 32.050 33.170 34.720 36.270 37.470 38.080 10000 0 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 Ausländerextremisten davon insgesamt Islamisten - Alle Zahlen sind gerundet - Sie verteilen sich auf die verschiedenen Phänomenbereiche wie folgt: * Die Anhängerschaft der PKK ( 4.) wird auf rund 600 Personen geschätzt (2010: 600), * Die Zahl türkischer Linksextremisten ( 5.) betrug 140 (2010: 140), * Die Anhängerschaft extremistischer Organisationen iranischer Nationalität wird auf 30 (2010: 180) geschätzt. Informationen über iranische Islamisten: ( II.6.3) 76 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern (ausgenommen islamistische Bestrebungen) Hamburg: Gesamt-Personenpotenzial im Ausländerextremismus mit dem Anteil der Islamisten 3500 3.265 3.055 3.000 3.000 2.985 2.930 2.985 3.040 3000 2.590 2.630 920 920 770 1.455 980 1.390 1.330 1.265 1.000 970 2500 2000 1500 1.200 1.300 1.600 2.000 2.000 2.030 2.005 2.010 2.065 2.270 1000 500 0 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 Ausländerextremisten Islamisten ohne Islamisten - Alle Zahlen sind gerundet - 3. Politisch motivierte Kriminalität (PMK) Im Jahr 2011 wurden 33 politisch motivierte Straftaten im Ausländerextremismus in Hamburg erfasst. Damit erreichte die Zahl nach einem Rückgang auf 14 Fälle im Jahr 2010 wieder das Niveau der Vorjahre (2009: 30). (Definition PMK: II.4) Diese Taten lassen sich den verschiedenen Delikten zuordnen. Häufig handelte es sich um Farbschmierereien und Sachbeschädigungen. Schwere Straftaten waren weiterhin nicht zu verzeichnen. Kundgebungen und Demonstrationen ausländisch-extremistischer Gruppierungen verliefen im Jahr 2011 weitgehend störungsfrei. Die PKK als größte unter ihnen ist weiterhin bemüht, in Deutschland und Europa als politischer Ansprechpartner akzeptiert zu werden. Daher hält sich die Organisation bei der Mobilisierung ihrer Anhänger im Gegensatz zu früheren Jahren auch in Hamburg sehr zurück. Ein gewisses Risikopotenzial stellen jedoch jugendliche Anhänger der PKK dar, die sich nicht immer an die Direktiven der Organi77 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern (ausgenommen islamistische Bestrebungen) sationsleitung halten. Auffällig sind insbesondere die Besetzungsaktionen im Zeitraum Oktober bis November 2011 (Rathaus, CDU-Geschäftsstelle und Spiegel-Verlagsgebäude), die mit ihren Widerstandshandlungen eine neue Form des gewaltsamen Protestes darstellen, während in den Vorjahren Sachbeschädigungen, zum Beispiel durch Brandstiftung, festzustellen waren. PMK2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 Ausländer PMKAusländer 25 29 31 39 42 33 46 30 14 33 insgesamt davon extrem. 15 16 12 20 13 12 35 7 3 5 Kriminalität hiervon extrem. 1 7 6 12 2 4 7 1 1 4 Gewaltdelikte Die Zahlen stammen von der Polizei Hamburg. - Stand: Februar 2012 - 4. PKK (Arbeiterpartei Kurdistans) 4.1 Entwicklungen und Organisatorisches Die PKK hatte 1984 hauptsächlich im Südosten der Türkei einen Guerillakrieg gegen das türkische Militär begonnen. Das Ziel, ein eigener kurdischer Staat, wurde später aufgegeben und durch die Forderung nach begrenzter Autonomie innerhalb des türkischen Staates ersetzt. Die am 27.11.1978 in der Türkei gegründete Emblem der PKK von 1978 PKK wurde in Deutschland am 26.11.1993 verboten. In der Folge gab es erhebliche Auseinandersetzungen. Die Organisation setzte ihre Aktivitäten ab April 2002 zunächst unter dem Namen KADEK fort; seit 15.11.2003 firmiert sie als KONGRA GEL. Das gegen die PKK verhängte Betätigungsverbot gilt auch für diese und alle anderen Nachfolgeorganisationen. 78 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern (ausgenommen islamistische Bestrebungen) Ungeachtet der mehrfachen Namenswechsel besteht die Kernorganisation PKK weiter. Über die Jahre unverändert ist die innere Struktur mit dem Charakter einer autoritär geführten Kaderorganisation. Der PKK-Gründer Abdullah ÖCALAN befindet sich seit 1999 auf der türkischen Insel Imrali in Haft. Über seine Anwälte hielt er bis Ende Juli 2011 weiterhin Kontakt zur PKK und übte bis dahin noch immer beträchtlichen Einfluss auf die Organisation sowie deren Strategie und Handeln aus. Seit August 2011 werden die Treffen mit seinen Anwälten unterbunden. In der Folge demonsAbdullah Öcalan trierten seine Anhänger in den kurdischen Landesteilen der Türkei, in Europa und auch in Deutschland mehrfach gegen die "Isolationshaft". Presseberichten zufolge wurden in der Türkei am 22.11.2011 mehrere Anwälte ÖCALANs festgenommen, die nach dortigen Ermittlungen insgesamt 130 seiner Anweisungen an die Organisation weitergeleitet haben sollen. ÖCALAN habe bei einem letzten Treffen eine Anweisung für einen Bürgerkrieg erteilt. Einer der Anwälte steht im Verdacht, Vorsitzender des Führungskomitees der KCK ("Koma Civaken Kurdistan" - Vereinigte Gemeinschaften Kurdistans) zu sein und 2004 an einem PKK-Kongress teilgenommen zu haben. Dabei wurde ein Foto beschlagnahmt, auf dem er bei Schießübungen in den nordirakischen Kandil-Bergen zu sehen ist. Basierend auf den Vorstellungen ÖCALANs wurde seit 2005 die Idee eines überstaatlichen Gemeinwesens Murat Karayilan der Kurden entwickelt. Als organisatorische Struktur wurde hierzu die KCK ins Leben gerufen, deren höchstes Beschlussgremium der KONGRA GEL ist. Trotz seiner Inhaftierung fungiert formell ÖCALAN als Führer der KCK. Zwar liegt die Leitung in den Händen von Murat KARAYILAN, dem Vorsitzenden des KCK-Exekutivrats und designierten Nachfolger ÖCALANs, jedoch gilt die von ÖCALAN und dem Exekutivrat der KCK festgelegte Führungslinie quasi als Gesetz. 79 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern (ausgenommen islamistische Bestrebungen) Wie bereits im Vorjahr setzte ÖCALAN der Türkei als selbsternannter Verhandlungsführer der PKK auch im ersten Halbjahr 2011 erfolglos mehrere Ultimaten zur Durchsetzung seiner politischen Forderungen. So drohte ÖCALAN wiederholt mit seinem Rückzug aus der Organisation und eine Beendigung des im Jahr 2010 von der PKK einseitig ausgerufenen Waffenstillstands an, um im Anschluss verstrichene Fristen abermals zu verlängern. Einige Unterredungen mit staatlichen Delegationen blieben diffus und ohne weitere Auswirkungen. Obwohl der politische Kurs der Organisation in der Anhängerschaft für Irritationen sorgte, bleibt ÖCALAN weiterhin die unbestrittene Führungsund Integrationsfigur, um die die PKK weiterhin einen regelrechten Personenkult betreibt. Die Forderung nach seiner Freilassung ist seit Jahren eines der zentralen Agitationsthemen. Der 2010 verkündete Waffenstillstand galt nicht uneingeschränkt, sondern die Organisation behielt sich das Recht auf "Selbstverteidigung" ausdrücklich vor. Nach Aussage eines hochrangigen KCK-Funktionärs könne eine demokratisch-politische Lösung des Kurdenproblems ohne Guerilla nicht erreicht werden. Deshalb sei es die demokratische Hauptpflicht jedes Patrioten, diese (die Guerilla) zu beschützen, bzw. sich ihr nach Möglichkeit anzuschließen. Die "Selbstverteidigung" umfasst nach dem Verständnis der PKK auch das Verüben von Anschlägen. Das Verhältnis zwischen der türkischen Regierung und der PKK hat sich, nach einer kurzen Entspannungsphase in 2009, weiter verschlechtert. Eine politische Lösung des Konfliktes zeichnet sich derzeit nicht ab. So hatte der türkische Ministerpräsident am 14.08.2011 angekündigt, man werde nach dem Fastenmonat Ramadan (Ende August) "hart gegen die PKK vorgehen". Als Reaktion darauf drohte KARAYILAN in einem Interview, dass die Freiheitsbewegung Selbstmordkommandos ausbilde, die sich nicht umsonst vorbereiteten. Die Bewegung unterhalte seit Jahren ein "Bataillon der Unsterblichen". KARAYILAN wörtlich: "Wenn unserem Führer [Abdullah ÖCALAN] irgend etwas geschieht, bleibt kein Führer in der Türkei [am Leben]." Guerillaeinheiten der PKK verübten am 17.08.2011 einen Anschlag auf einen Militärkonvoi in Cukurca (Türkei), bei dem insgesamt neun Personen getötet und 15 verletzt wurden. Daraufhin verstärkte die türkische Armee ihre militärischen Interventionen gegen bewaffnete Kräfte der PKK und 80 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern (ausgenommen islamistische Bestrebungen) bombardierte mehrere Stützpunkte in den türkisch-irakischen Grenzregionen. Die Auseinandersetzungen zwischen den türkischen Streitkräften und der PKK-Guerilla verschärften sich danach weiter mit zahlreichen Toten und Verletzten auf beiden Seiten. Zudem gab es in zahlreichen türkischen Städten gewalttätige Aktionen, zumeist Brandanschläge von Jugendlichen. Die "Freiheitsfalken Kurdistans" (TAK) übernahmen die Verantwortung für einen Bombenanschlag am 20.09.2011 in der türkischen Hauptstadt Ankara und zwei weitere Anschläge in Eskisehir und Antalya Ende August. In Ankara wurden drei Menschen getötet und 34 weitere verletzt. Bei den Sprengstoffanschlägen in Eskisehir und Antalya - laut TAK handelte es sich um "Warnungen" - hatte es einige Leichtverletzte und geringen Sachschaden gegeben. Banner auf der Internetseite der TAK Laut "Firat News Agency" (ANF) drohten die TAK mit weiteren Anschlägen in türkischen Städten. Die Explosion in Ankara sei ein "Beginn" gewesen. Weiterhin heißt es in einer E-Mail wörtlich: "Wie in unseren vorangegangenen Warnungen erläutert, haben wir nun als Organisation kein Mitgefühl mehr. Jeder Ort ist ein Aktionsfeld und ein Ziel (...) Speziell die türkischen Metropolen werden unsere Kriegsplätze sein (...) Von nun an soll niemand von uns Zurückhaltung fordern." Nach vorliegenden Erkenntnissen formierten sich die TAK 2004 aus den Reihen der HPG. Bereits zwischen 2004 und 2008 sowie in 2010 verübten sie vor allem in Metropolen und Tourismuszentren zahlreiche Anschläge, insbesondere gegen zivile Ziele, aber auch gegen Angehörige türkischer Sicherheitskräfte und staatliche Einrichtungen in der Westtürkei. Welche Verbindung zwischen der PKK und den TAK besteht, ist unklar. Offiziell haben sich beide Gruppierungen stets gegenseitig voneinander distanziert. Festzustellen ist jedoch, dass die TAK den PKK-Gründer ÖCA81 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern (ausgenommen islamistische Bestrebungen) LAN als ihren "Führer" bezeichnen und terroristische Aktivitäten immer dann entwickeln, wenn der Konflikt zwischen PKK und türkischem Militär eskaliert. Auf politischer Ebene sind die türkischen Parlamentswahlen am 12.06.2011 besonders erwähnenswert. Zur Umgehung der Zehn-Prozent-Hürde bildete die BDP ("Partei des Friedens und der Demokratie"), die sich als Ersatzpartei der 2009 wegen ihrer Nähe zur PKK verbotenen DTP konstituierte, gemeinsam mit mehreren kleineren Parteien den "Block für Arbeit und Freiheit", der 65 unabhängige Kandidaten zur Wahl stellte. Davon konnten zwar 36 Kandidaten ein Mandat erringen, jedoch befanden sich einige der gewählten Personen wegen Verbindungen zur KCK in Haft. Einem Abgeordneten wurde aufgrund seiner Haftstrafe vom Hohen Wahlrat der Türkei das Mandat entzogen. In der Folge boykottierten die Abgeordneten des von der BDP geführten Blocks ihre Mandatssitze im Parlament, und es kam in den kurdischen Regionen zu einigen schweren Ausschreitungen. Erst Ende September 2011 entschloss sich die BDP, ab dem 01.10.2011 ihre Arbeit im türkischen Parlament aufzunehmen. 4.2 Aktivitäten und Schwerpunkte in Deutschland Auf der Europaebene liegt die Parteiarbeit der PKK in den Händen ihres politischen Arms, der "Koordination der kurdischen demokratischen Gesellschaft in Europa" (CDK). Ebenfalls auf Europaebene obliegt die Koordinierung des Vereinslebens dem europäischen Dachverband "Konföderation der kurdischen Vereine in Europa" (KON-KURD), der 1993 gegründet wurde und in Brüssel ansässig ist. Ihm sind die jeweiligen nationalen - der PKK nahestehenden - Dachverbände kurdischer Vereine als Mitgliedsorganisationen angeschlossen. In Deutschland tritt für die Belange der PKK die Dachorganisation "Föderation kurdischer Vereine in Deutschland e.V." (YEK-KOM) ein, der über 40 Ortsvereine angehören. Die YEK-KOM übernimmt vor allem Propagan82 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern (ausgenommen islamistische Bestrebungen) datätigkeiten, indem sie für Presseerklärungen und Flugblätter verantwortlich zeichnet und häufig als Anmelderin von öffentlichen Veranstaltungen fungiert. Neben aktuellen Kampagnen (zum Beispiel gegen die Festnahme von Funktionären oder die Haftbedingungen ÖCALANs) setzt sich die YEKKOM kontinuierlich für die Aufhebung des Betätigungsverbots ein und fordert die Streichung der PKK und ihrer Nachfolgeorganisationen von der EU-Terrorliste. Am 03.04.2008 hatte das Gericht Erster Instanz der EU die - im Jahr 2002 erfolgte - Aufnahme der PKK und des KONGRA GEL in die "Terrorliste" für nichtig erklärt. Die Richter sahen die Listung als nicht ausreichend begründet an. Trotzdem ist sie bisher nicht aufgehoben worden, da nach Auffassung des EU-Ministerrates das Gerichtsurteil die Gültigkeit der "Terrorliste" nicht berührt. Eine endgültige Entscheidung der europäischen Gerichte steht weiterhin aus. Für das in Deutschland bestehende vereinsrechtliche Betätigungsverbot der PKK sowie ihrer Nachfolgeund Teilorganisationen hat das Urteil keine unmittelbaren Auswirkungen. Ferner initiierte die YEK-KOM im Sommer ihre sogenannte "Identitätskampagne" zur Anerkennung der Kurden als eigenständige Migrantengruppe. Nach Eigenangaben habe Aufruf zur man dem Petitionsausschuss des Bundestags dazu bis Identitätskampagne zum 15.09.2011 circa 50.000 Unterschriften überreicht. am 15.09.2011 Jahrelang richteten sich Strafverfahren gegen die PKK und ihre Funktionäre als Angehörige einer kriminellen Vereinigung nach den Bestimmungen des SS129 StGB. Der Bundesgerichtshof änderte im Oktober 2010 seine Rechtsauffassung dahingehend ab, dass es sich bei der PKK um eine ausländische Vereinigung i. S. d. SS129b StGB handele, da ihre Mitglieder in Deutschland lediglich die Vorgaben der PKK-Gesamtorganisation im Ausland umsetzen und keine eigenständigen Entscheidungen treffen. Aufgrund dieser Rechtsprechung richten sich die Ermittlungen der Strafverfolgungsbehörden nunmehr gegen eine terroristische Auslandsorganisation nach Maßgabe des SS129b in Verbindung mit SS129a StGB. 2011 wurden mehrere führende Organisationskader festgenommen, einer davon Mitte Oktober in Hamburg. Die Verhaftung eines PKK-Kaders in Hamburg 83 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern (ausgenommen islamistische Bestrebungen) wurde auch von deutschen linksextremistischen Gruppierungen aufgegriffen, die seitdem immer wieder Solidaritätskundgebungen für Ali Ihsan KITAY organisierten, an denen sich auch PKK-Sympathisanten beteiligten. Die PKK verfügt ungeachtet des Betätigungsverbots und der erfolgten Festnahmen in Deutschland weiterhin über einen illegalen und konspirativ handelnden Funktionärskörper. Ebenso besteht weiterhin eine feste Organisationsstruktur: Deutschland ist in drei "Bereiche" ("Saha") unterteilt - Nord, Mitte und Süd. Auf der darunter liegenden Hierarchie-Ebene sind "Gebiete" ("Serit") angesiedelt; Hamburg bildet zusammen mit seinem "Umland" in Schleswig-Holstein und Niedersachsen ein solches Gebiet. In Deutschland sind circa 13.000 Personen der PKK zuzurechnen. Für ihren großen Funktionärsapparat und ihre umfangreichen Aktivitäten sowie zur Unterstützung der Guerilla in der Türkei bzw. den angrenzenden Staaten benötigt die PKK erhebliche finanzielle Mittel, die vor allem in Europa beschafft werden. Die Einnahmen stammen vor allem aus Beiträgen der Mitglieder, dem Verkauf von Publikationen und den Erlösen aus Veranstaltungen. Den größten Teil bringen die jährlichen Spendensammlungen ein. Hierbei erhält jedes Gebiet oftmals kaum zu erreichende Zielvorgaben und steht unter dem organisationsinternen Druck, diese zu erfüllen. Den Spendern wird - dem Selbstverständnis der PKK entsprechend, alle Kurden zu vertreten - erklärt, dass ihre Zahlungen eine "Steuer" zur "Befreiung Kurdistans" seien, der man sich nicht entziehen könne. Die PKK bzw. die ihr angeschlossenen Organisationen führen pro Jahr mehrere bundesweite Großveranstaltungen durch, die in erster Linie den inneren Zusammenhalt stärken sollen. Darüber hinaus dienen solche Veranstaltungen regelmäßig dazu, wichtige Themen der PKK (zum Beispiel die Haftsituation ÖCALANs) im Bewusstsein der eigenen Anhänger wachzuhalten. Um dies zu erreichen, ignorierte die PKK bei ihren Aktionen das Betätigungsverbot in Deutschland: * Am 05.02.2011 fanden in Düsseldorf und Walsrode störungsfrei verlaufene Demonstrationen gegen Hinrichtungen von Kämpfern oder Aktivisten der "Partei für ein Freies Leben in Kurdistan" (PJAK), dem iranischen Ableger der PKK im Iran, statt. An der Demonstration in Düsseldorf, zu der ein PKK-naher Verein aufgerufen hatte, nahmen nach Polizeiangaben bis zu 500 Personen teil. An dem von einer PKK84 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern (ausgenommen islamistische Bestrebungen) Aktivistin angemeldeten Aufzug in Walsrode beteiligten sich nach Angaben der Polizei circa 180 Personen. Im Rahmen dieser überwiegend friedlich verlaufenen Kundgebungen gab es vereinzelt Widerstandshandlungen gegen Polizeibeamte. Zudem wurde eine Straßenblockade durchgeführt. * Deutsche PKK-Anhänger beteiligten sich am 12.02.2011 an einer Großdemonstration in Straßburg (Frankreich), mit welcher an den 12. Jahrestag der Festnahme ÖCALANs erinnert wurde. Im Herbst 1998 hatte die Regierung Syriens auf massiven Druck der Türkei ÖCALAN ihre Unterstützung entzogen und ihn veranlasst, sein dortiges Exil aufzugeben. Die PKK betrachtet dies als Beginn eines "internationalen Komplotts" zur Festnahme und Verurteilung ÖCALANs. Nach Angaben der PKK-nahen Zeitung "Yeni Özgür Politika" (YÖP) sollen 50.000 Personen aus mehreren westeuropäischen Ländern an der störungsfreien Kundgebung teilgenommen haben. Tatsächlich lag die Teilnehmerzahl laut Polizeiangaben jedoch wie im Vorjahr nur bei etwa 6.500 Personen, ein Großteil davon aus Deutschland. Wie YÖP berichtete, habe einer der Rechtsanwälte ÖCALANs in einer Rede seine Hochachtung für diejenigen zum Ausdruck gebracht, die vor zwölf Jahren ihre Körper "den Flammen übergeben" hätten. Im Anschluss sei eine Grußbotschaft ÖCALANs verlesen worden, nach der das Jahr 2011 entweder einen "ehrenvollen Frieden" oder einen "revolutionären Volkskrieg" bringen werde. Anhänger und Sympathisanten der PKK reagieren auch in Deutschland mit demonstrativen Aktionen auf die seit Mitte August verstärkten Interventionen der türkischen Armee gegen bewaffnete Kräfte der PKK im türkischirakischen Grenzgebiet. * So führten vom 19. bis 22.08.2011 insgesamt mehrere Hundert Anhänger der PKK in mehreren deutschen Städten Protestkundgebungen durch, so unter anderem in Hamburg, Stuttgart, Gießen, vor dem türkischen Generalkonsulat in Hürth sowie vor dem nordrhein-westfälischen Landtag in Düsseldorf. Die friedlich verlaufenen Kundgebungen waren zumeist durch örtliche PKK-nahe Vereine unter anderem unter dem Motto: "Stoppt die militärischen Angriffe der türkischen Regierung und Verbesserung der Haftbedingungen von A. Öcalan - für eine demokratische und friedliche Lösung der kurdischen Frage!" angemeldet worden. 85 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern (ausgenommen islamistische Bestrebungen) * Weiterhin fanden am 24.07.2011 in Köln (circa 200 Teilnehmer) und am 30.07.2011 in Mannheim (circa 2.000 Teilnehmer) überwiegend friedlich verlaufene Protestkundgebungen türkischer Volkszugehöriger - unter Beteiligung türkischer Nationalisten - gegen den "PKK-Terror" statt. * Kurden und Autonome störten eine Kundgebung am 21.08.2011 in Stuttgart (circa 350 Teilnehmer, Motto: "Friedensdemo gegen den PKK-Terror in der Türkei"), indem sie versuchten, eine Polizeikette zu durchbrechen. Im späteren Verlauf kam es zu verbalen und tätlichen Auseinandersetzungen zwischen Kurden und Türken, wobei eine Person verletzt wurde. Polizeiliche Einsatzkräfte wurden mit Flaschen und Pflastersteinen beworfen. Eine weitere Eskalation konnte nur durch den Einsatz von Pfefferspray und Schlagstöcken verhindert werden. Es wurden 30 Personen vorläufig festgenommen und gegen acht Personen Ermittlungsverfahren unter anderem wegen schweren Landfriedensbruchs eingeleitet. * Die PKK-nahe Tageszeitung "Yeni Özgür Politika" (YÖP) veröffentlichte am 19.08.2011 eine Erklärung der CKD, wonach jeder Ort, in dem Kurden wohnen, in eine Festung verwandelt werden müsse. Weiter heißt es, das kurdische Volk werde auf dem Weg in die Freiheit "auch weiterhin ihren Führer, ihre Guerilla, ihre Märtyrer und ihre Errungenschaften bis zum Letzten verteidigen und zu einem totalen Widerstand übergehen und mit dem ,Revolutionären Volkskrieg' auf den ,totalen Krieg' antworten". * Im RheinEnergieStadion in Köln fand am 03.09.2011 das von der YEK-KOM organisierte "19. Internationale Kurdische Kulturfestival" unter dem bekannten Motto "Freiheit für Abdullah Öcalan - Frieden in Kurdistan" statt. Die Veranstaltung, die von circa 40.000 Teilnehmern aus ganz Europa besucht wurde, war wieder geprägt von diversen folkloristischen Darbietungen und einer Videobotschaft Murat KARAYILANs. Die PKKJugendorganisation "Komalen Ciwan" rief in einer im Rahmen des Festivals verlesenen Grußbotschaft dazu auf, sich dem im türkischirakischen Grenzgebiet geführten "Guerilla-Krieg" anzuschließen. 86 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern (ausgenommen islamistische Bestrebungen) Während der Veranstaltung wurden mehrere Tausend Fahnen mit Symbolen der PKK gezeigt. Entsprechende Strafverfahren wurden eingeleitet. Am 22.09.2011 entschied der Europäische Gerichtshof (EuGH) die vom Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) vorgelegte Rechtsfrage, ob das in Deutschland gegen den PKK-nahen Fernsehsender "Roj TV" ergangene Betätigungsverbot mit europäischem Recht vereinbar ist. Nach der Entscheidung des EuGH darf Deutschland die Ausstrahlung von "Roj TV" nicht verhindern, so dass der aus Dänemark über Satellit verbreitete kurdische Fernsehsender weiterhin hier empfangen werden kann. Der EuGH stellte fest, dass lediglich der die Sendelizenz ausstellende Staat, also Dänemark, die rechtliche Möglichkeit hat, die Ausstrahlung von Sendungen durch "Roj TV" zu verhindern. Allerdings stellte der EuGH weiter fest, dass ein Betätigungsverbot in Deutschland und damit auch das Verbot, hier Beiträge für "Roj TV" zu produzieren, weiterhin grundsätzlich zulässig sei. Nach den Maßgaben des EuGH muss nun das BVerwG abschließend über das Verbot des Senders entscheiden. "Roj TV" ist wegen seines hohen Verbreitungsgrades in der kurdischen Diaspora von herausragender Bedeutung für den PKK-Propaganda-Apparat. Das Kopenhagener Strafgericht entschied am 10.01.2012, zwei Verantwortliche des Senders hätten sich unter anderem der Förderung terroristischer Aktivitäten der PKK schuldig gemacht und verurteilte sie deshalb zu Geldstrafen von umgerechnet 700.000 Euro. Ein Sendeverbot Internationale Initiative wurde jedoch nicht verhängt. "Freiheit für Abdullah Öcalan" im Internet Am 28.09.2011 besetzten mehrere jugendliche Anhänger der PKK Räumlichkeiten des Kölner Fernsehsenders RTL und forderten die Ausstrahlung einer Erklärung zum Thema "Freiheit für Öcalan!". Die Personen wurden vorläufig festgenommen. Auch in den Folgewochen wur87 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern (ausgenommen islamistische Bestrebungen) den von kurdischen Jugendlichen im Bundesgebiet und auch im benachbarten Ausland zum Teil konzertierte Besetzungsaktionen durchgeführt, die jedoch von der Öffentlichkeit weitgehend unbeobachtet blieben. Eine von der YEK-KOM angemeldete Großdemonstration am 26.11.2011 in Berlin, die sich unter anderem für die "Aufhebung des PKK-Verbots" einsetzen sollte, wurde im Vorwege von der Berliner Polizei verboten. Das örtliche Verwaltungsgericht bestätigte dieses Verbot, da nicht mit einer zulässigen Demonstration, sondern einer Propagandaveranstaltung für die PKK zu rechnen gewesen sei. Bei Großveranstaltungen werden regelmäßig "gefallene Märtyrer" glorifiziert. Dies zeigt den großen Stellenwert des bewaffneten Kampfes in der Türkei für die PKK. In Deutschland und auch gegenüber deutschen Einrichtungen in der Türkei ist sie zwar grundsätzlich um einen friedlichen Kurs bemüht, gleichzeitig werden jedoch gewaltsame Aktionen ihrer jugendlichen Anhänger auf deutschem Boden zumindest gebilligt. Diese werden in einschlägigen Medien zu Engagement und Aktionen motiviert. Zudem wird verstärkt dazu aufgerufen, sich der Guerilla anzuschließen. 4.3 Situation in Hamburg Die politische Linie des Dachverbandes YEK-KOM ( 4.2) wird auf regionaler Ebene von den jeweiligen lokalen Vereinen umgesetzt. Das 2008 gegründete "Kurdisch-deutsche Kulturzentrum e.V." dient mit seinen Räumlichkeiten am Steindamm 62 weiterhin als zentraler Anlaufpunkt für PKK-Anhänger. Der Verein war mehrfach Anmelder von Demonstrationen mit organisationsbezogenem Tenor. Das seit Oktober 2008 bestehende "Nujiyan Frauenzentrum e.V." (Nujiyan = Neues Leben) verlegte seinen Vereinssitz ebenfalls an den Steindamm 62 und führte gelegentlich Veranstaltungen mit kurdischen Themen durch. Lokale Aktivitäten werden auch unter dem Namen "Kurdischer Volksrat Hamburg" organisiert - Bezeichnungen wie "Kurdistan Volksrat" oder "Volksrat" sind ebenfalls gebräuchlich. Mit dem Modell der "Volksräte" ändert sich jedoch nicht die vorhandene, streng hierarchische Führungsstruktur. Die PKK versucht aber den Anschein von Mitbestimmung und 88 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern (ausgenommen islamistische Bestrebungen) Basisdemokratie zu erwecken, zum Beispiel durch die Wahl des Vorsitzenden des "Volksrates" auf "Volksversammlungen" oder die Existenz zahlreicher Ausschüsse - etwa für Frauen, Jugend, Schulung und Propaganda, Kultur und Kunst, Außenbeziehungen, religiöse Gruppen und Finanzen. Das personelle Potenzial der PKK liegt seit Jahren auf niedrigem Niveau. Außer ihren rund 600 Anhängern verfügt die Organisation in Hamburg über ein Sympathisantenumfeld, das sich ebenfalls weitgehend mit ihren Zielen und insbesondere mit ÖCALAN als Person und Führungsfigur im "Freiheitskampf" des kurdischen Volkes identifiziert. Dieses Umfeld umfasst etwa 1.500 Personen. Die eigentlichen örtlichen Entscheidungsträger der Organisation in Hamburg sind die von der PKK nach einem Rotationsprinzip für einige Monate bis zu einem Jahr entsandten Kader. Diese sind weiterhin nicht in der Lage, die eigene Gefolgschaft zu einer Mitarbeit zu motivieren. Dies liegt auch an den kurzen Verweilzeiten dieser Kader, die ihnen kaum einen tieferen Einblick in interne Abläufe und informelle Strukturen mit ihren regionalen Besonderheiten erlauben. Am 07.10.2011 versammelten sich kurdische Jugendliche, die der "Komalen Ciwan" zuzurechnen sind, im Foyer des Hamburger Rathauses und übergaben einem Vertreter der Bürgerschaftskanzlei eine Petition, die die Haftbedingungen ÖCALANs thematisierte. Wiederum kurdische Jugendliche besetzten am 26.10.2011 die HamburEmblem der Komalen Ciwan ger CDU-Landesgeschäftsstelle am Leinpfad. Zeitgleich kam es zu drei weiteren Besetzungen von CDUGeschäftsstellen in Stuttgart, Köln und Berlin. Absicht war hierbei die Übergabe einer Resolution bzw. Presseerklärung, welche die "Isolationshaft" ÖCALANs sowie die angeblich unzureichende Unterstützung der Erdbebenopfer in der Türkei durch die deutsche Regierung zum Thema hatte. Trotz Aufforderung weigerten sich die Personen, das Objekt wieder zu verlassen und wurden im Zuge der Räumung vorläufig festgenommen. 89 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern (ausgenommen islamistische Bestrebungen) Obwohl die "Komalen Ciwan" in Hamburg im Jahr 2011 nicht durch Gewalttaten aufgefallen sind, kann nicht ausgeschlossen werden, dass "Komalen Ciwan"-Angehörige situationsabhängig Gewalt als Mittel zur Durchsetzung ihrer politischen Forderungen einsetzen. Im Internet, das auch von PKK-Angehörigen und - Sympathisanten als Kommunikationsplattform genutzt wird, treten Hamburger Jugendliche als "Kurdische Jugend Hamburg" auf. Zu ihren weiteren Aktivitäten zählt die Anwerbung von Jugendlichen für organisationsinterne "Lehrgänge", die vorwiegend der ideologischen Schulung dienen. Der Organisation mangelt es in HamBanner auf einer Internetseite der burg in einigen Teilgebieten schon seit "Kurdischen Jugend Hamburg" Jahren vor allem an Aktivisten, die die "Arbeit auf der Straße" leisten, d.h. Spenden sammeln, Publikationen und Karten für Veranstaltungen verkaufen sowie für die Teilnahme an Demonstrationen werben. Die Zahl der Teilnehmer an Demonstrationen und Kundgebungen mit PKK-Hintergrund variierte wie im Vorjahr zwischen 20 und 350 Personen. Allerdings war aufgrund der eskalierenden Verhältnisse in der Türkei insgesamt eine Zunahme von Demonstrationen, Kundgebungen und Informationsveranstaltungen zu verzeichnen. Dieser Häufungseffekt hatte auch zur Folge, dass die Beteiligung mitunter deutlich hinter den Erwartungen der Veranstalter zurückblieb. Diese geringe Unterstützung ist zudem eine Folge der anhaltenden organisatorischen Schwäche der PKK in Hamburg, gleichzeitig aber auch Ausdruck einer nachlassenden Bindungskraft der PKK-Ideologie. Die Hamburger PKK-Angehörigen richteten 2011 Veranstaltungen zu unterschiedlichen Themen aus: * Am 20.03.2011 nahmen circa 270 Personen an einem angemeldeten Aufzug "Newroz - wir begrüßen den Frühling! Freiheit für Öcalan, Frieden in Kurdistan!" teil. Der Aufzug wurde auf Höhe der Universität Hamburg von der Polizei gestoppt, da einige Personen ÖCALAN-Bild90 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern (ausgenommen islamistische Bestrebungen) nisse oder Fahnen mit dessen Abbild trugen. Gleichzeitig wurden aus verschiedenen Blöcken des Aufzuges und über einen Lautsprecherwagen ÖCALAN - Parolen skandiert. * Unter dem Motto "Kurdinnen und Kurden leisten zivilen Ungehorsam, Freiheit für Öcalan, Frieden in Kurdistan!" führte am 09.04.2011 ein friedlich verlaufener Aufzug mit rund 350 Personen zum Generalkonsulat der Türkei in Hamburg - Rotherbaum. * Circa 250 Personen erschienen am 21.05.2011 zu einer friedlichen Demonstration am Hamburger Hauptbahnhof, um "Gegen die Maßnahmen der Türkei gegenüber den Kurden" zu demonstrieren. * Am 16.06.2011 versammelten sich circa 30 Personen zu einer Kundgebung vor dem Altonaer Rathaus aus "Protest gegen die Menschenrechtsverletzungen in der Türkei". Als eine PKK-Fahne sichergestellt wurde, kam es zu kleineren Rangeleien mit der Polizei. * Am 30.07.2011 versammelten sich rund 100 Personen an der Moorweide, um die "Verkündung der demokratischen Autonomie in Kurdistan" zu begrüßen. * Am 20.08.2011 demonstrierten etwa 250 Teilnehmer vor dem Hauptbahnhof für die Forderung "Stoppt die militärischen Angriffe der türkischen Regierung und Verbesserung der Haftbedingungen von Abdullah ÖCALAN - für eine demokratische und friedliche Lösung der kurdischen Frage!". Verband der Studierenden aus Kurdistan im Internet * Am 17.09.2011 meldete die PKK-Studentenorganisation YXK einen Aufzug an mit dem Tenor "Freiheit für ÖCALAN, Frieden in Kurdistan, Protest gegen verschärfte Isolationshaft von Abdullah ÖCALAN. Effektiver Einsatz der Bundesregierung für eine friedliche Lösung in Kurdistan. Protest gegen militärische und politische Operationen seitens der türkischen und iranischen Regierung in Kurdistan". 91 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern (ausgenommen islamistische Bestrebungen) Statt der ursprünglich rund 1.000 erwarteten Teilnehmer, erschienen lediglich etwa 90 Personen. Daraufhin wurde der Aufzug abgesagt und eine Veranstaltung vor Ort durchgeführt. * Am 05.11.2011 betraten mehrere PKK-Sympathisantinnen das Verlagsgebäude des Nachrichtenmagazins DER SPIEGEL in der Hafen-City, um dort die kurdische Situation in der Türkei zu thematisieren. Nach Aufforderung verließen die Frauen das Gebäude. * Als Reaktion auf die verbotene Demonstration der YEK-KOM am 26.11.2011 in Berlin versammelten sich rund 100 zumeist jugendliche Anhänger der PKK am 03.12.2011 vor der Roten Flora, um für die Freiheit Abdullah ÖCALANs zu demonstrieren. Die Veranstaltung verlief friedlich. An einigen der genannten Veranstaltungen beteiligten sich auch Einzelpersonen aus dem linksextremistischen Umfeld, die sich der PKK verbunden fühlen. 5. Türkische Extremisten 5.1 Revolutionär-marxistische Gruppierungen Die meisten türkischen linksextremistischen Organisationen haben Ableger in Deutschland. Sie propagieren einen revolutionären Umsturz in der Türkei und wollen dort eine kommunistische Staatsund Gesellschaftsordnung einführen. Dafür rechtfertigen sie auch den bewaffneten Kampf und verüben in der Türkei terroristische Aktionen. In Hamburg sind folgende türkische linksextremistische Organisationen präsent: * "Devrimci Halk Kurtulus Partisi-Cephe" (DHKP-C) * "Türkiye Komünist Partisi/Marksist Leninist" (TKP/ML) * "Maoist Komünist Partisi" (MKP) und die * "Marksist Leninist Komünist Partisi" (MLKP) Trotz ihrer ideologischen Gemeinsamkeiten und punktuellen Bemühungen um eine stärkere Vernetzung ist die gesamte Szene stark zersplittert. Die Mitgliederzahlen der einzelnen Gruppierungen liegen seit Jahren im nied92 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern (ausgenommen islamistische Bestrebungen) rigen zweistelligen Bereich. Sie organisieren Kundgebungen und Demonstrationen mit zumeist wenigen Teilnehmern. Durch Spendensammlungen unterstützen sie die in der Türkei aktiven Guerillaorganisationen. Die dortigen Guerillaorganisationen haben bereits mehrfach gemeinsam mit der PKK ( 4.) terroristische Aktionen durchgeführt. Auch in Deutschland gibt es eine Kooperation zwischen Anhängern türkischer linksextremistischer Gruppen und der PKK, die sich jedoch auf die solidarische Unterstützung bei Demonstrationen, Kundgebungen und Veröffentlichungen beschränkt. 5.2 ADÜTDF / Türkische Nationalisten Die "Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in Deutschland e.V." ("Almanya Demokratik Ülkücü Türk Dernekleri Federasyonu", ADÜTDF) wurde 1978 in Frankfurt am Main gegründet. Sie gilt als Auslandsvertretung der türkischen "Partei der Nationalistischen Bewegung" ("Milliyetci Hareket Partisi", MHP). Das Umfeld türkischer Nationalisten und Rechtsextremisten firmiert ferner unter der Bezeichnung "Ülkücü" (Idealisten) und "Bozkurt" (Graue Wölfe). Die Bezeichnungen "Ülkücü" und "Bozkurt" stehen letztlich immer für denselben Personenkreis türkischer Nationalisten. Ihre Ideologie ist gekennzeichnet durch * den Turanismus/Panturkismus - die Idee der ethnischen und kulturellen Verbundenheit aller Turkvölker und daraus resultierende Gebietsansprüche. In Abgrenzung dazu erkennt der Kemalismus die türkischen Grenzen aus dem Vertrag von Lausanne vom 24.07.1923 an. * eine türkische Auslegung des sunnitischen Islam. Diese findet als wichtiger Bestandteil ihren Ausdruck in dem Ülkücü-Ausspruch: "Islam ist unsere Seele, Türkentum ist unser Leib!" * eine ausgeprägt anti-kurdische Ausrichtung. 93 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern (ausgenommen islamistische Bestrebungen) Der ADÜTDF werden vom Bundesamt für Verfassungsschutz circa 7.000 Mitglieder und Unterstützer zugerechnet. Sie ist damit die größte Organisation türkisch-nationalistischer Bestrebungen in Deutschland. Die Zahl der Mitglieder und Unterstützer in Hamburg wird auf mehrere Hundert geschätzt. Im Jahr 2011 trat die Organisation in Hamburg öffentlich zwar nicht unter ihrem Namen auf, allerdings ist sie durchaus bemüht, ihre Ideologie auf Großveranstaltungen zu verbreiten. Anlässlich einer Demonstration am 22.10.2011 in Hamburg, die unter dem Tenor "Gegen den Terror der PKK" veranstaltet wurde, wurden die Demonstrationsteilnehmer von einem Redner als "Bozkurt-Kinder" bezeichnet, also als "Kinder der Grauen Wölfe". Nach Abschluss der Veranstaltung kam es auf dem Steindamm zu einer Auseinandersetzung zwischen Demonstrationsteilnehmern und PKKAnhängern, die sich im dortigen "Kurdisch-deutschen Kulturzentrum e.V." (PKK, 4.3) aufhielten. In den vergangenen Jahren führte der andauernde Konflikt zwischen dem türkischen Staat und der PKK nicht zu offenen Auseinandersetzungen zwischen in Hamburg lebenden türkischen und kurdischen Mitbürgern. Ob es sich bei der Auseinandersetzung am 22.10.2011 um einen einmaligen Vorfall handelte oder auch künftig mit Konflikten zwischen den Bevölkerungsgruppen gerechnet werden muss, kann noch nicht abschließend bewertet werden. 94 Verfassungsschutz in Hamburg Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern (ausgenommen islamistische Bestrebungen) Linksextremismus Rechtsextremismus Scientology-Organisation Spionageabwehr Geheimund Sabotageschutz; Wirtschaftsschutz Anhang * Hamburgisches Verfassungsschutzgesetz * Abkürzungsverzeichnis * Stichwortverzeichnis Linksextremismus IV. Linksextremismus 1. Entwicklungen und Schwerpunkte im Überblick Das Erscheinungsbild des linksextremistischen Spektrums in Hamburg wird vor allem von den Aktivitäten undogmatischer Linksextremisten (Autonome, Antiimperialisten und Anarchisten) ( 5.2) geprägt. Orthodoxkommunistische und revolutionär-marxistische Parteien und Gruppierungen zeigten wenig Außenwirkung, profitierten aber von anlassbezogener Zusammenarbeit mit undogmatischen Gruppen. Die autonome Szene Hamburgs konzentrierte ihre Agitation im Jahr 2011 besonders auf die Themenfelder Stadtentwicklungspolitik ("Anti-Gentrifizierung") und Innere Sicherheit ("Anti-Repression"). Im Bereich "Anti-Gentrifizierung" gelang es den Autonomen mehrfach, durch die Zusammenarbeit mit nichtextremistischen Gruppen, Demonstrationen mit mehreren Tausend Teilnehmern Solidaritätsaktion in HamburgAltona durchzuführen und öffentliche Aufmerkim September 2011 samkeit zu erreichen. Proteste gegen als "Repression" bezeichnete Maßnahmen des Staates zur Strafverfolgung und Prävention gingen mit erheblichen Ausschreitungen einher. Den Anlass hierfür lieferten im Rahmen der "Freiraum"-Kampagne unter anderem Solidaritätsaktionen für geräumte oder von Räumung "bedrohte" Objekte, auch in anderen deutschen und europäischen Städten. Die etwa 90 Personen starke antiimperialistische Szene war 2011 vorrangig mit den Themen "Antimilitarismus" und "Solidarität für politische Gefangene" aktiv. Gruppen aus diesem Lager - vor allem die "Sozialistische Linke" (SoL) und die "Rote Szene Hamburg" (RSH) - sehen gewaltsame Ausschreitungen als Mittel des von ihnen propagierten "Klassenkampfes". Die Zahl linksextremistischer Sachbeschädigungen und Brandstiftungen hat im Jahr 2011 leicht zugenommen. Dies gilt vor allem für Straftaten, die im Zusammenhang mit Protesten gegen die Stadtentwicklungspolitik begangen wurden. 96 Linksextremismus Linksextremistische "Antifaschisten" suchten breitere öffentliche Unterstützung für ihre Forderungen und Aktivitäten ( 5.3.2 und V.). Dazu nutzten sie Proteste gegen Wahlkampfauftritte der NPD und die von Angehörigen des "Nationalsozialistischen Untergrunds" (NSU) verübte rechtsextremistisch motivierte Mordserie. Zudem bemühten sich "Antifaschisten" darum, staatliche Institutionen als angebliche Dulder und Unterstützer des "Faschismus" zu brandmarken ( 5.3.2). Die Agitation linksextremistischer "Antirassisten" richtete sich insbesondere gegen die Asylund Flüchtlingspolitik. Gruppierungen dieses Lagers gelang es 2011 kaum, öffentlichkeitswirksam aktiv zu werden und an Umfang und Intensität ihrer Aktionen des Jahres 2010 anzuknüpfen. ( VSB 2010, 5.3.3) Orthodoxe Kommunisten ( 7.) und revolutionäre Marxisten ( 6. und 8.) entwickelten auch 2011 kaum Außenwirkung. Unter den revolutionärmarxistischen Zusammenschlüssen in der Partei "Die LINKE" war vor allem die parteinahe Jugendorganisation "solid" nach außen wahrnehmbar. Agitationsschwerpunkte dieser Gruppierungen sind vor allem die Themen "Antimilitarismus", "Soziales" und "Bildungspolitik". 2. Potenziale Im Jahr 2011 gehörten bundesweit 31.800 Personen linksextremistischen Organisationen und Vereinigungen an (2010: 32.200). Davon sind 7.100 Personen (2010: 6.800) als "Gewaltorientierte Linksextremisten" einzustufen (Autonome, Anarchisten und Antiimperialisten) ( 5.). In Hamburg wurden im Jahr 2011 1.120 Personen linksextremistischen Bestrebungen zugerechnet (2010: 1150). Die Zahl der Angehörigen der autonomen Szene lag 2011 bei 480. Dieses Potenzial liegt nach zuvor rückläufiger Entwicklung im Vergleich zum Vorjahr (440) wieder auf dem Stand des Jahres 2009. Mit 50 Personen ist das Potenzial der anarchistischen Szene gegenüber den Vorjahren (40) leicht gestiegen. Die Zahl der Personen, die zu den Antiimperialisten zu zählen sind, blieb mit 90 konstant. 97 Linksextremismus Bund: Linksextremistische Personenpotenziale 35000 30000 25000 31.100 31.300 30.800 30.600 30.700 30.800 31.200 31.600 32.200 31.800 20000 15000 10000 5000 0 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 - Alle Zahlen sind gerundet - Die Zahlen für die Bundesebene enthalten auch die Mitglieder der offen extremistischen Zusammenschlüsse in der Partei DIE LINKE, aber nicht die Gesamtzahl ihrer Mitglieder. Linksextremistisches Personenpotenzial 2010 2011 auf Bundesebene Marxisten-Leninisten und andere revolutionäre Marxisten (Angehörige von Kernund Nebenorganisationen)1 25.800 25.000 Gewaltorientierte Linksextremisten2 6.800 3 7.100 3 Gesamtpotenzial (abzüglich Mehrfachmitgliedschaften)4 32.200 31.800 - Alle Zahlen sind gerundet - 1 Einschließlich der offen extremistischen Zusammenschlüsse innerhalb der Partei DIE LINKE 2 Enthält nicht nur tatsächlich als Täter / Tatverdächtige festgestellte Personen, sondern auch solche Linksextremisten, bei denen lediglich Anhaltspunkte für Gewaltorientierung gegeben sind. Erfasst sind nur Personenzusammenschlüsse, die feste Strukturen aufweisen und über einen längeren Zeitraum aktiv waren 3 Das Mobilisierungspotenzial der "Szene" umfasst zusätzlich mehrere Tausend Personen 4 In den Zahlen nicht enthalten sind Mitglieder linksextremistisch beeinflusster Organisationen 98 Linksextremismus Das LfV Hamburg stuft 620 Personen aus dem gesamten linksextremistischen Potenzial als gewaltorientiert ein (Vorjahr: 570). Hamburg: Linksextremistische Personenpotenziale 1500 1200 1.130 1.500 1.500 1.480 1.500 1.500 1.120 1.200 1.150 1.120 900 600 300 500 480 480 470 500 500 520 580 570 620 0 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 Gesamtzahl Gewaltorientierte - Alle Zahlen sind gerundet - "Die Angaben für die Jahre 2003 bis 2007 enthalten die Gesamtzahl der Mitglieder der "Partei des demokratischen Sozialismus" (PDS) bzw. der "Linkspartei.PDS" bzw. die der Partei DIE LINKE, ab 2008 nur noch deren extremistische Teilstrukturen Dagegen lässt sich der Bedeutungsverlust der marxistisch-leninistischen Kernund Nebenorganisationen sowie revolutionär-marxistischer Gruppen erneut an ihrem zurückgegangenen Personenpotenzial ablesen. Es lag 2011 bei 500 Personen (Vorjahr: 580). 99 Linksextremismus Linksextremistisches Personenpotenzial 2010 2011 in Hamburg Angehörige marxistisch-leninistischer Kernu. Nebenorganisationen sowie andere revolutionäre Marxisten und Trotzkisten 5801 5001 Gewaltorientierte (Autonome, Anarchisten u. Antiimperialistischer Widerstand) 570 2 620 2 Gesamtpotenzial 1.150 1.120 -Alle Zahlen sind gerundet- 1 Die Zahl enthält die Mitglieder der revolutionär-marxistischen Organisationsteile der Partei DIE LINKE 2 Das Mobilisierungspotenzial der "Szene" umfasst zusätzlich mehrere Hundert Personen 3. Politisch motivierte Kriminalität (PMK) Die Zahl der im Rahmen der PMK Links insgesamt erfassten Straften in Hamburg stieg im Vergleich zum Vorjahr von 470 auf 618 Taten. Die darin enthaltenen linksextremistischen Straftaten stiegen auf 81 (2010: 70). Die Zahl der linksextremistischen Gewaltdelikte erhöhte sich von 27 im Jahr 2010 auf 48 im Jahr 2011. Diese Entwicklung ist vor allem auf gewaltsam verlaufene Aktivitäten der autonomen Szene zurückzuführen ( 5.1 und 5.3.1). Schwerpunkte waren Brandstiftungen und Sachbeschädigungen aus verschiedenen Anlässen, tätliche Angriffe auf Polizeibeamte sowie weitere Straftaten und Auflagenverstöße unter anderem im Zusammenhang mit Demonstrationen. Exemplarisch werden hier folgende Straftaten genannt: * Am 21.04.2011 wurden zwei Pferdeanhänger der Reiterstaffel der Polizei in Hamburg-Osdorf von unbekannten Tätern in Brand gesetzt ( 5.1). 100 Linksextremismus * Im Oktober 2011 wurde ein Farbanschlag auf das Haus und das Auto der Senatorin für Stadtentwicklung und Umwelt, Jutta Blankau, verübt; außerdem wurden Steine und Farbe auf zwei Architekturbüros geworfen, das Auto des Vorsitzenden des Grundeigentümerverbandes beschädigt sowie Brandstiftungen an mehreren Fahrzeugen einer Baufirma verübt ( 5.3.3). PMK2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 Links PMK-Links insgesamt 221 308 254 289 255 453 535 757 470 618 davon linksextrem. 16 16 23 32 18 98 92 41 70 81 Straftaten hiervon extrem. 4 11 16 19 9 49 51 37 27 48 Gewaltdelikte Die Zahlen stammen von der Polizei Hamburg - Stand: Februar 2012 - 4. Militanzdebatte und linksextremistische Gewalt Zum gewaltorientierten Teil der linksextremistischen Szene gehören vor allem Autonome, aber auch Anarchisten und Antiimperialisten. Als Ausdruck ihrer Feindseligkeit gegen das staatliche Gewaltmonopol greifen gewaltorientierte Linksextremisten den Staat, insbesondere dessen "Repressionsorgane", also Polizei, Justiz und Nachrichtendienste auf vielfältige Weise an. Seit Jahrzehnten führen Autonome bundesweit eine sogenannte "Militanzdebatte" um Bedingungen, Anwendung und Vermittelbarkeit von politischer Gewalt. Veröffentlichungen in Szenepublikationen tragen zu einer raschen Verbreitung extremistischen Gedankenguts bei. Besonders bei der Rechtfertigung gezielter Angriffe auf Personen gehen die Meinungen - insbesondere in anonymen elektronischen Medien - stärker auseinander, als die nach außen kommunizierte Ablehnung gezielter Angriffe auf Personen oder die Verletzung Unbeteiligter suggeriert. Bei Angriffen auf Rechtsextremisten oder Konfrontationen mit Polizisten, zum Beispiel 101 Linksextremismus bei Demonstrationen, werden Verletzte zumeist billigend in Kauf genommen. Wenngleich seit Auflösung der RAF 1998 in Deutschland keine eindeutig linksterroristischen Gruppierungen mehr bestehen, stehen einzelne Aktionen oder Angriffe auf Personen - insbesondere Polizisten - sowohl von der Begehungsweise als auch von der Zielsetzung her an der Schwelle zu terroristischen Handlungen. Hierzu zählen zum Beispiel die koordinierten Brandlegungen an Knotenpunkten des Bahnnetzes in Berlin und organisierte Angriffe auf Polizeireviere. Als Plattformen für die "Militanzdebatte" fungieren insbesondere die von der Berliner "Revolutionären Linken" herausgegebene Untergrundschrift "radikal", die autonome HamSchriftzug der Untergrundschrift "radikal" burger Szenezeitschrift "Zeck" ( 5.1, Rote Flora) und die in Berlin erscheinende "interim". Die seit 2009 vor allem in Berlin und Brandenburg aktive linksextremistische Gruppierung "Revolutionäre Aktionszellen" (RAZ) veröffentlichte in der "radikal" vom 08.06.2011 Selbstbezichtigungsschreiben sowie Bauanleitungen für einen "kombinierten Brand-/Sprengsatz vom Typ ,Gasaki'" und zur "Sprengung von Propangasflaschen". Im März 2011 erhielten Vertreter aus Politik, Justiz und Wissenschaft per Post scharfe Pistolenpatronen. Die "RAZ" bekannten sich hierzu und begründeten die Aktion als Widerstand gegen zunehmenden Repressionsdruck. Weiter drohten sie: "Die nächste Zustellung erfolgt per Express...". Am 27.04.2011 verübten unbekannte Täter in Berlin-Mitte Anschläge mit zeitverzögerten Brandsätzen auf das Gebäude der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, in dem sich auch das Amtsgericht Wedding befindet. Am Gebäude wurde der Schriftzug "RAZ" aufgesprüht. In einer Bekennung hierzu bezeichnete die RAZ militante Aktionsformen als Ausdruck "proletarischer und klassenautonomer Selbstverteidigung" und trat für den Kommunismus ein. Am 03.12.2011 wurden bei einem Sprengstoffanschlag auf das Amtsgericht Göttingen mehrere Butangasflaschen zur Explosion gebracht. Auch hier wurde das Kürzel der RAZ am Tatort hinterlassen. 102 Linksextremismus In der Szenezeitschrift "Zeck" Nr. 156 ( 5.1), Ausgabe November/ Dezember 2011 riefen "Anarchist_innen" zu Solidarität mit Sonja SUDER und Christian GAUGER auf. Beide werden verdächtigt, in den 1970er Jahren an Sprengstoffund Brandanschlägen der "Revolutionären Zellen" (RZ) beteiligt gewesen zu sein. Sie wurden am 14.09.2011 für einen Prozess aus Frankreich an Deutschland ausgeliefert. Die zahlreichen Aktionen der RZ hätten "zur Entwicklung revolutionärer Ideen beigetragen", daher müssten sie unterstützt werden. Ende 2011 erklärte sich die "Rote Flora" auf ihrer Plakatwand am Gebäude unter der Überschrift: "Damals wie heute - tausend Gründe für die Revolte!" ebenfalls solidarisch mit den beiden Beschuldigten. Großen wirtschaftlichen Schaden und gravierende VerkehrsPlakatwand an der "Roten Flora" behinderungen verursachten 2011 mehrere Brandanschläge auf Kabelschächte der Deutschen Bahn AG in Berlin und Brandenburg. Sowohl am 23.05.2011 als auch am 10.10.2011 führten sie zu erheblichen Behinderungen im Berliner öffentlichen Nahverkehr und auf der Bahnstrecke Berlin-Hamburg. Zu der Tat am 23.05.2011 bekannte sich eine Gruppe unter der Aktionsbezeichnung "Das Grollen des Eyjafjallajökull". In ihrer Selbstbezichtigung wandten sie sich gegen die Atomenergie. Sabotage sei "eine Form der Verweigerung, die den beschissenen Alltag aus dem Tritt" bringe. Zu den Brandanschlägen im Oktober 2011 bezog "Das Hekla-Empfangskomitee - Initiative für mehr gesellschaftliche Eruptionen" Stellung. Diese Tat richtete sich gegen Kriegseinsätze der Bundeswehr, den Kapitalismus und soziale Ungerechtigkeit. Die Brandanschläge führten auf einschlägigen Internetseiten zu zahlreichen negativen Reaktionen, die im Wesentlichen kritisierten, dass eine Gefahr für Menschen nicht ausgeschlossen war. Darüber hinaus habe diese Aktion die falschen Personen und nicht Verantwortliche für politische und soziale Missstände getroffen. Daher sahen sich die Verfasser in beiden Fällen genötigt, sich für ihre Taten in einem zweiten Papier wortreich zu rechtfertigen. 103 Linksextremismus Zu Sabotageaktionen gegen Anlagen der Deutschen Bahn kam es auch am 26.11.2011 im Zusammenhang mit dem Castor-Transport nach Gorleben. Zu den mit Brandsätzen durchgeführten Anschlägen auf Signalanlagen an vier Bahnstrecken im Hamburger Umland bekannten sich "Autonome Gruppen" ( 5.3.4). Am 16.06.2011 erschien auf der von Linksextremisten genutzten Internetplattform "linksunten.indymedia" ein Beitrag der RAZ zum "Kongress für autonome Politik 2011" vom 17. - 19.06.2011 in Köln. Ein Schwerpunkt des von mehr als 250 Personen besuchten Kongresses war die Frage der Gewaltanwendung. Als "Grundbedingung militanten Agierens" wurde bereits in der Einladung zum Kongress darauf hingewiesen, dass "die Gefährdung von Menschenleben auszuschließen" sei. Nach wie vor gibt es in der linksextremistischen Szene breite Zustimmung für den Grundsatz: Keine direkten Angriffe auf Leib und Leben. Nicht zu übersehen ist aber die Gefahr, dass sich dieses Prinzip durch einschlägige Aktionen und durch eine teilweise vorhandene Gewalt-Rhetorik zunehmend auflösen könnte. 5. Undogmatische Linksextremisten Der Oberbegriff "Undogmatische Linksextremisten" umfasst Autonome (einschließlich "AVANTI - Projekt undogmatische Linke"), Antiimperialisten und Anarchisten mit einem Gesamtpotenzial von circa 620 Personen. Undogmatischen Linksextremisten ist der weit überwiegende Teil der linksextremistischen Straftaten zuzurechnen. Autonome lehnen formelle Hierarchien und Organisationsstrukturen ab, sie sind undogmatisch, organisationskritisch und gewaltorientiert. Die seit 2010 erkennbare Tendenz zu überregionaler Vernetzung durch regelmäßige "Autonome Vollversammlungen" (AVV) hat sich 2011 verfestigt. Im Gegensatz zu der zwischen Autonomen und Anarchisten bestehenden ideologischen Nähe, sind zwischen ihnen und den Antiimperialisten deutliche politische Diskrepanzen zu verzeichnen. Die Fixierung auf den internationalistisch geprägten Marxismus-Leninismus der Antiimperialis104 Linksextremismus ten und ihre Orientierung an "Befreiungsbewegungen" stoßen bei Autonomen und Anarchisten auf Ablehnung. 5.1 Trefforte und Kommunikationszentren in Hamburg Rote Flora Das alternative Stadtteilzentrum "Rote Flora" ist seit 1989 der bedeutendste politische Treffund Veranstaltungsort der autonomen Szene Hamburgs. Nach Darstellung des "Autonomenplenums" wird das Gebäude "selbstverwaltet"; tatsächlich jedoch werden die derzeitigen Nutzer aufgrund vertraglicher Regelungen des Privateigentümers mit dem Hamburger Senat lediglich geduldet. Der Vertrag lief im März 2011 aus. Die Rote Flora wurde 2011 von der autonomen Szene für zahlreiche Solidaritäts-, Informationsund Mobilisierungsveranstaltungen zu einschlägigen Aktionsfeldern wie Antifaschismus, Gentrifizierung und Antirepression genutzt. Darüber hinaus fand in der Roten Flora die monatliche "Autonome Vollversammlung" (AVV) statt, an der jeweils rund 100 Personen teilnahmen. In diesem Forum werden Themen und Aktivitäten besprochen, die für Hamburger Autonome von grundlegender Bedeutung sind. Dass die Rote Flora seit Jahren auch für subkulturelle Musikveranstaltungen, die primär von jungen, nichtextremistischen Partygängern besucht werden, zur Verfügung gestellt wird, findet bei den stärker politisch ausgerichteten Szeneangehörigen wenig Akzeptanz. Centro Sociale Das selbstverwaltete "Centro Sociale" versteht sich als "autonomer Nachbarschaftstreff" und als "Kontrapunkt zur Gentrifizierung". Insbesondere linksextremistische Gruppen wie AVANTI, [a2] und die Rote Szene Hamburg (RSH) nutzen das Stadtteilzentrum für eigene Veranstaltungen. Im Zusammenhang mit dem Castor-Transport von La Hague nach Gorleben im November 2011 fanden im "Centro Sociale" zahlreiche Informationsund Mobilisierungsveranstaltungen statt. 105 Linksextremismus Libertäres Zentrum (LIZ) Die wenigen traditionellen Anarchisten sowie Angehörige der autonomen Szene Hamburgs nutzen das "Libertäre Zentrum" (LIZ) im Karolinenviertel als Veranstaltungsund Treffort. 2011 fanden im LIZ mehrere "Anarchistische Abende" zu verschiedenen Themenbereichen statt. Internationales Zentrum Brigittenstraße 5 (B 5) Das im Stadtteil St. Pauli gelegene "B 5" ist Hauptanlaufstelle der antiimperialistischen Szene in Hamburg. Hier werden regelmäßig Gruppentreffen und Veranstaltungen von Strukturen dieses Spektrums durchgeführt. (5.2.3) 5.2 Gruppen und Strukturen 5.2.1 Autonome Szene um die Rote Flora Autonome sind gewaltbereite Linksextremisten ohne geschlossenes ideologisches Weltbild. Ihr politischer Kampf richtet sich gegen die bestehende politische und gesellschaftliche Ordnung. Sie lehnen das "kapitalistische System" als Verursacher aller gesellschaftlichen Missstände ab und streben eine herrschaftsfreie Gesellschaft an - ohne autoritäre und hierarchische Strukturen des Staates und seiner Einrichtungen, insbesondere der "Repressionsorgane", also der Polizei, Justiz und Nachrichtendienste. Grundsätzlich lehnen Autonome eine feste Organisation oder Struktur ab. Sie sind weder parteipolitisch noch sonst formal als Vereine organisiert, sondern zumeist in kurzlebigen, kleinen Gruppen aktiv. Untereinander bestehen lose, ständiger Fluktuation unterworfene Verbindungen und Netzwerke, die sich häufig anlassund aktionsbezogen ergeben. Die autonome Szene konzentriert sich in Hamburg insbesondere auf das Schanzenviertel mit dem linken Kommunikationszentrum Rote Flora. ( 5.1) Im zweimonatlichen Rhythmus erscheint die von Autonomen aus dem Nutzerkreis der Roten Flora herausgegebene Szenezeitschrift "Zeck". Sie dient Szeneangehörigen als Plattform für Diskussionen zu aktuellen Themen und zur Veröffentlichung von Terminen und Demonstrationsaufrufen. 106 Linksextremismus Darüber hinaus werden Selbstbezichtigungsschreiben zu Brandstiftungen und Sachbeschädigungen mit Szenerelevanz gedruckt. Kampagne "Flora bleibt unverträglich!" Bereits im Januar 2010 begannen Autonome aus der Roten Flora mit der Planung einer Kampagne, die sich gegen eine mögliche Räumung ihres Zentrums richtete. Um der herausragenden Bedeutung des Themas für die Szene insgesamt gerecht zu werden und die öffentliche Resonanz dafür zu vergrößern, wurde ein Bezug zur "Recht auf Stadt"-Bewegung hergestellt. Im Februar 2011 verfassten Protagonisten der Kampagne "Flora bleibt unverträglich!" und das Plenum der Roten Flora einen Text "zu den kommenden Kämpfen um die Rote Flora". Darin wurde betont, dass "die Rote Flora in den bevorstehenden Auseinandersetzungen um ihre Zukunft zu einem Kristallisationspunkt in den politischen Kämpfen um ein Recht auf Stadt" gemacht werden solle. Weiter hieß es, dass die Rote Flora "von Beginn an Teil von Recht auf Stadt" gewesen sei. In einem am 21.02.2011 auf der Internetplattform Indymedia veröffentlichten Papier erklärten die Autoren, dass die Perspektive der Roten Flora nicht in der Schaffung von Freiräumen bestehe, "sondern im Kampf gegen die gesellschaftlichen Verhältnisse, die uns in solche Nischen zwingen". Eine freiwillige Aufgabe des Objekts bzw. Verhandlungen und Verträge mit der Stadt Hamburg seien daher keine Option. Die Flora sei ein "symbolischer Bruch mit den Verhältnissen und Unruhestifterin in der Abwicklung und Verelendung des Gentrifizierungsprozesses". Für den 28.03.2011 riefen Vertreter der Kampagne "Flora bleibt unverträglich!" zu einer Aktion unter dem Tenor: "Rote Flora raus aus dem Grundbuch! Für die Enteignung des Privateigentums und die öffentliche Aneig107 Linksextremismus nung des Städtischen!" vor dem Grundbuchamt an der Caffamacherreihe auf, an der circa 60 Personen teilnahmen. Dabei wurde der "Eintrag zur Flora aus dem Register der herrschenden Eigentumsordnung" symbolisch gestrichen. Neben verbalen und symbolischen Protestaktionen unter dem Motto "Flora bleibt unverträglich!" wurde im März 2011 zu einer militanten Kampagne unter dem Tenor "We're not gonna take it... anymore" aufgerufen, die sich ebenfalls gegen die zunehmende Gentrifizierung und eine mögliche Räumung der Roten Flora richtet und dabei die "grundsätzliche Frage nach einem Recht auf Stadt" aufwirft. ( 5.3.3) Die Rote Flora sei demnach "ein Symbol für Widerstand und Aneignung des öffentlichen Raumes" im Kampf gegen die "herrschenden Eigentumslogiken". Beide Kampagnen weisen inhaltliche Parallelen auf und verfolgen die gleichen Ziele mit unterschiedlichen Mitteln. Während "Flora bleibt unverträglich!" auf Konsensfähigkeit und breite Unterstützung in der Öffentlichkeit baut, soll das klandestin und militant angelegte Konzept "We're not gonna take it... anymore" den "Kämpfen eine gewisse Leidenschaft" verleihen. Die Autoren konkretisierten diese "Leidenschaft" in Form der Eckpunkte "Besetzung/Aneignung", "Sabotage/Sachschaden", "Kennzeichnung politisch und wirtschaftlich Verantwortlicher" und "unkontrollierte Verhältnisse schaffen". Am 21.04.2011 setzten unbekannte Täter zwei Pferdeanhänger der Reiterstaffel der Polizei in Hamburg-Osdorf in Brand. Zwei Tage später bekannte sich eine Gruppe namens "Wendy und ihre autonomen Pferdefreund_ innen" zu der Tat. In "Vorbereitung für die kommenden Kämpfe um die Flora, die Demo am 30.04. und einen heißen 1. Mai" habe man "zwei Transporter der Hamburger Reiterstaffel mit Grillanzündern in Brand gesetzt". Für den 30.04.2011 wurde zu einer überregionalen Demonstration unter dem Tenor: "Stadt selber machen" aufgerufen. Inhaltlich ging es insbesondere um die Zukunft der Roten Flora, sowie um "andere Projekte aus dem Recht auf Stadt-Netzwerk". Die Demonstration richtete sich gegen "kapitalistische Stadtentwicklung und Gentrifizierung in Hamburg". Ziel der Demonstration war eine "radikale Infragestellung des kapitalistischen Systems" ( 5.3.3). 108 Linksextremismus Auszug aus dem Flyer zum Demonstrationsaufruf "Stadt selbst machen" am 30.04.2011 In einem am 07.04.2011 auf Indymedia veröffentlichten Papier hieß es hierzu: "(...) die Flora verweigert sich weiterhin jeden Vertragsverhandlungen und sagt Räumungsszenarien den Kampf an. Zum 30.04. wird eine überregionale Demonstration stattfinden, um zum Ausdruck zu bringen, dass das Projekt gegen eine mögliche Räumung mit allen Mitteln verteidigt wird!" An dem Aufzug durch Hamburg-St. Pauli beteiligten sich 4.000 Personen, darunter rund 1.000 Angehörige autonomer Gruppierungen sowie zahlreiche weitere Linksextremisten. Im Anschluss an die Demonstration richtete die Polizei Hamburg ein sogenanntes "Gefahrengebiet" im Schanzenviertel ein ( 5.3.1). Aus dem Demonstrationszug heraus warfen Teilnehmer mehrfach Böller auf Polizisten und zündeten Pyrotechnik. Entlang der Marschroute wurden zwei Gebäude durch Steinund Farbwürfe beschädigt sowie ein Fahrzeug der Bundeswehr in Brand gesetzt. Mehrere Störergruppen von insgesamt rund 150 Personen begingen in der Nacht verschiedene Brandlegungen und Sachbeschädigungen in Altona und Ottensen. Massive Auseinandersetzungen mit der Polizei wie in den Vorjahren blieben jedoch aus. Insgesamt wurden 17 Personen, überwiegend mit Wohnsitz in Hamburg, vorläufig festgenommen. 45 Personen wurden in Gewahrsam genommen. 109 Linksextremismus Gegen mehrere Hundert Personen wurden Aufenthaltsverbote für den Bereich des Gefahrengebietes ausgesprochen. In einem auf Indymedia veröffentlichten Artikel unter der Überschrift "HH: Stadt wurde selbst gemacht" betonten die unbekannten Verfasser, die Demonstration sei "von einem beeindruckenden autonomen Block" angeführt worden. Insgesamt sei es gelungen, "eine Fusion unterschiedlicher Protestspektren herzustellen". "Schwarzer Block", Stadtteilinitiativen, Anwohner_innen und "radikale Linke" hätten gemeinsam ein "Recht auf Stadt" gefordert. Damit sei die Bewegung zur Verteidigung der Roten Flora gut aufgestellt. In der AVV am 15.05.2011 wurden die aus dem Aufzug heraus begangenen militanten Aktionen positiv gewertet. Das Fazit der Nachbetrachtung lautete: "Also: zur Demo gehen, stilvoll Plündern und verantwortungsvolle bzw. durchdachte Aktionen durchführen". Für den 17.12.2011 wurde im Rahmen der Kampagne "Flora bleibt unverträglich!" zu einem Aktionstag gegen "kapitalistische Stadtentwicklung" und "Vertreibungspolitik" aufgerufen. Der Aktionstag sollte "Ausdruck der Solidarität mit der nach wie vor von Verkauf und Räumung bedrohten Roten Flora sein". Im Vordergrund stehe jedoch nicht der Erhalt der Roten Flora, "sondern das, wofür sie als besetztes und unverträgliches Projekt" Aufruf zum Aktionstag am stehe, "den Widerstand gegen Stadtent17.12.2012 gegen wicklung und die herrschenden Verhält"kapitalistische Stadtentwicklung" nisse an unterschiedlichen Orten". An den verschiedenen Demonstrationen, Kundgebungen und sonstigen Aktionen wie "Hells Bells" - "Topfschlagen gegen Wohnungsnot und steigende Mieten" beteiligten sich insgesamt mehrere Hundert Personen. Den größten Zulauf hatten drei zentrale Kundgebungen in der Hamburger Innenstadt, an denen jeweils rund 200 Personen teilnahmen. Der Aktions110 Linksextremismus tag verlief weitgehend friedlich. Es gab lediglich eine versuchte Störaktion, die einige Platzverweise und Aufenthaltsverbote sowie eine Ingewahrsamnahme nach sich zog. 5.2.2 AVANTI - Projekt undogmatische Linke Die Gruppe "Avanti - Projekt undogmatische Linke" entstand 1989 aus einem Zusammenschluss zweier autonomer Gruppen in Schleswig-Holstein. Inzwischen bestehen acht Ortsgruppen in Flensburg, Kiel, Lübeck, Norderstedt, Berlin, Hamburg, Bremen und Hannover. Eine geografische Ausweitung wird angestrebt. Das Arbeitsfeld von "AVANTI" ist breit gefächert. Die Schwerpunkte der Hamburger Ortsgruppe mit ihren unverändert 40 Mitgliedern lagen 2011 in den Themenfeldern Antifaschismus, Sozialpolitik, Antirassismus und Klima/Umwelt. Ihre extremistische Ausrichtung verdeutlicht die Gruppe unter anderem in ihrem 2004 überarbeiteten Grundsatzpapier: "Unsere Überzeugung war und ist, dass die heutige Gesellschaft revolutionär verändert werden muss und dass die hierfür notwendige gesellschaftliche Gegenmacht nicht allein aus spontanen Bewegungen bestehen kann, sondern die Beteiligung revolutionärer Organisationen braucht." Bei dem langfristig angestrebten Gesellschaftsumbau wird der Einsatz von Gewalt ausdrücklich nicht ausgeschlossen: "Wir sind daher der Überzeugung, dass die Entscheidung zum Einsatz revolutionärer Gewalt sehr genau abgewogen werden muss und nur als letztes Mittel gelten kann, wenn andere Methoden, um dem Willen der Bevölkerungsmehrheit nach einem gesellschaftlichen Wandel Geltung zu verschaffen, nicht zur Verfügung stehen oder versagt haben." Mit der Auffassung, dass die Systemüberwindung eine "Organisierung der Revolutionäre" voraussetzt, hebt sich "AVANTI" von der für autonome Gruppierungen typischen organisationskritischen Einstellung ab. Die politische Arbeit von "AVANTI" basiert auf kommunistischen Ideologie-Elementen. Dennoch entsprechen die Aktionsformen denen autonomer Gruppen. Eine Zusammenarbeit mit nichtextremistischen Kräften wird ausdrücklich befürwortet. Dahinter verbirgt sich das Bemühen, Anerken111 Linksextremismus nung und gesellschaftliche Verankerung für linksextremistische Ziele zu erreichen. Zu dieser Taktik führt "AVANTI" im Grundsatzpapier aus: "Gesellschaftliche Verankerung meint die Einbettung von AVANTI in ein Netzwerk von Bündnissen und/oder Kontakten sowohl mit anderen linken (nicht unbedingt revolutionären) Organisationen als auch mit politisch interessierten und engagierten Menschen, die z. B. in politischen Gruppen oder Bürgerinitiativen aktiv sind." Überregional engagiert sich "AVANTI" in dem Netzwerk "Interventionistische Linke" (IL). Die IL ist ein bundesweiter Zusammenschluss, in dem neben Gruppierungen aus der autonomen und antiimperialistischen Szene auch nichtextremistische Organisationen und Einzelpersonen aktiv sind. Ihr Tätigkeitsschwerpunkt ist die aktionsorientierte Mitorganisation bundesweiter Demonstrationen, zum Beispiel im Rahmen der Protestaktionen gegen den rechtsextremistischen Aufmarsch in Dresden im Februar 2011 und den Castor-Transport im November 2011. ( 5.3.2) Im Dezember 2010 begann eine bundesweite Mobilisierung gegen den rechtsextremistischen Aufmarsch in Dresden. "AVANTI" schloss sich dem von Linksextremisten beeinflussten Bündnis "No Pasaran" an. Das Konzept der Massenblockaden habe es ermöglicht, "den größten Naziaufmarsch Europas zu 'knacken'", bilanzierte "AVANTI" in einem im Internet verbreiteten Papier unter der Überschrift "Die Dynamik der Aufmärsche ist gebrochen": "Unser Ziel muss es sein, mit vielen Menschen radikalisierende Schritte zu gehen. Deshalb sind Massenblockaden für uns ein probates Mittel der strategischen Intervention. Wir sind aber nicht auf diese Aktionsform festgelegt oder beschränkt." Die AVANTI Ortsgruppe Hamburg führte Anfang Februar 2011 ein Aktionstraining für Massenblockaden in der "Roten Flora" durch. Regional beteiligt sich die AVANTIOrtsgruppe Hamburg seit 2005 an dem linksextremistisch beeinflussten "Hamburger Bündnis gegen Rechts" (HBgR) und unterstützte im Avanti-Broschüre "Extrem wichtig: Linke Politik" 112 Linksextremismus Januar und Februar 2011 Protestveranstaltungen gegen Wahlkampfkundgebungen der NPD ( 5.3.2). Im Mai 2011 erschien die AVANTI-Broschüre "Extrem wichtig: Linke Politik". Im Vorwort weist "AVANTI" darauf hin, dass mit dieser Broschüre Argumente "gegen die als ideologische Grundlage dienende Extremismusdoktrin" geliefert würden. Darin wird "die Gleichsetzung von emanzipatorischer und faschistischer Politik unter dem Begriff 'Extremismus'" als nicht haltbar kritisiert ( 5.3.2). "AVANTI" führte 2011 die Mitarbeit in dem Netzwerk "Recht auf Stadt" fort, in dem sich neben vielen nichtextremistischen Gruppierungen auch die "Rote Flora" engagiert. "AVANTI" gehörte zu den Erstunterzeichnern Linker Jugendkongress der im Februar 2011 erschienenen in Hamburg vom 27. - 29.05.2011 Hamburger Erklärung zur Wohnungspolitik unter dem Titel "Mietenwahnsinn stoppen". Mit der Forderung "Wohnraum vergesellschaften" versuchte "AVANTI" sich 2011 weiter gesellschaftlich zu etablieren. In einem eigenen Aufruf zur Demonstration "Mietwahnsinn stoppen" am 29.10.2011 in Hamburg verdeutlichte "AVANTI": "Uns geht es um die Rückeroberung der Stadt und des Lebens." Am letzten Mai-Wochenende 2011 fand in Hamburg im Gängeviertel zum fünften Mal der Jugendkongress "Her mit dem schönen Leben" statt. Als Organisator und Veranstalter fungierte unter anderem die Hamburger Ortsgruppe. Laut "Indymedia" besuchten über 150 Jugendliche die angebotenen Workshops unter anderem zu den Themen Kapitalismuskritik, Atompolitik und Antifaschismus, die auch "mögliche Formen des Widerstands" beinhalteten. 5.2.3 Rote Hilfe (RH) Die Rote Hilfe (RH) wurde im Jahre 1975 gegründet. Sie definiert sich als "parteiunabhängige, strömungsübergreifende linke Schutzund Solidaritätsorganisation". Als Selbsthilfeeinrich113 Linksextremismus tung möchte die RH "verbindendes Element innerhalb der Linken gegen staatliche Repression" sein. Die RH leistet von strafprozessualen Maßnahmen betroffenen Aktivisten finanzielle Hilfe, schwerpunktmäßig für Anwaltsund Gerichtskosten. Weiterhin erscheint vierteljährlich die Zeitschrift "Die Rote Hilfe". Der Mitgliederbestand der RH setzt sich aus allen Teilbereichen linker und linksextremistischer Organisationen zusammen. Wie im Vorjahr verzeichnete die RH auch 2011 sowohl in Hamburg als auch bundesweit steigende Mitgliederzahlen. Von den bundesweit 5.600 (2010: 5.500) und den 520 Hamburger Mitgliedern (2010: 480) sind die wenigsten in der Gruppe aktiv. Die Ortsgruppe Hamburg bietet im "Centro Sociale" wöchentliche Beratungstermine und im Bedarfsfall Veranstaltungen zu aktuellen Themen an. Der seit 2008 von der Bundesorganisation der RH herausgegebene und von der Hamburger Ortsgruppe unterstützte Newsletter "pressback" beschäftigte sich unter anderem mit den sogenannten "Gefahrengebieten", die auf polizeirechtlicher Basis anlässlich verschiedener Anlässe und Veranstaltungen (30.04./01.Mai 2011; Schanzenviertelfest am 20.08.2011) von der Hamburger Polizei eingerichtet wurden. 5.2.4 Antiimperialistische Gruppen Dem antiimperialistischen Lager in Hamburg gehören unverändert etwa 90 Personen an. Ihr wichtigster Treffpunkt ist das "Internationale Zentrum" an der Brigittenstraße 5 (B5). Ein Teil befasst sich traditionell mit Unterstützungsarbeit für Befreiungsbewegungen, unter anderem in der Türkei, Palästina und Südostasien. Jüngere Gruppen wenden sich mit Schulungsangeboten zu marxistisch-leninistischer Ideologie an Jugendliche und junge Erwachsene. Antiimperialisten nutzen Kernelemente des Marxismus-Leninismus für den Vorwurf, der Reichtum der Industrienationen beruhe auf der ökonomischen Ausbeutung von Ressourcen in den Entwicklungsländern und werde militärisch gesichert. Ihre politische Agitation richtet sich gegen nationale und internationale Institutionen sowie weltweit tätige Konzerne. In der 114 Linksextremismus Vergangenheit lehnten sich Antiimperialisten eng an die Ideologie der 1998 aufgelösten RAF an. Wie Autonome lehnen sie das Gewaltmonopol des Staates ab und reklamieren für sich zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele ein Recht auf Widerstand gegen das "System". Dies schließt auch gewalttätige Aktionen mit ein. Autonome lehnen eine Zusammenarbeit mit Antiimperialisten überwiegend ab. Sie unterstellen dem antiimperialistischen Lager antisemitische Tendenzen, da dieses bei der Beurteilung des Nahost-Konflikts einseitig für palästinensische Interessen eintritt und Israel als Aggressor einstuft. Zu den antiimperialistischen Gruppen gehören insbesondere * Bündnis gegen imperialistische Aggression * Palästina Arbeitskreis Hamburg * Rote Szene Hamburg (RSH) * Sozialistische Linke (SoL) * Projekt revolutionäre Perspektive (PRP) SoL hat sich nach eigenen Angaben im April 2004 als kommunistische Jugendgruppe in Hamburg gegründet. Ihrem Grundsatzpapier zufolge sehen sich die Gruppenangehörigen als Kommunisten, die die Notwendigkeit einer "revolutionären Organisierung der ArbeiterInnenklasse für die sozialistische Revolution" erkannt haben und zu diesem Zweck die Gründung einer kommunistischen Partei anstreben, "(...) die das Proletariat vor, während und nach der Revolution führt". Die antiimperialistischen Gruppen sprechen vor Titelseite der Broschüre allem Schüler und Auszubildende an und haben "Krise, Krieg, Kapitalismus" ihre publizistischen und aktionistischen Aktivitäten - insbesondere im Bereich Antimilitarismus - seit 2010 erheblich verstärkt. SoL, RSH und PRP gehören zu den Mitunterzeichnern der 2011 erschienenen Broschüre "Krise, Krieg, Kapitalismus", in der Sabotageakte gegen Bundeswehreinrichtungen und Brandstiftungen, zum Beispiel an 115 Linksextremismus Fahrzeugen, als nachahmenswertes Beispiel für "Abrüstung" empfohlen werden. Die Broschüre selbst ist ein gemeinschaftliches Produkt überregionaler linksextremistischer Gruppen, unter anderem aus Berlin, Stuttgart, Tübingen und Nordrhein-Westfalen, die sich als "Antifaschistisches / Antimilitaristisches Aktionsbündnis (3A)" verstehen. Ihr Ziel ist die Etablierung einer kommunistischen Gesellschaft, die die Herrschaft des Menschen über den Menschen beseitigen und seinen Bedürfnissen dienen solle. Ein weiterer Schwerpunkt der Gruppen ist die Agitation gegen das staatliche Bildungswesen. In Veröffentlichungen wird die Funktion der "Schule im Kapitalismus" als Ort der "Selektion zwischen den Schülern" kritisiert. Die Bildungspolitik betreibe bewusst eine Splittung zwischen intelligenter Oberschicht für Führungsaufgaben und ausgegrenzter Unterschicht, denen "der Aufstieg innerhalb des Bildungswesens erschwert" werde. "Real-, Hauptund Sonderschüler, häufig Kinder von Einwanderern" würden zu "billigen Arbeitern" ausgebildet, denen nur noch Jobs mit geringen Löhnen, Hartz 4, Schwarzarbeit oder das Abgleiten in die Kriminalität blieben. Am 22.01.2011 hatten SoL und RSH gemeinsam mit dem Landesverband Hamburg der Linksjugend ['solid] und der Partei "Die LINKE" (Anmelder) in einem Flugblatt als "Hamburger Antimilitarismusbündnis" zu einem "Aktionstag gegen die Mandatsverlängerung der Bundeswehr in Afghanistan!" auf dem Gerhart-Hauptmann-Platz aufgerufen, an dem 80 Personen teilnahmen. Die Aktivisten setzten ihren Protest im Rathaus fort, wo die Sprecherin der Linksjugend ['solid] Hamburg ( 6.) eine Rede gegen die "Kriegspolitik der NATO" hielt. Während der Veranstaltung wurde von einem nahegelegenen Gebäude ein großflächiges Transparent "No Nato, No War, No Capitalism" heruntergelassen. Dabei wurde eine Grußbotschaft eines AngehöPlakat zur Hamburger rigen der Berliner "militanten gruppe" Bürgerschaftswahl verlesen, der 2010 zu einer mehrjährigen 116 Linksextremismus Haftstrafe wegen versuchter Brandstiftung auf Fahrzeuge der Bundeswehr in Brandenburg verurteilt worden war. In einem Text der RSH vom Februar 2011 zur Hamburger Bürgerschaftswahl "Regierungen wechseln... Unterdrückung bleibt!" polemisierten die Autoren über die vermeintliche Sinnlosigkeit von Wahlen im Kapitalismus. Wahlen seien keine Alternative zur Revolution. "Die Wahl die wir treffen, ist die Wahl unserer Waffen mit denen wir dieses System überwinden wollen (...)." SoL und ihre "Jugendgruppe" RSH riefen zur Demonstration "Heraus zum revolutionären 1. Mai - Klasse gegen Klasse" auf. Die Mobilisierung erfolgte mit mehrsprachigen Flugblättern, Internetaufrufen und insbesondere vor Schulen. Das von ihnen produzierte martialische Mobilisierungsvideo "1. Mai - nieder mit der Polizei!" richtete sich offenbar vornehmlich an gewaltorientierte junge Menschen. Im Zusammenhang mit den Protesten gegen die an die Bewohner des Bauwagenplatzes "Zomia" ergangene Räumungsverfügung erneuerte die RSH ihre militante Systemkritik: "Vielleicht können wir im Moment nicht jeden Angriff des Kapitals und seiner Handlanger auf uns und andere abwehren, aber wir können sie zumindest für ihre menschenfeindliche Politik bezahlen lassen. Die Menschen sind wütend, die Nächte sind dunkel und wir haben sowieso schon lange die Schnauze voll von diesem System!" 5.2.5 Freie Arbeiterinnenund Arbeiter Union (FAU) Die anarchistische Szene Hamburgs hat mit etwa 50 Personen relativ wenige Anhänger. Die größte anarchistische Gruppe in Hamburg ist die "Freie Arbeiterinnen und Arbeiter Union" (FAU), Ortsgruppe Hamburg, die sich im "Libertären Kulturund Aktionszentrum" (LKA) in Altona trifft. Das "LKA" wird von libertären und anarchistischen Gruppen, Projekten und Einzelpersonen genutzt und durch die Aktiven selbst finanziert und verwaltet. 117 Linksextremismus Die an die "Internationale Arbeiter Assoziation" (IAA) angebundene FAU bezeichnet sich auf ihrer Internetseite als "anarcho-syndikalistische Gewerkschaftsföderation". Sie engagiert sich vorrangig in der Betriebsarbeit. Ihr Ziel ist "die herrschaftslose, ausbeutungsfreie auf Selbstverwaltung begründete Gesellschaft", die sie mit sämtlichen "Mitteln der DIREKTEN AKTION, wie zum Beispiel Besetzungen, Boykotts, Streiks etc." erreichen will. Die IAA mit ihren bundesweit rund 300 Anhängern, davon circa 30 in Hamburg, gliedert sich in Syndikate, Branchenund Ortsgruppen. Wichtige Entscheidungen treffen die Mitglieder durch Urabstimmungen. Die IAA ist Herausgeberin der Publikation "Direkte Aktion". Die "revolutionäre Gewerkschaftszeitung" erscheint zweimonatlich. 2011 nahm die FAU in Hamburg an mehreren Demonstrationen teil bzw. rief zu deren Unterstützung auf, zum Beispiel an Protestkundgebungen gegen die Abschlusskundgebung der NPD im Hamburger Bürgerschaftswahlkampf am 12.02.2011 und an der Demonstration "Mietenwahnsinn stoppen - Wohnraum vergesellschaften!" am 29.10.2011 (Antigentrifizierung VSB 2010, S. 129f). Im Februar und November 2011 organisierte die FAU Hamburg gemeinsam mit der FAU Kiel Solidaritätsaktionen für Beschäftigte eines Baumarktes in Hamburg-Harburg und eines Spielautomatenherstellers in Hamburg-Wandsbek, um gegen die dort herrSolidaritätsaktion in Hamburg-Harschenden Arbeitsbedingungen zu protestieburg für OBI-Beschäftigte in Polen ren. 5.2.6 Antideutsche / Antinationale Strukturen Hamburg "Antideutsche Strukturen" sind Anfang der 1990er Jahre aus verschiedenen linksextremistischen Strömungen, vor allem aus der sogenannten "Radikalen Linken", hervorgegangen. Sie vertreten die Ansicht, dass Israel als einziger Nationalstaat eine Existenzberechtigung habe. Er sei erforderlich, um der jüdischen Gemeinschaft 118 Linksextremismus eine notwendige Zuflucht vor dem weltweit verbreiteten Antisemitismus zu bieten. Diese Überzeugung leiten sie insbesondere aus dem Holocaust ab. Vor diesem Hintergrund vertreten "Antideutsche" bedingungslos proisraelische Positionen bis hin zu der Rechtfertigung militärischer Maßnahmen Israels. Damit stehen sie konträr zu herrschenden Auffassungen eines Teils der linksextremistischen Szene, die Israel als kapitalistische und imperialistische Besatzungsmacht sieht, die zum Nachteil des palästinensischen Volkes handelt. Aus diesem Grund werfen "Antideutsche" insbesondere dem antiimperialistischen Lager antisemitische Tendenzen vor. ( 5.2.3) Eine weitere große Bedrohung für den Staat Israel sehen "Antideutsche" in der Islamischen Republik Iran, die für eine "permanente Vernichtungsdrohung" gegen Israel stehe. Die "gruppe bricolage" rief für den 19.06.2011 unter dem Tenor "Träume versenken!" zu einer Demonstration gegen einen Schiffskonvoi mit Versorgungsgütern für die Bevölkerung im Gaza-Streifen auf. Die "Gaza-Flotille" sei "Teil der internationalen Kampagne gegen den jüdischen Staat". An der friedlich verlaufenen Aktion beteiligten sich circa 100 Personen. Die Gruppe "sous la plage" organisierte am 19.09.2011 eine Diskussionsveranstaltung unter dem Motto "Imagine there's no Deutschland", welche der Mobilisierung zur Demonstration gegen die Feierlichkeiten Demonstation gegen die Feierlichzum Tag der Deutschen Einheit in Bonn keiten zum Tag der Deutschen Einheit am 03.10.2011 in Bonn diente. An der friedlich verlaufenen Demonstration in Bonn am 03.10.2011 unter dem Tenor: "Friede? Freude? Eierkuchen? - Zur Kritik des deutschen Nationalismus" beteiligten sich mehrere Hundert Personen. Ein dort gehaltener Redebeitrag wurde auch auf der Internetseite der Hamburger Gruppe "sous la plage" veröffentlicht. Man habe sich bei der Demonstration eingefunden, um "unseren Hass auf Deutschland kundzutun" und wolle, dass "dieses Land endlich aufgelöst" werde; daher trete die Gruppe auch für eine kommunistische Gesellschaftsform ein. 119 Linksextremismus 5.3 Aktionsfelder 5.3.1 Antirepression "Antirepression" ist ein klassisches Aktionsfeld autonomer Gruppen. Staatliche Maßnahmen gegen linksextremistische Straftaten werden generell als "Repression" gewertet. Vor diesem Hintergrund rechtfertigen Autonome auch gewalttätige Proteste und nutzen dazu auch Ereignisse in anderen deutschen und europäischen Städten. So wurde am 02.02.2011 in Berlin das Wohnprojekt an der Liebigstraße 14 geräumt. Dies führte in mehreren deutschen Städten, darunter auch Hamburg, zu Solidaritätsdemonstrationen. Seit Ende Januar 2011 rief das "Plenum der Roten Flora" für den Tag der Räumung zu einer spontanen Solidaritätsdemonstration vor der "Roten Flora" auf. Ähnlich wie das Berliner Wohnprojekt sei auch die "Rote Flora" von einer Räumung "bedroht". Außerdem stehe die "Rote Flora" für die gleichen Inhalte wie "Liebig 14". Man habe "schon längst keinen Bock mehr auf diesen Staat und seine Repression". An einer Solidaritätsdemonstration unter dem Tenor: "Liebig 14, Flora Bleibt - One struggle one fight" am 02.02.2011 beteiligten sich 470 Personen, darunter zahlreiche Linksextremisten. Während des Aufzugs wurden Polizisten mit Flaschen und Knallkörpern beworfen. Im Anschluss an die Demonstration beteiligten sich rund 250 Störer an Ausschreitungen, in deren Verlauf Mülltonnen angezündet und weitere Sachbeschädigungen begangen wurden. Weitere Solidaritätsdemonstrationen am 04.02.2011 mit insgesamt 250 Teilnehmern und am 11.02.2011 mit rund 150 Personen verliefen ebenfalls gewalttätig. Am 21.09.2011 wurde in Bilbao das Kulturzentrum "Kukutza" geräumt. Auch dies Plakatwand an der "Roten Flora" führte in Hamburg zu Solidaritätsaktionen der autonomen Szene. Unter anderem beteiligten sich in den Abendstunden des 21.09.2011 etwa 200 Personen an einem unangemeldeten Aufzug unter dem Tenor: "Solidarität mit dem Kulturzentrum Kukutza in Bilbao" in 120 Linksextremismus Hamburg-Ottensen. Im Verlauf der Demonstration wurden Polizeibeamte mit Flaschen und Böllern beworfen und im Anschluss diverse Sachbeschädigungen begangen. In der Zeck Nr. 161, Ausgabe März/April 2011, veröffentlichte die "Antirepressionsgruppe Hamburg" unter dem Tenor "autoritäre formierung und repression" einen Text, in dem sie fordert, "ein analytisches verständnis (...) des systems, das wir bekämpfen", zu entwickeln, um zu einer "wirksamen linksradikalen praxis" beizutragen. Wegen eines in derselben Ausgabe unter der Überschrift "We're not gonna take it...anymore!" ( 5.1, Rote Flora) veröffentlichten Artikels, in dem zu Straftaten aufgerufen wurde, wurde am 11.05.2011 ein Buchladen im Schanzenviertel von der Polizei durchsucht. Das "Plenum der Roten Flora" verfasste hierzu eine Erklärung, die sich gegen "staatliche Repression und Zensur" richtete und Straftaten rechtfertigte: "Wir werden auch weiterhin für einen politischen Widerstand eintreten, in dem inhaltliche Diskussionen und praktische Aktionen ohne Scheren im Kopf öffentlich diskutiert werden und ihren Ausdruck in vielfältigen - auch militanten - Interventionen finden." Am 08.07.2011 warfen Unbekannte mehrere Gläser mit grüner Farbe gegen die Polizeiwache am Hamburger Fischmarkt. Außerdem versuchten sie, die Scheiben im Eingangsbereich mit Steinen einzuwerfen. Kurze Zeit später wurde im Internet eine Bekennung veröffentlicht. Demnach wurde die Tat aus Solidarität mit einem in Berlin wegen des Vorwurfs der Brandstiftung an einem Pkw inhaftierten "Genossen" begangen. Die Einrichtung sogenannter "Gefahrengebiete" am 30.04. und 01.05.2011 sowie im Anschluss an das Schanzenviertelfest am 20.08.2011 wird von der autonomen Szene Hamburgs als "staatliche Repression" gewertet. Die Polizei darf in diesen Gebieten, in denen aufgrund konkreter Lageerkenntnisse anzunehmen ist, dass dort Straftaten von erheblicher Bedeutung begangen werden (zum Beispiel Gewaltdelikte, Brandstiftungen, Raub oder Diebstähle), Personen kurzfristig anhalten und befragen, außerdem ihre Identität feststellen und mitgeführte Sachen in Augenschein nehmen. Dies und der "Gentrifizierungsprozess" (Gentrifizierung: soziale Aufwertung des Wohnumfeldes durch städtebauliche Umstrukturierung) im Schanzenviertel waren die thematischen Schwerpunkte des Schanzenviertelfestes 2011. In einem Papier der Kampagne "Flora bleibt unverträg121 Linksextremismus lich", das auf der vor allem von Linksextremisten genutzten Internetplattform Indymedia erschien, hieß es: "Wir nehmen polizeiliche Eskalationsszenarien nicht zum Anlass von Distanzierungen, sondern dazu, (...) der Repression nicht vorauseilend die Straße zu überlassen." In der Nacht zum 21.08.2011 wurden acht Fensterscheiben einer Polizeidienststelle in Hamburg-Rissen von unbekannten Tätern mit Pflastersteinen eingeworfen. Unter anderem in der Zeck Nr. 164, Ausgabe September/ Oktober 2011, bekannte sich "eine autonome Kleingruppe von vielen" zu der Tat. Die Einrichtung von "Gefahrengebieten" werde ihren "Drang nach Revolte nicht stoppen". Am 30.12.2011 fand unter dem Tenor: "Für Freiheit - gegen alle Mauern" eine Demonstration zur Untersuchungshaftanstalt Holstenglacis statt. An dem friedlich verlaufenen Aufzug beteiligten sich rund 50 Personen. Das Gebäude wurde von Demonstrationsteilnehmern durch Farbwürfe erheblich verschmutzt. Einem im Internet am 31.12.2011 veröffentlichten Flugblatt zu der Aktion war zu entnehmen, dass sie sich gegen das "kapitalistische System" richtete und "für eine Welt ohne Knäste, ohne Herrschaft" eintrat. 5.3.2 Antifaschismus Linksextremisten nutzen den breiten gesellschaftlichen Konsens gegen den Rechtsextremismus auch, um in demokratischen Organisationen und Gruppen Akzeptanz zu finden. In einem 2009 in der linksextremistischen Publikation "interim" erschienenen Grundsatz-Artikel formulierten autonome "Antifaschisten": "Radikaler Antifaschismus bedeutet für uns mehr als nur gegen Nazis zu sein. Er bedeutet auch eine unvereinbare Haltung zu diesem System einzunehmen (...)." Wie andere Linksextremisten Symbol der berufen sie sich auf den in den 1920er Jahren "Antifaschistischen Aktion" aus der marxistisch-leninistischen Doktrin heraus entwickelten Faschismusbegriff. Dieser definiert den Faschismus als Werkzeug der Kapitalisten zum Niederhalten der revolutionären Arbeiterklasse. Vor diesem Hintergrund fordern heutige 122 Linksextremismus Linksextremisten die Überwindung der bestehenden Gesellschaftsordnung, die sie als Ursache des "Faschismus" interpretieren. Die vom "Nationalsozialistischen Untergrund" (NSU) ( V. 4.) verübte rechtsextremistisch motivierte Mordserie war für linksextremistische Gruppen ein Anlass, ihre Agitation gegen die Sicherheitsbehörden und insbesondere die sogenannte "Extremismusdoktrin" zu verstärken. In Veröffentlichungen wird behauptet, der Begriff "Extremismus" werde von Sicherheitsbehörden und anderen staatlichen Institutionen als "politischer Kampfbegriff" gegen die politische Linke insgesamt verwendet. Bei der Agitation gegen die "Extremismusdoktrin" tat sich unter maßgeblichem Einfluss von "AVANTI" und anderen Linksextremisten besonders das linksextremistisch beeinflusste "Hamburger Bündnis gegen Rechts" hervor. Im Mittelpunkt der Aktivitäten autonomer "Antifaschisten" stehen Protestaktionen gegen Informationsstände und Veranstaltungen von Rechtsextremisten sowie das direkte Vorgehen gegen Einzelpersonen. Gewalt wird von Linksextremisten als legitimes Mittel im "Kampf gegen Rechts" weitgehend akzeptiert. Eine gewalttätige Eskalation von Konflikten wird dabei von vielen, insbesondere von Autonomen, bewusst in Kauf genommen und als Ausdruck besonders konsequenten Handelns angesehen. Die Recherchearbeit ist für die "autonome Antifa" von besonderer Bedeutung. Angehörige von Antifa-Gruppen spähen hierbei einzelne Rechtsextremisten gezielt aus, sammeln Informationen über sie und nutzen diese Informationen unter anderem für "Outing-Aktionen" in der Nachbarschaft oder am Arbeitsplatz des Betroffenen sowie für Veröffentlichungen in Szene-Publikationen ene-Publikationen und im Internet. Mit solchen Aktionen sollen Rechtsextremisten öffentlich stigmatisiert werden. Im Gegensatz zu den Vorjahren gab es 2011 keine "Outing-Aktion" im engeren Sinn. 123 Linksextremismus Zu den Informationsplattformen der Hamburger Antifa-Szene zählt seit 2004 die Internetseite des "Antifa Info Pool Hamburg". Die Initiatoren bezeichnen sich "als Zusammenschluss von Personen verschiedener Hamburger Gruppen und Projekte." "Antifaschisten" soll die Möglichkeit gegeben werden, sich gezielt über Veranstaltungen und Aktionen zu informieren, um zu einer Stärkung der lokalen Antifa-Strukturen beizutragen. Die Internetseite "Antifa Hamburg" veröffentlicht ebenfalls Aufrufe und Informationen der "autonomen Antifa" in Hamburg. Seit Mai 2006 findet regelmäßig das "Antifa-Cafe" eines "gruppenübergreifenden Zusammenhanges" in St. Pauli statt. Es sei notwendig, einen Ort des Austausches zu haben, "der es nicht nur ermöglicht sich mit aktuellen Infos oder Materialien einzudecken, sondern darüber hinaus auch Entstehungsplatz vielfältiger antifaschistischer Aktionen sein kann." Die Veranstaltungen werden überwiegend mit der Mobilisierung für Aktivitäten autonomer "Antifaschisten" verbunden. In dem im Jahr 2002 gegründeten "Hamburger Bündnis gegen Rechts" (HBgR) arbeiten Linksextremisten verschiedener Zugehörigkeit (unter anderem orthodoxe Kommunisten und "AVANTI") und Nichtextremisten auf der Basis der "Hamburger Erklärung gegen Rassismus und Faschismus" zusammen. Darin setzt sich das HBgR unter anderem "für die Diskussion über alternative GesellschaftsAufruf gegen eine Versammlung der modelle ein, in denen Faschismus NPD am 29.01.2011 keine Chance hat". Das HBgR wirkt als Klammer zwischen undogmatischen Linksextremisten, orthodox-kommunistischen und revolutionär-marxistischen Gruppen. Es dient zudem als Schnittstelle zu nichtextremistischen Gruppen und Einrichtungen und versucht dadurch seinen Einfluss, insbesondere zu Mobilisierungszwecken, geltend zu machen. Anlässlich zweier Wahlkampfveranstaltungen der NPD ( V. 8.1) im Frühjahr 2011 zur Bürgerschaftswahl fanden in Hamburg Gegenkundgebungen unter maßgeblicher Beteiligung des HBgR statt, zum Beispiel bei einer von der NPD am 29.01.2011 (Vortag der "Machtergreifung" 1933) durchgeführ124 Linksextremismus ten Versammlung in Hamburg-Harburg. Autonome "Antifaschisten" veröffentlichten auf ihrer Internetplattform "Antifa Hamburg" einen Aufruf: "Wir sagen nur eins: Wer an solch einem Datum eine neofaschistische Kundgebung oder was auch immer durchziehen will, sollte sich im Anschluss nicht über massive körperliche Schäden und hohe Sachschäden beschweren." An der angemeldeten Gegenkundgebung nahmen etwa 600 Personen teil. Durch hohe Polizeipräsenz konnte ein Aufeinandertreffen beider Lager größtenteils verhindert werden. Vereinzelt kam es seitens linksextremistischer Demonstranten dennoch zu Steinund Flaschenwürfen. Gegen eine Kundgebung der NPD in der Hamburger Innenstadt am 12.02.2011 führte das HBgR in unmittelbarer Nähe eine Protestkundgebung mit wiederum etwa 600 Teilnehmern durch. Autonome "Antifaschisten" versuchten mehrmals, zum Kundgebungsort der NPD zu gelangen. Bei der Abreise gab es Auseinandersetzungen zwischen jeweils 20 Versammlungsteilnehmern beider Seiten auf dem Hamburger Hauptbahnhof. Die autonome Gruppe "[a2]-Hamburg" widmet sich seit April 2008 der "antifaschistischen linksradikalen Politik". Auf ihrer Homepage wird hauptsächlich für regionale und überregionale Antifa-Aktionen mobilisiert. So rief die Gruppe unter dem Motto: "1. Mai 2011 Bremen - same hell for nazis as every year" dazu auf, an den antifaschistischen Protesten gegen den Aufzug von Rechtsextremisten in Bremen teilzunehmen. Es seien "die nur physisch belehrbaren Neonazis aus NPD und Freien Nationalisten" zu erwarten. Man wolle sich jedem in den Weg stellen, "Nazis und Bullen". Dabei verwies "a2" bewusst auf den Aufruf für den 1. Mai 2008, als es in Hamburg zu stundenlangen Straßenschlachten zwischen Tausenden Linksund Rechtsextremisten und der Polizei gekommen war ( VSB 2008). Vor dem Hintergrund der rechtsextremistischen Mordserie des NSU mobilisierte die Hamburger autonome Antifa-Szene für eine Demonstration am 09.12.2011, unter dem Motto "Verstrickung des Verfassungsschutzes in die Naziszene", an der circa 400 Personen teilnahmen. Weil die Polizei mit Feuerwerkskörpern beworfen wurde, wurde der Aufzug zunächst gestoppt; anschließend konnte er störungsfrei durchgeführt werden. Verschiedenen Aufrufen auf der Internet-Plattform Indymedia zufolge sollte sich die Trauer um die Ermordeten in Wut und Widerstand wandeln und auf die Straße getragen werden. Die "autonome Antifa" wollte staatlichen Einrichtungen 125 Linksextremismus von linksradikaler Seite etwas entgegensetzen, "nämlich Ablehnung von Staat, Nation und Kapital. Vernichtung mit seinen Wurzeln bleibt das Ziel". 5.3.3 Linksextremistisch beeinflusste Initiativen gegen Stadtentwicklungspolitik 2011 engagierten sich zahlreiche Initiativen und Gruppen gegen die sogenannte "Gentrifizierung" (soziale Aufwertung des Wohnumfeldes durch städtebauliche Umstrukturierung). Bereits 2009 gründete sich das Netzwerk "Recht auf Stadt", in dem neben zahlreichen nichtextremistischen Gruppierungen auch die "Rote Flora" und "AVANTI" organisiert sind. Auf der Internetplattform Indymedia erklärten Verfasser aus dem Bereich der "Roten Flora" am 06.11.2011: "Wir wollen die vielfältigen Kämpfe um ein Recht auf Stadt miteinander verbinden und solidarisch zusammen kämpfen um das System zu stürzen wie einen Wackelpudding!" 2011 wurden im Zusammenhang mit den Protesten gegen Umstrukturierungen in Hamburg mehrere Brandstiftungen und zahlreiche Sachbeschädigungen begangen. Ziel linksextremistischer Angriffe waren sowohl Vertreter der Freien und Hansestadt Hamburg als auch verschiedene Neubauten in Szenevierteln sowie Firmen, die an Modernisierungen beteiligt waren. Am 02.03.2011 gingen bei zwei Hamburger Zeitungsredaktionen textidentische Schriftstücke mit der Überschrift "We're not gonna take it...anymore" ein. Das Papier befasste sich mit dem aus Sicht der unbekannten Verfasser notwendigen Widerstand gegen die zunehmende "Gentrifizierung" in Hamburg. Dabei gehe es ihnen um "den Kampf gegen Vertreibung und Repression". Ihr Schwerpunkt liege "auf der Durchführung und Anregung militanter Aktionen". Sie riefen ausdrücklich zu Straftaten auf: "Farbe, Glasbruch, Buttersäure... eure Fantasie ist gefragt!" Zwischen März und Oktober 2011 bezogen sich die Selbstbezichtigungsschreiben zu elf linksextremistischen Sachbeschädigungen und einer Brandstiftung auf diesen Aufruf: 126 Linksextremismus Datum Straftat Selbstbezichtigung 21.03.2011 Sachbeschädigung durch "autonome gruppen" Farbe an einem Gebäude der bekannten sich zu der Tat. Stadtentwicklungsbehörde 18.04.2011 Sachbeschädigung an einer Die Täter richteten sich Außenstelle des Bezirksamts "gegen die POLITIK der verHamburg-Mitte mit Farbe und drängung, ihre manager/ Steinen innen und profiteure/innen" sowie "gegen bullen staat und kapitalismus". 01.05.2011 Sachbeschädigung an einem Die unbekannten Verfasser Architekturbüro in der Elbprotestierten mit ihrer Tat chaussee mit Steinen und gegen "Projekte kapitalistiFarbe scher Stadtplanung". 12.06.2011 Sachbeschädigung durch Zu der Tat bekannten sich eine 15-köpfige Personen"nachtaktive Stadtteilaktigruppe an einem im Bau vist_innen". befindlichen Mehrfamilienhaus 11.08.2011 Sachbeschädigung am PoliDie Tat sei "in freudiger zei-Trainings-Zentrum durch Erwartung des SchanzenFarbe und Steine festes" begangen worden. 21.08.2011 Sachbeschädigung an einer Zu der Tat bekannte sich Polizeiwache in Hamburg"eine autonome Kleingruppe Rissen mit Pflastersteinen vonvielen". 10.10. bis Insgesamt fünf Straftaten: Zu diesen Taten bekannte 26.10.2011 Vier Sachbeschädigungen sich eine anonyme Gruppe zum Nachteil der Senatorin am 27.10.2011: Man habe mit für Stadtentwicklung und den Taten "einigen (...) VerUmwelt, des Vorsitzenden a n t wo r t l i ch e n für des GrundeigentümerverbanGentrifizierung und Miedes Hamburg sowie zweier tenterror" die eigene "Wut" Architekturbüros; zudem zum Ausdruck bringen wolBrandstiftung an mehreren len. Die Tatbekennung mobiliFahrzeugen einer Baufirma sierte auch zu der Demonstration am 29.10.2011 gegen "Mietenwahnsinn". 127 Linksextremismus Darüber hinaus wurde zwischen dem 26.02. und dem 28.02.2011 eine Polizeiwache in der Farmsener Landstraße mit faustgroßen Steinen und gelber Sprühfarbe von unbekannten Tätern beschädigt. Sie hinterließen den Schriftzug "LIEBIG LEBT FLORA BLEIBT". In der Nacht zum 02.05.2011 wurden das Wohnhaus und der Pkw der Senatorin für Stadtentwicklung und Umwelt mit Farbe beschädigt. Darüber hinaus wurden in derselben Nacht zwei Pkw des Vorsitzenden des Grundeigentümerverbandes angezündet. Am darauffolgenden Tag ging bei einer Tageszeitung ein Selbstbezichtigungsschreiben zu beiden Taten mit dem Tenor "Von Wohnungsnot kann nicht die Rede sein" ein. Die Geschädigten wurden als Mitschuldige für die angespannte Wohnungssituation und überhöhte Mieten diffamiert. Das Schreiben endete mit der Parole: "Rote Flora verteidigen". 2011 wurde die Forderung nach einem "Autonomen Zentrum" (AZ) Altona erhoben. Um diese durchzusetzen, verschafften sich mehrere Personen am 23.04.2011 widerrechtlich Zugang zum ehemaligen Finanzgebäude an der Großen Bergstraße, an dem sie ein Transparent mit der Aufschrift "Autonomes Centrum Altona Bahnhof" anbrachten. In einer Selbstverständniserklärung vom 22.11.2011 machten die Protagonisten der "Kampagne für ein AZ Altona" deutlich, dass das AZ "ein Kontrapunkt gegen steigende Mieten, gegen Verdrängung und Aufwertung" sein solle. Am 30.04.2011 beteiligten sich etwa 4.000 Personen, darunter rund 1.000 gewaltbereite Autonome, an einer zum Teil gewaltsam verlaufenen Demonstration unter dem Tenor "Stadt selber machen". ( 5.1, Rote Flora) Angehörige der autonomen Szene Hamburgs liefern nach wie vor den organisatorischen Anstoß und schaffen den politischen Rahmen für das Schanzenviertelfest. Zu Mobilisierungszwecken für das Fest am 20.08.2011 beschädigten "Einige Unterstützer_ innen des Konzeptes "We're not gonna take it - anymore" bereits in der Nacht zum 11.08.2011 das 128 Linksextremismus Polizei-Trainings-Zentrum in Hamburg-Winterhude mit Steinen und Farbe. Die Einrichtung eines "Gefahrengebietes" ( 5.3.1) durch die Polizei im Anschluss an das Schanzenviertelfest wurde in der Taterklärung als "Provokation und Einschüchterungsversuch seitens der Stadt und ihrer Büttel" verunglimpft. Abschließend drohten die Verfasser: "Wer Bullen sät wird Riots ernten!". Zu dem tagsüber friedlichen Straßenfest fanden sich etwa 10.000 Besucher ein. Nach dessen Ende kam es zu den rituellen Krawallen im Schanzenviertel, an denen sich circa 200 Personen beteiligten. Bei den Störern handelte es sich um zumeist alkoholisierte Jugendliche und junge Erwachsene, ohne erkennbar politischen Hintergrund. Insgesamt wurden 31 Personen festgenommen, darunter 17 mit Wohnsitz in Hamburg. Darüber hinaus wurden acht Personen in Gewahrsam genommen. Die Ausschreitungen fielen deutlich geringer aus als in den Vorjahren. Offenbar hielten die polizeiliche Präsenz und die Einrichtung des "Gefahrengebiets" zahlreiche Randalierer davon ab, sich an Auseinandersetzungen im Schanzenviertel zu beteiligen. Zwei Tage nach dem Straßenfest äußerten sich "einige hamburger autonome" mit "Bemerkungen zum Schanzenfest" auf der Internetplattform Indymedia ausgesprochen kritisch zu den Auseinandersetzungen. Diese wurden von ihnen als traditionelles "Rumgemackere" und "Militanzfetisch" bezeichnet. Einen emanzipatorischen Anspruch sahen sie darin nicht. Ein "Zusammenhang aus dem Umfeld der Roten Flora" empfand diese Distanzierung als unsolidarisch. Unter dem Titel "Splitter in der Nacht" werteten sie das Fest aufgrund der zahlreichen Stände und Besucher sowie aufgrund der politischen Inhalte als Erfolg. Aus ihrer Sicht sei der nächtliche Angriff auf eine Bank Ausdruck von Unzufriedenheit und habe somit einen politischen Anspruch. Kritik hieran hieße "den hegemonialen Gewaltverhältnissen der Sicherheitsgesellschaft dadurch zu dienen, dass man den Protest gegen sie schwächt". Vor dem Hintergrund einer Reihe von Straftaten wurde vom Bezirksamt Hamburg-Mitte am 22.09.2011 unter der Kersten-Miles-Brücke ein Zaun errichtet, der weiteren Delikten vorbeugen und verhindern sollte, dass Obdachlose unter der Brücke übernachten. Gegen diese Maßnahme gab 129 Linksextremismus es vornehmlich bürgerliche Proteste, die auch von der Kampagne "Flora bleibt unverträglich" unterstützt wurden. So fand am 23.09.2011 im Anschluss an ein Heimspiel des FC St. Pauli eine Demonstration unter dem Tenor "Zäune einreißen" statt, an der sich etwa 1.250 Personen, darunter rund 250 Linksextremisten, beteiligten. Während der Demonstration vermummten sich mehrere Teilnehmer und bewarfen Polizeikräfte massiv mit Flaschen. Im Anschluss an den Aufzug kam es zu Sachbeschädigungen. Am 02.10.2011 versammelten sich etwa 30 Personen am Wohnort des damaligen Leiters des Bezirksamtes Mitte, demonstrierten gegen die Errichtung des Zauns und verteilten Flugblätter. Dabei wurde auch eine Puppe, die stellvertretend für den Bezirksamtsleiter stand, "entthront". Auf einem Transparent stand "SCHREIBER HALTS MAUL". In der Nacht zum 06.10.2011 wurde die Windschutzscheibe des Privatfahrzeugs des Fraktionsvorsitzenden der SPD in der Bezirksversammlung Hamburg-Mitte eingeschlagen und das Wohnhaus mit Farbe beschmiert. Die Täter ließen Aufkleber mit der Aufschrift "Der Zaun ist weg jetzt Schreiber absägen" zurück. Zu einer Demonstration "Mietenwahnsinn stoppen - Wohnraum vergesellschaften" am 29.10.2011 hatte ein Demonstrationsbündnis "Mietenwahnsinn stoppen" mobilisiert. Am 21.10.2011 wurde im Internet ein Aufruf zur Bildung eines "autonomen Blockes" veröffentlicht, in dem betont wurde, man wolle versuchen, "den städtischen Raum zumindest für ein paar Stunden der unerträglichen Alltäglichkeit zu entreißen um selbstbestimmt Situationen der Unversöhnlichkeit mit den herrschenden Verhältnissen zu schaffen". An der weitgehend störungsfrei verlaufenen Demonstration beteiligten sich rund 4.400 Personen, darunter auch ein "autonomer Block" mit etwa 550 Personen. Aus ihm heraus wurden Parolen wie "Wohnraum für alle, sonst gibt's Krawalle" skandiert, mehrfach Flaschen auf Einsatzkräfte geworfen und Sachbeschädigungen begangen. Autonome brachten sich 2011 nur zögerlich in die Auseinandersetzung um den Bauwagenplatz "Zomia" ein. Ende 2010 hatten Bauwagenbewohner eine Gewerbefläche im Bezirk Hamburg-Mitte besetzt. Ein dortiger Verbleib wurde ihnen im November 2011 endgültig untersagt. Ein vermeintlicher 130 Linksextremismus "Zusammenschluss autonomer Gruppen aus Hamburg" hatte am 30.10.2011 auf der Internetplattform Indymedia zu "offener Feindschaft" gegen das Bezirksamt Hamburg-Mitte im Falle einer Räumung des Wagenplatzes aufgerufen. Man werde "militante Aktionen durchführen, die Hamburg aufrütteln werden". Weiter hieß es: "Eure Luft wird brennen, wenn ihr uns nicht atmen lasst!" In einer weiteren Veröffentlichung vom 31.10.2011 lieferten gewaltbereite Aktivisten eine "Orientierungshilfe für Zomia". Hierbei handelte es sich um eine Karte mit "angriffswürdigen Objekten" in Wilhelmsburg, an denen möglichst hoher Sachschaden verursacht werden könne. Auch weil eine Zwangsräumung letztlich nicht erforderlich war, blieben die angekündigten Straftaten aus. Für den 05.11.2011 wurde eine Demonstration unter dem Tenor "Zomia verteidigen! Schreiber abschreiben! Alternatives Leben durchsetzen!" organisiert. An dem von Ausschreitungen begleiteten Aufzug beteiligten sich rund 2.000 Personen, darunter zahlreiche Linksextremisten. Nach dem freiwilligen Umzug Zomias zeigten sich mehrere Unterstützer enttäuscht von der Entscheidung der Bauwagengruppe. Zomia habe in ihren Augen beständig Solidarität eingefordert, sich selbst aber in den Gesamtprotest gegen Gentrifizierung nicht eingebracht. Insbesondere autonome Unterstützer, die auf eine "militante Verteidigung" des Bauwagenplatzes hingearbeitet hatten, verloren das Interesse an weiteren Solidaritätsaktionen für die Bauwagengruppe. 5.3.4 Linksextremistische Einflussnahme auf Proteste gegen die Energiepolitik In Hamburg zählt die Gruppe "Systemoppositionelle Atomkraft Nein Danke" (SAND) zu den Hauptprotagonisten der Anti-AKWBewegung. Sie informierte auf ihrer Homepage unter anderem über Veranstaltungen und Demonstrationen im Zusammenhang mit dem Castor-Transport von La Hague nach Gorleben im November 2011. Daneben befasste SAND sich mit Atomtransporten über den Ham131 Linksextremismus burger Hafen. Am 08.06.2011 war sie maßgeblich für eine unangemeldete Protestaktion auf der Elbe gegen den Transport radioaktiven Materials auf einem russischen Frachter verantwortlich. Neben SAND gehören vor allem das "Anti-Atom-Büro" (AAB) und "AVANTI" zu den Initiatoren linksextremistischer Proteste gegen die Energieund Klimapolitik. Die Forderung nach sofortiger Abschaltung aller Atomkraftwerke und die Debatte um mögliche Endlagerstandorte für Atommüll standen auch 2011 im Fokus der Anti-Atom-Bewegung. Der 13. Castor-Transport von La Hague nach Gorleben war im November 2011 Kernthema vieler Aktivisten. Zur Vorbereitung auf Protestaktionen gegen den Castor-Transport wurden in Hamburg zahlreiche Informationsund Mobilisierungsveranstaltungen durchgeführt. Auch auf der Autonomen Vollversammlung ( 5.1) am Protestaktion gegen Atomtransporte am 13.10.2011 in der Roten Flora stand 08.06.2011 im Hamburger Hafen der Castor-Transport im Mittelpunkt. Im Vorfeld des Castor-Transports warfen unbekannte Täter am 21.11.2011 eine Kette über eine Oberleitung auf der Bahnstrecke zwischen Hamburg und Kiel und lösten so einen Kurzschluss aus. Am selben Tag hieß es in einer im Internet veröffentlichten Taterklärung, "(...) dies war ein gezielter Angriff gegen das Unternehmen Deutsche Bahn! Drei Tage vor dem Start (...) war das unser Startschuß für den militanten Widerstand gegen den Atomtransport. Die Räume des Widerstands erweitern, heisst für uns auch abseits der Transportstrecke die Atomlobby und ihre Akteure anzugreifen. (...)" In der Szenezeitschrift "Zeck", Nr. 166, Ausgabe Januar/Februar 2012, erschien ein Selbstbezichtigungsschreiben "Autonomer Gruppen", das sich auf vier am 26.11.2011 während des Castor-Transportes begangene Brandstiftungen an Signalanlagen der Deutschen Bahn an Hauptstrecken im Hamburger Umland bezog. Darin wurde betont, "uns ging es bei der aktion zum einen darum den castor-transport durch störungen (...) zu verzögern 132 Linksextremismus und allgemeines chaos auf den (nord-)deutschen bahnstrecken zu verursachen, um so die deutsche bahn als profiteur der atom-wirtschaft anzugreifen." Die Anschläge sollten "den kapitalistischen normalzustand (...) stören oder sogar unterbrechen." Die Anti-AKW-Initiativen nutzten vielfältige Protestformen. Bei Demonstrationen und Mahnwachen, Sitzblockaden, Gleisund Straßenblockaden, Ankettund Abseilaktionen sowie militanten Kleingruppenaktivitäten kam es mehrfach zu gewalttätigen Auseinandersetzungen mit der Polizei. An den Protestaktionen gegen den Castor-Transport beteiligten sich mit 450 gewaltbereiten Linksextremisten deutlich mehr als im Vorjahr (300), darunter zahlreiche aus Hamburg. Die Auftaktdemonstration gegen den Castor-Transport unter dem Motto "Gorleben soll leben - STOP CASTOR!" am 26.11.2011 in Dannenberg verlief mit 8.000 Teilnehmern dagegen friedlich. 6. Extremistische Teilstrukturen in der Partei DIE LINKE Seit 2008 beobachtet der Hamburger Verfassungsschutz nur die eindeutig linksextremistischen Strömungen in der Partei DIE LINKE. Diesen gehören circa 70 Personen an, die in folgenden Zusammenschlüssen aktiv sind: * der parteinahe Jugendverband ['solid], * zwei "Kommunistische Plattformen" (KPF), * die "Sozialistische Linke" (SL), * "marx21". Linksjugend ['solid] Die Linksjugend ['solid] agitierte zu den Themenbereichen "Antimilitarismus" und "Antifaschismus". Sie ist im Landesvorstand der Partei DIE LINKE vertreten. Die Pressesprecherin von solid, Christin BERNHOLD, trat in einer Erklärung vom 06.01.2011 im Zusammenhang mit der durch die Vorsitzende der Partei DIE LINKE angestoßenen Debatte "Wege zum Kommunismus" ( 7) für den Kommunismus als einzige Möglichkeit zur Beendigung von 133 Linksextremismus Hunger und Krieg ein. Ferner äußerte sie auf dem Landesparteitag der Partei DIE LINKE am 09.01.2011, das Parlament "als Bühne für den Klassenkampf" nutzen zu wollen. (Internetbeitrag des LfV: Hamburg Wahlen 2011: Extremistische Kandidaten und ihre Ergebnisse) Sie fungiert darüber hinaus als Kontaktperson, Protagonistin und Pressesprecherin der Hamburger Initiative "Bildung ohne Bundeswehr" (BoB), die unter anderem von solid und den antiimperialistischen Gruppen "Sozialistische Linke" (SoL), "Rote Szene Hamburg" (RSH) und dem "Projekt revolutionäre Perspektive" (PRP) ( 5.2.4) getragen wird. solid sucht mit dieser Initiative die Kooperation mit anderen Gruppierungen und strebt nach eigenen Angaben eine enge Kooperation mit gleichgesinnten politischen Jugendstrukturen an. BoB "will über die Gründe für die heutigen imperialistischen Kriege der BRD und anderer kapitalistischer Staaten" aufklären und den Widerstand dagegen organisieren. Die Gruppe forderte die Beendigung der Rekrutierungsund Werbeveranstaltungen der Bundeswehr an Schulen. Im Rahmen der bundesweiten Kampagne "Bildung ohne Bundeswehr" verwendete sie auch das Motto "Kein Werben fürs Sterben". In einer achtseitigen Kampagnenzeitung wurden Hinweise gegeben, wie Schüler und Lehrer gegen Werbeaktionen der Bundeswehr aktiv werden können. Aktionstag "Bundeswehr raus aus den Am 10.11.2011 führte die Hamburger Schulen" im November in Hamburg solid-Gruppe im Rahmen eines bundesweiten Aktionstages eine "Bundeswehr raus aus den Schulen"-Aktion an Schulen in Hamburg-Eimsbüttel durch und verteilte Kampagnenmaterial. Der Hamburger Landesverband ist mit einem Mitglied im achtköpfigen solid-Bundessprecherrat vertreten. Nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima erklärte dieser am 26.03.2011 auf einer Hamburger Veranstaltung zu "Castor Schottern", die Frage für die Bewegung sei nicht mehr, was erlaubt und was verboten sei, sondern was notwendig sei, um den Ausstieg durchzusetzen: "(...) Und wenn wir jede Straße, die zu einem AKW führt, von Hand auseinandernehmen müssen, um die Anlieferung neuer Brennstäbe zu verhindern, wir werden in den nächsten Wochen und Mona134 Linksextremismus ten jedes verdammte Gesetz brechen, das gebrochen werden muss, um den Ausstieg durchzusetzen!" An einer für den 09.07.2011 von solid angemeldeten Versammlung unter dem Tenor "Gegen Rassismus und religiösen Fundamentalismus" in der Nähe des Denkmals für die Gefallenen des Infanterieregiments 76 beteiligten sich etwa 20 Personen, darunter auch einzelne Antiimperialisten ( 5.2.3) und Angehörige der trotzkistischen SAV ( 8.). Kommunistische Plattformen (KPF) Die beiden Hamburger KPF verstehen sich als Zusammenschlüsse von Kommunisten in der Partei DIE LINKE. Sie hatten 2011 ebenso wie die "Sozialistische Linke" (SL) und "marx21" keine nennenswerte Außenwirkung. 7. Orthodoxe Kommunisten Als "orthodoxe Kommunisten" werden Parteien und Organisationen bezeichnet, deren Ideologie sich eng an den Theorien von Marx, Engels und Lenin (Marxismus-Leninismus) ausrichtet. Die seit 1968 existierende "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP) ist die Kernorganisation der orthodoxen Kommunisten. Nach ihrer Weltanschauung sei nur der Kommunismus als "historische Alternative zum Kapitalismus" (DKP-Parteiprogramm 2006) in der Lage, sämtliche gesellschaftliche Probleme zu lösen. Deutsche Kommunistische Partei (DKP) Wesentliche Kräfte der Partei werden durch einen seit Jahren anhaltenden Ideologiestreit gebunden. Hauptsächlicher Streitpunkt ist die Mitglieder: 4.000 Frage, ob die DKP ihre Kräfte auf Bundessitz: Essen, NW eine Zusammenführung der Vorsitzende: Bettina JÜRGENSEN neuen sozialen Bewegungen (so die Mehrheit um den ParteivorBezirksorganisation Hamburg stand) oder traditionell auf die Arbeiter in industriellen GroßbeMitglieder: 180 trieben richten soll. Die "BeweVorsitzender: Olaf HARMS 135 Linksextremismus gungen" werden als taktisches Mittel zur Erreichung strategischer Ziele gesehen. Mit diesem Konzept greift die Mehrheitsströmung inhaltlich das im Februar 1986 beschlossene, 3. Parteiprogramm der KPdSU auf. Darin wurden die "demokratischen Massenbewegungen gegen den Imperialismus" als "Haupttriebkräfte" der gesellschaftlichen Entwicklung bezeichnet. Eine Minderheit sieht dagegen den von Lenin postulierten AvantgardeAnspruch und die Ausrichtung auf das "revolutionäre Subjekt", die "Arbeiterklasse", gefährdet. Die Orientierung an sozialen Bewegungen, zum Beispiel auf den Gebieten "Antifaschismus", "Friedensbewegung" oder "Stadtentwicklungspolitik", bringe diese Gefahr mit sich. Eine zur Klärung ihrer innerparteilichen ideologischen Differenzen einberufene "Theoretische Konferenz" der DKP am 30.10.2011 in Hannover konnte die umstrittenen Fragen erwartungsgemäß nicht beantworten. Am 19.01.2011 beklagte die Parteivorsitzende JÜRGENSEN auf dem politischen Jahresauftakt der DKP-Bezirksorganisation Saarland in Saarbrücken den Widerspruch zwischen zunehmender Kritik an den gesellschaftlichen Verhältnissen und der nach wie vor fehlenden Bereitschaft zum aktiven Handeln. Angesichts ausbleibender Massenproteste wurde "vor einer pseudoradikalen Orientierung" auf militante Aktionen gewarnt. "Dazu gehörten sicher nicht Orientierungen radikaler Linker, wie sie vereinzelt auf der Rosa-Luxemburg-Konferenz in Berlin vertreten wurden" ("Unsere Zeit" vom 18.02.2011). Gemeint sind Äußerungen der früheren Angehörigen der "Bewegung 2. Juni" und RAF-Terroristin, Inge VIETT, die während der "Rosa-Luxemburg-Konferenz" der marxistischen Tageszeitung "junge Welt" am 08.01.2011 in Berlin unter anderem mit der DKP-Vorsitzenden zum Thema "Wo bitte geht's zum Kommunismus? Lin136 Linksextremismus ker Reformismus oder revolutionäre Strategie - Wege aus dem Kapitalismus" diskutierte und dabei den Aufbau einer revolutionären, kommunistischen Organisation forderte, die in bestimmten Bereichen klandestin sein müsse. VIETT hatte sich zuvor in einem Artikel über eine "handlungsfähige kommunistische Organisation" geäußert: "Um kämpferisches Klassenbewusstsein zu entwickeln muss eine revolutionäre Organisation versuchen, die Kämpfe, (...) soweit wie möglich an die Grenze der bürgerlichen Rechtsordnung heranzuführen, und wenn es notwendig und möglich ist, diese überschreiten." Hamburg Wegen sinkender Mitgliederzahlen und Überalterung ist die Hamburger DKP nur noch eingeschränkt aktionsfähig. Unter Führung ihres Landesvorsitzenden Olaf HARMS richtet sie ihr Hauptaugenmerk auf bündnispolitische Tätigkeiten. Die DKP betreibt ihr nach einer Hamburger Kommunistin benanntes "Magda Thürey-Zentrum" (MTZ) an der Lindenallee 72, das sie seit Jahren auch anderen linksextremistischen Gruppierungen für Veranstaltungen zur Verfügung stellt. Mit dem Tenor: "Die Pfeffersäcke und ihre Marionetten - Ob CDU oder SPD, ob Ahlhaus oder Scholz: Der Senat macht die Reichen reicher und die Armen ärmer, genau das ist die Aufgabe, die Regierungen im Kapitalismus haben", rief sie dazu auf, bei den Wahlen zur Hamburgischen Bürgerschaft und den Bezirksversammlungen am 25.02.2011 die Kandidatinnen und Kandidaten der Partei DIE LINKE zu wählen. HARMS trat als Direktkandidat für die Partei DIE LINKE im Wahlkreis 2 an und kandidierte erfolgreich auf Listenplatz 5 der Partei für die Bezirksversammlung Hamburg-Mitte. Am 16.03.2011 bilanzierte die DKP, dass die Partei DIE LINKE mittelund langfristig nur dann erfolgreich sein werde, wenn sie sich für die Überwindung der herrschenden Verhältnisse einsetze und den Vorrang in der Unterstützung der außerparlamentarischen Bewegung sehe. Es werde eine der grundlegenden Aufgaben der DKP sein, die Menschen von der Notwendigkeit eines Systemwechsels zu überzeugen. 137 Linksextremismus Entsprechend ihrem Wahlkampf-Schwerpunktthema und um Anschluss an die "bewegenden Themen" der Zeit zu halten, unterstützte die Hamburger DKP die Bündnisdemonstration "Mietenwahnsinn stoppen" am 29.10.2011. ( 5.3.3) Insbesondere beim Thema "Antifaschismus" versuchte die DKP, stärker Einfluss zu nehmen; ein Beleg dafür ist, dass ihr Vorsitzender Olaf HARMS für den Internet-Auftritt des "Hamburger Bündnis gegen Rechts" presserechtlich verantwortlich zeichnet. ( 5.3.2) Gedenkstätte Ernst Thälmann (GET) Die von der DKP betriebene GET führte anlässlich des 125. Geburtstages des ehemaligen KPD-Vorsitzenden Thälmann am 16.04.2011 eine Veranstaltung im Hamburger Guttemplerhaus, Böckmannstraße 4, durch. Daran beteiligten sich 60 zumeist ältere Personen. Hauptredner war der letzte Generalsekretär der SED und Staatsratsvorsitzende der DDR, Egon KRENZ. Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend (SDAJ) Die marxistisch-leninistisch orientierte SDAJ ist formal unabhängig, de facto aber der Jugendverband der DKP für Personen ab 14 Jahren. Sie hat bundesweit rund 300 Mitglieder. Am 01./02.10.2011 führte die SDAJ ihren 20. Bundeskongress in Hannover durch, bei dem die DKP-Vorsitzende JÜRGENSEN ein Grußwort sprach. Die 140 Delegierten bestätigten den bisherigen Vorsitzenden Björn SCHMIDT in seiner Funktion und wählten den Bundesvorstand. Besonders kontrovers wurde ein Antrag für eine Antifa-Kampagne diskutiert und letztlich bei 40 Gegenstimmen verabschiedet. Nach Auffassung des Vorsitzenden ziele diese Kampagne darauf ab, gegen "soziale Demagogie" von rechts aktiv zu werden. Die Kritiker sahen darin jedoch eine falsche Orientierung: "Nicht das Nazi-Problem brennt den Arbeiterjugendlichen unter den Nägeln, sondern vor allem ihre soziale Situation." 138 Linksextremismus Im März 2011 gründeten SDAJ-Gruppen aus Schleswig-Holstein, Hamburg und Mecklenburg-Vorpommern den Landesverband "Waterkant". Dessen Ziel ist der Kampf gegen "Militarisierung, Faschismus, Bildungsklau und Sozialabbau". Im Rahmen bundesweiter Aktionen zum Thema "Bildungsstreik" führte die SDAJ am 17.11.2011 eine Kundgebung am Hamburger Hauptbahnhof mit circa 70 jungen Teilnehmern durch. Marxistische Abendschulen (MASCH) in Hamburg Beide in Hamburg existierenden "Marxistischen Abendschulen" (MASCH) sind auf DKP-Initiative gegründet worden. Die seit 1981 bestehende "Marxistische Abendschule Hamburg - Forum für Politik und Kultur e.V." sieht ihr Hauptwirkungsgebiet nach wie vor im universitären Bereich. Sie befasst sich mit der wissenschaftlichen Vertiefung marxistischer Ideologie. Der erst 2007 gegründete, in Wilhelmsburg ansässige "MASCH e.V.", konnte die Erwartung, Zulauf auch ausländischer Kommunisten zu erhalten, nicht erfüllen. 8. Trotzkisten Der nach Leo TROTZKI benannte Trotzkismus wird geprägt durch die sogenannte Theorie der permanenten Revolution, wonach der politische Prozess nicht mit einer proletarischen Revolution endet. Trotzkistische Gruppen versuchen, durch die "Entrismus" genannte Unterwanderungstaktik in anderen Organisationen Einfluss zu gewinnen. In Hamburg ist von den trotzkistisch ausgerichteten Gruppen nur noch die "Sozialistische Alternative" (SAV) aktiv, die nach eigenen Angaben in der Partei DIE LINKE und in Gewerkschaften mitarbeitet. Weder die SAV noch andere Trotzkisten ( 6., "marx21") haben 2011 nennenswerte politische Erfolge für sich verbuchen können. 139 Linksextremismus 9. Marxistische Gruppe (MG) Im Mai 1991 löste sich die MG zum Schein formal auf, um der Beobachtung durch die Sicherheitsbehörden zu entgehen; seitdem arbeitet sie jedoch mit unverändertem Spitzenpersonal unter verschiedenen Tarnbezeichnungen weiter. Die bundesweit bekannteste Tarnbezeichnung für ihre öffentlichen Auftritte ist "GegenStandpunkt". Wesensmerkmale dieser überwiegend aus Akademikern bestehenden Gruppe sind seit jeher ein hohes Maß an Konspiration der Führungszirkel, das Fehlen definierter Ziele und sozial abgeschottete Wohngemeinschaften der Mitglieder. Im Gegensatz zu vielen anderen Linksextremisten lässt sich die MG nur in größeren zeitlichen Abständen zu ihren politischen Vorstellungen öffentlich ein. Texte der MG dokumentieren die destruktiv-zynische Kritik an den gesellschaftlichen Verhältnissen in Deutschland und die ablehnende Haltung gegenüber dem demokratischen Rechtsstaat. Mit "Kritische Position Hamburg" (kripohamburg) verwendete die MG 2011 eine weitere Tarnbezeichnung. Auf einer unter diesem Namen eingerichteten Internetseite wurde auch für eine "Soliparty in der Flora" am 16.04.2011 geworben. Es dürfte sich um einen Versuch handeln, sich dem Internetseite der "kripohamburg" sogenannten "undogmatischen linksextremistischen Spektrum" anzudienen. Unter den weiteren Tarnbezeichnungen "Forum Gegenargumente" und "Arbeitslose Akademiker-Nachwuchsorganisation" (AANO) beteiligte sich die MG am 29.10.2011 an der Hamburger Bündnisdemonstration "Mietenwahnsinn stoppen". ( 5.3.3) Bei den genannten Aktivitäten handelt es sich bisher um tagespolitisches Engagement in Einzelfällen. Eine Abkehr der MG von ihrer destruktiv-zynischen Grundhaltung ist nicht erkennbar. 140 Verfassungsschutz in Hamburg Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern (ausgenommen islamistische Bestrebungen) Linksextremismus Rechtsextremismus Scientology-Organisation Spionageabwehr Geheimund Sabotageschutz; Wirtschaftsschutz Anhang * Hamburgisches Verfassungsschutzgesetz * Abkürzungsverzeichnis * Stichwortverzeichnis Rechtsextremismus V. Rechtsextremismus 1. Entwicklungen und Schwerpunkte im Überblick Mit der Aufdeckung der als "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) bekannt gewordenen Zwickauer Neonazi-Zelle im November 2011 wurde eine neue Dimension des Rechtsterrorismus in Deutschland sichtbar. Die drei aus Jena stammenden Neonazis Uwe MUNDLOS, Uwe BÖHNHARDT Ausdruck aus einem Video des NSU und Beate ZSCHÄPE, die fast dreizehn Jahre unentdeckt aus dem Untergrund operieren konnten, werden für insgesamt zehn Morde sowie zwei Sprengstoffanschläge mit vielen Verletzten und mindestens 14 Banküberfälle verantwortlich gemacht. Die Opfer waren Männer, die aus der Türkei und Griechenland stammten, sowie eine Polizistin. Nachdem MUNDLOS und BÖHNHARDT bei einem Banküberfall aufgefallen waren, töteten sie sich selbst am 04.11.2011. Gegen ZSCHÄPE leitete der Generalbundesanwalt am 11.11.2011 ein Ermittlungsverfahren wegen Verdachts der Bildung einer terroristischen Vereinigung gemäß SS 129a StGB ein. Das Trio konnte auf insgesamt mehr als ein Dutzend Unterstützer zurückgreifen, deren Netzwerk mittlerweile weitgehend aufgeklärt wurde. Einer der Tatorte des NSU war Hamburg. Am 27.06.2001 wurde der türkische Gemüsehändler Süleyman TASKÖPRÜ in seinem Laden in Bahrenfeld erschossen. Hinweise darauf, dass Hamburger Rechtsextremisten in Verbindung zu der im Januar 1998 abgetauchten Gruppe oder ihrem Unterstützerumfeld standen oder von deren Aktivitäten Kenntnis hatten, lagen bis März 2012 nicht vor. Zum Unterstützerkreis des NSU gehörten auch Personen, die zeitweilig führende Funktionen in der Thüringer NPD und dem thüringischen Landesverband der Jugendorganisation "Junge Nationaldemokraten" (JN) hatten. Auch diese Spuren in Richtung NPD führten dazu, dass die Forderungen nach einem Verbot der Partei breite Unterstützung erhielten. Im Dezember 142 Rechtsextremismus 2011 sprachen sich sowohl die "Ständige Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder" (IMK) als auch die Ministerpräsidentenkonferenz (MPK) für die Prüfung eines Verbotsverfahrens aus. Für die NPD war 2011 ein Jahr mit deutlichen Wahlniederlagen. Zwar konnte die Partei trotz erheblicher Stimmenverluste am 04.09.2011 wieder in den Landtag von Mecklenburg-Vorpommern einziehen, in Hamburg, Sachsen-Anhalt, Bremen und Berlin verfehlte sie ihre Wahlziele jedoch deutlich. Wahlniederlagen, rückläufige Mitgliederzahlen, massive Finanzprobleme und ausbleibende positive Effekte aus der rechtlich umstrittenen Fusion mit der DVU sorgten 2011 für eine negative Bilanz. Die zunehmende Kritik an dem langjährigen Parteivorsitzenden Udo VOIGT führte schließlich zu dessen Abwahl. Neuer Parteichef ist seit November 2011 der Vorsitzende der NPD-Landtagsfraktion in Sachsen, Holger APFEL. In Hamburg haben mit der Wahl von Torben KLEBE zum Landesvorsitzenden und Thomas WULFF zu dessen Stellvertreter die neonazistischen Kräfte in der NPD noch stärker als zuvor das Ruder in die Hand genommen. Nach dem schlechten Abschneiden bei der Bürgerschaftswahl am 20.02.2011 (0,9 %) beschränkte sich die Hamburger NPD weitgehend auf interne Veranstaltungen und Internetpropaganda. Die Zukunft der DVU ist weiterhin ungeklärt. Die Vorsitzenden der Landesverbände Niedersachsen, Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen setzten 2011 ihren Kampf gegen die Fusion mit der NPD auch gerichtlich fort. Der Hamburger Landesverband der DVU besteht nur noch auf dem Papier. Neue Entwicklungen gab es innerhalb der parteiunabhängigen NeonaziSzene in Hamburg. Der bisher als "Bramfelder Neonaziund SkinheadSzene" bezeichnete Personenzusammenhang ist fast vollständig in der Hamburger NPD aufgegangen. Eine bereits 2008 unter dem Namen "Weisse Wölfe Terrorcrew" bekannte Gruppierung hatte sich 2011 unter dem Doppelnamen "Hamburger Nationalkollektiv & Weisse Wölfe Terrorcrew" (HNK & WWT) neu aufgestellt. Außer durch demonstrative Aktionen in Hamburg beteiligte sie sich an etlichen überregionalen neonazistischen Demonstrationen und nutzte intensiv das Internet zur medialen Selbstdarstellung. Im Vergleich zum "Kameradenkreis Neonazis in Hamburg" ist die Gruppe deutlich aggressiver in ihrem Auftreten und insgesamt als gewaltbereit einzuschätzen. ( 5.4) 143 Rechtsextremismus Der "Kameradenkreis" um Tobias THIESSEN ("Neonazis in Hamburg") hat weiter erhebliche Mobilisierungsprobleme. Große Hoffnungen im Sinne eines Aufbruchssignals für den "nationalen Widerstand" setzt die Gruppe, wie auch die NPD, auf den für den 02.06.2012 in Hamburg geplanten "Tag der deutschen Zukunft", der von Rechtsextremisten seit 2009 jährlich veranstaltet wird. Die Vorbereitungen hierfür begannen bereits im Herbst 2011. 2. Potenziale Die Gesamtzahl der Personen im Bundesgebiet, die nach den Kriterien der Verfassungsschutzbehörden rechtsextremistischen Bestrebungen zugeordnet werden, ist im Jahr 2011 weiter gesunken. Während 2010 noch 25.000 Personen gezählt wurden, waren es 2011 nur noch 22.400. Seit 1998 geht die Zahl der organisierten Rechtsextremisten kontinuierlich zurück. Bund: Rechtsextremistische Personenpotenziale 50000 40000 30000 45.000 41.500 40.700 39.000 38.600 33.000 30.000 26.600 25.000 22.400 20000 10000 0 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 - Alle Zahlen sind gerundet - 144 Rechtsextremismus Dem Spektrum der "Subkulturell geprägten Rechtsextremisten", das sich überwiegend aus rechtsextremistischen Skinheads und Angehörigen anderer rechtsextremistischer Jugendund Musikszenen zusammensetzt, werden bundesweit noch 7.600 Personen zugerechnet (2010: 8.300 Personen). Rechtsextremistisches Personenpotenzial 2010 2011 auf Bundesebene Subkulturell geprägte Rechts8.300 7.600 extremisten1 Neonazis2 5.600 6.000 Parteien 9.600 7.300 davon NPD 6.600 6.300 davon DVU 3.000 1.000 Sonstige rechtsextremistische 2.500 2.500 Organisationen Summe 26.000 23.400 abzügl. Mehrfachmitgliedschaften3 1.000 1.000 Gesamtpotenzial 25.000 22.400 davon gewaltorientierte 9.500 9.800 Rechtsextremisten4 - Alle Zahlen sind gerundet - 1 Bisherige Bezeichnung: "Rechtsextremistische Skinheads und sonstige gewaltorientierte Rechtsextremisten" (s.a. Anmerkung 4). 2 Nach Abzug von Mehrfachmitgliedschaften in der Neonazi-Szene. 3 Die Mehrfachmitgliedschaften im Bereich der Parteien und sonstigen rechtsextremistischen Organisationen wurden vom gesamten Personenpotenzial abgezogen (für das Jahr 2010: 1.000; 2011: 1.000). 4 Die Gesamtzahl der gewaltbereiten Rechtsextremisten wird 2010 erstmals gesondert ausgewiesen. Hierzu gehören neben den subkulturell geprägten Rechtsextremisten (rechtsextremistische Skinheads u.a.) die "Autonomen Nationalisten" und Rechtsextremisten aus anderen Bereichen, die individuelle Merkmale von Gewaltbereitschaft aufweisen oder bereits als Gewalttäter aufgefallen sind. 145 Rechtsextremismus Korrespondierend damit hält der Aufwärtstrend bei den Neonazis an. Ihre Zahl stieg weiter von 5.600 auf jetzt 6.000 Anhänger. 2009 zählten die Verfassungsschutzbehörden 5.000 neonazistisch orientierte Rechtsextremisten. Ursächlich hierfür ist unter anderem, dass die Zahl derjenigen, die sich stärker als politisch verstehen und engagieren, weiter wächst. Insgesamt lässt sich feststellen, dass die rechtsextremistische Szene zwar zahlenmäßig schrumpft, der besonders radikale und politisch aktionistische Teil aber zugelegt hat. Der NPD gehörten Ende 2011 noch circa 6.300 Mitglieder an (2010: 6.600). Der DVU, über deren Rechtsstatus noch weiter gestritten wird, werden noch 1.000 Mitglieder zugerechnet. Bis zu ihrer formellen Auflösung zum 01.01.2011 hatte die Partei noch etwa 3.000 Mitglieder. Gegen den Auflösungsbeschluss legten die Fusionsgegner Rechtsmittel ein. Bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache existiert die DVU als eigenständige Partei weiter. Die Zahl der Rechtsextremisten in "sonstigen Organisationen" ist mit 2.500 Personen gleich geblieben. Dieses Spektrum umfasst zahlreiche, sehr unterschiedliche Gruppen und Vereine, darunter auch eine Vielzahl von Verlagen und das "Deutsche Rechtsbüro". ( 10.4) Seit 2010 wird gesondert eine Zahl für "gewaltorientierte Rechtsextremisten" ausgewiesen. Gewaltorientierte Rechtsextremisten finden sich vor allem unter den "Subkulturell geprägten Rechtsextremisten" und den "Autonomen Nationalisten". Grundsätzlich werden alle Personen als gewaltorientiert eingestuft, wenn bei ihnen entsprechende individuelle Merkmale bekannt sind. Von den insgesamt 22.400 Rechtsextremisten gelten 9.800 als gewaltorientiert (2010: 9.500). Dies entspricht einer Quote von 43,8 % (2010: 38 %). Hamburg Auch in Hamburg sank die Gesamtzahl der Rechtsextremisten. Ende 2011 wurden insgesamt 450 Personen den rechtsextremistisch eingestuften Organisationen und Gruppen zugeordnet, 30 weniger als 2010. Zurückzuführen ist der Rückgang im Wesentlichen auf Mitgliederverluste bei der DVU. Durch die formale Auflösung der DVU und die Verschmelzung mit der NPD ist für 2012 mit einem weiteren Rückgang des rechtsextre146 Rechtsextremismus mistischen Personenpotenzials zu rechnen, da voraussichtlich nur ein kleiner Teil der bisherigen Hamburger DVU-Mitglieder zur NPD wechseln wird. Hamburg: Rechtsextremistische Personenpotenziale 700 600 500 400 640 590 530 550 540 540 540 530 480 450 300 200 100 160 150 140 150 150 150 150 140 180 180 0 2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 Gesamtzahl Gewaltorientierte -Alle Zahlen sind gerundetEin besonderes Merkmal der rechtsextremistischen Szene in Hamburg ist die starke neonazistische Prägung der NPD. Das Personenpotenzial von NPD und Neonazi-Szene überschneidet sich erheblich. Rund 40 der insgesamt 70 Neonazis sind Mitglied der NPD. Deren Mitgliederzahl liegt unverändert bei 140. Konstant geblieben ist auch die Zahl der Angehörigen der sonstigen rechtsextremistischen Organisationen. Der größte Teil davon entfällt auf die "Pennale Burschenschaft Chattia Friedberg zu Hamburg". Weiterhin zählen dazu Einzelpersonen ohne Gruppenanbindung, wenn sie unter Anwendung von Gewalt Schutzgüter der freiheitlichen demokratischen Grundordnung verletzen (rechtsextremistisch motivierte Einzelgewalttäter) oder diese 147 Rechtsextremismus Schutzgüter sonst angreifen und bekämpfen (zum Beispiel HolocaustLeugner). Rechtsextremistisches Personenpotenzial 2010 2011 in Hamburg Subkulturell geprägte Rechts140 120 extremisten Neonazis 70 70 Parteien 270 240 davon NPD 140 140 davon DVU 130 100 Sonstige rechtsextremistische 60 60 Organisationen und Einzelpersonen Summe 540 490 abzügl. Mehrfachmitgliedschaften 60 40 Gesamtpotenzial 480 450 davon gewaltorientierte 180 180 Rechtsextremisten - Alle Zahlen sind gerundet - Neben den 120 Personen der rechtsextremistischen subkulturellen Szene sind gewaltbereite Rechtsextremisten in Hamburg sowohl in der parteiunabhängigen Neonazi-Szene als auch in der NPD anzutreffen. Die Gesamtzahl der gewaltorientierten Rechtsextremisten liegt, einschließlich der rechtsextremistischen Gewalttäter ohne Gruppenoder Szeneanbindung, die unter "Sonstige" erfasst werden, weiterhin bei 180. Die Quote liegt damit bei 40 % (2010 = 38 %). 3. Politisch motivierte Kriminalität (PMK) Im Jahr 2011 wurden in Hamburg 298 rechtsextremistische Straftaten verübt und damit 18 weniger als 2010 (316). Dies entspricht einem Rück148 Rechtsextremismus gang um 6,7 %. Die Zahl der rechtsextremistisch motivierten Gewalttaten ist mit 21 gleich geblieben. Ihr Anteil an der Gesamtzahl der Straftaten liegt bei 7 %. Drei Viertel der 298 Straftaten (223 = 74,8 %) waren Propagandadelikte. Die meisten dieser Delikte betrafen den Tatbestand des SS 86a StGB (Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen). In rund 50 % der SS 86a-Fälle ging es um die Verwendung von Hakenkreuzen - meist in Form von Schmierereien. Zum Teil wurden sie auch in Autos, Türen und andere Gegenstände geritzt. Tatverdächtige konnten nur selten festgestellt werden. Über die Motive der Täter lassen sich daher auch nur bedingt Aussagen treffen. Die Straftaten werden aber generell als rechtsextremistisch eingestuft, es sei denn, die Tatumstände lassen einen solchen Hintergrund unwahrscheinlich erscheinen oder schließen diesen aus. PMK2002 2003 2004 2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 Rechts PMKRechts 309 189 214 314 441 349 385 318 321 312 insgesamt davon rechtsextrem. 184 139 173 285 400 332 369 297 316 298 Straftaten hiervon extrem. 13 4 9 20 29 22 45 30 21 21 Gewaltdelikte Die Zahlen stammen aus den jeweiligen Jahres-Statistiken der Polizei Hamburg - Stand: Februar 2012 - In die Kategorie der Propagandadelikte fallen auch das Zeigen des "HitlerGrußes" und das Skandieren der Parole "Sieg Heil". Bei diesen Straftaten, die häufig unter Alkoholeinfluss verübt werden, ist auffällig, dass der Anteil bereits bekannter Rechtsextremisten unter den festgestellten Tatverdächtigen relativ klein ist. Die Auswertung der als rechtsextremistisch eingestuften Straftaten deutet darauf hin, dass das Gros dieser Straftaten von Personen verübt wird, die zwar rechtsextremistische Einstellungen vertreten, organisatorisch aber nicht in die rechtsextremistische Szene eingebunden bzw. politisch dort nicht aktiv sind. 149 Rechtsextremismus Bei den rechtsextremistisch motivierten Gewalttaten ergibt sich hinsichtlich der mutmaßlichen Täter ein ähnliches Bild: Nur zu sechs der insgesamt 18 ermittelten Tatverdächtigen lagen dem Verfassungsschutz bereits Erkenntnisse mit Bezug zum Rechtsextremismus vor. Auch diese Zahlen unterstreichen, dass rechtsextremistisch motivierte Gewalt nicht nur von bekannten Rechtsextremisten verübt wird, sondern auch von szenefremden Personen. Die Aufklärungsquote der rechtsextremistischen Gewalttaten lag 2011 bei 62,5 % (2010: 87 %). Hamburg 2011: Aufteilung der rechtsextremistischen 2010 2011 Straftaten nach Delikten Gesamt 316 298 Propagandadelikte 228 223 Fremdenfeindliche Delikte 48 46 Antisemitische Delikte 29 18 Gewalttaten 21 21 Die Zahlen stammen von der Polizei Hamburg - Stand: Februar 2012 - Nachfolgend einige Beispiele für rechtsextremistisch motivierte Gewalttaten: * Am 26.01.2011 kam es in Billstedt zu einer Auseinandersetzung zwischen drei Aktivisten der NPD, darunter Thomas WULFF, und einem Ladenbesitzer, der die Aufstellung eines Wahlplakats vor seinem Geschäft verhindern wollte. Im Zuge der Streitigkeiten holte einer der Beschuldigten eine Axt aus dem Fahrzeug und baute sich vor dem Mann auf. Ein anderer soll dem Geschädigten später ins Gesicht gespuckt und in den Unterleib getreten haben. * Am 15.05.2011 wurde im Stadtteil St. Pauli ein aus dem Iran stammender Mann aus einer Gruppe heraus als "Scheiß Jude" und "Kanake" beschimpft. Der mutmaßliche Täter zeigte dabei den "HitlerGruß". Als der Mann den Täter zur Rede stellte, schlug dieser ihn mit einem Faustschlag nieder. 150 Rechtsextremismus * Am 23.07.2011 verprügelte in Hamm ein dem Verfassungsschutz bereits als gewaltbereit bekannter Rechtsextremist einen Afrikaner und beschimpfte ihn in rassistischer Weise. * Am 04.09.2011 schrie ein unbekannt gebliebener Täter in der S-Bahn lautstark fremdenfeindliche Parolen. Einem türkischstämmigen Fahrgast, der ihn aufforderte, die Beschimpfungen zu unterlassen, verdrehte er daraufhin den Arm. 4. Der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) 4.1 Mordserie des "Nationalsozialistischen Untergrunds" Im November 2011 erschütterte die Aufdeckung der Zwickauer NeonaziZelle, die für die Mordserie an neun Männern ausländischer Herkunft sowie einer Polizeibeamtin verantwortlich gemacht wird, die Gesellschaft. Auf das Konto der als "Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) bekannt gewordenen Gruppe gehen nach bisherigem Ermittlungsstand zudem zwei Sprengstoffanschläge in Köln und 14 Banküberfälle. Die vom Generalbundesanwalt als rechtsterroristische VereiniUwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und gung eingestufte Gruppe, der die Beate Zschäpe (Fotos: BKA) aus Jena stammenden Neonazis Uwe MUNDLOS, Uwe BÖHNHARDT und Beate ZSCHÄPE angehörten, war seit 1998 im Untergrund aktiv. Die ihnen jetzt angelasteten Verbrechen wurden vorher nicht als rechtsextremistisch motiviert erkannt. Da die Verjährungsfrist der bis 1998 verübten Straftaten in 2003 auslief, wurde nach ihnen auch nicht mehr gefahndet. Enttarnt wurden sie erst am 04.11.2012, als MUNDLOS und BÖHNHARDT eine Sparkasse in Eisenach überfielen und ihr Versteck, ein in der Nähe abgestelltes Wohnmobil, kurz darauf entdeckt wurde. Beim Eintreffen der Polizei zündeten die beiden Bankräuber ihr Fahrzeug an und erschossen sich. Im Wohnmobil wurden mehrere Schusswaffen gefunden, darunter befanden sich die Dienstwaffen der 2007 in Heilbronn erschossenen Polizeibeamtin und ihres Kollegen, der damals schwerverletzt überlebte. Drei Stunden nach 151 Rechtsextremismus dem Banküberfall gab es in einem Wohnhaus in Zwickau-Weißenborn eine Explosion, die vermutlich vorsätzlich herbeigeführt wurde, um Spuren zu vernichten. Verantwortlich hierfür wird Beate ZSCHÄPE gemacht, die zusammen mit MUNDLOS und BÖHNHARDT in der Wohnung gelebt hatte. Am 08.11.2011 stellte sie sich der Polizei. In der Wohnung fand die Polizei die Czeska-Pistole, mit der zehn Menschen erschossen und zwei schwer verletzt wurden. Am 11.11.2011 leitete der Generalbundesanwalt ein Ermittlungsverfahren gegen ZSCHÄPE wegen Verdachts der Bildung einer terroristischen Vereinigung gemäß SS 129a StGB ein. In der teilweise ausgebrannten Wohnung wurde eine DVD aufgefunden, auf der sich die Gruppe "Nationalsozialistischer Untergrund" nennt und sich als Urheber der "Czeska-Morde" sowie von zwei Sprengstoffanschlägen 2001 und 2004 in Köln zu erkennen gibt. Die DVD enthält einen etwa 15-minütigen, die Opfer verhöhnenden Propagandafilm, in dem die Zeichentrickfigur "Paulchen Panther" mehrere Szenen moderiert, die zu den Verbrechen der Gruppe in Beziehung gesetzt werden. Im Vorspann heißt es: "Der Nationalsozialistische Untergrund ist ein nationales Netzwerk von Kameraden mit dem Grundsatz - Taten statt Worte - Solange sich keine grundlegenden Änderungen in der Politik, Presse und Meinungsfreiheit vollziehen, werden die Aktionen weitergeführt." Im weiteren Verlauf des Films werden der Schriftzug "Deutschlandtour" und unter anderem die Ortsnamen der Tatorte eingeblendet. Der Film enthält auch Fotos von Ermordeten, die nach den Feststellungen der Ermittler unmittelbar nach der Tat gemacht wurden. Die aufgefundenen DVDs waren augenscheinlich für den Versand bestimmt. Bisher wurde der Versand der DVDs an zwölf Adressen bekannt; darunter war auch ein türkisch-islamischer Kulturverein in Hamburg. Im Rahmen der Ermittlungen wurde schnell deutlich, dass das Trio Unterstützung aus der rechtsextremistischen Szene hatte. Bis zum 10.01.2012 wurde das Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Unterstützung des NSU auf sieben Personen, zwei Frauen und fünf Männer, ausgedehnt. Am 23.01. bzw. 25.01. leitete der Generalbundesanwalt ein gesondertes Ermittlungsverfahren gegen vier weitere Personen ein, die ebenfalls im Verdacht stehen, MUNDLOS, BÖHNHARDT und ZSCHÄPE geholfen zu haben. Wenige Tage später, am 31.01.2011, wurde noch ein weiteres Ermittlungsverfahren gegen einen mutmaßlichen Unterstützer wegen Verdachts der Beihilfe zum Mord in sechs Fällen eingeleitet. Die 152 Rechtsextremismus Polizei nahm den Mann am 01.02.2012 in Düsseldorf fest. Fünf der insgesamt zwölf Unterstützer sitzen, wie auch ZSCHÄPE, in Untersuchungshaft. Die drei Neonazis aus Jena waren den Sicherheitsbehörden als Mitglieder des "Thüringer Heimatschutzes" (THS), Sektion Jena (früher: "Kameradschaft Jena") bekannt. Zwischen 1995 und 1997 waren sie bereits mehrfach wegen des Auslegens bzw. Versendens von Bombenattrappen aufgefallen. Am 26.01.1998 durchsuchte die Polizei auf Anordnung der Staatsanwaltschaft Gera die Wohnobjekte von MUNDLOS, BÖHNHARDT und ZSCHÄPE sowie eine von ihnen genutzte Garage. Dort wurden vier funktionsfähige Rohrbomben und insgesamt 1,4 kg Sprengstoff TNT sichergestellt. Die Beschuldigten konnten sich jedoch während der Durchsuchung absetzen. Gegen sie erging Haftbefehl und sie waren seitdem flüchtig. BÖHNHARDT war bereits vorher rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe verurteilt worden, die er jedoch nicht angetreten hatte. Das Trio nutzte Ausweispapiere, die auf die Namen nunmehr verhafteter Unterstützer ausgestellt worden waren. Diese Ausweispapiere wurden unter anderem zur Anmietung von Wohnmobilen genutzt. Ein Beschuldigter steht im Verdacht, den NSU bei der Erstellung der Propaganda-DVD unterstützt zu haben. Einer der engsten Vertrauten und mutmaßliche Fluchthelfer der drei Neonazis stammte ebenfalls aus Jena und war mehrere Jahre als NPD-Funktionär aktiv. Ihm wird nicht nur vorgeworfen, als Logistiker, Kontaktund Finanzvermittler für die Gruppe fungiert, sondern auch Beihilfe zu den Morden geleistet zu haben. Ein anderer Beschuldigter wird verdächtigt, in mindestens zwei Fällen Wohnungen für MUNDLOS, BÖHNHARDT und ZSCHÄPE angemietet bzw. an sie untervermietet zu haben. Unter den in Untersuchungshaft sitzenden Unterstützern ist auch ein den Verfassungsschutzbehörden als führendes Mitglied der ehemaligen "Blood & Honour"-Sektion Sachsen bekannter Rechtsextremist. Er wird beschuldigt, Waffen für MUNDLOS, BÖHNHARDT und ZSCHÄPE beschafft zu haben, die diese für Raubüberfälle nutzten. Ein Neonazi aus Chemnitz steht im Verdacht, dem Trio Sprengstoff besorgt zu haben. Der am 01.02.2012 festgenommene Unterstützer aus Düsseldorf gehörte in den Jahren 1999 und 2000 ebenfalls dem THS an und war auf Landesund Bezirksebene für die NPD und deren Jugendorganisation JN aktiv. Im Zeitraum 1999/2000 soll er phasenweise als einziger aus dem Umfeld des NSU Kontakt zu dem untergetauchten Trio gehabt haben. In den Vernehmungen gab er zu, 1999 oder 2000 die Mordwaffe (Czeska-Pistole) konspirativ an BÖHNHARDT übergeben zu haben. 153 Rechtsextremismus Drei Opfer der "Czeska-Mordserie" zwischen September 2000 und April 2006 kamen aus Nürnberg, zwei aus München, die weiteren aus Rostock, Dortmund, Kassel und Hamburg. Am 27.06.2001 wurde der 30-jährige Gemüsehändler Süleyman TASKÖPRÜ in seinem Geschäft in HamburgBahrenfeld mit drei Kopfschüssen getötet. Dabei wurde neben der Czeska-Pistole eine weitere Waffe verwendet. Das Zwickauer Trio ist ebenfalls dringend tatverdächtig, am 25.04.2007 in Heilbronn auf eine 37-jährige Polizeibeamtin und ihren Kollegen geschossen zu haben, die auf einem Parkplatz in ihrem Streifenwagen saßen. Die Polizeibeamtin wurde tot aufgefunden, ihr Kollege überlebte schwerverletzt. Die entwendeten Dienstwaffen wurden im Wohnmobil in Eisenach sichergestellt. Entsprechende Sequenzen auf der NSU-DVD lassen den Schluss zu, dass das Trio auch für zwei Sprengstoffanschläge in Köln verantwortlich ist. Am 19.01.2001 wurde in einem Lebensmittelgeschäft, das von einem Iraner geführt wurde, eine selbstgebaute Sprengvorrichtung zur Explosion gebracht. Dabei wurde die 19-jährige Tochter des Ladeninhabers schwer verletzt. Am 09.06.2004 detonierte vor dem Friseursalon eines türkischen Staatsangehörigen in Köln-Mülheim ein Sprengsatz, wodurch 22 Menschen zum Teil lebensgefährlich verletzt wurden. Der Sprengsatz war an einem Fahrrad angebracht und bestand aus einem Metallbehälter, der mit Nägeln gefüllt war. Das Zwickauer Trio wird außerdem für mindestens 14 Banküberfälle in Chemnitz, Zwickau und Stralsund verantwortlich gemacht, die zwischen 1999 und 2007 verübt wurden. In einem Fall wurde ein Bankangestellter durch einen Bauchschuss lebensgefährlich verletzt. Die Daten auf einer weiteren DVD deuten darauf hin, dass einzelne Örtlichkeiten gezielt ausgespäht wurden. Entsprechende Erkenntnisse zum Tatort in Hamburg liegen aber bislang nicht vor. Aufgefunden wurden auch umfangreiche Adresslisten und ein Adressbuch mit Namen unter anderem von Politikern, Vertretern von Sicherheitsbehörden und Personen jüdischer Abstammung. Konkrete Hinweise auf damit verbundene weitere Anschlagspläne ergaben sich daraus nicht. 154 Rechtsextremismus 4.2 Konsequenzen Die Mordserie der Zwickauer Neonazi-Zelle hat insbesondere Fragen nach dem Vorgehen und möglichen Defiziten in der Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden aufgeworfen. Diese sind Gegenstand umfassender Ermittlungen durch verschiedene Gremien und Expertenkommissionen. Als weitere Konsequenz wurde mittlerweile eine Vielzahl von rechtlichen und organisatorischen Maßnahmen ergriffen bzw. umgesetzt. Ziel ist es, den Informationsaustausch und die Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden in Deutschland zu verbessern. Zu diesem Zweck wurde ein "Gemeinsames Abwehrzentrum gegen Rechtsextremismus" (GAR) von Polizei und Verfassungsschutz mit Sitz in Köln (BfV) und Meckenheim (BKA) eingerichtet. Mit dem Artikelgesetz zur Verbesserung der Bekämpfung des Rechtsextremismus wurde die rechtliche Grundlage für die Einrichtung einer zentralen Datei von Polizeibehörden und Nachrichtendiensten zur Bekämpfung des gewaltbezogenen Rechtsextremismus auf den Weg gebracht, die noch 2012 in Betrieb gehen soll. Geändert wurde auch die gesetzliche Speichergrundlage im Bundesverfassungsschutzgesetz, um den Informationsaustausch unter den Verfassungsschutzbehörden im Bereich des Rechtsextremismus zu verbessern und zu beschleunigen. Mit der Einrichtung eines zentralen "Kompetenzzentrums Internetauswertung Rechtsextremismus" (KIAR) wird auf die zunehmenden Herausforderungen durch die virtuelle Vernetzung der rechtsextremistischen Szene im Internet und dessen wachsender Bedeutung für Ideologievermittlung, Propagandaaktionen und Mobilisierung reagiert. Die intensive Auswertung entsprechender Inhalte ist mit Blick auf mögliche Radikalisierungsprozesse von herausragender Bedeutung. 5. Neonazismus Neonazis definieren sich durch die positive Bezugnahme auf den historischen Nationalsozialismus und das "Dritte Reich"; sie befürworten einen autoritären "Führerstaat" ührerstaat" mit einer ethnisch homogenen Bevölkerungsstruktur. Das dahinter stehende nationalsozialistische Konzept der "Volksgemeinschaft" steht in unauflösbarem Widerspruch zum Grundgesetz, insbesondere zum Prinzip der Menschenwürde und den aus ihr abgeleiteten Grundrechten. Konstitutiv für den Neonazismus ist zudem ein expliziter Rassismus, der die Welt in höherund minderwertige Völker einteilt und 155 Rechtsextremismus diese Unterscheidung auch zum Kriterium für die Ausgrenzung von Angehörigen fremder Kulturen in Deutschland erhebt. Der ausgeprägte Antisemitismus der neonazistischen Szene stützt sich auch auf die bereits durch den historischen Nationalsozialismus verbreitete Propaganda, Deutschland sei das Angriffsziel einer internationalen jüdischen Verschwörung, die die Weltherrschaft zum Ziel habe. Die neonazistische Szene in Deutschland umfasst die Angehörigen entsprechender Kameradschaften und deren Umfeld, die sogenannten "Autonomen Nationalisten" (AN) sowie einen Teil der NPD-Mitglieder. Obwohl viele Neonazis bei öffentlichen Veranstaltungen auf ein bürgerliches Auftreten Wert legen, um nicht abschreckend zu wirken, sind neonazistische Aufmärsche zunehmend vom Erscheinungsbild der "Autonomen Nationalisten" geprägt. Die von ihnen gebildeten "Schwarzen Blöcke" stellen ein Drohund Eskalationspotenzial dar, das Bereitschaft auch zum militanten Widerstand signalisieren soll. Seit den Auseinandersetzungen am 1. Mai 2008 in Hamburg ist deutlich, dass die Hemmschwelle, Gegendemonstranten und Polizei anzugreifen, deutlich gesunken ist. Nicht nur hinsichtlich der Gewaltbereitschaft, auch in ihrem antibürgerlichen Auftreten und ihrem revolutionärem Habitus orientieren sich die AN an linksextremistischen Vorbildern. Während in den 1990er und 2000er Jahren noch das Skinhead-Outfit typisch für die Neonazi-Szene war, ist mittlerweile das Erscheinungsbild der AN stilprägend. Eine eindeutige Aufteilung der Szene in AN und sonstige neonazistische Gruppen anhand äußerer Merkmale wird daher zunehmend schwieriger. In Hamburg ist die Gruppe "Hamburger Nationalkollektiv & Weisse Wölfe Terrorcrew" der rechtsautonomen Szene zuzuordnen. Sie unterscheidet sich von dem "Kameradenkreis Neonazis in Hamburg" unter anderem durch ihr aggressiveres Auftreten und ihre kritische Haltung zur NPD. 5.1 Bestrebungen im Bundesgebiet Das bundesweite neonazistische Personenpotenzial ist 2011 auf etwa 6.000 Personen weiter gestiegen (2010: 5.600). Der überwiegende Teil dieser Aktivisten ist in eine der etwa 160 Kameradschaften oder in ähnliche, lokal oder regional strukturierte Aktionsgruppen eingebunden. 156 Rechtsextremismus Die 1979 gegründete "Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige e.V." (HNG) war bis zu ihrem vom Bundesminister des Inneren mit Wirkung vom 21.09.2011 verfügten Verbot die einzige bundesweit agierende neonazistische Vereinigung. Der HNG wurde in der Verbotsverfügung unter anderem vorgeworfen, inhaftierte Rechtsextremisten in ihrer aggressiven Haltung gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung zu bestärken. Aus der Ablehnung des demokratischen Rechtsstaats sowie der Verherrlichung des Nationalsozialismus heraus habe die HNG versucht, rechtsextremistische Straftäter in der Szene zu halten. Durch die Begleitung während ihrer Haftzeit habe deren rechtsextremistische Überzeugung stabilisiert und eine Lösung aus der Szene verhindert werden sollen. Mit Solidaritätsbekundungen und finanzieller Unterstützung habe die HNG zugleich auch die rechtsextremistische Szene als Ganzes gestärkt und gefestigt. Der überwiegende Teil der etwa 600 Mitglieder war parallel in lokale oder regionale rechtsextremistische Zusammenhänge eingebunden. Die HNG übte hierdurch eine integrative und vernetzende Funktion in der neonazistischen Szene aus. Die monatliche Herausgabe der Publikation "Nachrichten der HNG" war ein wesentliches Hilfsmittel. In ihrer Zeitschrift veröffentlichte die HNG unter anderem Namen und Adressen inhaftierter Rechtsextremisten aus dem Inund Ausland, um ihnen zu Briefkontakten außerhalb der Haftanstalten zu verhelfen. Dem Verbot waren 2010 ein vereinsrechtliches Ermittlungsverfahren und umfangreiche Durchsuchungsmaßnahmen voraus gegangen. Diese wurden 2011 weitergeführt, unter anderem wurden die Konten des Vereins beschlagnahmt. Strukturen der HNG waren in Hamburg nicht vorhanden. In einer Pressemitteilung vom 21.09.2011 erklärte die Vorsitzende der HNG, dass alle zur Verfügung stehenden Rechtsmittel gegen das Verbot ausgeschöpft würden. Sie forderte "alle nationalen Aktivisten" auf, die "inhaftierten Kameraden in den Systemkerkern auch zukünftig nicht allein zu lassen". Dass mit dem Verbot der HNG die Gefangenenbetreuung durch rechtsextremistische Strukturen nicht automatisch der Vergangenheit angehört, 157 Rechtsextremismus zeigt ein Beitrag zum HNG-Verbot auf dem rechtsextremistischen Informationsportal "Altermedia". Dort wurde festgestellt, dass "diese Schikanehandlung gegen die HNG" dazu motivieren würde, die "Betreuung politischer Gefangener" zu intensivieren. "Altermedia" bot in dem Beitrag an, "künftig alle Gefangenenlisten zu verlinken" und rief alle nationalen Internetseiten auf, dies ebenfalls zu tun. 5.2 Überregionale Aktivitäten Die überregionalen Aktivitäten der Neonazi-Szene, an denen sich häufig Hamburger Neonazis beteiligten, orientieren sich überwiegend an historischen Ereignissen und sind von jährlich wiederkehrenden Gedenkveranstaltungen bestimmt. Neonazis versuchen die Stigmatisierung des historischen Nationalsozialismus zu durchbrechen. Dazu werden Deutsche vor allem als Opfer dargestellt. Dieser Absicht dienen Aufzüge anlässlich von Jahrestagen der Bombardierung deutscher Städte im Zweiten Weltkrieg, das Anprangern der alliierten Kriegsführung ("BombenholoGedenkmarsch der "Jungen Landsmanncaust") und das Gedenken an die Solschaft Ostdeutschland" in Dresden am daten der Wehrmacht. 2011 begannen 13.02.2011 die Trauermärsche bereits am 15.01.2011 in Magdeburg mit einer Demonstration, an der sich circa 1.000 Rechtsextremisten beteiligten. Am 13.02.2011 folgte in Dresden der nächste Gedenkmarsch zum 66. Jahrestages der Zerstörung der Stadt, veranstaltet durch den sächsischen Landesverband der "Jungen Landsmannschaft Ostdeutschland" (JLO). Circa 1.500 Aktivisten traten den sogenannten "Ehrendienst an den Toten" mit einem Fackelmarsch an. Die Strecke musste wegen antifaschistischer Proteste, an denen auch Linksextremisten teilnahmen, verkürzt werden. Die Hauptmobilisierung richtete sich allerdings auf den 19.02.2011. Um das Blockadekonzept der Linken zu durchkreuzen, wurden mehrere demonstrative Protestaktionen an verschiedenen Tagen angemeldet. Dem Aufruf folgten 3.000 Demonstranten, 2010 waren es etwa doppelt so viele. 158 Rechtsextremismus Der Aufzug wurde durch 12.500 Gegendemonstranten blockiert. Die Frustration der Rechtsextremisten entlud sich in Sachbeschädigungen an Fenstern und Fahrzeugen sowie Steinwürfen auf Einsatzkräfte vor Ort. Das Demonstrationsgeschehen war auf beiden Seiten von hoher Gewaltbereitschaft geprägt. Am 26.03.2011 veranstalteten freie Aktivisten aus Schleswig-Holstein zum sechsten Mal einen "Trauermarsch zum Gedenken an den alliierten Bombenterror in der Hansestadt Lübeck". Diese alljährliche Gedenkveranstaltung ist für die norddeutsche Szene von besonderer Bedeutung. 2011 nahmen daran circa 240 Rechtsextremisten teil. Unter den Rednern war auch der bekannte Neonazi Thomas WULFF. Die Szene zog eine positive Bilanz. Bereits am 12.03.2011 hatten sich Hamburger Neonazis an einer Kampagnenaktion für den Gedenkmarsch in Lübeck-Travemünde beteiligt. Eine weitere für norddeutsche Neonazis bedeutsame Veranstaltung ist seit einigen Jahren der Trauermarsch in Bad Nenndorf. Nach Szeneangaben folgten am 06.08.2011 700 Aktivisten "dem Befehl des Gewissens" und traten zum Gedenken an die "Opfer alliierter Kriegsund Nachkriegsverbrechen" an. Hintergrund der Gedenkveranstaltung sind die Vorgänge im "Winklerbad", einem nach dem Zweiten Weltkrieg von den Alliierten betriebenen Gefangenenlager, das von der rechtsextremistischen Szene als "Folterlager" der Alliierten und Beleg für alliierte Kriegsverbrechen angeführt wird. Ein weiterer Höhepunkt für die Szene ist der "Tag der deutschen Zukunft" (TddZ), der 2011 zum dritten Mal statt"Tag der deutschen Zukunft" in fand. Unter dem Motto "Unser Signal Braunschweig gegen Überfremdung" hielten circa 600 Rechtsextremisten am 04.06.2011 in Braunschweig eine stationäre Kundgebung ab. Eine Demonstration war den Veranstaltern untersagt worden. Die Teilnehmer setzten ihre Aktion nach der Kundgebung mit einer genehmigten Demonstration in Peine fort. Zum Ende der Veranstaltung wurde angekündigt, dass der nächste TddZ am 02.06.2012 in Hamburg stattfinden soll. Seitdem mobilisiert die Hamburger Neonazi-Szene für den nächsten TddZ. 159 Rechtsextremismus Seit mehreren Jahren ist auch die revisionistische Demonstration zum "Antikriegstag" in Dortmund fester Bestandteil des neonazistischen Veranstaltungskalenders. Sie findet jeweils am ersten Wochenende im September statt. Für den 03.09.2011 wurde unter dem Motto "Gegen imperialistische Kriegstreiberei und Aggressionskriege" zur Teilnahme an der "7. nationalen Antikriegstagsdemonstration" aufgerufen. Dem folgten circa 750 Aktivisten aus dem gesamten Bundesgebiet. An den zahlreichen Gegenveranstaltungen des bürgerlichen und linksextremistischen Spektrums beteiligten sich insgesamt circa 5.000 Personen. Es kam zu schweren Ausschreitungen. Die Polizei setzte Wasserwerfer ein. Auf der Internetseite "mein-hh.info" veröffentlichten Hamburger Neonazis einen Kommentar ihrer Dortmunder Gesinnungsgenossen. Darin wurde der Aufmarsch als "erfolgreich" und "krönender Abschluss der Antikriegskampagne" bezeichnet. Ein ehemaliges Großereignis der neonazistischen Szene, der Gedenkmarsch zum Todestag des HITLER-Stellvertreters Rudolf HEß in Wunsiedel, hat aktuell keine Bedeutung mehr. Sein Grab wurde 2011 aufgelöst. Die Szene hat damit eine ihrer Pilgerstätten verloren. 2011 fanden keine relevanten HESS-Aktionen mehr statt. Die neonazistische Szene beschäftigte sich aber auch mit aktuellen Themen. 2011 rückte die Propaganda gegen den angeblich durch Nachwuchsmangel und Masseneinwanderung verursachten "Volkstod" der Deutschen stark in den Vordergrund. Dazu bediente sich die Szene auch neuer Propagandaformen. Am 30.04.2011 marschierte eine Gruppe von etwa 200 schwarzgekleideten Rechtsextremisten unter dem Motto "Die Unsterblichen" mit weißen Masken vermummt und Fackeln tragend durch das nächtliche Bautzen. Bundesweit bekannt wurde die Aktion durch einen professionell gemachten Videoclip im Internet, der durch seine martialische Musikkulisse und die geschickte Kameraführung, die eine viel größere Menschenmenge suggeriert, erheblichen Eindruck auf die Szene machte. Urheber des "Unsterblichen"-Konzepts sind Neonazis aus Brandenburg. Die im Video eingeblendete Botschaft "Dein kurzes Leben mach unsterblich!" soll in zweifacher Hinsicht als Aufforderung verstanden werden: Zum einen sollen sich die "völkisch denkenden" Deutschen biologisch "unsterblich" machen, in dem sie ihr "Erbgut weitergeben"; zum anderen wird indirekt dazu aufgefordert, sich an der Kampagne zu beteiligen, damit - so die Botschaft - "die Nachwelt nicht vergisst, dass Du Deutscher gewesen bist". 160 Rechtsextremismus Nach Aussage eines Mitinitiators, der sich im rechten Monatsmagazin "ZUERST!" (März 2012) zu Wort meldete, sei gezielt nach einer Demonstrationsform gesucht worden, bei der "weder durch Gegendemonstranten und Polizeiketten noch durch das typische Erscheinungsbild nationaler Versammlungen die nachträgliche Außendarstellung getrübt wird". Mit den "Unsterblichen"-Aktionen sollen gezielt "Schwächen im System" ausgenutzt werden, um erfolgreiche propagandistische Effekte zu erzielen. Mit den nächtlichen Spontandemonstrationen erreiche man zwar nicht sehr viele Menschen, mit einem gut gemachten Video aber innerhalb weniger Tage Zehntausende. Die rassistische Argumentation der Initiatoren wird unter anderem an der Aussage deutlich, dass hinsichtlich des Fortbestandes des deutschen Volkes die "Genetik eine entscheidende Rolle" spiele und deshalb der "Bestand unseres Volkes" nicht durch den "biologischen Austausch seiner Angehörigen", d.h. durch Einwanderung, gesichert werden könne. Die Bautzener Demonstration fand in den folgenden Monaten zahlreiche Nachahmer. Am 03.06.2011 führten zum Beispiel circa 40 Rechtsextremisten in Hannover eine Spontandemonstration durch. Auch sie trugen weiße Masken und führten Fackeln mit sich. Vereinzelt wurden Feuerwerkskörper gezündet. In dem dazugehörigen Internetvideo wird auf die neonazistische Gruppe "Besseres Hannover" hingewiesen. Ähnliche Aufzüge fanden 2011 unter anderem in Hamburg ( 5.4), Karlsruhe und einigen kleineren Städten in Ostdeutschland statt. 5.3 "Kameradenkreis Neonazis in Hamburg" Der "Kameradenkreis Neonazis in Hamburg" ist der Überrest der in den 1990er Jahren nach dem Konzept der "Freien Nationalisten" gebildeten neonazistischen Strukturen in Hamburg. Nach dem Verbot der "Nationalen Liste" (1995) sollte der Verzicht auf feste Organisationsformen weitere Verbotsverfahren verhindern. Aus diesem Grund trägt die maßgeblich von Tobias THIESSEN gesteuerte Gruppe bis heute keinen Eigennamen. Mit der Bezeichnung "Freie Kräfte" oder "Freie Nationalisten" sollte zudem eine eindeutige Abgrenzung gegenüber rechtsextremistischen Parteien zum Ausdruck gebracht werden. Mittlerweile arbeitet der "Kameradenkreis" jedoch eng mit der Hamburger NPD zusammen, die seit einigen 161 Rechtsextremismus Jahren fest in der Hand von Neonazis aus der "Bramfelder Neonaziund Skinheadszene" ist. Der Landesvorsitzende Torben KLEBE und der Landesgeschäftsführer Steffen HOLTHUSEN, die zu den Führungskadern der Bramfelder Gruppe gehörten, haben ihre politischen Aktivitäten mittlerweile vollständig in die NPD verlagert. Der aktive Teil der "Bramfelder Neonaziund Skinheadszene" hat sich ihnen angeschlossen und bildet den aktionistischen Kern der Hamburger NPD. Andere Angehörige der Bramfelder Szene beteiligen sich nur noch an bestimmten Ereignissen wie Konzerten, Fußballturnieren und ähnlichen Szeneveranstaltungen; politisch sind sie kaum noch aktiv. Die "Bramfelder Neonaziund Skinheadszene" ist damit praktisch in der NPD aufgegangen. Da dem "Kameradenkreis" nur noch etwa zehn ideologisch gefestigte Mitglieder angehören, ist er bei öffentlichen Aktionen oftmals auf Unterstützung aus der NPD angewiesen. Umgekehrt unterstützen die Neonazis auch die NPD, zum Beispiel bei Wahlkampfaktionen. Zur Bürgerschaftswahl 2011 stellten sie Wahlplakate auf, verteilten Flugblätter und halfen bei den Infoständen. Dabei provozierten sie Wahlkämpfer anderer Parteien, indem sie Propagandamaterial in deren unmittelbarer Nähe verteilten. Im Februar 2011 verteilten "Freie Kräfte aus Hamburg" in Bergedorf ein Flugblatt mit dem Titel "Überfremdungsfalle", in dem der "schleichende Volkstod" beklagt wurde. Darin wurde gefordert: "Wir müssen das System abschaffen, bevor das System uns Deutsche abschafft." Ferner wurde die "antideutsche PropaHamburger Neonazis hängen ein ganda" der "demokratischen SystemTransparent an einem Parkdeck auf parteien" angeprangert. Die Kampagne gegen "Überfremdung" war nicht nur im Wahlkampf, sondern das ganze Jahr hindurch das Kernthema neonazistischer Agitation in Hamburg. Im Juni 2011 deponierten Aktivisten in mehreren Hamburger Bücherhallen Flugblätter gegen "Überfremdung". Auf ihrer Internetseite feierten die Urheber ihre "geräuschlose Propaganda" als vollen Erfolg. Im Jahr 2011 griffen die Hamburger Neonazis vermehrt auf solche risikoarmen Aktionsformen zurück. Ihnen gelingt es wegen ihrer Mobilisierungs162 Rechtsextremismus schwäche immer seltener, öffentlich zu agieren und ihrem Anspruch, dem "Kampf um die Straße" gerecht zu werden. Dieses Manko versuchen sie durch mediale Selbstdarstellung zu kompensieren. Zu den "geräuschlosen" Aktionen gehörten auch das Aufstellen selbstgebastelter Erinnerungstafeln für SA-Männer oder das Aufhängen von Transparenten an Straßenbrücken oder Parkhäusern. (Internetbeitrag des LfV Hamburg: "Internet-PR statt "Kampf um die Straße" - Hamburger Neonazis in der Defensive", 04.07.2011) Die propagandistische Aufbereitung der eigenen Aktivitäten erfolgt ebenso wie der Kontakt zu Interessenten über die Internetseite "mein-hh.info". Sie ersetzt die im Jahr 2009 von der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien (BPjM) indizierte und danach von THIESSEN nicht weiter betriebene Internetseite "Jugend zu uns". Darüber hinaus ersetzt sie den bisherigen Internetauftritt des "Aktionsbüros Norddeutschland". Terminankündigungen, Pressemitteilungen, Berichte aus der Szene und Propagandamaterial werden jetzt über diese spezielle Hamburger Internetseite angeboten. Die früher stark durch persönliche Kontakte geprägte Vernetzung der norddeutschen Neonazi-Szene verlagert sich zunehmend auf die virtuelle Ebene. Überregionale Treffen, etwa zur Planung gemeinsamer Veranstaltungen, sind aufgrund der Kommunikationsmöglichkeiten über das Internet häufig nicht mehr erforderlich. Gleichwohl gab es auch 2011 eine rege Beteiligung Hamburger Neonazis an regionalen wie überregionalen Veranstaltungen ( 5.2). Im Oktober 2011 versuchte die Neonazi-Gruppe, den Protest gegen die Ausweitung der Kapazitäten der Flüchtlingsunterkunft Wetternstraße in Harburg für Propagandazwecke zu nutzen. Aktivisten verteilten Flugblätter und Aufkleber in der Siedlung, um Aufruf "RAUS AUS DER EU! WEG MIT auf die "Überfremdung" aufmerksam DEM EURO" auf "mein-hh.info" am zu machen. Eine andere Kampagne 04.01.2011 richtete sich ähnlich wie die der NPD gegen die EU-Mitgliedschaft Deutschlands ("EU-Diktatur") und den "Euro-Wahn". Am 04.01.2011 publizierte die Gruppe auf ihrem Internetportal "mein-hh.info" den Aufruf "Raus aus der EU! Weg mit dem Euro!" Darin wird den "Euro-Lakaien" in Berlin vorgeworfen, aus "freien Stücken unsere nationalen Grenzen und Hoheitsrechte 163 Rechtsextremismus preisgegeben" zu haben. Dies grenze "an Landesund Hochverrat! Früher hätte man sie dafür aufgehängt ...". Wie bundesweit ( 5.2) sind Gedenkveranstaltungen mit Bezug zur Zeit des Nationalsozialismus auch für die Hamburger Szene von Bedeutung. Am 24.07.2011 legte "der nationale Widerstand Hamburg" in Hammerbrook einen Kranz zum Gedenken an die Opfer der "Operation Gomorrha" (alliierte Bombenangriffe im Juli 1943) und die Zerstörung des Stadtteils nieder. Eine weitere Aktion dieser Art fand am 13.11.2011 in Lemsahl-Mellingstedt an einem Ehrenmal für die Gefallenen beider Weltkriege statt. Empört reagierten Hamburger Neonazis auf eine Kolumne in der BildZeitung, in der es um die Auflösung des Grabes von Rudolf HEß ging. Zu diesem "üblen Hetzartikel" veröffentlichten sie einen Protestbrief, in dem gedroht wurde, dem Autor "diese Schweinerei nicht in Ruhe durchgehen" zu lassen. Ein Exemplar befestigten sie am Gebäude des Springer-Verlages. 5.4 Hamburger Nationalkollektiv / Weisse Wölfe Terrorcrew Sektion Hamburg (HNK & WWT) Die rechtsextremistische Gruppierung "Weisse Wölfe Terrorcrew" (WWT) wurde 2008 erstmals auffällig. Zu ihr zählen auch Rechtsextremisten aus anderen Bundesländern, insbesondere Brandenburg, die nach Hamburg gezogen sind. Die WWT wurde ursprünglich als Fangruppe der gleichnamigen Skinhead-Band "Weisse Wölfe" gegründet. Nach einer Grillfeier im Hamburger Jacobi-Park, an der circa 50 Personen teilgenommen hatten, kam es damals zu einem Polizeieinsatz, bei dem 28 Personen in Gewahrsam genommen und drei festgenommen wurden. In der Folgezeit machten Angehörige dieser Gruppe durch weitere Strafund Gewalttaten auf sich aufmerksam. Im Januar 2010 musste ein Anführer dieser Gruppierung wegen Widerstand gegen Polizeibeamte und vorsätzlicher Körperverletzung in zwei Fällen eine Haftstrafe von einem Jahr und zwei Monaten antreten. Danach wurde es zunächst ruhiger um die Gruppe. 164 Rechtsextremismus Nach der Haftentlassung im Frühjahr 2011 wurden die Gruppenstrukturen reaktiviert. Im Mai 2011 stellte sich die Gruppe, nunmehr unter dem Doppelnamen "Hamburger Nationalkollektiv & Weisse Wölfe Terrorcrew Sektion Hamburg" (HNK & WWT) und dem Slogan "3.2.1 ... Uns die Straßen frei - Eine Stadt, eine Front" auf ihrer neuen Internetseite vor. HNK & WWT bezeichnet sich dort großspurig als "Zusammenschluss der politisch national agierenden Gruppen in Hamburg und Umgebung". Tatsächlich handelt es sich um eine Gruppe bereits bekannter Angehöriger der WWT aus dem Neonaziund Skinhead-Milieu und anderen jüngeren Neonazis, unter anderem aus Hamburg Teilnehmer der "Weisse Wölfe Terrorund Buchholz. HNK & WWT werden inscrew Sektion Hamburg" in Bad gesamt circa 20 Personen zugerechnet, Nenndorf am 06.08.2011 von denen die meisten als gewaltbereit einzuschätzen sind. WWT hat sich von einer reinen Skinhead-Truppe zu einer gewaltbereiten Aktionsgruppe mit politischem Anspruch entwickelt. Durch selbstbewusstes Auftreten bei Demonstrationen und Veranstaltungen und auch durch offensive Propagandaaktionen versucht die Gruppe, jüngere und aktionsbereite Aktivisten an sich zu binden. Aufgrund ihrer neonazistischen Ausrichtung und ihres Erscheinungsbildes wird HNK & WWT jetzt den "Autonomen Nationalisten" zugerechnet. Die rege Teilnahme an neonazistischen Veranstaltungen wie etwa der "1. MaiDemonstration" in Halle/Saale, am "Tag der deutschen Zukunft" am 04.06.2011 in Braunschweig mit anschließendem Spontanaufzug in Peine oder am "Trauermarsch" am 06.08.2011 in Bad Nenndorf sowie dem "Antikriegstag" am 03.09.2011 in Dortmund belegen den politischen Anspruch dieser neuen GrupTeilnehmer aus Hamburg pierung. Im Nachgang zu den Veranstalin Braunschweig beim "Tag der deutschen Zukunft" tungen veröffentlichte HNK & WWT auf seiner Internetseite mit Bildern und Videos angereicherte Demonstrationsberichte. Auf einer Demonstration in Hamm-Heessen am 01.10.2011 tru165 Rechtsextremismus gen Mitglieder von HNK & WWT ein Transparent mit der Aufschrift "Eine Generation die sich wehrt ... BRD zerschlagen!". Auch in Hamburg wurde HNK & WWT aktiv. Am 15.06.2011 verteilten Gruppenangehörige Flugblätter mit revisionistischem Inhalt in der Hamburger Innenstadt. Darin wurde unter anderem für die Teilnahme an einer Demonstration am 09.07.2011 in Neuruppin geworben. Auf ihrer Internetseite beklagt HNK & WWT, dass Deutschland von den Alliierten ein "Schuldkult" aufgezwungen worden sei: "Gebückt und versklavt, geschunden und aller Werte aberkannt, scheidet ein einst so stolzes Volk unter der Knechtschaft angeblicher Siegermächte und ihren ach so demokratischen Gesetzen dahin. Dieser schleichende Prozess, der vor Jahrzehnten angefangen hat, sich in unsere Volkskultur zu nisten und auszubreiten, steht kurz vor der Vollendung seiner ganzen Abscheulichkeit und totalen Vernichtung, die Vernichtung von uns, dem deutschen Volk. Dieser Zug der Vernichtung muss gestoppt werden." Am 27.08.2011 stellte HNK & WWT auf seiner Internetseite ein Video mit dem Titel "Hamburger Aktionswoche Volkstod stoppen" ein. Darin sind drei Propagandaaktionen dokumentiert, bei denen Transparente mit verschiedenen Aufschriften an unterschiedlichen Orten aufgehängt wurden. Über das Geländer einer Straßenbrücke hängten HNK & Ausdruck aus dem Video "Hamburger WWT-Aktivisten ein Transparent mit der Aktionswoche Volkstod stoppen" der Aufschrift "BRD = Volkstod". An einer HNK & WWT Leuchtreklame zum "Hamburger Dom" wurde ein Transparent mit der Aufschrift "Während du feierst stirbt dein Volk" befestigt und in der Hamburger Innenstadt entrollten drei Aktivisten in der "Europa-Passage" ein Transparent mit der Aufschrift "Wer hat unser Volk verraten? DIE DEMOKRATEN". Alle Transparente waren mit dem Kürzel "NS-HH" (Nationale Sozialisten Hamburg) gezeichnet. Zusätzlich warfen sie kleine Zettel von der obersten Etage mit dem Text: "WACH AUF! Wir werden zur Minderheit im eigenen Land. Wir verlieren unsere Heimat. Hör auf Dich zu belügen. Du siehst es und Du weißt es. Was tust du dagegen?". Das Internet-Video ist mit einem Lied der rechtsextremistischen Band "Hassgesang" untermalt. 166 Rechtsextremismus Am 17.12.2011 fand gegen 23.00 Uhr eine nicht angemeldete Demonstration in Hamburg-Harburg statt. Maskiert mit schwarzen Kapuzen und weißen Masken sowie Fackeln in den Händen marschierte eine Gruppe von Rechtsextremisten aus Hamburg und dem niedersächsischen Umland, darunter auch einige HNK & WWT-Mitglieder, durch die Eißendorfer Straße in Harburg. Die Gruppe führte ein weißes Transparent mit der Aufschrift "Unrecht! - Ermordet! - aber nie vergessen" mit sich. Der Spontanaufzug wurde mit Video aufgezeichnet und ins Internet gestellt. Anlass des Aufzuges sei ein mildes Urteil gegen einen Jugendlichen, der 2009 einen 44-jährigen Mann auf der Eißendorfer Straße niedergeschlagen hatte, der vier Wochen später starb ("20-Cent-Mord"). Die Demonstration folgte dem Muster der sogenannten "Unsterblichen", einer von Brandenburger Neonazis im Frühjahr 2011 entwickelten Kampagne gegen den "Volkstod" ( 5.2). Weiße Masken und Fackeln sollen Aufmerksamkeit erregen, einschüchternd wirken und die eigene Anhängerschaft mobilisieren. Zum Jahresende resümierte die Gruppe auf ihrer Internetseite, dass das "Kampfjahr 2011" erfolgreich gewesen sei und bei vielen einen bleibenden Eindruck hinterlassen habe. 6. Subkulturell geprägte Rechtsextremisten Neben der neonazistischen Szene existiert eine bundesweit kaum strukturierte rechtsextremistische Szene, die seit Anfang der 1990er Jahre von der Skinhead-Bewegung geprägt wurde, sich jedoch seit einigen Jahren in einem grundlegenden Wandel befindet. Der Anteil klassischer Skinheads geht, zum Teil altersbedingt, kontinuierlich zurück. Mit dem Generationswechsel hat sich auch der in der Szene vorherrschende Musikund Lebensstil verändert. Neben dem in der Skinhead-Szene favorisierten "Oi-Rock" oder "Rechtsrock" haben sich andere Musikrichtungen wie NS-Hatecore oder NS-Black Metal etabliert. Statt Glatze, Bomberjacke und Springerstiefel, die zumindest in westdeutschen Großstädten kaum noch anzutreffen sind, geben Angehörige der subkulturellen rechtsextremistischen Szene ihre Zugehörigkeit durch andere Merkmale zu erkennen. Hierzu gehört das Tragen bestimmter Kleidungsmarken, Symbole und Abzeichen sowie entsprechender Tätowierungen. Kennzeichnend ist das Ausleben eines "rechten" Lebensgefühls, zu dem neben Rockmusik mit nationalistischen, antisemitischen, rassistischen und fremdenfeindlichen Texten auch starker Alkoholkonsum und szenetypische Straftaten gehören. Die 167 Rechtsextremismus Skinhead-, NS-Hatecore und NS-Black-Metal-Szene ist daher als durchgängig gewaltorientiert einzuschätzen. Die insbesondere durch Musik und rechtsextremistische Internetpropaganda vermittelten Feindbilder führen zu Hass und Aggressivität. Sie sind Auslöser für Gewalttaten, die häufig spontan unter Alkoholkonsum und aus Gruppen heraus verübt werden. Im Unterschied zu Neonazis besteht bei den Angehörigen dieser Szene kaum Interesse an politischen Aktivitäten im engeren Sinne. Die Entwicklung in Hamburg zeigt, dass es den politisch aktiven rechtsextremistischen Gruppen, d.h. insbesondere der NPD und dem "Kameradenkreis Neonazis in Hamburg", immer weniger gelingt, diesen Teil der Szene, dem noch etwa 120 Personen zugerechnet werden, zumindest anlassbezogen für politische Aktivitäten wie Kundgebungen, Infotische, und ähnliches zu gewinnen. Subkulturell geprägte Rechtsextremisten fallen fast ausschließlich durch den Besuch von Konzerten rechtsextremistischer Musikgruppen in und um Hamburg und rechtsextremistisch motivierte Straftaten auf. 7. Rechtsextremistische Musikszene Wie in anderen Jugendkulturen hat Musik insbesondere für junge Rechtsextremisten eine wichtige identitätsstiftende Funktion. Sie ist für die Verbreitung entsprechenden Gedankengutes nach wie vor von großer Bedeutung. Der 1993 verstorbene Begründer des rechtsextremistischen "Blood & Honour-Netzwerks" und Angehörige der Skinhead-Kultband "Skrewdriver", Ian STUART DONALDSON, erklärte in einem Interview: "Musik ist das ideale Mittel, Jugendlichen den Nationalsozialismus näher zu bringen, besser als in politischen Veranstaltungen kann damit Ideologie transportiert werden". In Deutschland waren 2011 circa 160 rechtsextremistische Bands aktiv (2010: 165). Hinzu kommen eine Reihe von Einzelpersonen, die im Rahmen von Liederabenden auftreten. Die Musikstile sind vielfältig und reichen von Balladen bis zu "Black Metal". Das Gros der Bands produziert allerdings Rechtsrock. Im Jahr 2011 fanden bundesweit 131 Skinhead-Konzerte statt (2010: 128). Bei Konzerten werden CDs und Merchandisingprodukte der Bands angeboten. Der Vertrieb der Tonträger läuft hauptsächlich im Internet. Ausländische Vertriebsplattformen werden ebenfalls intensiv genutzt. Mit der Pro168 Rechtsextremismus duktion und dem Verkauf rechtsextremistischer CDs werden jährlich mehrere Millionen Euro umgesetzt. Ein Teil der Erlöse aus dem Verkauf von CDs und anderen Szeneprodukten fließt zurück in die rechtsextremistische Szene und trägt zur Finanzierung der politischen Arbeit bei. Trotz des erhöhten Risikos, strafrechtlich belangt zu werden, ist der Handel mit in Deutschland verbotenen Tonträgern ein lukratives Geschäft. Herstellung und Verkauf strafrechtlich relevanter rechtsextremistischer Tonträger durch in Deutschland ansässige Vertriebe sind aber nach wie vor Ausnahmen. Strafbare Veröffentlichungen werden zumeist im Ausland aufgenommen und überwiegend über das Internet vertrieben. Die durchschnittliche Besucherzahl bei Konzertveranstaltungen mit Skinhead-Bands liegt bei etwa 150. Die Konzerte werden oftmals als Geburtstagsoder sonstige Privatfeiern getarnt und so bei Vermietern geeigneter Räumlichkeiten angemeldet. Hintergrund dafür ist, dass Sicherheitsbehörden entsprechend aufklären. In Hamburg wurden in den vergangenen Jahren mehrfach Kleingartenvereine bzw. deren Vereinshäuser als Veranstaltungsorte genutzt. Für solche Konzerte wird generell nicht öffentlich, sondern konspirativ, beispielsweise via SMS und Kontakttelefon geworben. Auch die NPD veranstaltet hin und wieder Konzerte oder bietet ein musikalisches Rahmenprogramm für ihre sonstigen Veranstaltungen. Sie versucht damit, die Popularität rechtsextremistischer Musik für ihre Zwecke zu nutzen. Solche Veranstaltungen haben einen professionellen Rahmen und sind auf größere Besucherzahlen ausgelegt. Am 06.08.2011 fand in Gera die alljährliche NPDKonzertveranstaltung "Rock für Deutschland" statt, die unter dem Motto "Nie wieder Kommunismus - Freiheit für Deutschland" stand. Das vorwiegend über das Internet NPD Konzert "Rock für Deutschbeworbene Festival zog 2011 mit etwa 600 land" am 06.08.2011 in Gera Teilnehmern jedoch deutlich weniger Besucher an als in den vergangenen Jahren und blieb damit weit hinter den Erwartungen des Veranstalters, des NPD-Kreisverbandes Gera, zurück. 2010 kamen rund 1.200 Interessierte auf das Festivalgelände; 2009 hatte die Band "Die Lunikoff-Verschwörung" sogar circa 3.900 Besucher angelockt. 169 Rechtsextremismus Im Jahr 2011 verteilte die NPD eine neue Version der sogenannten "Schulhof-CD". Seit 2004 nutzen Rechtsextremisten die massenhafte Verteilung von CDs mit aufhetzenden, häufig rassistischen und gewaltverherrlichenden Musikstücken, um ihre Ideologie an Schülerinnen und Schüler heranzutragen. Politisch noch nicht gefestigte Jugendliche sollen so für die rechtsextremistische Szene gewonnen werden. Die neue CD mit dem Titel "Gegen den Strom" wurde im Vorfeld der Landtagswahl in Cover der neuen SchulhofSachsen-Anhalt am 20.03.2011 veröffentlicht und CD "Gegen den Strom" eine Woche vorher vor Schulen verteilt. Mit der Gratis-CD als Wahlkampfstrategie sollten vor allem Erstund Jungwähler auf die NPD aufmerksam gemacht werden. Zudem stellte die NPD eine kostenfreie Downloadmöglichkeit über einen ihrer Medienserver bereit. Die CD enthält 16 Titel auch von bekannten rechtsextremistischen Bands, wie zum Beispiel "Die Lunikoff Verschwörung", "Sleipnir" und "Noie Werte". Im April 2011 stellte die Polizei in Bremen auf Anweisung der dortigen Staatsanwaltschaft 90 Exemplare der genannten "Schulhof-CD" in leicht veränderter Form sicher. Die Bremer Staatsanwaltschaft bewertete einzelne Lieder der CD als jugendgefährdend. Die CD sollte in Bremen als Wahlkampfmaßnahme zur dortigen Bürgerschaftswahl verteilt werden. Die bereits 2010 produzierte CD "Adolf Hitler lebt" der Musikgruppe "Gigi und die braunen Stadtmusikanten" ist im November 2011 in ein neues Licht gerückt. Denn auf dieser befindet sich das Lied "Döner-Killer", in dem der Frontmann der Band, Daniel "Gigi" GIESE, der auch Sänger bei der rechtsextremistischen Musikgruppe "Stahlgewitter" ist, die Mordserie des NSU thematisiert und die Mordopfer verhöhnt. Der Musiktitel nimmt Bezug auf die sogenannte Czeska-Mordserie ( 4.1). Cover der 2010 produzierten CD "Adolf Hitler lebt" Ein weiteres Medium, das zur Vernetzung der Szene genutzt wird, sind Internetradios. Diese zielen generell auf besonders junge Hörer. Die szeneinternen Internetradios verbreiten häufig rechtsextremistische Beiträge von Moderatoren sowie 170 Rechtsextremismus von der "Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien" (BPjM) indizierte Musikstücke. Im April 2011 wurde der erste Prozess gegen 18 Betreiber des rechtsextremistischen "Widerstand Radio" vor dem Landgericht Koblenz beendet. Die Angeklagten im Alter von 20 bis 37 Jahren wurden wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung und Volksverhetzung zu teils mehrjährigen Freiheitsstrafen verurteilt. Einige Strafen wurden zur Bewährung ausgesetzt. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass die Angeklagten sowohl durch redaktionelle Beiträge als auch durch Musiktitel rechtsextremistischer Bands menschenverachtende, rassistische und zum Teil nationalsozialistische Inhalte verbreitet hatten. Im Dezember 2011 begann vor dem Landgericht Koblenz der zweite Prozess gegen weitere zwölf Verantwortliche des "Widerstand-Radio". Anfang Januar 2012 wurden elf der zwölf Angeklagten unter anderem wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung und Volksverhetzung zu Bewährungsstrafen zwischen sechs und 15 Monaten verurteilt. Bei einem Angeklagten führten frühere Verurteilungen zu einer Haftstrafe von zwei Jahren ohne Bewährung. Im Mai 2011 war ein weiteres rechtsextremistisches Internetradio, das "Radio Irminsul", Ziel von Durchsuchungsmaßnahmen in sechs Bundesländern. Dabei konnte die Polizei umfangreiches Beweismaterial sicherstellen. Den Moderatoren werden unter anderem volksverhetzende Äußerungen vorgeworfen. Die Ermittlungen dauern noch an. In Hamburg wurden 2011 keine rechtsextremistischen Konzertveranstaltungen festgestellt. Die Hamburger Szene-Band "Vierländer Jungs" war allerdings außerhalb Hamburgs aktiv und trat am 13.08.2011 bei dem Jubiläumskonzert der Bremer Skinhead-Band "Endstufe" in der Nähe von Bremen auf. Bei "Endstufe" handelt es sich um eine der ältesten rechtsextremistischen Skinhead-Bands in Deutschland. Die Gruppe feierte ihr 30-jähriges Bestehen - zusammen mit circa 150 Konzertteilnehmern. 8. Rechtsextremistische Parteien 8.1 Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) Das Jahr 2011 war für die NPD geprägt von Wahlniederlagen und einem personellen Umbruch in der Führungsspitze. Mit der Wahl Holger APFELs 171 Rechtsextremismus zum neuen Parteivorsitzenden ging die 15-jährige Ära von Udo VOIGT zu Ende, der zum Schluss aufgrund Mitglieder: 6.300 (2010: 6.600) mangelnder politischer Erfolge und Bundessitz: Berlin parteiinterner Kritik - unter anderem an dem von ihm zu verantwortenden Vorsitzender: Holger APFEL Wahlkampf in Berlin - mit seiner Abwahl rechnen musste. 2009 Landesverband Hamburg konnte er sich noch gegen seinen Mitglieder: 140 (2010: 140) parteiinternen Widersacher Udo Vorsitzender: Torben KLEBE PASTÖRS aus Mecklenburg-Vorpommern behaupten, diesmal trat der sächsische Landesund Fraktionsvorsitzende Holger APFEL gegen ihn an und propagierte auf dem Parteitag am 12./13.11.2011 in Neuruppin seine Strategie der "seriösen Radikalität". Damit setzte sich in der Partei der sogenannte "sächsische Weg" durch. Der offen neonazistische Flügel der Partei, der unter anderem mit dem Tod Jürgen RIEGERs im Oktober 2009 und dem Austritt von Thomas WULFF aus dem Bundesvorstand im Mai 2011 den Verlust wichtiger Protagonisten verkraften musste, hat an Einfluss in der Partei verloren. APFEL will die NPD mit aktuellen gesellschaftlich relevanten Themen wie der Finanzkrise unter dem Motto "Raus aus dem Euro" als politische Alternative zu den "Systemparteien" etablieren. Die NPD bleibt aber trotz ihrer Versuche, sich ein seriöseres Image als "Kümmererpartei" zu geben und sich stärker von der gewaltorientierten rechtsextremistischen Szene abzugrenzen, eine Partei, die weiterhin rassistisch, nationalistisch, fremdenfeindlich und antisemitisch agiert und darauf zielt, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu überwinden. Die Grundlage für die Neupositionierung der Partei wurde bereits mit dem 2010 verabschiedeten Parteiprogramm "Arbeit, Familie, Vaterland" gelegt, das einen "gegenwartsbezogenen und zukunftsgewandten Nationalismus" versprach. Im "Superwahljahr 2011" wollte die NPD damit neue Wählerschichten erreichen. Die neue strategische Positionierung der Partei hatte jedoch weder positive Auswirkungen auf die Mitgliederentwicklung noch konnten die angestrebten Wahlziele erreicht werden. Auch Parteiübertritte ehemaliger DVU-Mitglieder verhalfen der NPD nicht zum erhofften personellen Aufschwung. Im Gegenteil: Die Mitgliederzahl der einzigen bundesweit aktiven rechtsextremistischen Partei lag 2011 mit 6.300 unter der des Vorjahres (2010: 6.600). Damit ist das noch 2010 als 172 Rechtsextremismus "historisches Ereignis" angekündigte Fusionsprojekt als gescheitert anzusehen. Statt einer Bündelung der Kräfte hat die Fusion mit der DVU lediglich deren Verfall beschleunigt. Über die Rechtmäßigkeit der Verschmelzung wird allerdings nach wie vor gestritten. ( 8.2) Die Serie der Wahlniederlagen begann mit dem enttäuschenden Ergebnis bei den Wahlen zur Hamburgischen Bürgerschaft am 20.02.2011. (Internetbeitrag des LfV Hamburg: "Hamburg-Wahlen 2011: Extremistische Kandidaten und ihre Ergebnisse", 01.03.2011) Da die Partei ihren eindeutigen Schwerpunkt in den ostdeutschen Ländern hat, waren die Wahlen in Sachsen-Anhalt und Thüringen von weitaus größerer Bedeutung. Insbesondere in Sachsen-Anhalt hoffte die NPD, am 20.03.2011 den Einzug ins Landesparlament zu schaffen, musste jedoch eine für sie sehr schmerzliche Niederlage hinnehmen. Trotz einer sehr aufwändigen, materialintensiven Wahlkampagne erreichte sie nur 4,6 % der Zweitstimmen und verfehlte damit ihr Wahlziel ("7 Prozent plus X") deutlich. Auch nach parteiinterner Einschätzung waren eine Veröffentlichung parteiinterner E-Mails mit teilweise rassistischen und menschenfeindlichen Inhalten und der Skandal um den Spitzenkandidaten Matthias HEYDER mitverantwortlich für den Misserfolg. Kurz vor der Wahl war bekannt geworden, dass HEYDER unter dem Pseudonym "Junker Jörg" im Internet unter anderem "Anleitungen zum Bombenbau", und Aufrufe zur Gewalt an politischen Gegnern eingestellt sowie rechtsextremistische Musikinhalte und Literatur veröffentlicht hatte. Erstmals seit 1999 trat die NPD am 22.05.2011 wieder bei einer Bürgerschaftswahl in Bremen an. Spitzenkandidat für die Stadt Bremen war der ehemalige DVU-Vorsitzende Matthias FAUST, in Bremerhaven trat Jens PÜHSE für die NPD an. Im Wahlbereich der Stadt Bremen kam die Partei nur auf 1,6 %, in Bremerhaven erzielte sie 2,3 %. Damit verfehlte die NPD auch hier klar ihr Wahlziel, zumindest in Bremerhaven die 5-Prozent-Hürde zu überspringen, um so in die Bremische Bürgerschaft einzuziehen. Bis 2007 hatte die DVU aufgrund ihres Wahlerfolgs in Bremerhaven einen Abgeordneten in der Bürgerschaft gestellt. FAUSTs Hoffnung, durch einen Achtungserfolg seinen parteiinternen Status als stellvertretender Bundesvorsitzender stärken zu können, erfüllte sich nicht. Er gehört dem Bundesvorstand mittlerweile nur noch als Beisitzer an. 173 Rechtsextremismus Bei der Landtagswahl in Mecklenburg-Vorpommern am 04.09.2011 gelang der Partei trotz Stimmenverlusten der Wiedereinzug ins Parlament. Die NPD erreichte bei schwacher Wahlbeteiligung 6,0 % der Zweitstimmen und verlor damit gegenüber dem Wahlergebnis von 2006 1,3 Prozentpunkte. Im neuen Landtag verfügt sie statt fünf nur noch über vier Mandatsträger. Das Berliner Wahlergebnis bestätigte die negative Tendenz für die NPD. Mit 2,1 % verpasste sie am 18.09.2011 den angestrebten Einzug in das Berliner Abgeordnetenhaus deutlich. Für den Spitzenkandidaten und NPD-Bundesvorsitzenden Udo VOIGT war die Wahl in Berlin zudem eine persönliche Niederlage. Er wurde wegen seiner "vergangenheitsorientierten und provokanten Wahlkampagne" unter dem Motto "Kampf um Berlin" parteiintern veheHolger Apfel auf dem ment kritisiert. Für Empörung sorgte auch ein AssoBundesparteitag der NPD ziationen an die Gaskammern der Nationalsozialisten weckendes Wahlplakat, auf dem VOIGT auf einem Motorrad abgebildet ist, mit dem Slogan "Gas geben". Auf dem 33. ordentlichen Bundesparteitag der NPD in Neuruppin musste der Parteichef, der die NPD seit 1996 anführte, seinen Posten räumen. Bei der Wahl zum Parteivorsitzenden erreichte Holger APFEL knapp 60 % der Stimmen. Neben dem Fraktionsvorsitzenden der NPD in MecklenburgVorpommern, Udo PASTÖRS, wurden Frank SCHWERDT und Karl RICHTER zu Stellvertretern gewählt. Die Zahl öffentlicher Aktionen und Kundgebungen war 2011 rückläufig. Die NPD konzentrierte sich wie in den Vorjahren insbesondere auf Veranstaltungen zum 1. Mai. Allerdings nahmen an den drei Veranstaltungen im Jahr 2011 insgesamt nur noch knapp 600 Aktivisten teil. 2010 waren es noch 1.500. Neben einer regionalen Veranstaltung in Kusel (RheinlandPfalz), an der lediglich 35 Personen teilnahmen, fanden in Bremen und in Greifswald Demonstrationen statt. In Greifswald versammelten sich rund 350 Personen unter dem Motto "Unsere Heimat - Unsere Arbeit - Fremdarbeiterinvasion stoppen!" zu einer vom NPD-Landesverband Mecklenburg-Vorpommern initiierten Kundgebung. Der Fraktionsvorsitzende Udo PASTÖRS nahm die am 1. Mai in Kraft getretene Arbeitnehmerfreizügigkeit für acht osteuropäische EU-Mitgliedsstaaten zum Anlass, gegen eine 174 Rechtsextremismus "regelrechte Überschwemmung durch Fremdarbeiter" zu agitieren. Er bezeichnete vor allem die "Völkerwanderung" der polnischen Arbeitnehmer als "biologisches Eindringen einer fremden Art auf das Territorium einer Art, die das nicht wünscht." Der für den 1. Mai geplante sogenannte Sozialkongress unter dem Motto "Soziale Sicherheit statt Raubtierkapitalismus", der zugleich den Höhepunkt des Wahlkampfes in Bremen markieren sollte, wurde auf den 30.04.2011 verschoben, um Gegendemonstrationen und behördlichen Ortsverlegungen zu entgehen. Die knapp 200 Teilnehmer, darunter der Parteivorsitzende Udo VOIGT und Matthias FAUST, waren größtenteils aus anderen Bundesländern angereist. Bundesvorstandsmitglied Matthias FAUST fiel 2011 besonders negativ auf. Er hatte im Vorfeld der Bürgerschaftswahl in Bremen ein Computerspiel mit dem Titel "Faust räumt auf" auf der NPD-Internetseite eingestellt. Angelehnt an das bekannte "Moorhuhnspiel" wurden hier allerdings "kriminelle und sozialschmarotzende Ausländer" markiert und mit einem "Rückfahrticket" ausgestattet. Gegen FAUST wurde ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Volksverhetzung eingeleitet. Die Jugendorganisation der NPD, die "Jungen Nationaldemokraten" (JN), besteht bundesweit derzeit nur noch aus circa 240 Mitgliedern (2010: 430). Sie bezeichnen sich selbst als "nationale Freiheitskämpfer von morgen" und zielen dabei nicht auf parlamentarische Willensbildung, sondern auf die aktionistische "Besetzung des vorpolitischen Raumes" ab. Die JN um den amtierenden Bundesvorsitzenden Michael SCHÄFER sympathisiert mit der neuen Parteistrategie eines "gegenwartsbezogenen und volksnahen Nationalismus". Nach dem Bundesparteitag im November 2011 wurde der stellvertretende JN-Vorsitzende Andy KNAPE als Leiter des parteilichen Ordnungsdienstes in den NPD-Bundesvorstand gewählt. SCHÄFER, der enge Verbindungen zu parteiunabhängigen Neonazis pflegt, konnte entgegen den Erwartungen keinen Posten in der Mutterpartei für sich gewinnen. Hamburg Die Mitgliederzahl der Hamburger NPD stagniert seit 2006 bei etwa 140 Personen. Das bedeutet, dass die NPD in Hamburg, ähnlich wie im gesam175 Rechtsextremismus ten Bundesgebiet, nicht von der Verschmelzung mit der DVU zu Beginn des Jahres 2011 profitieren konnte. Insgesamt waren nur wenige Übertritte zu verzeichnen. Für die Hamburger NPD hatte Anfang 2011 die Wahl zur Bürgerschaft und zu den Bezirksversammlungen am 20.02.2011 oberste Priorität. Unter der Überschrift "Aufbruch Hamburg 2011!" benannte sie am 09.01.2012 die Kandidaten der Landesliste. Sie wurde vom Landesvorsitzenden Torben KLEBE angeführt. Auf Platz zwei folgte das ehemalige DVU-Mitglied Björn NEUMANN, ein enger Vertrauter von Matthias FAUST. Der maßgeblich in die Wahlkampfaktivitäten eingebundene Thomas WULFF kandidierte Wahlkampf der NPD in Hamburg-Harburg nicht, da er seinen Wohnsitz nach wie im Januar 2011 vor in Mecklenburg-Vorpommern hat. Im Januar 2011 geriet er zusammen mit zwei Helfern beim Aufstellen von Wahlplakaten in eine Auseinandersetzung mit einem Ladenbesitzer, der kein NPD-Plakat vor seiner Tür haben wollte. Der Mann gab unter anderem an, mit einem Beil bedroht worden zu sein. Bei der anschließenden Durchsuchung des Pritschenwagens der Gruppe fand die Polizei ein Beil. Der Wahlkampf begann für die Hamburger NPD bereits am 04.12.2010 mit einer Kundgebung in Hamburg-Rissen ( VSB 2010, S. 176f.), die von den Rissenern allerdings weitgehend ignoriert wurde. Ohne öffentliche Resonanz verlief auch eine ähnliche Aktion in Hamburg-Lohbrügge am 15.01.2011. Nachdem die zuständigen Behörden eine angemeldete Kundgebung der NPD in Bergedorf nicht genehmigt hatten, entschloss man sich zu einer Spontankundgebung in Rufweite eines Supermarktes. Daran beteiligten sich jedoch lediglich sechs Personen. Auch die Kundgebung der NPD am 29.01.2011 auf dem Seeveplatz in Harburg, bei der unter anderem WULFF als Redner auftrat, verlief aus Sicht der Partei nicht zufriedenstellend. Zwar gab es kaum Zwischenfälle und Störungen, allerdings war außer Gegendemonstranten ( 5.3.2) und Polizisten kein Publikum vor Ort. Die circa 60 NPD-Anhänger blieben unter sich. Höhepunkt des Wahlkampfes sollte aus Sicht der NPD die Kundgebung auf dem Hamburger Gänsemarkt am 12.02.2011 sein. Auch hier zeigte sich, dass die Hamburger NPD nicht in der Lage ist, für solche Veranstal176 Rechtsextremismus tungen ausreichend Unterstützer zu mobilisieren. Lediglich 40 bis 50 Anhänger waren erschienen, um unter anderem den Wortbeiträgen von Thomas WULFF und dem sächsischen NPD-Landtagsabgeordneten Andreas STORR zu folgen. Dass der Wahlkampf überhaupt durchgeführt werden konnte, lag an der großzügigen Spende eines Gründungsmitglieds der Hamburger NPD, der seit Jahren in Spanien lebt und zu dem insbesondere Thomas WULFF gute Kontakte unterhält. Die Bundespartei hatte es offenbar aus Geldmangel und aufgrund anderer Schwerpunktsetzungen abgelehnt, den Hamburger Landesverband finanziell zu unterstützen. Die Wahl endete für die NPD mit einer herben Enttäuschung. Sie erreichte lediglich 0,9 % der Stimmen und verpasste damit ihr selbstgestecktes Wahlziel. Die für die Hamburger NPD aus finanziellen Gründen wichtige "Ein-Prozent-Marke" wurde verfehlt; eine Wahlkampfkostenerstattung gab es nicht. Bei der letzten Bürgerschaftswahl in Hamburg am 24.02.2008 hatte nur die DVU kandidiert; sie kam damals auf 0,8 %. Bei der Bundestagswahl 2009 war die NPD in Hamburg mit 0,9 % ebenfalls unter der 1-ProzentMarke geblieben. Das schlechte Wahlergebnis ist auch eine persönliche Niederlage von Thomas WULFF, der die Wahlkampfführung übernommen hatte und mit seiner Person für die Hamburger NPD geworben hatte. Die Wahlspots der NPD mit WULFF wurden auch intern kritisiert. Sein äußeres Erscheinungsbild schrecke die Bürger eher Wahlspot der Hamburger NPD ab und sei letztendlich eine Bestätigung der Vormit Thomas Wulff urteile über die Parteimitglieder in den Medien. Das von den Rechtsextremisten unter der Parole "Kriminelle Ausländer raus!" in den Vordergrund gestellte Thema "Überfremdung" spielte im Bürgerschaftswahlkampf und in den Hamburger Medien praktisch keine Rolle. Mit ihrer expliziten Fremdenfeindlichkeit konnte die Hamburger NPD, die maßgeblich von Neonazis gesteuert wird, keine weiteren Wählerschichten ansprechen. Auch der Umstand, dass die NPD Kandidaten der DVU auf ihren Listen hatte, brachte keinen höheren Wählerzuspruch. WULFF hat seine politischen Aktivitäten mittlerweile wieder vollständig nach Hamburg verlagert. Sein Amt als Beisitzer im NPD-Bundesvorstand legte er nach massiver Kritik insbesondere an Personalentscheidungen der NPD während einer Vorstandssitzung am 08.05.2011 nieder. WULFF war im November 2006 in den erweiterten Bundesvorstand der NPD gewählt 177 Rechtsextremismus worden und gehörte diesem mit einer einjährigen Unterbrechung bis 2011 an. Im Juli 2011 betätigte er sich in Hamburg als Unterschriftensammler für die Initiative des Volksbegehrens "Unser Hamburg - Unser Netz". Wie bereits bei der Kampagne gegen die Schulreform 2010 ( VSB 2010, S. 174f.) versuchten Hamburger Rechtsextremisten mit einer "Trittbrettfahrer"Aktion auf sich aufmerksam zu machen. Nachdem das Thema bereits im Mai 2011 in einem Internetbeitrag der NPD publiziert und eine Unterstützung des Begehrens signalisiert wurde, begab sich WULFF mit einem Original-Umhängeplakat der Initiative in Hamburg-Bergedorf unter die Passanten. Aufgrund ihrer relativ geringen Mitgliederzahl und ihres kleinen Aktivistenstamms versucht die NPD, vorrangig durch solche PR-Aktionen auf sich aufmerksam zu machen. Zu einer kontinuierlichen und fundierten politischen Arbeit fehlen ihr die personellen und materiellen Ressourcen. Ein weiterer Indikator für die organisatorische Schwäche der Hamburger NPD ist der erneute Rückgang der Zahl von Infoständen. Geplant waren lediglich acht Einsätze. Fünf Stände wurden von den zuständigen Bezirksämtern untersagt. In einem Fall, am 05.02.2011 in Hamburg-Niendorf, wurde ersatzweise der mobile, auf Rollen montierte Infostand mit NPDSchirm eingesetzt. Am 29.05.2011 fand der Landesparteitag statt, auf dem auch der Landesvorstand gewählt wurde. Als Landesvorsitzender wurde Torben KLEBE bestätigt, der den Vorsitz seit dem Tod Jürgen RIEGERs im Oktober 2009 kommissarisch ausübte. Thomas WULFF wurde zum Stellvertreter gewählt. Obwohl WULFF seit einigen Jahren in der NPD aktiv ist, konnte er sich weder in Mecklenburg-Vorpommern noch in Schleswig-Holstein etablieren und dort eine führende Rolle einnehmen. Von der Bundesebene hat er sich zurückgezogen. Als stellvertretender Landesvorsitzender hofft er offensichtlich, wieder mehr politischen Einfluss und persönliche Akzeptanz zu gewinnen. Seine Führungsqualitäten sind jedoch nicht mehr unumstritten. WULFF muss in Hamburg mit alten Weggefährten kooperieren, die sich schon lange von ihm gelöst haben und selbst in Führungsfunktionen hineingewachsen sind. Die Hamburger NPD führte 2011 lediglich zwei Vortragsveranstaltungen durch. Am 08.09.2011 lud der Kreisverband Altona-Eimsbüttel zu einer Veranstaltung zum Thema "Der Windmühlenkampf gegen rechts" ein. Eine 178 Rechtsextremismus weitere Veranstaltung fand am 11.11.2011 statt. Vor circa 30 Zuhörern sprach Wolfgang JUCHEM von der "Aktion Freies Deutschland" zum Thema "Völkermord auf leisen Sohlen". Die Beiträge auf der Internetseite der NPD sind von fremdenfeindlicher und rassistischer Polemik durchsetzt. Es wird jedoch genau darauf geachtet, die Grenze zur strafbaren Volksverhetzung nicht zu überschreiten. So wird etwa von der "Islamisierung" und "ethnischen Destabilisierung Hamburgs" gesprochen. Tatverdächtige mit Migrationshintergrund seien "Talente, auf die die etablierten Parteien nicht verzichten wollen". Vom Hamburger Stützpunkt der "Jungen Nationaldemokraten" (JN), der im Jahr 2008 gegründet wurde, gingen 2011 keine Aktivitäten aus, er ist praktisch bedeutungslos. 8.2 Deutsche Volksunion (DVU) Die Auseinandersetzungen, ob die DVU als eigenständige Partei existiert, setzten sich 2011 fort und werden frühestens im Laufe des Jahres 2012 - gerichtlich oder Mitglieder: 1.000 (2010: 3.000) außergerichtlich - entschieden. Die beiden Parteivorsitzenden Udo Bundessitz: München VOIGT (NPD) und Matthias FAUST Vorsitzender: ohne (DVU) hatten am 29.12.2010 den (bis 31.12.2010 notariell beglaubigten VerschmelMatthias FAUST) zungsvertrag mit Wirkung zum 01.01.2011 unterzeichnet. Die FusiLandesverband Hamburg onsgegner aus den Reihen der Mitglieder: 100 (2010: 130) DVU gingen hiergegen gerichtlich Vorsitzender: ohne vor. Der Widerstand gegen die Auf(bis 31.12.2010 lösung der DVU bzw. deren VerMatthias FAUST) schmelzung mit der NPD wird vor allem von den Vorsitzenden der drei Landesverbände Schleswig-Holstein, Niedersachsen und NordrheinWestfalen getragen. 179 Rechtsextremismus In einem im August 2011 veröffentlichten Interview bekundete der Landesvorsitzende der DVU-Niedersachen den Willen, die DVU am Leben zu erhalten. Hierin klang indirekt das Eingeständnis an, dass die verbliebenen Strukturen der DVU politisch kaum noch handlungsfähig sind. Auf der Internetseite der DVU werden zwar regelmäßig Beiträge zum politischen Geschehen und zur aktuellen Situation der Partei veröffentlicht, um den Eindruck von Lebendigkeit und politischem Elan zu vermitteln, substantiell ist die DVU jedoch weitgehend am Ende. Auffällig ist, dass auf der genannten Internetseite viele Beiträge des Neonazis Christian WORCH zu finden sind, der offenbar insbesondere dem niedersächsischen Landesvorsitzenden mit Rat und Tat zur Seite steht. Hinter diesem Engagement steht ein strategisches Interesse von WORCH und weiteren Personen. Mit dem Kampf um das Fortbestehen der DVU verbindet sich das Kalkül, den Torso der DVU im Falle eines Verbotes der NPD als politisches Auffangbecken nutzen und die Parteiführung übernehmen zu können. Hamburg Der Hamburger Landesverband der DVU ist schon seit längerem inaktiv und besteht faktisch nur noch auf dem Papier. Er wird in den Unterlagen des Bundeswahlleiters zwar noch aufgeführt; aber nur weil der Ausgang des Hauptsachegerichtsverfahrens abgewartet werden soll. Formal gehören ihm noch etwa 100 Mitglieder an. Von diesen war jedoch auch in der Vergangenheit ein nur sehr kleiner Teil aktiv. Auf der vom niedersächsischen Landesverband betreuten Seite der DVU ist Hamburg unter der Rubrik Landesverbände nicht mehr aufgeführt. 9. Pennale Burschenschaft Chattia Friedberg zu Hamburg (PB! Chattia) Die Verbindungen von Burschenschaften zum Rechtsextremismus werden vom Hamburger Landesamt für Verfassungsschutz aufmerksam im Auge behalten. Anhaltspunkte für den Verdacht rechtsextremistischer Bestrebungen oder für Einflussnahmen durch Rechtsextremisten ergeben sich unter anderem daraus, dass einzelne Bünde regelmäßig bekannte Rechtsextremisten zu Vortragsveranstaltungen einladen oder Burschenschaften der NPD oder anderen rechtsextremistischen Organisationen angehören. 180 Rechtsextremismus Innerhalb des Dachverbandes "Deutsche Burschenschaft" (DB), dem nach eigenen Angaben mehr als 120 Burschenschaften angehören, kam es in den vergangenen Jahren zu Spannungen über die politische Ausrichtung, so dass immer wieder einzelne Burschenschaften aus dem Dachverband austraten. Vor allem die Entwicklung in der "Burschenschaftlichen Gemeinschaft" (BG), einer Teilorganisation der DB, der etwa ein Drittel aller Burschenschaften angehören, begründet den Verdacht, dass dort zum Teil rechtsextremistische Positionen offensiv vertreten oder zumindest zustimmend zur Kenntnis genommen werden. Diese Entwicklung wurde auch von gemäßigten Bünden der DB kritisiert. So geriet die DB im Sommer 2011 wegen einer internen Auseinandersetzung über das Abstammungsprinzip und seine Bedeutung für die Mitgliedschaft in einer Burschenschaft in die Schlagzeilen. Vor dem alljährlichen Burschentag wurde bekannt, dass eine zur BG gehörende Burschenschaft aus Nordrhein-Westfalen einen Antrag stellen wollte, eine andere Burschenschaft auszuschließen, da diese einen chinesisch-stämmigen Studenten als Mitglied aufgenommen hatte. In der Begründung des Antrages wurde unter anderem ausgeführt: "Es ist nicht ausreichend, dass der genannte Verbandsbruder sich subjektiv dem deutschen Volke zugehörig fühlt. Besonders in Zeiten fortschreitender Überfremdung ist es nicht hinnehmbar, dass Menschen, welche nicht von deutschem Stamme sind, in die Deutsche Burschenschaft aufgenommen werden." Dieser und der vorangegangene Antrag der Burschenschaft, der mit Bezug auf Artikel 9 der DB-Verfassung forderte, nur Mitglieder mit "deutscher Abstammung" aufzunehmen, wurden zurückgenommen und der Konflikt vorerst beigelegt. Verschiedene andere Studentenverbände distanzierten sich deutlich und verurteilten diese "völkische" Argumentation, die sowohl dem aktuellen Staatsbürgerprinzip der Bundesrepublik Deutschland als auch den Gepflogenheiten der anderen Verbände widerspreche. Die "Burschenschaftliche Gemeinschaft" (BG) wies hingegen jeden Vorwurf des Rassismus zurück. Eine eindeutig rechtsextremistische Prägung ist nur bei wenigen Burschenschaften nachweisbar. Zu diesen zählt die Pennale Burschenschaft Chattia Friedberg zu Hamburg (PB! Chattia), die nicht dem Dachverband "Deutsche Burschenschaft", sondern dem "Allgemeinen Pennäler Ring" (APR) angehört. Sie wurde 1989 im hessischen Friedberg gegründet. Im Jahr 1992 wurde der Sitz nach Hamburg verlegt. Seitdem trägt sie den Namenszusatz "zu Hamburg". 181 Rechtsextremismus Als "Pennale Burschenschaft" wendet sie sich vorrangig an Schüler und Auszubildende ab 16 Jahren. Man beginnt als sogenannter "Fux" und wird zunächst in die Geschichte der Burschenschaften, der "PB! Chattia" und in das Regelwerk über den Verhaltenskodex (Comment) eingewiesen. Erst nach einer Prüfung wird man "Bursche". Von den Mitgliedern der Burschenschaft wird erwartet, dass sie regelmäßig an den Treffen und Veranstaltungen teilnehmen und auch Pflichten übernehmen, um so "Gemeinschaftsgeist" und "Zusammengehörigkeitsgefühl" zu vermitteln, und um zu lernen, "ihr ICH" hinter die Gemeinschaft zurückzustellen. Die PB! Chattia gehört zu den schlagenden Verbindungen und erwartet von ihren Mitgliedern mindestens einen Fechtgang mit dem Säbel. Nach eigenem Bekunden werden so die "Feiglinge und Dummschwätzer" aussortiert, denn die Chatten seien "Weizen - nicht Spreu". Zusammen mit den sogenannten "Alten Herren", den nicht mehr aktiven Burschenschaftern, hat die Verbindung etwa 30 Mitglieder. Im Vergleich zu anderen Burschenschaften verfügt die PB! Chattia über keine lange Tradition. Sie hat kein Verbindungshaus und ist nicht öffentlich aktiv. Das auf ihrer Internetseite veröffentlichte Semesterprogramm ist sehr allgemein gehalten, ohne genaue Daten, Zeiten und Orte. So will man Störungen des Verbindungslebens von außen entgegenwirken. Es wird dort auch nicht über durchgeführte Veranstaltungen berichtet. In der PB! Chattia wirken bzw. wirkten Personen mit, die Beziehungen in die rechtsextremistische Szene unterhalten und für die NPD aktiv sind oder waren. Zudem liegen Anhaltspunkte dafür vor, dass zumindest einige Mitglieder der PB! Chattia neonazistisch ausgerichtet sind bzw. dem historischen Nationalsozialismus positiv gegenüberstehen. In unregelmäßigen Abständen traten bei Veranstaltungen der PB! Chattia bekannte Rechtsextremisten als Referenten auf. 10. Sonstige rechtsextremistische Organisationen und Bestrebungen Neben den bereits beschriebenen Organisationen und Personenzusammenhängen gibt es zahlreiche weitere Kleinparteien, Vereine, Einrichtungen und Initiativen, die sich sowohl in ihrer politisch-ideologischen Ausrichtung und ihren Agitationsthemen als auch hinsichtlich ihrer Größe, Bedeutung und ihres Aktionsradius deutlich unterscheiden. Insgesamt 182 Rechtsextremismus wurden diesem Spektrum 2011 bundesweit unverändert 2.500 Personen zugerechnet. 10.1 Gesellschaft für freie Publizistik (GfP) Die "Gesellschaft für freie Publizistik" (GfP) ist die größte rechtsextremistische Kulturvereinigung in Deutschland. Ihr gehören nach wie vor etwa 500 Mitglieder an. Auch Hamburger Rechtsextremisten beteiligen sich an GfP-Veranstaltungen. Der in Graz lebende deutsche Publizist Martin PFEIFFER, der 2010 zum neuen GfP-Vorsitzenden gewählt worden war, beschrieb den Verein als "überparteiliche Interessenvertretung der konservativ, patriotisch, heimattreu, national bzw. volksverbunden eingestellten Journalisten, Publizisten und Verleger unseres Volkes". Der Verein ist stark revisionistisch ausgerichtet und gibt vor, sich für die "Freiheit des Wortes" und damit für die Freiheit des ganzen deutschen Volkes einzusetzen. Er versucht, die angeblich verzerrte Darstellung des "Dritten Reiches" im geschichtsrevisionistischen Sinne zu korrigieren und agitiert gegen eine den Deutschen "seit Jahrzehnten ... verpaßte Umerziehung" durch "Vertreter des Geschichtsbilds der Sieger und der Gehirnwäsche". Der Verein behauptet, dass in der Geschichtsschreibung keine Meinungsfreiheit herrsche und fordert nachdrücklich die Streichung des SS 130 StGB (Volksverhetzung). Dieser ermögliche unter anderem, dass "offiziöse Behauptungen zur NS-Judenverfolgung" nicht bezweifelt werden dürften. Der Versuch, unerwünschte Stimmen strafrechtlich zu unterdrücken, stünde im "eklatanten Widerspruch zu freiheitlich-demokratischen Grundsätzen." Durch solches Verhalten setze sich das "herrschende Geschichtsbild" dem Verdacht aus, auf unfreier, befangener Forschung und "obrigkeitsstaatlicher Sprachregelung" zu beruhen. Der Schwerpunkt der GfP-Aktivitäten lag, wie in den Vorjahren, in der Durchführung ihres als "nationale Publizistentagung" bezeichneten Jah183 Rechtsextremismus reskongresses. Dieser fand vom 20. bis 22.05.2011 in Kirchheim (Thüringen) unter dem Motto: "Vom Tabubruch zur Systemkrise - Deutschland läßt sich nicht abschaffen!" statt. Ähnlich wie im Vorjahr, nahmen an der Tagung circa 130 Personen, darunter viele bekannte Rechtsextremisten teil. Nach Eigenangaben wurde der Kongress von etwa 150 "Freunden und Mitgliedern" aus allen Teilen des deutschen Sprachraums besucht. Ein großes Problem des Vereins ist die Überalterung der Mitglieder. Versuche, der stagnierenden Entwicklung durch intensive Jugendarbeit und Belebung der regionalen Arbeit zu begegnen, scheiterten bislang. 10.2 Artgemeinschaft - Germanische Glaubens-Gemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung e.V. (Artgemeinschaft-GGG) Die 1951 gegründete Artgemeinschaft-GGG bezeichnet sich selbst als "größte" und "älteste germanisch-heidnische Glaubensgemeinschaft" Deutschlands. Ihr angeschlossen ist der Verein "Familienwerk e.V." Als neuer Vorsitzender beider Vereine fungiert seit dem Tod Jürgen RIEGERs im Oktober 2009 Axel SCHUNK aus Stockstadt (Bayern). RIEGER hatte mit seinen rassistischen Ideologien den Verein jahrelang maßgeblich geprägt. Der unverändert circa 150 Mitglieder zählende Verein, dem auch Hamburger Rechtsextremisten angehören, ist in "Gefährtschaftsgruppen" untergliedert. Er propagiert die Bewahrung, Erneuerung und Weiterentwicklung der "kulturellen, volklichen und rassischen Identität der nordeuropäischen Menschenart" und vertritt völkisch-rassistisches, fremdenfeindliches, revisionistisches und antisemitisches Gedankengut. An den bundesweiten Treffen, von denen die Artgemeinschaft-GGG jährlich vier veranstaltet, nahmen jeweils etwa 280 Personen teil, darunter auch bekannte Rechtsextremisten und Revisionisten aus dem gesamten Bundesgebiet und den europäischen Nachbarstaaten. Als "Stimme des Artglaubens", die sich für den "Lebensschutz" und das "Überleben unserer Art" einsetzt, wird vierteljährlich die "Nordische Zeitung" (NZ) herausgegeben. Neuer "Schriftleiter" und Nachfolger RIEGERs in dieser Funktion ist der langjährig aktive Rechtsextremist Jürgen MOS184 Rechtsextremismus LER aus Oberhausen. Inhaltlich wird an dem rassistisch, antisemitisch, fremdenund kirchenfeindlich geprägten Konzept festgehalten. Auch enthielt die NZ Beiträge bekannter Revisionisten. Dazu zählten der österreichische Holocaustleugner und Mitbegründer des 2008 vom Bundesinnenministerium verbotenen "Vereins zur Rehabilitierung der wegen Bestreitens des Holocaust Verfolgten" (VRBHV) Gerd HONSIK sowie der in Deutschland und Südafrika lebende rechtsextremistische Publizist Dr. Claus NORDBRUCH. Die geistige Nähe der Vereinsmitglieder zum Nationalsozialismus zeigt sich unter anderem in dem in der NZ erschienenen Beitrag "Christen und christliche Kirchen", in dem Zitate aus "Hitlers Tischgesprächen" von Juli 1941 bis Juni 1942 veröffentlicht wurden. Laut "Artgemeinschaft" entsprechen die HITLER-Zitate zwar "nicht in jeder Beziehung" ihrer Meinung, sollen aber "zum Nachdenken über das Christentum beitragen". In den "Tischgesprächen" heißt es unter anderem: "Der Bolschewismus ist das uneheliche Kind des Christentums. Beide sind Erfindungen der Juden". Die Artgemeinschaft-GGG finanziert sich unter anderem durch Herausgabe und Verkauf eigener Schriften und Bücher. Der "Buchdienst" ("Asatru"-Versand) ist seit Juli 2011 nicht mehr in Havelberg (Sachsen-Anhalt), sondern in Kempten (Bayern) ansässig. Zu den Angeboten des Vereins gehören das von Jürgen RIEGER verfasste Buch "Ahnenverehrung - Weg zur irdischen Unsterblichkeit", das als "Vermächtnis" RIEGERs und "Standardwerk" für alle "Geschichtsund Religionsinteressierten" gepriesen wird. Angeboten wird außerdem das von dem Neonazi und RIEGER-Freund Thomas WULFF mit herausgegebene Buch "Jürgen Rieger - Anwalt für Deutschland". Bis heute ist RIEGER bei seinen Anhängern hoch angesehen und gilt als "Vorbild". Sein "Verlust" wird als "unersetzlich" empfunden. Zu seinem zweiten Todestag wurde auf "Altermedia" der Nachruf einer Weggefährtin veröffentlicht, in dem RIEGER als "unermüdlicher Kämpfer für Deutschland" und "genialer Held" bezeichnet wird. 185 Rechtsextremismus 10.3 Gesellschaft für biologische Anthropologie, Eugenik und Verhaltensforschung e.V. (GfbAEV) Die von Jürgen RIEGER von 1972 bis zu seinem Tod 2009 geleitete "Gesellschaft für biologische Anthropologie, Eugenik und Verhaltensforschung e.V." (GfbAEV) spielte 2009/10 als Begünstigte eines Teilvermögens des RIEGER-Nachlasses eine wichtige Rolle. Wie die Artgemeinschaft-GGG gehört die 1962 als "Deutsche Gesellschaft für Erbgesundheitspflege" gegründete und 1972 umbenannte GfbAEV zu den rassistisch und heidnisch geprägten Weltanschauungsvereinen. Sie war neben der Artgemeinschaft-GGG und dem Verein "Nordischer Ring e.V." eine der drei Trägervereine des im Februar 1998 vom niedersächsischen Innenministerium verbotenen "Heide-Heim e.V.", der wiederum als Trägerverein des zeitgleich geschlossenen Kommunikationsund Veranstaltungszentrums in Hetendorf (Niedersachsen) fungierte. Als Vereinssitz der GfbAEV ist im Vereinsregister Ellerau (Schleswig-Holstein) angegeben. Satzungsgemäßes Ziel des Vereins ist die Förderung "lebensschützender und erbgesundheitlicher Bildungsund Aufklärungsarbeit", "volksgesundheitlicher Familienplanung" und "Sozialhygiene". RIEGERs Ideologie der "Rassenreinheit" folgend, agitierte die GfbAEV gegen "Rassenmischung", die als "biologischer Verrat" bezeichnet wurde und vertrat revisionistisches und fremdenfeindliches Gedankengut. Hinsichtlich der Rassenkunde fungierte der historische Nationalsozialismus mit seinem menschenverachtenden Bild von anderen Völkern und Rassen als Vorbild. Seit Ende der 1990er Jahre war die GfbAEV, die noch etwa 20 Mitglieder hat, kaum öffentlich aktiv. Nach RIEGERs Tod musste ein neuer Vereinsvorstand gewählt werden. Seit der am 13.12.2009 in RIEGERs ehemaligem Haus in Hamburg-Blankenese durchgeführten Mitgliederversammlung fanden keine weiteren Vereinsaktivitäten statt. Lediglich die neuen Vereinsvorsitzenden Dr. Siegward KNOF aus Grafrath (Bayern) und Marc MÜLLER aus Lalendorf (Mecklenburg-Vorpommern) äußerten sich in den Medien zu den weiteren Plänen des Vereins. Thematisiert wurde hier insbesondere die mögliche Übertragung von Immobilienwerten aus dem Nachlass der von RIEGER 2001 in London zwecks "Mehrung elitärer Erbanlagen" gegründeten "Wilhelm TIETJEN-Stiftung für Fertilisation Ltd." (WTSfF). In deren Namen hatte RIEGER das "Schützenhaus" in Pößneck (Thüringen) und den "Heisenhof" in Dörverden (Niedersachsen) ersteigert. Beide Objekte waren in der Vergangenheit für rechtsextremistische Zwe186 Rechtsextremismus cke genutzt worden. Auflagen und Abrissverfügungen verhinderten eine umfänglichere Nutzung. Der neue GfbAEV-Vorstand erklärte, nicht an der politischen Nutzung der Objekte, sondern an deren Verkauf interessiert zu sein. Als maßgeblicher Betreiber der Verkäufe fungierte Holger JANSSEN aus Niedersachsen, der seit dem 28.02.2011 im englischen Handelsregister als neuer "Director" der WTSfF eingetragen ist. Er ist Nachfolger des ehemaligen RIEGER-Vertrauten Thomas WULFF, der seit Mai 2010 geschäftsführend tätig war. WULFF hatte sich für den Erhalt der Immobilien für die rechtsextremistische Szene, insbesondere des Schützenhauses, eingesetzt. Im Juli 2011 verkündete JANSSEN den Verkauf beider Objekte. Das "Schützenhaus" wurde im Juni 2011 für 180.000 Euro an die Stadt Pößneck zurück verkauft. RIEGER hatte das Objekt 2003 für 360.000 Euro erworben. Der "Heisenhof", dem aufgrund der gerichtlich bestätigten Abrissverfügung des Landkreises Verden Anfang 2012 der Abriss droht, fand im Oktober 2011 ebenfalls neue Käufer. RIEGER hatte den "Heisenhof" 2004 für 255.000 Euro ersteigert. Die Abrisskosten, die vom Eigentümer zu tragen sind, sollen sich auf circa 250.000 Euro belaufen. Die GfbAEV kann somit aus dem ehemaligen Vermögen der WTSfF keinerlei Gelder erwarten. 10.4 Deutsches Rechtsbüro (DRB) Das im April 1992 in Hamburg gegründete "Deutsche Rechtsbüro" (DRB) fungiert als bundesweite Anlaufund Koordinierungsstelle für juristischen Rat suchende Personen und Organisationen aus der rechtsextremistischen Szene. Es beschreibt sich als "Selbsthilfegruppe" zur Wahrung der Grundrechte "nationaler", "politisch unkorrekter" Deutscher. Formal gehört das DRB zum Verein "Deutscher Rechtsschutzkreis e.V." mit Sitz in Bochum. 187 Rechtsextremismus Maßgebliche Initiatorin und Hauptverantwortliche des DRB ist die Hamburger Rechtsanwältin Gisa PAHL. Sie ist auch als Domain-Inhaberin für die entsprechende Internetseite eingetragen. PAHL scheut die Öffentlichkeit und benutzt für ihre Veröffentlichungen Pseudonyme. Durch Schulungen, Vorträge sowie die Herausgabe eines "Rechtsratgebers" soll vorbeugende und aktuelle Aufklärungsund Informationsarbeit geleistet werden. Das DRB informiert zu diesem Zweck über rechtliche Neuentwicklungen und erteilt Verhaltensmaßregeln. Es unterstützt "politisch unkorrekte Betroffene" in "politischen Verfahren" durch die Vermittlung kompetenter Rechtsanwälte, hilft bei der rechtlichen Überprüfung von Texten und informiert über strafbare, verbotene oder indizierte Tonträger mit "Rechtsrock-Musik". Zudem unterhält das DRB ein Archiv, das zahlreiche Urteile zu insbesondere strafrechtlich relevanten Themen enthält. Seine vorrangige Aufgabe sieht das DRB in der juristischen Beratung und Hilfestellung. Hauptwerk ist der Ratgeber "Mäxchen Treuherz und die juristischen Fußangeln". Die erste Ausgabe dieses von PAHL unter dem Pseudonym Gisela SEDELMAIER verfassten Ratgebers erschien 1990. 2010 erschien die Schrift in einer vierten aktualisierten Auflage und ist mittlerweile auch über den "Deutsche-Stimme-Verlag" der NPD in Riesa zu beziehen. Das Buch enthält juristische Fallbeispiele, "juristische Fußangeln" im "Dschungel der rechtlichen Interpretationsvarianten", Verhaltensmaßregeln, Rechtsmittelhinweise und Musterschreiben, die den "politisch Aktiven" die Arbeit in den Bereichen Verwaltungs-, Versammlungs-, Wahlkampf-, Presse-, Strafprozessund "politisches" Strafrecht erleichtern soll. Der herrschenden Unwissenheit und Unsicherheit in juristischen Fragen soll entgegengetreten werden, um so "Kräfte, Energien und Gelder für die politische Auseinandersetzung im Volke" zu sparen und "rechtswidrige Maßnahmen" erfolgreich bekämpfen zu können. Das DRB agitiert insbesondere in den Bereichen der Meinungsund Versammlungsfreiheit. Thematische Schwerpunkte sind die Tatvorwürfe Volksverhetzung (SS 130 StGB) und verfassungswidrige Propagandamittel und Kennzeichen (SSSS 86, 86a StGB). Hierbei befasst sich das DRB insbesondere mit antisemitischen und fremdenfeindlichen sowie die NSDiktatur verherrlichenden Äußerungen und Handlungen. 188 Rechtsextremismus Anhand aktueller Rechtsprechung will das DRB darüber aufklären, welche Äußerungen gerade noch vom Grundrecht auf Meinungsfreiheit gedeckt sind und welche nicht. Über wichtige und neue Rechtsentwicklungen informiert das DRB in seinen seit 2005 erscheinenden "Monatsnachrichten". Hier agitierte das DRB schwerpunktmäßig gegen "Gesetzesverschärfungen" und eine "immer strenger werdende Rechtsprechung". Kritisiert wurde insbesondere die mehrfache "Verschärfung des SS 130 StGB". Die "hohe Anzahl der Strafverfahren wegen SSSS 86, 86a und 130 StGB" und die "Verhängung von Haftstrafen ohne Bewährung wegen bloßer Äußerungen" sei im Hinblick auf die Meinungsfreiheit "mehr als fragwürdig". In Deutschland herrsche ein die Meinungsfreiheit einschränkendes "Sonderrecht gegen Rechts". Neben ihrer Zusammenarbeit mit dem "Deutsche Stimme Verlag" ("Mäxchen Treuherz") unterhält PAHL auch sonst gute Beziehungen zur NPD. In den vergangenen Jahren trat sie mehrfach bei NPD-Veranstaltungen als Referentin auf. Eine enge Beziehung besteht auch zur "Gesellschaft für freie Publizistik" (GfP), die als Herausgeberin ihres Rechtsratgebers fungiert. Im Februar 2011 veröffentlichte die GfP auf ihrer Internetseite einen Aufsatz PAHLs zum Thema "'Kampf gegen Rechts' oder Wo bleibt die Meinungsfreiheit für politisch unkorrekte Deutsche?". Auch zur neonazistischen Szene hat PAHL intensive Kontakte, insbesondere zur "Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige e.V." (HNG), die am 21.09.2011 vom Bundesminister des Inneren verboten wurde. So hatte sich die HNG als mit dem DRB vernetzt erklärt, in der Publikation "Nachrichten der HNG" mehrere Beiträge des DRB veröffentlicht und für "Mäxchen Treuherz" geworben. PAHL prüft zudem Broschüren, Flugblätter und Musiktexte auf rechtliche Unbedenklichkeit und spricht ggf. Änderungsempfehlungen aus. Unter anderem erstellte sie ein Rechtsgutachten zur möglichen Strafbarkeit der 2010 erschienenen CD "Adolf Hitler lebt" der rechtsextremistischen Musikgruppe "Gigi & Die Braunen Stadtmusikanten" ( 7.). PAHLs Interesse gilt im Wesentlichen dem Schutz, der Unterstützung und der Zusammenarbeit politischer Aktivisten aus dem gesamten rechtsextremistischen Bereich. Auf deren Themen und strafrechtliche Probleme hat sie sich spezialisiert und versucht, diesen Personenkreis bei der politischen 189 Rechtsextremismus Arbeit zu unterstützen. Sie hält zwar grundsätzlich dazu an, Rechtsvorschriften zu beachten; die Verhaltensempfehlungen zielen jedoch häufig darauf ab, die Grenze des rechtlich - auch strafrechtlich - gerade noch Zulässigen auszuloten. Der Tenor ihres Ratgebers und die ausführlich zitierten "Negativbeispiele", die zu strafrechtlichen Konsequenzen geführt haben, lassen erkennen, dass PAHL die politischen Ansichten ihrer Klientel, die sich allein aus taktischen Gründen zurückhalten sollen, offenbar teilt. 190 Verfassungsschutz in Hamburg Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern (ausgenommen islamistische Bestrebungen) Linksextremismus Rechtsextremismus Scientology-Organisation Spionageabwehr Geheimund Sabotageschutz; Wirtschaftsschutz Anhang * Hamburgisches Verfassungsschutzgesetz * Abkürzungsverzeichnis * Stichwortverzeichnis Scientology-Organisation VI. Scientology-Organisation (SO) 1. Entwicklungen und Schwerpunkte im Überblick Nach einem entsprechenden Beschluss der Innenminister und -senatoren wird die "Scientology-Organisation" (SO) seit 1997 von den Verfassungsschutzbehörden beobachtet. Das OVG Münster bestätigte im Februar 2008 die Rechtmäßigkeit der Beobachtung. Die SO beteiligt sich nicht direkt am politischen Wettbewerb. Sie beabsichtigt vielmehr durch "Expansion" und Eroberung von "Schlüsselpositionen" eine Führungsrolle in der Gesellschaft einzunehmen: "Wir sind die einzigen Menschen und die einzigen Organisationen der Welt mit der Technologie und dem Bestreben, Kreuz der ScientologySituationen ins Reine zu bringen (...) wie zum Beispiel Organisation (...) die Verwirrung von zentralen Regierungen." (L. Ron Hubbard, Impact 126/2011) In der angestrebten scientologischen Ordnung wären zentrale demokratische Grundwerte außer Kraft gesetzt oder nur noch eingeschränkt vorhanden. Intern existiert bereits ein rigides Kontrollsystem, welches die Scientologen zu "gläsernen" Menschen macht. Mit psycho-sozialer Beeinflussung werden Abhängigkeit und Gefügigkeit unter den Mitgliedern erzeugt. Paramilitärisch organisierte Eliten sorgen für die Aufrechterhaltung der Strukturen und ein organisationseigener Geheimdienst soll die äußeren Widerstände aus dem Weg räumen. "Das Endprodukt ist nicht nur eine Ideale Org, sondern eine neue Zivilisation, die bereits am Entstehen ist." (Scientology News Ausgabe 50/2011) Die "neue Zivilisation" ist Ausdruck einer politischen Programmatik der SO. Das Vorhaben, in Deutschland (nach Berlin 2007) weitere Niederlassungen zu sogenannten "Idealen Orgs" (renoviert, erfolgreich und als Bausteine der scientologischen Zivilisation) zu eröffnen, scheiterte auch im Jahr 2011, obwohl dafür unter Scientologen seit langem eine intensive Werbung um feste Mitarbeiter (Staffs) stattfand und unnachgiebig zu 192 Scientology-Organisation erheblichen Spendenbeiträgen animiert worden war. Schließlich wurde im Januar 2012 in Hamburg die "Ideale Org" proklamiert. Bemerkenswerte Erfolge erzielte die Organisation europaweit nicht. Dies trug ihr in einem Schweizer Internetbeitrag vom Sommer 2011 die Einschätzung ein: "Scientology pfeift aus dem letzten Loch". In Deutschland stagnierte die Zahl der Angehörigen, und in Hamburg setzte sich der Rückgang der Mitgliederzahlen fort (Potenziale, 2.). Zu schaffen macht der Organisation auch, dass in den vergangen Jahren hochrangige Scientologen wegen verschiedener Querelen zwar den Führungskreis der SO in den USA verließen, jedoch überzeugte Scientologen blieben und seither versuchen, weltweit Abtrünnige unter dem Begriff "Independent Scientologists" zu organisieren. Damit stellt sich die Frage, ob sich neben der SO ein weiterer Scientology-Zusammenhang etablieren kann und ob von ihm vergleichbare Gefahren ausgehen werden. Die Zielsetzungen beider Bestrebungen dürften sich kaum unterscheiden; Scientologen aus beiden Lagern berufen sich auf Richtlinien des ScientologyGründers L. Ron Hubbard, die den Weg in eine totalitäre Gesellschaft weisen. Die SO will jedoch Rückschläge und Stagnation überwinden und blickt zweckoptimistisch voraus: "DENKEN SIE IN GROSSEM RAHMEN - DENKEN SIE ZUKUNFTSORIENTIERT Der Schauplatz: die Erde. Das Ziel: ein geklärter Planet. Die Spieler: jede Scientology Mission und Organisation weltweit." (Scientology News Ausgabe 50/2011) Ein geklärter Planet ("Clear Planet") wäre ein von der SO eroberter und durchgehend scientologisch reglementierter Planet. "Scientology-Beratung" in Hamburg Die SO trägt mit ihren Nebenorganisationen ein breites Angebot vor sich her, um sie als "Brücken zur Gesellschaft" zu nutzen. Zu ihren Expansionszielen gehören die Politik, der Bildungsbereich, soziale und wirtschaftliche Zusammenhänge. Aufgrund dieser Vielfalt existiert ein erheblicher Informationsund Beratungsbedarf. Daher bietet das LfV Hamburg Informationen, Beratung und Ausstiegshilfe im Zusammenhang mit Scientology an. (Siehe dazu Internetauftritt des LfV 193 Scientology-Organisation Hamburg unter Service: Informationen und Beratung über die ScientologyOrganisation.) Im Jahr 2011 wurden durch das LfV Hamburg 558 Anfragen von Behörden, Firmen, Bildungseinrichtungen und betroffenen Personen bearbeitet. Neben Telefonaten (60 %) und einigen persönlichen Treffen fand die Beratung zunehmend mittels elektronischer Kommunikation statt (knapp 40 %). Etwa die Hälfte der Ratsuchenden waren aus Hamburg, 10 % aus der näheren Umgebung und 30 % aus weiteren Teilen Deutschlands. 2. Potenziale "GEWINNE DURCH DIE TECHNOLOGIE (...) machen Sie den Unterdrücker ausfindig und schießen Sie. Ruhe herrscht. Tech ist in." (HCO-Richtlinienbrief vom 16.05.1965) Überzeugte Scientologen glauben an eine unfehlbare und erfolgreiche Technologie, die zwangsläufig zum Erfolg führt.. Um keine Zweifel aufkommen zu lassen, arbeitet das Management der SO mit überhöhten Mitgliederzahlen (angeblich 12.000 in Deutschland und 10 Millionen weltweit) und weiteren übertriebenen Erfolgsdarstellungen. Weil Scientologen sich nicht aus kritischen Quellen informieren dürfen, haben viele von ihnen ein Informationsdefizit, das die Organisation für interne propagandistische Zwecke ausnutzt. Gleichwohl kehren Scientologen immer wieder ihrer Organisation enttäuscht den Rücken, weil versprochene persönliche Erfolge (im SO-Jargon: Gewinne) ausbleiben und weil sie sich finanziell ausgenutzt und unter Druck gesetzt fühlen. Insbesondere die Beobachtung durch den Verfassungsschutz und öffentliche Kritik tragen dazu bei, dass die SO seit Jahren wenig neue Angehörige findet. Konkurrierend formierte sich verstärkt neben der wenig zeitgemäßen, äußerst formalen und strengen Struktur der SO eine vielschichtige scientologische Szene in sogenannten "Freien Zonen", "Rons's Org" und bei den "Independent Scientologists". In Hamburg (einschließlich eines breiten Einzugsbereichs aus umliegenden Ländern) hat sich der Mitgliederbestand weiter verringert. Es konnten nur noch knapp 600 Scientologen (2010: 650) festgestellt werden, die den zwei Hamburger Orgs zuzurechnen sind. Wenn die Hamburger Scientolo194 Scientology-Organisation gen seit einigen Jahren nicht so intensiv in den umliegenden Bundesländern, insbesondere in Schleswig Holstein, geworben hätten, wäre der Sinkflug deutlicher ausgefallen. Somit hat die SO im Ergebnis in Hamburg seit dem Beginn der Beobachtung durch den Verfassungsschutz (1997) rund 40 % ihres Mitgliederbestands verloren. Bundesweit liegt die Zahl der Scientologen mittlerweile bei rund 4.500. Weltweit gehören der SO nach Auffassung der Verfassungsschutzbehörden rund 100.000 Mitglieder an. 3. Politisch motivierte Kriminalität (PMK) Scientologisch motivierte Strafund Gewalttaten wurden im Jahr 2011 in Hamburg nicht festgestellt. Dagegen kam es erneut, wie schon in den Vorjahren, zu Sachbeschädigungen durch Scientology-Gegner an und vor dem Gebäude der "Scientology Kirche Hamburg e.V." an der Domstraße. 4. Strukturen und Organisationseinheiten "...und wir werden sowohl Expansion als auch allergrößten Einfluss in der Gesellschaft erlangen." (HCO-Führungsbrief vom 18.03.1965) Die SO gleicht einem weltweit tätigen Konzern mit einer nachhaltigen finanziellen Gewinnerzielungsabsicht durch rigorose Abschöpfung der Mitglieder. Zum Zweck der Expansion zielt die SO auf alle gesellschaftlichen und auf politische Bereiche. Sie will sich mit ihrer scientologischen Ideologie bzw. Technologie in der Gesellschaft ausbreiten. "Opinion Leader (OL)" sollen vorzugsweise umworben werden. Zu diesen Zwecken wird die Organisation streng hierarchisch und totalitär geführt. Durch die Vielzahl der Nebenorganisationen ist das gesamte Organisationsgeflecht allerdings kompliziert und unübersichtlich. (Näheres zu den internationalen Organisationseinheiten: Internetauftritt des LfV Hamburg, Arbeitsfeld Scientology-Organisation, Strukturen und Organisationseinheiten) David Miscavige führt das internationale Management in Los Angeles, zu dem das "Religious Technology Center" (RTC) gehört. Es besitzt die Urheberrechte an den Schriften des Scientology-Gründers L. Ron Hubbard und 195 Scientology-Organisation übt damit die Kontrolle über die scientologische Ideologie aus. Die Befehlsund Aufsichtsstrukturen reichen von dort über die kontinentalen (für Europa in Kopenhagen) Niederlassungen bis hin zu den regionalen Einrichtungen in den einzelnen Ländern. Dieser Hierarchie stehen zwei wichtige Organisationseinheiten zur Seite: Die "International Association of Scientologists" (IAS) treibt Geld durch Spenden und Mitgliedsbeiträge ein und finanziert Kampagnen aus ihrer "Kriegskasse", die "Sea Organization" (Sea Org), eine paramilitärische, uniformierte Elite-Einheit der SO, besetzt weltweit Führungspositionen. Sie betreibt die berüchtigten "Rehabilitation Project Forces" (RPF), die Straflagern gleichen und in denen kritische oder ungehorsame Scientologen wieder "auf Linie" gebracht werden. (Siehe dazu die RPF-Broschüre im Internetauftritt des LfV Hamburg unter Publikationen / Weitere Publikationen.) Auch weitere Organisationseinheiten verfügen über regionale Niederlassungen und werben in der Öffentlichkeit. Einige geben sich karitativ, und nicht alle bekennen sich offen zu ihrer Scientology-Zugehörigkeit: Scientology Kirchen und Dianetik-Zentren sind Ausgangspunkte für regionale Aktivitäten. Zur "Association of Better Living and Education" (ABLE) gehören "Applied Scholastics" (ApS) für den Bildungsbereich, "Narconon" für Drogenentzug und "Criminon" für Resozialisierung. "Ehrenamtliche Geistliche", international "Volunteer Ministers" (VM) genannt, nutzen Hilfseinsätze in Katastrophengebieten zu Propagandazwecken. Sie treten auffällig gelbfarben gekleidet auf. Primäre Aufgaben der "The Way to Happiness Foundation" sind die Organisation "Ehrenamtliche Geistliche" in Amerika von Kampagnen und die Herstellung von Broschüren unter den Titeln "Der Weg zum Glücklichsein" und "Operation: Ein friedvoller Planet". (Internetbeitrag des LfV Hamburg: "Vorsicht! Verdeckte Werbung für die SO. Das Heft: 'Der Weg zum Glücklichsein'", 12.11.2007) Die "Kommission für Verstöße der Psychiatrie" (KVPM), international "Citizens Commissions on Human Rights" (CCHR), hetzt gegen die Psychiatrie und betreibt Ausstellungen mit dem Tenor "Psychiatrie: Tod statt Hilfe". 196 Scientology-Organisation (Internetbeiträge des LfV Hamburg: "Hasskampagne: Ausstellung der Scientology-Organisation in Hamburg-Hohenfelde", 25.09.2009 und "Neue Tatort-Kommissarin unterstützt radikale Untergruppierung der ScientologyOrganisation", 15.02.2011) Mit "Youth for Human Rights", der "Jugend für Menschenrechte" und "United for Human Rights" werden vorwiegend Jugendliche angesprochen, ebenso wie mit den in türkisfarbenen T-Shirts auftretenden Angehörigen des Vereins "Sag Nein zu Drogen - Sag Ja zum Leben". Die "International Hubbard Ecclesiastical League of Pastors" (I HELP) betreut Dianetik-Beratungsgruppen und "Feldauditoren", die in ihrem Lebensumfeld nach Personen suchen, um sie für Scientology zu werben. Wirtschaftlich tätige Scientologen haben die Möglichkeit, sich im "World Institute of Scientology Enterprises" (WISE) zu organisieren. 5. Strukturen in Hamburg Die "Scientology Kirche Hamburg e.V." am Domplatz in der Innenstadt, auch "Hamburger Org" genannt, ist die zentrale Anlaufstelle für Scientologen aus Hamburg und der Umgebung, insbesondere aus Schleswig-Holstein. Neben internen Kursen, Schulungen, Events, Spendensammlungen, Auditing, Reinigungsprozeduren mit hochdosierten Vitamingaben und Ethikverfahren ("Unser Bestrafungsfaktor ist unser Ethiksystem...") wendet sich die Hamburger Org nach außen mit Werbung für Scientology und Dianetik auf den Straßen der Stadt, in Norddeutschland und im Internet. (Internetbeitrag des LfV Hamburg: "Vorsicht Dianetik! Scientology Kirchen werben mit neuem Seminar!", 13.08.2009) Um möglichst viele Themen abzudecken, mit denen sie auf gesellschaftliches Interesse stoßen könnten, sind Angehörige der "Org" in verschiedenen Gruppen aktiv: 197 Scientology-Organisation * Im "World Institute of Scientology Enterprises" (WISE) sind viele der rund 40 bis 50 scientologisch geführten Betriebe bzw. deren Inhaber und Mitarbeiter Mitglieder. Für Organisationsund Schlichtungszwecke gibt es ein WISE-Charterkomitee in Hamburg sowie weitere interne Netzwerke. * Als "Jugend für Menschenrechte" treten in Hamburg vorwiegend junge Scientologen auf, um Gleichaltrige mit diesem Thema anzusprechen. * Unter dem Tenor "Sag Nein zu Drogen - Sag Ja zum Leben" werden zahlreiche Informationsstände betrieben und Broschüren über die Schädlichkeit von Drogen verteilt. Mit diesem Thema lässt sich das Interesse von Passanten gewinnen. * An Dianetik-Ständen werden Scientology-Bücher sowie Stresstests und Auditingproben mit einem E-Meter angeboten. (Internetbeitrag des LfV Hamburg: "Vorsicht Scientology-Werbung!", 20.05.2010) * Die "Kommission für Verstöße der Psychiatrie gegen Menschenrechte" (KVPM) verfügt in Hamburg über eine kleine Ortsgruppe, deren Aktivitäten zurückgingen. * Der Verein "Criminon Deutschland e.V." bemüht sich um die Resozialisierung von Strafgefangenen und hat seinen Sitz in Barsbüttel. Dort engagieren sich Hamburger und Schleswig-Holsteiner Scientologen. * Eine "Narconon"-Niederlassung (für Drogenentzug) gibt es in Hamburg nicht. Aber einzelne Scientologen arbeiten auch hier an der Bildung von Narconon-Strukturen. * In "Applied Scholastics" (ApS), dem internationalen scientologischen Bildungsbereich, sind nur wenige Hamburger Scientologen organisiert, von denen einige Nachhilfeunterricht anbieten. * Das "Departement of Special Affairs" (DSA) ist ein regionaler Ableger des sogenannten scientologischen Geheimdienstes "Office of Special Affairs" (OSA). (Siehe dazu auch Aktivitäten, 6., und die Broschüre "Der Geheimdienst der Scientology-Organisation" im Internetauftritt des LfV Hamburg unter Publikationen / Weitere Publikationen.) 6. Aktivitäten In der "Scientology Kirche Hamburg e.V.", der Hamburger Org an der Domstraße, wurde unermüdlich an der vorgeschriebenen Expansion gearbeitet. Die Scientologen schwärmten von dort emsig in die Stadtteile aus, 198 Scientology-Organisation verteilten Flugzettel, Broschüren, errichteten viele Informationsstände und begaben sich dazu auch regelmäßig in umliegende Bundesländer. In Schleswig-Holstein fanden sie sich zu Hauptsaisonzeiten häufig mit DianetikInformationsständen in Ostseebädern ein, wie beispielsweise am Pfingstsonntag (12.06.2011) in Heiligenhafen, Präsident: Gerd CHRISTOFFEL um dort im Hafengebiet Einwohner, Vize-Präsidentin und Urlauber und Segler zugleich zu umwerleitende Direktorin ben. der Hamburger Org: Pia MICHEL Ziele, Zuständigkeitsbereiche und Pressesprecher: Frank BUSCH Ansporn vermittelte die Leitende Direktorin Pia MICHEL der Hamburger Org im internen Magazin der "Scientology Kirche Hamburg e.V.": "Das Klären der Menschen Hamburgs und Norddeutschlands ist eine gewaltige Aufgabe." (Neue Zivilisation Ausgabe 196 / 2011) "Klären" kommt von dem Scientology-Begriff "Clear" (ein fortgeschrittener Scientologe) und bedeutet in diesem Zusammenhang ein Scientologisieren der Menschen und damit auch von Gebieten, zum Beispiel "Clear Germany". Es gibt im Vergleich zu früheren Jahren Anzeichen dafür, dass der SO engagierte und qualifizierte Mitarbeiter fehlen. So bleiben in der Hamburger Org Führungsaufgaben und Mitwirkungen in wichtigen hauptamtlichen Bereichen an immer weniger Mitarbeitern hängen. Seit vier Jahren strebte die Hamburger Org an, eine sogenannte "Ideale Org" zu Eröffnungsfeier der "Idealen Org" in Hamburg am 21.01.2012 werden. Eine "Ideale Org" wird als perfekte Niederlassung angesehen: Hübsch renoviert, mit vielen erfolgreichen Mitarbeitern, sehr produktiv und mit umfassender "Public-RelationsGebietskontrolle".Trotz jahrelanger Spendensammlungen unter Scientologen wurde das Ziel, am 13.03.2011 zum 100. Geburtstag des ScientologyGründers L. Ron Hubbard (1911-1986) eine "Ideale Org" zu verwirklichen, nicht erreicht. Zu einer Eröffnung der "Idealen Org" kam es erst am 21.01.2012. (Internetbeitrag des LfV Hamburg "Nach mühsamer Renovie199 Scientology-Organisation rung feierten die Scientologen sich und ihre modernisierte Zentrale am Domplatz") Neben der "Scientology-Kirche Hamburg e.V." gibt es in Hamburg noch die "Scientology Gemeinde Nord e.V." und die "Kirche Eppendorf e.V.". Die "Scientology Gemeinde Nord e.V." blieb weiter inaktiv. In der "Scientology Kirche Eppendorf e.V.", der "Eppendorfer Org", die nach vielen Umzügen abgelegen an der Spaldingstraße landete, fand sich häufig nur noch eine Handvoll Scientologen ein. Auffallend war im Jahr 2011 eine Zunahme der Verteilung von SO-Werbung (Flyer und Broschüren) in der Stadt. Von der "KVPM-Ortsgruppe" und der Gruppe "Jugend für Menschenrechte" gingen dagegen weniger Aktivitäten aus. Erfolgreich in der Ansprache von Passanten war die Antidrogengruppe "Sag Nein zu Drogen - Sag Ja zum Leben", die regelmäßig in verschiedenen Stadtteilen ihre Informationsstände aufstellte und themenbezogene Broschüren verteilte. Nach wie vor ist die Hamburger Scientology-Szene deutlich überaltert. Es mangelt an Nachwuchs. Der einzige Bereich, der keine rückläufigen Mitgliederzahlen aufweist, ist der Wirtschaftsbereich WISE. Dort lassen sich eher erfolgreiche Scientologen finden, als in anderen SO-Strukturen. Die WISE-Angehörigen genießen daher viel Ansehen in der Organisation, müssen allerdings auch viel für die SO leisten und Verantwortung übernehmen. Neben verschiedenen Führungszirkeln, wie der "Org"-Leitung, dem Charter-Komitee, den Ethik-Offizieren (eine interne Aufsicht für Verfehlungen und Strafverfahren), einem OT-Komitee (OT = Operierender Thetan, eine hohe Bewusstseinsstufe in der SO mit angeblich besonderen Fähigkeiten) ist das "Departement of Special Affairs" (DSA), der örtliche Ableger des sogenannten scientologischen Geheimdienstes "Office of Special Affairs" (OSA), eine wichtige Instanz. Von dort werden fast alle Gruppen, die für 200 Scientology-Organisation Scientology werben, angeleitet und beaufsichtigt. Das DSA ist ebenso für Rechtsstreitigkeiten und Öffentlichkeitsarbeit zuständig. "Die Unterabteilung für Spezielle Angelegenheiten übernimmt schließlich auch Verantwortung, um die nicht-optimalen Situationen in der Gesellschaft zu handhaben ..." (aus der Broschüre "Zusammenfassung der Abteilungen", 1991 CSI) Neben "Public Relation" arbeitet diese spezielle Abteilung auch daran, Expansionshindernisse aus dem Weg zu räumen. Das geschieht mittels Observationen und Ausforschungen von Kritikern, der Organisation von Demonstrationen und Kundgebungen sowie mit Versuchen, durch eine Art Lobbyarbeit wichtige Personen in Wirtschaft und Politik zu beeinflussen. Das DSA beobachtete auch argwöhnisch ein Treffen reformbestrebter "IndepenMarty Ruthbun dent Scientologists" Anfang September 2011 in Hamburg. Unter diesen Abtrünnigen war ein selbsternannter "Martin Luther" (Marty Ruthbun), der in einem Interview, mit seiner Scientology-Ideologie konfrontiert, sagte: "Ich bin für L. Ron Hubbard! Ich werde ihn verteidigen bis zum Tod!" (Frankfurter Rundschau online, 11.10.2011) Im Jahr 2008 beschloss das internationale SO-Management für eine "globale Verbreitung" den "Vorstoß in den Cyberspace". Die SO hat ihr Internetangebot aus internationalen und regionalen Bereichen seither konstant ausgebaut. Nicht alles davon lässt sich sofort als Scientology-Angebot erkennen. Es kommt daher zu Online-Kontakten von Interessierten und auf diesen Wegen zum Transport scientologischer Inhalte und auch vereinzelt zur Gewinnung neuer Mitglieder. Einige Scientologen organisieren sich als sogenannte "Feldauditoren". Das sind Einzelpersonen oder kleine Gruppen, die von "I HELP" unterstützt werden und eher unauffällig in ihrem Umfeld nach möglichen neuen Mitgliedern Ausschau halten, sie werben und anschließend nachhaltig scientologisch prägen: "Dies ist eine weit in die Gesellschaft hineinreichende 201 Scientology-Organisation Tätigkeit, die damit eine wichtige Rolle in der Verbreitung der Scientology darstellt." (L. Ron Hubbard: "Was ist Scientology?", 1993) Beratung Wenn Sie Beratung oder weitere Informationen wünschen, wenden Sie sich gern unter dem Stichwort "Scientology" an den Hamburger Verfassungsschutz unter der Telefonnummer 040 / 244443 oder mailen Sie an poststelle@verfassungsschutz.hamburg.de. 202 Verfassungsschutz in Hamburg Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern (ausgenommen islamistische Bestrebungen) Linksextremismus Rechtsextremismus Scientology-Organisation Spionageabwehr Geheimund Sabotageschutz; Wirtschaftsschutz Anhang * Hamburgisches Verfassungsschutzgesetz * Abkürzungsverzeichnis * Stichwortverzeichnis Spionageabwehr VII. Spionageabwehr 1. Überblick Die Spionageabwehr sammelt Informationen über sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten ausländischer Regierungen und wertet diese aus. Ziel ist es, aktuelle Spionagefälle aufzuklären und die Methoden, Zielrichtungen und Strukturen in Deutschland aktiver Nachrichtendienste zu erkennen. Deutschland ist nach wie vor aufgrund seiner politischen und wirtschaftlichen Position ein bevorzugtes Aufklärungsziel der Nachrichtendienste sowohl aus der Russischen Föderation als auch aus dem nah-, mittelund fernöstlichen sowie dem nordafrikanischen Raum. Fremde Nachrichtendienste verfolgen in Deutschland vor allem folgende Aufklärungsziele: * Politik, * Militär, * Wirtschaft, * Wissenschaft und Forschung, * Ausforschung der Oppositionsgruppen. Dabei sind die Nachrichtendienste der Russischen Föderation insbesondere an den "klassischen" Aufklärungsbereichen Politik, Militär, Wirtschaft, Wissenschaft und Forschung interessiert; Nachrichtendienste aus Ländern des Nahen und Mittleren Osten stellen je nach aktueller politischer Interessenlage die Ausforschung und Unterwanderung ihrer jeweiligen Oppositionsgruppen in Deutschland in den Vordergrund. Darüber hinaus setzen mehrere Staaten ihre Nachrichtendienste zur verdeckten Beschaffung von Gütern und Informationen zu atomaren, biologischen und chemischen Vernichtungswaffen sowie zur Verbesserung ihrer Raketentechnologie (Proliferation) ein. Wirtschaftsmächte wie Russland und China benutzen ihre Nachrichtendienste zudem gezielt zur Wirtschaftsspionage, um sich kostenund zeit204 Spionageabwehr intensive Forschungen und Entwicklungen im Technologiebereich zu ersparen. Im Fokus der Spionageabwehr stehen auch die Aufklärung und Abwehr der Aufrüstungsversuche einzelner Länder (unter anderem Iran, Syrien, Nordkorea, Pakistan) mit atomaren, biologischen sowie chemischen Waffen. Hier galt die besondere Aufmerksamkeit wie in den Jahren zuvor dem Atomprogramm Irans. Die Absicht fremder Nachrichtendienste in Deutschland ist zumeist der Aufbau verdeckt operierender Informationsund Beschaffungsnetzwerke, in denen angeworbene Einzelpersonen agieren. Im Bereich der Wirtschaftsspionage und der Proliferation tarnen sie sich oft als legal am Geschäftsleben teilnehmende Unternehmen. 2. Proliferation und Wissenstransfer Die sogenannten "proliferationsrelevanten Staaten" (früher "Krisenländer") bemühen sich nach wie vor bei den Industrieländern um die Beschaffung von Produkten zur Herstellung atomarer, biologischer und chemischer Massenvernichtungswaffen (Proliferation) und der entsprechenden Trägerägergertechnologie (Raketentechnik). Angesichts seiner fortwährenden Bestrebungen zum Ausbau der Kapazitäten für die Urananreicherung und seiner kontinuierlichen Weigerung einer aktiven Zusammenarbeit mit den entsprechenden Aufsichtsbehörden ["Internationale Atomenergie-Organisation" (IAEO)] gilt der Iran weiterhin als das in dieser Hinsicht gefährlichste Land. Es besteht die Sorge, dass der Iran in den nächsten Jahren in der Lage sein wird, Atomwaffen herzustellen. 205 Spionageabwehr Als weitere Länder mit proliferationsrelevanten Aktivitäten gelten Syrien, Pakistan und Nordkorea. Diese Staaten sind aufgrund ihrer unzureichenden technologischen Infrastruktur in hohem Maße darauf angewiesen, entsprechende Produkte und das erforderliche Wissen aus den hierfür in Frage kommenden Lieferländern zu beziehen. In diesem Zusammenhang steht insbesondere die Bundesrepublik Deutschland als Standort zahlreicher Unternehmen und Forschungseinrichtungen auf dem Gebiet der Risikotechnologien im Fokus der Beschaffungsversuche. Deutschland praktiziert ein restriktives Exportkontrollverfahren für proliferationsrelevante Güter; daher sind diese Staaten zur Umgehung der Ausfuhrbestimmungen auf eine intensive Einbindung ihrer Nachrichtendienste in die Aktivitäten der für den Einkauf zuständigen staatlichen Beschaffungsorganisationen angewiesen. Somit zählen sowohl die Beschaffung der benötigten Embargoprodukte als auch die gezielte Gewinnung militärischer, wirtschaftlicher und wissenschaftlicher Informationen, die zur Herstellung und Anwendung dieser Güter benötigt werden, zu den wichtigsten Aufgabenschwerpunkten der im Bundesgebiet tätigen Mitarbeiter der Nachrichtendienste dieser Staaten. Zur Verschleierung der Beschaffungsaktivitäten haben die proliferationsrelevanten Staaten zahlreiche Methoden entwickelt: * Beteiligung von Zwischenhändlern im eigenen Land oder in Drittländern, * Gründung von Tarnfirmen, * Umweglieferungen über Drittstaaten, * Fälschung bzw. Manipulation der Exportdokumente. Die Verfassungsschutzbehörden sind in hohem Maße auf die Mitwirkung aller potenziell gefährdeten Personen und Unternehmen angewiesen, um Proliferation wirksam zu bekämpfen und zu verhindern. In diesem Zusammenhang besitzen gerade solche Unternehmen eine besondere Verantwortung, die als Hersteller oder Lieferanten sensibler Güter mit einer Einsatzmöglichkeit im Bereich der Massenvernichtungswaffen in Frage kommen. Diese Firmen können sich im Falle eines Verdachts auf entsprechende Beschaffungsaktivitäten an das Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) Hamburg unter folgender Erreichbarkeit wenden: 206 Spionageabwehr Telefon: (040) 24 44 43 Fax: (040) 33 83 60 E-Mail: poststelle@verfassungsschutz.hamburg.de Das LfV Hamburg behandelt solche Hinweise vertraulich. Es unterliegt nicht der Pflicht der Strafverfolgung. Selbstverständlich sind die Hinweisgeber nicht zur Preisgabe ihrer Identität verpflichtet. Weitere Informationen zum Thema Proliferation gibt es unter der Internetadresse www.verfassungsschutz.de. 3. Wirtschaftsspionage Besonders die Erfahrungen deutscher Firmen und ihrer Repräsentanten in China zeigen, dass dieser Staat auf den verschiedensten Ebenen eine ausgetüftelte Strategie verfolgt, um möglichst zum Nulltarif modernstes Know-how zu erlangen. Immer mehr Unternehmen aus allen Branchen klagen - mittlerweile öffentlich - , dass man ihnen in China ihre Technologie "gestohlen" habe. Einen weiteren Schwerpunkt bilden die Aktivitäten der Russischen Föderation, die - bei aller Annäherung an den Westen - offenbar nicht auf die Möglichkeiten nachrichtendienstlicher Informationsbeschaffung verzichtet, wie die im Oktober 2011 erfolgte Enttarnung eines mutmaßlich russischen Agenten-Paares in Deutschland zeigte. Dabei eröffnen weltweite Informationsund Kommunikationsnetze der Spionage völlig neue Dimensionen. Fast täglich waren im Jahr 2011 Meldungen über die Verwundbarkeit dieser modernen Technik mit enorm schädlichen Folgen zu lesen: Wirtschaftsspionage mit "Trojanern", die Zunahme erkannter Schwachstellen in komplexen Softwaresystemen, globale Computervirus-Attacken, Sicherheitslücken bei der Internet-Telefonie, die Ausspähung von Passwörtern und PINs mit gefälschten E-Mails durch Spionagesoftware sowie die generelle Abhörmöglichkeit manipulierter Mobiltelefone und Telekommunikationsanlagen. Auch wenn der Ruf von Sicherheitsverantwortlichen in den Unternehmen nach mehr staatlicher Unterstützung nachzuvollziehen ist, sind die Unter207 Spionageabwehr nehmen jedoch nicht von der ihnen obliegenden Eigenvorsorge befreit, ihre Betriebsgeheimnisse wirkungsvoll zu schützen. Der Verfassungsschutz Hamburg wird die hamburgische Wirtschaft auch in Zukunft dabei unterstützen und die langjährige erfolgreiche Zusammenarbeit fortsetzen. 4. Ausforschung oppositioneller Gruppierungen Die nachrichtendienstlichen Aktivitäten beschränken sich nicht nur auf die klassische Spionage. Staaten wie China, die Russische Föderation, Iran, Syrien, Libyen, Algerien und Sudan richten ihr Interesse auch auf die eigenen Staatsangehörigen, die in Opposition zum politischen Regime ihres Heimatlandes stehen. Dabei ist das Ziel der Dienste die Ausforschung dieser Exilgruppen. Nachrichtendienste der Russischen Föderation sind an der Bekämpfung Oppositioneller und Terrorverdächtiger, zum Beispiel aus Tschetschenien interessiert. Chinesische Nachrichtendienste konzentrieren sich auf die Bekämpfung der sogenannten "5 Gifte". Hierzu zählt China sowohl die Unabhängigkeitsbestrebungen Taiwans, Tibets und der islamischen Uiguren als auch die 1999 verbotene buddhistisch-taoistische Falun-Gong-Bewegung und die Demokratiebewegung im Allgemeinen. So wurden Ende 2011 in München drei Chinesen vom Oberlandesgericht zu neun, elf und zwölf Monaten Haft auf Bewährung wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit verurteilt, weil sie Mitglieder der uigurischen Volkszugehörigkeit ausgeforscht hatten. Ein weiterer Chinese wurde im Juni 2011 wegen der Ausspähung der Falun-Gong-Gruppierung vom Oberlandesgericht Celle zu einer Geldstrafe verurteilt. Auch das Interesse der Nachrichtendienste aus Ländern des Nahen und Mittleren Ostens sowie Afrikas gilt den in Deutschland lebenden Oppositionellen, zum Beispiel islamistischen Gruppierungen, die als Bedrohung für das eigene Regime angesehen werden. Diese Nachrichtendienste versuchen, Hinweisgeber zu gewinnen und Informanten in Gruppierungen einzuschleusen, um Informationen über Mitglieder und geplante Aktionen zu erhalten - nicht selten wird massiver Druck auf die Betreffenden oder auf Familienangehörige im Heimatland ausgeübt. Insbesondere der irani208 Spionageabwehr sche Nachrichtendienst "VEVAK" konzentriert sich hierbei auf die Beobachtung und Beeinflussung der iranischen oppositionellen Gruppen. 2011 wurden in Deutschland auch nachrichtendienstliche Aktivitäten aus Syrien, Algerien, Saudi-Arabien und Sudan festgestellt. So verurteilte das Kammergericht Berlin im Januar 2011 einen libyschen Staatsangehörigen zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit, der als Führungsoffizier ein Netz informeller Mitarbeiter geleitet hatte. Zwei seiner Informanten wurden zu je einem Jahr und zehn Monaten sowie zu einem Jahr und zwei Monaten Haft verurteilt. Außerdem verurteilte das Oberlandesgericht Celle im April 2011 einen marokkanischen Staatsangehörigen, der für schuldig befunden wurde, dem marokkanischen Auslandsnachrichtendienst Informationen über in Deutschland lebende Oppositionelle beschafft zu haben, wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit zu einer Freiheitsstrafe von fünf Monaten. 5. Die Nachrichtendienste der Russischen Föderation Russland verfügt nach wie vor über einen der weltweit größten Sicherheitsapparate. Seine bedeutendsten Nachrichtendienste sind: * der zivile Inlandsdienst FSB (Federalnaja Sluschba Besopasnosti) * der zivile Auslandsnachrichtendienst SWR (Sluschba Wneschnej Raswedki) * der militärische Nachrichtendienst, die GRU (Glawnoje Raswedywatelnoje Uprawlenije) * der Schutzdienst FSO (Federalnaja Sluschba Ochrany) Der FSB und der Auslandsdienst SWR sind direkt dem russischen Präsidenten unterstellt. Mit etwa 350.000 MitWappen des FSB arbeitern (inklusive der Grenztruppen) hat der FSB als Inlandsnachrichtendienst die Aufgabenbereiche zivile und militärische Spionageabwehr, Beobachtung des politischen Extremismus und die Bekämpfung von Terrorismus und organisierter Kriminalität. Gelegentlich wirbt er 209 Spionageabwehr aber auch ausländische Reisende an und unterstützt so die anderen Dienste bei der Auslandsaufklärung. Der hierfür zuständige SWR verfügt über mehr als 13.000 Mitarbeiter. Er wirbt im Ausland - auch in Deutschland - Agenten an, um an besonders sensible Informationen zu gelangen. Die GRU untersteht mit ihren circa 12.000 Mitarbeitern dem Verteidigungsministerium. Ihr Auftrag in Deutschland ist vorrangig die Informationsbeschaffung aus den Bereichen Rüstung, Bundeswehr und westlichem Verteidigungsbündnis (NATO). Für die Sicherheit von Regierung und Präsident ist der Schutzdienst FSO zuständig. Er versieht Personenund Objektschutz; nach Weisung des Präsidenten sind aber auch nachrichtendienstliche Aktivitäten zur Abwehr oder Aufklärung möglich. Der Dienst hat etwa 40.000 Mitarbeiter. Die Nachrichtendienste Russlands sehen Deutschland nach wie vor als wichtiges Zielland an. Dies wird durch den hohen Anteil ihrer Mitarbeiter am Gesamtpersonal der russischen Auslandsvertretungen deutlich. Unter diplomatischer oder journalistischer Tarnung versuchen sie, Informationen aus allen klassischen Spionagebereichen zu erhalten. Ihre Hauptaufgaben sind die Werbung von Informanten, die Sammlung offener Informationen, der Einsatz illegaler "Kundschafter" und die Bekämpfung von Oppositionellen und Terrorverdächtigen, zum Beispiel aus Tschetschenien. Hierbei verfügen die personell gut ausgestatteten Nachrichtendienste Russlands über erheblichen politischen Rückhalt. Die russische Staatsführung erwartet von ihnen einen maßgeblichen Beitrag zur Verbesserung der gesamtwirtschaftlichen Situation. Der Auftrag zur Beschaffung wirtschaftlicher und wissenschaftlicher Daten ist für die Nachrichtendienste gesetzlich verankert und spiegelt sich trotz guter politischer Beziehungen zwischen Russland und Deutschland in verschiedenen geheimdienstlichen Aktivitäten wider. Dabei hat sich die Vorgehensweise der russischen Nachrichtendienste in den vergangenen Jahren gewandelt: Im Unterschied zu den früheren, häufig aggressiven Vorgehensweisen spielt bei der Informationsbeschaffung die offene Gesprächsabschöpfung die bedeutsamste Rolle. Insbesondere aus den sogenannten Legalresidenturen heraus, den Auslandsvertretun210 Spionageabwehr gen der Nachrichtendienste in Botschaften, Konsulaten oder Handelsvertretungen, werden Erfolge bei der Informationsbeschaffung erreicht. Die Aufklärungsziele richten sich nach dem aktuellen Informationsbedürfnis der russischen Staatsführung. Das besondere Interesse der russischen Nachrichtendienste gilt regelmäßig der deutschen Politik - hier vor allem der Energieund Geldpolitik sowie der deutschen Interessen in der Europäischen Union und der NATO. Weitere Aufklärungsziele sind die Beschaffung von Informationen über Sicherheits-, Informationsund Kommunikationstechnik sowie technische Ausstattung und militärstrategische Fragen der Bundeswehr. Methoden der Informationsgewinnung sind unverändert die offene Beschaffung und die "konspirative Verbindung". Der Besuch von Messen, Vorträgen und Veranstaltungen aller Art eröffnet die Möglichkeit des Kontaktes zu interessanten Personen und der Abschöpfung von Informationen. Das aufgebaute Vertrauensverhältnis führt oft in eine "konspirative Verbindung", bei der Kontakte gegenüber anderen Personen verborgen werden. Ziel ist es, Personen zu gewinnen, die langfristig Informationen gegen Geld oder andere Vorteile liefern können. Wie sich 2010 in den USA und 2011 in Deutschland herausstellte, hat es offenbar über viele Jahre immer auch ein sogenanntes "Illegalenprogramm" (unter falscher Identität im Ausland lebende Agenten) gegeben: In der jüngeren Vergangenheit wurden hieraus Fälle des SWR bekannt; hierzu zählt die Enttarnung und Verhaftung des Illegalennetzwerkes um Anna CHAPMAN in den USA (die Verhaftung erfolgte im Juni 2010; derAustausch mit Russland im Juli 2010). Am 18.10.2011 wurde ein in Marburg und Balingen lebendes Ehepaar wegen des Verdachts der geheimdienstlichen Agententätigkeit verhaftet. Seit über 20 Jahren lebte das Ehepaar unter einer falschen Identität in Deutschland. Das Ermittlungsverfahren läuft noch. Diese beiden Fälle machen deutlich, dass Russland unabhängig von politischen Annäherungen durchgehend nachrichtendienstlich gegen den Westen aktiv ist. Die Spionage mittels unter falscher Identität in Deutschland lebender Agenten ist auf Jahrzehnte angelegt und wurde in Russland nicht durch einen Politikwechsel verändert. Die jetzt in Marburg enttarnte über 20-jährige Illegalen-Aktivität des Ehepaares wurde noch vor dem Amtsantritt 211 Spionageabwehr Michail Gorbatschows 1985 gestartet und trotz aller politischen und wirtschaftlichen Annäherungen zwischen Russland und Deutschland bis heute fortgesetzt. Aber auch die Aufklärung von oppositionellen Gruppierungen, insbesondere des Terrorismus verdächtigter Tschetschenen gehört zum Aufgabenfeld der russischen Nachrichtendienste. ( 4.) 6. Chinesische Nachrichtendienste Das chinesische Ministerium für Staatssicherheit (MSS) ist als ziviler Inlandsund Auslandsdienst der wichtigste Träger der nachrichtendienstlichen Aufklärung mit circa 800.000 Mitarbeitern. Der chinesischen Regierung ist klar, dass sie ihre ehrgeizigen wirtschaftlichen und politischen Ziele nur mit massivem Transfer von Spitzentechnologie aus den hochentwickelten Industriestaaten erreichen kann. Dazu bedient sich China weltweit auch seiner Nachrichtendienste und betreibt unter anderem in Deutschland eine immer intensivere nachrichtendienstliche Aufklärung. Hohes Interesse besteht an wissenschaftlichen, wirtschaftlichen, technischen und militärischen Informationen. Aber auch die anderen klassischen Aufklärungsbereiche wie die Außenund Sicherheitspolitik stehen im Zielspektrum der chinesischen Dienste. Die methodische Arbeitsweise der chinesischen Nachrichtendienste besteht bevorzugt in der offenen Informationsabschöpfung auf breiter Front. Bei der Informationsbeschaffung in Deutschland werden vorrangig sprachlich ausgebildete Chinesen eingesetzt, die im Rahmen ihrer offiziellen Tätigkeiten ätigkeiten tigkeiten Kontakte zu deutschen Dienststellen und Ministerien unterhalten oder Veranstaltungen besuchen, um mit den dortigen Zielgruppen Kontakte zu knüpfen. Hier wird eine Politik des langen Atems betrieben mit dem Bemühen, eine Freundschaftsbeziehung zu einzelnen deutschen Personen aufzubauen. Ein weiterer Quell der Informationen für die chinesischen Dienste stellen die in Deutschland ständig oder vorübergehend lebenden Chinesen dar, 212 Spionageabwehr die als hochqualifizierte Mitarbeiter bei großen deutschen Unternehmen, in wissenschaftlichen Instituten oder als Masteroder Promotionsstudenten tätig sind. Diese Personen werden von den diplomatischen Vertretungen oder anderen staatlichen Stellen Chinas unter Appell an das nationale Bewusstsein "zum Dienst am Vaterland" dazu angehalten, die erworbenen Kenntnisse China zur Verfügung zu stellen. Seit 2006 werden auch in erheblichem Maße elektronische Angriffe mit mutmaßlich chinesischem Ursprung gegen deutsche Regierungsstellen und Wirtschaftsunternehmen beobachtet. Die per E-Mail durchgeführten Angriffe versenden eine Schadsoftware, welche die infizierten Rechner sowohl ausspähen als auch verändern kann. Bei Reisen nach China müssen ausländische Besucher - insbesondere Geschäftsreisende - damit rechnen, dass sie in Hotels und Konferenzräumen umfassend überwacht werden. 213 Verfassungsschutz in Hamburg Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern (ausgenommen islamistische Bestrebungen) Linksextremismus Rechtsextremismus Scientology-Organisation Spionageabwehr Geheimund Sabotageschutz; Wirtschaftsschutz Anhang * Hamburgisches Verfassungsschutzgesetz * Abkürzungsverzeichnis * Stichwortverzeichnis Geheimund Sabotageschutz; Wirtschaftsschutz VIII. Geheimund Sabotageschutz; Wirtschaftsschutz 1. Allgemeines Im Bereich des Geheimschutzes ( 2.) obliegt es dem LfV Hamburg, durch personelle, technische und organisatorische Vorkehrungen bei Behörden und Einrichtungen geheimhaltungsbedürftige staatliche Informationen vor Ausforschung zu schützen. Solche amtlich geheim zu haltenden Angelegenheiten, sogenannte Verschlusssachen (VS), sind im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftige Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse. Dazu zählen insbesondere elektronische Speichermedien, Schriftverkehr, Transportwege, aber auch Räumlichkeiten. Sie werden nach ihrer Schutzbedürftigkeit entweder als "STRENG GEHEIM", "GEHEIM", "VS-VERTRAULICH" oder "VS - Nur für den Dienstgebrauch" klassifiziert. Entscheidend für die Einstufung ist der mögliche Schaden, wenn Unbefugte von diesen Informationen Kenntnis erhalten. Auch Wirtschaftsunternehmen arbeiten mit staatlichen Verschlusssachen, wenn geheimhaltungsbedürftige Staatsaufträge zum Beispiel im Bereich der Rüstungsindustrie vergeben werden. Zum Schutz der Verschlusssachen werden diese Unternehmen vom Hamburger Verfassungsschutz und dem Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWi) betreut und daher als "geheimschutzbetreut" bezeichnet. Im Zuge des personellen Sabotageschutzes ( 3.) führt der Verfassungsschutz präventive Personenüberprüfungen durch, um potenzielle Saboteure von sicherheitsempfindlichen Bereichen fernzuhalten. Einen neuen Schwerpunkt setzt das LfV Hamburg beim Schutz von ITSystemen und Kommunikationsstrukturen. ( 4.) 216 Geheimund Sabotageschutz; Wirtschaftsschutz Im Bereich des Wirtschaftsschutzes ( 5.) hält das LfV Hamburg ein umfassendes Informationsund Beratungsangebot vor. Anhand modular aufgebauter Vorträge zeigt es den Hamburger Unternehmen aktuelle Gefahren durch Wirtschaftsspionage sowie geeignete Schutzmöglichkeiten auf. 2. Geheimschutz Ziel des staatlichen Geheimschutzes ist es, geheimhaltungsbedürftige Informationen des Staates bestmöglich vor einer Preisgabe an Unbefugte zu sichern. Für solche Verschlusssachen ist deshalb ein optimaler Schutz zu gewährleisten. Der Umgang mit ihnen ist sowohl personenbezogen ( 2.1) als auch materiell ( 2.2) zu regeln. 2.1 Personeller Geheimschutz Der personelle Geheimschutz soll verhindern, dass Personen mit Sicherheitsrisiken Zugang zu Verschlusssachen erhalten. Zu diesem Zweck werden Sicherheitsüberprüfungen auf der Grundlage des Hamburgischen Sicherheitsüberprüfungsgesetzes durchgeführt (HmbSÜG, Internetseiten des LfV; Wir über uns / Gesetzliche Grundlagen). Sicherheitsüberprüfungen dienen der Feststellung, ob einer Person eine sicherheitsempfindliche Tätigkeit in einer öffentlichen Stelle oder einem Unternehmen übertragen werden kann. Ein Sicherheitsrisiko, das die Zuweisung einer solchen Tätigkeit aus Gründen des staatlichen Geheimschutzes verbietet, kann insbesondere bestehen bei Unzuverlässigkeit * wegen Straftaten oder Drogenund Alkoholmissbrauchs, * bei fehlender Verfassungstreue, etwa bei politisch-extremistischer Tätigkeit oder * bei besonderer Gefährdung durch Anbahnungsoder Werbungsversuche fremder Nachrichtendienste (zum Beispiel Erpressbarkeit). Zum Schutz der Grundrechte der Betroffenen wurde im Sicherheitsüberprüfungsrecht kein Zwang zur Sicherheitsüberprüfung festgelegt. Der Eingriff in das informationelle Selbstbestimmungsrecht erfolgt nur mit Zustimmung der Betroffenen. Auch beim Ehegatten oder Lebenspartner, der bei bestimmten Überprüfungsarten in die Sicherheitsüberprüfung einbezogen 217 Geheimund Sabotageschutz; Wirtschaftsschutz wird, ist die Zustimmung Voraussetzung. Falls die Sicherheitsüberprüfung verweigert wird, ist die Ausübung einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit allerdings nicht möglich. Je nach Art der sicherheitsempfindlichen Tätigkeit kommen unterschiedliche Überprüfungsverfahren zum Einsatz, deren Umfang von der reinen Datensatzsichtung bis zur Befragung von Referenzpersonen reicht. Das HmbSÜG enthält gegenüber den Sicherheitsüberprüfungsgesetzen des Bundes und anderer Länder einen erweiterten Aufgabenkatalog. Unabhängig vom tatsächlichen Umgang mit Verschlusssachen können auch Personen überprüft werden, die in einer Dienststelle tätig sind, welche aufgrund ihrer Aufgabenstellung oder ihrer besonderen Bedeutung zum Sicherheitsbereich erklärt wurde. Überprüft werden können auch Personen, die in zentralen sicherheitsempfindlichen öffentlichen Bereichen in Funktionen der Informationsund Kommunikationstechnik - zum Beispiel beim IT-Dienstleister Dataport - tätig sind. Mit der sogenannten verkürzten Sicherheitsüberprüfung bietet das HmbSÜG gegenüber anderen Sicherheitsüberprüfungsgesetzen eine weitere Besonderheit: Behörden dürfen den kurzzeitigen Zugang zu einem Sicherheitsbereich gewähren, ohne eine komplette - für diese kurzzeitige Tätigkeit unangemessene - Sicherheitsüberprüfung vornehmen zu müssen (zum Beispiel bei unaufschiebbaren Maßnahmen von Handwerkern). Im Jahr 2011 hat das LfV Hamburg 618 (2010: 860) Sicherheitsüberprüfunüfunfungen bearbeitet. 2.2 Materieller Geheimschutz Der materielle Geheimschutz umfasst technische und organisatorische Maßnahmen zum Schutz von Verschlusssachen und sicherheitsempfindlichen Räumen. Um Verschlusssachen im staatlichen Interesse vor dem Zugriff Unbefugter zu schützen, sind sie entsprechend ihrer Schutzbedürftigkeit zu behandeln und aufzubewahren. Bei der Planung und Durchführung technischer und organisatorischer Sicherungsmaßnahmen steht der Verfassungsschutz den öffentlichen Stellen der Freien und Hansestadt Hamburg beratend zur Seite. 218 Geheimund Sabotageschutz; Wirtschaftsschutz 3. Personeller Sabotageschutz Der vorbeugende personelle Sabotageschutz wurde in Reaktion auf die Terroranschläge vom 11. September 2001 erheblich erweitert. Ziel der im Rahmen des Sabotageschutzes durchgeführten Personenüberprüfungen ist es, potenzielle Saboteure von sicherheitsempfindlichen Bereichen fernzuhalten. So werden Personen, die in sicherheitsempfindlichen Bereichen des Hamburger Flughafens beschäftigt werden sollen, nach SS 7 des Gesetzes zur Neuregelung von Luftsicherungsaufgaben (Luftsicherheitsgesetz - LuftSiG) auf ihre Zuverlässigkeit hin überprüft. Im Jahr 2011 wurden 5.178 (2010: 8.671) Überprüfungen für den Bereich des Hamburger Flughafens vorgenommen. Auch die Sicherheitsmaßnahmen für Hafenanlagen sehen Personenüberprüfungen vor. Von den im Hafensicherheitsgesetz (HafenSG) definierten Zuverlässigkeitsüberprüfungen wurden im Jahr 2011 100 (2010: 74) vorgenommen. Das LfV Hamburg ist darüber hinaus an den Zuverlässigkeitsüberprüfungsüfungsfungsverfahren des Gesetzes über explosionsgefährliche Stoffe (Sprengstoffgesetz - SprengG) beteiligt. 2011 wurden 4 Auskunftsersuchen beantwortet (2010: 3). 4. Schutz von IT-Systemen und Kommunikationsstrukturen Trotz hoher Sicherheitsstandards sind die IT-Systeme und KommunikationsstruktuKommunikation Office Persönliches Blogs ren von öffentlichen Stellen zunehmend Wikis RSS elektronischen Angriffen ausgesetzt. Web2.0 Speicherkarten USB-Stick Diese Angriffe zielen auf das Ausforschen gespeicherter Daten, das Manipulieren IT-Sicherheit Smartphone iPhone bzw. Löschen von Daten oder auf den Audio Handy Video SMS MMS Ausfall von EDV-Systemen. Multimedia LfV Hamburg Dabei werden Angriffe mit Schadsoftware festgestellt, die unter hohem personellen und finanziellen Einsatz entwickelt worden sein muss. Urheber solcher Angriffe können Einzelper219 Geheimund Sabotageschutz; Wirtschaftsschutz sonen, politische oder kriminelle Vereinigungen oder auch fremde Staaten sein. Die intensive Befassung mit der steigenden Bedrohung staatlicher IT-Systeme und Kommunikationsstrukturen durch elektronische Angriffe bildet einen neuen Schwerpunkt in der Arbeit des hamburgischen Verfassungsschutzes. Die Erarbeitung von Schutzkonzepten und -maßnahmen hat dabei zentrale Bedeutung. 5. Wirtschaftsschutz Das LfV hat es sich zur Aufgabe gemacht, Hamburger Unternehmen für die Gefahren durch Wirtschaftsspionage zu sensibilisieren und mit einem umfangreichen Informationsund Beratungsangebot bei der Abwehr dieser Gefahren zu unterstützen. Um eine erhöhte Sensibilität und ein angemessenes Sicherheitsbewusstsein von Führungspersonen und Mitarbeitern zu erreichen, erfolgen Firmenbesuche, Informationsund Vortragsveranstaltungen, aktuelle Lageeinschätzungen sowie konkrete Verhaltensempfehlungen bei eingetretenen oder befürchteten Sicherheitsgefährdungen. Insbesondere der Schutz vor Ausspähung durch fremde Nachrichtendienste, ein sicherheitsbewusstes Verhalten auf Geschäftsreisen, der Know-how-Schutz und der Schutz kritischer Infrastrukturen sind Gegenstand häufiger Nachfragen. Von besonderem Interesse waren im Jahr 2011 die Themenbereiche IT-Sicherheit, mobile Kommunikation und der Umgang mit sozialen Netzwerken wie zum Beispiel Facebook, MySpace, Xing, werkennt-wen oder StudiVZ. Im Fokus steht bei letzterem der Schutz vor Datenoder Identitätsdiebstahl und vor "Social Engineering" (soziale Beeinflussung zur unerlaubten Erlangung von Informationen). Infolge der intensiven Zusammenarbeit mit der Hamburger Wirtschaft und ihren Vereinigungen und des dadurch gewachsenen Vertrauensverhältnisses geben die Unternehmen dem LfV Hamburg auch Hinweise zu sicherheitsrelevanten Vorkommnissen, zum Beispiel zu Auffälligkeiten auf Geschäftsreisen bei der Einund Ausreisekontrolle, im Hotel oder bei Geschäftsverhandlungen. 220 Geheimund Sabotageschutz; Wirtschaftsschutz Weitere Informationen finden Sie auf den Internetseiten des LfV Hamburg unter Arbeitsfeld Wirtschaftsschutz / Publikationen Wirtschaftsschutz. Im Jahr 2011 wurden die gemeinsamen Veranstaltungen mit dem BMWi zur Einweisung der neuen Sicherheitsbeauftragten geheimschutzbetreuter Unternehmen fortgeführt. Ebenso wurden Vorträge auf Foren und Tagungen von regionaler als auch überregionaler Bedeutung gehalten um das Interesse der Unternehmen für den Schutz vor Wirtschaftsspionage zu wecken. Beratung Unternehmen mit Beratungsbedarf können sich jederzeit mit dem Bereich "Wirtschaftsschutz" des LfV Hamburg unter der Telefonnummer (040) 24 44 43 in Verbindung setzen oder eine E-Mail an geheimschutz@verfassungsschutz.hamburg.de schreiben. 221 Verfassungsschutz in Hamburg Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern (ausgenommen islamistische Bestrebungen) Linksextremismus Rechtsextremismus Scientology-Organisation Spionageabwehr Geheimund Sabotageschutz; Wirtschaftsschutz Anhang * Hamburgisches Verfassungsschutzgesetz * Abkürzungsverzeichnis * Stichwortverzeichnis Anhang / Verfassungsschutzgesetz Hamburgisches Verfassungsschutzgesetz (HmbVerfSchG) vom 07.03.1995 zuletzt geändert durch Gesetz vom 30.05.2012 1. Abschnitt Aufgaben des Landesamtes für Verfassungsschutz SS1 Zweck des Verfassungsschutzes SS2 Zuständigkeit SS3 Zusammenarbeit SS4 Aufgaben des Landesamtes für Verfassungsschutz SS5 Begriffsbestimmungen SS6 Voraussetzung und Rahmen für die Tätigkeit des Landesamtes für Verfassungsschutz 2. Abschnitt Erheben und weitere Verarbeitung von Informationen SS7 Befugnisse des Landesamtes für Verfassungsschutz SS8 Erheben von Informationen mit nachrichtendienstlichen Mitteln SS9 Weitere Verarbeitung personenbezogener Daten SS 10 Verarbeitung von Daten Minderjähriger SS 11 Berichtigung, Sperrung und Löschung 3. Abschnitt Datenübermittlung SS 12 Übermittlung nicht personenbezogener Daten SS 13 Übermittlung personenbezogener Daten an inländische Nachrichtendienste SS 14 Übermittlung personenbezogener Daten an inländische öffentliche Stellen und Strafverfolgungsbehörden SS 15 Übermittlung personenbezogener Daten an Stationierungsstreitkräfte SS 16 Übermittlung personenbezogener Daten an ausländische öffentliche Stellen 224 Anhang / Verfassungsschutzgesetz SS 17 Übermittlung personenbezogener Daten an Stellen außerhalb des öffentlichen Bereichs SS 18 Übermittlung personenbezogener Daten an die Öffentlichkeit SS 19 Übermittlung personenbezogener Daten an das Landesamt für Verfassungsschutz SS 20 Registereinsicht durch das Landesamt für Verfassungsschutz SS 21 Übermittlungsverbote und -einschränkungen SS 22 Übermittlung personenbezogener Daten Minderjähriger 4. Abschnitt Auskunftserteilung SS 23 Auskunftserteilung 5. Abschnitt Parlamentarische Kontrolle des Verfassungsschutzes SS 24 Parlamentarischer Kontrollausschuss SS 25 Zusammensetzung und Pflichten des Ausschusses SS 26 Aufgaben des Ausschusses SS 27 Eingaben 225 Anhang / Verfassungsschutzgesetz 1. Abschnitt Aufgaben des Landesamtes für Verfassungsschutz SS1 Zweck des Verfassungsschutzes (1) Der Verfassungsschutz dient dem Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, des Bestandes und der Sicherheit des Bundes und der Länder. (2) Zu diesem Zweck tritt dieses Gesetz neben das Gesetz über die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes und über das Bundesamt für Verfassungsschutz (Bundesverfassungsschutzgesetz - BVerfSchG) vom 20. Dezember 1990 (Bundesgesetzblatt I Seiten 2954, 2970), zuletzt geändert am 5. Januar 2007 (BGBl. I S. 7). SS2 Zuständigkeit (1) 1 Der Verfassungsschutz wird innerhalb der zuständigen Behörde vom Landesamt für Verfassungsschutz wahrgenommen. 2 Das Landesamt für Verfassungsschutz ist ausschließlich hierfür zuständig. 3 Bei der Erfüllung seiner Aufgaben ist es an Gesetz und Recht gebunden (Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes). (2) 1 Das Landesamt für Verfassungsschutz darf einer polizeilichen Dienststelle nicht angegliedert werden. 2 Ihm stehen polizeiliche Befugnisse oder Weisungsbefugnisse gegenüber polizeilichen Dienststellen nicht zu; es darf die Polizei auch nicht im Wege der Amtshilfe um Maßnahmen ersuchen, zu denen es selbst nicht befugt ist. SS3 Zusammenarbeit (1) 1 Das Landesamt für Verfassungsschutz ist verpflichtet, mit Bund und Ländern in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes zusammenzuarbeiten. 2 Die Zusammenarbeit besteht auch in gegenseitiger Unterstützung und Hilfeleistung sowie in der Unterhaltung gemeinsamer Einrichtungen. 226 Anhang / Verfassungsschutzgesetz (2) 1 Verfassungsschutzbehörden anderer Länder dürfen im Geltungsbereich dieses Gesetzes nur im Einvernehmen mit dem Landesamt für Verfassungsschutz nach Maßgabe dieses Gesetzes und soweit eigenes Landesrecht dies zulässt, der Bund gemäß SS 5 Absatz 2 BVerfSchG nur im Benehmen mit dem Landesamt für Verfassungsschutz tätig werden. 2 Das Landesamt für Verfassungsschutz darf in den anderen Ländern tätig werden, soweit es die Rechtsvorschriften dieses Gesetzes und der anderen Länder zulassen. SS4 Aufgaben des Landesamtes für Verfassungsschutz (1) 1 Aufgabe des Landesamtes für Verfassungsschutz ist die Sammlung und Auswertung von Informationen, insbesondere von sachund personenbezogenen Auskünften, Nachrichten und Unterlagen, über 1. Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung von Mitgliedern der verfassungsmäßigen Organe des Bundes oder eines Landes zum Ziele haben, 2. sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten für eine fremde Macht in der Bundesrepublik Deutschland, 3. Bestrebungen in der Bundesrepublik Deutschland, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, 4. Bestrebungen im Geltungsbereich dieses Gesetzes, die gegen den Gedanken der Völkerverständigung (Artikel 9 Absatz 2 des Grundgesetzes), insbesondere gegen das friedliche Zusammenleben der Völker (Artikel 26 Absatz 1 des Grundgesetzes) gerichtet sind (SS 3 Absatz 1 BVerfSchG). 2 Das Landesamt für Verfassungsschutz hat insbesondere den Senat über Gefahren für die Schutzgüter des SS 1 zu informieren und die dafür zuständigen staatlichen Stellen in die Lage zu versetzen, Maßnahmen zu ihrer 227 Anhang / Verfassungsschutzgesetz Abwehr zu ergreifen. 3 Darüber hinaus unterrichtet das Landesamt für Verfassungsschutz mindestens einmal jährlich die Öffentlichkeit über Gefahren für die Schutzgüter des SS 1. (2) 1 Das Landesamt für Verfassungsschutz wirkt gemäß SS 3 Absatz 2 Satz 1 BVerfSchG mit 1. bei der Überprüfung von Personen, denen im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftige Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse anvertraut werden, die Zugang dazu erhalten sollen oder ihn sich dienstlich verschaffen können, 2. bei der Überprüfung von Personen, die an sicherheitsempfindlichen Stellen von lebensund verteidigungswichtigen Einrichtungen beschäftigt sind oder werden sollen, 3. bei technischen Sicherheitsmaßnahmen zum Schutz von im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftigen Tatsachen, Gegenständen und Erkenntnissen gegen die Kenntnisnahme durch Unbefugte. 2 Die Befugnisse des Landesamtes für Verfassungsschutz bei der Mitwirkung nach Satz 1 Nummern 1 und 2 sind im Hamburgischen Sicherheitsüberprüfungsgesetz (HmbSÜG) vom 25. Mai 1999, zuletzt geändert am 4. Dezember 2002 (HmbGVBl. S. 327, 330), geregelt. 3 Die Befugnisse des Landesamtes für Verfassungsschutz bei der Mitwirkung an Zuverlässigkeitsüberprüfungen zum Schutz vor Angriffen auf die Sicherheit des Hamburger Hafens sind im Hafensicherheitsgesetz vom 6. Oktober 2005 (HmbGVBl. S. 424) geregelt. SS5 Begriffsbestimmungen (1) 1 Im Sinne dieses Gesetzes sind: 1. Bestrebungen gegen den Bestand des Bundes oder eines Landes solche politisch motivierten zielund zweckgerichteten Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluss, der darauf gerichtet ist, die Freiheit des Bundes oder eines Landes von fremder Herrschaft aufzuheben, ihre staatliche Einheit zu beseitigen oder ein zu ihnen gehörendes Gebiet abzutrennen, 228 Anhang / Verfassungsschutzgesetz 2. Bestrebungen gegen die Sicherheit des Bundes oder eines Landes solche politisch motivierten zielund zweckgerichteten Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluss, der darauf gerichtet ist, den Bund, Länder oder deren Einrichtungen in ihrer Funktionsfähigkeit erheblich zu beeinträchtigen, 3. Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung solche politisch motivierten zielund zweckgerichteten Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluss, der darauf gerichtet ist, einen der in Absatz 2 genannten Verfassungsgrundsätze zu beseitigen oder außer Geltung zu setzen. 2 Für einen Personenzusammenschluss handelt, wer ihn in seinen Bestrebungen nachdrücklich unterstützt (SS 4 Absatz 1 Sätze 1 und 2 BVerfSchG). 3 Bestrebungen im Sinne dieses Gesetzes sind auch Verhaltensweisen gemäß Satz 1 von Einzelpersonen, die nicht in einem oder für einen Personenzusammenschluss handeln, wenn sie gegen Schutzgüter dieses Gesetzes mit Anwendung von Gewalt gerichtet sind oder diese sonst angreifen und bekämpfen. (2) Zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne diese Gesetzes zählen gemäß SS 4 Absatz 2 BVerfSchG 1. das Recht des Volkes, die Staatsgewalt in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung auszuüben und die Volksvertretung in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl zu wählen, 2. die Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung und die Bindung der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an Gesetz und Recht, 3. das Recht auf Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition, 4. die Verantwortlichkeit der Regierung gegenüber der Volksvertretung und ihre Ablösbarkeit, 5. die Unabhängigkeit der Gerichte, 229 Anhang / Verfassungsschutzgesetz 6. der Ausschluss jeder Gewaltund Willkürherrschaft und 7. die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte. SS6 Voraussetzung und Rahmen für die Tätigkeit des Landesamtes für Verfassungsschutz 1 Das Landesamt für Verfassungsschutz darf nur Maßnahmen ergreifen, wenn und soweit sie zur Erfüllung seiner Aufgaben erforderlich sind; dies gilt insbesondere für die Erhebung und weitere Verarbeitung personenbezogener Daten. 2 Von mehreren möglichen und geeigneten Maßnahmen hat es diejenige zu treffen, die den Einzelnen insbesondere in seinen Grundrechten und die Allgemeinheit voraussichtlich am wenigsten beeinträchtigt. 3 Eine geringere Beeinträchtigung ist in der Regel anzunehmen, wenn die Information aus allgemein zugänglichen Quellen oder durch eine behördliche Auskunft gewonnen werden kann. 4 Eine Maßnahme darf nicht zu einem Nachteil führen, der zu dem erstrebten Erfolg erkennbar außer Verhältnis steht. 5 Sie ist nur so lange zulässig, bis ihr Zweck erreicht ist oder sich zeigt, dass er nicht erreicht werden kann. 2. Abschnitt Erheben und weitere Verarbeitung von Informationen SS7 Befugnisse des Landesamtes für Verfassungsschutz (1) 1 Das Landesamt für Verfassungsschutz darf zur Erfüllung seiner Aufgaben Informationen erheben und weiter verarbeiten. 2 Es darf personenbezogene Daten auch für die Vorgangsverwaltung nutzen und verarbeiten. 3 Ist zum Zwecke der Datenerhebung die Übermittlung von personenbezogenen Daten unerlässlich, ist sie auf das unbedingt erforderliche Maß zu beschränken. 4 Schutzwürdige Interessen des Betroffenen dürfen nur in unvermeidbarem Umfang beeinträchtigt werden. (2) 1 Das Landesamt für Verfassungsschutz darf bei den hamburgischen Behörden und den der Aufsicht der Freien und Hansestadt Hamburg unterstehenden juristischen Personen des öffentlichen Rechts nur die Informationen einschließlich personenbezogener Daten erheben, die diesen Stel230 Anhang / Verfassungsschutzgesetz len im Rahmen ihrer Aufgabenerfüllung bereits vorliegen und die zur Erfüllung der Aufgaben des Verfassungsschutzes erforderlich sind. 2 Das Landesamt für Verfassungsschutz braucht die Ersuchen nicht zu begründen, soweit dies dem Schutz des Betroffenen dient oder eine Begründung den Zweck der Maßnahme gefährden würde. (3) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf im Einzelfall bei denjenigen, die geschäftsmäßig Postdienstleistungen oder Telemediendienste erbringen oder daran mitwirken, unentgeltlich Auskunft über Daten einholen, die für die Begründung, inhaltliche Ausgestaltung, Änderung oder Beendigung eines Vertragsverhältnisses über Postdienstleistungen oder Telemediendienste (Bestandsdaten) gespeichert worden sind, soweit dies zur Erfüllung seiner Aufgaben erforderlich ist. (4) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf im Einzelfall unentgeltlich Auskunft einholen bei 1. Luftfahrtunternehmen zu Namen und Anschriften des Kunden sowie zur Inanspruchnahme und den Umständen von Transportleistungen, insbesondere zum Zeitpunkt von Abfertigung und Abflug und zum Buchungsweg, 2. Kreditinstituten, Finanzdienstleistungsinstituten und Finanzunternehmen zu Konten, Konteninhabern und sonstigen Berechtigten sowie weiteren am Zahlungsverkehr Beteiligten und zu Geldbewegungen und Geldanlagen, insbesondere über Kontostand und Zahlungseinund -ausgänge, 3. denjenigen, die geschäftsmäßig Postdienstleistungen erbringen oder daran mitwirken, zu den Umständen des Postverkehrs, 4. denjenigen, die geschäftsmäßig Telekommunikationsdienste erbringen oder daran mitwirken, zu Verkehrsdaten nach SS 96 Absatz 1 Nummern 1 bis 4 des Telekommunikationsgesetzes vom 22. Juni 2004 (BGBl. I S. 1190), zuletzt geändert am 18. Februar 2007 (BGBl. I S. 106, 116), und sonstigen zum Aufbau und zur Aufrechterhaltung der Telekommunikation notwendigen Verkehrsdaten und 5. denjenigen, die geschäftsmäßig Telemediendienste erbringen oder daran mitwirken, zu 231 Anhang / Verfassungsschutzgesetz a) Merkmalen zur Identifikation des Nutzers eines Telemediendienstes, b) Angaben über Beginn und Ende sowie über den Umfang der jeweiligen Nutzung und c) Angaben über die vom Nutzer in Anspruch genommenen Telemediendienste, soweit dies zur Aufklärung von Bestrebungen oder Tätigkeiten erforderlich ist und tatsächliche Anhaltspunkte für schwerwiegende Gefahren für die in SS 4 Absatz 1 Satz 1 genannten Schutzgüter vorliegen. Im Falle des SS 4 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 gilt dies nur für Bestrebungen, die bezwecken oder auf Grund ihrer Wirkungsweise geeignet sind, 1. zu Hass oder Willkürmaßnahmen gegen Teile der Bevölkerung aufzustacheln oder deren Menschenwürde durch Beschimpfen, böswilliges Verächtlichmachen oder Verleumden anzugreifen und dadurch die Bereitschaft zur Anwendung von Gewalt zu fördern und den öffentlichen Frieden zu stören oder 2. Gewalt anzuwenden oder vorzubereiten, einschließlich dem Befürworten, Hervorrufen oder Unterstützen von Gewaltanwendung, auch durch Unterstützen von Vereinigungen, die Anschläge gegen Personen oder Sachen veranlassen, befürworten oder androhen. (5) Anordnungen nach Absatz 4 dürfen sich nur gegen Personen richten, bei denen 1. tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie die schwerwiegenden Gefahren nach Absatz 4 nachdrücklich fördern oder 2. auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist a) bei Auskünften nach Absatz 4 Satz 1 Nummern 1, 2 und 5, dass sie die Leistung für eine Person nach Nummer 1 in Anspruch nehmen oder b) bei Auskünften nach Absatz 4 Satz 1 Nummern 3 und 4, dass sie für eine Person nach Nummer 1 bestimmte oder von ihr herrührende Mitteilungen entgegennehmen oder weitergeben, oder im Falle des 232 Anhang / Verfassungsschutzgesetz Absatzes 4 Satz 1 Nummer 4, dass eine Person nach Nummer 1 ihren Anschluss benutzt. (6) 1 Die Zuständigkeit für Anordnungen nach Absatz 4 Satz 1 Nummer 1 ist in einer Dienstvorschrift zu regeln, die der Zustimmung des Präses oder bei seiner Verhinderung des Staatsrates der zuständigen Behörde bedarf. 2 Anordnungen nach Absatz 4 Satz 1 Nummern 2 bis 5 werden vom Leiter des Landesamtes für Verfassungsschutz oder seinem Vertreter schriftlich beantragt und begründet. 3 Im Falle der Auskunft nach Absatz 4 Satz 1 Nummer 2 kann der Antrag auch von einem Bediensteten des Landesamtes für Verfassungsschutz gestellt werden, der die Befähigung zum Richteramt hat. 4 Zuständig für Anordnungen nach Absatz 4 Satz 1 Nummern 2 bis 5 ist der Präses oder bei seiner Verhinderung der Staatsrat der zuständigen Behörde. 5 Die Anordnung einer Auskunft über künftig anfallende Daten ist auf höchstens drei Monate zu befristen. 6 Die Verlängerung dieser Anordnung um jeweils nicht mehr als drei Monate ist auf Antrag zulässig, soweit die Voraussetzungen der Anordnung fortbestehen. 7 Anordnungen nach Absatz 4 Satz 1 Nummern 1 und 2 hat das Landesamt für Verfassungsschutz dem Betroffenen mitzuteilen, sobald eine Gefährdung des Zweckes des Eingriffs ausgeschlossen werden kann. (7) 1 Über Anordnungen nach Absatz 4 Satz 1 Nummern 3 bis 5 unterrichtet die zuständige Behörde die G 10-Kommission nach SS 1 Absatz 1 des Gesetzes zur Ausführung des Artikel 10-Gesetzes vom 17. Januar 1969 (HmbGVBl. S. 5), zuletzt geändert am 17. Dezember 2002 (HmbGVBl. S. 332), vor deren Vollzug. 2 Bei Gefahr im Verzug kann der Präses oder bei seiner Verhinderung der Staatsrat der zuständigen Behörde den Vollzug der Entscheidung auch bereits vor der Unterrichtung der Kommission anordnen. 3 Die G 10-Kommission prüft von Amts wegen oder auf Grund von Beschwerden die Zulässigkeit und Notwendigkeit der Einholung von Auskünften. 4 SS 15 Absatz 5 des Artikel 10-Gesetzes vom 26. Juni 2001 (BGBl. I S. 1254, 2298), zuletzt geändert am 18. Februar 2007 (BGBl. I S. 106), ist mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden, dass die Kontrollbefugnis der Kommission sich auf die gesamte Erhebung, Verarbeitung und Nutzung der nach Absatz 4 Satz 1 Nummern 3 bis 5 erlangten personenbezogenen Daten erstreckt. 5 Entscheidungen über Auskünfte, die die G10-Kommission für unzulässig oder nicht notwendig erklärt, sind unverzüglich aufzuheben. 6 Die Daten unterliegen in diesem Falle einem absoluten Verwendungsverbot und sind unverzüglich zu löschen. 7 Für die Verarbeitung der nach Absatz 4 Satz 1 Nummern 3 bis 5 erhobenen Daten ist SS 4 233 Anhang / Verfassungsschutzgesetz des Artikel 10-Gesetzes entsprechend anzuwenden. 8 SS 12 Absätze 1 und 3 des Artikel 10-Gesetzes findet entsprechende Anwendung. (8) 1 Die nach Absatz 6 zuständige Behörde unterrichtet im Abstand von höchstens sechs Monaten den Kontrollausschuss gemäß SS 24 über die Durchführung der Maßnahmen nach den Absätzen 3 und 4; dabei ist insbesondere ein Überblick über Anlass, Umfang, Dauer, Ergebnis und Kosten der im Berichtszeitraum durchgeführten Maßnahmen zu geben. 2 Die nach Satz 1 zuständige Behörde erstattet ferner dem Parlamentarischen Kontrollgremium nach dem Kontrollgremiumgesetz vom 11. April 1978 (BGBl. I S. 453), zuletzt geändert am 26. Juni 2001 (BGBl. I S. 1254, 1260), jährlich sowie nach Ablauf von drei Jahren nach Inkrafttreten dieses Gesetzes zusammenfassend zum Zweck der Evaluierung einen Bericht über die Durchführung sowie Art, Umfang und Anordnungsgründe der Maßnahmen nach den Absätzen 3 bis 5; dabei sind die Grundsätze des SS 2 Absatz 4 des Gesetzes zur Ausführung des Artikel 10-Gesetzes und des SS 5 Absatz 1 des Kontrollgremiumgesetzes zu beachten. (9) 1 Anordnungen sind dem Verpflichteten insoweit schriftlich mitzuteilen, als dies erforderlich ist, um ihm die Erfüllung seiner Verpflichtung zu ermöglichen. 2 Anordnungen und übermittelte Daten dürfen dem Betroffenen oder Dritten vom Verpflichteten nicht mitgeteilt werden. (10) Das Grundrecht des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses (Artikel 10 des Grundgesetzes) wird nach Maßgabe des Absatzes 4 Satz 1 Nummern 3 bis 5 und der Absätze 5 bis 7 eingeschränkt. SS8 Erheben von Informationen mit nachrichtendienstlichen Mitteln (1) 1 Das Landesamt für Verfassungsschutz darf mit nachrichtendienstlichen Mitteln Informationen verdeckt erheben. 2 Der Einsatz von nachrichtendienstlichen Mitteln ist vorbehaltlich SS 6 nur zulässig, wenn 1. er sich gegen Organisationen, unorganisierte Gruppen, in ihnen oder einzeln tätige Personen richtet, bei denen tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht von Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 4 Absatz 1 bestehen, 234 Anhang / Verfassungsschutzgesetz 2. er sich gegen andere als die in Nummer 1 genannten Personen richtet, von denen auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass sie für den Betroffenen bestimmte oder von ihm herrührende Mitteilungen entgegennehmen oder weitergeben, um auf diese Weise Erkenntnisse über sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten für eine fremde Macht oder gewalttätige Bestrebungen und Tätigkeiten nach SS 4 Absatz 1 zu gewinnen, 3. auf diese Weise die zur Erforschung von Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 4 Absatz 1 erforderlichen Nachrichtenzugänge geschaffen werden können oder 4. dies zur Abschirmung der Mitarbeiter, Einrichtungen, Gegenstände und Nachrichtenzugänge des Landesamtes für Verfassungsschutz gegen sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten erforderlich ist. 3 Das Landesamt für Verfassungsschutz darf die so gewonnenen Informationen nur für die in Satz 2 genannten Zwecke verwenden. 4 Unterlagen, die für diese Zwecke nicht erforderlich sind, sind unverzüglich zu vernichten. 5 Die Vernichtung kann unterbleiben, wenn die Informationen von anderen schriftlichen Unterlagen, die zur Erfüllung der Aufgaben erforderlich sind, nicht oder nur mit unvertretbarem Aufwand getrennt werden können; in diesem Fall unterliegen sie einem Verwertungsverbot. (2) 1 Zulässige nachrichtendienstliche Mittel sind 1. verdeckt eingesetzte hauptamtliche Mitarbeiter des Landesamtes für Verfassungsschutz, 2. verdeckt eingesetzte Personen, die nicht in einem arbeitsvertraglichen oder öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zum Landesamt für Verfassungsschutz stehen, wie Vertrauensleute, Informanten, Gewährspersonen, 3. planmäßig angelegte Beobachtungen (Observationen), 4. Bildaufzeichnungen, 5. verdeckte Ermittlungen und Befragungen, 235 Anhang / Verfassungsschutzgesetz 6. verdecktes Mithören ohne Inanspruchnahme technischer Mittel, 7. verdecktes Mithören und Aufzeichnen des nicht öffentlich gesprochenen Wortes oder sonstiger Signale unter Einsatz technischer Mittel innerhalb und außerhalb von Wohnungen (Artikel 13 des Grundgesetzes), 8. Beobachten und Aufzeichnen des Funkverkehrs, soweit nicht der Postund Fernmeldeverkehr nach Maßgabe des Artikel 10-Gesetzes betroffen ist, 9. Aufbau und Gebrauch von Legenden, 10. Beschaffen, Erstellen und Verwenden von Tarnpapieren und Tarnkennzeichen, 11. Überwachen des Brief-, Postund Fernmeldeverkehrs nach Maßgabe des Artikel 10-Gesetzes sowie 12. weitere vergleichbare Methoden, Gegenstände und Instrumente zur heimlichen Informationsbeschaffung, insbesondere das sonstige Eindringen in technische Kommunikationsbeziehungen durch Bild-, Tonund Datenaufzeichnungen, um die nach Absatz 1 erforderlichen Informationen zu gewinnen. 2 Die nachrichtendienstlichen Mittel sind abschließend in einer Dienstvorschrift zu benennen, die auch die Zuständigkeit für die Anordnung solcher Informationserhebungen regelt. 3 Die Dienstvorschrift bedarf der Zustimmung des Präses der zuständigen Behörde. 4 Der oder dem Hamburgischen Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit ist Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. 5 Die Behörden der Freien und Hansestadt Hamburg sind verpflichtet, dem Landesamt für Verfassungsschutz Hilfe für Tarnungsmaßnahmen zu leisten. (3) 1 Der verdeckte Einsatz besonderer technischer Mittel zur Informationsgewinnung ist im Schutzbereich des Artikels 13 des Grundgesetzes innerhalb von Wohnungen in Abwesenheit einer für das Landesamt für Verfassungsschutz tätigen Person zur Abwehr dringender Gefahren für die Schutzgüter des SS 1 und unter Berücksichtigung des SS 6 nur zulässig, wenn die materiellen Voraussetzungen für einen Eingriff in das Brief-, Postoder 236 Anhang / Verfassungsschutzgesetz Fernmeldegeheimnis nach SS 1 Absatz 1 Nummer 1 und SS 3 Absatz 1 Satz 1 des Artikel 10-Gesetzes vorliegen und die Erforschung des Sachverhalts auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre. 2 Der verdeckte Einsatz besonderer technischer Mittel darf sich nur gegen den Verdächtigen richten. 3 Bei unmittelbar bevorstehender Gefahr darf der Einsatz sich auch gegen Personen richten, von denen aufgrund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass sie für die Verdächtigen bestimmte oder von ihnen herrührende Mitteilungen entgegennehmen oder weitergeben oder dass die Verdächtigen sich in ihrer Wohnung aufhalten. 4 In den Fällen des SS 53 Absatz 1 der Strafprozessordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 7. April 1987 (BGBl. I S. 1074, 1319), zuletzt geändert durch Artikel 6 des Gesetzes vom 11. Oktober 2002 (BGBl. I S. 3970), sind Maßnahmen nach den Sätzen 1 bis 3 nur zulässig, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass bei den zur Verweigerung des Zeugnisses Berechtigten die materiellen Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen. (4) 1 Die Anordnung des Einsatzes besonderer technischer Mittel nach Absatz 3 Satz 1 trifft der Richter. 2 Bei Gefahr im Verzug kann der Leiter des Landesamtes für Verfassungsschutz oder bei seiner Verhinderung sein Vertreter einen Einsatz nach Absatz 3 Satz 1 anordnen; die Tatsachen, die Gefahr im Verzug begründen, sind aktenkundig zu machen. 3 Eine richterliche Entscheidung ist unverzüglich nachzuholen. 4 Die Anordnungen sind auf längstens vier Wochen zu befristen; Verlängerungen um jeweils nicht mehr als vier weitere Wochen sind auf Antrag zulässig, soweit die Voraussetzungen der Anordnung fortbestehen. (5) 1 Die Anordnung des Einsatzes besonderer technischer Mittel nach Absatz 3 Satz 1 wird unter der Aufsicht eines Beschäftigten des Landesamtes für Verfassungsschutz vollzogen, der die Befähigung zum Richteramt hat. 2 Liegen die Voraussetzungen der Anordnung nicht mehr vor oder ist der verdeckte Einsatz technischer Mittel zur Informationsgewinnung nicht mehr erforderlich, ist die Maßnahme unverzüglich zu beenden. 3 Das Abhören und Aufzeichnen ist unverzüglich zu unterbrechen, soweit sich während der Überwachung Anhaltspunkte dafür ergeben, dass Äußerungen, die dem Kernbereich privater Lebensgestaltung zuzurechnen sind, erfasst werden. 4 Aufzeichnungen über solche Äußerungen sind unverzüglich zu löschen. 5 Erkenntnisse über solche Äußerungen dürfen nicht verwertet werden. 6 Die Tatsache der Erfassung der Daten und ihrer Löschung ist zu dokumentieren. 7 Ist eine Maßnahme unterbrochen worden, so darf sie fortgeführt werden, soweit auf Grund tatsächlicher Anhaltspunkte, ins237 Anhang / Verfassungsschutzgesetz besondere zu der Art der zu überwachenden Räumlichkeiten und dem Verhältnis der zu überwachenden Personen zueinander, anzunehmen ist, dass durch die Überwachung Äußerungen, die dem Kernbereich privater Lebensgestaltung zuzurechnen sind, nicht mehr erfasst werden. (6) 1 Erkenntnisse und Unterlagen, die durch Maßnahmen nach Absatz 3 Satz 1 gewonnen wurden, dürfen zur Verfolgung und Erforschung der dort genannten Bestrebungen oder Tätigkeiten sowie nach Maßgabe des SS 4 Absätze 4 bis 6 des Artikel 10-Gesetzes verwendet werden. 2 SS 14 Absatz 2 Satz 2 bleibt unberührt. 3 Für die Speicherung und Löschung der durch die Maßnahmen nach den Absätzen 3 und 7 erlangten personenbezogenen Daten sowie die Entscheidung über die nachträgliche Information der von Maßnahmen nach den Absätzen 3 und 7 Betroffenen gelten SS 4 Absatz 1 und SS 12 des Artikel 10-Gesetzes entsprechend. 4 Die Zusammenarbeitsverpflichtung nach SS 3 bleibt unberührt. (7) 1 Der verdeckte Einsatz besonderer technischer Mittel im Schutzbereich des Artikels 13 des Grundgesetzes innerhalb von Wohnungen ist auch dann zulässig, wenn Es ausschließlich zum Schutz der dort für den Verfassungsschutz tätigen Personen zur Abwehr von Gefahren für Leben, Gesundheit oder Freiheit unerlässlich ist und vom Leiter des Landesamtes für Verfassungsschutz oder bei seiner Verhinderung von seinem Vertreter angeordnet ist. 2 Eine anderweitige Verwertung der hierbei erlangten Kenntnisse zum Zweck der Strafverfolgung oder der Gefahrenabwehr ist nur zulässig, wenn zuvor die Rechtmäßigkeit der Maßnahme richterlich festgestellt ist; bei Gefahr im Verzug ist die richterliche Entscheidung unverzüglich nachzuholen. 3 Die Tatsachen, die Gefahr im Verzug begründen, sind aktenkundig zu machen. (8) 1 Zuständiges Gericht zur Entscheidung nach den Absätzen 3 und 7 ist das Amtsgericht Hamburg. 2 Für das Verfahren gelten die Vorschriften des Gesetzes über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit entsprechend. (9) Das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung (Artikel 13 des Grundgesetzes) wird nach Maßgabe der Absätze 3 und 7 eingeschränkt. (10) 1 Das Landesamt für Verfassungsschutz darf unter den Voraussetzungen des SS 7 Absatz 4 technische Mittel zur Ermittlung des Standortes eines aktiv geschalteten Mobilfunkendgerätes oder zur Ermittlung der Geräte238 Anhang / Verfassungsschutzgesetz oder Kartennummer einsetzen. 2 Die Maßnahme ist nur zulässig, wenn ohne Einsatz technischer Mittel nach Satz 1 die Ermittlung des Standortes oder die Ermittlung der Geräteoder Kartennummer aussichtslos oder wesentlich erschwert ist. 3 Sie darf sich nur gegen die in SS 7 Absatz 5 Nummer 1 und Nummer 2 Buchstabe b bezeichneten Personen richten. 4 Für die Verarbeitung der Daten ist SS 4 des Artikel 10-Gesetzes entsprechend anzuwenden. 5 Personenbezogene Daten eines Dritten dürfen anlässlich solcher Maßnahmen nur erhoben werden, wenn dies aus technischen Gründen zur Erreichung des Zwecks nach Satz 1 unvermeidbar ist. 6 Sie unterliegen einem absoluten Verwendungsverbot und sind nach Beendigung der Maßnahme unverzüglich zu löschen. 7 SS 7 Absätze 6 bis 8 gilt entsprechend. 8 Das Grundrecht des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses ( Artikel 10 des Grundgesetzes) wird insoweit eingeschränkt. (11) 1 Erhebungen nach den Absätzen 3 bis 8 und Eingriffe, die in Art und Schwere einer Beschränkung des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses gleichkommen, bedürfen der Zustimmung des Präses, bei dessen Verhinderung des Staatsrates der zuständigen Behörde. 2 Sie sind dem Betroffenen mitzuteilen, sobald eine Gefährdung des Zwecks der Maßnahme ausgeschlossen werden kann. 3 Lässt sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht abschließend beurteilen, ob diese Voraussetzung vorliegt, ist die Mitteilung vorzunehmen, sobald eine Gefährdung des Zwecks der Maßnahme ausgeschlossen werden kann. 4 Einer Mitteilung bedarf es nicht, wenn der Kontrollausschuss gemäß SS 24 einstimmig festgestellt hat, dass 1. diese Voraussetzung auch nach fünf Jahren nach Beendigung der Maßnahme noch nicht eingetreten ist, 2. diese Voraussetzung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch in Zukunft nicht eintreten wird und 3. die Voraussetzungen für eine Löschung sowohl bei der erhebenden Stelle als auch beim Empfänger vorliegen. SS9 Weitere Verarbeitung personenbezogener Daten (1) 1 Das Landesamt für Verfassungsschutz darf zur Erfüllung seiner Auf239 Anhang / Verfassungsschutzgesetz gaben personenbezogene Daten weiter verarbeiten, wenn 1. tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht bestehen, dass die betroffene Person an Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 4 Absatz 1 teilnimmt, und dies für die Beobachtung der Bestrebung oder Tätigkeit erforderlich ist, 2. dies für die Erforschung und Bewertung von Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 4 Absatz 1 erforderlich ist, 3. dies zur Schaffung oder Erhaltung nachrichtendienstlicher Zugänge über Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 4 Absatz 1 erforderlich ist, 4. eine Mitwirkung bei Sicherheitsüberprüfungen nach SS 2 Absatz 3 des Artikel 10-Gesetzes oder bei Zuverlässigkeitsüberprüfungen nach dem Hafensicherheitsgesetz oder eine Beteiligung bei Überprüfungen nach SS 7 des Luftsicherheitsgesetzes oder SS 12 b des Atomgesetzes erfolgt. 2 Das Recht der Nutzung und Verarbeitung personenbezogener Daten nach SS 7 Absatz 1 Satz 2 zur Vorgangsverwaltung bleibt unberührt. (2) 1 Das Landesamt für Verfassungsschutz hat die Speicherungsdauer auf das für seine Aufgabenerfüllung erforderliche Maß zu beschränken. 2 Bei der Einzelfallbearbeitung, im Übrigen jeweils spätestens vier Jahre beginnend ab der ersten Speicherung, prüft das Landesamt für Verfassungsschutz, ob die Speicherung der personenbezogenen Daten weiterhin erforderlich ist. (3) Gespeicherte personenbezogene Daten über Bestrebungen und Tätigkeiten nach SS 4 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, 3 oder 4 dürfen länger als zehn Jahre nach dem Zeitpunkt der letzten gespeicherten Information nur mit Zustimmung des Präses der zuständigen Behörde oder der von ihm besonders ermächtigten Bediensteten des Landesamtes für Verfassungsschutz gespeichert bleiben. (4) Das Landesamt für Verfassungsschutz ist befugt, gemäß SS 22 a BVerfSchG personenbezogene Daten in gemeinsamen Dateien mit den Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder und anderen Sicherheitsbehörden zu verarbeiten, soweit besondere bundesrechtliche Vor240 Anhang / Verfassungsschutzgesetz schriften oder landesrechtliche Vorschriften Anlass, Umfang und sonstige datenschutzrechtliche Anforderungen regeln. SS 10 Verarbeitung von Daten Minderjähriger (1) 1 Das Landesamt für Verfassungsschutz darf unter den Voraussetzungen des SS 9 Daten über Minderjährige in Sachakten und amtseigenen Dateien speichern und weiter verarbeiten. 2 Daten über Minderjährige vor Vollendung des 16. Lebensjahres dürfen nicht in gemeinsamen Dateien (SS 6 BVerfSchG), Daten Minderjähriger vor Vollendung des 14. Lebensjahres nicht in amtseigenen Dateien gespeichert werden. (2) Daten über Minderjährige in Dateien sind nach zwei Jahren auf die Erforderlichkeit der weiteren Speicherung zu überprüfen; spätestens nach fünf Jahren sind diese Daten zu löschen, es sei denn, dass nach Eintritt der Volljährigkeit weitere Erkenntnisse nach SS 4 Absatz 1 angefallen sind. SS 11 Berichtigung, Sperrung und Löschung (1) 1 Erweist sich eine Information nach ihrer Übermittlung als unrichtig oder unvollständig, hat die übermittelnde Stelle ihre Information unverzüglich gegenüber dem Empfänger zu berichtigen oder zu ergänzen, wenn durch die unrichtige oder unvollständige Übermittlung schutzwürdige Interessen des Betroffenen beeinträchtigt sein können. 2 Die Berichtigung erfolgt dadurch, dass die unrichtigen Angaben, soweit sie in Akten enthalten sind, entfernt werden und, soweit sie in Dateien gespeichert sind, gelöscht werden. 3 Hiervon kann abgesehen werden, wenn die Trennung von zu berichtigenden und richtigen Informationen nicht oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand möglich ist. (2) Personenbezogene Daten, die ausschließlich zu Zwecken der Datenschutzkontrolle oder der Datensicherung gespeichert werden, dürfen nur für diese Zwecke oder bei Verdacht des Datenmissbrauchs genutzt werden. (3) Im Übrigen gilt für die Berichtigung, Sperrung und Löschung SS 19 des 241 Anhang / Verfassungsschutzgesetz Hamburgischen Datenschutzgesetzes vom 5. Juli 1990 (Hamburgisches Gesetzund Verordnungsblatt Seiten 133, 165, 226), zuletzt geändert am 30. Januar 2001 (Hamburgisches Gesetzund Verordnungsblatt Seite 9). 3. Abschnitt Datenübermittlung SS 12 Übermittlung nicht personenbezogener Daten Das Landesamt für Verfassungsschutz kann die im Rahmen seiner gesetzlichen Aufgabenerfüllung erlangten Daten, die nicht personenbezogen sind, an andere Behörden und Stellen, insbesondere an die Polizei und die Staatsanwaltschaft, übermitteln, wenn sie für die Aufgabenerfüllung der Empfänger erforderlich sein können. SS 13 Übermittlung personenbezogener Daten an inländische Nachrichtendienste (1) Gemäß SS 5 Absatz 1 BVerfSchG übermittelt das Landesamt für Verfassungsschutz dem Bundesamt für Verfassungsschutz und den Verfassungsschutzbehörden der Länder alle personenbezogenen Daten, deren Kenntnis zur Erfüllung der Aufgaben der Empfänger erforderlich ist. (2) Gemäß SS 21 Absatz 2 BVerfSchG übermittelt das Landesamt für Verfassungsschutz dem Bundesnachrichtendienst und dem Militärischen Abschirmdienst Informationen einschließlich personenbezogener Daten. SS 14 Übermittlung personenbezogener Daten an inländische öffentliche Stellen und Strafverfolgungsbehörden (1) 1 Das Landesamt für Verfassungsschutz darf Informationen einschließlich personenbezogener Daten an inländische öffentliche Stellen übermitteln, wenn dies zum Schutz vor Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 4 Absatz 1 zwingend erforderlich ist oder der Empfänger eine Sicherheits242 Anhang / Verfassungsschutzgesetz überprüfung durchführt. 2 Der Empfänger darf die übermittelten Daten nur für den Zweck verwenden, zu dem sie ihm übermittelt wurden. 3 Hierauf ist er hinzuweisen. (2) 1 Das Landesamt für Verfassungsschutz darf über Absatz 1 hinaus Informationen einschließlich personenbezogener Daten an die Staatsanwaltschaften und die Polizei übermitteln, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass jemand eine in den SSSS 74 a und 120 Gerichtsverfassungsgesetz, SS 100 a Nummern 3 und 4 Strafprozessordnung und SSSS 130, 131 Strafgesetzbuch genannte Straftat plant, begeht oder begangen hat sowie sonstige Straftaten, bei denen aufgrund ihrer Zielsetzung, des Motivs des Täters oder dessen Verbindung zu einer Organisation tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie gegen die in Artikel 73 Nummer 10 Buchstabe b oder c des Grundgesetzes genannten Schutzgüter gerichtet sind. 2 Personenbezogene Daten, die das Landesamt für Verfassungsschutz selbst mit nachrichtendienstlichen Mitteln nach SS 8 erhoben hat, dürfen nur dann an die Staatsanwaltschaft oder an die Polizei übermittelt werden, wenn die tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen für deren Erhebung mit entsprechenden Befugnissen zur verdeckten Datenerhebung nach der Strafprozessordnung oder nach den SSSS 9 bis 12 und SS23 Gesetz über die Datenverarbeitung der Polizei vom 2. Mai 1991 (Hamburgisches Gesetzund Verordnungsblatt Seiten 187, 191) vorgelegen hätten. SS 15 Übermittlung personenbezogener Daten an Stationierungsstreitkräfte 1 Das Landesamt für Verfassungsschutz darf Informationen einschließlich personenbezogener Daten an Dienststellen der Stationierungsstreitkräfte im Rahmen von Artikel 3 des Zusatzabkommens zu dem Abkommen zwischen den Parteien des Nordatlantikvertrags über die Rechtsstellung ihrer Truppen hinsichtlich der in der Bundesrepublik Deutschland stationierten ausländischen Streitkräfte vom 3. August 1959 (Bundesgesetzblatt II 1961 Seiten 1183, 1218) übermitteln. 2 Die Entscheidung für eine Übermittlung treffen der Präses der zuständigen Behörde oder die von ihm besonders ermächtigten Bediensteten des Landesamtes für Verfassungsschutz. 3 Der Empfänger ist darauf hinzuweisen, dass er die übermittelten Daten nur zur Verarbeitung für den Zweck erhält, zu dem sie ihm übermittelt wurden. 243 Anhang / Verfassungsschutzgesetz SS 16 Übermittlung personenbezogener Daten an ausländische öffentliche Stellen 1 Das Landesamt für Verfassungsschutz darf personenbezogene Daten im Einvernehmen mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz an ausländische öffentliche Stellen sowie an überoder zwischenstaatliche Stellen übermitteln, wenn die Übermittlung zur Erfüllung seiner Aufgaben oder zur Wahrung erheblicher Sicherheitsinteressen des Empfängers erforderlich ist. 2 Die Entscheidung für eine Übermittlung treffen der Präses der zuständigen Behörde oder die von ihm besonders ermächtigten Bediensteten des Landesamtes für Verfassungsschutz. 3 Die Übermittlung unterbleibt, wenn auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland oder überwiegende schutzwürdige Interessen des Betroffenen entgegenstehen oder wenn dadurch gegen den Zweck eines deutschen Gesetzes verstoßen würde. 4 Der Empfänger ist darauf hinzuweisen, dass er die übermittelten Daten nur zur Verarbeitung für den Zweck erhält, zu dem sie ihm übermittelt wurden. SS 17 Übermittlung personenbezogener Daten an Stellen außerhalb des öffentlichen Bereichs (1) 1 Das Landesamt für Verfassungsschutz darf personenbezogene Daten an Personen oder Stellen außerhalb des öffentlichen Bereichs nicht übermitteln, es sei denn, dass die Übermittlung zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, des Bestandes oder der Sicherheit des Bundes oder eines Landes erforderlich ist. 2 Die Entscheidung für eine Übermittlung treffen der Präses der zuständigen Behörde, bei dessen Verhinderung der Staatsrat oder die besonders ermächtigten Bediensteten des Landesamtes für Verfassungsschutz. 3 Dies gilt nicht bei Erhebungen nach SS 7 Absatz 1 Sätze 2 und 3. (2) 1 Das Landesamt für Verfassungsschutz führt über die Übermittlung nach Absatz 1 einen Nachweis, aus dem der Zweck und die Veranlassung der Übermittlung, die Aktenfundstelle und der Empfänger hervorgehen. 2 Die Nachweise sind gesondert aufzubewahren, gegen unberechtigten Zugriff zu sichern und am Ende des Kalenderjahres, das dem Jahr ihrer Erstellung folgt, zu vernichten. 244 Anhang / Verfassungsschutzgesetz (3) 1 Der Empfänger darf die übermittelten Daten nur für den Zweck verwenden, zu dem sie ihm übermittelt wurden. 2 Hierauf ist er hinzuweisen. (4) 1 Das Landesamt für Verfassungsschutz darf eine Bewertung über personenbezogene Daten an Personen oder Stellen außerhalb des öffentlichen Bereichs übermitteln, soweit die Übermittlung für Zwecke einer Zuverlässigkeitsüberprüfung mit Einwilligung der Betroffenen erfolgt und im Hinblick auf den Anlass dieser Überprüfung, insbesondere den Zugang der Betroffenen zu einer besonders gefährdeten Veranstaltung, mit Rücksicht auf ein berechtigtes Interesse des Empfängers und wegen der Art oder des Umfangs der Erkenntnisse über den Betroffenen angemessen ist. 2 Das Landesamt für Verfassungsschutz hat den Betroffenen die Gründe für eine negative Bewertung mitzuteilen. Absätze 2 und 3 gelten entsprechend. SS 18 Übermittlung personenbezogener Daten an die Öffentlichkeit 1 Bei der Unterrichtung der Öffentlichkeit einschließlich der Medien über Erkenntnisse des Landesamtes für Verfassungsschutz ist die Übermittlung personenbezogener Daten nur zulässig, wenn sie zu einer sachgerechten Information zwingend erforderlich ist. 2 Stehen schutzwürdige Interessen des Betroffenen entgegen, kommt eine Übermittlung der personenbezogenen Daten des Betroffenen nur dann in Betracht, wenn die Interessen der Allgemeinheit deutlich überwiegen. SS 19 Übermittlung personenbezogener Daten an das Landesamt für Verfassungsschutz (1) Die hamburgischen Behörden und die der Aufsicht der Freien und Hansestadt Hamburg unterstehenden juristischen Personen des öffentlichen Rechts sind befugt, die Daten zu übermitteln, um die das Landesamt für Verfassungsschutz nach SS 7 Absatz 2 ersucht hat, soweit sie diesen Stellen bereits vorliegen. (2) Die in Absatz 1 genannten Stellen übermitteln dem Landesamt für Verfassungsschutz alle ihnen im Rahmen ihrer Aufgabenerfüllung vorliegenden Informationen über gewalttätige Bestrebungen und Tätigkeiten oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen gemäß SS 4 Absatz 1 Satz 245 Anhang / Verfassungsschutzgesetz 1 Nummern 1, 3 und 4 und über sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten nach SS 4 Absatz 1 Satz 1 Nummern 2 und 3. (3) 1 Die Ausländerbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg übermittelt gemäß SS 18 Absatz 1 a BVerfSchG von sich aus dem Landesamt für Verfassungsschutz die ihr bekannt gewordenen Informationen einschließlich personenbezogener Daten über Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 4 Absatz 1, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Übermittlung für die Erfüllung der Aufgaben des Landesamtes für Verfassungsschutz erforderlich ist. 2 Die Übermittlung dieser personenbezogenen Daten an ausländische öffentliche Stellen sowie an überund zwischenstaatliche Stellen durch das Landesamt für Verfassungsschutz unterbleibt, wenn überwiegende schutzwürdige Belange der Person, deren Daten übermittelt werden sollen oder überwiegende schutzwürdige Belange Dritter entgegenstehen. 3 Vor einer Übermittlung ist das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zu beteiligen. 4 Für diese Übermittlungen des Landesamtes für Verfassungsschutz gilt SS 7 Absatz 8 entsprechend. (4) 1 Die Staatsanwaltschaften und, vorbehaltlich der staatsanwaltschaftlichen Sachleitungsbefugnis, die Polizei übermitteln auch andere im Rahmen ihrer Aufgabenerfüllung bekannt gewordene Informationen über Bestrebungen nach SS 4 Absatz 1, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Übermittlung für die Erfüllung der Aufgaben des Landesamtes für Verfassungsschutz erforderlich ist. 2 Die Übermittlung personenbezogener Daten, die aufgrund eines Eingriffs in das Brief-, Postund Fernmeldegeheimnis bekannt geworden sind, ist nur zulässig, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass jemand eine der in SS 3 des Artikel 10-Gesetzes genannten Straftaten plant, begeht oder begangen hat. 3 Die Übermittlung personenbezogener Informationen, die auf Grund anderer strafprozessualer Zwangsmaßnahmen oder verdeckter Datenerhebungen nach SS 2 Absatz 3 Satz 3 oder nach den SSSS 9 bis 12 des Gesetzes über die Datenverarbeitung der Polizei vom 2. Mai 1991 (Hamburgisches Gesetzund Verordnungsblatt Seiten 187, 191) bekannt geworden sind, ist nur zulässig, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für gewalttätige Bestrebungen oder sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten bestehen; die Übermittlung ist auch zulässig, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für eine in SSSS 74 a und 120 Gerichtsverfassungsgesetz und SSSS 130, 131 Strafgesetzbuch genannte Straftat bestehen oder eine sonstige Straftat, bei der aufgrund ihrer Zielsetzung, des Motivs des Täters oder dessen Verbindung zu einer Organisation tatsächliche Anhaltspunkte dafür 246 Anhang / Verfassungsschutzgesetz vorliegen, dass sie gegen die in Artikel 73 Nummer 10 Buchstabe b oder c des Grundgesetzes genannten Schutzgüter gerichtet ist. 4 Die Übermittlung personenbezogener Daten, die auf Grund verdeckter Datenerhebung nach SS 8 Absatz 6 Satz 1 und SSSS 10 a bis 10 d des Gesetzes über die Datenverarbeitung der Polizei in der jeweils geltenden Fassung bekannt geworden sind, ist nur zulässig, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass jemand eine der in SS 3 des Artikel 10-Gesetzes genannten Straftaten plant, begeht oder begangen hat. 5 Auf die nach Satz 2 übermittelten Informationen und die dazu gehörenden Unterlagen ist SS 4 des Artikel 10-Gesetzes entsprechend anzuwenden. 6 Die nach Satz 2 übermittelten Informationen dürfen nur zur Erforschung gewalttätiger Bestrebungen oder sicherheitsgefährdender oder geheimdienstlicher Tätigkeiten genutzt werden. (5) 1 Das Landesamt für Verfassungsschutz hat die übermittelten Informationen unverzüglich darauf zu überprüfen, ob sie zur Erfüllung seiner Aufgaben erforderlich sind. 2 Ist dies nicht der Fall, sind die Unterlagen zu vernichten. 3 Die Vernichtung unterbleibt, wenn die Unterlagen von anderen Informationen, die zur Erfüllung der Aufgaben erforderlich sind, nicht oder nur mit unvertretbarem Aufwand getrennt werden können; in diesem Fall unterliegen die personenbezogenen Daten einem Verwertungsverbot und sind entsprechend zu kennzeichnen. (6) 1 Das Landesamt für Verfassungsschutz hat die Informationsübermittlung aktenkundig zu machen. 2 Vorschriften in anderen Gesetzen über die Informationsübermittlung an das Landesamt für Verfassungsschutz und über ihre Dokumentation bleiben unberührt. SS 20 Registereinsicht durch das Landesamt für Verfassungsschutz (1) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf in von öffentlichen Stellen geführte Register und Datensammlungen einsehen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen über 1. Bestrebungen, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind (SS 4 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1) oder 247 Anhang / Verfassungsschutzgesetz 2. sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten für eine fremde Macht (SS 4 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2) oder 3. Bestrebungen, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden (SS 4 Absatz 1 Satz 1 Nummer 3) oder 4. Bestrebungen und Tätigkeiten, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen gegen den Gedanken der Völkerverständigung oder das friedliche Zusammenleben der Völker gerichtet sind (SS 4 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4). (2) Eine Einsichtnahme ist nur zulässig, wenn 1. die Aufklärung auf andere Weise nicht möglich erscheint, insbesondere durch eine Übermittlung der Daten durch die registerführende Stelle der Zweck der Maßnahme gefährdet würde, 2. die betroffenen Personen durch eine anderweitige Aufklärung unverhältnismäßig beeinträchtigt würden und 3. eine besondere gesetzliche Geheimhaltungsvorschrift oder ein Berufsgeheimnis ihr nicht entgegensteht. (3) Die Anordnung für die Maßnahme treffen der Präses der zuständigen Behörde oder die von ihm besonders ermächtigten Bediensteten des Landesamtes für Verfassungsschutz. (4) 1 Die auf diese Weise gewonnenen Unterlagen dürfen nur zu den in Absatz 1 genannten Zwecken verwendet werden. 2 Gespeicherte Daten sind zu löschen und Unterlagen zu vernichten, sobald sie für diese Zwecke nicht mehr benötigt werden. (5) 1 Über die Tatsache der Einsichtnahme ist ein gesonderter Nachweis zu führen, aus dem ihr Zweck, die in Anspruch genommenen Stellen sowie die Namen der Betroffenen hervorgehen. 2 Diese Aufzeichnungen sind gesondert aufzubewahren, durch technische und organisatorische Maßnahmen gegen unbefugten Zugriff zu sichern und am Ende des Kalenderjahres, das dem Jahr ihrer Erstellung folgt, zu vernichten. 248 Anhang / Verfassungsschutzgesetz SS 21 Übermittlungsverbote und -einschränkungen (1) Die Übermittlung von Informationen nach diesem Abschnitt unterbleibt, wenn 1. eine Prüfung durch die übermittelnde Stelle ergibt, dass die Informationen zu vernichten sind oder einem Verwertungsverbot unterliegen oder für den Empfänger nicht mehr bedeutsam sind, 2. überwiegende Sicherheitsinteressen dies erfordern oder 3. für die übermittelnde Stelle erkennbar ist, dass unter Berücksichtigung der Art der Informationen und ihrer Erhebung die schutzwürdigen Interessen des Betroffenen das Allgemeininteresse an der Übermittlung überwiegen. (2) Besondere Rechtsvorschriften, die Informationsübermittlungen zulassen, einschränken oder verbieten sowie die Verpflichtung zur Wahrung gesetzlicher Geheimhaltungspflichten oder von Berufsoder besonderen Amtsgeheimnissen, die nicht auf gesetzlichen Vorschriften beruhen, bleiben unberührt. SS 22 Übermittlung personenbezogener Daten Minderjähriger (1) Personenbezogene Daten Minderjähriger vor Vollendung des 16. Lebensjahres dürfen nach den Vorschriften dieses Gesetzes übermittelt werden, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Minderjährige eine der in SS 3 des Artikel 10-Gesetzes genannten Straftaten plant, begeht oder begangen hat, im Übrigen, solange die Voraussetzungen der Speicherung nach SS 10 erfüllt sind. (2) Personenbezogene Daten Minderjähriger vor Vollendung des 16. Lebensjahres dürfen nach den Vorschriften dieses Gesetzes nicht an ausländische oder überoder zwischenstaatliche Stellen übermittelt werden. 249 Anhang / Verfassungsschutzgesetz 4. Abschnitt Auskunftserteilung SS 23 Auskunftserteilung (1) 1 Den Betroffenen ist vom Landesamt für Verfassungsschutz auf Antrag gebührenfrei Auskunft zu erteilen über 1. die zu ihrer Person gespeicherten Daten, 2. die Zweckbestimmung und die Rechtsgrundlage der Speicherung, 3. die Herkunft der Daten, 4. die Stellen, denen die Daten im Rahmen regelmäßiger Übermittlungen übermittelt werden, und die an einem automatisierten Abrufverfahren teilnehmenden Stellen, auch soweit diese Angaben nicht zu ihrer Person gespeichert sind, aber mit vertretbarem Aufwand festgestellt werden können. 2 Die Betroffenen sollen die Art der personenbezogenen Daten, über die sie Auskunft verlangen, näher bezeichnen. 3 Aus Akten ist den Betroffenen Auskunft zu erteilen, soweit sie Angaben machen, die das Auffinden der Daten ermöglichen, und der für die Erteilung der Auskunft erforderliche Aufwand nicht außer Verhältnis zum Auskunftsinteresse der Betroffenen steht. 4 Das Landesamt für Verfassungsschutz bestimmt die Form der Auskunftserteilung nach pflichtgemäßem Ermessen; die Auskunft kann auch in der Form erteilt werden, dass den Betroffenen Akteneinsicht gewährt oder ein Ausdruck aus automatisierten Dateien überlassen wird. 5 SS 29 des Hamburgischen Verwaltungsverfahrensgesetzes bleibt unberührt. (2) Die Auskunftserteilung unterbleibt, soweit 1. durch sie die Nachrichtenzugänge gefährdet sein können oder die Ausforschung des Erkenntnisstandes oder der Arbeitsweise des Landesamtes für Verfassungsschutz zu befürchten ist, 2. die personenbezogenen Daten oder die Tatsache ihrer Speicherung 250 Anhang / Verfassungsschutzgesetz nach einer Rechtsvorschrift oder wegen der überwiegenden schutzwürdigen Interessen Dritter geheim gehalten werden müssen, 3. sie die öffentliche Sicherheit gefährden oder sonst dem Wohle des Bundes oder eines Landes Nachteile bereiten würde. (3) Im Übrigen gilt für die Auskunft SS 18 Absätze 2 und 4 bis 6 des Hamburgischen Datenschutzgesetzes. 5. Abschnitt Parlamentarische Kontrolle des Verfassungsschutzes SS 24 Parlamentarischer Kontrollausschuss 1 Zur parlamentarischen Kontrolle des Senats auf dem Gebiet des Verfassungsschutzes bildet die Bürgerschaft einen Kontrollausschuss. 2 Dieser tagt in nichtöffentlicher Sitzung. SS 25 Zusammensetzung und Pflichten des Ausschusses (1) Der Ausschuss besteht aus neun Mitgliedern der Bürgerschaft. (2) Die Mitglieder des Ausschusses werden von der Bürgerschaft in geheimer Abstimmung gewählt. (3) 1 Die Mitglieder des Ausschusses sind zur Geheimhaltung der Angelegenheiten verpflichtet, die ihnen im Zusammenhang mit ihrer Tätigkeit in dem Ausschuss bekannt geworden sind. 2 Dies gilt auch für die Zeit nach ihrem Ausscheiden aus dem Ausschuss oder aus der Bürgerschaft. 3 Satz 1 und Satz 2 gelten nicht für eigene Bewertungen bestimmter Vorgänge, sofern die Belange des Geheimschutzes beachtet werden. (3a) 1 Die Mitglieder des Ausschusses haben das Recht, zur Unterstützung ihrer Arbeit jeweils eine Mitarbeiterin oder einen Mitarbeiter je Fraktion zu benennen. 2 Voraussetzung für diese Tätigkeit ist die Ermächtigung zum Umgang mit Verschlusssachen und die förmliche Verpflichtung zur Geheimhaltung. 3 Die benannten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind befugt, anlassbezogen die vom Ausschuss beigezogenen Akten und Dateien ein251 Anhang / Verfassungsschutzgesetz zusehen und die Beratungsgegenstände des Ausschusses mit den Mitgliedern zu erörtern; das Unterstützungsbegehren ist dem Vorsitzenden anzuzeigen und den Mitgliedern des Ausschusses zur Kenntnis zu geben. 4 Die benannten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben keinen Zutritt zu den Sitzungen. 5 Absatz 3 Sätze 1 und 2 gilt entsprechend. (3b) 1 Dem Ausschuss ist die für die Erfüllung seiner Aufgaben notwendige Personalund Sachausstattung zur Verfügung zu stellen. 2 Für die Beschäftigten gelten Absatz 3 Sätze 1 und 2 sowie Absatz 3a Satz 2 entsprechend. 3 Zur Erfüllung ihrer Aufgaben ist ihnen Auskunft zu ihren Fragen zu erteilen. (4) 1 Der Ausschuss wählt einen Vorsitzenden und gibt sich eine Geschäftsordnung. 2 Beschlüsse des Ausschusses bedürfen der Mehrheit der Stimmen der anwesenden Mitglieder. (5) Sitzungsunterlagen und Protokolle verbleiben für die laufende Wahlperiode im Gewahrsam der Bürgerschaftskanzlei, im Übrigen im Gewahrsam des Landesamtes für Verfassungsschutz und können nur an diesen Orten von den Ausschussmitgliedern eingesehen werden. (6) 1 Scheidet ein Mitglied des Ausschusses aus der Bürgerschaft oder seiner Fraktion aus, so verliert es seine Mitgliedschaft im Ausschuss; für dieses Mitglied ist unverzüglich ein neues Mitglied zu bestimmen. 2 Das Gleiche gilt, wenn ein Mitglied aus dem Ausschuss ausscheidet. (7) 1 Der Parlamentarische Kontrollausschuss berichtet der Bürgerschaft jährlich und im Übrigen anlassbezogen über seine Kontrolltätigkeit. 2 Dabei nimmt er auch dazu Stellung, ob der Senat seinen Pflichten gegenüber dem Ausschuss nachgekommen ist. 3 Die Berichte sollen so gefasst sein, dass die im Ausschuss vertretenen Meinungen und die Gründe, die zu Beschlüssen geführt haben, ersichtlich sind. 4 Sie müssen die Empfehlung des Ausschusses und das Abstimmungsverhältnis, mit dem die Empfehlung zustande gekommen ist, wiedergeben. 5 Bei der Erstellung des Berichts sind die Belange des Geheimschutzes zu beachten. 252 Anhang / Verfassungsschutzgesetz SS 26 Aufgaben des Ausschusses (1) 1 Der Ausschuss übt die parlamentarische Kontrolle auf dem Gebiet des Verfassungsschutzes aus. 2 Diese umfasst aus zwingenden Gründen des Geheimschutzes auch die Haushaltsangelegenheiten. 3 Der das Aufgabengebiet des Verfassungsschutzes betreffende Teil des Haushaltsplanentwurfs bedarf daher der Zustimmung des Ausschusses. 4 Die Rechte der Bürgerschaft bleiben unberührt. (2) 1 Der Senat hat den Ausschuss umfassend über die allgemeine Tätigkeit des Landesamtes für Verfassungsschutz und über Vorgänge von besonderer Bedeutung zu unterrichten. 2 Der Ausschuss tagt in Abständen von höchstens drei Monaten oder auf Antrag eines Mitglieds. (3) 1 Zur Erfüllung seiner Kontrollaufgaben hat der Ausschuss auf Antrag mindestens eines seiner Mitglieder das Recht auf 1. Erteilung von Auskünften, 2. Einsicht in Akten, in Dateien gespeicherte Daten, Stellungnahmen und andere Unterlagen, 3. Zugang zu den Räumen des Landesamtes für Verfassungsschutz und 4. Anhörung bestimmter Angehöriger des öffentlichen Dienstes als Auskunftspersonen, die verpflichtet sind, vollständige und wahrheitsgemäße Angaben zu machen. 2 Die Befugnisse des Ausschusses nach Satz 1 Nummer 2 erstrecken sich nur auf Gegenstände, die der alleinigen Verfügungsberechtigung des Landesamtes für Verfassungsschutz unterliegen. 3 Die Rechte nach Satz 1 sind Befugnisse gegenüber dem Ausschuss als Ganzes. (4) Den Ersuchen nach Absatz 3 ist unverzüglich zu entsprechen. Der Senat bescheidet ein solches Ersuchen abschlägig oder schränkt die Aussagegenehmigung ein, soweit gesetzliche Vorschriften entgegenstehen oder wenn dieses aus zwingenden Gründen des Nachrichtenzugangs, des Schutzes von Persönlichkeitsrechten oder des Kernbereichs der exekutiven Eigenverantwortung erforderlich ist. In diesem Fall legt der Senat dem 253 Anhang / Verfassungsschutzgesetz Ausschuss seine Gründe dar. (5) Der Senat hat dem Ausschuss insbesondere über 1. Gefahren für die Schutzgüter des SS 1, 2. die Dienstvorschrift über nachrichtendienstliche Mittel nach SS 8 Absatz 2 Satz 2 sowie ihre Änderungen, 3. die Maßnahmen nach SS 8 Absatz 11, 4. die Weiterspeicherung nach SS 9 Absatz 3, 5. die tatsächliche Arbeitsaufnahme mit einem automatisierten Verfahren, für das eine Verfahrensbeschreibung nach SS 9 Absatz 1 des Hamburgischen Datenschutzgesetzes vorgeschrieben ist, und seine wesentlichen inhaltlichen Änderungen, 6. die Übermittlung personenbezogener Daten an Stationierungsstreitkräfte nach SS 15, 7. die Übermittlung personenbezogener Daten an ausländische öffentliche Stellen nach SS 16, 8. die Übermittlung personenbezogener Daten an Stellen außerhalb des öffentlichen Bereichs nach SS 17, 9. Anfragen bei ausländischen öffentlichen Stellen nach SS 12 Absatz 5 Satz 3 HmbSÜG mitzuteilen und jährlich über die Prüfungen nach SS 9 Absatz 2 Satz 2 zu berichten. zu berichten. (6) Der Ausschuss kann dem behördlichen Datenschutzbeauftragten der zuständigen Behörde und dem Hamburgischen Beauftragten für Datenschutz und Informationsfreiheit Gelegenheit zur Stellungnahme in Fragen des Datenschutzes geben. 254 Anhang / Verfassungsschutzgesetz SS 27 Eingaben 1 Eingaben einzelner Bürger oder einzelner Angehöriger des Verfassungsschutzes über ein sie betreffendes Verhalten des Landesamtes für Verfassungsschutz sind dem Ausschuss zur Kenntnis zu geben. 2 Der Ausschuss bescheidet die an ihn gerichteten Eingaben, nachdem er diese dem Senat zur Stellungnahme übermittelt hat. 3 Der Ausschuss hat auf Antrag eines Mitglieds Petenten und Auskunftspersonen zu hören. 4 SS 26 Absätze 3 und 4 findet entsprechende Anwendung. 5 Die Rechte des Eingabenausschusses bleiben unberührt. 255 Anhang / Abkürzungsverzeichnis Abkürzungsverzeichnis A AAB Anti-Atom-Büro ABLE Association of Better Living and Education ADÜTDF Almanya Demokratik Ülkücü Türk Dernekleri Federasyonu e.V. (Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealistenvereine in Deutschland) AMISOM African Union Mission in Somalia AN Autonome Nationalisten ApS Applied Scholastics AQAH al-Qaida auf der arabischen Halbinsel AQM al-Qaida im islamischen Maghreb ArtgemeinArtgemeinschaft - Germanische Glaubens-Gemeinschaft-GGG schaft wesensgemäßer Lebensgestaltung e.V. ATD Antiterrordatei AVV Autonome Vollversammlung B B5 Internationales Zentrum Brigittenstraße 5 BfV Bundesamt für Verfassungsschutz BG Burschenschaftliche Gemeinschaft BGBl Bundesgesetzblatt BIG Bündnis der Islamischen Gemeinden in Norddeutschland e.V. BKA Bundeskriminalamt BMWi Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie BPjM Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Medien BVerfSchG Bundesverfassungsschutzgesetz BVerwG Bundesverwaltungsgericht C CCHR Citizens Commissions on Human Rights CDK Koordination der kurdischen demokratischen Gesellschaft in Europa 256 Anhang / Abkürzungsverzeichnis D DB Deutsche Burschenschaft DDR Deutsche Demokratische Republik DHKP-C Devrimci Halk Kurtulus Partisi-Cephe (Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front) DKP Deutsche Kommunistische Partei DRB Deutsches Rechtsbüro DSA Departement of Special Affairs DTM Deutsche Taleban Mujahideen DVU Deutsche Volksunion E EMUG Europäische Moscheebauund Unterstützungsgemeinschaft e.V. EU Europäische Union EuGH Europäischer Gerichtshof F FAU Freie Arbeiterinnenund Arbeiter Union FSB Federalnaja Slushba Besopasnosti (Bundesagentur für Sicherheit) FSO Federalnaja Sluschba Ochrany (Föderaler Dienst für Bewachung) G G 10 Meint das geltende Gesetz zu Artikel 10 Grundgesetz (Gesetz zur Beschränkung des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses) GAR Gemeinsames Abwehrzentrum gegen Rechtsextremismus GET Gedenkstätte Ernst Thälmann GfP Gesellschaft für freie Publizistik e.V. GfbAEV Gesellschaft für biologische Anthropologie, Eugenik und Verhaltensforschung e.V. GG Grundgesetz GI al-Gama'a al Islamiya 257 Anhang / Abkürzungsverzeichnis GRU Glawnoje Raswdywatelnoje Uprawleije (Hauptverwaltung für Aufklärung) GTAZ Gemeinsames Terrorismusabwehrzentrum H HafenSG Hafensicherheitsgesetz HAMAS Harakat Al-Muqawama Al-Islamiyya (Islamische Widerstandsbewegung) HBgR Hamburger Bündnis gegen Rechts HIA Hezb-e Eslami-ye Afghanistan (Islamische Partei Afghanistans) HIG Hezb-e Eslami-ye Gulbuddin (Islamische Partei Gulbuddin HmbBfDI Hamburgischer Beauftragter für Datenschutz und Informationsfreiheit HmbGVBl Hamburgisches Gesetzund Verordnungsblatt HmbSÜG Hamburgisches Sicherheitsüberprüfungsgesetz HmbVerfSchG Hamburgisches Verfassungsschutzgesetz HNG Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige e.V. HNK & WWT Hamburger Nationalkollektiv / Weisse Wölfe Terrorcrew Sektion Hamburg HPG Hezen Parastina Gel HuT Hizb ut-Tahrir; auch Hizb Al Tahrir al Islami (Befreiungspartei) I I HELP International Hubbard Ecclesiastical League of Pastors IAA Internationale Arbeiter Assoziation IAEA Internationale Atomenergiebehörde IAS International Organization of Scientologists IBU Islamische Bewegung Usbekistans IEUS Islamisch-Europäische Union der Schia-Gelehrten und Theologen IGD Islamische Gemeinschaft in Deutschland e.V. IGMG Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e.V. 258 Anhang / Abkürzungsverzeichnis IGS Islamische Gemeinschaft der schiitischen Gemeinden in Deutschland e.V. IHg Islamische Hochschulgemeinde e.V. IHH Internationale Humanitäre Hilfsorganisation e.V. IJU Islamische Jihad-Union IL Interventionistische Linke IMK Ständige Konferenz der Innenminister und -senatoren der Länder (Innenministerkonferenz) IStI Islamischer Staat Irak IZH Islamisches Zentrum Hamburg J JI al-Jihad al-Islami JLO Junge Landsmannschaft Ostdeutschland JN Junge Nationaldemokraten K KADEK Kongreya Azadi u Demokrasiya Kurdistane (Freiheitsund Demokratiekongress Kurdistans) KCK Koma Civaken Kurdistan (Vereinigte Gemeinschaften Kurdistans) KIAR Kompetenzzentrum Internetauswertung Rechtsextremismus KONGRA GEL Kongra Gele Kurdistan (Volkskongress Kurdistan) KON-KURD Konföderation der kurdischen Vereine in Europa KPD Kommunistische Partei Deutschland KPF Kommunistische Plattform KVPM Kommission für Verstöße der Psychiatrie gegen Menschenrechte KZF Khalistan Zindabad Force L LfV Landesamt für Verfassungsschutz LIZ Libertäres Zentrum LKA Landeskriminalamt LKA Libertäres Kulturund Aktionszentrum LTTE Liberation Tigers of Tamil Eelam 259 Anhang / Abkürzungsverzeichnis LuftSiG Luftsicherheitsgesetz M MASCH Marxistische Abendschulen MASCH e.V. Marxistische Abendschule Hamburg - Forum für Politik und Kultur e.V. MB Muslimbruderschaft MFG Muslimische Frauengemeinschaft MG Marxistische Gruppe MHP Milliyetci Hareket Partisi (Partei der Nationalistischen Bewegung) MKP Maoist Komünist Partisi (Maoistische Kommunistische Partei) MLKP Marksist Leninist Komünist Partisi (Kommunistische Partei der Türkei / Marxistisch-Leninistisch) MSS Ministry of State Security of the People's Republic of China MTZ Magda Thürey-Zentrum N NADIS Nachrichtendienstliches Informationssystem NATO North Atlantic Treaty Organization NPD Nationaldemokratische Partei Deutschlands NSU Nationalsozialistischer Untergrund NZ Nordische Zeitung O Org Scientology-Bezeichnung für "Scientology-Kirche" OSA Office of Special Affairs OVG Oberverwaltungsgericht P P.B! Chattia Pennale Burschenschaft Chattia Friedberg zu Hamburg PKA Parlamentarischer Kontrollausschuss PKK Partiya Karkeren Kurdistan (Arbeiterpartei Kurdistans) 260 Anhang / Abkürzungsverzeichnis PMK Politisch Motivierte Kriminalität PRP Projekt revolutionäre Perspektive R RAF Rote Armee Fraktion RAZ Revolutionäre Aktionszellen RED Rechtsextremismusdatei RED-G Rechtsextremismus-Datei-Gesetz RH Rote Hilfe e.V. RPF Rehabilitation Project Forces RSH Rote Szene Hamburg RTC Religious Technology Center RZ Revolutionäre Zellen S SAND Systemoppositionelle Atomkraft Nein Danke SAV Sozialistische Alternative SDAJ Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend SED Sozialistische Einheitspartei Deutschlands SL Sozialistische Linke SO Scientology-Organisation SoL Sozialistische Linke SP Saadet Partisi (Partei der Glückseligkeit) SprengG Sprengstoffgesetz StGB Strafgesetzbuch SWR Sluschba Wneschnej Raswedki (Dienst der Außenaufklärung) T TAK Teyrebazen Azadiya Kurdistan (Freiheitsfalken Kurdistans) TCC Tamil Coordination Comitee TddZ Tag der deutschen Zukunft TH Türkische Hizbullah TJ Tablighi Jama'at (Gemeinschaft der Verkündigung und Mission) 261 Anhang / Abkürzungsverzeichnis TKP/ML Türkiye Komünist Partisi / Marksist Leninist (Kommunistische Partei der Türkei / Marxistisch-Leninistisch) V V Verfassungsschutz (Kürzel im Organigramm des LfV) VEVAK Vezarate Ettelaat Va Amniate Keshwar (Ministerium für Nachrichtenwesen und Sicherheit VRBHV Verein zur Rehabilitierung der wegen Bestreitens des Holocaust Verfolgten VS Verschlusssachen VSB Verfassungsschutzbericht W WISE World Institute of Scientology Enterprises WTSfF Wilhelm TIETJEN-Stiftung für Fertilisation Ltd. WWT Weisse Wölfe Terror Crew Y YEK-KOM Yekitiya Komelen Kurd il Almanya (Föderation kurdischer Vereine in Deutschland e.V.) YÖP Yeni Özgür Politika Z ZMD Zentralrat der Muslime in Deutschland 262 Anhang / Stichwortverzeichnis Stichwortverzeichnis A Arbeiterpartei Kurdistans....9, 72, 78, [a2]........................................105, 125 260 ADÜTDF......................10, 93, 94, 256 Artgemeinschaft-GGG...12, 184, 185, Afghanistan..............9, 26, 31, 36, 37, 186, 256 39, 40, 69, 70, 116, 258 ash-Shabab.....................8, 37, 38, 41 AHMADINEDSCHAD, Mahmud...55, Association of Better Living and Edu56 cation (ABLE).......................196, 256 AL-AULAQI, Anwar............33, 34, 37 Aufenthaltsverfahren.....................23 AL-BANNA, Hassan........................49 Ausforschung oppositioneller GrupAL-MAURETANI, Yunis...................32 pierungen...............................12, 208 al-Qaida...................8, 26, 31, 32, 33, Autonome.............10, 86, 96, 97, 100, 34, 35, 36, 37, 38, 40, 41, 42, 70, 256 101, 104, 105, 106, 107, 115, 120, 125, al-Qaida auf der arabischen Halbin128, 130, 256 sel......................................8, 33, 256 Autonome Nationalisten (AN)......145, al-Qaida im Irak..........................8, 35 146, 156, 165 al-Qaida im islamischen Maghreb....8, Autonome Vollversammlung 34, 256 (AVV)..............................104, 105, 256 Altermedia...........................158, 185 Autonomes Zentrum (AZ)..............128 Anarchisten...............96, 97, 100, 101, AVANTI - Projekt undogmatische 104, 105, 106 Linke........10, 104, 105, 111, 112, 113, Anschläge.....8, 26, 31, 34, 35, 36, 37, 123, 124, 126, 132 38, 39, 42, 80, 81, 102, 104, 133, 232 AVV........................104, 105, 110, 256 Anti-AKW-Bewegung...................131 AZ-ZAWAHIRI, Aiman.........31, 32, 38 Anti-Atom-Büro (AAB)..........132, 256 Antideutsche...................10, 118, 119 B Antifa....................123, 124, 125, 138 BERNHOLD, Christin....................133 Antifaschisten....97, 122, 123, 124, 125 BIN LADEN, Usama..........26, 30, 31, Antiimperialisten.......96, 97, 101, 104, 32, 38, 41, 70 114, 115, 135 Blood & Honour....................153, 168 Antiimperialistische Gruppen........114 BÖHNHARDT, Uwe.....142, 151, 152, Antirepression..................10, 105, 120 153 Antiterrordatei (ATD)..............20, 256 Bozkurt....................................93, 94 Anwerbungsversuche....................48 Bundesprüfstelle für jugendgefährAPFEL, Holger.........143, 171, 172, 174 dende Medien (BPjM)...163, 171, 256 Applied Scholastics (ApS)....196, 198, Bundeswehr.......26, 31, 37, 103, 109, 256 116, 117, 134, 210, 211 263 Anhang / Stichwortverzeichnis Bündnis der Islamischen Gemeinden E in Norddeutschland e.V. (BIG).........64 Einbürgerungsverfahren................22 Bündnis gegen imperialistische ERBAKAN, Necmettin Prof. Dr......59, Aggression...................................115 61, 66 Burschenschaften........147, 180, 181, ERGÜN, Kemal...............................61 182, 257, 260 EU-Terrorliste............................74, 83 BUSCH, Frank..............................199 F C FALAH, Samir.................................50 Castor-Transport...........104, 105, 112, FAUST, Matthias........173, 175, 176, 179 131, 132, 133 Feldauditoren.........................197, 201 CDK.......................................82, 256 Föderation kurdischer Vereine in Centro Sociale......................105, 114 Deutschland e.V.....................82, 262 China......204, 207, 208, 212, 213, 260 Freie Arbeiterinnenund Arbeiter Chinesische Nachrichtendienste.208, Union (FAU)...........................117, 257 212 Freiheitsfalken Kurdistans.......81, 261 CHOUKA, Yassin......................34, 37 FSB.......................................209, 257 CHRISTOFFEL, Gerd....................199 Criminon...............................196, 198 G Czeska-Morde..............................152 G10-Kommission....................21, 233 Gedenkstätte Ernst Thälmann (GET) D ...138, 257 Departement of Special Affairs Geheimund Sabotageschutz..18, 216 (DAS)....................................198, 200 GELOWICZ, Filiz.............................40 Deutsche Kommunistische Partei Gemeinsames Abwehrzentrum (DKP)....................................135, 257 gegen Rechtsextremismus (GAR) Deutsche Stimme Verlag..............189 ...155, 257 Deutsche Taleban Mujahideen......40, Gemeinsames Terrorismusabwehr257 zentrum (GTAZ)..............................19 Deutsche Volksunion (DVU)..179, 257 Gentrifizierung.......96, 105, 108, 121, Deutscher Rechtsschutzkreis e.V..187 126, 127, 131 Deutsches Rechtsbüro (DRB).......187, Gesellschaft für biologische Anthro257 pologie, Eugenik und VerhaltensforDevrimci Halk Kurtulus Partisi-Cephe schung e.V. (GfbAEV).............186, 257 (DHKP-C)...........................73, 92, 257 Gesellschaft für freie Publizistik (GfP) Dianetik....................196, 197, 198, 199 ...183, 189, 257 DIE LINKE...........97, 98, 99, 100, 116, GSPC.............................................34 133, 134, 135, 137, 139 Guerilla-Krieg.................................86 Düsseldorfer Zelle.................4, 26, 40 GÜMÜS, Edip.......................67, 68, 69 264 Anhang / Stichwortverzeichnis H Internationales Zentrum BrigittenHAMAS.............................52, 64, 258 straße 5...............................106, 256 Hamburger Ausreisegruppe.....40, 41 Interventionistische Linke.....112, 259 Hamburger Bündnis gegen Islamische Bewegung Usbekistans Rechts...........112, 123, 124, 138, 258 (IBU)..........................26, 31, 35, 258 Hamburger Nationalkollektiv & Islamische Gemeinschaft der schiiWeisse Wölfe Terrorcrew (HNK & tischen Gemeinden in Deutschland WWT)...........................143, 156, 165 e.V. (IGS)........................................59 Hamburgisches VerfassungsschutzIslamische Gemeinschaft Deutschgesetz.............................17, 224, 258 land e.V. (IGD)................................50 Harakat al-Muqawama al-Islamiya..52 Islamische Gemeinschaft Milli Görüs HARMS, Olaf..................135, 137, 138 e.V. (IGMG)........................27 , 59, 258 HEKMATYAR, Gulbuddin...........69, 70 Islamische Revolution....................55 HEß, Rudolf............................160, 164 Islamischer Staat Irak.............35, 259 Hezb-e Eslami-ye Afghanistan.......69, Islamisches Zentrum Hamburg (IZH) 258 ...27, 57 Hezb-e Eslami-ye Gulbuddin..........69, Israel.................46, 47, 50, 52, 53, 67, 258 115, 118, 119 HIA....................................69, 70, 258 IT-Systeme....................216, 219, 220 HIG....................................69, 70, 258 Hilfsorganisation für nationale poli- J tische Gefangene und deren AngehöJANSSEN, Holger.........................187 rige e.V. (HNG)...............157, 189, 258 Jihadisten........28, 31, 33, 34, 35, 36, Hizb Allah.............................27, 53, 54 38, 41, 42, 43, 44 Hizb ut-Tahrir (HuT).......27, 45, 47, 70, Junge Nationaldemokraten (JN)..142, 258 259 HOLTHUSEN, Steffen...................162 JÜRGENSEN, Bettina......135, 136, 138 I K Ideale Org.......................192, 193, 199 KADEK....................................78, 259 IGMG...............27, 28, 59, 60, 61, 62, Kalifat............................................46 63, 64, 65, 66, 258 Kameradenkreis Neonazis in HamIllegalenprogramm......................211 burg....................11, 143, 156, 161, 168 Imam-Ali-Moschee........................57 KARAYILAN, Murat.............79, 80, 86 Indymedia..............107, 109, 110, 113, KCK..............................79, 80, 82, 259 122, 125, 126, 129, 131 Kern-al-Qaida............................31, 32 INSPIRE, Online-Magazin.........33, 34 KHAMENEI, Ali...................55, 56, 57 Internationale Humanitäre HilfsorgaKhalistan Zindabad Force.......73, 259 nisation e.V............................63, 259 KHOMEINI, Großayatollah.........54, 55 KITAY, Ali Ihsan...............................84 265 Anhang / Stichwortverzeichnis KLEBE,Torben..143, 162, 172, 176, 178 Milli Görüs...59, 60, 61, 62, 63, 65, 258 Koma Civaken Kurdistan.........79, 259 Mordserie.......97, 123, 125, 151, 154, Komalen Ciwan...................86, 89, 90 155, 170 Kommission für Verstöße der PsychiaMUNDLOS, Uwe.....142, 151, 152, 153 trie (KVPM).....................196, 198, 259 Muslimbruderschaft (MB).......45, 49, Kommunistische Plattformen (KPF) 50, 52, 260 ...133, 135 Kompetenzzentrum Internetauswer- N tung Rechtsextremismus (KIAR)..155 Nachrichtendienstliches InformationsKONGRA GEL..............78, 79, 83, 259 system (NADIS).....19, 20, 21, 22, 260 Koordination der kurdischen demokraNarconon..............................196, 198 tischen Gesellschaft in Europa.......82 Nationaldemokratische Partei Koranverteilung............................45 Deutschlands (NPD)....4, 97, 113, 118, "Kritische Position Hamburg", kripo124, 125, 142, 143, 144, 145, 146, hamburg......................................140 147, 148, 150, 153, 156, 161, 162, Kurdisch-deutsches Kulturzentrum 163, 168, 169, 170, 171, 172, 173, e.V. ..........................................88, 94 174, 175, 176, 177, 178, 179, 180, 182, 188, 189, 260 L Nationalsozialistischer Untergrund Liberation Tigers of Tamil Eelam (NSU).......20, 97, 123, 125, 142, 151, (LTTE)......................................74, 259 152, 153, 154, 170, 260 Libertäres Kulturund Aktionszentrum Neonazis.......3, 4, 125, 142, 143, 144, (LKA)............................................117 145, 146, 147, 148, 151, 153, 155, Libertäres Zentrum.......................106 156, 158, 159, 160, 161, 162, 163, Linksjugend ['solid]................116, 133 164, 165, 167, 168, 175, 177, 180, 185 Newroz..........................................90 Nujiyan Frauenzentrum e.V.............88 M MAKANESI, Rami......................32, 40 O Maoist Komünist Partisi (MKP).....73, ÖCALAN, Abdullah............72, 79, 80, 92, 260 81, 83, 84, 85, 89, 90, 91, 92 Marksist Leninist Komünist Partisi Organigramm des LfV Hamburg....24 (MLKP)..............................73, 92, 260 Orthodoxe Kommunisten........97, 135 Marxistische Abendschulen (MASCH)..............................139, 260 P Marxistische Gruppe (MG)....140, 260 PAHL, Gisa......................188, 189, 190 Materieller Geheimschutz...........218 Palästina Arbeitskreis Hamburg....115 MICHEL, Pia.................................199 Parlamentarischer KontrollausMilitanzdebatte......................101, 102 schuss...........21, 225, 251, 252, 260 Milli Gazete....................60, 61, 63, 65 266 Anhang / Stichwortverzeichnis Pennale Burschenschaft Chattia S Friedberg zu Hamburg (PB! Chattia) Saadet Partisi.....................59, 61, 261 ...147, 180, 181 Sabotageschutz.....18, 23, 24, 216, 219 Personeller Geheimschutz............217 Salafisten...................28, 43, 44, 45, 69 PFEIFFER, Martin.........................183 SAND.............................131, 132, 261 PKK...................66, 72, 73, 76, 77, 78, SCHÄFER, Michael.......................175 79, 80, 81, 82, 83, 84, 85, 86, 87, 88, Scharia..............33, 35, 37, 44, 45, 46, 89, 90, 91, 92, 93, 94, 260 49, 51, 52, 59, 61, 69 PMK, Definition..............................29 Schengener Visumverfahren..........23 Politisch motivierte Kriminalität Schulhof-CD................................170 (PMK)................29, 77, 100, 148, 195 Scientology Kirche Hamburg e.V..195, Projekt revolutionäre Perspektive 197, 198, 199 (PRP)..............................115, 134, 261 Scientology-Organisation (SO)..5, 18, Proliferation............204, 205, 206, 207 22, 24, 192, 194, 195, 197, 198, 261 Sicherheitsüberprüfungen......22, 23, Q 217, 218, 240, 242 Quds-Moschee..............................27 Skinheads............143, 145, 156, 164, "Quds-Tag".....................................58 165, 167, 168, 169, 171 'solid....................97, 116, 133, 134, 135 R Sozialistische Deutsche Arbeiterjuradikal, Zeitschrift..........................102 gend (SDAJ).........................138, 261 RAMEZANI, Dr. Reza, Ayatollah.....57, Sozialistische Linke (SoL).......96, 115, 58 133, 134, 135, 261 RAZ................................102, 104, 261 Systemoppositionelle Atomkraft Nein Rechtsextremismusdatei (RED)....20, Danke (SAND)........................131, 261 261 Rechtsextremistische Bands.......168, T 170, 171 Tablighi Jama'at......................51, 261 Revolutionäre Aktionszellen..102, 261 "Tag der deutschen Zukunft" RIEGER, Jürgen...........172, 178, 184, (TddZ).............................144, 159, 165 185, 186, 187 Taiba-Moschee.....27, 42, 43, 45, 49, 52 Roj TV.............................................87 TAK (Freiheitsfalken Kurdistans)....81, Rote Flora.......92, 102, 103, 105, 106, 261 107, 108, 110, 112, 113, 120, 121, 126, Terroranschlag............................4, 26 128, 129, 132 Terrorismusbekämpfungsgesetz..19 Rote Szene Hamburg (RSH)..96, 105, THIESSEN,Tobias...........144, 161, 163 115, 134, 261 Thüringer Heimatschutz (THS)......153 Russische Nachrichtendienste....209, Trotzkisten............................100, 139 210, 211, 212 Türkische Hizbullah.................66, 261 Russland......39, 204, 209, 210, 211, 212 267 Anhang / Stichwortverzeichnis Türkiye Komünist Partisi/Marksist "Wissenskarten"............................63 Leninist (TKP/ML).....................73, 92 WORCH, Christian........................180 WULFF, Thomas...........143, 150, 159, U 172, 176, 177, 178, 185, 187 UCAR, Ramazan.............................65 UKA,Arid...................................26, 39 Y Ülkücü...........................................93 YEK-KOM..........82, 83, 86, 88, 92, 262 UMAROV, Dokku............................39 Yeni Özgür Politika.............85, 86, 262 Undogmatische Linksextremisten YXK................................................91 ...104 Z V Zeck, Zeitschrift....102, 103, 106, 121, Verfassungsschutz, Arbeitsweise und 122, 132 Befugnisse.....................................18 Zentralrat der Muslime in DeutschVerfassungsschutz, Aufgaben..17, 18, land (ZMD).............................59, 262 231 Zomia, Bauwagenplatz.....117, 130, 131 Verfassungsschutz, AuskunftserteiZSCHÄPE, Beate......142, 151, 152, 153 lung......................................225, 250 Zuverlässigkeitsüberprüfungen....23, Verfassungsschutz, Datenübermitt219, 228, 240 lung......................................224, 242 Zwickauer Neonazi-Zelle.....142, 151, Verfassungsschutz, Informationsver154, 155 arbeitung........................................19 Verfassungsschutz, Parlamentarische Kontrolle.............................21 Verschlusssachen.........216, 217, 218, 251, 262 VEVAK..................................209, 262 Videobotschaften.................36, 37, 86 VOGEL, Pierre................................44 VOIGT, Udo.........143, 172, 174, 175, 179 Volksrat.........................................88 W Wehrhafte Demokratie...................16 Weisse Wölfe Terrorcrew.....143, 156, 164, 165, 258 Wirtschaftsschutz....18, 24, 216, 220, 221 Wirtschaftsspionage....204, 205, 207, 217, 220, 221 268 Notizen Notizen Notizen Notizen