Verfassungsschutzbericht 1999 Herausgeber: Freie und Hansestadt Hamburg Behörde für Inneres Landesamt für Verfassungsschutz Johanniswall 4, 20095 Hamburg Telefon: 040/244443 Telefax: 040/338360 Internet-Homepage: http://www.hamburg.de/Behoerden/LfV/homepage.htm Auflage: 4.000 Mai 2000 Druck: Lütcke & Wulff, Heidenkampsweg 76 B, 20097 Hamburg 2 Senator Hartmuth Wrocklage Der freiheitliche Rechtsstaat bleibt wachsam und wehrhaft: Unsere Verfassung im Geiste demokratischer Toleranz mit rechtsstaatlicher Festigkeit und Konsequenz schützen! Das Landesamt für Verfassungsschutz informiert mit diesem Verfassungsschutzbericht die Öffentlichkeit über extremistische Bestrebungen und Aktivitäten im Jahre 1999. Die offensive Auseinandersetzung mit den Feinden der Demokratie von rechts und links oder im Gewand von Religionsgemeinschaften kann nicht allein mit administrativen und juristischen Mitteln, mit Verboten und Gerichtsurteilen geführt werden. An erster Stelle muss vielmehr die argumentative, geistig-politische und gesellschaftliche Auseinandersetzung mit dem Denken und Handeln politischer Extremisten stehen. Und diese Auseinandersetzung darf nicht nur Historikern überlassen bleiben. Sie gehört mitten hinein in den Alltag. Auch die Arbeit des Verfassungsschutzes und seine Berichterstattung sind Ausdruck praktizierter wehrhafter Demokratie gegen Versuche von Verfassungsfeinden, Grundprinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung anzugreifen, umzudefinieren und zu mißbrauchen, sie am Ende ganz zu beseitigen. Denn nur informierte Bürgerinnen und Bürger können die von Extremisten verbreiteten Parolen und scheinbaren Problemlösungen durchschauen, ihre wirklichen Absichten richtig erkennen und beurteilen. Auch das Jahr 1999 hat gezeigt, wie wichtig diese Arbeit des Verfassungsschutzes in Hamburg ist und bleibt. Dabei haben einige Ereignisse und Aktionen von Extremisten besonders große Öffentlichkeitswirkung gehabt: * Die mehrtägige internationale Gewaltkampagne militanter Kurden im Februar 1999 hat auch in Hamburg drastisch gezeigt, wie ausländische Extremisten in Deutschland Gastfreundschaft missbrauchen und Gesetze missachten, wenn sie politische Konflikte ihrer Heimatländer hier gewaltsam austragen. * Wie schon in den Jahren zuvor im gesamten Bundesgebiet versuchten Rechtsextremisten 1999 auch in Hamburg, mit öffentlichen Aufmärschen auf sich aufmerksam zu machen. Die Demonstrationen in Bergedorf und Barmbek haben erneut gezeigt, wie wichtig die informierte, demokratische und friedliche gesellschaftliche Auseinandersetzung mit dem Rechtsextremismus ist, zumal nach höchstrichterlicher Rechtsprechung Demonstrationsverbote nur unter engen Voraussetzungen denkbar sind. In den Fällen Bergedorf und Barmbek waren diese nicht erfüllt. Der Verfassungsschutzbericht 1999 liefert erneut Hintergrundinformationen für die erforderliche gesellschaftliche Auseinandersetzung. 3 Die Arbeit des Landesamtes für Verfassungsschutz erstreckt sich neben der Beobachtung des Extremismus (Rechts-, Links-, Ausländerextremismus und Bestrebungen der Scientology-Organisation) auf die Mitwirkung bei Sicherheitsüberprüfungen (Geheimschutz) und die Aufklärung geheimdienstlicher Tätigkeiten fremder Mächte in Deutschland (Spionageabwehr). Der Verfassungsschutzbericht gibt einen Überblick über Gefährdungen des demokratischen Rechtsstaates durch politisch motivierte extremistische Verhaltensweisen in Hamburg. Er beschränkt sich auf die Beschreibung der wichtigsten Bestrebungen im Jahr 1999 in Hamburg, beleuchtet aber, wo dies zum besseren Verständnis der lokalen Vorgänge sinnvoll ist, auch überregionale Aspekte und Entwicklungen. Die dargelegten wesentlichen Erkenntnisse und Analysen, Zusammenhänge und Bewertungen sind dabei nur eine Orientierungshilfe, keine erschöpfende Lagebildinformation. Sie bedeuten auch keine juristische Würdigung, die zwingende Rückschlüsse auf die Verfassungstreue aller Einzelpersonen zuläßt, die einer der erwähnten Organisationen angehören. Auf dem Gebiet des Rechtsextremismus hat sich 1999 erneut bestätigt, dass Rechtsextremisten zwar punktuell bei Wahlen unter für sie günstigen Umständen von wirtschaftlichen und sozialen Problemen und Sorgen der Bevölkerung profitieren können. Gleichwohl gab es im Berichtsjahr überwiegend deutliche Wählerabsagen an rechtsextremistische Parteien bei der Europawahl und den meisten Landtagswahlen. Dies zeigt, dass die Wähler weiterhin dem freiheitlichen demokratischen Rechtsstaat vertrauen. Dennoch ist verstärkte Wachsamkeit geboten. Im Berichtsjahr ist es Rechtsextremisten auch in Hamburg mehrfach gelungen, Demonstrationen - aus verschiedenen aktuellen Anlässen - durchzuführen. Die Bestimmungen des Versammlungsrechts - ein elementarer Bestandteil unserer demokratischen Ordnung - ermöglichen ein Verbot nur, wenn konkrete Hinweise auf drohende Unfriedlichkeit dieser Aufmärsche vorliegen. Die verwerflichen politischen Ziele rechtsextremistischer Bestrebungen sind für sich allein kein ausreichender Verbotsgrund. Um so wichtiger ist es, die intensive politische und intellektuelle Auseinandersetzung mit den Feinden der Verfassung zu suchen und für den demokratischen Rechtsstaat auch öffentlich einzutreten, z. B. durch öffentliche Kundgebungen und Demonstrationen der demokratischen Kräfte unserer Gesellschaft. Die Entwicklung im Bereich des Linksextremismus war auch 1999 gekennzeichnet von Versuchen der Annäherung zwischen Vertretern des "altkommunistischen" Spektrums und Vertretern des gewaltgeneigten autonomen, anarchistischen und "antiimperialistischen" Spektrums. "Antifaschismus" und das Agieren gegen vermeintlichen "Rassismus" dienen als verbindende Kampagnenthemen; die polizeiliche Bekämpfung des illegalen Handels und Konsums von Drogen wird als rassistisch diffamiert und bekämpft. Stichworte und Inhalte ihrer sich hieran aufrankenden Agitation 4 gegen Polizei, Behörden und Politiker waren in Tatbekennungen linksextremistischer Gewalttäter wiederzufinden. Auch linksextremistische oder autonome Gewaltakte werden nicht geduldet. Der Staat reagiert auf sie mit Besonnenheit und Konsequenz. Der rechtsstaatlich zu beachtende Grundsatz der Verhältnismäßigkeit polizeilichen Handelns darf nicht mit Permissivität gleichgesetzt werden, obwohl dies aus durchsichtigen Gründen immer wieder geschieht. Als erfreulich bleibt schließlich festzustellen, dass es derzeit in Deutschland keinen aktiven Linksterrorismus gibt. Ausländische Extremisten bekämpfen zwar in erster Linie die politischen Verhältnisse ihrer Heimatländer, setzen sich dabei jedoch oftmals über die im Gastland herrschende Ordnung hinweg. Ein trauriges Beispiel dafür waren 1999 in Hamburg - und in anderen deutschen Städten - die Reaktionen von PKK-Anhängern auf die Ergreifung ihres Vorsitzenden ÖCALAN. Der Verfassungschutzbericht 1999 geht im weiteren auch auf die Aktivitäten türkischer kommunistischer Gruppierungen ein. Ferner informiert er über islamistische Ausländerorganisationen, die unter dem Mantel der Religionsausübung politische Einstellungen und Wertungen vermitteln, die zum Teil im Widerspruch zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung stehen. Wegen tatsächlicher Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung beobachtet der Verfassungsschutz seit 1997 die Scientology-Organisation (SO). Die umfassende Aufklärung über die Methoden der SO scheint den Zulauf von Anhängern gebremst zu haben und hat auch die Hamburger Organisation in erhebliche Schwierigkeiten gebracht. Darüber kann auch nicht der Erwerb des Gebäudes für die neue Scientology-Zentrale in Hamburgs City hinwegtäuschen, das viele Millionen DM gekostet hat. Alle Umstände sprechen nämlich dafür, dass dies nur dank der Finanzierung durch die Gesamtorganisation möglich war. Der Verfassungsschutzbericht 1999 liefert wichtige und aktuelle Hintergrundinformationen für die argumentative gesellschaftliche Auseinandersetzung mit dem Extremismus im demokratischen Rechtsstaat. Jeder einzelne ist gefordert: Machen auch Sie mit auf Seiten unserer freiheitlichen rechtsstaatlichen Verfassung ! Senator Hartmuth Wrocklage Präses der Behörde für Inneres der Freien und Hansestadt Hamburg 5 Inhaltsverzeichnis I. Verfassungsschutz in Hamburg 10 II. Rechtsextremismus 16 1. Überblick/Aktuelle Entwicklungen und Schwerpunkte 16 1.1 Tendenzen, Themen und Aktivitäten 16 1.2 Organisationen und Potentiale 26 1.3 Beteiligung an Wahlen 31 2. Rechtsextremistisch motivierte Strafund Gewalttaten / Statistik 33 3. Subkulturell geprägte und sonstige gewaltbereite Rechtsextremisten 40 3.1 Rechtsextremistische Skinhead-Szene 40 3.2 Anhaltspunkte für rechtsterroristische Bestrebungen 51 4. Neonazismus 56 4.1 Aktuelle Entwicklung 56 4.2 Neonazistische Erscheinungsformen / Bestrebungen in Hamburg 61 5. Rechtsextremistische Parteien 76 5.1 Die Republikaner (REP) 76 5.2 Deutsche Volksunion (DVU) 82 5.3 Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) einschließlich Junge Nationaldemokraten (JN) 88 6. Sonstige rechtsextremistische Organisationen und Bestrebungen 97 7. Nutzung moderner Kommunikationsmittel 99 III. Linksextremismus 103 1. Überblick/Aktuelle Entwicklungen und Schwerpunkte 103 1.1 Tendenzen, Themen und Aktivitäten 103 1.2 Organisationen und Potentiale 108 1.3 Beteiligung an Wahlen 110 6 2. Linksextremistisch motivierte Strafund Gewalttaten / Statistik 110 3. Linksterroristische Bestrebungen 112 4. Autonome und anarchistische Gruppen 124 4.1 Aktuelle Entwicklung 124 4.2 Gruppen und Strukturen in Hamburg 125 4.3 Aktionsfelder 131 4.3.1 Ausländerund Asylproblematik / "Antirassismus" 131 4.3.2 Antifaschismus 137 4.3.3 Einflußnahme auf die Anti-AKW-Bewegung 146 4.3.4 Anti-NATO-Kampagne im Zusammenhang mit dem Kosovo-Krieg 150 4.3.5 Antinationale / Antideutsche Kampagne 154 4.3.6 Linksextremistische Einflussnahme auf die Solidaritätskampagne für Mumia ABU JAMAL 156 5. Orthodoxe Kommunisten und andere revolutionäre Marxisten 158 5.1 Deutsche Kommunistische Partei (DKP) und Umfeld 158 5.2 Sonstige revolutionäre Marxisten 166 6. Nutzung moderner Kommunikationsmittel 170 IV. Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern 172 1. Überblick/Aktuelle Entwicklungen und Schwerpunkte 172 1.1 Tendenzen, Themen und Aktivitäten 172 1.2 Organisationen und Potentiale 174 2. Strafund Gewalttaten im Ausländerextremismus / Statistik 176 3. Kurden / Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) 179 3.1 Allgemeines / Vorgeschichte 179 3.2 Die wichtigsten Ereignisse im Überblick 181 3.3 Chronologie der Ereignisse 181 3.4 Ausblick 196 7 4. Türken 198 4.1 Allgemeines 198 4.2 Linksextremisten 199 4.2.1 DHKP-C 199 4.2.2 THKP/-C Devrimci Sol 204 4.2.3 TKP/ML und TKP(ML) - hervorgegangen aus der Spaltung der ehemaligen "Türkischen Kommunistischen Partei /Marxisten-Leninisten" 205 4.2.4 MLKP 209 4.3 Türkische Islamisten 212 4.3.1 Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e.V. (IGMG) 212 4.3.2 Verband der islamischen Vereine und Gemeinden e.V. (ICCB, "Der Kalifatstaat") 215 4.3.3 Islamische Bewegung (IH) 218 5. Kosovo-Albaner 219 6. Iraner 222 6.1 Regierungsseitige Bestrebungen und Anhänger der iranischen Regierung 223 6.2 Gegner der iranischen Regierung 226 7. Araber 230 V. Scientology-Organisation 236 1. Hintergrund und Überblick 236 2. Strukturen und Zielsetzungen 239 3. World Institute of Scientology Enterprises (WISE) 242 4. Themen und Aktivitäten 246 VI. Spionageabwehr 252 1. Überblick 252 2. Die Nachrichtenund Sicherheitsdienste der Russischen Föderation 253 3. Nachrichtendienste von Staaten des Nahen, Mittleren und Fernen Ostens sowie Nordafrikas 257 4. Wirtschaftsspionage / Proliferation 258 8 VII. Geheimund Sabotageschutz 259 1. Allgemeines 259 2. Geheimschutz im Behördenbereich 260 2.1 Personeller Geheimschutz 260 2.2 Materieller Geheimschutz 261 3. Geheimschutz in der Wirtschaft 262 4. Sabotageschutz 263 Anhang: Hamburgisches Verfassungsschutzgesetz 265 Abkürzungsverzeichnis 285 Stichwortverzeichnis 290 ************************************************************** Hinweis auf Internet-Veröffentlichung: Dieser Bericht wird nach seiner öffentlichen Vorstellung in das Internet eingestellt und ist dort dann unter der Homepage http://www.hamburg.de/ Behoerden/LfV/homepage.htm aufrufbar. Hinweis zu Zahlenangaben: Soweit in den Ausführungen dieses Berichtes Zahlenangaben (Mitglieder-/ Anhängerstatistiken, Gewaltund Straftatenstatistiken) von früheren Veröffentlichungen abweichen, liegen aktualisierte Erkenntnisstände bzw. Bewertungen oder veränderte Erfassungskriterien vor. Straftatenzahlen beruhen auf Angaben der Polizei. Zeichenerklärung: Querverweise auf Textfundstellen sind mit " gekennzeichnet 9 I. Verfassungsschutz in Hamburg 1. Wehrhafte Demokratie Auf Grund der Erfahrungen mit der abwehrschwachen Weimarer Republik hat sich die Bundesrepublik in ihrem Grundgesetz für eine wehrhafte Demokratie entschieden. Das Grundgesetz garantiert umfassende Freiheiten. Auch radikale politische Überzeugungen und Gesinnungen haben ihren Platz in unserer pluralistischen Gesellschaftsordnung. Die Grenzen der Freiheit werden überschritten, wenn Organisationen oder politische Parteien die freiheitliche demokratische Grundordnung in Frage stellen oder sie gar beseitigen wollen. Erst wenn Feinde der Freiheit sich als extremistische Bestrebungen bemerkbar machen, die Grundprinzipien und den Kernbestand unserer Verfassung antasten wollen, treten die Abwehrkräfte des demokratischen Rechtsstaates auf den Plan. Die Gesetze kennen die Begriffe "extremistisch" und "verfassungsfeindlich" nicht. Nach der Gesetzessprache fallen in den Zuständigkeitsbereich des Hamburger Verfassungsschutzes Bestrebungen (in der Regel von Organisationen), bei denen tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht bestehen, dass sie sich "gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand und die Sicherheit des Bundes oder eines Landes" richten oder "eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung von Mitgliedern der verfassungsmäßigen Organe des Bundes oder eines Landes zum Ziele haben." 2. Freiheitliche demokratische Grundordnung Zu den wichtigsten Prinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung gehören: * die Achtung vor den im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechten vor allem dem Recht der Persönlichkeit auf Leben und freie Entfaltung * die Volkssouveränität * die Gewaltenteilung * die Verantwortlichkeit der Regierung * die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung * die Unabhängigkeit der Gerichte 10 * das Mehrparteienprinzip * die Chancengleichheit für alle politischen Parteien mit dem Recht auf verfassungsmäßige Bildung und Ausübung einer Opposition. 3. Gesetzliche Grundlage Aufgaben und Befugnisse des Landesamtes für Verfassungsschutz bestimmt das Hamburgische Verfassungsschutzgesetz (HmbVerfSchG) vom 07.03.95 (mit nachträglichen Änderungen). Es entspricht insbesondere den hohen Anforderungen des Datenschutzes und stellt die gebotene Zusammenarbeit mit den Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder sicher. Auftrag und Befugnisse sind vom Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geprägt, etwaige Eingriffe in die Rechte des Bürgers nur auf gesetzlicher Grundlage möglich. Die Arbeit des Verfassungsschutzes bedroht nicht die Freiheit der Bürger, sondern schützt sie. 4. Aufgabenstellung Der Aufgabenkatalog des Landesamtes für Verfassungsschutz ergibt sich aus SS 4 des Gesetzes. Sein vollständiger Wortlaut ist im Anhang zu diesem Bericht nachzulesen. Die weitgehend bundeseinheitlich geregelten Aufgaben der Extremismusbeobachtung, der Spionageabwehr sowie der Mitwirkung beim Geheimund Sabotageschutz sind daraus ersichtlich. Der gesetzliche Auftrag bezieht sich auf alle Formen des politischen Extremismus. Er unterscheidet nicht zwischen verfassungsfeindlichen Positionen von links, von rechts oder von pseudo-religiösen Bestrebungen wie denen der "Scientologen", zwischen Bestrebungen von Deutschen oder von Ausländern. Das Landesamt für Verfassungsschutz ist ein Inlandsnachrichtendienst. Es hat keine exekutiven Aufgaben oder Befugnisse. Das Amt beobachtet, sammelt Informationen, recherchiert, liest, analysiert und erstellt Lagebilder. Letztlich dient es als "Frühwarnsystem" gegen Bedrohungen der freiheitlichen demokratischen Grundordnung; dieses erst recht, wenn sie getarnt und schleichend als "Wolf im Schafspelz" daherkommen. Organisationen oder unorganisierte Personenzusammenhänge, die unter den gesetzlichen Beobachtungsauftrag fallen, werden unter dem Arbeitsbegriff "extremistisch" eingeordnet. Diese Kennzeichnung hat auch in der öffentlichen Darstellung und Auseinandersetzung ihren Niederschlag gefunden. 11 Das Landesamt für Verfassungsschutz beschreibt die Ziele und Aktivitäten extremistischer Bestrebungen, beziffert, schätzt und bewertet darüber hinaus auch Organisationsund Mobilisierungspotentiale. Insbesondere im Zusammenhang mit den Anhängern der größeren extremistischen Organisationen bleibt zum Teil offen, ob eine bestimmte einzelne Person über ihre bloße Mitgliedschaft hinaus auch selbst aktive Trägerin extremistischer Bestrebungen ist oder nicht. Aus welchen Motiven jemand einer vom Landesamt für Verfassungsschutz beobachteten Organisation angehört, bleibt vielfach ungewiß. Deshalb spricht der Bericht auch bei den Gesamtzahlen von "Mitgliedern", "Anhängern" oder "Angehörigen" und nicht von Extremisten. 5. Kontrolle Der Verfassungsschutz ist an klare gesetzliche Vorgaben gebunden. Er unterliegt in seiner Arbeit der Kontrolle durch den parlamentarischen Kontrollausschuss, bei Eingriffen in das Postund Fernmeldegeheimnis den Entscheidungen der parlamentarischen G 10-Kommission, der Kontrolle durch den Datenschutzbeauftragten und der Nachprüfung durch die Gerichte. 6. Verfassungsschutz durch Aufklärung Die Arbeit des Landesamtes dient der Information des Senats, aber auch - wie mit diesem Bericht - der Öffentlichkeit. Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung können nur dann mit nachhaltigen Erfolgen rechnen, wenn ihre Träger die Bürger über ihre wirklichen Absichten täuschen können. Verfassungsschutz durch Aufklärung ist daher ein wichtiges Anliegen dieser Veröffentlichung. Sie gibt Einblick in die Aufgabenbereiche des Landesamtes für Verfassungsschutz, beschreibt die Arbeitsfelder insbesondere in den Schwerpunkten der Extremismusbeobachtung, auf den Gebieten der Spionageabwehr sowie des Geheimund Sabotageschutzes. Der Bericht erläutert Zusammenhänge und fasst Beobachtungsergebnisse zusammen. 7. Bereiche des politischen Extremismus * Rechtsextremisten verfolgen zumeist das Ziel eines totalitären oder autoritären Staates. Sie predigen einen Nationalismus und völkischen Kollektivismus, der sich gegen die Völkerverständigung richtet, ethnische Minderheiten ausgrenzt und rassistisch geprägt ist. Verbrechen der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft werden von den meisten Rechtsextremisten heruntergespielt oder gar geleugnet. Die bei Rechtsextremisten 12 vorzufindende aggressive Judenund Fremdenfeindlichkeit lässt immer wieder auch eine hohe Bereitschaft zur Gewalttätigkeit erkennen. Anschläge auf Wohnunterkünfte von Ausländern und jüdische Gedenkstätten sowie brutale Angriffe auf deutsche und ausländische Mitbürger beweisen die Gefährlichkeit dieser Extremisten. Ihr Hass hat bis heute viele Todesopfer gefordert. Im Berichtsjahr ist es Rechtsextremisten auch in Hamburg mehrfach gelungen, Demonstrationen - aus verschiedenen aktuellen Anlässen - durchzuführen. Die Bestimmungen des Versammlungsrechts - ein elementarer Bestandteil unserer demokratischen Ordnung - ermöglichen Verbote nur bei drohender Unfriedlichkeit dieser Aufmärsche. Die verwerflichen politischen Ziele rechtsextremistischer Bestrebungen sind allein kein ausreichender Verbotsgrund. Diese Ereignisse verdeutlichen jedoch die Notwendigkeit einer intensiven politisch-geistigen Auseinandersetzung mit den Feinden der Verfassung. * Linksextremisten wollen die freiheitliche Demokratie revolutionär beseitigen und an ihrer Stelle eine kommunistische Diktatur oder eine Anarchie schaffen. Sie rechtfertigen ihre Gewalt zumeist als "Gegengewalt", "zivilen Ungehorsam" oder als "gewaltfrei", wenn es sich "nur" um Sachbeschädigungen - selbst in Millionenhöhe - handelt. Linksextremistische Terroristen haben mit Attentaten in der Vergangenheit viele Menschen getötet, sogenannte Autonome propagieren Militanz und verüben Gewaltakte gegen Personen und Sachen. * Der Ausländerextremismus wird außer von linksextremistischen Bestrebungen auch vom islamischen Fundamentalismus geprägt. Der Verfassungsschutz sammelt nicht nur Informationen über Aktivitäten von Ausländern - z. B. in Bündnissen mit deutschen Extremisten - gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, sondern insbesondere auch über ausländische Gruppen, die ihre gegenseitigen oder gegen ihre Heimatländer gerichteten politischen Auseinandersetzungen mit Gewalt auf deutschem Boden austragen. Hinzu kommen Aktivitäten, mit denen sie vom Bundesgebiet aus Gewaltaktionen in anderen Staaten vorbereiten oder durchführen und mit denen sie auswärtige Belange Deutschlands beeinträchtigen. * Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder beobachten seit Mitte 1997 die Scientology-Organisation (SO), weil tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sich die SO gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung richtet. Eine nach scientologischen Gesichtspunkten organisierte Gesellschaft würde die grundgesetzliche Werteordnung (z. B. den Gleichheitsgrundsatz, die Meinungsfreiheit, das Recht 13 auf freie Entfaltung der Persönlichkeit sowie das Recht auf Bildung und Ausübung einer Opposition) beseitigen oder erheblich beeinträchtigen. Mit ihrer totalitären Struktur und Zielrichtung widerstrebt die SO wichtigen Prinzipien unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Ihr skrupelloses Expansionsund Machtstreben bedroht die demokratische und (werte)pluralistische Staatsund Gesellschaftsordnung. 8. Spionageabwehr und Geheimschutz Spionageabwehr und Geheimschutz sind Aufgabenbereiche, denen sich der Verfassungsschutz trotz des weltweiten Wandels auf politischem, militärischem und wirtschaftlichem Gebiet auch weiterhin aufmerksam widmen muss, um deutsche Sicherheitsinteressen zu wahren. Die Bundesrepublik Deutschland ist nach wie vor ein interessantes Ausspähungsziel fremder Nachrichtendienste. Darüber hinaus unterwandern sie in Deutschland lebende Ausländergruppen, die in Opposition zu ihren Heimatregierungen stehen. Materieller und personeller Geheimschutz sollen dazu beitragen, dass im staatlichen Interesse geheimzuhaltende Informationen nicht Unbefugten in die Hände fallen. Insbesondere Sicherheitsüberprüfungen sollen das Risiko ausschließen oder zumindest nachhaltig mindern, dass Personen mit Ausspähungsbzw. Verratsabsichten zu Geheimnisträgern werden. Am 25.05.99 ist für Hamburg erstmals ein eigenständiges Sicherheitsüberprüfungsgesetz (HmbSÜG) in Kraft getreten, das die bis dahin geltenden Verwaltungsvorschriften ablöste. 9. Strukturdaten Um die Arbeit der Verfassungsschutzbehörden transparenter zu machen, haben sich die Innenminister und -senatoren der Länder 1992 dafür ausgesprochen, Strukturdaten der Verfassungsschutzbehörden zu veröffentlichen: 1. Der Haushaltsplan 1999 der Freien und Hansestadt Hamburg wies für das Landesamt für Verfassungsschutz am Jahresende 131,8 (1998: 137,8) Stellen aus. Im Laufe des Jahres 2000 wird ein weiterer Stellenabbau um 6,5 Stellen auf 125,3 Stellen erfolgen. 2. Der Haushaltsansatz für das Landesamt für Verfassungsschutz Hamburg (Sachausgaben und Personalkosten) betrug 1999 17.534.000 DM (1998: 18.046.000 DM). Darin waren 13.250.000 DM (1998: 13.458.000 DM) für Personalausgaben enthalten. 3. Vom Landesamt für Verfassungsschutz waren am 31.12.1999 im Nachrichtendienstlichen Informationssystem (NADIS) 8.570 (30.12.1998: 14 8.996) Personen erfaßt, davon 31,07 Prozent (30.12.1998: 30,66 Prozent) im Zusammenhang mit Sicherheitsüberprüfungen. 10. Arbeitsweise Die Verfassungsschutzbehörden sammeln und speichern personenbezogene Daten über extremistische Bestrebungen, sicherheitsgefährdende Aktivitäten und im Rahmen von Sicherheitsüberprüfungen. Instrument der gegenseitigen Unterrichtung der Verfassungsschutzbehörden sind unter anderem gemeinsame Dateien. Die "klassische" gemeinsame Datei im Sinne des SS 6 BVerfSchG ist die Personenzentraldatei (PZD) im Verbund des bundesweiten Nachrichtendienstlichen Informationssystems (NADIS). Sie ist eine grundsätzlich allen Verfassungsschutzbehörden zur Verfügung stehende Sammlung von Hinweisen auf Unterlagen, die personenbezogene Informationen enthalten. Jede Verfassungsschutzbehörde speichert in eigener Verantwortung biographische Daten und das Aktenzeichen der betreffenden Unterlage. Im Zusammenhang mit Personalien wird lediglich eine Aktenfundstelle gespeichert, nicht die eigentliche Information. Durch die PZD soll im konkreten Bedarfsfall festgestellt werden können, ob eine Person bereits früher im Zusammenhang mit der Aufgabenwahrnehmung bekannt geworden ist. Die Nutzung von Informationen aus den Unterlagen ist ein von der PZD unabhängig und konventionell ablaufender zweiter Schritt. Zugriff zu gespeicherten Daten haben ausschließlich die Verfassungsschutzbehörden. Sie sind verpflichtet, die gespeicherten Daten nach präzise vorgegebenen Fristen und strengen Beurteilungsmaßstäben zu prüfen. Sind sie nicht mehr aufgabenrelevant bzw. ist ihre weitere Aufbewahrung nicht mehr erforderlich, werden sie gelöscht. Die Datenschutzbeauftragten kontrollieren, ob die Prüfungsund Löschungsfristen beachtet werden. 15 II. Rechtsextremismus 1. Überblick / Aktuelle Entwicklungen und Schwerpunkte 1.1 Tendenzen, Themen und Aktivitäten Der gesamte Rechtsextremismus nutzt seit Jahren in unterschiedlichen Intentionen, in verschiedenen Varianten und in differierender Schärfe folgende Themenfelder für seine Agitation: * rassistisch geprägte Ausländerfeindlichkeit * nationalistische Vorstellungen als Gegenpol zur europäischen Einigung, zur Einführung des Euro und zur Globalisierung der Wirtschaft * Wiedererschaffung des deutschen Reiches * Antisemitismus * Revisionismus * Beklagen der staatlichen und der von politischen Gegnern ausgehenden Repression gegen "alle national denkenden Menschen" * Verunglimpfung des Staates und seiner Organe * sozialpolitische Themen * Kriminalität / Innere Sicherheit Diese Themen werden häufig miteinander verquickt, ihre Gewichtung verlagert sich von Jahr zu Jahr. Die öffentlichen Aktivitäten von Rechtsextremisten in der Bundesrepublik haben weiter zugenommen. Die Zunahme beruht weitgehend auf dem aktionistischen Kurs der NPD. An ihren als "Nationaler Widerstand" etikettierten Aktionsbündnissen beteiligt sie gezielt Neonazis und Skinheads. Dabei wurden verstärkt aktuelle politische Themen aufgegriffen und zum Teil auch für kleine, regionale Spontanaktionen genutzt. Nicht nur in Hamburg stand die als "anti-deutsch" und "Hetzausstellung" attackierte "Wehrmachtsausstellung" des Hamburger Instituts für Sozialforschung im Mittelpunkt rechtsextremistischer Agitation. Mit einer Art "Antirepressionskampagne" wurde insbesondere auf zunehmende Verbote rechtsextremistischer Versammlungs-/Aufmarschvorhaben reagiert. Die Nutzung aktueller außenpolitischer Ereignisse für eigene Aktionen, auch unter den Gesichtspunkten "Antiimperialismus" und Antiamerikanismus, 16 zeigte sich exemplarisch anlässlich des Kosovo-Konfliktes sowie der Ergreifung des PKK-Führers Abdullah ÖCALAN. Rechtsextremisten machen für soziale und gesellschaftliche Probleme aller Art in der Bundesrepublik die hier lebenden Ausländer verantwortlich. Lösungen werden für den Fall in Aussicht gestellt, dass die meisten von ihnen, insbesondere Asylbewerber, das Land verlassen. Die rechtsextremistische ausländerfeindliche Agitation unterscheidet weniger nach nationaler Herkunft (so sind z. B. Skandinavier willkommen), sondern nach rassistischen Gesichtspunkten. Viele Themen werden dazu genutzt, den Staat, seine Organe, die die Demokratie prägenden politischen Parteien und deren Parlamentarier in z. T. übelster Weise zu beschimpfen und ihnen das Recht zu bestreiten, im Namen der Deutschen zu handeln. Probleme, die auch weite Teile der Bevölkerung ansprechen (z. B. Handel mit / Konsum von Drogen, Kriminalitätsbekämpfung) werden populistisch für öffentliche Aktionen genutzt. Nachfolgend werden insbesondere die aus norddeutscher Sicht wesentlichen Themenfelder dargestellt. Die rechtsextremistischen Aussagen in der Diskussion über den sogenannten "Doppelpass" offenbarten ein hohes Maß völkisch und rassistisch geprägter Ausländerfeindlichkeit. Der Bundesregierung wurde unterstellt, ein ungehemmtes Eindringen von Ausländern in die Bundesrepublik fördern und dadurch bewusst die nationale und kulturelle Identität des deutschen Volkes zer17 stören zu wollen. Sie wolle die Deutschen zur Minderheit im eigenen Land machen und sie letztendlich durch gezielte "Rassenvermischung" als "Volk" vernichten ("Umvolkung"). Zwar argumentieren Rechtsextremisten zunächst so, als hätten sie nichts gegen "fremde Kulturen und Völker" einzuwenden - selbstverständlich trete man sogar für deren Erhaltung ein - um dann zur Kernaussage zu kommen: Dies könne jedoch nur in ihrem angestammten "Kulturraum" geschehen. Die mehr oder minder pauschal als "Sozialbetrüger" und "Schmarotzer" diffamierten Asylbewerber müssten das Land verlassen. In Deutschland lebende Ausländer, insbesondere wiederum Asylbewerber, werden außerdem für eine ausufernde Kriminalität und die zunehmende Brutalisierung von Verbrechen verantwortlich gemacht. Der Bundesregierung wird unterstellt, durch ein verändertes Staatsbürgerschaftsrecht und die Einbürgerung "Krimineller" die Kriminalitätsstatistiken zugunsten der Ausländer "schönen" zu wollen. Gleiches wird der "Meinungs"-/"System"-Presse unterstellt, die die Nationalität von Straftätern verschweige, um gegenüber der deutschen Bevölkerung die Ausländerkriminalität zu vertuschen. Dies werde dazu führen, dass "wir Deutschen" im Ausland dann als ein Volk von Verbrechern dargestellt werden würden. Ein Beispiel dafür, dass den Rechtsextremisten ein einziges aktuelles politisches Ereignis ausreicht, um damit gleich mehrere Propagandafelder zu bedienen, zeigte sich anlässlich der Ergreifung des PKK-Führers Abdullah ÖCALAN durch türkische Sicherheitskräfte in Kenia. Laut NPD-Parteiorgan "Deutsche Stimme" (Nr. 3/99) wurde ÖCALAN das Opfer einer unsichtbaren Geheimdiplomatie. Seine "Verhaftung" trage die Handschrift der Geheimdienste CIA (USA) und Mossad (Israel). Die gewalttätigen Proteste von PKK-Anhängern in ganz Europa seien angesichts eines "schleichenden Völkermords" an den Kurden verständlich. "Zwei raumfremde Geheimdienste" hätten sich für einen "Freundschaftsbeweis" gegenüber der Türkei 18 gerade zu dem Zeitpunkt hergegeben, als ÖCALAN seine Anhänger auf einen gewaltfreien Kampf einschwören wollte. Die sich "antiimperialistisch" gebende NPD vermutete eine "imperialistische Bruderhilfe für die türkische Regierung", möglicherweise sogar als Teil eines gut kalkulierten Planes der "US-Imperialisten" zur Zerschlagung des Irak. Nach Anschlagsdrohungen der PKK gegen Urlaubsorte in der Türkei sekundierte die NPD in der April-Ausgabe der "Deutsche Stimme": "Völlig nachvollziehbar sieht die befreiungsnationalistische PKK im Türkei-Tourismus einen Beitrag zum Völkermord in Kurdistan." Auch die neonazistischen Herausgeber des "Zentralorgans" (" 4.2) bezeichnen ÖCALAN in der August-Ausgabe als "Freiheitskämpfer". Sie veröffentlichten ein Interview mit einer Kurdin, die sich in Deutschland nach der Verhaftung des PKK-Führers aus Protest selbst angezündet hatte. In einem Begleitwort heißt es, das Interview werde für all jene ein Schock sein, die angenommen hätten, hier lebende Kurden seien Linksextremisten. Ganz im Gegenteil handele es sich bei der jungen Kurdin um einen Menschen, der von "Integration" und "Mischkultur" nichts halte. Insofern glaubt das "Zentralorgan" wohl auch einen gemeinsamen Wunsch mit den kurdischen Bürgern zu erkennen (Fehl. i. Orig.): "Wir von der Redaktion wünschen Fatma und all ihren kurdischen Landsleuten, daß sie in nicht allzuferner Zukunft ohne Angst vor türkischer Repression haben zu müssen in ein befreites und souveränes Kurdistan zurückkehren können." In einer Kritik am "Zentralorgan"-Interview setzte sich die Redaktion des SkinMagazins "Hamburger Sturm" (" 4.2 / Ausgabe Oktober 1999) erheblich distanzierter mit der Kurdenproblematik auseinander. Man könne zwar ehrlich und objektiv über den Kampf der PKK für ihr Volk und dessen Unabhängigkeit berichten, aber man dürfe den Anhängern dieser "kriminellen Gruppierung" kein Forum in Form von Interviews bieten. Die "PKK-Kurden" würden ihren Kampf mit kriminellen Machenschaften wie Drogenhandel und Prostitution finanzieren: "Geht die Freiheit Kurdistans etwa vor der Freiheit der zum Sex gezwungenen Frauen und der von Drogen abhängig gemachten Teile der europäischen Völker?" Den Kosovo-Konflikt nutzten Rechtsextremisten für verbale Attacken gegen die Bundesregierung, EU und NATO sowie gegen den gemeinsamen neuen Hauptfeind unterschiedlichster Richtungen - den US-Imperialismus. Unter der Flugblattüberschrift "Tornados runter" meldete sich eine Gruppe "NationalAnarchisten im Volksbefreiungskampf" zu Wort. Verantwortlich zeichnete einer der Herausgeber der Zeitschrift "Sleipnir", die der "Neuen Rechten" zuzurechnen ist. Man könne nicht nur mit dem Argument kommen, deutsche Tor19 nadopiloten würden von einer "verräterischen, usund kapital-hörigen BRDRegierung der Todesgefahr ausgeliefert" (Schreibw. i. Orig.), denn jeder sei für sich selbst verantwortlich. Insofern müsse man wissen, worauf man sich einlasse, wenn man "in einem Land der Unterwürflinge, wie es die BRD ist, Soldat wird und sich an einem Angriffskrieg beteiligt". Die Bundesregierung ("Bande von Volksverrätern") müsse weg und gehöre mit "ihren Herren vor das Kriegsverbrechertribunal". Der Krieg diene nicht der Befriedung einer Region, sondern den Interessen des Großkapitals, das sich längst aus den "Herkunftsvolksgemeinschaften" verabschiedet habe. Polemisch fragte der Autor, wann "wir Blauhelme in Berlin haben, um die Interessen des Großkapitals militärisch durchzusetzen". Weiter heißt es: "Türken, Kurden, Deutsche - lasst Euch nicht verhetzen! Erkennt Euren gemeinsamen Feind!" Welches Schicksal man diesem "Feind" wünschte, verdeutlichte die Flugblattaussage: "Wir grüßen das heldenhafte serbische Volk und senden ihm all unsere besten Wünsche, die aus heißem Herzen kommen, und hoffen, dass es so viel wie mögliche Aggressoren vom Himmel holt und die Aggression stoppt!" Das "Zentralorgan" (Aug. 1999) kritisierte, 54 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkrieges hätten die "USA und ihre Verbündeten wieder einen Staat mitten in Europa mit verbrecherischem Luftkrieg niedergezwungen". Die serbische Führung hätte nur eingelenkt, um "ihrem Volk einen weiteren Bombenterror der Alliierten zu ersparen". Damit seien die "NATO/Oneworld-Strategen" der Einverleibung Osteuropas in die "Neue Weltordnung" ein Stück näher gekommen. In Westeuropa seien sie diesem Ziel nach "fünfzig Jahren 'multi-ethnischer' Umvolkung" schon sehr nahe. Die Macher des "Zentralorgans" nutzten den "BalkanKonfikt" auch für eine Aktion vor dem Generalkonsulat der USA in Hamburg (" 4.2). 20 Die NPD argumentierte, die Bundesregierung führe einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg. Sie forderte "alle deutschen Soldaten und Beamten auf, die Mitwirkung an dem Angriffskrieg zu verweigern und somit zu ihrem Diensteid zu stehen, der die Mitwirkung an Verbrechen verbietet." Horst MAHLER, ehemals Mitbegründer der RAF und heute ein Hoffnungsträger von Rechtsextremisten unterschiedlichster Prägung, missbrauchte den Kosovo-Konflikt zur Verunglimpfung des Staates und seiner Organe. In einem offenen Brief an Bundeskanzler SCHRÖDER (veröffentlicht 09.11.99) bezeichnete er den Adressaten als Freund. Dieser führe eine "Vasallenregierung" und habe sich als "Befehlsempfänger" der amerikanischen Regierung des Verbrechens schuldig gemacht, einen Angriffskrieg zu führen. Mahler fordert den Bundeskanzler im Stile der Revisionisten auf, das "Lügengespinst, mit dem die Feinde Deutschlands unser Volk niederhalten und aussaugen", zu zerreißen und zurückzutreten. So könne er (SCHRÖDER) signalisieren, nicht länger "der Diener fremder Mächte" sein zu wollen: "Gehe ins Exil und organisiere von dort aus den Aufstand des Deutschen Volkes gegen die Fremdherrschaft - und schütze Dich vor den Meuchelmördern, die sie gegen Dich ausschicken werden!" Die Herabwürdigung der Bundesregierung als "Vasallenregierung" verbirgt sich sinngemäß auch in einem Kommentar ("Deutsche Stimme", Dezember 1999, Überschrift: "Siegerjustiz") des NPD-Vorsitzenden VOIGT zur Verurteilung des ehemaligen DDR-Staatsratsvorsitzenden Egon KRENZ. KRENZ sei, wie viele heute in der "Groß-BRD", lediglich Befehlsempfänger und Vasall fremder Mächte gewesen. Aber gerade er habe im Oktober 1989 in der ehemaligen DDR ein drohendes Blutbad verhindert, als der "bereits zur Senilität neigende Staatsund Parteichef Erich HONECKER" die Proteste mit Waffengewalt niederschlagen wollte. Insofern sei es ein "Treppenwitz der Geschichte", dass KRENZ ausgerechnet zu dem Zeitpunkt ins Gefängnis geschickt werde, an dem der ehemalige Sowjetführer GORBATSCHOW für seine Verdienste um die deutsche Einheit geehrt worden sei. Obwohl NPD und große Teile der Neonaziszene fortgesetzt als Verbündete aktionistisch zusammenwirken, kam es zwischen beiden Seiten zu Auseinandersetzungen über die Frage der Solidarität mit Kay DIESNER, einem wegen Mordes an einem Polizeibeamten rechtskräftig zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilten Neonazi. Auf der Demonstration der NPD am 05.12.98 in Berlin unter dem Motto "Freiheit für Frank Schwerdt - Schluß mit den politischen Prozessen" wurde auf einem Transparent auch "Freiheit für Kay Diesner" gefordert. NPD-Vertreter verlangten die Ent21 fernung des Transparents, die "freien Kräfte" lehnten dies ab. In der neonazistischen Szene werden die Taten DIESNERs zwar nicht gebilligt, dem Täter aber teilweise mit Verständnis begegnet: Er sei vom Staat und dessen Organen sowie vom "roten Mob" in die Enge getrieben worden und daher eben nicht nur Täter, sondern auch Opfer. Die NPD begründete ihre Distanz zu Solidaritätsappellen für DIESNER in der Dezember-Ausgabe der "Deutschen Stimme" mit dem Hinweis darauf, dass das Eintreten für einen Polizistenmörder der Öffentlichkeit "nicht vermittelbar" sei und die "Delegitimierung" nationaler Aufklärungsarbeit fördere. Auf die Bemühungen der Bundesregierung um eine Einigung in der Frage von Zwangsarbeiterentschädigungen mit den Vertretern von Nazi-Opfern reagierten Rechtsextremisten mit revisionistischer und antisemitischer Hetze. Der NPD-Bundesvorstand veröffentlichte am 26.11.99 im Internet die Erklärung "Keine Mark für politische Erpresser!". Darin heißt es, uralte deutsche Länder wie Ostpreußen und Schlesien seien 1945 unter völliger Missachtung des Völkerrechtes und aller zivilisierten Grundsätze dem deutschen Volke geraubt und 15 Millionen Deutsche wie Vieh aus der Heimat vertrieben worden. "Das ist wahrlich ein singuläres Verbrechen, der größte organisierte Völkermord in der Geschichte der Menschheit." Hierfür wären Reparationen an Deutschland oder Wiedergutmachungen an deutsche Menschen international nie gefordert worden. Umgekehrt entfesselten aber "sogenannte" Anwälte und "internationale Lobbyisten" unter dem Motto "Kein SchlussStrich" eine unsägliche Hetzkampagne gegen Deutschland, um das deutsche Volk zu diffamieren sowie der deutschen Wirtschaft und dem Staat neue Milliardenbeträge abzupressen. Prangerten aber Deutsche, so die NPD, den größten Völkermord der Weltgeschichte und den Raub der deutschen Ostgebiete an, würden sie als Revanchisten verunglimpft oder gar vom eigenen Staat strafrechtlich verfolgt. Auch Horst MAHLER (s. u.) nahm sich des Themas Zwangsarbeiterentschädigung an. Er stellte Strafanzeige gegen den ehemaligen SPD-Vorsitzenden Hans-Jochen VOGEL und den Bundestagspräsidenten Wolfgang THIERSE "wegen des Verdachts der Erpressung". VOGEL habe zum Boykott von Unternehmen aufgerufen, die sich nicht an dem Entschädigungsfonds beteiligen wollen. THIERSE habe geäußert, es sei noch immer moralischer Druck auf zahlungsunwillige Firmen nötig. MAHLER stellte dieses Politikerverhalten als ein empfindliches Übel dar, weil die Betroffenen mit erheblichen Umsatzeinbußen und Existenzvernichtung rechnen müssten. Boykottaufrufe seien rechtswidrig, da sie den Rechtsfrieden brächen, indem 22 sie die staatliche Gerichtsbarkeit aushebelten. Dem "Entschädigungsfonds" stünden "Ansprüche mit Rücksicht auf ein vermeintlich schadensstiftendes Verhalten der betroffenen Firmen in den Jahren 1939 bis 1945" nicht zu, weil in der fraglichen Zeit das geltende Kriegsvölkerrecht den kriegführenden Mächten Zwangsarbeiterrekrutierungen gestattet habe. Die Zwangsarbeiter seien den Firmen damals von der Reichsregierung zugewiesen worden - insofern hätten die Firmen rechtmäßig gehandelt. Ansprüche könnten also, wenn überhaupt, nur gegen das "Deutsche Reich" in Betracht kommen. Diese aber wären - laut MAHLER - in einem Friedensvertrag zu regulieren. Zu einem Friedensvertrag mit dem "Deutschen Reich" seien die "Siegermächte" aber bisher nicht bereit, denn dafür müsste dessen Handlungsfähigkeit wiederhergestellt werden. Dies wollten insbesondere die USA nicht, "deren völkerrechtswidriges Kriegsziel die Zerstörung des Deutschen Reiches für alle Zeiten war". MAHLER beklagt es als moderne Erscheinungsform von "Piraterie", wenn amerikanische Gerichte klagenden Zwangsarbeitern "unter Missachtung des Völkerrechts und des internationalen Privatrechts Entschädigungsansprüche gegen Deutsche Unternehmen zugesprochen haben". Wehrmachtsausstellung: Das von Rechtsextremisten "Anti-Wehrmachtsausstellung" genannte Projekt des Hamburger Instituts für Sozialforschung war auch im Jahr 1999 ein zentrales Thema rechtsextremistischer Aktionen und Agitation. Nach mehreren Demonstrationen (z. B. in Kiel, Köln und Hamburg) erfüllte die nach massiver Kritik ausländischer Historiker erfolgte Aussetzung der Ausstellung die rechtsextremistische Szene mit Sprengstoffanschlag auf die Räume der Wehrmachtsbesonderer Genugausstellung in Saarbrücken am 09.03.99 (" 2). tuung. Da es nicht mehr zu der für Dezember vorgesehenen Ausstellungseröffnung in Braunschweig kam, wechselte die NPD kurzerhand das Motto einer dort bereits angemeldeten Protestdemonstration in: "Schandausstellung gestoppt! Sieg der Wahrheit über die Lüge öffentlich dokumentieren!". Über Internet ver23 breitete die NPD, endlich sei der Betrug offenkundig geworden. Dies sei auch ein Verdienst des "Nationalen Widerstandes". In der Dezember-Ausgabe der "Deutschen Stimme" holte der NPD-Parteivorsitzende nach diesem "Sieg der Wahrheit" zu einem revisionistischen Großangriff aus. Er forderte "anläßlich des spektakulären Fälscherskandals" eine Überprüfung aller Schulbücher und Filmdokumente, denn die "Anti-Wehrmachtsausstellung" sei nur "die Spitze eines Eisberges". Ein weiterer Bericht signalisierte Verständnis für deutsche Historiker. Diese hätten den Skandal nicht aufdecken können, da Recherchen solcher Art in Deutschland "volkspädagogisch nicht wünschenswert" seien. Weniger Verständnis für deutsche Historiker zeigte Andre GOERTZ (" 6. und 7.) in seinen Internet-Veröffentlichungen zur "Reemtsma-Show." Es sei peinlich, dass die seit vier Jahren durch die Lande ziehende "unsägliche Wehrmachtsverunglimpfung" von Politikern, "Umerziehern und anderen Feindes des deutschen Volkes gelobt und begrüßt wird, während die BRD-Historiker keinerlei Einspruch erheben." Auch für GOERTZ ist die "Entlarvung" der Wehrmachtsausstellung nur die Spitze eines Eisberges. Jetzt gehöre die "offizielle Geschichtsschreibung zur angeblichen deutschen Alleinschuld am Kriegsausbruch 1939 auf den Prüfstand". Der Bundesvorsitzende der Partei "Die Republikaner" (REP), Dr. Rolf SCHLIERER, attestierte dem polnischen Historiker Bogdan MUSIAL in einer Pressemitteilung vom 20.10.99 mehr Mut als den meisten seiner deutschen Kollegen. Es sei symptomatisch für den Zustand der deutschen Geschichtswissenschaft, dass ausgerechnet ein polnischer Historiker die Ausstellung "des sogenannten Hamburger Instituts für Sozialforschung" als planmäßige Diffamierung einer ganzen Soldatengeneration entlarvt habe. Laut Dr. SCHLIERER müsste Pressevertretern und Politikern, die die Ausstellungsmacher als "quasi-moralische Instanzen" mitaufgebaut hätten, die Schamesröte ins Gesicht treten. Es sei eine Schande, die Befürworter eines differenzierten Wehrmachtsbildes sofort mit der Extremismuskeule zu bedrohen. In einer Pressemitteilung vom 05.11.99 interpretierte Dr. SCHLIERER, die "bedenkenlosen Geschichtsklitterungen" der Ausstellungsmacher als Beweis für ein tendenziöses und unwissenschaftliches Grundkonzept. Er verlangte die endgültige Absetzung der Ausstellung. Statt dessen müssten die "vielfältigen Verstrickungen" der Familie REEMTSMA (angebliche Unterstützung von SSPublikationen, Zahlungen an NS-Größen) aufgearbeitet und in einer eigenen Ausstellung offengelegt werden. Die "National-Zeitung" des DVU-Vorsitzenden Dr. FREY feierte sich selbst als Siegerin über die "Horrorund Lügenschau des Gespanns Reemtsma/ 24 Heer" und nahm für sich in Anspruch, eine Fälschung nach der anderen aufgedeckt zu haben. Aktivitäten des ehemaligen RAF-Mitgliedes Horst MAHLER gewinnen zunehmende Bedeutung für die unterschiedlichsten Bereiche der rechtsextremistischen Szene. Neben von ihm selbst organisierten Veranstaltungen (u. a. sog. "Montagsdemonstrationen" in Frankfurt/M. und Berlin) trat er quasi als Stargast bei den verschiedensten Organisationen auf, so z. B. auf dem NPD-Landesparteitag in Baden-Württemberg, bei einer Veranstaltung des "Aufbruch 99" (" 6.) in Hamburg oder bei einer Saalveranstaltung der neonazistischen "Kameradschaft Karlsruhe". Bei einer Veranstaltung in Wien begrüßte MAHLER seine Zuhörer mit den Worten "Liebe Landsleute" und begründete seinen Wechsel von Horst MAHLER "Links" nach "Rechts": Die "Linke" habe die Kapitalismuskritik aufgegeben, vertrete den "American way of life" und identifiziere sich mit dem "Mammonismus". Geld und Marktmechanismus müssten jedoch konträr zum herrschenden Globalismus wieder in eine dienende Rolle gezwungen werden. Bei dieser Veranstaltung führte MAHLER weiter aus, man müsse dem jüdischen Volk "zugestehen", dass es "unser Feind" sei. Am geschichtsträchtigen 9. November stellte MAHLER in Leipzig - zusammen mit dem ehemaligen SDS-Mitglied und heutigen Hamburger "Neurechten" Dr. Reinhold OBERLERCHER und anderen - seine Überlegungen für eine neue "Reichsordnung" sowie "Thesen zur Reichsstatthalterschaft" vor. Darin heißt es einleitend: "Das Deutsche Reich besteht. Es ist aber handlungsunfähig." Sobald das Deutsche Reich wieder handlungsfähig sei, müsse es die Bundesrepublik Deutschland "abwickeln". Aus diesen Thesen und anderen Veröffentlichungen MAHLERs im Internet wird dessen ideologische Annäherung an Dr. OBERLERCHER (Selbstdefinition: "NationalmarDr. OBERLERCHER xist") deutlich, jedoch verfügt MAHLER über eine erheblich höhere Resonanz in der Öffentlichkeit. Insbesondere durch den offenen Umgang mit seiner linksextremistischen Vergangenheit und seine rhetorischen Fähigkeiten, gelingt es ihm im Gegensatz 25 zu Dr. OBERLERCHER, sich und seine politischen Inhalte einem breiteren Publikum darzulegen. Er dient durch seine Vergangenheit dem auf öffentliche Darstellung bedachten Rechtextremisten quasi als Türöffner und damit auch als Tabubrecher. Zusätzliches bürgerliches Publikum erhielten MAHLER und Dr. OBERLERCHER durch ihre Auftritte im Deutschen Schauspielhaus Hamburg am 03.10.99 sowie bei der Volksbühne Berlin im Rahmen von Veranstaltungen, die der Aktionskünstler und Theaterregisseur SCHLINGENSIEF organisiert hat. 1.2 Organisationen und Potentiale Entgegen dem Trend der vergangenen drei Jahre verringerte sich 1999 die Gesamtzahl der Rechtsextremisten in der Bundesrepublik. Sie sank nach Abzug der Doppelmitgliedschaften von 53.600 im Jahre 1998 auf nunmehr 51.400, ein Verlust von 2.200 Personen (- 4,1 %). Das Potential des Rechtsextremismus gliedert sich (einschließlich Mehrfachmitgliedschaften) wie folgt: * 37.000 Mitglieder in unverändert 3 rechtsRechtsextremistische Personenpotentiale extremistischen Par(Bundesebene) teien (1998: 39.000) 1999 51400 53600 * 9.000 subkulturell 1997 48400 geprägte (Skinheads) und sonstige gewalt45300 bereite Rechtsextre1995 46100 misten (1998: 8.200) 56600 1993 65450 * 2.200 Neonazis (1998: 2.400) 65700 1991 39800 * 4.200 Mitglieder in 32300 77 sonstigen Organi1989 35000 sationen (1998: 4.500 in 65 Organisationen). 28300 1987 25200 22100 1985 22100 26 Die Anzahl der von den Verfassungsschutzbehörden beobachteten rechtsextremistischen Organisationen beträgt 134 (1998: 114): 49 zumeist wenig strukturierte örtliche oder regionale neonazistische Kameradschaften, 5 gewaltbereite Personenzusammenschlüsse, 3 Parteien und 77 sonstige rechtsextremistische Organisationen/Einrichtungen. Rechtsextremistisches Personenpotential 1998 1999 Bundesebene Gewaltbereite Rechtsextremisten einschl. Skinheads 8.200 9.000 Neonazis 1) 2.400 2.200 Parteien: 39.000 37.000 * davon REP 15.000 14.000 * davon DVU 18.000 17.000 * davon NPD 6.000 6.000 Sonstige rechtsextremistische Organisationen 4.500 4.200 Summe (Gewaltbereite / Neonazis / Parteien / Sonst ige) 54.100 52.400 2) Summe nach Abzug v. Mehrfachmitgliedscha ften 53.600 51.400 1 ) nach Abzug von Mehrfachmitgliedschaften innerhalb der Neonazi-Szene 2 ) Abzug der Mehrfachmitgliedschaften 1999 (1.000) bei Parteien und sonstigen rechtsextremistischen Organisationen vom gesamten Personenpotential Ursache für die Verringerung des rechtsextremistischen Gesamtpotentials sind insbesondere die erheblichen Mitgliederverluste bei den rechtsextremistischen Parteien DVU und "Die Republikaner" (REP) nach den Wahlmisserfolgen der Jahre 1998 und 1999. Dieser Trend zeigt einmal mehr, dass die Mitgliederentwicklung bei diesen Parteien stark von Erfolgen oder Misserfolgen bei Wahlen abhängig ist, also bei einem erheblichen Teil der Mitglieder die Bindung an die Partei eher schwach ausgeprägt ist. Bemerkenswert und bedenklich ist der erneute starke Anstieg bei den gewaltbereiten Rechtsextremisten. Die Gesamtzahl der Rechtsextremisten in Hamburg ist im Vergleich zum Vorjahr in etwa gleichgeblieben. Nach Abzug der Doppelmitgliedschaften umfasst das Potential in Hamburg etwa 1.000 Rechtsextremisten (- 5,6 %, Vergleichsmaßstab 1998: 1.060; die Abweichung von der im Vorjahresbericht und im nachfolgenden Balkendiagramm angegebenen Zahl 1.130 für 1998 beruht darauf, dass die damalige Statistik in der Kategorie der "subkulturell geprägten und sonstigen gewaltbereiten Rechtsextremisten" den Aktionsraum Hamburg und Umland berücksichtigte. Hamburg und dessen näherer Einzugsbereich entwickeln sich zunehmend zu einem einheitlichen Aktionsraum der 27 gewaltbereiten rechtsextremistischen Szene. Diesem Aktionsraum sind inzwischen etwa 200 gewaltbereite Rechtsextremisten zuzurechnen (+ 33,3 %, 1998: ca. 150). Nimmt man nur die Zahl derjenigen, die ihren Wohnsitz in Hamburg haben, beläuft sich Rechtsextremistische das Potential für (Personenpotentiale (Hamburg) 1999 auf ca. 100 (+25 %, 1998: ca. 80). 1999 1000 100 Nur diese 100 sind Umland 1998 1060 70 1999 in die Berechnung des rechtsex1997 1200 tremistischen Gesamtpotentials für 1996 1200 Hamburg eingegan1995 1250 gen. 1994 1300 Der Zulauf und die 1993 1400 verstärkte Verzahnung in der 1992 1400 überwiegend aus 1400 Skinheads beste1991 henden subkulturell 1990 800 geprägten und sonstigen gewaltberei1989 800 ten rechtsextremistischen Szene in Hamburg und den Randgebieten (südErläut. Umland: auswärts wohn. Anhänger d. gewaltbereiten rechtsextremistischen Szene im Aktionsraum Hamburg/Umland liches SchleswigHolstein, nördliches Niedersachsen) korrespondiert mit einer verstärkten Organisierung und Politisierung in zahlreichen Kameradschaften. Der durch das neonazistische Norddeutsche Aktionsbündnis organisierte öffentliche Aktionismus fördert in weiten Teilen dieser Skinheadszene die Bereitschaft, sich an politischen Aktionen zu beteiligen. Bei einer größeren Anzahl dieser Personen ist die Schwelle zum Neonazi bereits überschritten. Neonazis prägen durch ihren sich weiter verstärkenden Aktionismus mit Aufmärschen und Kundgebungen das öffentliche Erscheinungsbild des Rechtsextremismus. Bei den zahlreichen rechtsextremistischen Demonstrationen im Berichtsjahr bildeten sie - und in ihrem Gefolge Skinheads - zumeist die Mehrzahl der Teilnehmer. 28 Das gilt auch für Hamburg, wo Neonazis und Skinheads erstmals seit Jahren wieder mehrere Demonstrationen durchführten, u. a. am 10.07.99 im Stadtteil Bergedorf gegen die Wehrmachtsausstellung. Die Zahl der Neonazis in Hamburg sank leicht auf etwa 100 (- 9 %, 1998: 110). Neben dem Kameradenkreis um Thomas WULFF, der aus der verbotenen "Nationalen Liste" (NL) hervorgegangen ist, hat sich in Bramfeld eine neonazistische Kameradschaft verfestigt, die überwiegend aus Skinheads besteht. Darüber hinaus existieren noch weitere kleinere neonazistische Gruppen. Rechtsextremistisches Personenpotential 1998 1999 Hamburg 1) Subkulturell geprägte Rechtsextremisten und sonstige - 150 100 auch neonazistische - gewaltbereite Rechtsextremisten (Potentiale im Aktionsraum: Hamburg / Umland) (80/70) (100/100) Neonazis (einschl. neonazistische Skinheads) 110 100 Parteien: 690 550 * davon REP 60 60 * davon DVU 500 400 * davon NPD 90 90 * davon HLA (*) 1999 keine Partei i. S. d. Parteienges. 40 (*) 2) Sonstige rechtsextremist. Organisationen 270 320 Summe (Gewaltbereite / Neonazis / Parteien / Sonstige) 1.220 1070 3) Summe nach Abzug v. Mehrfachmitglie dschaften 1.130 1.000 Vergleich unter Berücksichtigung der Fußnote 1) 1.060 1.000 1 ) die Angabe für 1998 bezog sich auf Hamburg einschließlich des näheren Einzugsbereiches (einheitlicher Aktionsraum der gewaltbereiten rechtsextremistischen Szene). Nimmt man nur diejenigen, die ihren Wohnsitz in Hamburg haben, belief sich das gewaltbereite Potential für 1998 auf 80. Die Zahl 100 für 1999 enthält ausschließlich in Hamburg wohnhafte Personen 2 ) 1999 einschl. ehem. Anhänger der DLVH, HLA, JN u. neuer Objekte wie "Aufbruch 99" 3 ) Abzug der Mehrfachmitgliedschaften (1998: 90, 1999: 70) bei Parteien und sonstigen rechtsextremistischen Bestrebungen vom gesamten Personenpotential In den personellen Anbindungen der Neonaziszene in Hamburg sind zwei Trends zu erkennen: Ihre Aufsplitterung in zunehmend eigenständig agierende Kameradschaften und eine verstärkte Politisierung von Teilen der Skinheadszene. Der Kameradenkreis um Thomas WULFF, aber auch die 29 anderen Hamburger Neonazis sind im Rahmen des "Nationalen und Sozialen Aktionsbündnisses Norddeutschland", dessen Aktivitäten von einem Aktionsbüro koordiniert werden, weit über Hamburg hinaus aktiv. Mit dem Aktionsbündnis ist ein Netzwerk örtlicher Kameradschaften aus mehreren Bundesländern geschaffen worden, das Modellcharakter für die Szene in anderen Regionen der Bundesrepublik hat. Bei den rechtsextremistischen Parteien in Hamburg konnten kaum neue Entwicklungen festgestellt werden. Mitgliederstärkste Partei ist weiter die DVU, von der außer internen Veranstaltungen und ihrer Präsenz in vier Bezirksversammlungen keine weiteren sichtbaren Aktivitäten wahrgenommen wurden. Die Mitgliederzahl der DVU wurde - ausgehend von der Eigenangabe aus dem Jahre 1997 (500) und unter Berücksichtigung von Verlusten - neu bewertet (1999: 400). Der Hamburger Landesverband der REP ist weiterhin in einem desolaten Zustand. Der Landesvorstand hat sich oppositionellen Strömungen in der Partei gegen den Bundesvorsitzenden Dr. SCHLIERER angeschlossen. Auch der NPD-Landesverband unter dem weiterhin amtierenden Landesvorsitzenden HARDER konnte sich kaum fortentwickeln. Trotz der gemeinsamen, mit dem neonazistischen Norddeutschen Aktionsbündnis durchgeführten Demonstration gegen den Bauwagenplatz im Stadtteil Barmbek hat der Landesvorsitzende den aktionistisch ausgerichteten Kurs der Bundespartei und die damit im Zusammenhang stehende enge Zusammenarbeit mit Neonazis für den Landesverband Hamburg bisher nicht übernommen. 30 1.3 Beteiligung an Wahlen Die drei rechtsextremistischen Parteien DVU, NPD und REP haben sich 1999 nur zum Teil - in einigen Fällen auch in untereinander abgestimmten Kandidaturen bzw. Wahlverzichten - an den Wahlen zum Europaparlament sowie an den zahlreichen Landtagsund Kommunalwahlen beteiligt. In der nachstehenden Übersicht wurde auf die ausführliche Darstellung der relativ bedeutungslosen Kommunalwahlergebnisse dieser Parteien verzichtet. Auf das Wahlverhalten und die Wahlergebnisse der drei Organisationen wird ausführlicher bei der Beschreibung der rechtsextremistischen Parteien " im Kapitel II/5. "Rechtsextremistische Parteien" eingegangen. Wahlergebnisse 1999 DVU NPD REP Gebiet: Endergebnis % / Stimmen % / Stimmen % / Stimmen 07.02.99 Landtag --0,2 2,7 Hessen --5.933 75.114 06.06.99 Bürgerschaft 3,0 0,3 --Bremen 8.823 817 --13.06.99 --0,4 1,7 Bundesgebiet Europa--107.662 461.038 13.06.99 parlament --0,3 1,0 Hamburg --1.359 4.352 05.09.99 Landtag ----1,3 Saarland ----7.328 05.09.99 Landtag 5,3 0,7 --Brandenburg 58.247 8.137 --12.09.99 Landtag 3,1 0,2 0,8*) Thüringen 36.386 2.751 8.766 19.09.99 Landtag --1,4 1,5 Sachsen --29.593 32.793 26.09.99 Stadtverordneten5,2 ----Bremerhaven versammlung 2.415 ----10.10.99 Abgeordnetenhaus --0,8 2,7 Berlin --13.038 41.814 10.10.99 Bezirksverordneten--Keine Mandate Mandate in 9 Berlin Versammlungen (BV) --erzielt der 23 BV --- = nicht kandidiert *) von den REP dominiertes "Bündnis 99" 31 Europawahl 13.06.99 / Ergebnisse in Hamburg HH gesamt u. Bezirke NPD REP % absolut % absolut Hamburg insgesamt 0,3 1.359 1,0 4.352 Hamburg-Mitte 0,4 176 1,5 643 Altona 0,3 192 0,8 523 Eimsbüttel 0,2 170 0,8 550 Hamburg-Nord 0,3 210 0,8 620 Wandsbek 0,3 364 0,9 1.022 Bergedorf 0,3 87 1,5 412 Harburg 0,4 160 1,4 582 Bei den Europawahlen blieben die NPD mit 0,4 % und die REP mit 1,7 % (Hamburg: NPD 0,3 %, REP 1,0 %) erfolglos. Die DVU übte Wahlverzicht, konnte dagegen eine Woche zuvor bei der Wahl zur Bremer Bürgerschaft durch das Überspringen der 5 %-Hürde in der Stadtgemeinde Bremerhaven (6,0 %, 2.747 Stimmen) mit einem Abgeordneten in die Bremer Bürgerschaft einziehen. Weitere Erfolge erzielte die DVU am 05.09.99 bei der Landtagswahl in Brandenburg, wo sie mit 5,3 % (5 Mandaten) in den Landtag einzog. Mit 5,2 % bei der Wahl zur Bremerhavener Stadtverordnetenversammlung am 26.09.99 erreichte die DVU dort 3 Sitze. 32 2. Rechtsextremistisch motivierte Strafund Gewalttaten / Statistik 1999 wurden bundesweit von der Polizei 10.037 Straftaten mit erwiesenem oder zu vermutendem rechtsextremistischen Hintergrund erfasst (1998: 11.049). Darin enthalten, aber gesondert ausgewiesen, sind 2.283 (22,8 %) fremdenfeindliche und 817 (8,1 %) antisemitische Straftaten. 6.937 (69,1 %) rechtsextremistische Straftaten wiesen keinen fremdenfeindlichen oder antisemitischen Bezug auf. Der Rückgang der eingangs genannten Summe um 1.012 Straftaten gegenüber 1998 bedeutet eine Abnahme um 9,2 %. Die Zahl der darin enthaltenen Gewalttaten, die in diesem Kapitel noch genauer analysiert werden, stieg dagegen um 5,3 % von 708 (1998) auf 746 (1999). Dies ist seit 1994 (784) und 1997 (790) die dritthöchste Gewalttatenzahl der letzten sechs Jahre. Während 1998 gegenüber 1997 bereits ein Rückgang der Straftaten um 5,7 % zu verzeichnen war, sank diese Zahl 1999 - nunmehr erheblich deutlicher - noch einmal. Die weit überwiegende Mehrzahl der erkannten meist jugendliRechtsextremistische Gewalttaten (Bundesebene) chen Gewalttäter stammt aus 1485 unorganisierten 1322 und unstrukturierten Teilen der rechtsextremistischen Skinhead849 Szene und ih784 790 res Umfeldes. In 708 746 624 den ostdeut612 schen Bundesländern hat sich ein überdurch178 schnittlich großes Potential dieser 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 Art herausgebildet. Viele Täter sind den Verfassungsschutzbehörden vor ihren Taten nicht bekannt und treten auch danach nur selten oder gar nicht mehr in Erscheinung. Die z.T. sehr brutalen Gewaltanwendungen sind in den wenigsten Fällen 33 geplant, sondern resultieren zumeist aus Konflikten in Alltagssituationen oder entspringen unkontrollierten Aggressionen und Hassgefühlen. Die Gesamtzahl der Gewalttaten mit erwiesenem oder zu vermutendem rechtsextremistischen Hintergrund wird nach vier Tatrichtungskategorien unterschieden: Bundesebene: Gewalttaten / Tatrichtungen: Anteil 1999 (rund) Fremdenfeindliche Gewalt 60,5 % Antisemitische Gewalt 2,1 % Gewalttaten g. Linksextremisten oder vermeintl. Linksextr. 7,1 % Gewalttaten gegen sonstige politische Gegner 0,0 % Sonstige rechtsextremistische Gewalttaten 30,3 % Diese Gewalttaten werden zudem nach Tatarten differenziert: * Tötungsdelikte * Landfriedensbrüche * Sprengstoffanschläge * Körperverletzungen * Brandanschläge 1999 hatten Delikte mit verbalen und körperlichen Bedrohungen durch Rechtsextremisten erneut überwiegend einen fremdenfeindlichen Hintergrund. Straftaten werden dann als fremdenfeindlich angesehen, wenn sie sich gegen Personen richten, denen die Täter wegen ihrer Nationalität, Volkszugehörigkeit, Rasse, Hautfarbe, Religion, Weltanschauung, Herkunft oder aufgrund ihres äußeren Erscheinungsbildes ein Bleibeund Aufenthaltsrecht in ihrer Wohnumgebung oder überhaupt in Deutschland bestreiten. Lässt sich aufgrund der Tatumstände im Einzelfall nach polizeilichen Ermittlungen nicht ausschließen, dass eine fremdenfeindliche Straftat vorliegt, wird sie als solche statistisch erfasst. Eine rechtsextremistische Motivation wird insbesondere dann vermutet, wenn sich der Täter zu einer entsprechenden Zielsetzung bekennt, oder wenn die Tatumstände einen vernünftigen Zweifel an einer rechtsextremistischen Motivation nicht aufkommen lassen. In der Summe der 1999 vom Bundeskriminalamt (BKA) erfassten 746 Gewalttaten sind 37 (1998: 42) Brandund Sprengstoffanschläge enthalten. Von 14 (1998: 16) Tötungsdelikten (1 vollendetes) waren 12 fremdenfeindlich motiviert (1 vollendete, 11 versuchte Tötungen). Insgesamt wurden 630 (1998: 595) Körperverletzungen und 65 (1998: 55) Landfriedensbrüche festgestellt. Diese Gewalttaten addieren sich mit der weitaus höheren Zahl (1999: 9.291, 1998: 10.341) weiterer Straftaten, wie Sachbeschädi34 gungen (373), Nötigungen/Bedrohungen (220), Verbreitung/Verwendung verbotener Propagandamittel (6.719) sowie Volksverhetzung/Aufstachelung zum Rassenhass (1.979) zu der einleitend vorangestellten Gesamtzahl von 10.037 (1998: 11.049). Bei den rechtsextremistischen Straftaten liegt der Anteil von Propagandadelikten - Verbreiten von Propagandamitteln, Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen (SSSS 86, 86a StGB) - im Jahr 1999 bei 67 %. Bundesebene 1999: Aufteilung der insgesamt 10.037 rechtsextremistischen Straftaten 1979 (19,7 %) Andere 373 (3,7 %) 220 (2,2 %) Straftaten, 746 (7,4 %) SachbeNötigungen, insbesondere Gewalttaten schädigungen Bedrohungen Volksverhetzung 6719 (67 %) Propagandadelikte Der ganz überwiegende Bereich der rechtsextremistisch motivierten Gesetzesverstöße - dieses veranschaulicht die Graphik - fällt damit in den Bereich der Propagandadelikte. Von den 1999 insgesamt erfassten 746 Gewalttaten waren 451 fremdenfeindlich motiviert (1998: 435). Bundesebene: Gewalttaten mit rechtsextremistischen Hintergrund Tatrichtung / Motivation 1998 1999 Veränderung Fremdenfeindlich 435 451 +3,7 % Antisemitisch 16 16 +/0,0 % Gegen Linksextremisten 101 53 - 47,5 % Gegen sonstige politische Gegner 9 0 -100,0 % Sonstige rechtsextremist. Gewalttaten 147 226 + 53,7 % Gewalttaten insgesamt 708 746 +5,3 % 35 Die Zahl der Gewalttaten gegen Linksextremisten oder vermeintliche Linksextremisten sank von 101 auf 53, die gegen sonstige politische Gegner von 9 auf 0. Auf die Kategorie der sonstigen rechtsextremistischen Gewalttaten entfielen 226 Fälle (1998: 147). Antisemitische Gewalttaten blieben mit 16 (1998: ebenfalls 16) zwar auf einem relativ niedrigen Zahlenniveau. Einzelfälle stehen aber vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte im besonderen Blickpunkt der Öffentlichkeit. Der spektakulärste Anschlag des letzten Jahres ereignete sich am 09.03.99 in Saarbrücken. Unbekannte Täter verübten in den Morgenstunden gegen 04:40 Uhr einen Sprengstoffanschlag auf das Ausstellungsgebäude der Wanderausstellung "Vernichtungskrieg - Verbrechen der Wehrmacht 1941 - 44". Es entstand Sachschaden (" Foto: 1.1) in Höhe von schätzungsweise rund 500.000,DM. Die Ausstellung musste vorübergehend geschlossen werden. Nach Angaben des LKA in Saarbrücken verwendeten die sehr professionell operierenden Täter ein bis zwei Kilo selbst hergestellten Sprengstoff. Am 13.03.99 erhielten verschiedene Zeitungen im Bundesgebiet ein anonymes, in Saarbrücken aufgegebenes Selbstbezichtigungsschreiben zum Anschlag. Darin erklärten die Autoren, man hätte größten Wert darauf gelegt, keine Menschenleben zu gefährden. Das Kultusministerium wurde aufgefordert, den Besuch der Ausstellung mit Kindern oder Schulklassen nicht weiter zu befürworten. Die im rechtsextremistischen Milieu zu vermutenden Täter konnten bis heute nicht ermittelt werden. Einen Monat später, am 09.04.99, musste die in Köln gastierende Ausstellung wegen einer Bombendrohung vorübergehend gesperrt werden. Die Polizei durchsuchte die Räume, fand aber keinen Sprengstoff. 1999 wurden insgesamt 14 rechtsextremistisch bzw. fremdenfeindlich motivierte Tötungsdelikte verübt. Dabei kam ein Menschen ums Leben. Am 29. September erlag ein Mosambikaner den Folgen seiner schweren Verletzungen, die ihm ein 31-jähriger Mann am 15.08.99 vor einem Lokal in Kolbermoor bei Rosenheim/BY zugefügt hatte. Der Deutsche hatte im Verlauf von Streitigkeiten, an denen noch weitere Personen beteiligt waren, den Afrikaner durch Faustschläge und Fußtritte erheblich verletzt. Bei seiner polizeilichen Vernehmung machte er aus seiner ausländerfeindlichen Gesinnung keinen Hehl. Gegen ihn erging Haftbefehl. Im Fall der zwei Vietnamesen, die am 22.08.99 in Eggesin/MV von einer Gruppe von rechtsextremistischen Jugendlichen auf brutalste Weise zusammengeschlagen und -getreten wurden und nur in Folge glücklicher Umstände schwer verletzt überlebten, zog der Generalbundesanwalt das Verfahren an sich und beauftragte das BKA mit den Ermittlungen, da die 36 Tat nach den vorliegenden Umständen bestimmt und geeignet ist, die innere Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden. Die zwischen 15 und 20 Jahre alten Täter gehörten den bislang nicht bekannten Gruppen "Nationaler Widerstand Eggesin" und "Arischer Widerstand Eggesin" an. In Hamburg registrierte die Hamburg: Gewalttaten/Straftaten insgesamt Polizei (Landeslagebild Polimit rechtsextremistischem Hintergrund zeilicher Staatsschutz 1999) im letzten Jahr insgesamt Gewalttaten 228 rechtsextremistisch motivierte Straftaten - einStraftaten schließlich der fremden299 insgesamt feindlichen und antisemiti264 schen Straftaten (1998: 264). In der Gesamtzahl aller 228 rechtsextremistischen Straftaten sind zum einen 23 Gewalttaten (1998: 19), wie Brandstiftungen, Körperverletzungen und Landfriedensbruch, zum anderen 205 minder schwere Delikte - überwiegend Propagandadelikte sowie Sachbeschädigungen mit und ohne Ge30 19 23 waltanwendungen, Nötigun1997 1998 1999 gen, Bedrohungen und sonstige Straftaten - erfasst. Damit sind auch in Hamburg die rechtsextremistisch motivierten Straftaten insgesamt erneut zurückgegangen. Seit den Höhepunkten der Fallzahlen Anfang der 90-er Jahre ist auch die darin enthaltene Anzahl der Gewalttaten erheblich abgesunken. In Hamburg schwankte sie in den letzten drei Jahren zwischen 30 und 23 (1997: 30, 1998: 19, 1999: 23). Von den 228 erfassten Straftaten im Jahre 1999 hatten 69 (ca. 30 %, 1998: ebenfalls ca. 30 %) einen fremdenfeindlichen Hintergrund. 13 Straftaten (ca. 5,7 %) wiesen eine antisemitische Zielrichtung auf und erreichten damit die seit Jahren niedrigste Zahl (1996: 33, 1997: 26, 1998: 42). Die Masse der rechtsextremistischen Straftaten (146 = 63,9 %) wies keinen fremdenfeindlichen oder antisemitischen Bezug auf. 37 Hamburg: Rechtsextremistische, fremdenfeindliche und antisemitische Straftaten 1999 (Tatarten) Art der Delikte: Fälle davon: insgesamt: fremdenfeindlich antisemitisch Tötungsdelikte (vollendet) 0 0 0 Tötungsdelikte (versucht) 1 1 0 Brandstiftung 2 0 0 Körperverletzung 20 13 1 Landfriedensbruch 0 0 0 Sachbeschädigung 14 4 3 Verwend. v. Kennz. verbot. Org. 131 23 4 Nötigung/Bedrohung 11 6 0 Andere Straftaten 49 22 5 insgesamt: 228 69 13 Hamburg 1999: Aufteilung der insgesamt 228 rechtsextremistischen Straftaten 49 (21,5 %) 14 (6,1 %) Andere StrafSachbe11 (4,8 %) taten, insbes. 23 (10,1 %) schädigungen Nötigungen, VolksverhetGewalttaten Bedrohungen zung 131 (57,5 %) Propagandadelikte Erstmals seit Jahren kam es 1999 wieder zu einem Übergriff auf eine Unterkunft für Asylbewerber. In der Nacht zum 11.10.99 drangen drei der Skinhead-Szene zuzurechende junge Männer aus Ellerbek/SH und Ellerau/ SH auf das Gelände eines Asylbewerberheims in Hamburg-Schnelsen und grölten fremdenfeindliche Parolen. Bereits auf dem Anmarsch der Drei von einer Tankstelle in Egenbüttel/SH, wo sie zuvor gezecht hatten, hatten Anwohner Parolen wie "Heil Hitler!" und "Ausländer raus!" wahrgenommen. Als Bewohner der Unterkunft sie aus einem Fenster zur Ruhe 38 aufforderten, warf einer der Täter einen Müllbehälter in Richtung des geöffneten Fensters, traf jedoch nicht. Eine an der Unterkunft stehende Kinderkarre wurde gegen das Fenster geworfen, ohne es zu zerstören. Daraufhin wurde mittels eines Müllcontainers eine Fensterscheibe der Unterkunft eingeschlagen. Als sich mehrere Bewohner näherten, zog einer der Täter eine Schusswaffe (Schreckschussrevolver) und richtete diese auf die Bewohner. Anschließend flüchteten die Täter ins nahe gelegene Unterholz. Zwei der drei Skinheads wurden unmittelbar danach von den eingesetzten Polizeikräften festgenommen. Der dritte Beschuldigte flüchtete, konnte aber bereits in den Nachmittagsstunden des 11.10.99 ermittelt und festgenommen werden. Das Amtsgericht Hamburg erließ gegen ihn am 12.10.99 aufgrund von Fluchtgefahr einen Haftbefehl wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, Volksverhetzung und Bedrohung. Einer der anderen beiden Beteiligten war schon in der Nacht zuvor auf dem Gelände gewesen, hatte fremdenfeindliche Parolen skandiert und die dort befindliche Telefonzelle beschädigt. Die Staatsanwaltschaft Hamburg erhob am 01.11.99 Anklage. Am 04.04.99 verurteilte das Landgericht Hamburg drei andere Skinheads, die am 04.12.98 einen Obdachlosen in Bergedorf zusammengetreten und lebensgefährlich verletzt hatten, zu zwei Jahren und neun Monaten ohne Bewährung für den Haupttäter und zwei Jahre zur Bewährung für die beiden anderen Tatbeteiligten. 39 3. Subkulturell geprägte und sonstige gewaltbereite Rechtsextremisten Die Zahl der subkulturell geprägten geGewaltbereite Rechtsextremisten waltbereiten Rechts- - insbesondere Skinheads - (Bundesebene) extremisten ist seit 1994 (5.400) konti9000 nuierlich auf 9.000 Personen angestiegen 8200 7600 (1998: 8.200). Neben gewalttätigen Rechts6400 6200 6400 extremisten zählen 5600 hierzu auch Personen, die sich - 5400 ohne bisher Gewalttaten begangen zu haben - für Gewaltanwendung aussprechen. Die weitaus größte Gruppe innerhalb der Gewaltbe1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 reiten stellt die rechtsextremistische Skinhead-Szene dar. Allerdings kann diese Szene nicht eindeutig von den sonstigen gewaltbereiten Rechtsextremisten abgegrenzt werden. Rechtsextremistische Gewalt ist weithin geprägt durch spontan begangene Gewaltakte von Einzeltätern und losen, unstrukturierten Personenzusammenschlüssen. Insbesondere im Zusammenhang mit "Antifa-Antifa"-Aktivitäten ist auf die Gefahr hinzuweisen, dass sich rechtsterroristische Strukturen bilden könnten. 3.1 Rechtsextremistische Skinhead-Szene Die Politisierung von Skinheads beschränkt sich - mit Ausnahme derjenigen, die sich enger in rechtsextremistische Strukturen und in die politische Arbeit entsprechender Organisationen oder Kameradschaften einbinden lassen - im Wesentlichen auf die unreflektierte Übernahme rechtsextremistischer und neonazistischer Parolen und Agitationsformeln. Viele Skinheads sind aufgrund ihrer 'spaßorientierten' Lebenseinstellung weder an politi40 scher Arbeit noch an Schulungen interessiert und auch nicht bereit, sich in die strenge Hierarchie und Ordnung neonazistischer Kameradschaften einzufügen. Von weit größerer Bedeutung für die politische Bewusstseinsbildung sind subkulturelle Medien: Wie in anderen jugendlichen Subkulturen auch, wird die Gruppenidentität durch das Outfit, durch eigene Musikformen, Konzerte, szenetypische Publikationen - Fanzines oder Skinzines genannt -, Rituale, Symbole, Tätowierungen, u.a.m. zum Ausdruck gebracht. Über diese subkultuAus einer Skinhead-Selbstdarstellung rellen Ausdrucksformen, insbeim Internet sondere über die Musik, werden rechtsextremistische Inhalte und Botschaften transportiert, die bei permanenter Verbreitung maßgeblich dazu beitragen, dass sich rechtsextremistische Einstellungen und Verhaltensweisen innerhalb der SkinheadSzene und unter anderen gewaltbereiten Jugendlichen und jungen Erwachsenen dauerhaft verfestigen. Aufgrund dieser Affinität zu rechtsextremistischen Denkmustern und Feindbildern stellt die nur lose strukturierte SkinheadSzene - trotz der genannten Einschränkungen - ein erhebliches Rekrutierungsund Mobilisierungspotential für den organisierten Rechtsextremismus dar - insbesondere für Neonazis, die sich im Rahmen der zahlreichen Aktionsbündnisse mit der NPD und den JN als führende aktionistische Kraft des "nationalen Widerstandes" verstehen. In Folge dieser engen Verzahnung stellen rechtsextremistisch aktive Skinheads ein von neonazistischen Zusammenhängen kaum mehr unterscheidbares Personenpotential dar. Im besonderen Maße gilt dies für die ostdeutschen Bundesländer, in denen die rechtsextremistische Skinhead-Szene insgesamt auf weit weniger Widerstand, z. B. durch politische Gegner, stößt und sich daher stärker in der Öffentlichkeit präsentieren und ausbreiten kann als im Westen. Dort gibt es auch größere, relativ straff organisierte und z. T. überregional aktive Gruppen wie etwa die "Skinheads Sächsische Schweiz" (SSS) oder "White Youth" aus Thüringen. Das Verhältnis der NPD und der JN zu rechtsextremistischen Skinheads in den eigenen Reihen ist weiterhin sehr ambivalent und auch innerhalb der 41 Neonazi-Szene gibt es nach wie vor Skeptiker, die bezweifeln, dass Skinheads sich aufgrund ihres Lebensstils überhaupt zu brauchbaren Aktivisten entwickeln können. Trotz ihres Negativ-Images und ihres häufig lärmenden und provokativen Auftretens sind Skinheads aber im politischen "Kampf um die Straße" für die Partei mittlerweile unverzichtbar. Sie bestimmen erheblich das Erscheinungsbild rechtsextremistischer Demonstrationen und Kundgebungen, die vorwiegend von der NPD angemeldet und von "freien Nationalisten" organisiert und durchgeführt werden. Die Meinungsführer innerhalb der NPD sind überzeugt, dass die Öffnung gegenüber der Neonaziund SkinheadSzene eine unerlässliche Voraussetzung dafür ist, junge Leute aus diesem Skinheads und Neonazis - vorsubkulturellen Milieu für die politische wiegend aus Norddeutschland - Arbeit der Partei zu gewinnen. Die Mitbeteiligten sich am 02.10.99 in gliederzuwächse seit 1997 verdankt Köln an der NPD-/JN-Kundgedie NPD vorwiegend ihrer neuen Popubung (ca. 450 Teilnehmer) unter larität bei jüngeren Rechtsextremisten. dem Motto "Protest gegen doppelte Staatsbürgerschaft und InteVon Mai bis Juli 1999 debattierten gration - Keine deutschen Pässe Rechtsextremisten per Internet im "NIT für Ausländer - AusländerrückFORUM" des Andre GOERTZ über die führung statt Integration!" Rolle von Skinheads innerhalb der rechtsextremistischen Szene. Während einige Diskutanten in Skinheads "geistig schwache" und "extrem frustrierte junge Leute" sehen, die verroht und aggressiv seien, betrachten andere sie als Herz und Rückgrat des "nationalen Widerstandes". Diese extrem unterschiedliche Sicht spiegelt auch die Bandbreite der Meinungen innerhalb der Skinhead-Szene über die eigene, sehr heterogene Anhängerschaft wider. Gerade elitär eingestellte Skinheads, die sich als stolze Vertreter der "weißen arischen Arbeiterklasse" sehen, lehnen Möchtegern-Skinheads und "Hobbyund Wochenend-Glatzen" ab, die im Zweifelsfall nicht zu ihrer politischen Einstellung stehen. Skinheads, die nur durch unkontrollierte Alkoholexzesse und sinnlose Gewaltausbrüche auffallen, gelten als "Assis" (Asoziale) und werden gemieden. Aufgrund ihrer Gewaltbereitschaft sind Skinheads für eine Vielzahl 42 fremdenfeindlicher und anderweitig rechtsextremistisch motivierter Gewalttaten verantwortlich. Dabei spielt nicht selten neben starkem Alkoholkonsum auch die gewaltverherrlichende und aggressionsfördernde Musik rechtsextremistischer Skinhead-Bands eine entscheidende Rolle. Zu den Feindbildern rechtsextremistischer Skinheads gehören Ausländer, speziell Asylbewerber, Punks und Linke, die als "Zecken" bezeichnet werden. Mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen aus diesen sozialen Gruppen kommt es immer wieder zu tätlichen Auseinandersetzungen, die z. T. mit Messern, Baseballschlägern und anderen gefährlichen Waffen geführt werden. Die Gesamtzahl der rechtsextremistisch motivierten Gewalttaten gegen - tatsächliche oder vermeintliche - Linksextremisten und sonstige politische Gegner ist zwar zurückgegangen, Brutalität und Skrupellosigkeit sind Internet-Darstellung weiblicher Skinjedoch nach wie vor erschreckend. heads ("Renees''). Bildtext: "Renees - Oftmals werden massive GewaltDas sind die richtigen Mädels!!!" taten wie schwere Körperverletzungen oder Überfälle auf Asylbewerberunterkünfte oder Jugendclubs in Gruppenstärke verübt. Auseinandersetzungen gibt es auch mit der Polizei. So griffen beispielsweise ca. 20 Skinheads, darunter einige aus Hamburg, am 31.10.99 die Polizeidienststelle in Zeven/NI an, schlugen die Eingangstür ein, entwendeten Mobiliar und attackierten eingesetzte Funkstreifenbesatzungen. Nicht jede von Skinheads verübte Gewalttat weist eine fremdenfeindliche oder anderweitig rechtsextremistisch motivierte Zielrichtung auf. Häufig ist es schwierig, die Tatmotive eindeutig zuzuordnen. Bei Gewalttaten gegen die genannten oder andere Personengruppen kann zwar nicht immer ein politisches Motiv ermittelt werden bzw. scheint die Tat nicht in jedem Falle durch ideologische Leitbilder bestimmt zu sein, weil sie eher sozialen Konflikten oder anderen Motivlagen entspringt. Es ist jedoch nicht zu übersehen, dass bei den jugendlichen Gewalttätern aus der Skinhead-Szene durchgängig fremdenfeindliche und z. T. rassistische Einstellungen vor43 herrschen, die mit einem übersteigerten Nationalgefühl und Hass gegen alles "Undoitsche" einhergehen. Seit mindestens Mitte der 90er Jahre sind die beiden neonazistisch und rassistisch ausgerichteten Skinhead-Organisationen "Hammerskins" und "Blood & Honour" in Deutschland aktiv. Während die 1986 in Dallas/ Texas gegründeten "Hammerskins" 1999 in Deutschland kaum Zuwachs verzeichnen konnten und relativ wenig Aktivitäten entwickelten, hat die 1987 in Großbritannien ins Leben gerufene "Blood & Honour"-Bewegung weiterhin regen Zulauf zu verzeichnen. Ihr gehören bundesweit über 200 Von "Blood & Honour Scandinavia" verMitglieder an, die in der triebener CD-Sampler mit 21 Titeln, u. a. Regel eine ca. halbjährige "Kanaken raus" (Auszug): Anwärterzeit zu durchlaufen haben. "Der Abschaum feiert schon den Sieg. Doch euch Schweinen sei geschworen, wir haben erst eine Schlacht verloren Obwohl beide Organisationen und noch nicht den ganzen Krieg (...) international organisiert sind, Doch aus dem Grab ertönt ein Ruf, der gibt es keine zentrale FührungsRuf: Deutschland, steh' auf! Volk an's ebene. Verbindendes Element Gewehr zur Gegenwehr, schmeißt die bei "Blood & Honour" ist das Kanaken endlich raus!" Wunschbild von der globalen Dominanz der weißen Rasse. Unter dem Slogan "The Independent Voice of Rock against Communism" verfolgt diese Organisation konsequent ihr Ziel, die Skinhead-Szene durch aggressive Musik mit neonazistischen Texten zu beeinflussen. Vor allem bei der Ausrichtung von Konzerten ist die Organisation mittlerweile marktbeherrschend. Weiterhin gibt es Anzeichen dafür, dass "Blood & Honour" auch politisch aktiver wird und sich noch stärker an rechtsextremistischen Aktionen beteiligt. 44 1999 setzte sich der Aufschwung der rechtsextremistischen Musikszene, vor allem der kommerzielle Handel mit rechtsextremistischen Tonträgern und anderen Utensilien, fort. Nach Kenntnis der Verfassungsschutzbehörden gab es Ende des Jahres über 120 rechtsextremistische Skinhead-Bands in Deutschland, von denen rund zwei Drittel im letzten Jahr bei Konzerten auftraten, sowie ca. 50 Vertriebsdienste. Die Bedeutung des Internet für die Verbreitung rechtsextremistischer Musik und Propaganda ist weiter gestiegen. Rechtsextremisten bieten auf ihren technisch und inhaltlich immer aufwendiger gestalteten Internet-Seiten mittlerweile sogar Radiosendungen an. Einher geht diese Entwicklung mit der Zunahme volksverhetzender, rassistischer, antisemitischer und gewaltverherrlichender Inhalte und von Gewaltaufrufen, z. B. gegen "Rassenschänder", "Volksverräter", "Szenespitzel" und Antifas, auf Homepages von Skinheads, die meist anonymisiert über ausländische, überwiegend amerikanische Provider ins Internet eingestellt werden. Trotz Anonymisierung gelang es den Verfassungsschutzbehörden in einigen Fällen, Betreiber rechtsextremistischer Webseiten zu identifizieren und der Strafverfolgung zuzuführen. Um die Verbreitung illegaler CDs zu unterbinden oder zumindest einzudämmen, wurde gegen etliche Vertriebe ermittelt - vorwiegend wegen des Verdachts der Volksverhetzung. Der zunehmende Verfolgungsdruck hat u. a. den in Dänemark ansässigen Vertrieb "NS 88" im März 1999 dazu bewogen, den Geschäftsbetrieb einzustellen und die Auflösung des angeschlossenen Produktionslabels "NS Records" bekannt zu geben. Durch die verschiedenen Exekutivmaßnahmen gegen "NS Fanzine "Ruf des Norden" Nr. 2, 88" und gleichgesinnte Vertriebe Sommer 1999. Publikation aus dem in Deutschland wurde der Ver"Blood & Honour Scandinavia"sandhandel vorübergehend stark Umfeld mit stark rassistischen und beeinträchtigt und der Vertrieb antisemitischen Aussagen. 45 auf dem deutschen Markt empfindlich gestört. Der Vertriebsdienst wird jetzt von "Blood & Honour Scandinavia" weitergeführt. Auf Grund der lukrativen Verdienstmöglichkeiten erscheinen immer wieder neue Kleinanbieter auf dem Markt. Allerdings gibt es auch etliche Vertriebe, die sich auf Grund der härter werdenden Konkurrenz nicht halten können und wieder aufgeben. Zusätzliche Konkurrenz erwächst den professionellen Vertreibern durch die Möglichkeit, sich so genannte MP3-Musikdateien aus dem Internet herunterzuladen und auf CD zu brennen. Viele Original-CDs werden auch schwarzkopiert und zu weitaus günstigeren Preisen weiterverkauft. Neu ist auch die - möglicherweise aber nicht autorisierte - Erstveröffentlichung einer rechtsextremistischen CD im Internet. Die CD "Die Härte - !Vorsicht! National Deutsche Welle" enthält im Stil der "Zillertaler Türkenjäger"-CD von 1997 bekannte Melodien mit volksverhetzenden, fremdenfeindlichen, gewaltverherrlichenden und antisemitischen Texten. 5 von insgesamt 10 Titeln waren zeitweise auf einer anonymen rechtsextremistischen Homepage abrufbar. Für das Zusammengehörigkeitsgefühl der rechtsextremistischen SkinheadSzene und den Aufbau überregionaler und internationaler Kontakte spielen Konzerte eine wichtige Rolle. Diese werden wegen der zu befürchtenden Verbote meistens konspirativ vorbereitet. Im letzten Jahr wurden dennoch etliche Konzerte von der Polizei aufgelöst oder - sofern sie rechtzeitig vorher bekannt wurden - von den zuständigen Behörden untersagt. Hierin liegt sicherlich ein entscheidender Grund dafür, dass die Zahl der erfassten Konzerte 1999 um 20 % auf 105 zurückgegangen ist. Dabei waren insgesamt 93 deutsche rechtsextremistische Skinhead-Musikgruppen und neun so genannte Liedermacher unterwegs. Mit 59 Konzerten bildeten die ostdeutschen Bundesländer den Schwerpunkt. Die Besucherzahlen sind angesichts der Tatsache, dass keine öffentliche Werbung betrieben wird, in vielen Fällen beachtlich. Besonderen Zuspruch finden ausländische Bands. 1999 kamen in den ostdeutschen Bundesländern zu 14 Konzerten jeweils über 500 Besucher, in acht Fällen sogar jeweils über 1.000. Das seit Jahren größte Konzert fand am 04.09.99 in der Ortschaft Garitz bei Zerbst/Sachsen46 Anhalt statt und wurde von "Blood & Honour" ausgerichtet. Aus Anlass des 6. Todestages von "Blood & Honour"-Gründer Ian Stuart DONALDSON traten die Skinheadbands "Ultima Ratio", "Kraftschlag", "Chaos 88" und "Blue Eyed Devils" aus den USA vor über 2.000 Teilnehmern auf. Skinhead-Szene Hamburg: Die gewaltbereite rechtsextremistische Szene in Hamburg und Umgebung umfasst etwa 200 Personen. Davon haben etwa 100 ihren Wohnsitz in Hamburg. Zum überwiegenden Teil handelt es sich um rechtsextremistische Skinheads, die sich in lose strukturierten, stadtteilbezogenen Cliquen oder Kameradschaften zusammenfinden. Hinzu kommen andere Jugendliche und junge Erwachsene, die ebenfalls Fremdenfeindlichkeit und Gewaltbereitschaft als zentrale rechtsextremistische Merkmale aufweisen und in der Regel über persönliche Bekanntschaften, die Musik oder andere Einflussfaktoren Berührung mit der Skinhead-Szene bzw. entsprechenden Gruppen haben. Knapp Zweidrittel dieser Personen gehören zur Altersgruppe 18-25 Jahre. Mit 37 % entfällt der größte Anteil auf die Altersgruppe 18-20 Gesamtaktionsraum Hamburg und Umland Jahre. 6 % sind Altersstruktur gewaltbereiter Rechtsextremisten unter 18 Jahre alt. Auffällig ist, dass 37% sich diese Gruppen vor allem in den Hamburger Rand28% lagen konzentrieren oder ihren Aktionsschwerpunkt 18% in Umlandgemeinden haben. So gibt 9% es z. B. Überschnei6% dungen im Bereich 2% der Stadtteile Eidelbis 17 18-20 21-25 26-30 31 u. älter unbekannt stedt, Niendorf und Schnelsen mit der Skinhead-Szene in den nordwestlichen Umlandgemeinden - angefangen von Bönningstedt, Ellerbek, Egenbüttel, Krupunder, Halstenbek und Schenefeld bis nach Rellingen, Pinneberg und Uetersen. In Pinneberg ist seit mehreren Jahren eine größere Skinhead-Kameradschaft aktiv, die sich im letzten Jahr verstärkt an politischen Aktionen von "freien Nationalisten" aus Hamburg sowie an einigen anderen Demonstrationen im Bundesgebiet beteiligte und eng mit der Bramfelder Kameradschaft um Torben KLEBE zusammenarbeitet (" 4.2). 47 Im Bergedorfer Stadtteil Lohbrügge gibt es ebenfalls eine starke SkinheadSzene, der auch Skinheads aus Reinbek und Glinde angehören. In den Stadtteilen Volksdorf / Bergstedt / Duvenstedt kam es im letzten Jahr mehrmals zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen ausländischen Jugendlichen und einer Gruppe von Nachwuchsskins. Einige Jugendliche fielen auch durch SS 86a StGB-Delikte (Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen) auf. Weitere Stadtteile, in denen Skinheads aktiv sind, sind u. a. Barmbek und Bramfeld sowie im Süden Harburg und Marmstorf. Berührungspunkte von Hamburger Skinheads gibt es außerdem zur Skinhead-Szene in Norderstedt, Ahrensburg, Bargteheide und BargfeldStegen. Die gesamte Szene im Hamburg und Umgebung unterhält wiederum Beziehungen zu weiteren Neonaziund Skinhead-Gruppen in Schleswig-Holstein, namentlich aus Elmshorn, Itzehoe, Henstedt-Ulzburg, Bad Segeberg, Neumünster und Kiel, sowie zu Gruppen oder Einzelpersonen aus Winsen, Lüneburg, Tostedt, Buchholz und anderen Orten im nördlichen Niedersachsen. Eine gewisse organisatorische Klammer für diese Kontakte bildet die Anfang 1999 gegründete "Blood & Honour Sektion Nordmark", die gebietsmäßig Schleswig-Holstein, Hamburg und das nördliche Niedersachsen umfasst. Im Gegensatz zu anderen Sektionen trat die über ein Tostedter Postfach erreichbare Sektion Nordmark bislang noch nicht als Konzertveranstalter auf. Wichtigster überregionaler Treffpunkt der norddeutschen Skinhead-Szene ist der "Club 88" in Neumünster, der am 02.10.99 sein 3-jähriges Bestehen feierte. Ein weiterer Anziehungspunkt für Skinheads aus Hamburg und dem gesamten norddeutschen Raum sind nach wie vor die Spiele des HSV. Obwohl im letzten Jahr Skinheads wiederholt durch rassistische und diffamierende Äußerungen und Gesänge sowie durch Propagandadelikte nach SS 86a StGB aufgefallen sind - z. T. auch durch Widerstandshandlungen gegen Polizeibeamte - ist die Szene in und um das neue Volksparkstadion herum insgesamt ruhiger geworden. Der Zulauf zu den Fußballspielen ist zurückgegangen. Zugenommen haben dagegen Versuche von Neonazis und politisch aktiven Skinheads, durch Verteilen von Propagandamaterial (Probeexemplare von Zeitschriften, Flugblätter, Aufkleber, u. a.) und Einladungen zu Demonstrationen unter den jugendlichen Fußballfans Interesse für ihre rechtsextremistische Ideologie zu wecken. Vermehrt fällt auch Kleidung mit rechtsextremistischen Slogans im Stadion auf. Der relativ hohe Anteil der z. T. sehr jungen 'Nachwuchsglatzen' bei Demonstrationen zeigt, dass die Werbungsbemühungen dort wie auch in einzelnen Stadtteilen nicht ganz erfolglos sind. Dass die Hamburger Szene - etwa im Vergleich mit Berlin - dennoch relativ schwach ausgeprägt ist, hängt vor allem mit dem Fehlen einer entsprechenden Musiks48 zene zusammen und fehlenden Szeneeinrichtungen wie Trefflokalen oder Läden. Zur Zeit gibt es keine aktive Skinhead-Band in Hamburg und auch Konzerte finden seit Jahren nicht statt. Zu Konzertbesuchen reisen Hamburger Skinheads überwiegend gen Osten, vorzugsweise nach Mecklenburg-Vorpommern. Die Bereitschaft größerer Teile der Skinhead-Szene, sich an rechtsextremistischen Demonstrationen und anderen Aktivitäten, z. B. anlässlich des 12. Todestages von Rudolf HEß, zu beteiligen (" 4.2), ist dagegen weiter gewachsen. Ca. 40 % der als rechtsextremistisch eingestuften Hamburger Skinheads sind gleichzeitig dem Einflussbereich der so genannten "Freien Nationalisten" (Neonazis) zuzuordnen. Ein weiteres Indiz für die zunehmende Politisierung der Hamburger Szene ist das Aufgreifen aktueller Themen, um hieraus Aktionen zu entwickeln. Im Oktober fiel Bewohnern eines Bauwagenplatzes am Volkspark ein Flugblatt in die Hände mit einem "Aktionsaufruf! Gegen die geplante Bauwagensiedlung der Chaoten in HamburgNord!". Darin drohen die unbekannten Autoren u. a.: "Wenn der Hamburger SPD Senat nicht Willens und nicht in der Lage ist diese Leute in den Griff zu bekommen dann werden eben WIR dem Senat und seinen Genossen zeigen was wir von seiner Politik halten und selbst einschreiten um diese Bauwagen-Chaoten aus Hamburg-Nord zu verbannen!" (Fehler im Orig.). 49 Im engen zeitlichen Zusammenhang mit dem Auftauchen dieses Flugblatts wurde in der Nacht zum 02.10.99 der Bauwagenplatz "Phase I" im Rantzauer Forst in Norderstedt überfallen. Ca. 8-10 Personen stürmten mit lauten "Sieg Heil!"-Rufen auf das Gelände und zerschlugen mit Baseballschlägern und Vierkanthölzern diverse Fensterscheiben von Wohnwagen sowie eines Pkw. Ein Bewohner wurde leicht verletzt. Der Überfall konnte bislang nicht aufgeklärt werden. Mit der Demonstration gegen den Bauwagenplatz in Barmbek am 27.11.99, der kurz zuvor eingerichtet worden war, versuchten Rechtsextremisten erfolglos, sich an die Spitze des bürgerlichen Protestes zu stellen bzw. diesen für ihre eigenen Zwecke zu instrumentalisieren (" 4.2 und 5.3). Die im Aufruf genannten Gruppen, insbesondere der "Hamburger Sturm 18" (" 4.2) und der "Lohbrügger Sturm 15" waren dem Landesamt für Verfassungsschutz Hamburg bereits durch andere politische Aktivitäten bekannt. Die Bezeichnung "Lohbrügger Sturm 15" wird von rechtsextremistischen Skinheads benutzt, die im letzten Jahr u. a. mit Anti-AntifaFlugblättern auf sich aufmerksam machten und sich auch als "Einsatzkommando 'Haut den Roten auf die Pfoten'" bezeichneten. Er ist offensichtlich identisch mit der im "Hamburger Sturm" (Nr. 20/Mai 1999) genannten Gruppe "Anti-Antifa HH-Bergedorf", die sich zum Ziel gesetzt hat, die antifaschistische Szene in ihrem Stadtteil aufzuklären. Auf der so genannten "Anti-Antifa Seite" findet sich das gleiche Symbol (Faust zerschlägt Antifa-Stern) wie auf dem Flugblatt mit dem "Aktionsaufruf". In einem mit "KinderAntifa Bergedorf, wir lachen Euch aus!" überschriebenen Flugblatt versuchte diese Gruppe, im Vorfeld einer Antifa-Veranstaltung am 30.10.99 im linksalternativen "Cafe Flop" in Bergedorf Angst vor einem möglichen Übergriff zu schüren. Dass diese nicht unbegründet war, beweisen Anschläge auf das Lokal am 02.06.99 und 08.07.99. Nach Angaben der Polizei warfen unbekannte Täter in der Nacht zum 02.06.99 die Scheiben Anti-Antifa-Motiv aus Flugblatt des des "Cafe Flop" ein. In der Nähe "Einsatzkommandos 'Haut den Roten des Tatortes wurde ein frisch verauf die Pfoten', Sturm 15 (Lohbrügge)". klebtes Plakat 50 des "Nationaldemokratischen Hochschulbundes" (NHB, Hochschulorganisation der NPD) mit einem Aufruf zur Demonstration gegen die Wehrmachtsausstellung entdeckt, die für den 05.06.99 geplant war. Im Bereich der Bergedorfer Innenstadt stieß die Polizei auf insgesamt ca. 60 weitere Plakate. Einige davon waren durch hinzugeklebte Plakate mit der Aufschrift: "Rotfrontterror stoppen! Antifa zerschlagen! Anti-Antifa-Kommando! Haut den Roten auf die Pfoten! Sturm 15 HH/Lohbrügge" ergänzt worden. Am 08.07.99 explodierte gegen 01:30 Uhr ein an der Außenscheibe des Cafes mit Klebeband montierter und mit weißer Farbe gefüllter Glasbehälter, der durch die Zündung einer Pyro-Knallpatrone zur Detonation gebracht wurde. Die Farbe wurde im Umkreis von 5 m um den Tatort verteilt. Im Zusammenhang mit der Demonstration gegen die Wehrmachtsausstellung am 10.07.99 in Bergedorf wurde das "Cafe Flop" im Internet als Anlaufund Informationsort geplanter Gegendemonstrationen genannt. Die Gefahr, dass es im Rahmen der von Rechtsextremisten betriebenen "Anti-Antifa"-Arbeit zu weiteren gezielten Übergriffen und Anschlägen sowohl auf Objekte als auch auf Personen kommen könnte, ist gewachsen. Hass und Aggression richten sich zunehmend gegen gewaltbereite Linksextremisten, die regelmäßig versuchen, Demonstrationen von Rechtsextremisten anzugreifen, wobei es auch im letzten Jahr z. T. zu erheblichen Verletzungen von Demonstrationsteilnehmern gekommen ist. Erstmals seit Jahren verübten 1999 Skinheads wieder einen Überfall auf ein Asylbewerberheim in Hamburg (" 2.). 3.2 Anhaltspunkte für rechtsterroristische Bestrebungen Nach der Definition der Verfassungsschutzbehörden ist Terrorismus der nachhaltig geführte Kampf für politische Ziele, die mit Hilfe von Anschlägen auf Leib, Leben und Eigentum anderer Menschen durchgesetzt werden sollen, insbesondere durch schwere Straftaten, wie sie in SS 129 a Abs. 1 des Strafgesetzbuches (StGB) genannt sind, oder durch andere Straftaten, die zur Vorbereitung solcher Straftaten dienen. In Deutschland gibt es gegenwärtig keine rechtsextremistischen Gruppen oder Organisationen, die in diesem Sinne handlungsfähig und aktiv sind. Dieser Einschätzung liegt die 51 Erkenntnis zu Grunde, dass es kein politisches Konzept für einen bewaffneten Kampf gibt und es dem gewaltgeneigten Personenpotential zudem an konspirativen Strukturen, Logistik, finanziellen Mitteln sowie an qualifizierten Führungspersonen mangelt. Ebenso fehlt als weitere wichtige Voraussetzung ein flankierendes Unterstützerumfeld für die Umsetzung einer rechtsterroristischen Strategie. Im letzten Jahr sind jedoch innerhalb der extrem gewaltbereiten Szene Bemühungen erkennbar geworden, diese 'Defizite' abzubauen. Verbunden ist diese Entwicklung mit einer allgemein gestiegenen Gewaltbereitschaft. Die große Mehrheit der Rechtsextremisten distanziert sich nach wie vor von terroristischer Gewalt als Mittel der Politik, wenn auch häufig nur aus taktischen Gründen. Unter Neonazis und Skinheads haben sich jedoch - wie auf Hamburg bezogen bereits dargestellt - Hass und Wut auf den Staat und vor allem auf den politischen Gegner weiter gesteigert. Es muss nicht nur jederzeit mit spontanen Gewalttaten gerechnet werden, sondern es sind auch planmäßig vorbereitete Anschläge oder Übergriffe - insbesondere gegen Objekte oder Personen aus dem linksextremistischen Spektrum - nicht mehr auszuschließen. Die Sicherheitsbehörden haben sich auf diese Problematik eingestellt. In diesem Zusammenhang gewinnen die wieder stärker werdenden Aktivitäten in der "Anti-Antifa"-Arbeit, d. h. das Sammeln von Informationen über und das gezielte Ausspähen von politischen Gegnern, an Bedeutung. Die konsequente Bekämpfung des militanten Rechtsextremismus von Seiten des Staates und die ausgeprägte Gewaltbereitschaft militanter Antifaschisten haben die Widerstandsdiskussion in Teilen der rechtsextremistischen Szene verstärkt. Spürbar wurde der Stimmungsumschwung u.a. an der Haltung der Szene gegenüber Kay DIESNER, der am 01.12.97 wegen Mordes bzw. Mordversuches an zwei Polizisten und am 08.12.99 vom Landgericht Lübeck auch wegen Mordversuchs an einem der PDS angehörenden Berliner Buchhändler zu lebenslanger Haft verurteilt wurde. Obwohl viele Aktivisten insbesondere den Mord an dem Polizeibeamten für politisch "nicht vermittelbar" halten, nahmen im Zusammenhang mit dem Verfahren Ende 1999 die öffentlichen Sympathiebekundungen für DIESNER deutlich zu. Auch wenn die genannten Voraussetzungen für einen Terrorismus von rechts weithin fehlen, fördert die gegenwärtig angespannte Lage aber zumindest die Bildung militanter Gruppen, die sich zum Ziel setzen bzw. darauf hinarbeiten könnten, Gewalttaten im Sinne der Rechtsterrorismusdefinition planmäßig und zielgerichtet zu verüben. Am 30.11.99 durchsuchten Beamte des BKA im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens wegen SS 129 a StGB (Bildung terroristischer Vereinigungen) die Wohnungen von vier Neonazis in Göttingen. Bei drei der vier Beschuldigten konnte das BKA Chemi52 kalien sicherstellen, die sehr wahrscheinlich der Herstellung unkonventioneller Sprengvorrichtungen dienen sollten. Bei einem der Beschuldigten wurden entsprechende Anleitungen zur Herstellung von Sprengund Brandmitteln und sonstiger explosionsfähiger Stoffe sichergestellt. Auch dieser Vorfall bestätigt zumindest, dass die Gefährdungslage nicht nur theoretischer Natur ist. Weitere Anhaltspunkte für eine allgemein gestiegene Gewaltbereitschaft sind u. a. sich häufende positive Äußerungen zur Gewaltanwendung bzw. Propagierung des bewaffneten Kampfes, sowie vermehrte Gewaltaufrufe bis hin zu Mordaufrufen im Internet. In einem Fall konnte der Urheber eines Mordaufrufes, der zudem noch eine Belohnung von 10.000 DM für die Tötung seiner "Lieblingszecke" ausgesetzt hatte, festgenommen werden, nach dem es dem Bundesamt für Verfassungsschutz gelungen war, diesen zu identifizieren. Obwohl Erkenntnisse, dass solchen Gewaltaufrufen tatsächlich Folge geleistet wurde, nicht vorliegen, müssen sie ernst genommen werden. Für Aufsehen und größeres Medienecho sorgte ein in der neonazistischen Publikation "Hamburger Sturm" (Nr. 20/Mai 1999) veröffentlichtes "Interview aus dem Untergrund" mit einer nicht näher bezeichneten Gruppe "nationalrevolutionäre Zellen". In diesem Interview bewertet die vermutlich aus Berlin stammende Gruppe den von Kay DIESNER verübten Mord bzw. Mordversuch an zwei Polizisten als persönlichen "Akt der Befreiung". Man dürfe nicht vergessen, dass man im "Krieg mit dem System" sei und da gingen nun mal einige "Bullen" oder sonstige Feinde drauf. Nach eigener Aussage sind die Mitglieder dieser Gruppe in der NPD aktiv, aber mit dem NPD-Führungsstil unzufrieden. Um auf Verbote der restlichen "nationalen" Parteien vorbereitet zu sein, habe man den Weg aus dem Untergrund heraus handelnder Aktivisten eingeschlagen. Wer mitmachen wolle, müsse mindestens 21 Jahre alt sein, möglichst Kampfsport betreiben und mit Waffen 53 umgehen können. Auch Computerkenntnisse seien wichtig. Obwohl die Gruppe den Irrweg der RAF ablehnt, da das Volk nicht bereit dafür sei und keine Gewalt wolle, schließt sie nicht aus, dass sich die Situation in ein paar Jahren ändern könnte. Die neonazistische Schrift "Reichsruf - Mitteilungsblatt für revolutionäre Nationalsozialisten" (Nr. 6) rechtfertigt in einem Beitrag unter der Überschrift "...dann eben mit Gewalt! - Analyse zur Unterdrückung oppositioneller NSKräfte, deren Hintergründe und zum bewaffneten Kampf" ebenfalls die Durchführung militanter Aktionen gegen den Staat. Diese richteten sich gegen ein System, das selbst auf Gewalt und Terror gegenüber Andersdenkenden basiere. Diese Gewalt erzeuge Gegengewalt und es sei lediglich eine Frage der Zeit, wann sich eine Widerstandsbewegung nach SS 129 a StGB formiere und in Aktion trete. Da die Nationalsozialisten einer kollektiven Verfolgung ausgesetzt seien, komme jeder Staatsakteur als potentielles Ziel nationaler Wehrhaftigkeit infrage. Allein die Staatselite trage die Verantwortung, wenn die Vision des "bewaffneten Kampfes" real werde. Diese beiden Beispiele zeigen, dass terroristische Vorgehensweisen unter Rechtsextremisten thematisiert werden. Es liegen aber keine Hinweise dafür vor, dass solche Gruppierungen ihre Vorstellungen derzeit in Taten umsetzen wollen. Die meisten Aktivisten innerhalb der Neonaziund Skinhead-Szene lehnen - unabhängig von der moralischen Rechtfertigung der Gewalt - zumindest zum jetzigen Zeitpunkt terroristische Aktionen gegen den Staat als kontraproduktiv ab, weil sie nur den entscheidenden Vorwand lieferten, noch schärfer gegen den "nationalen Widerstand" vorzugehen. 54 Alarmierend ist weiterhin, dass einzelne Gewalttaten hinsichtlich der Planung und Durchführung eine neue Qualität aufweisen. So verübten unbekannte Täter am 09.03.99 einen mutmaßlich rechtsextremistisch motivierten Sprengstoffanschlag auf das Ausstellungsgebäude der Wanderausstellung "Vernichtungskrieg - Verbrechen der Wehrmacht 1941 - 44" in Saarbrücken (Foto: " 1.1). Es entstand Sachschaden in Höhe von schätzungsweise ca. 500.000 DM. Nach Ansicht des zuständigen Landeskriminalamtes (LKA) handelten die Täter sehr professionell. Verwendet wurden ein bis zwei Kilogramm militärischer Sprengstoff. Auch wenn der rechtsextremistische Hintergrund dieses Anschlags noch nicht zweifelsfrei feststeht, so ist nach Erkenntnislage der Sicherheitsbehörden davon auszugehen, dass das Fachwissen zur Ausführung eines derartigen Sprengstoffanschlages in der militanten rechtsextremistischen Szene vorhanden ist. 'Dank' Internet sind Anleitungen zur Nutzung von Sprengstoffen heute problemlos zu erlangen. 1999 konnten mehrere neue Internetseiten aufgespürt werden, auf denen Informationen zur Herstellung von Sprengmitteln und Bomben und zu deren Wirkungsweise abrufbar waren. In der rechtsextremistischen Szene wird zudem behauptet, dass die Beschaffung von Sprengstoff, z. B. durch Entwendung bei Wehrübungen der Bundeswehr, keine größeren Schwierigkeiten bereiten würde. Ebenfalls bis heute nicht aufgeklärt ist der Sprengstoffanschlag auf das Grab von Heinz GALINSKI am 19.12.1998 in Berlin. Unabhängig von taktischen Überlegungen, ob Gewaltanwendung gegenwärtig politisch opportun ist oder nicht, herrscht in der Neonaziund SkinheadSzene die Meinung vor, dass die bestehende politische und gesellschaftliche Ordnung letztlich nur gewaltsam, d. h. nur in einer revolutionären Situation überwunden werden kann. Waffenund Sprengstoffbeschaffungen dienen in erster Linie dem Zweck, sich für den "Tag X" vorzubereiten und auszurüsten. Dieser Zeitpunkt wäre erreicht, wenn durch die erwartete dramatische Verschlechterung der politischen, sozialen und wirtschaftlichen Lage in Deutschland günstige Voraussetzungen für eine gewaltsame Intervention herrschen, um eine neue Diktatur nach nationalsozialistischem Vorbild errichten zu können. 55 4. Neonazismus 4.1 Aktuelle Entwicklung Die neonazistische Szene in der Bundesrepublik hat ihren als Konsequenz aus den zahlreichen Organisationsverboten der Jahre 1992 - 1995 entwickelten Kurs, sich dezentral zu strukturieren, konsequent fortgesetzt. Auch 1999 gab es außer der "Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige e.V." (HNG) keine bundesweit agierende neonazistische Organisation. Stattdessen sind mittlerweile, über alle Bundesländer verteilt, schätzungsweise mehr als 100 regionale und örtliche Neonazi-Kameradschaften von unterschiedlicher Größe, Bedeutung und Lebensdauer entstanden. Um die zersplitterte Szene handlungsfähig zu halten und für öffentliche Aktivitäten mobilisieren zu können, laufen Bestrebungen, Aktionsbündnisse zu bilden und darüber die Kameradschaften zu vernetzen. Am weitesten ist dies bisher in Norddeutschland mit dem "Nationalen und Sozialen Aktionsbündnis Norddeutschland" gelungen, dem Neonazis aus den Bundesländern Hamburg, Bremen, Niedersachsen, Schleswig-Holstein und MecklenburgVorpommern angehören. Rivalitäten und Zerstrittenheit zwischen den Gruppierungen sowie der Mangel an bundesweit angesehenen Führungspersonen mit den notwendigen strategischen und organisatorischen Fähigkeiten verhindern nach wie vor eine weitergehende Vernetzung der neonazistischen Szene auf Bundesebene. Bindende Klammer der Neonazis ist ihr Aktionismus. Da dieser Mechanismus bereits 1998 funktioniert hat, steigerten sie im Jahre 1999 erneut - regional unterschiedlich - die Anzahl ihrer Demonstrationen und sonstigen öffentlichen Aktionen. Nahezu für jedes Wochenende wurden irgendwo im Bundesgebiet Aufmärsche oder Kundgebungen angemeldet, jedoch zu einem erheblichen Teil von den Behörden verboten. Um Verbote möglichst abzuwenden, waren Neonazis auf die Zusammenarbeit mit der NPD einschließlich ihrer Nebenorganisationen JN und NHB angewiesen. Diese übernahm häufig unter Nutzung ihres Parteienprivilegs die Rolle der Anmelderin von Demonstrationen, obwohl die Masse der Teilnehmer aus der Neonaziund Skinheadszene kam. Nachdem es in den letzten Jahren zu 56 Aufmärschen mit mehreren tausend Teilnehmern gekommen war, konnten bei der größten Demonstration des Jahres am 30.01.99 in Kiel lediglich ca. 1.200 Teilnehmer mobilisiert werden. Insbesondere die Führungskräfte im norddeutschen Raum haben sich erfolgreich auf die erschwerten Rahmenbedingungen nach den Organisationsverboten Anfang der 90-er Jahre eingestellt. Ihre Doppelstrategie, auf der einen Seite die durch das Parteienprivileg geschützten Strukturen der NPD zu nutzen, auf der anderen Seite aber in kleinen unabhängigen Kameradschaften zu agieren, hat sich verfestigt. Auf diese Weise konnten die norddeutschen Neonazis weit öfter öffentlichkeitswirksam auftreten als in den Jahren zuvor. Ihre Erfolgsentwicklung verdanken die aktionistisch ausgerichteten Neonazis dem neuen Kurs der NPD ( 5.3), die 1999 für ihre neue Klientel bundesweit über 50 Demonstrationen angemeldet hat, sowie ihrer verbesserten Kommunikation. Das von dem Hamburger Thomas WULFF und seinen Anhängern initiierte "Aktionsbüro Norddeutschland" hat für die neonazistische Szene Modellcharakter. Das Aktionsbüro koordiniert Demonstrationstermine, mobilisiert zu Veranstaltungen und verfasst Pressemitteilungen, die teilweise auch im Internet abrufbar sind. Es dient damit der Vernetzung neonazistischer Kameradschaften. Die Aktivitäten des norddeutschen Aktionsbündnisses haben auch zur Politisierung einiger Skinheadgruppierungen beigetragen, die mit ihrem teilweise martialischen Auftreten zunehmend das Erscheinungsbild rechtsextremistischer Demonstrationen prägen. Mit fortschreitender Einbindung von Skinheads in neonazistische Aktivitäten kristallisieren sich im norddeutschen Raum aus deren Reihen neue, jüngere Führungspersonen heraus. Dies zeigte das Beispiel 1. Mai: Gerichte hatten das Verbot der NPD-Mai-Kundgebung in Bremen bestätigt und die Polizei hatte zahlreiche Unterbindungsmaßnahmen gegen führende Neonazis im norddeutschen Raum ergriffen. Trotzdem gelang es dem der "Blood & Honour" Szene (" 3.1) zugehörigen Torben KLEBE, eigenständig eine Spontandemonstration mit annähernd 450 Teilnehmern in Ahrensburg (SH) durchzuführen, auch wenn diese nach kurzer Zeit von der Polizei aufgelöst wurde. "Erfolgs"-Berichte über diesen Coup steigerten KLEBEs Reputation im Kreis des "Norddeutschen Aktionsbündnisses". Ein anderer Aktivist der Neonaziszene schaffte es, im schleswig-holsteinischen Quickborn spontan 100 Personen zu versammeln. Beide Ereignisse belegen, dass die fortgeschrittene Vernetzung und das hohe Mobilisierungspotential in der neonazistischen Szene selbst dann greifen, wenn ihre langjährigen Führungsgestalten für organisatorische Aufgaben nicht zur Verfügung stehen. 57 Unter dem Motto "Argumente statt Verbote" greifen die norddeutschen Neonazis zunehmend zum Instrument von "Spontandemonstrationen". Bereits im frühen Vorstadium von Großdemonstrationen und vor möglichen Verbotsverfügungen sind sie als Option fest eingeplant. Wie schon am 1. Mai wurde dies u. a. nach den Verboten am 05.06.99 in Hamburg und am 04.12.99 in Braunschweig anlässlich geplanter Demonstrationen gegen die Wehrmachtsausstellung praktiziert. Die Verbotsverfügungen aller drei Aufmärsche wurden jeweils mit dem Vorliegen eines "polizeilichen Notstandes" begründet. Die Anmelder aus der NPD bzw. ihrer Nebenorganisationen hielten sich an die Verbote. Unter Führung norddeutscher Neonazis kam es jedoch jedes Mal zu Spontandemonstrationen unter dem eingangs zitierten Motto - am 05.06.99 in Ludwigslust und am 04.12.99 in Lüneburg. Die Verbotsbegründungen schürten in der neonazistischen Szene Aggressionen gegen den Staat sowie den politischen Gegner. Den Anmeldern wurde nämlich mehrfach bescheinigt, sie müssten - obwohl Nichtstörer - ein Verbot hinnehmen, da Maßnahmen gegen erwartete gewaltbereite Gegendemonstranten zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nicht ausreichen würden. Dies interpretierte die NPD in einer Veröffentlichung nach dem 1. Mai als Zusammenspiel "zwischen 'linker' Gewaltandrohung und behördlichem Verbotsritual": "Wie üblich hatten Monopolgewerkschaften und -parteien, unterstützt von vielen im Grunde unpolitischen Opportunisten und Hilfswilligen, bis hin zu den rein kriminellen 'Antifa'und 'Autonomen'-Banden, eine absolute Narrenfreiheit, öffentlich zur Störung oder Verhinderung der NPD-Demonstration, also zu Straftaten nach SS 21 Versammlungsgesetz, aufzurufen". Das "Aktionsbüro Norddeutschland" kündigte nach dem 1. Mai an, man werde einen Ermittlungsausschuss bilden, der den "Rechtskampf" der betroffenen Kame58 raden gegen "offenen Staatsterror und uniformierte Knüppelund Inhaftierungskommandos" koordinieren solle. Die "Anti-Antifa"-Aktivitäten der Neonazis haben generell - auch in Hamburg - hauptsächlich aus zwei Gründen erheblich zugenommen: Erstens ist die Szene überzeugt, staatlicherseits benachteiligt sowie an der Ausübung von Grundrechten gehindert zu werden. Zweitens haben Übergriffe militanter linksextremistischer Autonomer auf Rechtsextremisten zugenommen (" 2.). In Hamburg-Bergedorf gingen Neonazis im Jahre 1999 offensiv gegen politische Gegner vor. So wurden hier u. a. im Vorfeld der für den 05.06.99 verbotenen Demonstration gegen die Wehrmachtsausstellung Flugblätter eines "Sturm 15 HH/Lohbrügge" mit dem Tenor "Rotfrontterror stoppen! Antifa zerschlagen! Anti-Antifa-Kommando! Haut den Roten auf die Pfoten!" festgestellt (" 3.1). In weiteren Flugblättern und Schreiben wurde gegen politische Gegner agitiert. Am 20./26.10.99 wurden in Niedersachsen, Berlin, Brandenburg und Sachsen-Anhalt 10 Hausdurchsuchungen gegen zwölf wegen des Verdachts der Zugehörigkeit zu einer kriminellen Vereinigung Beschuldigte durchgeführt. Ihnen wird vorgeworfen, in unterschiedlicher Zusammensetzung personenbezogene Daten von Beamten der Strafverfolgungsbehörden sowie politisch Andersdenkenden gesammelt und gegen deren Willen Lichtbilder erstellt zu haben. Ein Beispiel für eine "Anti-Antifa"-Publikation ist die von der Gruppierung "Anti-Antifa-Saar-Pfalz" herausgegebene Schrift "Wehrwolf". Darin werden unter der Überschrift "Stoppt Rotfront-, Dämocratenund Zionistenterror!! Kampf der Reaktion! Ermittlungsergebnisse der Anti-Antifa-Aktion" u. a. Adressen von Bundestagsabgeordneten, jüdischen Organisationen und antifaschistischen Infoläden veröffentlicht. Die Herausgeber stellen sich als Angehörige des "Weißen Arischen Widerstands" (WAW) dar, einer Gruppierung, über deren tatsächliche Existenz in Deutschland keine Erkenntnisse vorliegen. Im Berichtsjahr sind keine Übergriffe auf im "Wehrwolf" genannte Objekte oder Personen bekannt geworden. Deren Anschriften dürften in der Regel aus offenen Quellen stammen. Sie sind teilweise veraltet. Die Heroisierung des Polizistenmörders Kay DIESNER, der sich ebenfalls als Mitglied des WAW ausgegeben hat, spricht jedoch für eine gesteigerte Bereitschaft, sich offensiv mit dem "politischen Feind" auseinander zu setzen (" 1.1 und 3.2). Die einzige noch bedeutende überregionale Neonaziorganisation "Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige e.V." (HNG) spielt als Organisation bei aktionistischen Auftritten der Neonazis 59 nach wie vor keine Rolle. Die Schärfe der Agitation in ihrer Publikation "Nachrichten der HNG" hat sich nach der Haftentlassung ihres Schriftführers, des Berliner Neonazis Christian WENDT, jedoch wieder gesteigert. Nach der Haftentlassung und Abschiebung in die USA im März 1999 hat der Organisationsleiter der NSDAP/AO Gary Rex LAUCK seine publizistischen Aktivitäten wieder aufgenommen. Die von ihm herausgegebene Publikation "NS-Kampfruf" erscheint wieder regelmäßig. Deren teilweise aktualitätsfernen Inhalte lassen jedoch erkennen, dass er kaum Rückhalt, geschweige denn Unterstützung aus der deutschen neonazistischen Szene hat. Die bundesweit anerkannten Führungspersönlichkeiten der neonazistischen Szene haben ihre Chancenlosigkeit erkannt, zentrale Aktionen zum Todestag des ehemaligen HITLER-Stellvertreters und angeblichen "Friedensfliegers" Rudolf HEß durchzuführen. Nachdem 1998 Personen aus dem 'zweiten Glied' gescheitert waren, eine bundesweite Aktion zu organisieren, wurde im Berichtsjahr von vornherein auf dezentrale und spontane Aktionsformen gesetzt. Im Bundesgebiet und in angrenzenden Ländern kam es zwar zu vereinzelten kleineren Spontandemonstrationen mit geringen Teilnehmerzahlen, das Hauptaugenmerk wurde jedoch auf die Verbreitung von Propagandamaterial gelegt. 60 4.2 Neonazistische Erscheinungsformen / Bestrebungen in Hamburg Die Zersplitterung der Neonazi-Szene in eigenZahl der Neonazis: ca. 100 ständige Kameradschafdavon: ten setzte sich in Ham- * Kameradenkreis um Thomas WULFF: ca. 20 burg und dem benachbarten Umland auch * Kameradschaft Bramfeld: ca. 20 1999 weiter fort. In Hamburg selbst bilden der Kameradenkreis um Thomas WULFF und die Kameradschaft Bramfeld die personell stärksten neonazistischen Gruppierungen. Darüber hinaus existieren nur noch kleinere Zusammenschlüsse, die nicht mehr als etwa zehn Anhänger besitzen. Die einzelnen Kameradschaften sind in das Netzwerk der "Freien Nationalisten" eingebunden und arbeiten bei der Durchführung öffentlicher Aktionen zusammen. Überregional bzw. bundesweit agierende Neonazi-Organisationen, wie die "Hilfsorganisation für nationale politische Gefangene und deren Angehörige e.V." (HNG) oder die "Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei/Auslandsund Aufbauorganisation" (NSDAP/AO), verfügen in Hamburg lediglich über Einzelmitglieder und entfalten keine Außenwirkung. Kameradenkreis um Thomas WULFF: Der Kameradenkreis um Thomas WULFF - im weiteren Verlauf dieses Kapitels kurz WULFF-Kreis genannt - ist aus dem neonazistischen Verein "Nationale Liste" (NL) hervorgegangen. Dieser war am 24.02.95 durch die Hamburger Behörde für Inneres wegen seiner aggressiv-kämpferischen Ablehnung der freiheitlichen demokratischen Grundordnung gemäß SS 3 des Vereinsgesetzes verboten und aufgelöst worden. Seit dem 15.07.98 ist das Verbot rechtskräftig. Trotz des Vereinsverbotes setzten ehemalige NL-Angehörige unter Leitung des früheren 1. Vorsitzenden Thomas WULFF in der Folgezeit ihre politische Arbeit fort, indem sie sich zu einer "Kameradschaft" ohne formalisierte Strukturen zusammenschlossen. Wegen interner Differenzen kam es 1998 jedoch zu einer Spaltung, als die Skinheads aus dem Raum Bramfeld die Gruppe verließen. Der Verlust des bisherigen örtlichen Schwerpunktes und wichtigsten Rekrutierungsgebietes führte dazu, dass die zahlenmäßige Stärke des WULFF-Kreises von ehemals 30 - 40 auf nunmehr ca. 20 Personen sank. Eine Zusammenarbeit mit den Bramfelder Skinheads fand anschließend nur noch anlassbezogen statt (s. u.). In dem Bemühen, sich nach dem Verbot der NL eine neue Basis für ihre politischen Aktivitäten zu 61 schaffen, verfolgten die Angehörigen des WULFF-Kreises eine Doppelstrategie: Auf der einen Seite unternahmen sie Anstrengungen, unter der Bezeichnung "Freie Nationalisten" nicht organisationsgebundene Strukturen zu schaffen, auf der anderen Seite suchten sie die Kooperation mit rechtsextremistischen Parteien, vor allem der NPD. Das Konzept der "Freien Nationalisten" basiert auf der Absicht, die durch die zahlreichen Vereinsverbote seit 1992 'heimatlos' gewordenen neonazistischen Kräfte aufzufangen, um so die Zersplitterung der Szene zu überwinden und deren Handlungsfähigkeit zu erhöhen. Aus Furcht vor weiteren staatlichen Exekutivmaßnahmen wurde dabei auf die Gründung einer neuen Vereinigung von vornherein verzichtet. Statt einer organisatorischen Klammer ist die nationalsozialistische Weltanschauung das verbindende Element der "Freien Nationalisten". Im norddeutschen Raum, wo sich ihnen neben dem federführenden WULFF-Kreis und weiteren Hamburger Gruppen, z. B. der Kameradschaft Bramfeld, vor allem Neonazis aus Bremen, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen und Schleswig-Holstein angeschlossen haben, verwenden sie die Zusatzbezeichnung "Nationales und Soziales Aktionsbündnis Norddeutschland". Bereits in der Namensgebung wird so auf das Bekenntnis zum Nationalsozialismus angespielt. Im Rahmen ihrer politischen Arbeit ist es den "Freien Nationalisten" gelungen, das neonazistische Potential in Norddeutschland zumindest teilweise zu vernetzen. Mobilisierungen übernimmt zentral ein sog. "Aktionsbüro", das von einem Angehörigen des WULFF-Kreises geleitet wird und u. a. die Aufgabe hat, die an dem Bündnis beteiligten Gruppierungen über anstehende Termine zu informieren. Die "Freien Nationalisten" steigerten im Jahr 1999 ihren Aktionismus, um eine hohe Öffentlichkeitswirkung zu erreichen. Dementsprechend organisierten sie eigene Demonstrationen und wirkten überregional an anderen rechtsextremistischen Demonstrationen mit, wobei der Protest gegen die Wanderausstellung "Vernichtungskrieg - Verbrechen der Wehrmacht 1941 - 1944" (Wehrmachtausstellung) einen Schwerpunkt bildete. Weitere wesentliche Agitationsfelder waren u. a. der Widerstand gegen die Einführung der doppelten Staatsbürgerschaft sowie die polemische Auseinandersetzung mit den Bombenangriffen der NATO auf Jugoslawien. Die USA wurden - neben der Bundesregierung - dabei am schärfsten kritisiert. Damit haben sich die "Freien Nationalisten" neben ihren Versuchen, von aktuellen sozialen Problemen wie Arbeitslosigkeit und Drogenkonsum zu profitieren, erneut 'klassischen' rechten Themen (Anti-Amerikanismus, angebliche Über62 fremdung der Bundesrepublik) zugewandt. Erstmals seit Jahren führten Neonazis auch wieder Demonstrationen in Hamburg durch. Parallel zu dem Konzept der "Freien Nationalisten" setzte der WULFF-Kreis im vergangenen Jahr die Zusammenarbeit mit der "Nationaldemokratischen Partei Deutschlands" (NPD) und deren Jugendorganisation "Junge Nationaldemokraten" (JN) fort. Hintergrund des Interesses an der Partei ist das Bestreben, deren Status für die eigene politische Tätigkeit zu nutzen. An ihre Bemühungen um eine Kooperation knüpfen WULFF und seine Anhänger insbesondere die Erwartung, sich durch die NPD in bundesweite Demonstrationen einbinden zu können. Gerade die Teilnahme an Großveranstaltungen ist aus ihrer - aktionistisch geprägten - Sicht von Bedeutung, weil sie sich dadurch ermöglichen, öffentlichkeitswirksam in Erscheinung zu treten. Darüber hinaus verfolgen sie langfristig das Ziel, grundsätzlichen Einfluss auf den politischen Kurs der NPD zu gewinnen und die Partei so für ihre Zwecke instrumentalisieren zu können. Im Gegenzug unterstellen sie der NPD, ebenfalls nur aus taktischen Gründen mit ihnen zusammenzuarbeiten. Konkret argwöhnen sie, dass die Partei sie lediglich als Mobilisierungspotential benutzt, um bei ihren Demonstrationen höhere Teilnehmerzahlen zu erreichen. Das Verhältnis des WULFF-Kreises zur NPD ist somit zwiespältig: Einerseits möchte er auf die NPD-Strukturen zugreifen können, andererseits fürchtet er, von der Partei selbst instrumentalisiert zu werden. Diese unterschiedliche Interessenlage hat bislang das Zustandekommen eines dauerhaften Bündnisses verhindert. Trotzdem ist zu erwarten, dass der WULFF-Kreis und die NPD auch künftig zumindest punktuell kooperieren werden (öffentliche Veranstaltungen, Wahlkämpfe). Innerhalb der Hamburger Neonazi-Szene besitzt speziell Christian WORCH, der ehemalige stellvertretende Vorsitzende der NL, enge Verbindungen zur NPD. WORCH fungiert im neonazistischen Spektrum als eine Art politischer Vordenker und Konzeptentwickler. In dieser Rolle versucht er derzeit, die Kontakte zwischen Neonazis und der NPD bundesweit zu vertiefen. Für seine guten Beziehungen zur NPD spricht u. a., dass er auf verschiedenen Veranstaltungen der Partei Vorträge gehalten und deren Landtagswahlkampf in Sachsen massiv unterstützt hat. Anders als auf Bundesebene arbeitet der WULFFKreis mit dem Hamburger Landesverband der NPD wegen gegenseitiger Animositäten und Differenzen nur sporadisch zusammen. 63 Thomas WULFF (Foto: (c) dpa) Christian WORCH Die bereits einleitend als Grundsatz dargestellte Doppelstrategie WULFFs und seiner Anhänger, die Aktivitäten als "Freie Nationalisten" auszudehnen und gleichzeitig die NPD für eigene Zwecke zu nutzen, zeigte sich 1999 konkret bei zahlreichen öffentlichen Veranstaltungen: An einer von den JN angemeldeten Demonstration gegen die Wehrmachtsausstellung am 30.01.99 in Kiel nahmen ca. 1.200 Rechtsextremisten teil. Die Angehörigen des WULFF-Kreises übernahmen dabei Ordnersowie andere Führungsaufgaben. Sie waren maßgeblich in die Verhandlungen zwischen dem Veranstalter JN und der Polizei eingebunden, als eine Auflösung des rechten Marschzuges wegen gewaltsamer Störungen durch "Antifaschisten" im Raume stand. Nachdem die Demonstration - mit WORCH als Redner - dann letztlich doch hatte stattfinden können, kommentierte das "Aktionsbüro" den Ablauf in einer Pressemitteilung wie folgt: "An diesem Protestmarsch des Nationalen Widerstandes durch die schleswig-holsteinische Landeshauptstadt Kiel hätte wohl auch so mancher Kamerad aus der alten Kampfzeit der 20er und frühen 30er Jahre gefallen 64 gefunden! Das Thema passte zweifellos optimal zum Datum: Es kann wohl kaum etwas trefflicheres geben, als ausgerechnet am 66. Jahrestag der Machterhebung für die Ehre des deutschen Frontsoldaten zu demonstrieren!" (Fehler im Orig.) Rund 800 - 1.000 Personen, darunter Aktivisten den WULFF-Kreises, versammelten sich am 27.02.99 in Magdeburg zu einer Veranstaltung der NPD gegen die Einführung der doppelten Staatsbürgerschaft. Da ein Marsch 27.02.99 Magdeburg durch die Stadt verboten worden war, fand nur eine stationäre Kundgebung statt, auf der WULFF als Redner auftrat. Er ignorierte jedoch das eigentliche Thema, agitierte stattdessen gegen die Wehrmachtsausstellung und ließ die Waffen-SS hochleben. Sie habe heldenhaft bis zur letzten Patrone gekämpft. Eine für den 17.04.99 in Magdeburg geplante erneute NPD-Veranstaltung gegen die doppelte Staatsbürgerschaft wurde vor dem aktuellen Hintergrund der NATO-Luftangriffe auf Jugoslawien kurzfristig umgewidmet. Das neue Motto lautete: "Kein deutsches Blut für fremde Interessen - USA und NATO raus aus Europa". Unter den insgesamt etwa 800 Teilnehmern, die in Formation durch die Innenstadt zogen und rechtsextremistische Parolen skandierten (z. B. "Ruhm und Ehre der Waffen-SS"), waren auch WORCH sowie WULFF mit seinen Anhängern. Während der Abschlusskundgebung 65 kritisierte WORCH in seiner Ansprache die Mitwirkung deutscher Soldaten am Militärschlag gegen Jugoslawien. Gemeinsam mit weiteren norddeutschen "Freien Nationalisten" führten Angehörige des WULFF-Kreises am 19.05.99 vor dem Wohnhaus eines Bad Segeberger "Antifaschisten" eine "Anti-Antifa"-Aktion durch und verteilten Flugblätter. Als Herausgeber firmierte ein fiktives "Einsatzkommando 'Haut den Roten auf die Pfoten'". Zum 12. Todestag des ehemaligen HITLER-Stellvertreters Rudolf HEß vertrieb der WULFF-Kreis über die Publikation "Zentralorgan" (näheres s. u.) bundesweit einschlägige Aufkleber und Plakate (s. Abb. in " 4.1). Abgesehen von dieser Propagandatätigkeit entwickelte er lediglich regionale Aktivitäten. So befanden sich mehrere Personen dieses Kreises unter den ca. 50 "Freien Nationalisten", die am 17.08.99 im schleswig-holsteinischen Barmstedt einen konspirativ vorbereiteten HEß-Marsch veranstalteten, bevor nach kurzer Zeit Polizeibeamte eingriffen. Eine für den 21.08.99 in Hamburg-Bergedorf angemeldete Demonstration (Tenor: "Schluß mit der Selbstmordlüge, Ruhm und Ehre dem ermordeten Friedensflieger Rudolf Hess!") wurde von der Polizei verboten. Angehörige des WULFF-Kreises beteiligten sich am 02.10.99 in Köln an einer Protestveranstaltung der NPD gegen die Einführung der doppelten Staatsbürgerschaft. Die etwa 450 Demonstranten riefen einschlägige Parolen, z. B. "Arbeitsplätze zuerst für Deutsche" und "Ali, Mehmet, Mustafa, geh zurück nach Ankara". In einer Rede äußerte WORCH, zu einer Nation gehörten nur Menschen "artähnlichen" Bluts. Während einer JN-Demonstration gegen die Wehrmachtsausstellung am 09.10.99 in Osnabrück kam es zu gewaltsamen Übergriffen von "Antifaschisten". Trotzdem marschierten die 200 - 250 Teilnehmer, u. a. Aktivisten des WULFF-Kreises, durch die Stadt und ließen die Waffen-SS hochleben. Auf einer Abschlusskundgebung hielt Christian WORCH eine Ansprache. Unter dem Motto "Gegen Überfremdung und Ausländerfeindlichkeit - Das Maß ist voll, es reicht!" fand am 16.10.99 in Ludwigslust eine Demonstration "Freier Nationalisten" mit 200 - 250 Personen statt. Die Angehörigen des WULFF-Kreises waren in die Organisation vor Ort eingebunden, indem sie Ordneraufgaben erfüllten. Darüber hinaus traten WORCH und WULFF neben dem stellvertretenden NPD-Bundesvorsitzenden als Redner auf. 66 Am 06.11.99 wirkten Angehörige des WULFF-Kreises und andere "Freie Nationalisten" aus Norddeutschland an zwei NPD-Veranstaltungen in MecklenburgVorpommern mit. Zunächst fuhren sie nach Pasewalk, wo etwa 300 Rechtsextremisten gegen "Gesinnungsjustiz" demonstrierten. Anschließend schlossen sie sich in Neustrelitz einem Fackelmarsch zum 10. Jahrestag der "friedlichen Revolution in der DDR" an; dort versammelten sich rund 100 Personen. Auf einem Friedhof in Pinneberg trafen sich ca. 40 "Freie Nationalisten" aus dem Hamburger Raum, darunter Angehörige des WULFF-Kreises, am 09.11.99 zu einer Kranzniederlegung. Man gedachte der NSDAP-Mitglieder, die beim Marsch auf die Münchener Feldherrenhalle (09.11.1923) von der Polizei erschossen worden waren. Das "Aktionsbüro" berichtete über die Aktion in einer Pressemitteilung unter der Überschrift "Ehre den Märtyrern des 9. November 1923". Auf das Verbot dreier NPD-Demonstrationen in Braunschweig, Magdeburg und Lehrte reagierten Angehörige des WULFF-Kreises und weitere norddeutsche "Freie Nationalisten", indem sie am 04.12.99 ersatzweise nach Lüneburg auswichen und sich dort als unangemeldeter Marschzug formierten. Als geringe Polizeikräfte versuchten, diesen zu stoppen und aufzulösen, leisteten die insgesamt rund 80 Rechtsextremisten Widerstand. Sie zwangen die Beamten, ihnen den Weg freizugeben. Als Redner auf einer Zwischenkundgebung vor dem Gebäude des Oberverwaltungsgerichts erklärte WULFF den Aufmarsch als Protestaktion gegen die Demonstrationsverbote in den anderen Städten. Nach der Kundgebung suchten die Rechtsextremisten den örtlichen Zentralfriedhof auf, wo sie von mittlerweile verstärkten Polizeieinheiten unter dem Vorwurf des Landfriedensbruchs vorläufig festgenommen wurden. Gegen WULFF als einen der mutmaßlichen Rädelsführer des Aufmarsches wurden gesonderte Ermittlungsverfahren u. a. wegen Landfriedensbruchs und Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz eingeleitet. Anhand der zahlreichen Veranstaltungen wird deutlich, dass insbesondere WULFF und WORCH im neonazistischen Spektrum über den Hamburger Raum hinaus eine herausgehobene Rolle spielen und regelmäßig Führungsaufgaben wahrnehmen. 67 Seit Anfang 1998 hat sich der WULFF-Kreis mit dem "Zentralorgan" eine eigene publizistische Plattform geschaffen. Das "Zentralorgan" ist durch den Zusammenschluss mehrerer Neonazi-Schriften entstanden. Es hat sich das Ziel gesteckt, finanzielle und redaktionelle Ressourcen innerhalb der "freien" Strukturen zu bündeln. Nach eigenem Anspruch soll es zur "Kampfzeitung aller Aktivisten, zum Kampfblatt der Massen" werden. Es erscheint ungefähr vierteljährlich in einer Auflage von einigen tausend Exemplaren und wurde bundesweit über ein Hamburger Postfach versandt. Obwohl ursprünglich als Gemeinschaftsprojekt verschiedener neonazistischer Gruppierungen konzipiert, sind für die Erstellung und Herausgabe des "Zentralorgans" weitestgehend Angehörige des WULFF-Kreises ver-antwortlich. Über dieses Medium propagieren sie ihre politischen Ideen mit überregionaler Reichweite. Selbstdarstellungen der "Freien Nationalisten" und Berichte über ihre Aktivitäten bilden dementsprechend den Schwerpunkt. Die Inhalte des "Zentralorgans" dokumentieren, dass die Herausgeber sich in der Tradition des Nationalsozialismus sehen. Sie glorifizieren regelmäßig führende Repräsentanten des Dritten Reiches, z. B. Rudolf HEß, und die im 2. Weltkrieg kämpfenden "ruhmvollen" SS-Verbände. Hinzu kommt eine unverhüllte antisemitische Hetze; so trägt die Titelseite der Ausgabe Nr. 8 (November 1999) in gelber Schrift auf schwarzem Grund den Schriftzug "Juden raus" - in Auf68 machung und Diktion eine eindeutige Anlehnung an den NS-Staat. Wegen dieser Veröffentlichung wurden ein Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Hamburg beim dem Landgericht Hamburg eingeleitet, am 10.01.2000 Hausdurchsuchungen bei den mutmaßlich an der Herausgabe Beteiligten durchgeführt und Beweismaterial sichergestellt. Um das Kampfblatt finanziell abzusichern, gründeten Angehörige des WULFFKreises zusammen mit auswärtigen Neonazis im vergangenen Jahr den "Zentralversand", einen Versanddienst, der rechtsextremistische CDs, Aufnäher, T-Shirts u. ä. anbietet. Das in Mecklenburg-Vorpommern ansässige Unternehmen wurde als der neue Partner des "Zentralorgans" dargestellt. Für seine Publizistik nutzt der WULFF-Kreis auch moderne Kommunikationsmittel. Eine im Internet eingerichtete Homepage "Nationaler Widerstand" präsentiert vor allem Projekte ("Zentralorgan", "Zentralversand") der "Freien Nationalisten," Demonstrationsaufrufe und Aktionsberichte. In Zusammenarbeit mit dem Betreiber des "Freien Infotelefones Norddeutschland" (FIT) lässt er über den Ansagedienst u. a. Pressemitteilungen veröffentlichen. Kameradschaft Bramfeld: Mit der Kameradschaft Bramfeld hat eine zweite neonazistische Gruppe überregionale Bedeutung erlangt. Die von Torben KLEBE angeführte Kameradschaft gehört seit Anfang der 90er Jahre zu den aktivsten Neonazibzw. Skinhead-Zusammenhängen in Hamburg und war bis zum Verbot 1995 eng in die politische Arbeit der neonazistischen "Nationalen Liste" (NL) eingebunden. Bis 1998 gehörten die fast ausschließlich aus der Skinhead-Szene stammenden Aktivisten dem WULFF-Kreis an. Seitdem agiert die Gruppe in der Öffentlichkeit zunehmend eigenständig als "Hamburger Sturm 18". Das von ihr herausgegebene und vor allem im norddeutschen Raum in größerer Auflage verbreitete gleichnamige Magazin "Hamburger Sturm" erschien 1999 mit 3 Ausgaben (Abb.: " 3.2). Enge Beziehungen bestehen zur "Blood & Honour"-Bewegung. Im Magazin "Blood & Honour Division Deutschland" (Nr. 8) wird der "Hamburger Sturm" entsprechend gelobt: "Die Qualität ist identisch mit unserem B&H Magazin und kaum noch zu verbessern. (...) Muß man haben, wenn man aktuell informiert bleiben will." Unter den Autoren und Unterstützern des "Hamburger Sturm" befand sich im Berichtsjahr auch Christian WORCH. 69 Zum Umfeld der Gruppe gehört der im Januar 1999 gegründete "A.H.Verlag Hamburg", mit dem offensichtlich der Einstieg ins lukrative Versandgeschäft geschafft werden soll. Die Initialen weisen nicht nur auf den Namen des Be02.10.99 Köln (gegen doppelte Staatsbürgerschaft treibers hin, sondern sollen offensichtlich auch mit Adolf HITLER assoziiert werden. Der Verlag bietet vor allem Kleidung (T-Shirts, Sweatshirts) sowie Aufnäher mit einschlägigen Schriftzügen und Motiven an ("frei - sozial - national", "Freiheit für alle Nationalisten!", "White Power" "88", u.a.m.). Die "8" ist der neonazistische Code für den 8. Buchstaben des Alphabets ("H"), "88" steht für "Heil Hitler!". Der Bramfelder Kameradschaft werden etwa 20 Personen zugerechnet. Nach der Rückkehr KLEBEs aus Berlin steigerte sie seit Anfang 1999 - neben der Herausgabe des "Hamburger Sturms" - ihre Aktivitäten. Hamburger Aktivisten beteiligten sich an zahlreichen Demonstrationen im gesamten Bundesgebiet und führten Flugblattverteilungen sowie Plakatklebeaktionen durch. Vielfältige Kontakte zur rechtsextremistischen Skinhead-Szene im gesamten norddeutschen Raum und seine Anerkennung als Führungsperson ermöglichten es KLEBE, zu zahlreichen Demonstrationen des rechtsextremistischen Spektrums jeweils eine größere Anzahl von Skinheads zu mobilisieren. Dem von den Bramfelder "Kameraden" angeführten Block bei der Demonstration gegen die Wehrmachtsausstellung am 10.07.99 in Hamburg-Bergedorf gehörten ca. 80 Rechtsextremisten aus Hamburg und Umgebung an. Bereits am 01.05.99 - als nach bundesweiter Mobilisierung im rechtsextremistischen Spektrum die geplante Mai-Demonstration der NPD in Bremen verboten worden war - hatten KLEBE und andere Kameradschaftsführer aus SchleswigHolstein und Mecklenburg-Vorpommern sich und der Szene ein Erfolgserlebnis verschafft, indem sie rund 450 teilnahmewillige Neonazis und Skinheads in Reisbussen nach Ahrensburg/SH umdirigierten und dort eine Spontandemonstration durchführten. 70 Nicht zuletzt auf Grund ihres Aktionsund Mobilisierungspotentials hat sich die Kameradschaft Bramfeld zu einer neonazistischen Gruppierung entwickelt, die mit dem WULFF-Kreis durchaus gleichbedeutend ist. Trotz der 1998 vollzogenen Trennung von WULFF und der offensichtlichen Rivalität bzw. Konkurrenz arbeitet die Bramfelder Kameradschaft im Rahmen des "Nationalen und Sozialen Aktionsbündnisses Norddeutschland" mit dem WULFF-Kreis und den übrigen angeschlossenen Kameradschaften eng zusammen. Sie scheint der Anwendung von Gewalt als Mittel der politischen Auseinandersetzung aber weitaus weniger ablehnend gegenüber zu stehen, als die anderen Kameradschaften. Hiervon zeugen u. a. Beiträge im "Hamburger Sturm", insbesondere das Interview mit den "nationalrevolutionären Zellen" in der Mai-Ausgabe (" 3.2 und obigen Ausschnitt). Die nach wie vor enge Einbindung der Bramfelder Kameradschaft in die rechtsextremistische SkinheadSzene mit ihrer ausgeprägten Gewaltakzeptanz ist in dieser Frage deutlich spürbar. Veranstaltungen in Hamburg: Innerhalb der Hamburger Neonazi-Szene war ein weiter zunehmender Aktionismus erkennbar, der in erster Linie vom WULFF-Kreis und der Kameradschaft Bramfeld getragen wurde. Nachdem 71 sie sich vorher auf Beteiligungen an auswärtigen Demonstrationen beschränkt hatten, zeigten sie 1999 in Hamburg mehr öffentlichkeitswirksame Präsenz. Gemeinsam mit weiteren "Freien Nationalisten" aus dem norddeutschen Raum nutzten sie die NATO-Luftangriffe auf Jugoslawien für ihre anti-amerikanische Propaganda, indem sie am 09.04.99 eine Mahnwache veranstalteten. Insgesamt etwa 30 Neonazis zogen vor das Generalkonsulat der USA. Dabei präsentierten sie u. a. ein Transparent "Keine US/NATO-Intervention auf dem Balkan! Freiheit für die Völker Europas". Anschließend zogen sie zum Kriegerdenkmal am Dammtorbahnhof, wo WULFF eine Ansprache hielt. Unter der Überschrift "Treiben die One-World-Strategen Europa in Weltkrieg?" unterstellte das "Aktionsbüro" in einer Presseerklärung, dass es sich bei dem Militäreinsatz in Jugoslawien um einen auf Veranlassung der USA geführten völkerrechtswidrigen Angriffskrieg handele. Die NATO erweise sich dadurch ebenso wie die UNO als eine überstaatliche Institution, die allein zur Verwirklichung amerikanischer Ziele bestimmt scheine - immer unter dem "verlogenen Etikett" einer Friedenstruppe. In Wahrheit solle dieser "seelenlose Söldnerhaufen" keine Befriedung, sondern multi-nationale Vorstellungen der "One-World-Mafia" gegen das Freiheitsrecht der Völker durchsetzen. Der "politischen Klasse der BRD" warf das "Aktionsbüro" vor, deutsche Soldaten für fremde Interessen zu "verheizen". Die üble Doppelmoral der Regierungsparteien zeige sich an der gleichzeitigen Diffamierung der Frontsoldaten beider Weltkriege. Seit 1997 haben Angehörige des WULFF-Kreises und der Kameradschaft Bramfeld an zahlreichen rechtsextremistischen Demonstrationen gegen die Wehrmachtsausstellung im gesamten Bundesgebiet mitgewirkt. Sie bekleideten dabei wiederholt wichtige Funktionen (z. B. Ordnerdienste, Rednerauftritte). Als die Wanderausstellung vom 31.05.-11.07.99 an ihren Ausgangspunkt Hamburg zurückkehrte, empfanden sie es offensichtlich als Verpflichtung, quasi auf 'eigenem' Platz nunmehr selbst zu einer öffentlichkeitswirksamen Gegenaktion zu mobilisieren. Aufgrund der Erwartung, dass ein erkennbar neonazistischer Aufmarsch in jedem Fall verboten würde, verzichteten sie jedoch darauf, selbst als Organisatoren in Erscheinung zu treten. Es gelang ihnen, Alexander von WEBENAU, den damaligen Vorsitzenden der NPD-Studentenvereinigung "Nationaldemokratischer Hochschulbund" (NHB), in ihre Planungen einzubinden. Dieser meldete gemäß ihren Vorstellungen für den 05.06.99 eine Demonstration durch die Hamburger Innenstadt an (Motto: "Unsere Väter und Großväter waren keine Verbrecher"). 72 Tatsächlich übernahmen jedoch im wesentlichen Hamburger Neonazis, speziell der WULFF-Kreis, die Organisation. Das "Aktionsbüro" zeichnete für die bundesweite Mobilisierung verantwortlich, indem es über Rundschreiben, Flugblätter, Infotelefone und das Internet auf den Aktionstermin in Hamburg hinwies. In Erwartung von Auseinandersetzungen mit der Antifa-Szene waren die Demonstrationsaufrufe teilweise aggressiv abgefasst; eine Veröffentlichung von Ende Mai schloss mit dem Satz: "Der Nationale Widerstand wird in Hamburg marschieren - auch wenn die roten Horden die ganze Stadt in Schutt und Asche legen!". Da eine Konfrontation zwischen Rechtsund Linksextremisten drohte, die Polizei zu diesem Zeitpunkt jedoch nicht genügend verfügbare Kräfte zur Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung aufbieten konnte, untersagte sie aus Gründen eines "polizeilichen Notstandes" wegen diverser anderer öffentlicher Veranstaltungen in Hamburg und der gleichzeitig stattfindenden Gipfelkonferenz der Europäischen Union ("EU-Gipfel", 03.-04.06.99 in Köln) die NHB-Veranstaltung. Vom NHB eingelegte Rechtsmittel blieben erfolglos. Nachdem sie das Bundesverfassungsgericht erfolglos angerufen hatten, entschieden die Hamburger Organisatoren, in eine andere Stadt auszuweichen. Sie dirigierten die am 05.06.99 aus dem gesamten Bundesgebiet anreisenden Teilnehmer nach Schwerin, wo die NPD eine Wahlkampfdemonstration angemeldet hatte. Insgesamt machten sich rund 1.000 Aktivisten des rechtsextremistischen Spektrums auf den Weg nach Schwerin. Als die Stadt - ebenfalls mit der Begründung eines "polizeilichen Notstandes" - kurzfristig die NPD-Veranstaltung verbot, wählten die Rechtsextremisten spontan Ludwigslust als neuen Zielort aus. Dort versammelten sich schließlich ca. 400 Personen, darunter eine größere Anzahl Hamburger Neonazis. Sie marschierten in Formation knapp zwei Stunden durch die Straßen. Während einer Zwischenkundgebung hielt u. a. WULFF eine Ansprache. Als die Polizei genügend Kräfte für ein Eingreifen zusammengezogen hatte, löste sie die Demonstration auf und nahm einen Angehörigen des WULFFKreises als mutmaßlichen Versammlungsleiter vorübergehend in Gewahrsam. Trotz des Verbotes am 05.06.99 beharrten WULFF und seine Anhänger auf ihrer Absicht, in Hamburg öffentlichkeitswirksam gegen die Wehrmachtsausstellung zu protestieren. Sie ließen für den 10.07.99 - wiederum über den vorgeschickten NHB-Vorsitzenden von WEBENAU - eine zweite Demonstration in der Innenstadt anmelden. Nach ihrer Kalkulation hätte sich zu diesem Zeitpunkt nicht noch einmal ein polizeilicher Notstand begründen lassen. Als die Polizei ankündigte, einen Aufmarsch in der 73 Innenstadt in keinem Fall zuzulassen, akzeptierten die Neonazis eine Ausweichroute im Stadtteil Bergedorf. Sobald die rechtliche Situation geklärt war, startete das "Aktionsbüro" erneut eine bundesweite Mobilisierung. Unter dem Motto "Kameraden, auf die Straße!" forderte es per Pressemitteilung, über Internet und rechtsextremistische Infotelefone nachdrücklich dazu auf, in Hamburg Präsenz zu zeigen. Am 10.07.99 versammelten sich in Bergedorf am Ausgangspunkt Frascati-Platz 600-700 Demonstranten, die weit überwiegend dem Neonazi-Spektrum zuzurechnen waren. Nach der von WORCH moderierten Auftaktkundgebung formierte sich der Marschzug unter Leitung WULFFs. Die Teilnehmer (u. a. WULFF-Kreis, Kameradschaft Bramfeld) zogen rund drei Stunden durch Bergedorf und skandierten Parolen wie "Ruhm und Ehre der WaffenSS". Nach Rückkehr zur Abschlusskundgebung auf den Frascati-Platz sprachen WULFF und der NPD-Bundesvorsitzende VOIGT. Das 10.07.99 Hamburg-Bergedorf Demonstrationsmotto "Unsere (im weißen Hemd: NPD-Vors. VOIGT) Väter und Großväter waren keine Verbrecher" aufgreifend, kritisierte WULFF die "Verunglimpfung" des deutschen Frontsoldaten durch die Wehrmachtsausstellung. Die Veranstaltung verlief ohne 74 wesentliche Zwischenfälle; vereinzelte Antifa-Störversuche wurden von der Polizei unterbunden. In einer Pressemitteilung kommentierte das "Aktionsbüro" den Aufmarsch in Bergedorf als erfolgreichen Protest des "Nationalen Widerstandes". Keine Ruhe für die "Schandausstellung" - dieses Ziel sei auch in Hamburg voll und ganz erreicht worden. Als Reaktion auf das Verbot eines in Bergedorf geplanten Rudolf-HEß-Marsches veranlassten Hamburger Neonazis einen JN-Funktionär aus SchleswigHolstein, für den 04.09.99 in Lohbrügge (Bezirksamtsbereich Bergedorf) eine Demonstration mit dem Tenor "Für das Recht auf freie Meinungsbildung!" anzumelden. Die Funktion des Versammlungsleiters wurde einem Angehörigen des WULFF-Kreises übertragen. Die Polizei untersagte die Veranstaltung zunächst, das Verwaltungsgericht Hamburg hob das Verbot auf. Der regionalen Mobilisierung durch das "Aktionsbüro" folgten rund 60 Demonstranten (WULFF-Kreis, Kameradschaft Bramfeld, weitere Neonaziund Skinhead-Gruppierungen aus dem norddeutschen Raum). Die JN, obwohl formal Veranstalter, waren praktisch nicht vertreten. Die von WULFF dirigierten Teilnehmer marschierten - rechtsextremistische Parolen skandierend - mit Fahnen, Plakaten sowie einem Transparent ("Rudolf Hess - das war Mord") ca. 45 Minuten durch Lohbrügge. Sie verteilten Flugblätter zu den Themen "Meinungsfreiheit" und "Rudolf Hess". Im November versuchten Hamburger Neonazis und der Landesverband der NPD von Bürgerprotesten gegen die Einrichtung eines auch im parlamentarischen Raum kontrovers debattierten Bauwagenplatzes in HamburgBarmbek zu profitieren. Sie riefen für den 27.11.99 zu einer Protestdemonstration in Barmbek auf. Hierbei handelte es sich um die in Hamburg seit Jahren erste gemeinsame Aktion von Neonazis und NPD. Allerdings begegnen die Neonazis dem NPD-Landesvorsitzenden Ulrich HARDER mit grundsätzlichen Vorbehalten. Auch HARDER steht einer Kooperation mit Neonazis kritisch gegenüber. 75 Den organisatorischen Rahmen für die Demonstration stellte die NPD, indem HARDER trotz fortdauernder Distanz unter dem Tenor "Kein Bauwagenplatz in Barmbek!" die Anmeldung übernahm. Außerdem gab die Partei in Zusammenarbeit mit den "Freien Nationalisten" ein Mobilisierungsflugblatt heraus, das die "Bürger von Barmbek" in populistischer Weise zur Mitwirkung aufrief. Hoffnungen der Veranstalter und Organisatoren, mit dem tagesaktuellen Thema "Bauwagenplatz" die eigene politische Isolation ein Stück zu durchbrechen und insbesondere die örtliche Bevölkerung anzusprechen, blieben unerfüllt. Es versammelten sich etwa 140 Rechtsextremisten weit überwiegend aus dem neonazistischen Spektrum (u. a. WULFF-Kreis, Kameradschaft Bramfeld, nur 10-15 NPD-ler). Sie marschierten mit Sprechchören knapp zwei Stunden durch Barmbek. U. a. HARDER und WORCH traten als Redner auf. Ein starkes Polizeiaufgebot verhinderte Übergriffe gewaltbereiter "Antifas", so dass die Veranstaltung insgesamt friedlich verlief. Obwohl die Rechtsextremisten mit ihrem Aufmarsch keinerlei Zustimmung in der Bevölkerung fanden, zog das "Aktionsbüro" in einer Pressemitteilung ein positives Fazit: Der "Nationale Widerstand" habe in Barmbek den "Volkszorn" auf die Straße getragen. Insbesondere wegen der Person HARDERs wurde die Zusammenarbeit mit dem Hamburger NPD-Landesverband ausschließlich als Zweckbündnis dargestellt. 5. Rechtsextremistische Parteien 5.1 Die Republikaner (REP) Mitgliederzahlen: Für die Partei "Die Republikaner" Bundesweit: ca.: 14.000 (REP) mit ihren Unterorganisationen Landesverband Hamburg: ca.: 60 "Republikanischer Bund der öffentlich Bediensteten" (RepBB), "RepuBundessitz: Berlin blikanische Jugend" (RJ), "RepubliVorsitzender Dr. Rolf SCHLIERER kanischer Bund der Frauen" (RBF), und "Republikanischer HochschulHamburg verband" (RHV) war 1999 ein weiteLandesvorsitzender: Hans FIEDLER res Jahr der Stagnation. Die auch 1999 anhaltenden Wahlniederlagen verschärften die innerparteiliche Situation. Für die REP war es ein Jahr der inneren Zerrissenheit und politischer Richtungskämpfe, die die Partei weiterhin zu spalten drohten. Zwar konnte sich der Parteivorsitzende letztendlich durchsetzen; er war jedoch permanent innenparteilichem Widerstand 76 ausgesetzt, der eine Erneuerung und Öffnung der Partei zu anderen rechtsextremistischen Organisationen forderte. Eine rückläufige Mitgliederzahl, Wahlmisserfolge und - mit Ausnahme von Süddeutschland - zumeist zerstrittene, zum Teil kaum funktionsfähige Landesverbände kennzeichneten weiterhin die Situation der Partei. Insbesondere an der Mitgliederbasis verstärkt sich die Kritik an der Parteiführung und die Bereitschaft, offizielle Abgrenzungsbeschlüsse zu umgehen, um mit anderen rechtsextremistischen Organisationen und Personen zusammenzuarbeiten. Der Bundesvorsitzende Dr. SCHLIERER versuchte unverändert den Eindruck zu erwecken, die Partei im rechtskonservativen Spektrum zu etablieren und sie vom rechtsextremistischen Spektrum abzugrenzen. Während er jegliche Kontakte zur NPD rigoros ablehnt, traf er jedoch mit der "Deutschen Volksunion" (DVU " 5.2) zumindest Absprachen zur Vermeidung konkurrierender Wahlteilnahmen beider Parteien (Wahlen in Hessen, Bremen, Berlin, Brandenburg). Eine weitergehende Zusammenarbeit mit der DVU kommt für Dr. SCHLIERER jedoch unverändert nicht in Frage. Ungeachtet der Anstrengungen des Bundesvorstandes, nach außen hin Geschlossenheit zu zeigen, mehrten sich in der Partei nach den NiederDr. Rolf SCHLIERER lagen bei der Europawahl, bei den Landtagswahlen in Hessen, Saarland, Thüringen, Sachsen, Berlin und der Kommunalwahl in Baden-Württemberg die Stimmen, die den Kurs des Bundesvorsitzenden kritisierten und einen Richtungswechsel verlangten. Innerhalb der Partei wurde offen gegen den Vorsitzenden opponiert und der vom Bundesvorstand abgesegnete Kurs des Parteivorsitzenden vielfach durchbrochen. So wurden Dr. SCHLIERER sowie der gesamte Bundesvorstand auf der Versammlung der Vorsitzenden aller hessischen Kreisverbände am 08.11.99 in Bad Nauheim aufgefordert, wegen der jahrelangen katastrophalen Wahlergebnisse zurückzutreten. Der Abgrenzungskurs gegenüber anderen Patrioten werde ebenso verurteilt wie die "Wohlverhaltenspolitik" gegenüber den "Etablierten". Die Versammlung forderte einen sofortigen Sonderparteitag zur personellen Erneuerung und zum Wiederaufbau der REP. Bereits im Juni 1999 hatte der Landesvorstand in Hessen einen Sonderparteitag zur Klärung des künftigen politischen Kurses der REP beantragt, später jedoch zurückgezogen. Nach den permanenten Wahlmisserfolgen 77 sowie dadurch ausgelösten Querelen über den Kurs der Partei gerät Dr. SCHLIERER unter steigenden Druck. Sollte die innerparteiliche Opposition Mehrheiten für die Einberufung eines Sonderparteitags gewinnen, steht das politische Überleben Dr. SCHLIERERs auf dem Spiel. Nach SS 18 der REP Bundessatzung kann ein außerordentlicher Bundesparteitag auf Beschluss des Bundesvorstands oder von mindestens einem Drittel aller Landesverbände einberufen werden. Die REP nahmen 1999 an mehreren Landtagswahlen (Hessen, Sachsen, Saarland, Berlin und - in einem Bündnis - in Thüringen) teil, ferner an der Europawahl und an den Kommunalwahlen in Baden-Württemberg. Auf Kandidaturen zur Bürgerschaftswahl in Bremen und zur Landtagswahl in Brandenburg verzichtete die Partei zugunsten der DVU. Bei der Landtagswahl in Hessen (07.02.99) erhielten die REP 2,7 % der abgegebenen Stimmen (+ 0,7 % gegenüber 1995). In einer Pressemitteilung (07.02.99) interpretierte der stellvertretende REP-Bundesvorsitzende Christian KÄS dieses Ergebnis als "klare Absage" an die geplante "Masseneinbürgerung". Überdies bestätige das leicht verbesserte Abschneiden einen stabilen Trend der REP. Die Partei hatte neben der Landesliste erstmals auch in allen Wahlkreisen Direktkandidaten aufgestellt. Angesichts ihrer landesweiten Präsenz in Kommunalparlamenten und des Kandidaturverzichtes der DVU zeigten sich die REP vor der Wahl zuversichtlich, den Einzug in das Landesparlament zu schaffen. Am 17.11.98 hatten Dr. SCHLIERER und der DVU-Vorsitzende Dr. FREY vereinbart, unnötige Wahlkonkurrenz zu vermeiden. Daraufhin war die DVU in Hessen nicht angetreten. Im Gegenzug verzichteten die REP auf die Wahlteilnahme in Bremen (06.06.99). Die Aschermittwochsveranstaltung am 17.02.99 in Geisenhausen/Landkreis Landshut mit rund 700 Personen bildete den Auftakt zum Europawahlkampf 1999. Der bayrische REP-Landesvorsitzende GÄRTNER stellte in seiner Rede fest, dass es trotz der Wahlniederlagen des Jahres 1998 nicht gelungen sei, die REP ins politische Abseits zu drängen. Die Partei stehe erst am Anfang ihres politischen Weges. Dr. SCHLIERER referierte über die Themen "Doppelte Staatsbürgerschaft", "Kriminelle Ausländer" 78 und "Kurdenproblematik". Beim Punkt "Beobachtung durch die Verfassungsschutzämter" kündigte Dr. SCHLIERER ein Ende der "weichen Welle" an. Die REP müssten jetzt deutlich Stellung beziehen und Akzente setzen, ob dies dem Verfassungsschutz passe oder nicht. Bei der 5. Direktwahl zum Europäischen Parlament am 13.06.99 erreichten die REP nur 1,7 % (461.038 Stimmen) und blieben auch hier hinter den gesetzten Zielen zurück. Die Wahlniederlagen hielten auch bei der Landtagswahl am 05.09.99 im Saarland an (1,3 % = 7328 Stimmen). Unter der Bezeichnung "Die Republikaner - REP" kandidierte bei der Landtagswahl in ThürinÜberschriften im Parteiorgan "Der Republikaner" gen (12.09.99) eine gemeinsame Liste der REP, des "Bundes Freier Bürger" (BFB) und eines "Bündnis 99". Die 32 Personen umfassende Liste wurde vom Landesvorsitzenden der Republikaner angeführt. Auf das Bündnis entfielen 0,8 % (8.766 Stimmen). Bei der Landtagswahl in Sachsen (19.09.99) erreichten die REP 1,5 % (32.793 Stimmen). 79 Bei der Wahl zum Berliner Abgeordnetenhaus (10.10.99) stimmten 41.814 Wähler (2,7 %) für die REP. Außerdem gelang es der Partei, bei den Wahlen zu den kommunalen Parlamenten Mandate in 9 der 23 Berliner Bezirksverordnetenversammlungen zu erringen. Bei den Kommunalwahlen in Baden-Württemberg (24.10.99) mussten die REP gegenüber 1994 deutliche Verluste hinnehmen. Obwohl sie mit 1.500 Bewerbern in 31 vom 35 Landkreisen kandidierten, errangen die REP bei den Kreiswahlen landesweit nur 1,6 % (51.213 Stimmen). Ihre Kreistagsmandate reduzierten sich gegenüber 1994 um 16 auf nunmehr 25. Dieses Ergebnis in ihrem Stammland Baden-Württemberg bedeutet für die REP einen besonders schweren Rückschlag in der nahtlosen Reihe von Wahlniederlagen. Die REP haben zur Zeit kaum noch Chancen, in Landesparlamente einzuziehen. Sollten sie bei der nächsten Landtagswahl in Baden-Württemberg ihre letzte Bastion verlieren, wird das diejenigen innerparteilichen Kräfte stärken, die schon heute erhebliche Konsequenzen für unumgänglich halten. Die bundesweiten Stimmenverluste zeigen deutlich, dass sich die Partei derzeit außerhalb Baden-Württembergs auf kein nennenswertes Stammwählerpotential stützen, sondern nur punktuell Protestwähler ansprechen kann. Dass die REP selbst dort, wo sie sich bisher auf eine Stammwählerschaft verlassen konnten, Einbußen hinnehmen müssen, belegt das Kommunalwahlergebnis in Baden-Württemberg. In den schwach ausgeprägten norddeutschen Organisationsstrukturen sind die Mitgliederzahlen der REP rückläufig und das Parteileben nahezu erlahmt. Der ehemalige bayerische REP-Landesvorsitzende und REP-Europa-Abgeordnete Harald NEUBAUER tritt für eine verstärkte Zusammenarbeit der "nationalen" Gruppen ein. Zahlreiche Einladungen zu Vorträgen im Jahre 1999 kennzeichnen seinen wachsenden Einfluss auf Ortsund Kreisverbände sowie seine steigende Popularität bei den REP-Mitgliedern. Im Mai 1999 sah sich das REP-Bundespräsidium genötigt, ein generelles Verbot für Auftritte NEUBAUERs auf Parteiveranstaltungen zu beschließen. Den verantwortlichen REPFunktionären wurden Ordnungsmaßnahmen angedroht, sollten sie (z. B. als Einlader) gegen dieses Verbot verstoßen. Im Jahre 1999 waren mehrere Verwaltungsrechtsverfahren zwischen den REP und einzelnen Bundesländern wegen der Beobachtung der Partei durch den Verfassungsschutz anhängig. Dabei ging es um die Rechtmäßigkeit solcher Maßnahmen. In dem Verwaltungsrechtsstreit der REP gegen das Land Rheinland-Pfalz auf Unterlassung der nachrichtendienstlichen Beobachtung wies das Oberverwaltungsgericht (OVG) Koblenz am 10.09.99 die Klage der REP ab. Das Gericht änderte ein aufgrund mündlicher 80 Verhandlung vom 10.12.97 ergangenes Urteil des Verwaltungsgerichts (VG) Mainz ab. Die Revision wurde nicht zugelassen. In der Urteilsbegründung heißt es, Teile der Partei bekämpften die freiheitliche demokratische Grundordnung. In Publikationen der Partei würden Ausländer nicht selten pauschal diffamiert und als Kriminelle, Nichtstuer und Schmarotzer dargestellt. Derartige Äußerungen seien zu häufig, um sie als einzelne Entgleisungen werten zu können. Zudem gebe es in den Schriften der Partei eine fortgesetzte Agitation gegen Institutionen und Repräsentanten des Staates. Andere Parteien und deren Vertreter würden als politische Dilettanten und Verräter beschimpft und verächtlich gemacht. Das OVG verwies auch auf Annäherungsversuche an die DVU und eine gelegentliche Zusammenarbeit mit der rechtsextremen NPD. Zwar verfolgen die REP nicht in ihrer Gesamtheit verfassungsfeindliche Ziele. Das unklare Gesamtbild erfordere jedoch eine weitere Aufklärung und rechtfertige eine nachrichtendienstliche Beobachtung durch den Verfassungsschutz (Az.: 2 A 11774/98 OVG). Auch in den Verfahren mit analogen Zielrichtungen gegen die Länder Niedersachsen (Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 07.12.99) und Bayern (Einstellungsbeschluss des VG München vom 02.11.99) konnten sich die REP nicht durchsetzen. Erfolgreich waren sie einstweilen (Entscheidung noch nicht rechtskräftig) lediglich in Berlin. Dort hatte das VG am 31.08.98 eine Entscheidung gefällt, nach der dem Landesamt für Verfassungsschutz u. a. die Beobachtung der REP mit nachrichtendienstlichen Mitteln untersagt und ihre Nennung im Verfassungsschutzbericht Berlin 1997 als rechtswidrig bezeichnet worden war. Die Situation im Hamburger Landesverband stellt sich weiter desolat dar. Unverändert ist der Landesvorstand nicht in der Lage, eine politische Arbeit für die Partei in Hamburg zu entwickeln. Nach zahlreichen Parteiaustritten der letzten Jahre und dem versäumten Neuanfang nach der verlorenen Bürgerschaftswahl (21.09.97) fand eine Parteiarbeit in den Kreisverbänden kaum noch statt. Zahlreiche der früher regelmäßig stattfindenden Veranstaltungen können nicht mehr durchgeführt werden, weil Kreisverbände wegen fehlender Mitglieder aufgelöst wurden. Eine erfolgversprechende Perspektive sieht der Landesvorstand Hamburg in dieser Situation nur in einer Zusammenarbeit aller "Rechten". Er hat sich nach Differenzen mit dem Bundesvorstand den SCHLIERER-Gegnern angeschlossen und unterstützt die Initiativen zur Abwahl des Bundesvorsitzenden. Am 03.09.99 führte der Landesvorstand Hamburg - das im Mai vom Bundespräsidium beschlossene Verbot missachtend - eine Veranstaltung mit Harald NEUBAUER zum Thema: "Hat die deutsche Rechte noch eine 81 Chance? - Auswege aus der Krise" durch. Es nahmen auch parteifremde Rechtsextremisten teil. Während der Veranstaltung wurde für eine Zusammenarbeit der nationalen Kräfte geworben. NEUBAUER - ehemals stellvertretender REP-Bundesvorsitzender und bereits vor Jahren aus der Partei ausgeschlossen - ist wiederholt als ein maßgeblicher Protagonist einer parteiübergreifenden Zusammenarbeit im rechtsextremistischen Lager hervorgetreten. Als Konsequenz seines Auftrittes in Hamburg enthob der Bundesvorstand den Hamburger Landesvorsitzenden sowie ein weiteres Landesvorstandsmitglied ihrer Parteiämter und beantragte gegen sie beim Landesschiedsgericht Ausschlussverfahren. Der Hamburger Landesverband ist auf das Niveau einer unbedeutenden Splitterpartei abgesunken. Die jetzige Zusammensetzung des Landesvorstandes lässt keine Veränderung dieses Zustands erwarten. Offensichtlich hat die Bundespartei den Landesverband abgeschrieben. Sie leistet keine Unterstützung zum Aufbau einer funktionieren Landesorganisation. 5.2 Deutsche Volksunion (DVU) Die "Deutsche Volksunion" (DVU), die 1987 Mitgliederzahlen: als DVU-Liste D gegrünBundesweit ca. 17.000 (einschl. "DVU e.V.") det und 1991 in DVU umLandesverband Hamburg ca. 400 (geschätzt) benannt wurde, ist mit Bundessitz: München etwa 17.000 Mitgliedern Vorsitzender: Dr. Gerhard FREY trotz Verlustes von etwa 1.000 Personen weiterhin Landesverband Hamburg: die größte rechtsextremiLandesvorsitzender Rudolf REIMERS stische Partei in der Bundesrepublik. Sie ist wesentlicher Bestandteil der auf politischen Organisationen, Zeitungen und Devotionalienhandel basierenden Macht des Dr. Gerhard FREY. Zu diesem Gefüge gehören - neben der Partei DVU - der als überparteilich bezeichnete Verein DVU e.V. und die als DVU-Vorfeld-Organisationen verbliebenen Aktionsgemeinschaften * "Ehrenbund Rudel - Gemeinschaft zum Schutz der Frontsoldaten" (ER), * "Initiative für Ausländerbegrenzung" (I.F.A), * "Aktion Oder-Neiße" (AKON). Die Aktionsgemeinschaften haben das Ziel, an Einzelthemen Interessierte für die DVU zu gewinnen. Auf dem Bundesparteitag der DVU am 16.01.99 82 wurden die Aktionsgemeinschaften neu geordnet. Die "Aktion deutsches Radio und Fernsehen" (ARF) und "Volksbewegung für Generalamnestie" (VOGA) wurden in den "Ehrenbund Rudel - Gemeinschaft zum Schutz der Frontsoldaten" (ER) überführt, der "Deutsche Schutzbund für Volk und Kultur" (DSVK) in die "Initiative für Ausländerbegrenzung" (I.F.A.). Der Verein DVU e.V. und die Aktionsgemeinschaften verlieren zunehmend an Bedeutung. Von ihnen gehen kaum noch Aktivitäten aus. Laut Satzung sind die dem Verein und den Aktionsgemeinschaften angehörenden Personen automatisch DVU-Mitglieder, sofern sie nicht widersprechen. Der 1998 durch den triumphalen Erfolg bei der Wahl zum Landtag von Sachsen-Anhalt am 26.04.98 mit 12,9 % der abgegebenen Stimmen ausgelöste starke Mitgliederzuwachs setzte sich 1999 nicht fort. Die Querelen in der Landtagsfraktion der DVU in Sachsen-Anhalt und Wahlmisserfolge führten zum Rückgang der Mitgliederzahl um etwa 1000. Die DVU wird von ihrem Bundesvorsitzenden Dr. FREY beherrscht und ist von ihm - auch finanziell - völlig abhängig. Daher bestimmt auch weiterhin ausschließlich er die politischen Inhalte und Aktivitäten der Partei. An den Landesparteitagen nimmt er in der Regel teil und bestimmt die Zusammensetzung der zu wählenden Landesvorstände. Bei der Vorbereitung der Landtagswahlen stützt Dr. FREY sich auf einige ihm vertraute langjährige Parteimitglieder, die für ihn in seinem Sinne handeln. Er beeinflusst die Aufstellung der Wahlkandidaten. Die Masse der Mitglieder sind Beitragszahler und Zeitungsabonnenten. Dr. FREY duldet keine eigenständigen Aktivitäten, auch nicht von regionalen Führungspersonen. Dies hat dazu geführt, dass etliche bekannte Rechtsextremisten, u. a. ehemalige Mitglieder der Partei "Die Republikaner" (REP), die sich der DVU angeschlossen oder sie unterstützt hatten, sich wieder von der Partei abgewandt haben. Das Parteiprogramm der DVU ist vage formuliert und vermeidet weitgehend extremistische Formulierungen. Es entspricht nach Umfang und Inhalt nicht den Programmen anderer Parteien. Die DVU hat keine offizielle Parteizeitung. Zentrale Bedeutung für die politische Propaganda der DVU hat die von Dr. FREY in seinem eigenen Verlag ("DSZ-Druckschriftenund Zeitungsverlag GmbH") herausgegebene Wochenzeitung "National-Zeitung - Deutsche Wochen-Zeitung" (NZ). Mit der Neuerscheinung dieses ab September 1999 alleinigen Presseorgans hat der Parteivorsitzende sein Zeitungswesen verschlankt. Aus wirtschaftlichen Gründen sah er sich gezwungen, zur Kostenreduzierung die beiden 83 Zeitungen "Deutsche NationalZeitung" (DNZ) und "Deutsche Wochen-Zeitung" (DWZ) zusammenzulegen und den Umfang des dabei entstandenen neuen Produktes geringfügig zu erhöhen. Außer der Berichterstattung über Aktivitäten der DVU wird auch unter dem neuen Titel unverändert mit reißerischen Überschriften ausländerfeindlich ("Deutliche Mehrheit für Ausländerbegrenzung" - NZ Nr. 45/99, "Belgrad brennt - Deutschland zahlt" - DNZ 15/99), aggressiv nationalistisch ("Warum ein Volk stinksauer wird" - NZ Nr. 45/99); revisionistisch und antijüdisch ("Ewig zahlen für Hitler" - DNZ 30/99; Baraks blutige Vergangenheit - NZ Nr. 39/99) agitiert. Ein zentraler Agitationspunkt des Jahres 1999 war die Wehrmachtsausstellung des Hamburger Institutes für Sozialforschung. Im Berichtsjahr konzentrierte sich die DVU gezielt nur auf Wahlen, von denen 84 sie sich Erfolge versprach. Sie kandidierte zur Bürgerschaftswahl am 06.06.99 in Bremen, zu den Landtagswahlen am 05.09.99 in Brandenburg und am 12.09.99 in Thüringen sowie zur Stadtverordnetenwahl am 26.09.99 in Bremerhaven. Im November 1998 hatten Dr. FREY und der Bundesvorsitzende der REP, Dr. SCHLIERER, vereinbart, "unnötige" Konkurrenz zwischen "nationalen Parteien" zu vermeiden. Während die DVU auf eine Wahlteilnahme in Hessen verzichtete, nahmen die REP dafür nicht an der Bürgerschaftswahl in Bremen teil. Auch bei den Landtagswahlen in Brandenburg am 05.09.99 und in Berlin am 10.10.99 sprachen sich beide ab. In Berlin traten nur die REP und in Brandenburg die DVU an. Lediglich in Thüringen kam es zu keiner Einigung, dort traten beide Parteien an. An der Europawahl am 13.06.99 nahm die DVU nicht teil, nachdem der vorgesehene Spitzenkandidat Franz SCHÖNHUBER (ehemaliger REP-Bundesvorsitzender) im Frühjahr verzichtet hatte und ein geeigneter Ersatzkandidat nicht zur Verfügung stand. Bei der Wahl zur Bremischen In der DWZ und DNZ Nr. 30 vom 23.07.99 Bürgerschaft erreichte die DVU beantworteten die Redaktionen die Leserlandesweit 3 % der abgegebefrage "Wie weiß sind die Westen von nen Stimmen (Stadtgemeinde Polit-Bonzen?" unter folgenden ÜberBremen 2,5 %, Stadtgemeinde schriften: Bremerhaven 6,0 %). Für den * Raffgier, Betrug, Mord: Sündenregister Einzug in die Bürgerschaft von Polit-Bonzen reichte das Überspringen der * Raffzahn, Abzocker, Juwelendieb 5 %-Hürde in einem der beiden * Agenten und Spione Wahlbereiche. Die DVU ist * Schmutz, Sumpf, Mord damit zum drittenmal nach 1987 * Korruption, Untreue, Bereicherung (ein Abgeordneter), 1991 (sechs * Filz, Affären, Skandale. Abgeordnete) wieder mit einem Sich mit dem Stimmzettel "gegen diese Abgeordneten in der BürgerUmtriebe" zu wehren, sei das gute Recht schaft vertreten. Bei der Land"eines jeden Denkenden". tagswahl in Brandenburg am 06.09.99 erhielt die DVU nach dem amtlichen Endergebnis 5,3 % der abgegebenen Stimmen und zog mit fünf Abgeordneten in den Landtag in Potsdam ein. Der DVU-Vorsitzende kommentierte das Abschneiden seiner Partei mit den Worten: "Die Brandenburger Landtagswahl hat Deutschlands politische Landschaft gründlich verändert. Zu den überragenden Ergebnissen gehört der Triumph der Deutschen Volksunion, die ungeheure Widerstände übermächtiger Gegner und einen vor nichts zurückschreckenden Terror überwunden hat und als viertstärkste Partei in den Landtag zu Potsdam einzog..." 85 In Thüringen erreichte die DVU bei der Landtagswahl am 12.09.99 nur 3,1 % der abgegebenen Stimmen und blieb damit unter dem angestrebten Ziel. Am 26.09.99 erzielte die DVU bei der Stadtverordnetenwahl in Bremerhaven dagegen mit 5,2 % wieder einen beachtlichen Erfolg. Sie zog mit drei Abgeordneten in das Bremerhavener Rathaus ein. Die DVU profitierte bei den Wahlen - wie schon im Vorjahr - von ihrem massiven finanziellen Einsatz sowie von zum Teil schwächeren Wahlbeteiligungen. Trotz des knappen Einzuges in zwei Landtage und eine Stadtverordnetenversammlung blieben die Wahlergebnisse hinter den Erwartungen der Partei zurück. Hierzu dürften die Querelen in der DVU-Landtagsfraktion in Sachsen-Anhalt (mit Fraktionsausschlüssen, Fraktions-/Parteiaustritten) wesentlich beigetragen haben. Wie bereits in der Vergangenheit in den Länderparlamenten von Bremen und Schleswig-Holstein zeigte sich erneut, dass die DVU bei ihren Kandidatennominierungen nur auf ungeeignete Personen zurückgreifen kann, die keine Gewähr für längerfristige politische Geschlossenheit, Integrität, Arbeitskontinuität und Fraktions-/ Parteiloyalität von Mandatsträgern bieten. Dies ist zum Teil auf die Führungsunfähigkeit der Fraktionsvorsitzenden (Sachsen-Anhalt) und den autoritären, bis in Details eingreifenden Führungsstil des Bundesvorsitzenden Dr. FREY zurückzuführen. In Sachsen-Anhalt haben am 13.12.99 zwei weitere Abgeordnete die Landtagsfraktion der DVU verlassen. Damit schrumpfte die ursprünglich 16-köpfige DVU-Fraktion bis zum Jahresende weiter auf 10 Abgeordnete, ein bereits früher (durch Parteiaustritt) abtrünniger Abgeordneter hat in der DVU-Fraktion einen Gaststatus. Erst im Oktober war der damalige Fraktionsvorsitzende WOLF nach internen Querelen und Kritik an seinem Führungsstil abgewählt worden. Im Februar 1999 hatten vier Parlamentarier die bis dahin 16-köpfige Fraktion verlassen. Die Wahlergebnisse der Jahre 1998 und 1999 belegen, dass die DVU zwar punktuell Wahlerfolge in kleineren Bundesländern, insbesondere in Nordund Ostdeutschland, erzielen kann. Sie ist jedoch weder in der Lage, sich flächendeckend an Wahlen zu beteiligen, noch schafft sie es, in größeren Bundesländern oder gar bei Bundestagswahlen in Parlamente einzuziehen. Nach den aufwendigen Wahlkämpfen der letzten Monate, bei denen die DVU in Brandenburg den Einzug in den Landtag schaffte, ist die rechtsextremistische Partei ohne weitere Unterstützung von Dr. FREY offenbar finanziell ausgelaugt. Dr. FREY, der die Wahlkämpfe aus seinem Vermögen finanziert, erwartete für Ende 1999 rund 15 Millionen DM "Unterdeckung 86 der DVU" ("Der Spiegel" Nr. 47/1999). Danach hatte er z. B. in den brandenburgischen Wahlkampf rund 3 Millionen DM investiert und erhält für die dortige fünfjährige Legislaturperiode nur rund 300.000 DM staatliche Wahlkampfkostenrückerstattung. Wegen der prekären Finanzlage sagte der DVU-Bundesvorstand Kandidaturen zu den kommenden Landtagswahlen im Frühjahr 2000 in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen ab. In Schleswig-Holstein führte der Rückzug zum Zerwürfnis mit dem dortigen stellvertretenden Landesvorsitzenden. Am 25.09.99 versammelten sich ca. 2.000 Personen unter dem Motto "Wir lieben Deutschland" zur traditionellen DVU-Großkundgebung in der Passauer Nibelungenhalle. Der Bundesvorsitzende Dr. FREY griff in seiner Rede die Politik der Bundesregierung an. Etwa 300 Demonstranten, überwiegend Angehörige der autonomen Szene aus Bayern, beteiligten sich in Passau an diesem Tag an Protestaktionen gegen die DVU. Sie zeigten u. a. ein Transparent "Stoppt den reaktionären Vormarsch - Antifa heißt Angriff". Zu den Gegenaktionen (Teil der "Antifa-Offensive 99" der AA/BO, " III./4.3.2) hatte die "Antifaschistische Aktion Passau" per Internet aufgerufen. Vor der DVU-Großkundgebung in Passau beantwortete Dr. FREY (eingerahmt von Funktionären) Fragen von Pressevertretern Der Landesverband Hamburg der DVU zählte laut Angabe von Parteifunktionären vom 21.09.97 damals etwa 500 Mitglieder. Unter Berücksichtigung von Mitgliederverlusten, die auch im bundesweiten Maßstab zu einem 87 Mitgliederrückgang führten, wird für Hamburg per Jahresende 1999 von etwa 400 DVU-Mitgliedern ausgegangen, von denen jedoch nur wenige politisch aktiv sind. Politische Initiativen gehen von der Organisation in Hamburg nicht aus. Erkennbare Aktivitäten der Hamburger DVU-Mitglieder beschränken sich weitgehend auf die Mitarbeit ihrer Abgeordneten in den Bezirksversammlungen Bergedorf, Wandsbek, Harburg und Hamburg-Mitte. Regelmäßig monatlich finden "Klönschnack"-Veranstaltungen (DVU-eigener Sprachgebrauch) des Landesvorstandes und der Kreisverbände in den Bezirken statt. In Hamburg ist die DVU in erster Instanz vor dem Verwaltungsgericht gescheitert, sich einen Platz im Jugendhilfeausschuss der Bezirksversammlung Hamburg-Mitte zu erstreiten. Verwaltungsrechtlich sei dieser Ausschuss kein vollwertiger Fachausschuss, argumentierten die Hamburger Richter. Unter Berufung auf das Jugendhilferecht könne man der DVU den Platz in diesem Gremium vorenthalten, urteilte das Gericht. 5.3 Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) einschließlich Junge Nationaldemokraten (JN) NPD Mitgliederzahlen: Bundesweit 6.000 Landesverband Hamburg 90 Bundessitz: Stuttgart (ab Februar 2000: Berlin) Vorsitzender: Udo VOIGT Hamburg Landesvorsitzender: Ulrich HARDER Die NPD, älteste rechtsextremistische Partei in der Bundesrepublik, feierte im Jahr 1999 ihr 35-jähriges Bestehen. Obwohl die Partei ihren 1996 begonnenen Kurswechsel konsequent weiterführte, setzte sich ihre seitdem mit einem erheblichen Mitgliederzuwachs einhergehende dynamische Aufwärtsentwicklung 1999 nicht fort. 88 Die Mitgliederzahlen stagnieren auf Bundesebene insbesondere wegen starker Verluste des in den letzten Jahren noch als "Vorzeigeverband" gepriesenen Landesverbandes Sachsen. Seit dem Amtsantritt des Bundesvorsitzenden Udo VOIGT im März 1996 hat die NPD sich stark gewandelt. Es ist ihr auf Bundesebene gelungen, das Image einer Altherrenpartei abzulegen. Ihr Ziel ist es, sich mit neuen Aktionsformen sowie einer aggressiveren Programmatik zu 'modernisieren' und letztlich eine Führungsrolle im rechtsextremistischen Lager zu übernehmen. Im Gegensatz zu den reinen Wahlparteien REP und DVU setzt die NPD auf eine Doppelstrategie: Neben der Option als Wahlpartei verstärkt sie ihre Rolle als Fundamentalopposition gegen das bestehende politische System und versteht sich als "Speerspitze des Nationalen Widerstandes". Durch die Aufhebung aller Abgrenzungsbeschlüsse auch gegenüber militanten Rechtsextremisten, Neonazis und Skinheads konnte die NPD sowohl für Aktionsbündnisse als auch für die Arbeit innerhalb der Partei, u. a. aus den Reihen verbotener neonazistischer Organisationen, neue Verbündete gewinnen. Mehrere Neonazis stiegen bis in den Bundesvorstand auf. Seit 1996 hat VOIGT seine Position innerhalb der NPD erheblich gestärkt. Trotzdem steht die Partei noch nicht einheitlich hinter seinem Kurs. Insbesondere Altfunktionäre aus den westlichen Bundesländern empfinden den Aktionismus sowie die Zusammenarbeit mit Neonazis und Skinheads als äußerst problematisch. Dies führt immer wieder zu Missverständnissen, Spannungen und Misstrauen zwischen den Aktionspartnern. Der insbesondere von sächsischen Parteimitgliedern fortgesetzt propagierte "nationale" bzw. "deutsche" Sozialismus stößt innerparteilich zunehmend auf Ablehnung. Die NPD konnte sich bisher nicht als eine einheitlich agierende Kraft festigen. Diese Stabilitätsschwäche kann zu Spannungen und Abspaltungen führen. In seinen ersten Amtsjahren konnte VOIGT bei der Umsetzung seines neuen Junge Nationaldemokraten Kurses auf die Unterstützung der Mitgliederzahl: Bundesweit ca. 200 NPD-Jugendorganisation "Junge Bundessitz: Neuburg/Donau Nationaldemokraten" (JN) bauen. Vorsitzender: Sascha ROßMÜLLER Dies half ihm insbesondere bei der Hamburg Rekrutierung neuer, aktionistischer Einzelmitglieder (kein Landesverband) Anhänger. Dieser Aspekt hat seit der Neuwahl des JN-Bundesvorstandes im April 1999 jedoch an Bedeutung verloren. Der bisherige 89 Bundesvorsitzende Holger APFEL kandidierte nicht erneut, um sich auf seine Arbeit im NPD-Bundesvorstand konzentrieren zu können. Sascha ROßMÜLLER (BY) setzte sich bei der Wahl knapp gegen Achim EZER (NRW) durch. EZER - 1997 vom Bundesvorstand zum Wahlkampfleiter der NPD für die Hamburger Bürgerschaftswahl bestellt - verließ die JN und gründete das "Bildungswerk Deutsche Volksgemeinschaft" (BDVG). Ihm schlossen sich etliche JN-Mitglieder an, insbesondere aus Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Sachsen. Diese Abspaltung hat im norddeutschen Raum keinerlei Bedeutung. Die JN haben kein eigenständiges politisches Profil neben der NPD und setzen keine eigenen politischen Akzente außerhalb der Partei. Auf eine gesonderte Beschreibung wird daher verzichtet. Wie die NPD ihre Doppelstrategie als Wahlpartei auf der einen Seite und "Speerspitze des Nationalen Widerstandes" auf der anderen Seite umsetzen will, legte sie am 10.01.98 in zwei Strategiepapieren verbindlich fest. Sie legte sich auf drei - vordergründig gleichrangige - Agitationsfelder fest: * Die Schlacht um die Köpfe - Programmatik * Die Schlacht um die Straße - Massenmobilisierung * Die Schlacht um die Wähler - Wahlbeteiligung Tatsächlich hat sie dafür zeitliche Prioritäten gesetzt. An erster Stelle steht öffentlicher Aktionismus, um die eigene Position im rechtsextremistischen Lager zu stärken und den Bekanntheitsgrad in der Öffentlichkeit zu steigern. Die Schlacht um die Wähler habe einstweilen noch nicht das Ziel, sich Zugang zu den Parlamenten zu verschaffen, sondern zur staatlichen Parteienfinanzierung. Außerdem diene sie in Form von Wahlkampfdemonstrationen der "Schlacht um die Straße". VOIGT muss sich bei der Erarbeitung der 'Schlachtpläne' bewusst gewesen sein, dass Teile der Parteibasis den propagierten Wandel von der reinen Wahlpartei hin zur Organisationsplattform für eine außerparlamentarische Bewegung nicht ohne weiteres mittragen würden. Um diese Klientel zu beruhigen, spielte er auf Zeit, indem er in den Strategiepapieren für die "Schlacht um die Wähler" frühestens zum Herbst 1999 bei den Landtagswahlen in Sachsen Erfolge in Aussicht stellte. Vor diesem Hintergrund bzw. an dieser selbst gesetzten Frist sind die geringen Erfolge der NPD (" 1.3) bei der Europawahl und allen von ihr 1999 wahrgenommenen Landtagswahlen (Kandidaturverzicht nur im Saarland) zu bewerten. Sie belegen, dass die NPD als Wahlpartei auch weiterhin chancenlos ist. Von besonderer Bedeutung für die Partei waren die Europa90 wahl und die zum Wahlkampfschwerpunkt erklärte Landtagswahl in Sachsen. Zur Europawahl hatte sich die NPD das Minimalziel "Teilnahme an der Parteienfinanzierung" gesteckt. Mit 0,4 % verfehlte sie die hierfür erforderlichen 0,5 %. Vor dem Hintergrund des Wahlverzichts der DVU war dies eine besonders herbe Schlappe. Sie machte die ansonsten vom Bundesvorstand immer wieder gebrauchte Ausrede hinfällig, sich in der Wählerschaft nur wegen der finanziellen Übermacht und üppigen Materialschlachten der DVU nicht durchgesetzt zu haben. Im Vorfeld des Wahltermins in Sachsen (19.09.99) gewann die Frage zunehmend an Bedeutung, mit welchem taktischen Konzept die Partei ihren "Schwerpunktwahlkampf" aufnehmen würde. Dabei ging es um folgenden Widerspruch: * Ein Eckpfeiler der im Dreisäulenkonzept geschürten Erwartung, in Sachsen einen Wahlerfolg zu erzielen, war die Festlegung auf den neuen aktionistischen Kurs der NPD, die Propagierung der "Schlacht um die Straße". * Genau diesen Aktionismus lehnte der Landesverband Sachsen ab. Bereits gegen Ende des Bundestagswahlkampfes 1998 hatte man angekündigt, im Landtagswahlkampf auf Demonstrationen verzichten zu wollen. Martialisch auftretende Neonazis und Skinheads würden die Wähler abschrecken. Diese Diskrepanz stellte die Parteiführung vor ein Problem: Würde die NPD in Sachsen tatsächlich in den Landtag einziehen oder nur knapp scheitern, hätte sich der Landesverband Sachsen in seiner Absage an eine aktionistische Wahlkampfführung bestätigt gesehen. Dieses hätte ohne Zweifel zu einer Strategiedebatte in der Bundespartei geführt. Dem Bundesvorstand muss es daher recht gewesen sein, dass die NPD in Sachsen trotz Kandidaturverzichts der DVU nur einen Wählerzuspruch von 1,4 % verbuchte. In die spannungsgeladene Diskussion zwischen dem Bundesvorstand und dem Landesverband Sachsen über den Wahlausgang mischte sich auch der Hamburger Neonazi Christian WORCH ein. Dieser hatte den NPD-Wahlkampf in Sachsen unterstützt und legte anschließend eine umfangreiche Wahlanalyse mit gleichmäßigen Schuldzuweisungen an beide Seiten vor: * der Bundesvorstand habe den Wahlkampf nicht ausreichend finanziell unterstützt, 91 * der Landesverband hätte mit öffentlichkeitswirksamen Demonstrationen einen provokativeren Wahlkampf führen müssen. WORCHs Analyse stieß in der Partei zwar wegen ihrer Form auf Kritik, inhaltlich jedoch auf erhebliche Zustimmung. Die ihm von einem Teil des NPD-Parteivorstandes entgegengebrachte Wertschätzung lässt sich auch aus seiner Einbindung in NPD-Aktionen ablesen, zuletzt als Redner am 06.11.99 in Rosenheim. Dort wurde die "Anti-Drogen-Aktion Hamburg-Rosenheim" (ADAHaRo) proklamiert und WORCH als einer der Initiatoren dieser "aktionistischen Basisbewegung" vorgestellt. Vom Wahlkampf in Sachsen abgesehen, nutzte die NPD ihre Wahlkämpfe strategiegemäß zur rechtlichen Absicherung ihrer "Schlacht um die Straße" mit insgesamt über 50 Demonstrationsanmeldungen. Zahlreiche Aufmarschvorhaben wurden jedoch verboten. Die NPD selbst - einschließlich Nebenorganisationen JN und "Nationaldemokratischer Hochschulbund" (NHB) - hielten sich wie bisher weitgehend an die Verbote. Zugleich schöpfte sie ihre rechtlichen Möglichkeiten gegen Verbotsentscheidungen aus. Daneben setzte die NPD zunehmend darauf, schnellstmöglich und genau für die Veranstaltungsorte neue Demonstrationen anzumelden, an denen die ursprünglichen Vorhaben verboten worden waren. Die größte NPD/JN-Demonstration des Jahres fand am 30.01.99 in Kiel mit ca. 1.200 Teilnehmern statt. Sie richtete sich gegen die "Wehrmachtsausstellung". Gegendemonstranten verursachten erheblichen Sachschaden. Es kam zu teilweise massiven Zusammenstößen mit der Polizei und Übergriffen auf die von der NPD mobilisierten Demonstranten. Wie bereits 1997 und 1998 sollte eine zentrale NPD-Demonstration am 1. Mai stattfinden, dem "Kampftag der Arbeit". In diesem Jahr wurde sie in Bremen wegen des dortigen Bürgerschaftswahlkampfes angemeldet. Aufgrund mehrerer angemeldeter Gegendemonstrationen und im Internet erschienener Aufrufe autonomer und antifaschistischer Gruppen, den Naziaufmarsch "mit allen Mitteln" zu verhindern, verbot die Stadt Bremen die Demonstration wegen des Vorliegens eines "polizeilichen Notstandes". Die von der NPD/JN und NHB im Jahr 1999 angemeldeten Demonstrationen haben verdeutlicht, dass sie zunehmend nur den organisatorischen Rahmen stellen (Anmelder und juristischen Beistand). Die eigentlichen 'Macher' sowie die überwiegende Zahl der Teilnehmer kommen aber aus dem neonazistischen Spektrum bzw. sind der Skinheadszene zuzurechnen. Dieses zeigte sich z. B. in Hamburg am 10.07.99 bei der vom NHB-Bundesvorsitzenden angemeldeten Aufmarsches gegen die Wehrmachtsausstellung (" 4.2). 92 Udo VOIGT verkündete am 07.02.98 in Passau, die NPD habe die Meinungsführerschaft im nationalen Lager übernommen. Von diesem schon lange gehegten "Traum" ihres Vorsitzenden ist die Partei weit entfernt. Die NPD bezieht sich zunehmend auf aktuelle tagespolitische Ereignisse, um sich über Stellungnahmen, scharfe Polemik, Agitation und Thematisierung bei öffentlichen Aktionen zu profilieren. So verfasste sie im Januar während des politischen Streits um die doppelte Staatsbürgerschaft einen eigenen Aufruf zu einer Unterschriftensammlung. Darin verlangte sie: * Keine doppelte Staatsbürgerschaft! * Keine Integration der hier lebenden Ausländer! * Kein Dauerbleiberecht für Ausländer in Deutschland! * Kein Wahlrecht für Ausländer in Deutschland! Dabei reichten der NPD nicht ihre altbekannten Forderungen nach sofortiger Abschiebung aller straffällig gewordenen Ausländer und abgelehnter Asylbewerber. Ausgerechnet sie gerierte sich in ihrem Aufruf auch noch als Vertreterin der wahren Interessen ausländischen Mitbürger: 93 "Integration bedeutet für fremde Menschen den Verlust der eigenen Identität, die Menschen werden 'Wanderer zwischen den Welten' und wissen irgendwann nicht mehr, wohin sie gehören. Die Integration kommt einer 'Zwangsgermanisierung' gleich und ist zutiefst unmenschlich und inhuman." Um Ängste in der Bevölkerung zu schüren, versah die NPD ihren Aufruf mit dem Bild des Leiters des islamistischen "Kalifatstaates", dem mittlerweile inhaftierten Metin KAPLAN. Dieser hatte Deutschland den "Heiligen Krieg" erklärt (" IV/4.3.2). Selbst die schwere Erdbebenkatastrophe in der Türkei im August 1999 mit Zehntausenden Toten, Verletzten sowie obdachlos gewordenen Menschen schlachtete die NPD eine Woche vor der Landtagswahl in Brandenburg skrupellos aus. Der NPD-Bundesvorsitzende und Spitzenkandidat in Brandenburg, Udo VOIGT, forderte laut NPD-Pressemitteilung (31.08.99) vor allem arbeitslose Türken samt Familien auf, zum Wiederaufbau in der Türkei Deutschland zu verlassen: "Bevor die hiesigen Arbeitsämter Millionenbeträge für nicht arbeitende 'Gastarbeiter' verschleudern, sollten diese Geldmittel lieber für Türken verwendet werden, die in ihr akut hilfsbedürftiges Heimatland zurückkehren (...). Da die zur Zeit herrschende politische Klasse im Zeichen einer multi,kulturellen' Gesellschaft und aus 'humanitären' Gründen wohl eher weitere türkische Landsleute in das Land der sozialen Kälte und Dauerarbeitslosigkeit holen wird, als die sinnvolle Rückkehr in die Türkei zu fördern, setzt die NPD mit ihrer Forderung ein Zeichen echter Humanität." Den Kosovo-Konflikt nutzte die NPD ebenfalls für ihre Agitation. In einer Presseerklärung vom 25.03.99 heißt es: "Seit gestern, dem 24. März 1999, beteiligt sich die Bonner Regierung unmittelbar an einem verfassungsund völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die Bundesrepublik Jugoslawien. Kein verantwortlicher Bonner Politiker hat auch nur den Versuch unternommen, dem deutschen Volk eine irgendwie geartete rechtliche Grundlage für diesen perfiden Akt der Aggression zu präsentieren." 94 In einem "Appell des Parteipräsidiums" vom 18.04.99 forderte die NPD alle deutschen Soldaten und Beamten auf: "Bleiben Sie Ihrem Amtseid treu! Verweigern Sie Ihre Mitwirkung am Angriffskrieg auf die Bundesrepublik Jugoslawien! ... Machen Sie von Ihrem Widerstandsrecht nach Artikel 20 Grundgesetz Gebrauch!" Gegen den Bundespressesprecher der NPD wurde wegen dieser Veröffentlichung von der Staatsanwaltschaft Stuttgart ein Ermittlungsverfahren eingeleitet, laut Parteiorgan "Deutsche Stimme" 9/99 wegen "Aufforderung zur Meuterei". Im Tod des Vorsitzenden des Zentralrates der Juden in Deutschland, Ignatz BUBIS, sah die NPD einen Anlass, ihrer als "Willy Widerstand" bekannten ComicFigur in der September-Ausgabe der "Deutschen Stimme" folgende Worte in den Mund zu legen: "Daß die Zeitung ihn als 'großen deutschen Patrioten' bezeichnen darf, ist eine schäbige Verhöhnung aller, die für Deutschland opferten...". Sie vermied es jedoch, den Namen BUBIS ausdrücklich zu erwähnen. Unter dem weiter amtierenden Landesvorsitzenden Ulrich HARDER hat sich am desolaten Zustand des Hamburger Landesverbandes kaum etwas geändert. Sowohl die 95 Mitgliederzahl (unverändert etwa 90) als auch die Aktivitäten stagnierten. HARDER steht dem Aktionismus sowie der kontinuierlichen Zusammenarbeit mit Neonazis und Skinheads weiterhin skeptisch gegenüber. Punktuell ist er jedoch zu gemeinsamen Aktionen bereit. So meldete er den von Hamburger Neonazis organisierten Aufmarsch in Hamburg-Barmbek am 27.11.99 unter dem Motto "Kein Bauwagenplatz in Barmbek" an und trat u. a. neben Christian WORCH als Redner auf. Allerdings benutzten die Neonazis HARDER nur als Notlösung, da kein anderer geeigneter Anmelder aus der NPD bzw. JN zur Verfügung stand. Die Hamburger NPD brachte im Gegensatz zu anderen Landesverbänden bisher keine eigenständige Selbstdarstellung im Internet zustande. Neben der nur unregelmäßig und zudem aktualitätsfern erscheinenden Publikation "Hamburger Nationaldemokraten" (HN) hat der Landesverband Jahre gebraucht, um erstmals wieder ein eigenes Flugblatt zu entwerfen. Unter der Überschrift "LÜGEN HABEN KURZE BEINE - RUNDE, ZEIGE DU UNS DEINE!" wird damit gegen den Erhalt von Asylbewerberunterkünften in HamburgPoppenbüttel und Hamburg-Hummelsbüttel agitiert. Das vom Kreisverband Wandsbek herausgegebene Flugblatt gibt angebliche Zeitungsberichte über Straftaten von Afrikanern wieder, um daran die Frage anzuknüpfen: "...wollen wir solche und ähnliche Artikel jeden Tag in den Zeitungen lesen?". Im "Interesse unseres Landes, unserer Kinder und unserer Zukunft" fordere die NPD * Grundrecht auf Heimat statt Grundrecht auf Asyl! Ausländerrückführung statt Integration! * Kindergeld nur für Deutsche, kein Familiennachzug aus dem Ausland. * Kriminelle Ausländer sofort ausweisen! * Lügenpolitiker in die politische Wüste! Bemühungen, wieder einen Landesverband der JN in Hamburg zu gründen, sind vorerst gescheitert. Im August wurde der Landesverband "Nordmark" der JN in Schleswig-Holstein gegründet. Dessen Vorsitzender wurde auch als Landesbeauftragter für Hamburg bestätigt. In dieser Eigenschaft meldete er die Demonstration unter dem Motto "Für das Recht auf freie Meinungsbildung" am 04.09.99 in Hamburg-Lohbrügge an (" 4.2). Im Zuge eines mittlerweile gegen ihn eingeleiteten Parteiausschlussverfahrens ist er auch seiner Funktion als Hamburger JN-Landesbeauftragter enthoben worden. 96 6. Sonstige rechtsextremistische Organisationen und Bestrebungen Neben den im Bericht genannten rechtsextremistischen Bereichen und Parteien gibt es eine Vielzahl weiterer rechtsextremistischer Organisationen, Bündnisse, Einrichtungen und Bestrebungen. Ende des Jahres hatten die Verfassungsschutzbehörden 77 derartige Objekte mit zusammen etwa 4.200 Mitgliedern erfasst, die als eingetragene Vereine, als Gesellschaften oder sonstige Interessenvereine ohne besonderen rechtlichen Status auftreten. So handelt es sich um eine Ansammlung unterschiedlicher Ausrichtungen mit teils regionaler, teils überregionaler Ausdehnung oder Bedeutung. Dazu gehören Kleinstparteien, Vereinigungsund Sammlungsbestrebungen, aber auch Organisationen mit kultureller, traditionspflegender oder heidnischgermanischer Ausrichtung, Jugendund Studentenorganisationen sowie Rechtshilfevereine. Ihre Aktivitäten beschränken sich zumeist auf interne Veranstaltungen und Seminare sowie die Herausgabe von Propagandamaterialien und Publikationen. Teilweise werden offen revisionistische, rassistische und antisemitische Thesen vertreten. Nachstehend werden nur Organisationen und Personen erwähnt, deren aktuelle oder frühere Bedeutung sich auf Hamburg beschränkt oder die hier ihren Sitz oder Ursprung haben. Dazu gehören der Rechtsanwalt Jürgen RIEGER sowie der frühere Landesvorsitzende der verbotenen "Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei" (FAP) und ehemalige Führer der "Norddeutschen Bewegung" (NDB) Andre GOERTZ. Die frühere Bedeutung dieser beiden Hamburger Rechtsextremisten für die bundesweite rechtsextremistische Szene hat weiter erheblich abgenommen. RIEGER gelang es nicht, nach dem Verbot der rechtsextremistischen Vereine "Heide-Heim e.V." (Hamburg) und "Heideheim e.V." (Buchholz) am 11.02.98 durch das niedersächsische Innenministerium und der damit verbundenen Schließung des Kommunikationsund Veranstaltungszentrums in Hetendorf einen adäquaten Ersatz zu schaffen. Nachdem die von ihm im Jahre 1998 anstelle der alljährlichen "Hetendorfer Tagungswochen" in Ostritz/Sachsen veranstalteten "1. Mitteldeutschen Vortragstage" nur geringe Resonanz fanden, verzichtete RIEGER 1999 gänzlich auf die Organisierung einer derartigen Veranstaltung. Die von ihm weiterhin maßgeblich beeinflussten Organisationen "Nordischer Ring" (NR), "Gesellschaft für biologische Anthropologie, Eugenik und Verhaltensforschung" (GfbAEV) sowie die "Artgemeinschaft - Germanische Glaubensgemeinschaft 97 wesensgemäßer Lebensgestaltung e.V." haben geringe Bedeutung. Auch seine anwaltliche Tätigkeit für Rechtsextremisten hat stark nachgelassen. Andre GOERTZ ist in der rechtsextremistischen Szene weiter umstritten. Seine Versuche ab 1995, als angeblich neue politische Strömung einen "Progressiven Nationalismus" Am 31.08.99 befasste sich das NIT in zu etablieren, sind misslungen. zynischer Weise mit Auswirkungen Seitdem er und seine wenigen rassistischer und fremdenfeindlicher verbliebenen Anhänger sich Übergriffe auf die Tourismusbranche am gänzlich von öffentlichen AktioBeispiel Brandenburgs. Entgegen der nen anderer Rechtsextremisten "multikulturellen Propaganda bis zum fernhalten, spielt GOERTZ ausErbrechen" seien nach der "sogenannschließlich im Bereich der moten" Hetzjagd von Guben, rassistischen dernen Kommunikationsmittel Pöbeleien gegen schwarze Fußballer in noch eine bedeutende Rolle. Cottbus und Prügeleien von Skinheads Er betreibt im Netzverbund die gegen "Dunkelhäutige" in Fläming dort "Nationalen Info-Telefone" (NIT) jeweils die Gästezahlen gestiegen. Nach Hamburg, Schleswig-Holstein, der unausgesprochenen Logik der Mecklenburg-Vorpommern und Ansage stellten sich derartige Angriffe als Düsseldorf, daneben Internetgeradezu werbewirksam für den Aktivitäten sowie einen VerTourismus dar. triebsdienst mit Skinheadmusik. Im Januar 1999 wurde in Hamburg von einem ehemaligen Vorsitzenden des "Kreisverbandes Wandsbek" der REP (" 5.1) eine regionale rechtsextremistische Sammlungsbewegung unter dem Namen "Aufbruch 99" gegründet. Sie versteht sich nicht als Partei, sondern als Zusammenschluss "national" gesinnter Personen, die die jetzige politische Führung Deutschlands kritisieren und dem Land zu einer "positiven" Änderung verhelfen möchten. Es soll sich als Sammlungsbecken für "national" ausgerichtete Freunde entwickeln, unabhängig davon, ob diese bereits anderweitig politisch organisiert oder noch unorganisiert sind. Auf mehreren Vortragsveranstaltungen des "Aufbruch 99" in Hamburg traten 1999 bekannte rechtsextremistische Referenten auf, u. a. Horst MAHLER und der REP-Bundesvorsitzende Dr. Rolf SCHLIERER. Die Veranstaltungsbesucher kamen aus unterschiedlichen rechtsextremistischen Spektren. 98 Die "Deutsche Liga für Volk und Heimat" (DLVH) hat seit Aufgabe ihres Parteienstatus im Jahre 1996 kontinuierlich an Bedeutung verloren. Die Hamburger Gruppe der DLVH, die ohnehin nur noch aus Einzelmitgliedern ohne organisatorische Strukturen bestand, hat sich im Herbst aufgelöst. Die "Hamburger Liste für Ausländerstopp" (HLA) hatte sich 1982 von der Hamburger NPD abgespalten. Nachdem sie offensichtlich nur noch als Organisationshülle besteht, gehen keinerlei Aktivitäten mehr von ihr aus. 7. Nutzung moderner Kommunikationsmittel Analog zur gesamtgesellschaftlichen Entwicklung schreitet auch unter Rechtsextremisten die Verbreitung und Nutzung moderner Kommunikationsmittel fort. Insbesondere die Vorzüge des Internet werden zunehmend genutzt. Die Vielfalt der Anwendungsmöglichkeiten steigert sich ständig (Text-, Bildund Tonbeiträge, Musikangebote zum Herunterladen, Einrichtung von "Channels" zur Unterhaltung über bestimmte Themen durch wechselseitige Texteingaben). Daneben nutzen Rechtsextremisten seit Jahren Info-Telefone zur Propagandaund Informationsverbreitung. Dagegen haben Mailboxen aufgrund der größeren Attraktivität des Internet keine Bedeutung mehr. Die beiden Mailboxnetze "Thule-Netz" und "Nordland-Netz" wurden im Laufe des Jahres 1999 eingestellt. Die informelle Vernetzung im Rechtsextremismus hat sich durch die Nutzung des Internet erheblich verbreitert. Die Zahl rechtsextremistischer deutscher Internet-Seiten ist 1999 auf 320 gestiegen (1996 noch 30, 1998 bereits über 200). Mit der gewachsenen Akzeptanz, Popularität und Benutzerzahl des weltweiten Kommunikationsmittels Internet haben sich auch die darüber entfalteten rechtsextremistischen Aktivitäten quantitativ und qualitativ weiterentwickelt. Neben einer aufwendigeren und anspruchsvolleren grafischen Gestaltung erlaubt es das Internet, Audiound Videosequenzen abzuspielen. Es wurde dadurch zu einem anschaulicher, interessanter und professioneller wirkenden Propagandaträger. Mittlerweile ist nahezu die gesamte rechtsextremistische Szene im Internet vertreten. Neben regionalen und überregionalen Skinheadszenen, Neonazikameradschaften, Autoren und Gruppierungen der Neuen Rechten, heidnischen, rassistischen, antisemitischen und sonstigen Kleinorganisationen präsentieren sich auch rechtsextremistische Informationsdienste, Internetzeitungen und Diskussionsforen im Netz. Die rechtsextremistischen Parteien verfügen über ein breit gefächertes Internet-Angebot. Dessen Palette reicht von Bekanntmachungen zu Aktionsterminen über allgemeine und spezielle Nach99 richten, Kommentare, Presseerklärungen bis hin zu Hintergrundinformationen, politischen Kommentierungen, Literaturverzeichnissen, politischen Konzeptund Programmvorstellungen sowie Abhandlungen politischer Theorien. Automatische Verknüpfungen ("Links") ermöglichen direkte Zugriffe auf Internet-Seiten anderer rechtsextremistischer Organisationen. Über das Internet angebotene CDs Hinzu kommt eine große Auswahl ausländischer Internet-Seiten, auf denen sich deutsche Rechtsextremisten schnell und problemlos mit Propagandamaterialien rechtsextremistischer Organisationen, mit reproduzierten Originalunterlagen bzw. Emblemen und sonstigen Symbolen nationalsozialistischer Herkunft sowie mit Hetzschriften versorgen können, die in 100 Deutschland verboten sind. Über Selbstkontrolle oder aufgrund von Hinweisen der Sicherheitsbehörden haben deutsche Internet-Anbieter in der Vergangenheit häufig eindeutig rechtsextremistische Inhalte aus dem Netz entfernt. Dies führte dazu, dass mehr und mehr deutsche Rechtsextremisten dazu übergegangen sind, ihre Homepages über ausländische - vor allen US-amerikanische Server - ins Internet einzustellen. Weil die Urheber davon ausgehen, dass die deutschen Sicherheitsbehörden im Hinblick auf eine strafrechtliche Verfolgung der User unter diesen Umständen nahezu machtlos sind, speisen sie über ausländische Server wieder verstärkt rassistische, revisionistische und volksverhetzende Aufrufe ein. Selbst bei der Veröffentlichung detaillierter Anleitungen zur Herstellung von Sprengund Brandsätzen sowie sonstiger Anschlagsoder Sabotagemittel fühlt sich das rechtsextremistische Internetspektrum sicher. Gezielte Aufforderungen zur Gewalt bis hin zum Mord (z. B. gegen politische Gegner) fehlen ebenfalls nicht. Im September 1999 verbreitete per Internet der "Großdeutsche Rundfunk - Radio Wolfsschanze" volksverhetzende, gewaltverherrlichende, antisemitische und fremdenfeindliche Inhalte, so als besonders abstoßendes Beispiel eine fiktive Reportage aus dem türkischen Erdbebengebiet. Darin äußerten die Urheber ihre Freude über mehrere Tausend türkische Erdbebenopfer. Daneben veröffentlichen Skinheads Texte indizierter Musikstücke bzw. ermöglichen es, diese verbotenen Titel zu überspielen. In Einzelfällen konnten die Sicherheitsbehörden Betreiber von Homepages, die strafbare Inhalte verbreiteten, ermitteln und Verfahren gegen sie einleiten. 101 Eine wichtige Funktion bei der informellen Vernetzung erfüllen unverändert die "Nationalen Info-Telefone" (NIT). Sie werden insbesondere zur Mobilisierung der rechtsextremistischen Szene für gemeinsame Aktionen genutzt. Daneben kommentieren die Betreiber politische Themen aus rechtsextremistischer Sicht, agitieren gegen das Verhalten demokratischer Politiker und Organe und vermitteln Informationen aus der rechtsextremistischen Szene. Ende 1999 waren noch die NITs Baden-Württemberg, Schwaben, Mannheim, Rheinland, Karlsruhe, "Bündnis-Rechts" Lübeck, Preussen, DeutschlandSturm, Mitteldeutschland und Bayern in Betrieb. Besondere Bedeutung haben die von Andre GOERTZ (" 6.) in einem Verbund betriebenen NIT Hamburg, Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern und Düsseldorf, die unter einer einheitlichen 0700-er Nummer textidentische Ansagen bringen. Seit Mitte des Jahres ist das "Freie Infotelefon Norddeutschland" (FIT)mit den Regionalanschlüssen Hamburg und Mecklenburg in Betrieb. Mit diesem "Freien-Infotelefon" hat sich der Kameradenkreis um Thomas WULFF (" 4.2) ein eigenes Informationsmedium geschaffen, um von den "Nationalen Info-Telefonen" und ihren Betreibern unabhängig zu sein. 102 III. Linksextremismus 1. Überblick/Aktuelle Entwicklungen und Schwerpunkte 1.1 Tendenzen, Themen und Aktivitäten Die linksextremistische Szene hat ihre seit Jahren andauernde Krise und Stagnation in nahezu allen Teilbereichen und Themenfeldern auch 1999 nicht überwunden. Das gescheiterte Experiment des "realen Sozialismus" in Europa bzw. der angeblichen erstmaligen "politischen Herrschaft der Arbeiterklasse" im "ersten deutschen Friedensstaat" DDR wird von Teilen des Spektrums immer weniger kritisch beleuchtet, sondern eher nostalgisch verbrämt und glorifiziert. Visionen eines "neuen Anlaufs" zum Sozialismus/Kommunismus beherrschen insbesondere das beharrliche Streben der revolutionären Marxisten zur "Überwindung" des "imperialistischen" und "kapitalistischen Systems". Sie verschleiern ihre verfassungsfeindlichen Bestrebungen allerdings in diffuseren Zielbeschreibungen, um die unverändert verfolgten klassischen Zielsetzungen kommunistischer Machteroberung - die "Diktatur des Proletariats" - zu verharmlosen. Es fehlt ihnen aber an erfolgreichen Handlungskonzepten und stabilen Bündnisbewegungen. Obwohl Linksextremisten - ähnlich wie Rechtsextremisten - die Zersplitterung des eigenen politischen Lagers ständig beklagen, zerbrechen Bündnisansätze immer noch häufig an eher kleinkarierten ideologischen Streitigkeiten. Hingegen ist die aktionistische Zusammenarbeit zwischen den unverändert in Theorien von MARX und LENIN verankerten orthodoxkommunistischen Gruppierungen und den im Gegensatz zu ihnen undogmatisch ausgerichteten Autonomen bei besonderen Anlässen zur Normalität geworden. Probleme der politischen Legitimation, der Attraktivität für neue Interessenten, organisatorische Schwächen und fehlende Fortschritte bei der organisationsübergreifenden Sammlung zersplitterter Kräftepotentiale erstrecken sich - in Hamburg mit punktuellen Ausnahmen bei einzelnen autonomen Antifa-Gruppen - quer durch die gesamte linksextremistische Szene. Aus ihnen resultiert auch eine wachsende 'Vergreisung' von Zusammenhängen. Aufgrund fortschreitender Abnutzung von Kampagneninhalten, fehlender neuer griffiger Themen sowie mitreißender einleuchtender Lösungsansätze fällt es den langjährigen Vorkämpfern und "Veteranen" der 103 linksextremistische Szene immer schwerer, jüngere Menschen in nennenswerter Zahl anzuziehen und an sich zu binden. Aus dem orthodox-kommunistischen Lager ist die nicht durch entsprechende Neuzugänge gedeckte Auszehrung der Gründergeneration seit längerem bekannt. Eine aktuelle AusHamburg: Altersstruktur in den autonomen und wertung des Landesantiimperialistischen Gruppen 1999 amtes für Verfassungs39,44% schutz in Hamburg zeigt, Autonome dass sich hier inzwischen auch in den Antiimperialisten 2 0 ,3 0 % autonomen und "anti- 1 7 ,2 2 % imperialistischen" Struk- 1 4 ,9 8 % 1 4 ,9 8 % 1 4 ,7 6 % 1 3 ,9 2 % 1 3 ,1 9 % 1 2 ,7 6 % turen eine schleichende Überalterung voll- 7 ,1 5 % 6 ,9 3 % 5 ,2 2 % 5 ,8 1 % 3 ,1 3 % 3 ,4 8 % 4 ,0 6 % zieht. Das nebenstehen- 0 ,0 0 % 0 ,0 0 % de Schaubild spiegelt mit dem Altersaufbau auch die Schwierigkei18 und 19-21 22-24 25-27 28-30 31-33 34-36 37-39 40 und ten der Szene wider: jünger Altersgruppen älter Autonome: Mit ca. 28 Jahren ist das Durchschnittsalter der Autonomen in Hamburg relativ hoch. Die letzte Blütezeit der Autonomen endete in den Jahren um 1990. In diese Zeit fielen die Hochphasen der St. Pauli-Hafenstraße, der "Roten Flora" und der Hausbesetzer-Szene. Von diesen Brennpunkten überdauerte lediglich ein kleiner linksextremistischer Szenezusammenhang um die "Rote Flora". Den Autonomen verblieben lediglich die Anti-AKW-Thematik und die Antifa-Kampagne als inhaltliche Schwerpunkte. Die gleichsam schon "historischen" Kampferfahrungen der "Alt-Autonomen" stoßen bei jüngeren neuen Interessenten eher auf Desinteresse und wenig Respekt oder Bewunderung. Als weiterer Schwachpunkt der autonomen Szene - möglicherweise ebenfalls überalterungsbedingt - erweist sich ihre zunehmende Vereinzelung. Früher war es für Autonome wichtig und identitätsstiftend, in größeren politisch homogenen Wohngemeinschaften quasi "revolutionären Stallgeruch" in vom "bürgerlichen System" abgewandten Alltags-Nischen zu pflegen. Heute wohnen viele Autonome allein oder in früher als "kleinbürgerlich" verpönten eheähnlichen Partnerschaften. Damit entfiel ein wesentliches 104 Element engster gegenseitiger Motivation und Kontrolle. Außerdem haben viele Autonome das Bedürfnis von Existenzplanungen wiederentdeckt. Während früher das politische Agieren kompromisslos im Zentrum des Lebens stand, genießt heute oft das Interesse an beruflicher Ausbildung (Lehre, Studium) einen auch im Zeitbudget erhöhten Stellenwert zu Lasten regelmäßiger politischer Arbeit. Der neuen Generation autonomer Aktivisten sind Lebensstil (z. B. Handies, Autos) sowie unpolitische Freizeitgestaltungen nicht mehr bedeutungslos - mit dem Ergebnis, dass Sonnenschein und Badeausflüge an die Elbe oder aber eine für extrem ungünstig bzw. unzumutbar gehaltene Witterung die Abwesenheit bei Demonstrationen beeinflussen. Die früher als selbstverständlich vorauszusetzende Bereitschaft zu bedingungsloser "Selbstaufopferung" in den politischen Alltagskämpfen weicht einer zunehmenden Neigung zum "coolen life style". Zur gelegentlichen Selbstblockade der autonomen Szene führt ihr Hang, nebensächliche interne Meinungsverschiedenheiten als zentrale Diskussionspunkte hochzustilisieren. Dazu zählt nach wie vor die bereits im Jahresbericht 1998 beschriebene "Patriarchatsdiskussion". Aus Sicht - insbesondere weiblicher - Autonomer ist das "Patriarchatsprinzip" (gemeint: die Unterdrückung von Frauen durch Männer) eine Säule des "kapitalistischen Unterdrückungssystems". Endlose und oft ergebnislose interne Auseinandersetzungen hierüber lähmen die Arbeit mancher autonomen Gruppen. Antiimperialisten / Antiimperialistischer Widerstand (AIW): In diesem, den bewaffneten Kampf bejahenden Teil der linksextremistischen Szene beträgt das durchschnittliche Lebensalter - weit höher als das der Autonomen - in Hamburg mehr als 38 Jahre. Mehrheitlich stießen die heute noch politisch interessierten und agierenden "Antiimps" (Szenejargon) in den 80-er, z. T. schon in den 70-er Jahren zum "Widerstand". Die in der Zeit der west-östlichen Blockkonfrontation herrschende Bipolarität der Welt zwischen dem "imperialistischen" und "real-sozialistischen" Lager verhalf den "Antiimps" zu einem wenig erklärungsbedürftigen klaren Freund-/Feindbild. Alle vom zutiefst verabscheuungswürdigen "kapitalistisch-imperialistischen" Lager ausgehenden Aktivitäten wurden per se als bösartig definiert und waren somit zu bekämpfen. In diese zwei Jahrzehnte fiel auch die Hochkonjunktur des linksextremistischen Terrorismus der "Roten Armee Fraktion" (RAF), der "Revolutionären Zellen" (RZ) und diverser "kämpfender Einheiten". Nachdem der terroristische "Befreiungskampf" in Deutschland gescheitert war und weltweit den "Antiimps" auch potentielle oder tatsächliche "Verbündete" in Europa (z. B. "brigate rosse" / Italien, "action directe" / Frankreich) oder in anderen Regionen (z. B. "Sandinisten" / Nicaragua, 105 "PLO" u. a. / Naher Osten) abhanden gekommen waren, verfielen sie in eine tiefe ideologische Krise. Es verblieb nur noch die kurdische PKK als "Bündnispartner" und Vorbild für Teile der deutschen Antiimperialisten. Die PKK verliert jedoch wegen der von ihrem Vorsitzenden ÖCALAN mit seinem aktuellen "Friedenskurs" (" IV/3.) vollzogenen Abkehr vom bewaffneten Kampf auch hier an Anziehungskraft. Frustrierte und desillusionierte "Antiimpis" haben sich aus der politischen Arbeit zurückgezogen. Organisationen wie die RAF und einige RZ verabschiedeten sich vom "bewaffneten Kampf". Zahlreiche vorzeitige Haftentlassungen sowie Begnadigungen inhaftierter Terroristen entzogen der lange Zeit identitätsstiftenden Solidaritätsarbeit für "politische Gefangene" gleichsam die Geschäftsgrundlage. Die als Aktive nachgebliebenen älteren "Antiimps" vermochten zwar, diverse Gründe für ihr Scheitern anzuführen. Weder sie selbst noch jüngere Personen konnten jedoch umsetzbare neue Lösungsstrategien entwickeln. Dieses dürfte auch erklären, warum selbst ein aus linksextremistischer Sicht von den "imperialistischen" Staaten, insbesondere von Deutschland, ausgehender "völkerrechtswidriger Angriffskrieg" im KosovoKonflikt zu vergleichsweise verhaltenen Reaktionen dieser Szene führte. Gerade sogenannte "out of area"-Einsätze der Bundeswehr galten immer als denkbar schlimmster Fall und "Tag X" für massive "Interventionen" des antiimperialistischen Widerstands. Schwere Anschläge fanden in diesem Zusammenhang jedoch nicht statt. Die zuvor beschriebenen Defizite überlagerten und behinderten im abgelaufenen Jahr häufig Theorie und Praxis linksextremistischer Gruppierungen. Gleichwohl richteten sich ihre Bestrebungen unverändert gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung. In ihrer Agitation und Propaganda und in ihrem zum Teil militanten Aktionsverhalten dominierten als Themenschwerpunkte: * "Antirassismus" (" 4.3.1) Dieses in seiner ursprünglichen Bedeutung absolut berechtigte Anliegen wird von Linksextremisten als Kampfbegriff für eine Kampagne genutzt, die sich zunehmend mit der "Antifaschismus"-Kampagne überschneidet. Aus behaupteten "rassistischen" Verhaltensweisen von Personen, Institutionen oder Unternehmen des Staates, der Gesellschaft und der Wirtschaft haben "Antirassisten" sich erneut Vorwände für Anschläge und sonstige Gewaltanwendungen konstruiert. * "Antifaschismus" (" 4.3.2): Sogenannte autonome "Antifas" versuchten auch 1999 - teils mit massiver Gewalt - rechtsextremistische Aufmärsche zu beoder verhindern. Der "antifaschistische Kampf" zielt 106 allerdings nicht nur gegen vermeintliche oder tatsächliche Rechtsextremisten ("Schlagt die Faschisten, wo Ihr sie trefft!"), sondern zugleich gegen das "herrschende System", das als Verursacher, heimlicher Unterstützer und Profiteur rechtsextremistischer Entwicklungen verantwortlich gemacht wird. * Anti-AKW-Kampf: (" 4.3.3): Auch der Kampf gegen die Kernenergie ist aus linksextremistischer Sicht Teil des "Widerstandes gegen das herrschende System", der Militanz - insbesondere Sabotageaktionen - als Mittel der politischen Auseinandersetzung legitimiert. In seiner Erwartungslosigkeit hinsichtlich eines Umsteuerns in der Atompolitik nach dem Regierungswechsel 1998 glaubt sich das autonome Spektrum durch den bisherigen Verlauf der Atomausstiegsverhandlungen bestätigt: "Das Schwein hat nur einen anderen Namen" (Zitat aus einem Diskussionspapier). Unabhängig von möglichen Ergebnissen der Konsensgespräche zwischen Bundesregierung und Atomindustrie bereiten Autonome sich schon jetzt mit höchst detaillierten Strategieentwürfen und logistischen Vorkehrungen zielstrebig darauf vor, Castortransporte erneut mit massiver Gewalt gegen Polizeikräfte und mit Störungen der Transportwege zu verhindern. * Im Verlauf der Anti-NATO-Kampagne (" 4.3.4) ließen autonome Gruppen eine differenziertere Beurteilung der serbischen Massenvertreibungsund Mordaktionen im Kosovo erkennen, als die in marxistisch-leninistischen Erklärungskategorien verharrenden orthodoxen Kommunisten (DKP und Umfeld). Einigkeit bestand aber in der Verdammung der NATO-Länder als "imperialistisch" und in der Verurteilung der NATO-Intervention als Akt kapitalistischen Herrschafts-, Expansionsund Ausbeutungsstrebens hinter einer angeblich nur vorgetäuschten Besorgnis um Humanität und Menschenrechte. Insbesondere während der Kriegsmonate gab es zahlreiche, zum Teil auch militante Aktionen. * Die Propaganda linksextremistischer Gruppen, die sich einer extremen, bisweilen ins Absurde abgleitenden antinationalen und antideutschen Agitation verschrieben haben, stieß vor dem Hintergrund des Kosovo-Krieges im linksextremistischen Spektrum anders als früher auf zunehmende Resonanz. Motto einer "Antinationalen Konferenz" am 03.10.99 in Berlin: "Der Hauptfeind steht im eigenen Land" (" 4.3.5) * Verschiedene Aktionen und Demonstration der linksextremistischen Szene galten der Solidarität mit dem in den USA wegen Polizistenmordes zum Tode verurteilten Mumia ABU JAMAL (" 4.3.6). 107 Aktionen (dargestellt als "Widerstand") gegen Stadtteilentwicklung/Umstrukturierung in von der Szene gleichsam als 'eigene' Territorien beanspruchten Hamburger Wohngegenden konzentrierten sich 1999 wie im Vorjahr auf das Schanzenviertel. Sie wurden erneut mit der dort ausgeprägten Drogenproblematik und einer damit zusammenhängenden angeblichen "rassistischen Verfolgung" schwarzafrikanischer Dealer verquickt (" 4.3.1 und 4.2). Linksextremistische Agitation gegen Massenarbeitslosigkeit oder gegen die Erprobung und Nutzung von Gentechnik blieben in Hamburg eher Randthemen. Gegen die vom 01.06. - 31.10.2000 in Hannover stattfindende Weltausstellung "EXPO" formiert sich eine bundesweite Widerstandsbewegung mit inzwischen über 50 Kontaktadressen (u. a. in Hamburg), deren Hauptinitiatoren in Niedersachsen festzustellen sind. Während dort von militanten Gruppen bereits gegen die "EXPO" gerichtete Brandanschläge und Sachbeschädigungen verübt wurden, behandelte der weit überwiegende Teil der Hamburger linksextremistischen Szene das bevorstehende Ereignis - wenn überhaupt - 1999 vorerst noch als Randthema. 1.2 Organisationen und Potentiale: Linksextremistische Personenpotentiale Im Berichtsjahr gliederten (Bundesebene) sich linksextremistische Organisationen und Vereini34200 gungen bundesweit in 44 Parteien / Fraktionen sowie 1998 34700 sonstige Kernund Ne34100 benorganisationen (1998: 1996 35900 43). Ihnen gehörten ca. 27.700 (1998: 28.400) Per35500 sonen an. Dieser Zahl 1994 34100 sind noch ca. 7.000 Perso34300 nen der Kategorie "Gewaltbereite Linksextremisten" 1992 33300 in 65 Gruppen (Autonome, 26600 Anarchisten, Antiimperia1990 29800 listischer Widerstand [AIW]) hinzuzurechnen (1998: 7.000 38700 in 66 Gruppen). Die Bun1988 50600 deszahlen enthalten auch die Mitglieder der "Kommunistischen Plattform der PDS" (KPF) sowie Mitglieder weiterer linksextremistischer Gruppen in der PDS (nicht in allen Ländern 108 Linksextremistische Personenpoteniale Beobachtungsobjekt, 1999 (Hamburg) auch nicht in Hamburg). Bundesweit stufen die 1999 1350 Verfassungsschutzbehörden 1998 1350 nach Abzug von 500 (1998: 1440 700) Mehrfachmitglied1997 schaften insgesamt 34.200 1996 1450 (1998: 34.700) Personen als 1995 1355 Linksextremisten ein. 1994 1220 Das Potential Hamburger 1993 1250 Linksextremisten ist mit 1992 1350 1.350 Personen konstant geblieben. Die Zahl der gewalt1991 1990 bereiten Autonomen sowie 1990 3500 des "Antiimperialistischen 1989 3600 Widerstandes" (1999: 560, 1988 4700 1998: 600) - sie beinhaltet auch die relativ kleine anarchistische Szene in Hamburg - hat sich leicht verringert. Im Gegensatz dazu hat sich die Anhängerschaft des trotzkistischen "Linksruck"-Netzwerks und der Militante Linksextremisten antinationalen "Radikalen Linken" (Hamburg) erhöht. Die Zahlen für das Gewaltpotential 700 erscheinen, gemessen an den zu680 meist weit darunter liegenden Teil600 nehmerstärken dieses Spektrums 560 bei Demonstrationen, zunächst relativ hoch. Es agiert jedoch bei den wenigsten Gelegenheiten 'vollzählig' und militant auf der Straße. Beispiele belegen, dass sich Autonome durchaus für ein oder zwei Jahre aus ihren vertrauten politischen Strukturen zurückziehen, um sich danach plötzlich wieder aktiv einzumischen. Sie können trotz vorübergehender Abwesenheit als 0 Teil des mobilisierbaren Potentials 1996 1997 1998 1999 nicht außer Betracht bleiben. 109 Auch das orthodox-kommunistische Lager wies gegenüber dem Vorjahr auf Bundesebene und in Hamburg einen Mitgliederschwund auf. Nach wie vor ist hier die "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP) mit ca. 360 Mitgliedern (Vorjahr 400) die stärkste Vereinigung. Ihre Mitgliederverluste bewegen sich damit in Hamburg um ca. 10 % (Bundesebene: ca. 25 %). 1.3 Beteiligung an Wahlen Die DKP beteiligte sich 1999 - teils direkt, teils indirekt mit Einzelmitgliedern auf anderen Kandidatenlisten (im wesentlichen der PDS) - an der Europawahl sowie an Landtagsund Kommunalwahlen. Vereinzelt kandidierten DKP-Mitglieder auf offenen Listen der PDS, deren Wahlkämpfe sie dabei unterstützten. Kandidaten der DKP erzielten keine nennenswerten Wahlergebnisse. 2. Linksextremistisch motivierte Strafund Gewalttaten / Statistik Die Zahlen auf Bundesebene basieren auf Angaben des BunBundesebene: Linksextremistische deskriminalamtes (BKA) - für Gewalttaten/Straftaten insgesamt Hamburg auf Angaben des Gewalttaten Landeskriminalamtes (LKA). 1999 wurden bundesweit ins3201 Straftaten 3079 3.055 gesamt 3.055 (1998: 3.201) insgesamt Straftaten mit erwiesenem oder zu vermutendem linksex2535 tremistischen Hintergrund erfasst, darunter 711 (1998: 783) Gewalttaten. Daraus ergeben sich gegenüber 1998 ein Rückgang der Straftaten insgesamt um 146 (- 4,6 %) sowie ein Rückgang der Gewalttaten um 833 783 72 (- 9,2 %). Die meisten der 716 711 1999 festgestellten 711 Gewalttaten sind Angehörigen des autonomen und anarchis1996 1997 1998 1999 tischen Spektrums zuzuordnen. 110 Bundesebene: Gewalttaten und sonstige Straftaten mit linksextremistischem Hintergrund (Tatarten) Art der Delikte: 1998 1999 Tötungsdelikte 0 0 Versuchte Tötungsdelikte 4 0 Körperverletzungen 227 215 Brandstiftungen 47 68 Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion 1 0 Landfriedensbruch 289 269 Gefährl. Eingriffe Bahn-, Luft-, Schiffs-, Straßenverkehr 58 19 Widerstandsdelikte 157 140 Gewalttaten insgesamt: 783 711 Sonstige Straftaten: Sachbeschädigungen 1.166 1.246 Nötigung/Bedrohung 111 73 Andere Straftaten 1.141 1.025 Sonstige Straftaten insgesamt: 2.418 2.344 Straftaten insgesamt: 3.201 3.055 (Anm.: BfV stuft Widerstandsdelikte - im Gegensatz zu LKA HH u. BKA - als Gewalttaten ein) Bundesweit wurden 1999 insgesamt 299 (+ 14,6 %, 1998: 261) Gewalttaten mit "antifaschistischer" Zielrichtung "Links gegen Rechts" registriert. Sie richteten sich gegen tatsächliche oder vermeintliche Personen und Objekte der rechtsextremistischen Szene. Bereits von 1997 auf 1998 hatten sich die Gewaltdelikte dieser Tatrichtung verdoppelt. Die Tatsache, dass 1999 kein Castor-Transport im Bundesgebiet stattgefunden hat, spiegelt sich in einem deutlichen Rückgang (- 87,2 %) der Gewalttaten durch militante Kernenergiegegner wider (1999: 10, 1998: 78). 1999 wurden in Hamburg insgesamt 131 (1998: 72) Straftaten mit erwiesenem oder zu vermutendem linksextremistischen Hintergrund erfasst. Dieses bedeutet einen Anstieg um fast 82 %. Der höchste Anteil entfällt mit 56 Fällen auf die Kategorie Sachbeschädigungen. Trotz der unter " 1.1 umrissenen inneren Defizite im linksextremistischen Spektrum ist auch die Zahl der Gewalttaten gestiegen (1999: 33, 1998: 27). Der Anstieg (+6) entspricht einer Zunahme um gut ein Fünftel. Er steht im Gegensatz zum rückläufigen Jahrestrend auf Bundesebene. Bei den in Hamburg festgestellten Gewalttaten handelt es sich zu rund 70 % (23 Fälle) um Landfriedensbrüche. Hinzu kommen sechs Körperverletzungen, eine Brandstiftung, zwei gefährliche Eingriffe in den Verkehr und ein Fall in der Deliktkategorie Raub/Erpressung. Ein Schwerpunkt linksextremistischer Gesetzesverletzungen lag im Juli 1999 bei antifaschistischen Aktionen gegen einen von der 111 NPD angemeldeten Aufmarsch in Hamburg-Bergedorf. Das Verhalten von Linksextremisten korrespondierte zum Teil mit der gestiegenen öffentlichen Präsenz von Rechtsextremisten Hamburg: Linksextremistische in Hamburg. Herausragende Gewalttaten/Straftaten insgesamt Fälle des Jahres 1999 sind insbesondere in den Kapiteln " 4.3.2 "Antifaschismus" und " Gewalttaten 131 4.3.1 "Antirassismus" beschrieStraftaten ben. insgesamt Über die in Hamburg verübten 100 "antifaschistisch/antirassistisch" 84 motivierten Strafund Gewalttaten hinaus erscheint folgen72 des Ereignis mit ungeklärtem Hintergrund bemerkenswert: Am 06.04.99 verübten Unbe32 33 kannte einen Schusswaffenan27 23 schlag auf die Landesgeschäftsstelle der GAL in Hamburg. In der Tür wurden 1996 1997 1998 1999 mehrere Einschüsse vorgefunden. Als Zielscheiben waren Konterfeis von Bundesaußenminister FISCHER und US-Präsident CLINTON aufgehängt. Die Täter sprühten die Parole "Grüne Kriegstreiber! Angekommen! Angreifen" an die Wand des Treppenhauses. Am Gebäude war ein Transparent mit der Aufschrift "Kriegspartei besetzt" aufgehängt. Da entgegen der ansonsten von Linksextremisten geübten Praxis ein Bekennungsschreiben ausblieb, ist offen, ob ein linksextremistischer Hintergrund vorliegt. 3. Linksterroristische Bestrebungen Mit der Urteilsverkündung gegen die Mitglieder der "Antiimperialistischen Zelle" (AIZ) Bernhard FALK und Michael STEINAU im September 1999 schloss sich ein weiteres Kapitel des organisierten linksextremistischen Terrorismus in Deutschland. Die AIZ hatte sich Anfang der 90-er Jahre zur Aufgabe gemacht, die Nachfolge der "Rote Armee Fraktion" (RAF) anzutreten, nachdem diese im April 1992 erklärt hatte, auf weitere Morde zu verzichten. 112 Mit steigender Intensität beging diese terroristische Kleingruppe objektbezogene Anschläge, die sich zuletzt vornehmlich gegen weniger bekannte Funktionsträger aus Wirtschaft und Politik richteten. Dabei nahm die AIZ bei ihren "potentiell tödlichen Aktionen" billigend in Kauf, dass bei Anschlägen auch Unbeteiligte - z. B. zufällig am Anschlagsort aufhältliche Passanten - zu Schaden hätten kommen können. Sowohl wiederholte Namensänderungen, variable Anschlagsmodalitäten, vor allem aber gravierende ideologische Schwenks wiesen darauf hin, dass es im Laufe der Jahre zu einer (möglicherweise mehrmaligen) Veränderung in der AIZ-Mitgliederstruktur gekommen sein dürfte. Diese Schlussfolgerung wurde u. a. durch die Aussage eines ehemaligen AIZ-Mitgliedes in einer Sendung von "Spiegel TV" am 18.01.1998 gestützt. Seit der Festnahme der zwei AIZ-Aktivisten Bernhard FALK und Michael STEINAU im Februar 1996 ist die Gruppierung weder in Worten noch in Taten wieder in Erscheinung getreten. Wenn es auch Hinweise darauf gibt, dass in der AIZ zeitweise weitere Personen mitgewirkt haben dürften, ist die Wirkungszeit dieser terroristischen Kleingruppe beendet. Am 01.09.99 verurteilte das Düsseldorfer Oberlandesgericht Bernhard FALK und Michael STEINAU u. a. wegen vierfachen versuchten Mordes, Herbeiführung von Sprengstoffexplosionen und der Verabredung eines Verbrechens zu Haftstrafen von 13 bzw. 9 Jahren. Das geringere Strafmaß für STEINAU begründete das Gericht mit verminderter Schuldfähigkeit aufgrund einer frühkindlich erlittenen Hirnschädigung. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass FALK und STEINAU im Jahre 1995 als - spätestens zu diesem Zeitpunkt - einzige Mitglieder der AIZ für vier Sprengstoffanschläge auf Wohnhäuser von Politikern in Wolfsburg, Erkrath und Siegen sowie auf das Gebäude des peruanischen Honorarkonsulats in Düsseldorf verantwortlich sind. Bei diesen Taten hätten beide Verurteilten mit bedingtem Tötungsvorsatz gehandelt. Es sei allein glücklichen Umständen zu verdanken, dass keine Menschen ernsthaft zu Schaden gekommen oder getötet worden seien. Wenngleich sich die "Rote Armee Fraktion" (RAF) bereits 1998 als Organisation aufgelöst hatte, halten sich nach wie vor ehemalige RAF-Mitglieder und andere Deutsche im terroristischen Untergrund auf. Dies wurde durch Ereignisse in Wien/Österreich im September 1999 deutlich. Am 15.09.99 kam der seit 1986 wegen Mitgliedschaft in der RAF und wegen Mordes an dem Siemens-Manager Prof. Dr. BECKURTS und seinem Fahrer GROPPLER mit internationalem Haftbefehl gesuchte Horst Ludwig 113 MEYER bei einem Schusswechsel mit der österreichischen Polizei in Wien/Österreich ums Leben. Ein Polizist wurde verletzt. Die MEYER begleitende und seit 1984 ebenfalls gesuchte Andrea KLUMP wurde unverletzt festgenommen. Passanten hatten die Polizei informiert, weil sich beide auffällig verhalten hatten. Bei der polizeilichen Überprüfung entriss MEYER einer Beamtin die Waffe und floh mit seiner Begleiterin. In einer Nebenstraße kam es wenig später zum Schusswechsel mit der Polizei, bei dem MEYER getötet und KLUMP festgenommen wurde. Beide hatten gefälschte italienische Personaldokumente bei sich, MEYER war mit einer Pistole bewaffnet, KLUMP führte ein Springmesser bei sich. KLUMP war 1984 abgetaucht und hatte sich vermutlich der terroristischen Vereinigung "Antiimperialistische Internationale Brigade" angeschlossen. 1988 gehörte sie mit großer Wahrscheinlichkeit einem Terrorkommando an, das in Rota/ Spanien einen (missglückten) Sprengstoffanschlag gegen Angehörige der 6. US-Flotte verübte. An diesem Anschlag waren anscheinend weitere unbekannte Deutsche beteiligt. MEYER und KLUMP hatten seit mindestens 1996 in Wien unter falschem Namen als Untermieter gelebt. Nach Zeugenaussagen lebten sie sehr zurückgezogen. Funde in ihrer Wohnung weisen darauf hin, dass beide ihren Lebensunterhalt durch Überfälle finanziert haben dürften. Es blieb bisher offen, ob KLUMP und MEYER noch in aktive Terrorstrukturen eingebunden waren. Als Reaktion auf den Tod MEYERs und die Festnahme KLUMPs verübten unbekannte Täter am 17.09.99 in Kopenhagen einen Brandanschlag auf die österreichische Botschaft, dabei entstand geringer Sachschaden. In der in dänischer Sprache abgefassten Taterklärung einer "Aktionsgruppe Horst Ludwig Meyer" rechtfertigten die Täter den Anschlag mit der "pflicht", 114 ihre "revolutionären genossen zu verteidigen" und behaupteten eine "zunehmende militärische verfolgung bewaffneter revolutionäre". Insgesamt reagierte die deutsche linksextremistische Szene zurückhaltend auf die Vorkommnisse in Wien. Die Szenepublikation "Interim" kommentierte in einem Vorwort in der Ausgabe Nr. 485 vom 07.10.99, dass sich die Behörden offenbar nicht mit der Auflösung der RAF im vergangenen Jahr zufrieden geben würden. Wer jemals gegen diesen Staat kämpfte oder gekämpft habe, werde gejagt, im Zweifel gar erschossen: "Die Botschaft der Erschießung Meyers ist eindeutig: Ihr könnt den bewaffneten Kampf für beendet erklären, Euch ins Privatleben zurückziehen, ins Ausland begeben oder in anderen Bereichen engagieren, aber wir lassen Euch nicht in Ruhe." In der dem antiimperialistischen Widerstand zuzurechnenden Zeitschrift "Angehörigen Info" Nr. 225 vom 04.10.99 erschienen eine Todesanzeige zu MEYER und eine Stellungnahme der antiimperialistisch ausgerichteten "Kurdistan-Solidarität Hamburg", in der MEYER als Beispiel für den Kampf gegen das herrschende System gewürdigt wurde. "Horst Ludwig Meyer steht zusammen mit vielen anderen überall auf der Welt für den Weg des Kampfes für eine Gesellschaft, in der der Mensch im Zentrum steht; den Weg des Kampfes gegen das herrschende System. Im Zentrum dieses verhassten Systems sitzt der Profit und die Macht zur Sicherung dieses Profits. Alles andere ist untergeordnet. Zur Erhaltung und Durchsetzung wird jedes Mittel angewandt." 'Trittbrettfahrern' dürfte das Papier einer "Aktionsgruppe Horst Ludwig Mayer; respektive r.a.f., 4. Generation" (Fehler i. Orig.) zuzuordnen sein, das am 11.10.99 beim Bayerischen Rundfunk einging. Es enthielt zwischen einem RAF-Signet in der Kopfund Fußzeile lediglich 2 kurze Aussagen: "Kopenhagen war nur der Anfang" / "Die Revolution sagt: Ich bin". Es wird als nicht ernst zu nehmen eingeschätzt. An der Beerdigung MEYERs nahmen am 05.11.99 in Stuttgart rund 120 Personen teil, unter ihnen Angehörige des früheren RAF-Umfeldes und ehemalige Inhaftierte der RAF. Am 08.05.99 hatte sich bereits MEYERs Ehefrau Barbara 115 den deutschen Behörden gestellt. Nach eigenen Angaben habe sie nie der RAF angehört und sich in den letzten Jahren im Nahen Osten aufgehalten. Am 30.07.99 überfielen drei mit Motorradhelmen maskierte Täter in Duisburg einen Geldtransporter und erbeuteten über 1 Million DM. Sie stoppten das Fahrzeug mit Hilfe gestohlener PKW und bedrohten die Fahrer mit Gewehren sowie einer Panzerfaust. An einem der später gefundenen Helme stellte die Polizei Spuren sicher, die eindeutig dem aus Hamburg stammenden und seit 1991 mit Haftbefehl gesuchten RAF-Terroristen Ernst-Volker STAUB zugeordnet werden konnten. Die Tatausführung zeigte in ihren Einzelheiten hohe Übereinstimmung mit Geldbeschaffungsaktionen der RAF aus der Vergangenheit. Für ein Wiederaufleben dieser Terrororganisation liegen jedoch derzeit keinerlei Anhaltspunkte vor. Möglicherweise diente dieser Überfall lediglich zur Finanzierung der eigenen Existenz in der Illegalität. Auch von den "Revolutionären Zellen" (RZ) und deren eigenständiger Frauenorganisation "Rote Zora" gingen im vergangenen Jahr keine sichtbaren Aktivitäten aus. Trotz dieser nun schon länger andauernden Aktionspause ist davon auszugehen, dass noch Reststrukturen existieren. Zumindest von der "Roten Zora" wäre analog zur RAF eine Auflösungserklärung zu erwarten. Verschiedenen Hinweisen zufolge beschäftigen sich RZ-Verdachtspersonen derzeit mit dem Thema der Asylund Flüchtlingsproblematik. 24 Jahre nach dem blutigen Attentat auf die OPEC-Konferenz in Wien ist der Ex-Terrorist Hans-Joachim KLEIN wegen dreifachen Mordes angeklagt worden. Die Frankfurter Staatsanwaltschaft wirft ihm Beteiligung an dem Überfall auf die an der Konferenz teilnehmenden Erdölminister im Jahr 1975 vor, bei dem die Terroristen drei Geiseln erschossen hatten. KLEIN war 1998 in Frankreich festgenommen worden. Er sitzt z. Zt. im wieder aufgebauten hessischen Gefängnis Weiterstadt, das durch einen RAFSprengstoffanschlag 1993 weitgehend zerstört wurde. Nach Aussagen KLEINs sollen Angehörige des libyschen Geheimdienstes die Waffen für den Anschlag auf die OPEC im Diplomatengepäck nach Wien geschmuggelt haben. Den Sprengstoff hätten "Revolutionäre Zellen" geliefert. Nach Aussagen KLEINs soll Libyen die Terroristen über alle Sicherheitsvorkehrungen der Konferenz informiert haben. Bei der Geiselnahme hatte der in Frankreich zu lebenslanger Haft verurteilte Topterrorist "CARLOS" das Kommando geführt. KLEIN erlitt einen Bauchschuss und wurde mit Komplizen und Geiseln nach Algier ausgeflogen. Dort verlor sich seine Spur. 1977 sagte sich KLEIN vom Terrorismus los; am 08.09.1998 wurde er in Saint116 Honorine-la-Guillaume / Frankreich festgenommen. Er hatte dort fünf Jahre lang unter einem Decknamen gelebt. Durch ein Geständnis KLEINs wurde das 56 Jahre alte RZ-Mitglied Rudolf SCHINDLER in das Verfahren mit einbezogen, weil er KLEIN für den Anschlag rekrutiert und geholfen haben soll. SCHINDLER wird Beihilfe zum dreifachen Mord vorgeworfen. In Berlin, Brandenburg, Sachsen-Anhalt und Hessen kam es im November und Dezember 1999 im Rahmen der Aufklärung älterer RZ-Anschläge zu Wohnungsdurchsuchungen und Festnahmen. Dem in Berlin festgenommenen Verdächtigen Tarek MOUSLI wird vorgeworfen, * von 1986 bis 1996 ein Rädelsführer der RZ gewesen zu sein; * mit weiteren noch unbekannten RZ-Mitgliedern am 28.10.1986 in Berlin den Schusswaffenanschlag auf den Leiter der Berliner Ausländerbehörde Harald HOLLENBERG verübt zu haben; * einer der Täter des Schusswaffenanschlags vom 01.09.1987 auf den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Günter KORBMACHER in Berlin gewesen zu sein; * im Februar 1987 mit unbekannten anderen RZ-Mitgliedern einen Sprengstoffanschlag auf das Gebäude der Zentralen Anlaufstelle für Asylbewerber (ZSA) in Berlin durchgeführt zu haben; * zumindest 1995 zeitweilig unerlaubt Explosivstoffe besessen zu haben. Jüngere gewaltbereite Autonome und Antiimperialisten orientieren sich wieder vermehrt an den Strategien der RZ / "Rote Zora" und der früheren terroristischen "Bewegung 2. Juni". Zu den von ihnen als vorteilhaft hervorgehobenen Merkmalen der RZ-Strategien gehören * inhaltliche Wechselbeziehungen zwischen verdeckten Kämpfern und der "legalen Linken", * Agieren "aus der Legalität heraus", d. h. Aufbau von Kleingruppen, deren Angehörige vordergründig in der Legalität verankert sind, aus eben dieser Deckung heraus jedoch heimlich militante Aktionen starten. Der aufwendige, zeitraubende und somit hemmende Aufbau einer illegalen Untergrundstruktur und Logistik nach Mustern der ehemaligen RAF gilt als nicht mehr zeitgemäß. In der Schrift "radikal 156, 6/99" erschien im Juni ein Artikel "Aufforderung zum Tanz", dessen Verfasser eine "Umwälzung" der bestehenden Systeme forderten. Sie bezeichneten 117 "gezielte politische aktionen gegen sachen und auch personen (als) völlig legitim (...) wir fassen unter militanz nicht nur bewaffnete aktionen. vielmehr ist eine militante haltung für uns eine, bei der aus der grundlegend ablehnenden haltung gegen diesen und jeden staat, gegen akteure und profiteure der herrschaftsverhältnisse praktische konsequenzen folgen (...) wir sind jedenfalls nicht bereit, diesem staat das gewaltmonopol zu überlassen! Wir sind illegal und kriminell in der definition dieses staates. Etwas anderes können und wollen wir hier auch nicht sein." (Hervorheb. n. i. O.) Bei der Überschrift "Aufforderung zum Tanz" dürfte es sich um eine gezielte Wortassoziation zur "Rote Zora"-Schrift "Mili's Tanz auf dem Eis" aus dem Jahr 1993 handeln. Der Artikel könnte darauf hinweisen, dass den Verfassern auch Personen aus dem Verdachtsbereich RZ / "Rote Zora" angehören, die ihr 'Fachwissen' und ihr Verständnis von Militanz in den Diskussionsprozess einbringen wollen. Wenngleich in Hamburg derzeit keine verfestigten terroristischen Strukturen bestehen: Die Dimension des unter dem Vorwand einer "antifaschistisch" motivierten Bestrafungsaktion verübten Brandanschlages auf ein Busunternehmen am 25.05.99 in Schenefeld bei Hamburg (" 4.3.2) zeigt, dass auch einige Autonome an der Schwelle zum Terrorismus agieren. Dem Terrorismus nahe stehende Einzelpersonen und Kleingruppen, die sich - nach linksextremistischem Sprachgebrauch - "antiimperialistisch" ausrichten und den bewaffneten Kampf (militärisch und/oder militante Anschläge) gegen den freiheitlichen demokratischen Rechtsstaat grundsätzlich als Mittel der "politischen Auseinandersetzung" akzeptieren, werden als "Antiimperialistischer Widerstand" (AIW) bezeichnet. In diesem Bereich herrscht allerdings bereits seit Anfang der 90er Jahre Orientierungslosigkeit, maßgeblich zurückzuführen auf die 1992 von der RAF eingeleitete "Zäsur" (Verzicht auf gezielte Tötungsaktionen). Die hieraus resultierende Agonie wurde auch 1999 nur in punktuellen Ansätzen durchbrochen. Dem AIW mangelt es an einer szeneübergreifend verbindlichen Ideologie und klaren Zielen. Nur vereinzelt kristallisierten sich in den zurückliegenden Jahren kleinere neue organisatorische Ansätze heraus, deren Entwicklung 1999 aber ebenfalls stagnierte. Aktivitäten im Jahre 1999 zeigen jedoch, dass Orientierungsund Organisierungsdefizite den AIW nicht völlig handlungsunfähig gemacht haben: 118 Bereits 1998 hatten AIW-Gruppen - angeführt vom bundesweiten Zusammenschluss "libertad" - versucht, "linke Bewegungen" international zu vernetzen. Auf der Arbeitskonferenz "Befriedung oder Befreiung? Perspektiven internationaler Solidarität" Ostern 1999 in Berlin wurde die Idee weiterverfolgt. Gruppen aus mehreren europäischen Staaten (u. a. Spanien, Türkei) sowie aus Palästina und Afrika beteiligten sich an den Debatten zu Themen wie * Politische Justiz und Verteidigung, * Verhaftet, verschleppt und verschwunden, * Frauen und Knast, * Menschenwürde, Widerstand und Organisierung in der Gesellschaft, * Staatliche Repression und Widerstand von unten, * Der Kampf um die Solidarität. Die Beteiligten wollen über eine internationale Vernetzung die "kapitalistischen und imperialistischen Staatssysteme" wirksamer bekämpfen und letztlich beseitigen. Breiten Raum nahm die Solidarisierung mit "politischen Gefangenen" ein. Der Kongress hatte sich das Ziel gesetzt, eine radikale, internationalistische, "antiimperialistische" Bewegung für den Kampf gegen die angeblich "imperialistische" Gesellschaftsform zu organisieren. Titelbalken der Zeitung (Nr. 3, Februar 1999) für die internationale Konferenz "Befriedung oder Befreiung? Perspektiven internationaler Solidarität" in Berlin 01.-05.04.99 Die Veranstalter lobten den Kongress als gelungenen Versuch, erstmalig seit 1986 wieder ein breites internationales Spektrum von "Antiimperialisten" unter einem Dach zu versammeln. Auch 1999 wurden die Bemühungen zur Freilassung der letzten inhaftierten Terroristen (Eva HAULE, Rolf HEIßLER, Birgit HOGEFELD, Christian KLAR, Andrea KLUMP, Brigitte MOHNHAUPT, Rolf Clemens WAGNER) fortgesetzt. In Hamburg fand dazu im September 1999 eine maßgeblich durch die "Rote Hilfe" (" 4.2) mitinitiierte öffentliche Diskussionsveranstaltung "NATO-Krieg und politische Gefangene in der BRD" statt, in der eine Parallele 119 zwischen der NATO-Intervention gegen Jugoslawien und dem Krieg der USA gegen Vietnam gezogen wurde. Es wurde behauptet, dass beide Kriege Belege "imperialistischen" Machtstrebens und der Expansion politisch-ökonomischer Einflusszonen seien. Im Unterschied zum Vietnam-Krieg, bei dem die Bundesrepublik der Großmacht USA ein "ruhiges Hinterland" und ungefährdete Nachschubbasen besorgt habe, hätte sie im Kosovo-Konflikt wegen ihrer Führungsposition im europäischen NATO-Verband eine aktive Rolle gespielt. Eine ehemalige Angehörige der RAF referierte über die Beweggründe für den Kampf der RAF und rechtfertigte deren bewaffnete Aktionen. Lediglich der Mord an dem US-Soldaten PIMENTAL (1985/Frankfurt/M.) sei aus "politischen, humanitären und taktischen Gründen" ein "Fehler" gewesen. Demgegenüber sei gerechtfertigt, einen General zu erschießen, wenn dadurch eine politisch oder militärisch entscheidende Funktion "ausgeschaltet" werden könne. Kein Veranstaltungsteilnehmer widersprach dieser Aussage. Eine Splittergruppe innerhalb des AIW befasst sich nach wie vor mit der Solidaritätsarbeit für die PKK (" IV.3). Aus ihr hatten sich Mitte der 90-er Jahre einige Befürworter des bewaffneten Kampfes nach Kurdistan begeben, um sich dort in der Obhut der PKK politisch und militärisch mit dem Ziel schulen zu lassen, erworbene 'Fähigkeiten' anschließend in Deutschland anzuwenden. Einzelne Teilnehmer kostete ihr Einsatz hohe Opfer. Die aus Frankfurt stammende Andrea WOLF kam in der Folge von Kampfhandlungen zwischen einer PKK-Einheit und der türkischen Armee im Oktober 1998 zu Tode, ein anderer Aktivist verlor ein Bein. Ein von der "Demokratischen Partei Kurdistans/Irak" (DPK/I, mit der türkischen Regierung kooperierende irakische Kurdenorganisation) längere Zeit in Haft gehaltener Brigadist ist inzwischen in seinen ursprünglichen Gruppenzusammenhang in Deutschland zurückgekehrt. Obwohl fast alle Kader aus Kurdistan ihren Heimatstrukturen wieder unmittelbar zur Verfügung stehen, schafften diese es bisher nicht, sich aus ihrer Isolierung innerhalb der linksextremistischen Szene zu lösen. Alle nur erdenklichen Versuche, sich mit der Kurdenproblematik öffentliche Resonanz zu verschaffen, sind gescheitert. Der in Hamburg unter der Bezeichnung "Kurdistan Solidarität Hamburg" (KS) agierende Personenkreis veranstaltete im Spätherbst 1999 eine propagandistische "Bustour durch die BRD". Nicht einmal die jeweiligen links120 extremistischen Szenen in den dabei angesteuerten Städten (Hamburg: 23./ 24.10.99) nahmen spürbar Notiz von der Kampagne. Von ihrer offenbar vorbehaltlosen Solidarisierung mit Aktionen der PKK rückte die KS auch anlässlich der europaweiten militanten Ausschreitungen von PKK-Anhängern im Februar nicht ab. Selbst die Besetzung der Hamburger SPD-Zentrale am 17.02.99 und gleichzeitige Geiselnahme eines SPDKreisgeschäftsführers, den die Gewalttäter aus dem Fenster zu werfen drohten, rechtfertigte die KS in Verlautbarungen (Hintergrund: Ergreifung des PKK-Führers ÖCALAN, " IV/3). Am 19.07.99 riefen KS-Angehörige in Flugblättern zu einer Kundgebung für einsitzende kurdische Häftlinge vor der Hamburger Untersuchungshaftanstalt auf. In dem Flugblatt hieß es u.a. (Hervorh. n. i. Orig.): "Die internationale Solidarität ist die Kraft, die die imperialistische Offensive zum Stehen bringen kann. So wie die revolutionären Kräfte in der Türkei ihr Bündnis mit der PKK gestärkt haben (...) so ist auch in der BRD unser Platz an der Seite der kurdischen Befreiungsbewegung. Daraus ergibt sich für uns auch die praktische Solidarität mit den hunderten Kurdinnen und Kurden, die vom Repressionsapparat der BRD verfolgt werden. Aber es ergibt sich für uns vor allem die Aufgabe, das Schweigen der Bevölkerung hier zu brechen und eine antiimperialistische Bewegung aufzubauen gegen alle Unterdrückungskriege die laufen und die noch laufen werden...." Die KS schafft es immer weniger, potentiellen Bündnispartnern in der linksextremistischen Szene die ständigen politischen Kurssprünge der PKK und ihres Führers Abdullah ÖCALAN plausibel zu erklären. Während in früheren Jahren die PKK als eine der letzten "Befreiungsbewegungen" für den 121 antiimperialistischen Widerstand noch Vorbildcharakter genoss, dürfte der aktuelle Kurs der PKK - angekündigter Verzicht auf den bewaffneten Kampf und Angebot von Friedensverhandlungen mit der türkischen Regierung - von deutschen "Antiimperialisten" als Schlag ins Gesicht empfunden werden. Sollte die PKK darin fortfahren, verlören die KS-Angehörigen die wichtigste Quelle ihrer politischen Identifikation als "Antiimperialisten". Sie müssten sich konsequenterweise von der PKK abwenden. Lediglich eine Gedenkveranstaltung anlässlich des Todestages der in Kurdistan ums Leben gekommenen Andrea WOLF am 24.10.99 in HamburgWilhelmsburg stieß auf etwas größere Resonanz (einige hundert Personen - vorwiegend PKK-Anhänger). Leben und Tod von WOLF wurden teilweise romantisch verklärt, ohne dass ein politisches Signal von der Veranstaltung ausging. Als Fehlschlag endete auch der Versuch der "Kurdistansolidarität", vom Kosovo-Krieg propagandistisch zu profitieren. Ein weiterer Hamburger AIW-Zusammenhang ist die Gruppe "Roter Aufbruch", in der erfahrene "Antiimps" und Autonome zusammen arbeiten. Aufgrund seiner personellen Zusammensetzung, vor allem aber aufgrund seiner ideologischen Ausrichtung kann der "Rote Aufbruch" als Nachfolgeorganisation des aufgelösten Hamburger "Komitees gegen den imperialistischen Krieg" bezeichnet werden. Die Gruppe ist in der regionalen linksextremistischen Szene Hamburgs nebst Umland fest verankert. Sie unterhält zahlreiche Kontakte zu anderen Personen und Gruppen bis in den orthodoxkommunistischen Bereich hinein. Ihre Mitglieder waren z. T. seit mehr als 10 Jahren im terroristischen Umfeld aktiv und befürworten noch heute den bewaffneten Kampf. Die meisten können zurückliegende "antiimperialistische" und "internationalistische" Praxiserfahrungen vorweisen und bemühen sich seit geraumer Zeit, neue Organisierungsansätze voranzutreiben. Die Gruppe sieht sich aktuell als "Teil derer, die derzeit auf der Suche nach Perspektiven sind. Niemand hat derzeit konkrete Lösungen in der Tasche, deshalb ist uns der Gedanke an Einheit und Gemeinsamkeit in der Mobilisierung wichtig". Der "Rote Aufbruch" veröffentlichte anlassbezogen Flugblätter ("Was sind Fensterscheiben gegen Menschenleben"), die sich auf die militanten Ausschreitungen von PKK122 Anhängern nach der Festnahme ÖCALANs im Februar 1999 bezogen. Er organisierte Demonstrationen und Veranstaltungen und arbeitete in unterschiedlichen linksextremistischen Bündnissen in Hamburg mit. Die Gruppenangehörigen stellen den bewaffneten Kampf der PKK in der Türkei als legitim dar, weil er öffentliche Aufmerksamkeit für die Kurdistan-Problematik herausfordert. Während des Kosovo-Konflikts wollten Mitglieder des "Roten Aufbruchs" eine überregionale "antimilitaristische Initiative" gründen, um Autonomen und "antimilitaristischen" Gruppen eine "breite Informationsebene" anbieten zu können. Die kurzfristig ins Leben gerufenen Bündnisse lösten sich wegen ideologischer Streitigkeiten meist bald wieder auf. Zudem scheuten die Beteiligten angesichts äußerst brutaler Gräueltaten der serbischen Seite gegen die Zivilbevölkerung im Kosovo offenbar davor zurück, eine einseitige Anti-NATOund dadurch proserbisch erscheinende Haltung zu beziehen. Der Erfolg von Nachrichtendiensten, Polizei und Justiz, die AIZ aufzuklären, die Täter dingfest zu ermitteln und zu bestrafen, schließt vorerst eine jahrzehntelange Ära des dauerhaft organisierten linksextremistischen Terrorismus. Einstweilen weisen keine klaren tatsächlichen Anhaltspunkte darauf hin, dass schon in näherer Zukunft mit einer vergleichbaren neuen terroristischen Vereinigung zu rechnen wäre. Ereignisse in Italien mahnen allerdings zur Vorsicht beim Umgang mit übereilten Entwarnungen. Die Zerschlagung der zeitweise deutschen Terroristen nahestehenden italienischen "brigate rosse" ("Rote Brigaden", BR) galt lange Zeit als Schlusspunkt des dortigen Terrorismus. Am 20.05.99 - 11 Jahre nach dem letzten Mordanschlag - töteten Nachfolgestrukturen der BR in Rom den früheren Staatssekretär und Hochschullehrer Massimo D'ANTONA. Ein Beitrag in der Dezember-Ausgabe der "Interim" zeigt, dass terroristisches Gedankengut auch in der deutschen Szene nach wie vor virulent ist. Eine "militante frauen / lesbengruppe" betont, es sei ein "mythos, dass wir nichts machen können". Ein Konzept der Massenmobilisierung sei falsch. Die Verfasserinnen propagieren stattdessen klandestine (heimliche) militante Aktionen. Angesichts der "verhältnisse" würden ihnen "erstmal sprengsätze und sprengsätze und sprengsätze" einfallen. Diese hätten sich u. a. gegen Ausländerbehörden, gegen "abschiebeknäste" und deutsche multinationale Konzerne zu richten. Die Autorinnen forderten abschließend eine weitere "radikalisierung" der Szene an. 123 4. Autonome und anarchistische Gruppen 4.1 Aktuelle Entwicklung Autonome lehnen die bestehende Gesellschaftsstruktur fundamental ab, stellen sich bewusst außerhalb der staatlichen Ordnung und begegnen ihr aggressiv. Sie lassen sich von dem Wunschbild einer "herrschaftsfreien" Gesellschaft leiten, über deren Ausgestaltung nur vage Vorstellungen existieren. Für Autonome ist entscheidend, hier und jetzt den Staat, dessen Einrichtungen und gesellschaftliche Normen zu bekämpfen. Gewalt gilt als legitimes Mittel der politischen Auseinandersetzung. Die Spanne der Gewaltanwendung reicht von Sachbeschädigungen bis hin zu schweren, am Ende unter Umständen auch lebensgefährlichen Körperverletzungen. Letztere stellen aber Ausnahmen dar. Körperlich verletzende Gewalt mit möglichen dauernden Gesundheitsschäden oder gar mit tödlichem Ausgang sind auch aus Sicht der Autonomen das äußerste Mittel. Sie müsste aus "autonomer" Sicht 'sorgfältig' durchdacht, begründet und vor allem auch "vermittelbar" sein. Die Schwelle zur Anwendung von Gewalt ist zumeist sehr niedrig angesetzt, wenn sie sich gegen vermeintliche oder tatsächliche Rechtsextremisten richtet. Dies belegte erneut der Brandanschlag auf das Anwesen des Neonazis Thorsten HEISE am 28.10.99 in Northeim/Niedersachsen. Autonome Antifaschisten hatten ein in Auszug aus Selbstbezichtigung d. "Antieinem Schuppen abgefaschistischen Brigade Söderberg": stelltes Auto in Brand ge"AUCH HEUTE IST ES MÖGLICH MILIsetzt. Obwohl das Feuer TANTE AKTIONEN DURCHZUFÜHREN. später auf das Wohngebäude DER BRD-ÜBERWACHUNGSSTAAT IST übergriff, in dem die Ehefrau NICHT LÜCKENLOS. DIE BULLEN KÖNNEN und ein Kleinkind schliefen, NICHT ALLES UND JEDEN KONTROLLIEwurde keine Person verletzt REN. ( ...) WIR HABEN GEZEIGT DASS WIR (Sachschaden ca. 270.000 ZEITPUNKT UND ART UND WEISE BESTIMDM). Die Täter meldeten sich MEN KÖNNEN FÜR DEN ANGRIFF AUF DIE nach Ausbruch des Brandes FASCHISTEN. bei einer Apotheke, die NotFASCHISTISCHE IDEOLOGIEN STEHEN dienst hatte. Sie bekannten EINER GESELLSCHAFT OHNE AUSBEUsich als "Antifaschistische TUNG UND UNTERDRÜCKUNG FRONTAL Brigade Söderberg" zu dem ENTGEGEN. DESHALB IST DER DIREKTE Anschlag. Am 02.11.99 ging ANGRIFF AUF DIE FASCHISTEN TEIL DES bei verschiedenen ZeitungsKAMPFES FÜR EINE BEFREITE GESELLredaktionen eine SelbstbeSCHAFT (Hervorh. n. i. Orig.) zichtigung ein. 124 Eigentliche Adressatin solcher An"Das Verhältnis der BRD zu faschistischläge ist die "kapitalistische" schen Organisationen ist ein funktioStaatsund Gesellschaftsordnung, nales (...) Faschistische Anschläge der eine Kumpanei mit Faschisten wurden (...) genutzt, um das Grundunterstellt wird. Dieses offenbarte im recht auf Asyl faktisch abschaffen zu Juli 1999 ein weiteres Mal die milikönnen (...) Es wird keine Lösung tante Göttinger "Autonome Antifa innerhalb des kapitalistischen M" im Internet bei der Begründung Systems geben (...) Das kapitalider bundesweiten Kampagne "Antifa stische System sollte also auch Offensive 99" - einer Arbeitsgeinnerhalb der antifaschistischen meinschaft der "Antifaschistischen Bewegung (...) angegangen werAktion/Bundesweite Organisation" den" ("Autonome Antifa M", Juli (AA/BO), an der auch die "Antifa1999, Hervorh. n. i. Orig.). schistische Gruppe Hamburg" (AGH) beteiligt ist. Ähnliches Gedanken"wenn wir diese gesellschaft gut findet sich auch in den Bekenumwälzen wollen, dann gilt es, sie nungen zu Aktionen und Anschlägen, jetzt zu bekämpfen, mit allen mitdie in Hamburg und Umland verübt teln, die uns in die köpfe und in die wurden (" 4.3.2). Gezielte Angriffe hände fallen (...) gezielte politische auf Personen wurden ebenfalls in aktionen gegen sachen und auch der auch von Autonomen stark personen sind völlig legitim (...) beachteten Untergrundzeitschrift wir sind illegal und kriminell in der "radikal" gerechtfertigt. In einem definition dieses staates, etwas anBeitrag der im Juni 1999 zuerst in deres wollen wir hier auch nicht Hamburg bekannt gesein!" ("radikal", Juni 1999, Hervorh. wordenen Ausgabe wurden sie als n. i. O). "legitim" bezeichnet. 4.2 Gruppen und Strukturen in Hamburg Wie bereits beschrieben (" 1.1), befinden sich die Autonomen - gerade in Hamburg - nach wie vor in einer Orientierungsphase, die intern gelegentlich als Prozess der "Selbstfindung" bezeichnet wird. Ideologische, aber auch persönliche Differenzen sowie die aus grundsätzlicher Abneigung gegen Institutionen und Hierarchien bei Autonomen vorzufindende Organisationsfeindlichkeit lassen neu gegründete Zusammenhänge oft schon nach kurzer Zeit wieder zerplatzen. Dabei kommt es vor, dass sie sich später in ähnlicher oder gar unveränderter Zusammensetzung rekonstruieren. Die Verweildauer der in den einzelnen Gruppen aktiven Personen hat sich zu Lasten inhaltlicher Kontinuität sowie Handlungsfähigkeit zunehmend verkürzt, macht sie aber unberechenbarer. Fehlende Gruppenstabilität erschwert allerdings den Sicherheitsbehörden zuverlässige Prognosen über extremistische Aktivitäten. 125 Neben den im Kapitel "Antifaschismus" (" 4.3.2) beschriebenen Gruppen sind folgende Gruppenzusammenhänge und autonomen Zentren von Bedeutung: "Rote Flora": Im November feierte das autonome Nutzerspektrum der "Roten Flora" das zehnjährige Bestehen dieses autonomen Stadtteilzentrums im Schanzenviertel. 1989 hatten die 'Vorkämpfer' der heutigen "Rote Flora"-Aktivisten nach dem Auslaufen eines sechswöchigen Nutzungsvertrages den Komplex kurzerhand für besetzt erklärt. In den Jahren 1992/93 waren Vertragsverhandlungen gescheitert. Das Jubiläum bot der Szene Anlass, den November 1999 zu einem "Aktionsmonat" zu erklären. Es fanden Veranstaltungen zur Besetzungsgeschichte und zum Werdegang des Objektes, aber auch zur generellen Entwicklung der autonomen Szene statt. Höhepunkt war ein Diskussionswochenende vom 26. - 28.11.99 unter dem Motto "Autonome Zentren - Schwarze Löcher im öffentlichen Raum" mit Vertretern von 12 Zentren aus dem Bundesgebiet, aus Österreich und der Schweiz. Insbesondere sollte hier mit Vertretern ähnlicher Projekte ein Austausch über mögliche Zukunftsperspektiven autonomer Zentren stattfinden. Außerdem veröffentlichten die "Floristen" ein graphisch aufwendiges - "Festspielprogramm November 1999" genanntes - Faltblatt, in dem sie aus ihrer Sicht die Chronologie des alternativen Stadtteilzentrums aufrollten. Einleitend hieß es u. a.: "Die einzige Option sich eine authentische Ausgangsbasis zu schaffen, ist die radikale Infragestellung dieses Systems und die 126 demonstrative Verweigerung seiner Beteiligungsstrukturen" (Hervorh. n. i. O.). Nicht ohne Stolz verweisen die autonomen Verfasser darauf, dass die "Rote Flora" eines der letzten "besetzten" Häuser in der Bundesrepublik sei und somit Seltenheitswert genieße. Nachfolgend argumentieren sie, der illegale bzw. besetzte Raum wirke sich "stimulierend" auf politische und kulturelle Aktivitäten aus. Den illegalen Nutzungsstatus glorifizierend heißt es (Hervorh. n. i. O.): "Besetzte Räume sind visuelle Brüche in der herrschenden Ordnung. Anregung und Zeitgeistmetapher der Revolte. Die 'Rote Flora' ist ein Ausdruck unser nicht nachlassenden Sehnsüchte nach Veränderung. Eine Wegmarke, gesetzt von provozierenden NachtschwärmerInnen und melodramatischen Kämpfen. Ein ständiger Alptraum im Koordinatensystem der Stadtplanerinnen und Aufstandsbekämpfer. Einfach ein störender Punkt in ihrem Raster voller Harmonie und Einklang. Und wir lieben es wirklich solche Ärgernisse zu bereiten." 1999 sah sich die "Rote Flora" einer zunehmenden öffentlichen Diskussion bezüglich einer möglichen Legalisierung ausgesetzt. Hierbei ging es um den - aus der Sicht der Autonomen - anhaltenden "Besetzungs"-Status. Das vom autonomen Selbstverständnis getragene Nutzerspektrum ist sich relativ einig, dass ihm die öffentlich erhobenen Legalisierungsforderungen nicht erstrebenswert erscheinen. Man stritt jedoch über Vorund Nachteile, entweder äußerem Druck nachzugeben oder einen Konfrontationskurs zu riskieren. "Hardliner" würden bei einem Scheitern von Verhandlungen eine Räumung und Beendigung des Projekts riskieren. Man glaubt jedoch Anzeichen entdeckt zu haben, dass inzwischen selbst "bürgerliche" bis 127 "konservative" Kreise nicht mehr an Räumung denken, sondern eine Legalisierung empfehlen. Die "Rote Flora"-Nutzer haben sich bisher nicht auf einen einheitlichen Standpunkt geeinigt, sondern hoffen vorerst auf Zeitgewinn. Ihr Motto: "Auf in die nächsten 10 Jahre!" Wie schon in den Vorjahren boten Drogenabhängige, die sich in der Umgebung der "Roten Flora" aufhalten, einen zentralen Diskussionsstoff. Die Auswirkungen des Konsums und Handels illegaler Drogen durch farbige Dealer auf offener Straße (umherliegende Fixerspritzen, Rauschgiftdepots auf Spielplätzen etc.) wurden erneut als Resultate einer verfehlten staatlichen Drogenpolitik dargestellt, obwohl viele Autonome die Einrichtung der Drogenhilfestation "Fixstern" begrüßten. Statt harte Drogen zu legalisieren, reagiere der Staat im Schanzenviertel mit "rassistischer" Polizeistrategie, die Schwarzafrikaner pauschal als Drogendealer stigmatisiere. Hiergegen richtete sich ein maßgeblich vom "Rote Flora"-Spektrum mitorganisierter "Aktionstag gegen Sicherheitswahn, Ausgrenzung und rassistische Dealerhetze" am 27.02.99 im Hamburger Schanzenviertel (" 4.3.1). Erneut kam es zu Beschimpfungen und Bedrohungen gegen als "Rassisten" abgestempelte einzelne Einsatzkräfte der Polizei. Der Konsum und Handel mit harten Drogen auch vor den Räumen der "Roten Flora" sorgte für Zündstoff: Im Sprachrohr des autonomen Stadtteilzentrums "Zeck - das Info aus der Roten Flora" entbrannte eine Diskussion, ob fixende Junkies und hartnäckig auftretende Dealer innerhalb und direkt vor dem "Rote Flora"-Gebäude nicht allmählich auch die Schmerzgrenze von den Autonomen überschreiten. Die "Rote Flora" wehrte sich erneut gegen Schuldzuweisungen für Gewalttaten, Verslumung etc. im Schanzenviertel. Eine eigens dazu gebildete "Öffentlichkeits-AG" zeichnete für Presseerklärungen und andere Medienarbeit verantwortlich. Eine Verslumung wurde bestritten und im Gegenzug eine zunehmende Kommerzialisierung und "Yuppisierung" des Schanzenviertels beklagt. Im Berichtsjahr war eine stärkere Politisierung der Aktivitäten in der "Roten Flora" zu erkennen. Neben der Drogenproblematik, "Rassismus und Vertreibung" widmete man sich mit einer neu gegründeten Gruppe verstärkt der "Antifa"-Kampagne. Eine ebenfalls 1999 gegründete "Flora-Anti-AKWGruppe" thematisierte den Widerstand gegen Castortransporte. Es existierten - zumindest zeitweise - weitere politisch arbeitende Gruppen, u. a. eine "Autonome AG gegen Repression" und ein "Bündnis antimilitaristischer, antiimperialistischer Gruppen und Einzelpersonen". 128 Die "Rote Flora" war wiederum Anlaufund Treffpunkt eines weit über die unmittelbar angebundenen Personen hinausreichenden Spektrums der Hamburger autonomen Szene. Sie diente als Forum für zahlreiche Vorbereitungstreffen und Solidaritätsveranstaltungen zu linksextremistisch/autonomen Bezugsthemen. Anlässlich des unter ihrem Dach stattgefundenen "Bundesweiten Antifatreffens" (BAT, 26.-28.03.99) wurde auch die Anti-EXPOKampagne vorgestellt. Wie gewohnt druckte die "Rote Flora"Postille "Zeck" nicht nur Diskussionsbeiträge zu autonomer "Politik", sondern "dokumentierte" auch wieder Bekennerschreiben zu allen relevanten Anschlägen und Sachbeschädigungen mit linksextremistischem Hintergrund in Hamburg und Umgebung. Hierzu gehörten u. a. der Anschlag gegen Fahrzeuge der SPAR-Handelsgruppe in Schenefeld, Sachbeschädigungen einer "autonome zelle 'in gedenken an ulrike meinhof'" und der Anschlag auf ein Dienstfahrzeug des Senators der Behörde für Inneres. Im letztgenannten Fall bezogen sich die Autoren auffällig auf die "Rote Flora", indem sie z. B. deren Angehörige zu einer offensiveren Haltung gegen angebliche polizeiliche Repressionsakte (im autonomen Sprachgebrauch: "Rassistische Verfolgung" von Minderheiten, insbesondere von Schwarzafrikanern) aufforderten. Die Täter bezogen sich positiv auf frühere unter "antirassistischen" Vorwänden verübte militante Aktionen gegen Polizisten und Polizeifahrzeuge, so die - nach Szenediktion - "Abfackelung" eines "Revier-Vor-Ort"-Busses der Hamburger Polizei 1997 im Schanzenviertel durch 40-50 Vermummte. In Schlussparolen fassten die Täter ihre Anliegen wie folgt zusammen (Hervorh. n. i. O.): "- Schluss mit den Razzien und Platzverweisen! - Bleiberecht für alle! - "Rote Flora" bleibt, selbstorganisiert und widerständig!" Neben der "Roten Flora" ist das Treffobjekt "B 5" in der Brigittenstraße ein zentraler Versammlungsort der "antiimperialistischen" und autonomen Szene. Hier tagt u. a. das "Antifaschistische Vernetzungstreffen". Nach wie vor agieren von hier aus die "Kurdistan Solidarität Hamburg" und das "Nadir Info System" (Nadir lt. Duden: Gegenpunkt des Zenits an der Himmelskugel). Die "ROTE HILFE e.V." (RH) stellt sich schon von der Namengebung her in die Tradition der bereits während der Weimarer Republik existierenden gleichnamigen Hilfsorganisation der damaligen "Kommunistischen Partei Deutschlands" (KPD). Die "Rote Hilfe" ist eine bundesweit agierende linksextremistische Organisation, die sich u. a. durch Erstattungen von Prozess129 und Rechtsanwaltskosten für linksextremistische Straftäter einsetzt. Laut Satzung versteht sie sich als "parteiunabhängige strömungsorientierte linke Schutzund Solidaritätsorganisation". In einer über das Internet verbreiteten Selbstdarstellung wies sie darauf hin, dass sie "keine karitative Einrichtung" sei, sondern "zur Stärkung der Bewegung" - gemeint ist der linksextremistischen Szene - beitragen wolle. Die Mitgliederzahl der RH dürfte 1999 bundesweit auf mehr als 3.500 Personen angestiegen sein. Für die Hamburger Ortsgruppe wird ein Mitgliederzuwachs von knapp 200 auf annähernd 300 angenommen, wovon jedoch nur ein kleiner Kreis aktiv mitarbeitet. Das viermal im Jahr erscheinende bundesweite Mitteilungsblatt "Die Rote Hilfe" berichtet über Unterstützungsaktivitäten der RH und bezieht politische Positionen im linksextremistischen Sinne. Das ganze Jahr hindurch bereitete die RH bundesweit eine neue Kampagne für die Freilassung der inhaftierten RAF-Terroristen vor. Die monatelange aktive Mitwirkung der Hamburger Ortsgruppe mündete hier in eine Veranstaltung am 22.09.99 "B 5" (Brigittenstraße 5) mit dem Tenor "NATO-Krieg Tagungsort des "Rote Hilfe-Cafes" und politische Gefangene in der BRD", zu der etwa 120 Personen erschienen. Das "Rote Flora"-Info "Zeck" (Nr. 82, Sept. 1999) hatte zuvor an den bewaffneten Kampf der RAF erinnernd auf die Veranstaltung u. a. mit folgender Aussage hingewiesen: "Das Gewaltmonopol des Staates zu brechen, in der Praxis offensichtlich zu machen, dass Staat und Kapital angreifbar sind, das waren zentrale Momente für die Vorstellung, dass ein revolutionärer Prozess auch hier in der BRD nicht nur notwendig, sondern möglich ist" (Schreibw. a. d. Orig. übern.) 130 Ein weiterer Schwerpunkt der Hamburger 'Roten Helfer' war die Protestund Störkampagne gegen das EU-Gipfeltreffen (03.-06.99) und den Weltwirtschaftsgipfel (18.-20.06.99) in Köln. Beide Treffen waren für Linksextremisten schon früher Anlässe, um "Widerstand und radikale Kritik gegen die 'Herren der Welt' auf die Straße zu bringen". Auf einem Gegenkongress in Köln versuchte die Hamburger Gruppe der "Roten Hilfe" eine europaweite Vernetzung von linksextremistischen Rechtshilfe-Organisationen zu schaffen. Dieses Ziel wurde jedoch nicht erreicht. Als "Rechtsschutz-Organisation" der linksextremistischen Szene, setzte sich die Hamburger "Rote Hilfe" u. a. für Autonome ein, die am 23.01.99 gegen einen CDU-Stand in Hamburg-Rahlstedt randaliert hatten, wo Unterschriften gegen die "doppelte Staatsbürgerschaft" gesammelt wurden (" 4.3.2). Sie behauptete, die Opfer hätten die Schlägerei angefangen und forderte von den staatlichen Behörden, die Daten der linksextremistischen Straftäter zu löschen. Am 27.03.99 agitierte die "Rote Hilfe" auf einer Veranstaltung mit etwa 50 Teilnehmern in der "Roten Flora" gegen den Verfassungsschutz. Im Rahmen des "Rote Hilfe-Radios" über den linksalternativen Hamburger Sender "Freies Sender Kombinat", FSK) wurde außerdem gegen die "Staatsschutzmaschinerie" gewettert. Neben den regelmäßigen Radio-Sendungen und dem "Rote Hilfe-Cafe" unter dem Dach des autonomen/antiimperialistischen Infoladens "B 5" (Brigittenstraße 5), führte die RH in Hamburg weitere öffentliche Veranstaltungen durch, auf denen sie für ihre politischen Ziele warb und vor allem vor Aussagen gegenüber der Polizei warnte. Ende 1999 offenbar in finanzieller Not, rief die RH ihre Mitglieder zu Spenden und zur Aufstockung ihrer Mitgliedsbeiträge auf. Das anarchistische Spektrum in der Hansestadt trifft sich nach wie vor in den anarchistischen Zentren "Libertäres Zentrum" (LIZ) und im "Libertären Kulturund Aktionszentrum" (LKA). Von diesen Zusammenhängen gingen im Berichtsjahr keine nennenswerten Aktivitäten aus. Gleiches gilt für das dem Anarchismus nahestehende sozialrevolutionäre Potential. 4.3 Aktionsfelder 4.3.1 Ausländerund Asylproblematik / "Antirassismus" "Für freies Fluten!", "Grenzen auf für alle!", "Kein Mensch ist illegal!", "Bleiberecht für alle!": Parolen der linksextremistisch beeinflussten "Antirassismus"Kampagne laufen darauf hinaus, dass Menschen weltweit - egal, warum - unkontrolliert und unbegrenzt nach Deutschland einreisen und hier 131 leben dürften, solange sie möchten. Wer dagegen ist, wird unter "Rassismus"-Verdacht gestellt. Das für linksextremistische "Antirassismus"-Gruppen wichtigste Ereignis mit bundesweiter Beteiligung dürfte 1999 das sogenannte "Grenzcamp" (07.-15.08.99 bei Zittau/Sachsen) gewesen sein. In Norddeutschland fand ein zusätzliches Grenzcamp mit eher regionaler Ausstrahlung vom 06.-08.08.99 an der deutsch-dänischen Grenze bei Flensburg statt. Die erkennbar von Linksextremisten beeinflusste Kampagne "Kein Mensch ist illegal" hatte das Camp bei Zittau initiiert. Es nahmen kontinuierlich 300 - 400 Personen - überwiegend des linksextremistischen/autonomen Spektrums - teil. Bereits 1998 hatte in Görlitz und damit ebenfalls im Dreiländereck Polen/Tschechien/Deutschland ein solches Grenzcamp stattgefunden. In Teilnehmerkreisen schätzte man die Gesamtbesucherzahl des diesjährigen Camps, offensichtlich übertrieben, auf etwa 1.500 Personen. Welche herausragende Bedeutung dem Camp für die autonome Szene beigemessen wurde, unterstrich die Tatsache, dass eine Sonderausgabe der bundesweit erscheinenden autonomen Schrift "Interim" im Vorfeld für das Camp und seinen angedachten vielfältigen Aktionskatalog warb. Entgegen der ursprünglich geplanten Stoßrichtung wurde aus dem Projekt zusehends ein "Antifa"-Camp, aus dem heraus gegen vermutete Rechtsextremisten bzw. deren Wohnung auch gewaltsam vorgegangen wurde. Campteilnehmer verprügelten eine Person, die sie für einen Rechtsextremisten hielten, und bewarfen ein mit Rechtsextremisten besetztes Fahrzeug mit Steinen. Hauptziele der gleichwohl initiierten zahlreichen "antirassistischen" Aktionen waren vor allem der vor Ort stationierte Bundesgrenzschutz (BGS), das Landratsamt aber auch die örtliche Bevölkerung, die sich "rassistischer" Ressentiments bezichtigt sah. Ginge es nach der Auffassung der Protestierer, müsste die Grenzüberwachung beendet und dürften die aus zahlreichen Weltgegenden 132 über Polen oder Tschechien kommenden Flüchtlinge vom BGS nicht mehr am illegalen Grenzübertritt nach Deutschland gehindert werden. In Hamburg wurde zum 14.07.99 mittels Flugblatt zu einer Mobilisierungsveranstaltung für die beiden Grenzcamps in das Autonomenzentrum "Rote Flora" eingeladen - ein Hinweis, dass auch Angehörige der hiesigen autonomen Szene den Weg ins Camp nach Sachsen gefunden haben dürften. Das linksextremistische "Nadir Info System" aus Hamburg hatte im Lager ein Zelt aufgebaut und dort seine Kommunikationseinrichtungen (Computer mit Internet-Zugang) in Betrieb genommen. Ende 1999 liefen Vorbereitungen für ein Grenzcamp im Jahre 2000. Das eingangs erwähnte - kleiner angelegte - norddeutsche "Antirassistische Aktionscamp" (Motto "Open borders - shut down fortress europe") vom 06.-08.8.99 in Flensburg dürfte für Interessenten aus Hamburg schon wegen seiner Nähe nicht minder wichtig gewesen sein. Verantwortich zeichnete ein "Bündnis antirassistischer Gruppen aus Schleswig-Holstein und Hamburg". In einer Zeitung zum Aktionscamp hieß es, die Veranstaltung sei Höhepunkt und Abschluss weiterer Antirassismusaktionen in Hamburg und SchleswigHolstein. Sie stünde zeitlich im Kontext zu weiteren Aktionen in Europa und Amerika. In diesem Zusammenhang wurde ausdrücklich auf das Grenzcamp bei Zittau hingewiesen. Wenige Tage nach den beiden Grenzcamps verübten unerkannt gebliebene Täter am 18.08.99 in Hamburg Sachbeschädigungen unter "antirassistischen" Vorwänden an einem SPD-Büro in Hamburg-Niendorf. Mit Steinen und Farbflaschen beschädigten die Täter drei Glasscheiben des Büros. Sie hinterließen eine Bekennung mit der Aufschrift "Um Europa keine Mauer - Bleiberecht für alle und auf Dauer! Den rassistischen Normalzustand bekämpfen!" SPD-Büro 18.08.99 Niendorf Bereits am 01.06.99 hatten unbekannte Täter - ebenfalls in Hamburg-Niendorf - Fenster einer Bank zerstört, Fassade, Geschäftsräume und Inventar mit 133 Farbe besudelt. Eine von den Tätern hinterlassene Nachricht verknüpfte die Themen "Antirassismus" und EU-Gipfel. Anlässlich eines Farbbeutelanschlags am 28.09.99 gegen ein Haus des CDU-Kreisverbandes Eimsbüttel in Eidelstedt, bekannte sich eine "autonome zelle 'in gedenken an ulrike meinhof'" nachträglich auch zu dem Anschlag auf das SPD-Büro. Aufgrund der Tatumstände ist auszuschließen, dass diese "autonome Zelle" mit der gleichnamigen Gruppierung identisch ist, die seit Jahren für Gewalttaten und Sachbeschädigungen in Hamburg verantwortlich zeichnet (hierzu: " s. unten). Es ist nicht auszuschließen, dass mehr als nur zeitliche Zusammenhänge zu den beiden "Grenzcamps" bestehen. Täternachricht vom 01.06.99 Der in Kiel wieder eröffnete Pro(Bankfiliale Niendorf) zess gegen den Libanesen Safwan EID wegen des Verdachts, das 1996 in Lübeck abgebrannte Asylbewerberheim angezündet zu haben, war auch für die linksextremistische Szene in Hamburg Startsignal zu neuer "antirassistischer" Agitation. Auf Veranstaltungen wurden Polizei und Justiz ins Licht "rassistischer" Voreingenommenheit gestellt. Zum Prozessauftakt am 03.09.99 erschienen auch Personen aus dem Hamburger Unterstützerkreis. WelCDU-Büro 28.09.99 Eidelstedt che Bedeutung die hiesige 134 autonome Szene dem Prozess beimaß, dokumentierte das diesem Thema gewidmete Titelblatt (Sept. 1999) der autonomen Schrift "Zeck - Das Info aus der Roten Flora". Die Redaktion rief dazu auf, dem Angeklagten als Prozessbesucher Solidarität zu bekunden. Erneut unterstellten "Antirassisten" dem Staat eine politische Prozessführung, um geradezu modellhaft einen in der Gesellschaft allgegenwärtigen "Rassismus" reinzuwaschen und zu legitimieren. Es gebe - sinngemäß - eine institutionalisierte Verdrehung des Opfer-/Täterverhältnisses. Insbesondere hätten Ermittlungsbehörden und Justiz versäumt, dem anfänglichen Tatverdacht gegen vier mutmaßliche Rechtsradikale aus MecklenburgVorpommern auf den Grund zu gehen. Erneut konstruierten sich militante Linksextremisten in Hamburg und Umland "antirassistische" Rechtfertigungen für einen Brandanschlag. 1998 waren in Schenefeld Fahrzeuge der "SPAR-Handels-AG" in Flammen aufgegangen, um damit eine 'Profiteurin' des angeblich "rassistischen" Asylbewerberleistungssystems zu 'bestrafen'. 1999 stand zum wiederholten Male ein Repräsentant des Staates im Fadenkreuz militanter Antirassisten. In der Nacht zum 15.02.99 zündeten unbekannte Täter mittels Brandbeschleuniger das Auto von Senator WROCKLAGE, Präses der Behörde für Inneres, an. Bei Zeitungsredaktionen gingen am 16.02.99 Bekennerschreiben ein. Sie waren mit einem Zitat überschrieben, das den Senator als "Rassisten" denunzieren sollte: "- Es ist der Rassist, der die Minderwertigen schafft - (Fanon)" Aufgrund der Aufmachung und Diktion des Bekennerschreibens wird davon ausgegangen, dass die Täter einer Gruppierung zuzurechnen sind, die bereits früher unter wechselnden Bezeichnun135 gen (u. a. "Autonome Zelle Hamburg") verschiedenste Gewalttaten und Sachbeschädigungen begangen hat. Auf einem einkopierten Bild findet sich die Parole "Kein Mensch ist illegal, womit die Täter sich selbst der gleichnamigen Kampagne zuordnen. Speziell geht es ihnen um die angeblich repressive Polizeitaktik gegen Drogenkonsumenten und -händler im Umfeld des Autonomenzentrums "Rote Flora" sowie der Polizei unterstellte rassistische Denkmuster bei der Verfolgung von Drogendealern. Pauschal würden Schwarzafrikaner als Drogendealer verdächtigt und stigmatisiert. Darüber hinaus gehende Rechtfertigungsversuche ändern nichts am Kernziel der Täter, das sie - allerdings vergeblich - mit Gewalt erzwingen möchten: Einen Verzicht des Staates auf das entschlossene Vorgehen der Hamburger Polizei gegen Drogendealer im Schanzenviertel. Ausdrücklich bezieht man sich auch auf die bisher stattgefundenen "antirassistischen Interventionen im Hamburger Schanzenviertel gegen rassistische Hetze, Vertreibungspolitik und Platzverweise" und verknüpft sie mit dem Brandanschlag gegen Senator WROCKLAGE. Auszug aus der Bekennung militanter "Antirassisten" (Autobrandstifter vom 15.02.99) Nur wenige Tage nach dem Anschlag hatten Autonome am 27.02.99 im Schanzenviertel einen "Aktionstag gegen Rassismus, Polizeiwillkür und eine verfehlte staatliche Drogenpolitik" organisiert. Der maßgeblich vom "Rote Flora"-Spektrum mit vorbereitete Aktionstag wandte sich insbesondere gegen "Zivilpolizisten", "Uniformierte", "DenunziantInnen" und "alle restlichen RassistInnen". Bereits 1997 und 1998 war die argumentative bzw. zeitliche Nähe antirassistisch motivierter Anschläge und entsprechender Aktionstage aufgefallen. Im übrigen warfen die Bekenner vom 15.02.99 dem Senator Mitverantwortung für einen "Kindervisumskandal" (1997), "Verschärfung des Asyl136 bewerberleistungsgesetzes ... Polizeigroßeinsätze gegen Flüchtlingsunterkünfte ... Abschiebterror über den Containerknast Glasmoor" und das "'Handlungskonzept für die Polizei in St. Georg'" vor. Schanzenviertelbewohner wurden als angeblich Mitschuldige für die dort unterstellte "rassistische" Stimmung kritisiert. Am Schluss des Bekennerschreibens ist die Bezugnahme der Gewalttäter auf das Autonomenzentrum "Rote Flora" ersichtlich. Hamburger Linksextremisten agitierten auch 1999 gegen das in Norderstedt gelegene Hamburger Abschiebegefängnis Glasmoor u. a. mit Protestaktionen (früher wöchentlich, inzwischen monatlich) in unmittelbarer Nähe des Gefängnisses, die sie "Sonntagsspaziergänge" nennen. Mittels Flugblatt wurde für ein Konzert gegen die als "Abschiebeknast" bezeichnete Einrichtung am 28.08.99 geworben. 4.3.2 Antifaschismus Der von Linksextremisten propagierte "antifaschistische Kampf" richtet sich nur vordergründig gegen tatsächliche oder vermeintliche Rechtsextremisten. Seine weitergehenden Absichten zielen gleichzeitig auf die freiheitliche demokratische Grundordnung der Bundesrepublik. Für Linksextremisten ist Deutschland ein "faschistischer" oder wenigstens "faschistoider" Staat, dem sie eine anhaltende Verwurzelung im nationalsozialistischen System des "3. Reiches" anzudichten versuchen. Er toleriere/begünstige rechtsextremistische Personen, Organisationen und Betätigungen. Der Staat begegne ihnen nur halbherzig, weil er sie in Wahrheit zur eigenen "kapitalistischen/imperialistischen" Herrschaftssicherung benötige und entsprechend funktionalisiere. 1999 fühlten sich "autonome Antifas" in Hamburg im höchsten Maße dadurch herausgefordert, dass die hierher zurückgekehrte umstrittene Wehrmachtsausstellung Protestdemonstrationen von Rechtsextremisten hervorrief und sich die Antifas zum Ziel gesetzt hatten, rechtsextremistische Aufmärsche "mit allen Mitteln" zu verhindern. Die "Antifa" sieht sich angesichts eines angeblich den Rechtsextremisten entgegenkommenden breiten gesellschaftlichen Konsenses als "Speerspitze" 137 und vermeintlich einzige ernsthafte Widerstandsbastion gegen rechtsextremistische Zusammenhänge und deren "Profiteure". Autonome Antifaschisten glauben aus dieser selbst angemaßten Berufung heraus, eine nach ihrer Auffassung fehlende staatliche Entschlossenheit ersetzen zu müssen. Sie versuchen, tatsächliche oder behauptete "rechte" Strukturen auszuforschen, aufzudecken, "Faschisten angreifbar" zu machen und direkt gegen sie vorzugehen. Aktionen gegen "Faschos" sollen generell deren öffentliche Auftritte verhindern oder zumindest empfindlich behindern. Gewaltanwendung bedarf dabei wegen des - vom "Antifa"-Standpunkt aus gesehen - höheren Zwecks keiner besonderen Begründung. Militantes Vorgehen gegen rechtsextremistische Organisationen oder Einzelpersonen, zuweilen bis hin zu Brandanschlägen, gilt autonomen "Antifaschisten" als "legitimes" und notwendiges Mittel der politischen Auseinandersetzung. Die antifaschistische Szene ist bundesweit in zwei miteinander konkurrierende überregionale Bündnissysteme zersplittert. Bemühungen, beide Organisierungsansätze zu vereinen oder sich zumindest ideologisch anzunähern, sind erneut gescheitert. Hamburger Antifaschisten sind sowohl an "Antifaschistischen Aktion/ Bundesweite Organisation" (AA/BO) als auch am "Bundesweiten Antifa-Treffen" (BAT) beteiligt. Die AA/BO sieht sich als "Zusammenschluss von parteiunabhängigen Antifa-Gruppen". Sie umfasst noch immer 11 Mitgliedsgruppen aus Berlin, Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Bayern, Baden-Württemberg und Hamburg. Im Internet stellt sie sich und ihre revolutionären Ziele wie folgt vor: "Mit der Antifaschistische Aktion/ Bundesweite Organisation (AA/BO) wollen wir den Faschisten organisiert entgegentreten. Wir gehen offensiv gegen die Drahtzieher und Ideologen des Naziterrors vor. Faschistische TäterInnen haben Namen und Adresse! (...) Revolutionärer, antifaschistischer Kampf muss sich immer auch gegen die gesellschaftlichen Bedingungen wenden, 138 aus denen heraus faschistische Bewegungen entstehen: Das kapitalistische Konkurrenzprinzip (...) Eine antifaschistische, freie Gesellschaft kann nur entstehen, wenn das System mit all seinen Übeln gekippt wird. Denn für alles Reaktionäre gilt, dass es nicht fällt, wenn es nicht niedergerissen wird" (Hervorh. n. i. O.). Schwerpunkt der AA/BO war 1999 ihre Kampagne "Antifa Offensive 99". Bereits im Mai hatten sich über 30 Gruppen aus beinahe allen Bundesländern an der "Offensive" beteiligt. Unter der Losung "Den rechten Vormarsch stoppen!" wurden im Internet die Kampagnenziele dargestellt: "Die Antifa-Offensive 99 - eine Kampagne der offenen AG der Antifaschistischen Aktion/Bundesweite Organisation - hat sich zum Ziel gesetzt, die antifaschistische Organisierung voranzutreiben. Die gemeinsame bundesweite Initiative soll auch die Entwicklung von neuen Ideen, Aktionsformen und Konzepten zum Ziel haben, damit Antifa-Gruppen wieder aus einer Position der Stärke heraus agieren können. Diese bildet unter anderem die Grundlage, den faschistischen Großaufmärschen erfolgreiche Aktionen entgegenzusetzen. ... Es gilt, der radikalen Linken wieder mehr Geltung zu verschaffen" (Hervorh. n. i. O.). Das ganze Jahr hindurch standen Aktionen und Veranstaltungen im Zeichen dieser Kampagne. Aus Hamburg ist die seit Sommer 1996 bestehende "Antifaschistische Gruppe Hamburg" (AGH) in der AA/BO vertreten. Die Gruppe bezieht sich "positiv auf einen konsequenten Antifaschismus, der die Wurzeln des Faschismus im Kapitalismus benennt" und will "den Widerstand in die eigenen Hände nehmen". Seit Frühjahr 1999 zeichnet die Gruppe für ein "offenes Jugendantifa-Treffen" - ein eigenes Antifa-Cafe-Projekt - verantwortlich. Es wurde im April als wöchentliche Veranstaltung im Szenetreff "B 5" (" 4.2) angekündigt. Auch dieses Projekt steht im Zeichen der "Antifa Offensive 99". 139 Der zweite bundesweite Vernetzungsansatz - das BAT - will der aus Sicht mancher autonomer "Antifas" hierarchischen Struktur der AA/BO eine offenere Alternative entgegensetzen. Die inhaltliche Arbeit vollzieht sich in mehreren fest eingerichteten Arbeitsgruppen. Aus Hamburg sind im BAT mehrere "Antifa"-Gruppen vertreten. Neben den in diese überregionalen Vernetzungen eingebundenen Hamburger Gruppen existieren zahlreiche andere lokale Hamburger "Antifa"-Gruppen (häufig stadtteiloder anderweitig bereichsbezogen) und Bündnisverflechtungen. Seit 1989 gibt es eine vorrangig an der Universität und den Hamburger Hochschulen wirkende, von Linksextremisten beeinflusste studentische "Hochschulantifa". Die auch in anderen Städten/Regionen auftretenden Jugend-Antifa-Gruppen sind in Hamburg durch die "Antifa Jugendfront" (AJF) vertreten. Im Mai feierte sie ihr 10-jähriges Bestehen. Seit dem Frühjahr veranstaltet auch sie regelmäßig monatlich ein eigenes Antifa-Cafe, das "JAFFA Cafe" mit "Jugend AntiFa Filme Abenden". Das Projekt dient vorrangig dazu, Interessenten zu politisieren und neue Mitglieder zu werben. In einem Flugblatt zur Jubiläumsfeier stellte sich die Gruppe vor: "Die Antifa Jugendfront ist eine Gruppe junger Antifaschisten, die seit nunmehr zehn Jahren, natürlich in wechselnder Besetzung, existiert. Durch verschiedene Publikationen und Projekte versuchen wir Jugendliche für politische Themen zu interessieren und darüber hinaus auch Möglichkeiten aufzuzeigen, um selbst aktiv zu werden. (...) Hauptprojekt der AJF HH ist das Antifa Jugendinfo ,BLOW UP!-the system', welches in relativ hoher Auflage an Schulen etc. verteilt wird. Um u. a. interessierten Jugendlichen eine Anlaufstelle zu bieten, veranstalten wir zudem einmal im Monat das JAFFA Cafe, den Jugend AntiFa Filme Abend, (...). Drittes Hauptprojekt ist der recht kleine AJF-Versand (...) Zusammenfassend läßt sich die Arbeit dieser Gruppe in dem Anspruch formulieren, dadurch einen Beitrag zur perspektivischen Schaffung einer breiten antifaschistischen Jugendbewegung zu leisten." Die "Fantifa" (Frauen-Antifa) wird u. a. durch die Gruppe "Fantifa Olga Benario" repräsentiert. Beispiele weiterer Hamburger "Antifa"-Gruppen sind die "Wasserkante - Antifaschistische Gruppe", die "AntifaFula" (Fula = Fuhlsbüttel-Langenhorn), die "Autonome Männer Antifa i.U." (AMA) die "Hamburger Autonome Antifagruppe" (HAA), die "Antifa Harburg" sowie die "Offene Antifa Hamburg" und die "Junge Antifa Bergedorf". 140 Letztere hatte für den 30.10.99 anlässlich ihrer Gründung zu einem antifaschistischem "Soli-Konzert" nach Bergedorf eingeladen. In einem weiteren Flugblatt bekannte sich die Bergedorfer Gruppe u. a. mit den Schlagsätzen "Antifaschismus ist nicht kriminell, sondern notwendig!" und "Antifa heißt Angriff!" zu der selbstgerechten szenetypischen Grundhaltung in der Gewaltfrage. Eine regionale Hamburger Vernetzungsinitiative nennt sich "Antifa-Vernetzungstreffen" - eine Art Info-Börse der Hamburger "Antifa"-Gruppen. Vorgängerin war das 1997 aufgelöste hamburgweite "Bündnis Keinen Fußbreit den Faschisten". Die kontroverse öffentliche politische Diskussion über eine Änderung des Staatsangehörigkeitsrechtes mit einer gegen den leichteren Erwerb einer doppelten Staatsangehörigkeit gerichteten CDU-Unterschriftenaktion führte Anfang 1999 bundesweit zu Angriffen der antifaschistischen/antirassistischen Szene auf Gegner von Gesetzesänderungen. In einem Flugblatt mit der Überschrift "Das Integrationsangebot der CDU: Racism is coming home" drohten "autonome spielverderberInnen aus Hamburg" : "Widerstand. Sie können sich auf uns verlassen. Wer systematisch eine deutsche Identität konstruiert und nur darüber diskutieren möchte, unter welchen Bedingungen vielleicht auch sogenannte Ausländer in dieser Gesellschaft teilhaben dürfen, wird damit leben müssen, dafür angegriffen zu werden" (Hervorh. n. i. O.). Umgehend wurden diese Aussagen praktisch umgesetzt. Die linksextremistische Protestund z. T. militante Störkampagne gegen das von einer demokratischen Partei in Anspruch genommene Recht, um Unterstützer für ihre politischen Positionen zu werben, gipfelte in handgreiflichen Protesten gegen einen CDU-Informationsstand in Rahlstedt. Aus einer Gruppe von Demonstranten, denen die Meinungsäußerung von Bürgern in Unterschriftenlisten missfiel, wollten einige offenbar die ausliegenden Listen entwenden. Im Handgemenge mit Betreibern des Infostandes wurden zwei unbeteiligte Personen verletzt. Gegen 6 mutmaßliche Angreifer wurden polizeiliche Ermittlungen eingeleitet und Strafbefehle (Geldstrafen von 60 - 120 Tagessätzen) erlassen. Ein erster Prozess gegen zwei der Beschuldigten wurde im Oktober gegen Geldbußen eingestellt. Die AGH rechtfertigte in einer Presserklärung anlässlich des Prozesses den angeblichen "Widerstand gegen rassistische Politik" als "notwendig und legitim". Der "Rahlstedt-Prozess" müsse "im 141 Kontext gesamtgesellschaftlicher Entwicklungen gesehen werden. Während eine stetige Zunahme faschistischer Aktivitäten (...) beobachtet werden" könne, werde "linker Widerstand kriminalisiert" (Hervorh. n. i. O.). Die AGH erklärte ihre Solidarität mit den Betroffenen. Das ganze Jahr über bildeten rechtsextremistische Aufmarschversuche - insbesondere der NPD bzw. unter deren formeller Trägerschaft - sowie jeweils postwendende linksextremistische Gegenmobilisierungen mit Verhinderungs/Störversuchen das Grundschema gegenseitiger Aufreizung und Reaktionen. Den Auftakt bildete am 30.01.99 in Kiel die Gegendemonstration eines gruppenübergreifenden "Antifaschistisches Aktionsbündnisses" gegen einen Protestmarsch der NPD anlässlich der dort gastierenden Wehrmachtsausstellung. Auch andere Gruppen - darunter Nichtextremisten - wandten sich mit Aufrufen an die Öffentlichkeit. Mit einem Flugblatt "Nazi stopping" erklärten "Autonome Antifaschistische Gruppen S-H/HH" : "Wenn wir heute als radikale Linke gemeinsam auf die Straße gehen, machen wir dies nicht nur, um die NPD mit ihren Stiefelnazis möglichst aus der Stadt zu jagen, sondern wollen damit gegen die Verhältnisse hier und heute vorgehen" (Hervorh. n. i. O.). Etwa 1000 Demonstranten, darunter ca. 400 - 500 gewaltbereite Autonome (u. a. aus Hamburg), folgten den Aufrufen zur Demonstration. Ein Teil versuchte, den NPD-Aufzug mit Blockaden und anderen Störaktionen zu verhindern. Es wurden Autos unbeteiligter Bürger umgestürzt und beschädigt, Müllcontainer in Brand gesetzt und erhebliche Sachschäden angerichtet. Mit massiven Angriffen gingen linksextremistische Demonstranten gegen Polizeibeamte vor. Via Internet wertete das "Antifaschistische Aktionsbündnis" die Aktionen später als Erfolg. Die Rechtsextremisten hätten ihren Aufmarsch vorzeitig abbrechen müssen. Nach der Eskalation in Kiel war zu befürchten, dass Hamburg mit der Rückkehr der Wehrmachtsausstellung ab 01.06.99 eine ähnliche militante Zuspitzung drohte. Hier hatte der "Nationaldemokratische Hochschulbund" (NHB) für den 05.06.99 den schon zur 'obligaten' Begleiterscheinung der Wanderausstellung gehörenden Protestmarsch der rechtsextremistischen Szene angekündigt. Als Reaktion folgten Anmeldungen gleich mehrerer Gegendemonstrationen. Das "Hamburger Bündnis gegen Rassismus und Faschismus" wählte für seine Gegendemonstration das Motto "Den Naziaufmarsch verhindern! - Widerstand gegen Faschismus, Militarismus und Kriegstreiber" mit einer Route nahe der Strecke des NHB. "Autonome Gruppen aus Hamburg" forderten: "Den Naziaufmarsch zum Fiasko 142 machen! Widerstand gegen Faschismus, Militarismus und Kriegstreiberei!". Auf dem Flugblattaufruf war ein mit einem Baseballschläger bewaffnetes Mädchen abgebildet, ein auf "Antifa"-Propagandamitteln öfter auftauchendes Emblem. Das Motiv drückte die Absichten der Aufrufer deutlicher aus als die Wortwahl. Die AGH versuchte mit einem speziellen eigenen Aufruf die Konfrontationsbereitschaft weiter zuzuspitzen, indem sie zur Organisierung des "Antifaschistischen Widerstandes" die Überschrift "Den Naziaufmarsch zum Fiasko machen - Krieg dem Krieg!" (Hervorh. n. i. O.) wählte. Die Demonstration des NHB sowie alle Gegendemonstrationen bis auf eine Kundgebung des DGB wurden verboten. Mehrere Antragsteller bemühten umgehend die Gerichte, jedoch hatten alle Verbote rechtlich Bestand. Am Morgen des 05.06.99 sammelten sich trotzdem ca. 1.000 Gegendemonstranten zu einer Spontandemonstration, die nahezu störungsfrei verlief. Dass demonstrative Aktionen der linksextremistischen Szene an diesem Tag zu äußerster Militanz hätten führen können, lassen Funde im Umfeld des Schanzenviertels ahnen, die in den Tagen und Wochen nach dem 05.06.99 der Polizei gemeldet wurden. Es handelte sich um mehrere Depots sog. "Molotow-Cocktails", die schwere Verbrennungen bei getroffenen Personen und erhebliche Sachschäden hätten verursachen können, wären sie im Rahmen einer Demonstration eingesetzt worden. Da das rechtsextremistische Lager nicht zum Zuge gekommen war, folgte eine erneute Demonstrationsanmeldung zum gleichen Thema für den 10.07.99. Zunächst wollte der NHB in der Innenstadt demonstrieren. Aufgrund polizeilicher Auflagen wurde die Aufmarschroute dann jedoch nach Bergedorf im Osten Hamburgs verlegt. Mit gleicher 'Gesetzmäßigkeit' folgten Anmeldungen für Gegendemonstrationen. Wieder übernahm 143 u. a. das "Hamburger Bündnis gegen Rassismus und Faschismus" - diesmal gleich zweifach - Anmeldungen für die linksextremistische Szene. Während dem für die City angemeldeten linksextremistischen Aufzugsvorhaben eine Routenverlegung nach Altona polizeilich auferlegt wurde, ergingen gegen den "antifaschistischen" Aufzug in Bergedorf sowie gegen alle anderen dort angemeldeten Gegendemonstrationen versammlungsrechtliche Verbotsverfügungen. Die Demonstrationsroute in Altona erschien der Szene vermutlich wegen der fehlenden "direkten" Konfrontation mit "Faschos" zu unattraktiv, weshalb dort am 10.07.99 kaum Autonome dorthin erschienen. Vielmehr versuchten ca. 300 Linksextremisten das für Bergedorf erlassene Versammlungsverbot zu umgehen. Bei den Versuchen, zum dortigen Demonstrationszug der Rechtsextremisten vorzudringen und diesen zu stören, attackierten sie mehrfach rechte Marschierer durch Steinund Flaschenwürfe. Vorausschauende Polizeipräsenz verhinderte ein Aufeinandertreffen beider Lager. Flankiert wurden die demonstrativen Aktionen in Frühsommer durch mehrere politisch motivierte Anschläge in der Hansestadt und im unmittelbar angrenzenden Schenefeld/Kreis Pinneberg. Am Morgen des 25.05.99 wurde in Schenefeld ein Brandanschlag auf drei Busse eines dort ansässigen Omnibusunternehmens verübt. Drei Busse brannten vollständig aus. Schlimmeres konnte die Feuerwehr verhindern. Der Sachschaden belief sich auf ca. DM 1 Mio. Bei zwei Hamburger Ta g e s ze i t u n g e n gingen Selbstbezichtigungsschreiben ein. Unter der Überschrift "Give the fashist buses firebombs" bekannten sich Täter aus dem autonomen Spektrum zu dem Anschlag. Der Busunternehmer habe mehrfach daran verdient, "FaschistInnen zu ihren Aufmärschen zu fahren". Die Autoren bezogen sich auch auf den für den 05.06.99 144 angesagten rechtsextremistischen Aufmarsch in Hamburg. Um die Anreise zu den Aufmarschorten zu erschweren und die Gegenposition zu stärken, sei Gewalt gerechtfertigt. Zur weiteren Einschüchterung von Busunternehmen hieß es im Bekennerschreiben: "...häufen sich größere faschistische Aufmärsche, die von den AntifaschistInnen an Ort und Stelle kaum noch verhindert werden können. Umso wirksamer ist es, schon im Vorfeld von menschenverachtenden faschistischen Auftritten in Aktion zu treten. (...) Die Erfahrung zeigt, dass entschlossenes und militantes Vorgehen gegen diese Firmen in kürzester Zeit dafür sorgt, dass sie sich aus dem Geschäft mit den Nazis zurückziehen (...) Wir halten diesen Ansatz für richtig (...) Den Naziaufmarsch in Hamburg verhindern!" (Hervorh. n. i. O.). In der Nacht zum 27.05.99 war das Wohnhaus des Journalisten Rüdiger PROSKE in Hamburg Ziel eines Anschlags. Unbekannte schleuderten mit Farbe gefüllte Flaschen durch die Scheiben und verursachten so erheblichen Schaden. Sein vor dem Haus parkendes Auto wurde schwer in Mitleidenschaft gezogen. Autonome bekannten sich auch hier schriftlich zu der Tat. Unter der Überschrift "Faschistische Strukturen auf allen Ebenen angreifen! Den Naziaufmarsch am 05.06. in Hamburg verhindern!" versuchten sie den Anschlag damit zu rechtfertigen, dass der Journalist "geschichtsverdrehend der Wehrmacht eine Opferrolle zugewiesen und die AusstellungsmacherInnen mit den Hetzen des Goebbelschen Propagandaministeriums verglichen" hätte. Im Vorfeld der sog. Wehrmachtsausstellung hatte der so 'Beschuldigte' mit seiner Kritik an der Ausstellung öffentliche Beachtung gefunden. Für seine selbsternannten 'Strafvollstrecker' stellte er damit eine "Schnittstelle" zwischen militanten Nazis und rechten Intellektuellenkreisen dar. Sie hielten es daher "für angebracht (...) Proske einen Denkzettel zu verpassen." Im Verlauf der Sommerereignisse (05.06./10.07.99) waren die Hamburger autonomen "Antifas" nicht in der von ihnen propagierten Direktheit zum Zuge gekommen. Erst im November gab es mit einem angemeldeten Aufmarsch der NPD gegen ein Bauwagenprojekt in Hamburg-Barmbek wieder einen Anlass für antifaschistische Aktionen in der Hansestadt. Unter dem Motto "Den Nazi-Aufmarsch verhindern" riefen "autonome und antifaschistische gruppen aus hamburg" in einem doppelseitigen Flugblatt zur Teilnahme an der "Antifaschistischen Kundgebung" am 27.11.99 auf. Neben angemeldeten Gegendemonstrationen und Versammlungen verschiedener auch nicht extremistischer Veranstalter kam es an diesem Tag in Barmbek zu 145 einer unangemeldeten sog. "Spontanversammlung" von ca. 350 Personen der autonomen Szene. Nach Auflösung ihrer Versammlung versuchten diese Personen in kleinen Gruppen, den NPD-Aufmarsch zu stören. Vereinzelt flogen Steine und Flaschen in Richtung des NPD-Aufzugs, was jedoch durch den Einsatz entsprechender Polizeikräfte unterbunden wurde. Im weiteren Umfeld zündeten Autonome eine Mülltonne an und zerstörten die Scheibe einer Bankfiliale. 28 linksextremistische Demonstrationsteilnehmer wurden vorläufig festgenommen. Der Zuspruch bei den vorgenannten linksextremistischen Aktionen blieb z. T. hinter den von den Organisatoren erhofften Beteiligungen zurück. In den sich selbst als "antifaschistisch, antiimperialistisch, antikapitalistisch" definierenden "Lokalberichten Hamburg" (Nr. 24, 02.12.99) beschwerte sich ein Artikelschreiber über "unerträgliche" Behinderungen durch die Polizei, sprach jedoch angesichts von "600 AntifaschistInnen" von einem Erfolg. Wegen des Polizeiaufgebotes unterstellte der Verfasser dem Senat die Absicht, "faschistische Kräfte zu fördern". Selbstkritische Diskussionen in der autonomen Szene vermitteln, dass geringe Beteiligungen und das Ausbleiben geplanter Ausschreitungen von der Stärke des jeweiligen Polizeiaufgebots - mithin von dem erwarteten Kräfteverhältnis - abhängen. Erfahrungen aus anderen Städten und Verlautbarungen der Szene selbst bestätigen, dass es zu größerer Straßenmilitanz immer dann kommt, wenn das Kräfteverhältnis aus autonomer Sicht "günstig" ist. Der o. g. "Lokalberichte"-Schreiber monierte, dass an "jeder Straße, ja an jedem Fußweg der zur Strecke der Faschisten führte, (...) Absperrgitter aufgestellt und Beamte postiert worden" waren. "Weitere Versuche, die Nazidemo zu blockieren", seien "von der Polizei rüde verhindert" worden. 4.3.3 Linksextremistische Einflussnahme auf die Anti-AKW-Bewegung 1999 fand seit Jahren erstmalig kein sog. Castortransport statt. Somit bot sich der linksextremistischen Anti-AKW-Bewegung das erste Mal seit 1995 kein herausragendes unmittelbares Angriffsziel für militante Aktionen. Den 146 seit 1998 geltenden Transportstopp für Castorbehälter schreibt sich die Szene einerseits als Erfolg auf die Fahnen. Anderseits empfinden Teile der Bewegung die so bedingte Aktionspause bzw. 'Tatenlosigkeit' bereits als Indiz dafür, dass sich die Kampagne den letzten Jahren zu einseitig auf diese Transporte fixiert haben könnte. So entstand zeitweise der Eindruck, dass man einem neuerlichen Transport förmlich entgegenfieberte, um endlich von der verbalen Agitation wieder auf die Praxisebene (Aktionen gegen Transportrouten, Bahnanlagen und sonstige Objekte von "Profiteuren" des "Atomstaates") zurückkehren zu können. Auch die ansonsten - flankierend zu Castortransporten - in Serien verübten sog. Hakenkrallenanschläge kamen 1999 nur vereinzelt vor. Allerdings hatte diese in den Vorjahren zum Teil lebensgefährliche Sabotagepraxis gegen Stromleitungen im Bahnverkehr ein Nachspiel, das im linksextremistischen Anti-AKW-Spektrum für erhebliche Aufregung sorgte. Anlass waren staatliche Exekutivmaßnahmen am 06.07.99 gegen mutmaßliche Beteiligte an Hakenkrallenanschlägen, die 1996 und 1997 von sog. "Autonomen Gruppen" verübt worden waren. In den auf Betreiben der Generalbundesanwaltschaft erfolgten Durchsuchungen (Hamburg, Berlin, Bremen, Niedersachsen) entdeckte die Szene Akte "staatlicher Repression". An dieser verzerrten Sicht konnte auch der Umstand nichts ändern, dass ein Arsenal von Bauanleitungen für Hakenkrallen, orangefarbenen Bahnarbeiterwesten, abgesägten Gleisstücken, Werkzeugen etc. sichergestellt wurde. Militante AKW-Gegner reagierten zum Zeichen ihrer solidarischen Verbundenheit am 14.07.99 in Berlin mit einem Brandanschlag auf ein Kraftfahrzeug des Siemens-Konzerns. In einer Bekennung ("Autonome Pressemitteilung") wurden weitere Sachbeschädigungen wie "Strommasten fällen" oder "Hakenkrallen einhängen" angekün"Die Deutsche Bahn AG ist ein legitimes digt. Als verantwortlich beZiel der Anti-AKW-Bewegung! ... Wir werzeichnete sich eine "Autoden auch in Zukunft Gleise demontieren, nome Gruppe Gegenblockieren und unterhoehlen, Fahrenergie" in Anspielung auf scheinautomaten zerstoeren, Stromdie Codebezeichnung "Enermasten faellen, Hakenkrallen einhaengie" der staatlichen Ermittgen, Plakate kleben, Flugblaetter verteilen, lungsgruppe. Ein weiterer auf Bahnhoefen demonstrieren, Feste feiHöhepunkt des Protestes ern - den ganzen Fahrplan durcheinanderwar die provokative Enthülbringen bis wir unser Ziel erreicht haben" lung einer "Goldenen Ha(aus: "Autonome Pressemitteilung" der kenkralle" am 16.10.99 in Brandstifter vom 14.07.99 in Berlin Bremen, an der etwa 300 (Schreibw. gem. Orig., Hervorh. n. i. O.). Personen teilnahmen. Die 147 von Durchsuchungen Betroffenen selbst versuchten in einem offenen Brief vom Verdacht der Beteiligung an krimineller Gewalt abzulenken. Auch sie verurteilten den Akt staatlicher Repression: "Unsere Widerstandsformen gegen die menschenfeindliche Atomtechnologie bestimmen wir selbst. Wir lassen sie uns nicht von den VertreterInnen der Atomindustrie und deren staatlichen UnterstützerInnen vorschreiben". Zahlreiche Gruppierungen, darunter auch einige aus dem Hamburger linksextremistischen Spektrum, haben den Brief als Unterstützer unterzeichnet. Das durch ausbleibende Castortransporte entstandene Aktionsvakuum verstärkte innerhalb der Szene Überlegungen, die "Brennstoffspirale" an anderer Stelle zu stören. Als weitere potentielle Angriffsziele stellt man sich offenbar auch sog. Uranhexanfluoridtransporte (UF6) vor, die am Anfang des BrennstoffKreislaufes stehen. Dieser Komplex war auch Beratungsgegenstand einer vom linksextremistischen Hamburger "Anti-Atom-Büro" geleiteten Arbeitsgruppe auf der bundesweiten "Anti-AKW-Frühjahrskonferenz" (09.-11.04.99 Heidelberg). Bisher ist es zu keinen konkreten Störaktionen gegen UF6 gekommen, allerdings wurden im März vier Hamburger in unmittelbarer Nähe der Uran-Anreicherungsanlage Gronau festgestellt. Eine dieser Personen ist dem "AntiAtom-Büro" zuzurechnen. Außerdem entspann sich im Sprachrohr der linksextremistisch beeinflussten Anti-AKW-Szene, der Zeitschrift "anti-atom-aktuell", eine Diskussion um die Behinderung möglicher Rücktransporte von Atommüll aus den im Ausland gelegenen Wiederaufbereitungsanlagen La Hague (F) und Sellafield (GB). Der strengen Zensur des antinationalen Spektrums (" 4.3.5) zuvorkommend, versicherte man sich, dass es nicht "nationalistisch" sei, wenn 148 man auch diese Transporte "Dem Staat die Krallen zeigen", in der Publizu verhindern suche, obkation "anti atom aktuell" Nr. 106 /Nov.1999 wohl dann die absendenveröffentlichte Resolution der Anti-AKWden Länder zunächst auf Herbstkonferenz v. 22.-24.10.99 (Auszug, dem deutschen Atommüll Hervorh. n. i. O.): Der Widerstand sollte sich sitzen blieben. Vor diesem "in letzter Konsequenz auch gegen die Hintergrund ist man beherrschende staatliche Ordnung richstrebt, den Protest verstärkt ten. Nicht die Atomanlagen sind der zu internationalisieren. InsFehler, sondern das System..." besondere Protestbewegungen in England und Frankreich sollen einbezogen werden. Dieses Thema behandelte auch die "Anti-Atom-Herbstkonferenz" (22.-24.10.99) im niedersächsischen Dannenberg. Bereits kurz nach dem Regierungswechsel Ende 1998 behauptete das linksextremistische Anti-AKW-Spektrum, die rot-grüne Bundesregierung sei nicht ernsthaft an einem Atomausstieg interessiert. Folgerichtig ordnet es die Partei "Bündnis 90/Die Grünen" nunmehr als Bestandteil der Atommafia und damit als Gegnerin ein. In einem Aufruf zur Demonstration gegen die Pilotkonditionierungsanlage (PKA) in Gorleben im Februar heißt es: "Wer jetzt immer noch an die Aufrichtigkeit der Grünen und auf die Durchsetzungsfähigkeit aufrechter Grüner im Rahmen des parlamentarischen Systems glaubt, dem/der ist nun wirklich nicht mehr zu helfen." Der PKA komme besondere Bedeutung zu, da sie die erste Atomanlage sei, "die unter RotGrün in Betrieb gehen soll". Auch in Hamburg gingen - dem Bundestrend folgend - die nach außen wirkenden Aktivitäten linksextremistischer Atomkraftgegner zurück. Im September 1999 hatte sich im Autonomenzentrum "Rote Flora" eine neue Anti-AKW Gruppe gegründet. An gleicher Stelle tagte bereits am 22.02.99 ein Vorbereitungstreffen zur Demonstration am 27.02.99 im wendländischen Gorleben gegen den dort geplanten Bau der Pilotkonditionierungsanlage. Künftige Aktivitäten linksextremistisch beeinflusster Hamburger AntiAKW-Initiativen dürften sich auf das AKW Stade konzentrieren, von dem man sich erhofft, dass in Kürze seine Lagerkapazitäten für abgebrannte Brennelemente erschöpft sind. Bereits im März hatten Linksextremisten in einem von der anarchistischen Zeitschrift "Graswurzelrevolution" Nr. 237 veröffentlichten Beitrag eine "Verstopfungs-Strategie" entwickelt. Man rechnete sich Chancen aus, durch "direkten Widerstand" gegen "Entsorgungs-Projekte" einen "Entsorgungsnotstand" bewirken und als Hebel für 149 die Stilllegung von AKWs ansetzen zu können. Da dieser Strategieentwurf auf Zustimmung stieß, werden Hamburger Atomkraftgegner bestrebt sein, einen Castortransport aus Stade mit allen Mitteln zu verhindern. Erfahrungsgemäß dürften linksextremistisch beeinflusste Anti-AKW-Initiativen für diesen Fall wieder zu "probaten" militanten Aktionsformen (Gleisblockaden, Hakenkrallen, Schienensägen etc.) greifen. 4.3.4 Anti-Nato-Kampagne im Zusammenhang mit dem Kosovokrieg Durch den ersten Kriegseinsatz deutscher Soldaten nach dem 2. Weltkrieg wegen der Menschenrechtsverletzungen (Mord, Folter und Massenvertreibung) jugoslawischer Kräfte gegen die Zivilbevölkerung im Kosovo fühlte sich die linksextremistische Szene zwar zu heftigen Protesten bis hin zu Anschlagsaktionen herausgefordert. Letztlich erreichten die zurückhaltenden Reaktionen innerhalb des sich pazifistisch darstellenden kommunistischen, autonomen und anarchistischen Spektrums allerdings nicht das Ausmaß, das bei einem so elementaren Ereignis zu vermuten gewesen wäre. Den nicht in der überholten Schematik marxistisch-leninistischer Erklärungsmuster erstarrten undogmatischen Autonomen fehlte offensichtlich ein über jegliche Zweifel erhabenes Feindbild. Mit einer kategorisch einseitigen Anti-NATO-Haltung hätten sie indirekt eine pro-serbische Position bezogen, die selbst in den eigenen Reihen angesichts der Gräueltaten im Kosovo nicht vorbehaltlos geteilt worden wäre. Demgegenüber hatte das orthodox-kommunistische Spektrum - insbesondere die "Deutsche Kommunistische Partei" (DKP " 5.1) und die ihr nahestehenden Organisationen - die geringsten Probleme mit einer einseitigen Parteinahme und Solidarität zugunsten Jugoslawiens. In einer im März 1999 veröffentlichten "Gemeinsamen Erklärung der Jugoslawischen Kommunisten und der Deutschen Kommunistischen Partei" sprach man von einer neuen Weltordnung, auf die die "Aggression" der NATO abziele. Die USA agierten als "Weltgendarm" und strebten ein "Weltimperium" an. 150 Die NATO-Luftschläge seien ein "barbarisches Verbrechen" und knüpften an das dunkelste Kapitel europäischer Geschichte an. Ein Vertreter des Hamburger Bezirksvorstandes der DKP äußerte am 01.04.99 anlässlich einer Kundgebung vor dem US-Generalkonsulat u.a.: "Der Hauptfeind des deutschen Volkes steht in Deutschland: der deutsche Imperialismus, die deutsche Kriegspartei, die deutsche Geheimdiplomatie. Diesen Feind im eigenen Land gilt's zu bekämpfen, zu bekämpfen im politischen Kampf, zusammenwirkend mit dem Proletariat der anderen Länder, dessen Kampf gegen seine heimischen Imperialisten geht." Autonome, Anarchisten und selbst Angehörige des "Antiimperialistischen Widerstandes" argumentierten differenzierter. Man verurteilte die Luftangriffe und die Beteiligung der Bundeswehr zwar auf das heftigste, allerdings wurden die Verbrechen der serbischen Seite nicht ignoriert. In der autonomen Zeitschrift "Interim" Nr. 473 (08.04.99) hieß es hierzu: "Das Regime von Milosevic und seinen Anhänger/innen ist uns politisch zuwider und sog. ethnische Säuberungen können niemals gerechtfertigt werden." In der Nr. 474 vom 22.04.99 warnten die HerMotiv auf der Internet-Seite der "Autonomen ausgeber der "Interim": Antifa M" (Göttingen) "Niemand muss sich mit der jugoslawischen Regierung identifizieren oder sie unterstützen, um einseitig gegen den NATO-Angriffskrieg Stellung zu beziehen (...) Zu unserer Glaubwürdigkeit ist es notwendig, in diesem Fall ohne Identifikationsfigur aktiv Stellung gegen die Nato und Deutschland zu beziehen." 151 Empörung und Kritik des undogmatischen linksextremistischen Spektrums richteten sich insbesondere gegen die Rolle von "Bündnis 90 / Die Grünen" in der Bundesregierung, speziell gegen den von ihnen gestellten Bundesaußenminister. Sie hätten den Kriegseinsatz der Bundeswehr erst ermöglicht, insbesondere Bundesaußenminister FISCHER habe auf eine deutsche Beteiligung gedrängt. Diese Schuldzuweisung führte sowohl im Bundesgebiet als auch in Hamburg zu einigen direkt gegen "Bündnis 90 / Die Grünen" gerichteten Aktionen. In den 70-er Jahren von linksextremistischen Protestbewegungen gegen die SPD erhobene Vorwürfe trafen jetzt die "Grünen". Ein Strategiepapier von Anfang 1999 lastete den "Grünen" eine früher von der SPD gespielte "systemintegrierende" Rolle an. Systemoppositionelle sollten so "in den Schoß der Nation" zurückgeholt werden. Vor dem Sonderparteitag von "Bündnis 90 / Die Grünen" am 13.05.99 in Bielefeld forderte eine "Initiative Kein Frieden mit der NATO" im Internet, den Parteitag zu stören: "Die Mähr von der basisdemokratischen Verankerung und Verortung der Grünen in der Linken ist mit dem politischen und praktischen Angriff auf den Parteitag endgültig beendet. Wir wollen in Bielefeld zum Ausdruck bringen, dass jede Diskussion über die Beziehung zu den Grünen beendet ist und nicht mehr geführt wird" (Hervorh. n. i. O.). Kurz zuvor hatten Unbekannte "Was nach dieser grünen Außenpolitik einen Brandanschlag mit gerinan zukünftiger Innenpolitik noch alles gem Sachschaden auf eine Auszu erwarten sein wird, läßt ... nichts stellung der Bundeswehr in BerGutes ahnen. Zerschlagen wir die lin-Gatow verübt. Ihre SelbstbeNATO - fangen wir bei den Grünen zichtigung hatte die gleiche Zielan!" (Hervorh. n. i. Orig.) richtung (s. Kasten). Auch in Hamburg agitierten Autonome gegen die angebliche Kriegspolitik von "Rotgrün". In einem Aufruf zu einer Informationsveranstaltung der "Roten Hilfe" am 22.09.99 (" 4.2) über das Thema "Politische Gefangene" erklärten die Verfasser den linksextremistischen Standpunkt zur Rolle der Bundesregierung im Kosovo-Krieg: Die Durchsetzung günstiger "Verwertungsbedingungen" gehe einher mit "einer wirklich reaktionären politisch-repressiven Offensive der herrschenden Klasse". Ähnlich wie in den 70-er Jahren übernehme es eine sozialdemokratische Regierung, "der Bluthund zu sein." Auch die Autonomen in Hamburg beließen es nicht bei verbaler Propaganda, sondern setzten ihre Ansichten in die Tat um. Am 19.04.99 warfen Unbekannte an Geschäftsstellen der "Grün-Alternativen Liste" (GAL) Fenster 152 ein und beschmierten die Wände. In der Mai-Ausgabe des "Rote Flora"-Infos "Zeck" bekannten sich die Täter als "autonome hamburg, 20.4.99" zu der Aktion. Sie beschuldigten die "Grünen", "genauso verlogen, machtbesessen und heuchlerisch wie alle anderen" zu sein. Am 11.05.99 störten Angehörige der autonomen Szene eine Veranstaltung der GAL zum Thema "Welche Hilfe braucht Jugoslawien?" indem sie Transparente zeigten, Flugblätter verteilten und lautstark Parolen gegen den NATO-Einsatz im Kosovo skandierten. Es kam zu tätlichen Auseinandersetzungen, bei denen drei Personen verletzt wurden. Etwa 50 Autonome aus Hamburg fuhren am 13.05.99 zum Sonderparteitag von "Bündnis 90 / Die Grünen" nach Bielefeld, um gegen deren "Kriegskurs" zu demonstrieren. Es kam zu Auseinandersetzungen mit der Polizei. Im Veranstaltungssaal verletzte ein Berliner Linksextremist Bundesaußenminister FISCHER durch einen Farbbeutelwurf am Kopf. Am 04.06.99 zerstörten mutmaßliche Linksextremisten in Hamburg durch Steinwürfe die Scheiben der Bergedorfer GALGeschäftsstelle. Zwei der Steine waren mit einem Blatt Papier umwickelt, auf dem als Begründung das einzige Wort "Kriegstreiber/innen" notiert war. Daneben initiierten u. a. Linksextremisten einige Demonstrationen oder beteiligten sich an ihnen. Stets forderten sie eine sofortige Einstellung der NATOBomben-Einsätze. Am 10.04.99 zogen knapp 2.000 Demonstranten durch die Hamburger Innenstadt, darunter 153 zahlreiche Linksextremisten aus dem orthodox-kommunistischen Lager (DKP, VVN-BdA) und viele Autonome. Während des Umzuges wurden GALAngehörigen von Autonomen Fahnen gestohlen. Die Rednerin der GAL wurde auf der Abschlusskundgebung mit "Mörder! Mörder!"-Rufen niedergeschrieen. Hier wie bei anderen Anlässen fiel ein allmählicher Wandel der autonomen "Kleiderordnung" auf: Immer mehr Autonome bemühen sich, ihr Aussehen an das Erscheinungsbild von nicht oder weniger gewaltgeneigten Teilnehmern anzupassen. Gehörten früher Palästinenser-Tücher, Sturmhauben und andere Vermummungsutensilien von vornherein zum obligaten "Outfit" der in martialisch wirkenden "Schwarzen Blöcke", gibt man sich heute häufiger unauffällig, um nicht gleich allzu deutlich Erkennungsmerkmale bei polizeilichen Maßnahmen abzugeben. 4.3.5 Antinationale / Antideutsche Kampagne Zur "Wendezeit" 1989 hatte sich eine "Radikale Linke" (RL) nennende, linksextremistisch ausgerichtete Sammlungsbewegung formiert, die sich bundesweit mit einer "antinationalen", "antideutschen" und antiparlamentarischen Stoßrichtung zu profilieren versuchte. Die organisationsübergreifenden Koordinierungsstrukturen dieser Bewegung waren nach 1990 allmählich zerfallen - ihre politischen Glaubenssätze haben trotz etwa fünfjähriger Versenkung überlebt und erfreuen sich wieder wachsenden Zuspruchs. Hauptziel der damaligen RL-Agitation war es, ein wiedervereinigtes Deutschland zu verhindern (Slogan: "Nie wieder Deutschland!"). Die RL verkörperte einen Teil der linksextremistischen Szene, der sich nach dem Zusammenbruch des "real existierenden Sozialismus" ideologisch neu orientierte und dabei radikalere Positionen bezog, während ein größerer anderer Teil sich hinter traditionellen ideologischen Positionen verbarrikadierte. Ein übriger dritter Teil zog sich - seiner ideologischen Gewissheiten beraubt - aus der Szene ganz zurück. Zur RL gehörten neben anderen einige Autonome, vor allem aber Personen mit Vorläufen im ehemaligen "Kommunistischen Bund" (KB). Seit 1994/95 wurden in Hamburg verbliebene Reste der RL wiederbelebt. Zum ersten größeren Reizthema wurden 1995 die öffentlichen Auseinandersetzungen um den 50. Jahrestag des Kriegsendes. Zu dieser Zeit antideutsch geprägter Demonstrationen, Veranstaltungen und Kongresse wurde der schon Ende 1992 - im Rückblick auf die vernichtenden Flächenbombardements auf deutsche Großstädte im 2. Weltkrieg kreierte zynische Appell "Bomber Harris: Do it again!" erneuert. Diese Bezugnahme 154 auf den britischen Befehlshaber des alliierten Luftkrieges, dem viele deutsche Zivilisten zum Opfer fielen, stieß selbst bei vielen Linksextremisten auf Unverständnis. Auch andere extrem überspannte antinationale Thesen wurden zwischen ihren Verkündern und der übrigen linksextremistischen Szene zeitweise recht kontrovers und in gegenseitiger scharfer Abgrenzung diskutiert. Wiederholt kam es darüber zu Auseinandersetzungen auch innerhalb der RL. Mittlerweile lassen sich als Grundströmungen "Antinationale" und "Antideutsche" unterschieden: Eine führende Exponentin der "Antinationalen" ist die Hamburger "Gruppe Demontage". Diese Strömung verteufelt jede Bezugnahme auf Volk, Staat und Nation - und zwar weltweit. Selbst mit linken "nationalen Befreiungsbewegungen" wie der PKK (" IV/3) setzt sich die "Gruppe Demontage" kritisch auseinander. Solidarität mit der PKK sei abzulehnen, da sie sich auf ein Volk der Kurden berufe, einen eigenen Staat errichten wolle und insofern als "völkisch" einzustufen sei. Verfolgte Kurden verdienten aber die Solidarität der Linken. "Antideutsche" lehnen vor allem jeglichen Bezug auf die deutsche Nation und jegliches Denken in nationalen Kategorien ab, da für sie Deutschland die Wurzel allen Übels ist. Sogar die "deutsche" Linke wird von ihnen bisweilen als "völkisch" und "rassistisch" bezeichnet. RL-Gruppen traten in der Vergangenheit unter häufig wechselnden Eigennamen auf. In Hamburg wurden 1999 antinationale bzw. antideutsche Positionen u. a. von der "Gruppe Demontage", dem "MorgenthauPlenum" und der "Gruppe Ratio Rausch Revolution" (GRRR) verbreitet. Die antideutsch orientierte GRRR ist der Hamburger Landesverband der linksextremistischen "Jungdemokraten/Junge Linke" (JD/JL). Die ehemalige Jugendorganisation der F.D.P. war Ende der 60-er Jahren zur Zeit der "Außerparlamentarischen Opposition" ins linke politische Spektrum abgedriftet und hatte sich 1982 endgültig auch formal von der Partei gelöst. Nach der deutschen Wiedervereinigung tat sie sich mit dem "Marxistischen Jugendverband" der Ex-DDR als "Jungdemokraten/Junge Linke" zusammen. Die GRRR trat in der Vergangenheit stärker als andere JD/JL-Landesverbände mit antideutschen Positionen hervor. Wurden die überspitzten Positionen der Antinationalen/Antideutschen anfangs noch belächelt oder rundheraus abgelehnt, verbuchten ihre Ansichten seit dem Kosovo-Krieg Akzeptanzgewinne. Vor allem antideutsche Argumentationen flossen in die Debatten des autonom-antiimperialistischen Spektrums ein. Dabei halfen einige linke Medien als Multiplikatoren, indem 155 sie antideutsche Thesen aufgriffen und weiterverbreiteten. Die Ideologiekrise und Perspektivlosigkeit in Teilen der extremistischen Linken hat ein für neue Inhalte aufnahmebereites Feld hinterlassen. So nahmen an einer "antideutsch" akzentuierten Veranstaltung der Zeitung "konkret" anlässlich des "Antikriegstags" am 1. September 1999 in Hamburg etwa 150 Personen teil. Der Bundesregierung unterstellen "Antideutsche", historische Lehren aus der nationalsozialistischen Judenvernichtung ins Gegenteil zu verdrehen: Das Gedenken an die Nazi-Verbrechen werde missbraucht, damit Deutschlands Stern in der Welt geläutert erscheine und heller erstrahle als je zuvor. Die Verbrechen von Auschwitz würden nun sogar als Rechtfertigung vorgeschoben, um unter dem Deckmantel der Menschenrechtswahrung "imperialistische" Interessen (gemeint: Krieg gegen Jugoslawien) durchzusetzen. Selbst der Begriff "deutsche Wertarbeit" ist "Antideutschen" ein Dorn im Auge. Die ("Lohn"-)Arbeit sei schon immer ein Instrument der Unterdrückung gewesen. Arbeit habe sogar der Züchtigung und Vernichtung der Juden in den KZs gedient ("Arbeit macht frei"). Der Hamburger "Gruppe Demontage" gelang es im Mai 1999 mit einer Diskussionsveranstaltung, über 150 Personen für ihre "antinationalen" Ideen zu interessieren. Ihre Thesen zur Situation von Befreiungsbewegungen in der 3. Welt und zum gebotenen Verhalten deutscher Solidaritätsgruppen verbreitete die Gruppe auch im Zuge einer bundesweiten Veranstaltungsreihe. Im November 1999 unterstützte die "Gruppe Demontage" die linksextremistische türkische DHKP-C (" IV/4.2.1), indem sie einen Solidaritätsappell (Tenor "Der Kampf gegen den Faschismus ist legitim - überall!") unterzeichnete. Sie begegnete damit auch Vorwürfen, nur theoretische, statt praktische Solidarität zu üben. 4.3.6 Linksextremistische Einflussnahme auf die Solidaritätskampagne für Mumia ABU JAMAL Eine von Linksextremisten beeinflusste bisher eher randständige Kampagne rückte 1999 stärker ins Blickfeld. Mit einer Vielzahl von Aktivitäten forcierten die damit befassten Initiativen ihre Versuche, öffentlichen Meinungsdruck zur Rettung des in den USA inhaftierten schwarzen Journalisten Mumia ABU JAMAL zu erzeugen. Der den "Black Panthern" - einer militanten Organisation von Schwarzen in den USA - angehörende ABU 156 JAMAL wurde wegen Polizistenmordes zum Tode verurteilt. Zweifel an der Beweislage werden von Linksextremisten dazu benutzt, um generell gegen den US-Staat und die dort angeblich herrschende "staatliche Repression" zu agitieren sowie für die Freilassung so genannter "politischer Gefangener" auch in der Bundesrepublik zu werben. Ferner dient dieses Thema dazu, nicht extremistische Gegner der Todesstrafe - auch Schüler - für linksextremistische Ziele zu mobilisieren. In Hamburg verliefen die Proteste gegen die drohende Hinrichtung weitgehend friedlich. In anderen Städten gingen sie in Mumia ABU JAMAL der Vergangenheit mit Sachbeschädigungen und Brandanschlägen einher. Seit das oberste Gericht des US-Staates Pennsylvania 1998 eine Verfahrenswiederaufnahme abgelehnt hatte, hat die Intensität der Proteste auch in Hamburg deutlich zugenommen. Am 20.02.99 demonstrierten hier etwa 3.500 Personen für den Inhaftierten, darunter viele Linksextremisten und Kurden. Für die türkisch-kurdischen Teilnehmer bot die Aktion eine zusätzliche Möglichkeit, für die PKK (" IV/3.) und gegen die "Entführung" des später ebenfalls zum Tode verurteilten PKK-Vorsitzenden ÖCALAN zu werben. Einen Monat später wurde erneut für die "Freilassung aller politischen Gefangenen", insbesondere aber für PKK-Chef ÖCALAN und ABU JAMAL demonstriert. Im April folgte ein Solidaritäts-Straßenfest für den Amerikaner. Es gelang der Hamburger linksextremistischen Szene, im Herbst 1999 für ein Solidaritätskonzert über 1.000 Personen zu mobilisieren. Am 15.10.99 demonstrierten über 350 Linksextremisten für die Freilassung ABU JAMALS, fünf Tage später erneut 400 Personen. Diese und weitere ähnliche Aktivitäten initiierte das linksextremistische Hamburger Solidaritätsbündnis "Free Mumia Abu-Jamal", in dem Autonome, Antiimperialisten und Angehörige der "Revolutionären Kommunisten" (RK) dominieren. Die RK bilden die deutsche Sektion des stalinistisch ausgerichteten "Revolutionary International Movement" (RIM). Sie orientieren sich an MARX, ENGELS, LENIN und Mao TSETUNG. Der Dachverband RIM wird von der "Kommunistischen Partei Perus" (PCP) geführt, einer weltweit unter der Bezeichnung "Sendero Luminoso" (Leuchtender Pfad) bekannten Terror-Organisation, der in dem Andenstaat zahlreiche 157 Massaker unter der Bevölkerung angelastet werden. In Deutschland waren RK-Anhänger bisher fast regelmäßig an gewalttätigen "revolutionären 1. MaiDemonstrationen" in Berlin beteiligt. 5. Orthodoxe Kommunisten und andere revolutionäre Marxisten 5.1 Deutsche Kommunistische Partei (DKP) und Umfeld Auch zehn Jahre nach dem Fall der Mauer und dem Zerfall des real-sozialistischen Lagers klammert sich die DKP an ihre Ideologie des MarxismusLeninismus. Ihr Parteiprogramm stammt noch aus der Zeit des "Kalten Krieges" (Mannheimer Parteitag 1978). Es wurde um "Thesen zur programmatischen Orientierung" (1993) und ein "Aktionsprogramm" (1996) ergänzt. Die DKP (Vorsitzender: Heinz STEHR) versteht sich als die revolutionäre Partei der Arbeiterklasse. Das Aktionsprogramm verneint ausdrücklich, eine "sozialistische" Gesellschaft über Reformschritte erreichen zu können. Ziel des angestrebten revolutionären Bruchs ("Überwindung des Kapitalismus") ist die "Dominanz gesellschaftlichen Eigentums an den Produktionsmitteln und die hierauf gegründete Macht der Arbeiterklasse". Die seit 1998 diskutierten "Sozialismusvorstellungen" der DKP will die Partei im Jahr 2000 verabschieden. Ihre Mitglieder vereint die Vision von einer neuen "sozialistischen Alternative", einem erneuten "Anlauf zum Sozialismus". Sie beharrt darauf, obwohl die historisch bitter erlebte "sozialistische" Praxis nahezu weltweit diskreditiert sowie in veröffentlichten Nachforschungen über Verbrechen in und durch ehemals kommunistische Staaten mit bedrückenden Ergebnissen dokumentiert wurde. Die Mitgliederentwicklung der DKP war 1999 rückläufig. Konnte die Organisation ihre Gefolgschaft 1998 bundesweit noch geringfügig auf 6.500 Mitglieder erhöhen (1997: 6.200, Anfang 1989: fast 35.000), wird nunmehr von einer Zahl über 5.000 ausgegangen. Korrekturen könnte der anstehende Mitgliedsbuchtausch (Bereinigung der Mitgliedsdatei) ergeben. 158 Die permanente Finanzkrise und fortschreitende Überalterung schränken die Aktionsfähigkeit der Partei weiter ein. Vom Rücktritt des Bundesfinanzministers und SPD-Vorsitzenden LAFONTAINE hoffte die DKP profitieren zu können. Dies wäre "die Stunde der Linkskräfte", weil LAFONTAINE im Gegensatz zum Kanzler und neuen SPD-Bundesvorsitzenden Hoffnungsträger für sozialen Ausgleich gewesen sei. Zu den "Linkskräften" zählte sie sich selbst, die PDS und auch linksextremistische Autonome. Über außerparlamentarische Aktionen müssten mehr Menschen "in Bewegung" kommen. Dahinter verbirgt sich unverändert die DKP-Strategie, auf "Massenbewegungen" zu setzen, die das parlamentarische System ins Wanken bringen und den Weg zum Sozialismus öffnen sollen. Ein altgedienter DKP-Funktionär zeigte sich am 28.08.99 im "junge Welt"-Interview immer noch überzeugt, dass die gesamte Menschheit keine Zukunft habe, wenn der Sozialismus keine hätte. Im Kern entsprach diese Aussage dem von Fidel CASTRO gebrauchten Slogan "Sozialismus oder Tod!". Zum Jugoslawien-/Kosovo-Konflikt bezog die DKP ihre dem "Realsozialismus" weiterhin nachtrauernde Position, so in der Parteizeitung "UZ" vom 14.05.99: "Gäbe es die DDR, es gäbe keinen deutschen Angriff auf Jugoslawien". Im Gegensatz zu Gruppierungen der undogmatischen "Neuen Linken" verzichtete sie offenbar aus ihrer "altkommunistisch" vorgeprägten Lagerdogmatik heraus auf Kritik am jugoslawischen Präsidenten MILOSEVIC (vgl. auch " 4.3.4). Gerade vor dem Hintergrund der Ereignisse im Kosovo bewies die DKP erneut ihre selektive Wahrnehmung politischer Verbrechen. Ihre weitere Zusammenarbeit mit der PDS hält die DKP für dringend notwendig. Sie will dabei, wie z. B. beim Wahlaufruf zugunsten der PDS anlässlich der EU-Wahlen (13.06.99), zweckorientiert vorgehen. Ihr Wahlengagement für die PDS begründete sie mit dem Hinweis auf die einzige im Deutschen Bundestag vertretene Partei, die die "NATO-Aggression" in Jugoslawien abgelehnt habe. Wahlpolitisch müsse man zusammenstehen, weil die Ergebnisse nicht üppig seien. Ende 1998 verlagerte die DKP-Bezirksorganisation Hamburg aus finanziellen Gründen ihren Sitz vom "Ernst-Thälmann-Haus" (Tarpenbekstraße) ins "Magda-Thürey-Zentrum" (MTZ, Eimsbüttel). Dort sind auch die "Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend" (SDAJ), die "Jungen Kommunisten" (JUKO) bzw. "Assoziation Marxistischer Studenten" (AMS) und der sich im Fahrwasser der DKP bewegende "Arbeiterbund für den Wiederaufbau der KPD" (AB) ansässig. 159 Die DKP-Bezirksorganisation Hamburg ist zahlenmäßig unter den Stand von 1998 (etwa 400 Mitglieder) zurückgefallen. Zehn Jahre vorher zählte die DKP in Hamburg noch etwa 3.300 Mitglieder. Ihre Bemühungen um weitere Fortschritte bei Aktionseinheiten und sonstiger Kooperation mit anderen linksextremistischen Zusammenhängen - auch des autonomen Spektrums und des "Antiimperialistischen Widerstandes" - setzte die Partei fort. Dieser, seit seiner Wahl 1998 maßgeblich vom neuen Bezirksvorsitzenden Olaf HARMS forcierte Kurs schlug sich auch in gegenseitiger Einbindung bei Solidaritätsaktionen für den inhaftierten PKK-Vorsitzenden ÖCALAN und in gemeinsamen Aktionsaufrufen (z. B. zum 1. Mai) nieder. Unter den Partnern befanden sich Gruppen aus dem gewaltbefürwortenden Spektrum. In einem Grußwort per Internet zum Newroz-Fest des unter PKK-Regie stehenden "Kurdistan-Volkshaus Hamburg" versicherte die DKP: "Wir waren und bleiben an eurer Seite". Es werde Zeit, "dass sich die revolutionäre Bewegung international zusammenschließt, um gemeinsam gegen den Imperialismus angehen zu können". In Kooperation mit der Kommunistischen Plattform (KPF) der PDS Niedersachsen fand am 18.03.99 eine Veranstaltung "Kundschafter des Friedens fordern ihr Recht" im MTZ statt. Kontakte und Kooperationen mit der Hamburger PDS gehören zur Normalität. Mit einer gemeinsamen Festveranstaltung "50 Jahre DDR - Blick zurück nach vorn" gedachten die Hamburger DKP und PDS am 06.10.99 des 50-jährigen Gründungstages (07.10.1949) der DDR (s. o. Anzeige "UZ" Nr. 39 v. 01.10.99). Die DKP Hamburg war in die Proteste gegen die NATO massiv eingebunden. Für sie ist der Jugoslawien-/Kosovo-Krieg noch nicht beendet. Die 1999 in Hamburg verteilter Aufruf zur Luxemburg-/ Partei nutzte die GeleLiebknecht-Demo 09.01.2000 in Berlin genheit, einige aus den Kampagnen der 80-er Jahre nachgebliebene Reste örtlicher "Friedensinitiativen" zu reaktivieren, um einer erhofften neuen "Friedensbewegung" auf die Beine zu helfen. 160 Die DKP und andere unterstützten das "Antifaschistische Kulturfest" des "Hamburger Bündnis gegen Rassismus und Faschismus" (" 4.3.2) am 10.07.99 auf dem Gänsemarkt. Ein DKP-Redner warb für die Zusammenführung aller "Linkskräfte" und bestätigte dabei das plumpe Schema linksextremistischen Geschichtsverständnisses: Man lasse sich nicht in gute und böse Antifaschisten spalten: "Die Verbrecher sind die Faschisten und die, die sie gewähren lassen. Auch heute sei wieder die Losung zu hören gewesen >Hinter dem Faschismus steht das Kapital<. Und so kurz und knapp diese Parole ist, so richtig ist sie auch. Deshalb richtet sich antifaschistischer Widerstand letztlich auch immer gegen das kapitalistische System". Der Redner schloss mit den Worten: "No pasaran! Sie dürfen und werden nicht durchkommen!". Die auf die Zeit des spanischen Widerstandes gegen das FRANCO-Regime zurückgehende und heute noch von Linksextremisten benutzte Parole "No pasaran!" war der Kampfruf der asturischen Kommunistin Dolores IBARRURI ("La Pasionaria"), die der Ansicht war: "Lieber 100 Unschuldige umbringen, als einen einzigen Schuldigen freisprechen!". Die Hamburger DKP mit ihren nachgeordneten Organisationseinheiten gibt - meist unregelmäßig, häufig anlassbezogen - mehrere Kleinzeitungen heraus. Die Zeitung "Wandsbek links" (bis Mitte 1998: "UKW - Unser Kreis Wandsbek") nannte als Ziel, "dass die Linke in Wandsbek ihre gemeinsamen und parallelen Aktivitäten verstärkt" und "über die eigene Partei oder die eigene Gruppe hinaus mit allen antifaschistischen und demokratischen Kräften" zusammenwirke. Mit der stereotypen Verknüpfung der beiden letztgenannten Attribute versucht die DKP, sich durch die Hintertür als "demokratisch" ins Spiel zu bringen. In mehreren Stadtteilen - auch Wandsbek - führten DKP-Vertreter in der Parteipresse angekündigte öffentliche Informationsund Sondierungsgespräche mit Angehörigen der "Regenbogen Gruppe" durch. Das Wandsbeker DKP-Mitglied Uwe SCHEER wurde für die GAL-Abspaltung "Regenbogen - für eine neue Linke" Mitglied des Ortsausschusses Bramfeld. Die 1969 zum Gedenken an den 1944 von der SS im KZ Buchenwald ermordeten KPD-Vorsitzenden eröffnete "Ernst-Thälmann-Gedenkstätte" (Tarpenbekstraße) hat als Kultstätte eine weit über die DKP hinausreichende 161 Bedeutung. Nach Angaben des Kuratoriumsvorsitzenden Johann WIENECKE (DKP) haben seit der Eröffnung 170.000 Personen die Gedenkstätte besucht, darunter 322 Schulklassen. Die Gedenkstätte soll die "revolutionären" Traditionen der "deutschen Arbeiterbewegung" bewahren. Auch sie leidet unter der prekären Finanzsituation der DKP. "Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend" (SDAJ): Das orthodoxkommunistische Weltbild der DKP-Jugendorganisation entspricht dem der Partei. Nachdem sie am Ende des "real existierenden" Sozialismus finanziell, organisatorisch und unter dem Druck massiver Mitgliederverluste zusammenzubrechen schien, übt sie neues Selbstbewusstsein. Auf ihrem 14. Bundeskongress (04./05.04.98, Frankfurt/M.) verkündete die SDAJ, sich verjüngt und verstärkt zu haben. Als künftige Arbeitsschwerpunkte beschloss der Kongress "Antimilitarismus, Arbeiterjugendpolitik und politische Arbeit an Schulen". Kuba gilt der SDAJ seit Jahren als Symbol des "antiimperialistischen" Kampfes. Die SDAJ Oldenburg und die "Autonome Antifa Weser/Ems" gaben im April 1999 eine Broschüre "Tradition verpflichtet" mit einem Aufruf zum revolutionären Widerstand heraus (Tenor "Kampf dem deutschen Imperialismus"). Die Verfasser waren sich einig, dass, "solange der Kapitalismus existiert, wir den Krieg nicht abschaffen können. Aber wir werden den Kapitalismus besiegen, wenn wir mit aller Macht gegen den Krieg den Kampf führen". Die Broschüre passt sich in die kommunistische Legende über eine angebliche Kontinuität zwischen Wehrmacht und Bundeswehr ein und glaubt, dieses mit einer "unvollständigen Chronik faschistischer Aktivitäten in der Bundeswehr" belegen zu können. Die SDAJ Hamburg versteht ihre seit Mai 1998 erscheinende Zeitschrift "Z.O.R.N." als "richtige Antwort auf die reaktionären Angriffe, mit denen es die Herrschenden uns Tag für Tag schwerer machen, sich mit ,ihrer Ordnung' zu arrangieren." Die Herausgeber beklagen einen angeblich grassierenden "Rassismus, die antisozialen Rufe nach law and order" in Verbindung mit "Polizeiterror". Ende 1998 hatte sich die SDAJ in "Z.O.R.N." zum Kampf für den "Sozialismus" bekannt: "Diese Alternative werden wir nur durch den Bruch mit diesem System, dem Kapitalismus, erreichen. Deshalb sind wir eine revolutionäre und antikapitalistische Organisation" (Hervorh. n. i. O.). Dass sie einen "missionarischen" Auftrag erfüllen und keinen Erfolg im politischen Wettbewerb anstreben will, umriß die Hamburger SDAJ (Flugblatt, Nov. 1999) mit der Formel "We' re on a mission, not on competition". 162 Entsprechend der bundesweiten Schwerpunktsetzung (14. Bundeskongress 1998) verteilte die SDAJ "Z.O.R.N." auch an Hamburger Schulen und beteiligte sich u. a. mit dem aus Hamburg stammenden Bundesvorsitzenden Michael GÖTZE (DKP) an der "Kuba-Brigade" zur Errichtung einer Ambulanz an der Uni in Matanzas. Am 06.11.99 veranstaltete die SDAJ im "Movimento" (Zentrum der Gewerkschaftsjugend Hamburg) eine "Jugendkonferenz gegen Militarismus und Krieg". Als Referent war auch der DKP-Bundesvorsitzende Heinz STEHR angekündigt worden. Ein Diskussionsforum trug das Motto "Heute Kosovo, morgen die ganze Welt?". Die Konferenz wollte u. a. Perspektiven des "Widerstands" ausloten, so auch die Art der Beteiligung an den Protesten gegen den Stapellauf der neuen Fregatte "Sachsen" für die deutsche Marine am 01.12.99 in Hamburg. Die Hamburger DKP-Hochschulgruppe "Junge Kommunisten" (JUKO) errang im Januar 1999 bei den Wahlen zum Studierendenparlament der Universität Hamburg erneut nur einen Sitz. Es durften mehrere Trotzkisten auf der Liste von JUKO/AMS kandidieren. Wie die DKP suchen auch die JUKO linksextremistische Aktionspartner. So unterstützten sie neben DKP, VVN-BdA und "Roter Aufbruch" u. a. einen Aufruf zu einer bundesweiten Demo "Verhindern wir den staatlichen Mord an Mumia Abu Jamal" am 20.02.99 in Hamburg. Im Dezember 1999 gehörten die JUKO zu den im "Hamburger Forum" zusammenwirkenden nicht-extremistischen und extremistischen Gruppen (u. a.: von DKP-Mitgliedern geführte "Friedensinitiativen"), die gegen den bereits erwähnten Stapellauf einer Fregatte für die Bundesmarine agitierten. Die Hamburger "Assoziation Marxistischer StudentInnen" (AMS) wurde 1996 gegründet (bundesweite Konstituierung 1997). Sie ging aus den JUKO hervor. Die AMS - Bundessitz seit Herbst 1999 Marburg, zuvor Hamburg - legt Wert darauf, "klipp und klar marxistisch und revolutionär" zu sein und sich nicht auf rein studentische Themen zu beschränken. Die im Bundesmaßstab noch im Aufbau befindliche Studentenorganisation verfügt in den Bundesländern Hamburg, Berlin, Hessen, Niedersachsen, Nordrhein163 Westfalen und Baden-Württemberg über Gruppen bzw. über Kontaktadressen. Sie ist in Bündnisaktivitäten bis hin zu AIW-Gruppen (" 3.) eingebunden. Ein AMS-Bundestreffen (April 1999, Hannover) verabschiedete eine Erklärung "Kein Frieden mit dem Imperialismus! Stoppt den Angriffskrieg!" (Anm.: gegen Jugoslawien): Die europäischen Mächte betrachteten den Balkan als "Brückenkopf zu den Ölfeldern des Nahen und Mittleren Ostens", der auch für die Einkreisung Russlands durch die "imperialistischen Mächte" geostrategische Bedeutung habe. Weiter hieß es, einstige Bündnispartner (gemeint: "Grüne") hätten sich in "kriegsgeile Hurrapatrioten" verwandelt. Die Dämonisierung des gewählten "sozialdemokratischen" Regierungschefs in Belgrad hätte große Teile der "Friedensbewegung" sowie darüber hinausgehende Teile der Gesellschaft verwirrt und so das spontane Aufkommen einer Anti-Kriegs-Bewegung erschwert. Es folgten Aufrufe zur Kriegsdienstverweigerung, Sabotage und Widerstand. Die Hamburger AMS gibt die Zeitungen "Alles Marx" und seit Herbst 1999 "Anschauung und Sinnlichkeit" heraus - ein von den JUKO übernommener Titel. Im letztgenannten Blatt wurde anlässlich des 82. Jahrestages der Oktoberrevolution in Russland eine Veranstaltung "Die glorreiche Revolution" angekündigt. "Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschisten e.V." (VVN-BdA): Die 1947 noch ohne den Zusatz "BdA" gegründete "Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes" (VVN) hat ihr Mitgliederpotential seit 1972 auch mit jüngeren Menschen aufgefüllt, die keine Verfolgten des Naziregimes waren bzw. erst nach 1945 geboren wurden. Sie nennt sich seitdem VVN-BdA. Die auf die alten Länder beschränkte Bundesorganisation und die Mehrzahl der Landesorganisationen in den alten Bundesländern sind orthodox-kommunistisch beeinflusst. Die VVN-BdA arbeitet mit Partnerverbänden der neuen Bundesländer ["Interessenverband ehemaliger Teilnehmer am antifaschistischen Widerstandskampf, Verfolgter des Naziregimes und Hinterbliebener e.V." (IVVdN) und "Bund der Antifaschisten" (BdA)] zusammen. Bis 1989 wurde sie maßgeblich mit Geldern aus der DDR unterstützt, wie sie selbst in Verlautbarungen einräumen musste. Die VVN-BdA vertritt die kommunistische Faschismusanalyse, die den Kapitalismus als eigentlichen Urheber des Faschismus und zentralen 164 politischen Gegner definiert. In ihrer Agitation beachtet sie Lehrsätze orthodox-kommunistischer "Strategie und Taktik". Sie versucht, sich in der Öffentlichkeit als demokratische Organisation darzustellen und bemühte sich auch 1999 in mehreren Bundesländern - u. a. in Hamburg - vergeblich, nicht mehr in den Verfassungsschutzberichten genannt zu werden. Evident sind die Kooperation, ideologische Verwandtschaft und personellen Verflechtungen der VVN-BdA mit der DKP. 31 % der Delegierten des DKPParteitages von 1998 waren zugleich VVN-BdA-Mitglieder. In der VVN-BdA sind unterschiedliche - auch demokratische - antifaschistische Strömungen aktiv. Es dominiert in der Organisation jedoch eine orthodox-kommunistische Sichtweise. Dieses führte zusammen mit der fortschreitenden Überalterung des Mitgliederstamms innerhalb von 10 Jahren zu erheblichem Mitgliederschwund (1989: ca. 14.000, 1998: ca. 6.500, 1999 : ca. 6.200 ). Um diesen Abwärtstrend zu bremsen, öffnete sich die VVN-BdA ab 1990 auch gegenüber Linksextremisten aus anderen Organisationszusammenhängen und intensivierte ihre Nachwuchswerbung. Der Festkongress "50 Jahre VVN" verabschiedete am 15.03.97 einen "Appell an die Jugend", "antifaschistische" Tradition "auf ihre eigene Art und Weise" weiterzuführen. Er war offensichtlich auch an militante autonome "Antifas" gerichtet. Seit Berührungsängste und Abgrenzungen nicht mehr existieren, sind Aktionsund Veranstaltungsbündnisse mit autonomen "Antifaschisten" zur Normalität geworden. Die VVN-BdA unterstützte den von zwanzig weiteren Gruppen unterzeichneten Aufruf "Den nationalen Konsens sprengen" eines "Antinationalen Aktionsbündnisses 3. Oktober". Sie rief zur Gegenkundgebung und Demonstration gegen die offiziellen Feiern anlässlich des Jahrestages der deutschen Einheit in Wiesbaden auf. Die "politischen Vertreter des BRD-Kapitals" würden die "Liquidierung einer dem Kapitalismus entgegenstehenden Gesellschaft" feiern. Der Aufruf schloss mit der Aussage: "Der nationalen Standortlogik und dem nationalen Chauvinismus, der sich immer offener imperialistisch und militärisch ausdrückt, erteilen wir eine antinationale und antikapitalistische Absage". Im Zusammenhang mit der Nachwuchswerbung veranstalteten VVN-BdAJugend und "R.O.T.K.Ä.P.C.H.E.N." - die Jugendgruppe des auf die neuen Länder begrenzten "Bundes der Antifaschisten" (BdA) - vom 29.-30.10.99 in Niederkaufungen/Hessen den ersten bundesweiten antifaschistischen Jugendkongress. Er trug das Motto "No Pasaran" (s. o. DKP). Der Kongress behandelte vordringlich Fragen zum Aufbau einer funktionsfähigen VVNJugend und der Zusammenarbeit beider Jugendverbände. 165 Die Verflechtungen der Hamburger VVN-BdA mit dem DKP-Spektrum sind vielfältig und gehen über "einfache" Doppelmitgliedschaften hinaus. Im Januar kandidierte eines der aktivsten VVN-BdA-Vorstandsmitglieder auf der Liste der Hamburger DKP-Hochschulorganisationen "JUKO-AMS" zum Studierendenparlament der Universität. Der einzige Hamburger DKP-Direktkandidat zur Bundestagswahl 1998 war zugleich Mitglied des Hamburger VVN-BdA-Landesverbandes. Im "Hamburger Bündnis gegen Rassismus und Faschismus" kooperierte die VVN-BdA mit gewaltbereiten Linksextremisten, insbesondere anlässlich der Mobilisierung gegen rechtsextremistische Aufmärsche/Aufmarschversuche, mit denen die rechtsextremistische Seite gegen die Wehrmachtsausstellung in Hamburg protestieren wollte. Wiederholt stellten VVN-BdA-Angehörige sich den Beteiligten dabei als Anmelder von Aktionen zur Verfügung. Die auch in Hamburg zur Normalität geworden Zusammenarbeit mit gewalttätig agierenden Linksextremisten hat der VVN-BdA hier bisher wenig genützt. Ihr Mitgliederstand stagniert bei ca. 400. 5.2 Sonstige revolutionäre Marxisten Unter den zahlreichen sonstigen linksextremistischen Kleinund Kleinstgruppen, die hier nicht im Einzelnen dargestellt werden, befinden sich insbesondere trotzkistische Splitterorganisationen. Etwas größere Bedeutung hat nur das trotzkistische "Linksruck-Netzwerk" (LR). Es verzeichnete 1999 einen weiteren Mitgliederzuwachs (jetzt über 1.000, Hamburg ca. 90). Damit ist das LR mitgliederstärkste trotzkistische Organisation in Deutschland. Im Hintergrund wirkt die selbst nicht in Erscheinung tretende trotzkistische "Sozialistische Arbeitergruppe" (SAG) - deutsche Sektion des in London ansässigen trotzkistischen Dachverbandes "International Socialists" (IS, weltweit ca. 20 Sektionen, über 10.000 Anhänger). Die SAG strebt den Aufbau einer revolutionären kommunistischen Partei, eine proletarische Revolution und die Entwicklung eines von Arbeiterräten geführten Staates an. Dieses Ziel soll u. a. über konsequente Betriebsund Gewerkschaftsarbeit des LR-Netzwerkes erreicht werden. Strategischen Vorgaben der IS entsprechend verfolgt die SAG einen Kurs trotzkistischer Entrismuspolitik. Sie gründete hierzu 1993/94 das LR, um Strukturen der SPD-Jugendorganisation "Jungsozialisten" zu unterwandern. Im Berichtsjahr wurden Gewerkschaften und betriebliche Arbeitnehmer166 vertretungen zum neuen Hauptziel des Eindringens und Unterwanderns erklärt. Dieser strategische Schwenk manifestiert sich in den "Linksruck-Leitsätzen", der politischen Selbstverständniserklärung des Netzwerkes sowie in der reißerisch aufgemachten, substanziell eher anspruchslos strukturierten Zeitung "Linksruck". Das Blatt erscheint vierzehntägig in mehreren tausend Exemplaren. Die LR-Bundeskoordination (Sitz: Hamburg) leitet als Zentrale die Aktivitäten einzelner Ortsgruppen. Diese sind über das gesamte Bundesgebiet verteilt. Hauptstützpunkte sind die Städte Berlin, Frankfurt, München, Freiburg, Köln und - mit jetzt sechs Ortsgruppen (Altona, Barmbek, Billstedt, Eimsbüttel, St. Pauli, Universität) an der Spitze - Hamburg. LR wirbt Mitglieder durch regelmäßige Veranstaltungen, Präsenz auf fast allen von Linksextremisten organisierten oder unterstützten Demonstrationen sowie durch massiven Straßenverkauf der Zeitung "Linksruck". Einmal im Jahr mobilisiert LR für die sogenannten "Rosa-Luxemburg-Tage" nach Frankfurt/M., wofür es eine wachsende Interessentenschar von NichtMitgliedern gewinnen konnte. Hinter den "Rosa-Luxemburg-Tagen" der vermeintlich organisationsungebundenen Zeitung verbergen sich straff organisierte zielstrebige Strukturen. 1999 beteiligte sich LR in Hamburg an zahlreichen Demonstrationen, so im Februar 1999 an dem von 2.000 167 Linksextremisten gebildeten Aufzug "Für eine friedliche Lösung in Kurdistan und die Freilassung von Abdullah Öcalans". "Antifaschismus" blieb für LR ein zentrales Thema. LR-Angehörige beteiligten sich an den Protesten gegen eine rechtsextremistische Demonstration aus Anlass der Wehrmachtsausstellung. Auch in zwei Demonstrationen der linksextremistischen Szene zugunsten des wegen Polizistenmordes inhaftierten schwarzen USamerikanischen Journalisten Mumia ABU JAMAL (" 4.3.6) reihten sich LRAngehörige ein. Anlässlich des Kosovo-Krieges initiierte LR an der Hamburger Jahn-Schule ein "Antikriegskomitee". Wegen des angeblichen "Rechtsschwenks" der SPD unter Bundeskanzler SCHRÖDER mobilisierte LR zu Protesten gegen den SPD-Parteitag am 04.12.99 nach Berlin. Obwohl "Linksruck" sich in Hamburg als eine der auffälligsten linksextremistischen Gruppen in fast alle öffentlich wirksamen Aktivitäten dieser Szene einmischt und erhebliche Energien für die Mitgliederwerbung einsetzt, hat es kaum eine eigene, vorwärtsweisende politische Substanz vorzuzeigen. LR baut im Prinzip auf Fehler des politischen Gegners, indem es sich hauptsächlich als Daueranalytiker des vermeintlich kriselnden Kapitalismus ergeht und daraus in seiner Zeitung im Boulevard-Stil klassenkämpferische und arbeitertümelnde Schlagzeilen produziert. Obwohl in der übrigen linksextremistischen Szene u. a. wegen ihrer penetranten Mitgliederwerbung sowie ihres trotzkistischen Hintergrundes relativ isoliert, durften Hamburger LR-Mitglieder, die als JuSo-Mitglieder auftraten, sich in der Vergangenheit teilweise an "antifaschistischen" Bündnissen neben Autonomen, Angehörigen des "Antiimperialistischen Widerstandes" (AIW) und sonstigen Linksextremisten beteiligen. So wirkten sie im "Hamburger Bündnis gegen Faschismus und Rassismus" (" 4.3.2, auch: 5.1) mit. Wegen seines wachsenden Mobilisierungspotentials könnte es LR gelingen, sich als Bündnispartner anderer linksextremistischer Organisationen weiter interessant zu machen. Marxistische Gruppe (MG): Die MG hatte bis 1991 mehr als 10.000 fest eingebundene Anhänger (Hamburg: ca. 1.000 Mitglieder, Kandidaten, Sympathisanten) erreicht. 1991 hatte die MG - zum Schein - ihre Selbstauflösung bekannt gegeben, in dem Irrtum, sich so einer weiteren Beobachtung durch den Verfassungsschutz zu entziehen. Unter vermeintlich unverfänglichen Bezeichnungen treten altbekannte MG-Funktionäre seit längerem wieder offen auf, so in Hamburg als "GegenStandpunkt" (nach der seit 1992 erscheinenden Vierteljahresschrift der MG benannt) und als "Gruppe Kritik & Diskussion" (K&D). 168 Zu den Klassikern des Marxismus-Leninismus pflegt die MG ein eher distanziertes Verhältnis. Einen breiten Raum beanspruchte 1999 auf öffentlichen "Informationsund Diskussionsveranstaltungen" von "GegenStandpunkt" der Jugoslawienkonflikt. In ihren für die MG typischen weitschweifigen, ironisch-zynischen "Lektionen" begründeten Autoren in der "GegenStandpunkt"-Ausgabe 2/99 erneut ihre Gegnerschaft zur "kapitalistischen Weltordnung". Zum NATO-Kosovo-Einsatz heißt es: "Der Westen setzt seine Anmaßung eines Kontrollregimes über die Staatenwelt in die Tat um, indem er den Gewaltgebrauch aller Regierungen generell unter Vorbehalt stellt und alles, was er als eigenmächtig identifiziert mit Krieg bedroht (...) Die Stiftung Weltfrieden, in die der Westen seine Weltkriegsfähigkeit und -bereitschaft einbringt, hat einen entscheidenden Fortschritt gemacht". Die "GegenStandpunkt"-Redaktion veranstaltete in Hamburg regelmäßig Diskussionsforen, auf denen altbekannte Hamburger, aber auch auswärtige MG-ler als Referenten auftraten. Die monatlichen Veranstaltungen finden seit März 1998 im "Werkhof" des alternativen Zentrums der "Werkstatt 3" (W 3) statt. Von den diversen anderen politischen Gruppen in der "W 3" erhofft sich die MG neuen Zulauf. Am 27.05.99 referierte ein Bremer MG-Funktionär auf einer "Vortragsund Diskussionsveranstaltung" der Gruppe K&D zum Jugoslawienkrieg in der "Roten Flora". K&D kritisierte in den "Lokalberichten Hamburg" vom 09.09.99 unter der Überschrift "Verbreitet keine Illusionen" das Motto des "Hamburger Forums" (HF) zur "Anti-Kriegstags-Demonstration" (01.09.99) als unbrauchbar. Die Parole "Gegen Faschismus und Krieg" sei nicht radikal genug. Das HF leiste dem Irrglauben an einen friedlichen, demokratischen Kapitalismus Vorschub. Es könne keinen Frieden mit dem "Kapitalis169 mus" geben. Nach einem Hinweis auf "Ex-Pazifisten, die heute das Land regieren", behauptete K&D am Schluss: Ein Staat, der den Interessen des "deutschen Imperialismus" im Wege stünde, werde mit Krieg überzogen. 6. Nutzung moderner Kommunikationsmittel Analog zur Gesamtgesellschaft hat sich die Verbreitung moderner Kommunikationsmittel auch im linksextremistischen Spektrum in den letzten Jahren rasant weiterentwickelt. Personalcomputer, Internet und Mobilfunktelefone bieten Verfassungsfeinden neue Möglichkeiten im Kampf gegen das freiheitliche demokratische System: Von der Multiplikation der Agitationsund Propagandamöglichkeiten durch das Internet über Bühnen zur Selbstdarstellung in optisch und akustisch ansprechender Form, punktgenaue und zeitnahe Steuerungen von Demonstrationen bis hin zur schnelleren und breiteren Kommunikation untereinander. Mobilfunktelefone wurden auch zur Koordination bzw. Absicherung bei Sachbeschädigungen und Anschlägen verwandt. Unter den aufgeführten elektronischen Medien haben das Internet und die mit ihm verbundenen Dienste höchste Bedeutung. Bereits seit über 10 Jahren nutzen Linksextremisten Möglichkeiten der elektronischen Datenfernübertragung, anfangs noch überwiegend Mailboxen bzw. Mailbox-Verbundsysteme. Heute bedienen sich zahlreiche Gruppierungen und Parteien der Vielfalt von Internet-Diensten. Die Homepage zur politischen Eigenwerbung und Propaganda ist mittlerweile auch für Linksextremisten selbstverständlich geworden. In Hamburg hat insbesondere das "Nadir Info System" eine gewichtige Rolle bei der elektronischen Vernetzung des linksextremistischen Spektrums übernommen. Seit Beginn des Projekts im Jahre 1994, damals noch unter der Bezeichnung "Infogruppe Hamburg", fanden mit dessen Hilfe viele, auch namhafte und bundesweit bedeutsame linksextremistische Gruppen Zugang zur neuen Technik. Der "Nadir"-Service schloss auch auswärtige autonome Gruppierungen wie die "Autonome Antifa M" (Göttingen) und die "Antifaschistische Aktion Berlin" (AAB) ein. 170 Schwerpunkt des von "Nadir" unter seiner Internetadresse für linksextremistische Nutzer angebotenen Dienstleistungssortiments ist das "Nadir"-Archiv. Es sind vor allem Texte von grundlegender und übergreifender Bedeutung abrufbar. Unter "Periodika" sind zahlreiche Ausgaben verschiedener Publikationen wie etwa "Zeck - Info aus der Roten Flora", Angehörigen Info", "Die Rote Hilfe" etc. einsehbar. In "aktuell" finden sich Terminhinweise, die für die linksextremistische Klientel von Interesse sind (Demonstrationen, Veranstaltungen) sowie allgemeine Schnellinformationen. In einer ebenfalls unter der "Nadir"-Internetadresse einsehbaren Selbstdarstellung geben die Betreiber als Ursprungsmotiv an, den "Austausch und Informationsfluss zwischen linken Gruppen" mittels elektronischer Nachrichtenverbreitung ... verbessern zu wollen. Sie betrachteten es als Aufgabe, die "herrschenden Verhältnisse umzustürzen und alle Ideologien, die diese stützen, anzugreifen". Weiter erklärt man, "antiimperialistische, antikapitalistische, antifaschistische, antimilitaristische und antipatriarchale Politik in Hamburg und anderswo" unterstützen zu wollen. Außerdem strebt "Nadir" an, die "herrschenden" Verhältnisse "grundlegend zu verändern". Inzwischen dient sich das Projekt linksextremistischen Zusammenhängen auch erfolgreich - frei von kommerziellen "Verwertungsbestrebungen" - als eigenständiger Server/Provider bzw. als strömungsübergreifende "virtuelle Version eines Infoladens" für "linke Politik und soziale Bewegungen" an. Herausragende Aktivität der "Nadir"-Gruppe im Jahre 1999 war die Teilnahme am "antirassistischen Grenzcamp" vom 07.-15.08.99 in Zittau/Sachsen (" 4.3.1). Dort hatten Angehörige des Internetprojekts ein Zelt mit Computerterminals und Internetanschluss installiert. "Nadir" hat sich bundesweit als eine der wichtigsten Internetadressen für das linksextremistische Spektrum etabliert. Neben einigen wenigen anderen Projekten wie etwa dem "Partisan Net" aus Berlin zählt es zu den umfangreichsten Informationsquellen für linksextremistische Internet-Nutzer. Trotz der vielfältigen Bemühungen von "Nadir" fällt auf, dass Hamburger Antifagruppen die Möglichkeiten des Internets vergleichsweise zurückhaltend ausschöpfen, wenn es um Mobilisierungen zu Demonstrationen oder Störund "Widerstandsaktionen" geht. Bei regionalen Ereignissen ziehen sie immer noch traditionelle Propagandaund Agitationsmittel vor (Plakate, "Flyer", linksextremistische Zeitungen, szeneinterne Mund-Propaganda). 171 IV. Sicherheitsgefährdende und extremistische Bestrebungen von Ausländern 1. Überblick / Aktuelle Entwicklungen und Schwerpunkte 1.1 Tendenzen, Themen und Aktivitäten Der Beobachtung durch den Verfassungsschutz unterliegen auch Zusammenschlüsse nichtdeutscher Personen in der Bundesrepublik, bei denen Anhaltspunkte für den Verdacht auf Bestrebungen im Sinne des gesetzlichen Auftrages bestehen. Nach SS 4 Abs.1 des Hamburgischen Verfassungsschutzgesetzes (HmbVerfSchG) gilt dieser Auftrag * Bestrebungen, die sich gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes richten oder auf eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung von Mitgliedern verfassungsmäßiger Organe des Bundes oder eines Landes zielen, * sicherheitsgefährdenden oder geheimdienstlichen Tätigkeiten für eine fremde Macht in der Bundesrepublik Deutschland, * Bestrebungen in Deutschland, die durch Gewaltanwendung oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden, * Bestrebungen/Tätigkeiten, die sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung oder das friedliche Zusammenleben der Völker richten. Das breit gefächerte im o. g. Sinne extremistische Ausländerspektrum umfasst in Hamburg eine insgesamt auf etwa 2.750 Personen geschätzte Anhängerzahl. Gemessen an der Gesamtzahl der hier lebenden Ausländer - etwa 270.000 - sind das etwa 1 %. Die bloße Zahl sagt allerdings wenig über den Grad etwaiger Bedrohungen aus. Beispiele des deutschen Linksund Rechtsextremismus zeigen, dass bereits Kleingruppen oder fanatische Einzeltäter die Sicherheitsbehörden nachhaltig beschäftigen können. So verfolgt eine Reihe linksextremistischer türkischer Gruppen beharrlich den revolutionären Umsturz in der Türkei und die Errichtung eines kommunistischen Herrschaftssystems im Heimatland. Ein Teil dieser unter " 4.2 behandelten "Parteien" DHKP-C, THKP/-C Devrimci Sol, TKP/ML, TKP(ML) 172 und MLKP war vorübergehend mit der "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) liiert, um ihre Kampfpotentiale in einer gemeinsamen Front zusammenzufassen (" 4.1 - 4.2.4 Stichwort: DBGP / "Plattform der Vereinigten Revolutionären Kräfte). Als Gefahr für die innere Sicherheit in Deutschland sind diese türkischen Marxisten-Leninisten einstweilen in den Hintergrund gerückt, weil sie in den vergangenen zwei Jahren durchweg auf Gewaltanwendungen verzichteten. Die PKK hatte im April 1996 eine Gewaltverzichtserklärung für ihr Verhalten in Deutschland abgegeben. Sie unterbrach im Februar (Ergreifung ÖCALANs) und Juli 1999 (nach dem 29.06.99 / Todesurteil gegen ÖCALAN) mit schweren Gewaltakten diesen Deeskalationskurs, durch den sie in den europäischen Gastländern politische Sympathien zurückgewinnen wollte und sich internationalen Druck auf die türkische Regierung erhofft hatte. Auch kennzeichneten weiterhin kriminelle Komponenten das Verhalten der PKK (z. T. erpresserische Geldeintreibung unter kurdischen Geschäftsleuten sowie in der RauschmittelSzene). Nach wie vor wurden junge Leute zur Ausbildung für den Kampf mit der Waffe rekrutiert und der innere Zusammenhalt der Partei notfalls mit Todesdrohungen durchgesetzt. Im Laufe des Jahres 1999 zeichnete sich als grundlegender Wandel der PKK - auch in der Türkei - die Absicht ab, nur noch mit friedlichen Mitteln für eine kulturelle (vorher: politische) Autonomie bzw. für die Bewahrung einer kurdischen Identität zu agieren. Während unter den wichtigen islamistischen türkischen Gruppierungen der "Kalifatstaat" (" 4.3.2) unverhüllt gegen freiheitliche und demokratische Prinzipien unserer Gesellschaftsordnung Position bezieht, betont die zahlenmäßig größte ausländische islamisch-extremistische Organisation IGMG (" 4.3.1) ihre Bereitschaft, sich verfassungskonform und gesetzestreu zu verhalten. Ihre Ablehnung der laizistisch-demokratischen Verfassung in der Türkei und ihr Streben nach uneingeschränkter Durchsetzung islamischer Regeln in allen Lebensbereichen widerspricht aber dem verbalen Bekenntnis zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung. Auch islamische Extremisten anderer Herkunftsländer (arabischer Raum und Iran) sind in Deutschland vertreten, allerdings durchweg in Kleingruppen und als Einzelpersonen. Sie verhalten sich in der Öffentlichkeit zumeist unauffällig und bleiben unter sich. Zwar sind sie in Deutschland mit Gewalttaten seit Jahren nicht hervorgetreten. Als Anhänger im Ausland terroristisch agierender Organisationen dürften sie aber für deren Logistik und Sympathiewerbung nicht ohne Bedeutung sein. Es bleibt daher eine wichtige Aufgabe des Verfassungsschutzes, sie nicht aus den Augen zu verlieren. 173 1.2 Organisationen und Potentiale Das Potential der in der BunBundesebene: Personenpotentiale desrepublik vertretenen 67 im Ausländerextremismus (1998: 65) ausländischen ex1999 59700 tremistischen Organisationen (einschließlich verbotener Or1998 59100 ganisationen) hat sich von 1997 58200 59.100 (1998) auf 59.700 (1999) Mitglieder/Anhänger 1996 57300 erhöht. 1995 55500 Untergliedert nach ideologi1994 47050 schen Standorten gab es 1993 39950 1999 im Ausländerextremismus etwa 19.950 Anhänger 1992 39800 linksextremistischer Organisa1991 42980 tionen (1998: 19.360), 8.800 Anhänger extrem-nationalisti1990 49350 scher Organisationen (1998: 8.450) und 31.350 Anhänger islamisch-extremistischer (1998: 31.290) Organisationen. Darin sind die Personen verbotener Organisationen mitgezählt. Bundesebene: Personenpotentiale im Ausländerextremismus Zahlenverhältnisse nach Staats-/Volkszugehörigkeit und Zielrichtungen Staats-/ linksextremistisch extremIslamistisch Volkszugenationalistisch hörigkeit 1999 1998 1999 1998 1999 1998 Kurden 12.400 11.900 (davon PKK) (12.000) (11.500) Türken 4.850 5.110 7.800 7.500 28.150 28.400 Araber 150 200 2.950 2.740 Iraner 900 900 150 150 Sonstige 1.250 1.250 1.000 950 100 0 Gesamt 19.550 19.360 8.800 8.450 31.350 31.290 Diese Zahlenverhältnisse sind nicht gleichzusetzen mit den Gefährdungsintensitäten, die von den einzelnen Spektren bzw. darin enthaltenen Gruppierungen für die innere Sicherheit der Bundesrepublik ausgehen. Änderungen im Zahlenwerk bedeuten auch nicht immer zugleich eine Änderung des 174 tatsächlichen Gefährdungspotentials. Sie können auch auf eine verbesserte Informationsbasis zurückzuführen sein. Die gut 32,7 % umfassenden ausländischen Linksextremisten in 44 Gruppierungen waren 1999 für den weit überwiegenden Teil der verübten Gewalttaten verantwortlich, wovon wiederum der allergrößte Teil auf Anhänger der verbotenen "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) zurückgeht. Mit etwa 12.000 Mitgliedern/Anhängern entfallen auf die PKK rund 20,1 % - des Gesamtpotentials ausländischer Extremisten. Ausländische Nationalisten verteilten sich mit 8.800 Personen auf 5, Islamisten mit 31.350 Personen auf 18 Gruppen. Der weit überwiegende Teil (40.800 Personen, d. h. rund 68,3 %) des ausländerextremistischen Personenpotentials entfiel auf 18 Organisationen türkischer Volkszugehörigkeit. Die zweitgrößte Volksgruppe ausländischer Extremisten bildeten mit 20,8 % Personen kurdischer Herkunft in 23 Gruppen. Es folgten mit weitem Abstand Araber (5,2 %, 15 Gruppen), Iraner (1,8 %, 2 Gruppen) und sonstige Nationalitäten/Volkszugehörigkeiten (3,9 %, 9 Gruppen). Hamburg: Personenpoteniale Hamburg: Das heute etwa im Ausländerextremismus 2.750 Personen (1998: 2.700) umfassende Gesamtpotential ausländischer Extre1999 2750 misten in Hamburg einschließlich Einzugsgebiet hat 1998 2700 sich gegenüber 1998 nicht nennenswert verändert. Die PKK stellte davon wie im 1997 2800 Vorjahr etwa 700 Mitgliedern/ Anhängern rund ein 1996 2260 Viertel. Das in Hamburg vorhan1995 2200 dene Spektrum von unverändert etwa 1.720 türkischen 1994 2000 Extremisten (ohne PKK-Anhänger) verteilte sich gleichbleibend auf etwa 170 Linksextremisten, rund 500 extreme Nationalisten und wie bisher auf geschätzte 1.050 fest eingebundene Personen islamisch-extremistischer Ausrichtung. Neben türkischen und kurdischen Extremisten sind in Hamburg etwa 320 Iraner, Araber sowie Personen anderer Nationalitäten/Volksgruppen als 175 Anhänger extremistischer Gruppierungen bekannt, die zum Teil wegen fehlender örtlicher Strukturen organisatorisch nicht fest eingebunden sind. 2. Strafund Gewalttaten im Ausländerextremismus/ Statistik Bundesebene: Gewalttaten / Straftaten Die Zahlen für die Buninsgesamt mit ausländerextremistischem desebene basieren auf Angaben des BundesHintergrund kriminalamtes (BKA) - für Hamburg auf Angaben Gewalttaten des Landeskriminalamtes (LKA). Sie sind wegen Straftaten 2536 2356 anderer Erfassungs-/Beinsgesamt wertungskriterien vor 1997 nicht mit den Zahlen in den damaligen Hambur1608 ger Verfassungsschutzberichten vergleichbar. 1999 wurden bundesweit insgesamt 2.536 (1998: 2.356) Straftaten mit erwiesenem oder zu 314 258 391 vermutendem ausländerextremistischem Hin1997 1998 1999 tergrund erfasst, darunter 391 (1998: 258) Gewalttaten. Daraus ergeben sich gegenüber 1998 ein Anstieg der Straftaten insgesamt um 180 (+ 7,6 %) sowie ein steiler Anstieg der Gewalttaten um 133 (+ 51,6 %). Ein massiver Anstieg war im Bereich schwerer Gewalttaten (Tötungsdelikte, Sprengstoffanschläge, Brandstiftungen) zu verzeichnen: Ihre Zahl sprang von 13 (1998), auf 112 (1999), mithin auf das Achteinhalbfache. Dieses ist der zweithöchste Stand seit 10 Jahren (1995: 190). Allein die Zahl der Brandund Sprengstoffanschläge schoss von 7 (1998) auf 104 (1999), mithin auf das Fünfzehnfache. Die nicht als Gewaltdelikte eingestuften sonstigen Straftaten (weit überwiegend Verstöße gegen das Vereinsoder Versammlungsgesetz, daneben Sachbeschädigungen und Nötigungen/Bedrohungen) stiegen um 47 (+ 2,2 %) von 2.098 auf 2.145. 176 Der extreme Anstieg der Bundesebene: Schwere Gewalttaten mit Gewalttaten geht fast ausländerextremistischem Hintergrund ausschließlich auf das Konto von PKK-Anhängern 190 (" 3.), die damit im Februar 1999 auf die Ergreifung ihres Generalvorsitzenden ÖCALAN durch Kräfte der türkischen Regierung und 124 zur Jahresmitte auf 112 das gegen ÖCALAN verhängte Todesurteil reagier76 ten. Bundesweit ver66 zeichnet die Gewalttaten53 kurve des Jahres 1999 ihren Höchstwert im Fe29 30 15 16 13 bruar. 1989 1990 1991 1992 1993 1994 1995 1996 1997 1998 1999 Bundesweit kam es zu 7 (+2) versuchten und 1 (+/-0) vollendetem Tötungsdelikt, zu 83 (+17) KörperverHamburg: Gewalttaten / Staftaten insgesamt letzungen, 101 (+96) Brandmit ausländerextremistischem Hintergrund stiftungen, 3 (+1) Sprengstoffanschlägen), 103 (+67) 167 166 Landfriedensbrüchen, 20 Gewalttaten (+11) Freiheitsberaubungen sowie zu 73 (-61) Raub-/ErStraftaten pressungstaten. insgesamt In Hamburg ist die Zahl 105 102 der mit ausländerextremistischem Hintergrund verübten Straftaten nach einem Rückgang von 167 (1997) auf 102 (1998) im Jahr 1999 wieder deut42 42 lich gestiegen (gegenüber 30 23 1998 um 64 auf 166 (+ 62,7 %). Auch die in dieser Zahl enthaltenen 1996 1997 1998 1999 Gewalttaten mit erwie177 senem oder zu vermutendem ausländerextremistischem Hintergrund haben gegenüber den beiden Vorjahren (1997: 30, 1998: 23) zugenommen. Sie stiegen von 1998 auf 1999 - prozentual - erheblich deutlicher als im bundesweiten Durchschnitt (+ 51,6 %) um etwa 82,6 % von 23 auf 42. Auch hier ist der Anstieg eindeutig auf Protestaktionen von Anhängern der "Arbeiterpartei Kurdistans" (PKK) nach der Ergreifung ihres Vorsitzenden Abdullah ÖCALAN (16.02.99) zurückzuführen (1999 allein 26 Landfriedensbrüche, 1998: 0). Fast die Hälfte aller 166 im gesamten Jahr 1999 in Hamburg registrierten politischextremistisch motivierten Straftaten von Ausländern (78, davon 49 Sachbeschädigungen) wurde im Februar 1999 - dem Monat der Ergreifung von ÖCALAN - verübt. Während in Hamburg 1998 zwei Brandanschläge ausländischer Extremisten gemeldet wurden, gab es 1999 in dieser Deliktart nur noch einen Vorfall. In beiden Jahren waren für Hamburg keine Sprengstoffdelikte zu verzeichnen. Der steile Anstieg von Brandund Sprengstoffanschlägen auf Bundesebene hat sich damit in Hamburg nicht niedergeschlagen. Im Berichtsjahr kam es zu einer versuchten Tötung (1998: 1 versuchte, 1 vollendete Tötung). Im Jahresverlauf kam es in Hamburg zu 4 Körperverletzungen, 64 Sachbeschädigungen und 3 Fällen von Freiheitsberaubung. Besonderes öffentliches Aufsehen erregten im Februar und März zwei Geiselnahmen (Freiheitsberaubungen) durch Anhänger der PKK im direkten und indirekten Zusammenhang mit den militanten Protesten gegen die Ergreifung des PKK-Vorsitzenden ÖCALAN durch türkische Sicherheitskräfte. Mit 26 Fällen von Landfriedensbruch entfiel auf diese Deliktart 1999 mehr als die Hälfte aller Gewalttaten. Es wurden 5 Fälle von Erpressung/räuberischer Erpressung gemeldet. In der Deliktart Nötigung und Bedrohung weist die Jahresstatistik 4 Fälle aus. Rund ein Drittel der in Hamburg verübten Straftaten (56 von 166) entfallen auf die Kategorie "andere Straftaten" (z. B. Verstöße gegen das Vereinsoder Versammlungsgesetz). Auf einzelne Gesetzesverletzungen des Jahres 1999, deren Hintergrund und Zielrichtungen wird in den nachfolgenden Kapiteln eingegangen. Die Bedeutung des Bereichs der politisch motivierten Ausländerkriminalität ergibt sich nicht so sehr aus der Höhe der Fallzahlen, sondern aus der skrupellosen Gewaltbereitschaft von Tätern verschiedener verbotener ausländischer Organisationen gegenüber politischen Konkurrenten, Abweichlern und Opfern von Spendenerpressungen. 178 3. Kurden / Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) 3.1 Allgemeines / Vorgeschichte Allgemeines / Vorgeschichte: Heimat der Kurden sind die Gebiete zwischen den Staaten Türkei, Irak, Iran, Syrien. Hinzu kommen Landstriche in Georgien, Armenien, Kasachstan und Kirgistan. Von den etwa 25 Millionen Kurden leben mehr als die Hälfte auf dem Territorium der Türkei, wo sie bisher vergeblich um einen autonomen Status kämpften. Etwa 500.000 leben in Deutschland (Hamburg: etwa 28.000). Traditionelle Familienund Clanstrukturen der Kurden haben sich auf ihre Lebensweise in Westeuropa übertragen. Die am 27.11.78 in der Türkei gegründete PKK ("Partiya Karkeren Kurdistan") pochte zunächst auf die Schaffung eines unabhängigen kurdischen Staates, beharrte zuletzt jedoch nur noch auf Mindestzielen: Anerkennung als ethnische Minderheit unter Gewährung einer Teilautonomie innerhalb der türkischen Grenzen. Die ursprünglich orthodox-kommunistisch - heute eher diffus revolutionär-sozialistisch - geprägte PKK trägt auch nationalistische Züge. Über eine nationale "demokratische" Revolution will sie zum Sozialismus gelangen. In einer Prozesserklärung (Juni 1999) räumte der Generalvorsitzende Abdullah ÖCALAN ein, von den Folgen des "Kalten Krieges" und einer Jugend, "in der eine anarchistische Haltung dominierend war", geprägt worden zu sein. Hierarchisch durchorganisiert und nach dem Prinzip des "demokratischen Zentralismus" einer marxistisch-leninistischen Kaderpartei straff geführt, beansprucht die PKK die Alleinvertretung für die Freiheitsbewegung des kurdischen Volkes gegen die türkische Regierung. 1984 eröffnete sie mit Hilfe ihres bewaffneten Arms "Volksbefreiungsarmee Kurdistans" (ARGK) einen revolutionären - auch terroristischen - GuerillaKampf gegen den türkischen Staat für ein "unabhängiges und demokratisches Kurdistan". Mit ihrer Kriegserklärung spiegelte sie das Bild eines um seine Befreiung kämpfenden kurdischen Staates vor und spornte mit dieser Fiktion das kurdische Nationalgefühl an. Nach über 15 Jahren Krieg werden die Todesopfer auf über 30.000 geschätzt. Unzählige Dörfer wurden zerstört, Millionen von Menschen aus der Heimat vertrieben. 179 Für die gesamte offene Arbeit der PKK in Westeuropa ist ihr politischer Arm "Nationale Befreiungsfront Kurdistans" (ERNK) verantwortlich. Die als "Frontorganisation" bezeichnete ERNK flankiert hier den in der Türkei geführten revolutionären "Befreiungskampf" der PKK mit öffentlichkeitswirksamer Agitation und Propaganda. Nach dem Verbot des grenzübergreifend ausstrahlenden Fernsehsenders MED-TV dient der Sender MEDYA-TV als neues Propagandamedium. Ein weiteres Sprachrohr ist die PKK-nahe Tageszeitung "Özgür Politika" (Sitz Neu-Isenburg, Büros in Berlin, Düsseldorf, Wien, Zürich, London, Auflage ca. 30.000). Deutschland ist in Europa eine der wichtigsten Finanzierungsquellen der PKK (Mitgliedsbeiträge, Erlöse aus dem Verkauf von Publikationen, z. T. gewaltsame "Spenden"-Abschöpfungen, Gewinne aus dem organisierten Drogenhandel). Um öffentliche Aufmerksamkeit für die Kurdenproblematik zu erregen, entwickelte die PKK in der Vergangenheit einen teilweise militanten Aktionismus. Als dieser 1993 mit zwei umfangreichen Serien von Brandanschlägen und Sachbeschädigungen gegen türkische Einrichtungen einen Höhepunkt erreicht hatte, erließ der Bundesinnenminister Betätigungsbzw. Organisationsverbote gegen die PKK, die ERNK und Nebenorganisationen. Die Verbote wurden permanent missachtet. Mit umfangreichen Umstrukturierungen und zahlreichen Neugründungen hielt sich die Organisation bis heute handlungsfähig. Auch nach den Verboten agierte sie wiederholt militant. Sie bedrohte bis zur Gewaltverzichtserklärung Abdullah ÖCALANs (1996) anhaltend, danach punktuell die innere Sicherheit Deutschlands. Ab 1996 befolgte die Organisation zunächst die von ÖCALAN für Deutschland angeordnete Deeskalation, von der sie sich vergeblich eine Verbotsaufhebung und eine Vermittlerrolle Deutschlands gegenüber der Türkei erhofft hatte. 1999 kehrte die PKK im Zusammenhang mit der Flucht, Ergreifung, Inhaftierung und Verurteilung ÖCALANs zur alten Gewaltstrategie zurück, ehe sie im Herbst den bewaffneten Kampf in der Türkei für beendet erklärte. Im Zuge eines angekündigten "Demokratieprojekts" möchte sie sich künftig als politische Kraft etablieren. Als Vorleistung verabschiedete sie sich zumindest offiziell endgültig von ihren Unabhängigkeitsbestrebungen. 180 3.2 Die wichtigsten Ereignisse im Überblick Aktuelle Entwicklungen: 1999 war sowohl für die bisherige Terrororganisation PKK als auch für die Kurdenpolitik ein Jahr des Umbruchs. Der türkische Anrainerstaat Syrien hatte der PKK auf Druck der Türkei seine jahrelange Unterstützung (Gewährung sicherer Stützpunkte) entzogen. Militärisch befand sich die PKK bereits in einer aussichtslosen Defensive. Ende 1998 sah sich ÖCALAN gezwungen, seinen Stützpunkt in Damaskus fluchtartig zu verlassen. Auf vergeblicher Suche nach einem Asylland wurde er mit einem gefälschten Pass bei der Einreise nach Italien im Oktober 1998 in Rom festgenommen. Die Ereignisse von 1999 lassen sich im Überblick wie folgt zusammenfassen: * Februar 1999: Innerhalb kürzester Zeit nach der Ergreifung ÖCALANs durch ein türkisches Kommando in Kenia begann eine Welle fanalartiger Protestaktionen mit nahezu beispiellosen gewalttätigen Ausschreitungen. Europaweit häuften sich Botschaftsbesetzungen und Geiselnahmen durch militante Kurden. Innerhalb von zwei Wochen kam es bundesweit zu über 30 Brandanschlägen mit PKK-Bezug und 14 Besetzungen ausländischer Vertretungen. Vier ÖCALAN-Anhänger wurden dabei vor dem israelischen Generalkonsulat in Berlin tödlich verletzt. * Ende Juni/Anfang Juli 1999: ÖCALAN wurde in der Türkei zum Tode verurteilt. Allein in Deutschland reagierten PKK-Anhänger - zeitlich parallel zu friedlichen Demonstrationen - mit 40 bis 50 Brandund sonstigen Anschlägen. * Sowohl aus Anlass der Ergreifung als auch des Urteils verübten PKKAnhänger in der Türkei terroristische Aktionen und andere massive Gewalttaten, die vor allem die Zivilbevölkerung in den türkischen Metropolen trafen. * August 1999: Die PKK kündigte ihren Rückzug aus dem Hoheitsgebiet der Türkei und das Ende des bewaffneten Kampfes an. Ein gleichzeitiger Forderungskatalog verlangt u. a. eine Anerkennung der PKK als politische Partei und eine Generalamnestie für PKK-Kämpfer. 3.3 Chronologie der Ereignisse Ergreifung ÖCALANs: Im Januar 1999 verließ ÖCALAN Italien. Nach einer mehrwöchigen Odyssee durch zahlreiche Länder nahmen türkische Sicherheitskräfte ihn am 15.02.99 in Nairobi/Kenia fest, wo er sich in der griechischen Botschaft aufgehalten hatte. Sie verbrachten ihn in ein Gefängnis 181 auf der Insel Imrali im Marmara-Meer. Die "Verschleppung" ÖCALANs bewertete die PKK als internationale Verschwörung u. a. Griechenlands, Kenias, der USA und Israels. Daher entlud sich die Wut hierüber insÖCALANs Ergreifung führte zu einer veränbesondere in gewalttätigen derten Führungsstruktur der PKK. StellverAktionen gegen Einrichtuntretend für den "Generalvorsitzenden" gen dieser Staaten. übernahm ein "Präsidialrat" die Leitung. Dank moderner KommunikaIhm gehören ARGK-Kommandanten und tionsmittel war die PKK-AnPKK-Regionsleiter aus der Krisenregion an, hängerschaft im Handumdarunter Cemil BAYIK, der ÖCALAN-Bruder drehen über ÖCALANs Osman, Murat KARAYILAN und Riza Ergreifung informiert. Sie ALTUN. ÖCALAN wurde als Generalvorsitsammelte sich zum Teil minuzender bestätigt. In den ersten Wochen tenschnell in zahlreichen nach der Ergreifung waren ÖCALANs aus europäischen Städten zu gedem Gefängnis heraus erteilte Weisungen walttätigen Ausschreitungen. umstritten - aus Angst, sie könnten durch In der Nacht auf den und am Folter erzwungen sein. Dass seine Befehlsfrühen Morgen des 16.02.99 gewalt wieder uneingeschränkt anerkannt drangen kurdische Besetzer wird, unterstrich ÖCALANs Bruder Osman in Bonn in die Botschaften (Interview "Die Woche" Nr. 44 v. 29.10.99): Griechenlands und Kenias "Wir stehen über die Rechtsanwälte in Konein. Auch in Köln, Hannover, takt miteinander. Wenn er nur einen Satz Stuttgart (ein Demonstrant sagt, bedeutet das alles für unser Volk." übergoss sich mit Benzin und drohte sich anzuzünden), in Düsseldorf und in Leipzig (mit Geiselnahme) stürmten Besetzer griechische Vertretungen. In Hamburg verhinderte die Polizei am 16.02.99 entsprechende Absichten mit Wasserwerfern vor dem griechischen und kenianischen Konsulat. Minuten, nachdem die Nachrichtenagenturen ÖCALANs Ergreifung gemeldet hatten, versammelten sich die ersten Protestierer vor dem griechischen Konsulat. Es kam in der Stadt zu teilweise massiven Ausschreitungen und Sachbeschädigungen, nachdem Besetzungsvorhaben misslungen waren (u. a. HVVBus, Autowindschutzscheiben, Scheiben eines HVV-Fahrgastunterstandes, Fensterfassade eines Medienzentrums). Einige von etwa 100 Kurden, die sich vor dem britischen Generalkonsulat versammelten, brachen Eisenstangen aus Zäunen und Knüppel von Bäumen. 30 Randalierer stürmten auf den Vorgarten und die Terrasse des Konsulats. Als Polizisten einschritten, schlugen einige mit Eisenstangen und Steinen Löcher in die Sicherheitsscheiben der britischen Vertretung. Die Polizei verhinderte das Eindringen ins Gebäudeinnere. 40 Kurden wurden vorläufig in Gewahrsam genommen und abtransportiert. 182 Im Verlauf weiterer Umzüge und Ansammlungen von ÖCALAN-Anhängern versammelten sich etwa 150 Kurden auf dem Rathausmarkt. Polizei riegelte das Rathaus mit Wasserwerfern, Räumpanzern und Stahlgittern ab. Vor der griechischen Vertretung in Frankfurt/M. stürzten einige der 400 Demonstranten Autos um. In Berlin verletzte sich eine junge Kurdin bei einem Selbstverbrennungsversuch. Das Leben der mit 150 anderen Demonstranten in das griechische Konsulat eingedrungenen Frau konnte jedoch gerettet werden. Zu Botschafts- / Konsulatsbesetzungen kam es auch in Frankreich (Marseille, Straßburg und Paris), Großbritannien (London), Österreich (Wien), Italien (Mailand), Dänemark (Kopenhagen/mit Selbstverbrennungsaktion), Schweden (Stockholm) und den Niederlanden (Den Haag). Generell drohten beteiligte Kurden mit Selbstmordattentaten für den Fall, dass die Gebäude von der Polizei gestürmt würden. In Russland, wo ÖCALAN kein Asyl gefunden hatte, besetzten 70 Kurden am 16.02.99 kurzfristig die griechische Botschaft in Moskau. In Hamburg eskalierte die Situation am 17.02.99. Nachdem andere Ziele aufgrund polizeilicher Schutzmaßnahmen aufgegeben worden waren, drangen etwa 20 jugendliche Aktivisten in die Landesgeschäftsstelle der SPD im Kurt-Schumacher-Haus ein und nahmen einen Kreisgeschäftsführer der SPD als Geisel. Die Eindringlinge verwüsteten die Geschäftsstelle (Sachschaden über 100.000 DM) und drohten, die Geisel aus dem Fenster zu stürzen und Molotow-Cocktails (stellten sich später als Attrappen heraus) zu zünden. Etwa 600 vor dem Gebäude demonstrierende Kurden konnten nur mit Hilfe von Wasserwerfern an der Erstürmung der SPD-Zentrale gehindert werden. Bei Ausschreitungen wurden zwei Polizisten verletzt. Die Besetzung endete in den Abendstunden, nachdem einigen Besetzern freier Abzug ohne Personalienfeststellung zugesichert worden war, nicht aber der Verzicht auf Strafverfolgung. Während die Übrigen sofort festgenommen wurden, wurden später die zunächst unerkannt entkommenen Besetzer polizeilich ermittelt und angeklagt. Zwei - u. a. der Rädelsführer - wurden inzwischen zu Haftstrafen von 33 bzw. 21 Monaten verurteilt. Vier weitere bereits bei der versuchten Erstürmung des Gebäudes festgenommene PKKAnhänger wurden zu je 12 Monaten Haft auf Bewährung verurteilt. Ein zunächst entkommener und später identifizierter mutmaßlicher Besetzer sollte am 22.03.99 nach einer Demonstration in einem HHA-Bus 183 festgenommen werden. Der junge Kurde bedrohte einen Businsassen mit einem Messer. Zwei weitere Insassen hielt er als Geiseln fest. Erst nach mehrstündigen Verhandlungen gab der Täter auf und ließ sich festnehmen. Die bundesweite Welle der Gewalt spitzte sich am 17.02.99 in Berlin bei dem Versuch zu, das israelische Generalkonsulat zu besetzen: IsraeHamburg 17.02.99: Militante Kurden drohen, lische Sicherihre Geisel aus einem Fenster der besetzten heitskräfte erSPD-Landesgeschäftsstelle zu stürzen schossen drei (Foto: (c) BILD-Zeitung) Kurden. Von weiteren durch Schüsse schwer Verletzten verstarb einer am 27.02.99. Bei Auseinandersetzungen zwischen ÖCALAN-Anhängern und der Polizei vor dem Gebäude wurden 24 Polizisten verletzt. "Wir hatten von den Aktionen Einige Tage nach diesen Gewaltauskeine Ahnung. Als wir das Ausbrüchen, für die sie auch später jede maß erkannten, haben wir Verantwortung ablehnte, rief die PKKalles getan, um diese AktivitäFührung die Kurden in Europa zur ten zu verhindern." (BehaupBesonnenheit auf. Es gibt jedoch tung Osman ÖCALANs in "Die Hinweise, dass die Ausschreitungen Woche", Nr. 44 v. 29.10.99). durch Anhänger ÖCALANs in den ersten Tagen nach dessen Ergreifung von der Organisation angeordnet waren. 184 Gewaltaktionen in der Türkei: Anders als die in der Diaspora lebenden "europäischen" Kurden wurden die in der Türkei lebenden PKK-Anhänger zunächst zur bedingungslosen Fortsetzung der Gewalt aufgerufen. Unter einer Serie militanter/terroristischer Aktionen (Sprengstoff-/Brandanschläge, Selbstmordattentate) hatte auch die türkische Zivilbevölkerung zu leiden. Osman ÖCALAN beschrieb die Doppelstrategie, die zwischen westeuropäischen Gastländern und dem direkten Kriegsgegner Türkei unterscheidet, an einem Beispiel ("Stern" 11/99 vom 11.03.99): "Konsulate zu besetzen und Parteibüros zu verwüsten ist nicht unser Konzept. Wir werden in Europa keine Gewalt ausüben. In Zukunft müssen unsere Anhänger die Gesetze jenes Landes respektieren, in dem sie leben." Demgegenüber sprach er für den bewaffneten Kampf in der Türkei und der angrenzenden Krisenregion vom "Totalen Krieg" mit organisierten "Volksaufständen" und "Selbstmordattentaten". Eine mit besonderer Brutalität und Rücksichtslosigkeit gegen die Bevölkerung vorgehende Gruppe nannte sich "Rachefalken Apos". In Istanbul trieb sie Kunden eines Einkaufszentrums in die oberen Etagen, legte Brandsätze und tötete so zwölf Menschen. Pressemeldungen zufolge wies eine Sprecherin der ERNK eine Verantwortung der PKK für den Anschlag zurück. Auch in den folgenden Wochen operierte die PKK nicht mehr militärstrategisch im unmittelbaren Krisengebiet, sondern versuchte mittels militanter Kleingruppen bzw. Guerilla-Taktik den "Serhildan" (kurdischen Volksaufstand) in die türkischen Metropolen hineinzutragen. Bis April wurden dabei nach verschiedenen Pressemeldungen über 300 Anschläge mit mehr als 20 Toten und mindestens 45 Verletzten verübt. Einschüchterung von Türkei-Urlaubern: Erneut drohte die PKK TürkeiUrlaubern mit Gewalt, um dem Mittelmeerstaat das Tourismusgeschäft zu verderben. Am 15.03.99 verkündete das "Hauptquartier der ARGK" laut Presseerklärung des "Kurdistan Informationszentrums": "Jedes Gebiet der Türkei ist Kriegsgebiet. Dies schließt die von dem türkischen Staat als touristische Orte bezeichneten Gebiete ein. (...) Um Schaden an Men185 schenleben vorzubeugen, sollten vor allem aus Europa sowie aus keinem anderen Ort der Welt Touristen in die Türkei einreisen. Die betreffenden Staaten sollten ihre Bürger warnen und die Tourismusbranche sollte keine Reservierungen vornehmen, um das Leben der Touristen nicht zu gefährden. Sollten ungewollte Vorfälle stattfinden, weil die benannten Kreise unsere Warnungen missachten, so übernehmen wir keinerlei Verantwortung". Diese Drohung hat die PKK nicht umgesetzt. Sie reichte jedoch aus, um der türkischen Tourismusbranche hohe Verluste durch Reisestornierungen, Buchungsrückgänge, Leerstände, Hotelschließungen und Personalentlassungen zuzufügen - ein Schaden, der sich auch in von der PKK gewollten Mindereinnahmen des türkischen Staates niederschlagen dürfte. Rückkehr zu gemäßigten Strategien in Deutschland: Weisungsgemäß kehrte die ÖCALAN-Anhängerschaft in den letzten Februartagen zu friedlicheren Aktionsformen zurück. Die ERNK organisierte am 19./20.02.99 bundesund europaweit demonstrative Protestaktionen mit bis zu mehreren Tausend Teilnehmern. Eine Demonstration am 19.02.99 in Hamburg mit etwa 3.200 Kurden setzte sich insbesondere "Für das Leben und die Freiheit des PKK-Vorsitzenden Abdullah ÖCALAN" ein. Am darauf folgenden Tag (20.02.99) setzte die ERNK ihren Protest mit etwa 1.200 kurdischen Teilnehmern anlässlich einer von deutschen Linksextremisten initiierten Demonstration "Free Mumia Abu Jamal" (" III/4.3.6) fort. Drei Tage später forderten etwa 1.500 ÖCALANAnhänger auf Hamburgs Straßen "eine friedliche Lösung in Kurdistan". Alle diese Demonstrationen verliefen friedlich. Newroz-Feiern: In Hamburg ruhten die Das Neujahrsfest Newroz Proteste für etwa vier Wochen bis zum wird im Mittleren und Nahen Vorabend des alljährlichen Newroz-Festes Osten vorzugsweise von Kur(21. März). Am 20.03.99 versammelten sich den und Iranern gefeiert. Kurden in Hamburg zur traditionellen Für die PKK-Anhängerschaft Newroz-Saalveranstaltung in der Alsterwurde es zu einem Symbol dorfer Sporthalle. Für die Mehrheit der des Widerstandes (HinterBesucher ist dieser Anlass regelmäßig ein grund: Legende um einen als kulturelles und soziales Erlebnis. Dennoch Widerständler verehrten kurhatte die mit etwa 6.000 Personen gut dischen Schmied namens besuchte und absolut friedfertige VeranstalKawa). 1982 verbrannten sich tung dieses Jahr eindeutig ein übervier PKK-Gefangene im ragendes zentrales Anliegen: Abdullah Gefängnis in Diyarbakir zur ÖCALAN. Am 22.03.99 führten das HamErinnerung an Kawa. burger ERNK-Spektrum, Anhänger der türkischen Linken und deutsche Unterstützer - insgesamt etwa 820 Personen - die übliche "Newroz-Fackel-Demonstration" durch. Den Umzug sowie die 186 Rahmenveranstaltungen prägten Rede-, Musikund Tanzbeiträge. Die an diesem Tage bekannt gewordene Schließung des PKK-nahen Fernsehsenders MED-TV wurde zwar mit einem gellenden Pfeifkonzert quittiert, änderte aber nichts am friedlichen Verlauf. In der Türkei kam es anlässlich der Newroz-Feiern wieder zu schweren Krawallen zwischen Kurden und türkischen Sicherheitskräften. Osman ÖCALAN hatte der Türkei zuvor via MED-TV zum Newroz-Fest eine in die Geschichte eingehende "Lektion" der ARGK angekündigt. Schließung des Fernsehsenders MED-TV: Am 22.03.99 entzog die britische Rundfunkkontrolle ITC (Independent Television Commission) für zunächst drei Wochen dem PKK-nahen Sender MED-TV, einer zentralen Informationsquelle für PKK-Anhänger und andere Kurden, die Sendelizenz, weil er sich Gewaltaufrufen der PKK zur Verfügung gestellt habe. Es kam zu begrenzten gewaltfreien Protestaktionen. In Hamburg versammelten sich am 23.03.99 etwa 90 - 100 Kurden zu einer spontanen Protestkundgebung vor dem Norddeutschen Rundfunk am Gazellenkamp. Am 23.04.99 entzog ITC dem Sender endgültig die Lizenz. Eine für den 28.04.99 geplante Demonstration von "Frauen und Kindern aus Kurdistan" wurde kurzerhand in einen Protest gegen "Medienzensur" umgewidmet. Das Mobilisierungsergebnis (etwa 1.500 Teilnehmer) enttäuschte die viel höheren Erwartungen der örtlichen ERNK. Es signalisierte erstmalig Ermüdungserscheinungen in der Anhängerschaft. Ende Juli 1999 ging der MED-TV-Nachfolger MEDYA-TV als neues Sprachrohr des PKK-"Präsidialrates" auf Sendung, vermied jedoch die bei MED-TV üblichen inhaltlichen Schärfen. Gründung des "Kurdischen Nationalkongresses" (KNK): Nach Meldungen der prokurdischen Tageszeitung "Özgür Politika" fand am 24.05.99 in Amsterdam (Niederlande) die Gründungsveranstaltung des KNK statt. Dieser versteht sich zwar als legitime Vertretung sämtlicher Kurden, wird jedoch von bedeutenden kurdischen Organisationen, wie der "Demokratischen Partei Kurdistans/Irak" (DPK/I) und der "Patriotischen Union KurEmblem des "Kurdischen distans" (PUK), gemieden. Prominente Nationalkongresses" 187 PKK-Mitglieder beteiligten sich an der Gründung. Laut "Özgür Politika" (27.05.99) hat der KNK den 15. Februar (Tag der Ergreifung ÖCALANs) zum "Tag der Nationalen Einheit" erklärt und Abdullah ÖCALAN zum "Ehrenvorsitzenden" gewählt. Am 26.09.99 beschloss das bisherige (PKK-dominierte) "Kurdische Exilparlament", sich dem KNK anzuschließen. Diese Anhaltspunkte kennzeichnen den Einfluss der PKK auf die neue "parlamentarische Exilvertretung" der Kurden. Organisierung von Frauen: Im März 1999 beschloss die PKK-Frauenorganisation YAJK ("Freier Frauenverband Kurdistans") ihre Umwandlung zu einer eigenständigen Partei. Die so entstandene "Partei der arbeitenden Frauen Kurdistans" (PJKK) verfügt inInternet-Veröffentlichung der "Informationsstelle Kurdistan" zwischen - in An(Bilder der YAJK und ARGK aus den Bergen Kurdistans) lehnung an das Gliederungsschema PKK / Frontorganisation ERNK - über eine eigene Frontorganisation als europäischen Arm: Die "Front Freier Frauen Kurdistans" (EJAK). Organisierung von Jugendlichen: Ein zweites wichtiges Standbein der PKK auch in Deutschland ist die auf eine frühe Erfassung des Mitgliedernachwuchses orientierte Jugendorganisation "Union der Jugendlichen aus Kurdistan" (YCK). Mit Freizeitangeboten versucht die PKK, Jugendliche über die YCK an die Partei heranzuführen und für spätere Funktionen zu gewinnen, in der Vergangenheit auch für den bewaffneten Kampf. Am 15.08.99 fand in den Niederlanden zur Erinnerung an den 1982 beim Hungerstreik in einem türkischen Gefängnis gestorbenen PKK-Funktionär Mazlum DOGAN das "III. Mazlum Dogan Kultur-, Jugendund Sportfestival" der YCK mit schätzungsweise 8.000 Besuchern statt. Auch in Hamburg erfasst die PKK Jugendliche über sportliche Aktivitäten. Prozess gegen Abdullah ÖCALAN: Am 31.05.99 wurde der Prozess gegen den PKK-Vorsitzenden vor dem türkischen Staatssicherheitsgericht - aus 188 Sicherheitsgründen auf der Gefängnisinsel Imrali - eröffnet. Schon zu Beginn überraschte ÖCALAN mit umfangreichen Aussagen über Organisationsstrukturen und handelnde Personen in der PKK. Er übernahm die "politische Verantwortung" für alle Anschläge und bewaffneten Aktionen der PKK, beharrte jedoch auf der Legitimität damit verfolgter kurdischer Ziele. Vor Prozessbeginn demonstrierte die PKK Einigkeit und Geschlossenheit: Am 17.04.99 versammelten sich in Köln etwa 80.000 Menschen unter dem Motto "Frieden für Kurdistan - Demokratie in der Türkei" zu einem Protestmarsch. Zu der Aktion hatte eine "Internationale Initiative Freiheit für Abdullah ÖCALAN - Frieden in Kurdistan" aufgerufen. Mehrfach wurden PKK"Sterka Ciwan" (Stern der Jugend) und ERNKSymbole sowie Organ der Jugendorganisation YCK ÖCALAN-Bildnisse gezeigt. Der "Generalvorsitzende der PKK" wurde als "Sonne Kurdistans" glorifiziert. Unter den Demonstranten befanden sich zahlreiche türkische Linksextremisten sowie einzelne deutsche Unterstützergruppen. Während ÖCALAN bereits kurz nach seiner Ergreifung eher auf Kooperation denn auf Konfrontation mit der Türkei setzte, folgte die PKK-Führung erst mit Verzögerung seinen moderateren Tönen. Die nachstehende Erklärung ist signifikant für weitere Verlautbarungen ÖCALANs und seiner Vertreter im "Präsidialrat" vor und während des Prozesses: Erklärung des "PKK-Präsidialrates" (02.06.99): "Wir sind als Partei, Guerilla und Volk zu allem bereit. So wie wir 15 Jahre gekämpft haben, so können wir wenn notwendig nochmals den gleichen Zeitraum kämpfen und haben hierfür sämtliche notwendigen Vorkehrungen getroffen. Jedoch sind wir der Meinung, dass fünfzehn Jahre Krieg genügen. Des Weiteren sind wir der Ansicht, dass eine weitere Verlängerung des Krieges niemandem einen 189 Nutzen bringt und streben eine demokratische Lösung an, die den Frieden und die Brüderlichkeit ermöglicht." Man vermied jegliche Aktionen, die den Prozessverlauf negativ hätten beeinflussen können. Statt dessen signalisierte man unablässig Interesse an einer historischen politischen - sprich: friedlichen Lösung - unter Einbeziehung der PKK. Für den Fall einer Hinrichtung ÖCALANs kündigte die PKK eine Ausweitung der Gewalt und einen mehrjährigen Bürgerkrieg an. Dennoch erweckten die Erklärungen ÖCALANs bei Teilen seiner Anhänger den Anschein, als wolle er in erster Linie "die eigene Haut" retten. In einer Prozesserklärung vom 23.06.99 bot ÖCALAN der Türkei eine Zusammenarbeit gegen die türkischen Anrainerstaaten an. Für sich betrachte er es als "ehrenvolle und tugendhafte Aufgabe", sich "für einen stolzen und gerechten Frieden in den Dienst der Demokratischen Republik zu stellen". An einen Waffenstillstand knüpfte ÖCALAN zu Prozessbeginn nur noch wenige - vom Standpunkt des türkischen Staates vermutlich dennoch zum Teil inakzeptable - Forderungen: Sprachliche und kulturelle Existenzrechte der Kurden, Generalamnestie für PKK-Kämpfer und Legalisierung der PKK als politische Partei. Dieser Katalog zog sich wie ein roter Faden auch durch die Erklärungen der PKK-Führungsspitze, deren "Präsidialrat" kurz vorher immerhin noch mit "Totalem Krieg" gedroht hatte. Das auch in den folgenden Monaten fortgesetzte vorsichtige Einlenken der PKK dürfte der Grundstein für die spätere, sehr viel weiter reichende, "Friedensinitiative" der PKK gewesen sein. Die spätestens seit dem MED-TV-Verbot abgeschwächte Reaktionsbereitschaft unter den in Deutschland lebenden PKK-Anhängern bestätigte sich beim Auftakt des ÖCALAN-Prozesses. In Hamburg und auch bundesweit kam es zu keinen erwähnenswerten demonstrativen Aktionen. In der Türkei wurden einzelne Anschläge verübt. Erst als die Urteilsverkündung näher rückte, mobilisierte die ERNK über eine "Initiative Zeit für Frieden in Kurdistan" in Norddeutschland für eine zentrale Demonstration, die am 19.06.99 in Hamburg stattfand. Dem Aufruf folgten etwa 4.900 Personen, darunter türkische Linksextremisten und einzelne deutsche Unterstützer. Abgesehen davon, dass vereinzelt verbotene Symbolik gezeigt wurde, endete die Demonstration störungsfrei mit einem mehrstündigen "Volksfest" auf der Moorweide. Zeitgleich fanden Demonstrationen in Nürnberg und Berlin statt. Bei der ebenfalls an diesem Tag durchgeführten Gegendemonstration zum Weltwirtschaftsgipfel in Köln protestierten 3.600 ÖCALAN-Anhänger unter den insgesamt 8.000 Demonstranten für eine politische Lösung des Kurdenkonfliktes. 190 Todesurteil gegen ÖCALAN: Am 29.06.99 wurde Abdullah ÖCALAN in erster Instanz wegen Hochverrats zum Tode verurteilt. Die PKK war zwar von keinem anderen Ergebnis ausgegangen, reagierte aber dennoch vom 29.06.-03.07.99 bundesweit mit Protestaktionen. In Hamburg demonstrierten täglich zwischen 300 und 450 Personen gegen die Todesstrafe in der Türkei und forderten "Leben und Freiheit für Abdullah ÖCALAN". Am 01.07.99 verletzten Demonstranten in Hamburg-Altona einen türkischen Autofahrer mit Messerstichen, weil sie sich vermutlich provoziert fühlten. Alle anderen Demonstrationen verliefen weitgehend störungsfrei. Sie erreichten keine, gemessen an der vergleichsweise hohen Bedeutung des Anlasses, adäquaten Mobilisierungen. Die hiesige ERNK-Szene beschränkte sich auf gewaltfreie Sitzblockaden oder eher symbolische Akte (Bannmeilenüberschreitung am Rathaus). Den demonstrativen Protest überschattete jedoch eine Anschlagserie. Mit Schwerpunkt in Kurdenprotest in Hamburg nach dem Nordrhein-Westfalen verübten Todesurteil gegen ÖCALAN vermutlich militante Kurden bundesweit 40 bis 50 Brandund sonstige Anschläge gegen türkische Einrichtungen (u. a. Reisebüros, Lebensmittelgeschäfte, Kulturvereine). Im Widerspruch zu Distanzierungen der PKK-Führung besteht der Verdacht, dass die Gewaltakte auf eine Weisung von oberster Stelle zurückgehen. So fällt auf, dass die Anschlagserie exakt am Tage der Urteilsverkündung begann und abrupt mit dem Ende der 191 demonstrativen Aktionen aufhörte. Ferner gab es Hinweise, dass PKK-/ERNKVerantwortliche jugendlichen Aktivisten entsprechende Aufträge erteilt hatten. Mit dieser Parallelität von gewaltfreien Demonstrationen und Anschlagsaktionen könnten folgende Ziele verfolgt worden sein: * Nach außen signalisierte sie den deutschen Sicherheitsbehörden eine ungebrochene Fähigkeit und Bereitschaft der PKK, kurzfristig von friedlichen Aktionen zur "Sprache" der Gewalt zurückzukehren, * nach innen war sie geeignet, eine Hardliner-Fraktion der PKK zufrieden zu stellen und damit einem Auseinanderbrechen der Organisation vorzubeugen. Die Führungsgremien der PKK reagierten erwartungsgemäß empört auf das Todesurteil, auch wenn es sie nicht wirklich überraschte (Erklärung der "Europäischen Frontzentrale", 29.06.99): "Diesen Angriff können wir nicht stillschweigend über uns ergehen lassen. Nach soviel Opferbereitschaft und Zuvorkommen der kurdischen Seite ist ein solches ungerechtes und gesetzwidriges Urteil nicht ohne weiteres annehmbar. Wir werden auf diese neue Entwicklung auf jeden Fall anders reagieren als wir es bis zur Bekanntgabe des Urteils getan haben. Es ist eine völlig andere und neue Situation. Unsere Partei wird nun diese neue Entwicklung nach allen Seiten beleuchten und diskutieren und letztendlich ihre Strategie und Vorgehensweise binnen kürzester Zeit in die Tat umsetzen." Es bleibt dahingestellt, ob die Anschlagswelle vom 29.06.-03.07.99 Resultat dieser unterschwelligen Drohungen war oder auf spontanen/unorganisierten Aktionen beruhte. Letztlich führte die Erklärung zu keinem Kurswechsel. Im Gegenteil: Die PKK untermauerte ihren eingeleiteten Friedenskurs durch weiteres Nachgeben. Friedensinitiative vom August 1999 / "Neue Politik" der PKK: Am 02.08.99 rief ÖCALAN "seine" Organisation auf, "ab dem 1. September 1999 den bewaffneten Kampf zu beenden und alle bewaffneten Kräfte auf Territorien außerhalb der türkischen Staatsgrenzen zurückzuziehen". Der "Präsidialrat" und das PKK-Zentralkomitee schlossen sich Anfang August dieser Aufforderung an. Die ARGK versicherte: "Wir betrachten den Aufruf von Präsident Apo (Abdullah ÖCALAN), den Krieg am 1. September einzustellen, als Befehl und erklären, dass wir ihn einmütig ausführen werden." Am 01.09.1999 gab Osman ÖCALAN über MEDYA-TV offiziell das Ende des bewaffneten Kampfes bekannt. Auch wenn er betonte, diese Ent192 scheidung sei unumkehrbar, bleibt offen, ob sie auch für den derzeit wenig wahrscheinlichen Fall der Hinrichtung seines Bruders Bestand haben wird. Vorsorglich beugte die PKK-Führung jedoch einem möglicherweise auch von ihr nicht mehr kontrollierbaren Risiko eigenmächtiger Gewaltanwendung seitens der PKK-Basis im Falle einer Hinrichtung ihres Vorsitzenden vor. Damit entledigte sich die Führungsebene prophylaktisch der Verantwortung für Eigenmächtigkeiten der Basis. Nach eigener Darstellung begann die ARGK bereits einige Tage vor dem 01.09.99, sich aus dem türkischen Hoheitsgebiet zurückzuziehen. Sie begründete diese Eile mit Rücksichtnahme auf die Folgen der schweren Erdbebenkatastrophe in der Türkei. Der Rückzug war bis zum Jahresende immer wieder von einzelnen Scharmützeln mit türkischen Sicherheitskräften begleitet. Ihre in die Bergregionen außerhalb der Türkei zurückbeorderte Guerilla betrachtet die PKK als Faustpfand und jederzeit einsatzbereite stille Reserve. Ein PKKFunktionär erläuterte deren dann beabsichtigten Funktionswechsel von einer Befreiungsarmee zu einer Art Fedajin (arabische Untergrundorganisation) oder Stadtguerilla ("Junge Welt"-Interview 13.09.99): "Wer sagt denn, dass die Guerilla nur in den Bergen kämpfen kann? Wenn der bewaffnete Kampf wieder aufgenommen wird, dann nicht in den Bergen, sondern in den Metropolen. In den türkischen Metropolen." Das Zentralkomitee der PKK kündigte auch eine programmatische Zäsur an. Ein außerordentlicher Parteikongress soll das Parteiprogramm modifizieren. Mit der Aussage, man wolle in Zukunft seinen Platz "innerhalb der Neuen Weltordnung" bestimmen, trennte sich die PKK endgültig von der Idee eines eigenen kurdischen Staates. Ihre Perspektiven definiert sie nunmehr als "Dialog und Zusammenarbeit" in einer "türkischen demokratischen Republik". Der "Widerstand" verlagere sich auf die "politische Ebene und auf das Demokratieprojekt". In diesem Zusammenhang stellte Osman ÖCALAN ("Die Woche" Nr. 44, 09.10.99) das bisherige Autonomiestreben letztlich als eine lediglich taktische Forderung zur Motivation der Anhängerschaft dar: "Von Anfang an stand für uns fest, dass wir an einem bestimmten Punkt den Separatismus aufgeben und für die Einheit der Türkei eintreten werden", denn die "Forderung nach einem unabhängigen Kurdistan haben wir vor allem deshalb erhoben, damit sich die Kurden gegen die erzwungene Assimilation zur Wehr setzen und selbstbewusster werden." 193 Ein unabhängiges Kurdistan sei "nie das eigentliche Ziel, immer nur die äußere Form" gewesen. Zum Jahresbeginn noch absolut undenkbar, unterstützte die PKK am Jahresende sogar einen EU-Beitritt der Türkei. Ob es der PKK gelingt, sich von einer militärischen zu einer ausschließlich politischen Organisation zu wandeln und als solche gegenüber der eigenen Anhängerschaft zu behaupten, dürfte davon abhängen, inwieweit sie ihre mit dem Rückzug verbundenen Forderungen durchsetzt: * Auflösung des Dorfschützersystems und Aufhebung des Ausnahmezustandes in den mehrheitlich von Kurden bewohnten Gebieten, * Anerkennung der kurdischen Identität (Sprache und Kultur), * Wiederbesiedlung der geräumten Dörfer, * Anerkennung der PKK als politische Partei, * Generalamnestie für PKK-Kämpfer. Es gibt Anzeichen für konkrete Schritte der türkischen Regierung zur Entspannung und Normalisierung des Lebens in der Krisenregion. Restriktionen wurden gelockert und wirtschaftliche Hilfen angekündigt. Kurdische Radio-/ Fernsehsender sowie Printmedien werden zunehmend geduldet. Im November 1999 rief Abdullah ÖCALAN nach Presseberichten die Kurden in Europa auf, zum Wiederaufbau in die Heimat zurückzukehren. Das im selben Monat stattgefundene Gipfeltreffen der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) verband die PKK erneut mit Hoffnungen, dass ausländische Regierungen und internationale Organisationen sich für die Belange der Kurden in der Türkei stark machen. Oppositionelle Bestrebungen in der PKK: Wegen des Kurswechsels der PKK mehrten sich intern - zunächst hinter vorgehaltener Hand, später vereinzelt auch öffentlich - Stimmen, die Verrat an der kurdischen Sache witterten. Einige warfen dem Generalvorsitzenden Feigheit vor. Einfache Parteimitglieder und Sympathisanten brachten ihre Kritik vornehmlich im Zusammenhang mit der im Spätherbst begonnenen alljährlichen "Spenden"-Kampagne vor. Sie verweigerten sich mit dem Argument, dass sich die Finanzierung des bewaffneten Kampfes nunmehr erübrige. Der kurdische Journalist und Schriftsteller Selahattin CELIK kritisierte in einem Interview ("Junge Welt", 25./26.09.99): "Was ÖCALAN da gesagt hat, steht im Gegensatz zur bisherigen Ideologie und Politik der PKK (...) Die PKK macht grundlegende ideologische, politische und organisatorische Konzessionen, ohne auf der Gegenseite auch nur auf eine spaltbreit geöffnete Tür zu stoßen. Das ist schwer verständlich". 194 Das Papier einer Gruppe "Kämpfer der revolutionären Linie der PKK", (vermutlich PKK-Gefangene in türkischen Gefängnissen), sprach es deutlicher aus: "Was heute passiert, ist nichts anderes als die Vernichtung der 25-jährigen Parteilinie". Parteikritiker werden über die PKK-nahe Tageszeitung "Özgür Politika" als Verräter stigmatisiert. Bestrafungsaktionen sind inbegriffen. Dieser Umgang mit Opponenten ermöglicht es der Organisation zurzeit noch, die Parteidisziplin zu wahren. Dennoch fällt es der Organisation nach ihrem Kurswechsel schwerer, Geschlossenheit zu wahren und die Anhängerschaft zu motivieren. Ideologieschulungen werden schwächer besucht, Aktionen finden schwindenden Zuspruch. Aktivisten, die ihre Asylanträge u. a. in Deutschland mit in der Türkei drohender politischer Verfolgung als PKK-Mitglieder begründet hatten, bangen inzwischen wegen der veränderten politischen Gesamtumstände um ihre Anerkennung. Daraus resultiert bei nicht wenigen Aktivisten ein besonderes Eigeninteresse an der Bewahrung illegaler und gewalttätiger Strukturen. Das Revisionsverfahren: Der Kassationsgerichtshof des türkischen Staatssicherheitsgerichtes - die Revisionsinstanz - bestätigte am 25.11.99 das Todesurteil gegen den PKK-Vorsitzenden. Nach dem juristischen Verfahren wird sich das türkische Parlament mit dem "Fall ÖCALAN" befassen. Stimmt es dem Todesurteil zu, entscheidet in letzter Instanz der türkische Staatspräsident über eine Vollstreckung. ÖCALANs Anwälte haben ein Verfahren vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte angestrengt. Die türkische Regierung entschied im Januar 2000, vor der parlamentarischen Befassung die Entscheidung aus Brüssel abwarten zu wollen. Die ohnehin nur vereinzelten Protestaktionen gegen die Revisionsentscheidung des Kassationsgerichtshofes fielen im Vergleich zu den Ereignissen nach der ÖCALAN-Ergreifung und dem erstinstanzlichen Urteil auch qualitativ zurückhaltender aus. Brandoder sonstige Anschläge waren nicht zu verzeichnen. Eine in Hamburg am 25.11.99 stattgefundene Demonstration verdankte ihre etwa 1.000 Teilnehmer auch dem Umstand, dass die verantwortlichen ERNK-Funktionäre in ganz Norddeutschland mobilisiert hatten. Abgesehen davon, dass Symbole der verbotenen PKK gezeigt wurden, verlief die Demonstration störungsfrei. Etwa eine Woche später demonstrierten etwa 9.000 Kurden aus ganz Deutschland und den europäischen Nachbarstaaten in Köln gegen die Todesstrafe in der Türkei. Erneut wurden verbotene Symbole und Bilder ÖCALANs gezeigt sowie PKK-Parolen skandiert. 195 Nach der Urteilsbestätigung verschärfte der "Präsidialrat" der PKK seinen Ton gegenüber der türkischen Regierung. In einer von der "Özgür Politika" am 06.12.99 veröffentlichten Erklärung vermisste das Führungsgremium eine positive Resonanz der Regierung auf seine Friedensinitiative. Ganz im Gegenteil habe die Regierung seit November 1999 ihre militärischen Anstrengungen gegen die PKK sogar noch verstärkt. Man werde ab sofort sein legitimes Recht auf Selbstverteidigung in Anspruch nehmen. Negativ hob der "Präsidialrat" die harte Haltung der "Partei der Nationalistischen Bewegung" (MHP) zur Kurdenfrage hervor. MHP-Kreise gehören zu den entschiedensten Befürwortern einer Hinrichtung ÖCALANs. 3.4 Ausblick Mit abnehmender Wahrscheinlichkeit, dass das Todesurteil gegen ÖCALAN vollstreckt wird, werden vorerst auch neue gewalttätige Aktionen seiner Anhänger unwahrscheinlicher. Trotz eines geteilten internen Echos auf ideologische Schwenks, des eingeleiteten Rückzugs bewaffneter Kämpfer und der von manchen als unglücklich empfundenen Rolle ÖCALANs blieb die Organisation im Jahr 1999 stabil. Die PKK steht an einem Scheideweg: Sie erwartet Konzessionen, zu denen die türkische Regierung vorerst wohl bei weitem nicht bereit sein dürfte. Andere bereits vorhandene zivile bzw. demokratische kurdische Organisationen werden - unterstützt durch die türkische Regierung - in den kurdischen Gebieten an Bedeutung gewinnen. Hierzu gehört insbesondere die PKK-nahe HADEP ("Demokratiepartei des Volkes" bzw. "Volksdemokratie-Partei). Es gibt Anzeichen dafür, dass die PKK - sowohl in der Türkei als auch in Deutschland - verstärkt versucht, Kontakt zu solchen Organisationen aufzunehmen und ihren Einfluss geltend zu machen. Um einer möglicherweise drohenden Isolation zu entgehen und den Anschluss als konstruktiv mitwirkende Kraft bei der Wiederherstellung vernünftiger Lebensbedingungen in den kurdischen Gebieten nicht zu verpassen, müsste die PKK sich vermutlich noch kategorischer gegenüber ihrer Vergangenheit abgrenzen: Auch wenn sie heute lauter denn je nach einer "Demokratisierung" der Türkei ruft, ist sie in ihrem Inneren selbst weit davon entfernt. Nach wie vor stützt sich ihre Geschlossenheit auf repressive Disziplinierungen mit Methoden, die an den Stalinismus erinnern. Kritik, die insbesondere in der Ablehnung von ÖCALANs Friedensinitiative elementarer und existenziell bedeutsam geworden ist - wird brutal unterdrückt. Dies ist ein Grund, weshalb sich die Organisation noch nicht gespalten hat. Es gibt 196 aber Anzeichen, dass sich Teile der Anhängerschaft nicht mehr so leicht wie früher mobilisieren lassen. Je länger die PKK-Führung mit ihrer neuen Linie keine Erfolge vorweisen kann, wird die stille Opposition weiter wachsen und die Gefahr steigen, dass sich die Hardliner-Fraktion verselbständigt. Es bleibt abzuwarten, ob und wie lange sich die PKK an ihren Gewaltverzicht gebunden fühlt. Schon in der Vergangenheit gehörten Wechselspiele zu ihrem taktischen Repertoire und schadeten ihrer Glaubwürdigkeit. Zentrale Anlaufstelle Hamburger PKK-Anhänger: "Volkshaus der Türkei" (linker Gebäudeflügel, Stadtteil St. Pauli) Deutschland und Europa haben für die PKK unverändert existentielle Bedeutung. Als Hauptfinanzierungsquelle (siehe Einleitung) sind die Gastländer für die PKK-Führung zumindest ebenso wichtig wie der erhoffte politische Einfluss auf das Verhalten der EU gegenüber der Türkei. Am Jahresende eröffnete die PKK ihre alljährliche "Spenden"-Kampagne, die in den letzten Jahren im Großraum Hamburg regelmäßig Beträge in Millionenhöhe abwarf. Beispiele der Vergangenheit haben gezeigt, dass Spendenund Schutzgelderpressungen sowie Gewinnabschöpfungen aus dem Drogenhandel zum Stil einiger PKK-Funktionäre gehören. Bei sinkender Zahlungs197 moral und spürbaren Einnahmerückgängen dürften sie den Druck auf ihre Landsleute erhöhen. Daneben erzielt die Organisation u. a. Erträge aus der Bewirtschaftung eigener Vereinsräume, Veranstaltungseinnahmen sowie aus von Strohmännern geführten Unternehmen. Es bestehen Anhaltspunkte für den Verdacht, dass die PKK in Teilbereichen mit der organisierten Kriminalität verstrickt ist und auch hier Profite abschöpft. Einzelne mit Geldangelegenheiten der PKK befasste Funktionäre scheinen sich auf ihren Posten persönlich zu bereichern. Die Machenschaften der dazu vorgehaltenen Machtstrukturen sind zwar hinsichtlich einer politischen Zweckerfüllung fragwürdig, dienen aber auch zur Finanzierung der PKK. 4. Türken 4.1 Allgemeines In Hamburg leben rund 70.000 türkische Staatsangehörige. Türken nichtkurdischer Volkszugehörigkeit bilden mit etwa 42.000 die größte ausländische Volksgruppe in Hamburg. Ebenso stellen Türken unter den politischextremistisch engagierten Ausländern (ca. 2.750) mit ca. 1.720 den größten Anteil. Nach ideologischen Standorten verteilt sich das Spektrum der türkischen extremistischen Organisationen auf revolutionär-marxistische, islamistische und extrem-nationalistische Gruppierungen. Die revolutionären Marxisten verstehen sich als Außenposten ihrer in der Türkei auf einen gewaltsamen Umsturz hinarbeitenden Heimatorganisationen. Sie unterstützen diese von hier aus propagandistisch und finanziell. Bemerkenswert ist die Abspaltungsund Namensvielfalt im Bereich der ehemaligen TKP/M-L. Sie kennzeichnet die nicht nur unter türkischen Linksextremisten symptomatische Neigung, sich trotz Beschwörung sogar weltweiter Einigkeit des "Proletariats" (Stichworte: Weltrevolution, "Proletarier aller Länder vereinigt Euch!") schon im engsten Umfeld in ideologischen Haarspaltereien, sektiererischen und persönlichen Rivalitäten zu verlieren. Angesichts offenbar unüberwindbarer Zersplitterung hat die türkische und auch kurdische Linke in den letzten Jahren mehrfach versucht, sich wenigstens als Bündnis eigenständiger Organisationen unter einem Dach zu vereinen und als Zielgemeinschaft ihre Chancen für eine gewaltsame Umwälzung 198 der gesellschaftlichen Verhältnisse in der Türkei zu erhöhen. Der vorerst letzte Versuch war die im Juni 1998 gegründete "Plattform der Vereinten Revolutionären Kräfte" (DBGP). Sie steht nach eineinhalb Jahren offensichtlich nur noch auf dem Papier und hat kaum Auswirkungen auf das Aktionsgeschehen in der Türkei oder in Deutschland gezeigt. Unter den extrem-nationalistisch ausgerichteten Türken in Deutschland - scharfe Gegner kurdischer Autonomiebestrebungen oder einer sonstigen statusrechtlichen Aufwertung der kurdischen Minderheit - hat sich angesichts der niedergehenden PKK und der Vorgänge um ihren Vorsitzenden ÖCALAN keine öffentlich zur Schau gestellte Genugtuung gezeigt. Man folgte den Vorgaben von Führungsfunktionären, keine Provokationen gegenüber der separatistischen PKK zuzulassen. Nach wie vor gibt aber die politische Polarisierung zwischen linksund rechtsextremistisch orientierten türkischen Staatsangehörigen Anlass zur Besorgnis. Islamistische Organisationen, allen voran die "Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e.V." (IGMG), haben erheblichen Einfluss unter der hier lebenden türkischen Bevölkerung. Ihr Gedankengut erreicht - vermischt mit religiösen und sozialen Aktivitäten - große Bevölkerungsteile. Die IGMG war mit der im Januar 1998 in der Türkei verbotenen Wohlfahrtspartei ("Refah Partisi") des zeitweiligen türkischen Ministerpräsidenten Necmettin ERBAKAN eng verbunden. Sie lehnt sich nunmehr an die Nachfolgepartei, die Tugendpartei ("Fazilet Partisi") an. Einen politischen Islam vertritt auch die mit einer eigenen Moschee in Hamburg vertretene "Islamische Bewegung". Sie ist eine Abspaltung des hier nur durch Einzelmitglieder vertretenen "Kalifatstaats", des durch fanatische Kampfaufrufe bekannten ICCB bzw. des sog. "KAPLANVerbandes". 4.2 Linksextremisten 4.2.1 DHKP-C Die DHKP-C ("Revolutionäre Volksbefreiungspartei - Front") ist - neben der "THKP/-C Devrimci Sol" (" 4.2.2) - aus einer Anfang 1993 begonnenen Spaltung der türkischen kommunistischen "Devrimci Sol" ("Revolutionäre Linke") hervorgegangen. Die miteinander konkurrierenden Flügel trennten sich unter gewalttätigen Begleitumständen. Rund 5 Jahre nach ihrer Gründung in der Türkei (1978) war "Devrimci Sol" in Deutschland 1983 verboten worden. Ausgangspunkt der bis heute bestehenden Trennung und gegenseitigen Spannungen waren Differenzen um die Person des bis dahin unum199 strittenen "Devrimci Sol"-Generalsekretärs Dursun KARATAS, dem u. a. Führungsfehler und Verrat vorgeworfen werden. Die Anhängerschaft der beiden sich unversöhnlich gegenüberstehenden Organisationen wird bundesweit auf insgesamt 1.100 geschätzt. Die DHKP-C stellt davon mit ca. 1.000 Personen den zahlenmäßig weit überwiegenden und auch weitaus aktiveren Teil. In Hamburg werden beiden Organisationen zusammen nur noch etwa 50 Personen zugerechnet (1993: bis zu 100). Mit Verbotsverfügungen vom 13.08.98 gegen beide Organisationen trug das Bundesinnenministerium der Tatsache Rechnung, dass sich endgültig zwei selbständige Organisationen entwickelt hatten. Beide halten an den Zielsetzungen der verbotenen "Devrimci Sol" fest und legen - jede für sich - ausdrücklich Wert darauf, die einzig wahren und rechtmäßigen Erben der Ursprungsorganisation zu sein. Das DHKP-C-Verbot schloss auch deren Presseorgan "Kurtulus" (Befreiung) ein, das Mitte 1999 eingestellt wurde. Inzwischen erscheint ein Monatsmagazin (übersetzt: "Auf dem Weg der Unabhängigkeit - Befreiung"), auf dessen Titelbalken das Wort "Kurtulus" hervorgehoben ist. Daneben werden u. a. die Zeitschrift "Sesimiz" (Unsere Stimme) "Sesimiz" (Unsere Stimme) 200 und die Propagandaschrift "Vatan" (Heimat) herausgegeben, die ihre Nähe zur DHKP-C nach außen nicht deutlich zu erkennen geben. Nach dem Vorbild der einstigen "Devrimci Sol" hat sich auch die DHKP-C den politischen Umsturz und die Errichtung einer kommunistischen Gesellschaftsordnung in der Türkei zum Ziel gesetzt. Ihre Terrorakte richten sich vor allem gegen türkische Sicherheitskräfte und gegen Personen des öffentlichen Lebens, aber auch gegen andere Organe bzw. Vorposten des "Imperialismus". Zu den jüngsten Terrorakten der DHKP-C zählen Bombenattentate auf Ministeriumsgebäude am 10.09.99 in Istanbul, bei denen 23 Menschen verletzt wurden. Während in Deutschland noch 1997 gewalttätige Zusammenstöße mit Aktivisten der THKP/-C Devrimci Sol das Gefahrenbild bestimmten, kam es auf diesem Konfliktfeld seit fast 2 Jahren zu keinen neuen Zuspitzungen. Der letzte militante Zusammenstoß ereignete sich am 29.01.98 in Hamburg, als zwei DHKP-C-Aktivisten Opfer eines Schusswaffenangriffs wurden. Sie überlebten schwer verletzt. Bei einem Überfall am 02.06.99 in Hannover wurde ein DHKP-C-Angehöriger durch Knieschüsse verletzt. Dieser noch unaufgeklärte Zwischenfall könnte ebenfalls in die Reihe rivalitätsbedingter Auseinandersetzungen einzuordnen sein. In der Vergangenheit war das politische Geschehen in der Türkei immer wieder Anlass für Proteste und Ausschreitungen türkischer Linksextremisten in Deutschland. 1996 führten Hungerstreikaktionen in türkischen Gefängnissen zu zahlreichen Brandanschlägen auch aus den Reihen der DHKP-C. Obwohl im September 1999 erneut Gefangene in türkischen Haftanstalten revoltierten und dabei auch Anhänger der DHKP-C umkamen (" 4.2.3), beschränkte sich die Anhängerschaft in Deutschland auf zahlreiZeitschrift "Vatan" (Heimat) che Kundgebungen und Demonstrationen ohne Gewaltaktionen oder andere Gesetzesverstöße. Ob zwei missglückte Brandanschläge gegen eine türkische Bank und ein Reisebüro in Köln 201 mit diesen Ereignissen ursächlich zusammenhängen, ist trotz zeitlicher Nähe fraglich. Die gesunkene Gewaltbereitschaft der DHKP-C hat zwei Hauptursachen: Zum einen hat die gegnerische THKP/-C ihre nach außen gerichteten Aktivitäten deutlich zurückgeschraubt. Daher begegnen sich beide Seiten auch seltener unter konfliktträchtigen Umständen. Als zweiter Aspekt kommt hinzu, dass innerhalb von gut zwei Jahren bundesweit zahlreiche, zum Teil hochrangige Funktionäre der DHKP-C festgenommen wurden. Dies hat nicht nur auf allen Organisationsebenen Führungslücken hinterlassen, sondern dürfte auch zur Verunsicherung geführt haben. In einer ungewohnt moderaten Erklärung verkündete der DHKP-C-Generalsekretär Dursun KARATAS am 12.02.99 - offenbar unter dem Druck schwerwiegender Kaderverluste und drohender strafrechtlicher Konsequenzen - seine Organisation verzichte sofort auf jede Gewalt gegen türkische Institutionen in Deutschland und Westeuropa. Sie werde künftig auch bei Angriffen der "Putschisten" (gemeint: THKP/-C) die "Grenze der Verteidigung" nicht überschreiten. Bei dieser Erklärung der DHKP-C-Spitze dürfte es sich nicht nur um einen taktischen Schachzug gehandelt haben, um im Vorfeld erwarteter Strafurteile für ein günstiges Prozessklima zu sorgen. Die bereits seit 1998 andauernde Selbstdisziplinierung unter dem Eindruck umfassender polizeilicher Exekutivmaßnahmen und strafrechtlicher Ahndung dürfte auch der einstweiligen Einsicht zu verdanken sein, dass Gewalttaten der Partei mehr geschadet als genützt haben. Dieses Resümee unterstrichen nicht zuletzt folgende Ereignisse: * Nach der Festnahme zweier hochrangiger Funktionäre in der Schweiz - davon einer noch in Auslieferungshaft - befand sich zum Jahresende beinahe die vollständige Deutschlandund Europaführung der DHKP-C in Haft. * In Hamburg endeten mehrere Prozesse gegen führende Aktivisten mit zum Teil hohen Strafen. Der ehemalige Deutschlandund Europaverantwortliche, Serefettin GÜL, wurde am 17.02.99 u. a. wegen Rädelsführerschaft in einer terroristischen Vereinigung sowie versuchten Totschlags zu 10 Jahren Freiheitsentzug verurteilt. Zwei weitere Angeklagte erhielten 5 bzw. 7 Jahre Gefängnis. 202 * Ein weiterer Funktionär, Ilhan YELKUVAN, erhielt wegen Mordes und versuchter Geiselnahme mit Urteil vom 29.11.99 eine lebenslängliche Freiheitsstrafe. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig. * Am 17.11.98 wurde der DHKP-C-Europasprecher, Mesut DEMIREL, festgenommen. Sein Prozess vor dem Hanseatischen Oberlandesgericht in Hamburg dauert noch an. Die Prozessverläufe und Verurteilungen wurden zwar von intensiven publizistischen Protestkampagnen - auch aus einem deutschen Unterstützerkreis - begleitet, führten jedoch kaum zu weitergehenden Solidaritätsaktionen deutscher Sympathisanten. In Hamburg versammelten sich am 28.08.99 ca. 150 Personen (einschließlich zahlreicher auswärtiger Teilnehmer) und am 22.12.99 knapp 40 Personen zu Kundgebungen gegen "Repression gegen DHKP-CSympathisanten" bzw. für ein Ende der "politischen Prozesse". Deutsche "Prozessgruppen zu den DHKP-C-Prozessen" beklagten daher im September, ein "Großteil der radikalen Linken in der BRD" zeige sich weitgehend teilnahmslos. Zur Finanzierung ihres Organisationsapparates in Deutschland und in der Türkei mobilisierte die DHKP-C unter der Anhängerschaft und bei Sympathisanten erneut zu einer Spendenkampagne. Die Mitglieder waren zwar wiederum einem erheblichen Erfolgsdruck ausgesetzt. Da im Gegensatz zu Auswüchsen früherer Kampagnen offenbar ein moderateres Vorgehen angeordnet war, sind im vergangenen Jahr nur vereinzelt Straftaten bei der praktischen Umsetzung bekannt geworden. Zu ihrer alljährlichen europaweiten, als kulturelles Ereignis deklarierten, politischen Großveranstaltung - diesmal zum 5-jährigen Gründungsjubiläum der Partei - hatte die DHKP-C zum 10.04.99 wie schon im Vorjahr nach Genk/Belgien mobilisiert. Der Einladung folgten über 5.000 Besucher (1998: etwa 4.000). Die Organisation steht jedoch in der übrigen türkischen linksextremistischen Szene ziemlich im Abseits. Sie war auch nicht an dem im Juni 1998 geschaffenen Bündnis türkischer Linksextremisten und der PKK "Plattform der Vereinigten Revolutionären Kräfte" (türk. Abk.: DBGP) beteiligt. Dass sie jedoch nicht total isoliert ist, ließ sich aus der Tatsache ablesen, dass die TKP/ML (" 4.2.3) und die MLKP (" 4.2.4) in Genk mit Informationsständen vertreten waren. Insbesondere für die Zeit anstehender Gerichtsverhandlungen wird die Organisation um ein positives Bild in der Öffentlichkeit bemüht sein, um ihren in Deutschland Inhaftierten nicht unnötig zu schaden. Insoweit dürfte die 203 Organisation an ihrer öffentlich verkündeten Friedfertigkeit und Respektierung von Gesetzen des Gastlandes einstweilen festhalten. Angesichts ihrer vom revolutionären Ansatz her fortdauernden grundsätzlichen Gewaltorientierung ist ihr waffenfixierter Anhang aber weiterhin als potentiell gefährlich einzustufen. Latente Risiken birgt die Neigung zu rigorosen Praktiken bei der Eintreibung von "Spenden" insbesondere dann, wenn sich die Organisation durch finanzielle Nöte existentiell bedroht sehen sollte. 4.2.2 THKP/-C Devrimci Sol Die "THKP/-C Devrimci Sol" ("Türkische Volksbefreiungspartei/-Front - Revolutionäre Linke") - im folgenden als THKP/-C abgekürzt - ist neben der mit ihr rivalisierenden DHKP-C aus der unter " 4.2.1 dargestellten "Devrimci Sol"Spaltung hervorgegangen. Sie ist der DHKP-C an Zahl und Einfluss deutlich unterlegen. Die THKP/-C hat sich nach den auch für sie verlustreichen staatlichen Exekutivmaßnahmen seit 1998 kaum noch an die Öffentlichkeit gewagt. In Hamburg hat sie ihre ehemalige Vormachtstellung gegenüber der DHKP-C eingebüßt. Sie ist als Organisation nicht mehr erkennbar. Dass sie aber bundesweit noch ein gewisses Mobilisierungspotential vorweisen kann, unterstrich die Präsenz von THKP/-C-Anhängern bei einer Demonstration in Berlin im Januar 1999 und anlässlich einer TKP/ML-Gedenkveranstaltung in Leverkusen im Mai. Das Anhängerpotential in Deutschland beläuft sich auf 100. Die letzte Gewalttat aus den Reihen der THKP/-C hatte sich in Hamburg am 29.01.98 ereignet, als fünf ihrer Anhänger auf eine Gruppe DHKP-C-Angehöriger trafen und sie sofort mit Schusswaffen angriffen. Drei unmittelbar danach festgenommene Angreifer wurden im Februar und März 1999 vom Hanseatischen Oberlandesgericht zu Haftstrafen zwischen 21/2 und 31/2 Jahren verurteilt. Am 18.09.98 wurde in Hamburg einer ihrer ehemaligen Funktionäre, Ertugrul YIGIT - Deckname "Adil" - mit falschen Personaldokumenten festgenommen und im Januar 1999 vom Landgericht Hamburg wegen Verstoßes gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz, das Waffengesetz und das Sprengstoffgesetz zu 2 Jahren und 8 Monaten Haft verurteilt. Gegen den Verurteilten wird außerdem wegen des Verdachts der Einschleusung von Ausländern, der Urkundenfälschung und der Hehlerei ermittelt. YIGIT hatte zu seiner Verteidigung u. a. angeführt: "Ich bin Antifaschist". Wegen Beteiligung an einem Überfall mit Geiselnahme auf eine Außenstelle des türkischen Generalkonsulats in Hamburg am 06.10.95 war ein weiterer 204 Aktivist bereits Ende 1998 in Hamburg zu einer Haftstrafe von einem Jahr auf Bewährung verurteilt worden. Im April 1999 wandte sich die THKP/-C in bundesweit verbreiteten Flugblättern wegen der Ergreifung des PKK-Führers ÖCALAN gegen das angeblich internationale "Komplott" des "Imperialismus", der das kurdische Volk und die gesamte Revolution vernichten wolle. Die THKP/-C ist unter der Bezeichnung "Devrimci Sol" weiterhin Teil des Bündnisses mehrerer linksextremistischer türkischer Organisationen "Plattform der Vereinigten Revolutionären Kräfte" (türk. Abk.: DBGP), das sich auch in Hamburg etablierte. Dies gilt als Indiz dafür, dass sich ihre Anhängerschaft hier nicht völlig aus der poTHKP/-C-Organ "Devrimci Cözüm" (Revolutionäre Lösung) litisch-extremistischen Ausländerszene zurückgezogen hat. Das Parteiorgan "Devrimci Cözüm" (Revolutionäre Lösung) erscheint weiterhin monatlich. 4.2.3 TKP/ML und TKP(ML) - hervorgegangen aus der Spaltung der ehemaligen "Türkischen Kommunistischen Partei/Marxisten-Leninisten" Die 1972 in der Türkei gegründete "Türkische Kommunistische Partei/ Marxisten Leninisten" (TKP/ML) hatte sich 1994 gespalten. Es entstanden zwei Flügel, die inzwischen selbständige neue Parteien mit gleichlautender Namensgebung, aber unterschiedlichen Abkürzungen bilden: Aus dem "Partizan"-Flügel entstand die TKP/ML. Sie hat diese Abkürzung von der Ursprungsorganisation übernommen und verfügt außerhalb der Türkei über folgende Strukturen: * Basisorganisation in Europa: "Konföderation der Arbeiter aus der Türkei" (türk. Abk.: ATIK). Sie versucht, ihre Verbindung zur TKP/ML zu verschleiern. * Basisorganisation in Deutschland: "Föderation der Arbeiter aus der Türkei in Deutschland e.V." (türk. Abk.: ATIF). Sie agiert über örtliche Vereine und "Arbeitsgruppen", in Hamburg über den in Ottensen ansässigen "Hamburger Kulturund Solidaritätsverein". Die Hamburger "Arbeitsgruppe" gehört zum ATIF-Gebiet Nord. 205 * Jugendorganisation: "Neue Demokratische Jugend" (türk. Abk.: YDG). Sie ist direkt der europäischen Dachorganisation (ATIK) unterstellt. * Nebenorganisation: "Demokratischer Künstlerverband" (türk. Abk.: DSB) Aus dem zeitweise als "Ostanatolisches Gebietskomitee" (türk. Abkürzung: DABK) bezeichneten DABK-Flügel entstand die sich in der Abkürzung nur durch Klammerschreibweise unterscheidende TKP(ML). Ihr Zentralkomitee warb im Oktober öffentlich für eine Wiedervereinigung mit der TKP/ML. Die TKP(ML) unterhält außerhalb der Türkei folgende Strukturen: * Basisorganisation in Europa: "Konföderation für demokratische Rechte in Europa" (türk. Abk.: ADHK) * Basisorganisation in Deutschland: "Föderation für Demokratische Rechte in Deutschland" (türk. Abk.: ADHF). Auf regionaler Ebene bestehen Bezirkskomitees. Diesen unterstehen Stadtund Ortskomitees. * Jugendorganisation: "Demokratische Jugendbewegung" (türk. Abk.: DGH) * Frauenverband: "Neue Demokratische Frau" (türk. Abk.: YDK) * Nebenorganisation: "Internationaler Schriftstellerund Künstlerverband" (türk. Abk.: EYSB) Sich als "Auslandsbüros" bezeichnende Funktionärsspitzen steuern die Aktivitäten ihrer jeweiligen Organisation in Westeuropa. Beide Organisationen arbeiten auf allen Ebenen streng konspirativ. Während die in der Türkei schon vor der Spaltung unterhaltene Jugendorganisation "Türkischer MarxistischLeninistischer Jugendbund" (TMLGB) dort unter diesem einheitlichen Namen weiter existiert, unterhalten beide Parteien in Deutschland konkurrierende Jugendflügel mit unterschiedlichen Bezeichnungen. Beide Organisationen (zusammen etwa 2.000 Anhänger) berufen sich auf die Programmatik der Ursprungsorganisation. Sie betrachten sich gleichsam als deren rechtmäßige Erben. Beide kommunistischen Parteien orientieren sich am Marxismus-Leninismus und an Ideen des Maoismus. Sie wollen über eine Revolution in der Türkei die dort bestehende Staatsordnung beseitigen und ein System errichten, das nach dem Beispiel ehemaliger oder noch bestehender staatskommunistischer Länder als "Demokratische Volksrepublik" bemäntelt wird. Bereits 1972 hatte die Ursprungsorganisation 206 Guerilla-Einheiten, die "Türkische Arbeiterund Bauernbefreiungsarmee" (TIKKO) gegründet, deren bewaffneter Kampf den Weg in eine "demokratische" Volksrevolution öffnen soll. Seit Jahren verüben TIKKO-Kommandos in der Türkei Terrorakte. Im Berichtsjahr bekannte sich die TIKKO u. a. zu Autobombenanschlägen in Istanbul und in der Provinz Cankiri (beide März 1999). Da sich TKP/ML und TKP(ML) unterschiedslos auf die TIKKO beziehen, ist im Einzelfall nicht erkennbar, welche von beiden Organisationen hinter TIKKO-Aktionen steht bzw. ob Aktivisten beider Flügel Seite an Seite oder getrennt kämpfen. Die Ergreifung des PKK-Generalvorsitzenden Abdullah ÖCALAN verurteilten beide Organisationen als "internationales Komplott der imperialistischen, zionistischen und kemalistischen Mächte". Sie riefen ihre Anhänger auf, Protestaktionen der Kurden uneingeschränkt zu unterstützen. Der inzwischen von ÖCALAN propagierte Friedenskurs der PKK wurde allerdings Ende Oktober vom TKP(ML)-Zentralkomitee scharf kritisiert. Aus dem 1998 von der PKK und türkischen Linksextremisten gegründeten Aktionsbündnis "Plattform der Vereinigten Revolutionären Kräfte" (türk. Abk.: DBGP) ist die TKP/ML noch im gleichen Jahr ausgeschieden. Die TKP(ML) gehört dem nur noch auf dem Papier existierenden Restbündnis weiter an. TKP/ML und TKP(ML) treten in Deutschland vorwiegend publizistisch und propagandistisch auf. Europa bedeutet für sie eine logistische Basis kriegführender kommunistischer Parteien. Wenn es darum geht, "Spenden"Gelder zur Unterstützung ihrer Heimatorganisationen einzutreiben, greifen sie gelegentlich zu den unter türkischen und kurdischen Extremisten immer wieder anzutreffenden rigiden Gewaltmethoden. Türkische Geschäftsleute (Ladeninhaber, Imbissbetreiber u. ä.) gehören zu den bevorzugten "Spenden"Opfern. Die Spendenkampagne 1998/99 der TKP/ML erbrachte europaweit ein Sammlungsergebnis von 1,3 Millionen DM. Angesichts des hohen Erfolgsdruckes, den die Führung auf die Geldsammler ausübt, opfern manche 207 "Spender" ganze Monatsgehälter, Weihnachtsgelder oder gar Sozialhilfebezüge. Welchen Zwecken die Spenden zufließen, unterstrich eine Broschüre der TKP/ML zur Spendenkampagne 1996/97: "Eine Partei ohne Armee und eine Armee ohne Waffen können die Revolution nicht bewerkstelligen". Am 24.04.99 versammelten sich in Gießen bei der jährlichen TKP/ML-Gedenkveranstaltung zum Todestag des Parteigründers KAYPAKKAYA 5.000 Personen (Vorjahr: 6.000). Dies ist ein Gradmesser für die Mobilisierbarkeit von Anhängern auch sympathisierender Organisationen nebst Familienangehörigen. Erstmalig fanden hierzu dezentrale Veranstaltungen auch in anderen europäischen Ländern statt. Bislang war nur eine zentrale europaweite Gedenkveranstaltung in Deutschland üblich. Da die Parteien selbst im Gedenken an ihren Parteigründer gespalten sind, organisiert die TKP(ML) alljährlich eigene KAYPAKKAYA-Veranstaltungen. Am 15.05.99 versammelten sich dazu in Leverkusen ca. 4.000 Personen (Vorjahr: 3.000) aus dem gesamten Bundesgebiet sowie aus Belgien und den Niederlanden. Unter den Teilnehmern befanden sich erstmals 2.000 PKK-Anhänger, wodurch die gegenseitige Solidarität demonstriert werden sollte. Die rückläufige Teilnehmerzahl von TKP(ML)-Anhängern kennzeichnet deutlich deren fortgesetzten Mitgliederschwund. Hamburg: Die örtliche TKP/MLAnhängerschaft (ca. 50) trifft sich in den Räumen des ATIF-Vereines "Hamburger Kulturund Solidaritätsverein" in Ottensen. Ihre Gewaltbereitschaft hatte sich zuletzt im Sommer 1996 bei Brandanschlägen auf türkische Einrichtungen gezeigt. Die wesentlich kleinere (ca. 20) Anhängerschar der TKP(ML) besitzt einen Stützpunkt im Schanzenviertel. Anlässlich der 1. Mai-Demonstration in Hamburg unterstützten die deutschen Basisorganisationen ATIF und ADHF ein Aufrufflugblatt 208 des seit Jahren von deutschen und ausländischen Linksextremisten unter Einschluss militanter Autonomer dominierten "Internationalen Blocks". Unter dem Tenor "Stoppt den imperialistischen Krieg" wurde im Zusammenhang mit dem NATO-Kosovo-Einsatz auch hier die bereits von der ATIK mit einem Flugblatt anlässlich des EU-Gipfels in Köln verbreitete Darstellung wiederholt, wonach die NATO-Staaten humanitäre Beweggründe für ihre Luftangriffe gegen Jugoslawien nur als Vorwand benutzten, um mit Gewalt imperialistische Bestrebungen bzw. Interessen multinationaler Konzerne durchzusetzen. Anhänger beider Organisationen beteiligten sich in Hamburg mehrfach an friedlich verlaufenen Aufzügen zusammen mit anderen deutschen und türkischen Linksextremisten sowie der PKK. Eine Protestaktion am 14.06.99 (Tenor "Stoppt den Nato-Krieg sofort!") richtete sich gegen den Militäreinsatz der NATO im Kosovo. Die Demonstration am 19.07.99 (300 Teilnehmer, mehrheitlich deutsche Autonome) galt dem Protest gegen den Aufmarsch von ca. 700 Rechtsextremisten, die ihrerseits zuvor zum Protest gegen die sog. "Wehrmachtsausstellung" mobilisiert hatten. Drei Demonstrationen in Hamburg am 27.09., 29.09. und 02.10.99, an denen sich Angehörige beider Parteien neben anderen deutschen und türkischen Linksextremisten beteiligten, gehörten zu einer bundesweiten Kundgebungsserie. Hintergrund waren Geiselnahmen und Revolten türkischer linksextremistischer Häftlinge in mehreren Gefängnissen in der Türkei. Auslöser war eine Zellenrazzia im Ulucanlar-Gefängnis (Ankara), die in gewaltsamen Zusammenstößen zwischen Gefangenen und Wachmannschaften eskalierte. 12 Häftlinge fanden den Tod. Eine Protestaktion unter Beteiligung der TKP(ML) am 23.07.99 vor dem peruanischen Generalkonsulat in Hamburg mit 30-40 Personen richtete sich gegen die in Peru erfolgte Festnahme von Ramirez DURAND (genannt "Feliciano", Führer der peruanischen Guerillagruppe "Sendero Luminoso") und 12 weiterer Terroristen. Anschließend zogen die Demonstranten zum Untersuchungsgefängnis Hamburg und protestierten gemeinsam mit weiteren 200 Personen, überwiegend Türken und Kurden, wegen dort einsitzender kurdischer Häftlinge. 4.2.4 Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei (MLKP) Die bundesweit auf etwa 700 Mitglieder (Hamburg etwa 30) geschätzte MLKP ist 1994 aus der Vereinigung der "Türkischen Kommunistischen Partei/Marxisten Leninisten Bewegung" (TKP/ML H) und der unbedeutenden 209 "Türkischen Kommunistischen Arbeiterbewegung" (TKIH) hervorgegangen. Sie ist letztlich - ebenso wie die in den vorherigen Abschnitten behandelten TKP/ML und TKP(ML) - ein Abspaltungsprodukt der TKP/M-L. Die MLKP erstrebt für die Türkei einen revolutionären Übergang in den Sozialismus. Sie betont die herausragende Rolle der "Avantgarde der Arbeiterklasse" und ihre "antiimperialistische" Zielsetzung. Sie selbst versteht sich als wahre Vertreterin der Interessen auch des kurdischen Volkes und will in der Türkei mittels bewaffneter Kämpfe das "faschistische kolonialistische Joch" zerbrechen. Ihre Guerillaorganisation nennt sich "M-18". Nach einem Kommunique des Zentralkomitees (ZK) behandelte die 1. MLKP-Parteikonferenz im Herbst 1995 u. a. Fragen des illegalen Kampfes und militärischer Organisationsund Kampfformen. Laut ZK soll die "kollaboratorische kapitalistische Monopolordnung" (i. d. Türkei) "dem Erdboden gleichgemacht" werden. Basisorganisation der MLKP in Deutschland ist die "Föderation der Arbeitsimmigrant/innen aus der Türkei in der Bundesrepublik Deutschland e.V." (türk. Abkürz.: AGIF) mit etwa 20 Mitgliedsvereinen. Sie befasst sich aus kommunistischer Perspektive vorwiegend publizistisch mit Problemen ausländischer Arbeitnehmer in Deutschland und wendet sich gegen den angeblichen "Faschismus als Instrument der deutschen Monopolbourgeoisie". Allerdings waren MLKP-Mitglieder 1996 an der Ermordung des Funktionärs einer rivalisierenden Abspalterorganisation beteiligt. Am 30.06.99 verurteilte das Landgericht Duisburg ein MLKP-Mitglied wegen seiner Tatbeteiligung zu einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe. Der Verurteilte hatte zuvor in Frankreich eine Freiheitsstrafe wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung verbüßt. Ein anderes an der Duisburger Mordtat beteiligtes Mitglied war bereits 1997 zu einer lebenslänglichen Freiheitsstrafe verurteilt worden. Die Partei verfügt über eine "Kommunistische Jugendorganisation" (türk. Abkürz.: KGÖ), die sich in Hamburg u. a. mit Klebezetteln und Transparenten bemerkbar gemacht hat. 210 Im Frühjahr beteiligte sich die Anhängerschaft an einer Solidaritätskampagne türkischer linksextremistischer Gruppen für den PKK-Generalvorsitzenden ÖCALAN. Auch das ZK der MLKP in der Türkei verbreitete im April 1999 eine Solidaritätserklärung für die PKK, in der es die "niederträchtige Aggression und das Komplott der Imperialisten, der türkischen Diktatur und der reaktionären Länder in der Region" gegen ÖCALAN verurteilte sowie "alle fortschrittlichen und patriotischen Kräfte zur gemeinsamen Aktion und Widerstand" aufrief. Die in Deutschland lebenden MLKP-Anhänger betätigen sich politisch über die örtlichen AGIF-Vereine. Wie bei anderen ausländischen Linksextremisten genießen jährliche Spendensammlungen für die logistische und sonstige praktische Unterstützung der Heimatorganisation hohen Stellenwert. Ein gewaltsames Vorgehen der Spendensammler oder Straftaten in diesem Zusammenhang sind für 1999 nicht bekannt geworden. Am 13.11.99 führte die MLKP anlässlich ihres 5. Gründungsjubiläums in Leverkusen eine Kulturund Politveranstaltung durch. Laut Zentralorgan "Politikada Atilim" (Der politische Angriff) sollen 4.000 Personen teilgenommen haben. Nach der Ehrung im "Kampf gefallener Revolutionäre" habe eine Rednerin aus der Türkei die anwesenden Jugendlichen aufgefordert, den Platz der Gefallenen im Kampf für die Revolution und den Sozialismus einzunehmen. Öffentliche Aktivitäten entwickeln AnEinladungsflugblatt zum 13.11.99 gehörige der MLKP fast ausnach Leverkusen schließlich gemeinsam mit anderen linksextremistischen türkischen - auch kurdischen - Organisationen sowie deutschen Linksextremisten des autonomen und "antiimperialistischen" Spektrums. So beteiligten sich Angehörige der MLKP und KGÖ an friedlichen Protestdemonstrationen deutscher und türkischer Linksextremisten in Hamburg am 27.09., 29.09. und 02.10.99 (Hintergrund: Revolte in türkischen Gefängnissen " 4.2.3). 211 Die MLKP gehört dem am 04.06.98 von der PKK und türkischen Linksextremisten gegründeten Aktionsbündnis "Plattform der Vereinigten Revolutionären Kräfte" (türk. Abk.: DBGP) an. 4.3 Türkische Islamisten 4.3.1 Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e.V. (IGMG) Die IGMG ist seit 1995 Nachfolgeorganisation der "Vereinigung der neuen Weltsicht in Europa e.V." (AMGT). Sie ist das Sammelbecken in Deutschland lebender Anhänger der türkischen islamistischen Oppositionspartei "Fazilet Partisi" (FP, Tugendpartei). Vorläuferin der FP war die vom Verfassungsgericht der Türkei im Januar 1998 verbotene "Refah Partisi" (RP, Wohlfahrtspartei, damaliger Vorsitzender Professor Necmettin ERBAKAN). Der RP wurde vorgeworfen, gegen die auf Kemal ATATÜRK zurückgehende - bis heute verIGMG-Emblem fassungsmäßig gebotene - Trennung von Staat und Religion verstoßen zu haben. Noch vor der VerbotsKemal ATATÜRK (1881-1938) hieß entscheidung wurde im Dezember eigentlich Mustafa Kemal Pascha. 1997 unter maßgeblichem Einfluss Der Beiname ATATÜRK ("Vater der Prof. ERBAKANs die FP als eine Art Türken") wurde ihm 1934 verliehen. Auffangorganisation für die RP geATATÜRK formte als türkischer gründet. Mehmet Sabri ERBAKAN - Staatspräsident seit 1923 die Türkei ein Neffe Prof. ERBAKANs - ist zu einem modernen Nationalstaat. Generalsekretär der IGMG, deren Die ihm von der Mehrheit des türkiVorstandsund Verwaltungszentrale schen Volkes als historische Leistung in Köln ansässig ist. Kommissariangerechnete Modernisierungsund scher Nachfolger des im April 1999 Reformpolitik hat als Kemalismus zurückgetretenen IGMG-VorsitzenEingang in den Sprachgebrauch den Ali YÜKSEL wurde Yusuf ISIK. gefunden. Mit den Begriffen Laizismus bzw. laizistisch ist - auf die Als eigentliche AMGT-Nachfolgerin Türkei bezogen -- das kemalistiwidmet sich die IGMG sozialen, sche Prinzip der Trennung von Staat kulturellen und politisch-religiösen und Religion gemeint. Belangen ihrer Mitglieder. Die eben212 falls 1995 gegründete "Europäische Moscheebauund Unterstützungsgemeinschaft e.V." (EMUG) verwaltet den weitgehend von der AMGT übernommenen umfangreichen IGMG-Immobilienbesitz. Die IGMG gibt in ihrer Satzung als Vereinsziel zwar die soziale und kulturelle Betreuung ihrer Mitglieder an. Tatsächlich verfolgt sie jedoch ein politisches Hauptziel: Die Ablösung der laizistischen Staatsordnung in der Türkei durch einen ausschließlich auf dem Koran und der Scharia (islamisches Rechtssystem) basierenden islamischen Gottesstaat. Ihr Fernziel ist die weltweite Islamisierung. Zu diesem Zweck fördert die Gruppierung einen fundamentalistisch verstandenen Islam innerhalb der türkischen Gemeinden in Deutschland - so u. a. über das von IGMG-Funktionären geleitete "Bündnis der islamischen Gemeinden in Norddeutschland und Hamburg e.V." (BIG). Um ihre islamische Erziehungsund Bildungsarbeit in unterschiedlichen türkischen Bevölkerungsteilen erfolgreich einsetzen zu können, verfügt die IGMG über eine Jugendund eine Frauenorganisation sowie über Studentenund Akademikervereine. Die IGMG gehört mit rund 27.000 Mitgliedern zur stärksten islamistischen Organisation in Deutschland. Schon angesichts einer wesentlich höher zu veranschlagenden Sympathisantenzahl geht der Einfluss der IGMG weit über den Kreis unmittelbar angebundener Personen hinaus. Das auch europaweit hohe Mobilisierungspotential zeigte sich bei überregionalen Veranstaltungen. An der diesjährigen 5. Generalversammlung der IGMG (22.05.99) im KölnMüngersdorfer Stadion nahmen ca. 40.000 Personen aus dem Bundesgebiet und dem benachbarten Ausland teil. IGMG-Sprachrohr "Milli Gazete" (Nationale Zeitung) Die IGMG verbreitet ein islamistisches Staatsverständnis, das westlichen Demokratievorstellungen entgegensteht. Aus taktischen Gründen gibt sie 213 sich seit einiger Zeit in Worten und öffentlichen Aktivitäten gemäßigter als früher. Repräsentanten der Organisation betonen, die IGMG stehe nicht im Widerspruch zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung, zum Gedanken der Völkerverständigung und zum friedlichen Zusammenleben der Völker. Ein Schwerpunkt der IGMG-Aktivitäten ist die Jugendarbeit. Dazu gehören Korankurse, die zum Teil während der Schulferien internatsmäßig in Moscheen stattfinden. In der öffentlichen "Kopftuchdebatte" des vergangenen Jahres sah die IGMG einen Angriff auf die freie Religionsausübung. Ausdrücklich schloss sich die IGMG der Forderung nach Islamunterricht an deutschen Schulen an. Darin sieht sie offensichtlich Chancen, sich zusätzliche Einflussmöglichkeiten zu erschließen. Spendenaktionen des vergangenen Jahres kamen laut "Milli Gazete" vom 06.01.2000 auch islamischen Minderheiten in Bosnien und Jugoslawien sowie der Bevölkerung und Kämpfern im islamisch geprägten Tschetschenien zugute. Moschee Böckmannstraße / IGMGZentrale Hamburg In Hamburg liegt die Mitgliederzahl bei 1.000. Der deutlich größere Regionalbereich Hamburg der IGMG schließt Schleswig-Holstein und Teile Niedersachsens ein. Die IGMG besitzt in und um Hamburg über 15 Moscheen. Die Zentrale des Bereichs Hamburg befindet sich in der Böckmannstraße (Stadtteil St. Georg). 214 4.3.2 Verband der islamischen Vereine und Gemeinden e.V. (ICCB) ("Der Kalifatstaat") Der Verband ist aus einer Abspaltung der "Islamischen Gemeinschaft Milli Görüs e.V." (IGMG) entstanden. Er hat sich 1985 unter der Bezeichnung ICCB ("Islami Cemaat ve Cemiyetler Birligi") in Köln vereinsrechtlich angemeldet. Der ICCB strebt die Weltherrschaft der Muslime unter dem Dach eines "Kalifatstaates" an. Im Zuge einer weltweiten islamischen Revolution sollen alle anderen Regierungsformen - vor allem die türkische - gestürzt und durch eine islamische Ordnung ersetzt werden. Der Koran soll das Fundament des angestrebten Gottesstaates bilden. 1992 hatte der drei Jahre später verstorbene Cemaleddin KAPLAN den Metin KAPLAN "Föderativen Islamstaat Anatolien" (AFID) ausgerufen und sich selbst zum Kalifen ernannt. Unter Metin KAPLANs Führung, der die Nachfolge seines Vaters im ICCB auch als selbsternannter "Kalif der islamischen Welt in Deutschland" und "Hirt aller Muslime" angetreten hat, wird inzwischen durchweg die Organisationsbezeichnung "Der Kalifatstaat" (Hilafet Devleti) gepflegt. Mit welcher Verachtung und Geringschätzung er der Demokratie begegnet und dabei zu antisemitischer Geschichtsfälschung greift, unterstrich Metin KAPLAN im Oktober und November 1999 im Verbandsorgan "Ümmet-i Muhammed" (Die Gemeinde Mohammeds) sowie auf der InternetHomepage des "Kalifatstaates". Kommunismus, Kemalismus und Demokratie seien als Produkte des Zionismus die Hauptfeinde des Islam und wollten Muslime, die "Die islamische Armee marschiert" sich für ihren Glauben engagierten, abschrecken, vernichten und ausrotten. Nach Ansicht des ICCB-Führers bedienen sich Zionismus und "Imperialismus" des Kommunismus als strategischer Waffe zur Eroberung einer Weltherrschaft. Vor diesem Hintergrund versuchte KAPLAN z. B. den jüngsten Krieg des inzwischen nicht mehr 215 kommunistischen Russlands gegen das überwiegend islamisch geprägte Tschetschenien zu interpretieren. "Der Jude" habe u. a. durch kommunistische Diktatoren in Moskau, auf dem Balkan und in China systematisch versucht, die gläubigen Muslime zu unterdrücken. In seinen Aussagen berief sich KAPLAN auf die "Protokolle der Zionistischen Führer", womit er höchstwahrscheinlich die "Protokolle der Weisen von Zion" meinte. Hierbei handelt es sich um angebliche Niederschriften einer jüdischen Geheimtagung, die Pläne für die Errichtung einer jüdischen Weltherrschaft enthalten, tatsächlich jedoch um eine antisemitische Fälschung. Die "Protokolle" wurden erstmals 1905 in Russland veröffentlicht und 1921 in der Londoner "Times" als Fälschung entlarvt. Der Schwindel spielte in der antisemitischen Propaganda der Nationalsozialisten eine wichtige Rolle. Metin KAPLAN ist in den eigenen Reihen umstritten, was seit dem Tode seines Vaters (1995) zu einem bis heute andauernden drastischen Mitgliederschwund von etwa 3.800 auf heute etwa 1.100 beigetragen hat. Zu seinen härtesten Kritikern gehörte der am 08.05.97 in Berlin von Unbekannten ermordete Abtrünnige und selbsternannte "Gegenkalif", Halil SOFU. Bereits im Mai 1998 wurde ein Prediger des ICCB-Vereins in Augsburg zu drei Jahren Haft verurteilt, weil er im Juli 1996 während des Freitagsgebets zur Tötung SOFUs aufgerufen hatte. Nachdem schon 1998 Wohnungen, Verbandsräume und die Kölner Moschee des "Kalifatstaates" vom BKA durchsucht worden waren, folgten 1999 weitere Durchsuchungen und Ermittlungen der Bundesanwaltschaft gegen ICCB-Mitglieder wegen Verdachts der Bildung einer terroristischen Vereinigung, Mordes und anderer Straftaten. KAPLAN, der mehrere "Fetwas" (Rechtsgutachten eines Muftis oder herausragenden Rechtsgelehrten) verkündete, in denen er zum gewaltsamen Kampf aufrief und Deutschland drohte, dem "Erdboden gleichgemacht" zu werden, wurde am 25.03.99 festgenommen. Mehrfach veröffentlichte das Verbandsorgan "Ümmet-i Muhammed" 1999 Aufrufe zur Solidarität mit dem "Kalifen". Bei Demonstrationen in Karlsruhe und Berlin (13.11.99) protestierten etwa 2.000 KAPLAN-Anhänger für die Freilassung ihres "Kalifen". Die "niederträchtige" Festnahme ihres Leiters Metin KAPLAN basiere allein auf Lügen und Verleumdungen. Der Generalbundesanwalt beziehe eine feindliche Haltung gegen den Islam und die Muslime. Das bedeute "Krieg gegen Allah". Die deutsche Justiz versuche, den Muslimen den Mund zu verbieten. Sie ergreife Partei für das "grausame, despotische, kemalistische Mafiaund 216 Bandenregime in der Türkei, dessen Politiker für Verlogenheit, Wucher, Räuberei und Gemetzel" bekannt seien. KAPLAN wird von türkischen Justizbehörden beschuldigt, Ende Oktober 1998 einen Terroranschlag auf das Atatürk-Mausoleum in Ankara geplant zu haben. Damals wurden 23 islamistische Fundamentalisten - darunter aus Deutschland eingereiste ICCB-Mitglieder - in der Türkei festgenommen. Bei der Festnahme wurden Waffen, Sprengstoff und Propagandamaterial sichergestellt. In Deutschland wird ihm die öffentliche Aufforderung zu Straftaten zur Last gelegt. Die Bundesregierung lehnte die Auslieferung KAPLANs in die Türkei wegen einer dort möglichen Todesstrafe ab. Der Beschuldigte ist in Deutschland rechtskräftig als Asylsuchender anerkannt. Der Generalbundesanwalt klagte KAPLAN im August 1999 wegen Rädelsführerschaft in einer kriminellen Vereinigung und öffentlichen Aufrufs zu Straftaten (Mord an SOFU in Berlin 08.05.97) an. Daneben sind zwei Verbandsfunktionäre vor dem Oberlandesgericht Düsseldorf wegen Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung angeklagt. Im Publikationsorgan "Ümmet-i Muhammed" wird KAPLAN als "Ruhmreicher Glaubenskämpfer", "Großer Kommandant" und "Schrecken der Ungläubigen" glorifiziert. Ihm wird versichert, dass "islamische Selbstopferer hervortreten" und "zur Selbstaufopferungskampagne herbeieilen" würden. Dieses sowie der Einsatz junger ICCB-Mitglieder aus Deutschland bei dem verhinderten Attentat in der Türkei sind warnende Indizien für eine unberechenbare Gewaltbereitschaft von Anhängern des sog. "Kalifatstaats". In Hamburg sind ICCB-Strukturen nicht bekannt. Es gibt jedoch Anhaltspunkte für die Anwesenheit einzelner nicht fest eingebundener ICCBAnhänger. 217 4.3.3 Islamische Bewegung (IH) Die "Islamische Bewegung" ("Islami Hareket"; IH) ist 1989 in Köln als Abspaltung des "Verbandes der islamischen Vereine und Gemeinden e.V." (ICCB, " 4.3.2) entstanden. Die Abspalter waren nicht damit einverstanden, dass sich die Führung des ICCB vom iranischen Einfluss gelöst hatte. Es gelang der "Islamischen Bewegung", bundesweit (etwa 200 Mitglieder/ Sympathisanten) mehrere örtliche ICCB-Vereine zu übernehmen. Die etwa 50 Personen umfassende Hamburger IH-Anhängerschaft traf sich bis zur Jahresmitte 1999 in der Moschee Mokrystraße (Wilhelmsburg), die von dem Verein "Zentrum für Forschung und Kultur des Islam e.V." getragen wurde. Inzwischen nutzt sie ihr neues Zentrum "Vahdet-Moschee" am Steindamm. Die IH hat sich zum Ziel gesetzt, in der Türkei einen "Islamischen Staat" nach dem Vorbild Irans zu errichten. Sie geht nicht davon aus, dieses mit friedlichen Mitteln zu erreichen. Als größte Feinde sieht die IH den Zionismus, den Staat Israel sowie ihn unterstützende Staaten und Regierungen an. Kapitalismus, Kommunismus und Zionismus gelten als "drei bösartige und blutrünstige Kräfte". Eingang zur "Vahdet-Moschee" der IH Die sich konspirativ verhaltenden IH-Anhänger entfalten bis auf die regelmäßige Teilnahme an den Demonstrationen zum "Qods-Tag" ("Jerusalemtag", Januar 1999 in Berlin, " 6.1) keine öffentlichen Aktivitäten. 218 5. Kosovo-Albaner Unter zahlreichen in Deutschland agierenden Gruppierungen jugoslawischer Staatsangehöriger verdienen unter Sicherheitsgesichtspunkten vor allem jene Beachtung, die Aktionen terroristischer Gruppierungen in ihrer Heimat unterstützen. Dazu gehört die "Volksbewegung von Kosovo" (LPK). Sie existiert zwar nicht mehr als Organisation, aber viele ihrer ehemaligen Mitglieder und Sympathisanten in Deutschland fühlen sich ihr inhaltlich weiterhin verbunden. Die LPK wurde 1982 in der serbischen Provinz Kosovo unter dem Namen "Bewegung für eine albanische sozialistische Republik in Jugoslawien" (LRSSHJ) gegründet. Nach mehreren Umbenennungen führte sie seit 1993 die Bezeichnung "Volksbewegung von Kosovo". Seit Anfang 1996 trat sie offen für die Unterstützung der "Befreiungsarmee von Kosovo" (UCK) ein. Da die LPK und die UCK gemeinsame ideologische und personelle Ursprünge haben, muss die UCK zum besseren Verständnis der politischen Motivation in Deutschland lebender LPK-Anhänger beleuchtet werden: Die UCK wurde 1993 gegründet. Sie kämpfte zunächst für die Wiederherstellung des vom serbischen Staat seit 1989 abgeschafften Autonomiestatus des Kosovo. Ihre Gründungsmitglieder rekrutierten sich aus Vertretern verschiedener Splittergruppen, Marxisten-Leninisten, Anhängern des verstorbenen albanischen Führers Enver HODSCHA (ehemals glühender Verehrer MAO TSETUNGS), albanischen Nationalisten und Vertretern konservativer Traditionsfamilien (Clans). Verbindende Klammer war die Kritik am pazifistischen Kurs Ibrahim RUGOVAs, der seit 1992 als "Ministerpräsident" einer im Untergrund gewählten (international nicht anerkannten) Regierung der LDK ("Demokratischer Bund Kosovo") residiert. Die UCK gelangte weder zu einer homogenen Einheit noch zu einem schlüssigen - auch realistischen - politischen Programm. Ihr Ziel ist die Schaffung eines Groß-Albaniens, das auch Teile Griechenlands und Mazedoniens einbezieht. Öffentlich bekannt wurde die UCK 1996/97 durch Anschläge auf serbische Personen und Einrichtungen. Am 20.09.99 löste sich die UCK auf Druck der NATO-Schutztruppen gemäß dem Waffenstillstandsabkommen zwischen NATO und Rest-Jugoslawien auf. Ein Teil ihres Personenpotentials bildete den Grundstock des 5.000 Mann starken zivilen "Kosovo-Schutzkorps" (TMK). Das politische Anliegen der UCK - Befreiung von serbischer Unterdrückung und Erlangung eines Autonomiestatus - soll 219 auf parteipolitischem Wege weiter verfolgt werden. Im Oktober 1999 gründeten ehemalige führende Offiziere der UCK die "Partei für den Demokratischen Fortschritt" (PPDK). Die Anfang Juli 1999 in Pristina als Nachfolgeorganisation der LPK gegründete PBD ("Partei der Demokratischen Vereinigung") ging in der PPDK auf. Die LPK war bis zum Zerfall Jugoslawiens marxistisch-leninistisch geprägt. Vor dem Hintergrund der politisch-gesellschaftlichen Veränderungen im ehemaligen Jugoslawien wandelte sie sich zu einer zwar immer noch linksorientierten, sich aber zugleich national-patriotisch verstehenden, militant und konspirativ arbeitenden Organisation. Dabei befürwortete sie jede Form des Kampfes für die nationale Einheit und Unabhängigkeit der Albaner nicht nur im Kosovo, sondern in allen albanisch besiedelten Gebieten des ehemaligen Jugoslawien. In Deutschland verfügte die LPK mit regionalem Schwerpunkt in Süddeutschland zuletzt über bis zu 550 Mitglieder. Sie war auf Landesebene in "Kreisräte" und regional in Ortsvereine ("Volksräte") gegliedert, die zumeist vereinsrechtlich nicht erfasst waren und auf eigene Vereinsräume verzichteten. In Hamburg lebende LPK-Anhänger (unter 50) trafen sich in albanischen Clubs sowie unter der auch von Immigrantengruppen anderer Nationalitäten vielfach gewählten Selbstdarstellung als "Arbeitervereine". Den dort verkehrenden Landsleuten berichteten sie aus ihrer politischen Perspektive vor allem über die aktuelle Situation im Kosovo, sammelten Spendengelder ein und betätigten sich als Anlaufstelle zur Rekrutierung von UCK-Kämpfern. Die LPK finanzierte sich aus MitLPK-Werbung für den Spendenfonds gliedsbeiträgen, Spenden und Erlö"Das Vaterland ruft" sen aus dem Verkauf von Publikaim Zeichen des UCK-Emblems tionen. Um eine breitere Öffentlichkeit in Deutschland auf das Kosovo-Problem aufmerksam zu machen, wurden zahlreiche Publikationen verteilt und Protestkundgebungen gegen die 220 "brutale Unterdrückung" Kosovos organisiert. Führende Funktionäre warnten die Kosovo-Albaner jedoch davor, sich durch militante Aktionen außerhalb der Heimat selbst zu schaden. Die LPK ließ in ihrem Organ "Zeri i Kosoves" keine Zweifel aufkommen, dass sie die UCK politisch, moralisch und finanziell unterstützte. Die UCK selbst kam in der Zeitung regelmäßig mit Kommuniques zu Wort, um mit Berichten über ihren Befreiungskampf die Unterstützung im Ausland lebender KosovoAlbaner zu mobilisieren. Als Hilfsorganisation der LPK diente die am 08.01.95 gegründete "Demokratische Vereinigung der AlbanerInnen in Deutschland" (DVAD) mit Sitz in Siegburg. Die LPK rief regelmäßig zu Spenden für den von der DVAD verwalteten Fonds "Vendlindja Therret" (Das Vaterland ruft) auf. In Deutschland lebten im März 1999 rund 720.000 Staatsbürger Rest-Jugoslawiens, darunter ca. 350.000 Serben und 250.000 Kosovo-Albaner. Nachdem die politischen Verhandlungen von Rambouillet/Frankreich für einen friedlichen Autonomiestatus der Provinz Kosovo im Februar/März 1999 gescheitert waren und Jugoslawien seinen unterdessen längst angeordneten menschenrechtswidrigen Massenvertreibungsund Vernichtungsfeldzug gegen die albanische Bevölkerung im Kosovo begonnen hatte, griffen am 24.03.99 NATO-Streitkräfte zum Schutz der albanischen Bevölkerung ein. Selbst nach Bekanntwerden grausamer Mord-, Folter-, Vergewaltigungsund Vertreibungsaktionen jugoslawischer Einheiten während der NATO-Militäraktion sprachen sich Funktionäre kosovo-albanischer Gruppen in Deutschland gegen militante Protestaktionen aus. Ihnen kam es vielmehr darauf an, Deutschland als Rückzugsraum für Geldbeschaffungen und zur Rekrutierung von Nachschubkräften für die Heimatfront zu erhalten. Solidaritätstelegramme dokumentierten die Verbundenheit mit der UCK. Mit gesteigerter Intensität sammelten Kosovo-Albaner auf Informationsveranstaltungen - auch in Hamburg - Spendengelder und versuchten, den Nachschub Freiwilliger zur Verstärkung der in der Heimat kämpfenden Befreiungsarmee zu steigern. Einzelne Hinweise, Spendengelder seien auch unter Zwang bzw. unter Gewaltandrohung eingetrieben worden, haben sich zumindest für Hamburg nicht bestätigt. 221 6. Iraner In Deutschland leben etwa 115.000 iranische Staatsangehörige, in Hamburg ca. 14.000. Sie stellen in Hamburg nach Türken, Jugoslawen, Polen und Afghanen die fünftgrößte Gruppe von Ausländern. Nur wenige von ihnen engagieren sich politisch: Ein Teil als Anhänger, ein Teil als Gegner der iranischen Regierung. Die schiitische ("Schi'at Ali" = "Partei Alis") Grundorientierung prägt das private und staatliche Leben in der Islamischen Republik Iran. Während die Schiiten im Iran gegenüber den Sunniten dominieren, bilden sie im weltweiten Maßstab nur eine Minderheit von etwa 15 % aller Muslime. Als Ergebnis der "Islamischen Revolution" (1979, Machtübernahme durch den 1989 verstorbenen Ayatollah KHOMEINI) wurde das schiitische Staatsund Herrschaftsprinzip in der Verfassung der Islamischen Republik Iran verankert ("Herrschaft des anerkannten Gottesgelehrten"). Das Volk hat sich dem Willen Gottes und seiner irdischen Vertreter - dem anerkannten geistlichen Führer oder einem Gelehrtenkollegium - unterzuordnen, ein Prinzip, dessen Akzeptanz in der iranischen Bevölkerung allerdings abnimmt. Zwar gilt der gegenwärtige iranische Präsident Mohammed KHATAMI (1979-1981 Leiter des "Islamischen Zentrums Hamburg") als reformorientiert, jedoch ist nicht der Staatspräsident die höchste Autorität, sondern der religiöse "Führer" (z. Zt. Ayatollah KHAMENEI). KHOMEINIs Revolutionsziele sind bis heute verfassungsmäßig verankerte Leitlinien: Machtbehauptung, Unterdrückung/Ausschaltung von Opposition, Export der islamischen Revolution, Sturz "dekadenter" (westlich beeinflusster) Regierungen in der islamischen Welt, Islamisierung der übrigen Welt. Der Iran ist Leitbild für einige islamische Bewegungen in anderen Staaten der islamischen Welt. Nach KHOMEINIs Vermächtnis (Broschüre des IZH von 1989: "Das politische und religiöse Testament von Imam Khomeini") gelten die "Feinde des Islam" als von den "terroristischen" USA angeführt, als deren Verbündeter der "internationale Zionismus". Dem Westen gegenüber aufgeschlossene arabische Politiker gelten als "Kriminelle im Dienste Amerikas und Israels" bzw. als "Verräter". Zum Feindbild gehört eine angebliche "zionistische Weltverschwörung". Ayatollah KHAMENEI befürwortete im Oktober 1999 erneut die Fortsetzung des "Heiligen Krieges" (Jihad), bis die von Israel besetzten Gebiete und Jerusalem "vollständig befreit" seien. Muslime seien verpflichtet, das "zionistische Regime" und dessen Unterstützer Amerika zu bekämpfen. 222 6.1 Regierungsseitige Bestrebungen und Anhänger der iranischen Regierung Ende 1998 waren iranische Intellektuelle und Schriftsteller einer Mordserie zum Opfer gefallen. Erstmals in der Geschichte des revolutionären Iran gab das Informations(Geheimdienst-) Ministerium am 05.01.99 zu, es sei ein Verschwörernetz aufgedeckt worden, dem auch "unverantwortliche, bösartige und eigenwillige Kollegen des Ministeriums" angehört hätten. Diese seien "von unbekannten Agenten als Werkzeug benutzt" worden, um "Ziele von Ausländern" durchzusetzen. Die Version von "ausländischen Mächten" als eigentliche Urheber und Drahtzieher bekräftigte KHAMENEI am 08.01.99 beim Freitagsgebet an der Teheraner Universität. Mitte 1999 kam es infolge der Verschärfung des Pressegesetzes im Iran zu Massenprotesten, die vor allem von der "nachrevolutionären" jungen Generation getragen wurden. Die Weltöffentlichkeit interpretierte die Ereignisse als Teil eines Machtkampfes zwischen Reformern und Konservativen im Iran. Einige Medien sprachen sogar von einer - letztlich gewaltsam unterdrückten - zweiten Revolution 20 Jahre nach dem Sturz des Schahs und der Gründung des ersten islamischen Gottesstaates. Mit bisher beispiellosem Mut forderten die Protestierenden öffentlich ihr Recht auf individuelle Freiheit. Sie offenbarten die Diskrepanz zwischen der Theorie revolutionärer Ideale und dem real-existierenden Islamismus. Die Gewährleistung von Pressefreiheit war das Herzstück der von KHATAMI initiierten Reformen, die auf Widerstand stoßen: Seit zwei Jahren werden immer wieder kritische Zeitungen neugegründet, verboten, umbenannt und wiederzugelassen - mal gefördert, mal zensiert. Iranischen Sicherheitsdiensten werden Mordanschläge auf im Ausland lebende Oppositionelle zugerechnet. Sie gelten zur Wahrung iranischer Interessen als legitim. Der ehemalige iranische Minister für Nachrichtendienstund Sicherheitsangelegenheiten, Ali FALLAHIAN, ist für die Ermordung von vier Oppositionellen in Berlin (1992, Lokal "Mykonos") mitverantwortlich. Im September 1998 hatte der iranische Präsident KHATAMI die Todesdrohung gegen den Schriftsteller Salman RUSHDIE (Verfasser der "Satanischen Verse") als für die iranische Regierung "völlig abgeschlossen" bezeichnet. Genau 10 Jahre nach dem Mordaufruf (Februar 1989) hat die "Stiftung 15. Khordad" im Iran erneut die vom verstorbenen Revolutions223 führer Ayatollah KHOMEINI erlassene "göttliche Fatwa" (Rechtsgutachten) gegen RUSHDIE bekräftigt. Um prowestliche und laizistische Regime im Nahen und Mittleren Osten zu destabilisieren und die islamische Revolution zu "exportieren", unterstützt der Iran auswärtige islamische Revolutionen bzw. islamische "Befreiungsbewegungen". Terroranschläge der "Islamischen Widerstandsbewegung" (HAMAS) in Israel wurden als "göttliche Vergeltung" und "gerechte Strafe" ausgelegt. Die iranische Regierung distanzierte sich zwar von mehreren Attentaten radikaler Palästinenser in Israel, verurteilte sie aber nicht. Der Führer der im Libanon mit iranischer Hilfe gegründeten HIZB ALLAH ("Partei Gottes"), Scheich Hassan NASRALLAH, hatte 1996 die anhaltende iranische Unterstützung seiner Organisation erstmals öffentlich zugegeben. Islamisches Zentrum Hamburg (IZH): Für den Export der islamischen Revolutionsidee spielt in Deutschland das IZH - Träger der "Imam-Ali-Moschee" - eine wichtige Rolle, z. B. als Propagandazentrum und europaweit hochrangige Verbindungsstelle der Islamischen Republik Iran. Die jeweiligen Leiter der Moschee bzw. des IZH werden im Iran bestimmt. Es gibt Anhaltspunkte dafür, dass der Iran versucht, bundesweit andere Moscheen zu beeinflussen und letztendlich zu steuern, indem er z. B. finanzielle oder organisatorische Unterstützung anbietet. Wegen der herausragenden Stellung des IZH muss davon ausgegangen werden, dass auch das IZH in diese Bestrebungen eingebunden ist. IZH-Zweigstellen existieren in Münster ("Islamisches Zentrum in Münster - FATIME Versammlung e.V") und Hannover ("Islamisches Zentrum Salman Farsi Moschee e.V"). Regierungstreue Iraner und Muslime anderer Nationalitäten (z. B. Anhänger der libanesischen HIZB ALLAH) besuchen das IZH zu Versammlungen, Gebeten, Vorträgen, Seminaren, Lesungen, islamischen Festen und Trauerfeiern. Obwohl von offizieller Seite Toleranz und Offenheit bekräftigt werden, ist das IZH ein Ort, an dem das Weltgeschehen und tägliche Leben einseitig nach 224 iranischer Lesart interpretiert werden (Beispiel: die nach dem Abkommen in Wye (USA) erneut bekräftigte klare Ablehnung der Nahost-Friedensverhandlungen zwischen Palästinensern und Israel). Antiwestliche Agitation und einseitige pauschale Schuldzuweisungen sind immer wieder zu vernehmen. Kopf des U.I.S.A.-Flugblattaufrufs zum "Qods-Tag" (auch: "Ghods-Tag") 16.01.99, in dem "Im Namen Gottes" vom "terroristischen Regime Israel mit seiner rassistischen Staatsideologie" die Rede ist. Zitat: "Wir verurteilen die Unterstützung des rassistischen Regimes 'Israel' durch die USA und deren westliche Verbündete. Wir verurteilen das sogenannte 'Autonomieabkommen' der PLO mit der zionistischen Besatzungsmacht". Die U.I.S.A. ist die Dachorganisation regierungstreuer iranischer Studenten. Das IZH ist Mitorganisator der alljährlich im Bundesgebiet veranstalteten Großdemonstration zu dem von KHOMEINI ins Leben gerufenen "JerusalemTag" ("Qods-Tag"), der alle Muslime zur Wiedereroberung Jerusalems bzw. islamischen Befreiung der heiligen Stadt vom Zionismus mahnen soll. Am 16.01.99 demonstrierten in Berlin hierzu etwa 1.800 Muslime, davon aus Hamburg etwa 150-200 (u. a. Iraner, Türken, Araber). Die größtenteils islamischextremistischen schiitischen Organisationen zuzurechenden Demonstranten skandierten in deutscher Sprache Parolen, wie * "Juden sind Terroristen - Amerikaner sind Faschisten!" * "Kindermörder Israel!" * "Tod für Israel!" * "Tod für Amerika!" Der damalige IZH-Leiter ANSARI hob als Kundgebungsredner die Bedeutung Jerusalems im Sinne der Veranstaltung hervor und distanzierte sich nicht von den aufgeführten Parolen. 225 6.2 Gegner der iranischen Regierung Die breit gefächerte iranische Opposition umfasst neben Demokraten u. a. Anhänger der ehemaligen Schah-Dynastie (Monarchisten), Marxisten, Maoisten, Trotzkisten sowie die in keine Kategorie exakt einzuordnenden "Volksmodjahedin" (Modjahedin: "Kämpfer"). Weil die iranische Führung alles unternimmt, sie zu unterdrücken, zu schwächen und auszuschalten, haben sie kaum Chancen, sich in ihrer Heimat offen zu betätigen. Dies hat die Niederschlagung der Studentenunruhen (Juli 1999) erneut bestätigt. Die Exilopposition ist zersplittert und zu keiner dauerhaften Kräftebündelung imstande. Da sie im Iran selbst zu schwach ist, agieren viele Oppositionsgruppen vom Ausland aus. Der "Nationale Widerstandsrat Iran" (NWRI) bzw. die darin dominierenden "Volksmodjahedin Iran" sehen sich als "der iranische Widerstand", der als demokratische Alternative nach dem Sturz des "Mullah-Regimes" einen laizistischen und demokratischen Staat im Iran errichten will. Sie versuchen, sich als Vertreter einer gemäßigten islamischen Linie mit annähernd sozialdemokratischer Prägung zu präsentieren und streben den gewaltsamen revolutionären Sturz der iranischen Regierung an. Als Gegner der einstigen Schah-Diktatur beteiligten sich die "Volksmodjahedin" 1979 an KHOMEINIs Revolution, gerieten aber nach dem Umsturz in Opposition zur neuen Regierung. Seit 1981 leisten sie bewaffneten Widerstand. Das iranische Regime macht ihre Anhänger als "Munafiqeen Khalq Organization" (MKO, sinngemäß "Heuchler") verächtlich. Eine 1987 gegründete, im NLA-Kommandeur Massoud RADJAVI benachbarten Irak mit etwa bei einem Besuch seiner Truppe 35.000 Kämpfern (Eigenangabe) stationierte "Nationale Befreiungsarmee" ("National Liberation Army", NLA), unterhält im Iran ein Widerstandsnetz. Bei bewaffneten Aktionen ist es der Opposition so gelungen, im Iran mehrfach Unruhen auszulösen, Regierungsanhänger und -funktionäre zu töten, Objekte der Infrastruktur zu zerstören und die Revolutionsgarden anzugreifen. 226 In der Propaganda der Organisation haben Meldungen über Menschenrechtsverletzungen und Hinweise auf angebliche wie tatsächliche Terroraktionen der iranischen Regierung zentrale Bedeutung. Propagandistische Aktivitäten konzentrieren sich inzwischen verstärkt auf Präsident KHATAMI: Dessen Reformkurs passt nicht ins Bild der Widerstandspropaganda, weil deren Glaubwürdigkeit erschüttert wäre, wenn KHATAMIs Liberalisierungsansätze die Unzufriedenheit in der iranischen Bevölkerung abbauen würden. Im Gegenzug macht die iranische Führung unaufhörlich die "Munafiqeen" für Unruhen und Anschläge in der Heimat verantwortlich. Um sie bei der Bevölkerung als Verräter unbeliebt zu machen, erinnert sie daran, dass die MKO im iranischirakischen Krieg auf gegnerischer Seite gekämpft hat. Deutschland gilt wegen der hier lebenden "Volksmodjahedin" als "Brutstätte von Attentätern, Terroristen und Mördern". Die "Volksmodjahedin Iran" umgeben sich mit der Aura einer Staatsführung im Wartestand. Ihre Propaganda versucht, sie als für den Westen unterstützungswürdige politische Alternative (Meinungsfreiheit, Menschenrechte, Pluralismus, Gleichberechtigung) darzustellen. Anhänger der "Modjahedin" sind seit den 80-er Jahren in der "Iranisch Moslemischen Studenten-Vereinigung Bundesrepublik Deutschland e.V" (IMSV, Sitz: Köln) organisiert. Die deutsche NWRI-Zentrale und das "Büro für internationale Beziehungen der Volksmodjahedin Iran" residieren ebenfalls in Köln. Die Hamburger Gruppe (zuständig für Norddeutschland) organisierte interne Veranstaltungen mit bis zu 400 Teilnehmern. Anhänger aus Hamburg beteiligten sich an "Modjahed" (Der Kämpfer) Zeitung mehreren überregionalen demonder Volksmodjahedin Iran strativen Aktionen, so z.B. gegen den Besuch des iranischen Staatspräsidenten KHATAMI in Italien am 09.03.99. Dort versammelten sich etwa 7.000 NWRI-Anhänger aus ganz Europa. Auch der Besuch KHATAMIs Ende Oktober 1999 in Paris wurde von Protestaktionen des NWRI begleitet, die trotz massiver Sicherheitsmaßnahmen der französischen Polizei nicht völlig friedlich verliefen (wiederholte 227 Farbeierwürfe auf die Wagenkolonne des Gastes). Massoud RADJAVI (NWRI-Präsident, NLA-Befehlshaber, Ehemann von Maryam RADJAVI - der "zukünftigen Präsidentin" des Iran) beklagte das Vorgehen der Polizei als "schlimme Verletzung der Menschenrechte und der Meinungsfreiheit" von angeblich 10.000 Protestierern in Paris sowie weiteren 5.000 unterwegs gestoppten Personen. An der französischen Staatsgrenze waren auch anreisende Teilnehmer aus Hamburg zurückgewiesen worden. Tatsächlich hatten zwischen 3.000 und 5.000 Personen in Paris protestiert. Im Vorfeld des Ereignisses hatten am 07.10.99 in Hamburg einige Dutzend NWRIAnhänger vor dem französischen Maryam RADJAVI - vom NWRI Generalkonsulat demonstriert und als "künftige Präsidentin" des Iran in Sprechchören KHATAMI als präsentiert Terroristen bezeichnet. Vor dem Hintergrund der Studentenunruhen im Iran im Juli 1999 (insbesondere nach den gewaltsamen Konfrontationen mit iranischen Sicherheitskräften in Teheran) kam es bundesweit zu zahlreichen friedlich verlaufenen Protestkundgebungen von NWRI-Anhängern. Zwischen 25 und 300 Demonstranten versammelten sich in mehreren Städten vorwiegend vor diplomatischen Vertretungen des Iran. In Hamburg kam es an mehreren Tagen zu Kundgebungen in der Nähe des iranischen Generalkonsulates mit bis zu 70 Teilnehmern. Der Hintergrund von NWRI-Demonstrationen am 11.06. und 05.11.99 in Hamburg mit ca. 100 bzw. 80 Personen waren Angriffe des Iran auf Lager der NLA im irakisch-iranischen Grenzgebiet. Mehrere Angehörige der Volksmodjahedin sollen getötet, eine nicht näher bezeichnete Anzahl von Personen verwundet worden sein. Anlässlich des Weltwirtschaftsgipfels in Köln und des alljährlich begangenen "Tag des Widerstandes" führte der NWRI vom 18.-20.06.99 in Köln mehrere Demonstrationen und Kundgebungen durch. Der 20.06.1981 gilt 228 innerhalb der Organisation als Beginn des "Revolutionären Widerstandes gegen das Mullah-Regime". Damals hatten Einheiten der Pasdaran (Revolutionsgarden) in Teheran eine Großdemonstration der "Volksmodjahedin" niedergeschlagen. Zahlreiche Anhänger waren verhaftet und nach Schnellverfahren hingerichtet worden. Den Auftakt in Köln bildete am 18.06.99 eine Großdemonstration des NWRI mit insgesamt ca. 4.500 aus dem Inund Ausland angereisten Anhängern (aus Hamburg etwa 250). Die Demonstranten forderten die G8-Staaten mit Sprechgesängen und Plakaten auf, ihre angebliche Beschwichtigungspolitik gegenüber dem "terroristischen MullahRegime" zu stoppen sowie sämtliche wirtschaftlichen und politischen Beziehungen zum Iran abzubrechen. Passanten und Zuschauer wurden aufgefordert, Unterschriften gegen den erwarteten Deutschlandbesuch des iranischen Staatspräsidenten KHATAMI zu leisten. Während des G8-Gipfeltreffens organisierte der NWRI weitere, weitgehend friedliche Demonstrationen und Kundgebungen mit wenigen Teilnehmern. Am 20.06.99 näherten sich NWRI-Anhänger aus einer unangemeldeten Demonstration heraus dem Tagungsgebäude des G8-Gipfels, um dort lautstark zu protestieren. Die Polizei löste die Versammlung auf und nahm etwa 170 Personen vorübergehend fest. Statements im Internet verurteilten die "skrupellosen und faschistischen Maßnahmen" der deutschen Polizei als "schmutzigen Deal". Der Bundesregierung wurde unterstellt, quasi als Handlanger der iranischen Staatsführung den NWRI und seine Unterstützer während der Kölner Gipfeltage "lahmzulegen". Propaganda und Eigenwerbung in Hamburg kamen 1999 nicht mehr über den in den Vorjahren intensiv genutzten "Offenen Kanal" (frühere Fernsehsendungen: "Aihneh-e Iran" und "Omide Iran"), sondern verstärkt über das Internet in englischer Sprache (Erkennungssymbole: Bewaffneter Löwe im Zeichen des Sonnenaufgangs). Die Organisation leistet sich kostenintensive moderne Kommunikationstechniken wie Konferenzschaltungen und Satellitenübertragungen. Der NWRI umgibt sich mit einem Schein "sozialpolitischer" Gemeinnützigkeit. Lokale und überregionale Hilfsstrukturen versuchen, als unverdächtig erscheinende Vereine gegenüber Genehmigungsbehörden und möglichen Spendern den Eindruck zu erwecken, sie sammelten Geld für karitative bzw. 229 humanitäre Zwecke. Über Straßensammlungen beschafften sie auch 1999 Geld, das zum Teil dem iranischen Widerstand zugeflossen sein dürfte, was der NWRI bestreitet. Als sammelnde Organisationen wurden in der Vergangenheit u. a. die IMSV, die "Flüchtlingshilfe Iran" (FHI) und der "Verein zur Eingliederung iranischer Flüchtlinge" (VEIF) bekannt. Auch der "Verein Iranischer Demokratischer Akademiker" (VIDA), die "Frauen für Demokratie im Iran" und der "Verein zur Förderung der Musik im Iran" dienen punktuell Belangen des NWRI bzw. der IMSV. 7. Araber Nach einer in der arabisch-islamischen Welt weit verbreiteten Auffassung ist ein endgültiges Friedensabkommen mit Israel ausgeschlossen, wenn das seit 1967 israelisch besetzte (Ost-)Jerusalem nicht Hauptstadt eines unabhängigen Staates Palästinas werden kann. Die von Arabern "al-Qods" ("die Heilige") genannte Stadt gilt nach Mekka und Medina als 'Nr. 3' der Heiligen Städte des Islam. Der religiösen Überlieferung zufolge ritt der Prophet Mohammed von Jerusalem aus gen Himmel. Für Israel ist Jerusalem als Hauptstadt nur ungeteilt unter voller israelischer Souveränität vorstellbar. Der künftige Status bleibt damit strittig. Aus: HIZB ALLAH-Publikation "Al Ahd" (Die VerpflichIn nahezu allen tung, Januar 1999). Zerstörung Israels und Eroberung arabischen StaaJerusalems - symbolisch plakatiert. Bildunterschrift ten Nordafrikas (sinngemäß): "Auf nach Jerusalem!" und des Nahen Ostens existieren islamistische Strukturen, die dazu tendieren, Jerusalem mittels militanter Gewalt "von den Juden" zu befreien. Zutiefst antijüdisch bzw. antizionistisch geprägt, empfinden sie das "soge230 nannte Israel" als "zionistisches Gebilde". In einem Ende 1999 in Wuppertal verbreiteten Flugblatt der "Hizb al Tahrir al Islami" (Partei der islamischen Befreiung) wurden die Juden als "giftiger Dolch im Herzen der islamischen Nation" bezeichnet. In der Alltagspraxis dieser so ideologisierten Gruppierungen stehen nicht die Zerschlagung Israels und die Eroberung Jerusalems an erster Stelle, sondern die Islamisierung von Politik und Gesellschaft in ihren Ländern. Sie betrachten den Islam nicht nur als Religion, sondern als ein darin geradezu zwingend angelegtes, unabtrennbares Staatsund Gesellschaftsmodell. Um den Islam als politisches Universalprinzip - alternativ zum Kapitalismus und Kommunismus durchzusetzen, greifen einige Gruppen zu terroristischen Methoden. Besonders abstoßende Beispiele lieferten die mörderische "Bewaffnete Islamische Gruppe" (GIA) in Algerien, die gegen Touristen bombende "Gamaat Islamiya" in Ägypten sowie die Urheber von Bombenattentaten auf US-Botschaften in Nairobi / Kenia und Daressalam / Tansania (August 1998). Letztere gehören vermutlich zu Kräften um den von den afghanischen Taliban beherbergten Islamisten Usama BEN LADIN. Die bundesweit ca. 2.500 AnUsama BEN LADIN (Foto: (c) SYGMA) hänger arabischer islamisch-extremistischer Organisationen machen sich in Deutschland kaum mit öffentlichen Aktionen bemerkbar. Die meisten ziehen es vor, auf internen Veranstaltungen die sie bewegenden politischen Ereignisse im Sinne ihrer ideologisch-religiösen Zielsetzungen zu erörtern. Sie 231 verhalten sich dabei höchst konspirativ. Nahezu alle nachfolgend skizzierten islamistischen Organisationen verfügen über Strukturen oder zumindest Einzelmitglieder in Hamburg. Eine Sonderrolle im Kampf "für die Sache Allahs" nehmen die so genannten "Arabischen Afghanistankämpfer" oder "Mudjahedin" ein. Zahlreiche Islamisten aus Nordafrika und dem Nahen Osten hatten sich in den 80-er Jahren an den Kämpfen gegen die sowjetische Okkupation in Afghanistan beteiligt. In noch heute existierenden militärischen Ausbildungslagern in Afghanistan und Pakistan erlernten und trainierten sie den bewaffneten "Heiligen Krieg" (Jihad). Später fanden Teile dieser multinationalen Truppe auf anderen Kriegsschauplätzen in muslimischen Brigaden Verwendung, u. a. in Bosnien und - erneut aktuell - in Tschetschenien. Andere kehrten in ihre Heimatländer zurück, gründeten dort militante Organisationen bzw. beteiligten sich vor Ort an Kampfhandlungen. Dieses Kräftereservoir hält sich für weitere Auseinandersetzungen zwischen islamischer und nichtislamischer Welt bereit. Die militanten "Mudjahedin" treten quasi als "muslimische Internationalisten" auf, die sich höchstens punktuell in den Dienst nationaler Interessen stellen, sich diesen aber nicht auf ewig verpflichten. Sie sind multinational, operieren international und zeigen eine geographisch hohe Mobilität. Es liegen Hinweise vor, dass die "Mudjahedin" auch Kontakte nach Hamburg haben. Die sunnitische "Muslimbruderschaft" (MB, arabisch: "al-Ikhwan al-Muslimun") wurde 1928 in Ägypten gegründet und verbreitete sich auf nahezu alle arabischen Staaten. Sie ist Ursprung vieler islamistischer Bewegungen im Nahen Osten und in Nordafrika. Ihr vorrangiges Ziel ist der Sturz unislamischer arabischer Regime. Anhänger der MB kämpften in Syrien und in Afghanistan, wurden im Jemen aktiv und verbreiteten Schriften in den stärker muslimisch bevölkerten Kaukasusrepubliken. In Ägypten ist die MB verboten, war aber jahrelang geduldet. Inzwischen geht die ägyptische Regierung gegen die MB vor, weil sie eine "terroristische Konspiration gegen die Sicherheit und Stabilität Ägyptens" eingeleitet habe. Insbesondere in den nordafrikanischen Staaten und im Nahen Osten haben sich neben zahlreichen unberechenbaren militanten Kleingruppen beständige regionale MB-Zweige herausgebildet. Dazu gehören die palästinensische HAMAS, die algerische "Islamische Heilsfront" (FIS) und die tunesische "En Nahda". Die für Anschläge auf Touristen und Sicherheitskräfte in Ägypten verantwortlichen Gruppen "Jamaat al-Islamiya" (auch: "Gamaat 232 Islamiya") und "Al-Jihad Al-Islami ("Islamischer Heiliger Krieg") haben ebenfalls ihren Ursprung in der MB. Die zum islamistischen Lager gehörende palästinensische Terrororganisation HAMAS (Bezeichnung steht für: "Harakat Al-Muqawama Al-Islamiya" = "Islamische Widerstandsbewegung") ist eine 1987 gegründete Organisation der sunnitischen "Muslimbruderschaft" (MB). Nach ihrer Überzeugung muss Palästina im bewaffneten Kampf gegen die "zionistischen Okkupatoren" befreit werden. Ihr militärischer Arm, die "Izzedin-al-Kassem-Brigaden", ist für Terroraktionen im israelisch-arabischen Raum verantwortlich. Mehrere Attentate der HAMAS bzw. ihrer "Brigaden" in Israel gelten als "Protest" gegen die Friedensgespräche zwischen Israel und den Palästinensern. Der geistliche Führer und Gründer der HAMAS, Scheich Ahmed YASSIN, unterstrich mehrfach auf internationaler Ebene, dass er bewaffnete Aktionen bis zum völligen Rückzug Israels aus den besetzten Gebieten für notwendig erachtet. Im vergangenen Jahr hielt sich die HAMAS mit Bombenattentaten zwar auffallend zurück, verstärkte jedoch ihre Aktionen gegen jüdische Siedler (u. a. Ermordung eines jüdisch-orthodoxen Studentenpaares im August 1999). Der militärische Flügel kündigte weitere Anschläge gegen Israel und jüdische Einrichtungen in allen Teilen der Welt an. Die relative Zurückhaltung im Jahr 1999 könnte auf taktische Erwägungen zurückgehen, eine innerpalästinensische Konfrontation zu vermeiden. Zudem wirken sich israelische, palästinensische und jordanische Repressionsmaßnahmen aus (Verluste von Infrastrukturen und Aktivisten). HAMAS-Anhänger in Europa unterstützen ihre Organisation finanziell. Auch im Bundesgebiet lebende Anhänger betreiben neben ihren Propagandaaktivitäten Geldbeschaffung für den Kampf in der Heimat. In Hamburg gibt es einzelne Anhänger der HAMAS, die sich u. a. in Moscheen im Stadtteil St. Georg treffen. Sie veranstalten keine öffentlichen Aktionen. 233 Im Bundesgebiet sind MB-Angehörige verschiedener arabischer Nationalitäten vorwiegend in islamischen Zentren und islamischen Vereinigungen organisiert. Sie sind vorrangig daran interessiert, hier Muslime für die MB zu rekrutieren. Gewaltaktivitäten auf deutschem Boden wurden bisher nicht bekannt. In Hamburg existiert ein den syrischen "Islamischen Avantgarden" zugeordneter Verein. Die "Islamische Heilsfront" (FIS) - regionaler Zweig der MB in Algerien - möchte das Land in einen islamistischen Staat verwandeln. Sie ist seit 1992 verboten. Mittels ihres militärischen Arms "Islamische Heilsarmee" (AIS) verfolgte sie ihr Ziel auch mit Gewalt. Die AIS hat sich dem im Juli 1999 in Algerien erlassenen Gesetz zur "Zivilen Eintracht" (auch "Amnestiegesetz" genannt) gebeugt. Sie erklärte das Ende ihres bewaffneten Kampfes und ihre Selbstauflösung. Noch ist unklar, ob die FIS sich zurückzieht oder versuchen wird, den politischen Wandel in Algerien aktiv mitzugestalten. Außerhalb Algeriens wird die FIS durch die "Exekutivinstanz der FIS im Ausland" vertreten (Leiter: Rabah KEBIR, wohnhaft in Nordrhein-Westfalen). In Deutschland verfügt sie über wenige aktive Mitglieder und Sympathisanten ohne bekannte Organisationsstrukturen. FIS-Vertreter tauchen als Redner bundesweit auf Veranstaltungen auf. Anhänger in Deutschland und anderen westeuropäischen Ländern stehen untereinander in Verbindung. Die "Bewaffnete Islamische Gruppe" (GIA) wurde nach dem Verbot der FIS im April 1992 gegründet. Sie vereinigt eine Reihe kleinerer, überwiegend autonomer Gruppen. Auch sie will einen islamistischen "Gottesstaat" Algerien, rivalisierte vielfach mit der FIS und lehnt - im Gegensatz zur FIS - jeglichen Dialog mit der algerischen Regierung entschieden ab. Insofern hat sie auch das "Amnestiegesetz" nicht genutzt, sondern terrorisiert weiterhin das Land. Die GIA ist für zahlreiche Morde an Ausländern und für massenhafte - äußerst grausame und brutale - Mordexzesse an der eigenen 234 algerischen Bevölkerung verantwortlich. Sie geht rigoros gegen alle vermeintlich "Ungläubigen und Abtrünnigen" vor. Die Zahl der Todesopfer des Terrors und der Auseinandersetzungen mit dem Militär wird acht Jahre nach Beginn der Gewalttätigkeiten auf etwa 100.000 geschätzt. Schwerpunkte der GIA in Europa sind die ehemalige Kolonialmacht Frankreich sowie Belgien. Verästelungen des Netzes wurden außerdem in Deutschland, Italien und Spanien sichtbar. Bei Hausdurchsuchungen in Frankreich waren in der Vergangenheit - überwiegend in Osteuropa erworbene - Kalaschnikows, Sturmgewehre, Revolver und Munition gefunden worden, ferner Anweisungen zur Herstellung von Zündschnüren, Druckanlagen, Bargeld und Passfälscherutensilien. Die libanesisch-schiitische HIZB ALLAH ("Partei Gottes") verübte im Südlibanon wiederholt Anschläge gegen dort stationierte israelische Truppen und griff vom Südlibanon aus Israel an. 1982 auf Betreiben des Iran gegründet, will sie im Libanon eine islamische Republik nach iranischem Vorbild installieren. Ihr Führer im Libanon, Scheich NASRALLAH hatte 1996 öffentlich zugegeben, dass seine Organisation vom Iran finanziert und politisch unterstützt wird. Friedensverhandlungen mit Israel lehnt die HIZB ALLAH massiv ab. Sie versteht sich als Speerspitze im Kampf gegen die israelische Besetzung, möchte den Staat Israel auslöschen und Jerusalem "befreien". Mit Selbstmordanschlägen gegen US-amerikanische und französische Friedenstruppen (1983) erzwang die HIZB ALLAH den Rückzug internationaler Truppen. Insbesondere mit Autobomben oder aus Hinterhalten wurden in der südlibanesischen Sicherheitszone Dutzende israelische Soldaten getötet. Die Anhängerschaft der HIZB ALLAH im Raum Hamburg wird auf etwa 20 - 30 Personen geschätzt. Feste Strukturen sind nicht erkennbar. 235 V. Scientology-Organisation (SO) 1. Hintergrund und Überblick Tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass es sich bei Scientology-Organisation (SO) um eine politisch bestimmte Bestrebung gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung handelt, führten am 06.06.97 zum Beschluss der Ständigen Konferenz der Innenminister und -senatoren, die weltweit operierende SO in Deutschland zu beobachten. Diese Anhaltspunkte ergeben sich aus der Ideologie (Scientology spricht von "Technologie", auch von "angewandter religiöser Philosophie"), die L. Ron HUBBARD (1911-1986) - Gründer der Scientology-Bewegung - als Verfasser verschiedener Werke hinterlassen hat. Seine bekanntesten Schriften sind die Bücher "Dianetik" und "Scientology - Die Grundlagen des Denkens". Zentrale Bedeutung für die Durchsetzung der "Technologie" HUBBARDs haben außerdem die von der SO herausgegebenen Schriften "Hubbard Communication Office Policy Letter" (HCO PL). Grundlegende Aussagen und Handlungsprinzipien stammen zumeist von HUBBARD selbst und sind demzufolge teilweise relativ alt. Das mindert nach SOÜberzeugung jedoch nicht ihre Bedeutung und aktuelle Gültigkeit. Alle Lehren und Anweisungen HUBBARDs sind von Scientologen - ungeachtet ihres Datums oder Alters - als dauerhaft gültiges Gebot zu respektieren. Diese strikte Maßgabe ist der "Einführung in die Ethik der Scientology" (S. 303) zu entnehmen. Das scientologische "EthiksyScientology-Logo stem" ist danach der "Bestrafungsfaktor" innerhalb des Organisationsgefüges. Ein Scientologe, der Anordnungen HUBBARDs (seien sie auch noch so alt) vernachlässigt oder missachtet, wird diesem Ethik -(Straf-)Verfahren unterworfen. Angesichts der gleichsam als ewiges Gesetz behandelten HUBBARD-Lehren werden dessen Bücher und Aufsätze bis heute uneingeschränkt neu aufgelegt 236 und vertrieben. Sie belegen die Anhaltspunkte für das Ziel der SO, Prinzipien der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, wie die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte, die Gesetzmäßigkeit der Verwaltung und die Unabhängigkeit der Gerichte zu beseitigen. Dabei lässt sich die SO von Vorstellungen leiten, wie sie im Richtlinienbrief (HCO PL-Fassung vom 15.10.85) formuliert sind: "Wenn wir über einen erstklassigen Gesetzeskodex und ein Rechtssystem verfügen, die den Menschen echte Gerechtigkeit bringen, werden wir die Gesellschaft schnell überschwemmen, und jeder wird gewinnen. Dort, wo wir es nicht schaffen, unsere eigenen Verwaltungs-, Technologieund Gerechtigkeitsverfahren auf die uns umgebende Gesellschaft anzuwenden, versagen wir." In einem scientologischen Gesellschaftssystem würde die SO ihr innerorganisatorisches "Rechtssystem" auf die von ihr "überschwemmte" Umgebung übertragen. Ohne die Gewährleistung rechtlichen Gehörs und ohne den Anspruch auf gesetzliche und unabhängige Richter. Die politische Macht läge ausschließlich in den Händen des oberen Managements, das Prinzip der Gewaltenteilung wäre außer Kraft gesetzt. Wie tief SO die bestehenden Rechtsnormen verachtet, verrät der o. g. Richtlinienbrief mit der Anweisung: "Reagieren Sie nicht auf Scientology-Recht, als wäre es Wog-Gesetz,*) Wog-Gerichte sind ein Würfelspiel..." *) Anm.: Wog = SO-Bezeichnung für Nicht-Scientologen und ihr gesamtes Umfeld In einem scientologischen Gesellschaftssystem wären Menschenund Grundrechte, wie sie im Grundgesetz ausdrücklich auch als Abwehrrechte des Bürgers gegenüber dem Staat definiert sind, abgeschafft. Ein nicht an Recht und Gesetz gebundener Nachrichtendienst würde tatsächliche oder mutmaßliche SO-Gegner ausforschen und Maßnahmen gegen sie ergreifen: "...der Grund, weshalb wir heute stabile Organisationen haben, wo wir früher nur Trümmer hatten, liegt darin, dass wir nachrichtendienstliche Wege gehen, um unsere Freunde von unseren Feinden zu unterscheiden und dass wir schnell handeln ... Wir kennen unsere Feinde, ehe sie zuschlagen" (Handbuch des Rechts von L. Ron HUBBARD, Auflage 1979, Seite 2, Hervorh. n. i. O.) Schon heute geht die SO nach diesem Prinzip vor. Ein aus einem anderen Bundesland angereister "Freier Journalist", den das Landesamt für Verfassungsschutz den Scientologen zurechnet, meldete sich im Dezember 1999 237 unter falschem Namen beim Leiter des Landesamtes, beim Pressesprecher der Behörde für Inneres (BfI) und bei der zur BfI gehörenden Arbeitsgruppe Scientology. Er verlangte detaillierte Auskünfte über Arbeitsweisen und finanziellen Aufwand der mit der SO befassten Dienststellen der BfI. Die Art der Fragen legt die Vermutung nahe, dass es sich um einen Ausforschungsversuch im Sinne von HUBBARDs Lehren handelte. Als der Nachrichtensammler sich ausweisen sollte, räumte er ein, sich eines "Pseudonyms" bedient zu haben. Die Scientology-Organisation ist unverändert fest entschlossen, ihr allein an scientologischen Wertvorstellungen orientiertes totalitäres Herrschaftsund Rechtssystem (dieses ist nicht in Kategorien von Rechtsoder Linksextremismus einzuordnen) in Staat und Gesellschaft als allgemeinverbindlich durchzusetzen. Theorie und Praxis der Organisation bieten zahlreiche Merkmale einer totalitären Organisation: ideologischer Alleinvertretungsanspruch, hermetisch abgeschlossene Organisationsstruktur, totale Unterwerfung der Mitglieder, dualistisches Freund-Feind-Weltbild, ein ideologisch verbrämter Sprachkult mit pseudowissenschaftlichen Ausdrücken und zum Teil umdefinierten Begriffsinhalten. In ihrer totalitären Gesamtstruktur und Zielrichtung - getragen von einer Art Unfehlbarkeitsdogma - wendet sich die SO gegen elementare Prinzipien der Freiheit, der Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit und des Pluralismus: "...wir sind die einzige Gruppe auf der Erde, die über eine funktionsfähige Lösung verfügt. Wir dürfen es nicht zulassen, dass uns irgendwelche Repressalien seitens von Regierungen, Kampagnen von unfähigen 'Heilern', die bereits versagt haben ... im Wege stehen..." (aus der IAS-Zeitschrift "Impact" Nr. 74/1997) Die Zeitschrift "Impact" ist das Magazin der "International Association of Scientologists" (IAS), eines weltweiten Verbundes von Scientologen, der 1984 in Saint Hill in East Grinstead/Großbritannien gegründet wurde. Die Mitglieder der einzelnen Organisationsgliederungen ("Org") werden ständig angehalten, über ihre örtliche Mitgliedschaft hinaus der IAS beizutreten. Dies kann - unabhängig von einer kurzzeitigen Probemitgliedschaft - für ein Jahr oder ein ganzen Leben erfolgen. Die Jahresmitgliedschaft kostete im Jahre 1999 450 $ und die Lebenszeitmitgliedschaft 3.000 $. Nach Erkenntnissen des Verfassungsschutzes sind in Deutschland zwischen 5.000 und 6.000 Personen (Hamburg und Umland: etwa 1.000) der Scientology-Organisation zuzurechnen. Von diesen kann ein sehr hoher Anteil als Mitglieder der IAS eingestuft werden, ein Beleg für die hohe Einbindung deutscher Scientologen in die internationale Struktur. 238 2. Strukturen und Zielsetzungen Organisatorisch stellt sich Scientology als ein multinationaler, streng hierarchisch aufgebauter und feingliedrig strukturierter Konzern dar, mit einer Vielzahl von Unterund Nebenorganisationen. Die Spitze der scientologischen Organisations-Pyramide bildet das 1982 gegründete "Religious Technology Center" (RTC). Dieses oberste Leitungsund Kontrollgremium soll als Inhaber aller Rechte und Besitzer aller "Warenund Dienstleistungszeichen" der Scientology die Existenz der Organisation garantieren und ihre Funktionsfähigkeit sicherstellen. Ihren Sitz hat die neue, vom HUBBARD-Nachfolger David MISCAVIGE geführte Schaltzentrale mitten in der Filmstadt Hollywood (Los Angeles). Die sehr komplexe Gesamtstruktur von Scientology umfasst verschiedene Organisationstypen und Arbeitszweige. Sie werden von der obersten Managementeinheit, dem sogenannten "Watchdog-Comittee" (WDC, "Wachhund-Komitee"), gesteuert und überwacht. Die nächste internationale Managementebene unterhalb des WDC ist das "Flag Command Bureaux" (FCB, Clearwater/Florida). Das FCB kontrolliert insgesamt sechs Managementgruppen. Eine vergleichbare Organisationsstruktur mit entsprechenden Zuständigkeiten findet sich auch auf der kontinentalen Managementebene. Die Europa-Zentrale, das "Continental Liaison Office" (CLO) in Kopenhagen, managt und kontrolliert die lokalen Organisationen ("Kirchen" und "Missionen") in den einzelnen europäischen Ländern. Davon ausgenommen sind England und Italien, die über eigene CLOs verfügen. Nationale Führungsebenen gibt es in der Scientology-Organisation nicht. Um von ihren Zielen abzulenken, Zu den wichtigsten Organisationen, die etikettiert die SO sich als in das internationale scientologische "Religion" bzw. Opfer "religiöser" Netzwerk eingegliedert sind, gehört (neVerfolgung ben WISE " 3) die sogenannte "Sea 239 Org". Hierbei handelt es sich um eine paramilitärisch organisierte Eliteeinheit, die innerhalb der SO höchstes Ansehen genießt und mit weitest gehenden Machtbefugnissen ausgestattet ist. Die "Sea Org" betreibt z. B. Strafund Arbeitslager der SO, die sogenannten RPFs ("Rehabilitation Project Force"). Die "Association for Better Living and Education" (ABLE) ist eine Vereinigung verschiedener SO-Initiativen, die im gesellschaftspolitischen und sozialen Bereich aktiv sind. Sie betätigt sich z. B. in der Drogenund Gefangenenrehabilitation (Narconon, Criminon), im Bildungsbereich (Applied Scholastics) oder in ihrem "Kreuzzug" gegen die Psychiatrie - für Scientology weltanschauliche Gegnerin Nr. 1 ("Kommission für Verstöße der Psychiatrie gegen Menschenrechte e.V.", KVPM; international: Citizens Commission on Human Rights, CCHR). Narconon-Logo Das "Celebrity Center International" betreut prominente Scientologen und andere wichtige Persönlichkeiten, um deren Popularität und Einfluss insbesondere für Propagandazwecke zu nutzen. Eine besondere Stellung und Funktion innerhalb der Gesamtorganisation nimmt das Netzwerk "Office of Special Affairs" (OSA) ein: Neben seiner Zuständigkeit für Rechtsangelegenheiten und Public Relations führt es geheimdienstliche Operationen durch. Das OSA hat es auch übernommen, deutsche Ministerien und Behörden über die "wahren" Eigenschaften und Beweggründe von Personen "zu unterrichten", die sich negativ über Scientology geäußert haben. So versuchte das OSA-Vorstandsmitglied Kurt WEILAND in seinem Schreiben vom 12.07.99 u. a. an die Behörde für Inneres Hamburg die Glaubwürdigkeit des SO-Aussteigers Jesse PRINCE zu erschüttern. Dieser hatte mehrfach negativ über die Machenschaften seiner früheren Organisation berichtet. Die SO-Zentrale in Los Angeles gab eine im August 1999 bundesweit verteilte Broschüre mit dem Titel "Verfassungsschutz als Rufmordinstrument" heraus. Darin wendet sich die SO gegen die Beobachtung durch den Verfassungsschutz, dessen Aktivitäten "durchaus selbst als verfassungswidrig ..." einzustufen seien. Unterstellt werden Desinformation und bloße Willkür bei der Auswahl der Beobachtungsobjekte. Diese und weitere Diffamierungen folgen dem von HUBBARD vorgegebenen Prinzip, einen Gegner in die Rolle des Angegriffenen zu bringen: "Verbinden Sie unsere Antwort mit einem 240 Gegenangriff ...". Zuständig dafür ist der scientologische "Geheimdienst" OSA. Die sogenannten Class-V-Organisationen ("Kirchen") sind ebenfalls streng nach den von HUBBARD entwickelten Organisationsund Managementrichtlinien organisiert. Sie sind in insgesamt sieben Abteilungen gegliedert: die Führungsabteilung (Abt. 7), die Abteilung des HUBBARD Kommunikationsbüros (Abt. 1), die Verbreitungsabteilung (Abt. 2), die u. a. für den Verkauf von Büchern und anderen Materialien zuständig ist, die Finanzabteilung (Abt. 3), die Technische Abteilung (Abt. 4), die das "Auditing" liefert, die Qualifikationsabteilung, die die richtige Anwendung der Auditing-Technologie kontrolliert (Abt. 5) und die Öffentlichkeitsabteilung (Abt. 6), die neue Mitglieder anwerben soll und Einführungsdienstleistungen (Persönlichkeitstest, Kommunikationskurs, u.a.) liefert. Da die SO streng hierarchisch und autoritär geführt wird, sind die lokalen Organisationen in Deutschland letztlich nur Befehlsempfänger bzw. Vollzugsorgane des internationalen Managements. Alle wichtigen Entscheidungen werden in der Europazentrale (Kopenhagen/Dänemark) oder im Hauptquartier (Los Angeles/USA) getroffen. In dem 1999 erschienenen Buch "Der Organisations-Führungskurs" (S. 800) heißt es dazu in einer drohenden Warnung: "Es ist ein Verbrechen, einen lokalen Scientology Titel dazu zu verwenden, sich über die Befehle oder Richtlinien des internationalen Vorstandes hinwegzusetzen. Es ist sogar schon ein Verbrechen wenn über eklatante Abweichungen von diesen Richtlinien - in welchem untergeordneten Bereich auch immer - nicht direkt berichtet wird." (Hervorh. n. i. O.). In dem Buch "Was ist Scientology" (Ausgabe 1992, S. 572/573) schrieb HUBBARD: "Unpolitisch in ihrer Beschaffenheit, heißt die Scientology jeden einzelnen ungeachtet seines Glaubens, seiner Rasse oder Nation willkommen". Diese für sich genommen großzügig und tolerant klingende Aussage kann aber nicht darüber hinweg täuschen, dass die SO nicht von ihrer Zielsetzung abrückt, das bestehende Gesellschaftssystems zu beseitigen. Unbeirrt beharrt sie darauf und zeigt sich überzeugt: "...wir werden gewinnen und mit jeder Umdrehung der Erde schaffen wir ein wenig mehr". (zit. n. HUBBARD, a.a.O.). 241 Zwar grenzt sich die SO mit der weiteren Zielbeschreibung: "Wir wollen keine Revolution" von der Idee eines aufstandsähnlichen Umsturzes ab. Ihre Taktik und ihr praktisches Verhalten verfolgen jedoch eine Machtergreifungsperspektive im Zuge einer zunächst möglichst unauffälligen allmählichen Erosion sowie schleichenden Durchdringung und Umfunktionierung des Systems. Um zu siegen muss nach SO-Erwartungen die Welt nicht von einem Tag zum anderen auf den Kopf gestellt werden. Ihre in der Logik vielleicht einfache, in der theoretischen Vorstellung aber folgerichtige Maxime lautet sinngemäß: "Expansion und immer wieder Expansion!" Durch die fortlaufende Ausbreitung der scientologischen Bewegung soll die Welt Punkt für Punkt "gecleart" werden. Eine "Wog-Station" (sinngemäß: noch nicht scientologische Bastion) nach der anderen würde quasi 'gleichgeschaltet' und einer neuen scientologischen Zivilisation unterworfen. Die Transformation vom heutigen Gesellschaftssystem zu der von der SO angestrebten Hegemonie würde sich über allmählich die Oberhand gewinnende heimliche Metastasen vollziehen, nicht durch einen spektakulären bürgerkriegsähnlichen Bruch. 3. World Institute of Scientology Enterprises (WISE) Angehörige der "Sea Org", einer Elite-Organisation der SO, gründeten 1978 das "World Institute of Scientology Enterprises" (WISE). WISE verfolgte das Ziel, auch im Wirtschaftsbereich zu expandieren, die "Technologien" von Dianetik und Scientology in die internationale Geschäftswelt hineinzutragen und dort zu verankern. Sehr schnell wurde aus diesem Wirtschaftsverbund von scientologischen Geschäftsleuten und Firmen ein nicht nur strategisches, sondern auch lukratives Standbein der SO, das der Organisation über Beiträge und Spenden erhebliche finanzielle Mittel zufließen ließ. Über WISE erreichte SO Fortschritte bei ihrer weltweiten Weiterverbreitung und konnte dabei zum Teil einflussreiche und finanzkräftige Mitglieder hinzugewinnen. Nach wie vor geht es der SO darum, über WISE den gesamten Planeten mit ihrer Ideologie zu überziehen, sie in alle nur erdenklichen geschäftlichen Bereiche sowie in vielseitige politische und gesellschaftliche Zusammenhänge bis hin zu Regierungskreisen einzubringen. Ein weiteres Ziel von 242 WISE ist es, die anderen SO-Einrichtungen bis hin zu den regionalen Niederlassungen ("Orgs" und "Missionen") zu unterstützen. Vor diesem Hintergrund ist auch die enge Zusammenarbeit zwischen Hamburger WISEFirmen und der hiesigen "Org" zu erklären. Anfang bis Mitte der 90-er Jahre agierten diese Firmen im Sinne von WISE äußerst erfolgreich mit Schwerpunkten im Immobilienbereich und in der Managementschulung. Dabei wurden ansonsten geschäftsübliche Prinzipien (u. a. ausreichend "cash flow") vernachlässigt, scientologische Mitarbeiter rücksichtslos ausgebeutet (bei der SO systemimmanent) und auf dem Immobilienmarkt mit aggressiven Methoden geschickt vorgeganWISE-Logo gen. Als Resultat konnten auf diesen Sektoren erhebliche Profite erwirtschaftet und an die SO abgeführt werden. Selbstverständlich ging es dabei keinesfalls nur nebensächlich auch darum, neue Mitglieder für die SO zu gewinnen. SO-interne Querelen und die insbesondere in Hamburg durch permanente Aufklärung der Bevölkerung gegenüber SO-Machenschaften gewachsene Sensibilität stoppten ihre zeitweiligen Expansionserfolge ab Mitte der 90er Jahre. Der unerwartete Umschwung stürzte nicht nur die Hamburger "Org", sondern auch den WISE-Bereich in eine existenzielle Krise. Das Hamburger "Charter Komitee", eine WISE-Kontrollinstanz auf regionaler Ebene, hatte nach Ansicht der SO-Führungsetagen in den USA versagt und wurde personell ausgewechselt. Von dieser Zäsur hat sich der Hamburger WISE-Bereich bis heute nicht erholt. Die ferngesteuerte, sich destruktiv auswirkende Disziplinierung sowie den anhaltend desolaten Zustand der Hamburger SO nutzten einige scientologische Geschäftsleute, um ihre Mitarbeit bei WISE einzustellen. Andere traten ganz aus der SO aus. 243 Das Mosaik scientologischer Anbindungen im Wirtschaftsbereich gliedert sich in "Einzel"-, "Firmen"und "Unternehmens"-Mitgliedschaften. Da die scientologische Führung seit 1992 keine neue Aufschlüsselung ihrer Mitglieder im WISE-Bereich herausgegeben hat, lassen sich die Statusverhältnisse in Hamburg nicht klar abgrenzen. Unabhängig vom exakten Status einer WISE-Mitgliedschaft ist unter dem Strich entscheidend, dass diejenigen Firmen, denen Scientologen als Geschäftsführer vorstehen und deren Mitarbeiter in der Regel ebenfalls Scientologen sind, mit der SO-Technologie arbeiten und nach wie vor daran interessiert sind, ihre soziale und geschäftliche Umgebung "ethisch zu machen", also scientologisch zu "missionieren". Aufgrund erheblicher Ansehensverluste durch ihre SO-Zugehörigkeit und wegen z. T. rigider Geschäftsmethoden verbuchten viele von Scientologen geführte Firmen Umsatzrückgänge und gerieten in finanzielle Schwierigkeiten. Erkennbare Bestrebungen der kontinentalen und internationalen WISE-Führungsebene, die Verhältnisse in Hamburg wieder zu stabilisieren, waren bis jetzt wenig erfolgreich. Der Abgang oder vorsichtige Rückzug ehemaliger Protagonisten und die häufige Erfahrung, dass der von WISE versprochene geschäftliche Erfolg sich trotz Anwendung scientologischer "Technologie" nicht automatisch einstellt, hat bei vielen WISE-Mitgliedern zur Ernüchterung geführt. Lediglich einige noch verbliebene Hardliner demonstrieren einen für das gesamte SO-Projekt zum taktischen Grundprinzip erhobenen "langen Atem". Sie sind anscheinend unverrückbar von der Idee besessen, nichts und niemand könne die mit ihrer "Technologie" gegen alle Widrigkeiten gewappnete SO langfristig daran hindern, sich letztlich doch noch durchzusetzen. Der Verfassungsschutz rechnet in Hamburg und Umgebung ohne nähere Differenzierung rund 40 Betriebe dem WISE-Bereich zu. Es handelt sich vorwiegend um GmbHs im Immobilienbereich sowie einige kleingewerbliche Unternehmen, deren Geschäftsführer oder Inhaber Scientologen sind. In der Regel sind dort ausschließlich Scientologen als Mitarbeiter tätig. In Einzelfällen gelingt es ihnen noch heute, neue Mitarbeiter oder Kunden beispielsweise über den OCA-Test ("Oxford Capacity Analysis", organisationseigener Persönlichkeitstest) für die SO zu gewinnen. Diese Firmen haben eines gemeinsam: Mit Wirkung nach innen und außen steht bei ihnen an erster Stelle eine an scientologischer "Ethik" bzw. an scientologischen Gesetzmäßigkeiten ausgerichtete Orientierung. An einer freien sozialen Marktwirtschaft ist man kaum ernsthaft interessiert, man 244 passt sich jedoch zur Wahrung von Vorteilen an deren Prinzipien an. Rechtsstreitigkeiten zwischen den Unternehmen und innerhalb einzelner Betriebe werden nach scientologischem Recht vor dem "Charter Komitee" abgehandelt. Sie vor ordentlichen Gerichten auszutragen, käme nach SO-Reglement einem Verbrechen gleich und deshalb einem der gleichgeschalteten, gehorsamen Scientologen niemals in den Sinn. Die Mitarbeiter solcher Firmen unterliegen in der Regel einem ständigen Druck sowie der Aufsicht ihrer regionalen "Org" oder anderer Einrichtungen der SO - zudem hinsichtlich ihres Vorankommens auf SO-Linien schließlich auch der eigenen Firmenleitung. In "Ethikfällen", d. h., wenn Mitarbeiter nicht so funktionieren, wie es die Organisation vorsieht, arbeiten einige solcher Firmen eng mit den "Ethic Officers" der regionalen "Org" zusammen, um die Abweichler wieder von ihren "Zuständen" zu befreien und sie wieder funktionsgerecht der scientologischen Ideologie anzupassen. Genauso wie bei allen anderen Scientologen sind bei den über die berufliche Schiene in den Firmen angebundenen Aktivisten zunächst die Ablösung und schließlich der Bruch mit langjährig gewachsenen engsten familiären und sozialen Umfeldern fast gesetzmäßig vorgezeichnet. Sie lassen sich zumeist nur dann vermeiden, wenn es ein Scientologe schafft, seine Umgebung nachzuziehen und ebenfalls "ethisch" zu machen, also auch für die SO zu gewinnen. Der kategorische Anspruch der SO, ein ausschließlich an scientologischen Machtund Herrschaftsfantasien orientiertes totalitäres System in Staat und Gesellschaft allgemeinverbindlich durchsetzen zu müssen, ist für alle integralen Bestandteile der SO verbindlich - damit auch für das "World Institute of Scientology Enterprises" (WISE). Eine Führungsanweisung (April 1996) von WISE International lässt an dieser Verbindlichkeit keine Zweifel: "Alle WISE - Mitglieder stimmen damit überein, (...) daß sie mit ihrer Arbeit, den Planeten zu klären, fortfahren können!" Erheblich deutlicher formulierte es HUBBARD in seiner Aussage: "Erobern Sie, egal wie, die Schlüsselpositionen, die Position als Vorsitzende des Frauenverbandes, als Personalchef einer Firma, als Leiter eines guten Orchesters, als Sekretärin des Direktors, als Berater der Gewerkschaft - irgendeine Schlüsselposition." (L.Ron HUBBARD, HCO B 10.06.1960, "What we expect of a Scientologist") 245 4. Themen und Aktivitäten Das zurückliegende Jahr war aus der Sicht der SO von Erfolgen geprägt, die sie auf ihrem Weg zur Einführung einer scientologischen Gesellschaft voran brachten. Bei der Mitgliedergewinnung in Hamburg hatte sie bisher vorwiegend auf eher unauffällige Passantenansprachen und weitgehend unbeachtete Verteilungen von "Eintrittskarten" für SO-Werbefilmvorführungen unter dem Dach der "Org"-Zentrale gesetzt. 1999 versuchte sie demgegenüber, sich mit spektakulär inszenierten Aktionen und Kampagnen zielgerichtet öffentliche Aufmerksamkeit zu verschaffen. Bereits vom 09.-10.04.99 fand in der Hansestadt der "Clear-CongressHamburg" statt, zu dem sich mehrere Hundert Scientologen einfanden und der nicht zuletzt wegen der hohen Beteiligung als großer Erfolg gewertet wurde. Ebenfalls im Frühjahr präsentierte sich die SO in Hamburg mit der hier endenden Wanderausstellung "Was ist Scientology?"(15.-20.04.99). Damit wollte sich die Organisation einer breiten Bevölkerung darstellen sowie gleichzeitig ihr neuestes (gleichnamiges) Buch vorstellen in der Hoffnung, dabei auch auf Kaufinteressenten für scientologische Leistungen zu stoßen. Die europaweite Rundreise dieser Ausstellung war anlässlich des 40-jährigen Bestehens von Scientology in Europa Anfang des Jahres in Kopenhagen unter Aufbietung internationaler scientologischer Prominenz eröffnet worden. Über Stuttgart, München und Frankfurt führte sie am Ende in die Hansestadt. Ein SO-Reklamebus ging auf Werbetour durch Hamburg und versuchte, an unterschiedlichen Stationen, auf die Veranstaltung aufmerksam zu machen. Plakatwände wurden angemietet und Handzettel verteilt. Ein eigens zu Werbezwecken angemietetes Flugzeug kreuzte am Hamburger Himmel auf und versuchte - offenbar vergeblich - mittels einer Transparentschleppe mit dem Kampagnenmotto "Was ist Scientology?" bei der Bevölkerung Interesse zu erregen. Die Scientologen blieben trotz erheblichen Werbeaufwands auf der Ausstellung einmal mehr unter sich. Am 07.08.99 fand in Hamburg unter internationaler Beteiligung eine Großdemonstration von Anhängern der SO statt, deren eigentliche Urheberschaft die Veranstalter gegenüber der Öffentlichkeit mit der Tarnbezeichnung "Kommission für Verstöße der Psychiatrie gegen Menschenrechte" (KVPM) zu kaschieren versuchten. Mehr als Tausend Teilnehmer schlossen sich mit einem erheblichen Aufwand an Propagandamitteln dem durch die Hamburger Innenstadt führenden Demonstrationszug an und versammelten 246 sich am Ende zu einem "Event" - einer von Redebeiträgen durchsetzten Musikveranstaltung - unter freiem Himmel auf der Moorweide. Der Aufmarsch richtete sich gegen den zeitgleich im Congress-Centrum Hamburg durchgeführten "Kongress der Weltvereinigung der Psychiatrie". Die KVPM ist eine VorfeldWährend die SO am 07.08.99 in Hamburg organisation der SO. Sie u. a. mit der Parole "Wir haben keinen Bock prangert die Psychiatrie als auf Elektroschock" gegen den XI. Kongress Mittel angeblich eklatanter der "Weltvereinigung der Psychiatrie" (WPA) Menschenrechtsverletzundemonstrierte, warb sie unter ihren Anhängen an. Dieses hergesucht gern für den Kauf des sog. E-Meters "Mark wirkende Feindbild dürfte Super VII Quantum" - ein elektrisch betriebenicht zuletzt auf persönliche nes Gerät in der Art eines Lügendetektors, Erfahrungen des SO-Gründas als "Gerät zur geistlichen Beratung" ders HUBBARD mit der Psyangepriesen wird: "Besorgen Sie sich das chiatrie zurückgehen. Die E-Meter, das Flag Auditoren verwenden, um Einstiegsprozeduren, denen Fälle zu knacken". Im Begleittext sollten neue SO-Interessenten repotentielle Käufer u. a. mit folgender Ausgelmäßig unterzogen wersage überzeugt werden: "Wenn Sie Milliarden, erinnern an Methoden den Jahre zurück auf der Zeitspur sind und von Gehirnwäsche, psychiim Geschehnis aller Geschehnisse festsitzen, scher Malträtierung und haben sie nur das E-Meter, mit dem sie die einer Art geistiger "UmproLadung ausfindig machen können - Sie sollgrammierung" von Indiviten also besser in der Lage sein, den Read zu duen. Es drängt sich der finden. Das ist genau, was das Quantum Eindruck auf, als ob die Psymacht". Bestellpreis in US-Dollar: 4.650,00 chiatrie-Kampagne der SO (ca. 9.500 DM) "einschließlich neuer Elektrovon eigenen Praktiken abden und Reinigungstüchern". lenken und die öffentliche Aufmerksamkeit gegen eine unbequeme "Konkurrentin" richten soll, die die SO-Methoden wissenschaftlich durchschauen könnte und der SO daher gefährlich erscheint. Gemessen an der äußerst zurückhaltenden Resonanz unter der Bevölkerung sowie am schwachen Medienecho erwies sich auch die Anti-Psychiatrie-Aktion als Fehlschlag. Das massenhafte Flugblattangebot stieß auf Desinteresse, in Gespräche verwickelte Passanten zeigten sich distanziert und gegenüber den Anliegen der Veranstalter weitgehend verschlossen. Dessen ungeachtet veranstalteten die Scientologen im September in Hamburg eine weitere KVPM-Demonstration, die aber mit deutlich unter Hundert Teilnehmern äußerst bescheiden ausfiel und von der Bevölkerung 247 wiederum weitgehend ignoriert wurde. Die SO-Botschaft von angeblich verbrecherischen Absichten und Missständen in der Psychiatrie stießen erneut ins Leere. Als krönenden Höhepunkt und vermeintlichen Überraschungscoup zum Jahresende hatte sich die SO-Führung den Einzug in ihre neue Hamburger Zentrale in der Domstraße aufgespart. Nach Aufgabe ihres alten Organisationsgebäudes am Steindamm, umgibt sie sich im neuen Gebäude mit einem repräsentativeren Ambiente. Neue Hamburger SO-Zentrale Domstraße Die Organisation feierte mit ihrem Standortwechsel nicht nur einen bloßen Umzug, sondern nach eigener Verlautbarung "... den Beginn einer neuen Ära beispielloser Expansion für die Scientology-Religion in Hamburg und darüber hinaus...", mithin einen wichtigen Baustein zur Durchsetzung ihrer extremistischen Ziele. Schon allein die räumliche Vergrößerung und zentralere Lage wurden als beweiskräftige Anzeichen für eine expandierende ORG verherrlicht. Das neue Domizil sei "ein Symbol für die Beständigkeit von Scientology in Deutschland....". Es vermittele "...eine eindeutige Botschaft an jene, die vergeblich versuchten, den Weg zu geistiger Freiheit zu blockieren..." (Hervorh. n. i. O.). 248 Da die SO auf ihrem Feldzug zur Eroberung des gesamten Planeten und dessen Unterwerfung unter ein scientologisches Gesellschaftssystem keine Rückschläge akzeptiert, kann es nicht verwundern, dass sie gegenüber ihren Hamburger Anhängern die millionenschwere Immobilieninvestition als souveränen Akt einer expandierenden Weltverbesserungsbewegung darstellte. In Hamburg sei öffentlich behauptet worden, Scientology sei mit der Aufgabe des Gebäudes am Steindamm in dieser Stadt in die Knie gezwungen worden. Für SO handelt es sich hierbei lediglich um unzutreffende Behauptungen sog. "unterdrückerischer Personen". Die neue "Org"Zentrale ("...direkt im Herzen von Hamburg erschaffen...") wurde der Anhängerschaft gleichsam als Antwort auf feindliche Machenschaften gegen "Andersdenkende" vermittelt. In Hamburger SO-Kreisen wurde denn auch sogleich an HUBBARDs Durchhaltebotschaft zum Umgang mit Rückschlägen erinnert: "...Wir waren jedes Mal wieder da und stärker, besser und am Expandieren. Und genau da sind wir jetzt. Der letzte gegnerische Angriff klingt aus. Und wir sind noch da, gesund und munter und am Expandieren. Und in den kommenden Jahrzehnten wird es wieder und wieder so sein..." (Neue Zivilisation Sonderausgabe aus November 1999). Auch im internationalen Maßstab war es für die Scientologen eine Prestigefrage, mit einem für Freunde und Feinde gleichermaßen sichtbaren baulichen Wahrzeichen in Hamburg herausragend vertreten zu sein. Ein Indiz für diesen hohen Stellenwert ist die Höhe der Investition: Bei einem Preis von knapp 20 Mio. DM dürfte das Objekt europaweit zu den Spitzenimmobilien der Organisation gehören. Der Vorsitzende der SO, David MISCAVIGE, ließ es sich trotz aller verordneten Geheimhaltung nicht nehmen, die in Aussicht stehende Eröffnung der neuen Hamburger "Org" anlässlich der Feier zum 15. Jahrestag der "International Association of Scientologists" (IAS) im Oktober 1999 in Großbritannien als "triumphale Überraschung" bekannt zu geben. In die Bemühungen der SO um eine neue Hamburger Unterkunft waren trotz längeren Vorlaufs anscheinend nur wenige Scientologen eingeweiht. Monatelang - der Erwerb der Immobilie Domstraße 9 von einer Grundstücksgesellschaft war längst vertraglich besiegelt - schickten die mit der Transaktion befassten SO-Funktionäre noch Personen als scheinbare Kaufinteressenten potentieller Zielobjekte aus, die in der Öffentlichkeit vortäuschten, die SO suche immer noch nach einem Ersatzdomizil. Offenbar glaubte man, nur durch solche Manöver den als "top secret" behandelten 249 Kauferfolg vor befürchteten "unterdrückerischen" gegnerischen Störaktionen schützen zu können. Am 25.10.99 übergab ein Repräsentant des internationalen SOManagements aus Los Angeles das neue Gebäude in einem feierlichen Akt an die Hamburger "Org". Es war kein Zufall, dass an genau diesem Tag der von der SO inszenierte "Europäische Marathon für Menschenrechte" in Hamburg endete. Führende Scientologen aus dem Inund Ausland versuchten erneut vergeblich sich aus diesem zweifachen Anlass in der Hansestadt öffentliche Aufmerksamkeit zu verschaffen. Auch dieses scientologische Großereignis war mit einem bemerkenswerten Propagandaaufwand verbunden. Es rangierte in der SOAgenda für 1999 theoretisch als letzter Höhepunkt einer Serie von Veranstaltungen. Trotz einer bemerkenswerten Propagandamaschinerie stieß die Organisation das gesamte Jahr über in der Hamburger Öffentlichkeit und bei den Medien durchweg nur auf beiläufige Kenntnisnahme. Schlussveranstaltung "Europäischer Marathon für Eine eigens aus AnMenschenrechte" am 25.10.99 in Hamburg lass der Gebäudeübergabe gedruckte, massenweise im Innenstadtbereich verteilte Sonderausgabe der SO-Zeitung "Freiheit" lud weitgehend erfolglos interessierte 250 Bürger ein, die neue Wirkungsstätte der SO in Hamburg zu besichtigen und sich vor Ort über Scientology und Dianetik zu informieren. Zur Eröffnung am 27.11.99 reisten hochrangige nationale und internationale Scientologen an, um die hohe Bedeutung der neuen Hamburger "Org" zu unterstreichen. Ein "Tag der offenen Tür" sollte den Hamburgern die Chance geben, "...sich selbst ein Bild zu machen und für sich herauszufinden "Was ist Scientology?"...". Es durften sogar Räume besichtigt werden, die ansonsten als "Auditier"oder Verwaltungsbereich internen Zwecken vorbehalten sind. Zusammenfassend bleibt festzustellen, dass die SO 1999 in Hamburg mit internationaler Unterstützung erheblich gesteigerte zeitliche und finanzielle Anstrengungen unternommen hat, Rückschläge der letzten Jahre wettzumachen, wieder auf Expansionskurs zu gehen und damit auch ihre Reputation im nationalen wie internationalen Scientology-Gefüge zu stärken. Es ist davon auszugehen, dass sich der Aktionismus des Jahres 1999 nicht in nennenswerten Mitgliederzuwächsen niedergeschlagen hat. Zugewinne und Abwanderungen dürften sich in etwa ausgleichen. Die Gesamtzahl der Scientologen in Hamburg und im Hamburger Umland wird konstant mit etwa 1.000 angenommen. Aus dem Umstand, dass die SO selbst sich bereits am Beginn eines neuen Höhenfluges wähnt, leiten sich ihr gesteigertes Selbstbewusstsein, offensiveres Auftreten und wachsende Hartnäckigkeit in der Öffentlichkeit ab. So gab sie sich auch nicht damit zufrieden, wenn angesprochene Bürger sich kritisch, ablehnend oder einfach nur desinteressiert äußerten. Vielmehr versuchte sie, Passanten mit nachbohrenden Fragestellungen wie "Haben Sie etwas gegen Religionsfreiheit?" oder "Sind Sie gegen Menschenrechte?" in Gespräche zu verwickeln. Für das gesteigerte Selbstbewusstsein spricht auch die Anfrage des eingangs erwähnten "freien Jour251 nalisten" im Dezember 1999 an das Pressereferat der Behörde für Inneres Hamburg. Zu seiner Erkundigung über mögliche Rechtsverstöße erklärte der Verfasser mit ultimativen Untertönen: "Da es sich hier um Belange handelt, welche für die Öffentlichkeit und insbesondere für die Steuerzahler relevant sind und mögliche Gesetzesverstöße vorliegen, bestehe ich auf einer offiziellen Stellungnahme zu meinen Fragen. Sollte die Innenbehörde eine Beantwortung einfach verweigern, muss ich davon ausgehen, dass hier Unrechtmäßigkeiten in der Verwaltung vertuscht werden." (Hervorh. n. i. O.). Die Behörde für Inneres ist auf den geschilderten Vorstoß nicht eingegangen. Dieser Ausforschungsversuch setzt die von HUBBARD vorgegebene Taktik um, Gegner in die Rolle von Angegriffenen zu versetzen. Dafür zuständig ist der scientologische Geheimdienst OSA (" 2.). Aus dem Richtlinienbrief "Hubbard Communication Office Policy Letter" (HCO PL) vom 15.02.66: "Das Vorgehen, wie man Initiative ergreift, besteht darin, unsere eigenen Profis zu benutzen, um Teile der Gesellschaft intensiv zu untersuchen, die uns angreifen könnten". Weitere Informationen über die Methoden und Ziele der SO liefert die 1998 erschienene Broschüre des Landesamtes für Verfassungsschutz Hamburg "Der Geheimdienst der Scientology-Organisation". Der Verfassungsschutz wird die SO auch künftig im Auge behalten. VI. Spionageabwehr 1. Überblick Ein Jahrzehnt nach der politischen Wende in Deutschland sowie nach der Auflösung der Ost-West-Blockkonfrontation verändert sich das Lagebild der Spionageabwehr durch weitergehende politische Entwicklungen in Europa. Mit dem Beitritt Ungarns, Tschechiens und Polens zur NATO am 12.03.99 ist der Prozess des Aufbaues einer europäischen Friedensordnung einen wesentlichen Schritt vorangekommen. Neben Bulgarien, Rumänien und 252 Slowenien streben weitere Staaten ihre Aufnahme in das westliche Militärbündnis an. Ungeachtet der friedlichen Annäherung dieser und anderer östlicher Länder, die der westlichen Staatengemeinschaft in den Jahren des "Kalten Krieges" noch als Teile des kommunistischen Bündnissystems gegenübergestanden hatten, ist die Bundesrepublik Deutschland nach wie vor Ziel nachrichtendienstlicher Ausforschungen. Insbesondere die Russische Föderation hat ihre nachrichtendienstlichen Aktivitäten gegen Deutschland unvermindert fortgesetzt. Der weiterhin hohe Anteil von Nachrichtendienstpersonal an amtlichen und halbamtlichen russischen Vertretungen in Deutschland sind Indizien dafür, dass die Bundesrepublik anhaltend ein bevorzugtes Ausspähungsziel russischer Dienste ist. Politik, Wirtschaft, Militär, Wissenschaft und Forschung stehen unverändert im Vordergrund russischer Aufklärungsinteressen. Darüber hinaus verfolgen Staaten aus dem Nahen und Mittleren Osten - insbesondere Iran, Irak, Libyen und Syrien - sowie die asiatischen kommunistischen "Volksrepubliken" China und Nordkorea in Deutschland nachrichtendienstlich Ziele. Neben der klassischen Spionage richten diese Staaten ihr Beschaffungsinteresse auf wirtschaftlich/wissenschaftlich bedeutsames "Know-how", speziell auf die Erlangung von Technologien zur Herstellung von Massenvernichtungswaffen. Daneben bilden die Ausspähung und Unterwanderung in Hamburg bzw. in Deutschland lebender Personen und Gruppen, die in Opposition zu Regierungen ihrer Heimatländer stehen, seit Jahren unvermindert Schwerpunkte nachrichtendienstlicher Aktivitäten. 2. Die Nachrichtenund Sicherheitsdienste der Russischen Föderation Nachrichtendienste haben nach wie vor ihren festen Platz im russischen Staatsapparat. Ihre Aufgabenbereiche haben sich auch nach der Auflösung der Sowjetunion (UdSSR) und des ehemaligen kommunistischen Systems im Wesentlichen nicht geändert. Trotz aller in den vergangenen Jahren vollzogenen Reformen bei den zivilen russischen Geheimdiensten sehen sich diese weiterhin in der Nachfolge und Tradition des früheren sowjetischen Nachrichtendienstes "Komitee für Staatssicherheit" (KGB). Gravierende Veränderungen der Zielvorgaben und Arbeitsweisen sind bei den KGB-Nachfolgediensten nicht erkennbar. Wichtige Leitungsfunktionen in entscheidenden Regierungsämtern bekleiden ehemalige KGB-Angehörige. 253 Dies unterstreicht den offenbar hohen Stellenwert der Nachrichtendienste und ihrer Mitarbeiter bei der russischen Staatsführung. Die Staatsführung scheint das Leitungspersonal russischer Geheimdienste auch für politische Spitzenfunktionen geeignet zu halten. Am 09.08.99 wurde Wladimir PUTIN - ehemaliger Leiter des Inlandsdienstes FSB - zum Ministerpräsidenten bestellt. Nach dem Rücktritt Boris JELZINs Ende 1999 übernahm er die Interimspräsidentschaft. Am 26.03.2000 wurde PUTIN schließlich als neuer russischer Staatspräsident gewählt. Es ist damit zu rechnen, dass PUTIN als ehemaliger Offizier des früheren Geheimdienstes KGB und als früherer Leiter des Staatsschutzes "Ferderalnaya Sluzhba Bezopasnosti" (FSB, Föderaler Sicherheitsdienst, russischer Abwehr und Sicherheitsdienst) die Rolle der Geheimdienste in der russischen Politik weiterhin stärken wird. PUTIN war am 09.08.99 Nachfolger von Sergej STEPASCHIN geworden, der erst im Mai 1999 Jewgenij PRIMAKOW als Ministerpräsident abgelöst hatte. PRIMAKOW war bis Anfang 1996 Leiter des zivilen Auslandsaufklärungsdienstes "Sluzhba Vneshney Razvedki" (SWR); STEPASCHIN leitete bis zu seiner Ernennung zum Ministerpräsidenten im Mai 1999 den Inlandsdienst FSB. Diese Vorläufe drei aufeinander folgender Regierungschefs unterstreichen das Gewicht von Nachrichtenund Sicherheitsdiensten in der russischen Politik. Die Russische Föderation verfügt heute wieder über einen der größten und mächtigsten Sicherheitsapparate der Welt. Die wichtigsten Nachrichtenund Sicherheitsdienste der Russischen Föderation sind derzeit: * SWR Die zivile Auslandsaufklärung ist Aufgabe des SWR. Er verfügt über ca. 15.000 Mitarbeiter. Er betreibt offene wie geheime Nachrichtenbeschaffung mit den Schwerpunkten Politik, Wissenschaft, Technik sowie Ziele im Bereich der Ökonomie. Zusätzlich erforscht der SWR fremde Nachrichtendienste durch Gegenspionage. Leiter des SWR ist Wjatscheslaw TRUBNIKOW. * GRU Der für die militärische Auslandsaufklärung zuständige Nachrichtendienst "Hauptverwaltung für Aufklärung beim Generalstab" (Glavnde Razvedyvatelnoe Upravleniye Generalnogo Shtaba" / GRU) mit ca. 12.000 254 Mitarbeitern untersteht dem russischen Verteidigungsministerium. Die GRU wird seit 1997 von Generaloberst Walentin KORABELNIKOW geleitet. Schwerpunkte sind vor allem die militärpolitische, strategische, taktische und geographische Aufklärung sowie die Spionage im Bereich der Rüstungstechnik. * FSB Der zivile Inlandsund Sicherheitsdienst ist primär für die zivile und militärische Spionageabwehr sowie für die Bekämpfung von Terrorismus, Extremismus und Organisierter Kriminalität zuständig, wobei er als Inlandsdienst befugt ist, auch Auslandsspionage zu betreiben. Am 09.08.99 bestimmte der russische Präsident JELZIN Generalleutnant Nikolaj PATRUSCHEW zum neuen Leiter des FSB. Dieser trat die Nachfolge von Wladimir PUTIN an, den der russische Präsident am gleichen Tag in das Amt des Ministerpräsidenten berief. PATRUSCHEW stehen rund 100.000 Mitarbeiter zur Verfügung. Er selbst war langjähriger Mitarbeiter des ehemaligen KGB. * FAPSI Die "Federalnoye Agentstvo Pravitelstvennoy Suyazi I" ("Föderale Agentur für Regierungsfernmeldewesen und Information" / FAPSI) erfüllt sowohl Aufklärungsals auch Abwehraufgaben. Sie ist zuständig für die Fernmeldeund elektronische Aufklärung sowie für die technische Bereitstellung und die Gewährleistung der Abhörsicherheit wichtiger staatlicher Nachrichtenverbindungen, z. B. der russischen Regierung und der Armee. Dieser in der Öffentlichkeit recht unbekannte und wenig in Erscheinung tretende Dienst verkörpert auf Grund seiner technischen Aufgaben ein nicht zu unterschätzendes Spionagepotential, weil er gleichzeitig auch als Genehmigungsbehörde für die kommerzielle Nutzung von Nachrichtentechnik in Russland fungiert. Der Dienst ist unmittelbar nach Auflösung der vormaligen Sowjetunion eingerichtet worden und untersteht direkt dem russischen Präsidenten. Leiter dieses ca. 120.000 Mitarbeiter umfassenden Dienstes ist Generalleutnant Wladimir MATJUCHIN. Er gilt als qualifizierter Fachmann für die Fernmeldeaufklärung. Mit dem Aufklärungsdienst SWR, dem militärischen Aufklärungsdienst GRU, dem Inlandsdienst FSB und der vorwiegend im Bereich der technischen Aufklärung / Abwehr tätigen FAPSI unterhält die russische Föderation vier Geheimdienste, die unabhängig voneinander Auslandsspionage betreiben. 255 Ihre wichtigsten Ziele haben sich gegenüber den Vorjahren nicht verändert. Die Innenund Sicherheitspolitik sowie militärische Aufklärung sind weiterhin Hauptzielgebiete; dennoch stehen Wirtschaft, Wissenschaft und Technik im Vordergrund der Aufklärungsarbeit. Die russische Regierungszeitung "ISWESTIJA" zitierte im Februar 1999 dazu ein Interview des Pressesprechers des SWR wie folgt: "Der SWR ist dazu aufgerufen, im Ausland günstige Bedingungen für die Forcierung russischer Wirtschaftsinteressen zu schaffen ..." Der Wechsel ehemaliger Ostblockverbündeter in das westliche Verteidigungsbündnis NATO sowie der deutsche Einsatz im Streitkräfteverband der Partnerländer auf dem Balkan zur Lösung des Kosovo-Konfliktes haben RussBeispiel: Wegen des Verdachts der land veranlasst, die NATO mit Spionage wurden im Juli 1999 ein ihren militärischen Einrichtungen Kaufmann sowie ein Ingenieur festgeverstärkt in ihr Aufklärungsspeknommen und beschuldigt, umfangtrum einzubeziehen. reiches technisches Know-how aus dem Rüstungsbereich nach Russland Russischen Geheimdienste nutzen verkauft zu haben. Der bei einem vielfältige Möglichkeiten, um InforRüstungsunternehmen beschäftigte mationen offen oder konspirativ zu Ingenieur lieferte aus seinem Arbeitsbeschaffen. Auf Tagungen, Messebereich stammende - z. T. geheime - veranstaltungen, Vorträgen und Unterlagen an den Kaufmann, der sie Symposien suchen sie die Beper Flugzeug nach Moskau brachte. kanntschaft von Besuchern bzw. Der Kaufmann war in den vergangeTeilnehmern, um sie in Gesprächen nen Jahren mehrfach nach Moskau abzuschöpfen. gereist; für die abgelieferten Materialien erhielt er hohe Geldsummen. Allgemein zugängliche DatenbanBereits 1997 war ein Mitarbeiter des ken, das Internet und andere Unternehmens als Agent des SWR Zugänge nutzt die russische Aufenttarnt und festgenommen worden. klärung für die offene InformatiDas OLG Celle verurteilte letzteren im onsgewinnung. Zum anderen verJanuar 1999 zu knapp zwei Jahren suchen die Auslandsdienste über Freiheitsstrafe, die zur Bewährung verdeckte Spionage unter Einsatz ausgesetzt wurde. geheimer Mitarbeiter oder eigener mit Legenden operierender Nachrichtendienstoffiziere sie interessierende Aufklärungsbereiche auszuforschen. Eine wichtige Rolle in der offenen und insbesondere auch in der konspirativen Nachrichtenbeschaffung spielen * diplomatische oder konsularische Vertretungen Russlands, * staatliche Firmenniederlassungen und 256 * Unternehmen mit russischer Personaloder Kapitaldominanz in Deutschland, in denen geschulte Nachrichtendienstoffiziere auf Tarndienstposten eingesetzt werden. Diese Tarnfunktionen bieten ihnen eine günstige Ausgangsbasis, um auf vielfältige Weise Kontakte für nachrichtendienstliche Aktivitäten zu knüpfen. Ein als "Diplomat" oder als "Geschäftsführer" abgetarnter Nachrichtendienstoffizier ist für Außenstehende nicht von einem echten Diplomaten oder Kaufmann zu unterscheiden. Reisen nach Russland bieten den dortigen Aufklärungsdiensten gute Ansatzpunkte für Kontaktierungen und Anwerbungen insbesondere auf dem Wirtschaftssektor. Durch lückenlose Personalienüberwachung der Besucher versucht der FSB fortlaufend interessante Zielpersonen ausfindig zu machen und Ansatzmöglichkeiten für nachrichtendienstliche Ansprachen zu erkunden. Mit den gewonnenen Informationen können spätere Privatoder Geschäftsreisen nach Russland für nachrichtendienstliche Treffs genutzt werden. 3. Nachrichtendienste von Staaten des Nahen, Mittleren und Fernen Ostens sowie Nordafrikas Deutsche Sicherheitsinteressen werden auch durch nachrichtendienstliche Zielsetzungen und Aktivitäten der Staaten Nordafrikas sowie nah-, mittelund fernöstlicher Staaten berührt. Neben der klassischen Spionage richten insbesondere Länder wie Iran, Irak, Libyen und Syrien ihr Interesse vornehmlich auf die Beeinflussung im Ausland lebender Landsleute, auf die Beobachtung und Ausforschung exilpolitischer Aktivitäten sowie extremistischer Vereinigungen. Ihre Nachrichtendienste bemühen sich, Organisationen von Gegnern ihrer Regierungen zu infiltrieren, um einen möglichst großen Kreis ihrer Mitglieder zu erkennen und schließlich das gesamte Netz dieser Vereinigungen auszukundschaften. Islamische Zentren und andere Treffpunkte in Deutschland (z. B. Kulturvereine) werden mit Angehörigen der Nachrichtendienste durchsetzt. Das Magazin "FOCUS" (Nr. 49 v. 06.12.99) zitIerte Irans Expräsident BANISADR mit folgender Aussage: "Der Geheimdienst ist weiterhin aktiv. Seine Agenten sind konspirativer als je zuvor." Das Hanseatische Oberlandesgericht (HOLG) verurteilte am 01.10.99 einen im Bundesgebiet lebenden syrischen Staatsbürger wegen geheimdienstlicher Agententätigkeit für den syrischen Nachrichtendienst zu einer 257 Freiheitsstrafe von zwei Jahren, die zur Bewährung ausgesetzt wurde. Der Betroffene hatte seinem Auftraggeber von 1995 bis zu seiner Festnahme am 05.05.99 auf konspirative Weise personenbezogene Informationen über zahlreiche in Deutschland lebende syrische Regimegegner geliefert. 4. Wirtschaftsspionage / Proliferation Zu den Aufgaben der Spionagebekämpfung gehört auch die Abwehr von Wirtschaftsspionage. Deutschland erweckte als führendes Forschungsund Wirtschaftsland in Europa zwangsläufig erhöhtes Interesse fremder Nachrichtendienste. Der mögliche wirtschaftliche Schaden als Folge der illegalen Tätigkeit für betroffene Unternehmen kann bedeutend sein. Der Schutz vor Wirtschaftsspionage sollte allerdings nicht nur den Verfassungsschutzbehörden überlassen bleiben, sondern schon in den Unternehmen selbst beginnen, da diese ihre Gefährdungspunkte am besten einschätzen können. Wirtschaftsspionage erstreckt sich auf alle Unternehmensbereiche. Gefragt sind alle Erkenntnisse, Daten oder Informationen, die den spionierenden Ländern helfen, einen technologischen oder sonstigen Wissensvorsprung zu erlangen bzw. Rückständigkeiten auszugleichen und sich darauf aufbauende wirtschaftliche Vorteile zu verschaffen. Hierbei richtet sich das besondere Interesse auf Rüstungsund Materialtechnik, Computertechnologie, Biotechnik, Luftund Verkehrssowie Energieund Umwelttechnik. Die Ausforschungsbemühungen zielen dabei auf alle Entwicklungsstufen: Von der Forschung und Entwicklung bis hin zur Fertigung und Vermarktung neuer Produkte. Der Abfluss von Daten, Informationen und geschützten Erkenntnissen hat nicht nur Auftragsverluste deutscher Unternehmen zur Folge. Wenn andere Staaten durch Spionage enorme Entwicklungskosten sparen und den deutschen Wettbewerbsvorsprung schmälern, bedeutet dieses letztendlich auch immer einen Verlust an Arbeitsplätzen in Deutschland. Proliferation: Ein weiterer Grund für den Anstieg der Wirtschaftsspionage ist das Bestreben insbesondere von Staaten aus dem Nahen, Mittleren und Fernen Osten, eigene ABC-Waffen herzustellen und weitreichende Trägerraketenprogramme zu verwirklichen. Aufgrund der strengen europäischen Ausfuhrmechanismen versuchen diese Staaten ihr Beschaffungsverhalten bei Ankauf, Transport und Bezahlung proliferationsrelevanter Güter zunehmend konspirativer zu gestalten (Proliferation: Weiterverbreitung atomarer, 258 biologischer und chemischer Massenvernichtungswaffen = "ABC-Waffen" bzw. Wissenstransfer zur Herstellung solcher Waffen). Die Beschaffungsaktivitäten erfolgen dabei nicht nur über Firmen, sondern auch über religiöse Stiftungen. Zudem muss damit gerechnet werden, dass die um Proliferation bemühten Staaten dabei mit Ländern des ehemaligen Ostblocks und auch untereinander enger kooperieren und sich gegenseitig unterstützen. Des Weiteren können ausgebildete Wissenschaftler und auch Studenten eingesetzt werden, die sich an Projekten im Ausland beteiligen. Krisenländer profitieren so von wissenschaftlichen Fortschritten in der Bundesrepublik. Beispiel: Am 29.06.99 verurteilte das Bayerische Oberste LandesgeGroßes Aufsehen erregten im Frühricht einen deutschen Unternehmer jahr 1998 Indien und Pakistan durch wegen Landesverrats zu einer Freiihre Atomwaffenversuche. Beide Länheitsstrafe von 5 Jahren und einer der verfügen über die notwendigen Geldstrafe von DM 60.000. Durch Technologien zur Herstellung von Lieferung von ausfuhrgeschützten Kernwaffen. Der Iran verfolgt mit Konstruktionszeichnungen und unverminderter Konzentration alle weiteren der Geheimhaltung unterBereiche, um den Aufbau eigener Proliegenden Unterlagen hatte der duktion von Raketentechnik voranzuVerurteilte wissentlich das irakische treiben. Nordkorea ist als KooperatiGasultrazentrifugenprogramm onspartner bei der Entwicklung von unterstützt und somit den Irak in Trägerraketen aufgetreten. Es muss die Lage versetzt, Vorrichtungen damit gerechnet werden, dass die an zur Herstellung waffentauglichen der Herstellung von ABC-Waffen interUrans zu entwickeln. essierten Länder künftig enger zusammenarbeiten werden. Libyen legt seine Schwerpunkte offensichtlich weiter auf den Bau von Giftgasanlagen. Trotz des gegen ihn verhängten UN-Embargos ist zu befürchten, dass der Irak seine Bemühungen um die Entwicklung von Trägersystemen zum Transport von Massenvernichtungswaffen fortsetzt. VII. Geheimund Sabotageschutz 1. Allgemeines Informationen, deren Erlangung durch Unbefugte den Bestand lebenswichtiger Interessen der Bundesrepublik Deutschland und ihrer Länder gefährden könnte, sind wirkungsvoll zu schützen. Sie müssen im Interesse des Staates geheimgehalten werden. 259 Über die nationalen Interessen hinaus hat sich die Bundesrepublik Deutschland als Mitglied der NATO und anderer überund zwischenstaatlicher Organisationen aber auch verpflichtet, beim Austausch geheimhaltungsbedürftiger Informationen mit den Partnerstaaten bestimmte Sicherheitsvorkehrungen einzuhalten. Mit der Weiterentwicklung der Europäischen Union und seit der Wiedervereinigung Deutschlands sowie der Auflösung des Warschauer Paktes hat der Personenund Warenverkehr - auch mit dem ehemaligen Ostblock - (fast) grenzenlose Formen angenommen. Dies macht es interessierten Ländern leichter, Informationen zu beschaffen und daraus Vorteile zu schöpfen. Behörden, Wirtschaftsunternehmen und Forschungseinrichtungen gehören nach wie vor zu den klassischen Aufklärungszielen der Nachrichtendienste fremder Staaten. Das Landesamt für Verfassungsschutz Hamburg versucht, durch personelle, technische und organisatorische Vorkehrungen Sicherheit vor der Ausforschung durch Unbefugte zu erreichen. Die dem Amt übertragenen Mitwirkungsaufgaben sind in SS 4 Absatz 2 des Hamburgischen Verfassungsschutzgesetzes (HmbVerfSchG vom 07.03.95, siehe Anhang) und im Hamburgischen Sicherheitsüberprüfungsgesetz (HmbSÜG vom 25.05.99) geregelt. Im Bereich der Hamburger Behörden und der Wirtschaft führt das Landesamt Sicherheitsüberprüfungen von Personen durch und veranlasst bzw. trifft selbst Maßnahmen zum materiellen Geheimschutz. Darüber hinaus werden Zuverlässigkeitsüberprüfungen aus Gründen des personellen Sabotageschutzes durchgeführt. Vereinzelt kommen Überprüfungen bei Unternehmen, Verbänden und anderen Institutionen hinzu, um mögliche sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Aktivitäten aufzuklären oder abzuwehren. 2. Geheimschutz im Behördenbereich 2.1 Personeller Geheimschutz Grundlage des personellen Geheimschutzes ist das Hamburgische Sicherheitsüberprüfungsgesetz (HmbSÜG). Das am 25.05.99 von der Hamburgischen Bürgerschaft verabschiedete Gesetz lehnt sich an das auf Bundesebene geltende SÜG an und löste die in Hamburg bis dahin geltenden Sicherheitsrichtlinien von 1991 ab. 260 Das zentrale Instrument Sicherheitsüberprüfung dient der individuellen Feststellung, ob einer bestimmten Person eine sicherheitsempfindliche Tätigkeit übertragen werden kann oder ob tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, die die Zuweisung Verschlusssachengrade: einer solchen Tätigkeit aus Gründen des staatli- * STRENG GEHEIM chen Geheimschutzes verbieten (sogenannte * GEHEIM "Sicherheitsrisiken"). Die Überprüfung sieht * VS-VERTRAULICH verschiedene Verfahrensarten vor. Sie richten sich primär nach dem Grad der vorgesehenen Betrauung und Ermächtigung einer Person zum Umgang mit Verschlusssachen. Je nach Schutzbedürftigkeit von Informationen wird zwischen drei Verschlusssachengraden unterschieden (s. Kasten). Die Bandbreite der Überprüfungen reicht von der einfachen Karteibzw. Datensatzabfrage bis zur Befragung von Referenzpersonen. Gegenüber den Sicherheitsüberprüfungsgesetzen des Bundes und anderer Länder enthält das HmbSÜG einen erweiterten Punktekatalog. Danach können Personen auch sicherheitsüberprüft werden, die unabhängig von einer Bearbeitung von Verschlusssachen * in einer Dienststelle tätig sind, die auf Grund ihrer Aufgabenstellung oder ihres herausgehobenen politischen Gewichts zum Sicherheitsbereich erklärt wurde, * in zentralen sicherheitsempfindlichen öffentlichen Bereichen Funktionen der Informationsund Kommunikationstechnik tätig sind oder * in einer lebensund verteidigungswichtigen Einrichtung arbeiten. Im Jahr 1999 hat das Landesamt für Verfassungsschutz Hamburg insgesamt 874 (1998: 1.048) Sicherheitsüberprüfungsvorgänge bearbeitet. 2.2 Materieller Geheimschutz Der "materielle Geheimschutz" befasst sich insbesondere mit der sicheren Aufbewahrung von Sachen sowie der elektronischen Übertragung oder sonstigen Versendung von Informationen. Dabei kann es sich um Sachen und Informationen unterschiedlichster Art, Beschaffenheit und Größe handeln, die der staatlichen Geheimhaltung unterliegen. Das Landesamt für Verfassungsschutz unterstützt im Rahmen des materiellen Geheimschutzes in beratender Funktion öffentliche Stellen des Landes bei der Planung und Durchführung technischer Sicherungsmaßnahmen und informiert über 261 Alarmsysteme, Stahlschränke und Schließanlagen. Ferner werden die Bedarfsträger über notwendige Maßnahmen aufgeklärt, um Verschlusssachen bei der Übertragung auf dem Fernmeldeweg, dem allgemeinen Postversand, in Datennetzen oder während ihrer Bearbeitung auf PC-gestützten Systemen vor unbefugten Zugriffen zu schützen. Außer bei zahlreichen kleineren und mittleren Objekten wirkte das Landesamt für Verfassungsschutz u. a. beim Neubau des Polizeipräsidiums sowie beim Umbau der neuen Landesvertretung Hamburgs in Berlin mit. 3. Geheimschutz in der Wirtschaft Deutsche Wirtschaftsunternehmen sind führend in der Forschung, Entwicklung und in der Produktion von Gütern. Dies gilt nicht nur für den Bereich ziviler Gebrauchs-, sondern auch für den Bereich militärischer Rüstungsgüter sowie in der Informationsund Kommunikations-Technik. Daher besteht hier eine Gefahr illegaler Ausforschungsversuche. Wirtschaftsunternehmen, die geheimhaltungsbedürftige Staatsaufträge (z. B. Rüstungsaufträge, Errichtung verteidigungswichtiger Anlagen) ausführen, werden deshalb in das Geheimschutzverfahren von Bund und Ländern aufgenommen. Soweit der Bund geheimhaltungsbedürftige Aufträge erteilt, führt dieser auch die Sicherheitsüberprüfungen derjenigen Unternehmensmitarbeiter durch, die diese Staatsaufträge konkret bearbeiten. Die laufende Betreuung dieser Unternehmen übernimmt die Verfassungsschutzbehörde des jeweiligen Bundeslandes. In Hamburg, einem der bedeutendsten Standorte der Bundesrepublik, sind Wirtschaftsunternehmen unterschiedlichster Prägung und Branchenzugehörigkeit ansässig. Etwa 125 von ihnen werden zur Zeit vom Landesamt für Verfassungsschutz betreut. Es hilft in geheimschutzrelevante Fragen nicht nur durch Einzelberatungen. Zur Betreuung gehören ebenso Informationsveranstaltungen des Landesamtes für Verfassungsschutz, in denen grundsätzliche Problemfelder angesprochen und Lösungsmöglichkeiten erörtert werden. Rege Beteiligungen unterstreichen das hohe Interesse und das Verantwortungsbewusstsein der Unternehmensleitungen. Hamburgs Rolle als Hafenstadt bringt es mit sich, dass der Bereich der Marinetechnik, der nicht nur von der Bundesrepublik Deutschland sondern auch von befreundeten NATO-Staaten und anderen Ländern genutzt wird, 262 einen Betreuungsschwerpunkt des Verfassungsschutzes bildet. Durch den sich daneben zunehmend weiterentwickelnden Bereich der Luftfahrttechnik unterstreicht die Freie und Hansestadt Hamburg ihren internationalen wirtschaftlichen Rang auch auf diesem Sektor. Langfristig sichern diese Industrien Arbeitsplätze und Einkommen in Hamburg. Einzelne in Hamburg vertretene Unternehmen der Luftfahrttechnik sind am Bau des Kampfflugzeuges "Tornado" beteiligt. Die Aufklärung zweier hochrangiger Fälle von Wirtschaftsspionage im Bereich der Luftfahrttechnik im vergangenen Jahr in benachbarten Bundesländern zeigt, wie groß das Interesse der illegalen Informationsgewinnung ist. Ziel der Betreuung ist es denn auch, die Verantwortungsträger durch Aufklärung zu unterstützen, um der Wirtschaftsspionage wirksam entgegen zu treten. 4. Sabotageschutz Der vorbeugende personelle Sabotageschutz sieht Überprüfungen von Personen nach SS 29 d des Luftverkehrsgesetzes vor, die in sicherheitsempfindlichen Bereichen des Hamburger Flughafens beschäftigt werden sollen. Überdies erfolgen Überprüfungen von Personen nach SS 12 b des Atomgesetzes, die Kernbrennstoffe befördern oder in kerntechnischen Anlagen beschäftigt sind. Zuverlässigkeitsüberprüfungen wurden auch über Personen durchgeführt, die an besonders sicherheitsempfindlichen Stellen von lebensund verteidigungswichtigen Einrichtungen tätig sind. Hier handelt es sich insbesondere um Stellen der elektrischen Energieversorgung. Im Rahmen des Sabotageschutzes war das Hamburger Landesamt für Verfassungsschutz im Berichtszeitraum 1999 an der Durchführung von 4.371 (1998: 5.159) Zuverlässigkeitsüberprüfungen beteiligt. 263 Hamburgisches Verfassungsschutzgesetz (HmbVerfSchG) vom 7. März 1995, zuletzt geändert am 25. Mai 1999 Der Senat verkündet das nachstehende von der Bürgerschaft beschlossene Gesetz: 1. Abschnitt Aufgaben des Landesamtes für Verfassungsschutz SS1 Zweck des Verfassungsschutzes SS2 Zuständigkeit SS3 Zusammenarbeit SS4 Aufgaben des Landesamtes für Verfassungsschutz SS5 Begriffsbestimmungen SS6 Voraussetzung und Rahmen für die Tätigkeit des Landesamtes für Verfassungsschutz 2. Abschnitt Erheben und weitere Verarbeitung von Informationen SS7 Befugnisse des Landesamtes für Verfassungsschutz SS8 Erheben von Informationen mit nachrichtendienstlichen Mitteln SS9 Weitere Verarbeitung personenbezogener Daten SS 10 Verarbeitung von Daten Minderjähriger SS 11 Berichtigung, Sperrung und Löschung 3. Abschnitt Datenübermittlung SS 12 Übermittlung nicht personenbezogener Daten SS 13 Übermittlung personenbezogener Daten an inländische Nachrichtendienste SS 14 Übermittlung personenbezogener Daten an inländische öffentliche Stellen und Strafverfolgungsbehörden SS 15 Übermittlung personenbezogener Daten an Stationierungsstreitkräfte SS 16 Übermittlung personenbezogener Daten an ausländische öffentliche Stellen SS 17 Übermittlung personenbezogener Daten an Stellen außerhalb des öffentlichen Bereichs 265 SS 18 Übermittlung personenbezogener Daten an die Öffentlichkeit SS 19 Übermittlung personenbezogener Daten an das Landesamt für Verfassungsschutz SS 20 Registereinsicht durch das Landesamt für Verfassungsschutz SS 21 Übermittlungsverbote und -einschränkungen SS 22 Übermittlung personenbezogener Daten Minderjähriger 4. Abschnitt Auskunftserteilung SS 23 Auskunftserteilung 5. Abschnitt Parlamentarische Kontrolle des Verfassungsschutzes SS 24 Parlamentarischer Kontrollausschuss SS 25 Zusammensetzung und Pflichten des Ausschusses SS 26 Aufgaben des Ausschusses SS 27 Eingaben 6. Abschnitt Schlussvorschriften SS 28 Änderung des Gesetzes zur Ausführung des Gesetzes zu Artikel 10 Grundgesetz SS 29 Inkrafttreten 1. Abschnitt Aufgaben des Landesamtes für Verfassungsschutz SS1 Zweck des Verfassungsschutzes (1) Der Verfassungsschutz dient dem Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, des Bestandes und der Sicherheit des Bundes und der Länder. (2) Zu diesem Zweck tritt dieses Gesetz neben das Gesetz über die Zusammenarbeit des Bundes und der Länder in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes und über das Bundesamt für Verfassungsschutz (Bundesverfassungsschutzgesetz - BVerfSchG -) vom 20. Dezember 1990 (Bundesgesetzblatt I Seiten 2954, 2970). 266 SS2 Zuständigkeit (1) Der Verfassungsschutz wird innerhalb der zuständigen Behörde vom Landesamt für Verfassungsschutz wahrgenommen. Das Landesamt für Verfassungsschutz ist ausschließlich hierfür zuständig. Bei der Erfüllung seiner Aufgaben ist es an Gesetz und Recht gebunden (Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes). (2) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf einer polizeilichen Dienststelle nicht angegliedert werden. Ihm stehen polizeiliche Befugnisse oder Weisungsbefugnisse gegenüber polizeilichen Dienststellen nicht zu; es darf die Polizei auch nicht im Wege der Amtshilfe um Maßnahmen ersuchen, zu denen es selbst nicht befugt ist. SS3 Zusammenarbeit (1) Das Landesamt für Verfassungsschutz ist verpflichtet, mit Bund und Ländern in Angelegenheiten des Verfassungsschutzes zusammenzuarbeiten. Die Zusammenarbeit besteht auch in gegenseitiger Unterstützung und Hilfeleistung sowie in der Unterhaltung gemeinsamer Einrichtungen. (2) Verfassungsschutzbehörden anderer Länder dürfen im Geltungsbereich dieses Gesetzes nur im Einvernehmen mit dem Landesamt für Verfassungsschutz nach Maßgabe dieses Gesetzes und soweit eigenes Landesrecht dies zulässt, der Bund gemäß SS 5 Absatz 2 BVerfSchG nur im Benehmen mit dem Landesamt für Verfassungsschutz tätig werden. Das Landesamt für Verfassungsschutz darf in den anderen Ländern tätig werden, soweit es die Rechtsvorschriften dieses Gesetzes und der anderen Länder zulassen. SS4 Aufgaben des Landesamtes für Verfassungsschutz (1) Aufgabe des Landesamtes für Verfassungsschutz ist die Sammlung und Auswertung von Informationen, insbesondere von sachund personenbezogenen Auskünften, Nachrichten und Unterlagen, über 1. Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind oder eine ungesetzliche Beeinträchtigung der Amtsführung von Mitgliedern der verfassungsmäßigen Organe des Bundes oder eines Landes zum Ziele haben, 267 2. sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten für eine fremde Macht in der Bundesrepublik Deutschland, 3. Bestrebungen in der Bundesrepublik Deutschland, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden (SS 3 Absatz 1 BVerfSchG), 4. Bestrebungen und Tätigkeiten, die gegen den Gedanken der Völkerverständigung (Artikel 9 Absatz 2 des Grundgesetzes) oder das friedliche Zusammenleben der Völker (Artikel 26 des Grundgesetzes) gerichtet sind. Das Landesamt für Verfassungsschutz hat insbesondere den Senat über Gefahren für die Schutzgüter des SS 1 zu informieren und die dafür zuständigen staatlichen Stellen in die Lage zu versetzen, Maßnahmen zu ihrer Abwehr zu ergreifen. Darüber hinaus unterrichtet das Landesamt für Verfassungsschutz mindestens einmal jährlich die Öffentlichkeit über Gefahren für die Schutzgüter des SS 1. (2) Das Landesamt für Verfassungsschutz wirkt gemäß SS 3 Absatz 2 Satz 1 BVerfSchG mit 1. bei der Überprüfung von Personen, denen im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftige Tatsachen, Gegenstände oder Erkenntnisse anvertraut werden, die Zugang dazu erhalten sollen oder ihn sich dienstlich verschaffen können, 2. bei der Überprüfung von Personen, die an sicherheitsempfindlichen Stellen von lebensund verteidigungswichtigen Einrichtungen beschäftigt sind oder werden sollen, 3. bei technischen Sicherheitsmaßnahmen zum Schutz von im öffentlichen Interesse geheimhaltungsbedürftigen Tatsachen, Gegenständen und Erkenntnissen gegen die Kenntnisnahme durch Unbefugte. Die Befugnisse des Landesamtes für Verfassungsschutz bei der Mitwirkung nach Satz 1 Nummern 1 und 2 sind im Hamburgischen Sicherheitsüberprüfungsgesetz (HmbSÜG) vom 25. Mai 1999 (Hamburgisches Gesetzund Verordnungsblatt Seite 82) geregelt. SS5 Begriffsbestimmungen (1) Im Sinne dieses Gesetzes sind: 268 1. Bestrebungen gegen den Bestand des Bundes oder eines Landes solche politisch motivierten zielund zweckgerichteten Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluss, der darauf gerichtet ist, die Freiheit des Bundes oder eines Landes von fremder Herrschaft aufzuheben, ihre staatliche Einheit zu beseitigen oder ein zu ihnen gehörendes Gebiet abzutrennen, 2. Bestrebungen gegen die Sicherheit des Bundes oder eines Landes solche politisch motivierten zielund zweckgerichteten Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluss, der darauf gerichtet ist, den Bund, Länder oder deren Einrichtungen in ihrer Funktionsfähigkeit erheblich zu beeinträchtigen, 3. Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung solche politisch motivierten zielund zweckgerichteten Verhaltensweisen in einem oder für einen Personenzusammenschluss, der darauf gerichtet ist, einen der in Absatz 2 genannten Verfassungsgrundsätze zu beseitigen oder außer Geltung zu setzen. Für einen Personenzusammenschluss handelt, wer ihn in seinen Bestrebungen nachdrücklich unterstützt (SS 4 Absatz 1 Sätze 1 und 2 BVerfSchG). Bestrebungen im Sinne dieses Gesetzes sind auch Verhaltensweisen gemäß Satz 1 von Einzelpersonen, die nicht in einem oder für einen Personenzusammenschluss handeln, wenn sie gegen Schutzgüter dieses Gesetzes mit Anwendung von Gewalt gerichtet sind oder diese sonst angreifen und bekämpfen. (2) Zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung im Sinne diese Gesetzes zählen gemäß SS 4 Absatz 2 BVerfSchG 1. das Recht des Volkes, die Staatsgewalt in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung auszuüben und die Volksvertretung in allgemeiner, unmittelbarer, freier, gleicher und geheimer Wahl zu wählen, 2. die Bindung der Gesetzgebung an die verfassungsmäßige Ordnung und die Bindung der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung an Gesetz und Recht, 3. das Recht auf Bildung und Ausübung einer parlamentarischen Opposition, 4. die Verantwortlichkeit der Regierung gegenüber der Volksvertretung und ihre Ablösbarkeit, 5. die Unabhängigkeit der Gerichte, 269 6. der Ausschluss jeder Gewaltund Willkürherrschaft und 7. die im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte. SS6 Voraussetzung und Rahmen für die Tätigkeit des Landesamtes für Verfassungsschutz Das Landesamt für Verfassungsschutz darf nur Maßnahmen ergreifen, wenn und soweit sie zur Erfüllung seiner Aufgaben erforderlich sind; dies gilt insbesondere für die Erhebung und weitere Verarbeitung personenbezogener Daten. Von mehreren möglichen und geeigneten Maßnahmen hat es diejenige zu treffen, die den einzelnen insbesondere in seinen Grundrechten und die Allgemeinheit voraussichtlich am wenigsten beeinträchtigt. Eine geringere Beeinträchtigung ist in der Regel anzunehmen, wenn die Information aus allgemein zugänglichen Quellen oder durch eine behördliche Auskunft gewonnen werden kann. Eine Maßnahme darf nicht zu einem Nachteil führen, der zu dem erstrebten Erfolg erkennbar außer Verhältnis steht. Sie ist nur so lange zulässig, bis ihr Zweck erreicht ist oder sich zeigt, dass er nicht erreicht werden kann. 2. Abschnitt Erheben und weitere Verarbeitung von Informationen SS7 Befugnisse des Landesamtes für Verfassungsschutz (1) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf zur Erfüllung seiner Aufgaben Informationen erheben und weiter verarbeiten. (2) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf bei den hamburgischen Behörden und den der Aufsicht der Freien und Hansestadt Hamburg unterstehenden juristischen Personen des öffentlichen Rechts nur die Informationen einschließlich personenbezogener Daten erheben, die diesen Stellen im Rahmen ihrer Aufgabenerfüllung bereits vorliegen und die zur Erfüllung der Aufgaben des Verfassungsschutzes erforderlich sind. Das Landesamt für Verfassungsschutz braucht die Ersuchen nicht zu begründen, soweit dies dem Schutz des Betroffenen dient oder eine Begründung den Zweck der Maßnahme gefährden würde. (3) Ist zum Zwecke der Datenerhebung die Übermittlung von personenbezogenen Daten unerlässlich, ist sie auf das unbedingt erforderliche Maß zu 270 beschränken. Schutzwürdige Interessen des Betroffen dürfen nur in unvermeidbarem Umfang beeinträchtigt werden. SS8 Erheben von Informationen mit nachrichtendienstlichen Mitteln (1) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf mit nachrichtendienstlichen Mitteln Informationen verdeckt erheben. Der Einsatz von nachrichtendienstlichen Mitteln ist vorbehaltlich SS 6 nur zulässig, wenn 1. er sich gegen Organisationen, unorganisierte Gruppen, in ihnen oder einzeln tätige Personen richtet, bei denen tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht von Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 4 Absatz 1 bestehen, 2. er sich gegen andere als die in Nummer 1 genannten Personen richtet, von denen auf Grund bestimmter Tatsachen anzunehmen ist, dass sie für den Betroffenen bestimmte oder von ihm herrührende Mitteilungen entgegennehmen oder weitergeben, um auf diese Weise Erkenntnisse über sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten für eine fremde Macht oder gewalttätige Bestrebungen und Tätigkeiten nach SS 4 Absatz 1 zu gewinnen, 3. auf diese Weise die zur Erforschung von Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 4 Absatz 1 erforderlichen Nachrichtenzugänge geschaffen werden können oder 4. dies zur Abschirmung der Mitarbeiter, Einrichtungen, Gegenstände und Nachrichtenzugänge des Landesamtes für Verfassungsschutz gegen sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten erforderlich ist. Das Landesamt für Verfassungsschutz darf die so gewonnenen Informationen nur für die in Satz 2 genannten Zwecke verwenden. Unterlagen, die für diese Zwecke nicht erforderlich sind, sind unverzüglich zu vernichten. Die Vernichtung kann unterbleiben, wenn die Informationen von anderen schriftlichen Unterlagen, die zur Erfüllung der Aufgaben erforderlich sind, nicht oder nur mit unvertretbarem Aufwand getrennt werden können; in diesem Fall unterliegen sie einem Verwertungsverbot. (2) Zulässige nachrichtendienstliche Mittel sind 1. verdeckt eingesetzte hauptamtliche Mitarbeiter des Landesamtes für Verfassungsschutz, 271 2. verdeckt eingesetzte Personen, die nicht in einem arbeitsvertraglichen oder öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis zum Landesamt für Verfassungsschutz stehen, wie Vertrauensleute, Informanten, Gewährspersonen, 3. planmäßig angelegte Beobachtungen (Observationen), 4. Bildaufzeichnungen, 5. verdeckte Ermittlungen und Befragungen, 6. verdecktes Mithören ohne Inanspruchnahme technischer Mittel, 7. verdecktes Mithören und Aufzeichnen des nicht öffentlich gesprochenen Wortes oder sonstiger Signale unter Einsatz technischer Mittel außerhalb von Wohnungen (Artikel 13 des Grundgesetzes), 8. Beobachten und Aufzeichnen des Funkverkehrs, soweit nicht der Postund Fernmeldeverkehr nach Maßgabe des Gesetzes zu Artikel 10 Grundgesetz vom 13. August 1968 (Bundesgesetzblatt I Seite 949), zuletzt geändert am 27. Mai 1992 (Bundesgesetzblatt I Seiten 997, 998), betroffen ist, 9. Aufbau und Gebrauch von Legenden, 10. Beschaffen, Erstellen und Verwenden von Tarnpapieren und Tarnkennzeichen, 11. Überwachen des Brief-, Postund Fernmeldeverkehrs nach Maßgabe des Gesetzes zu Artikel 10 Grundgesetz sowie 12. weitere vergleichbare Methoden, Gegenstände und Instrumente zur heimlichen Informationsbeschaffung, insbesondere das sonstige Eindringen in technische Kommunikationsbeziehungen durch Bild-, Tonund Datenaufzeichnungen, um die nach Absatz 1 erforderlichen Informationen zu gewinnen. Die nachrichtendienstlichen Mittel sind abschließend in einer Dienstvorschrift zu benennen, die auch die Zuständigkeit für die Anordnung solcher Informationserhebungen regelt. Die Dienstvorschrift bedarf der Zustimmung des Präses der zuständigen Behörde. Dem Hamburgischen Datenschutzbeauftragten ist Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Die Behörden der Freien und Hansestadt Hamburg sind verpflichtet, dem Landesamt für Verfassungsschutz Hilfe für Tarnungsmaßnahmen zu leisten. 272 (3) Ein Eingriff, der in seiner Art und Schwere einer Beschränkung des Brief-, Postund Fernmeldegeheimnisses gleichkommt, bedarf der Zustimmung des Präses, bei dessen Verhinderung des Staatsrates der zuständigen Behörde. (4) Im Falle des Absatzes 3 sind der betroffenen Person nachrichtendienstliche Maßnahmen nach ihrer Beendigung mitzuteilen, wenn eine Gefährdung des Zwecks der Maßnahme ausgeschlossen werden kann. Lässt sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht abschließend beurteilen, ob diese Voraussetzung vorliegt, ist die Mitteilung vorzunehmen, sobald eine Gefährdung des Zwecks der Maßnahme ausgeschlossen werden kann. Einer Mitteilung bedarf es nicht, wenn diese Voraussetzung auch nach fünf Jahren noch nicht eingetreten ist. SS9 Weitere Verarbeitung personenbezogener Daten (1) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf zur Erfüllung seiner Aufgaben personenbezogene Daten weiter verarbeiten, wenn 1. tatsächliche Anhaltspunkte für den Verdacht bestehen, dass die betroffene Person an Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 4 Absatz 1 teilnimmt, und dies für die Beobachtung der Bestrebung oder Tätigkeit erforderlich ist, 2. dies für die Erforschung und Bewertung von gewalttätigen Bestrebungen oder geheimdienstlichen Tätigkeiten nach SS 4 Absatz 1 erforderlich ist, 3. dies zur Schaffung oder Erhaltung nachrichtendienstlicher Zugänge über Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 4 Absatz 1 erforderlich ist oder in Akten dürfen über Satz 1 Nummer 2 hinaus personenbezogene Daten auch verarbeitet werden, wenn dies zur Erforschung und Bewertung nicht gewalttätiger Bestrebungen und Tätigkeiten nach SS 4 Absatz 1 erforderlich ist. (2) Das Landesamt für Verfassungsschutz hat die Speicherungsdauer auf das für seine Aufgabenerfüllung erforderliche Maß zu beschränken. Bei der Einzelfallbearbeitung, im übrigen jeweils spätestens vier Jahre beginnend ab der ersten Speicherung, prüft das Landesamt für Verfassungsschutz, ob die Speicherung der personenbezogenen Daten weiterhin erforderlich ist. (3) Gespeicherte personenbezogene Daten über Bestrebungen und Tätigkeiten nach SS 4 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1, 3 oder 4 dürfen länger als zehn Jahre nach dem Zeitpunkt der letzten gespeicherten Information nur mit Zustimmung des Präses der zuständigen Behörde oder der von ihm besonders 273 ermächtigten Bediensteten des Landesamtes für Verfassungsschutz gespeichert bleiben. SS 10 Verarbeitung von Daten Minderjähriger (1) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf unter den Voraussetzungen des SS 9 Daten über Minderjährige in Sachakten und amtseigenen Dateien speichern und weiter verarbeiten. Daten über Minderjährige vor Vollendung des 16. Lebensjahres dürfen nicht in gemeinsamen Dateien (SS 6 BVerfSchG), Daten Minderjähriger vor Vollendung des 14. Lebensjahres nicht in amtseigenen Dateien gespeichert werden. (2) Daten über Minderjährige in Dateien sind nach zwei Jahren auf die Erforderlichkeit der weiteren Speicherung zu überprüfen; spätestens nach fünf Jahren sind diese Daten zu löschen, es sei denn, dass nach Eintritt der Volljährigkeit weitere Erkenntnisse nach SS 4 Absatz 1 angefallen sind. SS 11 Berichtigung, Sperrung und Löschung (1) Erweist sich eine Information nach ihrer Übermittlung als unrichtig oder unvollständig, hat die übermittelnde Stelle ihre Information unverzüglich gegenüber dem Empfänger zu berichtigen oder zu ergänzen, wenn durch die unrichtige oder unvollständige Übermittlung schutzwürdige Interessen des Betroffenen beeinträchtigt sein können. Die Berichtigung erfolgt dadurch, dass die unrichtigen Angaben, soweit sie in Akten enthalten sind, entfernt werden und, soweit sie in Dateien gespeichert sind, gelöscht werden. Hiervon kann abgesehen werden, wenn die Trennung von zu berichtigenden und richtigen Informationen nicht oder nur mit unverhältnismäßigem Aufwand möglich ist. (2) Personenbezogene Daten, die ausschließlich zu Zwecken der Datenschutzkontrolle oder der Datensicherung gespeichert werden, dürfen nur für diese Zwecke oder bei Verdacht des Datenmissbrauchs genutzt werden. (3) Im übrigen gilt für die Berichtigung, Sperrung und Löschung SS 19 des Hamburgischen Datenschutzgesetzes vom 5. Juli 1990 (Hamburgisches Gesetzund Verordnungsblatt Seiten 133, 165, 226), zuletzt geändert am 10. März 1992 (Hamburgisches Gesetzund Verordnungsblatt Seite 39). 274 3. Abschnitt Datenübermittlung SS 12 Übermittlung nicht personenbezogener Daten Das Landesamt für Verfassungsschutz kann die im Rahmen seiner gesetzslichen Aufgabenerfüllung erlangten Daten, die nicht personenbezogen sind, an andere Behörden und Stellen, insbesondere an die Polizei und die Staatsanwaltschaft, übermitteln, wenn sie für die Aufgabenerfüllung der Empfänger erforderlich sein können. SS 13 Übermittlung personenbezogener Daten an inländische Nachrichtendienste (1) Gemäß SS 5 Absatz 1 BVerfSchG übermittelt das Landesamt für Verfassungsschutz dem Bundesamt für Verfassungsschutz und den Verfassungsschutzbehörden der Länder alle personenbezogenen Daten, deren Kenntnis zur Erfüllung der Aufgaben der Empfänger erforderlich ist. (2) Gemäß SS 21 Absatz 2 BVerfSchG übermittelt das Landesamt für Verfassungsschutz dem Bundesnachrichtendienst und dem Militärischen Abschirmdienst Informationen einschließlich personenbezogener Daten. SS 14 Übermittlung personenbezogener Daten an inländische öffentliche Stellen und Strafverfolgungsbehörden (1) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf Informationen einschließlich personenbezogener Daten an inländische öffentliche Stellen übermitteln, wenn dies zum Schutz vor Bestrebungen oder Tätigkeiten nach SS 4 Absatz 1 zwingend erforderlich ist oder der Empfänger nach SS 4 Absatz 2 tätig wird. Der Empfänger darf die übermittelten Daten nur für den Zweck verwenden, zu dem sie ihm übermittelt wurden. Hierauf ist er hinzuweisen. (2) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf über Absatz 1 hinaus Informationen einschließlich personenbezogener Daten an die Staatsanwaltschaften und die Polizei übermitteln, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass jemand eine in den SSSS 74 a und 120 Gerichtsverfassungsgesetz, SS 100 a Nummern 3 und 4 Strafprozessordnung und SSSS 130, 131 Strafgesetzbuch genannte Straftat plant, begeht oder begangen hat sowie sonstige Straftaten, bei denen aufgrund ihrer Zielsetzung, des Motivs des Täters oder dessen Verbindung zu einer Organisation tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie gegen die in Artikel 73 Nummer 10 Buchstabe b oder c des Grund275 gesetzes genannten Schutzgüter gerichtet sind. Personenbezogene Daten, die das Landesamt für Verfassungsschutz selbst mit nachrichtendienstlichen Mitteln nach SS 8 erhoben hat, dürfen nur dann an die Staatsanwaltschaft oder an die Polizei übermittelt werden, wenn die tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen für deren Erhebung mit entsprechenden Befugnissen zur verdeckten Datenerhebung nach der Strafprozessordnung oder nach den SSSS 9 bis 12 und SS 23 Gesetz über die Datenverarbeitung der Polizei vom 2. Mai 1991 (Hamburgisches Gesetzund Verordnungsblatt Seiten 187, 191) vorgelegen hätten. SS 15 Übermittlung personenbezogener Daten an Stationierungsstreitkräfte Das Landesamt für Verfassungsschutz darf Informationen einschließlich personenbezogener Daten an Dienststellen der Stationierungsstreitkräfte im Rahmen von Artikel 3 des Zusatzabkommens zu dem Abkommen zwischen den Parteien des Nordatlantikvertrags über die Rechtsstellung ihrer Truppen hinsichtlich der in der Bundesrepublik Deutschland stationierten ausländischen Streitkräfte vom 3. August 1959 (Bundesgesetzblatt II 1961 Seiten 1183, 1218) übermitteln. Die Entscheidung für eine Übermittlung treffen der Präses der zuständigen Behörde oder die von ihm besonders ermächtigten Bediensteten des Landesamtes für Verfassungsschutz. Der Empfänger ist darauf hinzuweisen, dass er die übermittelten Daten nur zur Verarbeitung für den Zweck erhält, zu dem sie ihm übermittelt wurden. SS 16 Übermittlung personenbezogener Daten an ausländische öffentliche Stellen Das Landesamt für Verfassungsschutz darf personenbezogene Daten im Einvernehmen mit dem Bundesamt für Verfassungsschutz an ausländische öffentliche Stellen sowie an überoder zwischenstaatliche Stellen übermitteln, wenn die Übermittlung zur Erfüllung seiner Aufgaben oder zur Wahrung erheblicher Sicherheitsinteressen des Empfängers erforderlich ist. Die Entscheidung für eine Übermittlung treffen der Präses der zuständigen Behörde oder die von ihm besonders ermächtigten Bediensteten des Landesamtes für Verfassungsschutz. Die Übermittlung unterbleibt, wenn auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland oder überwiegende schutzwürdige Interessen des Betroffenen entgegenstehen oder wenn dadurch gegen den Zweck eines deutschen Gesetzes verstoßen würde. Der Empfänger ist darauf hinzuweisen, dass er die übermittelten Daten nur zur Verarbeitung für den Zweck erhält, zu dem sie ihm übermittelt wurden. 276 SS 17 Übermittlung personenbezogener Daten an Stellen außerhalb des öffentlichen Bereichs (1) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf personenbezogene Daten an Personen oder Stellen außerhalb des öffentlichen Bereichs nicht übermitteln, es sei denn, dass die Übermittlung zum Schutz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, des Bestandes oder der Sicherheit des Bundes oder eines Landes erforderlich ist und der Präses oder bei seiner Verhinderung der Staatsrat der zuständigen Behörde seine Zustimmung erteilt hat. Dies gilt nicht bei Erhebungen nach SS 7 Absatz 3. (2) Das Landesamt für Verfassungsschutz führt über die Übermittlung nach Absatz 1 einen Nachweis, aus dem der Zweck und die Veranlassung der Übermittlung, die Aktenfundstelle und der Empfänger hervorgehen. Die Nachweise sind gesondert aufzubewahren, gegen unberechtigten Zugriff zu sichern und am Ende des Kalenderjahres, das dem Jahr ihrer Erstellung folgt, zu vernichten. (3) Der Empfänger darf die übermittelten Daten nur für den Zweck verwenden, zu dem sie ihm übermittelt wurden. Hierauf ist er hinzuweisen. SS 18 Übermittlung personenbezogener Daten an die Öffentlichkeit Bei der Unterrichtung der Öffentlichkeit einschließlich der Medien über Erkenntnisse des Landesamtes für Verfassungsschutz ist die Übermittlung personenbezogener Daten nur zulässig, wenn sie zu einer sachgerechten Information zwingend erforderlich ist. Stehen schutzwürdige Interessen des Betroffenen entgegen, kommt eine Übermittlung der personenbezogenen Daten des Betroffenen nur dann in Betracht, wenn die Interessen der Allgemeinheit deutlich überwiegen. SS 19 Übermittlung personenbezogener Daten an das Landesamt für Verfassungsschutz (1) Die hamburgischen Behörden und die der Aufsicht der Freien und Hansestadt Hamburg unterstehenden juristischen Personen des öffentlichen Rechts sind befugt, die Daten zu übermitteln, um die das Landesamt für Verfassungsschutz nach SS 7 Absatz 2 ersucht hat, soweit sie diesen Stellen bereits vorliegen. 277 (2) Die in Absatz 1 genannten Stellen übermitteln dem Landesamt für Verfassungsschutz alle ihnen im Rahmen ihrer Aufgabenerfüllung vorliegenden Informationen über gewalttätige Bestrebungen und Tätigkeiten oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen gemäß SS 4 Satz 1 Nummern 1, 3 und 4 und über sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten nach SS 4 Absatz 1 Satz 1 Nummern 2 und 3. (3) Die Staatsanwaltschaften und, vorbehaltlich der staatsanwaltschaftlichen Sachleitungsbefugnis, die Polizei übermitteln darüber hinaus auch andere im Rahmen ihrer Aufgabenerfüllung bekanntgewordene Informationen über Bestrebungen nach SS 4 Absatz 1, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Übermittlung für die Erfüllung der Aufgaben des Landesamtes für Verfassungsschutz erforderlich ist. Die Übermittlung personenbezogener Daten, die aufgrund einer Maßnahme nach SS 100 a Strafprozessordnung (StPO) bekanntgeworden sind, ist nur zulässig, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass jemand eine der in SS 2 des Gesetzes zu Artikel 10 Grundgesetz genannten Straftaten plant, begeht oder begangen hat. Die Übermittlung personenbezogener Informationen, die auf Grund anderer strafprozessualer Zwangsmaßnahmen oder verdeckter Datenerhebungen nach SS 2 Absatz 3 Satz 3 oder nach den SSSS 9 bis 12 des Gesetzes über die Datenverarbeitung der Polizei vom 2. Mai 1991 (Hamburgisches Gesetzund Verordnungsblatt Seiten 187, 191) bekanntgeworden sind, ist nur zulässig, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für gewalttätige Bestrebungen oder sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten bestehen; die Übermittlung ist auch zulässig, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für eine in SSSS 74 a und 120 Gerichtsverfassungsgesetz und SSSS 130, 131 Strafgesetzbuch genannte Straftat bestehen oder eine sonstige Straftat, bei der aufgrund ihrer Zielsetzung, des Motivs des Täters oder dessen Verbindung zu einer Organisation tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass sie gegen die in Artikel 73 Nummer 10 Buchstabe b oder c des Grundgesetzes genannten Schutzgüter gerichtet ist. Auf die nach Satz 2 übermittelten Informationen und die dazu gehörenden Unterlagen ist Artikel 1 SS 7 Absätze 3 und 4 des Gesetzes zu Artikel 10 Grundgesetz entsprechend anzuwenden. Die nach Satz 2 übermittelten Informationen dürfen nur zur Erforschung gewalttätiger Bestrebungen oder sicherheitsgefährdender oder geheimdienstlicher Tätigkeiten genutzt werden. (4) Das Landesamt für Verfassungsschutz hat die übermittelten Informationen unverzüglich darauf zu überprüfen, ob sie zur Erfüllung seiner Aufgaben erforderlich sind. Ist dies nicht der Fall, sind die Unterlagen zu vernichten. Die Vernichtung unterbleibt, wenn die Unterlagen von anderen Informationen, die zur Erfüllung der Aufgaben erforderlich sind, nicht oder nur mit unvertretbarem Aufwand getrennt werden können; in diesem Fall unterliegen die personenbezogenen Daten einem Verwertungsverbot und sind entsprechend zu kennzeichnen. 278 (5) Das Landesamt für Verfassungsschutz hat die Informationsübermittlung aktenkundig zu machen. Vorschriften in anderen Gesetzen über die Informationsübermittlung an das Landesamt für Verfassungsschutz und über ihre Dokumentation bleiben unberührt. SS 20 Registereinsicht durch das Landesamt für Verfassungsschutz (1) Das Landesamt für Verfassungsschutz darf in von öffentlichen Stellen geführte Register und Datensammlungen einsehen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen über 1. Bestrebungen, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung, den Bestand oder die Sicherheit des Bundes oder eines Landes gerichtet sind (SS 4 Absatz 1 Satz 1 Nummer 1), oder 2. sicherheitsgefährdende oder geheimdienstliche Tätigkeiten für eine fremde Macht (SS 4 Absatz 1 Satz 1 Nummer 2) oder 3. Bestrebungen, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen auswärtige Belange der Bundesrepublik Deutschland gefährden (SS 4 Absatz 1 Satz 1 Nummer 3), oder 4. Bestrebungen und Tätigkeiten, die durch Anwendung von Gewalt oder darauf gerichtete Vorbereitungshandlungen gegen den Gedanken der Völkerverständigung oder das friedliche Zusammenleben der Völker gerichtet sind (SS 4 Absatz 1 Satz 1 Nummer 4). (2) Eine Einsichtnahme ist nur zulässig, wenn 1. die Aufklärung auf andere Weise nicht möglich erscheint, insbesondere durch eine Übermittlung der Daten durch die registerführende Stelle der Zweck der Maßnahme gefährdet würde, 2. die betroffenen Personen durch eine anderweitige Aufklärung unverhältnismäßig beeinträchtigt würden und 3. eine besondere gesetzliche Geheimhaltungsvorschrift oder ein Berufsgeheimnis ihr nicht entgegensteht. (3) Die Anordnung für die Maßnahme treffen der Präses der zuständigen Behörde oder die von ihm besonders ermächtigten Bediensteten des Landesamtes für Verfassungsschutz. 279 (4) Die auf diese Weise gewonnenen Unterlagen dürfen nur zu den in Absatz 1 genannten Zwecken verwendet werden. Gespeicherte Daten sind zu löschen und Unterlagen zu vernichten, sobald sie für diese Zwecke nicht mehr benötigt werden. (5) Über die Tatsache der Einsichtnahme ist ein gesonderter Nachweis zu führen, aus dem ihr Zweck, die in Anspruch genommenen Stellen sowie die Namen der Betroffenen hervorgehen. Diese Aufzeichnungen sind gesondert aufzubewahren, durch technische und organisatorische Maßnahmen gegen unbefugten Zugriff zu sichern und am Ende des Kalenderjahres, das dem Jahr ihrer Erstellung folgt, zu vernichten. SS 21 Übermittlungsverbote und -einschränkungen (1) Die Übermittlung von Informationen nach diesem Abschnitt unterbleibt, wenn 1. eine Prüfung durch die übermittelnde Stelle ergibt, dass die Informationen zu vernichten sind oder einem Verwertungsverbot unterliegen oder für den Empfänger nicht mehr bedeutsam sind, 2. überwiegende Sicherheitsinteressen dies erfordern oder 3. für die übermittelnde Stelle erkennbar ist, dass unter Berücksichtigung der Art der Informationen und ihrer Erhebung die schutzwürdigen Interessen des Betroffenen das Allgemeininteresse an der Übermittlung überwiegen. (2) Besondere Rechtsvorschriften, die Informationsübermittlungen zulassen, einschränken oder verbieten sowie die Verpflichtung zur Wahrung gesetzlicher Geheimhaltungspflichten oder von Berufsoder besonderen Amtsgeheimnissen, die nicht auf gesetzlichen Vorschriften beruhen, bleiben unberührt. SS 22 Übermittlung personenbezogener Daten Minderjähriger (1) Personenbezogene Daten Minderjähriger vor Vollendung des 16. Lebensjahres dürfen nach den Vorschriften dieses Gesetzes übermittelt werden, wenn tatsächliche Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Minderjährige eine der in SS 2 des Gesetzes zu Artikel 10 Grundgesetz genannten Straftaten plant, begeht oder begangen hat, im übrigen, solange die Voraussetzungen der Speicherung nach SS 10 erfüllt sind. 280 (2) Personenbezogene Daten Minderjähriger vor Vollendung des 16. Lebensjahres dürfen nach den Vorschriften dieses Gesetzes nicht an ausländische oder überoder zwischenstaatliche Stellen übermittelt werden. 4. Abschnitt Auskunftserteilung SS 23 Auskunftserteilung Für die Auskunftserteilung gilt SS 18 des Hamburgischen Datenschutzgesetzes. 5. Abschnitt Parlamentarische Kontrolle des Verfassungsschutzes SS 24 Parlamentarischer Kontrollausschuss Zur parlamentarischen Kontrolle des Senats auf dem Gebiet des Verfassungsschutzes bildet die Bürgerschaft einen Kontrollausschuss. Dieser tagt in nichtöffentlicher Sitzung. SS 25 Zusammensetzung und Pflichten des Ausschusses (1) Der Ausschuss besteht aus sieben Mitgliedern der Bürgerschaft. (2) Die Mitglieder des Ausschusses werden von der Bürgerschaft in geheimer Abstimmung gewählt. (3) Die Mitglieder des Ausschusses sind zur Geheimhaltung der Angelegenheiten verpflichtet, die ihnen im Zusammenhang mit ihrer Tätigkeit in dem Ausschuss bekanntgeworden sind. Dies gilt auch für die Zeit nach ihrem Ausscheiden aus dem Ausschuss oder aus der Bürgerschaft. (4) Der Ausschuss wählt einen Vorsitzenden und gibt sich eine Geschäftsordnung. (5) Sitzungsunterlagen und Protokolle verbleiben im Gewahrsam des Landesamtes für Verfassungsschutz und können nur dort von den Ausschussmitgliedern eingesehen werden. 281 (6) Scheidet ein Mitglied des Ausschusses aus der Bürgerschaft oder seiner Fraktion aus, so verliert es seine Mitgliedschaft im Ausschuss; für dieses Mitglied ist unverzüglich ein neues Mitglied zu bestimmen. Das gleiche gilt, wenn ein Mitglied aus dem Ausschuss ausscheidet. (7) Der Parlamentarische Kontrollausschuss erstattet der Bürgerschaft jährlich einen Bericht über seine Kontrolltätigkeit. Dabei sind die Grundsätze des Absatzes 3 zu beachten. SS 26 Aufgaben des Ausschusses (1) Der Ausschuss übt die parlamentarische Kontrolle auf dem Gebiet des Verfassungsschutzes aus. Die Rechte der Bürgerschaft bleiben unberührt. (2) Zur Erfüllung seiner Kontrollaufgaben kann der Ausschuss vom Senat die erforderlichen Auskünfte, Unterlagen, Akten und Dateieinsichten, Stellungnahmen und den Zutritt zu den Räumen des Landesamtes für Verfassungsschutz und die Entsendung bestimmter Angehöriger des öffentlichen Dienstes als Auskunftspersonen verlangen. Der Senat bescheidet ein solches Kontrollbegehren abschlägig oder schränkt die Aussagegenehmigung ein, wenn gesetzliche Vorschriften oder das Staatswohl entgegenstehen. In diesem Fall legt der Senat dem Ausschuss seine Gründe dar. (3) Der Senat unterrichtet den Ausschuss in Abständen von höchstens drei Monaten oder auf Antrag eines Mitglieds über die Tätigkeit des Landesamtes für Verfassungsschutz. (4) Der Senat hat dem Ausschuss 1. Gefahren für die Schutzgüter des SS 1, 2. die Dienstvorschrift über nachrichtendienstliche Mittel nach SS 8 Absatz 2 Satz 2 sowie ihre Änderungen, 3. die Maßnahmen nach SS 8 Absatz 3, 4. die Weiterspeicherung nach SS 9 Absatz 3, 5. die tatsächliche Arbeitsaufnahme mit einer Datei, für die eine Dateibeschreibung nach SS 9 Absatz 1 des Hamburgischen Datenschutzgesetzes vorgeschrieben ist, und ihre wesentlichen inhaltlichen Änderungen, 282 6. die Übermittlung personenbezogener Daten an Stationierungsstreitkräfte nach SS 15, 7. die Übermittlung personenbezogener Daten an ausländische öffentliche Stellen nach SS 16, 8. die Übermittlung personenbezogener Daten an Stellen außerhalb des öffentlichen Bereichs nach SS 17, 9. Anfragen bei ausländischen öffentlichen Stellen nach SS 12 Absatz 5 Satz 3 des Hamburgischen Sicherheitsüberprüfungsgesetzes (HmbSÜG) vom 25. Mai 1999 (Hamburgisches Gesetzund Verordnungsblatt Seite 82), mitzuteilen und jährlich über die Prüfungen nach SS 9 Absatz 2 Satz 2 zu berichten. SS 27 Eingaben Eingaben einzelner Bürger oder einzelner Angehöriger des Verfassungsschutzes über ein sie betreffendes Verhalten des Landesamtes für Verfassungsschutz sind dem Ausschuss zur Kenntnis zu geben. Der Ausschuss hat auf Antrag eines Mitglieds Petenten und Auskunftspersonen zu hören. SS 26 Absatz 2 findet entsprechende Anwendung. Die Rechte des Eingabenausschusses bleiben unberührt. 6. Abschnitt Schlussvorschriften SS 28 Änderung des Gesetzes zur Ausführung des Gesetzes zu Artikel 10 Grundgesetz In SS 1 des Gesetzes zur Ausführung des Gesetzes zu Artikel 10 Grundgesetz vom 17. Januar 1969 mit der Änderung vom 02. Februar 1981 (Hamburgisches Gesetzund Verordnungsblatt 1969 Seite 5, 1981 Seite 24), wird folgender Absatz 5 angefügt: "(5) Die Kommission ist ausschließlich für die Überprüfung der von der zuständigen Behörde angeordneten Beschränkungsmaßnahmen zuständig. Sie kann zu ihrer Unterstützung den Hamburgischen Datenschutzbeauftragten ersuchen, die Einhaltung der Vorschriften über den Datenschutz in ihrem Zuständigkeitsbereich zu kontrollieren und ausschließlich ihr darüber zu berichten." 283 SS 29 Inkrafttreten Dieses Gesetz tritt am Tag nach seiner Verkündung in Kraft. Gleichzeitig tritt das Gesetz über den Verfassungsschutz in der Freien und Hansestadt Hamburg vom 13. Februar 1978 (Hamburgisches Gesetzund Verordnungsblatt Seite 51) außer Kraft. Der Senat 284 Abkürzungsverzeichnis A AA/BO Antifaschistische Aktion / Bundesweite Organisation AB Arbeiterbund für den Wiederaufbau der KPD ABLE Association for Better Living and Education ADA-HaRo Anti-Drogen-Aktion Hamburg-Rosenheim ADHF Föderation für demokratische Rechte in Deutschland e.V. ADHK Konföderation für demokratische Rechte in Europa AFID Föderativer Islamstaat Anatolien (Hintergrund: ICCB) AGH Antifaschistische Gruppe Hamburg AGIF Föderation der ArbeitsimmigrantInnen in Deutschland AIS Islamische Heilsarmee (Algerien) AIW Antiimperialistischer Widerstand AIZ Antiimperialistische Zelle AJF Antifa-Jugendfront AKON Aktion Oder-Neiße e.V. AMA Autonome Männer Antifa AMGT Vereinigung der Neuen Weltsicht in Europa e.V. AMS Assoziation Marxistischer StudentInnen ANS/NA Aktionsfront Nationaler Sozialisten / Nationale Alternative ARF Aktion Deutsches Radio und Fernsehen ARGK Artesa Rizgariya Gele Kurdistan = Volksbefreiungsarmee Kurdistans ATIF Föderation der Arbeiter aus der Türkei in Deutschland e.V. ATIK Konföderation der Arbeiter aus der Türkei in Europa B B5 Brigittenstraße 5 BAT Bundesweites Antifa-Treffen BdA Bund der Antifaschisten BDVG Bildungswerk Deutsche Volksgemeinschaft BFB Bund Freier Bürger BIG Bündnis der islamischen Gemeinden in Norddeutschland und Hamburg e.V. C CCHR Citizens Commission on Human Rights CLO Continental Liaison Office D DABK Ostanatolisches Gebietskomitee DBGP Plattform der Vereinigten Revolutionären Kräfte DGH Demokratische Jugendbewegung (TKP(ML) DHKP-C Devrimci Halk Kurtulus Partisi-Cephesi = Revolutionäre Volksbefreiungspartei/-Front 285 DKP Deutsche Kommunistische Partei DLVH Deutsche Liga für Volk und Heimat DNZ Deutsche National-Zeitung DPK / I Demokratische Partei Kurdistans / Irak (auch KDP genannt) DSB Demokratischer Künstlerverband DSVK Deutscher Schutzbund für Volk und Kultur DVAD Demokratische Vereinigung der AlbanerInnen in Deutschland DVU Deutsche Volksunion DWZ Deutsche Wochen-Zeitung E EJAK Front Freier Frauen Kurdistans EMUG Europäische Moscheenbauund Unterstützungsgemeinschaft e.V. ER Ehrenbund Rudel - Gemeinschaft zum Schutz der Frontsoldaten ERNK Eniya Rizgariya Netewa Kurdistan = Nationale Befreiungsfront Kurdistans EYSB Internationaler Schriftstellerund Künstlerbund (TKP(ML) F FAP Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei FAPSI Federalnoye Agentstvo Pravitelstvennoy Suyazi I (Bundesagentur für das Nachrichtenund Informationssystem der Regierung (russischer Dienst, vor allem technische Abwehrund Aufklärungsaufgaben) FCB Flag Command Bureaux FHI Flüchtlingshilfe Iran FIS Islamische Heilsfront (Algerien) FIT Freies Infotelefon Norddeutschland FP Fazilet Partisi (Tugendpartei) FSK Freies Sender Kombinat FSB Federalnaya Sluzhba Bezopasnosti (Föderaler Sicherheitsdienst, russischer Abwehrund Sicherheitsdienst G GfbAEV Gesellschaft f. biolog. Anthropologie, Eugenik u. Verhaltensforsch. e.V. GIA Bewaffnete Islamische Gruppe (Algerien) GRRR Gruppe Ratio Rausch Revolution GRU Glavnde Razvedyvatelnoe Upravleniye Generalnogo Shtaba (Hauptverw. Aufklär. d. Generalstabes, russ. Nachrichtend./militär. Auslandsaufklär.) H HAA Hamburger Autonome Antifagruppe HADEP Demokratiepartei des Volkes bzw. Volksdemokratie-Partei HAMAS Harakat Al-Muqawama Al-Islamiya = Islamische Widerstandsbewegung HCO PL Hubbard Communication Office Policy Letter HLA Hamburger Liste für Ausländerstopp HN Hamburger Nationaldemokraten HNG Hilfsorganisation f. nationale polit. Gefangene u. deren Angehörige e.V. 286 I IAS International Association of Scientologists ICCB Islami Cemaat ve Cemiyetler Birligi = Verband der Islamischen Vereine und Gemeinden e.V. Köln (auch: "Der Kalifatstaat") I.f.A. Initiative für Ausländerbegrenzung IGMG Islamische Gemeinschaft Milli Görüs e.V. IH Islamische Bewegung IMSV Iranische Moslemische Studentenvereinig. Bundesrep. Deutschland IS International Socialists IVVdN Interessenverband ehemaliger Teilnehmer am antifaschistischen Widerstand, Verfolgter des Naziregimes und Hinterbliebener IZH Islamisches Zentrum Hamburg J JD/JL Jungdemokraten / Junge Linke JN Junge Nationaldemokraten JUKO Junge Kommunisten K KB Kommunistischer Bund KDP Demokratische Partei Kurdistans Irak (auch DPK / I genannt) K&D Gruppe Kritik und Diskussion KGB Komitee für Staatssicherheit (ehem. sowjet. Nachrichtendienst) KGÖ Kommunistische Jugendorganisation (der türkischen MLKP) KNK Kurdischer Nationalkongress KPD Kommunistische Partei Deutschlands KS Kurdistan Solidarität Hamburg KPF Kommunistische Plattform KVPM Kommission für Verstöße der Psychiatrie gegen Menschenrechte e.V. L LDK Demokratischer Bund Kosovo LIZ Libertäres Zentrum LKA Landeskriminalamt LKA Libertäres Kulturund Aktionszentrum LPK Volksbewegung von Kosovo LR Linksruck LRSSHJ Bewegung für eine albanische sozialistische Republik in Jugoslawien M MB Muslimbruderschaft (arabisch: "al-Ikhwan al-Muslimun") MED-TV ehemaliger kurdischer Fernsehsender MEDYA-TV kurdischer Fernsehsender MG Marxistische Gruppe 287 MHP Partei der Nationalistischen Bewegung MKO Munafiqeen Khalq Organization (iran., sinngemäß "Heuchler") MLKP Marxistisch-Leninistische Kommunistische Partei N NADIS Nachrichtendienstliches Informationssystem NDB Norddeutsche Bewegung NIT Nationales Infotelefon NL Nationale Liste NLA National Liberation Army (Volksmodjahedin Iran) NPD Nationaldemokratische Partei Deutschlands NR Nordischer Ring e.V. NSDAP/AO Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei / Auslandsu. Aufbauorg. NWRI Nationaler Widerstandsrat Iran NZ National-Zeitung - Deutsche Wochen-Zeitung O OCA Oxford Capacity Analysis OSA Office of Special Affairs P PBD Partei der Demokratischen Vereinigung PCP Kommunistische Partei Perus PDS Partei des Demokratischen Sozialismus PJKK Partei der arbeitenden Frauen Kurdistans PKK Partiya Karkeren Kurdistan = Arbeiterpartei Kurdistans PLO Palestine Liberation Organisation = Palästinensische Befreiungsorgan. PPDK Partei für den Demokratischen Fortschritt PUK Patriotische Union Kurdistans R RAF Rote Armee Fraktion RBF Republikanischer Bund der Frauen REP Die Republikaner RepBB Republikanischer Bund der öffentlichen Bediensteten RH Rote Hilfe e.V. RHV Republikanischer Hochschulverband RIM Revolutionary International Movement RJ Republikanische Jugend RK Revolutionäre Kommunisten RL Radikale Linke RP Refah Partisi = Wohlfahrtspartei RPF Rehabilitation Project Force RTC Religious Technology Center RZ Revolutionäre Zellen bzw. Rote Zora 288 S SAG Sozialistische Arbeitergruppe SDAJ Sozialistische Deutsche Arbeiterjugend SDS Sozialistischer Deutscher Studentenbund SO Scientology-Organisation SSS Skinheads Sächsische Schweiz SWR Sluzhba Vneshney Razvedki (Russisch. ziviler Auslandsnachrichtendienst) T THKP/-C Türkiye Halk Kurtulus Partisi-Cephesi = Türkische Volksbefreiungspartei /-Front; Zusatzbezeichnung: Devrimci Sol (Revolutionäre Linke) TIKKO Türkische Arbeiterund Bauernbefreiungsarmee TKIH Türkische Kommunistische Arbeiterbewegung TKP / M-L (ehemalige) Türkische Kommunistische Partei / Marxisten-Leninisten TKP(ML) DABK-Flügel der ehemaligen TKP / M-L TKP / ML Partizan-Flügel der ehemaligen TKP / M-L TKP / ML H Türkische Kommunistische Partei / Marxisten Leninisten Bewegung TMK Kosovo-Schutzkorps TMLGB Türkischer Marxistisch-Leninistischer Jugendbund U UZ Unsere Zeit UCK Befreiungsarmee von Kosovo U.I.S.A. Union Islamischer Studentenvereine (regierungstreue Iraner) V VEIF Verein zur Eingliederung iranischer Flüchtlinge VIDA Verein Iranischer Demokratischer Akademiker VOGA Volksbewegung für Generalamnestie VVN-BdA Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes - Bund der Antifaschisten W WAW Weisser Arischer Widerstand WDC Watchdog-Comittee WISE World Institute of Scientology Enterprises WOG Scientology-Diktion für Nicht-Scientologen und ihr gesamtes Umfeld Y YAJK Union der freien Frauen aus Kurdistan YCK Yekitiya Ciwanen Kurdistan = Union der Jugendlichen aus Kurdistan YDG Neue Demokratische Jugend (TKP/ML) YDK Neue Demokratische Frau (TKP(ML) 289 Stichwortverzeichnis Anti-Antifa-Kommando! Haut den A Roten auf die Pfoten! Sturm 15 A.H.-Verlag Hamburg * 70 HH/Lohbrügge * 51, 59 AA/BO * 87, 125, 138, 140 Anti-Antifa-Saar-Pfalz * 59 AAB * 170 anti-atom-aktuell * 148 AB * 159 Anti-Atom-Büro * 148 ABC-Waffen * 258, 259 Anti-Drogen-Aktion Hamburg-RosenABLE * 240 heim (ADA-HaRo) * 92 ABU JAMAL, Mumia * Siehe Mumia Antifa Harburg * 140 action directe * 105 Antifa Jugendfront * Siehe AJF ADA-HaRo * 92 Antifa Jugendinfo * 140 ADHF * 206, 208 Antifa Offensive 99 * 125, 139 ADHK * 206 Antifa-Cafe * 139 Adil * 204 AntifaFula * 140 AFID * 215 Antifa-Offensive 99 * 87 AGH * 125, 139, 141, 142, 143 AGIF * 210 Antifaschistische Aktion Berlin (AAB) * 170 Aihneh-e Iran * 229 AIS * 234 Antifaschistische Aktion Passau * 87 AIW * 105, 108, 109, 115, 118, 119, Antifaschistische Aktion/Bundesweite 120, 122, 151, 160, 164, 168 Organisation * Siehe AA/BO AIZ * 112, 113 Antifaschistische Brigade Söderberg * AJF * 140 124 AJF-Versand * 140 Antifaschistische Gruppe Hamburg * AKON * 82 Siehe AGH Aktion deutsches Radio und Antifaschistisches Aktionsbündnis * Fernsehen (ARF) * 83 142 Aktion Oder-Neiße (AKON) * 82 Antifa-Vernetzungstreffen * 129, 141 Aktionsbüro * 30, 57, 58, 62, 64, 67, Antiimperialisten * 105, 119, 122, 123, 72, 73, 74, 75, 76 157, 211 Siehe auch: AIW Aktionsbüro Norddeutschland * 57, 58 Antiimperialistische Internationale Siehe auch Aktionsbüro Brigade * 114 Aktionsgruppe Horst Ludwig Mayer; Antiimperialistische Zelle * Siehe AIZ respektive r.a.f., 4. Generation * Antikriegskomitee * 168 115 Antikriegstag * 156, 169 Al-Jihad Al-Islami * 233 Antimilitaristische Initiative * 123 Alles Marx * 164 Antinationale Konferenz * 107 al-Qods * 230 Antinationales Aktionsbündnis AMA * 140 3. Oktober * 165 AMGT * 212 APFEL, Holger * 90 AMS * 159, 163, 166 Applied Scholastics * 240 Anarchisten * 110, 124, 131, 149, 151 Arbeiterbund für den Wiederaufbau Angehörigen Info * 115, 171 der KPD (AB) * 159 ANSARI * 225 Arbeiterpartei Kurdistans * Siehe PKK Anschauung und Sinnlichkeit * 164 ARF * 83 Anti-Antifa * 50, 51, 52, 59, 66 ARGK * 179, 185, 187, 192, 193 Anti-Antifa HH-Bergedorf * 50 Arischer Widerstand Eggesin * 37 290 Artgemeinschaft - Germanische GlauBefreiung * Siehe Kurtulus bensgemeinschaft wesensgemäßer Befreiungsarmee von Kosovo * Siehe Lebensgestaltung e.V. * 98 UCK Association for Better Living and BEN LADIN, Usama * 231 Education * Siehe ABLE Bewaffnete Islamische Gruppe * Siehe Assoziation Marxistischer GIA Siehe GIA StudentInnen * Siehe AMS Bewegung für eine albanische ATATÜRK, Kemal * 212 sozialistische Republik in ATIF * 205, 208 Jugoslawien * Siehe LRSSHJ ATIK * 205, 206 BFB * 79 Auditing * 241, 251 BIG * 213 Auf dem Weg der Unabhängigkeit - Bildungswerk Deutsche Befreiung * 200 Volksgemeinschaft (BDVG) * 90 Aufbruch 99 * 25, 29, 98 Blood & Honour * 44, 47, 57, 69 Außerparlamentarischen Opposition * Blood & Honour Division 155 Deutschland * 69 Autonome * 104, 108, 109, 118, 122, Blood & Honour Scandinavia * 46 123, 124, 125, 129, 134, 136, 137, Blood & Honour Sektion Nordmark * 147, 150, 151, 153, 154, 157, 159, 48 168, 209, 211 BLOW UP!-the system * 140 Autonome AG gegen Repression * Blue Eyed Devils * 47 128 brigate rosse * 105, 123 Autonome Antifa M * 125, 170 Brigittenstraße 5 * Siehe B 5 Autonome Antifa Weser/Ems * 162 Bund der Antifaschisten * Siehe BdA Autonome Antifaschistische Gruppen Bund Freier Bürger (BFB) * 79 S-H/HH * 142 Bundesweites Antifatreffen * Siehe Autonome Gruppe Gegenenergie * BAT 147 Bündnis 99 * 31, 79 Autonome Gruppen aus Hamburg * Bündnis antimilitaristischer, 142 antiimperialistischer Gruppen autonome hamburg * 153 und Einzelpersonen * 128 Autonome Männer Antifa i.U. * Siehe Bündnis antirassistischer Gruppen AMA aus Schleswig-Holstein und autonome spielverderberinnen aus Hamburg * 133 Hamburg * 141 Bündnis der islamischen Gemeinden autonome und antifaschistische in Norddeutschland und Hamburg gruppen aus hamburg * 145 e.V. * Siehe BIG autonome Zelle * 134 Bündnis Keinen Fußbreit den autonome zelle "in gedenken an Faschisten * 141 ulrike meinhof" * 129, 134 Bündnis-Rechts Lübeck * 102 Autonome Zelle Hamburg * 136 B C B 5 * 129, 131, 139 Cafe Flop * 50, 51 BANISADR * 257 CARLOS * 116 BAT * 129, 138, 140 CC * 240 Bauwagen * 30, 49, 50, 75, 96 CCHR * 240 BdA * 164, 165 Celebrity Center International * 240 BDVG * 90 CELIK, Selahattin * 194 291 Chaos 88 * 47 Dianetik * 236, 242, 251 Charter Komitee * 243, 245 Die Grundlagen des Denkens * 236 Citizens Commission on Human Die Härte - !Vorsicht! National Rights * Siehe CCHR Deutsche Welle * 46 Class-V-Organisationen * 241 Die Republikaner * Siehe REP Clear-Congress-Hamburg * 246 Die Rote Hilfe * 130, 171 CLO * 239 DIESNER, Kay * 21, 52, 53, 59 Club 88 * 48 DKP * 107, 110, 150, 154, 158, 159, Continental Liaison Office * Siehe 161, 163, 165 CLO DLVH * 29, 99 Criminon * 240 DNZ * 84 DOGAN, Mazlum * 188 DONALDSON, Stuart * 47 DPK/I * 120, 187 D DSB * 206 D'ANTONA, Massimo * 123 DSVK * 83 DSZ-Druckschriftenund DABK * 206 Zeitungsverlag GmbH * 83 Das Vaterland ruft * 221 DURAND, Ramirez * 209 DBGP * 173, 199, 203, 205, 207, 212 DVAD * 221 DEMIREL, Mesut * 203 DVU * 24, 27, 29, 30, 31, 32, 77, 78, 81, Demokratiepartei des Volkes * 196 82, 89, 91 Demokratische Jugendbewegung * DVU e.V. * 82, 83 Siehe DGH DVU-Liste D * 82 Demokratische Partei Kurdistans/Irak * DWZ * 84 Siehe DPK/I Demokratische Vereinigung der AlbanerInnen in Deutschland * Siehe DVAD E Demokratischer Bund Kosovo * Siehe Ehrenbund Rudel - Gemeinschaft zum LDK Schutz der Frontsoldaten (ER) * 82 Demokratischer Künstlerverband * Einsatzkommando "Haut den Roten Siehe DSB auf die Pfoten" * 50, 66 Der politische Angriff * Siehe EJAK * 188 Politikada Atilim EMUG * 213 Deutsche Kommunistische Partei * Entrismus * 166 Siehe DKP ER * 82, 83 Deutsche Liga für Volk und Heimat * ERBAKAN, Mehmet Sabri * 212 Siehe DLVH ERBAKAN, Necmettin * 199, 212 Deutsche National-Zeitung (DNZ) * 84 ERNK * 180, 186, 187, 188, 189, 192 Deutsche Stimme * 18, 19, 21, 22, 24, Ernst-Thälmann-Gedenkstätte * 161 95 Ernst-Thälmann-Haus * 159 Deutsche Volksunion * Siehe DVU Ethic Officer * 245 Deutsche Wochen-Zeitung (DWZ) * 84 Ethik * 236, 244 Deutscher Schutzbund für Volk und EU-Gipfel * 131, 209 Kultur (DSVK) * 83 Europäische Frontzentrale * 192 Devrimci Cözüm * 205 Europäische Moscheebauund Devrimci Sol * 199, 200, 201, 205 Unterstützungsgemeinschaft e.V. * DGH * 206 Siehe EMUG DHKP-C * 156, 172, 199, 204 Europäischer Marathon für 292 Menschenrechte * 250 Freies Sender Kombinat * Siehe FSK EXPO * 108, 129 Freies-Infotelefon * Siehe FIT EYSB * 206 Freiheit * 250 EZER, Achim * 90 Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei * Siehe FAP F FREY, Dr. Gerhard * 24, 82, 85, 86 Front Freier Frauen Kurdistans * Siehe FALK, Bernhard * 112, 113 EJAK FALLAHIAN, Ali * 223 FSB * 254, 255, 257 Fantifa Olga Benario * 140 FSK * 131 Fanzines * 41 Fußballspiele (Skinheads) * 48 FAP * 97 FAPSI * 255 Fatwa * 224 G Fazilet Partisi * 199, 212 FCB * 239 Gamaat Islamiya * 231, 233 Federalnoye Agentstvo GÄRTNER, Johann * 78 Pravitelstvennoy Suyazi * Siehe GegenStandpunkt * 168, 169 FAPSI Gesellschaft für biologische AnthroFerderalnaya Sluzhba Bezopasnosti * pologie, Eugenik und VerhaltensSiehe FSB forschung (GfbAEV) * 97 Fetwa * 216 GfbAEV * 97 FHI * 230 FIEDLER, Hans * 76 GIA * 231, 234 FIS * 234 Glasmoor * 137 FIT * 69, 102 Glavnde Razvedyvatelnoe Upravleniye Flag Command Bureaux * Siehe FCB Generalnogo Shtaba * Siehe GRU Flora-Anti-AKW-Gruppe * 128 GOERTZ, Andre * 24, 42, 97, 98, 102 Flüchtlingshilfe Iran * Siehe FHI GORBATSCHOW, Michail * 21 Föderation der Arbeiter aus der Türkei GÖTZE, Michael * 163 in Deutschland e.V. * Siehe ATIF Graswurzelrevolution * 149 Föderation der Großdeutscher Rundfunk - Radio Arbeitsimmigrant/innen aus der Wolfsschanze * 101 Türkei in der Bundesrepublik GRRR * 155 Deutschland e.V. * Siehe AGIF GRU * 254, 255 Föderation für Demokratische Rechte in Deutschland * 206 Gruppe Demontage * 155, 156 Föderativer Islamstaat Anatolien * Gruppe Kritik & Diskussion * Siehe Siehe AFID K&D FP * Siehe Fazilet Partisi bzw. Gruppe Ratio Rausch Revolution * Tugendpartei Siehe GRRR Frauen für Demokratie im Iran * 230 Frauen-Antifa * 140 Free Mumia Abu-Jamal * 157 H Freie Nationalisten * 42, 49, 61, 62, 63, 64, 67, 68, 69, 72, 76 HAA * 140 Freier Frauenverband Kurdistans * HADEP * 196 Siehe YAJK HAMAS * 224, 232, 233 Freies Infotelefon Norddeutschland * Hamburger Autonome Antifagruppe * Siehe FIT Siehe HAA 293 Hamburger Bündnis gegen Rassismus IGMG * 173, 199, 212, 213, 215 und Faschismus * 142, 144, 161, IH * 218 166, 168 Imam-Ali-Moschee * 224 Hamburger Forum * 163, 169 Impact * 238 Hamburger Kulturund IMSV * 227, 230 Solidaritätsverein * 205, 208 Infogruppe Hamburg * 170 Hamburger Liste für Ausländerstopp * Initiative für Ausländerbegrenzung Siehe HLA (I.F.A) * 82 Hamburger Nationaldemokraten (HN) * Initiative Zeit für Frieden in Kurdistan * 96 190 Hamburger Sturm * 50, 53, 69, 70 Interessenverband ehemaliger TeilnehHamburger Sturm 18 * 50, 69 mer am antifaschistischen WiderHammerskins * 44 standskampf, Verfolgter des NaziHARDER, Ulrich * 30, 75, 76, 88, 95, 96 regimes und Hinterbliebener e.V. * HARMS, Olaf * 160 Siehe IVVdN HAULE, Eva * 119 Interim * 115, 123, 132, 151 HCO PL * 236, 237, 252 International Association of Heideheim e.V. (Buchholz) * 97 Scientologists * Siehe IAS Heide-Heim e.V. (Hamburg) * 97 International Socialists (IS) * 166 Heimat * Siehe Vatan Internationaler Block * 209 HEISE, Thorsten * 124 Internationaler Schriftstellerund HEIßLER, Rolf * 119 Künstlerverband * Siehe EYSB HEß, Rudolf * 49, 60, 66, 68, 75 Iranisch Moslemische StudentenHetendorf * 97 Vereinigung Bundesrepublik Hilfsorganisation für nationale Deutschland e.V * Siehe IMSV politische Gefangene und deren IS * 166 Angehörige e.V. * Siehe HNG ISIK, Yusuf * 212 Hizb al Tahrir al Islami * 231 Islamische Bewegung * Siehe IH HIZB ALLAH * 224, 235 Islamische Gemeinschaft Milli Görüs HLA * 29, 99 e.V. * Siehe IGMG HN * 96 Islamische Heilsarmee * Siehe AIS HNG * 56, 59, 61 Islamische Heilsfront * Siehe FIS Hochschulantifa * 140 Islamische Widerstandsbewegung * HODSCHA, Enver * 219 Siehe HAMAS HOGEFELD, Birgit * 119 Islamisches Zentrum Hamburg * HOLLENBERG, Harald * 117 Siehe IZH HONECKER, Erich * 21 Islamisches Zentrum in Münster - Hubbard Communication Office FATIME Versammlung e.V * 224 Policy Letter * Siehe HCO PL Islamisches Zentrum Salman Farsi Siehe HCO PL Moschee e.V * 224 HUBBARD, Ron L. * 236, 237, 239, IVVdN * 164 241, 245, 247, 249 IZH * 222, 224 Izzedin-al-Kassem-Brigaden * 233 I I.F.A. * 82, 83 J IAS * 238, 249 IBARRURI, Dolores * 161 JAFFA Cafe * 140 ICCB * 199, 215, 218 Siehe auch: Jamaat al-Islamiya * 232 Kalifatstaat JD/JL * 155 294 JELZIN, Boris * 254, 255 Komitee gegen den imperialistischen Jerusalemtag * Siehe Qods-Tag Krieg * 122 Jihad * 222, 232, 233 Kommission für Verstöße der JN * 29, 41, 56, 63, 64, 75, 88, 89, 96 Psychiatrie gegen MenschenJugend AntiFa Filme Abend * 140 rechte e.V. * Siehe KVPM JUKO * 159, 163, 164, 166 Kommunistische Jugendorganisation Jungdemokraten/Junge Linke * Siehe * Siehe KGÖ JD/JL Kommunistische Partei Deutschlands Junge Antifa Bergedorf * 140 * Siehe KPD Junge Kommunisten * Siehe JUKO Kommunistische Partei Perus (PCP) * Junge Nationaldemokraten * Siehe 157 JN Kommunistische Plattform der PDS Jungsozialisten (JuSo) * 166, 168 (KPF) * Siehe KPF Kommunistischer Bund (KB) * 154 Konföderation der Arbeiter aus der K Türkei * Siehe ATIK Konföderation für demokratische K&D * 168, 169 Rechte in Europa * Siehe ADHK Kalifatstaat * 94, 173, 199, 215 * Siehe konkret * 156 auch: ICCB KORABELNIKOW, Walentin * 255 Kameradenkreis um Thomas WULFF * KORBMACHER, Dr. Günter * 117 29, 61, 102 Siehe auch Kosovo-Schutzkorps * Siehe TMK WULFF-Kreis KPD * 129 Kameradschaft Bramfeld * 62, 69, 71, KPF * 108, 160 74 Kraftschlag * 47 Kameradschaft Karlsruhe * 25 KRENZ, Egon * 21 KAPLAN, Cemaleddin * 215 KS * 115, 120, 129 KAPLAN, Metin * 94, 215, 216 Kuba-Brigade * 163 KAPLAN-Verband * 199 Kurdischer Nationalkongress * Siehe KARATAS, Dursun * 200, 202 KNK KÄS, Christian * 78 Kurdisches Exilparlament * 188 KAYPAKKAYA * 208 Kurdistan Informationszentrum * 185 KB * 154 Kurdistan Solidarität Hamburg * KEBIR, Rabah * 234 Siehe KS Keinen Fußbreit den Faschisten * 141 Kurdistan-Volkshaus Hamburg * 160 Kemalismus bzw. kemalistisch * 207, Kurtulus * 200 212, 215, 216 KVPM * 240, 246, 247 KGB * 253, 254, 255 KGÖ * 210, 211 KHAMENEI * 222, 223 L KHATAMI, Mohammed * 222, 223, 227, 228, 229 La Pasionaria * 161 KHOMEINI * 222, 224, 225, 226 LAUCK, Gary Rex * 60 KLAR, Christian * 119 LDK * 219 KLEBE, Torben * 47, 57, 69, 70 Leuchtender Pfad * 157 KLEIN, Hans-Joachim * 116, 117 libertad * 119 KLUMP, Andrea * 114, 119 Libertäres Kulturund Aktionszentrum KNK * 187 (LKA) * 131 Komitee für Staatssicherheit * Siehe Libertäres Zentrum (LIZ) * 131 KGB Linksruck * Siehe LR 295 Linksruck (Zeitung) * 167 Muslimbruderschaft * Siehe MB LIZ * 131 Mykonos * 223 LKA (Libertäres Kulturund Aktionszentrum) * 131 Lohbrügger Sturm 15 * 50, 59 N Lokalberichte Hamburg * 146, 169 LPK * 219 Nachrichten der HNG * 60 LR * 109, 166 Nadir Info System * 129, 133, 170 LRSSHJ * 219 NADIS * 15 Narconon * 240 NASRALLAH, Hassan * 224, 235 M National Liberation Army * Siehe NLA National-Anarchisten im M-18 * 210 Volksbefreiungskampf * 19 Magda-Thürey-Zentrum (MTZ) * Nationaldemokratische Partei Siehe MTZ Deutschlands * Siehe NPD MAHLER, Horst * 21, 22, 23, 25, 26, Nationaldemokratischer 98 Hochschulbund * Siehe NHB MAO TSETUNG * 219 Nationale Befreiungsarmee * Siehe Marxistische Gruppe * Siehe MG NLA Marxistischer Jugendverband * 155 Nationale Befreiungsfront Kurdistans * Marxistisch-Leninistische Partei * Siehe ERNK Siehe MLKP Nationale Liste * Siehe NL MATJUCHIN, Wladimir * 255 Nationaler Widerstand (Homepage) * Mazlum Dogan Kultur-, Jugendund 69 Sportfestival * 188 Nationaler Widerstand Eggesin * 37 MB * 232, 233, 234 Nationaler Widerstandsrat Iran * MED-TV * 180, 187, 190 Siehe NWRI MEDYA-TV * 180, 187, 192 Nationales Info-Telefon * Siehe NIT MEINHOF, Ulrike * 129, 134 Nationales und Soziales AktionsbündMEYER, Barbara * 115 nis Norddeutschland * 30, 56, 62, MEYER, Horst Ludwig * 114, 115 71 MG * 168 Nationalrevolutionäre Zellen * 53, 71 MHP * 196 Nationalsozialistische Deutsche ArbeiMili's Tanz auf dem Eis * 118 terpartei/Auslandsund militante frauen/lesbengruppe * 123 Aufbauorganisation * Siehe Milli Gazete * 214 NSDAP/AO MISCAVIGE, David * 239, 249 National-Zeitung - Deutsche Mitteldeutsche Vortragstage * 97 Wochen-Zeitung (NZ) * 24, 83 MKO * 226, 227 NDB * 97 MLKP * 173, 203, 209 Neonazis * 27, 29, 52, 55, 56, 61, 75, MOHNHAUPT, Brigitte * 119 89, 96 Morgenthau-Plenum * 155 NEUBAUER, Harald * 80, 81 MOUSLI, Tarek * 117 Neue Demokratische Frau * Siehe YDK Movimento * 163 Neue Demokratische Jugend * Siehe MTZ * 159, 160 YDG Mudjahedin * 232 Neue Zivilisation * 249 Mumia * 107, 156, 163, 168, 186 Newroz * 160, 186 Munafiqeen Khalq Organization * NHB * 51, 56, 72, 73, 92, 142, 143 Siehe MKO NIT * 98, 102 296 NIT FORUM * 42 Partei des Demokratischen NL * 29, 61, 63, 69 Sozialismus * Siehe PDS, KPF NLA * 226, 228 Partei für den Demokratischen Norddeutsche Bewegung * Siehe Fortschritt * Siehe PPDK NDB Partei Gottes * 235 Norddeutsches Aktionsbündnis * 57 Partisan Net * 171 Nordischer Ring (NR) * 97 Partizan * 205 Nordland-Netz * 99 Patriotische Union Kurdistans (PUK) * NPD * 22, 24, 25, 27, 29, 31, 32, 41, 42, 187 53, 56, 57, 58, 62, 63, 67, 72, 73, 75, PATRUSCHEW, Nikolaj * 255 76, 77, 81, 88, 112, 142, 145, 146 PBD * 220 NR * 97 PCP * 157 NS 88 * 45 PDS * 109, 110, 159, 160 NS Records * 45 PJKK * 188 NSDAP/AO * 60, 61 PKK * 18, 19, 106, 120, 121, 122, 155, NS-Kampfruf * 60 157, 160, 173, 174, 175, 177, 178, NWRI * 226, 227, 229, 230 179, 180, 181, 182, 183, 184, 185, NZ * 24, 83 186, 187, 188, 189, 190, 191, 192, 193, 194, 195, 196, 197, 199, 203, 205, 207, 208, 209, 211, 212 O Plattform der Vereinigten Revolutionären Kräfte * Siehe OBERLERCHER, Dr. Reinhold * 25, 26 DBGP OCA * 244 PLO * 106 ÖCALAN, Abdullah * 17, 18, 106, 121, Politikada Atilim * 211 123, 157, 160, 168, 177, 178, 179, PPDK * 220 180, 181, 182, 183, 186, 188, 190, PRIMAKOW, Jewgenij * 254 191, 195, 199, 205, 207, 211 PRINCE, Jesse * 240 ÖCALAN, Osman * 185, 192, 193 Progressiver Nationalismus * 98 Offene Antifa Hamburg * 140 Proliferation * 258, 259 Offener Kanal * 229 Protokolle der Weisen von Zion * 216 offenes Jugendantifa-Treffen * 139 PUK * 187 Office of Special Affairs * Siehe OSA PUTIN, Wladimir * 254, 255 Omide Iran * 229 OPEC-Konferenz * 116 OSA * 240, 241 Q Ostanatolisches Gebietskomitee * Siehe DABK Qods-Tag * 218, 225 Oxford Capacity Analysis * Siehe OCA Özgür Politika * 180, 187, 195, 196 R P R.O.T.K.Ä.P.C.H.E.N. * 165 Rachefalken Apos * 185 Partei der arbeitenden Frauen radikal * 117, 125 Kurdistans * Siehe PJKK Radikale Linke * Siehe RL Partei der Demokratischen RADJAVI, Maryam * 228 Vereinigung * Siehe PBD RADJAVI, Massoud * 228 Partei der islamischen Befreiung * 231 RAF * 53, 105, 106, 112, 113, 115, 116, Partei der Nationalistischen 117, 118, 120, 130 Bewegung * Siehe MHP RBF * 76 297 Refah Partisi * 199, 212 RUGOVA, Ibrahim * 219 Rehabilitation Project Force * Siehe RUSHDIE, Salman * 223 RPF RZ * 105, 106, 116, 117, 118 Reichsruf - Mitteilungsblatt für revolutionäre Nationalsozialisten * 54 S REIMERS, Rudolf * 82 Religious Technology Center * Siehe SAG * 166 RTC Sandinisten * 106 REP * 24, 27, 29, 30, 31, 32, 76, 85, 89, Satanische Verse * 223 98 Schanzenviertel * 108, 126, 128, 129, RepBB * 76 136 Republikanische Jugend (RJ) * 76 Scharia * 213 Republikanischer Bund der Frauen SCHEER, Uwe * 161 (RBF) * 76 SCHINDLER, Rudolf * 117 Republikanischer Bund der öffentlich SCHLIERER, Dr. Rolf * 24, 30, 76, 77, Bediensteten (RepBB) * 76 78, 79, 81, 85, 98 Republikanischer Hochschulverband SCHÖNHUBER, Franz * 85 (RHV) * 76 Schwarzer Block * 154 Revolutionäre Kommunisten * Siehe SCHWERDT, Frank * 21 RK Scientology-Organisation (SO) * 236 Revolutionäre Linke * 199 SDAJ * 159, 162 Revolutionäre Lösung * 205 SDS * 25 Revolutionäre Volksbefreiungspartei - Sea Org * 240, 242 Front * Siehe DHKP-C Sendero Luminoso * 157, 209 Revolutionäre Zellen * Siehe RZ Serhildan * 185 Revolutionary International Sesimiz * 200 Movement * 157 Skinheads * 27, 28, 29, 38, 39, 40, 55, RHV * 76 57, 69, 70, 71, 75, 89, 96 RIEGER, Jürgen * 97 Skinheads Sächsische Schweiz" RIM * 157 (SSS) * 41 RJ * 76 Skinzines * 41 RK * 157 Sleipnir * 19 RL * 154 Sluzhba Vneshney Razvedki Rosa-Luxemburg-Tage * 167 SWR * Siehe ROßMÜLLER, Sascha * 89 SO * 236 Rote Armee Fraktion * Siehe RAF SOFU, Halil * 216, 217 Rote Brigaden * Siehe brigate rosse Sonne Kurdistans * 189 Rote Flora * 104, 126, 127, 128, 129, Sonntagsspaziergänge * 137 130, 133, 135, 136, 149, 153, 169, Sozialistische Arbeitergruppe (SAG) * 171 166 Rote Hilfe * 119, 129, 131, 152 Sozialistische Deutsche ArbeiterRote Hilfe-Cafe * 131 jugend * Siehe SDAJ Rote Hilfe-Radio * 131 Sozialrevolutionäre * 131 Rote Zora * 116, 117, 118 SSS * 41 Roter Aufbruch * 122, 123, 163 STAUB, Ernst-Volker * 116 RP * Siehe Refah Partisi bzw. STEHR, Heinz * 158, 163 Wohlfahrtspartei STEINAU, Michael * 112, 113 RPF * 240 STEPASCHIN, Sergej * 254 RTC * 239 Stiftung 15. Khordad * 223 298 SWR * 254, 255 Unser Kreis Wandsbek * 161 Unsere Stimme * Siehe Sesemiz UZ * 159, 160 T Terrorismus V Ausländische Extremisten * 173, 201, 209, 216, 231, 232, 233, 235 Vahdet-Moschee * 218 Linksextremisten * 112, 122, 123, 157 Vatan * 201 VEIF * 230 Rechtsextremisten * 51 Vendlindja Therret * 221 THKP/-C * 201, 202, 204 Verband der islamischen Vereine und THKP/-C Devrimci Sol * Siehe THKP/-C Gemeinden e.V. * Siehe ICCB und Thule-Netz * 99 Kalifatstaat TIKKO * 207 Verein zur Eingliederung iranischer TKIH * 210 Flüchtlinge * Siehe VEIF TKP(ML) * 172, 205 Verein zur Förderung der Musik im Iran * 230 TKP/ML * 172, 203, 204, 205 Vereinigung der neuen Weltsicht in TKP/M-L * 198 Europa e.V * Siehe AMGT TKP/ML H * 209 Vereinigung der Verfolgten des NaziTMK * 219 regimes - Bund der Antifaschisten TMLGB * 206 e.V. * Siehe VVN-BdA Tugendpartei * 199, 212 VOGA * 83 Türkische Arbeiterund BauernVOIGT, Udo * 21, 74, 88, 89, 90, 93, 94 befreiungsarmee * Siehe TIKKO Volksbefreiungsarmee Kurdistans * Türkische Kommunistische ArbeiterSiehe ARGK bewegung * Siehe TKIH Volksbewegung für Generalamnestie (VOGA) * 83 Türkische Kommunistische Volksbewegung von Kosovo * Siehe Partei/Marxisten-Leninsten * Siehe LPK TKP/ML, TKP(ML), TKP/M-L und TKP/ML H Volksdemokratie-Partei * 196 Volksmodjahedin * 226, 227, 228, 229 Türkische Volksbefreiungspartei/-Front Volksparkstadion (Skinheads) * 48 - Revolutionäre Linke * Siehe THKP/-C VVN-BdA * 154, 163, 164 Türkischer Marxistisch-Leninistischer Jugendbund * Siehe TMLGB W W 3 * 169 U Waffen-SS * 65, 66, 68, 74 WAGNER, Rolf Clemens * 119 UCK * 219 Wasserkante - Antifaschistische UKW - Unser Kreis Wandsbek * 161 Gruppe * 140 Ultima Ratio * 47 Watchdog-Comittee * Siehe WDC Ümmet-i Muhammed * 215, 216, 217 WAW * 59 Union der Jugendlichen aus WDC * 239 Kurdistan * Siehe YCK WEBENAU, von, Alexander * 72, 73 299 Wehrmachtsausstellung * 16, 23, 29, WULFF-Kreis * 61, 74 Siehe auch 36, 55, 59, 62, 64, 75, 84, 92, 137, Kameradenkreis um 142, 145, 166, 168, 209 Thomas WULFF Wehrwolf * 59 WEILAND, Kurt * 240 Weißer Arischer Widerstand" (WAW) * Y 59 Weltwirtschaftsgipfel * 131, 228, 229 YAJK * 188 WENDT, Christian * 60 YASSIN, Ahmed * 233 Werkhof * 169 YCK * 188 Werkstatt 3 * 169 YDG * 206 YDK * 206 White Power * 70 YELKUVAN, Ilhan * 203 White Youth * 41 YIGIT, Ertugrul * 204 WIENECKE, Johann * 162 YÜKSEL, Ali * 212 Willy Widerstand (Comic-Figur der Yuppisierung * 128 NPD) * 95 WISE * 239, 242 Wog * 237, 242 Z Wohlfahrtspartei * 199, 212 WOLF, Andrea * 120, 122 Z.O.R.N. * 162, 163 WOLF, Helmut * 86 Zeck * 128, 129, 130, 135, 153, 171 WORCH, Christian * 63, 65, 66, 67, 69, Zentralorgan * 19, 20, 66, 68 74, 76, 91, 96 Zentralversand * 69 World Institute of Scientology Zentrum für Forschung und Kultur Enterprises * Siehe WISE des Islam e.V. * 218 WULFF, Thomas * 57, 61, 64, 65, 67, Zeri i Kosoves * 221 71, 72, 73, 74 Zillertaler Türkenjäger * 46 300