Verfassungsschutzbericht 2007 Landesamt für erfassungsschutz www.verfassungsschutz.hamburg.de www.verfassungsschutz.hamburg.de Verfassungsschutzbericht 2007 Im Text finden Sie vielfach die Symbole und Das Sinnbild "Buch" verweist auf eine Fundstelle in diesem Verfassungsschutzbericht. Das Symbol "Weltkugel" bedeutet, dass es zu dem Thema weitere Informationen auf unseren Internetseiten gibt. Unter http://www.verfassungsschutz.hamburg.de finden Sie regelmäßig aktuelle Informationen über alle Arbeitsfelder des Hamburger Verfassungsschutzes. Herausgeber: Freie und Hansestadt Hamburg Behörde für Inneres Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) Johanniswall 4, 20095 Hamburg Telefon: 040 / 24 44 43 Telefax: 040 / 33 83 60 Internet: http://www.verfassungsschutz.hamburg.de E-Mail des LfV: poststelle@verfassungsschutz.hamburg.de E-Mail Öffentlichkeitsarbeit: info@verfassungsschutz.hamburg.de Nur-Text-Version Juni 2008 Redaktionsschluss: Mai 2008 Satz/Layout, Grafik: Landesamt für Verfassungsschutz Vorwort Vorwort des Senators Christoph Ahlhaus Liebe Hamburgerinnen und Hamburger, am 08. Mai 2008 habe ich von dem bisherigen Amtsinhaber, Senator a.D. Udo Nagel, die Amtsgeschäfte übernommen und werde dessen erfolgreiche Arbeit fortsetzen. Das gilt natürlich auch für die Arbeit des Hamburger Verfassungsschutzes zur Sicherheit und zum Schutz der Bürger unserer Stadt. Der vorliegende "Verfassungsschutzbericht 2007" berichtet über alle Arbeitsfelder des LfV. Auch wenn er sich auf extremistische Bestrebungen in unserer Stadt konzentriert, kommen überregionale Aspekte und Entwicklungen nicht zu kurz. Die Öffentlichkeit erhielt im September 2007 erneut einen Beleg dafür, dass islamistisch motivierte Terroristen auch Ziele in Deutschland angreifen wollen. Die Sicherheitsbehörden konnten durch Festnahmen im Sauerland/Nordrhein-Westfalen folgenschwere Anschläge verhindern. Auch wenn niemand eine Garantie für eine hundertprozentige Sicherheit geben kann, sind wir gegenüber dieser terroristischen Bedrohung nicht wehrlos. Hamburg hat seine Sicherheitsbehörden gut aufgestellt. Sie nutzen intensiv ihre Möglichkeiten, gewaltbereite Islamisten unter Beobachtung zu halten und nach Möglichkeit auszuweisen oder andere Maßnahmen einzuleiten. In Hamburg werden ca. 2.030 Personen dem islamistischen Potential zugerechnet (2006: ca. 2.000). Teil des Gesamtpotentials sind etwa 210 Personen (2006: 180), die als gewaltbereit eingeschätzt werden. Mit der Erweiterung des Konzeptes zur ganzheitlichen Bekämpfung des islamistischen Terrorismus hat Hamburg im Jahr 2007 sein Frühwarnsystem zur Erkennung islamistischer Strukturen weiter verbessert. Darüber hinaus macht die verstärkte Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden mit anderen Dienststellen die Gefahrenabwehr effektiver. Zu diesem Konzept gehören Maßnahmen, an denen der Hamburger Verfassungsschutz in besonderer Weise beteiligt ist: 3 Vorwort * Neben der unveränderten Präsenz im Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrum (GTAZ) in Berlin arbeitet das Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) in allen wesentlichen Arbeitsund Projektgruppen des Verfassungsschutzverbundes mit; * die Anti-Terrorismus-Koordination (ATK) der Behörde für Inneres hat sich bewährt. Sie hat sich zu einem wichtigen Bindeglied bei der Abwehr terroristischer Gefahren entwickelt. Ohne die enge Einbindung des LfV in die ATK wäre deren erfolgreiche Arbeit nicht denkbar; * Ausländerund Sicherheitsbehörden in Hamburg haben ihre Kooperation bei der Prüfung und Umsetzung ausländerrechtlicher Maßnahmen optimiert, insbesondere bei sogenannten Gefährdern und anderen Islamisten. Bei diesen Maßnahmen spielen Erkenntnisse des LfV oft eine wichtige Rolle; * die Sicherheit des Hamburger Hafens wurde ausgebaut. Dazu trägt die Erweiterung des Personenkreises bei, der sich einer Zuverlässigkeitsüberprüfung durch das LfV unterziehen muss; * die Justizbehörde übermittelt im Rahmen des Strafvollzugsgesetzes personenbezogene Daten an die Sicherheitsbehörden. Seit Januar 2007 hat das LfV seine Schulungsmaßnahmen - insbesondere zu den Themen islamistische Bestrebungen und ihre Erkennbarkeit - in Haftanstalten intensiviert und in zwölf Veranstaltungen etwa 400 Mitarbeiter in den fünf Hamburger Justizvollzugsanstalten für das Thema sensibilisiert; * am 30.03.07 wurde die Arbeit mit der gemeinsamen zentralen "Antiterrordatei" (ATD) aufgenommen. Mit ihr sollen die Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden unterstützt und der Informationsaustausch verbessert werden. Diese und weitere Maßnahmen sind eine sachgerechte und notwendige Antwort auf die aktuelle Bedrohungslage. In Hamburg besteht ein etwa 970 Personen umfassendes Gesamtpotential der Anhänger ausländischer politisch-extremistischer Gruppierungen ohne Islamisten. Dessen Bestrebungen werden im Teil III. des vorgelegten Berichtes beschrieben. Auch wenn der Ausländerextremismus - dabei insbesondere der gewaltbereite Islamismus - höchste Priorität hat, vernachlässigt das 4 Vorwort LfV nicht die Beobachtung anderer extremistischer Bestrebungen, z. B. des Linksund Rechtsextremismus. Das Gipfeltreffen der "Gruppe der Acht" vom 06.-08.06.07 in Heiligendamm prägte die Aktivitäten der linksextremistischen Szene Hamburgs im ersten Halbjahr. Seit Juli 2005 begingen linksextremistische Globalisierungsgegner im Vorlauf der Proteste gegen den G8-Gipfel und das Asia-Europe-Meeting (ASEM) am 28.05.07 in Hamburg militante Aktionen zur Mobilisierung für Heiligendamm, Rostock und Hamburg. Mit einem Brandanschlag auf den Pkw des Vorstandsvorsitzenden eines Hamburger Unternehmens am 28.07.05 begann eine "militante Kampagne", die bis Mai 2007 mit bundesweit 29 Brandanschlägen und zahlreichen Sachbeschädigungen fortgesetzt wurde. In Hamburg und im Hamburger Umland wurden insgesamt zwölf Brandanschläge im G8-Kontext verübt, davon drei im Jahr 2007. Damit war Hamburg einer der bundesweiten Protestschwerpunkte der Anti-G8-Kampagne. Die im Juni 2007 mit der nichtextremistischen "Wahlalternative - Arbeit und Soziale Gerechtigkeit" (WASG) zur Partei "DIE LINKE." fusionierte "Linkspartei.PDS" erzielte bei der Wahl zur Hamburgischen Bürgerschaft und den Bezirksversammlungen am 24.02.08 6,4 % der Landeslisten-Stimmen. Die Partei hat in Hamburg mehr als 1.000 Mitglieder, davon etwa die Hälfte ehemalige WASG-Mitglieder. Die Zahl der im Jahr 2007 in Hamburg erfassten Linksextremisten blieb mit ca. 1.500 im Vergleich zu 2006 unverändert und damit seit 2003 nahezu konstant. Die Gesamtzahl der Rechtsextremisten in Hamburg stagniert seit 2006 bei etwa 540 Personen. Die Zusammenarbeit zwischen Anhängern der aktionistisch orientierten Rechtsextremisten und der "Nationaldemokratischen Partei Deutschlands" (NPD) ist weiterhin, wenn auch regional unterschiedlich ausgeprägt, sehr eng. In Hamburg hat sich dieses gemeinsame Handeln seit der Wahl von Jürgen RIEGER zum NPD-Landesvorsitzenden am 25.02.07 weiter verstärkt. Dem mit der NPD im Januar 2005 geschlossenen "Deutschland-Pakt" zufolge nahm die "Deutsche Volksunion" (DVU) an den Bürgerschaftswahlen in Hamburg am 24.02.08 teil. Mit dem für sie enttäuschenden 5 Vorwort Ergebnis von 0,8 % verfehlte sie erwartungsgemäß den Einzug in die Hamburgische Bürgerschaft. Die "Scientology-Organisation" (SO) strebt eine Gesellschaftsordnung an, mit der "zentrale Verfassungswerte wie die Menschenwürde und das Recht auf Gleichbehandlung außer Kraft gesetzt oder eingeschränkt" werden sollen. Hamburg gehört in Deutschland zu den Schwerpunktgebieten scientologischer Aktivitäten, die Zahl der Scientologen liegt hier unverändert bei etwa 750. Bedeutende Erfolge der SO in Hamburg konnten auch im Jahr 2007 nicht festgestellt werden. Aktiver Verfassungsschutz durch Aufklärung ist notwendig und wichtig. Die Hamburger Verfassungsschützer sehen sich der Abwehr von Gefahren für die Menschen in unserer Stadt weiter mit großem Engagement verpflichtet. Christoph Ahlhaus Präses der Behörde für Inneres der Freien und Hansestadt Hamburg 6 Verfassungsschutz in Hamburg Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern ohne Islamisten Linksextremismus Rechtsextremismus Scientology-Organisation Spionageabwehr Geheimund Sabotageschutz Anhang * Hamburgisches Verfassungsschutzgesetz Inhaltsverzeichnis I. Verfassungsschutz in Hamburg 1. Verfassungsschutz und Demokratie 2. Gesetzliche Grundlage 3. Aufgaben des Verfassungsschutzes 3.1 Extremismusbeobachtung 3.2 Spionageabwehr und Wirtschaftsschutz; Geheimund Sabotageschutz 4. Arbeitsweise und Befugnisse des Verfassungsschutzes 5. Informationsverarbeitung 6. Kontrolle 7. Strukturdaten 8. Organigramm des LfV Hamburg II. Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten 1. Entwicklungen und Schwerpunkte im Überblick 2. Potentiale 3. Politisch Motivierte Kriminalität (PMK) 4. Allgemeines 5. Islamistische Terroristen und sonstige gewaltbereite Islamisten 5.1 Netzwerk international agierender terroristischer Gruppierungen 5.1.1 Kern-Al Qaida 5.1.2 Regionale Al Qaida-Gruppen * "Organisation AL QAIDA in den Maghreb-Staaten" (AQM) * "AL QAIDA im Zweistromland" - "Islamic State of Iraq" (ISoI) * "Armee der Gläubigen der AL QAIDA in Palästina" * "AL QAIDA auf der arabischen Halbinsel" 8 Inhaltsverzeichnis * Zusammenschluss der "Libyan Islamic Fighting Group" (LIFG) mit Al Qaida 5.1.3 Geplante Anschläge in Europa 5.1.4 Geplante Anschläge in Deutschland 5.2 Prozesse, Ermittlungsverfahren und Festnahmen * National * International 5.3 Situation in Hamburg 5.4 Transnationale Organisationen * Hizb ut-Tahrir (HuT) * Muslimbruderschaft (MB; JAMA'A IKHWAN AL-MUSLIMIN) * Tabligh-i Jama'at (TJ) 5.5 Palästinensische und libanesische Organisationen * HAMAS (HARAKAT AL-MUQAWAMA AL-ISLA MIYYA, Islamische Widerstandsbewegung) * HIZB ALLAH (Partei Gottes) 6. Iranische Islamisten 6.1 Allgemeines 6.2 Anhänger der iranischen "Islamischen Revolution" 7. Türkische Islamisten 7.1 "Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e.V." (IGMG) 7.1.1 Die IGMG in Deutschland 7.1.2 Die IGMG in Hamburg 7.2 Türkische Hizbullah (TH) III. Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern (ohne Islamisten) 1. Entwicklungen und Schwerpunkte im Überblick 2. Potentiale 3. Politisch Motivierte Kriminalität (PMK) 4. KONGRA GEL [Volkskongress Kurdistans (früher PKK, Arbeiterpartei Kurdistans)] 9 Inhaltsverzeichnis 4.1 Organisationsentwicklung 4.2 Militärische Auseinandersetzungen im Grenzgebiet zum Irak / Auswirkungen auf Deutschland 4.3 Aktivitäten und Schwerpunkte in Deutschland 4.4 Situation in Hamburg 5. Türken Revolutionär-marxistische Gruppierungen * DHKP-C ("Devrimci Halk Kurtulus Partisi-Cephe", "Revolutionäre VolksbefreiungsparteiFront") * TKP/ML ("Türkiye Komünist Partisi / Marksist Leninist", "Türkische Kommunistische Partei / Marxisten Leninisten") und MKP ("Maoist Komünist Partisi", "Maoistische Kommunistische Partei") * TKP/ML-Partizan ("Türkiye Komünist Partisi / Marksist Leninist", "Türkische Kommunistische Partei / Marxisten Leninisten") * MKP (Maoist Komünist Partisi, Maoistische Kommunistische Partei) * MLKP ("Marksist Leninist Komünist Partisi", "Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei") 6. Iraner Iranische Oppositionelle * Nationaler Widerstandsrat Iran (NWRI) * Arbeiterkommunistische Partei Iran (API) IV. Linksextremismus 1. Entwicklungen und Schwerpunkte im Überblick 2. Potentiale 3. Politisch Motivierte Kriminalität (PMK) 4. Linksextremistischer Terrorismus und autonome Militanz 5. Autonome und anarchistische Gruppen 10 Inhaltsverzeichnis 5.1 Linksextremistische Globalisierungsgegner; AntiASEMund G8-Proteste 5.2 Gruppen und Strukturen in Hamburg * "Rote Flora" * "Antiimperialistischer Widerstand" (AIW) * "Kurdistan-Solidarität Hamburg" * "Palästina-Solidaritätsbündnis Hamburg" * "Sozialistische Linke" (SoL) * "AVANTI - Projekt undogmatische Linke" * "Rote Hilfe e. V." * "Libertäres Kulturund Aktionszentrum" (LKA) und "Libertäres Zentrum" (LIZ) 5.3 Aktionsfelder 5.3.1 "Antirepression" 5.3.2 "Antifaschismus" 5.3.3 Antirassismus 5.3.4 Linksextremistisch beeinflusste Initiativen gegen Stadtentwicklungspolitik 5.3.5 Linksextremistische Einflussnahme auf die AntiAKW-Bewegung 6. "DIE LINKE." 7. Orthodoxe Kommunisten * "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP) * "Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend" (SDAJ) * Marxistische Abendschulen (MASCH) in Hamburg 8. Trotzkisten * "Linksruck" * "Sozialistische Alternative" (SAV) 9. "Marxistische Gruppe" (MG) 11 Inhaltsverzeichnis V. Rechtsextremismus 1. Entwicklungen und Schwerpunkte im Überblick 2. Potentiale 3. Politisch Motivierte Kriminalität (PMK) 4. "Volksfront von Rechts" 5. Aktionistisch orientierte Rechtsextremisten 5.1 Bestrebungen in Hamburg und im Umland 5.2 Bestrebungen im Bundesgebiet 5.3 Aktivitäten 6. Subkulturell geprägte und sonstige gewaltbereite Rechtsextremisten 7. Rechtsextremistische Musik und Vertriebe 8. Rechtsextremistische Parteien 8.1 Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) * Hamburg 8.2 Deutsche Volksunion (DVU) * Teilnahme an der Wahl zur Hamburgischen Bürgerschaft am 24.02.08 9. Sonstige rechtsextremistische Organisationen und Bestrebungen Rechtswidrige Erwähnung der "Bürgerbewegung pro Deutschland" im "Verfassungsschutzbericht 2005" des LfV Hamburg 10. Revisionismus VI. Scientology-Organisation (SO) 1. Zielsetzungen 2. Strukturen und Organisationseinheiten der SO 3. Aktivitäten 4. Strukturen in Hamburg / Mitgliederzahlen VII. Spionageabwehr 1. Überblick 2. Methoden der Nachrichtengewinnung 12 Inhaltsverzeichnis 3. Die Nachrichtendienste der Russischen Föderation 4. Nachrichtendienste von Staaten des Nahen, Mittleren und Fernen Ostens sowie Nordafrikas 5. Proliferation und Wissenstransfer der Nachrichtendienste der "Krisenländer" 6. Wirtschaftsspionage VIII. Wirtschaftsschutz; Geheimund Sabotageschutz 1. Allgemeines 2. Wirtschaftsschutz 3. Geheimund Sabotageschutz 3.1 Geheimschutz 3.1.1 Personeller Geheimschutz in Hamburger öffentlichen Stellen 3.1.2 Personeller Sabotageschutz in Hamburg 3.1.3 Materieller Geheimschutz IX. Anhang * Hamburgisches Verfassungsschutzgesetz 13 Verfassungsschutz in Hamburg Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern ohne Islamisten Linksextremismus Rechtsextremismus Scientology-Organisation Spionageabwehr Geheimund Sabotageschutz Anhang * Hamburgisches Verfassungsschutzgesetz Verfassungsschutz in Hamburg I. Verfassungsschutz in Hamburg 1. Verfassungsschutz und Demokratie Im Gegensatz zur Weimarer Verfassung, die in ihrem Anspruch, ein Höchstmaß an Freiheit und Demokratie zu garantieren, darauf verzichtet hatte, ausreichende Vorkehrungen gegen ihre eigene Abschaffung zu treffen, enthält das Grundgesetz (GG) - dem Prinzip der wehrhaften Demokratie folgend - Schutzmechanismen gegen Beeinträchtigungen der Verfassung. Hierzu gehören im Wesentlichen: * Die Unabänderlichkeit der in den Artikeln 1 und 20 GG niedergelegten elementaren Verfassungsgrundsätze, * Das Verbot von Parteien und sonstigen Vereinigungen wegen verfassungswidriger Aktivitäten (Artikel 9 Abs. 2 und Artikel 21 Abs. 2 GG), * Die Verwirkung von Grundrechten, wenn diese zum Kampf gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung missbraucht werden (Artikel 18 GG), * Die Pflicht der Angehörigen des Öffentlichen Dienstes zur Verfassungstreue (Artikel 5 Abs. 3 und Artikel 33 Abs. 5 GG in Verbindung mit den beamtenrechtlichen Vorschriften), * Die Verfolgung von Straftaten, die sich gegen den Bestand des Staates oder gegen die Verfassung richten (Staatsschutzdelikte). Ziel ist der Schutz der Werteentscheidungen der Verfassung. Zu ihren höchsten Werten zählen * die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten * die Volkssouveränität * die Gewaltenteilung * die Verantwortlichkeit der Regierung * die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung * die Unabhängigkeit der Gerichte * das Mehrparteienprinzip * die Chancengleichheit für alle politischen Parteien und das Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition. 16 Verfassungsschutz in Hamburg Die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder dienen der Gewährleistung dieser Verfassungsgrundsätze. Zentrale Aufgabe des Verfassungsschutzes ist die Beobachtung von Bestrebungen, die die Werteentscheidungen der Verfassung beseitigen oder außer Geltung setzen wollen und/oder den Bund, die Länder oder deren Einrichtungen in ihrer Funktionsfähigkeit erheblich zu beeinträchtigen beabsichtigen (vgl. SS 1 Abs. 1, SS 4 und SS 5 des Hamburgischen Verfassungsschutzgesetzes - HmbVerfSchG - IX - sowie Artikel 73 Nr. 10 b und Artikel 87 Abs. 1 Satz 2 GG, SS 2 Abs. 2 Bundesverfassungsschutzgesetz). Wegen seines Auftrags, frühzeitig politisch-extremistische Bestrebungen zu erkennen, versteht sich der Verfassungsschutz als "Frühwarnsystem" der Demokratie. 2. Gesetzliche Grundlage Das Hamburgische Verfassungsschutzgesetz ist die gesetzliche Grundlage für die Arbeit des Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV). Der Verfassungsschutz ist, wie jede andere Behörde auch, bei der Erfüllung seiner Aufgaben an Gesetz und Recht gebunden und muss bei Eingriffen in die Rechte der Bürger den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahren. 3. Aufgaben des Verfassungsschutzes Hauptaufgabe des LfV ist nach SS 4 Abs. 1 HmbVerfSchG die Sammlung und Auswertung von Informationen über * Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung von Mitgliedern der verfassungsmäßigen Organe des Bundes oder eines Landes zum Ziele haben, * sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten für eine fremde Macht in der Bundesrepublik Deutschland, * Bestrebungen in der Bundesrepublik Deutschland, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungs17 Verfassungsschutz in Hamburg handlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, * Bestrebungen im Geltungsbereich dieses Gesetzes, die gegen den Gedanken der Völkerverständigung (Art. 9 Abs. 2 GG), insbesondere gegen das friedliche Zusammenleben der Völker (Art. 26 Abs. 1 GG) gerichtet sind. Das Landesamt wertet die mit offenen oder mit nachrichtendienstlichen Mitteln ( I.,4.) gewonnenen Erkenntnisse aus und informiert über entsprechende Gefahren. Neben seiner Informationsverpflichtung gegenüber dem Senat und der Weitergabe von Informationen an andere Stellen informiert das LfV mit seinem jährlichen Verfassungsschutzbericht, mit weiteren Publikationen und Pressemitteilungen sowie aktuellen Berichten auf seiner Internetseite auch die Öffentlichkeit über die Ergebnisse seiner Arbeit - soweit diese offen dargestellt werden können. Extremisten erzielen nur dann nachhaltige Erfolge, wenn es ihnen gelingt, die Bürger über ihre wirklichen Absichten zu täuschen. Verfassungsschutz durch Information der Öffentlichkeit ist daher ein wichtiges Anliegen. Zentrale Beobachtungsfelder sind Rechtsund Linksextremismus sowie extremistische Bestrebungen von Ausländern. Einen besonderen Beobachtungsschwerpunkt bilden seit 2001 der Islamismus und der islamistische Terrorismus. Die Extremismusbeobachtung und die Spionageabwehr umfassen auch Maßnahmen gegen Gefahren, die noch im Vorfeld konkreter Straftaten liegen. Die Mitwirkung beim Geheimund Sabotageschutz gehört zu den weiteren Aufgaben des Verfassungsschutzes. 3.1 Extremismusbeobachtung Der gesetzliche Auftrag zur Extremismusbeobachtung bezieht sich auf alle Formen des politischen Extremismus. Beobachtet werden verfassungsfeindliche Positionen von linken, rechten, religiös oder pseudoreligiös motivierten Extremisten. Dabei macht es keinen Unterschied, ob diese Bestrebungen von Deutschen oder von Ausländern ausgehen. Der Ausländerextremismus wird außer von islamistischen ( II.) vorwiegend von linksextremistischen ( IV.) Bestrebungen geprägt. Der 18 Verfassungsschutz in Hamburg Verfassungsschutz sammelt nicht nur Informationen über Aktivitäten von Ausländern, die sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung richten, sondern auch über Bestrebungen in der Bundesrepublik Deutschland, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden. Linksextremisten ( IV.) wollen die freiheitliche Demokratie beseitigen und an ihre Stelle eine kommunistische Diktatur setzen oder "herrschaftsfreie" Strukturen (Anarchie) schaffen. Sie rechtfertigen ihre Gewalt zumeist als legitime "Gegengewalt" oder als "zivilen Ungehorsam". Sachbeschädigungen - selbst in Millionenhöhe - werden von ihnen bagatellisiert. Linksextremistische Terroristen haben mit Attentaten in der Vergangenheit viele Menschen getötet, sogenannte Autonome propagieren Militanz und verüben Gewaltakte gegen Personen und Sachen. Rechtsextremisten ( V.) verfolgen zumeist das Ziel eines autoritären "Führerstaates". Sie reden einem Nationalismus und völkischen Kollektivismus das Wort, der sich gegen die Völkerverständigung richtet, ethnische Minderheiten ausgrenzt und rassistisch geprägt ist. Die meisten Rechtsextremisten spielen die Verbrechen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft herunter oder leugnen sie. Fremdenhass und Antisemitismus bilden die ideologische Grundlage zahlreicher Strafund Gewalttaten, die insbesondere von jüngeren Rechtsextremisten aus der Neonaziund Skinhead-Szene verübt werden und die vor allem seit Anfang der 90er-Jahre zahlreiche Todesopfer gefordert haben. Die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der meisten Länder beobachten die Scientology-Organisation (SO, VI.), weil tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die SO Grundwerte unserer Verfassung in Frage stellt. Eine nach scientologischen Regeln organisierte Gesellschaft würde die grundgesetzliche Werteordnung (z.B. den Gleichheitsgrundsatz, die Meinungsfreiheit, das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit sowie das Recht auf Bildung und Ausübung einer Opposition) beseitigen oder erheblich beeinträchtigen. 19 Verfassungsschutz in Hamburg 3.2 Spionageabwehr und Wirtschaftsschutz; Geheimund Sabotageschutz Spionageabwehr ( VII.) und Wirtschaftsschutz; Geheimschutzund Sabotageschutz ( VIII.) sind Aufgabenbereiche, denen sich der Verfassungsschutz aufmerksam widmen muss, um deutsche Sicherheitsinteressen zu wahren. Die Bundesrepublik Deutschland ist nach wie vor ein wichtiges Ziel fremder Nachrichtendienste, mit den Ausspähungszielen Politik, Militär und Wirtschaft bis hin zur Ausspähung und Unterwanderung von Organisationen und Personen, die in Opposition zu den Regierungen ihrer Herkunftsländer stehen. Materieller und personeller Geheimschutz ( VIII.) tragen dazu bei, dass Unbefugten keine im staatlichen Interesse geheimzuhaltenden Informationen in die Hände fallen. Insbesondere Sicherheitsüberprüfungen sollen das Risiko ausschließen, dass Personen mit Ausspähungsbzw. Verratsabsichten zu Geheimnisträgern werden. Rechtliche Grundlage für das Tätigwerden des Verfassungsschutzes auf diesem Gebiet ist das Hamburgische Sicherheitsüberprüfungsgesetz (HmbSÜG). 4. Arbeitsweise und Befugnisse des Verfassungsschutzes Die Informationen, die das LfV zur Wahrnehmung seiner Aufgaben benötigt, beschafft es z.T. aus offen zugänglichen Quellen, die jedem Bürger auch zur Verfügung stehen, z.B. aus Zeitungen, dem Internet, aus Zeitschriften, Broschüren, Flugblättern, Archiven und anderen Medien sowie aus Unterlagen anderer staatlicher Stellen. Neben der offenen Informationsgewinnung darf das LfV auch mit nachrichtendienstlichen Mitteln Informationen "verdeckt" erheben. Zu diesen Mitteln, die in SS 8 Abs. 2 HmbVerfSchG ( IX) aufgezählt sind, gehört z.B. die Führung von verdeckt eingesetzten Personen, die Observation, Bildund Tonaufzeichnungen und - nach Maßgabe des Art.10-Gesetzes - die Überwachung des Brief-, Postund Fernmeldeverkehrs. Im Jahre 2002 wurden im Rahmen der Umsetzung des Terrorismusbekämpfungsgesetzes die Befugnisse des Landesamtes in wichtigen 20 Verfassungsschutz in Hamburg Punkten erweitert. Nach einer Evaluierung Anfang 2008 wurde es im Rahmen der Umsetzung des Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetzes hinsichtlich der Voraussetzungen und Verfahren einfacher und praxisgerechter gestaltet (vgl. SS 7 des HmbVerfSchG) ( IX). Das LfV darf nicht an eine polizeiliche Dienststelle angegliedert werden. Ihm stehen weder polizeiliche Befugnisse noch Weisungsbefugnisse gegenüber polizeilichen Dienststellen zu noch darf es die Polizei im Amtshilfeweg veranlassen, Maßnahmen zu ergreifen, zu denen es selbst nicht befugt ist ("Trennungsgebot"). Das schließt einen Informationsaustausch zwischen Polizei und Verfassungsschutz nicht aus, im HmbVerfSchG ist dies im Detail geregelt. 5. Informationsverarbeitung Die Verfassungsschutzbehörden sammeln und speichern sachund personenbezogene Daten über extremistische Bestrebungen sowie sicherheitsgefährdende und geheimdienstliche Tätigkeiten. Zu den Instrumenten der gegenseitigen Unterrichtung der Verfassungsschutzbehörden zählen unter anderem gemeinsame Dateien. Die "klassische" gemeinsame Datei ist das bundesweite Nachrichtendienstliche Informationssystem (NADIS, Zahl der Hamburger Speicherungen: I.,7), das derzeit grundlegend neu konzipiert wird. NADIS ist eine allen Verfassungsschutzbehörden zur Verfügung stehende Datenbank, in der jede Verfassungsschutzbehörde biographische Grunddaten von Personen und Objekten in eigener Verantwortung speichert. NADIS enthält aber keine Einzelerkenntnisse über die dort gespeicherten Personen, sondern nur Hinweise auf Aktenfundstellen. Um Näheres über die Person zu erfahren, muss die speichernde Verfassungsschutzbehörde in einem zweiten Schritt um Übermittlung der Einzelerkenntnisse gebeten werden. Zugriff auf die gespeicherten Daten haben ausschließlich die Verfassungsschutzbehörden. Sie sind verpflichtet, diese Daten in bestimmten Fristen daraufhin zu prüfen, ob ihre weitere Speicherung noch erforderlich ist. Ist dies nicht der Fall, werden die Daten gelöscht. Die Datenschutzbeauftragten kontrollieren, ob die Prüfungsund Löschungsfristen beachtet werden. 21 Verfassungsschutz in Hamburg Am 30.03.07 wurde die Arbeit mit einer gemeinsamen zentralen "Antiterrordatei" (ATD) aufgenommen und zum Anfang des Jahres 2008 im HmbVerfSchG die Möglichkeit eingeräumt, mit den anderen Bundesund Landesicherheitsbehörden gemeinsame Projektdateien zu betreiben. Mit diesen Dateien werden die Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden unterstützt und der Informationsaustausch verbessert. Dabei stellt das "Antiterrordateigesetz" sicher, dass die Anforderungen des Quellenund Geheimhaltungsschutzes ebenso beachtet werden wie datenschutzrechtliche Belange. Projektdateien unterstützen befristete gemeinsame Projekte der Sicherheitsbehörden. 6. Kontrolle Der Verfassungsschutz ist an klare gesetzliche Vorgaben gebunden, und seine Arbeit unterliegt parlamentarischer Kontrolle. In Hamburg wird diese Aufgabe vom "Ausschuss zur parlamentarischen Kontrolle des Senats auf dem Gebiet des Verfassungsschutzes" (verkürzt auch "PKA" für "Parlamentarischer Kontrollausschuss" genannt) der Hamburgischen Bürgerschaft wahrgenommen. Bei Eingriffen in das Postund Fernmeldegeheimnis entscheidet die G10-Kommission der Bürgerschaft. Der Hamburgische Datenschutzbeauftragte hat ebenfalls umfängliche Kontrollbefugnisse. Wie bei allen anderen Behörden ist auch das Verwaltungshandeln des Verfassungsschutzes grundsätzlich gerichtlich nachprüfbar. 7. Strukturdaten * Nach den Terroranschlägen vom 11.09.01 in den USA war der Personalbestand des LfV mit dem Stellenplan 2002 zunächst um 15,5 Stellen aufgestockt worden. Im Jahr 2003 waren es 135 und 2004 140 Stellen. Ihre Zahl war 2005 auf 144 gestiegen und blieb 2006 unverändert. Mit dem Stellenplan 2007 hat sich der Bestand auf 148 erhöht. * Im Jahr 2007 betrug der Haushaltsansatz für das LfV insgesamt 11.562.000 EUR (2006: 11.281.000 EUR). Darin enthalten waren 8.939.000 EUR (2006: 8.747.000 EUR) für Personalausgaben. 22 Verfassungsschutz in Hamburg * Vom LfV waren am 31.12.07 im Nachrichtendienstlichen Informationssystem (NADIS, I.,5) Daten von 23.543 Personen gespeichert (31.12.06: 12.921), davon 15.659 (66,51%) im Zusammenhang mit Sicherheitsüberprüfungen (31.12.06: 4.908 = 37,98 %). Der Anstieg der Datensätze im Zusammenhang mit Überprüfungen beruht auf der Nachberichtspflicht und Speicherungsbefugnis für Zuverlässigkeitsüberprüfungen im Luftverkehr nach dem im März 2007 eingeführten Luftsicherheitsgesetz. * Mit Wirkung vom 22.10.01 wurde in Hamburg die Regelanfrage bei Einbürgerungen eingeführt: Das Einwohner-Zentralamt als Einbürgerungsbehörde fragt vor jeder Entscheidung beim LfV nach, ob Erkenntnisse vorliegen, die einer Einbürgerung entgegenstehen könnten. Vor Einführung dieser Regelung wurde nur angefragt, wenn bereits der Einbürgerungsbehörde Anhaltspunkte für den Verdacht auf politisch-extremistische Bestrebungen aufgefallen waren. 2007 gab es 4.966 Anfragen (2006: 5.677), die nach einer Dateiabfrage im NADIS (s.o.) und ggf. weiteren Ermittlungen beantwortet wurden. Im Jahr 2007 wurden in 17 Fällen (2006: 36 Fälle) vom Verfassungsschutz Bedenken gegen eine Einbürgerung erhoben. Sie führen zur Ablehnung des Antrags. * Seit dem 01.05.04 führen die Ausländerdienststellen bei Personen aus bestimmten Herkunftsländern vor Erteilung oder Verlängerung von Aufenthaltstiteln eine Sicherheitsbefragung durch. In jedem Fall wird auch das LfV beteiligt. Im Jahr 2007 wurden 4.352 Anfragen beantwortet (2006 waren es 4.181). In 80 Fällen (2006: 105) wurden Ermittlungen angestellt und in fünf Fällen Bedenken erhoben (2006: 8). * Im Jahr 2007 gab es im "Schengener Visumverfahren" 484 Anfragen beim LfV (2006: 388). In 30 Fällen wurden Bedenken erhoben (2006: 58), denen entsprochen wurde. Das Verfahren wird ausgelöst, wenn der Antragsteller aus einem "Problemstaat" stammt. In das Verfahren eingebunden sind das Auswärtige Amt, das Bundesamt für Verfassungsschutz und ggf. die Verfassungsschutzbehörde des jeweiligen Bundeslandes 23 Verfassungsschutz in Hamburg * Das LfV Hamburg hat im Jahr 2007 944 Sicherheitsüberprüfungen im Rahmen des sog. Personellen Geheimschutzes ( VIII.,3.1.1) bearbeitet (2006: 1.336). * Im Jahr 2007 wurden 12.011 Personen (2006:12.699) aus dem Bereich des Hamburger Flughafens unter Mitwirkung des LfV auf ihre Zuverlässigkeit überprüft. Diese Aufgabe gehört zum sog. Personellen Sabotageschutz ( VIII.,3.1.2). * Im Rahmen des Hafensicherheitsgesetzes wurden 2007 42 Zuverlässigkeitsüberprüfungen ( VIII.,3.1.2) vorgenommen (2006:131). 24 8. Amtsleiter Abteilung 1 Abteilung 2 Abteilung 3 Staatsschutz Abwehr Zentrale Aufgaben (Stellv. Amtsleiter) Rechtsangelegenheiten Referat V 21 Referat V 31 Referat V 11 Auswertung Geheimund Verwaltung Ausländerextremismus Sabotageschutz Öffentlichkeitsarbeit Referat V 22 Auswertung Referat V 12 Referat V 32 Linksextremismus IuK, Techn. Dienst Spionageaufklärung Rechtsextremismus Scientology-Organisation Organigramm des LfV Hamburg Referat V 23 Referat V 13 Beschaffung Operative Technik Forschung / Werbung Referat V 24 Observation Konspirative Ermittlung Verfassungsschutz in Hamburg 25 Verfassungsschutz in Hamburg Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern ohne Islamisten Linksextremismus Rechtsextremismus Scientology-Organisation Spionageabwehr Geheimund Sabotageschutz Anhang * Hamburgisches Verfassungsschutzgesetz Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten II. Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten 1. Entwicklungen und Schwerpunkte im Überblick Zahlreiche im Internet verbreitete Erklärungen von maßgeblichen Al Qaida-Kadern wie Usama BIN LADEN und Ayman AL ZAWAHIRI zeigten, dass trotz des internationalen Kampfes gegen den islamistischen Terror die Strukturen der Al Qaida weiterhin funktionsfähig sind und die Gefahr von Anschlägen fortbesteht ( 5.). Daher ist die Beobachtung islamistischer Bestrebungen und des weltweiten Netzwerkes islamistischer Terroristen nach wie vor die zentrale Aufgabe des Verfassungsschutzes. Deutschland steht wie andere führende westliche Industrienationen besonders im Fokus der islamistischen Terroristen. Dies wurde nicht zuletzt durch die in Deutschland geplanten Anschläge belegt, die im September 2007 durch Festnahmen verhindert werden konnten ( 5.1.4). Auch in Hamburg wohnen weiterhin Befürworter der Jihad-Ideologie ( 5.3). Neben den Anhängern des weltweiten bewaffneten "heiligen Krieges" existieren in Deutschland und gerade in Hamburg weitere Gewalt befürwortende Gruppen wie die multiethnische Hizb ut-Tahrir ( 5.4) und die türkische Hizbullah ( 7.2). Gefahren für die freiheitliche demokratische Grundordnung gehen aber auch von gewaltfreien islamistischen Organisationen aus. Die "Islamische Gemeinschaft Milli Görüs" (Islam Toplumu Milli Görüs, IGMG) ist die mit Abstand größte Organisation dieses Spektrums. Funktionäre der IGMG bekundeten wiederholt öffentlich, dass sich die IGMG auf dem Boden des Grundgesetzes bewege und für die Verfassungsprinzipien stehe. Tatsächlich gibt es aber weiterhin Anhaltspunkte dafür, dass die IGMG nach wie vor in die Bestrebungen Necmettin ERBAKANs eingebunden ist ( 7.1). Neben den bisher genannten sunnitisch-islamistischen Gruppen existieren in Hamburg auch islamistische Strukturen schiitischer Ausrichtung. Kristallisationspunkt der Schiiten ist das iranisch geprägte Islami28 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten sche Zentrum Hamburg (IZH, 6.). Hier treffen sich auch Anhänger der schiitischen Hizb Allah ( 5.5). 2. Potentiale Das bundesweite Potential der Anhänger islamistischer Bestrebungen hat sich leicht auf 33.170 Personen (2006: 32.050) erhöht. Es ist nicht eindeutig zu beurteilen, ob diese Steigerung einen "echten" Zuwachs bedeutet oder auf eine verbesserte Einblickstiefe des Verfassungsschutzes zurückzuführen ist. Bund: Gesamt-Personenpotential im Ausländerextremismus mit dem Anteil der Islamisten 60000 59.100 59.700 58.800 59.100 57.350 57.300 57.520 57.420 57.300 58.420 50000 40000 30000 20000 31.290 31.350 31.450 31.950 30.600 30.950 31.800 32.100 32.050 33.170 10000 0 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 Ausländerextremisten davon insgesamt Islamisten - Alle Zahlen sind geschätzt oder gerundet - Von diesen 33.170 Personen gehören ca. 27.000 (2006: 26.500) der türkischen IGMG an. Diese Zahlen allein sind kein aussagekräftiger 29 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten Indikator für Gefahren, die von diesem Spektrum für die innere Sicherheit Deutschlands ausgehen. Insoweit geht mit einem Anwachsen des Potentials nicht automatisch eine höhere Gefährdung einher. Informationen über extremistische Ausländer, die keine Islamisten sind, enthält das Kapitel "III. Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern ohne Islamisten". Hamburg: Gesamt-Personenpotential im Ausländerextremismus mit dem Anteil der Islamisten 3500 3000 2.630 2500 2.590 3.055 3.265 3.000 3.000 2000 1500 1.200 1.300 1.600 2.000 2.000 2.030 1000 500 0 2002 2003 2004 2005 2006 2007 Ausländerextremisten Islamisten insgesamt - Alle Zahlen sind geschätzt oder gerundet - In Hamburg werden ca. 2.030 Personen dem islamistischen Potential zugerechnet (2006: ca. 2.000). Auch hier stellt die IGMG mit ca. 1.600 Anhängern - im Vergleich zu 2006 unverändert - den größten Anteil. Teil des Gesamtpotentials sind etwa 210 Personen (2006: 180), die als gewaltbereit eingeschätzt werden ( 5.3). 30 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten 3. "Politisch Motivierte Kriminalität" (PMK) PMK von Islamisten wurde 2007 in Hamburg nicht erfasst. Die Gefahr politisch motivierter Kriminalität von Islamisten macht sich allerdings nicht an den Fallzahlen fest, sondern an der möglichen Schwere eines gelungenen Anschlages ( 5.1.2). Ein möglicher islamistischer Bezug zu einer Messerstecherei, die bereits im Dezember 2006 stattfand, konnte erst Anfang diesen Jahres erkannt werden. In einer Schule in Hamburg-Jenfeld wurde ein 17jähriger Schüler von einem ebenfalls minderjährigen Schüler afghanischer Herkunft niedergestochen, weil das Opfer zuvor eine zum Islam konvertierte Schülerin beleidigt haben sollte. Der Täter hatte diese seinerzeit zum Islam bekehrt. Er ist dem jugendlichen Umfeld der islamistischen Hizb ut-Tahrir ( 5.4) zuzurechnen. Zu deren Ideologie gehört es, bei Angriffen gegen einen Muslim oder gegen eine Muslima den "Jihad" (Heiliger Krieg) zu befolgen, sich also gewalttätig zu wehren. 4. Allgemeines Islam und Islamismus sind nicht dasselbe. Der Islam ist eine Religion; Islamismus hingegen eine politische Ideologie auf religiöser Basis. Islamisten richten sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung und streben die (Wieder-) Einführung der klassischen islamischen Gesetze, der sogenannten Scharia, an. Was Islamisten als tief greifende Krise nicht nur der islamischen Länder einschätzen, erklären sie damit, dass sich die Menschen vom "wahren Glauben" entfernt hätten, wie ihn der Prophet Muhammad und seine vier rechtgeleiteten Nachfolger (Kalifen) praktizierten. Weder Kapitalismus noch Kommunismus seien dazu in der Lage, die bestehenden Probleme zu lösen. Dies sei nur durch die Rückkehr zu den Grundlagen des Korans und der Sunna (überlieferte Lehren und Verhaltensweisen Muhammads und seiner vier Nachfolger) möglich. Hiernach habe sich auch das politische System zu richten. Genau das meinen Islamisten, wenn sie vom "Gottesstaat" sprechen. Ein derartiges Gesellschaftssystem verstößt gegen die Prinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Die Ideologien und Vorgehensweisen der verschiedenen islamistischen Organisationen sind unterschiedlich. Die Verfassungsschutzbehörden klassifizieren Islamisten wie folgt: 31 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten * Gewaltfreie Organisationen... ... stellen den größten Teil der Islamisten in Deutschland und in Hamburg. Ihr Ziel, die eigenen Vorstellungen vom Islam politisch umzusetzen, verfolgen sie mit legalen Mitteln. * Gewaltbefürwortende/bereite Organisationen ... ... bejahen grundsätzlich auch die Legitimität des bewaffneten Jihad als Mittel des politischen Kampfes. Bei diesen Organisationen handelt es sich überwiegend um panislamistisch orientierte oder transnational organisierte Bewegungen wie z.B. die "Muslimbruderschaft" ( 5.4) oder die "Hizb ut-Tahrir" ( 5.4). Diese Gewaltbefürwortung kann sich nur auf eine Region beziehen (wie z.B. bei der HAMAS im Nahen Osten, 5.5) oder auch weltweit gelten, wie dies Al Qaida ( 5.1.1) und mit ihr vernetzte Strukturen ( 5.1.2) durch Anschläge praktizieren. Die Anhänger der Ideologie des weltweiten Jihad werden von den Sicherheitsbehörden als Jihadisten bezeichnet. 5. Islamistische Terroristen und sonstige gewaltbereite Islamisten 5.1 Netzwerk international agierender terroristischer Gruppierungen Während die Terrororganisation Al Qaida weltweit auch im Jahr 2007 umfassend präsent war - zumindest in medialer Hinsicht -, ging die bisher massivste Bedrohung durch den islamistischen Terrorismus in Deutschland von einer bis dahin wenig bekannten Organisation aus - der "Islamischen Jihad Union (IJU)". Am 04.09.07 wurden im Sauerland Fritz G., Daniel S. und Adem Y. wegen des Verdachts der Vorbereitung und Durchführung terroristischer Anschläge verhaftet ( 5.1.4). Die Organisation hinter den in Deutschland agierenden Verdächtigen ist nach derzeitigen Erkenntnissen die IJU, eine etwa im Jahr 2002 in Usbekistan gegründete islamistische Organisation, deren ursprüngliches Ziel der Kampf gegen die mutmaßliche Unterdrückung von Muslimen durch den usbekischen Präsidenten KARIMOV war. Im Jahr 2004 wurden im Namen der 32 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten Organisation mehrere Sprengstoffanschläge in Usbekistan begangen, die viele Todesopfer forderten. Die USA und Großbritannien setzten die IJU im Jahr 2005 auf ihre Listen der Terrororganisationen. Die IJU bekennt sich zwar nicht zu einer Zugehörigkeit zur Al Qaida. Aus ihrer Selbstbezichtigung zu den Anschlagsplanungen in Deutschland ergeben sich jedoch deutliche Überschneidungen mit der Ideologie von Al Qaida. Die Organisation der Al Qaida entstand in den 80er-Jahren um ihren Führer Usama BIN LADEN. Ihre Mitglieder wurden "Mujahidin" ("Gotteskrieger") genannt. Sie waren während der Besetzung Afghanistans durch Truppen der Sowjetunion gemeinsam mit anderen afghanischen "Gotteskriegern" und Unterstützung der USA an den Kampfhandlungen gegen die Besatzungsmacht beteiligt. Nach Abzug der Sowjets etablierte Al Qaida verschiedene Ausbildungscamps, in denen Tausende von Mujahidin ausgebildet wurden, und setzte sich mit der Frage auseinander, wie die arabische Halbinsel mit ihren heiligen Städten Mekka und Medina von den "Ungläubigen" (gemeint war die Präsenz USamerikanischer Streitkräfte in Saudi-Arabien) befreit werden könnte. Letztlich müsse der Kampf gegen die USA weltweit geführt werden. Anschläge auf die US-Botschaften in Nairobi/Kenia und Daressalam/ Tansania am 07.08.98 (224 Tote) und auf das US-Marine-Schiff "USS Cole" im Hafen von Aden/Jemen am 12.10.2000 (17 Tote) machten die neue Zielrichtung der Al Qaida deutlich. Nach der Zerschlagung der Al Qaida-Basen in Afghanistan nach den Anschlägen des 11.09.01 verließen die meisten Mujahidin das Land und gingen nach Pakistan oder kehrten in ihre Herkunftsländer zurück. Der Verlust der Ausbildungsstützpunkte und die Tötung oder Festnahme zahlreicher Führungskader zwangen Al Qaida, Organisationsform und Vorgehensweise zu modifizieren, wenn sie als Organisation überleben wollte. Durch die Rückkehrer in die verschiedensten Länder entstand ein weltweites Beziehungsund Unterstützungsgeflecht von mehr oder weniger selbstständig agierenden Gruppen, das weltweite Netzwerk islamistischer Terroristen. 33 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten Aber nicht nur die Organisationsform, sondern auch die ideologische und "handwerkliche" Ausbildung der Mujahidin musste modifiziert werden. Beispielhaft hierfür kann ein Ausbildungshandbuch genannt werden: Zu Zeiten der Ausbildungslager sollen nur einige Dutzend Exemplare existiert haben, die unter sicherer Verwahrung gehalten wurden. Die "Schüler" mussten sich die unterrichteten Passagen (Verhalten im Kampf, Herstellen von Sprengstoffen u.v.m.) abschreiben. Nach dem Fall des afghanischen Taliban-Regimes gelangten einige Exemplare dieses Handbuches in die Hände westlicher Nachrichtendienste und Journalisten. Ab 2003 wurde es auch im Internet auf einschlägigen Homepages veröffentlicht. Wenngleich das hier offerierte Wissen aufgrund fehlender Ausbildungscamps kaum noch praktisch erprobt werden kann, steht künftigen Mujahidin dieses komprimierte Al Qaida-Wissen nach wie vor zur Verfügung. Al Qaida hat auf diese Weise versucht, die jihadistische Basis zu verbreitern. Al Qaida setzt verstärkt auf das Internet als Medium für ihre Agitation. Die Veröffentlichungen, die auf einschlägigen Internetseiten zu finden sind oder durch arabische Sender verbreitet werden, sind professionell gestaltet. Sie werden durch eine eigene Propaganda-Abteilung der Al Qaida verbreitet, die sich As Sahab nennt. In Deutschland und Österreich versucht sich ein Ableger der "Global Islamic Media Front" ("Globale islamische Medienfront", GIMF) im Internet als deutschsprachige Plattform auch für die Verbreitung der Al Qaida-Verlautbarungen zu etablieren. Ihre Betreiber stehen im Verdacht, durch Verbreitung von Propaganda im Internet die Ideologie islamischer Terroristen zu unterstützen, zum "Globalen Jihad" aufzurufen und Personen für islamistisch motivierte terroristische Straftaten zu rekrutieren ( 5.1). So verwies die GIMF z. B. auf eine Website, auf der - erstmalig auch in deutscher Sprache - detaillierte Anleitungen u. a. zur Herstellung von Sprengstoffen und Bomben zusammengestellt waren. Al Qaida ist - wie dargestellt - nach wie vor umfassend präsent. Sie existiert neben der hierarchischen Organisation mit festen Strukturen auch als Netzwerk, das aus Personen und Gruppen besteht, die die Ideologie von Al Qaida übernommen haben. Insoweit hat sich Al Qaida in den letzten Jahren auch zu einer Bewegung entwickelt. 34 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten Auch die Festnahmen im Sauerland machten nochmals deutlich, dass sich die Sicherheitsbehörden auf verschiedene Szenarien einstellen müssen. Anschläge können sowohl von Kadern der Al Qaida und ihren Verbündeten als auch von "home-grown"-Terroristen verübt werden. 5.1.1 Kern-Al Qaida Die Protagonisten der Al Qaida - ihr Gründer und Führer Usama BIN LADEN und sein Stellvertreter Ayman AL ZAWAHIRI - befinden sich auch weiterhin auf freiem Fuß. Ihr Aufenthalt wird im pakistanischafghanischen Grenzgebiet vermutet. Auch im Jahr 2007 wandten sich beide wiederholt per Audiooder Videobotschaft an die Öffentlichkeit und ihre Anhänger. Im Gegensatz zum Jahr 2006, in dem BIN LADEN ausschließlich mit Audiobotschaften in Erscheinung getreten ist, hat er sich im September 2007 - und damit in unmittelbarer zeitlicher Nähe zum 6. Jahrestag der Anschläge vom 11.09.01 - erstmals wieder in einer Videobotschaft präsentiert, die im Internet verbreitet wurde. In dieser Botschaft mit dem Titel "Die Lösung" wandte sich BIN LADEN in der Pose des Anführers der Gesamtheit der Muslime direkt an das US-amerikanische Volk. Er stellte die Überlegenheit des Islam, z. B. als Beschützer von Minderheiten, dar und behauptete, die Politik der USA werde seit dem 11.09.01 größtenteils durch seine Mujahidin bestimmt. Schuld an den gegenwärtigen Kriegen und den Leiden der Menschen hätten die Demokratie und die kapitalistischen Wirtschaftssysteme, die die Menschen nur ausbeuteten. Er skizzierte die Befreiungsideologie eines "islamistischen Antikapitalismus". Die von BIN LADEN propagierte "Lösung" bestand in der Aufforderung an die US-amerikanischen Bürger, zum Islam zu konvertieren. Das Schlussargument seiner Botschaft, der Islam kenne ausschließlich eine 2,5-prozentige "Almosensteuer", hielt er vielleicht für das überzeugendste. Im November 2007 wandte sich BIN LADEN mit einer Videobotschaft auch an die Europäer. Unter dem Titel "An die Völker Europas" forderte er die europäischen Bürger auf, von ihren Politikern zu verlangen, alle Angriffe auf Muslime - insbesondere in Afghanistan - einzustellen. In dieser Botschaft übernahm er die Verantwortung für die Anschläge vom 11.09.01. Er verzichtete erneut durchgängig auf die sonst übli35 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten chen jihadistischen Floskeln. Das Video wurde erstmals mit deutschen Untertiteln verbreitet. Während Usama BIN LADEN in seinen Botschaften weiterhin darum bemüht ist, das Bild eines milden, geradezu spirituellen Anführers von Al Qaida von sich zu zeichnen, hat sein Stellvertreter Ayman AL ZAWAHIRI unverändert die Position des kämpferischen, zu allem bereiten Mujahidin besetzt. Seine Botschaften haben häufig einen direkten Bezug zu aktuellen Ereignissen, z. B. der Stationierung weiterer USamerikanischer Truppen im Irak im März 2007. Er forderte die Muslime der jeweils betroffenen Länder dazu auf, die "Eindringlinge" und "Feinde des Islam" im bewaffneten Kampf zu besiegen. Unmittelbar nach der Erstürmung der Roten Moschee in Islamabad/ Pakistan durch pakistanische Sicherheitskräfte im Juli 2007 bezog AL ZAWAHIRI Stellung. In einer Botschaft verlangte er von den pakistanischen Muslimen und islamischen Rechtsgelehrten, dieses "Verbrechen ... mit Blut zu reinigen". Mit einer Botschaft vom September 2007 schlug AL ZAWAHIRI einen Bogen von den Aktivitäten Al Qaidas in Afghanistan, im Irak, im Maghreb und in weiteren afrikanischen Ländern bis nach Tschetschenien. Diese Botschaft unternahm - neben der Aufforderung an die Mujahidin, den Kampf gegen die Ungläubigen standhaft fortzusetzen - auch den Versuch, die länderübergreifende Präsenz und Stärke Al Qaidas darzustellen. Dabei versuchte AL ZAWAHIRI, dem Eindruck entgegenzuwirken, Al Qaida könnte durch diese Ausdehnung zerfasert sein und an Stärke verloren haben. Möglicherweise ist Ayman AL ZAWAHIRI auf diese Weise bemüht, den Alleinvertretungsanspruch von Al Qaida zu festigen. Allen Aussagen und Darstellungen zum Trotz sah sich Al Qaida im Jahr 2007 wiederholt der Kritik aus den eigenen Reihen ausgesetzt, dass die Kämpfe insbesondere im Irak zu viele Opfer unter den Muslimen forderten. BIN LADEN und AL ZAWAHIRI waren in ihren Botschaften bestrebt, diesen Vorwurf zu entkräften. Auch sprachen sie wiederholt die islamischen Rechtsgelehrten an mit dem Ziel, von diesen eine Legitimation für ihr Handeln zu erhalten. 36 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten In einem Interview des Al Qaida-Medienzentrums AS SAHAB mit Ayman AL ZAWAHIRI im Dezember 2007 wurden die Zuschauer per Videoeinblendung dazu aufgefordert, Fragen an AL ZAWAHIRI zu stellen. Es wurde ausdrücklich dazu ermuntert, offene Fragen an ihn zu richten, die dann in einschlägigen Internet-Foren beantwortet würden. 5.1.2 Regionale Al Qaida-Gruppen "Organisation AL QAIDA in den Maghreb-Staaten" (AQM) Al Qaida expandierte auch im Jahr 2007 erfolgreich. Der Name "Al Qaida" wurde auch im Jahr 2007 von anderen Gruppierungen übernommen. Ende Dezember 2006/Anfang Januar 2007 beteuerte der Emir der algerischen "Groupe Salafiste pour la Predication et le Combat" (GSPC) in einer Videobotschaft Usama BIN LADEN seine Gefolgschaft. Er gratulierte darin ferner der Gemeinschaft der Muslime im Irak zu ihrem Sieg über die "Kreuzzügler" und drohte dem algerischen Staatsoberhaupt BOUTEFLIKA mit dem Sturz der algerischen Regierung und der Errichtung eines islamischen Staates. Kurz darauf wurde im Internet eine Erklärung der GSPC vom 24.01.07 festgestellt, mit der sie sich in "Organisation AL QAIDA in den Maghreb-Staaten" ("Al Qaida in Mesopotamia", AQM) umbenannte. Offensichtlich war im Vorfeld der Umbenennung zunächst Kontakt mit der Al Qaida-Führung aufgenommen worden, die dem Vorhaben im Vorwege zugestimmt hatte. Die AQM versteht sich als regionale Organisation, deren Einsatzgebiete weiterhin in Algerien und dem Maghreb liegen. Schätzungen der algerischen Presse zufolge sind in Algerien im Jahr 2007 rund 500 Personen dem islamistischen Terrorismus zum Opfer gefallen. Dies entspräche einer Steigerung von 25% im Verhältnis zum Vorjahr. Die algerischen Behörden veröffentlichen keine Opferzahlen. Mit der Übernahme des Etiketts Al Qaida durch die GSPC wurde auch deren operatives Vorgehen übernommen. Seither setzt die ehemalige GSPC vermehrt Selbstmordattentäter ein. Die gravierendsten Anschläge der AQM waren die Selbstmordattentate vom 37 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten * 13.02.2007: Sechs mit Sprengstoff beladene Fahrzeuge explodierten vor sechs Polizeistationen und töteten ca. 140 Menschen. * 11.04.2007: Drei mit Sprengstoff beladene Fahrzeuge explodierten vor Regierungseinrichtungen in Algier und töteten ca. 25 Menschen. * 11.12.2007: Bombenanschläge auf das Verfassungsgericht und VN-Vertretungen in Algier töteten 41 Personen, unter ihnen 17 Angestellte der VN. Die Ermordung von vier französischen Touristen in Mauretanien im Dezember 2007 geht ebenfalls zu Lasten der AQM. Das Motiv für diese Tat ist bislang unklar, möglicherweise sind die Touristen einem fehlgeschlagenen Entführungsversuch zum Opfer gefallen. Im November 2007 wurde ein Führungsmitglied der AQM von algerischen Sicherheitskräften getötet, was nicht zu einer Schwächung der Organisation geführt hat. "AL QAIDA im Zweistromland" - "Islamic State of Iraq" (ISoI) Der Ableger der Al Qaida im Irak - die "AL QAIDA im Zweistromland" (einst von dem Terroristen AL ZARQAWI gegründet) - hat sich im Oktober 2006 in "Islamic State of Iraq" (ISoI) umbenannt. Der ISoI zeichnete auch 2007 für viele schwere Attentate verantwortlich, die sich nicht nur gegen die multinationalen Einsatztruppen im Irak richteten, sondern auch und insbesondere viele zivile Opfer forderten. Deshalb stößt er selbst bei den anderen islamistischen Terrororganisationen im Irak auf erhebliche Akzeptanzprobleme. So hat sich die Organisation "Ansar al-Islam" (AAI) dem ISoI bislang nicht angeschlossen. Auch die strikt anti-schiitische Ideologie des ISoI wird nicht von allen sunnitischen Gruppierungen in dieser Form mitgetragen. In der Provinz Anbar des Irak haben sich ehemalige Baathisten und irakische Nationalisten zum sunnitischen "Anbar Salvation Council" (ASC) zusammengeschlossen, um gegen den Terror des ISoI vorzugehen. Deshalb überrascht es nicht, wenn eine hohe Zahl von Mujahidin des ISoI nicht irakischer, sondern ausländischer Herkunft sind. Dies wird 38 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten eindrucksvoll durch eine Liste mit Personalien von ca. 600 ausländischen rekrutierten Kämpfern für Al Qaida belegt, die bei einer Operation der multinationalen Truppen im September 2007 im Irak gefunden wurde. Die größte Anzahl der Kämpfer mit 244 Personen stammt aus Saudi-Arabien. Überraschenderweise stammt die zweitgrößte Gruppe mit 122 Personen aus Libyen, von denen sich 85% als Selbstmordattentäter opfern wollten. Von den Saudi-Arabern waren dazu lediglich 13% bereit. Zwar kann nicht davon ausgegangen werden, dass der ISoI völlig an Einfluss und Bedeutung im Irak verliert. Dennoch war die Führung von Al Qaida wegen dieser Entwicklung so sehr beunruhigt, dass sich BIN LADEN im Oktober 2007 mit einer Botschaft mit dem Titel "An unsere Leute im Irak" wandte. Darin betonte er die zwingende Notwendigkeit zur Einheit der Mujahidin-Gruppen, die sich unter keinen Umständen von ihren Feinden auseinanderdividieren lassen dürften. Indirekt äußerte er auch Kritik am ISoI, der den Fehler mache, sich bei seinen Entscheidungen nicht ausschließlich von Allah, seinem Propheten und dem Koran leiten zu lassen. Gleichzeitig bat er bei den irakischen Bürgern für die begangenen Fehler um Verzeihung. "Armee der Gläubigen der AL QAIDA in Palästina" In Palästina versucht sich seit 2006 ebenfalls eine Terrorgruppe unter dem Namen von Al Qaida zu etablieren, nämlich die "Armee der Gläubigen der AL QAIDA in Palästina". In ihren Botschaften richten sich BIN LADEN und AL ZAWAHIRI häufig an das palästinensische Volk, versichern ihm ihre Solidarität und bestärken es in seinem Kampf gegen Israel und die Besetzung seines Landes. Auch wurden wiederholt Versuche unternommen, die HAMAS ideologisch in die Nähe von Al Qaida zu rücken, indem Gemeinsamkeiten hervorgehoben wurden. Dieses Vorhaben verlief allerdings bisher erfolglos. Entsprechend verhält es sich auch mit der Entwicklung des Ablegers von Al Qaida in Palästina. Er verübte in der Vergangenheit kleinere Anschläge, für die er dann aber nicht nur von israelischer Seite, sondern auch von der palästinensischen Autonomiebehörde und der HAMAS kritisiert wurde - so zuletzt für die Anschläge gegen die amerikanische internationale Schule im Gazastreifen am 10.01. und 12.01.08. 39 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten "AL QAIDA auf der arabischen Halbinsel" Saudi-Araber stellen nicht nur im Irak eine große Gruppe von Al QaidaKämpfern (s.o.). Dies ist möglicherweise dem Umstand geschuldet, dass "AL QAIDA auf der arabischen Halbinsel" unter sehr hohem Verfolgungsdruck durch saudische Sicherheitsbehörden steht. So wurden im November 2007 über 200 Terrorverdächtige festgenommen, die einen Anschlag auf eine Erdöl-Anlage geplant haben sollen. Viele hochrangige Funktionäre wurden entweder verhaftet oder kamen bei Auseinandersetzungen mit den Sicherheitsbehörden ums Leben. Daher sind zahlreiche Mujahidin ins Ausland ausgewichen. Im Dezember 2007 haben saudische Sicherheitsbehörden eigenen Angaben zufolge während der Hadsch einen Anschlag von Al Qaida auf die heiligen Stätten bei Mekka vereitelt. Zusammenschluss der "Libyan Islamic Fighting Group" (LIFG) mit Al Qaida Die LIFG wurde Anfang 1990 von libyschen Mujahidin-Gruppen ehemaliger und in die Heimat zurückgekehrter Afghanistan-Kämpfer gegründet. Ziel der Gruppierung ist der Kampf zur Wiedereinführung eines islamischen Regimes in Libyen. Er soll auf Grundlage der Scharia von der LIFG angeführt werden, Muammar GADDAFIs Absetzung wird angestrebt. Nach zahlreichen LIFG-Anschlägen in Libyen konnten die dortigen Strukturen nach massiven Aktionen libyscher Sicherheitsbehörden weitgehend zerstört werden. In einer Video-Botschaft vom 03.11.07 mit dem Titel "Schließung der Reihen" verkündeten AL ZAWAHIRI und der Anführer der LIFG, Abu Laith AL LIBI, den Zusammenschluss von Teilen der LIFG mit Al Qaida. Es bleibt unklar, ob sich die gesamte LIFG der Al Qaida angeschlossen hat, einschließlich der in Libyen inhaftierten LIFG-Mitglieder, oder nur der in Freiheit verbliebene Teil der Bewegung, dem nur wenige Aktionen zugetraut werden. Möglicher Hintergrund dieses Zusammenschlusses ist der Versuch, den wiederholten Aufrufen BIN LADENs zur Einheit aller Muslime mehr Nachdruck zu verleihen. Gleichzeitig soll der Zusammenschluss als Beweis für die Vitalität der Organisation und als Nachweis die40 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten nen, dass sie sich nicht zerschlagen lasse, sondern vielmehr stetig anwachse. Für die LIFG hingegen bedeutet die Zugehörigkeit zur Al Qaida die Aufwertung einer regionalen und personell stark geschwächten Terrorgruppe als Teil des internationalen Jihad. Abu Laith AL LIBI, der zwischenzeitlich in der Al Qaida-Führungsstruktur weit aufgerückt war, wurde im Januar 2008 in Pakistan bei einem amerikanischen Raketenangriff getötet. 5.1.3 Geplante Anschläge in Europa Am 29.06.07 wurden in London innerhalb von Stunden zwei mit Sprengstoff, Propangas, Benzin und Nägeln präparierte Autobomben entdeckt und entschärft. Die Explosionen hätten Schätzungen zufolge Hunderten von Menschen das Leben kosten können. Am 30.06.07 explodierte ein mit zwei Männern besetzter brennender Geländewagen unmittelbar vor dem Hauptterminal des Flughafens Glasgow. Mit Ausnahme der beiden Attentäter, die nach der Tat festgenommen werden konnten, kamen keine Personen zu Schaden. Ein Attentäter erlag seinen schweren Verletzungen. Die drei Anschlagsversuche standen miteinander in Verbindung. In der Folge verhafteten britische Sicherheitsbehörden mehrere Personen überwiegend pakistanischer Herkunft, die in Zusammenhang mit den Anschlägen standen. Obwohl sich keine Organisation hierzu bekannte, wird aufgrund des modus operandi davon ausgegangen, dass es sich um eine Al Qaida nahestehende oder zumindest von ihr inspirierte Gruppe gehandelt hat. Die mutmaßlichen Terroristen und ihr Umfeld stammen überwiegend aus medizinischen Berufen und schienen in die britische Gesellschaft gut integriert zu sein. 5.1.4 Geplante Anschläge in Deutschland Am 04.09.07 wurden in Oberschledorn (Sauerland, NRW) Fritz G., Daniel S. und Adem Y. wegen des Verdachts der Vorbereitung und 41 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten Durchführung terroristischer Anschläge in Deutschland verhaftet. In einer Verlautbarung, die im Internet verbreitet wurde, bekannte sich die "Islamische Jihad Union" (IJU) ( 5.1) als verantwortlich für die Anschlagsversuche. Der Festnahme-Erfolg stand am Ende einer sehr langen und personalaufwändigen Beobachtung durch Polizei und Nachrichtendienste. Die Beobachtung lieferte neue Erkenntnisse über Strukturen von Terrorgruppen in Deutschland, auch über den Verlauf ihrer Radikalisierung und Ausbildung. Daniel S. und Fritz G. sind die ersten den Sicherheitsbehörden bekannt gewordenen Konvertiten, die schwerste Anschläge begehen wollten. Einige Personen aus ihrem Umfeld sind türkischer Herkunft. Die mutmaßlichen Terroristen nutzten zur Kommunikation mit ihren Führungspersonen im Ausland intensiv das Internet. Dabei wechselten sie sehr häufig die Internetshops oder loggten sich in ungeschützte WLAN-Netze ein, um einer Überwachung zu entgehen. 5.2 Prozesse, Ermittlungsverfahren und Festnahmen National * In dem Verfahren gegen Mounir EL MOTASSADEQ setzte das Oberlandesgericht (OLG) Hamburg in seiner Entscheidung am 08.01.07 das Strafmaß auf eine Haftstrafe von 15 Jahren fest, nachdem der Bundesgerichtshof (BGH) am 16.11.06 das vorherige Urteil aufgehoben hatte. EL MOTASSADEQs Anwälte legten einen Tag nach der Verurteilung Revision gegen die Entscheidung des Gerichts ein. Der 3. Strafsenat des BGH entschied am 02.05.07, die Revision nicht anzunehmen, weil die Beschwerde unbegründet sei. Das Urteil gegen Mounir EL MOTASSADEQ hat somit Bestandskraft. * Im Fall der "Trolley-Bomber" Youssef EL H. und Jihad H. (die beiden wollten am 31.07.06 Bombenanschläge auf Regionalzüge in NRW begehen) läuft derzeit vor dem Staatsschutzsenat des OLG Düsseldorf das Verfahren gegen Youssef EL H. Sein Komplize Jihad H. wurde bereits am 31.07.07 in Beirut zu einer Freiheitsstrafe von 12 Jahren verurteilt. Youssef EL H. wurde vom selben Gericht in Abwesenheit zu einer lebenslangen Haft verurteilt. Die beiden Beschuldigten bezichtigten sich gegenseitig der Urheberschaft für die geplanten Anschläge. In einer Befragung 42 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten durch einen deutschen Bundesanwalt in Beirut hat Jihad H. den in Deutschland angeklagten Youssef EL H. schwer belastet: Sie hätten demnach die Absicht gehabt, möglichst viele Menschen zu töten. Während die Verteidigung des EL H. erklärte, die Bomben hätten nur zur Abschreckung gedient, sagte Jihad H. aus, dass die umgebauten Gasflaschen tatsächlich explodieren sollten. Das Verfahren in Düsseldorf läuft noch mindestens bis Mitte 2008. * Am 05.12.07 verurteilte das OLG Düsseldorf Ibrahim Mohamed KHALIL wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung und versuchten bandenmäßigen Betruges in 28 Fällen zu einer Haftstrafe von sieben Jahren. Yasser Abu SHAWEESH erhielt wegen derselben Vorwürfe eine Haftstrafe von sechs Jahren, sein Bruder Ismail Abu SHAWEESH wurde zu drei Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt. Das Gericht sah es u. a. als erwiesen an, dass die Angeklagten im Auftrag von Al Qaida neue Terrorhelfer für Selbstmordanschläge in Europa rekrutieren wollten sowie einen Versicherungsbetrug in Höhe von 4,3 Millionen Euro geplant hatten. Insbesondere Ibrahim Mohamed K. galt als einer der engsten Gefolgsleute von Usama BIN LADEN. Das Verfahren ist das erste der Bundesanwaltschaft, das auf Erkenntnissen aus einem "Großen Lauschangriff" fußt. Die Angeklagten waren 2005 nach umfangreichen Überwachungsmaßnahmen von Wohnräumen festgenommen worden. * Der Kieler "Terrorhelfer" Redouane EL HABHAB wurde am 24.01.08 vom OLG Schleswig für seine Unterstützung von Al Qaida und der Gründung einer eigenen terroristischen Vereinigung zu einer Haftstrafe von fünf Jahren und neun Monaten verurteilt. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass Redouane EL HABHAB dabei half, Terroristen aus Nordafrika über Syrien in den Irak zu schleusen. Diese Schleusungen soll er ferner mit einem Betrag von ca. 2.000 EUR finanziell unterstützt haben. Die Beweisführung gründete dabei bundesweit erstmals auf die Erkenntnisse aus der Überwachung der Internet-Telefonie des Redouane EL HABHAB. International * Am 31.07.07 wurden in Madrid die Urteile gegen die Attentäter der Terroranschläge vom 11.03.04 gesprochen. Dabei wur43 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten den die Hauptbeschuldigten, unter ihnen Jamal ZOUGAM, der mindestens eine Bombe in einen der Züge gebracht, und Emilio Suarez TRASHORRAS, der den Sprengstoff besorgt haben soll, zu Höchststrafen verurteilt, die sich auf insgesamt 43.000 Jahre summieren. Nach spanischem Recht sind davon längstens 40 Jahre abzusitzen. Sechs der Angeklagten wurden überraschenderweise freigesprochen, darunter auch Rabei Osman EL SAYED alias "Mohammed der Ägypter". Er galt lange Zeit als "Kopf" der Attentäter, weil er sich in einem überwachten Telefongespräch damit gebrüstet hatte, die Anschläge seien "seine Sache" - also seine Idee - gewesen. Diesen Vorwurf sahen die Richter jedoch als nicht ausreichend bewiesen an, sodass sie nach dem Grundsatz "Im Zweifel für den Angeklagten" entschieden. Rabei Osman EL SAYED selbst, der seit Juni 2004 eine Haftstrafe wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung in Italien verbüßt, hatte seine Verantwortung für die Taten stets abgestritten und erklärt, es habe sich bei der Passage um einen Übersetzungsfehler gehandelt. Im Januar 2008 konnte in Marokko der von der spanischen Polizei mit internationalem Haftbefehl gesuchte Abdelilah H. verhaftet werden. Ihm wird ebenfalls vorgeworfen, eine Bombe in einem der Züge platziert zu haben. Ihm soll der Prozess in Marokko gemacht werden. * Am 12.09.07 wurden in Wien drei Personen (ein Ehepaar sowie eine weitere männliche Person) verhaftet, die im Verdacht stehen, die deutschsprachige Website der "Global Islamic Media Front (Globale Islamische Medienfront - GIMF)" ( 5.1) betrieben zu haben. Unmittelbar nach der Verhaftung in Wien haben kanadische Polizisten in Madkinonge / Provinz Quebec einen weiteren Helfer des Trios festgenommen. Kanada gilt als Sitz der englischsprachigen GIMF und soll dem österreichischen Ableger Aufbauhilfe geleistet haben. Der in Wien verhafteten Gruppe wird vorgeworfen, durch Verbreitung von Propaganda im Internet die Ideologie islamischer Terroristen zu unterstützen, zum "Globalen Jihad" aufzurufen und Personen für terroristisch motivierte Straftaten zu rekrutieren. Die Gruppe soll nach Einschätzung der österreichischen Sicherheitsbehörden Urheber einer am 10.03.07 veröffentlichten Video-Bot44 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten schaft sein, in der die Regierungen Österreichs und Deutschlands zum Abzug ihrer Soldaten aus Afghanistan aufgefordert werden. Nach den Verhaftungen in Wien war die GIMF-Internetseite für kurze Zeit nicht erreichbar, ist inzwischen jedoch unter ständig wechselnden Adressen wieder im Netz vertreten. Schon allein aufgrund des Umfangs der GIMF-Veröffentlichungen konnte davon ausgegangen werden, dass mehr als die drei verhafteten Personen am Betrieb der Propaganda-Plattform beteiligt sein mussten. Das Ehepaar wurde am 12.03.2008 vom Landgericht in Wien zu vier Jahren bzw. zu 22 Monaten Haft ohne Bewährung verurteilt. 5.3 Situation in Hamburg Im Fokus des Verfassungsschutzes stehen insbesondere die gewaltbereiten Islamisten. Als gewaltbereit wird angesehen, wer zum Erreichen seiner politischen Ziele im Inund Ausland Gewalt rechtfertigt. Hierzu zählen auch die Personen, die im Inund Ausland islamistisch motivierte Gewalttaten oder entsprechende gewaltbereite Organisationen unterstützen. In diesem Sinne sind dem LfV Hamburg aufgrund seiner verbesserten Einblickstiefe in diese extremistische Szene nun 210 (2006: 180) in Hamburg lebende gewaltbereite Islamisten bekannt. Etwa zwei Drittel werden den Organisationen der libanesischen HIZB ALLAH ( 5.5), der multiethnischen Hizb ut-Tahrir ( 5.4) und der türkischen Hizbullah ( 7.2) zugerechnet. Eine weitere Teilmenge der gewaltbereiten Islamisten sind die sogenannten Jihadisten. Sie befürworten oder unterstützen (z.B. durch logistische oder finanzielle Handlungen, Beschaffung von Ausweispapieren u.a.) den weltweiten bewaffneten Jihad. Jihadisten halten sich in der ganzen Welt auf und operieren z.T. international. In Hamburg sind dieser Szene etwa 60 Personen (2006: 60) zuzurechnen. Wenngleich sich die meisten Jihadisten wahrscheinlich nie an Anschlägen beteiligen werden, stufen die Sicherheitsbehörden sie aufgrund ihrer 45 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten Gewaltaffinität als besonders gefährlich ein. Die Jihadisten bilden überwiegend Kleinund Kleinstzirkel. Nicht zuletzt aufgrund mehrerer Abschiebungen in den letzten Jahren, die auch auf Erkenntnissen des Verfassungsschutzes beruhten, sind die Jihadisten mit öffentlichen extremistischen Äußerungen vorsichtig. Dies gilt auch für die Imame in einschlägigen Moscheen, die befürchten, als "Hassprediger" eingestuft und abgeschoben zu werden. Aufrufe zur Unterstützung - z.B. der terroristisch agierenden HAMAS ( 5.5) oder entsprechender Gruppen im Irak - werden derzeit allenfalls angedeutet. Das jihadistische Potential in Hamburg stammt zu rund 30% aus den nordafrikanischen Staaten, etwa 20 % kommen aus Irak und Syrien. Nur vereinzelt sind Konvertiten oder in Deutschland geborene Personen mit Migrationshintergrund festzustellen. Von den 60 Jihadisten sind 17 Personen zwischen 25 und 35 Jahre alt. Nur fünf Personen sind jünger als 25 Jahre. Demnach verfing die über das Internet verbreitete internationale jihadistische Propaganda bislang offenbar nur bei wenigen Jugendlichen in Hamburg so, dass sie sich entsprechend äußerten oder engagierten. Der wichtigste Anlaufpunkt der Jihadisten in Hamburg ist nach wie vor die Quds-Moschee in Hamburg-St. Georg, in der schon die Attentäter vom 11.09.01 verkehrten. Obwohl auch hier offene Gewaltaufrufe und Gewaltverherrlichung vermieden werden, gilt in der "SteindammSzene" unverändert die Empfehlung, sie wegen ihres einschlägigen Rufs besser zu meiden. Auch Mounir EL MOTASSADEQ ( 5.2) gehörte - trotz seines öffentlich bekannten Vorlaufes - während der gegen ihn anhängigen Strafverfahren zu den einflussreichsten Personen in der Moschee. Weitere Personen, die in der Vergangenheit mit jihadistischen Bewegungen in Verbindung standen, werden in der Moschee nicht nur geduldet, sondern von vielen regelmäßigen Besuchern auch respektiert. Darüber hinaus weigert sich die Quds-Moschee, im "Rat der islamischen Gemeinschaften in Hamburg" (Schura) mitzuarbeiten, da hier auch Schiiten und Frauen mitarbeiten würden. 46 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten 5.4 Transnationale Organisationen Hizb ut-Tahrir (HuT) Die multinationale "Hizb ut-Tahrir" (HuT, auch "Hizb Al Tahrir al Islami", "Befreiungspartei") wurde 1953 von Taqiuddin AN-NABAHANI in Jerusalem gegründet. Ihr Feindbild sind vor allem "die Juden" und die nach ihrer Ansicht mit Israel und westlichen Regierungen kollaborierenden Herrscher der arabischen bzw. islamischen Welt. Die Muslime müssten sich ihrer entledigen. Die HuT betrachtet sich als eine politische Partei, deren Ideologie nach eigenem Verständnis der Islam ist. Sie strebt die Errichtung eines als Kalifat bezeichneten, sich auf die Scharia gründenden islamischen Gottesstaates an. Unter "Kalifat" wird die Herrschaft eines Kalifen verstanden, der einen auf der Scharia basierenden islamischen Gottesstaat regiert. "Kalif" ist die Bezeichnung für den Nachfolger des Propheten Muhammad als Oberhaupt der muslimischen Gemeinschaft. Die HuT behauptet, weder Gewalt noch Terrorismus zu fördern. In ihrem Buch "Lebensordnung des Islam" rechtfertigt sie jedoch die gewalttätige Form des Jihad im Sinne eines gewaltsamen Angriffs auf die "Ungläubigen" als legitimes Mittel. Die in zahlreichen Staaten aktive HuT ist in allen arabischen Staaten verboten, weil sie deren Herrschaftsordnungen ablehnt und ihre Staatsoberhäupter als Apostaten ("vom Glauben Abgefallene") ansieht. Gleichwohl ist sie in vielen arabischen Ländern aktiv. Der aktuelle Schwerpunkt ihrer Bestrebungen liegt derzeit im Kaukasus und in Zentralasien. Die Partei ist auch in vielen Staaten Europas vertreten; ihre europäische Zentrale befindet sich in London. Die Organisation rekrutiert ihre Anhänger überwiegend im universitären Bereich, wo sie - wie auch vor Moscheen und islamischen Zentren - propagandistisch aktiv ist. Am 15.01.03 wurde der Organisation vom Bundesminister des Innern gemäß SS 14 Abs. 2 Nr. 4 des Vereinsgesetzes die Betätigung verboten. Die Organisation richte sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung, befürworte Gewaltanwendung als Mittel zur Durchsetzung politischer Ziele, verneine das Existenzrecht des Staates Israel und rufe zu seiner Vernichtung auf. Sie verbreite massive antijüdische Hetzpropaganda und fordere zur Tötung von Juden auf. Das Verbot umfasst auch die Produktion und Verbreitung der der HuT zuzurechnenden deutschsprachigen Zeitschrift "Explizit" einschließlich ihrer 47 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten Internetseite. Das Verbot wurde durch das Bundesverwaltungsgericht am 25.01.06 erstund letztinstanzlich bestätigt. Demnach sah es das Gericht als erwiesen an, dass sich die Tätigkeit der Organisation gegen den Gedanken der Völkerverständigung richtet. Es stellte zudem fest, dass es sich bei der HuT nicht um eine Religionsoder Weltanschauungsgemeinschaft handelt. Dennoch setzten HuT-Anhänger ihre politische Agitation fort, meistens aber ohne ihre Organisationszugehörigkeit erkennen zu geben. Der Name fällt nur in kleineren Gesprächskreisen, auf größeren Versammlungen ist die HuT jedoch anhand der vermittelten Ideologie erkennbar. Dies gilt insbesondere für Hamburg. Hier ist es ihr gelungen, sich nach dem Betätigungsverbot neu zu strukturieren und personell zu vergrößern. Sie wirbt erfolgreich in Studentenkreisen und versucht vermehrt, auch Schüler anzusprechen. Gegenwärtig können der HuT in Hamburg ca. 60 Anhänger zugerechnet werden. Sie treffen sich regelmäßig zu öffentlichen Sitzungen und Schulungen im "Islamisch Afghanischen Kulturzentrum (IAK)" in Hamburg St. Georg. Durch das intensive und erfolgreiche Bemühen von HuT-Aktivisten um neue Mitglieder ist der Kreis insbesondere junger Anhänger gewachsen. Sie zeigen sich für die fundamentalistischen Aussagen der HuT empfänglich; einzelne machen deutlich, dass sie den Vorgaben auch Aktionen folgen lassen wollen. Dabei deutet sich eine Konfrontation zwischen der HuT und anderen islamistischen Organisationen an, die ursächlich damit zusammenzuhängen scheint, dass die Hamburger HuT-Aktivisten ihre Anliegen zunehmend offensiv und öffentlich vertreten. Auch wenn sie dabei nicht den Namen der Organisation verwenden, ist dennoch - zumindest in der Steindamm-Szene - bekannt, dass sie HuT-Aktivisten sind. Besonderen Unmut unter vielen Hamburger Muslimen löste am 29.06.07 eine Verteilung von Flugblättern mit dem Titel "Die 'Islam'Konferenz ist eine politische Falle!" aus. Initiatoren der Aktion und Verteiler der Flugblätter waren führende HuT-Kader. Das Flugblatt wurde auch im Internet verbreitet. Darin warfen sie anderen - in der Schura vertretenen - Organisationen vor, an der Islam-Konferenz trotz zahlreicher verbaler Erniedrigungen durch die "Kuffar" (Ungläubigen) teilzunehmen, um von diesen akzeptiert und anerkannt zu werden. 48 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten Was die Teilnehmer als einen Erfolg für ihre Gemeinden und die Muslime feierten, stelle einen Verrat am Islam dar. Auf Schulungen wurde den jungen HuT-Angehörigen vermittelt, das Eintreten für eine bessere Integration der Muslime in Deutschland sei "haram" (vom Koran verboten), u.a. weil die in Deutschland geltende Grundordnung nicht mit dem Islam vereinbar sei. Außerdem gehöre es zu den Pflichten eines jeden Muslim, den Jihad zu befolgen, wenn es einen Angriff gegen einen einzelnen Muslim oder eine einzelne Muslima abzuwehren gelte. Gleiches habe bei einer Attacke auf die Umma (islamische Glaubensgemeinschaft) zu geschehen. Einige der sehr jungen HuT-Anhänger haben sich diese Sichtweise zumindest verbal zu eigen gemacht. In einer Hamburger Schule wurde ein Schüler von einem anderen niedergestochen, weil das Opfer zuvor eine zum Islam konvertierte Schülerin beleidigt haben sollte ( 3.). Er ist dem jugendlichen Umfeld der islamistischen Hizb ut-Tahrir zuzurechnen. Muslimbruderschaft (MB; JAMA'A IKHWAN AL-MUSLIMIN) Die sunnitische "Muslimbruderschaft" (MB) wurde 1928 von Hassan AL-BANNA in Ägypten gegründet und breitete sich in den 30er und 40er Jahren in die gesamte arabische Welt aus. Mit einer geschätzten Zahl von einer Million Anhängern allein in Ägypten gilt sie heute als größte und einflussreichste islamistische Gruppierung überhaupt. Als ihr Oberster Führer (al-murshid al-'amm) fungiert Muhammad Mahdi AKIF, der im Januar 2004 die Nachfolge von Ma'mun AL-HUDAIBI antrat. AKIF steuert die Organisation von ihrem Sitz in Kairo, Ägypten, aus. Die MB sieht fast sämtliche in den muslimischen Staaten herrschenden Regime als unislamisch an. Ihr Ziel ist die Errichtung einer ausschließlich an Koran und Sunna orientierten, nach ihrer Interpretation "wahrhaft islamischen" Staatsordnung in den betreffenden Ländern. Im Gegensatz zu den 50er und 60er Jahren lehnt sie gegenwärtig Gewalt als Mittel der Politik grundsätzlich ab, billigt sie aber ausdrücklich im Kampf gegen "Besatzer". Dies gilt insbesondere hinsichtlich der Konflikte zwischen Israel und seinen Nachbarn. 49 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten Ein Zitat ihres Obersten Führers zum damaligen Libanon-Konflikt am 03.08.06 belegt diese Position: "Der Sieg wird nicht nur durch Armeen erreicht werden, sondern durch die Widerstandskämpfer, die an Gott glauben und als Märtyrer sterben wollen. Aus diesem Grund rufen wir auf, die Jugendlichen in allen arabischen und islamischen Ländern auszubilden, die an dem Jihad teilnehmen wollen, damit sie Vorhut oder Reservisten der Armeen für die Befreiungsschlacht bilden", so Muhammad Mahdi AKIF. Anlässlich der Blockade des Gazastreifens durch Israel warf AKIF im Januar 2008 den arabischen Regimen "Verrat an den Palästinensern" vor. Die MB spielt im politischen Leben Ägyptens eine aktive Rolle und ist mit zahlreichen Abgeordneten im Parlament vertreten. In Ägypten hat sie sich für einen Marsch durch die Institutionen entschieden und gewinnt stetig an Einfluss. Offiziell ist sie verboten, ihre Aktivitäten werden von der MUBARAK-Regierung jedoch geduldet. In Deutschland sind zahlreiche MB-Anhänger in der "Islamischen Gemeinschaft in Deutschland e.V." (IGD) aktiv, die sich hier als größte Organisation von Muslimen mit arabischem Hintergrund sieht. Die unter dem Einfluss der ägyptischen MB stehende IGD wurde bereits 1960 als Moscheebau-Kommission gegründet und existiert seit 1982 unter ihrer heutigen Bezeichnung. Seit dem 14.02.02 wird sie von Ibrahim AL-ZAYAT geleitet. Ihre Zentrale ist das "Islamische Zentrum München". Daneben gehören aber auch eine ganze Reihe weiterer Islamischer Zentren (IZ) zur IGD. Die Bindung der IGD an die MB wird schon dadurch deutlich, dass der gegenwärtige Oberste Führer der MB, Muhammad Mahdi AKIF, Mitte der 80er Jahre noch Leiter des IZ München war. AL-ZAYAT wurde im Frühjahr 2007 vor einem ägyptischen Militärgericht zusammen mit 40 Mitgliedern der Muslimbruderschaft wegen "terroristischer Methoden" und Geldwäsche angeklagt. AKIF hatte AL-ZAYAT in einem Interview als "Chef der Muslimbruderschaft in Deutschland" bezeichnet. AL-ZAYAT dementierte wenig später die Richtigkeit dieser Meldung. In Hamburg ist die IGD organisatorisch nicht vertreten, allerdings hat sie hier eine Reihe von Anhängern und Sympathisanten. Wichtiger Anlaufpunkt für diese ist die Mouhajerin-Moschee. 50 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten Tabligh-i Jama'at (TJ) Die sunnitisch-islamistische "Tabligh-i Jama' at" (TJ) wurde 1927 in Indien von dem Religionsgelehrten Mawlana Muhammad Ilyas als eine Wiedererweckungsbewegung gegründet. Sie breitete sich im Laufe der Jahrzehnte über mehrere Kontinente aus, strebt eine globale Islamisierung der Gesellschaft an und verfügt derzeit weltweit über mehrere Millionen Anhänger. Diese sehen sich als zur Mission bestimmte Muslime, die einer wörtlichen Auslegung des Korans und der Sunna folgen. Zumeist tragen sie traditionelle Kleidung und halten bis ins Detail gehende Vorschriften ein. Die Aktivitäten der TJ-Anhänger bestehen im Wesentlichen aus Missionstätigkeit und -reisen im Inund Ausland, dabei suchen sie auch Moscheen auf, die keinen direkten Bezug zur TJ haben. Obwohl die TJ selbst Gewalt ablehnt, besteht durch die gemeinsame ideologische Basis mit militanten Gruppierungen die Gefahr, dass die weltweiten Strukturen der Bewegung von terroristischen Netzwerken genutzt werden. Bei einzelnen Personen gibt es zudem Anhaltspunkte dafür, dass die streng-islamischen Überzeugungen eine Weichenstellung für eine Entwicklung zum Jihadisten sind. So weisen einige islamistische Attentäter einen Vorlauf in der TJ auf. Die TJ hat in Hamburg etwa 60 Anhänger. Das internationale Deutschlandtreffen der TJ mit mehreren hundert Teilnehmern fand im April diesen Jahres in Berlin statt, in den Jahren 2003 bis 2005 waren sie in Hamburg. Bei dem Treffen, an dem auch etwa 25 TJ-Anhänger aus Hamburg teilnahmen, wurden die Teilnehmer erneut aufgefordert, ihre Missionsarbeit zu intensivieren. In den letzten Jahren wurden aus dem Kreis der Hamburger TJ-Anhänger vermehrt Äußerungen bekannt, die eine ablehnende Haltung und Intoleranz gegenüber wichtigen Prinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung (z.B. Achtung der Menschenrechte) und Intoleranz gegenüber Andersgläubigen deutlich machen. Frauen wurden mehrfach als minderwertig dargestellt. Aus den Äußerungen ging auch hervor, dass eine Vielzahl ihrer Anhänger die Einführung der Scharia befürwortet. Außerdem kam es häufiger zu antisemitischen oder antichristlichen Äußerungen. Aufgrund der relativ strukturlosen Organisa51 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten tionsform der TJ kann nicht beurteilt werden, ob derartige Positionen mehrheitlich von TJ-Anhängern getragen werden. 5.5 Palästinensische und libanesische Organisationen: HAMAS (HARAKAT AL-MUQAWAMA AL-ISLAMIYYA, Islamische Widerstandsbewegung) Die HAMAS ("Islamische Widerstandsbewegung") wurde Anfang 1988 im Gaza-Streifen gegründet. Im Zuge der ersten Intifada ging sie aus der palästinensischen MB ( 5.4) hervor. Ihr Name lässt sich mit "Eifer" oder "Enthusiasmus" übersetzen. Sie ist in einen politischen und einen militärischen Arm ("Izzaddin al-Qassam-Brigaden") gegliedert. Beide operieren aus Sicherheitsgründen getrennt voneinander. Die HAMAS ist die größte und aktivste islamistische Gruppierung in den palästinensischen Gebieten. Sie verfügt dort über ein breites Netzwerk religiöser und sozialer Einrichtungen und damit über einen starken Rückhalt in der Bevölkerung, insbesondere im Gaza-Streifen. 2006 gewann sie die Wahlen zum Palästinensischen Legislativrat mit absoluter Mehrheit. Die Regierung wurde von den meisten westlichen Ländern jedoch nicht anerkannt. Im Berichtsjahr eskalierte die Konkurrenz zwischen der HAMAS und der FATAH-Bewegung des palästinensischen Präsidenten Mahmud ABBAS und führte im Juni 2007 zu bürgerkriegsähnlichen Auseinandersetzungen. Dieser innerpalästinensische Konflikt führte de facto zu einer Zweiteilung des palästinensischen Autonomiegebiets. Während das Westjordanland durch die FATAH dominiert wird, liegt die Macht im Gazastreifen bei der HAMAS. In Deutschland leben etwa 300 Anhänger der HAMAS, eine erkennbare Struktur existiert aber nicht. In Hamburg sind nur einzelne Unterstützer der HAMAS aktiv. HIZB ALLAH (Partei Gottes) Die HIZB ALLAH wurde 1982 im Libanon auf Initiative und mit maßgeblicher Unterstützung iranischer Stellen als Sammelbecken radikaler 52 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten Schiiten gegründet. Hauptziel der Organisation, die in Teilen des Libanon als parastaatliche Ordnungsmacht agiert, ist der Schutz des libanesischen Territoriums vor israelischen Militäraktionen und der Kampf gegen den Staat Israel, den sie vernichten will. Das lange propagierte Fernziel, die Umwandlung des Libanon in eine islamische Republik nach iranischem Vorbild, ist im Lauf der Zeit gegenüber der allgemeineren Forderung nach mehr politischem Einfluss und einer Revision des konfessionellen Proporzsystems im politischen und administrativen Bereich zu Gunsten der Muslime und insbesondere der Schiiten in den Hintergrund getreten. Die enge ideologische Beziehung zur Islamischen Republik Iran besteht jedoch unverändert fort. Die HIZB ALLAH ist im libanesischen Parlament vertreten. Unter ihrem Dach agieren verschiedene Wohlfahrtsorganisationen sowie der militärische Flügel "Islamischer Widerstand" ("al-Muqawama al-Islamiya"). Die HIZB ALLAH ist im Libanon seitdem zu einem festen Bestandteil des politischen Systems geworden und stellt nach den Wahlen im Mai / Juni 2005 zusammen mit der (schiitischen) AMAL-Bewegung den zweitstärksten Block im Parlament. Daneben war die Bewegung im Kabinett SINIORA mit mehreren Ministern vertreten, die am 11.11.06 zurücktraten. Grund dafür war die Forderung der HIZB ALLAH und prosyrischer Kräfte nach Bildung einer "Regierung der nationalen Einheit" mit einer Ein-Drittel-Sperrminorität, die sie seit dem als eigenen Verdienst proklamierten Abzug der israelischen Truppen aus dem Südlibanon im Mai 2000 als rechtmäßige "politische Dividende" versteht. Eine Einigung zwischen dem HARIRI-Lager ("Bündnis 14. März") um Ministerpräsident SINIORA und der pro-syrischen Opposition war bis Anfang 2008 nicht abzusehen. Der Fokus der Auseinandersetzungen zwischen beiden Lagern verschob sich zuletzt auf die ausstehende Neuwahl des Staatspräsidenten. Der amtierende Staatspräsident Emile LAHOUD hätte 2004 - nach sechs Jahren und gemäß der verfassungsmäßigen Amtszeitbeschränkung - zurücktreten müssen; nach einer Verfassungsänderung war seine Amtszeit vom libanesischen Parlament für weitere drei Jahre verlängert worden und endete damit am 23.11.07. Der Termin für die Neuwahl des Präsidenten, der nach der Verfassung maronitischer Christ sein muss, ist seit September 2007 mehrfach verschoben worden. Der libanesischen Verfassung zufolge ist bei der Wahl des Präsidenten im ersten Wahlgang eine Zwei-DrittelMehrheit und im zweiten Wahlgang nur noch eine einfache Mehrheit 53 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten im Parlament erforderlich. Nach den Morden an den beiden Syrienkritischen Parlamentariern Walid EIDO und Antoine GHANIM im Juni bzw. September 2007 verfügt das HARIRI-Lager nur noch über 68 der 128 Parlamentssitze. In Deutschland hat die HIZB ALLAH keine einheitliche Struktur. Sie ist in einer Reihe von Moschee-Vereinen vertreten, die relativ unabhängig voneinander agieren. Die Vereinsaktivitäten beschränken sich im Wesentlichen auf interne Treffen, Diskussionsveranstaltungen und religiöse Feiern (z. B. Ramadan und Ashura). Sie sind von dem Bemühen geprägt, die Bindungen der hier lebenden Libanesen an ihre Heimat und an die Organisation zu festigen. Darüber hinaus gehört das Sammeln von Spendengeldern zu den wichtigsten Aufgaben der Vereine. Der Organisation werden bundesweit etwa 900 Anhänger zugerechnet. Im Jahre 2002 hatte Generalsekretär Hassan NASRALLAH angeordnet, sich in Deutschland gesetzeskonform zu verhalten, um keine Angriffsfläche für staatliche Maßnahmen zu bieten. Als Konsequenz treten viele HIZB ALLAH-nahe Muslime kaum mehr politisch in Erscheinung. In Hamburg können der HIZB ALLAH etwa 30 Anhänger zugerechnet werden, die sich auch im "Islamischen Zentrum Hamburg" (IZH) treffen. 6. Iranische Islamisten 6.1 Allgemeines Die konservativ-islamisch geprägte Regierungspolitik des iranischen Präsidenten Mahmud AHMADINEDSCHAD schränkte die Freiheitsund Menschenrechte in Iran erheblich ein. Informationsmedien wie Tageszeitungen, Internet sowie die Nutzung von Handys wurden einer weitgehenden Kontrolle durch staatliche Einrichtungen unterzogen bzw. waren nur zensiert oder eingeschränkt nutzbar. Protestveranstaltungen, die sich gegen die Regierungspolitik richteten, wurden z.T. rigoros unterbunden. Bei Demonstrationen von Frauenrechtlerinnen im Juli 2007 und von Teheraner Studenten im Dezember 2007 schritten 54 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten Sicherheitskräfte ein und lösten die Versammlungen unter Einsatz von Gewalt auf. Das für Iran bedeutsamste außenpolitische Thema war die internationale Diskussion um das Atomprogramm, mit dem die iranische Staatsführung weiter auf Konfrontationskurs mit dem Westen, insbesondere den USA, ging. In seiner traditionellen Neujahrsansprache im März 2007 bekräftigte "Revolutionsführer" Ayatollah CHAMENEI die kompromisslose Haltung Irans im Nuklearkonflikt. Die angedrohten Wirtschaftssanktionen würden Iran nur dazu veranlassen, seine Nukleararbeiten zu forcieren sowie Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Proiranische Einrichtungen in Deutschland sind grundsätzlich als Instrumente der iranischen Staatsführung anzusehen, die deren theokratische Staatsdoktrin vertreten. Sie repräsentieren eine Werteordnung, die mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht vereinbar ist. 6.2 Anhänger der iranischen "Islamischen Revolution" Das "Islamische Zentrum Hamburg" (IZH), Träger der schiitischen "Imam Ali-Moschee", gehört in Europa zu den wichtigsten iranischen islamischen Einrichtungen. Mit ihrer Hilfe versucht die Islamische Republik Iran, Schiiten aller Nationalitäten an sich zu binden sowie die gesellschaftlichen, politischen und religiösen Grundwerte der islamischen Revolution in Europa zu verbreiten. Die Islamisierung der westlichen Nationen ("Export der islamischen Revolution") ist nach wie vor Bestandteil der iranischen Verfassung und besitzt damit aktuelle Bedeutung. Insbesondere durch die umfangreiche Öffentlichkeitsarbeit (Zeitschriften, Internetpräsenz, öffentliche Veranstaltungen u.a.) und die vielfältigen Bildungsangebote versucht das IZH, den Islam iranischer Prägung zu propagieren. Die Inhalte sind dabei bewusst moderat formuliert und bieten kaum Angriffsflächen. Dennoch lassen Veröffentlichungen aus früheren Jahren die islamistisch geprägten Überzeugungen des IZH deutlich erkennen. In der in der zweiten Jahreshälfte 2006 veröffentlichten Broschüre "Das Islamische Zentrum Hamburg stellt sich vor" wird u.a. die hauseigene Faltblattserie "Muslime im Dialog" erwähnt, die insbesondere bei öffentli55 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten chen Veranstaltungen nach wie vor weitergegeben werde und großen Anklang fände. In der Nummer 6 dieser Serie nimmt das IZH Stellung zur "Einheit von Religion und Politik" und kommt, ausgehend von der Feststellung, dass Politik im Islam eine "entscheidende Rolle" spiele, zu dem Ergebnis, dass Politik und Religion in der Tat als Einheit zu sehen seien. In dem Beitrag wird zunächst pauschal beklagt, dass die Welt von heute "von Strukturen wirtschaftlicher und politischer Unterdrückung" beherrscht werde. "Hunger und Überfluss, Arbeitslosigkeit und Mangel an Bildung" seien "Ausdruck einer menschenverachtenden Politik". Unter der Zwischenüberschrift "Kampf gegen Ungerechtigkeit" werden dann Ansätze zur Erreichung einer gerechten Ordnung vorgestellt, wobei im Vergleich mit erzieherischen und reformistischen Bewegungen eindeutig dem revolutionären Ansatz der Vorzug gegeben wird. "Revolutionäre Bewegungen", so das IZH, widersetzten sich "dem herrschenden System mit einem klaren Programm und einer klaren ideologischen Grundlage". Wörtlich heißt es weiter: "In ihrem Kampf gegen die ungerechten Ordnungen scheuen sie keine Opfer, ihr Ideal einer gerechten Gesellschaft zu verwirklichen. Die Bewegungen aller Propheten sind revolutionär." Ziel dieser revolutionären Bewegungen sei die Gründung einer neuen, gerechten Gesellschaft. Diese ist nach dem Verständnis des IZH jedoch nur "Teil einer allumfassenden zielgerichteten Ordnung, die von einer Kraft durchströmt wird, die alles erschaffen hat und aufrechterhält." Diesem Gott des Islam soll sich der Mensch letztlich unterwerfen und gehorchen. Zum Politikverständnis des Islam führt das IZH weiter aus, dass Politik als sinnvolle Regelung der Angelegenheiten der Gemeinschaft verstanden werde. Diese Angelegenheiten, die u.a. das Verhältnis zwischen Volk und Regierung betreffen, sollen "im Geiste des Glaubens" geregelt werden. Die Prinzipien des Glaubens ließen sich aber ohne politische Ordnung überhaupt nicht verwirklichen. Selbst der Gebetsruf "Allahu akbar" ("Gott ist groß!") sei im Sinne eines Aufrufs zu einer gerechten Ordnung zu verstehen. Politik solle die "Verwirklichung des göttlichen Gesetzes" garantieren und Harmonie unter den Menschen schaffen. 56 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten Dass hier das Modell des islamischen Gottesstaates nach iranischem Muster propagiert wird, macht auch die folgende Aussage deutlich: "Das höchste Staatsamt sollte derjenige innehaben, der als aufrichtiges Individuum in der Lage ist, die größte Verantwortung gegenüber Gott und der Gemeinschaft zu übernehmen. Ein solches Amt - als religiöse Pflicht verstanden und von der Gemeinschaft getragen - soll gewährleisten, dass die durch Offenbarung erhaltenen göttlichen Gesetze verwirklicht werden." Das in dem Faltblatt zum Ausdruck kommende islamistische Staatsund Gesellschaftsverständnis des IZH ist erkennbar vom Primat der Religion gegenüber der Politik gekennzeichnet und steht damit in einem unlösbaren Widerspruch zu den Prinzipien und Werten der freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Die vom IZH betriebene "Imam-Ali-Moschee" dient den in Hamburg und Norddeutschland lebenden Schiiten verschiedener Nationen als Anlaufpunkt, in dem neben den regelmäßigen Gebetsveranstaltungen religiöse Feierlichkeiten stattfinden. Zudem bietet das IZH verschiedene Lehrveranstaltungen und Sprachunterricht in Arabisch, Deutsch und Persisch an und betreibt über den Verein "Islamische Akademie Deutschland e.V." (IAD) ein Lehrinstitut. Zu den Lehrfächern der IAD gehören u.a. Koranwissenschaften und -interpretation, Islamische Rechtswissenschaften, Philosophie des Islam und Islamische Mystik. Das IZH gibt außerdem die deutschsprachigen Publikationen AL FADSCHR und SALAM (für Kinder) heraus und veröffentlicht in Deutschland ins Deutsche übersetzte Abhandlungen und Bücher iranischer Islamwissenschaftler. Die vielfältigen Bildungsangebote zielen darauf ab, dass sich die Teilnehmer und Besucher mit dem schiitischen Glauben iranischer Prägung identifizieren. Gleichzeitig dienen sie dazu, Andersgläubigen oder bereits am islamischen Glauben interessierten Menschen ein Forum für Information und Austausch zu bieten mit dem Ziel, diese zum Islam zu bekehren. Deutschsprachige Konvertiten werden z.B. in speziellen Seminarkursen religiös betreut. Nach außen hin operiert das IZH als rein religiöse Einrichtung, die keine politischen Aktivitäten in ihrem Wirkungsfeld gestattet. Jede öffentli57 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten che Verbindung oder Identifizierung mit der iranischen Staatsführung wird vermieden. Konsequenterweise beteiligt sich das IZH auch nicht mehr an islamistisch geprägten Veranstaltungen wie beispielsweise der alljährlichen Demonstration zum "Al-Quds-Tag" (Jerusalem-Tag) in Berlin, obwohl der einstige Revolutionsführer Ayatollah KHOMEINI diesen Gedenktag im Jahre 1979 selbst ausgerufen hatte. Diese seit einiger Zeit praktizierte Strategie, mit politischen Aktivitäten nicht mehr in Erscheinung zu treten, dürfte mit dem jetzigen Revolutionsführer Ayatollah CHAMENEI abgestimmt, wenn nicht gar von diesem angeordnet worden sein. Hierfür spricht, dass der IZH-Leiter Seyed Abbas GHAEM MAGHAMI - wie auch seine Vorgänger - direkt von CHAMENEI in diese Funktion eingesetzt wurde und diesem unmittelbar unterstellt ist. Offiziell vertritt der Leiter des IZH den Revolutionsführer in Europa und ist in der schiitischen Gemeinde als Repräsentant der Islamischen Republik Iran bekannt. Es ist davon auszugehen, dass der religiöse Führer Irans eine solch wichtige internationale Position nur mit einem linientreuen Anhänger der iranischen Staatsdoktrin und der islamischen Revolutionsziele besetzt. GHAEM MAGHAMI selbst vermittelt in seinem für die Öffentlichkeit bestimmten Auftreten einen kooperativen, unpolitischen Eindruck und präsentiert sich als religiöser Würdenträger, der für eine moderatere Islaminterpretation steht, islamistische Gewaltanschläge medienwirksam verurteilt und den interreligiösen Dialog in den Mittelpunkt seiner öffentlichen Aktivitäten stellt. Gleichwohl führte das IZH auch 2007 anlässlich des Todestages KHOMEINIs eine Gedenkveranstaltung durch, auf der der stellvertretende IZH-Leiter Younes NOURBAKHSH und ein Gast aus Iran Lobreden über das Wirken des ehemaligen Revolutionsführers hielten. 2007 konnte das IZH seinen Führungsanspruch innerhalb der schiitischen Gemeinden, insbesondere gegenüber anderen konkurrierenden Einrichtungen aus dem schiitisch-irakischen Spektrum, weiter festigen. Viele schiitische Zentren in Deutschland stehen nach wie vor unter dem maßgeblichen Einfluss des Hamburger Zentrums. Zu diesen Gemeinden gehören u.a.: * "Islamisches Zentrum Salman Farsi Moschee, Langenhagen", Hannover * "Akademie Baghiatallah e.V.", Bremen 58 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten * "Islamische Kulturgemeinde der Iraner in Berlin", Berlin * "Islamische Vereinigung in Bayern e.V.", München * "Ehli-Beyt-Alevitische Religionsgemeinschaft Ehli Beyt Alevi Federasyonu e.V.", Frankfurt a.M. * "Islamischer Kulturverein Imam Hossein e.V.", Wiesbaden. Das IZH ist des Weiteren in mehreren islamischen Dachverbänden vertreten, um sich dort in führender Position seinen Einfluss zu sichern. Auf lokaler Ebene ist dies der "Rat der islamischen Gemeinschaften in Hamburg e.V." (SCHURA), auf Bundesebene der "Zentralrat der Muslime in Deutschland" (ZMD) und auf europäischer Ebene die "Islamisch-Europäische Union der Schia-Gelehrten und Theologen" (IEUS). In Hamburg kann das IZH für seine lokalen Aktivitäten auf ein Netz religiöser und gesellschaftlich engagierter Vereinigungen zurückgreifen. Neben dem eigentlichen Trägerverein, dem "Islamischen Zentrum Hamburg e.V.", und der oben genannten IAD sind die Vereine * "Islamische Imamia Föderation in Europa e.V.", * "Verein der Förderer einer iranisch-islamischen Moschee in Hamburg e.V.", * "Waisenkinder-Hilfe Iran e.V." und * "Iranischer Sportverein e.V." als Nebenorganisationen bekannt. Die von der IZH-Leitung geförderte Jugendgruppe "Islamische Jugend Deutschland" dient als Anlaufstelle für Jugendliche schiitischen Glaubens. Als Freizeitaktivitäten werden u.a. Ausfahrten und Feiern sowie Jugendtagungen angeboten. Am 01./02.06.07 und am 01./02.09.07 fanden zwei Tagungen statt, die unter dem Motto "Die Seele des Menschen im Islam" standen. Mit der Intensivierung der Jugendarbeit strebt das IZH eine stärkere Bindung der Jugendlichen und jungen Erwachsenen an die Einrichtung an. Dem IZH und seinen angegliederten Vereinen und Einrichtungen sind insgesamt etwa 150 Personen zuzurechnen. Die wöchentlichen Gebetsveranstaltungen am Donnerstag und Freitag werden durchschnittlich von etwa 100 Gläubigen besucht. 59 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten 7. Türkische Islamisten 7.1 "Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e.V." (IGMG) Mit schätzungsweise 27.000 (2006: 26.500) Mitgliedern ist die "Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e.V." (IGMG) die mit Abstand größte islamistische Organisation in Deutschland. Organisatorisch gliedert sie sich in bundesweit 15 Regionalverbände. Außer in Deutschland ist sie in zehn weiteren europäischen Ländern mit insgesamt 15 Regionalbzw. Nationalverbänden vertreten. Sitz ihrer Europaund Deutschlandzentrale ist Kerpen / NRW. Der IGMG gehören nach eigenen Angaben 514 Moscheevereine an, davon 323 in Deutschland. Die IGMG unterhält Nebenorganisationen speziell für Frauen, Jugendliche, Studenten und Kinder sowie etliche Bildungseinrichtungen und einen Beerdigungsfonds. Sie sorgt damit für eine umfassende Betreuung ihrer Mitglieder. Für die Verwaltung ihres Immobilienbesitzes ist die verbandseigene "Europäische Moscheebauund Unterstützungsgemeinschaft e.V." (EMUG) zuständig. Die IGMG ist nach ihrem tradierten Selbstverständnis Teil der von dem ehemaligen türkischen Ministerpräsidenten Prof. Necmettin ERBAKAN (* 1926) Anfang der 1970er Jahre in der Türkei initiierten Bewegung "Milli Görüs" ("Nationale Sicht") und wird von dieser nach wie vor stark beeinflusst. Die "Milli Görüs" strebt langfristig die Überwindung des laizistischen Systems (Trennung von Kirche und Staat) in der Türkei an. Verbunden sind diese Bestrebungen mit dem Ziel, eine am Vorbild des Osmanischen Reiches orientierte "neue große Türkei" und - letztlich auch auf globaler Ebene - eine uneingeschränkt islamische Lebensund Gesellschaftsordnung zu errichten. Ideologische Schlüsselbegriffe dieser islamistischen Vision sind "Milli Görüs" und "Adil Düzen" (Gerechte Ordnung). Eine derartige Gesellschaftsordnung widerspricht den wesentlichen Prinzipien des Grundgesetzes. Die 2001 gegründete "Saadet Partisi" (SP, "Glückseligkeitspartei") bildet den parteipolitischen Arm der Bewegung. Sie ist jedoch nicht im türkischen Parlament vertreten. Zum Einflussbereich ERBAKANs gehören zudem noch die Tageszeitung "Milli Gazete" und der Satellitensender "TV 5". Die türkische SP sichert sich ihren Einfluss auf die europäische IGMG u.a. durch zahlreiche persönliche Kontakte. Namhafte Parteifunk60 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten tionäre besuchen regelmäßig Veranstaltungen der IGMG, um dort in Reden und Vorträgen die Anhänger in Deutschland über die Vorstellungen der Gesamtbewegung zu informieren. Auch die türkische Tageszeitung "Milli Gazete" stellt ein wichtiges Bindeglied zwischen der IGMG und der Bewegung in der Türkei dar. Die Zeitung, die in Deutschland mit einem um Nachrichten aus Europa erweiterten Teil als sog. Europaausgabe erscheint, berichtet ausführlich über die Politik der SP und fungiert als ideologisches Sprachrohr. In einer Kolumne der Milli Gazete vom 14.12.07 bestätigt die Zeitung indirekt ihre Sprachrohr-Funktion: "Bei der Frage, ob sie (die Milli Gazete) die Milli Görüs vertritt, kann man sagen, dass sie sowieso die Sicht der (türkischen) Nation ist." Sie prägt damit das Islamverständnis der Bewegung und beeinflusst damit auch das Meinungsbild in der IGMG. Da die Zeitung jedoch unverhohlen islamistische und antisemitische Positionen vertritt, die der IGMG in Deutschland schaden, distanzieren sich Teile der IGMGFührung von den Inhalten der Milli Gazete und versuchen, deren Einfluss zu begrenzen. Die Milli Görüs zeichnet sich durch ein ausgeprägtes Freund-FeindDenken und eine prinzipiell antiwestliche Grundhaltung aus. Das wird vor allem in Artikeln der Milli Gazete deutlich, wo es etwa heißt: "Die Muslime sollten sich in dem von den globalen Imperialisten eröffneten Krieg auf die richtige Seite stellen." (Milli Gazete vom 19.12.07). Gleichzeitig wird das Bild des zu Unrecht unterlegenen und unterdrückten Opfers aufrechterhalten: "Westeuropa und sein Verbündeter Amerika, die uns seit 200 Jahren in die Zange nehmen, bemühen sich seit langem, die unterirdischen und oberirdischen Ressourcen der Türkei und die der islamischen Welt unter ihre Kontrolle zu bringen. Es ist unsere größte Schwäche im Zivilisationskampf, dass sich unsere halbgebildeten Intellektuellen mit naiver Begeisterung von der Leitung des Westens lenken lassen." (Milli Gazete vom 05.02.07). Das Selbstverständnis der Milli Görüs und ihre Zielrichtung zeigen sich in verschiedenen Zitaten. Ein Kommentator in der Milli Gazete kam am 25.07.07 zu dem Schluss, dass "die Milli Görüs [...] eine wichtige Bewegung nicht nur für dieses Land (Türkei), sondern für die ganze Welt" sei. Ein weiteres Beispiel für den universellen Anspruch der Milli Görüs findet man in der Milli Gazete vom 22.10.07, wonach die 61 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten Milli Görüs der Menschheit die Zivilisation gebracht habe. Deshalb sei es ein Makel, kein Milli Görüs-Anhänger zu sein. Vor diesem Hintergrund ist auch die folgende Aussage des IGMG-Generalsekretärs Oguz ÜCÜNCÜ auf einer Versammlung der IGMG am 11.03.07 in Berlin zu verstehen: "Wir machen alles für unsere Befreiung der Menschheit.[...] Unser eigentliches Ziel ist, dafür zu arbeiten, dass auf der Erde Recht herrscht." Die Vorstellung der Milli Görüs von Recht ist unauflöslich verknüpft mit der Herrschaft des Islam. Dieses wurde in einer Sendung des Fernsehsenders TV5 am 07.01.07 deutlich beschrieben: Es sei nur noch eine Frage der Zeit, bis sich die islamische Kultur in Europa und in der nichtmuslimischen Welt vollständig durchgesetzt habe. Ab diesem Zeitpunkt könnten alle Menschen in Frieden leben. Die Milli Görüs-Bewegung lehnt einen so genannten "gemäßigten Islam" ab, wie eine Kolumne in der Milli Gazete vom 14.09.07 verdeutlicht: "Jeder muss wissen, dass der gemäßigte Islam nicht die Nähe zum Islam, sondern die Nähe zu den Islamgegnern zum Ausdruck bringt. Es ist offenkundig, dass man mit dem Begriff ,gemäßigter Islam' nicht den ,wahren Islam' meinen kann.[...] Damit wird den Menschen nur erlaubt, rituell zu beten und zu fasten. Aber ihr Glaube darf die Weltordnung nicht beherrschen. Der Begriff ,gemäßigter Islam' ist nichts anderes als der Name einer gegen den Islam gerichteten Initiative." Vielmehr schwört die Milli Gazete ihre Leser darauf ein, "in religiösen Angelegenheiten nicht ein Haar breit von der sunnitischen Tradition abzuweichen" (17.08.07). Zudem sei "jeder Muslim [...] verpflichtet, sein Umfeld islamkonform zu gestalten. Die Lösung ist, sich an den Koran und die Sunna zu klammern. Dadurch wird die Vollkommenheit und die Heilung der Menschheit erreicht. Und dies ist nur möglich, wenn man ein islamisches Bewusstsein entwickelt hat." (08.02.07) Noch deutlicher wird die Milli Gazete in einem Artikel mit der Überschrift "Eroberung heutzutage" vom 29.05.07, dem Jahrestag der Eroberung Konstantinopels durch die Osmanen: ",Eroberung' heißt, die Tore, die sich für den Islam geschlossen haben, bis in die Ewigkeit zu öffnen. [...] ,Eroberung' bedeutet, den Menschen zur Seite zu stehen, auf deren Glauben man es abgesehen hat und die Ungläubigen den Glauben spüren zu lassen. [...] ,Eroberung' heißt, sämtliche nicht mit dem Islam vereinbaren Formen von Gebräuchen und Sitten nieder62 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten zureißen und die Menschen aus der Umzingelung dieser Gebräuche zu befreien. [...]". 7.1.1 Die IGMG in Deutschland Für die Einschätzung des extremistischen Potentials der IGMG in Deutschland ist es von großer Bedeutung, wie sie zur Gedankenwelt der Milli Görüs-Bewegung in der Türkei und ihres Gründers ERBAKAN steht. Auch im Berichtsjahr wurden Hinweise darauf festgestellt, dass Teile der IGMG in Deutschland auf Distanz zu der Bewegung in der Türkei gehen wollen. Trotzdem muss sich die IGMG insgesamt die Ideologie der Milli Görüs-Bewegung zurechnen lassen. Für einen offenen Bruch mit der Führung in der Türkei fehlt der IGMG-Führung der Mut, und sie fürchtet die damit verbundenen Risiken. Die Vorstellungen der Milli Görüs finden sich nach wie vor in vielen Verlautbarungen von in Deutschland agierenden Funktionsträgern. So strahlte der Fernsehsender Kanal Avrupa aus Duisburg über Satellit am 09.11.07 eine Sendung aus, in deren Verlauf über die Bedeutung der Moscheen der IGMG berichtet wurde. Der Hodscha (Prediger) eines IGMG Ortsvereins bezog darin Stellung zum Thema Assimilation, gegen die er kämpfe, da Deutschland zwar Integration fordere, tatsächlich aber Assimilation meine. Die zwangsläufige Folge sei die Schließung der Moscheen in Deutschland. Außerdem sollten Muslime die religiöse und kulturelle Identität ihrer Kinder bewahren, ansonsten drohe Assimilation und damit einhergehend die Gefahr, die Kinder zu "verlieren". In einer Ausgabe der Sendung "Vuslat" des Senders TV5 äußerte sich ein IGMGJugendvorsitzender zu der von hiesigen Jugendlichen bzw. Muslimen angestrebten Islamisierung Europas, die in mehreren Stufen verlaufen solle; derzeit sei die erste noch nicht abgeschlossen. Es müssten neue Methoden angewandt und neue Projekte entwickelt werden, angelegt auf die nächsten einbis zweihundert Jahre. Anlässlich der "Europatage" von TV5 erklärte der Vorsitzende eines IGMGRegionalverbandes, TV5 müsse ein Medium sein, das der Anwalt des "hak" und nicht des Teufels sein solle. 63 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten Eines der dominierenden Themen 2007 für die IGMG war die türkische Parlamentswahl am 22.07.07. Die Milli Gazete und TV5 riefen unentwegt zur Wahl der SP und zur Unterstützung ihres Wahlkampfes auf. So berichtete die Milli Gazete am 25.06.07 über eine Ausgabe der Sendung "Milli Kurtulus" (Die Nationale Befreiung) auf TV5. Dort sei berichtet worden, das türkische Volk werde "entweder seine Stimme denjenigen geben, die mit den nationalistischen Imperialisten zusammenarbeiten und so Erniedrigung und Unterwerfung wählen oder gegen Imperialismus entscheiden und die ,Partei der Glückseligkeit' (SP) an die Regierung bringen." Bereits am 15.05.07 riet die Milli Gazete ihren Lesern, ein Parteiprogramm zu wählen, das fordert: "Diese Nation ist muslimisch und wird auch ewig muslimisch bleiben! Wieder die neue Großtürkei! Eine neue Welt! Mit diesem Programm meinen wir die Milli Görüs. Sie sehen wieder, dass nur die SP diese schwere Last schultern kann." Und drei Tage vor der Wahl hieß es in der Milli Gazete, Necmettin ERBAKAN habe in einer Rede betont, "dass die Milli Görüs, wenn die SP an die Regierung kommt, erneut eine Groß-Türkei gründen (werde) und dass das türkische Volk erneut Herr über die Welt sein werde." Tatsächlich erzielte die SP bei der Wahl ein Ergebnis von mageren 2,34%. Kritische Stimmen unter den Milli Görüs-Anhängern sahen den Grund hierfür u.a. darin, dass selbst überzeugte Mitglieder nicht damit gerechnet hätten, dass die SP die 10%-Hürde überwinden würde und daher ihre Stimme lieber der AKP gegeben hätten, v.a. um strategisch zu wählen und keinesfalls mit einer Stimme für die (aussichtslose) SP die laizistische CHP zu unterstützen. Auch andere politische Vorgänge in der Türkei beschäftigten die IGMG-Mitglieder in Deutschland. Der Einmarsch türkischer Truppen in den Nordirak wurde von einem IGMG-Hoca in einer Freitagspredigt begrüßt, da die PKK Anschläge im Heimatland begehe. Eine Eskalation zwischen Kurden und IGMG-Anhängern gab es in der Folge aber nicht. Viele IGMG-Anhänger sind der Ansicht, dass die PKK nicht die ausschließliche Schuld an den Gewaltaktionen an der türkisch-irakischen Grenze trage, sondern auch Fehler und falsche Entscheidungen der türkischen Regierung zur angespannten Situation geführt hätten. Eine der größten Veranstaltungen der IGMG im Jahr 2007 war der von der IGMGJugendorganisation am 31.03.07 in der Stadthalle in 64 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten Hagen (NRW) abgehaltene "Studententag". Er stand unter dem Motto "Die Zukunft in der Tradition" und richtete sich sowohl an Studenten als auch an junge Menschen aus verschiedenen europäischen Ländern, die sich für ein Studium interessieren. An der Veranstaltung nahmen ca. 1.500 - 1.800 Personen aus Deutschland, England, Frankreich, den Beneluxstaaten und Österreich teil, ebenfalls etwa 70 aus Hamburg. Sie hörten u.a. Reden des IGMG-Generalsekretärs Oguz ÜCÜNCÜ, des IGMG-Vorsitzenden Yavuz Celik KARAHAN und des stellvertretenden Vorsitzenden der SP Numan KURTULMUS. Außerdem wurde eine Videobotschaft von Necmettin ERBAKAN eingeblendet. Im April 2007 haben sich die "Türkisch-islamische Union der Anstalt für Religion" (DITIB), der "Zentralrat der Muslime in Deutschland" (ZMD), der "Verband der islamischen Kulturzentren" (VIKZ) und der IGMG-dominierte "Islamrat" zu einer Dachorganisation unter dem Namen "Koordinierungsrat der Muslime in Deutschland" (KRM) zusammengeschlossen. Dieser Dachverband soll die Interessen der Muslime in Deutschland vertreten und als Ansprechpartner für die deutschen Behörden und die deutsche Politik fungieren. Kritiker des KRM sehen in ihm eine konservative Ausrichtung vertreten, in der kein Platz für liberale Ansichten sei. (Hürriyet, 13.04.07) Die Meinungen darüber, wie viele der in Deutschland lebenden Muslime durch den KRM vertreten werden, gehen weit auseinander. Während die Bundesregierung von 10% spricht, sagte der Vorsitzende des Islamrats, Ali KIZILKAYA (IGMG), der türkischen Tageszeitung "Hürriyet", der KRM repräsentiere 80% der Muslime in Deutschland. Die Milli Gazete forderte alle Muslime auf, "die in den Ländern vorhandenen muslimischen Einrichtungen durch ihre Mitgliedschaft zu unterstützen. Die Entwicklung dieser Einrichtungen sei ein wichtiger Aspekt der Integration und eine ,wirkliche' Integration der Muslime kann nur über die rechtliche Gleichstellung des Islam in Deutschland erreicht werden." (MG v. 30.04.07) Mit der Existenz des KRM ergeben sich auch für die IGMG neue Perspektiven. Durch ihre Zugehörigkeit zum Islamrat - den sie stark prägt - wirkt sie an den wichtigen Entscheidungen des KRM mit und ist so auch in die Verhandlungen mit der Bundesregierung eingebunden. 65 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten 7.1.2 Die IGMG in Hamburg Die "Islamische Gemeinschaft Milli Görüs" (IGMG) wird in Hamburg von dem "Bündnis der Islamischen Gemeinden in Norddeutschland e.V." (BIG) repräsentiert, dem insgesamt 17 Moscheevereine, davon neun in Hamburg, sechs in Schleswig-Holstein und zwei im nördlichen Niedersachsen sowie verschiedene regionale und lokale Nebenorganisationen angehören, wie z. B. Frauen-, Studentenund Jugendvereine. Den BIG-Vereinen sind in Hamburg wie im Vorjahr ca. 1.600 Mitglieder zuzurechnen. Neben der "Centrum Moschee" in der Böckmannstraße (St. Georg) sind Hamburger BIG-Moscheen in den Stadtgebieten Veddel, Wilhelmsburg, Harburg, Eidelstedt, Altona (2), Neugraben und Neuenfelde zu finden. Neben den Moscheen werden durch das BIG auch Bildungseinrichtungen in Hamburg-Harburg sowie im niedersächsischen Seevetal unterhalten. Als eingetragener Verein ist das BIG zwar rechtlich unabhängig, tatsächlich jedoch als Hamburger Regionalverband weiterhin fest in das hierarchische Organisationsgefüge der bundesweiten IGMG eingebunden. Auf der offiziellen Internetseite der IGMG wurde am 27.09.07 z. B. ein Artikel mit dem Titel "BIG veranstaltet Iftar-Essen" ("Fastenbrechen") veröffentlicht. Demzufolge nahm - neben zahlreichen Gästen u. a. aus Wirtschaft und Politik - auch der Generalsekretär der IGMG, Oguz ÜCÜNCÜ, an dem Iftar-Empfang des BIG in der Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) in Hamburg teil. Obwohl in der "Milli Gazete" verhältnismäßig wenig über Aktivitäten des BIG - im Vergleich zu anderen Regionalverbänden - berichtet wird, werden dennoch einzelne Beiträge mit BIG-Bezug publiziert. So wurde u. a. auf die Eröffnungsfeier der "Jugendorganisation Veddel" oder auf eine "Frühlingsaktion des Buchhandels Merkez, Böckmannstr. 40, in Hamburg" hingewiesen, wobei es sich um den Buchvertrieb in der Centrum Moschee handelt. Weiter fanden sich Artikel über eine "KirmesVeranstaltung der Islamischen Gemeinde Neugraben" und über den Besuch einer Hamburger Grundschulklasse in der "Glinde-Moschee" (BIG-Gemeinde in Schleswig-Holstein). 66 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten Angesichts der öffentlichen Kritik, der die "Milli Gazete" ausgesetzt war bzw. ist, haben die BIG-Verantwortlichen offensichtlich geringes Interesse an einer ausführlichen Berichterstattung. Dem "Bündnis der Islamischen Gemeinden" ist daran gelegen, seine Eigenständigkeit zu betonen und reformorientiert wahrgenommen zu werden. Den Verantwortlichen ist bewusst, dass es für die Interessen des BIG von Nachteil ist, mit ERBAKAN und seiner "Glückseligkeitspartei" in enge Verbindung gebracht zu werden. Im Hinblick auf den gewünschten Austausch mit Politik und Wirtschaft wollen sich die BIG-Vertreter als seriöser Ansprechpartner präsentieren und anerkannt werden. Von großer Bedeutung ist für sie der Abschluss eines "Staatsvertrages" mit der Stadt Hamburg, in dem u. a. die Einführung von Islam-Unterricht an Hamburger Schulen geregelt werden soll. Durch öffentlichkeitswirksame Aktionen wie den jährlich stattfindenden "Tag der offenen Moschee" oder den "Iftar"-Empfang werden Dialogbereitschaft und Integrationswille demonstriert. Trotz ihrer erkennbaren Absichten, eine größere Distanz zu ERBAKANs Milli Görüs herzustellen, bietet das BIG immer noch Anhaltspunkte für islamistische Bestrebungen: Im Berichtsjahr 2007 kam dabei dem Thema "Homosexualität im Islam" eine besondere Bedeutung zu. Anlässlich des geplanten zweiten Treffens des Stadtteildialogs in St. Georg, zu dem YAZICI als Vertreter des BIG ursprünglich in die Centrum-Moschee eingeladen hatte, sagte das BIG seine Teilnahme ab, nachdem deutlich wurde, dass dort auch Übergriffe auf Homosexuelle in St. Georg thematisiert werden sollten. Im Zusammenhang mit entsprechenden Vorwürfen bestätigte YAZICI laut Zeitung "Die Welt", dass Homosexualität im Islam eine Sünde sei. Er betonte aber gleichzeitig, dass dies niemals ein legitimer Grund für die Anwendung von Gewalt sei. Die BIG-Verantwortlichen haben wiederholt und glaubwürdig gegen jede Form von Gewaltanwendung Stellung bezogen. Die religiös begründete Ablehnung von Homosexualität ist dennoch ein Indiz dafür, dass religiös begründete Normen im Weltbild auch von IGMG-Funktionären einen höheren Stellenwert haben als die Gleichbehandlungsprinzipien unserer Verfassung. 67 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten 7.2 Türkische Hizbullah (TH) Die sunnitisch-islamistische Türkische Hizbullah (TH) darf nicht mit der libanesischen schiitischen HIZB ALLAH verwechselt werden. Die TH entstand Anfang der 80er Jahre durch den Zusammenschluss einiger kleinerer kurdischer Gruppierungen in Diyarbakir/Türkei. Obwohl ihre Anhänger Sunniten sind, strebt sie die Errichtung eines islamischen Staates nach dem Vorbild der iranischen Revolution an. Dieser soll sich über die Türkei und langfristig über die ganze Welt erstrecken. Zur Durchsetzung ihrer Ziele befürwortet die TH ausdrücklich gewaltsame Methoden. Nach innen ist sie hierarchisch strukturiert und arbeitet konspirativ, so sind u.a. Decknamen gebräuchlich. Die einzelnen Untergruppen sollen sich untereinander nicht kennen. In der Türkei kam es zwischen Ende der 80er und Mitte der 90er Jahre zu blutigen Auseinandersetzungen zwischen der TH und der "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK), in deren Verlauf laut türkischer Presse mehrere hundert Personen getötet wurden. Darüber hinaus wird die TH für verschiedene schwere Anschläge wie z.B. den Mord an dem Polizeipräsidenten Diyarbakirs am 24.01.01 verantwortlich gemacht; sie hat sich jedoch nie zu einer der ihr zugeschriebenen Aktionen bekannt. Durch intensive Maßnahmen der türkischen Strafverfolgungsbehörden in den Jahren 1999 / 2000 wurde die Organisation nachhaltig geschwächt, mehrere ihrer führenden Mitglieder wurden inhaftiert. Einige der Führungskader flohen nach Deutschland. Nach vorliegenden Informationen soll sich die TH in der Türkei gegenwärtig in einer Regenerationsphase befinden und dabei auch von im Ausland lebenden Gefolgsleuten Unterstützung erhalten. Die TH schottet sich nach außen ab. Sie versucht zwar, auch in der kurdischen Gemeinde weitere Anhänger zu rekrutieren, aber eine Zusammenarbeit mit anderen islamistischen Gruppen - wie z.B. der türkischen islamistischen IGMG ( 7.1) - findet nicht statt. Jedenfalls in der Vergangenheit hat die TH Gewalt als probates Mittel der politischen Auseinandersetzung in der Türkei eingesetzt. Für Deutschland liegen dagegen keine Hinweise auf Gewaltanwendung vor, vielmehr scheint die TH hier um eine weitere Konsolidierung ihrer strukturellen und finanziellen Möglichkeiten bemüht zu sein. 68 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten Auch in Hamburg gibt es eine Reihe von TH-Anhängern, die sich jedoch nicht öffentlich politisch betätigen; ihre Aktivitäten mit Außenwirkung sind vorwiegend religiös und kulturell geprägt. Ihr wichtigster Anlaufpunkt ist die Vahdet-Moschee am Steindamm. Weitere Informationen über islamistische Bestrebungen: Arbeitsfeld Islamismus 69 Verfassungsschutz in Hamburg Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern ohne Islamisten Linksextremismus Rechtsextremismus Scientology-Organisation Spionageabwehr Geheimund Sabotageschutz Anhang * Hamburgisches Verfassungsschutzgesetz Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern ohne Islamisten III. Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern ohne Islamisten 1. Entwicklungen und Schwerpunkte im Überblick Unter den in Deutschland aktiven extremistischen Ausländerorganisationen kommt der PKK-Nachfolgeorganisation KONGRA GEL ( 4.) aufgrund der relativ hohen Anhängerzahl und ihrer latenten Gewaltbereitschaft weiterhin eine besondere Bedeutung zu. Die Organisation stellt vor allem wegen ihrer Jugendlichen, die sich schnell emotionalisieren lassen und zu Gewaltaktionen neigen, eine Gefahr für die innere Sicherheit dar. Das hohe Mobilisierungspotential des KONGRA GEL wurde erneut bei mehreren Großveranstaltungen erkennbar, an denen bis zu 40.000 Anhänger teilnahmen. Im Mittelpunkt der KONGRA GEL-Aktivitäten standen die am 01.03.07 gestartete, zum Teil von gewalttätigen Aktionen und Brandanschlägen begleitete Kampagne um die angebliche Vergiftung und den kritischen Gesundheitszustand ihres Führers Abdullah ÖCALAN sowie die seit Oktober zunehmenden militärischen Auseinandersetzungen mit der türkischen Armee im Grenzgebiet zum Nordirak. Obwohl die zum 01.10.06 von der PKK ausgerufene Waffenruhe formal aufrechterhalten blieb, führten mehrere Anschläge auf Militärpatrouillen und eine Geiselnahme türkischer Soldaten im Oktober im Südosten der Türkei zu einer massiven Verschärfung der Situation ( 4.2). Nachdem das türkische Parlament durch einen entsprechenden Beschluss im Oktober grünes Licht für grenzüberschreitende Militäroperationen im Nordirak gegeben hatte, bombardierte die türkische Luftwaffe im Dezember mehrfach Stellungen der PKK im Kandil-Gebirge. Zu dem zunächst befürchteten Einmarsch in den Nordirak kam es jedoch nicht. Infolge der sich zuspitzenden Lage mobilisierte der KONGRA GEL seine Anhängerschaft in Deutschland, um mit zahlreichen Kundgebungen und Demonstrationen gegen die als Versuch der Vernichtung des kurdischen Volkes interpretierten Angriffe und die zunehmende Verfolgung von Kurden in der Türkei zu protestieren. Die Demonstrationen verliefen weitgehend friedlich. Bei einzelnen Veranstaltungen kam es jedoch zu tätlichen Auseinandersetzungen mit türkischen Nationalisten. Dieses Spannungsverhältnis zwischen in Deutschland lebenden Türken und Kurden birgt ein nach wie vor nicht zu unterschätzendes 72 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern ohne Islamisten Konfliktpotential in sich ( 4.2). In Hamburg versuchte am 27.10.07 eine Gruppe von ca. 100 Teilnehmern einer pro-türkischen Demonstration im Anschluss an den Aufzug gewaltsam in ein kurdisches Restaurant am Steindamm einzudringen. Die "Arbeiterkommunistische Partei Iran" (API; 6.) verfolgt das Ziel, das "Mullah-Regime" in der Heimat zu stürzen und durch ein sozialistisches Gesellschaftssystem zu ersetzen. In Deutschland liegen die regionalen Schwerpunkte der API in Nordrhein-Westfalen, Hessen und Hamburg. Die öffentlichen Aktivitäten der Organisation beschränken sich im Wesentlichen auf die Durchführung von friedlichen Informationsund Protestveranstaltungen gegen das iranische Regime. Hierzu bedient sich die API meist ihrer verschiedenen Tarnvereine. Eine grundlegende Änderung der in Iran bestehenden Herrschaftsverhältnisse strebt auch der "Nationale Widerstandsrat Iran" (NWRI; ( 6.) an, vorgeblich unter demokratischen Vorzeichen. Der NWRI ist der politische Arm der in Iran jahrelang terroristisch agierenden "Volksmodjahedin Iran-Organisation" (Modjahedin-E-Khalq, MEK), deren im Irak stationierte Guerilla, die "Nationale Befreiungsfront" (NLA), 2003 von den Koalitionstruppen unter Führung der USA entwaffnet und im "Lager Ashraf" unter Aufsicht gestellt worden war. Der NWRI hat unverändert eine Gewalt befürwortende Grundorientierung. Seine Aktivitäten in Deutschland bestehen jedoch vorrangig darin, über seine Nebenorganisationen Spendengelder zu beschaffen. Vorherrschendes Agitationsthema ist nach wie vor der Kampf gegen die Einstufung der MEK als terroristische Organisation. Die MEK ist seit dem 02.05.02 auf der sogenannten EU-Terrorliste ( 4.3) aufgeführt und wird auch von den USA weiterhin als Terrororganisation angesehen. Die türkischen Linksextremisten ( 5.) verfolgen das Ziel, unter dem Vorzeichen der marxistisch-leninistischen und maoistischen Ideologie das in der Türkei bestehende Staatsgefüge mit Gewalt zu beseitigen und eine sozialistische bzw. kommunistische Gesellschaftsordnung zu etablieren. Die starke Zersplitterung der Organisationen verdeutlicht allerdings, dass es sich trotz ähnlicher ideologischer Standpunkte nicht um eine homogene Szene handelt. In der Türkei sind die Guerillaorganisationen der DHKP-C, der TKP/ML, MKP und MLKP weiterhin terroristisch aktiv. Von der Anhängerschaft in Deutschland werden 73 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern ohne Islamisten diese finanziell und propagandistisch unterstützt. Demonstrationen und andere öffentliche Veranstaltungen verliefen hier durchgängig friedlich. Weitere Gruppen, die sich von Deutschland aus für den bewaffneten Kampf in ihrem Herkunftsland einsetzen, sind ebenfalls mit Anhängern in Hamburg vertreten. Sie verhielten sich jedoch sehr zurückhaltend und traten öffentlich kaum in Erscheinung. Zu nennen sind insbesondere die auf Sri Lanka gewalttätig agierenden "Liberation Tigers of Tamil Eelam" (LTTE). Deren Aktivitäten in Deutschland bestehen vorrangig darin, bei ihrer Anhängerschaft Spendengelder für den separatistischen Kampf zu akquirieren. Seit dem Scheitern des Friedensprozesses im Frühjahr 2006 in Sri Lanka lieferten sich die LTTE und die sri-lankische Armee zahlreiche Gefechte mit vielen Toten auf beiden Seiten. Vorläufiger Höhepunkt in diesem Konflikt war die Tötung des politischen Führers der LTTE, THAMILSELVAN, am 02.11.2007. Die LTTE reagierten ihrerseits mit Anschlägen auf hochrangige Politiker. Am 03.01.08 kündigte die Regierung in Colombo offiziell den 2002 ausgehandelten Waffenstillstand auf. Auch unter den Albanern in Hamburg gibt es Anhänger von Gruppierungen, die den Kampf für ein "Großalbanien" propagieren und bereit sind, hierfür Gewalt anzuwenden. 2007 waren in dieser Hinsicht jedoch keine besonderen sicherheitsgefährdenden Aktivitäten festzustellen. Nach dem Scheitern der Statusverhandlungen zwischen Serbien und Albanien im Dezember 2007 über das Gebiet des Kosovo, das beide Seiten für sich beanspruchen, und der Unabhängigkeitserklärung vom 17.02.08 der mehrheitlich von Albanern bewohnten Provinz (jetzt "Republik Kosovo") könnte sich der Konflikt - trotz der beiderseitig erklärten Bereitschaft, keine Gewalt anzuwenden - jedoch wieder verschärfen und nach Deutschland ausstrahlen. 2. Potentiale Die Zahl der Anhänger extremistischer Ausländerorganisationen (ohne Islamisten) in Deutschland betrug im Jahr 2007 - wie schon 2006 - etwa 25.250 Anhänger. 74 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern ohne Islamisten Bund: Personenpotential im nichtislamistischen Ausländerextremismus 30000 25000 27.810 28.350 27.350 27.150 26.750 26.350 25.720 25.320 25.250 25.250 20000 15000 10000 5000 0 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 - Alle Zahlen sind geschätzt oder gerundet - Im Berichtsjahr wurden in Deutschland etwa 16.870 Personen linksextremistischen Organisationen (2006: ebenso) sowie rund 8.380 (Vorjahr: ebenso) Personen extrem-nationalistischen Organisationen zugerechnet. Personen aus dem kurdischen Kulturkreis bilden mit etwa 11.500 Personen (2006: ebenso) den überwiegenden Teil des Potentials ausländischer extremistischer Gruppierungen. Die zweitgrößte Volksgruppe mit 10.650 Anhängern (2006: ebenso) stellen Personen türkischer Herkunft (ohne Kurden). 75 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern ohne Islamisten Bundesebene: Anhängerpotential im nichtislamistischen Ausländerextremismus (nach Staats-/Volkszugehörigkeit und ideologischer Ausrichtung) Staatsbzw. Linksextremisten Nationalisten Volkszugehörigkeit 2006 2007 2006 2007 Kurden 11.500 11.500 Türken 3.150 3.150 7.500 7.500 Araber 150 150 Iraner 1.150 1.150 Sonstige 920 920 880 880 Gesamt 16.870 16.870 8.380 8.380 - Alle Angaben sind geschätzt oder gerundet - Das nachstehende Diagramm veranschaulicht den Anteil der Islamisten am Gesamtpotential ausländischer Extremisten in der Bundesrepublik Deutschland. Informationen darüber, um welche islamistischen Gruppierungen es sich im Wesentlichen handelt, welche Gefahren von ihnen ausgehen und wie sich die Situation in Hamburg darstellt, finden sich im Kapitel "II. Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten". 76 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern ohne Islamisten Bund: Gesamt-Personenpotential im Ausländerextremismus mit dem Anteil der Islamisten 60000 59.100 59.700 58.800 59.100 57.350 57.300 57.520 57.420 57.300 58.420 50000 40000 30000 20000 31.290 31.350 31.450 31.950 30.600 30.950 31.800 32.100 32.050 33.170 10000 0 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 Ausländerextremisten davon insgesamt Islamisten - Alle Zahlen sind geschätzt oder gerundet - 77 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern ohne Islamisten In Hamburg besteht ein etwa 970 Personen umfassendes Gesamtpotential der Anhänger ausländischer politisch-extremistischer Gruppierungen (ohne Islamisten). Hamburg: Gesamt-Personenpotential im Ausländerextremismus mit dem Anteil der Islamisten 3500 3.265 3.055 3.000 3.000 3000 2.590 2.630 1.390 1.330 1.455 1.265 1.000 2500 970 2000 1500 1.200 1.300 1.600 2.000 2.000 2.030 1000 500 0 2002 2003 2004 2005 2006 2007 Ausländerextremisten Islamisten ohne Islamisten - Alle Zahlen sind geschätzt oder gerundet - Die wichtigsten Teilbereiche sind: * Die Anhängerschaft des KONGRA GEL ( III. 4) wird wie im Vorjahr auf knapp 600 Personen geschätzt. * Die Anhängerzahl türkischer Extremistenorganisationen betrug 130 (Linksextremisten); 2006 waren es ca. 120 ( III. 5), * Die Anhängerschaft extremistischer Organisationen iranischer Nationalität wird auf 230 (2006: 280) geschätzt ( III. 6). 78 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern ohne Islamisten 3. Politisch Motivierte Kriminalität (PMK) Im Bund gab es bei den Straftaten mit ausländerextremistischem Hintergrund im Jahr 2007 eine erhebliche Steigerung: 747 Straftaten im Jahr 2007 stehen 477 im Jahr 2006 gegenüber, ein Zuwachs von rund 56,6%. Auch die Gewalttaten waren 2007 mit 108 deutlich höher als im Vorjahr (95), rund +13,7%. "Der starke Anstieg aller Fallzahlen im Bereich der politisch motivierten Ausländerkriminalität beruht auf dem Anteil an Straftaten, der durch PKK-Anhänger verübt wurde. Als Folge der Einsätze des türkischen Militärs gegen die PKK an der Grenze zum Nordirak ist es ab Oktober 2007 bundesweit zu Demonstrationen gekommen, aus denen heraus zahlreiche Straftaten begangen wurden. Aus dem Themenfeld Islamismus/Fundamentalismus entfällt etwa 10 Prozent der politisch motivierten Ausländerkriminalität. ..." (Quelle - auch für die Zahlen -: Bundesministerium des Innern, Internetseite, Stand: 10.04.08) Als Teilmenge des Deliktsbereichs "Politisch motivierte Ausländerkriminalität" wurden für Hamburg folgende Zahlen extremistischer Strafund Gewalttaten registriert: PMK-Ausländer 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 PMK-Ausländer 81 25 29 31 39 42 32 insgesamt davon extrem. 55 15 16 12 20 13 12 Kriminalität hiervon extrem. 11 1 7 6 12 2 4 Gewaltdelikte - Die Zahlen stammen von der Polizei Hamburg (Stand: Februar 2008) Unter den in Hamburg polizeilich erfassten Gewalttaten mit ausländerextremistischem Hintergrund waren u.a. ein Brandanschlag und eine versuchte Brandstiftung zu verzeichnen. * In der Nacht vom 15. auf den 16.02.07 warfen unbekannte Täter vier Molotow-Cocktails auf eine Zugmaschine, die auf einem Firmengelände in Hamburg-Rothenburgsort abgestellt war. Da sich jedoch nicht alle Molotowcocktails entzündeten, entstand nur geringer Sachschaden. Der Anschlag erfolgte mutmaßlich als 79 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern ohne Islamisten Reaktion auf die kurz zuvor erfolgte Festnahme hochrangiger PKK-Funktionäre in Frankreich. * Am Abend des 15.03.07 wurden vier der PKK zuzurechnende junge Kurden von der Polizei festgenommen, die einen Brandanschlag auf das "Atatürk Kultur Zentrum Deutschland e.V." in der Gotenstraße verüben wollten ( 4.4). * Am 27.10.07 kam es nach einer Demonstration nationalgesinnter Türken in der Hamburger Innenstadt, an der sich ca. 3.000 Menschen beteiligten, zu einem Landfriedensbruch mit Sachbeschädigung. Diese Straftat wies jedoch keinen extremistischen Hintergrund auf. Nach Beendigung des Aufzuges hatte sich eine Gruppe von ca. 100 Personen zu einem kurdischen Lokal am Steindamm begeben und erfolglos versucht, in dieses einzudringen. Dabei wurde das Glas der Eingangstür beschädigt. 4. KONGRA GEL [Volkskongress Kurdistans (früher PKK, Arbeiterpartei Kurdistans)] 4.1 Organisationsentwicklung Die am 27.11.1978 von Abdullah ÖCALAN in der Türkei gegründete PKK, am 26.11.1993 in Deutschland mit einem vereinsrechtlichen Betätigungsverbot belegt, setzte ihre Aktivitäten ab April 2002 unter der Bezeichnung KADEK fort, der sich im Oktober 2003 formell auflöste und seit dem 15.11.03 als KONGRA GEL firmiert. Das gegen die PKK ausgesprochene Betätigungsverbot gilt auch für diese Nachfolgeorganisationen. 1984 hatte die PKK hauptsächlich im Südosten der Türkei einen Guerillakrieg gegen das türkische Militär begonnen. Das Ziel, ein eigener kurdischer Staat, wurde später aufgegeben (Arbeitsfeld Ausländerextremismus / Kurden / Das Kurden-Problem in der Türkei / Die Entwicklung der PKK und ihrer Nachfolgeorganisationen). Es blieb die Forderung nach begrenzter Autonomie innerhalb des türkischen Staates. Erst nach seiner Ergreifung im Februar 1999 in Kenia erklärte Abdullah ÖCALAN die Einstellung des bewaffneten Kampfes, um eine Lösung der Kurdenfrage primär auf politischem Wege zu erreichen. Die Guerilla 80 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern ohne Islamisten der PKK, die HPG ("Volksverteidigungskräfte"), blieb allerdings unter Waffen und steht - nach mehreren Angriffen auf türkische Soldaten im Grenzgebiet zum Irak - seit Herbst 2007 vermehrt in zum Teil heftigen Auseinandersetzungen mit der türkischen Armee. Der seit 1999 auf der Insel Imrali inhaftierte PKK-Gründer verfügt noch immer über einen beträchtlichen Einfluss auf die Organisation und bestimmt deren Strategie und Handlungsoptionen. Bei einem Gespräch mit seinen Anwälten Ende Februar 2007 hatte ÖCALAN auf seinen schlechten Gesundheitszustand aufmerksam gemacht und den Verdacht geäußert, der türkische Staat wolle ihn langsam vergiften. Diese Äußerungen ÖCALANs wurden von seinen Anwälten auf einer Pressekonferenz am 01.03.07 in Rom publik gemacht und in PKK-nahen Medien zu einem Giftanschlag auf den PKK-Führer hochstilisiert. In den folgenden Monaten beherrschte dieses Thema die öffentlichkeitswirksamen Kampagnen des KONGRA GEL und diente der Mobilisierung insbesondere der jugendlichen Anhängerschaft, die dazu aufgerufen wurde, "ihren radikalsten, legitimen, demokratischen Widerstand zu zeigen und aktiv zu werden". Wie in den Vorjahren beschäftigte sich die PKK weiter intensiv mit ihrem politischen Selbstverständnis. Als Ergebnis dieser Reflektionen wurde das im Mai 2005 auf Anregung ÖCALANs beschlossene politische Konzept des "Demokratischen Konföderalismus Kurdistans" (KKK, "Koma Komalen Kurdistan") ideologisch weiterentwickelt. Im Mai 2007 beschloss die 5. Vollversammlung des KONGRA GEL die Namensänderung in "Koma Ciwaken Kurdistan" (KCK; zu Deutsch "Union der Gesellschaften Kurdistans"). Durch diese Bezeichnung sollte der Gesellschaftsaspekt stärker unterstrichen werden. Nach Ansicht von Duran KALKAN, Mitglied im KCK-Exekutivrat, habe die PKK nach eingehender Kritik des realen Sozialismus ihre sozialistischen Grundsätze neu definiert. Sie habe den Gedanken der Freiheit, Gleichberechtigung und Demokratie einbezogen und nenne das Ganze "Demokratischer Sozialismus". Auf der politischen Agenda der PKK stehe zum einen die Demokratisierung der aktuellen Staatssysteme, welche in "Kurdistan" herrschten. Mit der Demokratisierung solle ein politisches Umfeld für eine friedliche Lösung der Kurdenfrage geschaffen werden. Der andere Pfeiler der PKK-Politik sei die "Fortentwicklung der demokratisch-kommunalen Gesellschaftsordnung". Diese 81 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern ohne Islamisten Gesellschaftsordnung sei im Wesentlichen durch die Freiheit der Frau und die ökologische Revolution zu erlangen. 4.2 Militärische Auseinandersetzungen im Grenzgebiet zum Irak / Auswirkungen auf Deutschland Im Grenzgebiet zwischen der Türkei und dem Irak, das von der PKK bereits seit vielen Jahren als Rückzugsgebiet genutzt wird, kam es im Oktober 2007 verstärkt zu Zusammenstößen mit der türkischen Armee, bei denen PKK-Guerillas mehrere Soldaten töteten und verwundeten und weitere als Geiseln nahmen. Die Überfälle der PKK lösten in der Türkei eine nationalistische Welle aus, die von den dortigen Massenblättern erheblich emotionalisiert und angetrieben wurde. Nicht nur das türkische Militär, auch weite Teile der türkischen Öffentlichkeit forderten ein konsequentes militärisches Eingreifen. Das Parlament in Ankara fasste daraufhin am 17.10.07 einen Beschluss, der die Armee, befristet für ein Jahr, ermächtigt, Kämpfer der PKK bis auf irakisches Territorium zu verfolgen. In den Wochen darauf zog die Türkei etwa 100.000 Soldaten im türkisch-irakischen Grenzgebiet zusammen. Nach einem Gipfeltreffen zwischen dem türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip ERDOGAN und US-Präsident George W. BUSH am 05.11.07 in Washington, auf dem ein gemeinsames Vorgehen gegen die PKK vereinbart wurde, leiteten die Regierung in Bagdad und die kurdische Regionalregierung in Erbil/Irak Maßnahmen gegen die Präsenz der PKK ein. Die kurdische Regionalregierung ließ Büros der PKK schließen und die Zufahrtsstraßen in die Kandil-Berge an der irakisch-iranischen Grenze von ihren Peschmergakämpfern sperren, um Tausende dort vermutete PKK-Guerillakämpfer von der Lebensmittelversorgung abzuschneiden. Wenige Wochen zuvor hatten die irakischen Kurden noch Widerstand gegen Militäroperationen der Türkei auf irakischem Boden angekündigt. Auf massiven Druck der Türkei und der USA lenkten sie jedoch ein. Die PKK erklärte daraufhin, sie sei entschlossen, einen gemeinsamen Angriff von Peschmerga und türkischer Armee wie in den 90er Jahren zurückzuschlagen. Der Vorsitzende des KONGRA GEL, Zübeyir AYDAR, bezeichnete das Mandat der türkischen Armee als "Todesurteil". Hierauf würden "in allen Metropolen und überall" Reaktionen erfolgen. Am 16.12.07 griff erstmals seit mehreren Jahren die türkische Luftwaffe, unterstützt von schwerer Artillerie, Stel82 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern ohne Islamisten lungen der PKK in den Kandil-Bergen an. Bis Ende Dezember folgten weitere gezielte Luftschläge. Presseberichten zufolge kamen bei einem der PKK zugeschriebenen Sprengstoffanschlag am 03.01.08 in Diyarbakir/Türkei vier Menschen ums Leben, etwa 70 wurden verletzt, darunter auch einige Kinder. Der mit einer Autobombe verübte Anschlag habe einem Transportfahrzeug des türkischen Militärs gegolten. Im Zusammenhang mit dem drohenden Einmarsch in den Nordirak und den Kämpfen zwischen türkischer Armee und PKK-Rebellen kam es seit Ende Oktober in Deutschland zu zahlreichen Demonstrationen und Aktionen von pro-kurdischer wie pro-türkischer Seite. Die Versammlungen verliefen überwiegend friedlich. Provokationen des jeweiligen politischen Gegners wurden zumeist durch starke Polizeikräfte unterbunden. Lediglich in Berlin und Köln kam es am 28.10.07 im Anschluss an Demonstrationen zu ernsthaften tätlichen Auseinandersetzungen und Ingewahrsamnahmen. Bei einer Invasion in den Nordirak mit dem Ziel, die dortigen PKKStrukturen zu zerschlagen, ist je nach Grad der Betroffenheit mit gewaltsamen Reaktionen insbesondere von Seiten der Jugendorganisation "Komalen Ciwan" zu rechnen. Die Erfahrung zeigt, dass es dem KONGRA GEL möglich ist, binnen weniger Stunden deutschlandweit Anhänger zu mobilisieren und ggf. zu einer breitflächigen Militanz zurückzukehren. Niemand sollte, so die Organisation, am "totalen Widerstand des kurdischen Volkes" gegen das "Vernichtungskonzept" des türkischen Staates zweifeln. 4.3 Aktivitäten und Schwerpunkte in Deutschland Die Aktivitäten des KONGRA GEL werden auf der Europaebene maßgeblich von seinem politischen Arm, der CDK ("Koordinasyona Civata Demokratik a Kurd", "Koordination der Kurdischen Demokratischen Gesellschaft in Europa") geprägt. Die CDK unterhält ein Netz konspirativ agierender Funktionäre, die Anordnungen und Vorgaben an die nachgeordneten Hierarchieebenen zur Umsetzung weitergeben. Trotz des Betätigungsverbotes ist die CDK auch in Deutschland weiterhin aktiv. Kernaufgabe ist die Finanzierung der Organisation und die Mobilisierung der Anhängerschaft. Bisher war Deutschland in drei CDK - Sektoren eingeteilt: Nord, Mitte, Süd. Darunter waren organisatorisch 83 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern ohne Islamisten die sog. "Gebiete" ("Bölge") angesiedelt. 2007 wurden die Sektoren abgeschafft und etwa acht "Eyalet" (sinngemäß "Region") installiert. Der Großraum Hamburg ist ein Gebiet und bildet mit weiteren Teilen Norddeutschlands eine Region. Neben der illegalen Parteistruktur besteht ein Organisationsverbund von Vereinen, in denen sich die Anhänger des KONGRA GEL sammeln. Diese Vereine sind auf der Europaebene im Dachverband KON-KURD ("Konfederasyona Komelen Kurd li Avrupa", "Konföderation der kurdischen Vereine in Europa") zusammengeschlossen. In Deutschland tritt für die Belange des KONGRA GEL bzw. der CDK der Dachverband YEK-KOM ("Yekitiya Komelen Kurd li Elmanya", "Föderation kurdischer Vereine in Deutschland e.V.") ein, der wiederum Mitglied in der KON-KURD ist. Ein Schwerpunkt der Aktivitäten war 2007 die Kampagne gegen die angebliche Vergiftung ÖCALANs. Der Gesundheitszustand des PKKFührers wurde als sehr besorgniserregend beschrieben. Unmittelbar nach einer Pressekonferenz am 01.03.07 in Rom kam es europaweit zu demonstrativen, überwiegend friedlichen Reaktionen. Auch in Deutschland versammelten sich KONGRA GEL-Anhänger in zahlreichen Orten, um ihre Unterstützung für ÖCALAN zum Ausdruck zu bringen. Vereinzelt wurden diese Proteste allerdings von Anschlägen insbesondere gegen türkische Einrichtungen begleitet, so auch in Hamburg ( 4.4). In der Nacht zum 21.03.07 verübten vier Kurden einen Brandanschlag gegen ein türkisches Kulturzentrum in Göppingen, in dem mehrere Personen schliefen. Das Landgericht Ulm verurteilte die Täter am 12.09.07 wegen versuchten siebenfachen Mordes sowie der versuchten schweren Brandstiftung. Das Gericht stellte zudem fest, dass die Tat aus politischen Motiven erfolgt sei und verhängte in einem Fall sieben Jahre Freiheitsstrafe. Die übrigen Angeklagten wurden zu mehrjährigen Jugendstrafen verurteilt. Die Beispiele zeigen, dass insbesondere in der Jugendorganisation der PKK, der Komalen Ciwan, (Jugendunion), weiterhin eine Neigung zur Gewaltausübung vorhanden ist. Der bisher grundsätzlich auf Friedfertigkeit gerichtete Kurs des KONGRA GEL ist labil und jederzeit umkehrbar. Das gilt insbesondere für den Fall, dass sich die Haftbedingungen oder der Gesundheitszustand ÖCALANs gravierend verschlechtern sollten. Zwar hält die Organisation, was Deutschland betrifft, an ihrem Kurs fest, sich bei Demonstrationen friedlich zu verhalten. Parallel dazu 84 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern ohne Islamisten ist man aber weiterhin bereit, gewaltsame Aktionen von Jugendlichen zumindest zu billigen. Bereits im Februar war es zu ersten Brandanschlägen gekommen, nachdem mehrere PKK-Kader in Frankreich festgenommen worden waren. Das Mobilisierungspotential jugendlicher Anhänger ist ein nur schwer kalkulierbarer Risikofaktor. Die Jugendlichen werden in PKK-eigenen Medien sowie auf der Internetseite stets zu noch größerem Engagement und zu Aktionen aufgerufen. Zudem fordert die PKK-Führung regelmäßig dazu auf, sich der Guerilla in den Bergen anzuschließen. Der KONGRA GEL unternimmt große Anstrengungen, Nachwuchs zu gewinnen und organisiert zu diesem Zweck Veranstaltungen kultureller oder sportlicher Art, über die die Jugendlichen an die Organisation herangeführt werden. Der KONGRA GEL stellt somit unverändert eine Bedrohung für die innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland dar. Der Dachverband YEK-KOM ist vor allem als Propagandaorganisation aktiv. Er zeichnet verantwortlich für Presseerklärungen und Flugblätter und tritt häufig als Anmelder von Demonstrationen auf. Neben aktuellen Kampagnen (z.B. gegen Festnahmen von Funktionären und der Kampagne "EDI BESE!" - "Es reicht!", s.u.) setzt sich YEK-KOM kontinuierlich für die Aufhebung des Betätigungsverbots für den KONGRA GEL ein und fordert die Streichung der PKK und ihrer Nachfolgeorganisationen von der sog. EU-Terrorliste. Die Klage gegen die Aufnahme in diese Liste war am 15.02.05 von dem dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) angegliederten "Gericht der ersten Instanz" (GEI) in Luxemburg als unzulässig abgewiesen worden. Mit Urteil vom 18.01.07 hob der Europäische Gerichtshof den Beschluss jedoch auf. Somit muss das GEI erneut entscheiden, ob die PKK weiter auf der Liste geführt werden darf. Wie in den Vorjahren organisierte YEK-KOM im Jahr 2007 überregionale Demonstrationen und Feste, die bis zu rund 40.000 Anhänger anzogen: * Am 17.03.07 nahmen etwa 16.000 Menschen an einer Demonstration zum Newroz-Fest in Berlin teil. 85 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern ohne Islamisten * Am 14.07.07 führte die kurdische Jugend das "10. Mazlum Dogan Jugend-, Kulturund Sportfestival" im Kölner Südstadion durch. Das Festival diente der "Yeni Özgür Politika" (KONGRA GEL nahestehende Tageszeitung) zufolge nicht nur sportlichen oder kulturellen Zwecken, sondern sollte auch an die Werte des seit 30 Jahren andauernden kurdischen Kampfes erinnern und diese der kurdischen Jugend nahebringen. An der Veranstaltung beteiligten sich mehrere Tausend meist jugendliche PKK-Anhänger. * Am 01.09.07 fand auf der Trabrennbahn in Gelsenkirchen das "15. Internationale Kurdische Kultur Festival" statt. An der Veranstaltung, die unter dem Motto "Nein zur Besatzung, Vernichtung und Assimilation - Freiheit und Frieden jetzt sofort!" stand, nahmen knapp 40.000 (Eigenangabe: 100.000) Kurden aus Deutschland und dem benachbarten Ausland teil. Das Festival war zwar kulturell geprägt, diente jedoch auch der Verbreitung politischer Botschaften und Appelle. In einer per Video übermittelten Botschaft verurteilte Murat KARAYILAN, Vorsitzender des KCK-Exekutivrates, die militärischen Operationen in Kurdistan und rief die Parteianhänger zur Wachsamkeit auf. An die in Europa lebenden Kurdischstämmigen gewandt sagte KARAYILAN: "Verstärkt euren Kampf, wo immer ihr euch befindet. Mit einem neuen Anlauf können wir die Freiheit erlangen. Diejenigen, die dazu in der Lage sind, sollen sich der Guerilla anschließen, diejenigen, die das nicht können, sollen ihre patriotische Pflicht erfüllen." Das Festival erreichte seinen Höhepunkt, als eine Botschaft von Abdullah ÖCALAN durch seinen Rechtsanwalt verlesen wurde. In dieser betonte ÖCALAN die Notwendigkeit, das "Verständnis für eine nationale Front" zu wecken und schloss mit dem Aufruf an das gesamte kurdische Volk, noch aktiver "für ein freies Land und eine freie Zukunft" zu arbeiten. An mehreren Wochenenden im Oktober und November fanden deutschlandund europaweit zahlreiche Veranstaltungen und Demonstrationen statt, die den Konflikt zwischen dem türkischen Militär und der PKK im Grenzgebiet zum Nordirak thematisierten. Die große Zahl demonstrativer Veranstaltungen von kurdischer wie türkischer Seite und vor allem die damit verbundenen Auseinandersetzungen zeigen, dass das Spannungsverhältnis zwischen Türken und Kurden auch in Deutschland ein nach wie vor nicht zu unterschätzendes Konfliktpotential birgt. 86 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern ohne Islamisten Vor dem Hintergrund der anhaltenden Spannungen im Krisengebiet und der hohen Emotionalisierung beider Volksgruppen sind bei einer Verschärfung der Situation gewalttätige Reaktionen auf beiden Seiten nicht auszuschließen. Eine weitere Schwerpunktaktion war die im Herbst initiierte Kampagne "EDI BESE!" ("Es reicht!"), die mit der von der YEK-KOM organisierten Großdemonstration am 15.12.07 in Düsseldorf ihren vorläufigen Höhepunkt fand. Die Veranstaltung stand unter dem Motto "EDI BESE ("Es reicht!") - Schluss mit Krieg und Vernichtung in Kurdistan". Ursprünglich waren im Rahmen dieser Kampagne der Gesundheitszustand Abdullah ÖCALANs thematisiert und das "Europäische Komitee für die Verhinderung von Folter" (CPT) dazu aufgefordert worden, die Ergebnisse der bei ÖCALAN durchgeführten Gesundheitsuntersuchung zu veröffentlichen. Mittlerweile wird dieses Motto jedoch auch in Bezug auf das militärische Vorgehen der Türkei gegen die kurdische Guerilla verwendet. Der KONGRA GEL benötigt für seinen großen Organisationsapparat und seine umfangreichen Aktivitäten sowie zur Versorgung der Guerilla erhebliche finanzielle Mittel, die insbesondere in Europa, hier vor allem in Deutschland, aus den Beiträgen der Mitglieder, dem Verkauf von Publikationen und durch Erlöse aus Veranstaltungen beschafft werden. Der größte Teil der Finanzen wird bei den jährlichen Spendensammlungen eingenommen, die von September bis ins darauf folgende Jahr hinein stattfinden. Hierbei muss jedes Gebiet eine Zielvorgabe erreichen, für Deutschland werden insgesamt etwa fünf Millionen Euro angestrebt. Europaweit sollen 12 Millionen Euro zusammenkommen. Den Spendern wird erklärt, dass die gespendeten Beträge eine "Steuer" zur "Befreiung Kurdistans" seien, der man sich nicht entziehen könne. Auch 2007 gab es mehrere Ermittlungsverfahren, und es kam es zu Strafverfahren und Verhaftungen von Funktionären des KONGRA GEL, u.a. wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung und Verstoßes gegen das Vereinsgesetz. Insgesamt wurden seit dem Betätigungsverbot annähernd einhundert Personen der mittleren und oberen Führungsebene des KONGRA GEL wegen der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung zu Freiheitsstrafen verurteilt. Die Türkei sucht international nach 174 führenden PKK-Mitgliedern. Ende November 87 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern ohne Islamisten 2007 lieferte Deutschland erstmals seit vielen Jahren zwei solcher Personen an die Türkei aus. 4.4 Situation in Hamburg Die Politik der Dachverbände wird auf regionaler Ebene in den jeweiligen lokalen Vereinen umgesetzt. In Hamburg nimmt der Verein "Kurdistan Volkshaus e.V." diese Funktion wahr. Bis Ende 2006 hatte dieser Verein sein Domizil in der Friedensallee. Neben dem "Kurdistan Volkshaus e.V.", der Mitgliedsverein im Dachverband YEK-KOM ist, ist auch der "Verein freier Frauen aus Mesopotamien e.V." dem KONGRA GEL zuzurechnen. Er fungiert als Anmelder von Demonstrationen und Kundgebungen, die sich inhaltlich an den von der Organisationsführung vorgegebenen Kampagnenthemen orientieren. Von 2006 bis Anfang 2007 wurde das Gebiet Hamburg von Sakine CANSIZ geleitet, einer hochrangigen KONGRA GEL-Funktionärin, die bereits seit der Gründung der PKK aktiv ist. CANSIZ, gegen die ein türkischer Haftbefehl bestand, wurde am 19.03.07 in Hamburg festgenommen. Das löste heftige Proteste der KONGRA GEL-Anhänger aus und fand auch in lokalen Medien Beachtung. Es folgten mehrere Demonstrationen, bei denen gegen die Festnahme protestiert und CANSIZs sofortige Freilassung gefordert wurde. An den Aufzügen, die zum Untersuchungsgefängnis Holstenglacis führten, beteiligten sich bis zu 400 Menschen aus dem KONGRA GEL-Umfeld und linksgerichteten deutschen Unterstützern. Das Auslieferungsersuchen der Türkei wurde abschlägig beschieden, da nach Auffassung des Hanseatischen Oberlandesgerichts die Auslieferung nicht ausreichend begründet war. Noch vor Ablauf der 40-tägigen Begründungsfrist wurde CANSIZ auf freien Fuß gesetzt; sie verließ kurz darauf Hamburg. Außer den etwa 600 KONGRA GEL-Anhängern existiert in Hamburg ein Sympathisantenumfeld, das sich ebenfalls weitgehend mit den Zielen des KONGRA GEL und insbesondere mit ÖCALAN identifiziert. Dieser Personenkreis kann vorzugsweise für Großveranstaltungen mit kulturellem Hintergrund mobilisiert werden, ist jedoch deutlich kleiner geworden und umfasst nur noch etwa 1.500 Personen - vor wenigen Jahren waren es noch etwa 3.000. Auch die Zahl der KONGRA GELAnhänger, die an Demonstrationen und Kundgebungen in Hamburg teilnehmen, sank in den letzten Jahren. In der Regel liegen diese Zah88 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern ohne Islamisten len bei unter 150 Personen. Als Reaktion auf besondere Ereignisse ist die Organisation allerdings auch in der Lage, nahezu ihr gesamtes Anhängerund Sympathisantenpotential auszuschöpfen. Bei der Demonstration am 03.11.07 nahmen, einschließlich auswärtiger Demonstrationsteilnehmer und deutscher Unterstützer aus dem linken und linksextremistischen Spektrum, ca. 1.850 Menschen teil (s.u.). Im Mai 2007 wurde im "Volkshaus" die Gründung des "Bölge Halk Konseyi" Hamburg ("Gebietsvolksrat") bekannt gegeben, dem verschiedene Ausschüsse angehören. Eingerichtet wurden Ausschüsse für Organisation, Frauen, Jugend, Institutionen, Frieden und Verständigung, Schulung und Propaganda, Kultur und Kunst, Außenbeziehungen sowie religiöse Gruppen und Finanzen. Im Juli 2007 folgte die Wahl des neunköpfigen Vorstandes. Die neue Organisationsstruktur des "Volksrates" suggerierte den Mitgliedern eine neue Art der Mitbestimmung und Basisdemokratie. Tatsächlich änderte sich mit dieser Neugestaltung das vorhandene Machtgefüge nicht. Der "Volksrat" erlangte kaum Bedeutung. Er trat u.a. als Organisator einer Kundgebung am 09.10.07 in Altona zum Jahrestag des "Internationalen Komplotts" gegen ÖCALAN auf (am 09.10.98 hatte der PKK-Führer auf Druck der Türkei sein Exil in Syrien verlassen müssen). Auf der Veranstaltung wurden die Schließung des Gefängnisses auf Imrali und eine ausreichende medizinische Behandlung ÖCALANs gefordert. Im Rückblick ist festzustellen, dass die organisatorischen Veränderungen der letzten Jahre (Umbenennungen, Neugründungen, neue Definitionen und Projekte) in der Hamburger Anhängerschaft mehr Verwirrung als Nutzen bewirkt haben. Trotz der 2007 durchgeführten Kampagnen, Aktionen und Demonstrationen ist zudem ein kontinuierlich sinkendes Engagement für den KONGRA GEL festzustellen. Der Organisation fehlen insbesondere Aktivisten, die Spenden sammeln, Karten für Veranstaltungen und Publikationen verkaufen und für die Teilnahme an Demonstrationen und anderen Veranstaltungen werben. Dieser Mangel wirkte sich spürbar auf die finanzielle Situation aus. Auch die Zahl der Teilnehmer an den "Volksversammlungen", bei denen die Ideologie und Ziele der PKK vermittelt werden sollen, ging merklich zurück. Die Gründe hierfür liegen u.a. darin, dass etliche PKKAnhänger ihre angestrebte Einbürgerung nicht gefährden wollen. Viele sind auch wegen der Veränderungen in der Organisation und allgemeiner politischer Perspektivlosigkeit verunsichert. 89 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern ohne Islamisten Die durch Lethargie geprägte Situation änderte sich allerdings schlagartig Ende Oktober, als die Gefahr eines Einmarsches der türkischen Armee in den Nordirak akut wurde. Die sich parallel dazu aufheizende Stimmung in der Türkei gegen die PKK führte deutschlandweit zu Spannungen zwischen Kurden und Türken. Nach der Großdemonstration national gesinnter Türken am 27.10.07 in der Hamburger Innenstadt, an der sich ca. 3.000 Menschen beteiligten, veranstalteten die "Freunde des kurdischen Volkes e.V." und der "Volksrat Hamburg" am 03.11.07 einen Aufzug "Gegen die Einmarschpläne der Türkei in Südkurdistan". Die Veranstalter erwarteten nur ca. 250 Teilnehmer, tatsächlich zählte die Polizei am Ende 1.850 Demonstranten (Eigenangabe: 5.000), die "gegen den Krieg" gegen die PKK und "rassistische Angriffe gegen Kurden in der Türkei" protestierten. Die Abschlusskundgebung fand vor dem türkischen Generalkonsulat statt. Die Slogans und Forderungen auf Spruchbändern und in Parolen lauteten u.a. "Öcalans Gesundheit ist unsere Gesundheit", "Nein zur türkischen Okkupation, Gerechtigkeit für die Kurden", "Freiheit für Kurdistan", "Ende des Krieges in Kurdistan", "Die Jugend ist hier, wo sind die Faschisten" und "Biji Serok Apo" ("Es lebe der Führer Apo") (= Abdullah ÖCALAN). Die friedlich angelegte Demonstration verlief bis auf einen kleinen Zwischenfall ohne größere Probleme. Die Bedrohung durch die türkische Staatsmacht, hinter der aus Sicht der PKK "rassistisch-chauvinistisch-faschistische Kreise" stecken, die die Fäden ziehen, führte zu einem enormen Solidarisierungseffekt, der neben der hohen Mobilisierung für die Demonstration am 03.11.07 vor allem eine sehr hohe Spendenbereitschaft der Kurden im Rahmen der aktuellen Spendenkampagne bewirkte. Mit Rücksicht auf ein möglichst legales Erscheinungsbild übt die Organisation im Vergleich zu früheren Jahren - wenn überhaupt - nur noch geringen Druck auf kritische Anhänger und Spendenunwillige aus. Die Reaktionen auf die akute Bedrohung der PKK verdeutlichen die fundamentale Verbundenheit der hiesigen Anhänger mit der Organisation in der Türkei und der Guerilla im Nordirak. Wenn es darauf ankommt, sind nach wie vor viele Anhänger und Sympathisanten bereit, ihren Protest auf die Straße zu tragen und sich auch finanziell für die Organisation einzusetzen. Die Hoffnung jedoch, durch diese kurzfristige Mobilisierung auch den seit längerem zu beobachtenden organisatorischen Erosionsprozess aufhalten oder gar umkehren zu können, dürfte 90 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern ohne Islamisten sich angesichts der aufgezeigten strukturellen Probleme des KONGRA GEL in Hamburg nicht erfüllen. Der KONGRA GEL hat in den letzten Jahren in Hamburg zwar an Bedeutung und Schlagkraft verloren, dennoch gehen insbesondere von den Anhängern der "Komalen Ciwan" (Jugendunion) weiterhin Gefahren für die öffentliche Sicherheit aus. Die sich in der Öffentlichkeit unter dem Namen "Initiative der freien Jugend Hamburg" versammelnde Jugendorganisation ist in der Lage, mehrere Hundert Jugendliche für ihre Ziele einzuspannen. So organisierte "Komalen Ciwan" am 21.10.07 eine Gedenkveranstaltung für die "Märtyrer" Kurdistans, an der etwa 300 junge Kurden teilnahmen (Eigenangabe: 1.000). Die Teilnehmer skandierten u.a. "Die Guerilla schießt und errichtet Kurdistan" und starteten eine neue Kampagne zur Unterstützung der "Volksverteidigungskräfte" (HPG). Um ihre Bereitschaft zu demonstrieren, kompromisslos für die kurdische Sache einzustehen, sind Hamburger Aktivisten der "Komalen Ciwan" auch bereit, Anschläge zu verüben. Nach Bekanntwerden der angeblichen Vergiftung ÖCALANs rief die "Koordination der Jugendvereine" (vermutlich identisch mit "Komalen Ciwan") die "APO-istische Jugend" dazu auf, aktiv zu werden. Angekündigt wurden "Aktionen auf höchster Stufe". Alle Aktionen seien nunmehr legitim und könnten jederzeit und überall ausgeführt werden. Darüber hinaus sollten auch "wirkungsvolle, Gewalt beinhaltende Aktionen kleiner Einheiten" durchgeführt werden. In ihrem Eifer bekannten sich Aktivisten der "Komalen Ciwan" allerdings auch zu Straftaten, die entweder gar nicht stattgefunden hatten oder sich ganz anders darstellten als behauptet. Ein Grund dafür könnte sein, dass die Erwartungen an die Jugend, spektakulär auf die Anliegen der PKK aufmerksam zu machen, diese erheblich unter Druck gesetzt und dazu verleitet hat, Anschläge und Protestaktionen zu erfinden oder aufzubauschen. So berichtete beispielsweise die "Yeni Özgür Politika" am 05.03.07, in Hamburg sei eine Gruppe von Kurden in das Gebäude des Fernsehsenders "Hamburg 1" eingedrungen und habe eine Live-Sendung gestört, in der Hamburgs Bürgermeister Ole von BEUST Gast gewesen sei. Mit dieser Aktion habe man auf die Vergiftung ÖCALANs aufmerksam machen wollen. Der Personenschutz des Bürgermeisters sei eingeschritten. Unterdessen hätten draußen Hun91 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern ohne Islamisten derte von Menschen demonstriert. Nach Darstellung des PKK-nahen Fernsehsenders "ROJ TV" vom 03.03.07 hätten Kurden "Hamburg 1" besetzt und eine Botschaft verlesen. Tatsache ist, dass sechs Personen die Bühne des Senders in der Hamburger Rothenbaumchaussee während einer Live-Sendung als Plattform für politische Statements nutzen wollten. Die kurdischen Jugendlichen machten mit einem Flugblatt, das vorgelesen wurde, auf ÖCALANs angebliche Vergiftung im Gefängnis aufmerksam. Sie verlangten, dass die deutsche Regierung Druck auf die Türkei ausüben solle. Während der Aktion skandierten sie Parolen, die ihre Solidarität mit ÖCALAN zum Ausdruck brachten. Die "Besetzung" dauerte ca. eine halbe Stunde und wurde ohne Zwischenfall beendet. Sicherheitskräfte des Senders begleiteten die "Komalen Ciwan"-Aktivisten vor die Tür, ohne dass diese Widerstand leisteten. Der Bürgermeister war bei dieser Sendung nicht anwesend. Der Sender erstattete keine Anzeige. Am 16.02.2007 meldete die PKK-nahe Nachrichtenagentur "Firat News Agency", eine Gruppe kurdischer Jugendlicher habe mit einem Molotow-Cocktail das Dach des Hamburger Rathauses in Brand gesetzt. Die Gruppe, die sich selbst "Apoistische Jugend" nenne, wäre unerkannt entkommen. Das Dach des Rathauses sei in Flammen aufgegangen. Tatsächlich wurden jedoch keinerlei Sachschäden festgestellt. Am 15.03.07 konnte die Hamburger Polizei einen Brandanschlag auf das "Atatürk Kultur Zentrum Deutschland e.V." verhindern. Polizeibeamten fiel in den Abendstunden des 15.03. ein Fahrzeug auf, das mehrfach durch die Gotenstraße fuhr. Die Insassen beobachteten in auffälliger Art und Weise das dort ansässige Kulturzentrum. Anschließend suchten sie eine Tankstelle in Hamburg-Wilhelmsburg auf, kauften dort Benzin und fuhren danach zurück Richtung Gotenstraße. Im Wandalenweg stellten die Tatverdächtigen das Fahrzeug ab. Die Einsatzkräfte überprüften die vier Personen, bevor diese aussteigen konnten. Im Fahrzeuginneren wurden drei gebrauchsfertige MolotowCocktails gefunden und sichergestellt. Die beiden 31 und 28 Jahre alten Frauen und die beiden 22 und 28 Jahre alten Männer wurden vorläufig festgenommen. Das Hamburger Landgericht verurteilte die vier Kurden am 05.09.07 wegen Verabredung zu einem Verbrechen zu einer Haftstrafe von zwei Jahren auf Bewährung. 92 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern ohne Islamisten 5. Türken Revolutionär-marxistische Gruppierungen DHKP-C ("Devrimci Halk Kurtulus Partisi-Cephe", "Revolutionäre Volksbefreiungspartei-Front") Die seit dem 13.08.98 in Deutschland verbotene DHKP-C hat ihren Ursprung in der 1983 verbotenen "Devrimci Sol" ("Revolutionäre Linke") und steht ideologisch in deren Nachfolge. Ziel der marxistischleninistisch ausgerichteten DHKP-C ist es, den türkischen Staat durch eine bewaffnete Revolution zu zerschlagen und ein sozialistisches Gesellschaftssystem zu errichten. Die Organisation besteht aus einem politischen ("Revolutionäre Volksbefreiungspartei", DHKP) und einem militärischen Arm ("Revolutionäre Volksbefreiungsfront", DHKC), der in der Türkei terroristisch aktiv ist. Angriffsziele sind nach wie vor insbesondere Einrichtungen und Angehörige der türkischen Sicherheitsbehörden, der Armee und Justiz, aber auch Büros verschiedener Parteien. Anschläge und militante Aktionen konzentrieren sich vor allem auf Istanbul und Ankara. In Deutschland verfügt die Organisation noch über ca. 650 Mitglieder, in Hamburg sind es etwa 20. In den letzten zehn Jahren hat die DHKP- C ca. 40% ihrer Mitglieder verloren; 1998 waren es noch etwa 1.100. Die Organisation finanziert sich hauptsächlich durch Mitgliedsbeiträge und Spendensammlungen, die früher teilweise mit erpresserischen Methoden durchgeführt wurden. Nach dem Wegfall ihres Propagandaschwerpunktes, dem Hungerstreik einsitzender Gesinnungsgenossen in der Türkei (s.u.), ist ein ähnlich bedeutsames Thema nicht in Sicht, mit dem die politische Arbeit belebt und neue Ziele und Perspektiven entwickelt werden könnten. Polizeiliche Maßnahmen und anstehende Gerichtsverfahren gegen mehrere DHKP-C-Funktionäre haben die Wirkungsmöglichkeiten der Organisation zudem beeinträchtigt. Anlässlich des Jahrestages ihrer Parteigründung am 30.03.94 verkündete die DHKP in einer Internet-Erklärung vom 27.03.07, dass sie weiterhin an ihrem Ziel, der Befreiung der Völker in der Türkei, festhalte. Auch erneuerte sie ihr Bekenntnis zum bewaffneten Kampf: "Wir kämpfen für Unabhängigkeit, Demokratie und Sozialismus. Deshalb wurden die Partei und die Front aufgebaut. Deshalb begannen wir 93 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern ohne Islamisten mit dem bewaffneten Kampf. Deshalb sind wir in die Berge gegangen, auf den Plätzen marschiert. Und wir haben bereits an der Wiege dieses Kampfes einen Eid abgelegt: Es gibt einen einzigen Weg, eine einzige Form der Befreiung. Der einzige Weg ist die Revolution, die einzige Alternative der Sozialismus!" Ihre Fundamentalopposition zum demokratischen System brachten sowohl die DHKP als auch die DHKC in Stellungnahmen zu den türkischen Parlamentswahlen vom 22.07.07 zum Ausdruck. In ihrer Erklärung Nr. 37 vom 11.06.07 mit der Überschrift "Wahlen sind keine Lösung" erklärte die DHKP "In unserem Land, das vom Imperialismus abhängig ist und durch den Faschismus regiert wird, ist es unmöglich, den Charakter der Regierung durch Wahlen zu verändern. Deshalb ist unsere Partei davon überzeugt, dass die faschistische Regierung unter der Kontrolle und Führung des Imperialismus und der Oligarchie, alleine durch den bewaffneten Kampf des Volkes gestürzt werden kann." In ihrer Stellungnahme Nr. 369 vom 24.07.07 mit dem Titel "Wir haben uns nicht am Wahlbetrug der Oligarchie beteiligt. Wir haben von den etablierten Parteien Rechenschaft verlangt. Wahlen sind keine Lösung" bezichtigte sich die DHKC diverser militanter Aktionen und Anschläge auf Wahlbüros der regierenden "Gerechtigkeitsund Entwicklungspartei" (AKP), der "Republikanischen Volkspartei" (CHP) und der "Partei der Nationalistischen Bewegung" (MHP) in Istanbul. In derselben Erklärung bekannte sich die DHKC anlässlich des Jahrestages des "Massakers" an zehn DHKC-Mitgliedern am 12.07.91 zu zwei "Aktionen" im Juli 2007, darunter einem Bombenanschlag gegen ein Landratsamt in der Türkei. Der zweite Anschlag, ebenfalls gegen ein Landratsamt gerichtet, scheiterte. Zudem drohte die Organisation damit, ihre Gewaltaktionen fortzusetzen, "um die Ausbeuter, Unterdrücker und Betrüger zur Rechenschaft zu ziehen." Das beherrschende propagandistische Thema der DHKP-C in den letzten Jahren war der Widerstand gegen die Haftbedingungen in den türkischen Gefängnissen. Der Bau neuer Gefängnisse mit Einzelzellen anstelle der bisherigen Großraumzellen in der Türkei war im November 2000 Anlass für inhaftierte Angehörige linksextremistischer Organisationen, einen unbefristeten Hungerstreik zu beginnen. Seit Mai 2002 hielt nur noch die DHKP-C an dieser Kampagne fest. Seit Beginn des 94 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern ohne Islamisten "Todesfastens" verstarben nach Angaben der Organisation 122 Personen, 40 davon kamen bei gewalttätigen Auseinandersetzungen mit türkischen Sicherheitskräften in den Gefängnissen ums Leben. Die letzten Teilnehmer des Hungerstreiks hatten ihre Aktion im April bzw. Mai 2006 begonnen. Mit einem Erlass des türkischen Justizministeriums vom 22.01.07, der die Grundlage für die Lockerung der "Isolationshaftbedingungen" bildete, fand der Hungerstreik ein vorläufiges Ende. In die Öffentlichkeit transportiert wurde das Thema der angeblichen Isolationshaft in den türkischen Gefängnissen von dem "Solidaritätsverein mit den politischen Gefangenen und deren Familien in der Türkei" (TAYAD). Dieser in Berlin ansässige Verein greift regelmäßig politische Themen im Sinne der DHKP-C auf. In einer Erklärung vom 18.10.07 kritisierte TAYAD, dass der o.g. Erlass nicht vollständig in die Praxis umgesetzt worden sei und kündigte an, den Kampf gegen die Isolationshaft solange fortzusetzen, bis diese ganz beseitigt sei. Am 19.10.07 und am 28.12.07 führte das TAYAD-Komitee vor dem türkischen Generalkonsulat in Hamburg entsprechende Kundgebungen mit jeweils etwa zehn Teilnehmern durch, auf denen die Freilassung der politischen Gefangenen in der Türkei gefordert wurde. TKP/ML ("Türkiye Komünist Partisi / Marksist Leninist", "Türkische Kommunistische Partei / Marxisten Leninisten") und MKP ("Maoist Komünist Partisi", "Maoistische Kommunistische Partei") Die TKP/ML wurde im April 1972 von Ibrahim KAYPAKKAYA gegründet. 1994 spaltete sich aufgrund erheblicher Differenzen im Funktionärsapparat eine Fraktion von der TKP/ML ab, die sich zunächst "Ostanatolisches Gebietskomitee" (DABK) nannte. Die verbliebene Fraktion wurde als "Partizan" bezeichnet. Beide Fraktionen beanspruchten in der Folgezeit die Führung in der Partei. Ideologische Unterschiede wurden jedoch nicht erkennbar. Um die Jahreswende 2002/03 entstand infolge interner Auseinandersetzungen aus der DABK-Fraktion eine neue Gruppierung, die seitdem unter dem Namen "Maoistische Kommunistische Partei" (MKP) agiert. TKP/ML-Partizan wie MKP berufen sich auf die Lehren von Marx, Lenin und Mao und propagieren einen nach maoistischem Vorbild geführten bewaffneten "Volkskrieg" innerhalb der Türkei, mit dessen Hilfe eine "demokratische Volksrevolution" 95 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern ohne Islamisten herbeigeführt werden soll, um eine kommunistische Gesellschaftsordnung in der Türkei zu etablieren. TKP/ML-Partizan ("Türkiye Komünist Partisi / Marksist Leninist", "Türkische Kommunistische Partei / Marxisten Leninisten") An der ideologischen Ausrichtung der TKP/ML-Partizan und ihrer Bereitschaft, ihre politischen Ziele mit Gewalt durchzusetzen, hat sich auch im Jahre 2007 nichts geändert. In einem Flugblatt anlässlich des 35. Gründungsjahres der Organisation hieß es an die Adresse der eigenen Anhängerschaft gerichtet: "Vertraut auf die Massen, rüstet euch zum Krieg, mit der Partei werden wir siegen! Es ist unvermeidlich, dass diejenigen, die für den Kommunismus das Leichentuch zuschneiden, bei sich selbst Maß nehmen! ... Unsere Partei TKP/ML, die diesen ehrenvollen Befreiungskampf in unserer Heimat übernommen hat, hat durch die 8. Parteikonferenz, die sie in ihrem 35. Gründungsjahr durchgeführt hat, ihre Position und ihre Einstellung innerhalb des Klassenkampfes einer Prüfung unterzogen und ihre Übereinstimmung mit ihrem Programm und ihrer ideologischpolitischen Linie hinterfragt. Sie hat ferner beschlossen, alle Kräfte zu mobilisieren, um fest verknüpft mit dem Ziel der demokratischen Revolution den Krieg zu fördern und zu verstärken." In der Türkei unterhält die TKP/ML-Partizan als "bewaffnete Frontorganisation" die "Türkische Arbeiter und Bauernbefreiungsarmee" ("Türkiye Isci Köylü Kurtulus Ordusu", TIKKO). In Deutschland verhalten sich die TKP/ML-Partizan und ihre Anhänger seit Ende der 1990er Jahre hingegen gewaltfrei. Bundesweit gehören ihr ca. 800 Mitglieder an, in Hamburg sind es etwa 40. An der alljährlichen Gedenkveranstaltung zum Todestag des Parteigründers Ibrahim KAYPAKKAYA ( 1973) am 19.05.07 in Ludwigshafen/RP nahmen rund 3.000 Anhänger und Sympathisanten der TKP/ ML aus Deutschland und dem benachbarten Ausland teil. Anlässlich der Protestaktionen gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm im Juni 2007 konnten weder bei der TKP/ML-Partizan noch bei anderen in Deutschland agierenden türkischen linksextremistischen Organisa96 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern ohne Islamisten tionen eigenständige Mobilisierungsbemühungen festgestellt werden. Anlassbezogen fand jedoch eine Kooperation zwischen der TKP/MLPartizan und ihr nahestehenden deutschen Linksextremisten statt, etwa im Rahmen des gemeinsam getragenen "Antifaschistischen & Antiimperialistischen Aktionsbündnisses gegen die G8". Die darin organisierte "Avrupa Türkiyeli Isciler Konferasyonu" (ATIK; "Konföderation der Arbeiter aus der Türkei in Europa"), die der TKP/ML-Partizan nahesteht, hatte im Mai unter dem Motto "Erheben wir den Protest gegen den G8 Gipfel; das Zentrum der Ausbeutung, Plünderung und Aggression!" mit dazu aufgerufen, an den in und um Rostock stattfindenden Anti-G8-Aktivitäten teilzunehmen ( IV. 5.1). Die ATIK zählte außerdem zum Kreis der "ErstunterzeichnerInnen" bzw. "UnterstützerInnen" der "Internationalen Großdemonstration" am 02.06.07 in Rostock. Der deutsche Ableger ist die ATIF ("Almanya Türkiyeli Isciler Federasyonu", "Föderation der Arbeiter aus der Türkei in Deutschland e.V."). Im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens des Generalbundesanwalts gegen unbekannte Mitglieder der innerhalb der TKP/ML-Partizan bestehenden ausländischen terroristischen Organisation nach SS 129a i.V.m. SS 129b StGB durchsuchten Beamte des BKA am 05.12.07 in mehreren Bundesländern (u.a. in Lübeck / Schleswig-Holstein) insgesamt dreizehn Objekte. Die Maßnahmen richteten sich gegen mutmaßliche Mitglieder bzw. Unterstützer der TKP/ML in Deutschland. Die der TKP/ ML nahestehende ATIK forderte in ihrer Pressemittlung vom 06.12.07 dazu auf, "der undemokratischen Vorgehensweise und ständig zunehmenden Repressionswelle der BRD entschlossen entgegenzutreten" und die Kampagne zur Einstellung des Verfahrens zu unterstützen. Anlässlich des Jahrestages der Verabschiedung der MenschenrechtsCharta der Vereinten Nationen beteiligte sich die ATIK zusammen mit anderen Organisationen und Gruppierungen aus dem linken und linksextremistischen Spektrum am 08.12.07 an einer Demonstration in Hamburg unter dem Motto "Verteidigen wir unsere Rechte als Menschen". Auf einem ihrer Transparente hieß es: "Deutscher Imperialismus - Hände weg von ATIF und ATIK". Die hiesigen Anhänger der ATIF versammeln sich in den Räumlichkeiten des "Kulturund Solidaritätsvereins Hamburg e.V.". 97 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern ohne Islamisten MKP (Maoist Komünist Partisi, Maoistische Kommunistische Partei) Wie die TKP/ML erinnert auch die MKP jedes Jahr mit einer Gedenkveranstaltung an den Tod von Ibrahim KAYPAKKAYA. Die Feier fand mit ca. 2.500 Teilnehmern am 26.05.07 in Leverkusen statt. In Deutschland sind der MKP etwa 500 Anhänger zuzurechnen, in Hamburg ca. 40. In einem Flugblatt gedachte die MKP auch ihrer 17 Anhänger, die bei einer Offensive türkischer Sicherheitskräfte am 16./17.06.05 im Mercan-Tal in der Provinz Tunceli getötet worden waren. Darin hieß es: "Am 2. Jahrestag ihres Todes gedenken wir mit Respekt der Mercan Märtyrer! Mercan ist Geschichte! Geschichte, die mit Blut geschrieben wurde, kann niemals ausgelöscht werden!" Durch den gewaltsamen Tod der 17 MKP-Kämpfer habe die Wut weiter zugenommen. Der Kampf werde daher mit großer Entschlossenheit weitergeführt. Jeder Märtyrer mehre die Angst des Feindes und bedeute Hoffnung für die eigene Seite. Als Guerilla-Gruppe der MKP fungiert in der Türkei die "Volksbefreiungsarmee" ("Halk Kurtulus Ordusu", HKO). In Deutschland tritt die MKP nicht mit Gewalttaten in Erscheinung. Die der MKP nahestehende "Konföderation für demokratische Rechte in Europa" ("Avrupa Demokratik Haklar Konfederasyonu", ADHK) setzte sich 2007 schwerpunktmäßig für die Freilassung des in Hamburg lebenden Kurden Binali YILDIRIM ein, der am 29.05.07 während seines Urlaubes auf Mallorca von der spanischen Polizei festgenommen wurde. Grund hierfür war ein Auslieferungsersuchen der türkischen Justiz, die YILDIRIM die Beteiligung an mehreren Anschlägen der Guerilla der TKP/ML, der "Türkischen Arbeiterund Bauernbefreiungsarmee" (TIKKO), Anfang der 1990er Jahre in der Türkei vorwirft. Die ADHK organisierte in Hamburg mehrere Kundgebungen und Infostände und informierte durch eine ausführliche Berichterstattung im Internet über die Situation YILDIRIMs. Unterstützt wurden die Solidaritätsaktionen zum Teil von deutschen Linksextremisten aus dem antiimperialistischen Spektrum ("B 5"). In einem u.a. auf der Internetseite "Free Binali!" veröffentlichten Artikel der Zeitung "Neues Deutschland" vom 16.06.07 wird YILDIRIM als "Mitglied der ADHK, einer Basisorganisation der in seinem Heimatland verbotenen Maoistischen Kommunistischen Partei der Türkei / Marxisten Leninisten (TKP/(ML), die sich 2003 in MKP umbenannt hat", bezeichnet. 98 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern ohne Islamisten MLKP ("Marksist Leninist Komünist Partisi", "Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei") Die 1994 in der Türkei gegründete MLKP vertritt das ideologische Weltbild des Marxismus-Leninismus in stalinistischer Prägung. Ebenso wie die anderen türkischen linksrevolutionären Organisationen will sie den türkischen Staat durch eine gewaltsame Revolution stürzen und eine kommunistische Gesellschaftsordnung errichten. Die nur in der Türkei agierende Guerillaorganisation FESK ("Fakirlerin ve Ezilenlerin Silahli Kuvettleri", "Bewaffnete Einheiten der Armen und Unterdrückten") wird von den dortigen Sicherheitsbehörden als militärischer Arm der MLKP angesehen. Bundesweit hat die MLKP ca. 550 Anhänger, in Hamburg etwa 30. Die Agitationsthemen der Organisation werden in Deutschland teilweise von der "Föderation der Arbeitsimmigrantinnen aus der Türkei in Deutschland e.V." ("Almanya Göcmen Isciler Federasyonu", AGIF) aufgegriffen, die sich insoweit als der MLKP nahestehende Gruppe darstellt. Die Themen sind weitgehend von den politischen Vorgängen in der Türkei bestimmt. Von besonderer Bedeutung war 2007 die Ermordung des türkisch-armenischen Journalisten Hrant DINK, der am 19.01.07 vor dem Büro des Agos-Verlages in Istanbul erschossen wurde. Kurz darauf wurde ein 17-jähriger unter dringendem Tatverdacht festgenommen. Die MLKP nutzte dieses Ereignis, um den türkischen Staat als mutmaßlichen Drahtzieher der Bluttat massiv anzugreifen. In ihrem "Internationalen Bulletin Nr. 54" hieß es dazu wörtlich: "Der kolonialistische, faschistische türkische Staat setzt seinen Terror und sein Massenmorden nicht nur gegen die kommunistische und revolutionäre Bewegung, sondern gegen die gesellschaftliche Opposition insgesamt fort... Die Ermordung des Hrant DINK ist ein Staatsmord. Dass der Staat eine Schachfigur als Ausführenden verhaftet hat, kann seine Schuld nicht verschleiern ..." Als Folge der Ermordung kam es auch in Deutschland zu Protestveranstaltungen. Am 22.01.07 beteiligte sich die MLKP, neben weiteren Organisationen, an einer Demonstration in Hamburg, auf der sie Transparente mit der Aufschrift "Der türkische Staat hat Hrant DINK ermordet!" zeigte. 99 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern ohne Islamisten Im Juni nahm die MLKP wie die TKP/ML punktuell an Protestaktivitäten gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm teil ( IV. 5.1). Eigene Akzente setzte die Organisation dabei jedoch nicht. Anlässlich der Operationen des türkischen Militärs gegen die PKK im Grenzgebiet zum Irak ( 4.2) solidarisierte sich die MLKP in mehreren Stellungnahmen mit dem kurdischen Volk. In diesem Zusammenhang bekannte sie sich auf ihrer Internetseite zu diversen Straßenblockaden in der Türkei, u.a. mit Molotowcocktails, und in ihrer Erklärung vom 20.10.07 zu einem Bombenanschlag auf ein als faschistisch bezeichnetes Vereinslokal: "Wir werden nicht schweigend zusehen, wenn sie ihre Angriffe durchführen. Wir werden weiterhin faschistische Zentren zerstören und bestrafen." Ebenfalls auf der Internetseite der MLKP wurde am 24.11.07 die Erklärung Nr. 68 der FESK veröffentlicht, in der die Guerillaorganisation die Verantwortung für etliche weitere Sprengstoffanschläge in den Monaten September und Oktober übernahm. Betroffen waren insbesondere Einrichtungen der Polizei und der Armee in Adana, Ankara und Istanbul sowie ein Büro der nationalistischen MHP. Die Aktionen seien die Antwort auf die faschistische Repression und die Versuche, das kurdische Volk endgültig zu vernichten. In der Erklärung drohen die FESK damit, dass diejenigen, die sich von dem Blut der Unterdrückten nährten, jeden Tag neue Morde und Massaker begingen, Menschen in Haft durch Folter ermordeten, Nordkurdistan bombardierten und Südkurdistan den Krieg erklärten, für alle diese Angriffe von der FESK zur Rechenschaft gezogen werden würden. Arbeitsfeld Ausländerextremismus / Türken 6. Iraner Iranische Oppositionelle Nationaler Widerstandsrat Iran (NWRI) Der "Nationale Widerstandsrat Iran" (NWRI) agiert schwerpunktmäßig in Europa und Nordamerika als politischer Arm der "Volksmodjahedin Iran-Organisation" ("Modjahedin-E-Khalq", MEK). Die MEK ist die größte und aktivste iranische Oppositionsgruppierung, die den Sturz 100 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern ohne Islamisten des islamischen Regimes in Teheran anstrebt. Sie sieht dabei die Anwendung von Gewalt weiterhin als legitimes Mittel an. Der militärische Arm der Organisation, die "Nationale Befreiungsarmee" (NLA), wurde allerdings bereits 2003 nach dem Irak-Krieg entwaffnet und damit seiner militärischen Möglichkeiten beraubt. Im "Lager Ashraf" im Irak, das unter internationaler Aufsicht steht, befinden sich noch über 3.000 ehemals bewaffnete Kämpfer der NLA. Der NWRI kämpft nach wie vor mit Nachdruck dafür, dass die MEK nicht mehr als Terrororganisation eingestuft wird. Die Aufnahme in die von der EU geführte Liste terroristischer Organisationen erfolgte aufgrund der von den MEK bis Anfang 2002 verübten Anschläge auf iranische Einrichtungen und Repräsentanten. Gegen den dem Eintrag in die Liste zugrundeliegenden Beschluss des EU-Rates vom 02.05.02 hatte die Organisation beim "Gericht Erster Instanz" (GEI) der Europäischen Gemeinschaften Klage erhoben. In seiner Entscheidung vom 12.12.06 hatte das GEI den EU-Ratsbeschluss für nichtig erklärt, da in dem Verfahren bestimmte rechtstaatliche Prinzipien, u.a. die Begründungspflicht, nicht gewährleistet worden seien. Der EU-Rat trug der GEI-Entscheidung durch einen neuen Beschluss vom 28.06.07 Rechnung, indem er der MEK die Gründe für die Aufnahme in die Liste nachträglich darlegte, die Entscheidung von 2002 inhaltlich bestätigte und die Organisation weiter auf der Liste beließ. Dessen ungeachtet versuchte der NWRI auch 2007, in verschiedenen europäischen Ländern seine lobbyistischen Aktivitäten im politischen Raum auszubauen, um politische Entscheidungsträger in seinem Sinne zu beeinflussen. Maryam RADJAVI, die 1993 zur "künftigen Präsidentin des Iran" gewählte Führerin des NWRI, hatte inzwischen u.a. mehrfach Gelegenheit zu Auftritten vor Angehörigen des Europäischen Parlaments in Straßburg. Dem NWRI werden bundesweit ca. 900 Mitglieder zugerechnet, in Hamburg etwa 200. Die Aktivitäten der Organisation sind mittlerweile rein propagandistisch ausgerichtet und darauf konzentriert, sich als demokratische Exilbewegung und einzige politische Alternative zum iranischen Regime darzustellen. Der NWRI kritisiert vornehmlich die Menschenrechtslage in Iran und das iranische Nuklearprogramm, um auf sich und seine politischen Ziele aufmerksam zu machen. Hierzu führten die Organisation bzw. die ihr angeschlossenen Vereine 101 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern ohne Islamisten Demonstrationen, Protestkundgebungen sowie Unterschriftenaktionen durch und betreuten Infotische. Ein weiteres wichtiges Kampagnethema war die Aufklärung über vermeintliche Aktivitäten des iranischen Nachrichtendienstes. Bei einer Pressekonferenz am 30.08.07 in Berlin erläuterte die Deutschlandvertretung des NWRI ihre "Erkenntnisse" über die Existenz eines "Geheimdienstund Spionagenetzes des iranischen Regimes in Deutschland". Zur Finanzierung seiner Aktivitäten führen der NWRI bzw. die ihm zugehörigen Tarnvereine u.a. öffentliche Spendensammlungen durch. Dabei werden Passanten auch Bilder von Hinrichtungsopfern gezeigt und behauptet, dass man den Hinterbliebenen und anderen Opfern der staatlichen Verfolgung in Iran helfen wolle. In den letzten Jahren gründete der NWRI hierzu mehrere neue Spendenvereine, nachdem frühere Vereine als NWRI-Tarnorganisationen bekanntgeworden waren und aufgelöst wurden. Zu nennen sind hier insbesondere der "Menschenrechtsverein für iranische Migranten" mit Sitz in Aachen und das Düsseldorfer "Menschenrechtszentrum für ExiliranerInnen". Der letztgenannte Verein sammelte auch in Hamburg Spenden. Neben Berlin und Köln gehört Hamburg zu den wichtigsten Stützpunkten des NWRI. Organisatorische Basis ist der Tarnverein "Iranische Gemeinschaft in Hamburg e.V." (IGH). Die IGH veranstaltete regelmäßig Informationsstände und einige Protestkundgebungen in der Hamburger Innenstadt, auf denen Parolen u.a. gegen das iranische Regime skandiert und Flugblätter verteilt wurden. Darin machten die NWRIAktivisten insbesondere auf die Hinrichtungen von Regimegegnern in Iran aufmerksam. An den friedlich verlaufenden Protestaktionen beteiligten sich durchschnittlich 20-30 Anhänger. Zum 03.11.07 lud die Hamburger Sektion des NWRI zu einer Informationsveranstaltung über Menschrechtsverletzungen (Folter, Hinrichtungen u.a.) in Iran in die Räumlichkeiten der Hamburger Universität ein. Neben Fotopräsentationen und Filmbeiträgen wurde eine Videoaufnahme mit einer Rede der NWRI-Präsidentin Maryam RADJAVI gezeigt. Hamburger NWRI-Anhänger beteiligten sich auch an den deutschlandbzw. europaweiten Veranstaltungen des NWRI vom 23. bis 25.05.07 in Berlin und am 30.06.07 in Paris. 102 Verfassungsschutz in Hamburg Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern ohne Islamisten Linksextremismus Rechtsextremismus Scientology-Organisation Spionageabwehr Geheimund Sabotageschutz Anhang * Hamburgisches Verfassungsschutzgesetz Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern ohne Islamisten Arbeiterkommunistische Partei Iran (API) Die marxistisch-leninistisch ausgerichtete "Arbeiterkommunistische Partei Iran" (API) sowie ihre Abspaltung API-HEKMATIST, benannt nach dem Parteigründer Mansour HEKMAT (verstorben am 04.07.02), streben den Sturz der iranischen Regierung unter Einsatz von Gewalt und die Errichtung einer sozialistischen Gesellschaftsordnung in Iran an. Die gemäßigteren HEKMATISTEN zeigen sich im Gegensatz zur Altpartei bereit, politische Koalitionen mit anderen Gruppierungen einzugehen. Beide Fraktionen unterhalten in Iran einen militärischen Arm. In Europa ist die API mit Sektionen u.a. in Schweden, den Niederlanden, Großbritannien und Deutschland vertreten. Ihre Zentrale hat sie in London. In Deutschland liegen die regionalen Schwerpunkte der API wie der API-HEKMATIST in Nordrhein-Westfalen, Hessen und Hamburg. Beide Organisationen führten auch 2007 zahlreiche öffentliche Veranstaltungen wie Infostände und Demonstrationen durch, die, wie in den letzten Jahren, alle friedlich verliefen. Die API bediente sich hierzu zum Teil ihrer Tarnvereine. Thematisiert wurden vornehmlich Menschenrechtsverletzungen und die Rolle der Frau in Iran. Der traditionellen Bündnispolitik folgend, beteiligte sich die API zudem an Veranstaltungen anderer linker Vereinigungen in Deutschland. Zu nennen sind hier insbesondere die Veranstaltungen zum 1. Mai. In der auch im Internet veröffentlichten Ausgabe Nr. 40 (Mai 2007) ihrer Publikation "API-Brief" griff die API die iranische Staatsführung unter Präsident AHMADINEDSCHAD scharf an und machte sie für die vorherrschenden Probleme wie Armut, Korruption und Kriminalität verantwortlich. Diese "Barbarei" der islamischen Machthaber könne, so die Organisation, "nur mit einem revolutionären Sturz des Regimes" beendet werden. API und API-HEKMATIST verfügen in Hamburg über einen harten Kern von zusammen etwa 30 Anhängern, die sich mit friedlichen Protestkundgebungen und Info-Tischen wiederholt an die Öffentlichkeit wandten, um vor allem die Menschenrechtssituation in Iran anzuprangern. 103 Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern ohne Islamisten Arbeitsfeld Ausländerextremismus / Iraner / Gegner der iranischen Regierung Weiterführende Informationen über extremistische Bestrebungen von Ausländern: Arbeitsfeld Ausländerextremismus 104 Linksextremismus IV. Linksextremismus 1. Entwicklungen und Schwerpunkte im Überblick Das Gipfeltreffen der "Gruppe der Acht" vom 06.-08.06.07 (G8-Treffen) prägte die Aktivitäten der gesamten linksextremistischen Szene Hamburgs im ersten Halbjahr. Die Erwartung der Autonomen, mit ihrer Mobilisierung für Protestaktivitäten für eine mittelfristige Konsolidierung und politische Handlungsperspektive sorgen zu können, erfüllte sich jedoch nicht. Während die politische Bedeutung der Protestwoche vom 02.08.06.07 in Rostock und um Heiligendamm von dem von Autonomen dominierten "Dissent!-Netzwerk" unterschiedlich eingeschätzt wurde, bewertete die "Interventionistische Linke" (IL) die Mobilisierung und die Proteste als nahezu uneingeschränkten Erfolg ( 5.1). Die im Juli 2005 mit dem Brandanschlag auf das Fahrzeug des Vorstandsvorsitzenden der Norddeutschen Affinerie begonnene "militante Kampagne" gegen den G8-Gipfel wurde in Hamburg mit drei Brandanschlägen und vier Sachbeschädigungen von Januar bis Mai 2007 fortgesetzt ( 3.). Insgesamt wurden seit Juli 2005 in Deutschland 29 Brandanschläge - davon in Hamburg bzw. mit Hamburg-Bezug zwölf - verübt, die sich gegen das Gipfeltreffen bzw. die negativen Folgen der Globalisierung richteten. Das Ausbleiben weiterer militanter Aktionen in diesem Kontext entspricht nicht der Ankündigung aus dem Jahr 2005, mit der Kampagne ausdrücklich eine "über den G8-Gipfel hinausreichende Perspektive" anzustreben ( 4). Im zweiten Halbjahr konzentrierten autonome Gruppen ihre Bestrebungen auf den Umgang mit staatlicher "Repression" und begannen eine entsprechende Kampagne. Auslöser hierfür waren insbesondere Durchsuchungen u.a. auch in Hamburg im Zusammenhang mit Ermittlungen wegen des Verdachts der Bildung einer terroristischen Vereinigung gemäß SS 129a StGB ( 5.1). Ferner wurden Beiträge zur militanten Praxis im politischen Alltag veröffentlicht und neue Handlungsweisen für Demonstrationen entwickelt ("Out of Control"). Bei der unter dem Tenor "Weg mit dem SS 129a! Einstellung aller Verfahren! Gegen Sicherheitswahn und Überwachungsstaat" am 15.12.07 106 Linksextremismus in Hamburg durchgeführten bundesweiten Demonstration mit 3.200 Teilnehmern wurde die neue Aktionsform erstmals - weitgehend wirkungslos - erprobt. Bei Anschlussaktionen kam es zu zahlreichen Sachbeschädigungen in der Innenstadt und Angriffen auf Polizisten. Nach der Demonstration kam es zu teilweise militanten Ausschreitungen im Schanzenviertel ( 5.3.1). Im Vorfeld des Aufzugs wurden im November und Dezember 2007 zwei Sachbeschädigungen und ein Brandanschlag verübt. In den hierzu veröffentlichten Taterklärungen, die sich gegen staatliche Repression richteten, wurde ausdrücklich zur Teilnahme an der Demonstration aufgerufen. Die seit 2001 mit Anschlägen unterschiedlicher Qualität im Raum Berlin/Brandenburg aktive "militante gruppe" (mg) verübte im Zusammenhang mit dem Gipfeltreffen zwei Brandanschläge (2005 und 2007). Die von ihr seit mehreren Jahren mit Beiträgen in der Untergrundzeitschrift "radikal" und dem Berliner Szeneblatt "interim" initiierte "Militanzdebatte" löste auch 2007 nur geringe Resonanz in autonomen Zusammenhängen aus. Am 31.07.07 wurden nach einem versuchten Brandanschlag auf Bundeswehr-Fahrzeuge vier mutmaßliche "mg"Mitglieder in Brandenburg/Havel festgenommen. Mit zwei richtungweisenden Entscheidungen vom November und Dezember 2007 monierte der Bundesgerichtshof (BGH) die strafprozessualen Maßnahmen der Generalbundesanwaltschaft. Die Ermittlungen und daraus resultierende Maßnahmen wurden mangels Zuständigkeit des GBA für rechtswidrig erklärt ( 4. und 5.1). Die schon im Vorjahr nachlassenden Proteste unter Beteiligung von Linksextremisten gegen den Hotelbau im Schanzenpark flauten im Berichtsjahr weiter ab. Aufrufen zu "spontanen" Versammlungen im angrenzenden Schanzenpark folgten regelmäßig lediglich ein paar Dutzend Personen, darunter überwiegend nicht der linksextremistischen Szene zuzurechnende Jugendliche und Heranwachsende. Auch mit provozierenden Aktivitäten einzelner Stadtteilbewohner auf und am Hotelgelände gelang es der Szene nach Fertigstellung des Hotels nicht mehr, breitere Bevölkerungskreise für Proteste zu mobilisieren ( 5.3.4). Ein klassisches Aktionsfeld für Linksextremisten war auch im Berichtsjahr der Antifaschismus ( 5.3.2). Bei zwei Demonstrationen gegen 107 Linksextremismus Kundgebungen von Rechtsextremisten im August und Oktober 2007 in Hamburg konnten Aktionsbündnisse unter maßgeblicher Beteiligung von Linksextremisten ca. 960 bzw. 1.200 Teilnehmer mobilisieren. Autonome Antifaschisten und das "Hamburger Bündnis gegen Rechts" (HBgR, 5.3.2) begannen Ende 2007 mit der Mobilisierung für Aktivitäten gegen eine Beteiligung von Rechtsextremisten an den Wahlen zur Hamburgischen Bürgerschaft und den Bezirksversammlungen im Februar 2008. Hamburger Antifas beteiligten sich außerdem an zahlreichen auswärtigen Demonstrationen gegen Aufmärsche und Veranstaltungen von Rechtsextremisten, insbesondere in Schleswig-Holstein. Die Aufklärungsarbeit linksextremistischer Antifaschisten über Strukturen und Erscheinungsformen "alter und neuer Nazis" wurde intensiviert. Der zersplitterten Antifaszene fehlt aber weiterhin die Fähigkeit, Aktivitäten gegen Rechtsextremisten koordiniert zu planen und durchzuführen. Selbstkritisch machte sie hierfür eine "Beliebigkeit von Aktion und Reaktion" verantwortlich. Die im Juni 2007 mit der nichtextremistischen "Wahlalternative - Arbeit und Soziale Gerechtigkeit" (WASG) zur Partei "DIE LINKE." fusionierte "Linkspartei.PDS" bot ein uneinheitliches politisches Profil ( 6.). Einzelne, teils prominente, Mitglieder verkündeten beschwörend ein Festhalten am Sozialismus. In den "programmatischen Eckpunkten" wird dieses "Ziel" jedoch als allgemein erstrebenswerter Gesellschaftszustand beschrieben, dessen Erreichen von einer Vielzahl unterschiedlicher Faktoren abhänge. Der Hamburger Landesverband konzentrierte seine wirtschaftspolitische Arbeit vornehmlich auf eine "Rekommunalisierung" privatisierter, ehemals staatlicher Unternehmen, insbesondere von öffentlichen Versorgungsbetrieben und medizinischen Einrichtungen. Bei der Wahl zur Hamburgischen Bürgerschaft und den Bezirksversammlungen am 24.02.08 erzielte die Partei 6,4 % der Landeslisten-Stimmen. 2. Potentiale Im Jahre 2007 gliederten sich linksextremistische Organisationen und Vereinigungen bundesweit in 41 Kernund Nebenorganisationen (2006: 40). Ihnen gehörten 24.800 Personen an (2006: 25.000). 108 Linksextremismus Dieser Zahl sind noch etwa 6.300 Personen (2006: 6.000) der Kategorie "Gewaltbereite Linksextremisten" in 70 Gruppen [Autonome, Anarchisten und "Antiimperialistischer Widerstand" (AIW)] hinzuzurechen (2006: 69 Gruppen). Die Zahlen für die Bundesebene enthalten auch die Mitglieder der "Kommunistischen Plattform der Partei DIE LINKE." (KPF) sowie weiterer linksextremistischer Gruppen in der Partei "DIE LINKE." ( IV.6.), aber nicht die Gesamtzahl ihrer Mitglieder. Bund: Linksextremistische Personenpotentiale 35000 30000 25000 34.700 34.200 33.500 32.900 31.100 31.300 30.800 30.600 30.700 30.800 20000 15000 10000 5000 0 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 - Alle Zahlen sind geschätzt oder gerundet - In Hamburg wurden die Zahlen der ehemaligen WASG-Mitglieder nicht eingerechnet. Die Zahl enthält nur die Mitglieder der "Linkspartei.PDS" bis Juni 2007. 109 Linksextremismus Linksextremistisches Personenpotential 2006 2007 auf Bundesebene Angehörige von Kernund Nebenorganisationen (Marxisten-Leninisten und andere revolutionäre Marxisten) 1 25.000 24.800 Gewaltbereite (Autonome, Anarchisten u. Antiimperialistischer Widerstand) 6.000 6.300 Gesamtpotential (abzüglich Mehrfachmitgliedschaften) 30.700 30.800 "DIE LINKE." 2 61.300 72.000 3 1 Einschließlich "Kommunistischer Plattform der Partei DIE LINKE." (KPF). Hinzu kommen die Mitglieder weiterer linksextremistischer Gruppen in der Partei "DIE LINKE.". 2 Bis zum 15.06.07 "Linkspartei.PDS". Die Partei ist wegen ihres ambivalenten Erscheinungsbildes gesondert ausgewiesen. 3 Nach eigenen Angaben. - Alle Zahlen sind geschätzt oder gerundet - Nach Abzug von Mehrfachmitgliedschaften betrug das linksextremistische Personenpotential bundesweit insgesamt etwa 30.800 Personen (2006: etwa 30.700 Personen). Die Zahl der im Jahr 2007 in Hamburg erfassten Linksextremisten blieb - nach Abzug von Doppelmitgliedschaften - mit ca. 1.500 im Vergleich zu 2006 unverändert und damit seit 2003 nahezu konstant. 110 Linksextremismus Hamburg: Linksextremistische Personenpotentiale 1500 1200 1.350 1.350 1.300 1.340 1.130 1.500 1.500 1.480 1.500 1.500 900 600 300 600 560 520 520 500 480 480 470 500 500 0 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 - Alle Zahlen sind geschätzt oder gerundet - Die im Vorjahr registrierten Zuwächse bei Autonomen setzten sich 2007 nicht fort. Die Zahlen von Angehörigen des "Antiimperialistischen Widerstandes" (AIW) und im Spektrum revolutionär-marxistischer Gruppen blieben annähernd konstant; auch die der gewaltbereiten Personen (Autonome, Anarchisten und "AIW") waren mit etwa 500 gegenüber dem Vorjahr unverändert. Das Potential marxistischleninistischer Kernund Nebenorganisationen sowie anderer revolutionärer Marxisten und Trotzkisten bestand 2007 aus rund 600 (Vorjahr: 600) Personen. Der Hamburger Landesverband der "Linkspartei.PDS" zählte bis zur Fusion mit der "Wahlalternative - Arbeit und Soziale Gerechtigkeit" (WASG) ca. 400 (2006: 400) Mitglieder. 111 Linksextremismus Linksextremistisches Personenpotential 2006 2007 in Hamburg "DIE LINKE." 400 400 1 Angehörige marxistisch-leninistischer Kernu. Nebenorganisationen sowie andere revolutionäre Marxisten und Trotzkisten 600 600 Gewaltbereite (Autonome, Anarchisten u. Antiimperialistischer Widerstand) 500 500 Gesamtpotential (abzüglich Mehrfachmitgliedschaften) 1.500 1.500 1 Die Zahl der ehemaligen WASG-Mitglieder wurde nicht eingerechnet. Die Zahl enthält nur die Mitglieder der "Linkspartei.PDS". -Alle Zahlen sind geschätzt oder gerundet3. Politisch Motivierte Kriminalität (PMK) Seit 2001 wird der Deliktsbereich der "Politisch Motivierten Kriminalität" (PMK) bundesweit nach einheitlichen Kriterien erfasst. Sämtliche politisch motivierten Straftaten werden berücksichtigt und extremistische Straftaten als Teilmenge erfasst. Die Gewalttaten mit extremistischem Hintergrund aus dem Bereich "PMK-Links" sind im Berichtsjahr bundesweit gesunken. 2007 wurden insgesamt 833 Gewalttaten mit extremistischem Hintergrund registriert (2006: 862). Die Zahl der Straftaten mit extremistischem Hintergrund betrug 2007 2.765, im Jahr 2006 waren es 2.369. Dieser auffallende Zuwachs um 16,7 % geht vor allem auf extremistische Straftaten im Zusammenhang mit politisch herausragenden Ereignissen wie dem G8-Gipfel ( IV.5.1) und dem ASEM-Treffen ( IV.5.1) zurück (Die vorstehenden Zahlen stammen vom Bundesministerium des Innern, Stand: 10.04.08). In Hamburg war 2007 ein Anstieg der linksextremistischen Straftaten auf 98 gegenüber 18 im Jahr 2006 zu verzeichnen. Dies ist der 112 Linksextremismus höchste Stand seit 2001. Der Anteil der Gewalttaten hieran stieg von neun im Jahr 2006 auf 49 im Berichtsjahr. Schwerpunkte waren wie im Vorjahr die Brandanschläge im Zusammenhang mit der "militanten Kampagne" gegen das G8-Treffen 2007 und militante Aktionen autonomer Gruppen gegen staatliche "Repression" ( IV.5.1 und 5.3.1). Die anderen Gewalttaten wurden bei Auseinandersetzungen zwischen Rechtsund Linksextremisten ( IV.5.3.3) sowie während oder nach Demonstrationen der autonomen Szene begangen. Diese Taten waren insbesondere für den Anstieg ursächlich. Hierbei handelte es sich überwiegend um Delikte der Körperverletzung zum Nachteil von Polizeibeamten, des Landfriedensbruchs und Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte. Außerdem kam es zu Sachbeschädigungen. Hervorzuheben ist eine Schwerpunktverlagerung der Gewalttaten im Vergleich zu den Vorjahren von Auseinandersetzungen zwischen Linksund Rechtsextremisten hin zu den Themen Globalisierung und "Repression". Bemerkenswert ist, dass zwei Drittel der ermittelten Tatverdächtigen nicht älter als 25 Jahre und davon ca. die Hälfte sogar unter 18 Jahre alt waren. PMK-Links 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 PMK-Links 202 221 308 254 289 255 453 insgesamt davon linksex90 16 16 23 32 18 98 trem. Straftaten hiervon extrem. 43 4 11 16 19 9 49 Gewaltdelikte - Die vorstehenden Zahlen stammen von der Polizei Hamburg - (Stand: Februar 2008) Von den linksextremistisch motivierten Gewalttaten sind folgende hervorzuheben: * Mit Brandanschlägen am 26.01.07 auf den Pkw eines Vorstandsmitglieds der "Thyssen Krupp Marine Systems AG" (TKMS) und am 23.02.07 auf vier Pkw der Firma Dussmann unterstützten militante Linksextremisten die Aufrufe zu Protesten gegen das G8-Treffen Anfang Juni 2007 ( 5.1). Die Bekennerschreiben 113 Linksextremismus warfen der TKMS "Bereicherung" und "militärische Aufrüstung" vor bzw. kritisierten die "Lagerund Flüchtlingspolitik" der Bundesregierung und die Qualität der Versorgung in Flüchtlingsunterkünften. * Die Bekennung zu dem am 22.05.07 verübten Brandanschlag auf den Pkw des Chefredakteurs der BILD-Zeitung richtete sich dagegen vornehmlich gegen die Funktion des Blattes als "bedeutende Säule für den Erhalt des kapitalistischen Systems". Ferner gelte die Aktion als "Antwort auf die G8-Razzia der Bundesanwaltschaft vom 09.05.07". * Ein Brandanschlag auf ein Bundeswehrfahrzeug am 12.12.07 und die Sachbeschädigungen durch Farbanschläge auf die Wohnhäuser des Bundesarbeitsministers am 22.11.07 und des Leiters des Hamburger Verfassungsschutzes am 09.12.07 dienten Linksextremisten zur Mobilisierung für eine Demonstration u.a. gegen "SS129a StGB, Sicherheitswahn und Überwachungsstaat" am 15.12.07 in Hamburg ( 5.3.1). Dem Bundesarbeitsminister wurde u.a. die Einführung der "Brechmittelfolter" - in seiner damaligen Funktion als Hamburger Innensenator - vorgeworfen. 4. Linksextremistischer Terrorismus und autonome Militanz Gefestigte terroristische Strukturen mit der Bereitschaft zu schwersten Anschlägen bis hin zum Mord bestehen in Deutschland seit der Auflösung der "Roten Armee Fraktion" (RAF; Arbeitsfeld Linksextremismus / Terrorismus und Gewalt / Historisches) im Jahre 1998 nicht mehr. Die im Raum Berlin agierende "militante gruppe" (mg) ist nach einer Entscheidung des Bundesgerichtshofes (BGH) vom 28.11.07 keine terroristische Vereinigung nach SS 129a StGB. Die Brandanschläge der "mg" gegen Gebäude und Fahrzeuge staatlicher Institutionen sowie von Firmen sind nach dieser Entscheidung nicht mehr als terroristische Taten einzustufen, weil durch die Art ihrer Begehung oder ihre Auswirkungen der Staat oder eine internationale Organisation nicht erheblich geschädigt und mit ihnen keine staatsgefährdenden Ziele erreicht werden können. Die "mg" ist mithin als kriminelle Vereinigung anzusehen. 114 Linksextremismus Der Entscheidung des BGH lag folgender Sachverhalt zugrunde: In der Nacht zum 31.07.07 nahm die Polizei unmittelbar nach einem versuchten Brandanschlag auf Fahrzeuge der Bundeswehr drei Männer in Brandenburg/Havel fest. Die von ihnen unter den Lkw deponierten Brandsätze konnten rechtzeitig vor ihrer Zündung entfernt werden. In den Folgetagen durchsuchte die Polizei Wohnungen und Arbeitsstellen in Berlin und Leipzig (Sachsen). Dabei wurde eine Person in ihrer Wohnung in Berlin festgenommen und Beweismittel sichergestellt. Der Ermittlungsrichter beim Bundesgerichtshof (BGH) erließ Haftbefehle gegen die vier Personen, u. a. wegen des dringenden Verdachts der Mitgliedschaft in der terroristischen Vereinigung "mg". Die Haftbefehle gegen die in Berlin wohnhafte Person und gegen die drei weiteren Verdächtigen wurden am 24.10. bzw. am 28.11.07 aus den o.g. Gründen aufgehoben. Wegen der Bedeutung des Falles bleibt jedoch die Bundesanwaltschaft im Rahmen der Aufklärung einer kriminellen Vereinigung weiter für die Ermittlungen gegen die "mg" zuständig. Bis Ende 2007 bekannte sich diese zu 28 Brandanschlägen in Berlin und Umland, u.a. gegen eine Polizeidienststelle, Polizeifahrzeuge, das Sozialgericht Berlin-Mitte, die italienische Handelskammer, ein JobCenter und Firmenfahrzeuge bekannter Autohersteller. Die Gruppe veröffentlichte neben ihren Bekennungen auch eine Vielzahl von Erklärungen und Diskussionspapiere zur Entwicklung des "bewaffneten Kampfes". Ihr ideologisches Fundament besteht nach eigener Aussage in einer "Synthese eines sozialrevolutionären und antiimperialistischen Ansatzes auf kommunistischer Grundlage". Ihr Ziel sei, militante Gruppierungen zu vernetzen, die Notwendigkeit von Militanz in der politischen Arbeit zu vermitteln und grundsätzliche Diskussionen über die Verbreitung terroristischer Aktivitäten zu führen. Demgegenüber besteht im überwiegenden Teil der autonomen Szene Konsens darüber, dass die Aufnahme des bewaffneten Kampfes derzeit nicht in Betracht komme, weil die Voraussetzungen dafür nicht gegeben seien. Für Autonome ist Militanz - von Ausschreitungen bei Demonstrationen über Sachbeschädigungen bis hin zu Brandanschlägen - eine legitime Aktionsform. Ihr Vorgehen richtet sich vornehmlich gegen Sachen, 115 Linksextremismus schließt aber unter bestimmten Umständen - wie z.B. bei Demonstrationen gegen Rechtsextremisten - Gewalt gegen Menschen ein. Schwerpunkte ihrer Militanz sind die Bereiche Antifaschismus, Antirassismus, Militarismus/Rüstungspolitik und Antikapitalismus. Autonome setzen auf Gewalt und Gesetzesübertretungen, um ihre politischen Ziele mit Nachdruck zu verfolgen und staatliche Reaktionen agitatorisch auszuschlachten. Sie propagieren den Widerstand gegen Autoritäten und die Missachtung von Normen. Gesetze und das staatliche Gewaltmonopol lehnen sie ab, ohne ein einheitliches ideologisches Konzept zu besitzen. Sie treten allgemein für eine herrschaftsfreie und selbstbestimmte Gesellschaftsform ein (Arbeitsfeld Linksextremismus / Organisationen und Gruppierungen / Autonome - Anarchisten - Antiimperialisten). Wenngleich Autonome ihre konzeptionelle und strategische Schwäche der Vorjahre nicht überwinden konnten, bemühten sich insbesondere militante Gruppen vor dem Hintergrund des G8-Treffens intensiv um verstärkte Organisierung und Bündelung ihrer Kräfte. Einzelne autonome Zusammenhänge erreichten seit 2005 mit ihren ausdrücklich in einen G8-Zusammenhang gestellten Anschlägen ein Gewaltniveau, das deutlich über dem der Vorjahre lag. Sie nutzten die G8-Thematik auch, um gruppenspezifische Themen mit Anschlägen publik zu machen. Insgesamt gab es bundesweit zwischen August 2005 und dem Gipfelbeginn im Juni 2007 im G8-Zusammenhang 29 Brandanschläge auf Fahrzeuge und Gebäude, davon zwölf in Hamburg bzw. mit Hamburg-Bezug ( 5.1). Im Herbst 2007 bilanzierte eine regionale militante Gruppe in der Berliner Szeneschrift INTERIM die militante Kampagne im Vorfeld des G8Gipfels und deren Auswirkungen. Durch die Vielzahl der "Anschläge" seien diese Aktionsformen ein entscheidender Eckpfeiler der Gipfelmobilisierung gewesen. "Medien-Rezeption der Kampagne" und öffentliche Aufregung über gelungene Aktionen hätten nach längerer Zeit Militanz und linksradikale Inhalte wieder wahrnehmbar gemacht. Eine wirkliche Verbreiterung militanter Politik lässt sich jedoch nach Ansicht der Verfasser nicht feststellen. Die Chance der praktischen Zusammenarbeit innerhalb der Kampagne, die die Themen Antirassismus, Antimilitarismus, internationale Klassenkämpfe und Antikolonialismus aufgegriffen hatte, sei nicht genutzt worden. Insgesamt zeige diese Kampagne deutlich, dass eine radi116 Linksextremismus kale Linke - "... im Gegensatz zu den 70er und 80er Jahren, kaum noch mit breiten sozialen und politischen Massenbewegungen agieren kann". Angriffe auf das Privateigentum von "prominenten und verantwortlichen Konzernvorständen und Politikerinnen" hätten zwar ein lautes Medienecho hervorgerufen und den "Bullenapparat blamiert". Materielles und dauerhaftes Verschieben der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse könne aber nur durch "wirksame Sabotage und soziale/politische Massenkämpfe gegen konkrete Politiken" durchgesetzt werden. Momentan sei die radikale Linke "materiell und logistisch" dazu nicht fähig. Vorerst müsse man sich darauf beschränken, das "Establishment mit militanten Aktionen kurzfristig zu erschrecken", wobei gezielte Angriffe auf Personen ausgeschlossen werden. In einem Fazit schlussfolgern die Autoren, dass militante Politik - trotz Repression - organisierbar sei. Thematische Ansatzpunkte für eine militante Antirepressionspolitik wären "Bullen und Justiz", die Bundeswehr, die Rüstungsindustrie und "alle Agenturen imperialistischer Herrschaft". 5. Autonome und anarchistische Gruppen 5.1 Linksextremistische Globalisierungsgegner; Anti-ASEMund G8-Proteste Gegen die Treffen der "Gruppe der Acht" hat sich seit 1999 eine weltweite globalisierungskritische Protestbewegung formiert, die sich aus verschiedensten nichtextremistischen und linksextremistischen Gruppierungen zusammensetzt. Das 33. G8-Gipfeltreffen fand unter deutschem Vorsitz vom 06. bis 08.06.07 in Heiligendamm (Mecklenburg-Vorpommern) statt. Linksextremistische Gruppen üben nicht nur Kritik an der Institution der G8-Treffen und ihrer Repräsentanten. Sie sehen ihren Protest als Teil eines notwendigen Kampfes für eine revolutionäre Überwindung des bestehenden Gesellschaftssystems. Die G8-Gipfel werden als "Symbole und Akteure eines allumfassenden, totalitären, kapitalistischen und patriarchalen Systems" verstanden. Auch andere supranationale Institutionen wie der Internationale Währungsfonds, die Welthandelsorganisation oder die Weltbank werden für eine "imperialistische neo117 Linksextremismus liberale Ausbeutung ärmerer Länder" durch die führenden westlichen Industrienationen verantwortlich gemacht. Sie würden die zunehmende Verarmung in diesen Ländern verursachen, um sich durch die Sicherung billiger Rohstoffe und Arbeitskräfte einen größtmöglichen Profit zu verschaffen. Zudem fehlten ihnen Transparenz und demokratische Legitimation. Seit einigen Jahren werden die G8-Gipfel von umfangreichen Protesten begleitet. Die Proteste in Seattle (1999), Prag (2000), Genua (2001) und Gleneagles (2005) wurden in weiten Teilen durch gewalttätige Autonome beeinflusst. Bei heftigen Ausschreitungen während der G8-Proteste in Genua starb ein Demonstrant durch eine Polizeikugel, nachdem er einen Einsatzwagen mit einem Feuerlöscher attackiert hatte (Arbeitsfeld Linksextremismus / Aktionsund Agitationsfelder / Anti-Globalisierungskampagne). Im ersten Halbjahr 2007 war das Aktionsfeld "Antiglobalisierung" bundesweit Schwerpunktthema der linksextremistischen Szene. Bereits im Jahr 2005 hatten Linksextremisten mit den Vorbereitungen der Proteste gegen das Gipfeltreffen im Juni 2007 begonnen. Sie wollten diesen Protest auch nutzen, um die thematisch und strukturell zersplitterte linksextremistische Szene zu konsolidieren. Das Spektrum reichte hierbei von gewaltbereiten Autonomen über Antiimperialisten und Trotzkisten bis hin zur Partei "DIE LINKE.". Nach Ende des Gipfels zogen sich die meisten Aktivisten jedoch wieder in ihre Gruppen zurück. Linksextremisten dominierten die bundesweiten globalisierungskritischen Bündnisse "Interventionistische Linke" (IL) und das "Dissent!"Netzwerk. Neben einzelnen nichtextremistischen Gruppierungen und Personen arbeiteten in der IL linksextremistische Gruppen wie "AVANTI-Projekt undogmatische Linke" ( 5.2) und die "Antifaschistische Linke Berlin" mit. Die IL strebte ein breites Gesamtbündnis an, um mit massenhaften Protesten die G8 "in der Aktion zu delegitimieren". Ihre verfassungsfeindliche Zielsetzung wurde u.a. in ihrer im Frühjahr 2007 erschienenen Zeitung "G8-Xtra - ZEITUNG FÜR EINE INTERVENTIONISTISCHE LINKE" deutlich: "In der Radikalisierung und Ausweitung all dieser Initiativen wird sich letztendlich auch die Frage nach einem Bruch mit dem klassenherrschaftlichen, patriarchalen, rassistischen und imperial(istisch)en System und die Eigentumsfrage neu 118 Linksextremismus stellen." Bei mehreren Aktionskonferenzen seit 2006 hatten sich die IL-Gruppierungen noch auf eine "Gesamtchoreografie der Proteste" einigen können, die im Lauf der "Aktionswoche" gegen den Weltwirtschaftsgipfel weitgehend realisiert wurde. In einer weiteren Ausgabe stellte die IL allerdings fest, dass es ihr nicht gelungen sei, das gewünschte "breite Gesamtbündnis" zu bilden. Daneben wollte die IL in ihre Protestaktivitäten auch breitere Kreise nichtextremistischer Globalisierungsgegner einbinden. Hierzu veranstaltete sie vom 13.-14.05.07 die "3. Aktionskonferenz gegen den G8-Gipfel" in Rostock, an der bis zu 400 Personen teilnahmen. Ziel war es, die regionale Bevölkerung über globalisierungskritische Politikansätze und die gegen das G8-Treffen gerichteten Protestplanungen zu informieren. Die erhoffte Resonanz blieb jedoch aus. Die im norddeutschen Raum für die IL federführende Gruppierung "AVANTI" brachte sich bereits zwei Jahre vor dem Gipfel intensiv in die Kampagne gegen das Gipfeltreffen ein. Sie "war in der Demovorbereitung, beim migrationspolitischen Aktionstag, Move against G8 und besonders bei Block G8 involviert". Von März bis Mai 2007 organisierte "AVANTI" zahlreiche Veranstaltungen, die sich inhaltlich mit der Politik der G8 und des Widerstandes dagegen auseinandersetzten. Die Schwerpunkte lagen auf den Themenbereichen "Migration, Gesundheitspolitik, Nazis und G8" sowie "Massenblockaden". Eine Reihe von Veranstaltungen nach dem Gipfeltreffen - u.a. die "Perspektiventage" im Jahr 2008 - soll offene Fragen klären und die Zusammenarbeit in der IL stärken. Generell steht die IL vor der Frage, ob und wie es in Zukunft weitergehen wird. Gegen eine bundesweite, dauerhafte Vernetzung unter dem Dach der "IL" spricht die Organisationsfeindlichkeit von Autonomen. Das "Dissent!"-Netzwerk war ein Zusammenschluss von überwiegend autonomen und anarchistischen Gruppen, das zur Vorbereitung von Protesten gegen das G8-Treffen im Juli 2005 in Gleneagles von militanten britischen Globalisierungsgegnern gegründet worden war. Das "Hamburger Anti-G8-Bündnis" verstand sich als dessen Ableger. Kleinster verbindender Nenner waren die sogenannten Eckpunkte ("Hallmarks") des internationalen sozialrevolutionären Netzwerkes "Peoples' Global Action" (PGA), die bislang im deutschen Linksextre119 Linksextremismus mismus allgemein kaum anerkannt worden waren. "Dissent!" wollte die "undogmatische Linke" für Proteste gegen die G8 vernetzen. Zentrales Protestereignis sollte ein für den 07.06.07 geplanter "Sternmarsch" nach Heiligendamm sein, der jedoch verboten wurde. Nach Beendigung der Gipfelproteste löste sich "Dissent!" im Sommer 2007 auf. Extremistische Ausländerorganisationen brachten sich über das "Antifaschistische & Antiimperialistische Aktionsbündnis gegen die G8" anlassbezogen und punktuell in die Protestaktivitäten ein. Mitglieder der "Türkischen Kommunistischen Partei/Marxisten-Leninisten" (TKP/ ML, III.5) sowie der "Marxistisch-Leninistischen Kommunistischen Partei" (MLKP, III.5) nahestehende Linksextremisten kooperierten in diesem Bündnis mit Gruppierungen aus dem Bereich des "Antiimperialistischen Widerstandes" ( 5.2). Seit Juli 2005 begingen linksextremistische Globalisierungsgegner im Vorlauf der Proteste gegen das G8-Treffen und des Asia-EuropeMeetings (ASEM) am 28.05.07 in Hamburg militante Aktionen zur Mobilisierung für Heiligendamm, Rostock und Hamburg. Mit dem Brandanschlag auf den Pkw des damaligen Vorstandsvorsitzenden der Norddeutschen Affinerie am 28.07.05 begann eine "militante Kampagne", die bis Mai 2007 mit bundesweit 29 Brandanschlägen und zahlreichen Sachbeschädigungen fortgesetzt wurde. In Hamburg und im Hamburger Umland wurden insgesamt zwölf Brandanschläge im G8-Kontext verübt, davon drei im Jahr 2007. Damit war Hamburg einer der bundesweiten Protestschwerpunkte der Anti-G8-Kampagne. Am 26.01.07 wurde ein Brandanschlag auf den Pkw eines Vorstandsmitglieds der "Thyssen Krupp Marine Systems AG" (TKMS) verübt. Am Wohnhaus und dem Pkw eines weiteren Vorstandsmitgliedes wurden am selben Tag Sachbeschädigungen begangen. In einem Selbstbezichtigungsschreiben bezeichnete eine Gruppe "Revolutionäre Antimilitaristische AktivistInnen" ihre Tat als "Zeichen der Verbundenheit mit der Kampagne gegen die Sicherheitskonferenz und als Beitrag für eine Mobilisierung gegen den G8-Gipfel". Der Konzern galt den Tätern als "wichtiger Baustein im Krieg". Linksextremisten verübten am 23.02.07 einen Brandanschlag auf vier Pkw der Firma Dussmann. Das anschließend versendete, antirassis120 Linksextremismus tisch orientierte Bekennerschreiben enthielt keine Gruppenbezeichnung. Es wurde kritisiert, dass die Firma Dussmann an der "Zwangsverpflegung mit Flüchtlingen" verdiene ( 5.3.3). In der Nacht zum 22.05.07 verübten unbekannte Täter einen Brandanschlag auf den Pkw des Chefredakteurs der BILD-Zeitung. Eine "Militante Kampagne kämpft für Sie" bekannte sich zu der Tat ( 3.). Nach dem 22.05.07 gab es keine weiteren Brandanschläge im G8Zusammenhang. Zu drei Sachbeschädigungen im Jahre 2007 veröffentlichten Linksextremisten Bekennungen mit G8-Bezug: Am 15.04.07 beschädigte eine Gruppe von 20-30 z.T. vermummten Personen die Glasfassade des Firmengebäudes der Reederei Leonhardt & Blumberg mit Hämmern, Steinen und Farbe und entzündete Autoreifen auf der Fahrbahn. Am Gebäude wurden mehr als 100 Scheiben beschädigt. Der Sachschaden betrug ca. 150.000 Euro. In einem Selbstbezichtigungsschreiben bekannten sich "autonome antikapitalistische Gruppen" zu der Aktion. Darin wurden die Arbeitsbedingungen auf Schiffen der Reederei kritisiert. Den "25 Millionen teuren Herrschaftsbau" hätten die Täter gewählt, "weil er einer der Orte in der Hansestadt Hamburg ist, von wo aus internationale Ausbeutung organisiert wird". Eine weitere Sachbeschädigung ereignete sich in der Nacht zum 14.05.07. Das Hotel Louis C. Jacob wurde mit Pflastersteinen und Farbe beworfen. Hierzu bekannte sich eine Gruppe "autonome gipfelstürmerInnen", die zu "ASEM-GIPFEL ANGREIFEN" und "G8 VERSENKEN" aufforderten. Sie hielten das Objekt fälschlicherweise für eines der "Gipfelhotels". Am 18.05.07 wurde das Haus des Vorstandsmitgliedes der Lufthansa Technik (LHT) von unbekannten Tätern mit Pflastersteinen und Farbe beworfen. Ihrem Selbstbezichtigungsschreiben ohne Gruppenbezeichnung zufolge sei LHT für sie aufgrund "ihres Engagements im Rüstungsbereich interessant geworden". Die Verfasser zeigten sich solidarisch mit "den Betroffenen der Razzien vom 9. Mai" und mobilisierten zu Protesten gegen das ASEM-Treffen und den G8-Gipfel. 121 Linksextremismus Die zahlreichen Brandanschläge waren Anlass für die Durchsuchungen der Wohnungen und Arbeitsplätze von bundesweit 21 Beschuldigten in Hamburg, Bremen, Berlin, Brandenburg, Niedersachsen und Schleswig-Holstein im Auftrag der Bundesanwaltschaft am 09.05.07. Es ging um die Ermittlungen wegen des Verdachts der Bildung einer terroristischen Vereinigung gemäß SS 129a StGB. Noch am selben Tag fanden in zahlreichen Städten im Inund Ausland Spontandemonstrationen und andere Solidaritätsaktionen statt. Auch vor der "Roten Flora" im Schanzenviertel, die zu den durchsuchten Objekten gehörte, wurde spontan demonstriert. Am Abend zogen noch einmal etwa 1.900 Demonstranten durch das Schanzenviertel. In Bekennerschreiben wurden ein Brandanschlag und eine Sachbeschädigung in Hamburg (s.o.) mit den Durchsuchungen begründet. Die "versuchte Kriminalisierung" sei nach hinten losgegangen. Statt die Protestler einzuschüchtern, habe man der Mobilisierung "einen großen Dienst" erwiesen. Durch Beschluss des Bundesgerichtshofes vom 20.12.07 wurden die Durchsuchungen für rechtswidrig erklärt, da der SS 129a StGB nicht als Rechtsgrundlage des Ermittlungsverfahrens anwendbar und die Bundesanwaltschaft somit nicht zuständig gewesen sei. Bereits Ende Mai öffneten in Rostock, Berlin und Hamburg (25.05.07 - 10.06.07) sogenannte "Convergence Center" (CC). Ihr Zweck war es, für G8-Aktivisten aus der ganzen Welt als Anlaufpunkt und Plattform zu dienen. Neben Vernetzungstreffen fanden dort auch Workshops statt. In einer schriftlichen Nachbereitung zum "CC" in Hamburg resümierten die Organisatoren lediglich einen mäßigen Erfolg. Insbesondere in der zweiten Woche sei das "CC" kaum genutzt worden und somit mehr ein Service-Point "als ein Ort der kollektiven Selbstorganisation" gewesen. In Hamburg wurden an mehreren Tagen unterschiedliche Protestaktionen durchgeführt. Den Auftakt bildete eine "Critical Mass" am 25.05.07, eine Aktionsform, die aus einem "zufälligen, unorganisierten" Treffen "unmotorisierter Verkehrsteilnehmer" besteht. Mehrere hundert Fahrradfahrer behinderten an diesem Tag den Verkehr in der Hamburger Innenstadt. 122 Linksextremismus Am 28./29.05.07 fand in Hamburg das Treffen der Außenminister der Europäischen Union und Asiens (Asia-Europe-Meeting; ASEM) statt. Während die IL nach Heiligendamm mobilisierte und damit direkt auf eine Störung des G8-Gipfels abzielte, konzentrierte "Dissent!" seine Vorbereitungen auf die internationale Demonstration gegen das ASEMTreffen. Diese sollte als Auftakt ("Warming Up") für die Protestwoche Anfang Juni in Rostock und um Heiligendamm dienen. Zu der Demonstration rief ein überwiegend von Hamburger Autonomen gebildetes "Bundesweites Bündnis gegen den EUund G8-Gipfel" auf. In dem von der "Roten Flora" verbreiteten Szeneblatt "Zeck", Nr.139, hieß es: "ASEM und G8 sind beide nur Steine in der Mauer von Ausbeutung und Ausgrenzung, von Zerstörung und Unterdrückung. Beginnen wir, die Mauern einzureißen." An dem Protestmarsch nahmen 3.900 Personen teil. Mehr als die Hälfte davon waren dem linksextremistischen Spektrum zuzuordnen. Bereits aus dem Demonstrationszug heraus wurden Polizeibeamte aus einer Gruppe von etwa 500 gewalttätigen Teilnehmern mit Flaschen und Farbbeuteln beworfen. Im Anschluss an die Demonstration errichteten militante Störergruppen Barrikaden im Schanzenviertel, setzten diese in Brand und griffen Polizeibeamte an. Insgesamt wurden 34 Personen im Zusammenhang mit Anschlussaktionen festund 86 in Gewahrsam genommen. Am 17.06.07 fand in Hamburg ein Nachbereitungstreffen autonomer und anarchistischer Gruppierungen statt, die die Demonstration vorbereitet hatten. Einer Kurzdarstellung im Internet zufolge werteten die meisten Gruppen die Demonstration als Erfolg. Auch wenn es nicht gelungen sei, den Protest nach Auflösung der Demonstration in Kleingruppen in die Innenstadt zu tragen, sei "die Demo" dennoch "eine der stärksten Aktionen seit Jahren in der Stadt" gewesen. Mit der Aktion "Beat Capitalism: Move your ass for swinging protest!" am 30.05.07 endeten die Protestaktionen gegen das ASEM-Treffen und den Weltwirtschaftsgipfel in Hamburg. Hierbei handelte es sich um eine Wanderkundgebung mit Konzerten an vier Orten in Hamburg, die als Protest gegen das G8-Treffen "eine Bühne der politischen und kulturellen Selbstinszenierung mit der ganzen Stadt als Interventionsraum sein" sollten. 123 Linksextremismus Die für die erste Juniwoche in Hamburg angekündigten lokalen Proteste blieben aus. Vom 02.-08.06.07 verlagerte sich der Protest gegen das Gipfeltreffen nach Rostock und Heiligendamm. Den Auftakt bildete eine "internationale Großdemonstration" (Tenor: "Eine andere Welt ist möglich") am 02.06.07 in Rostock. Hieran nahmen 30.000 Personen teil, die Veranstalter sprachen von 60.000 - 80.000. Der "Make Capitalism History"-Block der IL umfasste ca. 3.000 Personen. Nach einer friedlich verlaufenen Auftaktkundgebung zogen zwei Demonstrationszüge durch die Rostocker Innenstadt zum gemeinsamen Abschlusskundgebungsort am Stadthafen. In einem der beiden Demonstrationszüge bildeten etwa 2.000 militante Autonome einen "Schwarzen Block", aus dessen Mitte es bereits während des Protestmarsches zu ersten Störungen kam. Am Stadthafen eskalierte die Situation, als gewalttätige Demonstranten ein Polizeifahrzeug angriffen, Pkw in Brand setzten und Polizeibeamte mit Pflastersteinen, Flaschen und Molotow-Cocktails bewarfen. Insgesamt wurden 1.185 Personen vorläufig festund in Gewahrsam genommen, darunter 58 Hamburger und 274 ausländische Aktivisten. Nach den gewalttätigen Ausschreitungen am 02.06.07 reiste ein großer Teil der Demonstrationsteilnehmer ab. Mehrere tausend Aktivisten blieben jedoch für die kommende Protestwoche in Mecklenburg-Vorpommern und verteilten sich auf die drei "Internationalen Aktionscamps" in Rostock, Reddelich und Wichmannsdorf. Die Berichterstattung über die Ausschreitungen vom 02.06.07 überschattete die überwiegend friedlich verlaufenen Blockaden und Kundgebungen während der restlichen Protestwoche. 1.000 Personen beteiligten sich am 03.06.07 an einer friedlichen Demonstration am Aktionstag "Globale Landwirtschaft & G8". Am 04.06.07, dem "Aktionstag Migration", lieferten sich im Rahmen einer Kundgebung von ca. 8.500 Personen gewaltbereite Autonome Auseinandersetzungen mit der Polizei. Der Aktionstag "Gegen Militarismus, Krieg und Folter" am 05.06.07 war durch zahlreiche friedliche Kleinaktionen und Demonstrationen geprägt. 124 Linksextremismus Am 06.06.07 gelangten bis zu 9.000 Personen über Feldwege und angrenzende Waldgebiete in die von der Polizei festgelegte Sicherheitszone. Dabei wurde die "Fünf-Finger-Taktik" (Auffächern zum Umgehen bzw. Umlaufen von Polizeiketten) erstmals koordiniert eingesetzt. An der friedlichen Abschlusskundgebung unter dem Motto "Den Protest gegen ungerechte Globalisierung in die Welt tragen, denn eine andere Welt ist möglich!" in Rostock am 08.06.07 nahmen 5.000 Personen teil. Ein zuvor angekündigter "Plan B" sah vor, die Protestaktivitäten nach Hamburg oder Berlin zurückzuverlagern, wenn sie in Heiligendamm nicht "erfolgreich" seien. Er wurde nicht umgesetzt. Linksextremistische Globalisierungsgegner waren die treibende Kraft der Mobilisierung gegen den G8-Gipfel. Sie werteten die Protestwoche und insbesondere die "internationale Großdemonstration" vom 02.06.07 überwiegend als großen Erfolg. Aufgrund ihrer ausgeprägten Heterogenität gelang es ihnen jedoch nicht, eine einheitliche Protestfront zu formieren. Die IL sieht ihre Ziele nahezu vollständig erreicht: "Wir wollten eine Massenmobilisierung nach Heiligendamm, wir wollten eine Delegitimierung der G8 in der Aktion, und wir wollten eine Bewegung, in der eine undogmatische, linksradikale Position nicht nur sichtbar wird, sondern auch keinen marginalen Platz mehr einnimmt." Die Hoffnungen richteten sich nun darauf, dass die medienwirksamen Proteste in Mecklenburg-Vorpommern zu einem Mobilisierungsschub im globalisierungskritischen Spektrum führen werden. Teile der linksextremistischen Szene übten jedoch auch Kritik an den Protesten in Rostock und Heiligendamm. Diese richtete sich insbesondere gegen die militanten Aktionen des sogenannten "Schwarzen Blocks" am 02.06.07. Dabei wurde zynischerweise darauf hingewiesen, es sei nicht hinnehmbar, andere Demonstrationsteilnehmer durch Steinwürfe zu verletzen. Öffentliche Distanzierungen von den "Steinewerfern" aus der IL führten die Protestbewegung an den Rand einer Spaltung, da Autonome die Distanzierungen als inhaltliche Kritik verstanden. Letztlich führten die Ausschreitungen zu einer - noch andauernden - Belebung der Militanzdebatte in der linksextremistischen Szene. Vorläufig lautete das Fazit, Gewalt gegen Sachen sei legitim, 125 Linksextremismus weshalb auch die Brandanschläge positiv bewertet wurden; Gewalt gegen Personen sei nach wie vor inakzeptabel. Nach dem G8-Gipfel ging das Protestpotential - insbesondere in Hamburg - nahtlos in eine längerfristig angelegte "Antirepressionskampagne" ( 5.3.1) über, vor allem gegen den SS129a StGB. Höhepunkt war eine bundesweite Antirepressionsdemonstration am 15.12.07 in Hamburg ( 5.3.1). 5.2 Gruppen und Strukturen in Hamburg Das autonome, anarchistische und antiimperialistische Spektrum in Hamburg besteht aus ca. 500 Personen, die zu erheblichen Teilen nur anlassbezogen aktiv werden. Sie sind organisationsfeindlich und in zahlreiche kleine Gruppen zersplittert. Das beherrschende Thema im Jahr 2007 war die Vorbereitung der Proteste gegen das G8-Treffen. "Rote Flora" Das in Privatbesitz befindliche alternative Stadtteilzentrum "Rote Flora" im Schanzenviertel konnte auch im Jahr 2007 seinem Anspruch als zentraler Anlaufpunkt für die autonome Szene Hamburgs gerecht werden. Unterschiedliche Gruppen nutzten die "Flora" für politische Treffen und Veranstaltungen, handwerkliche und sportliche Betätigungen. Sie wird von einem Autonomenplenum "selbstverwaltet", das Themen für unregelmäßig stattfindende "Vollversammlungen" vorgibt. Auf dieser Grundlage werden die wesentlichen Aktivitäten diskutiert und technische Vorhaben vorbereitet. Neben der Funktion als autonomes Kommunikationsund Veranstaltungszentrum finden in der "Roten Flora" auch subkulturelle (Musik-)Veranstaltungen statt, die überwiegend von nichtextremistischen jungen Leuten besucht werden. Das Gebäude war ferner Ausgangsoder Zielort mehrerer, zum Teil gewalttätiger Demonstrationen bzw. Anschlussaktivitäten. Die "Flora" gehörte zu den bundesweit 18 Objekten, die am 09.05.07 im Rahmen des SS129a StGB-Verfahrens der Generalbundesanwaltschaft wegen Bildung einer terroristischen Vereinigung im Zusammenhang mit militanten Aktionen gegen den G8-Gipfel durchsucht wurden. Noch während der Durchsuchung versammelten sich spontan 60 Personen zu kleineren Aufzügen. Die aggressive Grundhaltung 126 Linksextremismus der Protestierer mündete in vereinzelte Übergriffe auf Polizisten. Am Abend demonstrierten 1.900 Personen im Schanzenviertel gegen die "Repressionsmaßnahmen des Staates". Gruppen von bis zu 300 Personen lieferten sich nach Ende der Demonstration heftige Auseinandersetzungen mit der Polizei und legten mehrere Kleinfeuer, die von Wasserwerfern gelöscht wurden. Die Verfahren der Generalbundesanwaltschaft gemäß SS129a StGB wurden am 20.12.07 vom Bundesgerichtshof für rechtswidrig erklärt ( 5.1). Ihre Bedeutung für die Szene stellte die "Rote Flora" auch durch Vorbereitung und Durchführung von Protestaktivitäten gegen das ASEMTreffen Ende Mai 2007 und das G8-Treffen Anfang Juni 2007 in Heiligendamm (.5.1) unter Beweis. Sie diente autonomen Globalisierungsgegnern im Vorlauf der Proteste gegen das Asia-Europe-Meeting (ASEM) am 28.5.07 und den G8-Gipfel als "Convergence Center". Es war vom 25.05. bis 10.06.07 für aktuelle Informationen, Gedankenaustausch und als Anlaufstelle für Schlafplatzvermittlung geöffnet. Im Nachlauf des erneut, wie in vielen Vorjahren auch, nicht angemeldeten Schanzenfestes mit etwa 8.000 Besuchern kam es am 22.09.07 zu Ausschreitungen. Überwiegend jugendliche Störer ohne extremistischen Hintergrund errichteten wiederholt Hindernisse und Barrikaden und bewarfen vorrückende Polizeikräfte massiv mit Gegenständen. Die Polizei nahm 45 Störer vorläufig fest. Hiervon waren mehr als die Hälfte jünger als 25 Jahre; 16 hatten auswärtige Wohnsitze. Zu Ausschreitungen und Sachbeschädigungen in der Umgebung der "Roten Flora" kam es ebenfalls nach der "Antirepressionsdemonstration" am 15.12.07 ( 5.3.1). In der von der "Roten Flora" herausgegebenen Publikation "Zeck" wurden wie in den Vorjahren auch aktuelle Debatten zu Themen von grundsätzlicher Bedeutung für die autonome Szene aufbereitet, Termine veröffentlicht und Bekennerschreiben zu Sachbeschädigungen und Anschlägen mit linksextremistischem Hintergrund dokumentiert. Schwerpunkt im ersten Halbjahr war die Berichterstattung zum G8Gipfel, während im zweiten Halbjahr das Thema "Antirepression" 127 Linksextremismus überwog. Insbesondere die Militanzund Antirepressionsdebatte nahm deutlich breiteren Raum ein als in den Vorjahren. Für Mitteilungen nutzte die "Flora" die beiden an der Vorderfront des Gebäudes befindlichen Plakatwände, die im Berichtsjahr u.a. mit Motiven von den Auseinandersetzungen um ein - im Januar 2007 geräumtes - Jugendzentrum in Kopenhagen und mit Anti-G8-Parolen bemalt wurden. "Antiimperialistischer Widerstand" (AIW) Antiimperialisten verknüpfen Kernelemente des Marxismus-Leninismus mit dem Vorwurf gegen die Industrienationen, deren Reichtum auf der ökonomischen Ausbeutung von Ressourcen in den Entwicklungsländern beruhe und militärisch gesichert werde. Ihre politische Agitation richtet sich gegen nationale und supranationale Institutionen sowie international tätige Konzerne. In der Vergangenheit lehnten sich Antiimperialisten eng an die Ideologie der 1998 aufgelösten Roten Armee Fraktion (RAF) an. Seitdem befassen sie sich hauptsächlich mit Unterstützungsarbeit für Befreiungsbewegungen, u.a. in der Türkei, Palästina und Südostasien. Dabei verloren sie im linksextremistischen Spektrum an Bedeutung. Hamburger Angehörige des "AIW" sind in kleineren Gruppen organisiert, die überwiegend das "Internationale Zentrum" in der Brigittenstraße 5 (B 5) als Treffort nutzen. Wie Autonome lehnen sie das Gewaltmonopol des Staates ab und reklamieren für sich zur Durchsetzung ihrer politischen Ziele ein Recht auf Widerstand gegen das "System", in den sie auch gewalttätige Aktionen einbeziehen. Zur autonomen Szene unterhielten "AIW"-Gruppierungen lediglich punktuelle, anlassbezogene Kontakte. Ihre ideologischen Vorstellungen und politischen Schwerpunkte stoßen bei Autonomen auf geringe Resonanz. Den Gruppen des "AIW" gehörten unverändert etwa 60 Personen mit zumeist jahrzehntelanger Szeneerfahrung an. Ein "Antifaschistisches und antiimperialistisches Aktionsbündnis gegen die G8" veranstaltete im Mai 2007 im Rahmen der G8-Aktionstage in der "B5" eine Reihe von Informationsveranstaltungen zu den Themenkomplexen Türkei, Palästina, Venezuela und "Zweckbündnis Europäische Union". 128 Linksextremismus Zum Thema "30 Jahre deutscher Herbst" veranstalteten ehemalige Hamburger AIW-Angehörige im Oktober 2007 in der "Roten Flora" ein Diskussionswochenende mit "...ehemaligen Militanten der RAF und der 'Bewegung 2. Juni' sowie militanten Linken, die sich in diesem Zusammenhang begriffen haben, und Aktivisten aus dieser Zeit und von heute, aus der Frauenbewegung, den Anti-AKW-Kämpfen, ehemals besetzten Häusern und Zentren, dem G8-Widerstand". Per Flugblatt riefen sie dazu auf, sich mit "Texten, Bildern, Filmen ..." auseinanderzusetzen und sich "in der Diskussion mit unterschiedlichsten Menschen Geschichte selbst anzueignen und aus ihr zu lernen". Die Diskussion über den Herbst 1977 sollte aufgegriffen, eine Auseinandersetzung über die RAF, die damalige gesellschaftliche Situation, die politischen Bedingungen und über die Geschichte in den 60erund 70er-Jahren geführt werden. Deutlich unter 100 Personen - am zweiten Tag knapp die Hälfte - nahmen teil, darunter auch ehemalige RAF-Mitglieder. Für viele der jüngeren Teilnehmer war es eine Begegnung mit Personen der Zeitgeschichte, für gestandene Szeneangehörige eine Bestätigung ihres Weltbildes. Für die AIW-Angehörigen blieb es ein Versuch, die eigene politische Entwicklung zu rechtfertigen. "Kurdistan-Solidarität Hamburg" Die "Kurdistan-Solidarität Hamburg" (KS) unterhielt auch im Jahre 2007 Kontakte zu Unterstützern des "KONGRA GEL" (früher PKK). Angehörige der KS hatten sich in den 90er Jahren in den kurdischen Bergen von der PKK-Guerilla an Waffen ausbilden und ideologisch schulen lassen. Ihre Pläne zum Aufbau illegaler Strukturen in Deutschland gaben sie aber nach der Festnahme des damaligen PKK-Chefs ÖCALAN und dem Ruhen des bewaffneten Kampfes der PKK in der Türkei auf. Nach wie vor engagieren sie sich, u.a. in Verbindung mit pro-kurdischen Vereinen, als Anmelder von Demonstrationen oder Veranstaltungen zur Unterstützung des KONGRA GEL. Weitere Proteste richteten sich gegen das Staudamm-Projekt "Ilisu" im Südosten der Türkei und gegen türkische Pläne, in den Nord-Irak einzumarschieren. Einige Angehörige der Gruppe sind in die Herstellung der Zeitschrift "Kurdistan Report" eingebunden. 129 Linksextremismus "Palästina-Solidaritätsbündnis Hamburg" Die Gruppe "Palästina-Solidarität Hamburg" existiert seit 2002. Nach einem 2005 erstellten Grundsatzpapier arbeiten in ihr "Menschen internationaler Zusammensetzung, VertreterInnen von Vereinen und Organisationen ebenso wie Einzelpersonen zusammen". Dazu zählen Angehörige propalästinensischer Vereine und Interessengruppen, Antiimperialisten und vereinzelt Autonome. Das Bündnis solidarisiert sich mit dem palästinensischen Volk und will einen "breiten Widerstand gegen die Unterstützung der israelischen Besatzungsund Militärpolitik durch die deutsche Regierung" entwickeln. Dies ist bislang misslungen. Relevante Aktivitäten entwickelte die Gruppe bisher nicht. "Sozialistische Linke" (SoL) Die aus jüngeren Angehörigen bestehende Gruppe "Sozialistische Linke" (SoL) beteiligte sich an Aktivitäten antiimperialistischer Zusammenhänge. Politisch bildet die Gruppe den globalisierungskritischen Teil des antiimperialistischen Spektrums. Sie kooperiert auch mit Personen und Organisationen des orthodox-kommunistischen Lagers. Anfang 2007 konstituierte sich aus Personen der "Assoziation Marxistischer StudentInnen" (AMS) und SoL das marxistisch-leninistisch ausgerichtete Hochschulbündnis "Kommunistisch Studierende" (KoMStu), um die "revolutionäre Linke an der Uni zu bündeln". Die SoL-Homepage warb für eine Veranstaltung zum Thema "Todesnacht von Stammheim" am 19.10.07, an der rd. 80 Personen teilnahmen. Neben einer SoL-Vertreterin und einem Alt-Aktivisten des ehemaligen Hamburger RAF-Umfeldes war auch Werner HOPPE unter den Podiumsgästen, ein ehemaliges RAF-Mitglied und früherer inoffizieller Mitarbeiter des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen DDR. Hoppe berichtete von seinem persönlichen Werdegang und seiner organisatorischen Funktion bei Operationen der RAF. "AVANTI - Projekt undogmatische Linke" Die Gruppe "AVANTI - Projekt undogmatische Linke" entstand 1989 als Zusammenschluss zweier autonomer Gruppen aus SchleswigHolstein. Sie ist der Autonomenszene nicht eindeutig zuzurechnen: Typisch autonome Verhaltensmuster wie Unverbindlichkeit und Organisationsfeindlichkeit lehnt "AVANTI" ab. Ebenso wenig wird die zen130 Linksextremismus tralistisch-hierarchische Organisationsform kommunistischer Gruppierungen akzeptiert. Seit der Gründung haben sich sechs Ortsgruppen des Projektes gebildet; vier in Schleswig-Holstein und je eine in Hamburg und in Niedersachsen. Ihr Ziel ist die revolutionäre Überwindung der heutigen Gesellschaftsordnung. "AVANTI" sieht sich selber als eine der hierfür notwendigen "revolutionären Organisationen". Obwohl seine theoretische Basis der revolutionär-marxistischer Organisationen ähnelt, praktiziert "AVANTI" auch autonome Aktionsformen. Eine Zusammenarbeit auch mit nichtlinksextremistischen Kräften wird ausdrücklich befürwortet. 2004 überarbeitete "AVANTI" sein Grundsatzpapier, in dem es programmatisch heißt: " (...), dass der Kapitalismus revolutionär überwunden werden und an seine Stelle der Sozialismus treten muss, der auf der Vergesellschaftung der Produktionsmittel und der demokratischen Organisation der Produktion und Verteilung beruht. (...) Um eine solche tatsächliche, aktive und umfassende Demokratie durchzusetzen, muss die demokratisch nicht legitimierte Macht des Kapitals gebrochen werden. (...) Deswegen gehen wir von der Notwendigkeit einer Revolution aus, die neue demokratische Strukturen schaffen wird, wie dies in vorangegangenen Revolutionen in Form der Räte der Fall war." Auch zur Frage einer strategischen Anwendung gewaltsamer Aktionsformen bezieht "AVANTI" klar Stellung: "Unsere Utopie ist (...) die einer gewaltund herrschaftsfreien Gesellschaft. Dennoch haben RevolutionärInnen immer wieder zum Mittel der Gewalt gegriffen. (...) Wir sind daher der Überzeugung, dass die Entscheidung zum Einsatz revolutionärer Gewalt sehr genau abgewogen werden muss und nur als letztes Mittel gelten kann." "AVANTI" befasst sich mit einer Vielzahl von Themen. Ausgeprägte Schwerpunkte lagen in Hamburg in den Bereichen Anti-Globalisierung/ Anti-G8-Kampagne ( 5.1) und der Antifaschismusarbeit ( 5.3.2). Insgesamt nahmen die Aktivitäten der "AVANTI"-Ortsgruppe Hamburg 2007 deutlich zu. 131 Linksextremismus "AVANTI" hat sich überregional als eine der für Norddeutschland maßgeblichen Gruppen der "Interventionistischen Linken" (IL, 5.1) frühzeitig in die Anti-G8-Mobilisierung eingebracht. In der Broschüre "make capitalism history", die die Hamburger Ortsgruppe im März 2007 zur Anti-Globalisierungsthematik herausbrachte, bezeichnete "AVANTI" die Kampagne "Block G8" als Kernstück ihrer Mobilisierung nach Heiligendamm. Die Forderung nach Blockadeaktionen als "massenhafte, organisierte Regelverstöße" ist im Grundsatzpapier der Gruppe verankert. Ziel der Kampagne war die Organisierung von Blockaden - insbesondere die der Zufahrtswege nach Heiligendamm - als Aktionen des zivilen Ungehorsams. Ebenfalls im März 2007 startete "AVANTI" eine zweimonatige Veranstaltungsreihe zur Anti-G8-Thematik in ganz Norddeutschland. Vier Veranstaltungen fanden in Hamburg statt. Im April 2007 organisierte die Hamburger Ortsgruppe u.a. gemeinsam mit der Hamburger Gruppe "Autonome Jugendantifa Hamburg" (AUJAH, 5.3.2) den "Jugendkongress gegen G8 - Her mit dem schönen Leben". Er sollte inhaltlich und praktisch Aktionen vorbereiten und richtete sich ausdrücklich an Schüler. Im Mai 2007 fand ein von der "AVANTI"-Ortsgruppe Norderstedt organisiertes "Blockade-Training" am nördlichen Stadtrand Hamburgs statt. U.a. wurden das "Durchfließen von Polizeiketten" sowie "Sitzund Stehblockadetechniken" geübt. Die Antifaschismusarbeit bildete 2007 den zweiten Schwerpunkt der Gruppenarbeit. "AVANTI" beteiligt sich seit 2005 aktiv an dem linksextremistisch beeinflussten "Hamburger Bündnis gegen Rechts" (HBgR, 5.3.2). Im Frühjahr 2007 führte die Gruppe in Hamburg eine vierteilige antifaschistische Veranstaltungsreihe zu "Aktuellen Tendenzen in der rechten Szene" durch. Im August dieses Jahres beteiligte sie sich an der Mobilisierung zu der antifaschistischen Bündnis-Demonstration anlässlich des "Heß-Aktionstages" der antifaschistischen Szene in Hamburg-Blankenese ( V. 8.1) . Im November 2007 gab die Gruppe in Zusammenarbeit mit der DGBJugend die Broschüre "Braune Jungs un Nazi-Deerns - Hamburg ganz 132 Linksextremismus rechts" heraus. Die Broschüre beleuchtet die aktuelle Situation der rechtsextremistischen Hamburger Szene mit den Schwerpunkten "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD, V. 8.1) und "Deutsche Volksunion" (DVU, V. 8.2). Anlass war die Kandidatur der DVU bei der Wahl zur Hamburger Bürgerschaft am 24.02.08. In der Broschüre fordern die Verfasser u.a.: "Angesichts der Wahlerfolge der NPD, ihrer zentralen Bedeutung für die derzeitige Entwicklung des Neofaschismus in Deutschland und der von ihr ausgehenden rassistischen und antisemitischen Propaganda ist es für alle antifaschistischen Kräfte höchste Zeit, der NPD mit einem abgestimmten Konzept bundesweit entgegenzutreten; dabei sollten politisch-aufklärerische Elemente ebenso berücksichtigt werden wie Maßnahmen, die das öffentliche Auftreten der Faschisten praktisch einschränken.(...) Der Versuch, rechte Demonstrationen zu beund verhindern, muss legitim und ein vorrangiges Ziel antifaschistischer Bündnisarbeit sein". Eine Differenzierung zwischen Aktionen des zivilen Ungehorsams und gewalttätigen Aktionen bzw. eine deutliche Absage an letztere lässt die Broschüre vermissen. "AVANTI" meldete auf seiner Homepage, dass die Publikation an "Hunderte Schulen in ganz Hamburg" versandt werden sollte. Das jüngste Projekt der Hamburger Ortsgruppe, vornehmlich zur Werbung junger Mitglieder, ist eine Kneipenveranstaltung, die monatlich stattfinden soll. In dem klassischen kommunistischen Symbol "Hammer und Sichel" wurde in der Einladung der Hammer durch ein Cocktailglas ersetzt. "Rote Hilfe e. V." Die "Rote Hilfe e.V." (RH) geht auf eine gleichnamige Organisation der "Kommunistischen Partei Deutschlands" (KPD) in der Weimarer Republik zurück. Um Gesinnungsgenossen in "politischen" Prozessen finanzielle Hilfe, insbesondere für Anwaltsund Gerichtskosten, leisten zu können, erhebt die "Rote Hilfe" Mitgliedsbeiträge und sammelt Spenden. Die RH definiert sich als "parteiunabhängige, strömungsübergreifende linke Schutzund Solidaritätsorganisation" und möchte als Selbsthilfeeinrichtung "verbindendes Element innerhalb der Linken gegen staatliche Repression" sein. Der Verein hat bundesweit mehrere 133 Linksextremismus tausend Mitglieder (Bund: > 4.430, Hamburg: ca. 420), von denen nur die wenigsten aktiv sind. 2007 führte die Hamburger Ortsgruppe der "Roten Hilfe" mehrere Informationsveranstaltungen zum Umgang mit "Repressionsorganen" durch, bei denen u. a. staatliche Überwachungsmaßnahmen thematisiert wurden. Anlass hierfür waren die im Zusammenhang mit den militanten Aktionen von Globalisierungsgegnern u.a. in Hamburg und Schleswig-Holstein durchgeführten Hausdurchsuchungen ( 5.1) und die Festnahmen von mutmaßlichen Angehörigen der "militanten gruppe" ("mg", 4.) in Berlin. Am 11.08.07 fand in Hamburg eine Kundgebung mit 140 Teilnehmern unter dem Tenor "Für Demonstrations-, Meinungsund Kunstfreiheit - gegen die Kriminalisierung des ASEMund G8-Protestes" statt. Die Hamburger "Rote Hilfe" gehörte zu den Organisatoren der Versammlung, bei der Transparente mit Aufschriften wie "Freiheit für alle politischen Gefangenen", "Ob friedlich oder militant - wichtig ist der Widerstand - unsere Gefangenen müssen raus" und "Wir sind alle SS 129a" gezeigt wurden. Im Herbst 2007 richtete die Ortsgruppe Hamburg mehrere Veranstaltungen aus, die sich mit den "Möglichkeiten des gemeinsamen Widerstandes", der "Bedeutung der Aussageverweigerung" sowie den "ZeugInnenvorladungen in SS 129a-Verfahren" befassten. Darüber hinaus wurde für die bundesweite Demonstration "Freiheit statt Angst - stoppt den Überwachungswahn" am 22.09.07 in Berlin mobilisiert. Die "Rote Hilfe" beteiligte sich ebenso an der Hamburger Demonstration "Weg mit dem SS 129a! Einstellung aller Verfahren! Gegen Sicherheitswahn und Überwachungsstaat!" am 15.12.07 ( 5.3.1). In einer im Internet veröffentlichten Presseerklärung kommentierte ein Sprecher der Ortsgruppe Hamburg die anschließenden Ausschreitungen als "Konsequenz polizeilicher Provokationen". Die Rote Hilfe werde sich weiterhin "gegen die Kriminalisierung und staatliche Diffamierung linker Politik und emanzipatorischer Widerstandsbewegungen wenden." "Libertäres Kulturund Aktionszentrum" (LKA) und "Libertäres Zentrum" (LIZ) Libertäre gestehen jedem das Recht zu, mit seinem Leben und Besitz so zu verfahren, wie er es für richtig hält, vorausgesetzt, dass die 134 Linksextremismus Freiheit anderer dadurch nicht beeinträchtigt wird. Im 19. Jahrhundert gab es eine Gleichsetzung von "libertär" und "anarchistisch" - z.T. geschieht das heute noch. Der Anarchismus wird von der Forderung nach einer Gesellschaft ohne Herrschaft geprägt, da es den Menschen möglich sei, "Freiheit und Gleichheit auch in eigener Zuständigkeit" zu realisieren. Er richtet sich folglich gegen jedwede Form von Autorität. Einheitliche Organisationsstrukturen oder verbindliche Vordenker werden von Anarchisten grundsätzlich nicht akzeptiert. Die anarchistische Szene in Hamburg verfügt lediglich über ein geringes personelles Potential, das sich in zwei unterschiedliche und weitgehend voneinander unabhängige Strömungen aufteilt: die anarchosyndikalistische "Freie ArbeiterInnen Union" (FAU) - Ortsgruppe Hamburg - mit Sitz im "Libertären Kulturund Aktionszentrum (LKA)", und die "klassischen" Anarchisten, die sich im "Libertären Zentrum" (LIZ) treffen (Arbeitsfeld Linksextremismus / Organisationen und Gruppierungen / Autonome - Antiimperialisten - Anarchisten). Die FAU ist für eine anarchistische Gruppierung verhältnismäßig gut organisiert.1977 wurde sie als deutsche Sektion der "Internationalen ArbeiterInnen Assoziation" (IAA) gegründet. Basis der Organisation sind die lokalen Ortsund Branchengruppen, die ihre Angelegenheiten und Arbeitsschwerpunkte nahezu autonom regeln. Regelmäßige bundesweite und regionale Treffen stellen die Koordination der Gesamtorganisation sicher. Wichtige Entscheidungen werden durch MitgliederUrabstimmungen getroffen. Alle Mandate in der FAU sind nach dem Rotationsprinzip besetzt, daher gibt es weder bezahlte Funktionäre noch "Funktionärseliten". Die FAU gibt die anarchosyndikalistische Zeitung "Direkte Aktion" (DA) heraus. Sie soll ein Medium "für all diejenigen sein, die für eine selbstverwaltete Gesellschaft ohne Bosse, Staat, Parteien und Funktionäre eintreten." Im Jahr 2007 nahm die FAU an mehreren Demonstrationen in Hamburg teil. Am 1. Mai schloss sie sich zunächst dem "Euromayday 2007 - Parade für globale Rechte" an und beteiligte sich anschließend an der "sozialrevolutionären Demonstration" unter dem Motto: "Heraus zum revolutionären 1. Mai" mit etwa 860 Teilnehmern. 135 Linksextremismus Am 28.05.07 protestierten Mitglieder der FAU mit insgesamt etwa 3.900 Demonstranten im Rahmen der bundesweiten "ASEM-Demo" gegen das "Asia-Europe-Meeting" in Hamburg. Eine darüber hinausgehende Unterstützung der Anti-G8-Aktivitäten durch die FAU wurde nicht festgestellt. Zuletzt beteiligte sie sich am 15.12.07 in Hamburg an der bundesweiten Demonstration unter dem Tenor: "Weg mit dem SS 129a! Einstellung aller Verfahren! Gegen Sicherheitswahn und Überwachungsstaat!", die unter breiter Beteiligung der linksextremistischen Szene stattfand ( 5.3.1). Neben Solidaritätserklärungen für die Bevölkerung Oaxacas (Mexiko), die gegen die Herrschaft und "paramilitärische Repression" der Regierung in ihrem Bundesstaat kämpft, zeigte sich die FAU solidarisch mit der Belegschaft der Fahrradfabrik "Bike Systems GmbH" im thüringischen Nordhausen. Die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen hielten ihren Betrieb vom 10.07. bis zum 31.10.07 besetzt, um eine endgültige Betriebsschließung zu verhindern. Während die Belegschaft in Selbstverwaltung einmalig 1.800 "Strike-Bikes" produzierte - mit dem typischen anarchosyndikalistischen Symbol der fauchenden schwarzen Katze - , bildete die FAU einen "Solidaritätskreis Strike-Bike", half beim Vertrieb und richtete eigens für diese Kampagne eine Homepage ein. Die "Cafe Libertad Kollektiv eG", die überwiegend von Mitgliedern der FAU betrieben wird, unterstützte die Kampagne. Neben einem regelmäßigen Zentrumsplenum und einer libertären Bibliothek stand das LKA im Jahr 2007 für zahlreiche Veranstaltungen mit anarchistischem und politischem Hintergrund zur Verfügung. Das "Libertäre Zentrum" (LIZ) galt bis vor wenigen Jahren als Treffpunkt der "klassischen" Anarchisten, von denen mittlerweile nur noch Rest-Strukturen verblieben sind. Eine gemeinsame ideologische Ausrichtung der LIZ-Nutzer ist nicht mehr festzustellen. Das LIZ dient vielmehr verschiedensten Gruppen als Versammlungsort. Hier treffen sich Veganer, Tierschützer und die junge autonome Szene Hamburgs, die sich zu Demonstrationen und Veranstaltungen der linksextremistischen, autonomen und anarchistischen Szene zusammenfindet. "SoliCocktailpartys" im LIZ dienten der Geldsammlung u.a. für die Betroffenen der SS129a StGB-Verfahren. 136 Linksextremismus 5.3 Aktionsfelder 5.3.1 "Antirepression" Militante Linksextremisten bestreiten das Gewaltmonopol des Staates und reklamieren für sich ein Recht auf Widerstand gegen staatliche Maßnahmen. Dieses schließt nach überwiegendem Szenekonsens Gewalt gegen Sachen ein. Die strafrechtliche Verfolgung linksextremistischer Rechtsbrüche bezeichnen sie als "Repression", die vornehmlich zur "Ausforschung, Einschüchterung" bzw. für "Angriffe auf linke Strukturen" diene. Hierzu gehören sämtliche staatlichen Maßnahmen zur Prävention und Verfolgung von Straftaten wie u.a. Videooder Telefonüberwachung, Durchsuchungen und erkennungsdienstliche Behandlungen. Gegen derartige Maßnahmen richtete sich die "Antirepressionskampagne", die mit Veranstaltungen und Broschüren die Szeneangehörigen für angeblich drohende Gefahren sensibilisieren sollte und zum Schweigen gegenüber Vollzugsorganen aufforderte. Die Durchsuchungsmaßnahmen des Bundeskriminalamtes (BKA) im Zusammenhang mit den Ermittlungsverfahren nach SS129a StGB gegen Personen, die verdächtigt werden, im Rahmen der "militanten Kampagne" gegen den G8-Gipfel 2007 ( 5.1) Brandanschläge begangen zu haben, und dem Ermittlungsverfahren nach SS129a StGB gegen mutmaßliche Mitglieder der "militanten gruppe" (mg, 4.) lösten im Jahre 2007 eine verstärkte Auseinandersetzung mit dem Thema "Repression" aus. Einer der Betroffenen kritisierte in der von der "Roten Flora" herausgegebenen "ZECK", Nr. 141 vom November / Dezember 2007, "den Ausbau von Überwachungs-, Steuerungs-, Ordnungsund Unterdrückungsstrukturen zur Sicherung der Produktionsund Verwertungsbedingungen, der Absatzmärkte, des Zugriffs zu den Rohstoffen, des Kapitals/der Kapitalströme" und kommt in seinem Schlusswort zu dem Ergebnis, "wir werden diese Angriffe zurückweisen, wenn wir gemeinsam dafür sorgen, dass der Stein, den sie gegen uns erhoben haben, auf ihre eigenen Füße fällt". Bereits in der "ZECK"-Ausgabe März/April 2007 äußerte sich die "AntiRepressionsgruppe Hamburg" zu den Verfahren nach SS129a StGB (terroristische Vereinigung), die im Januar 2007 nach Brandlegung am Fahrzeug des Staatssekretärs im Bundesfinanzministerium am 26.12.06 und wegen weiterer Straftaten eingeleitet worden waren. 137 Linksextremismus Die Verfahren seien nichts weiter als ein "umfassender Angriff des Repressionsstaates zur Einschüchterung und zur Aufdeckung linker Strukturen". In einer im Frühjahr 2007 herausgegebenen Broschüre "Repression und Widerstand, Texte und Materialien zu Staatsmacht, Selbstschutz und Solidaritätsarbeit" gab die Gruppe einen Überblick zum Stand des "Repressionsapparates in Deutschland". Nach den Durchsuchungen im Rahmen des Ermittlungsverfahrens am 09.05.07 in Hamburg, von denen auch die "Rote Flora" betroffen war, organisierten die Betroffenen und die "Anti-Repressionsgruppe" breiteren Widerstand gegen diese Maßnahmen ( 5.1.). Höhepunkt der Antirepressionskampagne im Herbst war die bundesweite Demonstration am 15.12.07 in Hamburg unter dem Tenor "Weg mit dem SS 129a! Einstellung aller Verfahren! Gegen Sicherheitswahn und Überwachungsstaat!" ( 5.3.1). An der Mobilisierung war auch die "Antirepressionsgruppe" beteiligt. Bei der Demonstration sollten neue, flexiblere Aktionsformen erprobt werden. Das Konzept "Out of Control" sollte einen geschlossenen Aufzug durch flankierende Aktionsformen ergänzen. Störende Ablenkungsmanöver außerhalb der begleitenden Polizeikräfte sollten dem Demonstrationszug für offensive Aktivitäten Freiräume verschaffen. Das Konzept zielte darauf ab, die als "staatliche Repression" empfundene "Praxis der Spaliere, Auflagen und Wanderkessel" bei früheren Demonstrationen zu durchbrechen. Die Verfasser eines mit "It's our Day" betitelten Aufrufflugblattes gaben die Zielrichtung vor: "...wir wollen aus unseren Szenevierteln ausbrechen, um ihre heile Konsumwelt zu erschüttern. Wir wollen die Innenstadt zu einem Spielplatz unserer Lust ... sowie unserer Wut auf dieses beschissene System machen. Unserer Wut ... werden wir an diesem Tag handfest Ausdruck verleihen... Wir wollen unsere Wut dahin tragen, wohin sie gehört, zu denen, auf die wir wütend sind." Die Taterklärungen zu Farbanschlägen auf die Wohnhäuser des Bundesministers für Arbeit und Soziales am 22.11.07 und des Leiters des Hamburger Verfassungsschutzes am 09.12.07 sowie zu einem Brandanschlag auf ein Bundeswehrfahrzeug am 12.12.07 knüpften inhaltlich an den Demonstrationstenor an. Sie wandten sich gegen die Durchsuchungen durch die Bundesanwaltschaft sowie die Festnah138 Linksextremismus men mutmaßlicher "mg"-Angehöriger und riefen zur Teilnahme an der Antirepressionsdemonstration am 15.12.07 ( 5.3.1) auf. An dem Aufzug nahmen insgesamt ca. 3.200 überwiegend linksextremistische Demonstranten, darunter ca. 1.500 Auswärtige, teil. Das Spektrum reichte von gewaltbereiten Autonomen - die den größten Anteil stellten - über Antiimperialisten und Anarchisten bis hin zu den Mitgliedern der Partei "DIE LINKE.". An der neuen Aktionsform "Out of Control" beteiligten sich bis zu 400 Aktivisten. Nach mehrmaligem Stoppen der Demonstration durch die Polizei wegen des Verstoßes gegen Auflagen löste der Veranstalter die Demonstration vorzeitig auf. Im Anschluss zogen etwa 1.000 Demonstrationsteilnehmer in Gruppen durch die Innenstadt, um verschiedene Aktionen durchzuführen und lautstark "Wir sind alle SS129a" zu skandieren. Es wurden zwei Pkw in Brand gesetzt und zahlreiche Sachbeschädigungen in der Innenstadt verübt. Zu flächendeckender Randale kam es hier aber nicht. In der Nacht verlagerten sich die Auseinandersetzungen zurück in das Schanzenviertel. Umherstreifende Kleingruppen entzündeten aufgeschichteten Müll und beschädigten die Scheiben einer Sparkassen-Filiale. Insgesamt nahm die Polizei 27 Personen fest und 109 in Gewahrsam. Obwohl die Krawalle - entgegen der Intention der Organisatoren - nicht aus dem Schanzenviertel herausgehalten werden konnten, wurde die Demonstration in der linksextremistischen Szene als Erfolg gewertet. Das Konzept "Out of Control" sei vielfältig umgesetzt worden. Dennoch wurde das eigentliche Ziel, eine Wechselwirkung mit dem Demonstrationszug herzustellen und dadurch neue Freiräume zu schaffen, nicht erreicht. Durch die lagegerechte Polizeitaktik blieb das Konzept weitgehend wirkungslos und verfehlte seine gewünschte Wirkung. 5.3.2 "Antifaschismus" Eines der zentralen Aktionsfelder der autonomen Szene ist nach wie vor der "antifaschistische Kampf" gegen Rechtsextremisten und deren Strukturen. Linksextremistische Antifaschisten sind Teil eines breit 139 Linksextremismus gefächerten Spektrums, das bis zu demokratischen Parteien und gesellschaftlichen Gruppen reicht. Im Mittelpunkt stehen demonstrative Protestaktionen gegen Aufmärsche, Infostände und Veranstaltungen von Rechtsextremisten sowie das direkte Vorgehen gehen Einzelpersonen. Militante Aktionsformen werden als legitimes und probates Mittel im Kampf gegen "Neonazis" angesehen. Situationen, bei denen eine Eskalation erwartet wird, werden oftmals geradezu gesucht - letztlich auch um der eigenen Selbstdarstellung willen (Arbeitsfeld Linksextremismus / Aktionsund Agitationsfelder / Antifaschismus). An öffentlichen Aktionen der "autonomen Antifa-Szene" beteiligen sich zunehmend gewaltbereite Jugendliche, deren primäres Ziel die Konfrontation ist. Dabei spielt für sie keine Rolle, ob die Kontrahenten Rechtsextremisten oder Polizisten im Einsatz sind. Neben diesem offensiven Auftreten ist die "Recherchearbeit" für die autonome Antifa von besonderer Bedeutung. Angehörige von AntifaGruppen spähen hierbei einzelne Rechtsextremisten gezielt aus, sammeln Informationen über sie und nutzen die Informationen u.a. für "Outing-Aktionen" in der Nachbarschaft des Betroffenen oder Veröffentlichungen in Szene-Publikationen und im Internet. Autonome Antifaschisten beteiligen sich auch an Informationsveranstaltungen über rechtsextremistische Strukturen. Die Inhalte dieser Veranstaltungen stammen dabei u.a. aus den o.g. Recherchen. Die Organisation liegt jedoch selten bei den Autonomen selbst. Auch das Arrangieren und Vorbereiten von Demonstrationen und Kundgebungen überlässt die autonome Antifa-Szene in Hamburg zumeist orthodoxkommunistischen bzw. von ihnen beeinflussten Organisationen. Zu den wichtigsten Informationsplattformen der Hamburger AntifaSzene zählt die Internetseite des "Antifa Info Pool Hamburg". Diese Gruppierung engagiert sich seit 2004 in der autonomen Szene der Stadt. Ihre Initiatoren bezeichnen sich selbst als "Zusammenschluss von Personen verschiedener Hamburger Gruppen und Projekte der radikalen Linken", der zur "Stärkung lokaler Antifa-Strukturen beitragen" wolle. Ein Schwerpunkt ist hierbei die "Jugendantifa-Arbeit". Im Jahre 2005 hatte der "Antifa Info Pool Hamburg" auf seiner Internetseite Jugendliche unter 18 Jahren darum gebeten, sich zu melden. Darauf140 Linksextremismus hin trat die Gruppe "Autonome Jugendantifa Hamburg" (AUJAH) im Frühjahr 2005 erstmals auf. Die Bestrebungen, anpolitisierte Jugendliche in einer Jugend-Antifagruppe zu vernetzen, wurden fortgeführt. Im April 2007 veranstaltete die Jugendantifa u.a. in Zusammenarbeit mit "AVANTI" einen "linken Jugendkongress für Schülerinnen und Schüler" zur inhaltlichen und praktischen Vorbereitung für Aktionen gegen den G8-Gipfel. In demselben Monat startete der erste Teil der AUJAH-Veranstaltungsreihe für Jugendliche "Make up your mind! (... ) We want you for Jugendantifa! (...)", die nicht nur Information bieten, sondern einen "Rahmen für eine bessere Vernetzung junger AntifaschistInnen" schaffen sollte, "um gemeinsam aktiv zu werden". Im November 2007 wurde die Veranstaltungsreihe mit Informationsveranstaltungen zum Thema Repression fortgeführt. Seit Mai 2006 leistet das "Antifa Cafe" seinen Beitrag zur Belebung der Hamburger Antifa-Szene. Es findet einmal monatlich in der St. Pauli-Hafenstraße statt. Unter der Überschrift "Zusammen kämpfen, zusammen feiern!" stellten sich die Initiatoren auf ihrer Homepage als "gruppenübergreifender Zusammenhang" (...) "aus Teilen der aktiven antifaschistischen Szene in Hamburg" vor. Ziel dieser Initiative sei es, "die antifaschistische Linke weiter zu stärken und feste Treffpunkte zu etablieren". Die regelmäßigen Cafe-Termine wurden überwiegend mit der Mobilisierung für Hamburger und überregionale Aktivitäten autonomer Antifaschisten verbunden. Auch den Internetseiten der Kampagne "MOVE YA! den Nazis rote Zahlen bescheren!" bietet die Homepage des "Antifa Info Pools" eine Plattform. Im Februar 2007 stellte sich die Initiative als "eine Kampagne von verschiedenen autonomen Gruppen aus Hamburg und Schleswig-Holstein" vor, die das Ziel verfolge, auf die Zunahme von neonazistischen Vertriebsstrukturen in Norddeutschland hinzuweisen. Es sei beabsichtigt, "Nazistrukturen in Norddeutschland aus der Anonymität zu reißen", "Neonazis Namen und Gesichter zu geben". Im Mai veranstaltete die Kampagne eine "antifaschistische Kaffeefahrt" durch Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Hamburg. Die ca. 80 Teilnehmer statteten dabei mehreren "Naziläden" einen Besuch ab und führten kurze Kundgebungen durch. Mit dem Begriff "Naziläden" 141 Linksextremismus bezeichnet die "Antifa-Szene" Geschäfte, deren Angebot vor allem von Rechtsextremisten nachgefragt wird (z.B. Kleidung). Die letzte Kundgebung fand in Hamburg vor dem Laden "Unbreakable Streetware" in der Bürgerweide statt. Seit seiner Eröffnung zu Jahresbeginn wurde er mehrfach das Ziel von Sachbeschädigungen. Seit September 2007 ist er geschlossen. Diesen Vorgang kommentierte die "temporäre autonome gruppe Hamburg" ([tag]-Hamburg). Unter dem Titel "unbreakable is broken!" stellte sie fest: "Einmal mehr können wir also mit unverhohlener Schadenfreude feststellen, dass sich direkter Antifaschismus lohnt!". Begleitend wurden "die schönsten Bilder" darunter gesetzt, die u.a. einen Vermummten mit einem "Move Ya"-Plakat und die eingeworfene Schaufensterscheibe des Ladengeschäftes zeigen. Diese Gruppe ist seit Mai 2007 mit einer eigenen Homepage online und berichtet dort vorwiegend über Veranstaltungen und Aktionen der autonomen Antifa im Inund Ausland, beteiligt sich aber auch selbst an der Mobilisierung zu Protestaktionen. So war die "[tag]-Hamburg" maßgeblich an der Hamburger Mobilisierung für die Antifa-Demonstration am 02.06.07 in Schwerin beteiligt. Im Mai 2007 führte sie eine Informationsveranstaltung in der "Roten Flora" durch und forderte mit dem Aufruf "BEAT IT!" dazu auf, an der parallel zur Anti-G8-Demonstration in Rostock geplanten Schweriner Antifa-Demonstration teilzunehmen. In dem Aufruf forderte die [tag], auf "direkte antifaschistische Intervention gegen die Nazis" sowie "ein offensives Auftreten" zu setzen und formulierte ihre grundsätzlichen Ziele klar: "Nazis offensiv stoppen - Deutschland zerlegen - Kapitalismus abschaffen!". Für den 10.11.07 rief sie auf ihrer Homepage zur Teilnahme an einer antifaschistischen Demonstration in Prag auf und erklärte: "Wir halten es (...) ausdrücklich für legitim, mit allen Mitteln den Nazis entgegenzutreten und ihren Aufmarsch zu stoppen". Die später hierzu veröffentlichten Bilder zeigten u.a. einen blutenden Teilnehmer des rechtsextremistischen Aufmarsches. In dem Kommentar äußert die [tag]: "Die Nazis wurden massiv angegriffen und der Aufmarsch konnte nicht durchgeführt werden. Well done! Antifa" und leistete damit ein Bekenntnis zur Militanz als politischer Aktionsform. In Bergedorf nahmen im Jahr 2007 Auseinandersetzungen zwischen Linksund Rechtsextremisten zu. Für den 10.02.07 hatten Rechts142 Linksextremismus extremisten eine Demonstration gegen den Bau einer Moschee angekündigt. Gegen diesen Aufmarsch formierte sich breiter Protest. Ein "Antifaschistisches Bündnis Bergedorf", an dem sich auch Linksextremisten beteiligten, rief mit einem Flugblatt dazu auf, den Aufmarsch von Neonazis zu verhindern. Für weitere Informationen wurde auf "AVANTI" und den "Antifa Info Pool" verwiesen. Im Anschluss an die weitgehend friedlich verlaufene Gegendemonstration mit ca. 1.000 Teilnehmern versuchten ca. 300 autonome Antifaschisten, den Zug der Neonazis zu stören. Dabei kam es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Autonomen und der Polizei, in deren Verlauf auch Wasserwerfer eingesetzt wurden. Im Laufe des Jahres boten Informationsstände von Rechtsextremisten zur selben Thematik wiederholt Anlass zu Gegenaktionen der autonomen Szene, zuletzt am 01.12.07. Die "Undogmatische Antifa Gruppe Bergedorf" (UAGB) rief auf ihrer Homepage zum Protest gegen einen Info-Stand der NPD: "Kommt zahlreich und in zivil! Kein sicheres Bergedorf für Nazis" auf. Ca. 80 Autonome demonstrierten vor dem NPDStand. Die Polizei musste beide Lager trennen, um die Situation zu entschärfen. Das wertete die UAGB in einem Beitrag auf der SzeneInternetplattform "Indymedia" als "permanente Einschüchterungsversuche". Die UAGB hatte sich im Februar 2007 "aus der Notwendigkeit heraus" gegründet, "wieder erstarkenden rechtsextremen Zusammenschlüssen im Hamburger Stadtteil Bergedorf konkret entgegen zu treten". Im Mai 2007 rief die Gruppe das "Antifaschistische Info-Cafe" in einem Bergedorfer Kommunikationszentrum ins Leben, das seitdem monatlich "lokalen antifaschistischen Zusammenhängen" und "unorganisierten AntifaschistInnen (...) Raum für Diskussionen und Vernetzung" gibt. Auch in anderen Hamburger Stadtteilen demonstrierten 2007 Linksextremisten gegen Rechtsextremisten: Im August protestierte die linksextremistische Szene Hamburgs im Rahmen einer gruppenübergreifenden "Antifaschistischen Bündnis-Demonstration" in Blankenese gegen den dort wohnenden Landesvorsitzenden der NPD Jürgen RIEGER ( V., 8.1). Die Demonstration wurde u.a. von "AVANTI" und dem linksextremistisch beeinflussten "Hamburger Bündnis gegen Rechts" (HBgR), aber auch von orthodox-kommunistischen Organisationen wie der "Deutschen Kommunistischen Partei" (DKP, 7.) unterstützt. Das HBgR wertete den Protestmarsch in einer Presseerklärung als vol143 Linksextremismus len Erfolg. An dem weitgehend friedlich verlaufenen Aufzug beteiligten sich ca. 1.000 Demonstranten. Anschließend versuchten ca. 250 Autonome in kleineren Gruppen vergeblich, in die Nähe der Wohnung des Rechtsextremisten zu gelangen. Im Oktober 2007 meldete das HBgR eine Kundgebung gegen eine Versammlung der NPD vor dem Congress Center Hamburg an ( V., 5.3). Die NPD-Versammlung richtete sich gegen eine dort - im Rahmen des SPD-Bundesparteitages - geführte Debatte über ein neues NPDVerbotsverfahren. An der HBgR-Kundgebung, für die gruppenübergreifend mobilisiert worden war, beteiligten sich ca. 1.100 Demonstranten, davon etwa die Hälfte Linksextremisten. Die Polizei sicherte einen friedlichen Verlauf der Demonstration. Im Vorgriff auf den Wahlkampf für die Bürgerschaftswahl 2008 kündigte das Bündnis anschließend an, eine Kampagne gegen die bei der Wahl antretende DVU zu starten. Am 27.11.07 stellte das HBgR den "Hamburger Aufruf - Keine Stimme den Nazis" der Öffentlichkeit auf einer Pressekonferenz vor. Mit dessen Hilfe solle in Hamburg ein Klima geschaffen werden, das die Wahl rechter Parteien erschwert. 5.3.3 Antirassismus Das traditionelle linksextremistische Aktionsfeld "Antirassismus" war 2007 weitgehend überlagert von dem beherrschenden Thema "Mobilisierung gegen das G8-Treffen". "Antirassismus" ist seit Jahren - mit unterschiedlicher Gewichtung - ein wesentlicher Aktionsbereich für Einzelaktivisten und Gruppierungen des linksextremistischen Spektrums. Sie agitieren gegen - aus ihrer Sicht - rassistische Denkund Verhaltensmuster in Staat und Gesellschaft und propagieren die "Überwindung der herrschenden Verhältnisse". Mit unterschiedlichen Aktionsformen wie Demonstrationen, Veranstaltungen und öffentlichkeitswirksamen - z.T. auch militanten - Aktionen protestieren Linksextremisten insbesondere gegen die Asylund Abschiebepolitik. Antirassistische Agitation und Aktionen richten sich u.a. gegen Personen, die für die Gestaltung und Umsetzung der Asylpolitik verantwortlich gemacht werden und gegen Firmen, denen unterstellt wird, als "Profiteure des Rassismus" an der "Abschiebemaschinerie" zu verdienen 144 Linksextremismus (Arbeitsfeld Linksextremismus / Aktionsund Agitationsfelder / Antirassismus / Asylproblematik). Linksextremisten arbeiten bei Protestaktionen häufig mit demokratischen und humanitären Organisationen zusammen. Dabei versuchen sie, die Aktivitäten zu dominieren. Im Rahmen zeitlich begrenzter Kampagnen mit regionalen oder inhaltlichen Schwerpunkten werden Forderungen wie "genereller Abschiebestopp" und "Grenzen auf - Bleiberecht für alle" erhoben. Linksextremistische Antirassisten propagieren dabei auch die Bekämpfung des Kapitalismus, weil dieser für rassistische Zustände in der Gesellschaft ursächlich sei. Im Vorfeld des G8-Treffens 2007 hatten verschiedene antirassistische Gruppen und Netzwerke Forderungen nach globaler Bewegungsfreiheit für alle Flüchtlinge gestellt, unabhängig davon, ob diese Europa bereits erreicht haben oder noch an den Grenzen warten. Flüchtlinge seien gezwungen, ihre Länder zu verlassen, weil ihre Existenzgrundlagen durch Krieg, Diktatur oder sexistische Verfolgung zerstört würden. Viele dieser Gründe hätten direkt oder indirekt "mit der herrschenden Welt(wirtschafts)ordnung" zu tun. Seit dem Herbst 2006 nutzt Hamburg bei der Erstunterbringung von Asylbewerbern und anderen ausländischen Flüchtlingen die zentrale Einrichtung des Landes Mecklenburg-Vorpommern in Nostorf-Horst mit, nachdem es in den Vorjahren deutlich weniger Zuzüge gegeben hatte. Die Einrichtung verfügt über etwa 650 Plätze, von denen für Hamburg 30 vorgehalten werden. Linksextremisten monieren, dass die "Entrechtung" der in Nostorf-Horst untergebrachten Menschen unbemerkt von der Öffentlichkeit vorangetrieben werde. Antirassistische Gruppen bezeichneten Hamburg als "Vorreiter einer rigiden Ausgrenzungsund Abschiebepolitik". Mit der "Aus-Lagerung der Erstaufnahmeeinrichtung" - die bundesweit einen Präzedenzfall darstelle - machten die Hamburger Behörden deutlich: "Flüchtlinge sind in dieser Stadt unerwünscht und sollen möglichst weit weg - aus den Städten in die Wälder, und am liebsten ganz raus aus Europa". Linksextremisten verübten in Hamburg im Zusammenhang mit dem Thema "Antirassismus" eine Brandstiftung und eine Sachbeschädigung: 145 Linksextremismus In der Nacht zum 23.02.07 wurde ein Brandanschlag auf vier Fahrzeuge der Firma Dussmann verübt. In der Taterklärung ohne Gruppenbezeichnung heißt es, Militanz sei "ein Mittel, um einerseits radikale antirassistische Positionen mit einem gewissen Nachdruck bekannter zu machen und um andererseits konkret gegen staatlichen und gesellschaftlichen Rassismus vorzugehen und die Selbstorganisation von Flüchtlingen wie auch linksradikale Antira-Politik allgemein zu unterstützen". Die Verfasser beschrieben ihre Tat als "Teil der militanten Kampagne" gegen das G8-Treffen. In der Autonomenschrift "Zeck" vom November/Dezember 2007 "bekannten" sich Antirassisten zu einer Aktion vor der Ausländerbehörde am 05.07.07. Die Aktivisten verbarrikadierten den Haupteingang nachts durch eine Steinmauer. Hinter der aus zwölf Leichtbetonsteinen bestehende Mauer hängten sie Transparente mit den Aufschriften "GRENZE" und "ZUTRITT VERBOTEN für SACHBEARBEITER und andere RASSISTEN" auf. Die Aktion stand im zeitlichen Kontext mit der Verabschiedung des neuen Zuwanderungsgesetzes im Bundesrat. 5.3.4 Linksextremistisch beeinflusste Initiativen gegen Stadtentwicklungspolitik Seit Ende 2004 gingen Anwohnerinitiativen und unorganisierte Quartierbewohner mit unterschiedlichen Protestformen gegen den Umbau des ehemaligen Wasserturms im Schanzenpark in ein Hotel vor. Allgemein richteten sich die Proteste gegen eine eingeschränkte Nutzung des angrenzenden Parkgeländes und steigende Mieten im Schanzenviertel. Für Linksextremisten, insbesondere die in dem Bereich stark vertretene autonome Szene, gehört das Bauprojekt zu den "Symbolen der Aneignung und Kommerzialisierung privater Räume" und wird als Teil des Senatskonzepts "Wachsende Stadt" auch mit unfriedlichen Aktionen angegriffen. Hierzu zählten in den letzten Jahren mehrere Demonstrationen mit gewalttätigem Verlauf und Sachbeschädigungen gegen mit dem Bau befasste Firmen. In einem Papier des "Freien Netzwerkes zum Erhalt des Schanzenparks" vom November 2007 beschrieben Hotelgegner den Park als "Teil der Umstrukturierungsmaschinerie", die eine stadtweite Vertreibung von "als störend empfun146 Linksextremismus dener Gruppen" umfasse. Ferner wurden süffisant einzelne Sachbeschädigungen dokumentiert, auf "Ansatzpunkte" für weitere Proteste hingewiesen und polizeiliche Maßnahmen gegen Störer als "gezielte Provokationen" und Teil der "Repressionsspirale" beschrieben. Seit Eröffnung des Hotels im Juni 2007 gingen die Protestaktivitäten und die Unterstützung der Anwohner merklich zurück. An einer als "Eröffnungsfeier in der Hölle des Möven" deklarierten Kundgebung des "Netzwerkes" am 16.06.07 beteiligten sich ca. 400 Personen. Diese überwiegend friedlich verlaufene Kundgebung blieb die einzige größere Aktion im Jahre 2007. Weitere Proteste beschränkten sich auf punktuelle Sachbeschädigungen durch Farbschmierereien und nadelstichartige Aktionen Einzelner oder Kleingruppen, z.B. Verstöße gegen Platzverweise. 5.3.5 Linksextremistische Einflussnahme auf die Anti-AKW-Bewegung Für 2007 war kein Castor-Transport ins Zwischenlager Gorleben vorgesehen, sodass die alljährlich stattfindenden Protestaktionen von linksextremistischen Atomkraftgegnern und örtlichen Einwohnern weitgehend ausblieben. Lediglich im Mai und September 2007 kam es bei Probefahrten mit neu entwickelten Reaktorbehältern auf der Strecke zu kleineren Störungen. Da ein Castor-Transport nicht zu erwarten war, wurde bereits auf der Frühjahrskonferenz der Anti-Kernkraftbewegung im Januar 2007 in Berlin der G8-Gipfel als Schwerpunktthema benannt. Im September 2007 forderten bei einer Demonstration unter dem Motto "Gorleben brennt ... uns unter den Nägeln" mit anschließendem Fest etwa 1.200 Menschen die sofortige Stilllegung aller Atomanlagen. Der Demonstrationszug vom wendländischen Gedelitz zu dem in Gorleben vorgesehenen Zwischenlager war zugleich der Startschuss für eine gemeinsame "Endlagerkampagne", mit der auf das Entsorgungsproblem hingewiesen werden soll. Die Demonstration in Gorleben war auch als Ersatz für Protestaktionen gegen Castor-Transporte gedacht. 147 Linksextremismus In Hamburg gehört die linksextremistische Gruppe SAND ("Systemoppositionelle Atomkraft Nein Danke", Gruppe Hamburg) zu den maßgeblichen Initiatoren der Anti-AKW-Bewegung. Sie führte Informationsveranstaltungen in Hamburg und im Wendland durch und beteiligte sich an Mahnwachen vor den AKW Brokdorf und Brunsbüttel sowie dem Sitz des diese betreibenden Energiekonzerns in Hamburg. (Arbeitsfeld Linksextremismus / Aktionsund Agitationsfelder / Linksextremistische Anti-AKW-Kampagne). 6. "DIE LINKE." Am 16.06.07 fand in Berlin der Gründungsparteitag der Partei "DIE LINKE." Mitglieder: etwa 72.000 1 statt. "Die Linkspartei. Bundessitz: Berlin PDS" nahm die Mitglieder der nichtextremistischen Vorsitzender: Lothar BISKY "Wahlalternative Arbeit und soziale Gerechtigkeit" Landesverband Hamburg (WASG) nach einem zweijährigen Fusionsprozess in Mitglieder: etwa 400 2 die bestehende Partei auf Landessprecher: Zaman MASUDI und gab sich einen neuen Christiane SCHNEIDER Namen. Berno SCHUCKART Herbert SCHULZ "Die Linkspartei.PDS" war 1 Nach eigenen Angaben. 1989/90 als SED-PDS - 2 Die Zahl der ehemaligen WASG-Mitglieder wurde später nur noch PDS - aus nicht eingerechnet. Die Zahl enthält nur die Mitglieder der "Linkspartei.PDS". der "Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands" (SED) hervorgegangen, der ehemaligen Staatspartei der DDR (Arbeitsfeld Linksextremismus / Organisationen und Gruppierungen / "Die Linkspartei.PDS"). Im Zuge der vorgezogenen Bundestagswahl am 18.09.05 und der angestrebten Fusion mit der WASG benannte sie sich in "Linkspartei.PDS" um. 148 Linksextremismus "Die LINKE." (im Folgetext aus sprachlichen Gründen zumeist nur "LINKE") hat ihren Schwerpunkt in den ostdeutschen Ländern, wo sie in allen Länderparlamenten und darüber hinaus in der Berliner Landesregierung vertreten ist. Nach eigener Aussage hat sie ca. 72.000 Mitglieder, von denen die weit überwiegende Mehrheit schon der "Linkspartei.PDS" angehörte. In einem Faltblatt betonte die Partei, sie stelle "sieben Abgeordnete im Europäischen Parlament, 53 Bundestagsabgeordnete, 161 Landtagsabgeordnete und fast 5.500 kommunale Abgeordnete." Sie ist zudem Mitglied in der Partei der "Europäischen Linken" (EL), deren Mitinitiatorin die "PDS" war. 2007 gehörten 27 Parteien aus 21 Ländern zur EL. Seit November 2007 ist Lothar BISKY deren Vorsitzender. Am 13.05.07 erreichte die "Linkspartei.PDS" mit einem Stimmenanteil von 8,44% (2003: 1,67%) den Einzug in die Bremische Bürgerschaft. Erstmals nach der Wende war es der Partei damit gelungen, in ein westdeutsches Parlament einzuziehen. Mittlerweile ist sie auch im Hessischen Landtag (seit dem 27.01.08 / 5,1%), im Niedersächsischen Landtag (seit dem 27.01.08 / 7,1%) und seit dem 24.02.08 mit 6,4% in der Hamburgischen Bürgerschaft vertreten (s.u.). Auf zeitgleich stattfindenden Bundesparteitagen am 24./25.03.07 in Dortmund beschlossen "Linkspartei.PDS" und WASG die gemeinsamen "Programmatischen Gründungsdokumente" (Programmatische Eckpunkte, Bundessatzung und Bundes-Finanzordnung) der Partei "DIE LINKE.". Die Delegierten stimmten mit großer Mehrheit einem "Verschmelzungsvertrag" zu, der den juristisch-formalen Prozess der Fusion regelte. In getrennt voneinander durchgeführten Urabstimmungen vom 30.03.-18.05.07 plädierten die Mitglieder von "Linkspartei. PDS" und WASG mit großer Mehrheit für die Fusion. Auf den letztmalig tagenden Bundesparteitagen von "Linkspartei.PDS" und WASG am 15.06.07 wurden die Gründungsdokumente verabschiedet. Der Parteivorsitzende der "Linkspartei.PDS" Lothar BISKY betonte in seiner Rede auf dem Parteitag: "Die, die aus der PDS kommen, aus der Ex-SED und auch die neue Partei DIE LINKE. - Wir stellen die Systemfrage." Auf dem anschließenden gemeinsamen Gründungsparteitag am 16.06.07 stimmten die 796 Delegierten beider Parteien mit überwälti149 Linksextremismus gender Mehrheit der Fusion zu, wodurch der Verschmelzungsvertrag in Kraft trat. Zudem wählten sie einen 44-köpfigen, paritätisch besetzten Parteivorstand. Zu gleichberechtigten Parteivorsitzenden wurden der bisherige Vorsitzende der "Linkspartei.PDS", Lothar BISKY, und der Vorsitzende der Bundestagsfraktion der LINKEN, Oskar LAFONTAINE, gewählt. BISKY betonte, dass die Partei für die Formel "Freiheit durch Sozialismus" stehe. Bereits ab Sommer 2005 hatten PDS und WASG mehrere gemeinsame programmatische Papiere verabschiedet. Einzelne Passagen wurden wortgleich dem Parteiprogramm der PDS vom Oktober 2003 entnommen. In den grundlegenden programmatischen Papieren ist seit ca. zwei Jahren ein Wandel hinsichtlich der Verwendung marxistischer Schlüsselbegriffe festzustellen. Sie wurden in vielen Fällen dem allgemeinen, also nicht extremistisch besetzten, Sprachgebrauch angepasst. Andere Passagen enthalten vage formulierte politische Ziele, die auch Raum für Interpretationen lassen, die mit der freiheitlichen demokratischen Grundordnung nicht vereinbar wären. Auf traditionell marxistisch-leninistisches Vokabular wird weitgehend verzichtet; Schlüsselbegriffe wie "Revolution" und "Umsturz" werden nicht mehr verwendet, sondern allenfalls weitschweifig umschrieben. So wird den "Programmatischen Eckpunkten" zufolge eine Gesellschaft angestrebt, "in der die Freiheit des anderen nicht die Grenze, sondern die Bedingung der eigenen Freiheit ist". Daher sei das Ziel des "demokratischen Sozialismus", den "Kapitalismus in einem transformatorischen Prozess" zu überwinden. Diese Formulierung ist ihrem Sinn nach dem "Kommunistischen Manifest" von Marx und Engels entlehnt: "An die Stelle der alten bürgerlichen Gesellschaft mit ihren Klassen und Klassengegensätzen tritt eine Assoziation, worin die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist." Anlässlich der Proteste gegen das G8-Treffen im Sommer 2007 ( 5.1) verfassten der Bundesvorstand der "Linkspartei.PDS" und der Vorstand der WASG am 21.04.07 in Berlin eine gemeinsame Erklärung: "Wir heißen die G8 nicht willkommen, wir heißen den Protest willkommen!". Nach eigenen Angaben sollen sich an der "Internatio150 Linksextremismus nalen Großdemonstration" am 02.06.07 in Rostock 10.000 Mitglieder aus der "Linkspartei.PDS" und der WASG beteiligt haben. Die damalige "Linkspartei.PDS" unterhielt auch Kontakte zu anderen linksextremistischen bzw. linksextremistisch beeinflussten Organisationen. Diese reichten von der "Deutschen Kommunistischen Partei" (DKP; 7.) über trotzkistische Gruppierungen ( 8.) wie "Linksruck" bis hin zu gewaltbereiten Autonomen ( 5.). "Linksruck" hat sich offiziell aufgelöst und wirkt jetzt als "marx21Netzwerk für internationalen Sozialismus" in der "LINKEN" mit, das den trotzkistischen "Linksruck"-Kurs beibehält. Es wendet sich gegen jede Regierungsbeteiligung der "LINKEN" und fordert einen "Sozialismus von unten". Extremistische Gruppierungen in der "LINKEN" werden nach wie vor akzeptiert und unterstützt. Diesen "Pluralismus" gelte es zu bewahren. Sie waren und sind zudem in wichtigen Gremien der Partei vertreten. Zu den extremistischen Gruppierungen gehören insbesondere die "Kommunistische Plattform" (KPF), die weiterhin revolutionär geprägt ist, das "Marxistische Forum" (MF), ein orthodox-kommunistisch geprägter Zusammenschluss zur marxistischen Analyse der politischen Situation, und der "Geraer Dialog/Sozialistischer Dialog" (GD/SD), ein bundesweiter Zusammenschluss von Dogmatikern in der Partei. Die KPF wurde 1989 in der damaligen SED-PDS als eigenständiger Zusammenschluss gegründet. Dem auf ihrer Homepage veröffentlichten Selbstverständnis zufolge ist sie "ein offen tätiger Zusammenschluss von Kommunistinnen und Kommunisten in der Partei DIE LINKE, die auf der Grundlage von Programmatik und Satzung der Partei aktiv an der Basis und in den Parteistrukturen wirken. Die Bewahrung und Weiterentwicklung marxistischen Gedankenguts ist wesentliches Anliegen der Kommunistischen Plattform". Sie "tritt ... für den Sozialismus als Ziel gesellschaftlicher Veränderungen ein." Die KPF bringt die monatlich erscheinende Mitgliederzeitschrift "Mitteilungen der Kommunistischen Plattform" heraus. Die Bundeskonferenz als höchstes beschlussfassendes Gremium in der KPF trifft sich turnusmäßig einmal im Jahr. Sie wählt den Bundeskoordinierungsund Bundessprecherrat und beschließt die politischen Leitlinien der KPF. 151 Linksextremismus Die KPF hat den Fusionsprozess von "Linkspartei.PDS" und WASG argwöhnisch verfolgt. Im Beschluss des Bundeskoordinierungsrates der KPF vom 04.08.07 "Kommunistische Identität bewahren - Bündnisse praktizieren" erläuterte die KPF, dass sie längere Zeit darum kämpfen musste, die Bedingungen für eine "Weiterexistenz der KPF in der neuen Partei DIE LINKE." zu erfüllen. Zudem macht die KPF deutlich, dass sie auch in Zukunft nicht von ihrer "kommunistischen Identität" abrücken werde. "Jene, die in unserem Zusammenschluss aktiv sind bzw. sich mit uns solidarisch zeigen, erwarten von uns, dass wir bleiben, was wir waren und sind: in der LINKEN organisierte Kommunistinnen und Kommunisten." In der Erklärung des Bundeskoordinierungsrates der KPF "Zur Gründung der neuen Partei DIE LINKE" vom 07.07.07 heißt es zudem: "Wir treten für einen Systemwechsel ein. Der Kapitalismus entblößt sein asoziales weil ausbeuterisches, aggressives und kulturfeindliches Wesen täglich mehr. Letztlich muss er überwunden werden." Um dieses Ziel zu erreichen, arbeite die KPF "mit Kommunistinnen und Kommunisten außerhalb der Partei DIE LINKE zusammen". Hamburg In Hamburg haben die "Linkspartei.PDS" und die nichtextremistische WASG ihren Fusionsprozess mit einem zweitägigen Gründungsparteitag am 07. und 08.07.07 beendet. Gleichzeitig wurden der neue vierköpfige Vorstand von "DIE LINKE.Hamburg" gewählt und das "Sofortprogramm für einen Politikwechsel in Hamburg" beschlossen. Die Partei hat in Hamburg mehr als 1.000 Mitglieder, davon etwa die Hälfte ehemalige WASG-Mitglieder. Damit verloren die linksextremistischen Gruppierungen in der Partei weiter an Bedeutung. "Linkspartei.PDS" und WASG, später auch "DIE LINKE.Hamburg", mobilisierten im Jahr 2007 mehrfach für Aktionen gegen rechtsextremistische Gruppierungen, an denen sie sich regelmäßig auch selbst beteiligten. So rief die "LINKE" für den 26.10.07 zur Teilnahme an einer Kundgebung des "Hamburger Bündnisses gegen Rechts" ( 5.3.2) auf, "um gegen die antisemitische und neonazistische Hetze der NPD zu demonstrieren." Anlass war eine Kundgebung der NPD ( V. 8.1) anlässlich des SPD-Bundesparteitages in Hamburg. 152 Linksextremismus Die Landesvorstände von "Linkspartei.PDS" und WASG protestierten in einer gemeinsamen Presseerklärung vom 15.05.07 gegen die "durch nichts gerechtfertigte Razzia" vom 09.05.07 ( 4 und 5.1) und forderten eine Unterstützung der Proteste gegen die Polizeimaßnahmen. Sie riefen ferner zu Protesten in Rostock und Heiligendamm gegen das G8-Treffen sowie zur Demonstration gegen das Asia-Europe-Meeting (ASEM) in Hamburg ( 5.1) auf. Auch gegenüber Autonomen hat die Partei keine Berührungsängste. Das zeigt ihre Teilnahme an der Demonstration gegen "ASEM" am 28.05. ( 5.1) und an der "Antirepressionsdemonstration" am 15.12.07 in Hamburg (.5.2.1). Weiterhin organisierte sie Veranstaltungen zum Komplex G8. In Hamburg gibt es in der LINKEN zwei "Kommunistische Plattformen". Die "KPF Clara Zetkin" ist im Internet mit einer eigenen Homepage vertreten. In einem Selbstverständnispapier vom September 2003 heißt es dort: "Unser Ziel ist daher die Aufhebung der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen. Dieses Ziel kann nur durch die zu erkämpfende Überwindung aller Herrschaftsformen, vor allem der kapitalistischen als der umfassendsten, und einer Neuorganisation der Gesellschaft als einer, worin die freie Entwicklung eines und einer Jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist, erreicht werden." An diesem Selbstverständnis hat sich bis heute nichts geändert. Zudem teilt die "KPF Clara Zetkin" die marxistisch-revolutionären Ansichten der Bundes-KPF, da sie deren Dokumente ebenfalls auf ihrer Internetseite veröffentlicht. Eine weitere "Kommunistische Plattform" wird regelmäßig auf der Homepage der Hamburger LINKEN und im "Landesinfo" aufgeführt. Aktivitäten waren im Jahr 2007 jedoch nicht festzustellen. Beide "Plattformen" haben eher geringen Einfluss auf den Landesverband. Am 08.10.07 gab die DKP Hamburg den Beschluss ihrer Mitgliederversammlung vom 06.10.07 bekannt, die Hamburger LINKE im Wahlkampf zu unterstützen. Daher kandidierten DKP-Mitglieder auf der offenen Landesliste der LINKEN (s.u.). 153 Linksextremismus Am 05./06.01.08 trat "DIE LINKE.Hamburg" bei der dritten Tagung ihres Parteitages vehement für einen Politikwechsel in Hamburg ein. Zudem startete sie in den "heißen Wahlkampf" für die Wahlen zur Bürgerschaft und den Bezirksversammlungen am 24.02.08. Schwerpunkte der LINKEN im Bürgerschaftswahlkampf waren die Themenfelder Mindestlohn, Re-Kommunalisierung und Bildung. Ende 2007 stellte die Partei auf ihrer Homepage fest: "DIE LINKE freut sich darauf, im Wahlkampf die sogenannte Systemfrage zu debattieren." Als Wahlergebnis hoffte sie Anfang Januar auf etwa 7% der abgegebenen Stimmen. Mit dem tatsächlichen Ergebnis von 6,4 % ist DIE LINKE. etwas unter dieser Einschätzung geblieben. Das aktuelle Wahlergebnis liegt mit 0,1,% knapp über dem bei der Bundestagswahl 2005 . Für die Wahl zur Bürgerschaft und den Bezirksversammlungen kandidierten insgesamt zehn DKP-Mitglieder auf den Listen der "LINKEN". Der Hamburger DKP-Bezirksvorsitzende Olaf HARMS kandidierte auf Platz 10 der Landesliste für die Bürgerschaftswahl; mit acht Sitzen ist die "LINKE" in der Bürgerschaft vertreten. "DIE LINKE." ist in alle sieben Hamburger Bezirksversammlungen gewählt worden. Nur in der Bezirksversammlung Hamburg-Nord nimmt ein DKP-Mitglied ein Mandat als Bezirksabgeordneter für "DIE LINKE" wahr. 7. Orthodoxe Kommunisten Als "Orthodoxe Kommunisten" werden Parteien und Organisationen bezeichnet, deren ideologisches Gebäude hauptsächlich auf den Lehren von Marx, Engels und Lenin (Marxismus-Leninismus) beruht. Sie streben als Ziel die Errichtung des Kommunismus als "klassenlose" Gesellschaft an. Da dies nach ihrem Verständnis nicht in einem Schritt erreicht werden kann, sehen sie die Notwendigkeit von Zwischenstufen (z.B. den real existierenden Sozialismus). Hauptkriterium der angestrebten Gesellschaftsform ist die politische Macht der Arbeiterklasse mit einhergehender Vergesellschaftung der wesentlichen Produktionsmittel, um die "Ausbeutung durch kapitalistische Produktionsverhältnisse" zu beenden. Den Weg zum Ziel konkretisieren sie nicht im Detail. Fest steht für sie aber, dass der Sozialismus nicht durch eine Summe von Reformen, sondern letztlich nur über einen revolutionären Bruch mit der kapitalistischen Gesellschaftsordnung erreicht werden 154 Linksextremismus kann (Arbeitsfeld Linksextremismus / Linksextremistische Ideologie und Personenpotential). "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP) Die DKP ist die Kernorganisation der orthodoxen Kommunisten. Ihr organiMitglieder: <4.000 satorischer Niedergang und rückläufige Mitgliederzahlen Bundessitz: Essen (< 4.000 Mitglieder, 2006: ca. Vorsitzender: Heinz STEHR 4.200) halten seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion an. Bezirksorganisation Hamburg Auch die wirtschaftlichen und Mitglieder: etwa 220 sozialen Probleme des letzten Jahrzehntes bescherten der Vorsitzender: Olaf HARMS DKP keine Mitgliederzuwächse. Das sinkende Beitragsund Spendenaufkommen hat sich auch auf die Finanzlage der - sich seit Jahren finanziell in Notlage befindlichen - Parteizeitung "UZ" ("Unsere Zeit - Sozialistische Wochenzeitung - Zeitung der DKP") ausgewirkt. Die DKP stellt sich die Frage, wie der Marxismus attraktiv gemacht werden kann, damit er nicht nur in der Linken Einfluss gewinnen, sondern letztlich die gesamte Gesellschaft erreichen kann. Einzelne DKP-Gliederungen haben bereits mit erweiterten Schulungsangeboten - z.B. der "Marxistischen Abendschule" (MASCH) - reagiert, so auch in Hamburg (s.u.). Wie die meisten linksextremistischen Organisationen rief auch die DKP ihre Mitglieder dazu auf, sich an Aktivitäten gegen das G8-Treffen im Juni 2007 in Heiligendamm und an der Großdemonstration am 02.06.07 in Rostock ( 5.1) zu beteiligen. Ein Flugblatt der DKP Hamburg-Altona appellierte mit revolutionärem Hoffnungsschimmer: "Lasst uns gegen diese Unterdrückung und die Unterdrücker vorgehen, organisieren wir jetzt den Widerstand gegen diese Treffen. Auf nach Heiligendamm bei Rostock, vielleicht fängt dort alles an!" 155 Linksextremismus Der DKP-Vorsitzende Heinz STEHR sah in einem Interview zur Fusion der "Linkspartei.PDS" mit der "Wahlalternative - Arbeit und soziale Gerechtigkeit" (WASG) ( 6.) vor allem die Chance, dass die "LINKE" über eine erfolgreiche parlamentarische Arbeit auch außerparlamentarisch positive Impulse geben könne. Eine revolutionäre Umwälzung der Verhältnisse, hin zu sozialistischen Machtund Eigentumsverhältnissen, sei von ihr aber nicht zu erwarten. Er ordnete sie als "linksreformistische Partei" ein. Die DKP sei weiterhin die einzige Partei mit "einer sozialistischen Zukunftsvision, basierend auf dem wissenschaftlichen Sozialismus". Sie wolle die Zusammenarbeit mit der neuen Partei fortsetzen. Er fügte warnend hinzu, dass "DIE LINKE." "aber keinen Alleinvertretungsanspruch" habe. In einem Antrag an den 18. Parteitag im Februar 2008 formulierte der Parteivorstand unter dem Motto "Die DKP im Kampf gegen Krieg, Sozialund Demokratieabbau - Profil schärfen - DKP stärken" seine Arbeitsvorhaben für 2008/2009. In der Einleitung heißt es, "... dass der Kapitalismus überwunden werden muss, weil er keines der Probleme der arbeitenden Menschen lösen kann und nicht nur zum Hemmnis für die Entwicklung der Menschheit, sondern zur Gefährdung der Existenz der menschlichen Gattung geworden ist". Die DKP bekämpfe nicht die Globalisierung, sondern die Deformationen und Zerstörungen, die durch den Kapitalismus verursacht würden. Zum 90. Jahrestag der russischen Oktoberrevolution von 1917 beging die Partei ihre bundesweite Festveranstaltung "90 Jahre Oktoberrevolution - Revolutionen sind die Lokomotiven der Geschichte" in Berlin. In seiner Rede würdigte der DKP-Parteivorsitzende die Oktoberrevolution als "bahnbrechendes welthistorisches Ereignis". Hamburg Der Hamburger DKP gehörten ca. 220 Mitglieder (2006: 240) an. Sie veranstaltete am 27.01.07 eine "Friedenskonferenz" (Motto: "Die Kriege der Zukunft - unsere Zukunft ohne Kriege") im Wirtschaftsgymnasium St. Pauli mit 100 Teilnehmern. Der Hamburger Parteivorsitzende Olaf HARMS schrieb in seinem Referat dem "Militarismus" eine wesentliche Funktion zu: "Nach außen ist er Mittel der Herrschenden zur ökonomischen und politischen Expansion. Nach innen ist er potentielles Mittel zur Unterdrückung". Er rief die Teilnehmer auf, im Mai 2007 156 Linksextremismus gegen das Treffen der EU-Außenminister ("ASEM-Treffen", 5.1) in Hamburg zu demonstrieren. Die Hamburger DKP beteiligte sich an der Kampagne der "Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschisten" (VVN-BdA) für ein Verbot der NPD ( V.8.1.). Die von der DKP beeinflusste VVN-BdA besteht in Hamburg als Landesvereinigung. Das Thema "Antifaschismus" ist weiterhin ein Hauptbetätigungsfeld der DKP. Schon zu Beginn des Jahres wurden die Hamburg-Wahlen 2008 aufgegriffen, mit dem Thema "Antifaschismus" verknüpft und dabei eine drohende faschistische Entwicklung suggeriert. In der DKPZeitung für Eppendorf, Groß Borstel und Alsterdorf "Tarpenbek - links" vom Januar 2007 wurde über die historische Situation im Stadtteil während der Nazi-Diktatur berichtet und darauf hingewiesen, dass die Beschäftigung mit antifaschistischer Geschichte kein Selbstzweck sei. Der Artikel schloss mit dem Aufruf "Wehren wir den Anfängen - Keine Nazis in die Hamburger Bürgerschaft 2008". Der Hamburger DKP-Vorsitzende HARMS ist verantwortlich in "antifaschistische" Aktionen der linksextremistisch beeinflussten AntifaSzene ( 5.3.2) eingebunden. Er zeichnete im Herbst presserechtlich verantwortlich für die im Internet gestartete Unterschriften-Aktion des "Hamburger Bündnis gegen Rechts" (HBgR) zu den Wahlen in Hamburg (Motto "Keine Stimme den Nazis"). Nachdem die Hamburger DKP ihre grundsätzliche Bereitschaft für eine Kooperation mit der LINKEN zu den Wahlen zur Hamburger Bürgerschaft und den Bezirksversammlungen 2008 bekundet hatte, wählte "DIE LINKE." auf ihrem Landesparteitag im September 2007 HARMS auf Platz 10 ihrer Landesliste ( 6.). Eine Mitgliederversammlung der Hamburger DKP stimmte dieser Wahl-Kooperation am 06.10.07 zu, die die Wahlen zu den Bezirksversammlungen einschloss. Ziel der DKP war dabei, die "linken und fortschrittlichen Kräfte" zu stärken, bei einer "klaren Orientierung auf die außerparlamentarische Bewegung". Erstmals seit 1989 existiert in der Hamburger DKP neben Wohngebietsund Betriebsgruppen wieder eine Betriebsgruppe für den öffentlichen Dienst, die unter der Bezeichnung "Sammelbetriebsgruppe Öffentlicher Dienst Hamburg" auftritt. 157 Linksextremismus Die von der DKP betriebene "Gedenkstätte Ernst Thälmann" e.V. existiert seit 1969 in Hamburg, Tarpenbekstraße 66, zu Ehren des 1944 im KZ Buchenwald hingerichteten KPD-Vorsitzenden Ernst THÄLMANN. Dieser gilt noch heute als Identifikationsfigur für DKP-Mitglieder. Die Gedenkstätte wird ehrenamtlich betrieben und überwiegend durch Spenden finanziert. Wegen des ständig schrumpfenden Kreises von DKP-Mitgliedern wurde im August 2005 ein Förderverein gegründet. Die Kerntätigkeit der Einrichtung besteht aus der Ehrung THÄLMANNs, historischen Filmvorführungen und der Unterstützung von Aktionen wie der "Antifaschistischen Bündnis-Demonstration" am 14.08.07 in Blankenese gegen den Hamburger NPD-Landesvorsitzenden RIEGER ( V.8.1.). Alljährlich werden Gedenkveranstaltungen zu THÄLMANNs Geburtsbzw. Todestag arrangiert. Gelegentlich hielten DKP-Wohngebietsgruppen Treffen in der Gedenkstätte ab. Die Einrichtung trägt damit auch zum Zusammenhalt und Funktionieren der Hamburger DKP bei. Für Veranstaltungen der Gedenkstätte wird auch auf deren Homepage geworben. "Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend" (SDAJ) Die SDAJ ist durch ideologische Nähe und organisatorische Gemeinsamkeiten eng mit der DKP verzahnt. Ihre Mitgliederzahl liegt wie im Vorjahr bei etwa 300. Das Bundesbüro ist am Hauptsitz der DKP in Essen untergebracht. Die SDAJ beteiligte sich an den G8-Protesten und an den Protestaktionen gegen die im Vorfeld erfolgten Durchsuchungen gegen Personen, denen Straftaten im Rahmen der "militanten Kampagne" gegen das G8-Treffen vorgeworfen wurden ( 5.1). Der Bundesvorstand erklärte im Mai 2007: "Auf nach Heiligendamm! Gemeinsam gegen Krieg und Ausbeutung. Gemeinsam gegen Imperialismus". In ihrer zweimonatlich erscheinenden Publikation "position - magazin der SDAJ - Gegen Imperialismus, Krieg & Faschismus" beschreibt sich die SDAJ als "Organisation von Jugendlichen, die sich nicht mit den Zuständen in Schulen, Betrieben, in dieser Republik und der 'Neuen 158 Linksextremismus Weltordnung' abfinden" will. Ihre Forderungen nach einer anderen Gesellschaft könnten nur im Sozialismus verwirklicht werden. Anlässlich des 90. Jahrestages der russischen Oktoberrevolution von 1917 erklärte sie: "Die Oktoberrevolution war der Beweis, dass Sozialismus keine Utopie, kein unerfüllbarer Wunschtraum ist, sondern die Lösung der vom Kapitalismus verursachten Probleme: Krieg, Hunger, Ausbeutung". Der Oktober 1917 sei für die SDAJ "... der Beginn des ersten, 74 Jahre lang andauernden Anlaufs in der Geschichte der Menschheit, unter unvorstellbar schwierigen Voraussetzungen eine Gesellschaft frei von Ausbeutung und Unterdrückung aufzubauen". Im September begann die SDAJ mit der kostenlosen Verteilung einer CD mit dem Titel "Gemeinsam gegen Rechts - Die Rote Schulhof-CD". Die CD enthält 18 Musik-Titel und ist ein Gegenentwurf zur Schulhof-CD der NPD. Man wolle "den Neofaschisten mit ihrer sozialen Demagogie nicht die Schulen überlassen", sondern Schüler für linke Politik begeistern, denn "Rechte Politik äußert sich nicht nur durch Neonazis, sondern auch durch Auslandseinsätze der Bundeswehr, Sozialraub und Repression". Die CD stehe dafür, "sich zu organisieren und für eine andere Gesellschaft - den Sozialismus - einzutreten", so ein SDAJ-Funktionär. Die Hamburger SDAJ hat ihren Treffort "Havana-Club" im DKP-Zentrum im Stadtteil Eimsbüttel. Dort führt sie ihre wöchentlichen Treffen und monatliche Themen-Abende durch. Ihre Gruppenzeitung "Likedeeler" gibt sie in unregelmäßigen Abständen heraus. Darin stellt sich die Gruppe als antifaschistischer Zusammenhang dar und schreibt in der Ausgabe Dezember 2007: "Auch die SDAJ Hamburg verteilt ihre CDs kostenfrei an Hamburger Schulen, um damit ein sichtbares und vor allem hörbares Zeichen gegen den Neofaschismus (zu) setzen." Für den 13.10.07 hatte die SDAJ eine Genehmigung zur Verteilung der "Roten Schulhof-CD" im Rahmen eines Informationsstandes im Stadtteil Altona erhalten. 159 Linksextremismus Marxistische Abendschulen (MASCH) in Hamburg Seit Februar 2007 existieren in Hamburg zwei Einrichtungen der MASCH: Der traditionelle - seit 1981 eingetragene - Verein ist hauptsächlich an der Hamburger Universität tätig. Die 2007 im Stadtteil Wilhelmsburg gegründete MASCH soll Angehörige der "Arbeiterklasse" im engeren Sinne ansprechen. Die Bedeutung der MASCH für orthodox-kommunistische Organisationen liegt in dem Angebot einer vertiefenden theoretischen Schulung einschlägiger Themen, die Voraussetzung und Grundlage für entsprechende politische Überzeugungen und Handlungen sind. "Marxistische Abendschule Hamburg - Forum für Politik und Kultur" (MASCH e.V.) Wie in den Vorjahren war die MASCH e.V. mit einem Sommerund einem Winterprogramm an der Universität Hamburg präsent. Als Referenten fungierten überwiegend Personen aus den Hamburger Parteien DKP und "DIE LINKE.". Die organisatorische Verantwortung liegt bei einem DKP-Mitglied. Die Finanzierung der Tätigkeit erfolgt nach Eigenangaben über Beiträge und regelmäßige Spenden. Am 01./02.12.07 führte die MASCH eine Tagung "140 Jahre Kapital - Aktuelle Perspektiven auf die Kritik der politischen Ökonomie" in Räumen der Hamburger Universität durch. In der Ankündigung wurde moniert, dass "die so genannte Globalisierung einerseits Proteststürme hervor(bringe), die sich aber andererseits von der wissenschaftlichen Grundlegung der marxistischen Kritik zunehmend entferne oder ihr indifferent gegenüberstehe". Die Enttäuschung war unverkennbar, dass Globalisierungsgegner bislang nicht auf den "Kommunismus" als Alternative zum "Kapitalismus" setzten. In einem während der Konferenz gehaltenen Vortrag "Klassentheorie im 'Kapital'" (Marx) wurde ausgeführt, die Arbeiterklasse müsse "eine revolutionäre Art der Interessenvertretung, einen revolutionären Klassenkampf führen, der sich nicht auf ihre Rolle im Kapitalismus beschränkt, sondern der über den Kapitalismus hinaus weist". 160 Linksextremismus "Marxistische Abendschule Wilhelmsburg" (MASCH) Im Auftrage eines DKP-beeinflussten "Vorbereitungskreises" gründeten am 07.02.07 ca. 30 Personen den nicht im Vereinsregister eingetragenen, überparteilichen Bildungsverein MASCH im Bürgerhaus Wilhelmsburg. Wilhelmsburg wurde als traditioneller Arbeiterstadtteil, der heute zu den sozialen Brennpunkten Hamburgs zähle, für den Vereinssitz gewählt. Dort solle ein Großteil der Kurse stattfinden, die auch für Arbeitnehmer bestimmt seien. Die Schulungstätigkeit und Sammlungsfunktion des Vereins zielt auf verschiedene deutsche Linke und Linksextremisten sowie iranische und türkische Kommunisten. Dem Verein sollen im Gründungsmonat bereits 50 Mitglieder angehört haben. Sein zentrales Anliegen ist die Vermittlung von Grundlagenkenntnissen durch Studium der Originaltexte von MARX, ENGELS und LENIN. Dem fünfköpfigen Vorstand gehört auch ein Harburger DKP-Mitglied an. Es erklärte anlässlich der Vereinsgründung: "Wir brauchen eine neue Einheit der marxistischen Kräfte, aber auf revolutionärer Basis" ("junge Welt", 10.02.07). Für die Auftaktveranstaltung am 26.04.07 konnte ein Hamburger Schauspieler gewonnen werden, der vor etwa 200 Zuhörern das "Manifest der kommunistischen Partei" vorlas. Eine weitere Lesung - mit Texten von Bertolt BRECHT, u.a. "Lob des Kommunismus" - am 30.11.07 verfolgten ca. 100 Zuhörer. Die MASCH Wilhelmsburg wird nicht als Konkurrenz-Angebot zur traditionellen MASCH e.V., sondern als Ergänzung angesehen. 8. Trotzkisten Neben den "klassischen" orthodoxen Kommunisten, wie z.B. der DKP, existiert mit dem Trotzkismus eine weitere Spielart des traditionellen Linksextremismus. Namensgeber und Ideologiestifter ist Leo TROTZKI. Im Gegensatz zu anderen kommunistischen Klassikern vertrat TROTZKI die Auffassung, dass mit der proletarischen Revolution der politische Prozess nicht abgeschlossen sein dürfe. Er trat für die "permanente Revolution" ein, um einer Verbürokratisierung des Staa161 Linksextremismus tes entgegenzuwirken ( Arbeitsfeld Linksextremismus / Linksextremistische Ideologie / Trotzkismus). Hamburger Trotzkisten sind hauptsächlich in Ortsgruppen des "Linksruck"bzw. "marx21"-Netzwerkes ( 6) und der "Sozialistischen Alternative" (SAV) aktiv. Die Gruppen praktizieren eine sogenannte Entrismuspolitik, d.h., sie wollen andere Organisationen und Initiativen sowie Gliederungen demokratischer Parteien unterwandern. Das versuchten sie - wie bereits 2006 - im Rahmen ihrer Proteste gegen Sozialreformen; dabei stand ihr Engagement in der nicht extremistischen "Wahlalternative Arbeit & Soziale Gerechtigkeit" (WASG) im Mittelpunkt. Die am 18.06.07 vollzogene Fusion von "Linkspartei.PDS" und WASG zur Partei "DIE LINKE." hat den Einfluss der Trotzkisten weiter geschmälert. "Linksruck" Im Frühjahr 2007 beschloss der "Linksruck"-Organisationsrat die zwischenzeitlich vollzogene Auflösung der Gruppierung. Parallel dazu erfolgte die Umsetzung des Beschlusses, ein marxistisches Netzwerk zu gründen, das sich in der gewerkschaftlich ausgerichteten Strömungsplattform "Sozialistische Linke" innerhalb der LINKEN positionieren soll. Diese Orientierung an den Gewerkschaften wird als Voraussetzung für das Wiederentstehen einer lebendigen sozialistischen Arbeiterbewegung in Deutschland bezeichnet; hierin liege die Zukunft der neuen Linkspartei. Als publizistische Plattform wurde bereits zu den Protesten gegen den G8-Gipfel das neue Magazin "marx21 - Netzwerk für internationalen Sozialismus" herausgegeben, das mit einer eigenen Homepage im Internet vertreten ist. Die bisherige Website der "Linksruck"-Bundesorganisation steht nur noch als Archiv zur Verfügung. In Hamburg wurde für Oktober 2007 die Gründungsversammlung des "marx21 - Netzwerk für internationalen Sozialismus" angekündigt. In dieser neuen Gruppierung sollen - so das Selbstverständnis - Marxisten zusammenkommen, die sich aus unterschiedlicher Sicht auf die historischen Erfahrungen der internationalen Arbeiterbewegung beziehen. Das Netzwerk versteht sich als Teil der neuen Linken und der 162 Linksextremismus globalisierungskritischen Bewegung: "Wir wollen mit unseren Ideen und unserem Einsatz dazu beitragen, die Partei DIE LINKE. zu stärken, um so eine politische Alternative zum entfesselten Kapitalismus und zu den etablierten, neoliberalen Parteien aufzubauen." Man habe sich auf Bundesebene darauf verständigt, in dem innerparteilichen Zusammenschluss "Sozialistische Linke" mitzuarbeiten und den Austausch mit anderen Linken zu suchen. Eine erfolgreiche Umsetzung dieser Ziele erscheint fraglich. In Hamburg sind die "Linksruck"-Mitgliederzahlen seit Jahren rückläufig. Eine dauerhafte Profilierung der trotzkistischen Strömung in der Partei "DIE LINKE." dürfte schwer zu realisieren sein. "Sozialistische Alternative (SAV)" Die Bundesorganisation der SAV lehnte nach der Fusion von "Linkspartei.PDS" und WASG ihre Auflösung als eigenständige Organisation ab. In einem hierzu veröffentlichten Internet-Beitrag heißt es, die SAV sei nötiger denn je. Die Gründung der LINKEN sei kein Grund zur Auflösung marxistischer Organisationen, sondern im Gegenteil ein weiteres Argument, eine organisierte marxistische Opposition aufzubauen. Nur so könne Einfluss auf den Wiederaufbau der Arbeiterbewegung genommen werden: "Der Kampf für eine wirklich sozialistische Massenpartei geht weiter, innerhalb und außerhalb der LINKEN". Der Einfluss auf die Hamburger WASG war bereits vor der Fusion gering. Es zeichnete sich ab, dass die Ortsgruppe der Hamburger SAV aus personellen und organisatorischen Gründen kaum in der Lage war, eine in ihrem Sinne erfolgreiche Politik umzusetzen. Ein weiterer Arbeitsschwerpunkt der SAV war der G8-Gipfel. Mitglieder der Hamburger Ortsgruppe veröffentlichten Beiträge zur "Kriminalisierung der Proteste gegen den G8-Gipfel" und bezogen sich hierbei insbesondere auf die mit Beschluss der Bundesanwaltschaft vorgenommenen Durchsuchungen im Mai 2007 ( 5.1). Aus Sicht der SAV sei eine gut organisierte Bewegung mit einem klaren sozialistischen Programm der beste Schutz gegen Repressionen. Nicht der Protest sei kriminell, sondern "ein System, in dem eine Handvoll Men163 Linksextremismus schen über das Leben und die Zukunft von Millionen von Menschen bestimmen können. Fight Capitalism - For a socialist world!" Darüber hinaus versuchte die Hamburger SAV, durch offene Jugendtreffen und Veranstaltungen unter dem Motto "aktiv werden gegen Kapitalismus" neue Mitglieder zu gewinnen. Diesem Zweck diente auch eine im Frühjahr 2007 im Stadtteil Dulsberg durchgeführte Veranstaltung der SAV zum Thema "Kein Bock auf Nazis! Weder im Hamburger Osten noch sonst wo". Im August 2007 betrieb die SAV unter dem Tenor "Gegen Nazis im Osten Hamburgs!" einen Infotisch in Barmbek, der nur wenig Resonanz fand. 9. "Marxistische Gruppe"(MG) Im Mai 1991 löste sich die MG zum Schein formal auf. Sie ist aber bundesweit unter verschiedenen Tarnbezeichnungen mit weitgehend unverändertem Personal tätig. Hauptsächlich wird der Name "GegenStandpunkt" (GSp) verwendet, der von ihrer gleichnamigen Publikation abgeleitet ist. Die MG ist eine revolutionär-marxistische Organisation. Die vorrangige Zielgruppe ihrer Agitation und Mitgliedersuche sind seit jeher Akademiker. Demzufolge konzentriert sie ihre Aktivitäten auf Universitätsstädte. Wesentliches Merkmal der Agitation ist eine destruktive, zynische Kritik an den gesellschaftlichen Verhältnissen im demokratischen Rechtsstaat. Dabei reklamiert sie einen elitären Anspruch. Besonderheiten der MG sind ein hohes Maß an Konspiration um Führungszirkel und abgeschottete Wohnverhältnisse der Mitglieder. Sie hat ein sektiererisches Erscheinungsbild, ihre Führungspersonen sind nicht durch Wahlen legitimiert. Sie nimmt nicht an Parlamentswahlen teil und verbreitet keine konzeptionellen Vorstellungen für eine von ihr als notwendig angesehene Revolution und die danach vorgesehene Gesellschaftsform. Die Gewaltfrage umgeht sie mit der vagen Andeutung, es sei "nicht ausgemacht, dass eine Revolution gewaltlos" funktionieren könne. Ihren ideologischen Zusammenhalt stellt die Gruppe über öffentliche Veranstaltungen, die Vierteljahreszeitschrift "GegenStandpunkt" und Beiträge im Internet her. 164 Linksextremismus Die Zahl der Angehörigen der Gruppe "Gegenstandpunkt Hamburg" ist seit mehreren Jahren konstant. Die Teilnehmerzahlen an ihren monatlichen "Jour fixe"-Veranstaltungen im Stadtteil Altona lagen zumeist unter denen der Vorjahre. Im Juli 2007 wurde eine Veranstaltung zum Thema "Innere Sicherheit: Der demokratische Rechtsstaat macht seine Fortschritte" durchgeführt. In einem hierzu publizierten Papier kritisiert die Gruppe einen angeblichen Interessengegensatz zwischen den Vorhaben des Bundesinnenministers und der Gesellschaft: "Er tut eben, was sein Beruf ist, sorgt sich für die Sicherheit im Land und schreibt die Sicherheitsbestimmungen fort, entsprechend der neuen Bedrohungslage durch islamische Fundis. Dabei ...tut Er glatt so, als ob die Sicherheit der Bürger mit der ihres staatlichen Gemeinwesens zusammenfallen würde. Wo es doch ohne die Auswärtsspiele der deutschen Staatsgewalt im Libanon, am Horn von Afrika, am Hindukusch etc. diese Gefahr für die deutschen Insassen schon mal nicht geben würde...." Mehr Resonanz erzielte die Gruppe mit Veranstaltungen zu Sachthemen von allgemeinerer Bedeutung, bei denen häufig auswärtige Referenten mit fundierten Kenntnissen vortrugen. So führte die Gruppe am 23.05.07 eine öffentliche Vortagsveranstaltung in der Hamburger Universität zum Thema: "Der Klimawandel - Produkt des globalisierten Kapitalismus und Streitobjekt der Staaten, die ihn organisieren" durch. Ein hierzu verbreitetes Thesenpapier, das auch in die Publikation "GegenArgumente Hamburg" einfloss, kritisiert die gängige Sichtweise zur Erderwärmung in der gruppentypischen Argumentationsweise: "Die Öffentlichkeit ist sich einig: "Ursache ist nicht das weltumspannende kapitalistische Wachstum, das seit Jahrzehnten die Atmosphäre als kostenlose Müllkippe nutzt, sondern der Mensch. .......". Wie schon in den vergangenen Jahren resultierten jedoch auch aus solcherart Veranstaltungen keine nennenswerten Mitgliederzuwächse für die MG. 165 Verfassungsschutz in Hamburg Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern ohne Islamisten Linksextremismus Rechtsextremismus Scientology-Organisation Spionageabwehr Geheimund Sabotageschutz Anhang * Hamburgisches Verfassungsschutzgesetz Rechtsextremismus V. Rechtsextremismus 1. Entwicklungen und Schwerpunkte im Überblick Die "Nationaldemokratische Partei Deutschlands" (NPD, 8.1) und die mit ihr im Rahmen der "Volksfrontstrategie" ( 4.) kooperierenden aktionistisch orientierten Rechtsextremisten waren auch 2007 die aktivsten rechtsextremistischen Bestrebungen. Die NPD verzeichnete einen leichten Mitgliederzuwachs und ist nunmehr die mitgliederstärkste rechtsextremistische Partei in Deutschland. Die "Deutsche Volksunion" (DVU, 8.2) musste erneut starke Mitgliederverluste hinnehmen. Der erhebliche Rückgang des Gesamtpotentials ist auf die Entwicklung bei den "Republikanern" (REP) zurückzuführen, wo sich die politisch gemäßigten Kräfte weiter durchgesetzt haben, so dass keine hinreichend gewichtigen tatsächlichen Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung mehr vorliegen. Die seit Anfang 2005 praktizierte "Volksfrontstrategie" ( 4.) wurde fortgesetzt, führte aber zu keinen weiteren Wahlerfolgen. Bei den Bürgerschaftswahlen in Bremen am 13.05.07 konnte die DVU zwar erneut ein Mandat erringen, der wiedergewählte Mandatsträger und stellvertretende Bundesvorsitzende trat jedoch kurz nach der Wahl aus der Partei aus, behielt allerdings sein Mandat. Für die Bürgerschaftswahlen am 24.01.08 in Hamburg präsentierte der DVU-Bundesvorstand mit Matthias FAUST einen engagierten und für DVU-Verhältnisse jungen Spitzenkandidaten (Schlagzeilen aus dem politischen Extremismus: "Teilnahme der DVU an der Wahl zur Hamburger Bürgerschaft"). Durch die weitgehende Inaktivität des Hamburger Landesverbandes war er jedoch beim Wahlkampf auf Unterstützung aus anderen Landesverbänden, auf "Freie Nationalisten" sowie Mitglieder der Hamburger NPD angewiesen. Bei der Bürgerschaftswahl erreichte die DVU mit 0,8 % der abgegebenen Landeslisten-Stimmen nicht einmal ihr Minimalziel von 1 %, um in den Genuss der staatlichen Wahlkampfkostenerstattung zu gelangen ( 8.2). Dieses Minimalziel erreichte die NPD zwar bei den Landtagswahlen in Niedersachsen am 27.01.08 mit 1,5 %, bei den zeitgleich stattfindenden Landtagswahlen in Hessen konnte sie aber nur 0,9 % der Stimmen für sich verbuchen. 168 Rechtsextremismus Die Zusammenarbeit zwischen Anhängern der aktionistisch orientierten Rechtsextremisten und der NPD ist weiterhin, wenn auch regional unterschiedlich ausgeprägt, sehr eng. In Hamburg hat sich dieses gemeinsame Handeln seit der Wahl von Jürgen RIEGER zum NPD-Landesvorsitzenden am 25.02.07 weiter verstärkt. Insbesondere Anhänger der "Neonaziund Skinheadszene in Bramfeld" ( 5.1) sind in der Partei aktiv. Durch weitere Eintritte "Freier Nationalisten" hat sich deren Einfluss in der Partei verstärkt. Die Gesamtzahl der Rechtsextremisten in Hamburg stagniert seit 2006 ( 2.) Der NPD-Landesverband Hamburg und Angehörige der "Freien Nationalisten" verstärkten in Hamburg ihre gemeinsamen öffentlichen Aktivitäten. Neben Kampagnen - wie insbesondere die gegen den Bau einer Moschee in Hamburg-Bergedorf - wurden Saalveranstaltungen mit musikalischer Begleitung, eine Weihnachtsfeier sowie Infostände in verschiedenen Stadtteilen durchgeführt. Die Hamburger NPD und Anhänger des "Kameradenkreises Neonazis in Hamburg" planen für den 01.05.08 eine gemeinsame Maikundgebung in Hamburg-Barmbek unter dem Motto "Arbeit und soziale Gerechtigkeit für alle Deutschen - Gemeinsam gegen Globalisierung!" und treten damit in Konkurrenz zu einer vom NPD-Bundesvorstand bundesweit beworbenen Maikundgebung in Nürnberg. 2. Potentiale Nachdem die Gesamtzahl der Rechtsextremisten im Bundesgebiet in den Jahren 2005 und 2006 nach langjährigem Rückgang stagnierte, ist für das Jahr 2007 eine erheblich niedrigere Gesamtzahl auszuweisen. Der Rückgang von etwa 38.600 Personen auf 33.000 ist darauf zurückzuführen, dass Mitglieder der REP nicht mehr erfasst werden. Bei dieser Partei sind keine hinreichend gewichtigen tatsächlichen Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung mehr nachzuweisen, die die Einordnung ihrer Mitglieder in das rechtsextremistische Personenpotential rechtfertigen würde. Nur noch ein kleiner Teil der REP-Mitglieder verfolgt oder unterstützt rechtsextremistische Ziele. Diese Personen werden unter "Sonstige Rechtsextremisten" erfasst. 169 Rechtsextremismus Bund: Rechtsextremistische Personenpotentiale 60000 50000 40000 53.600 51.400 50.900 49.700 45.000 41.500 40.700 39.000 38.600 33.000 30000 20000 10000 0 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 - Alle Zahlen sind geschätzt oder gerundet - Die Anzahl der erfassten rechtsextremistischen Parteien, Organisationen, Gruppen und sonstigen Personenzusammenschlüsse blieb im Jahr 2007 mit 181 (2006: 182) nahezu unverändert. Nach einem erneuten deutlichen Rückgang auf nunmehr etwa 7.000 Mitglieder (2006: 8.500) hat die DVU ihre Bedeutung als größte rechtsextremistische Partei verloren. Dies ist jetzt die NPD, die im Jahr 2007 um etwa 200 Mitglieder auf rund 7.200 zulegte. 170 Rechtsextremismus Die Gesamtzahl der Neonazis stieg erneut leicht auf etwa 4.400 Personen an (2006: 4.200). Dagegen ging die Zahl der subkulturell geprägten und sonstigen gewaltbereiten Rechtsextremisten (darunter Skinheads) auf rund 10.000 zurück (2006: 10.400). Rechtsextremistisches Personenpotential 2006 2007 auf Bundesebene Gewaltbereite Rechtsextremisten 10.400 10.000 einschließlich Skinheads Neonazis 4.200 4.400 Parteien 21.500 14.200 davon REP 6.000 / davon DVU 8.500 7.000 davon NPD 7.000 7.200 Sonstige rechtsextremistische 3.800 6.000 Organisationen Summe 39.900 34.600 abzügl. Mehrfachmitgliedschaften 1.300 1.600 Gesamtpotential 38.600 33.000 Siehe bitte Einleitung zu "Potentiale" -Alle Zahlen sind geschätzt oder gerundet171 Rechtsextremismus Hamburg Die Zahl der Rechtsextremisten blieb im Jahr 2007 mit ca. 540 im Vergleich zum Vorjahr unverändert. Hamburg: Rechtsextremistische Personenpotentiale 1200 1000 800 600 1.060 1.000 910 820 640 590 530 550 540 540 400 200 70 100 120 120 40 0 1998 1999 2000 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 Hamburg Umland -Alle Zahlen sind geschätzt oder gerundetVon den etwa 85 Neonazis gehörte etwa die Hälfte gleichzeitig der NPD an. Diese verfügte unverändert über etwa 140 Mitglieder. Die DVU konnte sich mit rund 160 Mitgliedern knapp als größte rechtsextremistische Partei behaupten, allerdings war die Mehrzahl dieser Personen auch 2007 inaktiv. Die Zahl der subkulturell geprägten und sonstigen gewaltbereiten Rechtsextremisten (darunter Skinheads) blieb im Jahr 2007 mit etwa 150 konstant. 172 Rechtsextremismus Rechtsextremistisches Personenpotential 2006 2007 in Hamburg Gewaltbereite Rechtsextremisten 150 150 einschließlich Skinheads Neonazis 85 85 Parteien 310 310 davon DVU 160 160 davon NPD 140 140 davon sonstige Parteien 10 10 Sonstige rechtsextremistische 60 60 Organisationen Summe 605 605 abzügl. Mehrfachmitgliedschaften 65 65 Gesamtpotential 540 540 -Alle Zahlen sind geschätzt oder gerundetNeonazis und neonazistisch geprägte Skinheads sowie die NPD nehmen in der rechtsextremistischen Szene Hamburgs weiterhin die zentrale Stellung ein. Durch die weiter intensivierte Kooperation im Rahmen der "Volksfront von Rechts" konnte die NPD ihre Mitgliederzahl stabilisieren. Durch verstärkte Nachwuchsarbeit gelang es der neonazistischen Szene erneut, personelle Abgänge auszugleichen. 3. Politisch Motivierte Kriminalität (PMK) Der Deliktsbereich der PMK wird seit 2001 mit einem einheitlichen System bundesweit erfasst. Hierbei werden sämtliche politisch motivierten Straftaten berücksichtigt und extremistische Straftaten als Teilmenge ausgewiesen. Rechtsextremistische Straftaten, einschließlich der Gewalttaten, werden grundsätzlich danach unterschieden, ob sie eine fremdenfeindliche, rassistische oder antisemitische Tendenz haben. Der überwiegende Teil der rechtsextremistisch motivierten Straftaten wird, soweit die Täter bekannt werden, von Jugendlichen und Her173 Rechtsextremismus anwachsenden begangen. Vorwiegend werden diese Taten spontan unter Alkoholeinfluss verübt. Opfer und Täter haben sich vorher häufig nicht gekannt. Während die Täter bei den Propagandadelikten meist unerkannt bleiben, werden sie bei den Gewalttaten größtenteils ermittelt. Im Bund gab es im Jahr 2007 17.176 rechtsextremistische Straftaten (2006: 17.597) und damit einen Rückgang um rund 2,4%. Deutlicher war der Rückgang bei den rechtsextremistischen Gewalttaten: 980 im Jahr 2007 waren 6,4% weniger als 1.047 im Jahr 2006. Körperverletzungsdelikte bildeten eindeutig den Schwerpunkt der Gewalttaten (Die vorstehenden Zahlen stammen vom Bundesministerium des Innern, Stand: 10.04.08). PMK-Rechts 2001 2002 2003 2004 2005 2006 2007 PMK-Rechts 348 309 189 214 314 441 349 insgesamt davon rechtsextrem. Straf211 184 139 173 285 400 332 taten hiervon extrem. 51/32 13 4 9 20 29 22 Gewaltdelikte Die Zahlen stammen aus den jeweiligen Jahres-Statistiken der Polizei Hamburg. Von 51 Gewaltdelikten hatte das LfV Hamburg seinerzeit 32 als extremistisch klassifiziert. - Stand: Februar 2008 - Nach dem signifikanten Anstieg der rechtsextremistischen Straftaten im Jahr 2006 konnte 2007 ein Rückgang von 400 auf 332 Delikte festgestellt werden. Die Zahl der PropagandUnter 18 0 adelikte sank im Jahr 2007 von 288 auf 250, die der extremistischen Gewalttaten von 29 18 - 20 6 auf 22. Von diesen Gewalttaten wurden 18 21 - 25 11 aufgeklärt; aus diesen 18 Verfahren sind 26 - 30 4 26 Tatverdächtige (24 männliche und zwei 31 - 40 1 weibliche Personen) bekannt. Dieser Personenkreis hat folgende Altersstruktur: Über 40 4 174 Rechtsextremismus Sachverhalte wie das Zeigen des "Hitler-Grußes", das Skandieren der Parole "Sieg-Heil" und Hakenkreuzschmierereien werden als Propagandadelikte gem. SS86 StGB erfasst und grundsätzlich als rechtsextremistisch eingestuft. Der Anteil bekannter Rechtsextremisten an diesen Delikten ist eher gering. Bei den Tatverdächtigen handelt es sich oftmals um Jugendliche oder Heranwachsende. In Einzelfällen wurden auch Tatverdächtige ausländischer Herkunft festgestellt. So beschmierte ein türkischer Staatsbürger in Winterhude mehrere Briefkästen eines Mietshauses mit Hakenkreuzen und Parolen wie "Heil Hitler" und "Ausländer raus". Ein deutscher Staatsbürger indischer Herkunft beging im Berichtsjahr drei rechtsextremistische Straftaten. Hamburg 2007: Aufteilung der rechtsextremistischen 2006 2007 Straftaten nach Delikten Gesamt 400 332 Propagandadelikte 288 250 Fremdenfeindliche Delikte 51 71 Antisemitische Delikte 22 23 Gewalttaten 29 22 - Die Zahlen wurden unverändert von der Polizei Hamburg übernommen (Stand: Februar 2008) - Auffällig ist der Anstieg der fremdenfeindlich motivierten rechtsextremistischen Straftaten um 39,22 % von 51 auf 71 Delikte, davon 17 Gewalttaten. Die folgenden Vorfälle sind eine Auswahl gravierender Gewalttaten aus diesem Bereich: 17.05.07 In Hamburg-Barmbek wurde ein Bürger afrikanischer Herkunft auf dem Weg von einer Bushaltestelle zu seiner Wohnung von drei Personen, die der rechtsextremistischen Szene zuzuordnen sind, verfolgt und in Nähe seiner Hauseingangstür gemeinschaftlich geschlagen und getreten. Die Tatverdächtigen waren mit schwarzen Halstüchern maskiert und trugen Handschuhe. Mit Hilfe eines Nachbarn des Geschädigten konnten sie festgenommen werden. Alle drei waren alkoholisiert. 175 Rechtsextremismus Inzwischen wurden die Täter zu Freiheitsstrafen (Ein Jahr und zwei Monate Freiheitsstrafe, ein Jahr Freiheitsstrafe, neun Monate Jugendstrafe) ohne Bewährung verurteilt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. 28.06.07 In einer Wohnung in Hamburg-Eilbek wurde bei geöffneter Balkontür verbotene rechtsextremistische Musik abgespielt. Im Rahmen der Sicherstellung und Beschlagnahme der CD leistete der Wohnungsinhaber Widerstand gegen die Polizeibeamten, indem er den Zutritt zur Wohnung verweigerte und einen Beamten beim Betreten in der Haustür einklemmte. 09.09.07 Mehrere Anhänger eines Eishockey-Vereins fielen durch lautes Grölen in der S-Bahn (Elbgaustraße Richtung Neugraben) auf. Durch dieses Verhalten fühlten sich andere Fahrgäste belästigt. Der südländisch wirkende Geschädigte bat die Gruppe um Ruhe. Daraufhin ergriff ein Gruppenangehöriger den Geschädigten und schleuderte ihn gegen die Scheiben des Waggons. Anschließend spuckte er dem Opfer ins Gesicht und rief "Scheiß Ausländer, hier sind nur Deutsche ... Deutschland den Deutschen!" 30.11.07 Ein alkoholisierter Mann sollte von einem Ladendetektiv aus einem Lebensmittelladen in Hamburg-Farmsen verwiesen werden. Daraufhin kam es zu einer Rangelei zwischen beiden Personen. Der alkoholisierte Mann schlug dem Ladendetektiv mit der Faust ins Gesicht und äußerte "Du Kanake, du Dreckschwein, dich sollte man vergasen, ich bring dich um, wenn du hier rauskommst". 4. "Volksfront von Rechts" Der im Jahre 2004 eingeschlagene Kurs von Teilen der rechtsextremistischen Szene, ihre Kräfte zu einer "Volksfront von Rechts" zu bündeln, wurde 2007 fortgeführt. Wesentliche Bestandteile dieser von der NPD initiierten Politik sind der "Deutschland-Pakt" zwischen NPD und DVU und die zwischen 176 Rechtsextremismus führenden "Freien Nationalisten" und der NPD vereinbarte "Volksfront von Rechts". Der am 15.01.05 geschlossene "Deutschland-Pakt" zwischen den beiden rechtsextremistischen Parteien besteht aus Wahlabsprachen bis ins Jahr 2009 mit dem Ziel, nicht gegeneinander anzutreten. Vorausgegangen waren entsprechende Vereinbarungen für die Landtagswahlen in Brandenburg und Sachsen im September 2004, die zu einem Einzug der NPD in den Landtag von Sachsen und der DVU in den Landtag von Brandenburg geführt hatten. Nachdem im Jahr 2006 bei den Landtagswahlen in Mecklenburg-Vorpommern, Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz die NPD und in Sachsen-Anhalt die DVU zu den Wahlen angetreten waren, fand im Jahr 2007 lediglich eine Landtagswahl statt. An der Bürgerschaftswahl in der Hansestadt Bremen nahm am 13.05.07 die DVU teil. Aufgrund der Besonderheit des bremischen Wahlgesetzes konnte sie trotz ihres Stimmenanteils von nur 2,75 % einen Abgeordneten ins Bremer Parlament entsenden, da sie in Bremerhaven 5,4 % der Stimmen erreicht hatte. Allerdings trat dieser nach parteiinterner Kritik am 17.07.07 aus der Partei aus, behielt aber sein Mandat ( 8.2). Vor diesem Hintergrund dürfte es der DVU zunehmend schwer fallen, gegenüber der NPD als gleichwertiger Partner des "Deutschland-Paktes" aufzutreten. Es gibt Bestrebungen von einzelnen NPD-Mitgliedern und Anhängern aus den Kreisen der "Freien Kräfte", den "Deutschland-Pakt" in Ländern wie Brandenburg oder Thüringen zu unterlaufen. Hier ist die NPD auf lokaler Ebene deutlich stärker verankert als die DVU. Ein Grund für solche Überlegungen liegt im neuen Selbstbewusstsein der NPD, die in den letzten Jahren trotz nach wie vor ausbleibender Wahlerfolge in den alten Ländern am meisten von der Bündelung der Kräfte im rechtsextremistischen Spektrum profitiert hat. Dies zeigt sich auch an der Entwicklung der Mitgliederzahlen. Nachdem die Zahl der Mitglieder 2006 bereits von 6.000 auf 7.000 gestiegen war, gehören der Partei mittlerweile etwa 7.200 Personen an. Nach den Landtagswahlen im Januar 2008, bei denen die NPD nur 1,5 % der Wählerstimmen in Niedersachsen und 0,9 % in Hessen erhielt, wurde im neonazistischen "Störtebeker-Netz" die Frage gestellt, ob der "Deutschland-Pakt" jetzt zerbreche. Angesichts der Tatsache, dass die NPD in den westlichen Ländern nicht den nötigen Erfolg bei den jüngsten Wahlen habe verzeichnen können, "sollte man sich zunächst 177 Rechtsextremismus auf die neuen Bundesländer konzentrieren. Weil es sich beim Wahlausgang um ein Signal für Deutschland gehandelt haben dürfte, fordern freie Nationalisten die NPD dazu auf, bei der Landtagswahl 2009 in Thüringen anzutreten". Im "Deutschland-Pakt" ist dort die Wahlteilnahme der DVU vorgesehen. Mittlerweile werden aber für die NPD deutlich bessere Chancen erwartet. "Die Diskussion über einen Wahlantritt der NPD als einzige Alternative muss nun noch deutlicher und offener erfolgen, denn Thüringen ist nun mal der erfolgsversprechende Kandidat für 2009". Auf einem Flyer zur Thüringen-Wahl 2009 heißt es, "Die Freien Kräfte Thüringen unterstützen im Wahlkampfjahr 2009 die NPD! NUR DIE NPD!". Weiter wird ausgeführt, "dass Brandenburg und Thüringen im Jahr 2009 zweifellos zur Zerreißprobe des geschlossenen Deutschlands-Paktes werden kann". Eine besondere Form der Ausgestaltung des "Volksfront-Bündnisses" zwischen NPD und "Freien Kräften" zeigte sich im Zusammenhang mit dem Wahlkampf der NPD in Niedersachsen. Dort wurden zwischen "Freien Kräften" und der NPD Verhandlungen über die Ausrichtung des Wahlkampfes geführt und eine gemeinsame Vereinbarung getroffen, deren Ziel es war, die NPD logistisch zu unterstützen. Darauf ist die Partei insbesondere in westlichen Flächenstaaten angewiesen. Anders als im Wahlkampf in Mecklenburg-Vorpommern 2006, als viele "Freie Kräfte" in die Partei eingetreten waren und so von "innen" mitwirkten, ist in Niedersachsen erstmals ein (Zweck)bündnis auf vertragliche Basis gestellt worden. Bereits vor Beginn des dortigen Wahlkampfes mussten Risse im "Volksfront-Bündnis" gekittet werden. In einer am 16.08.07 im Internet veröffentlichten Erklärung des NPD-Parteipräsidiums mit dem Titel "Unsere Fahnen sind schwarz - unsere Blöcke nicht" distanzierte sich die Parteispitze von dem "bisher nur von linksradikalen/antifaschistischen Demonstrationen bekannten Phänomen des 'Schwarzen Blocks'" der "Autonomen Nationalisten" (AN) und sprach sich "in aller Deutlichkeit" gegen "derartige anarchistische Erscheinungsformen" aus. Nach der Devise "Qualität statt Quantität" sei man - auch auf die Gefahr hin, künftig geringere Teilnehmerzahlen bei parteieigenen Demonstrationen hinnehmen zu müssen - nicht bereit, sich diesem politischen Zeitgeistphänomen anzupassen. Die Reaktionen in der Neonazi-Szene reichten von strikter Ablehnung bis hin zu einem gewissen Verständnis für die Position der NPD. Bei einigen Kritikern der Partei wurde deren Erklä178 Rechtsextremismus rung nicht nur als Kritik an der Aktionsform des "Schwarzen Blockes", sondern auch als Angriff auf die nationalsozialistische Weltanschauung gewertet. In einer im Internetportal "Altermedia" veröffentlichten Erklärung hieß es, das NPD-Präsidium verkenne die Situation. Durch ihre Erklärung mache die NPD die "Volksfront", die bisher auf die Mitarbeit "Freier Nationalisten" habe bauen können, zunichte. Sollten die Kreisund Landesverbände der NPD diese Präsidiumserklärung unwidersprochen hinnehmen, sei jedes mit dem "Schwarzen Block" sympathisierende NPD-Mitglied zum Parteiaustritt und zukünftigen Boykott der Parteiarbeit aufgerufen. Auslöser für die Abgrenzungserklärung des NPD-Präsidiums dürfte der Aufmarsch von NPD und militanten Neonazis in Frankfurt/Main am 07.07.07 gewesen sein, bei dem es zwischen NPD-Ordern und den Teilnehmern eines "Schwarzen Blocks Autonomer Nationalisten" zu Auseinandersetzungen gekommen war. In diesem Zusammenhang lag der NPD mit Blick auf die Landtagswahlen in Niedersachsen und Hessen offensichtlich daran, auf ihrem angestrebten "Marsch in die Mitte des Volkes" öffentlich nicht mit gewaltbereiten Kräften in Zusammenhang gebracht zu werden. Nach anhaltender Kritik aus dem Neonazilager rechtfertigte das NPDPräsidium am 10.09.07 in einem Internetbeitrag seine damalige Erklärung. Die Parteispitze wandte sich insbesondere gegen Vorwürfe, die NPD schlage den "bürgerlich-reaktionären Weg" ein und betonte, sie strebe weiterhin die enge Zusammenarbeit mit dem überwiegenden Teil "des freien nationalen Widerstandes an". Die Abgrenzungserklärung habe sich nicht gegen politische Inhalte, sondern lediglich gegen eine Erscheinungsbzw. Aktionsform gerichtet, mit der Handlungen, Agitationsformen und Stil des Gegners kopiert würden. Dabei gehe es manch einem nur um "Gewalt um der Gewalt willen". Angesichts der bisweilen aufgebrachten Reaktionen aus den Reihen der "Freien Kräfte" sah sich die NPD-Führung gezwungen, ihre Haltung zum "Schwarzen Block" zu korrigieren. Es zeigte sich, dass die NPD vor allem im Wahlkampf auf die Unterstützung der "Freien Kräfte" angewiesen ist und sie deren Reaktionen erkennbar unterschätzt hatte. Auf der Wahlkampf-Auftaktveranstaltung der NPD zur Landtagswahl in Niedersachsen am 15.09.07 in Hannover ließ der dortige Spitzenkandidat der NPD, Andreas MOLAU, deutlich erkennen, dass 179 Rechtsextremismus er "...nach wie vor hinter den freien Kräften in Niedersachsen steht. Daran wird selbst ein Verbotsverfahren gegen eine parteifreie Gruppe nichts ändern und auch keine Blockdiskussion!" Das Zusammenspiel von "Freien Kräften" und NPD zeigte sich am Beispiel einer für den 02.06.07 in Schwerin geplanten Demonstration gegen den G8-Gipfel unter dem Motto "Nein zum G8-Gipfel - für eine Welt freier Völker!". Die Vorbereitungen für die Demonstration hatten NPD und "Freie Kräfte" gemeinsam getroffen. Sie richteten dafür eine gemeinsame Internetseite ein. Nach dem Verbot der Demonstration beteiligten sich zahlreiche Personen an dezentralen "Spontankundgebungen". Dabei gelang es NPD-Anhängern in Berlin, mit Parteifahnen durch das Brandenburger Tor zu marschieren. Etwa 300 norddeutsche Rechtsextremisten, darunter auch zahlreiche Angehörige der Hamburger Szene, marschierten durch Lüneburg. Die unangemeldete Versammlung wurde später aufgelöst ( 4). In einer Bewertung der Organisatoren heißt es, der Tag habe gezeigt, dass die "Volksfront von Partei und unabhängigen Nationalisten" festgefügt sei und Erfolge möglich mache. Die ständige staatliche Repression gegen NPD und "Freie Kräfte" hätte seit Langem wieder einmal dazu geführt, dass der "Kampf um die Straße" flächendeckend erfolgreich geführt werden konnte. In den einzelnen Ländern ist die Anzahl von Neonazis in der NPD und deren Einfluss in der Partei unterschiedlich. In Hamburg lässt sich inzwischen nur schwer eine Trennlinie zwischen "parteigebundenen" und "parteifreien" Aktivisten der "Volksfront" ziehen, da viele Neonazis aus den Kameradschaften der NPD beigetreten sind. Bei Aktionen nutzten sie überwiegend die Strukturen der NPD. Ein Schwerpunkt der Aktivitäten der "Volksfront" in Hamburg war die Kampagne gegen "Überfremdung" und den Bau einer Moschee in Bergedorf. Daraus ergab sich erstmals eine längerfristige Kooperation der beiden Hamburger Kameradschaften ( 5.1) mit der NPD. Die Planung erfolgte überwiegend durch Angehörige der Kameradschaften, Veranstaltungen wurden durch den NPD-Kreisverband Bergedorf angemeldet und gemeinsam mit den Kameradschaften durchgeführt ( 5.3). Der NPD-Landesvorsitzende Jürgen RIEGER unterstützte die Kampagne als Redner bei zwei internen Mobilisierungsveranstaltungen. Die Organisatoren der gemeinschaftlichen Aktion traten öffent180 Rechtsextremismus lich nicht im Namen der NPD oder als Kameradschaft, sondern als "Bürgerinitiative für ein sicheres Bergedorf" auf. Eine konstruktive Zusammenarbeit zwischen NPD und DVU im Sinne des "Deutschland-Paktes" war in Hamburg trotz einzelner gemeinsamer Aktionen nicht erkennbar. Wie in den Vorjahren organisierten Mitglieder der DVU zusammen mit NPD-Mitgliedern und "Freien Kräften" eine Gedenkveranstaltung für die Opfer der alliierten Luftangriffe. Sie fand mit 60 Teilnehmern am 29.07.07 auf dem Ohlsdorfer Friedhof statt. RIEGER ließ in seiner Eigenschaft als Landesvorsitzender der NPD in seinem Neujahrsschreiben am 24.01.08 Unzufriedenheit mit der durch den "Deutschland-Pakt" erzwungenen Nicht-Teilnahme seiner Partei an der Bürgerschaftswahl am 24.02.08 in Hamburg erkennen: "Auch in Hamburg ist in diesem Jahr Bürgerschaftswahl. In dem mit der DVU geschlossenen Deutschlandpakt, der das gegenseitige Wegnehmen von Wählerstimmen verhindert, ist festgelegt, dass zur Bürgerschaftswahl am 24.2. nicht die NPD, sondern die DVU antritt. Daher liegt der Schwerpunkt unserer Aktivitäten bereits seit Monaten im angrenzenden Niedersachsen." Im Februar 2008 konnte jedoch festgestellt werden, dass einzelne NPD-Mitglieder sowie "Freie Nationalisten" den Wahlkampf der DVU unterstützten (Schlagzeilen aus dem politischen Extremismus: "Teilnahme der DVU an der Wahl zur Hamburger Bürgerschaft"). 5. Aktionistisch orientierte Rechtsextremisten Mit dem Begriff "aktionistisch orientierte Rechtsextremisten" werden Neonazis und neonazistisch geprägte Skinheads erfasst. Die politischen Ziele der Neonaziszene basieren nicht auf einer in sich geschlossenen Ideologie, sondern auf der Ablehnung der bestehenden freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Diese wird als gegen die Interessen des Volkes gerichtet kritisiert. An ihrer Stelle soll ein System errichtet werden, das sich zuerst an den Bedürfnissen der "Volksgemeinschaft" orientiert. Dieser Anspruch wird in der Publikation "Freier Nationalist - Mein Selbstverständnis" mit der Parole "Was meinem Volk nutzt ist recht" artikuliert. Nach neonazistischen Vorstel181 Rechtsextremismus lungen würde die freiheitliche demokratische Grundordnung durch ein totalitäres Staatswesen ersetzt, das sich insbesondere durch rassistisch motivierte Ausgrenzung großer Bevölkerungsteile definiert. Die Neonaziszene vertritt die These, Deutschland sei das Opfer einer internationalen jüdischen Verschwörung. Sie bemüht sich um die Rehabilitierung des historischen Nationalsozialismus und verehrt dessen Führungspersonen und Symbole. In Bezug auf ihre politischen Methoden zeigt sich die Szene flexibler. Angesichts des Volksfront-Bündnisses hat sich ein großer Teil der Szeneangehörigen mit der NPD und ihrem vorgeblich bürgerlichen Habitus arrangiert. Demgegenüber haben sich in den vergangenen Jahren vor allem junge Szeneangehörige dem Konzept "Autonome Nationalisten" verschrieben. Dieses sieht vor, das antibürgerliche Auftreten linksextremistischer Gruppierungen nachzuahmen und einen revolutionären nationalen Sozialismus zu propagieren. Entsprechende Gruppierungen bestehen derzeit in nennenswertem Umfang nur in wenigen Bundesländern, jedoch nicht in Hamburg. Hier hat sich nach dem Führungswechsel im NPD-Landesverband eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen Neonazi-Kameradschaften und der Partei entwickelt. Die Zielvorstellungen der Neonazis werden grundsätzlich auch von neonazistisch geprägten Skinheads geteilt. Zu dieser Szene gehören sowohl Personen, die eine ähnliche politische Einstellung wie ideologisch gefestigte Neonazis haben, als auch solche, deren weltanschauliche Orientierung nur gering ausgeprägt ist. Bedeutsamer für sie sind Alkohol, Gewalt und Musik. Weitere Unterschiede innerhalb der Szene lassen sich im öffentlichen Auftreten ihrer Anhänger feststellen, das zunehmend vielfältiger wird. Neben dem Tragen traditioneller Szenekleidung ist - gerade unter den ideologisch gefestigten Neonazis - betont bürgerliches Äußeres festzustellen. Zudem nimmt seit einiger Zeit die Annäherung an bisher eher für alternative und unpolitische Jugendkulturen typisches Auftreten zu. Bei rechtsextremistischen Demonstrationen kam es im Jahr 2007 verstärkt zur Bildung sogenannter "Schwarzer Blöcke". Diese wurden zumeist von "Autonomen Nationalisten" gebildet, die sich mit dieser von Linksextremisten übernommenen Aktionsform vom zumeist bürgerlichen Auftreten der übrigen Teilnehmer abgrenzen und ein Eska182 Rechtsextremismus lationspotential gegenüber Polizei und Gegendemonstranten bilden wollen. Ungeachtet bestehender Unterschiede kommt es anlassbezogen zu gemeinsamen Aktivitäten von Angehörigen der unterschiedlichen Gruppierungen. Oft werden Angehörige der nicht ideologisch gefestigten Skinheadszene einbezogen. Während Neonazis bei öffentlichkeitswirksamen Demonstrationen auf das Mobilisierungspotential der Skinheadszene zurückgreifen können, werden rechtsextremistische Skinheads z.B. bei der Planung von Szenekonzerten von Angehörigen neonazistischer Kameradschaften unterstützt. 5.1 Bestrebungen in Hamburg und im Umland Die Anhänger der neonazistischen Szene Hamburgs lassen sich überwiegend zwei Kameradschaften zuordnen, dem "Kameradenkreis Neonazis in Hamburg" und der "Neonaziund Skinheadszene in Bramfeld". Sie sind nach dem Konzept der "Freien Nationalisten" organisiert, das Ende der 90er Jahre nach dem Verbot mehrerer neonazistischer Organisationen entwickelt wurde. Durch den Verzicht auf feste Organisationsstrukturen (mit Vorständen oder eindeutigen Führungsfunktionen) sollen weitere Verbotsverfahren verhindert werden. Mitglieder von Neonazi-Kameradschaften bezeichnen sich meistens als "Freie Kräfte" oder "Freie Nationalisten". Damit soll auch die Unabhängigkeit gegenüber rechtsextremistischen Parteien, insbesondere der NPD, betont werden ( 5.). Dem "Kameradenkreis Neonazis in Hamburg" gehört ein Kern von etwa 15 ideologisch gefestigten Mitgliedern an. Im Jahr 2007 setzte die Gruppe ihre Bemühungen fort, mit der Internetseite "Jugend zu uns" jüngere Personen zu rekrutieren. Damit ist es ihr gelungen, das Ausscheiden einiger älterer Mitglieder zu kompensieren. Der Aufbau eines - etwa zehn jüngere Personen zählenden - Kameradschaftsumfelds zeigt, dass die Gruppe mit Hilfe der Internetseite sowie mit Werbung durch Aufkleber und CDs mit zumeist rechtsextremistischer Musik in Einzelfällen erfolgreich ist. Über die politischen Ziele der Kameradschaft lässt die Eigenwerbung auf der Internetseite "Jugend zu uns" dabei keinen Zweifel: "Für uns steht unumstößlich fest, dass dieses System mit allen Mitteln bekämpft werden muß, wenn wir unser Volk 183 Rechtsextremismus aus den Fesseln des Kapitals befreien wollen und unseren Kindern eine Zukunft in einem nationalen und sozialistischen Deutschland bieten wollen!". Wie viele Angehörige des neu geworbenen Umfelds sich als Kameradschaftsmitglieder längerfristig engagieren werden, ist noch unklar. Die Mitglieder der Kameradschaft haben sowohl an Aktivitäten im Raum Hamburg ( 5.3.) als auch an überregionalen Demonstrationen in Norddeutschland teilgenommen. Der Internetauftritt des "Aktionsbüro Norddeutschland", dessen Inhalte maßgeblich von Tobias THIESSEN, einem Angehörigen des "Kameradenkreises Neonazis in Hamburg", bestimmt werden, bietet u.a. organisatorische und ideologische Abhandlungen über das Konzept "Freie Nationalisten" an. Das Aktionsbüro spielt eine Schlüsselrolle in den überregionalen Vernetzungsbestrebungen der neonazistischen Szene. Durch das Internetangebot erhalten norddeutsche Kameradschaften koordinierten Zugang zu Terminankündigungen, Pressemitteilungen, Berichten und Propagandamaterial. Über das Aktionsbüro steht der "Kameradenkreis Neonazis in Hamburg" mit Führungskadern anderer norddeutscher Kameradschaften in Kontakt. Diese treffen sich regelmäßig zu Koordinierungstreffen, die vornehmlich der Planung überregionaler Aktionen und der Mobilisierung für regionale Veranstaltungen dienen. Hier hat sich im Jahr 2007 ein Trend zu wieder verstärkter überregionaler Zusammenarbeit in der Tradition des "Nationalen und Sozialen Aktionsbündnisses Norddeutschland" (NSAN) verfestigt. Das NSAN hatte einige Jahre zuvor an Bedeutung verloren. Der mittlerweile nur noch als gruppenunabhängiger Einzelaktivist fungierende Christian WORCH spielte bei dieser Entwicklung keine Rolle. WORCH, der seit Jahren bundesweit als Anmelder und Veranstalter von Demonstrationen auftritt, musste im Jahr 2007 mehrere Rückschläge durch schlecht besuchte Veranstaltungen verkraften. Ohnehin wegen des Vorwurfs der Geltungssucht umstritten, hat er damit in der Neonaziszene weiter an Reputation verloren. Dennoch werden seine Kenntnisse und Erfolge bei der versammlungsrechtlichen Durchsetzung von Veranstaltungen innerhalb der Szene respektiert und seine Unterstützung angefordert. 184 Rechtsextremismus WORCHs Verhältnis zum "Aktionsbüro Norddeutschland" ist ambivalent. Obwohl er bei der Planung einzelner Veranstaltungen mit dem Aktionsbüro zusammengearbeitet hat, kritisierte er in einem InternetDiskussionsbeitrag dessen Bedeutung innerhalb der Szene: "Wer hat eigentlich dem Aktionsbüro Nord die alleinige Definitionsmacht darüber überlassen, wer nun "Freie Nationalisten" sind und wer nicht?" Nach der von WORCH unterstützten Kundgebung am 10.02.07 gegen den Bau einer Moschee im Hamburger Stadtteil Bergedorf (s.u.) entwickelten sich erhebliche Spannungen zwischen ihm und der rechtsextremistischen Szene in Hamburg. WORCH wurde vorgeworfen, öffentliche Aktionen ohne ausreichende Vorund Nachbereitung durchzuführen. Diese Kritik geht u.a. auf den vom Aktionsbüro Norddeutschland veröffentlichten Internet-Beitrag "Freie Nationalisten - Ein Leitfaden" zurück: "Tausende von Menschen nahmen an nationalen Demonstrationen teil, aber kaum einer fühlte sich dazu berufen, davor und danach die Inhalte für den Grund der Demonstration im gebührenden Maße in der Öffentlichkeit darzustellen". Die Veranstaltung gegen den Moscheebau wurde schließlich von den Hamburger Kameradschaften nicht unterstützt ("Führungskrise in der Hamburger NPD - Landesvorstand tritt zurück" und "Islamismus und rechtsextremistische Szene - Gemeinsame Feindbilder, aber keine Basis für ein Bündnis"). Da es allerdings nicht vermittelbar gewesen wäre, das rechtsextremistische Kernthema "Überfremdung" aus persönlichen Motiven und taktischen Erwägungen zu ignorieren, wurde der Moscheebau in Bergedorf von der Szene doch aufgegriffen. Mit der im Februar 2007 gestarteten lokalen Kampagne gegen "Überfremdung" unter dem Motto "Für ein sicheres Bergedorf" ( 5.3.) sollte auch ein drohender Gesichtsverlust der Hamburger rechtsextremistischen Szene im Zusammenhang mit dem Boykott der Bergedorfer Kundgebung am 10.02.07 vermieden werden. Die im Jahr 2007 erfolgte Annäherung WORCHs an die von ihm in der Vergangenheit hart kritisierte NPD bietet ihm Gelegenheit, weiterhin politisch Einfluss zu nehmen. Die "Neonaziund Skinheadszene in Bramfeld" ist die zweite Hamburger Kameradschaft. Abgesehen von einem aus wenigen Personen 185 Rechtsextremismus bestehenden Kern sind die Angehörigen dieser Gruppe in der Mehrzahl weniger ideologisch gefestigt, sondern überwiegend subkulturell geprägt und anlassbezogen politisch aktiv. Für sie ist insbesondere der Besuch rechtsextremistischer Konzertveranstaltungen und Partys bedeutsam. Die "Neonaziund Skinheadszene in Bramfeld" verfügt über ein Mobilisierungspotential von etwa 30 Personen, das auch im Jahr 2007 maßgeblich an der Durchführung größerer Veranstaltungen der rechtsextremistischen Szene in Hamburg beteiligt war. Seit etwa zwei Jahren gehören mehrere Führungspersonen der "Neonaziund Skinheadszene in Bramfeld" gleichzeitig der NPD an, einzelne auch in herausgehobener Position. Vor allem nach der Übernahme der Position des Landesvorsitzenden durch Jürgen RIEGER wurde die Verflechtung der Kameradschaft mit der Partei enger. Informationsstände der "Bramfelder" wurden zwar weiterhin von der Bürgerinitiative "Für unsere Zukunft" betrieben, es wurde jedoch überwiegend NPD-Material verteilt. Der Kern der Gruppe nahm häufig an Veranstaltungen der NPD teil. Die Tendenz zu stärkerer Zusammenarbeit zwischen den Hamburger Kameradschaften und der NPD zeigte sich im Jahr 2007 insbesondere im Verlauf der Kampagne gegen "Überfremdung" unter dem Motto "Für ein sicheres Bergedorf". Hier fungierten Personen des örtlichen NPD-Kreisverbandes als Anmelder von Veranstaltungen, gelenkt wurde die Kampagne aber von Angehörigen der Hamburger Kameradschaften. Der vom "Aktionsbüro Norddeutschland" publizierte Leitfaden "Freier Widerstand - parteifrei politisch arbeiten" enthält die Forderung "Zusammenarbeit ist aber kein einseitiger Hilfsdienst, sondern muss gleichberechtigt sein!". Während in dem Leitfaden noch "Freie Nationalisten" vor einer Vereinnahmung durch Parteistrukturen gewarnt wurden, ist es der Neonaziszene in Bergedorf sogar gelungen, die Kampagne zu dominieren. 5.2 Bestrebungen im Bundesgebiet Das bundesweite neonazistische Personenpotential ist 2007 mit etwa 4.400 Angehörigen etwas größer als im Vorjahr (4.200). Der überwiegende Teil dieser Aktivisten ist in eine der etwa 160 "Kameradschaften" oder ähnliche, auf lokaler Ebene agierende Gruppierungen 186 Rechtsextremismus eingebunden. Diese orientieren sich überwiegend an dem "Konzept Freie Nationalisten". Bundesweit bestehen Aktionsbüros oder Aktionsbündnisse, die die Aktivitäten der Kameradschaften auf überregionaler Ebene koordinieren und vernetzen sollen. Das "Aktionsbüro Norddeutschland" hat diesbezüglich für die neonazistische Szene eine Vorbildfunktion. Auf lokaler Ebene traten Neonazis wie im Vorjahr als Bürgerinitiativen auf, um mit sozialen und regionalen Themen öffentliche Aufmerksamkeit zu erlangen ( 5.3.). Die 1979 gegründete "Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige e.V." (HNG) hat sich zum Ziel gesetzt, inhaftierte Rechtsextremisten zu betreuen und ihre Loslösung von der Szene zu verhindern. Die HNG ist mit ihren etwa 600 Mitgliedern weiterhin die einzige bundesweit agierende neonazistische Vereinigung. Ein großer Teil der HNG-Mitglieder ist gleichzeitig in die regionale rechtsextremistische Szene eingebunden. Dadurch übt die Organisation bundesweit eine integrierende Funktion in der zersplitterten Neonaziszene aus. Zentraler Tätigkeitsbereich ist die Veröffentlichung der "Nachrichten der HNG", die an Mitglieder kostenlos und gegen Bezahlung an sonstige Abonnenten versandt wird. Die veröffentlichten Beiträge richten sich insbesondere gegen "staatliche Repression" und dienen der Rechtsschulung. Dadurch soll auch dem Entstehen eines Unrechtsbewusstseins bei den Inhaftierten entgegengewirkt werden. 5.3 Aktivitäten Aktionsschwerpunkt der Hamburger Neonaziszene war die Kampagne gegen "Überfremdung" unter dem Motto "Für ein sicheres Bergedorf". Sie führte erstmals zu einer längerfristigen Kooperation der beiden Hamburger Kameradschaften mit Gliederungen der NPD. Die Planung erfolgte überwiegend durch Angehörige der Neonaziszene. Veranstaltungen wurden durch den NPD-Kreisverband Bergedorf angemeldet und gemeinsam mit den Kameradschaften durchgeführt. Der NPD-Landesvorsitzende Jürgen RIEGER unterstützte die Kampagne als Redner bei zwei internen Mobilisierungsveranstaltungen. Bei diesen 187 Rechtsextremismus wurde deutlich, dass sich die neonazistische Szene darum bemüht, den geplanten Bau einer Moschee in Hamburg-Bergedorf lediglich als Aufhänger der Kampagne zu vermitteln. RIEGER versuchte, in einem Redebeitrag zu differenzieren: Er stellte den Islam als hilfreich im Kampf gegen das Judentum und amerikanische Hegemoniebestrebungen dar; deshalb sei es wichtig, Überfremdung nicht generell mit dem Islam in Verbindung zu bringen. Ob derartige strategisch motivierte Unterscheidungen der rechtsextremistischen Basis vermittelt werden können, ist fraglich. Die Organisatoren der Kampagne traten öffentlich nicht als Kameradschaft oder NPD-Mitglieder auf, sondern als "Bürgerinitiative für ein sicheres Bergedorf". Dieses Vorgehen ist bereits von der "Neonaziund Skinheadszene in Bramfeld" bekannt, die Informationsstände regelmäßig als "Bürgerinitiative Unsere Zukunft" anmeldet. Ziel dieser Taktik ist es, unter politisch unverfänglichen Bezeichnungen in der Bevölkerung als politikfähig wahrgenommen zu werden und Kontakte bis in bürgerliche Kreise zu knüpfen. In Hamburg ist dies bisher nicht gelungen, obwohl - neben den üblichen Informationsständen und Flugblattverteilungen - u.a. mit Straßentheater-Aktionen versucht wurde, nicht sofort als Rechtsextremist wahrgenommen zu werden. Neben diesen Aktivitäten haben Hamburger Neonazis auch an einer Reihe überregionaler Veranstaltungen teilgenommen. Während des ersten Halbjahres 2007 standen wegen des G8-Gipfels in Heiligendamm soziale und wirtschaftliche Themen im Mittelpunkt. In den Monaten vor dem G8-Treffen fanden mehrere Demonstrationen - insbesondere rechtsextremistische Maikundgebungen - in mehreren Städten statt, die Themen waren Arbeit, Soziales, Antikapitalismus und Globalisierungskritik. Kurz vor dem G8-Gipfel konzentrierte sich die Neonaziszene auf die für den 02.06.07 geplante Anti-G8-Demonstration der NPD in Schwerin. Nachdem diese verboten worden war, beteiligten sich zahlreiche Personen an dezentralen Spontankundgebungen. Etwa 300 norddeutsche Rechtsextremisten, darunter auch zahlreiche Angehörige der Hamburger Szene, marschierten durch Lüneburg. Die unangemeldete Versammlung wurde aufgelöst. Auch 2007 fanden Veranstaltungen mit revisionistischen Bezügen wieder großen Anklang in der bundesweiten Neonaziszene. Vor allem die Jahrestage schwerer alliierter Bombenangriffe während des zwei188 Rechtsextremismus ten Weltkriegs werden von Neonazis genutzt, um durch den Hinweis auf deutsche Kriegsopfer die Verbrechen des nationalsozialistischen Deutschlands zu relativieren. In diesem Zusammenhang werden regelmäßig Schlagworte wie "Bombenholocaust" verwendet, um zu suggerieren, dass der Krieg von alliierter Seite mit verbrecherischen Mitteln geführt worden sei. Für die norddeutsche Neonaziszene ist vor allem der jährlich Ende März stattfindende Trauermarsch in Lübeck von Bedeutung. Daran nahmen 2007 über 300 Personen teil. Die Hamburger Neonaziszene beteiligte sich wie auch im vergangenen Jahr an der Kranzniederlegung der DVU-nahen Initiative "Hamburger Opfer unvergessen" auf dem Ohlsdorfer Friedhof am 29.07.07, an der insgesamt etwa 60 Personen teilnahmen. Die bundesweit bedeutsamste rechtsextremistische Veranstaltung zum Gedenken an deutsche Kriegsopfer fand auch im Jahr 2007 am 13. Februar mit über 1.700 Teilnehmern in Dresden statt. Dagegen haben die Gedenkveranstaltungen für die Soldaten der Wehrmacht im brandenburgischen Halbe, das sogenannte "Heldengedenken", und anlässlich des Todestages von Rudolf Heß, weiter an Bedeutung verloren. Beim 2007 - zum zweiten Mal nicht zum Volkstrauertag im November, sondern am 03. März - veranstalteten "Heldengedenken" war mit nur noch 500 Teilnehmern ein weiterer deutlicher Rückgang zu verzeichnen. Der Volkstrauertag wurde von Hamburger Neonazis erneut mit einer Kranzniederlegung an einem Ehrenmal für gefallene Soldaten in Hamburg-Bramfeld begangen. Der für den 18.08.07 geplante zentrale Gedenkmarsch für Rudolf Heß in Wunsiedel wurde im Jahr 2007 wiederum verboten. Gleiches galt für mehrere dezentrale Kundgebungen und Demonstrationen, die als Ersatzveranstaltungen ebenfalls untersagt wurden. Teilweise fanden Protestveranstaltungen gegen die Demonstrationsverbote sowie nicht angemeldete dezentrale Heß-Gedenkmärsche statt. An den verschiedenen Veranstaltungen nahmen bundesweit etwa 1.200 Personen teil. Damit setzte sich der Abwärtstrend bei den Teilnehmerzahlen fort. Viele Anhänger der Szene suchen das Gemeinschaftsgefühl von Großveranstaltungen und lassen sich für mehrere kleinere Versammlungen nicht mobilisieren. 189 Rechtsextremismus In Norddeutschland fanden keine nennenswerten Veranstaltungen statt. In Hamburg gab es keinen Protest, nachdem auch eine in Hamburg angemeldete Kundgebung verboten worden war. Ein zentrales Agitationsfeld war auch im Jahr 2007 der Protest gegen "Repression". In diesem Zusammenhang wurden sowohl staatliche Maßnahmen gegen rechtsextremistische Aktivitäten als auch die Aktionen linker und linksextremistischer Strukturen kritisiert. Häufig wurden Slogans mit dem Tenor "Meinungsfreiheit auch für Nationalisten" verwendet. Unter dem Motto "Mehr Demokratie wagen - Hände weg von der NPD!" fand am 26.10.07 in Hamburg anlässlich des SPD-Bundesparteitags eine Demonstration gegen eine Neuauflage der Diskussion über ein Verbotsverfahren gegen die NPD statt. Daran beteiligten sich ca. 125 Angehörige der Kameradschaftsszene und der NPD, darunter der Bundesvorsitzende Udo VOIGT und weitere Bundesvorstandsmitglieder. Einschränkende Maßnahmen der Versammlungsbehörden oder gewalttätige Proteste von Linksextremisten dienten Rechtsextremisten als Vorwand für erneute Demonstrationen. Sie versuchen so, sich als wahre Opposition und unterdrückte Kritiker der bestehenden Gesellschaftsordnung darzustellen. Aus diesem Grund wenden Rechtsextremisten regelmäßig die sogenannte Wortergreifungsstrategie an. Dabei besuchen sie Veranstaltungen von bürgerlichen oder linken Gruppierungen, vorgeblich, um sie dazu zu zwingen, sich mit der rechtsextremistischen Szene argumentativ auseinanderzusetzen. Der Ausschluss von solchen Veranstaltungen wird propagandistisch genutzt. Entsprechende Aktionen wurden im Jahr 2007 mehrmals von Angehörigen der "Neonaziund Skinheadszene in Bramfeld" durchgeführt. Auch im Zusammenhang mit der Anti-Moschee-Kampagne in Hamburg-Bergedorf bemühten sich Neonazis auf diese Weise um Aufmerksamkeit. Die rechtsextremistische Szene ist sich bewusst, dass sie allein nicht in der Lage ist, für ihre politischen Inhalte größere öffentliche Zustimmung zu erzeugen. Durch die "Wortergreifungsstrategie" sowie das Provozieren von Protesten des politischen Gegners gelingt es ihr jedoch zumindest, sich öffentlich in Szene zu setzen. Bereits HITLER hatte in "Mein Kampf" dieses Agitationsmuster beschrieben: "Wir haben die rote Farbe unserer Plakate nach genauem und gründlichem Überlegen gewählt, um dadurch die linke Seite zu reizen, zur Empörung zu brin190 Rechtsextremismus gen und sie zu verleiten, in unsere Versammlungen zu kommen, wenn auch nur, um sie zu sprengen, damit wir auf diese Weise überhaupt mit den Leuten reden konnten." 6. Subkulturell geprägte und sonstige gewaltbereite Rechtsextremisten Die rechtsextremistische Skinheadszene stellt nach wie vor die weitaus größte Gruppe innerhalb der gewaltbereiten Rechtsextremisten, ihr Anteil ist jedoch rückläufig. Ihr Erscheinungsbild hat sich in den letzten Jahren gewandelt. Das langjährige "Skinhead-Outfit", Bomberjacke und Springerstiefel, wird zunehmend durch Kleidungsstücke beliebter Szene-Marken und Turnschuhe ersetzt. Bestimmte modische Kleidungsmarken, Piercings und der Einfluss anderer subkultureller Strömungen, wie der Hardcore-Szene, sind inzwischen unverkennbar. Die Gewaltbereitschaft dieser Szene ist geprägt durch eine antisemitische und fremdenfeindliche bis rassistische Einstellung. Gegen Angehörige der von ihnen verachteten sozialen Gruppen wie Ausländer, Obdachlose, Homosexuelle und Linke kommt es häufig zu gewalttätigen Übergriffen, die selten geplant sind, sondern - oft bedingt durch hohen Alkoholkonsum oder ein Gefühl der Stärke - aus der Gruppe heraus spontan verübt werden. Viele rechtsextremistische Skinheads haben kein ideologisch klares Weltbild, dieses ist eher diffus mit neonazistischen Versatzstücken. Auch sind sie nicht an einer fundierten politischen Auseinandersetzung bzw. politischen Arbeit interessiert. Für sie steht die Teilnahme an Veranstaltungen wie Fußballturnieren, Stadtteilfesten und SkinheadKonzerten im Mittelpunkt, die ihr Zusammengehörigkeitsgefühl stärken. Weiterhin dienen solche Veranstaltungen der Kontaktpflege, insbesondere zu überregionalen Gruppen. Skinheadmusik und der Besuch von Skinhead-Konzerten sind häufig der Einstieg in die rechtsextremistische Szene. Mit der Musik werden rechtsextremistische Inhalte und Ideologiefragmente vermittelt und verfestigt. Für den organisierten Rechtsextremismus, insbesondere die Neonaziszene, aber auch für die NPD, ist die kaum strukturierte Skinheadszene ein erhebliches Mobilisierungsund Rekrutierungspotential für Demonstrationen und Kundgebungen. 191 Rechtsextremismus In Hamburg ist die Gesamtzahl der subkulturell geprägten und sonstigen gewaltbereiten Rechtsextremisten im Vergleich zum Vorjahr konstant geblieben. Diese gewaltbereite Szene umfasst rund 150 Personen. Als gewaltbereit werden neben ausgewiesenen Gewalttätern auch Rechtsextremisten eingestuft, die sich für Gewaltanwendung aussprechen oder auf andere Weise Gewaltbereitschaft erkennen lassen. Hierzu zählen auch Einzelpersonen, die durch rechtsextremistisch motivierte Straftaten auffällig wurden und keiner Gruppe zugeordnet werden konnten. Erkenntnisse über rechtsextremistisch motivierte Aktivitäten liegen nur für einzelne Stadtteile vor: So war in der ersten Jahreshälfte ein Lokal in Hamburg-Bramfeld Anlaufpunkt der gewaltbereiten rechtsextremistischen Szene. Im Lokal und dessen Umfeld kam es mehrfach zu Schlägereien oder fremdenfeindlich motivierten Taten. Dem Betreiber der Gaststätte wurde zwischenzeitlich die Konzession entzogen. In Hamburg-Bergedorf stand ein Jugendtreff, der auch von Angehörigen der linken Szene frequentiert wird, mehrfach im Visier von Angehörigen der Skinhead-Szene. In Hamburg-Harburg wurde im September eine Schwarzafrikanerin massiv fremdenfeindlich beleidigt. Bei dem nachfolgenden Polizeieinsatz leisteten mehrere Personen heftigen Widerstand. 7. Rechtsextremistische Musik und Vertriebe Nach wie vor stellt Musik das verbindende Element innerhalb der rechtsextremistischen Subkultur dar. Die Produktion und der Vertrieb dieser Musik nehmen stetig zu. Derzeit sind etwa 150 deutsche rechtsextremistische Skinheadbands aktiv. Sie produzieren CDs und treten im Inund Ausland bei Konzerten auf. In den Liedtexten werden das Selbstverständnis und die Abgrenzung vom "Rest der Gesellschaft" ebenso propagiert wie neonazistische Ideologiefragmente, Rassismus, Antisemitismus und Verherrlichung von Gewalt. In der Szene selbst wird die Musik als "typische Waffe der Jugend" dargestellt. Wie bereits in den Vorjahren wurde die "Schulhof-Kampagne" von "Freien Nationalisten" und der NPD fortgesetzt, um Jugendliche für 192 Rechtsextremismus ihre Zwecke zu gewinnen und zu rekrutieren. Von "Freien Nationalisten" aus Süddeutschland wurde eine neue "Schulhof-CD" mit dem Titel "60 Minuten Musik gegen 60 Jahre Umerziehung" aufgelegt. Ein Lied der CD enthielt volksverhetzende Passagen. Im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens kam es in Bayern und Sachsen zu mehreren Hausdurchsuchungen. Die NPD brachte 2007 eine neue "Schulhof-CD" mit dem Titel "Hier kommt der Schrecken aller linken Spießer und Pauker Vol.2" heraus. Bei dieser CD wurde darauf geachtet, dass die rechtsextremistisch geprägten Texte keinen Anlass für strafrechtliche Verfahren boten. Anfang des Jahres wurde die strafrechtlich relevante CD "STURMABENDE" eines Liedermachers verbreitet, der sich "ARISCHE JUGEND" nennt. Im Balladenstil werden volksverhetzende, rassistische, antisemitische und den Krieg verherrlichende Texte vorgetragen. So wird beispielsweise in dem Lied "Judenfreie Heimat" gegen Menschen jüdischen Glaubens gehetzt und zu deren Tötung aufgerufen: "Macht sie nieder, die Herzlbrut. Hängt ihn an den Galgen, den ewigen Jud'... bald werden an den Straßen die Bäume voll mit hängenden Juden stehen. Reißt ab die letzten Synagogen und steckt die Juden in den Zug. Die Lager, sie stehen ja noch, und im Steinbruch gibt es Arbeit genug. ..." Obwohl der Name des Presswerkes, einer Produktionsstätte in Warschau, von den Tonträgern entfernt wurde, gelang es den Sicherheitsbehörden, dieses zu ermitteln und Verfahren gegen Verantwortliche einzuleiten. Darüber hinaus wurde die CD am 29.06.07 indiziert. Gerade bei "Gratis-CDs", die als Werbung für Parteien oder Gruppierungen verteilt werden, wird auf die Einhaltung rechtlicher Vorgaben geachtet. Insbesondere Jugendliche sollen an nationale, deutschtümelnde Texte herangeführt werden. Liedermacher vermitteln in ihren Texten Lagerfeuerromantik, Kameradschaft und Nationalstolz. Strafrechtlich relevante Tonträger, wie die oben dargestellte CD "STURMABENDE", werden größtenteils über ausländische Internet-Versandhändler oder am Rande von Konzerten vertrieben. Auch werden Downloadangebote im Internet zunehmend genutzt. 193 Rechtsextremismus In Hamburg gelang es den Sicherheitsbehörden, einen Mann zu ermitteln, der über einen amerikanischen Internetanbieter mehrere strafrechtlich relevante Artikel bestellt hatte. Neben mehreren CDs, u.a. von der Band "Landser", wurde auch eine Hakenkreuzflagge sichergestellt. Die NPD nutzte die Anziehungskraft von Musik insbesondere auf junge Menschen, um möglichst viele Teilnehmer zu ihren Veranstaltungen zu mobilisieren. In Jena fand am 08.09.07 das zweite "Fest der Völker" statt. Während am ersten "Fest der Völker" im Juni 2005 lediglich 450 bis 500 Personen teilgenommen hatten, konnte die NPD diesmal ca. 1.600 Personen mobilisieren. Neben zahlreichen Rednern aus Deutschland und dem europäischen Ausland, u.a. von "Blood & Honour" Ungarn und England, gab es Musik von den Skinbands "CONFLICT 88" (Tschechien), "BRUTAL ATTACK" (England) sowie der deutschen Band "SLEIPNIR". Eine weitere Großveranstaltung war der "Sachsentag" am 04.08.07 in Dresden, zu dem die JN rund 1.000 Besucher - u.a. aus Schweden, der Schweiz und Österreich - mobilisieren konnte. Hauptanziehungskraft übten auch hier die Skinheadbands, u.a. das Mädchen-Duo "PRUSSIAN BLUE" aus den USA, aus. Seit Oktober 2006 stand eine ehemalige Gaststätte in Neufeld / SH der örtlichen rechtsextremistischen Szene zur Verfügung. Mit Unterstützung von Rechtsextremisten aus dem norddeutschen Raum konnten dort im Jahr 2007 bis zum Mai sechs Skinheadkonzerte durchgeführt werden, das letzte am 05.05.07 wurde von der Polizei kurz nach Beginn aufgelöst. Am 31.03.07 sollte ein "Ian Stuart Donaldson Memorial Konzert" in Belgien stattfinden. Es wurden etwa 1.000 Besucher erwartet. Nachdem es in Belgien kurzfristig abgesagt werden musste, gelang es den Organisatoren, 300 bis 400 Personen aus dem gesamten Bundesgebiet und dem europäischen Ausland nach Neufeld zu mobilisieren. Berichte über das Konzert wurden auf den einschlägigen Internetseiten des in Deutschland seit September 2000 verbotenen, international agierenden Neonazi-Musiknetzwerkes "Blood & Honour" veröffentlicht. Unter Berufung auf missachtete Bauvorschriften hat der Kreis Dithmarschen dem Eigentümer der ehemaligen Gaststätte die Nutzung mittlerweile untersagen können. Im Jahr 2007 fanden in Hamburg lediglich zwei rechtsextremistische Skinheadkonzerte statt (2006: vier). Am 09.06.07 trat in Hamburg194 Rechtsextremismus Billwerder vor ca. 170 Personen neben deutschen Bands auch eine Band aus Italien auf. Am 27.10.07 nahmen ca. 100 Personen an einer "Geburtstagsfeier mit Live-Musik" im Vereinshaus eines Kleingartenvereines in Hamburg-Tiefstack teil. Der Versuch, am 22.06.07 ein Skinheadkonzert in einem Vereinshaus eines Kleingartenvereins in Hamburg-Rahlstedt zu veranstalten, scheiterte, da die Verantwortlichen jegliche Musik in ihren Räumlichkeiten untersagt hatten. Neben den Konzerten wurden 2007 in Hamburg drei "Saalveranstaltungen mit musikalischer Begleitung" durchgeführt. Zum Start der Kampagne gegen den geplanten Bau einer Moschee fand am 24.02.07 in Hamburg-Bergedorf eine "motivierende Saalveranstaltung" statt. Vor ca. 50 Teilnehmern kam es neben diversen Redebeiträgen zum Auftritt eines rechtsextremistischen Liedermachers. Am 03.10.07 wurde in Hamburg-Steilshoop eine "Saalveranstaltung des nationalen Widerstandes gegen Überfremdungspolitik" mit etwa 50 Besuchern durchgeführt. Auch hier gab es zwischen diversen Redebeiträgen Auftritte eines deutschen Liedermachers mit rechtsextremistischer Ausrichtung. Wie schon im Februar trat Jürgen RIEGER als Redner auf. Auf der Weihnachtsfeier des NPDLandesverbandes am 15.12.07 in Hamburg-Sasel sang ein rechtsextremistischer Liedermacher aus Nordrhein-Westfalen vor den ca. 80 Anwesenden. 8. Rechtsextremistische Parteien 8.1 Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) Der Anstieg der Mitgliederzahl der NPD setzte sich im Jahre 2007, allerdings abgeschwächt, fort. Die NPD hatte vor Mitglieder: 7.200 Beginn des Verbotsverfahrens im Jahr Bundessitz: Berlin 2001 6.500 Mitglieder; ihre Zahl sank Vorsitzender: Udo VOIGT bis zum Abschluss des Verfahrens im Jahr 2003 auf etwa 5.000. Mittlerweile Landesverband Hamburg gehören der Partei 7.200 Personen Mitglieder: 140 an. Damit ist sie die mitgliederstärkste rechtsextremistische Partei in DeutschVorsitzender: Jürgen RIEGER (seit 25.02.07) land. 195 Rechtsextremismus Bei der Landtagswahl 2006 in Mecklenburg-Vorpommern zog die NPD mit sechs Abgeordneten in den Landtag ein. Im Jahr 2007 fanden keine Landtagswahlen mit NPD-Beteiligung statt. Im Berichtsjahr fielen NPD-Abgeordnete durch extrem ausländerfeindliche Äußerungen auf. In einem Internetbeitrag vom 22.03.07 kritisierte der NPD-Abgeordnete im sächsischen Landtag, Jürgen GANSEL, unter dem Titel "Heute tolerant und morgen fremd im eigenen Land" die "fatalen Folgen der Multikulturalisierung" in der "Bunten Republik Deutschland (BRD)". Die "Umvolker des etablierten Parteienkartells" hätten die "planvolle Verausländerung unserer deutschen Heimat" betrieben und trügen die Verantwortung dafür, dass sich in Deutschland "ganz offiziell 15,3 Mio. Menschen mit 'Migrationshintergrund' tummeln, die unsere Sprache primitivisieren, unsere Kultur überfremden, die innere Sicherheit gefährden, den Arbeitsmarkt verstopfen und den Sozialstaat ausnehmen". Er bezeichnete die Bundeskanzlerin "als Politflittchen der USA", die unbeirrt die Aufnahme der islamischen Türkei in die Europäische Union betreibe. GANSEL gehört dem NPD-Parteivorstand an, ist Redaktionsmitglied des Parteiorgans "Deutsche Stimme" und einer der führenden Ideologen der Partei. Seine Äußerungen entsprechen der üblichen Agitation der NPD gegen staatliche Repräsentanten und Institutionen. Der stellvertretende Parteivorsitzende und Fraktionsvorsitzende der NPD im sächsischen Landtag, Holger APFEL, forderte am 09.05.07 in der Landtagsdebatte über das "Sächsische Gesetz zur Ausführung des Zuwanderungsgesetzes" eine "Ausländerrückführungspflicht". In einer rassistisch geprägten Rede sagte APFEL nach NPD-Angaben wörtlich: "Wer nur noch, völlig unterschiedslos, 'Menschen' - aber keine Deutschen mehr kennt, den kann es auch nicht empören, wenn er in westdeutschen Großstädten verarmte Rentner in Mülleimern nach Pfandflaschen angeln sieht, während hinter ihnen staatsalimentierte orientalische Großfamilien oder arrogante Wohlstands-Neger daherstolzieren! Für wen das alles nur unterschiedslos 'Menschen' sind, der vermag das schreiende Unrecht dieser Alltagsszene aus der 'Bunten Republik Deutschland' nicht mehr zu erkennen." 196 Rechtsextremismus APFEL bezeichnete die Ausländerintegration als "doppelte Volkszerstörung". Im Wege der "Zwangsgermanisierung" würden die "Integrationslobbyisten" aus den in Deutschland lebenden Ausländern eine "entwurzelte Masse ethno-kultureller Kastraten" formen, die als "identitätslose Konsumenten in der Hand des internationalen Finanzkapitals" noch leichter lenkbar seien. "Negerund Tatarenstämme" könne man nicht in "das ganze große Deutschland" integrieren. Deutschland sei das Land der "ethnischen Deutschen und nicht etwa das Land der Passpapierdeutschen". Anlässlich einer Demonstration in Rathenow (Brandenburg) am 16.06.07 hielt der Fraktionsvorsitzende der NPD im Schweriner Landtag, Udo PASTÖRS, eine Rede, bei der er Begriffe aus der Zeit des Nationalsozialismus verwendete. Vor rund 200 Demonstranten aus dem rechtsextremistischen Spektrum sagte er, wenn die NPD an die Macht gelange, bestehe die Verpflichtung, "jene einer gerechten Strafe zuzuführen, die für diese Ausplünderungspolitik unseres deutschen Volkes Verantwortung tragen". Die herrschende Klasse würde Wind säen und Sturm ernten, und die NPD müsse der Sturm sein. In Bezug auf die Stationierung deutscher Soldaten in Afghanistan äußerte er, "wir wollen, dass eine deutsche Armee auf deutschem Boden innerhalb deutscher Grenzen eingesetzt wird. Dann steht das Volk auch hinter dieser Armee, die dann wieder Wehrmacht heißen soll, nicht Bundeswehr, sondern deutsche Wehrmacht, damit auch jeder weiß, wofür sie eingesetzt werden soll, nämlich für den Schutz unseres Heimatlandes und nicht unter dem Befehl eines fremden Generals". Den Bürgermeister der Stadt beleidigte er mit der Aussage, er sei eine "Demokratenfratze". Die NPD führte auch 2007 zum 1. Mai mehrere dezentrale Veranstaltungen durch. An den sechs von ihr organisierten Demonstrationen nahmen insgesamt 2.700 Personen teil. Die größte Veranstaltung fand in Erfurt mit ca. 1.300 Personen unter dem Motto "Zukunft statt Globalisierung" statt. Die Veranstaltung, die aufgrund der hohen Zahl von etwa 2.500 Gegendemonstranten nur als stationäre Kundgebung abgehalten werden konnte, wurde nach heftigen Auseinandersetzungen beider Lager mit der Polizei vorzeitig beendet. Der Landesvorsitzende der NPD Thüringen wertete die Veranstaltung in Erfurt dennoch als Erfolg: "Eine solche Teilnehmerzahl gab es zuletzt 1992 in Thüringen, was unseren Aufwärtstrend bescheinigt und zeigt, dass 197 Rechtsextremismus Thüringen Schritt für Schritt von uns zurückerobert wird." In Vechta (Niedersachsen) nahmen ca. 100 Personen - darunter die NPD-Bundesvorstandsmitglieder Jürgen RIEGER und Andreas MOLAU - an einer Demonstration unter dem Motto "Gegen ein unsoziales System" teil. MOLAU zeigte sich trotz der niedrigen Teilnehmerzahl mit der Veranstaltung zufrieden, "es brauche keine Massenveranstaltungen, um Massen zu erreichen". Wie bereits Ende 2006 vom damals neugewählten NPD-Parteivorstand angekündigt, wurde für das Jahr 2007 der geplante G8-Gipfel in Mecklenburg-Vorpommern als "wichtiges politisches Schwerpunktthema" festgelegt. Eine von der NPD für den 02.06.07 in Schwerin angemeldete Kundgebung anlässlich des G8-Gipfels konnte - wie auch eine entsprechend angemeldete Gegendemonstration - aufgrund einer Verbotsentscheidung des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern in Greifswald vom 01.06.07 nicht durchgeführt werden. Eine für Ludwigslust angemeldete Protestveranstaltung der NPD wurde ebenfalls verboten. Da sich das von der NPD mit Eilantrag angerufene Bundesverfassungsgericht nicht mehr rechtzeitig vor der beabsichtigten Veranstaltung mit der Sache befasste, rief die NPD ihre Anhängerschaft zu "dezentralisierten, spontanen Demonstrationen" auf. Die größtenteils bereits mit Bussen auf der Anreise befindlichen NPD-Anhänger führten daraufhin in mehreren Bundesländern Protestkundgebungen gegen "den G8-Gipfel in Heiligendamm und die Einschränkungen der Meinungs-, Redeund Versammlungsfreiheit in Schwerin und Ludwigslust" durch. Dabei kam es u. a. zu einer Spontandemonstration in Lüneburg (Niedersachsen) mit ca. 300 Teilnehmern ( 4.). Ferner gelang es der NPD, in Berlin mit Fahnen durch das Brandenburger Tor zu marschieren. Bei der Aktion "direkt auf den Stufen des Reichstages" entrollten sächsische NPD-Anhänger globalisierungskritische Transparente. Insbesondere die Aktionen am Brandenburger Tor und die damit bei den Medien erzielte Aufmerksamkeit wurden von der Partei, aber auch der Neonaziszene als historischer Erfolg angesehen. Hamburg Die NPD konnte ihre Mitgliederzahl, etwa 140, anders als im Vorjahr nicht weiter steigern. 198 Rechtsextremismus Nach einer hektischen Vorstandssitzung am 04.01.07 trat der NPDLandesvorstand Hamburg geschlossen zurück. In einer im Internetportal "Störtebeker-Netz" veröffentlichten Erklärung meinte die geschäftsführende Landesvorsitzende Anja ZYSK am 05.01.07, der Landesvorstand habe damit den Weg für Neuwahlen freigemacht. Als Grund für ihren Rücktritt gab ZYSK an, "eine konstruktive Zusammenarbeit (sei) nicht mehr möglich" gewesen. Vorausgegangen sei ein massiver interner Streit u. a. wegen einer von ihr für den 10.02.07 geplanten Kundgebung gegen einen Moscheebau in Hamburg-Bergedorf. Mit "massiven Drohungen" und einer "beispiellosen Mobbingkampagne" hätten Landesvorstandsmitglieder bereits seit längerem versucht, sie an öffentlichkeitswirksamen Aktivitäten zu hindern. Die Mehrheit des Landesvorstandes unterstütze diese Machenschaften. Es sei sehr bedenklich, dass der Landesverband Hamburg zur Zeit nicht mehr vom Landesvorstand, sondern "mehr und mehr von Kräften außerhalb des Landesverbandes gelenkt werde". Bereits vor einem Jahr hätten Anhänger des bundesweit aktiven Rechtsextremisten Thomas WULFF sie darüber informiert, dass er zum Jahresende 2006 ihren Sturz plane und den rechtsextremistischen Hamburger Rechtsanwalt und Beisitzer im NPD-Bundesvorstand, Jürgen RIEGER, zum Landesvorsitzenden machen wolle. Nach dem Rücktritt des Landesvorstandes verschärfte sich der Konflikt. Am 08.01.07 stellte ZYSK Strafanzeige gegen ein Landesvorstandsmitglied wegen Verstoßes gegen SS 86 a StGB ("Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen") sowie wegen Bedrohung, Beleidigung, übler Nachrede und Verleumdung. Dies wurde im Internetportal "Störtebeker-Netz" unter der Überschrift "Harte Bandagen - Hamburger Landesvorsitzende erstattet Anzeige gegen parteiinternen Kontrahenten" thematisiert. In einem Kommentar zu diesem Artikel behauptete Christian WORCH, dass er über Dritte erfahren habe, dass RIEGER bezüglich der Übernahme des Landesvorsitzes gesagt habe: "Wenn ihr eine Gallionsfigur braucht, würde ich das machen; aber nur, wenn die eigentliche Arbeit von jemand anderem gemacht werden würde." Am 25.02.07 fand ein Landesparteitag mit Neuwahlen statt. Unter der Leitung des stellvertretenden NPD-Bundesvorsitzenden Peter MARX wurde Jürgen RIEGER mit großer Mehrheit zum neuen Landesvorsitzenden gewählt. Dieser erklärte daraufhin, dass zukünftig verstärkte Öffentlichkeitsarbeit und Mitgliederwerbung in Hamburg erfolgen 199 Rechtsextremismus solle. Die Überfremdung von ganzen Stadtteilen und Schulen müsse gestoppt werden. RIEGER ist seit vielen Jahren für mehrere rechtsextremistische Vereinigungen und Organisationen als Leiter, Aktivist und Referent tätig. Auch als Anwalt hat er eine wichtige Funktion für die rechtsextremistische Szene. 2006 hatte er die rechtliche Vertretung der vor dem Landgericht Mannheim in zwei unterschiedlichen Verfahren angeklagten Revisionisten Ernst ZÜNDEL und Germar RUDOLF übernommen ( 10.). Parteipolitisch engagiert er sich bereits seit geraumer Zeit insbesondere für die NPD. Bei der Bundestagswahl 2005 hatte er für die NPD auf Platz 1 der Hamburger Landesliste kandidiert. Seinem Bemühen um eine verstärkte Einflussnahme auf die NPD folgte 2006 die Mitgliedschaft in der Partei. Auf dem NPD-Bundesparteitag im November 2006 in Berlin wurde er als Beisitzer in den neuen Bundesvorstand gewählt und erhielt die Leitung des Referates "Außenpolitik und Finanzbeschaffung". Dies korrespondiert mit seiner finanziellen Unterstützung für die NPD in sechsstelliger Höhe. RIEGER ist im Besitz diverser Immobilien. Die NPD setzte im Jahr 2007 ihre verstärkten öffentlichen Aktivitäten zusammen mit Vertretern der Hamburger Neonaziszene fort. Mehrere Führungspersonen der "Neonaziund Skinheadszene in Bramfeld" gehören gleichzeitig der NPD an ( 4.). Mit der Übernahme des Landesverbandes durch RIEGER verstärkte sich diese Verflechtung. Einige Führungspositionen im Landesverband und in den Kreisverbänden wurden von Angehörigen dieser Szene übernommen. In den Bezirken Altona, Bergedorf und Wandsbek wurden im gesamten Jahr 2007 zahlreiche Informationsstände errichtet. Die NPD veranstaltete am 14.04., 19.05. und 09.06.07 im Rahmen ihrer Proteste gegen den G8-Gipfel in Heiligendamm unter dem Motto "Es gibt keine gerechte Globalisierung - sozial statt global" bundesweite Aktionstage. In Hamburg bot sie am 19.05.07 an mehreren Ständen Propagandamaterial an. Dabei wurden die bereits in den zurückliegenden Wochen im Hamburger Stadtgebiet verteilte Aktionszeitung "Jetzt reicht's - Zukunft statt Globalisierung!" und das Faltblatt "Globalisierung stoppen" an Interessenten verteilt. Im Bezirk Hamburg-Nord wurde neben 200 Rechtsextremismus diesen Faltblättern auch die "Schulhof-CD" an jüngere Personen verteilt. Zeitgleich betrieb sie einen Informationsstand in Bergedorf. Dort wurde auch die Aktion gegen die Globalisierung mit Vertretern der Neonaziszene im Rahmen der lokalen Kampagne gegen "Überfremdung" unter dem Motto "Für ein sicheres Bergedorf" durchgeführt. Einige Vertreter der örtlichen Antifa sowie weitere Personen des linken Spektrums versuchten, den Stand zu stören, dies konnte durch starke Polizeipräsenz jedoch verhindert werden. Auch in Wandsbek wurden zum Aktionstag zwei Stände aufgebaut. Die NPD zog das Fazit, das angenommene Material sowie einige Aufnahmeanträge in Wandsbek seien ein Beweis dafür, dass die Hamburger NPD die Sorgen der Deutschen anspreche und die Lösungsansätze vor Ort auf offene Ohren stießen. Ein weiterer bundesweiter NPD-Aktionstag gegen den G8-Gipfel fand am 09.06.07 statt. Außer Informationsständen in Wandsbek und Bergedorf gab es auch in Hamburg-Blankenese (Bezirk Altona) einen Informationsstand. An diesem beteiligte sich der dort wohnhafte Landesvorsitzende Jürgen RIEGER. Zum Abschluss der Aktionstage äußerte die NPD Hamburg auf ihrer Internetseite, dass "viele Hamburger zu der Erkenntnis gelangt sind, dass es Globalisierungsgegner nahezu ausschließlich in der Nationalen Opposition gibt. Die Folkloristen und Krawalltouristen von Links sind hingegen schizophrene Anhänger irrealer Utopien. Die Welt ist kein Schlaraffenland und nur freie Nationalstaaten können die schaffende Arbeit vor Ausbeutung schützen". Am 17.06.07 fand ein Satzungsparteitag der Hamburger NPD statt. Neben den Diskussionen und Abstimmungen in Bezug auf eine neue Landessatzung gab es auch politische Beiträge. So berichtete ein Landtagsabgeordneter der NPD aus Mecklenburg-Vorpommern über die parlamentarische Arbeit in Schwerin. Thomas WULFF, "wehrpolitischer Sprecher" der NPD, kritisierte eine Politik, die "Soldaten zu sinnlosen und völkerrechtswidrigen Kriegseinsätzen in alle Welt schickt, im Gegensatz dazu aber die Fähigkeit zur Heimatverteidigung aufgibt". Auf einer Demonstration von Antifa-Gruppen mit dem Tenor "Antifaschistischer Aktionstag gegen Heß-Gedenkmarsch: Nazis stoppen! Kein Ort für die Verherrlichung des Nationalsozialismus" am 14.08.07 in Hamburg-Blankenese sollte auf den Wunsiedel-Aktionstag am 18.08.07 hingewiesen werden. Die Demonstration richtete sich gegen 201 Rechtsextremismus Jürgen RIEGER, den Anmelder der "Heß-Märsche" in Wunsiedel. Dieser rief zum Schutz seines Wohnhauses zu einer Gegenkundgebung auf der Kreuzung Auguste-Baur-Str./Elbchaussee auf. Daran nahmen ca. 50-60 Personen - darunter auch einige Anwohner sowie mehrere DVU-Mitglieder des Landesverbandes Hamburg - teil. Schwerpunkt der Kundgebung war einer längere Rede RIEGERs. Er umriss dabei alle regionalen, nationalen und internationalen NPD-Themen und ging auch auf die gerichtlichen Auseinandersetzungen um den Rudolf-HeßGedenkmarsch ein. Die gesamte Veranstaltung verlief relativ störungsfrei. Die Polizei trennte die zahlreichen Gegendemonstranten von den Rechtsextremisten. Anlässlich des Bundesparteitages der SPD am 26.10.07 veranstaltete der NPD-Landesverband Hamburg, gemeinsam mit der Bundespartei und benachbarten Landesverbänden, eine Kundgebung vor dem Congress Center Hamburg, in dem die SPD tagte. Als Versammlungsleiter fungierte Thomas WULFF. Unter dem Motto "Mehr Demokratie wagen - Hände weg von der NPD" sollte gegen einen vom SPD-Bundesparteitag erwarteten Beschluss über ein erneutes Verbotsverfahren gegen die NPD protestiert werden. Trotz entsprechender Werbung auf der Internetseite der NPD-Hamburg und der Ankündigung, dass auf der Kundgebung der Bundesvorsitzende Udo VOIGT, Bundesgeneralsekretär Peter MARX, Jürgen RIEGER, der Spitzenkandidat zur Landtagswahl Niedersachsen Andreas MOLAU, Udo PASTÖRS sowie Holger APFEL auftreten würden, konnte die NPD lediglich 130 Teilnehmer mobilisieren. Dieser geringe Zulauf trotz des für die Partei äußerst wichtigen Verbotsthemas und trotz der Präsenz eines Großteils der NPD-Parteiführung muss für die NPD eine herbe Enttäuschung gewesen sein - insbesondere wegen des weitgehenden Fernbleibens "Freier Kräfte" und der geringen Resonanz in den Medien. Die Kundgebung verlief ohne nennenswerte Störungen. Im Oktober 2007 fand in Wandsbek eine Saalveranstaltung des Landesverbands der NPD statt, auf der der Spitzenkandidat der NPD zur Landtagswahl in Niedersachsen, Andreas MOLAU, als Gast auftrat. In seiner Rede behauptete er, dass "die NPD nicht gegen Grundrechte verstößt". Er warf vielmehr den "Blockparteien" vor, "permanent das Grundgesetz mit Füßen zu treten" und bat abschließend alle Anwesenden um tatkräftige Unterstützung im Wahlkampf. 202 Rechtsextremismus Auf der Internetseite der NPD-Hamburg wurde am 03.01.08 die Mitteilung verbreitet, "...dass nach mehreren Jahren ohne Landesverband oder Stützpunkt der Jungen Nationaldemokraten (JN) im Dezember 2007 eine Stützpunktgründung durch zahlreiche junge Aktivisten aus der Hansestadt Hamburg beschlossen wurde. ... Die Notwendigkeit eines JN-Stützpunktes wurde mit zunehmendem Interesse aktivistischer, revolutionär ausgerichteter Jugendlicher in Hamburg immer deutlicher. ...". Die JN ist die Jugendorganisation der NPD. Der JN-Landesverband Hamburg hatte sich im Jahr 1997 aufgelöst. Mehrere Versuche in den Folgejahren, einen neuen Landesverband zu gründen, blieben erfolglos. 8.2 Deutsche Volksunion (DVU) Wie in den Vorjahren verlor die "Deutsche Volksunion" (DVU) 2007 weitere Mitglieder. Die Zahl verringerte sich auf etwa 7.000 Mitglieder: 7.000 (2006: etwa 8.500). Die im Jahr Bundessitz: München 2000 noch 17.000 Personen zähVorsitzender: Dr. Gerhard FREY lende DVU ist damit nicht mehr die mitgliederstärkste rechtsextLandesverband Hamburg remistische Partei. Eine Zusammenarbeit mit der aktionistisch Mitglieder: 160 orientierten rechtsextremistischen Vorsitzender: Günther SCHLEMMER Szene lehnt sie grundsätzlich ab. Ihr Gründer, Dr. Gerhard FREY, wurde auf dem Bundesparteitag am 20.01.07 in München mit 99,6% der abgegebenen Stimmen als Bundesvorsitzender bestätigt. Er führt die Partei zentralistisch und autokratisch. Den 16 Landesverbänden bleibt für eigenständiges politisches Handeln nur wenig Raum. Zur Propaganda wurden überwiegend die Internetseiten der Bundespartei und der Landesverbände sowie die von Dr. FREY herausgegebene "National Zeitung /Deutsche Wochen-Zeitung" (NZ) genutzt. Die DVU bekennt sich zwar formal zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung, in der NZ werden jedoch rechtsextremistische Agitati203 Rechtsextremismus onsmuster verbreitet. Die Berichterstattung ist tendenziell ausländerfeindlich, revisionistisch und antisemitisch ausgerichtet. Sie zielt, teils unterschwellig, darauf ab, Ressentiments in der Bevölkerung hervorzurufen und Ängste zu schüren. Durch plakative Schlagzeilen wurden Ausländer pauschal diskreditiert: "Ausländer kosten mehr als sie einzahlen!", "Importierte Ausländerkriminalität immer schlimmer", (NZ Nr. 26,35/2007). Das Thema "Überfremdung" wurde von der NZ u.a. im Zusammenhang mit einem möglichen EU-Beitritt der Türkei häufig aufgegriffen. In dem Beitrag "Scheitert EU-Beitritt der Türkei?" (NZ Nr. 34 vom 17.08.07) wurden die vermeintlichen Folgen einer Niederlassungsfreiheit beschrieben: "Weitere Millionen Türken - Experten-Schätzungen schwanken zwischen 15 und 20 Millionen - würden nach Deutschland kommen und das ohnehin mehr und mehr empfindliche Sozialnetz überbelasten. Die Folgen liegen auf der Hand: Mehr Arbeitslose, mehr Ghettos, mehr Überfremdung, mehr Kriminalität, mehr Glaubenskämpfe, mehr sozialer Unfrieden." Die "geradezu explodierende türkische Bevölkerungszunahme" würde zu einem dramatischen "Bevölkerungswandel" und einer "Total-Verfremdung Deutschlands" führen. In der NZ wurden auch revisionistische Beiträge veröffentlicht. Der NS-Staat wurde verharmlost und wissenschaftlich anerkannte Darstellungen geschichtlicher Ereignisse als Fälschungen bzw. Lügen bezeichnet. Ein in der NZ Nr. 38 vom 14.09.07 erschienener Artikel kritisierte, man nehme "die eigene Vernichtung in Kauf", wenn man "ein als positiv deutbares Wort über NS-Vorgänge" verliere. Dies sei eine "Totschlag-Mentalität", in der "unanständige Kollektivanklagen gegen Deutsche" wurzelten. Im Umkehrschluss hieße das, - so der Autor-, "dass es nichts Gutes am Nationalsozialismus gab". Es folgten die polemisch-rhetorischen Fragen "Warum aber sind dann so viele Deutsche auf den NS hereingefallen? Weil sie kollektiv alle böse, blutrünstig und schuldig waren?" In der Zeitung wurde wiederholt für Bücher geworben, die angeblich über die behaupteten Lügen aufklären (z.B.: "Das letzte Geheimnis - Wie es wirklich zur Katastrophe des Zweiten Weltkrieges kam", "Das Lexikon der antideutschen Fälschungen"). Zudem waren Anhaltspunkte für eine latent vorhandene antisemitische Grundhaltung festzustellen. Mahnmale zum Gedenken an die Opfer des Nationalsozialismus wurden als "einseitige Vergangenheits204 Rechtsextremismus bewältigung" verunglimpft. So heißt es in einem Artikel in der NZ Nr. 38 vom 14.09.07: "Im Herzen Berlins grüßt ein sündteures Holocaust-Mahnmal alle Welt. Auf deutschem Boden gibt es bereits 5.000 antideutsche Gedenkstätten. Diese werden auf Kosten des Steuerzahlers für Millionen Euro gehegt und gepflegt." Andere schreckliche historische Ereignisse des zweiten Weltkrieges wurden ebenfalls als Holocaust bezeichnet. Dadurch soll die Singularität des Holocaust in Frage gestellt und als ein Ereignis unter vielen gleichartigen relativiert werden. So wurde z.B. vom "nuklearen Holocaust von Hiroshima und Nagasaki", vom "Bomben-Holocaust von Dresden" und dem "Vertreibungs-Holocaust an Millionen Deutschen" gesprochen. Die Zusammenarbeit mit der NPD im Rahmen des Deutschland-Paktes wurde fortgeführt. Die DVU ist nur in einem Landtag - in Brandenburg - vertreten. Im Jahr 2007 nahm sie an der Landtagswahl in Bremen am 13.05.07 teil und erhielt ein Mandat (Stadt Bremerhaven 5,4%; Land Bremen 2,7%). Durch den Austritt des stellvertretenden Bundesund stellvertretenden Landesvorsitzenden Siegfried TITTMANN aus der DVU am 17.07.07, der sein Mandat behielt, ist die Partei nicht mehr in der bremischen Bürgerschaft vertreten. TITTMANN war seit 1999 Abgeordneter der DVU in Bremen und seit vielen Jahren ein Aushängeschild der Partei. Im Landesverband Hamburg der DVU stagnierte die Mitgliederzahl. Die große Mehrzahl der ca. 160 - überwiegend älteren - Mitglieder war inaktiv. * Teilnahme an der Wahl zur Hamburgischen Bürgerschaft am 24.02.08 Dem mit der NPD im Januar 2005 geschlossenen "Deutschland-Pakt" ( 4.) entsprechend nahm die DVU an den Bürgerschaftswahlen in Hamburg am 24.02.08 teil. Am Wahlkampf, den eingesetzten Wahlkampfmitteln und der Auswahl der Kandidaten war die Parteizentrale in München maßgeblich beteiligt. Vor dem Beschluss des Bundesvorstandes im August 2007 über die Wahlteilnahme trat der Landesverband der DVU kaum öffentlichkeitswirksam auf. Danach versuchte die Partei, sich öffentlich stärker zu präsentieren. Sie konzentrierte sich zunächst auf verstärkte Propaganda auf ihrer Internetseite und versuchte vergeblich, Räume für Wahlveranstaltungen zu organisieren. 205 Rechtsextremismus Personell schwach besetzt, warb sie bundesweit um Wahlkampfhelfer und Kandidaten, u.a. in ihrer Zeitung und in Schreiben an deren Abonnenten. Spitzenkandidat der aus 11 Personen bestehenden Landesliste wurde Matthias FAUST, der erst im Frühjahr 2007 in die Partei eingetreten war. Er wurde zudem Pressesprecher der Hamburger DVU. FAUST war vorher in Hamburg zunächst bei den "Republikanern" und dann in der NPD aktiv (Schlagzeilen aus dem politischen Extremismus: "Hamburger DVU macht WORCH-Adlatus zum Pressesprecher"). Der zweite Parteitag des Landesverbandes Hamburg im Jahr 2007 mit ca. 300 Teilnehmern am 02.09.07 wurde als Wahlauftaktveranstaltung deklariert. Schwerpunkte des Wahlkampfes waren die plakativen Themen: "Mehr Demokratie! / Maulkorbskandal"; "Arbeit statt Zuwanderung!"; "Geld für Deutsche statt Bundeswehr im Ausland!", "Hartz IV-Armut", "Oben prassen, unten hungern". Speziell für Hamburg: "Michel statt Moschee - Keine orientalische Machtsymbolik in unserer Stadt!" Für den 13.10.07 meldete die DVU auf dem Hamburger Rathausmarkt eine Kundgebung zum Thema Meinungsfreiheit an. Anlass war die Entlassung einer bekannten NDR-Moderatorin wegen ihrer umstrittenen Äußerungen zur Familienpolitik im Nationalsozialismus,. Die Veranstaltung wurde nach dem "Bannmeilengesetz" verboten, da an diesem Tag eine gemeinsame Fraktionssitzung von CDU, GAL und SPD stattfand. Die DVU sah sich in ihren Rechten verletzt und erstattete Strafanzeige wegen des Verdachts der Untreue. Sie vertrat die Auffassung, durch die Einberufung dieser Sondersitzung zur Verhinderung der DVU-Kundgebung seien Fraktionsgelder zweckentfremdet verwendet worden. Die Staatsanwaltschaft Hamburg stellte das Verfahren im Dezember ein. Am 08.11.07 besuchte eine Delegation der DVU eine Plenarsitzung der Hamburgischen Bürgerschaft. Ein von der Partei beabsichtigtes Informationsgespräch über das Verbot der Kundgebung fand nicht statt, da die in der Bürgerschaft vertretenen Fraktionen für ein Gespräch nicht zur Verfügung standen. Die letzte Phase des Wahlkampfes begann Mitte Januar mit InfoTischen in verschiedenen Stadtteilen. Ende Januar 2008 wurde er mit Plakaten, Flugblättern und Wahlkampf-DVDs verstärkt. Die einzige 206 Rechtsextremismus DVU-Wahlveranstaltung fand am 17.02.08 mit ca. 400 Teilnehmern im Congress Center Hamburg (CCH) statt. Mit einem für die Partei enttäuschenden Ergebnis von 0,8 % verfehlte sie erwartungsgemäß den Einzug in die Hamburgische Bürgerschaft. Da das Ergebnis unter einem Prozent blieb, konnte die DVU nicht von der staatlichen Teilfinanzierung profitieren (Schlagzeilen aus dem politischen Extremismus: "Teilnahme der DVU an der Wahl zur Hamburger Bürgerschaft"). 9. Sonstige rechtsextremistische Organisationen und Bestrebungen Außer den bereits beschriebenen Organisationen und Szenen gibt es eine Vielzahl von Kleinstparteien, Organisationen, Bündnissen, Einrichtungen, Sammlungsbewegungen und Initiativen, die sich in ihrer politisch-ideologischen und extremistischen Ausrichtung sowie in Größe und Bedeutung zum Teil erheblich unterscheiden. Insgesamt wurden diesem Spektrum 2007 ca. 6.000 Personen zugerechnet (2006 waren es ca. 3.800; siehe Erläuterungen unter 2.). Anhand ihrer Ziele und Aktivitäten sind unterschiedlichste Ausprägungen nationalistischer, fremdenfeindlicher, antisemitischer, revisionistischer oder heidnischgermanischer Agitationsmuster festzustellen. Viele dieser Bestrebungen sind in ihren Aktivitäten regional begrenzt. Mit ca. 500 Mitgliedern ist die rechtsextremistische Kulturvereinigung "Gesellschaft für freie Publizistik e.V." (GfP) eine der größten Organisationen in diesem Bereich. Sie war 1960 von ehemaligen SS-Offizieren und NSDAP-Funktionären gegründet worden. Ihr gehören vor allem Verleger, Redakteure, Schriftsteller und Buchhändler an, die zum Teil auch in der NPD aktiv sind. Im Mittelpunkt der GfP-Aktivitäten stand der Jahreskongress in Bad Kissingen, der vom 11.-13.05.07 mit über 300 - auch Hamburger - Teilnehmern stattfand. Mit ihrem Veranstaltungsmotto "Geschichte und Justiz im Würgegriff der Politik" setzte die GfP ihren "Kampf um die Meinungsfreiheit" fort. Bekannte Rechtsextremisten hielten revisionistisch geprägte Vorträge zur "Gesinnungsjustiz", zur "Strangulierung" der Meinungsfreiheit und zum "Meinungszwang". Es wurden 207 Rechtsextremismus drei Entschließungen verabschiedet. Darin agitierte die GfP gegen das "Sondergesetz über 'Volksverhetzung'" und gegen "politische Justiz" und kritisierte die Behandlung "gewaltfreier Revisionisten" in Deutschland. Deren Verurteilungen wurden als "rechtsstaatswidrig" und im Hinblick auf die zeitgleich diskutierte "Begnadigung der ... RAF-Mörder" als "grotesk" bezeichnet. Es sei ein "Skandal", dass "neuere ... Forschungsergebnisse zu umstrittenen Fragen der Zeitgeschichte" nicht vor Gericht zugelassen und mit der "sogenannten 'Offenkundigkeit' unterdrückt" würden. Deshalb sei eine verfassungsmäßige Überprüfung und Aufhebung des SS 130 StGB, der die Meinungsund Pressefreiheit "unerträglich" einschränke, dringend notwendig. In einer weiteren Erklärung zum Thema "Verhältnis Islam - Europa" versuchte sich die GfP an einer Gratwanderung zwischen rechtsextremistisch motivierter Ausländerfeindlichkeit und der Notwendigkeit, internationale Bündnispartner zu finden. Die Organisation erklärte, Länder wie der Iran seien - obwohl der Islamismus innerhalb Europas ein "Problem für die kulturelle Substanz" darstelle - außenpolitisch als "Partner und Freunde Europas im Kampf gegen den Amerikanismus" zu sehen. Der auf dem "Deutschen Kongress" wiedergewählte GfPVorsitzende Andreas MOLAU betonte, "Sinn und Zweck der GfP ist es, das freie Wort möglichst weit zu verbreiten". Er kündigte an, weitere "Vortragsund Arbeitskreise ... vor Ort" zu bilden. MOLAU kandidierte als Spitzenkandidat der NPD zur Landtagswahl in Niedersachsen (Januar 2008) und gehört dem Bundesvorstand der Partei an. Der Hamburger Rechtsextremist und Rechtsanwalt Jürgen RIEGER leitet den Verein "Artgemeinschaft - Germanische Glaubens-Gemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung" (Artgemeinschaft-GGG). Dem Verein angeschlossen ist das "Familienwerk e.V.". Auch hier ist RIEGER Vorstandsmitglied. Die Organisation propagiert die Bewahrung, Erneuerung und Weiterentwicklung der "kulturellen, volklichen und rassischen Identität der nordeuropäischen Menschenart". Er vertritt völkisch-rassistisches und antisemitisches Gedankengut. An den überregionalen "Gemeinschaftstagen" des Vereins, die regelmäßig in Nordthüringen mit etwa 200 Personen um die "Tagund Nachtgleiche", zur Sommersonnenwende und zum "Juleingang" in Nordthüringen stattfinden, nehmen überwiegend Angehörige der rechtsextremistischen Szene aus dem gesamten Bundesgebiet teil. Ansonsten präsentiert sich die "Artgemeinschaft" auf einer von RIEGER betriebe208 Rechtsextremismus nen "Heimatseite" im Internet und tritt durch die Herausgabe und den Verkauf eigener Schriften und Bücher in Erscheinung. Als "Stimme des Artglaubens" wird vierteljährlich die "Nordische Zeitung" herausgegeben. Darin propagiert der Verein die "Erhaltung des nordischen Kulturerbes", die "Verwirklichung einer sinnerfüllten Lebensgestaltung" und damit "das Überleben unserer Art". Rechtswidrige Erwähnung der "Bürgerbewegung pro Deutschland" im "Verfassungsschutzbericht 2005" des LfV Hamburg Das Verwaltungsgericht Hamburg hat nach einer mündlichen Verhandlung am 13.12.07 entschieden, "dass die Einstufung der Bürgerbewegung pro Deutschland im Verfassungsschutzbericht 2005 als 'rechtsextremistisch' rechtswidrig war." Das Gericht bestätigte jedoch das Vorliegen "hinreichend gewichtiger Anhaltspunkte für den Verdacht", dass von "pro Deutschland" "eine Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung" ausgehe. Maßgeblich für die Einschätzung des Gerichts war die "enge Verflechtung" mit der "Bürgerbewegung pro Köln e.V.", auf deren Konzepte "pro Deutschland" ihre Betätigung stützt. Aufgrund der "engen Verflechtung" beider Gruppierungen seien "pro Deutschland" die bei "pro Köln" festgestellten gravierenden Verdachtsmomente für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung zuzurechnen. Das VG Hamburg berief sich hierbei u.a. auf Urteile des VG Düsseldorf vom 21.10.05 und 04.12.07. Das Verwaltungsgericht Hamburg machte deutlich, dass die Art der Darstellung der Bürgerbewegung im Verfassungsschutzbericht 2005 nicht dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit entsprochen habe. Es "hätte kenntlich gemacht werden müssen, dass lediglich ein Verdacht vorliegt." 10. Revisionismus Ein fundamentaler Bestandteil rechtsextremistischen Gedankengutes ist das revisionistische Bestreben, den Nationalsozialismus nachträglich zu rechtfertigen, zu verharmlosen, von Schuld freizusprechen oder gar aufzuwerten, um die NS-Herrschaft und ihre Ideologie zu entlasten und die Geschichtsschreibung über die Zeit des "Dritten Reiches" zu ändern. Im Zentrum revisionistischer "Geschichtsaufarbeitung" steht die Leugnung oder zumindest die Relativierung des Massenmordes an 209 Rechtsextremismus den europäischen Juden ("Holocaust-Leugnung", "Auschwitz-Lüge") (Geschichtsrevisionismus). Für viele Revisionisten besteht das Deutsche Reich in den Grenzen von 1914 bzw. 1937 fort. Es bedarf nur der Wiederherstellung seiner Handlungsfähigkeit (Gebietsrevisionismus). Mit revisionistischer Argumentation eng verbunden, ist das Thema Antisemitismus. Dabei schüren Rechtsextremisten die Feindschaft gegenüber Juden und deren Staat Israel. Unterstützung erhofften sich deutsche Revisionisten durch das am 13.12.06 in Teheran gegründete "Internationale Holocaust-Forschungskomitee" (IHF), dessen Aufgabe die "objektive, unabhängige und wahrheitssuchende" Untersuchung des behaupteten Holocaust sein soll. Dem IHF gehören führende Revisionisten aus Dänemark, Frankreich, Australien, Großbritannien und der Schweiz an. Der Iran spielt für deutsche Revisionisten weiterhin eine besondere Rolle. Die vom IHF angekündigte zweite "internationale Holocaust-Klärungskonferenz" wird von diesen mit Interesse und Spannung erwartet. Seit 2005 wurden mehrere namhafte Vertreter der Revisionisten-Szene wie Ernst ZÜNDEL, Germar RUDOLF, David IRVING, Gerd HONSIK, Siegfried VERBEKE und Horst MAHLER inhaftiert. Die Prozesse gegen die Betroffenen wurden von deutschen Revisionisten für zahlreiche Sympathiekundgebungen in den Gerichtssälen sowie im Internet oder sonstigen Publikationen genutzt. Wesentliche Forderung der Unterstützer war hierbei die Abschaffung des SS 130 StGB (Volksverhetzung), der für sie im Widerspruch zur grundgesetzlich garantierten Meinungsund Pressefreiheit und zum Recht auf freie Geschichtswissenschaft steht. Der 1958 nach Kanada emigrierte Ernst ZÜNDEL erfuhr die größte Unterstützung. Er wurde am 15.02.07 vom LG Mannheim wegen Volksverhetzung, Beleidigung und Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren ohne die Chance auf eine Bewährung nach zwei Dritteln der Haftzeit verurteilt. Seine zweijährige Auslieferungshaft in Kanada wurde nicht auf die Strafe angerechnet. Das Urteil wurde am 18.09.07 vom Bundesgerichtshof bestätigt und ist somit rechtskräftig. ZÜNDEL erwägt, gegen das Urteil Verfassungsbeschwerde einzulegen. In dem seit November 210 Rechtsextremismus 2005 anhängigen Verfahren wurde er von mehreren Szeneanwälten vertreten. Während die Anwälte MAHLER und dessen Lebensgefährtin Sylvia STOLZ wegen ihrer volksverhetzenden Ausführungen vom Prozess ausgeschlossen und mit Berufsverboten belegt wurden, war Jürgen RIEGER bis zum Prozessende für ZÜNDEL tätig. Da er im Rahmen der Verteidigung den Holocaust wiederholt abstritt oder verharmloste, erhob die Mannheimer Staatsanwaltschaft im September 2007 Anklage wegen Volksverhetzung und strebt außerdem ein Berufsverbot gegen RIEGER an. Dieser setzte seine Angriffe auf die Justiz und gegen die Holocaust-Geschichtsschreibung jedoch fort. Auf seiner Internetseite erklärte er: Trotz "krasseste(r) Mängel" in einem "geradezu beispiellosen Verfahren" und trotz "offensichtlicher absoluter Revisionsgründe" sei ZÜNDEL rechtskräftig verurteilt worden. Den Richtern sei "völlig gleichgültig" gewesen, was ZÜNDEL oder die nur als "Staffage" dienende Verteidigung vorgetragen hätten. Die Richter seien "an einem fairen Verfahren" nicht interessiert gewesen und hätten "skandalöse Rechtsbrüche" begangen. "Wenn es um historisch abweichende Meinungen" gehe, sei "gegenüber Angeklagten in der BRD alles erlaubt". "Nationale Deutsche" würden in diesem Staat zunehmend zu "Freiwild". Mit Germar RUDOLF wurde ein weiterer namhafter "Holocaust-Leugner" am 15.03.07 vom LG Mannheim rechtskräftig zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Das von ihm verfasste Werk "Vorlesungen über den Holocaust" wurde eingezogen. Für den Verkauf einiger hundert Exemplare erhielt RUDOLF eine zusätzliche Geldstrafe von 21.600 EUR. Zwischen 40 - 50 Personen wohnten der Urteilsverkündung bei, darunter der ehemalige NPD-Bundesvorsitzende Günter DECKERT. Der am 20.02.06 in Wien wegen "nationalsozialistischer Wiederbetätigung" zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilte britische Staatsangehörige David IRVING wurde inzwischen vorzeitig aus der Haft entlassen. Er ist nach seiner Rückkehr nach Großbritannien weiterhin revisionistisch aktiv. Ein von ihm verfasster Erlebnisbericht "Meine Gefängnisse", in dem er seine Festnahme und Haftzeit in Österreich schildert, wurde in der vom DVU-Bundesvorsitzenden herausgegebenen "National-Zeitung" als eindringliches "Plädoyer für Forschungs211 Rechtsextremismus und Meinungsfreiheit", "spektakuläres Werk" und "zeitgeschichtliches Dokument ersten Ranges" gepriesen und zur Bestellung angeboten. Am 23.08.07 wurde in Spanien der österreichische Holocaustleugner Gerd HONSIK festgenommen. Er trat am 05.10.07 eine 18-monatige Haftstrafe an. HONSIK drohen weitere Verfahren. In der von ihm aus dem spanischen Exil herausgegebenen Zeitschrift "Halt!" und auf seiner Homepage veröffentlichte er auch in Deutschland strafrechtlich relevante Artikel. Die bekanntesten Vertreter des deutschen Geschichtsrevisionismus sind in den Gruppierungen "Reichsbürgerbewegung" (RBB), auch "Reichsbewegung" (RB) genannt, "Völkische Reichsbewegung" (VRB), "Verein zur Rehabilitierung der wegen Bestreitens des Holocaust Verfolgten" (VRBHV), im "Collegium Humanum" um den ehemaligen RAF-Anwalt Horst MAHLER sowie im "Deutschen Kolleg" (DK) des Hamburger Rechtsextremisten Dr. Reinhold OBERLERCHER aktiv. Gemeinsames Ziel ist die Wiederherstellung der Handlungsfähigkeit des Deutschen Reiches und die Beseitigung der liberalen, parlamentarischen Demokratie. An deren Stelle soll eine "Neue Ordnung ohne Parteienherrschaft" in Form eines "Vierten Reiches" treten. Ihr Kampf richtet sich insbesondere gegen die Juden, die beschuldigt werden, mit Hilfe Israels und der USA durch ihre antinationale und "multiethnische" Politik den Niedergang aller europäischen Nationen und die "Demontierung des deutschen Volkes" zu betreiben. Insbesondere MAHLER tat sich zusätzlich durch die Glorifizierung Adolf HITLERs hervor, den er als Verkörperung eines göttlichen Willens in der Geschichte und "Erlöser des deutschen Volkes" bezeichnete. Das DK versteht sich als "Denkorgan", "Schild und Schwert" und "Souverän" des "Deutschen Reiches". Als selbsternannter Vertreter des "noch handlungsunfähigen Deutschen Reiches" reklamiert es für sich geistige und materielle Staatsgewalt. Dies schließt für das DK auch das grundsätzliche Recht ein, "Reichsfeinde" "militärisch unter Beschluß und Beschuß zu nehmen". Schwerpunkt der DK-Aktivitäten war bislang die theoretische Schulung interessierter Reichsanhänger. Diese soll die "nationale Intelligenz" zur "Wortergreifung" befähigen. Wie im Vorjahr gelang es dem Hamburger Rechtsextremisten OBERLERCHER auch in diesem Jahr nicht, regelmäßig Schulungen zu veranstalten. Vereinzelt trat er als Referent auf. Das lediglich von 212 Rechtsextremismus OBERLERCHER getragene DK besteht derzeit nur aus seinem Internetauftritt, aber auch dort gab es nur noch wenige Beiträge. Während 2005 noch zwölf Erklärungen veröffentlicht wurden, waren es 2006 lediglich fünf und 2007 nur noch vier Thesenpapiere. Darin nahm das DK in bekannter demokratiefeindlicher, NS-verherrlichender, revisionistischer und antisemitischer Weise zu ideologischen und aktuellen Themen Stellung und stellte die Anwendung von Gewalt als völkerrechtlich grundsätzlich legitimes Mittel dar. Die "Reichsbürgerbewegung" (RBB) war von MAHLER nach seinem kurzfristigen Wirken im DK Ende 2003 initiiert worden. Ziel seiner RBB, die auch unter der Bezeichnung "Reichsbewegung" auftrat, ist die Entmachtung der "Judenheit" und der von ihr dominierten "USOstküste". MAHLER und seine Anhänger arbeiteten eng mit dem 1963 gegründeten "Collegium Humanum - Akademie für Umwelt und Lebensschutz e.V." (CH) in Vlotho zusammen. Mittlerweile hat MAHLER seine Beteiligung an diesen Veranstaltungen eingestellt. Bei einem Sommerfest im CH am 25.06.07 fungierte der Hamburger Revisionist Klaus KAPING als Leiter des "Kameradschaftsabends". Als neue Basis seiner Aktivitäten dient MAHLER derzeit die "Völkische Reichsbewegung". Nach eigenen Angaben handelt es sich bei der VRB um ein "durch den völkischen Reichsgedanken und durch den Willen zur Behebung der Not von Volk und Reich zusammengefügtes Netzwerk von Deutschen, die noch Deutsche sein wollen". Die VRB vertritt die These "Deutschlands Zukunft ist das Deutsche Reich! - oder Deutschland hat keine!" Die Aktivitäten der VRB beschränkten sich bisher auf die Verbreitung holocaustleugnender und NS-verherrlichender Texte. Außerdem werden als "Literatur zur Wahrheitsfindung" u.a. das "Rudolf-Gutachten", HITLERs "Mein Kampf", eine Rede des HITLER-Stellvertreters Rudolf Heß von 1935 und das "25-Punkte-Programm der NSDAP" veröffentlicht. Der Ende 2003 ebenfalls von MAHLER initiierte "Verein zur Rehabilitierung der wegen Bestreitens des Holocaust Verfolgten" (VRBHV) sieht seine Hauptaufgabe in der Unterstützung angeklagter und verurteilter Holocaust-Leugner und darin, deren Strafverfolgung nach SS 130 StGB als "Justizverbrechen" zu brandmarken. Dem Verein gehören nach eigenem Bekunden "führende revisionistische Forscher und Publizisten aus aller Welt" an, die trotz strafrechtlicher Verfolgung 213 Rechtsextremismus unerschrocken für die Wahrheit kämpfen. Zu den "verfolgten" und deshalb z.T. "emigrierten ... Opfern des SS 130 StGB" des VRBHV gehören neben MAHLER weitere bekannte Revisionisten wie ZÜNDEL, RUDOLF, VERBEKE und IRVING. Gemäß der von MAHLER propagierten "Wortergreifungsstrategie" nutzten die VRBHV-Anhänger Gerichtsverfahren gegen ihre Wortführer als Bühne zur Verbreitung ihrer Verschwörungstheorien. Sie unterstellten den Vertretern der Justiz Befangenheit und Fremdbestimmung, stellten den Holocaust in Frage, verlangten Diskussionsfreiheit für dieses Thema und agitierten gegen das nach ihrer Ansicht die "Weltherrschaft" anstrebende "Weltjudentum". Ziel ihrer öffentlichen Auftritte war es nach eigenem Bekunden, "eine Bresche in die Mauer des juristischen Opportunismus" und die "Willfährigkeit" des Systems "zu schlagen". Diese "Aktionen für das große Publikum" würden solange durchgeführt, wie "Richter aus Uneinsichtigkeit und Feigheit immer weitere inquisitorische Verurteilungen" aussprächen. Zur Strategie MAHLERs gehört auch die Provokation von Strafverfahren. Für ihn entspricht die Verfolgung sogenannter Meinungsdelikte nicht dem Willen des deutschen Volkes, sondern ist Ausdruck "jüdischer Fremdherrschaft". Dementsprechend forderte er von seinen Mitstreitern, bei ihrem Kampf auch selbst Gefängnisstrafen in Kauf zu nehmen und so die Bühne ihres Wirkens zu vergrößern. Aufgrund einer Verurteilung wegen Volksverhetzung durch das LG Berlin verbüßte MAHLER ab 16.11.06 eine neunmonatige Freiheitsstrafe. Er hatte 2002 als Vertreter der NPD im Verbotsverfahren den Hass auf Juden als "untrügliches Zeichen eines intakten spirituellen Immunsystems" bezeichnet. Bei seinem Haftantritt hatte sich MAHLER von seinen Begleitern mit dem Hitlergruß und "Heil Hitler" verabschiedet. Wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen (SS 86a StGB) wurde er deshalb am 23.11.07 vom AG Cottbus in erster Instanz erneut zu einer sechsmonatigen Freiheitsstrafe ohne Bewährung verurteilt. Ein weiteres Strafverfahren wegen Volksverhetzung und Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen erwartet MAHLER nach einem am 04.10.07 in München geführten Interview mit einem bekannten TV-Moderator. Diesen begrüßte er mit "Heil Hitler", und er bezeichnete Israel als "Wurmfortsatz der Judenheit" und "Raubgebilde". HITLER nannte er einen "Erlöser des deutschen Volkes" und die Nürnberger Rassegesetze erklärte er für 214 Rechtsextremismus "Recht". Er agitierte gegen Mischehen von Deutschen und Türken, in denen er eine "Gefährdung des deutschen Volkes" sieht. Von den Morden der RAF distanzierte er sich nur, da sie nicht zum gewünschten Ziel geführt hätten. Das Töten von Menschen halte er für grundsätzlich vertretbar, "wenn das Ziel, die Befreiung des deutschen Volkes" sei. Hierfür könne auch irgendwann die Bildung einer "Reichsarmeefraktion" nötig sein. Die Anwältin Sylvia STOLZ folgte der Provokationsstrategie ihres Lebensgefährten MAHLER. Aufgrund ihrer volksverhetzenden Äußerungen war sie im April 2006 durch Beschluss des OLG Karlsruhe von der Mitwirkung am ZÜNDEL-Verfahren ausgeschlossen worden. In dieser Sache wurde sie am 14.01.08 vom LG Mannheim wegen Volksverhetzung, Nötigung, versuchter Strafvereitelung und Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Zudem wurde ein fünfjähriges Berufsverbot verhängt und wegen bestehender Fluchtgefahr U-Haft angeordnet. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. STOLZ hat beim Bundesgerichtshof Revision eingelegt. Gegen den bereits einschlägig verurteilten Hamburger Klaus KAPING wurde im November durch die hiesige Staatsanwaltschaft ein neues Verfahren wegen des Verdachts der Volksverhetzung eingeleitet. Ihm wird vorgeworfen, in einem im März 2007 im Internet veröffentlichten Aufsatz "Der Ernst Zündel-Prozeß und seine geschichtlichen Hintergründe" den Holocaust geleugnet zu haben. Unter anderem erklärte KAPING: "Über Einzelheiten des Holocaust brauchen wir nicht mehr diskutieren. Das ist erledigt. Er ist ein Schwindel!". Zu den bekanntesten revisionistisch geprägten Großveranstaltungen zählt der Trauermarsch der "Jungen Landsmannschaft Ostdeutschland" (JLO), der jährlich zum Gedenken an die Opfer des "Alliierten Bombenterrors" in Dresden stattfindet. Mit rund 1.750 Personen sank die Teilnehmerzahl des Marsches 2007 gegenüber dem Vorjahr (4.200) zwar um mehr als die Hälfte, die Veranstaltung fand jedoch an einem nicht arbeitsfreien Werktag statt. Als Redner trat u.a. der NPDBundesvorsitzende Udo VOIGT auf. Die Gedenkveranstaltungen zum Todestag des HITLER-Stellvertreters Rudolf Heß in Wunsiedel zählten zu den jährlich von Revisionisten 215 Rechtsextremismus geprägten Großveranstaltungen. Am letzten zentralen Heß-Gedenken in Wunsiedel im Jahr 2004 hatten sich noch ca. 3.800 Personen beteiligt. Seit 2005 ist die zentrale Veranstaltung verboten. An den dezentralen Veranstaltungen im Jahr 2007 zum 20. Todestag des ehemaligen HITLER-Stellvertreters beteiligten sich wie im Vorjahr bundesweit nur noch etwa 1.200 Rechtsextremisten. Die größte Kundgebung mit etwa 380 Teilnehmern wurde in Jena vom NPD-Landesverband Thüringen unter dem Motto "Weg mit den Volksverhetzungsgesetzen - Für Meinungsfreiheit" durchgeführt. RIEGER als Initiator und Organisator der Wunsiedel-Veranstaltungen nahm am 17.08.07 an einer Kundgebung der "Jungen Nationaldemokraten" (JN) unter dem Motto "Meinungsfreiheit - 365 Tage im Jahr, Maulkorbparagraphen abschaffen" in München teil und trat dort vor etwa 80 Teilnehmern als Redner auf. Da von einigen Teilnehmern gegen Auflagen verstoßen wurde, leitete die Polizei strafrechtliche Ermittlungen ein. Eine von RIEGER nach dem Wunsiedel-Verbot 2005 angestrengte Grundsatzentscheidung des Bundesverfassungsgerichtes zur Verfassungsmäßigkeit des erweiterten SS 130 StGB steht noch aus. 216 Verfassungsschutz in Hamburg Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern ohne Islamisten Linksextremismus Rechtsextremismus Scientology-Organisation Spionageabwehr Geheimund Sabotageschutz Anhang * Hamburgisches Verfassungsschutzgesetz Scientology-Organisation VI. Scientology-Organisation (SO) 1. Zielsetzungen Die Ständige Konferenz der Innenminister und -senatoren des Bundes und der Länder (IMK) stellte im Juni 1997 fest, dass hinsichtlich der ScientologyOrganisation (SO) tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung vorliegen und deshalb die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Beobachtung durch die Verfassungsschutzbehörden gegeben sind. Nach einer Klage der "Scientology Kirche Deutschland e.V." und der "Scientology Kirche Berlin e.V." gegen die Beobachtung durch das Bundesamt für Verfassungsschutz bestätigte das Verwaltungsgericht Köln im November 2004 die Rechtmäßigkeit der Beobachtung. Auch im zweiten Versuch scheiterten die Kläger in einer Berufungsverhandlung vor dem Oberverwaltungsgericht Münster am 12.02.08. Das Gericht wies die Klage zurück und ließ keine Revision zu. Somit wurde die Beobachtung durch den Verfassungsschutz für rechtens erklärt. In der Urteilsverkündung hieß es, Scientology strebe eine Gesellschaftsordnung an, mit der "zentrale Verfassungswerte wie die Menschenwürde und das Recht auf Gleichbehandlung außer Kraft gesetzt oder eingeschränkt" werden sollen. Dies ergebe sich aus teilweise nicht öffentlichen Schriften, aber auch aus Aktivitäten von Scientology. Die SO lehnt weiterhin die parlamentarische Demokratie ab. Expansionsbestrebungen der SO verfolgen das Ziel, die verfassungsmäßige Ordnung zu untergraben. In einem von der SO beeinflussten politischen System wären im Grundgesetz konkretisierte Menschenrechte und das Recht des Volkes auf allgemeine und gleiche Wahlen außer Kraft gesetzt oder zumindest eingeschränkt. An der Zielsetzung, eine scientologische Zivilisation durch Expansion in politische und gesellschaftliche Bereiche umzusetzen, hielt die Organisation auch im Jahr 2007 fest. David MISCAVIGE, der Vorsitzende des Vorstands des "Religious Technology Center" (RTC) bekräftigte auf einem Gipfeltreffen von Scientologen in Clearwater / USA 2007 die Absicht, den "Planeten zu klären" und "alle und jeden auf die Brücke" zu bringen. Mit der "Brücke zur völligen Freiheit" verbindet die 218 Scientology-Organisation SO eine Folge von Ausbildungsstufen, die zu einem anderen Bewusstsein führen sollen. Die "International Association of Scientologists" (IAS) behauptete mit drohendem Unterton über die von ihr gesponserten SO-Kampagnen 2007: "Diese Kampagnen sind nicht nur gute Nachrichten, sie sind ein globaler Angriff auf die unterdrückerischen Elemente, die Millionen von Menschen die Brücke versperren". Zur Eröffnung einer SO-Niederlassung in Berlin im Januar 2007 wurde ein Papier der Hamburger Org (häufiges Kürzel für "Organisation") mit strategischem Inhalt aus dem Vorjahr bekannt, in dem die Zielsetzung der Einflussnahme auf das deutsche Parlament und auf die gesamte deutsche Gesellschaft beschrieben wurde (Verfassungsschutzbericht 2006 des LfV Hamburg, VI. 2). Das Bekanntwerden dieser internen Erklärung war der SO unangenehm, weil es nicht zu ihrer propagierten vorgeblich unpolitischen Haltung passt. Deshalb kam es zu einem Distanzierungsversuch. Der Präsident der "Scientology Kirche Hamburg e.V.", Gerd CHRISTOFFEL, erklärte im Mai 2007, das Papier sei entgegen einer ausdrücklichen Weisung entstanden und verstoße gegen kirchliche Richtlinien. Dabei wurden allerdings weder die Richtlinien benannt noch die inhaltlichen Aussagen der strategischen Ziele bestritten. In ihren Werbeaktivitäten stellt die SO vorzugsweise soziale Programme in den Vordergrund und versucht, den Anschein einer nicht politisch orientierten Organisation zu erwecken, um unauffälliger expandieren zu können. Diese Taktik wurde im Jahr 2007 noch konsequenter eingehalten. Die SO gab sich im Hinblick auf politische Erklärungen zurückhaltender als in den Vorjahren. Die Publikationen der SO enthielten weniger offensive politische Aussagen. Das beabsichtigte Einbringen scientologischer Ideologie in Politik und Gesellschaft wird in aktuellen Schriften noch fallweise deutlich, wie im 2007 neu aufgelegten Buch "Einführung in die Ethik der Scientology": "Wenn wir einen überlegenen Gesetzeskodex und ein überlegenes Gesetzessystem haben, das den Menschen wirkliche Gerechtigkeit 219 Scientology-Organisation bringt, werden wir uns einfach über die Gesellschaft ausbreiten ... In unseren Linien liegt zu viel Wahrheit, als dass sie keinen gesellschaftlichen Umbruch verursachen würde." Zu dieser Absicht und zur Ideologie der SO gehört ein Führungsanspruch gegenüber der Gesellschaft und dem politischen System. Das selbstgefällige und überhebliche Gruppendenken von Scientologen kommt in herabwürdigenden Einschätzungen von Nichtscientologen, die auch als "rohes Fleisch" bezeichnet werden, zum Ausdruck: "...ein alltäglicher, gewöhnlicher, durchschnittlicher, typischer Humanoide, womit eine Person gemeint ist, die denkt, dass sie ein Körper ist und die keineswegs weiß, dass sie ein geistiges Wesen ist." ("Einführung in die Ethik der Scientology", 2007) Arbeitsfeld Scientology - "Ideologie und Zielsetzungen" 2. Strukturen und Organisationseinheiten der SO In Deutschland ist der allgemeine Informationsstand über die von der SO ausgehenden Gefahren vergleichsweise hoch. Daher gelingt es der SO hier nicht, in dem Maße zu wachsen und Einfluss geltend zu machen, wie von ihr beabsichtigt. Deshalb versucht sie über Organisationsteile, die auf den ersten Blick keinen Scientology-Zusammenhang erkennen lassen, zu expandieren. Die SO geht seit 2007 verstärkt diese versteckten Wege, um sich Zugänge in Gesellschaft und Politik zu verschaffen. Aus diesem Grund werden hier neben bekannten Strukturen die aktuell in Deutschland und in Hamburg aktiven Untergliederungen kurz vorgestellt. Das von David MISCAVIGE, Nachfolger des Scientology-Gründers Ron L. HUBBARD, geführte "Religious Technology Center" (RTC) gehört zur Spitze des internationalen SO-Managements mit Sitz in Los Angeles/USA. Es soll als Inhaber der Rechte und Besitzer aller "Warenund Dienstleistungszeichen" die Existenz und Funktionsfähigkeit der SO sicherstellen. 220 Scientology-Organisation Ebenfalls zum internationalen Management in den USA gehört ein "Watchdog-Committee" (WDC), das die weiteren Unterorganisationen überwacht. Neben diesen Führungseinrichtungen in den USA gibt es auf den kontinentalen Ebenen sogenannte "Continental Liaison Offices" (CLO), die Management und Kontrolle gegenüber den nationalen Ebenen durchführen. Das für Deutschland zuständige "Verbindungsbüro" befindet sich in Kopenhagen. Bedeutende nationale Führungsstrukturen gibt es in der SO nicht. Die "Sea Organization" (Sea Org) ist eine teilweise uniformiert auftretende, paramilitärisch organisierte Eliteeinheit der SO, die mit durchgreifenden Machtbefugnissen ausgestattet ist. Wichtige Führungspositionen werden zum Teil auch in Deutschland vorrangig mit Sea Org-Angehörigen besetzt. Die Sea Org unterhält mit dem "Rehabilitation Project Force" (RPF) Einrichtungen, die Strafoder Arbeitslagern ähneln. (Internetseiten der Arbeitsgruppe Scientology, Broschüre der Behörde für Inneres - Arbeitsgruppe Scientology - und der Landeszentrale für politische Bildung "Gehirnwäsche im Rehabilitation Project Force (RPF) der Scientology Organisation") Die "International Association of Scientologists" (IAS) mit Sitz in Saint Hill / Großbritannien treibt Mitgliedsbeiträge und Spenden in erheblichem Umfang ein. Aus ihrer "Kriegskasse" finanziert die IAS viele SOEinrichtungen und aufwändige Kampagnen. Das "Office of Special Affairs" (OSA), regional "Department of Special Affairs" (DSA), ist für Rechtsangelegenheiten, Public Relations und geheimdienstliche Aktivitäten zuständig. (Publikationen / Downloads / Broschüre des LfV Hamburg "Der Geheimdienst der Scientology Organisation") Das DSA ist auch involviert in die Steuerung verschiedener regionaler Aktivitäten, wie z.B. der Initiativen des Vereins "Sag Nein zu Drogen - Sag Ja zum Leben" und in Kampagnen der SO unter dem Titel "Jugend für Menschenrechte". Im "World Institute of Scientology Enterprises" (WISE) sind scientologisch geführte Firmen und Geschäftsleute organisiert. Es dient der 221 Scientology-Organisation Expansion der SO in die Geschäftswelt sowie der - in Hamburg bislang erfolglosen - Strategie, Scientology-Technologien in Gemeinden und Regierungen einzuführen. In Hamburg existiert als regionale Niederlassung ein WISE Charter Komitee. Zur "Association for Better Living and Education" (ABLE) gehören Narconon und Criminon für Drogenund Gefangenenrehabilitation sowie für den Bildungsbereich "Applied Scholastics" (ApS) mit Schulen und Nachhilfeangeboten. Die "Studiertechnologien" der SO werden nach einer HUBBARD-Richtlinie als "unsere Brücke zur Gesellschaft" bezeichnet. Die "The Way to Happiness Foundation", in Deutschland durch den Vertrieb eines Heftes mit dem Titel "Der Weg zum Glücklichsein" bekannt, gehört ebenfalls zu ABLE. Deutsche Scientologen wurden 2007 von ABLE International aufgefordert, dieses Scientology-Heft in allen Bereichen der Gesellschaft, auch an Schulen, zu verbreiten; eine Verteilung an Hamburger Schulen ist nicht bekanntgeworden. Ein weiterer Zugang in die Gesellschaft wird von dem bundesweit tätigen, von Scientologen gegründeten Verein "Sag Nein zu Drogen - Sag Ja zum Leben" gesucht. Unter diesem Tenor und zum Teil auch als "Initiative" oder gar "Bürger-Initiative" bezeichnet, sollen am Thema Drogenprävention Interessierte an Scientology herangeführt werden. Der internationale SO-Zweig "Foundation for a Drug-Free World" versandte 2007 Werbematerial in Deutschland. Speziell an Schüler und Jugendliche richtet sich die Scientology-Initiative "Jugend für Menschenrechte in Deutschland", in Hamburg aktiv unter der Bezeichnung "Jugend für Menschenrechte Hamburg". Mit Videoclips und Broschüren soll über Menschenrechte aufgeklärt werden, obwohl die Ideologie der SO vielfach im Gegensatz zu Grundund Menschenrechten steht. "Youth For Human Rights International" fiel in Hamburg ebenfalls durch Werbesendungen auf. Die "Citizens Commission on Human Rights" (CCHR), in Deutschland "Kommission für Verstöße der Psychiatrie gegen Menschenrechte" (KVPM), führt eine kontinuierliche Hetzkampagne gegen die Psych222 Scientology-Organisation iatrie. Die SO strebt eine Monopolstellung für jegliche psychische Betreuungsarbeit an: "It is Time to Take Over the Field of Mental Health" (Planetary Dissemination News, Volume II, Issue 2). In einer Internetpräsenz unter dem Titel "Einsatz für Kinder", die auf den ersten Blick keinen direkten Scientology-Bezug erkennen lässt, schreibt der Präsident der KVPM-Bundesleitung, Bernd TREPPING, von einer "durch Psychopharmaka vernebelten Jugend" und versucht damit, Eltern in Sorge zu versetzen und so für das Thema zu interessieren. "Celebrity Center" (CC) sind ein "besonderes Netzwerk" zur Betreuung international und regional prominenter Scientologen ("in erster Linie Künstler"), um deren Popularität und Einfluss für Propagandazwecke zu nutzen. Einige Musiker und Schauspieler gelten als besondere Botschafter der SO. Der bekannteste unter ihnen ist Tom CRUISE. Bereits 2004 wurde er für sein Engagement von der SO ausgezeichnet und als der "berühmteste Scientologe der Welt" gefeiert. Er sucht seither erfolgreich politische und gesellschaftliche Kontakte, um sich für die Expansion der Organisation einzusetzen. CRUISE verknüpfte auch 2007 seine Rollen als Schauspieler und Produzent geschickt mit seiner Werbung für Scientology. Mit einem Filmprojekt in Deutschland stand er in der Kritik, erlangte jedoch auch für Scientology Aufmerksamkeit und zum Teil positive Resonanz in gesellschaftspolitischen und kulturellen Kreisen. Die sogenannten Orgs (Organisationen) und die kleineren Scientology-Missions sind die regionalen Niederlassungen der SO. Die Orgs bestehen aus diversen Abteilungen, zu denen auch das DSA gehört. Sie sind dafür geschaffen, als "existenzfähige und expandierende Org (...) ihre Gemeinde zu klären." In ihnen werden diverse Kurse nach scientologischer Technologie angeboten. Sie sind für die regionale Expansion verantwortlich, müssen ständig Strategien des internationalen Managements umsetzen und stehen durch vergleichende Wettbewerbe im Konkurrenzdruck zu anderen Orgs. Was dort neben der Aufrechterhaltung der SO-Technologie (u.a. durch interne Strafverfahren) zählt, sind das Streben nach Gesellschaftsfähigkeit durch Public Relations einschließlich der Abwehr von Kritik, steigende Mitgliederzahlen und finanzieller Gewinn. 223 Scientology-Organisation 3. Aktivitäten Die Eröffnung einer neuen Berliner Org am 13.01.07 wurde von Scientologen aus anderen Bundesländern unterstützt. Auch in Hamburg wurden Scientologen für Berlin rekrutiert. In Berlin, dem "Geburtsort der Intoleranz", entstand somit die erste "Ideale Org", "ein Leuchtfeuer der Freiheit", in Deutschland. "Ideale Orgs" werden nach größerem Umsatz, mehr Personal und insbesondere nach der Möglichkeit politischer Einflussnahme bemessen. Nach Angaben des SO-Führers, David MISCAVIGE, sind sie strategisch dafür eingerichtet, an "Schlüsselpunkten der Welt - von Städten mit nationalen Regierungen, wo es hochwichtig ist, Zugang zu den Kommunikationslinien zu bekommen." ("Impact", Ausgabe 112/2006). In der "Scientology News" (Ausgabe 36/2007) war diesbezüglich von "strategischen Hauptknotenpunkten der Erde" als "Grundpfeiler für eine neue Zivilisation" die Rede. Ein Ziel der neuen Berliner Org ist die Einflussnahme auf den Deutschen Bundestag. In einer Broschüre der "Scientology Kirche Berlin" (2007) wurden Expansionsabsichten in großer Bandbreite deutlich. Unter dem Titel "Applied Scholastics - Die Revolution im Bildungswesen", hieß es zu ApS: "Ihre Zielsetzung besteht darin, Regierungsstellen, Pädagogen, Gemeindegruppen, Eltern, Schüler und Studenten mit dieser lebenswichtigen Lernmethode auszurüsten, (...) Auch in Berlin kümmern sich Scientologen um versetzungsgefährdete Schüler." Wie andere extremistische Erscheinungsformen stellt auch die SO ihre Ideologie dem von ihr abgewerteten demokratischen System als das angeblich bessere Angebot gegenüber. So wurde die neue Berliner Org als "Insel der Anständigkeit und der Sicherheit inmitten der Turbulenz und Verwirrung, die das moderne Leben kennzeichnet" dargestellt. Aufklärer, die einer Expansion im Wege stehen, werden vom scientologischen Geheimdienst "Office of Special Affairs" (OSA) und dem Hamburger "Department of Special Affairs" (DSA) aufmerksam registriert, beobachtet und fotografiert - so in Hamburg anlässlich eines europäischen Kongresses über Sekten, bei dem es auch um Scientology ging. Bereits zur Pressekonferenz am Vortag und zur Veranstaltung am 28.04.07 in der Handwerkskammer Hamburg erschienen 224 Scientology-Organisation Scientologen vor den Eingängen, um Besucher in Gespräche zu verwickeln, auszufragen und sie dabei unverhohlen zu fotografieren und zu filmen. Hamburger Scientologen arbeiteten 2007 nach Vorgaben des internationalen Managements der SO lt. "Newsletter / Ideale Org Hamburg" weiter an ihrem Expansionsprojekt: "Nachdem wir in unserer Bundeshauptstadt eine Ideale Org geschaffen haben und im letzten Dreivierteljahr die ganze Konzentration unserer Nation auf diesem Projekt lag, stellt sich natürlich die Frage, wie es mit dem Ideale Org-Projekt vor Ort in Hamburg weiter geht?" Auf internen Veranstaltungen und mit Instruktionen aus den USA wurde an dem Projekt "Ideale Org", verbunden mit hoher Spendenbereitschaft, gearbeitet. Weitere sogenannte Events, die neben der ständigen Indoktrination mit SO-Ideologie, mit dem Eintrichtern von Gruppengeist und Kaufdruck für neue Scientology-Produkte (Bücher und DVDs) zum Teil eher Verkaufsveranstaltungen glichen, fanden zahlreich, auch in Veranstaltungsräumen etablierter Hamburger Hotels, statt. Um die Expansion in Deutschland anzukurbeln, ergoss sich im Jahr 2007 eine Flut von Werbesendungen der SO aus den USA und aus deutschen Niederlassungen über Schulen, staatliche Einrichtungen, private Firmen und Regierungsstellen. Im Juli 2007 wurden Häftlinge in verschiedenen Hamburger Justizvollzugsanstalten von "Criminon" angeschrieben, um ihnen einen Scientology-Kurs nahezulegen - allerdings ohne einen Hinweis auf die SO. Im August 2007 berichtete der Sprecher der Scientology Kirche Hamburg e.V., Frank BUSCH, in einer Pressemitteilung über eine "Bürger-Initiative" gegen den Drogenkonsum. Der Tenor diesbezüglicher Veranstaltungen in der Hamburger Org "Sag Nein zu Drogen - Sag Ja zum Leben" ist identisch mit dem Namen eines von Scientologen 1982 gegründeten Vereins. 2007 wurden Broschüren zu diesem Thema in Hamburg verteilt. Die internationale SO-Einheit "Foundation for a Drug-Free World" versandte zeitgleich Informationsmaterial an Jugendeinrichtungen in Hamburg. 225 Scientology-Organisation Im September 2007 bezeichnete Frank BUSCH in einer weiteren Veröffentlichung die von Scientologen gesteuerte "Initiative Jugend für Menschenrechte" als Sozialprogramm der Scientology Kirche. Auch in Hamburg sollten Jugendliche angesprochen werden. Die SO warb für dieses Thema mit Videoclips und Broschüren. Im weiteren Verlauf des Herbstes 2007 führten Hamburger Scientologen Informationsveranstaltungen zum Thema "Jugend für Menschenrechte" in Norddeutschland durch. Im November erhielten Hamburger Schulleiter Einladungen zu einer Veranstaltung über diese Thematik in der Hamburger Org, und "Youth For Human Rights International" schickte Werbematerial an weitere staatliche Einrichtungen in Hamburg. Die Beeinflussung von Kindern und Jugendlichen gehörte 2007 offensichtlich zu den vorrangigen Zielen der SO. Auch in Hamburg wurde von Scientologen, die zu ApS gehören, Nachhilfeunterricht angeboten. Zugleich unterhält ApS eine Scientology-Schule kurz hinter der deutschdänischen Grenze in Bjerndrup, in der Hamburger Scientologen unterrichten und nach früheren SO-Angaben "zahlreiche Kinder aus Hamburg und anderen Teilen Deutschlands" untergebracht waren. Aktuelle Zahlen liegen nicht vor. In dieser Schule wird nach der Methodik des Scientology-Gründers L. Ron HUBBARD unterrichtet. Die paramilitärische Sea Org sieht die dortigen Kinder als Rekrutierungspotential. In East Grinstead / Großbritannien befindet sich eine "Cadet School", in der Kinder als Nachwuchs für die Sea Org ausgebildet werden. 2007 wurden dafür SO-intern Mitarbeiter gesucht: "Hättest Du Interesse mit Kindern zu arbeiten?" Die KVPM Ortsgruppe Hamburg nutzte am 10.10.07 im Rahmen einer bundesweiten SO-Aktion den "Internationalen Tag der seelischen Gesundheit" für einen Protest in der Hamburger Innenstadt gegen "persönlichkeitszerstörende Psychopharmaka" und prangerte "Fehlschläge des psychiatrischen Systems" an. Im Oktober erhielten Firmen und staatliche Stellen in Deutschland und in Hamburg von der "The Way of Happiness Foundation" aus den USA das Heft "Der Weg zum Glücklichsein" zugesandt. Ohne einen für Außenstehende erkennbaren Hinweis auf Scientology fanden sich auf diesen Angebotsexemplaren Fotos von Politikern und Firmenchefs mit den dazugehörigen Adressen und Logos und der in ihren Namen aufgedruckten Empfehlung für die Verbreitung dieses Heftes der SO. 226 Scientology-Organisation ( Schlagzeilen aus dem politischen Extremismus, "Vorsicht! Verdeckte Werbung für die SO. Das Heft 'Der Weg zum Glücklichsein'") 4. Strukturen in Hamburg / Mitgliederzahlen Hamburg gehört in Deutschland zu den Schwerpunktgebieten scientologischer Aktivitäten. Alle norddeutschen Länder sind Einzugsbereiche für die Hamburger Orgs. In Bremen und in Niedersachsen existieren kleinere Niederlassungen der SO. Neben der inaktiven "Scientology Gemeinde Nord e.V." in Altona (früher "Scientology Mission Eppendorf e.V.") blieb die Eppendorfer Org ("Scientology Kirche Eppendorf e.V.") mit ihrem Sitz in Hohenfelde auch im Jahr 2007 in ihren Erfolgen und der Anzahl ihrer Angehörigen weit hinter der Hamburger Org zurück. Die in der Innenstadt gelegene Hamburger Org ("Scientology Kirche Hamburg e.V.") hält sich mit der Anzahl ihrer Staffs (feste Mitarbeiter) und Publics (Kunden) dagegen seit Jahren auf eher hohem Niveau. Sie entfaltete viele Werbeaktivitäten und versuchte, mit diversen internen Veranstaltungen ihren Umsatz zu erhöhen und die Scientologen aus Hamburg und Umgebung zu intensiveren Anstrengungen anzuregen, um erfolgreicher zu expandieren. Zur Hamburger Org gehören sieben Abteilungen mit diversen Untergliederungen und Zuständigkeiten u.a. für "Verbreitung", "Finanzen", "Öffentlichkeitskontakt" und "Feldkontrolle". In der "Führungsabteilung" sitzt u.a. das DSA, die regionale OSA-Vertretung mit den Aufgaben Public Relations und Rechtsangelegenheiten. Von dort werden auch "Verfolgung" und "Untersuchungen" organisiert: "Diese Unterabteilung handhabt externe Angelegenheiten, um die Org vor Konflikten von außen zu schützen. (...) Ihr Personal ist ausgebildet, um solche Angelegenheiten zu handhaben ...". An einer Verbreitung von Scientology in Hamburg wirkten mehrere SO-Organisationseinheiten mit: * "Applied Scholastics" (ApS) bot Nachhilfe an. 227 Scientology-Organisation * Die "Kommission für Verstöße der Psychiatrie gegen Menschenrechte e.V. - Ortsgruppe Hamburg" (KVPM) hatte Broschüren im Angebot und protestierte öffentlich gegen Psychopharmaka. * "Sag Nein zu Drogen - Sag Ja zum Leben" ist ein Verein, der gegen den Drogenkonsum auftrat. Und schließlich agitierte eine * "Initiative Jugend für Menschenrechte" für SO-Interessen. Aus dem Hamburg nahegelegenen Barsbüttel suchte "Criminon Deutschland e.V." Kontakte zu Insassen Hamburger Justizvollzugsanstalten. Das "World Institute of Scientology Enterprises" (WISE) mit der regionalen Niederlassung eines "WISE Charter Komitees" ist für die Expansion im Wirtschaftsbereich zuständig. Bei den WISE-Mitgliedern in Hamburg handelt es sich vorwiegend um Geschäftsleute mit kleineren Gewerbebetrieben und um einige von mittelständischer Größenordnung, beispielsweise im Computerzubehörhandel, im Managementtraining und im Immobilienbereich. Bedeutende Erfolge der SO oder eine erfolgreiche Beeinflussung gesellschaftlicher, wirtschaftlicher oder politischer Bereiche durch Scientologen in Hamburg konnten auch im Jahr 2007 nicht festgestellt werden. Mitverantwortlich dafür, dass die SO in Hamburg nicht in dem von ihr gewünschten Maß expandiert, ist eine kontinuierliche Aufklärungsarbeit der zuständigen Stellen. In den Hamburger SO-Organisationseinheiten glichen sich seit Jahren personelle Abgänge stets durch neu geworbene Anhänger aus. Insgesamt stagnierte die SO in Hamburg. Auswirkungen der im Jahr 2007 deutlich gesteigerten und zum Teil verdeckten Werbeaktivitäten bleiben allerdings abzuwarten. In Hamburg liegt die Zahl der Scientologen noch unverändert bei etwa 750. Bundesweit blieben die geschätzten Mitgliederzahlen aller SOOrganisationseinheiten mit 5.000 bis 6.000 ebenfalls konstant. Weitere Informationen über die Scientology-Organisation: Arbeitsfeld Scientology 228 Verfassungsschutz in Hamburg Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern ohne Islamisten Linksextremismus Rechtsextremismus Scientology-Organisation Spionageabwehr Geheimund Sabotageschutz Anhang * Hamburgisches Verfassungsschutzgesetz Spionageabwehr VII. Spionageabwehr 1. Überblick Die Bundesrepublik Deutschland ist aufgrund ihrer geopolitischen Lage, ihrer Wirtschaftskraft, ihres wissenschaftlich-technischen Entwicklungsstandes und ihrer internationalen Bedeutung ein bevorzugtes Ausforschungsziel fremder Nachrichtendienste. Die hierdurch entstehenden Schäden für Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und Forschung sowie für den militärischen Bereich sind erheblich. Die Spionageabwehr hat den gesetzlichen Auftrag, Informationen über sicherheitsgefährdende und geheimdienstliche Aktivitäten fremder Mächte zu sammeln und auszuwerten. Dabei geht es nicht nur um das Enttarnen einzelner Agenten, sondern um die systematische Aufklärung von Strukturen, Arbeitsmethoden und Zielrichtungen der gegen Deutschland tätigen Nachrichtendienste. Besondere Wachsamkeit gilt nicht nur dem Schutz der "klassischen" Aufklärungsziele Politik, Militär, Wirtschaft, Wissenschaft und Forschung, sondern auch dem Erkennen und Verhindern einer wachsenden illegalen Verbreitung von Massenvernichtungswaffen (Proliferation) und einer zunehmenden staatlich gesteuerten strategischen Wirtschaftsaufklärung (Wirtschaftsspionage). Die Zielrichtung der in Deutschland agierenden Nachrichtendienste ist nicht einheitlich ausgerichtet: Während die Dienste Russlands und anderer aus der ehemaligen UdSSR hervorgegangenen Staaten vorrangig Informationen aus den Bereichen Politik, Militär und Militärindustrie, Energie und Finanzwirtschaft sowie wissenschaftliche Forschung beschaffen, sind die Nachrichtendienste aus Ländern des Nahen und Mittleren Ostens auch mit der Ausforschung und Unterwanderung ihrer jeweiligen Oppositionsgruppen in Deutschland beauftragt. Chinesische Nachrichtendienste befassen sich in Deutschland sowohl mit der Beeinflussung von Oppositionellen als auch mit der Sammlung von technischen, wirtschaftlichen und anderen "klassischen" Informationen. 230 Spionageabwehr 2. Methoden der Nachrichtengewinnung Die Methoden der Nachrichtendienste, an Informationen zu gelangen, sind durch das Internet und die Globalisierung deutlich vielfältiger geworden. Sie können heute auf Daten zugreifen, die früher nur auf konspirativem Wege erlangt werden konnten. Die Auswertung von Patentschriften, im Internet veröffentlichten Dokumentationen, Forschungsberichten, Dissertationen und anderen Informationen spart viel Zeit und enorme Forschungsund Entwicklungskosten im eigenen Land. Neben dieser offenen technischen Informationsbeschaffung gibt es die wichtige Aufklärungsmethode der "offenen Abschöpfung". Hierbei bemühen sich die verdeckt arbeitenden Nachrichtendienstangehörigen, durch Besuche von Messen, Empfängen oder Vorträgen ein Netz von Gesprächspartnern aus den relevanten Aufklärungsbereichen zu knüpfen. Durch geschickte Gesprächsführung erhalten sie eine Vielzahl schutzbedürftiger Informationen. Solche offenen Kontakte können einen zunehmend konspirativen Charakter annehmen, wenn sie über die bewusste Erledigung von Gefälligkeiten oder auch kleineren Aufträgen, sog. Freundschaftsdiensten, hinausgehen. Der letzte Schritt auf dem Weg zu einer klassischen Agentenführung ist dann häufig nur noch eine schriftliche Verpflichtung, der eine ausschließlich konspirative Zusammenarbeit folgt. 3. Die Nachrichtendienste der Russischen Föderation Die russischen Nachrichtendienste FSB (ziviler Inlandsdienst), SWR (zivile Auslandsaufklärung) und GRU (militärischer Auslandsdienst) betreiben Aufklärung / Spionage gegen die Bundesrepublik Deutschland. Sie ist für die russischen Nachrichtendienste ein wichtiger Aufklärungsschwerpunkt. Dafür spricht vor allem die getarnte Präsenz einer stattlichen Anzahl von russischen Nachrichtendienstoffizieren in sog. Legalresidenturen. Darunter versteht man getarnte Stützpunkte eines fremden Nachrichtendienstes, insbesondere in den offiziellen Vertretungen (z.B. in Botschaften und Konsulaten) ihrer Länder im Gastland. Sie nutzen die vielfältigen Möglichkeiten einer offenen Gesellschaft, um Informationen offen oder konspirativ zu beschaffen. Die "offene Abschöpfung" hat weiter zugenommen und ist in den Vordergrund der Nachrichtenbeschaffung gerückt. 231 Spionageabwehr Der russische Präsident PUTIN hat Ende 2007 die Nachrichtendienste seines Landes zu einer verstärkten Spionagetätigkeit gegen Deutschland aufgefordert. Die Schwerpunkte russischen Interesses liegen in der Ausspähung der Rüstungsindustrie, um mit Hilfe deutscher Spitzentechnologie den russischen Militärapparat möglichst schnell auf den neuesten technischen Stand bringen zu können. Aber auch strategische Entscheidungen in der deutschen Finanzpolitik und Energiewirtschaft sind in Russland von hohem Interesse. Gerade hier bietet sich den russischen Diensten durch die offenen Wirtschaftsbeziehungen die zusätzliche Möglichkeit, aktive und ehemalige Nachrichtendienstmitarbeiter unter privatwirtschaftlicher Tarnung in Unternehmen einzuschleusen, meist mit der Verfügungsgewalt über enorme Geldsummen ausgestattet oder als Repräsentanten staatlicher Handelsorganisationen. Reisen von deutschen Geschäftsleuten oder Touristen nach Russland bzw. in andere aus der ehemaligen UdSSR hervorgegangenen Staaten bieten den dortigen Aufklärungsdiensten gute Ansätze für Kontaktaufnahmen und Anwerbungen. Durch lückenlose Überwachung werden interessante Zielpersonen für eine eventuelle nachrichtendienstliche Ansprache herausgefiltert. Die tatsächlichen Absichten werden oftmals unter dem Deckmantel geschäftlicher oder privater Kontakte verfolgt. Auch im Ausland wird die Informationsbeschaffung durch menschliche Quellen noch ergänzt durch die Überwachung der Kommunikationstechnik. Die Aufmerksamkeit der Nachrichtendienste in den GUSStaaten gilt über Geschäftsund Firmenvertreter hinaus auch den dort lebenden Deutschstämmigen, deren zu Besuch einreisenden Familienangehörigen sowie Aussiedlern. 4. Nachrichtendienste von Staaten des Nahen, Mittleren und Fernen Ostens sowie Nordafrikas Wegen ihrer politischen und wirtschaftlichen Bedeutung und ihrer Asylund Ausländerpolitik ist die Bundesrepublik Deutschland seit Jahren unverändert verstärktes Aufklärungsziel für Staaten des Nahen, Mittleren und Fernen Ostens. Die nachrichtendienstlichen Aktivitäten beschränken sich hier nicht nur auf die klassische Spionage. 232 Spionageabwehr Staaten wie Iran, Syrien, Libyen, Algerien, Sudan und China richten ihr Interesse auch auf ihre in Deutschland lebenden Staatsangehörigen, die in Opposition zum politischen Regime ihres Heimatlandes stehen - ob aus politischen oder politisch-religiösen Beweggründen. Dabei ist das Ziel der Dienste meist die Infiltration und teilweise die Zersetzung der Exilgruppen. Chinesische Nachrichtendienstaktivitäten konzentrieren sich hierbei auf die Bekämpfung der "Fünf Gifte": Hierzu zählt China sowohl die Unabhängigkeitsbestrebungen Taiwans, Tibets sowie der Uiguren als auch die Falun-Gongund die Demokratiebewegung im Allgemeinen. Bei ihrer Tätigkeit für die Nachrichtendienste ihrer Heimatländer geraten die Mitarbeiter oder angeworbenen Quellen dieser Dienste ins Visier der deutschen Spionageabwehr. Durch die Öffentlichkeitsarbeit der Verfassungsschutzbehörden erfährt dann auch die Öffentlichkeit, welche bunte Palette von Nachrichtendiensten in Deutschland aktiv ist: * So leitete der Generalbundesanwalt im Juli 2007 ein Verfahren wegen Verdachts geheimdienstlicher Agententätigkeit (SS 99 StGB) gegen einen Deutsch-Algerier ein, der im Verdacht stand, sich im Auftrag eines algerischen Nachrichtendienstes bei mehreren deutschen Sicherheitsbehörden beworben zu haben. Eine Tätigkeit in einer dieser Behörden hätte ihm vermutlich Zugang zu Informationen eröffnet, die im aktuellen Zielspektrum der algerischen Nachrichtendienste in Deutschland liegen. * Ein Büroangestellter der algerischen Botschaft musste sich im September 2007 wegen geheimdienstlicher Tätigkeit vor dem Berliner Kammergericht verantworten. Ihm wurde vorgeworfen, Informationen über in Deutschland lebende oppositionelle Algerier gesammelt und an einen Verbindungsoffizier in der Botschaft weitergegeben zu haben. * Ein sudanesischer Staatsangehöriger wurde im Oktober 2007 wegen des Verdachts der geheimdienstlichen Agententätigkeit festgenommen. Ihm wurde vorgeworfen, mindestens seit 2005 im Auftrag des sudanesischen Nachrichtendienstes die Aktivitäten sudanesischer Oppositioneller ausgeforscht und an 233 Spionageabwehr seine nachrichtendienstliche Verbindungsstelle weitergeleitet zu haben. * Im August 2007 erhob die Bundesanwaltschaft Anklage gegen einen deutsch-syrischen Staatsangehörigen wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit. Ihm wurde vorgeworfen, sich während einer Syrien-Reise zur nachrichtendienstlichen Zusammenarbeit verpflichtet und Informationen über hier lebende syrische Staatsangehörige sowie deren Organisationen und Aktivitäten beschafft und an seine Auftraggeber weitergeleitet zu haben. 5. Proliferation und Wissenstransfer der Nachrichtendienste der "Krisenländer" Einzelne Staaten des Nahen, Mittleren und Fernen Ostens, die auch als sog. Krisenländer bezeichnet werden - namentlich Iran, Syrien, Nordkorea und Pakistan - bemühen sich neben der Verfolgung ihrer Oppositionellen auch um die Beschaffung und Weiterverbreitung von Massenvernichtungswaffen bzw. der zu ihrer Herstellung verwendeten Produkte einschließlich des dafür erforderlichen Know-how in den Industrieländern (sog. Proliferation). Besonders die Bemühungen Irans, die bereits vorhandenen Kapazitäten zur Anreicherung von Uran weiter auszubauen, bieten der internationalen Staatengemeinschaft weiterhin Anlass zur Sorge, vor allem wegen der aggressiven Außenpolitik der iranischen Führung gegenüber westlichen Staaten und Israel. Es besteht der Verdacht, dass die Herstellung von atomwaffenfähigem Uran beabsichtigt ist. Daher wurden durch die UNO-Resolutionen 1737 und 1747 Embargos hinsichtlich der Lieferung von Produkten, Know-how und technischer Unterstützung für das iranische Atomprogramm verhängt. Einem am 03.12.07 veröffentlichten Bericht der US-Geheimdienste zufolge habe Iran wahrscheinlich im Herbst 2003 sein Atomwaffenprogramm eingestellt. Aufgrund der aktuell erkannten Beschaffungsmaßnahmen könne man allerdings davon ausgehen, dass Iran spätestens 2009 technisch in der Lage sein werde, hoch angereichertes Uran für den Bau von Atomwaffen herzustellen. 234 Spionageabwehr Festnahmen, Verurteilungen und sonstige Maßnahmen Juli 2007 Aufgrund seiner Bemühungen, bei einem bayerischen Spezialunternehmen technische Bauteile mit einer möglichen Verwendung in einer Urananreicherungsanlage zu beschaffen, wurde ein Ermittlungsverfahren gegen einen iranischen Diplomaten eingeleitet. Er konnte sich bei den gegen ihn erhobenen Vorwürfen nicht auf den Schutz seiner diplomatischen Immunität berufen, wurde durch die Bundesregierung aufgrund der vorliegenden Erkenntnisse zur "Persona non grata" erklärt und musste Deutschland verlassen. November 2007 Aufgrund eines Haftbefehls des Bundesgerichtshofes wurde ein deutscher Staatsangehöriger iranischer Herkunft wegen des Verdachts des Verstoßes gegen das Außenwirtschaftsgesetz (SS 34 Absatz 4 AWG) durch Beamte des Zollkriminalamtes festgenommen. Der Beschuldigte wird verdächtigt, durch die Vermittlung von Außenhandelsgeschäften mit Iran gegen das Außenwirtschaftsgesetz verstoßen zu haben. Die Geschäfte betrafen Produkte, die wegen ihrer Verwendung für militärische oder nukleare Zwecke internationalen bzw. deutschen Handelsbeschränkungen unterliegen. 6. Wirtschaftsspionage Wirtschaftsspionage ist im Jahr 2007 zunehmend auch von den Medien als Gefahr für die nationalen wirtschaftlichen Strukturen und volkswirtschaftlichen Interessen der Bundesrepublik Deutschland wahrgenommen worden. Die ökonomische Globalisierung und die weltweite elektronische Vernetzung bieten nicht nur Vorteile, sondern bergen auch große Risiken in sich. Die Informationstechnologie und Kommunikationssysteme eröffnen vielfältige Möglichkeiten, unbemerkt in den Besitz sensibler Daten und Informationen zu gelangen. Besonders die Nachrichtendienste der aufstrebenden Wirtschaftsmächte Russland und China sind per Gesetz von ihren Regierungen aufgefordert, mit ihren Mitteln die Wirtschaftsentwicklung ihrer Län235 Spionageabwehr der zügig voranzubringen. Ein riesiges Potential an Personal und einschlägiger Technik steht in beiden Ländern hierfür zur Verfügung. Während die russischen Dienste zusätzlich noch mit klassischen offenen und konspirativen Abschöpfungsmethoden bei der Beschaffung von wirtschaftlichen Daten vorgehen, sind die chinesischen Dienste hauptsächlich auf dem elektronischen Sektor aktiv und überziehen ganze Wirtschaftsoder Behördenbereiche mit Spionageprogrammen und anderen elektronischen Attacken. Dabei ist besonders die mittelständische Wirtschaft in Gefahr, existenziell wichtige Daten zu verlieren: Anders als bei großen Konzernen, die zumeist über eigene Sicherheitsabteilungen verfügen, gibt es bei kleineren Unternehmen häufig beträchtliche Sicherheitslücken. Besonders auch bei Geschäftsreisen von Deutschen ins Ausland ist es den Geheimdiensten des dortigen Landes bei vielen Gelegenheiten möglich, an schützenswerte Firmendaten zu gelangen. Oft werden hierzu nach wie vor zwischenmenschliche Kontakte gezielt aufgebaut und dann ausgenutzt. Das Landesamt für Verfassungsschutz Hamburg bietet Aufklärungsund Beratungsgespräche für Firmen an und ist an einem Erkenntnisrücklauf aus der Wirtschaft sehr interessiert. Weitere Informationen: Arbeitsfeld Spionageabwehr 236 Verfassungsschutz in Hamburg Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern ohne Islamisten Linksextremismus Rechtsextremismus Scientology-Organisation Spionageabwehr Geheimund Sabotageschutz Anhang * Hamburgisches Verfassungsschutzgesetz Geheimund Sabotageschutz VIII. Wirtschaftsschutz; Geheimund Sabotageschutz 1. Allgemeines Informationen und Vorgänge, deren Bekanntwerden öffentliche Interessen in nicht unerheblicher Weise beeinträchtigen, werden durch staatliche Maßnahmen besonders geschützt. Das erfolgt im Rahmen des Wirtschaftschutzes durch Präventivtätigkeit, im Bereich des Geheimund Sabotageschutzes und des materiellen Geheimschutzes durch besondere personelle, technische und organisatorische Vorkehrungen. Eine der wesentlichsten Maßnahmen zur Herbeiführung des besonderen Schutzes ist, diese Informationen und Vorgänge als amtlich geheim zu haltende Angelegenheiten, sogenannte Verschlusssachen, entsprechend ihrer Schutzbedürftigkeit von einer amtlichen Stelle oder auf deren Veranlassung als STRENG GEHEIM, GEHEIM, VS-VERTRAULICH oder VS-NUR FÜR DEN DIENSTGEBRAUCH zu klassifizieren. Entscheidend für die Einstufung ist die Schutzbedürftigkeit im Hinblick auf die Auswirkungen im Fall der Kenntnisnahme durch Unbefugte. 2. Wirtschaftsschutz Ziel des Wirtschaftsschutzes ist, die Unternehmen für Gefährdungsbereiche insbesondere im Rahmen der Wirtschaftsspionage, der Proliferation, des Know-How-Schutzes und der IT-Sicherheit nachhaltig zu sensibilisieren und die Installation von Schutzmaßnahmen und -konzepten zur Vermeidung und Verringerung von Schadensfällen anzuregen. Im Rahmen dieses Aufgabengebietes werden geheimschutzbetreute Unternehmen, die geheimhaltungsbedürftige Staatsaufträge erhalten haben, gemeinsam mit dem Bundesministerium für Wirtschaft und Technologie (BMWi) betreut. Diese geheimschutzbetreuten Unternehmen sowie andere Hamburgische Wirtschaftsunternehmen, die hamburgische geheimhaltungsbedürftige Staatsaufträge erhalten haben oder bei denen die Beeinträchtigung öffentlicher Interessen nicht ausgeschlossen ist, nutzen zudem das Informationsund Beratungsangebot des LfV. Das LfV Hamburg hat in diesem Zusammenhang Anfang 238 Geheimund Sabotageschutz 2007 das Informationsund Beratungsangebot für die hamburgischen Wirtschaftsunternehmen intensiviert. Das Beratungsangebot wurde durch zahlreiche Vortragsveranstaltungen bei Unternehmen, Interessenverbänden, Arbeitskreisen, Kammern und anderen Vereinigungen begleitet. Ein Schwerpunkt der beratenden Tätigkeit lag im Vorfeld und während des G8-Gipfels. Das LfV Hamburg hat mehrere Podiumsdiskussionen zusammen mit der Staatsschutzabteilung des Landeskriminalamtes Hamburg sowie diverse Vortragsveranstaltungen durchgeführt und die Unternehmen in zahlreichen Fällen individuell betreut. Insgesamt wurden ca. 480 Informationsund Beratungsgespräche zu diversen Thematiken des Wirtschaftsschutzes wie nachrichtendienstlichen Aktivitäten im Rahmen der Wirtschaftsspionage, der IT-Sicherheit, des Know-How-Schutzes auf Dienstreisen, zum G8-Gipfel und anderen Themenbereichen geführt. Das LfV Hamburg mit seinen verschiedenen Aufgabenbereichen sowie die Hamburgische Wirtschaft versprechen sich von diesen Kontakten ein höheres Hinweisund Meldeaufkommen. Gemeinsam mit dem BMWi hat das LfV Hamburg eine Veranstaltung zur Einweisung der neuen Sicherheitsbeauftragten der geheimschutzbetreuten Unternehmen in der Behörde für Inneres durchgeführt. Entsprechende Veranstaltungen sollen auch künftig stattfinden. Im Landesamt für Verfassungsschutz wurden bislang ca. 170 Unternehmen betreut, davon ca. 90 geheimschutzbetreute Unternehmen. Aufgrund der Intensivierung des Informationsund Beratungsangebotes befinden sich derzeit etwa 270 Unternehmen in der Betreuung. 3. Geheimund Sabotageschutz 3.1 Geheimschutz Ziel des staatlichen Geheimschutzes ist es, die geheimhaltungsbedürftigen Informationen des Staates bestmöglich vor einer Preisgabe an Unbefugte zu sichern. Für Verschlusssachen ist deshalb ein optimaler Schutz zu gewährleisten. 239 Geheimund Sabotageschutz Der Umgang mit Verschlusssachen ist nicht nur organisatorisch, sondern auch personenbezogen zu regeln. In konsequenter Fortführung der materiellen Vorkehrungen dürfen nur solche Personen mit Verschlusssachen befasst werden, die dazu nach Maßgabe des personellen Geheimschutzes befugt sind. Das Hamburgische Sicherheitsüberprüfungsgesetz (HmbSÜG) ist die Grundlage des personellen Geheimschutzes. Sicherheitsüberprüfungen dienen der individuellen Feststellung, ob einer bestimmten Person eine sicherheitsempfindliche Tätigkeit übertragen werden kann. Sollten sicherheitserhebliche Erkenntnisse vorliegen, die die Zuweisung einer solchen Tätigkeit aus Gründen des staatlichen Geheimschutzes verbieten - sogenannte Sicherheitsrisiken -, darf eine sicherheitsempfindliche Tätigkeit nicht übertragen werden. 3.1.1 Personeller Geheimschutz in Hamburger öffentlichen Stellen Die Art der sicherheitsempfindlichen Tätigkeit bestimmt das anzuwendende Überprüfungsverfahren. Der Umfang der Überprüfungen reicht von der einfachen Karteibzw. Datensatzsichtung bis hin zur Befragung von Referenzpersonen. Das HmbSÜG enthält gegenüber den Sicherheitsüberprüfungsgesetzen des Bundes und anderer Länder einen erweiterten Aufgabenkatalog. Unabhängig vom tatsächlichen Umgang mit Verschlusssachen können auch Personen überprüft werden, die in einer Dienststelle tätig sind, die aufgrund ihrer Aufgabenstellung oder ihres herausgehobenen Gewichts zum Sicherheitsbereich erklärt wurde, ferner Personen, die in zentralen sicherheitsempfindlichen öffentlichen Bereichen in Funktionen der Informationsund Kommunikationstechnik tätig sind. Mit der sogenannten verkürzten Sicherheitsüberprüfung bietet das HmbSÜG gegenüber anderen Sicherheitsüberprüfungsgesetzen eine Besonderheit. Sie ermöglicht Behörden, den kurzzeitigen Zugang zu einem Sicherheitsbereich zu gewähren, ohne eine komplette - für diese kurzzeitige Tätigkeit unangemessene - Sicherheitsüberprüfung durchführen zu müssen (z.B. bei unaufschiebbaren Maßnahmen von Handwerkern). 240 Geheimund Sabotageschutz Im Jahr 2007 hat das LfV Hamburg 944 Sicherheitsüberprüfungen bearbeitet. Das LfV Hamburg hat erstmals im Juni 2007 eine Tagung für die Geheimschutzbeauftragten der hamburgischen Behörden veranstaltet. Dabei ging es insbesondere darum, den neuen Geheimschutzbeauftragten die Grundlagen des personellen Geheimschutzes nahezubringen, aktuelle Fragen und Themen zu erörtern und ihnen ein Forum für gegenseitigen Austausch zu bieten. Das Geheimschutzreferat beabsichtigt, künftig jährlich eine Tagung für die Geheimschutzbeauftragten der hamburgischen Behörden auszurichten. 3.1.2 Personeller Sabotageschutz in Hamburg Beim personellen Sabotageschutz handelt es sich um präventive Überprüfungsmaßnahmen, die dazu dienen, potentielle Saboteure, sogenannte Innentäter, von bestimmten sicherheitsempfindlichen Stellen bzw. Einrichtungen fernzuhalten. Im Rahmen des personellen Sabotageschutzes werden Zuverlässigkeitsüberprüfungen durchgeführt. Personen, die in sicherheitsempfindlichen Bereichen des Hamburger Flughafens beschäftigt werden sollen, werden nach SS 7 des im Januar 2005 neu verabschiedeten Gesetzes zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben (Luftsicherheitsgesetz - LuftSiG, bis dahin Luftverkehrsgesetz) überprüft. Im Jahr 2007 wurden 12.011 Personen aus dem Bereich des Hamburger Flughafens auf ihre Zuverlässigkeit überprüft. Die "International Maritime Organization" (IMO) - ein Beschlussgremium der UNO - hatte vor dem Hintergrund der Auswirkungen von möglichen terroristischen Anschlägen auf Schiffe und Häfen und zur Absicherung des internationalen Seeschifffahrtsverkehrs ein Regelwerk, den ISPSCode (International Ship and Port Facility Security Code), geschaffen. Diesen Regelungen ist die Bundesrepublik Deutschland beigetreten, sie hat den Code zum 01.07.04 als nationales Recht umgesetzt. Seine Normen schreiben weltweit Sicherheitsmaßnahmen auch für Hafenanlagen vor, darunter auch Personenüberprüfungen. Im Hafensicherheitsgesetz (HafenSG) vom Oktober 2005 wurden die Modalitäten der 241 Geheimund Sabotageschutz Sicherheitsmaßnahmen - auch die für Zuverlässigkeitsüberprüfungen - festgelegt. Im Jahr 2007 wurden 25 Überprüfungen vorgenommen. Das LfV Hamburg ist darüber hinaus an den Zuverlässigkeitsüberprüfungsverfahren des Gesetzes über explosionsgefährliche Stoffe (Sprengstoffgesetz - SprengG - in der Neufassung v. 31.10.06) beteiligt. Im Jahr 2007 wurden neun Auskunftsersuchen beantwortet. Eine besondere Aufgabe für den vorbeugenden Sabotageschutz war das Akkreditierungsverfahren zum G8-Gipel und der EU-Ratspräsidentschaft. Das LfV war auch an den in diesem Zusammenhang erforderlichen Zuverlässigkeitsüberprüfungen beteiligt. Es wurden Anfragen zu 101 Personen beantwortet. In fünf Fällen kam es zu Ablehnungen. 3.1.3 Materieller Geheimschutz Verschlusssachen sind im staatlichen Interesse auch materiell vor dem Zugriff Unbefugter zu schützen. Sie sind daher entsprechend ihrer Schutzbedürftigkeit zu behandeln und zu verwahren. Die Verwahrung erfolgt in alarmgesicherten Räumen oder geeigneten Behältnissen, z.B. Panzerschränken. Ebenso muss ihr Versand oder Transport besonderen Voraussetzungen genügen, um Verluste oder Preisgaben an Unbefugte wirksam zu verhindern. Da die öffentliche Verwaltung zunehmend von der Informationsund Kommunikationstechnik unterstützt wird, hat sich das Bild des klassischen materiellen Geheimschutzes nachhaltig geändert. Tresore, mechanische Sicherungseinrichtungen und Alarmanlagen sind zwar weiterhin erforderlich, gleichwohl ist der Schutz elektronischer Daten ein Betätigungsfeld. Mit den steigenden Anforderungen an die Informationstechnik ist auch deren Komplexität stetig angewachsen. Eine datengestützte Herstellung und Verarbeitung von Verschlusssachen unterliegt insofern neuen Risiken ungewollter Preisgabemöglichkeiten, denen entgegengewirkt werden muss. Die üblichen informationstechnischen Sicherungsfunktionen wie etwa Zugangsoder Zugriffskontrollen reichen dabei oftmals nicht aus, es müssen besondere Schutzmaßnahmen getroffen werden. Dabei arbeiten die Ämter für Verfassungsschutz eng mit dem Bundesamt für die Sicherheit in der Informationstechnik zusammen. 242 Geheimund Sabotageschutz Für die Umsetzung aller Schutzmaßnahmen ist die Einsicht der Betroffenen in die Notwendigkeit des materiellen Geheimschutzes eine wichtige Voraussetzung. Daher hat die Beratung und Schulung betroffener Behördenbediensteter einen hohen Stellenwert. Das Landesamt für Verfassungsschutz berät die öffentlichen Stellen der Freien und Hansestadt Hamburg bei der Planung und Durchführung technischer und organisatorischer Sicherungsmaßnahmen. 243 Verfassungsschutz in Hamburg Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Islamisten Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern ohne Islamisten Linksextremismus Rechtsextremismus Scientology-Organisation Spionageabwehr Geheimund Sabotageschutz Anhang * Hamburgisches Verfassungsschutzgesetz Anhang / Verfassungsschutzgesetz Hamburgisches Verfassungsschutzgesetz (HmbVerfSchG) Vom 7. März 1995 Zuletzt geändert durch Gesetz vom 14.12.2007 1. Abschnitt Aufgaben des Landesamtes für Verfassungsschutz SS 1 Zweck des Verfassungsschutzes SS 2 Zuständigkeit SS 3 Zusammenarbeit SS 4 Aufgaben des Landesamtes für Verfassungsschutz SS 5 Begriffsbestimmungen SS 6 Voraussetzung und Rahmen für die Tätigkeit des Landesamtes für Verfassungsschutz 2. Abschnitt Erheben und weitere Verarbeitung von Informationen SS7 Befugnisse des Landesamtes für Verfassungsschutz SS8 Erheben von Informationen mit nachrichtendienstlichen Mitteln SS9 Weitere Verarbeitung personenbezogener Daten SS 10 Verarbeitung von Daten Minderjähriger SS 11 Berichtigung, Sperrung und Löschung 3. Abschnitt Datenübermittlung SS 12 Übermittlung nicht personenbezogener Daten SS 13 Übermittlung personenbezogener Daten an inländische Nachrichtendienste SS 14 Übermittlung personenbezogener Daten an inländische öffentliche Stellen und Strafverfolgungsbehörden SS 15 Übermittlung personenbezogener Daten an Stationierungsstreitkräfte SS 16 Übermittlung personenbezogener Daten an ausländische öffentliche Stellen 246 Anhang / Verfassungsschutzgesetz SS 17 Übermittlung personenbezogener Daten an Stellen außerhalb des öffentlichen Bereichs SS 18 Übermittlung personenbezogener Daten an die Öffentlichkeit SS 19 Übermittlung personenbezogener Daten an das Landesamt für Verfassungsschutz SS 20 Registereinsicht durch das Landesamt für Verfassungsschutz SS 21 Übermittlungsverbote und -einschränkungen SS 22 Übermittlung personenbezogener Daten Minderjähriger 4. Abschnitt Auskunftserteilung SS 23 Auskunftserteilung 5. Abschnitt Parlamentarische Kontrolle des Verfassungsschutzes SS 24 Parlamentarischer Kontrollausschuss SS 25 Zusammensetzung und Pflichten des Ausschusses SS 26 Aufgaben des Ausschusses SS 27 Eingaben 247 Anhang / Verfassungsschutzgesetz 1. Abschnitt Aufgaben des Landesamtes für Verfassungsschutz SS1 Zweck des Verfassungsschutzes (1) Der Verfassungsschutz dient dem Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, des Bestandes und der Sicherheit des Bundes und der Länder. (2) Zu diesem Zweck tritt dieses Gesetz neben das Gesetz über die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes und über das Bundesamt für Verfassungsschutz (Bundesverfassungsschutzgesetz - BVerfSchG) vom 20. Dezember 1990 (Bundesgesetzblatt I Seiten 2954, 2970), zuletzt geändert am 5. Januar 2007 (BGBl. I S. 7). SS2 Zuständigkeit (1) 1 Der Verfassungsschutz wird innerhalb der zuständigen Behörde vom Landesamt für Verfassungsschutz wahrgenommen. 2 Das Landesamt für Verfassungsschutz ist ausschließlich hierfür zuständig. 3 Bei der Erfüllung seiner Aufgaben ist es an Gesetz und Recht gebunden (Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes). (2) 1 Das Landesamt für Verfassungsschutz darf einer polizeilichen Dienststelle nicht angegliedert werden. 2 Ihm stehen polizeiliche Befugnisse oder Weisungsbefugnisse gegenüber polizeilichen Dienststellen nicht zu; es darf die Polizei auch nicht im Wege der Amtshilfe um Maßnahmen ersuchen, zu denen es selbst nicht befugt ist. SS3 Zusammenarbeit (1) 1 Das Landesamt für Verfassungsschutz ist verpflichtet, mit Bund und Ländern in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes zusammenzuarbeiten. 2 Die Zusammenarbeit besteht auch in gegenseitiger Unterstützung und Hilfeleistung sowie in der Unterhaltung gemeinsamer Einrichtungen. 248 Anhang / Verfassungsschutzgesetz (2) 1 Verfassungsschutzbehörden anderer Länder dürfen im Geltungsbereich dieses Gesetzes nur im Einvernehmen mit dem Landesamt für Verfassungsschutz nach Maßgabe dieses Gesetzes und soweit eigenes Landesrecht dies zulässt, der Bund gemäß SS 5 Absatz 2 BVerfSchG nur im Benehmen mit dem Landesamt für Verfassungsschutz tätig werden. 2 Das Landesamt für Verfassungsschutz darf in den anderen Ländern tätig werden, soweit es die Rechtsvorschriften dieses Gesetzes und der anderen Länder zulassen. SS4 Aufgaben des Landesamtes für Verfassungsschutz (1) 1 Aufgabe des Landesamtes für Verfassungsschutz ist die Sammlung und Auswertung von Informationen, insbesondere von sachund personenbezogenen Auskünften, Nachrichten und Unterlagen, über 1. Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung von Mitgliedern der verfassungsmäßigen Organe des Bundes oder eines Landes zum Ziele haben, 2. sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten für eine fremde Macht in der Bundesrepublik Deutschland, 3. Bestrebungen in der Bundesrepublik Deutschland, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, 4. Bestrebungen im Geltungsbereich dieses Gesetzes, die gegen den Gedanken der Völkerverständigung (Artikel 9 Absatz 2 des Grundgesetzes), insbesondere gegen das friedliche Zusammenleben der Völker (Artikel 26 Absatz 1 des Grundgesetzes) gerichtet sind (SS 3 Absatz 1 BVerfSchG). 2 Das Landesamt für Verfassungsschutz hat insbesondere den Senat über Gefahren für die Schutzgüter des SS 1 zu informieren und die dafür zuständigen staatlichen Stellen in die Lage zu versetzen, Maßnahmen zu ihrer Abwehr zu ergreifen. 3 Darüber hinaus unterrichtet das Lan249 Anhang / Verfassungsschutzgesetz desamt für Verfassungsschutz mindestens einmal jährlich die Öffentlichkeit über Gefahren für die Schutzgüter des SS 1. (2) 1 Das Landesamt für Verfassungsschutz wirkt gemäß SS 3 Absatz 2 Satz 1 BVerfSchG mit 1. bei der Überprüfung von Personen, denen im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftige Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse anvertraut werden, die Zugang dazu erhalten sollen oder ihn sich dienstlich verschaffen können, 2. bei der Überprüfung von Personen, die an sicherheitsempfindlichen Stellen von lebensund verteidigungswichtigen Einrichtungen beschäftigt sind oder werden sollen, 3. bei technischen Sicherheitsmaßnahmen zum Schutz von im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftigen Tatsachen, Gegenständen und Erkenntnissen gegen die Kenntnisnahme durch Unbefugte. 2 Die Befugnisse des Landesamtes für Verfassungsschutz bei der Mitwirkung nach Satz 1 Nummern 1 und 2 sind im Hamburgischen Sicherheitsüberprüfungsgesetz (HmbSÜG) vom 25. Mai 1999, zuletzt geändert am 4. Dezember 2002 (HmbGVBl. S. 327, 330), geregelt. 3 Die Befugnisse des Landesamtes für Verfassungsschutz bei der Mitwirkung an Zuverlässigkeitsüberprüfungen zum Schutz vor Angriffen auf die Sicherheit des Hamburger Hafens sind im Hafensicherheitsgesetz vom 6. Oktober 2005 (HmbGVBl. S. 424) geregelt. SS5 Begriffsbestimmungen (1) 1 Im Sinne dieses Gesetzes sind: 1. Bestrebungen gegen den Bestand des Bundes oder eines Landes solche politisch motivierten zielund zweckgerichteten Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluss, der darauf gerichtet ist, die Freiheit des Bundes oder eines Landes von fremder Herrschaft aufzuheben, ihre staatliche Einheit zu beseitigen oder ein zu ihnen gehörendes Gebiet abzutrennen, 250 Anhang / Verfassungsschutzgesetz 2. Bestrebungen gegen die Sicherheit des Bundes oder eines Landes solche politisch motivierten zielund zweckgerichteten Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluss, der darauf gerichtet ist, den Bund, Länder oder deren Einrichtungen in ihrer Funktionsfähigkeit erheblich zu beeinträchtigen, 3. Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung solche politisch motivierten zielund zweckgerichteten Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluss, der darauf gerichtet ist, einen der in Absatz 2 genannten Verfassungsgrundsätze zu beseitigen oder außer Geltung zu setzen. 2 Für einen Personenzusammenschluss handelt, wer ihn in seinen Bestrebungen nachdrücklich unterstützt (SS 4 Absatz 1 Sätze 1 und 2 BVerfSchG). 3 Bestrebungen im Sinne dieses Gesetzes sind auch Verhaltensweisen gemäß Satz 1 von Einzelpersonen, die nicht in einem oder für einen Personenzusammenschluss handeln, wenn sie gegen Schutzgüter dieses Gesetzes mit Anwendung von Gewalt gerichtet sind oder diese sonst angreifen und bekämpfen. (2) Zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne diese Gesetzes zählen gemäß SS 4 Absatz 2 BVerfSchG 1. das Recht des Volkes, die Staatsgewalt in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung auszuüben und die Volksvertretung in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl zu wählen, 2. die Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung und die Bindung der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an Gesetz und Recht, 3. das Recht auf Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition, 4. die Verantwortlichkeit der Regierung gegenüber der Volksvertretung und ihre Ablösbarkeit, 251 Anhang / Verfassungsschutzgesetz 5. die Unabhängigkeit der Gerichte, 6. der Ausschluss jeder Gewaltund Willkürherrschaft und 7. die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte. SS6 Voraussetzung und Rahmen für die Tätigkeit des Landesamtes für Verfassungsschutz 1 Das Landesamt für Verfassungsschutz darf nur Maßnahmen ergreifen, wenn und soweit sie zur Erfüllung seiner Aufgaben erforderlich sind; dies gilt insbesondere für die Erhebung und weitere Verarbeitung personenbezogener Daten. 2 Von mehreren möglichen und geeigneten Maßnahmen hat es diejenige zu treffen, die den Einzelnen insbesondere in seinen Grundrechten und die Allgemeinheit voraussichtlich am wenigsten beeinträchtigt. 3 Eine geringere Beeinträchtigung ist in der Regel anzunehmen, wenn die Information aus allgemein zugänglichen Quellen oder durch eine behördliche Auskunft gewonnen werden kann. 4 Eine Maßnahme darf nicht zu einem Nachteil führen, der zu dem erstrebten Erfolg erkennbar außer Verhältnis steht. 5 Sie ist nur so lange zulässig, bis ihr Zweck erreicht ist oder sich zeigt, dass er nicht erreicht werden kann. 2. Abschnitt Erheben und weitere Verarbeitung von Informationen SS7 Befugnisse des Landesamtes für Verfassungsschutz (1) 1 Das Landesamt für Verfassungsschutz darf zur Erfüllung seiner Aufgaben Informationen erheben und weiter verarbeiten. 2 Es darf personenbezogene Daten auch für die Vorgangsverwaltung nutzen und verarbeiten. 3 Ist zum Zwecke der Datenerhebung die Übermittlung von personenbezogenen Daten unerlässlich, ist sie auf das unbedingt erforderliche Maß zu beschränken. 4 Schutzwürdige Interessen des Betroffenen dürfen nur in unvermeidbarem Umfang beeinträchtigt werden. 252 Anhang / Verfassungsschutzgesetz (2) 1 Das Landesamt für Verfassungsschutz darf bei den hamburgischen Behörden und den der Aufsicht der Freien und Hansestadt Hamburg unterstehenden juristischen Personen des öffentlichen Rechts nur die Informationen einschließlich personenbezogener Daten erheben, die diesen Stellen im Rahmen ihrer Aufgabenerfüllung bereits vorliegen und die zur Erfüllung der Aufgaben des Verfassungsschutzes erforderlich sind. 2 Das Landesamt für Verfassungsschutz braucht die Ersuchen nicht zu begründen, soweit dies dem Schutz des Betroffenen dient oder eine Begründung den Zweck der Maßnahme gefährden würde. (3) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf im Einzelfall bei denjenigen, die geschäftsmäßig Postdienstleistungen oder Telemediendienste erbringen oder daran mitwirken, unentgeltlich Auskunft über Daten einholen, die für die Begründung, inhaltliche Ausgestaltung, Änderung oder Beendigung eines Vertragsverhältnisses über Postdienstleistungen oder Telemediendienste (Bestandsdaten) gespeichert worden sind, soweit dies zur Erfüllung seiner Aufgaben erforderlich ist. (4) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf im Einzelfall unentgeltlich Auskunft einholen bei 1. Luftfahrtunternehmen zu Namen und Anschriften des Kunden sowie zur Inanspruchnahme und den Umständen von Transportleistungen, insbesondere zum Zeitpunkt von Abfertigung und Abflug und zum Buchungsweg, 2. Kreditinstituten, Finanzdienstleistungsinstituten und Finanzunternehmen zu Konten, Konteninhabern und sonstigen Berechtigten sowie weiteren am Zahlungsverkehr Beteiligten und zu Geldbewegungen und Geldanlagen, insbesondere über Kontostand und Zahlungseinund -ausgänge, 3. denjenigen, die geschäftsmäßig Postdienstleistungen erbringen oder daran mitwirken, zu den Umständen des Postverkehrs, 4. denjenigen, die geschäftsmäßig Telekommunikationsdienste erbringen oder daran mitwirken, zu Verkehrsdaten nach SS 96 Absatz 1 Nummern 1 bis 4 des Telekommunikationsgesetzes vom 22. Juni 2004 (BGBl. I S. 1190), zuletzt geändert am 18. 253 Anhang / Verfassungsschutzgesetz Februar 2007 (BGBl. I S. 106, 116), und sonstigen zum Aufbau und zur Aufrechterhaltung der Telekommunikation notwendigen Verkehrsdaten und 5. denjenigen, die geschäftsmäßig Telemediendienste erbringen oder daran mitwirken, zu a) Merkmalen zur Identifikation des Nutzers eines Telemediendienstes, b) Angaben über Beginn und Ende sowie über den Umfang der jeweiligen Nutzung und c) Angaben über die vom Nutzer in Anspruch genommenen Telemediendienste, soweit dies zur Aufklärung von Bestrebungen oder Tätigkeiten erforderlich ist und tatsächliche Anhaltspunkte für schwerwiegende Gefahren für die in SS 4 Absatz 1 Satz 1 genannten Schutzgüter vorliegen. Im Falle des SS 4 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 gilt dies nur für Bestrebungen, die bezwecken oder auf Grund ihrer Wirkungsweise geeignet sind, 1. zu Hass oder Willkürmaßnahmen gegen Teile der Bevölkerung aufzustacheln oder deren Menschenwürde durch Beschimpfen, böswilliges Verächtlichmachen oder Verleumden anzugreifen und dadurch die Bereitschaft zur Anwendung von Gewalt zu fördern und den öffentlichen Frieden zu stören oder 2. Gewalt anzuwenden oder vorzubereiten, einschließlich dem Befürworten, Hervorrufen oder Unterstützen von Gewaltanwendung, auch durch Unterstützen von Vereinigungen, die Anschläge gegen Personen oder Sachen veranlassen, befürworten oder androhen. (5) Anordnungen nach Absatz 4 dürfen sich nur gegen Personen richten, bei denen 1. tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie die schwerwiegenden Gefahren nach Absatz 4 nachdrücklich fördern oder 2. auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist 254 Anhang / Verfassungsschutzgesetz a) bei Auskünften nach Absatz 4 Satz 1 Nummern 1, 2 und 5, dass sie die Leistung für eine Person nach Nummer 1 in Anspruch nehmen oder b) bei Auskünften nach Absatz 4 Satz 1 Nummern 3 und 4, dass sie für eine Person nach Nummer 1 bestimmte oder von ihr herrührende Mitteilungen entgegennehmen oder weitergeben, oder im Falle des Absatzes 4 Satz 1 Nummer 4, dass eine Person nach Nummer 1 ihren Anschluss benutzt. (6) 1 Die Zuständigkeit für Anordnungen nach Absatz 4 Satz 1 Nummer 1 ist in einer Dienstvorschrift zu regeln, die der Zustimmung des Präses oder bei seiner Verhinderung des Staatsrates der zuständigen Behörde bedarf. 2 Anordnungen nach Absatz 4 Satz 1 Nummern 2 bis 5 werden vom Leiter des Landesamtes für Verfassungsschutz oder seinem Vertreter schriftlich beantragt und begründet. 3 Im Falle der Auskunft nach Absatz 4 Satz 1 Nummer 2 kann der Antrag auch von einem Bediensteten des Landesamtes für Verfassungsschutz gestellt werden, der die Befähigung zum Richteramt hat. 4 Zuständig für Anordnungen nach Absatz 4 Satz 1 Nummern 2 bis 5 ist der Präses oder bei seiner Verhinderung der Staatsrat der zuständigen Behörde. 5 Die Anordnung einer Auskunft über künftig anfallende Daten ist auf höchstens drei Monate zu befristen. 6 Die Verlängerung dieser Anordnung um jeweils nicht mehr als drei Monate ist auf Antrag zulässig, soweit die Voraussetzungen der Anordnung fortbestehen. 7 Anordnungen nach Absatz 4 Satz 1 Nummern 1 und 2 hat das Landesamt für Verfassungsschutz dem Betroffenen mitzuteilen, sobald eine Gefährdung des Zweckes des Eingriffs ausgeschlossen werden kann. (7) 1 Über Anordnungen nach Absatz 4 Satz 1 Nummern 3 bis 5 unterrichtet die zuständige Behörde die G 10-Kommission nach SS 1 Absatz 1 des Gesetzes zur Ausführung des Artikel 10-Gesetzes vom 17. Januar 1969 (HmbGVBl. S. 5), zuletzt geändert am 17. Dezember 2002 (HmbGVBl. S. 332), vor deren Vollzug. 2 Bei Gefahr im Verzug kann der Präses oder bei seiner Verhinderung der Staatsrat der zuständigen Behörde den Vollzug der Entscheidung auch bereits vor der Unterrichtung der Kommission anordnen. 3 Die G 10-Kommission prüft von Amts wegen oder auf Grund von Beschwerden die Zulässigkeit und Notwendigkeit der Einholung von Auskünften. 4 SS 15 Absatz 5 des Artikel 10-Gesetzes vom 26. Juni 2001 (BGBl. I S. 1254, 255 Anhang / Verfassungsschutzgesetz 2298), zuletzt geändert am 18. Februar 2007 (BGBl. I S. 106), ist mit der Maßgabe entsprechend anzuwenden, dass die Kontrollbefugnis der Kommission sich auf die gesamte Erhebung, Verarbeitung und Nutzung der nach Absatz 4 Satz 1 Nummern 3 bis 5 erlangten personenbezogenen Daten erstreckt. 5 Entscheidungen über Auskünfte, die die G10-Kommission für unzulässig oder nicht notwendig erklärt, sind unverzüglich aufzuheben. 6 Die Daten unterliegen in diesem Falle einem absoluten Verwendungsverbot und sind unverzüglich zu löschen. 7 Für die Verarbeitung der nach Absatz 4 Satz 1 Nummern 3 bis 5 erhobenen Daten ist SS 4 des Artikel 10-Gesetzes entsprechend anzuwenden. 8 SS 12 Absätze 1 und 3 des Artikel 10-Gesetzes findet entsprechende Anwendung. (8) 1 Die nach Absatz 6 zuständige Behörde unterrichtet im Abstand von höchstens sechs Monaten den Kontrollausschuss gemäß SS 24 über die Durchführung der Maßnahmen nach den Absätzen 3 und 4; dabei ist insbesondere ein Überblick über Anlass, Umfang, Dauer, Ergebnis und Kosten der im Berichtszeitraum durchgeführten Maßnahmen zu geben. 2 Die nach Satz 1 zuständige Behörde erstattet ferner dem Parlamentarischen Kontrollgremium nach dem Kontrollgremiumgesetz vom 11. April 1978 (BGBl. I S. 453), zuletzt geändert am 26. Juni 2001 (BGBl. I S. 1254, 1260), jährlich sowie nach Ablauf von drei Jahren nach Inkrafttreten dieses Gesetzes zusammenfassend zum Zweck der Evaluierung einen Bericht über die Durchführung sowie Art, Umfang und Anordnungsgründe der Maßnahmen nach den Absätzen 3 bis 5; dabei sind die Grundsätze des SS 2 Absatz 4 des Gesetzes zur Ausführung des Artikel 10-Gesetzes und des SS 5 Absatz 1 des Kontrollgremiumgesetzes zu beachten. (9) 1 Anordnungen sind dem Verpflichteten insoweit schriftlich mitzuteilen, als dies erforderlich ist, um ihm die Erfüllung seiner Verpflichtung zu ermöglichen. 2 Anordnungen und übermittelte Daten dürfen dem Betroffenen oder Dritten vom Verpflichteten nicht mitgeteilt werden. (10) Das Grundrecht des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses (Artikel 10 des Grundgesetzes) wird nach Maßgabe des Absatzes 4 Satz 1 Nummern 3 bis 5 und der Absätze 5 bis 7 eingeschränkt. 256 Anhang / Verfassungsschutzgesetz SS8 Erheben von Informationen mit nachrichtendienstlichen Mitteln (1) 1 Das Landesamt für Verfassungsschutz darf mit nachrichtendienstlichen Mitteln Informationen verdeckt erheben. 2 Der Einsatz von nachrichtendienstlichen Mitteln ist vorbehaltlich SS 6 nur zulässig, wenn 1. er sich gegen Organisationen, unorganisierte Gruppen, in ihnen oder einzeln tätige Personen richtet, bei denen tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht von Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 4 Absatz 1 bestehen, 2. er sich gegen andere als die in Nummer 1 genannten Personen richtet, von denen auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass sie für den Betroffenen bestimmte oder von ihm herrührende Mitteilungen entgegennehmen oder weitergeben, um auf diese Weise Erkenntnisse über sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten für eine fremde Macht oder gewalttätige Bestrebungen und Tätigkeiten nach SS 4 Absatz 1 zu gewinnen, 3. auf diese Weise die zur Erforschung von Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 4 Absatz 1 erforderlichen Nachrichtenzugänge geschaffen werden können oder 4. dies zur Abschirmung der Mitarbeiter, Einrichtungen, Gegenstände und Nachrichtenzugänge des Landesamtes für Verfassungsschutz gegen sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten erforderlich ist. 3 Das Landesamt für Verfassungsschutz darf die so gewonnenen Informationen nur für die in Satz 2 genannten Zwecke verwenden. 4 Unterlagen, die für diese Zwecke nicht erforderlich sind, sind unverzüglich zu vernichten. 5 Die Vernichtung kann unterbleiben, wenn die Informationen von anderen schriftlichen Unterlagen, die zur Erfüllung der Aufgaben erforderlich sind, nicht oder nur mit unvertretbarem Aufwand getrennt werden können; in diesem Fall unterliegen sie einem Verwertungsverbot. (2) 1 Zulässige nachrichtendienstliche Mittel sind 257 Anhang / Verfassungsschutzgesetz 1. verdeckt eingesetzte hauptamtliche Mitarbeiter des Landesamtes für Verfassungsschutz, 2. verdeckt eingesetzte Personen, die nicht in einem arbeitsvertraglichen oder öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zum Landesamt für Verfassungsschutz stehen, wie Vertrauensleute, Informanten, Gewährspersonen, 3. planmäßig angelegte Beobachtungen (Observationen), 4. Bildaufzeichnungen, 5. verdeckte Ermittlungen und Befragungen, 6. verdecktes Mithören ohne Inanspruchnahme technischer Mittel, 7. verdecktes Mithören und Aufzeichnen des nicht öffentlich gesprochenen Wortes oder sonstiger Signale unter Einsatz technischer Mittel innerhalb und außerhalb von Wohnungen (Artikel 13 des Grundgesetzes), 8. Beobachten und Aufzeichnen des Funkverkehrs, soweit nicht der Postund Fernmeldeverkehr nach Maßgabe des Artikel 10-Gesetzes betroffen ist, 9. Aufbau und Gebrauch von Legenden, 10. Beschaffen, Erstellen und Verwenden von Tarnpapieren und Tarnkennzeichen, 11. Überwachen des Brief-, Postund Fernmeldeverkehrs nach Maßgabe des Artikel 10-Gesetzes sowie 12. weitere vergleichbare Methoden, Gegenstände und Instrumente zur heimlichen Informationsbeschaffung, insbesondere das sonstige Eindringen in technische Kommunikationsbeziehungen durch Bild-, Tonund Datenaufzeichnungen, um die nach Absatz 1 erforderlichen Informationen zu gewinnen. 2 Die nachrichtendienstlichen Mittel sind abschließend in einer Dienst258 Anhang / Verfassungsschutzgesetz vorschrift zu benennen, die auch die Zuständigkeit für die Anordnung solcher Informationserhebungen regelt. 3 Die Dienstvorschrift bedarf der Zustimmung des Präses der zuständigen Behörde. 4 Dem Hamburgischen Datenschutzbeauftragten ist Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. 5 Die Behörden der Freien und Hansestadt Hamburg sind verpflichtet, dem Landesamt für Verfassungsschutz Hilfe für Tarnungsmaßnahmen zu leisten. (3) 1 Der verdeckte Einsatz besonderer technischer Mittel zur Informationsgewinnung ist im Schutzbereich des Artikels 13 des Grundgesetzes innerhalb von Wohnungen in Abwesenheit einer für das Landesamt für Verfassungsschutz tätigen Person zur Abwehr dringender Gefahren für die Schutzgüter des SS 1 und unter Berücksichtigung des SS 6 nur zulässig, wenn die materiellen Voraussetzungen für einen Eingriff in das Brief-, Postoder Fernmeldegeheimnis nach SS 1 Absatz 1 Nummer 1 und SS 3 Absatz 1 Satz 1 des Artikel 10-Gesetzes vorliegen und die Erforschung des Sachverhalts auf andere Weise aussichtslos oder wesentlich erschwert wäre. 2 Der verdeckte Einsatz besonderer technischer Mittel darf sich nur gegen den Verdächtigen richten. 3 Bei unmittelbar bevorstehender Gefahr darf der Einsatz sich auch gegen Personen richten, von denen aufgrund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass sie für die Verdächtigen bestimmte oder von ihnen herrührende Mitteilungen entgegennehmen oder weitergeben oder dass die Verdächtigen sich in ihrer Wohnung aufhalten. 4 In den Fällen des SS 53 Absatz 1 der Strafprozessordnung in der Fassung der Bekanntmachung vom 7. April 1987 (BGBl. I S. 1074, 1319), zuletzt geändert durch Artikel 6 des Gesetzes vom 11. Oktober 2002 (BGBl. I S. 3970), sind Maßnahmen nach den Sätzen 1 bis 3 nur zulässig, wenn auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass bei den zur Verweigerung des Zeugnisses Berechtigten die materiellen Voraussetzungen des Satzes 1 vorliegen. (4) 1 Die Anordnung des Einsatzes besonderer technischer Mittel nach Absatz 3 Satz 1 trifft der Richter. 2 Bei Gefahr im Verzug kann der Leiter des Landesamtes für Verfassungsschutz oder bei seiner Verhinderung sein Vertreter einen Einsatz nach Absatz 3 Satz 1 anordnen; die Tatsachen, die Gefahr im Verzug begründen, sind aktenkundig zu machen. 3 Eine richterliche Entscheidung ist unverzüglich nachzuholen. 4 Die Anordnungen sind auf längstens vier Wochen zu befristen; Verlängerungen um jeweils nicht mehr als vier weitere Wochen sind 259 Anhang / Verfassungsschutzgesetz auf Antrag zulässig, soweit die Voraussetzungen der Anordnung fortbestehen. (5) 1 Die Anordnung des Einsatzes besonderer technischer Mittel nach Absatz 3 Satz 1 wird unter der Aufsicht eines Beschäftigten des Landesamtes für Verfassungsschutz vollzogen, der die Befähigung zum Richteramt hat. 2 Liegen die Voraussetzungen der Anordnung nicht mehr vor oder ist der verdeckte Einsatz technischer Mittel zur Informationsgewinnung nicht mehr erforderlich, ist die Maßnahme unverzüglich zu beenden. 3 Das Abhören und Aufzeichnen ist unverzüglich zu unterbrechen, soweit sich während der Überwachung Anhaltspunkte dafür ergeben, dass Äußerungen, die dem Kernbereich privater Lebensgestaltung zuzurechnen sind, erfasst werden. 4 Aufzeichnungen über solche Äußerungen sind unverzüglich zu löschen. 5 Erkenntnisse über solche Äußerungen dürfen nicht verwertet werden. 6 Die Tatsache der Erfassung der Daten und ihrer Löschung ist zu dokumentieren. 7 Ist eine Maßnahme unterbrochen worden, so darf sie fortgeführt werden, soweit auf Grund tatsächlicher Anhaltspunkte, insbesondere zu der Art der zu überwachenden Räumlichkeiten und dem Verhältnis der zu überwachenden Personen zueinander, anzunehmen ist, dass durch die Überwachung Äußerungen, die dem Kernbereich privater Lebensgestaltung zuzurechnen sind, nicht mehr erfasst werden. (6) 1 Erkenntnisse und Unterlagen, die durch Maßnahmen nach Absatz 3 Satz 1 gewonnen wurden, dürfen zur Verfolgung und Erforschung der dort genannten Bestrebungen oder Tätigkeiten sowie nach Maßgabe des SS 4 Absätze 4 bis 6 des Artikel 10-Gesetzes verwendet werden. 2 SS 14 Absatz 2 Satz 2 bleibt unberührt. 3 Für die Speicherung und Löschung der durch die Maßnahmen nach den Absätzen 3 und 7 erlangten personenbezogenen Daten sowie die Entscheidung über die nachträgliche Information der von Maßnahmen nach den Absätzen 3 und 7 Betroffenen gelten SS 4 Absatz 1 und SS 12 des Artikel 10Gesetzes entsprechend. 4 Die Zusammenarbeitsverpflichtung nach SS 3 bleibt unberührt. (7) 1 Der verdeckte Einsatz besonderer technischer Mittel im Schutzbereich des Artikels 13 des Grundgesetzes innerhalb von Wohnungen ist auch dann zulässig, wenn es ausschließlich zum Schutz der dort für den Verfassungsschutz tätigen Personen zur Abwehr von Gefahren für Leben, Gesundheit oder Freiheit unerlässlich ist und vom Leiter 260 Anhang / Verfassungsschutzgesetz des Landesamtes für Verfassungsschutz oder bei seiner Verhinderung von seinem Vertreter angeordnet ist. 2 Eine anderweitige Verwertung der hierbei erlangten Kenntnisse zum Zweck der Strafverfolgung oder der Gefahrenabwehr ist nur zulässig, wenn zuvor die Rechtmäßigkeit der Maßnahme richterlich festgestellt ist; bei Gefahr im Verzug ist die richterliche Entscheidung unverzüglich nachzuholen. 3 Die Tatsachen, die Gefahr im Verzug begründen, sind aktenkundig zu machen. (8) 1 Zuständiges Gericht zur Entscheidung nach den Absätzen 3 und 7 ist das Amtsgericht Hamburg. 2 Für das Verfahren gelten die Vorschriften des Gesetzes über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit entsprechend. (9) Das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung (Artikel 13 des Grundgesetzes) wird nach Maßgabe der Absätze 3 und 7 eingeschränkt. (10) 1 Das Landesamt für Verfassungsschutz darf unter den Voraussetzungen des SS 7 Absatz 4 technische Mittel zur Ermittlung des Standortes eines aktiv geschalteten Mobilfunkendgerätes oder zur Ermittlung der Geräteoder Kartennummer einsetzen. 2 Die Maßnahme ist nur zulässig, wenn ohne Einsatz technischer Mittel nach Satz 1 die Ermittlung des Standortes oder die Ermittlung der Geräteoder Kartennummer aussichtslos oder wesentlich erschwert ist. 3 Sie darf sich nur gegen die in SS 7 Absatz 5 Nummer 1 und Nummer 2 Buchstabe b bezeichneten Personen richten. 4 Für die Verarbeitung der Daten ist SS 4 des Artikel 10-Gesetzes entsprechend anzuwenden. 5 Personenbezogene Daten eines Dritten dürfen anlässlich solcher Maßnahmen nur erhoben werden, wenn dies aus technischen Gründen zur Erreichung des Zwecks nach Satz 1 unvermeidbar ist. 6 Sie unterliegen einem absoluten Verwendungsverbot und sind nach Beendigung der Maßnahme unverzüglich zu löschen. 7 SS 7 Absätze 6 bis 8 gilt entsprechend. 8 Das Grundrecht des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses (Artikel 10 des Grundgesetzes) wird insoweit eingeschränkt. (11) 1 Erhebungen nach den Absätzen 3 bis 8 und Eingriffe, die in Art und Schwere einer Beschränkung des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses gleichkommen, bedürfen der Zustimmung des Präses, bei dessen Verhinderung des Staatsrates der zuständigen Behörde. 2 Sie sind dem Betroffenen mitzuteilen, sobald eine Gefährdung des Zwecks 261 Anhang / Verfassungsschutzgesetz der Maßnahme ausgeschlossen werden kann. 3 Lässt sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht abschließend beurteilen, ob diese Voraussetzung vorliegt, ist die Mitteilung vorzunehmen, sobald eine Gefährdung des Zwecks der Maßnahme ausgeschlossen werden kann. 4 Einer Mitteilung bedarf es nicht, wenn der Kontrollausschuss gemäß SS 24 einstimmig festgestellt hat, dass 1. diese Voraussetzung auch nach fünf Jahren nach Beendigung der Maßnahme noch nicht eingetreten ist, 2. diese Voraussetzung mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch in Zukunft nicht eintreten wird und 3. die Voraussetzungen für eine Löschung sowohl bei der erhebenden Stelle als auch beim Empfänger vorliegen. SS9 Weitere Verarbeitung personenbezogener Daten (1) 1 Das Landesamt für Verfassungsschutz darf zur Erfüllung seiner Aufgaben personenbezogene Daten weiter verarbeiten, wenn 1. tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht bestehen, dass die betroffene Person an Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 4 Absatz 1 teilnimmt, und dies für die Beobachtung der Bestrebung oder Tätigkeit erforderlich ist, 2. dies für die Erforschung und Bewertung von Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 4 Absatz 1 erforderlich ist, 3. dies zur Schaffung oder Erhaltung nachrichtendienstlicher Zugänge über Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 4 Absatz 1 erforderlich ist, 4. eine Mitwirkung bei Sicherheitsüberprüfungen nach SS 2 Absatz 3 des Artikel 10-Gesetzes oder bei Zuverlässigkeitsüberprüfungen nach dem Hafensicherheitsgesetz oder eine Beteiligung bei Überprüfungen nach SS 7 des Luftsicherheitsgesetzes oder SS 12 b des Atomgesetzes erfolgt. 262 Anhang / Verfassungsschutzgesetz 2 Das Recht der Nutzung und Verarbeitung personenbezogener Daten nach SS 7 Absatz 1 Satz 2 zur Vorgangsverwaltung bleibt unberührt. (2) 1 Das Landesamt für Verfassungsschutz hat die Speicherungsdauer auf das für seine Aufgabenerfüllung erforderliche Maß zu beschränken. 2 Bei der Einzelfallbearbeitung, im Übrigen jeweils spätestens vier Jahre beginnend ab der ersten Speicherung, prüft das Landesamt für Verfassungsschutz, ob die Speicherung der personenbezogenen Daten weiterhin erforderlich ist. (3) Gespeicherte personenbezogene Daten über Bestrebungen und Tätigkeiten nach SS 4 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, 3 oder 4 dürfen länger als zehn Jahre nach dem Zeitpunkt der letzten gespeicherten Information nur mit Zustimmung des Präses der zuständigen Behörde oder der von ihm besonders ermächtigten Bediensteten des Landesamtes für Verfassungsschutz gespeichert bleiben. (4) Das Landesamt für Verfassungsschutz ist befugt, gemäß SS 22 a BVerfSchG personenbezogene Daten in gemeinsamen Dateien mit den Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder und anderen Sicherheitsbehörden zu verarbeiten, soweit besondere bundesrechtliche Vorschriften oder landesrechtliche Vorschriften Anlass, Umfang und sonstige datenschutzrechtliche Anforderungen regeln. SS 10 Verarbeitung von Daten Minderjähriger (1) 1 Das Landesamt für Verfassungsschutz darf unter den Voraussetzungen des SS 9 Daten über Minderjährige in Sachakten und amtseigenen Dateien speichern und weiter verarbeiten. 2 Daten über Minderjährige vor Vollendung des 16. Lebensjahres dürfen nicht in gemeinsamen Dateien (SS 6 BVerfSchG), Daten Minderjähriger vor Vollendung des 14. Lebensjahres nicht in amtseigenen Dateien gespeichert werden. (2) Daten über Minderjährige in Dateien sind nach zwei Jahren auf die Erforderlichkeit der weiteren Speicherung zu überprüfen; spätestens nach fünf Jahren sind diese Daten zu löschen, es sei denn, dass nach Eintritt der Volljährigkeit weitere Erkenntnisse nach SS 4 Absatz 1 angefallen sind. 263 Anhang / Verfassungsschutzgesetz SS 11 Berichtigung, Sperrung und Löschung (1) 1 Erweist sich eine Information nach ihrer Übermittlung als unrichtig oder unvollständig, hat die übermittelnde Stelle ihre Information unverzüglich gegenüber dem Empfänger zu berichtigen oder zu ergänzen, wenn durch die unrichtige oder unvollständige Übermittlung schutzwürdige Interessen des Betroffenen beeinträchtigt sein können. 2 Die Berichtigung erfolgt dadurch, dass die unrichtigen Angaben, soweit sie in Akten enthalten sind, entfernt werden und, soweit sie in Dateien gespeichert sind, gelöscht werden. 3 Hiervon kann abgesehen werden, wenn die Trennung von zu berichtigenden und richtigen Informationen nicht oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand möglich ist. (2) Personenbezogene Daten, die ausschließlich zu Zwecken der Datenschutzkontrolle oder der Datensicherung gespeichert werden, dürfen nur für diese Zwecke oder bei Verdacht des Datenmissbrauchs genutzt werden. (3) Im Übrigen gilt für die Berichtigung, Sperrung und Löschung SS 19 des Hamburgischen Datenschutzgesetzes vom 5. Juli 1990 (Hamburgisches Gesetzund Verordnungsblatt Seiten 133, 165, 226), zuletzt geändert am 30. Januar 2001 (Hamburgisches Gesetzund Verordnungsblatt Seite 9). 3. Abschnitt Datenübermittlung SS 12 Übermittlung nicht personenbezogener Daten Das Landesamt für Verfassungsschutz kann die im Rahmen seiner gesetzlichen Aufgabenerfüllung erlangten Daten, die nicht personenbezogen sind, an andere Behörden und Stellen, insbesondere an die Polizei und die Staatsanwaltschaft, übermitteln, wenn sie für die Aufgabenerfüllung der Empfänger erforderlich sein können. 264 Anhang / Verfassungsschutzgesetz SS 13 Übermittlung personenbezogener Daten an inländische Nachrichtendienste (1) Gemäß SS 5 Absatz 1 BVerfSchG übermittelt das Landesamt für Verfassungsschutz dem Bundesamt für Verfassungsschutz und den Verfassungsschutzbehörden der Länder alle personenbezogenen Daten, deren Kenntnis zur Erfüllung der Aufgaben der Empfänger erforderlich ist. (2) Gemäß SS 21 Absatz 2 BVerfSchG übermittelt das Landesamt für Verfassungsschutz dem Bundesnachrichtendienst und dem Militärischen Abschirmdienst Informationen einschließlich personenbezogener Daten. SS 14 Übermittlung personenbezogener Daten an inländische öffentliche Stellen und Strafverfolgungsbehörden (1) 1 Das Landesamt für Verfassungsschutz darf Informationen einschließlich personenbezogener Daten an inländische öffentliche Stellen übermitteln, wenn dies zum Schutz vor Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 4 Absatz 1 zwingend erforderlich ist oder der Empfänger eine Sicherheitsüberprüfung durchführt. 2 Der Empfänger darf die übermittelten Daten nur für den Zweck verwenden, zu dem sie ihm übermittelt wurden. 3 Hierauf ist er hinzuweisen. (2) 1 Das Landesamt für Verfassungsschutz darf über Absatz 1 hinaus Informationen einschließlich personenbezogener Daten an die Staatsanwaltschaften und die Polizei übermitteln, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass jemand eine in den SSSS 74 a und 120 Gerichtsverfassungsgesetz, SS 100 a Nummern 3 und 4 Strafprozessordnung und SSSS 130 , 131 Strafgesetzbuch genannte Straftat plant, begeht oder begangen hat sowie sonstige Straftaten, bei denen aufgrund ihrer Zielsetzung, des Motivs des Täters oder dessen Verbindung zu einer Organisation tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie gegen die in Artikel 73 Nummer 10 Buchstabe b oder c des Grundgesetzes genannten Schutzgüter gerichtet sind. 2 Personenbezogene Daten, die das Landesamt für Verfassungsschutz 265 Anhang / Verfassungsschutzgesetz selbst mit nachrichtendienstlichen Mitteln nach SS 8 erhoben hat, dürfen nur dann an die Staatsanwaltschaft oder an die Polizei übermittelt werden, wenn die tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen für deren Erhebung mit entsprechenden Befugnissen zur verdeckten Datenerhebung nach der Strafprozessordnung oder nach den SSSS 9 bis 12 und SS23 Gesetz über die Datenverarbeitung der Polizei vom 2. Mai 1991 (Hamburgisches Gesetzund Verordnungsblatt Seiten 187, 191) vorgelegen hätten. SS 15 Übermittlung personenbezogener Daten an Stationierungsstreitkräfte 1 Das Landesamt für Verfassungsschutz darf Informationen einschließlich personenbezogener Daten an Dienststellen der Stationierungsstreitkräfte im Rahmen von Artikel 3 des Zusatzabkommens zu dem Abkommen zwischen den Parteien des Nordatlantikvertrags über die Rechtsstellung ihrer Truppen hinsichtlich der in der Bundesrepublik Deutschland stationierten ausländischen Streitkräfte vom 3. August 1959 (Bundesgesetzblatt II 1961 Seiten 1183, 1218) übermitteln. 2 Die Entscheidung für eine Übermittlung treffen der Präses der zuständigen Behörde oder die von ihm besonders ermächtigten Bediensteten des Landesamtes für Verfassungsschutz. 3 Der Empfänger ist darauf hinzuweisen, dass er die übermittelten Daten nur zur Verarbeitung für den Zweck erhält, zu dem sie ihm übermittelt wurden. SS 16 Übermittlung personenbezogener Daten an ausländische öffentliche Stellen 1 Das Landesamt für Verfassungsschutz darf personenbezogene Daten im Einvernehmen mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz an ausländische öffentliche Stellen sowie an überoder zwischenstaatliche Stellen übermitteln, wenn die Übermittlung zur Erfüllung seiner Aufgaben oder zur Wahrung erheblicher Sicherheitsinteressen des Empfängers erforderlich ist. 2 Die Entscheidung für eine Übermittlung treffen der Präses der zuständigen Behörde oder die von ihm besonders ermächtigten Bediensteten des Landesamtes für Verfassungsschutz. 3 Die Übermittlung unterbleibt, wenn auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland oder überwiegende schutzwürdige Interes266 Anhang / Verfassungsschutzgesetz sen des Betroffenen entgegenstehen oder wenn dadurch gegen den Zweck eines deutschen Gesetzes verstoßen würde. 4 Der Empfänger ist darauf hinzuweisen, dass er die übermittelten Daten nur zur Verarbeitung für den Zweck erhält, zu dem sie ihm übermittelt wurden. SS 17 Übermittlung personenbezogener Daten an Stellen außerhalb des öffentlichen Bereichs (1) 1 Das Landesamt für Verfassungsschutz darf personenbezogene Daten an Personen oder Stellen außerhalb des öffentlichen Bereichs nicht übermitteln, es sei denn, dass die Übermittlung zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, des Bestandes oder der Sicherheit des Bundes oder eines Landes erforderlich ist. 2 Die Entscheidung für eine Übermittlung treffen der Präses der zuständigen Behörde, bei dessen Verhinderung der Staatsrat oder die besonders ermächtigten Bediensteten des Landesamtes für Verfassungsschutz. 3 Dies gilt nicht bei Erhebungen nach SS 7 Absatz 1 Sätze 2 und 3 . (2) 1 Das Landesamt für Verfassungsschutz führt über die Übermittlung nach Absatz 1 einen Nachweis, aus dem der Zweck und die Veranlassung der Übermittlung, die Aktenfundstelle und der Empfänger hervorgehen. 2 Die Nachweise sind gesondert aufzubewahren, gegen unberechtigten Zugriff zu sichern und am Ende des Kalenderjahres, das dem Jahr ihrer Erstellung folgt, zu vernichten. (3) 1 Der Empfänger darf die übermittelten Daten nur für den Zweck verwenden, zu dem sie ihm übermittelt wurden. 2 Hierauf ist er hinzuweisen. (4) 1 Das Landesamt für Verfassungsschutz darf eine Bewertung über personenbezogene Daten an Personen oder Stellen außerhalb des öffentlichen Bereichs übermitteln, soweit die Übermittlung für Zwecke einer Zuverlässigkeitsüberprüfung mit Einwilligung der Betroffenen erfolgt und im Hinblick auf den Anlass dieser Überprüfung, insbesondere den Zugang der Betroffenen zu einer besonders gefährdeten Veranstaltung, mit Rücksicht auf ein berechtigtes Interesse des Empfängers und wegen der Art oder des Umfangs der Erkenntnisse über den Betroffenen angemessen ist. 2 Das Landesamt für Verfassungsschutz 267 Anhang / Verfassungsschutzgesetz hat den Betroffenen die Gründe für eine negative Bewertung mitzuteilen. Absätze 2 und 3 gelten entsprechend. SS 18 Übermittlung personenbezogener Daten an die Öffentlichkeit 1 Bei der Unterrichtung der Öffentlichkeit einschließlich der Medien über Erkenntnisse des Landesamtes für Verfassungsschutz ist die Übermittlung personenbezogener Daten nur zulässig, wenn sie zu einer sachgerechten Information zwingend erforderlich ist. 2 Stehen schutzwürdige Interessen des Betroffenen entgegen, kommt eine Übermittlung der personenbezogenen Daten des Betroffenen nur dann in Betracht, wenn die Interessen der Allgemeinheit deutlich überwiegen. SS 19 Übermittlung personenbezogener Daten an das Landesamt für Verfassungsschutz (1) Die hamburgischen Behörden und die der Aufsicht der Freien und Hansestadt Hamburg unterstehenden juristischen Personen des öffentlichen Rechts sind befugt, die Daten zu übermitteln, um die das Landesamt für Verfassungsschutz nach SS 7 Absatz 2 ersucht hat, soweit sie diesen Stellen bereits vorliegen. (2) Die in Absatz 1 genannten Stellen übermitteln dem Landesamt für Verfassungsschutz alle ihnen im Rahmen ihrer Aufgabenerfüllung vorliegenden Informationen über gewalttätige Bestrebungen und Tätigkeiten oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen gemäß SS 4 Absatz 1 Satz 1 Nummern 1, 3 und 4 und über sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten nach SS 4 Absatz 1 Satz 1 Nummern 2 und 3 . (3) 1 Die Ausländerbehörde der Freien und Hansestadt Hamburg übermittelt gemäß SS 18 Absatz 1 a BVerfSchG von sich aus dem Landesamt für Verfassungsschutz die ihr bekannt gewordenen Informationen einschließlich personenbezogener Daten über Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 4 Absatz 1, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Übermittlung für die Erfüllung der Aufgaben des Landesamtes für Verfassungsschutz erforderlich ist. 2 Die Übermittlung dieser personenbezogenen Daten an ausländische öffentli268 Anhang / Verfassungsschutzgesetz che Stellen sowie an überund zwischenstaatliche Stellen durch das Landesamt für Verfassungsschutz unterbleibt, wenn überwiegende schutzwürdige Belange der Person, deren Daten übermittelt werden sollen oder überwiegende schutzwürdige Belange Dritter entgegenstehen. 3 Vor einer Übermittlung ist das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge zu beteiligen. 4 Für diese Übermittlungen des Landesamtes für Verfassungsschutz gilt SS 7 Absatz 8 entsprechend. (4) 1 Die Staatsanwaltschaften und, vorbehaltlich der staatsanwaltschaftlichen Sachleitungsbefugnis, die Polizei übermitteln auch andere im Rahmen ihrer Aufgabenerfüllung bekannt gewordene Informationen über Bestrebungen nach SS 4 Absatz 1, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Übermittlung für die Erfüllung der Aufgaben des Landesamtes für Verfassungsschutz erforderlich ist. 2 Die Übermittlung personenbezogener Daten, die aufgrund eines Eingriffs in das Brief-, Postund Fernmeldegeheimnis bekannt geworden sind, ist nur zulässig, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass jemand eine der in SS 3 des Artikel 10-Gesetzes genannten Straftaten plant, begeht oder begangen hat. 3 Die Übermittlung personenbezogener Informationen, die auf Grund anderer strafprozessualer Zwangsmaßnahmen oder verdeckter Datenerhebungen nach SS 2 Absatz 3 Satz 3 oder nach den SSSS 9 bis 12 des Gesetzes über die Datenverarbeitung der Polizei vom 2. Mai 1991 (Hamburgisches Gesetzund Verordnungsblatt Seiten 187, 191) bekannt geworden sind, ist nur zulässig, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für gewalttätige Bestrebungen oder sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten bestehen; die Übermittlung ist auch zulässig, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für eine in SSSS 74 a und 120 Gerichtsverfassungsgesetz und SSSS 130 , 131 Strafgesetzbuch genannte Straftat bestehen oder eine sonstige Straftat, bei der aufgrund ihrer Zielsetzung, des Motivs des Täters oder dessen Verbindung zu einer Organisation tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie gegen die in Artikel 73 Nummer 10 Buchstabe b oder c des Grundgesetzes genannten Schutzgüter gerichtet ist. 4 Die Übermittlung personenbezogener Daten, die auf Grund verdeckter Datenerhebung nach SS 8 Absatz 6 Satz 1 und SSSS 10 a bis 10 d des Gesetzes über die Datenverarbeitung der Polizei in der jeweils geltenden Fassung bekannt geworden sind, ist nur zulässig, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass jemand eine der in SS 3 des Artikel 10-Gesetzes genannten Straftaten plant, begeht oder begangen hat. 5 Auf die nach Satz 2 übermittelten Informationen 269 Anhang / Verfassungsschutzgesetz und die dazu gehörenden Unterlagen ist SS 4 des Artikel 10-Gesetzes entsprechend anzuwenden. 6 Die nach Satz 2 übermittelten Informationen dürfen nur zur Erforschung gewalttätiger Bestrebungen oder sicherheitsgefährdender oder geheimdienstlicher Tätigkeiten genutzt werden. (5) 1 Das Landesamt für Verfassungsschutz hat die übermittelten Informationen unverzüglich darauf zu überprüfen, ob sie zur Erfüllung seiner Aufgaben erforderlich sind. 2 Ist dies nicht der Fall, sind die Unterlagen zu vernichten. 3 Die Vernichtung unterbleibt, wenn die Unterlagen von anderen Informationen, die zur Erfüllung der Aufgaben erforderlich sind, nicht oder nur mit unvertretbarem Aufwand getrennt werden können; in diesem Fall unterliegen die personenbezogenen Daten einem Verwertungsverbot und sind entsprechend zu kennzeichnen. (6) 1 Das Landesamt für Verfassungsschutz hat die Informationsübermittlung aktenkundig zu machen. 2 Vorschriften in anderen Gesetzen über die Informationsübermittlung an das Landesamt für Verfassungsschutz und über ihre Dokumentation bleiben unberührt. SS 20 Registereinsicht durch das Landesamt für Verfassungsschutz (1) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf in von öffentlichen Stellen geführte Register und Datensammlungen einsehen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen über 1. Bestrebungen, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind (SS 4 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1), oder 2. sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten für eine fremde Macht (SS 4 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2) oder 3. Bestrebungen, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden (SS 4 Absatz 1 Satz 1 Nummer 3), oder 270 Anhang / Verfassungsschutzgesetz 4. Bestrebungen und Tätigkeiten, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen gegen den Gedanken der Völkerverständigung oder das friedliche Zusammenleben der Völker gerichtet sind (SS 4 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4). (2) Eine Einsichtnahme ist nur zulässig, wenn 1. die Aufklärung auf andere Weise nicht möglich erscheint, insbesondere durch eine Übermittlung der Daten durch die registerführende Stelle der Zweck der Maßnahme gefährdet würde, 2. die betroffenen Personen durch eine anderweitige Aufklärung unverhältnismäßig beeinträchtigt würden und 3. eine besondere gesetzliche Geheimhaltungsvorschrift oder ein Berufsgeheimnis ihr nicht entgegensteht. (3) Die Anordnung für die Maßnahme treffen der Präses der zuständigen Behörde oder die von ihm besonders ermächtigten Bediensteten des Landesamtes für Verfassungsschutz. (4) 1 Die auf diese Weise gewonnenen Unterlagen dürfen nur zu den in Absatz 1 genannten Zwecken verwendet werden. 2 Gespeicherte Daten sind zu löschen und Unterlagen zu vernichten, sobald sie für diese Zwecke nicht mehr benötigt werden. (5) 1 Über die Tatsache der Einsichtnahme ist ein gesonderter Nachweis zu führen, aus dem ihr Zweck, die in Anspruch genommenen Stellen sowie die Namen der Betroffenen hervorgehen. 2 Diese Aufzeichnungen sind gesondert aufzubewahren, durch technische und organisatorische Maßnahmen gegen unbefugten Zugriff zu sichern und am Ende des Kalenderjahres, das dem Jahr ihrer Erstellung folgt, zu vernichten. SS 21 Übermittlungsverbote und -einschränkungen (1) Die Übermittlung von Informationen nach diesem Abschnitt unterbleibt, wenn 271 Anhang / Verfassungsschutzgesetz 1. eine Prüfung durch die übermittelnde Stelle ergibt, dass die Informationen zu vernichten sind oder einem Verwertungsverbot unterliegen oder für den Empfänger nicht mehr bedeutsam sind, 2. überwiegende Sicherheitsinteressen dies erfordern oder 3. für die übermittelnde Stelle erkennbar ist, dass unter Berücksichtigung der Art der Informationen und ihrer Erhebung die schutzwürdigen Interessen des Betroffenen das Allgemeininteresse an der Übermittlung überwiegen. (2) Besondere Rechtsvorschriften, die Informationsübermittlungen zulassen, einschränken oder verbieten sowie die Verpflichtung zur Wahrung gesetzlicher Geheimhaltungspflichten oder von Berufsoder besonderen Amtsgeheimnissen, die nicht auf gesetzlichen Vorschriften beruhen, bleiben unberührt. SS 22 Übermittlung personenbezogener Daten Minderjähriger (1) Personenbezogene Daten Minderjähriger vor Vollendung des 16. Lebensjahres dürfen nach den Vorschriften dieses Gesetzes übermittelt werden, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Minderjährige eine der in SS 3 des Artikel 10-Gesetzes genannten Straftaten plant, begeht oder begangen hat, im Übrigen, solange die Voraussetzungen der Speicherung nach SS 10 erfüllt sind. (2) Personenbezogene Daten Minderjähriger vor Vollendung des 16. Lebensjahres dürfen nach den Vorschriften dieses Gesetzes nicht an ausländische oder überoder zwischenstaatliche Stellen übermittelt werden. 4. Abschnitt Auskunftserteilung SS 23 Auskunftserteilung (1) 1 Den Betroffenen ist vom Landesamt für Verfassungsschutz auf 272 Anhang / Verfassungsschutzgesetz Antrag gebührenfrei Auskunft zu erteilen über 1. die zu ihrer Person gespeicherten Daten, 2. die Zweckbestimmung und die Rechtsgrundlage der Speicherung, 3. die Herkunft der Daten, 4. die Stellen, denen die Daten im Rahmen regelmäßiger Übermittlungen übermittelt werden, und die an einem automatisierten Abrufverfahren teilnehmenden Stellen, auch soweit diese Angaben nicht zu ihrer Person gespeichert sind, aber mit vertretbarem Aufwand festgestellt werden können. 2 Die Betroffenen sollen die Art der personenbezogenen Daten, über die sie Auskunft verlangen, näher bezeichnen. 3 Aus Akten ist den Betroffenen Auskunft zu erteilen, soweit sie Angaben machen, die das Auffinden der Daten ermöglichen, und der für die Erteilung der Auskunft erforderliche Aufwand nicht außer Verhältnis zum Auskunftsinteresse der Betroffenen steht. 4 Das Landesamt für Verfassungsschutz bestimmt die Form der Auskunftserteilung nach pflichtgemäßem Ermessen; die Auskunft kann auch in der Form erteilt werden, dass den Betroffenen Akteneinsicht gewährt oder ein Ausdruck aus automatisierten Dateien überlassen wird. 5 SS 29 des Hamburgischen Verwaltungsverfahrensgesetzes bleibt unberührt. (2) Die Auskunftserteilung unterbleibt, soweit 1. durch sie die Nachrichtenzugänge gefährdet sein können oder die Ausforschung des Erkenntnisstandes oder der Arbeitsweise des Landesamtes für Verfassungsschutz zu befürchten ist, 2. die personenbezogenen Daten oder die Tatsache ihrer Speicherung nach einer Rechtsvorschrift oder wegen der überwiegenden schutzwürdigen Interessen Dritter geheim gehalten werden müssen, 3. sie die öffentliche Sicherheit gefährden oder sonst dem Wohle des Bundes oder eines Landes Nachteile bereiten würde. 273 Anhang / Verfassungsschutzgesetz (3) Im Übrigen gilt für die Auskunft SS 18 Absätze 2 und 4 bis 6 des Hamburgischen Datenschutzgesetzes . 5. Abschnitt Parlamentarische Kontrolle des Verfassungsschutzes SS 24 Parlamentarischer Kontrollausschuss 1 Zur parlamentarischen Kontrolle des Senats auf dem Gebiet des Verfassungsschutzes bildet die Bürgerschaft einen Kontrollausschuss. 2 Dieser tagt in nichtöffentlicher Sitzung. SS 25 Zusammensetzung und Pflichten des Ausschusses (1) Der Ausschuss besteht aus sieben Mitgliedern der Bürgerschaft. (2) Die Mitglieder des Ausschusses werden von der Bürgerschaft in geheimer Abstimmung gewählt. (3) 1 Die Mitglieder des Ausschusses sind zur Geheimhaltung der Angelegenheiten verpflichtet, die ihnen im Zusammenhang mit ihrer Tätigkeit in dem Ausschuss bekannt geworden sind. 2 Dies gilt auch für die Zeit nach ihrem Ausscheiden aus dem Ausschuss oder aus der Bürgerschaft. (4) Der Ausschuss wählt einen Vorsitzenden und gibt sich eine Geschäftsordnung. (5) Sitzungsunterlagen und Protokolle verbleiben im Gewahrsam des Landesamtes für Verfassungsschutz und können nur dort von den Ausschussmitgliedern eingesehen werden. (6) 1 Scheidet ein Mitglied des Ausschusses aus der Bürgerschaft oder seiner Fraktion aus, so verliert es seine Mitgliedschaft im Ausschuss; für dieses Mitglied ist unverzüglich ein neues Mitglied zu bestimmen. 2 Das Gleiche gilt, wenn ein Mitglied aus dem Ausschuss ausscheidet. 274 Anhang / Verfassungsschutzgesetz (7) 1 Der Parlamentarische Kontrollausschuss erstattet der Bürgerschaft jährlich einen Bericht über seine Kontrolltätigkeit. 2 Dabei sind die Grundsätze des Absatzes 3 zu beachten. SS 26 Aufgaben des Ausschusses (1) 1 Der Ausschuss übt die parlamentarische Kontrolle auf dem Gebiet des Verfassungsschutzes aus. 2 Die Rechte der Bürgerschaft bleiben unberührt. (2) 1 Zur Erfüllung seiner Kontrollaufgaben kann der Ausschuss vom Senat die erforderlichen Auskünfte, Unterlagen, Akten und Dateieinsichten, Stellungnahmen und den Zutritt zu den Räumen des Landesamtes für Verfassungsschutz und die Entsendung bestimmter Angehöriger des öffentlichen Dienstes als Auskunftspersonen verlangen. 2 Der Senat bescheidet ein solches Kontrollbegehren abschlägig oder schränkt die Aussagegenehmigung ein, wenn gesetzliche Vorschriften oder das Staatswohl entgegenstehen. 3 In diesem Fall legt der Senat dem Ausschuss seine Gründe dar. (3) Der Senat unterrichtet den Ausschuss in Abständen von höchstens drei Monaten oder auf Antrag eines Mitglieds über die Tätigkeit des Landesamtes für Verfassungsschutz. (4) Der Senat hat dem Ausschuss 1. Gefahren für die Schutzgüter des SS 1, 2. die Dienstvorschrift über nachrichtendienstliche Mittel nach SS 8 Absatz 2 Satz 2 sowie ihre Änderungen, 3. die Maßnahmen nach SS 8 Absatz 11, 4. die Weiterspeicherung nach SS 9 Absatz 3, 5. die tatsächliche Arbeitsaufnahme mit einem automatisierten Verfahren, für das eine Verfahrensbeschreibung nach SS 9 Absatz 1 des Hamburgischen Datenschutzgesetzes vorgeschrieben ist, und seine wesentlichen inhaltlichen Änderungen, 275 Anhang / Verfassungsschutzgesetz 6. die Übermittlung personenbezogener Daten an Stationierungsstreitkräfte nach SS 15, 7. die Übermittlung personenbezogener Daten an ausländische öffentliche Stellen nach SS 16, 8. die Übermittlung personenbezogener Daten an Stellen außerhalb des öffentlichen Bereichs nach SS 17, 9. Anfragen bei ausländischen öffentlichen Stellen nach SS 12 Absatz 5 Satz 3 HmbSÜG mitzuteilen und jährlich über die Prüfungen nach SS 9 Absatz 2 Satz 2 zu berichten. SS 27 Eingaben 1 Eingaben einzelner Bürger oder einzelner Angehöriger des Verfassungsschutzes über ein sie betreffendes Verhalten des Landesamtes für Verfassungsschutz sind dem Ausschuss zur Kenntnis zu geben. 2 Der Ausschuss hat auf Antrag eines Mitglieds Petenten und Auskunftspersonen zu hören. 3 SS 26 Absatz 2 findet entsprechende Anwendung. 4 Die Rechte des Eingabenausschusses bleiben unberührt. 276